The Project Gutenberg EBook of Auswahl aus den Dichtungen Eduard Mörikes, by 
Eduard Mörike

This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and with
almost no restrictions whatsoever.  You may copy it, give it away or
re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included
with this eBook or online at www.gutenberg.org/license


Title: Auswahl aus den Dichtungen Eduard Mörikes

Author: Eduard Mörike

Commentator: J. Löwenberg

Illustrator: Bonaventura Weiß
             Paul Konewka

Release Date: February 25, 2018 [EBook #56641]

Language: German

Character set encoding: UTF-8

*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK AUSWAHL AUS DEN DICHTUNGEN ***




Produced by The Online Distributed Proofreading Team at
http://www.pgdp.net






Anmerkungen zur Transkription

Das Original ist in Fraktur gesetzt. Im Original gesperrter oder kursiver Text ist so markiert. Im Original in Antiqua gesetzter Text ist so ausgezeichnet.

Weitere Anmerkungen zur Transkription befinden sich am Ende des Buches.

Cover
Eduard Mörike
nach dem Bilde von Bonaventura Weiß
1851.

Hausbücherei

16


Hausbücherei

der Deutschen Dichter-Gedächtnis-Stiftung

16. Band

Signet

Hamburg-Großborstel

Verlag der Deutschen Dichter-Gedächtnis-Stiftung 1910

11.–20. Tausend


Auswahl
aus den Dichtungen
Eduard Mörikes

Herausgegeben und eingeleitet von
Dr. J. Loewenberg
Mit einem Bilde Mörikes von Weiß

Signet

Hamburg-Großborstel

Verlag der Deutschen Dichter-Gedächtnis-Stiftung
1910

11.–20. Tausend


Dekoration

Den Einband schmückt die Silhouette Mörikes von Paul Konewka

Dekoration

[5]

Inhaltsverzeichnis

Seite
Inhaltsverzeichnis 5–7
Einleitung von Dr. J. Loewenberg 9–18
Gedichte Eduard Mörikes 21–103
An einem Wintermorgen vor Sonnenaufgang 21
Nächtliche Fahrt 22
Der Knabe und das Immlein 24
Begegnung 25
Der Jäger 26
Ein Stündlein wohl vor Tag 28
Storchenbotschaft 28
Suschens Vogel 29
In der Frühe 30
Er ist's 31
Im Frühling 31
Fußreise 32
An eine Äolsharfe 33
Mein Fluß 34
Auf der Reise 36
Frage und Antwort 37
Lebewohl 37
Heimweh 38
Gesang zu zweien in der Nacht 38
Die traurige Krönung[6] 39
Jung Volker 41
Nimmersatte Liebe 42
Der Gärtner 42
Schön-Rohtraut 43
Lied vom Winde 44
Das verlassene Mägdelein 46
Agnes 46
Elfenlied 47
Die Soldatenbraut 48
Der Feuerreiter 49
Die Tochter der Heide 51
Die Geister am Mummelsee 52
Die schöne Buche 53
Auf das Grab von Schillers Mutter 55
Lose Ware 56
Erinna an Sappho 57
Scherz 59
Septembermorgen 60
Verborgenheit 61
Früh im Wagen 61
Denk' es, o Seele 62
Peregrina 1 63
Peregrina 2 64
Peregrina 3 65
Peregrina 4 66
Peregrina 5 67
Um Mitternacht 67
Auf einer Wanderung[7] 68
Am Rheinfall 69
An meine Mutter 70
Zum Neuen Jahr 70
Auf ein altes Bild 71
Sehnsucht 71
Zu viel 73
Nur zu! 73
An die Geliebte 74
Wo find ich Trost? 75
Gebet 75
Nixe Binsefuß 76
Zwei Liebchen 77
Der Zauberleuchtturm 78
Der alte Turmhahn 80
An Wilhelm Hartlaub 90
Ach nur einmal noch im Leben! 92
Der Tambour 94
Häusliche Szene 95
Selbstgeständnis 102
Restauration 102
Nachts 103
Die Historie von der schönen Lau 104–139
Mozart auf der Reise nach Prag 140–235
Dekoration

[8]

Signet
Dekoration

[9]

Einleitung.

Eine Auswahl aus Mörike und insbesondere eine Auswahl aus Mörikes Gedichten – ist sie gerechtfertigt, da doch der Dichter selbst bei der Sammlung seiner Gedichte so sorgfältig wählte und schied? Der Zweck unserer Ausgaben, die in erster Linie für die weitesten Kreise unseres Volkes bestimmt sind, möge es erklären, daß wir von dem Guten nur das Beste bringen, daß wir alle Übersetzungen und die meisten Gelegenheitsgedichte fortgelassen haben. Wenn sich auch in vielen irgend etwas dichterisch Schönes findet, so sind sie im Vergleich zu den anderen Gedichten doch minderwertig. Und scheint es nicht, als ob unsere Zeit mit der Fülle ihrer Erscheinungen und Forderungen, mit der ruhelosen Hast, in die uns der Kampf eines jeden Tages treibt, geradezu zu einer Auswahl drängt? Ist es nicht mehr als Zufall, daß unsere ersten lebenden Lyriker wie Liliencron, Dehmel, Falke selber eine Auswahl ihrer Gedichte veranstaltet haben? Wir sind nicht mehr die fröhlich dahinschreitenden Wanderer, die in behaglicher Muße den Fluß entlang ziehen. Wir werfen von der Höhe des Weges einen[10] sehnenden Blick in sein liebliches Tal, steigen in der Hitze des Tages wohl zu ihm herab und erquicken uns an einem vollen Trunk, aber dann weiter, weiter! Hat er uns wohlgetan, dann denken wir des Spenders in dankbarem Gemüte, und in gesegneter Stunde kehren wir gern zu ihm zurück, um eine weit größere Strecke, wenn möglich den ganzen Weg mit ihm zu wandern. –

Eduard Friedrich Mörike wurde am 8. September 1804 in Ludwigsburg geboren, der kleinen württembergischen Residenzstadt, die uns auch Justinus Kerner, Friedrich Theodor Vischer, den Dichter von »Auch Einer«, und David Strauß, den Verfasser des »Lebens Jesu«, geschenkt hat. Der Vater, der Arzt gewesen, starb, als Eduard erst dreizehn Jahre alt war, und nun blieb der Mutter die Sorge für sieben unversorgte Kinder. Sie war eine lebhafte, heitere, phantasiebegabte Frau, und des Dichters geistiges Erbe stammte wohl zumeist von ihr. So ungern sie sich auch von ihrem Eduard trennte, so mußte sie es doch dankbar annehmen, daß sein Oheim, der Obertribunalpräsident Georgii, ihn zu sich nach Stuttgart nahm, um seine Erziehung zu leiten.

Da Mörike Theologie studieren wollte und sollte, kam er im folgenden Jahre (1818) in das Seminar zu Urach. Hier schloß er Freundschaft mit Wilhelm Hartlaub, der ihm Zeit seines Lebens aufs treuste zugetan war. Mit mancherlei Anlagen ausgerüstet,[11] mit ausgesprochenem Talent für Zeichnen, mit tiefer Neigung für Musik verriet er auch schon hier seine poetische Begabung, und als er im Jahre 1822 in das Seminar zu Tübingen, das sogenannte »Stift«, eintrat, fand er sich bald mit dem poetisch veranlagten Ludwig Bauer zusammen, mit dem im Bunde er seinen phantastischen und poetischen Neigungen nachgehen konnte.

Von früh auf suchte der scheue, stille Knabe die Einsamkeit, fand seine tiefsten Freuden in der Natur und liebte es, sich in eine bunte, romantische Märchenwelt einzuspinnen. Nun trieben die Freunde »in einsamer Abgeschlossenheit im Walde, in einem Felsenloch, in einem verlassenen Brunnenstübchen ihr Wesen, machten den Tag zur erkünstelten Nacht, deren Dunkel eine matte Lampe erhellte, und lasen sich da Homer und Shakespeare vor. Nixen, Elfen und Geister aller Art beschworen sie mit ihrer Phantasie und träumten sich auf eine einsame Wunderinsel Orplid versetzt.«

In seiner Tübinger Studienzeit wurde Mörike von einer leidenschaftlichen Liebe zu Marie Meyer, einem abenteuernden Mädchen, ergriffen, dessen Wesen und Schicksal noch heute nicht ganz aufgehellt ist. Nach schweren inneren Kämpfen erkannte er, daß seine Liebe, die er in dem Gedichtcyklus »Peregrina« verewigt hat, auf Irrwege gegangen, und schwer krank kehrte er zur Mutter zurück. Wenn je ein Mann der liebenden, sorgenden und stützenden[12] Hand des Weibes bedurfte, so war es Mörike, der so unerfahren in allen praktischen Dingen war, der sich so scheu von aller Welt zurückzog, daß er einmal später Geibel gestand: »Wenn Sie wüßten, welchen Entschluß schon es mich kostet, einer Gesellschaft zuliebe in einen andern Rock zu schlüpfen!« Er, der sich so sehr nach einem Heim sehnte, mußte jahrelang, nachdem er 1826 sein theologisches Examen abgelegt, von einem Orte Schwabens zum andern wandern, um als Pfarrvikar tätig zu sein. Kaum fing er an, irgendwo zu wurzeln, so mußte er sich wieder losreißen, bis er endlich 1834 die Pfarre von Cleversulzbach erhielt. Ein Jahr zuvor hatte er sein langjähriges Verlöbnis mit Luise Rau lösen müssen. Ihre Sorge um die Sicherheit ihrer Zukunft, Mißtrauen in seine Kraft und in seinen Willen hatten ein Verhältnis gelockert, das Liebe und Vertrauen geknüpft hatten. Nun bereiteten ihm die Mutter und die Schwester, die schon 1832 zu ihm gezogen waren, ein behagliches, stilles Heim, das wohl dem nicht ganz unähnlich war, das er in seinem fein humoristischen Idyll »Der Turmhahn« geschildert hat.

Es war ein schwerer Schlag für ihn, als die Mutter 1841 starb. Er ließ sie neben Schillers Mutter betten, auf deren fast vergessenem Grab er ein Kreuz hatte aufrichten lassen, und der er in seinem Gedicht »Auf das Grab von Schillers Mutter« ein Denkmal seiner Verehrung setzte.

[13]

Fortwährende Kränkeleien – so recht gesund fühlte sich Mörike nie – bestimmten ihn 1843 dazu, sein kirchliches Amt ganz aufzugeben. Hatten ihn im Anfang seiner Laufbahn oft religiöse Zweifel gequält, so hatte er sich allmählich in praktischer, ratender und helfender Tätigkeit zurechtgefunden, so daß er aus seinem Amte nicht leichten Herzens schied. Sein literarischer Ruhm war inzwischen stetig gewachsen. 1832 war sein großer Roman »Maler Nolten«, in den der Dichter manche Ereignisse seines Lebens hineingesponnen, erschienen. 1839 veröffentlichte er »Iris, eine Sammlung erzählender und dramatischer Dichtungen«, und ein Jahr früher hatte er die erste Sammlung seiner Gedichte herausgegeben. Fanden sie auch bei dem großen Publikum nur geringen Widerhall, die Kundigen wußten, was sie galten, wußten, daß ein neuer starker Dichter erstanden war. Hermann Kurz durfte scherzen, er werde ihn beschuldigen, daß er Goethes verlorene Lieder unrechtmäßigerweise an sich gebracht habe, um sich nun damit zu brüsten.

Nachdem Mörike sein Amt niedergelegt hatte, siedelte er nach kurzem Aufenthalt in Schwäbisch-Hall nach Mergentheim über. Hier entstand die »Idylle vom Bodensee«, die er 1846 veröffentlichte. 1851 ging er nach Stuttgart, wo er am Katharinenstift, einer höheren Töchterschule, eine Anstellung erhielt. In Stuttgart verheiratete er sich auch, zwei Töchter entsprossen dieser Ehe, und Mörike, der[14] große Kinderfreund, jubelte über sein spätes Vaterglück; aber der Bund war trotzdem kein glücklicher. Die beiden Gatten standen sich innerlich zu fern, und anstatt zusammenzuwachsen, wurden sie sich immer fremder, so daß schließlich eine Trennung erfolgte.

In Stuttgart wurden auch zwei andre Kinder Mörikes geboren, seine beiden feinsten Prosadichtungen: das farbenprächtige, volkstümliche Märchen vom Stuttgarter Hutzelmännlein (1852), aus dem wir die köstliche »Historie von der schönen Lau« bringen,1 und die ergreifende Novelle »Mozart auf der Reise nach Prag« (1856). Sie mutet uns wie eine biographische Erzählung an, so wahr scheint Wesen, Charakter und Sprache des großen Komponisten getroffen; und doch ist's eigentlich auch ein Märchen, ein Märchen, wie ein Dichter sich einen Glückstag aus dem Leben eines Künstlers träumt, ein Tag, wo alle Erdenfreude ihm noch einmal hell leuchtet, kurz bevor die Lebenssonne zur Rüste geht. Von jeher hatte die Musik die tiefste Wirkung auf Mörike geübt, und was er einmal von seiner Lieblingsoper Don Juan sagt, das schlägt uns auch aus seiner Dichtung entgegen: »ein Überschwall von allem Duft, Schmerz und Schönheit«.

1 Es sei hier auf die Hessesche Gesamtausgabe von Mörikes Werken mit der vortrefflichen Einleitung von Rudolf Krauß hingewiesen.

Aus Gesundheitsrücksichten gab Mörike 1866 seine Stuttgarter Stelle auf und zog mit seiner Schwester[15] nach Lorch. Mannigfache Auszeichnungen waren ihm inzwischen zu teil geworden. Die Tübinger Universität hatte ihn zum Ehrendoktor ernannt; der König Max von Bayern, der ihn gern in den Münchener Dichterkreis gezogen hätte, erwählte ihn zum Ritter des Maximilianordens, und die Schillerstiftung verlieh ihm eine lebenslängliche Jahrespension. Berühmte Dichter und Künstler suchten seine Freundschaft. Theodor Storm, der wesensverwandte norddeutsche Dichter, wies schon früh auf Mörikes Bedeutung hin. In seinen »Erinnerungen an Mörike« spricht er es aus, was der Dichter ihm gewesen, und in seinem Hausbuch deutscher Lyriker betont er, daß »Mörikes Gedichte in keiner Bibliothek fehlen dürften, in der unsere poetische Literatur, wenn auch nur andeutungsweise, vertreten ist«. Moriz von Schwind und Ludwig Richter schufen Bilder zu seinen Werken, und hervorragende Komponisten vertonten seine Lieder. Er hätte in Lorch, wo er die »langersehnte, absolute Ruhe und Stille« fand, einen behaglichen Lebensabend verbringen können, wenn ihn sein häusliches Unglück nicht tief gequält hätte. Ihm fehlte, was er an Schwinds Frau rühmte, »die treue, so ganz für ihn geschaffene Gefährtin«. Noch kurz vor seinem Tode rief er seine Frau zu sich und söhnte sich mit ihr aus, und am Morgen des 4. Juni 1875 endete ein Leben, das scheinbar ruhig und still verlief, das aber reich war an allem, was nur ein Menschenherz erregen und bewegen[16] kann, an Leiden und Enttäuschungen, an schweren Kämpfen und stillen Siegen.

Mörike der Lyriker ist, wie Hebbel der Dramatiker, erst in unsern Tagen zu seinem vollen Recht gekommen. Es liegt in seinen Dichtungen nichts Hinreißendes, Leidenschaftliches, nichts Großes, Überwältigendes, das gleich auf den ersten Blick fesselt. Und doch fehlt es ihnen nicht an Größe und Leidenschaft. Nur wurzeln sie ebenso tief unter der Erde, wie sie oberhalb wachsen und grünen. Sie tragen die stille Schönheit seiner Heimat in sich: Hügel und Täler, Wald und Wiese und Fluß. Dem vorüberhastenden Blick erschließen sie nicht ihren Reiz, man muß sich darin ergehen. Aber dann findet jeder ein Stück Heimatland da, das Heimatland seiner Seele: »Ja, so haben wir's gefühlt, so haben wir's genossen! Das lag wohl immer schon so in uns, Mörike hat es nicht erfunden, hat es uns selber nur entdeckt.« Seine Dichtungen wirken so, wie er einmal in einem Brief an seinen Freund Waiblinger von dem frischen Sommerregen schreibt: »Unser Innerliches fühlt sich sonderbar geborgen und guckt wie ein Kind, das sich mit verhaltenem Jauchzen vor dem nassen Ungestüm draußen versteckt, mit hellen Augen durchs Vorhängel, bald aus jenem, bald aus diesem vergnügten Winkelchen.«

Und mit Kindesaugen sieht der Dichter in die Welt. Da ist nichts so klein, daß es, mit seinen Blicken betrachtet, nicht Wert erhielte, nichts so unscheinbar,[17] daß es, von dem Strahl seines hellen Gemüts getroffen, nicht leuchtete und glänzte, und nichts so groß, daß er nicht damit spielen könnte. »Mörike,« sagt Fr. Strauß, »nimmt eine Handvoll Erde, drückt sie ein wenig, und alsbald fliegt ein Vögelchen davon.« Das ist die göttliche Urkraft der Phantasie, die in jedem Kinde lebendig ist und sich in jedem Dichter betätigt. Da gibt es nichts Großes und Kleines, nichts Lebendes und Totes. Da berühren sich überall Himmel und Erde, und jeder Mensch trägt das Gottesgnadentum, König zu werden, in sich. Aus dieser Märchenwelt kam Mörike nie heraus. Alles um ihn her, Stein und Pflanze und Tier, war ihm Gefährte und redete in seiner Sprache zu ihm. Weltfremd und menschenscheu, war er doch auf jedem Fleckchen grüner Erde daheim und vertraut mit allem, was Menschenherz bewegt. War es wunder, daß er Märchen dichtete? Er lebte sie ja. Märchenbildungen wie die Insel Orplid, wie der sichre Mann Suckelhorst wurden ihm so lebendig, daß sie in seiner Rede als gegenständlich vorkamen oder umherliefen.

In seinen Märchennovellen ist das Wunderbare und Alltägliche so gemischt, daß wir das eine wie das andre glauben. Daß die schöne Lau in den Blautopf verbannt ist, erscheint uns ebenso natürlich, wie daß sie lachen muß, als sie »das Enkelein mit rotgeschlafenen Backen hemdig und einen Apfel in der Hand auf einem runden Stühlchen[18] von guter Ulmer Hafnerarbeit, grünverglaset« sitzen sah.

Manche seiner Dichtungen sind in dem wenig volkstümlichen Hexameter verfaßt, und Mörike ist oft stark von der antiken Dichtung beeinflußt, so daß er, wie Keller treffend bemerkt, uns anmutet, als ob er der Sohn des Horaz und einer feinen Schwäbin sei.

Aber trotz dieses fremden Elements lebt in Mörike so viel Naives und Volkstümliches, so viel Naturgefühl und Phantasie, so viel sonniger Humor und tiefe Lebensweisheit, daß wir getrost den Worten, die Friedrich Vischer dem Freunde am Grabe nachrief, vertrauen können: »Es gibt eine Gemeinde – und nur in der Vergleichung mit der breiten Menge ist sie klein – die sich labt und entzückt an deinen wunderbaren, hellen, seligen Träumen und die hohe Wahrheit schaut in diesen Träumen. Es gibt eine Gemeinde, die den Dichter nicht nach rednerischen Worten schätzt, die den feineren Wohllaut trinkt, der aus ursprünglichem Naturgefühl der Sprache quillt. Und sie wird wachsen, diese Gemeinde, sich erweitern zu Kreis um Kreis, Bund um Bund wird sich bilden von Einverstandenen in deinem Verständnis.«

Hamburg im Dezember 1905.

J. Loewenberg.

Dekoration

[19]

Dichtungen
von
Eduard Mörike

Dekoration

[21]

An einem Wintermorgen vor Sonnenaufgang.

O flaumenleichte Zeit der dunkeln Frühe!
Welch neue Welt bewegest du in mir?
Was ist's, daß ich auf einmal nun in dir
Von sanfter Wollust meines Daseins glühe?
Einem Kristall gleicht meine Seele nun,
Den noch kein falscher Strahl des Lichts getroffen;
Zu fluten scheint mein Geist, er scheint zu ruhn,
Dem Eindruck naher Wunderkräfte offen,
Die aus dem klaren Gürtel blauer Luft
Zuletzt ein Zauberwort vor meine Sinne ruft.
Bei hellen Augen glaub' ich doch zu schwanken:
Ich schließe sie, daß nicht der Traum entweiche.
Seh' ich hinab in lichte Feenreiche?
Wer hat den bunten Schwarm von Bildern und Gedanken
Zur Pforte meines Herzens hergeladen,
Die glänzend sich in diesem Busen baden,
Goldfarb'gen Fischlein gleich im Gartenteiche?
Ich höre bald der Hirtenflöten Klänge,
Wie um die Krippe jener Wundernacht,
Bald weinbekränzter Jugend Lustgesänge;
Wer hat das friedenselige Gedränge
In meine traurigen Wände hergebracht?
[22]
Und welch Gefühl entzückter Stärke,
Indem mein Sinn sich frisch zur Ferne lenkt!
Vom ersten Mark des heut'gen Tags getränkt,
Fühl' ich mir Mut zu jedem frommen Werke.
Die Seele fliegt, so weit der Himmel reicht,
Der Genius jauchzt in mir. Doch sage!
Warum wird jetzt der Blick von Wehmut feucht?
Ist's ein verloren Glück, was mich erweicht?
Ist es ein werdendes, was ich im Herzen trage?
– Hinweg, mein Geist! hier gilt kein Stillestehn:
Es ist ein Augenblick, und alles wird verwehn.
Dort, sieh! am Horizont lüpft sich der Vorhang schon.
Es träumt der Tag, nun sei die Nacht entflohn;
Die Purpurlippe, die geschlossen lag,
Haucht, halb geöffnet, süße Atemzüge:
Auf einmal blitzt das Aug', und, wie ein Gott, der Tag
Beginnt im Sprung die königlichen Flüge.

Nächtliche Fahrt.

Jüngst im Traum ward ich getragen
Über fremdes Heideland;
Vor den halbverschlossnen Wagen
Schien ein Trauerzug gespannt.
Dann durch mondbeglänzte Wälder
Ging die sonderbare Fahrt,
Bis der Anblick offner Felder
Endlich mir bekannter ward.
[23]
Wie im lustigen Gewimmel
Tanzt nun Busch und Baum vorbei!
Und ein Dorf nun – guter Himmel!
O mir ahnet, was es sei.
Sah ich doch vorzeiten gerne
Diese Häuser oft und viel,
Die am Wagen die Laterne
Streift im stummen Schattenspiel.
Ja, dort unterm Giebeldache
Schlummerst du, vergeßlich Herz!
Und daß dein Getreuer wache,
Sagt dir kein geheimer Schmerz. –
Ferne waren schon die Hütten:
Sieh! da flattert's durch den Wind.
Eine Gabe zu erbitten
Schien ein armes, holdes Kind.
Wie vom bösen Geist getrieben,
Werf' ich rasch der Bettlerin
Ein Geschenk von meiner Lieben,
Jene goldne Kette, hin.
Plötzlich scheint ein Rad gebunden,
Und der Wagen steht gebannt,
Und das schöne Mädchen unten
Hält mich schelmisch bei der Hand.
»Denkt man so damit zu schalten?
So entdeck' ich den Betrug?
[24] Doch den Wagen festzuhalten,
War die Kette stark genug.
Willst du, daß ich dir verzeihe,
Sei erst selber wieder gut!
Oder wo ist deine Treue,
Böser Junge, falsches Blut?«
Und sie streichelt mir die Wange,
Küßt mir das erfrorne Kinn,
Steht und lächelt, weinet lange
Als die schönste Büßerin.
Doch mir bleibt der Mund verschlossen,
Und kaum weiß ich, was geschehn;
Ganz in ihren Arm gegossen,
Schien ich selig zu vergehn.
Und nun fliegt mit uns, ihr Pferde,
In die graue Welt hinein!
Unter uns vergeh' die Erde,
Und kein Morgen soll mehr sein!

Der Knabe und das Immlein.

Im Weinberg auf der Höhe
Ein Häuslein steht so windebang,
Hat weder Tür noch Fenster;
Die Weile wird ihm lang.
Und ist der Tag so schwüle,
Sind all' verstummt die Vögelein,
Summt an der Sonnenblume
Ein Immlein ganz allein.
[25]
Mein Lieb hat einen Garten,
Da steht ein hübsches Immenhaus:
Kommst du daher geflogen?
Schickt sie dich nach mir aus?
»O nein, du feiner Knabe,
Es hieß mich niemand Boten gehn;
Dies Kind weiß nichts von Lieben,
Hat dich noch kaum gesehn.
Was wüßten auch die Mädchen,
Wenn sie kaum aus der Schule sind!
Dein herzallerliebstes Schätzchen
Ist noch ein Mutterkind.
Ich bring' ihm Wachs und Honig;
Ade! – ich hab' ein ganzes Pfund.
Wie wird das Schätzchen lachen!
Ihm wässert schon der Mund.«
Ach, wolltest du ihr sagen,
Ich wüßte, was viel süßer ist:
Nichts Lieblichers auf Erden,
Als wenn man herzt und küßt!

Begegnung.

Was doch heut nacht ein Sturm gewesen,
Bis erst der Morgen sich geregt!
Wie hat der ungebetne Besen
Kamin und Gassen ausgefegt!
[26]
Da kommt ein Mädchen schon die Straßen,
Das halb verschüchtert um sich sieht;
Wie Rosen, die der Wind zerblasen,
So unstet ihr Gesichtchen glüht.
Ein schöner Bursch tritt ihr entgegen,
Er will ihr voll Entzücken nahn:
Wie sehn sich freudig und verlegen
Die ungewohnten Schelme an!
Er scheint zu fragen, ob das Liebchen
Die Zöpfe schon zurecht gemacht,
Die heute nacht im offnen Stübchen
Ein Sturm in Unordnung gebracht.
Der Bursche träumt noch von den Küssen,
Die ihm das süße Kind getauscht,
Er steht, von Anmut hingerissen,
Derweil sie um die Ecke rauscht.

Der Jäger.

Drei Tage Regen fort und fort,
Kein Sonnenschein zur Stunde;
Drei Tage lang kein gutes Wort
Aus meiner Liebsten Munde!
Sie trutzt mit mir und ich mit ihr –
So hat sie's haben wollen;
Mir aber nagt's am Herzen hier,
Das Schmollen und das Grollen.
[27]
Willkommen denn, des Jägers Lust,
Gewittersturm und Regen!
Fest zugeknöpft die heiße Brust
Und jauchzend euch entgegen!
Nun sitzt sie wohl daheim und lacht
Und scherzt mit den Geschwistern;
Ich höre in des Waldes Nacht
Die alten Blätter flüstern.
Nun sitzt sie wohl und weinet laut
Im Kämmerlein in Sorgen;
Mir ist es wie dem Wilde traut,
In Finsternis geborgen.
Kein Hirsch und Rehlein überall:
Ein Schuß zum Zeitvertreibe!
Gesunder Knall und Widerhall
Erfrischt das Mark im Leibe.
Doch wie der Donner nun verhallt
In Tälern durch die Runde,
Ein plötzlich Weh mich überwallt,
Mir sinkt das Herz zu Grunde.
Sie trutzt mit mir und ich mit ihr –
So hat sie's haben wollen;
Mir aber frißt's am Herzen hier,
Das Schmollen und das Grollen.
Und auf! und nach der Liebsten Haus!
Und sie gefaßt ums Mieder! –
[28] »Drück mir die nassen Locken aus
Und küß und hab mich wieder!«

Ein Stündlein wohl vor Tag.

Derweil ich schlafend lag,
Ein Stündlein wohl vor Tag,
Sang vor dem Fenster auf dem Baum
Ein Schwälblein mir, ich hört' es kaum –
Ein Stündlein wohl vor Tag.
»Hör an, was ich dir sag'!
Dein Schätzlein ich verklag':
Derweil ich dieses singen tu':
Herzt er ein Lieb in guter Ruh',
Ein Stündlein wohl vor Tag.«
O weh! nicht weiter sag!
O still! nichts hören mag.
Flieg ab, flieg ab von meinem Baum! –
Ach, Lieb' und Treu' ist wie ein Traum
Ein Stündlein wohl vor Tag.

Storchenbotschaft.

Des Schäfers sein Haus und das steht auf zwei Rad,
Steht hoch auf der Heiden, so frühe wie spat;
Und wenn nur ein mancher so'n Nachtquartier hätt'!
Ein Schäfer tauscht nicht mit dem König sein Bett.
Und käm' ihm zur Nacht auch was Seltsames vor,
Er betet sein Sprüchel und legt sich aufs Ohr;
[29] Ein Geistlein, ein Hexlein, so lustige Wicht',
Sie klopfen ihm wohl, doch er antwortet nicht.
Einmal doch, da ward es ihm wirklich zu bunt:
Es knopert am Laden, es winselt der Hund;
Nun ziehet mein Schäfer den Riegel – ei schau!
Da stehen zwei Störche, der Mann und die Frau.
Das Pärchen, es machet ein schön Kompliment,
Es möchte gern reden – ach, wenn es nur könnt'!
Was will mir das Ziefer? ist so was erhört?
Doch ist mir wohl fröhliche Botschaft beschert.
Ihr seid wohl dahinten zu Hause am Rhein?
Ihr habt wohl mein Mädel gebissen ins Bein?
Nun weinet das Kind und die Mutter noch mehr,
Sie wünschet den Herzallerliebsten sich her?
Und wünschet daneben die Taufe bestellt:
Ein Lämmlein, ein Würstlein, ein Beutelein Geld?
So sagt nur, ich käm' in zwei Tag' oder drei.
Und grüßt mir mein Bübel und rührt ihm den Brei!
Doch halt! warum stellt ihr zu zweien euch ein?
Es werden doch, hoff' ich, nicht Zwillinge sein? –
Da klappern die Störche im lustigsten Ton,
Sie nicken und knixen und fliegen davon.

Suschens Vogel.

Ich hatt' ein Vöglein, ach, wie fein!
Kein schöners mag wohl nimmer sein:
[30]
Hätt' auf der Brust ein Herzlein rot
Und sung und sung sich schier zu Tod.
Herzvogel mein, du Vogel schön,
Nun sollt du mit zu Markte gehn! –
Und als ich in das Städtlein kam,
Er saß auf meiner Achsel zahm.
Und als ich ging am Haus vorbei
Des Knaben, dem ich brach die Treu',
Der Knab' just aus dem Fenster sah,
Mit seinem Finger schnalzt er da:
Wie horchet gleich mein Vogel auf!
Zum Knaben fliegt er husch! hinauf.
Der koset ihn so lieb und hold;
Ich wußt' nicht, was ich machen sollt',
Und stund, im Herzen so erschreckt,
Mit Händen mein Gesichte deckt',
Und schlich davon und weinet' sehr
Ich hört' ihn rufen hinterher:
»Du falsche Maid, behüt dich Gott!
Ich hab' doch wieder mein Herzlein rot.«

In der Frühe.

Kein Schlaf noch kühlt das Auge mir,
Dort gehet schon der Tag herfür
An meinem Kammerfenster.
[31] Es wühlet mein verstörter Sinn
Noch zwischen Zweifeln her und hin
Und schaffet Nachtgespenster. –
Ängste, quäle
Dich nicht länger, meine Seele!
Freu dich! schon sind da und dorten
Morgenglocken wach geworden.

Er ist's.

Frühling läßt sein blaues Band
Wieder flattern durch die Lüfte;
Süße, wohlbekannte Düfte
Streifen ahnungsvoll das Land.
Veilchen träumen schon,
Wollen balde kommen. –
Horch, von fern ein leiser Harfenton!
Frühling, ja du bist's!
Dich hab' ich vernommen!

Im Frühling.

Hier lieg' ich auf dem Frühlingshügel:
Die Wolke wird mein Flügel,
Ein Vogel fliegt mir voraus.
Ach, sag mir, alleinzige Liebe,
Wo du bleibst, daß ich bei dir bliebe!
Doch du und die Lüfte, ihr habt kein Haus.
[32]
Der Sonnenblume gleich steht mein Gemüte offen,
Sehnend,
Sich dehnend
In Lieben und Hoffen.
Frühling, was bist du gewillt?
Wann werd' ich gestillt?
Die Wolke seh' ich wandeln und den Fluß,
Es dringt der Sonne goldner Kuß
Mir tief bis ins Geblüt hinein;
Die Augen, wunderbar berauschet,
Tun, als schliefen sie ein,
Nur noch das Ohr dem Ton der Biene lauschet.
Ich denke dies und denke das,
Ich sehne mich und weiß nicht recht, nach was:
Halb ist es Lust, halb ist es Klage;
Mein Herz, o sage,
Was webst du für Erinnerung
In golden grüner Zweige Dämmerung? –
Alte unnennbare Tage!

Fußreise.

Am frischgeschnittnen Wanderstab
Wenn ich in der Frühe
So durch Wälder ziehe,
Hügel auf und ab:
Dann, wie 's Vögelein im Laube
Singet und sich rührt,
[33] Oder wie die goldne Traube
Wonnegeister spürt
In der ersten Morgensonne,
So fühlt auch mein alter, lieber
Adam Herbst- und Frühlingsfieber,
Gottbeherzte,
Nie verscherzte
Erstlings-Paradieseswonne.
Also bist du nicht so schlimm, o alter
Adam, wie die strengen Lehrer sagen:
Liebst und lobst du immer doch,
Singst und preisest immer noch,
Wie an ewig neuen Schöpfungstagen,
Deinen lieben Schöpfer und Erhalter!
Möcht' es dieser geben,
Und mein ganzes Leben
Wär' im leichten Wanderschweiße
Eine solche Morgenreise.

An eine Äolsharfe.

Angelehnt an die Efeuwand
Dieser alten Terrasse,
Du, einer luftgebornen Muse
Geheimnisvolles Saitenspiel,
Fang an,
Fange wieder an
Deine melodische Klage!
[34]
Ihr kommet, Winde, fern herüber
Ach! von des Knaben,
Der mir so lieb war,
Frisch grünendem Hügel.
Und Frühlingsblüten unterwegs streifend,
Übersättigt mit Wohlgerüchen,
Wie süß bedrängt ihr dies Herz
Und säuselt her in die Saiten,
Angezogen von wohllautender Wehmut,
Wachsend im Zug meiner Sehnsucht
Und hinsterbend wieder.
Aber auf einmal,
Wie der Wind heftiger herstößt,
Ein holder Schrei der Harfe
Wiederholt, mir zu süßem Erschrecken,
Meiner Seele plötzliche Regung,
Und hier – die volle Rose streut, geschüttelt,
All ihre Blätter vor meine Füße.

Mein Fluß.

O Fluß, mein Fluß im Morgenstrahl!
Empfange nun, empfange
Den sehnsuchtsvollen Leib einmal
Und küsse Brust und Wange! –
Er fühlt mir schon herauf die Brust,
Er kühlt mit Liebesschauerlust
Und jauchzendem Gesange.
[35]
Es schlüpft der goldne Sonnenschein
In Tropfen an mir nieder,
Die Woge wieget aus und ein
Die hingegebnen Glieder,
Die Arme hab' ich ausgespannt:
Sie kommt auf mich herzugerannt,
Sie faßt und läßt mich wieder.
Du murmelst so, mein Fluß; warum?
Du trägst seit alten Tagen
Ein seltsam Märchen mit dir um
Und mühst dich, es zu sagen;
Du eilst so sehr und läufst so sehr,
Als müßtest du im Land umher,
Man weiß nicht wen, drum fragen.
Der Himmel, blau und kinderrein,
Worin die Wellen singen,
Der Himmel ist die Seele dein:
O laß mich ihn durchdringen!
Ich tauche mich mit Geist und Sinn
Durch die vertiefte Bläue hin
Und kann sie nicht erschwingen.
Was ist so tief, so tief wie sie?
Die Liebe nur alleine.
Sie wird nicht satt und sättigt nie
Mit ihrem Wechselscheine. –
Schwill an, mein Fluß, und hebe dich,
Mit Grausen übergieße mich!
Mein Leben um das deine!
[36]
Du weisest schmeichelnd mich zurück
Zu deiner Blumenschwelle.
So trage denn allein dein Glück
Und wieg auf deiner Welle
Der Sonne Pracht, des Mondes Ruh'!
Nach tausend Irren kehrest du
Zur ew'gen Mutterquelle.

Auf der Reise.

Zwischen süßem Schmerz,
Zwischen dumpfem Wohlbehagen
Sitz' ich nächtlich in dem Reisewagen,
Lasse mich so weit von dir, mein Herz,
Weit und immer weiter tragen.
Schweigend sitz' ich und allein,
Ich wiege mich in bunten Träumen,
Das muntre Posthorn klingt darein
Es tanzt der liebe Mondenschein
Nach diesem Ton auf Quellen und auf Bäumen,
Sogar zu mir durchs enge Fensterlein.
Ich wünsche mir nun dies und das.
O könnt' ich jetzo durch ein Zauberglas
Ins Goldgewebe deines Traumes blicken!
Vielleicht dann säh' ich wieder mit Entzücken
Dich in der Laube wohlbekannt.
Ich sähe Genovefens Hand
Auf deiner Schulter traulich liegen,
[37] Am Ende säh' ich selber mich,
Halb keck und halb bescheidentlich,
An deine holde Wange schmiegen.
Doch nein! wie dürft' ich auch nur hoffen,
Daß jetzt mein Schatten bei dir sei!
Ach, stünden deine Träume für mich offen,
Du winktest wohl auch wachend mich herbei!

Frage und Antwort.

Fragst du mich, woher die bange
Liebe mir zum Herzen kam,
Und warum ich ihr nicht lange
Schon den bittern Stachel nahm?
Sprich, warum mit Geisterschnelle
Wohl der Wind die Flügel rührt,
Und woher die süße Quelle
Die verborgnen Wasser führt!
Banne du auf seiner Fährte
Mir den Wind in vollem Lauf!
Halte mit der Zaubergerte
Du die süßen Quellen auf!

Lebewohl.

»Lebe wohl!« – Du fühlest nicht,
Was es heißt, dies Wort der Schmerzen:
Mit getrostem Angesicht
Sagtest du's und leichtem Herzen.
[38]
Lebe wohl! – Ach, tausendmal
Hab' ich mir es vorgesprochen.
Und in nimmersatter Qual
Mir das Herz damit gebrochen.

Heimweh.

Anders wird die Welt mit jedem Schritt,
Den ich weiter von der Liebsten mache;
Mein Herz, das will nicht weiter mit.
Hier scheint die Sonne kalt ins Land,
Hier deucht mir alles unbekannt,
Sogar die Blumen am Bache!
Hat jede Sache
So fremd eine Miene, so falsch ein Gesicht.
Das Bächlein murmelt wohl und spricht:
Armer Knabe, komm bei mir vorüber!
Siehst auch hier Vergißmeinnicht. –
Ja, die sind schön an jedem Ort,
Aber nicht wie dort.
Fort, nur fort!
Die Augen gehn mir über!

Gesang zu zweien in der Nacht.

Sie:

Wie süß der Nachtwind nun die Wiese streift
Und klingend jetzt den jungen Hain durchläuft!
Da noch der freche Tag verstummt,
Hört man der Erdenkräfte flüsterndes Gedränge,
Das aufwärts in die zärtlichen Gesänge
Der reingestimmten Lüfte summt.

[39]

Er:

Vernehm' ich doch die wunderbarsten Stimmen,
Vom lauen Wind wollüstig hingeschleift,
Indes, mit ungewissem Licht gestreift,
Der Himmel selber scheinet hinzuschwimmen.

Sie:

Wie ein Gewebe zuckt die Luft manchmal,
Durchsichtiger und heller aufzuwehen;
Dazwischen hört man weiche Töne gehen
Von sel'gen Feen, die im blauen Saal,
Zum Sphärenklang
Und fleißig mit Gesang,
Silberne Spindeln hin und wieder drehen.

Er:

O holde Nacht, du gehst mit leisem Tritt
Auf schwarzem Samt, der nur am Tage grünet,
Und luftig schwirrender Musik bedienet
Sich nun dein Fuß zum leichten Schritt,
Womit du Stund' um Stunde missest,
Dich lieblich in dir selbst vergissest –
Du schwärmst, es schwärmt der Schöpfung Seele mit.

Die traurige Krönung.

Es war ein König Milesint,
Von dem will ich euch sagen:
Der meuchelte sein Bruderskind,
Wollte selbst die Krone tragen.
Die Krönung ward mit Prangen
Auf Liffey-Schloß begangen.
O Irland! Irland! warest du so blind?
[40]
Der König sitzt um Mitternacht
Im leeren Marmorsaale,
Sieht irr in all die neue Pracht,
Wie trunken von dem Mahle;
Er spricht zu seinem Sohne:
»Noch einmal bring die Krone!
Doch schau, wer hat die Pforten aufgemacht?«
Da kommt ein seltsam Totenspiel,
Ein Zug mit leisen Tritten,
Vermummte Gäste groß und viel,
Eine Krone schwankt inmitten;
Es drängt sich durch die Pforte
Mit Flüstern ohne Worte;
Dem Könige, dem wird so geisterschwül.
Und aus der schwarzen Menge blickt
Ein Kind mit frischer Wunde;
Es lächelt sterbensweh und nickt,
Es macht im Saal die Runde,
Es trippelt zu dem Throne,
Es reichet eine Krone
Dem Könige, des Herze tief erschrickt.
Darauf der Zug von dannen strich,
Von Morgenluft berauschet,
Die Kerzen flackern wunderlich,
Der Mond am Fenster lauschet;
Der Sohn mit Angst und Schweigen
Zum Vater tät sich neigen –
Er neiget über eine Leiche sich.

[41]

Jung Volker.

Gesang der Räuber.

Jung Volker, das ist unser Räuberhauptmann,
Mit Fiedel und mit Flinte,
Damit er geigen und schießen kann,
Nachdem just Wetter und Winde.
Fiedel und die Flint',
Fiedel und die Flint'!
Volker spielt auf.
Ich sah ihn hoch im Sonnenschein
Auf einem Hügel sitzen:
Da spielt er die Geig' und schluckt roten Wein,
Seine blauen Augen ihm blitzen.
Fiedel und die Flint',
Fiedel und die Flint'!
Volker spielt auf.
Auf einmal er schleudert die Geig' in die Luft,
Auf einmal er wirft sich zu Pferde.
Der Feind kommt! Da stößt er ins Pfeifchen und ruft:
»Brecht ein wie der Wolf in die Herde!«
Fiedel und die Flint',
Fiedel und die Flint'!
Volker spielt auf.

[42]

Nimmersatte Liebe.

So ist die Lieb'! So ist die Lieb'!
Mit Küssen nicht zu stillen!
Wer ist der Tor und will ein Sieb
Mit eitel Wasser füllen?
Und schöpfst du an die tausend Jahr'
Und küssest ewig, ewig gar,
Du tust ihr nie zu Willen.
Die Lieb', die Lieb' hat alle Stund'
Neu wunderlich Gelüsten:
Wir bissen uns die Lippen wund,
Da wir uns heute küßten.
Das Mädchen hielt in guter Ruh',
Wie 's Lämmlein unterm Messer,
Ihr Auge bat: Nur immer zu!
Je weher, desto besser!
So ist die Lieb'! und war auch so
Wie lang' es Liebe gibt,
Und anders war Herr Salomo,
Der Weise, nicht verliebt.

Der Gärtner.

Auf ihrem Leibrößlein,
So weiß wie der Schnee,
Die schönste Prinzessin
Reit't durch die Allee.
[43]
Der Weg, den das Rößlein
Hintanzet so hold,
Der Sand, den ich streute,
Er blinket wie Gold.
Du rosenfarbs Hütlein,
Wohl auf und wohl ab,
O wirf eine Feder
Verstohlen herab!
Und willst du dagegen
Eine Blüte von mir,
Nimm tausend für eine,
Nimm alle dafür!

Schön-Rohtraut.

Wie heißt König Ringangs Töchterlein?
Rohtraut, Schön-Rohtraut.
Was tut sie denn den ganzen Tag,
Da sie wohl nicht spinnen und nähen mag?
Tut fischen und jagen.
O daß ich doch ihr Jäger wär'!
Fischen und jagen freute mich sehr.
– Schweig stille, mein Herze!
Und über eine kleine Weil',
Rohtraut, Schön-Rohtraut,
So dient der Knab' auf Ringangs Schloß
In Jägertracht und hat ein Roß
Mit Rohtraut zu jagen.
[44] O daß ich doch ein Königssohn wär'!
Rohtraut, Schön-Rohtraut lieb' ich so sehr.
– Schweig stille, mein Herze!
Einsmals sie ruhten am Eichenbaum,
Da lacht Schön-Rohtraut:
Was siehst mich an so wunniglich?
Wenn du das Herz hast, küsse mich!
Ach! erschrak der Knabe!
Doch denket er: mir ist's vergunnt,
Und küsset Schön-Rohtraut auf den Mund.
– Schweig stille, mein Herze!
Darauf sie ritten schweigend heim,
Rohtraut, Schön-Rohtraut;
Es jauchzt der Knab' in seinem Sinn:
Und würd'st du heute Kaiserin,
Mich sollt's nicht kränken:
Ihr tausend Blätter im Walde wißt,
Ich hab' Schön-Rohtrauts Mund geküßt!
– Schweig stille, mein Herze!

Lied vom Winde.

Sausewind, Brausewind,
Dort und hier!
Deine Heimat sage mir!
»Kindlein, wir fahren
Seit viel vielen Jahren
Durch die weit weite Welt
[45] Und möchten's erfragen,
Die Antwort erjagen
Bei den Bergen, den Meeren,
Bei des Himmels klingenden Heeren:
Die wissen es nie.
Bist du klüger als sie,
Magst du es sagen! –
Fort, wohlauf!
Halt uns nicht auf!
Kommen andre nach, unsre Brüder,
Da frag wieder!«
Halt an! Gemach
Eine kleine Frist!
Sagt, wo der Liebe Heimat ist,
Ihr Anfang, ihr Ende!
»Wer's nennen könnte!
Schelmisches Kind,
Lieb' ist wie Wind,
Rasch und lebendig,
Ruhet nie,
Ewig ist sie,
Aber nicht immer beständig. –
Fort, wohlauf! auf!
Halt uns nicht auf!
Fort über Stoppel und Wälder und Wiesen!
Wenn ich dein Schätzchen seh',
Will ich es grüßen.
Kindlein, ade!«

[46]

Das verlassene Mägdlein.

Früh, wann die Hähne krähn,
Eh' die Sternlein verschwinden,
Muß ich am Herde stehn,
Muß Feuer zünden.
Schön ist der Flammen Schein,
Es springen die Funken;
Ich schaue so drein,
In Leid versunken.
Plötzlich da kommt es mir,
Treuloser Knabe,
Daß ich die Nacht von dir
Geträumet habe.
Träne auf Träne dann
Stürzet hernieder:
So kommt der Tag heran –
O ging' er wieder!

Agnes.

Rosenzeit, wie schnell vorbei,
Schnell vorbei
Bist du doch gegangen!
Wär' mein Lieb nur blieben treu,
Blieben treu,
Sollte mir nicht bangen.
[47]
Um die Ernte wohlgemut,
Wohlgemut
Schnitterinnen singen.
Aber ach! mir kranken Blut,
Mir kranken Blut
Will nichts mehr gelingen.
Schleiche so durchs Wiesental,
So durchs Tal,
Als im Traum verloren,
Nach dem Berg, da tausendmal,
Tausendmal
Er mir Treu' geschworen.
Oben auf des Hügels Rand,
Abgewandt,
Wein' ich bei der Linde;
An dem Hut mein Rosenband,
Von seiner Hand,
Spielet in dem Winde.

Elfenlied.

Bei Nacht im Dorf der Wächter rief:
»Elfe!«
Ein ganz kleines Elfchen im Walde schlief –
Wohl um die Elfe –
Und meint, es rief' ihm aus dem Tal
Bei seinem Namen die Nachtigall,
Oder Silpelit hätt' ihm gerufen.
[48] Reibt sich der Elf die Augen aus,
Begibt sich vor sein Schneckenhaus
Und ist als wie ein trunken Mann,
Sein Schläflein war nicht voll getan,
Und humpelt also tippe tapp
Durchs Haselholz ins Tal hinab,
Schlupft an der Mauer hin so dicht,
Da sitzt der Glühwurm, Licht an Licht.
»Was sind das helle Fensterlein?
Da drin wird eine Hochzeit sein:
Die Kleinen sitzen beim Mahle
Und treiben's in dem Saale;
Da guck' ich wohl ein wenig 'nein.« –
Pfui, stößt den Kopf an harten Stein!
Elfe, gelt, du hast genug?
Guckuck! Guckuck!

Die Soldatenbraut.

Ach, wenn's nur der König auch wüßt',
Wie wacker mein Schätzelein ist!
Für den König da ließ' er sein Blut,
Für mich aber ebensogut.
Mein Schatz hat kein Band und kein' Stern,
Kein Kreuz, wie die vornehmen Herrn;
Mein Schatz wird auch kein General, –
Hätt' er nur seinen Abschied einmal!
[49]
Es scheinen drei Sterne so hell
Dort über Marien-Kapell:
Da knüpft uns ein rosenrot Band,
Und ein Hauskreuz ist auch bei der Hand.

Der Feuerreiter.

Sehet ihr am Fensterlein
Dort die rote Mütze wieder?
Nicht geheuer muß es sein,
Denn er geht schon auf und nieder.
Und auf einmal welch Gewühle
Bei der Brücke, nach dem Feld!
Horch! das Feuerglöcklein gellt:
Hinterm Berg,
Hinterm Berg
Brennt es in der Mühle!
Schaut! da sprengt er wütend schier
Durch das Tor, der Feuerreiter,
Auf dem rippendürren Tier,
Als auf einer Feuerleiter!
Querfeldein! Durch Qualm und Schwüle
Rennt er schon und ist am Ort!
Drüben schallt es fort und fort:
Hinterm Berg,
Hinterm Berg
Brennt es in der Mühle!
Der so oft den roten Hahn
Meilenweit von fern gerochen,
[50] Mit des heil'gen Kreuzes Span
Freventlich die Glut besprochen –
Weh! dir grinst am Dachgestühle
Dort der Feind im Höllenschein.
Gnade Gott der Seele dein!
Hinterm Berg,
Hinterm Berg
Rast er in der Mühle!
Keine Stunde hielt es an,
Bis die Mühle barst in Trümmer;
Doch den kecken Reitersmann
Sah man von der Stunde nimmer.
Volk und Wagen im Gewühle
Kehren heim von all dem Graus;
Auch das Glöcklein klinget aus:
Hinterm Berg,
Hinterm Berg
Brennt's! –
Nach der Zeit ein Müller fand
Ein Gerippe samt der Mützen
Aufrecht an der Kellerwand
Auf der beinern Mähre sitzen:
Feuerreiter, wie so kühle
Reitest du in deinem Grab!
Husch! da fällt's in Asche ab.
Ruhe wohl,
Ruhe wohl
Drunten in der Mühle!

[51]

Die Tochter der Heide.

Wasch dich, mein Schwesterchen, wasch dich!
Zu Robins Hochzeit gehn wir heut:
Er hat die stolze Ruth gefreit.
Wir kommen ungebeten;
Wir schmausen nicht, wir tanzen nicht,
Und nicht mit lachendem Gesicht
Komm' ich vor ihn zu treten.
Strähl' dich, mein Schwesterchen, strähl' dich!
Wir wollen ihm singen ein Rätsellied,
Wir wollen ihm klingen ein böses Lied;
Die Ohren sollen ihm gellen.
Ich will ihr schenken einen Kranz
Von Nesseln und von Dornen ganz:
Damit fährt sie zur Höllen!
Schmück dich, mein Schwesterchen, schmück dich!
Derweil sie alle sind am Schmaus,
Soll rot in Flammen stehn das Haus,
Die Gäste schreien und rennen.
Zwei sollen sitzen unverwandt,
Zwei hat ein Sprüchlein fest gebannt;
Zu Kohle müssen sie brennen.
Lustig, mein Schwesterchen, lustig!
Das war ein alter Ammensang.
Den falschen Rob vergaß ich lang.
Er soll mich sehen lachen!
[52] Hab' ich doch einen andern Schatz,
Der mit mir tanzet auf dem Platz –
Sie werden Augen machen!

Die Geister am Mummelsee.

Vom Berge was kommt dort um Mitternacht spät
Mit Fackeln so prächtig herunter?
Ob das wohl zum Tanze, zum Feste noch geht?
Mir klingen die Lieder so munter.
O nein!
So sage, was mag es wohl sein?
Das, was du da siehest, ist Totengeleit,
Und was du da hörest, sind Klagen.
Dem König, dem Zauberer, gilt es zu Leid,
Und Geister nur sind's, die ihn tragen.
O weh!
So sind es die Geister vom See!
Sie schweben hernieder ins Mummelseetal –
Sie haben den See schon betreten –
Sie rühren und netzen den Fuß nicht einmal –
Sie schwirren in leisen Gebeten –
O schau,
Am Sarge die glänzende Frau!
Jetzt öffnet der See das grünspiegelnde Tor;
Gib acht, nun tauchen sie nieder!
Es schwankt eine lebende Treppe hervor,
[53] Und – drunten schon summen die Lieder.
Hörst du?
Sie singen ihn unten zur Ruh.
Die Wasser, wie lieblich sie brennen und glühn!
Sie spielen in grünendem Feuer;
Es geisten die Nebel am Ufer dahin,
Zum Meere verzieht sich der Weiher –
Nur still!
Ob dort sich nichts rühren will?
Es zuckt in der Mitten – o Himmel! ach hilf!
Ich glaube, sie nahen, sie kommen!
Es orgelt im Rohr, und es klirret im Schilf;
Nur hurtig, die Flucht nur genommen!
Davon!
Sie wittern, sie haschen mich schon!

Die schöne Buche.

Ganz verborgen im Wald kenn' ich ein Plätzchen, da stehet
Eine Buche: man sieht schöner im Bilde sie nicht.
Rein und glatt, in gediegenem Wuchs erhebt sie sich einzeln,
Keiner der Nachbarn rührt ihr an den seidenen Schmuck.
Rings, so weit sein Gezweig der stattliche Baum ausbreitet,
Grünet der Rasen, das Aug' still zu erquicken, umher.
[54] Gleich nach allen Seiten umzirkt er den Stamm in der Mitte;
Kunstlos schuf die Natur selber dies liebliche Rund.
Zartes Gebüsch umkränzet es erst, hochstämmige Bäume,
Folgend in dichtem Gedräng', wehren dem himmlischen Blau.
Neben der dunkleren Fülle des Eichbaums wieget die Birke
Ihr jungfräuliches Haupt schüchtern im goldenen Licht.
Nur wo, verdeckt vom Felsen, der Fußsteig jäh sich hinabschlingt,
Lässet die Hellung mich ahnen das offene Feld. –
Als ich unlängst einsam, von neuen Gestalten des Sommers
Ab dem Pfade gelockt, dort im Gebüsch mich verlor,
Führt' ein freundlicher Geist, des Hains auflauschende Gottheit,
Hier mich zum erstenmal plötzlich, den Staunenden, ein.
Welch Entzücken! Es war um die hohe Stunde des Mittags:
Lautlos alles, es schwieg selber der Vogel im Laub.
Und ich zauderte noch, auf den zierlichen Teppich zu treten;
[55] Festlich empfing er den Fuß, leise beschritt ich ihn nur.
Jetzo, gelehnt an den Stamm (er trägt sein breites Gewölbe
Nicht zu hoch), ließ ich rundum die Augen ergehn,
Wo den beschatteten Kreis die feurig strahlende Sonne,
Fast gleich messend umher, säumte mit blendendem Rand.
Aber ich stand und rührte mich nicht, dämonischer Stille,
Unergründlicher Ruh' lauschte mein innerer Sinn.
Eingeschlossen mit dir in diesem sonnigen Zauber-
Gürtel, o Einsamkeit, fühlt' ich und dachte nur dich.

Auf das Grab von Schillers Mutter.

Nach der Seite des Dorfs, wo jener alternde Zaun dort
Ländliche Gräber umschließt, wall' ich in Einsamkeit oft.
Sieh den gesunkenen Hügel! Es kennen die ältesten Greise
Kaum ihn noch, und es ahnt niemand ein Heiligtum hier.
Jegliche Zierde gebricht und jedes deutende Zeichen;
Dürftig breitet ein Baum schützende Arme umher.
[56] Wilde Rose, dich find' ich allein statt anderer Blumen;
Ja, beschäme sie nur, brich als ein Wunder hervor!
Tausendblättrig eröffne dein Herz! entzünde dich herrlich
Am begeisternden Duft, den aus der Tiefe du ziehst!
Eines Unsterblichen Mutter liegt hier bestattet: es richten
Deutschlands Männer und Frau'n eben den Marmor ihm auf.

Lose Ware.

»Tinte! Tinte, wer braucht! Schön schwarze Tinte verkauf' ich,«
Rief ein Bübchen gar hell Straßen hinauf und hinab.
Lachend traf sein feuriger Blick mich oben im Fenster:
Eh' ich mich's irgend versah, huscht er ins Zimmer herein. –
Knabe, dich rief niemand. – »Herr, meine Ware versucht nur!«
Und sein Fäßchen behend schwang er vom Rücken herum.
Da verschob sich das halb zerrissene Jäckchen ein wenig
An der Schulter, und hell schimmert' ein Flügel hervor. –
[57] Ei, laß sehen, mein Sohn! Du führst auch Federn im Handel?
Amor, verkleideter Schelm! soll ich dich rupfen sogleich? –
Und er lächelt, entlarvt, und legt auf die Lippen den Finger:
»Stille! sie sind nicht verzollt. Stört die Geschäfte mir nicht!
Gebt das Gefäß! ich füll' es umsonst, und bleiben wir Freunde!«
Dies gesagt und getan, schlüpft er zur Türe hinaus. –
Angeführt hat er mich doch; denn will ich was Nützliches schreiben,
Gleich wird ein Liebesbrief, gleich ein Erotikon draus.

Erinna an Sappho.

(Erinna, eine hochgepriesene junge Dichterin des griechischen Altertums um 600 v. Chr., Freundin und Schülerin Sapphos zu Mitylene auf Lesbos. Sie starb als Mädchen mit neunzehn Jahren. Ihr berühmtestes Werk war ein episches Gedicht, »Die Spindel«, von dem man jedoch nichts Näheres weiß. Überhaupt haben sich von ihren Poesien nur einige Bruchstücke von wenigen Zeilen und drei Epigramme erhalten. Es wurden ihr zwei Statuen errichtet, und die Anthologie hat mehrere Epigramme zu ihrem Ruhme von verschiedenen Verfassern.)

»Vielfach sind zum Hades die Pfade,« heißt ein
Altes Liedchen, »und einen gehst du selber,
Zweifle nicht!« Wer, süßeste Sappho, zweifelt?
Sagt es nicht jeglicher Tag?
Doch den Lebenden haftet nur leicht im Busen
[58] Solch ein Wort, und dem Meer anwohnend ein Fischer von Kind auf
Hört im stumpferen Ohr der Wogen Geräusch nicht mehr. –
Wundersam aber erschrak mir heute das Herz. Vernimm!
Sonniger Morgenglanz im Garten,
Ergossen um der Bäume Wipfel,
Lockte die Langschläferin (denn so schaltest du jüngst Erinna)
Früh vom schwüligen Lager hinweg.
Stille war mein Gemüt, in den Adern aber
Unstet klopfte das Blut bei der Wangen Blässe.
Als ich am Putztisch jetzo die Flechten löste,
Dann mit nardeduftendem Kamm vor der Stirn den Haar-
Schleier teilte: seltsam betraf mich im Spiegel Blick in Blick.
Augen, sagt' ich, ihr Augen, was wollt ihr?
Du, mein Geist, heute noch sicher behaust da drinne,
Lebendigen Sinnen traulich vermählt,
Wie mit fremdendem Ernst, lächelnd halb, ein Dämon,
Nickst du mich an, Tod weissagend! –
Ha, da mit eins durchzuckt' es mich
Wie Wetterschein, wie wenn, schwarzgefiedert, ein tödlicher Pfeil
Streifte die Schläfe hart vorbei,
Daß ich, die Hände gedeckt aufs Antlitz, lange
[59] Staunend blieb, in die nachtschaurige Kluft schwindelnd hinab.
Und das eigene Todesgeschick erwog ich,
Trockenen Augs noch erst,
Bis da ich dein, o Sappho, dachte
Und der Freundinnen all
Und anmutiger Musenkunst:
Gleich da quollen die Tränen mir.
Und dort blinkte vom Tisch das schöne Kopfnetz, dein Geschenk,
Köstliches Byssosgeweb, von goldnen Bienlein schwärmend.
Dieses, wenn wir demnächst das blumige Fest
Feiern der herrlichen Tochter Demeters,
Möcht' ich ihr weihn für meinen Teil und deinen,
Daß sie hold uns bleibe (denn viel vermag sie),
Daß du zu früh dir nicht die braune Locke mögest
Für Erinna vom lieben Haupte trennen.

Scherz.

Einen Morgengruß ihr früh zu bringen
Und mein Morgenbrot bei ihr zu holen,
Geh' ich sachte an des Mädchens Türe,
Öffne rasch: da steht mein schlankes Bäumchen
Vor dem Spiegel schon und wäscht sich emsig.
O wie lieblich träuft die weiße Stirne,
Träuft die Rosenwange Silbernässe,
Hangen aufgelöst die süßen Haare!
[60] Locker spielen Tücher und Gewänder.
Aber wie sie zagt und scheucht und abwehrt!
Gleich, sogleich soll ich den Rückzug nehmen!
»Närrchen,« rief ich, »sei mir so kein Närrchen!
Das ist Brautrecht, ist Verlobtensitte.
Laß mich nur! ich will ja blind und lahm sein,
Will den Kopf und alle beiden Augen
In die Fülle deiner Locken stecken,
Will die Hände mit den Flechten binden.« –
»Nein, du gehst!« – »Im Winkel laß mich stehen,
Dir bescheidentlich den Rücken kehren!« –
»Ei, so mag's, damit ich Ruhe habe.«
Und ich stand gehorsam in der Ecke,
Lächerlich, wie ein gestrafter Junge,
Der die Lektion nicht wohl bestanden,
Muckste nicht und kühlte mir die Lippen
An der weißen Wand mit leisem Kusse
Eine volle, eine lange Stunde,
Ja, so wahr ich lebe. Doch wer etwa
Einen kleinen Zweifel möchte haben
(Was ich ihm just nicht verargen dürfte),
Nun der frage nur das Mädchen selber!
Die wird ihn – noch zierlicher belügen.

Septembermorgen.

Im Nebel ruhet noch die Welt,
Noch träumen Wald und Wiesen:
Bald siehst du, wenn der Schleier fällt,
[61] Den blauen Himmel unverstellt,
Herbstkräftig die gedämpfte Welt
In warmem Golde fließen.

Verborgenheit.

Laß, o Welt, o laß mich sein!
Locket nicht mit Liebesgaben!
Laßt dies Herz alleine haben
Seine Wonne, seine Pein!
Was ich traure, weiß ich nicht:
Es ist unbekanntes Wehe;
Immerdar durch Tränen sehe
Ich der Sonne liebes Licht.
Oft bin ich mir kaum bewußt,
Und die helle Freude zücket
Durch die Schwere, so mich drücket,
Wonniglich in meiner Brust.
Laß, o Welt, o laß mich sein!
Locket nicht mit Liebesgaben!
Laßt dies Herz alleine haben
Seine Wonne, seine Pein!

Früh im Wagen.

Es graut vom Morgenreif
In Dämmerung das Feld,
Da schon ein blasser Streif
Den fernen Ost erhellt;
[62]
Man sieht im Lichte bald
Den Morgenstern vergehn
Und doch am Fichtenwald
Den vollen Mond noch stehn:
So ist mein scheuer Blick,
Den schon die Ferne drängt,
Noch in das Schmerzensglück
Der Abschiedsnacht versenkt.
Dein blaues Auge steht,
Ein dunkler See, vor mir,
Dein Kuß, dein Hauch umweht,
Dein Flüstern mich noch hier.
An deinem Hals begräbt
Sich weinend mein Gesicht,
Und Purpurschwärze webt
Mir vor dem Auge dicht.
Die Sonne kommt. Sie scheucht
Den Traum hinweg im Nu,
Und von den Bergen streicht
Ein Schauer auf mich zu.

Denk' es, o Seele.

Ein Tännlein grünet wo,
Wer weiß? im Walde,
Ein Rosenstrauch, wer sagt,
In welchem Garten?
[63] Sie sind erlesen schon –
Denk' es, o Seele! –
Auf deinem Grab zu wurzeln
Und zu wachsen.
Zwei schwarze Rößlein weiden
Auf der Wiese,
Sie kehren heim zur Stadt
In muntern Sprüngen.
Sie werden schrittweis gehn
Mit deiner Leiche,
Vielleicht, vielleicht noch eh'
An ihren Hufen
Das Eisen los wird,
Das ich blitzen sehe.

Peregrina.

1.

Der Spiegel dieser treuen braunen Augen
Ist wie von innerm Gold ein Widerschein;
Tief aus dem Busen scheint er's anzusaugen,
Dort mag solch Gold in heil'gem Gram gedeihn.
In diese Nacht des Blickes mich zu tauchen,
Unwissend Kind, du selber lädst mich ein:
Willst, ich soll kecklich mich und dich entzünden,
Reichst lächelnd mir den Tod im Kelch der Sünden.

[64]

2.

Aufgeschmückt ist der Freudensaal:
Lichterhell, bunt in laulicher Sommernacht
Stehet das offene Gartengezelte;
Säulengleich steigen, gepaart,
Grünumranket, eherne Schlangen,
Zwölf, mit verschlungenen Hälsen,
Tragend und stützend das
Leicht gegitterte Dach.
Aber die Braut noch wartet verborgen
In dem Kämmerlein ihres Hauses.
Endlich bewegt sich der Zug der Hochzeit,
Fackeln tragend,
Feierlich stumm.
Und in der Mitte,
Mich an der rechten Hand,
Schwarz gekleidet, geht einfach die Braut;
Schöngefaltet ein Scharlachtuch
Liegt um den zierlichen Kopf geschlagen.
Lächelnd geht sie dahin; das Mahl schon duftet.
Später im Lärmen des Fests
Stahlen wir seitwärts uns beide
Weg, nach den Schatten des Gartens wandelnd,
Wo im Gebüsche die Rosen brannten,
Wo der Mondstrahl um Lilien zuckte,
Wo die Weymouthsfichte mit schwarzem Haar
Den Spiegel des Teiches halb verhängt.
[65]
Auf seidnem Rasen dort, ach, Herz am Herzen,
Wie verschlangen, erstickten meine Küsse den scheueren Kuß,
Indes der Springquell, unteilnehmend
An überschwenglicher Liebe Geflüster,
Sich ewig des eigenen Plätscherns freute!
Uns aber neckten von fern und lockten
Freundliche Stimmen,
Flöten und Saiten umsonst.
Ermüdet lag, zu bald für mein Verlangen,
Das leichte, liebe Haupt auf meinem Schoß.
Spielender Weise mein Aug' auf ihres drückend,
Fühlt' ich ein Weilchen die langen Wimpern,
Bis der Schlaf sie stellte,
Wie Schmetterlingsgefieder auf und niedergehn.
Eh' das Frührot schien,
Eh' das Lämpchen erlosch im Brautgemache,
Weckt' ich die Schläferin,
Führte das seltsame Kind in mein Haus ein.

3.

Ein Irrsal kam in die Mondscheingärten
Einer einst heiligen Liebe;
Schaudernd entdeckt' ich verjährten Betrug.
Und mit weinendem Blick, doch grausam
Hieß ich das schlanke,
Zauberhafte Mädchen
Ferne gehen von mir.
[66] Ach, ihre hohe Stirn
War gesenkt, denn sie liebte mich;
Aber sie zog mit Schweigen
Fort in die graue
Welt hinaus.
Krank seitdem,
Wund ist und wehe mein Herz.
Nimmer wird es genesen!
Als ginge, luftgesponnen, ein Zauberfaden
Von ihr zu mir, ein ängstig Band,
So zieht es, zieht mich schmachtend ihr nach. –
Wie? wenn ich eines Tags auf meiner Schwelle
Sie sitzen fände, wie einst, im Morgenzwielicht,
Das Wanderbündel neben ihr,
Und ihr Auge, treuherzig zu mir aufschauend,
Sagte: Da bin ich wieder
Hergekommen aus weiter Welt!

4.

Warum, Geliebte, denk' ich dein
Auf einmal nun mit tausend Tränen
Und kann gar nicht zufrieden sein
Und will die Brust in alle Weite dehnen?
Ach, gestern in den hellen Kindersaal
Beim Flimmer zierlich aufgesteckter Kerzen,
Wo ich mein selbst vergaß in Lärm und Scherzen,
Tratst du, o Bildnis mitleid-schöner Qual:
Es war dein Geist, er setzte sich ans Mahl.
[67] Fremd saßen wir mit stumm verhalt'nen Schmerzen;
Zuletzt brach ich in lautes Schluchzen aus,
Und Hand in Hand verließen wir das Haus.

5.

Die Liebe, sagt man, steht am Pfahl gebunden,
Geht endlich arm, zerrüttet, unbeschuht;
Dies edle Haupt hat nicht mehr, wo es ruht,
Mit Tränen netzet sie der Füße Wunden.
Ach, Peregrinen hab' ich so gefunden!
Schön war ihr Wahnsinn, ihrer Wange Glut,
Noch scherzend in der Frühlingsstürme Wut
Und wilde Kränze in das Haar gewunden.
War's möglich, solche Schönheit zu verlassen? –
So kehrt nur reizender das alte Glück.
O komm, in diese Arme dich zu fassen!
Doch weh! o weh! was soll mir dieser Blick?
Sie küßt mich zwischen Lieben noch und Hassen,
Sie kehrt sich ab und kehrt mir nie zurück.

Um Mitternacht.

Gelassen stieg die Nacht ans Land,
Lehnt träumend an der Berge Wand;
Ihr Auge sieht die goldne Wage nun
Der Zeit in gleichen Schalen stille ruhn.
[68] Und kecker rauschen die Quellen hervor,
Sie singen der Mutter, der Nacht, ins Ohr
Vom Tage,
Vom heute gewesenen Tage.
Das uralt alte Schlummerlied –
Sie achtet's nicht, sie ist es müd';
Ihr klingt des Himmels Bläue süßer noch,
Der flücht'gen Stunden gleichgeschwung'nes Joch.
Doch immer behalten die Quellen das Wort,
Es singen die Wasser im Schlafe noch fort
Vom Tage,
Vom heute gewesenen Tage.

Auf einer Wanderung.

In ein freundliches Städtchen tret' ich ein,
In den Straßen liegt roter Abendschein.
Aus einem offnen Fenster eben
Über den reichsten Blumenflor
Hinweg hört man Goldglockentöne schweben,
Und eine Stimme scheint ein Nachtigallenchor,
Daß die Blüten beben,
Daß die Lüfte leben,
Daß in höherem Rot die Rosen leuchten vor.
Lang' hielt ich staunend, lustbeklommen.
Wie ich hinaus vors Tor gekommen,
Ich weiß es wahrlich selber nicht.
Ach hier, wie liegt die Welt so licht!
[69] Der Himmel wogt in purpurnem Gewühle,
Rückwärts die Stadt in goldnem Rauch;
Wie rauscht der Erlenbach, wie rauscht im Grund die Mühle!
Ich bin wie trunken, irrgeführt:
O Muse, du hast mein Herz berührt
Mit einem Liebeshauch.

Am Rheinfall.

Halte dein Herz, o Wanderer, fest in gewaltigen Händen!
Mir entstürzte, vor Lust zitternd, das meinige fast,
Rastlos donnernde Massen auf donnernde Massen geworfen,
Ohr und Auge, wohin retten sie sich im Tumult?
Wahrlich, den eigenen Wutschrei hörete nicht der Gigant hier,
Läg' er, vom Himmel gestürzt, unten am Felsen gekrümmt.
Rosse der Götter, im Schwung, eins über dem Rücken des andern,
Stürmen herunter und streu'n silberne Mähnen umher;
Herrliche Leiber, unzählbare, folgen sich, nimmer dieselben,
Ewig dieselbigen – wer wartet das Ende wohl aus?
[70] Angst umzieht dir den Busen mit eins, und, wie du es denkest,
Über das Haupt stürzt dir krachend das Himmelsgewölb.

An meine Mutter.

Siehe! von allen den Liedern nicht eines gilt dir, o Mutter:
Dich zu preisen, o glaub's! bin ich zu arm und zu reich.
Ein noch ungesungenes Lied, ruhst du mir im Busen,
Keinem vernehmbar sonst, mich nur zu trösten bestimmt,
Wenn sich das Herz unmutig der Welt abwendet und einsam
Seines himmlischen Teils bleibenden Frieden bedenkt.

Zum Neuen Jahr.

Kirchengesang.

(Melodie aus Axur: Wie dort auf den Auen.)

Wie heimlicherweise
Ein Engelein leise
Mit rosigen Füßen
Die Erde betritt,
So nahte der Morgen.
[71] Jauchzt ihm, ihr Frommen,
Ein heilig Willkommen,
Ein heilig Willkommen!
Herz, jauchze du mit!
In ihm sei's begonnen,
Der Monde und Sonnen
An blauen Gezelten
Des Himmels bewegt!
Du, Vater, du rate!
Lenke du und wende!
Herr, dir in die Hände
Sei Anfang und Ende,
Sei alles gelegt!

Auf ein altes Bild.

In grüner Landschaft Sommerflor
Bei kühlem Wasser, Schilf und Rohr,
Schau, wie das Knäblein Sündelos
Frei spielet auf der Jungfrau Schoß! –
Und dort im Walde wonnesam,
Ach! grünet schon des Kreuzes Stamm.

Sehnsucht.

In dieser Winterfrühe
Wie ist mir doch zu Mut!
O Morgenrot, ich glühe
Von deinem Jugendblut.
[72]
Es glüht der alte Felsen,
Und Wald und Burg zumal,
Berauschte Nebel wälzen
Sich jäh hinab das Tal.
Mit tatenfroher Eile
Erhebt sich Geist und Sinn,
Und flügelt goldne Pfeile
Durch alle Ferne hin.
Auf Zinnen möcht' ich springen
In alter Fürsten Schloß,
Möcht' hohe Lieder singen,
Mich schwingen auf das Roß!
Und stolzen Siegeswagen
Stürzt' ich mich brausend nach!
Die Harfe wird zerschlagen,
Die nur von Liebe sprach. –
Wie? schwärmst du so vermessen,
Herz, hast du nicht bedacht,
Hast du mit eins vergessen,
Was dich so trunken macht?
Ach wohl! was aus mir singet,
Ist nur der Liebe Glück,
Die wirren Töne schlinget
Sie sanft in sich zurück.
[73]
Was hilft, was hilft mein Sehnen?
Geliebte, wärst du hier!
In tausend Freudetränen
Verging' die Erde mir.

Zu viel.

Der Himmel glänzt vom reinsten Frühlingslichte,
Ihm schwillt der Hügel sehnsuchtsvoll entgegen,
Die starre Welt zerfließt in Liebessegen
Und schmiegt sich rund zum zärtlichsten Gedichte.
Am Dorfeshang, dort bei der luft'gen Fichte
Ist meiner Liebsten kleines Haus gelegen –
O Herz, was hilft dein Wiegen und dein Wägen,
Daß all der Wonnestreit in dir sich schlichte!
Du, Liebe, hilf den süßen Zauber lösen,
Womit Natur in meinem Innern wühlet!
Und du, o Frühling, hilf die Liebe beugen!
Lisch aus, o Tag! Laß mich in Nacht genesen!
Indes ihr sanften Sterne göttlich kühlet,
Will ich zum Abgrund der Betrachtung steigen.

Nur zu!

Schön prangt im Silbertau die junge Rose,
Den ihr der Morgen in den Busen rollte:
Sie blüht, als ob sie nie verblühen wollte,
Sie ahnet nichts vom letzten Blumenlose.
[74]
Der Adler strebt hinan ins Grenzenlose,
Sein Auge trinkt sich voll von sprüh'ndem Golde:
Er ist der Tor nicht, daß er fragen sollte,
Ob er das Haupt nicht an die Wölbung stoße.
Mag denn der Jugend Blume uns verbleichen:
Noch glänzet sie und reizt unwiderstehlich;
Wer will zu früh so süßem Trug entsagen?
Und Liebe, darf sie nicht dem Adler gleichen?
Doch fürchtet sie; auch fürchten ist ihr selig,
Denn all ihr Glück, was ist's? – ein endlos Wagen!

An die Geliebte.

Wenn ich, von deinem Anschaun tief gestillt,
Mich stumm an deinem heil'gen Wert vergnüge,
Dann hör' ich recht die leisen Atemzüge
Des Engels, welcher sich in dir verhüllt,
Und ein erstaunt, ein fragend Lächeln quillt
Auf meinem Mund, ob mich kein Traum betrüge,
Daß nun in dir, zu ewiger Genüge,
Mein kühnster Wunsch, mein einz'ger, sich erfüllt.
Von Tiefe dann zu Tiefen stürzt mein Sinn,
Ich höre aus der Gottheit nächt'ger Ferne
Die Quellen des Geschicks melodisch rauschen.
Betäubt kehr' ich den Blick nach oben hin,
Zum Himmel auf – da lächeln alle Sterne:
Ich kniee, ihrem Lichtgesang zu lauschen.

[75]

Wo find' ich Trost?

Eine Liebe kenn' ich, die ist treu,
War getreu, solang' ich sie gefunden,
Hat mit tiefem Seufzen immer neu,
Stets versöhnlich sich mit mir verbunden.
Welcher einst mit himmlischem Gedulden
Bitter bittern Todestropfen trank,
Hing am Kreuz und büßte mein Verschulden,
Bis es in ein Meer von Gnade sank.
Und was ist's nun, daß ich traurig bin,
Daß ich angstvoll mich am Boden winde?
Frage: Hüter, ist die Nacht bald hin?
Und: Was rettet mich von Tod und Sünde?
Arges Herze, ja, gesteh es nur,
Du hast wieder böse Lust empfangen!
Frommer Liebe, frommer Treue Spur,
Ach, das ist auf lange nun vergangen.
Ja, das ist's auch, daß ich traurig bin,
Daß ich angstvoll mich am Boden winde.
Hüter, Hüter, ist die Nacht bald hin?
Und was rettet mich von Tod und Sünde?

Gebet.

Herr, schicke, was du willt,
Ein Liebes oder Leides!
Ich bin vergnügt, daß beides
Aus deinen Händen quillt.
[76] Wollest mit Freuden
Und wollest mit Leiden
Mich nicht überschütten!
Doch in der Mitten
Liegt holdes Bescheiden.

Nixe Binsefuß.

Des Wassermanns sein Töchterlein
Tanzt auf dem Eis im Vollmondschein,
Sie singt und lachet sonder Scheu
Wohl an des Fischers Haus vorbei.
»Ich bin die Jungfer Binsefuß
Und meine Fisch' wohl hüten muß;
Meine Fisch', die sind im Kasten,
Sie haben kalte Fasten;
Von Böhmerglas mein Kasten ist –
Da zähl' ich sie zu jeder Frist.
Gelt, Fischermatz, gelt, alter Tropf,
Dir will der Winter nicht in Kopf?
Komm mir mit deinen Netzen!
Die will ich schön zerfetzen.
Dein Mägdlein zwar ist fromm und gut,
Ihr Schatz ein braves Jägerblut.
Drum häng' ich ihr zum Hochzeitsstrauß
Ein schilfen Kränzlein vor das Haus
Und einen Hecht, von Silber schwer,
Er stammt von König Artus her,
[77] Ein Zwergen-Goldschmieds-Meisterstück;
Wer's hat, dem bringt es eitel Glück:
Er läßt sich schuppen Jahr für Jahr,
Da sind's fünfhundert Gröschlein bar.
Ade, mein Kind! Ade für heut'!
Der Morgenhahn im Dorfe schreit.«

Zwei Liebchen.

Ein Schifflein auf der Donau schwamm,
Drin saßen Braut und Bräutigam,
Er hüben und sie drüben.
Sie sprach: »Herzliebster, sage mir!
Zum Angebind' was geb' ich dir?«
Sie streift zurück ihr Ärmelein,
Sie greift ins Wasser frisch hinein.
Der Knabe, der tät gleich also
Und scherzt mit ihr und lacht so froh.
»Ach, schöne Frau Done, geb Sie mir
Für meinen Schatz eine hübsche Zier!«
Sie zog heraus ein schönes Schwert;
Der Knab' hätt' lang' so eins begehrt.
Der Knab', was hält er in der Hand?
Milchweiß ein köstlich Perlenband.
Er legt's ihr um ihr schwarzes Haar;
Sie sah wie eine Fürstin gar.
[78]
»Ach, schöne Frau Done, geb Sie mir
Für meinen Schatz eine hübsche Zier!«
Sie langt hinein zum andernmal,
Faßt einen Helm von lichtem Stahl.
Der Knab' vor Freud' entsetzt sich schier,
Fischt ihr einen goldnen Kamm dafür.
Zum dritten sie ins Wasser griff:
Ach weh! da fällt sie aus dem Schiff.
Er springt ihr nach, er faßt sie keck:
Frau Done reißt sie beide weg.
Frau Done hat ihr Schmuck gereut,
Das büßt der Jüngling und die Maid.
Das Schifflein leer hinunterwallt;
Die Sonne sinkt hinter die Berge bald.
Und als der Mond am Himmel stand,
Die Liebchen schwimmen tot ans Land,
Er hüben und sie drüben.

Der Zauberleuchtturm.

Des Zauberers sein Mägdlein saß
In ihrem Saale rund von Glas,
Sie spann beim hellen Kerzenschein
Und sang so glockenhell darein.
Der Saal, als eine Kugel klar,
In Lüften aufgehangen war
[79] An einem Turm auf Felsenhöh',
Bei Nacht hoch ob der wilden See
Und hing in Sturm und Wettergraus
An einem langen Arm hinaus.
Wenn nun ein Schiff in Nächten schwer
Sah weder Rat noch Rettung mehr,
Der Lotse zog die Achsel schief,
Der Hauptmann alle Teufel rief,
Auch der Matrose wollt' verzagen:
»O weh mir armen Schwartenmagen!« –
Auf einmal scheint ein Licht von fern,
Als wie ein heller Morgenstern.
Die Mannschaft jauchzet überlaut:
»Heida! jetzt gilt es trockne Haut!«
Aus allen Kräften steuert man
Jetzt nach dem teuren Licht hinan:
Das wächst und wächst und leuchtet fast
Wie einer Zaubersonne Glast,
Darin ein Mägdlein sitzt und spinnt,
Sich beuget ihr Gesang im Wind.
Die Männer stehen wie verzückt,
Ein jeder nach dem Wunder blickt
Und horcht und staunet unverwandt,
Dem Steuermann entsinkt die Hand,
Hat keiner acht mehr auf das Schiff;
Das kracht mit eins am Felsenriff,
Die Luft zerreißt ein Jammerschrei:
»Herr Gott im Himmel, steh uns bei!«
Da löscht die Zauberin ihr Licht;
[80] Noch einmal aus der Tiefe bricht
Verhallend Weh aus einem Mund:
Da zuckt das Schiff und sinkt zu Grund.

Der alte Turmhahn.

Idylle.

Zu Cleversulzbach im Unterland
Hundertunddreizehn Jahr ich stand
Auf dem Kirchturm, ein guter Hahn,
Als ein Zierat und Wetterfahn'.
In Sturm und Wind und Regennacht
Hab' ich allzeit das Dorf bewacht.
Manch falber Blitz hat mich gestreift,
Der Frost mein' roten Kamm bereift,
Auch manchen lieben Sommertag,
Da man gern Schatten haben mag,
Hat mir die Sonne unverwandt
Auf meinen goldigen Leib gebrannt.
So ward ich schwarz für Alter ganz,
Und weg ist aller Glitz und Glanz.
Da haben sie mich denn zuletzt
Veracht't und schmählich abgesetzt.
Meinthalb! so ist der Welt ihr Lauf:
Jetzt tun sie einen andern 'nauf.
Stolzier, prachtier und dreh dich nur!
Dir macht der Wind noch andre Cour.
Ade, o Tal, du Berg und Tal!
Rebhügel, Wälder allzumal!
[81] Herzlieber Turn und Kirchendach,
Kirchhof und Steglein übern Bach!
Du Brunnen, dahin spat und früh
Öchslein springen, Schaf' und Küh'!
Hans hinterdrein kommt mit dem Stecken
Und Bastes Evlein auf dem Schecken. –
Ihr Störch' und Schwalben, grobe Spatzen,
Euch soll ich nimmer hören schwatzen!
Lieb deucht mir jedes Drecklein itzt,
Damit ihr ehrlich mich beschmitzt.
Ade, Hochwürden, ihr Herr Pfarr,
Schulmeister auch, du armer Narr!
Aus ist, was mich gefreut so lang',
Geläut' und Orgel, Sang und Klang.
Von meiner Höh' so sang ich dort
Und hätt' noch lang' gesungen fort:
Da kam so ein krummer Teufelshöcker –
Ich schätz', es war der Schieferdecker –
Packt mich, kriegt nach manch hartem Stoß
Mich richtig von der Stange los.
Mein alt preßhafter Leib schier brach,
Da er mit mir fuhr ab dem Dach
Und bei den Glocken schnurrt' hinein.
Die glotzten sehr verwundert drein;
Regt' ihnen doch weiter nicht den Mut,
Dachten eben: Wir hangen gut.
Jetzt tät man mich mit altem Eisen
Dem Meister Hufschmied überweisen;
[82] Der zahlt zween Batzen und meint Wunder,
Wie viel es wär' für solchen Plunder.
Und also ich selben Mittag
Betrübt vor seiner Hütte lag.
Ein Bäumlein – es war Maienzeit –
Schneeweiße Blüten auf mich streut,
Hühner gackeln um mich her,
Unachtend, was das für ein Vetter wär.
Da geht mein Pfarrherr nun vorbei,
Grüßt den Meister und lächelt: »Ei,
Wär's so weit mit uns, armer Hahn?
Andres, was fangt Ihr mit ihm an?
Ihr könnt ihn weder sieden noch braten,
Mir aber müßt' es schlimm geraten,
Einen alten Kirchendiener gut
Nicht zu nehmen in Schutz und Hut.
Kommt! tragt ihn mir gleich vor ins Haus,
Trinket ein kühl' Glas Wein mit aus!«
Der rußig' Lümmel, schnell bedacht,
Nimmt mich vom Boden auf und lacht.
Es fehlt' nicht viel, so tat ich frei
Gen Himmel einen Freudenschrei.
Im Pfarrhaus ob dem fremden Gast
War groß und klein erschrocken fast;
Bald aber in jedem Angesicht
Ging auf ein rechtes Freudenlicht.
Frau, Magd und Knecht, Mägdlein und Buben
Den großen Göckel in der Stuben
[83] Mit siebenfacher Stimmen Schall
Begrüßen, begucken, betasten all'.
Der Gottesmann drauf mildiglich
Mit eignen Händen trägt er mich
Nach seinem Zimmer, Stiegen auf,
Nachpolteret der ganze Hauf'.
Hier wohnt der Frieden auf der Schwell'.
In den geweißten Wänden hell
Sogleich empfing mich sondre Luft,
Bücher- und Gelahrtenduft,
Gerani- und Resedaschmack,
Auch ein Rüchlein Rauchtabak.
(Dies war mir all' noch unbekannt.)
Ein alter Ofen aber stand
In der Ecke linker Hand.
Recht als ein Turn tät er sich strecken
Mit seinem Gipfel bis zur Decken,
Mit Säulwerk, Blumwerk, kraus und spitz –
O anmutsvoller Ruhesitz!
Zuöberst auf dem kleinen Kranz
Der Schmied mich auf ein Stänglein pflanzt'.
Betrachtet' mir das Werk genau!
Mir deucht's ein ganzer Münsterbau,
Mit Schildereien wohl geziert,
Mit Reimen christlich ausstaffiert.
Davon vernahm ich manches Wort,
Dieweil der Ofen ein guter Hort
[84] Für Kind und Kegel und alte Leut',
Zu plaudern, wann es wind't und schneit.
Hier seht ihr seitwärts auf der Platten
Eines Bischofs Krieg mit Mäus und Ratten,
Mitten im Rheinstrom sein Kastell.
Das Ziefer kommt geschwommen schnell,
Die Knecht' nichts richten mit Waffen und Wehr:
Der Schwänze werden immer mehr.
Viel Tausend gleich in dicken Haufen,
Frech an der Mauer auf sie laufen,
Fallen dem Pfaffen in sein Gemach.
Sterben muß er mit Weh und Ach,
Von den Tieren aufgefressen;
Denn er mit Meineid sich vermessen. –
Sodann König Belsazers seinen Schmaus,
Weiber und Spielleut', Saus und Braus!
Zu großem Schrecken an der Wand
Rätsel schreibt eines Geistes Hand. –
Zuletzt da vorne stellt sich für
Sara, lauschend an der Tür,
Als der Herr mit Abraham
Vor seiner Hütte zu reden kam
Und ihme einen Sohn versprach.
Sara sich Lachens nicht entbrach,
Weil beide schon sehr hoch betaget.
Der Herr vernimmt es wohl und fraget:
»Wie, lachet Sara? glaubt sie nicht,
Was der Herr will, leicht geschicht?«
[85] Das Weib hinwieder Flausen machet,
Spricht: »Ich habe nicht gelachet.«
Das war nun wohl gelogen fast;
Der Herr es doch passieren laßt,
Weil sie nicht leugt aus arger List,
Auch eine Patriarchin ist.
Seit daß ich hier bin, dünket mir
Die Winterszeit die schönste schier.
Wie sanft ist aller Tage Fluß
Bis zum geliebten Wochenschluß! –
Freitag zu Nacht noch um die Neune
Bei seiner Lampen Trost alleine
Mein Herr fangt an sein Predigtlein
Studieren; anderst mag's nicht sein.
Eine Weil' am Ofen brütend steht,
Unruhig hin und dannen geht:
Sein Text ihm schon die Adern reget;
Drauf er sein Werk zu Faden schläget.
Inmittelst einmal auch etwan
Hat er ein Fenster aufgetan –
Ah, Sternenlüfteschwall wie rein
Mit Haufen dringet zu mir ein!
Den Verrenberg ich schimmern seh',
Den Schäferbühel dick mit Schnee.
Zu schreiben endlich er sich setzet,
Ein Blättlein nimmt, die Feder netzet,
Zeichnet sein Alpha und sein O
Über dem Exordio.
[86] Und ich von meinem Postament
Kein Aug' ab meinem Herrlein wend',
Seh', wie er mit Blicken steif ins Licht
Sinnt, prüfet jedes Worts Gewicht,
Einmal sacht eine Prise greifet,
Vom Docht den roten Butzen streifet;
Auch dann und wann zieht er vor sich
Ein Sprüchlein an vernehmentlich,
So ich mit vorgerecktem Kopf
Begierlich bringe gleich zu Kropf.
Gemachsam kämen wir also
Bis Anfang Applicatio.
Indes der Wächter elfe schreit.
Mein Herr denkt: Es ist Schlafenszeit,
Ruckt seinen Stuhl und nimmt das Licht. –
»Gut' Nacht, Herr Pfarr!« – Er hört es nicht.
Im Finstern wär' ich denn allein;
Das ist mir eben keine Pein.
Ich hör' in der Registratur
Erst eine Weil' die Totenuhr,
Lache den Marder heimlich aus,
Der scharrt sich müd' am Hühnerhaus;
Windweben um das Dächlein stieben;
Ich höre, wie im Wald da drüben –
Man heißet es im Vogeltrost –
Der grimmig' Winter sich erbost,
Ein Eichlein spalt't jähling mit Knallen,
Eine Buche, daß die Täler schallen. –
[87] Du meine Güt', da lobt man sich
So frommen Ofen dankbarlich!
Er wärmelt halt die Nacht so hin,
Es ist ein wahrer Segen drin. –
Jetzt, denk' ich, sind wohl hie und dort
Spitzbuben aus auf Raub und Mord,
Denk', was eine schöne Sach' es ist,
Brave Schloß und Riegel zu jeder Frist,
Was ich wollt' machen herentgegen,
Wenn ich eine Leiter hört' anlegen,
Und sonst was so Gedanken sind:
Ein warmes Schweißlein mir entrinnt.
Um zwei, gottlob! und um die drei
Glänzet empor ein Hahnenschrei,
Um fünfe mit der Morgenglocken
Mein Herz sich hebet unerschrocken,
Ja voller Freuden auf es springt,
Als der Wächter endlich singt:
»Wohlauf, im Namen Jesu Christ!
Der helle Tag erschienen ist.«
Ein Stündlein drauf, wenn mir die Sporen
Bereits ein wenig steifgefroren,
Rasselt die Lis' im Ofen, brummt,
Bis 's Feuer angeht, saust und summt.
Dann von der Küch' 'rauf, gar nicht übel,
Die Supp' ich wittre, Schmalz und Zwiebel.
Endlich, gewaschen und geklärt,
Mein Herr sich frisch zur Arbeit kehrt.
[88]
Am Samstag muß ein Pfarrer fein
Daheim in seiner Klause sein,
Nicht visiteln, herumkutschieren,
Seine Faß einbrennen, sonst hantieren.
Meiner hat selten solch Gelust.
Einmal – ihr sagt's nicht weiter just –
Zimmert' er den ganzen Nachmittag
Dem Fritz an einem Meisenschlag
Dort an dem Tisch und schwatzt' und schmaucht';
Mich alten Tropf kurzweilt' es auch.
Jetzt ist der liebe Sonntag da,
Es läut't zur Kirchen fern und nah.
Man orgelt schon: mir wird dabei,
Als säß' ich in der Sakristei.
Es ist kein Mensch im ganzen Haus;
Ein Mücklein hör' ich, eine Maus.
Die Sonne sich ins Fenster schleicht,
Zwischen die Kaktusstöck' hinstreicht
Zum kleinen Pult von Nußbaumholz,
Eines alten Schreinermeisters Stolz,
Beschaut sich, was da liegt umher,
Konkordanz und Kinderlehr',
Oblatenschachtel, Amtssigill,
Im Tintenfaß sich spiegeln will,
Zuteuerst Sand und Grus besicht,
Sich an dem Federmesser sticht
Und gleitet übern Armstuhl frank
Hinüber an den Bücherschrank.
[89] Da stehn in Pergament und Leder
Vornan die frommen Schwabenväter:
Andreä, Bengel, Rieger zween
Samt Ötinger sind da zu sehn.
Wie sie die goldnen Namen liest,
Noch goldener ihr Mund sie küßt,
Wie sie rührt an Hillers Harfenspiel –
Horch! klingt es nicht? so fehlt nicht viel.
Inmittelst läuft ein Spinnlein zart
An mir hinauf nach seiner Art
Und hängt sein Netz, ohn' erst zu fragen,
Mir zwischen Schnabel auf und Kragen.
Ich rühr' mich nicht aus meiner Ruh',
Schau' ihm eine ganze Weile zu;
Darüber ist es wohl geglückt,
Daß ich ein wenig eingenickt. –
Nun sagt, ob es in Dorf und Stadt
Ein alter Kirchhahn besser hat?
Ein Wunsch im stillen dann und wann
Kommt einen freilich wohl noch an.
Im Sommer stünd' ich gern da draus
Bisweilen auf dem Taubenhaus,
Wo dicht dabei der Garten blüht,
Man auch ein Stück vom Flecken sieht.
Dann in der schönen Winterzeit,
Als zum Exempel eben heut' –
Ich sag' es grad' – da haben wir
Gar einen wackern Schlitten hier,
[90] Grün, gelb und schwarz; er ward verwichen
Erst wieder sauber angestrichen:
Vorn auf dem Bogen brüstet sich
Ein fremder Vogel hoffärtig;
Wenn man mich etwas putzen wollt',
Nicht, daß es drum viel kosten sollt',
Ich stünd' so gut dort als wie der
Und machet niemand nicht Unehr'! –
Narr! denk' ich wieder, du hast dein Teil!
Willt du noch jetzo werden geil?
Mich wundert, ob dir nicht gefiel,
Daß man, der Welt zum Spott und Ziel,
Deinen warmen Ofen gar zuletzt
Mitsamt dir auf die Läufe setzt',
Daß auf dem G'sims da um dich säß'
Mann, Weib und Kind, der ganze Käs'.
Du alter Scherb, schämst du dich nicht,
Auf Eitelkeit zu sein erpicht?
Geh in dich, nimm dein Ende wahr!
Wirst nicht noch einmal hundert Jahr.

An Wilhelm Hartlaub.

Durchs Fenster schien der helle Mond herein:
Du saßest am Klavier im Dämmerschein,
Versankst im Traumgewühl der Melodien,
Ich folgte dir an schwarzen Gründen hin,
Wo der Gesang versteckter Quellen klang
Gleich Kinderstimmen, die der Wind verschlang.
[91] Doch plötzlich war dein Spiel wie umgewandt,
Nur blauer Himmel schien noch ausgespannt,
Ein jeder Ton ein lang' gehaltnes Schweigen.
Da fing das Firmament sich an zu neigen,
Und jäh daran herab der Sterne selig Heer
Glitt rieselnd in ein goldig Nebelmeer,
Bis Tropf' um Tropfen hell darin zerging,
Die alte Nacht den öden Raum umfing.
Und als du neu ein fröhlich Leben wecktest,
Die Finsternis mit jungem Lichte schrecktest,
War ich schon weit hinweg mit Sinn und Ohr;
Zuletzt warst du es selbst, in den ich mich verlor.
Mein Herz durchzückt' mit eins ein Freudenstrahl:
Dein ganzer Wert erschien mir auf einmal.
So wunderbar empfand ich es, so neu,
Daß noch bestehe Freundeslieb' und Treu',
Daß uns so sichrer Gegenwart Genuß
Zusammenhält in Lebensüberfluß!
Ich sah dein hingesenktes Angesicht
Im Schatten halb, und halb im klaren Licht;
Du ahntest nicht, wie mir der Busen schwoll,
Wie mir das Auge brennend überquoll.
Du endigtest; ich schwieg. – Ach, warum ist doch eben
Dem höchsten Glück kein Laut des Danks gegeben?
Da tritt dein Töchterchen mit Licht herein:
Ein ländlich Mahl versammelt groß und klein,
Vom nahen Kirchturm schallt das Nachtgeläut',
Verklingend so des Tages Lieblichkeit.

[92]

Ach nur einmal noch im Leben.

Noten
Im Fenster jenes alt verblichnen Gartensaals
Die Harfe, die, vom leisen Windhauch angeregt,
Lang ausgezogne Töne traurig wechseln läßt
In ungepflegter Spätherbst-Blumen-Einsamkeit,
Ist schön zu hören einen langen Nachmittag.
Nicht völlig unwert ihrer holden Nachbarschaft,
Stöhnt auf dem grauen Zwingerturm die Fahne dort,
Wenn stürmischer oft die Wolken ziehen überhin.
In meinem Garten aber (hieß' er nur noch mein!)
Ging so ein Hinterpförtchen frei ins Feld hinaus,
Abseits vom Dorf. Wie manches liebe Mal stieß ich
Den Riegel auf an der geschwärzten Gattertür
Und bog das überhängende Gesträuch zurück,
Indem sie sich auf rost'gen Angeln schwer gedreht! –
Die Tür nun, musikalisch mannigfach begabt,
Für ihre Jahre noch ein ganz annehmlicher
Sopran (wenn sie nicht eben wetterlaunisch war),
Verriet mir eines Tages – plötzlich, wie es schien,
Erweckt aus einer lieblichen Erinnerung –
Ein schöneres Empfinden, höhere Fähigkeit.
Ich öffne sie gewohnterweise: da beginnt
Sie zärtlich eine Arie, die mein Ohr sogleich
[93] Bekannt ansprach. Wie? rief ich staunend: träum' ich denn?
War das nicht »Ach nur einmal noch im Leben« ganz?
Aus Titus, wenn mir recht ist! – Alsbald ließ ich sie
Die Stelle wiederholen, und ich irrte nicht;
Denn langsamer, bestimmter, seelenvoller nun
Da capo sang die Alte: »Ach nur einmal noch!«
Die fünf, sechs ersten Noten nämlich, weiter kaum,
Hingegen war auch dieser Anfang tadellos. –
Und was, frug ich nach einer kurzen Stille sie,
Was denn noch einmal? Sprich! woher, Elegische,
Hast du das Lied? Ging etwa denn zu deiner Zeit
(Die neunziger Jahre meint' ich) ein schönes Kind,
Des Pfarrers Enkeltochter, sittsam aus und ein,
Und hörtest du sie durch das offne Fenster oft
Am grünlackierten, goldbeblümten Pantalon
Hellstimmig singen? Des gestrengen Mütterchens
Gedenkst du auch, der Hausfrau, die so reinlich stets
Den Garten hielt, gleichwie sie selber war, wann sie
Nach schwülem Tag am Abend ihren Kohl begoß,
Derweil der Pfarrherr ein paar Freunden aus der Stadt,
Die eben weggegangen, das Geleite gab;
Er hatte sie bewirtet in der Laube dort,
Ein lieber Mann, redseliger Weitschweifigkeit.
Vorbei ist nun das alles und kehrt nimmer so!
[94] Wir Jüngern heutzutage treiben's ungefähr
Zwar gleichermaßen, wackre Leute ebenfalls;
Doch besser dünkt ja allen, was vergangen ist.
Es kommt die Zeit, da werden wir auch ferne weg
Gezogen sein, den Garten lassend und das Haus:
Dann wünschest du nächst jenen Alten uns zurück
Und schmückt vielleicht ein treues Herz vom Dorf einmal,
Mein denkend und der Meinen, im Vorübergehn
Dein morsches Holz mit hellem Ackerblumenkranz.

Der Tambour.

Wenn meine Mutter hexen könnt',
Da müßt sie mit dem Regiment,
Nach Frankreich, überall mit hin
Und wär' die Marketenderin.
Im Lager, wohl um Mitternacht,
Wenn niemand auf ist als die Wacht
Und alles schnarchet, Roß und Mann,
Vor meiner Trommel säß' ich dann:
Die Trommel müßt' eine Schüssel sein,
Ein warmes Sauerkraut darein,
Die Schlegel Messer und Gabel,
Eine lange Wurst mein Sabel;
Mein Tschako wär ein Humpen gut,
Den füll' ich mit Burgunderblut.
Und weil es mir an Lichte fehlt,
Da scheint der Mond in mein Gezelt;
[95] Scheint er auch auf Franzö'sch herein,
Mir fällt doch meine Liebste ein:
Ach weh! jetzt hat der Spaß ein End'. –
Wenn nur meine Mutter hexen könnt'!

Häusliche Szene.

Schlafzimmer.

Präceptor Ziborius und seine junge Frau.

Das Licht ist gelöscht.

Schläfst du schon, Rike? – »Noch nicht.« – Sag! hast du denn heut' die Kukumern
Eingemacht? – »Ja.« – Und wieviel nahmst du mir Essig dazu? –
»Nicht zwei völlige Maß.« – Wie? fast zwei Maß? Und von welchem
Krug? von dem kleinern doch nicht, links vor dem Fenster am Hof? –
»Freilich.« – Verwünscht! So darf ich die Probe nun noch einmal machen,
Eben indem ich gehofft, schon das Ergebnis zu sehn.
Konntest du mich nicht fragen? – »Du warst in der Schule.« – Nicht warten? –
»Lieber, zu lange bereits lagen die Gurken mir da.« –
Unlängst sagt' ich dir: Nimm von Numero 7 zum Hausbrauch! –
»Ach, wer behielte denn stets alle die Zahlen im Kopf!« –
[96] Sieben behält sich doch wohl! nichts leichter behalten als sieben!
Groß mit arabischer Schrift hält es der Zettel dir vor. –
»Aber du wechselst den Ort nach der Sonne von Fenster zu Fenster
Täglich: die Küche pressiert oft, und ich suche mich blind.
Bester, dein Essiggebräu, fast will es mich endlich verdrießen.
Ruhig, obgleich mit Not, trug ich so manches bis jetzt.
Daß du im Waschhaus dich einrichtetest, wo es an Raum fehlt,
Destillierest und brennst, schien mir das Äußerste schon.
Nicht gern sah ich vom Stockbrett erst durch Kolben und Krüge
Meine Reseden verdrängt, Rosen und Sommerlevkojn:
Aber nun stehen ums Haus her rings vor jeglichem Fenster,
Halb gekleidet in Stroh, gläserne Bäuche gereiht;
Mir auf dem Herd stehn viere zum Hindernis, selber im Rauchfang
Hängt so ein Untier jetzt, wieder ein neuer Versuch!
Lächerlich machen wir uns – nimm mir's nicht übel!« – Was sagst du?
[97] Lächerlich! – »Hättest du nur heut' die Dekanin gehört!
Und in jeglichem Wort ihn selber vernahm ich, den Spötter;
Boshaft ist er, dazu Schwager zum Pädagogarch.« –
Nun? – »Einer Festung verglich sie das Haus des Präceptors, ein Bollwerk
Hieß mein Erker; es sei alles bespickt mit Geschütz.« –
Schnödes Gerede, der lautere Neid! Ich hoffe mein Stecken-
Pferd zu behaupten, so gut als ihr Gemahl, der Dekan.
Freut's ihn, Kanarienvögel und Einwerfkäfige dutzend-
Weise zu haben, mich freut's, tüchtigen Essig zu ziehn. –

(Pause. Er scheint nachdenklich. Sie spricht für sich:)

»Wahrlich, er dauert mich schon: ihn ängstet ein wenig die Drohung
Mit dem Studienrat, dem er schon lange nicht traut.« –

(Er fährt fort:)

Als Präceptor tat ich von je meine Pflicht; ein geschätzter
Gradus neuerlich gibt einiges Zeugnis davon.
Was ich auf materiellem Gebiet in müßigen Stunden
[98] Manchem Gewerbe, dem Staat denke zu leisten dereinst,
Ob ich meiner Familie nicht ansehnlichen Vorteil
Sichere noch mit der Zeit, dessen geschweig' ich vorerst:
Aber den will ich sehn, der einem geschundenen Schulmann
Ein Vergnügen wie das, Essig zu machen, verbeut!
Der von Allotrien spricht, von Lächerlichkeiten – er sei nun
Oberinspektor, er sei Rektor und Pädagogarch!
Greife nur einer mich an, ich will ihm dienen! Gewappnet
Findet ihr mich! Dreifach liegt mir das Erz um die Brust! –
Rike, du lachst! – du verbirgst es umsonst; ich fühle die Stöße –
Nun, was wandelt dich an? Närrst du mich, törichtes Weib? –
»Lieber, närrischer, goldener Mann! wer bliebe hier ernsthaft?
Nein, dies Feuer hätt' ich nimmer im Essig gesucht.« –
G'nug mit den Possen! Ich sage dir, mir ist die Sache nicht spaßhaft. –
»Ruhig! Unseren Streit, Alter, vergleichen wir schon.
Gar nicht fällt es mir ein, dir die einzige Freude zu rauben;
Zuviel hänget daran, und ich verstehe dich ganz.
[99] Siehst du von deinem Katheder im Schulhaus so durch das Fenster
Über das Höfchen den Schatz deiner Gefäße dir an,
Alle vom Mittagsstrahl der herrlichen Sonne beschienen
Die, dir den gärenden Wein heimlich zu zeitigen, glüht:
Nun, es erquicket dir Herz und Aug' in sparsamen Pausen,
Wie das bunteste Brett meiner Levkojn es nicht tat,
Und ein Pfeifchen Tabak in diesem gemütlichen Anblick
Nimmt dir des Amtes Verdruß reiner als alles hinweg;
Ja, seitdem du schon selbst mit eigenem Essig die rote
Tinte dir kochst, die sonst manchen Dreibätzner verschlang,
Ist dir, mein' ich, der Wust der Exerzitienhefte
Minder verhaßt; dich labt still der bekannte Geruch.
Dies, wie mißgönnt' ich es dir? Nur gehst du ein bißchen ins Weite.
Alles – so heißt dein Spruch – habe sein Maß und sein Ziel!« –
Laß mich! Wenn mein Produkt dich einst zur vermöglichen Frau macht –
»Bester, das sagtest du just auch bei der Seidenkultur.« –
[100] Kann ich dafür, daß das Futter mißriet, daß die Tiere krepierten? –
»Seine Gefahr hat auch sicher das neue Geschäft.« –
Namen und Ehre des Mannes, die bringst du wohl gar nicht in Anschlag? –
»Ehre genug blieb uns, ehe wir Essig gebraut« –
Korrespondierendes Mitglied heiß' ich dreier Vereine. –
»Nähme nur einer im Jahr etliche Krüge dir ab!« –
Dir fehlt jeder Begriff von rationellem Bestreben. –
»Seit du ihn hast, fehlt dir abends ein guter Salat.« –
Undank! Mein Fabrikat durch sämtliche Sorten ist trefflich. –
»Numero 7 und 9 kenn' ich und – lobe sie nicht.« –
Heut', wie ich merke, gefällst du dir sehr, mir in Versen zu trumpfen. –
»Waren es Verse denn nicht, was du gesprochen bisher?« –
Eine Schwäche des Mannes vom Fach, darfst du sie mißbrauchen? –
»Unwillkürlich, wie du, red' ich elegisches Maß.« –
Mühsam übt' ich dir's ein, harmlose Gespräche zu würzen. –
»Freilich, im bitteren Ernst nimmt es sich wunderlich aus.« –
[101] Also verbitt' ich es jetzt; sprich, wie dir der Schnabel gewachsen! –
»Gut! laß sehen, wie sich Prose mit Distichen mischt!«
Unsinn! Brechen wir ab! Mit Weibern sich streiten ist fruchtlos. –
»Fruchtlos nenn' ich im Schlot Essig bereiten, mein Schatz.«
Daß noch zum Schlusse mir dein Pentameter tritt auf die Ferse! –
»Dein Hexameter zieht unwiderstehlich ihn nach.« –
Ei, dir scheint er bequem, nur das Wort noch, das letzte, zu haben:
Hab's! Ich schwöre, von mir hast du das letzte gehört. –
»Meinetwegen, so mag ein Hexameter einmal allein stehn!«

(Pause. Der Mann wird unruhig; es peinigt ihn offenbar, das Distichon nicht geschlossen zu hören oder es nicht selber schließen zu dürfen. Nach einiger Zeit kommt ihm die Frau mit Lachen zu Hilfe und sagt:)

»Alter, ich tat dir zu viel; wirklich, dein Essig passiert.
Wenn er dir künftig noch besser gerät, wohlan! so ist einzig
Dein das Verdienst; denn du hast wahrlich kein zänkisches Weib.« –

(Er gleichfalls herzlich lachend und sie küssend:)

Rike, morgenden Tags räum' ich dir die vorderen Fenster
Sämtlich, und im Kamin prangen die Schinken allein!

[102]

Selbstgeständnis.

Ich bin meiner Mutter einzig Kind,
Und weil die andern ausblieben sind, –
Was weiß ich, wieviel, die sechs oder sieben –
Ist eben alles an mir hängen blieben:
Ich hab' müssen die Liebe, die Treue, die Güte
Für ein ganz halb Dutzend allein aufessen;
Ich will's mein Lebtag nicht vergessen.
Es hätte mir aber noch wohl mögen frommen,
Hätt' ich nur auch Schläg' für sechse bekommen!

Restauration

nach Durchlesung eines Manuskripts mit Gedichten.

Das süße Zeug ohne Saft und Kraft!
Es hat mir all mein Gedärm erschlafft.
Es roch, ich will des Henkers sein!
Wie lauter welke Rosen und Kamilleblümlein.
Mir ward ganz übel, mauserig, dumm,
Ich sah mich schnell nach was Tüchtigem um,
Lief in den Garten hinterm Haus,
Zog einen herzhaften Rettich aus,
Fraß ihn auch auf bis auf den Schwanz –
Da war ich wieder frisch und genesen ganz.

[103]

Nachts.

Horch! auf der Erde feuchtem Grund gelegen,
Arbeitet schwer die Nacht der Dämmerung entgegen,
Indessen dort, in blauer Luft gezogen,
Die Fäden leicht, unhörbar fließen
Und hin und wieder mit gestähltem Bogen
Die lust'gen Sterne goldne Pfeile schießen.
Im Erdenschoß, im Hain und auf der Flur,
Wie wühlt es jetzo rings in der Natur
Von nimmersatter Kräfte Gärung!
Und welche Ruhe doch und welch ein Wohlbedacht!
Mir aber in geheimer Brust erwacht
Ein peinlich Widerspiel von Fülle und Entbehrung
Vor diesem Bild, so schweigend und so groß.
Mein Herz, wie gerne machtest du dich los!
Du schwankendes, dem jeder Halt gebricht,
Willst, kaum entflohn, zurück zu deinesgleichen.
Trägst du der Schönheit Götterstille nicht,
So beuge dich! denn hier ist kein Entweichen.
Dekoration

[104]

Historie von der schönen Lau.

Der Blautopf2 ist der große, runde Kessel eines wundersamen Quells bei einer jähen Felsenwand gleich hinter dem Kloster. Gen Morgen sendet er ein Flüßchen aus, die Blau, welche der Donau zufällt. Dieser Teich ist einwärts wie ein tiefer Trichter, sein Wasser ist von Farbe ganz blau, sehr herrlich, mit Worten nicht wohl zu beschreiben; wenn man es aber schöpft, sieht es ganz hell in dem Gefäß.

Zu unterst auf dem Grund saß ehemals eine Wasserfrau mit langen, fließenden Haaren. Ihr Leib war allenthalben wie eines schönen natürlichen Weibs, dies eine ausgenommen, daß sie zwischen den Fingern und Zehen eine Schwimmhaut hatte, blühweiß und zarter als ein Blatt von Mohn. Im Städtlein ist noch heutzutag ein alter Bau, vormals ein Frauenkloster, hernach zu einer großen Wirtschaft eingerichtet, und hieß darum der Nonnenhof. Dort hing vor sechzig Jahren noch ein Bildnis von dem Wasserweib, trotz Rauch und Alter[105] noch wohl kenntlich in den Farben. Da hatte sie die Hände kreuzweis auf die Brust gelegt, ihr Angesicht sah weißlich, das Haupthaar schwarz, die Augen aber, welche sehr groß waren, blau. Beim Volk hieß sie die arge Lau3 im Topf, auch wohl die schöne Lau. Gegen die Menschen erzeigte sie sich bald böse, bald gut. Zuzeiten, wenn sie im Unmut den Gumpen4 übergehen ließ, kam Stadt und Kloster in Gefahr; dann brachten ihr die Bürger in einem feierlichen Aufzug oft Geschenke, sie zu begütigen, als Gold- und Silbergeschirr, Becher, Schalen, kleine Messer und andere Dinge, dawider zwar, als einen heidnischen Gebrauch und Götzendienst, die Mönche redlich eiferten, bis derselbe auch endlich ganz abgestellt worden. So feind darum die Wasserfrau dem Kloster war, geschah es doch nicht selten, wenn Pater Emeran die Orgel drüben schlug und kein Mensch in der Nähe war, daß sie am lichten Tag mit halbem Leib heraufkam und zuhorchte; dabei trug sie zuweilen einen Kranz von breiten Blättern auf dem Kopf und auch dergleichen um den Hals.

Ein frecher Hirtenjung' belauschte sie einmal in dem Gebüsch und rief: »Hei, Laubfrosch? git's guat Wetter?« Geschwinder als ein Blitz und giftiger als eine Otter fuhr sie heraus, ergriff den Knaben beim Schopf und riß ihn mit hinunter in eine ihrer nassen Kammern, wo sie den ohnmächtig Gewordenen jämmerlich verschmachten und verfaulen[106] lassen wollte. Bald aber kam er wieder zu sich, fand eine Tür und kam über Stufen und Gänge durch viele Gemächer in einen schönen Saal. Hier war es lieblich, glusam5 mitten im Winter. In einer Ecke brannte, indem die Lau und ihre Dienerschaft schon schlief, auf einem hohen Leuchter mit goldenen Vogelfüßen als Nachtlicht eine Ampel. Es stand viel köstlicher Hausrat herum an den Wänden, und diese waren samt dem Estrich ganz mit Teppichen staffiert: Bildweberei in allen Farben. Der Knabe hurtig nahm das Licht herunter von dem Stock, sah sich in Eile um, was er noch sonst erwischen möchte, und griff aus einem Schrank etwas heraus, das stak in einem Beutel und war mächtig schwer, deswegen er vermeinte, es sei Gold; lief dann und kam vor ein erzenes Pförtlein, das mochte in der Dicke gut zwo Fäuste sein, schob die Riegel zurück und stieg eine steinerne Treppe hinauf in unterschiedlichen Absätzen, bald links, bald wieder rechts, gewiß vierhundert Stufen, bis sie zuletzt ausgingen und er auf ungeräumte Klüfte stieß; da mußte er das Licht dahinten lassen und kletterte so mit Gefahr seines Lebens noch eine Stunde lang im Finstern hin und her, dann aber brachte er den Kopf auf einmal aus der Erde. Es war tief Nacht und dicker Wald um ihn. Als er nach vielem Irregehen endlich mit der ersten Morgenhelle auf gänge6 Pfade kam und von dem Felsen aus das Städtlein unten erblickte, verlangte ihn am Tag zu sehen, was[107] in dem Beutel wäre: da war es weiter nichts als ein Stück Blei, ein schwerer Kegel, spannenlang, mit einem Öhr an seinem obern Ende, weiß vor Alter. Im Zorn warf er den Plunder weg ins Tal hinab und sagte nachher weiter niemand von dem Raub, weil er sich dessen schämte. Doch kam von ihm die erste Kunde von der Wohnung der Wasserfrau unter die Leute.

Nun ist zu wissen, daß die schöne Lau nicht hier am Orte zu Hause war: vielmehr war sie, als eine Fürstentochter, und zwar von Mutter Seiten her halbmenschlichen Geblüts, mit einem alten Donaunix am Schwarzen Meer vermählt. Ihr Mann verbannte sie darum, daß sie nur tote Kinder hatte. Das aber kam, weil sie stets traurig war ohn' einige besondere Ursach. Die Schwiegermutter hatte ihr geweissagt, sie möge eher nicht eines lebenden Kindes genesen, als bis sie fünfmal von Herzen gelacht haben würde. Beim fünftenmal müßte etwas sein, das dürfe sie nicht wissen noch auch der alte Nix. Es wollte aber damit niemals glücken, so viel auch ihre Leute deshalb Fleiß anwendeten; endlich da mochte sie der alte König ferner nicht an seinem Hofe leiden und sandte sie an diesen Ort, unweit der obern Donau, wo seine Schwester wohnte. Die Schwiegermutter hatte ihr zum Dienst und Zeitvertreib etliche Kammerzofen und Mägde mitgegeben, so muntere und kluge Mädchen, als je auf Entenfüßen gingen (denn was von dem gemeinen Stamm[108] der Wasserweiber ist, hat rechte Entenfüße); die zogen sie, pur für die Langeweile, sechsmal des Tages anders an (denn außerhalb dem Wasser ging sie in köstlichen Gewändern, doch barfuß), erzählten ihr alte Geschichten und Mären, machten Musik, tanzten und scherzten vor ihr. An jenem Saal, darin der Hirtenbub gewesen, war der Fürstin ihr Gaden oder Schlafgemach, von welchem eine Treppe in den Blautopf ging. Da lag sie manchen lieben Tag und manche Sommernacht der Kühlung wegen. Auch hatte sie allerlei lustige Tiere, wie Vögel, Küllhasen7 und Affen, vornehmlich aber einen possigen Zwerg, durch welchen vormals einem Ohm der Fürstin war von eben solcher Traurigkeit geholfen worden. Sie spielte alle Abend Damenziehen, Schachzagel8 oder Schaf und Wolf mit ihm; so oft er einen ungeschickten Zug getan, schnitt er die raresten Gesichter, keines dem andern gleich, nein, immer eines ärger als das andere, daß auch der weise Salomo das Lachen nicht gehalten hätte, geschweige denn die Kammerjungfern oder du selber, liebe Leserin, wärst du dabei gewesen; nur bei der schönen Lau schlug eben gar nichts an, kaum daß sie ein paarmal den Mund verzog.

Es kamen alle Jahr um Winters Anfang Boten von daheim, die klopften an der Halle mit dem Hammer, da frugen dann die Jungfern:

Wer pochet, daß einem das Herz erschrickt?

Und jene sprachen:

[109]

Der König schickt.
Gebt uns wahrhaftigen Bescheid,
Was Guts ihr habt geschafft die Zeit!

Und sie sagten:

Wir haben die ferndigen9 Lieder gesungen
Und haben die ferndigen Tänze gesprungen,
Gewonnen war es um ein Haar. –
Kommt, liebe Herren, übers Jahr!

So zogen sie wieder nach Haus. Die Frau war aber vor der Botschaft und danach stets noch einmal so traurig.

Im Nonnenhof war eine dicke Wirtin, Frau Betha Seysolffin, ein frohes Biederweib, christlich, leutselig, gütig; zumal an armen reisenden Gesellen bewies sie sich als eine rechte Fremdenmutter. Die Wirtschaft führte zumeist ihr ältester Sohn, Stephan, welcher verehlicht war; ein anderer, Xaver, war Klosterkoch, zwo Töchter noch bei ihr. Sie hatte einen kleinen Küchengarten vor der Stadt, dem Topf zunächst. Als sie im Frühjahr einst am ersten warmen Tag dort war und ihre Beete richtete, den Kappis10, den Salat zu säen, Bohnen und Zwiebel zu stecken, besah sie sich von ungefähr auch einmal recht mit Wohlgefallen wieder das schöne blaue Wasser überm Zaun und mit Verdruß daneben einen alten garstigen Schutthügel, der schändete den ganzen Platz; nahm also, wie sie fertig war mit ihrer Arbeit und das Gartentürlein hinter sich zugemacht hatte, die Hacke noch einmal, riß flink das gröbste[110] Unkraut aus, erlas etliche Kürbiskern' aus ihrem Samenkorb und steckte hin und wieder einen in den Haufen. (Der Abt im Kloster, der die Wirtin, als eine saubere Frau, gern sah – man hätte sie nicht über vierzig Jahr geschätzt, er selber aber war, gleich ihr, ein starkbeleibter Herr – stand just am Fenster oben und grüßte herüber, indem er mit dem Finger drohte, als halte sie zu seiner Widersacherin.) Die Wüstung grünte nun den ganzen Sommer, daß es eine Freude war, und hingen dann im Herbst die großen gelben Kürbis an dem Abhang nieder bis zu dem Teich.

Jetzt ging einsmals der Wirtin Tochter, Jutta, in den Keller, woselbst sich noch von alten Zeiten her ein offener Brunnen mit einem steinernen Kasten befand. Beim Schein des Lichts erblickte sie darinnen mit Entsetzen die schöne Lau, schwebend bis an die Brust im Wasser, sprang voller Angst davon und sagt's der Mutter an; die fürchtete sich nicht und stieg allein hinunter, litt auch nicht, daß ihr der Sohn zum Schutz nachfolge, weil das Weib nackt war.

Der wunderliche Gast sprach diesen Gruß:

Die Wasserfrau ist kommen
Gekrochen und geschwommen
Durch Gänge steinig, wüst und kraus
Zur Wirtin in das Nonnenhaus.
Sie hat sich meinethalb gebückt,
Mein' Topf geschmückt
[111] Mit Früchten und mit Ranken,
Das muß ich billig danken.

Sie hatte einen Kreisel aus wasserhellem Stein in ihrer Hand, den gab sie der Wirtin und sagte: »Nehmt dieses Spielzeug, liebe Frau, zu meinem Angedenken! Ihr werdet guten Nutzen davon haben. Denn jüngsthin habe ich gehört, wie Ihr in Eurem Garten der Nachbarin klagtet, Euch sei schon auf die Kirchweih angst, wo immer die Bürger und Bauern zu Unfrieden kämen und Mord und Totschlag zu befahren sei. Derhalben, liebe Frau, wenn wieder die trunkenen Gäste bei Tanz und Zeche Streit beginnen, nehmt den Topf zur Hand und dreht ihn vor der Tür des Saals im Öhrn11, da wird man hören durch das ganze Haus ein mächtiges und herrliches Getöne, daß alle gleich die Fäuste werden sinken lassen und guter Dinge sein, denn jählings ist ein jeder nüchtern und gescheit geworden. Ist es an dem, so werfet Eure Schürze auf den Topf! da wickelt er sich alsbald ein und lieget stille.«

So redete das Wasserweib. Frau Betha nahm vergnügt das Kleinod samt der goldenen Schnur und dem Halter von Ebenholz, rief ihre Tochter Jutta her (sie stand nur hinter dem Krautfaß an der Staffel), wies ihr die Gabe, dankte und lud die Frau, so oft die Zeit ihr lang wär', freundlich ein zu fernerem Besuch; darauf das Weib hinabfuhr und verschwand.

[112]

Es dauerte nicht lang', so wurde offenbar, welch einen Schatz die Wirtschaft an dem Topf gewann. Denn nicht allein, daß er durch seine Kraft und hohe Tugend die übeln Händel allezeit in einer Kürze dämpfte, er brachte auch dem Gasthaus bald erstaunliche Einkehr zuwege. Wer in die Gegend kam, gemein oder vornehm, ging ihm zulieb; insonderheit kam bald der Graf von Helfenstein, von Wirtemberg und etliche große Prälaten; ja ein berühmter Herzog aus Lombardenland, so bei dem Herzoge von Bayern gastweis war und dieses Wegs nach Frankreich reiste, bot vieles Geld für dieses Stück, wenn es die Wirtin lassen wollte. Gewiß auch war in keinem andern Land seinesgleichen zu sehen und zu hören. Erst, wenn er anhub sich zu drehen, ging es doucement her, dann klang es stärker und stärker, so hoch wie tief, und immer herrlicher, als wie der Schall von vielen Pfeifen, der quoll und stieg durch alle Stockwerke bis unter das Dach und bis in den Keller, dergestalt daß alle Wände, Dielen, Säulen und Geländer schienen davon erfüllt zu sein, zu tönen und zu schwellen. Wenn nun das Tuch auf ihn geworfen wurde und er ohnmächtig lag, so hörte gleichwohl die Musik sobald nicht auf, es zog vielmehr der ausgeladene Schwall mit starkem Klingen, Dröhnen, Summen noch wohl bei einer Viertelstunde hin und her.

Bei uns im Schwabenland heißt so ein Topf aus Holz gemeinhin eine Habergeis12; Frau Betha[113] ihrer ward nach seinem vornehmsten Geschäfte insgemein genannt der Bauren-Schwaiger13. Er war gemacht aus einem großen Amethyst, des Name besagen will: Wider den Trunk, weil er den schweren Dunst des Weins geschwinde aus dem Kopf vertreibt, ja schon von Anbeginn dawider tut, daß einen guten Zecher das Selige berühre; darum ihn auch weltlich und geistliche Herren sonst häufig pflegten am Finger zu tragen.

Die Wasserfrau kam jeden Mond einmal, auch je und je unverhofft zwischen der Zeit, weshalb die Wirtin eine Schelle richten ließ oben im Haus mit einem Draht, der lief herunter an der Wand beim Brunnen, damit sie sich gleichbald anzeigen konnte. Also ward sie je mehr und mehr zutunlich zu den wackeren Frauen, der Mutter samt den Töchtern und der Söhnerin14.

Einsmals an einem Nachmittag im Sommer, da eben keine Gäste kamen, der Sohn mit den Knechten und Mägden hinaus in das Heu gefahren war, Frau Betha mit der Ältesten im Keller Wein abließ, die Lau im Brunnen aber Kurzweil halben dem Geschäft zusah und nun die Frauen noch ein wenig mit ihr plauderten, da fing die Wirtin an: »Mögt Ihr Euch denn einmal in meinem Haus und Hof umsehn? Die Jutta könnte Euch etwas von Kleidern geben; ihr seid von einer Größe.«

»Ja,« sagte sie, »ich wollte lange gern die Wohnungen der Menschen sehn, was alles sie darin gewerben,[114] spinnen, weben, ingleichen auch wie Eure Töchter Hochzeit machen und ihre kleinen Kinder in der Wiege schwenken.«

Da lief die Tochter fröhlich mit Eile hinauf, ein rein Leintuch zu holen, bracht' es und half ihr aus dem Kasten steigen; das tat sie sonder Müh und lachenden Mundes. Flugs schlug ihr die Dirne das Tuch um den Leib und führte sie bei ihrer Hand eine schmale Stiege hinauf in der hintersten Ecke des Kellers, da man durch eine Falltüre oben gleich in der Töchter Kammer gelangt. Allda ließ sie sich trocken machen und saß auf einem Stuhl, indem ihr Jutta die Füße abrieb. Wie diese ihr nun an die Sohle kam, fuhr sie zurück und kicherte. »War's nicht gelacht?« frug sie selber sogleich. – »Was anders?« rief das Mädchen und jauchzte: »Gebenedeiet sei uns der Tag! ein erstes Mal wär' es geglückt!« – Die Wirtin hörte in der Küche das Gelächter und die Freude, kam herein, begierig, wie es zugegangen, doch als sie die Ursach vernommen – du armer Tropf, so dachte sie, das wird ja schwerlich gelten! – ließ sich indes nichts merken, und Jutta nahm etliche Stücke heraus aus dem Schrank, das Beste was sie hatte, die Hausfreundin zu kleiden. »Seht!« sagte die Mutter, »sie will wohl aus Euch eine Susann Preisnestel15 machen.« – »Nein,« rief Lau in ihrer Fröhlichkeit, »laß mich die Aschengruttel16 sein in deinem Märchen!« nahm einen schlechten runden Faltenrock[115] und eine Jacke; nicht Schuh noch Strümpfe litt sie an den Füßen, auch hingen ihre Haare ungezöpft bis auf die Knöchel nieder. So strich sie durch das Haus von unten bis zu oberst, durch Küche, Stuben und Gemächer. Sie verwunderte sich des gemeinsten Gerätes und seines Gebrauchs, besah den rein gefegten Schenktisch und darüber in langen Reihen die zinnenen Kannen und Gläser, alle gleich gestürzt, mit hängendem Deckel, dazu den kupfernen Schwenkkessel samt der Bürste und mitten in der Stube an der Decke der Weber Zunftgeschmuck, mit Seidenband und Silberdraht geziert, in dem Kästlein von Glas. Von ungefähr erblickte sie ihr eigen Bild im Spiegel, davor blieb sie betroffen und erstockt eine ganze Weile stehn, und als darauf die Söhnerin sie mit in ihre Stube nahm und ihr ein neues Spiegelein, drei Groschen wert, verehrte, da meinte sie Wunders zu haben; denn unter allen ihren Schätzen fand sich dergleichen nicht.

Bevor sie aber Abschied nahm, geschah's, daß sie hinter den Vorhang des Alkoven schaute, woselbst der jungen Frau und ihres Mannes Bett sowie der Kinder Schlafstätte war. Saß da ein Enkelein mit rotgeschlafenen Backen, hemdig und einen Apfel in der Hand, auf einem runden Stühlchen von guter Ulmer Hafnerarbeit, grünverglaset. Das wollte dem Gast außer Maßen gefallen; sie nannte es einen viel zierlichen Sitz, rümpft' aber die Nase mit eins, und da die drei Frauen sich wandten zu[116] lachen, vermerkte sie etwas und fing auch hell zu lachen an, und hielt sich die ehrliche Wirtin den Bauch, indem sie sprach: »Diesmal fürwahr hat es gegolten, und Gott schenk Euch einen so frischen Buben, als mein Hans da ist!«

Die Nacht darauf, daß sich dies zugetragen, legte sich die schöne Lau getrost und wohlgemut, wie schon in Jahren nicht, im Grund des Blautopfs nieder, schlief gleich ein, und bald erschien ihr ein närrischer Traum.

Ihr deuchte da, es war die Stunde nach Mittag, wo in der heißen Jahreszeit die Leute auf der Wiese sind und mähen, die Mönche aber sich in ihren kühlen Zellen eine Ruhe machen, daher es noch einmal so still im ganzen Kloster und rings um seine Mauern war. Es stund jedoch nicht lange an, so kam der Abt herausspaziert und sah, ob nicht etwa die Wirtin in ihrem Garten sei. Dieselbe aber saß als eine dicke Wasserfrau mit langen Haaren in dem Topf, allwo der Abt sie bald entdeckte, sie begrüßte und ihr einen Kuß gab, so mächtig, daß es vom Klostertürmlein widerschallte, und schallte es der Turm ans Refektorium, das sagt' es der Kirche, und die sagt's dem Pferdstall, und der sagt's dem Waschhaus, und im Waschhaus da riefen's die Zuber und Kübel sich zu. Der Abt erschrak bei solchem Lärm; ihm war, wie er sich nach der Wirtin bückte, sein Käpplein in Blautopf gefallen; sie gab es ihm geschwind, und er watschelte hurtig davon.

[117]

Da aber kam aus dem Kloster heraus unser Herrgott, zu sehn, was es gebe. Er hatte einen langen weißen Bart und einen roten Rock. Und frug den Abt, der ihm just in die Hände lief:

Herr Abt, wie ward Euer Käpplein so naß?

Und er antwortete:

Es ist mir ein Wildschwein am Wald verkommen17,
Vor dem hab' ich Reißaus genommen;
Ich rannte sehr und schwitzet' baß18,
Davon ward wohl mein Käpplein naß.

Da hob unser Herrgott, unwirs19 ob der Lüge, seinen Finger auf, winkt' ihm und ging voran, dem Kloster zu. Der Abt sah hehlings noch einmal nach der Frau Wirtin um, und diese rief: »Ach, liebe Zeit! ach, liebe Zeit! jetzt kommt der gut' alt' Herr in die Prison!«

Dies war der schönen Lau ihr Traum. Sie wußte aber beim Erwachen und spürte noch an ihrem Herzen, daß sie im Schlaf sehr lachte, und ihr hüpfte noch wachend die Brust, daß der Blautopf oben Ringlein schlug.

Weil es den Tag zuvor sehr schwül gewesen, so blitzte es jetzt in der Nacht. Der Schein erhellte den Blautopf ganz, auch spürte sie am Boden, es donnere weitweg. So blieb sie mit zufriedenem Gemüte noch eine Weile ruhen, den Kopf in ihre Hand gestützt, und sah dem Wetterblicken20 zu. Nun stieg sie auf, zu wissen, ob der Morgen etwa komme: allein es war noch nicht viel über Mitternacht. Der[118] Mond stand glatt und schön über dem Rusenschoß, die Lüfte aber waren voll vom Würzgeruch der Mahden21.

Sie meinte fast der Geduld nicht zu haben bis an die Stunde, wo sie im Nonnenhof ihr neues Glück verkünden durfte, ja wenig fehlte, daß sie sich jetzt nicht mitten in der Nacht aufmachte und vor Juttas Türe kam (wie sie nur einmal Trostes wegen in übergroßem Jammer nach der jüngsten Botschaft aus der Heimat tat), doch sie besann sich anders und ging zu besserer Zeit.

Frau Betha hörte ihren Traum gutmütig an, obwohl er ihr ein wenig ehrenrührig schien. Bedenklich aber sagte sie darauf: »Baut nicht auf solches Lachen, das im Schlaf geschah! der Teufel ist ein Schelm. Wenn Ihr auf solches Trugwerk hin die Boten mit fröhlicher Zeitung entließet, und die Zukunft strafte Euch Lügen, es könnte schlimm daheim ergehen.«

Auf diese Rede hing die schöne Lau den Mund gar sehr und sagte: »Frau Ahne hat der Traum verdrossen!« nahm kleinlauten Abschied und tauchte hinunter.

Es war nah bei Mittag, da rief der Pater Schaffner im Kloster dem Bruder Kellermeister eifrig zu: »Ich merk', es ist im Gumpen letz! Die Arge will Euch Eure Faß wohl wieder einmal schwimmen lehren. Tut Eure Läden eilig zu, vermachet alles wohl!«

[119]

Nun aber war des Klosters Koch, der Wirtin Sohn, ein lustiger Vogel, welchen die Lau wohl leiden mochte. Der dachte ihren Jäst22 mit einem Schnak zu stillen, lief nach seiner Kammer, zog die Bettscher aus der Lagerstätte und steckte sie am Blautopf in den Rasen, wo das Wasser auszutreten pflegte, und stellte sich mit Worten und Gebärden als einen viel getreuen Diener an, der mächtig Ängsten hätte, daß seine Herrschaft aus dem Bette fallen und etwa Schaden nehmen möchte. Da sie nun sah das Holz so recht mit Fleiß gesteckt und über das Bächlein gespreizt, kam ihr in ihrem Zorn das Lachen an, und lachte überlaut, daß man's im Klostergarten hörte.

Als sie hierauf am Abend zu den Frauen kam, da wußten sie es schon vom Koch und wünschten ihr mit tausend Freuden Glück. Die Wirtin sagte: »Der Xaver ist von Kindesbeinen an gewesen als wie der Zuberklaus23, jetzt kommt uns seine Torheit zu statten.«

Nun aber ging ein Monat nach dem andern herum: es wollte sich zum dritten- oder viertenmal nicht wieder schicken. Martini war vorbei, noch wenig Wochen, und die Boten standen wieder vor der Tür. Da ward es den guten Wirtsleuten selbst bang, ob heuer noch etwas zu stande käme, und alle hatten nur zu trösten an der Frau. Je größer deren Angst, je weniger zu hoffen war.

Damit sie ihres Kummers eher vergessen, lud ihr[120] Frau Betha einen Lichtkarz24 ein, da nach dem Abendessen ein halb Dutzend muntre Dirnen und Weiber aus der Verwandtschaft in einer abgelegenen Stube mit ihren Kunkeln sich zusammensetzten. Die Lau kam alle Abend in Juttas altem Rock und Kittel und ließ sich weit vom warmen Ofen weg in einem Winkel auf dem Boden nieder und hörte dem Geplauder zu, von Anfang als ein stummer Gast, ward aber bald zutraulich und bekannt mit allen. Um ihretwillen machte sich Frau Betha eines Abends ein Geschäft daraus, ihr Weihnachtskripplein für die Enkel beizeiten herzurichten: die Mutter Gottes mit dem Kind im Stall, bei ihr die drei Weisen aus Morgenland, ein jeder mit seinem Kamel, darauf er hergereist kam und seine Gaben brachte. Dies alles aufzuputzen und zu leimen, was etwa lotter war, saß die Frau Wirtin an dem Tisch beim Licht mit ihrer Brille, und die Wasserfrau mit höchlichem Ergötzen sah ihr zu, so wie sie auch gerne vernahm, was ihr von heiligen Geschichten dabei gesagt wurde, doch nicht, daß sie dieselben dem rechten Verstand nach begriff oder zu Herzen nahm, wie gern auch die Wirtin es wollte.

Frau Betha wußte ferner viel lehrreicher Fabeln und Denkreime, auch spitzweise25 Fragen und Rätsel; die gab sie nacheinander im Vorsitz auf zu raten, weil sonderlich die Wasserfrau von Hause aus dergleichen liebte und immer gar zufrieden schien, wenn sie es ein und das andre Mal traf (das doch nicht[121] allzu leicht geriet). Eines derselben gefiel ihr vor allen, und was damit gemeint ist, nannte sie ohne Besinnen:

Ich bin eine dürre Königin,
Trag' auf dem Haupt eine zierliche Kron',
Und die mir dienen mit treuem Sinn,
Die haben großen Lohn.
Meine Frauen müssen mich schön frisiern,
Erzählen mir Märlein ohne Zahl,
Sie lassen kein einzig Haar an mir,
Doch siehst du mich nimmer kahl.
Spazieren fahr' ich frank und frei,
Das geht so rasch, das geht so fein;
Nur komm ich nicht vom Platz dabei –
Sagt Leute! was mag das sein?

Darüber sagte sie, in etwas fröhlicher denn zuvor: »Wenn ich dereinstens wiederum in meiner Heimat bin und kommt einmal ein schwäbisch Landeskind, zumal aus Eurer Stadt, auf einer Kriegsfahrt oder sonst durch der Walachen Land an unsere Gestade, so ruf er mich bei Namen, dort wo der Strom am breitesten hineingeht in das Meer – versteht! zehn Meilen einwärts in dieselbe See erstreckt sich meines Mannes Reich, soweit das süße Wasser sie mit seiner Farbe färbt – dann will ich kommen und dem Fremdling zu Rat und Hilfe sein. Damit er aber sicher sei, ob ich es bin und keine andere, die ihm schaden möchte, so stelle er[122] dies Rätsel. Niemand aus unserm Geschlechte außer mir wird ihm darauf antworten, denn dortzuland sind solche Rocken und Rädlein, als Ihr in Schwaben führet, nicht gesehn, noch kennen sie dort Eure Sprache; darum mag dies die Losung sein.«

Auf einen andern Abend ward erzählt vom Doktor Veylland und Herrn Konrad von Wirtemberg, dem alten Gaugrafen, in dessen Tagen es noch keine Stadt mit Namen Stuttgart gab. Im Wiesental, da wo dieselbe sich nachmals erhob, stund nur ein stattliches Schloß mit Wassergraben und Zugbrücke, von Bruno, dem Domherrn von Speyer, Konradens Oheim, erbaut, und nicht gar weit davon ein hohes steinernes Haus26. In diesem wohnte dazumal mit einem alten Diener ganz allein ein sonderlicher Mann, der war in natürlicher Kunst und in Arzneikunst sehr gelehrt und war mit seinem Herrn, dem Grafen, weit in der Welt herumgereist in heißen Ländern, von wo er manche Seltsamkeit an Tieren, vielerlei Gewächsen und Meerwundern heraus nach Schwaben brachte. In seinem Öhrn sah man der fremden Sachen eine Menge an den Wänden herum hangen: die Haut vom Krokodil sowie Schlangen und fliegende Fische. Fast alle Wochen kam der Graf einmal zu ihm; mit anderen Leuten pflegte er wenig Gemeinschaft. Man wollte behaupten, er mache Gold; gewiß ist, daß er sich unsichtbar machen konnte, denn er verwahrte unter seinem Kram einen Krackenfischzahn. Einst nämlich, als[123] er auf dem Roten Meer das Bleilot niederließ, die Tiefe zu erforschen, da zockt' es unterm Wasser, daß das Tau fast riß. Es hatte sich ein Krackenfisch im Lot verbissen und zween seiner Zähne darinnen gelassen. Sie sind wie eine Schustersahle, spitz und glänzend schwarz. Der eine stak sehr fest, der andere ließ sich leicht ausziehen. Da nun ein solcher Zahn, etwa in Silber oder Gold gefaßt und bei sich getragen, besagte hohe Kraft besitzt und zu den größten Gütern, so man für Geld nicht haben kann, gehört, der Doktor aber dafür hielt, es zieme eine solche Gabe niemand besser, als einem weisen und wohldenkenden Gebieter, damit er überall, in seinen eigenen und Feindes Landen, sein Ohr und Auge habe, so gab er einen dieser Zähne seinem Grafen, wie er ja ohnedem wohl schuldig war, mit Anzeigung von dessen Heimlichkeit, davon der Herr nichts wußte. Von diesem Tage an erzeigte sich der Graf dem Doktor gnädiger als allen seinen Edelleuten oder Räten, und hielt ihn recht als seinen lieben Freund, ließ ihm auch gern und sonder Neid das Lot zu eigen, darin der andere Zahn war, doch unter dem Gelöbnis, sich dessen ohne Not nicht zu bedienen, auch ihn vor seinem Ableben entweder ihm, dem Grafen, erblich zu verlassen oder auf alle Weise der Welt zu entrücken, wo nicht ihn gänzlich zu vertilgen. Der edle Graf starb aber um zwei Jahre eher als der Veylland und hinterließ das Kleinod seinen Söhnen nicht; man glaubt, aus[124] Gottesfurcht und weiser Vorsicht hab' er es mit in das Grab genommen oder sonst verborgen.

Wie nun der Doktor auch am Sterben lag, so rief er seinen treuen Diener Kurt zu ihm ans Bett und sagte: »Lieber Kurt! es gehet diese Nacht mit mir zu Ende, so will ich dir noch deine guten Dienste danken und etliche Dinge befehlen. Dort bei den Büchern in dem Fach zu unterst in der Ecke ist ein Beutel mit hundert Imperialen27, den nimm sogleich zu dir! Du wirst auf Lebenszeit genug daran haben. Zum zweiten, das alte geschriebene Buch in dem Kästlein daselbst verbrenne jetzt vor meinen Augen hier in dem Kamin! Zum dritten findest du ein Bleilot dort, das nimm, verbirg's bei deinen Sachen, und wenn du aus dem Hause gehst in deine Heimat gen Blaubeuren, laß es dein erstes sein, daß du es in den Blautopf wirfst!« – Hiermit war er darauf bedacht, daß es ohne Gottes besondere Fügung in ewigen Zeiten nicht in irgend eines Menschen Hände komme. Denn damals hatte sich die Lau noch nie im Blautopf blicken lassen, und hielt man selben überdies für unergründlich.

Nachdem der gute Diener jenes alles teils auf der Stelle ausgerichtet, teils versprochen, nahm er mit Tränen Abschied von dem Doktor, welcher vor Tage noch das Zeitliche gesegnete.

Als nachher die Gerichtspersonen kamen und allen kleinen Quark aussuchten und versiegelten, da hatte Kurt das Bleilot zwar beiseit gebracht, den[125] Beutel aber nicht versteckt (denn er war keiner von den Schlauesten) und mußte ihn da lassen, bekam auch nach der Hand nicht einen Deut davon zu sehen, kaum daß die schnöden Erben ihm den Jahreslohn auszahlten.

Solch Unglück ahnete ihm schon, als er, auch ohnedem betrübt genug, mit seinem Bündelein in seiner Vaterstadt einzog. Jetzt dachte er an nichts, als seines Herrn Befehl vor allen Dingen zu vollziehen. Weil er seit dreiundzwanzig Jahren nimmer hier gewesen, so kannte er die Leute nicht, die ihm begegneten, und da er gleichwohl einem und dem andern Gutenabend sagte, gab's ihm niemand zurück. Die Leute schauten sich, wenn er vorüberkam, verwundert an den Häusern um, wer doch da gegrüßt haben möchte; denn keines erblickte den Mann. Dies kam, weil ihm das Lot in seinem Bündel auf der linken Seite hing; ein andermal, wenn er es rechts trug, war er von allen gesehen. Er aber sprach für sich: »Zu meiner Zeit sind dia Blaubeuramar so grob ett gwä!«

Beim Blautopf fand er seinen Vetter, den Seilermeister, mit dem Jungen am Geschäft, indem er längs der Klostermauer, rückwärts gehend, Werg aus seiner Schürze spann, und weiterhin der Knabe trillte die Schnur mit dem Rad. – »Gott grüaß di, Vetter Seiler!« rief der Kurt und klopft' ihm auf die Achsel. Der Meister guckt sich um, verblaßt, läßt seine Arbeit aus den Händen fallen und lauft, was[126] seine Beine mögen. Da lachte der andere, sprechend: »Der denkt, mei' Seel, i wandele geistweis! D'Leut hant g'wiß mi für tot hia g'sait, anstatt mein' Herra – ei so schlag!«

Jetzt ging er zu dem Teich, knüpfte sein Bündel auf und zog das Lot heraus. Da fiel ihm ein, er möchte doch auch wissen, ob es wahr sei, daß der Gumpen keinen Grund noch Boden habe (er wär' gern auch ein wenig so ein Spiriguckes28 wie sein Herr gewesen), und weil er vorhin in des Seilers Korb drei große, starke Schnürbund hatte liegen sehen, so holte er dieselben her und band das Lot an einen. Es lagen just auch frischgebohrte Teichel, eine schwere Menge, in dem Wasser bis gegen die Mitte des Topfs, darauf er sicher Posto fassen konnte, und also ließ er das Gewicht hinunter, indem er immer ein Stück Schnur an seinem ausgestreckten Arm abmaß, drei solcher Längen auf ein Klafter rechnete und laut abzählte: »1 Klafter, 2 Klafter, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9, 10« – da ging der erste Schnurbund aus und mußte er den zweiten an das Ende knüpfen, maß wiederum ab und zählte bis auf 20. Da war der andere Schnurbund gar. – »Heidaguguk, ist dees a Tiafe!« – und band den dritten an das Trumm, fuhr fort zu zählen: »21, 22, 23, 24 – Höllelement, mei' Arm will nimme! – 25, 26, 27, 28, 29, 30 – Jetzet guat Nacht, 's Meß hot a End! Do heißt's halt, mir nex29, dir nex, rappede kappede, so isch usganga!«[127] – Er schlang die Schnur, bevor er aufzog, um das Holz, darauf er stand, ein wenig zu verschnaufen, und urteilte bei sich: Der Topf ist währle bodalaus30.

Indem der Spinnerinnen eine diesen Schwank erzählte, tat die Wirtin einen schlauen Blick zur Lau hinüber, welche lächelte; denn freilich wußte sie am besten, wie es gegangen war mit dieser Messerei; doch sagten beide nichts. Dem Leser aber soll es unverhalten sein.

Die schöne Lau lag jenen Nachmittag auf dem Sand in der Tiefe, und, ihr zu Füßen, eine Kammerjungfer, Aleila, welche ihr die liebste war, beschnitt ihr in guter Ruh die Zehen mit einer goldenen Schere, wie von Zeit zu Zeit geschah.

Da kam hernieder langsam aus der klaren Höh' ein schwarzes Ding, als wie ein Kegel, des sich im Anfang beide sehr verwunderten, bis sie erkannten, was es sei. Wie nun das Lot mit neunzig Schuh den Boden berührte, da ergriff die scherzlustige Zofe die Schnur und zog gemach mit beiden Händen, zog und zog so lang', bis sie nicht mehr nachgab. Alsdann nahm sie geschwind die Schere und schnitt das Lot hinweg, erlangte einen dicken Zwiebel (der war erst gestern in den Topf gefallen und war fast eines Kinderkopfes groß) und band ihn bei dem grünen Schossen an die Schnur, damit der Mann erstaune, ein ander Lot zu finden, als das er ausgeworfen. Derweile aber hatte die schöne Lau den[128] Krackenzahn im Blei mit Freuden und Verwunderung entdeckt. Sie wußte seine Kraft gar wohl, und ob zwar für sich selbst die Wasserweiber oder -Männer nicht viel danach fragen, so gönnen sie den Menschen doch so großen Vorteil nicht, zumalen sie das Meer und was sich darin findet von Anbeginn als ihren Pacht und Lehn ansprechen. Deswegen denn die schöne Lau mit dieser ungefähren Beute sich dereinst, wenn sie zu Hause käme, beim alten Nix, ihrem Gemahl, Lobs zu erholen hoffte. Doch wollte sie den Mann, der oben stund, nicht lassen ohn' Entgelt, nahm also alles, was sie eben auf dem Leibe hatte, nämlich die schöne Perlenschnur an ihrem Hals, schlang selbe um den großen Zwiebel, gerade als er sich nunmehr erhob; und daran war es nicht genug: sie hing zuteuerst31 auch die goldene Schere noch daran und sah mit hellem Aug', wie das Gewicht hinaufgezogen ward. Die Zofe aber, neubegierig, wie sich das Menschenkind dabei gebärde, stieg hinten dem Lot in die Höhe und weidete sich zwo Spannen unterhalb dem Spiegel an des Alten Schreck und Verwirrung. Zuletzt fuhr sie mit ihren beiden aufgehobenen Händen ein maler viere in der Luft herum, die weißen Finger als zu einem Fächer oder Wadel ausgespreizt. Es waren aber schon zuvor auf des Vetters Seilers Geschrei viel Leute aus der Stadt herausgekommen, die standen um den Blautopf her und sahn dem Abenteuer zu, bis wo die grausigen Hände erschienen;[129] da stob mit eins die Menge voneinander und entrann.

Der alte Diener aber war von Stund an irrsch32 im Kopf ganzer sieben Tage, und sah der Lau ihre Geschenke gar nicht an, sondern saß da bei seinem Vetter hinterm Ofen und sprach des Tags wohl hundertmal ein altes Sprüchlein vor sich hin, von welchem kein Gelehrter in ganz Schwabenland Bescheid zu geben weiß, woher und wie oder wann erstmals es unter die Leute gekommen. Denn von ihm selber hatte es der Alte nicht; man gab es lang' vor seiner Zeit, gleichwie noch heutiges Tags, den Kindern scherzweis auf, wer es ganz hurtig nacheinander ohne Tadel am öftesten hersagen könne; und lauten die Worte:

's leit a Klötzle Blei glei bei Blaubeura,
glei bei Blaubeura leit a Klötzle Blei.

Die Wirtin nannt' es einen rechten Leirenbendel33 und sagte: »Wer hätte auch den mindesten Verstand da drin gesucht, geschweige eine Prophezeihung!«

Als endlich der Kurt mit dem siebenten Morgen seine gute Besinnung wiederfand und ihm der Vetter die kostbaren Sachen darwies, so sein rechtliches Eigentum wären, da schmunzelte er doch, tat sie in sichern Verschluß und ging mit des Seilers zu Rat, was damit anzufangen. Sie achteten alle fürs beste, er reiste mit Perlen und Schere gen Stuttgart, wo eben Graf Ludwig sein Hoflager hatte, und biete sie demselben an zum Kauf. So tat er denn. Der[130] hohe Herr war auch nicht karg und gleich bereit, so seltene Zier nach Schätzung eines Meisters für seine Frau zu nehmen; nur als er von dem Alten hörte, wie er dazu gekommen, fuhr er auf und drehte sich voll Ärger auf dem Absatz um, daß ihm der Wunderzahn verloren sei. Ihm war vordem etwas von diesem kund geworden, und hatte er dem Doktor, bald nach Herrn Konrads Hintritt, seines Vaters, sehr darum angelegen, doch umsonst.

Dies war nun die Geschichte, davon die Spinnerinnen damals plauderten. Doch ihnen war das Beste daran unbekannt. Eine Gevatterin, so auch mit ihrer Kunkel unter ihnen saß, hätte noch gar gern gehört, ob wohl die schöne Lau das Lot noch habe, und was sie damit tue, und red'te so von weitem darauf hin; da gab Frau Betha ihr nach ihrer Weise einen kleinen Stich und sprach zur Lau: »Ja, gelt, jetzt macht Ihr Euch bisweilen unsichtbar, geht herum in den Häusern und guckt den Weibern in die Töpfe, was sie zu Mittag kochen? Eine schöne Sach' um so ein Lot für fürwitzige Leute!«

Inmittelst fing der Dirnen eine an, halblaut das närrische Gesetzlein34 herzusagen; die andern taten ein gleiches, und jede wollt' es besser können, und keine brachte es zum dritten oder viertenmal glatt aus dem Mund; dadurch gab es viel Lachen. Zum letzten mußte es die schöne Lau probieren: die Jutta ließ ihr keine Ruh. Sie wurde rot bis an die[131] Schläfe, doch hub sie an und klüglicherweise gar langsam:

's leit a Klötzle Blei glei bei Blaubeura.

Die Wirtin rief ihr zu, so sei es keine Kunst; es müsse gehen wie geschmiert! Da nahm sie ihren Anlauf frisch hinweg, kam auch alsbald vom Pfad ins Stoppelfeld, fuhr buntüberecks35 und wußte nimmer gicks noch gacks. Jetzt, wie man denken kann, gab es Gelächter einer Stuben voll, das hättet ihr nur hören sollen, und mitten draus hervor der schönen Lau ihr Lachen, so hell wie ihre Zähne, die man alle sah!

Doch unversehens, mitten in dieser Fröhlichkeit und Lust, begab sich ein mächtiges Schrecken.

Der Sohn vom Haus, der Wirt, – er kam gerade mit dem Wagen heim von Sonderbuch und fand die Knechte verschlafen im Stall – sprang hastig die Stiege herauf, rief seine Mutter vor die Tür und sagte, daß es alle hören konnten: »Um Gottes willen, schickt die Lau nach Haus! Hört Ihr denn nicht im Städtlein den Lärm? Der Blautopf leert sich aus, die untere Gasse ist schon unter Wasser, und in dem Berg am Gumpen ist ein Getös und Rollen, als wenn die Sintflut käme!« – Indem er noch so sprach, tat innen die Lau einen Schrei: »Das ist der König, mein Gemahl, und ich bin nicht daheim!« – Hiermit fiel sie von ihrem Stuhl sinnlos zu Boden, daß die Stube zitterte. Der Sohn war wieder fort, die Spinnerinnen liefen jammernd[132] heim mit ihren Rocken, die andern wußten aber nicht, was anzufangen mit der armen Lau, welche wie tot da lag. Eins machte ihr die Kleider auf, ein anderes strich sie an, das dritte riß die Fenster auf, und schafften doch alle miteinander nichts.

Da streckte unverhofft der lustige Koch den Kopf zur Tür herein, sprechend: »Ich hab' mir's eingebildet, sie wär' bei euch! Doch, wie ich sehe, geht's nicht allzu lustig her. Macht, daß die Ente in das Wasser kommt, so wird sie schwimmen!« – »Du hast gut reden!« sprach die Mutter mit Beben. »Hat man sie auch im Keller und im Brunnen, kann sie sich unten nicht den Hals abstürzen im Geklüft?« – »Was Keller!« rief der Sohn, »was Brunnen! Das geht ja freilich nicht. Laßt mich nur machen! Not kennt kein Gebot: ich trag' sie in den Blautopf.« – Und damit nahm er, als ein starker Kerl, die Wasserfrau auf seine Arme. »Komm, Jutta – nicht heulen! – geh mir voran mit der Latern'!« – »In Gottes Namen!« sagte die Wirtin. »Doch nehmt den Weg hinten herum durch die Gärten! Es wimmelt die Straße mit Leuten und Lichtern.« – »Der Fisch hat sein Gewicht,« sprach er im Gehn, schritt aber festen Tritts die Stiege hinunter, dann über den Hof und links und rechts, zwischen Hecken und Zäunen hindurch.

Am Gumpen fanden sie das Wasser schon merklich gefallen, gewahrten aber nicht, wie die drei Zofen, mit den Köpfen dicht unter dem Spiegel,[133] ängstlich hin und wieder schwammen, nach ihrer Frau ausschauend. Das Mädchen stellte die Laterne hin, der Koch entledigte sich seiner Last, indem er sie behutsam mit dem Rücken an den Kürbishügel lehnte. Da raunte ihm sein eigener Schalk ins Ohr: Wenn du sie küßtest, freute dich's dein Leben lang, und könntest du doch sagen, du habest einmal eine Wasserfrau geküßt. – Und eh' er es recht dachte, war's geschehen. Da löschte ein Schuck Wasser aus dem Topf das Licht urplötzlich aus, daß es stichdunkel war umher, und tat es dann nicht anders, als wenn ein ganz halb Dutzend nasser Hände auf ein paar kernige Backen fiel, und wo es sonst hintraf. Die Schwester rief: »Was gibt es denn?« – »Maulschellen heißt man's hier herum!« sprach er. »Ich hätte nicht gedacht, daß sie am Schwarzen Meer sottige36 Ding' auch kenneten!« – Dies sagend stahl er sich eilends davon, doch weil es vom Widerhall drüben am Kloster auf Mauern und Dächern und Wänden mit Maulschellen brazzelte, stund er bestürzt, wußte nicht recht wohin, denn er glaubte den Feind vorn und hinten. (Solch einer Witzung37 brauchte es, damit er sich des Mundes nicht berühme, den er geküßt, unwissend zwar, daß er es müssen tun der schönen Lau zum Heil.)

Inwährend diesem argen Lärm nun hörte man die Fürstin in ihrem Ohnmachtschlaf so innig lachen, wie sie damals im Traum getan, wo sie den Abt sah springen. Der Koch vernahm es noch von weitem,[134] und ob er's schon auf sich zog und mit Grund, erkannte er doch gern daraus, daß es nicht weiter Not mehr habe mit der Frau.

Bald kam mit guter Zeitung auch die Jutte heim, die Kleider, den Rock und das Leibchen im Arm, welche die schöne Lau zum letztenmal heut am Leibe gehabt. Von ihren Kammerjungfern, die sie am Topf in Beisein des Mädchens empfingen, erfuhr sie gleich zu ihrem großen Trost, der König sei noch nicht gekommen, doch mög' es nicht mehr lang' anstehn; die große Wasserstraße sei schon angefüllt. Dies nämlich war ein breiter, hoher Felsenweg, tief unterhalb den menschlichen Wohnstätten, schön grad und eben mitten durch den Berg gezogen, zwo Meilen lang von da bis an die Donau, wo des alten Nixen Schwester ihren Fürstensitz hatte. Derselben waren viele Flüsse, Bäche, Quellen dieses Gaues dienstbar; die schwellten, wenn das Aufgebot an sie erging, besagte Straße in gar kurzer Zeit so hoch mit ihren Wassern, daß sie mit allem Seegetier, Meerrossen und Wagen füglich befahren werden mochte, welches bei festlicher Gelegenheit zuweilen als ein schönes Schaugepräng mit vielen Fackeln und Musik von Hörnern und Pauken geschah.

Die Zofen eilten jetzo sehr mit ihrer Herrin in das Putzgemach, um sie zu salben, zöpfen und köstlich anzuziehen, das sie auch gern zuließ und selbst mithalf; denn sie in ihrem Innern fühlte, es sei[135] nun jegliches erfüllt zusamt dem Fünften, so der alte Nix und sie nicht wissen durfte.

Drei Stunden wohl, nachdem der Wächter Mitternacht gerufen (es schlief im Nonnenhof schon alles), erscholl die Kellerglocke zweimal mächtig, zum Zeichen, daß es Eile habe, und hurtig waren auch die Frauen und die Töchter auf dem Platz.

Die Lau begrüßte sie wie sonst vom Brunnen aus, nur war ihr Gesicht von der Freude verschönt, und ihre Augen glänzten, wie man es nie an ihr gesehen. Sie sprach: »Wißt, daß mein Ehgemahl um Mitternacht gekommen ist! Die Schwieger hat es ihm voraus verkündigt ohnelängst, daß sich in dieser Nacht mein gutes Glück vollenden soll, darauf er ohne Säumen auszog mit Geleit der Fürsten, seinem Ohm und meinem Bruder Synd und vielen Herren. Am Morgen reisen wir. Der König ist mir hold und gnädig, als hieß' ich von heute an erst sein Gespons. Sie werden gleich vom Mahl aufstehn, sobald sie den Umtrunk gehalten. Ich schlich auf meine Kammer und hierher, noch meine Gastfreunde zu grüßen und zu herzen. Ich sage Dank, Frau Ahne, liebe Jutta, Euch Söhnerin und Jüngste dir. Grüßet die Männer und die Mägde! In jedem dritten Jahr wird euch Botschaft von mir; auch mag es wohl geschehn, daß ich noch bälder komme selber: da bring' ich mit auf diesen meinen Armen ein lebend Merkmal, daß die Lau bei euch gelacht. Das wollen euch die Meinen allezeit gedenken, wie[136] ich selbst. Für jetzo, wisset, liebe Wirtin! ist mein Sinn, einen Segen zu stiften in dieses Haus für viele seiner Gäste. Oft habe ich vernommen, wie Ihr den armen wandernden Gesellen Gut's getan mit freier Zehrung und Herberg'. Damit Ihr solchen fortan mögt noch eine weitere Handreichung tun, so werdet Ihr zu diesem Ende finden beim Brunnen hier einen steinernen Krug voll guter Silbergroschen: davon teilt ihnen nach Gutdünken mit! und will ich das Gefäß, bevor der letzte Pfennig ausgegeben, wieder füllen. Zudem will ich noch stiften auf alle hundert Jahr fünf Glückstage (denn dies ist meine holde Zahl) mit unterschiedlichen Geschenken also, daß wer von reisenden Gesellen der erste über Eure Schwelle tritt am Tag, der mir das erste Lachen brachte, der soll empfangen aus Eurer oder Eurer Kinder Hand von fünferlei Stücken das Haupt. Ein jeder, so den Preis gewinnt, gelobe, nicht Ort noch Zeit dieser Bescherung zu verraten. Ihr findet aber solche Gaben jedesmal hier nächst dem Brunnen. Die Stiftung, wisset! mache ich für alle Zeit, solang' ein Glied von Eurem Stamme auf der Wirtschaft ist.«

Nach diesen Worten nahm sie nochmals Abschied und küßte ein jedes. Die beiden Frauen und die Mädchen weinten sehr. Sie steckte Jutten einen Fingerreif mit grünem Schmelzwerk an und sprach dabei: »Ade, Jutta! Wir haben zusammen besondere Holdschaft38 gehabt, die müsse fernerhin[137] bestehen!« – Nun tauchte sie hinunter, winkte und verschwand.

In einer Nische hinter dem Brunnen fand sich richtig der Krug samt den verheißenen Angebinden. Es war in der Mauer ein Loch mit eisernem Türlein versehen, von dem man nie gewußt, wohin es führe; das stand jetzt aufgeschlagen, und war daraus ersichtlich, daß die Sachen durch dienstbare Hand auf diesem Weg seien hergebracht worden, deshalb auch alles wohl trocken verblieb. Es lag dabei ein Würfelbecher aus Drachenhaut, mit goldenen Buckeln beschlagen, ein Dolch mit kostbar eingelegtem Griff, ein elfenbeinen Weberschifflein, ein schönes Tuch von fremder Weberei und mehr dergleichen. Aparte aber lag ein Kochlöffel aus Rosenholz mit langem Stiel, von oben herab fein gemalt und vergoldet, den war die Wirtin angewiesen, dem lustigen Koch zum Andenken zu geben. Auch keins der andern war vergessen.

Frau Betha hielt bis an ihr Lebensende die Ordnung der guten Lau heilig, und ihre Nachkommen nicht minder. Daß jene sich nachmals mit ihrem Kind im Nonnenhof zum Besuch eingefunden, davon zwar steht nichts in dem alten Buch, das diese Geschichten berichtet, doch mag ich es wohl glauben.


[138]

Worterklärungen Mörikes zur Historie von der schönen Lau.

2 Der Blautopf. Die dunkle, vollkommen blaue Farbe der Quelle, ihre verborgene Tiefe und die wilde Natur der ganzen Umgebung verleihen ihr ein feierliches, geheimnisvolles Ansehn. Kein Wunder, wenn sie in alten Zeiten als heilig betrachtet wurde und wenn das Volk noch jetzt mit abenteuerlichen Vorstellungen davon sich trägt.

3 Lau, von La, Wasser, welches in lo, lau, b'lau überging.

4 Gumpen (der), gewöhnlich nur eine vertiefte Stelle auf dem Grunde des Wassers, hier das Ganze einer größern Wassersammlung mit bedeutender kesselartiger Vertiefung.

5 mäßig erwärmt (auch in moralischer Bedeutung: stillen Charakters).

6 begangene Pfade.

7 Kaninchen.

8 Schachspiel.

9 voriges Jahr.

10 Kohl.

11 Hausflur.

12 Habergeis, von heben, wegen der hüpfenden, hoppelnden Bewegung des Kreises.

13 Bauren-Schwaiger, von geschweigen, stillen. – Das Selige. Selig, berauscht, ist nicht gleichbedeutend mit glückselig, obwohl darauf hinspielend, sondern gleichen Stamms mit Sal, Rausch, niedersächsisch; soûl, betrunken, französisch.

14 Schwiegertochter.

15 Susanne Preisnestel. Scherzhafte Bezeichnung aufgeputzter Mädchen. Preis heißt der Saum am Hemd; prisen, einfassen; mit einer Kette, gewöhnlich von Silber, einschnüren, um den bei der vormaligen oberschwäbischen Frauentracht üblichen Brustvorstecker zu befestigen; der hierzu gebrauchte seidene oder wollene Bündel hieß Preisnestel.

16 Aschenbrödel, sonst im Schwäbischen auch Aschengrittel und Aeschengrusel genannt.

17 begegnen.

18 sehr, gut, besser.

19 unwirsch, ungehalten.

20 der Blick, Durnblick, Wetterblick, Blitz. – Rusenschloß oder Hohen-Gerhausen, vormals eine gewaltige Bergfeste, jetzt äußerst malerische Ruine über dem Dorfe Gerhausen gelegen, in der Nähe vom Ruck, einer[139] minder bedeutenden Burg.

21 1. die zu mähende Wiese, 2. das Gemähte.

22 Gärung, aufbrausender Zorn.

23 ein Mensch, der seltsame Einfälle hat.

24 Lichtkarz, Karz, entweder von garten, müßig sein, umherschwärmen, z'Garten gehen, Besuch machen oder, wahrscheinlicher, von Kerze, Versammlung von Spinnerinnen, auch Vorsitz genannt.

25 spitzfindig; »mit spitzwysen Worten« (Ulmer Urk.)

26 Es ist das der Stiftskirche westlich gegenüberstehende Mäntlersche Haus (jetzt städtisches Gebäude) gemeint, das gegenwärtig noch »zum Schlößlein« heißt. – In natürlicher Kunst. Natürlich, naturkundig.

27 Imperial, war ehemals eine Goldmünze; der Name ist nur noch in Rußland üblich.

28 Spiriguckes, ein wunderwitziger, neugieriger, auf Kuriositäten erpichter Mensch von sonderbarem Wesen.

29 Mir nexusganga, sagt man am Schlusse der Erzählung einer Sache, die auf nichts hinausläuft.

30 bodenlos.

31 sogar.

32 nicht recht bei sich.

33 langweiliges Einerlei; zunächst der schwäbische Volksname für einen Vogel, Wendehals.

34 Sprüchlein, Strophe eines Lieds.

35 verkehrt, durcheinander.

36 solche.

37 Warnung.

38 Liebschaft, zärtliche Freundschaft.

Dekoration

[140]

Mozart auf der Reise nach Prag.

Im Herbst des Jahres 1787 unternahm Mozart in Begleitung seiner Frau eine Reise nach Prag, um Don Juan daselbst zur Aufführung zu bringen.

Am dritten Reisetag, den vierzehnten September, gegen elf Uhr morgens fuhr das wohlgelaunte Ehepaar, noch nicht viel über dreißig Stunden Wegs von Wien entfernt, in nordwestlicher Richtung jenseits vom Mannhardsberg und der deutschen Thaya bei Schrems, wo man das schöne Mährische Gebirg bald vollends überstiegen hat.

»Das mit drei Postpferden bespannte Fuhrwerk,« schreibt die Baronesse von T. an ihre Freundin, »eine stattliche gelbrote Kutsche, war Eigentum einer gewissen alten Frau Generalin Volkstett, die sich auf ihren Umgang mit dem Mozartischen Hause und ihre ihm erwiesenen Gefälligkeiten von jeher scheint etwas zugut getan zu haben.« – Die ungenaue Beschreibung des fraglichen Gefährts wird sich ein Kenner des Geschmacks der achtziger Jahre noch etwa durch einige Züge ergänzen. Der gelbrote[141] Wagen ist hüben und drüben am Schlage mit Blumenbuketts, in ihren natürlichen Farben gemalt, die Ränder mit schmalen Goldleisten verziert, der Anstrich aber noch keineswegs von jenem spiegelglatten Lack der heutigen Wiener Werkstätten glänzend, der Kasten auch nicht völlig ausgebaucht, obwohl nach unten zu kokett mit einer kühnen Schweifung eingezogen; dazu kommt ein hohes Gedeck mit starrenden Ledervorhängen, die gegenwärtig zurückgestreift sind.

Von dem Kostüm der beiden Passagiere sei überdies soviel bemerkt! Mit Schonung für die neuen im Koffer eingepackten Staatsgewänder war der Anzug des Gemahls bescheidentlich von Frau Konstanzen ausgewählt: zu der gestickten Weste von etwas verschossenem Blau sein gewohnter brauner Überrock mit einer Reihe großer und dergestalt fassonierter Knöpfe, daß eine Lage rötliches Rauschgold durch ihr sternartiges Gewebe schimmerte, schwarzseidene Beinkleider, Strümpfe und auf den Schuhen vergoldete Schnallen. Seit einer halben Stunde hat er wegen der für diesen Monat außerordentlichen Hitze sich des Rocks entledigt und sitzt, vergnüglich plaudernd, barhaupt, in Hemdärmeln da. Madame Mozart trägt ein bequemes Reisehabit, hellgrün und weiß gestreift; halb aufgebunden fällt der Überfluß ihrer schönen, lichtbraunen Locken auf Schulter und Nacken herunter; sie waren Zeit ihres Lebens noch niemals von Puder entstellt, während[142] der starke in einen Zopf gefaßte Haarwuchs ihres Gemahls für heute nur nachlässiger als gewöhnlich damit versehen ist.

Man war eine sanft ansteigende Höhe zwischen fruchtbaren Feldern, welche hie und da die ausgedehnte Waldung unterbrachen, gemachsam hinauf und jetzt am Waldsaum angekommen.

»Durch wie viel Wälder,« sagte Mozart, »sind wir nicht heute, gestern und ehegestern schon passiert! Ich dachte nichts dabei, geschweige daß mir eingefallen wäre, den Fuß hineinzusetzen. Wir steigen einmal aus da, Herzenskind, und holen von den blauen Glocken, die dort so hübsch im Schatten stehen! Deine Tiere, Schwager, mögen ein bißchen verschnaufen!«

Indem sie sich beide erhoben, kam ein kleines Unheil an den Tag, welches dem Meister einen Zank zuzog. Durch seine Achtlosigkeit war ein Flakon mit kostbarem Riechwasser aufgegangen und hatte seinen Inhalt unvermerkt in die Kleider und Polster ergossen. »Ich hätt' es denken können!« klagte sie; »es duftete schon lang' so stark. O weh, ein volles Fläschchen echte Rosée d'Aurore rein ausgeleert! Ich sparte sie wie Gold.« – »Ei, Närrchen,« gab er ihr zum Trost zurück, »begreife doch! auf solche Weise ganz allein war uns dein Götter-Riechschnaps etwas nütze. Erst saß man in einem Backofen, und all dein Gefächel half nichts, bald aber schien der ganze Wagen gleichsam ausgekühlt; du schriebst es[143] den paar Tropfen zu, die ich mir auf den Jabot goß; wir waren neu belebt, und das Gespräch floß munter fort, statt daß wir sonst die Köpfe hätten hängen lassen, wie die Hämmel auf des Fleischers Karren, und diese Wohltat wird uns auf dem ganzen Weg begleiten. Jetzt aber laß uns doch einmal zwei Wienerische Ros'n recht expreß hier in die grüne Wildnis stecken!«

Sie stiegen Arm in Arm über den Graben an der Straße und sofort tiefer in die Tannendunkelheit hinein, die, sehr bald bis zur Finsternis verdichtet, nur hin und wieder von einem Streifen Sonne auf sammetnem Moosboden grell durchbrochen ward. Die erquickliche Frische, im plötzlichen Wechsel gegen die außerhalb herrschende Glut, hätte dem sorglosen Mann ohne die Vorsicht der Begleiterin gefährlich werden können. Mit Mühe drang sie ihm das in Bereitschaft gehaltene Kleidungsstück auf. »Gott, welche Herrlichkeit!« rief er, an den hohen Stämmen hinaufblickend, aus. »Man ist als wie in einer Kirche. Mir deucht, ich war niemals in einem Wald, und besinne mich jetzt erst, was es doch heißt: ein ganzes Volk von Bäumen beieinander! Keine Menschenhand hat sie gepflanzt, sind alle selbst gekommen und stehen so, nur eben weil es lustig ist beisammen wohnen und wirtschaften. Siehst du, mit jungen Jahren fuhr ich doch in halb Europa hin und her, habe die Alpen gesehn und das Meer, das Größeste und Schönste,[144] was erschaffen ist: jetzt steht von ungefähr der Gimpel in einem ordinären Tannenwald an der böhmischen Grenze verwundert und verzückt, daß solches Wesen irgend existiert, nicht etwa nur so una finzione di poeti ist, wie ihre Nymphen, Faune und dergleichen mehr, auch kein Komödienwald, nein, aus dem Erdboden herausgewachsen, von Feuchtigkeit und Wärmelicht der Sonne großgezogen. Hier ist zu Haus der Hirsch mit seinem wundersamen zackigen Gestäude auf der Stirn, das possierliche Eichhorn, der Auerhahn, der Häher.« – Er bückte sich, brach einen Pilz und pries die prächtige hochrote Farbe des Schirms, die zarten weißlichen Lamellen an dessen unterer Seite, auch steckte er verschiedene Tannenzapfen ein.

»Man könnte denken,« sagte die Frau, »du habest noch nicht zwanzig Schritte hinein in den Prater gesehen, der solche Raritäten doch auch wohl aufzuweisen hat.«

»Was Prater! Sapperlot, wie du nur das Wort hier nennen magst! Vor lauter Karossen, Staatsdegen, Roben und Fächern, Musik und allem Spektakel der Welt, wer sieht denn da noch sonst etwas? Und selbst die Bäume dort, so breit sie sich auch machen, ich weiß nicht – Bucheckern und Eicheln, am Boden verstreut, sehn halter aus als wie Geschwisterkind mit der Unzahl verbrauchter Korkstöpsel darunter. Zwei Stunden weit riecht das Gehölz nach Kellnern und nach Saucen.«

[145]

»O unerhört!« rief sie, »so redet nun der Mann, dem gar nichts über das Vergnügen geht, Backhähnl im Prater zu speisen!«

Als beide wieder in dem Wagen saßen und sich die Straße jetzt nach einer kurzen Strecke ebenen Wegs allmählich abwärts senkte, wo eine lachende Gegend sich bis an die entfernteren Berge verlor, fing unser Meister, nachdem er eine Zeitlang still gewesen, wieder an: »Die Erde ist wahrhaftig schön und keinem zu verdenken, wenn er so lang' wie möglich darauf bleiben will. Gott sei's gedankt! ich fühle mich so frisch und wohl wie je und wäre bald zu tausend Dingen aufgelegt, die denn auch alle nacheinander an die Reihe kommen sollen, wie nur mein neues Werk vollendet und aufgeführt sein wird. Wie viel ist draußen in der Welt und wie viel daheim, Merkwürdiges und Schönes, das ich noch gar nicht kenne, an Wunderwerken der Natur, an Wissenschaften, Künsten und nützlichen Gewerben! Der schwarze Köhlerbube dort bei seinem Meiler weiß dir von manchen Sachen auf ein Haar so viel Bescheid wie ich, da doch ein Sinn und ein Verlangen in mir wäre, auch einen Blick in dies und jenes zu tun, das eben nicht zu meinem nächsten Kram gehört.«

»Mir kam,« versetzte sie, »in diesen Tagen dein alter Sackkalender in die Hände von anno fünfundachtzig; da hast du hinten angemerkt drei bis vier Notabene. Zum ersten steht: Mitte Oktober[146] gießet man die großen Löwen in kaiserlicher Erzgießerei; fürs zweite, doppelt angestrichen: Professor Gattner zu besuchen! Wer ist der?«

»O recht, ich weiß: auf dem Observatorio der gute alte Herr, der mich von Zeit zu Zeit dahin einlädt. Ich wollte längst einmal den Mond und 's Mandl drin mit dir betrachten. Sie haben jetzt ein mächtig großes Fernrohr oben: da soll man auf der ungeheuren Scheibe hell und deutlich bis zum Greifen Gebirge, Täler, Klüfte sehen und von der Seite, wo die Sonne nicht hinfällt, den Schatten, den die Berge werfen. Schon seit zwei Jahren schlag' ich's an, den Gang zu tun, und komme nicht dazu, elender- und schändlicherweise!«

»Nun,« sagte sie, »der Mond entläuft uns nicht. Wir holen manches nach.«

Nach einer Pause fuhr er fort: »Und geht es nicht mit allem so? O pfui! ich darf nicht daran denken, was man verpaßt, verschiebt und hängen läßt – von Pflichten gegen Gott und Menschen nicht zu reden – ich sage, von purem Genuß, von den kleinen, unschuldigen Freuden, die einem jeden täglich vor den Füßen liegen.«

Madame Mozart konnte oder wollte von der Richtung, die sein leicht bewegliches Gefühl hier mehr und mehr nahm, auf keine Weise ablenken, und leider konnte sie ihm nur von ganzem Herzen recht geben, indem er mit steigendem Eifer fortfuhr: »Ward ich denn je nur meiner Kinder ein volles[147] Stündchen froh? Wie halb ist das bei mir und immer en passant! Die Buben einmal rittlings auf das Knie gesetzt, mich zwei Minuten mit ihnen durchs Zimmer gejagt: und damit basta, wieder abgeschüttelt! Es denkt mir nicht, daß wir uns auf dem Lande zusammen einen schönen Tag gemacht hätten, an Ostern oder Pfingsten, in einem Garten oder Wäldel, auf der Wiese, wir unter uns allein, bei Kinderscherz und Blumenspiel, um selber einmal wieder Kind zu werden. Allmittelst geht und rennt und saust das Leben hin – Herr Gott! bedenkt man's recht, es möcht' einem der Angstschweiß ausbrechen!«

Mit der soeben ausgesprochenen Selbstanklage war unerwartet ein sehr ernsthaftes Gespräch in aller Traulichkeit und Güte zwischen beiden eröffnet. Wir teilen dasselbe nicht ausführlich mit und werfen lieber einen allgemeinen Blick auf die Verhältnisse, die teils ausdrücklich und unmittelbar den Stoff, teils auch nur den bewußten Hintergrund der Unterredung ausmachten.

Hier drängt sich uns voraus die schmerzliche Betrachtung auf, daß dieser feurige, für jeden Reiz der Welt und für das Höchste, was dem ahnenden Gemüt erreichbar ist, unglaublich empfängliche Mensch, soviel er auch in seiner kurzen Spanne Zeit erlebt, genossen und aus sich hervorgebracht, ein stetiges und rein befriedigtes Gefühl seiner selbst doch lebenslang entbehrte.

[148]

Wer die Ursachen dieser Erscheinung nicht etwa tiefer suchen will, als sie vermutlich liegen, wird sie zunächst einfach in jenen, wie es scheint, unüberwindlich eingewohnten Schwächen finden, die wir so gern, und nicht ganz ohne Grund, mit alledem, was an Mozart der Gegenstand unserer Bewunderung ist, in eine Art notwendiger Verbindung bringen.

Des Mannes Bedürfnisse waren sehr vielfach, seine Neigung zumal für gesellige Freuden außerordentlich groß. Von den vornehmsten Häusern der Stadt als unvergleichliches Talent gewürdigt und gesucht, verschmähte er Einladungen zu Festen, Zirkeln und Partieen selten oder nie. Dabei tat er der eigenen Gastfreundschaft innerhalb seiner näheren Kreise gleichfalls genug. Einen längst hergebrachten musikalischen Abend am Sonntag bei ihm, ein ungezwungenes Mittagsmahl an seinem wohlbestellten Tisch mit ein paar Freunden und Bekannten, zwei-, dreimal in der Woche, das wollte er nicht missen. Bisweilen brachte er die Gäste, zum Schrecken der Frau, unangekündigt von der Straße weg ins Haus, Leute von sehr ungleichem Wert, Liebhaber, Kunstgenossen, Sänger und Poeten. Der müßige Schmarotzer, dessen ganzes Verdienst in einer immer aufgeweckten Laune, in Witz und Spaß, und zwar vom gröbern Korn, bestand, kam so gut wie der geistvolle Kenner und der treffliche Spieler erwünscht. Den größten Teil seiner Erholung indes pflegte[149] Mozart außer dem eigenen Hause zu suchen. Man konnte ihn nach Tisch einen Tag wie den andern am Billard im Kaffeehaus und so auch manchen Abend im Gasthof finden. Er fuhr und ritt sehr gern in Gesellschaft über Land, besuchte als ein ausgemachter Tänzer Bälle und Redouten und machte sich des Jahrs einige Male einen Hauptspaß an Volksfesten, vor allen am Brigitten-Kirchtag im Freien, wo er als Pierrot maskiert erschien.

Diese Vergnügungen, bald bunt und ausgelassen, bald einer ruhigeren Stimmung zusagend, waren bestimmt, dem lang gespannten Geist nach ungeheurem Kraftaufwand die nötige Rast zu gewähren; auch verfehlten sie nicht, demselben nebenher auf den geheimnisvollen Wegen, auf welchen das Genie sein Spiel bewußtlos treibt, die feinen flüchtigen Eindrücke mitzuteilen, wodurch es sich gelegentlich befruchtet. Doch leider kam in solchen Stunden, weil es dann immer galt, den glücklichen Moment bis auf die Neige auszuschöpfen, eine andere Rücksicht, es sei nun der Klugheit oder der Pflicht, der Selbsterhaltung wie der Häuslichkeit, nicht in Betracht. Genießend oder schaffend, kannte Mozart gleich wenig Maß und Ziel. Ein Teil der Nacht war stets der Komposition gewidmet. Morgens früh, oft lange noch im Bett, ward ausgearbeitet. Dann machte er, von zehn Uhr an, zu Fuß oder im Wagen abgeholt, die Runde seiner Lektionen, die in der Regel noch einige Nachmittagsstunden wegnahmen.[150] »Wir plagen uns wohl auch rechtschaffen,« so schreibt er selber einmal einem Gönner, »und es hält öfter schwer, nicht die Geduld zu verlieren. Da halst man sich als wohl akkreditierter Cembalist und Musiklehrmeister ein Dutzend Schüler auf und immer wieder einen neuen, unangesehn, was weiter an ihm ist, wenn er nur seinen Taler per marca bezahlt. Ein jeder ungrische Schnurrbart vom Geniekorps ist willkommen, den der Satan plagt, für nichts und wieder nichts Generalbaß und Kontrapunkt zu studieren, das übermütigste Komteßchen, das mich, wie Meister Coquerel, den Haarkräusler, mit einem roten Kopf empfängt, wenn ich einmal nicht auf den Glockenschlag bei ihr anklopfe« u. s. w. Und wenn er nun, durch diese und andere Berufsarbeiten, Akademieen, Proben und dergleichen abgemüdet, nach frischem Atem schmachtete, war den erschlafften Nerven häufig nur in neuer Aufregung eine scheinbare Stärkung vergönnt. Seine Gesundheit wurde heimlich angegriffen, ein je und je wiederkehrender Zustand von Schwermut wurde, wo nicht erzeugt, doch sicherlich genährt an eben diesem Punkt und so die Ahnung eines frühzeitigen Todes, die ihn zuletzt auf Schritt und Tritt begleitete, unvermeidlich erfüllt. Gram aller Art und Farbe, das Gefühl der Reue nicht ausgenommen, war er als eine herbe Würze jeder Lust auf seinen Teil gewöhnt. Doch wissen wir, auch diese Schmerzen rannen, abgeklärt und rein, in jenem tiefen Quell zusammen, der, aus[151] hundert goldenen Röhren springend, im Wechsel seiner Melodieen unerschöpflich, alle Qual und alle Seligkeit der Menschenbrust ausströmte.

Am offenbarsten zeigten sich die bösen Wirkungen der Lebensweise Mozarts in seiner häuslichen Verfassung. Der Vorwurf törichter, leichtsinniger Verschwendung lag sehr nahe; er mußte sich sogar an einen seiner schönsten Herzenszüge hängen. Kam einer, in dringender Not ihm eine Summe abzuborgen, sich seine Bürgschaft zu erbitten, so war meist schon darauf gerechnet, daß er sich nicht erst lang' nach Pfand und Sicherheit erkundigte; dergleichen hätte ihm auch in der Tat so wenig als einem Kinde angestanden. Am liebsten schenkte er gleich hin und immer mit lachender Großmut, besonders wenn er meinte, gerade Überfluß zu haben.

Die Mittel, die ein solcher Aufwand neben dem ordentlichen Hausbedarf erheischte, standen allerdings in keinem Verhältnis mit den Einkünften. Was von Theatern und Konzerten, von Verlegern und Schülern einging, zusamt der kaiserlichen Pension, genügte um so weniger, da der Geschmack des Publikums noch weit davon entfernt war, sich entschieden für Mozarts Musik zu erklären. Die lauterste Schönheit, Fülle und Tiefe befremdete gemeinhin gegenüber der bisher beliebten leicht faßlichen Kost. Zwar hatten sich die Wiener an Belmonte und Konstanze – dank den populären Elementen dieses Stücks – seinerzeit kaum ersättigen können, hingegen[152] tat einige Jahre später Figaro, und sicher nicht allein durch die Intrigen des Direktors, im Wettstreit mit der lieblichen, doch weit geringeren Cosa rara einen unerwarteten kläglichen Fall: derselbe Figaro, den gleich darauf die gebildeten oder unbefangenen Prager mit solchem Enthusiasmus aufnahmen, daß der Meister in dankbarer Rührung darüber seine nächste große Oper eigens für sie zu schreiben beschloß. Trotz der Ungunst der Zeit und dem Einfluß der Feinde hätte Mozart mit etwas mehr Umsicht und Klugheit noch immer einen sehr ansehnlichen Gewinn von seiner Kunst gezogen: so aber kam er selbst bei jenen Unternehmungen zu kurz, wo auch der große Haufen ihm Beifall zujauchzen mußte. Genug, es wirkte eben alles, Schicksal und Naturell und eigene Schuld, zusammen, den einzigen Mann nicht gedeihen zu lassen.

Welch einen schlimmen Stand nun aber eine Hausfrau, sofern sie ihre Aufgabe kannte, unter solchen Umständen gehabt haben müsse, begreifen wir leicht. Obgleich selbst jung und lebensfroh, als Tochter eines Musikers ein ganzes Künstlerblut, von Hause aus übrigens schon an Entbehrung gewöhnt, bewies Konstanze allen guten Willen, dem Unheil an der Quelle zu steuern, manches Verkehrte abzuschneiden und den Verlust im Großen durch Sparsamkeit im Kleinen zu ersetzen. Nur eben in letzterer Hinsicht vielleicht ermangelte sie des rechten Geschicks und der frühern Erfahrung. Sie hatte die Kasse und[153] führte das Hausbuch: jede Forderung, jede Schuldmahnung, und was es Verdrießliches gab, ging ausschließlich an sie. Da stieg ihr wohl mitunter das Wasser an die Kehle, zumal wenn oft zu dieser Bedrängnis, zu Mangel, peinlicher Verlegenheit und Furcht vor offenbarer Unehre noch gar der Trübsinn ihres Mannes kam, worin er tagelang verharrte, untätig, keinem Trost zugänglich, indem er mit Seufzen und Klagen neben der Frau oder stumm in einem Winkel vor sich hin den einen traurigen Gedanken, zu sterben, wie eine endlose Schraube verfolgte. Ihr guter Mut verließ sie dennoch selten, ihr heller Blick fand meist, wenn auch nur auf einige Zeit, Rat und Hilfe. Im wesentlichen wurde wenig oder nichts gebessert. Gewann sie ihm mit Ernst und Scherz, mit Bitten und Schmeicheln für heute soviel ab, daß er den Tee an ihrer Seite trank, sich seinen Abendbraten daheim bei der Familie schmecken ließ, um nachher nicht mehr auszugehen, was war damit erreicht? Er konnte wohl einmal, durch ein verweintes Auge seiner Frau plötzlich betroffen und bewegt, eine schlimme Gewohnheit aufrichtig verwünschen, das Beste versprechen, mehr als sie verlangte – umsonst, er fand sich unversehens im alten Fahrgeleise wieder. Man war versucht zu glauben, es habe anders nicht in seiner Macht gestanden, und eine völlig veränderte Ordnung nach unseren Begriffen von dem, was allen Menschen ziemt und frommt, ihm irgendwie[154] gewaltsam aufgedrungen, müßte das wunderbare Wesen geradezu selbst aufgehoben haben.

Einen günstigen Umschwung der Dinge hoffte Konstanze doch stets insoweit, als derselbe von außen her möglich war: durch eine gründliche Verbesserung ihrer ökonomischen Lage, wie solche bei dem wachsenden Ruf ihres Mannes nicht ausbleiben könne. Wenn erst, so meinte sie, der stete Druck wegfiel, der sich auch ihm, bald näher, bald entfernter, von dieser Seite fühlbar machte, wenn er, anstatt die Hälfte seiner Kraft und Zeit dem bloßen Gelderwerb zu opfern, ungeteilt seiner wahren Bestimmung nachleben dürfe, wenn endlich der Genuß, nach dem er nicht mehr jagen, den er mit ungleich besserem Gewissen haben würde, ihm noch einmal so wohl an Leib und Seele gedeihe: dann sollte bald sein ganzer Zustand leichter, natürlicher, ruhiger werden. Sie dachte gar an einen gelegentlichen Wechsel ihres Wohnorts, da seine unbedingte Vorliebe für Wien, wo nun einmal nach ihrer Überzeugung kein rechter Segen für ihn sei, am Ende doch zu überwinden wäre.

Den nächsten entscheidenden Vorschub aber zur Verwirklichung ihrer Gedanken und Wünsche versprach sich Madame Mozart vom Erfolg der neuen Oper, um die es sich bei dieser Reise handelte.

Die Komposition war weit über die Hälfte vorgeschritten. Vertraute, urteilsfähige Freunde, die, als Zeugen der Entstehung des außerordentlichen[155] Werks, einen hinreichenden Begriff von seiner Art und Wirkungsweise haben mußten, sprachen überall davon in einem Tone, daß viele selber von den Gegnern darauf gefaßt sein konnten, es werde dieser Don Juan, bevor ein halbes Jahr verginge, die gesamte musikalische Welt von einem Ende Deutschlands bis zum andern erschüttert, auf den Kopf gestellt, im Sturm erobert haben. Vorsichtiger und bedingter waren die wohlwollenden Stimmen anderer, die, von dem heutigen Standpunkt der Musik ausgehend, einen allgemeinen und raschen Succeß kaum hofften. Der Meister selber teilte im stillen ihre nur zu wohl begründeten Zweifel.

Konstanze ihrerseits, wie die Frauen immer, wo ihr Gefühl einmal lebhaft bestimmt und noch dazu vom Eifer eines höchst gerechten Wunsches eingenommen ist, durch spätere Bedenklichkeiten von da und dorther sich viel seltener als die Männer irre machen lassen, hielt fest an ihrem guten Glauben und hatte eben jetzt im Wagen wiederum Veranlassung, denselben zu verfechten. Sie tat's in ihrer fröhlichen und blühenden Manier mit doppelter Geflissenheit, da Mozarts Stimmung im Verlauf des vorigen Gesprächs, das weiter zu nichts führen konnte und deshalb äußerst unbefriedigt abbrach, bereits merklich gesunken war. Sie setzte ihrem Gatten sofort mit gleicher Heiterkeit umständlich auseinander, wie sie nach ihrer Heimkehr die mit dem Prager Unternehmer als Kaufpreis für die[156] Partitur akkordierten hundert Dukaten zur Deckung der dringendsten Posten und sonst zu verwenden gedenke, auch wie sie zufolge ihres Etats den kommenden Winter hindurch bis zum Frühjahr gut auszureichen hoffe.

»Dein Herr Bondini wird sein Schäfchen an der Oper scheren, glaub es nur! und ist er halb der Ehrenmann, den du ihn immer rühmst, so läßt er dir nachträglich noch ein artiges Prozentchen von den Summen ab, die ihm die Bühnen nacheinander für die Abschrift zahlen; wo nicht, nun ja, gottlob! so stehen uns noch andere Chancen in Aussicht, und zwar noch tausendmal solidere. Mir ahnet allerlei.«

»Heraus damit!«

»Ich hörte unlängst ein Vögelchen pfeifen, der König von Preußen hab' einen Kapellmeister nötig.«

»Oho!«

»Generalmusikdirektor, wollt' ich sagen. Laß mich ein wenig phantasieren! Die Schwachheit habe ich von meiner Mutter.«

»Nur zu! je toller, je besser!«

»Nein, alles ganz natürlich. – Vornweg also nimm an! übers Jahr um diese Zeit –«

»Wenn der Papst die Grete freit –«

»Still doch, Hanswurst! Ich sage, aufs Jahr um Sankt Ägidi muß schon längst kein kaiserlicher Kammerkomponist mit Namen Wolf Mozart in Wien mehr weit und breit zu finden sein.«

»Beiß dich der Fuchs dafür!«

[157]

»Ich höre schon im Geist, wie unsere alten Freunde von uns plaudern, was sie sich alles zu erzählen wissen.«

»Zum Exempel?«

»Da kommt z. B. eines Morgens früh nach neune schon unsere alte Schwärmerin, die Volkstett, in ihrem feurigsten Besuchssturmschritt quer übern Kohlmarkt hergesegelt. Sie war drei Monat' fort; die große Reise zum Schwager in Sachsen, ihr tägliches Gespräch, solang' wir sie kennen, kam endlich zu stand'; seit gestern nacht ist sie zurück, und jetzt mit ihrem übervollen Herzen – es schwattelt ganz von Reiseglück und Freundschaftsungeduld und allerliebsten Neuigkeiten – stracks hin zur Oberstin damit! die Trepp' hinauf und angeklopft und das Herein nicht abgewartet! stell dir den Jubel selber vor und das Embrassement beiderseits! – ›Nun, liebste, beste Oberstin,‹ hebt sie nach einigem Vorgängigen mit frischem Odem an, ›ich bringe Ihnen ein Schock Grüße mit; ob Sie erraten von wem? Ich komme nicht so geradenwegs von Stendal her, es wurde ein kleiner Abstecher gemacht, linkshin, nach Brandenburg zu.‹ – ›Wie? wär' es möglich! Sie kamen nach Berlin? sind bei Mozarts gewesen?‹ – ›Zehn himmlische Tage!‹ – ›O liebe, süße, einzige Generalin, erzählen Sie, beschreiben Sie! Wie geht es unsern guten Leutchen? Gefallen sie sich immer noch so gut wie anfangs dort? Es ist mir fabelhaft, undenkbar, heute noch, und jetzt nur[158] desto mehr, da Sie von ihm herkommen: Mozart als Berliner! Wie benimmt er sich doch? wie sieht er denn aus?‹ – ›O der! Sie sollten ihn nur sehen! Diesen Sommer hat ihn der König ins Karlsbad geschickt. Wann wäre seinem herzgeliebten Kaiser Joseph so etwas eingefallen, he? Sie waren beide kaum erst wieder da, als ich ankam. Er glänzt von Gesundheit und Leben, ist rund und beleibt und vif wie Quecksilber; das Glück sieht ihm und die Behaglichkeit recht aus den Augen.‹«

Und nun begann die Sprecherin in ihrer angenommenen Rolle die neue Lage mit den hellsten Farben auszumalen. Von seiner Wohnung unter den Linden, von seinem Garten und Landhaus an bis zu den glänzenden Schauplätzen seiner öffentlichen Wirksamkeit und den engeren Zirkeln des Hofs, wo er die Königin auf dem Piano zu begleiten hatte, wurde alles durch ihre Schilderung gleichsam zur Wirklichkeit und Gegenwart. Ganze Gespräche, die schönsten Anekdoten schüttelte sie aus dem Ärmel. Sie schien fürwahr mit jener Residenz, mit Potsdam und mit Sanssouci bekannter als im Schlosse zu Schönbrunn und auf der kaiserlichen Burg. Nebenbei war sie schalkhaft genug, die Person unsers Helden mit einer Anzahl völlig neuer hausväterlicher Eigenschaften auszustatten, die sich auf dem soliden Boden der preußischen Existenz entwickelt hatten, und unter welchen die besagte Volkstett, als höchstes Phänomen und zum Beweis, wie[159] die Extreme sich manchmal berühren, den Ansatz eines ordentlichen Geizchens wahrgenommen hatte, das ihn unendlich liebenswürdig kleide. »Ja, nehmen's nur! er hat seine dreitausend Taler fix, und das wofür? Daß er die Woche einmal ein Kammerkonzert, zweimal die große Oper dirigiert. Ach, Oberstin, ich habe ihn gesehn, unsern lieben, kleinen, goldenen Mann inmitten seiner trefflichen Kapelle, die er sich zugeschult, die ihn anbetet! saß mit der Mozartin in ihrer Loge, schräg gegen den höchsten Herrschaften über! Und was stand auf dem Zettel, bitte Sie? – ich nahm ihn mit für Sie – ein kleines Reispräsent von mir und Mozarts drein gewickelt – hier schauen Sie, hier lesen Sie! da steht's mit ellenlangen Buchstaben gedruckt. – ›Hilf Himmel! was? Tarar!‹ – ›Ja, gelten's Freundin, was man erleben kann! Vor zwei Jahren, wie Mozart den Don Juan schrieb und der verwünschte giftige, schwarzgelbe Salieri auch schon im stillen Anstalt machte, den Triumph, den er mit seinem Stück davontrug in Paris, demnächst auf seinem eigenen Territorio zu begehen und unserem guten, Schnepfen liebenden, allzeit in Cosa rara vergnügten Publikum nun doch auch mal so eine Gattung Falken sehn zu lassen, und er und seine Helfershelfer bereits zusammen munkelten und raffinierten, daß sie den Don Juan so schön gerupft wie jenesmal den Figaro, nicht tot und nicht lebendig, auf das Theater stellen wollten: wissen's,[160] da tat ich ein Gelübd', wenn das infame Stück gegeben wird, ich geh' nicht hin, um keine Welt! Und hielt auch Wort. Als alles lief und rannte – und, Oberstin, Sie mit – blieb ich an meinem Ofen sitzen, nahm meine Katze auf den Schoß und aß meine Kaldausche, und so die folgenden paar Male auch. Jetzt aber, stellen Sie sich vor, Tarar auf der Berliner Opernbühne, das Werk seines Todfeinds, von Mozart dirigiert!‹ – ›Da müssen Sie schon drein!‹ rief er gleich in der ersten Viertelstunde, ›und wär's auch nur, daß Sie den Wienern sagen können, ob ich dem Knaben Absalon ein Härchen krümmen ließ. Ich wünschte, er wär' selbst dabei; der Erzneidhammel sollte sehen, daß ich nicht nötig hab', einem andern sein Zeug zu verhunzen, damit ich immerfort der bleiben möge, der ich bin!‹«

»Brava! bravissima!« rief Mozart überlaut und nahm sein Weibchen bei den Ohren, verküßte, herzte, kitzelte sie, so daß sich dieses Spiel mit bunten Seifenblasen einer erträumten Zukunft, die leider niemals, auch nicht im bescheidensten Maße, erfüllt werden sollte, zuletzt in hellen Mutwillen, Lärm und Gelächter auflöste.

Sie waren unterdessen längst ins Tal herabgekommen und näherten sich einem Dorf, das ihnen bereits auf der Höhe bemerklich gewesen, und hinter welchem sich unmittelbar ein kleines Schloß von modernem Ansehen, der Wohnsitz eines Grafen von Schinzberg, in der freundlichen Ebene zeigte. Es[161] sollte in dem Ort gefüttert, gerastet und Mittag gehalten werden. Der Gasthof, wo sie hielten, lag vereinzelt am Ende des Dorfs bei der Straße, von welcher seitwärts eine Pappelallee von nicht sechshundert Schritten zum herrschaftlichen Garten führte.

Mozart, nachdem man ausgestiegen, überließ, wie gewöhnlich, der Frau die Bestellung des Essens. Inzwischen befahl er für sich ein Glas Wein in die untere Stube, während sie nächst einem Trunke frischen Wassers nur irgend einen stillen Winkel, um ein Stündchen zu schlafen, verlangte. Man führte sie eine Treppe hinauf, der Gatte folgte, ganz munter vor sich hin singend und pfeifend. In einem rein geweißten und schnell gelüfteten Zimmer befand sich unter andern veralteten Möbeln von edlerer Herkunft – sie waren ohne Zweifel aus den gräflichen Gemächern seinerzeit hierher gewandert – ein sauberes, leichtes Bett mit gemaltem Himmel auf dünnen, grün lackierten Säulen, dessen seidene Vorhänge längst durch einen gewöhnlicheren Stoff ersetzt waren. Konstanze machte sich's bequem, er versprach, sie rechtzeitig zu wecken, sie riegelte die Türe hinter ihm zu, und er suchte nunmehr Unterhaltung für sich in der allgemeinen Schenkstube. Hier war jedoch außer dem Wirt keine Seele, und weil dessen Gespräch dem Gast so wenig wie sein Wein behagte, so bezeugte er Lust, bis der Tisch bereit wäre, noch einen Spaziergang nach dem Schloßgarten zu machen. Der Zutritt, hörte er, sei[162] anständigen Fremden wohl gestattet und die Familie überdies heut ausgefahren.

Er ging und hatte bald den kurzen Weg bis zu dem offenen Gattertor zurückgelegt, dann langsam einen hohen alten Lindengang durchmessen, an dessen Ende linker Hand er in geringer Entfernung das Schloß von seiner Fronte auf einmal vor sich hatte. Es war von italienischer Bauart, hell getüncht, mit weit vorliegender Doppeltreppe; das Schieferdach verzierten einige Statuen in üblicher Manier, Götter und Göttinnen, samt einer Balustrade.

Von der Mitte zweier großen, noch reichlich blühenden Blumenparterre ging unser Meister nach den buschigen Teilen der Anlagen zu, berührte ein paar schöne dunkle Piniengruppen und lenkte seine Schritte auf vielfach gewundenen Pfaden, indem er sich allmählich den lichteren Partien wieder näherte, dem lebhaften Rauschen eines Springbrunnens nach, den er sofort erreichte.

Das ansehnlich weite, ovale Bassin war rings von einer sorgfältig gehaltenen Orangerie in Kübeln, abwechselnd mit Lorbeeren und Oleandern, umstellt; ein weicher Sandweg, gegen den sich eine schmale Gitterlaube öffnete, lief rund umher. Die Laube bot das angenehmste Ruheplätzchen dar: ein kleiner Tisch stand vor der Bank, und Mozart ließ sich vorn am Eingang nieder.

Das Ohr behaglich dem Geplätscher des Wassers hingegeben, das Aug' auf einen Pomeranzenbaum[163] von mittlerer Größe geheftet, der außerhalb der Reihe, einzeln, ganz dicht an seiner Seite auf dem Boden stand und voll der schönsten Früchte hing, ward unser Freund durch diese Anschauung des Südens alsbald auf eine liebliche Erinnerung aus seiner Knabenzeit geführt. Nachdenklich lächelnd reicht er hinüber nach der nächsten Frucht, als wie um ihre herrliche Ründe, ihre saftige Kühle in hohler Hand zu fühlen. Ganz im Zusammenhang mit jener Jugendszene aber, die wieder vor ihm aufgetaucht, stand eine längst verwischte musikalische Reminiszenz, auf deren unbestimmter Spur er sich ein Weilchen träumerisch erging. Jetzt glänzen seine Blicke, sie irren da und dort umher, er ist von einem Gedanken ergriffen, den er sogleich eifrig verfolgt. Zerstreut hat er zum zweiten Male die Pomeranze angefaßt: sie geht vom Zweige los und bleibt ihm in der Hand. Er sieht und sieht es nicht; ja, so weit geht die künstlerische Geistesabwesenheit, daß er, die duftige Frucht beständig unter der Nase hin und her wirbelnd und bald den Anfang, bald die Mitte einer Weise unhörbar zwischen den Lippen bewegend, zuletzt instinktmäßig ein emailliertes Etui aus der Seitentasche des Rocks hervorbringt, ein kleines Messer mit silbernem Heft daraus nimmt und die gelbe kugelige Masse von oben nach unten langsam durchschneidet Es mochte ihn dabei entfernt ein dunkles Durstgefühl geleitet haben, jedoch begnügten sich die angeregten Sinne mit Einatmung[164] des köstlichen Geruchs. Er starrt minutenlang die beiden inneren Flächen an, fügt sie sachte wieder zusammen, ganz sachte, trennt und vereinigt sie wieder.

Da hört er Tritte in der Nähe, er erschrickt, und das Bewußtsein, wo er ist, was er getan, stellt sich urplötzlich bei ihm ein. Schon im Begriff, die Pomeranze zu verbergen, hält er doch gleich damit inne, sei es aus Stolz, sei's, weil es zu spät dazu war. Ein großer, breitschulteriger Mann in Livree, der Gärtner des Hauses, stand vor ihm. Derselbe hatte wohl die letzte verdächtige Bewegung noch gesehen und schwieg betroffen einige Sekunden. Mozart, gleichfalls sprachlos, auf seinem Sitz wie angenagelt, schaute ihm halb lachend, unter sichtbarem Erröten, doch gewissermaßen keck und groß mit seinen blauen Augen ins Gesicht; dann setzte er – für einen dritten wäre es höchst komisch anzusehen gewesen – die scheinbar unverletzte Pomeranze mit einer Art von trotzig couragiertem Nachdruck in die Mitte des Tisches.

»Um Vergebung!« fing jetzt der Gärtner, nachdem er den wenig versprechenden Anzug des Fremden gemustert, mit unterdrücktem Unwillen an, »ich weiß nicht, wen ich hier –«

»Kapellmeister Mozart aus Wien.«

»Sind ohne Zweifel bekannt im Schloß?«

»Ich bin hier fremd und auf der Durchreise. Ist der Herr Graf anwesend?«

[165]

»Nein.«

»Seine Gemahlin?«

»Sind beschäftigt und schwerlich zu sprechen.«

Mozart stand auf und machte Miene zu gehen.

»Mit Erlaubnis, mein Herr! wie kommen Sie dazu, an diesem Ort auf solche Weise zuzugreifen?«

»Was?« rief Mozart, »zugreifen? Zum Teufel! glaubt Er denn, ich wollte stehlen und das Ding da fressen?«

»Mein Herr, ich glaube, was ich sehe. Diese Früchte sind gezählt, ich bin dafür verantwortlich. Der Baum ist vom Herrn Grafen zu einem Fest bestimmt, soeben soll er weggebracht werden. Ich lasse Sie nicht fort, ehbevor ich die Sache gemeldet und Sie mir selbst bezeugten, wie das da zugegangen ist.«

»Sei's drum! Ich werde hier so lange warten. Verlaß Er sich darauf!«

Der Gärtner sah sich zögernd um, und Mozart, in der Meinung, es sei vielleicht nur auf ein Trinkgeld abgesehen, griff in die Tasche; allein er hatte das geringste nicht bei sich.

Zwei Gartenknechte kamen nun wirklich herbei, luden den Baum auf eine Bahre und trugen ihn hinweg. Inzwischen hatte unser Meister seine Brieftasche gezogen, ein weißes Blatt herausgenommen und, während daß der Gärtner nicht von der Stelle wich, mit Bleistift angefangen zu schreiben:

[166]

»Gnädigste Frau! Hier sitze ich Unseliger in Ihrem Paradiese, wie weiland Adam, nachdem er den Apfel gekostet. Das Unglück ist geschehen, und ich kann nicht einmal die Schuld auf eine gute Eva schieben, die eben jetzt, von Grazien und Amoretten eines Himmelbetts umgaukelt, im Gasthof sich des unschuldigsten Schlafes erfreut. Befehlen Sie, und ich stehe persönlich Ihro Gnaden Rede über meinen mir selbst unfaßlichen Frevel. Mit aufrichtiger Beschämung

Hochdero

untertänigster Diener
W. A. Mozart,
auf dem Wege nach Prag.«

Er übergab das Billet, ziemlich ungeschickt zusammengefaltet, dem peinlich wartenden Diener mit der gehörigen Weisung.

Der Unhold hatte sich nicht sobald entfernt, als man an der hinteren Seite des Schlosses ein Gefährt in den Hof rollen hörte. Es war der Graf, der eine Nichte und ihren Bräutigam, einen jungen, reichen Baron, vom benachbarten Gut herüberbrachte. Da die Mutter des letzteren seit Jahren das Haus nicht mehr verließ, war die Verlobung heute bei ihr gehalten worden; nun sollte dieses Fest in einer fröhlichen Nachfeier mit einigen Verwandten auch hier begangen werden, wo Eugenie, gleich ihrer eigenen Tochter, seit ihrer Kindheit eine zweite Heimat fand. Die Gräfin war mit ihrem Sohne Max, dem Leutnant, etwas früher nach Hause gefahren,[167] um noch verschiedene Anordnungen zu treffen. Nun sah man in dem Schlosse alles auf Gängen und Treppen in voller Bewegung, und nur mit Mühe gelang es dem Gärtner, im Vorzimmer endlich den Zettel der Frau Gräfin einzuhändigen, die ihn jedoch nicht auf der Stelle öffnete, sondern, ohne genau auf die Worte des Überbringers zu achten, geschäftig weiter eilte. Er wartete und wartete, sie kam nicht wieder. Eins um das andere von der Dienerschaft, Aufwärter, Zofe, Kammerdiener, rannte an ihm vorbei; er fragte nach dem Herrn: der kleidete sich um; er suchte nun und fand den Grafen Max auf seinem Zimmer, der aber unterhielt sich angelegentlich mit dem Baron und schnitt ihm, wie in Sorge, er wolle etwas melden oder fragen, wovon noch nichts verlauten sollte, das Wort vom Munde ab: »Ich komme schon; geht nur!« Es stand noch eine gute Weile an, bis endlich Vater und Sohn zugleich herauskamen und die fatale Nachricht empfingen.

»Das wär' ja höllenmäßig!« rief der dicke, gutmütige, doch etwas jähe Mann, »das geht ja über alle Begriffe! Ein Wiener Musikus, sagt Ihr? Vermutlich irgend solch ein Lump, der um ein Viatikum läuft und mitnimmt, was er findet?«

»Verzeihen Ew. Gnaden! danach sieht er gerad nicht aus. Er deucht mir nicht richtig im Kopf, auch ist er sehr hochmütig. Moser nennt er sich. Er wartet unten auf Bescheid; ich hieß den[168] Franz um den Weg bleiben und ein Aug' auf ihn haben.«

»Was hilft es hinterdrein, zum Henker! Wenn ich den Narren auch einstecken lasse, der Schaden ist nicht mehr zu reparieren. Ich sagt' Euch tausendmal, das vordere Tor soll allezeit geschlossen bleiben. Der Streich wär' aber jedenfalls verhütet worden, hättet Ihr zur rechten Zeit Eure Zurüstungen gemacht.«

Hier trat die Gräfin hastig und mit freudiger Aufregung, das offene Billet in der Hand, aus dem anstoßenden Kabinett. »Wißt ihr,« rief sie, »wer unten ist? Um Gottes willen, lest den Brief! – Mozart aus Wien, der Komponist! Man muß gleich gehen, ihn heraufzubitten – ich fürchte nur, er ist schon fort. Was wird er von mir denken! Ihr, Velten, seid ihm doch höflich begegnet? Was ist denn eigentlich geschehen?«

»Geschehen?« versetzte der Gemahl, dem die Aussicht auf den Besuch eines berühmten Mannes unmöglich allen Ärger auf der Stelle niederschlagen konnte. »Der tolle Mensch hat von dem Baum, den ich Eugenien bestimmte, eine der neun Orangen abgerissen – hm! das Ungeheuer! Somit ist unserem Spaß geradezu die Spitze abgebrochen, und Max mag sein Gedicht nur gleich kassieren.«

»O nicht doch!« sagte die dringende Dame. »Die Lücke läßt sich leicht ausfüllen, überlaßt es nur mir. Geht beide jetzt, erlöst, empfangt den guten Mann,[169] so freundlich und so schmeichelhaft ihr immer könnt! Er soll, wenn wir ihn irgend halten können, heut' nicht weiter. Trefft ihr ihn nicht im Garten mehr, sucht ihn im Wirtshaus auf und bringet ihn mit seiner Frau! Ein größeres Geschenk, eine schönere Überraschung für Eugenien hätte der Zufall uns an diesem Tag nicht machen können.«

»Gewiß!« erwiderte Max, »dies war auch mein erster Gedanke. Geschwinde, kommen Sie, Papa! Und« – sagte er, indem sie eilends nach der Treppe liefen – »der Verse wegen seien Sie ganz ruhig! Die neunte Muse soll nicht zu kurz kommen; im Gegenteil, ich werde aus dem Unglück noch besonderen Vorteil ziehen.« – »Das ist unmöglich.« – »Ganz gewiß!« – »Nun, wenn das ist – allein ich nehme dich beim Wort – so wollen wir dem Querkopf alle erdenkliche Ehre erzeigen.«

Solange dies im Schloß vorging, hatte sich unser Quasi-Gefangener, ziemlich unbesorgt über den Ausgang der Sache, geraume Zeit schreibend beschäftigt. Weil sich jedoch gar niemand sehen ließ, fing er an unruhig hin und her zu gehen; darüber kam dringliche Botschaft vom Wirtshaus, der Tisch sei schon lange bereit, er möchte ja gleich kommen, der Postillon pressiere. So suchte er denn seine Sachen zusammen und wollte ohne weiteres aufbrechen, als beide Herren vor der Laube erschienen.

Der Graf begrüßte ihn, beinah wie einen früheren Bekannten, lebhaft mit seinem kräftig schallenden[170] Organ, ließ ihn zu gar keiner Entschuldigung kommen, sondern erklärte sogleich seinen Wunsch, das Ehepaar zum wenigsten für diesen Mittag und Abend im Kreis seiner Familie zu haben. »Sie sind uns, mein liebster Maestro, so wenig fremd, daß ich wohl sagen kann, der Name Mozart wird schwerlich anderswo mit mehr Begeisterung und häufiger genannt als hier. Meine Nichte singt und spielt, sie bringt fast ihren ganzen Tag am Flügel zu, kennt Ihre Werke auswendig und hat das größte Verlangen, Sie einmal in mehrerer Nähe zu sehen, als es vorigen Winter in einem Ihrer Konzerte anging. Da wir nun demnächst auf einige Wochen nach Wien gehen werden, so war ihr eine Einladung beim Fürsten Gallizin, wo man Sie öfter findet, von den Verwandten versprochen. Jetzt aber reisen Sie nach Prag, werden sobald nicht wiederkehren, und Gott weiß, ob Sie der Rückweg zu uns führt. Machen Sie heute und morgen Rasttag! Das Fuhrwerk schicken wir sogleich nach Hause, und mir erlauben Sie die Sorge für Ihr Weiterkommen.«

Der Komponist, welcher in solchen Fällen der Freundschaft oder dem Vergnügen leicht zehnmal mehr, als hier gefordert war, zum Opfer brachte, besann sich nicht lange: er sagte diesen einen halben Tag mit Freuden zu, dagegen sollte morgen mit dem frühesten die Reise fortgesetzt werden. Graf Max erbat sich das Vergnügen, Madame Mozart abzuholen und alles Nötige im Wirtshaus abzumachen.[171] Er ging; ein Wagen sollte ihm gleich auf dem Fuße nachfolgen.

Von diesem jungen Mann bemerken wir beiläufig, daß er mit einem von Vater und Mutter angeerbten heitern Sinn Talent und Liebe für schöne Wissenschaften verband und ohne wahre Neigung zum Soldatenstand sich doch als Offizier durch Kenntnisse und gute Sitten hervortat. Er kannte die französische Literatur und erwarb sich zu einer Zeit, wo deutsche Verse in der höheren Gesellschaft wenig galten, Lob und Gunst durch eine nicht gemeine Leichtigkeit der poetischen Form in der Muttersprache nach guten Mustern, wie er sie in Hagedorn, in Götz und andern fand. Für heute war ihm nun, wie wir bereits vernahmen, ein besonders erfreulicher Anlaß geworden, seine Gabe zu nutzen.

Er traf Madame Mozart, mit der Wirtstochter plaudernd, vor dem gedeckten Tisch, wo sie sich einen Teller Suppe vorausgenommen hatte. Sie war an außerordentliche Zwischenfälle, an kecke Stegreifsprünge ihres Manns zu sehr gewöhnt, als daß sie über die Erscheinung und den Auftrag des jungen Offiziers mehr als billig hätte betreten sein können. Mit unverstellter Heiterkeit, besonnen und gewandt besprach und ordnete sie ungesäumt alles Erforderliche selbst. Es wurde umgepackt, bezahlt, der Postillon entlassen; sie machte sich, ohne zu große Ängstlichkeit in Herstellung ihrer Toilette, fertig und fuhr mit dem Begleiter wohlgemut dem[172] Schlosse zu, nicht ahnend, auf welche sonderbare Weise ihr Gemahl sich dort eingeführt hatte.

Der befand sich inzwischen bereits sehr behaglich daselbst und auf das beste unterhalten. Nach kurzer Zeit sah er Eugenien mit ihrem Verlobten: ein blühendes, höchst anmutiges, inniges Wesen. Sie war blond, ihre schlanke Gestalt in karmoisinrote, leuchtende Seide mit kostbaren Spitzen festlich gekleidet, um ihre Stirn ein weißes Band mit edlen Perlen. Der Baron, nur wenig älter als sie, von sanftem, offenem Charakter, schien ihrer wert in jeder Rücksicht.

Den ersten Aufwand des Gesprächs bestritt, fast nur zu freigebig, der gute, launige Hausherr vermöge seiner etwas lauten, mit Späßen und Histörchen sattsam gespickten Unterhaltungsweise. Es wurden Erfrischungen gereicht, die unser Reisender im mindesten nicht schonte.

Eines hatte den Flügel geöffnet, Figaros Hochzeit lag aufgeschlagen, und das Fräulein schickte sich an, von dem Baron akkompagniert, die Arie Susannas in jener Gartenszene zu singen, wo wir den Geist der süßen Leidenschaft stromweise, wie die gewürzte sommerliche Abendluft, einatmen. Die feine Röte auf Eugeniens Wangen wich zwei Atemzüge lang der äußersten Blässe; doch mit dem ersten Ton, der klangvoll über ihre Lippen kam, fiel ihr jede beklemmende Fessel vom Busen. Sie hielt sich lächelnd, sicher auf der hohen Woge, und das Gefühl[173] dieses Moments, des einzigen in seiner Art vielleicht für alle Tage ihres Lebens, begeisterte sie billig.

Mozart war offenbar überrascht. Als sie geendigt hatte, trat er zu ihr und fing mit seinem ungezierten Herzensausdruck an: »Was soll man sagen, liebes Kind, hier, wo es ist wie mit der lieben Sonne, die sich am besten selber lobt, indem es gleich jedermann wohl in ihr wird! Bei solchem Gesang ist der Seele zu Mut wie dem Kindchen im Bad: es lacht und wundert sich und weiß sich in der Welt nichts Besseres. Übrigens glauben Sie mir! unsereinem in Wien begegnet es nicht jeden Tag, daß er so lauter, ungeschminkt und warm, ja so komplett sich selber zu hören bekommt.« – Damit erfaßte er ihre Hand und küßte sie herzlich. Des Mannes hohe Liebenswürdigkeit und Güte nicht minder als das ehrenvolle Zeugnis, wodurch er ihr Talent auszeichnete, ergriff Eugenien mit jener unwiderstehlichen Rührung, die einem leichten Schwindel gleicht, und ihre Augen wollten sich plötzlich mit Tränen anfüllen.

Hier trat Madame Mozart zur Türe herein, und gleich darauf erschienen neue Gäste, die man erwartet hatte: eine dem Haus sehr eng verwandte freiherrliche Familie aus der Nähe mit einer Tochter, Franziska, die seit den Kinderjahren mit der Braut durch die zärtlichste Freundschaft verbunden und hier wie daheim war.

[174]

Man hatte sich allerseits begrüßt, umarmt, beglückwünscht, die beiden Wiener Gäste vorgestellt, und Mozart setzte sich an den Flügel. Er spielte einen Teil eines Konzerts von seiner Komposition, welches Eugenie soeben einstudierte.

Die Wirkung eines solchen Vortrags in einem kleinen Kreis, wie der gegenwärtige, unterscheidet sich natürlicherweise von jedem ähnlichen an einem öffentlichen Orte durch die unendliche Befriedigung, die in der unmittelbaren Berührung mit der Person des Künstlers und seinem Genius innerhalb der häuslichen bekannten Wände liegt.

Es war eines jener glänzenden Stücke, worin die reine Schönheit sich einmal, wie aus Laune, freiwillig in den Dienst der Eleganz begibt, so aber, daß sie, gleichsam nur verhüllt in diese mehr willkürlich spielenden Formen und hinter eine Menge blendender Lichter versteckt, doch in jeder Bewegung ihren eigensten Adel verrät und ein herrliches Pathos verschwenderisch ausgießt.

Die Gräfin machte für sich die Bemerkung, daß die meisten Zuhörer, vielleicht Eugenie selbst nicht ausgenommen, trotz der gespanntesten Aufmerksamkeit und aller feierlichen Stille während eines bezaubernden Spiels doch zwischen Auge und Ohr gar sehr geteilt waren. In unwillkürlicher Beobachtung des Komponisten, seiner schlichten, beinahe steifen Körperhaltung, seines gutmütigen Gesichts, der rundlichen Bewegung dieser kleinen Hände war[175] es gewiß auch nicht leicht möglich, dem Zudrang tausendfacher Kreuz- und Quergedanken über den Wundermann zu widerstehen.

Zu Madame Mozart gewendet, sagte der Graf, nachdem der Meister aufgestanden war: »Einem berühmten Künstler gegenüber, wenn es ein Kennerlob zu spitzen gilt, das halt nicht eines jeden Sache ist, wie haben es die Könige und die Kaiser gut! Es nimmt sich eben alles einzig und außerordentlich in einem solchen Munde aus. Was dürfen sie sich nicht erlauben! und wie bequem ist es z. B., dicht hinterm Stuhl Ihres Herrn Gemahls, beim Schlußakkord einer brillanten Phantasie dem bescheidenen klassischen Mann auf die Schulter zu klopfen und zu sagen: ›Sie sind ein Tausendsasa, lieber Mozart!‹ Kaum ist das Wort heraus, so geht's wie ein Lauffeuer durch den Saal: ›Was hat er ihm gesagt?‹ – ›Er sei ein Tausendsasa, hat er zu ihm gesagt.‹ Und alles, was da geigt und fistuliert und komponiert, ist außer sich von diesem einen Wort; kurzum, es ist der große Stil, der familiäre Kaiserstil, der unnachahmliche, um welchen ich die Josephs und die Friedrichs von je beneidet habe, und das nie mehr als eben jetzt, wo ich ganz in Verzweiflung bin, von anderweitiger geistreicher Münze zufällig keinen Deut in allen meinen Taschen anzutreffen.«

Die Art, wie der Schäker dergleichen vorbrachte, bestach immerhin und rief unausbleiblich ein Lachen hervor.

[176]

Nun aber, auf die Einladung der Hausfrau, verfügte die Gesellschaft sich nach dem geschmückten Speisesalon, aus welchem den Eintretenden ein festlicher Blumengeruch und eine kühlere, dem Appetit willkommene Luft entgegenwehte.

Man nahm die schicklich ausgeteilten Plätze ein, und zwar der distinguierte Gast den seinigen dem Brautpaar gegenüber. Von einer Seite hatte er eine kleine ältliche Dame, eine unverheiratete Tante Franziskas, von der andern die junge reizende Nichte selbst zur Nebensitzerin, die sich durch Geist und Munterkeit ihm bald besonders zu empfehlen wußte. Frau Konstanze kam zwischen den Hauswirt und ihren freundlichen Geleitsmann, den Leutnant; die übrigen reihten sich ein, und so saß man zu elfen nach Möglichkeit bunt an der Tafel, deren unteres Ende leer blieb. Auf ihr erhoben sich mitten zwei mächtige große Porzellanaufsätze mit gemalten Figuren, breite Schalen, gehäuft voll natürlicher Früchte und Blumen, über sich haltend. An den Wänden des Saals hingen reiche Festons. Was sonst da war oder nach und nach folgte, schien einen ausgedehnten Schmaus zu verkünden. Teils auf der Tafel zwischen Schüsseln und Platten, teils vom Serviertisch herüber im Hintergrund blinkte verschiedenes edle Getränk vom schwärzesten Rot bis hinauf zu dem gelblichen Weiß, dessen lustiger Schaum herkömmlich erst die zweite Hälfte eines Festes krönt.

Bis gegen diesen Zeitpunkt hin bewegte sich die[177] Unterhaltung, von mehreren Seiten gleich lebhaft genährt, in allen Richtungen. Weil aber der Graf gleich anfangs einigemal von weitem und jetzt nur immer näher und mutwilliger auf Mozarts Gartenabenteuer anspielte, so daß die einen heimlich lächelten, die andern sich umsonst den Kopf zerbrachen, was er denn meine, so ging unser Freund mit der Sprache heraus.

»Ich will in Gottes Namen beichten,« fing er an, »auf was für Art mir eigentlich die Ehre der Bekanntschaft mit diesem edlen Haus geworden ist. Ich spiele dabei nicht die würdigste Rolle, und um ein Haar, so säß' ich jetzt, statt hier vergnügt zu tafeln, in einem abgelegenen Arrestantenwinkel des gräflichen Schlosses und könnte mir mit leerem Magen die Spinneweben an der Wand herum betrachten.«

»Nun ja,« rief Madame Mozart, »da werd' ich schöne Dinge hören!«

Ausführlich nun beschrieb er erst, wie er im Weißen Roß seine Frau zurückgelassen, die Promenade in den Park, den Unstern in der Laube, den Handel mit der Gartenpolizei: kurz, ungefähr was wir schon wissen, gab er alles mit größter Treuherzigkeit und zum höchsten Ergötzen der Zuhörer preis. Das Lachen wollte fast kein Ende nehmen; selbst die gemäßigte Eugenie enthielt sich nicht, es schüttelte sie ordentlich.

»Nun,« fuhr er fort, »das Sprichwort sagt: Hat[178] einer den Nutzen, dem Spott mag er trutzen! Ich hab' meinen kleinen Profit von der Sache; Sie werden schon sehen. Vor allem aber hören Sie, wie's eigentlich geschah, daß sich ein alter Kindskopf so vergessen konnte. Eine Jugenderinnerung war mit im Spiele.

Im Frühling 1770 reiste ich als dreizehnjähriges Bürschchen mit meinem Vater nach Italien. Wir gingen von Rom nach Neapel. Ich hatte zweimal im Konservatorium und sonst zu verschiedenen Malen gespielt. Adel und Geistlichkeit erzeugten uns manches Angenehme, vornehmlich attachierte sich ein Abbate an uns, der sich als Kenner schmeichelte und übrigens am Hofe etwas galt. Den Tag vor unserer Abreise führte er uns in Begleitung einiger anderer Herren in einen königlichen Garten, die Villa reale, bei einer prachtvollen Straße geradhin am Meer gelegen, wo eine Bande sizilianischer commedianti sich produzierte – figlj di Nettuno, wie sie sich neben anderen schönen Titeln auch nannten. Mit vielen vornehmen Zuschauern, worunter selbst die junge liebenswürdige Königin Karolina samt zwei Prinzessen, saßen wir auf einer langen Reihe von Bänken im Schatten einer zeltartig bedeckten niedern Galerie, an deren Mauer unten die Wellen plätscherten. Das Meer mit seiner vielfarbigen Streifung strahlte den blauen Sonnenhimmel herrlich wider. Gerade vor sich hat man den Vesuv, links schimmert, sanft geschwungen, eine reizende Küste herein.

[179]

Die erste Abteilung der Spiele war vorüber; sie wurde auf dem trockenen Bretterboden einer Art von Flöße ausgeführt, die auf dem Wasser stand, und hatte nichts Besonderes; der zweite aber und der schönste Teil bestand aus lauter Schiffer-, Schwimm- und Taucherstücken und blieb mir stets mit allen Einzelheiten frisch im Gedächtnis eingeprägt.

Von entgegengesetzten Seiten her näherten sich einander zwei zierliche, sehr leicht gebaute Barken, beide, wie es schien, auf einer Lustfahrt begriffen. Die eine, etwas größere, war mit einem Halbverdeck versehen und nebst den Ruderbänken mit einem dünnen Mast und einem Segel ausgerüstet, auch prächtig bemalt, der Schnabel vergoldet. Fünf Jünglinge von idealischem Aussehen, kaum bekleidet, Arme, Brust und Beine dem Anschein nach nackt, waren teils an dem Ruder beschäftigt, teils ergötzten sie sich mit einer gleichen Anzahl artiger Mädchen, ihren Geliebten. Eine darunter, welche mitten auf dem Verdecke saß und Blumenkränze wand, zeichnete sich durch Wuchs und Schönheit sowie durch ihren Putz vor allen übrigen aus. Diese dienten ihr willig, spannten gegen die Sonne ein Tuch über sie und reichten ihr die Blumen aus dem Korb. Eine Flötenspielerin saß zu ihren Füßen, die den Gesang der andern mit ihren hellen Tönen unterstützte. Auch jener vorzüglichen Schönen fehlte es nicht an einem eigenen Beschützer; doch verhielten sich beide ziemlich[180] gleichgültig gegeneinander, und der Liebhaber deuchte mir fast etwas roh.

Inzwischen war das andere, einfachere Fahrzeug näher gekommen. Hier sah man bloß männliche Jugend. Wie jene Jünglinge Hochrot trugen, so war die Farbe der letztern Seegrün. Sie stutzten beim Anblick der lieblichen Kinder, winkten Grüße herüber und gaben ihr Verlangen nach näherer Bekanntschaft zu erkennen. Die munterste hierauf nahm eine Rose vom Busen und hielt sie schelmisch in die Höhe, gleichsam fragend, ob solche Gaben bei ihnen wohl angebracht wären, worauf von drüben allerseits mit unzweideutigen Gebärden geantwortet wurde. Die Roten sahen verächtlich und finster darein, konnten aber nichts machen, als mehrere der Mädchen einig wurden, den armen Teufeln wenigstens doch etwas für den Hunger und Durst zuzuwerfen. Es stand ein Korb voll Orangen am Boden; wahrscheinlich waren es nur gelbe Bälle, den Früchten ähnlich nachgemacht. Und jetzt begann ein entzückendes Schauspiel unter Mitwirkung der Musik, die auf dem Uferdamm aufgestellt war.

Eine der Jungfrauen machte den Anfang und schickte fürs erste ein paar Pomeranzen aus leichter Hand hinüber, die, dort mit gleicher Leichtigkeit aufgefangen, alsbald zurückkehrten; so ging es hin und her, und weil nach und nach immer mehr Mädchen zuhalfen, so flog's mit Pomeranzen bald dem Dutzend nach in immer schnellerem Tempo hin und[181] wider. Die Schöne in der Mitte nahm an dem Kampfe keinen Anteil, als daß sie höchst begierig von ihrem Schemel aus zusah. Wir konnten die Geschicklichkeit auf beiden Seiten nicht genug bewundern. Die Schiffe drehten sich auf etwa dreißig Schritte in langsamer Bewegung umeinander, kehrten sich bald die ganze Flanke zu, bald schief das halbe Vorderteil; es waren gegen vierundzwanzig Bälle unaufhörlich in der Luft, doch glaubte man in der Verwirrung ihrer viel mehr zu sehen. Manchmal entstand ein förmliches Kreuzfeuer, oft stiegen sie und fielen in einem hohen Bogen, kaum ging einmal einer und der andere fehl; es war, als stürzten sie von selbst durch eine Kraft der Anziehung in die geöffneten Finger.

So angenehm jedoch das Auge beschäftigt wurde, so lieblich gingen fürs Gehör die Melodieen nebenher: sizilianische Weisen, Tänze, Saltarelli, Canzoni a ballo, ein ganzes Quodlibet, auf Girlandenart leicht aneinandergehängt. Die jüngere Prinzeß, ein holdes, unbefangenes Geschöpf, etwa von meinem Alter, begleitete den Takt gar artig mit Kopfnicken; ihr Lächeln und die langen Wimpern ihrer Augen kann ich noch heute vor mir sehen.

Nun lassen Sie mich kürzlich den Verlauf der Posse noch erzählen, obschon er weiter nichts zu meiner Sache tut! Man kann sich nicht leicht etwas Hübscheres denken. Währenddem das Scharmützel allmählich ausging und nur noch einzelne Würfe[182] gewechselt wurden, die Mädchen ihre goldenen Äpfel sammelten und in den Korb zurückbrachten, hatte drüben ein Knabe, wie spielenderweis, ein breites, grüngestricktes Netz ergriffen und kurze Zeit unter dem Wasser gehalten; er hob es auf, und zum Erstaunen aller fand sich ein großer, blau, grün und gold schimmernder Fisch in demselben. Die Nächsten sprangen eifrig zu, um ihn herauszuholen: da glitt er ihnen aus den Händen, als wär' es wirklich ein lebendiger, und fiel in die See. Das war nun eine abgeredete Kriegslist, die Roten zu betören und aus dem Schiff zu locken. Diese, gleichsam bezaubert von dem Wunder, sobald sie merkten, daß das Tier nicht untertauchen wollte, nur immer auf der Oberfläche spielte, besannen sich nicht einen Augenblick, stürzten sich alle ins Meer, die Grünen ebenfalls, und also sah man zwölf gewandte, wohlgestalte Schwimmer den fliehenden Fisch zu erhaschen bemüht, indem er auf den Wellen gaukelte, minutenlang unter denselben verschwand, bald da, bald dort, dem einen zwischen den Beinen, dem andern zwischen Brust und Kinn herauf, wieder zum Vorschein kam. Auf einmal, wie die Roten eben am hitzigsten auf ihren Fang aus waren, ersah die andere Partei ihren Vorteil und erstieg schnell wie der Blitz das fremde, ganz den Mädchen überlassene Schiff unter großem Gekreische der letztern. Der nobelste der Burschen, wie ein Merkur gewachsen, flog mit freudestrahlendem Gesicht auf die schönste zu, umfaßte,[183] küßte sie, die, weit entfernt in das Geschrei der andern einzustimmen, ihre Arme gleichfalls feurig um den ihr wohlbekannten Jüngling schlang. Die betrogene Schar schwamm zwar eilends herbei, wurde aber mit Rudern und Waffen vom Bord abgetrieben. Ihre unnütze Wut, das Angstgeschrei der Mädchen, der gewaltsame Widerstand einiger von ihnen, ihr Bitten und Flehen, fast erstickt vom übrigen Alarm, des Wassers, der Musik, die plötzlich einen andern Charakter angenommen hatte – es war schön über alle Beschreibung, und die Zuschauer brachen darüber in einen Sturm von Begeisterung aus.

In diesem Moment nun entwickelte sich das bisher locker eingebundene Segel: daraus ging ein rosiger Knabe hervor mit silbernen Schwingen, mit Bogen, Pfeil und Köcher, und in anmutvoller Stellung schwebte er frei auf der Stange. Schon sind die Ruder alle in voller Tätigkeit, das Segel blähte sich auf: allein gewaltiger als beides schien die Gegenwart des Gottes und seine heftig vorwärtseilende Gebärde das Fahrzeug fortzutreiben, dergestalt, daß die fast atemlos nachsetzenden Schwimmer, deren einer den goldenen Fisch hoch mit der Linken über seinem Haupte hielt, die Hoffnung bald aufgaben und bei erschöpften Kräften notgedrungen ihre Zuflucht zu dem verlassenen Schiffe nahmen. Derweil haben die Grünen eine kleine bebuschte Halbinsel erreicht, wo sich unerwartet ein stattliches Boot[184] mit bewaffneten Kameraden im Hinterhalt zeigte. Im Angesicht so drohender Umstände pflanzte das Häufchen eine weiße Flagge auf, zum Zeichen, daß man gütlich unterhandeln wolle. Durch ein gleiches Signal von jenseits ermuntert, fuhren sie auf jenen Haltort zu, und bald sah man daselbst die guten Mädchen alle bis auf die eine, die mit Willen blieb, vergnügt mit ihren Liebhabern das eigene Schiff besteigen. – Hiermit war die Komödie beendigt.«

»Mir deucht,« so flüsterte Eugenie mit leuchtenden Augen dem Baron in einer Pause zu, worin sich jedermann beifällig über das eben Gehörte aussprach, »wir haben hier eine gemalte Symphonie von Anfang bis zu Ende gehabt und ein vollkommenes Gleichnis überdies des Mozartischen Geistes selbst in seiner ganzen Heiterkeit. Hab' ich nicht recht? Ist nicht die ganze Anmut Figaros darin?«

Der Bräutigam war im Begriff, ihre Bemerkung dem Komponisten mitzuteilen, als dieser zu reden fortfuhr.

»Es sind nun siebzehn Jahre her, daß ich Italien sah. Wer, der es einmal sah, insonderheit Neapel, denkt nicht sein Leben lang daran? Und wär' er auch, wie ich, noch halb in Kinderschuhen gesteckt! So lebhaft aber wie heut' in Ihrem Garten war mir der letzte schöne Abend am Golf kaum jemals wieder aufgegangen. Wenn ich die Augen schloß – ganz deutlich, klar und hell, den letzten Schleier[185] von sich hauchend, lag die himmlische Gegend vor mir verbreitet. Meer und Gestade, Berg und Stadt, die bunte Menschenmenge an dem Ufer hin und dann das wundersame Spiel der Bälle durcheinander! Ich glaubte wieder dieselbe Musik in den Ohren zu haben, ein ganzer Rosenkranz von fröhlichen Melodien zog innerlich an mir vorbei, Fremdes und Eigenes, Krethi und Plethi, eins immer das andre ablösend. Von ungefähr springt ein Tanzliedchen hervor, Sechsachtelstakt, mir völlig neu. Halt, dacht' ich, was gibt's hier? Das scheint ein ganz verteufelt niedliches Ding. Ich sehe näher zu – alle Wetter! das ist ja Masetto, das ist ja Zerlina.« – Er lachte gegen Madame Mozart hin, die ihn sogleich erriet.

»Die Sache,« fuhr er fort, »ist einfach diese. In meinem ersten Akt blieb eine kleine, leichte Nummer unerledigt, Duett und Chor einer ländlichen Hochzeit. Vor zwei Monaten nämlich, als ich dieses Stück der Ordnung nach vornehmen wollte, da fand sich auf den ersten Wurf das Rechte nicht alsbald. Eine Weise, einfältig und kindlich und sprützend vor Fröhlichkeit über und über, ein frischer Busenstrauß mit Flatterband dem Mädel angesteckt – so mußte es sein. Weil man nun im geringsten nichts erzwingen soll, und weil dergleichen Kleinigkeiten sich oft gelegentlich von selber machen, ging ich darüber weg und sah mich im Verfolg der größeren Arbeit kaum wieder danach um. Ganz[186] flüchtig kam mir heut' im Wagen, kurz eh' wir ins Dorf hereinfuhren, der Text in den Sinn; da spann sich denn weiter nichts an, zum wenigsten nicht, daß ich's wüßte. Genug, ein Stündchen später in der Laube beim Brunnen erwisch' ich ein Motiv, wie ich es glücklicher und besser zu keiner andern Zeit, auf keinem andern Weg erfunden haben würde. Man macht bisweilen in der Kunst besondere Erfahrungen: ein ähnlicher Streich ist mir nie vorgekommen. Denn eine Melodie, dem Vers wie auf den Leib gegossen – doch, um nicht vorzugreifen, so weit sind wir noch nicht: der Vogel hatte nur den Kopf erst aus dem Ei, und auf der Stelle fing ich an, ihn vollends rein herauszuschälen. Dabei schwebte mir lebhaft der Tanz der Zerline vor Augen, und wunderlich spielte zugleich die lachende Landschaft am Golf von Neapel herein. Ich hörte die wechselnden Stimmen des Brautpaares, die Dirnen und Bursche im Chor.«

Hier trällerte Mozart ganz lustig den Anfang des Liedchens:

Giovinette, che fatte all' amore, che fatte all' amore,
Non lasciate, che passi l'età, che passi l'età, che passi l'età!
Se nel seno vi bulica il core, vi bulica il core,
Il remedio vedete lo quà! La la la! La la la!
[187] Che piacer, che piacer che sarà!
Ah la la! Ah la la u. s. w.39

39

Liebe Schwestern, zur Liebe geboren,
Nützt der Jugend schön blühende Zeit!
Hängt ihr 's Köpfchen in Sehnsucht verloren,
Amor ist euch zu helfen bereit.
Tra la la!
Welch Vergnügen erwartet euch da! u. s. w.

»Mittlerweile hatten meine Hände das große Unheil angerichtet. Die Nemesis lauerte schon an der Hecke und trat jetzt hervor in Gestalt des entsetzlichen Mannes im galonierten blauen Rock. Ein Ausbruch des Vesuvio, wenn er in Wirklichkeit damals an dem göttlichen Abend am Meer Zuschauer und Akteurs, die ganze Herrlichkeit Parthenopes mit einem schwarzen Aschenregen urplötzlich verschüttet und zugedeckt hätte, bei Gott! die Katastrophe wäre mir nicht unerwarteter und schrecklicher gewesen. Der Satan der! so heiß hat mir nicht leicht jemand gemacht. Ein Gesicht wie aus Erz, einigermaßen dem grausamen römischen Kaiser Tiberius ähnlich! Sieht so der Diener aus, dacht' ich, nachdem er weggegangen, wie mag erst Seine Gnaden selbst dreinsehen! Jedoch, die Wahrheit zu gestehn, ich rechnete schon ziemlich auf den Schutz der Damen, und das nicht ohne Grund. Denn diese Stanzel da, mein Weibchen, etwas neugierig von Natur, ließ sich im Wirtshaus von der dicken Frau das Wissenswürdigste von denen sämtlichen Persönlichkeiten[188] der gnädigen Herrschaft in meinem Beisein erzählen, ich stand dabei und hörte so –«

Hier konnte Madame Mozart nicht umhin, ihm in das Wort zu fallen und auf das angelegentlichste zu versichern, daß im Gegenteil er der Ausfrager gewesen; es kam zu heitern Kontestationen zwischen Mann und Frau, die viel zu lachen gaben. – »Dem sei nun, wie ihm wolle,« sagte er, »kurzum, ich hörte so entfernt etwas von einer lieben Pflegetochter, welche Braut, sehr schön, dazu die Güte selber sei und singe wie ein Engel. Per Dio! fiel mir jetzt ein, das hilft dir aus der Lauge. Du setz'st dich auf der Stelle hin, schreibst 's Liedchen auf, so weit es geht, erklärst die Sottise der Wahrheit gemäß, und es gibt einen trefflichen Spaß. Gedacht, getan! Ich hatte Zeit genug, auch fand sich noch ein sauberes Bögchen grün liniiert Papier. – Und hier ist das Produkt. Ich lege es in diese schönen Hände, ein Brautlied aus dem Stegreif, wenn Sie es dafür gelten lassen.«

So reichte er sein reinlichst geschriebenes Notenblatt Eugenien über den Tisch; des Onkels Hand kam aber der ihrigen zuvor, er haschte es hinweg und rief: »Geduld noch einen Augenblick, mein Kind!«

Auf seinen Wink tat sich die Flügeltüre des Salons weit auf, und es erschienen einige Diener, die den verhängnisvollen Pomeranzenbaum anständig, ohne Geräusch in den Saal hereintrugen und an[189] der Tafel unten auf eine Bank niedersetzten; gleichzeitig wurden rechts und links zwei schlanke Myrtenbäumchen aufgestellt. Eine am Stamm des Orangenbaums befestigte Inschrift bezeichnete ihn als Eigentum der Braut; vorn aber auf dem Moosgrund stand, mit einer Serviette bedeckt, ein Porzellanteller, der, als man das Tuch hinwegnahm, eine zerschnittene Orange zeigte, neben welche der Oheim mit listigem Blick des Meisters Autographon steckte. Allgemeiner, unendlicher Jubel erhob sich darüber.

»Ich glaube gar,« sagte die Gräfin, »Eugenie weiß noch nicht einmal, was eigentlich da vor ihr steht. Sie kennt wahrhaftig ihren alten Liebling in seinem neuen Flor und Früchteschmuck nicht mehr!«

Bestürzt, ungläubig sah das Fräulein bald den Baum, bald ihren Oheim an. »Es ist nicht möglich,« sagte sie. »Ich weiß ja wohl, er war nicht mehr zu retten.«

»Du meinst also,« versetzte jener, »man habe dir nur irgend ungefähr so ein Ersatzstück ausgesucht? Das wär' was Recht's! Nein, sieh nur her! – ich muß es machen, wie's in der Komödie der Brauch ist, wo sich die totgeglaubten Söhne oder Brüder durch ihre Muttermäler und Narben legitimieren. Schau diesen Auswuchs da! und hier die Schrunde übers Kreuz! Du mußt sie hundertmal bemerkt haben. Nun, ist er's, oder ist er's nicht?« – Sie konnte nicht mehr zweifeln; ihr Staunen, ihre Rührung und Freude war unbeschreiblich.

[190]

Es knüpfte sich an diesen Baum für die Familie das mehr als hundertjährige Gedächtnis einer ausgezeichneten Frau, welche wohl verdient, daß wir ihrer mit wenigem hier gedenken.

Des Oheims Großvater, durch seine diplomatischen Verdienste im Wiener Kabinett rühmlichst bekannt, von zwei Regenten nacheinander mit gleichem Vertrauen beehrt, war innerhalb seines eigenen Hauses nicht minder glücklich im Besitz einer vortrefflichen Gemahlin, Renate Leonore. Ihr wiederholter Aufenthalt in Frankreich brachte sie vielfach mit dem glänzenden Hofe Ludwigs XIV. und mit den bedeutendsten Männern und Frauen dieser merkwürdigen Epoche in Berührung. Bei ihrer unbefangenen Teilnahme an jenem steten Wechsel des geistreichen Lebensgenusses verleugnete sie auf keinerlei Art in Worten und Werken die angestammte deutsche Ehrenfestigkeit und sittliche Strenge, die sich in den kräftigen Zügen des noch vorhandenen Bildnisses der Gräfin unverkennbar ausprägt. Vermöge eben dieser Denkungsweise übte sie in der gedachten Sozietät eine eigentümliche naive Opposition, und ihre hinterlassene Korrespondenz weist eine Menge Spuren davon auf, mit wie viel Freimut und herzhafter Schlagfertigkeit, es mochte nun von Glaubenssachen, von Literatur und Politik, oder von was immer die Rede sein, die originelle Frau ihre gesunden Grundsätze und Ansichten zu verteidigen, die Blößen der Gesellschaft anzugreifen wußte, ohne doch[191] dieser im mindesten sich lästig zu machen. Ihr reges Interesse für sämtliche Personen, die man im Hause einer Ninon, dem eigentlichen Herd der feinsten Geistesbildung, treffen konnte, war demnach so beschaffen und geregelt, daß es sich mit dem höheren Freundschaftsverhältnis zu einer der edelsten Damen jener Zeit, der Frau von Sévigné, vollkommen wohl vertrug. Neben manchen mutwilligen Scherzen Chapelles an sie, vom Dichter eigenhändig auf Blätter mit silberblumigem Rande gekritzelt, fanden sich die liebevollsten Briefe der Marquisin und ihrer Tochter an die ehrliche Freundin aus Österreich nach ihrem Tod in einem Ebenholzschränkchen der Großmutter vor.

Frau von Sévigné war es denn auch, aus deren Hand sie eines Tages bei einem Feste zu Trianon auf der Terrasse des Gartens den blühenden Orangenzweig empfing, den sie sofort auf das Geratewohl in einen Topf setzte und glücklich angewurzelt mit nach Deutschland nahm.

Wohl fünfundzwanzig Jahre wuchs das Bäumchen unter ihren Augen allgemach heran und wurde später von Kindern und Enkeln mit äußerster Sorgfalt gepflegt. Es konnte nächst seinem persönlichen Werte zugleich als lebendes Symbol der feingeistigen Reize eines beinahe vergötterten Zeitalters gelten, worin wir heutzutage freilich des wahrhaft Preisenswerten wenig finden können, und das schon eine unheilvolle Zukunft in sich trug, deren welterschütternder[192] Eintritt dem Zeitpunkt unserer harmlosen Erzählung bereits nicht ferne mehr lag.

Die meiste Liebe widmete Eugenie dem Vermächtnis der würdigen Ahnfrau, weshalb der Oheim öfters merken ließ, es dürfte wohl einst eigens in ihre Hände übergehen. Desto schmerzlicher war es dem Fräulein denn auch, als der Baum im Frühling des vorigen Jahres, den sie nicht hier zubrachte, zu trauern begann, die Blätter gelb wurden und viele Zweige abstarben. In Betracht, daß irgend eine besondere Ursache seines Verkommens durchaus nicht zu entdecken war und keinerlei Mittel anschlug, gab ihn der Gärtner bald verloren, obwohl er seiner natürlichen Ordnung nach leicht zwei- und dreimal älter werden konnte. Der Graf hingegen, von einem benachbarten Kenner beraten, ließ ihn nach einer sonderbaren, selbst rätselhaften Vorschrift, wie sie das Landvolk häufig hat, in einem abgesonderten Raume ganz insgeheim behandeln, und seine Hoffnung, die geliebte Nichte eines Tags mit dem zu neuer Kraft und voller Fruchtbarkeit gelangten alten Freund zu überraschen, ward über alles Erwarten erfüllt. Mit Überwindung seiner Ungeduld und nicht ohne Sorge, ob denn wohl auch die Früchte, von denen etliche zuletzt den höchsten Grad der Reife hatten, so lang' am Zweige halten würden, verschob er die Freude um mehrere Wochen auf das heutige Fest, und es bedarf nun weiter keines Worts darüber, mit welcher Empfindung der gute[193] Herr ein solches Glück noch im letzten Moment durch einen Unbekannten sich verkümmert sehen mußte.

Der Leutnant hatte schon vor Tische Gelegenheit und Zeit gefunden, seinen dichterischen Beitrag zu der feierlichen Übergabe ins reine zu bringen und seine vielleicht ohnehin etwas zu ernst gehaltenen Verse durch einen veränderten Schluß den Umständen möglichst anzupassen. Er zog nunmehr sein Blatt hervor, das er, vom Stuhle sich erhebend und an die Cousine gewendet, vorlas. Der Inhalt der Strophen war kurz gefaßt dieser:

Ein Nachkömmling des vielgepriesenen Baums der Hesperiden, der vor alters auf einer westlichen Insel im Garten der Juno, als eine Hochzeitsgabe für sie von Mutter Erde, hervorgesproßt war und welchen die drei melodischen Nymphen bewachten, hat eine ähnliche Bestimmung von jeher gewünscht und gehofft, da der Gebrauch, eine herrliche Braut mit seinesgleichen zu beschenken, von den Göttern vorlängst auch unter die Sterblichen kam.

Nach langem vergeblichen Warten scheint endlich die Jungfrau gefunden, auf die er seine Blicke richten darf. Sie erzeigt sich ihm günstig und verweilt oft bei ihm. Doch der musische Lorbeer, sein stolzer Nachbar am Bord der Quelle, hat seine Eifersucht erregt, indem er droht, der kunstbegabten Schönen Herz und Sinn für die Liebe der Männer zu rauben. Die Myrte tröstet ihn umsonst und lehrt[194] ihn Geduld durch ihr eigenes Beispiel; zuletzt jedoch ist es die andauernde Abwesenheit der Liebsten, was seinen Gram vermehrt und ihm nach kurzem Siechtum tödlich wird.

Der Sommer bringt die Entfernte und bringt sie mit glücklich umgewandtem Herzen zurück. Das Dorf, das Schloß, der Garten, alles empfängt sie mit tausend Freuden. Rosen und Lilien in erhöhtem Schimmer sehen entzückt und beschämt zu ihr auf, Glück winken ihr Sträucher und Bäume: für einen, ach, den edelsten, kommt sie zu spät. Sie findet seine Krone verdorrt, ihre Finger betasten den leblosen Stamm und die klirrenden Spitzen seines Gezweigs. Er kennt und sieht seine Pflegerin nimmer. Wie weint sie, wie strömt ihre zärtliche Klage!

Apollo von weitem vernimmt die Stimme der Tochter. Er kommt, er tritt herzu und schaut mitfühlend ihren Jammer. Alsbald mit seinen allheilenden Händen berührt er den Baum, daß er in sich erbebt, der vertrocknete Saft in der Rinde gewaltsam anschwillt, schon junges Laub ausbricht, schon weiße Blumen da und dort in ambrosischer Fülle aufgehen. Ja – denn was vermöchten die Himmlischen nicht? – schön runde Früchte setzen an, dreimal drei nach der Zahl der neun Schwestern; sie wachsen und wachsen, ihr kindliches Grün zusehends mit der Farbe des Goldes vertauschend. Phöbus – so schloß sich das Gedicht –

[195]

Phöbus überzählt die Stücke,
Weidet selbsten sich daran,
Ja, es fängt im Augenblicke
Ihm der Mund zu wässern an.
Lächelnd nimmt der Gott der Töne
Von der saftigsten Besitz:
»Laß uns teilen, holde Schöne,
Und für Amorn – diesen Schnitz!«

Der Dichter erntete rauschenden Beifall, und gern verzieh man die barocke Wendung, durch welche der Eindruck des wirklich gefühlvollen Ganzen so völlig aufgehoben wurde.

Franziska, deren froher Mutterwitz schon zu verschiedenen Malen bald durch den Hauswirt, bald durch Mozart in Bewegung gesetzt worden war, lief jetzt geschwinde, wie von ungefähr an etwas erinnert, hinweg und kam zurück mit einem braunen englischen Kupferstich größten Formats, welcher, wenig beachtet, in einem ganz entfernten Kabinett unter Glas und Rahmen hing.

»Es muß doch wahr sein, was ich immer hörte,« rief sie aus, indem sie das Bild am Ende der Tafel aufstellte, »daß sich unter der Sonne nichts Neues begibt! Hier eine Szene aus dem goldenen Weltalter – und haben wir sie nicht erst heute erlebt? Ich hoffe doch, Apollo werde sich in dieser Situation erkennen.«

»Vortrefflich!« triumphierte Max, »da hätten wir ihn ja, den schönen Gott, wie er sich just gedankenvoll[196] über den heiligen Quell hinbeugt. Und damit nicht genug – dort, seht nur, einen alten Satyr hinten im Gebüsch, der ihn belauscht! Man möchte darauf schwören, Apoll besinnt sich eben auf ein lange vergessenes arkadisches Tänzchen, das ihn in seiner Kindheit der alte Chiron zu der Zither lehrte.«

»So ist's! nicht anders!« applaudierte Franziska, die hinter Mozart stand. »Und,« fuhr sie gegen diesen fort, »bemerken Sie auch wohl den fruchtbeschwerten Ast, der sich zum Gott heruntersenkt?«

»Ganz recht! es ist der ihm geweihte Ölbaum.«

»Keineswegs! die schönsten Apfelsinen sind's! Gleich wird er sich in der Zerstreuung eine herunterholen.«

»Vielmehr,« rief Mozart, »er wird gleich diesen Schelmenmund mit tausend Küssen schließen.« Damit erwischte er sie am Arm und schwur, sie nicht mehr loszulassen, bis sie ihm ihre Lippen reiche, was sie denn auch ohne vieles Sträuben tat.

»Erkläre uns doch, Max,« sagte die Gräfin, »was unter dem Bilde hier steht!«

»Es sind Verse aus einer berühmten Horazischen Ode. Der Dichter Ramler in Berlin hat uns das Stück vor kurzem unübertrefflich deutsch gegeben. Es ist vom höchsten Schwung. Wie prächtig eben diese eine Stelle:

– – hier, der auf der Schulter
Keinen untätigen Bogen führet.
[197] Der seines Delos grünenden Mutterhain
Und Pataras beschatteten Strand bewohnt,
Der seines Hauptes goldne Locken
In die kastalischen Fluten tauchet.«

»Schön! wirklich schön!« sagte der Graf. »Nur hie und da bedarf es der Erläuterung. So z. B. ›der keinen untätigen Bogen führet‹ hieße natürlich schlechtweg: der allezeit einer der fleißigsten Geiger gewesen. Doch was ich sagen wollte: Bester Mozart, Sie säen Unkraut zwischen zwei zärtliche Herzen.«

»Ich will nicht hoffen – wie so?«

»Eugenie beneidet ihre Freundin und hat auch allen Grund.«

»Aha! Sie haben mir schon meine schwache Seite abgemerkt. Aber was sagt der Bräutigam dazu?«

»Ein- oder zweimal will ich durch die Finger sehen.«

»Sehr gut! wir werden der Gelegenheit wahrnehmen. Indes fürchten Sie nichts, Herr Baron! es hat keine Gefahr, solang' mir nicht der Gott hier sein Gesicht und seine langen gelben Haare borgt. Ich wünsche wohl, er tät's! Er sollte auf der Stelle Mozarts Zopf mitsamt seinem schönsten Bandl dafür haben.«

»Apollo möge aber dann zusehen,« lachte Franziska, »wie er es anfängt künftig, seinen neuen französischen Haarschmuck mit Anstand in die kastalische Flut zu tauchen!«

Unter diesen und ähnlichen Scherzen stieg Lustigkeit[198] und Mutwillen immer mehr. Die Männer spürten nach und nach den Wein, es wurden eine Menge Gesundheiten getrunken, und Mozart kam in den Zug, nach seiner Gewohnheit in Versen zu sprechen, wobei ihm der Leutnant das Gleichgewicht hielt und auch der Papa nicht zurückbleiben wollte; es glückte ihm ein paarmal zum Verwundern. Doch solche Dinge lassen sich für die Erzählung kaum festhalten: sie wollen eigentlich nicht wiederholt sein, weil eben das, was sie an ihrem Ort unwiderstehlich macht, die allgemein erhöhte Stimmung, der Glanz, die Jovialität des persönlichen Ausdrucks, in Wort und Blick fehlt.

Unter andern wurde von dem alten Fräulein zu Ehren des Meisters ein Toast ausgebracht, der ihm noch eine ganze lange Reihe unsterblicher Werke verhieß. – »A la bonne heure! ich bin dabei,« rief Mozart und stieß sein Kelchglas kräftig an. Der Graf begann hierauf mit großer Macht und Sicherheit der Intonation kraft eigener Eingebung zu singen:

Mögen ihn die Götter stärken
Zu den angenehmen Werken –

Max (fortfahrend):

Wovon der da Ponte weder
Noch der große Schikaneder –

Mozart:

Noch bi Gott der Komponist
's Mindest weiß zu dieser Frist!

[199]

Graf:

Alle, alle soll sie jener
Hauptspitzbub von Italiener
Noch erleben, wünsch' ich sehr,
Unser Signor Bonbonnière!40

Max:

Gut, ich geb' ihm hundert Jahre –

Mozart:

Wenn ihn nicht samt seiner Ware –

Alle drei con forza:

Noch der Teufel holt vorher,
Unsern Monsieur Bonbonnière.

40 So nannte Mozart unter Freunden seinen Kollegen Salierie, der, wo er ging und stand, Zuckerwerk naschte, zugleich mit Anspielung auf das Zierliche seiner Person.

Durch des Grafen ausnehmende Singlust schweifte das zufällig entstandene Terzett mit Wiederaufnahme der letzten vier Zeilen in einen sogenannten endlichen Kanon aus, und die Fräulein Tante besaß Humor oder Selbstvertrauen genug, ihren verfallenen Soprano mit allerhand Verzierungen zweckdienlich einzumischen. Mozart gab nachher das Versprechen, bei guter Muße diesen Spaß nach den Regeln der Kunst expreß für die Gesellschaft auszuführen, das er auch später von Wien aus erfüllte.

Eugenie hatte sich im stillen längst mit ihrem Kleinod aus der Laube des Tiberius vertraut gemacht; allgemein verlangte man jetzt, das Duett vom Komponisten und ihr gesungen zu hören, und[200] der Oheim war glücklich, im Chor seine Stimme abermals geltend zu machen. Also erhob man sich und eilte zum Klavier ins große Zimmer nebenan.

Ein so reines Entzücken nun auch das köstliche Stück bei allen erregte, so führte doch sein Inhalt selbst mit einem raschen Übergang auf den Gipfel geselliger Lust, wo die Musik an und für sich nicht weiter in Betracht mehr kommt, und zwar gab zuerst unser Freund das Signal, indem er vom Klavier aufsprang, auf Franziska zuging und sie, während Max bereitwilligst die Violine ergriff, zu einem Schleifer persuadierte. Der Hauswirt säumte nicht, Madonna Mozart aufzufordern. Im Nu waren alle beweglichen Möbel, den Raum zu erweitern, durch geschäftige Diener entfernt. Es mußte nach und nach ein jedes an die Tour, und Fräulein Tante nahm es keineswegs übel, daß der galante Leutnant sie zu einer Menuett abholte, worin sie sich völlig verjüngte. Schließlich, als Mozart mit der Braut den Kehraus tanzte, nahm er sein versichertes Recht auf ihren schönen Mund in bester Form dahin.

Der Abend war herbeigekommen, die Sonne nah am Untergehen: es wurde nun erst angenehm im Freien, daher die Gräfin den Damen vorschlug, sich im Garten noch ein wenig zu erholen. Der Graf dagegen lud die Herren auf das Billardzimmer, da Mozart bekanntlich dies Spiel sehr liebte. So teilte man sich denn in zwei Partieen, und wir unsererseits folgen den Frauen.

[201]

Nachdem sie den Hauptweg einigemal gemächlich auf und ab gegangen, erstiegen sie einen runden, von einem hohen Rebengeländer zur Hälfte umgebenen Hügel, von wo man in das offene Feld, auf das Dorf und die Landstraße sah. Die letzten Strahlen der herbstlichen Sonne funkelten rötlich durch das Weinlaub herein.

»Wäre hier nicht vertraulich zu sitzen,« sagte die Gräfin, »wenn Madame Mozart uns etwas von sich und dem Gemahl erzählen wollte?«

Sie war ganz gerne bereit, und alle nahmen höchst behaglich auf den im Kreis herbeigerückten Stühlen Platz.

»Ich will etwas zum besten geben, daß Sie auf alle Fälle hätten hören müssen, da sich ein kleiner Scherz darauf bezieht, den ich im Schilde führe. Ich habe mir in den Kopf gesetzt, der Gräfin Braut zur fröhlichen Erinnerung an diesen Tag ein Angebind von sonderlicher Qualität zu verehren. Dasselbe ist so wenig Gegenstand des Luxus und der Mode, daß es lediglich nur durch seine Geschichte einigermaßen interessieren kann.«

»Was mag das sein, Eugenie?« sagte Franziska. »Zum wenigsten das Tintenfaß eines berühmten Mannes.«

»Nicht allzuweit gefehlt! Sie sollen es noch diese Stunde sehen; im Reisekoffer liegt der Schatz. Ich fange an und werde mit Ihrer Erlaubnis ein wenig weiter ausholen.

[202]

Vorletzten Winter wollte mir Mozarts Gesundheitszustand durch vermehrte Reizbarkeit und häufige Verstimmung, ein fieberhaftes Wesen, nachgerade bange machen. In Gesellschaft noch zuweilen lustig, oft mehr als recht natürlich, war er zu Haus meist trüb in sich hinein, seufzte und klagte. Der Arzt empfahl ihm Diät, Pyrmonter und Bewegung außerhalb der Stadt. Der Patient gab nicht viel auf den guten Rat: die Kur war unbequem, zeitraubend, seinem Taglauf schnurstracks entgegen. Nun machte ihm der Doktor die Hölle etwas heiß: er mußte eine lange Vorlesung anhören von der Beschaffenheit des menschlichen Geblüts, von denen Kügelgens darin, vom Atemholen und vom Phlogiston – halt unerhörte Dinge, auch wie es eigentlich gemeint sei von der Natur mit Essen, Trinken und Verdauen, das eine Sache ist, worüber Mozart bis dahin ganz ebenso unschuldig dachte wie sein Junge von fünf Jahren. Die Lektion, in der Tat, machte merklichen Eindruck. Der Doktor war noch keine halbe Stunde weg, so find' ich meinen Mann nachdenklich, aber mit aufgeheitertem Gesicht auf seinem Zimmer über der Betrachtung eines Stocks, den er in einem Schrank mit alten Sachen suchte und auch glücklich fand; ich hätte nicht gemeint, daß er sich dessen nur erinnerte. Er stammte noch von meinem Vater: ein schönes Rohr mit hohem Knopf von Lapis Lazuli. Nie sah man einen Stock in Mozarts Hand; ich mußte lachen.

»Du siehst,« rief er, »ich bin daran, mit meiner[203] Kur mich völlig ins Geschirr zu werfen. Ich will das Wasser trinken, mir alle Tage Motion im Freien machen und mich dabei dieses Stabes bedienen. Da sind mir nun verschiedene Gedanken beigegangen. Es ist doch nicht umsonst, dacht' ich, daß andere Leute, was da gesetzte Männer sind, den Stock nicht missen können. Der Kommerzienrat, unser Nachbar, geht niemals über die Straße, seinen Gevatter zu besuchen, der Stock muß mit. Professionisten und Beamte, Kanzleiherrn, Krämer und Chalanten, wenn sie am Sonntag mit Familie vor die Stadt spazieren, ein jeder führt sein wohlgedientes, rechtschaffenes Rohr mit sich. Vornehmlich hab' ich oft bemerkt, wie auf dem Stephansplatz ein Viertelstündchen vor der Predigt und dem Amt ehrsame Bürger da und dort truppweis beisammen stehen im Gespräch: hier kann man so recht sehen, wie eine jede ihrer stillen Tugenden, ihr Fleiß und Ordnungsgeist, gelassner Mut, Zufriedenheit, sich auf die wackern Stöcke gleichsam als eine gute Stütze lehnt und stemmt. Mit einem Wort, es muß ein Segen und besonderer Trost in der altväterischen und immerhin etwas geschmacklosen Gewohnheit liegen. Du magst es glauben oder nicht, ich kann es kaum erwarten, bis ich mit diesem guten Freund das erstemal im Gesundheitspaß über die Brücke nach dem Rennweg promeniere. Wir kennen uns bereits ein wenig, und ich hoffe, daß unsere Verbindung für alle Zeit geschlossen ist.«

[204]

Die Verbindung war von kurzer Dauer: das drittemal, daß beide miteinander aus waren, kam der Begleiter nicht mehr mit zurück. Ein anderer wurde angeschafft, der etwas länger Treue hielt, und jedenfalls schrieb ich der Stockliebhaberei ein gut Teil von der Ausdauer zu, womit Mozart drei Wochen lang der Vorschrift seines Arztes ganz erträglich nachkam. Auch blieben die guten Folgen nicht aus: wir sahen ihn fast nie so frisch, so hell und von so gleichmäßiger Laune. Doch machte er sich leider in kurzem wieder allzu grün, und täglich hatt' ich deshalb meine Not mit ihm. Damals geschah es nun, daß er, ermüdet von der Arbeit eines anstrengenden Tages, noch spät ein paar neugieriger Reisender wegen zu einer musikalischen Soiree ging – auf eine Stunde bloß, versprach er mir heilig und teuer; doch das sind immer die Gelegenheiten, wo die Leute, wenn er nur erst am Flügel festsitzt und im Feuer ist, seine Gutherzigkeit am mehrsten mißbrauchen; denn da sitzt er alsdann wie das Männchen in einer Montgolfiere, sechs Meilen hoch über dem Erdboden schwebend, wo man die Glocken nicht mehr schlagen hört. Ich schickte den Bedienten zweimal mitten in der Nacht dahin: umsonst; er konnte nicht zu seinem Herrn gelangen. Um drei Uhr früh kam dieser denn endlich nach Haus. Ich nahm mir vor, den ganzen Tag ernstlich mit ihm zu schmollen.«

Hier überging Madame Mozart einige Umstände[205] mit Stillschweigen. Es war, muß man wissen, nicht unwahrscheinlich, daß zu gedachter Abendunterhaltung auch eine junge Sängerin, Signora Malerbi, kommen würde, an welcher Frau Konstanze mit allem Recht Ärgernis nahm. Diese Römerin war durch Mozarts Verwendung bei der Oper angestellt worden, und ohne Zweifel hatten ihre koketten Künste nicht geringen Anteil an der Gunst des Meisters. Sogar wollten einige wissen, sie habe ihn mehrere Monate lang eingezogen und heiß genug auf ihrem Rost gehalten. Ob dies nun völlig wahr sei oder sehr übertrieben, gewiß ist, sie benahm sich nachher frech und undankbar und erlaubte sich selbst Spöttereien über ihren Wohltäter. So war es ganz in ihrer Art, daß sie ihn einst gegenüber einem ihrer glücklichern Verehrer kurzweg un piccolo grifo raso (ein kleines rasiertes Schweinsrüsselchen) nannte. Der Einfall, einer Circe würdig, war um so empfindlicher, weil er, wie man gestehen muß, immerhin ein Körnchen Wahrheit enthielt.41

41 Man hat hier ein älteres kleines Profilbild im Auge, das, gut gezeichnet und gestochen, sich auf dem Titelblatt eines Mozartschen Klavierwerks befindet, unstreitig das ähnlichste von allen auch neuerdings im Kunsthandel erschienenen Porträts.

Beim Nachhausegehen von jener Gesellschaft, bei welcher übrigens die Sängerin zufällig nicht erschienen war, beging ein Freund im Übermut des Weins die Indiskretion, dem Meister dies boshafte[206] Wort zu verraten. Er wurde schlecht davon erbaut, denn eigentlich war es für ihn der erste unzweideutige Beweis von der gänzlichen Herzlosigkeit seines Schützlings. Vor lauter Entrüstung darüber empfand er nicht einmal sogleich den frostigen Empfang am Bette seiner Frau. In einem Atem teilte er ihr die Beleidigung mit, und diese Ehrlichkeit läßt wohl auf einen mindern Grad von Schuldbewußtsein schließen. Fast machte er ihr Mitleid rege. Doch hielt sie geflissentlich an sich; es sollte ihm nicht so leicht hingehen. Als er von einem schweren Schlaf kurz nach Mittag erwachte, fand er das Weibchen samt den beiden Knaben nicht zu Hause, vielmehr säuberlich den Tisch für ihn allein gedeckt.

Von jeher gab es wenige Dinge, welche Mozart so unglücklich machten, als wenn nicht alles hübsch eben und heiter zwischen ihm und seiner guten Hälfte stand. Und hätte er nun erst gewußt, welche weitere Sorge sie schon seit mehreren Tagen mit sich herumtrug! Eine der schlimmsten in der Tat, mit deren Eröffnung sie ihn nach alter Gewohnheit so lange wie möglich verschonte. Ihre Barschaft war ehestens alle und keine Aussicht auf baldige Einnahme da. Ohne Ahnung von dieser häuslichen Extremität war gleichwohl sein Herz auf eine Art beklommen, die mit jenem verlegenen, hilflosen Zustand eine gewisse Ähnlichkeit hatte. Er mochte nicht essen, er konnte nicht bleiben. Geschwind zog er sich[207] vollends an, um nur aus der Stickluft des Hauses zu kommen. Auf einem offenen Zettel hinterließ er ein paar Zeilen italienisch: »Du hast mir's redlich eingetränkt, und geschieht mir schon recht. Sei aber wieder gut, ich bitte dich, und lache wieder, bis ich heimkomme! Mir ist zu Mut, als möcht' ich ein Kartäuser und Trappiste werden, ein rechter Heulochs, sag' ich dir.« – Sofort nahm er den Hut, nicht aber auch den Stock zugleich; der hatte seine Epoche passiert.

Haben wir Frau Konstanze bis hierher in der Erzählung abgelöst, so können wir auch wohl noch eine kleine Strecke weiter fortfahren.

Von seiner Wohnung bei der Schranne, rechts gegen das Zeughaus einbiegend, schlenderte der teure Mann – es war ein warmer, etwas umwölkter Sommernachmittag – nachdenklich lässig über den sogenannten Hof und weiter an der Pfarre zu unsrer lieben Frau vorbei, dem Schottentor entgegen, wo er seitwärts zur Linken auf die Mölkerbastei stieg und dadurch der Ansprache mehrerer Bekannten, die eben zur Stadt hereinkamen, entging. Nur kurze Zeit genoß er hier, obwohl von einer stumm bei den Kanonen auf und nieder gehenden Schildwache nicht belästigt, der vortrefflichsten Aussicht über die grüne Ebene des Glacis und die Vorstädte hin nach dem Kahlenberg und südlich nach den steierischen Alpen. Die schöne Ruhe der äußern Natur widersprach seinem innern Zustand. Mit[208] einem Seufzer setzte er seinen Gang über die Esplanade und sodann durch die Alser-Vorstadt ohne bestimmten Zielpunkt fort.

Am Ende der Währinger Gasse lag eine Schenke mit Kegelbahn, deren Eigentümer, ein Seilermeister, durch seine gute Ware wie durch die Reinheit seines Getränks den Nachbarn und Landleuten, die ihr Weg vorüberführte, gar wohl bekannt war. Man hörte Kegelschieben, und übrigens ging es bei einer Anzahl von höchstens einem Dutzend Gästen mäßig zu. Ein kaum bewußter Trieb, sich unter anspruchslosen, natürlichen Menschen in etwas zu vergessen, bewog den Musiker zur Einkehr. Er setzte sich an einen der sparsam von Bäumen beschatteten Tische zu einem Wiener Brunnen-Obermeister und zwei andern Spießbürgern, ließ sich ein Schöppchen kommen und nahm an ihrem sehr alltäglichen Diskurs eingehend teil, ging dazwischen umher oder schaute dem Spiel auf der Kegelbahn zu.

Unweit von der letztern an der Seite des Hauses befand sich der offene Laden des Seilers, ein schmaler, mit Fabrikaten vollgepfropfter Raum, weil außer dem, was das Handwerk zunächst lieferte, auch allerlei hölzernes Küchen-, Keller- und landwirtschaftliches Gerät, ingleichem Tran und Wagensalbe, auch weniges von Sämereien, Dill und Kümmel zum Verkauf umherstand oder hing. Ein Mädchen, das als Kellnerin die Gäste zu bedienen und nebenbei den Laden zu besorgen hatte,[209] war eben mit einem Bauern beschäftigt, welcher, sein Söhnlein an der Hand, herzugetreten war, um einiges zu kaufen: ein Fruchtmaß, eine Bürste, eine Geißel. Er suchte unter vielen Stücken eines heraus, prüfte es, legte es weg, ergriff ein zweites und drittes und kehrte unschlüssig zum ersten zurück; es war kein Fertigwerden. Das Mädchen entfernte sich mehrmals der Aufwartung wegen, kam wieder und war unermüdlich, ihm seine Wahl zu erleichtern und annehmlich zu machen, ohne daß sie zu viel darum schwatzte.

Mozart sah und hörte auf einem Bänkchen bei der Kegelbahn diesem allem mit Vergnügen zu. So sehr ihm auch das gute, verständige Betragen des Mädchens, die Ruhe und der Ernst in ihren ansprechenden Zügen gefiel, noch mehr interessierte ihn für jetzt der Bauer, welcher ihm, nachdem er ganz befriedigt abgezogen, noch viel zu denken gab. Er hatte sich vollkommen in den Mann hineinversetzt gefühlt, wie wichtig die geringe Angelegenheit von ihm behandelt, wie ängstlich und gewissenhaft die Preise, bei einem Unterschied von wenig Kreuzern, hin und her erwogen wurden. Und, dachte er, wenn nun der Mann zu seinem Weibe heimkommt, ihr seinen Handel rühmt, die Kinder alle passen, bis der Zwerchsack aufgeht, darin auch was für sie sein mag: sie aber eilt, ihm einen Imbiß und einen frischen Trunk selbstgekelterten Obstmost zu holen, darauf er seinen ganzen Appetit verspart hat!

[210]

Wer auch so glücklich wäre, so unabhängig von den Menschen! ganz nur auf die Natur gestellt und ihren Segen, wie sauer auch dieser erworben sein will!

Ist aber mir mit meiner Kunst ein anderes Tagwerk anbefohlen, das ich am Ende doch mit keinem in der Welt vertauschen würde: warum muß ich dabei in Verhältnissen leben, die das gerade Widerspiel von solch unschuldiger, einfacher Existenz ausmachen? Ein Gütchen, wenn du hättest, ein kleines Haus bei einem Dorf in schöner Gegend, du solltest wahrlich neu aufleben! Den Morgen über fleißig bei deinen Partituren, die ganze übrige Zeit bei der Familie; Bäume pflanzen, deinen Acker besuchen, im Herbst mit den Buben die Äpfel und die Birn heruntertun; bisweilen eine Reise in die Stadt zu einer Aufführung und sonst von Zeit zu Zeit ein Freund und mehrere bei dir – welch eine Seligkeit! Nun ja, wer weiß, was noch geschieht!

Er trat vor den Laden, sprach freundlich mit dem Mädchen und fing an, ihren Kram genauer zu betrachten. Bei der unmittelbaren Verwandtschaft, welche die meisten dieser Dinge zu jenem idyllischen Anfluge hatten, zog ihn die Sauberkeit, das Helle, Glatte, selbst der Geruch der mancherlei Holzarbeiten an. Es fiel ihm plötzlich ein, verschiedenes für seine Frau, was ihr nach seiner Meinung angenehm und nutzbar wäre, auszuwählen. Sein Augenmerk ging zuvörderst auf Gartenwerkzeug. Konstanze hatte[211] nämlich vor Jahr und Tag auf seinen Antrieb ein Stückchen Land vor dem Kärnthner Tor gepachtet und etwas Gemüse darauf gebaut, daher ihm jetzt fürs erste ein neuer großer Rechen, ein kleinerer dito samt Spaten ganz zweckmäßig schien. Dann weiteres anlangend, so macht es seinen ökonomischen Begriffen alle Ehre, daß er einem ihn sehr appetitlich anlachenden Butterfaß nach kurzer Überlegung, wiewohl ungern, entsagte, dagegen ihm ein hohes, mit Deckel und schön geschnitztem Henkel versehenes Geschirr zu unmaßgeblichem Gebrauch einleuchtete. Es war aus schmalen Stäben von zweierlei Holz, abwechselnd hell und dunkel, zusammengesetzt, unten weiter als oben und innen trefflich ausgepicht. Entschieden für die Küche empfahl sich eine schöne Auswahl Rührlöffel, Wellhölzer, Schneidbretter und Teller von allen Größen sowie ein Salzbehälter einfachster Konstruktion zum Aufhängen.

Zuletzt besah er sich noch einen derben Stock, dessen Handhabe mit Leder und runden Messingnägeln gehörig beschlagen war. Da der sonderbare Kunde auch hier in einiger Versuchung schien, bemerkte die Verkäuferin mit Lächeln, das sei just kein Tragen für Herrn. »Du hast recht, mein Kind,« versetzte er. »Mir deucht, die Metzger auf der Reise haben solche; weg damit! ich will ihn nicht. Das übrige hingegen alles, was wir da ausgelesen haben, bringst du mir heute oder morgen ins Haus.« Dabei nannte er ihr seinen Namen und die Straße.[212] Er ging hierauf, um auszutrinken, an seinen Tisch, wo von den dreien nur noch einer, ein Klempnermeister, saß.

»Die Kellnerin hat heut' mal einen guten Tag!« bemerkte der Mann. »Ihr Vetter läßt ihr vom Erlös im Laden am Gulden einen Batzen.«

Mozart freute sich nun seines Einkaufs doppelt; gleich aber sollte seine Teilnahme an der Person noch größer werden. Denn als sie wieder in die Nähe kam, rief ihr derselbe Bürger zu: »Wie steht's, Kreszenz? Was macht der Schlosser? Feilt er nicht bald sein eigen Eisen?«

»O was!« erwiderte sie im Weitereilen, »selbiges Eisen, schätz' ich, wächst noch im Berg zuhinterst.«

»Es ist ein guter Tropf,« sagte der Klempner. »Sie hat lang' ihrem Stiefvater hausgehalten und ihn in der Krankheit verpflegt, und da er tot war, kam's heraus, daß er ihr Eigenes aufgezehrt hatte; zeither dient sie da ihrem Verwandten, ist alles und alles im Geschäft, in der Wirtschaft und bei den Kindern. Sie hat mit einem braven Gesellen Bekanntschaft und würde ihn je eher, je lieber heiraten; das aber hat so seine Haken.«

»Was für? Er ist wohl auch ohne Vermögen?«

»Sie ersparten sich beide etwas, doch langt es nicht gar. Jetzt kommt mit nächstem drinnen ein halber Hausteil samt Werkstatt in Gant; dem Seiler wär's ein Leichtes, ihnen vorzuschießen, was noch zum Kaufschilling fehlt; allein er läßt die[213] Dirne natürlich nicht gern fahren. Er hat gute Freunde im Rat und bei der Zunft: da findet der Geselle nun allenthalben Schwierigkeiten.«

»Verflucht!« fuhr Mozart auf, so daß der andere erschrak und sich umsah, ob man nicht horche. »Und da ist niemand, der ein Wort nach dem Recht dareinspräche? den Herrn eine Faust vorhielte? Die Schufte, die! Wart nur, man kriegt euch noch beim Wickel!«

Der Klempner saß wie auf Kohlen. Er suchte das Gesagte auf eine ungeschickte Art zu mildern, beinahe nahm er es völlig zurück. Doch Mozart hörte ihn nicht an. »Schämt Euch, wie Ihr nun schwatzt! So macht's ihr Lumpen allemal, sobald es gilt mit etwas einzustehen.« – Und hiermit kehrte er dem Hasenfuß ohne Abschied den Rücken. Der Kellnerin, die alle Hände voll zu tun hatte mit neuen Gästen, raunte er nur im Vorbeigehen zu: »Komme morgen beizeiten, grüße mir deinen Liebsten! Ich hoffe, daß eure Sache gut geht.« Sie stutzte nur und hatte weder Zeit noch Fassung, ihm zu danken.

Geschwinder als gewöhnlich, weil der Auftritt ihm das Blut etwas in Wallung brachte, ging er vorerst denselben Weg, den er gekommen, bis an das Glacis, auf welchem er dann langsamer mit einem Umweg im weiten Halbkreis um die Wälle wandelte. Ganz mit der Angelegenheit des armen Liebespaars beschäftigt, durchlief er in Gedanken[214] eine Reihe seiner Bekannten und Gönner, die auf die eine oder andere Weise in diesem Fall etwas vermochten. Da indessen, bevor er sich irgend zu einem Schritt bestimmte, noch nähere Erklärungen von seiten des Mädchens erforderlich waren, beschloß er, diese ruhig abzuwarten, und war nunmehr, mit Herz und Sinn den Füßen vorauseilend, bei seiner Frau zu Hause.

Mit innerer Gewißheit zählte er auf einen freundlichen, ja fröhlichen Willkommen, Kuß und Umarmung schon auf der Schwelle, und Sehnsucht verdoppelte seine Schritte beim Eintritt in das Kärntner Tor. Nicht weit davon ruft ihn der Postträger an, der ihm ein kleines, doch gewichtiges Paket übergibt, worauf er eine ehrliche und akkurate Hand augenblicklich erkennt. Er tritt mit dem Boten, um ihn zu quittieren, in den nächsten Kaufladen; dann, wieder auf der Straße, kann er sich nicht bis in sein Haus gedulden; er reißt die Siegel auf: halb gehend, halb stehend, verschlingt er den Brief.

»Ich saß,« fuhr Madame Mozart hier in der Erzählung bei den Damen fort, »am Nähtisch, hörte meinen Mann die Stiege heraufkommen und den Bedienten nach mir fragen. Sein Tritt und seine Stimme kam mir beherzter, aufgeräumter vor, als ich erwartete, und als mir wahrhaftig angenehm war. Erst ging er auf sein Zimmer, kam aber gleich herüber. »Guten Abend!« sagt' er; ich,[215] ohne aufzusehen, erwiderte ihm kleinlaut. Nachdem er die Stube ein paarmal stillschweigend gemessen, nahm er unter erzwungenem Gähnen die Fliegenklatsche hinter der Tür, was ihm noch niemals eingefallen war, und murmelte vor sich: »Wo nur die Fliegen gleich wieder herkommen!« – fing an zu patschen da und dort, und zwar so stark wie möglich. Dies war ihm stets der unleidlichste Ton, den ich in seiner Gegenwart nie hören lassen durfte. Hm, dacht' ich, daß doch, was man selber tut, zumal die Männer, ganz etwas anders ist! Übrigens hatte ich so viele Fliegen gar nicht wahrgenommen. Sein seltsames Betragen verdroß mich wirklich sehr. – »Sechse auf einen Schlag!« rief er. »Willst du sehen?« – Keine Antwort. – Da legte er mir etwas aufs Nähkissen hin, daß ich es sehen mußte, ohne ein Auge von meiner Arbeit zu verwenden. Es war nichts Schlechteres als ein Häufchen Gold, so viel man Dukaten zwischen zwei Finger nimmt. Er setzte seine Possen hinter meinem Rücken fort, tat hin und wieder einen Streich und sprach dabei für sich: »Das fatale, unnütze, schamlose Gezücht! Zu was Zweck es nur eigentlich auf der Welt ist! – Patsch! – Offenbar bloß, daß man's totschlage. – Pitsch! – Darauf verstehe ich mich einigermaßen, darf ich behaupten. – Die Naturgeschichte belehrt uns über die erstaunliche Vermehrung dieser Geschöpfe. – Pitsch! Patsch! – In meinem Hause wird immer sogleich damit aufgeräumt.[216]Ah maledette! disperate! – Hier wieder ein Stück zwanzig! Magst du sie?« – Er kam und tat wie vorhin. Hatte ich bisher mit Mühe das Lachen unterdrückt, länger war es unmöglich: ich platzte heraus, er fiel mir um den Hals, und beide kicherten und lachten wir um die Wette.

»Woher kommt dir denn aber das Geld?« frag' ich, während daß er den Rest aus dem Röllelchen schüttelt. – »Vom Fürsten Esterhazy! durch den Haydn! Lies nur den Brief.« – Ich las:

»Eisenstadt u. s. w. Teuerster Freund! Seine Durchlaucht, mein gnädigster Herr, hat mich zu meinem größesten Vergnügen damit betraut, Ihnen beifolgende sechzig Dukaten zu übermachen. Wir haben jetzt Ihre Quartetten wieder ausgeführt, und Seine Durchlaucht waren solchermaßen davon eingenommen und befriediget, als bei dem erstenmal, vor einem Vierteljahre, kaum der Fall gewesen. Der Fürst bemerkte mir (ich muß es wörtlich schreiben): ›Als Mozart Ihnen diese Arbeit dedizierte, hat er geglaubt, nur Sie zu ehren, doch kann's ihm nichts verschlagen, wenn ich zugleich ein Kompliment für mich darin erblicke. Sagen Sie ihm, ich denke von seinem Genie bald so groß wie Sie selbst, und mehr könn' er in Ewigkeit nicht verlangen!‹ – Amen! setz' ich hinzu. Sind Sie zufrieden?

Postskript, der lieben Frau ins Ohr: Sorgen[217] Sie gütigst, daß die Danksagung nicht aufgeschoben werde! Am besten geschäh' es persönlich. Wir müssen so guten Wind fein erhalten.«

»Du Engelsmann! o himmlische Seele!« rief Mozart ein übers anderemal, und es ist schwer zu sagen, was ihn am meisten freute, der Brief oder des Fürsten Beifall oder das Geld. Was mich betrifft, aufrichtig gestanden, mir kam das letztere gerade damals höchst gelegen. Wir feierten noch einen sehr vergnügten Abend.

Von der Affäre in der Vorstadt erfuhr ich jenen Tag noch nichts, die folgenden ebensowenig; die ganze nächste Woche verstrich, keine Kreszenz erschien, und mein Mann, in einem Strudel von Geschäften, vergaß die Sache bald. Wir hatten an einem Sonnabend Gesellschaft: Hauptmann Wesselt, Graf Hardegg und andere musizierten. In einer Pause werde ich hinausgerufen – da war nun die Bescherung! Ich geh' hinein und frage: »Hast du Bestellung in der Alservorstadt auf allerlei Holzware gemacht?« – »Potz Hagel, ja! Ein Mädchen wird da sein? Laß sie nur hereinkommen!« – So trat sie denn in größter Freundlichkeit, einen vollen Korb am Arm, mit Rechen und Spaten ins Zimmer, entschuldigte ihr langes Ausbleiben: sie habe den Namen der Gasse nicht mehr gewußt und sich erst heut zurecht gefragt. Mozart nahm ihr die Sachen nacheinander ab, die er sofort mit Selbstzufriedenheit mir überreichte. Ich ließ mir herzlich dankbar[218] alles und jedes wohlgefallen, belobte und pries; nur nahm es mich Wunder, wozu er das Gartengeräte gekauft. – »Natürlich,« sagte er, »für dein Stückchen an der Wien.« – »Mein Gott! das haben wir ja aber lange abgegeben, weil uns das Wasser immer so viel Schaden tat und überhaupt gar nichts dabei herauskam. Ich sagte dir's, du hattest nichts dawider.« – »Was? Und also die Spargeln, die wir dies Frühjahr speisten« – »Waren immer vom Markt.« – »Seht,« sagt' er, »hätt' ich das gewußt! Ich lobte sie dir so aus bloßer Artigkeit, weil du mich wirklich dauerst mit deiner Gärtnerei; es waren Dingerl wie die Federspulen.«

Die Herrn belustigte der Spaß überaus; ich mußte einigen sogleich das Überflüssige zum Andenken lassen. Als aber Mozart nun das Mädchen über ihr Heiratsanliegen ausforschte, sie ermunterte, hier nur ganz frei zu sprechen, da das, was man für sie und ihren Liebsten tun würde, in der Stille, glimpflich und ohne jemandes Anklagen solle ausgerichtet werden, so äußerte sie sich gleichwohl mit so viel Bescheidenheit, Vorsicht und Schonung, daß sie alle Anwesenden völlig gewann und man sie endlich mit den besten Versprechungen entließ.

»Den Leuten muß geholfen werden!« sagte der Hauptmann. »Die Innungskniffe sind das wenigste dabei; hier weiß ich einen, der das bald in Ordnung bringen wird. Es handelt sich um einen Beitrag für das Haus, Einrichtungskosten und dergleichen.[219] Wie, wenn wir ein Konzert für Fremde im Trattnerischen Saal mit Entree ad libitum ankündigten?« – Der Gedanke fand lebhaften Anklang. Einer der Herrn ergriff das Salzfaß und sagte: »Es müßte jemand zur Einleitung einen hübschen historischen Vortrag tun, Herrn Mozarts Einkauf schildern, seine menschenfreundliche Absicht erklären, und hier das Prachtgefäß stellt man auf einen Tisch als Opferbüchse auf, die beiden Rechen als Dekoration rechts und links dahinter gekreuzt.«

Dies nun geschah zwar nicht, hingegen das Konzert kam zu stande; es warf ein Erkleckliches ab, verschiedene Beiträge folgten nach, daß das beglückte Paar noch Überschuß hatte, und auch die andern Hindernisse waren schnell beseitigt. Duscheks in Prag, unsre genausten Freunde dort, bei denen wir logieren, vernahmen die Geschichte, und sie, eine gar gemütliche, herzige Frau, verlangte von dem Kram aus Kuriosität auch etwas zu haben; so legt' ich denn das Passendste für sie zurück und nahm es bei dieser Gelegenheit mit. Da wir inzwischen unverhofft eine neue liebe Kunstverwandte finden sollten, die nah' daran ist, sich den eigenen Herd einzurichten, und ein Stück gemeinen Hausrat, welches Mozart ausgewählt, gewißlich nicht verschmähen wird, will ich mein Mitbringen halbieren, und Sie haben die Wahl zwischen einem schön durchbrochenen Schokoladequirl und mehrgedachter Salzbüchse, an welcher sich der Künstler mit einer geschmackvollen Tulpe[220] verunköstigt hat. Ich würde unbedingt zu diesem Stück raten: das edle Salz, soviel ich weiß, ist ein Symbol der Häuslichkeit und Gastlichkeit, wozu wir alle guten Wünsche für Sie legen wollen.«

So weit Madame Mozart. Wie dankbar und wie heiter alles von den Damen auf- und angenommen wurde, kann man denken. Der Jubel erneuerte sich, als gleich darauf bei den Männern oben die Gegenstände vorgelegt und das Muster patriarchalischer Simplizität nun förmlich übergeben ward, welchem der Oheim in dem Silberschranke seiner nunmehrigen Besitzerin und ihrer spätesten Nachkommen keinen geringeren Platz versprach, als jenes berühmte Kunstwerk des florentinischen Meisters in der Ambraser Sammlung entnehme.

Es war schon fast acht Uhr; man nahm den Tee. Bald aber sah sich unser Musiker an sein schon am Mittag gegebenes Wort, die Gesellschaft näher mit dem »Höllenbrand« bekannt zu machen, der unter Schloß und Riegel, doch zum Glück nicht allzutief im Reisekoffer lag, dringend erinnert. Er war ohne Zögern bereit. Die Auseinandersetzung der Fabel des Stücks hielt nicht lange auf, das Textbuch wurde aufgeschlagen und schon brannten die Lichter am Fortepiano.

Wir wünschten wohl, unsere Leser streifte hier zum wenigsten etwas von jener eigentümlichen Empfindung an, womit oft schon ein einzeln abgerissener, aus einem Fenster beim Vorübergehen an[221] unser Ohr getragener Akkord, der nur von dorther kommen kann, uns wie elektrisch trifft und wie gebannt festhält, etwas von jener süßen Bangigkeit, wenn wir in dem Theater, solange das Orchester stimmt, dem Vorhang gegenüber sitzen. Oder ist es nicht so? Wenn auf der Schwelle jedes erhabenen tragischen Kunstwerks, es heiße Macbeth, Ödipus oder wie sonst, ein Schauer der ewigen Schönheit schwebt, wo träfe dies in höherem, auch nur in gleichem Maße zu, als eben hier? Der Mensch verlangt und scheut zugleich, aus seinem gewöhnlichen Selbst vertrieben zu werden, er fühlt, das Unendliche wird ihn berühren, das seine Brust zusammenzieht, indem es sie ausdehnen und den Geist gewaltsam an sich reißen will. Die Ehrfurcht vor der vollendeten Kunst tritt hinzu; der Gedanke, ein göttliches Wunder genießen, es als ein Verwandtes in sich aufnehmen zu dürfen, zu können, führt eine Art von Rührung, ja von Stolz mit sich, vielleicht den glücklichsten und reinsten, dessen wir fähig sind.

Unsere Gesellschaft aber hatte damit, daß sie ein uns von Jugend auf völlig zu eigen gewordenes Werk jetzt erstmals kennen lernen sollte, einen von unserem Verhältnis unendlich verschiedenen Stand, und, wenn man das beneidenswerte Glück der persönlichen Vermittlung durch den Urheber abrechnet, bei weitem nicht den günstigen wie wir, da eine reine und vollkommene Auffassung eigentlich niemand möglich war, auch in mehr als einem[222] Betracht selbst dann nicht möglich gewesen sein würde, wenn das Ganze unverkürzt hätte mitgeteilt werden können.

Von achtzehn fertig ausgearbeiteten Nummern42 gab der Komponist vermutlich nicht die Hälfte (wir finden in dem unserer Darstellung zu Grunde liegenden Bericht nur das letzte Stück dieser Reihe, das Sextett, ausdrücklich angeführt), er gab sie meistens, wie es scheint, in einem freien Auszug, bloß auf dem Klavier und sang stellenweise darein, wie es kam und sich schickte. Von der Frau ist gleichfalls nur bemerkt, daß sie zwei Arien vorgetragen habe. Wir möchten uns, da ihre Stimme so stark als lieblich gewesen sein soll, die erste der Donna Anna (»Du kennst den Verräter«) und eine von den beiden der Zerline dabei denken.

42 Bei dieser Zählung ist zu wissen, daß Elviras Arie mit dem Rezitativ und Leporellos »Hab's verstanden« nicht ursprünglich in der Oper enthalten gewesen.

Genau genommen waren, dem Geist, der Einsicht, dem Geschmacke nach, Eugenie und ihr Verlobter die einzigen Zuhörer, wie der Meister sie sich wünschen mußte, und jene war es sicher ungleich mehr als dieser. Sie saßen beide tief im Grunde des Zimmers, das Fräulein regungslos, wie eine Bildsäule, und in die Sache aufgelöst auf einen solchen Grad, daß sie auch in den kurzen Zwischenräumen, wo sich die Teilnahme der übrigen bescheiden äußerte oder die[223] innere Bewegung sich unwillkürlich mit einem Ausruf der Bewunderung Luft machte, die von dem Bräutigam an sie gerichteten Worte immer nur ungenügend zu erwidern vermochte.

Als Mozart mit dem überschwenglich schönen Sextett geschlossen hatte und nach und nach ein Gespräch aufkam, schien er vornehmlich einzelne Bemerkungen des Barons mit Interesse und Wohlgefallen aufzunehmen. Es wurde vom Schlusse der Oper die Rede sowie von der vorläufig auf den Anfang Novembers anberaumten Aufführung, und da jemand meinte, gewisse Teile des Finale möchten noch eine Riesenaufgabe sein, so lächelte der Meister mit einiger Zurückhaltung; Konstanze aber sagte zu der Gräfin hin, daß er es hören mußte: »Er hat noch was in petto, womit er geheim tut, auch vor mir.«

»Du fällst,« versetzte er, »aus deiner Rolle, Schatz, daß du das jetzt zur Sprache bringst; wenn ich nun Lust bekäme, von neuem anzufangen? Und in der Tat, es juckt mich schon.«

»Leporello!« rief der Graf, lustig aufspringend, und winkte einem Diener. »Wein! Sillery, drei Flaschen!«

»Nicht doch! damit ist es vorbei: mein Junker hat sein letztes im Glase.«

»Wohl bekomm's ihm – und jedem das Seine!«

»Mein Gott, was hab' ich da gemacht!« lamentierte Konstanze mit einem Blick auf die Uhr. »Gleich[224] ist es elfe, und morgen früh soll's fort. Wie wird das gehen?«

»Es geht halt gar nicht, Beste, nun schlechterdings gar nicht.«

»Manchmal,« fing Mozart an, »kann sich doch ein Ding sonderbar fügen. Was wird denn meine Stanzl sagen, wenn sie erfährt, daß eben das Stück Arbeit, das sie nun hören soll, um eben diese Stunde in der Nacht, und zwar gleichfalls vor einer angesetzten Reise, zur Welt geboren ist?«

»Wär's möglich? Wann? Gewiß vor drei Wochen, wie du nach Eisenstadt wolltest!«

»Getroffen! Und das begab sich so. Ich kam nach zehne – du schliefst schon fest – von Richters Essen heim und wollte versprochenermaßen auch bälder zu Bett, um morgens beizeiten heraus und in den Wagen zu steigen. Inzwischen hatte Veit, wie gewöhnlich, die Lichter auf dem Schreibtisch angezündet, ich zog mechanisch den Schlafrock an, und fiel mir ein, geschwind mein letztes Pensum noch einmal anzusehen. Allein, o Mißgeschick! Verwünschte, ganz unzeitige Geschäftigkeit der Weiber! Du hattest aufgeräumt, die Noten eingepackt – die mußten nämlich mit: der Fürst verlangte eine Probe von dem Opus; ich suchte, brummte, schalt – umsonst! Darüber fällt mein Blick auf ein versiegeltes Kuvert: vom Abbate, den greulichen Haken nach auf der Adresse – ja wahrscheinlich! und schickt mir den umgearbeiteten Rest seines Textes, den ich[225] vor Monatsfrist noch nicht zu sehen hoffte. Sogleich sitz' ich begierig hin und lese und bin entzückt, wie gut der Kauz verstand, was ich wollte. Es war alles weit simpler, gedrängter und reicher zugleich. Sowohl die Kirchhofsszene wie das Finale bis zum Untergang des Helden hat in jedem Betracht sehr gewonnen. (Du sollst mir aber auch, dacht' ich, vortrefflicher Poet, Himmel und Hölle nicht unbedankt zum zweitenmal beschworen haben!) Nun ist es sonst meine Gewohnheit nicht, in der Komposition etwas vorauszunehmen, und wenn es noch so lockend wäre! das bleibt eine Unart, die sich sehr übel bestrafen kann. Doch gibt es Ausnahmen, und kurz, der Auftritt bei der Reiterstatue des Gouverneurs, die Drohung, die vom Grabe des Erschlagenen her urplötzlich das Gelächter des Nachtschwärmers haarsträubend unterbricht, war mir bereits in die Krone gefahren. Ich griff einen Akkord und fühlte, ich hatte an der rechten Pforte angeklopft, dahinter schon die ganze Legion von Schrecken beieinander liege, die im Finale loszulassen sind. So kam für's erste ein Adagio heraus: D-Moll, vier Takte nur, darauf ein zweiter Satz mit fünfen; es wird, bild' ich mir ein, auf dem Theater etwas Ungewöhnliches geben, wo die stärksten Blasinstrumente die Stimme begleiten. Einstweilen hören Sie's, so gut es sich hier machen läßt.«

Er löschte ohne weiteres die Kerzen der beiden neben ihm stehenden Armleuchter aus, und jener[226] furchtbare Choral »Dein Lachen endet vor der Morgenröte« erklang durch die Totenstille des Zimmers. Wie von entlegenen Sternenkreisen fallen die Töne aus silbernen Posaunen, eiskalt, Mark und Seele durchschneidend, herunter durch die blaue Nacht.

»Wer ist hier? Antwort!« hörte man Don Juan fragen. Da hebt es wieder an, eintönig wie zuvor, und gebietet dem ruchlosen Jüngling, die Toten in Ruhe zu lassen.

Nachdem diese dröhnenden Klänge bis auf die letzte Schwingung in der Luft verhallt waren, fuhr Mozart fort: »Jetzt gab es für mich begreiflicherweise kein Aufhören mehr. Wenn erst das Eis einmal an einer Uferstelle bricht, gleich kracht der ganze See und klingt bis an den entferntesten Winkel hinunter. Ich ergriff unwillkürlich denselben Faden weiter unten bei Don Juans Nachtmahl wieder, wo Donna Elvira sich eben entfernt hat und das Gespenst der Einladung gemäß erscheint. – Hören Sie an!«

Es folgte nun der ganze lange, entsetzenvolle Dialog, durch welchen auch der Nüchternste bis an die Grenze menschlichen Vorstellens, ja über sie hinaus gerissen wird, wo wir das Übersinnliche schauen und hören und innerhalb der eigenen Brust von einem Äußersten zum andern willenlos uns hin und her geschleudert fühlen.

Menschlichen Sprachen schon entfremdet, bequemt[227] sich das unsterbliche Organ des Abgeschiedenen, noch einmal zu reden. Bald nach der ersten fürchterlichen Begrüßung, als der Halbverklärte die ihm gebotene irdische Nahrung verschmäht, wie seltsam schauerlich wandelt seine Stimme auf den Sprossen einer luftgewebten Leiter unregelmäßig auf und nieder! Er fordert schleunigen Entschluß zur Buße: kurz ist dem Geist die Zeit gemessen, weit, weit, weit ist der Weg! Und wenn nun Don Juan, im ungeheuren Eigenwillen den ewigen Ordnungen trotzend, unter dem wachsenden Andrang der höllischen Mächte ratlos ringt, sich sträubt und windet und endlich untergeht, noch mit dem vollen Ausdruck der Erhabenheit in jeder Gebärde: wem zitterten nicht Herz und Nieren vor Lust und Angst zugleich? Es ist ein Gefühl, ähnlich dem, womit man das prächtige Schauspiel einer unbändigen Naturkraft, den Brand eines herrlichen Schiffes anstaunt. Wir nehmen wider Willen gleichsam Partei für diese blinde Größe und teilen knirschend ihren Schmerz im reißenden Verlauf ihrer Selbstvernichtung.

Der Komponist war am Ziele. Eine Zeitlang wagte niemand, das allgemeine Schweigen zuerst zu brechen.

»Geben Sie uns,« fing endlich mit noch beklemmtem Atem die Gräfin an, »geben Sie uns, ich bitte Sie, einen Begriff, wie Ihnen war, da Sie in jener Nacht die Feder weglegten!«

Er blickte, wie aus einer stillen Träumerei ermuntert,[228] helle zu ihr auf, besann sich schnell und sagte, halb zu der Dame, halb zu seiner Frau: »Nun ja, mir schwankte wohl zuletzt der Kopf. Ich hatte dies verzweifelte Dibattimento bis zu dem Chor der Geister in einer Hitze fort beim offenen Fenster zu Ende geschrieben und stand nach einer kurzen Rast vom Stuhl auf, im Begriff, nach deinem Kabinett zu gehen, damit wir noch ein bißchen Plaudern und sich mein Blut ausgleiche. Da machte ein überquerer Gedanke mich mitten im Zimmer still stehen.« (Hier sah er zwei Sekunden lang zu Boden, und sein Ton verriet beim folgenden eine kaum merkbare Bewegung.) »Ich sagte zu mir selbst: Wenn du noch diese Nacht wegstürbest und müßtest deine Partitur an diesem Punkte verlassen: ob dir's auch Ruh' im Grabe ließ? – Mein Auge hing am Docht des Lichts in meiner Hand und auf den Bergen von abgetropftem Wachs. Ein Schmerz bei dieser Vorstellung durchzückte mich einen Moment; dann dacht' ich weiter: Wenn denn hernach über kurz oder lang ein anderer, vielleicht gar so ein Welscher, die Oper zu vollenden bekäme und fände von der Introduktion bis Numero siebzehn mit Ausnahme einer Piece alles sauber beisammen, lauter gesunde, reife Früchte ins hohe Gras geschüttelt, daß er sie nur auflesen dürfte, ihm graute aber doch ein wenig vor der Mitte des Finale, und er fände alsdann unverhofft den tüchtigen Felsbrocken da insoweit schon beiseite gebracht: er möchte[229] drum nicht übel in das Fäustchen lachen! Vielleicht wär' er versucht, mich um die Ehre zu betrügen. Er sollte aber wohl die Finger dran verbrennen: da wär' noch immerhin ein Häuflein guter Freunde, die meinen Stempel kennen und mir, was mein ist, redlich sichern würden. – Nun ging ich, dankte Gott mit einem vollen Blick hinauf und dankte, liebes Weibchen, deinem Genius, der dir so lange seine beiden Hände sanft über die Stirne gehalten, daß du fortschliefst, wie eine Ratze, und mich kein einzig Mal anrufen konntest. Wie ich dann aber endlich kam und du mich um die Uhr befrugst, log ich dich frischweg ein paar Stunden jünger, als du warst; denn es ging stark auf viere. Und nun wirst du begreifen, warum du mich um sechse nicht aus den Federn brachtest, der Kutscher wieder heimgeschickt und auf den andern Tag bestellt werden mußte.«

»Natürlich!« versetzte Konstanze. »Nur bilde sich der schlaue Mann nicht ein, man sei so dumm gewesen, nichts zu merken! Deswegen brauchtest du mir deinen schönen Vorsprung fürwahr nicht zu verheimlichen.«

»Auch war es nicht deshalb.«

»Weiß schon – du wolltest deinen Schatz vorerst noch unbeschrieen haben.«

»Mich freut nur,« rief der gutmütige Wirt, »daß wir morgen nicht nötig haben, ein edles Wiener Kutscherherz zu kränken, wenn Herr Mozart partout[230] nicht aufstehen kann. Die Ordre ›Hans, spann wieder aus!‹ tut jederzeit sehr weh.«

Diese indirekte Bitte um längeres Bleiben, mit der sich die übrigen Stimmen im herzlichsten Zuspruch verbanden, gab den Reisenden Anlaß zu Auseinandersetzung sehr triftiger Gründe dagegen; doch verglich man sich gerne dahin, daß nicht zu zeitig aufgebrochen und noch vergnügt zusammen gefrühstückt werden solle.

Man stand und drehte sich noch eine Zeitlang in Gruppen schwatzend umeinander. Mozart sah sich nach jemanden um, augenscheinlich nach der Braut; da sie jedoch gerade nicht zugegen war, so richtete er naiverweise die ihr bestimmte Frage unmittelbar an die ihm nahestehende Franziska: »Was denken Sie denn nun im ganzen von unserm Don Giovanni? Was können Sie ihm Gutes prophezeihen?«

»Ich will,« versetzte sie mit Lachen, »im Namen meiner Base so gut antworten, als ich kann. Meine einfältige Meinung ist, daß, wenn Don Giovanni nicht aller Welt den Kopf verrückt, so schlägt der liebe Gott seinen Musikkasten gar zu – auf unbestimmte Zeit, heißt das – und gibt der Menschheit zu verstehen –« »Und gibt der Menschheit,« fiel der Onkel verbessernd ein, »den Dudelsack in die Hand und verstocket die Herzen der Leute, daß sie anbeten Baalim.«

»Behüt uns Gott!« lachte Mozart. »Je nun, im Lauf der nächsten sechzig, siebzig Jahre, nachdem[231] ich lang' fort bin, wird mancher falsche Prophet aufstehen.«

Eugenie trat mit dem Baron und Max herbei, die Unterhaltung hob sich unversehens auf ein Neues, ward nochmals ernsthaft und bedeutend, so daß der Komponist, eh' die Gesellschaft auseinander ging, sich noch gar mancher schönen, bezeichnenden Äußerung erfreute, die seiner Hoffnung schmeichelte.

Erst lange nach Mitternacht trennte man sich; keines empfand bis jetzt, wie sehr es der Ruhe bedurfte.

Den andern Tag (das Wetter gab dem gestrigen nichts nach) um zehn Uhr sah man einen hübschen Reisewagen, mit den Effekten beider Wiener Gäste bepackt, im Schloßhof stehen. Der Graf stand mit Mozart davor, kurz ehe die Pferde herausgeführt wurden, und fragte, wie er ihm gefalle.

»Seht gut; er scheint äußerst bequem.«

»Wohlan, so machen Sie mir das Vergnügen und behalten Sie ihn zu meinem Andenken!«

»Wie? Ist das Ernst?«

»Was wär' es sonst!«

»Heiliger Sixtus und Calixtus! – Konstanze! du!« rief er zum Fenster hinauf, wo sie mit den andern heraus sah. »Der Wagen soll mein sein! Du fährst künftig in deinem eigenen Wagen!«

Er umarmte den schmunzelnden Geber, betrachtete und umging sein neues Besitztum von allen Seiten, öffnete den Schlag, warf sich hinein und rief heraus:[232] »Ich dünke mich so vornehm und so reich wie Ritter Gluck. Was werden sie in Wien für Augen machen!« – »Ich hoffe,« sagte die Gräfin, »Ihr Fuhrwerk wiederzusehn bei der Rückkehr von Prag, mit Kränzen um und um behangen!«

Nicht lang' nach diesem letzten fröhlichen Auftritt setzte sich der vielbelobte Wagen mit dem scheidenden Paare wirklich in Bewegung und fuhr im raschen Trab nach der Landstraße zu. Der Graf ließ sie bis Wittingau fahren, wo Postpferde genommen werden sollten.


Wenn gute, vortreffliche Menschen durch ihre Gegenwart vorübergehend unser Haus belebten, durch ihren frischen Geistesodem auch unser Wesen in neuen raschen Schwung versetzten und uns den Segen der Gastfreundschaft in vollem Maße zu empfinden gaben, so läßt ihr Abschied immer eine unbehagliche Stockung, zum mindesten für den Rest des Tags, bei uns zurück, wofern wir wieder ganz nur auf uns selber angewiesen sind.

Bei unsern Schloßbewohnern traf wenigstens das letztere nicht zu. Franziskas Eltern nebst der alten Tante fuhren zwar alsbald auch weg; die Freundin selbst indes, der Bräutigam, Max ohnehin verblieben noch, Eugenien, von welcher vorzugsweise hier die Rede ist, weil sie das unschätzbare Erlebnis tiefer als alle ergriff, ihr, sollte man denken, konnte nichts fehlen, nichts genommen oder getrübt sein: ihr reines[233] Glück in dem wahrhaft geliebten Mann, das erst soeben seine förmliche Bestätigung erhielt, mußte alles andre verschlingen, vielmehr das Edelste und Schönste, wovon ihr Herz bewegt sein konnte, mußte sich notwendig mit jener seligen Fülle in eines verschmelzen. So wäre es auch wohl gekommen, hätte sie gestern und heute der bloßen Gegenwart, jetzt nur dem reinen Nachgenuß derselben leben können. Allein am Abend schon bei den Erzählungen der Frau war sie von leiser Furcht für ihn, an dessen liebenswertem Bild sie sich ergötzte, geheim beschlichen worden; diese Ahnung wirkte nachher, die ganze Zeit als Mozart spielte, hinter allem unsäglichen Reiz, durch alle das geheimnisvolle Grauen der Musik hindurch im Grund ihres Bewußtseins fort, und endlich überraschte, erschütterte sie das, was er selbst in der nämlichen Richtung gelegentlich von sich erzählte. Es ward ihr so gewiß, so ganz gewiß, daß dieser Mann sich schnell und unaufhaltsam in seiner eigenen Glut verzehre, daß er nur eine flüchtige Erscheinung auf der Erde sein könne, weil sie den Überfluß, den er verströmen würde, in Wahrheit nicht ertrüge.

Dies, neben vielem andern, ging, nachdem sie sich gestern niedergelegt, in ihrem Busen auf und ab, während der Nachhall Don Juans verworren noch lange fort ihr inneres Gehör einnahm. Erst gegen Tag schlief sie ermüdet ein.

Die drei Damen hatten sich nunmehr mit ihren[234] Arbeiten in den Garten gesetzt, die Männer leisteten ihnen Gesellschaft, und da das Gespräch natürlich zunächst nur Mozart betraf, so verschwieg auch Eugenie ihre Befürchtungen nicht. Keins wollte dieselben im mindesten teilen, wiewohl der Baron sie vollkommen begriff. Zur guten Stunde, in recht menschlich reiner, dankbarer Stimmung pflegt man sich jeder Unglücksidee, die einen gerade nicht unmittelbar angeht, aus allen Kräften zu erwehren. Die sprechendsten, lachendsten Gegenbeweise wurden, besonders vom Oheim, vorgebracht, und wie gerne hörte nicht Eugenie alles an! Es fehlte nicht viel, so glaubte sie wirklich zu schwarz gesehen zu haben.

Einige Augenblicke später, als sie durchs große Zimmer oben ging, das eben gereinigt und wieder in Ordnung gebracht worden war, und dessen vorgezogene gründamastene Fenstergardinen nur ein sanftes Dämmerlicht zuließen, stand sie wehmütig vor dem Klaviere still. Durchaus war es ihr wie ein Traum zu denken, wer noch vor wenigen Stunden davor gesessen habe. Lang' blickte sie gedankenvoll die Tasten an, die er zuletzt berührt, dann drückte sie leise den Deckel zu und zog den Schlüssel ab in eifersüchtiger Sorge, daß so bald keine andere Hand wieder öffne. Im Weggehn stellte sie beiläufig einige Liederhefte an ihren Ort zurück: es fiel ein älteres Blatt heraus, die Abschrift eines böhmischen Volksliedchens, das Franziska früher, auch wohl sie selbst, manchmal gesungen. Sie nahm es auf,[235] nicht ohne darüber betreten zu sein. In einer Stimmung, wie die ihrige, wird der natürlichste Zufall leicht zum Orakel. Wie sie es aber auch verstehen wollte, der Inhalt war derart, daß ihr, indem sie die einfachen Verse wieder durchlas, heiße Tränen entfielen.

Ein Tännlein grünet wo,
Wer weiß, im Walde,
Ein Rosenstrauch, wer sagt,
In welchem Garten?
Sie sind erlesen schon,
Denk es, o Seele!
Auf deinem Grab zu wurzeln
Und zu wachsen.
Zwei schwarze Rößlein weiden
Auf der Wiese,
Sie kehren heim zur Stadt
In muntern Sprüngen.
Sie werden schrittweis gehn
Mit deiner Leiche,
Vielleicht, vielleicht noch eh'
An ihren Hufen
Das Eisen los wird,
Das ich blitzen sehe.
Dekoration

Zu Geschenkzwecken eignen sich besonders:

Goethe-Briefe

in kleiner Auswahl

2 Bände, herausgegeben und biographisch erläutert von Dr. Wilhelm Bode, Weimar.

Preis in 2 dauerhaften Dermatoidbänden je 1 Mark
Preis in 1 eleganten Lederband mit Goldschnitt 4 Mark


Schillers ausgewählte Briefe

2 Bände, ausgewählt und eingeleitet von Prof. Dr. Eugen Kühnemann, Posen.

Preis in 2 dauerhaften Dermatoidbänden je 1 Mark
Preis in 1 eleganten Lederband mit Goldschnitt 4 Mark

Die Dermatoidbände zu 1 Mark sind einzeln käuflich.

Schillerbuch

Enthaltend Einleitung über Schillers Leben von Dr. O. E. Lessing; die Glocke, sämtl. Balladen, Tell. Mit Bild Schillers. Preis geb. 1 Mark.

Druck von Grimme & Trömel in Leipzig.


Deutsche Dichter-Gedächtnis-Stiftung.

Signet
F 1501 IX 00: 100.000

Die Stiftung ist ein rein gemeinnütziges Unternehmen unter Ausschluß aller privaten Erwerbsinteressen. Ihr Zweck ist, »hervorragenden Dichtern durch Verbreitung ihrer Werke ein Denkmal im Herzen des deutschen Volkes zu setzen« und durch Verbreitung guter Bücher der schlechten Literatur den Boden abzugraben. Sie begann ihre Tätigkeit i. J. 1903 damit, daß sie an 500 Volksbibliotheken je 20 Bände verteilte, unter denen sich z. B. Fontanes »Grete Minde« – M. v. Ebner-Eschenbachs »Gemeindekind« – eine Auswahl der »Deutschen Sagen« der Brüder Grimm – Roseggers »Als ich noch der Waldbauernbub' war« befanden. Die zweite Bücherverteilung umfaßte 40 Werke (in 23 Bände gebunden) in je 750 Exemplaren – die dritte 42 Bücher (31 Bände) in je 750 Exemplaren – die vierte 43 Bücher (36 Bände) in je 800 Exemplaren, die fünfte 28 Bücher (25 Bände) in je 900 Exemplaren – die sechste 45 Bücher (35 Bände) in je 1000 Exemplaren.

Abzüge des Werbeblatts, des letzten Jahresberichts, auch des Aufrufs und der Satzungen usw. werden von der Kanzlei der Deutschen Dichter-Gedächtnis-Stiftung in Hamburg-Großborstel gern unentgeltlich übersandt. – Die Stiftung hatte 1905 erst 934 Mitglieder, im Jahre 1906 schon 3.688, 1907 6.500, Ende 1908 9.161. Sie führt diesen Aufschwung auf das allgemeine Wachsen des Kulturinteresses zurück und bittet alle Freunde, ihr durch Zusendung von Adressenmaterial an ihr Werbeamt bei der Ausnutzung dieser Wendung zum Besseren zu helfen.

Die Stiftung erbittet besonders jährliche, aber auch einmalige Beiträge. Für Jahres-Beiträge von 2 Mk. aufwärts gewährt die Stiftung durch Übersendung eines Einzelbandes ihrer »Hausbücherei« oder ihrer »Volksbücher« oder des Schillerbuches Gegenleistung. Wer 25 Mark Jahresbeitrag zahlt, erhält auf Wunsch alle im gleichen Jahre erscheinenden Bände der »Hausbücherei«.

Die Beiträge werden in jeder Höhe entgegengenommen von: der Deutschen Bank, Hamburg, und ihren sämtlichen Zweiganstalten und Depositenkassen – Postscheckkonto Hamburg Nr. 737 – der k. k. Postsparkasse, Wien [auf Konto Nr. 859112] – und der Stiftung selbst in Hamburg-Großborstel.

Alle Briefe, Anfragen usw. werden unpersönlich mit der Aufschrift »Deutsche Dichter-Gedächtnis-Stiftung, Hamburg-Großborstel« (möglichst unter Hinzufügung der betr. Abteilung) erbeten.

Man verlange die erwähnten Drucksachen.


Gute und billige Bücher

Signet

Unter den mancherlei billigen Sammlungen, die in den letzten Jahren zur Verbreitung guter Literatur geschaffen wurden, zeichnen sich die Bücher der Deutschen Dichter-Gedächtnis-Stiftung durch sorgfältige literarische Auswahl und ausgezeichnete Ausstattung aus: holzfreies Papier, schönen und großen Druck, abwaschbaren, geschmackvollen Einband. Diese Eigenschaften haben in Verbindung mit dem äußerst billigen Preise den beiden Sammlungen der Stiftung schnell große Verbreitung verschafft. Bisher sind erschienen:

Hausbücherei

(nur gebunden, jeder Band 1 Mark)

Bd. 1. Heinrich von Kleist: Michael Kohlhaas. Mit Bild Kleists. 7 Vollbilder von Ernst Liebermann. Einleitung von Dr. Ernst Schultze. 11.-20. Taus. 170 S.

Bd. 2. Goethe: Götz von Berlichingen. Mit Bild Goethes. Einleitung v. Dr. W. Bode. 6.-10. Taus. 178 S.

Bd. 3. Deutsche Humoristen. 1. Bd.: Ausgew. humor. Erzählungen v. P. Rosegger, W. Raabe, Fr. Reuter und A. Roderich. 36.-45. Taus. 221 S.

Bd. 4. Deutsche Humoristen. 2. Bd.: Cl. Brentano, E. Th. A. Hoffmann, H. Zschokke. 16.-20. Taus. 222 S.

Bd. 5. Deutsche Humoristen. 3. Bd.: Hans Hoffmann, Otto Ernst, Max Eyth, Helene Böhlau. 36.-45. T. 196 S.

Bd. 6/7. Balladenbuch. 1. Bd.: Neuere Dichter. 11.-20. T. 498 S. 2 Mark.

Bd. 8. Herm. Kurz: Der Weihnachtsfund. Eine Volkserzählung. Mit Bild Kurz'. Einleitung v. Prof. Sulger-Gebing. 6.-10. Taus. 209 S.

Bd. 9. Novellenbuch. 1. Bd.: C. F. Meyer, E. v. Wildenbruch, Fr. Spielhagen, Detl. v. Liliencron. 21.-25. Taus. 194 S.

Bd. 10. Novellenbuch. 2. Bd. (Dorfgeschichten): E. Wichert, H. Sohnrey, W. v. Polenz, R. Greinz. 11.-15. T. 199 S.

Bd. 11. Schiller: Philosophische Gedichte. Ausgew. u. eingel. v. Prof. E. Kühnemann. Mit Bild Schillers. 6.-10. T. 230 S.

Bd. 12/13. Schiller: Briefe. Ausgew. und eingel. von Prof. E. Kühnemann. Mit 2 Bildern Schillers. 2 Bände in 1 Bande. 6.-10. Taus. 226 u. 302 S. 2 Mark.

Bd. 14. Novellenbuch. 3. Bd. (Geschichten aus deutscher Vorzeit): A. Schmitthenner, J. J. David, W. Hauff. 11.-15. Taus. 246 S.

Bd. 15. Novellenbuch. 4. Bd. (Seegeschichten): Joachim Nettelbeck, W. Hauff, Hans Hoffmann, W. Jensen, Wilh. Poeck, Johs. Wilda. 11.-15. Taus. 179 S.

Bd. 16. Auswahl aus den Dichtungen Eduard Mörikes. Herausgeg. u. eingel. v. Dr. J. Loewenberg-Hamburg. Mit Bild u. Silhouette Mörikes. 6.-10. Taus. 235 S.

Bd. 17. Heine-Buch. Eine Auswahl aus Heinrich Heines Dichtungen. Herausgeg. und eingel. von Otto Ernst-Hamburg. Mit Bild Heines. 6.-10. Taus. 203 S.

Bd. 18 u. 19. Goethes ausgewählte Briefe. Herausgeg. u. eingel. v. Dr. Wilh. Bode-Weimar. Mit Bildern Goethes. 2 Bände. 11.-15. Taus. 169 u. 197 S.

Bd. 20/21. Deutsches Weihnachtsbuch. Eine Sammlung der schönsten u. beliebtesten Weihnachtsdichtungen in Poesie u. Prosa. 11.-20. Taus. 413 S. 2 Mark.

Bd. 22. Novellenbuch. 5. Bd. (Frauennovellen): Cl. Viebig, L. v. Strauß u. Torney, Lou Andreas-Salomé, M. R. Fischer. 11.-20. Taus. 198 Seiten.

Bd. 23. Novellenbuch. 6. Band. (Kindheitsgeschichten): A. Schmitthenner, H. Aeckerle, M. Lienert, M. v. Rentz, Hans Land, A. Bayersdorfer, Ch. Niese, Th. Mann. 6.-10. Taus. 199 S.

Bd. 24. Novellenbuch. 7. Bd. (Kriegsgeschichten): Carl Beyer, H. v. Kleist, W. v. Conrady, M. v. La Roche, D. v. Liliencron, Th. Fontane. 11.-20. Taus. 177 S.

Bd. 25/26. Balladenbuch. 2. Bd. Ältere Dichter. 6.-10. T. 518 S. 2 Mark.

Bd. 27. Karl Immermann: Preußische Jugend zur Zeit Napoleons. Herausgeg. u. eingeleitet von Dr. Wilhelm Bode-Weimar. Mit Bild Immermanns und 3 Bildern Magdeburgs. 6.-10. Taus. 171 Seiten.

Bd. 28. Martin Luther als deutscher Klassiker, nebst einer Einführung von Dr. Eugen Lessing. Mit Bild Luthers. 176 Seiten.

Bd. 29/30. Deutsche Humoristen. 4. und 5. Bd. (Humoristische Gedichte.) 351 Seiten. 2 Mark.

Bd. 31. Deutsche Humoristen. 6. Bd.: E. Th. A. Hoffmann, B. v. Arnim, Fr. Th. Vischer, A. Bayersdorfer, Henry F. Urban, Ludw. Thoma. 160 S.

Bd. 32. Max Eyth: Geld und Erfahrung (humoristische Erzählung). Mit Original-Illustrationen von Th. Herrmann und Einleitung von Dr. E. Müller-Rastatt, Hamburg. 176 Seiten.

Bd. 33. Ludwig Uhland: Ausgewählte Balladen und Romanzen. Mit Einleitung von K. Küchler, Altona, und mit mehreren Vollbildern.

Geschenkausgabe

mit prächtigem, biegsamem Einband mit Goldschnitt sind zum Preise von je 4 Mark hergestellt von:

Schillerbuch, enth. Einltg. über Schillers Leben, die Glocke, Balladen, Tell. Mit Bild Schillers. 346 S. 11.-20. T. Geb. 1 M.

Volksbücher.

Heft 1. 50 Gedichte v. Goethe. 95 S. Geh. 20, geb. 50 Pf.

Heft 2. Schiller: Tell. 11.-20. T. 19 S. Geh. 30, geb. 60 Pf.

Heft 3. Schiller: Balladen. 31.-40. T. 108 S. Geh. 20, geb. 50 Pf.

Heft 4. Schiller: Wallensteins Lager. Die Piccolomini. 215 S. Geh. 30, geb. 60 Pf.

Heft 5. Schiller: Wallensteins Tod. 222 S. Geh. 30, geb. 60 Pf.

Heft 4 und 5 in einen Band gebunden 1 Mark.

Heft 6. Brentano: Die Geschichte vom braven Kasperl u. dem schönen Annerl. 59 S. Geh. 15, geb. 40 Pf.

Heft 7. E. Th. A. Hoffmann: Das Fräulein von Scuderi. 113 S. Geh. 20, geb. 50 Pf.

Heft 8. Fr. Halm: Die Marzipanliese. – Die Freundinnen. 124 S. Geh. 20, geb. 50 Pf.

Heft 9. Reuter: Woans ick tau 'ne Fru kamm. 61 S. Geh.15, geb. 40 Pf.

Heft 10. Max Eyth: Der blinde Passagier. 11.-20. T. 68 S. Geh. 20, geb. 50 Pf.

Heft 11. Marie von Ebner-Eschenbach: Die Freiherren von Gemperlein. 11.-20. T. 82 S. Geh. 20, geb. 50 Pf.

Heft 12. Wilhelm Jensen: Über der Heide. 127 S. Geh. 25, geb. 55 Pf.

Heft 13. Ernst Wichert: Der Wilddieb. 144 S. Geh. 30, geb. 60 Pf. 11.-20. T.

Heft 14. Levin Schücking: Die drei Großmächte. 96 S. Geh. 25, geb. 55 Pf.

Heft 15. Ludwig Anzengruber: Der Erbonkel u. andere Geschichten. Geh. 25, geb. 55 Pf.

Heft 16. Helene Böhlau: Kußwirkungen. 11.-20. T. 68 S. Geh. 20, geb. 50 Pf.

Heft 17. Ilse Frapan-Akunian: Die Last. 87 S. Geh. 25, geb. 55 Pf.

Heft 18. H. v. Kleist: Die Verlobung in St. Domingo. Das Erdbeben in Chili. Der Zweikampf. 142 S. Geh. 30, geb. 60 Pf.

Heft 19. Peter Rosegger: Der Adlerwirt von Kirchbrunn. 139 S. Geh. 30, geb. 60 Pf. 11.-20. T.

Heft 20. Ernst Zahn: Die Mutter. 11.-20. T. 66 S. Geh. 20, geb. 50 Pf.

Heft 21. E. J. Groth: Die Kuhhaut (Humoreske). Mit Illustr. v. Gg. O. Erler. 40 S. Geh. 15, geb. 40 Pf.

Heft 22. A. Schmitthenner: Die Frühglocke. Mit Illustr. v. Wilh. Schulz. 64 S. Geh. 20, geb. 50 Pf.

Heft 23. G. Freytag: Karl d. Große. – Friedrich Barbarossa. Minnesang und Minnedienst zur Hohenstaufenzeit. 80 S. Geh. 25, geb. 55 Pf.

Heft 24. Fr. Spielhagen: Hans u. Grete. Mit Illustr. v. Th. Herrmann. 174 S. Geh. 40, geb. 75 Pf.

Jedes Heft enthält ein Bildnis des Verfassers. Weitere Hefte sind in Vorbereitung.

Druck von Grimme & Trömel in Leipzig.


Weitere Anmerkungen zur Transkription

Offensichtliche Fehler wurden stillschweigend korrigiert. Sonst wurde die Originalschreibweise beibehalten.






End of the Project Gutenberg EBook of Auswahl aus den Dichtungen Eduard
Mörikes, by Eduard Mörike

*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK AUSWAHL AUS DEN DICHTUNGEN ***

***** This file should be named 56641-h.htm or 56641-h.zip *****
This and all associated files of various formats will be found in:
        http://www.gutenberg.org/5/6/6/4/56641/

Produced by The Online Distributed Proofreading Team at
http://www.pgdp.net


Updated editions will replace the previous one--the old editions
will be renamed.

Creating the works from public domain print editions means that no
one owns a United States copyright in these works, so the Foundation
(and you!) can copy and distribute it in the United States without
permission and without paying copyright royalties.  Special rules,
set forth in the General Terms of Use part of this license, apply to
copying and distributing Project Gutenberg-tm electronic works to
protect the PROJECT GUTENBERG-tm concept and trademark.  Project
Gutenberg is a registered trademark, and may not be used if you
charge for the eBooks, unless you receive specific permission.  If you
do not charge anything for copies of this eBook, complying with the
rules is very easy.  You may use this eBook for nearly any purpose
such as creation of derivative works, reports, performances and
research.  They may be modified and printed and given away--you may do
practically ANYTHING with public domain eBooks.  Redistribution is
subject to the trademark license, especially commercial
redistribution.



*** START: FULL LICENSE ***

THE FULL PROJECT GUTENBERG LICENSE
PLEASE READ THIS BEFORE YOU DISTRIBUTE OR USE THIS WORK

To protect the Project Gutenberg-tm mission of promoting the free
distribution of electronic works, by using or distributing this work
(or any other work associated in any way with the phrase "Project
Gutenberg"), you agree to comply with all the terms of the Full Project
Gutenberg-tm License (available with this file or online at
http://gutenberg.org/license).


Section 1.  General Terms of Use and Redistributing Project Gutenberg-tm
electronic works

1.A.  By reading or using any part of this Project Gutenberg-tm
electronic work, you indicate that you have read, understand, agree to
and accept all the terms of this license and intellectual property
(trademark/copyright) agreement.  If you do not agree to abide by all
the terms of this agreement, you must cease using and return or destroy
all copies of Project Gutenberg-tm electronic works in your possession.
If you paid a fee for obtaining a copy of or access to a Project
Gutenberg-tm electronic work and you do not agree to be bound by the
terms of this agreement, you may obtain a refund from the person or
entity to whom you paid the fee as set forth in paragraph 1.E.8.

1.B.  "Project Gutenberg" is a registered trademark.  It may only be
used on or associated in any way with an electronic work by people who
agree to be bound by the terms of this agreement.  There are a few
things that you can do with most Project Gutenberg-tm electronic works
even without complying with the full terms of this agreement.  See
paragraph 1.C below.  There are a lot of things you can do with Project
Gutenberg-tm electronic works if you follow the terms of this agreement
and help preserve free future access to Project Gutenberg-tm electronic
works.  See paragraph 1.E below.

1.C.  The Project Gutenberg Literary Archive Foundation ("the Foundation"
or PGLAF), owns a compilation copyright in the collection of Project
Gutenberg-tm electronic works.  Nearly all the individual works in the
collection are in the public domain in the United States.  If an
individual work is in the public domain in the United States and you are
located in the United States, we do not claim a right to prevent you from
copying, distributing, performing, displaying or creating derivative
works based on the work as long as all references to Project Gutenberg
are removed.  Of course, we hope that you will support the Project
Gutenberg-tm mission of promoting free access to electronic works by
freely sharing Project Gutenberg-tm works in compliance with the terms of
this agreement for keeping the Project Gutenberg-tm name associated with
the work.  You can easily comply with the terms of this agreement by
keeping this work in the same format with its attached full Project
Gutenberg-tm License when you share it without charge with others.

1.D.  The copyright laws of the place where you are located also govern
what you can do with this work.  Copyright laws in most countries are in
a constant state of change.  If you are outside the United States, check
the laws of your country in addition to the terms of this agreement
before downloading, copying, displaying, performing, distributing or
creating derivative works based on this work or any other Project
Gutenberg-tm work.  The Foundation makes no representations concerning
the copyright status of any work in any country outside the United
States.

1.E.  Unless you have removed all references to Project Gutenberg:

1.E.1.  The following sentence, with active links to, or other immediate
access to, the full Project Gutenberg-tm License must appear prominently
whenever any copy of a Project Gutenberg-tm work (any work on which the
phrase "Project Gutenberg" appears, or with which the phrase "Project
Gutenberg" is associated) is accessed, displayed, performed, viewed,
copied or distributed:

This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and with
almost no restrictions whatsoever.  You may copy it, give it away or
re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included
with this eBook or online at www.gutenberg.org/license

1.E.2.  If an individual Project Gutenberg-tm electronic work is derived
from the public domain (does not contain a notice indicating that it is
posted with permission of the copyright holder), the work can be copied
and distributed to anyone in the United States without paying any fees
or charges.  If you are redistributing or providing access to a work
with the phrase "Project Gutenberg" associated with or appearing on the
work, you must comply either with the requirements of paragraphs 1.E.1
through 1.E.7 or obtain permission for the use of the work and the
Project Gutenberg-tm trademark as set forth in paragraphs 1.E.8 or
1.E.9.

1.E.3.  If an individual Project Gutenberg-tm electronic work is posted
with the permission of the copyright holder, your use and distribution
must comply with both paragraphs 1.E.1 through 1.E.7 and any additional
terms imposed by the copyright holder.  Additional terms will be linked
to the Project Gutenberg-tm License for all works posted with the
permission of the copyright holder found at the beginning of this work.

1.E.4.  Do not unlink or detach or remove the full Project Gutenberg-tm
License terms from this work, or any files containing a part of this
work or any other work associated with Project Gutenberg-tm.

1.E.5.  Do not copy, display, perform, distribute or redistribute this
electronic work, or any part of this electronic work, without
prominently displaying the sentence set forth in paragraph 1.E.1 with
active links or immediate access to the full terms of the Project
Gutenberg-tm License.

1.E.6.  You may convert to and distribute this work in any binary,
compressed, marked up, nonproprietary or proprietary form, including any
word processing or hypertext form.  However, if you provide access to or
distribute copies of a Project Gutenberg-tm work in a format other than
"Plain Vanilla ASCII" or other format used in the official version
posted on the official Project Gutenberg-tm web site (www.gutenberg.org),
you must, at no additional cost, fee or expense to the user, provide a
copy, a means of exporting a copy, or a means of obtaining a copy upon
request, of the work in its original "Plain Vanilla ASCII" or other
form.  Any alternate format must include the full Project Gutenberg-tm
License as specified in paragraph 1.E.1.

1.E.7.  Do not charge a fee for access to, viewing, displaying,
performing, copying or distributing any Project Gutenberg-tm works
unless you comply with paragraph 1.E.8 or 1.E.9.

1.E.8.  You may charge a reasonable fee for copies of or providing
access to or distributing Project Gutenberg-tm electronic works provided
that

- You pay a royalty fee of 20% of the gross profits you derive from
     the use of Project Gutenberg-tm works calculated using the method
     you already use to calculate your applicable taxes.  The fee is
     owed to the owner of the Project Gutenberg-tm trademark, but he
     has agreed to donate royalties under this paragraph to the
     Project Gutenberg Literary Archive Foundation.  Royalty payments
     must be paid within 60 days following each date on which you
     prepare (or are legally required to prepare) your periodic tax
     returns.  Royalty payments should be clearly marked as such and
     sent to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation at the
     address specified in Section 4, "Information about donations to
     the Project Gutenberg Literary Archive Foundation."

- You provide a full refund of any money paid by a user who notifies
     you in writing (or by e-mail) within 30 days of receipt that s/he
     does not agree to the terms of the full Project Gutenberg-tm
     License.  You must require such a user to return or
     destroy all copies of the works possessed in a physical medium
     and discontinue all use of and all access to other copies of
     Project Gutenberg-tm works.

- You provide, in accordance with paragraph 1.F.3, a full refund of any
     money paid for a work or a replacement copy, if a defect in the
     electronic work is discovered and reported to you within 90 days
     of receipt of the work.

- You comply with all other terms of this agreement for free
     distribution of Project Gutenberg-tm works.

1.E.9.  If you wish to charge a fee or distribute a Project Gutenberg-tm
electronic work or group of works on different terms than are set
forth in this agreement, you must obtain permission in writing from
both the Project Gutenberg Literary Archive Foundation and Michael
Hart, the owner of the Project Gutenberg-tm trademark.  Contact the
Foundation as set forth in Section 3 below.

1.F.

1.F.1.  Project Gutenberg volunteers and employees expend considerable
effort to identify, do copyright research on, transcribe and proofread
public domain works in creating the Project Gutenberg-tm
collection.  Despite these efforts, Project Gutenberg-tm electronic
works, and the medium on which they may be stored, may contain
"Defects," such as, but not limited to, incomplete, inaccurate or
corrupt data, transcription errors, a copyright or other intellectual
property infringement, a defective or damaged disk or other medium, a
computer virus, or computer codes that damage or cannot be read by
your equipment.

1.F.2.  LIMITED WARRANTY, DISCLAIMER OF DAMAGES - Except for the "Right
of Replacement or Refund" described in paragraph 1.F.3, the Project
Gutenberg Literary Archive Foundation, the owner of the Project
Gutenberg-tm trademark, and any other party distributing a Project
Gutenberg-tm electronic work under this agreement, disclaim all
liability to you for damages, costs and expenses, including legal
fees.  YOU AGREE THAT YOU HAVE NO REMEDIES FOR NEGLIGENCE, STRICT
LIABILITY, BREACH OF WARRANTY OR BREACH OF CONTRACT EXCEPT THOSE
PROVIDED IN PARAGRAPH 1.F.3.  YOU AGREE THAT THE FOUNDATION, THE
TRADEMARK OWNER, AND ANY DISTRIBUTOR UNDER THIS AGREEMENT WILL NOT BE
LIABLE TO YOU FOR ACTUAL, DIRECT, INDIRECT, CONSEQUENTIAL, PUNITIVE OR
INCIDENTAL DAMAGES EVEN IF YOU GIVE NOTICE OF THE POSSIBILITY OF SUCH
DAMAGE.

1.F.3.  LIMITED RIGHT OF REPLACEMENT OR REFUND - If you discover a
defect in this electronic work within 90 days of receiving it, you can
receive a refund of the money (if any) you paid for it by sending a
written explanation to the person you received the work from.  If you
received the work on a physical medium, you must return the medium with
your written explanation.  The person or entity that provided you with
the defective work may elect to provide a replacement copy in lieu of a
refund.  If you received the work electronically, the person or entity
providing it to you may choose to give you a second opportunity to
receive the work electronically in lieu of a refund.  If the second copy
is also defective, you may demand a refund in writing without further
opportunities to fix the problem.

1.F.4.  Except for the limited right of replacement or refund set forth
in paragraph 1.F.3, this work is provided to you 'AS-IS' WITH NO OTHER
WARRANTIES OF ANY KIND, EXPRESS OR IMPLIED, INCLUDING BUT NOT LIMITED TO
WARRANTIES OF MERCHANTABILITY OR FITNESS FOR ANY PURPOSE.

1.F.5.  Some states do not allow disclaimers of certain implied
warranties or the exclusion or limitation of certain types of damages.
If any disclaimer or limitation set forth in this agreement violates the
law of the state applicable to this agreement, the agreement shall be
interpreted to make the maximum disclaimer or limitation permitted by
the applicable state law.  The invalidity or unenforceability of any
provision of this agreement shall not void the remaining provisions.

1.F.6.  INDEMNITY - You agree to indemnify and hold the Foundation, the
trademark owner, any agent or employee of the Foundation, anyone
providing copies of Project Gutenberg-tm electronic works in accordance
with this agreement, and any volunteers associated with the production,
promotion and distribution of Project Gutenberg-tm electronic works,
harmless from all liability, costs and expenses, including legal fees,
that arise directly or indirectly from any of the following which you do
or cause to occur: (a) distribution of this or any Project Gutenberg-tm
work, (b) alteration, modification, or additions or deletions to any
Project Gutenberg-tm work, and (c) any Defect you cause.


Section  2.  Information about the Mission of Project Gutenberg-tm

Project Gutenberg-tm is synonymous with the free distribution of
electronic works in formats readable by the widest variety of computers
including obsolete, old, middle-aged and new computers.  It exists
because of the efforts of hundreds of volunteers and donations from
people in all walks of life.

Volunteers and financial support to provide volunteers with the
assistance they need, are critical to reaching Project Gutenberg-tm's
goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will
remain freely available for generations to come.  In 2001, the Project
Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure
and permanent future for Project Gutenberg-tm and future generations.
To learn more about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation
and how your efforts and donations can help, see Sections 3 and 4
and the Foundation web page at http://www.pglaf.org.


Section 3.  Information about the Project Gutenberg Literary Archive
Foundation

The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit
501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
Revenue Service.  The Foundation's EIN or federal tax identification
number is 64-6221541.  Its 501(c)(3) letter is posted at
http://pglaf.org/fundraising.  Contributions to the Project Gutenberg
Literary Archive Foundation are tax deductible to the full extent
permitted by U.S. federal laws and your state's laws.

The Foundation's principal office is located at 4557 Melan Dr. S.
Fairbanks, AK, 99712., but its volunteers and employees are scattered
throughout numerous locations.  Its business office is located at
809 North 1500 West, Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887, email
[email protected].  Email contact links and up to date contact
information can be found at the Foundation's web site and official
page at http://pglaf.org

For additional contact information:
     Dr. Gregory B. Newby
     Chief Executive and Director
     [email protected]


Section 4.  Information about Donations to the Project Gutenberg
Literary Archive Foundation

Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide
spread public support and donations to carry out its mission of
increasing the number of public domain and licensed works that can be
freely distributed in machine readable form accessible by the widest
array of equipment including outdated equipment.  Many small donations
($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt
status with the IRS.

The Foundation is committed to complying with the laws regulating
charities and charitable donations in all 50 states of the United
States.  Compliance requirements are not uniform and it takes a
considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up
with these requirements.  We do not solicit donations in locations
where we have not received written confirmation of compliance.  To
SEND DONATIONS or determine the status of compliance for any
particular state visit http://pglaf.org

While we cannot and do not solicit contributions from states where we
have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition
against accepting unsolicited donations from donors in such states who
approach us with offers to donate.

International donations are gratefully accepted, but we cannot make
any statements concerning tax treatment of donations received from
outside the United States.  U.S. laws alone swamp our small staff.

Please check the Project Gutenberg Web pages for current donation
methods and addresses.  Donations are accepted in a number of other
ways including checks, online payments and credit card donations.
To donate, please visit: http://pglaf.org/donate


Section 5.  General Information About Project Gutenberg-tm electronic
works.

Professor Michael S. Hart is the originator of the Project Gutenberg-tm
concept of a library of electronic works that could be freely shared
with anyone.  For thirty years, he produced and distributed Project
Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of volunteer support.


Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed
editions, all of which are confirmed as Public Domain in the U.S.
unless a copyright notice is included.  Thus, we do not necessarily
keep eBooks in compliance with any particular paper edition.


Most people start at our Web site which has the main PG search facility:

     http://www.gutenberg.org

This Web site includes information about Project Gutenberg-tm,
including how to make donations to the Project Gutenberg Literary
Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to
subscribe to our email newsletter to hear about new eBooks.