The Project Gutenberg EBook of Der Mann des Schicksals, by George Bernard Shaw Copyright laws are changing all over the world. Be sure to check the copyright laws for your country before downloading or redistributing this or any other Project Gutenberg eBook. This header should be the first thing seen when viewing this Project Gutenberg file. Please do not remove it. Do not change or edit the header without written permission. Please read the "legal small print," and other information about the eBook and Project Gutenberg at the bottom of this file. Included is important information about your specific rights and restrictions in how the file may be used. 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DER MANN DES SCHICKSALS Komoedie in einem Akt Bernard Shaw (Uebersetztung von Siegfried Trabitsch) Diese Komoedie wurde zuerst unter dem Titel "Der Schlachtenlenker" veroeffentlicht und aufgefuehrt. PERSONEN Napoleon Ein Leutnant Eine fremde Dame Giuseppe Grandi, Gastwirt Schauplatz der Handlung: Tavazzano, ein kleiner Ort auf dem Wege von Mailand nach Lodi. (Es ist am 12. Mai 1796 in Norditalien, in Tavazzano, auf der Strasse von Lodi nach Mailand; die Nachmittagssonne strahlt hell herab auf die Ebenen der Lombardei. Sie behandelt die Alpen mit Respekt and die Ameisenhuegel mit Nachsicht und wird weder durch die sich sonnenden Schweine und Ochsen in den Doerfern belaestigt, noch verletzt durch das kuehle Verhalten der Kirchen gegenueber ihrem Licht. Verachtungsvoll lacht sie jedoch ueber zwei Horden schaedlicher Insekten, naemlich der oesterreichischen und der franzoesischen Armee. Vor zwei Tagen, bei Lodi, hatten die Oesterreicher die Franzosen zu hindern versucht, den Fluss auf der dort befindlichen schmalen Bruecke zu ueberschreiten. Aber die Franzosen, befehligt von einem siebenundzwanzigjaehrigen General, Napoleon Bonaparte, der die Kriegskunst nicht versteht, ueberschritten dennoch die von feindlichem Feuer bestrichene Bruecke, unterstuetzt von einer furchtbaren Kanonade, bei welcher der junge General selbst Hand anlegte. Das Schiessen mit Kanonen ist seine technische Spezialitaet. Er ist in der Artillerie unter dem alten Regime ausgebildet und ein Meister in den militaerischen Kuensten, sich von seinen Pflichten zu druecken, den Kriegszahlmeister um Reisespesen zu beschwindeln und den Krieg mit dem Laerm and Rauch der Kanonen zu verherrlichen, der auf allen militaerischen Bildern aus dieser Epoche zu sehen ist. Er ist jedoch ein origineller Beobachter und hat seit der Erfindung des Schiesspulvers als erster herausgefunden, dass eine Kanonenkugel den Mann, den sie trifft, unfehlbar toeten muss. Dem gruendlichen Erfassen dieser bemerkenswerten Entdeckung fuegte er eine hoechst entwickelte Faehigkeit fuer physikalische Geographie und fuer die Berechnung von Zeit und Entfernungen hinzu. Er besitzt eine erstaunliche Arbeitskraft und eine klare, realistische Kenntnis der menschlichen Natur in bezug auf oeffentliche Angelegenheiten, die er waehrend der franzoesischen Revolution nach dieser Richtung hin reichlich erprobt hat. Er hat Einbildungskraft ohne Illusionen, und schoepferischen Geist ohne Religion, Loyalitaet, Patriotismus oder irgendeines der landlaeufigen Ideale, obwohl er dieser nicht unfaehig ware; im Gegenteil: er hat sie alle einmal in seiner Knabenzeit begierig eingezogen, und da er feine dramatische Faehigkeiten besitzt, versteht er sie mit der Kunst eines Schauspielers und Buehnenleiters aeusserst geschickt auszuspielen. Dabei ist er durchaus kein verzogenes Kind. Armut, Missgeschick, die Kniffe einer aermlich zur Schau getragenen Eleganz, wiederholte Durchfaelle als Autor, die Demuetigungen eines zurueckgestossenen Strebers, die Verweise und Bestrafungen, die der untaugliche und unehrenhafte Offizier zu ertragen hat, haben das verhindert. Er entging sogar nur mit knapper Not der Strafe, aus dem Dienste gejagt zu werden. Wenn recht Auswanderung der Adeligen selbst den Wert des schuftigsten Leutnants zu dem Teuerungspreise eines Generals gesteigert haette, wuerde er mit Verachtung aus dem Heere ausgestossen worden sein. Alle diese Schicksale haben ihm jede Selbstueberschaetzung ausgetrieben und ihn gezwungen, genuegsam zu sein und zu begreifen, dass die Welt einem Manne seinesgleichen nichts gibt, was er ihr nicht mit Gewalt abringen kann. Hierin aber zeigt die Welt einige Feigheit und Dummheit. Denn ein erbarmungsloser Kanonier des politischen Kehrichts, wie Napoleon es war, ist der Welt von Nutzen. Man kann sogar heute nicht in England leben, ohne manchmal einzusehen, wieviel dieses Land dabei verlor, dass es nicht von Napoleon ebenso wie von Julius Caesar erobert wurde.) (An jenem Mainachmittag des Jahres 1796 jedoch ist es noch frueh in seinem Leben. Er ist erst sechsundzwanzig Jahre alt und erst kuerzlich General geworden, teilweise mit Hilfe seiner Frau, die er dazu benutzt hat, das Direktorium (das damals Frankreich regierte) zu verfuehren, und teilweise durch den bereits erwaehnten, infolge der Auswanderung entstandenen Mangel an Offizieren. Aber auch dank seiner Faehigkeit, ein Land mit all seinen Strassen, Fluessen, Huegeln und Taelern wie die Flaeche seiner eigenen Hand zu kennen, und vor allem dank seinem neuen Glauben an die Wirkung der Kanonen auf Menschen. Seine Armee war, was die Disziplin betrifft, in einem Zustand, der moderne Historiker, vor denen das folgende Stueck aufgefuehrt worden ist, so sehr entsetzt hat, dass sie, eingeschuechtert von dem spaeteren Ruhme des "Empereur", sich geweigert haben, an solche Vorkommnisse zu glauben. Aber Napoleon ist noch nicht "l'Empereur", es wurde ihm eben erst der Titel "le petit caporal" verliehen, und er ist im Begriff, durch renommistische Tapferkeit Einfluss auf seine Leute zu gewinnen. Er ist nicht in der Lage, seinen Willen nach orthodoxer militaerischer Art mit Hilfe der neunschwaenzigen Katze bei ihnen durchzusetzen. Die franzoesische Revolution, die nur durch die monarchische Gewohnheit, den Soldaten den Lohn wenigstens vier Jahre lang schuldig zu bleiben, dem Schicksal, unterdrueckt zu werden, entging, hat, wo es irgend anging, diesen Brauch durch die Gewohnheit ersetzt, ueberhaupt keinen zu zahlen. Statt dessen werden die Leute mit Versprechungen und patriotischen Schmeicheleien abgespeist, die mit dem Militaergeist preussischer Art unvereinbar gewesen waeren. Napoleon hat sich daher als ein Befehlshaber von zerlumpten Leuten ohne Geld, die nicht aufgelegt sind, sich viel Disziplin gefallen zu lassen, namentlich nicht von emporgekommenen Generaelen, den Alpen genaehert. Dieser Umstand, der einen idealistischen Soldaten in Verlegenheit gebracht haette, ersetzte Napoleon tausend Kanonen. Er sprach zu seinen Soldaten: "Ihr habt Patriotismus und Mut; aber ihr habt kein Geld, keine Kleidung und kaum etwas zu essen. In Italien gibt es all diese Dinge und Ruhm noch dazu fuer eine ergebene Armee, die von einem General gefuehrt wird, der Pluenderung als das natuerliche Recht des Soldaten betrachtet. Ich bin ein solcher General. En avant, mes enfants!"--Das Resultat hat ihm vollkommen recht gegeben. Seine Soldaten eroberten Italien, wie die Wanderheuschrecken Cypern erobert haben. Sie kaempften den ganzen Tag und marschierten die ganze Nacht, legten unmoegliche Entfernungen zurueck, tauchten an unmoeglichen Orten auf,--aber nicht etwa, weil jeder Soldat wusste, dass er den Marschallstab in seinem Tornister trage, sondern weil jeder hoffte, am naechsten Tage wenigstens ein halbes Dutzend silberner Gabeln fort zu tragen. Zugleich muss man sich darueber klar sein, dass die franzoesische Armee nicht mit der italienischen Krieg fuehrt. Sie ist nur da, um Italien von der Tyrannei seiner oesterreichischen Eroberer zu befreien und republikanische Einrichtungen herzustellen, so dass sie, wenn sie gelegentlich pluendert, nur ein wenig frei mit dem Eigentum ihrer Freunde umgeht, wofuer Italien sogar haette dankbar sein sollen, wenn Undankbarkeit nicht die sprichwoertliche Schwaeche der Italiener waere. Die Oesterreicher, die sie bekaempfen, haben eine recht ansehnliche regulaere, gut disziplinierte Armee, von Herren kommandiert, die in der bisher geuebten Kriegskunst erfahren sind, an ihrer Spitze Beaulieu, der die klassische Kriegskunst ausuebt, nach Befehlen von Wien aus, und von Napoleon fuerchterlich geschlagen wird, der auf eigene Faust handelt, ohne Ruecksicht auf militaerisches Herkommen und Befehle aus Paris. Selbst wenn die Oesterreicher eine Schlacht gewannen, brauchte man nur zu warten, bis sie nach ihrer Gewohnheit in ihre Hauptquartiere heimgekehrt waren, sozusagen zum Nachmittagstee, um sie dann zurueckzugewinnen, ein Verfahren, das Napoleon spaeter mit glaenzendem Erfolge bei Marengo anzuwenden wusste. Mit einem Wort, Napoleon versteht es, ohne heroische Wunder zu vollbringen, einem Feinde gegenueber unwiderstehlich zu sein, der den Nachteil hat, von oesterreichischer Staatsmannschaft, klassischer Generalsweisheit und den Forderungen der aristokratischen Wiener Gesellschaft geleitet zu werden. Die Welt jedoch liebt Wunder und Helden und ist ganz unfaehig, die Handlungsweise solcher Maechte, wie akademischer Militarismus und Wiener Boudoirunwesen sind, zu begreifen. Daher hat sie schon begonnen, das Wort "l'Empereur" zu praegen, und es dadurch hundert Jahre spaeter den Romantikern erschwert, die folgende bis dahin unaufgezeichnete kleine Szene zu glauben, die sich in Tavazzano ereignet hat. Das beste Quartier in Tavazzano ist ein kleines Gasthaus, das erste, das der Wanderer antrifft, der auf dem Wege von Mailand noch Lodi den Ort beruehrt. Es steht in einem Weingarten, und sein groesstes Zimmer, ein angenehmer Zufluchtsort vor der Sommerhitze, ist gegen diesen Weingarten nach rueckwaerts so weit geoeffnet, dass es beinahe einer grossen Veranda gleicht. Die mutigeren unter den Kindern, die durch Alarmsignale und die Ausfaelle der letzten Tage und durch den Einmarsch franzoesischer Truppen um sechs Uhr in grosser Aufregung sind, wissen, dass der franzoesische Kommandeur sich in dieses Zimmer einquartiert hat, und schwanken zwischen dem Verlangen, durch das Vorderfenster verstohlene Blicke hineinzuwerfen, und einer toedlichen Angst vor der Schildwache, einem jungen Soldaten aus vornehmer Familie, der keinen natuerlichen Schnurrbart besitzt und sich deshalb einen sehr martialischen mit Stiefelwichse von seinem Feldwebel hat ins Gesicht hineinmalen lassen. Da seine schwere Uniform, wie alle Uniformen seiner Zeit, ohne die leiseste Ruecksichtnahme auf seine Gesundheit oder seine Bequemlichkeit, lediglich fuer die Parade bestimmt ist, schwitzt er fuerchterlich in der Sonne; sein gemalter Schnurrbart ist in kleinen Streifen sein Kinn und seinen Hals herabgelaufen, mit Ausnahme von jenen Stellen, wo er zu einer Kruste wie von japanischem Lack getrocknet ist, und wo seine schoen geschweifte Linie durch groteske kleine Buchten und Landzungen unterbrochen wird. Alles dies macht ihn unsagbar laecherlich in den Augen der Geschichte hundert Jahre spaeter, aber fuerchterlich und schrecklich in den Augen der zeitgenoessischen norditalienischen Kinder, denen es ganz natuerlich erscheinen wuerde, wenn die Wache die Eintoenigkeit des Postenstehens dadurch zu beleben versuchte, dass sie ein verlaufenes Kind auf ihr Bajonett spiesste, um es ungekocht zu verspeisen. Trotzdem hat ein Maedchen von schlechtem Charakter, an dem schon der Sinn fuer ein gewisses Vorrecht, das sie bei den Soldaten hat, erwacht ist, sich fuer einen Augenblick verstohlen an das sicherste Fenster geschlichen, bis ein Blick und ein Klirren der Wache es davonjagt. Was die Kleine zumeist sieht, das hat sie schon frueher gesehen: den Weingarten mit der alten Kelter dahinter und einen Karren bei den Weinstoecken; die Tuere dicht zu ihrer Rechten, die nach dem Eingange des Gasthauses fuehrt, wo des Wirtes bester Schenktisch weiter hinten an derselben Seite nun in voller Taetigkeit fuer das Mittagessen steht; auf der anderen Seite den Kamin mit einem Sofa in der Naehe und eine andere Tuer, die zwischen Kamin und Weingarten in die inneren Raeume fuehrt; in der Mitte einen Tisch mit seiner Mahlzeit von Mailaender Risotto, Kaese, Trauben, Brot, Oliven und einer grossen, mit Weidenzweigen umflochtenen Flasche Rotwein. Der Wirt, Giuseppe Grandi, ist auch nichts Neues fuer sie; er ist ein dunkelfarbiger, lebhafter, gehoerig heiterer, schwarzlockiger, kugelkoepfiger, grinsender kleiner Mann von vierzig Jahren. Schon von Natur ein guter Wirt, ist er heute abend in extra guter Laune ueber sein Glueck, den franzoesischen Kommandeur als Gast unter seinem Dache zu haben, dessen Gegenwart ihn vor den Uebergriffen der Soldaten schuetzt. Er traegt sogar ein Paar goldener Ohrringe zur Schau, die er sonst mit seinem kleinen Besitz an Silbergeschirr sorgfaeltig unter der Kelter versteckt haben wuerde.) (Napoleon jedoch, der ihm gegenueber an der hinteren Seite des Tisches sitzt, und seinen Hut, seinen Degen und seine Reitpeitsche, die auf dem Sofa liegen, sieht das Maedchen zum erstenmal. Er arbeitet hart, teils an seiner Mahlzeit, die er in zehn Minuten zu verschlingen weiss, indem er alle Gerichte gleichzeitig in Angriff nimmt (diese Gewohnheit ist der erste Schritt zu seinem spaeteren Untergange), und teils an einer Landkarte, die er aus dem Gedaechtnis verbessert, wobei er gelegentlich die Stellungen seiner Streitkraefte kennzeichnet, indem er eine Traubenschale aus dem Munde nimmt und sie mit seinem Daumen wie eine Oblate auf die Landkarte drueckt. Er hat Schreibmaterial vor sich liegen, unordentlich mit den Gerichten und Flaschen vermengt, und sein langes Haar faellt bald in die Risottobruehe herab, bald in die Tinte.) (Giuseppe.) Wollen Exzellenz.... (Napoleon blickt gespannt auf seine Karte, stopft sich aber mit der linken Hand mechanisch den Mund dabei voll): Schwatz' nicht, ich habe zu tun. (Giuseppe in ungetruebt guter Laune:) Wie Sie befehlen, Exzellenz. (Napoleon.) Bring mir rote Tinte! (Giuseppe.) Leider habe ich keine, Exzellenz. (Napoleon mit korsischem Humor:) Toete etwas und bring' mir das Blut. (Giuseppe grinsend:) Es ist nichts im Hause, als das Pferd Eurer Exzellenz, die Schildwache, die Dame im ersten Stock und meine Frau. (Napoleon.) Toete deine Frau. (Giuseppe.) Mit groesstem Vergnuegen, Exzellenz. Aber ungluecklicherweise ist sie staerker als ich--sie wuerde mich toeten. (Napoleon.) Das waere ebenso gut. (Giuseppe.) Exzellenz erweisen mir zu viel Ehre. (Seine Hand nach der Flasche ausstreckend:) Vielleicht kann etwas Wein den Zweck erfuellen. (Napoleon beschuetzt die Flasche schnell und wird ganz ernst:) Wein? Nein--das waere Verschwendung. Ihr seid alle gleich--Verschwendung! Verschwendung! Verschwendung! (Er markiert die Landkarte mit Sauce, wobei er die Gabel als Feder benuetzt.) Raeum' ab! (Er leert sein Weinglas, stoesst seinen Stuhl zurueck und benuetzt seine Serviette, streckt dann die Beine aus und lehnt sich zurueck, aber noch immer die Stirn runzelnd und in Gedanken.) (Giuseppe raeumt den Tisch ab und stellt die Sachen auf ein Tablett, das auf dem Buefett steht:) Ein jeder denkt, wie es fuer sein Geschaeft taugt, Exzellenz. Wir Gastwirte verfuegen ueber eine Menge billigen Wein; wir finden nichts dabei, ihn zu vergiessen,--Ihr grossen Generale verfuegt ueber eine Menge billiges Blut: Ihr findet nichts dabei, es zu vergiessen. Hab' ich recht, Exzellenz? (Napoleon.) Blut kostet nichts, Wein kostet Geld. (Er erhebt sich und geht an den Kamin.) (Giuseppe.) Man sagt, dass Sie mit allem sparen, ausser mit Menschenleben, Exzellenz. (Napoleon.) Ein Menschenleben, mein Freund, ist das einzige Ding, das sparsam mit sich selbst umgeht. (Er wirft sich behaglich auf das Sofa.) (Giuseppe ihn bewundernd:) O Exzellenz, wie dumm sind wir alle, mit Ihnen verglichen! Wenn ich nur das Geheimnis Ihrer Erfolge erraten koennte! (Napoleon.) Dann wuerdest du dich zum Kaiser von Italien machen, was? (Giuseppe.) Das waere fuer mich zu muehsam, Exzellenz, ich ueberlasse es lieber Ihnen. Ueberdies, was sollte aus meiner Wirtschaft werden, wenn ich Kaiser wuerde? Sie sehen mir gerne zu, wie ich mein Gasthaus fuer Sie verwalte und Sie bediene. Nun, ich will Ihnen gerne zusehen, wie Sie Kaiser von Europa werden und Italien fuer mich regieren. (Waehrend er schwaetzt, nimmt er das Tischtuch ab, ohne die Landkarte und das Tintenfass wegzunehmen. Er nimmt die Ecken des Tuches in die Haende und die Mitte in den Mund, um es zusammenzufalten.) (Napoleon.) Kaiser von Europa? Was? Warum bloss von Europa? (Giuseppe.) Sie haben wahrhaftig recht, Exzellenz, warum nicht Kaiser der Welt? (Er faltet und rollt das Tischtuch zusammen, und bekraeftigt seine Saetze mit den einzelnen Phasen dieses Vorgangs:) Ein Mensch ist wie der andre--(er faltet es:) ein Land ist wie das andre, (faltet:) eine Schlacht ist wie die andre. (Als er das letzte Stueck gefaltet hat, schlaegt er das Tischtuch auf den Tisch, rollt es geschickt zusammen and schliesst seinen Redefluss:) Gewinnt man eine, so gewinnt man alle. (Er geht mit dem Tischtuch an das Buefett und legt es in eine Schublade.) (Napoleon.) Und fuer alle regieren, fuer alle kaempfen, jedermanns Knecht sein unter dem Vorwande, jedermanns Herr zu sein, Giuseppe! (Giuseppe vor dem Buefett:) Exzellenz--? (Napoleon.) Ich verbiete dir, mit mir ueber mich zu sprechen. (Giuseppe geht an das Fussende des Sofas:) Pardon, Exzellenz sind darin so ganz verschieden von andren grossen Maennern, die lieben gerade dieses Thema am meisten. (Napoleon.) Gut, sprich mit mir ueber das, was grosse Maenner als zweitbestes lieben, was es auch sein mag. (Giuseppe ohne in Verlegenheit zu geraten:) Zu Befehl, Exzellenz. Haben Exzellenz durch irgendeinen Zufall etwas von der Dame da oben zu sehen bekommen? (Napoleon setzt sich sofort auf und sieht ihn mit einem Interesse an, das die Frage vollkommen angebracht erscheinen laesst:) Wie alt ist sie? (Giuseppe.) Sie hat das richtige Alter, Exzellenz. (Napoleon.) Meinst du siebzehn oder dreissig? (Giuseppe.) Dreissig, Exzellenz. (Napoleon.) Ist sie schoen? (Giuseppe.) Ich kann nicht mit Ihren Augen sehn, Exzellenz! Jeder Mann muss das selbst beurteilen. Meiner Meinung nach ist sie eine schoene Dame. (Schlau:) Soll ich ihr hier den Tisch fuer das Fruehstueck decken? (Napoleon erhebt sich heftig:) Nein! Deck hier nicht mehr, bevor der Offizier, auf den ich warte, zurueckkommt. (Er sieht auf seine Uhr und faengt an, zwischen dem Kamin und dem Weingarten auf und ab zu gehn.) (Giuseppe mit Ueberzeugung:) Exzellenz, glauben Sie mir, er ist von den verfluchten Oesterreichern gefangen worden; er wuerde es nicht wagen, Sie warten zu lassen, wenn er frei waere. (Napoleon kehrt sich beim Schatten der Veranda um:) Giuseppe! wenn sich herausstellen sollte, dass du recht hast, so wird mich das in eine Laune versetzen, dass mich nichts anderes besaenftigen kann, als dich und deinen ganzen Haushalt--die Dame dort oben inbegriffen--aufhaengen zu lassen! (Giuseppe.) Wir stehen Ihnen alle gerne zur Verfuegung, Exzellenz! mit Ausnahme der Dame. Ich kann fuer sie nicht buergen; aber welche Frau koennte Ihnen widerstehen?! (Napoleon setzt seine Wanderung duester fort:) Hm, du wirst niemals am Galgen enden. Es ist kein Vergnuegen dabei, einen Mann zu haengen, der nichts dagegen einzuwenden hat. (Giuseppe liebenswuerdig:) Nicht das geringste, Exzellenz, nicht wahr? (Napoleon blickt wieder auf seine Uhr und wird sichtlich unruhig:) Oh, man sieht, dass Sie ein grosser Mann sind, Exzellenz! Sie verstehen zu warten. Wenn ein Korporal oder ein junger Leutnant an Ihrer Stelle waere--nach drei Minuten wuerde er fluchen, toben, drohen und das Haus von oben nach unten kehren. (Napoleon.) Giuseppe, deine Schmeicheleien sind unertraeglich. Geh und schwatz draussen. (Er setzt sich wieder an den Tisch, sein Kinn auf die Haende, seine Ellbogen auf die Landkarte gestuetzt, und starrt mit unruhigem Ausdruck auf sie hin.) (Giuseppe.) Zu Befehl, Exzellenz, Sie sollen nicht gestoert werden. (Er nimmt das Tablett und ist im Begriff, sich zurueckzuziehen.) (Napoleon.) Sobald er da ist, schick' ihn zu mir herein. (Giuseppe.) Augenblicklich, Exzellenz. (Die Stimme einer Dame ruft von irgendeinem entfernten Teil des Gasthauses:) Giuseppe! (Die Stimme ist sehr melodisch, und die zwei letzten Buchstaben werden in aufsteigender Skala gesungen.) (Napoleon stutzig:) Was ist das?... (Giuseppe stuetzt das Ende seines Servierbrettes auf den Tisch und beugt sich vertraulich vor:) Die Dame, Exzellenz. (Napoleon zerstreut:) Ja... was fuer eine Dame... wessen Dame?... (Giuseppe.) Die fremde Dame, Exzellenz. (Napoleon.) Was fuer eine fremde Dame? (Giuseppe achselzuckend:) Wer kann es wissen! Sie ist eine halbe Stunde vor Ihnen hier angekommen, in einem Mietwagen, der dem "Goldenen Adler" in Borghetto gehoert. Tatsaechlich: sie ganz allein, Exzellenz,--ohne Dienerschaft! Eine Handtasche und ein Koffer, das war alles. Der Postillon sagte mir, dass sie im "Goldenen Adler" ein Pferd gelassen habe, ein Chargenpferd mit militaerischem Sattelschmuck. (Napoleon.) Eine Frau mit einem Chargenpferd?--Das ist ungewoehnlich. (Die Stimme der Dame. Die zwei letzten Buchstaben werden jetzt in herabsteigender Skala gesungen:) Giuseppe! (Napoleon springt auf, um zu horchen:) Das ist eine interessante Stimme. (Giuseppe.) Oh es ist eine interessante Dame, Exzellenz. (Ruft:) Ich komme schon! ich komme schon, meine Gnaedige! (Er eilt zur inneren Tuer.) (Napoleon haelt ihn mit starker Hand an der Schulter fest:) Halt! Sie soll hierher kommen. (Die Stimme ungeduldig:) Giuseppe! (Giuseppe flehentlich:) Lassen Sie mich gehn, Exzellenz. Es ist meine Ehrenpflicht als Wirt, zu kommen, wenn man mich ruft. Ich wende mich an den Soldaten in Ihnen! (Eines Mannes Stimme ruft draussen vor der Tuer des Wirtshauses:) Ist jemand da? Hallo! Wirt! wo sind Sie? (Es wird heftig mit dem Knopf einer Peitsche auf eine Bank in der Einfahrt geschlagen. Napoleon der ploetzlich wieder kommandierender Offizier wird, stoesst Giuseppe fort:) Da ist er endlich! (Auf die innere Tuer weisend:) Geh, kuemmere dich um dein Geschaeft. Die Dame ruft nach dir. (Er geht zum Kamin und steht mit dem Ruecken dagegen, mit entschlossenem militaerischem Gesichtsausdruck.) (Giuseppe atemlos, reisst sein Tablett an sich:) Gerne, Exzellenz! (Er eilt durch die innere Tuer hinaus.) (Die Stimme des Mannes ungeduldig:) Schlaeft hier alles? (Die dem Kamin gegenueberliegende Tuer wird heftig mit dem Fusse aufgestossen, and ein staubbedeckter Leutnant stuerzt in das Zimmer. Er ist ein toerichter, junger Bursche von vierundzwanzig Jahren mit der hellen, zarten, reinen Haut des vornehmen Mannes und mit jener Selbstsicherheit des Aristokraten, welche die franzoesische Revolution nicht im geringsten erschuettern konnte. Er hat eine dicke, dumme Lippe, ein eifriges, leichtglaeubiges Auge, eine eigensinnige Nase und eine laute selbstbewusste Stimme.--Ein junger Mensch ohne Furcht, obne Ehrfurcht, ohne Einbildungskraft, ohne Verstand und hoffnungslos unempfaenglich fuer die napoleonische oder irgendeine andere Idee. Fabelhaft egoistisch, im hoechsten Grade dazu geeignet, dort geraeuschvoll hereinzustuermen, wo selbst ein Engel sich fuerchten wuerde, nur den Fuss aufzusetzen, doch von einer starken geschwaetzigen Lebenskraft, die ihn mitten in das tollste Gewirr der Dinge hetzt. Er kocht eben vor Wut, anscheinend, weil er empoert ist, nicht schnell vom Gesinde des Gasthauses bedient zu werden, aber ein schaerfer beobachtendes Auge kann eine gewisse moralische Niedergeschlagenheit in ihm entdecken, welche andeutet, dass er unter einem anhaltenderen und wichtigeren Verdruss leidet. Als er Napoleon bemerkt, kommt er genuegend zu sich, um sich zusammenzuraffen und zu salutieren. Aber er verraet auf keine Weise durch sein Benehmen etwas von jener prophetischen Voraussicht von Marengo und Austerlitz, Waterloo und St. Helena oder der Napoleonbilder von Delaroche und Meissonier, die die moderne Kultur instinktiv bei ihm voraussetzen wuerde.) (Napoleon scharf:) Nun, Herr, sind Sie endlich angekommen? Ihr Befehl lautete, dass ich um sechs Uhr hier sein wuerde, und dass Sie mich mit meiner Pariser Post and meinen Depeschen erwarten sollten! Und jetzt fehlen nur noch zwanzig Minuten an acht. Sie wurden als guter Reiter fuer diesen Dienst ausersehen, mit dem schnellsten Pferde, das wir im Lager haben. Sie kommen hundert Minuten zu spaet und kommen zu Fuss--wo ist Ihr Pferd? (Leutnant zieht verdriesslich seine Handschuhe aus und wirft sie mit seiner Muetze und Peitsche auf den Tisch:) Ja, wo ist es? Das gerade wuesste ich selber gern, Herr General. (Mit Bewegung:) Sie wissen nicht, wie ich dies Pferd geliebt habe. (Napoleon aergerlich, sarkastisch:) Wirklich! (Mit ploetzlicher Besorgnis:) Wo sind die Briefe und Depeschen? (Leutnant wichtig, eher froh, dass er ganz besondere Nachrichten hat, als bekuemmert:) Das weiss ich nicht. (Napoleon traut seinen Ohren nicht:) Das wissen Sie nicht?! (Leutnant.) Nicht besser als Sie, Herr General. Nun werde ich wohl vor ein Kriegsgericht kommen. Schoen! ich habe nichts dagegen, standrechtlich behandelt zu werden, aber (mit feierlichem Entschluss:) ich sage Ihnen, Herr General, wenn ich diesen unschuldig aussehenden Burschen jemals erwischen sollte,--diesen verschmitzten, kleinen Luegner!--dann werde ich seine Schoenheit zurichten... eine Fratze will ich aus ihm machen... ich werde--- (Napoleon kommt vom Kamin an den Tisch vor:) Was fuer einen unschuldig aussehenden Burschen? Raffen Sie sich zusammen, Mensch--ja?--und berichten Sie militaerisch! (Leutnant steht ihm gegenueber an der anderen Seite des Tisches und stuetzt sich mit den Faeusten auf:) Oh ich bin ganz gefasst, Herr General--ich bin vollkommen bereit, Rede zu stehen. Ich werde dem Kriegsgericht gruendlich klarmachen, dass ich unschuldig bin. Die bessere Seite meiner Natur wurde schaendlich ausgenuetzt, und ich schaeme mich dessen nicht. Aber mit allem Respekt vor Ihnen, als meinem Vorgesetzten, wiederhole ich, Herr General, dass, wenn ich diesem Satanssohne jemals wieder begegnen sollte, ich ihn-- (Napoleon aergerlich:) Das haben Sie schon einmal gesagt! Leutnant richtet sich auf: Und ich wiederhole es: warten Sie nur so lange, bis ich ihn erwischt habe!--weiter nichts! (Er kreuzt entschlossen die Arme und atmet schwer mit aufeinandergepressten Lippen.) (Napoleon.) Ich warte, Herr--auf Ihre Aufklaerungen! (Leutnant zuversichtlich:) Sie werden Ihren Ton aendern, Herr General, wenn Sie hoeren, was mir zugestossen ist. (Napoleon.) Nichts ist Ihnen zugestossen, Mensch! Sie leben und sind nicht kampfunfaehig. Wo sind die Papiere, die Ihnen anvertraut wurden? (Leutnant.) Mir ist nichts zugestossen--nichts? Oho! (Wirft sich in Positur, um Napoleon mit seinen Nachrichten zu ueberwaeltigen.) Er hat mir ewige Bruderschaft geschworen, war das nichts? Er hat gesagt, dass meine Augen ihn an die Augen seiner Schwester erinnerten--war das nichts? Er hat geweint--wirkliche Traenen--ueber die Geschichte meiner Trennung von Angelica--war das nichts?! Er hat beide Flaschen Wein bezahlt, obwohl er selbst nur Brot und Trauben gegessen hatte--vielleicht nennen Sie das auch nichts! Er hat mir seine Pistolen und sein Pferd und seine Depeschen gegeben--aeusserst wichtige Depeschen--und hat mich damit fortgehen lassen--(triumphierend, da er sieht, dass er Napoleon in sprachloses Erstaunen versetzt hat:) war das nichts?! (Napoleon schwach vor Erstaunen:) Warum hat er das getan? (Leutnant als ob der Grund ganz klar waere:) Um mir sein Vertrauen zu beweisen. (Napoleons Kiefer faellt nicht gerade herunter, aber seine Gelenkbaender werden schlaff. Der Leutnant faehrt mit ehrlicher Entruestung fort:) Und ich habe sein Vertrauen auch verdient: ich habe ihm alles ehrlich zurueckgegeben. Aber wuerden Sie es glauben, Herr General,--als ich ihm meine Pistolen und mein Pferd and meine Depeschen anvertraut hatte... (Napoleon wuetend:) Warum, zum Teufel, haben Sie das getan? (Leutnant.) Warum?... Um ihm auch meinerseits mein Vertrauen zu beweisen, natuerlich. Und er hat mich betrogen, ausgenuetzt, ist nicht wiedergekommen--der Dieb--der Schwindler--der herzlose, verraeterische, kleine Schuft! Und das--das nennen Sie wahrscheinlich "nichts zugestossen"! Aber sehen Sie, Herr General--(haelt sich wieder mit der Faust am Tische, um mit groesserer Emphase zu sprechen.) Sie moegen diesen Schimpf von den Oesterreichern hinnehmen, wenn Sie wollen; aber was mich persoenlich anbelangt--ich sage Ihnen, wenn ich ihn jemals erwische-- (Napoleon wendet sich angewidert auf dem Absatz herum, um seine Wanderung wieder aufzunehmen:) Ja, ja, das haben Sie schon oft genug gesagt. (Leutnant aeusserst erregt:) Oft genug?... Ich werde es hundertmal sagen--und mehr als das: ich werde es tun! Ich werde ihm mein Vertrauen zeigen--das werde ich! Ich werde--- (Napoleon.) Ja, ja, Herr Leutnant--gewiss werden Sie das. Was fuer eine Art Mensch war er? (Leutnant.) Nun, ich glaube, nach seinem Benehmen sollten Sie schliessen koennen, was fuer eine Art Mensch das war. (Napoleon.) Pah--Wie sah er aus? (Leutnant.) Ausgesehen... Er sah aus wie... nun... Sie haetten den Burschen bloss mal sehen muessen, dann wuerden Sie einen Begriff davon haben, wie er aussieht. Fuenf Minuten, nachdem ich ihn erwischt habe, wird er nicht mehr so aussehen. Ich wiederhole Ihnen: wenn ich ihn jemals-- (Napoleon ruft wuetend nach dem Wirt:) Giuseppe! (Zum Leutnant, am Ende seiner Geduld:) Halten Sie jetzt Ihren Mund, wenn Sie koennen! (Leutnant.) Ich mache Sie im voraus darauf aufmerksam, dass es umsonst ist, zu versuchen, mir die Schuld aufzuhalsen. (Klagend:) Wie haette ich wissen sollen, was fuer eine Art Mensch das ist. (Er nimmt einen Sessel, der zwischen der aeusseren Tuer und dem Buefett steht, stellt ihn an den Tisch und setzt sich.) Wenn Sie eine Ahnung haetten, wie hungrig und muede ich bin, wuerden Sie mehr Ruecksicht nehmen. (Giuseppe zurueckkommend:) Was befehlen Exzellenz? (Napoleon mit seinem Temperament kaempfend:) Nimm diesen... diesen Offizier; gib' ihm zu essen; wenn noetig, bring ihn zu Bett; und wenn er dann wieder bei Trost ist, trachte herauszubringen, was ihm passiert ist, und lass mich es wissen. (Zum Leutnant.) Betrachten Sie sich als Arrestanten, Herr Leutnant.-- (Leutnant aergerlich mit Steifheit:) Darauf war ich vorbereitet. Nur ein Edelmann kann einen Edelmann verstehen. (Er wirft seinen Degen auf den Tisch, Giuseppe nimmt ihn und bietet ihn Napoleon hoeflich an, der ihn heftig auf das Sofa wirft.) (Giuseppe mit Teilnahme:) Sind Sie von den Oesterreichern ueberfallen worden, Herr Leutnant? O weh, o weh! (Leutnant verachtungsvoll:) Ueberfallen! Ich haette sein Rueckgrat zwischen meinem Zeigefinger und Daumen zerbrechen koennen! Wenn ich es nur getan haette! Nein! ich bin hineingefallen, weil er an die bessere Seite meiner Natur appelliert hat--und darueber kann ich nicht hinwegkommen! Er sagte, dass ihm noch nie ein Mensch so gefallen haette wie ich, er schlang sein Taschentuch um meinen Nacken, weil mich eine Muecke gestochen hatte und mein Kragen mich wund rieb--sehen Sie! (Er zieht ein Taschentuch unter seinem Kragen bervor; Giuseppe nimmt und untersucht es.) (Giuseppe zu Napoleon:) Das Taschentuch einer Dame, Exzellenz! (Er riecht daran:) Parfuemiert! (Napoleon.) Wie? (Er nimmt es und betrachtet es aufmerksam:) Hm! (Er riecht daran:) Ha! (Er geht, das Taschentuch betrachtend, nachdenklich durch das Zimmer und steckt es schliesslich in seine Brusttasche.) (Leutnant.) Jedenfalls passt es zu ihm. Ich bemerkte, dass er Weiberhaende hatte, als er mein Genick beruehrte in seiner schmeichlerisch taendelnden Art--dieser gemeine, weibische, kleine Hund! (Leiser, aber mit schauerlicher Heftigkeit:) Aber glauben Sie meinen Worten, Herr General: wenn ich ihn jemals--- (Die Stimme einer Dame draussen wie zuvor:) Giuseppe! (Leutnant erstarrt:) Was war das? (Giuseppe.) Nur eine Dame ueber uns, Herr Leutnant, die mich ruft. (Leutnant.) Eine Dame! (Stimme.) Giuseppe! Giuseppe! wo bleiben Sie!? (Leutnant mordlustig:) Wo ist mein Degen? (Er stuerzt an das Sofa, ergreift seinen Degen und zieht ihn.) (Giuseppe springt vor und fasst seinen rechten Arm:) Was faellt Ihnen denn ein, Herr Leutnant! Es ist eine Dame: hoeren Sie nicht, dass es eine weibliche Stimme ist? (Leutnant.) Ich sage Ihnen, dass es seine Stimme ist--lassen Sie mich los! (Er stuerzt fort und will zur inneren Tuere; da oeffnet sich diese vor seiner Nase, und die fremde Dame tritt ein. Sie ist eine sehr anziehende Erscheinung, gross und ungewoehnlich grazioes, mit einem zart intelligenten, empfindsamen, fragenden Gesicht. Auffassungskraft liegt auf ihrer Stirn, Empfindlichkeit in ihren Nasenfluegeln, Charakter in ihrem Kinn: im ganzen sieht sie scharfsinnig, vornehm und originell aus. Sie ist sehr weiblich, aber durchaus nicht schwach. Die geschmeidige, schlanke Gestalt ist kraeftig gebaut, die Haende und Fuesse, Hals und Schultern sind keine zerbrechlichen Schmuckstuecke, sondern stehen im richtigen Groessenverhaeltnis zu der ganzen Gestalt, die die Napoleons und des Wirtes betraechtlich ueberragt und der des Leutnants vollkommen gleichkommt; ihre Eleganz und ihr strahlender Reiz verdecken indessen ihre Groesse und Kraft. Nach ihrem Kleide zu schliessen, ist sie keine Bewunderin der neuesten Mode des Direktoriums, oder sie vertraegt vielleicht auf der Reise ihre alten Kleider, jedenfalls traegt sie keine Jacke mit auffallenden Aufschlaegen, kein nachgemacht griechisches Unterkleid a la Madame Tallien,--nichts, wahrhaftig nichts, das die Prinzessin von Lamballe nicht haette tragen koennen. Ihr Kleid von gebluemter Seide mit langer Taille ist am Ruecken mit einer Watteaufalte versehen, aber die Puffen sind, da sie fuer diese zu gross ist, zu blossen Rudimenten verkuerzt. Es ist im Nacken ein wenig ausgeschnitten und dort mit einem cremefarbenen Fichu geschmueckt. Sie ist von heller Hautfarbe und hat goldbraune Haare und graue Augen. Sie tritt mit der Selbstsicherheit einer Frau ein, die an die Vorrechte von Rang und Schoenheit gewoehnt ist. Der Wirt, der von Natur sehr gute Manieren hat, ist von ihr hoechst eingenommen. Napoleon, auf den ihre Augen zuerst fallen, wird sofort verlegen. Sein Gesicht roetet sich, er wird steifer und fuehlt sich unsicherer als zuvor. Sie bemerkt dies augenblicklich, und, um ihn nicht in Verlegenheit zu bringen, wendet sie sich mit einer unendlich wohlerzogenen Art--um auch ihm die Ehre eines Blickes zu gewaehren--zu dem andern Herrn, der mit Gefuehlen, die ganz unaussprechlich und unbeschreiblich sind, auf ihr Kleid starrt, als ob es der Erde erstes Meisterwerk an Verraeterei und Verstellung waere. Als sie ihn erkennt, wird sie totenblass; ihr Ausdruck kann nicht missverstanden werden. Die Erkenntnis irgendeines schrecklichen, gaenzlich unerwarteten Irrtums hat sie jaeh erschreckt, inmitten ihrer ruhigen Sicherheit und Siegesgewissheit. Im naechsten Augenblick steigt eine Blutwelle unter dem cremefarbenen Fichu auf und ergiesst sich ueber ihr ganzes Gesicht. Man sieht, dass sie am ganzen Leibe erroetet. Selbst der Leutnant, der fuer gewoehnlich ganz unfaehig ist, zu beobachten, und eben im Aufruhr seiner Wut ganz den Kopf verloren hat, kann etwas bemerken, wenn man es ihm rot anstreicht. Da er das Erroeten als das unfreiwillige Eingestaendnis schwarzer, mit ihrem Opfer konfrontierter Verraeterei auslegt, zeigt er mit einem lauten Schrei vergeltenden Triumphes auf sie--dann ergreift er die Dame am Handgelenk, zieht sie hinter sich her in das Zimmer, schlaegt die Tuere zu und pflanzt sich mit dem Ruecken davor auf.) (Leutnant.) Habe ich dich erwischt, Bursche! Du hast dich also verkleidet--was? (Mit Donnerstimme:) Zieh diesen Rock aus! (Giuseppe Verwahrung einlegend:) Aber, Herr Leutnant! (Dame erschrocken, aber hoechst entruestet, dass er es gewagt hat, sie anzuruehren:) Meine Herren, ich wende mich an Sie! Giuseppe! (Macht eine Bewegung, als ob sie zu Giuseppe laufen wollte.) (Leutnant stellt sich dazwischen, den Degen in der Faust:) Nicht von der Stelle! (Dame zu Napoleon fluechtend:) O Herr, Sie sind Offizier--General--Sie werden mich beschuetzen--nicht wahr? (Leutnant.) Kuemmern Sie sich nicht um ihn, Herr General. Ueberlassen Sie ihn mir. (Napoleon.) Ihn? Wen, Mensch? Warum behandeln Sie diese Dame in solcher Weise? (Leutnant.) Dame?... Er ist ein Mann--der Mann, dem ich mein Vertrauen geschenkt habe! (Geht drohend vor:) Hierher--du-- (Dame laeuft hinter Napoleon und umklammert in ihrer Aufregung seinen Arm, den er instinktiv vor ihr ausstreckt, um sie zu schuetzen:) Oh, ich danke Ihnen, Herr General! Halten Sie ihn fern! (Napoleon.) Unsinn! Das ist ganz bestimmt eine Frau! (Sie laesst seinen Arm ploetzlich los und erroetet wieder:) Und Sie sind im Arrest! Legen Sie augenblicklich Ihren Degen nieder, Herr Leutnant! (Leutnant.) Herr General, ich sage Ihnen, er ist ein oesterreichischer Spion! Heute nachmittag hat er sich mir gegenueber aufgespielt, als gehoerte er zum Stabe General Massenas--und nun spielt er sich Ihnen gegenueber als Frau auf. Darf ich meinen eigenen Augen glauben oder nicht? (Dame.) Herr General--das muss mein Bruder gewesen sein--der ist beim Stabe General Massenas und sieht mir sehr aehnlich. (Leutnant den Verstand verlierend:) Wollen Sie damit sagen, dass Sie nicht Ihr Bruder, sondern Ihre Schwester sind... die Schwester, die mir so aehnlich sieht... die meine schoenen blauen Augen hat? Es war eine Luege,--Ihre Augen sind nicht wie die meinen--sie sind genau wie Ihre eigenen! Welche Perfidie! (Napoleon.) Herr Leutnant, wollen Sie meinen Befehlen gehorchen und dieses Zimmer verlassen, da Sie endlich ueberzeugt sind, dass diese Dame kein Mann ist? (Leutnant.) Kein Mann, das will ich meinen! Ein Mann wuerde mein Vertrauen nie so getaeuscht haben-- (Napoleon am Ende seiner Geduld:) Genug, Mensch, genug! Verlassen Sie dieses Zimmer! Ich befehle Ihnen, dieses Zimmer zu verlassen! (Dame.) O, bitte, ich will lieber gehen. (Napoleon trocken:) Entschuldigen Sie, Madame--bei aller Achtung vor Ihrem Bruder, begreife ich doch nicht, was fuer ein Interesse ein Offizier aus dem Stabe General Massenas an meinen Briefen haben kann. Ich habe einige Fragen an Sie zu richten. (Giuseppe diskret:) Kommen Sie, Herr Leutnant. (Er oeffnet die Tuere.) (Leutnant.) Ich gehe, Herr General--aber lassen Sie sich warnen. Hueten Sie sich vor der besseren Seite Ihrer Natur. (Zur Dame:) Madame, Sie entschuldigen, ich hielt Sie fuer dieselbe Person, nur von entgegengesetztem Geschlecht--und das hat mich natuerlich irregefuehrt. (Dame suess:) Es war doch nicht Ihre Schuld! Ich freue mich, dass Sie mir nicht laenger boese sind, Herr Leutnant. (Sie reicht ihm die Hand.) (Leutnant beugt sich galant, um die Hand zu kuessen:) Oh, meine Gnaedige, nicht im gering... (faehrt zurueck und starrt auf ihre Hand:) Sie haben die Hand Ihres Bruders und denselben Ring wie er. (Dame freundlich:) Wir sind Zwillinge. (Leutnant.) Das erklaert alles. (Er kuesst ihre Hand:) Bitte tausendmal um Verzeihung. Um die Depeschen war mir's gar nicht so zu tun--das ist mehr Sache des Generals--aber es war der Missbrauch meines Vertrauens, der besseren Seite meiner Natur. (Er nimmt seine Muetze, Handschuhe und Peitsche vom Tisch und sagt gehend:) Ich hoffe, Sie entschuldigen, dass ich Sie verlasse, Herr General--ich bedaure unendlich. (Er schwaetzt sich aus dem Zimmer hinaus. Giuseppe folgt ihm und schliesst die Tuer.) (Napoleon sieht ihnen mit heftiger Erregung nach:) Idiot! (Dame laechelt liebenswuerdig. Er geht stirnrunzelnd zwischen dem Tisch und dem Kamin auf und ab; jetzt, wo er allein mit ihr ist, ist alle seine Verlegenheit geschwunden:) Wie kann ich Ihnen fuer Ihren Schutz danken, Herr General? (Napoleon wendet sich ploetzlich zu ihr um:) Meine Depeschen! schnell! (Er streckt die Hand danach aus.) (Dame.) Herr General! (Unwillkuerlich greift sie mit den Haenden nach dem Fichu, als wolle sie dort etwas beschuetzen.) (Napoleon.) Sie haben sie diesem Dummkopf abgeschwindelt! Sie haben sich als Mann verkleidet! Ich will meine Depeschen haben; sie sind da in den Brustfalten Ihres Kleides--unter Ihren Haenden... (Dame zieht ihre Haende rasch weg:) Oh, wie unliebenswuerdig Sie mit mir sprechen! (Sie zieht ihr Taschentuch aus dem Fichu:) Sie aengstigen mich! (Sie beruehrt ihre Augen, als wollte sie eine Traene wegwischen.) (Napoleon.) Ich sehe, dass Sie mich nicht kennen, Madame--oder Sie wuerden sich die Muehe ersparen, so zu tun, als ob Sie weinten. (Dame tut so, als ob sie zwischen Traenen laecheln wollte:) Doch, ich kenne Sie--Sie sind der beruehmte General Buonaparte. (Sie gibt dem Namen eine deutlich italienische Aussprache: Buo-na-par-te.) (Napoleon aergerlich, mit franzoesischer Aussprache:) Bonaparte, Madame, --Bonaparte!... Die Papiere, wenn's gefaellig ist! (Dame.) Aber ich versichere Ihnen--(Er reisst ihr das Taschentuch heftig aus der Hand:) Herr General! (Entruestet.) (Napoleon nimmt das andere Taschentuch aus seiner Brusttasche:) Sie waren so liebenswuerdig, meinem Leutnant eines Ihrer Taschentuecher zu leihen, als Sie ihn beraubten. (Er betrachtet die beiden Taschentuecher.) Sie sind einander vollstaendig gleich. (Er riecht daran:) Derselbe Duft! (Er wirft beide auf den Tisch.) Ich warte auf die Depeschen! Ich werde sie Ihnen, wenn Sie mich dazu zwingen, mit ebenso wenig Umstaenden wegnehmen, wie dieses Taschentuch. (Das duftende Taschentuch taucht achtzig Jahre spaeter in Victorien Sardous Drama "Dora" wieder auf.) (Dame mit wuerdevollem Vorwurf:) Herr General, bedrohen Sie wehrlose Frauen? (Napoleon grob:) Ja! (Dame verbluefft, sucht Zeit zu gewinnen:) Aber ich begreife nicht--ich ... (Napoleon.) Sie begreifen sehr gut. Sie sind hierhergekommen, weil Ihre oesterreichischen Auftraggeber darauf gerechnet haben, dass ich sechs Meilen weit von hier entfernt sei. Ich bin immer dort zu finden, wo meine Feinde mich nicht erwarten. Sie sind in die Hoehle des Loewen geraten. Gehen Sie, Sie sind eine tapfere Frau--seien Sie auch eine vernuenftige--ich habe keine Zeit zu verlieren--die Papiere! (Er geht drohend einen Schritt vor.) (Dame bricht in kindischer, ohnmaechtiger Wut zusammen und wirft sich in Traenen auf den Stuhl, der vom Leutnant neben dem Tisch stehen gelassen wurde:) Ich--und tapfer! Wie wenig Sie mich kennen. Ich habe den Tag in Todesfurcht verbracht! Ich bekomme Brustschmerzen vor Herzklopfen bei jedem argwoehnischen Blick und jeder drohenden Bewegung. Halten Sie jeden Menschen fuer so tapfer, wie Sie es sind? Oh, warum vollbringt ihr tapferen Maenner nicht die tapferen Taten? Warum ueberlasst ihr sie uns, die wir gar keinen Mut haben? Ich bin nicht tapfer--ich schrecke vor Gewalt zurueck--die Gefahr macht mich elend. (Napoleon mit Interesse:) Warum haben Sie sich dann in Gefahr begeben? (Dame.) Weil es keinen andern Ausweg gab--ich konnte niemandem vertrauen. Und nun ist alles umsonst gewesen--alles, Ihretwegen, der keine Furcht kennt, weil er kein Herz hat, kein Gefuehl, kein... (Sie haelt inne und wirft sich auf die Knie.) Oh, Herr General, lassen Sie mich gehn! Lassen Sie mich gehn, ohne weitere Fragen an mich zu stellen--Sie sollen Ihre Depeschen und Briefe haben--ich schwoere es! (Napoleon seine Hand ausstreckend:) Ja--ich warte darauf. (Sie schnappt nach Luft. Von seiner unbarmherzigen Schlagfertigkeit zur Verzweiflung gebracht, gibt sie es auf, ihn durch Schmeicheleien und ihr Gerede zu ruehren, aber wie sie starr zu ibm aufblickt, sieht man klar, dass sie ihr Gehirn zermartert, einen Ausweg zu finden und ihn zu ueberlisten. Er begegnet ihrem Blick mit unbeugsamer Entschlossenheit.) (Dame erhebt sich endlich mit einem stillen kleinen Seufzer:) Ich will sie Ihnen holen, sie sind in meinem Zimmer. (Sie wendet sich zur Tuere.) (Napoleon.) Ich werde Sie begleiten, Madame. (Dame richtet sich mit einer edlen Gebaerde beleidigten Zartgefuehls auf:) Ich kann Ihnen nicht gestatten, mein Zimmer zu betreten, Herr General. (Napoleon.) Dann werden Sie hierbleiben, Madame, waehrend ich Ihr Zimmer nach meinen Papieren durchsuchen lasse. (Dame boshaft, ihren Plan offenbar aufgebend:) Sie koennen sich die Muehe ersparen: sie sind nicht dort. (Napoleon.) Nein. Ich habe Ihnen schon gesagt, wo sie sind. (Zeigt auf ihre Brust.) (Dame mit niedlicher Klaeglichkeit:) Herr General, ich moechte nur einen kleinen Privatbrief behalten, nur einen einzigen--lassen Sie mir wenigstens den! (Napoleon kalt und finster:) Ist das eine vernuenftige Bitte, Madame? (Dame weil er nicht kurzweg abschlaegt, ermutigt:) Nein--aber gerade deshalb muessen Sie mir sie bewilligen. Sind Ihre eigenen Wuensche vernuenftig? Sie verlangen Tausende von Menschenleben fuer Ihre Siege, Ihren Ehrgeiz, Ihr Schicksal... und was ich verlange, ist eine solche Kleinigkeit! Und ich bin nur ein schwaches Weib, und Sie sind ein tapferer Mann. (Sie sieht ihn mit Augen voll zarter Bitte an und ist im Begriff, ihm wieder zu Fuessen zu fallen.) (Napoleon heftig:) Lassen Sie das, lassen Sie das! (Er wendet sich aergerlich ab und durchkreuzt das Zimmer, haelt einen Augenblick inne und sagt ueber seine Schulter hinweg:) Sie sprechen Unsinn und Sie wissen es. (Sie erhebt sich und setzt sich, in beinahe teilnahmsloser Verzweiflung, auf das Sofa. Als er sich umwendet und sie dort erblickt, fuehlt er, dass sein Sieg vollstaendig ist und dass er sich jetzt zu einem kleinen Spiel mit seinem Opfer herbeilassen kann. Er kommt zurueck und setzt sich neben sie. Sie sieht geaengstigt auf und rueckt ein wenig fort von ihm, aber ein Strahl wiederkehrender Hoffnung erglaenzt in ihren Augen. Er beginnt wie einer, der sich ueber einen heimlichen Scherz freut:) Woher wissen Sie, dass ich tapfer bin? (Dame erstaunt:) Sie! General Buonaparte! (Italienische Aussprache.) (Napoleon.) Ja, ich--General Bonaparte! (Die franzoesische Aussprache betonend.) (Dame.) Oh, wie koennen Sie nur so fragen--Sie, der erst vor zwei Tagen an der Bruecke bei Lodi stand, um ein Kanonenduell ueber den Fluss hinweg auszufechten, waehrend der Tod durch die Luefte sauste! (Schaudernd:) Oh, Sie vollbringen Heldentaten! (Napoleon.) So wie Sie. (Dame.) Ich? (Mit einem ploetzlichen seltsamen Gedanken:) Oh, Sie sind also ein Feigling? (Napoleon lacht grimmig und schlaegt auf seine Knie:) Das ist die einzige Frage, die Sie an einen Soldaten nie stellen duerfen. Der Feldwebel fragt den Rekruten nach seiner Laenge, seinem Alter, seinem Atem, seinen Knochen--aber niemals nach seinem Mut. (Er steht auf und geht, in sich hineinkichernd, mit den Haenden auf dem Ruecken und vorgeneigtem Kopf, auf und ab.) (Dame als ob sie nichts Laecherliches dabei finden koennte:) Ah, Sie koennen sich ueber die Furcht lustig machen... dann wissen Sie nicht, was Furcht ist. (Napoleon hinter das Sofa tretend:) Sagen Sie mir eines: Nehmen Sie an, dass Sie diesen Brief nur haetten bekommen koennen, wenn Sie vorgestern ueber die Bruecke bei Lodi zu mir gekommen waeren,--nehmen Sie an, dass Sie keinen andern Weg gehabt haetten und dass dies ein sicherer Weg war--vorausgesetzt, dass die Kanonenkugeln Sie verschonten. (Sie schaudert und bedeckt ihre Augen einen Moment mit den Haenden.) Wuerden Sie Angst gehabt haben? (Dame.) Oh, fuerchterliche Angst! toedliche Angst! (Sie presst ihre Haende aufs Herz.) Die blosse Vorstellung schmerzt schon! (Napoleon unbeugsam:) Wuerden Sie wegen der Depeschen gekommen sein? (Dame ueberwaeltigt von dieser entsetzlichen Vorstellung:) Fragen Sie mich nicht! Ich haette kommen muessen! (Napoleon.) Warum? (Dame.) Weil ich gezwungen gewesen waere. Weil es keinen andern Ausweg gegeben haette! (Napoleon mit Ueberzeugung:) Weil es Sie nach diesem Brief so sehr verlangt haette, dass Sie, um ihn zu erlangen, jede Angst wuerden ertragen haben. Es gibt nur einen Trieb, der allgemein ist: die Furcht. Von all den tausend Eigenschaften, die ein Mann haben mag, ist die einzige, die Sie sowohl beim juengsten Tambour als auch bei mir finden werden, die Furcht. Sie ist es, die die Menschen in den Kampf treibt: Gleichgueltigkeit macht, dass sie davonlaufen. Furcht ist die Haupttriebfeder des Krieges--Furcht!--Ich kenne die Furcht wohl, besser als Sie, besser als irgend ein Weib. Ich sah einst, wie ein Regiment guter Schweizer Soldaten vom Pariser Mob massakriert wurde, weil ich mich fuerchtete einzugreifen. Ich fuehlte mich als Feigling bis in die Fussspitzen, als ich dabei zusah. Vor sieben Monaten raechte ich meine Feigheit, indem ich diesen Mob mit Kanonenkugeln zu Tode knallte. Nun--was ist dabei? Hat die Furcht jemals einen Mann von irgend etwas, das er wirklich wollte, zurueckgehalten, oder auch nur eine Frau? Niemals!--Kommen Sie mit mir, und ich will Ihnen zwanzigtausend Feiglinge zeigen, die jeden Tag dem Tod ins Auge schauen um den Preis eines Glases Branntwein. Und glauben Sie, dass es keine Frauen in der Armee gibt, die tapferer sind als die Maenner, weil ihr Leben weniger wert ist? Pah, ich halte gar nichts--weder von Ihrer Furcht noch von Ihrem Mut. Wenn Sie bei Lodi zu mir haetten kommen muessen, Sie wuerden keine Furcht gehabt haben: einmal auf der Bruecke waere vor der Notwendigkeit jedes andere Gefuehl geschwunden-- vor der Notwendigkeit, Ihren Weg an meine Seite zu finden, um zu bekommen, was Sie haben wollten. Und nun nehmen Sie an, dass Sie davongekommen waeren mit jenem Brief in Ihrer Hand und um die Erfahrung reicher, dass in der Stunde der Not Ihre Furcht Ihnen nicht das Herz zusammenschnuerte, sondern die Ausfuehrung Ihres Planes unterstuetzte, dass sie aufgehoert haette, "Furcht" zu sein, und sich in Staerke, Scharfsinn, verdoppelte Aufmerksamkeit und eiserne Entschlossenheit verwandelt haette,--wie wuerden Sie dann antworten, wenn Sie gefragt wuerden, ob Sie ein Feigling sind? (Dame sich erhebend:) Ah, Sie sind ein Held--ein wirklicher Held! (Napoleon.) Pah! wirkliche Helden gibt es nicht. (Er schlendert durch das Zimmer, ihren Enthusiasmus leicht nehmend, aber durchaus nicht unzufrieden mit sich, ihn hervorgerufen zu haben.) (Dame.) O ja--es gibt welche. Es ist ein Unterschied zwischen dem, was Sie meinen Mut nennen, und dem Ihrigen. Sie wollten die Schlacht bei Lodi fuer niemand andern, als fuer sich selbst gewinnen--nicht wahr? (Napoleon.) Selbstverstaendlich! (Sich ploetzlich besinnend:) Halt--nein! (Er rafft sich ehrfuerchtig zusammen und sagt wie ein Mann, der einen frommen Dienst verrichtet:) Ich bin nur ein Diener der franzoesischen Republik. Ich folge demuetig den Fusstapfen der Helden des klassischen Altertums. Ich gewinne Schlachten fuer die Menschheit--fuer mein Vaterland--nicht fuer mich! (Dame enttaeuscht:) Oh, dann sind Sie doch auch nur ein weibischer Held. (Sie setzt sich wieder, den Ellbogen auf die Lehne des Sofas, die Wange in die Hand gestuetzt; alle ihre Begeisterung ist gewichen.) (Napoleon hoechst erstaunt:) Weibisch?! (Dame teilnahmslos:) Ja, wie ich. (Mit tiefer Melancholie:) Glauben Sie, wenn ich jene Depeschen nur fuer mich brauchte, dass ich mich dann ihretwegen in eine Schlacht wagen wuerde? Nein! wenn das alles waere, wuerde ich nicht einmal den Mut finden, Sie in Ihrem Hotel aufzusuchen. Mein Mut ist bloss Sklaverei. Ich weiss damit fuer meine eigenen Zwecke nichts anzufangen. Nur aus Liebe, aus Mitleid, aus dem Instinkt heraus, einen andern zu retten und zu beschuetzen, kann ich Dinge tun, die mich entsetzen. (Napoleon verachtungsvoll:) Pah! (Er wendet sich geringschaetzig von ihr fort.) (Dame.) Aha! nun begreifen Sie, dass ich nicht wirklich mutig bin. (Faellt wieder in aergerliche Teilnahmslosigkeit zurueck.) Aber was fuer ein Recht haben Sie, mich zu verachten, wenn Sie Ihre Schlachten auch nur fuer andere gewinnen? Fuer Ihr Land, aus Patriotismus--das ist es, was ich weibisch nenne: das ist der echte Franzose. (Napoleon wuetend:) Ich bin kein Franzose! (Dame unschuldig:) Ich glaubte zu hoeren, dass Sie sagten, Sie haetten die Schlacht bei Lodi fuer Ihr Land gewonnen, General Bu... soll ich es franzoesisch oder italienisch aussprechen? (Napoleon.) Sie verlassen sich auf meine Geduld, Madame. Ich wurde als franzoesischer Untertan geboren, aber nicht in Frankreich. (Dame kreuzt ihre Arme am Rande des Sofas und stuetzt sich darauf mit einem deutlich aufflammenden Interesse:) Ich glaube, Sie sind ueberhaupt nicht als Untertan geboren. (Napoleon hocherfreut, beginnt einen neuen Spaziergang:) Sieh da! Das meinen Sie also? (Dame.) Ich bin davon durchdrungen! (Napoleon.) Nun, nun, Sie moegen vielleicht recht haben. (Die Selbstgefaelligkeit seiner Beipflichtung faellt ihm selbst auf. Er haelt erroetend inne und begibt sich in eine feierliche, den Helden des klassischen Altertums nachgeahmte Pose und nimmt einen hoechst moralischen Ton an.) Aber wir duerfen niemals ausschliesslich fuer uns leben, liebes Kind. Vergessen Sie nie, dass wir immer an andere denken sollen, fuer andere arbeiten, sie zu ihrem Besten lenken und regieren. Selbstaufopferung ist die Grundlage aller echten Charaktergroesse. (Dame gibt mit einem Seufzer ihre Stellung wieder auf:) Daran sieht man leicht, dass Sie sie selbst nie versucht haben, Herr General. (Napoleon entruestet, vergisst alles ueber Brutus und Scipio:) Was wollen Sie mit diesen Worten sagen, Madame? (Dame.) Haben Sie nicht beobachtet, dass die Menschen den Wert der Dinge, die sie nicht besitzen, immer ueberschaetzen? Die Armen glauben, dass sie nichts als Reichtuemer brauchten, um vollkommen gluecklich und gut zu sein. Jedermann betet Wahrheit, Reinheit, Selbstlosigkeit aus demselben Grunde an,--weil er auf diesen Gebieten keine Erfahrung hat. Oh, wenn Sie nur wuessten! (Napoleon mit aergerlichem Hohn:) Wenn Sie nur wuessten--? Ich bitte Sie, haben (Sie) vielleicht Erfahrung darin? (Dame laesst die Arme fallen und faltet die Haende ueber den Knien, gerade vor sich hinblickend:) Ja, ich hatte das Unglueck, gut auf die Welt zu kommen. (Einen Augenblick zu ihm aufschauend:) Und ich kann Ihnen versichern, es (ist) ein Unglueck, Herr General. Ich bin wirklich wahrheitsliebend und selbstlos und alles, was dazu gehoert, aber das ist nichts als Feigheit, Mangel an Charakter, Mangel an dem Mut, wirklich mit aller Kraft und unbedingt sich selbst treu zu sein. (Napoleon.) Ha! (Wendet sich rasch zu ihr um, mit einem Aufleuchten starken Interesses:) (Dame ernst, mit wachsendem Enthusiasmus:) Was ist das Geheimnis Ihrer Macht? Nur, dass Sie an sich selbst glauben. Sie koennen nur fuer sich kaempfen und siegen--fuer niemand sonst. Sie haben keine Angst vor Ihrem eigenen Schicksal, Sie zeigen uns, was wir (alle) erreichen koennten, wenn wir den Willen und den Mut dazu haetten, und das (ploetzlich vor ihm auf die Knie fallend:) ist der Grund, warum wir Sie alle anzubeten beginnen. (Sie kuesst seine Haende.) (Napoleon in Verlegenheit:) Aber--aber--bitte, erheben Sie sich, Madame! (Dame.) Weisen Sie meine Huldigung nicht zurueck. Sie haben ein Recht darauf--Sie werden einst als Kaiser ueber Frankreich herrschen---- (Napoleon rasch:) Nehmen Sie sich in acht, das ist Hochverrat! (Dame darauf bestehend:) Jawohl--als Kaiser ueber Frankreich--dann ueber Europa--vielleicht ueber die ganze Welt... Ich bin nur der erste Untertan, der Ihnen Treue schwoert. (Kuesst wieder seine Hand.) Mein Kaiser! (Napoleon hebt sie ueberwaeltigt auf:) Ich bitte Sie--nein, nein, Kind, das ist Wahnsinn! Gehen Sie, beruhigen Sie sich! (Sie streichelnd:) So, so, liebes Kind! (Dame mit Glueckstraenen kaempfend:) Ja, ich weiss, dass es unverschaemt ist, Ihnen Dinge zu sagen, die Sie viel besser als ich wissen muessen. Aber Sie sind mir nicht boese--nicht wahr, nein? (Napoleon.) Boese? Nein, nein, nicht im geringsten, nicht im geringsten! Gehen Sie, Sie sind eine sehr gescheite, vernuenftige und interessante kleine Frau. (Er streichelt ihre Wangen:) Wollen wir Freunde sein? (Dame hingerissen:) Ihre Freundin! Sie wollen mir gestatten, Ihre Freundin zu sein? Oh! (Sie reicht ihm ihre beiden Haende mit einem strahlenden Laecheln.) Sie sehen, ich beweise Ihnen mein Vertrauen. (Napoleon mit einem Wutschrei und blitzenden Augen:) Was?! (Dame.) Was ist geschehen? (Napoleon.) Ihr Vertrauen! damit ich Ihnen dafuer mein Vertrauen schenken und Ihnen gestatte, mir mit meinen Depeschen davonzugehen--was? Ah, Delila, Delila! Sie haben Ihre Kuenste an mir versucht, und ich war ein ebenso grosser Einfaltspinsel wie mein Esel von einem Leutnant. (Er geht drohend auf sie los.) Geben Sie die Depeschen--schnell! Ich lasse jetzt nicht mehr mit mir spassen! (Dame um das Sofa herumfliehend:) Herr General-- (Napoleon.) Ich sage Ihnen--rasch! (Er geht rasch durch die Mitte des Zimmers und vertritt ihr den Weg, als sie sich gegen den Weingarten wenden will.) (Dame bietet ihm die Stirne wie ein gehetztes Tier:) Wie koennen Sie es wagen, in diesem Tone mit mir zu sprechen? (Napoleon.) Wagen?! (Dame.) Ja--wagen! Wer sind Sie, dass Sie sich herausnehmen duerfen, mit mir auf so grobe Weise zu sprechen? Oh, der niedrig geborene, gemeine, korsische Abenteurer tritt sehr leicht bei Ihnen zutage. (Napoleon ausser sich:) Sie Teufelin, Sie--(Wild:) Zum letztenmal: Wollen Sie mir die Papiere geben oder soll ich sie Ihnen entreissen?--mit Gewalt! (Dame laesst die Haende sinken:) Ja, entreissen Sie sie mir--mit Gewalt! (Waehrend er sie anstarrt wie ein sprungbereiter Tiger, kreuzt sie in Maertyrerstellung ihre Arme ueber der Brust. Diese Geste und Pose wecken augenblicklich Napoleons theatralischen Instinkt. Er vergisst seine Wut, um ihr zu zeigen, dass er ihr auch im Komoedienspielen gewachsen ist. Er laesst sie einen Augenblick in Erwartung, dann hellt sich sein Gesicht ploetzlich auf, er legt die Haende mit herausfordernder Kaelte auf den Ruecken, sieht an ihr ein paarmal hinauf und hinab, nimmt eine Prise Schnupftabak, wischt seine Finger sorgfaeltig ab und steckt sein Taschentuch ein. Ihre heroische Pose wird dadurch immer laecherlicher.) (Napoleon endlich:) Nun? (Dame verlegen, aber die Arme noch immer in Ergebung gekreuzt:) Nun, was wollen Sie beginnen? (Napoleon.) Ihre Pose verderben! (Dame.) Sie roher Patron! (Ihre Stellung aufgebend, geht sie an das Sofaende, wendet sich mit dem Ruecken dagegen, lehnt sich an und steht ihm, mit den Haenden auf dem Ruecken, gegenueber.) (Napoleon.) So ist's besser. Nun hoeren Sie mir zu. Sie gefallen mir--und was mehr ist, ich schaetze Ihre Achtung. (Dame.) Dann schaetzen Sie, was Sie nicht besitzen. (Napoleon.) Ich werde sie gleich besitzen. Hoeren Sie: gesetzt den Fall, ich wuerde mich von der Achtung, die ich Ihrem Geschlecht, Ihrer Schoenheit, Ihrem Heldentum und allem uebrigen schuldig bin, bestimmen lassen. Nehmen Sie an, dass ich, obwohl nichts als solch sentimentaler Kram zwischen diesen meinen Muskeln und jenen mir so wichtigen Papieren stuende, die Sie bei sich haben und die ich haben will and auch bekommen werde, nehmen Sie an, dass ich mit der Beute vor mir schwankend werden und mit leeren Haenden mich hinwegschleichen wuerde, --oder, was noch aerger waere, dass ich meine Schwaeche zu verdecken suchte, indem ich den grossen Helden spielte und Ihnen den Gewaltakt ersparte, den ich nicht anzuwenden wagte--wuerden Sie mich nicht aus der tiefsten Tiefe Ihrer weiblichen Seele verachten? Wuerde irgendeine Frau so dumm sein? Nun,--Bonaparte kann zeigen, dass er auch dieser Lage gewachsen ist und, wenn noetig, unmaennlich handeln darf. Verstehen Sie mich? (Ohne ein Wort au sprechen, richtet sich die Dame auf und nimmt ein Paket mit Briefen aus den Brustfalten ihres Kleides. Einen Moment fuehlt sie sich versucht, sie ihm ins Gesicht zu werfen, aber ihre gute Erziehung haelt sie davon ab, ihrem Herzen auf gemeine Weise Luft zu machen. Sie ueberreicht sie ihm hoeflich und wendet bloss den Kopf dabei ab. Im Augenblick, als er sie nimmt, eilt sie nach der entgegengesetzten Seite des Zimmers, bedeckt ihr Gesicht mit den Haenden und setzt sich, indem sie sich umwendet und das Gesicht der Stuhllehne zukehrt.) (Napoleon sich an den Papieren weidend:) Ah, so ist's recht! (Bevor er sie oeffnet, blickt er nach ihr hin und sagt:) Sie entschuldigen... (Er bemerkt, dass sie ihr Gesicht verdeckt hat.) Sehr boese auf mich--wie? (Er bindet das Paket auf, dessen Siegel schon erbrochen sind und legt es auf den Tisch, um seinen Inhalt zu untersuchen.) (Dame ruhig, nimmt ihre Haende herab und zeigt, dass sie nicht weint, sondern bloss nachdenkt:) Nein, Sie hatten recht--aber Sie tun mir leid. (Napoleon haelt in der Taetigkeit, den obersten Brief aus dem Paket zu nehmen, inne:) Ich tue Ihnen leid--warum? (Dame.) Ich werde sehen muessen, wie Sie Ihre Ehre verlieren. (Napoleon.) Hm... ist das alles? (Er nimmt den Brief in die Hand.) (Dame.) Und Ihr Glueck. (Napoleon.) Glueck, meine Liebe, ist mir das langweiligste Ding von der Welt. Waere ich, was ich bin, wenn ich mich um Glueck scherte? Sonst noch etwas? (Dame.) Nichts--(Er unterbricht sie mit einem Ausruf der Befriedignng; sie faehrt ruhig fort:) als dass Sie eine sehr komische Figur in den Augen Frankreichs abgeben werden. (Napoleon rasch:) Was?! (Die Hand, die den Brief haelt, faellt unwillkuerlich herab. Die Dame blickt ihn raetselhaft an und verharrt in ruhigem Schweigen. Er wirft den Brief hin und bricht in einen Strom von Schmaehungen aus:) Was meinen Sie damit, wie? Beginnen Sie Ihre Kunststuecke von neuem? Glauben Sie, dass ich nicht weiss, was diese Papiere enthalten?... Ich will es Ihnen sagen. Erstens die Verstaendigung ueber Beaulieus Rueckzug... er hat ja nur die Wahl zwischen zwei Dingen, die er tun kann, dieser dickkoepfige Idiot! Entweder sich in Mantua einschliessen oder die Neutralitaet Venedigs durch die Einnahme von Peschiera verletzen. Sie sind einer von den Spionen des alten Idioten. Er hat entdeckt, dass er verraten wurde, und hat Sie ausgesandt, um diese Nachricht um jeden Preis zu vereiteln. Als wenn ihn das vor mir retten koennte, den alten Narren! Die andern Papiere enthalten nur meine gewoehnliche Pariser Korrespondenz, ueber die Sie nichts wissen. (Dame rasch und geschaeftsmaessig:) Herr General, lassen Sie uns ehrlich teilen: nehmen Sie die Nachrichten, die Ihnen Ihre Spione ueber die oesterreichische Armee gesandt haben, und geben Sie mir die Pariser Korrespondenz--das soll mir genuegen. (Napoleon ganz atemlos ueber die Ruhe, mit der sie diesen Vorschlag macht:) Ehrlich tei... (Er schnappt nach Luft.) Mir scheint, Madame, dass Sie meine Briefe als Ihr rechtmaessiges Eigentum betrachten, dessen ich Sie zu berauben versuche! (Dame ernst:) Nein, bei meiner Ehre, ich verlange keinen Ihrer Briefe--nicht ein Wort, das von Ihnen oder an Sie geschrieben wurde. Dieses Paket enthaelt einen gestohlenen Brief: einen Brief, den eine Frau einem Manne geschrieben hat, einem Manne, der nicht ihr Gatte ist, --einen Brief, der Schande, Infamie bedeutet-- (Napoleon.) Einen Liebesbrief? (Dame bitter-suess:) Was sonst als ein Liebesbrief koennte so viel Hass aufruehren? (Napoleon.) Warum wurde er an mich gesandt? Um den Gatten in meine Gewalt zu geben--was? (Dame.) Nein, nein--er kann Ihnen in keiner Weise nuetzlich sein. Ich schwoere Ihnen, dass es Sie nichts kosten wird, wenn Sie ihn mir geben. Er wurde Ihnen aus reiner Bosheit zugesandt--einzig und allein, um die Frau, die ihn geschrieben hat, zu kompromittieren. (Napoleon.) Warum hat man ihn nicht ihrem Manne geschickt? Was soll ich damit? (Dame vollkommen aus dem Text gebracht:) Oh! (Sie sinkt in den Stuhl zurueck:) Ich... weiss es nicht. (Sie bricht zusammen.) (Napoleon.) Aha! ich dacht' es gleich,--ein kleiner Roman, um die Papiere zurueckzubekommen. (Er wirft das Paket auf den Tisch und tritt vor sie hin, in zynisch guter Laune,) Per Bacco, kleine Frau! ich kann nicht umhin, Sie zu bewundern! Wenn ich so zu luegen verstuende wie Sie, ich koennte, mir viele Muehe ersparen. (Dame die Haende ringend:) Oh, wie ich wuenschte, dass ich Ihnen wirklich bloss eine Luege erzaehlt haette! Dann wuerden Sie mir geglaubt haben! Das einzige, was niemand glauben will, ist die Wahrheit. (Napoleon mit roher Vertraulichkeit, behandelt sie, als ob sie eine Marketenderin waere:) Ausgezeichnet, ausgezeichnet! (Er legt seine Haende hinter sich auf den Tisch und setzt sich mit in die Seite gestemmten Armen und weit auseinander gestreckten Beinen auf den Tisch.) Gehen Sie! Ich bin ein echter Korse in meiner Vorliebe fuer Geschichten! Aber ich koennte sie besser erzaehlen als Sie, wenn ich mir's angelegen sein liesse. Wenn man Sie wieder einmal fragen sollte, warum man einen Brief, der eine Frau kompromittiert, nicht ihrem Gatten schicken soll, dann antworten Sie einfach: Weil ihn der Gatte nicht lesen wuerde.--Oder bilden Sie sich ein, Sie kleine Unschuld, dass ein Ehemann von der oeffentlichen Meinung gezwungen werden will, eine Szene zu machen, ein Duell auszufechten, infolge eines Skandales seinen Haushalt aufzugeben, seine Karriere zu zerstoeren, wenn er all das verhindern kann, indem er sich huetet, etwas zu wissen? (Dame empoert:) Und wenn dieses Paket einen Brief ueber Ihre eigene Frau enthielte? (Napoleon beleidigt, den Tisch verlassend:) Sie werden unverschaemt, Madame! (Dame demuetig:) Verzeihen Sie mir--Caesars Frau ist ueber jeden Argwohn erhaben. (Napoleon mit wohlerwogener Ueberlegenheit:) Sie haben eine Indiskretion begangen--ich verzeihe Ihnen. In Zukunft erlauben Sie sich aber nicht, wirkliche Personen in Ihre Romane einzufuehren. (Dame hoeflich eine Rede ueberhoerend, die ihr nur eine Vernachlaessigung der guten Manieren bedeutet, erhebt sie sich, um an den Tisch zu gehen:) Herr General,--es ist wirklich der Brief einer Frau darunter. (Auf das Paket zeigend:) Geben Sie ihn mir. (Napoleon grob und kurz, mit einer Bewegung, die verhindern soll, dass sie den Briefen zu nahe kommt:) Warum? (Dame.) Er ist von einer alten Freundin, wir waren zusammen in der Schule; sie hat mir geschrieben und mich angefleht, zu verhindern, dass der Brief in Ihre Haende falle. (Napoleon.) Warum wurde er mir geschickt? (Dame.) Weil er den Direktor Barras kompromittiert. (Napoleon die Stirne runzelnd, sichtlich erregt:) Barras? (Hochmuetig:) Nehmen Sie sich in acht, Madame. Der Direktor Barras ist mein treuer, persoenlicher Freund. (Dame nickt gelassen:) Ja--Sie wurden durch Ihre Frau mit ihm befreundet. (Napoleon.) Schon wieder! Habe ich Ihnen nicht verboten, von meiner Frau zu sprechen? (Sie faehrt fort, ihn neugierig anzublicken, ohne diese Zurechtweisung zu beachten. Mehr und mehr erregt, laesst er seine hochmuetige Art fallen, die ihm selbst etwas laestig wird, und sagt argwoehnisch, mit leiser Stimme:) Wer ist diese Frau, mit der Sie so tief sympathisieren? (Dame.) Oh, Herr General, wie koennte ich Ihnen das sagen?! (Napoleon uebellaunig, beginnt er wieder aergerlich verwundert auf und ab zu gehen:) Ja, ja--die eine hilft der andern--Ihr Weiber seid alle gleich! (Dame entruestet:) Wir sind nicht alle gleich--nicht mehr, als Ihr es seid! Glauben Sie, dass, wenn ich einen andern Mann liebte, ich vorgeben wuerde, meinen Mann weiter zu lieben, oder mich fuerchten wuerde, ihm oder der ganzen Welt alles zu sagen? Aber diese Frau ist nicht aus solchem Stoff geschaffen--sie beherrscht die Maenner, indem sie sie betruegt, und (verachtungsvoll:) sie lieben das und lassen sich von ihr beherrschen. (Sie setzt sich wieder nieder, mit dem Ruecken gegen ihn.) (Napoleon sich um sie nicht bekuemmernd:) Barras! Barras! (Wendet sich drohend gegen sie, sein Gesicht verfinstert sich.) Nehmen Sie sich in acht! nehmen Sie sich in acht!--hoeren Sie! Sie koennten zu weit gehen! (Dame wendet ihm unschuldig ihr Gesicht zu:) Was haben Sie? (Napoleon.) Auf was spielen Sie an? Wer ist diese Frau? (Dame begegnet seinem aergerlich forschenden Blick mit ruhiger Gleichgueltigkeit und bleibt, zu ihm aufsehend, mit uebergeschlagenen Beinen sitzen und laesst den rechten Arm leicht auf der Lehne des Stuhles ruhen:) Ein eitles, dummes, verschwenderisches Geschoepf, das einen sehr faehigen und ehrgeizigen Mann hat, der sie durch und durch kennt--der weiss, dass sie ihn ueber ihr Alter, ihr Einkommen, ihre soziale Stellung, ueber alles, worueber dumme Frauen Luegen erzaehlen, belogen hat,--der weiss, dass sie unfaehig ist, irgendeinem Prinzip oder irgendeinem Menschen treu zu sein, und doch nicht umhin kann, sie zu lieben,--dessen maennlicher Instinkt ihm sogar erlaubt, sie zu benuetzen, um mit ihrer Hilfe bei Barras etwas zu erreichen. (Napoleon mit einem leisen, kalt wilden Fluestern:) Das ist Ihre Rache, Sie Katze, weil Sie mir die Briefe herausgeben mussten! (Dame.) Unsinn! Oder halten Sie sich selbst fuer so einen Menschen? (Napoleon ausser sich, schlingt die Haende auf dem Ruecken ineinander, seine Finger zucken, und er sagt, waehrend er aufgeregt von ihr fort zum Kamin geht:) Dieses Weib wird mich noch um den Verstand bringen! (Zu ihr:) Gehen Sie! (Dame bleibt unbeweglich sitzen:) Nicht ohne jenen Brief. (Napoleon.) Hinaus, sage ich Ihnen! (Er geht vom Kamin bis gegen den Weingarten und wieder zurueck an den Tisch.) Sie werden keinen Brief bekommen--Sie gefallen mir nicht! Sie sind ein unausstehliches Frauenzimmer and haesslich wie der leibhaftige Satan! Ich lasse mich nicht von fremden Weibern belaestigen! Machen Sie, dass Sie fortkommen! (Er wendet ihr den Ruecken zu. Sie stuetzt ihre Wange in die Hand und lacht in stillem Vergnuegen ueber ihn. Er wendet sich wieder um, ihr aergerlich nachahmend:) Hahaha! Worueber lachen Sie? (Dame.) Ueber Sie, Herr General. Ich habe schon oft Menschen Ihres Geschlechtes aufgebracht und sich wie Kinder benehmen sehen, aber ich habe das noch nie zuvor an einem wirklich grossen Manne beobachtet. (Napoleon brutal, ihr die Worte ins Gesicht schleudernd:) Pah! Schmeichelei! Schmeichelei! plumpe, unverschaemte Schmeichelei! (Dame springt mit jaehem Erroeten auf:) Oh, Sie gehen zu weit! Behalten Sie Ihre Briefe, lesen Sie darin die Geschichte Ihrer eigenen Schande, und moege sie Ihnen gut bekommen! Leben Sie wohl! (Sie geht entruestet zur inneren Tuere.) (Napoleon.) Meine eigene--! Bleiben Sie! Kommen Sie zurueck! Ich befehle Ihnen zu bleiben! (Sie missachtet stolz seinen wilden befehlshaberischen Ton und setzt den Weg zur Tuer fort. Er springt auf sie zu, fasst sie beim Handgelenk and zerrt sie zurueck.) Jetzt werden Sie mir sagen, was Sie meinen... erklaeren Sie sich! Erklaeren Sie, sage ich Ihnen, sonst--! (Bedroht sie. Sie sieht ihn mit furchtlosem Trotz an.) Brr! Sie hartnaeckiger Teufel, Sie! warum wollen Sie eine hoefliche Frage nicht beantworten? (Dame durch seine Heftigkeit tief verletzt:) Warum fragen Sie mich? Sie haben ja die Erklaerung. (Napoleon.) Wo? (Dame zeigt auf den Tisch mit den Briefen:) Dort! Sie brauchen nur zu lesen. (Er nimmt das Paket auf, zoegert, sieht sie argwoehnisch an und wirft es wieder hin.) (Napoleon.) Sie scheinen die Sorge um die Ehre Ihrer alten Freundin vergessen zu haben? (Dame.) Jetzt laeuft sie keine Gefahr mehr: sie versteht ihren Mann nicht ganz. (Napoleon.) Soll ich den Brief also lesen? (Er streckt seine Hand aus, als ob er das Paket wieder aufgreifen wollte, den Blick auf sie gerichtet.) (Dame.) Ich sehe nicht, wie Sie jetzt noch vermeiden koennten, ihn zu lesen. (Er zieht seine Hand sofort zurueck.) Oh, fuerchten Sie sich nicht. Sie werden mancherlei interessante Dinge darin finden. (Napoleon.) Zum Beispiel? (Dame.) Zum Beispiel: ein Duell--mit Barras, eine haeusliche Szene, einen aufgeloesten Haushalt, einen oeffentlichen Skandal, eine zerstoerte Karriere--allerlei interessante Dinge-- (Napoleon.) Hm! (Er sieht sie an, nimmt das Paket und betrachtet es, spitzt die Lippen und wiegt es in der Hand, sieht sie dann wieder an, nimmt das Paket in seine linke Hand und stellt es hinter seinen Ruecken; seine rechte Hand erhebt er, um sich am Hinterkopf zu kratzen, indem er sich umwendet und an die Schwelle des Weingartens geht, wo er einen Augenblick stehen bleibt und, in tiefe Gedanken versunken, nach den Weinreben blickt. Die Dame beobachtet ihn schweigend, mit einiger Geringschaetzung. Ploetzlich kommt er wieder zurueck, voll Kraft und Entschlossenheit:) Ich will Ihre Bitte erfuellen, Madame. Ihr Mut und Ihre Entschlossenheit verdienen einen Erfolg. Nehmen Sie die Briefe, fuer die Sie so gut gekaempft haben, und erinnern Sie sich hinfort daran, dass Sie den niedrig geborenen, gemeinen, korsischen Abenteurer nach der gewonnenen Schlacht dem Besiegten gegenueber ebenso grossmuetig gefunden haben, wie er vorher im Angesichte des Feindes unerbittlich war. (Er bietet ihr das Paket an.) (Dame ohne es zu nehmen, ihn hart anblickend:) Ich frage mich, was Sie wohl jetzt im Schilde fuehren. (Er wirft das Paket wuetend auf den Boden.) Aha! Mir scheint, diesmal habe ich eine Pose verdorben. (Sie macht ihm eine huebsche, spoettische Verbeugung.) (Napoleon hebt die Briefe wieder auf:) Wollen Sie die Briefe nehmen und dann gehen? (Geht auf sie los und will sie ihr aufdraengen.) (Dame um den Tisch herum entwischend:) Nein! ich will Ihre Briefe nicht. (Napoleon.) Vor zehn Minuten wollte Ihnen nichts anderes genuegen. (Dame den Tisch sorgfaeltig zwischen ihm und sich haltend:) Vor zehn Minuten hatten Sie mich noch nicht ueber alles Ertragen beleidigt. (Napoleon.) Dann... (seine Wut hinunterwuergend:) dann bitte ich Sie um Verzeihung. (Dame kuehl:) Ich danke. (Er bietet ihr mit erzwungener Hoeflichkeit das Paket ueber den Tisch an; sie tritt einen Schritt zurueck, aus seinem Bereich, und sagt:) Aber wollen Sie denn nicht mehr wissen, ob die Oesterreicher in Mantua oder in Peschiera stehen? (Napoleon.) Ich habe Ihnen schon gesagt, dass ich meine Feinde ohne die Mithilfe von Spionen zu besiegen weiss, Madame! (Dame.) Und den Brief--wollen Sie den nicht lesen? (Napoleon.) Sie haben gesagt, dass er nicht an mich adressiert ist--ich habe nicht die Gewohnheit, anderer Leute Briefe zu lesen. (Er bietet ihr das Paket abermals an.) (Dame.) Wenn dem so ist, dann ist dagegen, dass Sie ihn behalten, gewiss nichts einzuwenden. Alles, was ich wollte, war: zu verhindern, dass Sie ihn lesen. (Heiter:) Guten Abend, Herr General! (Sie wendet sich kuehl nach der inneren Tuere.) (Napoleon wirft das Paket aergerlich auf das Sofa:) Himmel, gib mir Geduld! (Er pflanzt sich entschlossen vor der Tuer auf und verstellt ihr so den Weg.) Fehlt Ihnen jeder Sinn fuer persoenliche Gefahr, oder gehoeren Sie zu den Frauen, die es lieben, schwarz und blau geschlagen zu werden? (Dame.) Ich danke schoen, Herr General--das muesste zweifellos eine sehr reizvolle Sensation sein, aber ich verzichte lieber darauf. Ich will einfach nach Hause gehn, weiter nichts. Ich war arglistig genug, Ihre Depeschen zu stehlen, aber Sie haben sie zurueckbekommen und haben mir verziehen, weil (seinen rhetorischen Tonfall liebenswuerdig wiederholend:) Sie nach der gewonnenen Schlacht ebenso grossmuetig gegen den Besiegten sind, wie Sie vorher im Angesicht des Feindes unerbittlich waren. Wollen Sie mir nicht Lebewohl sagen? (Sie reicht ihm freundlich die Hand.) (Napoleon das Entgegenkommen mit einer Gebaerde massloser Wut zurueckweisend, oeffnet die Tuer und ruft wuetend:) Giuseppe! (Lauter:) Giuseppe! (Er schlaegt die Tuer zu und kommt in die Mitte des Zimmers. Die Dame geht etwas gegen den Weingarten zu, um ihm auszuweichen.) (Giuseppe erscheint an den Tuer:) Exzellenz befehlen? (Napoleon.) Wo ist der Narr? (Giuseppe.) Der Herr Leutnant hat, wie Exzellenz befohlen haben, ein gutes Essen bekommen und erweist mir nun die Ehre, mit mir zu wuerfeln, um sich die Zeit zu vertreiben. (Napoleon.) Schick' ihn her--bring ihn herein and komm mit ihm. (Giuseppe laeuft mit unentwegter Bereitwilligkeit hinaus. Napoleon wendet sich zu der Dame und sagt dabei barsch:) Ich muss Sie bitten, noch einige Augenblicke hierzubleiben, Madame. (Er geht zum Sofa. Sie schreitet vom Weingarten an der entgegengesetzten Seite des Zimmers an das Buefett, lehnt sich dagegen und beobachtet ihn. Er nimmt das Paket vom Sofa und knoepft es langsam und sorgfaeltig in seine Brusttasche, waehrend er sie dabei mit einem Ausdruck betrachtet, der besagen soll, dass sie den Zweck seines Vorgehens bald herausfinden und ueber diesen Zweck nicht erfreut sein wird. Es wird nichts mehr gesagt, bis der Leutnant hereinkommt. Giuseppe folgt ihm und bleibt bescheiden in Bereitschaft vor dem Tische stehn. Der Leutnant ohne Muetze, ohne Degen und ohne Handschuhe und infolge seiner Mahlzeit in viel besserer Laune und besserer Geistesverfassung waehlt die Seite des Zimmers, auf der die Dame steht, und wartet sehr behaglich, bis Napoleon beginnt.) (Napoleon.) Herr Leutnant! (Leutnant ermutigend:) Herr General! (Napoleon.) Ich kann diese Dame nicht dazu bewegen, mir viele Aufklaerungen zu geben; aber es besteht kein Zweifel mehr darueber, dass der Mann, der Sie durch seine List dahin brachte, Ihre Pflicht zu verletzen, wie sie es bereits zugab, ihr Bruder ist. (Leutnant triumphierend:) Was habe ich Ihnen gesagt, Herr General? (Napoleon.) Sie muessen diesen Menschen finden, Ihre Ehre steht auf dem Spiel, und der Ausgang des Feldzuges, das Schicksal Frankreichs--Europas --der Menschheit vielleicht mag von den Mitteilungen abhaengen, die jene Depeschen enthalten. (Leutnant.) Ja, mir scheint, sie sind wirklich ziemlich wichtig. (Als ob er vorher kaum daran gedacht haette.) (Napoleon energisch:) Sie sind so wichtig, Herr Leutnant, dass ich Sie in Gegenwart Ihres Regiments degradieren werde, wenn Sie diese Depeschen nicht wiederfinden. (Leutnant.) Hu! Ich kann Ihnen versichern, dass dem Regimente das wenig Spass machen wird. (Napoleon.) Persoenlich bedaure ich Sie; ich wuerde die Sache, wenn das moeglich waere, gerne unterdruecken. Aber ich werde zur Rechenschaft gezogen werden, wenn ich nicht nach den Depeschen handle--ich werde der ganzen Welt beweisen muessen, dass ich sie niemals bekommen habe, was fuer Folgen das auch immer fuer Sie haben mag--es tut mir leid, aber Sie sehen, ich kann mir nicht anders helfen. (Leutnant gutmuetig:) Oh, nehmen Sie sich die Sache nicht zu Herzen, Herr General, Sie sind wirklich zu guetig. Was mir auch zustossen sollte, ich werde schon irgendwie durchkommen, und wir werden die Oesterreicher fuer Sie schlagen--mit oder ohne Depeschen! Ich hoffe, Sie werden nicht darauf bestehen, dass ich ganz umsonst sofort Jagd nach diesem Burschen mache. Ich habe ja keine Ahnung, wo ich ihn suchen soll. (Giuseppe ehrerbietig:) Sie vergessen, Herr Leutnant,--er hat Ihr Pferd. (Leutnant auffahrend:) Das hab' ich ganz vergessen. (Entschlossen:) Ich werde nach ihm fahnden, Herr General, ich werde dieses Pferd, wenn es irgendwo in Italien noch am Leben ist, aufstoebern, und ich werde die Depeschen nicht vergessen--seien Sie unbesorgt. Geh', Giuseppe, und sattle eines von deinen schaebigen alten Postkutschpferden, waehrend ich meine Muetze, meinen Degen und die uebrigen Sachen hole,--schnell, marsch! fort mit dir! (Draengt ihn hinaus.) (Giuseppe.) Sofort, Herr Leutnant, sofort! (Er verschwindet im Weingarten, den der Sonnenuntergang roetet.) (Leutnant auf dem Wege nach der inneren Tuer um sich blickend:) Da faellt mir ein, Herr General, habe ich Ihnen meinen Degen gegeben oder nicht? Oh, ich erinnere mich jetzt--(verdriesslich:) Das kommt davon, wenn man einen Menschen in Arrest setzt! Man weiss dann nie, wo man seine sieben Sachen gelassen... (Er schwaetzt sich aus dem Zimmer.) (Dame noch vor dem Buefett:) Was soll das alles bedeuten, Herr General? (Napoleon.) Er wird Ihren Bruder nicht finden. (Dame.) Selbstverstaendlich nicht; weil ich keinen habe. (Napoleon.) Die Depeschen werden unwiederbringlich verloren sein. (Dame.) Unsinn! Sie sind in Ihrer Rocktasche. (Napoleon.) Sie werden einsehen, dass es schwerhalten wird, diese abenteuerliche Behauptung zu beweisen. (Die Dame faehrt auf; er fuegt mit treffendem Nachdruck hinzu:) Diese Papiere sind verloren. (Dame aengstlich, an die Ecke des Tisches vorwaertsschreitend:) Und deshalb soll die Karriere dieses ungluecklichen Menschen geopfert werden? (Napoleon.) Seine Karriere?! Der Bursche ist das Schiesspulver nicht wert, das er kosten wuerde, wenn ich ihn niederknallen liesse! (Er wendet sich verachtungsvoll ab und geht zum Kamin, wo er der Dame den Ruecken kehrt.) (Dame gedankenvoll:) Sie sind sehr hart. Maenner und Frauen sind Ihnen nichts als Dinge, dazu da, von Ihnen gebraucht zu werden, selbst wenn sie bei dem Gebrauch zugrunde gehn. (Napoleon wendet sich zu ihr:) Wer von uns beiden hat diesen Burschen zugrunde gerichtet--ich oder Sie? Wer hat ihm die Depeschen abgelockt? Haben Sie dabei an seine Karriere gedacht? (Dame naiv bekuemmert um den Leutnant:) Oh, daran habe ich nicht gedacht! Es war brutal von mir--aber ich konnte nicht anders, nicht wahr? Wie haette ich sonst die Papiere bekommen sollen? (Flehentlich:) Herr General, Sie werden ihm die Schande ersparen! (Napoleon bitter lachend:) Retten Sie ihn, da Sie so gescheit sind! Sie waren es ja, die ihn ruiniert hat! (Mit wilder Betonung:) Ich hasse einen schlechten Soldaten! (Er geht entschlossen durch den Weingarten hinaus; sie folgt ihm einige Schritte mit einer beschwoerenden Gebaerde, wird aber durch die Rueckkehr des Leutnants aufgehalten, der mit Handschuhen und Muetze und umguertetem Degen marschbereit ist. Er durchschreitet das Zimmer nach der aeusseren Tuer zu, als sie ihm in den Weg tritt.) (Dame.) Herr Leutnant! (Leutnant wichtig:) Sie duerfen mich nicht aufhalten,--Dienst ist Dienst, gnaedige Frau. (Dame flehentlich:) O Herr Leutnant, was wollen Sie meinem armen Bruder tun? (Leutnant.) Lieben Sie ihn sehr? (Dame.) Ich wuerde sterben, wenn ihm etwas zustiesse--Sie muessen ihn verschonen! (Der Leutnant schuettelt duester den Kopf.) Ja, ja, Sie muessen--Sie werden... Er darf noch nicht sterben! Hoeren Sie mich! Wenn ich Ihnen sage, wo er zu finden ist--wenn ich es unternehme, ihn als Gefangenen in Ihre Haende zu liefern, damit Sie ihn dem General Bonaparte uebergeben koennen--wollen Sie mir dann als Offizier und Edelmann bei Ihrer Ehre schwoeren, nicht mit ihm zu kaempfen oder ihn auf irgendeine Weise schlecht zu behandeln? (Leutnant.) Aber gesetzt den Fall, dass er mich angreift... er hat meine Pistolen! (Dame.) Dazu ist er viel zu feige. (Leutnant.) Davon bin ich durchaus nicht so ueberzeugt--der ist zu allem faehig. (Dame.) Fuer den Fall, dass er Sie angreifen oder den leisesten Widerstand leisten sollte, gebe ich Ihnen Ihr Versprechen zurueck. (Leutnant.) Mein Versprechen? Ich habe ja noch nichts versprochen. --Schauen Sie! Sie sind genau so gerieben wie Ihr Bruder.--Sie haben mich auch mittels der besseren Seite meiner Natur uebervorteilen wollen. Und wie steht es mit meinem Pferd? (Dame.) Es ist in unsere Abmachung eingeschlossen, dass Sie Ihr Pferd und Ihre Pistolen zurueckbekommen sollen. (Leutnant.) Bei Ihrer Ehre? (Dame.) Bei meiner Ehre! (Sie reicht ihm die Hand.) (Leutnant erfasst sie und haelt sie fest:) Abgemacht! Ich werde mit ihm sanft wie ein Lamm umgehen.--Seine Schwester ist eine sehr huebsche Frau. (Er versucht, sie zu kuessen.) (Dame ihm entschluepfend:) O Herr Leutnant, Sie vergessen,--es geht um Ihre Karriere--um das Schicksal Europas--der Menschheit vielleicht... (Leutnant.) Was schert mich das Schicksal der Menschheit! (Ihr nachsetzend:) Nur einen Kuss! (Dame zieht sich hinter den Tisch zurueck:) Nicht, bevor Sie Ihre Offiziersehre wiedergewonnen haben. Bedenken Sie--noch ist mein Bruder nicht Ihr Gefangener! (Leutnant verfuehrerisch:) Sie werden mir sagen, wo er ist--nicht wahr? (Dame.) Ich brauche ihm nur ein vereinbartes Zeichen zu senden, und er wird in einer Viertelstunde hier sein. (Leutnant.) Dann ist er also gar nicht weit? (Dame.) Nein--sogar ganz nahe. Warten Sie hier auf ihn; sobald er meine Botschaft bekommt, wird er sofort hierhereilen, um sich Ihnen zu ergeben--verstehen Sie jetzt? (Leutnant an dessen Verstand zu hohe Anforderungen gestellt werden:) Nun, die Sache ist zwar ein wenig kompliziert, aber ich hoffe, es wird schon alles in Ordnung sein. (Dame.) Und jetzt, waehrend Sie auf den Gefangenen warten, glauben Sie nicht, dass es besser waere, Sie wuerden mit dem General die Bedingungen der Uebergabe vereinbaren? (Leutnant.) Sehen Sie, wie fuerchterlich verwickelt die Sache ist! Was fuer Bedingungen? (Dame.) Lassen Sie sich von ihm zusichern, dass er Ihre Soldatenehre als wiederhergestellt betrachtet, sobald Sie meinen Bruder gefangen haben. Unter dieser Bedingung wird er alles versprechen, was Sie verlangen. (Leutnant.) Das ist keine schlechte Idee, ich danke Ihnen. Ich glaube, das werde ich doch versuchen. (Dame.) Tun Sie das. Und vor allem eins: lassen Sie ihn ja nicht merken, wie gescheit Sie sind. (Leutnant.) Ich verstehe:--er koennte neidisch werden. (Dame.) Sagen Sie ihm nichts anderes, als dass Sie entschlossen sind, meinen Bruder gefangenzunehmen oder bei dem Versuche zugrunde zu gehn. Er wird Ihnen nicht glauben wollen--dann werden Sie meinen Bruder vorfuehren... (Leutnant unterbrechend, da er nun endlich das Komplott begreift:) Und ihn auslachen! Nein, was fuer eine gescheite kleine Frau Sie sind! (Rufend:) Giuseppe! (Dame.) Sch! Kein Wort zu Giuseppe ueber mich! (sie legt ihren Finger auf die Lippen, er tut dasselbe; sie blicken einander warnend an; dann aendert sie mit einem entzueckenden Laecheln die Gebaerde dahin, dass sie ihm einen Kuss zuwirft, und laeuft durch die innere Tuer hinaus. Elektrisiert, bricht er in ein kicherndes Frohlocken aus. Giuseppe kommt durch die aeussere Tuer zurueck.) (Giuseppe.) Das Pferd ist bereit, Herr Leutnant. (Leutnant.) Ich gehe noch nicht gleich. Lauf! suche den General und sag ihm, dass ich ihn zu sprechen wuensche. (Giuseppe den Kopf schuettelnd:) Das ist ganz unmoeglich, Herr Leutnant. (Leututnant.) Warum? (Giuseppe.) In dieser boesen Welt kann ein General zwar nach einem Leutnant schicken, aber ein Leutnant darf niemals nach einem General schicken. (Leutnant.) Ah, du meinst, das wuerde ihm nicht passen. Nun, du hast vielleicht recht. Man muss in diesen Dingen jetzt ungemein vorsichtig sein, seit wir eine Republik haben. (Da erscheint, vom Weingarten kommend, Napoleon, seinen Rock auf der Brust zuknoepfend, bleich und voll nagender Gedanken.) (Giuseppe der sich der Naehe Napoleons nicht bewusst ist:) Sehr richtig, Herr Leutnant, sehr richtig! Ihr seid jetzt in Frankreich alle wie die Wirte. Ihr muesst gegen jedermann hoeflich sein. (Napoleon seine Hand auf Giuseppes Schulter legend:) Und das nimmt der Hoeflichkeit ihren ganzen Wert--nicht wahr? (Leutnant.) Ah, da ist mein Mann!--Herr General, gesetzt den Fall, dass ich Ihnen den Burschen stelle-- (Napoleon mit ironischem Ernst:) Sie werden ihn mir nicht stellen, mein Freund! (Leutnant.) Aha! das glauben Sie--aber Sie werden schon sehen, warten Sie nur ab! Wenn ich ihn aber doch fangen und Ihnen uebergeben sollte, werden Sie dann sagen: wir sind quitt!? Werden Sie dann die Geschichte von der Degradierung in Gegenwart meines Regiments fallen lassen? Nicht meinetwegen, wissen Sie!--aber kein Regiment laesst sich gerne dem Gelaechter der andern Regimenter preisgeben. (Napoleon ein kalter Schimmer von Humor huscht ueber sein duesteres Gesicht:) Was sollen wir mit diesem Offizier beginnen, Giuseppe, --alles, was er sagt, ist falsch. (Giuseppe schlagfertig:) Machen Sie ihn zum General, Exzellenz; dann wird alles, was er sagt, richtig sein. (Leutnant triumphierend:) Haha! (Er wirft sich in Ekstase auf das Sofa, um den Witz auszukosten.) (Napoleon lacht und nimmt Giuseppe bei einem Ohr:) In diesem Wirtshaus kommst du nicht zur Geltung, Giuseppe. (Er setzt sich und stellt Giuseppe vor sich hin, wie ein Schulmeister seinen Schueler:) Soll ich dich mit mir nehmen und einen Mann aus dir machen? (Giuseppe schuettelt wiederholt rasch den Kopf:) Nein, ich danke Ihnen, Herr General. Mein ganzes Leben lang haben Leute versucht, aus mir einen Mann zu machen. Als ich ein Knabe war, wollte unser guter Pastor einen Mann aus mir machen, indem er mich lesen und schreiben lehrte; dann wollte der Organist zu Melegnano einen Mann aus mir machen, indem er mich im Notenlesen unterwies. Spaeter wuerde der rekrutierende Korporal einen Mann aus mir gemacht haben, wenn ich ein paar Zoll groesser gewesen waere, --aber immer haette das fuer mich Arbeit bedeutet; dazu bin ich aber zu faul, dem Himmel sei Dank! So lernte ich statt alldem kochen und wurde Wirt, und nun halte ich Dienerschaft fuer die Arbeit und habe selber nichts zu tun, als zu schwatzen, was mir ausgezeichnet bekommt. (Napoleon ihn gedankenvoll anblickend:) Bist du zufrieden? (Giuseppe in froher Ueberzeugung:) Vollkommen, Exzellenz! (Napoleon.) Und du hast keinen verzehrenden Teufel im Leibe, der Tag und Nacht mit Taten und Siegen gefuettert werden muss--der dich mit dem Schweisse deines Koerpers und deines Gehirnes, mit Wochen von Herkulesarbeiten zehn Minuten des Genusses bezahlen laesst, der gleichzeitig dein Sklave und dein Tyrann ist, dein Genius und dein Verhaengnis--der dir mit der einen Hand eine Krone reicht und das Ruder eines Galeerensklaven mit der andern--der dir alle Koenigreiche der Erde zeigt und dich zu ihrem Herrn zu machen verspricht unter der Bedingung, dass du ihr Diener wirst?--Von alledem hast du nichts im Leibe? (Giuseppe.) Nichts dergleichen. Aber ich versichere Ihnen, Exzellenz, mein verzehrender Teufel ist weit schlimmer; er bietet mir weder Kronen noch Koenigreiche: er erwartet alles umsonst von mir zu bekommen--Wuerste, Omeletten, Trauben, Kaese, Polenta, Wein--taeglich dreimal, Exzellenz, nichts Geringeres will ihm genuegen. (Leutnant.) Hoer' auf, Giuseppe!--Deine Worte machen mich wieder hungrig. (Giuseppe verbeugt sich, sich entschuldigend und zieht sich von dem Gespraeche zurueck. Er macht sich am Tische zu schaffen, staubt ihn ab, legt die Landkarte zurecht and rueckt Napoleons Stuhl, den die Dame zurueckgestossen hat, wieder an seinen richtigen Platz.) (Napoleon wendet sich zum Leutnant mit sardonischer Feierlichkeit:) Ich hoffe, dass ich nicht ehrgeizige Gefuehle in Ihnen erweckt habe. (Leutnant.) Durchaus nicht. Ich fliege nicht so hoch,--ueberdies ist es besser, dass ich so bleibe wie ich bin. Maenner wie ich werden gerade jetzt in der Armee gebraucht. Die Revolution passte naemlich ganz gut fuer Zivilisten, aber fuer die Armee taugt sie nichts. Sie wissen, wie Soldaten sind, Herr General: sie bestehen darauf, Maenner von Rang zu Ihren Offizieren zu haben. Ein Leutnant muss ein Edelmann sein, weil er mit den Soldaten soviel in Beruehrung kommt; aber ein General oder selbst ein Oberst kann aus dem schlechtesten Ausschuss entnommen werden, wenn er sein Geschaeft gut genug versteht. Ein Leutnant ist ein Edelmann, alles andere ist Zufall. Was glauben Sie, wer hat die Schlacht bei Lodi gewonnen? Ich will es Ihnen sagen: mein Pferd. (Napoleon erhebt sich:) Ihre Dummheit fuehrt Sie zu weit,--nehmen Sie sich in acht! (Leutnant.) Durchaus nicht. Sie erinnern sich doch an die heftige Kanonade von einem Flussufer zum andern: die Oesterreicher bombardierten Sie, um Ihren Uebergang zu verhindern, und Sie bombardierten die Oesterreicher, um sie davon abzuhalten, dass Sie die Bruecke in Brand setzten. Haben Sie bemerkt, wo ich waehrend dieser Zeit gewesen bin? (Napoleon mit drohender Hoeflichkeit:) Ich bedaure--ich glaube, ich war in diesem Augenblick zu sehr beschaeftigt. (Giuseppe mit eifriger Bewunderung:) Man erzaehlt sich, dass Sie von Ihrem Pferde abgesprungen sind und die grossen Kanonen mit eigenen Haenden abgeprotzt haben, Herr General! (Leutnant.) Das war ein Missgriff: ein Offizier sollte sich nie dazu hergeben, die Arbeit seiner Untergebenen zu verrichten. (Napoleon sieht ihn gefahrdrohend an und beginnt wie ein Tiger auf und ab zu gehen.) Aber Sie koennten noch jetzt ganz zwecklos auf die Oesterreicher feuern, wenn wir Kavalleristen nicht die Furt gefunden haetten, ueber den Fluss gesetzt waeren und Sie dadurch unterstuetzt haetten, dass wir Beaulieus Flanke von Ihnen abwendeten. Sie wuerden es nicht gewagt haben--und Sie wissen das selbst sehr genau--den Befehl zu geben, die Bruecke stuermen zu lassen, wenn Sie uns nicht auf dem jenseitigen Ufer gesehen haetten. Deshalb sage ich, dass nur der Entdecker jener Furt die Schlacht bei Lodi gewonnen hat.--Nun, und wer hat sie entdeckt?--Ich war der erste Mann, der sie ueberschritt, und ich weiss es--mein Pferd hat sie gefunden. (Mit Ueberzeugung, waehrend er sich vom Sofa erhebt:) Eigentlich hat mein Pferd die Oesterreicher besiegt. (Napoleon zornig:) Sie Idiot, ich werde Sie erschiessen lassen, weil Sie die Depeschen verloren haben! Ich werde Sie vor die Muendung einer Kanone binden and in die Luft sprengen lassen! Andere Massregeln sind ja nicht imstande, Eindruck auf Sie zu machen. (Ihn anbruellend:) Hoeren Sie! verstehen Sie! (Ein franzoesischer Offizier tritt unbeachtet ein, seinen in der Scheide befindlichen Degen in der Hand.) (Leutnant uneingeschuechtert:) Wenn ich ihn nicht erwischen werde, Herr General, nur dann! Bedenken Sie das Wenn! (Napoleon.) Wenn! wenn!... Esel! dieser Mann existiert ueberhaupt nicht! (Der Offizier tritt ploetzlich zwischen sie und spricht mit der unverkennbaren Stimme der fremden Dame:) Herr Leutnant, ich bin Ihr Gefangener! (Sie bietet ihm ihren Degen.--Sie sind sprachlos vor Erstaunen. Napoleon start sie einen Augenblick, wie vom Donner geruehrt, an, reisst sie dann am Handgelenk rauh zu sich hin, betrachtet sie wild aus der Naehe, um ihre Identitaet selbst festzustellen, denn es beginnt rasch zu dunkeln und der rote Schein ueber dem Weingarten weicht einem hellen Sternenlicht.) (Napoleon.) Pah! (Er laesst mit einem Ausruf des Widerwillens ihre Hand fahren und wendet ihr duester blickend den Ruecken zu, seine Hand in den Brustfalten des Waffenrockes.) (Leutnant nimmt triumphierend den Degen:) Dieser Mann existiert ueberhaupt nicht--was, Herr General? (Zu der Dame:) Ich frage Sie: wo ist mein Pferd? (Dame.) Es wartet gesund in Borghetto auf Sie, Herr Leutnant. (Napoleon sich zu ihnen wendend:) Wo sind die Depeschen? (Dame.) Das wuerden Sie niemals erraten--die sind an dem unwahrscheinlichsten Orte von der Welt. Hat jemand von Ihnen meine Schwester hier gesehen? (Leutnant.) Ja! sehr huebsche Dame! Sie sieht Ihnen ganz wunderbar aehnlich, aber natuerlich ist sie viel huebscher. (Dame geheimnisvoll:) Nun--wissen Sie aber auch, dass sie eine gefaehrliche Hexe ist? (Giuseppe laeuft auf sie zu und bekreuzigt sich:) O nein, nein, nein! Es ist gefaehrlich, mit solchen Dingen zu scherzen! Ich kann das in meinem Hause nicht dulden, Exzellenz! (Leutnant.) Ja, lassen Sie das. Sie sind mein Gefangener, das wissen Sie. Selbstverstaendlich glaube ich nicht an so einen Unsinn; aber es ist doch kein Ding, mit dem man spassen sollte. (Dame.) Es ist aber so, ich spreche vollkommen ernst. Meine Schwester hat den Herrn General behext. (Giuseppe und der Leutnant weichen von Napoleon zurueck.) Herr General, oeffnen Sie Ihren Rock, und Sie werden die Depeschen in Ihrer Brusttasche finden. (Sie legt ihre Hand rasch auf seine Brust.) Ja, hier sind sie--ich kann sie fuehlen... Nun? (Sie sieht ihm ins Gesicht, halb schmeichlerisch, halb spoettisch.) Wollen Sie mir gestatten, Herr General--? (Sie fasst einen Knopf, als ob sie seinen Rock aufknoepfen wollte, und wartet auf Erlaubnis.) (Napoleon unergruendlich:) Wenn Sie es wagen. (Dame.) Ich danke Ihnen. (Sie oeffnet seinen Rock und nimmt die Depeschen heraus.) Da sind sie! (Zu Giuseppe, ihm die Depeschen zeigend:) Sehen Sie? (Giuseppe zur aeusseren Tuer fliehend:) Nein--um Gottes willen; Sie sind behext! (Dame sich zu dem Leutnant wendend:) Hier, Herr Leutnant, Sie fuerchten sich doch nicht vor den Papieren. (Leutnant zurueckweichend:) Zehn Schritt vom Leibe! (Den Knauf des Degens erfassend:) Ich sage Ihnen, zehn Schritt vom Leibe! (Dame zu Napoleon:) Die Schriftstuecke gehoeren Ihnen, Herr General, nehmen Sie sie! (Giuseppe.) Beruehren Sie sie nicht, Exzellenz! Machen Sie sich damit nicht zu schaffen! (Leutnant.) Seien Sie vorsichtig, Herr General,--seien Sie vorsichtig! (Giuseppe.) Verbrennen Sie sie--und verbrennen Sie die Hexe dazu! (Dame zu Napoleon:) Soll ich sie verbrennen? (Napoleon gedankenvoll:) Ja... verbrennen Sie sie.--Giuseppe, geh' und hole ein Licht. (Giuseppe zitternd und stammelnd:) Muten Sie mir wirklich zu, dass ich allein gehen soll... im Dunkeln... wo eine Hexe im Hause ist... (Napoleon.) Pah! Du bist ein Feigling! (Zum Leutnant:) Sie werden mich verbinden, wenn Sie gehen wollen, Herr Leutnant. (Leutnant sich verwahrend:) Oh! gestatten Sie mir zu bemerken, Herr General... nein, Sie wissen... niemand kann nach Lodi sagen, dass ich ein Feigling bin... aber von mir zu verlangen, dass ich allein im Dunkeln gehen soll... ohne eine Kerze... nach so einer schauerlichen Unterhaltung... das ist ein bisschen zuviel!--Wuerden Sie selbst so etwas gerne tun? (Napoleon gereitzt:) Sie weigern sich also, meinem Befehle zu gehorchen? (Leutnant entschlossen:) Ja, das tu' ich. Es ist unbillig, so was zu verlangen--aber ich will Ihnen sagen, wozu ich bereit bin: wenn Giuseppe geht, dann will ich mit ihm gehn und ihn beschuetzen. (Napoleon zu Giuseppe:) Du hoerst... Wird dir das genuegen? Macht, dass ihr fortkommt, alle beide! (Giuseppe demuetig mit zitternden Lippen:) Sehr gerne--wie Sie befehlen, Exzellenz! (Er geht widerstrebend nach der inneren Tuere.) Der Himmel schuetze mich! (Zum Leutnant:) Nach Ihnen, Herr Leutnant! (Leutnant.) Es waere besser, du gingest voraus--ich weiss den Weg nicht. (Giuseppe.) Er ist nicht zu verfehlen. Ueberdies (flehentlich die Hand auf seinen Armel legend:) ich bin nur ein armer Wirt, und Sie sind ein Edelmann! (Leutnant.) Da hast du nicht so unrecht. Da--du brauchst keine solche Angst zu haben--nimm meinen Arm. (Giuseppe tut es.) So ist's recht... (Sie gehen Arm in Arm hinaus. Jetzt ist es sternenhelle Nacht. Die Dame wirft das Paket auf den Tisch, setzt sich behaglich auf das Sofa und geniesst die Freude, von ihren Unterroecken befreit zu sein.) (Dame.) Nun, Herr General--ich habe Sie doch besiegt! (Napoleon geht auf und ab:) Sie haben sich der Unzartheit, der Unweiblichkeit schuldig gemacht. Halten Sie dieses Kleid, das Sie da tragen, fuer schicklich? (Dame.) Es scheint mir dem Ihrigen sehr aehnlich zu sein. (Napoleon.) Pfui! ich erroete fuer Sie! (Dame naiv:) Ja?... Soldaten erroeten so leicht! (Er brummt und wendet sich ab. Sie blickt ihn schelmisch an, die Depeschen in ihrer Hand wiegend.) Wollen Sie diese da nicht lesen, bevor wir sie verbrennen, General? Sie muessen vor Neugierde sterben. Werfen Sie einen Blick hinein. (Sie wirft das Paket auf den Tisch und wendet das Gesicht davon ab.) Ich will nicht hinsehen.-- (Napoleon.) Ich habe keinerlei Neugierde, Madame. Aber da Sie selbst augenscheinlich darauf brennen, sie zu lesen, erlaube ich Ihnen, es zu tun. (Dame.) Oh! ich hab' sie schon gelesen. (Napoleon auffabrend:) Was?! (Dame.) Das war das erste, was ich getan habe, als ich auf dem Pferde dieses armen Leutnants davongeritten bin. Sie sehen also: ich weiss, was darin steht; aber Sie wissen es nicht. (Napoleon.) Sie entschuldigen--ich habe sie auch gelesen, als ich vor zehn Minuten draussen im Weingarten spazieren ging. (Dame aufspringend:) Oh, Herr General! ich habe Sie nicht besiegt! Ich bewundere Sie unendlich! (Er lacht und streichelt ihre Wangen.) Diesmal wirklich und wahrhaftig, ohne Hintergedanken. Ich huldige Ihnen! (Kuesst seine Hand.) (Napoleon sie rasch zurueckziehend:) Brrr! tun Sie das nicht. Genug der Hexerei! (Dame.) Ich moechte Ihnen etwas sagen--doch Sie wuerden es missverstehen. (Napoleon.) Braucht Sie das zu hindern? (Dame.) Also, das ist es: ich bete einen Mann an, der sich nicht fuerchtet, gemein und selbstsuechtig zu sein. (Napoleon entruestet:) Ich bin weder gemein noch selbstsuechtig! (Dame.) Oh, Sie tun sich selbst unrecht. Ueberdies, ich meine ja nicht wirklich gemein und selbstsuechtig. (Napoleon.) Ich danke Ihnen--ich dachte, Sie meinten es vielleicht doch! (Dame.) Na ja, natuerlich mein' ich es auch in gewissem Sinne. Aber was ich bewundere, das ist eine gewisse starke Einfachheit in Ihnen. (Napoleon.) Das klingt schon besser. (Dame.) Sie wollten die Briefe nicht lesen; aber Sie waren neugierig, zu wissen, was darinnen steht. Sie gingen also in den Garten und lasen sie, als niemand zusah, und kamen dann zurueck und taten so, als ob Sie sie nicht gelesen haetten. Das ist wohl das gemeinste, was ich jemals einen Mann habe tun sehen; aber es erfuellte gerade Ihren Zweck, und so haben Sie sich nicht im geringsten geschaemt oder gefuerchtet, es zu tun. (Napoleon kurz angebunden:) Wo haben Sie all diese niedrigen Skrupeln aufgelesen?--(Mit verachtungsvollem Nachdruck:) Dieses "Ihr Gewissen"? Ich habe Sie fuer eine Dame gehalten--eine Aristokratin. Bitte, war Ihr Grossvater vielleicht ein Kraemer? (Dame.) Nein, er war Englaender. (Napoleon.) Das erklaert alles. Die Englaender sind eine Nation von Kraemern. Nun begreife ich, warum Sie mich besiegt haben. (Dame.) Aber, ich habe Sie nicht besiegt--und ich bin keine Englaenderin. (Napoleon.) Doch, das sind Sie! Englisch bis in die Fingerspitzen. Hoeren Sie mir zu, ich will Ihnen die Englaender erklaeren. (Dame erpicht darauf, es sru hoeren:) Ich bitte. (Mit gespannter Miene einen intellektuellen Genuss erwartend, setzt sie sich auf das Sofa und bereitet sich vor, ihm zuzuhoeren. Seines Publikums sicher, rafft sich Napoleon sofort zu einer Vorstellung auf. Er ueberlegt ein bisschen, bevor er beginnt, um ihre Aufmerksamkeit durch eine Pause zu erhoehen. Anfangs ahmt er den Stil Talmas in Corneilles "Cinna" nach, aber in der Dunkelheit geht etwas davon verloren, und Talma macht bald Napoleon Platz, dessen Stimme mit ueberraschender Heftigkeit durch die Daemmerung bricht.) (Napoleon.) Es gibt dreierlei Menschen auf Erden: die Kleinen, die Mittleren und die Grossen. Die Kleinen und die Grossen sind einander in einem Punkte gleich: sie haben keinerlei Skrupel, keinerlei Moral, --die Kleinen stehen tief unter der Moral, die Grossen hoch ueber ihr. Ich fuerchte sie beide nicht! Denn die Kleinen sind skrupellos, ohne Wissen--sie machen mich deshalb zu ihrem Abgott; die Grossen sind ebenso skrupellos, ohne starkes Wollen, sie beugen sich deshalb vor meinem Willen. Sehen Sie: ich werde ueber all das niedere Volk und ueber all die Hoefe Europas hinweggehen wie die Pflugschar ueber ein Ackerfeld. Die Mittelklasse aber, die ist gefaehrlich. Sie besitzt beides: Wissen and Wollen. Aber auch sie hat ihre schwache Seite: das Gewissen. Sie ist voller Skrupel,--an Haenden and Fuessen durch Moral und Ehrenhaftigkeit gefesselt. (Dame.) Dann werden Sie die Englaender ueberholen; denn alle Kraemer gehoeren zur Mittelklasse. (Napoleon.) Nein! Denn die Englaender sind eine Rasse fuer sich. Kein Englaender steht zu tief, um Skrupel zu haben, und keiner hoch genug, um von ihrer Tyrannei befreit zu sein. Aber jeder Englaender kommt mit einem wunderbaren Talisman zur Welt, der ihn zum Herrn der Erde macht. Wenn der Englaender etwas will, gesteht er sich nie ein, dass er es will. Er wartet geduldig, bis in ihm--Gott weiss wie--die tiefe Ueberzeugung erwacht, dass es seine moralische und religioese Pflicht sei, diejenigen zu unterwerfen, die das haben, was er will. Dann wird er unwiderstehlich. Wie der Aristokrat, tut er, was ihm gefaellt, und schnappt nach dem, wonach ihn geluestet. Wie der Kraemer, verfolgt er seinen Zweck mit dem Fleiss und der Beharrlichkeit, die von starker, religioeser Ueberzeugung und dem tiefen Sinn fuer moralische Verantwortlichkeit herruehren. Er ist nie in Verlegenheit um eine wirksame, moralische Pose. Als grosser Vorkaempfer der Freiheit und der nationalen Unabhaengigkeit erobert er die halbe Welt, ergreift Besitz von ihr und nennt das "Kolonisation". Wenn er einen neuen Markt fuer seine schlechten Manchesterwaren braucht, schickt er Missionaere aus, die den Wilden das Evangelium des Friedens verkuenden muessen. Die Wilden toeten den Missionar; nun eilt er zu den Waffen, zur Verteidigung des Christentums, kaempft and siegt fuer seinen Glauben und nimmt als goettliche Belohnung den Markt in Besitz. Zur Verteidigung seiner Inselgestade nimmt er einen Schiffsgeistlichen an Bord, nagelt eine Flagge mit einem Kreuz an den Hauptmast and segelt so bis ans Ende der Welt, und bohrt in den Grund, verbrennt und zerstoert alles, was ihm die Herrschaft auf dem Meere streitig macht. Er prahlt damit, dass jeder Sklave frei werde, sobald sein Fuss britischen Boden betritt; dabei verkauft er die Kinder seiner Armen, kaum dass sie sechs Jahre alt sind, an Fabrikherren und laesst sie taeglich sechzehn Stunden unter der Peitsche Sklavenarbeit verrichten. Er macht zwei Revolutionen und erklaert dann im Namen des Gesetzes und der Ordnung der unsern den Krieg. Nichts ist so schlecht und nichts so gut, dass Sie es einen Englaender nicht werden vollbringen sehen, aber Sie werden einem Englaender niemals beweisen koennen, dass er im Unrecht ist. Denn er tut alles aus Grundsatz. Er fuehrt Krieg aus patriotischem Grundsatz, er betruegt aus geschaeftlichem Grundsatz, er macht freie Voelker zu Sklaven aus reichspolitischem Grundsatz, er behandelt Euch grob aus maennlichem Grundsatz, er haelt treu zu seinem Koenige aus loyalem Grundsatz und schlaegt seinem Koenige aus republikanischem Grundsatz den Kopf ab. Seine Losung ist dabei immer nur seine "Pflicht." Und er vergisst nie, dass die Nation verloren ist, die ihre Pflicht dort sucht, wo nicht ihr Vorteil zu finden ist. Er... (Dame.) Uh! uh! uh! Halten Sie einen Augenblick inne! Ich moechte wissen, wie Sie auf Grund dieser Beobachtungen aus mir eine Englaenderin machen wollen. (Napoleon seinen rhetorischen Stil fallen lassend:) Das ist einfach genug. Sie wollten einige Briefe, die mir gehoerten. Sie haben den Morgen damit verbracht, sie zu stehlen... jawohl, sie zu stehlen--durch Strassenraub. Und Sie haben den Nachmittag damit verbracht, mich darueber ins Unrecht zu setzen, indem Sie annahmen, dass ich es war, der Ihre Briefe stehlen wollte. Denn Sie haben mir einreden wollen, dass meine Gemeinheit and Selbstsucht und Ihre Guete, Ihre Ergebenheit and Ihre Selbstaufopferung an allem schuld seien. Das ist englisch! (Dame.) Unsinn! ich weiss zu gut, wie wenig ich Englaenderin bin. Die Englaender sind ein sehr dummes Volk. (Napoleon.) Ja, zu dumm manchmal, um zu wissen, wann sie geschlagen sind. Aber ich gebe zu, dass Ihr Gehirn nicht englisch ist. Sie sehen: obwohl Ihr Grossvater ein Englaender war, war Ihre Grossmutter wohl--was? Franzoesin? (Dame.) O nein! Irlaenderin. (Napoleon rasch:) Irlaenderin...? (Gedankenvoll:) Ja, ich vergass--die Irlaender... Eine englische Armee, gefuehrt von einem irischen General: die koennte sich messen mit einer franzoesischen Armee, die von einem italienischen General befehligt wird. (Er haelt inne und fuegt halb scherzend, halb traurig hinzu:) Wie immer es sei... Sie haben mich besiegt--und was einen Mann zuerst besiegt, das wird ihn auch zuletzt besiegen. (Er tritt gedankenvoll in den im Mondlicht gebadeten Weingarten hinaus und blickt nach oben. Sie stiehlt sich an seine Seite und wagt es, ihre Hand auf seine Schulter zu legen, ueberwaeltigt von der Schoenheit der Nacht und ermutigt durch ihre Dunkelheit.) (Dame sanft:) Wonach blicken Sie? (Napoleon nach aufwaerts zeigend:) Nach meinem Stern. (Dame.) Glauben Sie an ihn? (Napoleon.) Ja. (Sie sehen einen Augenblick nach dem Stern hin; sie lehnt sich ein wenig an seine Schulter.) (Dame.) Wissen Sie, dass man in England sagt, eines Mannes Stern sei unvollstaendig ohne das Strumpfband einer Frau?[*] [Footnote *: Eine Anspielung auf den Stern eines Ordens und den Hosenbandorden.] (Napoleon entruestet, schuettelt sie kurz ab und kommt zurueck in das Zimmer:) Pah! die Heuchler! Wenn die Franzosen so etwas sagten, wuerden sie in frommem Schauder abwehrend die Haende erheben. (Er geht nach der inneren Tuere und haelt sie offen.) He! Giuseppe! wo bleibt das Licht, Mensch? (Er kommt zwischen den Tisch und das Buefett und rueckt den zweiten Stuhl an den Tisch, neben seinen eigenen:) Wir muessen den Brief noch verbrennen. (Er hebt das Paket auf. Giuseppe kommt zurueck. Noch bleich und zitternd, traegt er in der einen Hand einen Armleuchter mit ein paar brennenden Kerzen und eine breite Lichtputzschere in der andern.) (Giuseppe klaeglich, waehrend er das Licht auf den Tisch stellt:) Exzellenz, wonach haben Sie eben da draussen ausgeschaut? (Er zeigt ueber seine Schulter nach dem Weingarten, fuerchtet sich aber, umherzublicken.) (Napoleon das Paket aufmachend:) Was geht dich das an? (Giuseppe stammelnd:) Weil die Hexe fort ist--verschwunden... und niemand hat sie fortgehen sehn. (Dame hinter ihm aus dem Weingarten tretend:) Wir haben sie beobachtet, wie sie auf ihrem Besenstiel zum Mond hinaufgeritten ist. Giuseppe, Sie werden sie nie wiedersehen! (Giuseppe.) Jesus Maria! (Er bekreuzigt sich und eilt hinaus.) (Napoleon wirft die Briefe in einem Haufen auf den Tisch:) Nun, also! (Er setzt sich auf den Stuhl, den er eben hingestellt hat.) (Dame.) Ja; aber Sie wissen doch--den bewussten Brief haben Sie noch in Ihrer Tasche. (Er laechelt, nimmt einen Brief aus der Tasche und wirft ihn auf die Spitze des Haufens. Sie hebt ihn auf, betrachtet Napoleon und sagt:) Caesars Frau betreffend. (Napoleon.) Caesars Frau ist ueber allen Verdacht erhaben--verbrennen Sie ihn. (Dame nimmt den Brief mit der Lichtputzschere und haelt ihn damit an die Kerzenflamme:) Waere Caesars Frau wohl ueber allen Verdacht erhaben, wenn sie uns beide hier sitzen saehe--? Wer weiss--? (Napoleon ihre Worte mechanisch wiederholend, die Ellbogen auf den Tisch und die Wangen in die Haende gestuetzt, den Brief betrachtend:) Wer weiss--? (Die fremde Dame legt den angezuendeten Brief auf das Lichtputzbrett und setzt sich neben Napoleon in der gleichen Stellung, die Ellbogen auf den Tisch, die Wangen in die Haende gestuetzt, und sieht zu, wie er verbrennt. Als er verkohlt, wenden sie beide gleichzeitig ihre Blicke davon ab und sehen einander an. Der Vorhang gleitet langsam herab und entzieht sie den Blicken.) Ende dieses Projekt Gutenberg Etextes Der Mann des Schicksals, von Bernard Shaw. *** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK, DER MANN DES SCHICKSALS *** This file should be named 7dmds10.txt or 7dmds10.zip Corrected EDITIONS of our eBooks get a new NUMBER, 7dmds11.txt VERSIONS based on separate sources get new LETTER, 7dmds10a.txt Project Gutenberg eBooks are often created from several printed editions, all of which are confirmed as Public Domain in the US unless a copyright notice is included. Thus, we usually do not keep eBooks in compliance with any particular paper edition. We are now trying to release all our eBooks one year in advance of the official release dates, leaving time for better editing. Please be encouraged to tell us about any error or corrections, even years after the official publication date. Please note neither this listing nor its contents are final til midnight of the last day of the month of any such announcement. The official release date of all Project Gutenberg eBooks is at Midnight, Central Time, of the last day of the stated month. A preliminary version may often be posted for suggestion, comment and editing by those who wish to do so. Most people start at our Web sites at: http://gutenberg.net or http://promo.net/pg These Web sites include award-winning information about Project Gutenberg, including how to donate, how to help produce our new eBooks, and how to subscribe to our email newsletter (free!). Those of you who want to download any eBook before announcement can get to them as follows, and just download by date. 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