The Project Gutenberg EBook of Ausgewählte Fabeln, by Gotthold Ephraim Lessing Copyright laws are changing all over the world. Be sure to check the copyright laws for your country before downloading or redistributing this or any other Project Gutenberg eBook. This header should be the first thing seen when viewing this Project Gutenberg file. Please do not remove it. Do not change or edit the header without written permission. Please read the "legal small print," and other information about the eBook and Project Gutenberg at the bottom of this file. Included is important information about your specific rights and restrictions in how the file may be used. 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This book content was graciously contributed by the Gutenberg Projekt-DE. That project is reachable at the web site http://gutenberg.spiegel.de/. Dieses Buch wurde uns freundlicherweise vom "Gutenberg Projekt-DE" zur Verfuegung gestellt. Das Projekt ist unter der Internet-Adresse http://gutenberg.spiegel.de/ erreichbar. Ausgewaehlte Fabeln Gotthold Ephraim Lessing 1759 Inhalt: Das Geschenk der Feien Das Ross und der Stier Der Affe und der Fuchs Der Besitzer des Bogens Der Esel mit dem Loewen Der Esel und das Jagdpferd Der Esel und der Wolf Der Fuchs Der Geizige Der Hamster und die Ameise Der Hirsch Der Hirsch und der Fuchs Der Knabe und die Schlange Der Loewe mit dem Esel Der Loewe und der Hase Der Pelikan Der Phoenix Der Rabe Der Rabe und der Fuchs Der Rangstreit der Tiere Der Sperling und der Strauss Der Strauss Der Wolf auf dem Todbette Der Wolf und der Schaefer Der hungrige Fuchs Der junge und der alte Hirsch Die Eiche Die Eiche und das Schwein Die Erscheinung Die Eule und der Schatzgraeber Die Furien Die Gans Die Geschichte des alten Wolfs Die Nachtigall und die Lerche Die Pfauen und die Kraehe Die Schwalbe Die Sperlinge Die Traube Die Wasserschlange Die Ziegen Die eherne Bildsaeule Die junge Schwalbe Jupiter und das Schaf Merops Minerva Zeus und das Pferd Das Geschenk der Feien Zu der Wiege eines jungen Prinzen, der in der Folge einer der groessten Regenten seines Landes ward, traten zwei wohltaetige Feien. "Ich schenke diesem meinem Lieblinge", sagte die eine, "den scharfsichtigen Blick des Adlers, dem in seinem weiten Reiche auch die kleinste Muecke nicht entgeht." "Das Geschenk ist schoen", unterbrach sie die zweite Feie. "Der Prinz wird ein einsichtsvoller Monarch werden. Aber der Adler besitzt nicht allein Scharfsichtigkeit, die kleinsten Muecken zu bemerken, er besitzt auch eine edle Verachtung, ihnen nicht nachzujagen. Und diese nehme der Prinz von mir zum Geschenk!" "Ich danke dir, Schwester, fuer diese weise Einschraenkung", versetzte die erste Feie. "Es ist wahr; viele wuerden weit groessere Koenige gewesen sein, wenn sie sich weniger mit ihrem durchdringenden Verstande bis zu den kleinsten Angelegenheiten haetten erniedrigen wollen." Das Ross und der Stier Auf einem feurigen Rosse flog stolz ein dreister Knabe daher. Da rief ein wilder Stier dem Rosse zu: "Schande! Von einem Knaben liess ich mich nicht regieren!" "Aber ich", versetzte das Ross. "Denn was fuer Ehre koennte es mir bringen, einen Knaben abzuwerfen?" Der Affe und der Fuchs "Nenne mir ein so geschicktes Tier, dem ich nicht nachahmen koennte!" so prahlte der Affe gegen den Fuchs. Der Fuchs aber erwiderte: "Un du, nenne mir ein so geringschaetziges Tier, dem es einfallen koennte, dir nachzuahmen." Schriftsteller meiner Nation!--Muss ich mich noch deutlicher erklaeren? Der Besitzer des Bogens Ein Mann hatte einen trefflichen Bogen von Ebenholz, mit dem er sehr weit und sehr sicher schoss, und den er ungemein wert hielt. Einst aber, als er ihn aufmerksam betrachtete, sprach er: "Ein wenig zu plump bist du doch! All deine Zierde ist die Glaette. Schade!--Doch dem ist abzuhelfen!" fiel ihm ein. "Ich will hingehen und den besten Kuenstler Bilder in den Bogen schnitzen lassen."--Er ging hin, und der Kuenstler schnitzte eine ganze Jagd auf den Bogen, und was haette sich besser auf einem Bogen geschickt als eine Jagd? Der Mann war voller Freuden. "Du verdienst diese Zieraten, mein lieber Bogen!"--Indem will er ihn versuchen, er spannt, und der Bogen-- zerbricht. Der Esel mit dem Loewen Als der Esel mit dem Loewen des Aesopus, der ihn statt seines Jaegerhorns brauchte, nach dem Walde ging, begegnete ihm ein anderer Esel von seiner Bekanntschaft und rief ihm zu: "Guten Tag, mein Bruder!"-- "Unverschaemter!" war die Antwort.-- "Und warum das?" fuhr jener Esel fort. "Bist du deswegen, weil du mit einem Loewen gehst, besser als ich, mehr als ein Esel?" Der Esel und das Jagdpferd Ein Esel vermass sich, mit einem Jagdpferd um die Wette zu laufen. Die Probe fiel erbaermlich aus, und der Esel ward ausgelacht. "Ich merke nun wohl", sagte der Esel, "woran es gelegen hat; ich trat mir vor einigen Monaten einen Dorn in den Fuss, und der schmerzt mich noch." "Entschuldigen Sie mich", sagte der Kanzelredner Liederhold, "wenn meine heutige Predigt so gruendlich und erbaulich nicht gewesen, als man sie von dem gluecklichen Nachahmer eines Mosheims erwartet haette; ich habe, wie Sie hoeren, einen heisern Hals, und den schon seit acht Tagen." Der Esel und der Wolf Ein Esel begegnete einem hungrigen Wolfe. "Habe Mitleid mit mir", sagte der zitternde Esel, "ich bin ein armes krankes Tier; sieh nur, was fuer einen Dorn ich mir in den Fuss getreten habe!" "Wahrhaftig, du dauerst mich", versetzte der Wolf. "Und ich finde mich in meinem Gewissen verbunden, dich von deinen Schmerzen zu befreien." Kaum ward das Wort gesagt, so ward der Esel zerrissen. Der Fuchs Ein verfolgter Fuchs rettete sich auf eine Mauer. Um auf der andern Seite gut herabzukommen, ergriff er einen nahen Dornstrauch. Er liess sich auch gluecklich daran nieder, nur dass ihn die Dornen schmerzlich verwundeten. "Elende Helfer", rief der Fuchs, "die nicht helfen koennen, ohne zugleich zu schaden!" Der Geizige "Ich Ungluecklicher!" klagte ein Geizhals seinem Nachbar. "Man hat mir den Schatz, den ich in meinem Garten vergraben hatte, diese Nacht entwendet und einen verdammten Stein an dessen Stelle gelegt." "Du wuerdest", antwortete ihm der Nachbar, "deinen Schatz doch nicht genutzt haben. Bilde dir also ein, der Stein sei dein Schatz; und du bist nichts aermer." "Waere ich schon nichts aermer", erwiderte der Geizhals; "ist ein andrer nicht um so viel reicher? Ein andrer um so viel reicher! Ich moechte rasend werden." Der Hamster und die Ameise "Ihr armseligen Ameisen", sagte ein Hamster. Verlohnt es sich der Muehe, dass ihr den ganzen Sommer arbeitet, um ein so Weniges einzusammeln? Wenn ihr meinen Vorrat sehen solltet!--" "Hoere", antworibete eine Ameise, "wenn er groesser ist, als du ihn brauchst, so ist es schon recht, dass die Menschen dir nachgraben, deine Scheuern ausleeren und dich deinen raeuberischen Geiz mit dem Leben buessen lassen!" Der Hirsch Die Natur hatte einen Hirsch von mehr als gewoehnlicher Groesse gebildet, und an seinem Halse hingen ihm lange Haare herab. Da dachte der Hirsch bei sich selbst: Du koenntest dich ja wohl fuer ein Elend ansehen lassen. Und was tat der Eitle, ein Elend zu scheinen? Er hing den Kopf traurig zur Erde und stellte sich, sehr oft das boese Wesen zu haben. So glaubt nicht selten ein witziger Geck, dass man ihn fuer keinen schoenen Geist halten werde, wenn er nicht ueber Kopfweh und Hypochonder klage. Der Hirsch und der Fuchs Der Hirsch sprach zu dem Fuchse: "Nun weh uns armen schwaecheren Tieren! Der Loewe hat sich mit dem Wolfe verbunden." "Mit dem Wolfe?" sagte der Fuchs. "Das mag noch hingehen! Der Loewe bruellt, der Wolf heult und so werdet, ihr euch noch oft beizeiten mit der Flucht retten koennen. Aber alsdenn, alsdenn moechte es um uns alle geschehen sein, wenn es dem gewaltigen Loewen einfallen sollte, sich mit dem schleichenden Luchse zu verbinden." Der Knabe und die Schlange Ein Knabe spielte mit einer zahmen Schlange. "Mein liebes Tierchen", sagte der Knabe, "ich wuerde mich mit dir so gemein nicht machen, wenn dir das Gift nicht benommen waere. Ihr Schlangen seid die boshaftesten, undankbarsten Geschoepfe! Ich habe es wohl gelesen, wie es einem armen Landmanne ging, der eine, vielleicht von deinen Ureltern, die er halb erfroren unter einer Hecke fand, mitleidig aufhob und sie in seinen erwaermenden Busen steckte. Kaum fuehlte sich die Boese wieder, als sie ihren Wohltaeter biss; und der gute freundliche Mann musste sterben." "Ich erstaune", sagte die Schlange, "wie parteiisch eure Geschichtschreiber sein muessen! Die unsrigen erzaehlen diese Historie ganz anders. Dein freundlicher Mann glaubte, die Schlange sei wirklich erfroren, und weil es eine von den bunten Schlangen war, so steckte er sie zu sich, ihr zu Hause die schoene Haut abzustreiten. War das recht?" "Ach, schweig nur", erwiderte der Knabe. "Welcher Undankbare haette sich nicht zu entschuldigen gewusst!" "Recht, mein Sohn", fiel der Vater, der dieser Unterredung zugehoert hatte, dem Knaben ins Wort. "Aber gleichwohl, wenn du einmal von einem ausserordentlichen Undanke hoeren solltest, so untersuche ja alle Umstaende genau, bevor du einen Menschen mit so einem abscheulichen Schandflecke brandmarken laessest. Wahre Wohltaeter haben selten Undankbare verpflichtet; ja, ich will zur Ehre der Menschheit hoffen-- niemals. Aber die Wohltaeter mit kleinen eigennuetzigen Absichten, die sind es wert, mein Sohn, dass sie Undank anstatt Erkenntlichkeit einwuchern." Der Loewe mit dem Esel Als des Aesopus Loewe mit dem Esel, der ihm durch seine fuerchterliche Stimme die Tiere sollte jagen helfen, nach dem Walde ging, rief ihm eine naseweise Kraehe von dem Baume zu: "Ein schoener Gesellschafter! Schaemst du dich nicht, mit einem Esel zu gehen?"--"Wen ich brauchen kann", versetzte der Loewe, "dem kann ich ja wohl meine Seite goennen." So denken die Grossen alle, wenn sie einen Niedrigen ihrer Gemeinschaft wuerdigen. Der Loewe und der Hase Ein Loewe wuerdigte einen drolligen Hasen seiner naeheren Bekanntschaft. "Aber ist es denn wahr", fragte ihn einst der Hase, "dass euch Loewen ein elender kraehender Hahn so leicht verjagen kann?" "Allerdings ist es wahr", antwortete der Loewe; "und es ist eine allgemeine Anmerkung, dass wir grossen Tiere durchgaengig eine gewisse kleine Schwachheit an uns haben. So wirst du, zum Exempel, von dem Elefanten gehoert haben, dass ihm das Grunzen eines Schweins Schauder und Entsetzen erwecket." "Wahrhaftig?" unterbrach ihn der Hase. "Ja, nun begreif' ich auch, warum wir Hasen uns so entsetzlich vor den Hunden fuerchten." Der Pelikan Fuer wohlgeratene Kinder koennen Eltern nicht zu viel tun. Aber wenn sich ein bloeder Vater fuer einen ausgearteten Sohn das Blut vom Herzen zapft, dann wird Liebe zur Torheit. Ein frommer Pelikan, da er seine Jungen schmachten sah, ritzte sich mit scharfem Schnabel die Brust auf und erquickte sie mit seinem Blute. "Ich bewundere deine Zaertlichkeit", rief ihm ein Adler zu, "und bejammere deine Blindheit. Sieh doch, wie manchen nichtswuerdigen Kuckuck du unter deinen Jungen mit ausgebruetet hast!" So war es auch wirklich; denn auch ihm hatte der kalte Kuckuck seine Eier untergeschoben.--Waren es undankbare Kuckucke wert, dass ihr Leben so teuer erkauft wurde? Der Phoenix Nach vielen Jahrhunderten gefiel es dem Phoenix, sich wieder einmal sehen zu lassen. Er erschien, und alle Tiere und Voegel versammelten sich um ihn. Sie gafften, sie staunten, sie bewunderten und brachen in entzueckendes Lob aus. Bald aber verwandten die besten und geselligsten mitleidsvoll ihre Blicke und seufzten: "Der unglueckliche Phoenix! Ihm ward das harte Los, weder Geliebte noch Freunde zu haben; denn er ist der einzige seiner Art!" Der Rabe Der Rabe bemerkte, dass der Adler ganze dreissig Tage ueber seinen Eiern bruetete. "Und daher kommt es ohne Zweifel", sprach er, "dass die jungen des Adlers so scharfsichtig und stark werden. Gut! Das will ich auch tun." Und seitdem bruetet der Rabe ganze dreissig Tage ueber seinen Eiern; aber noch hat er nichts als elende Raben ausgebruetet. Der Rabe und der Fuchs Ein Rabe trug ein Stueck vergiftetes Fleisch, das der erzuernte Gaertner fuer die Katzen seines Nachbars hingeworfen hatte, in seinen Klauen fort. Und eben wollte er es auf einer alten Eiche verzehren, als sich ein Fuchs herbeischlich und ihm zurief: "Sei mir gesegnet, Vogel des Jupiters!" --"Fuer wen siehst du mich an?" fragte der Rabe. "Fuer wen ich dich ansehe?" erwiderte der Fuchs. "Bist du nicht der ruestige Adler, der taeglich von der Rechten des Zeus auf diese Eiche herabkommt, mich Armen zu speisen? Warum verstellst du dich? Sehe ich denn nicht in der siegreichen Klaue die erflehte Gabe, die mir dein Gott durch dich zu schicken noch fortfaehrt?" Der Rabe erstaunte und freute sich innig, fuer einen Adler gehalten zu werden. Ich muss, dachte er, den Fuchs aus diesem Irrtum nicht bringen. --Grossmuetig dumm liess er ihm also seinen Raub herabfallen und flog stolz davon. Der Fuchs fing das Fleisch lachend auf und frass es mit boshafter Freude. Doch bald verkehrte sich die Freude in ein schmerzhaftes Gefuehl; das Gift fing an zu wirken, und er verreckte. Moechtet ihr euch nie etwas anders als Gift erloben, verdammte Schmeichler! Der Rangstreit der Tiere In vier Fabeln 1. Es entstand ein hitziger Rangstreit unter den Tieren. Ihn zu schlichten, sprach das Pferd, "lasset uns den Menschen zu Rate ziehen; er ist keiner von den streitenden Teilen und kann desto unparteiischer sein." "Aber hat er auch den Verstand dazu?" liess sich ein Maulwurf hoeren. "Er braucht wirklich den allerfeinsten, unsere oft tief versteckten Vollkommenheiten zu erkennen." "Das war sehr weislich erinnert!" sprach der Hamster. "Jawohl!" rief auch der Igel. "Ich glaube es nimmermehr, dass der Mensch Scharfsichtigkeit genug besitzt." "Schweigt ihr!" befahl das Pferd. "Wir wissen es schon: Wer sich auf die Guete seiner Sache am wenigsten zu verlassen hat, ist immer am fertigsten, die Einsicht seines Richters in Zweifel zu ziehen." 2. Der Mensch ward Richter.--"Noch ein Wort", rief ihm der majestaetische Loewe zu, "bevor du den Ausspruch tust! Nach welcher Regel, Mensch, willst du unsern Wert bestimmen?" "Nach welcher Regel? Nach dem Grade, ohne Zweifel", antwortete der Mensch, "in welchem ihr mir mehr oder weniger nuetzlich seid." "Vortrefflich!" versetzte der beleidigte Loewe. "Wie weit wuerde ich alsdann unter dem Esel zu stehen kommen! Du kannst unser Richter nicht sein, Mensch! Verlass die Versammlung!" 3. Der Mensch entfernte sich.--"Nun", sprach der hoehnische Maulwurf,-- (und ihm stimmten der Hamster und der Igel wieder bei)--"siehst du, Pferd? der Loewe meint es auch, dass der Mensch unser Richter nicht sein kann. Der Loewe denkt wie wir." "Aber aus besseren Gruenden als ihr!" sagte der Loewe, und warf ihnen einen veraechtlichen Blick zu. 4. Der Loewe fuhr weiter fort: "Der Rangstreit, wenn ich es recht ueberlege, ist ein nichtswuerdiger Streit! Haltet mich fuer den Vornehmsten oder den Geringsten; es gilt mir gleichviel. Genug, ich kenne mich!"--Und so ging er aus der Versammlung. Ihm folgte der weise Elefant, der kuehne Tiger, der ernsthafte Baer, der kluge Fuchs, das edle Pferd; kurz alle, die ihren Wert fuehlten oder zu fuehlen glaubten. Die sich am letzten wegbegeben und ueber die zerrissene Versammlung am meisten murrten, waren--der Affe und der Esel. Der Sperling und der Strauss "Sei auf deine Groesse, auf deine Staerke so stolz wie du willst", sprach der Sperling zu dem Strausse; "ich bin doch mehr ein Vogel als du. Denn du kannst nicht fliegen, ich aber fliege, obgleich nicht hoch, obgleich nur ruckweise." Der leichte Dichter eines froehlichen Trinkliedes, eines kleinen verliebten Gesanges, ist mehr ein Genie, als der schwunglose Schreiber einer langen Hermanniade. Der Strauss "Jetzt will ich fliegen!" rief der gigantische Strauss, und das ganze Volk der Voegel stand in ernster Erwartung um ihn versammelt. "Jetzt will ich fliegen", rief er nochmals, breitete die gewaltigen Fittiche weit aus und schoss, gleich einem Schiffe mit aufgespannten Segeln, auf dem Boden dahin, ohne ihn mit einem Tritte zu verlieren. Sehet da ein poetisches Bild jener unpoetischen Koepfe, die in den ersten Zeilen ihrer ungeheuren Oden mit stolzen Schwingen prahlen, sich ueber Wolken und Sterne zu erheben drohen und dem Staube doch immer getreu bleiben! Der Wolf auf dem Todbette Der Wolf lag in den letzten Zuegen und schickte einen pruefenden Blick auf sein vergangenes Leben zurueck. "Ich bin freilich ein Suender", sagte er; "aber doch, ich hoffe, keiner von den groessten. Ich habe Boeses getan; aber auch viel Gutes. Einstmals, erinnere ich mich, kam mir ein bloekendes Lamm, welches sich von der Herde verirrt hatte, so nahe, dass ich es gar leicht haette erwuergen koennen; und ich tat ihm nichts. Zu eben dieser Zeit hoerte ich die Spoettereien und Schmaehungen eines Scbafes mit der bewunderungswuerdigsten Gleichgueltigkeit an, ob ich schon keine schaetzenden Hunde zu fuerchten hatte." "Und alles kann ich dir bezeugen", fiel ihm Freund Fuchs, der ihn zum Tode bereiten half, ins Wort. "Denn ich erinnere mich noch gar wohl aller Umstaende dabei. Es war zu eben der Zeit, als du dich an dem Beine so jaemmerlich wuergtest, das dir der gutherzige Kranich hernach aus dem Schlunde zog." Der Wolf und der Schaefer Ein Schaefer hatte durch eine grausame Seuche seine ganze Herde verloren. Das erfuhr der Wolf und kam, seine Kondolenz abzustatten. "Schaefer", sprach er, "ist es wahr, dass dich ein so grausames Unglueck betroffen? Du bist um deine ganze Herde gekommen? Die liebe, fromme, fette Herde? Du dauerst, mich, und ich moechte blutige Traenen weinen." "Habe Dank, Meister Isegrim", versetzte der Schaefer. "Ich sehe, du hast ein sehr mitleidiges Herz." "Das hat er auch wirklich", fuegte des Schaefers Hylax hinzu, "so oft er unter dem Ungluecke seines Naechsten selbst leidet." Der hungrige Fuchs "Ich bin zu einer ungluecklichen Stunde geboren!" so klagte ein junger Fuchs einem alten. "Fast keiner von meinen Anschlaegen will mir gelingen."--"Deine Anschlaege", sagte der aeltere Fuchs, "werden ohne Zweifel doch klug sein. Lass doch hoeren, wann machst du deine Anschlaege?" "Wann ich sie mache? Wann anders, als wenn mich hungert?" --"Wenn dich hungert?" fuhr der alte Fuchs fort. "Ja! da haben wir es! Hunger und Ueberlegung sind nie beisammen. Mache sie kuenftig, wenn du satt bist; und sie werden besser ausfallen." Der junge und der alte Hirsch Ein Hirsch, den die guetige Natur Jahrhunderte hat leben lassen, sagte einst zu einem seiner Enkel: "Ich kann mich der Zeit noch sehr wohl erinnern, da der Mensch das donnernde Feuerrohr noch nicht erfunden hatte." "Welche glueckliche Zeit muss das fuer unser Geschlecht gewesen sein!" seufzte der Enkel. "Du schliessest zu geschwind!" sagte der alte Hirsch. "Die Zeit war anders, aber nicht besser. Der Mensch hatte da, anstatt des Feuerrohrs, Pfeile und Bogen, und wir waren ebenso schlimm daran als jetzt." Die Eiche Der rasende Nordwind hatte seine Staerke in einer stuermischen Nacht an einer erhabenen Eiche bewiesen. Nun lag sie gestreckt, und eine Menge niedriger Straeucher lagen unter ihr zerschmettert. Ein Fuchs, der seine Grube nicht weit davon hatte, sah sie des Morgens darauf. "Was fuer ein Baum!" rief er. "Haette ich doch nimmermehr gedacht, dass er so gross gewesen waere!" Die Eiche und das Schwein Ein gefraessiges Schwein maestete sich unter einer hohen Eiche mit der herabgefallenen Frucht. Indem es die eine Eichel zerbiss, verschluckte es bereits eine andere mit dem Auge. "Undankbares Vieh!" rief endlich der Eichbaum herab. "Du naehrst dich von meinen Fruechten ohne einen einzigen dankbaren Blick auf mich in die Hoehe zu richten." Das Schwein hielt einen Augenblick inne und grunzte zur Antwort: "Meine dankbaren Blicke sollten nicht aussen bleiben, wenn ich nur wuesste, dass du deine Eicheln meinetwegen haettest fallen lassen." Die Erscheinung In der einsamsten Tiefe jenes Waldes, wo ich schon manches redende Tier belauscht, lag ich an einem sanften Wasserfalle und war bemueht, einem meiner Maerchen den leichten poetischen Schmuck zu geben, in welchem am liebsten zu erscheinen La Fontaine die Fabel fast verwoehnt hat. Ich sann, ich waehlte, ich verwarf, die Stirne gluehte--Umsonst, es kam nichts auf das Blatt. Voll Unwill sprang ich auf; aber sieh!-- auf einmal stand sie selbst, die fabelnde Muse vor mir. Und sie sprach laechelnd: "Schueler, wozu die undankbare Muehe? Die Wahrheit braucht die Anmut der Fabel; aber wozu braucht die Fabel die Anmut der Harmonie? Du willst das Gewuerze wuerzen. G'nug, wenn die Erfindung des Dichters ist; der Vortrag sei des ungekuenstelten Geschichtsschreibers, so wie der Sinn des Weltweisen." Ich wollte antworten, aber die Muse verschwand. "Sie verschwand?" hoere ich einen Leser fragen. "Wenn du uns doch nur wahrscheinlicher taeuschen wolltest! Die seichten Schluesse, auf die dein Unvermoegen dich fuehrte, der Muse in den Mund zu legen! Zwar ein gewoehnlicher Betrug-" Vortrefflich, mein Leser! Mir ist keine Muse erschienen. Ich erzaehle eine blosse Fabel, aus der du selbst die Lehre gezogen. Ich bin nicht der erste und werde nicht der letzte sein, der seine Grillen zu Orakelspruechen einer goettlichen Erscheinung macht. Die Eule und der Schatzgraeber Jener Schatzgraeber war ein sehr unbilliger Mann. Er wagte sich in die Ruinen eines alten Raubschlosses und ward da gewahr, dass die Eule eine magere Maus ergriff und verzehrte. "Schickt sich das", sprach er, "fuer den philosophischen Liebling Minervens?" "Warum nicht?" versetzte die Eule. "Weil ich stille Betrachtungen liebe, kann ich deswegen von der Luft leben? Ich weiss zwar, dass ihr Menschen es von euren Gelehrten verlanget--" Die Furien "Meine Furien", sagte Pluto zu dem Boten der Goetter, "werden alt und stumpf. Ich brauche frische. Geh also, Merkur, und suche mir auf der Oberwelt drei tuechtige Weibspersonen dazu aus." Merkur ging. Kurz darauf sagte Juno zu ihrer Dienerin: "Glaubtest du wohl, Iris, unter den Sterblichen zwei oder drei vollkommen strenge, zuechtige Maedchen zu finden? Aber vollkommen strenge! Verstehst du mich? Um Cytheren hohnzusprechen, die sich das ganze weibliche Geschlecht unterworfen zu haben ruehmt. Geh immer und sieh, wo du sie auftreibst." Iris ging.-- In welchem Winkel der Erde suchte nicht die gute Iris! Und dennoch umsonst! Sie kam ganz allein wieder, und Juno rief ihr entgegen: "Ist es moeglich? O Keuschheit! O Tugend!" "Goettin", sagte Iris, "ich haette dir wohl drei Maedchen bringen koennen, die alle drei vollkommen streng und zuechtig gewesen; die alle drei nie einer Mannsperson gelaechelt, die alle drei den geringsten Funken der Liebe in ihren Herzen erstickt; aber ich kam, leider, zu spaet." "Zu spaet?" sagte Juno. "Wieso?" "Eben hatte sie Merkur fuer den Pluto abgeholt." "Fuer den Pluto? Und wozu will Pluto diese Tugendhaften?" "Zu Furien." Die Gans Die Federn einer Gans beschaemten den neugeborenen Schnee. Stolz auf dieses blendende Geschenk der Natur glaubte sie eher zu einem Schwane als zu dem, was sie war, geboren zu sein. Sie sonderte sich von ihresgleichen ab und schwamm einsam und majestaetisch auf dem Teiche herum. Bald dehnte sie ihren Hals, dessen verraeterischer Kuerze sie mit aller Macht abhelfen wollte; bald suchte sie ihm die praechtige Biegung zu geben, in welcher der Schwan das wuerdige Ansehen eines Vogels des Apollo hat. Doch vergebens; er war zu steif, und mit aller ihrer Bemuehung brachte sie es nicht weiter, als dass sie eine laecherliche Gans ward, ohne ein Schwan zu werden. Die Geschichte des alten Wolfs in sieben Fabeln 1. Der boese Wolf war zu Jahren gekommen und fasste den gleissenden Entschluss, mit den Schaefern auf einem guetlichen Fuss zu leben. Er machte sich also auf und kam zu dem Schaefer, dessen Horden seiner Hoehle die naechsten waren. "Schaefer", sprach er, "du nennst mich den blutgierigsten Raeuber, der ich doch wirklich nicht bin. Freilich muss ich mich an deine Schafe halten, wenn mich hungert; denn Hunger tut weh. Schuetze mich nur vor dem Hunger; mache mich nur satt, und du sollst mit mir recht wohl zufrieden sein. Denn ich bin wirklich das zahmste, sanftmuetigste Tier, wenn ich satt bin." "Wenn du satt bist? Das kann wohl sein", versetzte der Schaefer. "Aber wann bist du denn satt? Du und der Geiz werden es nie. Geh deinen Weg!" 2. Der abgewiesene Wolf kam zu einem zweiten Schaefer. "Du weisst, Schaefer", war seine Anrede, "dass ich dir das Jahr durch manches Schaf wuergen koennte. Willst du mir ueberhaupt jedes Jahr sechs Schafe geben, so bin ich zufrieden. Du kannst alsdann sicher schlafen und die Hunde ohne Bedenken abschaffen." "Sechs Schafe?" sprach der Schaefer, "das ist ja eine ganze Herde!" "Nun, weil du es bist, so will ich mich mit fuenfen begnuegen", sagte der Wolf. "Du scherzest, fuenf Schafe! Mehr als fuenf Schafe opfere ich kaum im ganzen Jahre dem Pan." "Auch nicht viere?" fragte der Wolf weiter; und der Schaefer schuettelte spoettisch den Kopf. "Drei?--Zwei?" "Nicht ein einziges", fiel endlich der Bescheid, "denn es waere ja wohl toericht, wenn ich mich einem Feinde zinsbar machte, vor welchem ich mich durch meine Wachsamkeit sichern kann." 3. Aller guten Dinge sind drei, dachte der Wolf und kam zu einem dritten Schaefer. "Es geht mir recht nahe", sprach er, "dass ich unter euch Schaefern als das grausamste, gewissenloseste Tier verschrien bin. Dir, Montan, will ich jetzt beweisen, wie unrecht man mir tut. Gib mir jaehrlich ein Schaf, so soll deine Herde in jenem Walde, den niemand unsicher macht als ich, frei und unbeschaedigt weiden duerfen. Ein Schaf! Welche Kleinigkeit! Koennte ich grossmuetiger, koennte ich uneigennuetziger handeln?--Du lachst, Schaefer? Worueber lachst du denn?" "Oh, ueber nichts! Aber wie alt bist du, guter Freund?" sprach der Schaefer. "Was geht dich mein Alter an? Immer noch alt genug, dir deine liebsten Laemmer zu wuergen." "Erzuerne dich nicht, alter Isegrim! Es tut mir leid, dass du mit deinem Vorschlage einige Jahre zu spaet kommst. Deine ausgerissenen Zaehne verraten dich. Du spielst den Uneigennuetzigen, bloss um dich desto gemaechlicher naehren zu koennen." 4. Der Wolf ward aergerlich, fasste sich aber doch und ging auch zu dem vierten Schaefer. Diesem war eben sein treuer Hund gestorben, und der Wolf machte sich den Umstand zunutze. "Schaefer", sprach er, "ich habe mich mit meinen Bruedern in dem Walde veruneinigt und so, dass ich mich in Ewigkeit nicht wieder mit ihnen aussoehnen werde. Du weisst, wieviel du von ihnen zu fuerchten hast! Wenn du mich aber anstatt deines verstorbenen Hundes in Dienste nehmen willst, so stehe ich dir dafuer, dass sie keines deiner Schafe auch nur scheel ansehen sollen." "Du willst sie also", versetzte der Schaefer, "gegen deine Brueder im Walde beschuetzen?" "Was meine ich denn sonst? Freilich." "Das waere nicht uebel! Aber, wenn ich dich nun in meine Horden einnaehme, sage mir doch, wer sollte alsdann meine armen Schafe gegen dich beschuetzen? Einen Dieb ins Haus nehmen, um vor den Dieben ausser dem Hause sicher zu sein, das halten wir Menschen--" "Ich hoere", sagte der Wolf, "du faengst an zu moralisieren. Lebe wohl!" 5. "Waere ich nicht so alt!" knirschte der Wolf "Aber ich muss mich leider in die Zeit schicken." Und so kam er zu dem fuenften Schaefer. "Kennst du mich, Schaefer?" fragte der Wolf. "Deinesgleichen wenigstens kenne ich", versetzte der Schaefer. "Meinesgleichen? Daran zweifle ich sehr. Ich bin ein so sonderbarer Wolf, dass ich deiner und aller Schaefer Freundschaft wohl wert bin." "Und wie sonderbar bist du denn?" "Ich koennte kein lebendiges Schaf wuergen und fressen, und wenn es mir das Leben kosten sollte. Ich naehre mich bloss mit toten Schafen. Ist das nicht loeblich? Erlaube mir also immer, dass ich mich dann und wann bei deiner Herde einfinden und nachfragen darf, ob dir nicht--" "Spare der Worte!" sagte der Schaefer. "Du muesstest gar keine Schafe fressen, auch nicht einmal tote, wenn ich dein Feind nicht sein sollte. Ein Tier, das mir schon tote Schafe frisst, lernt leicht aus Hunger kranke Schafe fuer tot und gesunde fuer krank ansehen. Mache auf meine Freundschaft also keine Rechnung und geh!" 6. Ich muss nun schon mein Liebstes daran wenden, um zu meinem Zweckc zu gelangen! dachte der Wolf und kam zu dem sechsten Schaefer. "Schaefer, wie gefaellt dir mein Pelz?" fragte der Wolf. "Dein Pelz?" sagte der Schaefer, "lass sehen! Er ist schoen; die Hunde muessen dich nicht oft untergehabt haben." "Nun, so hoere, Schaefer; ich bin alt und werde es so lange nicht mehr treiben. Fuettere mich zu Tode, und ich vermache dir meinen Pelz." "Ei sieh doch!" sagte der Schaefer, "kommst du auch hinter die Schliche der alten Geizhaelse? Nein, nein; dein Pelz wuerde mich am Ende siebenmal mehr kosten, als er wert waere. Ist es dir aber ein Ernst, mir ein Geschenk zu machen, so gib mir ihn gleich jetzt." Hiermit griff der Schaefer nach der Keule, und der Wolf floh. 7. "O die Unbarmherzigen!" schrie der Wolf und geriet in die aeusserste Wut. "So will ich auch als ihr Feind sterben, ehe mich der Hunger toetet, denn sie wollen es nicht besser!" Er lief, brach in die Wohnungen der Schaefer ein, riss ihre Kinder nieder und ward nicht ohne grosse Muehe von den Schaefern erschlagen. Da sprach der weiseste von ihnen: "Wir taten doch wohl unrecht, dass wir den alten Raeuber auf das aeusserste brachten und ihm alle Mittel zur Besserung, so spaet uns erzwungen sie auch war, benahmen!" Die Nachtigall und die Lerche Was soll man zu den Dichtern sagen, die so gern ihren Flug weit ueber alle Fassung des groessten Teiles ihrer Leser nehmen? Was sonst, als was die Nachtigall einst zu der Lerche sagte: "Schwingst du dich, Freundin, nur darum so hoch, um nicht gehoert zu werden?" Die Pfauen und die Kraehe Eine stolze Kraehe schmueckte sich mit den ausgefallenen Federn der farbigen Pfaue und mischte sich kuehn, als sie genug geschmueckt zu sein glaubte, unter diese glaenzenden Voegel der Juno. Sie ward erkannt, und schnell fielen die Pfaue mit scharfen Schnaebeln auf sie, ihr den betruegerischen Putz auszureissen. "Lasset nach!" schrie sie endlich, "ihr habt nun alle das Eurige wieder." Doch die Pfaue, welche einige von den eigenen glaenzenden Schwingfedern der Kraehe bemerkt hatten, versetzten: "Schweig, armselige Naerrin, auch diese koennen nicht dein sein!"--und hackten weiter. Die Schwalbe Glaubt mir, Freunde, die grosse Welt ist nicht fuer den Weisen, ist nich fuer den Dichter! Man kennt da ihren wahren Wert nicht, und ach! sie sind oft schwach genug, ihn mit einem nichtigen zu vertauschen. In den ersten Zeiten war die Schwalbe ein ebenso tonreicher melodischer Vogel wie die Nachtigall. Sie ward es aber bald muede, in den einsamen Bueschen zu wohnen und da von niemandem als dem fleissige Landmanne und der unschuldigen Schaeferin gehoert und bewundert zu werden. Sie verliess ihre demuetigere Freundin und zog in die Stadt.-- Was geschah? Weil man in der Stadt nicht Zeit hatte, ihr goettliches Lied zu hoeren, so verlernte sie es nach und nach und lernte dafuer-- bauen. Die Sperlinge Eine alte Kirche, welche den Sperlingen unzaehlige Nester gab, ward ausgebessert. Als sie nun in ihrem neuen Glanze dastand, kamen die Sperlinge wieder, ihre alten Wohnungen zu suchen. Allein sie fanden sie alle vermauert. "Zu was", schrien sie, "taugt denn nun das grosse Gebaeude? Kommt, verlasst den unbrauchbaren Steinhaufen!" Die Traube Ich kenne einen Dichter, dem die schreiende Bewunderung seiner kleinen Nachahmer weit mehr geschadet hat als die neidische Verachtung seiner Kunstrichter. "Sie ist ja doch sauer!" sagte der Fuchs von der Traube, nach der er lange genug vergebens gesprungen war. Das hoerte ein Sperling und sprach: "Sauer sollte die Traube sein? Danach sieht sie mir doch nicht aus!" Er flog hin und kostete und fand sie ungemein suess und rief hundert naeschige Brueder herbei. "Kostet doch!" schrie er, "kostet doch! Diese treffliche Traube schalt der Fuchs sauer." Sie kosteten alle, und in wenigen Augenblicken ward die Traube so zugerichtet, dass nie ein Fuchs wieder danach sprang. Die Wasserschlange Zeus hatte nunmehr den Froeschen einen anderen Koenig gegeben; anstatt eines friedlichen Klotzes eine gefraessige Wasserschlange. "Willst du unser Koenig sein", schrien die Froesche, "warum verschlingst du uns?"--"Darum", antwortete die Schlange, "weil ihr um mich gebeten habt."-- "Ich habe nicht um dich gebeten!" rief einer von den Froeschen, den sie schon mit den Augen verschlang.--"Nicht?" sagte die Wasserschlange. "Desto schlimmer! So muss ich dich verschlingen, weil du nicht um mich gebeten hast." Die Ziegen Die Ziegen baten den Zeus, auch ihnen Hoerner zu geben; denn anfangs hatten die Ziegen keine Hoerner. "Ueberlegt es wohl, was ihr bittet", sagte Zeus. "Es ist mit dem Geschenke der Hoerner ein anderes unzertrennlich verbunden, das euch so angenehm nicht sein moechte." Doch die Ziegen beharrten auf ihrer Bitte, und Zeus sprach: "So habt denn Hoerner!" Und die Ziegen bekamen Hoerner--und Bart! Denn anfangs hatten die Ziegen auch keinen Bart. O wie schmerzte sie der haessliche Bart, weit mehr, als sie die stolzen Hoerner erfreuten! Die eherne Bildsaeule Die eherne Bildsaeule eines vortrefflichen Kuenstlers schmolz durch die Hitze einer wuetenden Feuersbrunst in einen Klumpen. Dieser Klumpen kam einem anderen Kuenstler in die Haende, und durch seine Geschicklichkeit verfertigte er eine neue Bildsaeule daraus, von der ersteren in dem, was sie vorstellte, unterschieden, an Geschmack und Schoenheit aber ihr gleich. Der Neid sah es und knirschte. Endlich besann er sich auf einen armseligen Trost: Der gute Mann wuerde dieses noch ganz ertraegliche Stueck auch nicht hervorgebracht haben, wenn ihm nicht die Materie der alten Bildsaeule dabei zustatten gekommen waere. Die junge Schwalbe "Was macht ihr da?" fragte eine junge Schwalbe die geschaeftigen Ameisen. "Wir sammeln Vorrat fuer den Winter", war die Antwort. "Das ist klug", sagte die Schwalbe, "das will ich auch tun." Und gleich fing sie an, eine Menge toter Spinnen und Fliegen in ihr Nest zu tragen. "Aber wozu soll das?" fragte endlich ihre Mutter. "Wozu? Das ist Vorrat fuer den boesen Winter, liebe Mutter. Sammle doch auch! Die Ameisen haben mich diese Vorsicht gelehrt" "Lass nur die Ameisen!" versetzte die Mutter. "Uns Schwalben hat die Natur ein schoeneres Los bereitet. Wenn der reiche Sommer sich wendet, dann ziehen wir fort von hier." Jupiter und das Schaf Ein Schafweibchen lebte in einer spaerlich bewachsenen Gebirgsgegend. Es musste viel von anderen Tieren erleiden und war staendig auf der Flucht vor Feinden. Ein Adler kreiste oft ueber diesem Gebiet, und das Schafweibchen war gezwungen, immer wieder ihr kleines Schaefchen zu verstecken. Auch musste es achtgeben, dass der Wolf es nicht entdeckte, denn dieser strolchte auf dem dichtbebuschten Nachbarhuegel herum. Ausserdem war es wirklich ein Wunder, dass der Baer aus der waldigen Schlucht unter ihm es und sein Kind mit seinen riesigen Pranken noch nicht erwischt hatte. An einem Sonntag beschloss das Schaf, zum Himmelsgott zu wandern und ihn um Hilfe zu bitten. Demuetig trat es vor Jupiter und schilderte ihm sein Leid. "Ich sehe wohl, mein frommes Geschoepf, dass ich dich allzu schutzlos geschaffen habe", sprach der Gott freundlich, "darum will ich dir auch helfen. Aber du musst selber waehlen, was fuer eine Waffe ich dir zu deiner Verteidigung geben soll. Willst du vielleicht, dass ich dein Gebiss mit scharfen Fang- und Reisszaehnen ausrueste und deine Fuesse mit spitzen Krallen bewaffne?" Das Schaf schauderte. "O nein, guetiger Vater, ich moechte mit den wilden, moerderischen Raubtieren nichts gemein haben." "Soll ich deinen Mund mit Giftwerkzeugen wappnen?" Das Schaf wich bei dieser Vorstellung einen Schritt zurueck. "Bitte nicht, gnaediger Herrscher, die Giftnattern werden ja ueberall so sehr gehasst." "Nun, was willst du dann haben?" fragte Jupiter geduldig. "Ich koennte Hoerner auf deine Stirn pflanzen, wuerde dir das gefallen?" "Auch das bitte nicht", wehrte das Schaf schuechtern ab, "mit meinem Gehoern koennte ich so streitsuechtig oder gewalttaetig werden wie ein Bock." "Mein liebes Schaf", belehrte Jupiter sein sanftmuetiges Geschoepf, "wenn du willst, dass andere dir keinen Schaden zufuegen, so musst du gezwungenerweise selber schaden koennen." "Muss ich das?" seufzte das Schaf und wurde nachdenklich. Nach einer Weile sagte es: "Guetiger Vater, lass mich doch lieber so sein, wie ich bin. Ich fuerchte, dass ich die Waffen nicht nur zur Verteidigung gebrauchen wuerde, sondern dass mit der Kraft und den Waffen zugleich auch die Lust zum Angriff erwacht." Jupiter warf einen liebevollen Blick auf das Schaf, und es trabte in das Gebirge zurueck. Von dieser Stunde an klagte das Schaf nie mehr ueber sein Schicksal. Merops "Ich muss dich doch etwas fragen", sprach ein junger Adler zu einem tiefsinnigen grundgelehrten Uhu. "Man sagt, es gaebe einen Vogel mit Namen Merops, der, wenn er in die Luft steige, mit dem Schwanze voraus, den Kopf gegen die Erde gekehrt, fliege. Ist das wahr?" "Ei nicht doch!" antwortete der Uhu; "das ist eine alberne Erdichtung des Menschen. Er mag selbst ein solcher Merops sein, weil er nur gar zu gern den Himmel erfliegen moechte, ohne die Erde auch nur einen Augenblick aus dem Gesichte zu verlieren." Minerva Lass sie doch, Freund! lass sie, die kleinen haemischen Neider deines wachsenden Ruhmes! Warum will dein Witz ihre der Vergessenheit bestimmte Namen verewigen? In dem unsinnigen Kriege, welchen die Riesen wider die Goetter fuehrten, stellten die Riesen der Minerva einen schrecklichen Drachen entgegen. Minerva aber ergriff den Drachen und schleuderte ihn mit gewaltiger Hand an das Firmament. Da glaenzt er noch, und was so oft grosser Taten Belohnung war, ward des Drachens beneidenswuerdige Strafe. Zeus und das Pferd "Vater der Tiere und Menschen", so sprach das Pferd und nahte sich dem Throne des Zeus, "man will, ich sei eines der schoensten Geschoepfe, womit du die Welt geziert, und meine Eigenliebe heisst es mich glauben. Aber sollte gleichwohl nicht noch verschiedenes an mit zu bessern sein?" "Und was meinst du denn, das an dir zu bessern sei? Rede, ich nehme Lehre an", sprach der gute Gott und laechelte. "Vielleicht", sprach das Pferd weiter, "wuerde ich fluechtiger sein, wenn meine Beine hoeher und schmaechtiger waeren; ein langer Schwanenhals wuerde mich nicht verstellen; eine breitere Brust wurde meine Staerke vermehren; und da du mich doch einmal bestimmt hast, deinen Liebling, den Menschen, zu tragen, so koennte mir ja wohl der Sattel anerschaffen sein, den mir der wohltaetige Reiter auflegt." "Gut", versetzte Zeus, "gedulde dich einen Augenblick!" Zeus, mit ernstem Gesichte, sprach das Wort der Schoepfung. Da quoll Leben in den Staub, da verband sich organisierter Stoff; und ploetzlich stand vor dem Throne--das haessliche Kamel. Das Pferd sah, schauderte und zitterte vor entsetzendem Abscheu. "Hier sind hoehere und maechtigere Beine", sprach Zeus; "hier ist ein langer Schwanenhals; hier ist eine breite Brust; hier ist der anerschaffene Sattel! Willst du, Pferd, dass ich dich so umbilden soll?" Das Pferd zitterte noch. "Geh", fuhr Zeus fort; "dieses Mal sei belehrt, ohne bestraft zu werden. Dich deiner Vermessenheit aber dann und wann reuend zu erinnern, so daure du fort, neues Geschoepf"--Zeus warf einen erhaltenden Blick auf das Kamel--"und das Pferd erblicke dich nie, ohne zu schaudern." Ende dieses Projekt Gutenberg Etextes Ausgewaehlte Fabeln, von Gotthold Ephraim Lessing. *** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK, AUSGEWäHLTE FABELN *** This file should be named 7afbl10.txt or 7afbl10.zip Corrected EDITIONS of our eBooks get a new NUMBER, 7afbl11.txt VERSIONS based on separate sources get new LETTER, 7afbl10a.txt Project Gutenberg eBooks are often created from several printed editions, all of which are confirmed as Public Domain in the US unless a copyright notice is included. Thus, we usually do not keep eBooks in compliance with any particular paper edition. We are now trying to release all our eBooks one year in advance of the official release dates, leaving time for better editing. Please be encouraged to tell us about any error or corrections, even years after the official publication date. Please note neither this listing nor its contents are final til midnight of the last day of the month of any such announcement. 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