Anmerkungen zur Transkription
Der vorliegende Text wurde anhand der Buchausgabe von 1891 so weit wie möglich originalgetreu wiedergegeben. Typographische Fehler wurden stillschweigend korrigiert. Ungewöhnliche und heute nicht mehr verwendete Schreibweisen bleiben gegenüber dem Original unverändert; fremdsprachliche Ausdrücke wurden nicht korrigiert.
Fußnoten wurden direkt nach dem betreffenden Absatz eingefügt, Literaturhinweise als Endnoten dagegen am Ende eines jeden Kapitels, geordnet nach deren Auftreten im Text. Darüberhinaus haben einige der Autoren dort weitere nummerierte Literaturhinweise angefügt, welche durch Zahlen gefolgt von runden Klammern gekennzeichnet werden.
Botanische und zoologische Bezeichnungen werden meist in kursiver Schrift dargestellt, Personennamen meist gesperrt. Dies wird allerdings nicht durchweg konsistent gehandhabt; in der vorliegenden Bearbeitung wurde dies auch nicht harmonisiert.
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Die
Tier- und Pflanzenwelt
des
Süsswassers.
Einführung in das Studium derselben.
Unter Mitwirkung von
Dr. C. Apstein (Kiel), S. Clessin (Ochsenfurt), Prof. Dr. F. A. Forel (Morges, Schweiz), Prof. Dr. A. Gruber (Freiburg i. Br.), Prof. Dr. P. Kramer (Halle a. d. S.), Prof. Dr. F. Ludwig (Greiz), Dr. W. Migula (Karlsruhe), Dr. L. Plate (Marburg), Dr. E. Schmidt-Schwedt (Berlin), Dr. A. Seligo (Danzig), Dr. J. Vosseler (Tübingen), Dr. W. Weltner (Berlin) und Prof. Dr. F. Zschokke (Basel)
herausgegeben
von
Dr. Otto Zacharias,
Direktor der Biologischen Station am Grossen Plöner See in Holstein
Erster Band.
Mit 79 in den Text gedruckten Abbildungen.
Leipzig
Verlagsbuchhandlung von J. J. Weber
1891
Alle Rechte vorbehalten.
[S. v]
Der Zweck dieses Werkes ist klar im Titel desselben ausgesprochen. Es soll zur Einführung in die Lebewelt des Süsswassers dienen und auf möglichst kurzem Wege die Bekanntschaft mit denjenigen Pflanzen- und Tierformen vermitteln, welche am häufigsten in unseren Tümpeln, Teichen und Seen vorkommen. Es galt in erster Linie ein Orientierungsbuch für den Anfänger zu schaffen und aus diesem Grunde ist von Seiten des Herausgebers und seiner Herren Mitarbeiter eine thunlichst gemeinverständliche Darstellungsweise angestrebt worden. Niemals ist aber, wie der sachkundige Leser finden wird, bei Verfolgung dieses Zieles dem wissenschaftlichen Charakter dieses Werkes Abbruch geschehen.
Vollständig freilich in dem Sinne, dass alle Hauptgruppen der einheimischen Wasserfauna zur Berücksichtigung gelangt wären, ist unsere „Einführung“ nicht. Man wird die Infusionstiere, die Hydren und die höheren Würmer vermissen. Indessen ist über diese drei Gruppen in der Fachlitteratur sehr viel leichter Aufschluss zu[S. vi] erhalten, als hinsichtlich der anderen Vertreter der Süsswasserfauna. Das Nämliche gilt von den Bryozoen (Moostierchen), worüber das treffliche und mit zahlreichen schönen Tafeln ausgestattete Werk von Prof. K. Kräpelin („Die deutschen Süsswasserbryozoen“. Hamburg 1887) sowie die neuere Publikation von Dr. Fr. Braem („Untersuchungen über die Bryozoen des süssen Wassers“. Kassel 1891) jede nur wünschenswerte Auskunft giebt.
Unser Buch wendet sich vorwiegend an Solche, welche sich wissenschaftlich-praktisch und nicht etwa bloss litterarisch mit der pflanzlichen und tierischen Bewohnerschaft der Seen beschäftigen wollen. So geartete Leser und Beurteiler der nachfolgenden Kapitel werden auch abzuschätzen vermögen, dass die Herausgabe eines nur einigermassen umfassenden Werkes über die Flora und Fauna des Süsswassers mit mannigfachen Schwierigkeiten verbunden war, unter denen die Gewinnung von geeigneten Mitarbeitern obenan stand. In letzterer Hinsicht sind aber meine Bemühungen erfolgreich gewesen.
Die zur Erläuterung des Textes beigefügten Illustrationen wurden grösstenteils nach Originalzeichnungen der bei der Herausgabe mitbeteiligten Herren hergestellt, und sie sind (mit Ausnahme der bloss schematischen) von vollendeter Naturtreue. Der Opferwilligkeit der Verlagshandlung ist es zu danken, dass mit der Beigabe von Abbildungen nicht gespart zu werden brauchte.
Biologische Station am Plöner See (Holstein).
Ende Juni 1891.
Dr. Otto Zacharias.
[S. vii]
Seite
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I.
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Allgemeine Biologie eines
Süsswassersees. Von Prof. Dr. F. A. Forel
in Morges (Schweiz).
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Tiere und Pflanzen der Uferzone. — Die Flora und Fauna des Seegrundes.
— Der „organische Filz“. — Aufzählung der Tiefenbewohner
des Genfersees. — Die pelagischen Tier- und Pflanzenformen. — Mikroorganismen.
— Die chemische Zusammensetzung des Wassers. — Übergang
der organischen Materie von einem Lebewesen zum andern. — Betrag
der jährlichen Abfuhr von organischen Stoffen aus dem Genfersee durch
die Rhône. — Ersatzquellen für diesen Verlust. — Schlussfolgerungen
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II.
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Die Algen. Von Dr. W. Migula
in Karlsruhe.
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Einleitende Bemerkungen. — Fundstätten der Algen. — Das Vorkommen
der verschiedenen Arten nach Jahreszeit und Wasserbeschaffenheit.
— Orientierung über die 5 Hauptgruppen: 1. Spaltalgen (Schizophyceae),
2. Kieselalgen (Bacillariaceae oder Diatomaceae), 3. Grünalgen (Chlorophyceae),
4. Braunalgen (Melanophyceae), 5. Rotalgen (Rhodophyceae). —
Kurze Charakteristik der den Algen nahestehenden Armleuchtergewächse
(Characeae). — Torfmoose, Wasserfarne und Schachtelhalme
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[S. viii]
III.
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Zur Biologie der phanerogamischen
Süsswasserflora. Von Prof. Dr. Fr. Ludwig
in Greiz.
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Die allgemeinen Bedingungen des höheren Pflanzenlebens im Wasser.
— Einzelne Beispiele von untergetauchten Wasserpflanzen: das gemeine
Hornblatt (Ceratophyllum demersum), die Blasenpflanze (Aldrovandia
vesiculosa), der Wasserschlauch (Utricularia vulgaris), die Sumpffeder
(Hottonia palustris), das Tausendblatt (Myriophyllum), das Laichkraut
(Potamogeton). — Schwimmgewächse: Wasserlinsen, Seerosen, die
Wassernuss (Trapa), der Wasserknöterich (Polygonum). — Die Luftpflanzen
unserer Gewässer: der Froschlöffel (Alisma Plantago), das
Pfeilkraut (Sagittaria sagittifolia), die Schlangenwurz (Calla palustris),
die Wasserschwertlilie (Iris Pseudacorus), die Rohrkolben (Typhaceae). —
Die pflanzlichen Parasiten der Wassergewächse
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IV.
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Ein Wurzelfüsser des Süsswassers in Bau
und Lebenserscheinungen. Von Prof. Dr. A. Gruber
in Freiburg i. Br.
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Charakteristik einiger Wurzelfüsser (Difflugia acuminata, D. spiralis,
D. urceolata, Centropyxis aculeata, Hyalosphenia papilio, Arcella vulgaris,
Cyphoderia ampulla, Quadrula symmetrica und Euglypha alveolata). —
Ausführliche Schilderung der Euglypha. — Vermehrung derselben durch
Teilung. — Beschreibung der dabei stattfindenden karyokinetischen Vorgänge.
— Die Einkapselung (Encystierung) der Euglypha. — Der Kunsttrieb
derselben und ihrer Verwandten. — Beweis für die Einheit der
belebten Natur
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V.
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Die Flagellaten (Geisselträger). Von
Dr. W. Migula in Karlsruhe.
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Stellung dieser Organismengruppe auf der Grenze zwischen Tier und
Pflanze. — Einzeln lebende und koloniebildende Flagellaten. — Bau
und Entwickelungsgeschichte von Volvox aureus (Kugeltierchen). — Die
Volvocineen-Gattungen Eudorina, Pandorina, Stephanosphaera und
Gonium. — Euglena viridis. — Anthophysa vegetans. — Die Dinobryen. —
Die Gattung Ceratium
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[S. ix]
VI.
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Die Süsswasserschwämme (Spongilliden).
Von Dr. W. Weltner in Berlin.
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Erkennen und Auffinden derselben. — Geschichtliches. — Äussere
Beschaffenheit (Form, Grösse, Färbung, Konsistenz und Geruch) der
Spongilliden. — Anatomie und Histiologie: das Skelett und der Weichkörper.
— Physiologie: geschlechtliche und ungeschlechtliche Fortpflanzung,
Atmung, Nahrungsaufnahme, Verdauung, Wachstum und
Bewegung. — Kurze Schilderung der einheimischen Arten: Euspongilla
lacustris, Spongilla fragilis, Trochospongilla erinaceus, Ephydatia
Mülleri, Eph. fluviatilis, Eph. bohemica und Carterius Stepanowi. —
Schlüssel zur Bestimmung der europäischen Formen. — Verbreitung
der Süsswasserschwämme. — Parasiten und Kommensalen derselben. —
Das Sammeln, Konservieren und Untersuchen der Spongilliden
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VII.
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Die Strudelwürmer (Turbellaria).
Von Dr. O. Zacharias in Plön (Holstein).
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Anatomische und histiologische Orientierung über die beiden Hauptgruppen
der Süsswasserturbellarien: Rhabdocoela und Dendrocoela. —
Das Genus Bothrioplana als Verbindungsglied zwischen diesen Gruppen.
— Bothrioplana silesiaca. — Kurze Beschreibung einiger Rhabdocöliden-Spezies:
Macrostoma viride, Microstoma lineare, Stenostoma leucops,
Stenostoma unicolor, Catenula lemnae, Mesostoma viridatum und Vortex
truncatus. — Präparationsmethode. — Geographische Verbreitung
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VIII.
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Die Rädertiere (Rotatoria).
Von Dr. L. H. Plate in Marburg.
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Fundstätten für Rädertiere. — Eingehende anatomische Analyse des
Krystallfischchens (Hydatina senta). — Vergleichende Schilderung der
Morphologie der Rotatorien: die Körpergestalt, die Körperhaut, der
Räderapparat, die Muskulatur, das Nervensystem, der Verdauungskanal,
die Exkretionsorgane, die Klebdrüsen, der Keimdotterstock und die Eibildung.
— Die männlichen Rotatorien. — Einige Bemerkungen über die
Biologie der Rädertiere. — Überblick über das System der Rotatorien
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[S. x]
IX.
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Die Krebsfauna unserer Gewässer.
Von Dr. J. Vosseler in Tübingen.
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Überblick über das System der Krustaceen. — Die Entomostraken:
a) Freilebende Copepoden. — Kurzer geschichtlicher Rückblick. —
Körperform und Gliedmassen. — Histologie der Haut und die Häutung.
— Nervensystem und Sinnesorgane. — Verdauungskanal. — Leber und
Niere. — Blut und Blutkreislauf. — Atmung. — Muskulatur. — Fortpflanzungsorgane
und geschlechtlicher Dimorphismus. — Embryonale und
postembryonale Entwickelung. — Gattungen und Arten. — Biologische
Bemerkungen: Die Nahrung und deren Aufnahme. — Feinde. —
Fundstellen. — Verbreitung in horizontaler und vertikaler Richtung. —
Anpassung an die Verhältnisse der Ufer-, pelagischen und Tiefenregion
unserer Seen. — Passive Wanderung. — Entstehung der Tiefenfauna. —
b) Parasitische Copepoden. — Die durch den Parasitismus bedingten
Veränderungen in der Körperform und Umbildung der Gliedmassen. —
Innere Organisation: Nervensystem und Sinnesorgane, Herz, Darm und
Geschlechtsorgane. — Zwergmännchen. — Vorkommen. — Gattungen und
Arten. — c) Kiemenschwänze: Beschreibung des Argulus. — Schaden
und Nutzen der Entomostraken. — d) Phyllopoden, Cladocera: Gestaltung
des Körpers und der Gliedmassen. — Anatomie der Eingeweide,
Geschlechtsorgane und des Nervensystems. — Eier (Dauereier) und Entwickelung.
— Gattungen und Arten. — e) Branchiopoda: Beschreibung des
Apus und Branchipus und deren Lebensweise. — f) Ostracoden: Schale
und Gliedmassen. — Anatomie. — Fortpflanzung. — Lebensweise. —
g) Malacostraken. Isopoden: Körperform und Gliedmassen von Asellus.
— Darm und Kaumagen. — Leber. — Herz. — Kiemen. — Nervensystem
und Sinnesorgane. — Brutraum. — Auf dem Lande lebende
Asseln. — h) Amphipoden: Gliederung und Form des Körpers. — Gliedmassen
mit Kiemenanhängen. — Darm mit Leber. — Nervensystem. —
Herz und Gefässe. — Fortpflanzung. — Vorkommen. — i) Decapoden:
Morphologie des Körpers und der Gliedmassen von Astacus. — Äussere
Kennzeichen der Geschlechter. — Nervensystem und Sinnesorgane. —
Ohr. — Häutung. — Herz und Blutgefässe. — Kiemen. — Verdauungskanal
mit Kaumagen, Kalkansammlungen und Leber. — Geschlechtsorgane
und Fortpflanzung. — Einige biologische Bemerkungen über
Nahrung und Wiederergänzung verloren gegangener Gliedmassen
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[S. 1]
Von Prof. Dr. F. A. Forel in Morges, Schweiz.
[S. 3]
Ein See ist ein Mikrokosmus, eine Welt, die sich selbst genügt, in welcher das Lebensspiel der verschiedenen Organismen sich hinreichend im Gleichgewicht hält, um ein stabiles Verhältnis zwischen den ausgeschiedenen und nutzbar gemachten Stoffen zu bilden, ohne dass die Zusammensetzung des Mediums durch die in ihm wohnenden Wesen eine Veränderung erlitte. Tiere und Pflanzen, höhere und niedere Organismen, leben da gleichzeitig mit einander, jedes nach seiner Art, und gemäss den ihm eigentümlichen Funktionen; jedes findet in dem Medium, von dem es umgeben ist, die zur Lebensfristung notwendigen Elemente, und jede Gruppe von Wesen vervielfältigt sich in Individuen, die um so zahlreicher sind, in je grösserer Fülle die ihr unentbehrlichen Elemente vorhanden sind.
Auf der andern Seite ist ein Süsswassersee kein ganz geschlossenes Bassin, kein verschlossenes Gefäss. Vielmehr steht er in Verbindung mit der übrigen Welt, sei es durch die atmosphärische Luft, welche einen unaufhörlichen Austausch von Gasen mit ihm unterhält, sei es durch seinen Abfluss, der ihm Wasser mit Substanzen in gelöstem und ungelöstem Zustand entführt, sei es durch seine Zuflüsse, die ihm neue Stoffe zuleiten. Er nimmt also an dem grossen Kreislauf der Materie teil, der zwischen den verschiedenen Regionen des Erdkörpers besteht, ebensogut in der organischen, wie in der anorganischen Welt. Zugang und[S. 4] Verlust von Stoffen modifizieren die biologischen Verhältnisse des Mikrokosmus; sie müssen konstatiert und ergründet werden, wenn man das Spiel des Lebens in einer so abgegrenzten Welt verstehen, wenn man den Kreislauf der Materie innerhalb der beschränkten Reihe von Wesen, die den See bevölkern, bestimmen will.
Unter diesem doppelten Gesichtspunkt betrachten wir einen Süsswassersee. Die vorliegende Studie soll als Einleitung in die Fragen der allgemeinen und speziellen Biologie dienen, welche man in den ferneren Abteilungen dieses Buches ausgeführt findet.
In erster Linie ist ein See ein beschränkter Raum, in welchem die Lebewesen in angemessenen Proportionen sich entwickeln, derart, dass ihre Ernährungsfunktionen in einer stabilen Weise im Gleichgewicht bleiben. Während das Spiel des animalischen Lebens zuletzt zur Oxydation der organischen Stoffe führt, welche zeitweilig in die Körper der Tiere behufs Ernährung ihrer Gewebe eindringen, wird die Kohlensäure reduziert durch das Spiel des vegetabilischen Lebens infolge der dabei vorherrschenden Funktionen des Chlorophylls und gleichartiger Substanzen, und sie wird in Stoffe verwandelt, die den animalischen Organismen assimilierbar sind. Das Tier scheidet Kohlenwasserstoffverbindungen und Stickstoff aus, nach dem Stande der maximalen Oxydation und unter einer Form, welche es ihnen erlaubt, sich in der sie umgebenden Flüssigkeit aufzulösen (Kohlensäure, Harnstoff, gallenartige Substanzen etc.). Die Pflanze absorbiert diese durch das Tier ausgeschiedenen Stoffe und eignet sie sich unter der Form des Protoplasmas und der Kohlenwasserstoffverbindungen an. Die Pflanze nährt sich also von den durch das animalische Leben aufgelösten Stoffen ihrer Umgebung; das Tier hingegen von den Stoffen, die sich in den Geweben der Vegetabilien bilden.
Wenn wir nun in einem abgegrenzten Raum Tiere und Vegetabilien in normalen Verhältnissen zusammen antreffen, so halten sich diese beiden entgegengesetzten Arten von Lebewesen im Gleichgewicht, und ein Reich entspricht, jedes auf seine Rechnung, den[S. 5] biologischen Bedingungen des andern. Das ist auch in einem See der Fall; die beiden organischen Reiche sind hier repräsentiert durch reich entwickelte Tier- und Pflanzengesellschaften, welche wir nach ihrem Wohnort und nach den Verhältnissen des Raumes, denen sie unterworfen sind, in drei Gruppen teilen können: Gesellschaften am Ufer, in der tiefen Region, und in solche, die das freie Wasser bewohnen.
Die littoralen Gesellschaften der Tier- und Pflanzenwelt befinden sich in der Zone, die sich dem Ufer entlang hinzieht, rings um den See vom eigentlichen Uferrande, bis zu einer Tiefe von 5–25 m, je nach der Grösse des Sees. Je grösser der See ist, desto tiefer steigt die Uferregion hinab.
Die Eigentümlichkeiten des Raumes, welche diese Region charakterisieren, sind: felsiger, mit Kieseln bedeckter, sandiger oder schlammiger Boden, beleuchtetes Wasser mit veränderlicher Temperatur, je nach den Jahreszeiten; schwacher Druck; beträchtliche Bewegungen, die durch Wellen oder Wasserströmungen hervorgerufen werden. Es ist dies die Gegend, die vermöge der Veränderlichkeit des Bodens und der wechselnden Verhältnisse der Wasserbewegung am reichlichsten mit Abwechselung bedacht ist. Hier sind die Veränderungen der Temperatur und des Lichtes am stärksten; hier können Pflanzen und Tiere die verschiedenartigste Umgebung finden, welche die mannigfaltigen Bedürfnisse der verschiedenen Typen befriedigt. Hier ist auch die Pflanzen- oder Tierwelt am reichlichsten nach Menge und Abwechselung vorhanden.
Man trifft hier, was die Pflanzen anlangt, alle Gruppen von Wasserpflanzen, die fähig sind, sich dem lakustrischen Leben anzupassen. Ohne eine genaue Aufzählung geben zu wollen, gruppiere ich sie folgendermassen:
Von Tieren findet man hier alle die, welche das lakustrische Leben annehmen: Wasservögel, Reptilien, Amphibien, Fische, Insekten, Hydrachniden, Entomostraken, Mollusken, Würmer, Hydren, Spongien, bis hinab zu den untersten Protozoen. Das ist die klassische „lakustrische Fauna“ der alten Schriftsteller, die einzige, welche man vor den Untersuchungen der letzten dreissig Jahre kannte. Diese Fauna, deren Arten von einem See zum andern ziemlich verschiedene Varietäten darbieten, kann man wieder in[S. 7] partielle oder lokale Faunen einteilen, im wesentlichen, je nach der Bodenbeschaffenheit und nach der Vegetation, die der See besitzt. Man kann so unterscheiden die Fauna der Felsenwände, die der mit Geröllen bedeckten Ufer, ferner die Fauna des Sandbodens, des Schlammes, die des im Wasser wachsenden Waldes, die des Rasens von Characeen etc. Ich mache hier nicht den Versuch, die Arten und Gattungen aufzuzählen, welche diese allgemeine und lokale Tierwelt bilden; ich verweise auf die ausführlichen Beschreibungen, welche die gelehrten Mitarbeiter dieses Werkes geben werden.
Ich beschränke mich darauf, zunächst den unumgänglichen Charakter zu bestimmen, welchen die littorale Fauna darbieten muss im Vergleich mit anderen Faunen der lakustrischen Welt. Die Ufertiere, welche viel beweglicheren und abwechslungsreicheren Bedingungen unterworfen sind als diejenigen von anderen Regionen, sind und müssen in Wirklichkeit viel stärker, thätiger und widerstandsfähiger sein. Sie setzen sich am Boden oder auf untergetauchten Körpern fest, oder sind fähig, sich zeitweilig festzusetzen; oder sie wissen sich zurückzuziehen an verborgene und geschützte Plätze während der Wellenströme, welche die Ufergegend aufwühlen. Ich mache sodann auf die bedeutende Veränderlichkeit und den sehr speziellen Lokalcharakter der littoralen Gesellschaften aufmerksam; sie sind verschieden von einer Station zur andern und von einem See zum andern, je nach den örtlichen Bedingungen. In der Uferregion findet man nicht nur den grössten Reichtum an Lebewesen, sondern auch die grösste Zahl von verschiedenen Typen und die grösste Mannigfaltigkeit innerhalb der Typen.
Endlich ist es die einzige Region eines Süsswassersees, wo die Flora durch Pflanzen von hohem Wuchs vertreten ist.
Die biologischen Gesellschaften der tiefen Region, die Tiefsee-Fauna und -Flora, wohnen auf und in dem Seeboden, in der gesamten Mulde vor der Uferregion, das heisst in Tiefen, welche 5–25 m übersteigen, je nach der Grösse des Sees. In dieser Region ist der Boden überall lehmig oder schlammig,[S. 8] weich, ohne Rauhigkeiten oder feste und harte Körper; bei bemerkenswerter Einförmigkeit in der physikalischen Zusammensetzung zeichnet er sich durch keine Abwechselung aus, ausser etwa an einigen sehr seltenen Stellen, und in einigen Seen nur durch felsige, vertikale Wände oder durch erratische Blöcke. Abgesehen von diesen Ausnahmsfällen ist die Gesellschaft, welche dort wohnt, wesentlich und einzig limikol (schlammbewohnend). Es herrscht eine absolut und relativ beinahe vollständige Ruhe ohne mechanische und molekulare Bewegungen, ohne Wellen, ohne wesentliche Strömungen, ohne Licht, ohne Wärme. Die Veränderungen der Temperatur sind hier entweder gleich Null oder nur sehr schwach. Die Dunkelheit ist mehr oder weniger vollständig; es giebt keine direkte Verbindung mit der äusseren Luft; der See zeigt hier keine periodischen Veränderungen, weder für einzelne Jahreszeiten noch für das ganze Jahr. Nächst dem Meeresgrund ist der Grund eines Sees die am wenigsten bewegte Gegend, die man auf dem Erdball finden kann.
In dieser Region konstatieren wir eine noch ziemlich reichliche Tierwelt, die mehr oder weniger allen Typen der Süsswassertiere angehört. Als Beispiel will ich eine Übersicht über die Tierarten anführen, die man aus der Tiefe des Genfersees kennt, ohne der Endoparasiten zu gedenken.
Fische
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14
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Wirbeltiere
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14
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Insekten
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3
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Spinnen
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9
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Crustaceen
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16
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Arthropoden
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28
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Gasteropoden
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4
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Lamellibrancheen
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2
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Mollusken
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6
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Anneliden
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4
|
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Nematoden
|
3
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Cestoden
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1
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Turbellarien
|
18
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Bryozoen
|
1
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Rädertierchen
|
3
|
Würmer
|
30
|
Hydroiden
|
1
|
Cölenteraten
|
1
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[S. 9]
Infusorien
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10
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Rhizopoden
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19
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Cilio-Flagellaten
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2
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Protozoen
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31
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Das sind mehr als hundert Tierarten.
Ihr Reichtum vermindert sich in dem Masse, als die Tiefe zunimmt; aber wir haben solche, die am Grunde der tiefsten Seen aufgefischt worden sind: im Genfersee in einer Tiefe von 309 m (Forel), im Comersee bei 415 m (Asper), im Baikalsee bei 1370 m (Dybowski).
Der Ursprung dieser Tierwelt ist zu suchen in der Ansiedelung von Individuen, welche sich in diese tiefe Region verirrt haben, die durch einen Zufall weit von ihrem gewöhnlichen und ursprünglichen Wohnort weggeführt wurden und die, weil widerstandsfähig gegen diese immerhin starke Veränderung ihrer Lebensbedingungen, sich vermehrt und eine Stammkolonie gebildet haben. Die Armut des Mediums und seine relative Ruhe haben die ursprünglichen Typen ziemlich bedeutend modifiziert und kleinere, schwächere Varietäten geschaffen. Was den Ursprung dieser Tierwelt in der Tiefe betrifft, so findet man denselben für die weitaus überwiegende Mehrzahl in der littoralen Fauna des Sees selbst, für einige Arten in der Fauna der unterirdischen Wasser, der Höhlungen des Festlandes, dessen Verbindungen mit dem See dadurch bewiesen werden.
Die Tiefen-Fauna der verschiedenen Seen hat gleichartigen allgemeinen Charakter, ein Ergebnis der Gleichartigkeit des Mediums, das in allen Seen beinahe identisch ist; ihre spezielle Zusammensetzung wechselt von einem See zum andern, und richtet sich nach den Ufertypen, von denen sie herstammen, oder nach den lokalen Zufällen, welche die Bevölkerung in die untere Region gebracht haben.
Die Pflanzenwelt der tiefen Region ist sehr wenig entwickelt. Die Rasen der Characeen hören auf in einer Tiefe von 20–25 m, an der Grenze der littoralen und der tiefen Region. In der obern Zone dieser letzteren bis zu 100 m abwärts, findet man noch an[S. 10] der Oberfläche des Schlammes eine bräunliche Schicht von niederen Algen (Palmellaceen, Diatomeen, Oscillarien), welche den von mir so genannten organischen Filz darstellen und welche unter der Wirkung des schwachen Lichtes, das in diese Schichten eindringt, noch ein gewisses Reduktionsvermögen besitzen. Die felsigen Partien der tiefen Region sind bisher nur an einem Punkte studiert worden, nämlich an der unterseeischen Moräne von Yvoire im Genfersee in einer Tiefe von 60 m. Wir haben hier ein aquatisches Moos gefunden, Thamnium alopecurum, Schimper, var. Lemani J. B. Schnetzler, sehr reich chlorophylliert und in schönem Wachstum. Es ist sehr zu wünschen, dass analoge Forschungen an anderen Orten gemacht werden, wo Felsenwände vorkommen, damit man durch Erfahrung entscheiden kann, ob es wirklich ein Ausnahmefall ist, wie man bisher geglaubt hat; oder ob die Abwesenheit von grünen Pflanzen, die in einer Tiefe von mehr als 25 m allgemein zu sein scheint, einzig von der schlammigen, inkonsistenten Beschaffenheit des Bodens abhängt und sich durch das seltene Vorkommen von festen Körpern, auf welchen sich die fraglichen Moose festsetzen könnten, erklären liesse.
Die pelagische Gesellschaft bewohnt die allgemeine, unbestimmte, unbegrenzte Masse des Sees, von der Oberfläche an bis zum Grund, vom Rande der Uferregion bis in die Mitte des Sees, in seiner ganzen Ausdehnung, soweit er nicht in unmittelbarer Berührung mit dem Ufer oder dem Grunde steht. Diese Gesellschaft besteht aus Schwimmtieren und schwebenden Algen. Diese Organismen gehören einer kleinen Zahl von Arten an; aber die Zahl der Individuen ist enorm. Von Tieren sind es einige Arten von Fischen (Coregonen), Entomostraken, Rädertierchen, Cilio-Flagellaten, Rhizopoden; von Pflanzen einige grüne Algen und Diatomeen.
In der eigentlichen pelagischen Region ist die oberste Schicht, welche mit der Luft am meisten in Berührung steht, auch die am reichsten bevölkerte. Doch haben die Untersuchungen von Asper, Imhof und eigene Beobachtungen bewiesen, dass die pelagische Fauna auch in den grössten Tiefen unserer Seen noch gut vertreten ist. Es giebt keine Region, wo das Leben gänzlich aufhört.
[S. 11]
Einige dieser Wesen, speziell die Entomostraken, zeigen tägliche vertikale Wanderungen; bei Nacht kommen sie an die Oberfläche des Wassers herauf, bei Tag steigen sie von der helleren Zone wieder in die unteren, finsteren Schichten hinab. Dort finden sie in der Dunkelheit Schutz gegen die Jagd, welche ihre Feinde auf sie machen.
Die Verhältnisse des Mediums der pelagischen Region variieren mit der Tiefe hinsichtlich des Drucks, der Bewegung des Wassers, der Temperatur und des Lichtes. Eine einzige, überall sich gleichbleibende Eigenschaft ist die Abwesenheit von festen Körpern, welche etwa den Organismen einen Punkt zum Festsetzen oder einen Zufluchtsort gewähren könnten. Von diesem Leben in einem unbegrenzten Medium ohne feste Körper rührt es her, dass fast alle pelagischen Wesen schwimmen oder im Wasser schweben; indessen haben wir einige an den Ort gebundene Tiere zu nennen, nämlich unter anderen einige Vorticellen, die sich an schwimmende Algen oder an Pflanzenreste heften, welche von der Oberfläche des Wassers abgetrieben haben, sowie einige Ektoparasiten der Fische und der pelagischen Entomostraken. Es folgt aus der Durchsichtigkeit des Wassers in der pelagischen Region, dass die meisten pelagischen Organismen, die Entomostraken und die Rädertierchen insbesondere, durchsichtig sind; für gewisse Arten ist die Durchsichtigkeit absolut. Man kann annehmen, dass dieser Mangel an Farbe durch natürliche Zuchtwahl in einer Reihe von Generationen erworben wurde; er ist in der That ein sehr wirksames Mittel, sich gegen die Verfolgung von seiten der fleischfressenden Tiere zu schützen; für letztere wiederum ist dieser Mangel an Farbe insofern nützlich, als sie dadurch der Aufmerksamkeit ihrer Beute entgehen.
Während die littoralen Gesellschaften in jedem See ihre Eigentümlichkeiten haben und aus verschiedenen Arten und Varietäten zusammengesetzt sind, je nach den verschiedenen lokalen Verhältnissen an jeder Station, und während die Tiefseefauna, gemäss ihrer Herkunft von den littoralen Organismen, in jedem See lokalen Charakter hat, eine Folge der absoluten Unabhängigkeit ihrer Differenzierung, die sich auf dem Grunde eines jeden Sees als in einem speziellen[S. 12] „Schöpfungszentrum“ vollzogen hat, zeigen die pelagischen Gesellschaften einen sehr ausgesprochenen kosmopolitischen Charakter. Man findet die gleichen Arten, die gleichen Varietäten in allen Gewässern des Kontinents wieder. Die einzige Verschiedenheit, welche man konstatieren kann, ist das Fehlen von einigen Typen in gewissen Seen. Es ist wahrscheinlich, dass diese weite Verbreitung der pelagischen Organismen durch passive Migrationen von einem See zum andern erklärt werden muss, die von einem Transport durch die Federn und Füsse und in den Gedärmen der Wandervögel herrühren. Während diese auf der Oberfläche des Wassers schwimmen, nehmen sie die grösstenteils sehr widerstandsfähigen Keime von pelagischen Tieren und Pflanzen auf und tragen sie auf ihren periodischen Wanderungen durch die Lüfte von See zu See. Das Fehlen von einigen Arten in gewissen Seen muss, wenn es sich nicht durch eigentümliche Verhältnisse des Mediums, bei Bergseen z. B. durch die hohe Lage, erklären lässt, als das Resultat von zufälligen Umständen bei dieser Art der Besiedelung durch passive Wanderung angesehen werden.
Ausser diesen Tier- und Pflanzengesellschaften mit einer verhältnismässig höhern Organisation, die sich so in drei Gruppen teilen, nach den Verhältnissen der Regionen, welche sie bewohnen, haben wir noch im Wasser der Seen das Leben von elementaren Mikroorganismen zu verzeichnen, Mikroben von der Gruppe der Schizomyceten, Pilze, Bakterien, Vibrionen etc. Man trifft sie überall, in allen Schichten von der Oberfläche bis zum Seegrund, vom Ufer bis in die Mitte des Sees, in den littoralen, pelagischen und Tiefengewässern; in dieser Hinsicht unterscheiden sich die Wasser der Seen nicht von den anderen freien Gewässern, wo die Mikroben schwärmen. Ihre Zahl ist hier sehr beträchtlich, doch weniger gross als in den meisten anderen natürlichen Gewässern. Während man in dem Quellwasser der Ebene oft ihre Keime nach tausenden zählt, ist ihre Zahl in dem helleren Wasser des Genfer- oder Zürichersees von den Herren Fol, Dunant und Cramer durchschnittlich auf 36–38 Keime oder Kolonien pro Kubikcentimeter Wasser bestimmt worden.
[S. 13]
Die biologische Funktion dieser Mikroben, ihre Rolle in der lebenden Welt besteht darin, die Zersetzung, die Auflösung der animalischen und vegetabilischen Kadaver, die nicht direkt von den Tieren verzehrt werden, zu bewirken. Sie sind so die Agenten der Verwesung und bewirken die Umbildung der organischen unauflöslichen Materie in Substanzen, die im Wasser lösbar sind.
Es ist schwer, in allgemeiner Weise anzugeben, welches die nächsten Glieder dieser Umsetzung sind; die letzten Glieder sind Kohlensäure, Ammoniak, Salpetersäure und Stickstoff.
Wir haben also im Wasser eines Sees zahlreiche und verschiedene biologische Gesellschaften, Tiere und Pflanzen, höhere Organismen und Protisten, die neben einander leben, absorbieren und ausscheiden, die aber alle sich von den von ihren Nachbarn ausgestossenen Produkten nähren. Alle assimilieren, jedes in seiner Art, die zur Ernährung der Gewebe nötigen Stoffe; alle stossen mit ihren Exkretionen die Residuen ihres Ernährungslebens aus. Was so vielen verschiedenen Wesen gestattet, neben einander zu leben und im gleichen Medium gleichzeitig zu existieren, ohne dessen Vorräte zu erschöpfen, das ist die wichtige Thatsache, dass ihre Produkte und Bedürfnisse entgegengesetzt sind und zwischen den verschiedenen Gruppen sich im Gleichgewicht halten. Was von den einen ausgeschieden wird, ist für das Leben der anderen nötig. Die Residuen des Ernährungsprozesses der einen Gruppe werden nutzbar für den Ernährungsprozess der andern. Die proportionelle Verteilung der verschiedenen Typen von animalischen und vegetabilischen Wesen regelt sich von selbst durch einen automatischen Prozess: Ein Überfluss von Ernährungsstoffen begünstigt die überreichliche Entwickelung von Wesen, welche sich dieselben nutzbar machen können; ein Defizit solcher Materien führt infolge der Not eine Verminderung der nämlichen Organismen herbei.
Das biologische Gleichgewicht ist in einem See also dadurch möglich, dass die verschiedenen Arten, die ihn bewohnen, verschiedene Typen der entgegengesetzten organischen Reiche[S. 14] repräsentieren. In der littoralen und in der pelagischen Region haben wir gleichzeitig Repräsentanten von beiden Reichen, Pflanzen und Tiere; vermöge dieses Gleichgewichtes finden die Ernährungsfunktionen der einen wie der anderen dort hinlänglich, was sie brauchen. Nicht ganz so, scheint es, verhält es sich in der Tiefenregion, speziell in den unteren Schichten von 100 m an abwärts, wo wir keine Pflanzen mehr kennen. Wie können in diesen Tiefenregionen die zur Ernährung nötigen Elemente für die noch reiche Fauna, die dort wohnt, sich erneuern? Eine reiche und genügende Quelle dieser Ernährung zeigt sich in den Kadavern der animalischen und vegetabilischen Organismen der pelagischen Region, welche in die Tiefe fallen und auf den Grund des Sees hinabkommen. Wir haben Anzeichen davon in der enormen Zahl von chitinösen Häuten der pelagischen Entomostraken, welche sich im Schlamm der grossen Tiefen zeigen. Die organischen Reste des Ufers und diejenigen, welche durch die Zuflüsse in den See hineingetrieben werden, sinken, nachdem sie durch die Wellen und Strömungen auf der Oberfläche umhergetrieben worden sind, von selbst in die grossen Tiefen hinab und tragen so ebenfalls zur Erneuerung des Nahrungsstoffes für die Tiefenfauna bei.
Wie in dem Tierkörper die verschiedenen Gewebe der verschiedenen Organe aus der Lymphe des Blutes die zu ihrer Ernährung notwendigen Stoffe ziehen und der Lymphe die Produkte ihrer Desassimilation geben, so ist in einem See das Wasser das Medium, in welchem alle diese Reaktionen des Ernährungsprozesses für die darin wohnenden Organismen vor sich gehen. Die chemische Zusammensetzung dieses Wassers bietet also ein grosses Interesse dar. Als Beispiel will ich diejenige des Genfersees geben, die bis jetzt am besten studiert ist.
Ein Liter Wasser vom Genfersee enthält in aufgelöstem Zustand:
In Gasform:
Sauerstoff
|
6.65
|
cc
|
Stickstoff
|
14.69
|
„
|
Kohlensäure
|
2.85
|
„
|
[S. 15]
An festen Substanzen:
Natrium- und Kaliumchlorid
|
1.8
|
mg
|
Schwefelsaures Natrium
|
15.0
|
„
|
Schwefelsaures Ammoniak
|
Spuren
|
|
Schwefelsaures Calcium
|
47.9
|
„
|
Salpetersaures Calcium
|
1.0
|
„
|
Kohlensaures Calcium
|
73.9
|
„
|
Kohlensaures Magnesium
|
17.0
|
„
|
Kieselsäure
|
3.7
|
„
|
Thonerde und Eisenoxyd
|
1.9
|
„
|
Organische Materie, Verluste
|
11.9
|
„
|
total
|
174.1
|
mg
|
Hinsichtlich der organischen Stoffe, welche durch übermangansaures Kali nachweisbar sind, sind die beiden äussersten Ziffern bei verschiedenen Analysen, die von verschiedenen Autoren gemacht wurden, 5.6 und 15.1 mg; die durchschnittliche Ziffer ist 10 mg pro Liter.
Das Studium der allgemeinen physischen Beschaffenheiten des Sees, dessen Resultat durch chemische Analyse von Brandenburg und Walter bestätigt ist, hat uns gezeigt, dass das Wasser der tieferen Schichten des Sees dieselbe Zusammensetzung hat, wie das an der Oberfläche; die festen und gelösten Substanzen bewegen sich hier in gleichen Proportionen; die Gase sind hier ein wenig reichlicher; besonders giebt es ein wenig mehr Sauerstoff: 7.08 und beträchtlich mehr Kohlensäure: 5.28 cc pro Liter (J. Walter).
Berechnet man nach der Bunsenschen Formel die Quantität des Gases, welches das Wasser vermöge seines einfachen Kontaktes mit der atmosphärischen Luft in gelöstem Zustand auf der Höhe des Wasserspiegels des Genfersees enthält, so kommt man zu folgenden Ziffern — pro Liter —
Sauerstoff
|
Stickstoff
|
Kohlensäure
|
|
bei + 5° C. |
7.3 cc
|
13.6 cc
|
0.6 cc
|
bei + 20° C. |
5.7 „
|
10.7 „
|
0.3 „
|
[S. 16]
Das Wasser des Lac Leman ist also in einem Zustande der Sättigung an Sauerstoff und Stickstoff und enthält einen beträchtlichen Überschuss an Kohlensäure.
Wir haben somit in einem Süsswassersee ein flüssiges Medium, bestehend aus reinem Wasser, welches aufgelöst enthält:
In diesem, also sehr zusammengesetzten Medium finden Pflanzen und Tiere die Elemente ihrer Nahrung; anderseits lösen sich darin die Ausscheidungs- und Zersetzungsprodukte der organischen Wesen auf.
Die organische Substanz, in ihrer allgemeinsten Bedeutung genommen, läuft so durch die Körper der verschiedenen Wesen hindurch. Sie wird von ihnen aus dem Vorrat geschöpft, den man unerschöpflich nennen kann und der von dem sie umgebenden Wasser geliefert wird. Sie wird diesem Vorrate zurückerstattet, nachdem sie für einige Zeit in den Geweben von Tieren und[S. 17] Pflanzen assimiliert worden ist. Wir können die aufeinanderfolgenden Phasen dieser Zirkulation der Materie in der Reihe der Wesen folgendermassen charakterisieren:
Ausgangspunkt: Organischer Stoff, aufgelöst in Wasser: ternäre und quaternäre Substanzen, Kohlensäure, Sauerstoff.
1. Phase: Organisation der Materie. Die Pflanzen absorbieren die Kohlensäure und reduzieren sie durch Assimilation in der Form von Kohlenwasserstoffverbindungen, besonders von Cellulose und Stärke. Sie absorbieren die stickstoffhaltige Materie und assimilieren dieselbe in der Form des Protoplasmas; die Protisten absorbieren die organische Materie und assimilieren sie in ihren Geweben; die Tiere absorbieren durch ihren Verdauungsapparat die im Wasser aufgelöste organische Materie, welche einen Teil ihrer Nahrung bildet. Alle lebenden Wesen absorbieren Sauerstoff für ihre Atmung.
2. Phase: Übergang der Materie von einem Wesen zum andern: Die Pflanzen sind die Nahrung der pflanzenfressenden Tiere, die kleinen Tiere die Nahrung der fleischfressenden Tiere; die Reste von Pflanzen und Tieren diejenige der Omnivoren. Die organisierte Materie geht also von einem Wesen zum andern und macht eine Reihe von Inkarnationen durch, ehe sie in die fundamentale Masse der toten Materie zurückkehrt.
3. Phase: Auflösung. Alle lebenden Organismen geben direkt oder indirekt die Stoffe ihrer Gewebe an das sie umgebende Medium ab. Lebende Pflanzen und Tiere werfen ihre exkrementellen Ausscheidungen, welche lösbar sind, ab; tote Pflanzen und Tiere, die nicht von den Omnivoren verzehrt worden sind, gehen infolge der Verwesung in Stoffe über, die im Wasser löslich sind.
Diese dritte Funktion führt uns zu einem Endpunkt zurück, nämlich auf die im Wasser aufgelöste organische Materie, die schon unser Ausgangspunkt gewesen ist. Wir haben also einen geschlossenen Kreis, einen Cyklus: die organische Materie zirkuliert in der Reihe der Lebewesen.
[S. 18]
Ein solcher Prozess kann sich in einem geschlossenen Raum vollziehen und sich ins Unendliche fortsetzen. Man kennt diese Süsswasser- oder Salzwasseraquarien, bestehend in einem dicht verschlossenen Glasbehälter, in welchem einige tierische und pflanzliche Organismen zusammen den vollständigen Kreislauf ihres Lebens durchmachen. Ich habe solche unter den Händen meines Kollegen und Freundes Prof. G. Du Plessis, damals in Lausanne, mehrere Jahre hinter einander bis zur Vollkommenheit funktionieren sehen.
Aber ein See ist durchaus nicht ein von allen Seiten geschlossenes Gefäss. Er steht vor allem in Beziehung zur Atmosphäre und ein Teil der organischen Materien, welche er einschliesst, zerstreut sich in die darüber liegende Luft: Kohlensäure, das letzte Produkt der Respiration der Organismen, und Sumpfgas sind der Endpunkt der Verwesung der organischen Materien. Ein Teil dieser zwei Gase bleibt aufgelöst im Wasser; aber ein anderer Teil verdunstet in die Atmosphäre. Die Kohlensäure ist, wie wir bereits gesehen, im Seewasser überreichlich vorhanden. Dieser Überfluss geht an der Oberfläche des Wassers in die Atmosphäre über. Anderseits löst sich das Methan, in wie geringer Menge es sich auch vorfindet, im Wasser auf, wo es oxydiert und in Oxydationsprodukte höhern Grades verwandelt wird. Der Beweis dafür ist der Umstand, dass es in der Analyse der Wassergase nirgends angeführt wird. Wenn es sich aber in zahlreichen Bläschen loslöst, entquillt es an der Oberfläche des Sees und verliert sich in die Atmosphäre.
Durch diesen Prozess geht eine gewisse Menge organischer Stoffe verloren und ein mit der Atmosphäre in Verbindung stehender See würde schliesslich der für die lebenden Wesen notwendigen Nahrungsmittel ermangeln. Zwar enthält das in den See fallende Regenwasser, wie wir gleich sehen werden, eine gewisse Quantität organischer Stoffe, durch welche ein Teil dieser Verluste ersetzt werden würde. Allein wenn es nur diesen Zufluss gäbe, so würde der Vorrat äusserst gering und die biologische Bevölkerung eine sehr beschränkte sein.
[S. 19]
Hier haben wir den zweiten Faktor des allgemeinen biologischen Gleichgewichtes einzuführen, nämlich die Thatsache, dass der See an der allgemeinen Zirkulation der Stoffe zwischen den verschiedenen Regionen des Erdballs teilnimmt. Der See hat einen Abfluss und einen Zufluss und er erhält und verliert durch dieselben eine bedeutende Quantität organischer Stoffe; er steht in Verbindung mit der Atmosphäre und erhält von ihr Gasstoffe und giebt sie ihr.
Jeder Süsswassersee hat einen Abfluss als notwendige Bedingung seiner Existenz. In einem See ohne Abfluss konzentrieren sich die Gewässer durch Verdunstung und ihr Salzgehalt steigt, bis die Salze sich krystallisieren: Ein See ohne Abfluss ist ein Salzsee. Ein Süsswassersee hat also einen Abflusskanal, der Tag für Tag, jahraus, jahrein eine Menge aufgelöster und unlösbarer organischer Stoffe ableitet. Ist es der Mühe wert, sie in Anschlag zu bringen?
Ich werde diese Frage beantworten, indem ich mich auf die Angaben über den Genfersee stütze.
Die Wassermenge, die durchschnittlich im Jahre durch die Rhône bei Genf abfliesst, beträgt ungefähr 10000 Millionen Kubikmeter. In einem so bedeutenden Volumen enthält diese Wassermenge noch sehr beträchtliche Stoffmassen, wie verdünnt diese auch sein mögen.
Das Wasser enthält durchschnittlich pro Liter 5 cc aufgelöste Kohlensäure. Für die 10 Milliarden cm macht das 50 Milliarden Liter Gas aus. Da das Gewicht eines Liters Kohlensäure 2 g beträgt, so stellt diese Quantität ein Totalgewicht von 100000 Tonnen Kohlensäure, resp. 28000 Tonnen Kohlenstoff vor.
Im Durchschnitt finden sich in einem Liter dieses Wassers 10 mg organische durch übermangansaures Kali oxydierbare Stoffe vor. Mithin enthalten die 10 Milliarden cm Wasser 100000 Tonnen organische Stoffe, die darin aufgelöst oder im Zustande lebenden oder abgestorbenen Staubes sind.
Dieses Wasser enthält durchschnittlich 36 Mikroben pro cc, das macht für die ganze Wassermasse 380000000000000 Mikroben.[S. 20] Die Zahl ist ungeheuer, aber ihr Gewicht sehr klein. Wäre die Behauptung übertrieben, dass ihrer eine Million auf ein Milligramm geht? Wenn dem so wäre, so würden die unter dieser Form dem See abfliessenden organischen Stoffe nicht 380 Tonnen überschreiten.
Dieses Wasser enthält Tiere und Pflanzen. Um deren Zahl zu schätzen, setze ich voraus, ihre Bevölkerungsdichtigkeit entspreche derjenigen der pelagischen Region; indem ich mich auf die Beobachtungen Imhofs stütze, finde ich durch Berechnungen, die ich ihrer Länge wegen hier nicht vorbringen kann, dass jeder Kubikmeter durchschnittlich 400 Mikrozoen und 8000 Mikrophyten enthält. Wenn wir annehmen, diese Mikroorganismen haben ein mittleres Gewicht von etwa 0.01 mg, so erhalten wir ein Totalgewicht von 840 Tonnen für den Abfluss.
Demnach würde die Rhône jährlich aus dem Genfersee abführen:
100000
|
Tonnen
|
Kohlensäure,
|
100000
|
„
|
oxydierbare organische Stoffe,
|
380
|
„
|
Mikroben,
|
840
|
„
|
Mikroorganismen,
|
somit im ganzen mehr als 200000 Tonnen. Dem muss noch folgendes hinzugefügt werden: der Staub und die organischen Reste, die abgestorbenen, im Wasser des Abzugskanals schwimmenden oder an das Ufer geworfenen Tierkörper und Pflanzenteile; die von Menschen und von fischfressenden Vögeln gefangenen Fische; die Insekten, die im Larvenzustand im See sich entwickelt und denselben als vollkommene Insekten verlassen haben, um von den insektenfressenden Säugetieren und Vögeln (Fledermäusen und Schwalben) verzehrt zu werden. Um alles zu sagen, fügen wir noch hinzu, dass eine gewisse Quantität organischer Stoffe, die im Lac Leman sehr gering, in anderen Seen aber bedeutender ist, durch Fossilisation im neuen Alluvium, das sich auf dem Grunde des Sees bildet, absorbiert wird.
Diese Berechnungen sind nur annähernd richtig; auch beschränke ich mich darauf, zu sagen, dass die im Wasser aufgelösten und[S. 21] suspendierten, lebenden oder abgestorbenen organischen Stoffe, die jährlich hauptsächlich durch den Abfluss dem Genfersee entzogen werden, mehrere 100000 Tonnen betragen.
Nun ist, wie wir sogleich erörtern werden, die Zusammensetzung des Wassers eines grossen Sees eine stabile; auch führen die Monate und Jahre keine Variationen in derselben herbei; die abfliessenden organischen Stoffe werden folglich anderweitig ersetzt.
Welches sind nun die Quellen, welche dem See die hunderttausende von Tonnen organischer Stoffe ersetzen, die der Abfluss ihm jährlich entführt?
Er erhält dieselben:
Ammoniak
|
2.3
|
mg
|
|
Salpetersäure, salpetrige Säure
|
0.9
|
„
|
|
Nitrate und Nitrite
|
|||
Organische durch übermangansaures
Kali oxydierbare Stoffe (Staub etc.) |
49.0
|
„
|
Pro qkm:
|
Auf dem Genfersee:
|
|||
Ammoniak
|
2.1
|
Tonnen
|
1200
|
Tonnen
|
Salpetersäure etc.
|
0.8
|
„
|
460
|
„
|
Oxydierb. organ. Stoffe
|
44.1
|
„
|
25500
|
„
|
[S. 23]
Auf diese Weise erhält der See eine genügende Quantität organischer und anorganischer Stoffe, um die durch Gasdiffusion, durch den Abflusskanal und die Fossilisation verlorenen zu ersetzen.
Wenn man aber die Verschiedenheiten dieser Bezugsquellen, ihre gegenseitige Unabhängigkeit, ihre Variabilität, den völligen Mangel an Wechselbeziehungen zwischen Zufluss und Abfluss erwägt, so scheint es zuerst, dass die chemische Zusammensetzung des Seewassers sehr verschieden sein muss, dass die Jahreszeiten, Jahrgänge und Zufälle Veränderungen herbeiführen müssen. Es ist das jedoch nicht der Fall. Wir besitzen zahlreiche Analysen des Genferseewassers, darunter zwölf vollständige, allgemeine, und etwa hundert partielle, die zu verschiedenen Zeiten, von verschiedenen Chemikern nach verschiedenen Methoden und zu verschiedenen Zwecken vorgenommen worden sind. Kompetente Fachmänner, welche diese Analysen prüften, haben festgestellt, dass dieselben hinsichtlich des Wesentlichen übereinstimmen. Die hie und da zu Tage tretenden Verschiedenheiten sind lokale, und verschwinden bald durch Diffusion oder durch mechanische Mischung der grossen Wassermasse.
Die Ursache dieser fortdauernden Gleichmässigkeit der Zusammensetzung muss in der ungeheuren Grösse der erforschten Wassermasse gesucht werden. Der Genfersee misst ungefähr 89000 Millionen cm. Wenn wir den Inhalt dieses Wasserbeckens mit irgend einer Substanz um ein Milligramm pro Liter ändern wollten, so müssten wir 89000 Tonnen à 1000 kg von dieser Substanz hineingiessen oder dem See entziehen. Nun vermögen keine auch noch so mächtigen Kräfte, ausgenommen ein Kataklysmus, irgend eine Substanz in so grosser Menge auf unregelmässige Weise dem See zuzuführen. Dieselbe Beweisführung muss für die meisten Seen gelten; denn obschon das Volumen der Gewässer des Lac Leman im Verhältnis zur Ausdehnung seines Zuflussbeckens ein grosses ist, so liegt doch in diesem Verhältnis der beiden Quantitäten nichts Ausserordentliches.
[S. 24]
Wir müssen also annehmen, dass die Zusammensetzung des Seewassers eine konstante, unveränderliche ist; dass die Tiere und Pflanzen in einem Medium leben und sterben, das in chemischer Beziehung stets dasselbe bleibt.
Wie die chemische Zusammensetzung des Ozeans fast immer und überall dieselbe ist, so ist auch die chemische Zusammensetzung eines Süsswassersees eine unveränderliche.
Anderseits ist es wahrscheinlich, ja gewiss, dass es von einem See zum andern ziemlich grosse Verschiedenheiten geben kann, welche von der petrographischen Natur des zum See gehörigen Flussbeckens herrühren oder von dem Kulturstand des den See umgebenden Landes und der Verhältnisse, welche dieser Kulturzustand bedingt, oder von welchen er bedingt wird (Humusbestand und Klima).
Der Vorrat an organischen Stoffen im See erneuert sich also durch das Hinzukommen neuer Materien, welche die weggeführten ersetzen. Es ist klar, dass der grösste Teil der Stoffe durch den Abfluss dem See entzogen wird. Das gestattet uns annähernd die Intensität eines solchen Stoffwechsels im Lac Leman, der uns als Beispiel gedient, zu berechnen. Die Wassermasse dieses Sees beträgt 89000 Millionen cm; die Wassermasse, die jährlich durch die Rhône bei Genf abfliesst, beträgt etwa 10000 Millionen; die jährlich abfliessende Wassermasse ist also ungefähr der neunte Teil der Totalmasse; es wird somit durch den Abfluss jährlich ungefähr ein Neuntel des Vorrates an organischen Stoffen entzogen. Da noch die Stoffe in Rechnung gebracht werden müssen, die in der Atmosphäre aufgehen oder die im Alluvium fossilisiert werden, so können wir sagen, dass die organischen Stoffe höchstens sieben oder acht Jahre im See verweilen, um den lokalen Kreislauf unter den verschiedenen ihn bewohnenden Wesen zu vollenden, bevor sie in den grossen Cyklus der allgemeinen Weltzirkulation zurückkehren.
Ein See stellt uns also nach dem Dargelegten ein beschränktes, mit Wasser gefülltes Becken dar, das, obschon[S. 25] es im Vergleich mit dem Meerwasser süss ist, doch auf je ein Liter
150–250
|
mg
|
aufgelöste mineralische Salze,
|
10
|
„
|
organische Stoffe,
|
20–25
|
cc
|
Gase
|
enthält. Dieses Wasser enthält ausserdem schwebenden organischen und mineralischen Staub, dessen Menge vom Wasserstand der Zuflüsse und von ihrer Natur (Gletscherbäche, Moorwasser etc.) abhängt.
Diese Materien bilden einen Vorrat, der durch die atmosphärischen Niederschläge und die Gewässer der Zuflüsse erhalten wird; ein Teil dieser Stoffe wird durch den Abfluss entzogen oder verliert sich in der atmosphärischen Luft. Allein Zufuhr und Abfuhr heben sich auf und die Zusammensetzung des Wassers bleibt immer dieselbe.
Dieser Vorrat dient zur Ernährung zahlreicher und mannigfaltiger Organismen, welche den beiden Reichen der organischen Welt angehören, den verschiedenen Typen: von den Wirbeltieren und Dikotyledonen an bis zu den Protozoen, Algen, Protisten und den Mikroben.
Diese verschiedenen Typen zusammen lebender Wesen absorbieren organische Stoffe und bilden neue; durch die Wechselbeziehungen entgegengesetzter Funktionen ergänzen sie sich in der Konsumtion und Restitution der Vorratssubstanzen gegenseitig. In dieser Hinsicht ist ein See ein Mikrokosmos, eine abgeschlossene Welt, die sich selbst genügt. Aber zugleich greift er mittels seiner Zuflüsse und seines Abflusses in die allgemeine Kreisbewegung des Erdballes ein. In dieser Hinsicht ist der See nichts weniger als isoliert, sondern gehört mit zum Ganzen des Universums.
Indem wir uns auf das obige, über die allgemeine Biologie Gesagte stützen, ziehen wir folgende Schlüsse:
[S. 26]
1. Der organische Stoff vollzieht seinen Kreislauf unter den verschiedenen Wesen verschiedener Typen, welche im beschränkten Raume eines Süsswassersees neben einander leben.
2. Dieser dem See angehörende organische Stoff ist nicht absolut und für immer in diesem verhältnismässig kleinen Raume lokalisiert, sondern er tritt als Glied in den grossen Cyklus des allgemeinen Kreislaufes ein, welcher die verschiedenen Regionen des Erdballes durch die Ströme, den Ozean und die Atmosphäre verbindet.
[S. 27]
Von Dr. W. Migula in Karlsruhe.
[S. 29]
Das Wasser ist die Heimat des organischen Lebens. Alle Thatsachen deuten darauf hin, dass die ersten lebenden Wesen im Wasser auftraten, und dass erst sehr langsam mit der fortschreitenden Entwickelung der Organismen eine Besiedelung des Landes begann. So müssen wir auch voraussetzen, dass wir im Wasser die am einfachsten gebauten Organismen antreffen werden, wenn sich irgendwelche Nachkommen jener ersten Wesen erhalten haben. Dies ist thatsächlich der Fall. Die niedersten Lebensformen beider Reiche gehören dem Wasser an, und je tiefer wir in den Kreis dieses Lebens hinabsteigen, um so ähnlicher werden sich die Wesen, um so schwieriger wird es, Tier und Pflanze aus einander zu halten. Wir stehen dann schliesslich vor einer Gruppe von Wesen, welche sowohl der Zoologe wie der Botaniker für seine Wissenschaft in Anspruch nimmt und welche beweisen, dass das gesamte organische Leben der Erde nur von einer Wurzel getragen wird, aus welcher sich wie zwei mächtige Stämme Tierreich und Pflanzenreich entwickelt haben.
Man kann deshalb auch nicht gut davon reden, was eher auftrat, Tier oder Pflanze; es waren eben jene einfachsten Wesen, in denen sich noch die Eigenschaften beider vereinigen. Freilich muss man annehmen, dass es zunächst diejenigen waren, welche die Fähigkeit besassen, aus den anorganischen Stoffen, dem Wasser, der Kohlensäure, den anorganischen Stickstoffverbindungen und dem Sauerstoff, ihren Körper aufzubauen, und diese stehen im grossen und ganzen eben um dieser Eigenschaft willen dem Pflanzenreich[S. 30] näher. Denn Organismen, welche diese Fähigkeiten nicht besitzen, konnten erst dann auftreten, wenn ihnen durch jene organische Stoffe bereitet waren, welche ihnen zur Nahrung dienen konnten, und diese Eigenschaft kommt im allgemeinen den Tieren zu. Will man also nur ganz allgemein reden, so müssen die Pflanzen eher existiert haben als die Tiere.
Die einfachsten Pflanzen werden durch zwei grosse vielfach durch Berührungspunkte verbundene Klassen repräsentiert, durch Pilze und Algen. Da aber die ersteren durch ihr Unvermögen, sich von anorganischen Stoffen zu ernähren, den Tieren gleichen und schon die Anwesenheit anderer Wesen voraussetzen, müssen wir in den Algen diejenigen Organismen suchen, welche den Ausgangspunkt für das organische Leben der Gegenwart bilden, will man sich nicht auf zu gewagte Phantasien über die untergegangenen Urwesen einlassen. Die Algen zeigen auch den grössten Formenreichtum und die überraschendste Vielgestaltigkeit unter den Pflanzen unserer Gewässer, so mannigfach auch deren Schmuck mit Blütenpflanzen sein mag. Sie sind eigentliche Wasserpflanzen und nur wenige vermögen auch in feuchter Luft an nassen Felsen oder zwischen Moos zu gedeihen, noch weniger sind wirkliche Landpflanzen, die auch auf Dächern, Rinde und trockenen Steinen fortkommen. Aber wo auch nur immer sich Wasser angesammelt hat, in Bächen, Pfützen oder Seen, sind auch Algen zu finden, nur ist die Vegetation derselben je nach der Beschaffenheit des Wassers und nach der Jahreszeit verschieden zusammengesetzt.
Man kann an ein und demselben Ort das ganze Jahr hindurch Algen sammeln und wird fast jeden Monat andere Arten finden. Ein torfiger Wiesengraben zeigt im Frühjahr, wenn Schnee und Eis eben verschwunden sind, reiche Entwickelung von goldbraunem Schaum an der Oberfläche des Wassers, der unter dem Mikroskop die zierlichen, mit bräunlichen Körnern oder Platten gefüllten Kieselpanzer der Diatomeen in zahlloser Menge erkennen lässt. Ein wenig später findet sich an derselben Stelle vom Boden aufsteigend ein dünner grüner Schleim, der sich allmählich verdichtet, an die Oberfläche steigt und zahlreiche kleine Gasblasen[S. 31] festhält. Fährt man dann mit dem Spazierstock hinein, so bleiben sicher eine Anzahl äusserst dünner, glatter und schlüpfriger Fäden hängen, welche über ihre Zugehörigkeit zu den Zygnemaceen keinen Zweifel lassen und mikroskopisch durch ihre eigenartigen Chlorophyllkörper leicht von anderen Algen zu unterscheiden sind. Steigt die Sonne höher und fallen ihre heissen Strahlen senkrechter auf den sinkenden Wasserspiegel des Grabens, so verschwinden die Zygnemaceen und machen anderen Algen Platz: grünen, nicht schleimigen Flöckchen aus der Familie der Conferven, deren Chlorophyll die ganze Zellwand auskleidet. Allmählich treten zwischen den Fäden derselben die zierlichen einzelligen Desmidieen auf, welche umsomehr zur Herrschaft gelangen, je herbstlicher es draussen auf den Fluren wird. So wechseln an demselben Standort Vertreter aller Familien die Herrschaft, während zu gleicher Zeit andere Algen nur vereinzelt zwischen den Individuen des gerade besonders entwickelten Geschlechtes vorkommen.
Doch nicht nur die Jahreszeit, auch die Beschaffenheit des Wassers übt einen gewaltigen Einfluss auf das Gedeihen der verschiedenen Arten. Während die grünen Fadenalgen sowie die meisten Diatomeen nur in frischem, unverdorbenem Wasser zu existieren vermögen, ziehen die blaugrünen Oscillarien fauliges, mit verwesenden organischen Stoffen erfülltes Wasser vor. Manche Gattungen wie Spirogyra, Oedogonium, Bulbochaete lieben stehendes oder nur schwach fliessendes Wasser, andere wie Lemanea, Cladophora glomerata und einige Diatomeen befinden sich in reissenden Gebirgsbächen, an Wehren oder Wasserfällen am wohlsten. Auch giebt es Algen, welche wesentlich von der Temperatur abhängen; gewisse Arten der blaugrünen Cyanophyceen leben nur in heissen Quellen, wie die Lyngbya thermalis in den Geysern Islands und den Schlammvulkanen Italiens, wogegen Hydrurus irregularis in der heissen Jahreszeit verschwindet, aber vom Herbst an den ganzen Winter hindurch und auch noch im kühleren Frühjahr auftritt. Die chemische Zusammensetzung des Wassers spielt ebenfalls eine wichtige Rolle in Bezug auf das Gedeihen der einen oder andern Art. Andere Arten leben in Gräben der Torfmoore,[S. 32] als in den Bächen lehmiger Wiesen, andere in den Tümpeln auf sandigem Boden. In den frischklaren Gebirgsseen tritt eine andere Algenflora auf als in den wärmeren Gewässern der Ebene und das süsse Wasser birgt andere Formen als die Salzlachen des Binnenlandes. Manche der niedersten Spaltpflanzen scheinen das Vorhandensein von Schwefelverbindungen zu ihrem Leben durchaus nötig zu haben, während wieder andere nur in eisenhaltigen Gewässern ihr Gedeihen finden. Die Verhältnisse in der Zusammensetzung des Teich- und Flusswassers sind ja so mannigfaltig, dass sich die Ansprüche der Algen nach sehr verschiedenen Richtungen hin entwickeln konnten, wenn sie sich die in der Natur gegebenen Bedingungen möglichst zu Nutze machen und sich ihnen anpassen wollten.
Die Orientierung über die Hauptgruppen ist, von einzelnen Fällen abgesehen, bei den Algen nicht schwer. Sie bilden auch keine so einheitliche Klasse wie etwa die Moose, sondern werden wesentlich nur durch den einfachen zelligen, noch nicht deutlich in Stengel und Blätter gegliederten Bau und durch das Vorhandensein von Chlorophyll oder einer seiner Modifikationen zusammengehalten und von den höher organisierten Pflanzen und den chlorophyllfreien Pilzen unterschieden. Abgesehen von einigen zweifelhaften Meeresbewohnern lassen sich fünf grosse Gruppen aufstellen, welche sich wesentlich durch Merkmale der Fortpflanzung, Gestalt und Färbung unterscheiden. Sie lassen sich kurz folgendermassen charakterisieren:
1. Schizophyceae, Spaltalgen. Färbung blaugrün, spangrün, orange, rot, violett, aber niemals rein chlorophyllgrün. Sehr einfach organisierte Wesen, deren Fortpflanzung und Vermehrung durch einfache Querteilung der Zellen, bei manchen ausserdem noch durch Bildung von Dauersporen auf ungeschlechtlichem Wege erfolgt.
2. Bacillariaceae oder Diatomaceae, Kieselalgen. Die Färbung ist eine gelb- oder goldbraune und wird hervorgerufen durch runde oder plattenförmige Chromatophoren im Innern der von einem Kieselpanzer umgebenen Zelle. Fortpflanzung durch Kopulation zweier Individuen, Vermehrung durch Zweiteilung, indem[S. 33] die beiden Schalen wie die Teile einer Schachtel auseinanderweichen und sich zwischen ihnen zwei neue Schalen bilden.
3. Chlorophyceae, Grünalgen, Algen im engeren Sinne. Sie besitzen fast stets rein chlorophyllgrüne Färbung, sind aber sonst sehr verschiedenartig gestaltet und variieren auch namentlich in Bezug auf die Fortpflanzung, welche sowohl geschlechtlich wie ungeschlechtlich sein kann. Sehr häufig kommen beide Fortpflanzungsarten neben einander vor. Eine Vermehrung findet oft in ausgiebiger Weise durch Zweiteilung der Zellen statt.
4. Melanophyceae, Braunalgen, durchweg Meeresbewohner mit stets zweigeisseligen geschlechtlichen und ungeschlechtlichen Schwärmzellen, meist braun oder schwarzbraun gefärbt.
5. Rhodophyceae, Rotalgen. Ebenfalls zum grössten Teil Meeresbewohner und nur durch wenige Gattungen im süssen Wasser vertreten. Sie sind rot, oft prachtvoll gefärbt, einige der im süssen Wasser vorkommenden Arten haben noch einen andern grünen oder blaugrünen vorherrschenden Farbstoff. Fortpflanzung ungeschlechtlich und geschlechtlich, in allen Fällen durch ruhende Zellen.
Wo sich in verdorbenem Wasser schmutzig graugrüne oder dunkel stahlblaue Flocken an der Oberfläche ansammeln oder an feuchten Mauern ein rötlicher gallertartiger oder schleimiger Überzug entsteht, wo sich auf Teichen spangrüne Wasserblüten bilden oder bräunlichgrüne Gallertkugeln schwimmen, in den Torflachen des Hochmoores wie in den Seen der Ebene, an nassen Felswänden wie auf feuchter Erde und zwischen Moos treten uns die Spaltalgen entgegen. Viele Arten, wie die echten Oscillarien, bedürfen grösserer Mengen organischer Stoffe zu ihrem Gedeihen und treten deshalb vorzugsweise in verdorbenem Wasser, in Abzugsgräben von Fabriken und ähnlichen Orten auf, einige sind genügsamer und stellen wesentlich dieselben Forderungen an ihr Nährsubstrat, wie andere Algen auch.
[S. 34]
Es sind sehr einfach organisierte Geschöpfe. Teils bilden sie nur einzelne Zellen, welche in festerem oder lockerem, oder auch in gar keinem Zusammenhange mit einander stehen, teils bleiben sie zu verschiedenartig gestalteten Zellfäden verbunden. Die Membran der Zellen ist meist sehr dünn, aber in vielen Fällen, wenigstens in den äusseren Schichten, sehr quellbar und zur Gallertbildung geneigt. Neuerdings hat man auch sehr kleine und zwar mehrere Zellkerne in den Zellen nachgewiesen. Die Färbung scheint nicht an bestimmte Chromatophoren gebunden, sondern im Plasma verteilt zu sein, sie kann sehr verschieden, rot, blau, braun, blaugrün, spangrün, violett, in den verschiedensten Nüancen, aber niemals rein chlorophyllgrün sein. Die Vermehrung erfolgt durch Querteilung der Zellen und Loslösung derselben oder einer Gruppe von Zellen, wenn diese einen gemeinschaftlichen Verband darstellen, seien es Fäden oder nur lose verbundene Einzelzellen. Solche losgelöste Fadenstücke, welche man Hormogonien nennt, bilden dann neue Familien, wenn man diesen Ausdruck auf einen selbständigen Zellkomplex von sehr verschieden innigem Zusammenhange ausdehnen will.
Neben diesen rein vegetativen Zwecken dienenden und in der Mehrzahl vorhandenen Zellen kommen auch noch seltener bei manchen Arten zwei andere Arten von Zellen vor, die Grenzzellen oder Heterocysten und die Dauerzellen oder Dauersporen. Die ersteren unterscheiden sich von den vegetativen Zellen leicht durch die bedeutendere Grösse, durch einen geringeren Gehalt an plastischen Stoffen und durch abweichende, meist sehr viel hellere Färbung. Sie haben das Vermögen verloren, sich zu teilen und bilden gewissermassen Grenzpfähle zwischen den vegetativen Zellen; welchen Zweck sie erfüllen, ist nicht bekannt. Die Dauerzellen oder Dauersporen, auch kurz Sporen genannt, weichen ebenfalls von den vegetativen Zellen in der Gestalt ab, nur sind sie im Gegensatz zu den Heterocysten reicher an Plasma und in der Regel dunkler gefärbt. Auch ihre Membran ist meist stärker, so dass sie schädlichen äusseren Einflüssen besser widerstehen können als die vegetativen Zellen. Sie dienen denn auch dazu, unter[S. 35] ungünstigen Verhältnissen die Art zu erhalten und fortzupflanzen. Tritt beispielsweise grosse Dürre ein und trocknen die Pfützen aus, welche von Dauerzellen bildenden Spaltalgen bewohnt waren, so gehen wohl die vegetativen Zellen zu Grunde, die Dauerzellen bleiben aber am Leben, treten in einen Ruhezustand ein und entwickeln, wenn sich die Pfützen wieder füllen, neue Pflänzchen.
Der Farbstoff, welcher den Spaltalgen eigen ist, wurde Phycochrom und daher die ganze Gruppe Phycochromaceen genannt; derselbe besteht wesentlich aus dem blauen Phycocyan (daher Cyanophyceen) und dem gelben Phycoxanthin, welches dem Blattgelb (Xanthophyll) ähnlich ist, daneben scheint aber noch ein dem Chlorophyll sehr ähnlicher grüner Farbstoff vorhanden zu sein. Ausser diesem das Innere der Zellen erfüllenden Farbstoff finden sich aber noch andere, welche den Hüllen selbst eigen sind und meist eine gelbbraune oder rote Färbung verleihen, über deren Eigenschaften man aber noch so gut wie gar nichts weiss. Wenn wir uns unter den Spaltalgen umsehen, so finden wir eine grosse Einförmigkeit; nur geringe Unterschiede trennen die Gruppen und die Artenkenntnis ist grösstenteils eine recht zweifelhafte. Am übersichtlichsten ist wohl die nachstehende Einteilung der Spaltalgen in Hauptgruppen oder Familien, jenachdem man unter ihnen noch besondere Unterabteilungen bildet oder nicht.
1. Coccogene Spaltalgen, Chroococcaceae. Die Zellen trennen sich nach der Teilung von einander und bleiben entweder völlig ohne Zusammenhang oder stehen nur in äusserlichem durch die Gallertbildung der Membran bedingtem Zusammenhang (Fig. 1 a–c). Die wichtigsten Gattungen sind folgende: Chroococcus (Fig. 1 a), Zellen rund oder eckig, einzeln, zu zwei oder vier in eine nicht zerfliessliche Gallerte eingebettet, in welcher man zwar bei manchen Arten Schichtungen, aber keine Einschachtelungen erkennen kann. Die Gattung Gloeocapsa (Fig. 1 b) unterscheidet sich von der vorhergehenden durch stets runde Zellen und durch Zellfamilien, in welchen die Zellmembran der Mutter um die Tochterzellen stets erhalten bleibt, so dass vollständige Einschachtelungen entstehen. Viele Arten besitzen eine sehr lebhafte rote oder violette[S. 36] Färbung dieser Gallertschichten, während der Inhalt der Zelle selbst mehr spangrün gefärbt ist. Ganz ähnlich ist die Gattung Gloeothece, nur sind hier die Zellen länglich. Diesen beiden Gattungen entsprechen Aphanocapsa und Aphanothece vollständig, nur sind hier die Hüllmembranen nicht in einander eingeschachtelt, sondern bilden eine homogene Gallerte. Die Gattung Merismopedia bildet Zellfamilien von Tafelform, je vier Zellen stehen näher zusammen (Fig. 1 c). Clathrocystis bildet rundliche Zellen, welche durch vergallertende Membranen zu kleinen Hohlkugeln verbunden bleiben. Sie bildet, ebenso wie die sehr ähnliche Gattung Polycystis, oft spangrüne Wasserblüten, welche den Fischen verderblich werden können.
2. Nematogene Spaltalgen. Die Zellen bleiben zu längeren oder kürzeren Fäden vereinigt. Die Oscillariaceen repräsentieren unter ihnen den niedrigsten Stand. Bei ihnen ist noch keinerlei Unterschied zwischen den einzelnen Zellen vorhanden, sie besitzen weder Heterocysten noch Dauersporen und beide Enden des Fadens sind[S. 37] gleichartig ausgebildet. Unter ihnen ist wieder die Gattung Oscillaria (Fig. 1 d) am einfachsten organisiert, es sind einfache scheidenlose spangrüne, blaugrüne oder violette Fäden, in denen man die Querwände der einzelnen Zellen oft nur undeutlich erkennt. Von ihr unterscheidet sich die Gattung Beggiatoa (Fig. 1 n) durch das Fehlen des Farbstoffes. Beide Gattungen sowie die verwandte korkzieherartig gedrehte Spirulina (Fig. 1 m) besitzen Bewegungsvermögen, eine kriechende mit Drehung um die Längsachse und die Krümmungen des Fadens verbundene Bewegung, welche sie befähigt, an den Wänden von Glasgefässen etc. in die Höhe zu steigen. Die Oscillarien sind Bewohner unreinen Wassers, und wo man sie findet, kann man ohne weiteres darauf schliessen, dass in dem Wasser irgendwelche Fäulnisprozesse stattgefunden haben, und dass es für den Gebrauch als Trinkwasser ungeeignet ist. Bei zwei anderen Gattungen dieser Gruppe finden sich Scheiden um den Faden, welche aus den vergallertenden Aussenwänden der Zellmembranen entstehen. Bei Chamaesiphon ist die Scheide sehr zart, die Pflänzchen bestehen aus wenigen undeutlich begrenzten Zellen und sitzen oft massenhaft auf anderen Fadenalgen auf (Fig. 1 k). Bei Lyngbya (Fig. 1 l) sind sie sehr stark und oft infolge der Einlagerung von Eisenocker gelb gefärbt. Die in eisenhaltigem Wasser sumpfiger Gräben auftretenden rostroten Flocken gehören den oft schon abgestorbenen Fäden der Ockeralge, Lyngbya ochracea an, welche allerdings viel feinere Fäden bildet als die in Fig. 1 l abgebildete Art.
Die Nostocaceen stehen schon wesentlich höher; zwar bilden auch sie nur einfache unverzweigte Fäden, deren Basis von der Spitze nicht verschieden ist, aber es sind schon Grenzzellen vorhanden; und auch Dauersporen kommen den meisten Arten auf der Höhe ihrer Entwickelung zu. Die Gattung Nostoc bildet rosenkranzförmige Ketten, welche aus je einer Anzahl vegetativer Zellen zwischen zwei Heterocysten zusammengesetzt sind (Fig. 1 h). Eine Anzahl solcher Perlschnuren liegen dann in einer bestimmt geformten meist kugeligen Gallerte eingebettet, welche wieder aus den quellbaren Membranen der Zellen entstehen. So tritt uns Nostoc im[S. 38] Wasser wie an feuchten Felsen oder Hohlwegen im Walde nicht selten entgegen und hat wenigstens teilweise eine Rolle bei der Sternschnuppengallerte gespielt, während diese letztere auch, und wohl hauptsächlich, auf die ausserordentlich quellbaren Elemente der Eierstöcke weiblicher irgendwie zerstückelter Frösche zurückzuführen ist. Die Gattung Anabaena unterscheidet sich von Nostoc nur dadurch, dass ihre Fäden nicht in Gallertklumpen zusammengelagert sind. Wir kultivieren unabsichtlich eine Art derselben in unseren botanischen Gärten, die Anabaena Azollae, welche die hohlen Blätter des kleinen ausländischen Wasserfarns Azolla caroliniana fast regelmässig bewohnt. Eine andere hierher gehörige Alge Aphanizomenon oder Limnochlyde Flos aquae (Fig. 1 f) mit grossen cylindrischen Dauerzellen bildet kleine zusammenhängende Flöckchen, welche auf der Oberfläche des Wassers schwimmen und oft eine dichte Wasserblüte hervorrufen. In der Gattung Cylindrospermum stehen die Grenzzellen terminal, daneben die meist cylindrisch gestalteten Dauerzellen.
Höher organisiert sind die Stigonemaceen, welche bereits verzweigte Fäden bilden, wie der in Fig. 1 i abgebildete Hapalosiphon. Die Verzweigung entsteht dadurch, dass der Zellfaden nicht bloss an den Enden, sondern auch in der Mitte wächst, d. h. dass sich die Zellen auch hier teilen und eine Spannung der Gallertscheide bewirken, die schliesslich an einer Stelle reisst und die Zellen hervordringen lässt, welche nun wieder sich teilen und dadurch einen Zweig bilden. Am höchsten stehen die Rivularien, welche bereits einen deutlichen Gegensatz zwischen Basis und Spitze zeigen, wie eine in Fig. 1 g abgebildete Gruppe junger Rivulariafäden erkennen lässt.
Wie schon erwähnt zerfällt der Thallus der fadenbildenden Spaltalgen auf einer bestimmten Entwickelungsstufe in eine Anzahl kurzer Fadenstücke, Hormogonien, welche eine Zeitlang Bewegungsfähigkeit besitzen und umherwandern, um sich ein neues Heim zu suchen. Dabei wählen sie mit Vorliebe Orte zu ihrem Aufenthalt, die ihnen gegen aussen Schutz gewähren, leere Insekten oder Crustaceenschalen, grosse abgestorbene Pflanzenzellen, oder irgendwie[S. 39] hohle Organe lebender Pflanzen, wie wir sie in den Schwimmblasen der Utricularia und bei mehreren Torf- und Lebermoosen finden. Auch aus den kugeligen Zellenfamilien der Chroococcaceen können sich Kugelsegmente loslösen und zu neuen Familien heranwachsen, wodurch alte Kolonien ein ganz durchlöchertes Aussehen gewinnen.
Das Interesse, welches die Spaltalgen uns erwecken, wird vorzüglich noch durch zwei Punkte vermehrt, durch ihre unbestreitbar nahe Verwandtschaft zu den Spaltpilzen und durch die Rolle, welche sie im Flechtenthallus spielen.
Die Spaltpilze kommen wesentlich in denselben Formen vor, und nur die Farbe der Zellen geht ihnen ab. Wir haben aber in vielen Fällen so genau dieselbe Anordnung der Zellen, wie bei Merismopedia, bei Leptothrix und ähnlichen, dass die Gattungen sowohl bei Spaltalgen wie bei Spaltpilzen aufgenommen wurden und man zu diesen die farblosen, zu jenen die gefärbten Formen stellt. Aus anderen Gründen, deren Erörterung hier zu weit führen würde, ist man noch mehr gezwungen, in beiden Gruppen die nächsten Verwandten zu erblicken und nur Zweckmässigkeitsgründe lassen es erwünscht erscheinen, sie noch aus einander zu halten.
Dass die als Gonidien bezeichneten grünen Zellen des Flechtenkörpers wirklich nur Algenzellen sind, wird wohl von niemandem mehr ernstlich bezweifelt, der sich irgendwie eingehend mit diesen Fragen beschäftigt hat. Nur einige ältere Flechtensystematiker können sich noch nicht zu dieser Ansicht bekehren, denn sie wollen die Selbständigkeit derjenigen Pflanzen, welchen sie soviel Zeit und Arbeit gewidmet haben, nicht gern aufgeben. Thatsächlich sind die Flechten aber keine einheitlichen Organismen, sondern durch ein höchst eigentümliches und interessantes Zusammenleben von Pilzen und Algen entstandene Pflanzengebilde. Indem die Sporen gewisser Pilze auf eine Algenvegetation fallen, treiben sie Hyphen, mit welchen sie die Zellen umspinnen und vollständig einschliessen. Die Algen nehmen übrigens, wie es scheint, dabei durchaus keinen Schaden, sondern befinden sich ganz wohl dabei, teilen sich in demselben Verhältnis wie die Hyphen, wachsen und liefern diesen die[S. 40] nötigen organischen Stoffe, während sie anderseits von ihnen ihre Feuchtigkeit und ihre anorganischen Baustoffe den Pilzen verdanken. Dieses als Symbiose bezeichnete seltsame Zusammenleben zweier so ganz verschiedener Organismen hat die Förderung jedes einzelnen ohne Benachteiligung des anderen zum Zweck. Allerdings sind dabei die Pilze vollständig auf die Algen angewiesen, denn ihre Sporen gehen zu Grunde, wenn sie nicht die entsprechenden Algen finden, während die letzteren ebensogut auch ohne Pilze leben können. Das ist ja gerade einer der Hauptbeweisgründe für die Algennatur der Flechtengonidien, dass man dieselben Zellen auch ausserhalb des Flechtenthallus kennt, und dass man sie hier zu selbständigen Gattungen und Arten erhob, während sie in der Flechte durchaus nur unselbständige Teile des Thallus sein sollten. Übrigens ist es nicht unmöglich, dass ein grosser Teil der als „Raumparasitismus“ im Tier- und Pflanzenreich bezeichneten Erscheinungen auf wirkliche Symbiose zurückzuführen ist, bei welcher sowohl Wirt als Gast ihre Rechnung finden würden und sich gewissermassen zu gegenseitiger Unterstützung verbunden haben. Die meisten der bei der Flechtenbildung beteiligten Algen gehören den Cyanophyceen an, einige den Grünalgen, besonders der Gattung Protococcus; aber auch grüne Fadenalgen treten im Flechtenthallus auf, so eine Cladophora in der tropischen Gattung der Fadenflechten Coenogonium.
Die Spaltalgen bilden mit den Spaltpilzen zusammen eine gegen die übrigen Pflanzen streng abgeschlossene Gruppe, ohne jeden vermittelnden Übergang. Mit dem Tierreich werden sie fast unmerklich und ohne dass eine scharfe Grenze gezogen werden kann, durch die Gruppe der Monadinen verbunden.
Höher organisiert als die Spaltalgen, stehen sie doch allen anderen Gruppen der Algen als ein streng abgeschlossenes Ganzes gegenüber und zeigen überhaupt eine ganz isolierte, durch keinerlei Beziehungen zu anderen Organismen vermittelte Stellung im Reiche der lebenden Wesen.
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Unter dem Mikroskop sind sie leicht erkennbar; ihr durch einen Kieselpanzer geschützter Zellinhalt wird aus farblosem Protoplasma gebildet, in welchem in bestimmter Stellung braune Körner oder Platten auftreten, deren Farbstoff, Diatomin genannt, das Chlorophyll vertritt. Weit mehr fällt aber der Kieselpanzer selbst in die Augen, da er meist eine feine Zeichnung trägt, welche die Diatomeen oder Bacillarien zu den zierlichsten Geschöpfen macht. Diese Zeichnung tritt besonders schön bei manchen marinen Arten auf, in Form von sich kreuzenden Liniensystemen oder dicht aneinanderschliessenden Sechsecken; sie sind bei den in Fig. 2 (S. 42) abgebildeten Formen (ebenso wie der Zellinhalt) weggelassen, weil die Abbildungen sonst zu grossen Raum beansprucht haben würden. Die Linien liegen bei manchen Arten so nahe, dass es nur den besten Mikroskopen gelingt, sie aufzulösen, d. h. getrennt von einander deutlich sichtbar zu machen; deshalb werden gewisse Diatomeen wie Pleurosigma angulatum und Surirella gemma zur Prüfung der besten Objektive verwendet.
Die überaus zierlichen Kieselalgen verdienen übrigens wegen ihrer Schönheit und Mannigfaltigkeit eine eingehendere Beobachtung auch von solchen, denen irgend eine naturwissenschaftliche Beschäftigung erwünscht ist und welche sich im Besitz eines Mikroskopes befinden, oder sich ein solches anschaffen können (vergl. die Anmerkung am Schluss). Der Formenreichtum ist ein ausserordentlicher und wenn bei den Spaltalgen die Einförmigkeit der ganzen Gruppe auffiel, so tritt uns bei den Kieselalgen eine Vielgestaltigkeit entgegen, wie sie ausgeprägter kaum in einer anderen Pflanzenklasse vorkommt. Die Figur 2 giebt uns einen Überblick über die verschiedenen Formen, welche unsere süssen Gewässer bewohnen; freilich konnte nur ein kleiner Teil berücksichtigt werden.
In Nr. 1 tritt uns eine der vielen schwer unterscheidbaren Arten der Gattung Pinnularia entgegen. Sie sind fast symmetrisch gebaut und mit deutlicher, in der Regel starker Streifung, welche auch in der Figur angegeben ist. Sehr ähnlich ist Navicula von kahnförmiger Gestalt (Nr. 2), die Streifung ist aber sehr zart und oft nur mit den besten Linsen zu erkennen. Die Streifen sind[S. 42] hier aus dichten reihenförmigen Punkten gebildet. Bei der Gattung Stauroneis (Nr. 3) ist ein deutliches helles Kreuz erkennbar, welches die ebenfalls kahnförmige Zelle am Längs- und Querdurchmesser trägt. Eigentümlich gebogen sind die Zellen der Gattung Pleurosigma (Nr. 4) und nur nach einer Richtung symmetrisch die stark gestreiften von Cymbella (Nr. 5).
Bei Amphora (Nr. 6) bildet die Streifung zwei eigentümliche Bänder, während andere Teile des Kieselpanzers ungestreift bleiben. Bei der Gattung Gomphonema sitzen die einzelnen Zellen auf Gallertstielen, welche ein vielfach verzweigtes Bäumchen darstellen (Nr. 7).[S. 43] Eigentümliche ovale oder verzogene Zellen werden durch die Gattung Surirella (Nr. 9) repräsentiert, Synedra bildet meist lange, nadelförmige Zellen, welche oft wie die Speichen eines Rades zusammensitzen (Nr. 10). Die Gattung Epithemia (Nr. 11) erinnert etwas an Cymbella, ist jedoch schon durch die Streifung leicht unterschieden. Dann giebt es eine Gruppe von Diatomeen, deren Zellen zu Fäden verbunden bleiben, wie bei Fragillaria, Diatoma, Meridion, Melosira (Nr. 12–15), noch andere bilden schildförmige, mehr oder weniger gebogene Platten, wie Campylodiscus (Nr. 16). Aber auch nur einigermassen genaue Beschreibung der deutschen Gattungen zu liefern, ist an diesem Ort wegen des Formenreichtums und der Vielgestaltigkeit der Diatomeen unmöglich. Dagegen soll uns noch ein Blick in das Leben dieser zierlichsten aller Geschöpfe vergönnt sein.
Der Kieselpanzer einer Diatomee ist kein einheitliches Gebilde, sondern besteht aus zwei sehr ähnlichen Hälften, die sich nur durch eine geringe Grössendifferenz unterscheiden, sonst aber, namentlich in der Zeichnung, vollständig übereinstimmen. Diese beiden Hälften sitzen in einander wie die Teile einer Schachtel, was man bei günstigen Objekten direkt sehen kann. Nimmt die Zelle an Volumen zu, so kann dies nur dadurch geschehen, dass die beiden Teile etwas auseinanderweichen, da ja die starren Kieselschalen ein Wachstum in die Länge oder Breite verhindern. Endlich kommt bei dieser Volumenzunahme der Zelle aber ein Stadium, in welchem die beiden Hälften oder Schalen nicht mehr ineinandergreifen, sondern die Zelle nicht mehr vollständig bedecken und einen schmalen Streif Plasma zwischen ihren Rändern freilassen. Dann bilden sich an dieser Stelle zwei neue Schalen, von denen sich die eine der grösseren, die andere der kleineren der alten Schalen ebenso einfügt, als diese es ursprünglich waren, und aus der einen Diatomee sind bei diesem Vorgange zwei geworden, welche in jeder Beziehung dem Mutterindividuum gleichen, nur ist die eine um die Dicke einer Schale kleiner als jene. Eine derartige Verkleinerung muss immer erfolgen, weil die Kieselschalen starr sind und sich die jüngere Schale immer[S. 44] der ältern einfügt. Bei weiteren Teilungen werden die jüngeren Individuen mit der jüngern Schalenhälfte immer kleiner und wir sehen oft von derselben Art Exemplare, die um mehr als das Doppelte in der Länge von einander abweichen. Die Verkleinerung findet aber auch naturgemäss ihre Grenze; ist die Grösse der Individuen bis auf ein bestimmtes Mass herabgesunken, so teilen sie sich nicht weiter, sondern es erfolgt eine Art Regeneration durch einen Vorgang, den man als Auxosporenbildung bezeichnet hat.
Die Auxosporenbildung tritt in drei verschiedenen Modifikationen auf; entweder findet eine wirkliche Befruchtung durch die Verschmelzung zweier Individuen statt, oder es findet nur eine Berührung statt, oder endlich ein einziges Individuum schickt sich dazu an. Dieser letzte Vorgang ist der einfachste, er ist am häufigsten bei Melosira beobachtet worden. Eine der Zellen eines Fadens treibt unter rascher Volumenzunahme die beiden Schalen ohne sich zu teilen aus einander, tritt zwischen diesen teilweise hervor und bildet eine Kugel, welche an zwei Punkten noch in den alten Schalen stecken bleibt, aber mehr als den doppelten Durchmesser als diese hat. Erst jetzt teilt sich diese „Auxospore“ und umgiebt sich mit Kieselschalen, welche zunächst von denjenigen einer Melosira noch in der Gestalt wesentlich abweichen, da sie Hälften einer nicht ganz regelmässigen Kugel sind. Aber schon die beiden nächsten Schalen, welche sich innerhalb der Auxospore entwickeln, nehmen die normale cylindrisch-schachtelförmige Gestalt an und die beiden ersten aus der Auxospore entstehenden Zellen tragen je eine halbkugelige und eine normale Schale. Die folgenden Individuen sind wieder mit normalen Schalen versehen, nur zwei Nachkommen behalten immer eine normale und eine Kugelschale. Bei einer Anzahl anderer Diatomeen ist wenigstens eine Berührung zweier Individuen zur Auxosporenbildung erforderlich. Die Schalen derselben weichen dann aus einander, die Plasmamassen treten hervor und nehmen ausserordentlich rasch an Volumen zu, während sich die zarte, nicht kieselhaltige Membran dieser Plasmamassen stark dehnt. Erst wenn ein Wachstum nicht mehr stattfindet,[S. 45] scheiden sich die Kieselschalen aus und die beiden so entstandenen Zellen haben dann eine mehr als doppelte Länge wie die Mutterzellen. Die Einzelheiten bei diesem Vorgang sind nach den Gattungen verschieden und oft recht kompliziert. Noch andere Diatomeen lassen ihre aus den Schalen ausgetretenen Plasmamassen wirklich verschmelzen, wodurch ein der Konjugation der Spirogyren ähnlicher Prozess herbeigeführt wird. Die konjugierte Plasmamasse wächst dann bedeutend in die Länge und scheidet eine einzige zusammenhängende und die ganze Zelle umschliessende Kieselmembran aus, innerhalb deren sich die beiden Schalen einer neuen Zelle entwickeln. Dieselben werden durch die Volumenzunahme der Zelle auseinandergetrieben und sprengen dann die kieselhaltige harte Membran der Auxospore, wodurch die neue Zelle frei wird und sich in normaler Weise weiter teilt. In allen Fällen hat die Auxosporenbildung nur den Zweck, aus der allmählich zu klein gewordenen Generation eine neue, grössere zu bilden, sie dient nicht ähnlichen Zwecken wie etwa die Dauersporen der Schizophyceen, sondern es tritt zwischen Auxosporenbildung und der Entwickelung neuer Zellen keinerlei Ruhezustand ein.
Eigentliche Dauerzustände, welche durch besondere Zellen repräsentiert werden, kommen bei den Diatomeen nicht vor, dagegen können Zellen unter günstigen Verhältnissen auch eine längere Austrocknung ertragen, ohne abzusterben. Das Plasma zieht sich dabei in eine Ecke der Kieselschalen zurück und umgiebt sich mit einer Membran, bei Eintritt günstiger Lebensbedingungen die normalen Funktionen wieder aufnehmend.
Eine eigentümliche, aber noch nicht aufgeklärte Eigenschaft der Diatomeen ist ihre Bewegungsfähigkeit, welche ihnen jedoch nur zukommt, wenn sie festem Substrat aufliegen, sie kriechen also an demselben herum. Diese Thatsache macht es wahrscheinlich, dass die Bewegung durch Plasmafäden vermittelt wird, welche durch Öffnungen in den Kieselpanzern oder zwischen den Schalen hervortreten und sich dem Substrat anheften; man hat jedoch bisher noch keinerlei derartige Bewegungsorgane wahrnehmen können. Die[S. 46] Bewegung selbst ist eine gleitende, oft ruckweise, meist genau der Längsrichtung des Körpers folgend.
Die Diatomeen sind die einzigen Algen, welche sich seit der Zeit ihres Auftretens auf der Erde in ihren Kieselschalen unverändert erhalten haben, so viel Jahrtausende auch über ihre Grabstätten dahingerauscht sind. Ihre Schalen haben auch so manche Proben bestanden, bei denen nur wenig andere Geschöpfe nicht der völligen Vernichtung anheimfielen. Von kleinen mikroskopischen Tieren verschluckt, wurden die Diatomeen hier zum ersten Male verdaut, gerieten mit diesen in den Magen von grösseren Weichtieren und mussten den Prozess zum zweiten Male durchmachen. Zum dritten Male wurde ihnen das Los zu teil, wenn diese Weichtiere von Fischen verspeist wurden, um mit diesen zum vierten Mal von Seevögeln verdaut zu werden. Nichtsdestoweniger passierten ihre Schalen unverändert den Darmkanal der Vögel und im Guano finden sich dieselben noch in schönster Erhaltung. Bei solcher Widerstandskraft ist es kein Wunder, dass sich die Diatomeen, wo sie sich in Masse entwickelten, auch noch heute an diesen Orten fossil vorfinden, nur das ist thatsächlich wunderbar, dass diese kleinsten Organismen — durchschnittlich gehen 10 bis 20 Millionen Individuen auf 1 Kubikmillimeter — meilenweite und viele Fuss tiefe Lager bilden, wie bei uns in Deutschland namentlich in der Lüneburger Heide, bei Berlin und bei Königsberg. Die als Tripel, Mergel, Kieselguhr und Infusorienerde bezeichneten Fossilien sind wesentlich nichts anderes als die Kieselschalen der Diatomeen, deren zierliche Form unter dem Mikroskop sich sofort verrät.
Die Grünalgen, Chlorophyceen, Algen im engern Sinne, sind im wesentlichen hinreichend durch die rein grüne Farbe gegenüber den anderen Gruppen charakterisiert. Gestalt und Fortpflanzungsweise sind so mannigfach, dass sie sich schlecht zu einem Merkmal der ganzen Gruppe verwenden lassen und selbst nahe verwandte Gattungen zeigen hierin die grössten Verschiedenheiten.
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Zunächst finden wir eine Gruppe grüner Algen, welche in der Fortpflanzung mit dem einen Modus derselben bei den Diatomeen übereinstimmen, so dass sie, aber gewiss entschieden unrichtig, mit jenen zu einer grossen Ordnung „Zygosporeae“ von manchen Forschern vereinigt werden. Indem nämlich zwei (oder zuweilen auch mehr) Zellen ihren Inhalt zusammenfliessen lassen, entsteht eine als „Zygospore“ bezeichnete Zelle, welche dazu bestimmt ist, nach einer Ruheperiode zu keimen und eine neue Generation zu entwickeln. Es ist also eine Dauerzelle und unterscheidet sich schon hierdurch sehr wesentlich von den Auxosporen der Diatomeen, welche letztere nur als ein Mittel zur Vergrösserung der Zellen dient und keinerlei Eigenschaften besitzt, wie sie den Sporen der Kryptogamen im allgemeinen zukommen. Ausserdem kommt es nur bei einem Teile der Diatomeen zu einer wirklichen Vereinigung der Plasmakörper zweier Zellen, wie wir oben gesehen haben. Es ist deshalb besser, man lässt diese Gruppe grüner Algen, welche man als Conjugatae zusammenfasst, als unterste Ordnung der Chlorophyceen bestehen.
Eine zweite Ordnung wird durch eine Anzahl einzelliger Algen gebildet, welche teilweise einen Übergang zu den Flagellaten erkennen lassen und aus teils freien, teils zu Kolonien vereinigten rundlichen oder eiförmigen meist ziemlich kleinen Zellen bestehen. Man hat sie als Protococcoideae bezeichnet. Ihre Fortpflanzung ist sehr verschiedenartig und oft höchst kompliziert.
Die Siphoneae oder Schlauchalgen zeichnen sich durch einen einzelligen fadenförmigen oder verästelten Bau aus; sie sind im süssen Wasser nur durch zwei Gattungen vertreten.
Reich an Formen ist die vierte Ordnung der Grünalgen, die Confervoideae. Sie bilden einen fadenförmigen, oft reich verzweigten, vielzelligen Thallus.
Nach dieser kurzen Charakteristik der Hauptgruppen sollen die einzelnen eine etwas eingehendere Besprechung erfahren, da sich ja in der Klasse der Grünalgen die interessantesten und mannigfaltigsten Formen, die verschiedenartigsten Verhältnisse der Fortpflanzung und die merkwürdigsten Lebenserscheinungen finden.
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Die Conjugaten bilden eine Ordnung, welche zwei nahe verwandte Familien vereinigt. Gemeinsam ist ihnen besonders die Art der geschlechtlichen Fortpflanzung, die Konjugation, ferner die eigentümliche Anordnung des Chlorophylls innerhalb der Zelle in Bändern, Platten, Sternen oder anderen Formen, stets aber abweichend von derjenigen bei den anderen Grünalgen, ferner im weitesten Sinne die Einzelligkeit. Jede Zelle ist befähigt für sich allein zu existieren und sich zu vermehren, selbst wenn sie normalerweise nur mit anderen zusammen zu Fäden verbunden vorkommt. Die Zellen eines Fadens sind auch sämtlich gleichartig und es ist kein Gegensatz zwischen Basis und Spitze ausgebildet. Eine sehr ausgiebige Vermehrung geschieht durch Zweiteilung der Zellen, die bei diesen Algen besonders gut zu beobachten ist.
Die Desmidieen, die eine der beiden Familien, zeigen äusserst zierliche Formen, wie sie in Fig. 3 a–m dargestellt sind. Sie bewohnen einzeln unsere Wiesengräben, Bäche und Flüsse, zahlreicher und oft geradezu massenhaft die Gewässer der Torfmoore, und erreichen im Spätsommer und Herbst ihre grösste Entwickelung. Die Zellen sind symmetrisch, bei vielen mit einer Einschnürung in der Mitte, meist einzeln, seltener zu leicht zerreissenden Fäden verbunden. Das Chlorophyll ist entweder sternförmig um zwei stärkehaltige Körper auf die beiden Hälften der Zelle verteilt, zentral, d. h. der Wand nicht anliegend, oder tritt in Form von Platten, welche ebenfalls der Wand nicht anliegen, oder endlich in mehr oder weniger spiralig gerollten der Wand anliegenden Bändern auf. Bei der Vermehrung treten die beiden Zellhälften an der Einschnürung aus einander und zwischen ihnen entwickelt sich an jeder eine neue Zellhälfte, die ursprünglich rundlich und glatt ist und erst allmählich die Form der andern Zellhälfte bei weiterem Wachstum erhält (vergl. Fig. 3 e). Bei der als Kopulation bezeichneten geschlechtlichen Fortpflanzung tritt der Inhalt zweier Zellen aus der Membran hervor und vereinigt sich zu einer einzigen, den Mutterzellen durchaus unähnlichen Zelle, welche den Namen Zygospore führt (vergl. Fig. 3 f Zygospore von Micrasterias) und einen Ruhezustand darstellt; bei der Keimung[S. 49] entwickeln sich aus ihr eine bis vier, meist zwei Keimzellen, aus denen dann wieder durch Teilung die gewöhnlichen Zellen entstehen. Die Desmidieen besitzen ein geringes vom Licht abhängiges Bewegungsvermögen.
Eine Beschreibung der einzelnen Gattungen lässt sich an dieser Stelle nicht geben; für die Abbildung wurden einige der zierlichsten Desmidieen gewählt, in denen der Inhalt der Zellen wegen der geringen Vergrösserung nur angedeutet oder ganz weggelassen wurde.
Die zweite Familie, die Zygnemaceen, wird aus fadenförmigen unverzweigten Algen gebildet, deren Chlorophyll zu spiraligen Bändern (Spirogyra), Doppelsternen (Zygnema, Zygogonium), axilen Platten (Mongeotia, Mesocarpus) zusammentritt. Ihre geschlechtliche Fortpflanzung ist derjenigen der Desmidieen sehr ähnlich, nur kopulieren meist Zellen verschiedener Fäden mit einander, indem sie bei leiterförmiger Kopulation Ausstülpungen gegen einander treiben (wie dies Fig. 3 p in verschiedenen Stadien der Kopulation dargestellt ist), oder indem sich die Zellen bei knieförmiger Kopulation[S. 50] direkt an einander legen, was durch eine Biegung der Fäden gegen einander bewirkt wird. Selten kopulieren zwei neben einander liegende Zellen ein und desselben Fadens (seitliche Kopulation), indem sie ebenfalls Ausstülpungen gegen einander treiben. Haben sich die Ausstülpungen an einander gelegt, so beginnt eine Veränderung in den Zellen, der Inhalt ballt sich zusammen, indem Wasser ausgestossen wird, und derjenige der einen Zelle fliesst in die andere hinüber, um sich mit dem Inhalt dieser zu vereinigen, oder beide Plasmamassen treten aus den Zellen hervor und treffen sich zwischen den Fäden. Im erstem Falle entsteht das Produkt der geschlechtlichen Vereinigung — die Zygospore — in einer der Mutterzellen, im andern zwischen den beiden Mutterzellen. Die Zygosporen der Zygnemaceen sind weit weniger mannigfaltig als die der Desmidiaceen; auch sie machen eine Ruheperiode durch, nach welcher sie keimen. Die Zygnemaceen finden sich im ersten Frühjahr, sowie nur das Eis unsere Teiche und Tümpel verlassen hat, überall in stehenden Gewässern als schleimige hellgrüne Flocken oder Fadenmassen.
Beide Familien entwickeln keine beweglichen Fortpflanzungszellen, wie die meisten übrigen Grünalgen; einige, namentlich die grösseren Spirogyreen und Desmidieen, lassen aber im Innern der Zelle deutlich die Bewegung des Plasmas erkennen. Bei Closterium findet sich am Ende der beiden halbmondförmig gekrümmten Zellhälften ein farbloses Bläschen, in welchem eine Anzahl kleiner (aus Gips? bestehender) Körnchen sich sehr lebhaft bewegen (Fig. 3 m). Überhaupt bieten die Zellen der Conjugaten viele interessante Eigenheiten und sie sind auch, besonders die Gattung Spirogyra, ein sehr vielfach benutztes Objekt der Pflanzenphysiologen, weil die Grösse und Einfachheit der Zellen leichter eine eingehende Untersuchung ermöglicht. Besonders zu Studien über den Zellkern liefern sie ein vorzügliches Material und wir finden da, um eine Eigentümlichkeit zu erwähnen, bei Spirogyra beispielsweise einen grossen, flach scheibenförmigen, spindelförmig erscheinenden Zellkern, welcher mit an den Wänden befestigten Plasmafäden in der Mitte der Zelle aufgehängt ist.
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Die zweite Ordnung der Grünalgen, die Protococcoideae, fasst eine Gruppe sehr verschiedenartiger Organismen zusammen. Gemeinsam ist ihnen die Einzelligkeit und die Entwickelung von Schwärmzellen. Eine der drei hierhergehörigen Familien, die Volvocineen, zeigen eine solche Verwandtschaft zu den Flagellaten, einer Gruppe der niedersten Tiere, dass sie von den Zoologen einfach mit jenen vereinigt werden, und auch in diesem Buche unter jenen abgehandelt werden sollen[I]. Scheiden wir also an dieser Stelle die später in einem eigenen Kapitel eingehend behandelten Volvocineen hier aus, so bleiben zwei sehr ähnliche Familien übrig, Protococcaceae und Palmellaceae.
[I] Der Verfasser hält jedoch an der Ansicht fest, dass die Volvocineen ebensogut zu den Algen gestellt werden können, zu welchen sie unbestritten nahe Verwandtschaft zeigen.
Die Protococcaceae sind einzellige Algen, denen eine Teilung der Zellen zum Zweck einer vegetativen Vermehrung abgeht, welche dagegen eine ungeschlechtliche Fortpflanzung durch Schwärmsporen (Zoosporen) und eine geschlechtliche durch Kopulation von Schwärmsporen besitzen. Die Zellen bleiben dabei entweder zu Familien vereinigt oder sie lösen sich los und werden frei. Einen Vertreter der ersteren, das Wassernetz Hydrodyction utriculatum wollen wir als Beispiel wählen, dabei aber zugleich bemerken, dass wir hier einen viel komplizierteren Entwickelungsprozess vor uns haben, als bei den meisten übrigen Gattungen der Familie. Das Wassernetz (Fig. 4 a–d S. 52) bildet ein wirkliches Netz, dessen Maschen von einer Anzahl cylindrischer Zellen umschlossen sind, welche zu je drei an einem Punkte zusammentreffen (a). Die Chlorophyll führende grüne von Vacuolen unterbrochene Plasmaschicht kleidet die ganze Zellwand aus, ballt sich aber, wenn es zur Fortpflanzung kommt, in sehr kleine, zunächst ebenfalls der Wand anliegende Plasmaportionen zusammen. Die Fortpflanzung geschieht nun entweder geschlechtlich oder ungeschlechtlich. Im letztern Falle sind die Plasmaportionen, in welche der Zellinhalt zerfällt, grösser; anfangs eckig, runden sie sich allmählich ab (b) und bilden sich zu Schwärmsporen um, welche eiförmige Gestalt und zwei Geisseln besitzen. Auch zeigt sich ein Gegensatz zwischen dem geisseltragenden[S. 52] Ende, welches durchsichtig und hell, und dem geissellosen, welches grün und mit körnigem Plasma erfüllt ist. Man bemerkt auch ferner einen kleinen roten Punkt in dem hellen Teil, den Pigmentfleck, über dessen Bedeutung man nur Vermutungen hegt, vielleicht stellt er den Anfang eines Sinnesorganes vor. Diese[S. 53] Zellen, Makrogonidien genannt, schwärmen in der Mutterzelle einige Zeit umher, kommen aber allmählich zur Ruhe, indem sie sich zu gleicher Zeit in derselben Weise ordnen wie die Zellen des Mutternetzes und ein kleines diesem sehr ähnliches Netz bilden, welches, ohne dass durch Teilung neue Zellen darin entstehen, wächst und dem Mutterzellnetz völlig gleich wird. Die umhüllende Membran der Mutterzelle zerfliesst schon sehr früh in dem umgebenden Wasser (vergl. Fig. 4 c).
In derselben Weise wie die Makrogonidien, nur in viel grösserer Anzahl, bilden sich die Mikrogonidien, welche viel kleiner sind und vier Geisseln besitzen. Sie verlassen aber die Mutterzelle und schwärmen im Wasser umher, kopulieren und verlieren allmählich ihre Bewegung, indem sie zu rundlichen grünen Zellen werden, welche sich allmählich vergrössern. Diese Zellen stellen einen Ruhezustand dar, aus welchem sich nach einiger Zeit wenige zweigeisselige Schwärmzellen entwickeln, welche ebenfalls austreten, umherschwärmen und ihre Bewegung verlieren, aber sich nicht zu runden, sondern zu eigentümlich eckigen mit unregelmässigen Auswüchsen versehenen Zellen (d) entwickeln, in denen wieder die oben beschriebenen Makrogonidien entstehen und zu einem kleinen Netz zusammentreten.
So vielgestaltig ist der Entwickelungsgang bei den übrigen Protococcaceen in der Regel nicht, wir besitzen jedoch von den meisten noch keine genügende Kenntnis desselben. Von den übrigen Gattungen der Familie finden sich häufiger Pediastrum, dessen in einer Ebene gelagerte Zellen zu zierlichen, meist mit kleinen Hörnchen verzierten Täfelchen zusammentreten (f), Scenedesmus, dessen Zellen zu vier und acht mit der Längsseite aneinandergelagerte Reihen bilden und ebenfalls häufig Hörnchen oder Dornen zeigen (e) und Protococcus, welcher einfache nicht zusammenhängende runde Zellen bildet und häufig den grünen pulverigen Überzug von Baumstämmen, Holzzäunen und Schindeldächern bildet, aber in der heissen Jahreszeit verschwindet.
Die Palmellaceen sind äusserlich oft sehr schwer von den Algen der vorigen Familie zu trennen, unterscheiden sich aber in[S. 54] ihrer Entwickelungsgeschichte sehr wesentlich von jenen durch die Fähigkeit, sich durch einfache vegetative Zweiteilung zu vermehren, und durch den Mangel einer geschlechtlichen Fortpflanzung. Sie zeigen ebenfalls sehr zierliche Formen, wie die in Fig. 4 abgebildeten Vertreter dieser Familie: Cosmocladium (g) und Raphidium (h) darthun.
Eine andere Ordnung einzelliger Grünalgen wird durch die Siphoneen (Schlauchalgen) gebildet, welche jedoch nur in wenig Arten im süssen Wasser auftreten. Sie haben eine fadenförmige, langgezogene, reich verzweigte, oder eine auf verästelter Basis ruhende blasenförmige Gestalt, ohne dass sich jedoch zwischen den Ästen oder Verzweigungen Querwände in der Zelle fänden. Ihre Fortpflanzung geschieht auf geschlechtlichem und ungeschlechtlichem Wege. Die Gattung Vaucheria findet man in Gräben oder auf feuchter, schattiger Erde, zarte Fadenpolster bildend, die Gattung Botrydium namentlich auf überschwemmt gewesenen schlammigen Flächen als kleine stecknadelkopf- bis hanfkerngrosse schwarzgrüne Kügelchen.
In der vierten Ordnung treten uns die höchstentwickelten Formen der Grünalgen, die Confervoideae, entgegen. Auch bei ihnen herrscht in Gestalt und Fortpflanzungsweise die grösste Mannigfaltigkeit. Jedenfalls sind es stets mehrzellige Algen, deren Zellen meist in Fäden, oft mit Verzweigung, seltener in flächenförmigen Lagern angeordnet sind. Ihre Fortpflanzung ist noch nicht bei allen Gattungen bekannt, doch entwickeln wahrscheinlich alle bewegliche Schwärmzellen, welche teils ungeschlechtlicher Natur sind, teils zu mehr oder weniger deutlich ausgeprägten Geschlechtszellen werden.
Die einfachsten Formen aus dieser Ordnung bilden die eigentlichen Conferven, welche einfache Zellfäden bilden, sich von den Zygnemaceen aber leicht dadurch unterscheiden, dass bei ihnen das Chlorophyll gleichmässig der Zellwand anliegt. Bei der Gattung Conferva hat man bisher nur ungeschlechtliche Fortpflanzung durch Schwärmsporen wahrgenommen, während bei der sehr ähnlichen Ulothrix ausser dieser auch eine geschlechtliche Fortpflanzung insofern auftritt, als zwei kleinere Schwärmsporen mit einander[S. 55] verschmelzen (kopulieren) und das Produkt der Kopulation eine Dauerzelle ist, welche eine Ruheperiode durchmacht ehe sie keimt. Verzweigte Zellreihen finden wir bei den artenreichen Cladophoren, deren Entwickelungsgeschichte noch sehr wenig bekannt ist, trotzdem dass sie zu den häufigsten Süsswasseralgen gehören. Namentlich die Gattung Cladophora selbst, deren Artenstudium beinahe für sich allein eine Wissenschaft bildet und welche das Hieratium der Kryptogamen ist, findet sich in ihren verschiedenen Formen überall, und in Quellen und reinen Bächen werden wir häufig der überaus zierlichen etwas schlüpfrigen Draparnaldia begegnen. An Schilf und Holzstücken setzen sich gern kleine grüne Kugeln oder dem Geweih eines Hirsches ähnlich verzweigte gallertartige Körper fest, welche der Gattung Chaetophora angehören. Auch das im Gebirge allbekannte Veilchenmoos oder der Veilchenstein, Chroolepus Jolithus, gehört hierher, obgleich seine braunrote Farbe gar nicht zu den Grünalgen zu passen scheint. Dies kommt aber daher, dass neben dem Chlorophyll noch ein anderer Farbstoff, der in überwiegender Menge vorhanden ist, den Zellen die Färbung verleiht. Der Veilchengeruch, den diese Alge ausströmt, besitzt unter Umständen auch noch nach Jahren eine ziemliche Intensität.
Von den übrigen Familien dieser Ordnung wollen wir noch die Oedogoniaceen einer eingehenderen Berücksichtigung unterziehen, weil ihre Fortpflanzung und Entwickelungsgeschichte von besonderem Interesse ist und man die Vorgänge dabei auch verhältnismässig genau kennt. Die Gattung Oedogonium zeigt einfache unverzweigte Zellfäden, in denen schon eine sehr eigentümliche Zellteilung auftritt. Es bildet sich nämlich in der Zelle ein ringförmiger Wulst von dem Stoff der Zellwand, welcher unter dem Mikroskop allerdings nur an beiden Seiten der Zelle sichtbar ist (Fig. 5, 1 a). Plötzlich reisst die Membran der Mutterzelle an der Stelle dieses Wulstes auf und die Zelle streckt sich um das Doppelte in die Länge, der Wulst verschwindet, indem er zu einer anfangs sehr dünnen Zellwand für das neuzugewachsene Zellstück wird (Nr. 1 b). Erst dann bildet sich zwischen der alten und der neuen Zellhälfte eine Scheidewand. Der Riss der Mutterzellmembran bleibt übrigens[S. 56] dauernd sichtbar und oft sieht man Zellen, die ein förmliches Schraubengewinde zu tragen scheinen. Die ungeschlechtliche Fortpflanzung geschieht in der Weise, dass sich der Inhalt einer vegetativen Zelle zusammenballt, abrundet und, indem sich die Zelle durch einen kreisförmigen Riss (Nr. 2) öffnet, austritt. Sofort beginnt er vermöge eines Wimperkranzes (vergl. Nr. 3) sich zu drehen und davonzuschwimmen. Schliesslich setzt er sich irgendwo fest, entwickelt eine Haftscheibe am unteren Ende und wächst zu einem Zellfaden aus.
Wesentlich verwickelter ist die geschlechtliche Fortpflanzung und hier kommen in einer Gattung so viel Verschiedenheiten vor, wie wohl sonst im ganzen Pflanzenreich nicht wieder. Das Wesentliche des Vorganges ist, dass eine ruhende weibliche durch eine bewegliche männliche Fortpflanzungszelle durch Verschmelzung befruchtet wird. Die Verschiedenheiten werden durch die Art der Entwickelung der männlichen Zelle bewirkt. Wir wollen dabei einen der Fälle ins Auge fassen und auf die beobachteten Abweichungen hinweisen. Die männlichen Zellen entwickeln sich in Antheridien, welche entweder mit den weiblichen Zellen in demselben Faden entstehen (monoecische Arten) oder in besonderen Fäden (dioecische Arten), welche wiederum entweder normal sind und neben den Antheridien auch gewöhnliche vegetative Zellen enthalten, oder nur aus wenigen Zellen von abweichender Gestalt bestehen und dann als sogenannte Zwergmännchen sich auf den weiblichen Zellen oder in der Nähe derselben finden (Nr. 1 d). Diese[S. 57] Zwergmännchen entwickeln sich aus Schwärmsporen, welche ähnlich wie die ungeschlechtlichen gebildet werden und diesen auch ganz ähnlich, nur etwas kleiner sind. Diese Schwärmsporen schwärmen eine Zeit lang umher, setzen sich dann in unmittelbarer Nähe der weiblichen Organe fest und werden zu den Zwergmännchen, welche mit oder ohne eine etwas längere Fusszelle eine geringe Anzahl flach scheibenförmiger Zellen, Antheridien, entwickeln, in denen je zwei männliche Fortpflanzungszellen „Spermatozoiden“ entstehen (Nr. 4 a, b).
Die weiblichen Geschlechtsorgane, Oogonien, sind runde, angeschwollene Zellen, welche zwischen den vegetativen liegen (1 c). Zur Zeit ihrer Empfängnisfähigkeit bildet sich ebenso wie bei den vegetativen Zellen ein kreisförmiger Riss und die Zelle klappt auf; es tritt jedoch noch eine sehr dünne gewölbte mit einem kleinen Loch versehene Membran (1 e) hervor, welche die Eizelle abschliesst. Zu gleicher Zeit öffnet sich das Antheridium und entlässt die Spermatozoiden, von denen eins durch das Loch der erwähnten zarten Membran schlüpft und unter bohrender Bewegung sich mit dem Ei vereinigt. Hierauf umgiebt sich die Eizelle mit einer starken oft stacheligen Membran (5) und macht eine Ruheperiode durch. Wenn es zur Keimung kommt, reisst die Sporenmembran durch und der in eine Schleimhülle gebettete Inhalt tritt hervor, um sich in vier Schwärmzellen zu teilen (6), welche ausschwärmen, sich nach einiger Zeit festsetzen und neue Oedogonienfäden entwickeln. So kompliziert ist die Entwickelungsgeschichte eines so einfachen Wesens!
Wir konnten bei dem geringen zu Gebote stehenden Raum nur einzelne interessante Vorgänge eingehender betrachten, aber wenn auch wesentlich anders, finden sich nicht minder verwickelte Prozesse bei anderen Gattungen, wie Sphaeroplea und Coleochaete, die hier übergangen werden müssen.
[S. 58]
Nur ein überaus kümmerliches Bild von der farbenprächtigen Algengruppe wird uns durch die wenigen Vertreter des süssen Wassers zu teil, und diese sehen oft noch nicht einmal rot aus sondern braun, schwärzlich, violett oder grün. Die in schnellfliessenden Gebirgsbächen auftretende Gattung Lemanea zeigt Formen, die man äusserlich feinen im Wasser geschwärzten Würzelchen vergleichen möchte, Batrachospermum, schleimige reich verzweigte Fadenmassen von sehr zierlichem Aussehen unter dem Mikroskop und meist blaugrüner oder grauvioletter Farbe, Chantransia, deren Arten vielleicht nur Jugendzustände von Batrachospermum sind, ist der vorigen Gattung ähnlich, nur weit einfacher gebaut und nur Hildebrandtia zeigt leuchtend purpurrote Überzüge auf Steinen. Das sind, von einigen sehr seltenen abgesehen, unsere Süsswassergattungen.
Bei den Rhodophyceen finden sich zweierlei Arten der Fortpflanzung, eine ungeschlechtliche und eine geschlechtliche. Die erstere findet in der Weise statt, dass sich gewöhnlich vier in Tetraden zusammen liegende Zellen zu Sporen (Tetrasporen) umbilden. Bei der geschlechtlichen Fortpflanzung bilden sich weibliche Zellen (Carpogonien) und männliche rundliche Fortpflanzungszellen, welche beide unbeweglich sind. Das Carpogon entwickelt noch einen Halsteil (Trychogyne), an welchen die männlichen Zellen vom Wasser herangespült werden, festhaften und die Befruchtung vollziehen. Hierauf sprossen aus dem Carpogon Zellfäden, welche an ihrem Ende ebenfalls unbewegliche Fortpflanzungszellen abgliedern, diese keimen dann und entwickeln neue Pflänzchen. Bei unseren Süsswasserarten sind diese Vorgänge aber noch nicht ganz erforscht, und da dieselben gegenüber den anderen Algengruppen an Zahl und Formenreichtum weit zurückbleiben, so mag dieser kurze Hinweis genügen.
[S. 59]
Den Algen nahestehend, aber höher entwickelt und in manchen Punkten den höheren Kryptogamen ähnlich, tritt uns noch eine seltsame Gruppe echter Wassergewächse in den Armleuchtern oder Charen entgegen. Die Armleuchter unterscheiden sich von den Algen durch die grosse Regelmässigkeit ihres Aufbaues sowie durch die hochentwickelte Fortpflanzung. Sie bilden in der Regel kleine Büsche von wenigen Stengeln, welche oft reich verzweigt sind und in gewissen Abständen quirlständige, wieder mit einfacheren Blättchen versehene „Blätter“ tragen. An den Blättern (bei einer Gattung auch in den Blattachseln) stehen die Fortpflanzungsorgane: die weiblichen Sporenknöspchen, die männlichen Antheridien genannt. Die Sporenknöspchen bestehen aus einer Eizelle und fünf schlauchförmigen Hüllzellen, welche die erstere umgeben und an der Spitze noch bei den eigentlichen Charen je eine, bei den Nitellen je zwei zu einem fünf- oder zehnzelligen Krönchen zusammentretende Zellen abgliedern. Ist die Eizelle empfängnisfähig geworden, so fällt das Krönchen ab oder die Zellen desselben weichen auseinander, so dass die männlichen Fortpflanzungszellen freien Zutritt zu den weiblichen erhalten. Die männlichen Fortpflanzungszellen (Spermatozoiden) sind spiralig gewundene Fäden, welche an ihrem vorderen Ende zwei lange Geisseln tragen und denen höherer Kryptogamen, besonders denen der Torfmoose ausserordentlich ähnlich sind. Sie entstehen in sehr kompliziert gebauten Antheridien von roter Farbe und kugeliger Gestalt. Bei der Befruchtung dringen die aus dem klappenförmig aufspringenden Antheridium ausschwärmenden Spermatozoiden in das Sporenknöspchen durch die auf oben angegebene Weise entstandene Öffnung ein und verschmelzen wahrscheinlich mit der Eizelle; das letztere hat man noch nicht beobachtet. Hierauf umgiebt sich die Eizelle mit einer holzigen Schale, auch häufig noch mit einem Kalkmantel und macht eine oft jahrelange Ruheperiode durch, ehe sie keimt. Aus der Spore entwickelt sich zunächst ein sehr einfacher Vorkeim, der nach unten feine, einfache, weisse Fäden aus langgestreckten Zellen, Wurzeln, entsendet, nach oben einen grünen Stengel entwickelt, welcher nur einen sehr einfachen Blattquirl trägt. An Stelle des einen Blattes in diesem[S. 60] Quirl tritt der Stengel der eigentlichen Charenpflanze auf, welche zwar sehr einfach, aber sehr regelmässig gebaut ist. Zwischen je zwei Blattquirlen tritt eine einzige oft sehr lange und dicke Zelle, die Internodialzelle, auf, dann folgt eine flache und darauf wieder eine Internodialzelle. Diese erleiden ausser weiterem Wachstum keine Veränderung mehr, während die erwähnte flache Zelle sofort wieder eine Anzahl Zellen an ihrer Peripherie bildet, aus denen die Blätter entstehen. An den Blättern wiederholt sich derselbe Wechsel zwischen Internodial- und Knotenzellen und die letzteren gliedern wieder peripherische Zellen ab, aus denen dann die stets einzelligen Blättchen entstehen. Aus den Knoten der Stengel und Blätter entsteht auch ihre Berindung, indem schon in sehr jugendlichem Alter der Sprosse vom Knoten aus aufwärts und abwärts eine Anzahl röhrenförmiger Zellen wachsen, welche ungefähr in der Mitte des Internodiums zusammentreffen und dasselbe rings umhüllen. Aus gewissen kurzbleibenden Zellen der Berindung wachsen auch manchmal Stacheln hervor, welche die Pflanze oft ganz behaart erscheinen lassen (z. B. Chara crinita). Bei der Gattung Nitella fehlt die Berindung, auch die Blätter sind anders gebaut. Eine ungeschlechtliche Fortpflanzung fehlt den Charen, nur eine vegetative Vermehrung durch Wurzelknöllchen oder verschiedenartige aus den Knoten hervortretende Sprosse ist vorhanden.
Ein besonderes Interesse bieten die Armleuchter durch die Strömung des Protoplasmas in den Zellen, welche man hier deutlicher als irgend sonst im Pflanzenreich beobachten kann, was zumteil mit der Grösse der Zellen zusammenhängt. Diese gehören nämlich zu den grössten überhaupt bekannten Zellen, denn sie werden bei manchen Arten (z. B. die ersten Internodialzellen von Tolypella prolifera) bis 20 cm lang und bis 2 mm dick. Im Innern der bei der Grösse der Zellen dünnen Zellwand findet sich zunächst eine eng anliegende ruhende Protoplasmaschicht, welche die reihenweise angeordneten Chlorophyllkörner trägt. Auf diese folgt eine Protoplasmaschicht, welche sich in einem geschlossenen, in der Längsrichtung der Zellen liegenden Ringe bewegt und zwar so, dass der Strom auf der einen Seite der Zelle aufsteigt, am oberen[S. 61] Ende derselben umbiegt und auf der anderen Seite wieder absteigt, um am unteren Ende wieder umzubiegen. Die Plasmaschicht führt eine Anzahl heller Zellkerne und kleinere Körnchen mit sich und bewegt sich bald langsamer, bald schneller, je nach Temperatur und Beleuchtung und wohl auch nach dem Alter der Zellen. Besonders schön ist diese Plasmaströmung (Rotation) bei den nicht berindeten Nitellen zu sehen, weil die berindeten Charen ausser den Rindenzellen auch noch sehr häufig eine dicke Kalkinkrustation zeigen, welche den Zellinhalt verdeckt. Die Plasmaströmung hat denn auch die Gattung Nitella zu einem wertvollen Objekt für die Pflanzenphysiologie gemacht, ohne dass man jedoch trotz vieler Untersuchungen über diesen Punkt vollständige Aufklärung erhalten hätte.
Die Characeen sind eine zwar artenarme aber formveränderliche und schwierige Pflanzengruppe, welche ziemlich isoliert im Pflanzenreiche dasteht, von den Systematikern bald bei den Algen, bald bei den Moosen untergebracht wird. Vielleicht ist es am besten, sie als eigene Gruppe zwischen beide zu stellen. Sie finden sich besonders im süssen Wasser, wo sie oft vollständig den Grund der Seen überziehen. Einzelne Arten, so Ch. foetida, entwickeln einen widerwärtigen Geruch, den man beim Austrocknen von Charen bewohnter Tümpel oft auf weite Entfernungen wahrnimmt.
Von den anderen Wasserkryptogamen mögen zunächst noch die Torfmoose erwähnt werden, welche wenigstens gewissen Wasseransammlungen ihren Charakter verleihen, besonders den Tümpeln der Hochmoore. Hier bilden sie nicht nur ein dichtes Polster um die Wasserfläche herum, sondern fluten auch noch in dem Wasser selbst. Sie sind von den anderen Moosen leicht durch die eigentümliche Bildung der Blätter zu unterscheiden, denn diese bestehen nicht wie bei den letzteren aus gleichartigen Zellen, sondern aus grossen luftführenden weissen, schief rhombischen, durch spiralige Leisten verdickten und mit Öffnungen nach aussen versehenen Zellen und aus dazwischen liegenden schmalen chlorophyllhaltigen. Die Fortpflanzung der Torfmoose, wie die der Moose[S. 62] überhaupt, ist durch einen sogenannten Generationswechsel charakterisiert. An der Moospflanze entstehen die Geschlechtsorgane in „Blüten“, bald männliche, Antheridien, und weibliche, Archegonien, zusammen, bald getrennt. Im Grunde des Archegoniums findet sich eine Eizelle, welche durch die den beschriebenen Spermatozoiden der Charen ähnlich gestalteten, aus den Antheridien entstandenen Samenkörperchen befruchtet werden. Die befruchtete Eizelle entwickelt sich zu der zweiten, ungeschlechtlichen Generation, der Mooskapsel. Diese bringt in ihrem Innern eine Anzahl unbefruchtete Sporen hervor, aus denen sich bei der Keimung Vorkeime entwickeln und an diesen wieder die geschlechtliche Generation, die Moospflanzen.
Bei den höher stehenden Farnpflanzen oder Pteridophyten, von denen eine Gruppe, die Wasserfarne (Hydropteriden), recht eigentliche, obwohl seltene Wasserbewohner sind, findet sich ebenfalls ein deutlich ausgesprochener Generationswechsel; nur ist hier die geschlechtliche Generation ein unscheinbares kleines lebermoosartiges Gebilde, an welchem die ungeschlechtliche hochentwickelte Pflanze, das eigentliche Farnkraut, entsteht, also ganz entgegengesetzt den Moosen.
Von den bei uns heimischen Wasserfarnen ist am häufigsten Salvinia natans, ein zierliches auf dem Wasser schwimmendes Gewächs, welches entfernt einem Akazienblatt ähnlich ist. Die Salvinia trägt zwei Arten von Blättern, zwei Reihen laubartige, nach oben gekehrte und eine dritte Reihe sehr fein zerschlitzter in das Wasser hineinragender, welche man sich schwer entschliessen kann, nicht für Wurzelbüschel anzusehen. Viel seltener und in Deutschland nur in Schlesien und am Rhein heimisch ist die dort Wasserklee oder Vierklee genannte Marsilia quadrifoliata, welche in der That einem Stock nur Vierblätter tragenden Klees ausserordentlich ähnlich ist.
Auf dem Grunde unserer Seen lebt noch eine dritte Gattung in wenigen Arten, Isoetes, welcher ebenso wie die zerstreut durch Deutschland in Wiesengräben vorkommende Pillularia an kleine Binsenbüsche erinnert.
[S. 63]
Nicht eigentlich zu den Wassergewächsen gehören die Schachtelhalme, aber eine Anzahl Arten lieben die Ufer von Teichen und Sümpfen und verleihen ihnen so einen bestimmten Charakter. Damit sind die Wasserkryptogamen, abgesehen von den Pilzen, erschöpft und wenn die höher organisierten, die Moose und Farne, vermöge ihrer Grösse weit mehr in die Augen fallen und die Flora eines Wassers mehr zu bestimmen scheinen, so verschwindet ihre Zahl doch gegen den Reichtum an Formen, und an Schönheit gegenüber den mikroskopischen Algen.
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Für Süsswasseralgen sind folgende allgemeine Werke von besonderer Wichtigkeit:
1. Rabenhorst, Flora Europaea Algarum aquae dulcis et submarinae.
2. Kützing, Species Algarum.
3. „ Tabulae phycologicae.
4. De Toni, Sylloge Algarum (bis jetzt Chlorophyceen erschienen).
5. Hansgirg, Prodromus.
6. Kirchner, Algenflora von Schlesien.
7. Falkenberg, Algen in Schenk, Handbuch der Botanik.
Für Diatomeen sind eine grosse Anzahl, aber meist sehr teuere Werke erschienen, dem Anfänger mögen Rabenhorsts Süsswasserdiatomeen (mit 10 Tafeln) genügen. Um die mikroskopische Technik zu erlangen, studiert man am besten Strassburgers Botanisches Praktikum (1884).
[S. 65]
Von Prof. Dr. Friedrich Ludwig.
[S. 67]
Die Beziehungen der Pflanzenwelt zu ihrer belebten und unbelebten Umgebung sind so mannigfaltige, die Anpassungen so ungeahnt bis ins einzelne gehend, dass trotz der grossen Zahl der Forscher, die sich in der Gegenwart auch hier, wie auf allen Gebieten geistiger Arbeit, zusammengefunden haben, um diese Beziehungen aufzudecken, fortgesetzt neue Entdeckungen zu verzeichnen, neue Fragen zu beantworten, neue Probleme zu lösen sind. Wir erinnern nur an die merkwürdigen gegenseitigen Anpassungen der beiden grossen Familien der Feigen und der Feigenwespen[1], an die Ameisenpflanzen[2], die Milbenpflanzen mit ihren Milbenhäuschen (Acarodomatien)[3], die mannigfachen Eigenschaften, welche die Pflanzen im Zusammenleben mit den Schnecken und anderen omnivoren niederen Tieren und als Schutz gegen dieselben erhalten haben[4], an die höchst eigentümliche Art der Ernährung unserer Waldbäume und vieler anderen Pflanzen durch die Vermittelung der Pilze (Mycorrhizen der Cupuliferen, Ericaceen etc.), die Stickstoffernährung der Hülsenfrüchtler durch die Wurzelknöllchen bildenden Bacillen (Bacillus radicicola Beyerinck, Franks Rhizobium), an die fleischverdauenden Pflanzen, an die Beziehungen zwischen gewissen Wirts- und Schmarotzerfamilien und -Arten, wie sie z. B. bei der Gruppe der Rostpilze so mannigfach zu Tage treten (die Gattung Phragmidium ist auf die Rosaceen, die Ravenelia auf Leguminosen beschränkt, Gymnosporangium bildet die erste Generation nur auf Pomaceen, die zweite und dritte auf Coniferen aus etc.), — der grossen Kapitel von den Anpassungen der Blumen und Blüten an Insekten,[S. 68] Vögel, Wind etc., von den Verbreitungsmitteln der Früchte und Samen, den Schutzmitteln gegen allerlei schädigende Einflüsse, die ganz besondere Bearbeitung gefunden haben, nicht zu gedenken. Immerhin hat man eine stattliche Anzahl solcher Beziehungen der Pflanzen zu der übrigen organischen und unorganischen Welt aufgedeckt, die Fäden gefunden, welche die verschiedensten Naturkörper einheitlich verknüpfen, zu einem Naturganzen zusammenschlingen — soweit es sich um Landtiere und Landpflanzen handelt. Nicht so weit ist man in die Lebensgeheimnisse der Wasserwelt eingedrungen.
Das Pflanzenleben im Wasser ist doch an ganz andere Bedingungen geknüpft. Luft und Erde mit ihren Organismen und unorganischen Bestandteilen sind es allein, mit und in welchen die gewöhnliche Landpflanze zu leben hat. Eine dritte Hülle unseres Planeten, die Wasserhülle, mit all ihren abweichenden physikalischen und chemischen Eigenschaften, mit einer ganz anderen Lebewelt, die teils der Pflanze von Nutzen ist, teils von ihr abgewehrt werden muss, ist das Element der Wasserpflanzen. Dazu kommt, dass auch das Luftmeer über dem Wasser und der Erdboden unter dem Wasser andere physikalische Eigenschaften und ein anderes Tierleben besitzt als Luft und Boden im Trocknen. Das grössere spezifische Gewicht des Wassers macht gewisse Einrichtungen der Landpflanzen, welche der Festigung dienen, überflüssig, indem das Wasser einen guten Teil der Last der Pflanzenorgane bei Wasserpflanzen trägt. Das Verhalten des Wassers zur Wärme ist der Pflanzenwelt besonders günstig. Die Temperaturveränderungen erfolgen allmählich, nicht plötzlich wie die der Luft und des trocknen Bodens, und vermöge seiner Eigenschaft, bei + 4° C. den kleinsten Raum einzunehmen oder die grösste Dichtigkeit zu haben, gefriert das Wasser nur an der Oberfläche, in der Tiefe eine Temperatur von über 0° bewahrend, welche auch dem Boden der Gewässer zu gute kommt. Im Wasser, am und im Boden der Gewässer, können daher Gewächse überwintern, welche am Lande im Winterfrost zugrundegehen würden. Daher sind auch die eigentlichen Wasserpflanzen ausdauernd, mit Ausnahme der uferbewohnenden[S. 69] Tännelarten (Elatine) und des Nixenkrautes (Najas flexilis und minor); und auch von solchen Arten, die in einer besondern einjährigen Landform vorkommen, wie dem Wasserhahnenfuss, dem schwimmenden Igelkolben etc., ist die Wasserform ausdauernd, auch im Winter flutend.
Die Löslichkeit für die Bestandteile der atmosphärischen Luft ist eine ungleiche und das Wasser nimmt von ihnen nur 2–3% Sauerstoff auf, während das Luftmeer davon etwa 21% enthält; dagegen hat das Wasser einen hohen Kohlensäuregehalt, auch die Bodengase haben eine wesentlich andere Zusammensetzung auf dem Wassergrund als am Lande. Schliesslich sind die Beleuchtungsverhältnisse im Wasser, das einen guten Teil der Sonnenstrahlen absorbiert, andere als in der Luft.
Diese und ähnliche Verhältnisse müssen in dem Bau und der Entwickelung der Wasserpflanzen zum Ausdruck gekommen sein und thatsächlich werden uns die wesentlichsten Unterschiede zwischen Land- und Wasserpflanzen von diesem Gesichtspunkte aus verständlich.
Von vornherein ist im Wasser ein fünffaches Pflanzenleben denkbar: 1. Das Leben im Boden der Gewässer (Schlammpflanzen). 2. Das Leben in Boden und Wasser (submerse Wasserpflanzen mit Wurzeln). 3. Das Leben im Wasser (nichtwurzelnde submerse Wasserpflanzen). 4. Das Leben in Wasser und Luft (nichtwurzelnde Schwimmpflanzen und nichtwurzelnde submerse Pflanzen, welche ihren Blütenstand über Wasser zur Entwickelung bringen) und 5. Das Leben in allen drei Medien zugleich (wurzelnde Pflanzen, welche ihren Blütenstand über Wasser entwickeln und die eigentlichen Sumpf- und Uferpflanzen). Von Schlammpflanzen, welche in dem an toter organischer Substanz reichen, lockeren, auch im Winter nicht gefrierenden Boden unserer Gewässer leben, sind bisher wohl nur die niedersten Pilzformen bekannt geworden, welche aber zumteil bedeutende Veränderungen an der Erdoberfläche hervorgebracht haben und die Zusammensetzung der Nährstoffe für die phanerogamischen Süsswassergewächse nicht unwesentlich beeinflussen. Erinnert sei an die Spaltpilze der Cellulosegärung (Bacillus Amylobacter etc.), die Bildner des Sumpfgases, durch dessen Wirkung[S. 70] der Gips unter Entwickelung von Schwefelwasserstoff in kohlensauren Kalk umgewandelt wird, ferner an die „Schwefelbakterien“ (Beggiatoa, Clathrocystis rosea-persicina, Ophidomonas etc.), welche den Schwefelwasserstoff der Cellulosegärung zu Schwefel, den sie in Form kleiner amorpher Kügelchen in der Zelle aufspeichern, und letztern sodann zu Schwefelsäure oxydieren. Durch die letztere verwandeln sie die Karbonate wieder in Sulfate und geben freie Kohlensäure an das Wasser ab. Auch die von Winogradski als „Eisenbakterien“ bezeichneten Bildner des Sumpf- und Wiesenerzes u. a. gehören hierher[5].
Die phanerogamischen Wassergewächse gehören den übrigen Abteilungen an, deren Lebensverhältnisse, soweit sie sicher bekannt sind, im folgenden an einigen ausführlicheren Beispielen etwas eingehender behandelt werden sollen.
Die Ernährung der Landpflanzen geht bekanntlich im grossen und ganzen in der Weise vor sich, dass das Wasser des Bodens mit den darin gelösten Nährsalzen von der Wurzel nach den chlorophyllhaltigen Geweben des Blattes emporgehoben und mit der aus der Atmosphäre durch die Blätter aufgenommenen Kohlensäure zu den ersten organischen Verbindungen (Stärke etc.) verarbeitet, „assimiliert“ wird. Die Bewegung des Wassers wird dabei wesentlich durch die an der Blattfläche, besonders auch durch die in den Spaltöffnungen der untern Blattseite stattfindende Verdunstung und hierdurch ausgeübte Saugkraft auf die darunter gelegenen Elemente bewirkt. Dieser „Transspirationsstrom“ geht durch die Gefässe von der Wurzel durch die Hauptachse zu den seitlichen Auszweigungen und den Blättern an ihnen, während die Kohlensäure durch die Spaltöffnungen in das „Schwammparenchym“ des Blattes gelangt. Das Blatt zeigt in der Regel unter chlorophyllfreier Epidermis oben das zu den Beleuchtungsverhältnissen in der Luft in Beziehung stehende sogenannte Pallisadengewebe, unten,[S. 71] innerhalb der von den Spaltöffnungen durchsetzten Epidermis, das Schwammgewebe mit den Atemhöhlen.
Bei den submersen Wasserpflanzen kommt dieser Transspirationsstrom, mit ihm der strenge Gegensatz von Haupt- und Nebenachse und das Hervortreten der Gefässe in Wegfall.
Die Spaltöffnungen fehlen den untergetauchten Blättern. Die Aufnahme der im Wasser gelösten Kohlensäure sowohl, wie der anorganischen Nährsalze, geschieht direkt durch die dünnwandige chlorophyllhaltige Epidermis[6]. Die Wurzeln dienen in der Hauptsache da, wo sie vorhanden sind, als Haftorgane, haben ihre Rolle der Nahrungsaufnahme verloren (besitzen keine Wurzelhaare mehr etc.), in vielen Fällen fehlen sie jedoch gänzlich. Da die ganze grüne Blattmasse an ihrer Oberfläche durch Diffusion die Aufnahme der flüssigen Nahrung und den Gasaustausch besorgt, muss bei ihr das Prinzip der äussern Oberflächenvergrösserung durch tiefgehende Zerteilung und Verzweigung, das den Grundbau der ganzen höhern Pflanze (Verzweigung von Wurzel und Stamm) im Gegensatz zu dem der höheren Tiere beherrscht, besonders zur Geltung kommen. Spaltet man einen Würfel oder einen andern Körper fortgesetzt, so kann man bekanntlich, ohne das Gesamtvolumen zu ändern, die Oberfläche bis zu jeder beliebigen Flächengrösse hinauf wachsen lassen. Derartig ist auch die Vergrösserung der mit der spärlichen Sauerstoffmenge im Wasser haushaltenden Atmungsorgane (Kiemen) unserer Wassertiere. Thatsächlich ist nun den submersen Wasserpflanzen mit wenigen Ausnahmen und nicht allein ihnen, sondern auch den untergetauchten Wasserblättern der Pflanzen der vierten und fünften Gruppe eine weitgehende Zerschlitzung des Blattes bis zu feinen haar- oder borstenförmigen Abschnitten gemein. So z. B. den Arten des Hornblattes (Ceratophyllum), des Tausendblattes (Myriophyllum), des Wasserschlauches (Utricularia), der Sumpffeder (Hottonia), der Aldrovandie. So sind wenigstens die untergetauchten Blätter haarförmig fein geteilt bei den Wasserhahnenfussarten (Batrachium), bei der Rebendolde (Oenanthe[S. 72] Phellandrium etc.). In anderen Fällen sind die dünnen Blätter zwar einfach, aber schmallinealisch, so z. B. bei der Wasserpest (Elodea), der Vallisnerie (Vallisneria spiralis), den Wassersternen (Callitriche) u. a. Die feine Zerteilung etc. sichert zugleich das Blatt vor einem Zerreissen durch Wasserströmungen und Wassertiere.
Betrachten wir des weitern die untergetauchte Wasserpflanze in ihren Beziehungen zu ihrer Umgebung an einigen besonderen Beispielen.
Das Gemeine Hornblatt (Ceratophyllum demersum) ist eine in Teichen, langsam fliessenden Gewässern und am Rande von Seen weit verbreitete, wurzellose, frei im Wasser flutende Art mit quirlig stehenden, wiederholt gabelspaltigen, feingeteilten Blättern an verzweigtem runden Stengel, der an der Spitze fortwächst, vom untern Ende aus absterbend. Es ist die einzige Pflanzengattung des Süsswassers, welche streng hydrophil ist, d. h. zur Übertragung des Pollens vom Staubgefäss zur Narbe des Stempels des Wassers bedarf, während von Meerespflanzen eine Anzahl hydrophiler Pflanzen bereits seit längerer Zeit bekannt ist. Als ich vor zehn Jahren auf Veranlassung meines Freundes Hermann Müller die Bestäubungsverhältnisse unserer Süsswasserpflanzen und ihre Anpassungen an das Wasser und gewisse wasserbewohnende Insekten einem eingehenderen Studium unterzog[7], da war über diese — wie H. Müller sagt — „bis dahin auffallend vernachlässigte Gruppe“ noch so gut wie gar nichts bekannt. Ceratophyllum demersum (Fig. 6) zeigte mir einen in wunderbarer Weise der Wasserbefruchtung angepassten Mechanismus. Männliche und weibliche Blüten stehen, kaum gestielt, getrennt in verschiedenen Blattwirteln ordnungslos durcheinander (nur scheinen zu unterst die weiblichen Blüten zu überwiegen). Die männlichen staubgefäss- und pollenreichen Blüten sind in beträchtlich grösserer Zahl vorhanden, als die weiblichen. Letztere enthalten in einem anliegenden vielzipfeligen Kelche einen ovalen Fruchtknoten mit einem den Kelch um das vier- bis fünffache überragenden hakig nach unten gekrümmten Griffel, der sich nach der Spitze zu allmählich verschmälert. Der letztere ist nirgends warzig, doch sondert seine[S. 73] ganze Unterseite einen Klebstoff ab und fungiert als Narbe. — Der männliche Blütenstand besteht aus 12–16 sehr kurz gestielten Antheren, die von einer vielteiligen Hülle umgeben sind. Die einzelnen Teile der letztern sind linealisch, gestutzt, meist zweidornig. Die Staubgefässe bestehen im unteren, dem kurzen Stiele aufsitzenden Teile aus zwei seitlich sich längs öffnenden Pollenkammern und im oberen Drittel aus lockerem lufthaltigen Gewebe, an der Spitze mit zwei nach der Mitte zu gekrümmten Dörnchen, zwischen denen meist noch eine schwärzliche, mehr oder weniger[S. 74] gerade höckerige Drüse sich befindet. Diese Spitzenanhängsel des pollenerzeugenden Apparates (ebenso wie die sie einschliessenden Dornspitzen) kommen in fast gleicher Weise an den Enden der Hüllblätter und Laubblätter vor (vgl. Fig. 6 k). Sie sind nach neueren Untersuchungen[8] tanninhaltig und bilden nach Stahl[4] ein wirksames Schutzmittel gegen Wasserschnecken, wohl auch gegen andere Wassertiere. Zur Befruchtung stehen sie in keiner Beziehung. Anders verhält es sich mit dem aus lockerem lufthaltigen Gewebe bestehenden Antherenfortsatz, den ich als „Auftrieb“ bezeichnet habe. Derselbe macht das ganze Staubgefäss spezifisch leichter als Wasser und treibt dasselbe, wenn es aus der Blüte losgelöst wird, nach der Oberfläche des Wassers. Die rundlichen oder länglichen nur von einer zarten Haut umgebenen Pollenkörner haben genau das spezifische Gewicht des Wassers, so dass sie in jeder beliebigen Tiefe suspendiert bleiben. Dieses verschiedene spezifische Gewicht der Pollenkörner und des gesamten pollenerzeugenden Apparates, zusammen mit dem Verhalten der starrblättrigen Hülle, bestimmt den eigentlichen Pollentransport. Die Hüllblätter haben nämlich das Bestreben, sich nach innen zu biegen — an entleerten Blütenständen sind sie aufrecht —, so dass die Staubgefässe zur Zeit ihrer völligen Ausbildung keinen genügenden Platz mehr haben. Zur Zeit der Dehiscenz werden die letzteren daher aus der Hülle herausgepresst und schwimmen unter der Wirkung des Auftriebes nach oben, bis sie die Wasseroberfläche erreicht haben, oder, was häufiger geschieht, zwischen den hakigen Blättern der oberen Stengelglieder zurückgehalten werden. Während dieser Aufwärtsbewegung werden die Antheren entleert, wobei die durch den Auftrieb bedingte Vertikalstellung des Staubgefässes besonders günstig ist, und verbreiten sich — weil vom spezifischen Gewicht des Wassers — über den ganzen vom pollenerzeugenden Apparat bestrichenen Raum. Wird so schon das Wasser, in welchem Ceratophyllum wächst, überall von dessen grossen Pollenkörnern (40–50 µ breit und 50–75 µ lang)[S. 75] erfüllt, so kommt der Verbreitung der letzteren resp. einer Fremdbefruchtung durch dieselben nächst den Bewegungen des Wassers selbst und den passiven Bewegungen des Ceratophyllum durch Wassertiere ein anderer Umstand zu statten — die Eigenbewegung des Ceratophyllumstammes, die besonders in ruhigem, stehendem Wasser (in welchem ich meine Beobachtungen anstellte) nicht unterschätzt werden darf. Dieselbe wurde zuerst von E. Rodier[9] nachgewiesen. Die jungen (blütentragenden) Internodien haben eine vom Lichte unabhängige, komplizierte Bewegung, welche einen besonderen Fall der Darwinschen Circumnutationen[10] darstellt, sich aber von der Mehrzahl dieser durch die Weite und die verwickelte Art der Bewegung unterscheidet. Im allgemeinen biegen sich die Stämme früh von rechts nach links und am Nachmittag in entgegengesetzter Richtung. Zuweilen werden in sechs Stunden Winkel von 200°, in einem Fall wurde sogar in drei Stunden ein Winkel von 220° zurückgelegt. Zudem führen die Zweige um ihre Wachstumsachse Torsionsbewegungen aus. Die Biegung der Stämme ist schliesslich eine ganz eigentümliche, sie beginnt an der Spitze und pflanzt sich von da in abnehmender Stärke nach unten fort, während die Rückwärtsbewegung unten beginnt und oben endigt, so dass die letzten Internodien kurz vor ihrer Zurückbewegung zuweilen mit der Achse einen spitzen Winkel bilden. Berücksichtigt man noch, dass der Pollen in ausserordentlich reichlicher Menge erzeugt wird, so dürfte nach alledem eine erfolgreiche Fremdbefruchtung der — wie ich glaube etwas vor den Antheren entwickelten — weiblichen Blüten gesichert sein. — Herm. Beyer[11] spricht von einer gleichzeitigen Bewegung der weiblichen Blüten nach der Oberfläche, an welcher der vorher nicht entleerte Teil des Pollens umherschwimmt, doch habe ich eine solche Bewegung nicht wahrgenommen.
Die eigentümliche Befruchtungsweise der Ceratophyllumarten (bei den übrigen deutschen Arten C. submersum und C. platyacanthum wird sie in gleicher Weise angegeben) steht allem Anschein nach in der Mitte zwischen der der Seegräser einer-[S. 76] und der Hydrocharidaceen anderseits. Bei den Seegräsern (Zostera, Cymadocea, Halodule etc.) besteht der Pollen aus algenähnlichen bis zwei Linien langen Schläuchen, welche, vom spezifischen Gewicht des Wassers, direkt in dieses entleert werden und von den band- oder hakenförmigen Narben aufgefangen die Befruchtung bewirken; auch bei dem Nixenkraut (Najas), dessen Blütenverhältnisse Jönssen und Magnus näher studiert haben, kommen ähnliche Verhältnisse vor; die Pollenkörner sind aber hier nach Jönssen durch ihren Gehalt an Stärkekörnern schwerer als das Wasser und sinken nach unten, um von den Fangapparaten der tiefer sitzenden weiblichen Blüten aufgefangen zu werden (man vergleiche aber die diese Auffassung berichtigende Bemerkung von Magnus, nach dem erst die ausgekeimten Pollenkörner verbreitet werden). Durch den Mangel der Exine, der äusseren schützenden und oft mit Stachelfortsätzen besetzten Haut der Pollenkörner und das hohe spezifische Gewicht der letzteren stehen die Hornblattgewächse diesen submers blühenden Seegräsern nahe, während sie durch die sich loslösenden aufsteigenden Staubgefässe an die Hydrocharideen erinnern. Von letzteren ist die Vallisnerie (Vallisneria spiralis), die seit Jahrhunderten bekannte und schon vielfach poetisch und prosaisch geschilderte Wasserblume, wie eine im indischen Ozean heimische Verwandte (Enhalus acoroides), am charakteristischsten. Die ganzen männlichen Blüten lösen sich los und schwimmen während der Dehiscenz an der Wasserfläche umher, während die weiblichen Blüten auf langem schraubenförmigen Stiele die Oberfläche erreichen, um hier von den im Winde hin und her getriebenen Staubblüten die Pollenkörner aufzunehmen. Nach geschehener Befruchtung schraubt sich ihr Stiel wieder auf den Boden zurück, um hier die Früchte zu reifen. Auch bei der Wasserpest (Elodea canadensis), deren weibliche Form im Jahr 1836, nach Irland kam[12] und sich von da aus mit anfangs erschreckender Schnelligkeit überall in Europa ausbreitete, steigen in der nordamerikanischen Heimat die männlichen Blüten zur Höhe, um an der Oberfläche ihre Pollenmassen[S. 77] in die auf gestrecktem Fruchtknoten an die Oberfläche gelangten Stempelblüten auszuschütten. Bei Hydrilla verticillata, einer einheimischen Verwandten der Elodea, ist der Bestäubungsvorgang noch nicht ermittelt, wohl aber ein ähnlicher. Bei der Verwandten unseres Laichkrautes, der Meerstrands-Ruppie (Ruppia spiralis), streckt sich der Stiel des weiblichen Blütenstandes ähnlich wie der Blütenstiel der Vallisnerie schraubig zur Oberfläche, aber nur die aus den Antheren austretenden Pollenkörner gelangen infolge ihres geringen spezifischen Gewichtes zur Oberfläche, um dort herumschwimmend die weibliche Narbe zu erreichen.
Die Verbreitung der hakigen Früchte der Hornblattarten geschieht ohne Zweifel durch Wassertiere (Wasservögel, Wasserratten etc.), wie auch die leicht zerbrechlichen Zweige, die durch Fische und andere, auch über Land wandernde Tiere abgebrochen und an ihren hakigen Blättern verschleppt werden, leicht und schnell weiterwachsen, so dass in manchen Gegenden das Hornblatt eine der Wasserpest ähnliche Verbreitung erreicht hat.
Zwei weitere submerse Wasserpflanzen, der Wasserschlauch (Utricularia) und die ihm biologisch verwandte Aldrovandia, verdienen nach den Hornblattgewächsen ohne Zweifel zunächst unsere Beachtung.
Die Blasenpflanze (Aldrovandia vesiculosa), deren eigentliche Heimat die Gewässer des Südens von Südfrankreich und Italien bis Indien und Australien sind, findet sich zerstreut in Vorpommern, der Mark Brandenburg und Schlesien, ferner in den Etschsümpfen bei Bozen in Tirol und im Bodensee. Der submerse dünne Stengel wird kaum 30 cm lang und verästelt sich wenig; er ist dicht mit wirtelständigen Blättern besetzt, deren Stiel gegen das Ende breiter wird und in vier bis sechs steifen Vorsprüngen mit kurzen Borsten endet. Die dazwischen befindliche Spreite selbst erscheint, wenn sie geschlossen, blasenförmig. Abgesehen von den blasigen Blättern erinnert die Aldrovandie im Habitus an das Ceratophyllum; die starren Blattstacheln des letzteren sind wohl auch der Funktion nach den spitzen Seitenfortsätzen am Grunde der Aldrovandiablasen gleich. In einer anderen Hinsicht steht aber[S. 78] die letztere der prächtigen Venusfliegenfalle (Dionaea muscipula) sehr nahe, ja sie kann als eine kleine im Wasser wachsende Dionaea bezeichnet werden. Es ist bekannt, dass diese hübsch blühende Sumpfpflanze Carolinas (Fig. 7), welche in unseren Gewächshäusern nicht selten zu finden ist, auf breitem Blattstiel ein zweilappiges Blatt trägt, dessen Teile klappenartig zusammenschlagen, wenn sich ein Tier auf die Blattfläche setzt. Der Londoner Kaufmann Ellis, welcher die Dionaea benannte, hatte bereits beobachtet, dass auf jeder der beiden Blatthälften drei starre Haare befindlich sind, und gemeint, dass beim Zusammenschlagen des Blattes, dessen Randstacheln dann den Fingern der zum Gebet gefaltenen Hände ähnlich ineinandergreifen, Fliegen nicht nur gefangen, sondern durch die sechs messergleichen Spitzen durchbohrt würden, wie einst die Verbrecher von der „eisernen Jungfrau“ in der Folterkammer zu Nürnberg. Dies war ein Irrtum. Später fand man, dass die sechs Spitzen die Tentakeln des Blattes sind, deren Berührung ein ausserordentlich schnelles Schliessen des ganzen Blattes zur Folge hat, die aber selbst dabei den Klingen eines Taschenmessers ähnlich sich zusammenlegen. Das Blatt der Dionaea selbst kann man zwicken, stechen, schütteln, mit Wasser übergiessen, ohne dass es sich bewegt, stösst man aber einen der sechs Tentakeln mit einem Strohhalm leise an, so schliesst sich das Blatt im Nu[13]. Wie bei uns Fliegen gefangen werden, so werden in der Heimat an dem natürlichen[S. 79] Standort der Dionaea auch zahlreiche grosse und kleine Käfer, Spinnen, Skolopender gefangen und — verzehrt; denn die Wissenschaft hat nunmehr unumstösslich festgestellt, dass die Dionaea und ihre ganze Sippe der Sonnentaugewächse, nebst einer Reihe anderer Familien „Fleischfresser“ sind, Tiere fangen, durch Ausscheidung einer unserem Magensaft ähnlichen Flüssigkeit verdauen und die Verdauungsflüssigkeit als Nahrung aufsaugen.
Bei den Landsonnentaugewächsen bewegen sich nur die Blattdrüsen, während sich bei der Dionaea das ausserordentlich reizbare Blatt selbst bewegt. Unsere Aldrovandia (Fig. 8), die gleichfalls zu den Sonnentaugewächsen zählt, verhält sich nun, wie Stein 1873 entdeckte und hernach Cohn und andere festgestellt haben[14], ganz wie die Dionaea. Das zweilappige Blatt, dessen Mittelrippe an der Spitze mit einer kurzen Borste endigt, öffnet sich bei warmem Wetter etwas weiter, bei uns gewöhnlich aber nur so viel als die[S. 80] beiden Klappen einer lebenden Muschel. Lange gegliederte Haare auf der Mittelrippe und dem konkaven Teil der Blattlappen sind sensitiv wie die sechs Dionaeahaare. Eine Reizung derselben bewirkt ein augenblickliches Zusammenklappen des Blattes. Larven und andere Wassertiere, besonders Krustentiere, werden nach den Untersuchungen von Cohn in grosser Menge gefangen und verzehrt. Neben den erwähnten in der Nähe der Mittelrippe und auf dieser selbst befindlichen längeren gegliederten Tentakeln ist nämlich das Blatt in dem der Mittelrippe zu gelegenen konkaven Teile (der eigentlichen Oberseite des Blattes) mit gestielten farblosen Drüsen, die denen des Dionaeablattes gleichen (aber einfacher als diese sind), dicht besetzt (vgl. die Figur). Die Ähnlichkeit mit den entsprechenden genauer untersuchten Verhältnissen bei der Fliegenfalle, wie auch Versuche mit Fleischaufguss und verschiedene Beobachtungen machen es mehr als wahrscheinlich, dass sie es sind, welche eine wahre verdauende Flüssigkeit absondern und später die verdaute Substanz aufsaugen. Der äussere und breitere Teil des Lappens am Aldrovandiablatte ist flach und sehr dünn und wird nur aus zwei Zellschichten gebildet (der konkave Teil). Seine Oberfläche (Innenfläche) trägt keine Drüsen, aber an ihrer Stelle kleine vierspaltige kreuzförmige Trichome. Zwei der schräg auseinanderlaufenden Arme derselben sind gegen die Peripherie gerichtet und zwei gegen die Mittelrippe. Ein schmaler Rand des flachen äusseren Teiles jedes Lappens ist einwärts gebogen, so dass, wenn die Lappen geschlossen sind, die äusseren Oberflächen der eingefalteten Teile in Berührung kommen. Der Rand trägt eine Reihe sehr zarter Spitzen, welche aber nicht wie die peripherischen Spitzen bei Dionaea Verlängerungen der Blattscheibe, sondern nur Hautgebilde sind. Sie, wie besonders die vierteiligen Trichome, dürften nach Darwin dazu dienen, faulende und zerfallene tierische Substanz aufzusaugen, welche von der Konkavität des Blattes abfliesst. Es würde, falls sich diese Ansicht bestätigt, hier der merkwürdige Fall vorliegen, dass verschiedene Teile eines und desselben Blattes sehr verschiedenen Zwecken dienen: der eine zu[S. 81] wahrer Verdauung, ein anderer zur Aufsaugung der Fäulnisprodukte der nicht verdauten tierischen Kadaver. Die Aussenseite des Aldrovandiablattes ist mit sehr kleinen zweiarmigen Papillen besetzt, die den achtstrahligen über Spreite und Blattstiel verbreiteten Papillen von Dionaea und den Papillen auf dem Blatt des gemeinen Sonnentaues analog sind. Für sie hat Darwin bei Drosera nachgewiesen, dass sie nicht abzusondern, wohl aber zu absorbieren vermögen. Sie könnten bei unserer Blasenpflanze die aus den Blasen ausgeflossenen Zersetzungsprodukte, welche nicht verdaut wurden, noch aufnehmen. Haben organische Körper den Reiz verursacht, so schliesst sich die der klaffenden Austerschale vergleichbare Tierfalle der Aldrovandia nur auf kürzere Zeit, 1–1½ Tage bei den Beobachtungen von Stein, während sie bei organischen Körpern geschlossen bleiben bis dieselben verdaut sind.
Eine besondere Beachtung bei der Venusfliegenfalle, wie bei der Blasenpflanze, verdient noch die fast momentane Schliessbewegung der Blattklappen, die auch in der Tentakelbewegung einiger exotischen Sonnentauarten beobachtet worden ist. Von zwei australischen Sonnentauarten (Drosera pallida und Drosera sulfurea) wie von einer indischen (D. lunata) und mehreren afrikanischen Spezies (besonders von D. trinervis) wird berichtet, dass sie ihre Blätter mit grosser Rapidität über Insekten schliessen.
Bei unserer einheimischen Drosera anglica Huds. hat v. Klinggraeff[15] sogar beobachtet, dass sich mehrere Blätter an dem Fang grösserer Tiere zugleich beteiligen, eine Beobachtung, die ich nach den Befunden an getrockneten Exemplaren einer australischen Spezies (dieselbe wurde mir als D. binata übersandt, weicht aber von der von Darwin behandelten Spezies durch nur einfach gegabelte Blätter ab) auch für diese glaube behaupten zu können. H. von Klinggraeff schildert einen derartigen Fang eines Schmetterlings in folgender Weise: ... „Nach kurzer Zeit bogen sich mehrere Tentakeln zusammen und klemmten den das Blatt berührenden Aussenrand des Unterflügels ein, hielten ihn so fest, dass bei dem heftigen Flattern derselbe einriss, der Schmetterling sich aber nicht[S. 82] befreien konnte. Bei dem Flattern wurde ein anderes Blatt mit dem Oberflügel berührt und, jedenfalls dadurch gereizt, bog sich dasselbe langsam gegen den Schmetterling hin, bis es den Körper desselben erreichte und umschlang. Während dessen hatte auch das erste fangende Blatt sich um den Schmetterling geschlungen, so dass dessen Bewegungen zuletzt ganz aufhören mussten. Meistens sah ich Schmetterlinge, die nur von zwei Blättern umschlungen waren, an einigen Exemplaren jedoch nahmen drei, auch vier Blätter an der Umschlingung teil“. Die zahlreichsten Opfer waren immer Papilio Daplidice, wie man sich auch an den vielen am Boden liegenden auf der Unterseite grünlich marmorierten Flügeln überzeugen konnte, dann P. Rapae; auch von einem muskelkräftigen Perlmutterfalter, Argynnis Latonia, wurde ein Exemplar gefangen.
Diese Bewegungen der ganzen Blätter wie auch der Tentakeln nach der gereizten Stelle hin bei den Sonnentauarten sowohl, wie die rapiden Bewegungen der Fliegenfalle und Aldrovandia, geschehen durch eine eigentümliche Fortleitung des Reizes — die nach der hübschen Entdeckung Darwins unter dem Mikroskop durch die Zusammenballung („Aggregation“) des roten Saftes von Zelle zu Zelle direkt beobachtet werden kann. Der Aggregation gehen indes, wie Burdon-Sanderson, durch Darwin veranlasst (1874), aufgefunden hat, elektrische Ströme voraus. Das ungereizte Blatt ist oben positiv, unten negativ elektrisch, bei der Reizung wird jedoch ein umgekehrter Strom erzeugt. Bezüglich der sonst sehr komplizierten elektrischen Erscheinungen, welche den Reiz des Dionaeablattes fortleiten und auch bei den Sonnentauarten etc. eine wichtige Rolle spielen, sei hier auf die bis in die neueste Zeit fortgesetzten Veröffentlichungen der Resultate von Burdon-Sanderson[16] selbst verwiesen.
Die Bestäubung der Aldrovandia geschieht offenbar über Wasser durch Insekten, doch ist Näheres über die Bestäubungsvermittler der unscheinbaren, durch über das Wasser emporragenden Stiel getragenen Blüten nicht bekannt geworden, zumal die Pflanze in Europa selten zu blühen scheint. Die Früchte werden unter Wasser gereift. Den Bau des Samens und die Keimung hat[S. 83] S. Korschinsky[17] neuerdings genauer beschrieben. Der Keimling, welcher beim Auskeimen den besondern Deckel der Samenhülle hervorstösst, hat noch ein rudimentäres Würzelchen und rudimentäre Erstlingsblätter. Es deutet dies darauf hin, dass die später wurzellose Pflanze, welche in der Keimung noch grosse Ähnlichkeit mit den Landformen der Sonnentaugewächse hat, verhältnismässig spät ihr Wasserleben angefangen hat, während bei der folgenden Gattung, dem Wasserschlauch, der Keimling durchaus ungegliedert, ohne Wurzelanlage ist.
[S. 84]
Die weitverbreiteten, in unseren Gewässern häufigen Arten des Wasserschlauchs (Utricularia), welche (mit einer fleischfressenden Landpflanze, dem Fettkraut, Pinguicula) der Familie der Lentibulariaceen angehören, haben in biologischer Hinsicht viel mit der Aldrovandia gemein. Die häufigste der sechs bekannten deutschen Arten ist der gemeine Wasserschlauch (Utricularia vulgaris). Bei ihr tragen die langen, zarten, verzweigten Stengel, welche wurzellos vom untern Ende aus absterben, haarförmig zerschlitzte Blätter in wechselständiger, mehr oder minder zweizeiliger Anordnung. Das Blatt des gemeinen Wasserschlauchs (Fig. 9) teilt sich in zwei grössere mittlere und zwei kleinere seitliche Abschnitte, von denen jeder sich mehrfach fiederteilig oder gabelspaltig in feine cylindrische Zipfel auflöst. An letzteren treten die bekannten Blasen auf, welche von älteren Autoren als Schwimmblasen gedeutet wurden, jedoch lediglich dem Fang und der Verdauung kleiner Wassertiere dienen. Cohn[18] hat 1875 zuerst eine Darstellung der merkwürdigen Art und Weise gegeben, auf welche die Utricularia kleine Wassertiere zu fangen vermag, Darwin hat sodann diese Beobachtungen bestätigt und erweitert. Seitdem haben sich viele Forscher mit den Wasserschlaucharten in morphologischer und biologischer Hinsicht beschäftigt, zuletzt am erfolgreichsten M. Büsgen[19].
Die Blasen (Utricula) haben die Grösse kleiner Pfefferkörner, sind inwendig hohl mit einer Öffnung an der Seite, die durch eine von oben herabhängende Klappe verschlossen ist; vor der Öffnung befinden sich schleimige Härchen, von denen bereits Cohn vermutet, dass sie den Köder für die Wasserinsekten enthalten. Zwei borstliche Anhängsel an der Stirn geben dem ganzen Gebilde eine merkwürdige Ähnlichkeit mit einem Wasserfloh (Daphnia pulex), wie die Blasen der Aldrovandia grosse Ähnlichkeit mit Muschelkrebschen etc. haben. Cohn sagt: „Scharenweise gehen die kleinen Wasserkrebse der gefährlichen Lockung nach, heben dabei unversehens die einwärts leicht sich zurückschlagende Klappe; sobald sie aber ins Innere der Blase geraten, verschliesst die Klappe, die nach aussen sich nicht öffnen lässt, ihnen den Rückweg. Hierdurch lassen sich jedoch andere[S. 85] nicht abhalten, bald darauf dem gleichen Schicksal zu verfallen, und ich habe 1874, wo ich zuerst diese Beobachtung machte, in einzelnen Blasen eine ganze Menagerie von kleinen Wasserkrebsen, Mückenlarven und anderen Wassertierchen eingeschlossen gefunden, die vergeblich den Ausweg aus ihrem grünen Kerker suchten; sie alle waren nach wenigen Tagen dem Tode rettungslos verfallen; später findet man nur ihre leeren Schalen, die Weichteile sind völlig aufgezehrt“. Cohn fand ausser zahlreichen Krebschen (Daphnia, Cypris, Cyclops etc.) noch Naïs elinguis, Planaria u. a. Würmer, Blattläuse von Wasserpflanzen (Stratiotes), Rädertierchen, Infusorien und Wurzelfüsser gefangen. Büsgen teilt mit, dass bei seinen Untersuchungen eine mässig grosse Pflanze während eines anderthalbstündigen Aufenthaltes in Wasser, in welchem sich viele Wasserflöhe (Daphnia) befanden, in einer einzigen Blase zwölf Daphniden einfing. Eine andere Pflanze trug an jedem Blatte durchschnittlich sechs Blasen. Nur ganz vereinzelte derselben waren leer. Die meisten waren dicht erfüllt mit Exemplaren von Chydorus sphaericus. Im ganzen hatte die kleine, etwa 15 cm lange Pflanze mit ihren fünfzehn entwickelten Blättern etwa 270 ziemlich grosse Krebschen zu sich genommen. Dass der Wasserschlauch sogar Fischbrut fängt und in Fischteichen nicht unbedenklich zu dulden ist, berichtet H. N. Mosely[20]. Als ein Bekannter von ihm eine Pflanze in ein Glasgefäss brachte, in welchem sich zahlreiche junge Rochen befanden, die vor kurzem ausgebrütet waren, fand er, dass viele derselben in den Öffnungen der Blasenfallen gefangen wurden und daselbst verendeten. Mosely brachte nun selbst ein frisches Exemplar des Wasserschlauches in ein Gefäss mit frischen jungen Fischen und Laich und fand nach etwa sechs Stunden mehr als ein Dutzend Fische in Gefangenschaft. Die meisten waren am Kopf gefasst, der bis zur Hinterwand in die Blase hineingedrungen war, bei anderen war ein grosser Teil des Schwanzes verschluckt. Drei oder vier Beispiele wurden beobachtet, in denen ein Fisch mit seinem Kopfe von einer Blasenfalle und mit dem Schwanze von einer benachbarten verschluckt war, ein Fall, der mit dem von Klinggraeff[15] bei dem[S. 86] britischen Sonnentau (Drosera anglica) beschriebenen analog ist und die Frage nahelegt, ob die verzweigten Stirnborsten, die „Antennen“, nach deren Aufrichten (bei jungen Blasen sind sie über den Eingang nach unten gekrümmt) erst „die Falle gestellt ist“, nicht doch auch eine Reizbarkeit besitzen. Mosely fand beim Durchschneiden der fischgefüllten Blasen die Gewebe des Fisches in einer mehr oder weniger schleimigen Verflüssigung, wohl infolge seiner Zersetzung, die vierfiedrigen Fortsätze der Blasendrüsen reichten in die schleimige, halbflüssige, tierische Substanz hinein und schienen sehr viel körnige Substanz zu enthalten, jedenfalls das Ergebnis einer Resorption. Ch. Darwin kam bereits im Anfang seiner Utricularia-Studien (1874) zu dem Resultat, dass die Utricularia ein Aasfresser und nicht Fleischfresser ist; so schreibt er[21] am 7. Juli 1874 an J. Hooker: ... „Die Blasen fangen eine Menge Entomostraceen und Insektenlarven. Der Mechanismus zum Fangen ist ausgezeichnet. Es findet sich aber vieles, was wir nicht verstehen können. Nach dem, was ich heute gesehen habe, vermute ich stark, dass sie nekrophag ist, d. h. dass sie nicht verdauen kann, sondern zerfallende Substanz absorbiert“, und am 18. Sept. 1874 an Lady Dorothy Nevill: „... Denn Utricularia ist ein Aasfresser und nicht streng genommen fleischfressend wie Drosera“. Auch später kommt Darwin[14] zu dem Resultat, dass die Blasen eine Verdauungsflüssigkeit nicht ausscheiden, wohl aber Zersetzungsprodukte wie auch fauliges Wasser und Ammoniaksalze absorbieren und zwar mittels der vierarmigen Haare, die allein dem Blaseninnern eigen sind und den gleichgestalteten Haaren der Aldrovandia entsprechen dürften, wie die echten fleischverdauenden Trichome des Fettkrautes (Pinguicula) nur den farblosen Digestionsdrüsen der Konkavität der Aldrovandia entsprechen. „Wir können auch hiernach verstehen“, sagt Darwin bei Aldrovandia, „wie eine Pflanze durch den allmählichen Verlust einer der beiden Fähigkeiten (Fleischverdauung und Aasverdauung) nach und nach der einen Thätigkeit angepasst werden kann, mit Ausschluss der andern; und es wird später gezeigt werden, dass zwei Gattungen,[S. 87] nämlich Pinguicula und Utricularia, die zu derselben Familie gehören, diesen zwei verschiedenen Funktionen angepasst worden sind.“ Büsgen schildert auf Grund seiner neueren Untersuchungen den Fang bei dem Wasserschlauch folgendermassen: „Die Antennen und sonstigen von der Blase nach verschiedenen Seiten ausstrahlenden drüsenlosen langen Haare bilden eine Art von Leitstangen, auf welchen man sehr oft kleine Cypridinen nach der Blasenmündung hin wandern sieht. Dort angelangt, treffen sie die den Eingang umstehenden Köpfchenhaare, welche aus einer mehr oder minder langen Stielzelle, einer kurzen, besonders dickwandigen Halszelle und endlich einer etwas dickeren, länglichen oder runden Kopfzelle zusammengesetzt sind. In der letzteren bestehen die inneren Schichten der Membran aus einer glänzenden Masse, die sich mit Jod und Schwefelsäure blau färbt und mit Kalilauge stark aufquillt, wobei das Protoplasma von der Spitze des Haares her nach der Basis der Kopfzelle stark zusammengedrückt wird. Stellenweise findet man die äusserste Membranschicht durch die beschriebene Masse blasig aufgetrieben. Schon früh erscheint die ganze Kopfzelle von einem Schleim umgeben, der in reinem Wasser nur sehr schwer sichtbar ist, mit Methylviolett aber leicht nachgewiesen werden kann, da er sich mit diesem Reagens hellviolett färbt. Manchmal findet man neben dem Schleim am Grunde der Kopfzelle eine häutige, faltige Manschette. Aus dieser und den vorerwähnten Beobachtungen ist zu schliessen, dass der Schleim einer innern Membranschicht entstammt, die zu einer bestimmten Zeit aufquillt und die Cuticula sprengt; eigentümlicherweise besitzen aber auch die mit Schleim und Manschette versehenen Kopfzellen unter einer festen Membranschicht jene glänzende, quellungsfähige Substanz und anscheinend auch eine Cuticula. Es müssen diese Bildungen, wenn obiger Schluss über die Entstehung des Schleimes richtig ist, sehr rasch regeneriert werden, was übrigens auch sehr im Interesse der Pflanze liegt, da der letztere als Köder dient“. — Dass es der Schleim ist, welchem die Kruster nachgehen, schliesst Büsgen daraus, dass sich dieselben sehr bald an ins Wasser geworfenen Samen mit verschleimender Aussenschicht ansammeln.[S. 88] Bei dem Besuch der Knöpfchenhaare öffnet sich die Klappe meist ganz plötzlich mit weitem Spalt, um den vorwitzigen Gast verschwinden zu lassen und vom nächsten Augenblick wieder dieselbe Lage anzunehmen. Dieses Öffnen lässt sich jedoch ohne die Annahme von Reizerscheinungen aus den Elastizitätsverhältnissen der Klappe erklären. Die Tiere scheinen in ihrer Falle einen Erstickungstod zu erleiden; wenigstens sah Büsgen noch nach 24 Stunden, Cohn noch nach 6 Tagen die gefangenen Tiere im Innern umherschwimmen. Die in den Blasen sich findenden symbiotischen Fäulnis-Bakterien dürften sodann bei dem Wasserschlauch die Sekretion der Verdauungsflüssigkeit der echten carnivoren Pflanzen ersetzen.
Auch für die Blatthöhlungen der Blätter unserer Schuppenwurz (Lathraea squamaria) und der Alpenbartsie glaubt Scherffel (Mitt. d. bot. Inst. zu Graz, Heft II) gezeigt zu haben, dass die von Kerner und von Wettstein[22] beschriebenen rhizopodoiden, die Drüsenzellwand durchbrechenden Protoplasmafortsätze, die Jost für Wachsausscheidungen hielt, aus Bakterien bestehen, so dass diese Pflanzen gleichfalls Aaspflanzen wären. Büsgen hat bei den Kopfhaaren des Wasserschlauchs diese rhizopodoiden Fortsätze gleichfalls gefunden und ist geneigt, sie als aus Bakterien bestehend zu betrachten. Ob es sich aber hier wie bei der Schuppenwurz und in den Blattbechern der Weberkarde nicht doch um Elemente des Protoplasmas, nämlich die nach den Untersuchungen von Fayod[23] jedem Protoplasma eigenen, sich auch durch die Scheidewände der Zellen erstreckenden Elemente handelt, die er Spirifibrillen und Spirosparten nennt, bedarf jedenfalls noch der Untersuchung.
Den Beweis, dass unsere Wasserschlaucharten thatsächlich von dem Krebsfange leben, hat Büsgen endgültig durch vergleichende Kulturversuche an gefütterten und nicht gefütterten Pflanzen erbracht, wie er für die echten Fleischfresser schon früher von Reess, Kellermann etc. erbracht wurde. Der Zuwachs der gefütterten Pflanzen war etwa der doppelte von dem der nicht gefütterten u. s. f. — Im tropischen[S. 89] Amerika und Asien leben auch Wasserschlaucharten auf dem Lande oder auf dem Moos der Bäume, aber auch hier von den Tieren ihres Wohnorts. Utricularia nelumbifolia kommt in Brasilien auf den hochgelegenen Felsen der Orgelberge vor, aber sie wird hier nur in dem Wasser gefunden, welches sich auf dem Grunde der Blätter einer grossen Tillandsia ansammelt, sie gelangt ausser durch Samen durch Ausläufer von einem Tillandsiabecken ins andere. Ihre Blasen fangen in gleicher Weise Wassertiere, wie die unserer Wasserschlaucharten. Darwin fand bei neun Utriculariaarten, die[S. 90] er untersuchte, allenthalben die Blasen mit Tieren und Tierresten erfüllt. Von verwandten Gattungen sei hier noch die merkwürdige Genlisea ornata (Fig. 10) aus Brasilien erwähnt, bei welcher das schlauchtragende Blatt die Beute nicht mittels einer elastischen Klappe, sondern durch eine einer Aalfalle ähnliche, wenngleich kompliziertere Vorrichtung fängt. Die schmale Blattscheibe trägt nämlich am Ende eine Blase, die sich in eine etwa fünfzehnmal so lange Röhre fortsetzt. Seitlich der Mündung der letztern entspringt auf jeder Seite ein aus einem spiralig gerollten, linealen Blattzipfel gebildeter Cylinder. Diese Seitenröhren wie die Hauptröhre sind mit langen, nach abwärts gerichteten Borsten (Reussen) und mit den vierzelligen Drüsen der Utricularia bekleidet. In Seitenhälsen und im Hauptrohre fanden sich Überreste von Würmern und Gliedertieren.
Unsere Wasserschlaucharten sind ausgeprägte Insektenblütler, die ihre Blütentrauben mit gelben, auffälligen Blüten auf langem Stiel über Wasser senden. Die Blumenkrone, deren Bau und Entwickelung zuerst Buchenau[24] genauer untersucht und deren Bestäubungseinrichtung Hildebrand[25] erläutert hat, birgt in einem Sporn den Honig zur Anlockung der Insekten. Ein Insekt muss, wenn es zur Gewinnung des Honigs seinen Rüssel unter die Oberlippe steckt, zuerst mit seiner Oberseite einen die Staubgefässe überragenden, mit der papillösen Seite nach unten umgebogenen Narbenlappen berühren, so dass dieser, wenn das Insekt schon vorher eine Blüte besucht hat, mit Pollen derselben behaftet wird, sodann die Staubgefässe, die es von neuem mit Pollen behaften. Der Pollenlappen ist, ähnlich der in der Blüte der an Flüssen und Bächen Deutschlands jetzt weit verbreiteten amerikanischen Gauklerblume (Mimulus luteus) und weniger anderen Blumen, reizbar, sodass er bei der Berührung sofort nach oben umklappt und so eine Übertragung des Blütenstaubes derselben Blüte auf die Narbe beim Rückzug des Insektes unmöglich macht.[26] Die ausgeprägte Honigblume wird vermutlich durch Hymenopteren und Schmetterlinge bestäubt, doch ist hier wie bei den meisten Insektenblumen unserer Gewässer über die Bestäubungsvermittler näheres nicht bekannt. — Die Früchte der Utricularien[S. 91] werden nicht, wie dies bei den meisten echten Wasserpflanzen der Fall ist, unter Wasser gereift, sondern, wie auch bei der Wasserfeder (Hottonia) und Lobelie (Lobelia Dortmanni), über Wasser. Die vielsamigen Kapseln streuen ihren Samen ins Wasser aus, wo er an der Oberfläche weit verbreitet und von wo er durch Wassertiere auch von Gewässer zu Gewässer übertragen wird.
Eine Verbreitung der vegetativen Organe durch die Larven der Köcherfliegen (Phryganiden) hat Gilbert[27] beobachtet. Nach ihm werden die Winterknospen des mittlern Wasserschlauchs (Utricularia intermedia) von diesen Insekten zum Larvenköcher verwendet, wodurch sie an andere Stellen gelangen, an denen sie zu weiterer Entwickelung kommen können.
Gegen Tierfrass besitzen die Wasserschlaucharten spitze Stacheln und chemische Schutzmittel. Mit Alkohol oder heissem Wasser ausgelaugte Pflanzenstücke wurden von kleinen Krustern bei einem Versuch Büsgens bald gefressen, während frische Pflanzenteile gänzlich verschont blieben. Der schützende Stoff schien Gerbstoff in einer schwachen Lösung zu sein, da bei Behandlung mit doppeltchromsaurem Kali eine nicht auswaschbare Färbung des Zellinhaltes auftrat. Nur die Stachelhaare färbten sich intensiv braun.
Wie die Wasserschlaucharten hinsichtlich der Blüteneinrichtung eine grosse Übereinstimmung mit ihren Verwandten auf dem Lande (dem gleichfalls tierfangenden, aber fleischverdauenden, nicht aasfressenden Fettkraut, Pinguicula) haben, so stimmt auch eine weitere submerse Wasserpflanze, die Wasser- oder Sumpffeder (Hottonia palustris), welche aber zur Familie der Primulaceen gehört (Fig. 11 S. 92) mit unseren Schlüsselblumenarten in Bezug auf die Fortpflanzungsorgane völlig überein, während sie im übrigen ganz die abweichenden Vegetationsorgane der bisher betrachteten Wasserpflanzen hat. Es giebt kaum einen grelleren Gegensatz zwischen Land- und Wasserpflanze als es gerade der zwischen der Schlüsselblume (und anderen Primulaceen) und der Wasserfeder ist — dort grosse, einfache, ganze Blätter, die dicht dem Wurzelstock entspringen, hier die feingeteilten Wasserblätter des Hornblattes, der Tausendblätter[S. 92] (Myriophyllum) etc., an wurzellosem, nur anfänglich im Schlamm steckenden Stengel.
Zur Blühzeit steigt die Pflanze zur Oberfläche auf und streckt ihren terminalen Blütenstand über das Wasser empor. Die Sumpffeder ist, wie unsere Schlüsselblumen, ausgeprägt heterostyl-dimorph, d. h. es kommen zweierlei, wie männliche und weibliche Stöcke zusammengehörige Sorten von Stöcken vor, deren eine lauter langgrifflige Blüten mit tiefstehenden Staubgefässen trägt, während in den Blüten der andern die Griffel kurz, tief in der Blütenröhre versteckt sind, die Staubgefässe aber weit aus derselben hervorragen. Die Verschiedenheit zwischen den beiden Formen hat bereits die Aufmerksamkeit des Vaters der heutigen Blütenbiologie, Christian Konrad Sprengel, im Jahre 1793 erregt, welcher sagt, dass er die Existenz der zwei Formen nicht für zufällig halte, obschon er ihren Zweck nicht erklären könne. Bekanntlich hat Darwin[28] die Bedeutung dieser Zwiegestaltigkeit[S. 93] bei Primeln erkannt und durch Versuche festgestellt, dass erfolgreich allein die Bestäubung der langen Griffel durch die Pollen der grossen Staubgefässe der andern Form und die der kurzgriffligen Narben der letztern durch die Staubkörner aus den Staubgefässen der erstern wirkt, dass mit anderen Worten die Bestäubung zwischen den Organen gleicher Höhe einzutreten hat, wenn sie vollen Erfolg haben soll. Andere als diese „legitimen“ Bestäubungsweisen (also „illegitime“) haben bei vielen heterostylen Pflanzen überhaupt keinen, bei anderen Arten nur einen schwachen Erfolg. Nach der Entdeckung der heterostylen Pflanzen, zu denen zahlreiche Arten, von Wasserpflanzen noch Arten der Gattungen Villarsia, Menyanthes — unser dreiblättriger Fieberklee — und Polygonum, gehören, hat man noch die verwandten Gruppen der tristylen oder lang-, kurz- und mittelgriffligen Pflanzen und die rechts- und linksgriffligen entdeckt. Zu den ersteren gehört der an den Ufern unserer Gewässer wachsende Färbeweiderich (Lythrum Salicaria) nebst vielen ausländischen Sauerkleearten etc. Die Staubgefässe bilden in derselben Blüte zwei Höhensätze, in Bezug auf welche bei den dreierlei Stöcken der Griffel lang, kurz oder mittellang ist. Bei den rechts- und linksgriffligen Pflanzen (Verwandte unserer Kartoffel, wie Solanum rostratum, gehören dazu) sind zweierlei Stöcke da, in deren Blüten der Griffel entweder links oder rechts von dem Staubgefässbüschel steht und nach entgegengesetzter Seite gebogen aus der Blüte hervorsieht. Auch hier gilt das Gesetz der legitimen Bestäubung, d. h. des erfolgreichen Zusammenwirkens der Organe gleicher Lage. Dieses Zusammenwirken wird ja unter gewöhnlichen Umständen das natürliche sein, wenn gewisse Insekten alle Blüten in gleicher Weise besuchen, indem sie dann den Blütenstaub an einer Stelle absetzen, an welcher sie ihn in den anderen Blüten an ihrem Körper aufgenommen haben. Ein honigsuchendes Insekt wird also bei unserer Wasserfeder in der That am Vorderkörper den Blütenstaub der tiefgelegenen Staubbeutel, am Hinterleib den der langen Staubgefässe mit sich führen; mit letzterem kann es aber nur die Narbe der langen Griffel, mit ersterem die der kurzen[S. 94] Griffel bei seiner gewöhnlichen Art des Besuchs erlangen. Anders ist es mit pollensuchenden Insekten. Sie haben keinen Grund, die kurzen Griffel zu besuchen, während beim Besuch der kurzen Staubgefässe der staubbeladene Kopf gelegentlich die Narbe der langen Griffel berühren wird. Stellen wir uns nun vor, dass bei der Ausbildung einer Blüteneinrichtung nur oder vorwiegend honigsuchende Insekten mitgewirkt haben, so würden Formen der Heterostylie zu stande gekommen sein, wie sie sich thatsächlich häufig finden, bei denen illegitime (künstliche) Bestäubung fast gänzlich wirkungslos ist, während da, wo pollensuchende Insekten neben den honigsuchenden regelmässige Gäste sind, eine Heterostylie entstanden sein wird, bei welcher die legitime Bestäubung zwar die erspriesslichste ist, von den illegitimen Bestäubungen aber die der langen Griffel immerhin jener nahekommt. So ist es nach den künstlichen Befruchtungsversuchen von John Scott und Herm. Müller[26] bei der Sumpffeder, bei welcher nach Herm. Müller die Bestäubung durch pollenfressende Fliegen in ausgedehntem Masse ausser durch saugende Hautflügler (Pompilus viaticus) und Fliegen (Empis, Eristalis, Rhingia) bewirkt wird. Bei den Versuchen Müllers ergaben die zwei legitimen Verbindungen mit den zwei illegitimen zusammen verglichen Samenkörner im Verhältnis von 100 zu 61. Es war die mittlere Zahl der Samenkörner auf die Kapsel bei
1.
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legitimer Bestäubung der langgriffligen Form
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91.4,
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2.
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illegitimer Bestäubung der langgriffligen Form
von einer verschiedenen Pflanze
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77.5,
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3.
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legitimer Bestäubung der kurzgriffligen Form
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66.2,
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4.
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illegitimer Bestäubung der kurzgriffligen Form
mit Pollen dieser Form von einer verschiedenen Form
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18.7.
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Sehr deutlich sprechen die Resultate für die schädliche Wirkung der Inzucht bei Kreuzung der Blüten ein und desselben Stockes und bei Selbstbefruchtung. Die mittlere Samenzahl war hierbei nur 15.7 bei den langgriffligen und 6.5 (wie bei Scott) bei den[S. 95] kurzgriffligen Blüten anstatt 77.5 und 18.7 (bei illegitimer Kreuzung). Die ungleiche Grösse der Narbenpapillen bei den grossen und kleinen Griffeln stimmt bei der Sumpffeder ebenso wie bei anderen Heterostylen überein mit der ungleichen Grösse der Pollenkörner in den oberen und unteren Antheren (die letzteren kleiner), für welche Verschiedenheit die bisherigen Erklärungsversuche nach neueren Versuchen nicht auszureichen scheinen.
Den frei im Wasser flottierenden Arten submerser Gewächse, welche wurzellos sind, schliessen sich solche in grösserer Zahl an, die unter gewöhnlichen Verhältnissen zwar ein Wasserleben führen, aber am Boden festgewachsen sind. Bei ihnen ist die Wurzel in den meisten Fällen nur Haftorgan. Sie haben zumeist die Fähigkeit, bei Wassermangel auch in der Luft längere oder kürzere Zeit zu vegetieren, oder gar eine besondere Luftform zu bilden. Eine Umbildung der Blattorgane, welche der neuen Lebensweise angepasst (Verbreiterung und Verkürzung der Blattflächen, Auftreten von Spaltöffnungen etc.), tritt oft sehr bald, zuweilen sogar an einzelnen Blattteilen, die künstlich in dem neuen Medium gehalten werden, ein. Solche Landformen sind von Schenk z. B. für das Tausendblatt (Myriophyllum) beschrieben, deren Arten sonst mit ihren feingeteilten Blättern ein ausgeprägtes Wasserleben führen. — Die Myriophyllumarten besitzen ähnlich wie die Wasserpest, die Hornblattarten, die Wasserschlaucharten eine sehr üppige vegetative Vermehrung, abgebrochene Zweige, die durch Strömung oder Tiere verschleppt sind, entwickeln sehr bald wieder eine weitverbreitete Vegetation am Grunde des Gewässers. Solche üppig sich vermehrende Arten kommen an manchen Orten überhaupt selten zur Blüte. Das Ährentausendblatt (Myriophyllum spicatum) trägt in seinen in die Luft emporgestreckten Blütenständen in den Achseln kleiner Brakteen zu oberst männliche, unten weibliche Blütenstände, welche sich viel früher als die ersteren entwickeln (die Pflanze ist proterogynisch). Der platte, leicht verstäubende Pollen, die grossen, an dünnen Staubfäden lebhaft im Winde flatternden Antheren, wie auch die stark höckerigen Narben kennzeichnen die Pflanze als windblütig[S. 96] (anemophil), während bei dem quirlblättrigen Tausendblatt dadurch, dass die Blüten in den Blattwinkeln sitzen, die Anpassung an den Pollentransport durch den Wind vermindert ist. Es kommen aber wie bei den anderen Myriophyllumarten (M. alternifolium habe ich nicht untersucht) auch unter Wasser normale (nicht wie Hermann Müller in seinem Referat meiner Arbeit[7] vermutete[29] kleistogame) Blüten zur Entwickelung, so dass hier vermutlich Übergänge von der Windbefruchtung zur Wasserbefruchtung vorliegen. Nach dem Blühen tauchen auch bei M. spicatum die Ähren unter Wasser, um hier ihre Früchte zu reifen.
Zu den submersen Gewächsen, die aber in einigen ihrer Arten Übergänge zu den Schwimmpflanzen bilden, indem sie bei diesen andersgestaltete, an der Oberfläche ausgebreitete oder schwimmende Blätter entfalten, gehören ferner die Wassersternarten und die Laichkräuter, deren submerse Blätter aber nicht haarförmig zerteilt, sondern einfach, schmallinealisch etc. sind. Die völlig submersen Wassersterne bilden auf dem Boden der Gewässer eine sehr üppige, dichte, hellgrüne Vegetation, die an die der kleinen Armleuchtergewächse (Nitella) erinnert, während die schwimmenden breitblätterigen Blattrosetten die Oberfläche den Wasserlinsen ähnlich überkleiden. Die einfache Blüte besteht aus einem starren Staubgefäss oder aus einem zweifächerigen Fruchtknoten mit kurzen Griffeln. Auch sie wird gewöhnlich für windblütig gehalten, doch dürften die an der Oberfläche schwimmenden Rasen mit ihren starren Staubfäden und spärlicher Pollenproduktion eher die später zu erörternden Eigentümlichkeiten der Wasserlinsen besitzen. Die zahlreichen untergetauchten Blüten haben Wasserbefruchtung. Die Gruppe Pseudocallitriche, zu welcher unser Herbstwasserstern (Callitriche autumnalis) gehört, besitzt, wie die früher besprochenen Wasserblütler, Pollenkörner ohne äussere Zellhaut (Exine), sind nach Jönsson ölhaltig und leichter als Wasser, steigen daher nach der Oberfläche zu, wobei sie die Befruchtung vollziehen können, es wechseln nicht selten mehrere weibliche und männliche Stengelglieder mit einander ab; bei der Gruppe der Eucallitrichen dagegen, die auch wohl als Varietäten ein und[S. 97] derselben Art, des Frühjahrswassersterns (Callitriche verna) betrachtet werden, sind die Pollenkörner noch von einer äussern etwas höckerigen derben Haut umkleidet und an den Antheren ist die den Luftblüten eigentümliche Faserschicht vorhanden, welche bei dem Aufspringen der Staubbeutel eine wichtige Rolle spielt.
Zieht man die frischgrün beblätterten Zweige der Wassersterne oder anderer submerser Wasserpflanzen (Hornblatt, Tausendblatt etc.) aus dem Wasser, so findet man zwischen dem feinen Blattgewirr ein buntes Tierleben von Wasserasseln, Flohkrebsen, Milben, Käfern, Larven, Schnecken etc., das wohl hauptsächlich durch die reiche Entwickelung des Sauerstoffs bei der Assimilation herbeigezogen wird. Es ist kaum anders zu erwarten, als dass dieses reiche Tierleben, mit welchem diese Wasserpflanzen in steter Berührung sind, mehr als alle Landpflanzen, dem pflanzlichen Organismus zu mancherlei Anpassungen Veranlassung gegeben hat. Schutzvorkehrungen gegen Tierfrass sind thatsächlich mehrfach bekannt geworden, wie später noch hervorgehoben werden wird. Ob aber die Pflanze Glieder dieser Tierwelt sich zu Nutzen gemacht hat und mit ihnen im Bunde gegenseitiger Förderung lebt ist noch kaum untersucht worden und verdient seitens der Süsswasserforschung besondere Beachtung. Hier sei nur hervorgehoben, dass diesen Tieren sicherlich die Reinhaltung der assimilierenden Blattflächen zuzuschreiben ist und dass es mir immer geschienen hat, als ob an Standorten, wo ein besonders reiches Tierleben sich bemerkbar machte, die submersen Pflanzenorgane frischer grün und reiner aussahen, als an Orten wo diese fehlte. An den letzteren sind die Blätter und Blattzipfel oft völlig eingehüllt und unkenntlich gemacht von zahlreichen Algen (Kieselalgen, wie Exilaria, Gomphonema etc.), Wasserpilzen (Chytridiaceen), Infusorien (Vorticellen etc.), welche ja bekanntlich manchem der erwähnten Tiere zur Nahrung dienen.
Das Hauptkontingent liefern zur Wasserflora die Laichkräuter (Potamogeton), von denen etwa 50 Arten überhaupt und etwas weniger als die Hälfte aus den süssen Gewässern Deutschlands,[S. 98] Österreichs und der Schweiz[30] bekannt sind. Sie weichen durch ihre einfachen Blätter wie durch mannigfache Variationen von den völlig untergetauchten Formen bis zu den ausgeprägtesten Schwimmpflanzen, wie auch schliesslich dadurch ab, dass sie ein am Boden kriechendes sehr ausgebreitetes Rhizom haben. Im fliessenden Wasser treiben sie, ähnlich wie andere festwurzelnde Flussgewächse (Flusshahnenfuss etc.), lange Laubtriebe, welche durch besondere mechanische Elemente in ihrem anatomischen Aufbau der hohen Inanspruchnahme durch die Wasserströmung völlig gewachsen sind. In stehenden Gewässern sind die Stengelglieder oft sehr verkürzt. Nach der Meinung von Schenk stammen die Laichkräuter von Landpflanzen ab, die sich erst der amphibischen, gegenwärtig nicht mehr erkennbaren, Lebensweise und sodann der Lebensweise der Schwimmpflanzen, zuletzt aber der submersen Lebensweise angepasst haben. Es würde dann unser gemeines schwimmendes Laichkraut (Potamogeton), welches nur ausgeprägte Schwimmblätter besitzt, der Urtypus unserer jetzt lebenden Laichkrautarten sein. Hierfür spricht auch dessen Verbreitung. Nach A. de Candolle[31] giebt es nur 19 Phanerogamen, die sich über mehr als die halbe Erdoberfläche verbreitet haben, zu denen z. B. das einjährige Straussgras (Poa annua), die Krötenbinse (Juncus bufonius), unsere Brennesseln (Urtica dioica und U. urens), Gänsefussarten (Chenopodium album und Ch. murale), eine Taubnessel (Lamium amplexicaule), der schwarze Nachtschatten (Solanum nigrum), die gemeine Sternmiere (Stellaria media), die Gänsedistel (Sonchus oleraceus), das Hirtentäschel (Capsella bursa pastoris) und das schwimmende Laichkraut von bei uns gemeinen Pflanzen gehören. Das letztere ist aber die einzige kosmopolitische Wasserpflanze, alle übrigen sind Landgewächse und zwar Ruderalpflanzen. Die übrigen Vertreter des Laichkrautstammes Heterophylli (Potamogeton oblongus, P. fluitans, P. spathulatus, P. rufescens, P. gramineus, P. nitens, P. Hornemanni) sind der submersen Lebensweise bereits mehr oder weniger angepasst, indem sie oft nur wenige oder gar keine Schwimmblätter mehr zeigen, während ihre untergetauchten Blätter[S. 99] zwar den anatomischen Bau, aber noch nicht die Gestalt echter Wasserblätter haben. Bei den Gruppen der Homophylli und Enantiophylli[30] fehlen bereits die Schwimmblätter gänzlich und es bahnt sich der Übergang von den breitblätterigen zu den sehr schmalblätterigen Arten an, der in den Gruppen Chloëphylli und Coleophylli echt submerser Laichkräuter (Potamogeton pusillus, trichoides etc.) sein Extrem erreicht. Eine gleiche Stufenleiter der Anpassung ergiebt sich auch bezüglich der Blüteneinrichtungen. Das schwimmende Laichkraut und seine nächsten Verwandten sind ausgeprägte Windblütler, die ihre Blüten in dicht gedrängter Ähre an langer dicker Spindel über das Wasser heben. Das kleine Laichkraut hat bereits nur noch kleine, meist vierblütige Ährchen und das Haar-Laichkraut in jeder Blüte nur noch einen Fruchtknoten (sonst vier). Dazwischen und von dem letztern weiter finden sich Übergangsformen bis zu solchen, welche den submersen Wasserpflanzen sehr nahe kommen, deren Blüten nur aus einem Staubgefäss, oder einem Fruchtknoten bestehen. P. pectinatus erhebt einen Blütenstand überhaupt nicht mehr über Wasser, sondern besitzt lange dünne schwimmende Blütchen, die zur Fortpflanzungszeit nur wenig über das Wasser emporragen. Ob bei unserer zweiten Gattung der Laichkräuter, der Zanichellie, bereits eine echte Wasserbestäubung eintritt nach Art der der Meerstrands-Ruppie, bedarf noch der nähern Untersuchung, ist aber nicht unwahrscheinlich, zumal auch nach Fritzsche dem Pollenkorn die äussere Hülle fehlt. Die Windblütigkeit der Laichkräuter, deren Blüten oft dicht an der Wasseroberfläche stehen, wird nach v. Kerner[32] unterstützt durch einen Ausschleuderungsmechanismus der Blüte, durch welchen der Blütenstaub in die Luft gelangt.
Wie die untergetauchten Blätter, so sind auch die Schwimmblätter der Wasserpflanzen völlig ihren Lebensverhältnissen angepasst. Die schwimmenden Blätter sind nie zerteilt, stets einfach, ganzrandig rundlich oder elliptisch länglich u. dergl., auf der Oberseite lederartig, schwer benetzbar, im anatomischen Bau eine dreifache[S. 100] Anpassung verratend, eine mechanische zum Schutz gegen die an der Oberfläche am heftigsten wirkenden Bewegungen des Wassers und gegen die heftigere Wirkung der auffallenden Regentropfen, eine Anpassung an die schwimmende Lebensweise und an die intensivere Einwirkung des direkten Sonnenlichtes. Dementsprechend zeigt das Schwimmblatt an der Oberseite, unter einer chlorophyllfreien wasserhaltigen Epidermis, die assimilierenden grünen Zellen als Palissadenparenchym ausgebildet. Unter diesem sind grössere lufthaltige Intercellularräume, welche das Blatt schwimmend erhalten. Die Spaltöffnungen, welche zur Ermöglichung des Transpirationsstromes bei den Schwimmpflanzen — im Gegensatz zu den submersen Pflanzen — vorhanden sind, finden sich hier allein auf der Oberseite des Blattes, die mit der Luft in Berührung steht, während sie bei den Luftblättern zur Verhinderung einer zu starken Transpiration in der Epidermis der Unterseite zur Ausbildung gelangen. Die zur Assimilation nötige Kohlensäure wird hier hauptsächlich aus der Luft, wohl aber auch durch Diffusion von der dem Wasser aufliegenden Blattunterseite besorgt. Da, wo Blattstiele vorhanden sind, zeigen diese die besondere Eigentümlichkeit, dass sie ihr Längenwachstum genau nach der Tiefe des Wassers einrichten, so dass das Blatt immer zum Schwimmen kommt.
Die Wasserlinsengewächse, von denen nur eine Art (Lemna trisulca) bei uns submers vorkommt, gehören zu unseren einfachsten Schwimmpflanzen, die gleichzeitig durch ihre Kleinheit, wie durch ihr massenhaftes Auftreten — sie bedecken oft weithin die ganze Fläche der Gewässer — auffallen. In unseren Gewässern finden sich nur fünf Arten, von denen die kleinste, die wurzellose Wasserlinse (Wolffia arrhiza) nur die Grösse von 1 mm erreicht — nur die in Bengalen lebende Wolffia microscopica, zweifellos die kleinste Phanerogame, ist noch winziger — gar keine Wurzeln erzeugt und in einzelnen Sprossen (Stengelgliedern) vorkommt, während die übrigen Arten ein oder mehr Adventivwurzeln nach abwärts treiben, welche mehr als zur Nahrungsaufnahme zur Erhaltung der horizontalen Lage dienen dürften. Es sind dies ausser der untergetauchten Wasserlinse (Lemna trisulca), welche bereits[S. 101] erwähnt wurde, noch die buckelige (L. gibba) und grosse Wasserlinse (Spirodela polyrrhiza) mit mehreren Wurzeln, welche gesellig mit der auch häufig in ganz reinen Beständen wachsenden kleinen Teichlinse (L. minor), unserer häufigsten Art, vorkommen. Hegelmaier[33], auf dessen Monographie (die auch von Engler in seinen „Natürlichen Pflanzenfamilien“ hauptsächlich zu Grunde gelegt ist) wir hier besonders hinweisen müssen, weil es unmöglich ist, im Rahmen dieser Abhandlung die obwaltenden Verhältnisse auch nur einigermassen genau zu schildern, hat 19 Arten von Wasserlinsen unterschieden, welche über den ganzen Erdkreis verbreitet sind:
1) Die wurzellosen Wolffioideen, bei denen auf dem Rücken des Sprosses in kleinen Grübchen (zwei bei Wolffia Welwitschii, eine bei den übrigen Arten) die einfachen Blüten mit einem Staubgefäss und Stempel (resp. einer männlichen und einer weiblichen Blüte) entspringen und sich auch sonst durch die Sprossverhältnisse auszeichnen. Sie zerfallen in die beiden Untergattungen Wolffia und Wolffiella, mit je acht und vier Arten, von denen letztere durch ihre abnorme Gestalt mit länglich-pfeilförmigen Hauptsprossen ausgezeichnet sind.
2) Bei den bewurzelten Lemnoideen, unter denen ausser durch die Sprossverhältnisse noch durch das Vorhandensein von vielen Wurzeln Spirodela [mit zwei Arten: Sp. oligorhiza (im indisch-malayischen Gebiet) und unserer L. polyrrhiza] von Lemna abgegrenzt wird, kommen die Blütenstände (Blüten) mit je zwei Staubblüten(gefässen) und einem weiblichen Blütenstempel in seitlichen Taschen zur Entwickelung. Von Lemna sind ausser den einheimischen Arten noch zwei unserer kleinen Wasserlinse nahe stehende Arten bekannt. Die Wolffiaarten scheinen am meisten dem Wasserleben angepasst zu sein, da bei ihnen auch an der Oberseite wenige, bei Wolffiella sogar gar keine Spaltöffnungen vorhanden sind und die Blüten ganz auf dem Rücken stehen.
Bezüglich der Bestäubungsverhältnisse der Wasserlinsen, die zu den interessantesten Vorkommnissen der Blütenbiologie überhaupt gehören, liegen zumteil scheinbar widersprechende[S. 102] Beobachtungen vor, die aber recht wohl zugleich richtig sein können. Hat doch die Blütenbiologie mehrfach gezeigt, dass eine Pflanze z. B. in einer Gegend typisch proteranderisch, in einer andern, besonderen Verhältnissen entsprechend, proterogynisch ist. Ich werde zunächst die Verhältnisse schildern, wie ich sie bei unserer gemeinen Wasserlinse um Greiz typisch getroffen habe und zwar in einem ruhig gelegenen Teiche sowohl, wo sie vom Mai bis in den Juli hinein blühte, wie auch im Zimmer. Der monöcische[S. 103] Blütenstand besteht hier entweder aus einem höher stehenden kurzgriffeligen Stempel und zwei tiefer stehenden, wie jener nach oben gerichteten Staubgefässen mit nicht allzulangem Filament und gelben Antheren, oder Stempel und Staubgefässe kommen an verschiedenen Stellen des Thalloms hervor, von einer unregelmässig zerreissenden Hülle umschlossen. Die beiden Staubgefässe entwickeln sich nach einander, aber längere Zeit bevor der Stempel hervorbricht. Proterandrische Dichogamie und Stellung schliessen demnach auch Selbstbestäubung aus. Ebenso ist es undenkbar, dass der Wind bei der Kürze der starren Sexualorgane und der geringen Pollenmenge, die in den beiden Staubblüten erzeugt wird, unmittelbar über dem dicht durch Lemnarasen bedeckten Wasserspiegel bei der Übertragung des Pollens eine Rolle spielt. Von den bekannten zoidiophilen Pflanzen weicht die Wasserlinse ab durch den gänzlichen Mangel eines gefärbten Perigons oder anderer auffälligen Anlockungsmittel der Blüten; trotzdem glaube ich behaupten zu können, dass Lemna minor ausgeprägt zoidiophil ist — und zwar angepasst den auf der Oberfläche des Wassers sich umhertreibenden Wassertieren (Hydrometriden etc.). Die Pollenkörner sind stachelig mit zahlreichen Protuberanzen besetzt, wie bei den ausgeprägtesten Entomophilen (z. B. Malva, Cucurbita, Compositen). Die Pollenkörner haben einen Durchmesser von etwa 26 µ, ihre Stacheln eine Länge von etwa 1 µ, sodass sie einerseits leicht dem Körper der über die Staubgefässe streichenden Insekten, anderseits der etwas konkaven Narbenscheibe am Ende des Griffels anhaften, während sie durch den Wind wohl kaum von der dehiszierenden Anthere losgerissen werden könnten. Die auf den Lemnarasen oder zwischen ihnen umherkreisenden Kerfe müssen anderseits sowohl mit den Staubgefässen als den Narben in Berührung kommen, ohne dass sie besonders darauf aufmerksam gemacht werden. Die Pflanze hat es hier nicht nötig, besondere Lockmittel zu gebrauchen, ohne allen Aufwand und ohne eine andere Gegenleistung, als etwa die Gewährung eines festen Untergrundes, erreicht sie dasselbe, was die „Blumen“ durch[S. 104] Entwickelung von Farbenpracht, von Honigsaft und Wohlgeruch, die zuweilen nur unberufene Gäste anlocken, erzielen. Trelease[34] hatte später (ehe er indessen meine Arbeit[7] kannte) vermutet, dass die Lemnarasen zusammengedrängt würden und dabei sich wechselseitig befruchteten, an seinen Exemplaren waren die Blütenstände proterogynisch. Im Zimmer dehiszierte das erste Staubgefäss drei Tage nachdem die Narbe empfängnisfähig geworden und ebenso lange nachher das zweite Staubgefäss des Blütenstandes. Auch Hegelmaier hatte L. minor als proterogynisch bezeichnet und Spirodela polyrrhiza. George Engelmann[35] hat aber bei letzterer gleichfalls Proterandrie beobachtet. Federico Delpino bestätigt meine Beobachtungen und Deutung der Blütenentwickelung; vermutet aber, dass Schnecken bei der Befruchtung in Betracht kommen. Er sagt[36]: „A rinforzare la interpretazione di Ludwig noi potremmo addurre il singolare appianamento e allivellamento di caulomi, antere e stimmi; per il che per manifesta la designazione a pronubi striscianti e perambulanti. Così questa rara associazione di caratteri biologici, efficiente un apparecchio florale reptatorio, si riproduce in questa minuscole pianticelle. E non deve far meraviglia, poi chè le lemnacee senza dubio appartengono alla famiglia delle aroidee, presso la quale tanto frequentemente accorono apparecchi reptatorii. Ludwig non menziona fra i pronubi le chioccioline aquatiche, eppura noi congetturiamo que queste sia noi principali ausiliarii della dicogamia delle lemne“. — Henry Gillmann[37] berichtet von der grossen Wasserlinse (Sp. polyrrhiza), die er in einem Gefäss mit Wasser beobachtete, dass sich um 4 Uhr 15 Min. nachmittags die Stamina entfalteten, in der Nacht aber sich zurückbewegten (but closed at night). Am andern Morgen um 7 Uhr entfalteten sich wieder zunächst drei Blütenstände, bis 7 Uhr 45 Min. 18, und bis 8 Uhr 30 Min. hatten sich 30 Blüten geöffnet.
Die von Delpino vermutete Beteiligung der Schnecken bei der Pollenübertragung der Lemnaceen, wie auch die von andrer Seite vermutete bei einer Aroidee, der Schlangenwurz (Calla palustris), einer Sumpf- und Uferpflanze unserer Teiche, verdient[S. 105] noch besondere Beachtung der Botaniker und Zoologen, da über die Schneckenbefruchtung (Malacophilie) der Pflanzen viel hin und her gestritten worden ist, die bisherigen Beobachtungen aber zur Entscheidung der Frage nicht ausreichen. Auffällig und bemerkenswert bleibt es immerhin, dass diese beiden nach Delpino u. a. malacophilen Pflanzen in ihren Blattorganen besondere Schutzmittel gegen Schneckenfrass haben. Nach Stahl[4] bilden die Raphiden (Bündel von beidseitig sehr spitzen Nadeln des Kalkoxalates) eins der wirksamsten Schutzmittel gegen Schneckenfrass. Bei der gemeinen Schlangenwurz hat die Wirkung dieser Raphiden in den Blättern schon der alte Tabernaemontanus verspürt. Er sagt von ihr: „Am Anfang wo man sie kauet scheint sie ungeschmackt zu sein, aber bald darauf zwackt sie die Zungen, gleich als stäche man sie mit den allerkleinsten Dörnern“. Auch die Zellen der Wasserlinsen sind vollgepfropft von den spitzen Nadelbüscheln des oxalsauren Kalkes. Nur Wolffia macht auch in dieser Hinsicht eine Ausnahme, indem sie keine Raphiden besitzt. Dagegen scheint ein brauner Farbstoff in Oberhaut und Grundgewebe wie die Gerbsäure bei den Hornblattgewächsen bei ihr zu wirken; denn nach Stahls Versuchen verschmähen auch die Wasserschnecken die gerbstoffreichen Wasserpflanzen wie die Hornblattgewächse, ferner die, gleichzeitig durch Kalkinkrustation geschützten Laichkräuter und andere (Hippuris, Hydrocharis, Trapa etc.), sowie sie die durch ätherische Öle und Bitterstoffe (Bitterklee und Kalmus) oder Verkieselung der Zellwände geschützten Gräser etc. verschonen.
Die eigentümliche Symbiose verschiedener Wasserlinsen mit Nostocaceen (Hydrocytium), die der regelmässigen Symbiose von Anabaena in den Azollablättern und des Nostoc bei Gunnera und Cycadeen sowie bei gewissen Lebermoosen analog ist, ist gleichfalls als Schutzmittel für die Wasserlinsen gedeutet worden. Trotzdem haben auch die Wasserlinsen ihre Feinde aufzuweisen aus anderen Abteilungen der Lebewelt, Pilzen (Chytridiaceen) und Insekten. Eine Fliege Hydrellia albilabris Mg. höhlt die Wasserlinsen aus trotz ihrer Raphiden und Nostockolonien.
[S. 106]
Bei den Wasserlinsen drängt sich uns am ersten die Frage auf nach dem Verbleiben der Schwimmpflanzen im Winter. Im Herbste noch sehen wir unsere Teiche von einem dichten scheinbar immergrünen Lemnateppich bedeckt, im Frühjahr ist aber keine Spur mehr davon zu sehen, die Oberfläche ist rein und klar. Wo ist die dichte grüne Decke hingekommen und wo kommt sie in der wärmeren Jahreszeit eben so schnell wieder her?
Während die Hornkrautarten, die Wasserpest und einige andere völlig submerse oder an der Oberfläche blühende Pflanzen im Wasser ganz überwintern, sinken andere zu Boden und bilden besondere Winterknospen (Hibernacula), die sich im Frühjahr loslösen (die übrige Pflanze stirbt ab) und an die Oberfläche schwimmen. Zu ihnen gehören die Wasserschlaucharten (Utricularia), die Wasserfeder (Hottonia), die Blasenpflanze (Aldrovandia), welche jedoch in ihrer südlichen Heimat überwintert. Noch andere überwintern durch ihre Rhizome, wie der Kalmus, die Wasserrosen, der Knöterich und das schwimmende Laichkraut. Winterknospen bilden noch der Froschbiss (Hydrocharis morsus ranae), die Krebsschere (Stratiotes aloides), die quirlblättrige Hydrille (Hydrilla verticillata), das kleine Laichkraut (Potamogeton pusillus) etc. Bei manchen Laichkrautarten, z. B. dem krausen Laichkraut (Potamogeton crispus), wandeln sich einzelne Seitenzweige zu besonderen Winterästen um, die sich infolge ihrer starren Beschaffenheit leicht von der Mutterachse loslösen, zu Boden sinken und daselbst überwintern. Dieses Laichkraut überwintert auch durch sein im Boden befindliches Rhizom, während wieder andere Laichkrautarten wie Potamogeton pectinatus L. ebenso wie das Pfeilkraut (Sagittaria sagittifolia), Froschlöffel (Alisma), Binsen (Scirpus palustris) u. a. Knollen bilden und im Herbst bis auf diese absterben. Die Überwinterung unserer Wasserlinsen geschieht nach der Beschreibung von Hoffmann und Hegelmaier bei der wurzellosen Wasserlinse (Wolffia arrhiza) bei uns — in wärmeren Gegenden sind keine besonderen Vorkehrungen nötig — durch Sprosse, die sich von den Sommersprossen wenig, hauptsächlich durch massenhafte Anhäufung[S. 107] von Reservestoffen, unterscheiden. Sie sinken im Herbst infolge dieser Aufspeicherung von Reservestoffen und der dadurch bedingten Zunahme des spezifischen Gewichtes zu Boden, um im Frühjahr wieder emporzusteigen. Auch die grosse Teichlinse (Spirodela) bildet besondere Wintersprosse, welche aber von den Sommersprossen durch geringere Grösse und fast nierenförmige Gestalt unterschieden sind, keine Lufthöhlen bilden, einen bis 2 mm langen Sprossstiel haben, durch den sie sich scharf abgrenzen, und nur zwei bis drei sehr kurze Wurzeln treiben. Die Spaltöffnungen bleiben bei den Wintersprossen, so lange sie auf dem Boden liegen, geschlossen. Im Frühjahr sprossen aus ihnen die Sommersprossen hervor, brauchen die Reservestoffe auf und steigen, indem sie Lufthöhlen bilden, an die Oberfläche. Die Ausbildung der Wintersprosse geschieht hier auch im Zimmer. Die eigentlichen Lemnaarten: die gemeine Wasserlinse und die untergetauchte Wasserlinse (L. trisulca) können einen hohen Kältegrad vertragen, bilden daher keine besonderen Wintersprosse. Die überwinternden Sprosse trennen sich nur bei Abschluss der Vegetationsperiode meist in jugendlichem Zustand von ihren verwesenden Muttersprossen los und harren so den Winter aus, Lemna minor verbleibt dabei am Wasserspiegel so lange er nicht zufriert.
Zu den prächtigsten Bewohnern unserer Seen, Teiche und Flüsse gehören die Seelilien oder Teichrosen, die Nymphaeaceen, eine Familie der Wassergewächse, welche in einer früheren geologischen Epoche auf dem Höhepunkt ihrer Entwickelung stand. Unsere wenigen jetzt lebenden europäischen Arten geben uns nur noch ein mattes Bild von der bunten, prächtigen Nymphaeaceenflora der Braunkohlenzeit. Der Graf von Saporta[38] sagt darüber: „Man muss nach Ägypten, Nubien, an die Gewässer von Senegambien und die überschwemmten Savannen von Guyana oder an die Lagunen von Indien und China gehen, um auch dann noch abgeschwächte Beispiele von dem zu finden, was in Europa in der oligocänen Zeit die Seelilien waren. Nicht allein Nelumbium Buchii Ett. vom Monte Promina und die Fragmente von Wurzelstöcken, welche Heer auf der Insel Wight beobachtete, bezeugen die[S. 108] Gegenwart von europäischen oligocänen Lotosblumen. Die eigentlichen Nymphaeen (Nymphaea parvula Sap., N. Charpentieri Mr.) beweisen nicht allein die Existenz von Pflanzen, doppelt so gross als unsere weisse Seelilie (N. alba); es gab auch in dem damaligen Europa Gattungen oder Sektionen von Gattungen, die heute ausgestorben sind, deren Charaktere wir nur in sehr unvollkommener Weise analysieren können, die sich aber hinlänglich von unseren heutigen Arten unterscheiden, um uns glauben zu lassen, dass ihre Blumen uns überraschen und unsere Bewunderung erregen würden, wenn es uns möglich wäre, sie zu betrachten. Der erste dieser tertiären Typen ist in den Gipsen von Aix vertreten (Nymphaea gypsorum Sap.), ein anderer in Saint-Zacharie (N. polyrrhiza Sap.), ein dritter, wie es scheint, in dem Aquitan von Manosque (N. calophylla Sap.). Ein Bruchstück seiner Früchte mit Lappen von Blumenblättern umgeben, beweist, dass er gefüllte Blumen hatte, die wenigstens doppelt so gross als diejenigen unserer heutigen Seelilien und nach einem ganz anderen Plan konstruiert waren.....“. In unseren Gewässern finden sich gegenwärtig nur noch die beiden Gattungen der gelben und weissen Seerose (Nuphar und Nymphaea), von denen die erstere fünf grosse gelbe Kelchblätter und zahlreiche winzige zu Nektarien umgestaltete Blumenblätter besitzt, während die letztere weisse nektarienlose Blumenblätter und grüne Kelchblätter hat. Von den gelben Teichrosen sind bei uns zwei Arten (Nuphar luteum und N. pumilum), von den weissen gleichfalls zwei Arten (Nymphaea candida und N. alba) mit verschiedenen Spielarten und Bastarden bekannt. Man kennt im Ganzen gegen 52–53 lebende Arten der Nymphaeaceen, die sehr verschiedene biologische Anpassungen zeigen. Die (zwei) Arten von Nelumbo (Unterfamilie Nelumbonoideae) strecken ihre schildförmigen Blätter hoch über das Wasser empor und reifen auch die Früchte über Wasser, ihre Blüten sind gelblich oder rosenfarben. In der Unterfamilie Cabomboideae haben dagegen die (vier) Arten von Cabomba schildförmige, unten ausgerandete Schwimmblätter und vielteilige untergetauchte Blätter von ähnlicher Gestalt und Zerteilung wie unser gemeiner Wasserhahnenfuss. Bei der[S. 109] Gattung Brasenia (eine Art, Brasenia purpurea) sind Schwimmblätter und Wasserblätter schildförmig elliptisch. Die dritte Unterfamilie der Nymphaeoideae umfasst 1) die Barclayeae mit der Gattung Barclaya (drei Arten) mit fünfblättrigem Kelche und oberständiger, walzig-röhrenförmiger Blumenkrone, der innen die zahlreichen abwärtsgebeugten Staubgefässe eingefügt sind. Die Blätter der B. longifolia sind länglich, gestielt, denen unseres Wasserknöterichs nicht unähnlich; 2) die Nuphareae mit der Gattung Nuphar (sieben Arten); 3) die Tetrasepaleae mit den Gattungen Nymphaea (etwa 32 Arten), Euryale (eine Art) und Victoria (zwei bis drei Arten). Die Gattung Victoria, deren bekannteste Art Victoria regia mit ihren riesigen Schwimmblättern von 1 m Durchmesser und Blüten von 2–4 dm Durchmesser in den ruhigeren Nebenflüssen des Amazonenstromes oft meilenweit die Wasserfläche bedeckt, und die Gattung Euryale haben bestachelte Stengel und Blätter. In der Gattung Nymphaea selbst sind die Arten der Untergattungen Lotos (z. B. die afrikanische Nymphaea Lotus, die sich bereits auf alten ägyptischen Denkmälern vielfach dargestellt findet und mit der N. thermalis der ungarischen Thermen identisch ist) und Hydrocallis (mit grüngelblichen Blüten) mit glattem Blütenstaub versehen und blühen nur des Nachts. Die Nymphaea Amazonum öffnet ihre Blüte nur etwa 20–30 Minuten in den ersten Morgenstunden. Die übrigen Arten der Untergattungen Xanthantha (mit gelber Blüte), Castalia (mit fünf Arten, worunter unsere einheimischen), Brachyceros und Anecephya sind Tagblüher, meist mit kurzstacheligen oder warzigen Pollenkörnern versehen. Die blaue Lotos der Ägypter Nymphaea coerulea hat blaue, die den Ostindiern heilige Nymphaea stellata und die australische N. gigantea haben blau rosig und weiss aussehende Blüten.
Die Blütenbiologie unserer einheimischen Seerosen ist bereits mehrfach studiert worden. Bei unserer weissen Teichrose (Nymphaea alba) öffnet sich die Blüte des Morgens gegen 7 Uhr und schliesst sich nachmittags gegen 4 Uhr, dabei birgt sie ihre zarten Blüten (wohl gegen die Kälte der Nachtluft) unter Wasser. Linné (Disquis. de sexu plantarum 1760) sagt:
[S. 110]
Nymphaea alba quotidie mane ex aqua tollitur, floremque dilatat adeo ut meridiano tempore tres omnino pollices pedunculo aquam superemineat. Sub vesperam penitus clausa et contecta demergitur. Circa horam enim quartam post meridiem contrahit florem, agitque sub aqua omnem noctem, quod nescio an cuiquam per bis mille annos notatum sit, id est inde a Theophrasti aevo, qui hoc observavit in Nymphaea Loto.... Scripsit autem Theophrastus, hist. plant. IV, 10. de Loto eaquae sequuntur: „In Euphrate caput floresque mergi referunt, atque descendere usque in medias noctes: tantumque abire in altum, ut ne de missa quidem manu capere sit: diluculo dein redire et ad diem magis. Sole oriente jam extra undas emergere floremque patefacere, quo patefacto amplius insurgere, ut plane ab aqua absit alte“. — Idem prorsus mos est nostrae Nymphaeae albae.
Die Seerosen sind zoidiophil, der Bestäubung durch Tiere angepasst, da sie aber, wie wir oben hervorhoben, die Höhe ihrer Entwickelung bereits in einer früheren geologischen Epoche erreicht hatten, wird man heutzutage nicht mehr mit Sicherheit behaupten können, welcher Abteilung der Tiere sie ihre Bestäubungsverhältnisse angepasst haben. Für einige Arten scheinen die geeigneten Bestäuber ausgestorben zu sein, so dass dieselben jetzt auf Selbstbestäubung angewiesen sind. So soll nach Caspary[39] in der Unterabteilung Hydrocallis der Gattung Nymphaea die Bestäubung vor Aufbruch der Blüten stets mit eigenem Blütenstaub erfolgen, wobei 10000 bis 30000 Samen, die aufs beste keimen, gebildet werden. Auch Euryale ferox befruchtet sich stets selbst, oft bei ganz geschlossener, ja völlig unter Wasser bleibender Blüte. Gegenwärtig scheinen unsere Seerosen auf die Käfer und Fliegen angewiesen zu sein. Nach Delpinos Vermutung werden Nymphaea alba und Victoria regia von Cetonien (Rosenkäfern) und Glaphyriden befruchtet. Bei Nuphar sondert die Unterseite der reduzierten Blumenblätter Honig ab, während die Kelchblätter durch Ausdehnung ihrer Fläche und ihre gelbe Farbe die Rolle der Blumenblätter übernommen haben. Unsere Nuphar wie Nymphaea sind proterogynisch und ist z. B. bei Nymphaea die Narbe nur am[S. 111] ersten Tage des 3–7 Tage währenden Blühens empfängnisfähig, so dass Bestäubung ohne Insekten nicht erfolgt.[40]
Sprengel fand bei der gelben Teichrose Blumenkäfer in den Blüten und Hermann Müller sah dieselben ausser von Meligethes von Schilfkäfern (Donacia dentata) und Fliegen (Onesia floralis) besucht. Neuerdings hat der amerikanische Biologe Charles Robertson[41] den Bestäubungsverhältnissen der Seerosen ein besonderes Interesse zugewandt. Nach ihm ist Nelumbo und Nymphaea Pollenblume, während Nuphar Pollen und Nektar deren Besuchern darbietet. Jordan giebt jedoch bei Nymphaea alba vor den introrsen Staubgefässen (nach innen) gelegene flache Honigdrüsen an.[42] Robertson fand bei Nelumbo lutea als Hauptbestäuber Hautflügler, besonders Andreniden (Halictus) und Schwebfliegen, bei Nuphar advena sowohl im Staate Illinois (im August) wie in Florida (im Februar) Halictus pectoralis (Andrenide), Helophilus divisus (Schwebfliege), Donacia piscatrix (Schilfkäfer), Trelease fand in Madison gleichfalls Halictus pectoralis und Donacia piscatrix. Bei Nymphaea tuberosa fand Robertson acht Andreniden, zwei Syrphiden, eine Bombylide, besonders häufig auch hier Halictus pectoralis, letztere auch bei Nymphaea alba. Piccioli fand bei dieser gleichfalls Donacia, so dass als besonders regelmässige Bestäubungsvermittler der Seerosen Schilfkäfer (Donacia dentata in Deutschland, D. piscatrix in Nordamerika), Halictusarten (H. pectoralis in Nordamerika) und Fliegen bisher beobachtet worden sind.
Die Blüten der Seerosen scheinen nicht selten eine Todesfalle für Insekten zu sein, so fand Delpino tote Insekten bei Nymphaea alba und nahm an, dass sie durch die durch einen starken Geruch bemerklichen Ausdünstungen der Pflanze getötet worden seien. Planchon (Flore des serres et des jardins 1850) denkt an eine Anhäufung von Kohlensäure in dem Blütenkessel. Robertson fand zuweilen in den Nelumboblüten tote Hummeln (Bombus virginicus) und Fliegen, die durch die Petala eingeschlossen waren und in ihrem Gefängnis erstickt zu sein schienen. Dagegen fand er in dem Blütenbassin von Nymphaea tuberosa Halictus occidentalis[S. 112] ertränkt. Auch A. Bacon (Bull. Torr. Bot. Club V, 51) berichtet, dass er in den Blüten der Nymphaea odorata gefangene und getötete Insekten eingeschlossen gefunden habe.
Die von Lufthöhlen durchzogenen Blatt- und Blütenstiele (Fig. 13) und Wurzelstöcke sind bei unseren Teichrosen (überhaupt bei Victoria, Euryale, Nymphaea, Nuphar, bei letzterer Gattung nur die Wurzelstöcke nicht) im Innern mit vielästigen Sternhaaren mit körniger Oberfläche versehen, welche in die Zwischenzellräume hineinragen. Man bemerkt dieselben schon mit blossem Auge deutlich, wenn man ein kurzes Stück aus dem Blattstiel ausschneidet und durch dasselbe hindurch sieht. Nach den Untersuchungen Stahls sind solche Feilenhaare ein Schutzmittel gegen Schneckenfrass und die Zerstörungen anderer omnivoren Tiere. Nun scheinen Schnecken in der That gerne das Innere grüner Stengel auszufressen. (In meinem Garten wurden die Stengel der Kaiserkrone mehrere Jahre hindurch durch Nacktschnecken abgefressen, die den Stengel dicht an der Erde durchfressen und dann aushöhlen, während die Versuche, an den Blättern zu fressen, wohl[S. 113] wegen des hohen Raphidengehaltes derselben, bald aufgegeben wurden.) Bei anderen Wasserpflanzen, welche einen solchen Schutz ihres Stengelmarkes nicht haben, werden die Stengel nicht selten ausgehöhlt und zu Grunde gerichtet. So leben von dem Mark des Wasserliesches (Butomus umbellatus) die Larve einer Fliege (Agromyza confinis), in dem des Igelkolbens etc. die Larve von Faltern (Orthothaelia sparganella, Nonagria Sparganii) und fressen die Stengel aus, wenn nicht Blesshühner, Rohrdommeln und Störche, welche Raupen und Puppen sehr geschickt herausholen, oder Schlupfwespen (Ichneumon divisorius) Einhalt thun. Abgesehen von einer Blattlaus (Aphis Nymphaeae, die sich auch an verschiedenen anderen Wasserpflanzen, dem Froschbiss, Froschlöffel, Wasserliesch etc. einfindet), einigen Käfern (Donacia crassipes, Donacia Menyanthidis, Galeruca Nymphaeae) und Falterraupen (Nymphula nymphaealis verpuppt sich unter einem der oberen Blattfläche angeleimten Blattstückchen, der Falter ist im Mai und Juni in der Nähe der Teichrosen häufig) haben unsere Teichrosen wohl wenig Feinde oder nutzlose Gäste (Bryozoën etc.) aus der Tierwelt aufzuweisen. Auch gegen Pilzschmarotzer scheinen sie gefeit zu sein. Ein durch dieses Vorkommen bemerkenswerter Rostpilz (Aecidium nymphaeoides)[II] ist sehr wenig verbreitet. Die Verbreitungsmittel der Wassergewächse sind nicht selten derartige, dass sowohl eine Weiterverbreitung innerhalb desselben Gewässers, als auch eine weitere Verbreitung von Gewässer zu Gewässer möglich ist. In ersterer Hinsicht ist es von Vorteil, wenn die Samen oder Früchte zu schwimmen vermögen (wobei sie durch Wasserströmung und Wind verbreitet werden), später aber ein grösseres spezifisches Gewicht als das Wasser erlangen und zu Boden sinken[S. 114] (wenn sie nicht wurzellosen Pflanzen zugehören). Bei der Verbreitung von Gewässer zu Gewässer kommen, wenn wir von Überschwemmungen absehen, hauptsächlich Wind und Tiere als Verbreitungsfaktoren in Betracht. Bei den Schwimmgewächsen spielen besonders die letzteren eine hervorragende Rolle und unter ihnen besonders die geflügelten Wassertiere, Vögel und Wasserkäfer. Bei unseren weissen Teichrosen sind die Samen mit einem Samenmantel versehen, so dass sie nach dem Platzen der Frucht an der Wasserfläche, durch die zwischen ihnen und dem Samenmantel enthaltene Luft gehalten, umherschwimmen können. Dieser Schwimmmantel umgiebt den Samen lose als weissliche Hülle. Zunächst sind nach dem Auseinanderfallen der Fruchtwände die Samen zu einem schleimigen Klumpen vereinigt, der sich aber schliesslich auflöst, so dass die Samen sich frei umherbewegen. Zuletzt vergeht auch der Samenmantel, die Luftblasen entweichen und der Same fällt vermöge seiner Schwere zu Boden[43]. Anders verhält sich die gelbe Teichrose. Bei ihr findet sich die Vorrichtung zur Wasserverbreitung nicht an den Samen, sondern sie liegt in einer besonderen Konstruktion der Fruchtwände. Zur Reifezeit löst sich die Frucht gleichfalls von ihrem Stiele ab, aber die Samen werden dabei nicht sogleich frei, sondern es geschieht, wie es Hildebrand schildert, etwas dem Verfahren ähnliches, welches man einschlägt, wenn man eine Apfelsine in einzelne halbmondförmige Teile zerlegt. Von der äusseren Fruchtwand löst sich nämlich nur die äussere grüne Schicht los, während die innere mit den Scheidewänden der Frucht in Verbindung bleibt. Die Scheidewände spalten sich dann bald von aussen beginnend in je zwei Lamellen, wodurch jene halbmondförmigen Scheiben entstehen, gebildet aus einer festen Aussenhaut, welche die zahlreichen schweren Samen in einen Schleim eingebettet umschliesst. Diese Scheiben sinken nicht unter, weil in dem Schleime ihres Inneren zahlreiche Luftblasen entstanden sind. Erst später, wenn die Scheiben länger umhergeschwommen sind, löst sich die äussere Hülle auf, die Luftblasen entweichen aus dem Schleime und die Samen werden auf[S. 115] den Grund des Wassers ausgesäet. Der Samenmantel der Nymphaea fehlt ganz. Noll hat darauf hingewiesen, dass die Wasserhühner die eigentlichen Verbreiter der Samen der Teichrosen von Teich zu Teich sind. Die Früchte sind ihre Lieblingsspeise. Bei dem Verzehren derselben bleiben die klebrigen Samen den Vögeln an Haaren und Schnäbeln haften und werden, wie Noll fand, von ihnen verschleppt. Durch Wasservögel werden auch unsere Wasserlinsen weiter verbreitet. Nicht im Wasser schwimmende Samen und Früchte (Fig. 14) kletten sich den[S. 116] Wasservögeln häufig an und die Verbreitung vieler Wasserpflanzen ist von den Wanderungen und der Zugrichtung der Wasservögel abhängig. So verdanken Villarsia- und Limnanthemumarten den Wasservögeln ihre weite Verbreitung. Leersia oryzoides ist nach Ebelings Vermutung durch Steissfüsse, Enten, Wasserhühner aus Südeuropa bis zur norddeutschen Küste verbreitet worden. Unsere Wasserbinsen Scirpus lacustris und Scirpus palustris, sind mit einem aus sechs Borsten bestehenden Perigon mit rückwärts gerichteten Stacheln versehen. Ähnliche Klettvorrichtungen sind bei Rhynchospora etc., ferner vom Zweizahn (Bidens) bekannt. Bidens cernuus ist — jedenfalls durch Vögel verschleppt — aus Europa zu Anfang dieses Jahrhunderts nach Nordamerika gekommen. B. pilosus wanderte aus Nordamerika nach Teneriffa und Neuseeland, B. leucanthus aus Mittelamerika nach Madeira und der Insel Mauritius und der in Nordamerika heimische B. bipinnatus ist jetzt in Tirol eine wahre Landplage geworden. Die mit gefiedertem Flugapparat versehenen Samen vom Rohrkolben und andere den Wind als Transportmittel benutzende Wasserpflanzen haben gleichfalls noch das Vermögen eine Zeit lang an der Oberfläche zu schwimmen. — Bei einer Anzahl tropischer Wassergewächse keimen die Samen erst, nachdem sie eine gewisse Zeit ausgetrocknet waren[45]; es kann dies mit ihrem Vorkommen in Gewässern zusammenhängen, die regelmässig einen Teil des Jahres austrocknen. Möglich wäre es aber auch, dass diese, von einem vorherigen Austrocknen bedingte Keimfähigkeit der Samen in Zusammenhang stände mit dem Transport der Samen von Gewässer zu Gewässer durch das Trockene hindurch.
[II] Nachdem das Obenstehende niedergeschrieben, ist die Zugehörigkeit des Aecidium nymphaeoides DC. zu Puccinia Scirpi DC. auf Scirpus lacustris sowie die der Aecidien auf Hippuris und Sium latifolium zu Uromyces lineolatus Desm. auf Scirpus maritimus erwiesen worden. Immerhin bleibt noch eine ganze Anzahl von Rostpilzen auf den Binsen- und Schilfpflanzen übrig, deren Zugehörigkeit zu denen anderer Wasser- und Sumpfpflanzen noch zu ermitteln ist — eine der vielen Aufgaben, welche an den Süsswasser-Stationen, wie sie Dr. O. Zacharias ins Leben gerufen hat (vergl. das 15. Kapitel dieses Werkes), ins Auge gefasst werden können.
Eine Schwimmpflanze, welche nicht nur, wie die Seerosen, die Zeit ihrer hauptsächlichsten Entfaltung an der Erdoberfläche hinter sich hat, vielmehr jetzt im Aussterben begriffen zu sein scheint, ist die Wassernuss (Trapa natans). Nathorst und Carlsen[46], welche die Verbreitung dieser Pflanze in Schweden untersucht haben, fanden ihre Früchte in vielen Seen Schwedens[S. 117] verbreitet, in denen die Pflanze jetzt gar nicht mehr wächst oder jetzt sehr selten geworden ist, in dem Schlamm des Bodens. Die Pflanze scheint gewöhnlich mit der weissen Seerose gelebt zu haben und es ist daher zweckmässig, in der Nähe dieser auch die Seen anderer Länder nach den Trapafrüchten, die zudem einen Reichtum von Varietäten zur Schau tragen, zu durchsuchen.
Nach Huth[44] sind die hakigen Früchte als „Ankerkletten“ zu betrachten (welche ein Festhaken des Keimlings am Boden bewirken) — im Gegensatz zu den Verschleppungskletten des Zweizahns (Bidens) etc.
Die submersen Blätter, welche sich neben den Schwimmblättern finden, besitzen eine Reihe von Eigentümlichkeiten, welche anderen submersen Blättern abgehen. Die obersten von ihnen besitzen sowohl Luftspalten als Wasserspalten von charakteristischer Anordnung. Luft- und Wasserspalten sind sonst bei Wasserpflanzen sehr selten. Sie finden sich nach De Bary noch auf den Samenlappen von Batrachium, den Laubblättern von Callitricheen, Hippuris, Hottonia. Die sehr feinfiedrig geteilten grünen submersen Blattorgane sind Wasserwurzeln, welche gewissermassen an die grünen von Fritz Müller beobachteten Luftwurzeln anderer Pflanzen erinnern. Eine eingehendere Darstellung dieser Verhältnisse wie auch der Keimung hat Wittrock[47] gegeben. — In Deutschland findet sich die (mit einer anderen Wasserpflanze Isnardia und den landlebigen Weidenröschen und Circaeaarten) zu den Nachtkerzengewächsen (Onagraceae) gehörige Wassernuss sehr zerstreut. Orte ihres Vorkommens sind ausser den seenreichen Gegenden Norddeutschlands z. B. der Niederrhein, Seen und Teiche um Dessau, bei Plothen und Drebra bei Gera.
Die Arten des Wasserhahnenfusses (Batrachium), deren systematische Bearbeitung z. B. bei J. Freyn[48] nachzusehen ist, zeigen merkwürdige Übergänge von dem Landleben und amphibischen Leben zu echten Schwimmpflanzen und typisch submersen Arten. Von den acht in Nord- und Mitteldeutschland vertretenen Arten ist nur Batrachium hederaceum eine echte Schwimmpflanze, die lauter eigentliche Schwimmblätter besitzt. Ihm steht eine in[S. 118] Sizilien, Asturien, England etc. vorkommende Art B. caenosum nahe. Die submersen Arten bilden wie die Tausendblattarten sehr ausgedehnte Wiesen unter Wasser oder weithin flutende Rasen in unseren Flüssen. Am häufigsten sind B. divaricatum in stehenden Gewässern mit nur zerschlitzten (untergetauchten), flächenförmig ausgebreiteten, kreisrunden Blättern, die meist einmal dreiteilig sind mit weiterhin wiederholt gabelspaltigen Zipfeln, B. fluitans, welches vorwiegend in Flüssen und Bächen wächst, dreiteilig vielspaltige, sehr langhin ausgedehnte Wasserblätter, nur selten aber nierenförmige oder geschlitzte Schwimmblätter besitzt und die gemeinste und vielgestaltigste, allen möglichen Lebensverhältnissen angepasste Art B. aquatile. Letztere erzeugt im Wasser nur zuweilen Schwimmblätter und zwar zur Blütezeit. Askenasy[6] ist durch Versuche zu der Ansicht gelangt, dass ein typisches Schwimmblatt sich bilde, wenn das einer Blüte gegenüber stehende Blatt in einer bestimmten Periode in die Luft emporgehoben wird. Besonders merkwürdig sind die Luftformen der Hahnenfussarten in kleinen Tümpeln etc., die sonst sehr dicht mit Wasserpflanzen besetzt sind. Sie haben ausser submersen zerschlitzten Blättern und echten Schwimmblättern typische Luftblätter (mit den Spaltöffnungen an der unteren Seite) etc. Eigentliche Landformen kommen beim völligen Austrocknen der Sümpfe bei fast allen drei Arten vor, sie haben aber bei B. divaricatum nur die typischen zerschlitzten Blätter. Der Übergang der einen in die andere biologische Form erfolgt meist schnell bei Eintritt anderer Lebensverhältnisse. — Ähnliche amphibische Wasserpflanzen sind z. B. der Tannenwedel (Hippuris), die Tännelarten Elatine etc. — Die Blüteneinrichtung des gemeinen Wasserhahnenfusses B. aquatile ist von Herm. Müller (l. c.) beschrieben worden. Die Honigblumen, zu deren Saftdrüsen die als Saftmal dienende gelbgefärbte Basis der Blumenblätter führt, werden besonders von Schwebfliegen (Eristalisarten, Helophrilus florens, Chrysogaster viduata), kleineren und grösseren Musciden, Bienen (Apis mellifica), Hummeln (Bombus terrestris) bestäubt. Ein von H. Müller beobachteter Käfer (Helodes Phellandri) frisst die Blumenblätter und Staubgefässe. Bei hohem Wasserstand bleiben die Blüten[S. 119] geschlossen unter Wasser und befruchten sich selbst. Ob solche kleistogamische Blüten, wie sie sich bei dieser mit dem Landhahnenfuss (Ranunculus) doch nahe verwandten und wohl von diesem abstammenden Gattung von Batrachium finden, auch sonst bei echten Hydrophyten vorkommen, oder ob hier überall die früher erörterten Anpassungen an eine typische Wasserbefruchtung eingetreten sind, bedarf noch eines besondern Studiums. H. Müller war nach brieflichen Mitteilungen, welche er an mich richtete, geneigt, eine weitere Verbreitung kleistogamischen Blühens auch bei Wasserpflanzen anzunehmen. Das Vorkommen einer gross- und kleinblütigen Form, wie es bei vielen Landpflanzen (Stellaria graminea, Cerastium arvense, Thymian, Gundermann etc.) bekannt ist — in Verbindung mit einer Trennung in Zwitterblüten und weibliche Blüten, ist z. B. von Kirchner beobachtet worden, welcher unter den normalen Stöcken (Blüte 20–27 mm im Durchmesser) solche mit Blüten von 3–4 mm Durchmesser und wenigen Staubgefässen fand. Der letztgenannte Forscher hat auch die Blüteneinrichtung des B. divaricatum näher beschrieben. Beyer[49] hat die spontanen Bewegungen der Staubgefässe des gemeinen Wasserhahnenfusses, dessen Blüte „auf Unterbestäubung eingerichtet ist“, in ihrem gesetzlichen Ablauf näher studiert. (Bei Ranunculus auricomus hatte schon Konrad Christian Sprengel die Staminalbewegung beobachtet.)
Von amphibischen Schwimmpflanzen sei hier nur noch des Wasserknöterichs (Polygonum amphibium) mit einigen Worten Erwähnung gethan. Der Gegensatz einer besondern Landform und Wasserform tritt bei ihm besonders hervor. Wächst Polygonum amphibium im Wasser, so bildet es die Form natans mit langgestielten, breitlanzettlichen, am Grund herzförmigen Schwimmblättern von lederartiger Konsistenz der Blätter und Stengel. Bei der Landform P. terrestris sind dagegen die dem Wurzelstock entspringenden Stengel aufrecht von unten auf mit schmallanzettlichen, festsitzenden Blättern besetzt, deren Fläche nicht glatt, sondern runzlig ist. Während bei der Wasserform der Luftkanal stärker entwickelt und dadurch das spezifische Gewicht[S. 120] des Stengels herabgesetzt ist, bildet die Landform zur Erreichung der für sie unentbehrlichen Biegungsfestigkeit ausserhalb des Bastgewebes (Phloëms) besondere mechanische Zellen, ein Skelett, im Stengel aus[50]. Das ganze Hautgewebe hat zum Zweck der Transpiration und Durchlüftung besondere Umgestaltungen erfahren. Besonders beachtenswert ist aber, dass die Landform besondere Schutzmittel gegen ungeflügelte aufkriechende Tiere hat. Kerner[51] hebt es besonders hervor, dass den Wasserpflanzen, wie Alisma, Butomus, Sagittaria, Hottonia, Utricularia, Villarsia, Nuphar, Nymphaea, Hydrocharis, Stratiotes, welche durch das umgebende Medium vor aufkriechenden Tieren (Ameisen, Raupen etc.) geschützt sind, die besonderen Schutzmittel der Blüte fehlen, welche bei den Landpflanzen in so reichem Masse zur Entwickelung gelangt sind. „Sehr lehrreich in dieser Beziehung“, sagt Kerner, „ist das Verhalten des Polygonum amphibium. Die schön rosenroten Blüten dieser Pflanze sind zu kleinen Cymen vereinigt und diese bilden eine dichte, cylindrische, ährenförmige, sehr reiche Inflorescenz von 2.5 bis 3.5 cm Länge und 1 bis 1.2 cm Breite. Die Blätter des Perianthiums sind fast bis zum Grunde getrennt; der Fruchtknoten ist von einem fleischigen, roten, fünflappigen, nektarabsondernden Becher umgeben und der Grund der Blüte auch reichlich mit Nektar erfüllt. Die mit der Basis des Perianthiums verwachsenen Pollenblätter sind sehr kurz und die Pollenbehälter bleiben in der Tiefe der Blüte geborgen; die zwei Griffel des Gynaeceums sind dagegen sehr lang und ragen sogar über die Blätter des Perianthiums hinaus. Während der Anthese beträgt die Länge des Perianthiums 4 mm, die obere Weitung kaum 3 mm. Da der Nektar im Blütengrunde durch kein besonderes Gebilde am Perianthium geschützt ist, so erscheint er selbst kleinen Insekten zugänglich und wird von diesen auch gern abgeholt. Bei den angegebenen Dimensionen der Blüte können aber selbst sehr kleine anfliegende Insekten nicht vermeiden, dass sie beim Abholen des Nektars zuerst an die über das Perianthium vorstehenden und[S. 121] etwas spreizenden Narben und dann an die dicht über dem Nektar befindlichen Pollenbehälter streifen, und da die Blüten proterandrisch sind, so wird selbst durch sehr kleine anfliegende Insekten, welche mehrere Blüten und Blütenstände nach einander besuchen, Kreuzung der Blüten (bald Geitonogamie, bald Xenogamie) veranlasst. Die von unten her kommenden flügellosen, aufkriechenden kleinen Insekten würden sich aber nicht die Mühe nehmen, über den obern Rand des Perianthiums an den aus der Apertur hervorragenden Narben vorbei zum Blütengrunde vorzudringen, sondern auf dem kürzesten und für sie bequemsten Wege von unten durch die tiefen, die Perigonzipfel trennenden Spalten sich den Nektar holen. Sie würden daher auch eine Belegung der Narben nicht veranlassen und es würde somit der Nektar geopfert, ohne dass zugleich der Vorteil der Allogamie erreicht wäre. Da zudem bei Polygonum amphibium infolge der Dichogamie und der gegenseitigen Lage der Blütenteile eine Autogamie (Selbstbestäubung) unmöglich ist, würde durch den Besuch solcher aufkriechenden kleinen Insekten das Entstehen von Früchten überhaupt gänzlich vereitelt werden. Zu den Blüten der im Wasser wachsenden Stöcke des Polygonum amphibium können nun sehr kleine ankriechende Insekten auch nicht kommen. Wie aber dann, wenn das Wasser abgelaufen ist und Polygonum amphibium aufs Trockene gesetzt wird? — Da ist es nun sehr merkwürdig, dass sich in solchem Falle besondere Schutzmittel ausbilden, welche der im Wasser wachsenden Pflanze bisher fehlten. Es entwickeln sich nämlich dann aus der Epidermis sowohl der Blätter als der Stengel eine Unzahl horizontal abstehender, im Mittel 0.7 mm langer Trichomzotten („Drüsenhaare“), die insbesondere an dem Stengelteile, welcher durch eine Inflorescenz abgeschlossen ist, so dicht als nur möglich gestellt sind und deren kugelige Schlusszellen einen klebrigen Stoff secernieren, so dass sich die Achse, welche die Inflorescenz trägt, ganz schmierig anfühlt. Jene kleinen, flügellosen aufkriechenden Insekten, welche den Nektar rauben möchten, ohne dabei den Vorteil einer Kreuzung der Blüten zu vermitteln, können über diese klebrige Achse nicht emporkommen,[S. 122] sie würden an derselben wie an Leimspindeln kleben bleiben.“ Die Landform hat also dasselbe Schutzmittel gegen unberufene Blütenbesucher wie die Pechnelke (Lychnis viscaria) und viele andere Pflanzen. Wird der Standort des Polygonum aber wieder einmal unter Wasser gesetzt, so entwickelt dasselbe Rhizom wieder die Wasserform ohne diese Trichomzotten, aber mit allen Anpassungen an das Wasserleben. — Übrigens dürfte Kerner bei den oben beschriebenen Exemplaren nur die langgrifflige Form des Wasserknöterichs vor sich gehabt haben, daneben aber eine kurzgrifflige (wie bei der Wasserfeder und dem Fieberklee) existieren; wenigstens hat Kirchner[52], wie bereits angedeutet wurde, in der Landform einen neuen Fall des Vorkommens der Heterostylie entdeckt. Ob bei dem Wasserknöterich eine ähnliche Blühfolge besteht, wie ich sie für den gemeinen Wiesenknöterich beschrieben habe[53], hat ebenso besonderes Interesse (weil diese Art nicht heterostyl ist), wie die Frage, welches der Insektenkreis der Bestäubungsvermittler der Landform und welches der der Wasserform ist. Doch ist man zur Beantwortung dieser wie tausend anderer ebenso einfacher und doch wichtiger Fragen zur Biologie der Wasserpflanzen bisher nicht gekommen.
Die Luftpflanzen unserer stehenden und fliessenden Gewässer sind stets im Boden festgewurzelt, haben zumeist auch einen sehr kräftig entwickelten Wurzelstock, wie z. B. der Kalmus, die Schwertlilien etc., zeigen im übrigen aber noch deutliche Anpassungen an das Wasserleben. Wir können zwei Hauptformationen unterscheiden, die Schilfgewächse und die unter deren Schutz (gegen Wind und Wasserströmung) gestellten, die Wasserfläche nur wenig überragenden Sumpfpflanzen. Beginnen wir mit den letzteren, die sehr verschiedenen Abteilungen, zumeist aber den Monokotyledonen angehören.
Am tiefsten in die Gewässer steigen von höheren Gewächsen (z. B. neben der den Kreuzblütlern angehörigen Brunnenkresse, den[S. 123] Wasserehrenpreisarten etc.) noch einige Doldenpflanzen, wie der Wassermerk (Sium, Berula), die Sumpfdolde (Helosciadium), die Rebendolde (Oenanthe fistulosa und aquatica) und der Wasserschierling (Cicuta virosa) hinein. Besonders Oenanthe aquatica ist mit röhrigem Stiel (wie auch der noch durch Gift geschützte Wasserschierling) und mit haarförmigen, sehr fein zerteilten Wasserblättern versehen und kann in sehr tiefem Wasser nur die letzteren untergetaucht ausbilden, ein völlig submerses Wasserleben führend. Auch die Froschlöffelgewächse (Alismaceen) bilden noch besondere Wasserblätter aus und führen gewöhnlich ein Wasserluftleben oder unter besonderen Verhältnissen sogar ein Wasserleben. Nur der schwimmende Froschlöffel, der von Buchenau, dem Bearbeiter dieser Pflanzenfamilie, unter die besondere Gattung Elisma (Elisma natans) gebracht wird — Buchenau beschreibt zehn Gattungen mit 45–48 Arten von Alismaceen —, ist eine echte Schwimmpflanze mit Schwimmblättern und submersen Blättern. Die beiden verbreitetsten Arten unserer Flora sind der gemeine Froschlöffel (Alisma Plantago) und das Pfeilkraut (Sagittaria sagittifolia), welche beide mit ihren zierlichen Blattbüscheln und hübschen Blütenständen die Ufer unserer Teiche und Flüsse schmücken. Beide bilden in tiefem Wasserstand submerse Formen mit schmallinealischen Blättern (forma graminifolia), die von Linné sogar mit einer Vallisnerie verwechselt werden konnten, auch der hahnenfussblättrige Froschlöffel (Echinodorus ranunculoides) verhält sich so. Unser Alisma Plantago, dessen Blütenstand sich mit mathematischer Regelmässigkeit in die Luft erhebt (nach den Messungen und Abbildungen von Xaver Pfeifer[54] träte das Verhältnis des goldenen Schnittes besonders häufig in dem Aufbau dieser Pflanze zutage), besitzt zierliche kleine Zwitterblüten mit sechs (2 × 3) vor den Kelchblättern stehenden Staubgefässen, während der Blütenstand des Pfeilkrautes aus grösseren, rötlichweissen Blüten getrennten Geschlechts besteht, von denen die oberen männlich, die unteren weiblich mit vielen Staubgefässen bezügl. Stempeln in spiraliger Anordnung versehen sind. Beide Pflanzen sind der Bestäubung durch Vermittlung der Insekten[S. 124] angepasst (sind entomophil). Nach Hermann Müller sind bei Alisma Plantago die pollenübertragenden Insekten Schwebfliegen (Eristalis, Syritta, Ascia, Melanostoma, Melithreptus). Bei Elisma natans kommen nach Hildebrand auch kleistogamische Blüten vor[55]. Die Verbreitung der Samen geschieht durch den Wind (mit teilweiser Anpassung an die nächstgelegene Verbreitung durch das Wasser), bei der ostindischen Gattung Limnophyton besitzen die Samen zwischen der verholzten Innenschale (Endocarpium) und der Aussenschale Lufthöhlen (Schwimmvorrichtung); Caldesia parnassifolia kommt bei uns überhaupt nicht zur Fruchtbildung, sondern pflanzt sich nur durch Brutknospen fort. — Die gleichfalls im Schutz der Schilfpflanzen wachsende Schlangenwurz (Calla palustris), welche bei uns zweimal blüht (im Mai und September), wäre besonders in Bezug auf die Bestäubungsweise zu untersuchen. Ob diese durch Raphiden geschützte Pflanze durch Schnecken oder Insekten befruchtet wird oder, wie Kerner u. A.[56] vermuten, einer Befruchtung durch Regen und Tau angepasst ist, ist bisher nicht festgestellt worden (vgl. die Bemerkung bei Lemna). Sie hat rote Beerenfrüchte (Verbreitung durch Vögel!).
Ein hervorragendes Interesse beanspruchen noch die Schilfgewächse, welche neben dem Röhricht der Schachtelhalme und Binsen der Wasserlandschaft ihr eigentümliches Gepräge verleihen. Sie gehören alle den Monokotyledonen an, und da zudem ihre Arten bereits in den Tertiärformationen auftreten, ist es wahrscheinlich, dass sie eine der ältesten Anpassungen an das Luftwasserleben darstellen. In den Luftströmungen und besonders gegen die Bewegung des Wassers, wie sie besonders bei heftigeren meteorologischen Katastrophen (Wolkenbrüche, Überschwemmungen etc.), die in der Vorzeit noch weit mächtiger und häufiger eingetreten sein mögen als jetzt, vorkommen, sind die schmallinealischen (schwertförmigen), sehr elastischen, leichten und dabei biegungsfesten Blätter der Schilfgewächse (die Wind und Regen eine minimale Angriffswaffe darbieten) besonders widerstandsfähig. Ihr ganzer Aufbau (Fig. 15), das von Lufthöhlen durchzogene Blatt (dem meist auch der Blütenschaft gleichgestaltet ist) mit seiner verdickten Mittelrippe,[S. 125] den oft parallel gestellten Querwänden, die wie Strebepfeiler wirken (bei Iris, Typha, Scirpus silvaticus), deuten darauf hin. Mächtige, weit verbreitete Rhizome, welche am Grunde festgewurzelt sind, sichern diesen Pflanzen eine dauernde Existenz durch Sommer und Winter und eine rasche Ausbreitung über ein grosses Areal. Besondere Vorkehrungen[57] schützen die jugendlichen Teile gegen Verletzungen durch die Bodenteile (tütenförmige Niederblätter bei Glyceria etc.). So schildert Warming[58] die besondere Entwickelung der Rhizome von Phragmites communis. Die neuen, am Grunde der Muttersprosse entspringenden Sprosse senken sich tief in die Erde, ehe sie sich umbiegen und nach oben wachsen. Das ganze unterirdische Stengelsystem wird so immer weiter in die Erde gebracht, bis es eine gewisse Normaltiefe hat, und es entsteht in wenigen Monaten ein sehr reich und weit verzweigtes Rhizom. — In welcher Weise die von der mittleren Windrichtung beeinflusste Verwachsung der Teiche, Seen und Flüsse durch solch üppige Rhizombildung vor sich geht und durch sie ein Weiterrücken der Flussläufe bewirkt wird, hat kürzlich M. J. Klinge[59] in einer besonderen Abhandlung ausgeführt. Haben flutende, schwimmende und untergetauchte Gewächse, die sich am günstigsten entwickeln an Stellen, die von[S. 126] der Stromrichtung nicht getroffen sind, im Verein mit dem zwischen ihnen abgelagerten Detritus soweit vorgearbeitet, dass Butomus umbellatus, Sagittaria sagittifolia, Glyceria, Acorus, Arundo, Phragmites, Scirpus lacustris etc. geeigneten Boden finden, so arbeiten diese Gewächse durch Massenentwickelung darauf hin, das Gefälle der Flüsse durch Überwachsen ganz zu heben, um für ihre Sippschaft weiten Raum zu schaffen. Der Fluss sucht der Pflanze seitlich auszuweichen und zwar meist unter dem Winde.
Zu den Schilfgewächsen gehören zunächst von ausgeprägten Windblühern die Lieschkolben oder Rohrkolben (Typhaceen), deren kolbenförmiger Blütenstand zuoberst die männlichen, unten die weiblichen Blüten trägt. Den eigentümlichen Blütenstand, welcher einem Lampencylinder-Putzer nicht unähnlich ist, haben Dietz[60] und Kronfeld[61] näher untersucht. Die Blüten stellen die denkbar einfachsten Monokotyledonenblüten dar, aus zwei Staubfäden oder einem Stempel bestehend, an dessen Grund haarähnliche Gebilde stehen. Sie bilden bei den weiblichen Blüten später den Flugapparat der Früchtchen, die aber auch zu schwimmen vermögen. Im Herbst und Frühjahr treiben sich die letzteren in mächtigen wolligen Massen auf und an den Gewässern umher. Gegen Tierfrass sind die Lieschkolben durch Büschel von Nadeln des Kalkoxalats (Raphiden) geschützt. Von zwölf bekannten Arten finden sich bei uns verbreitet der breite und der schmalblättrige Lieschkolben (Typha latifolia und angustifolia), selten der kleine Lieschkolben (T. minima). Ihnen verwandt sind sodann die gleichfalls windblütigen Igelkolben (Sparganiaceen), deren männliche Blüten in zahlreichen endständigen Köpfchen der einfachen oder verästelten, ährig angeordneten Inflorescenzen drei langfädige Staubgefässe haben, während die gleichfalls kugeligen weiblichen Köpfchen am Grunde sitzen und 1–2 Griffel haben. Die Haargebilde fehlen und könnten die Früchte des stacheligen Fruchtstandes wohl eher durch Tiere verbreitet werden. Der Blütenstand ist hier wie bei den Typhaceen proterandrisch, so dass der Wind nur Fremdbestäubung bewirkt. Am häufigsten ist Sparganium ramosum und S. simplex, während S. minimum und S. affine, die[S. 127] häufig flutende Formen ausbilden und echte Schwimmpflanzen darstellen können, seltenere Arten sind.
Von anderen Gattungen, die das Wasserleben vereinigt und in Bezug auf die vegetativen Organe gleichgestaltet hat, die aber in Bezug auf die Biologie der Blüte sehr verschiedene Anpassungen — nämlich die der nahe verwandten Landpflanzen — besitzen, mögen hier noch die Blumenbinsen (Butomus), die Schwertlilien (Iris) und der Kalmus (Acorus), welche alle drei zoidiophil sind, Erwähnung finden. Die prächtigen Blütendolden des Wasserveilchens (Butomus umbellatus), welche in dem schwertförmigen Blattwerk einen ebenso fremdartigen Eindruck auf den Beschauer machen, wie die gelben, grossen Blumen der Wasserschwertlilie (Iris Pseudacorus) mit ihren blattähnlichen Griffeln, werden durch Insekten bestäubt. Sprengel und H. Müller fanden sie ausgeprägt proterandrisch, während sie A. Schulz[62], der gleichfalls ihre Blüteneinrichtung beschreibt, homogam oder schwach proterandrisch fand. Am nächsten ist unserem Wasserveilchen die ausländische Gattung Tenagocharis mit langgestielten eilanzettförmigen Staubblättern verwandt, während eine andere Butomacee Lemnocharis (ebenso wie die Alismaceen Echinodorus und Hydrocoleis) auffallende Ähnlichkeit mit Nymphaea und der Gentianee Limnanthemum nymphaioides haben. Die Wasserbinsengewächse, welche überhaupt den Froschlöffelgewächsen nahe stehen, haben wie diese Milchgefässe, welche eine Ölemulsion (Schutzmittel?) enthalten. — Der Kalmus (Acorus Calamus) ist dagegen durch ätherische Öle geschützt, ein Umstand, der ebenso wie die Zugehörigkeit zu den Schilfpflanzen um so mehr auffällt, als die ihm verwandte (gleichfalls zu den Arongewächsen gehörige) Schlangenwurz (Calla palustris), die die Blattform unserer Zimmer-Calla (C. aethiopica) teilt, Raphiden zum Schutz hat.
Der grünlichgelbe Blütenkolben des Kalmus gehört nach den Vermutungen Delpinos zu den malacophilen (der Schneckenbefruchtung angepassten) Blüteneinrichtungen. Bei uns bringt der Kalmus, der sich sehr rasch durch sein Rhizom vermehrt, überhaupt keine Früchte, er ist „selbst steril“, adynamandrisch, wie dies[S. 128] z. B. die Fliegenfalle (Apocynum), gewisse Reiherschnabelarten (Erodium macrodenum) u. a. Pflanzen sind. Die letzteren bringen nie Früchte, wenn die Bestäubung zwischen Stöcken vollzogen wird, welche von demselben Rhizom abgezweigt sind, setzen wohl aber bei Kreuzung zweier Stöcke verschiedenen Ursprungs Früchte an. Unsere Kalmuspflanzen sollen samt und sonders von einem Rhizom abstammen, das 1574 von Clusius in Wien eingeführt worden ist. Verbreitet ist der Kalmus ausser in Europa in dem tropischen und extratropischen Ostasien, Ostindien, auf der Insel Bourbon und in Nordamerika und da trägt er Beerenfrüchte. Wäre daher die Adynamandrie des Kalmus auf ähnliche Ursachen zurückzuführen wie bei anderen bekannten Pflanzen, so würde ein Experiment dies leicht bestätigen, das indessen bisher noch nicht gemacht worden ist. Man brauchte nämlich dann nur von einem andern Erdteil Kalmuspflanzen in unsere Teiche mit einzusetzen und — falls die Bestäubungsvermittler fehlten — den Blütenstaub zwischen den Stöcken verschiedener Herkunft wechselweise zu benutzen, um Früchte zu erzielen — ein Versuch, den ich begonnen habe. In Japan giebt es noch einen schmalblättrigen Kalmus (Acorus graminifolius).
Bei unserer Wasserschwertlilie ist es zur Ausbildung zweier an verschiedene Insekten angepassten Blütenformen gekommen, indem bei der einen Form die Narbenlappen der drei äusseren Blätter der Blumenkrone anliegen, bei der andern von ihr abstehen. Die Bestäubungsvermittler der ersten Blütenform ist eine Schwebfliege (Rhingia rostrata), die der zweiten sind Hummeln (Bombus vestalis, B. agrorum, B. hortorum). Ein ähnlicher Fall von Dientomophilie wie der hier erwähnte, über den bei Hermann Müller (Befr. d. Bl. p. 68, 69) des Näheren nachzusehen ist, ist nur noch für Aconitum Lycoctonum, eine Landpflanze, durch Aurivillius nachgewiesen worden[63]. Aurivillius fand im mittlern Schweden von dieser Pflanze gleichfalls zweierlei Stöcke, von denen die Blüten der einen einen kurzen stärkern, fast geraden stumpfern, die der anderen einen engen, nach hinten verschmälerten und aufwärts gebogenen[S. 129] Sporn haben. Während die erstere Form von Schmetterlingen besucht wird, sind diese von dem Besuch der zweiten Blütenform gänzlich ausgeschlossen. Letztere wird denn auch regelmässig von Hummeln (Bombus hortorum und B. consobrinus) bestäubt. — An der Schilfbildung unserer Gewässer beteiligen sich noch mannigfach andere Pflanzengruppen, so besonders die grösseren Riedgrasarten und Gräser (Phragmites, Arundo, Glyceria) und die flachblättrigen Binsen (Scirpus), von denen häufig Verwandte submers und flutend auftreten (Scirpus fluitans, Glyceria etc.). Doch soll auf sie wie auch auf die eigentlichen Wasserbinsen (Scirpus lacustris etc.) hier nicht näher eingegangen werden.
Die Schutzmittel der Schilfpflanzen gegen die Tierwelt sind schon früher erörtert worden. Trotz derselben findet sich in dem Röhricht und Schilf noch ein reiches Tierleben, das jedoch nur unwesentliche Schädigungen der Pflanzenwelt des Wassers herbeiführt. Auch die pflanzlichen Parasiten thun bei uns den Wasserpflanzen nur geringen Schaden. Dieselben bestehen zumeist aus dem Wasserleben angepassten Pilzen — Chytridiaceen bei Acorus, Iris etc. (Cladochytrium tenue) — der Brandpilzgattung Doassansia (bei Butomus, auch bei Alisma, Potamogeton), den allenthalben verbreiteten Ascomyceten und den Rostpilzen (auf Iris Puccinia Iridis und Uromyces Iridis, auf Acorus Calamus Uromyces pyriformis). Von anderen Wasserpflanzen beherbergen ausser den bereits erwähnten Seerosen z. B. noch Hippuris (Aecidium Hippuridis, dessen Teleutosporen auf Uferhalbgräsern zur Entwickelung kommen), Limosella (Uromyces Limosellae), Cicuta virosa (Puccinia Cicutae virosae), Hydrocotyle, Oenanthe, Nasturtium, Veronica Anagallis, Polygonum amphibium u. a. Rostpilze. Von den Rostpilzen sind besonders diejenigen Arten von Interesse, welche Beziehungen zwischen den Wasserpflanzen und gewissen Landpflanzen unterhalten, indem sie wirtwechselnd auftreten, in der ersten Generation (Aecidium) meistens Landpflanzen, in der zweiten gewisse Wasserpflanzen befallend. So verursachen Rostpilze, welche[S. 130] zuerst die Lysimachia vulgaris, Cineraria palustris, Achillea Ptarmica etc. erkranken machen, in ihren weiteren Generationen Krankheiten verschiedener Riedgräser etc. unserer Teiche und die Krankheiten der Landhahnenfussarten und Ampferarten haben weitere Rostkrankheiten des gemeinen Schilfrohres (Phragmites communis) zur Folge.
[1] Vergl. meinen Aufsatz in Naturw. Wochenschrift von Dr. H. Potonié, Bd. II, 1888, p. 113–115, 123–125, 159: „Die Feigen und ihre Liebesboten“.
[2] Referate über die bisher erschienenen Abhandlungen über Myrmecophilie gab ich im Biologischen Centralblatt Bd. IV–IX.
[3] Axell Lundström, Pflanzenbiologische Studien II. Die Anpassungen der Pflanzen an Tiere. Mit 4 Taf. Upsala 1887.
[4] Ernst Stahl, Pflanzen und Schnecken. Eine biologische Studie über die Schutzmittel der Pflanzen gegen Schneckenfrass. Jen. Zeitschr. f. Naturw. u. Med. Bd. XXII. N. F. XV. Jena 1888 (126 S.).
[5] Vgl. auch Seligo, Hydrobiologische Untersuchungen. I. Zur Kenntnis der Lebensverhältnisse in einigen westpreussischen Seen. Schriften d. Naturforsch.-Ges. zu Danzig. N. F. Bd. VII, H. 3. 1890 (47 S.).
[6] Das wichtigste Werk über die Biologie der Wassergewächse, das mehrfach benutzt wurde, ist das von H. Schenck, Die Biologie der Wassergewächse. Bonn 1886 (162 S. u. 2 Taf.). Von demselben Verf. erschien „Vergleichende Anatomie der submersen Wassergewächse“ (mit 10 Taf.). Bibliotheca botanica Heft I.
[7] F. Ludwig, Über die Bestäubungsverhältnisse einiger Süsswasserpflanzen und ihre Anpassungen an das Wasser und gewisse wasserbewohnende Insekten. Kosmos V., 1881, S. 7–12. Mit 17 Holzschn.
[S. 131]
[8] John E. Klercker, Sur l’anatomie et le développement de Ceratophyllum. Meddelanden från Stockholms Högskola. No. 26 m. Bihang t. k. Svenska Vet-Akad. Handl. 1884.
[9] E. Rodier, Sur les mouvements spontanés et reguliers d’une plante aquatique submergée, le Ceratophyllum demersum. Compt. rend. 1877, T. LXXXIV, No. 18, 30. Apr. Seconde note sur les mouvements etc. ibid. T. LXXXV, No. 20, 12. Nov. u. Sep.-Abdr. (in Bordeaux erschienen).
[10] Charles Darwin, Ges. Werke in deutsch. Übers. Bd. XIII.
[11] Herm. Beyer, Die spontanen Bewegungen der Staubgefässe und Stempel. Wehlau 1888 (Beil. zum Progr. d. kgl. Gymn. Ostern 1888, Progr. No. 18, 56 S.).
[12] Egon Ihne, Geschichte der Einwanderung von Puccinia Malvacearum und Elodea canadensis. 18. Ber. d. Oberhess. Ges. f. Nat. u. Heilkunde. Giessen 1879.
[13] Ferd. Cohn, Die Pflanze. Breslau 1882, XI. Insektenfressende Pflanzen, S. 341–366.
[14] Ch. Darwin, Ges. Werke Bd. VIII.
[15] H. von Klinggraeff, Schmetterlingsfang der Drosera anglica Huds. Naturf.-Ges. zu Danzig. N. F. Bd. VII, H. 3. 1890.
[16] Burdon Sanderson, Die elektrischen Erscheinungen am Dionaeablatt. Biol. Centralbl. II. 1882, S. 481–500, IX. 1889, S. 1–14, Bot. C. XXXVIII 1889, S. 701–708.
[17] S. Korschinsky, Über die Samen der Aldrovandia vesiculosa. Bot. Centralbl. XXVII, 302–304, 334–335, m. 1 Taf.
[18] Ferd. Cohn, Beiträge zur Biologie der Pflanzen I, 3, p. 71. 1875.
[19] M. Büsgen, Über die Art und Bedeutung des Tierfangs bei Utricularia vulgaris. Ber. d. D. Bot. Ges. 1888. VI, p. LV-LXIII.
[20] H. N. Mosely, Nature. Vol. XXX, 1884, p. 81. Naturforscher 1884, S. 276.
[21] Ch. Darwin, Ges. Werke (Leben u. Briefe III.) Bd. XVI, S. 315.
[22] A. v. Kerner und R. v. Wettstein, Über die rhizopodoiden Verdauungsorgane tierfangender Pflanzen. Sitzber. d. k. Akad. d. Wiss. Wien 1886 I. Bd. XCIII; vgl. Biol. Centralbl. VI, p. 484.
[23] V. Fayod, Über die wahre Struktur des lebendigen Protoplasmas und die Zellmenbranen. Naturw. Rundschau V. 1890 (Vorläuf. Mitteil.).
[S. 132]
[24] Buchenau in Bot. Ztg. 1865, S. 93.
[25] Hildebrand in Bot Ztg. 1869, S. 505–507.
[26] Herm. Müller, Die Befruchtung der Blumen durch Insekten und die gegenseitigen Anpassungen beider. Leipzig 1873. — The fertilisation of flowers. London 1883 (564 S.).
[27] Gilbert, Reproduction végétative de l’Ultricularia intermedia. Bull. Soc. bot. belg. Extr. Justs Bot. Jahresber. XI. (1883), S. 55.
[28] Ch. Darwin, Ges. Werke Bd. IX, 2. Abteil.
[29] Justs Bot. Jahresber. 1880–1881, S. 182.
[30] v. Schlechtendal, Langethal u. Schenk, Illustr. Flora von Deutschland. Neue Aufl. von Hallier besorgt.
[31] Julius Wiesner, Biologie der Pflanzen (III. T. d. wissensch. Botanik). Wien 1889 (305 S. m. 60 Illustr. u. 1 Karte).
[32] A. v. Kerner, Über explodierende Blüten. V. K. k. bot. zool. Ges. Wien, XXXVII, 1887, S. 28 ff. Bot. Centralbl. Bd. XXX, 1887, S. 180 ff.
[33] Hegelmaier, Monographie der Lemnaceen. Leipzig 1868. Über die Fructifikationsteile von Spirodela, Bot. Ztg. 1871; danach die Lemnaceen in Englers Monographie (Engler u. Prantl, Die natürl. Pflanzenfamilien 1890).
[34] William Trelease, On the Structures which favor Cross-fertilizization in several Plants. Proceed. of the Bost. Soc. of Nat. Hist. Vol. XXI, 1882, March 15, p. 410–440 (m. 52 Fig. auf 3 Taf.).
[35] George Engelmann, Spirodela. Bull. Torr. Bot. Club Nov. 1870 I, p. 42–43; Anthers of Lemnae (l. c. März 1871 II, p. 10–11).
[36] Federico Delpino, Rivista botanica dell’ anno 1881. Milano 1882, S. 33.
[37] Henry Gillmann, Lemna polyrrhiza again discovered in flower on the Detroit river. Amer. Naturalist. XV, 1881, Nov., p. 896–897.
[38] Graf von Saporta, Die Pflanzenwelt vor dem Erscheinen des Menschen. Deutsch von Karl Vogt. Braunschweig 1881.
[39] Vgl. Casparys Bearb. d. Nymphaeaceen in Potoniés illustr. Flora von Nord- u. Mitteldeutschl. Berlin 1889. S. 249–251.
[40] Engler und Prantl, Die natürlichen Pflanzenfamilien. Leipzig 1888.
[41] Charles Robertson, Bot. Gaz. Vol. XIV, S. 122–125, 297–298. — W. Watson, Notes on nymphaeas. Gardeners Chronicle 1884, XXI, S. 87–88. (Das Öffnen u. Schliessen zu bestimmter Tageszeit kann durch künstliche Belichtung oder Verdunkelung nicht abgeändert werden.) — Die Bestäubungseinrichtungen der Nymphaeaceen sind auch von A. Schulz (Beiträge zur Kenntnis der Bestäubungseinrichtungen u. Geschlechtsverteilung bei d. Pflanzen. I. Bibl. bot. Heft X, II. Bibl. bot. Heft XVII) beschrieben worden.
[S. 133]
[42] K. Fr. Jordan, Die Stellung der Honigbehälter und Befruchtungswerkzeuge in den Blumen. Doktordiss. Halle 1886.
[43] F. Hildebrand, Die Verbreitungsmittel der Pflanzen. Leipzig 1873.
[44] E. Huth, Die Klettpflanzen mit besonderer Berücksichtigung ihrer Verbreitung durch Tiere. Bibl. bot. Heft IX. Cassel 1887 (36 S. u. 78 Fig.).
[45] F. Ludwig, Über durch Austrocknen bedingte Keimfähigkeit der Samen einiger Wasserpflanzen. Biol. Centralbl. VI, S. 229.
[46] A. G. Nathorst, Untersuchungen über das frühere Vorkommen der Wassernuss Trapa natans. Bot. Centralbl. XXVII, 1886, S. 271–274.
[47] V. B. Wittrock, Einige Beiträge zur Kenntnis der Trapa natans. Bot. Centralbl. XXXI, 1887, S. 352–357, 387–389.
[48] Potonié, Illustrierte Flora von Nord- u. Mitteldeutschland. Berlin 1889, S. 241–242.
[49] Siehe 11.
[50] Vgl. Volkens, Beziehungen zu Standort und anatomischem Bau der Vegetationsorgane. Jahresber. d. kgl. bot. Gart. Berlin, Bd. III, 1884.
[51] A. Kerner, Ritter von Marilaun, Die Schutzmittel der Blüten gegen unberufene Gäste. Wien 1876, S. 22, 23.
[52] O. Kirchner, Neue Beobachtungen über die Bestäubungseinrichtungen einheimischer Pflanzen. Stuttgart 1886.
[53] F. Ludwig, Biologische Notizen. I. Das Blühen von Polygonum Bistorta. D. Bot. Monatsschr. VI, 1888, S. 4 ff.
[54] Fr. Xav. Pfeifer, Der goldene Schnitt und dessen Erscheinungsformen in Mathematik, Natur u. Kunst. Augsburg 1885. — Vgl. auch meinen Aufsatz in d. wiss. Rundsch. d. Münchener N. N, 1889, No. 84.
[55] F. Hildebrand, Die Geschlechterverteilung bei den Pflanzen. Leipzig 1867.
[56] Otto Kuntze, Die Schutzmittel der Pflanzen gegen Tiere und Wetterungunst etc. Leipzig 1877, S. 80–82.
[S. 134]
[57] Vgl. H. Ortmann, Beiträge zur Kenntnis unterirdischer Stengelgebilde. Doktordissert. Jena 1886 (weitere Litteratur). — C. Müller, Der Bau der Ausläufer von Sagittaria sagittaefolia. Sitzungsber. d. Ges. Naturforsch. Freunde zu Berlin. 1884.
[58] E. Warming, Über die Keimpflanzen von Phragmites communis. Bot. Centralbl. XXI, S. 156 ff.
[59] M. J. Klinge, Über den Einfluss der mittleren Windrichtung auf das Verwachsen der Gewässer nebst Betrachtung anderer von der Windrichtung abhängiger Vegetationserscheinungen im Ostbalticum. Englers bot. Jahrbücher XI, 1889, S. 264–313. Bot. Centralbl. XLII, S. 25.
[60] Sandor Dietz, Die Blüten- und Fruchtentwickelung bei den Gattungen Typha und Sparganium. Biblioth. bot. Heft 5, 1887 (mit 3 Taf.). — Bot. Centralbl. XXVIII, 1886, S. 26–30, 56–60.
[61] Kronfeld, Über den Blütenstand des Rohrkolbens. Sitzungsber. d. k. Akad. d. W. Wien 1886, I. Abt, Bd. XVI, S. 78–109.
[62] A. Schulz, Bibl. bot. H. 10. Cassel 1888, S. 96–97 (vgl. unter 40).
[63] Vgl. F. Ludwig, Ein neuer Fall verschiedener Blütenformen bei Pflanzen der nämlichen Art etc. Biol. Centralbl. VI, 1887, S. 737–739.
[S. 135]
Von Prof. Dr. A. Gruber.
[S. 137]
Noch ist der Schleier, der über die erste Entstehung des Lebens auf unserer Erde gezogen ist, nicht gelüftet. Seit der Mensch angefangen hat, über seine Umgebung nachzudenken, sind mythische und mystische Vorstellungen, sind wissenschaftliche Spekulationen und Theorien entstanden und vergangen und auch heute haben wir für die Frage, wie die lebende organische Substanz entstanden sei, keine Antwort zu geben. Wohl aber sind wir durch die Fortschritte der Wissenschaft der Lösung einer sich daran schliessenden zweiten Frage nahegetreten, nämlich der, wie die ersten lebenden Organismen ausgesehen haben mögen.
Die erste Anwendung des Mikroskops im 17. Jahrhundert lehrte den Menschen in den Gewässern der Erde Wesen von ungeahnter Kleinheit erkennen, die Begründung der Zellenlehre im Anfange unseres Jahrhunderts verschaffte denselben ihre richtige Bedeutung als Elementarorganismen und die ungeahnte Vervollkommnung der optischen Hilfsmittel in unseren Tagen gestattet uns einen tiefen Einblick in den einfachen und doch so komplizierten Bau ihres Körpers und lässt uns an ihnen die Lebensäusserungen der Materie auf ihrer niedersten Stufe erkennen.
In diesem Reiche der Urorganismen oder Protisten stehen wohl zu unterst die Schleimtiere, die Wurzelfüsser oder wie ihr Name lauten mag, kurz diejenigen Organismen, deren Protoplasmaleib, einer einzigen Zelle an Wert entsprechend, keine feste Gestalt besitzt, sondern regellos nach allen Richtungen des Raumes auszufliessen vermag. Ich will die Streitfrage nicht weiter berühren,[S. 138] ob wirklich noch heute in den Abgründen des Oceans ausgedehnte Mengen organischen Schleimes leben oder nicht, ob der seinerzeit auch in der populären Litteratur viel besprochene Bathybius, beziehungsweise ob ein ihm nahestehender Organismus wirklich existiert, es mag uns die sichere Thatsache genügen, dass wir viele und ganz unzweifelhafte Lebewesen kennen, die eben jener Vorstellung von der niedersten Lebensstufe vollkommen entsprechen. Im Meere sind die Wurzelfüsser schon lange bekannt, weil dort auch dem blossen Auge sichtbare, von fester Schale umgebene Formen leben. Die Reste solcher Schalen haben sich aus den ältesten Zeiten unserer Erdgeschichte in grossen Massen erhalten und schon im Altertum sind z. B. die Nummuliten bekannt, wenn auch nicht erkannt gewesen.
Aber auch das süsse Wasser, mit dessen Bewohnern dieses Buch sich beschäftigt, beherbergt Wurzelfüsser in grosser Zahl und mannigfacher Gestaltung. Schon im Jahre 1755 hat der wackere Rösel von Rosenhof[64] die ersten Amöben aufgefunden und in seiner „Insektenbelustigung“ beschrieben und abgebildet.
Die Beschreibung ist, obgleich sie sich natürlich nur auf die äussere Gestalt und Formveränderung bezieht, trefflich und, wie alles im Röselschen Buch, anmutend und auch für uns Fortgeschrittenere noch belehrend.
Die Amöbe ist nichts weiter als ein kleiner Protoplasmatropfen, von keiner festeren Haut umgeben und aller denkbaren Formveränderung fähig, bald in gleichmässigem schneckenartigen Kriechen oder, besser gesagt, wie der Regentropfen an der Fensterscheibe gleitend, bald sich zusammenkugelnd oder hie und da Fortsätze aussendend und wieder einziehend. Es giebt kaum etwas Wunderbareres, als die mannigfaltigen Bewegungen dieses Tröpfchens lebender Materie unter dem Mikroskope zu verfolgen. Von hohem Interesse ist es, dass man in der jüngsten Zeit dahin gekommen ist, dieselbe amöboide Bewegung an leblosen Objekten zu beobachten[65]. Man stellte verschiedenartig gemischte Schmierseifen- oder Olivenölschäume dar und sah Tropfen derselben gerade wie Amöben bis sechs Tage lang ununterbrochen strömen. Ist es also[S. 139] gelungen, künstliche Amöben im Laboratorium darzustellen? Das natürlich nicht, denn all die komplizierten Lebenserscheinungen, von welchen wir weiterhin zu sprechen haben werden, fehlen diesen Schaumtropfen, sie lehren uns aber, wie die so rätselhaften Bewegungserscheinungen der niedersten Lebewesen auf bekannte mechanische Vorgänge zurückgeführt werden können.
Eine grosse Anzahl der Süsswasser-Amöben umgiebt ihren weichen Körper mit einer schützenden Schale, die zwar nicht so kompliziert ist, wie bei vielen der Meeres-„Foraminiferen“, aber zierlich und in ihrer Entstehung interessant genug. Diese Schalenträger sind es, welchen ich diesen kleinen Aufsatz widmen möchte. Sie leben vorzugsweise in den stehenden Gewässern, teils auf dem Grunde, teils an lebenden oder abgestorbenen Pflanzenteilen hinkriechend. Umstehendes Gruppenbild (Fig. 16 S. 140) zeigt einen Tropfen irgend eines Weihers oder Sumpfes mit drei Algenfäden, auf welchen verschiedene Vertreter der Wurzelfüsser sich festgeheftet haben, alles bei starker Vergrösserung. Da sehen wir rechts unten (Fig. 16, 2) das spitz zulaufende Gehäuse der Difflugia acuminata, ganz aus Sandkörnern aufgebaut, zwischen denen auch längliche Diatomeenschalen angeklebt sind, aus der Mündung treten die Plasmafortsätze aus, mittels deren das Tier sich fortbewegt. Noch zwei andere Difflugia-Arten zeigt unser Bild: Die eigentümlich gewundene D. spiralis (Fig. 16, 3) und links oben (Fig. 16, 1) die D. urceolata, deren Gehäuse wie eine zierliche Urne regelrecht gebaut ist. Ebenfalls eine Schale aus Fremdkörpern, zugleich versehen mit stachelartigen Fortsätzen, besitzt die Centropyxis aculeata (Fig. 16, 5). Im Gegensatz zu den genannten Arten ist bei der Fig. 16, 6 abgebildeten Hyalosphenia papilio das Gehäuse ein Ausscheidungsprodukt, ein feines Häutchen, so durchsichtig, dass man den Plasmakörper deutlich darin liegen sieht, mit feinen Fäden in der Schale aufgehängt. Nun giebt es aber auch Formen, bei denen die Schale zwar auch vom Tier selbst erzeugt wird, aber nicht im ganzen, sondern in einzelnen Stücken, die, wie wir später sehen werden, kunstvoll an einander gefügt sind. Bei der Arcella vulgaris (Fig. 16, 4), einer der häufigsten Arten in unseren Gewässern, ist[S. 141] die linsenförmige Schale aus winzigen Prismen zusammengesetzt, so dass dieselbe bei nicht ganz starker Vergrösserung fein punktiert erscheint. Ebenso aus ganz kleinen Bestandteilen besteht das Gehäuse der zierlichen Cyphoderia ampulla (Fig. 16, 8), während bei Quadrula symmetrica (Fig. 16, 7) und Euglypha alveolata (Fig. 16, 9) die einzelnen Schalenbestandteile leichter zu erkennen sind; bei der erstern sind es quadratische Plättchen, bei der andern annähernd kreisrunde Scheiben, welche die zarte Hülle zusammensetzen. Ich könnte noch eine grosse Reihe von Formen aufführen, die den auf der Tafel dargestellten mehr oder weniger ähnlich sind und die, so weit unsere Kenntnisse diesen Schluss erlauben, über die ganze Erde verbreitet sind. Dieselben Arten nämlich, die wir in Europa kennen, sind zumteil schon in Nord- und Südamerika, Asien, Afrika, Australien und in den arktischen Ländern gefunden worden; auch vertikal scheint für ihre Verbreitung kaum eine Grenze zu ziehen, denn in der Schweiz fanden sie sich noch in 8000′, in Nordamerika sogar in 10000′ Höhe unverändert vor[66]. Es ist mir aber hier nicht um eine Aufzählung aller bisher entdeckten Formen zu thun, ich möchte mich begnügen eine einzige zu beschreiben, diese soll aber in ihren feinsten Einzelheiten untersucht und in allen ihren Lebensvorgängen verfolgt werden. Dass eine derartige Spezialisierung ihren hohen Wert besitzt, hoffe ich dann am Schlusse nachweisen zu können.
Unter allen ihren Verwandten in der Gruppe der schalentragenden Wurzelfüsser des süssen Wassers ist die Euglypha alveolata wohl am genauesten beschrieben, ja man kann wohl sagen, dass heute kaum ein Organismus, Tier oder Pflanze, besteht, der so vollständig in Gestalt und Lebensweise erforscht wäre. Anno 1841 wurde das Tier von Dujardin zum ersten Mal, später auch von Ehrenberg kenntlich dargestellt, und seither haben wohl mehr als fünfzehn Forscher sich damit beschäftigt[67]. Kein Wunder also, wenn die Erkenntnis eines so einfach gebauten Organismus weit gefördert werden musste.
Der Körper der Euglypha besteht, wie derjenige aller Wurzelfüsser, aus einer kleinen Menge von Protoplasma, welches mehr oder[S. 142] weniger körnig erscheint und an dem zunächst bei schwächerer Vergrösserung keinerlei Strukturen zu erkennen sind; ein starker lichtbrechender kugeliger Körper tritt aber auch jetzt schon ziemlich deutlich hervor, das ist der Kern, und damit haben wir die erste wichtige Thatsache festgestellt, dass die Euglypha den Formwert nur einer Zelle besitzt. Wir können also nicht erwarten, in ihrem Körper Organe im Sinne der höheren Tiere und Pflanzen aufzufinden, denn ein Organ besteht ja schon an sich aus einer Vielheit von Zellen. Gehen wir in der Betrachtung des einzelligen Geschöpfes von aussen nach innen vor: Der protoplasmatische Körper der Euglypha steckt in einem überaus zierlichen, etwa tonnenförmigen Gehäuse (Fig. 17) von winzigen Dimensionen: Bei der gewöhnlichen Form nämlich ist der Längsdurchmesser nur ⁶⁄₁₀₀ mm und der Querdurchmesser ³⁄₁₀₀ mm im Mittel.
Trotz dieser Winzigkeit gestatten uns unsere heutigen Instrumente, die einzelnen Bestandteile, aus welchen die Schale aufgebaut ist, genau zu erkennen: Es sind konvex-konkave Plättchen aus einer dem Chitin ähnlichen, vielleicht von Kieselsäure imprägnierten Substanz. Die Plättchen, deren konvexe Seite nach aussen gekehrt ist, decken sich dachziegelartig und da diejenigen Stellen, wo sie über einander greifen, dunkler erscheinen, so macht es den Eindruck, als wenn die Schale polygonal gefeldert wäre. Diejenigen Plättchen, welche vorn die Öffnung umgeben, sind nicht rund, sondern laufen in eine Spitze aus und sind an ihrem freien Rande fein gezähnelt. Bei einer andern Euglypha-Art stehen noch zwischen den Schalenplättchen ab und zu spitze Stacheln.
Die Schale der Euglypha wird vom Protoplasmakörper meist nicht vollkommen ausgefüllt, sondern es bleibt an der Seite ein freier Raum übrig.
Vorn aus der Mündung (Fig. 18) strahlen feine Fortsätze des Plasmas (ps), die sogenannten Scheinfüsschen oder Pseudopodien,[S. 143] aus, deren wurzelartige Verzweigungen dem Namen Wurzelfüsser oder Rhizopoden den Ursprung gegeben haben. Sie müssen zwei wichtige Funktionen vermitteln, erstens die Ortsbewegung und zweitens die Nahrungsaufnahme. Die Nahrung (nk) besteht meistens aus kleinen, einzelligen Algen, Diatomeen und dergleichen. Die Wurzelfüsschen erkennen mittels des Tastgefühls die ihnen zusagende Beute, umfliessen dieselbe und führen sie dann dem Körper zu. Dies geschieht dadurch, dass das Plasma des betreffenden Fortsatzes einfach zurückfliesst und den Nahrungskörper im Strome mitreisst. Betrachtet man den vordern Abschnitt des Körpers, aus dem die Scheinfüsschen ihren Ursprung nehmen (AZ), bei starker Vergrösserung, so erkennt man, dass das Plasma nicht eine homogene Masse darstellt, sondern dass es aus einem Maschenwerk besteht. Die Maschen (Ch) werden von hyalinem Plasma gebildet, in welchem winzig kleine Körnchen (Cm), die sogenannten Mikrosomen, suspendiert sind, und die Maschenräume (Cch) von einem dünnflüssigeren Safte erfüllt. Die Körnchen ermöglichen es, ein fortwährendes Strömen des Plasmas zu erkennen. Durch diesen Strom wird auch die aufgenommene Nahrung im Körper verschoben und zwar gelangt sie in den mittlern Abschnitt (KZ) des Körpers, der sich durch ein engeres Maschenwerk und grossen Körnerreichtum auszeichnet. Während wir an den ersten Abschnitt im wesentlichen[S. 144] die Funktionen der Bewegung gebunden sehen, dürfen wir den mittleren Teil des Körpers als die Ernährungs- oder Stoffwechselzone bezeichnen. Eine scharfe Trennung besteht übrigens zwischen den beiden Abteilungen nicht, sondern der Übergang ist ein ganz allmählicher. Die Körner, welche die Zone oft ganz dicht erfüllen, hat man mit dem Namen Exkretkörner (e) belegt und sieht sie als Endpunkte des Stoffwechsels an. Dass sie sowohl wie die Nahrung gerade an den mittlern Körperteil gebunden sind, dies berechtigt uns, diesem Teil des Plasmas eine verdauende Funktion zuzuschreiben. In demselben Abschnitt liegt auch ein Gebilde, welches man mit dem Stoffwechsel in Zusammenhang gebracht hat, nämlich die sogenannte kontraktile, oder pulsierende Vacuole (CV). Es ist ein Bläschen, welches in regelmässigen Pulsationen sich leert und wieder füllt. Man hat angenommen, dass durch diese bei den Urtieren sehr verbreitete Blase die Endpunkte des Stoffwechsels nach aussen befördert würden; es ist dies auch nicht unwahrscheinlich, die Hauptbedeutung der kontraktilen Vacuole liegt aber offenbar darin, das in den Körper eindringende Wasser wieder zu entfernen, es wird mit andern Worten dadurch eine kontinuierliche Aufnahme sauerstoffhaltigen Wassers ermöglicht und in dieser Weise die Atmung befördert. Demnach wäre an den mittlern Körperabschnitt die Assimilation, die Exkretion und die Respiration gebunden. Ebenfalls wieder ohne scharfe Grenze geht diese Zone in den hintersten Teil des Körpers über (HZ), der fast hyalin erscheint, weil hier das Maschenwerk noch feiner und das Lichtbrechungsvermögen von Maschen und Mascheninhalt fast dasselbe ist. Hier liegt der Zellkern (n) als helle Kugel, in welcher ein dunkleres Korn, das Kernkörperchen (ncl), eingeschlossen liegt. Die Forschungen der neuesten Zeit haben uns mit der unumstösslichen Thatsache bekannt gemacht, dass der Kern im Leben der Zelle eine ausserordentlich wichtige Rolle zu spielen hat und dass bei der Befruchtung und Fortpflanzung er das allein Wesentliche und Beherrschende ist. Gerade die Urtiere sind es auch gewesen, bei welchen entscheidende Versuche über die Bedeutung des Kernes angestellt worden sind[68]. Man hat solche Organismen mittels scharfer Instrumente zerschnitten und hat nun[S. 145] gefunden, dass eine Regeneration, ein Ersatz verloren gegangener Teile nur dann eintritt, wenn das abgetrennte Stück den Kern oder wenigstens einen Teil desselben noch enthält; die kernlosen Stücke dagegen regenerieren sich nicht, sondern gehen über kurz oder lang zu Grunde. Mit anderen Worten, die Zelle und ebenso der einzellige freilebende Organismus sind nicht im stande, Neubildungen hervorzubringen, wenn die Zellsubstanz nicht auch mit Kernsubstanz versehen ist. Bei denjenigen Wurzelfüssern, deren Schale ein Ausscheidungsprodukt ist, wie bei den marinen Foraminiferen, hat man Stücke der Schale ausgebrochen und auch diese wurden nur dann durch neue Ausscheidungen ersetzt, wenn ein Kern vorhanden war[67 d]. Weiter hat man gefunden, dass der Kern allein das Substrat enthält, an welches bei der Fortpflanzung der Organismen die Vererbungstendenzen gebunden sind. Die Eigenschaften der Eltern gehen nur durch den Kern der Fortpflanzungszellen auf die Kinder über. Ich werde darauf noch zurückzukommen und es mag zunächst genügen, darauf hingewiesen zu haben, dass wir im Kerne der Euglypha den wichtigsten Bestandteil des Tieres erkannt haben. Er ist an sich ein Mikrokosmos und es darf uns nicht Wunder nehmen, dass wir, je schärfer unsere Instrumente werden, immer kompliziertere Differenzierungen in ihm erkennen. Um den Kern der Euglypha, also ebenfalls im hinteren Abschnitte des Körpers, finden sich zur Zeit der vollkommenen Reife eine Menge kleiner Körperchen gelagert (sp), die nichts anderes sind als Schalenplättchen, ganz gleich denjenigen, welche das Gehäuse des Tieres zusammensetzen. Wir werden gleich sehen, wie dieselben zur Verwendung gelangen.
Bei allen zu weiterem Leben fähigen Urtieren, wie bei jeder Zelle, tritt nach reichlicher Ernährung ein Moment ein, wo der Körper das ihm eigentümliche höchste Mass erreicht hat und dann erfolgt die Vermehrung durch Teilung. Bei Euglypha, wo die Schale eine weitere Ausdehnung des Körpers nicht gestattet, muss die Grenze des Wachstums in einer bestimmten Konzentration des Plasmas gesucht werden. Ist diese erreicht, dann teilt sich die Euglypha und zwar in folgender höchst merkwürdigen Weise: Es[S. 146] werden zunächst die Scheinfüsschen eingezogen und an ihrer Stelle tritt ein Klumpen Plasma aus der Schalenmündung aus, der immer grösser und grösser wird. Zugleich geraten jene um den Kern her gelagerten Reserve-Schalenplättchen in Bewegung und wir sehen sie in stetem Flusse, eins hinter dem andern, aus der Mündung heraus in den ausgetretenen Plasmazapfen hereinwandern. Wie von einer unsichtbaren Hand geleitet, werden sie an die Oberfläche dieses immer mehr und mehr anwachsenden Zapfens geschoben und so an einander gelagert, dass sie sich weit übergreifend dachziegelförmig decken und der ganze Spross dadurch ein tannenzapfenförmiges Gebilde darstellt (Fig. 19). Der Spross schwillt aber immer mehr an und zwar so lange, bis er genau die Grösse des ursprünglichen Tieres erreicht hat, und dann hat das Plasma die Schalenplättchen so weit auseinandergedrängt, dass sie sich nicht mehr und nicht weniger decken, als diejenigen des alten Gehäuses. Dabei zeigt es sich, dass genau so viele Plättchen vorhanden waren, als zum Aufbau der neuen Schale nötig sind, und ferner, dass die ersten Plättchen, welche austraten, die gezähnelten Randplatten sind, welche genau mit denjenigen des alten Gehäuses ineinandergreifen (Fig. 20).
Oberflächlich betrachtet scheinen nun zwei vollkommen kongruente Euglyphen aus der einen ursprünglichen entstanden; dem ist aber noch nicht so, denn die neu entstandene enthält ja noch keinen Kern und noch kein pulsierendes Bläschen. Dieses tritt vielmehr erst ganz am Schlusse des Teilungsprozesses auf, nachdem es auch im Muttertier verschwunden gewesen war. Der Kern hat[S. 147] von dem Moment an, wo das Plasma aus dem Muttergehäuse auszutreten begann (Fig. 19), auffallende Veränderungen gezeigt, die seine Teilung einleiteten; nachdem die neue Schale sich gebildet hat, ist auch er in zwei Teile zerfallen, unter Erscheinungen, die ich noch eingehender besprechen werde. Nun wandert die eine Hälfte des geteilten Kernes in den Tochterspross hinein, während die andere im hinteren Ende des Muttertieres zurückbleibt. Aber[S. 148] auch damit sind die beiden Hälften noch nicht vollkommen gleichwertig, denn der Tochterspross enthält fast nur Plasma der ersten und zweiten Zone (Fig. 21 u. 22), während das der dritten Zone im alten Gehäuse zurückgeblieben ist. Damit nun eine gleichmässige Verteilung aller Plasmaelemente bewerkstelligt werde, beginnt eine lebhafte zirkulierende Strömung von einer Schale zur andern, wie wenn in dem lebenden Brei herumgerührt würde. Die Strömung[S. 149] hält so lange an, bis jedes Individuum seinen gleichen Anteil an Plasma erhalten hat, ja sogar die Nahrungskörper, welche zur Zeit der Teilung sich in der Euglypha befanden, werden annähernd gleich auf die beiden Hälften verteilt. Mittlerweile haben auch die beiden Kerne ihre normale Struktur und Lage angenommen und in jedem Tiere pulsiert wieder eine contraktile Vacuole, jetzt erst sind beide Hälften einander kongruent (Fig. 23). Bald sieht man zwischen den Randplatten feine Scheinfüsschen sich hervordrängen, die Mündungen lösen sich von einander ab und die beiden Euglyphen gehen selbständig ihre Wege. Dies ist die merkwürdige Vermehrungsweise der Euglypha alveolata. Wir haben aber noch eine Beschreibung der Kernteilung nachzuholen mit Berücksichtigung der inneren Vorgänge im Kern. Trotz der Kleinheit des Objektes — der Durchmesser des Kernes beträgt nur etwa ⁸⁄₁₀₀₀ mm — sind dieselben doch genau bekannt: Die Teilung wird dadurch eingeleitet, dass in dem bisher homogen erscheinenden Kerne eine feinmaschige Struktur sichtbar wird (Fig. 24); zwischen den Maschen ist das Kernkörperchen noch deutlich zu sehen. Aus der maschigen wird eine faserige Struktur (Fig. 25) und bald erkennt man in den Fasern regelmässige Fäden, welche einen dicht verschlungenen Knäuel bilden. Während der Kern stetig an Umfang zunimmt, werden die Fäden dicker und werden dann in eine grössere Anzahl unter sich gleich langer Stücke zerlegt (Fig. 26); das Kernkörperchen verschwindet und die einzelnen Fadenstücke biegen sich, so dass sie allmählich eine V-förmige Gestalt annehmen.
[III] Die Figuren 24–32 sind nach Präparaten bei etwa 1200maliger Vergrösserung entworfen. Die Figuren 18–32 sind Kopien nach Schewiakoff 67 m.
[S. 150]
Von einer im Mittelpunkt der Kernkugel wirkenden Kraft werden all diese gebogenen Fadenstücke oder „Schleifen“ mit ihrer Winkelspitze nach dem Zentrum gerichtet; man nennt dies die „Sonnenform“ (Fig. 27). Auch im umgebenden Zellplasma macht sich die Anziehungskraft bemerkbar und erhält ihren Ausdruck in feinen Linien, welche radiär auf den Umfang des Kernes zustrahlen (Fig. 19). Während des Sonnenstadiums macht der Kern allerlei Bewegungen und verliert dann die Kugelform, um sich an den Polen abzuflachen (Fig. 28). Zugleich erscheinen hier zwei neue Attraktionszentren und zwar in Gestalt kleiner kegelförmiger Körper, der sogenannten Polkörperchen oder, wie sie neuerdings genannt werden, Centrosomen. Ihnen streben jetzt die Linien im umgebenden Plasma zu (Fig. 29) und die Anziehungskraft im Mittelpunkt des Kernes hört auf; die Schleifen, welche in der auf die Sonnenform folgenden sogenannten „Sternform“ (Fig. 28 u. 29) regelmässig um den Äquator angeordnet waren, werden nun nach den Polen gezogen, sie kehren sich um und wenden die Spitze vom Zentrum ab. Während der Kern nun in umgekehrter Richtung sich am Äquator abflacht, haben sich feine blasse Fäden ausgebildet, welche von Pol zu Pol ziehend die zierliche sogen. Kernspindel darstellen (Fig. 29). Diese Spindelfäden sind es, welche die Schleifen den Centrosomen zuleiten. Vorher aber spielt sich der für die Kernteilung bedeutendste Vorgang ab, die Spaltung der Schleifen: Der ganze Kernfaden und damit auch die aus ihm entstandenen Schleifen besteht nämlich aus kleinsten Körnchen, die[S. 151] in regelmässigen Abständen hintereinander aufgereiht liegen. Alle diese Körnchen werden mit einem Male der Länge nach zerteilt und so die ganze Schleife längsgespalten; damit erhalten wir im Kerne also doppelt so viel Schleifen als vorher (Fig. 30). Von jeder gespaltenen Schleife aber gleitet nun die eine Hälfte links, die andere rechts vom Äquator weg oder, anders ausgedrückt, die eine nach dem Nord-, die andere nach dem Südpol den Spindelfasern entlang. Das Resultat ist klar: Die färbbare Kernsubstanz, denn diese ist es, welche die Schleifen bildet, wird auf das genaueste in zwei Teile zerlegt, die uns quantitativ als Hälften des Ganzen erscheinen. Jede Hälfte ist für einen der Tochterkerne bestimmt. Nachdem diese sorgfältige Zerteilung der Kernsubstanz beendet, zieht sich der Kern im Äquator immer mehr zusammen, die Schleifen drängen sich um die Pole her, die blassen Spindelfäden reissen durch (Fig. 31) und endlich schnürt sich der Kern in zwei Hälften aus einander (Fig. 32 S. 152). Nun machen die Tochterkerne rückwärts dieselben Veränderungen wieder durch, die wir am Mutterkern ablaufen sahen, bis sie wieder die Gestalt und Struktur des sogenannten „ruhenden Kerns“ angenommen haben. Damit ist der Teilungsvorgang vollendet. Die Teilung der Euglypha bedeutet ihre Vermehrung. Bei höheren Tieren und Pflanzen geht der Vermehrung die Befruchtung voraus. Sie besteht in der Verschmelzung[S. 152] zweier Zellen verschiedenen Ursprungs, der Ei- und Samenzelle. Hier müsste sie also in der Verschmelzung zweier ganzer Individuen bestehen. Dies ist auch bei den meisten Urtieren der Fall und auch bei Euglypha ist ein solcher Befruchtungsakt beobachtet worden[67 l]: Zwei Tiere legen sich mit ihren Schalenmündungen neben einander, aus der doppelten Menge von Reserveplättchen entsteht eine neue Schale, in welcher die zwei Plasmakörper und die zwei Kerne in eins verschmolzen zu liegen kommen. Es ist also durch Vermischung zweier Individuen ein einziges entstanden. In welchen Zwischenräumen diese „Kopulation“ eintritt, wie viele Teilungen hintereinander folgen können bis wieder eine Befruchtung eintritt, darüber sind für unsere Art noch keine Beobachtungen angestellt worden.
Noch haben wir nicht alle Lebensvorgänge der Euglypha verfolgt: Bei ihrem Aufenthalt in den oft seichten stehenden Gewässern kann es nicht ausbleiben, dass die Euglypha der Gefahr des Austrocknens oder Einfrierens ausgesetzt ist. Davor weiss sie sich wie die meisten übrigen Urtiere und Urpflanzen durch die sogenannte Einkapselung oder Encystierung zu schützen (Fig. 33): Sie zieht[S. 153] die Pseudopodien ein und schliesst das Gehäuse vorn durch einen Deckel, das Diaphragma (D) ab; ausserdem baut sie sich aus den Reserveplättchen innerhalb ihres Gehäuses (a. s.) noch ein zweites, kleineres, bei welchem die Plättchen weiter übereinandergreifen und das vorn geschlossen ist (i. s.). Innerhalb der zweiten Schale zieht sich nun der Protoplasmakörper zu einer Kugel zusammen und um diese wird erst die eigentliche Cystenhaut (C) ausgeschieden. In diesem Zustande ist die Euglypha vor Trockenheit und Frost geschützt.
Die Encystierung ist aber auch ein wichtiges Mittel zur Verbreitung der Art. Mit dem Staube werden solche Cysten weit fortgetrieben, Wasservögel und Wasserinsekten tragen sie im Schlamm, der da und dort an ihrem Körper haften bleibt, mit sich weg in entfernte Gewässer. Ja es scheint, dass die Spitzen und Stacheln, welche manche Süsswasserrhizopoden an ihrer Schale haben (s. Fig. 16) und welche, wie schon erwähnt, auch bei Euglypha vorkommen (Fig. 17), als Haftapparate anzusehen sind, um den Transport zu begünstigen. Dieser passiven Wanderung verdanken die Urtiere offenbar ihre weite Verbreitung[69], darauf beruht es, dass gerade die schalentragenden Wurzelfüsser des süssen Wassers, so weit man bis jetzt weiss, alle sogenannte kosmopolitische Arten sind[70].
Will die Euglypha sich aus ihrer Cyste wieder befreien, so löst sie zunächst die Cystenhülle auf, dann sprengt sie die innere Schale, so dass die Plättchen wieder lose umherliegen, zerreisst das Diaphragma und teilt sich auf die oben beschriebene Weise, indem nun die Plättchen der inneren Schale gleich für das Tochtergehäuse benutzt werden[67 k].
Wir haben nun die Euglypha in ihrem ganzen Lebenslauf verfolgt, wir haben gesehen, wie sie sich bewegt, frisst, verdaut, wie der Stoffwechsel vor sich geht, wir kennen die Zusammensetzung und Entstehung ihrer zierlichen Schale, wir erkennen die feinere Struktur des Plasmas, wissen, wie die Vermehrung, die Befruchtung, die Einkapselung vor sich geht; ja wir können in die feinsten Vorgänge der Kernteilung eindringen; in dem Kerne, der selbst nur ⁸⁄₁₀₀₀ mm gross ist, erkennen wir noch zahlreiche Fäden, in diesen[S. 154] Fäden sehen wir noch Körner und wir sehen diese Körner sich noch teilen. Das ist das Höchste, was wir mit unseren heutigen Mikroskopen leisten können, aber — wird der Leser sagen — das ist auch der höchste Grad der Spitzfindigkeit. Wohl, mag dem so sein, aber wir lernen doch sehr viel dabei: Das Plasma ist der Träger des Lebens, und wie bei manchen Zellen der höheren Tiere gelingt es hier bei der Euglypha dem bewaffneten Auge, zu erkennen, dass dieser Sitz des Lebens, entsprechend seiner Vielseitigkeit, ein viel komplizierteres Gefüge hat, als man bisher geahnt. Das Maschengerüst mit seinen grösseren und kleineren von Zellsaft erfüllten Waben, mit seinen feinen und feinsten Körnchen, die Vorgänge bei der Kernteilung lassen uns ahnen, dass man auch in dem kleinsten Plasmaklümpchen einen Mikrokosmos von unendlicher Kompliziertheit voraussetzen muss.
Das Wachstum aller höheren Tiere und Pflanzen beruht auf der Vermehrung der Zellen, welche ihren Körper zusammensetzen. Die Zellen sind es, welche durch Nahrungsaufnahme wachsen und sich teilen, durch ihre Teilung die Gewebe und Organe und schliesslich den ganzen Organismus vergrössernd. Die Teilungen der Zellen aber gehen unter eigentümlichen Veränderungen am Kerne — der Kernmitose — vor sich; die färbbare Substanz des Kernes löst sich in Fäden auf, diese zerfallen in Schleifen, welche sich um den Äquator anordnen, dann sich spalten und den Polen zurücken. Und nun lehrt uns die Euglypha, dass dieselben Phänomene auch auf der niedersten Stufe der Lebewesen sich abspielen, wenn es sich um Zellteilung, beziehungsweise hier um Teilung des Individuums handelt.
Die neuesten Forschungen haben uns die unumstössliche, wunderbare Thatsache gelehrt, dass es sich bei der Befruchtung jedes vielzelligen Organismus wesentlich um eine Kernverschmelzung handelt, Eikern und Samenkern vereinigen sich und zwar sind es nur wenige Kernschleifen des weiblichen und ebensoviele gleich grosse des männlichen Kernes, welche dabei zusammentreten. In diesen Schleifen, winzigen, nur bei stärkster Vergrösserung wahrnehmbaren Körpern, müssen also alle jene tausenderlei Eigenschaften enthalten[S. 155] sein, welche sowohl vom Vater wie von der Mutter auf den entstehenden Organismus vererbt werden. Es ist also ein gar kostbares Material diese Kernsubstanz und es darf uns nicht wundernehmen, dass ein so überaus feiner Mechanismus besteht, um die Verteilung desselben zu bewerkstelligen. Dass auch schon bei den einzelligen Wesen eine so genaue Verteilung der im Kerne enthaltenen Potenzen stattfindet, lehrt uns abermals die Euglypha alveolata. Dabei ist noch eine wichtige Thatsache hervorzuheben: Es zeigen sich nämlich bei der Kernteilung der Euglypha gewisse Eigentümlichkeiten, welche sich sonst nur bei den Kernteilungen der niedersten vielzelligen Tiere, der niedersten Pflanzen und der Eier der höheren Tiere vorfinden[67 m]. Diese Ähnlichkeit im wichtigsten Lebensprozess dieser Zellen lehrt uns mit unzweifelhafter Sicherheit, wie nahe die niedersten Pflanzen und Tiere den Urtieren noch stehen und wie die höheren Tiere in ihrer ersten Entwickelungsstufe im Ei ihren früheren Zusammenhang mit den Urorganismen, resp. ihre Abstammung von diesen verraten.
Die Befruchtung ist, wie gesagt, eine Vereinigung männlicher und weiblicher Kernsubstanz, mit anderen Worten, es vermischen sich dabei von zwei verschiedenen Individuen die Charaktere, denn diese sind ja in der Kernsubstanz enthalten. Eine neuere Theorie sucht darin, wie mir scheint, mit Recht das wesentliche Moment des Befruchtungsvorganges[71]. Durch diese Vermischungen entstehen neue Kombinationen von Eigenschaften und dieser bedarf die Natur, um die Organismen den sich stets verändernden äusseren Lebensbedingungen angepasst zu erhalten. Bei den einzelligen Organismen beruht dieser Vermischungsprozess meistens auf einer Verschmelzung zweier ganzer Individuen und nichts erläutert dies besser, als die oben beschriebene Kopulation der Euglypha, wo zwei Tiere vollkommen in eins zusammenfliessen.
Man hat die Urtiere Organismen ohne Organe genannt; denn sie sind im stande alle diejenigen wesentlichen Funktionen zu verrichten, welche bei höheren Tieren an einen oft sehr komplizierten Mechanismus gebunden sind. Sie tasten und empfinden ohne Nervensystem, bewegen sich ohne Muskulatur, fressen und verdauen[S. 156] ohne Magen und Darm, atmen und besorgen den Stoffwechsel ohne Lunge und Niere. Ja die Euglypha lehrt uns, dass sie sogar kompliziertere Lebensthätigkeiten bekunden, dass sie ohne Gehirn und Nerven eine Art von Instinkt besitzen können, die Baukunst. Die Schale ist ja nicht im ganzen ein Ausscheidungsprodukt, sondern nur die Schalenplättchen werden ausgeschieden und diese müssen, wie wir sahen, bei der Teilung sorgfältig Stück für Stück zusammengefügt und kunstvoll so angeordnet werden, dass das Ganze die richtige Form erhält. Dieselben uns ungeformt erscheinenden Plasmateile, welche den Nahrungskörper ergreifen und hereinziehen, wissen die Schalenplatten aus dem alten Gehäuse heraus und an ihren richtigen Platz zu führen; keine geübte Hand könnte dies sorgfältiger und sicherer thun. Dasselbe Plasma weiss sich der Plättchen auch noch auf andere Weise zu bedienen, wenn es sich darum handelt, gegen drohende Austrocknung eine schützende Cyste zu bilden.
Noch wunderbarer erscheint uns dieser Kunsttrieb bei den schon mehrfach erwähnten Verwandten der Euglypha, welche ihre Gehäuse aus Fremdkörpern aufbauen. Die zierlichen, mannigfach gestalteten Schalen der Difflugia-Arten, deren einige unsere Figur 16 aufweist, bestehen aus Sand-, meistens Quarzkörnchen. Diese Sandkörnchen liest die Difflugia in ihrer Umgebung zusammen, zieht sie in ihren Körper hinein und speichert sie da so lange auf, bis sie zur Teilung schreitet. Diese verläuft ganz wie bei der Euglypha, nur dass die Difflugia die schwierige Aufgabe hat, aus ganz unregelmässigem Material eine neue Schale herzustellen, und doch bringt sie es so gut fertig, dass das neue Gehäuse vollkommen dem alten gleicht. Man hat den sinnreichen Versuch gemacht[68 d], solche Wurzelfüsser in kleine Aquarien zu bringen, in welchen der Boden mit zerstossenen Glassplittern bedeckt war, und siehe da, auch die Glasstückchen wurden aufgenommen und die Tiere, welche sich teilten, erzeugten Schalen, welche den alten zwar vollkommen gleich waren, aber statt aus Sand aus Glas bestanden.
Es giebt höhere Organismen, welche ganz denselben Bautrieb besitzen, wie diese Difflugien, ich meine die Larven der Phryganiden,[S. 157] die in den meisten stehenden und fliessenden Gewässern vorkommen. Auch sie bauen köcherartige Gehäuse aus allerlei Fremdkörpern zusammen, gerade wie die Wurzelfüsser, aber um zu demselben Ziele zu gelangen, gebrauchen sie einen komplizierten physiologischen Mechanismus, der in ihrem hochentwickelten Nervensystem, in ihrer Muskulatur, ihrem Hautskelett u. s. w. besteht.
Wie ist es aber möglich, fragen wir uns, dass ein einzelliges Wesen ohne jeglichen nervösen Organe zu so hohen Leistungen befähigt ist. Setzt ein derartiger Kunsttrieb nicht psychische Fähigkeiten voraus und wo haben diese ihren Sitz?
Ausgedehnte vorzügliche, „psycho-physiologische Protistenstudien“, die erst vor kurzem veröffentlicht wurden[68 e], haben sich eingehend mit der Beantwortung dieser Frage beschäftigt. Die Urtiere wurden in ihrem Verhalten auf die verschiedenartigsten Reize, Licht-, mechanische, akustische, chemische Reize u. s. f., untersucht und zwar in unverletztem Zustande und auch nach künstlich beigebrachten Verletzungen, Entfernung des Kerns etc. Das Resultat aller solcher Versuche ist, dass von einem nervösen Zentrum im Protistenkörper keine Rede sein kann, dass die nervöse Potenz eine diffuse ist; jedes Protoplasma-Elementarteilchen ist ein selbständiges Zentrum und hat seine eigene selbständige Psyche. Eine Psyche im höheren Sinne existiert freilich noch nicht und alle Bewegungen der Urtiere müssen als willenlose Reflexbewegungen aufgefasst werden. Das Scheinfüsschen der Difflugia berührt ein Sandkörnchen, der Reiz veranlasst dasselbe sich zusammenzuziehen und dabei wird es den Fremdkörper, falls er nicht zu schwer ist, mit sich reissen. Auf diese Weise sammelt es willenlos sein Schalenmaterial. Aber trotz dieser rein mechanischen Erklärung bleibt der Vorgang wunderbar genug. Bedenken wir nur das eine, dass die Reize, welche Nahrungskörper auf die Pseudopodien ausüben, diese in derselben Weise reagieren lassen wie die Berührung eines Sandkörnchens, dass aber nachher beim Schalenbau Nahrungspartikeln und Schalenmaterial doch auseinandergehalten werden. Was also bei der Phryganidenlarve tausende von Zellen, in der Arbeit sich[S. 158] teilend, erreichen, schafft hier eine einzige Zelle in derselben Weise aus sich selbst.
Man lasse mich hier noch einen zwar etwas drastischen, aber belehrenden Vergleich anstellen: Der Längsdurchmesser der Euglypha beträgt etwa ⁶⁄₁₀₀, der Querdurchmesser ³⁄₁₀₀ mm, somit erhalten wir für das Tier einen Kubikinhalt von 54 oder rund 50 Millionstel Kubikmillimeter. Nehmen wir nun als Kubikinhalt eines der lebenden Tierriesen, z. B. eines Elefanten, etwa 3 Kubikmeter an, so wären dies 3 Milliarden Kubikmillimeter, d. h. gegenüber den 50 Millionstel Kubikmillimetern der Euglypha 60000 Milliarden mal mehr. Wir finden also bei der Euglypha dieselben Lebensäusserungen, wenn auch sehr vereinfacht, wie bei dem 60000 Milliarden mal grösseren Elefanten; wir finden bei der Teilung der Euglypha im Kerne dieselben eigentümlichen Vorgänge, wie im Kerne einer der Myriaden von Zellen, welche den Riesenleib des Elefanten zusammensetzen. Ist das nicht ein überwältigender Beweis für die Einheit der belebten Natur? Ich meine, es gehöre schon ein hoher Grad von Blasiertheit dazu, wenn man gegenüber solchen Thatsachen nicht immer wieder von bewunderndem Staunen ergriffen wird. Beschleicht uns nicht dasselbe Gefühl von der Unendlichkeit der Natur, als wenn wir in einer klaren Nacht zum Sternenhimmel aufsehen und uns sagen, dass alle die Tausende von Fünkchen Welten sind, so gross und grösser als unsere eigene?
So führt uns das Studium des Kleinen und des Kleinsten im Kleinen zum Verständnis des Grossen und Grössten. Denn je weiter wir in den Zusammenhang der Organismen einzudringen vermögen, je mehr wir alle Erscheinungen auf gemeinsame Gesetze zurückführen können, desto einheitlicher und damit desto grösser erscheint uns die Schöpfung. Die Spezialisierung, welche sich in der heutigen Forschung so sehr geltend macht, artet nicht in Spitzfindigkeit aus, sondern leitet zu grossen Resultaten, sobald wir sie richtig anzuwenden wissen.
Man macht der heutigen Naturforschung so oft den Vorwurf, dass sie es sei, welche den materialistischen Zug, der durch unsere Zeit geht, verschuldet habe und befördere. Ich glaube dies nicht,[S. 159] sondern finde vielmehr, dass gerade die heutige Naturauffassung, die bei allem, was sie schafft, das Auge auf die Entstehung und Entwickelung des Ganzen gerichtet hat, am wenigsten eines idealen Zuges entbehrt. Dem heutigen Forscher, obgleich er das Wunder nicht mehr anerkennt, ist die Empfindung für die Grossartigkeit der Natur nicht verloren gegangen, nein, er muss dieser mit noch grösserer Bewunderung gegenüberstehen, als seine Vorgänger, denen eine naivere Vorstellung von der Schöpfung die eigentlich belebende Seite des Forschens versagte. Es geht ein hoher, idealer Zug durch die Naturforschung in unseren Tagen, und in der heutigen, weitausschauenden Richtung gelehrt, muss sie ein wichtiges Moment für die Erziehung werden, nicht nur für den Arzt, der ohne sie zum Handwerker herabsinkt, zum Spezialisten im schlechten Sinne des Wortes, sondern für jeden, der auf Bildung Anspruch macht.
Leider versündigen sich Unverstand und Missverstand gar zu oft an Natur und Forschung. Zu öfteren Malen hat man in den periodischen Wahlkämpfen die extremste Partei predigen hören, die Ziele der Sozialdemokratie seien in der Natur begründet, die Descendenzlehre sei ihre Stütze! Gerade das Gegenteil ist der Fall: Nichts von allgemeiner Gleichheit gestattet der Kampf ums Dasein, das Recht des Stärkeren wird die Losung sein, so lange die Erde Lebewesen trägt. Danach freilich müssen wir Menschen streben, dass es bei uns kein Faustrecht sei, sondern ein Geistesrecht!
Ist es nicht auch eine falsche Naturauffassung, die heute eine weitverbreitete Richtung in der Kunst beherrscht, wo der Künstler nur dadurch an die Natur sich anlehnen zu können glaubt, dass er das Hässliche, oder zum mindesten das Langweilige und Nichtssagende darstellt?
Sollen wir die Descendenzlehre daran schuld sein lassen, dass Zola den Atavismus als erklärendes Prinzip für seine Verbrecherromane herbeizieht? Vererben sich denn nur die Laster, vererben sich denn nicht auch die schönen und edlen Eigenschaften im Menschen nach denselben Gesetzen? Ist denn das Schöne nicht auch Natur? Der Forscher soll an der Hand der nackten Thatsachen[S. 160] die Wahrheit suchen und darf auch vor dem Widerlichen nicht zurückbeben. Auch der Künstler soll Wahres schaffen, aber ihm ist ja die Wahl gelassen in den unendlichen Schätzen der Natur und warum greift er dann das Hässliche heraus? Wer im Sommer 1889 die grosse Internationale Kunstausstellung in München besucht hat, den empfing gleich am Eingang die bekannte grosse Marmorgruppe von Fremiet, der Gorilla, der ein Weib entführt. Was kann es Widerlicheres geben als diesen Affen und diese Situation! Mögen die Motive, welche den Künstler zu diesem Werke geführt, sein, welche sie wollen, das ist kein Vorwurf für ein wahres Kunstwerk; ihm gebührt die grosse goldene Medaille nicht! Hat dazu der Künstler sein grosses Talent, hat er dazu seine wunderbare technische Fertigkeit, hat er dazu Zeit, Arbeit und Geld angewendet, so ist dies eine Verirrung! Wenn aber der Forscher denselben hässlichen Gorilla darstellt und beschreibt und daran nachweist, wie er als Glied einer langen Kette von Organismen sich einfügt, oder wie er als letzter Rest einer grossen Reihe von Vorfahren auf unserer Erde lebt, wie hier Eigentümlichkeiten seines Körperbaues, dort Äusserungen seines Intellekts zu wichtigen Vergleichen anregen, dann entkleidet er das Tier seiner Hässlichkeit, statt angeekelt uns abzuwenden, kehren wir uns ihm mit Interesse zu; da steht der Forscher in der idealen Auffassung über dem Künstler. Unverstand und Geistlosigkeit müssen freilich überall auf falsche Wege führen; wo aber der Verstand die Natur zu erkennen strebt, da giebt es keinen falschen „Naturalismus“ und keinen „Materialismus“, wo der Geist die Materie belebt.
[S. 161]
[64] August Johann Rösel von Rosenhof: Der monatlich herausgegebenen Insecten-Belustigung Dritter Theil. Nürnberg 1755.
[65] S. darüber Bütschli: Über die Struktur des Protoplasmas in: Verhandlungen d. naturhist. med. Ver. zu Heidelberg. N. F. IV. Bd. 3. Heft. Sitzung vom 3. Mai und 7. Juni 1889.
[66] S. hierüber Bronn: Classen und Ordnungen des Tierreichs; Bütschli: Die Protozoen. I. Abt. p. 228 u. f. Heidelberg und Leipzig 1880–82.
[67] Die hauptsächlichste Litteratur über Euglypha ist folgende:
a) Dujardin: Histoire naturelle des Zoophytes infusoires. Paris 1841.
b) Ehrenberg: Verschiedene Schriften 1841–1872. Übersicht der seit 1847 fortgesetzten Untersuchungen über das von der Atmosphäre unsichtbar getragene Leben in: Abh. der Berliner Akad. aus d. J. 1871. Berlin 1872.
c) Perty: Zur Kenntniss kleinster Lebensformen nach Bau, Funktionen, Systematik, mit Spezialverzeichniss der in der Schweiz vorkommenden. Bern 1852.
d) Carter: On Fresh-water Rhizopoda of England and India in: Annals and Magazine of Natural History. London 1884.
e) Hertwig u. Lesser: Über Rhizopoden und denselben nahestehende Organismen in: Archiv für mikroskopische Anatomie. Bd. X. Suppl. 1874.
f) F. E. Schulze: Rhizopodenstudien III in: Archiv f. mikr. Anat. Bd. XI. 1875.
g) Leidy: Fresh-water Rhizopoda of North-America in: United States geological survey of the territories. Vol. XII. 1879.
h) Gruber: Der Theilungsvorgang bei Euglypha alveolata in: Zeitschr. für wissenschaftliche Zoologie. Bd. 35. 1881.
i) Gruber: Die Theilung der monothalamen Rhizopoden in: Zeitschr. f. wiss. Zoologie. Bd. 36. 1882.
k) Gruber: Kleinere Mitteilungen über Protozoenstudien in: Berichte der naturforschenden Gesellschaft zu Freiburg i. Br. Bd. II. Heft 3. 1886.
l) Blochmann: Zur Kenntnis der Fortpflanzung von Euglypha alveolata in: Morphologisches Jahrbuch. Bd. 13. 1887.
m) Schewiakoff: Über die karyokinetische Kernteilung von Euglypha alveolata in: Morphol. Jahrb. Bd. 13. 1887.
[S. 162]
[68] Die hauptsächlichsten Arbeiten über künstliche Teilung bei Urtieren sind:
a) Nussbaum: Über die Teilbarkeit der lebendigen Materie. I. Die spontane u. künstliche Teilung der Infusorien in: Archiv f. mikr. Anat. Bd. 26.
b) Gruber: Beiträge zur Kenntnis der Physiologie u. Biologie der Protozoen in: Ber. d. naturf. Ges. zu Freiburg i. Br. Bd. I. 1886.
c) Balbiani: Recherches expérimentales sur la mérotomie des infusoires ciliés in: Recueil zoologique. Tome 5. Fasc. 1. Genève-Bâle 1888.
d) Verworn: Biologische Protistenstudien in: Zeitschrift für wiss. Zoologie. Bd. 46.
e) Verworn: Psycho-physiologische Protistenstudien. Jena 1889.
f) Hofer: Experimentelle Untersuchungen über den Einfluss des Kerns auf das Protoplasma in: Jenaische Zeitschr. für Naturwissenschaft. N. F. Bd. 17. 1889.
[69] Ich habe in den Torfmooren des Schwarzwaldes, oberhalb des Höllenthales, fast alle die Rhizopoden nachgewiesen, die Leidy[67 g] in den Gewässern Nordamerikas aufgefunden hat (s. darüber das Grossherzogtum Baden, Lieferg. 2. Die Tierwelt. pg. 136. Karlsruhe 1883).
[70] Über die „passive Migration“ s. O. Zacharias: Bericht über eine zoologische Exkursion an die Kraterseen der Eifel in: Biologisches Centralblatt. Bd. 9. No. 2–4. Erlangen 1889.
[71] Weismann: Die Bedeutung der sexuellen Fortpflanzung für die Selektionstheorie. Jena 1886. (S. auch Weismann: Bemerkungen zu einigen Tagesproblemen. Biol. Centralblatt. Bd. X. No. 1. 1890).
[S. 163]
Von Dr. W. Migula in Karlsruhe.
[S. 165]
Zu den niedersten Organismen, auf der Grenze zwischen Tier und Pflanze stehend, gehört die interessante Abteilung der Flagellaten. Mit ihren nächsten Verwandten, den Sarkodinen, Sporozoen und Infusorien, bilden sie die Gruppe der Protozoen, aber wenn sie auch mit jenen zusammengefasst werden und vielfache Berührungspunkte mit ihnen und mit gewissen Algen zeigen, so sind sie in ihren Eigenschaften doch so scharf charakterisiert, dass sie, von schwierigen Fällen abgesehen, leicht zu erkennen sind. Vor allem zeichnen sie sich durch den Besitz von Geisseln aus. Es sind dies sehr feine peitschenförmige Plasmafäden, durch deren schwimmende oder schlagende Bewegung sie sich fortbewegen. Hierdurch unterscheiden sie sich auch von den drei anderen genannten Abteilungen der Protozoen, denen derartige Bewegungsorgane nicht zukommen. Denn die Infusorien bewegen sich mit Hilfe von Cilien, haarförmigen, viel kürzeren Gebilden, welche in grosser Anzahl vorhanden sind, während die Geisseln oft die Länge des Körpers übertreffen und stets nur in geringer Anzahl — 1, 2, 3, 4 oder 5 — auftreten. Die Sarkodinen mit den Rhizopoden (vergl. Kapitel 4), Heliozoen und Radiolarien dagegen bewegen sich im wesentlichen durch ein eigentümliches mit fortwährender Formveränderung verbundenes Hinfliessen des Körpers, und die Sporozoen haben in ihrem erwachsenen Zustande überhaupt keine Bewegungsorgane. Der Körper der Flagellaten ist sehr verschiedenartig gestaltet, stets einzellig, oft nackt, d. h. ohne feste Membran[S. 166] oder Zellwand. Dagegen finden sich bei einzelnen wieder sehr starke feste Hüllen um den zarten Zellleib, welche mitunter sehr zierlich gezeichnet sind. Der Zellinhalt ist entweder farblos oder bräunlich oder chlorophyllgrün gefärbt und der Farbstoff ist dann gewöhnlich an plattenförmige Träger gebunden. Ein Zellkern ist wohl stets vorhanden, daneben oft noch andere feste Plasmakörperchen von zumteil noch unbekannter Bedeutung. Ebenso finden sich im Innern des Plasmas Hohlräume, welche mit Zellsaft gefüllt sind und von denen häufig zwei in bestimmten Zwischenräumen abwechselnd sich zusammenziehen und allmählich wieder wachsen; man hat sie pulsierende Vakuolen genannt. In der Regel findet sich auch noch ein (seltener zwei) roter kleiner Punkt in der Zelle, der Augenfleck oder Pigmentfleck.
Die Geisseln stehen in geringer Zahl zusammen an einem Punkte des Körpers, gewöhnlich am Vorderende, sie sind gleich oder ungleich lang, bei einigen von einem schwer sichtbaren feinen Mantel umgeben. Bei der Fortbewegung wird das Wasser mit der ganzen Fläche der Geissel gepeitscht und diese dann, ähnlich wie beim Schwimmen, zurückgezogen.
Die Fortpflanzung geschieht nur bei einigen — soweit bisher bekannt — auf geschlechtlichem Wege durch Kopulation zweier Individuen, oder wie bei Volvox durch die Befruchtung einer ruhenden Eizelle durch ein bewegliches Spermatozoid. Häufig ist eine Vermehrung durch Querteilung oder durch Längsteilung beobachtet. Vielen, vielleicht allen Flagellaten kommt die Fähigkeit zu, bei Eintritt ungünstiger Verhältnisse in einen Ruhezustand überzugehen, indem sie sich encystieren, d. h. unter Zusammenziehung des Körpers zu rundlichen Massen sich mit einer festen Membran umgeben. Sie können in diesem Zustande längere Austrocknung vertragen und zugleich ist es ein Mittel zur Verbreitung der Flagellaten. Denn wenn dieselben in dem Ruhezustande auf dem Boden ausgetrockneter Pfützen liegen, so genügt ein Windhauch, um sie emporzuheben und als feine Staubkörnchen fortzuführen. So gelangen sie vielleicht in einen Wassertümpel, wo sie ihre schützende Hülle sprengen und zu neuem Leben erwachen.
[S. 167]
Oft bleiben die Zellen nach der Teilung in mehr oder weniger festem Zusammenhang zu verschiedenartigen Kolonien vereinigt. Manche Arten leben parasitisch in anderen Organismen, viele bewohnen fauliges Wasser, manche treten nur in ganz reinen Wässern auf. Nach zwei Richtungen hin zeigen sie sehr enge Beziehungen zum Pflanzenreich: zu den Spaltpflanzen durch ihre einfachsten Vertreter, die Monadinen, und zu den einzelligen Grünalgen, den Protococcoiden, durch die Volvocineen und Chlamydomonadinen.
Dies sind im Umriss die allgemeinen Eigenschaften einer Gruppe von Organismen, welche von den Botanikern und Zoologen als strittiges Gebiet betrachtet werden und welche man deshalb, wenigstens teilweise, sowohl in Lehrbüchern der Zoologie wie in solchen der Botanik behandelt findet. Bei der Mannigfaltigkeit und dem Reichtum der grossen Gruppe, bei der Verschiedenheit der Entwickelung selbst nahe verwandter Formen und — last not least — bei der geringen Kenntnis, welche wir trotz vieler und vorzüglicher Arbeiten von den Flagellaten besitzen, mag es genügen, wenn wir einige interessante Vertreter dieser Abteilung herausgreifen und einer eingehenderen Beschreibung unterziehen. Wer sich für diese schwierigen und nur mit den besten Mikroskopen erfolgreich zu untersuchenden Organismen interessiert, sei auf die Litteraturangabe am Schluss verwiesen.
Zu den am höchsten entwickelten Flagellaten sind unbedingt die Volvocineen zu rechnen, welche in etwa sieben Arten in unseren Gewässern vorkommen. Wir wollen uns vorzugsweise an die Gattung Volvox und an die häufigere der beiden Arten, an Volvox aureus (Volvox minor Stein) halten.
Das Kugeltierchen, wie es von Leeuwenhoek, der es schon vor 200 Jahren beobachtet hat, genannt wurde, oder unser Volvox bildet kugelige oder eiförmige Kolonien von etwa ½–¾ mm Durchmesser, doch kommen sowohl grössere wie kleinere vor (vergl. hier und in der folgenden Darstellung Figur 34 S. 168 und Erklärung). Es sind Hohlkugeln, welche auf der Oberfläche eine grosse Anzahl kleiner grüner Zellen in regelmässigen Abständen tragen. Die Zellen werden durch eine farblose Gallertmasse zusammengehalten, welche[S. 168] aus den verschleimenden Membranen der Einzelzellen besteht und daher nur eine wenige Mikromillimeter (= ¹⁄₁₀₀₀ mm) dicke Schale bilden, während der Inhalt der Kugel aus Wasser besteht. Die Zellen sind etwa ⁵⁄₁₀₀₀ mm dick, etwas eiförmig gestaltet, mit dem grösseren Durchmesser dem Kugelradius parallel. Es lässt sich in ihrem Innern wenigstens eine pulsierende Vakuole (vielleicht zwei) erkennen, ein sehr kleiner, aber deutlicher roter Pigmentfleck, eine chlorophyllgrüne, die Zellwand zu etwa ⅔ auskleidende Platte und darunter ein oft undeutlicher Zellkern nebst einigen kleineren Körnchen. Jede Zelle trägt an ihrem nach aussen stehenden Ende zwei Geisseln, welche die ganze Kolonie wie mit einem Wimperkleid umgeben erscheinen lassen und durch deren Schwingung eine[S. 169] drehende Fortbewegung der ganzen Kolonie erzeugt wird. Zwischen den einzelnen Zellen laufen in der Gallertmasse noch Verbindungsfäden, welche mehr oder minder regelmässige Dreiecke auf der Kugeloberfläche bilden. Die Zahl der Zellen einer solchen Volvoxkugel ist sehr verschieden, sie schwankt zwischen 200 bis 2000, kann aber die Zahlen nach unten und oben auch noch wesentlich überschreiten.
Diese eben beschriebenen Zellen besitzen einen rein vegetativen Charakter, d. h. sie dienen nur der Aufnahme und Verarbeitung der Nährstoffe und allen den Lebensthätigkeiten des Organismus, welche nicht mit der Fortpflanzung zusammenhängen. Für sich allein, auch losgetrennt von der Kolonie, würden sie zwar noch eine Zeit lang ihr Leben fristen, aber schliesslich zu Grunde gehen, ohne für die Erhaltung der Art zu sorgen. Diese Funktion übernehmen ganz anders gestaltete Zellen, welche übrigens aus Zellen hervorgehen, welche den vegetativen ursprünglich gleich gestaltet sind. Aber um diese Verhältnisse zu übersehen, müssen wir auf die Entstehung der Zellen etwas näher eingehen. Bei den Volvocineen finden sich Dauerzustände (Sporen), welche den Winter über ruhen und im Frühjahr sich zu neuen Volvoxkugeln entwickeln. Eine solche Spore (1 d) besitzt eine ziemlich dicke farblose Membran und bei völliger Reife gelbroten körnigen, mit Reservestoffen erfüllten Inhalt. Die erste Veränderung, welche im Frühjahr in ihr vorgeht, ist, dass die gelbrote Farbe des Zellinhaltes einer grünen Platz macht; die Zelle nimmt dann Wasser auf und sprengt die harte Membran. Vorher teilt sich der Zellinhalt in zwei und diese weiter in vier, diese wieder in acht Zellen; letztere entwickeln sich zu Schwärmzellen, welche den Ausgangspunkt für die Entwickelung der Volvoxkolonien bilden. Die Schwärmzellen teilen sich in einen vielzelligen Körper unter stetem Wachstum, bleiben aber dicht zusammen. Erst wenn die Zellen sich nicht mehr teilen, beginnt eine Differenzierung sich bemerkbar zu machen; einige Zellen sind etwas grösser und mit den anderen, wenn sie auseinanderrücken, durch zahlreichere Fäden verbunden. Sobald nämlich die Zellteilungen aufgehört haben, fangen die Membranen der einzelnen[S. 170] Zellen an, zu quellen, wodurch diese auseinandergedrängt werden. Nun beginnen einige wenige von Anfang an etwas grössere, aber ebenfalls in den Gallertmantel der Kugeloberfläche eingebettete Zellen heranzuwachsen und sich zu teilen in ganz gleicher Weise, wie das eben beschrieben wurde. Je grösser diese Zellkomplexe werden, desto mehr rücken sie in das Innere der Kugel, lösen sich schliesslich ganz von der Oberfläche los und schwimmen frei in dem Hohlraum umher. In dem einen Falle gestalten sich aus ihnen Kugeln, welche den Mutterkugeln vollkommen gleichen und auch ihrerseits wieder junge Kugeln im Innern entwickeln, so dass man thatsächlich sehr oft Grossmutter, Mutter und Enkel in einander eingekapselt sieht. Die Kolonien schwimmen frei im Innern der Kugel umher, bis sie an dem einen Pol der Mutterkugel ausschlüpfen und ein selbständiges Dasein beginnen. Alle Kugeln, welche auf diese Weise entstehen und sich aus Zellen der Kugeloberfläche ohne Befruchtung entwickeln, hat man Parthenogonidien genannt. Ihre Zahl innerhalb einer Mutterkugel ist sehr verschieden: 2–12, selten mehr; neben ihnen können aber auch noch Zellen oder Zellfamilien ganz anderer Natur auftreten und mit der Beschreibung derselben betreten wir das Gebiet der geschlechtlichen Fortpflanzung, welche bei Volvox sehr hoch ausgebildet ist. Zunächst entwickeln sich einige der Zellen der Mutterkugel, ohne sich weiter zu teilen, zu sehr grossen weiblichen Geschlechtszellen, den Oogonien, welche dunkler grün sind und ein körniges Plasma zeigen. Sie sind leicht mit sehr jugendlichen Parthenogonidien zu verwechseln, aber durch den Mangel an Teilungen von diesen unterschieden. Schliesslich lösen sie sich ebenfalls aus dem Zellverbande heraus und treten in den Hohlraum der Kugel. Noch andere Zellen der Mutterkugel erfahren zwar ähnlich den Parthenogonidien Teilungen, aber sie entwickeln in der Regel keine neuen Parthenogonidien; es teilen sich vielmehr nach dem Auseinanderrücken der Zellen einige derselben, nachdem sie stärker herangewachsen sind, in ein Bündel länglicher Zellen, welche jedoch zunächst von der gemeinsamen Hülle ihrer Mutterzelle umschlossen bleiben, mit welcher sie auch aus dem Zellverbande austreten. Die Hülle ist nach der[S. 171] einen Seite haubenförmig erweitert und man sieht in dieser Erweiterung eine Anzahl sehr feiner Fäden in Bewegung, welche man als die Geisseln der bündelförmig gruppierten Zellen erkennt. Diese Zellen lösen sich schliesslich von einander und suchen die Oogonien auf; sie tragen zwei lange Geisseln am Vorderende ihres länglich-eiförmigen, gebogenen und membranlosen Körpers und an der Geisselbasis einen deutlichen roten Pigmentfleck. Ihre Färbung ist ein mattes Ockergelb, sie weichen also auch hierin nicht unbedeutend von den übrigen Zellen des Volvox ab. Sobald diese Spermatozoiden frei sind, treiben sie sich umher und suchen zu den in derselben oder in anderen Kugeln eingeschlossenen Oogonien zu gelangen, an welche sie sich unter eigentümlich bohrenden Bewegungen anlegen und wahrscheinlich mit ihnen verschmelzen. Nach dieser Befruchtung umgiebt sich die Eizelle mit einer dicken Membran und macht eine Ruheperiode durch, nach welcher sie sich wieder in der beschriebenen Weise zu Volvoxkugeln entwickelt.
Dies sind in groben Zügen Bau und Entwickelungsgeschichte unseres Volvox, welche jedoch eine solche Fülle von interessanten Einzelheiten bieten, auf die hier nicht näher eingegangen werden konnte, dass dieses Wesen immer wieder Gegenstand eingehender Untersuchungen ist. So finden wir namentlich in dem Auftreten geschlechtlicher und ungeschlechtlicher Kolonien eine grosse Variabilität. Es kommen Volvoxkugeln vor, welche nur Parthenogonidien enthalten, solche, welche neben diesen auch Oogonien, solche, welche letztere allein oder mit Androgonidien, d. h. neben den vegetativen ausschliesslich männliche Zellen enthalten, und solche, welche letztere allein oder mit Parthenogonidien zusammen in sich tragen. Noch komplizierter wird aber die Sache dadurch, dass die Parthenogonidien selbst wieder alle diese Kolonienformen in gleicher Weise in sich bergen können, so dass hierdurch ausserordentlich verwickelte Verhältnisse entstehen. Auch in Bezug auf die männlichen Kolonien können sehr grosse Verschiedenheiten herrschen, doch würde eine Erörterung derselben an dieser Stelle zu weit führen.
[S. 172]
Der grössere Volvox globator unterscheidet sich wesentlich durch die nicht runden, sondern mehr dreieckigen vegetativen Zellen und durch die stachelige Sporenmembran. Beide Arten kommen meist unter einander vermischt, selten rein vor. Sie lieben kleine, lichte, dünn mit Binsen oder Rohr bestandene Sumpflöcher, sind aber in ihrem Auftreten sehr unbeständig und wählerisch. An Orten, wo man sie Jahr für Jahr regelmässig gefunden hat, bleiben sie plötzlich aus und erscheinen auch nicht wieder, während sie sich anderseits wieder oft dort in Masse ansiedeln, wo man sie kaum vermuten dürfte. So trat plötzlich in einem Aquarium, welches von mir mit einer Nitella bepflanzt war, seit zwei Jahren im Zimmer stand und mit Leitungswasser gefüllt wurde, Volvox aureus in solcher Menge auf, dass man mit jedem Tropfen Kolonien herausholen konnte. Aber ebenso verschwand er daraus und trat nicht wieder auf, ohne dass irgend welche Tiere vorhanden waren, die seine Vernichtung hätten herbeiführen können. Er bildet nämlich eine Lieblingsspeise kleiner Crustaceen, besonders der Cypris- und Cyclopsarten, aber auch Kaulquappen und Mückenlarven stellen ihm begierig nach. Wo derartige Organismen in grösserer Zahl auftreten, verschwindet der Volvox auch im Freien sehr bald und kann vollständig vernichtet werden, da auch die schon befruchteten Eizellen, die Sporen, gefressen werden. Im Zimmer lässt sich Volvox nicht leicht züchten; er zeigt manchmal ganz plötzlich eine Neigung einzugehen, ohne dass man irgend einen Grund dafür finden könnte. Am besten hält er sich in grossen Gefässen, welche nur von oben Licht erhalten und eventuell an den Seitenwänden durch schwarzes Papier undurchsichtig gemacht werden müssen. Hier kann man einige Wasserlinsen, am besten Lemna polyrrhiza, hineinthun, dass sie etwa ⅓ der Oberfläche, nicht mehr, bedecken. Die Volvox-Kolonien gewähren dem Beobachter, auch wenn er nur eine Lupe anwendet, so viel Genuss, dass es sich wohl lohnt, dieselben zur leichtern und bessern Beobachtung im Zimmer zu kultivieren.
Die Ernährung des Volvox geschieht auf rein pflanzliche Weise; die einzelnen Zellen haben vermöge ihres Chlorophyllgehaltes die Fähigkeit zu assimilieren, d. h. aus anorganischen Stoffen, aus der[S. 173] Kohlensäure und dem Sauerstoff der im Wasser gelösten Luft, aus dem Wasser und seinen Bestandteilen an Salzen ihren Organismus aufzubauen. Es kommt ihnen als Produkt der Assimilation die Stärke im Inhalt der Zellen zu, und auch die Art der Befruchtung und Keimung der Sporen hat Volvox mit vielen zweifelhaften Algen gemein. Dagegen nähert sich der Organismus den Flagellaten besonders dadurch, dass die Beweglichkeit der Zellen während des ganzen eigentlichen Lebens erhalten bleibt. Wir sehen in den Volvocineen eben Wesen, welche mit dem gleichen Rechte als Tiere und als Pflanzen angesehen werden können und welche sowohl für den Botaniker wie für den Zoologen von gleicher Wichtigkeit sind, weil sie die Gemeinsamkeit des Organischen von neuem bestätigen.
Zu den Volvocineen gehören noch folgende vier durch grosse Zierlichkeit ausgezeichnete Gattungen:
Eudorina mit der einzigen Art E. elegans. Die Familie wird gebildet aus 16 oder 32 Zellen, welche nicht bloss vegetativ sind, sondern auch unter Umständen geschlechtliche Funktionen besitzen können. Sie sind weit grösser als bei Volvox, etwa ²⁰⁄₁₀₀₀ mm dick, während die ganze Kolonie im Durchschnitt nur ⅒ mm im Durchmesser hat. Sonst sind die Zellen denen von Volvox sehr ähnlich: mit pulsierenden Vakuolen, Pigmentfleck und je zwei Geisseln. Die ungeschlechtliche Vermehrung erfolgt durch Teilung jeder Zelle in 16 oder 32 Zellen, welche wieder eine neue Kolonie bilden; die geschlechtliche durch Oogonien, welche von Spermatozoiden befruchtet werden. Zu Oogonien bilden sich sämtliche Zellen um, mit Ausnahme derjenigen vier, welche an dem bei der Bewegung nach vorn gerichteten Teil stehen. Diese werden zu Antheridien, in denen sich je 64 hellgrüne Spermatozoiden entwickeln.
Pandorina mit der einzigen Art P. Morum (Fig. 34, 3). Die Familien haben eine rundlich eiförmige Gestalt und bestehen aus 16, 32 oder 64 dicht zusammen liegenden Zellen von beinahe herzförmiger Gestalt und von einem gemeinsamen Gallertmantel umgeben. Die ungeschlechtliche Vermehrung geht ganz in derselben[S. 174] Weise vor sich, wie bei Eudorina; die geschlechtliche weicht dagegen in sehr erheblicher Weise ab. Aus jeder Zelle entstehen nämlich in der Regel acht Schwärmzellen, welche ausschlüpfen und umherschwärmen, bis sie auf gleiche Zellen von anderen Pandorinakolonien treffen. Mit diesen kopulieren sie dann (zu zweien), indem der Inhalt der beiden Schwärmzellen vollständig verschmilzt. Die aus der Kopulation beider entstehende Zelle, die Zygote, macht dann eine Ruheperiode durch und teilt sich bei der Keimung in 1–3 grosse Schwärmzellen, welche wieder zu Zellfamilien werden.
Ähnlich verhält sich die Entwickelung der in den hellen Wasseransammlungen in Felsplatten etc. vorkommende Stephanosphaera pluvialis mit acht lang-spindelförmigen Zellen. Eine andere Gattung (Gonium) bildet kleine Zelltäfelchen und zwar G. sociale aus vier, G. pectorale aus sechzehn, seltener acht oder vier Zellen bestehend. Die Membranen oder Einzelzellen sind bei ausgewachsenen Exemplaren stark gequollen und durch gegenseitige Berührung eckig; sie lassen sechzehn dreieckige Räume und einen viereckigen zwischen sich frei. Um das ganze Täfelchen befindet sich eine sehr dünnflüssige Gallerthülle, aus welcher die Geisseln hervorragen. Die ungeschlechtliche Fortpflanzung findet in derselben Weise wie bei Eudorina statt; eine geschlechtliche ist bisher nicht beobachtet.
Wie wir im vorstehenden gesehen haben, findet innerhalb ein und derselben Familie eine solche Verschiedenheit in der geschlechtlichen Fortpflanzung statt, dass sich hierauf allein ein System nicht begründen liesse, wollte man nicht sonst eng verwandte Formen ganz auseinanderreissen. Es wird aber zugleich auch einleuchtend sein, dass bei dem Umfang und dem Zweck dieser Abhandlung ein genaueres Eingehen auf die Entwickelungsgeschichte unmöglich ist, und dass wir nur noch kurz dieselbe berühren können. Wichtiger scheint es dagegen, noch die Lebensweise und die Eigenschaften einiger Organismen zu betrachten, welche hierin von den oben beschriebenen Volvocineen abweichen.
Die Volvocineen gehören zu den kolonienbildenden Flagellaten, wie wir gesehen haben; wesentlich gleichgestaltete, aber einzeln lebende Organismen sind die Chlamydomonadinen, deren geschlechtliche[S. 175] Fortpflanzung mit der von Pandorina Ähnlichkeit hat. Unter ihnen ist besonders Chlamydococcus pluvialis bekannt, welcher nach heftigen Gewitterregen im Gebirge klares Wasser der Felsklüfte oft vollständig rot oder grün färbt und auch manchem Touristen eine bekannte Erscheinung in diesem Zustande sein dürfte. Auch diese Familie kann mit dem gleichen Rechte zu den Algen gezogen werden; ja sie steht diesen sogar noch näher als die erstbeschriebene.
Von wesentlich anderem Bau ist ein Organismus, welcher Schmutzlachen, Pfützen auf lehmigen Wegen etc. oft intensiv grün färbt, die Euglena viridis, welche wir als Vertreter einer eigenen Gruppe hier näher schildern wollen. Sie besitzt einen mehr oder weniger langgestreckten spindelförmigen Körper mit einer langen Geissel am Vorderende, zwei pulsierende Vakuolen und einen deutlichen roten Augenfleck. Bis auf einen Teil am Vorderende enthält sie zahlreiche kleine scheibenförmige Chlorophyllkörnchen direkt unter der Oberfläche. Ausserdem finden wir hier an der Geisselbasis eine Mundöffnung, welche zur Aufnahme fester Nahrung dient. Diese und ähnliche Formen, namentlich aber die farblosen — denn es giebt in dieser Gattung auch chlorophyllfreie —, leben von Bakterien oder anderen sehr kleinen Organismen, welche sie mit der Geissel gegen die Mundöffnung schleudern. Wir haben hier Organismen von zweifellos tierischem Bau und Leben, welche aber dennoch Chlorophyll enthalten und also wie die Pflanzen auch aus anorganischen Stoffen Nahrung ziehen und bilden können. Wir erkennen dies auch noch daran, dass man bei manchen thatsächlich Stärke gefunden hat, ein Produkt, welches bekanntlich bei der Assimilation der Pflanzen entsteht. Sie tritt dann in einer Form auf, welche es zweifellos macht, dass sie in dem Organismus selbst entstanden und nicht etwa von aussen mit der Nahrung aufgenommen worden ist.
Noch in einem andern Punkte bieten uns die Euglenen interessante Beobachtungsobjekte dar; ihr Körper ist metabolisch, d. h. er besitzt die Fähigkeit, durch Kontraktion seine Gestalt zu verändern und die gewöhnlich lang-spindelförmigen Wesen nehmen oft Kugelform an. Gewöhnlich werfen die Euglenen die Geissel ab, ehe sie in dieses Stadium eintreten; ihre Bewegungen werden dann[S. 176] kriechend und sind mit fortwährender Gestaltveränderung verbunden. Ihre Fortpflanzung erfolgt in einem Ruhezustande durch Teilung, auch sind Zustände bekannt, welche eine längere Austrocknung ertragen können, ohne dabei zu Grunde zu gehen. (Vergl. Fig. 35, 1 a–c.)
Nahe verwandt der Gattung Euglena ist die Gattung Colacium, jedoch durch ihre Lebensweise von jener verschieden. Die Colacien setzen sich nämlich auf kleinen Wassertieren fest, entwickeln einen Gallertmantel und Gallertfuss, verlieren die Geissel und teilen sich. Die Tochterzellen trennen sich jedoch nicht von einander, sondern bleiben zu Kolonien vereinigt; sie sind eigentlich nur kolonienbildende Euglenen.
Ebenfalls Kolonien bildend, aber von anderem Bau ist die Gattung Anthophysa. Sie gehört zu der Gruppe der Heteromonadina,[S. 177] welche sich durch die Entwickelung von einer Hauptgeissel und einer oder zwei kürzeren Nebengeisseln auszeichnet. Bei der vorliegenden Art, Anthophysa vegetans, ist nur eine Nebengeissel vorhanden. Die einzelnen Organismen sind klein, etwa ¹⁄₃₀ mm lang, kegelförmig, am Vorderende plötzlich abgestutzt und mit einem kurzen, spitzen Anhängsel, nach unten zu in einen spitzen Stiel verschmälert. Sie besitzen eine kontraktile Vakuole, einen Zellkern und eine Mundöffnung zur Aufnahme fester Nahrung, ein Pigmentfleck fehlt, ebenso Chromatophoren. Eine Anzahl dieser Einzelindividuen sitzen kopfförmig auf einem Gallertstiel auf, welcher meist wiederholt gabelig verzweigt ist und an jedem Ende ein derartiges Köpfchen trägt. Diese Köpfchen können sich loslösen und umherschwärmen; sie zerfallen dabei oft in die einzelnen Zellen, so dass schliesslich nur die reich verzweigten Gallertstiele zurückbleiben. Diese sind in der Jugend rein weiss und durchsichtig; im Alter färben sie sich durch Aufnahme von Ocker gelb bis dunkelbraun. Der Organismus scheint namentlich in eisenhaltigem Wasser häufig zu sein, wo er mit einer Alge, Lyngbya ochracea (Ockeralge), zusammen vorkommt. Die alten, stark mit Ocker durchtränkten und inkrustierten Stiele der Flagellaten und die ebenso aussehenden Fäden der Alge sind dann oft nur zu unterscheiden, wenn man durch Salzsäure den Eisenbelag löst. Wo beide in grösserer Menge vorkommen, kann man mit Sicherheit auf einen grösseren Eisengehalt des Wassers schliessen. Die Einzelzellen der Anthophysa können übrigens auch unter Umständen einen amöbenartigen Zustand annehmen; sie verlieren dann Geissel und Form, senden Pseudopodien aus und kriechen ganz wie jene umher. Eine Fortpflanzung ist bisher nur durch Teilung der Zellen beobachtet worden (Fig. 35, 2a–b).
Zu derselben Hauptgruppe gehört auch die interessante Gattung Dinobryon, welche in zwei Arten in unseren Süsswasseransammlungen vorkommt. Die Dinobryen besitzen ebenfalls eine Haupt- und eine Nebengeissel, einen Augenfleck, 1–2 kontraktile Vakuolen, einen Zellkern und zwei schwach bläulichgrün gefärbte plattenförmige Chromatophoren. Ihre Gestalt ist eiförmig, bald mehr länglich, bald mehr rundlich, was sie aber noch ganz besonders auszeichnet, ist[S. 178] das eigentümliche Gehäuse, welches jedes Einzeltier umgiebt. Dasselbe besteht aus einer dünnen, farblosen Haut von becherförmiger Gestalt, welches sich am Hinterende zuspitzt, am Vorderende aber abgestutzt und geöffnet ist. Am Grunde dieser Gehäuse sitzen die Zellen und strecken ihre Geisseln aus denselben hervor. Bei der Fortpflanzung teilt sich die Zelle in zwei Tochterindividuen, von denen das eine am Grunde des Gehäuses zurückbleibt, das andere sich an dessen Mündung ansiedelt und ein neues Gehäuse entwickelt. So entstehen allmählich frei im Wasser umherschwimmende, verzweigte Kolonien, welche aussehen, als ob eine Anzahl Becher in einander geschoben wäre. Die Organismen können auch in einen Ruhezustand eintreten; sie verlassen dann ihr Gehäuse, verlieren die Geisseln, runden sich ab und umgeben sich mit einer dicken Membran. Sehr ähnlich dieser Gattung ist das ebenfalls in unseren süssen Wässern und oft in Menge vorkommende Epipyxis utriculus, dessen Individuen sich jedoch nach ihrer Teilung von einander trennen und keine Kolonien mehr bilden (Fig. 35, 3 a–b).
Ein Übergang der Flagellaten zu den Rhizopoden wird durch eine Anzahl Formen vermittelt, welche man unter dem gemeinsamen Namen der Rhizomastiginen zusammenfasst. Unter ihnen ist namentlich die mit einigen Arten in unseren Gewässern vertretene Gattung Mastigamoeba von Interesse. Sie kommt in zwei wesentlich von einander verschiedenen Zuständen vor, als Flagellate und als Amöbe, welche in einander übergehen können. Gewöhnlich tritt sie in der letztern Form auf, bildet dabei mehrere bis zahlreiche (auch verzweigte) Pseudopodien, welche sie bald einzieht, bald an anderen Stellen des eiförmigen Körpers wieder hervorstreckt. In diesem Zustande kriecht sie an festen Gegenständen umher und schwimmt nicht, obgleich sie auch als Amöbe eine Geissel besitzt. Zuweilen ziehen jedoch die Individuen ihre amöbenartigen Fortsätze ein, so dass nur die eiförmige Zelle selbst mit der Geissel erscheint, mit vereinzelten Höckern oder Auswüchsen, welche die Stelle der eingezogenen Pseudopodien andeuten. Jetzt kriechen sie auch nicht mehr, sondern bewegen sich schwimmend wie Flagellaten durch das Wasser. In der Nahrungsaufnahme liegt ebenfalls eine Annäherung[S. 179] an die Rhizopoden: die Pseudopodien umfliessen nämlich, ganz wie bei diesen, die verschiedenen als Nahrung dienenden Körper und diese werden entweder mit den Pseudopodien eingezogen, oder der Körper der Mastigamoeba fliesst selbst nach dem Gegenstande hin. Die anderen hierher gehörigen Gattungen sind sehr ähnlich organisiert und unterscheiden sich durch den Besitz von zwei Geisseln oder auch durch das Fehlen derselben im Amöbenzustande (Fig. 35, 4 a–b).
Eine Gruppe der Flagellaten trägt den Namen der Heteromastigoda, weil sie sich durch zwei verschieden gestaltete Geisseln auszeichnen. Beide stehen am Vorderende des Körpers, aber nur eine und zwar die kleinere ist auch nach vorn gerichtet, während die andere zurückgebogen ist und bei der Bewegung nachgezogen wird. Es sind kleine farblose Wesen, welche zuweilen amöbenartige Fortsätze entwickeln, aber ihre Nahrung nicht durch Umfliessen der Gegenstände, sondern durch Aufnahme an einer bestimmten Stelle, der Mundstelle des Körpers, die zuweilen zu einem deutlichen Munde ausgebildet ist, zu sich nehmen. Hierher gehört die Gattung Bodo, welche ovale oder längliche Formen enthält, deren längere nach hinten gerichtete Geissel sehr häufig zur Anheftung an ein Substrat dient. Bei dieser Gattung ist auch eine Vereinigung zweier Individuen beobachtet, welche zur Bildung eines Ruhezustandes führt. Aus dieser ruhenden Zelle gehen dann eine Anzahl neuer Individuen hervor. Einige Arten dieser Gattung kommen im süssen Wasser vor, eine (vielleicht aber auch mehrere) schmarotzen in anderen Tieren, beispielsweise im Darm von Eidechsen. Die frei im Wasser lebenden Arten ernähren sich meist auch parasitisch, indem sie andere Flagellaten oder Algen anbohren, mit ihrem spitzen Vorderende eindringen und aussaugen. So sind besonders Chlamydomonadinen, Volvocineen, Protococcaceen und Palmellaceen den Angriffen des Bodo caudatus ausgesetzt, und wo diese Art in Kulturen einmal sich eingestellt hat, sind letztere auch in der Regel verloren. Denn ihre natürlichen Feinde, grössere Infusorien, ferner Cypris- und Cyclopsarten, welche in unserem Süsswasser der Überhandnahme dieser parasitischen Flagellaten Einhalt thun, verzehren auch die[S. 180] Algen, und da sie leichter zu entfernen sind als die mikroskopischen Organismen und ebenfalls die Algen vernichten würden, sucht man sie, wenn irgend möglich, sorgsam wegzufangen, und so bleibt dann den kleinen Räubern freier Spielraum (Fig. 35, 5).
Noch mag darauf hingewiesen werden, dass es eine Anzahl sehr einfacher Flagellatenformen giebt, welche eine entschiedene Verwandtschaft zu den Bakterien zeigen. Es ist dies beispielsweise mit der Gattung Monas der Fall, welche gewissen geisseltragenden Bakterien sehr ähnlich ist. Ebenso kann die Gattung Oikomonas mit ihnen verglichen werden. Die Flagellaten enthalten aber einen Zellkern und kontraktile Vakuolen, welche den Bakterien entschieden abgehen. Manche grosse Formen, deren Zugehörigkeit zu den Bakterien jedoch sehr fraglich ist, besitzen nach Bütschlis neuen Untersuchungen allerdings kleine Körperchen im Zellinhalt, welche Zellkernreaktionen zeigen. So sind denn die Flagellaten einerseits mit den Tieren, anderseits mit den Pflanzen nahe verwandt und durch deutliche Übergänge verbunden; viele Formen zeigen durchaus tierische Eigenschaften, viele mehr pflanzliche, und man würde sie dem Pflanzenreich unbedingt einordnen müssen, wenn sie nicht durch vollständige Formenreihen den echt tierischen Flagellaten weit näher ständen, als den nächsten pflanzlichen Organismen. Noch heute vertritt der eine Forscher die durchaus pflanzliche Natur gewisser Organismen, während ein anderer sie unbedingt zu den Tieren stellt und ein dritter beiden Wissenschaften, der Zoologie und der Botanik, die Berechtigung zuerkennt, sie als Übergangsformen und Endglieder gewisser Entwickelungsreihen in ihre Systeme aufzunehmen.
Mit dieser Schilderung verlassen wir das Gebiet der eigentlichen Flagellaten und wollen uns noch Formen zuwenden, welche zu einer mit diesen nahe verwandten Gruppe, den Dinoflagellaten, gehören. Auch sie besitzen zwei Geisseln, welche wie bei den Heteromastigoden verschieden ausgebildet sind, sie zeigen meist nur einen Zellkern im Innern und ebenso wie gewisse Flagellaten Chromatophoren, aber, soweit bekannt, keine kontraktilen Vakuolen. Von besonderer Wichtigkeit ist die harte Schale, welche die Zelle[S. 181] umgiebt und, abgesehen von einigen Übergangsformen, welche hier nicht berücksichtigt werden können, der ganzen Gruppe ein einheitliches Gepräge verleiht. Diese Schalenhülle zeigt ausser verschiedenartigen Grübchen oder Erhöhungen eine quer verlaufende Furche, in welcher die eine der beiden Geisseln liegt und durch sehr kurze wellige Bewegungen den Anschein erweckt, als ob in der Furche eine Anzahl Wimpern in Thätigkeit wären, was man auch bis vor kurzer Zeit thatsächlich geglaubt hat.
Wir wollen eine in unseren Seen nicht seltene Gattung Ceratium mit vielen oft sehr schwer unterscheidbaren Formen auswählen, um an ihr die Eigenschaften der Gruppe näher kennen zu lernen. Ceratium Hirundinella (Fig. 35, 6) zeigt einen mit verschiedenen, in Gestalt und Ausbildung recht variierenden Fortsätzen versehenen Körper, welcher eine Quer- und eine Längsfurche trägt. Die letztere ist bei der Gattung überhaupt sehr entwickelt und fast ebenso breit wie lang, so dass sie kaum noch den Namen einer Furche verdient. Im Gegensatz dazu ist die Querfurche sehr schmal und läuft um den ganzen Körper herum. Auf jeder Seite der Querfurche setzen eine Anzahl Täfelchen die harte Zellhülle zusammen, von denen am Hinterende drei zu den erwähnten Fortsätzen oder Hörnern auswachsen. Während aber am Hinterende jede der drei Täfelchen ein eigenes Horn entwickeln, bilden drei Täfelchen des Vorderendes gemeinsam ein meist sehr langes Horn, welches am obern Ende eine Öffnung, die Apikalöffnung, trägt. Die Körperhülle, welche, wie erwähnt, aus einer Anzahl kleiner Täfelchen zusammengesetzt ist, zeigt ein poröses Aussehen und ist ausserdem mit kleinen Stacheln besetzt. Im Innern der Zelle finden sich zahlreiche gelbbraune oder bräunlichgrüne Chromatophoren, welche die Färbung des Organismus bedingen. Ältere Schalen nehmen allerdings ebenfalls eine gelbe oder bräunliche Färbung an. Die Fortpflanzung der Ceratien erfolgt auf verschiedene Weise. Einmal ist es sicher, dass sich die Individuen auch im beweglichen Zustande durch Zweiteilung vermehren, indem die feste Hülle gesprengt wird und an dieser Stelle eine Einschnürung des Körpers und schliesslich eine Loslösung der beiden[S. 182] Teile von einander erfolgt. Wahrscheinlich entwickeln sich dann die fehlenden Zellhälften aus den beiden Teilen in normaler Weise mit ihren Umhüllungen. Aber auch in einem Ruhezustande, in welchen die Ceratien zeitweilig eintreten, erfolgt eine Teilung, jedoch hier in mehrere Individuen. Ob eine geschlechtliche Fortpflanzung vorkommt, lässt sich bis jetzt nicht mit Sicherheit angeben, sie ist aber für einige Formen der Dinoflagellaten wahrscheinlich. Die Bewegung der hierhergehörigen Formen ist derjenigen der eigentlichen Flagellaten fast gleich. Die Ceratien nehmen keine feste Nahrung auf und vermögen wohl mittels ihrer Chromatophoren auch überhaupt aus anorganischen Verbindungen wenigstens teilweise diejenigen Stoffe zu bereiten, welche sie zu dem Aufbau ihres Körpers brauchen. Bei anderen Dinoflagellaten scheint aber die Aufnahme fester Nahrung sicher vorzukommen. Da manche der Ceratien eine für Flagellaten ziemlich ansehnliche Körpergrösse besitzen (bis ½ mm), so ist es wohl möglich, sie unter Umständen mit blossem Auge zu erkennen, wenn man das Ceratien haltende Wasser etwa in einer flachen Schicht auf einem Porzellanteller vor sich hat.
Schliesslich mag noch darauf hingewiesen werden, dass eine Anzahl mariner Dinoflagellaten zum Leuchten des Meeres beitragen, während allerdings noch einige andere Organismen die Hauptrolle dabei spielen. Dies ist der Fall bei der ebenfalls zu den Flagellaten im weitesten Sinne gehörenden Gattung Noctiluca, welche mit noch einer andern marinen Gattung zusammen die Abteilung der Cystoflagellaten ausmacht. Auch einige Bakterienarten nehmen unter den mikroskopischen Organismen teil an der Erzeugung des Meerleuchtens.
[S. 183]
Die drei wichtigsten Werke über Flagellaten sind:
1. Ehrenberg, Die Infusionsthiere als vollkommene Organismen. 1838.
2. Stein, Der Organismus der Infusionsthiere. 1878.
3. Bütschli, Protozoen. 1880.
Weniger ausführlich, aber mit recht guten Abbildungen versehen und für die Bestimmung unserer Süsswasserformen in den meisten Fällen ausreichend ist Kirchner u. Blochmann, Die mikroskopische Pflanzen- und Tierwelt des Süsswassers. 1885 und 1886. II. Teil.
Auch Eiferth, Die einfachsten Lebensformen des Tier- und Pflanzenreiches, ist zu empfehlen. — Diese letzteren Werke geben zwar nicht die Fülle des Materials und die künstlerischen Abbildungen der obigen, aber sie sind wesentlich billiger und nicht jeder ist in der Lage, sich Steins prachtvolles Infusorienwerk anzuschaffen.
Die spezielle Litteratur ist bei Bütschli zusammengestellt; Angaben über die mikroskopische Technik finden sich bei Blochmann und Eiferth.
[S. 185]
Von Dr. W. Weltner in Berlin.
[S. 187]
Fährt man an einem windstillen Tage auf einem unserer Seen oder Teiche langsam am Rande des Schilfrohres hin, welches die Ufer oft auf lange Strecken bis zu einer Wassertiefe von einem Meter und mehr einsäumt, so gewahrt man an den Rohrstengeln nicht selten lebhaft grün gefärbte, graue oder graubraune Massen. Sie sitzen fast immer nur an den abgestorbenen Schilfstengeln, welche nach dem Rohrschnitt im Herbste im Wasser stehen geblieben sind und sich noch Jahre lang an der Wurzel aufrecht erhalten. Jene Massen am Rohr bieten ein verschiedenes Äussere dar. Sie erscheinen entweder als dünne Überzüge oder als dickere Krusten, oft sogar als dicke Klumpen, oder aber sie sind baumförmig verzweigt und können in dieser Gestalt eine Länge von mehreren Metern erreichen. Auch in unseren Flüssen, Kanälen und Flusshäfen sehen wir sie, hier am Ufer an den Steinen, an lebenden Baumwurzeln, an untergesunkenen Holzstücken, oder an den Wänden der Schleusen und Mühlenzuflüsse, an Brückenpfählen oder an Mauern (selbst innerhalb der Städte) wachsend. Aber wir brauchen sie nicht einmal in ihrem Elemente mit den Augen zu suchen, wir finden sie auch, freilich meist zerrissen und zerbröckelt, wenn wir an trüben, windigen Tagen im unklaren Wasser mit einem Ketscher an Pflanzen, Steinen oder an ins Wasser geratenen Gegenständen hinfahren. Selten findet man sie an Körpern angewachsen, welche im Wasser flottieren. Ja, man hat sie sogar ohne irgend welches sie tragende Substrat an der Wasseroberfläche[S. 188] schwimmend angetroffen; in diesem Falle haben wir es aber sicher mit Stücken zu thun, die von ihrer Unterlage losgerissen wurden.
Nehmen wir die auf die eine oder andere Weise erhaltene Masse in die Hand und betrachten wir sie genauer. Es bietet sich uns eine mehr oder weniger schleimige Substanz dar, die einen ganz eigentümlichen Geruch besitzt. An der Oberfläche bemerken wir viele feine Spitzen, sehr viele kleine Poren und eine geringe Anzahl grössere Löcher. Schon der Unkundige erkennt an dieser Oberflächenbeschaffenheit eine Ähnlichkeit mit dem Badeschwamm. Bemühen wir uns, ein unverletztes Stück aufzufischen und möglichst schnell in ein Glas mit Wasser zu setzen! Bald sehen wir, wie einige in das Wasser gestreute Karminkörnchen, wenn sie in die Nähe der grösseren Löcher geraten, hier plötzlich weit fortgetrieben werden.
Diese Massen, welche auf den ersten Blick so wenig Einladendes bieten und die wohl viele von uns, ohne sie näher zu betrachten, schon gesehen haben, sind Schwämme, und zwar im süssen Wasser die einzigen Vertreter dieses in allen Meeren sehr verbreiteten Tierkreises. Um so mehr haben diese Süsswasserschwämme oder Spongilliden schon seit langer Zeit das Interesse der Naturforscher erweckt, und sie haben infolgedessen ihre eigene Geschichte in der Wissenschaft. Man kann von ihnen nicht sagen, wer sie entdeckt hat, da sie bei ihrem ungemein verbreiteten Vorkommen und ihrer Häufigkeit wohl von jeher gekannt waren. Es hat sehr lange gedauert — eine Spanne von 140 Jahren —, ehe man ihre wahre Natur erkannte, und diese konnte überhaupt erst aufgedeckt werden durch das Studium des innern Baues, ein Verdienst, welches sich Robert Edmund Grant erwarb, als er im Jahre 1826 seine Untersuchungen über die Organisation von „Spongilla friabilis“ bekannt gab (Edinburgh Phil. Journal, Vol. XIV, p. 270–284. 1826).
[S. 189]
Der erste, welcher über unsere Schwämme überhaupt geschrieben hat, war Joh. Ray (Rajus), der 1686 in seiner Historia plantarum einen Süsswasserschwamm beschreibt. Die erste Abbildung lieferte Leonard Plukenet 1691. Seit ihrer ersten Erwähnung bis zu Pallas (1766) für Pflanzen gehalten, werden sie von den späteren Autoren bis zu Grant hin für Pflanzen, für Tierpflanzen, Pflanzentiere und endlich für Tiere angesehen. Die einen trennen sie von den Meeresschwämmen, die Mehrzahl vereinigt sie jedoch mit ihnen. Selbst noch nach den gründlichen Untersuchungen Grants wurde ihnen eine pflanzliche Natur zugeschrieben, wozu die grüne Farbe und die „Samenkörner“ (gemmulae) allerdings verlocken mussten. Trotzdem dass nach Grants Arbeit einige wichtige Entdeckungen aus der Lebensgeschichte unserer Schwämme in den folgenden zehn Jahren gemacht wurden, gebührt doch erst Dujardin (1838) die Ehre, einen bedeutenden Schritt in der Erkenntnis der Organisation der Spongilliden gethan zu haben, indem er die Zusammensetzung aus amöboiden Zellen und aus Wimperzellen lehrte. Die grössten Verdienste um die Kenntnis der Süsswasserspongien erwarben sich dann Carter (1847 bis jetzt) und Lieberkühn (1856–70), der eine ein Schüler Grants, der andere der Assistent Joh. Müllers. Ihren Arbeiten sind zahlreiche andere gefolgt, die wir den nachfolgenden Zeilen über die Naturgeschichte der Spongilliden zu Grunde legen. Dabei mögen eine Anzahl eigener Beobachtungen mit einfliessen.
Nachdem wir oben schon die Merkmale besprochen haben, an denen man einen Süsswasserschwamm erkennt, müssen wir noch einiges über den Habitus dieser Organismen hinzufügen.
Die Gestalt jeder jungen Spongillide — mag sie sich aus einer Larve oder einer Gemmula entwickelt haben — ist gewöhnlich ein flacher, seltener ein hoher Kegel. Bei dem weiteren Wachstum[S. 190] nimmt der Schwamm zunächst immer die Gestalt einer flachen Scheibe an und wächst erst danach in die Dicke. War das den jungen Schwamm tragende Substrat keine gerade Ebene, sondern ein dünner cylinderförmiger Gegenstand, ein Pflanzenstengel, ein Bindfaden, ein Eisendraht etc., so umwächst der Schwamm seine Unterlage und nimmt erst dann an Dicke zu. Mit einem Wort, er passt sich zunächst an seine Unterlage an. Erst wenn eine gewisse Grösse erreicht ist, kommen die beiden für die Süsswasserschwämme eigentümlichen Gestalten zum Vorschein. Die einen beginnen fingerförmige Fortsätze zu treiben, die sich bei weiterem Wachstum verzweigen, so dass endlich baum- oder strauchförmige Massen entstehen (Euspongilla lacustris), die anderen bleiben in der Regel zeitlebens krustenförmig, ihre Oberfläche ist mehr oder weniger uneben oder mit spitzigen Zapfen oder gerundeten Wülsten oder blattförmigen Erhebungen versehen, und wenn längere Fortsätze an ihnen sichtbar sind, so rührt diese scheinbar selbständige Verzweigung von der Unterlage her. In Fig. 44 (S. 219) haben wir einen solchen Schwamm abgebildet, der einen verästelten Baumzweig überzogen hat; einen gleichen Fall hat auch Retzer[72] wiedergegeben. Alle diese krustenförmigen Spongilliden gehören den Gattungen Spongilla, Trochospongilla und Ephydatia an. Von diesen im allgemeinen gültigen Regeln haben wir indessen zwei Ausnahmen zu verzeichnen. Es kommen nämlich auch Exemplare von Ephydatia Mülleri vor, die verzweigte Massen bilden, doch sind das Seltenheiten. Ferner tritt die sonst stets verzweigte Euspongilla lacustris unter gewissen Umständen unverästelt auf, wenn nämlich diese Art an stärker fliessenden Stellen sich angesiedelt hat; hier unterbleibt dann die Bildung der Fortsätze. Ein solches Exemplar sehen wir in Fig. 38 (S. 212). Es wurde, einen Wollenfaden umwachsend, an der Oberfläche der Spree in Berlin unter einer Brücke gefunden und zwar an einer Stelle, an welcher starke Strömung herrschte.
Linné war der Meinung, die verzweigte Form fände sich mehr in Seen, die krustenförmige mehr in Flüssen. Pallas glaubte das Gegenteil annehmen zu müssen, machte aber die richtige[S. 191] Beobachtung, dass die verzweigte Form gewöhnlich nach oben wächst und bei starker Wasserströmung ihre Äste in horizontaler Richtung entsendet. Indessen finden wir sowohl die verzweigten als die unverzweigten Formen in Seen und Flüssen; während aber eine verzweigte Spongilla in ruhigen Gewässern auch mehr in der Nähe der Oberfläche des Wassers wächst und ihre Zweige eine bedeutende Länge erreichen und hier selbst bei senkrecht gestellter Unterlage nach oben streben können, hält sich dieselbe Art in stärker fliessendem Wasser in der Tiefe auf, in welcher die Strömung weniger stark ist; wenn sie hier aber an der Oberfläche wächst, so verlaufen ihre Äste in horizontaler Richtung. So wächst in der Spree in Berlin, welche hier durch ihren enormen Reichtum an Spongillenexemplaren ausgezeichnet ist, die verzweigte Euspongilla lacustris mit Vorliebe am Grunde des Flusses, während sich die unverzweigten massigen Formen mehr an der Oberfläche auf jedem festen Gegenstand angesiedelt haben.
Die Süsswasserschwämme gehören unter den Spongien zu den grösseren Formen. Die verzweigte Euspongilla lacustris geht sogar über das gewöhnliche Mass hinaus, sie wird über einen Meter lang. Von den unverzweigten Arten erreichen wohl Ephydatia fluviatilis und Mülleri den grössten Umfang. Wir haben einmal ein Exemplar von 19 cm Länge und 8½ cm Dicke gefunden und man trifft öfters rasenförmige Stöcke dieser Arten an, welche bei geringer Höhe einen halben Meter breit werden. Siehe auch Potts[73].
Es wird gewöhnlich angenommen, dass die am Lichte wachsenden Spongilliden grün seien, während andere, welche vom Lichte abgewandt unter Brücken oder unter Steinen wachsen, farblos, d. h. weiss, gelblich oder grau sind. Es ist das im allgemeinen richtig.
So findet man selbst Exemplare, die je nach der Beleuchtung auf der einen Seite ein grünes, auf der andern Seite ein gelbliches[S. 192] Kolorit zeigen. Hält man solche Schwämme in Aquarien, so ergrünt auch die früher gelblich gefärbte Seite. Es fehlt aber nicht an Beobachtungen, dass am Lichte wachsende Spongilliden auch farblos sind. Carter fand solche in Bombay, Potts in Amerika und Weber[74][75] auf Sumatra. Die von Weber gefundenen Ephydatia fluviatilis waren nur an gewissen Körperpartien grün, aber diese grüne Färbung hat, wie wir später sehen werden, eine ganz andere Ursache, als das grüne Kolorit unserer Spongilliden, welches von mikroskopisch kleinen in den Zellen des Schwammkörpers liegenden grünen Körperchen herrührt, denen man den Namen Zoochlorella parasitica (Brandt) gegeben hat. Nun kann dieses grüne Pigment auch durch ein anderes vertreten sein; Carter fand, dass die graue bis lilagleiche Farbe der Spongilla cinerea von ebenso gefärbten Körnchen in den Zellen herrühre und wir fügen dem ein weiteres Beispiel hinzu. Bei Berlin lebt in einem See untermischt mit anderen grün gefärbten Arten eine stets grau oder braun kolorierte Spongilla fragilis. Diese Art lässt sich daher von allen dort lebenden Spongilliden sofort an ihrer Farbe erkennen. Die braune Färbung jenes Schwammes rührt von gelbbraun tingierten Körnchen her, die in denselben Zellen liegen, welche bei den anderen Arten die grünen Zoochlorellen beherbergen. Die Spongilla fragilis trägt aber nicht immer eine braune Farbe, sie ist an anderen Orten weiss, gelblichweiss oder grün (Potts). Von Ephydatia fluviatilis beschreibt Lankester[76] blasslachsfarbene, hellgrüne und hellbraune Exemplare. Aus alledem geht hervor, dass die Süsswasserschwämme verschiedene Pigmente führen und dass selbst ein und dieselbe Art verschieden koloriert auftritt.
Die Konsistenz unserer Spongilliden hängt, wie bei den meisten Schwämmen, von der Struktur des Skelettes ab. Wir unterscheiden danach zweierlei. Bei den einen ist die Masse der Kittsubstanz, welche die einzelnen Nadeln zu einem Gerüste verbindet, mächtig entwickelt, bei den anderen ist sie sehr gering, dafür ist aber das kieselige Skelett mächtiger entfaltet. Diejenigen Süsswasserschwämme[S. 193] mit viel Kittsubstanz setzen dem Zerreissen mehr Widerstand entgegen, als solche mit gering entwickelter Kittmasse. Dagegen sind die Arten mit einem Gerüste, welches wesentlich aus Kieselnadeln besteht und wenig Spongiolinmasse führt, viel härter als die schwieriger zerreissbaren. Es giebt daher im allgemeinen zwei Sorten unter unseren Schwämmen, solche, welche weich anzufühlen und schwieriger zerreissbar sind (Eusp. lacustris), und solche, die eine gewisse Härte zeigen und sich leicht zerbrechen lassen (Ephyd. fluviatilis). Unter den letzteren kommt, was den Grad der Härte anlangt, noch der Wuchs in Betracht. Diejenigen, welche als minder dicke Krusten Baumzweige überziehen (Fig. 44 S. 219), sind weniger hart als die, welche kompakte Massen bilden (Fig. 42 S. 218). Es giebt unter den zuletzt genannten klumpenförmige Stücke, welche in ihrer Härte einem Zimokka-Badeschwamm nichts nachgeben. — Was den Weichteil der Süsswasserschwämme angeht, so scheint derselbe bei allen krustenförmigen Arten gleich zähflüssig zu sein, während er bei der verzweigten Eusp. lacustris dünnflüssiger ist. Von einigen älteren Autoren wird angegeben, dass der Schleim dieser Art nach dem Herausziehen des Schwammes aus dem Wasser bald abtropfe, ein Verhalten, welches wir nie beobachten konnten. — Im trockenen Zustande sind alle unsere Spongilliden sehr brüchig und zerfallen vollständig, wenn man sie zwischen den Fingern reibt. Auf diese Eigenschaft weisen die alten Namen fragilis und dergl. mehr hin.
Man hat den Geruch eines frisch aus dem Wasser gezogenen Schwammes fischig, schlammig, moderartig, auch jodähnlich genannt. Allein diese Vergleiche passen nicht genau, der Geruch ist ein unserem Schwamme ganz eigentümlicher.
Als im Jahre 1875 F. E. Schulze die erste seiner zahlreichen Untersuchungen über den Bau und die Entwickelung der Spongien veröffentlichte, begann eine neue Periode in der Kenntnis der Schwämme. Obwohl vor jenen Untersuchungen kein anderer[S. 194] Schwamm anatomisch und histiologisch so genau zergliedert worden war wie gerade unser Süsswasserschwamm (Lieberkühn, Carter), so gaben doch erst Schulzes Arbeiten das richtige Verständnis für die Organisation auch unseres Tieres, weshalb wir auch hier auf denselben fussen, ohne in all den einzelnen Fällen immer wieder den Namen dieses Forschers anzuführen.
Soweit bekannt, giebt es keine Süsswasserschwämme ohne ein aus Kieselnadeln gebildetes Skelett. Wir werden also passend die beiden einen Schwamm zusammensetzenden Teile, das Skelett und den Weichteil, gesondert besprechen.
Dasselbe besteht aus dem festen Gerüste und den lose und ohne Ordnung im Weichteil liegenden sogenannten Fleischnadeln. Das Gerüst wird aus schlanken, fast immer leicht gekrümmten, glatten oder bedornten Nadeln, welche an beiden Enden zugespitzt sind, aufgebaut. In ihrem Innern zeigen sie einen an beiden Enden geschlossenen Kanal, den Zentralkanal, in welchem man an geeigneten Präparaten einen feinkörnigen Zentralfaden erkennt. Die diesen umhüllende Kieselsubstanz ist nicht homogen, sondern lässt abwechselnd Lagen von Kieselsäure und Spongiolinsubstanz erkennen. Diese Nadeln legen sich nun zu mehreren zu einem Bündel zusammen, an welches sich ein zweites, dann ein drittes und so fort anschliesst, welche alle durch eine Kittmasse (Spongiolinsubstanz) mit einander verbunden sind. So kommen festere Stäbe zustande, die an der Basis des Schwammes mächtiger sind als an der Oberfläche. Wir nennen sie Hauptfasern. Sie allein würden dem überaus zarten Weichteil noch keinen genügenden Halt geben; sie sind deshalb durch Querbrücken, Verbindungsfasern, gestützt, welche nur aus wenigen, oft nur aus einer einzigen Nadel bestehen. So kommt ein netzförmiges, auf einer basalen Spongiolinplatte angekittetes Skelettwerk mit Maschen von der verschiedensten Gestalt und Grösse zustande. Schon in dem wenige Stunden alten Schwamm macht sich die Tendenz bemerkbar, die jungen Nadeln, deren jede stets in einer Zelle gebildet wird, zu einem Netzwerk zusammenzufügen.[S. 195] Der lockere Weichteil kann desselben nicht entbehren. Auch an einem schon grossen Schwamm sehen wir immer noch neue Nadeln entstehen, die durch eine oder mehrere kugelige Verdickungen in dem mittleren Teile als solche meist kenntlich sind. Noll hat die Bildung der Spikula verfolgt und glaubt, dass die Zelle (Silikoblast), in welcher die Nadel entsteht, zu deren weiteren Ausbildung auch genüge, obwohl dagegen spricht, dass die ausgewachsene Nadel um sehr vieles grösser ist als die junge. Auch der Umstand, dass man den Nadelsträngen seitlich anliegend viele Zellen sieht, welche gar keine Nadel in sich bergen, weist darauf hin, dass die Spikulae nachträglich durch besondere Zellen wachsen. Was die Kittsubstanz anlangt, so verdankt sie ebenfalls besonderen Zellen (Spongoblasten) ihre Entstehung (Noll). — Unter den Nadeln eines Süsswasserschwammes kommen fast stets Abnormitäten mannigfaltigster Art vor; es können zwei Nadeln unter verschiedenem Winkel vollständig mit einander verwachsen, das eine Ende einer Nadel kann gegabelt oder umgebrochen oder abgerundet sein; eine Nadel kann in der Mitte in verschiedenen Winkeln geknickt werden, kurzum es sind dieser Gestalten so viele, dass man einige Tafeln Abbildungen zusammenstellen könnte. Man verwechsele aber hiermit nicht jene kleineren in der Mitte kugelig angeschwollenen Nadeln, welche nur die Jugendzustände der Gerüstnadeln sind und häufig als Fleischnadeln angesprochen wurden.
Das Fleisch oder Parenchym unseres Schwammes besteht aus einer inneren Masse und einer äusseren Haut, welche dieselbe wie ein Sack einhüllt. Diese Haut ruht auf den Enden der aus dem Innern kommenden Hauptfasern des Skelettes und lässt unter sich einen grossen kontinuierlichen Hohlraum, den Subdermalraum, frei, der nur durch die Skelettbalken und gelegentlich durch nadelfreie Gewebszüge unterbrochen wird. Die Haut enthält mikroskopisch kleine Löcher, die Einströmungsporen, deshalb so genannt, weil durch sie das Wasser in den Schwamm einströmt. Am Boden der grossen sackförmigen Höhle zwischen Haut und Innerm bemerkt[S. 196] man mit dem blossen Auge grössere Löcher, es sind die Öffnungen von Kanälen, die sich in den Schwamm hinein erstrecken, sich vielfach verzweigen und seitlich angelagert kleine kugelige Gebilde tragen, die man wegen ihrer Zusammensetzung aus wimpernden Zellen Wimper- oder Geisselkammern genannt hat. Sie münden in die eben besprochenen Kanäle, die wir Einströmungskanäle nennen, durch eine Anzahl sehr kleiner Poren, Einströmungsporen der Kammern. Auf der abgewendeten Seite trägt eine solche Geisselkammer ein grosses Loch, die Ausströmungspore, durch welche sie sich in einen Kanal öffnet, der im allgemeinen weiter ist als die Verzweigungen der Einströmungskanäle. Jene weiteren Kanäle sammeln sich zu noch grösseren und münden endlich in ein einziges grosses Rohr, das Kloakenrohr. Die zwischen den Geisselkammern und diesem Rohr gelegenen Kanäle sind die Ausströmungskanäle. Das Kloakenrohr durchsetzt den unter der äusseren Haut liegenden Hohlraum mit einer eigenen geschlossenen Wand und öffnet sich an der Oberfläche des Schwammes mit einem runden, von einem Hautsaum umgebenen Loch, dem Oskulum, oder zeigt ein über der Oberfläche des Schwammes hervorstehendes weissliches Röhrchen, das Oskular- oder Auswurfsrohr, welches nichts anderes als eine Fortsetzung der äusseren Haut ist. An Stelle des Kloakenrohres sehen wir an dünneren Stellen krustenförmiger Schwämme und auf den Zweigen der verästelten Form besondere Rinnen von oft sternförmiger Gestalt eingegraben; an dem Boden dieser Furchen fallen grössere Löcher auf, welche die Enden der grossen Ausströmungskanäle darstellen. Über den Furchen zieht sich die äussere Haut hinweg, die an dieser Stelle einzelne grosse Poren oder Röhren trägt und in der Mitte meist ein grösseres Auswurfsrohr zeigt. Diese Rinnen oder das sternförmige Rinnensystem sind nur eine besondere Form des Endabschnittes der Kloakenhöhle. An grossen Schwammexemplaren tritt noch eine besondere Modifikation solcher Kloakenhöhlen auf. Wir sehen nämlich hier an der Schwammoberfläche grosse, öfters bis 1 cm breite und tiefe Löcher, an deren Boden man in die Öffnungen der ausströmenden Kanäle gelangt. Die so verschieden gestalteten Kloakenhöhlen sind[S. 197] stets an der Stelle, an welcher sie den grossen unter der Haut hinziehenden Hohlraum durchsetzen, von einer eigenen, soliden Wand begrenzt. Dadurch entsteht ein für sich geschlossenes einführendes Kanalsystem, welches von den Einströmungsporen der Haut bis zu den Geisselkammern reicht, und ein für sich abgegrenztes ausführendes System, von den Kammern beginnend und mit den Auswurfsöffnungen endend. Verfolgen wir jetzt den Lauf des Wasserstromes weiter. Durch die Poren in den einführenden Subdermalraum gelangt, strömt das Wasser durch die an dessen Boden liegenden Löcher in die einführenden Kanäle und gelangt durch deren Verzweigungen in die Geisselkammern. Diese sind es, in welchen wir die treibende Kraft für den beständigen Wasserstrom im Schwamme zu erblicken haben. Von ihnen gelangt das Wasser durch ihre grossen Ausströmungsporen in die ableitenden grösseren Kanäle, und durch diese in das Kloakenrohr oder in die verschieden gestalteten Kloakenhöhlen und fliesst schliesslich durch das Oskulum oder dessen Röhren nach aussen ab. Wir sehen, dass die Bezeichnung Oskulum garnicht für jene Löcher passt, welche vielmehr die Enden eines Kloakenrohres sind und gerade das entgegengesetzte von dem bedeuten, was ihr Name anzeigt. Deshalb hat auch schon Grant statt Oskulum die Bezeichnung Kloakenmündung vorgeschlagen, allein der erstere Name ist nun einmal gang und gäbe geworden und lässt sich auch gebrauchen, wenn man mit Vosmaer das Wort in Verbindung mit cloacae bringt. Die Kloakenhöhlen und die sternförmigen Kloakenbezirke zeigen am Schwamme nur sehr selten eine regelmässige Anordnung. So fanden wir einmal eine Spongilla fragilis, an welcher die Kloakenhöhlen sämtlich in einer Reihe übereinander lagen, während die ganze übrige Oberfläche frei davon war. Wir wollen hier auch noch bemerken, dass bei den verzweigten Formen die Oskula nie an den Spitzen der Zweige oder der Zapfen liegen, wie es bei vielen marinen Schwämmen der Fall ist. Bei diesen führt dann das auf dem Gipfel gelegene Ausströmungsloch in eine grosse zentrale Kloakenhöhle, die sich in den Zweigen von Eusp. lacustris nie findet.
[S. 198]
Wir gehen jetzt zur Betrachtung der Gewebeschichten unseres Tieres über. Die Aussen- und Innenseite der Haut, der Ausströmungsröhren, ferner des Septums, welches den grossen Subdermalraum von dem Endabschnitt der Kloakenhöhle trennt, diese selbst, der Boden des Subdermalraumes und endlich alle Kanäle sind von einem dünnen einschichtigen Lager platter, polygonaler Zellen ausgekleidet. Eine besondere Gestalt gewinnen diese Zellelemente in der Umgebung der Hautporen und der Ausströmungsöffnung der Geisselkammern. Sie haben hier die Form einer Mondsichel von geringerer oder grösserer Breite. Besonders die Poren, dann aber auch die Ein- und Ausströmungsöffnungen der Kammern sind veränderliche Gebilde, die entstehen und vergehen können. Besonders an den Hautporen lässt sich verfolgen, wie sie in einer Zelle als Loch entstehen, ein solches Loch vergrössert sich bald, bis von der Zelle nur noch ein schmaler Ring übrig bleibt. An anderen Stellen sieht man, wie sich an der weit geöffneten Pore die sie umgrenzende sichelförmige Zelle verbreitert, bis endlich von der Pore nur noch ein kleines Loch übrig bleibt; auch dieses kann geschlossen werden und die Pore ist verschwunden. — Die zwischen dem ein- und ausführenden Kanalsystem eingeschobenen Geisselkammern bestehen aus langgestreckten, radiär um die Höhle der Kammer angeordneten Zellen. Sie sind durch eine zwischen den Zellen liegende Substanz von einander getrennt, oder sie stossen eng zusammen und platten sich auch gegenseitig ab. Jede Zelle trägt einen langen hyalinen Kragen und eine lange beständig schlagende Geissel; durch die Gesamtheit der Bewegungen aller Geisseln wird der Wasserstrom erzeugt. Es ist interessant, dass manchen im Winter gesammelten Schwämmen die Geisselkammern fehlen können. — Zwischen den Platten- und Geisselzellen bleibt nun eine Schicht, welche, wie bei allen Schwämmen, auch hier an Mächtigkeit die eben genannten Zelllager bei weitem übertrifft. Es ist die Bindesubstanzschicht, welche aus einer hyalinen Substanz mit amöboiden Zellen besteht. Unter den Zellen sieht man sofort zwei Sorten, die einen haben einen Inhalt von eng aneinander liegenden, annähernd gleich grossen Körnchen, die[S. 199] anderen führen ungleich grosse, weniger dicht liegende Körner. Bei den grün gefärbten oder braunen Schwämmen enthält stets nur die zuletzt genannte Sorte das grüne oder braune Pigment.
Das grüne Kolorit der Schwämme wird durch kleine rundliche Körperchen in diesen Zellen hervorgebracht, welche Chlorophyll enthalten. Während aber die einen dasselbe für tierischen Ursprungs halten, betrachten die anderen jene Körper als einzellige Algen (Zoochlorella parasitica Brandt). Ausser den genannten Zellen finden sich noch sehr langgestreckte Formen, die den kontraktilen Faserzellen anderer Spongien entsprechen. Der Siliko- und Spongoblasten haben wir schon oben gedacht und einige andere Zellformen, die sich nur zu gewissen Zeiten finden, werden wir sogleich kennen lernen.
Die Süsswasserschwämme pflanzen sich auf geschlechtlichem und ungeschlechtlichem Wege fort.
Sie findet bei uns in den Monaten Mai bis in den September statt. Während man die männlichen Keimstoffe, die Spermatozoen, nur vom Mai bis in den August findet, trifft man die Eier zu allen Jahreszeiten an, sie kommen aber im Winter nur vereinzelt vor und werden dann nicht entwicklungsfähig. Die Spongilliden sind getrennten Geschlechts und zwar tritt bei ihnen zuerst die Entwickelung der Spermatozoen und später die Reifung der Eier auf. Ein äusserer Unterschied in der Grösse oder der Gestalt der männlichen und weiblichen Exemplare existiert nicht, wenn es auch vorkommen mag, dass kleinere auf beweglicher Unterlage angesiedelte Schwämme [Keller[77]] männlich sind. Die Spermatozoen entstehen durch fortwährende Teilung einer Zelle der Bindesubstanzschicht, deren Kern die Köpfe und deren Plasma die Schwänze der Samenfäden liefert. Auch die Eier sind Abkömmlinge solcher Zellen. Fiedler hat die Sperma- und Eientwickelung genau verfolgt und Maas hat die Bildung des jungen Schwammes aus der[S. 200] Flimmerlarve, welche aus dem sich furchenden Eie entsteht, in klarer Weise auseinandergesetzt.
Der aus einer Larve oder einer Gemmula entstandene junge Schwamm zeigt ein einziges zusammenhängendes Kanalsystem, welches mit einem einzigen Oskulum oder mit einem sternförmigen Ausströmungsbezirk nach aussen mündet. Wir nennen einen solchen Schwamm ein Individuum. Durch weiteres Wachstum sehen wir ein zweites Oskulum an einer anderen Stelle auftreten, bald bilden sich neue und wir haben nun eine durch Knospung entstandene Kolonie vor uns. — Ob eine andere Fortpflanzung, nämlich durch Teilung, wie es Laurent behauptet, wirklich vorkommt, bleibt zweifelhaft; sicher aber ist, dass gewaltsam losgetrennte, grössere Stücke eines Süsswasserschwammes wie bei anderen Spongien fortwachsen, wenn sie sich auf einer geeigneten Unterlage festsetzen können.
Zur Herbstzeit besonders findet man in den Spongilliden kleine, gelbliche oder gelbbraune, annähernd kugelige Gebilde von der Grösse eines Senfkornes: die Gemmulae. Während man weder über die erste Entstehung noch über die Herkunft einzelner Teile dieser Gebilde vollkommene Klarheit hat, sind wir über den Bau der ausgebildeten Gemmula ziemlich gut orientiert. Sie besteht aus einer Hülle mit einer, seltener mit mehreren Öffnungen und einem aus Zellen zusammengesetzten Keim oder Kern. Es ist behauptet worden, dass in dem Keime Stärke enthalten sei. Allein schon Lieberkühn hat das bestritten und sicher sind jene stark lichtbrechenden Körner der Keimzellen nicht Amylum. Dagegen wissen wir durch die Untersuchungen von Carter, Keller[78], Ray Lankester, Brandt und Wierzejski[79], dass in den Süsswasserschwämmen Amylum und amyloide Substanz vorkommt.
Die Hülle der Gemmula zeigt eine innerste dicke Membran (innere Chitinmembran, innere Kutikula), welche die Höhle der Gemmula umschliesst, auf diese Membran folgt eine Kruste (Belegmembran, Luftkammerschicht), die entweder fein blasig aussieht[S. 201] oder sehr deutlich zellig erscheint und Luft enthalten soll. In dieser zweiten Schicht stecken die für die einzelnen Arten der Spongilliden charakteristischen Nadeln (Belagsnadeln), deren Formen wir später kennen lernen werden. Bei einigen Arten ist die jene Nadeln beherbergende Schicht noch durch eine dritte Schicht (äussere Kutikula, äussere Chitinmembran) abgeschlossen; solche Gemmulae sind dann glatt, während andere, die der Membran entbehren, rauh erscheinen. Unter den Belagsnadeln kommen oft abnorm gebildete Formen vor, besonders bei Schwämmen, welche zu einer raschen, unzeitigen Gemmulabildung veranlasst wurden [Wierzejski[80]].
Fragen wir zunächst: welchen Zweck haben die Gemmulae? Es wird gewöhnlich angegeben, dass unsere Süsswasserschwämme gegen den Herbst hin unter Bildung von Gemmulae absterben. Es ist das im allgemeinen richtig. Man findet also von den meisten unserer Arten nur im Winter die Gemmulae, ihr Weichteil ist zerfallen. Jene überwintern und im Frühlinge kriecht aus ihnen der Inhalt aus und entwickelt sich zu einem neuen Schwamm. Es ist also die Aufgabe der Gemmulae, den Schwamm, der als solcher den Winter nicht überstehen würde, über diese Jahreszeit hinwegzubringen. Ganz ähnlich ist es in den Tropen. Während der Regenzeit sind Lachen, Bäche und Flüsse mit ausgebildeten Spongilliden erfüllt, tritt dann die Trockenperiode ein, so entwickelt der Schwamm Gemmulae, welche Monate und Jahre lang [Carter, Potts, Lendenfeld[81]] der sengenden Hitze ausgesetzt bleiben können, um später, wenn sie wieder vom Wasser bedeckt sind, zu neuen Schwämmen zu erstehen. In den Gemmulae sehen wir also Anpassungserscheinungen an die äusseren Lebensbedingungen. Es ist einleuchtend, dass Schwämme, die dem Eintrocknen oder Einfrieren ausgesetzt sind, sich durch besondere Vorrichtungen dagegen schützen müssen. Anderseits wird es möglich sein, dass Spongilliden, die jahraus jahrein unter denselben Bedingungen leben, der Gemmulae entbehren können. Diesen Gedanken findet man zuerst ausgesprochen bei W. Marshall[82] und in der That giebt es solche Süsswasserschwämme ohne Gemmulae. Dybowski hat an den bis 100 m tief im Baikalsee lebenden Lubomirskien nie Gemmulae[S. 202] gefunden. Lieberkühn gab an, dass in der Spree in Berlin Schwämme überwintern, ohne vollständig in Gemmulae zu zerfallen; Metschnikoff hat dies in Russland bestätigt, Potts hat in Amerika eine Anzahl ähnlicher Fälle beobachtet und Wierzejski fand solche Schwämme (nach brieflicher Mitteilung) in Galizien. In allen diesen Fällen überwintert der Schwamm mit seinem Weichteil, in dem aber immer mehr oder weniger Gemmulae gebildet worden sind. Dass es aber auch bei uns Schwämme giebt, die überhaupt nicht mehr zur Gemmulation schreiten, ist neuerdings bewiesen worden; an der im Tegeler See lebenden Ephydatia fluviatilis kommen nach Beobachtungen, die sich über einen Zeitraum von sechs Jahren erstrecken, Gemmulae überhaupt nicht mehr vor (Weltner). Auch scheint es [Marshall[82], Potts, Hinde], dass anderwärts grosse Schwammexemplare durch ununterbrochenes Fortwachsen während ein oder mehrerer Jahre zustandekommen.
Wir kennen also auch bei uns einige Ausnahmen von der Regel, dass alle Süsswasserschwämme im Herbst unter Gemmulabildung zerfallen. In unserer Zone scheint nur bei Ephydatia fluviatilis die Überwinterung des Weichteils vorzukommen, während alle anderen einheimischen Schwämme zum Winter absterben und nur ihre Gemmulae gefunden werden. — Auch ist es nicht richtig, dass die Gemmulae sich bloss im Winter finden. Sie kommen auch an verschiedenen Schwämmen, Ephydatia fluviatilis und Mülleri, in den Sommermonaten vor und finden sich bei ersterer Art neben männlichen und weiblichen Keimstoffen (Götte, Weltner).
Über die Entwickelung des Keimes zum jungen Schwamm liegen nur wenig übereinstimmende Nachrichten vor. In Anbetracht, dass dieser Gegenstand einer erneuerten Untersuchung bedarf, unterlassen wir weitere Auseinandersetzungen.
In der Physiologie der Spongien sind diese Fragen am wenigsten aufgeklärt. Offenbar geschieht die Atmung während des beständig den Schwamm durchlaufenden Wasserstromes und es wird auch durch diesen Strom zugleich die Nahrung herbeigeführt. Wenn[S. 203] andere Schwämme durch besondere Pigmente atmen (Mereschkovsky), so müssen weitere Untersuchungen zeigen, in wie weit solche Pigmente bei den Spongilliden verbreitet sind. Es ist aber bisher noch nicht mit Sicherheit entschieden, wo im Schwamme geatmet wird. Dasselbe gilt von der Verdauung. Aus den zahlreichen Fütterungsversuchen, welche man mit Farbstoffkörnchen bei Schwämmen und zwar zuerst bei Spongilliden gemacht hat, geht hervor, dass es die Geisselkammerzellen sind, welche die Nahrung aufnehmen (Carter, Lieberkühn, Heider, Metschnikoff, Lendenfeld), wenn auch an einzelnen Schwämmen beobachtet wurde (Metschnikoff, Topsent), dass gerade diese Zellen von Karmin frei blieben. Die ausgedehnten Fütterungsversuche Lendenfelds mit verdaulichen Stoffen zeigen, dass die Geisselzellen diese aufnehmen, zerteilen und an die Wanderzellen abgeben. Welcher Art ist nun die Nahrung der Schwämme? Es sind wahrscheinlich zerfallene organische Stoffe, welche mit dem Wasser in den Schwamm eingeführt werden. Die nicht brauchbaren Stoffe werden von den Kragenzellen später wieder ausgeschieden, die brauchbaren werden in mehr oder weniger assimiliertem Zustande an die Zellen der Zwischenschicht, welche jedenfalls den Nahrungstransport besorgen, abgegeben; auch die Exkretion dürfte von den Geisselzellen besorgt werden [Lendenfeld[83]]. Diese Anschauung gilt auch für unsere Schwämme.
Dennoch muss es möglich sein, dass sich die Spongilliden auch von lebenden Infusorien und anderen Protozoen ernähren. Denn Lieberkühn und nach ihm Metschnikoff sahen, wie in die Spongillide geratene Protozoen dort verdaut wurden. Gewöhnlich findet man aber in einem Süsswasserschwamm keine grösseren Organismen, es sei denn, dass diese als Parasiten in ihm leben (s. unten). Auch die Thatsache, dass die Süsswasserschwämme in dem fliessenden Wasser der Städte, in welches Abfälle der unglaublichsten Art geraten, äusserst üppig entwickelt sind, während man sie in Teichen mit klarem Wasser in geringer Anzahl trifft, spricht für Lendenfelds Anschauung.
[S. 204]
Im allgemeinen scheint den Spongien ein schnelles Wachstum eigen zu sein und aus den spärlichen Angaben, die betreffs dieser Frage bei den Spongilliden vorliegen, zu schliessen, trifft das auch für diese zu. Schon Eper gab 1794 an: „Ihr Wachstum ist sehr geschwinde“. Carter sah in Bombay eine Spongillide in noch nicht drei Monaten einen Durchmesser von drei Zoll erreichen. Ein energisches Wachstum unserer Schwämme findet jedenfalls im Frühjahr statt, wenn das Wasser wärmer zu werden beginnt. Auch geht die Entwickelung der jungen Schwämme aus den Gemmulae schnell von statten und man sieht, wie solche aus den im Skelett liegenden (Eusp. lacustris) oder in einer basalen Schicht abgelagerten (Sp. fragilis, Trochosp. erinaceus) Gemmulae entstandenen Schwämme in kurzer Zeit bis zur Fortpflanzung eine bedeutende Grösse erreichen. — Potts ist der Ansicht, dass der aus einer Gemmula entstandene Schwamm bis zur Zeit der wieder eintretenden Gemmulation — also vom Frühling bis zum Herbst — eine Grösse erreicht hat, um nun zwölf oder mehr Gemmulae zu bilden. Kommen von diesen nur die Hälfte im nächsten Frühlinge aus, so soll der aus ihnen entstandene Schwamm am Ende des zweiten Jahres so gewachsen sein, dass er wenigstens sechs mal so gross als im ersten Jahre ist. So würde in wenigen Jahren ein Schwamm von mehreren Zoll Durchmesser zustandekommen. — Die Grösse, welche die aus Larven entstandenen Schwämme im ersten Jahre erreichen, ist sehr verschieden und richtet sich nach der Zeit, wann die Larve aus dem Mutterkörper ausschwärmte. So werden Larven, welche sich schon im Juni festgesetzt haben, bis zur Zeit, zu welcher die aus ihnen entstandenen Schwämme unter Gemmulabildung absterben, also im September und Oktober, zu grösseren Exemplaren angewachsen sein, als solche Larven, welche erst im August entstanden waren. In der That finden wir denn auch im Herbst unter den einjährigen Schwämmen Exemplare der verschiedensten Grösse. Die kleinsten sind kaum 2 mm gross, andere über 2 cm. Diese grösseren können aber durch Verwachsen mehrerer Exemplare,[S. 205] die dicht bei einander sassen, entstanden sein. Jedenfalls werden alle diese aus Larven entwickelten Schwämme in demselben Jahre nicht mehr geschlechtsreif. Sie zerfallen im Herbst in Gemmulae und man kann leicht beobachten, wie die kleinsten Exemplare eine einzige Gemmula, die grösseren zwei, drei Gemmulae u. s w. bilden.
Man sieht aus diesen Angaben, wie wenig wir über die Wachstumsschnelligkeit und Grösse, welche die gemmulae erzeugenden Schwämme erreichen, wissen. Nicht viel anders steht es mit den perennierenden Schwämmen. Wir haben schon oben erwähnt, dass die grossen Spongillidenexemplare, welche man gefunden hat — Lubomirskia im Baikalsee, Uruguaya im Uruguay und andere (s. Potts) —, wahrscheinlich durch ununterbrochenes Wachstum während einer längeren Zeitdauer zustandekommen. Auch die im Tegelsee lebenden grossen Exemplare von Ephyd. fluviatilis entstehen offenbar in derselben Weise. Das Wachstum dieser perennierenden Art ist während des Winters sehr gering. Bringt man ihnen zu dieser Zeit grössere Wunden bei, so verwachsen diese zwar während des Winters, irgend welche bedeutendere Grössenzunahme findet jedoch nicht statt. Ähnliches hat schon Lamouroux von den Spongien überhaupt angegeben.
Diesen Auseinandersetzungen steht die Ansicht gegenüber, dass die Schwämme durch den Prozess der Fortpflanzung dem Tode geweiht sind (Laurent, Götte). Es ist allerdings richtig, dass man Süsswasserschwämme zur Zeit der geschlechtlichen Fortpflanzung absterben sieht. Die Ausbildung der Keimstoffe und ihrer Ernährung durch die mütterliche Spongillide zerstört zumteil und schwächt dessen Gewebe. Allein es ist ebenso richtig, dass andere Exemplare auch nach der vollendeten Ausbildung der Geschlechtsprodukte weiterleben (Weltner). Absterbende Schwämme trifft man zu jeder Jahreszeit an, und bei der perennierenden Form haben wir den Tod gerade nach Überstehung der Winterzeit häufiger gesehen. Da man nun im Sommer stets nur entweder männliche oder weibliche Schwämme und keine Neutra antrifft, und alle diese Schwämme im Sommer nach der Fortpflanzung[S. 206] absterben müssten, so erklärt man sich nicht, wie man zu jeder Zeit Exemplare von der verschiedensten Grösse findet.
In seinen vorzüglichen Beobachtungen über die Bewegungserscheinungen der Süsswasserschwämme teilt Lieberkühn dieselben ein in solche, welche die einzelne Zelle betreffen, und solche, welche der ganze Schwamm oder ein grösserer Teil desselben ausführen. Zu den ersteren gehört die amöboide Beweglichkeit der Zellen im Schwammkörper, die Kontraktion und die Neubildung gewisser in diesen Zellen und den Geisselzellen vorkommenden mit Flüssigkeit gefüllten Alveolen, die Zusammenziehung und Ausdehnung der kontraktilen Faserzellen, das Vergehen und Entstehen der Poren, die Bewegung der Geisseln der Kragenzellen und der Spermatozoen. Lieberkühn berichtet über die Bewegungserscheinungen der amöboiden Zellen in ausführlicher Weise. „Die Bewegungen“, sagt er, „sind äusserst langsam und fast niemals direkt sichtbar. Es entsendet eine Zelle lange spitze Fortsätze, welche ihren Durchmesser bedeutend übertreffen, eine andere, entfernt liegende Zelle schickt ihr gleiche, eben so lange entgegen; es dringen auch Körnchen in die entsandten Fortsätze hinein; bald verschwinden die Fortsätze wieder und treten neue an einer andern Stelle der Zelle hervor, dabei ändert die Zelle selbst beständig ihre Gestalt; wenn sie kugelig war, wird sie eiförmig oder vieleckig, oder breitet sich in eine dünne Scheibe aus; die Kerne von zwei Zellen nähern sich bisweilen so, dass man glaubt, sie gehören einer Zelle an, und rücken alsdann bald wieder aus einander; oft sieht man auch nur lange und breite Streifen im Gewebe, welche sich spalten und wieder vereinigen, ohne dass man eine Zelle aufzufinden vermag, zu der sie gehören.“ Wir müssen es uns versagen, alle die ausgezeichneten Beobachtungen mitzuteilen, welche Lieberkühn uns überliefert hat. Nach einer später anzugebenden Methode kann man sich geeignetes Material beschaffen, an welchem sich alle diese Beobachtungen wiederholen lassen, und wir empfehlen die[S. 207] Spongillide als ein sehr dankbares Objekt zum Studium der Bewegungserscheinungen.
Was die Bewegung einzelner Teile des Schwammes anlangt, so beginnen wir mit dem Oskularrohr, weil die Gestaltsveränderungen desselben schon den früheren Beobachtern aufgefallen sind: Dutrochet (1828) und Bowerbank (1857) beschreiben dieselben in ausführlicher Weise. Aber Lieberkühn erst wies nach, dass diese Veränderungen auf die Bewegung der Zellen zurückzuführen sind. Ein solches Oskularrohr sieht man tagelang unverändert an derselben Stelle, während es zu anderen Zeiten in wenigen Minuten verschwindet und nach geraumer Zeit wieder entsteht; oder es wird an einer anderen Stelle ein neues gebildet. Eine schon vorhandene Röhre kann sich gabeln und jedes Röhrchen erhält ein Ausströmungsloch. Die Zusammenziehung einer Oskularröhre geschieht sehr langsam. Nur auf einen plötzlichen Reiz mit der Nadel oder durch bedeutende Temperaturveränderung des Wassers, durch Alkohol, Säuren etc. geschieht dieselbe sehr schnell. Deshalb werden beim Abtöten der Süsswasserschwämme in Alkohol die Ausströmungsröhren stets bis fast zum Verschwinden gebracht. — Der im Leben ausgedehnte röhrenförmige Fortsatz zeigt eine ziemlich glatte Oberfläche; indem er sich zusammenzieht, wird die Wandung zusehends dicker und höckerig durch die zusammengedrängten Zellen, deren Grenzen jetzt deutlich sichtbar sind. Die Kontraktion kann soweit gehen, dass die ganze Röhre die Gestalt eines Zellenhaufens annimmt oder gänzlich verschwindet. Die kürzeste Zeit der Zusammenziehung ist eine Minute; es ist aber die Kontraktion meistens nur eine vorübergehende und die Ausdehnung ist der bleibende Zustand. Ganz dasselbe gilt für die Zellen selbst und Lieberkühn vergleicht ihre Zusammenziehung und Ausdehnung mit der des Muskels.
Die besprochene Verlängerung und Verkürzung der Röhre ist nicht zu verwechseln mit einem ganz anderen Vorgang, der auf Wachstum beruht. Indem Zellen aus dem Schwamminnern in die Röhre einwandern, kann sich dieselbe verlängern oder auch verdicken. Wir haben daher bei den Bewegungserscheinungen[S. 208] einzelner Teile zwischen blosser Bewegung und Bewegung verbunden mit Wachstum zu unterscheiden.
Ähnliche Bewegungen sehen wir auch an der äusseren Haut des Schwammkörpers, die von Carter und Lieberkühn genauer geschildert worden sind.
Auch die Art und Weise, in welcher sich kleine, aus dem Schwammkörper geschnittene Stückchen auf eine Glasplatte anheften, rechnet Lieberkühn hierher, es gehört aber diese Erscheinung ebenso wie die Anheftung der schwimmenden Larve an ihre Unterlage oder wie die des aus der Gemmula kriechenden Keimes unter die zuerst genannten Bewegungen. Das diesbezügliche findet man bei Lieberkühn, Carter, Götte und Maas.
Es kommt sogar bei unserem Schwamm eine Bewegung des ganzen Körpers vor. Es sind freilich nur junge Spongilliden, bei denen diese Erscheinung beobachtet wird. Lieberkühn sah, wie sich ein 2½ Monate alter Schwamm beständig hin und her bewegte, ohne eigentlich vom Platze zu rücken. Aber an einem jungen Schwamme konstatierte er, wie sich derselbe von seiner Unterlage ablöste und an einer anderen Stelle festsetzte. Auch Marshall[84] hat über eine solche Ortsveränderung Mitteilung gemacht.
Die erste Unterscheidung der Süsswasserschwämme geschah nach ihrer äusseren Gestalt. Wie wir aber gesehen haben, kann man nur eine einzige Art (Eusp. lacustris) und diese auch nur im ausgewachsenen Zustande an ihrer busch- oder baumförmigen Gestalt erkennen. Man hat sich daher genötigt gesehen, die Gestalt der Skelett- und Gemmulaenadeln zur systematischen Unterscheidung zu benutzen (Ehrenberg, Lieberkühn). Ausser diesen Skelettelementen hat man neuerdings auch den Bau der Gemmulaschale zur Erkennung benutzt. In der That bietet die Beschaffenheit der genannten Teile die einzige Möglichkeit, die Arten von einander zu unterscheiden, wenn man nicht gewisse histiologische Besonderheiten herbeiziehen will. — Nun sind aber die Gemmulae,[S. 209] die hauptsächlich zur Erkennung der einzelnen Arten dienen, nicht integrierende Bestandteile des Spongillidenkörpers und man ist deshalb öfters in die Verlegenheit gesetzt, einen Süsswasserschwamm nicht bestimmen zu können. Man thut daher gut, bei der Bestimmung oder beim Sammeln von Schwämmen sich von dem Vorhandensein der Gemmulae zu überzeugen.
Wir geben im folgenden eine kurze Beschreibung der deutschen Arten und wollen auch die beiden übrigen europäischen Arten, die sich wohl bei näherer Nachforschung auch in Deutschland finden werden, berücksichtigen.
Familie Spongillidae, Süsswasserschwämme.
Skelett aus einachsigen Kieselnadeln bestehend, welche durch Spongiolin zu einem netzförmigen Gerüst verbunden sind. Bei den einheimischen Arten unterscheidet man an denselben Haupt- und Verbindungsfasern. Die Spongiolinsubstanz hüllt entweder die Nadelzüge vollständig ein oder sie ist schwach entwickelt und verkittet nur die Enden der Nadeln mit einander. Fleischnadeln vorhanden oder fehlend. Die kugeligen Geisselkammern münden seitlich in ausführende Kanäle, welche nach ihrer Vereinigung zu weiteren Bahnen endlich in eine einzige grosse Höhle, die Kloakenhöhle, sich vereinigen oder getrennt von einander in einen unmittelbar unter der äusseren Haut liegenden Ausströmungsbezirk von oft sternförmiger Gestalt sich ergiessen. Ausser der geschlechtlichen Fortpflanzung kommt noch eine ungeschlechtliche durch innere Keime (Gemmulae) vor. Sie leben mit einer einzigen Ausnahme nur im süssen oder im brackischen Wasser. Kosmopolitisch.
Das System und die folgende Beschreibung der Arten ist entlehnt aus Vejdovskys Darstellung in dem Werke von Potts; den Beschreibungen haben wir einige Bemerkungen hinzugefügt.
A. Unterfamilie Spongillinae (Carter).
Gemmulae entweder einzeln oder in Gruppen vereinigt, gewöhnlich mit einer Luftkammerschicht umgeben, in welcher an beiden Enden zugespitzte, fast stets gedornte Nadeln liegen.
I. Gattung Spongilla (Autt.).
Mit langen, glatten Skelettnadeln und kurzen, geraden oder gekrümmten, glatten oder rauhen Fleischnadeln. Gemmulae entweder nackt oder mit einer äusseren Luftkammerschicht, in welcher die Belagsnadeln entweder tangential oder radiär oder ganz unregelmässig liegen.
a) Untergattung Euspongilla (Vejdovsky).
Gemmulae immer einzeln im Schwamme liegend.
1. Euspongilla lacustris (Autt.).
Der Schwamm bildet gewöhnlich baum- oder buschförmig verzweigte Massen auf einer krustenförmigen Basis von geringerer (Fig. 36) oder grösserer (Fig. 37 S. 212) Ausdehnung. Unter Umständen, z. B. an stark fliessenden Stellen, kommt es nicht zur Ausbildung der charakteristischen fingerförmigen Fortsätze und Zweige, sodass klumpenförmige Massen entstehen (Fig. 38). Kleinere Exemplare sind einfach krustenförmig, ebenso gestaltete Exemplare[S. 211] von nicht unbeträchtlicher Grösse findet man selbst in ruhigen Gewässern um Teichrohrstengel gewachsen; an solchen Exemplaren in ruhigem Wasser tritt aber früher oder später die Bildung von Ästen auf. Die Farbe ist grasgrün, gelblich, grauweiss oder braun.[S. 212] Das Skelett besteht aus Gerüst- und Fleischnadeln. Die Gerüstnadeln sind gerade oder leicht gekrümmt, scharf, aber allmählich zugespitzt und glatt. Sie sind zu Bündeln mit einander vereinigt, welche durch stark entwickelte Spongiolinsubstanz ganz eingehüllt werden und lange, starke Stäbe bilden (Hauptfasern), welche die Zweige der Länge nach durchziehen und nach der Peripherie derselben dünnere Äste aussenden. An ihren Enden laufen diese Hauptfasern dünn aus. Die stärkeren Bündel in der Achse eines Zweiges am Schwamme bestehen aus 20–30 vollständig in der Kittsubstanz liegenden Nadeln. Diese Längsfaserzüge oder Hauptfasern sind durch wenige kurze Nadelbrücken mit einander verbunden, welche in unregelmässigen Abständen von einander entfernt sind. Diese Verbindungsfasern sind meist nur an ihren Enden durch Spongiolinsubstanz an die[S. 213] Hauptfasern angekittet oder sie liegen ganz in der Kittmasse eingeschlossen. Bei solchen Exemplaren, welche einfache Krusten bilden, stehen die Hauptfasern senkrecht auf der Unterlage. — Durch den geschilderten Bau des Gerüstes erlangt der Schwamm eine gewisse Festigkeit und ist schwieriger zerreissbar als Sp. fragilis und Eph. fluviatilis. — Die Spongiolinsubstanz ist in Kalilauge unlöslich, wodurch sich Eusp. lac. von allen anderen Arten unterscheiden lässt (Dybowski). — Die Fleischnadeln sind in wechselnder Anzahl vorhanden; sie können in einem Schwamm in ungeheuerer Menge auftreten (var. Lieberkühnii Noll), in anderen häufig, in noch anderen sehr sparsam sein. Sie sind meist leicht gekrümmt und vollständig mit feinen Dörnchen besetzt, selten sind sie glatt. Die Gemmulae treten in verschiedenen Formen auf. Es giebt nackte, d. h. einer äusseren Luftkammerschicht entbehrende, die nur wenige oder gar keine Nadeln tragen. Andere Gemmulae sind mit einer dünneren oder dickeren Luftkammerschicht bedeckt, welche nach aussen durch eine deutliche Membran abgeschlossen ist, in anderen Fällen fehlt dieselbe. In dieser Luftkammerschicht liegen die Belagsnadeln entweder in radiärer oder in tangentialer Lage auf der Gemmula oder sie sind auf ihr ohne alle Ordnung zerstreut. Sie stellen kurze, weniger oder mehr, mitunter bis zum Kreise gekrümmte und mit dicken Dornen versehene Spikula dar, und sind nur selten ganz glatt. Die Gemmulae liegen im ganzen Schwamme zerstreut, dessen Weichteil nach ihrer Ausbildung vollständig zu Grunde geht, während das Skelettgerüst mit den Gemmulae in seinen Maschen oft den Winter hindurch erhalten bleibt. In anderen Fällen zerfällt auch dieses. — In stehendem und fliessendem Wasser in ganz Deutschland. Es scheint die gemeinste Art zu sein und ist auch im finnischen Meerbusen im Brackwasser gefunden worden (Dybowski).
Als eine Lokalform von dieser Art betrachten wir die von Retzer beschriebene „Spongilla rhenana“. Dieser bisher nur am Faschinengesträuch im Altrhein bei Eggenstein unweit Karlsruhe gefundene Schwamm überzieht als dünne Kruste Holzstücke, Gesträuch und dergl. und sendet wenige, kleine Fortsätze aus oder wächst auch an manchen Stellen zu dicken Klumpen an. Seine[S. 214] Farbe ist grün. Die Skelettnadeln sind gerade oder leicht gebogen und gehen entweder plötzlich in eine scharfe oder allmählich in eine weniger scharfe Spitze über. Sie bilden zu Bündeln vereinigt ein dichtes Netz. Die Gemmulae haben die Form und Grösse derjenigen von Eusp. lacustris, der Porus zeigt aber einen breiten flachen Trichter. Auf der inneren Hülle der Gemmulaschale liegt eine sehr dünne Luftkammerschicht, in welcher die Zellen in zwei- bis dreifacher Lage übereinander liegen. In dieser Schicht sind die Belagsnadeln gewöhnlich tangential, wenige radiär angeordnet. Die sehr variable Gestalt lässt drei Hauptformen unterscheiden. Die häufigsten sind solche, welche den Skelettnadeln ähneln, andere, in geringer Anzahl vorhandene, die sich auch einzeln im Weichteil finden, sind glatt und in gleichen, nicht sehr grossen Abständen an den Enden zweimal geknickt, drittens giebt es leicht gebogene, in der Mitte verdickte Nadeln. Die Gemmulae liegen überall im Schwamm zerstreut. Bemerkenswert ist, dass an ihnen Nebenpori vorkommen, deren drei bis sechs gesehen wurden. Ungefähr jede zehnte Gemmula hat neben dem Hauptporus einige seitliche Trichter.
Dieser aus Vejdovsky und Retzer entnommenen Beschreibung fügen wir nur hinzu, dass der Schwamm auch grössere, verzweigte Äste treibt und dass unter den doppelt geknickten Gemmulaenadeln auch fein bedornte vorkommen. — Vejdovsky hat diese Retzersche Art beibehalten. Wierzejski[80] betrachtet dieselbe nur als eine „lokale Form, vielleicht eine Abnormität der Euspongilla lacustris“. Wir schliessen uns der Auffassung, dass man es hier mit einer Lokalform zu thun habe, an.
b) Untergattung Spongilla (Wierzejski).
Zwei bis dreissig Gemmulae liegen in einer stark entwickelten, deutlich zelligen Luftkammerschicht eingebettet oder die Gemmulae bilden eine pflastersteinartige Kruste in ebenso gestalteter Luftkammerschicht an der Basis des Schwammes. In der Luftkammerschicht liegen rauhe und glatte Nadeln zerstreut.
[S. 215]
2. Spongilla fragilis (Leidy) (Fig. 39).
Der Schwamm ist nie verzweigt und scheint meist eine glatte Oberfläche zu haben. Die Farbe ist weisslich, hellgrau, graubraun, braun, seltener grün. Die Skelettnadeln sind fast gerade oder nur leicht gebogen, scharf zugespitzt und glatt. Die Spongiolinsubstanz ist schwach entwickelt, der Schwamm ist daher sehr leicht zerreissbar. Die Belagsnadeln der Gemmulae bilden eine dichte Kruste auf ihr, sie sind gerade oder gekrümmt und tragen viele kleine Dornen. Sie übertreffen gewöhnlich an Länge und Dicke diejenigen von Eusp. lacustris. Die kleinen, rundlichen Gemmulae tragen ein verlängertes, gewöhnlich etwas gebogenes Porusrohr, welches aus der dicken Luftkammerschicht hervorragt. Die grossen Zellen der Luftkammerschicht sind radiär um die Gemmulae geordnet. Diese erscheinen in zwei Formen, die an der Basis des Schwammes liegenden sind flach, die im Schwammkörper in Gruppen zu zwei oder drei bis dreissig und mehr vereinigten Gemmulae bilden kugelige oder halbkugelige Massen.
Lebt in stehendem und fliessendem Wasser und gehört in Deutschland zu den gemeineren Arten.
B. Unterfamilie Meyeninae (Carter.)
Gemmulae gewöhnlich einzeln. Sie sind von einer Luftkammerschicht umgeben, in welcher Amphidisken (Stäbe mit einer Querscheibe an jedem Ende) in einer oder in mehreren Lagen übereinander vorkommen. Die Amphidisken haben gezackte oder ganze Ränder.
II. Gattung Trochospongilla (Vejdovsky).
Ausgezeichnet durch die glatten (bei einer ausländischen Art) oder rauhen Skelettnadeln und durch den glatten Rand der Amphidisken, welche an der Basis einer hohen Luftkammerschicht eingebettet liegen.
[S. 216]
3. Trochospongilla erinaceus (Ehrenberg) (Fig. 40).
Der Schwamm überzieht als weissliche oder strohgelbe Kruste von geringerer oder grösserer Ausdehnung fremde Körper. Die Skelettnadeln sind scharf zugespitzt und bis auf die beiden Enden mit sehr starken Dornen besetzt. Die Spongiolinsubstanz ist stark entwickelt und setzt dem Zerreissen des Schwammes einen Widerstand entgegen, der grösser als bei den übrigen Meyeninen ist. Die Amphidisken haben die Form einer Garnspule. Die Luftkammerschicht besteht aus radiär gestellten Säulen, deren jede aus übereinander liegenden Zellen gebildet wird. In dieser Schicht liegen oft Nadeln, welche den Gerüstspikula gleichen, aber von geringeren Dimensionen sind.
Auch diese Art lebt in stehenden und fliessenden Gewässern Deutschlands und scheint selten zu sein. Sie wurde bei uns bisher gefunden: Sabor in Schlesien (Ehrenberg), Spree in Berlin (Lieberkühn, Weltner), Tegelsee bei Berlin (Weltner), Hellensee bei Lanke (Weltner).
III. Gattung Ephydatia (Lamouroux).
Die Skelettnadeln sind entweder ganz glatt oder ganz rauh oder es finden sich beide Sorten in einem Schwamm. Die mit gezackten Rändern versehenen Amphidisken liegen in ein-, zwei- oder selbst dreifacher Schicht in der Luftkammerschicht. Die Amphidisken sind entweder alle von gleicher Länge oder sie sind ungleich lang. Fleischnadeln vorhanden oder fehlend.
4. Ephydatia Mülleri (Lieberkühn).
Diese Art bildet Krusten mit einer glatten oder unregelmässigen Oberfläche, an der man oft kurze Zapfen (Fig. 41) oder blattförmige oder mäandrisch gewundene Fortsätze sieht. Selten scheinen verzweigte Exemplare vorzukommen. Die Farbe ist weiss, gelb, gelbbraun oder hellgrün. Die Skelettnadeln sind entweder ganz glatt oder ganz rauh, oder es finden sich sowohl glatte als rauhe Nadeln in ein und demselben Schwamme. Die Rauhigkeit[S. 217] der Nadeln ist entweder nur eine geringe oder sie tritt sehr deutlich als kleine Höcker auf, die aber stets kleiner sind als bei Trochosp. erinaceus. Die Nadeln sind gerade oder schwach gekrümmt, scharf zugespitzt und zu Bündeln vereinigt, deren Kittmasse weniger stark als bei der eben genannten ist. Die Luftkammerschicht ist in geringerer oder grösserer Mächtigkeit vorhanden. Die Amphidisken bilden entweder nur eine, zwei oder selten drei Lagen um die Gemmula. Im letzteren Falle ist die dritte Lage keine ununterbrochene. Die Amphidisken haben einen dicken Schaft; die Zähne der Endscheiben sind entweder glatt oder an ihren Rändern gezähnt. — Ganz charakteristisch für diese Art sind die Blasenzellen des Weichteiles, welche modifizierte, mit einer sehr grossen, amylumhaltigen Flüssigkeitsalveole ausgestattete Zellen der Bindesubstanzschicht sind [Wierzejski[79]].
Diese Art wurde von Lieberkühn nach Exemplaren aus der Spree aufgestellt. Die Amphidisken der in diesem Flusse lebenden Eph. Mülleri zeigen einen kurzen Schaft und Endscheiben, welche wenig aber tief eingezackt sind.
In stehenden und fliessenden Gewässern verbreitet in ganz Deutschland.
[S. 218]
5. Ephydatia fluviatilis (Autt.).
Krustenförmige Massen von sehr wechselnder Gestalt bildend, es kommen ganz flache Krusten vor, daneben andere, die mehr klumpige Form erreichen. Die Oberfläche ist entweder glatt (Fig. 42) oder mit seichten Buckeln, oder mit spitzigen kurzen Fortsätzen (Fig. 43), oder mit rippenförmigen, öfters gewundenen Erhabenheiten versehen. Wenn der Schwamm Verzweigungen zeigt, so rühren diese von dem Substrat her, welches derselbe überzogen hat (Fig. 44).
Die Farbe ist smaragdgrün, hellgrün, hellisabellgelb, schmutzig-weiss oder weiss. Die glatten, schlanken, allmählich oder plötzlich scharf zugespitzten, leicht gekrümmten Skelettnadeln sind wie bei[S. 219] Sp. fragilis nur durch wenig Spongiolinsubstanz mit einander verbunden; der Schwamm ist daher leicht zerreissbar und brüchig. Öfters finden sich unter den Nadeln auch kurze, dicke oder auffallend lange und dicke Formen. Die Gemmulae sind gelblich und haben eine dicke Hülle, die Luftkammerschicht hat eine äussere Kutikula. Die Amphidisken sind daher ganz in der Luftkammerschicht eingeschlossen und bilden eine einfache Lage in derselben. Der Schaft ist dünn, glatt oder bedornt und oft in der Mitte etwas eingezogen. Er ist doppelt so lang, als der Durchmesser der Scheiben beträgt. Diese sind am Rande durch ihre zahlreichen, nicht tiefen Einschnitte ausgezeichnet. Doch finden sich häufig Exemplare, bei denen die mit langem Schafte ausgestatteten Scheiben nur wenige tiefe Einschnitte zeigen.
Sehr gemein in stehenden und fliessenden Gewässern in Deutschland. Auch im Brackwasser, so in der Untertrave bei Travemünde, deren Wasser 0.34% Salzgehalt zeigt (Lenz). Auch in der Dievenow bei Cammin in Pommern, welche bis zu der genannten Stadt von dem eindringenden Seewasser durchschnittlich 2–3mal im Monat während eines Jahres schwach versalzt werden soll (Weltner).
6. Ephydatia bohemica (Petr).
Der Schwamm bildet kleine grüne Polster. Die Skelettnadeln sind gerade oder leicht gekrümmt und mitunter fein bedornt. Diese Art ist durch ihre zahlreichen Fleischnadeln von den übrigen Meyeninen unterschieden. Die Nadeln sind gerade oder ein wenig gebogen und mit dornenähnlichen, oft am Ende gerundeten Fortsätzen bewehrt. Die Gemmulae tragen eine grosse Pore, deren[S. 220] Rand nach oben in einen breiten Trichter ausläuft, selten ist an Stelle des Trichters ein kurzes Rohr entwickelt. Die Amphidisken sind fast alle gleich lang, die längeren ragen über die Luftkammerschicht hervor. Ihre gedornten Schäfte sind schlank und länger als der Durchmesser der Scheiben, welche ziemlich regelmässig und tief gezackt sind. Die Zacken sind fein gekerbt.
Dieser Schwamm, welcher vielleicht nur eine Übergangsform zu der folgenden Gattung darstellt, ist bisher nur bei Kvasetice im Bezirk Deutschbrod (Böhmen), an Euspongilla lacustris sitzend, von Fr. Petr gefunden.
IV. Gattung Carterius (Potts).
Mit glatten Skelettnadeln und dornigen Fleischspikula. Die Gemmulae tragen ein langes, gerades Porusrohr, dessen Spitze eine unregelmässig gelappte Scheibe trägt. In der Luftkammerschicht liegen Amphidisken von zweierlei Länge, die einen haben eine Länge, welche der Dicke der Luftkammerschicht gleichkommt, die anderen sind länger und ragen mit ihrer Scheibe über jene Schicht hinaus.
7. Carterius Stepanowi (Dybowski) (Fig. 45).
Der Schwamm ist nur von geringen Dimensionen und bildet (selbständige?) Verzweigungen. Die Farbe ist blassgrün. Die Skelettnadeln sind glatt, gerade oder gebogen und scharf zugespitzt. Die zahlreich vorhandenen Fleischnadeln haben eine gebogene oder gerade Gestalt und sind mit Dornen besetzt, welche in der Mitte der Nadel am stärksten sind. Das Porusrohr an den Gemmulae ist gerade oder leicht gebogen und endet in eine gelappte Scheibe. Die Luftkammerschicht besteht aus zahlreichen kleinen Zellen. Es sind zweierlei Amphidisken vorhanden; die längeren, über die Oberfläche der Gemmula hinausragenden betragen etwa ein Drittel oder die Hälfte aller Amphidisken, welche sämtlich an den Schäften mit starken Dornen bewehrt sind.
[S. 221]
Gefunden in Europa bisher nur in einem See (Wilikoje) bei Charkow (Dybowski) und in einem Teich bei Deutschbrod in Böhmen (Petr).
Anhang.
Wir müssen hier noch einer von Joseph erwähnten Spongilla stygia gedenken. Diese neue Form wurde in der Grotte Gurk in Unterkrain von Joseph gefunden und ist völlig durchsichtig. Die Nadeln sind glatt und an einem Ende keulenförmig verdickt. Nach Marshall[85] sollen die Gemmulae wirklich fehlen. Es wäre wünschenswert, diese neue Art genauer zu studieren.
Tabellen zur Bestimmung von Spongilliden sind nach dem jeweiligen Standpunkte unserer Kenntnis dieser Tiere von Dybowski 1878[86], Vejdovsky[87], Potts und Girod[88] gegeben worden. Wir entwerfen hier einen Schlüssel für die europäischen Formen.
0
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Gemmulae mit Amphidisken
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1
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Gemmulae ohne Amphidisken
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5
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1
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Die Ränder der Amphidisken sind ganzrandig,
Skelettnadeln mit starken Dornen besetzt
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Trochospongilla erinaceus.
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Die Ränder der Amphidisken sind gezackt,
Skelettnadeln glatt oder rauh
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2
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2
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Fleischnadeln vorhanden; unter den Amphidisken
lassen sich deutlich zwei Sorten, längere und kürzere, unterscheiden
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3
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Fleischnadeln fehlend; Amphidisken alle ziemlich
gleich lang
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4
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3
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Porus der Gemmula in ein langes Rohr ausgezogen
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Carterius Stepanowi.
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Porus der Gemmula in einen breiten Trichter
ausgehend oder (selten) in eine kurze Röhre verlängert
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Ephydatia bohemica.
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4
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Amphidisken mit langem Schaft, Endscheiben meist mit
zahlreichen aber nicht sehr tiefen Einschnitten. Luftkammerschicht
mit dünner Kutikula umschlossen. Skelettnadeln glatt. Spongiolinsubstanz
schwach entwickelt
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Ephydatia fluviatilis.
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Amphidisken mit kurzem Schaft, Endscheiben oft nur
mit wenigen aber tiefen Einschnitten. Luftkammerschicht ohne äussere
Kutikula. Skelettnadeln glatt oder rauh oder beide Sorten vorhanden.
Spongiolin ziemlich reichlich
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Ephydatia Mülleri.
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5
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Gemmulae zu 2–30 in Gruppen in einer dicken, deutlich
zelligen Membran eingeschlossen. Der grösste Teil der Gemmulae bildet an
der Basis des Schwammes eine kontinuierliche einfache Lage, in einer ebenso
gestalteten Membran eingebettet. Fleischnadeln fehlen
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Spongilla fragilis.
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Gemmulae immer einzeln in den Maschen des
Schwammgerüstes steckend. Fleischnadeln vorhanden
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Euspongilla lacustris.
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Wenn diejenigen Spongien, welche man, vielleicht nicht ganz mit Recht, als eine eigene Familie der Spongillidae anderen Familien gegenübergestellt hat, auch vorzugsweise Bewohner des süssen Wassers sind, so haben wir doch schon erfahren, dass auch einzelne Arten im brackischen Wasser leben können. Wir fügen dem jetzt hinzu, dass auch in den Gewässern Floridas Spongilliden gefunden worden sind, welche gelegentlich in versalztem Wasser zu leben gezwungen sind (Potts 1890). Ja, es fehlt auch nicht an solchen Arten, die sowohl das süsse Wasser als das Meer bewohnen, da die von Pallas im Baikalsee entdeckte Spongia baicalensis (Pall.) nunmehr auch im Behringsmeer entdeckt worden ist (Dybowski).
[S. 223]
Alle Süsswasserschwämme leben vorzugsweise auf festen, abgestorbenen oder doch nicht mehr lebenden Gegenständen; eine Auswahl wird dabei nicht getroffen. Es kommt ihnen nicht darauf an, einen alten Schuh, einen Nagel, ein Stück Leder, einen Fetzen Tuch, eine alte Muschel oder Eierschale zur Unterlage zu benutzen. Seltener wachsen sie auf lebenden Baumwurzeln oder Konchylien. Schlamm ist ihr ausgesprochener Feind und nur Potts erwähnt einen Fall, in welchem sich eine Spongillide auf Schlammboden angesiedelt hatte. Auch in der Spree lebt Eusp. lacustris im Schlamm; an solchen Exemplaren ist aber stets der im Schlamme steckende Teil abgestorben.
Die Tiefen, in denen diese Schwämme leben, sind sehr verschieden. Bei uns werden sie dicht unter der Wasseroberfläche gefunden und sie steigen bis 4 m hinab. Forel fand im Lac de Joux noch in 20 m Tiefe eine Spongillide, vermisste die Schwämme aber in der Tiefenregion des Genfersees (von 15 m an bis zur grössten Tiefe des Sees von 334 m). Auch bei uns scheinen die Schwämme in der Tiefe der Seen zu fehlen; Grundproben, in denen Schwammnadeln gefunden wurden, beweisen nicht das Vorkommen von lebenden Schwämmen am Boden, da, wie wir in der Einleitung erwähnt haben, absterbende Spongillidenstücke häufig auf der Wasseroberfläche treiben können. Dagegen hat Dybowski den Baikalseeschwamm in einer Tiefe von 100 m gefunden. Dieser Schwamm ist hier in 2–6 m Tiefe rasenförmig, in 6–25 m baum- oder strauchförmig und in 25–100 m wieder rasenförmig. Fügen wir noch hinzu, dass die im Bodensee in 12–15 Klaftern Tiefe lebende Spongilla friabilis von Wartmann (Esper, „Pflanzenthiere“ II. 1794), das sogenannte „Fischbrot“, wohl kaum ein Schwamm ist, so hätten wir über die Tiefenverhältnisse das wichtigste erwähnt.
Wir haben schon Gelegenheit gehabt, den Einfluss des Lichtes auf die Farbe unserer Schwämme zu betonen. Viele und wohl die meisten sind am Lichte lebend grün. Andere ebenfalls dem Lichte ausgesetzte zeigen statt des grünen ein braunes Pigment, welches ganz anders gestaltet ist als jenes. Sowohl die grünen als[S. 224] die braunen Formen sind an immer beschatteten Lokalitäten gelblich oder gänzlich farblos. Kräpelin sammelte gelbliche und farblose Exemplare in den Röhren der Hamburger und de Vries reinweisse Stücke in den Kanälen der Rotterdamer Wasserleitung.
Die Höhen, in denen Süsswasserschwämme vorkommen, erstrecken sich nach den bisherigen Beobachtungen bis auf etwa 1900 m. Al. Brandt erwähnt (Zool. Anzeiger 1879 u. 1880) ihr Vorkommen in zwei armenischen Alpenseen. In zahlreichen Seen der Schweiz hat man sie gefunden (Du Plessis-Gouret, Forel, Imhof). Sie fehlen auch in unseren Gebirgsseen nicht, wie ihr Vorkommen im Schwarzwald (Retzer) und in den Maaren der Eifel (Zacharias) beweist, während sie im Kleinen und Grossen Teiche des Riesengebirges vermisst werden.
Die Art der Verbreitung.
Die Verbreitung kann durch Teilung, Larven und Gemmulae geschehen. Was es mit der Teilung auf sich hat, ersieht man aus den Auseinandersetzungen auf S. 200. — Die Verbreitung durch Larven und Gemmulae wird bei den in Flüssen lebenden Schwämmen vorwiegend auf passivem Wege geschehen; die Fortpflanzungskörper werden, dem Laufe des Stromes folgend, flussabwärts schwimmen, bis sie an einem Gegenstande haften bleiben. Nur in den stillen Buchten können die Larven, wie es im allgemeinen in den von der Strömung weniger beeinflussten Teichen und Seen der Fall ist, aktiv zur Verbreitung der Art dienen. Auch hier wird diese eine langsame sein, da die Larven schwerlich grössere Reisen in horizontaler Richtung auszuführen imstande sind. Dazu ist ihre Schwärmzeit zu kurz. Wir haben zwar Larven, welche im Oktober ausgeschwärmt waren, noch längere Zeit lebend im Aquarium beobachtet; nach tagelangem Umherirren starben sie aber, ohne sich festzusetzen, am Boden des Gefässes ab.
Weit wichtiger für die räumliche Verbreitung der Art sind die Gemmulae und wir sehen nun, dass diese einem doppelten Zweck dienen. Sie ermöglichen erstens die Fortexistenz der Spezies überhaupt (s. oben S. 201) und zweitens deren Verbreitung.[S. 225] Wenn es auch eine Anzahl Arten giebt (z. B. Sp. fragilis und Troch. erinaceus bei uns), bei denen ein Teil der Gemmulae ganz fest an ihre Unterlage gekittet ist, so fallen doch auch hier die lose im Skelett liegenden aus, wie es bei den meisten Gemmulae der übrigen Arten der Fall ist. Es wird also an einem Süsswasserschwamm der eine Teil der Gemmulae den Schwamm an derselben Stelle wieder erzeugen, an welcher der Mutterschwamm wuchs, der andere Teil der Gemmulae wird zerstreut. Isoliert man frische, ausgebildete Gemmulae unserer Arten, so sieht man, dass der eine Teil an die Oberfläche des Wassers steigt, während der andere untersinkt. Wir kennen die Ursache dieser Erscheinung noch nicht, obwohl schon Turpin (1838) schwimmende Gemmulae bekannt waren. — Die Art, in welcher die sich vom Schwamme loslösenden Gemmulae verbreitet werden können, hängt vom Bau der Hüllen dieser Körper ab. Sie ist in einer kurzen Schrift vorzüglich erläutert worden [Marshall[85]], deren Resultate wir hier wiedergeben.
Bei einer Anzahl tropischer Arten sind die Gemmulae mit einer dicken Luftkammerschicht ausgerüstet. Zur Zeit der Trockenheit werden solche Gemmulae leicht durch den Wind hinweggetragen und zerstreut. „Passiv beweglich mit aërostatischem Apparat — Flugform (der trockenen Jahreszeit).“
Dann giebt es Gemmulae, welche auf dem Wasser schwimmend zur Verbreitung dienen. Das ist z. B. bei Eusp. lacustris der Fall. Die Gemmulae dieser Kategorie tragen Belagsnadeln, mit denen sie sich hie und da anheften. „Passiv bewegliche Schwimmform mit Ankerapparat zum Treiben auf der Oberfläche vor dem Winde.“
Wieder andere Gemmulae, z. B. Ephyd. fluviatilis, sind durch ihren Amphidiskenbelag schwerer und besser geschützt als die der vorhergehenden Sorte. Sie sinken zu Boden und werden fortgerollt; sie kommen ihrer Schwere wegen eher zur Ruhe. „Schwimmform mit Hemmapparat zur langsamen Fortbewegung in fliessendem Wasser.“
Die geologische Verbreitung der Spongilliden scheint sich bis in den Jura zu erstrecken. Wenigstens weisen einige Nadeln, die[S. 226] man in jurassischen Süsswasserablagerungen gefunden, darauf hin (Young). Auch hat Carter im Diluvium von Altmühl in Bayern Nadeln beschrieben, welche fast ganz den Spikula von Spongilla Mackayi gleichen.
Zur Zeit der Gemmulabildung stellen sich zahlreiche niederste Tiere ein, um an dem im Zerfall begriffenen Weichteil unserer Schwämme Mahlzeit zu halten. Lieberkühn hat eine Anzahl solcher Wesen aufgeführt, welche er besonders in Spongilliden zur Winterzeit antraf. Wir wiederholen ihre Namen nicht, da ihre Reihe nicht erschöpfend ist und wir selbst durch Hinzufügen einiger anderer die Liste nicht beenden würden.
Dagegen leben an und in einer frischen, in üppigem Wachstum befindlichen Spongillide eine Anzahl Organismen, die wir zweckmässig in zwei Gruppen sondern: Parasiten und Kommensalen.
Der Parasiten sind nur wenige. Dybowski schildert einen Flohkrebs, den er Gammarus parasiticus nennt, und der auf der Oberfläche des von uns schon so oft genannten Süsswasserschwammes des Baikalsees lebt. Dieses Tier ist von grüner Farbe und wird, wenn man es isoliert hält, gelblich. Es nährt sich also von dem grünen Pigment (Zoochlorellen) der Spongillide. Auch eine andere Art, einen Gammarus violaceus Dyb., ebenfalls vom Baikalsee, lernen wir durch diesen Forscher als einen gelegentlichen Bewohner des Schwammes kennen, er zeigt sich dann in grüner Färbung, var. virens. — Ein anderer Parasit ist von Jackson in England beobachtet. Es ist ein peritriches Infusor, Cyclochaeta spongillae tauft es der Autor, welches auf der Oberfläche und den oberflächlichen grünen Partien der Euphyd. fluviatilis lebt. — Ein diesem sehr nahestehendes Infusor, vielleicht eine Trichodina, lebt nach Alenitzin in Süsswasserschwämmen (Bütschli, Bronn, „Klass. u. Ordn. d. Tierreichs“. Bd. I, p. 1808). — Auch bei uns nährt sich ein Tier vom Süsswasserschwamm. Zur Winterzeit sammelt man[S. 227] öfters im Tegelsee Exemplare des perennierenden Schwammes, welche grosse Gänge einer Phryganidenlarve zeigen. Wir haben ein solches Exemplar mit zwei dieser Larven in Fig. 46 abgebildet. Diese Tiere fressen sich gewöhnlich vom Rande her in den Schwamm hinein und bohren sich mit dem Kopfe so tief in das Gewebe, dass man die Gehäuse erst ablösen muss, um der Tiere selbst sichtbar zu werden. Sie nähren sich, vielleicht aus Not, von dem grünen Schwamme, denn sie zeigen einen grüngefärbten Leib. Sie scheinen seit ihrer Erwähnung von Pallas, „Elenchus Zoophytorum“, 1766, nicht wieder gefunden worden zu sein.
Als einen Übergang von Symbiose zum Parasitismus bezeichnen M. und A. Weber[75] das Vorkommen einer Fadenalge Trentepohlia (Chroolepus) spongophila, in Süsswasserschwämmen Sumatras. Diese grünen Algen leben in farblosen Exemplaren von Ephyd. fluviatilis und erzeugen besonders um die Oskula herum grüne Flecke. Ausser dieser Alge erwähnen die genannten Autoren noch eine Anzahl anderer, welche nur gelegentliche Gäste der Schwämme sind.
Als Kommensalen der Spongilliden sind uns nur folgende bekannt geworden. Sehr häufig lebt in den Kloakenhöhlen oder in grösseren Löchern der Schwämme, und wie es scheint besonders in Ephyd. fluviatilis, die Larve einer Neuroptere: Sisyra (Branchiotoma) spongillae Westw. Sie wurde in den Süsswasserschwämmen von Hogg entdeckt und steckt mit dem Kopfe nach aussen gerichtet im Schwamme. — Weit häufiger als dieses Tier lebt ein anderes auf der äusseren Haut unserer Schwämme. Man kann einige hunderte gezüngelter Würmchen, Nais proboscidea, von ein und demselben Schwammexemplar erhalten. — Einige Male trafen wir auch eine kleine Cladocere aus der Gruppe der Lynceiden auf der äussern Haut des Schwammes an. Besonderes Interesse verdient ein unscheinbares, nur[S. 228] 0.02 mm langes, aber in der Spongillide sehr häufig anzutreffendes Tierchen. Es ist eine Acinetine: Podophrya fixa, welche schon Lieberkühn erwähnt. Wir haben kaum einen Schwamm untersucht, in dessen Kanälen dieses Tier nicht zugegen war. Am lebenden Schwamm kann man es beobachten, wie es geduldig an ein und derselben Stelle der Kanalwand festgeheftet sitzt, seine langen Saugröhrchen nach Beute ausstreckend. Welcher Art ist diese Nahrung? Nährt sich das Tier von den eingedrungenen, zerfallenen organischen Bestandteilen oder muss es auf die günstige und, wie wir glauben, seltene Gelegenheit lauern, ein eingedrungenes Infusor oder ein anderes Glied aus der Reihe der Protozoen zu erhaschen? Oder ist es gar ein Parasit des Schwammes? — Wir haben nur selten ein gestieltes Exemplar dieser Podophrya zu Gesicht bekommen und müssen es unentschieden lassen, ob wir in ihm die ungestielte Abart der Podophrya fixa oder die Podophrya libera Perty zu erblicken haben. — Ganz im Gegensatze hierzu steht das Vorkommen von Milbenlarven (Atax? Noll), die wohl eher einen Schutz, als Nahrung, in den Kanälen des Schwammes suchen. Sie scheinen nicht allzuhäufig zu sein, obwohl sie auch bei Berlin mehrmals gefunden wurden.
Bei dem Sammeln von Süsswasserschwämmen kommt es auf den Zweck an, den man dabei verfolgt. Wünscht man sich nur die Schwämme als Schaustücke für Sammlungen zu beschaffen, so muss man natürlich ganze, möglichst unverletzte Exemplare zu erhalten suchen und das ist im allgemeinen viel schwieriger als das Sammeln von Material, welches man zu anatomisch-histiologischen oder entwickelungsgeschichtlichen Untersuchungen braucht, für welche unversehrte Schwammexemplare nicht nur unnötig, sondern sogar ungeeignet sind.
Bei hohem Wasserstande oder bei tief wachsenden Schwämmen kann man sich manchmal nur durch Tauchen helfen,[S. 229] um die Stücke in gutem Zustande an die Oberfläche zu bringen. In anderen Fällen, wenn die Schwämme an losen Gegenständen, Baumreisern, Brettern, Steinen etc., sitzen, genügt ein bootshakenähnliches Instrument, an welchem unten ein Beutel befestigt ist. Wir haben auch am Grunde der Spree mit dem Schleppnetz manch schönes Stück erhalten, allein man ist dabei zu sehr dem Zufall anheimgegeben. Die an grossen Balken, Pfeilern etc. angehefteten Stücke wird man zweckmässig mit dem Kratzer ablösen, falls man sie nicht mit dem Messer abheben kann. Die so erhaltenen Exemplare sind zwar nie ganz vollständig erhalten, aber doch noch brauchbar. Übrigens wird es bei öfteren Besuchen eines an Spongilliden reichen Wassers auch einmal gelingen, ihnen mit der Hand bequem beizukommen. — Das Sammeln der Schwämme geschieht zweckmässig zweimal im Jahre. Im Frühling oder Herbst findet man die Gemmulae in den Schwämmen, letztere sind in den Sommermonaten am üppigsten entwickelt. Wir möchten auch das Augenmerk auf die perennierenden Spongilliden richten. Oft haben wir uns in den Wintermonaten, auf der klaren, dünnen Eisdecke liegend, an dem Anblick erfreut, den solch ein kleiner Wald abgestorbener Schilfstengel, welche mit schön grün gefärbten Schwämmen besetzt sind, am Grunde des Tegelsees bietet.
Die auf die eine oder andere Art gesammelten Exemplare kann man trocken oder in Spiritus aufbewahren. Die zu trocknenden tötet man zweckmässig sofort nach dem Entnehmen aus dem Wasser in starkem Alkohol und trocknet sie erst nach einigen Stunden an der Luft. Man erhält so ein gutes Präparat, an dem vorzüglich die äussere Haut als glänzende Membran hervortritt (Möbius). Will man einen Schwamm in Spiritus aufbewahren, so muss man den Alkohol, in welchem das Stück abgetötet wurde, nach einigen Stunden mehrmals wechseln. Das Abtöten geschieht in 96%-Alkohol, da der Schwamm äusserst wasserhaltig ist; zum Konservieren genügt 75%-Spiritus. Um einen Schwamm, den man zu konservieren wünscht, zu töten, ist es nötig, schnell zu verfahren. Man wählt sich in dem von Spongilliden bewohnten Wasser ein gutes Exemplar aus, löst es unter Wasser von seiner[S. 230] Unterlage oder bringt es mit derselben bis an die Wasseroberfläche und zieht es nun schnell aus dem Wasser, schwenkt es behutsam von dem in den Kanälen steckenden Wasser aus und bringt es schnell in Alkohol. Hat man nur kleinere Stücke und viel Alkohol zur Verwendung, so braucht man den Schwamm nicht erst von seinem eingesogenen Wasser zu befreien. Jedenfalls ist ein längeres Betrachten eines aus dem Wasser gezogenen Schwammes nicht am Platze; wer den Schwamm im Leben kennen lernen will, muss ihn im Aquarium beobachten, und wer Bau und Struktur zu erkennen wünscht, muss sich gutes in Alkohol konserviertes Material beschaffen. Um ein solches zu anatomischen und histiologischen Untersuchungen des Weichteiles zu erhalten, kann man nicht die ganzen Schwämme verwenden. Man braucht hierzu kleine bis 1 cm grosse Stückchen, die man unter Wasser aus dem Schwamme ausschneidet und sofort in absol. Alkohol oder in 96%igem, den man aber bald wechseln muss, abtötet (F. E. Schulze). Noch besser werden die Zellen einer Spongillide fixiert, indem man die Stückchen in Überosmiumsäure oder Sublimatlösung bringt, auswäscht und in starkem Alkohol konserviert. Man muss dann solche Stücke in Böhmerscher Hämatoxylinlösung oder in Boraxkarmin färben, um die Einzelheiten zu erkennen. Für manche Teile ist eine Doppelfärbung nötig, z. B. um den Kern der reifen Eier und ihrer Furchungskugeln vom Dotter unterscheiden zu können. Fiedler hat hierüber das Nähere angegeben. Derselbe Autor hat zum Abtöten der Spongillidenstückchen verschiedene Mittel angewandt. Man wird aus der Arbeit Fiedlers[89] ersehen, dass man zur Erkennung verschiedener Strukturen verschiedene Wege einschlagen muss. Die so vorbereiteten Stücke werden mittels des Mikrotoms in dickere und dünnere Schnitte zerlegt.
Die nach dieser Methode gewonnenen Resultate muss man unbedingt am lebenden Schwamm kontrollieren. Man wird sich dann überzeugen, was natürlich ist und was künstlich hervorgebracht war. Um den Schwamm im Leben anatomisch zu studieren, kann man sich eines jungen, aus einer Gemmula oder Larve gezogenen bedienen. Oder man kann auch grössere, bis ½ cm grosse Stücke[S. 231] verwenden, die man auf folgende Weise erhält. Aus einem ganz frischen Schwamme schneidet man schnell mit einem scharfen Messer senkrecht zur Oberfläche dünne Scheiben von ½–2 mm Dicke. Diese setzt man in ein kleines mit Wasserpflanzen (Elodea) besetztes Aquarium auf Objektträger. Nach einigen Tagen haben solche Stücke Haut und Oskulum neu entwickelt und sind meist an dem Glase festgewachsen. Man nimmt nur diejenigen aus dem Aquarium, deren Oskularrohr an der Seite liegt, bedeckt sie mit einem Deckglas und kann lange Zeit an ihnen Beobachtungen machen. Nur muss man darauf achten, ob aus dem Oskulum beständig der Wasserstrom austritt, um sicher zu gehen, dass man einen lebenden Schwamm vor sich hat. Man wird sich nun von der Formveränderlichkeit aller zelligen Elemente des Schwammes überzeugen. „Every living part of the sponge that is soft is subject to polymorphism.“ Carter.
Den Bau des Skelettes erkennt man, indem man von dem im Alkohol konservierten Material mit der Hand dünne Schnitte macht und diese in absoluten Alkohol, Terpentin und dann in Kanada-Balsam bringt. Der zwischen dem Gerüste liegende Weichteil stört zwar, aber man ist sicher, von dem Skelett nichts verloren zu haben.
Ausserdem muss man sich aber vom Weichteil ganz befreite Gerüstpräparate in folgender Weise beschaffen. Man nimmt dazu einen frischen Schwamm, aus dem man in verschiedenen Richtungen dünne Scheiben schneidet. Diese maceriert man bei Ofenwärme in starkem Ammoniak (zuerst von F. E. Schulze bei Hornschwämmen angewandt). Die Lösung des Weichteils geschieht sehr schnell. Man erhält das Skelett rein, indem man sehr behutsam mit Wasser und dann mit Alkohol auswäscht. Um die Spongiolinsubstanz sichtbar zu machen, färbt man mit Eosin oder Karmin. Bei der Maceration fallen immer eine Anzahl Nadeln aus, man vergleicht deshalb diese Präparate mit denen, an welchen Gerüst und Weichteil vorhanden sind. Noll hat zum Macerieren Eau de Javelle angewandt, Girod[88] gebraucht auch Sodalösung. Das erstere wirkt sehr energisch und zerstört oft mehr als man wünscht. — Die Herstellung der Präparate von isolierten Nadeln geschieht[S. 232] durch Kochen eines Stückchens der Spongillide in Salzsäure. Ist alles zerfallen, so füllt man das Reagensglas mit Wasser voll, schüttelt um und lässt absetzen. Das Auswaschen muss so lange fortgesetzt werden, bis das Wasser säurefrei ist. Die Nadeln bettet man in Kanada-Balsam ein; in Glycerin oder Glyceringelatine treten sie nicht hervor. Bei dem Auswaschen verliert man viele Belagnadeln der Gemmulae. Die Fleischnadeln von Eusp. lacustris gehen, wenn man schnell verfährt, fast ganz verloren. Man muss deshalb auch Zupfpräparate vom Schwamme untersuchen. Dagegen bietet Eusp. lacustris, und zwar nur diese Art, die Möglichkeit, ein vollständiges Skelettgerüst grösserer Teile des Schwammes darzustellen. Da hier die mächtig entwickelte Spongiolinsubstanz in Kalilauge unlöslich ist, so kann man grössere Zweige hierin kochen und erhält sehr zierliche weisse Gerüstbäumchen. Verwendet man zum Kochen eine starke Kalilauge, so bleibt von dem Skelett nichts als die Spongiolinsubstanz zurück, weil die Lauge die Nadeln (Kieselsäureanhydrit) auflöst. In solchen Präparaten treten dann die Nadeln als Lücken in der Kittmasse hervor (Dybowski).
Die Struktur der Gemmulaschale lehren Dünnschnitte kennen, die man nicht zu färben braucht. Um den Bau des Keimes zu erforschen, muss man Dünnschnitte einer Doppelfärbung unterwerfen, sonst lassen sich Kerne und Dottermaterial kaum von einander unterscheiden. Auch hier muss man zur Kontrolle das lebende Objekt untersuchen.
Die Entwickelung des jungen Schwammes aus der Larve wird am besten mit dem Horizontalmikroskop verfolgt. Daneben sind Dauerpräparate anzufertigen.
Auf die Einzelheiten der hier angegebenen Manipulationen gehen wir nicht weiter ein. Die wenigen Bemerkungen werden genügen mit dem Hinweise, dass man das Übrige aus den Arbeiten Lieberkühns und Carters, ferner bei Potts, Girod[88], Fiedler und Maas[90] ersehen kann. Und endlich probiert jeder, kontrolliert die von anderen angegebenen Methoden und findet selbst die Mittel und Wege, mit und auf denen er zum Ziele kommt.
[S. 233]
Ein vollständiges Verzeichnis der Arbeiten über Süsswasserschwämme existiert nicht. Man findet Litteratur bis zum Jahre 1842 bei G. Johnston, A history of British Sponges and Lithophytes. Eine Liste der Arbeiten bis 1882 hat W. Dybowski, Studien über die Süsswasserschwämme des russischen Reiches in Mém. Acad. Imp. St. Pétersbourg, VIIᵉ série, T. XXX, No. 10 gegeben. Beide Verzeichnisse sind zwar nicht erschöpfend, aber man kann mit ihnen weiterarbeiten. Wem die Abhandlung von Dybowski nicht zur Hand ist, kann sich die Litteratur aus den Verzeichnissen über Spongienwerke von Bowerbank, A Monograph of the British Spongiadae, Vol. 4. 1882, dann besonders von G. C. J. Vosmaer, Spongien, Bronns Klassen und Ordnungen des Tierreichs, II. Bd. 1882–87, und von R. v. Lendenfeld, A Monograph of the Horny Sponges. London 1889, beschaffen. In dem zuletzt genannten Werke findet man eine vorzügliche Zusammenstellung aller wichtigen Arbeiten über Spongien. —
Die Litteratur über die grünen Körper der Spongilliden ersieht man aus K. Brandt, Über die morphologische und physiologische Bedeutung des Chlorophylls bei Tieren. Mittlg. Zool. Stat. Neapel, Bd. 4. 1883. — Wir fügen diesem Verzeichnis noch hinzu: J. E. Gray, On the Situation and Rank of Sponges in the Scale of Nature. The Zool. Journ. Vol. I. 1824.
In folgendem geben wir nur ein Verzeichnis der wichtigeren Werke, welche nach Carters erster Arbeit (1848) erschienen sind. Die Zahlen vor den Autornamen beziehen sich auf die Verweise in unserem Texte.
[Bei einigen Literaturstellen handelt es sich um allgemeine Nachschlagewerke, denen im Text keine direkten Verweise gegenüberstehen. Diese werden im Folgenden mit Zahlen gefolgt von runden Klammern dargestellt. (Anmerkung des Bearbeiters)]
1) J. S. Bowerbank, Further Report on the Vitality of the Spongiadae. Rep. 27. Meeting Brit. Assoc. Advanc. Sc. 1857, p. 121–125. London 1858.]
2) H. J. Carter, dessen zahlreiche Arbeiten in den Annals and Magazine of Natural History, London. Vol. 1, p. 303–311. 1848. — Vol. 4, p. 81–100. 1849. — Vol. 14, p. 334–335. 1854. — Vol. 17, p. 101–127. 1856. — Vol. 18, p. 39–45.[S. 234] — Vol. 20, p. 21–41. 1857. — Vol. 3, p. 1–20. 1859. — Vol. 3, p. 331–343. 1859. — Vol. 14, p. 97–111. 1874. — Vol. 16, p. 1–40. 1875. — Vol. 10, p. 362–372. 1882. — Vol. 12, p. 329–333. 1883. — Vol. 15, p. 18–20. 1885.]
3) W. James Clark, The American Spongilla, a craspedote, flagellate Infusorian. Americ. Journ. Sc. Vol. 2, p. 426–436. 1871.]
4) W. Dybowski, Studien über die Spongien des russischen Reiches mit besonderer Berücksichtigung der Spongienfauna des Baikalsees. Mém. Acad. Impér. Sc. St. Pétersbourg, VIIᵉ série, T. 27, No. 6, p. 1–71. 1880.]
5) W. Dybowski, Studien über die Süsswasserschwämme des russischen Reiches. Das., T. 30, No. 10, 26 p. 1882.]
6) W. Ganin, Beiträge zur Kenntniss und Entwickelung der Spongien. Warschau 1879. 88 p. (Russisch!)]
7) P. Girod, Les Éponges des Eaux douces d’Auvergne. Trav. Labor. Zool. Girod. Clermont-Ferrand. T. 1. 11 p. 1888.]
8) Al. Goette, Untersuchungen zur Entwickelungsgeschichte von Spongilla fluviatilis. Hamburg und Leipzig. 64 p. 1886.]
9) Fr. Hilgendorf, Zwei Arbeiten in Sitzungsberichte Ges. Naturf. Fr. Berlin 1882, p. 26. — 1883, p. 87–90.]
10) G. H. Hinde, On some new Species of Uruguaya, Carter, with Remarks on the Genus. Ann. Mag. Nat. Hist. Vol. 2, p. 1–12. 1888.]
11) H. Jackson, On a New Peritrichous Infusorian (Cyclochaeta spongillae). Quart. Journ. Micr. Sc. Vol. 15, No. 5, p. 243–49. 1875.]
[S. 235]
12) N. Lieberkühn, dessen zahlreiche Arbeiten im Archiv für Anatomie, Physiologie und wissenschaftliche Medizin von Joh. Müller. 1856, p. 1–19, p. 399–414, p. 496–514. — 1857, p. 376 bis 403. — 1859, p. 353–382, p. 515–529. — 1863, p. 717 bis 730. — 1865, p. 732–748. — 1867, p. 74–86.]
13) N. Lieberkühn, Ueber Protozoen. Zeitschr. wiss. Zool. Bd. 8, p. 307–310. 1857.]
14) N. Lieberkühn, Ueber Bewegungserscheinungen der Zellen. Schrift. Ges. Beförd. Gesammt. Naturw. zu Marburg. Vol. 9, p. 335 bis 385. 1872. (Die Arbeit erschien schon 1870.)]
15) O. Maas, Zur Metamorphose der Spongillalarve. Zool. Anz. Jahrg. 12, p. 483–487. 1889.]
16) Ed. v. Martens, Ueber einige Ostasiatische Süsswasserthiere. Arch. f. Nat. Jahrg. 34, Bd. 1, p. 61–64. 1868.]
17) E. Metschnikoff, Spongiologische Studien. Zeitschr. wiss. Zool. Bd. 32, p. 349–387. 1879.]
18) F. C. Noll, Beiträge zur Naturgeschichte der Kieselschwämme. Abh. Senckenb. Nat. Ges. Bd. 15. 58 p. 1888.]
19) Fr. Petr, drei Arbeiten in Sitzungsber. kön. böhm. Ges. Wiss. Prag. Math.-naturw. Klasse. 1885, p. 99–111. — 1886, p. 147–174. — 1887, p. 203–214.]
[S. 236]
20) F. Vejdovský, drei Arbeiten in Sitzungsber. kön. Böhm. Ges. Wiss. Nat. Kl. Prag. 1883, p. 328–340. — 1884, p. 167 bis 172. — 1886, p. 175–189.]
21) F. Vejdovský, Einiges über Spongilla glomerata. N. Zool. Anz. Jahrg. 9, p. 713–15. 1886.]
22) F. Vejdovský, Diagnosis of the European Spongillidae. Erschien in dem Werk von Potts, No. 30, p. 172–180.]
23) G. C. J. Vosmaer, Spongien. Bronns Kl. u. Ordn. d. Tierreichs. II. Bd. 1882–87. 498 p.]
24) W. Weltner, Zwei Arbeiten in Sitzungsber. Ges. Naturf. Freunde Berlin. 1886, p. 152–157. — 1888, p. 18–22.]
25) A. Wierzejski, Le développement des Gemmules des Éponges d’eau douce d’Europe. Arch. Slav. Biol. T. 1, p. 23 bis 47. 1886.]
26) John T. Young, On the occurence of a Freshwater Sponge in the Purbeck Limestone (Spongilla purbeckensis). The Geolog. Magaz. Vol. 5, p. 220–221. 1878.]
[72] W. Retzer, Die deutschen Süsswasserschwämme. Inaug.-Diss. 30 p. Tübingen 1883.
[73] Edw. Potts, Contributions towards a Synopsis of the American Forms of Freshwater Sponges, with descriptions of those named by other authors and from all parts of the world. Proceed. Acad. Nat. Sc. Philadelphia 1887, p. 158–279. (Hauptwerk über Systematik. Enthält auch die zahlreichen früheren Arbeiten von demselben Autor; viele interessante Beobachtungen über die Biologie.)
[74] M. Weber, Spongillidae des indischen Archipels. Zool. Ergebnisse einer Reise in Niederl. Ost-Indien. 1. Heft, p. 30–47. Leiden 1890.
[75] M. u. A. Weber, Quelques nouveaux cas de Symbiose. Das. p. 48–72.
[76] E. Ray Lankester, On the Chlorophyll-corpuscles and amyloid Deposits of Spongilla and Hydra. Quart. Journ. Micr. Sc. Vol. 22, p. 229–254. 1882.
[77] C. Keller, Ueber Spermabildung bei Spongilla. Zool. Anz. Jahrg. 1, p. 314–315. 1878.
[78] C. Keller, Ueber den Bau von Reniera semitubulosa Ow. Zeitschr. wiss. Zool. Bd. 30, p. 563–586. 1878.
[79] A. Wierzejski, Bemerkungen über Süsswasserschwämme. Zool. Anz. Jahrg. 10, p. 122–126. 1887.
[80] A. Wierzejski, Beitrag zur Kenntnis der Süsswasserschwämme. Verh. Zool.-bot. Ges. Wien. Jahrg. 1888, Bd. 38, p. 529–536.
[81] R. v. Lendenfeld, Die Süsswasser-Cölenteraten Australiens. Zool. Jahrb. Vol. 2, p. 87–108. 1887.
[82] W. Marshall, Über einige neue von Herrn Pechuël-Loesche aus dem Congo gesammelte Kieselschwämme. Jenaische Zeitschr. für Naturw. Vol. 16, p. 553–577. 1883.
[83] R. v. Lendenfeld, Experimentelle Untersuchungen über die Physiologie der Spongien. Zeitschr. wiss. Zool. Bd. 58, 297 p. 1889 (Referat im Biol. Centralbl. Bd. 10. 1890).
[84] W. Marshall, Einige vorläufige Bemerkungen über die Gemmulae der Süsswasserschwämme. Zool. Anz. Jahrg. 6, p. 630 bis 634, p. 648–52. 1883.
[85] W. Marshall, Vorläufige Bemerkungen über die Fortpflanzungsverhältnisse von Spongilla lacustris. Sitzungsber. Naturf. Ges. Leipzig. Jahrg. 1884, p. 22–29.
[86] W. Dybowski, dessen Arbeiten in den Sitzungsberichten der Naturforschenden Gesellschaft zu Dorpat. Vol. 4, 1878, p. 527–534. Vol. 6, 1884, p. 507–515. Vol. 7, 1885–86, p. 44–45, p. 64–75, p. 137–139, p. 295–298. Ferner im Zoolog. Anzeig. Jahrg. 7, 1884, p. 476–480.
[87] F. Vejdovský, Die Süsswasserschwämme Böhmens. Abhandl. kön. Akad. Ges. Wiss. Math.-nat. Kl. Prag. Vol. 12. 44 p. 1883.
[88] P. Girod, Les Spongilles. Leur recherche, leur préparation, leur détermination. Revue scientif. Bourbonnais et du Centre de la France. T. 2, 11 p. 1889.
[89] K. Fiedler, Über Ei und Spermabildung bei Spongilla fluviatilis. Zeitschr. wiss. Zool. Bd. 47, p. 85–128. 1888.
[90] O. Maas, Über die Entwicklung des Süsswasserschwamms. Zeitschr. wiss. Zool. Bd. 50, p. 527–554. 1890.
[S. 237]
Von Dr. Otto Zacharias in Plön (Holstein).
[S. 239]
Zusammen mit den im nächsten Kapitel zu schildernden Rädertieren (Rotatoria) machen die Turbellarien einen ansehnlichen Bestandteil der Süsswasserfauna aus, und es dürfte wohl kaum einen Bach, Fluss, Tümpel oder See geben, worin nicht wenigstens eine oder die andere Art jener kleinen, abgeplatteten Würmchen zu finden wäre, deren Körperoberfläche mit einem dichten Wimperbesatze ausgestattet ist. Die einzelnen Cilien dieser flimmernden Hautbedeckung wirken wie zahllose winzige Ruder und ermöglichen es den Tierchen, gewandt und schnell durchs Wasser zu gleiten. Dabei entsteht in unmittelbarer Nähe derselben ein beständiger Strudel, der durch eingestreute Karminkörnchen für jedes Auge sichtbar gemacht werden kann. Wegen dieses eigentümlichen Nebenumstandes, der mit der Ortsbewegung jener Geschöpfe verknüpft ist, nennt man dieselben „Strudelwürmer“ oder Turbellarien — eine Bezeichnung, die nicht ohne Weiteres verständlich ist.
Um sich derartige Tiere zu verschaffen, braucht man bloss dem nächstgelegenen Teiche Wasserpflanzen (besonders Fadenalgen und Meerlinsen) zu entnehmen und dieselben — mit Wasser von derselben Lokalität übergossen — in geräumigen Glasschalen ruhig stehen zu lassen. Schon nach einigen Stunden wird man bei dieser Prozedur die Wahrnehmung machen, dass zahlreiche Würmchen aus dem Pflanzengewirr hervorkommen und nun an den Wänden der Glasgefässe langsam umherkriechen. Von da können[S. 240] sie leicht mit einem Spatel oder mit Hilfe eines Glasröhrchens weggenommen werden.
Im allgemeinen sind die stehenden Gewässer reicher an Turbellarien als die fliessenden, und während in manchen Wasseransammlungen nur einige wenige Arten gefunden werden, giebt es wieder andere, die eine Fülle von verschiedenen Spezies darbieten. Letzteres ist z. B. der Fall hinsichtlich des kleineren von den beiden bekannten Hochseen des Riesengebirges; hier habe ich selbst das Vorkommen von nicht weniger als 19 Turbellarienspezies festgestellt[91], darunter solche, die zu den allerseltensten gehören. Und dabei ist jener See (im Volksmunde „Kleiner Koppenteich“ genannt) nur etwa 255 Ar (= 10 Morgen) gross.
Alle Strudelwürmer des Süsswassers haben ihren Aufenthalt in der Uferzone oder auf dem Grunde der Seen und Teiche. Im freien, pflanzenleeren Wasser findet man sie niemals, mit einziger Ausnahme von Castrada radiata, einer winzigen, glashell durchsichtigen Form, welche eine bedeutende Schwimmfähigkeit besitzt. Diese Spezies habe ich mehrfach mit dem feinen Netz aus der Mitte des Müritz-Sees (in Mecklenburg) gefischt.
Was die Jahreszeit anlangt, welche für den Turbellarienfang am geeignetsten ist, so hat man die Erfahrung gemacht, dass im Hochsommer weniger Spezies gefunden werden, als im zeitigen Frühjahr und besonders kurz nach der Schneeschmelze. Diese Wahrnehmung bestätigt sich nicht bloss bezüglich der Gewässer des flachen Landes, sondern auch an den Gebirgsseen. Den Grund für diese Erscheinung hat man höchst wahrscheinlich mit in dem Umstande zu erblicken, dass während der heissen Sommermonate der Sauerstoffgehalt der meisten Wasseransammlungen stark verringert ist, oder vielleicht auch darin, dass die zu jener Zeit lebhafter vor sich gehende Zersetzung vegetabilischer Stoffe vielen Arten verderblich wird.
[S. 241]
Bei einem Blicke auf die Turbellarienfauna unserer Gewässer unterscheidet man sogleich zwei Haupttypen, nämlich einesteils grössere platte Würmer von 1–2 cm Länge, bei denen ein baumförmig verästelter Darm durch die Haut hindurch wahrnehmbar ist, und andernteils kleine (nur wie winzige Fadenfragmente aussehende) Würmchen, deren Verdauungskanal eine einfach gestreckte (stabartige) oder sackähnliche Gestalt besitzt. Man unterscheidet demgemäss rhabdocöle und dendrocöle Strudelwürmer. Letztere werden ihres abgeflachten Körpers halber auch „Planarien“ genannt. Fig. 47 und 48 veranschaulichen in schematischer Weise die den Darmtractus (d) betreffenden Unterschiede. Damit sind aber bei beiden Hauptabteilungen auch noch andere Abweichungen im Bau verbunden, die wir sogleich etwas näher ins Auge fassen wollen.
(Rhabdocoelida, L. v. Graff.)
Wenn man einen zu dieser Gruppe zählenden Strudelwurm seiner augenfälligsten Beschaffenheit nach skizzieren soll, so kann das etwa wie folgt geschehen. Ein solches Tier besitzt einen schlauchförmigen Körper und einen in diesen eingeschlossenen Behälter (Darm) für Aufnahme und Verdauung der Nahrung. Die Mundöffnung ist je nach den einzelnen Gattungen bauchständig (Mesostoma) oder terminal (Vortex). Alle Rhabdocöliden sind afterlos. Zwischen Darm und Leibesschlauch liegen die Fortpflanzungsorgane, welche einen zwitterartigen Charakter tragen. Die Begattung ist dieser Einrichtung gemäss stets eine wechselseitige. In manchen Gattungen (Microstoma, Stenostoma) kommt[S. 242] aber neben der geschlechtlichen auch eine ungeschlechtliche Vermehrung vor und letztere bildet mehrfach sogar die Regel. Das zierliche Meerlinsenkettchen (Catenula lemnae) z. B. pflanzt sich ganz ausschliesslich auf diese Weise fort.
Zum besseren Verständnis des Geschlechtsapparates der Rhabdocölen diene die untenstehende Abbildung (Fig. 49), in welcher die hauptsächlich in Betracht kommenden Teile desselben schematisch dargestellt sind.
Die zentral liegende Geschlechtsöffnung (pg) führt zunächst in das Atrium genitale (a), einen erweiterungsfähigen Hohlraum, der jederseits den Ausführungsgang des Keim- und Dotterstockes (ks und ds) aufnimmt, während sich an seinem oberen (resp. vorderen) Ende das männliche Zeugungsorgan (p) inseriert, welches mit den beiden Hoden (h) in Verbindung steht. Die reife Keimzelle gelangt nach ihrer Ablösung vom Keimstocke in jenes Atrium und nimmt hier eine entsprechende Portion Dottermasse in sich auf. Dann erfolgt die Befruchtung durch ein anderes hermaphroditisches Individuum der nämlichen Spezies, welches seinen Penis (p) durch den Porus genitalis bei pg einführt. Die Umhüllung des nunmehr entwickelungsfähig gewordenen Eies mit einer schützenden Chitinschale — zu welcher das Material von besonderen Drüsen oder vom Zellenbelag der Atriumwand geliefert wird — bildet den Schluss zu diesen Vorgängen.
Die geschilderten Verhältnisse finden wir indessen nur bei den höchstorganisierten Rhabdocöliden-Familien (bei Mesostomiden, Vorticiden u. s. w.), während z. B. die einfacher gebauten Macrostomiden (Fig. 52 S. 256) der gesonderten Dotterstöcke ermangeln und lediglich Ovarien besitzen. An letzteren zeigt aber der untere Abschnitt die merkwürdige Eigenschaft, Dotterkörnchen produzieren zu können, sodass die heranreifenden Keimzellen jenes[S. 243] Sekret aus ihrer unmittelbaren Umgebung zu beziehen und sich auf Kosten desselben zu vergrössern im stande sind.
Zwischen diesem primitiven Verhalten und dem Geschlechtsapparate mit vollständig getrennten Keim- und Dotterstöcken vermittelt der bei Prorhynchus stagnalis vorliegende Fall, wo sich die einheitliche Eierstocksdrüse in zwei verschieden funktionierende Abschnitte differenziert hat, von denen der eine bloss Keimzellen, der andere nur Dotterflüssigkeit sezerniert. Durch räumliche Sonderung jener beiden Drüsenhälften, also durch eine allmählich eingetretene Arbeitsteilung zwischen denselben, haben wir uns die zuerst beschriebene und in Fig. 49 dargestellte Einrichtung hervorgegangen zu denken.
Bei der Mehrzahl der Rhabdocöliden besteht eine Duplizität der weiblichen Geschlechtsdrüsen; doch giebt es auch einige Gattungen (Vortex, Mesostoma, Gyrator), bei denen sie nur in einfacher Anzahl erscheinen. Eine Reduktion der männlichen Drüsen ist seltener zu konstatieren, doch kommt sie gleichfalls bei Gyrator und noch einigen anderen Gattungen vor.
Zur genaueren Orientierung über den Bau der Turbellarien ist es erforderlich, dass wir nach Betrachtung der Generationsorgane nun auch den ungegliederten, weichen Körper und den Verdauungsapparat derselben einer näheren Analyse unterziehen. Ersterer besteht, wenn wir bei unserer Untersuchung von innen nach aussen gehen, aus einem mächtig entwickelten Hautmuskelschlauche, dessen Zusammensetzung aus Längs- und Querfasern, welche parallel und unmittelbar an einander liegen, schon den älteren Forschern bekannt war. Jene Fasern besitzen bei 0.0005 bis 0.002 mm Breite eine oft sehr bedeutende Länge; wenigstens lassen sich an Zupfpräparaten nicht selten Fragmente von 0.5 bis 0.9 mm isolieren. Ihrer sonstigen Beschaffenheit nach sind sie homogen, stark lichtbrechend, glatt und kernlos. Je nach den einzelnen Arten und Gattungen weist der Hautmuskelschlauch eine verschiedene Anordnung seiner Elemente auf. Bei manchen Spezies liegen die Längsfasern zu innerst und werden von einer äusseren Ringfaserschicht umgeben. Dies ist z. B. der Fall bei Mesostoma Ehrenbergii.[S. 244] Bei einer nahe verwandten Art (Mesostoma lingua) befindet sich zwischen beiden Schichten noch eine solche aus Diagonalfasern, und bei Microstoma lineare ist die Zusammensetzung des Muskelnetzes gerade umgekehrt, nämlich so, dass die Längsfasern die äussere, die Ringfasern die innere Schicht bilden. Auf diesen (seiner Gestalt nach sehr veränderungsfähigen) Muskelschlauch folgt die sogenannte Basalmembran, ein gallertartiges Häutchen von feinkörniger Struktur, welches dem Turbellarienkörper Festigkeit verleiht und zugleich dem darüber liegenden Epithel zur Unterlage dient.
Letzteres besteht aus einer einfachen Zellenlage, deren einzelne Elemente durch eine Kittsubstanz mit einander verbunden sind. Zwischen ganz flachen Epithelzellen und hohen cylindrischen existieren bei den verschiedenen Spezies alle möglichen Übergänge. Jede solche Zelle besitzt, je nach ihrer Gestalt, einen scheiben- oder spindelförmigen Kern und mehrere feine Protoplasmafortsätze (Cilien), die in ihrer Gesamtheit das charakteristische Wimperkleid darstellen, womit die Körperoberfläche aller Strudelwürmer bedeckt ist. Bei manchen Spezies lässt sich über dem Epithel noch eine äusserst feine Kutikula nachweisen, welche mit zahllosen winzigen Öffnungen für den Durchtritt der Cilien versehen ist. Mit Hilfe einer einprozentigen Höllensteinlösung habe ich dieses äusserst zarte Gebilde an frischen Exemplaren von Macrostoma viride, Microstoma lineare und Stenostoma leucops deutlich sichtbar gemacht. Man lässt zu diesem Zwecke einen einzigen Tropfen jener Flüssigkeit unter das Deckglas laufen und kann dann unterm Mikroskop wahrnehmen, wie sich jenes glashelle, doppelt contourierte Häutchen auf einzelnen Strecken oder auch im ganzen Umkreise des Wurmes binnen wenigen Minuten abhebt. Bei der zuletzt genannten Art geschieht die Loslösung so schnell, dass zur Herstellung des betreffenden Präparates oft nur einige Sekunden erforderlich sind.
Ausser den Cilien kommen bei gewissen Gattungen von Rhabdocöliden auch noch längere, borstenähnliche Epithelfortsätze vor, die vielfach zitternde oder schwingende Bewegungen ausführen. Bei Macrostoma viride (Fig. 52) sind diese „Geisselhaare“[S. 245] über den ganzen Körper verbreitet; die längsten stehen aber am vorderen und hinteren Ende des Tierchens. Das Gleiche sehen wir bei Macrostoma hystrix und anderen Vertretern desselben Genus. Auch bei der von E. Sekera neuerdings beschriebenen Bothrioplana alacris[92] finden wir (am vorderen Saume des Kopfes) starre Borsten, die — wie es den Anschein hat — zur Vermittelung von Tastempfindungen dienen.
Als eigentümliche Einlagerungen treten in der Haut bei fast allen Strudelwürmern des Süsswassers ausserordentlich winzige Stäbchen (Rhabditen) auf, welche — zu kleinen Paketen oder Bündeln vereinigt — sich über die gesamte Leibesoberfläche verteilen. Ihre Entstehung nehmen diese bald nadel-, bald keulenförmigen Gebilde in besonderen Zellen, die dem zwischen Darm und Hautmuskelschlauch sich ausspannenden Bindegewebe, welches als Parenchym bezeichnet wird, angehören. Von hier aus rücken die Stäbchen auf eine noch nicht hinlänglich festgestellte Weise bis zum Epithel vor und dringen in die Zellen desselben ein, wo sie dauernd verbleiben. Bei manchen Rhabdocöliden ist auch das Parenchym selbst mit zahlreichen Rhabditen durchsetzt, und sie bilden dann im Innern desselben ganze Reihen oder Strassen, die gewöhnlich im Vorderende der betreffenden Tiere zusammenlaufen. Das sieht man deutlich bei mehreren Mesostomiden, z. B. bei M. rostratum und M. viridatum.
Eine mikroskopische Analyse des Parenchyms ergiebt, dass dasselbe aus Muskelfasern, Bindegewebssträngen und mehrfach verästelten Zellen besteht, die gleichfalls bindegewebiger Natur sind. Erst durch die Methode der Schnittserien war es möglich, die einzelnen Bestandteile des Parenchyms festzustellen und ein Lückensystem innerhalb desselben nachzuweisen, welches von einer farblosen, blutartigen Flüssigkeit erfüllt ist. Diese besitzt aber keine selbständige Zirkulation, sondern wird lediglich durch die Kontraktionen des Hautmuskelschlauchs gelegentlich in Bewegung versetzt.
Sehr häufig sind die Fasern des Parenchymgewebes mit Pigmentkörnchen durchsetzt, und es kommt dann das zu stande, was v. Graff[93] sehr passend „reticuläre Pigmentierung“ genannt[S. 246] hat. Hiervon rührt die dunklere Färbung der Rückenfläche bei manchen Rhabdocölen her, die niemals in den epithelialen Zellen ihren Sitz hat — obwohl dies bei flüchtiger Ansicht so scheinen könnte.
Im Parenchym ist auch das Gehirnganglion der Turbellarien gelegen oder, richtiger gesagt, es ist in dieses Gewebe meistenteils vollständig eingebettet. Seinem feineren Baue nach besteht dasselbe aus einer Anhäufung von feinkörniger oder zartfaseriger Substanz und einer Rinde von Ganglienzellen mit runden oder auch ovalen Kernen. Zwei Längsnervenstämme, die vom Gehirn abgehen und zu beiden Körperseiten verlaufen, sind bei zahlreichen Rhabdocölen nachgewiesen; bei einigen Spezies hat man auch mehrfache Kommissuren, welche die Hauptstämme mit einander verbinden, vorgefunden.
Hinsichtlich des Parenchyms ist noch zu bemerken, dass es bei den verschiedenen Gattungen in mehr oder minder starker Entwickelung angetroffen wird. Wir kennen Formen, deren Leibeshöhlung so gut wie frei von parenchymatösen Muskeln und Bindegewebsbalken ist, während andere wieder das gerade Gegenteil solchen Verhaltens darbieten.
Was nun schliesslich den Verdauungsapparat der Rhabdocölen anlangt, so besteht derselbe aus Schlund (Pharynx) und Darm. Letzterer ist nach dem Parenchym zu entweder durch eine bindegewebige Scheide abgegrenzt, oder er besitzt eine Muskelausstattung, an welcher wir — wie beim Hautschlauche — Längs- und Ringfasern unterscheiden können. Das Darmlumen ist mit einem kontinuierlichen Epithelbelag ausgestattet, dessen Zellen membranlos sind, und die an ihrer Basis rundliche, resp. ovale Kerne besitzen. Gewöhnlich ist dieses Epithel an der unteren (ventralen) Seite des Darmes etwas höher als an der oberen. Die einzelnen Zellen desselben erscheinen häufig an ihrem freien Ende keulig verdickt und mit zahlreichen Fetttröpfchen erfüllt. Was die Verdauung und Assimilation der in den Darm aufgenommenen Nahrungsobjekte anlangt, so scheinen die grösseren Epithelzellen kleine organische Partikelchen direkt in sich aufnehmen zu können,[S. 247] indem sie dieselben nach Art der Rhizopoden (vergl. Kapitel 4) mit ihrem Protoplasmaleibe umfliessen. Es fände demnach in diesem Falle eine sogenannte „intracelluläre Verdauung“ statt. Diese Ansicht wird durch darauf bezügliche Experimente von Isao Ijima (jetzt Professor an der Universität Tokio) zu fast vollkommener Gewissheit erhoben. Dr. Ijima fütterte Planarien mit dem Dotter von Hühnereiern und fand bald darauf die gefressenen Dotterkugeln überall in den Zellen der Darmverzweigungen seiner Versuchs-Dendrocölen wieder. Auch entdeckte derselbe Forscher, dass der Darmkanal bei Dendrocoelum lacteum, welcher so deutlich durch die Haut sichtbar ist, seine schwärzliche Beschaffenheit von kleinen Schlammteilchen erhält, welche eingeschlürft und in die Epithelzellen mit aufgenommen worden sind[94]. Was in diesem Bezug für die Planarien experimentell erwiesen ist, darf ohne Zweifel auch für die Rhabdocöliden als gültig angesehen werden, zumal Krukenberg auch an mehreren Zoophyten die Aufnahme von Fremdkörpern durch die Entodermzellen konstatiert hat.
Zum Ergreifen oder Einschlürfen der Nahrung besitzen alle Turbellarien ein dickmuskulöses, kompliziert gebautes Organ, den Schlund (Pharynx), welcher entweder die Gestalt eines starkwandigen Rohres oder diejenige eines zwiebelartigen Bulbus hat. Die übergrosse Mehrzahl der Rhabdocölen ist mit einem Pharynx bulbosus ausgestattet, der bei den Mesostomiden eine plattgedrückte kugelige Form zeigt und sich, von oben her gesehen, wie eine Rosette ausnimmt. Das ist der sogenannte Pharynx rosulatus. Seine Achse steht stets senkrecht auf der Längsachse des Körpers. Eine Modifikation desselben ist der allen Vorticiden zukommende tonnenförmige Schlund (Pharynx doliiformis). In seinem feinen Bau ist er dem vorigen sehr ähnlich, aber doch auch leicht wieder von ihm zu unterscheiden, weil er im ganzen eine stärker entwickelte Muskulatur besitzt. Ausserdem ist seine Achse der Körperachse immer parallel, oder doch nur wenig gegen dieselbe geneigt. Mit seiner Spitze ist das Schlundtönnchen in den weitaus meisten Fällen dem Vorderende des Wurmleibes zugekehrt. Hierzu kommt noch der Pharynx variabilis, dessen Merkmal eine[S. 248] grosse Fähigkeit zu Gestaltveränderungen ist, insofern er mannigfache Windungen und Krümmungen auszuführen vermag und ausserdem weit hervorgestülpt werden kann. Einen derartigen Schlund finden wir bei dem merkwürdigen Plagiostoma Lemani, einer Rhabdocöle von marinem Habitus, die aber im Süsswasser lebt und von Prof. F. A. Forel zuerst im Genfersee entdeckt wurde. In der Familie der Monotiden, welche gleichfalls nur einen einzigen Vertreter im salzfreien Wasser hat[IV], begegnet uns eine Schlundform, die als Pharynx plicatus bezeichnet wird. Der hauptsächlichste Unterschied zwischen dieser und den anderen Pharyngealformen besteht darin, dass bei ihr der zwischen innerer und äusserer Muskelschicht gelegene Raum in offener Verbindung mit der Leibeshöhle steht, und nicht — wie beim Ph. bulbosus — gegen letztere abgeschlossen ist. Der Monotidenschlund stellt demnach eine blosse Ringfalte der Körperhaut dar, die indessen eine grosse Beweglichkeit zeigt und sich in überraschender Weise rüsselartig verlängern kann.
[IV] Es ist dies der von mir 1884 in den Koppenteichen des Riesengebirges aufgefundene Monotus lacustris. Z.
Zuletzt müssen wir auch noch des Wassergefässsystems gedenken, welches in Gestalt eines zarten Röhrennetzes mit zwei stärkeren Hauptstämmen den Turbellarienkörper vom vordern bis zum hintern Ende durchzieht. Die einzelnen Verästelungen desselben zu verfolgen ist mit mannigfaltigen Schwierigkeiten verknüpft, und daraus erklärt es sich, dass wir bei manchen Spezies noch sehr wenig über den Gesamtverlauf dieser Röhrenleitung wissen. Ihrer physiologischen Bedeutung nach stellt sie höchst wahrscheinlich ein Ausscheidungsorgan dar, welches verbrauchte Stoffe aufnimmt und ansammelt, um dieselben durch die Öffnungen, mit denen die Hauptstämme an der Körperoberfläche ausmünden, fortzuschaffen. Als Ausnahme finden wir bei sämtlichen Arten der Gattung Stenostoma anstatt zweier nur einen einzigen Hauptstamm, welcher in der Nähe des hinteren Körperendes sich öffnet.
[S. 249]
(Dendrocoelida, L. v. Graff.)
Die vorstehend gegebene Orientierung über die Grundzüge der Rhabdocöliden-Organisation hat im wesentlichen auch für die grösseren Turbellarien mit dreizipfeligem und baumförmig verzweigtem Darm Gültigkeit. Dieselben besitzen gleichfalls einen Hautmuskelschlauch und eine Basalmembran mit einer darüber befindlichen Lage von flimmernden Epithelzellen. Letztere sind indessen nicht platt, sondern hoch cylindrisch gestaltet; in ihrem Innern enthalten sie aber genau solche Stäbchen, wie wir sie bei den Rhabdocölen antreffen. Ebenso ist bei unseren Süsswasserdendrocölen (Tricladen) der Raum zwischen der Hautmuskulatur und dem Darmkanal mit seinen Ausbuchtungen von einem lockeren Bindegewebe und von zahlreichen (dorsoventral und quer sich ausspannenden) Parenchymmuskelfasern erfüllt. Dazu kommt noch das Vorhandensein eines reichmaschigen Wassergefässsystems, der Besitz eines Gehirnganglions mit davon ausstrahlenden Seitennerven und ein hermaphroditischer Geschlechtsapparat, der aus Keim- und Dotterstock, blasigen Hoden, sowie einem zapfenförmigen Begattungsorgan besteht. Eine ausgebildete Leibeshöhle, wie sie bei vielen Rhabdocöliden gefunden wird, existiert bei den Tricladen nicht, sodass man es sich erklären kann, wenn die älteren Zoologen zur Bezeichnung eines solchen Thatbestandes auf den Ausdruck „parenchymatöse Würmer“ verfielen.
Das Darmepithel hat bei denselben genau die nämliche Beschaffenheit wie bei den stabdarmigen Turbellarien. Die Zellen desselben sind langgestreckt, nackt und häufig birnförmig verdickt. Jede besitzt einen rundlichen Kern, der am basalen Ende liegt. Den gleichen Verhältnissen begegneten wir bei den Rhabdocöliden. Hinsichtlich des Schlundes stimmen die Planarien fast ganz genau mit den Monotiden überein, die, wie bereits erwähnt wurde, einen Pharynx plicatus besitzen. Über den feineren Bau desselben findet man ausführliche Angaben in L. v. Graffs Rhabdocöliden-Monographie (S. 87 und 88).
[S. 250]
Wenn die Planarien fressen, so stülpen sie ihren Pharynx oft bis zu einer erstaunlichen Länge aus dem Munde hervor. Er führt dabei wurmförmige Bewegungen aus, als wenn er die geeignetsten Nahrungsobjekte aussuchen wollte. Dabei erweitert sich sein freies Ende gewöhnlich trompetenartig, sodass auch grössere Beutetiere (Crustaceen, Insektenlarven z. B.) ergriffen und verschluckt werden können. Trennt man den hervorgestreckten Tricladenrüssel durch einen Scherenschnitt an seiner Wurzel ab, so fährt derselbe — wenn er feucht gehalten wird — oft noch mehrere Stunden lang mit seinen Gestaltveränderungen fort. Diese Lebenszähigkeit erklärt sich hinlänglich durch die reichliche Innervation des in Rede stehenden Organs, über welche wir durch Ijimas Untersuchungen Aufschluss erhalten haben. Etwa zwischen der äusseren Ringfaserschicht des Pharynx und den Ausführungsgängen der Speicheldrüsen sind die Nerven zu einem Plexus verbunden, der gegen das freie Ende hin eine beträchtliche Anschwellung aufweist. An dem nicht minder zählebigen Rüssel des Süsswasser-Monotus (Monotus lacustris) ist von M. Braun und mir die Anwesenheit eines dicken Ringes von Nervenfasern festgestellt worden, der auf Quer- und Längsschnitten in der Mitte des Pharynx zum Vorschein kommt und einen deutlichen Zusammenhang mit den ventralen Längsnerven erkennen lässt.
Sinnesnerven, die vom Gehirn aus zu den mehr oder minder lappenartigen Seitenteilen des Kopfes laufen, sind, wie bei den Rhabdocölen, so auch bei den Tricladen nachgewiesen. Ebenso besitzt die Mehrzahl unserer Planarien Sehorgane (Augen), die entweder zu zweien auf der dorsalen Fläche des Kopfes stehen, oder in grösserer Anzahl (40–60) den Rand des ganzen vorderen Körperteiles umsäumen (Polycelis).
Die Planarien produzieren nach stattgehabter (wechselseitiger?) Befruchtung Eier, die zu 30–40 Stück in ein kugeliges oder elliptisches Cocon eingeschlossen sind. Letzteres wird mittels eines weisslichen Sekretes an Wasserpflanzen befestigt. Und zwar geschieht dies schon sehr früh im Jahre, etwa im Februar oder März. Der Inhalt des Cocons besteht aus einer Flüssigkeit, in der sich eine[S. 251] grosse Menge von Dotterzellen (über 10000 sind gezählt worden) befinden, dazwischen ist aber nur die oben angeführte Anzahl von Eiern sichtbar. Diese letzteren sind nackte Zellen von geringerer Grösse als die Dotterelemente; sie haben nur 0.035 bis 0.044 mm im Durchmesser. — Über die Embryonalentwickelung der Süsswasserdendrocölen besitzen wir ausser Dr. J. Ijimas Beobachtungen an Dendrocoelum lacteum noch eine neuere Arbeit des französischen Zoologen Paul Hallez, die sehr ausführliche Angaben und zahlreiche erläuternde Tafeln enthält[95].
Neben der geschlechtlichen Fortpflanzung kommt bei einigen Planarien auch eine ungeschlechtliche durch Querteilung vor. Ich habe diese vielfach in Zweifel gezogene Thatsache 1885 an Planaria subtentaculata Dugès (aus einem Bache bei Hirschberg i. Schl.) mit Sicherheit festgestellt und seinerzeit detailliert beschrieben[96]. Der Hauptsache nach verläuft jener Vorgang folgendermassen. Zuerst zeigt sich am Beginn des hinteren Leibesdrittels (und zwar immer dicht hinter dem Eingang zur Rüsseltasche) eine seichte Einschnürung, welche von Tag zu Tag Fortschritte macht. Während dieser Zeit liegen die Tiere oft stundenlang ganz still. Nach drei bis vier Tagen bereits kann man mit der Lupe die ziemlich perfekt gewordene Querteilung konstatieren. Die Abtrennung des Tochtersprosses von der Mutter erfolgt nunmehr unter ganz eigentümlichen Umständen. Merkwürdigerweise nämlich löst sich derselbe erst in seiner mittleren Partie von letzterer ab, während er zu beiden Seiten damit noch in Verbindung bleibt. Hat sich das Tochterteilstück definitiv abgetrennt, so bemerkt man am Vorderende desselben ein kleines, pigmentfreies Zäpfchen: den sich neu bildenden Kopf. Nach Verlauf von 24 Stunden unterscheidet man schon Augenpunkte an demselben. Demnächst bildet sich auch eine neue Rüsselhöhle und ein neuer Pharynx aus, sodass das durch Teilung des Mutter-Individuums entstandene Tier keinerlei Organisationsmängel zeigt. Diese Teilungserscheinungen waren aber nur während der warmen Sommermonate zu beobachten und bemerkenswert ist dabei, dass an den sich so fortpflanzenden Exemplaren keine Spur von Geschlechtswerkzeugen zu entdecken[S. 252] war. Der nämliche Vorgang ist unlängst auch an einer anderen Dendrocöle (Planaria albissima Vejd.) von Dr. E. Sekera beobachtet worden, sodass die älteren Angaben von Dalyell und Dugès, welche früher schon über Querteilung bei Planarien berichtet haben, nunmehr bestätigt sind.
Zu den am meisten in unseren Gewässern verbreiteten Planarien gehören ausser dem milchweissen Dendrocoelum lacteum Oerst., Polycelis nigra O. Fr. Müller, Planaria polychroa O. Schm. und Pl. lugubris. Eine der grössten einheimischen Planarien ist das von Dr. W. Weltner im Tegelsee bei Berlin und später auch in der Spree aufgefundene Dendrocoelum punctatum Pallas, welches im ausgestreckten Zustande eine Länge von 3–4 cm erreicht[97]. Alle diese Tiere sind in Grösse, Gestalt und Färbung ziemlich variabel, und deshalb genügen solche äussere Merkmale bei der Artbestimmung nicht. Hierzu müssen vielmehr die sehr formbeständigen Geschlechtsorgane verwendet werden, deren Analyse freilich in manchen Fällen ebenso zeitraubend wie schwierig ist. Nur auf diesem Wege, der zuerst von Oscar Schmidt betreten wurde, gelangt man zu einer sicheren Identifizierung der Spezies.
Bei einer allgemeinen Orientierung, wie sie hier bezweckt wird, darf schliesslich auch der Hinweis auf das Vorkommen von Landplanarien nicht fehlen. Und zwar kennen wir derartige Würmer nicht bloss aus tropischen Ländern, sondern auch als Mitglieder der einheimischen Fauna. Wir finden dieselben bei einiger Achtsamkeit unter Holzscheiten, die im Walde lagern, zwischen feuchtem Moos und an der Unterseite von Hutpilzen. Bis vor kurzem war nur eine einzige einheimische Art bekannt, nämlich Rhynchodesmus terrestris O. Fr. Müller. Die grössten Exemplare sind 2–2.5 cm lang und von schwarzer Färbung; die Rückenseite ist stark gewölbt, die Bauchfläche hingegen zu einer Kriechsohle ausgebildet. In ihren Bewegungen sind die Tiere sehr träge, und wie es scheint, lieben sie kühle und schattige Aufenthaltsorte[98]. Dr. J. v. Kennel fand Exemplare von Rhynchodesmus in der Umgebung von Würzburg (unter Steinen), Dr. H. Simroth mehrere in den Wäldern bei Leipzig, und ich welche in der Nähe von Hirschberg in Schlesien.
[S. 253]
Unterirdisch lebend, d. h. im feuchten Erdreich sich aufhaltend, ist 1887 von Fr. Vejdovsky eine zweite einheimische Landplanarie entdeckt worden, welche einer ganz neuen Gattung angehört. Sie ist nur 4–6 mm gross und etwa 0.5 mm breit. Der genannte Prager Forscher fand sie in einem Erdhaufen bei Bechlin in Böhmen, den er eines anderen wissenschaftlichen Zweckes wegen durchsuchte. Das betreffende Tierchen (Microplana humicola) ist vollkommen durchsichtig, ermangelt der Kopflappen und besitzt nur auf der Bauchseite eine Cilienbekleidung. Ihrem ungefähren Aussehen nach ist sie in Fig. 50 wiedergegeben. Das Nähere darüber muss man aus der darauf bezüglichen Abhandlung Prof. Vejdovskys ersehen[99].
Um endlich noch der Verwandtschaft von Dendrocölen und Rhabdocölen ein Wort zu widmen, so verdient Erwähnung: dass wir in dem von Prof. M. Braun (1880) begründeten Genus Bothrioplana ein interessantes Verbindungsglied zwischen jenen beiden Unterabteilungen kennen gelernt haben. Es handelt sich dabei um Tiere, die in der Form des Darmes und im Bau ihres Schlundes eine fast vollständige Übereinstimmung mit den Dendrocölen bekunden, während sie durch mehrere andere Merkmale (Mangel der Stäbchenstrassen, Anordnung der Rhabditen zu Paketen, Besitz von Wimpergrübchen an den Kopfseiten) an die Rhabdocölen erinnern[100]. Braun fand von diesen Turbellarien zwei Spezies in Dorpater Brunnenschächten, und ich habe später (1886) deren noch zwei aus dem Kleinen Koppenteiche des Riesengebirges gefischt[101]. Ein Habitusbild der einen Art, die ich B. silesiaca genannt habe, ist in Fig. 51 S. 254 gegeben. Es ist ein augenloses Tierchen von 2.5 mm Länge, an welchem sofort das verbreiterte Kopfende auffällt. Mit diesem wühlt es unruhig suchend beständig in dem feinen Mud umher, worin es sich aufhält. Überhaupt sind diese Bothrioplanen durch äusserst hastige Bewegungen charakterisiert, die im schroffen Gegensatz zu dem ruhigen Dahingleiten der gewöhnlichen Planarien stehen. Die[S. 254] Hautfarbe der kleinen Würmchen ist weiss oder hellgrau. Der Darm schimmert von innen her bräunlich durch. Die gesamte Körperoberfläche ist mit Cilien bedeckt und überall sieht man im Epithel Stäbchenpakete, welche aus je drei Rhabditen bestehen. Gelegentlich treten am Hinterende gewisse Haftorgane (Klebzellen) hervor, wie sie bei vielen Rhabdocölen beobachtet werden. Der hintere Körpersaum ist jederseits mit einzelnen steifen Borsten besetzt, während das vordere Ende frei davon ist und nur die gewöhnlichen kurzen Cilien trägt. Mit etwas längeren Wimpern scheinen die beiden Wimpergruben (wg) zu beiden Seiten des Kopfes ausgestattet zu sein. Der Verdauungskanal hat, wie unsere Figur zeigt, eine gestreckt-ringförmige Gestalt, und hiervon lässt sich die dreigabelige Beschaffenheit des Dendrocölen-Darmes ungezwungen ableiten, wenn wir annehmen, dass die stärkere Entwickelung des Schlundes bei den Tricladen den Anstoss zu einer Kontinuitätstrennung in der unteren Ringhälfte gab. Dadurch entstanden naturgemäss die beiden hinteren Darmschenkel der Planarien, und es wurde Raum zur Unterbringung des mächtigen Pharynx dieser Würmer geschaffen. Entschieden unterstützt wird diese zuerst von M. Braun geäusserte Ansicht durch die Lage des Schlundes unmittelbar hinter der Gabelungsstelle, und auch dadurch, dass derselbe von hier aus ein ansehnliches Stück zwischen die beiden in Frage kommenden Darmäste hineinragt.
Das Gehirn (c) liegt bei Bothrioplana silesiaca in der halsartigen Einschnürung, mit welcher sich der breitere Kopfteil vom übrigen Körper absetzt. Die zweite von mir im Kleinen Koppenteich aufgefundene Spezies (B. Brauni) des nämlichen Genus ähnelt in der Form ihres Gehirnganglions und im Verlauf der Exkretionsgefässe den Rhabdocölen noch mehr als die erstbeschriebene Art. Ihr fehlen auch die Wimpergrübchen, und die Stäbchenpakete enthalten bei ihr eine grössere Anzahl (4–5)[S. 255] Rhabditen. Jedes einzelne dieser Pakete macht den Eindruck, als habe es eine leichte schraubenförmige Drehung um seine Längsachse erfahren. Der Kopfteil ist bei dieser und auch bei der vorigen Spezies fast vollkommen rhabditenfrei.
Durch diese Tiere wird, wie schon gesagt, die sonst zwischen Rhabdocölen und Dendrocölen bestehende Kluft überbrückt, und deshalb haben wir es in denselben mit recht interessanten Übergangsformen zu thun, die des näheren Studiums wohl wert sind. Hinsichtlich der Geschlechtswerkzeuge ist bis jetzt festgestellt, dass die Keim- und Dotterstöcke paarig sind, und dass auf jeder Seite eine Doppelreihe von Hodenbläschen im mittlern Teile des Körpers vorhanden ist. Diese und die vorstehend berichteten Befunde rechtfertigen es, dass wir die Bothrioplanen als niederstes Genus den Tricladen anschliessen, wiewohl anderseits nicht zu verkennen ist, dass sie in mehrfacher Hinsicht mit den Rhabdocölen übereinstimmen.
Für den Zweck dieses Kapitels, welcher darin besteht, den Leser in die Turbellarienfauna des Süsswassers einzuführen, empfiehlt es sich nun, auf die vorhergegangene allgemeine Orientierung eine Schilderung der am häufigsten vorkommenden Gattungen folgen zu lassen. Dies kann am besten durch die Vorführung einzelner Spezies geschehen, und hierbei werden wir Gelegenheit haben, noch einige Punkte nachzutragen, die wir bei Beschreibung der generellen Organisationsverhältnisse nur flüchtig berühren konnten oder ganz übergehen mussten.
Fahndet man in unseren Gewässern auf Turbellarien, so besteht das Fangergebnis am häufigsten aus Arten, welche den Gattungen Macrostoma, Microstoma, Stenostoma, Mesostoma und Vortex angehören. Aus diesen greifen wir daher je einen Vertreter heraus und unterwerfen ihn einer etwas eingehenderen Schilderung.
Dies ist ein etwa 2 mm grosses Tierchen, an dem man schon bei Lupenbesichtigung den grünlich oder gelb gefärbten Darm[S. 256] erkennt. Bei stärkerer Vergrösserung (Fig. 52) entdecken wir sofort ein abgerundetes Vorderende und einen spatelartig geformten Schwanzteil, der reichlich mit Stäbchenpaketen gespickt ist, die zumteil über die Haut hervorragen. Auch der übrige Körper ist mit solchen Rhabditenbündeln versehen, aber nicht in dem Masse wie das Kopf- und Hinterende. Die Stäbchen liegen in sehr verschiedener Anzahl (zu 2–5 Stück) beisammen und haben eine keulenförmige Gestalt. Die Flimmerhaare der Epithelzellen sind sehr fein und kurz; dazwischen stehen aber lange Geisselborsten, die sich über die ganze Oberfläche des Tieres verbreiten. Im Übrigen bietet die Organisation der Macrostomiden mancherlei primitive Verhältnisse dar. Sie besitzen ein ganz einfaches Schlundrohr, welches die schlitzförmige Mundöffnung (m) mit dem Darmsack (d) verbindet. Das Gehirn (g) erscheint lediglich als eine Bogenkommissur der beiden Längsnervenstämme, und unterscheidet sich in Form und Masse nicht viel von diesen. Dasselbe trägt indessen hochentwickelte Sehorgane, die mit einer stark gewölbten Linse ausgestattet sind. Die Höhlung des Darmkanals ist durchweg mit Cilien besetzt, deren Länge etwa der Höhe der Epithelzellen gleichkommt, denen sie aufsitzen. Zu beiden Seiten des Darms liegen die kompakten kegelförmigen Hoden (h) und dicht dahinter die paarigen Ovarien (ov). Bei p sehen wir den Penis, der bei allen Arten der Gattung Macrostoma mit einem chitinösen Ansatze versehen ist. Bei der in Rede stehenden Spezies ist letzterer S-förmig, aber so, dass die beiden Krümmungen nicht in einer Ebene liegen. Fig. 53 stellt diese Penis-Armatur bei sehr starker Vergrösserung dar.
[S. 257]
Was das Wassergefässsystem anlangt, so kann man sich bei M. viride die zwei seitlichen Hauptstämme leicht zur Ansicht bringen. Es scheint, dass sich dieselben oberhalb des Mundes vereinigen und noch einige kleine Verästelungen nach dem Vorderende hinschicken.
Die Macrostomiden gehören zu den Rhabdocölen mit zwei Geschlechtsöffnungen, einer männlichen und einer weiblichen. Die erstere liegt im verbreiterten Hinterteile, die andere in der ungefähren Höhe der Ovarien; beide natürlich auf der Bauchseite.
Bei Macrostoma viride konnte ich auch einige Beobachtungen über die Spermatozoen-Entwickelung machen, welche diesen Vorgang in seinen Hauptzügen klarstellen. Zerzupft oder zerquetscht man einen reifen Hoden vorsichtig auf dem Objektträger, so hat man in einem und demselben Präparate gleich alle Stadien der Spermatogenese beisammen. Ich habe dieselben der Reihe nach in Fig. 54 abgebildet und mit Buchstaben bezeichnet. Den Ausgangspunkt für die Entwickelung der Samenkörper bilden die vollkommen kugeligen und ganz durchsichtigen Hodenzellen oder Spermatogonien (a). Diese zumeist mehrkernigen Gebilde verwandeln sich durch Einschnürung ihres Protoplasmaleibes in ebensoviele Spermatocyten oder Samenzellen (d), die aber zunächst in Zusammenhang mit einander bleiben. Jede einzelne Spermatocyte lässt zwei kleine Fortsätze aus sich hervorsprossen, von welchen der eine in der Folge zum Schwanzfaden des Spermatozoon, der andere zur sogenannten „Nebengeissel“ desselben wird. Die einkernigen Spermatogonien (b) entwickeln sich genau auf dieselbe[S. 258] Weise; nur zuweilen kommt es vor (c), dass die Nebengeissel schon weit hervorgesprosst ist, ehe sich noch irgend eine Spur von der Bildung des Schwanzfadens zeigt. Bei fortschreitender Entwickelung lösen sich die Spermatocyten aus ihrem ursprünglichen Verband (d) und nehmen das in e dargestellte Aussehen an, indem sich ihr protoplasmatischer Teil in die Länge streckt. Erst zu allerletzt kommt die bislang im Ruhezustande verbliebene Kernsubstanz in Bewegung, um in dem immer spindelförmiger werdenden Spermatozoenkopfe sich gleichmässig zu verteilen. In f sehen wir dann das völlig fertige Samenkörperchen von Macrostoma viride, wie es zu vielen hunderten in dem Präparate eines zerdrückten Hodens vorhanden zu sein pflegt. Der Schwanzteil dieser Körperchen besitzt eine ausserordentlich lebhafte Schlängelbewegung, wogegen die steife Nebengeissel nur mit mässiger Geschwindigkeit hin und her pendelt.
Die am meisten verbreitete Spezies der Gattung Macrostoma ist übrigens nicht diese, sondern M. hystrix Oerst.; in den wesentlichen Bauverhältnissen stimmen aber beide mit einander überein. Die letztgenannte Art ist dadurch merkwürdig, dass sie nicht bloss im süssen, sondern auch im salzigen Wasser vorkommt. Auch lebt sie nicht bloss in seichten Pfützen und Tümpeln, sondern verträgt ebensogut den Aufenthalt in beträchtlichen Tiefen. Nach einer Angabe von Duplessis ist sie sogar noch im Grundschlamme des Genfersees zu finden[102]. An schwimmenden Holzstückchen und dem Wellenschlag ausgesetzten Wasserpflanzen vermögen sich die Tierchen mit Hilfe ihrer „Klebzellen“ festzuhalten, welche am untern Saume des spatelähnlichen Hinterendes in grosser Anzahl befindlich sind. Solchen eigentümlichen Haftapparaten begegnen wir auch bei mehreren anderen Turbellariengattungen.
Microstoma lineare Oerst.
Einzelindividuen von dieser Spezies kommen höchst selten vor; gewöhnlich findet man nur Ketten, die, wie Fig. 55 veranschaulicht, aus mehreren ungleichaltrigen Exemplaren bestehen. Dieser Befund findet seine Erklärung in der Thatsache, dass Microstoma lineare[S. 259] sich vorwiegend durch Querteilung oder, richtiger gesagt, durch terminale Knospenbildung fortpflanzt. In nachstehender Figur haben wir eine Kette von vier Individuen vor uns, deren Entwickelung wie folgt zu denken ist. Aus dem ursprünglichen Muttertiere (A) ging B als Tochterspross auf die nämliche Art hervor, wie jetzt die Knospe b aus ihm selbst, oder wie a aus A. Der Zeit nach ist die Reihenfolge dabei diese: A, B, b, a. Das heisst: A erzeugte zunächst B; hierauf entstand die Knospe b und dann erst die mit a bezeichnete neue aus dem alten Mutterindividuum A.
Bei genauerer Beobachtung dieser eigentümlichen Fortpflanzungsweise bemerkt man, dass stets nur das hinterste Drittel des Muttertieres zur Erzeugung des Tochtersprosses verwendet wird. Mit dem Auftreten zweier Augenpunkte und der Bildung einer Einschnürung, welche die künftige Trennungsstelle andeutet, nimmt der Knospungsprozess seinen Anfang. In der Folge vergrössert sich das Tochterstück allmählich und holt mit seinem rascheren Wachstum den sich gleichfalls regenerierenden mütterlichen Teil ein, bis beide in ihren Dimensionen sich fast vollkommen gleichen. Mit der Neubildung eines Gehirns und Schlundes am Spross erreicht die Entwickelung des letztern ihren Abschluss, und es erfolgt seine Lostrennung vom Stammorganismus. Aber bevor er selbst noch fertig ausgebildet war, wurde in seinem hintern Leibesdrittel bereits die dritte Generation angelegt, bezüglich deren sich der nämliche Sprossungsvorgang wiederholt, und so geht diese Vermehrung immer fort, den ganzen Sommer hindurch.
[S. 260]
Erst im Herbst treten andere Verhältnisse ein. Dann finden wir Ketten, an deren Teilsprossen man die Anwesenheit von Geschlechtsorganen wahrnimmt, woraus beiläufig hervorgeht, dass geschlechtliche und ungeschlechtliche Zeugung bei demselben Individuum von Microstoma lineare und zur nämlichen Zeit stattfinden kann. Jene Ketten sind aber immer nur eingeschlechtlich, d. h. sie bestehen entweder aus lauter weiblichen oder aus lauter männlichen Individuen. Die ersteren besitzen ein einfaches Ovarium, die letzteren paarige, keulenförmige Hoden und ein Begattungsorgan, dessen chitinöser Teil eine leichte, schraubenförmige Windung zeigt.
Über den sonstigen Bau von Microstoma lineare können wir uns kurz fassen. Die flimmernde Epidermis besteht bei dieser Spezies aus polygonalen Zellen, zwischen denen die birnförmigen Nesselkapseln liegen. Diese sind über den ganzen Körper zerstreut und gleichen in ihrem Aussehen fast ganz den gleichnamigen Gebilden bei den Süsswasserpolypen, nur dass sie ein wenig kleiner sind, als bei diesen. Sie haben eine Länge von 0.015 mm und der herausgeschnellte Faden misst etwa 0.12 bis 0.14 mm. Am Halsteile der Kapsel sitzen vier kleine Widerhaken. Leydig hat mit gewohntem Scharfblick noch eine zweite Art von Nesselkapseln bei Microstoma lineare entdeckt, die eine ovale Gestalt haben und nicht mit Widerhaken versehen sind. Ich hebe diesen Umstand ausdrücklich hervor, weil wir bei Hydra das gleiche Verhalten beobachten. Fig. 56 stellt eine grössere Kapsel mit ausgestossenem Faden dar.
Der Leibesraum ist bei Microstoma lineare von einem reichen Maschenwerke heller Fasern durchsetzt, zwischen denen zahlreiche kleine Bindegewebszellen und -kerne eingelagert sind. Das Gehirn ist in dieses Parenchym eingebettet. Es besteht aus zwei seitlichen Ganglien und einer Kommissur, die den Schlund umfasst. Zwei Längsnerven durchziehen den Körper. Das Wassergefässsystem wurde zuerst von M. Schultze bei dieser Spezies entdeckt, aber nicht genauer beschrieben. Ich habe dasselbe neuerdings genauer studiert und gefunden, dass zwei seitliche[S. 261] Hauptstämme vorhanden sind, deren Verästelungen nach der Mittellinie zu konvergieren und ein ventral stärker als dorsal entwickeltes Kanalnetz bilden[103]. Am Kopfende der einzelnen Kettenglieder liegen die Augen in Gestalt rostroter Pigmenthäufchen. Dicht dahinter befinden sich die Wimpergrübchen — kleine tiefe Becher mit kreisrunder Öffnung, die innerlich mit Flimmerepithel ausgekleidet sind. Der Darmtraktus besitzt, wie man am lebenden Tiere deutlich sieht, ebenfalls wimpernde Epithelzellen, und der einfache Schlund ist mit zahlreichen Drüsenzellen (Pharyngealzellen) besetzt, die einen förmlichen Mantel um denselben bilden. Die Farbe der Tierchen ist ein dunkles Gelbbraun, sodass sie in dieser Beziehung fast genau mit Hydra fusca übereinstimmen. Ein Hauptfundort für dieselben sind Tümpel stehenden Wassers, deren Boden mit zerfallendem Laube oder sonstigen Pflanzenresten bedeckt ist.
Auch bei dieser Gattung haben wir es fast immer nur mit Ketten zu thun, die aber selten aus mehr als zwei Gliedern bestehen. Ihre Länge beträgt gewöhnlich 2–3 mm. Dem unbewaffneten Auge erscheinen sie als kleine weisse Linien.
Wie bei Microstoma lineare, so finden wir auch hier zu beiden Seiten des Kopfteiles Wimpergruben (Fig. 57 wg S. 262), die mit einer zierlichen Zellenrosette umgeben sind. Echte Augen sind nicht vorhanden; vielleicht sind aber die dem Gehirn anhängenden eigentümlichen Bläschen (bl) als lichtperzipierende Organe zu deuten.
Das Gehirn hat bei den Stenostomiden eine mächtige Entwickelung, wie aus den Figuren 57 und 58 hervorgeht. Dasselbe setzt sich auch schärfer als bei den übrigen Rhabdocölen gegen das umgebende Bindegewebe ab. Es besteht aus zwei ausserordentlich grossen mehrlappigen Ganglien, die unmittelbar vor dem Munde gelegen sind. Man unterscheidet jederseits einen grössern hintern (h) und einen schmälern Vorderlappen (v). Nach B. Landsberg[104], der den Bau dieser Gebilde spezieller analysiert[S. 262] hat, überwiegt in denselben der gangliöse Teil gegen den faserigen, was bei den anderen Turbellarien nicht der Fall ist.
Darm und Schlund sind bei Stenostoma leucops (Fig. 57) sowohl wie bei Stenostoma unicolor (Fig. 58) in allen wesentlichen Stücken so gebaut wie bei Microstoma lineare, sodass wir auf das dort Gesagte verweisen können. Das Wassergefässsystem hingegen hat bei den Stenostomiden eine besondere Gestaltung, insofern es aus einem einzigen Kanal besteht, der am Hinterende ausmündet und von hier aus (der Mittellinie des Körpers folgend) bis in den Kopfteil verläuft, um hier in einer Schlinge umzubiegen und zurückzukehren. Was aus diesem rückläufigen Teile wird, ist noch nicht genau klargestellt. L. v. Graff vermutet, „dass derselbe sich in feinere Zweige auflöst“. Ich habe aber von einer solchen Verästelung auch mit den besten Linsen nichts entdecken können.
Stenostoma unicolor unterscheidet sich von Stenostoma leucops schon bei Lupenvergrösserung durch den besser markierten Kopfteil, durch den schlankeren Habitus und durch zahlreiche einzellige Drüsen im Darmepithel, welche schwärzliche Konkremente enthalten. Beide Spezies sind sehr häufige Erscheinungen in unseren stehenden und fliessenden Gewässern; sie sind auch sehr leicht aufzubewahren, wenn man sie in kleine Glasdosen mit algenhaltigem Wasser bringt. In derartigen Miniaturaquarien leben die Tierchen viele Monate[S. 263] lang und pflanzen sich unausgesetzt durch terminale Knospung (vergl. S. 259) fort.
Zu den Stenostomiden stellt v. Graff auch das gewandt schwimmende Meerlinsenkettchen (Catenula lemnae), dessen Aussehen in Fig. 59 veranschaulicht ist. Diese Rhabdocöle ist ein fast ständiger Bewohner kleiner Moortümpel und man trifft sie in solchen stets massenhaft an. Wie bei den vorhin geschilderten Formen, so vermehrt sich auch diese durch Querteilung. Am Vorderende befindet sich eine kopfartige Anschwellung, in welcher das Gehirn mit dem Hörbläschen (ot) liegt. Der cylindrische Schlund flimmert auf seiner Innenfläche, ebenso der Darm, welcher übrigens, falls er leer ist, nur mit Mühe wahrgenommen werden kann. Der Raum zwischen Darm und Hautmuskelschlauch wird von sehr grossen, dicht an einander gedrängten Parenchymzellen eingenommen, die in unserer Figur mit pz bezeichnet sind. Das Wassergefässsystem hat genau denselben Charakter wie bei Stenostoma leucops und stellt einen äusserst feinen, vielfach geschlängelten Kanal dar, der auf der dorsalen Seite des Tieres (subcutan) vom vordern bis zum hintern Körperende verläuft. Abgesehen von diesem Exkretionskanal aber und von dem Vorhandensein eines markierten Kopfteils kann ich zwischen Catenula lemnae und den Stenostomiden auch nicht die geringste morphologische Verwandtschaft erblicken, so dass ich es nur als einen Notbehelf ansehen kann, wenn wir das Meerlinsenkettchen einstweilen mit in die Gattung Stenostoma aufnehmen. Eigentlich steht Catenula unter den Rhabdocölen völlig isoliert da; wir suchen vergeblich nach Anknüpfungspunkten für dieses sonderbare Wesen, in welchem Dugès seinerzeit ein den Bothriocephalen verwandtes Tier zu sehen glaubte.
[S. 264]
Mesostoma viridatum M. Sch.
Die Mesostomiden, d. h. diejenigen Rhabdocölen, welche eine auf der Mitte der Bauchseite gelegene Mundöffnung und einen rosettenförmigen Schlund besitzen, stellen eine sehr verschiedenartige Gesellschaft dar, sodass Prof. M. Braun unlängst mit Recht den Vorschlag gemacht hat, den Genusnamen Mesostoma ganz über Bord zu werfen, resp. ihn nur noch für Arten beizubehalten, die ungenügend bekannt sind. Die Charaktere dieser Gruppe sind von vornherein zu allgemein gefasst worden und daher erklärt es sich, dass alles, was nach Lage und Form des Pharynx ihr nicht ganz direkt widersprach, stets bequeme Unterkunft darin finden konnte. In Fig. 60 sehen wir einen sehr kleinen Repräsentanten der Gattung Mesostoma, ein hellgrünes Würmchen von etwa Millimetergrösse, welches fast überall in klaren Gewässern zu finden ist. Im Gegensatz zur Mehrzahl seiner Gattungsverwandten ist dasselbe augenlos. Der Schlund liegt bei dieser Art etwa am Anfange des zweiten Körperdrittels, und ebendaselbst gewahrt man eine Verbindung zwischen den beiden seitlichen Stämmen des Wassergefässsystems, deren weiterer Verlauf aber schwer zu verfolgen ist. Gleich hinter dem Pharynx (ph) liegt die von Cilien umsäumte Geschlechtsöffnung (gp) und nicht weit davon der birnförmige Penis (p), der einen chitinösen Ausführungsgang besitzt. Die Leibeshöhle ist fast ganz erfüllt von Parenchym, und nicht selten findet man Individuen, welche im Innern 6–8 braunschalige, elliptische Eier enthalten, so dass zwischen Darm und Leibeswand kaum noch ein freier Raum übrig bleibt.
In den Zellen der Epidermis entdeckt man zahlreiche Rhabditen von 0.018 mm Länge, und bei tieferer Einstellung des Mikroskops zeigen sich im Parenchym ganze Strassen solcher Stäbchen, die nach dem Vorderende zu konvergieren.
[S. 265]
Die grüne Färbung des Tierchens rührt von winzigen, chlorophyllhaltigen Körnchen her, die eine förmliche Schicht unter der Haut bilden; dieselben sind höchst wahrscheinlich als einzellige Algen zu betrachten, die in einem symbiotischen Verhältnisse zu ihrem Träger stehen. Dergleichen Chlorophyllkörner kommen auch bei einigen anderen Turbellarien und ausserdem bei mehreren Infusorienspezies vor.
In unseren europäischen Seen und Wassertümpeln sind im ganzen etwa zwanzig Arten von Mesostomiden einheimisch. Eine ähnliche Verbreitung derselben konstatiert W. A. Silliman für Nordamerika. Die Gattung Mesostoma weist übrigens neben sehr kleinen (1–5 mm grossen) Formen auch recht stattliche Vertreter auf. So z. B. das 10–15 mm lange und 4–5 mm breite Mesostoma Ehrenbergii, welches vollkommen platt gestaltet und glashell durchsichtig ist. Diese Spezies tritt oft so massenhaft auf, dass die untergetauchten Stengel der Wasserpflanzen ganz damit bedeckt sind. Hiernach kommt Mesostoma tetragonum O. Schm., welches 8 bis 10 mm lang wird. Durch zwei Lamellen, die auf der Rücken- und Bauchseite des Tieres vom vordern bis zum hintern Ende sich erstrecken und wie Flossen gebraucht werden, hat dasselbe im Querschnitt eine vierkantige Gestalt. Diese charakteristische Eigentümlichkeit ist in der Speziesbezeichnung zum Ausdruck gebracht. Das ungemein häufige Mesostoma lingua O. Schm. (7–8 mm) gehört auch noch zu den grösseren Erscheinungen, wogegen die meisten anderen bei uns vorkömmlichen Spezies (z. B. Mesostoma rostratum Ehrb., M. personatum O. Schm. etc.) bedeutend kleiner sind und zwischen Algenfäden oft nur mit Mühe entdeckt werden können.
Vortex truncatus Ehrb.
Hier haben wir eine vollständig kosmopolitische Art vor uns, die von Lappland bis nach Ägypten verbreitet ist, und die man in den schlammigen Tümpeln der Ebene ebenso häufig antrifft, wie in klaren, kalten Gebirgsseen. Es sind (Fig. 61 a S. 266) kleine, etwa 1.5 mm lange Tierchen von hell- oder dunkelbrauner Färbung. Sie besitzen ein abgestutztes Kopfende und ein zugespitzes Schwänzchen.[S. 266] Die Haut als solche ist vollkommen farblos und mit Stäbchen gespickt, welche meist zu zweien bei einander liegen. Der Sitz des bräunlichen Pigments sind die Bindegewebszellen des Parenchyms. Ist der Farbstoff in grosser Menge vorhanden, so können die Würmchen ein fast schwarzes Kolorit annehmen. Am Kopfe stehen zwei schwarze halbmondförmige Augen und der Schlund hat die für die Vorticiden schon eingangs (S. 247) erwähnte typische Tonnengestalt. Alle Vortex-Arten sind durch ein mehr oder weniger kompliziertes (chitinöses) Kopulationsorgan ausgezeichnet, welches aus paarigen Leisten mit Stachelbewehrung besteht. Bei der in Rede stehenden Spezies (V. truncatus) ist dasselbe ziemlich einfach gebaut. Es setzt sich aus zwei gabelig auseinanderweichenden, etwas gekrümmten Ästen zusammen, die auf ihrer konkaven Seite eine Reihe feiner Zähnchen (Fig. 61 b) tragen. Man bringt sich diese Hartgebilde am besten zur Ansicht, wenn man mit möglichster Vorsicht ein Quetschpräparat des ganzen Tieres herstellt.
Die meisten Vortex-Spezies sind kleine, unscheinbare Würmchen. Nur V. viridis M. Sch. und V. scoparius O. Schm. sind Riesen unter ihren Gattungsgenossen, insofern sie oft eine Länge von 5–6 mm erreichen. Die letztgenannte Art besitzt ein Kopulationsorgan, welches in seiner Form lebhaft an ein paar kurzgestielte Stallbesen erinnert, die dicht beisammen liegen. Daher der sonderbar klingende lateinische Beiname, der aber sehr treffend gewählt ist. Zu den kleinsten Spezies, die wie V. truncatus nur 1–1.5 mm gross sind, gehören V. pictus O. Schm., V. Hallezii v. Graff, V. sexdentatus v. Graff und V. cuspidatus O. Schm.
Die vorstehenden kurzen Andeutungen über die speziellere Organisation einiger häufiger vorkommenden Strudelwürmer sollten lediglich dazu dienen, den Anfänger mit diesen interessanten,[S. 267] aber noch viel zu wenig beachteten Tieren bekannt zu machen. Das eingehendere Studium derselben muss an der Hand von Prof. L. v. Graffs ausgezeichneter „Monographie der Turbellarien“ (Leipzig 1882, Wilh. Engelmann) geschehen, in welcher auch ein umfassender Litteraturnachweis zu finden ist, der noch die neuesten Arbeiten berücksichtigt. Ein Atlas mit 20 lithographischen Tafeln erläutert die bis in das kleinste Detail gehenden Ausführungen des umfangreichen Textes. — Ein sehr brauchbares litterarisches Hilfsmittel beim Studium der Turbellarien findet man auch in einer 1885 erschienenen grösseren Abhandlung von Prof. M. Braun (Rostock), welche die rhabdocöliden Strudelwürmer Livlands behandelt und dieselben durch vorzügliche Abbildungen veranschaulicht. Weiteres ersehe man aus der diesem Kapitel angehängten Übersicht der Litteratur.
Es ist hier vielleicht der passendste Ort, einige Worte über die Art und Weise zu sagen, wie man Turbellarien zum Zwecke der mikroskopischen Untersuchung gut konservieren kann. Dies gelingt meinen Erfahrungen zufolge am raschesten und sichersten mit erwärmter Lösung von Quecksilberchlorid in Wasser. Für grössere Arten nimmt man diese Flüssigkeit konzentrierter als für kleinere; aber in jedem Falle erfüllt sie ihren Zweck. Die Tiere werden mit möglichst wenig Wasser in ein Uhrgläschen gebracht und in dem Augenblicke, wo sie am schönsten ausgestreckt sind, schnell mit dem Sublimat übergossen. Je nach der Grösse der Objekte muss letzteres 5–20 Minuten einwirken. Dann wässert man die getöteten Würmer längere Zeit aus, damit keine Spur des Quecksilbersalzes in den Geweben zurückbleibt. Zur Aufbewahrung benutzt man 70prozentigen Alkohol. Die so konservierten Rhabdocölen und Dendrocölen halten sich Jahre lang und können jederzeit, nach vorhergegangener Färbung, zur Herstellung von Schnittserien verwendet werden. —
[S. 268]
Zur Anfertigung von Totalpräparaten, die alles Notwendige erkennen lassen, hat Prof. M. Braun ein Verfahren angegeben[105], welches hier mitgeteilt werden soll. Dasselbe eignet sich besonders gut für kleine Formen. Der genannte Forscher verfährt dabei wie folgt. Er lässt bei gelindem Deckglasdruck zu dem Wasser, in welchem sich das zu konservierende Tier befindet, eine Mischung von 3 Teilen Langscher Flüssigkeit[V] und einem Teil einprozentiger Osmiumsäure zufliessen, die sehr rasch tötet, zumal wenn man sie etwas erwärmt anwendet. Sobald das Tier undurchsichtig geworden ist, die Gewebe also geronnen sind, wird die überschüssige Flüssigkeit mit Löschpapier abgetupft und 45prozentiger Alkohol unter das Deckglas gebracht. Derselbe wird im Verlauf einiger Minuten mehrere Male erneuert und dann durch 70prozentigen ersetzt. Nunmehr kann man das Deckglas vorsichtig abheben; das Tier bleibt in der Regel an letzterem oder am Objektträger haften und wird in dieser Lage mit 90prozentigem Alkohol behandelt. Hierauf giebt man 1–2 Tropfen Karminlösung auf das Objekt, die man etwa drei Minuten einwirken lässt. Diese Zeit genügt zur Färbung; dann wird mit destilliertem Wasser abgespült, mit allmählich zu konzentrierendem Alkohol entwässert, bis man schliesslich zur Aufhellung mit Nelkenöl oder Kreosot schreiten kann. Sodann erfolgt der Einschluss in Kanada-Balsam und die Prozedur — welche etwa 20 Minuten in Anspruch nimmt — ist beendet. Auf diesem Wege erhält man in vieler Beziehung hübsche Präparate. Die Osmiumsäure bräunt gewisse Teile (Dotterstöcke und Keimdotterstöcke z. B.) und hebt dieselben stärker hervor, während die kernreichen Teile des Geschlechtsapparats (Hoden, Ovarien und sonstige Drüsen) intensiv gefärbt werden. Leider kann man diese Methode bloss bei solchen Arten verwenden, die sich etwas komprimieren lassen, ohne zu zerplatzen. In anderen Fällen führt nur die Härtung der Tiere (s. oben) und die Zerlegung derselben in Schnittserien zum Ziele.
[V] Diese besteht aus 5 Teilen Sublimat, 5 Teilen Eisessig und 100 Teilen Wasser.
[S. 269]
Durch zahlreiche faunistische Exkursionen, welche ich in dem Zeitraume von 1884–1889 in den verschiedensten Teilen Deutschlands ausgeführt habe[VI], hat sich mir die Überzeugung aufgedrängt, dass die Verbreitung der Strudelwürmer nicht längs gewisser Linien erfolgt, aus denen eine Abhängigkeit dieser Tiere von klimatischen Einflüssen oder von der Bodenbeschaffenheit der bezüglichen Wasseransammlungen zu erkennen wäre. Die Eier dieser Tiere scheinen vielmehr durch zufällig sich darbietende Transportgelegenheiten überallhin verschleppt werden zu können und da, wo es die äusseren Verhältnisse nur irgend gestatten, die Ansiedelung der Art zu ermöglichen. Die meisten Turbellarien-Eier sind hartschalig und widerstandsfähig, so dass sie nicht leicht durch Stoss oder Druck Schaden nehmen können. Mit solchen Eigenschaften ausgerüstet, können sie also selbst dann gut erhalten bleiben, wenn das Muttertier, in dessen Leibeshöhle sie sich befinden, bei der Luftreise am Gefieder eines Wasservogels durch Austrocknung zu Grunde gehen sollte. Besucht nur der Transporteur gelegentlich ein anderes Wasserbecken, so gelangen sie wohlbehalten und lebenskräftig wieder in ihr Element und entwickeln sich dort ebenso gut wie in dem Weiher oder Tümpel, welchem sie durch[S. 270] Zufall — samt der mit ihnen trächtigen Mutter — entrissen wurden. Auf diese Art erklärt sich auch die Launenhaftigkeit des Vorkommens mancher Turbellarienspezies, die sonst völlig rätselhaft wäre. Es wird uns von dem nämlichen Gesichtspunkte aus auch die Besiedelung hoch gelegener Bergseen mit Strudelwürmern begreiflich, da man letztere doch unmöglich als aktiv dorthin gewandert ansehen kann. Der Kleine Koppenteich im Riesengebirge, der eine Höhenlage von 1180 m hat, beherbergt — wie schon eingangs mitgeteilt — 14 Arten von Turbellarien[VII], darunter auch eine sehr seltene Form (Monotus lacustris Zach.), welche zu einer Gattung gehört, die sonst nur Meeresbewohner umfasst[VIII]. Dieser Süsswasser-Monotus wurde inzwischen auch im Peipus-See (Russland) und in zahlreichen Seen der Schweiz aufgefunden. Nichtsdestoweniger bleibt es überraschend, dass er durch die Gunst des Zufalls auch in jene verlorene Felsenschlucht, auf deren Grunde der Kleine Koppenteich liegt, verpflanzt werden konnte. Dies erklärt sich nur aus der Widerstandsfähigkeit seiner Eikörper, die infolgedessen weit verschleppt werden können, ohne ihre Entwickelungsfähigkeit einzubüssen. Und in gleicher Weise haben wir uns die Ansiedelung der übrigen 13 Arten von Strudelwürmern an jener Lokalität zu erklären, wobei aber nicht ausgeschlossen sein soll, dass gelegentlich auch einmal eine lebende Turbellarie am Gefieder eines Vogels hängen bleiben und dadurch in ein anderes (nahe gelegenes) Wasserbecken übergeführt werden kann. Viele Strudelwürmer besitzen sogenannte „Klebzellen“ an ihrem Hinterende, mit welchen sie sich an allerlei feuchten Gegenständen festzuheften vermögen. Diese eigentümlichen Organe werden ihre[S. 271] guten Dienste wohl auch beim Transport durch Vögel oder Wasserkäfer leisten, wenn es gilt, einen Halt gegen das Fortgewehtwerden durch Luftzug während des Fluges jener Tiere zu gewinnen[106].
1. „Studien über die Fauna des Grossen und Kleinen Teiches im Riesengebirge.“ Zeitschr. f. wiss. Zoologie. 41. Bd. 1885.
2. „Ergebnisse einer zoolog. Exkursion in das Glatzer-, Iser- und Riesengebirge.“ Zeitschr. f. wiss. Zoologie. 43. Bd. 1886.
3. „Zur Kenntnis der pelagischen und littoral. Fauna norddeutscher Seen.“ Zeitschr. f. wiss. Zoologie. 45. Bd. 1887.
4. „Faunistische Studien in westpreuss. Seen.“ Schrift. d. naturf. Gesellschaft zu Danzig. 1887.
5. „Zur Kenntnis der Fauna des Süssen und Salzigen Sees bei Halle a. d. S.“ Zeitschr. f. wiss. Zoologie. 46. Bd. 1888.
6. „Über das Ergebnis einer Seen-Untersuchung in der Umgebung von Frankfurt a. d. O.“ Monatl. Mitteil. aus dem Gesamtgebiete der Naturw. Nr. 8, 1888/89.
7. „Faunistische Untersuchungen in den Maaren der Eifel.“ Zool. Anzeiger Nr. 295, 1888.
8. „Zur Kenntnis der Microfauna fliessender Gewässer Deutschlands.“ Biolog. Centralbl. Nr. 24, 1888.
[VII] Mesostoma rostratum Ehrb., Mesost. viridatum M. Sch., Macrostoma viride van Bened., Stenostoma leucops O. Schm., Vortex truncatus Ehrb., Vortex Hallezii v. Graff, Prorhynchus stagnalis M. Sch., Prorhynchus curvistylus M. Braun, Prorhynchus maximus n. sp., Gyrator hermaphroditus Ehrb., Bothrioplana silesiaca n. sp., Bothriopl. Brauni n. sp., Monotus lacustris Zach. und Planaria abscissa Ijima.
[VIII] Was das numerische Verhältnis der marinen Turbellarien-Formen zu denjenigen des Süsswassers anbelangt, so sei bei dieser Gelegenheit (nach v. Graff) angeführt, dass 160 Meeresbewohnern (darunter 15 Parasiten) 97 Süsswasser- und 1 Landbewohner (der hammerköpfige Prorhynchus) gegenüberstehen. — Die Familie der Monotiden galt bisher für eine ausschliesslich marine Gruppe.
Auch in viel höher als 1000 m gelegenen Bergseen finden wir noch Turbellarien (Rhabdocölen sowohl als Dendrocölen), wie von Prof. Fr. Zschokke (Basel) neuerdings an einigen Seen des Rhätikons, jener gewaltigen Grenzkette zwischen Vorarlberg und Graubünden, nachgewiesen worden ist. Er fand da oben noch Microstoma lineare und eine Planarien-Spezies[107].
Diese Thatsache (und die Auffindung von Turbellarien in noch anderen alpinen Seen) unterstützt die Theorie von deren passiver Migration, sodass wir kein Bedenken tragen dürfen, uns die Verbreitung jener leicht verletzbaren Würmer in derselben Weise zu denken, wie dies von den kleinen Krebstieren längst bekannt ist, nämlich durch ihre widerstandsfähigen Eikörper und die gelegentliche Verschleppung von erwachsenen Exemplaren, welche am feuchten Gefieder eines wandernden Wasservogels vor Austrocknung geschützt blieben und so eine Luftreise nach einem andern Wasserbecken ohne Schaden für Leib und Leben zu überstehen vermochten.
[S. 272]
[91] Vergl. O. Zacharias, Zur Kenntnis der niedern Tierwelt des Riesengebirges nebst vergleichenden Ausblicken. Mit 6 Illustrationen. 1890.
[92] E. Sekera, Prispěvky ku známostem o turbellariéch sladnovodních. Prag 1888. Mit 4 Tafeln.
[93] L. v. Graff, Monographie der Turbellarien (I. Rhabdocoelida). 1882. Mit 20 Figurentafeln.
[94] Isao Ijima, Untersuchungen über den Bau und die Entwickelungsgeschichte der Süsswasser-Dendrocölen (Tricladen). Zeitschr. f. wiss. Zoologie, 40. Bd. 1884. Mit 4 Tafeln.
[95] Paul Hallez, Embryogénie des Dendrocoeles d’eau douce. Avec 5 planches. 1887.
[96] O. Zacharias, Über Fortpflanzung durch spontane Querteilung bei Süsswasserplanarien. Zeitschr. f. wiss. Zoologie, 43. Bd. 1885.
[97] W. Weltner, Dendrocoelum punctatum Pallas bei Berlin. Sitzungsber. d. Königl. preuss. Akademie d. Wissenschaften. 1887. Mit 1 Tafel.
[S. 273]
[98] J. v. Kennel, Die in Deutschland gefundenen Landplanarien. Arbeiten des Zool.-zootom. Instituts zu Würzburg. 5. Bd. 1879.
[99] F. Vejdovský, Note sur une nouvelle planaire terrestre (Microplana humicola nov. gen., nov. sp.). Revue biologique du Nord de la France. No. 4, 1890.
[100] M. Braun, Über Dorpater Brunnenplanarien. Mit 1 Tafel. 1881.
[101] O. Zacharias, Zwei neue Vertreter des Genus Bothrioplana (M. Braun). Zool. Anz. No. 229, 1886.
[102] Du Plessis-Gouret, Essay sur la faune profonde des lacs de la Suisse. 1885.
[103] O. Zacharias, Das Wassergefässsystem bei Microstoma lineare. Zool. Anz. No. 196, 1885.
[104] B. Landsberg, Über einheimische Microstomiden. Programm des Königl. Gymnasiums zu Allenstein. 1887.
[105] M. Braun, Die rhabdocölen Turbellarien Livlands. Mit 4 Tafeln. 1885.
[106] O. Zacharias, Über Anpassungserscheinungen im Hinblick auf passive Migration. Biolog. Centralbl. No. 4, 1889.
[107] Fr. Zschokke, Faunistische Studien in Gebirgsseen. 1890. — Zweiter Bericht darüber: 1891.
Vergl. ausserdem die älteren Werke von
O. Schmidt, Die rhabdocölen Strudelwürmer des süssen Wassers. 1848. — Ergebnisse der Untersuchung der bei Krakau[S. 274] vorkommenden Turbellarien. Sitzungsber. Akad. d. Wiss. zu Wien. 25. Bd. 1857. — Die dendrocölen Strudelwürmer aus den Umgebungen von Graz. Zeitschr. f. wiss. Zool. 10. Bd. 1858
und
M. Schultze, Beiträge zur Naturgeschichte der Turbellarien. Mit 7 Tafeln. 1861.
[S. 275]
Von Dr. Ludwig H. Plate in Marburg.
[S. 277]
Zu den Lebewesen des süssen Wassers, deren Körperbau wegen ihrer geringen Grösse nur mit Hilfe des Mikroskopes studiert werden kann, gehört eine Tiergruppe, die in manchen Organisationsverhältnissen sich einerseits an die im vorigen Kapitel vom Herausgeber dieses Werkes geschilderten Turbellarien anlehnt, anderseits einzelne Gattungen enthält, deren Körper lange, mit Borsten besetzte, an die Gliedmassen der Arthropoden in morphologischer und physiologischer Hinsicht auffallend erinnernde Anhänge besitzt. Es ist die kleine, an häufigen Gattungen nicht allzu reiche Familie der Rädertiere oder „Rotatoria“, deren Besprechung sich demnach ungezwungen zwischen die von den Strudelwürmern und den Entomostraken handelnden Schilderungen einfügt.
Die Rädertiere sind vorwiegend Bewohner des süssen Wassers und zwar, man kann sagen, jeder Form, in der dasselbe in unseren Breitengraden auftritt; doch enthält auch das Meer eine ganze Anzahl von Gattungen, deren meiste Arten dem Süsswasser angehören, aber nur in seltenen Fällen treten die marinen Vertreter in solcher Individuenzahl auf, dass sie einen charakteristischen Bestandteil der pelagischen Fauna bilden. Wir werden daher im folgenden vornehmlich auf die Süsswasserformen eingehen und nur gelegentlich der Meeresbewohner Erwähnung thun. Die Rotatorien sind, wie angedeutet wurde, keineswegs wählerisch in Bezug auf ihre Fundplätze; der fliessende Strom und die sprudelnde Bergquelle gewähren ihnen ebensogut alle Bedingungen zur Erhaltung des[S. 278] Lebens, wie der stagnierende Sumpf, und die nie austrocknenden Wasserbecken grösserer Teiche und Seen werden ebenso zahlreich von verschiedenen Gattungen und Arten bevölkert wie die vergängliche Lache, die sich irgendwo nach einem heftigen Regenschauer bildet und schon nach wenigen Tagen der Macht der Sonne weichen muss. Selbst an Orten, die immer nur ganz vorübergehend mit dem feuchten Elemente in Berührung kommen, die der Zeitdauer nach viel eher als trocken denn als nass bezeichnet werden müssen, also unter Existenzbedingungen, wie sie ungünstiger kaum für einen Wasserorganismus gedacht werden können, selbst dort begegnen wir dem munteren Völkchen der Rotatorien. Derartige Fundorte sind z. B. die Rinnen auf den Dächern alter Häuser, sobald sich in ihnen Sand und Schlamm angesammelt hat; ferner leben viele Rotatorien in dichten Moos- und Flechtenpolstern sowie in den oberflächlichen Erdlagen zwischen den Wurzeln von Gräsern und anderen Kräutern. Da die Rotatorien allseitig von Wasser umspült sein müssen — eine feuchte Atmosphäre genügt nicht —, um ihre Lebenskräfte bethätigen zu können, so folgt daraus, dass dieselben an den letztgenannten Fundorten nur nach einem Regenguss oder nach reichlichem Taufall zum Genusse ihres Daseins kommen. Sobald ihr Lebenselement wieder abgeflossen oder verdunstet ist, schrumpfen sie zu einem winzigen Körnchen zusammen, das regungslos daliegt und wie ein Staubatom vom Winde überall hin geführt werden kann, um bei der nächsten Anfeuchtung wieder aufzuquellen und, vom Scheintod erweckt, aufs neue in den Kreis der Lebewesen einzutreten. Viele Rädertiere — wir können sie als „Erdrotatorien“ den ständigen Wasserbewohnern gegenüberstellen — sind demnach in wunderbarer Weise an solche periodisch auftretende Lebensbedingungen angepasst und führen ein intermittierendes Dasein, auf das ich eingehender weiter unten (s. IV) zu sprechen kommen werde.
Obwohl nun die meisten Wasserrotatorien ausgezeichnete Schwimmer sind, die vielfach pfeilschnell sich mit Hilfe ihres „Räderapparates“ zu bewegen vermögen, so giebt es doch nur verhältnismässig wenige Gattungen, die beständig schwimmen und[S. 279] daher auch dort vorkommen, wo das Wasser fast frei von Pflanzen und Treibmaterial ist, also in der Mitte unserer Teiche und Seen. Man pflegt gegenwärtig die im offenen Meere lebenden Tiere und Pflanzen im Gegensatz zu den die Küste und den Meeresgrund bewohnenden als „pelagische“ zu bezeichnen und wendet diesen Ausdruck, übertragend, aber wenig logisch, auch auf die Süsswasserfauna an. Zu den pelagischen Rädertieren des Süsswassers gehören vornehmlich die Gattungen Asplanchna, Anuraea, Triarthra, Polyarthra und Synchaeta, für die weiter charakteristisch ist, dass sie dort, wo sie vorkommen, meist in sehr grosser Individuenzahl, zu Tausenden und Abertausenden, angetroffen werden. Die Mehrzahl der Rotatorien liebt es hingegen, abwechselnd zu schwimmen und sich vorübergehend mittels besonderer am Hinterende des Körpers angebrachter „Fussdrüsen“ festzuheften, und sie halten sich aus diesem Grunde zwischen Wasserpflanzen oder, bei seichten Gewässern, dicht über dem Boden auf. Bei einigen wenigen Gattungen endlich ist die Beweglichkeit noch mehr beschränkt. So treffen wir in der Abteilung der Philodiniden nur Formen an, die, wenn sie ungestört sind, sich fest irgendwo vor Anker legen und ihren Räderapparat nur zum Herbeistrudeln von Nahrung benutzen; erst wenn sie beunruhigt werden, verlassen sie teils spannerraupenartig kriechend, teils frei schwimmend den Platz. Endlich giebt es noch eine kleine Familie, die Melicertiden, welche nur in der Jugend frei beweglich sind, später aber sich dauernd an Wasserpflanzen oder untergetauchten Gegenständen festheften.
Ehe wir uns nun einer vergleichenden Schilderung der ganzen Gruppe der Süsswasserrotatorien zuwenden, wollen wir eine bestimmte Art möglichst eingehend anatomisch und biologisch untersuchen, um so einen gesicherten Ausgangspunkt zu gewinnen, von dem aus der Leser in das Studium dieser interessanten kleinen Wesen eindringen und einen Massstab an die innerhalb derselben vorkommenden Variationen des Körperbaues und der Lebensweise anlegen kann. Wir wählen als Typus der Klasse eine der gemeinsten, überall sich findenden Arten, die zuerst von dem dänischen Zoologen Otto Friedrich Müller 1773 entdeckt[S. 280] und später von dem grossen Berliner Erforscher der kleinsten Lebewesen, Christian Gottfried Ehrenberg, im Jahre 1838 unter dem Namen
beschrieben wurde. Das Tierchen gehört zu den ständigen Wasserbewohnern, und wir können uns dasselbe ebenso wie seine übrigen Verwandten mit Hilfe eines sehr engmaschigen seidenen kleinen Netzes aus sogen. „Müllergaze“ leicht verschaffen. Exemplare von Hydatina finden sich häufiger in kleinen stehenden Tümpeln als in grösseren Wasserbecken, was vielleicht nur damit zusammenhängt, dass sie sich in letzteren auf einen grösseren Raum verteilen, während sie sich in ersteren nicht selten in enormen Scharen ansammeln, sodass wir nur für einige Augenblicke das Netz durch das Wasser hin und her zu ziehen und dann den im Grunde desselben angesammelten Niederschlag in einem Wasserglase abzuspülen brauchen, um mit einer schwachen Lupe Tausende von durchsichtigen etwa ½ mm langen Hydatinen sich rastlos im Wasser umhertummeln zu sehen. Sehr häufig erkennt man von jedem Tierchen nicht viel mehr als einen grünen zentralen Fleck, der sich bei Besichtigung mit einem Mikroskope als ein im Magen liegender Nahrungsballen von kleinen grünen Algen oder Flagellaten erweist. Um eine volle Einsicht in den Bau der Hydatinen zu gewinnen, bedarf es eines Mikroskopes, dessen Vergrösserungskraft sich etwa bis zu einer 500fachen steigern lässt. Mit Hilfe eines „Tropfenzählers“ übertragen wir einige der Tierchen in ein Uhrschälchen, greifen zur Lupe und bringen eines derselben mittels der Pipette in einem kleinen Tropfen auf den Objektträger, bedecken ihn mit einem Deckglase und betrachten nun das Rädertier mit einer schwachen Vergrösserung. Jenachdem sich noch relativ viel oder wenig Wasser unter dem Deckglase befindet, schwimmt das Tier rasch oder langsam umher, sodass wir — durch Zusatz oder durch Absaugen von Wasser — es vollkommen in der Hand haben, die Geschwindigkeit der Fortbewegung so zu regulieren, dass eine Beobachtung der natürlichen Körpergestalt möglich ist. Zum[S. 281] Studium der inneren Organisation ist es jedoch unumgänglich nötig, die lebhaften Bewegungen der Hydatina ganz oder nahezu zu hemmen, und hierzu stehen uns drei Mittel zur Verfügung. Einmal lässt sich durch Absaugen eines Teiles des Wassers ein solcher Druck auf das Objekt ausüben, dass dasselbe fast unbeweglich daliegt; wird die Körpergestalt hierbei auch unnatürlich breit, so hat doch diese Methode den grossen Vorzug, die Lebensäusserungen fast aller Organe der Beobachtung selbst mit starken Vergrösserungen zugängig zu machen. Zweitens kann man durch Zusatz eines Tropfens einer dünnen Lösung von Kokain (1 Teil auf 20 Teile Wasser) die Hydatinen in vielen Fällen vorübergehend lähmen; leider ist dieses Mittel nicht immer zuverlässig und geht auch nur zu oft Hand in Hand mit Verzerrungen der natürlichen Körpergestalt. Der letztere Übelstand beeinträchtigt sehr häufig auch die Resultate, welche mit der dritten Methode, der Abtötung unter dem Deckglase oder im Uhrschälchen, erzielt werden. Am meisten anzuraten ist die Anwendung 1%iger Überosmiumsäure, da diese die Gewebe vorzüglich fixiert. Um das Schwarzwerden der Objekte zu verhüten, ist es nötig, dieselben, nachdem die Säure ½ bis 2 Minuten eingewirkt hat, mit destilliertem Wasser auszuwaschen. Eine Abtötung durch langsames Erwärmen des Wassers erhält die Tiere nicht selten schön ausgestreckt, ist aber bei feineren histologischen Studien nicht verwertbar.
Die Körpergestalt der Hydatina senta (Fig. 62 S. 282) ist die eines nicht sehr breiten, dafür aber ziemlich hohen Kegels, etwa eines Zuckerhutes. Der Basis des Kegels entspricht das vordere Körperende, während die Spitze in zwei kleine dolchförmige Anhänge, die „Fusszehen“, ausgezogen ist. Die Gestalt des völlig ausgestreckten Tieres weicht nur darin von der eines mathematischen Kegels ab, dass sie erstens etwas abgeplattet, gleichsam zusammengedrückt ist, sodass der Querschnitt keinen Kreis, sondern ein Oval darstellen würde, und dass sie zweitens hinter dem Vorderende eine ringförmige Einschnürung besitzt, um sich dafür in der Mitte um so stärker auszubauchen. Es ergiebt sich daraus eine Gliederung des Körpers in drei undeutlich von einander[S. 282] geschiedene Regionen, die von vorn nach hinten als Kopf, Mittelleib und Schwanz (letzterer von der Spitze des Kegels und den zwei Zehen gebildet) unterschieden werden. Betrachten wir den Kopf genauer, so sehen wir, dass seine nach vorn gekehrte Fläche nicht eben ist, sondern dass sie sich zu einer tiefen trichterförmigen Grube (gr) einsenkt. Der Rand dieses Trichters beschreibt kein regelmässiges Oval, sondern ein Dreieck, dessen zwei bauchständige oder „ventrale“ Seiten nach hinten winkelig vorgezogen sind, sodass sie etwas hinter dem „Dorsal-Rand“ liegen. Denken wir uns demnach einen Kegel an seiner Basis schräg abgestutzt und die so erhaltene Fläche trichterförmig eingestülpt, so ergeben sich annähernd gleiche Verhältnisse wie am Kopfe der Hydatina senta.
Schon eine flüchtige Betrachtung unseres Tierchens zeigt uns, dass die Kraft, welche dasselbe so[S. 283] munter im Wasser umhertreibt, vom Kopfende ausgehen muss, denn während der Mittelkörper und der Schwanz regungslos durch das flüssige Element dahingleiten, bemerken wir am Kopfe eine lebhafte Strudelung, deren Ursache uns ein starkes Objektiv erkennen lässt. Der ganze Rand des Kopfes und auch ein grosser Teil der Trichterwandung ist mit zahllosen Härchen (r) besetzt, die abwechselnd schnell hakenförmig zusammenknickend nach hinten schlagen und sich dann wieder langsam ausstrecken; jedes Härchen stellt gleichsam ein Ruder dar, das um einen festen Punkt herum hin und her bewegt wird. Bei manchen Rotatorien, namentlich den meisten Erd- und Moosbewohnern, ruft das Spiel dieser Wimpern oder „Cilien“ den Eindruck eines sich drehenden Rades hervor; indem nämlich immer nur wenige Ciliengruppen in den Fokus der betreffenden Linse gleichzeitig hineintreten, und diese dabei den Kopfrand umkreisend nach einander sichtbar werden, wird auf das Auge ein ähnlicher Reiz ausgeübt, wie ihn die Speichen eines in Drehung befindlichen Rades hervorrufen. Aus diesem Grunde hat man der ganzen Abteilung den Namen „Rädertiere“ gegeben, und bezeichnet man die Summe der zur Bewegung dienenden Härchen als „Räderapparat“ oder „Räderorgan“. Bei unserer Hydatina hält es nun gar nicht leicht, den Bau dieses Wimpertrichters genau festzustellen, so dass in Einzelheiten die Angaben der verschiedenen Forscher vielfach differieren. Unsere Abbildung zeigt, wie der Räderapparat im wesentlichen aus zwei Cilienkränzen, einem äussern und einem innern, besteht. Jener wird aus einer Reihe sehr zarter und langer Cilien gebildet, zwischen die sich nur auf der Ventralseite, ungefähr in der Mitte jeder Seitenhälfte, einzelne derbere Borsten einschieben. Der innere Kranz hingegen ist vielgestaltiger und zerfällt in drei von einander getrennte Zonen. An der Rückenwand erhebt er sich zu fünf grösseren Polstern, die mit starken Borsten besetzt sind und hinter denen eine Doppelschnur von kleineren Cilien entlang zieht. Auf der Ventralfläche des Kopftrichters breitet sich jederseits der Medianlinie ein Wimperband aus, das aus einer Reihe grosser und einer Reihe kleiner Härchen gebildet wird. Endlich ist auch noch der[S. 284] Grund des Trichters mit zahlreichen kleinen Cilien besetzt, deren Anordnung sich nicht weiter verfolgen lässt. Der Räderapparat hat nun nicht allein den Zweck, die Hydatina unter beständigen Umdrehungen um die Längsachse durch das Wasser zu treiben, sondern erfüllt auch die viel wesentlichere Aufgabe, die nötige Nahrung herbeizustrudeln. Unser Krystallfischchen nährt sich, wie der meist grüne Mageninhalt beweist, vornehmlich von Flagellaten (Euglenen u. dergl.), kleinen Algen, Diatomeen, Infusorien und ähnlichen niedrigsten Organismen. Der vom Cilienapparat hervorgerufene Strudel packt dieselben und schleudert sie auf den Grund des Trichters (gr) in die daselbst gelegene Mundöffnung, von wo aus sie durch andere Wimpern in den eigentlichen Verdauungskanal getrieben werden. Die geschilderten Cilien des Kopftrichters besitzen die Kraft zu ihrer rastlosen Thätigkeit in sich selbst, sie bewegen sich spontan und werden nicht etwa durch Muskeln bewegt. Sie müssen naturgemäss fest in der Haut wurzeln, und daher sehen wir diese am Kopfe etwas stärker entwickelt als an anderen Körperstellen.
An der glashellen Körperwand der Hydatina lassen sich zwei verschiedene Lagen unterscheiden. Die äussere (c) ist völlig homogen und gegen dünne Kalilauge sehr widerstandsfähig, sodass wir ihr eine hornartige, „chitinige“ Beschaffenheit zuschreiben dürfen. Die innere (hg) hingegen ist feinkörnig, protoplasmatisch und enthält von Stelle zu Stelle einen Kern. Besondere Zellgrenzen lassen sich in dieser Protoplasmaschicht nicht erkennen, sie stellt vielmehr ein „Zellsyncytium“, d. h. eine durch Verschmelzung der ursprünglich getrennten Zellen einheitlich und kontinuierlich gewordene Lage dar. Man bezeichnet sie als „Hypodermis“ und nimmt an, die äussere Schicht, die „Kutikula“, sei durch Abscheidung von ihr erzeugt. Nur in zwei Körperregionen schwillt die Hypodermis zu ungewöhnlicher Dicke an. Dieselben liegen an den beiden Polen des Körpers, nämlich einmal längs des ganzen Randes des Kopftrichters, woselbst die Hypodermis zu zahlreichen halbkugeligen Polstern sich verdickt, welche eben den Cilien des Räderapparates die gewünschte feste Unterlage bieten, und ferner in den Zehen[S. 285] des Schwanzes, in denen die Hypodermis sich zu den zwei langen schlauchförmigen und ein gutes Stück nach vorn in die Leibeshöhle hineinragenden „Fuss- oder Klebdrüsen“ (f) erweitert. Beobachtet man eine lebende Hydatina, so wird man bald bemerken, dass diese keineswegs beständig umherschwimmt, sondern dass sie von Zeit zu Zeit sich an irgend einem untergetauchten Gegenstande für wenige Minuten festheftet. Das Spiel der Wimpern hört unterdessen nicht auf, dient dann aber lediglich seiner zweiten (nutritorischen) Funktion. Die Anheftung erfolgt mittels eines klebrigen Sekretes, das in Tropfenform von den Fussdrüsen an der Spitze der Zehen durch eine sehr kleine Öffnung entleert wird und bei Berührung mit dem Wasser sofort zu einer festen Masse erstarrt. Die Drüsen sind ebenso gebaut wie die Hypodermis, aus der sie hervorgegangen sind; sie stellen also ein Zellsyncytium dar ohne zentrales Lumen, d. h. ohne innere Höhle. Nach vorn läuft jede Drüse in einen feinen bindegewebigen Faden aus, der sich an der Körperwand befestigt und dadurch das Organ in der Leibeshöhle suspendiert erhält. Die Ausmündung erfolgt durch ein feines Röhrchen.
Von den inneren Organen des Krystallfischchens fallen durch ihre Grösse dem Beobachter vornehmlich diejenigen sofort auf, welche der Selbsterhaltung und der Fortpflanzung des Tierchens dienen, die Ernährungs- und die Geschlechtsorgane. Zu den ersteren kann man, wie wir oben gesehen haben, auch den Cilienbesatz des Kopfes rechnen. Die von demselben herbeigestrudelten Nahrungsteilchen treten am Grunde des Kopftrichters in die Mundöffnung über, welche nicht genau in der Mitte des von den Cilien umstellten Feldes liegt, sondern stark ventralwärts verschoben ist. Dies hat zur Folge, dass die dorsale Fläche des Kopftrichters etwas grösser ist, als jede der beiden ventralen, wie dies auch aus der Betrachtung unserer Abbildung erhellt. Der Verdauungskanal erstreckt sich unter der Rückenhaut als ein gerades, der Medianlinie folgendes Rohr nach hinten und gliedert sich in vier Abschnitte, die vom Munde aus gerechnet nach einander als Kauapparat oder Mastax, Schlund oder Oesophagus, Mitteldarm[S. 286] oder Magen und Enddarm oder Rectum bezeichnet werden können. Der Kauapparat (ma) ist ein relativ grosses, querovales, am Hinterrande dreilappig ausgezogenes Gebilde, das sich nicht direkt an die Mundöffnung anschliesst, sondern mit dieser durch ein kurzes flimmerndes Rohr verbunden ist. Ich sehe in diesem keinen besonderen Abschnitt des Verdauungskanales, sondern rechne es mit zur Mundöffnung. Der Mastax wird aus einem äusseren protoplasmatischen Mantel und einem zentralen chitinigen Kieferapparat zusammengesetzt, dessen eigenartige Bewegungen dem Beobachter sofort ins Auge fallen. Wie etwa die Backen eines Nussknackers durch den Druck der Hand gegen einander bewegt und nach Sprengung der Schale wieder von einander entfernt werden, so rücken die beiden Seitenteile des Gebisses um einen festen Angelpunkt abwechselnd gegen und von einander und zermalmen so jedes zwischen sie geratene Nahrungsteilchen. Der Kieferapparat ist im einzelnen so kompliziert eingerichtet, dass man seinen Bau nur nach völliger Isolierung erkennen kann. Bei der Kleinheit des Objektes ist an ein Zerzupfen des Tieres mittels feiner Nadeln nicht zu denken; wir opfern daher lieber ein Individuum und bringen einen Tropfen dünner Kalilauge unter das Deckglas. Dieselbe zerstört, vornehmlich in der Hitze, sämtliche protoplasmatischen Bestandteile der Hydatina, sodass nur der chitinige Zahnapparat erhalten bleibt. Jetzt hält es nicht schwer, sich eine ungefähre Vorstellung von dem zierlichen Gerüste der Kiefer zu bilden: zwei nach vorn gerichtete Seitenteile werden hinten durch ein stabförmiges unpaares Gebilde zusammengehalten. Sie tragen als wichtigsten Bestandteil auf der Innenfläche fünf lanzettförmige, quergerichtete Zahnleisten, die beim Zusammenklappen des Gebisses sich zwischen einander schieben und so die Nahrung zerquetschen. Die den Kieferapparat umhüllende Plasmamasse ist offenbar zum grossen Teile muskulöser Natur und bewirkt die rhythmischen Bewegungen, wenn sie auch keine fibrilläre Struktur erkennen lässt. Einzelne Partien lassen aus ihrem Aussehen auf eine drüsige Funktion schliessen. Auf der Dorsalfläche und nahe dem Hinterrande des Mastax entspringt der kurze, sehr enge und schwer sichtbare[S. 287] Schlund. Abgesehen vom Kauapparat ist er der einzige Abschnitt des Verdauungskanales, welcher der Flimmercilien entbehrt. Der sich an ihn anschliessende Magen (sto) ist gross, sackförmig, vorn und hinten etwas verschmälert; in ihm pflegen bei frisch gefangenen Tieren die Nahrungsbestandteile so dicht angehäuft zu liegen, dass, wie gesagt, die ganze Hydatina unter der Lupe nur wie ein wandelnder grüner oder schwärzlicher Fleck erscheint. Unter dem Mikroskope erweisen sich jene Bestandteile grösstenteils in beständiger zitternder Bewegung, die durch die langen Cilien der aus einer Schicht grosser polygonaler Zellen gebildeten Wandung hervorgerufen wird. Besonders gross sind diese Flimmerhaare am Übergange des Schlundes in den Magen. Neben dieser Stelle sitzt dem Magen noch ein Paar drüsiger, birnförmiger Anhänge (dr) an, die einzigen, welche dem Verdauungskanal überhaupt zukommen. Sie dienen vermutlich als Leber, indem sie ein die Verdauung unterstützendes Sekret in den Magen entleeren. Der Enddarm unterscheidet sich im histologischen Bau nur unwesentlich von dem Magen, von dem eine ringförmige, muskulöse Einschnürung ihn trennt. Er geht nicht direkt in den querspaltigen, ungefähr am Anfange des letzten Körperviertels auf der Rückenseite gelegenen After (a) über, sondern beide trennt ein kurzer, flimmerloser Zwischenkanal, die sogen. Kloake. Sie nimmt ausser dem Enddarm die Ausführgänge der Zeugungs- und Exkretionsorgane auf.
Die Ausscheidung einer harnartigen Flüssigkeit, welche dem Körper nicht mehr dienliche stickstoffhaltige Stoffe entfernt, besorgen zwei schmale, dünnwandige Röhren, die Nephridien (ne) — mit einem unpassenden Namen auch wohl als „Wassergefässe“ bezeichnet —, welche sich vom Kopfabschnitt der Leibeshöhle an seitlich nach hinten bis zur Kloake erstrecken; sie verschmelzen hier zu einer gemeinsamen Blase, einem Harnreservoir (c.v), das in die Kloake einmündet und seinen Inhalt durch rhythmische Kontraktion seiner Wände in diese entleert. Bei einem gesunden Tiere folgen Zusammenziehung und Ausdehnung der Blase einander in regelmässigem Wechsel, mehrere Male in jeder Minute, sodass man von einem Pulsieren derselben sprechen kann. Jedes Nierengefäss zeigt[S. 288] aussen eine zarte, feinkörnige, protoplasmatische Wandung mit hie und da eingestreuten Kernen und innen einen engen Kanal. An zwei kleinen Stellen, nämlich vorn im Kopfe und in der Höhe der Magendrüsen, windet sich der Kanal knotenartig mehrfach hin und her, und hier findet sich dementsprechend auch eine reichlichere Ansammlung von Protoplasma. Die beiden vorderen Knäuelpartien stehen ausserdem durch ein enges, bogenförmig unter der Rückenhaut (genauer gesagt: dem Gehirn) verlaufendes Quergefäss mit einander in Verbindung. Jeder Nierenschlauch trägt eine Anzahl eigenartiger sehr kleiner Anhänge (z), die man auch bei den Turbellarien vorgefunden hat, und die nach der flackernden, unsteten Bewegung, die man in ihrem Innern stets bemerkt, als „Zitterflammen“ oder „Zitterorgane“ bezeichnet werden. Es sind Ausstülpungen des Kanallumens, die sich bald mit einer dreieckigen Breitseite, bald mit einer birnförmigen Schmalseite dem Beobachter präsentieren. Jene Bewegung wird hervorgerufen durch die Schwingungen einer kleinen Membran, die dem freien, nach aussen geschlossenen Ende der Ausstülpung aufsitzt und in ihr Lumen hineinragt. Die ganze Bildung ist wohl als eine eigentümliche Wimperzelle anzusehen, deren physiologische Bedeutung freilich noch ganz unklar ist.
Untersucht man eine grosse Anzahl von ausgewachsenen Hydatinen, so wird man erstaunt darüber sein, bei allen auf der Ventralseite und in der Mitte des Körpers ein grosses Organ anzutreffen, das unzweifelhafte Eier enthält und demnach als Geschlechtsorgan des Weibchens angesehen werden muss. Vergebens aber suchen wir in diesem Tiere und in anderen Individuen nach irgendwelchen Andeutungen von einer männlichen Sexualdrüse. Es hat lange gedauert, bis die hier obwaltenden Verhältnisse klar erkannt worden sind. Bei der Hydatina sind nämlich fast alle Individuen weiblichen Geschlechtes, und der Prozentsatz der Männchen ist ein so ausserordentlich niedriger, dass auf viele Hunderte von ♀ nur ein oder einige wenige ♂ kommen. Die ♂ weichen auch in Grösse und Bau so erheblich von den ♀ ab, dass wir weiter unten diesen Dimorphismus der Geschlechter besprechen[S. 289] werden. Da nun die ♂ so sehr viel seltener sind, haben die Hydatinen die Fähigkeit erworben, sich auch ohne die Männchen „parthenogenetisch“ fortzupflanzen, d. h. die von ihnen erzeugten Eier bedürfen keiner Befruchtung, sondern entwickeln sich ohne diese „jungfräulich“ zu neuen Tieren. In dem Ovar bemerkt man zunächst nur eine dichtkörnige dunkele Protoplasma-Masse (dst), in der acht ovale, von einem schmalen, hellen Hofe umgebene Gebilde liegen. Wir sehen hierin acht Kerne, deren Kernkörperchen eine riesige Ausdehnung gewonnen haben, sodass der eigentliche Kern auf jene Randzone sich beschränkt. Früher nahm man an, dass diese Kerne sich, von etwas Protoplasma umgeben, abschnürten und sodann zu Eiern heranwüchsen. Es hat sich nun neuerdings gezeigt, dass diese Anschauung nicht richtig ist, sondern dass jene zusammenhängende mit acht grossen Kernen versehene Protoplasma-Masse nur einen Teil des Ovars darstellt und zwar denjenigen, der nicht die Eier erzeugt, sondern diese nur mit Nahrungsdotter versorgt und daher als Dotterstock zu bezeichnen ist. An seinem Vorderrande erblickt man an Tieren, die mit Osmium-Säure abgetötet, und deren Kerne hinterher durch irgend eine der gebräuchlichen Flüssigkeiten, etwa Borax-Karmin, gefärbt worden sind, noch eine Anzahl sehr kleiner und dicht zusammenliegender Kerne. Diese stellen den Eierstock (est) dar, denjenigen Teil der Geschlechtsdrüse, welcher die Keimzellen, die Eier, liefert. Wie ein Blick auf unsere Abbildung lehrt, werden die Kerne des Eierstockes nach der rechten Ecke des Vorderrandes (die Bauchseite des Tieres ist dem Beobachter zugewendet) zu immer kleiner. Sie liegen hier, wie es scheint, in einem kontinuierlichen Protoplasma-Lager, an das sich nach links zu deutlich gesonderte kleine Eizellen anschliessen. Je mehr wir uns der linken Ecke des Ovars nähern, um so grösser werden die Eizellen, und die grössten schieben sich dabei nach hinten vor und kommen so neben den linken Seitenrand des Dotterstockes zu liegen, dem sie sich dicht anschmiegen. In dieser Stellung beginnt nun auch die ernährende Thätigkeit des Dotterstockes. Letzterer, wie auch die Eizelle, werden von einer sehr zarten Membran umhüllt, und durch diese diffundiert die im[S. 290] Dotterstock angesammelte Dottersubstanz hindurch und gelangt so in die Eizelle hinein. Dieser Übertritt kann natürlich nur in einer flüssigen Form geschehen und entzieht sich deshalb der direkten Beobachtung. Aber der Umstand, dass die dem Dotterstocke angelagerten Eizellen sehr bedeutend an Grösse zunehmen, während die Plasma-Masse des Dotterstockes abnimmt, lässt keine andere Deutung der Verhältnisse zu. — Die gesamte Geschlechtsdrüse wird von einer dünnen Membran sackartig umgeben. Hinter dem Dotterstock umschliesst dieselbe einen trichterförmig sich nach hinten verengernden Raum, den „Uterus“ (ut), welcher neben der kontraktilen Blase der Nephridien in die Kloake mündet. Sobald die Eier ihre definitive Grösse erreicht haben, fallen sie in den Uterus hinein und werden aus diesem durch die Kloake hindurch einzeln abgesetzt. Die Eier sind von runder oder ovaler Gestalt und schwanken in der Länge ihrer grössten Achse etwa zwischen 0.10 bis 0.14 mm. Untersucht man eine grössere Anzahl solcher Eier, so wird man einzelne von besonderer Kleinheit antreffen (0.07 bis 0.11 mm), die im Innern einen sehr auffälligen tiefschwarzen Fleck aufweisen. Der Breslauer Botaniker Cohn hat zuerst gezeigt, dass sich aus derartigen Eiern stets Männchen entwickeln. Die genannten zwei Eisorten sind nun nicht die einzigen, welche unserer Hydatina zukommen. Da das Tierchen, wie angegeben wurde, mit Vorliebe sich in ganz seichten Lachen und Gräben aufhält, welche oft schon nach wenigen Tagen eintrocknen, so würde dasselbe in solchen Fällen stets zu Grunde gehen, wenn nicht die Natur ein Schutzmittel in der Erzeugung besonders widerstandsfähiger „Dauereier“ geschaffen hätte; denn die Hydatina besitzt nicht das von den Erdrotatorien eingangs geschilderte Eintrocknungsvermögen. Sobald das Tier dem feuchten Elemente entrückt wird, geht es rettungslos zu Grunde. Jene Dauereier hingegen können unbeschadet ihrer Lebenskraft eintrocknen. Sie unterscheiden sich von den gewöhnlichen Eiern äusserlich nur dadurch, dass sie von einer doppelten Hülle umgeben sind, von denen die äussere sehr derb und mit einem dichten Haarbesatz versehen ist. Ob auch ein Unterschied — etwa in der Grösse — zwischen männlichen[S. 291] und weiblichen Dauereiern existiert, oder ob überhaupt nur letztere vorkommen, was wahrscheinlicher ist, ist zurzeit noch nicht entschieden. Alle drei Eisorten vermögen sich nun auf parthenogenetischem Wege zu entwickeln und zwar die dünnschaligen sehr rasch, ungefähr in 24 Stunden, während die Entwickelungsdauer der hartschaligen sehr verschieden zu sein scheint. Jedenfalls können diese wochenlang ohne Veränderung verharren und bedürfen vielleicht unter Umständen erst einer Trockenperiode. Früher bezeichnete man die hartschaligen Eier vielfach als „Wintereier“, indem man annahm, dass sie im Herbste aufträten und die Art über die rauhe Jahreszeit hinaus erhielten. Cohn stellte ferner den Satz auf, dass dieselben nur nach erfolgter Begattung gebildet werden könnten. Beide Ansichten sind nicht richtig. Die Dauereier werden den ganzen Sommer hindurch gebildet und zwar auch von Weibchen, die nie mit Männchen in Berührung gekommen sind. Sie dienen auch nicht als Schutz gegen die Kälte, sondern gegen das Eintrocknen, daher sie auch bei den Erdrotatorien, die in anderer Weise an das Versiegen des Wassers angepasst sind, fehlen. Merkwürdigerweise werden alle drei Eisorten je von besonderen Individuen erzeugt, wenigstens bin ich auf Grund grösserer Versuchsreihen seinerzeit für die Hydatina senta zu diesem Schlusse gedrängt worden. Die Mehrzahl aller Hydatinen legt nur weichschalige weibliche „Sommereier“, und zwar während ihrer zwei- bis dreiwöchigen Lebensdauer etwa fünfzig Stück; einige wenige Tiere erzeugen ebenso ausschliesslich die kleinen weichschaligen Eier, aus denen die Männchen schlüpfen. Das Gleiche gilt von denjenigen Tieren, welche Dauereier ablegen, nur dass die Zahl derselben eine viel geringere ist, indem täglich nur 1–5 derselben abgesetzt werden[IX].
[IX] Nach den neuesten (Comptes rendus, t. CXI. 1890) Untersuchungen von Maupas, die mir während der Korrektur d. Bog. bekannt werden, sind die Fortpflanzungsverhältnisse der Hydatina noch etwas anders. Es finden sich zwei Sorten von ♀: 1) nicht befruchtungsfähige, die ausnahmslos weibliche parthenogenetische Eier erzeugen; 2) befruchtungsfähige, die im Falle einer Befruchtung Dauereier absetzen, bei mangelnder Begattung männliche Sommereier liefern. Nicht jede Begattung führt zu einer Befruchtung, sondern nur dann, wenn sie in den ersten acht Stunden nach dem Verlassen des Eies an einem ♀ vollzogen wird. ♀, die mit der Eierablage begonnen haben, sind überhaupt nicht mehr einer Befruchtung zugängig, daher man unter diesen drei verschiedene Arten von Individuen, den drei Eisorten entsprechend, unterscheiden kann.
[S. 292]
Das Nervensystem der Hydatina besitzt als Zentralorgan ein über und etwas vor dem Schlundkopf gelegenes Ganglienpaar, das als „Gehirn“ bezeichnet wird. Betrachtet man dasselbe vom Rücken aus, so hat es annähernd den Umriss eines Parallelogramms, dessen Längsachse quergestellt ist. Von der Seite gesehen erscheint es kegelförmig nach hinten verjüngt. Nach Anwendung von Reagentien lassen sich zahlreiche in den peripherischen Schichten liegende Kerne erkennen; seine Struktur ist im einzelnen noch nicht untersucht worden. Von dem Gehirn ziehen jederseits nach vorn drei Nervenstränge, welche diejenigen Matrix-Verdickungen versorgen, welche die grossen Borstenbüschel tragen. Nach hinten setzt sich das Gehirn in einen Nerv fort, der schräg nach hinten und oben zur Rückenwand zieht und hier ein für die Rotatorien sehr charakteristisches Sinnesorgan, den „dorsalen Taster“, bildet. Dicht unter der Haut schwillt nämlich der Nerv zu einem kleinen, aus nur wenigen bipolaren Ganglien-Zellen gebildeten Ganglion an, das an eine kreisrunde Öffnung in der Kutikula sich ansetzt. Aus dieser Öffnung strahlt ein Büschel langer zarter Borsten hervor, welche offenbar sehr empfindlich sind, den bei Berührung empfundenen Reiz zum Gehirn weiterleiten und hier zum Bewusstsein kommen lassen. Ein ganz ähnlich gebautes Sinnesorgan findet sich jederseits ungefähr in der Mitte des Körpers (lt), doch ist dasselbe wegen seines zarten, durchsichtigen Baues nicht eben leicht zu finden und bis vor kurzem von allen Beobachtern übersehen worden. Die „lateralen Taster“ laufen nach vorn in einen Nerv fort, der sicherlich direkt oder indirekt mit dem Gehirn in Zusammenhang steht, wenn es auch bis jetzt noch nicht hat glücken wollen, denselben nachzuweisen.
Auf eine eingehende Darstellung des Muskelsystems der Hydatina will ich hier verzichten. Es sei nur bemerkt, dass die Muskelfasern sämtlich glatt sind und unter der Haut liegen, an die sie sich mit beiden Enden anheften. Der Richtung nach kann man Quer- und Längsmuskeln unterscheiden. Die ersteren umziehen reifenförmig in ziemlich gleichen Abständen den Körper und bewirken am lebenden Tier, wenn sie sich kontrahieren, häufig[S. 293] den Anschein einer segmentalen Gliederung. Zu den Längsmuskeln rechne ich auch diejenigen Bänder, welche in etwas schräger Richtung durch die Leibeshöhle ziehen. Sie bewirken vornehmlich die so häufige und für die Untersuchung so störende Einstülpung von Kopf und Schwanz in den Mittelkörper. — Besondere Respirationsorgane fehlen der Hydatina ebensosehr, wie Blutgefässe. Die Atmung findet offenbar durch die ganze Haut statt. Die die Leibeshöhle erfüllende Flüssigkeit ist wasserklar, ohne irgendwelche an Blutkörperchen erinnernde Zellen. Durch die Wirkung der Muskeln wird sie beständig in der Körperhöhle hin und her getrieben und kann daher die von den inneren Organen ausgeschiedene Kohlensäure leicht der Hautfläche zuführen und so den Gasaustausch vermitteln. Sie dient auch als Antagonist der Längsmuskeln, indem die eingestülpten Körperpole durch sie unter gleichzeitiger Wirkung der Ringmuskeln wieder hervorgepresst werden. — Endlich seien hier noch die zahlreichen zarten Bindegewebsfäden erwähnt, welche sich zwischen den einzelnen Organen ausspannen und diese in ihrer Lage zu einander und zur Haut erhalten.
Schon oben habe ich kurz des eigenartigen Geschlechts-Dimorphismus gedacht, welcher unserer Hydatina zukommt. Die früher herrschende Ansicht, derzufolge die Männchen nur im Herbste auftreten, um die Produktion von Dauereiern hervorzurufen, ist nicht richtig. Sie finden sich zu allen Jahreszeiten; da sie aber an Individuenzahl hinter den Weibchen so ausserordentlich zurückstehen, so wird man ihrer nur dann habhaft werden, wenn man über grosse Mengen von Hydatinen verfügt. Am zweckmässigsten ist es in diesem Falle, etwa hundert Weibchen, einzeln oder in beschränkter Anzahl, in Uhrschälchen zu isolieren und die abgelegten Eier zu kontrollieren. Bemerkt man unter diesen solche von geringer Grösse und mit einem schwarzen, wahrscheinlich aus fäkalartigen, nicht mehr verwertbaren Massen gebildeten Fleck, so hält es nicht schwer, das zugehörige Muttertier zu ermitteln und sich durch dieses fortlaufend mit männlichen Individuen versorgen zu lassen. Für die Männchen ist zweierlei charakteristisch: einmal die geringe Grösse im Vergleich mit den Weibchen und zweitens[S. 294] die Reduktion der Organisationshöhe, welche sich vornehmlich in dem fast völligen Schwunde des Verdauungskanals ausspricht. Es sind äusserst flinke, kleine Tierchen, die nur ungefähr halb so lang als die Weibchen sind und blitzschnell im Wasser umherschwimmen. Die Körpergestalt (Fig. 63) ist ungefähr die gleiche wie bei den Weibchen, nur ist der Kopftrichter weit flacher und stellt eine seichte Mulde dar, was wohl mit dem Schwunde der Mundöffnung zusammenhängt. Am Räderapparat erkennt man den äussern Cilienkranz und die fünf mit stärkeren Cilien besetzten dorsalen Polster. Das einzige Organ, welches in der Leibeshöhle durch seine Grösse auffällt, ist der birnförmige Hoden (t), der durch einen kurzen, mit starker Ringmuskulatur ausgezeichneten Ausführgang an der der weiblichen Kloakenöffnung entsprechenden Stelle ausmündet. Er kann bei der Begattung vorgestülpt werden und darf daher als Penis bezeichnet werden. Im Innern des Hodens bemerkt man bei geschlechtsreifen Tieren ein siedendes Gewimmel kleiner Samenfäden, die bei Anwendung sehr starker Objektive einen angeschwollenen Kopf und einen schwanzartigen Anhangsfaden mit undulierendem Saume erkennen lassen. An der Wurzel des Ausführganges zeigt die Hodenblase eine feine Längsstreifung; dieselbe liegt nicht in der Wandung, sondern wird durch kleine nadelförmige Gebilde hervorgerufen, die bewegungslos sind und deshalb kaum als Samenfäden gedeutet werden können. Der Verdauungskanal (sto) hat sich nur in ganz rudimentärer Form erhalten; er ist bandförmig, ohne Lumen und erstreckt sich von der Rückenfläche des Hodens bis zur Kopfmulde. Die Berechtigung, dieses Gebilde als[S. 295] rückgebildeten Darm aufzufassen, ergiebt sich einmal aus seiner Lage im Körper und dann daraus, dass in ihm die oben erwähnten schwarzen Körnchen liegen, welche bei den Weibchen verschiedener anderer Rotatorien im Darm angetroffen werden. Auch das Exkretionssystem der Männchen ist einfacher als bei den Weibchen; eine pulsierende, für beide Nephridien gemeinschaftliche Blase fehlt, so dass dieselben getrennt neben der Penisöffnung ausmünden. Im übrigen sind die Verhältnisse hier, wie auch im Nerven-, Muskel- und Hautsystem dieselben wie bei den Weibchen. Da die Männchen nicht imstande sind, Nahrung aufzunehmen, so ist ihre Lebensdauer eine sehr kurze; ich habe sie in der feuchten Kammer nur 2–3 Tage zu halten vermocht. Sehr eigenartige Verhältnisse scheinen bei der Begattung vorzuliegen. Man trifft nicht zu selten weibliche Tiere an, die in ihrer Leibeshöhle lebende Samenfäden aufweisen, während man dieselben doch höchstens im Uterus erwarten sollte. Bringt man nun mehrere (5–6) Männchen mit einem Weibchen in einem kleinen Wassertropfen zusammen, so nehmen die Tierchen anfangs, auch bei gegenseitiger Berührung, keine Notiz von einander. Nach einiger Zeit ändert sich das Bild. Die Männchen beginnen das Weibchen zu umschwärmen und gelegentlich sieht man ein, event. auch mehrere Männchen sich dem Weibchen mit vorgestülptem Penis an irgend einer Körperstelle, aber nicht an der Geschlechtsöffnung, anheften. Wird nun ein solches Weibchen sofort genauer untersucht, so finden sich Ballen von Spermatozoen der Innenseite der Haut an eben jenen Stellen angeheftet, während einige Samenfäden sich schon in der Leibeshöhle umhertummeln. Es kann daher nicht zweifelhaft sein, dass es hier zu einer Begattung gekommen ist, wenn es zurzeit auch noch nicht möglich ist, zu entscheiden, ob diese Samenfäden sich später in das Ovar einbohren und hier eine Befruchtung herbeiführen; da ich nach 24 Stunden stets nur abgestorbene Samenkörper in begatteten Weibchen antraf, so scheint es mir wahrscheinlicher, dass es in solchen Fällen überhaupt nicht zu einer Befruchtung kommt, der ganze Vorgang daher eigentlich überflüssig ist, und dass eine solche wohl nur dann eintritt, wenn es[S. 296] dem Männchen gelingt, die Kloakenöffnung des Weibchens aufzufinden[X].
Nachdem wir im vorstehenden Bau und Biologie eines typischen Rotators kennen gelernt haben, werden wir verhältnismässig leicht uns ein Bild der in der ganzen Klasse vorkommenden Organisationsverschiedenheiten entwerfen können, denn die Rotatorien sind im Vergleich mit anderen Abteilungen des Tierreiches sehr einförmig zu nennen, und ihre morphologische Differenzierung schwankt nur innerhalb enggezogener Grenzen.
Alle Rädertiere sind ungegliedert und bilateral-symmetrisch, d. h. sie lassen sich nur durch eine in die Längsachse des Tieres gelegte Ebene in zwei symmetrische Körperhälften — eine linke und eine rechte — teilen, und dementsprechend kann man an ihnen ein vorderes und ein hinteres Körperende und eine Bauch- und eine Rückenseite unterscheiden. Von allen Körperachsen ist diejenige, welche vom vordern zum hintern Körperpole geht, fast ausnahmslos die längste, und da gleichzeitig die Breite des Tieres im Verhältnis zur Länge in der Regel sehr gering ist, so haben die meisten Rotatorien einen gestreckten, wurmartigen Habitus, dessen Länge zwischen 3 bis 0.05 mm schwankt. Der Querschnitt durch die Mitte des Körpers zeigt entweder einen runden bis ovalen Umriss, oder die Dorsoventral-Achse ist nur sehr klein, und das Tier (z. B. ein Brachionus, Fig. 69 S. 300, oder eine Polyarthra, Fig. 66 S. 298) erscheint dann stark abgeplattet, scheibenförmig. Dass alle drei Körperachsen ungefähr gleich lang sind, und der Körper daher die Gestalt einer Kugel besitzt, kommt nur[S. 297] bei zwei, auch in der innern Organisation sehr abweichenden Arten vor, nämlich erstens bei der von Semper auf den Philippinen entdeckten Trochosphaera aequatorialis, bei der die Stirnfläche des Kopfes halbkugelförmig aufgeblasen ist, sodass der Ciliensaum des Räderapparates den Körper in äquatorialer Stellung umzieht, und zweitens bei Apsilus lentiformis, einer seltenen deutschen (bei Giessen beobachteten) Art. Annähernder Gleichheit in der Grösse der Quer- und Längsachsen begegnen wir schon häufiger, z. B. bei den scheibenförmigen Gattungen Pterodina und Pompholyx. Bei fast allen Rotatorien ist das vordere Körperende quer abgestutzt, und die so entstandene „Stirnfläche“ trägt den Räderapparat und, der Ventralseite genähert, die Mundöffnung. Die Breite des Kopfes ist bald dieselbe wie in den mittleren Körperregionen, bald wird sie etwas geringer als diese, so dass sich der Körper nach vorn leicht verjüngt. Bei besonders mächtiger Entwickelung des Räderapparates (s. weiter unten) kann der Stirnfläche auch die Maximalbreite des Körpers zukommen. Hinter der Afteröffnung verjüngt sich der Körper fast aller Rädertiere und bildet so den zur dauernden oder vorübergehenden Anheftung dienenden Schwanz (Fig. 62, 63, 64, 65, 69). Dieser Schwanz kann in sehr verschieden deutlichem Grade sich vom Mittelkörper absetzen. Bei den in[S. 298] Fig. 62–65 abgebildeten Arten gehen beide ganz allmählich in einander über. Bei der Asplanchnopus myrmeleo (Fig. 68) sitzt der kurze in zwei Zehen auslaufende Schwanz nicht am Hinterende des Rumpfes, sondern fügt sich der Bauchseite ein gutes Stück weiter nach vorn an. Fig. 69 zeigt uns einen Brachionus, bei dem der schmale Schwanz fast die halbe Körperlänge erreicht, von dem viel breitern Mittelkörper sehr scharf abgesetzt ist und durch besondere Muskeln vorübergehend ganz in diesen zurückgezogen werden kann. Endlich giebt es eine Anzahl Formen, denen ein echter Schwanzanhang überhaupt fehlt; so die Gattungen Polyarthra (Fig. 66), Triarthra, Hertwigia, Asplanchna, Anuraea (Fig. 67), Sacculus. Bei diesen mangeln mit dem Schwanze gleichzeitig die Fuss- oder Klebdrüsen, sodass die Tiere nicht[S. 299] im stande sind, sich festzuheften. — Die Fussdrüsen (f) sehr vieler Rädertiere münden an der Spitze zweier (selten einer: Monostyla) sehr verschieden langer dolchförmiger Zehen, die bald an einander gelegt, bald gespreizt getragen werden. Bei den im erwachsenen Zustande dauernd festsitzenden Melicertiden, z. B. der Gattung Floscularia (Fig. 65), sind zwar die Fussdrüsen mächtig entwickelt, Zehen hingegen fehlen, und der Körper endet mit einer quer abgestutzten kleinen Fläche. Anderseits giebt es eine Abteilung unter den Rädertieren, bei denen die Zehen stets in grösserer Zahl als zwei auftreten. Es sind dies die Philodiniden, wozu der gemeine Rotifer vulgaris und fast alle Erdrotatorien gehören. Bei diesen läuft der Schwanz bald in drei (Rotifer, Actinurus), bald in vier (Philodina[XII]) Zehen aus, die cylindrische fingerförmige Anhänge darstellen. Vier kurze Zehen kommen auch der an den Beinen unseres Bachflohkrebses lebenden Callidina parasitica Gigl. zu, während bei anderen nahen Verwandten noch weitergehende Modifikationen beobachtet werden. Bei Callidina symbiotica Zel. (Fig. 64) endigt der Schwanz mit zehn sehr kleinen Zehen, und bei Call. magna Plate münden die Ausfuhrgänge der Klebdrüsen in eine von zahlreichen dichtstehenden Kanälen durchbrochene kreisförmige Platte aus. Alle die genannten Gattungen der Philodiniden besitzen ausserdem noch zwei „Afterzehen“ oder „Sporen“, welche kurz vor den eigentlichen Zehen von der Rückenseite ausgehen und in der Gestalt diesen[S. 300] sehr ähneln (Fig. 64, zh). Bei Call. parasitica fungieren sie auch als echte Zehen, indem sie Ausführgänge der Klebdrüsen aufnehmen; bei allen übrigen Arten hingegen enden sie blind geschlossen und sind daher wohl ihrer ursprünglichen Funktion verlustig gegangen.
[XI] Dieselbe bezieht sich nur auf die Weibchen, da die Morphologie der Männchen in einem besondern Abschnitte besprochen werden soll.
[XII] Nach E. F. Weber, während Hudson-Gosse auch für Philodina nur drei Zehen angeben.
Die Fusszehen der Rotatorien können als Körperanhänge angesehen werden, welche durch Ausstülpungen der Haut entstanden sind. Ähnliche, aber nicht der Festheftung[S. 301] sondern der Bewegung dienende Anhänge, die ihren Trägern häufig ein sehr absonderliches Aussehen verleihen, treffen wir bei einigen Rädertieren an, die sehr verschiedenen Unterabteilungen des Systems angehören. Ich erwähne hier nur drei verschiedene Arten derartiger Ausstülpungen. Bei den Philodiniden entspringt dicht hinter dem Räderapparat ein langer, aus- und einstülpbarer „Rüssel“ (Fig. 64, rs), der an seinem verjüngten Vorderende mit beweglichen Cilien besetzt ist. Der Rüssel ist an seiner Basis fast so breit wie der Körper, sodass man darüber im Zweifel sein kann, ob man ihn als eine aus der Rückenfläche hervorgewachsene Neubildung oder nicht vielmehr als das ursprüngliche Vorderende des Körpers anzusehen hat, in welchem Falle der Cilienapparat zum grössten Teile auf die Bauchfläche übergetreten wäre und sich mit der Mundöffnung ein gutes Stück nach hinten verschoben hätte. Rüssel und Räderapparat sind bei den Philodiniden nie gleichzeitig in Thätigkeit, sondern in dem Moment, wo ersterer sich hervorstülpt, wird letzterer eingezogen. Der Rüssel dient teils als Träger von Sinnesorganen (Tastborsten, Augenflecke), teils vermittelt er mit den Fusszehen die spannerraupenartige Bewegungsweise der Philodiniden, wobei seine vordere Wimperplatte wie eine Saugscheibe der Unterlage angeheftet wird. — Unter den Arten der Gattung Asplanchna zeichnen sich einige durch den Besitz von 2–4 kegelförmigen Hautauswüchsen aus, die vom Rücken oder den Körperseiten entspringen und zumteil eine beträchtliche Höhe erreichen. Bald treten dieselben nur bei den Männchen auf (so bei Aspl. Sieboldii Leyd.[XIII] in Vier-, bei Aspl. intermedia Huds. in Zweizahl), bald sind beide Geschlechter, wenn auch zuweilen in verschiedener Weise, mit ihnen ausgerüstet (Aspl. amphora Huds. und Aspl. Ebbesbornii Huds.). Eine besondere Funktion scheint ihnen nicht zuzukommen. — Ein besonderes Interesse beanspruchen die bei den Gattungen Polyarthra, Triarthra, Pedetes und Pedalion[S. 302] vorkommenden Anhänge, da sie auffallend an die Extremitäten der Entomostraken erinnern. Wie diese sind sie scharf, zumteil sogar gelenkig, vom Körper abgesetzt, sind beweglich, tragen nicht selten gefiederte Borsten und dienen der gleichen Funktion, nämlich zum Rudern. Dennoch sind dieselben nur als analoge Bildungen anzusehen, denn die zwei wichtigsten Merkmale der Entomostraken-Gliedmassen, die paarweise und ausschliesslich ventrale Gruppierung und der Spaltfusscharakter, gehen ihnen völlig ab.
[XIII] Neuerdings hat E. v. Daday die sehr interessante Beobachtung gemacht, dass bei Aspl. Sieboldii zwei verschiedene Weibchen vorkommen, erstens männlich-geformte mit vier konischen Hautanhängen und zweitens solche ohne diese (Math. u. Naturw. Berichte aus Ungarn. VII. 1889).
Dass nun der Habitus der Rädertiere im einzelnen so vielen kleinen Veränderungen unterworfen ist, wird vornehmlich durch zwei Organsysteme bewirkt, nämlich einmal durch die Vielgestaltigkeit des Räderapparates und dann durch den wechselnden Grad von Festigkeit, welcher der Haut eigen ist. Wir beginnen daher die vergleichende Betrachtung der Organsysteme mit diesen.
Wenn ich die Rädertiere oben als ungegliedert bezeichnete, so scheint die Beschaffenheit der Körperdecke vieler Arten sich hiermit schwer in Einklang bringen zu lassen. Fanden wir doch schon bei der Hydatina und ebenso bei Callidina symbiotica (Fig. 64), wie der Körper durch mehrere in ziemlich gleichen Abständen aufeinanderfolgende Einschnürungen, ähnlich einem Ringel- oder Bandwurme, in Segmente gegliedert wurde. In der That lässt die Haut vieler Rotatorien eine Zusammensetzung aus mehreren gleichen Zonen erkennen, aber da wir bei keinem innern Organe etwas Ähnliches antreffen, sondern alle nur in Ein- oder Zweizahl vorhanden sind, kann von einem metameren Körperbaue nicht die Rede sein, sondern höchstens von einer auf die Haut und die zugehörigen Muskeln beschränkten Scheinsegmentierung. Diese kommt entweder nur durch die Anordnung der Ringmuskeln zu stande (Hydatina), oder Hand in Hand mit dieser geht eine Zusammensetzung der Haut aus abwechselnd derben und weichen Partien. Die ersteren bilden bei den Philodiniden die eigentlichen Hautsegmente, die letzteren die je zwei Segmente von einander sondernden Furchen, welche in Gestalt von Ringfalten sich unter[S. 303] die Haut des nächsthintern Scheinsegmentes legen. In der Dicke verhält sich die Kutikula der Falten ganz gleich derjenigen der Segmente, in die sie ja auch kontinuierlich übergeht. Dass jene Falten konstante Bildungen sind, lässt sich daher wohl nur aus einer weicheren Beschaffenheit derselben erklären. Kontrahieren sich die Längsmuskeln, so schieben sich die schmäleren Scheinsegmente in die weiteren hinein, ähnlich wie man die Ringe des Tubus eines Fernrohres in einander stecken kann. — Viel auffallender als bei den Philodiniden ist der Unterschied zwischen weichhäutigen und derben Partien der Kutikula bei den sogenannten „gepanzerten“ Rädertieren. Es gehören hierher zahlreiche Gattungen, von denen manche, wie Brachionus, Anuraea, Pterodina, Salpina, Colurus, Metopidia, zu den gemeinsten Vertretern der Klasse zählen. Der Panzer, d. h. der derbhäutige unelastische Abschnitt der Haut, umfasst bei diesen Formen nur den Mittelkörper. Die Haut des Kopfes und des Schwanzes (falls ein solcher überhaupt vorhanden ist) hingegen bleibt von der gewöhnlichen Konsistenz. Im Panzer nimmt die Kutikula eine grössere Dicke an und bedeckt sich mit den verschiedenartigsten Skulpturen, wie Leisten, Rillen, Punkten, Höckern u. dgl., welche häufig zu sehr zierlichen Zeichnungen zusammentreten. Unsere Abbildung der Anuraea aculeata (Fig. 67) lässt z. B. die polygonalen Felder der Rückenfläche des Panzers deutlich erkennen. Sehr häufig läuft der Panzer dort, wo er in die weiche Haut des Kopfes und des Schwanzes übergeht oder, obwohl seltener, an anderen Stellen in zahnartige Fortsätze aus. So verdankt die eben erwähnte Anuraea ihren Speziesnamen aculeata dem Umstande, dass der Panzer am Vorderrande sechs, am Hinterrande zwei ansehnliche Dornen trägt. Bei den verschiedenen Brachionus-Arten differiert vornehmlich die Zahl, Grösse und Anordnung der Zähne am Vorderrande der Schale; ausser diesen begegnen wir vielfach zwei kleinen Zähnen an der Basis des Schwanzes (Fig. 69). Bei einigen Rädertieren erreichen die Stacheln des Panzers eine solche Länge, dass ganz abenteuerliche Formen hierdurch entstehen, Anuraea longispina Kellic. z. B. trägt vorn drei, hinten einen spiessartigen Fortsatz von der Länge des[S. 304] ganzen Panzers. Bei Stephanops tripus Lord und Steph. Leidigii Zacharias sitzt der Rückenfläche ein nach hinten gerichteter und bogenförmig gekrümmter Stachel auf, welcher bei ersterer etwas kürzer, bei letzterer länger als das ganze Tier ist. — Der Panzer bewirkt in einzelnen Fällen eine Abweichung von der typischen Lagerung der inneren Organe. Ist er z. B. sehr flach gebaut (Pterodina, Metopidia), so kommen die Geschlechtsorgane im entwickelten Zustande teilweise neben den Darm, anstatt unter ihn, zu liegen. Ferner hat sich die Öffnung der Kloake von der Dorsalseite auf die Bauchfläche verschoben bei den Gattungen Pterodina, Anuraea und Dinocharis, welch’ letztere auch dadurch bemerkenswert ist, dass bei ihr der Hals panzerartig erhärtet ist, während sonst der Kopf stets weichhäutig bleibt.
Von allen Organsystemen zeigt keines eine so grosse Vielgestaltigkeit und einen so verschiedenen Ausbildungsgrad als dasjenige, welches die Lokomotion und die Nahrungsaufnahme vermittelt, das Räderorgan. Dennoch zeigt eine vergleichende Betrachtung, dass den meisten Rotatorien eine gemeinsame Grundform in der Anordnung der Cilien zukommt, die freilich nicht immer mit gleicher Deutlichkeit zu Tage tritt. Dieselben stehen nämlich in zwei Kreisen, von denen der eine, innere in vielen Fällen vor, der andere, äussere hinter der Mundöffnung gelegen ist; der letztere setzt sich in der Regel in die Mundöffnung selbst fort. In sehr prägnanter Weise treffen wir einen derartigen doppelten Wimpersaum, einen praeoralen und einen postoralen, bei den Gattungen Rotifer, Philodina, Callidina (Fig. 64), Pterodina, Melicerta, Lacinularia und einigen anderen an. Hier ist auch eine Arbeitsteilung in der Funktion der beiden Cilienkränze eingetreten. Der praeorale ist mit besonders starken Cilien versehen und dient zur Fortbewegung des Tieres, während die schwächeren Flimmern des postoralen Kranzes die Nahrungsteilchen in den Mund strudeln. Die eigenartige Radbewegung, welche das Spiel der praeoralen Wimpern dem Auge vortäuscht, ist, wie schon[S. 305] erwähnt wurde, die Veranlassung zur Benennung der hierher gehörigen Organismen als Rädertiere gewesen. Unsere Abbildung der Callidina symbiotica (Fig. 64) zeigt, wie die Cilien dieses vordern Kranzes auf zwei durch eine mediane Furche von einander getrennten Polstern, Ausstülpungen der Stirnfläche, randständig angebracht und in der Mitte der Bauch- und Rückenseite durch eine nackte Stelle unterbrochen sind. Man könnte daher auch von zwei unvollständigen Cilienkreisen reden, wenn die Raddrehung derselben nicht in gleichem Sinne dem Auge sich darböte. Der hintere, postorale Kranz besteht nicht aus einer einfachen Cilienreihe, sondern stellt einen Flimmerstreifen dar, welcher jederseits aus der ventralwärts stark lippenförmig vorspringenden Mundöffnung hervortritt und um jene Stirnpolster herum sich dem Rücken zuwendet. Eine Verschmelzung in der dorsalen Mediane findet aber auch bei diesem Kranze nicht statt. — Die Umbildung der beiden für die genannten Gattungen charakteristischen primitiven Wimpersäume erfolgte bei den übrigen Rädertieren nach zwei Richtungen hin, jenachdem der postorale, äussere oder der praeorale, innere Cilienkranz der mächtigere wurde und besondere Differenzierungen einging. Der erstere Fall ist nur selten, nämlich bei den festsitzenden Gattungen Floscularia (Fig. 65) und Stephanoceros, eingetreten. Bei beiden hat sich die Stirnfläche kelchförmig eingesenkt und trägt im Grunde die von kleinen Cilien des inneren Kranzes umstellte Mundöffnung. Der Kelchrand trägt die sehr langen [bei einzelnen Arten (Floscularia mira Huds.) geradezu enorm grossen] Cilien des äusseren Kranzes und ist in fünf Anhänge ausgezogen, auf die sich die Wimpern auch fortsetzen. Bei Floscularia sind es kurze, stumpfkegelförmige Zipfel, bei dem schönen Stephanoceros Eichhornii hingegen lange, zungenförmige Fortsätze. — Bei der weitaus grössten Zahl der Rotatorien erleidet hingegen der innere Cilienkranz mannigfache Umgestaltungen: aus der ursprünglich einfachen Cilienreihe werden mehrere; einzelne erheben sich auf besonderen Polstern und nehmen dann die Gestalt derber Griffel an; andere verlieren ihre Beweglichkeit und werden zu starren langen Tastborsten; die ursprüngliche ringförmige Anordnung wird verwischt, indem der[S. 306] Zusammenhang der Cilien durch nackte Partien unterbrochen wird; es treten sehr feine Cilien sekundär an ursprünglich nackten Stellen der Stirnfläche auf, und so fort. Auf alle diese zahlreichen Modifikationen hier näher einzugehen, ist unmöglich, und seien daher nur noch zwei Abweichungen erwähnt. Bei Besprechung der Körpergestalt der Philodiniden wurde schon hervorgehoben, dass die Spitze des dorsalen „Rüssels“ mit einer kleinen Flimmerplatte besetzt ist, also mit einer Art sekundären Räderorgans (vgl. Fig. 64). Wie dieselbe zu deuten ist, ob als Bildung sui generis oder als abgespaltener Teil des ursprünglich einheitlichen Cilienapparates, lässt sich schwer entscheiden. Letzteres scheint die grössere Wahrscheinlichkeit für sich zu haben, indem der Dorsalrand der Wimperscheibe sich in verschiedenen Gattungen in einen zungenförmigen Anhang auszieht, der dann entweder (Rhinops vitrea) noch vom äusseren Wimpersaum umzogen wird oder nur einige Tastborsten trägt (Adineta vaga) oder endlich ganz nackt geworden ist (Metopidia, Stephanops). Abspaltungen seitlicher Partien des Räderapparates werden auch sonst beobachtet, so bei der Gattung Synchaeta, die jederseits ein „Wimperohr“ am Kopfe trägt. — Die zweite hier zu erwähnende Abweichung betrifft Formen, deren Cilienapparat eine ventrale und vorn am Körper gelegene Scheibe darstellt (Notommata tardigrada Leyd., Adineta vaga Dav., Diglena forcipata Ehr., Digl. giraffa Gosse), die dicht mit kleinen Wimpern besetzt ist. Von einer ursprünglich ringförmigen Anordnung der Cilien haben sich keine Andeutungen erhalten, und die ganze Bildung erinnert ausserordentlich an die Gastrotrichen, eine kleine Gruppe mikroskopischer Süsswassertierchen, die ungefähr die Gestalt der Rotatorien haben, aber auf der ganzen Bauchseite bewimpert sind. — Der Räderapparat fehlt nur bei wenigen Gattungen, die auch sonst in ihrer Organisation sehr abweichen, völlig: so bei dem an der Unterseite von Nymphaeablättern festgehefteten Apsilus lentiformis Metschn., bei dem Regenwurmparasiten Balatro clavus Clap. und bei dem marinen, auf Nebalia schmarotzenden Paraseison nudus Plate. Bei manchen der kleineren Arten scheint er stark reduziert zu sein, ohne dass jedoch unsere Instrumente zurzeit[S. 307] für ein eingehendes Studium derselben ausreichten. — Der Cilienapparat kann bei allen Rotatorien mit Ausnahme der Gattung Adineta vorübergehend in den Mittelkörper eingestülpt werden. In diesem Zustande ruhen die Cilien, beginnen aber mit dem Moment der Ausstülpung, offenbar unwillkürlich, wieder ihre Thätigkeit. Soll bei den Philodiniden der Räderapparat benutzt werden, so muss der „Rüssel“ eingestülpt im Körper liegen. Anderseits wird jener sofort eingezogen, wenn das Tier beginnt sich spannerraupenartig unter abwechselnder Festheftung und Loslösung der Rüsselspitze und der Zehen fortzubewegen. Man erblickt daher nur ausnahmsweise die beiden Cilienregionen gleichzeitig in Thätigkeit.
der Rädertiere ist noch zu wenig erforscht, um eine vergleichende Schilderung zu ermöglichen. Bei vielen, vielleicht allen Rotatorien giebt es in der Mitte des Rumpfes eine Querlinie, von der die grossen nach vorn und nach hinten laufenden Längsmuskeln ausstrahlen. Neben den glatten Muskeln, welche weitaus die Mehrzahl bilden, kommen bei einigen Arten auch quergestreifte vor; solche sind z. B. die Kopfretraktoren von Pterodina und Polyarthra (Fig. 66, mu). Die Ringmuskeln verteilen sich gewöhnlich in ziemlich gleichen Abständen auf den ganzen Körper; nur bei Asplanchna myrmeleo liegen sie am Halse dicht nebeneinander, hier auf schmalem Querringe einen echten Hautmuskelschlauch bildend. Bei den Philodiniden ist jeder Ringmuskel aus einer bestimmten Zahl kleiner Segmente zusammengesetzt.
besteht überall aus einem grossen, dorsal vom Schlundkopfe gelegenen Zentralorgan, dem Gehirn, dessen beide Ganglien breit mit einander verwachsen sind. Die Gestalt ist bei verschiedenen Arten wechselnd: rundlich, parallelogrammförmig, bei den Philodiniden dreieckig. Bei letzteren ist eine Zusammensetzung aus peripherischen Ganglienzellen und zentraler Fasermasse nachgewiesen, und daher eine solche auch für die übrigen Arten sehr wahrscheinlich.[S. 308] Vom Gehirn strahlen Nerven aus einmal an die zwischen den lokomotorischen Cilien oder auf der Wimperscheibe stehenden Tastborsten, die „Stirntaster“ (t, Fig. 66, 69), dann nach hinten und oben an den (resp. die) dorsalen Taster und endlich nach hinten in den Mittelkörper. Wie die Zahl der Stirntaster, so schwankt auch die Zahl der sie versorgenden Nerven, über die übrigens nur für wenige Arten Untersuchungen vorliegen. Bei den Philodiniden laufen die Cerebralnerven nach vorn teils in den Rüssel hinein, dessen Spitze mit Tastbüscheln versehen ist, teils versorgen sie das Räderorgan und den Mund. Die nach hinten in den Rumpf tretenden Nerven scheinen bei den einzelnen Arten der Philodiniden sich ziemlich verschieden zu verhalten. Bei Callidina magna fand ich nur einen starken Nerv jederseits, von dem Seitenzweige an die Haut ausstrahlten. Zelinka hingegen beschreibt von Call. symbiotica einen ventralen und einen seitlichen Nerv und bei Discopus synaptae sogar noch einen dritten, dorsalen, die aber bei dieser Art alle drei nicht direkt, sondern durch besondere Ganglienzellen mit dem Gehirn zusammenhängen. — Die Stirntaster der Rädertiere treten bald als einzelne Borsten, bald als Büschel von solchen auf, während die Rücken- und Seitentaster stets nur in letzterer Form angetroffen werden. Bei den meisten Gattungen ist der Rückentaster unpaar, wird aber sehr häufig von einem doppelten, erst an der Basis des Tasters verschmelzenden Nerv versorgt, was vielleicht auf eine ursprüngliche Duplicität des Organs hinweist. Die Arten mit paarigem Rückentaster (Asplanchna, Hertwigia, Apsilus) würden dann, obwohl im sonstigen Bau wenig typisch, hierin ein primitives Verhalten bewahrt haben. Bei einigen Arten erhebt sich der dorsale Taster in auffälligem Masse über die Rückenfläche, der er gewöhnlich direkt aufsitzt. So treffen wir ihn bei Lacinularia in Gestalt einer kleinen Doppelpapille, bei Brachionus (Fig. 69, dt) und Anuraea als kurzen Kegel, endlich bei den Philodiniden als stabförmigen retraktilen Tentakel an. In der Regel sitzt der dorsale Taster im Nacken und rückt nur selten, z. B. bei Asplanchna, weiter nach hinten, sodass man ihn zunächst, da er paarig ist, mit den Seitentastern verwechseln kann. Die Dorsal- und[S. 309] Lateraltaster sind für die Rädertiere in hohem Masse charakteristisch, da sie fast konstant angetroffen werden. Ersterer fehlt meines Wissens nur bei Conochilus, letztere nur den Philodiniden und den marinen Seisoniden. Über den Zusammenhang des zum Lateraltaster gehörigen Nervs mit dem Gehirn liegen zurzeit noch keine sicheren Mitteilungen vor, da derselbe wahrscheinlich durch einen im Kopfe liegenden Nervenplexus bewirkt wird. In ihrer Lage am Körper schwanken die Seitentaster insofern, als sie bald weiter nach vorn, bald mehr nach hinten die Kutikula durchbrechen. Die meisten liegen ungefähr am Beginn des hinteren Körperdrittels. Bei Polyarthra finden sie sich dagegen fast am Hinterrande des Körpers, bei Asplanchna und Hydatina in der Mitte, und bei Lacinularia und Melicerta — bei letzterer sind sie, ebenso wie bei Copeus spicatus, zu zwei langen Tentakeln ausgezogen — ungefähr in Schlundhöhe. In allen diesen Gattungen stehen sie hinter dem dorsalen Taster, und nur bei Pterodina liegen alle drei Sinnesorgane auf einer Querlinie.
Von anderweitigen Sinnesorganen kommen nur Augenflecke den Rädertieren häufig zu. Sie sind meist unpaar und sitzen als rötlicher oder schwärzlicher Pigmentfleck der Unterseite des Gehirns an. In anderen Fällen sind sie paarig und gehören dann dem Rande der Wimperscheibe an. Ihr Bau ist ausserordentlich einfach, häufig nur ein Pigmentfleck, dem bei einzelnen Arten noch ein lichtbrechender weisslicher Körper, die sogenannte Linse, sich hinzugesellt.
zeigt eigentlich bei allen Rotatorien dieselben Verhältnisse, und nur einem Abschnitte desselben, dem Kauapparat, kommt eine grössere morphologische Variabilität zu. Die Mundöffnung liegt nur bei Floscularia und Stephanoceros genau am Vorderende der Längsachse des Körpers, sonst ist sie stets ventralwärts verschoben und kann in einzelnen Fällen (Adineta vaga) sogar ein beträchtliches Stück nach hinten verlagert sein. Ein besonderes Mundrohr, wie wir es für Hydatina kennen lernten, braucht nicht immer vorhanden zu sein, sondern nicht selten (Eosphora, Diglena) schliesst[S. 310] sich der Mastax direkt an die Eingangsöffnung an und kann aus dieser zum Ergreifen der Beute etwas hervorgestossen werden. Anderseits erreicht das Mundrohr bei Floscularia und Stephanoceros eine ungewöhnliche Länge und erweitert sich vor dem Zahnapparat zu einem besonderen kropfartigen Abschnitt. Vielleicht ist der grosse sackartige Raum, in dem bei Asplanchna die Kiefer liegen, ebenfalls als eine Erweiterung des Mundrohres anzusehen. — Die Struktur des Kauapparates ist für die Systematik von hoher Bedeutung. Nach dem Vorgange von Gosse kann man an demselben meist folgende Zusammensetzung beobachten: an einen mittleren, nach hinten gerichteten unpaaren Abschnitt, den „Incus“, heften sich die vorn und seitlich gelegenen paarigen „Mallei“, von denen jeder aus zwei gelenkig mit einander verbundenen Stücken besteht. Das eine von diesen, der Uncus, liegt medianwärts und stellt den eigentlichen Kauapparat dar; er kann in der verschiedensten Gestalt auftreten: als Träger quergestellter Leisten, als spitzer oder gesägter Zahn u. dgl. Das andere Stück sitzt dem Uncus aussen an und dient als Stützbalken für denselben; es wird als Manubrium bezeichnet. Bei nicht wenigen Rädertieren scheint übrigens der Kauapparat weit einfacher gebaut zu sein. Bei den Asplanchnen z. B. (Fig. 68) lässt sich nur der mediane Incus und der paarige gebogene Zahn des Uncus unterscheiden; ein Manubrium fehlt hier vollständig. Noch reduzierter tritt uns der Mastax der Philodiniden entgegen; er besteht im wesentlichen aus zwei halbkreisförmigen, mit derben Querleisten in wechselnder Zahl bedeckten Chitinplatten, die nur längs des Durchmessers eng aneinanderschliessen, und sich um diesen als Gelenkachse gegen einander bewegen. Die den Zahnapparat umhüllende Fleischmasse ist teils muskulöser Natur, teils scheint sie als Speicheldrüsen zu fungieren. — Der Schlund ist meist kurz, nur bei Synchaeta und Asplanchna (Fig. 68, oe) von ansehnlicher Länge. Flimmerzellen werden in ihm sicherlich nicht immer angetroffen, denn gerade die genannten Gattungen schieben die aufgenommene Nahrung durch eine Art peristaltischer Bewegung nach hinten. — Im Mitteldarm oder Magen sind Cilien hingegen stets vorhanden. Mit Ausnahme der Philodiniden wird die Wand[S. 311] desselben stets aus grossen polygonalen Zellen gebildet, die in einer Schicht liegen. Bei jener Abteilung hingegen ist die Magenwand ungewöhnlich dick und besteht aus einer kontinuierlichen Protoplasmamasse mit zahlreichen eingestreuten kleinen Kernen. In den Magenzellen der Rotatorien tritt nicht selten ein braunes Pigment auf, das aber immer nur vorübergehend sich zeigt und bei Nahrungsmangel sofort verschwindet. Dass dasselbe als Leber funktioniert, ist daher sehr unwahrscheinlich. Näher liegt es, den zwei konstant am Vorderende des Magens einmündenden Drüsen eine Förderung der Verdauung zuzuschreiben. Ihre Gestalt ist sehr verschieden, bald kurz birnförmig, bald gestreckt und in mehrere Lappen ausgezogen. Vielleicht haben die bei Triphylus (Diglena) lacustris Ehr. jederseits vorhandenen drei schlauchförmigen Ausstülpungen eine ähnliche Bedeutung. Mit Ausnahme der Gattungen Asplanchna und Paraseison, bei denen der Magen blind geschlossen endet, kommt ein flimmernder Enddarm allen Rädertieren zu. Die sich an ihn anschliessende Kloake entbehrt der Cilien mit Ausnahme einer Art (Rhinops vitrea).
Die Nephridien der Rotatorien zeigen bei allen Arten ein sehr gleichförmiges Verhalten. Man kann an ihnen in der Regel zwei zartwandige enge Längskanäle, die mit einer wechselnden Anzahl von Geisselzellen besetzt sind, und eine gemeinsame kontraktile Blase, welche in die Kloake ausmündet, unterscheiden. Im Gegensatze zu den ganz ähnlich gebauten Nierenorganen der Turbellarien, Trematoden und Cestoden bilden die Nephridien der Rädertiere keine Seitenzweige und keine netzartigen Anastomosen untereinander, sondern jedes „Wassergefäss“ zieht als ein leicht hin und her geschlängelter Kanal von der kontraktilen Blase neben dem Darme nach vorn. In der Regel reichen die Nephridien bis in die Kopfregion herein, wo sie blind endigen und mittels zarter Bindegewebsfäden in ihrer Lage erhalten werden. Nur bei wenigen Arten, z. B. der Gattung Synchaeta, sind sie weit kürzer und reichen kaum über die Mitte des Körpers hinaus. Bei vier verschiedenen[S. 312] Rädertieren stehen ausnahmsweise beide Nephridien im Kopfe durch einen Querkanal mit einander in Verbindung; es sind dies zumteil im System sehr weit getrennte Arten, nämlich Hydatina senta, Lacinularia socialis, eine Floscularia-Spezies und Apsilus lentiformis, sodass diesem Quergefäss vermutlich noch eine weitere Verbreitung zukommt. Jedes Wassergefäss pflegt an zwei oder drei Stellen sich knäuelförmig zu verschlingen, wobei die die Wandung der Schlingen bildenden Zellen zu einer kontinuierlichen Protoplasmamasse verschmelzen. In den so entstehenden Anschwellungen gelingt es noch am leichtesten die Kerne der Wandzellen zu erblicken, welche in den unverschlungenen Partien der Nephridien wegen ihrer Kleinheit und Zerstreutheit schwer zu erkennen sind. Zellgrenzen haben sich zwischen den Wandzellen bis jetzt nicht nachweisen lassen. Die eigenartigen Geisselzellen der Nephridien, wegen ihrer flackernden Bewegungen auch „Zitterorgane“ oder „Zitterflammen“ genannt, sitzen in kleinen zartwandigen Ausstülpungen entweder direkt oder mittels eines kleinen Stieles dem Nierenschlauche an. Jede Nephridie besitzt in der Regel fünf bis zehn derselben — die Zahl ist für ein und dieselbe Art konstant —, die sich in mehr oder weniger gleichmässigen Abständen auf das ganze Organ verteilen. Bei den Asplanchnen wird die Anzahl derselben meist eine viel grössere, und es tritt dann eine Spaltung jeder Nephridie in zwei vorn und hinten zusammenhängende Kanäle ein, von denen der eine dicht mit Zitterorganen besetzt ist (Fig. 68). Der feinere Bau dieser Geisselzellen ist bis in die jüngste Zeit Gegenstand lebhaftester Controverse gewesen, die sich vornehmlich darauf bezog, ob dieselben am freien Ende offen oder geschlossen seien. Nach unserer Ansicht ist unzweifelhaft das Letztere der Fall. — In die pulsierende Blase münden die Nephridien mittels einer scharf umschriebenen runden Öffnung ein. Die Kontraktilität wird durch ein Netzwerk feiner Muskeln, die in der Wandung sitzen, hervorgerufen. Bei einigen Rotatorien (Lacinularia, Tubicolaria, Pterodina) fehlt das gemeinsame Harnreservoir, und die Nephridien münden direkt in die Kloake. Endlich findet sich noch eine auffallende Modifikation bei Conochilus volvox und den[S. 313] meisten Philodiniden. Hier hat sich ein Teil der Kloake zur Harnblase umgewandelt und pulsiert ebenso regelmässig wie die gewöhnlichen, von der Kloake scharf abgesetzten Reservoire.
Von diesen sind in der Regel, den zwei Zehen entsprechend, nur zwei vorhanden. Mit der Zahl der Zehen wächst aber auch häufig diejenige der Drüsenschläuche; so finden wir z. B. bei der sechszehigen Callidina parasitica und bei der am Schwanzende mit zehn kleinen Zäpfchen besetzten Call. symbiotica vier Klebdrüsen. Das Sekret der Fussdrüsen kann vielfach zu dünnen, elastischen Fäden ausgezogen werden, mit denen sich das Tierchen vorübergehend vor Anker legt. Eine ganz isoliert dastehende Umbildung haben die Klebdrüsen bei Monocerca und Diurella erfahren, bei denen sie zu einer mit kontraktiler Wandung versehenen Blase geworden sind.
Das weibliche Geschlechtsorgan zeigt bei allen Rädertieren, mit Ausnahme der marinen, auch in anderer Hinsicht sehr abweichenden Seisoniden, eine Zusammensetzung aus zwei verschieden funktionierenden Abschnitten. Der eine derselben ist so gross, dass er fast ausschliesslich die Masse der Sexualdrüse ausmacht. Er liefert nur die Nährsubstanzen, welche das heranwachsende Ei nötig hat, und wird daher als Dotterstock bezeichnet. Der zweite, sehr viel kleinere Abschnitt ist der Erzeuger der Eizellen und führt dementsprechend den Namen Eierstock. Über Bau und Physiologie dieser beiden Teile des weiblichen Geschlechtsapparates ist zurzeit kaum mehr bekannt, als von Hydatina senta geschildert wurde. Es ist daher hier nur Folgendes nachzutragen. Die Mehrzahl aller Rädertiere hat ein unpaares Geschlechtsorgan, also nur einen Keimstock und einen Dotterstock. Man kann sie als „Monogononten“ den Philodiniden gegenüberstellen, da diese „digonont“ sind, d. h. ein rechtes und ein linkes Ovar, also zwei Keimstöcke,[S. 314] zwei Dotterstöcke und zwei Ovidukte, besitzen. Keimstock und Dotterstock haben nun bei jeder Spezies eine konstante Lage zu einander, infolgedessen die Eier auch immer an derselben Seite des dotterbildenden Abschnittes zur Entwickelung gelangen. Die Stellung beider ist aber bei verschiedenen Arten eine verschiedene, und zwar findet sich der Keimstock bald dem Vorder-, bald dem Hinter-, bald endlich dem Seitenrande des Dotterstockes angelagert. Im ersten Falle liegt der Keimstock meist sehr unsymmetrisch, nämlich der linken Ecke des Dotterstockes angeschmiegt, wenn man von unten auf denselben blickt. So situiert kommt er z. B. bei den Gattungen Hydatina, Euchlanis, Brachionus, Triarthra u. a. vor. Der zweite Typus wird durch Polyarthra, Conochilus, Asplanchna u. a. vertreten. Unsere Abbildung 68 zeigt, wie der Dotterstock der Asplanchna myrmeleo nicht die gewöhnliche Sackform aufweist, sondern sich zu einem langen, hufeisenförmig gekrümmten Bande gestreckt hat, dem in der Mitte der Hinterseite der kleine rundliche Eierstock anliegt. Hier finden wir auch nicht die typische Achtzahl der Kerne, sondern eine weit grössere. Dem seitlichen und medianen Rande des Dotterstockes ist der Keimstock bei den Philodiniden angelagert (Fig. 64), ein Verhalten, das auch wahrscheinlich noch anderen Gattungen zukommen dürfte. Sehr interessant werden viele Philodiniden, z. B. der gemeine Rotifer vulgaris, dadurch, dass ihnen ein Ovidukt abgeht. An den Keimdotterstock setzt sich zwar hinten und vorn ein Faden an, der aber lediglich als Aufhängeapparat dient. Die Folge ist, dass die Eier in die Körperhöhle fallen und hier ihre Entwickelung durchmachen. Diese geht sehr rasch vor sich, und daher findet man selten einen Rotifer vulgaris, der nicht in seiner Leibeshöhle ein oder zwei munter sich umherbewegende und völlig ausgebildete Junge neben einigen Embryonen beherbergte. Da eine besondere Geschlechtsöffnung fehlt, kann die Geburt nur auf eine etwas gewaltsame Weise geschehen, und in der That schieben sich die Tierchen mit dem Kopfe voran durch die Wand der Kloake und dann durch den After ins Freie. Die der Mutter dadurch zugefügte Risswunde scheint bald wieder zu heilen.
[S. 315]
Die zwei Eisorten, welche wir bei Hydatina kennen lernten, die hartschaligen Dauereier und die gewöhnlichen, weichhäutigen scheinen allen Monogononten zuzukommen. Bei den Erdrotatorien hingegen sind Dauereier noch nicht beobachtet worden, da sie an die Austrocknung in anderer Weise angepasst sind. Die derbe Schale der Dauereier ist häufig mit sehr zierlichen Skulpturen: Punkten, Stacheln, Haaren u. dergl. besetzt. Sie entwickeln sich bald schon nach einigen Wochen, bald erst nach Monaten. Sie werden meines Wissens stets abgesetzt, während die gewöhnlichen Eier bei vielen Gattungen (Brachionus, Anuraea) dem Rücken angeheftet und so herumgetragen werden.
Dieselben Verhältnisse, welche die charakteristischen Unterschiede der männlichen Hydatinen von den weiblichen bilden, kehren bei allen übrigen Rädertieren wieder. Die Männchen bieten, soweit sie überhaupt bekannt sind, was nur für eine relativ kleine Anzahl von Gattungen (etwa 30) zutrifft, in ihrer Organisation viel einfachere Verhältnisse dar als die zugehörigen Weibchen, und ist dies so zu erklären, dass sie einerseits überhaupt auf niedrigerer phyletischer Entwickelungsstufe als die Weibchen stehen geblieben, anderseits auch in Folge der untergeordneten Rolle, die sie seit dem Auftreten der Parthenogenese im Geschlechtsleben spielen, rückgebildet sind. Ersteres macht die grosse Gleichförmigkeit, welche die Mehrzahl der Männchen in Gestalt und Organisation aufweist, verständlich, während auf letzteres die geringe Körpergrösse, das Fehlen einer Mundöffnung und die Rückbildung des Darmkanales und des Räderapparates zurückzuführen ist. Bei den verschiedenen Gattungen ist der Geschlechtsdimorphismus in verschieden starkem Grade ausgeprägt. Bei den marinen Seisoniden haben sich die ursprünglichen Verhältnisse erhalten: Männchen und Weibchen stehen auf gleicher Organisationshöhe und sind auch annähernd gleich häufig. Bei den Euchlaniden besitzen die Männchen noch den Panzer in derselben Gestalt wie die Weibchen, aber sie sind etwas kleiner als diese, und der Darm ist auf einen unregelmässigen Zellstrang[S. 316] reduziert. In allen übrigen Gattungen haben die Männchen eine weiche Haut, auch wenn die Weibchen gepanzert sind, und einen sehr viel kleineren, walzenförmigen Körper, der sich nach hinten verjüngt und, wie bei den Weibchen, häufig mit zwei kleinen Zehen endet. Sehr auffallend ist das ♂ der Asplanchna Sieboldii dadurch, dass es vier kegelförmige Körperanhänge besitzt, die der einen Form[XIV] von ♀ abgehen. Der Räderapparat erinnert manchmal (Hydatina) noch an denjenigen der Weibchen, meist aber ist er stark rückgebildet. Ein Stirntrichter ist nur bei der männlichen Hydatina angedeutet, während sonst die Wimperscheibe stark halbkugelig vorspringt und keine Spur der ursprünglichen Mundöffnung erkennen lässt. Die im rudimentären Darm vieler Männchen vorkommenden schwarzen Körnerhaufen — wahrscheinlich bestehen sie aus Kalk — treten bei ganz jungen Weibchen einzelner Gattungen (Brachionus) ebenfalls im Enddarm auf und beweisen die Richtigkeit der Deutung jenes Zellstranges als eines rückgebildeten Verdauungskanales. Die primitivere Organisation der Männchen spricht sich im Nervensystem darin aus, dass die Tastbüschel nie auf besonderen Hügeln oder Tentakeln stehen und im Exkretionsapparat in dem Fehlen der kontraktilen Blase bei manchen Gattungen (Hydatina, Brachionus), deren Weibchen eine solche besitzen; doch giebt es auch Männchen mit einer Harnblase (Asplanchna, Apsilus). Ein dorsaler einstülpbarer Penis ist nur bei einzelnen Gattungen (Hydatina, Brachionus) vorhanden, bei anderen scheint das hintere, verjüngte Körperende als solcher zu funktionieren (Conochilus, Polyarthra, Anuraea). Über die Begattung sind unsere Kenntnisse noch äusserst mangelhaft. Dem bei Hydatina über sie Gesagten sei hier hinzugefügt, dass Weber neuerdings bei Diglena catellina[XV] beobachtet haben will, wie der Penis direkt in die weibliche Kloake geführt wurde. Merkwürdigerweise kennt man von den gemeinsten Arten unter den Philodiniden, z. B. von Rotifer vulgaris, die Männchen[S. 317] immer noch nicht, und fast scheint es, als ob dieselben hier ganz fehlten, und die Fortpflanzung ausschliesslich parthenogenetisch erfolgte.
[XV] Diese Beobachtung ist vom Herausgeber dieses Werkes bei derselben Art bestätigt worden.
Planmässige und allseitige Studien zur Biologie der Rotatorien fehlen fast ganz, sodass ich an dieser Stelle nur auf einige wenige Verhältnisse eingehen kann. — Über die Lebensdauer der Wasserrotatorien ist nur das bekannt, was S. 295 über Hydatina senta gesagt wurde. Bei den Erdrotatorien wird sich dieselbe überhaupt schwerlich ermitteln lassen, da sie je nach Länge und Zahl der Trockenperioden sehr verschieden ausfallen wird. Aus den an Hydatina gemachten Beobachtungen scheint hervorzugehen, dass die Lebenskraft der Weibchen erlischt, wenn der Keimstock sich erschöpft hat. Die Männchen hingegen führen nur ein ganz ephemeres, zwei- bis dreitägiges Dasein. — Als Nahrung dienen den Rädertieren die verschiedenartigsten Mikroorganismen: Bakterien, Flagellaten, Diatomeen, Infusorien, kleine Algen u. dergl. Einige Arten haben eine schmarotzende Lebensweise angenommen und sich dadurch an besondere Ernährungsbedingungen gewöhnt. So lebt Proales (Notommata) Werneckii Ehr. im erwachsenen Zustande in den Kolben von Vaucheria und nährt sich von dem Protoplasma dieser Alge. Notommata parasita Ehr. und Hertwigia volvocicola Plate leben in Volvoxkolonien. Die genannten Arten sind aber auch im stande, sich von ihrem Wirte zu entfernen und sind daher nur als zeitweilige Schmarotzer anzusehen. Albertia vermiculus Duj. hingegen ist zum echten Entoparasiten geworden, der dauernd in der Leibeshöhle des Regenwurmes und im Darme verschiedener Nacktschnecken angetroffen wird. Eine Anzahl Rädertiere werden konstant auf gewissen Tieren oder Pflanzen angetroffen, weil bestimmte Lebensgewohnheiten derselben ihnen einen leichten Nahrungserwerb sichern. Sie sind für den Wirt völlig indifferent, schaden ihm weder, noch nützen sie ihm. Man hat ein derartiges Zusammenleben zweier verschiedener Organismen als Raumparasitismus[S. 318] bezeichnet, eine nicht gerade glückliche Benennung, da man von Parasiten nur dann reden kann, wenn der eine Organismus durch den andern benachteiligt wird. Zutreffender ist der Ausdruck „Raumsymbiose“, wenn die von dem einen Lebewesen geschaffenen räumlichen Verhältnisse dem andern zu gute kommen. Solche Raumsymbionten sind unter den Rädertieren die Seisoniden, welche an den Extremitäten der marinen Krebsgattung Nebalia leben, die Callidina parasitica, welche in derselben Weise dem Bachflohkrebse sich anheftet, der auf der Haut von Synapten lebende Discopus synaptae Zel. und endlich Callidina symbiotica Zel. und Call. Leitgebii Zel., welche konstant auf gewissen Lebermoosen der Gattungen Radula, Lejeunia, Frullania angetroffen werden und hier in kleinen, von bestimmten Blattteilen gebildeten Höhlen, in denen die Feuchtigkeit sich relativ lange erhält, leben. — Alle Raumsymbionten leben in der Regel in einer grössern Individuenanzahl zusammen. Das Gleiche gilt von vielen festsitzenden Rädertieren, z. B. der Lacinularia socialis, der Melicerta ringens; indem die jungen Tierchen sich neben den alten niederlassen, entsteht eine Art Kolonie. Echte Kolonien werden nur von einem Rotator, dem Conochilus volvox, gebildet. Sämtliche Individuen einer solchen stossen im Zentrum einer Gallertkugel zusammen und sind selbst radiär gerichtet. Der Ähnlichkeit, welche diese beständig rotierenden Kugeln mit einem Volvox globator haben, verdanken die Tierchen ihren Speziesnamen. — Gallertumhüllungen von Röhrenform werden auch von anderen festsitzenden Arten abgeschieden, z. B. von dem schönen Stephanoceros Eichhornii. Melicerta ringens kann sogar den Anspruch erheben, ihr Gehäuse mit Hilfe eines Kunsttriebes zu bauen. Sie weiss die herbeigestrudelten Partikelchen in einer becherförmigen Vertiefung des Kopfes zu runden Ballen zu formen und diese mittels einer Gallertausscheidung zu einer sehr regelmässigen Wohnröhre zusammenzuheften. — Alle festsitzenden Rädertiere machen natürlich in der Jugend ein freibewegliches Stadium durch. Zwei Arten der Lokomotion werden bei den Rädertieren beobachtet. Weitaus die meisten schwimmen mit Hilfe ihres Räderapparates unter beständigen Drehungen um die Längsachse herum, bald[S. 319] schneller, bald langsamer. Besonders rasch bewegen sich so alle Männchen durch das Wasser. Die wenigen Formen mit ventraler Wimperscheibe (Adineta vaga, Notommata tardigrada) kriechen ohne Rotation über die Unterlage. Ein spannerraupenartiges Kriechen ist ausser dem Schwimmvermögen den Philodiniden eigen, wobei sie sich abwechselnd mit den Fusszehen und der Rüsselspitze anheften. — Unter allen biologischen Erscheinungen der Rädertiere hat keines seit den Zeiten eines Leeuwenhoek die Aufmerksamkeit der Naturforscher mehr gefesselt als die wunderbare Lebenszähigkeit und die schier unverwüstliche Lebenskraft, welche einigen derselben, nämlich den Erdrotatorien, innewohnt. Die Fähigkeit, nach einer Periode völliger Austrocknung auf Wasserzusatz wieder aufzuleben, kommt nur den zwischen Erde und Moos lebenden Philodiniden zu. Alle echten Wasserbewohner und auch schon die ständig im Wasser lebenden Philodiniden[XVI] gehen hingegen beim Verdunsten des Wassers rettungslos zu Grunde. Diesen Tieren ist eben in den Dauereiern ein besonderes Anpassungsmittel zur Erhaltung der Art gegeben. Sehr merkwürdig ist es, dass sich viele Erdrotatorien so sehr an ein intermittierendes Leben gewöhnt zu haben scheinen, dass ihnen zeitweilige Trockenperioden geradezu zum Bedürfnis geworden sind. Thut man nämlich philodinidenhaltiges Moos in ein Wassergefäss, so beobachtet man bei vielen Arten nach einigen Tagen den Eintritt des Todes. Obwohl Wasserorganismen und obwohl nur im flüssigen Elemente ihrer Lebenskräfte sich erfreuend, sterben die Tiere dennoch bei längerem Aufenthalte im Wasser ab, weil ihnen ein solcher in ihren natürlichen Existenzbedingungen nie zu Teil wird. Die Lebenszähigkeit der Erdrotatorien erweist sich nun nicht bloss beim Verdunsten des Wassers, sondern auch gegenüber ungewöhnlich hohen oder niedrigen Temperaturen, denn beiden muss die auf schwarzem Basaltfelsen zwischen Flechten lebende, der glühenden Augustsonne nicht minder als der Kälte der Dezembernacht blossgestellte Callidine gewachsen sein, soll die Art nicht zu Grunde gehen. So verträgt die Callidina symbiotica,[S. 320] wie Zelinka gezeigt hat, im eingetrockneten Zustand eine Kälte von − 20° C. und eine Hitze von + 70°, und mit anderen Philodiniden hat man ähnliche Erfahrungen gemacht.
[XVI] Einige Wasser-Philodiniden sollen eine Gallertcyste ausscheiden und in dieser austrocknen können, eine Angabe, die jedoch noch der Bestätigung bedarf.
Sieht man das System der Tiere als Ausdruck ihrer phyletischen Entwickelung, ihrer Stammesgeschichte, an, so lassen sich die Rädertiere nur mit manchen Bedenken in einem der Endzweige des natürlichen Stammbaumes unterbringen. Ihre Organisation ist nämlich so eigenartig, dass sie sich an keine Tiergruppe bei ausschliesslicher Berücksichtigung der erwachsenen Individuen derselben anschliessen lassen. Am ungezwungensten reihen sie sich noch auf Grund ihres Cilienapparates und ihrer Nephridien an die Turbellarien an. Verständlich wird ihr Verhältnis zu den Evertebraten erst dann, wenn man in ihnen eine sehr alte, primitive Tiergruppe sieht, deren Ahnen den Ausgangspunkt für die Phylogenie einer ganzen Anzahl anderer Tierklassen gebildet haben. Zu dieser Ansicht drängt der Umstand, dass bei sehr vielen Anneliden, Turbellarien, Mollusken und Bryozoen im Laufe der Ontogenie Larven auftreten, die eine ausgesprochene Ähnlichkeit mit Rädertieren aufweisen, Larven, die man unbedingt für Rotatorien halten würde, wenn sie in diesem Zustande geschlechtsreif würden und einen Kauapparat besässen. Man nimmt daher zurzeit an, dass jene Tierklassen und die Rädertiere phyletisch in einer rotatorienartigen Stammform wurzeln, welche als „Trochophora“ bezeichnet wird.
Die Rotatorien zerfallen, wenn wir von den marinen Seisoniden absehen, in zwei natürliche Gruppen:
1. Digononta seu Philodinida: Geschlechtsorgane paarig, jedes mit oder ohne Ovidukt. Mitteldarm von einem Zellsyncytium gebildet. Stets ohne laterale Taster. Am Rücken ein grosser, einstülpbarer Rüssel, welcher die spannerraupenartige Bewegung vermittelt. Teils Erd-, teils echte Wasserbewohner. Gattungen: Rotifer, Philodina, Actinurus, Callidina. — Adineta.
2. Monogononta: Ovar unpaar, stets mit Ovidukt. Mitteldarm aus grossen Zellen gebildet. Mit lateralen und dorsalen Tastern.[S. 321] Ohne Rückenrüssel. Schwimmend oder festsitzend. Nur ständige Wasserbewohner. — Hierher gehört die Mehrzahl aller Rädertiere, deren weitere systematische Einteilung am besten aus Hudson-Gosses Monographie zu ersehen ist. Wir erwähnen nur die Hauptfamilien:
a) Melicertida seu Rhizota. Im Alter festsitzend. Ohne Zehen. Hinteres Körperende nicht einziehbar. Gattungen: Floscularia, Stephanoceros, Melicerta, Lacinularia, Limnias, Oecistes, Conochilus.
b) Illoricata. Haut weich. Gattungen: Asplanchna, Synchaeta, Hydatina, Notommata.
c) Loricata. Mit Panzer. Gattungen: Rattulus, Dinocharis, Salpina, Euchlanis, Lepadella, Colurus, Pterodina, Brachionus, Anuraea.
d) Scirtopoda. Mit scharf abgesetzten, beweglichen Anhängen. Gattungen: Polyarthra, Triarthra, Hexarthra, Pedetes, Pedalion.
Alle Abbildungen sind bei starker Vergrösserung gezeichnet. Die Buchstaben bedeuten:
a
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After
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c
|
Kutikula
|
c.v
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Kontrakt. Blase
|
dst
|
Dotterstock
|
dt
|
dorsaler Taster
|
dr
|
Magendrüse
|
est
|
Eierstock
|
f
|
Fussdrüse
|
g
|
Gehirn
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hg
|
Hypodermis
|
kl
|
Kloake
|
l
|
lateraler Taster
|
ma
|
Kauapparat
|
mu
|
Muskel
|
ne
|
Nephridie
|
o
|
Augenfleck
|
oe
|
Oesophagus
|
ov
|
Ei
|
re
|
Enddarm
|
r
|
Räderapparat
|
sto
|
Magen
|
t
|
Tastborste
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te
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Hoden
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ut
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Uterus
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z
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Zitterflamme (Geisselzelle).
|
[S. 322]
1) F. Cohn, Die Fortpflanzung der Rädertiere. Zeitschr. f. wiss. Zool. VII, 1856, p. 431–486.
2) E. v. Daday, Morphologisch-physiol. Beiträge zur Kenntnis der Hexarthra polyptera. Budapest 1886.
3) C. Eckstein, Die Rotatorien der Umgegend von Giessen. Zeitschr. f. wiss. Zool. XXXIX, 1884, p. 343–443.
4) G. Chr. Ehrenberg, Die Infusionstierchen als vollkommene Organismen. Leipzig 1838.
5) H. Grenacher, Einige Beobachtungen über Rädertiere. Zeitschr. f. wiss. Zool. XIX, 1869, p. 483–497.
6) C. T. Hudson u. P. H. Gosse, The Rotifera or Wheel-Animalcules. 2 Bde. London 1886 und 1 Supplementband 1889. Grundlegend für die Systematik.
7) F. Leydig, Über den Bau u. die systematische Stellung d. Räd. Zeitschr. f. wiss. Zool. VI, 1854, p. 1–120.
8) L. Plate, Beiträge z. Naturgesch. d. Rot. Jenaische Zeitschr. f. Nat. XIX, 1885, p. 1–120.
9) L. Plate, Untersuch. einiger an den Kiemenblättern des Gammarus pulex lebenden Ektoparasiten. Zeitschr. f. wiss. Zool. XLIII, p. 229–235.
10) L. Plate, Über die Rotatorienfauna des bottnischen Meerbusens etc. ibid. XLIX, p. 1–42.
11) G. Tessin, Über Eibildung und Entwickelung der Rotatorien. ibid. XLIV, 1886.
12) E. F. Weber, Notes sur quelques Rotateurs des Environs de Genève. Arch. de Biologie. VIII, 1888.
13) C. Zelinka, Studien über Rädertiere. I. Über die Symbiose und Anatomie von Rot. aus dem Genus Callidina. Zeitschr. f. wiss. Zool. XLIV.
14) C. Zelinka, II. Der Raumparasitismus u. die Anatomie von Discopus Synaptae. ibid. XLVII.
[S. 323]
Von Dr. J. Vosseler in Tübingen.
[S. 325]
Die Krebse (Crustacea) werden zu dem grossen Tierkreise der Gliederfüssler (Arthropoden) gerechnet, welche eigentlich besser mit dem Namen Kerftiere bezeichnet werden, denn im Grunde genommen besitzen die meisten höheren Wirbeltiere ebenfalls gegliederte Beine und müssten somit auch unter den Begriff „Arthropoden“ eingereiht werden. Im grossen Ganzen kann man die Kerftiere in zwei Klassen trennen: in solche, welche durch Kiemen atmen (Branchiata Krebse), und solche, welche durch Tracheen (fein verzweigte Röhrchen, welche die Luft im ganzen Körper herumleiten) atmen (Tracheata). Zwischen beiden Klassen finden sich, wie beinahe überall im Tierreiche, Übergänge. Zu der zweiten Klasse, welche ihrer Organisation wegen als die höher entwickelte angesehen werden muss, zählt man die Tausendfüsse (Myriopoda oder Vielfüsser), die Spinnentiere (Arachnoidea oder Achtfüsser) und die Insekten (Hexapoda oder Sechsfüsser).
Die Krustaceen (Branchiata) selbst können in zwei Abteilungen untergebracht werden, welche jedoch nicht vollkommen wissenschaftlich gegen einander abgegrenzt sind. Dennoch ist es für die Übersichtlichkeit unseres Stoffes von Vorteil, wenn die von verschiedenen Lehrbüchern bis jetzt durchgeführte systematische Trennung beibehalten wird.
Hiernach werden die kleineren Krebse, welche eine einfache Organisation besitzen und wenigstens teilweise in der Entwickelung Übereinstimmung zeigen, als Entomostraken den grösseren Krebsen mit vollkommeneren Einrichtungen, den Malakostraken,[S. 326] gegenübergestellt. Die Vertreter beider Abteilungen lassen sich leicht mit blossem Auge unterscheiden und von einander trennen und innerhalb dieser zwei Gruppen machen sich weitere Verschiedenheiten bei genauer Beobachtung bemerklich, welche charakteristisch genug sind, um auch für den Nichtkundigen hier angeführt zu werden.
Streifen wir mit einem kleinen Netz (wie es etwa zum Schmetterlingsfang benutzt wird) die Wassergewächse ab und durchfahren damit auch in der Nähe der Uferpflanzen das Wasser, so erbeuten wir eine ganze Menge kleiner Krustaceen, die, in ein Glas mit Wasser gebracht, ein unendliches Gewimmel darstellen. Auf einen derartigen Fang wollen wir jetzt unsern prüfenden Blick werfen. Wir beginnen mit den grösseren Insassen des durchsichtigen Behälters und fassen ein Tier ins Auge, welches sich immer am Boden und zwischen den miterhaltenen Pflanzenteilen zu verstecken sucht. Wird es gestört, so schwimmt es mit gekrümmtem, seitwärts zusammengerolltem Körper eine kurze Strecke geradeaus, fast immer auf der einen Körperseite liegend und auch in der Ruhelage stets die Beine schwingend. Seine Länge beträgt einen Centimeter und mehr, wenn es ausgewachsen ist. Der Umstand, dass mehr als drei Beinpaare vorhanden sind, lässt auf einen Krebs schliessen. Die genannten wenigen Merkmale, zu denen noch zwei Paar fadenförmige Fühler von weniger als Körperlänge zu rechnen sind, genügen, um einen Angehörigen aus der Abteilung der höheren Krebse zu kennzeichnen und wir haben in dem beobachteten Tiere einen Flohkrebs oder Gammarus der Ordnung der Amphipoden vor uns. Fast noch leichter kenntlich ist ein Verwandter desselben, welcher offenbar ein ganz schlechter Schwimmer ist. Unter seinem wie bei einer Schildkröte verbreiterten, an den Seiten überstehenden Rückendach sind ebenfalls mehr als drei Beinpaare zu sehen und am Kopfe, wie vorhin, zwei Paar ungleich langer Fühler. Unbehelligt krabbelt der plumpe Geselle langsam und schwerfällig an der neuen Umgebung herum, immer mit den Fühlern tastend und prüfend. Berührt man ihn jedoch mit einem Stäbchen, so zeigt er, dass auch ihm rasche[S. 327] Bewegungen möglich sind, wenn auch in geringerem Masse und weniger eleganter Ausführung, als seinem Vorgänger. Die ganze Erscheinung dieses zweiten Krebses erinnert an die bekannten Kellerasseln, aus deren Sippe er auch in der That einen Spross vorstellt, welcher das kühle Wasserleben noch nicht mit dem auf dem Lande vertauscht hat. Wir nennen ihn Wasserassel (Asellus) und rechnen ihn ebenfalls zu den höheren Krebsen und zwar zur Ordnung der Isopoden.
Diese beiden eben nach ihren gröbsten Umrissen und Gewohnheiten erkannten, zu den Malakostraken gehörigen Formen werden wir später betrachten und wollen nun die kleinen Insassen des Glases, soweit es nicht Junge der genannten Arten sind, nach ihrem Äussern mit blossem Auge unterscheiden lernen. Es bleibt uns, da wir Insekten und Würmer nicht beachten, nur noch das Gewimmel kleiner und kleinster Wesen, welche oft kaum mehr mit dem blossen Auge erkennbar sind, die Entomostraken, übrig. Trotzdem genügt auch hier ein wenig Geduld und sorgsames Zuschauen, um sowohl in den Körperformen als in der Art der Bewegung noch deutliche Unterschiede wahrzunehmen. Während die einen durch ununterbrochenes Hüpfen voranzukommen oder sich wenigstens in der Höhe zu halten suchen, zappeln die anderen scheinbar ziellos im Glase herum. Diese wie jene setzen sich von Zeit zu Zeit, wie um auszuruhen von der anstrengenden Bewegung, am Glase oder an Pflanzenteilen fest, oder lassen sich auf den Grund niedersinken. Unsere Wissbegierde treibt uns immer weiter, und da sich allmählich das Auge daran gewöhnt hat, Unterschiede zu entdecken, so wird es nicht schwer fallen, unter den hüpfenden Tierchen abermals zweierlei zu unterscheiden. Es heisst nun allerdings etwas genau zusehen, denn wir sind nahezu auf dem Punkte der Forschung angelangt, wo die Leistungsfähigkeit des unbewaffneten menschlichen Auges der Wissbegierde des Forschers Grenzen setzt.
Eine langsamere gleichmässige Bewegung, welche eigentlich das Tier, falls es nicht gestört wird, weniger vorwärtsbringt, als vielmehr stets in einer gewissen Höhe über dem Boden erhält, des weiteren ein schwarzer Punkt, welcher am Kopfteil sitzt und das[S. 328] Auge darstellt, kennzeichnet die Wasserflöhe oder Daphniden, welche zu der Ordnung der Blattfüsser (Phyllopoden) zählen. Der Leib selbst, vom Kopfe nicht besonders scharf sich abhebend, ist mehr oder weniger eiförmig. Über den Umrissen ragt hinten oftmals ein Stachel, am Kopf zwei wie Hörner emporstehende Fühler, welche die Bewegung verursachen, hervor. Viel mehr würden in Rücksicht auf ihre Bewegung die länglichen, vorn dicken, hinten schlanken Hüpfer den Beinamen „Floh“ verdienen, welche recht häufig mit einem grossen grünlichen bis weissen Säckchen an jeder Körperseite (den Eiersäcken) und zwei (manchmal recht langen) Hörnchen, welche wagrecht abstehend getragen werden, in eleganten weiten Sätzen im Wasser herumschnellen. Wir nennen sie Hüpferlinge oder Widderchen und reihen sie in die grosse Ordnung der Ruderfüsser (Copepoden) ein. Dem hüpfenden Teil der kleinen Tierwelt in unserem Glase hätten wir nun auch ein Plätzchen im System angewiesen. Wir wenden uns jetzt zu den am schwersten erkennbaren Formen und verfolgen mit einiger Ausdauer das nächste beste der unruhig umherzappelnden Geschöpfe. Es wird hier nötig, um leicht mögliche Verwechslungen auszuschliessen, eine nicht zu den Krebsen gehörige Gruppe von Tieren in ihrem Habitus zu schildern. Es mag somit das kleine Wesen einen annähernd kugelrunden Körper, an dem sich vier nicht versteck-, sondern höchstens anlegbare Beinpaare erkennen lassen, besitzen. Vielleicht gelingt es sogar, eine schön gefärbte Zeichnung auf dem Rücken nachzuweisen. Diese Merkmale lassen auf eine Wassermilbe schliessen, welche wir nicht weiter beachten. Ganz ähnlich in ihren Bewegungen verhält sich eine Familie der Entomostraken, deren Angehörige nach aussen von einer zweiklappigen Schale umschlossen werden, zwischen denen das Körperchen ganz versteckt liegt. Diese Schale ist der einer Muschel ausserordentlich ähnlich und ihr verdanken die Insassen den Namen „Muschelkrebse“ (Ostrakoden). Oft wird man überrascht, wie aus dem Spalt, der die beiden Klappen trennt, plötzlich eine Anzahl Gliedmassen hervortreten und durch eine rasche Thätigkeit das Tierchen in etwas unsicheren Linien von Stelle zu Stelle bewegen. Während der[S. 329] Ruhepausen werden die Beine eingezogen oder zum Krabbeln am Boden oder an Pflanzenstengeln benutzt. Glaubt das Tier sich gefährdet, so zieht es ebenfalls sofort seine Beine ein und schliesst die Schalen. Es liegt dann die nierenförmige Schale, wie ein unbelebtes Ding, vor uns.
Wenn wir nun noch einer Form gedenken, in welcher die Krebstiere des süssen Wassers den höchsten Grad der Entwickelung erreicht haben und für welche, da sie der ganzen Tierklasse den Namen gegeben hat, ein weiteres Charakteristikum wohl nicht nötig ist, — ich meine den Flusskrebs —, so kennen wir nun Vertreter aus allen Abteilungen und Ordnungen der unsere Gewässer bewohnenden Krustaceen. Selbstverständlich genügt nicht immer das Absuchen einer Fundstelle allein, um alle, so wie es geschildert wurde, auf einmal vor Augen zu bekommen; doch wird es nirgends an stehenden und fliessenden Wassern fehlen, welche fast zu jeder Jahreszeit die typischen Formen zu sammeln gestatten. Zum Schluss dieser systematischen Betrachtungen lasse ich eine kurze Übersicht des Wesentlichsten folgen. Wir haben in der zu den Kerftieren gehörigen Klasse der Krustaceen zwei Abteilungen unterscheiden gelernt:
Zu der ersten Abteilung rechnen wir:
Zu der zweiten:
[S. 330]
Wir wenden uns zuerst den Gliedern der ersten Abteilung, den
zu, da sie in ihrem Bau einfacher angelegt und leichter zu übersehen sind, als die „höheren Krebse“.
Es fällt schwer, nur einige gemeinsame Kennzeichen für alle hierher gehörigen Tiere nachzuweisen; denn nicht einmal immer kann man ohne weiteres einen Kopf- und einen Schwanzteil unterscheiden. Am besten wird die Abteilung der Entomostraken dadurch charakterisiert, dass sie ausserordentlich reich an verschiedenen Krebsformen ist, deren Gliedmassen sowohl in der Zahl als auch Gestaltung ebenso wie die Segmente des Körpers sehr variieren. Alle Entomostraken besitzen, wie auch die höheren Krebse, zwei Paar Fühler. Ferner herrscht unter den nachher zu besprechenden Ordnungen mit Ausnahme nur einer Unterordnung annähernde Übereinstimmung in der Körpergestalt während der ersten Entwickelungsstadien nach dem Verlassen des Eies. Nicht alle Entomostraken-Familien sind im süssen Wasser vertreten, eine derselben, die der Rankenfüsser (Cirripedien), findet sich nur im Meere vor. Die Zahl der Gattungen und Arten, welche einer Familie angehören, bewegt sich in weiten Grenzen. Von Entomostraken sind gegenwärtig weit über 2000 Arten bekannt. Von dieser Summe zählt etwa die Hälfte zu den Copepoden, ¼ zu den Ostrakoden, ⅐ zu den Phyllopoden und nur ⅛ zu den im Meere lebenden Cirripedien. Die Mehrzahl der Arten auch der übrigen Familien ausser den Cirripedien lebt ebenfalls im Meere. Aus der umfangreichen Familie der Copepoden lebt nur der zehnte Teil im süssen Wasser. Wohl die bedeutendste Rolle von allen niederen Krebsen spielen in unseren Gewässern die
In dieser zahlreichen Familie unterscheiden wir drei Gruppen, von denen zwei allerdings für das praktische Leben nur wenig Bedeutung haben, allein nichtsdestoweniger ausserordentlich interessant sind wegen der enormen Umbildung des Körpers. Die[S. 331] Tiere, welche diesen Gruppen angehören, leben nämlich parasitisch und haben sich dieser Lebensweise so angepasst, dass sie als Ruderfüsser kaum mehr zu erkennen sind und lange falsch beurteilt wurden. Ehe wir uns diese Schmarotzerkrebse, welche ihrer saugenden Mundteile wegen Siphonostomata genannt werden, näher betrachten, wollen wir die freilebenden Ruderfüsser, welche beissende Mundteile besitzen und als Gnathostomata bezeichnet werden, kennen lernen. Schmarotzende und freilebende Ruderfüsser werden zusammen als echte Copepoden oder Eucopepoden den sogenannten Karpfenläusen (Branchiura oder Kiemenschwänzen) gegenübergestellt.
Die erste Nachricht über das Vorkommen von Ruderfüssern (auch Spaltfüsser genannt) verdanken wir Leeuwenhoek; sie stammt aus dem Jahre 1690. Allein erst von der Mitte unseres Jahrhunderts an wurden sie eigentlich genauer studiert, besonders von Fischer[108] in Petersburg und C. Claus[109][110][111]. Die Bedeutung des dem Griechischen entstammenden wissenschaftlichen Namens ist bereits angegeben worden. Die Tiere, welche unter diese Familie zu rechnen sind, besitzen eine nur geringe Körpergrösse, gewöhnlich ½–3 mm, höchst selten misst eine Art 5 mm oder gar, wie einige im Meer lebende Formen, 9 mm. Der Körper kann bei den meisten etwa mit einer halbierten Birne verglichen werden. Die Wölbung würde dem Rücken, die Schnittfläche der Bauchseite entsprechen. Der grössere, dickere Teil stellt dann den Vorderleib, der dünnere den Hinterleib dar. Der Vorderleib ist aus fünf Teilen zusammengesetzt, welche an und für sich starr, dennoch gegen einander beweglich sind durch dünnhäutige Einschnitte, wie sie auch dem Hinterleib und den Gliedmassen die Beweglichkeit verleihen. Das grösste Stück des Vorderleibes ist oft allein so lang wie die übrigen zusammen. In ihm ist Kopf und Brust vereinigt, weshalb es Kopfbruststück oder Cephalothorax genannt wird. Da bei den Kerftieren gewöhnlich jeder Körperring der ersten Anlage nach mit einem Paar Gliedmassen versehen ist, so lässt sich aus[S. 332] der am Kopfbruststück der Copepoden vorhandenen Summe derselben schliessen, dass mehrere Ringe zur Bildung dieses verschmolzen sind. Die nächsten vier, immer noch zum Vorderleib zählenden Ringe nehmen allmählich an Grösse ab und tragen Beinpaare. Der auf den letzten folgende Hinterleib zählt fünf Ringe. Diese sind beim Männchen getrennt erhalten, während beim Weibchen der erste mit dem zweiten zu einem einzigen Segment (Ring) verschmilzt. Im hintersten Segmente mündet der Darm nach aussen. Eine Art Steuerruder bildet den Abschluss des Körpers. Dieses wird, da es aus zwei nebeneinander dem letzten Hinterleibsringe aufsitzenden Teilen besteht, welche etwa mit den Zinken einer Gabel verglichen werden können, „Schwanzgabel“ oder „Furca“ genannt. Beide Zinken tragen am Ende lange Borsten. Länge und Breite der Körpersegmente sind je nach der Art des Tieres manchem Wechsel unterworfen. Während bei einigen Familien der Hinterleib so lang ist wie der Vorderleib, ist bei anderen dieser bedeutend länger als jener.
Die Copepoden sind, wie die meisten Krebstiere, reichlich mit Gliedmassen versehen und zwar im ganzen mit etwa elf Paaren, welche dreierlei Verrichtungen zu erfüllen haben. Zum Tasten und Schwimmen dienen zwei Fühlerpaare, der Ernährung vier Paar Mundwerkzeuge, auf welche fünf Beinpaare gleichzeitig mit den Fühlern das Schwimmen vermittelnd folgen. Von den letzteren ist gewöhnlich das hinterste verkümmert oder zu einem Greiforgan bei den Männchen umgewandelt.
Wie der Körper und die übrigen Gliedmassen, sind auch die Fühler aus hintereinander liegenden Segmenten oder Ringen zusammengesetzt. Die Zahl dieser Ringe ist eine je nach der Art, dem Geschlecht und Alter verschiedene, sie kann sogar innerhalb einer Art variieren. Von den drei bei uns vorkommenden Familien von Ruderfüssern haben die Harpactiden die geringste Zahl von Gliedern, an den Fühlern nämlich höchstens acht; die Cyclopiden besitzen 6–18, die Calaniden gar 25. Die Antennen aller Copepoden sind reichlich mit Borsten und kleinen Sinnesorganen, welche später besprochen werden sollen, versehen. Wie schon gesagt,[S. 333] dienen diese Fühler wesentlich mit zur Bewegung. Seltsame Umbildungen erfahren sie bei den Männchen. Während die weibliche Antenne gewöhnlich fadenförmig ist und gegen das Ende zu gleichmässig an Dicke abnimmt, wobei die verschiedene Länge der einzelnen Glieder keine Rolle spielt, ist die des Männchens zu einem ganz komplizierten Greiforgan umgestaltet. Diese Funktionsvermehrung trifft bei Harpactiden und Cyclopiden die beiden Antennen, bei den Calaniden nur die der rechten Seite. Bei der letzteren Familie ist der fünfte Fuss auf der entsprechenden Seite ebenfalls zu einem Greiforgan verwandelt. Alle diese geschlechtlich differenzierten Antennen sind zweimal geknickt (Fig. 70, am) und können nach vorn einwärtsgeschlagen werden, so dass eine Art Schlinge entsteht, mit der die Weibchen gefangen und während der Begattung festgehalten werden.
Die zweiten Antennen sind meistens bedeutend kürzer und setzen sich bei Cyclopiden und Harpactiden aus vier Gliedern zusammen. Bei den Calaniden sind sie in zwei Äste gespalten, deren einer vier, der andere sieben Glieder besitzt.
Der Mund ist von einer als Oberlippe bezeichneten bezahnten Platte überdeckt. An seinen Seiten sitzen zwei Paar Kiefern und ebenso viele Kieferfüsse, welche in stetiger Bewegung sind und viele Borsten und Stacheln tragen.
Von den nun folgenden vier Schwimmfusspaaren ist das erste noch am Kopfbruststück angeheftet und gewöhnlich das kleinste.[S. 334] Alle sitzen noch am Vorderleib. Sie bestehen aus einem breiten Grundgliede, auf welchem zwei Äste mit je zwei bis drei Gliedern entspringen; sie werden als Spaltbeine bezeichnet. Wie die Mundwerkzeuge sind auch besonders die Endglieder der Beine reichlich mit Borsten und Dornen ausgestattet. Es wäre nun noch eines fünften, rudimentär gewordenen Fusspaares zu gedenken, welches dem kleinsten (fünften) Vorderleibssegment aufsitzt, oft nur durch Borsten angedeutet, oft 1–2gliederig ist oder gar noch aus einem Grundgliede und zwei kleinen Ästen (Calaniden) besteht. So unscheinbar es ist, so gross ist seine Bedeutung für die Unterscheidung der Arten. Wie oben erwähnt wurde, ist der rechte Fuss des rudimentären Paares bei den Calaniden zu einem Greiforgan umgewandelt und trägt einen sehr starken langen Dorn am Ende. Bei den Harpactiden erleidet das dritte Schwimmfusspaar eine entsprechende Umwandlung zum gleichen Zweck.
Es mögen hier einige Bemerkungen über den Bau der Körperbedeckung eingefügt werden, welche das Tier gegen die Umgebung abgrenzt und ihm Schutz verleiht. Bei allen Kerftieren besteht die Haut aus zwei Lagen, von denen die eine die andere erzeugt. Die äusserste Lage besteht aus einem „Chitin“ genannten Stoff und ist von sehr wechselnder Dicke. Während manche Käfer vom Sammler kaum mit der Nadel durchbohrt werden können, hat die Stubenfliege nur eine dünne Chitindecke und kann daher leicht zerdrückt werden. Von dieser Chitinhaut sind alle die weicheren inneren Organe schützend umschlossen; an ihr setzen sich auch die Muskeln und Sehnen an. Da nun der äussersten Körperschicht die Aufgabe zufällt, den Körper zu stützen und Ansatzstellen für alle die Muskeln abzugeben, welche die Gliedmassen etc. bewegen, so kann man bei den Kerftieren und also auch bei den Krebsen von einem äusseren Skelett reden. Dieses wird von einer darunter liegenden ganz weichen Schicht, der Matrix oder Hypodermis, deren Elemente kleine, vielseitige platte Zellen darstellen, abgesondert. Doch geschieht die Absonderung nicht immerfort gleichmässig, sondern sie findet nur nach bestimmten Zwischenpausen bei noch nicht ausgewachsenen Tieren statt.[S. 335] Jeder neuen Absonderung geht ein Abwerfen der alten Chitinhaut vorauf.
Ähnlich ist auch die Haut, welche den Anfang und das Ende des Darmrohres auskleidet, zusammengesetzt und wird ebenfalls bei der Häutung abgestossen.
Da wir nun das Äussere der Copepoden einigermassen kennen, wenden wir uns zu dem Bau und der Zusammensetzung der inneren Organe und Systeme. Dieselben sind, trotz ihrer Einfachheit, ihrer Struktur und Funktion nach doch oft recht schwierig zu erkennen.
Gleich das Nervensystem, von dem ja alle Lebensäusserungen, willkürliche wie unwillkürliche, ausgehen, ist bei der Kleinheit der Tiere, zu der sich noch andere Hindernisse gesellen, so schwer zu entdecken, dass bei mancher Art noch nicht einmal die äussere Form mit voller Sicherheit festgestellt ist. Von vornherein lässt sich ja annehmen, dass es sich vom Bau nahe verwandter Arten, von deren zentralem Nervensystem man genaue Kenntnis hat, nicht allzuweit entfernen werde. Gewöhnlich lagert sich der Hauptteil, den man als Hirn bezeichnen kann, wie bei allen Kerftieren, über dem Schlund und zwar in Form von Ganglien, d. h. Anschwellungen von Nervensträngen, in denen die Elemente des Nervensystems, Fasern und Zellen, bei einander liegen. Solche Ganglien sind, der bilateralen Symmetrie des Körpers entsprechend, gewöhnlich paarweise angelegt. Die Paare selbst treten ursprünglich in jedem Segment in der Einzahl auf, können aber sowohl seitlich verwachsen, als auch, wenn Segmente mit einander verschmelzen, zusammenrücken, so dass mehrere hintereinander gelegene Paare durch Verwachsung nur noch ein einziges darstellen. Um wieder auf das „obere Schlundganglion“ (so lautet die wissenschaftliche Bezeichnung des Hirns) zurückzukommen, so ist es meistens auch durch seine Grösse vor den anderen ausgezeichnet. Von ihm gehen rechts und links an den Seiten des Schlundes Nerven (Kommissuren) hin, welche in ein unter dem Schlunde liegendes Ganglienpaar eintreten. Auf diese Weise entsteht eine Art Ring, welcher sich eng um das Rohr des Schlundes herumlegt und „Schlundring“ genannt wird. Dieses „untere Schlundganglion“ ist mit den weiter nach hinten[S. 336] liegenden segmentalen Ganglien durch zwei Nervenstränge, wie jene unter sich, verbunden. Das Bild dieses „Bauchstranges“ gleicht einer Strickleiter. Wie schon der Name besagt, liegt dieser Bauchstrang, welcher unserem Rückenmark entspricht, an der Bauchseite unter dem Darm. Ob überall bei unseren Copepoden auch im Hinterleib solche durch Nerven mit einander verbundene Ganglien zu finden sind, ist nicht ganz sicher festgestellt. Bei den Cyclopiden fehlen sie dort, was natürlich nicht ausschliesst, dass derselbe dennoch reichlich mit Nerven versorgt ist. Von diesem Zentralnervensystem, welches, wie wir gesehen haben, aus einem Schlundring und einer Bauchganglienkette sich zusammensetzt, gehen nun gröbere und feinere sich reichlich verzweigende Nervenäste zu allen Teilen und Organen des Körpers und vor allem zu den Sinnesorganen.
Obgleich diese im Vergleich mit anderen Kerftieren nur schwach entwickelt sind, scheinen die Copepoden dennoch für die meisten Eindrücke recht empfänglich zu sein. Am leichtesten sichtbar und keiner Art fehlend ist das Auge. Es ist bei grösseren Arten, namentlich bei den fast farblosen pelagischen Tieren, ohne weitere Hilfsmittel durch seine gewöhnlich rot bis rotbraune Färbung kenntlich. Häufig glänzt es sehr schön.
Ausnahmslos müssen sich die Copepoden mit einem einzigen Auge behelfen und dieser Umstand hat der Gattung Cyclops mit einer Anspielung auf den einäugigen Schmiedeknecht Vulcans im Ätna zu ihrem Namen verholfen. Dieses eine Auge ist so primitiv gebaut, dass wir ruhig annehmen können, es werde seinem Besitzer zu keiner besonders vollkommenen Erkenntnis der Umgebung verhelfen und nicht viel mehr als die Unterscheidung von hell und dunkel ermöglichen. Es sitzt bei allen Arten mitten auf der Stirn zwischen den beiden Fühlern und ist bloss bei den Calaniden ein wenig beweglich, sonst aber fest. Mit einem Vergrösserungsglas sieht man dem schon erwähnten Pigmentfleck zwei kleine glashelle Linsen aufsitzen, welche meistens den Glanz verursachen. Denkt man sich nun hierzu einen Nerv, der vom Hirn zum Auge zieht und unter demselben eine kleine gangliöse Anschwellung zeigt, so[S. 337] kennen wir die ganze Einrichtung, wie sie einfacher kaum gedacht werden kann. Die nächstniedere Entwickelungsstufe des Auges kommt schon sehr früh in der Tierreihe vor bei wirbellosen Tieren und stellt einen mit Nerven versehenen Pigmentfleck dar, ist also um das optische Hilfsmittel der beiden Linsen ärmer. Die Linsen selbst sind aus der Chitinschicht der Haut gebildet und werden bei jeder Häutung durch neue ersetzt.
Wenn wir somit dem Formen- und Farbensinn der kleinen Hüpferlinge keine besondere Hochachtung zollen dürfen, so kann man doch aus manchen Beobachtungen schliessen, dass nicht alle Sinne gleich schlecht entwickelt sind. Namentlich scheinen der Geruch und Geschmack gut ausgebildet zu sein. Nur fehlen uns vorderhand die Mittel, genau zu unterscheiden, welche Organe dem einen, welche dem anderen Sinne dienen. Es ist ja nicht unmöglich, dass bei den im Wasser lebenden Tieren ein und dieselbe Vorrichtung beiderlei Perceptionen ermöglicht, da nur ein Medium vorhanden ist, um die erregenden Stoffe zu übermitteln — das Wasser. Ob nun die Stoffe gasförmig oder fest sind, bleibt sich gleich. Da nicht wohl anzunehmen ist, dass unlösliche Stoffe einen Eindruck auf andere als Seh- und Tastorgane machen, so ist von diesen abzusehen. Lösliche Stoffe jedoch können nach unseren Anschauungen von einem Sinnesorgan wahrgenommen werden. Wie bei den höheren Wirbeltieren ist der Geruchs-Geschmackssinn auf bestimmte Körperteile beschränkt und zwar wohl ausnahmslos auf die Antennen. Am ersten Paare derselben sitzen neben einer bedeutenden Anzahl von Borsten verschiedener Grösse und Form je nach Art, Geschlecht und Alter wechselnde Mengen äusserst zarter Gebilde auf, welche kaum einem anderen Zweck dienen dürften, als die nächste Umgebung auf ihre chemische Beschaffenheit zu prüfen. Es sind dies die bei den Cyclopiden und Harpactiden von Leydig beschriebenen sogenannten „blassen Kolben und Cylinder“, welchen bei unserem Calaniden Diaptomus (s. S. 338) feine und lange verborgen gebliebene Gebilde entsprechen, die zuerst von Imhof[112] beschrieben und von mir[113] abgebildet wurden. Besonders auffallend ist die Verschiedenheit der Form dieser[S. 338] Sinnesorgane bei den Cyclopiden, und wohl wert, mit einigen Worten beschrieben zu werden. Vor allem ist hervorzuheben, dass die männlichen Antennen stets reichlich mit solchen Kolben und Cylindern versehen sind, während sie bei den Weibchen entweder gar nicht oder nur in der Einzahl angetroffen werden. Der letztere Fall ist um so interessanter, als die Lebensäusserungen der Tiere keineswegs die Vermutung aufkommen lassen, als fehle diesen der Geruchssinn überhaupt; man kann somit schliessen, dass auch noch auf andere, bis jetzt noch nicht ermittelte Weise geschmeckt bezw. gerochen wird. Diejenigen, welche ein Sinnesorgan besitzen, tragen dasselbe am zwölften Gliede der ersten Antenne in Form eines auf einem Stiele sitzenden Kölbchens. Ganz ähnlich in der Form, nur grösser und zahlreicher sind die Kölbchen, mit welchen die Männchen dieser Weibchen an den Klammerantennen ausgerüstet sind. Die übrigen Männchen dagegen schmecken mit den „blassen Cylindern“, welche morphologisch den eben geschilderten Kölbchen entsprechen. Diese Cylinder sind im letzten Drittel fein behaart und kommen auch bei unserem Harpactiden Canthocamptus vor. An den langen Fühlern unseres gemeinsten Calaniden Diaptomus treten beim Weibchen wie Männchen ganz kleine, äusserst zarte und darum kaum sichtbare Organe auf, welche etwa die Form einer Lanzenspitze haben. Einen deutlichen Übergang von den Borsten zu dem Schmeckorgan weisen die an der Antenne der Heterocope, eines nahen Verwandten des Diaptomus, auf. Viele derselben entfernen sich mit Ausnahme einer blasigen Auftreibung am Grunde kaum vom Bau einer Borste.
Es mag hier erwähnt werden, dass alle die genannten Sinnesorgane, so verschieden ihre Form und Grösse ist, ganz den so zahlreich an allen Gliedmassen der Copepoden vorkommenden Borsten, welche an den Antennen sicher mit die Tastempfindung vermitteln, entsprechen und aus diesen sich entwickelt haben. Nicht allein die Anordnung der „blassen Kolben und Cylinder“ auf den Gliedern der Antenne dient uns als Beweis dafür, sondern auch der Umstand, dass, wie beim ebenerwähnten Falle, nicht selten solche Sinnesorgane angetroffen werden, welche ein Mittelding[S. 339] zwischen Borste und Kolben (oder Cylinder) darstellen. Es ist dies ein Beispiel, dass eigentlich Geschmack und Geruch nur verfeinerte Tastempfindungen sind. Weitere Bemerkungen über die Thätigkeit der vermutlichen Organe des Geschmacks- und Geruchssinnes werden in dem Abschnitt über die Lebensweise der kleinen Kruster folgen und wir wenden uns zur Besprechung des Gehörs, sofern man überhaupt von einem solchen reden kann. Es ist nämlich bis jetzt nicht gelungen an Süsswasser-Copepoden auch nur in Spuren ein Organ nachzuweisen, welches zur Aufnahme von Schallwellen im Wasser spezifiziert wäre. Wollen wir nicht annehmen, dass die oben geschilderten Sinnesorgane der Antennen — zu denen ja schliesslich noch alle die feineren Borsten, namentlich die mit feinen Härchen versehenen zu rechnen sind — neben den angegebenen Funktionen noch die des Hörens übernehmen, so können wir nur vermuten, dass Schallwellen, die ja im Wasser ohnedies viel besser geleitet werden als in der Luft, vom ganzen Körper des Tieres empfunden werden und somit ebenso wirken, wie ein Reiz auf den Tastsinn. Da nicht einzusehen ist, von welchem Vorteil eine auch nur annähernd genaue Unterscheidung der Töne für das Wohlbefinden eines so niedrig organisierten Wesens sein soll, so wird man wohl begreifen, dass die geschilderte Art der Schallempfindung ihren Zweck ausreichend erfüllt. Auch wir empfinden ja den Schall viel öfter als wir es ahnen zumteil mittels des Tastsinnes. Jeder kann sich davon überzeugen, wenn er während des Vortrages eines kräftigen Gesangsstückes oder einer schmetternden Kapelle die Fingerspitzen auf den Deckel eines frei gehaltenen Buches oder einer kleinen Zigarrenkiste legt. Dass aber die Copepoden einen gut entwickelten Tastsinn haben, wird jeder Freund derselben, welcher etwa mit einer Pipette die gewandteren Schwimmer, wie Diaptomus und Cyclops, aus einem grösseren Gefäss herausfangen will, zu seinem Ärger erfahren. Mit einer oft geradezu bewundernswerten Geschicklichkeit wissen die Tiere dem gefahrbringenden Instrumente, dessen Nähe sie offenbar nicht sehen, sondern lange, ehe es den Körper berührt, fühlen, auszuweichen, und je öfter und sorgfältiger man ihnen nahe[S. 340] zu kommen sucht, desto sicherer entfliehen sie — einmal scheu gemacht — durch einen schnellen Sprung.
Von den Eingeweiden ist am leichtesten der Darmtraktus, besonders am lebenden Tiere — allerdings so wenig wie das Nervensystem mit blossem Auge — zu verfolgen. Wir teilen denselben in einen vordern (Schlund-)Teil, Mittel-(Magen) und Enddarm. Der erste beginnt mit dem Munde. Von der Mundöffnung an steigt der Schlund beinahe senkrecht in die Höhe, biegt ein wenig nach vorn der Stirn zu um, erleidet dort eine Knickung und geht allmählich in eine Erweiterung des Darmrohres, den Mitteldarm oder Magen, über, welcher sich annähernd durch den ganzen Vorderleib erstreckt. Mit dem Beginn des Hinterleibs fängt der wieder dünnere Enddarm an und mündet an der Oberseite des letzten Segmentes vor der Furca nach aussen. Der Darmtraktus geht somit wie ein gerader Schlauch mitten durch den Körper. Am Enddarm besonders kann man leicht eine eigentümliche Erscheinung beobachten, welche dem Darm aller Tiere, den Menschen nicht ausgenommen, eigen ist. Häufig treten nämlich an demselben Einschnürungen auf, welche weiter wandern und, da sie rasch auf einander folgen, wie Wellen sich fortzupflanzen scheinen. Es sind dies die sogenannten „peristaltischen Bewegungen“, welche, durch die in der Darmwand liegenden Muskeln erzeugt, der Weiterbeförderung des Inhalts dienen.
Vergebens würden wir nach Leber und Niere, zwei so hochwichtigen Organen im tierischen Körper, suchen, wollten wir sie als gesonderte Teile der Eingeweide vermuten. Nach mühsamen Versuchen erst ist es gelungen nachzuweisen, dass Zellen, auf dem Magenstück liegend, die Verrichtung der erwähnten Drüsen übernommen haben. Etwa innerhalb des Kopfbruststückes ist der Darm von drüsigen Zellen umgeben, welche mit gelb gefärbten Fettkügelchen erfüllt und ihrem Bau nach als Leberzellen zu deuten sind. Weiter nach hinten, dem Ende des Magens zu, enthalten ähnlich geformte Zellen die Stoffe, welche bei den höheren Tieren von den Nieren abgesondert werden. Durch Einwirkung chemischer Reagentien lässt sich ihre Zusammensetzung erkennen.[S. 341] Diese Nierenzellen geben ihren Inhalt am Anfang des Enddarms an diesen zur Weiterbeförderung nach aussen ab.
Selbst unser Regenwurm ist in dieser Beziehung, so niedrig er sonst steht, besser eingerichtet, als der Copepode, indem er wenigstens gesonderte Organe, welche die Funktion der Niere verrichten, besitzt.
Allein nicht nur in diesem einen Falle können wir am Copepoden die Einfachheit der Mittel bewundern, mit denen die Natur so unendlich verschiedenes zweckmässig einzurichten weiss. Gleich die Art und Weise, wie das Blut im Körper der kleinen Geschöpfe zu allen Organen hingeführt wird, ist bei den Cyclopiden und Harpactiden so originell und zugleich so primitiv, dass wir kaum begreifen können, wie dadurch die Thätigkeit eines komplizierten Apparates, wie es das Herz anderer Tiere ist, vollkommen ersetzt werden kann.
Die beiden eben erwähnten Familien besitzen nämlich nicht einmal die Andeutung eines Herzens und bei diesen Tieren übernimmt nun wunderbarerweise der Darm einen Teil der Funktion eines solchen, ist also in dreifacher Weise beschäftigt. Dadurch, dass er sich in bestimmter Richtung (vorwiegend in der Vertikalebene auf und ab) bewegt, wird das Blut wenigstens ordentlich untereinandergeschüttelt, wenn auch nicht in vorgeschriebenen Bahnen oder Adern herumgeleitet. Die Lage und der Verlauf des Darmes wurde vorhin geschildert. An der erwähnten Umbiegung, wo der Schlund in den Magen übergeht, setzen sich an der Oberseite feine Muskeln an, welche nach vorn und oben gegen die Stirne zu verlaufen. Diese bewegen bei ihrer Zusammenziehung den Darm in dieser Richtung. Sehr ausgiebig und regelmässig ist diese Bewegung nicht. Eine zweite Art von „Darmpulsationen“ vollzieht sich durch die Thätigkeit anderer Muskeln, welche sich einerseits am Darm beim Übergang des Magens in den Enddarm ansetzen, anderseits an der innern Bauchwand des Hinterleibes. Durch diese Muskulatur wird der Darm gewaltsam nach abwärts und zugleich nach hinten gerissen und alles Blut, das sich unter ihm befand, nach oben an den Seiten des Darmes vorbei unter die[S. 342] Rückenhaut getrieben. Gleich darauf kehrt alles in seine vorige Lage zurück. Die Zahl dieser Bewegungen in einer bestimmten Zeit ist manchem Wechsel unterworfen und scheint zumteil willkürlich ausgeführt zu werden. Die Gliedmassen sorgen ausserdem durch ihre fast immerwährende Bewegung jedenfalls mit dafür, dass das Blut keinen Augenblick ruhig im Körper verweilt.
Eine viel vollkommenere Blutzirkulation findet bei den Calaniden statt, da diese ein Herz besitzen. Dieses ist bei unserm Diaptomus in einer ausserordentlich lebhaften Bewegung und schlägt etwa 150mal in der Minute, so rasch, dass es beinahe zu vibrieren scheint. Durch seine energische Thätigkeit werden die in seiner Umgebung liegenden Organe ebenfalls in einem beständigen Zittern erhalten. Beobachtet man einen Diaptomus längere Zeit unter dem Mikroskop von einem dünnen Gläschen bedeckt, so verbraucht er allmählich den in dem umgebenden Wassertropfen enthaltenen Sauerstoff und dann schlägt das Herz des absterbenden Tieres immer langsamer, so dass es sich leicht genau besehen lässt. Man wird dann finden, dass es einem kleinen Balle gleicht, welcher in der Mitte des Rückens und zwar im dritten Vorderleibssegment direkt unter der Haut liegt. Feine blasse Fädchen ziehen von ihm an die umgebenden Teile (Haut, Darm) und halten es in seiner Lage fest. Es ist mit einigen Öffnungen versehen. Am sichersten ist eine hintere und vordere, weniger bestimmt solche an den Seiten beobachtet worden. Blutgefässe fehlen auch hier. Wie bei den zwei anderen Familien ist auch bei den Calaniden die ganze Körperhöhle mit Blut erfüllt, so dass die Organe sozusagen darin schwimmen. Zieht das Herz sich zusammen, so strömt das Blut gegen den Kopf zu aus der vordern Öffnung, welche demnach als „arterielle“ angesehen werden kann. Die bei der Kontraktion sich schliessende hintere oder „venöse“ Öffnung lässt bei der Ausdehnung Blut einströmen, welches von seiner Wanderung durch den Körper und die Gliedmassen zurückkehrt.
Das Blut selbst ist farblos oder schwach gelblich. Feste Bestandteile, etwa den Blutkörperchen anderer Tiere entsprechend,[S. 343] lassen sich nur sehr schwer darin entdecken und wurden früher ganz vermisst.
Gesonderte Verrichtungen, welche zur Atmung dienen könnten, fehlen allen echten Copepoden vollständig. Man muss demnach annehmen, dass der im Wasser gelöste Sauerstoff, der auch diesen kleinen Wesen unentbehrlich ist, einfach durch die Haut aufgenommen und auf demselben Wege die Kohlensäure abgeschieden wird. Man wird diese scheinbare Unvollkommenheit verstehen, wenn man bedenkt, wie leicht sich ein Gasaustausch durch eine Haut, welche in allen Teilen dünner ist als die Kiemenhaut grösserer Krebse, vollziehen kann. Es wirkt somit die ganze Körperoberfläche als Atemorgan, sozusagen als Kieme. Das Bedürfnis nach Sauerstoff entspricht der Grösse der Tiere und der Lebhaftigkeit derselben.
Alle Bewegungen im und am Körper werden durch hochentwickelte Muskeln ausgeführt. Vor allem sind zwei Stränge derselben, je einer links und rechts von der Mittellinie des Körpers, stark ausgeprägt und leicht zu sehen. Diese vermitteln die Verschiebung der Körpersegmente gegen einander. An den Seiten des Körpers und am Bauche setzen sich die Muskeln der Gliedmassen an. Von der eigentümlichen Thätigkeit der Darm- und Herzmuskulatur war schon früher die Rede.
Es bliebe uns jetzt noch übrig, da ja nur die wichtigeren Organe hier Raum finden können, die Fortpflanzungsorgane und daran anknüpfend die Entwickelung der Copepoden zu besprechen.
Schon bei der Beschreibung der Gliedmassen wurde erwähnt, dass alle Copepoden getrennten Geschlechts seien, und die äusseren Merkmale, welche beide Geschlechter trennen, hervorgehoben.
Die Fortpflanzungsorgane nehmen bei den reifen Tieren einen grossen Teil der Leibeshöhle ein und schimmern namentlich bei den Cyclopiden durch die dünne Körperwand durch. Da der Inhalt derselben oft genug eine bläuliche bis grüne Färbung besitzt, erscheinen die Tiere in dem entsprechenden Tone gefärbt. Die[S. 344] Männchen sind sofort an ihrem schlankeren Körper und den umgeformten Antennen zu erkennen. Junge Tiere sind nicht immer leicht zu unterscheiden. Die Weibchen sind gewöhnlich grösser als die Männchen derselben Art und der Hinterleib derselben besitzt ein Segment mehr als bei jenen, da das erste und zweite nicht mit einander verwachsen sind. Bei beiden Geschlechtern liegen die Fortpflanzungsorgane über dem Darm und unter der Rückenhaut. Wo ein Herz, wie bei den Calaniden, vorhanden ist, befindet sich dieses über den Geschlechtsorganen. Sind letztere bei den Weibchen stark entwickelt und mit Eiern erfüllt, so erstrecken sie sich etwas an den Seiten des Darmes nach dem Bauche zu abwärts. Die Keime werden in einer sackähnlichen Drüse erzeugt. Von dieser Drüse treten sie nach rechts und links in die Eileiter über, welche bei grossen Weibchen durch ihre eigentümliche Form (Fig. 70 Ee) und den gefärbten Inhalt leicht sichtbar werden. Die Eileiter reichen weit nach vorn und hinten bis zum ersten Segment des Hinterleibes, wo sie nach aussen münden. Nach den Seiten senden dieselben ebenfalls mit Eiern erfüllte Lappen aus. In den Eileitern werden die Keime (Eier) mit Dotter versehen und erhalten auch eine zarte Hülle. Die Eier geniessen bis zum Auskriechen der Jungen die mütterliche Fürsorge und werden nicht einfach in das Wasser entleert. Vor dem Verlassen des mütterlichen Körpers werden sie nämlich aus einer Drüse mit einem Klebstoff umhüllt, welcher im Wasser erhärtet und die Eier unter einander sowohl, als auch mit den Seiten des mütterlichen Körpers am ersten Ringe des Hinterleibes verkittet. Solche Säckchen tragen die Cyclopiden zwei, deren jedes etwa mit zwanzig Eiern erfüllt ist, die Harpactiden und Calaniden dagegen nur eines. Bei ersteren sind sie oval und links und rechts am Hinterleib, bei letzteren mehr rundlich und an der Unterseite befestigt. Diese Säckchen sind bei den Copepoden, die der pelagischen Fauna angehören, stets kleiner als bei den Uferformen.
Die männlichen Organe sind bei den Cyclopiden mit Ausnahme der Keimdrüse ebenfalls paarig angelegt, bei den Calaniden und Harpactiden dagegen nicht. Die Geschlechtsprodukte werden in sogenannten Spermatophoren an das Weibchen angeheftet. Den[S. 345] Cyclopiden sind solche Gebilde von rundlicher Form eigen, bei den Calaniden und Harpactiden stellen sie jedoch langgezogene Flaschen von sehr komplizierter Einrichtung dar. Ihre Entstehung und Funktion wurde von A. Gruber vorzüglich geschildert.
Die Befruchtung der Eier findet am Ende der Eileiter während des Ablegens statt.
In den Säckchen sind, wie im Körper, die Eier von grünlicher bis bläulicher, selten gelber Farbe. Eine dünne Haut umschliesst den körnigen fetthaltigen Inhalt. Bald nach der Bildung der Eiersäckchen beginnt die im Ei schlummernde geheimnisvolle Kraft in der Umbildung des Dotters zu einem neuen Wesen ihre Wirkung zu entfalten. So interessant die hierbei sich abspielenden Vorgänge sind, so können sie hier nicht weiter geschildert werden. C. Claus[110] hat uns schon vor langen Jahren mit denselben bekannt gemacht. Nach einer, je nach der Jahreszeit, zwei bis zehn Tage dauernden embryonalen Entwicklung entschlüpft dem Ei der junge Copepode, welcher zunächst mit seinen Eltern so wenig Ähnlichkeit hat, dass man ihn lange für ein ganz besonderes Tier hielt und ihn „Nauplius“ benannte. Alle jungen Copepoden und auch die meisten übrigen niederen Krebse haben diese Entwickelungsform des „Nauplius-Stadiums“ gemeinsam, so verschieden im erwachsenen Zustande die Tiere auch aussehen mögen. In diesem Jugendkleide stellt sich das kleine Wesen als rundlicher Körper mit nur drei Gliedmassenpaaren dar, welche an der Bauchseite entspringen und in der Form ebenfalls wesentlich von denen der Alten abweichen. Die weitere Entwickelung vom Nauplius zum vollkommenen Tiere geht sozusagen ruckweise vor sich. Die kleinen Kruster wachsen so wenig wie andere Kerftiere etwa ähnlich den höheren Tieren allmählich heran, wobei der schon in seiner Gestaltung fertige Körper eigentlich nur an Grösse zunimmt, sondern in Pausen. Von Zeit zu Zeit wird, wie bereits früher beschrieben wurde, den Jungen die Haut zu enge, deren Beschaffenheit eine Dehnung nur bis zu einem gewissen Grade zulässt. Sie, d. h. die unbelebte äussere Schicht derselben, wird deshalb abgeworfen und durch eine neue ersetzt. Mit jedem Wechsel der Haut treten am Körper mehr Segmente und Gliedmassen,[S. 346] an diesen aber, so weit sie nicht schon früher vorhanden waren, neue Bestandteile auf. Das Auge, den Darm und — wo ein solches vorkommt — auch das Herz bringen die Copepoden, wie die erste Anlage der Fortpflanzungsorgane, mit auf die Welt. Mit dem Verlassen des Eies entzieht sich der Nauplius der mütterlichen Obhut und geht von nun an selbständig seinen Weg durchs Leben.
Es ist dieses Nauplius-Stadium für die Systematik der niederen Krebse um so wichtiger, als manche erwachsene Formen selbst für das geübte Auge so wenig Ähnlichkeit mit den nächsten Verwandten haben, dass man ohne Kenntnis der Entwickelung sie lange mit ganz anderen Tieren zusammenstellte. Es sind solche weitgehenden Veränderungen der äussern Gestalt namentlich bei den Rankenfüssern und den parasitischen Copepoden beobachtet und auf eine Anpassung an die Lebensweise zurückzuführen. Einige Rankenfüsser setzen sich fest, werden mit einer harten Kalkschale umschlossen und scheinen in dieser Form alle Anschauungen über den Bau eines Krebses über den Haufen werfen zu wollen. In der That wird jeder, welcher zum ersten Mal eine sogenannte Entenmuschel oder die Seepocken zu Gesicht bekommt, Mühe haben, sie als Krebse zu erkennen. Von den parasitischen Copepoden werden wir später noch einiges erfahren.
Nach einer bestimmten Zahl von Häutungen hat das Tier seine endgültige Grösse und Form erreicht und ist fortpflanzungsfähig geworden. Die Zeit, die es vom Verlassen des Eies an zu seiner weiteren Entwickelung nötig hat, ist je nach den äusseren Einflüssen verschieden. Im Sommer genügen nach Jurines[114] Beobachtungen zwei bis drei Wochen, während in der kälteren Jahreszeit unter Umständen ebensoviele Monate nötig sind, bis das Tier fertig ist. Die erreichte Grösse ist bei Individuen einer Art meist annähernd gleich. Nur ausnahmsweise findet man solche, welche das normale Mass um vieles (fast ⅓) übersteigen, ohne dass eine besondere Ursache für ein so auffallendes Wachstum sich nachweisen liesse.
So interessant das Studium der einzelnen Familien, Gattungen und Arten, welche unsere süssen Wasser bewohnen, ist, so muss[S. 347] dennoch auf eine Aufzählung aller bis jetzt beschriebenen Formen verzichtet werden. In dem angefügten Litteraturverzeichnis sind jedoch für solche, welche sich eingehender mit den interessanten Tieren abgeben wollen, die wichtigsten Werke namhaft gemacht, in denen die Beschreibung und Klassifikation der Copepoden behandelt wird. Wir wenden uns zu der am niedersten stehenden Familie der Eucopepoden mit kauenden Mundwerkzeugen, den
Der ganze Körper (Fig. 70) setzt sich (ohne die Furca) aus zehn Ringen zusammen, von denen fünf auf den Vorderleib, ebensoviele (beim Weibchen verwachsen die zwei ersten) auf den Hinterleib kommen. Der Vorderleib ist meistens beträchtlich breiter als der Hinterleib und eiförmig. Die ersten Antennen setzen sich aus 8–17 (selten 18) Gliedern zusammen und sind beim Männchen beide zu Greiforganen umgewandelt. Das Auge ist in der Mitte der Stirne gelegen und hat zwei Linsen. Das Weibchen trägt seine Eier in zwei gewöhnlich etwas abstehenden Säckchen an beiden Seiten des Hinterleibs.
Am gemeinsten von allen den Arten, deren Antennen 17gliederige Fühler besitzen, ist der Cyclops viridis Fischer. Die Fühler dieser grossen Art sind kaum länger als das erste Vorderleibssegment und gedrungen; sie tragen am zwölften Gliede ein feines Sinneskölbchen. Fast gleich häufig trifft man den kleinen Cyclops agilis Koch an, welchem von Claus, da er am Aussenrande der Furca eine kleine Säge trägt, der Name serrulatus beigelegt wurde. Seine Fühler sind schlank und reichen bis zum vierten Segment des Vorderleibs. Sie besitzen zwölf Glieder, ermangeln aber eines Sinneskölbchens. Die Eiersäckchen werden sehr abstehend getragen. Von grossen Cyclopiden mit langen Antennen (viel länger als das erste Vorderleibssegment) sind etwa noch Cycl. tenuicornis Claus und signatus Koch zu erwähnen. Diese sehen sich im allgemeinen ähnlich, allein während C. tenuicornis wie C. viridis ein Sinneskölbchen an den ersten Antennen trägt, fehlt dieses dem C. signatus stets. Die Länge von diesen beiden[S. 348] Arten und von viridis beträgt etwa 3.5 mm. Ein naher Verwandter des C. agilis interessiert uns durch sein beschränktes Vorkommen. Er wurde in den Maaren der Eifel von Dr. Otto Zacharias gefunden und erhielt bei der Beschreibung[115] den Namen C. maarensis[XVII]. Es giebt noch eine bedeutende Anzahl von meist kleinen Arten mit 17gliederigen Antennen, welche kaum länger als das Kopfbruststück sind. Alle sind aber sehr schwer zu bestimmen, da die Merkmale nur mit Mühe aufgefunden werden können. Viel seltener trifft man Cyclopiden an, deren Antennen weniger als zwölf Glieder besitzen. Einer derselben, C. canthocarpoides, kommt auch im Meere vor.
[XVII] Es ist diese Art nach neueren Untersuchungen vielleicht mit C. macrurus Sars identisch.
Die Familie der
zählt im süssen Wasser zu der am wenigsten bedeutenden. Wie Cyclops die einzige Gattung unter den Cyclopiden darstellt, so sind auch die Harpactiden nur durch eine Gattung, Canthocamptus (Fig. 71), vertreten. Diese Form ist in mehreren Arten sehr weit verbreitet. Sie wird besonders im ersten Frühjahr in Gesellschaft von Cyclops in allen unseren kleinen Weihern gefunden, viel seltener oder gar nicht im Sommer. Der Körper von Canthocamptus weist dieselbe Gliederung auf, wie die von Cyclops, jedoch ist Vorder- und Hinterleib[S. 349] an Breite nur wenig verschieden und beide sind nicht sehr scharf von einander abgesetzt. Die ersten Antennen sind kürzer als das Kopfbruststück und beim Männchen zu Greiforganen umgestaltet. Bei letzterem erleidet das dritte Fusspaar eine demselben Zwecke dienende Formveränderung. Am Hinterleib der Weibchen wird nur ein Eiersäckchen angetroffen, neben welchem häufig die langen flaschenförmigen Spermatophoren hängen. Canthocamptus ist ein schlechter Schwimmer und dreht sich bei seinen Bewegungen um seine eigene Achse schraubenförmig durch das Wasser. Die grösste bei uns vorkommende Art — Canth. minutus Müller oder staphylinus Jurine — misst etwas über einen Millimeter; die meisten anderen sind noch kleiner. Viel wichtiger und grösser ist die dritte Familie der Süsswassercopepoden, die der
obgleich auch sie nur mit wenigen Gattungen bei uns vertreten ist. Diese sind nicht so allgemein verbreitet, wie die beiden vorhergehenden Familien, sie kommen aber meist in grossen Massen vor, wenn sie einmal in einem Wasser eingebürgert sind. Der Vorderleib der Calaniden ist länger als der Hinterleib und bildet ein langgezogenes, nach hinten abgestutztes Oval. Der ganze Körper ist annähernd cylindrisch. Die meist 25gliederigen Antennen sind etwa so lang als der ganze Körper. Die rechte ist beim Männchen wie auch der rechte Fuss des fünften Beinpaares zu einem Greiforgan umgestaltet. Das Weibchen erzeugt nur ein Eiersäckchen, welches wie bei Canthocamptus an der Unterseite des Hinterleibs klebt. Die am Ende der Furca aufsitzenden Borsten haben ziemlich gleiche Länge und sind fächerförmig ausgebreitet. Die hiehergehörigen Gattungen und Arten wurden in einer sehr ausführlichen Arbeit von Jules de Guerne und Jules Richard[116] zusammengestellt. Hiernach werden neun bis zehn Gattungen mit über 70 Arten unterschieden. Am meisten Bedeutung hat das Genus Diaptomus, von welchem allein an die 60 Vertreter beschrieben wurden. Gewöhnlich findet man bei uns drei Arten an, d. h. nicht alle drei beisammen. Die grösste Art ist Diaptomus castor Jurine,[S. 350] welcher über 3½ mm lang wird und meistens kleinere Gewässer bewohnt. Diesem sehr ähnlich, jedoch kleiner, ist D. coeruleus Fischer. Eine fast in allen grossen Wasserbecken auftretende und als Fischnahrung sehr wichtige Art ist der pelagisch lebende zierliche D. gracilis, welcher fast keine Färbung hat und ganz wasserhell ist. Dem letzteren gleicht eine durch Lilljeborg entdeckte und früher nur im Norden gefundene Art, Diaptomus graciloides (Fig. 72), welche in einem der schon bei Cyclops maarensis erwähnten Maare der Eifel, in dem Gemünder Maar und zwar nur in diesem ebenfalls durch Zacharias gefunden, sonst aber bis jetzt nirgends in Deutschland angetroffen wurde. Die Gattung Heterocope bewohnt auch nur grosse Wasserbecken und zeichnet sich durch bedeutende Grösse und kräftigen Bau aus. Von den selteneren und wie es scheint mehr dem Norden angehörigen Gattungen wäre noch als in Deutschlands Nordwesten vorkommend Eurytemora Poppe zu erwähnen.
Alle Calaniden sind vorzügliche Schwimmer. Sie lieben es, häufig mit dem Rücken nach abwärts gekehrt sich im Wasser zu[S. 351] bewegen. Nicht allein mit Füssen und Antennen vollziehen sie letzteres, vielmehr erzeugt auch die rasche Thätigkeit der Mundwerkzeuge, welche zum Zweck der Nahrungszufuhr ausgeübt wird, ein etwas langsames Fortgleiten. Bei Diaptomus wurde beobachtet, dass er nachts in einen lethargischen Zustand, eine Art Schlaf, verfalle.
Die Nahrung aller freilebenden Copepoden besteht in kleinen Teilchen tierischer und pflanzlicher Substanz, wie sie sich auf dem Grunde der Gewässer, an Pflanzenstengeln und so weiter vorfindet. Vor allem scheinen Urtiere und kleine Algen aufgenommen zu werden. Da stets beides zusammen vorkommt, ist es schwer zu entscheiden, ob die Tiere in der That Allesfresser sind oder ob der eine oder andere Bestandteil etwa zufällig in den Darm gelangt. Nach einigen Beobachtungen fressen die Mütter ihre eigenen Kinder, und dieses kannibalische Betragen würde die Copepoden als Räuber oder reine Fleischfresser kennzeichnen. Es ist sehr unterhaltend, den Tieren bei der Suche nach Nahrung zuzusehen. Wenn der sie beherbergende Behälter etliche Pflanzen enthält, weiden sie mit Vorliebe den daran sitzenden Detritus unter pickenden Bewegungen regelrecht ab. Ist dann der Magen mit einem genügenden Vorrat von Speisen versehen, so sucht das Tier wieder die Gesellschaft der Genossen auf. Diese ist allen Arten, wie es sich schon aus der Art des Vorkommens in grossen Scharen ergiebt, geradezu Bedürfnis. Mit munteren Sprüngen haschen und jagen sich Alte wie Junge gegenseitig und scheinen dies nur der Unterhaltung wegen zu thun. Mitten durch dieses lebhafte lautlose Gewimmel stürzen dann oft die von den kleinen lebhaften Männchen verfolgten Weibchen in wilden Sätzen. Eine Zeitlang geht die Jagd durch das Gewirre der Wasserpflanzen, dann wieder über freiere Stellen, bis das Weibchen durch eine geschickte Wendung dem Verfolger sich entzieht oder, müde geworden, auf Gnade und Ungnade sich ergiebt.
Schon früher wurde angedeutet, dass wir nur ausnahmsweise in einer wenn auch noch so kleinen Wasseransammlung, falls sie nur[S. 352] schon einige Zeit bestand, vergebens nach Copepoden fahnden. In Grönland so gut wie unter den Tropen sind namentlich die stagnierenden oder langsam fliessenden Gewässer oft in staunenerregender Weise damit bevölkert und von dem enormen Reichtum des Meeres an diesen Tieren können wir uns kaum eine Vorstellung machen. Ich selbst habe einen Fall erlebt, wo ein kleiner Weiher, dessen auffallende Armut an Pflanzenwuchs keine reiche Ausbeute versprach, durch die Masse einer einzigen Copepoden-Art (Diaptomus coeruleus) geradezu gelb gefärbt war. Mehrfach werden ähnliche Beobachtungen erwähnt, und manche Nachricht, die für die auffallende Färbung eines Gewässers keinen Grund angiebt, dürfte auf das massenhafte Vorkommen von Ruderfüssern (vielleicht im Verein mit Daphnien) zurückzuführen sein. Ganze Wolken der ersteren färben zu gewissen Zeiten weite Strecken des Meeres und die Fischer bezeichnen diese Erscheinung als „Rotäsung“ und kennen sie als Vorboten reichlichen Fanges.
So wenig als in horizontaler Richtung scheinen auch in vertikaler dem Vorkommen der Ruderfüsser Grenzen gezogen zu sein, sofern überhaupt Wasser vorhanden ist. Auf dem Kamme des Riesengebirges fand Zacharias[117], in 2500 m Meereshöhe Imhof[118] (im Val di Brutto) noch Copepoden vor, während sie anderseits in unseren grossen Binnenseen und im Meere die grössten bis jetzt erforschten Tiefen noch beleben und einen wesentlichen Bestandteil der in ewigem Dunkel lebenden Fauna ausmachen. Die reichste Abwechslung in der Beschaffenheit ihrer Wohnorte ertragen entschieden die Süsswasser-Copepoden. Die Temperatur des Wassers scheint nur insofern von Einfluss auf die kleinen Körper zu sein, als im Winter unter der Eisdecke die Vermehrung langsamer vor sich geht. Versuche haben bewiesen, dass selbst durch längeres vollständiges Einfrieren die Lebenskraft nicht erlischt. Wenn wir gerade im Winter und im Frühjahr, nachdem die Macht der wiederkehrenden Sonne die Eisdecke weggetaut hat, am meisten Ruderfüsser in unseren Tümpeln und Weihern antreffen, so ist dies mehr dem Umstande zuzuschreiben, dass die Mehrzahl ihrer Feinde entweder im vollständigen Winterschlaf liegt oder doch in einem solch[S. 353] lethargischen Zustande sich befindet, dass das Bedürfnis nach Nahrung nur ein geringes ist. Bei der allgemeinen Verbreitung kann es uns nicht Wunder nehmen, wenn unter den Mitgliedern der Höhlenfaunen ebenfalls Copepoden erwähnt werden. Zu den seltneren Fällen gehört es, dass ein Angehöriger des süssen Wassers im Mineral-, Brack- oder gar Meerwasser angetroffen wird. Überraschend ist dies bei der Anspruchslosigkeit unserer Tiere und deren Widerstandsfähigkeit gegen äussere Einflüsse nicht. Diese ebengenannten Eigenschaften im Verein mit der grossen Vermehrung und raschen Entwickelung sind die einzigen Mittel, welche den Ruderfüssern zu einem erfolgreichen Kampfe ums Dasein zur Verfügung stehen. Schon innerhalb kleiner Wasserbecken sind die meisten Arten manchmal gezwungen, von einer weitern Eigenschaft, welche für gewöhnlich nicht in die Augen springt, Gebrauch zu machen: ich meine die Anpassungsfähigkeit.
Wie im Meere, so kann man auch in unseren Seen dreierlei Regionen nach den physikalischen und organischen Verhältnissen unterscheiden. Jede derselben ist durch spezifische Tier- und Pflanzenformen von den anderen verschieden und dies tritt gerade bei den niederen Krebstieren am deutlichsten zu Tage. Wollen diese waffenlosen Wesen in der Konkurrenz mit anderen Tierformen nicht unterliegen, so müssen sie sich, ob sie nun in der Uferregion oder pelagisch oder gar in der Tiefenregion leben, den jeweiligen Verhältnissen anpassen. Es lässt sich schon zum voraus aus der Beschaffenheit der Lokalität entnehmen, dass z. B. die reich mit Pflanzen bewachsene Uferzone mit seichtem, warmem Wasser den Tieren bedeutend günstigere Lebensbedingungen gewähren wird, als die scheinbar leblose Mitte des Sees mit ihren verborgenen Tiefen. Dort kann ein Wesen auf engem Raum seine Nahrung zusammenlesen und es hat nicht viel zu sagen, wenn seine Schwimmwerkzeuge nicht erster Güte sind. Die reiche Ernährung ermöglicht ein rasches Wachstum und reichliche Fortpflanzung. Die kleinen Kruster müssten sich ins Unendliche vermehren und somit die oben erwähnte Erscheinung, dass das Wasser durch ihre Massen sich färbt, viel öfter verursachen, wenn nicht auch hier ein gewichtiges[S. 354] Regulativ entgegenwirken würde. In dem so reich belebten seichten Wasser haben nämlich die grössten Feinde der kleinen Krebse ihren Wohnsitz aufgeschlagen und verschlingen unzählbare Summen derselben. In einem aus verschiedenen Stoffen zusammengeklebten Häuschen lauert die Larve der Köcherfliege, an den Pflanzenstengeln die der Eintagsfliegen, im Schlamm halb versteckt die Libellenlarve mit ihrem heimtückischen Fangapparat auf lebende Beute. Muntere junge Fischchen schnappen spielend ganze Massen von Entomostraken weg und diesem Vernichtungskriege schliesst sich auch der verschmitzt lauernde, langsam die Beute erschleichende junge Triton an. Auf Schritt und Tritt lauert Tod und Verderben, und wenn nicht die gütige Mutter Natur immer reichliche Nachkommenschaft an der Stelle der im ungleichen Kampfe Gefallenen eintreten liesse, so wären die Copepoden samt ihren Verwandten schon längst aus der Liste der Lebewesen gestrichen. In der Uferregion also kann der Ruderfüsser sich nur dann erhalten, wenn er sich rasch und reichlich vermehrt. Mit Waffen seiner Feinde sich zu erwehren erlaubt ihm seine natürliche Ausrüstung nicht.
Ganz anders gestaltet sich das Leben und Treiben unserer Tiere in der sogenannten pelagischen Zone der Seen bei einer Wassertiefe von mindestens 15–20 m und einer oft mehrere hundert Meter betragenden Entfernung vom Ufer. In dem beinahe immer klaren Wasser fehlt, abgesehen von einigen winzigen Algen und Diatomeen, jeder Pflanzenwuchs. Von dem von Urtieren reich belebten Detritus der Uferregion führen Wind und Strömung nur noch Spuren hinaus und diese bilden, auf weite Strecken verteilt, eine kärgliche Nahrung. Temperaturschwankungen und Wellenschlag werden in der Tiefe, welche die Tiere gewöhnlich, namentlich während des Tages, bewohnen, kaum mehr fühlbar; im übrigen sind jedoch die Verhältnisse für einen vom Ufer her in diese Region verschlagenen Copepoden so ungünstig als möglich, zumal auch jede Deckung fehlt, welche das Tier vor seinen Feinden schützen könnte. Wenn wir trotzdem eben in der pelagischen Region eine reiche Fauna von Entomostraken antreffen, so ist dies einzig und allein der weitgehenden Anpassung, welche sich Generationen[S. 355] hindurch während eines nicht allzukurz zu bemessenden Zeitraumes im Bau der Kruster vollzog, zuzuschreiben. Als die auffallendste Eigenschaft, welche alle pelagisch lebenden Krebstiere — auch die des Meeres — auf dem Wege der natürlichen Zuchtwahl erworben haben, bewundern wir deren ausserordentliche Durchsichtigkeit und Farblosigkeit. Hierdurch werden auch die Copepoden dem Auge ihrer Feinde entzogen, denen sie bei dem Mangel an Verstecken und der den Verfolgern gegenüber geringen Schnelligkeit auf der Flucht kaum zu entrinnen vermöchten. Haut, Muskulatur und Nervensystem sind gewöhnlich wasserhell; nur der Darm (durch seinen Inhalt) und die Geschlechtsorgane zeigen hie und da noch Färbung. In zweiter Linie macht sich die Anpassung bei der Fortpflanzung bemerklich; denn alle Copepoden tragen selten mehr als vier Eier auf einmal in den Eiersäckchen mit sich herum. Der mühsame Erwerb der im Wasser sehr verteilten Nahrung wirkt einer reichen Fruchtbarkeit entgegen. Ausserdem sind die Tiere mit kleinen Eiersäcken beim Aufsuchen des Futters weniger in ihren Bewegungen gehemmt, als die mit grossen derartigen Anhängseln, und somit diesen beim Kampfe ums Dasein überlegen. Den höheren Ansprüchen an die Beweglichkeit der pelagischen Copepoden passten sich die Schwimmwerkzeuge (Fühler und Beine) ebenfalls in vortrefflicher Weise an, indem sie entweder länger, oder wenigstens kräftiger entwickelt sind, als bei den Uferformen. Eigentümlich sind die periodischen Wanderungen der pelagischen Krebse, indem sie bei Nacht an die Oberfläche steigen, bei Tag dagegen die Tiefe aufsuchen.
Die als Anpassungserscheinungen zu deutenden Eigenschaften, welche die Bewohner der pelagischen Region kennzeichnen, können auch den der Tiefenregion angehörigen von Nutzen sein. Nicht im Meere allein, dessen tiefste Abgründe bis vor verhältnismässig kurzer Zeit für unbelebt gehalten wurden, haben sich die Krebstiere und vor allem die Entomostraken unter einem ganz enormen Wasserdruck eingewöhnt, auch auf dem Grunde unserer grössten Seen bilden sie einen der wichtigsten Bestandteile des dort noch herrschenden Lebens. Es sind dies meist ganz bestimmte Arten,[S. 356] welche nie an der Oberfläche gefunden werden und deren Verbreitung in allen grösseren Wasserbecken Deutschlands, Frankreichs und Schwedens darum so schwer zu erklären ist, weil keines der später zu erwähnenden Transportmittel bei Tieren, die immer in der Tiefe leben, eine Rolle spielen kann.
Es gelang bis jetzt nie, alle bei uns einheimischen Copepoden in ein und derselben Wasseransammlung, welchen Umfang diese auch haben mag, beisammen zu finden. Oft beherrscht eine Art einzig und allein in unzählbarer Menge irgend einen Weiher, noch öfter aber trifft man (selbst in unscheinbaren Tümpeln) zwei bis drei Arten an und es ist eine Seltenheit, wenn z. B. sieben Vertreter einer einzigen Gattung beisammen leben. Es befremdet diese Unregelmässigkeit des Vorkommens um so mehr, wenn man erfährt, dass oft ganz dicht nebeneinanderliegende Weiher eine ganz verschieden zusammengesetzte Copepoden-Fauna aufweisen können, selbst wenn sie durch kleine Wasseradern mit einander verbunden sind. Bei seinen Untersuchungen über die Tierwelt der Eifelmaare fand Zacharias einen Diaptomus (graciloides Lilljeborg), welcher nur in dem Gemündener Maar (Eifel) vorfindlich war, und bis jetzt nur in Schweden und der russischen Halbinsel Kola angetroffen wurde. Wie eine so hochnordische Form so ganz unvermittelt mitten in Deutschland auftreten kann, bildet noch heute ein Rätsel, dessen Lösung aber für die Wissenschaft in hohem Masse wichtig und interessant ist. Auch der schon erwähnte Cyclops maarensis[XVIII] (ebenfalls aus der Eifel) giebt uns manches zu denken. Wenn nicht nachgewiesen werden kann, dass er auch in anderen Seen vorkommt, so müssen wir annehmen, es sei entweder eine Form, welche durch allmähliche Anpassung an die Lokalität entstanden ist und, selbst wenn sie verschleppt wird, in anderen Wassern nicht fortkommt, oder am Ende eine Art, welche überall ausgestorben nur hier sich erhalten hat. Ich unterlasse es, weitere Gesichtspunkte aufzustellen; diese wenigen mögen genügen, zu zeigen, wie vieles im Gebiete der Krustaceenkunde, selbst in den verhältnismässig engen Grenzen der[S. 357] Süsswasserfauna, noch zu erforschen ist und von welchen Gesichtspunkten man dabei auszugehen hat.
Unsere Kenntnisse von der Art und Weise, wie die Copepoden und andere niedere Tiere von einem Wasser in das andere, sofern beide gänzlich abgeschlossen sind, gelangen, sind noch sehr mangelhaft und wir können, da nur wenige genaue Beobachtungen bis jetzt angestellt wurden, uns vorderhand fast nur in Vermutungen ergehen. Man könnte daran denken, dass der Wind, welcher bei der Verbreitung der Pflanzen eine so wichtige Rolle spielt, auch die Übertragung der kleinen Copepoden vermittle. Allein der Körper derselben zeigt so wenig wie die Eier irgend eine Einrichtung, welche einen solchen Transport wahrscheinlich machte. Im Gegenteil, die ganzen Tiere und deren Eier sind gegen Austrocknung ausserordentlich empfindlich und sterben schon bei geringem Wasserverlust ab, und dass Wasserteilchen mit eingeschlossenen Copepoden oder deren Keimen stundenweit durch die Macht des Windes fortgerissen werden sollten, ist nicht wohl anzunehmen. Viel wahrscheinlicher und durch die Untersuchungen der unten genannten Forscher zumteil bewiesen ist eine andere Art der „passiven Wanderung“ der niederen Süsswassertiere, welche durch Schwimmvögel und Wasserinsekten bewerkstelligt wird. Jules de Guerne hat nämlich aus am Gefieder und den Beinen von Wasservögeln hängenden Schlammbrocken eine ganze Mikrofauna zu erziehen vermocht. Nicht nur ganze Tiere, sondern in besonders reicher Anzahl deren manchmal durch eine dicke Schale der Vertrocknung widerstehende Keime waren, an den betreffenden Teilen klebend, auf dem Wege verschleppt zu werden. Kleine Wasseransammlungen, welche für Vögel unzugänglich sind, werden nach W. Migulas Untersuchungen durch die Vermittlung der unscheinbaren Wasserkäfer mit verschiedenen Pflanzen- und Tierarten belebt.
An eine aktive Wanderung selbst über kleine Strecken darf, falls es nicht im Wasser geschehen kann, bei der Konstitution und Lebensweise der Copepoden nicht gedacht werden.
Am meisten Schwierigkeit bietet die Eigenartigkeit und gleichmässige Zusammensetzung der sogenannten Tiefenfauna in den[S. 358] Süsswasserseen für eine Erklärung dar. Wir finden zwar unter den Copepoden kaum ausschliessliche Angehörige der Tiefenfauna, allein zugleich mit Rücksicht auf die später zu behandelnden Daphniden mögen des Zusammenhangs wegen einige Betrachtungen über die Verbreitung lebender Wesen, welche in etwa 20–100 und mehr Metern Tiefe ihr Dasein fristen, hier Platz finden.
Da unsere meisten Binnenseen nicht durch Wasseradern mit einander in Verbindung stehen, so können die Tiere nicht auf direktem Wege von dem einen zum andern gelangen, um so weniger, da sie die Tiefe nie verlassen. Hierdurch ist auch der Transport durch Vögel ausgeschlossen. Man nahm deshalb an, dass alle diese Seen, was auch zweifellos bei vielen der Fall war, in früheren Zeiten vom Meer überdeckt gewesen seien, beim Zurückgehen desselben übrig blieben und mit ihm eine Anzahl von Tieren, welche der allmählichen Aussüssung dieser sogenannten „Reliktenseen“ zu widerstehen vermochten. So plausibel diese Hypothese ist, so giebt sie doch keinen Grund dafür an, warum unter den vielen tausenden immer nur ganz wenige und überall beinahe dieselben Formen eine solche Veränderung des Wassers ertrugen. Viel wahrscheinlicher und neuerdings durch Zacharias[119] vertreten ist eine andere Ansicht. Hiernach wanderten die in Frage stehenden Arten ganz allmählich aus dem Meere in das süsse Wasser ein und zwar zu einer Zeit, wo der grössere Wasserreichtum der Erde für eine solche Wanderung niederer Tiere eine günstigere Verbindung darbot. Auch heute noch kann vielfach ein Aufsteigen mariner Formen in unsere Flüsse und Seen beobachtet werden. Eine plötzliche Überführung eines Mitgliedes der Süsswasserfauna ins Meer, oder umgekehrt, wird nur von den Parasiten unter den Copepoden, zu denen wir uns jetzt wenden wollen, ertragen, während die meisten übrigen Krebse diesem raschen Wechsel erliegen.
Es wurde schon früher erwähnt, dass auf Grund ihrer Entwickelung die parasitisch lebenden Copepoden zu den Eucopepoden gehören, ursprünglich ein freies Leben führen und eine cyclopsähnliche Form besitzen. Mit der Änderung der Lebensweise, welche[S. 359] gewöhnlich schon früh mit der Auffindung eines entsprechenden Wirtes beginnt, bleiben einzelne Körperteile in der Entwickelung zurück oder bilden sich, wie namentlich manche Gliedmassen, zu so seltsamen Formen um, dass die Identität derselben mit denen des freilebenden Tieres nur schwierig festzustellen ist. Manchmal geht die Segmentierung des Leibes verloren oder es verkümmert der Hinterleib. Da die Beine zum Schwimmen bei vielen Arten nicht mehr benutzt werden, fehlen sie manchmal ganz oder sind nur in Andeutungen vorhanden. Die Mundteile werden der Lebensweise so angepasst, dass der Besitzer sich saugend von den Körpersäften seines Wirtes ernähren kann. Ein Teil derselben, wie auch die zweiten Antennen bilden gewöhnlich Klammerorgane, welche den Schmarotzer auf dem Körper des heimgesuchten Tieres befestigen.
Die ersten Antennen sind meistens noch vorhanden, aber gewöhnlich sehr klein, in etlichen Fällen fehlt eine Gliederung. Dass die zweiten Antennen in der Regel als Haftorgan funktionieren, wurde oben gesagt. Die Ober- und Unterlippe ist langgezogen. Jede stellt eine Halbrinne dar und beide bilden sich aneinanderlegend eine kurze Röhre, in welcher das erste, zu feinen stilettförmigen Gebilden umgewandelte Kieferpaar liegt. Das zweite Kieferpaar kann ganz verkümmert sein. Von der merkwürdigen Umwandlung eines Kieferfusspaares zu einem Haftapparat kann Figur 73 einen Begriff geben, welche ein Tier darstellt, bei dem die Kieferfüsse beider Seiten, K, an den Enden verwachsen.
Wollte man alle die Umbildungen, welche der Körper der parasitischen Copepoden erleidet, aufzählen, so müsste man jede Art für sich beschreiben. Das Angeführte mag jedoch in Verbindung mit der Abbildung genügen, um wenigstens eine Vorstellung zu geben von dem, was Anpassung an parasitische Lebensweise heisst.
[S. 360]
Weit weniger auffallend, allerdings auch nicht so sehr bekannt, sind die Veränderungen, welche die inneren Organe erleiden.
Das Nervensystem ist im allgemeinen noch so erhalten, wie wir es früher kennen lernten, allein die Sinnesorgane sind sehr spärlich vorhanden. Vor allem fehlt meistens das Auge ganz. Hand in Hand mit der Verkümmerung der Antennen geht eine solche der daran befindlichen Sinnesorgane und Borsten. Den meisten Schmarotzern scheint ein Herz ganz abzugehen. Die Muskulatur entspricht der geringen Beweglichkeit der Tiere und ist vor allem in den Haftapparaten gut ausgebildet. Am besten kommen bei den Parasiten der Darm und die Geschlechtsorgane weg, denn beide zusammen füllen den ganzen Körper beinahe allein aus. Letztere schwellen zur Zeit der Reife und Befruchtung der Eier oft ungeheuer an und bedingen die wunderbarsten Gestaltveränderungen. Das ganze Tier scheint nur noch der Ernährung und Fortpflanzung zu dienen und bildet so den direkten Gegensatz zu den immer nur wenige Eier produzierenden pelagischen freilebenden Copepoden. Nicht selten erreicht oder übertrifft der Inhalt der Eiersäckchen den Umfang des Körpers an Grösse.
Während so die geschlechtsreifen Weibchen oft eine für einen Copepoden ganz ansehnliche Grösse erreichen (bis 1.5 cm), bleiben bei manchen Arten die Männchen zwergartig klein und wurden früher gar nicht gefunden oder nicht richtig erkannt. Sie halten sich in diesem Falle am Weibchen auf.
Die schmarotzenden Copepoden bilden, wenn man die im Meere vorkommenden Formen berücksichtigt, etwa die Hälfte aller bekannten Arten. Ihre Bedeutung im süssen Wasser ist eine geringe, da sie trotz der enormen Vermehrung doch selten ihren Wirt (zumeist Fische) am Leben bedrohen.
Manche Arten der Siphonostomata leben nur auf der Haut der von ihnen bewohnten Fische von den schleimigen Absonderungen derselben, andere saugen mittels ihres Rüssels das Blut der Wirte und nur wenige bohren sich geradezu in das Fleisch derselben ein.[S. 361] Besonders häufig trifft man Parasiten auf den Kiemen an, wo sie immer reichliche Nahrung, sei es Blut oder Schleim, und zugleich Schutz vor dem Abgestreiftwerden finden.
Nicht bei allen Arten schmarotzen beide Geschlechter gleichzeitig. Die Männchen der auf den Kiemen unserer Fische so häufig anzutreffenden Gattung Ergasilus leben gewöhnlich frei und die Weibchen selbst zeigen an ihrer Körperform noch viele Ähnlichkeit mit einem Cyclops. Die ersten Fühler sind gegliedert, ein Auge ist noch vorhanden. Die beiden Eiersäckchen sind sehr gross und langgestreckt. Die Mundteile sind, obwohl zum Stechen eingerichtet, von keiner Saugröhre umgeben.
Von den Parasiten, welche bei massenhaftem Auftreten dem Fischzüchter unter Umständen Schaden verursachen können, ist die Gattung Lernaeocera bemerkenswert. Auf unseren Fischen leben mehrere Arten derselben, welche sich oft tief in das Fleisch einbohren, wie beim Karpfen, oder hässliche Anschwellungen (am Unterkiefer des Hechtes) verursachen. Bis zur Begattung leben Männchen wie Weibchen frei; nach derselben sucht dieses einen passenden Wirt und nun beginnen sich am Körper des Copepoden eine Reihe von Umänderungen zu vollziehen, nach deren Abschluss das Tier viel eher einem Wurm, denn einem Krebs ähnlich sieht. Vor allem geht die Segmentierung des Körpers beinahe ganz verloren, der Hinterleib verkümmert, die Beinpaare, vier an der Zahl, rücken weit auseinander und sind ausserordentlich klein. Die ersten Kiefer sind von einer, wie oben beschrieben, gebildeten Röhre umgeben.
Ein recht häufiger Bewohner der Kiemen unseres wohlschmeckenden Flussbarsches ist der in Fig. 73 abgebildete Achtheres percarum von Nordmann. Die grossen nach vorn gebogenen Kieferfüsse, welche an der Spitze verwachsen sind, geben dem Tiere ein Aussehen, als wollte es die Hände ringen, und machen es sehr leicht kenntlich.
Wir nehmen hiermit von den echten Ruderfüssern Abschied und wenden uns zu der zweiten Gruppe der Copepoden, den Karpfenläusen.
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Schon bei den parasitischen Eucopepoden mussten wir unsere Vorstellungen über Bau und Gliederung des normalen Copepoden-Körpers in vielfacher Hinsicht ändern. Auch bei den ebenfalls der Hauptsache nach parasitisch lebenden Karpfenläusen treffen wir Gestalten an, welche nur nach genauer Untersuchung den Ruderfüsser verraten. Die Organisation der wenigen hierher zu rechnenden Formen ist trotz der Lebensweise eine sehr hohe und den Verhältnissen vorzüglich angepasst. Der ganze Körper des bis 6 mm langen Tieres ist nahezu eirund und ganz plattgedrückt. Der verkümmerte Hinterleib ist noch durch zwei kleine Läppchen (Schwanzflosse) angedeutet. Dem Umstand, dass diese zumteil als Kiemen funktionieren, verdanken die Tiere den Namen „Kiemenschwänze“. Die Mundteile sind zum Saugen eingerichtet. Die Nahrungsaufnahme wird mittels eines Stachels und einer Röhre vollzogen. Mit den beiden Kieferfusspaaren hält sich das Tier auf den von ihm bewohnten Fischen fest. Das erste ist zu diesem Zwecke zu zwei grossen runden Saugnäpfen umgestaltet, das zweite mit scharfen Klauen zum Festhaken versehen. Die beiden Antennenpaare sind sehr klein und unscheinbar. Da die Karpfenläuse, namentlich während der Begattung, frei umherschwimmen, sind ihre vier Paare von Schwimmbeinen noch ganz gut ausgebildet. Zum ersten Mal unter den Copepoden treffen wir bei den Branchiuren zwei komplizierte, weit auseinanderstehende Augen an. Das Nervensystem ist hochentwickelt. Das Herz entsendet gegen den Kopf zu das Blut durch eine Aorta; von dem Vorkommen gesonderter Vorrichtungen zum Atmen war schon die Rede. Auch am Darm zeigt sich eine höhere Entwickelungsstufe daran, dass die Leberzellen in grossen verästelten Schläuchen enthalten sind. Die Weibchen hegen keine solche Sorgfalt für die sich entwickelnden Jungen, dass sie die Eier mit sich herumtragen würden, sondern entleeren diese einfach in das Wasser oder heften sie an Gegenständen an. Am häufigsten trifft man die gemeine Karpfenlaus, Argulus foliaceus[121], an.
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Die Karpfenläuse bewohnen nicht ausschliesslich, wie etwa der Name vermuten lassen möchte, unsere Karpfenarten, sondern kommen beinahe auf allen im süssen Wasser, einige sogar auf im Meere lebenden Fischen vor. Mit ziemlicher Gewandtheit bewegen sie sich auf der schlüpfrigen, schleimigen Haut der letzteren herum und sind trotz ihrer Grösse nicht leicht wahrzunehmen, da ihre grünliche Farbe sehr gut mit der der Fische übereinstimmt und ausserdem die platte Gestalt den eigenartigen Krebsen gestattet, sich so anzuschmiegen, dass ihre Anwesenheit kaum auffällt.
Da es nun einmal im Wesen unserer realistischen Zeitströmung liegt, dass ein Gegenstand erst dann unser volles Interesse erregt, wenn wir erfahren, ob er dem Menschen nützt oder schadet, so mag, ehe wir zu den übrigen Entomostraken-Familien übergehen, zum Schlusse noch die Bedeutung der Copepoden und zugleich der sonstigen niederen Krebse für die übrigen Bewohner des süssen Wassers und die Beziehungen jener zum Menschen kurz angeführt werden.
Es ist aus dem früher Gesagten zu entnehmen, dass die Parasiten nach ihrer Lebensweise weder den anderen Süsswassertieren noch dem Menschen Nutzen gewähren können. Sie schädigen vielmehr die Fische an Gesundheit und Leben und damit indirekt den Menschen. Dieser immerhin unbedeutende Schaden wird aber in reichlichem Masse durch die freilebenden Ruderfüsser und die Entomostraken überhaupt aufgewogen. Diese sind es, welche das ganze unendlich reiche Material der kleinsten Lebewesen, sowohl Pflanzen wie Tiere, für die höhere Tierwelt aufschliessen und nutzbar machen und zwar unter Darangabe ihres Lebens. Unschätzbare Massen kostbarer Nährstoffe gingen, wenigstens für den Menschen, verloren, wenn nicht die Entomostraken in unermüdlicher Thätigkeit alle die kleinsten Urtiere und einzelligen Algen, welche dem Auge unsichtbar am Boden der Gewässer oder in diesen selbst suspendiert sich vorfinden, zu sammeln und in ihrem Körper aufzuspeichern vermöchten.
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Es würde zuweit führen, wollte man alle die Tiere, welche ganz oder teilweise von Entomostraken leben, hier anführen. Der Anwesenheit der Copepoden vor allem verdanken wir die wohlschmeckenden Blaufelchen und Saiblinge unserer grossen Seen. Diese und andere nicht weniger schätzbare Fische leben so ausschliesslich von Entomostraken, dass sie von der Tafel verschwinden müssten, sobald diese einmal nicht mehr in genügender Weise sich vermehren würden. Jährlich werden an verschiedenen Meeresküsten die schon erwähnten Scharen von Copepoden beobachtet, welche auf weite Strecken hin das Meer rot färben und darum als „Rotäsung“ (Maidre) bezeichnet werden. Von dieser Erscheinung hängt der tausende von Menschen ernährende und beschäftigende Heringsfang ab. Sardellen, Sardinen, Makrelen, ja selbst das riesigste aller Säugetiere, der Walfisch, leben oft ausschliesslich von den kleinsten Krebstieren. Die Walfischjäger wissen, dass stets die Jagd in der Nähe der roten Copepoden-Wolken gute Ausbeute liefert. Es mag, um zu den Süsswasser-Entomostraken zurückzukehren, noch eines Umstandes gedacht werden, welcher allein schon genügte, die Unentbehrlichkeit der niederen Krebse für die Fauna der Seen und indirekt für den Menschen darzuthun.
Die jungen Fische nämlich, d. h. die sogenannte „Fischbrut“, findet kaum eine passendere Nahrung in der ersten Zeit nach dem Verlassen des Eies als Entomostraken. Ob der Fisch später, wie der Barsch und der Hecht, reiner Räuber, oder, wie der Karpfen, fast ausschliesslich Pflanzenfresser wird, bleibt sich gleich, in der ersten Jugend frisst er nur Entomostraken. Wer in rationeller Weise Fischzucht betreiben will, kann auf einem ganz einfachen Wege sich dieses billigste und zugleich beste Futter für künstlich erbrütete Fische beschaffen: indem er nämlich geeignete Teiche trockenlegt, den Grund düngt, wie der Landmann sein Feld, und nun im Frühjahr zur Laichzeit der Fische den Teich wieder bespannt, d. h. mit Wasser füllt. Er hat damit alle Bedingungen erfüllt, welche in kurzer Zeit eine geradezu ungeheuerliche Vermehrung der wenigen Entomostrakenkeime, welche im Schlamme sich noch vorfanden oder von aussen zugebracht wurden, ermöglichen.[S. 365] Auf die grossen Vorteile einer solchen naturgemässen Fütterung weiter einzugehen, ist hier nicht der Ort. Betont mag jedoch werden, dass die eben geschilderte Methode einen wesentlichen Faktor für die gedeihliche Entwickelung unserer Fischereiverhältnisse darstellt. Man kann geradezu behaupten, dass eine erfolgreiche Aufzucht junger Fische, sei es in den Räumen einer Fischzuchtanstalt oder im freien Naturleben, an das Vorkommen von Entomostraken geknüpft ist. In noch viel ausgedehnterem Masse werden solche Methoden Anwendung finden, wenn erst die Wissenschaft auf dem so wichtigen Gebiet der Krustaceenkunde dem praktischen Leben durch ein genaues Studium der Formen und der Lebensweise der Tiere vorgearbeitet hat. Von den vielen Lücken, welche hier noch auszufüllen sind, haben wir im Vorstehenden einige wenige angedeutet. „Gleichmässige Würdigung aller Teile des Naturstudiums ist aber vorzüglich ein Bedürfnis der gegenwärtigen Zeit, wo der materielle Reichtum und wachsende Wohlstand der Nationen in einer sorgfältigeren Benutzung von Naturprodukten und Naturkräften gegründet ist“, sagt Humboldt in der Einleitung zu seinem „Kosmos“ und heute mehr als je darf in Rücksicht auf das eben Mitgeteilte diese Mahnung den Männern der Wissenschaft ins Gedächtnis gerufen werden.
Diese Gruppe verdankt den Namen, wie die vorhergehende, der eigentümlichen Form und Funktion der Beine, deren einer Ast blattförmig verbreitert ist und teilweise als eine Art Kieme der Atmung dient. Die Blattfüsser sind fast ebenso häufig wie die Ruderfüsser und nicht selten ebenso zahlreich in einem Wasser vertreten wie diese. Nur im Winter treffen wir sie nicht immer an. Trotzdem dass durch Parasitismus umgeänderte Arten fehlen, umfasst diese Ordnung der niederen Krebse dennoch eine bedeutende Anzahl recht verschieden gestalteter Wesen. Für die Beobachtung des lebenden Tieres stellen die meisten Arten wegen ihres seitlich komprimierten Körpers ein noch viel anziehenderes Objekt dar als die Angehörigen der zuerst behandelten Ordnung. Nach der Zahl[S. 366] der Beine und einigen anderen Merkmalen trennt man die Blattfüsser in zwei Abteilungen. Die einen mit vier bis sechs Beinpaaren bezeichnet man als
Der Körper dieser wegen der Art ihrer Bewegung „Wasserflöhe“, wegen der verzweigten Fühler (Hörner) „Cladocera“ genannten Entomostraken ist nicht in deutliche Segmente geteilt. Nicht einmal immer ist der Kopf durch einen kleinen Einschnitt vom Rumpfe abgesetzt. Letzterer ist oft von einer Schale umschlossen. In dieser Schale, deren Form die äusseren Umrisse des hinteren Körperteiles bedingt, liegt der Leib frei beweglich. Die beiden Hälften der Schale sind am Rücken mit einander verwachsen, auf der Oberfläche häufig mit feinen Skulpturen versehen und gewöhnlich so durchsichtig, dass man die inneren Organe beobachten kann. Nicht immer ist der Leib ganz in der Schale verborgen, sondern oft nur zu einem ganz geringen Teil davon überdeckt. In wenigen Fällen fehlt jede Andeutung einer Schale. Am Kopfe stehen wie zwei Hörnchen die hinteren zweiästigen Fühler empor, welche zum Schwimmen dienen. Das erste Paar ist zu kurzen Stummeln rückgebildet, welche als Sinnesorgan mit sehr feinen perzipierenden Apparaten ausgestattet sind und beim Männchen zugleich als Greiforgan funktionieren. Von Mundteilen besitzen die Wasserflöhe jederseits einen Ober- und einen Unterkiefer. Die Beinpaare sind wie bei den Copepoden zweiästig. Der äussere Ast ist blattförmig verbreitert und vertritt die Stelle von Kiemen. Die Zahl der Beinpaare schwankt zwischen vier und sechs. Die das Zentralnervensystem darstellende Ganglienkette hat, da die Knoten sehr nahe zusammenrücken, nur eine geringe Länge. Auffallend gross und schön ist das einen bedeutenden Teil des Kopfes ausfüllende Auge. Es ist in einem beständigen Zittern begriffen und besteht eigentlich aus zwei verwachsenen Teilen. Ohne besondere Mühe vermag man die daran sich ansetzenden Muskeln und Nerven zu sehen. Die lichtbrechenden Körper (Linsen) glänzen sehr schön und heben sich scharf vom Pigment der inneren Teile[S. 367] des Auges ab. Bei den meisten Arten verläuft der Darm gerade durch den Körper und nur in wenigen Fällen bildet er eine Schlinge. Noch im Kopfteil entspringen an seiner Oberseite zwei gegen die Augen vorspringende kurze Schläuche, in welchen die Leberzellen untergebracht sind.
Das Herz, welches keiner Art fehlt, liegt hinter dem Kopf und Rumpf trennenden Einschnitt und pulsiert ausserordentlich rasch. Die Richtung des Blutstromes lässt sich sehr schön an den in der Flüssigkeit schwimmenden Körperchen verfolgen. Das Herz selbst ist ähnlich gebaut wie das schon beschriebene von Diaptomus. Hinter dem Herzen befindet sich zwischen Leib und Schale ein Hohlraum, welcher bei den Weibchen nicht selten mit grossen Eiern in verschiedenen Stadien der Entwickelung erfüllt ist. Die Eier werden in einer unter und neben dem Darm liegenden Drüse erzeugt. Ganz eigentümliche Vorgänge spielen sich bei der Vermehrung der Tiere ab. Die Wasserflöhe erzeugen nämlich zwei Arten von Eiern, welche in Form, Grösse, Farbe etc. verschieden sind. Während der günstigeren Jahreszeit bilden die reifen Weibchen kleine dünnhäutige Eier, welche sich sehr rasch entwickeln und aus denen nur Weibchen hervorgehen. So kann selbst, wenn in dem Wasser Männchen vorkommen, eine ungeschlechtliche Vermehrung längere Zeit hindurch fortgesetzt werden, allein nur dann, wenn die Lebensbedingungen für die Tiere recht günstige sind, d. h. wenn genügend Wasser, Nahrung und Wärme zu Gebote stehen. Beginnt das Wasser in dem von Daphniden bewohnten Tümpel zu verdunsten oder droht mit Eintritt der kälteren Jahreszeit den Tieren Gefahr, so werden sogenannte Winter- oder Dauereier gebildet, welche nur nach vorhergegangener Begattung zu stande kommen. Diese zeichnen sich durch bedeutendere Grösse und dickere Haut, vor allem aber dadurch aus, dass sie, um äusseren Einflüssen besser Widerstand leisten zu können, mit einer recht derben Hülle, in welcher meistens zwei Eier zugleich eingeschlossen sind, umgeben werden. Diese Hülle, den sogenannten „Sattel“ (Ephippium), erhalten die befruchteten Eier erst nach dem Eintritt in den Brutraum. Den durch das Ephippium geschützten Eiern[S. 368] fällt die wichtige Aufgabe zu, die Art vor dem Aussterben in austrocknenden Tümpeln zu bewahren und eine recht ausgiebige Verbreitung zu bewirken. Diese erfolgt namentlich in Seen, die von wandernden Wasservögeln besucht sind, darum sehr leicht, weil die Ephippien an der Oberfläche des Wassers schwimmen und unschwer an anderen Gegenständen haften. Da die Wintereier ebenso gut der Wärme und Trockenheit als der Kälte widerstehen, können sie leicht mit dem zu Staub zerfallenden Schlamm austrocknender Gewässer durch den Wind verweht werden, wie der Blütenstaub der Pflanzen.
Über die Befruchtungserscheinungen am Eie hat Weismann[122] eine Reihe gründlicher Untersuchungen angestellt. Die Wasserflöhe verlassen das Ei in einer Gestalt, welche der der erwachsenen Tiere schon sehr ähnlich ist, machen also kein freilebendes Cyclopsstadium durch.
Von den vier Familien, in welche die Wasserflöhe eingeteilt werden und welche von Leydig[123] eingehend in einer Monographie behandelt wurden, ist die der Daphniden am zahlreichsten vertreten.[S. 369] Oft färben Angehörige der Gattung Daphnia (Fig. 74) frisch entstandene Regenwassertümpel durch ihre Massen rot. Die seltsamsten und interessantesten Formen umfasst die Familie der grossäugigen Polyphemiden, von denen Fig. 75 und 76 zwei Arten darstellen, welche in vielen unseren grossen Seen, gewöhnlich[S. 370] in der Tiefe, angetroffen werden. Der von Leydig zuerst im Magen von Blaufelchen entdeckte Bythotrephes longimanus zeichnet sich durch seinen geradezu abenteuerlich langen Schwanzstachel, welcher sich zum Körper des Tieres wie 10 : 2 verhält, und die verlängerten Beine des ersten Paares aus. Der Brutraum ist wie bei der wegen ihrer Durchsichtigkeit so benannten Leptodora hyalina nur klein. Letztere übt, durch ihre Farblosigkeit begünstigt, ihrem Opfer unsichtbar sich nahend, ihr räuberisches Handwerk gegen die übrigen Mitglieder der Entomostrakenfauna aus und entgeht zugleich der Verfolgung ihrer Feinde. Die Leptodora wird etwa einen Centimeter lang.
Viel grössere Tiere bilden die zweite Unterordnung der Blattfüsser, die sogenannten Kiemenfüsser (Branchiopoden). Während bei den Wasserflöhen höchstens sechs Beinpaare vorhanden sind, treffen wir bei den Kiemenfüssern von 10–40 Paare an. Der Leib ist manchmal, wie bei den Daphnien, von einer Schale umschlossen und meistens deutlich gegliedert. Die Ruderantennen sind bei manchen Arten verkümmert. Die Tiere vermehren sich oft durch viele Generationen hindurch parthenogenetisch und lange Zeit hielt man einige Arten, da die nur ganz selten auftretenden Männchen nicht beachtet worden waren, für Zwitter. Gewöhnlich kommen die zwei grössten Kiemenfüsser gleichzeitig in kleinen Wasseransammlungen, welche zeitweise vertrocknen, vor. Der grösste, Apus, verzehrt häufig den kleineren, Branchipus, weshalb man beim Fange dieser im südlichen Deutschland nur ganz selten, dann aber in grossen Mengen vorkommenden Krebse darauf bedacht sein muss, beide in besonderen Behältern aufzubewahren. In der Gefangenschaft dauern die Branchiopoden leider nur kurze Zeit aus, bilden aber während des Lebens durch die Seltsamkeit der Form und Bewegung, welche einem gleichmässigen Kriechen ähnelt, sowie die teilweise prächtige Färbung ganz anziehende Objekte für die Beobachtung. Die kleinen Eier sind bei Apus rot, bei Branchipus schön himmelblau gefärbt und entwickeln sich unter günstigen Umständen in dem Gefäss, in dem die Tiere gehalten werden. Der Entwickelung muss, wie es scheint, eine vollkommene[S. 371] Austrocknung und ein Durchfrieren vorangehen, denn jahrzehntelang sucht man in einem Tümpel vergebens nach diesen schönen Krustern, trotzdem dass sie schon einmal darin beobachtet wurden. Erst wenn derselbe einmal längere Zeit trocken lag treten sie wieder darin auf. Der Leib des 6–7 cm lang werdenden Apus ist mit einer schildförmigen Schale bedeckt, auf welcher in der Kopfgegend die Augen unbeweglich sitzen. Am Ende des Hinterleibes stehen zwei lange Schwanzborsten. Die vielen verbreiterten Beine mit den Kiemenanhängen sind in beständiger Bewegung. Drei lange Fäden, welche rechts und links die Seiten des Kopfes überragen, gehören dem ersten Beinpaare an.
Dem nur 1½ cm langen schlanken Branchipus fehlt die Schale gänzlich. Die zweiten Fühler des Männchens sind zu Greifhaken umgeformt. Die Augen sitzen auf Stielen und können bewegt werden. Der Vorderleib besteht aus elf Segmenten mit ebenso vielen Beinpaaren, der der Gliedmassen entbehrende Hinterleib aus neun Segmenten. Eine mit Branchipus verwandte Art, Artemia, lebt nur in sehr salzhaltigem Wasser und wird, wenn sie allmählich in süsseres übergeführt wird, nach einer Anzahl von Generationen dem Branchipus ähnlich.
Alle Branchiopoden kommen nur in Binnengewässern, nie im Meere vor. Die das Ei verlassenden Jungen besitzen die Naupliusgestalt.
Sowohl nach der Zahl der Arten als der Individuen ist in der Entomostrakenfauna am geringsten die Ordnung der
Schon früher wurde die Art der Bewegung dieser kleinen Krebse geschildert und erwähnt, dass der Name von der eigentümlichen muschelähnlichen Schale herrührt, in welche der ganze Körper des Tieres eingehüllt ist. Die beiden Hälften der hie und da Kalk enthaltenden Schale sind am Rücken durch eine elastische Haut verbunden, welche den Schliessmuskeln entgegenwirkt und bei einer Ausdehnung der letzteren ein Öffnen der Schale verursacht. Der Körper ist nur sehr schwer in seinen Umrissen erkennbar und undeutlich gegliedert. Von Gliedmassen treffen wir[S. 372] wieder zwei Paar Fühler an, deren hinteres beinförmig ist. Es folgen dann nach rückwärts ein Paar Oberkiefer und zwei Paar Unterkiefer. Da nur zwei eigentliche Beinpaare vorkommen, versieht ausser den hinteren Fühlern beim Männchen der Taster des zweiten Unterkieferpaares die Funktion eines solchen und zugleich eines Greiforganes. Das Ende des Hinterleibes ist wie bei den Wasserflöhen nach vorn geschlagen. Der verwischten Segmentierung des Körpers und der zusammengedrängten Gestalt entspricht ein verkürztes Nervensystem. Es ist nur ein aus zwei verschmolzenen Augen entstandenes Sehorgan vorhanden, von anderen Sinnesorganen treffen wir wieder blasse Anhängsel an den Antennen. Das Herz fehlt. Der Darm ist nicht so einfach wie bei den beiden früher beschriebenen Ordnungen, sondern er besteht aus mehreren in Form und Bau scharf von einander abgesetzten Abteilungen. Die Eier werden in zwei langen, nach hinten dünner werdenden Schläuchen erzeugt. Die Männchen, welche bei manchen Arten sehr selten sind, besitzen sehr komplizierte Fortpflanzungsorgane. Die meisten Arten der bei uns vorkommenden Muschelkrebse vermehren sich vorwiegend auf parthenogenetischem Wege. Die Jungen sind beim Verlassen des Eies schon von der Schale umgeben. Am häufigsten finden wir in unseren Tümpeln und Seen die Gattung Cypris (Fig. 77) an. Die Lebensweise dieser kleinen, höchstens bis 3 mm lang werdenden Entomostraken gleicht sehr derjenigen der früheren Ordnungen. Munter zappelnd schwimmen sie zwischen den Wasserpflanzen umher, immer nach kurz andauernder Bewegung wieder einen Augenblick mit den Fühlern sich an festen Gegenständen anheftend, um auszuruhen. Die Nahrung besteht in pflanzlichen und tierischen Stoffen. — Zum Schluss wenden wir uns zu den
[S. 373]
Von den zahlreichen Gattungen der Ordnung der
welche zumeist im Meere leben, gehört eine unserer Süsswasserfauna an — die gemeine Wasserassel, Asellus aquaticus L. (Fig. 78). Wie man aus der Abbildung ersieht, ist der Körper sehr vollkommen gegliedert, nur wenige Segmente des Hinterleibs sind verwachsen. Der nach hinten etwas breiter werdende Leib ist von oben nach unten zusammengedrückt und steht an den Seiten über. Der mit dem folgenden Brustringe nicht verwachsene Kopf trägt ein kurzes erstes und ein sehr langes zweites Fühlerpaar. Von Mundwerkzeugen sind jederseits ein Oberkiefer, zwei Unterkiefer und ein Kieferfuss vorhanden. Auf diese folgen sieben Paare von Brustbeinen, deren gleichartige Beschaffenheit Veranlassung gab, die Ordnung „Isopoden“ (Gleichfüsser) zu benennen. Der verkürzte Hinterleib trägt sechs zweiästige Beinpaare. Der Innenast der fünf ersten ist zu einem Kiemenplättchen umgewandelt, das sechste steht über das Hinterleibsende vor. An den vorderen Fusspaaren sitzen beim Weibchen Platten, welche sich an der Bauchseite anlegen, übereinandergreifen und so einen ausdehnbaren Raum zwischen den Wurzeln der Füsse herstellen, in welchem die Eier gehegt werden. Der Darm verläuft ohne Windungen zu machen gerade durch den Körper. Schon äusserlich lassen sich drei Abschnitte an ihm erkennen. Auf eine kurze Speiseröhre folgt ein fast bei allen höheren Krebsen[S. 374] vorkommender „Kaumagen“, deshalb so genannt, weil an der Innenseite dieses Darmstückes zwei Platten mit rauher Oberfläche durch besondere Muskeln gegeneinander reiben und auf diese Weise eine weitere Zerkleinerung der Nahrung vollbringen. Schon ziemlich weit vorn im Vorderleib beginnt der eigentliche Darm, an dessen Anfangsteil zwei Paar langer Leberschläuche einmünden. Das Herz stellt einen langen, unter dem Rücken liegenden Schlauch dar, an dessen Seiten das Blut durch paarige Öffnungen eintritt, um bei einer Kontraktion nach vorn durch eine Aorta wieder in die Leibeshöhle getrieben zu werden. Die Geschlechtsorgane sind paarig angelegt und münden beim Weibchen am fünften, beim Männchen am letzten Brustring nach aussen. Das Nervensystem des Vorderleibes bildet einen Strang, welcher in jedem Segment zu Ganglien anschwillt; im Hinterleib sind alle diese Ganglien zusammengerückt und bilden einen grossen Nervenknoten. Das Sehorgan ist durch zwei Gruppen von Punktaugen von ähnlichem Bau wie bei Cyclops, welche an den Seiten des Kopfes liegen, gebildet. An den Antennen sitzen grosse blasse Riechkolben.
Die Asseln ernähren sich von pflanzlichen und tierischen Stoffen. Sie leben gern zwischen modernden Blättern und grünen Algen. Die Eier und die ausgeschlüpften Jungen werden in dem durch die oben geschilderten Brutplatten erzeugten Raume umhergetragen. Die Männchen sind gewöhnlich grösser als die Weibchen.
An feuchten Orten leben auf dem Lande unter Steinen, in Kellern u. s. w. verschiedene Verwandte unserer Wasserassel, von denen die Mauerassel (Oniscus), die Körnerassel (Porcellio) und die Rollassel (Armadillidium) sehr häufig angetroffen werden. Eine blinde Wasserassel bewohnt tiefe Seen, Brunnen oder die Gewässer von Höhlen. Sehr nahe mit den Isopoden verwandt sind die
Der Körper dieser besonders in klaren Gebirgsbächen und Quellen ungemein häufigen Tiere ist seitlich zusammengedrückt und wohl gegliedert. Kopf und erstes Brustsegment sind mit einander verwachsen. Die beiden Fühlerpaare haben annähernd gleiche[S. 375] Länge; am ersten entspringt ein kleiner Nebenast. Mundwerkzeuge und Beinpaare sind in gleicher Anzahl wie bei den Asseln vorhanden. Die Endglieder der ersten zwei Brustbeinpaare sind zu kleinen Greifhänden umgestaltet. An der Innenseite der meisten Brustbeine sitzen als Kiemen funktionierende blasige Gebilde, beim Weibchen ausserdem Brutplatten. Die Beine des Hinterleibes sind in zwei gleichartige Äste gespalten. Die drei ersten Paare der Hinterleibsbeine unterscheiden sich in der Form von den folgenden und dienen zum Schwimmen und zur Erzeugung stetigen Wasserwechsels an den Kiemen, weshalb sie auch in der Ruhe immerwährend schwingen. Während der Darm dem der Wasserassel sehr ähnlich und ebenfalls mit zwei Paaren von Leberschläuchen versehen ist, lässt sich am Herzen insofern eine höhere Entwickelungsstufe erkennen, als es weiter vorn im Körper seinen Platz hat und sowohl gegen den Kopf zu als auch nach hinten Gefässe entsendet. Die Gliederung des Nervensystems entspricht der Segmentierung des Körpers. Die beiden rundlichen Augen sind ähnlich zusammengesetzt wie bei den höheren Kerfen. Die Antennen tragen blasse Riechkolben. Die Geschlechtsorgane mit ihren Ausmündungen verhalten sich wie bei den Isopoden. Die Eier und Jungen werden ebenfalls zwischen den Brustbeinen von den Brutplatten bedeckt getragen. Die Art, wie die bei uns gemeinste Gattung Gammarus (Fig. 79) sich im Wasser bewegt, wurde eingangs geschildert. Man findet diesen Flohkrebs am sichersten unter Steinen, in deren Nähe faules Laub sich vorfindet. Oft schimmert ein kleiner roter Körper durch die Leibeswand. Es ist dies ein Echinorhynchus, ein häufiger Parasit. Eine blinde Abart des Gammarus lebt, ebenso wie die blinde Assel, in tiefen Brunnen oder Höhlen.
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Die Ordnung der
ist bei uns nur durch den Flusskrebs vertreten, dessen Geschlecht durch die schon seit einer Reihe von Jahren wütende Krebspest so sehr dezimiert wurde, dass manche Flussläufe von diesen in Form und Gebahren gleich originellen Scherenträgern ganz entvölkert sind. Der Kopf unseres Flusskrebses ist mit den Brustringen und diese unter sich zu dem Kopfbruststück verwachsen, welches an der Stirn in einen Stachel ausläuft. Einige vertiefte Linien auf dem Cephalothorax deuten noch die einst vorhanden gewesene Trennung in einzelne Segmente an. Der gegliederte Hinterleib dient als Ruder zum Schwimmen und ist beim Weibchen breiter als beim Männchen. Die ersten kurzen zweiästigen Antennen werden von den zweiten weit überragt. Ausser einem Paar Ober- und zwei Paaren Unterkiefern dienen als Mundwerkzeuge noch drei Paar Kieferfüsse. Auf diese folgen die grossen Brustbeine, deren Anzahl zu der Bezeichnung „Zehnfüsser“ Veranlassung gab. Die ersten drei Beinpaare tragen am Ende Scheren, welche am ersten sehr stark entwickelt sind und eine kräftige Waffe gegen Feinde bilden, deren Wirkung manchem Leser bekannt sein dürfte. Die sechs Beinpaare des Hinterleibes sind zweiästig: Das erste bildet beim Männchen ein Begattungsglied, das letzte ist bei beiden Geschlechtern verbreitert und giebt mit dem hintersten Körpersegment zusammen die sogenannte Schwanzflosse ab. An den Hinterleibsbeinen tragen die Weibchen die Eier. Die Ganglien des Bauchstranges sind in der Brustgegend nahe zusammengerückt. Die zwei grossen Augen sitzen auf beweglichen Stielen. Zum ersten Mal unter den Krebstieren treffen wir ein deutliches Hörorgan an, welches im ersten Glied der kleinen Antennen liegt. Es stellt ein kleines nach aussen sich öffnendes Bläschen dar, welches im Innern mit feinen Härchen ausgekleidet ist und vom Krebs selbst mit Sandkörnchen erfüllt wird. Diese dienen als Hörsteine und müssen nach jeder Häutung, da die ganze Auskleidung des Bläschens entfernt wird, erneuert werden; so lange dies nicht geschehen ist, ist[S. 377] der Krebs taub. Mehrere Male wirft das Tier seinen Hautpanzer, welcher ihm bei reichlicher Nahrung bald zu enge wird, ab und erscheint dann, ehe genügend Kalk in der jungen Haut abgelagert ist, weich und gewöhnlich rötlich gefärbt als sogenannter „Butterkrebs“. Da dieser äusserst hilf- und wehrlos ist, kann es ihm passieren, dass er von seinen eigenen Kameraden gefressen wird, wenn er in der Wahl eines guten Versteckes nicht vorsichtig genug war. Im hintern Teile des Cephalothorax liegt das (von oben gesehen) etwa fünfeckige Herz, von dem aus ein reichverzweigtes Gefässsystem das Blut nach allen Körperteilen leitet. Zum Atmen dienen verästelte Kiemen, welche am Grunde der Kieferfüsse und Brustbeine entspringen und unter den nach den Seiten heruntergebogenen Rändern des Cephalothorax verborgen sind. Der Darm macht keine Windungen, ist aber am Anfang zu einem mit starken Chitinzähnen ausgerüsteten Kaumagen erweitert, an dessen vorderer Wand der zur Verstärkung der Haut nötige Kalk in Form von sogenannten „Krebsaugen“ vorrätig gehalten wird. Die gelbliche, aus kleinen Schläuchen bestehende Leber erfüllt einen grossen Teil des Vorderleibs. Die eigentlich paarigen Geschlechtsschläuche verwachsen auf eine kurze Strecke mit einander und münden beim Weibchen am Grunde des dritten, beim Männchen am fünften Beinpaare nach aussen. Wie schon gesagt entwickeln sich die Jungen unter dem Schutz des mütterlichen Schwanzes und verlassen das Ei in einer dem erwachsenen Tiere sehr ähnlichen Gestalt. Eiertragende Weibchen findet man bis in den Juni hinein, und so lange sollten die Tiere eigentlich geschont werden und nicht nur während der Monate, deren Name ein R enthält. Im September und in der ersten Hälfte des Oktober ist das Fleisch der Krebse viel fester und wohlschmeckender als im Mai, wo recht häufig die Tiere sich vom Winter her noch nicht gehörig erholt haben.
Der Krebs kommt in allen unseren Gewässern, selbst in ganz kleinen Bergbächen vor. Am liebsten hält er sich unter Steinen und in selbstgegrabenen Löchern am Ufer während des Tages versteckt und geht erst mit Einbruch der Dämmerung auf die Suche nach Nahrung. Diese besteht hauptsächlich aus Aas und wenigen lebenden[S. 378] wirbellosen Tieren. Dass er Fische und Frösche fange, mag sich zufällig hie und da beobachten lassen; ich selbst war nie in der Lage, dies bestätigen zu können. Trotzdem dass ich lange in grossen Aquarien kleine und grosse Fische mit Krebsen zusammen hielt, konnte nie eine Verminderung der Zahl der ersteren wahrgenommen werden. Der Krebs ist auch mit seinen Scheren viel zu langsam, um rasch bewegliche Tiere erhaschen zu können. Auf weite Entfernung wittert der Krebs im Wasser liegendes Aas und seine Vorliebe für dieses wird beim Fange benutzt. Bekannt ist an ihm das Vermögen, verlorengegangene Gliedmassen zu ersetzen. Wird der Krebs an der einen oder andern Schere erhascht, so sucht er unter Darangabe dieser oder unter Umständen beider zugleich zu entfliehen. Schon bei der nächsten Häutung beginnt der Verlust sich zu ersetzen. Die neue Schere erreicht aber nie wieder die Grösse der ersten. Auch im Kampfe unter einander, welcher sehr ausdauernd und erbittert geführt wird, verlieren die Krebse nicht selten ihre Hauptwaffe. Um eine ordentliche Grösse zu erreichen und fortpflanzungsfähig zu werden, braucht der Krebs 4–5 Jahre. In raschfliessenden Waldbächen bleibt er gewöhnlich kleiner, als in Seen und Flüssen. Nützlich werden die höheren Krebse dadurch, dass sie durch die Vertilgung von allerhand faulenden Stoffen eine Art Reinlichkeitspolizei in unseren Gewässern bilden. Ausserdem wird der Flusskrebs — allerdings nicht von jedermann — als Speise hochgeschätzt.
Wir beschliessen hiermit unsere Betrachtungen über die Krebstiere. Der Zweck derselben ist erreicht, wenn sie auch in weiteren Kreisen Kenntnisse über den Bau und die Lebensweise der wesentlichsten bei uns vorkommenden Krustaceenformen verbreiten.
[S. 379]
[Bei einigen Literaturstellen handelt es sich um allgemeine Nachschlagewerke, denen im Text keine direkten Verweise gegenüberstehen. Diese werden im Folgenden mit Zahlen gefolgt von runden Klammern dargestellt. (Anmerkung des Bearbeiters)]
1) W. Baird, Natural History of the British Entomostraca. London 1850.]
2) C. Claus, Über Bau und Entwicklung parasitischer Krustaceen. Marburg 1855.]
3) S. Fischer, Über das Genus Cypris und dessen bei Petersburg und Reval vorkommende Arten. Petersburg 1851.]
4) A. Friç, Die Krustenthiere Böhmens. Prag 1871.]
5) T. H. Huxley, The crayfish. London 1889.]
6) W. Lilljeborg, De crustaceis ex ordinibus tribus: Cladocera, Ostracoda et Copepoda in Scania occurrentibus. Lund 1843.]
7) J. Lubbock, On some freshwater Entomostraca. Transact. Linn. Soc. Vol. 24.]
8) W. Migula, Biolog. Centralblatt Nr. 17. 1888.]
9) O. Fr. Müller, Entomostraca seu Insecta testacea. Francfurt 1792.]
10) F. Plateau, Recherches sur les crustacées d’eau douce de Belgique. Mém. couronnée et des savants étrang. 1867.]
11) S. A. Poppe, Notizen zur Fauna der Süsswasserbecken des nordwestl. Deutschlands mit besonderer Berücksichtigung der Krustaceen. Abhandl. naturwiss. Verein Bremen Bd. X. 1889.]
12) J. Richard, Entomostracés nouveaux ou peu connus. Bull. d. l. soc. zoolog. de France. Tome XIII. 1888.]
13) G. O. Sars, Norges Ferskvandskrebsdyr. Cladocera. Christiania 1865.]
14) E. G. Zaddach, De apodis cancriformis anatomia et historia evolutionis. Bonn 1841.]
[108] S. Fischer, Beiträge zur Kenntniss der in der Umgegend von Petersburg sich findenden Cyklopiden. Bull. d. l. soc. impér. des Naturalistes de Moscou. Bd. 24 (1851). Bd. 26 (1853).
[109] G. S. Brady, Monograph of the free and semiparasitic Copepoda of the British Islands. London 1880.
[110] C. Claus, Die freilebenden Copepoden. Leipzig 1863.
[111] C. Claus, Copepodenfauna von Nizza. Marburg und Leipzig 1866.
[112] O. E. Imhof, Zoolog. Anzeiger 1885.
[113] a) O. Schmeil, Beiträge zur Kenntnis der Süsswasser-Copepoden Deutschlands. Inauguraldissertation. Halle 1891.
b) J. Vosseler, Die freilebenden Copepoden Württembergs und angrenzender Gegenden. Jahreshefte d. Ver. f. vaterländische Naturkunde in Württemberg. 1886.
[114] L. Jurine, Histoire des monocles. Genf 1820.
[115] J. Vosseler, Copepodenfauna der Eifelmaare. Archiv f. Naturgeschichte. 1889.
[116] Jules de Guerne et Jules Richard, Révision des Calanides d’eau douce. Mém. d. l. soc. zool. de France. T. II. 1889.
[117] Otto Zacharias, Studien über die Fauna des Grossen und Kleinen Teiches im Riesengebirge. Zeitschr. f. wissensch. Zoologie. Bd. 41. 1885.
[118] O. E. Imhof, Zoolog. Anzeiger 1887.
[119] Otto Zacharias, Biolog. Centralblatt. Bd. X. 1890.
[120] A. v. Nordmann, Mikrograph. Beiträge H. 6. Berlin 1832.
[121] F. Leydig, Über Argulus foliaceus. Zeitschr. f. wissensch. Zoologie 1850.
[122] Aug. Weismann, Beiträge zur Naturgeschichte der Daphnoiden. Leipzig 1876–79.
[S. 380]
[123] F. Leydig, Naturgeschichte der Daphniden. Tübingen 1860.
Druck von J. J. Weber in Leipzig.
Webers Naturwissenschaftliche Bibliothek.
Unter obigem Titel erscheint in unterzeichnetem Verlage eine Reihe von naturwissenschaftlichen Werken, wovon zurzeit drei Bände vorliegen.
Jeder Band wird ein in sich abgeschlossenes Ganzes bilden und von einer Autorität auf dem Gebiete, von welchem er handelt, in klarer, leichtfasslicher Form, aber doch unter vollständiger Wahrung des wissenschaftlichen Standpunktes, verfasst werden. Soweit es der Inhalt erfordert, werden Abbildungen, welche den Text ergänzen und zum bessern Verständnis desselben dienen, beigegeben werden.
In der Reihe selbst werden Originalarbeiten deutscher Gelehrten und Forscher mit Übersetzungen von Werken hervorragender ausländischer Autoren abwechseln.
In Vorbereitung sind folgende Bände:
E. Gerland: Geschichte der Physik.
E. L. Trouessart: Die geographische Verbreitung der Tiere.
W. Marshall: Der Bau der Vögel.
H. Gadeau de Kerville: Leuchtende Pflanzen und Tiere.
W. Marshall: Das Leben der Vögel.
C. Chun: Das Tierleben auf der Oberfläche des Meeres.
Die Bände erscheinen in Zwischenräumen von mehreren Monaten und sind einzeln käuflich.
Verlagsbuchhandlung von J. J. Weber in Leipzig.
Webers Naturwissenschaftliche Bibliothek.
Dritter Band:
Die
Sinne und Sinnesorgane
der
niederen Tiere.
Von
E. Jourdan.
Aus dem Französischen übersetzt
von
William Marshall.
Mit 48 in den Text gedruckten Abbildungen.
Preis in Original-Leinenband 3 Mark.
Inhalt:
Erstes Hauptstück.
Kurze Übersicht über den allgemeinen Bau der Organismen.
Zweites Hauptstück.
Irritabilität, Sensibilität, Sinnesorgane.
Drittes Hauptstück.
Das Gefühl.
Viertes Hauptstück.
Der Geschmack.
Fünftes Hauptstück.
Der Geruch.
Sechstes Hauptstück.
Das Gehör.
Siebentes Hauptstück.
Das Gesicht.