*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 69894 ***

Anmerkungen zur Transkription

Der vorliegende Text wurde anhand der Buchausgabe von 1912 so weit wie möglich originalgetreu wiedergegeben. Typographische Fehler wurden stillschweigend korrigiert. Ungewöhnliche und heute nicht mehr verwendete Schreibweisen bleiben gegenüber dem Original unverändert; fremdsprachliche Ausdrücke wurden nicht korrigiert.

Das Original wurde in Frakturschrift gesetzt; Passagen in Antiquaschrift werden, mit Ausnahme der Buchwerbung am Ende, kursiv dargestellt. Abhängig von der im jeweiligen Lesegerät installierten Schriftart können die im Original gesperrt gedruckten Passagen gesperrt, in serifenloser Schrift, oder aber sowohl serifenlos als auch gesperrt erscheinen.

Allerhand Sprachdummheiten

Deko

Die erste Ausgabe dieses Buches ist 1891 erschienen, die zweite
1896, die dritte 1903, die vierte 1908, die fünfte 1911.

Allerhand
Sprachdummheiten

Kleine deutsche Grammatik
des Zweifelhaften, des Falschen und des Häßlichen

Ein Hilfsbuch für alle
die sich öffentlich der deutschen Sprache bedienen

von

Gustav Wustmann

Gewohnheit macht den Fehler schön
Den wir von Jugend auf gesehn
Gellert

Sechste Auflage

Verlagssignet

Straßburg
Verlag von Karl J. Trübner
1912

[S. v]

Zierband

Aus dem Vorwort des Verfassers zur dritten Auflage

Viele von denen, in deren Hände dieses Buch gekommen ist, haben es als Nachschlagebuch benutzt, als eine Art von „Duden“ für Grammatik und Stilistik. Das ist ein Irrtum. Die „Sprachdummheiten“ sind kein Sprachknecht, der auf jede grammatische oder stilistische Frage die gewünschte Antwort bereit hat, sondern ein Buch für denkende Leser, das im Zusammenhange studiert und gehörig verarbeitet sein will. Wer Nutzen davon haben will, muß sich den Geist des Buches zu eigen machen. Gewiß soll es auch der herrschenden Fehlerhaftigkeit und Unsicherheit unsers Sprachgebrauchs steuern, aber vor allem soll es doch das Sprachgefühl schärfen und dadurch das Aufkommen neuer Fehler verhüten, und seine Hauptaufgabe ist eine ästhetische: es soll der immer ärger gewordnen Steifheit, Schwerfälligkeit und Schwülstigkeit unsrer Sprache entgegenarbeiten und ihr wieder zu einer gewissen Einfachheit und Natürlichkeit verhelfen, die, gleichweit entfernt von Gassensprache wie von Papierdeutsch, die Freiheit einer feinern Umgangssprache mit der Gesetzmäßigkeit einer guten Schriftsprache vereinigt.

Deko

[S. vi]

Vorwort zur fünften Auflage

Die fünfte Auflage dieses Buches erscheint unter veränderten Umständen.

Am 22. Dezember 1910 starb der Verfasser des Buches. Kurz darauf erhielt ich von dem Grunowschen Verlag die Aufforderung, eine neue Auflage zu besorgen. Mir lag dazu das mit Nachträgen versehene Handexemplar des Verfassers von der vierten Auflage vor und manche sonstige von ihm aufgezeichnete Einzelbemerkung. Davon ist aber nur das wenige, was den Text wirklich berichtigte oder durch ein besonders treffendes Beispiel verbesserte, in die neue Auflage aufgenommen worden, sodaß diese im ganzen der vierten Auflage gleicht.

Während des Druckes der fünften Auflage ist das Buch aus dem Verlag von Fr. Wilh. Grunow, der die ersten vier Auflagen des Buches verlegt hat, sich aber nun in anderer Richtung zu betätigen wünscht, in den von Karl J. Trübner übergegangen.

Ende September 1911

Rudolf Wustmann

Deko

[S. vii]

Zierband

Inhaltsverzeichnis

Seite
Starke und schwache Deklination
Frieden oder Friede? Namen oder Name?
Des Volkes oder des Volks, dem Volk oder dem Volke?
Des Rhein oder des Rheins
Franz’ oder Franzens? Goethe’s oder Goethes?
Friedrich des Großen oder Friedrichs des Großen?
Kaiser Wilhelms
Leopolds von Ranke oder Leopold von Rankes?
Böte oder Boote?
Generäle oder Generale?
Die Stiefeln oder die Stiefel?
Worte oder Wörter? Gehälter oder Gehalte?
Das s der Mehrzahl
Fünf Pfennig oder fünf Pfennige?
Jeden Zwanges oder jedes Zwanges?
Anderen, andren oder andern?
Von hohem geschichtlichen Werte oder von hohem geschichtlichem Werte?
Sämtlicher deutscher Stämme oder sämtlicher deutschen Stämme?
Ein schönes Äußeres oder ein schönes Äußere? Großer Gelehrter oder großer Gelehrten?
Das Deutsche und das Deutsch
Lieben Freunde oder liebe Freunde?
Wir Deutsche oder wir Deutschen?
Verein Leipziger Gastwirte – an Bord Sr. Maj. Schiff
Steigerung der Adjektiva. Schwerwiegender oder schwerer wiegend?
Größtmöglichst
Gedenke unsrer oder unser?
[S. viii]
Derer und deren
Einundderselbe
Man
Jemandem oder jemand?
Jemand anders
Ein andres und etwas andres
Zahlwörter
Starke und schwache Konjugation
Verschieden flektierte und schwankende Zeitwörter
Frägt und frug
Übergeführt und überführt
Ich bin gestanden oder ich habe gestanden?
Singen gehört oder singen hören?
Du issest oder du ißt?
Stände oder stünde? Begänne oder begönne?
Kännte oder kennte?
Reformer und Protestler
Ärztin und Patin
Tintefaß oder Tintenfaß?
Speisenkarte oder Speisekarte?
Äpfelwein oder Apfelwein?
Zeichnenbuch oder Zeichenbuch?
Das Binde-s
ig, lich, isch. Adlig, fremdsprachlich, vierwöchig, zugänglich
Goethe’sch oder Goethisch? Bremener oder Bremer?
Hallenser und Weimaraner
Unterdrückung des Subjekts
Die Ausstattung war eine glänzende
Eine Menge war oder waren?
Noch ein falscher Plural im Prädikat
Das Passivum. Es wurde sich
Ist gebeten oder wird gebeten?
Mißbrauch des Imperfekts
Worden
Wurde geboren, war geboren, ist geboren
Erzählung und Inhaltsangabe
Tempusverirrung beim Infinitiv
[S. ix]
Relativsätze. Welcher, welche, welches
Das und was
Wie, wo, worin, womit, wobei
Wechsel zwischen der und welcher
Welch letzterer und welcher letztere
Relativsätze an Attributen
Einer der schwierigsten, der oder die?
Falsch fortgesetzte Relativsätze
Relativsatz statt eines Hauptsatzes
Nachdem – zumal – trotzdem – obzwar
Mißbrauch des Bedingungssatzes
Unterdrückung des Hilfszeitworts
Indikativ und Konjunktiv
Die sogenannte consecutio temporum
Der unerkennbare Konjunktiv
Der Konjunktiv der Nichtwirklichkeit
Vergleichungssätze. Als ob, als wenn
Würde
Noch ein falsches würde
Der Infinitiv. Zu und um zu
Das Partizipium. Die stattgefundene Versammlung
Das sich ereignete Unglück
Hocherfreut oder hoch erfreut
Partizipium statt eines Neben- oder Hauptsatzes
Falsch angeschloßnes Partizipium
In Ergänzung
Das Attribut
Leipzigerstraße oder Leipziger Straße?
Fachliche Bildung oder Fachbildung?
Erstaufführung
Sedantag und Chinakrieg
Shakespearedramen, Menzelbilder und Bismarckbeleidigungen
Schulze-Naumburg und Müller-Meiningen
Die Sammlung Göschen
Die Familie Nachfolger
Ersatz Deutschland
Der grobe Unfugparagraph
Die teilweise Erneuerung
Der tiefer Denkende, der Tieferdenkende oder der tiefer denkende?
Die Apposition
Der Buchtitelfehler
Frl. Mimi Schulz, Tochter usw.
[S. x]
Bad-Kissingen und Kaiser Wilhelm-Straße
Der Dichter-Komponist und der Doktor-Ingenieur
In einer Zeit wie der unsrigen
Gustav Fischer, Buchbinderei
Die persönlichen Fürwörter. Der erstere und der letztere
Derselbe, dieselbe, dasselbe
Darin, daraus, daran, darauf usw.
Derjenige, diejenige, dasjenige
Jener, jene, jenes
Zur Kasuslehre. Ich versichere dir oder dich?
Er hat mir oder er hat mich auf den Fuß getreten?
Zur Steuerung des Notstandes
Voller Menschen
Zahlwörter. Erste Künstler
Die Präpositionen
Nördlich, südlich, rechts, links, unweit
Im oder in dem? zum oder zu dem?
Aus: „Die Grenzboten“
Nach dort
Bis
In 1870
Alle vier Wochen oder aller vier Wochen?
Donnerstag und Donnerstags – nachmittag und nachmittags
Drei Monate – durch drei Monate – während dreier Monate
Am (!) Donnerstag den (!) 13. Februar
Bindewörter. Und
Als, wie, denn beim Vergleich
Die Verneinungen
Besondere Fehler. Der Schwund des Artikels
Natürliches und grammatisches Geschlecht
Mißhandelte Redensarten
Vertauschung des Hauptworts und des Fürworts – ein schwieriger Fall
Die fehlerhafte Zusammenziehung
Tautologie und Pleonasmus
Die Bildervermengung
Vermengung zweier Konstruktionen
Falsche Wortstellung
Die alte gute Zeit oder die gute alte Zeit?
Höhenkurort für Nervenschwache ersten Ranges
Die sogenannte Inversion nach und
[S. xi]
Die Stellung der persönlichen Fürwörter
In fast allen oder fast in allen?
Zwei Präpositionen nebeneinander
Zur Interpunktion
Fließender Stil
Die Stoffnamen
Verwechselte Wörter
Hingebung und Hingabe. Aufregung und Aufgeregtheit
Vertauschung der Hilfszeitwörter
Der Dritte und der Andre
Verwechslung von Präpositionen
Hin und her
Ge, be, ver, ent, er
Neue Wörter
Modewörter
Der Gesichtspunkt und der Standpunkt
Das Können und das Fühlen
Bedingen
Richtigstellen und klarlegen
Fort oder weg?
Schwulst
Rücksichtnahme und Verzichtleistung
Anders, andersartig und anders geartet
Haben und besitzen
Verbalsurrogate
Vermittelst, mit Zuhilfenahme von
Seitens
Bez. beziehungsweise bezw.
Provinzialismen
Fremdwörter
Alphabetisches Wortregister
Deko

[S. 1]

Zur Formenlehre

Deko

[S. 3]

Zierband

Starke und schwache Deklination

Bekanntlich gibt es – oder wir wollen doch lieber ehrlich sein und einfach sagen: es gibt im Deutschen eine starke und eine schwache Deklination. Unter der starken versteht man die, die einen größern Formenreichtum und eine größere Formenmannigfaltigkeit hat. Sie hat in der Einzahl im Genitiv die Endung es, im Dativ e, in der Mehrzahl im Nominativ, Genitiv und Akkusativ die Endung e (bei vielen Wörtern männlichen und sächlichen Geschlechts er), im Dativ en (ern). Die Stammvokale a, o, u und der Diphthong au werden dabei in der Mehrzahl gewöhnlich in ä, ö, ü, äu verwandelt, was man den Umlaut nennt.[1] Unter der schwachen Deklination versteht man die formenärmere. Hier haben alle Kasus der Einzahl (mit Ausnahme des Nominativs) und alle Kasus der Mehrzahl die Endung en. Die schwache Deklination hat auch keinen Umlaut. Zur starken Deklination gehören Wörter männlichen, weiblichen und sächlichen, zur schwachen nur Wörter männlichen und weiblichen Geschlechts. Die Wörter weiblichen Geschlechts verändern in beiden Deklinationen nur in der Mehrzahl ihre Form.

Zur starken Deklination gehören z. B. der Fuß, die Hand, das Haus; zur schwachen der Mensch, die Frau.[2]

[S. 4]

Im Vergleich zu dem großen Reichtum unsrer Sprache an Hauptwörtern und der großen Mannigfaltigkeit, die innerhalb der beiden Deklinationen besteht, ist die Zahl der Fälle, wo heute Deklinationsfehler im Schwange sind, oder wo sich Unsicherheit zeigt, verhältnismäßig klein. Aber ganz fehlt es doch nicht daran.

Mehr und mehr greift die Unsitte um sich, schwach zu deklinierende Maskulina im Akkusativ ihrer Endung zu berauben: den Fürst, den Held, den Hirt. Es heißt aber: den Fürsten, den Helden usw.

Zu Mann gibt es eine doppelte Mehrzahl: Männer und Leute. Man sagt: die Bergleute, die Hauptleute, die Spielleute, aber die Wahlmänner, die Ehrenmänner, die Biedermänner, die Ehemänner; unter Eheleuten versteht man Mann und Frau zusammen.

Ein Wort, mit dem die Leute nicht mehr recht umzugehen wissen, und das sie doch jetzt sehr gern gebrauchen, ist Gewerke (für Handwerker). Ein Gewerke ist ein zu einer Innung gehörender Meister oder ein Teilnehmer an einem gesellschaftlichen Geschäftsbetrieb (das alte gute deutsche Wort für das heutige Aktionär). Das Wort ist aber schwach zu flektieren, die Mehrzahl heißt die Gewerken (die Baugewerken). Daneben gibt es aber das Wort auch im sächlichen Geschlecht: das Gewerk (für Handwerk, Innung), und das ist stark zu flektieren; hier heißt die Mehrzahl die Gewerke. Viele gebrauchen aber jetzt fälschlich die starke Form, auch wo sie offenbar die einzelnen Personen, nicht die Handwerksinnungen meinen, z. B. heimische Künstler und Gewerke. Umgekehrt sind jetzt die Gauen beliebt: das Lied ging durch alle deutschen Gauen. Aber auch sie sind falsch; Gau, ursprünglich sächlichen Geschlechts (das Gäu), jetzt Maskulinum, bildet den Genitiv des Gaus und die Mehrzahl die Gaue.

In Leipziger Zeitungen werden oft Darlehne gesucht (Pfanddarlehne, Hypothekendarlehne), und die Geistlichen treten für ihre alten Kirchlehne ein. Die Einzahl heißt aber das Lehen, und wenn das[S. 5] auch kein substantivierter Infinitiv ist, wie Wesen, Schreiben, Vermögen, Verfahren, Vergnügen, Unternehmen, so wird es doch in der guten Schriftsprache so flektiert wie diese, und die Mehrzahl heißt: die Lehen, die Darlehen, die Kirchlehen, so gut wie die Wesen, die Verfahren, die Unternehmen.

Frieden oder Friede? Namen oder Name?

Bei einer kleinen Anzahl von Hauptwörtern schwankt der Nominativ zwischen einer Form auf e und einer auf en; es sind das folgende Wörter: Friede, Funke, Gedanke, Gefalle, Glaube, Haufe, Name, Same, Schade und Wille. Die Form auf en ist aber eigentlich falsch. Diese Wörter gehören der schwachen Deklination an,[3] neigen jedoch zur starken: im Genitiv bilden sie eine Mischform aus der starken und der schwachen Deklination auf ens (des Namens), und von Schade hat der Plural sogar den Umlaut: die Schäden. Da hat sich nun unter dem Einflusse jener Mischform das en aus dem Dativ und dem Akkusativ auch in den Nominativ gedrängt.[4] Die alte richtige Form ist aber doch überall daneben noch lebendig und im Gebrauch (von Schade allerdings fast nur noch in der Redensart: es ist schade). Der Gefalle (bei Lessing öfter) ist wenigstens in Sachsen und Thüringen noch ganz üblich: es geschieht mir ein großer Gefalle damit. Daher sollte die alte Form auch immer vorgezogen, also gesagt werden: der Friede von 1871, nicht der Frieden von 1871. Vollends der künstlerische Gedanken, wie man bisweilen lesen muß, ist unerträglich.[5]

[S. 6]

Des Volkes oder des Volks, dem Volk oder dem Volke?

Ob in der starken Deklination die volle Genitivendung es oder das bloße Genitiv-s vorzuziehen sei, ob man lieber sagen solle: des Amtes, des Berufes, oder des Amts, des Berufs, darüber läßt sich keine allgemeine Regel aufstellen. Von manchen Wörtern ist nur die eine Bildung, von manchen nur die andre, von vielen sind beide Bildungen nebeneinander üblich; selbst in Zusammensetzungen stehen ältere Bildungen wie Landsmann und Landsknecht neben jüngern wie Landesherr und Landesvater. Oft kommt es nur auf den Wohlklang des einzelnen Wortes und vor allem auf den Rhythmus der zusammenhängenden Rede an: die kurzen Formen können kräftig, aber auch gehackt, die langen weich und geschmeidig, aber auch schleppend klingen, je nach der Umgebung. Ich würde z. B. schreiben: die sicherste Stütze des Throns liegt in der Liebe und Dankbarkeit des Volkes, die täglich neu aus der Überzeugung geboren werden muß, daß die berechtigten Interessen des Volks ihre beste Stütze im Throne finden.

Zu beklagen ist es, daß immer mehr die Neigung um sich greift (teils von Norddeutschland, teils von Süddeutschland aus), das Dativ-e ganz wegzuwerfen und zu sagen: vor dem König, in dem Buch, aus dem Haus, nach dem Krieg, nach dem Tod, im Jahr, im Recht, im Reich, im Wald, auf dem Berg, am Meer (statt Könige, Buche, Hause, Kriege, Jahre, Rechte usw.). Ja manche möchten das jetzt geradezu als Forderung aufstellen. Aber abgesehen davon, daß dadurch der Formenreichtum unsrer Deklination, der ohnehin im Vergleich zu der ältern Zeit schon stark verkümmert ist, immer mehr verkümmert, erhält auch die Sprache, namentlich wenn das e bei einsilbigen Wörtern überall weggeworfen wird, etwas zerhacktes. Ein einziges Dativ-e kann oft mitten unter klapprigen einsilbigen Wörtern Rhythmus und Wohllaut herstellen. Man sollte es daher sorgfältig schonen, in der lebendigen Sprache wie beim Schreiben, und die Schule sollte sich bemühen, es zu erhalten. Besonders[S. 7] häßlich wirkt das Abwerfen des Dativ-e, wenn das Wort dann mit demselben Konsonanten schließt, mit dem das nächste anfängt, z. B. im Goldland des Altertums. Nur wo das Wort mit einem Vokal anfängt, also ein sogenannter Hiatus entstehen würde, mag man das e zuweilen fallen lassen – zuweilen, denn auch da ist immer der Rhythmus zu berücksichtigen; eine Regel, daß jeder Hiatus zu meiden sei, soll damit nicht ausgesprochen werden. Ganz unerträglich würde das Fehlen des Dativ-e in formelhaften Wendungen erscheinen wie: zustande kommen, im Wege stehen, zugrunde gehen, zu Kreuze kriechen, ebenso unerträglich freilich die Erhaltung des Dativ-e in andern formelhaften Wendungen wie: mit Dank, von Jahr zu Jahr, von Ort zu Ort.

An den Wörtern auf nis und tum und an Fremdwörtern wirkt das Dativ-e meist unangenehm schleppend; man denke an Dative wie: dem Verhältnisse, dem Eigentume, dem Systeme, dem Probleme, dem Organe, dem Prinzipe, dem Rektorate, dem Programme, dem Metalle, dem Offiziere, dem Romane, dem Ideale, dem Madrigale, dem Oriente, dem Manifeste, dem Archive usw. Man kann nicht sagen, daß diese Formen an sich häßlich wären, denn die Plurale, die die meisten dieser Wörter bilden, klingen ja ebenso; aber als Dative des Singulars wirken sie häßlich.

Des Rhein oder des Rheins?

Vielfache Unsicherheit herrscht in der Deklination der Ortsnamen. Haben sie keinen Artikel, wie die meisten Länder- und Städtenamen, so bildet wohl jedermann einen richtigen Genitiv (Deutschlands, Wiens); bei den Berg- und Flußnamen aber, die den Artikel bei sich haben, muß man jetzt immer öfter Genitive lesen wie des Rhein, des Main, des Nil, des Brocken, des Petersberg, des Hohentwiel, des Vesuv, und ebenso ist es bei Länder- und Städtenamen, wenn sie durch den Zusatz eines Attributs den Artikel erhalten; auch da hat sich immer mehr die Nachlässigkeit[S. 8] verbreitet, zu schreiben: des kaiserlichen Rom, des modernen Wien, des alten Leipzig, des damaligen Frankreich, des nordöstlichen Böhmen, des erst noch zu erobernden Jütland. Bei den Personennamen ist ja, wenn sie den Artikel haben, der Genitiv rettungslos verloren; des großen Friedrichs oder die Leiden des jungen Werthers (wie Goethe noch 1774 schrieb) getraut sich heute niemand mehr zu schreiben. Ebenso geht es den Monatsnamen. Auch diese wurden früher alle zwölf richtig dekliniert: des Aprils, des Oktobers (Klopstock: Sohn des Mais; Schlegel: Nimm vor des Märzen Idus dich in acht). Heute schreibt man fast nur noch: zu Anfang des Oktober, wenn man nicht lieber gar stammelt: Anfang Oktober. Aber bei Ortsnamen sind wir doch noch nicht ganz so weit.

Franz’ oder Franzens? Goethe’s oder Goethes?

Großes Vergnügen macht es vielen Leuten, den Genitiv von Personennamen mit einem Apostroph zu versehen: Friedrich’s, Müller’s. Selbst große Gelehrte sind in den Apostroph so verliebt, daß es ihnen ganz undenkbar erscheint, Goethes ohne das hübsche Häkchen oben zu schreiben. Nun ist ja der Apostroph überhaupt eine große Kinderei. Alle unsre Schriftzeichen bedeuten doch Laute, die gesprochen werden. Auch die Interpunktionszeichen gehören dazu. Nicht bloß das Ausrufe- und das Fragezeichen, sondern auch Komma, Kolon, Semikolon und Punkt, Klammern und Gedankenstriche lassen sich beim Vorlesen sehr wohl vernehmlich machen. Nur der Apostroph bedeutet gar nichts; ja er soll geradezu einen Laut bedeuten, der – nicht da ist, der eigentlich da sein sollte, aber ausgefallen ist. Ist nicht das schon kindisch? Nun ist ja aber bei diesen Genitiven gar nichts ausgefallen. Wenn man schreibt: des Müllers Esel, warum soll man nicht auch Otfried Müllers Etrusker schreiben?[6]

[S. 9]

Nun aber vollends bei Personennamen auf s, ß, z und x – welche Anstrengungen werden da gemacht, einen Genitiv zu bilden! Die Anzahl solcher Namen ist ja ziemlich groß; man denke an Fuchs, Voß, Krebs, Carstens, Görres, Strauß, Brockhaus, Hinrichs, Brahms, Begas, Dickens, Curtius, Mylius, Cornelius, Berzelius, Rodbertus, Marx, Felix, Max, Franz, Fritz, Moritz, Götz, Uz, Schütz, Schwarz, Leibniz, Opitz, Rochlitz, Lorenz, Pohlenz, nicht zu reden von den griechischen, römischen, spanischen Namen, wie Sophokles, Tacitus, Olivarez usw.; die Veranlassung ist also auf Schritt und Tritt gegeben. Bei den griechischen und römischen Namen pflegt man sich damit zu helfen, daß man den Artikel vorsetzt: die Tragödien des Sophokles, die Germania des Tacitus. Man ist an diese Genitive von seiner Schulzeit her so gewöhnt, daß man gar nichts anstößiges mehr darin findet, obwohl man es sofort als anstößig empfinden würde, wenn jemand schriebe: die Gedichte des Goethe. Der Artikel vor dem Personennamen ist süddeutscher oder österreichischer Provinzialismus (in Stuttgart sagt man: der Uhland, in Wien: der Raimund), aber in die Schriftsprache gehört das nicht; in kunstgeschichtlichen Büchern und Aufsätzen immer von Zeichnungen des Carstens und Entwürfen des Cornelius lesen zu müssen oder gar, wie in der beschreibenden Darstellung der Bau- und Kunstdenkmäler Leipzigs, von einem Bildnis des Gottsched, einem Bildnis des Gellert, ist doch gar zu häßlich. Manche setzen denn nun auch an solche Namen fröhlich das Genitiv-s (natürlich mit dem unvermeidlichen Apostroph davor!), also: Fues’s Verlag, Rus’s Kaffeehandlung, Harras’s Grabstein in der Thomaskirche, Kurfürst Moritz’s Verdienste um Leipzig, Leibniz’s ägyptischer Plan, Gabriel Max’s Illustrationen zu Uhlands (oder vielmehr Uhland’s) Gedichten. Noch andre – und das ist das beliebteste und das, was in Grammatiken[S. 10] gelehrt, in den Druckereien befolgt und jetzt auch für die Schulen vorgeschrieben wird – meinen, einen Genitiv zu bilden, indem sie einen bloßen Apostroph hinter den Namen setzen, z. B. Celtes’ Ausgabe der Roswitha, Junius’ Briefe, Kochs’ Mikroskopierlampe (der Erfinder heißt wirklich Kochs!), Uz’ Gedichte, Voß’ Luise, Heinrich Schütz’ sämtliche Werke, Rochlitz’ Briefwechsel mit Goethe. Und solche Beispiele, in denen der Name vor dem Worte steht, von dem er abhängt, sind noch nicht die schlimmsten. Ganz toll aber ist: die Findung Moses’, der Kanzler Moritz’ (das soll heißen: der Kanzler des Herzogs Moritz), die berühmte Ketzerschrift Servetus’, auf Anregung Gervinus’, der Besuch König Alfons’, der Stil Rabelais’, der Dualismus Descartes’ (in Descartes ist ja das es stumm, und der Genitiv von Descartes wird wirklich gesprochen: karts!). Das neueste ist, daß man sogar Namen, die auf sch endigen, in diesen Unsinn mit hereinzieht und schreibt: in den Tagebuchblättern Moritz Busch’, zum siebzigsten Geburtstage Wilhelm Busch’, das allerneueste, daß man sogar im Dativ(!) schreibt: Dr. Peters’ als Vorsitzendem lag die Pflicht ob!

Sollten wir uns nicht vor den Ausländern schämen ob dieser kläglichen Hilflosigkeit? Ist es nicht kindisch, sich einzubilden und dem Ausländer, der Deutsch lernen möchte, einzureden, daß im Deutschen auch ein Kasus gebildet werden könne, indem man ein Häkchen hinter das zu deklinierende Wort setzt, ein Häkchen, das doch nur auf dem Papiere steht, nur für das Auge da ist? Wie klingt denn der Apostroph hinter dem Worte? Kann man ihn hören? Spreche ihn doch einer! Soll man vielleicht den Mund eine Weile aufsperren, um ihn anzudeuten? oder sich einmal räuspern? Irgend etwas muß doch geschehen, um den Apostroph fürs Ohr vernehmlich zu machen, sonst ist ja zwischen Leibniz und Leibniz’, zwischen dem Nominativ und dem angeblichen Genitiv, gar kein Unterschied. Nachdenklichen Setzern und Buchbindern will denn auch die Sache gewöhnlich gar nicht in den Kopf. Daher kommt es, daß man in den Korrekturabzügen und auf Bücherrücken so oft[S. 11] Titel lesen muß wie: Sophokle’s Tragödien, Carsten’s Werke, Dicken’s Romane, Brahm’s Requiem, Friedrich Perthe’s Leben und Siever’s Phonetik.

Eine gewisse Schwierigkeit ist ja nun freilich da, und es fragt sich, wie man ihr am besten abhilft. Die ältere Sprache schrieb entweder unbedenklich Romanus Haus (ohne den Apostroph), oder sie half sich bei deutschen Namen damit, daß sie (wie bei andern Substantiven, z. B. Herz, und bei den Frauennamen) eine Mischform aus der schwachen und der starken Deklination auf ens bildete, also: Fuchsens, Straußens, Schützens, Hansens, Franzens, Fritzens, Götzens, Leibnizens (vgl. Luisens, Friederikens, Sophiens). Im Volksmunde sind diese Formen auch heute noch durchaus gang und gäbe (ebenso wie die Dative und Akkusative Hansen, Fritzen, Sophien – hast du Fritzen nicht gesehen? gibs Fritzen! –, die jetzt freilich in der Sprachziererei der Vornehmen mehr und mehr durch die unflektierte Form verdrängt werden: hast du Fritz nicht gesehen? gibs Fritz!), und es ist nicht einzusehen, weshalb sie nicht auch heute noch papierfähig sein sollten.[7] Oder wollen wir vielleicht nun auch im[S. 12] Götz von Berlichingen Hansens Küraß in Hans’ Küraß verwandeln? Franzensbad und Franzensfeste in Franz’bad und Franz’feste verschönern? Verständige Schriftsteller, die vom Papierdeutsch zur lebendigen Sprache zurückkehren, gebrauchen denn auch die flektierte Form allmählich wieder und schreiben wieder: Vossens Luise. Wenn sie nur auch die Schule wieder zu Gnaden annehmen wollte!

Unmöglich erscheint dieser Ausweg natürlich bei Namen, die selbst Genitive sind, wie Carstens (eigentlich Carstens Sohn), Hinrichs, Brahms. Brahmsens dritte Geigensonate – das klingt nicht schön. Auch Phidiassens Zeus und Sophoklessens Antigone nicht, obwohl auch solche Formen zu Goethes und Schillers Zeit unbedenklich gewagt worden sind; sprach man doch damals auch, da man den Familiennamen der Frau auf in bildete, von der Möbiussin. Das beste ist wohl, solchen Formen aus dem Wege zu gehen, was sehr leicht möglich ist, ohne daß jemand eine Verlegenheit, einen Zwang merkt. Man kann durch Umgestaltung des Satzes den Namen leicht in einen andern Kasus bringen, statt des Genitivs sein setzen, des Dichters, des Künstlers dafür einsetzen usw. Aber nur nicht immer: die Zeichnungen des Carstens! Und noch weniger Voß’s Luise oder gar das Grab Brahms’, denn das ist gar zu einfältig.

In dieselbe Verlegenheit wie bei den Eigennamen auf us gerät man übrigens auch bei gewissen fremden Appellativen. Man spricht zwar unbedenklich von Omnibussen, aber Not machen uns die Ismusse, und der Deutsche hat sehr viel Ismusse! Die Komödie erlognen Patriotismus’, wie jetzt gedruckt wird, oder: im Lichte berechtigten Lokalpatriotismus’ oder: ein unglaubliches Beispiel preußischen Partikularismus’ oder ein Ausfluß erstarkten Individualismus’ – das sind nun einmal keine Genitive, trotz des schmeichelnden Häkchens. Da hilft es nichts, man muß zu der Präposition von greifen oder den unbestimmten Artikel zu Hilfe nehmen und sagen: eines erlognen Patriotismus, von preußischem Partikularismus.

[S. 13]

Friedrich des Großen oder Friedrichs des Großen?

Daß von Friedrich der Genitiv Friedrichs heißt, das weiß man allenfalls noch. Aber sobald eine Apposition zu dem Namen tritt, wissen sich die meisten nicht mehr zu helfen. Man frage einmal nach dem Genitiv von Friedrich der Große; die Hälfte aller Gefragten wird ihn Friedrich des Großen bilden. Fortwährend begegnet man jetzt so abscheulichen Genitiven wie: Heinrich des Erlauchten, Albrecht des Beherzten, Georg des Bärtigen. Es gibt Leute, die alles Ernstes glauben, solche Verbindungen seien eine Art von Formeln oder Sigeln, die nur am Ende dekliniert zu werden brauchten! Auch wenn die Apposition eine Ordinalzahl ist – der häufigste Fall –, wird kaum noch anders geschrieben als: die Urkunden Otto III., die Gegenreformation Rudolf II., die Gemahlin Heinrich VIII., die Regierungszeit Ludwig XIV. Wenn man das aussprechen will, so kann man doch gar nicht anders sagen als: Otto der dritte, Rudolf der zweite, Heinrich der achte. Denn wie kann der Schreibende erwarten, daß man die Zahl im Genitiv lese, wenn der Name, zu dem sie gehört, im Nominativ steht?[8]

Kaiser Wilhelms

Tritt vollends der Herrschertitel dazu, so pflegt alle Weisheit zu Ende zu sein. Wie dekliniert man: Herzog Ernst der Fromme, Kaiser Friedrich der Dritte? Bei einer vorangestellten Apposition wie Kaiser,[S. 14] König, Herzog, Prinz, Graf, Papst, Bischof, Bürgermeister, Stadtrat, Major, Professor, Doktor, Direktor usw. kommt es darauf an, ob die Apposition als bloßer Titel, oder ob sie wirklich als Amt, Beruf, Tätigkeit der Person aufgefaßt werden soll oder aufgefaßt wird. Im ersten Fall ist es das üblichste, nur den Eigennamen zu deklinieren, den Titel aber ohne Artikel und undekliniert zu lassen, also Kaiser Wilhelms, Papst Urbans, Doktor Fausts Höllenfahrt, Bürgermeister Müllers Haus. Der Titel verwächst für das Sprachgefühl so mit dem Namen, daß beide wie eins erscheinen.[9] Im achtzehnten Jahrhundert sagte man sogar Herr Müllers, Herr Müllern, nicht: Herrn Müller. Im zweiten Falle wird der Artikel zur Apposition gesetzt und die Apposition dekliniert, dagegen bleibt der Name undekliniert: des Kaisers Wilhelm, des Herzogs Albrecht, ein Bild des Ritters Georg. Freilich geht die Neigung vielfach dahin, auch hier die Apposition undekliniert zu lassen, z. B. des Doktor Müller, des Professor Albrecht. Treten zwei Appositionen zu dem Namen, eine davor, die andre dahinter, so ist für die voranstehende nur das erste der eben besprochnen beiden Verfahren möglich, also: die Truppen Kaiser Heinrichs des Vierten, das Denkmal König Friedrichs des Ersten, eine Urkunde Markgraf Ottos des Reichen, die Bulle Papst Leos des Zehnten. Beide Appositionen zu deklinieren und den Namen undekliniert zu lassen, z. B. Königs Christian des Ersten, des Kaisers Wilhelm des Siegreichen, wirkt unangenehm wegen des Zickzackganges der beiden Kasus (Genitiv, Nominativ, Genitiv).[10]

[S. 15]

Leopolds von Ranke oder Leopold von Rankes?

Verlegenheit bereitet vielen auch die Deklination adliger Namen oder solcher Namen, die adligen nachgebildet sind. Soll man sagen: die Dichtungen Wolframs von Eschenbach oder Wolfram von Eschenbachs? Richtig ist – selbstverständlich – nur das erste, denn Eschenbach ist, wie alle echten Adelsnamen, ein Ortsname, der die Herkunft bezeichnet; den kann man doch hier nicht in den Genitiv setzen wollen.[11] So muß es denn auch heißen: die Heimat Walters von der Vogelweide, die Burg Götzens von Berlichingen, die Lebensbeschreibung Wiprechts von Groitzsch, die Gedichte Hoffmanns von Fallersleben, auch die Werke Leonardos da Vinci, die Schriften Abrahams a Sancta Clara.

Wie steht es aber mit den Namen, die nicht jedermann sofort als Ortsnamen empfindet, wie Hutten? Wer kann alle deutschen Ortsnamen kennen? Soll man sagen Ulrichs von Hutten oder Ulrich von Huttens deutsche Schriften? Und nun vollends die zahllosen unechten Adelsnamen, über die sich schon Jakob Grimm lustig gemacht hat: diese von Richter und von Schulz, von Schmidt und von Weber, von Bär und von[S. 16] Wolf, wie stehts mit denen? Soll man sagen: Heinrichs von Weber Lehrbuch der Physik, Leopolds von Ranke Weltgeschichte? Streng genommen müßte es ja so heißen; warum behandelt man Namen, die alles andre, nur keinen Ort bezeichnen, als Ortsnamen, indem man ihnen das sinnlose von vorsetzt! Im achtzehnten Jahrhundert war das Gefühl für die eigentliche Bedeutung der adligen Namen noch lebendig; da adelte man einen Peter Hohmann nicht zum Peter von Hohmann, sondern zum Peter von Hohenthal, einen Maximilian Speck nicht zum Maximilian von Speck, sondern zum Maximilian Speck von Sternburg, indem man einen (wirklichen oder erdichteten) Ortsnamen zum Familiennamen setzte; in Österreich verfährt man zum Teil noch heute so. Da aber nun einmal die unechten Adelsnamen vorhanden sind, wie soll man sich helfen? Es bleibt nichts weiter übrig, als das von hier so zu behandeln, als ob es nicht da wäre, also zu sagen: Leopold von Rankes sämtliche Werke, besonders dann, wenn der Genitiv vor dem Worte steht, von dem er abhängig ist; steht er dahinter, so empfiehlt es sich schon eher, den Vornamen zu flektieren: die Werke Leopolds von Ranke, denn man möchte natürlich den Genitiv immer so dicht wie möglich an das Wort bringen, zu dem er gehört. Und so verfährt man oft auch bei echten Adelsnamen, selbst wenn man weiß, oder wenn kein Zweifel ist, daß sie eigentlich Ortsnamen sind. Es ist das ein Notbehelf, aber schließlich erscheint er doch von zwei Übeln als das kleinere.

Böte oder Boote?

Bei einer Anzahl von Hauptwörtern wird der Plural jetzt oft mit dem Umlaut gebildet, wo dieser keine Berechtigung hat. Solche falsche Plurale sind: Ärme, Böte, Bröte, Röhre, Täge, Böden, Bögen, Kästen, Krägen, Mägen, Wägen, Läger. Man redet jetzt von Geburtstägen, Musterlägern, Fußböden, Gummikrägen usw. Bei den Wörtern auf en und er wird dadurch allerdings ein Unterschied zwischen der Einzahl und der Mehrzahl geschaffen, der namentlich[S. 17] in Süddeutschland üblich geworden ist.[12] Dennoch ist nur die Form ohne Umlaut richtig: die Arme, die Kasten, die Lager, die Rohre usw. Man denke sich, daß es in Eichendorffs schönem Liede: O Täler weit, o Höhen – am Schlusse hieße: Schlag noch einmal die Bögen um mich, du grünes Zelt! Auch Herzöge ist eigentlich falsch; das Wort ist bis ins siebzehnte Jahrhundert hinein nur schwach dekliniert worden: des Herzogen, dem Herzogen, die Herzogen. Dann sprang es aber in die starke Deklination über (des Herzogs), und nun blieben auch die Herzöge nicht aus: der Trog, die Tröge – der Herzog, die Herzöge, die Ähnlichkeit war überwältigend.

Generäle oder Generale?

Von den Fremdwörtern sind viele in den Umlaut hineingezogen worden, obwohl er ihnen eigentlich auch nicht zukommt, nicht bloß Lehnwörter, deren fremde Herkunft man nicht mehr fühlt, wie Bischöfe, Paläste, Pläne, Bässe, Chöre, sondern auch Wörter, die man noch lebhaft als Fremdwörter empfindet, wie Altäre, Tenöre, Hospitäler, Kanäle. Aber von andern wird doch die Mehrzahl noch richtig ohne Umlaut gebildet, wie Admirale, Prinzipale, Journale. Wenn sich daher irgendwo ein Schwanken zu zeigen beginnt, so ist es klar, daß die Form ohne Umlaut den Vorzug verdient. Besser also als Generäle ist unzweifelhaft Generale. Bisweilen hat die Sprache auch hier die Möglichkeit der doppelten Form zu einer Unterscheidung des Sinnes benutzt: Kapitale (oder Kapitalien) sind Gelder, Kapitäle Säulenknäufe; hier heißt freilich auch schon die Einzahl Kapitäl.

Auch zwischen der starken und der schwachen Deklination hat die Pluralbildung der Fremdwörter vielfach geschwankt und schwankt zum Teil noch jetzt. Im achtzehnten[S. 18] Jahrhundert sagte man Katalogen, Monologen; jetzt heißt es Kataloge, Monologe. Dagegen sagen die meisten jetzt Autographen und Paragraphen; Autographe und Paragraphe klingt gesucht. Unverständlich ist es, wie unsre Techniker dazu gekommen sind, die Mehrzahl Motore zu bilden, da es doch nicht Faktore, Doktore und Pastore heißt; wahrscheinlich haben sie an die Matadore im Skat gedacht. Effekte und Effekten werden wieder dem Sinne nach unterschieden: Effekte sind Wirkungen, Effekten Wertpapiere oder Habseligkeiten.

Die Stiefeln oder die Stiefel?

Von den Hauptwörtern auf el und er gehören alle Feminina der schwachen Deklination an; daher bilden sie den Plural: Nadeln, Windeln, Kacheln, Kurbeln, Klingeln, Fackeln, Wurzeln, Mandeln, Eicheln, Nesseln, Regeln, Bibeln, Wimpern, Adern, Nattern, Leitern, Klaftern, Scheuern, Mauern, Kammern; alle Maskulina und Neutra dagegen gehören zur starken Deklination, wie Schlüssel, Mäntel, Wimpel, Zweifel, Spiegel, Kessel, Achtel, Siegel, Kabel, Eber, Zeiger, Winter, Laster, Ufer, Klöster.[13] Die Regel läßt sich sehr hübsch bei Tische lernen: man vergegenwärtige sich nur die richtigen Plurale von Schüssel und Teller, Messer, Gabel und Löffel, Semmel, Kartoffel und Zwiebel, Auster, Hummer und Flunder. Sie gilt, wie die Beispiele zeigen, ebenso für ursprünglich deutsche wie für Lehnwörter, und sie ist so fest, daß, wenn ein Lehnwort (wie es im Laufe der Sprachgeschichte oft geschehen ist) in ein andres Geschlecht übergeht, sofort auch die Pluralbildung wechselt. Im sechzehnten Jahrhundert sagte man noch in der Einzahl die Zedel (schedula), folglich in der Mehrzahl die Zedeln, im achtzehnten Jahrhundert noch in[S. 19] der Einzahl die Aurikel (auricula), folglich in der Mehrzahl die Aurikeln; heute heißt es der Zettel, das Aurikel und folglich die Mehrzahl die Zettel, die Aurikel. Also sind Plurale wie Buckeln, Möbeln, Stiefeln, Schlüsseln, Titeln, Ziegeln, Aposteln, Hummern falsch und klingen gemein. Nur Muskel, Stachel, Pantoffel und Hader (Lump, Fetzen) machen eine Ausnahme (die Muskeln, die Stacheln, die Pantoffeln, die Hadern), doch auch nur scheinbar, denn diese Wörter haben seit alter Zeit neben ihrer männlichen auch eine weibliche Singularform (ital. pantofola) oder, wie Hader, eine schwache männliche Nebenform (des Hadern), und die hat bei der Pluralbildung überwogen. Ein Fehler ist auch: die Trümmern (in Trümmern schlagen); die Einzahl heißt: der oder das Trumm (in der Bergmannsprache noch heute gebräuchlich), die Mehrzahl die Trümmer. Wer noch gewöhnt ist, Angel als Maskulinum zu gebrauchen (Türangel ebenso wie Fischangel), wird die Mehrzahl bilden die Angel, wer es weiblich gebraucht, sagt die Angeln. Ebenso ist es mit Quader; wer Quader männlich gebraucht, wird in der Mehrzahl sagen: die Quader, wer es für weiblich hält, kann nur sagen: die Quadern. Der Oberkiefer und der Unterkiefer heißen zusammen die Kiefer; im Wald aber stehen Kiefern. Die Schiffe haben Steuer (das Steuer), der Staat erhebt Steuern (die Steuer).

In der niedrigen Geschäftssprache machen sich jetzt aber noch andre falsche schwache Plurale breit. In Leipziger Geschäftsanzeigen muß man lesen: Muffen, Korken (auch Korkenzieher, Korkenfabrik), Stutzen (Federstutzen), auch Korsetten und Jaquetten (als ob die Einzahl Jaquette und Korsette hieße!). Anständige Kaufleute werden sich vor solcher Gassensprache hüten. Muff, Kork, Stutz gehören in gutem Schriftdeutsch zur starken Deklination: der Muff, des Muffs, die Müffe, der Kork, des Korks, die Korke; die Muffen sind eins der vielen Beispiele, wo sich – unter dem Einflusse Berlins – das Plattdeutsche, das man schon für abgetan hielt, wieder durchzusetzen versucht.

[S. 20]

Worte oder Wörter? Gehälter oder Gehalte?

Die meisten reden von Fremdwörtern, manche aber auch von Fremdworten. Was ist richtig? Die Pluralendung er, die namentlich bei Wörtern sächlichen Geschlechts vorkommt (Gräber, Kälber, Kräuter, Lämmer, Rinder, Täler), aber auch bei Maskulinen (Männer, Leiber, Geister, Wälder, Würmer, Reichtümer), im Althochdeutschen ir (daher der Umlaut), ist im Laufe der Zeit auf eine große Masse von Wörtern namentlich sächlichen Geschlechts ausgedehnt worden, die sie früher nicht hatten. Um 1500 hieß es noch: die Amt, die Kleid, die Pfand, die Land, die Dach, die Fach, die Gemach, die Rad, die Schloß, die Schwert, die Faß, die Bret, daneben: die Amte, die Rade, die Schwerte, die Fasse, und endlich kam auf: die Ämter, die Räder usw. Bei manchen Wörtern hat sich nun neben der jüngern Pluralform auf er auch noch die ältere erhalten. Dann erscheint aber die ältere Form jetzt als die edlere, vornehmere und ist auf die Ausdrucksweise des Dichters oder des Redners beschränkt.[14] Man denke an Denkmale und Denkmäler, Gewande und Gewänder, Lande und Länder, Tale und Täler (Es geht durch alle Lande ein Engel still umher – Die Tale dampfen, die Höhen glühn u. ähnl.). Bei andern Wörtern hat sich zwischen der ältern und der jüngern Form ein Bedeutungsunterschied gebildet. So unterscheidet man Bande (des Bluts, der Verwandtschaft, der Freundschaft) und Bänder, Bande sind gleichsam ein ganzes Netz von Fesseln, Bänder sind einzelne Stücke. Auch Gesichte und Gesichter, Lichte und Lichter sind dem Sinne nach zu unterscheiden. Gesichte sind Erscheinungen (im Faust: die Fülle der Gesichte). Lichte sind Kerzen (Wachslichte, Stearinlichte), Lichter sind Flammen (durch das Fenster strahlen unzählige Lichter, Sonne, Mond und Sterne sind die Himmelslichter). Auf dem[S. 21] Altar stehen immer große Kirchenlichte, auf der Kanzel aber nicht immer große Kirchenlichter. Bisweilen kommt auch noch ein Geschlechtsunterschied dazu: Schilde (der Schild) gehören zur Rüstung; Schilder (das Schild) sind an den Kaufmannsläden. Neben den Banden und den Bändern stehen noch die Bände (der Roman hat drei Bände). So kam auch neben der Mehrzahl die Wort oder die Worte im sechzehnten Jahrhundert die Form auf er auf: die Wörter. In der Bedeutung wurde anfangs kein Unterschied gemacht. Im achtzehnten Jahrhundert aber begann man unter Wörtern bloße Teile der Sprache (vocabula), unter Worten Teile der zusammenhängenden Rede zu verstehen. Man sprach also nun von Hauptwörtern, Zeitwörtern, Fürwörtern, Wörterbüchern, dagegen von Dichterworten, Textworten, Vorworten (Vorreden), schöne Worte machen usw. Und an diesem Unterschied wird auch seitdem fast allgemein festgehalten. Worte haben Sinn und Zusammenhang, Wörter sind zusammenhanglos aufgereiht. Wenn es also auch nicht gerade falsch ist, von Fremdworten oder Schlagworten zu reden, so ist doch die Mehrzahl Fremdwörter vorzuziehen. Dagegen wird niemand sagen: der Wörter sind genug gewechselt.

In der Sprache des niedrigen Volkes ist nun eine starke Neigung vorhanden, die Pluralendung auf er immer weiter auszudehnen. Es ist das aber ein durchaus plebejischer Sprachzug. Nur das niedrige Volk redet in Leipzig von Gewölbern und Geschäftern, der Gebildete von Gewölben und Geschäften. Nur das niedrige Volk bildet Plurale wie Zelter, Gewinner, Mäßer, Sträußer, Butterbröter, Kartoffelklößer. Nur die „Ausschnitter“ preisen ihre Rester an, nur die Telephonarbeiter kommen, um „die Elementer nachzusehen“.[15] Und wie gemein erscheinen die Dinger, mit denen sich das Volk überall da hilft, wo es zu unwissend[S. 22] oder zu faul ist, einen Gegenstand mit seinem Namen zu nennen![16] So kommt es, daß die Endung er in der guten Schriftsprache bisweilen selbst da wieder aufgegeben worden ist, wo sie früher eine Zeit lang ausschließlich im Gebrauch war, wie bei Scheit; die Mehrzahl heißt jetzt Scheite, früher hieß sie Scheiter (vgl. Scheiterhaufe und scheitern). Auch bei Ort ist eine rückläufige Bewegung zu beobachten: während früher die Mehrzahl Örter ganz gebräuchlich war, ist sie in neuerer Zeit fast ganz verschwunden; man spricht fast nur noch von Orten. Dagegen hat leider der plebejische Plural Gehälter (Lehrergehälter, Beamtengehälter) gleichzeitig mit dem häßlichen Neutrum das Gehalt von Norddeutschland aus selbst in den Kreisen der Gebildeten große Fortschritte gemacht. Auch in Leipzig, wo Freytag noch 1854 in seinen Journalisten richtig der Gehalt und die Gehalte geschrieben hat, halten es schon viele für fein, das Gehalt und die Gehälter zu sagen. Nun verteilen sich ja die Hauptwörter, die aus Zeitwortstämmen mit dem Präfix Ge- gebildet sind, auf alle drei Geschlechter. Männlich sind: Geruch, Geschmack, Gedanke; weiblich: Geburt, Geduld; sächlich: Gehör, Gesicht, Gewehr, Gewicht. Man mag auch die Unterscheidung von: der Gehalt (Gedankengehalt, Silbergehalt des Erzes) und das Gehalt (Besoldung) in Norddeutschland als willkommne Bereicherung der Sprache empfinden (vgl. der Verdienst und das Verdienst, wo freilich der Bedeutungsunterschied gerade umgekehrt ist).[17] In Mitteldeutschland klingt aber vorläufig vielen Gebildeten das Gehalt noch gemein, und die Gehälter stehen für unser Ohr und unser Gefühl durchaus auf einer Stufe[S. 23] mit den Gewölbern, den Geschäftern und den Geschmäckern.[18] Weshalb sollen wir uns also so etwas aufnötigen lassen?

Das s der Mehrzahl

Von zwei verschiednen Seiten her ist eine Pluralbildung auf s in unsre Sprache eingedrungen. Wenn wir von Genies, Pendants, Etuis, Portemonnaies, Korsetts, Beefsteaks und Meetings reden, so ist das s natürlich das französische und englische Plural-s, das diesen Wörtern zukommt. Aber man redet auch von Jungens und Mädels, Herrens und Fräuleins, Kerls und Schlingels, Hochs und Krachs, Bestecks, Fracks, Schmucks, Parks und Blocks (Baublocks), Echos und Villas (statt Villen), Vergißmeinnichts und Stelldicheins, Polkas, Galopps, Tingeltangels und Trupps (Studententrupps), Uhus und Känguruhs, Wenns und Abers, U’s und T’s, Holbeins und Lenbachs (zwei neue Lenbachs, ein paar echte Holbeins), von den Fuggers und den Schlegels, und einzelne Universitätslehrer kündigen gar schon am schwarzen Brett ihre Kollegs an! Alle diese Formen sind unfein. In Süddeutschland bezeichnet man sie als pluralis Borussicus. Ihr Plural-s stammt aus der niederdeutschen Mundart[19]; nur dieser gehören ursprünglich die Jungens und die Mädels an. Aus Verlegenheit ist dieses s dann auch im Hochdeutschen an Fremdwörter, an unechte[S. 24] Substantiva und schließlich auch an echte deutsche Substantiva gehängt worden.

Beschämend für uns Deutsche, die wir uns so gern etwas auf unsre Kenntnisse zugute tun, sind Formen wie Solis, Mottis, Kollis und Portis, denn da ist das falsche deutsche Plural-s an die richtige italienische Pluralendung gehängt! Die Einzahl heißt ja Solo, Motto, Kollo und Porto. Freilich wird auch schon in der Einzahl das Kolli gesagt, und nicht bloß von Markthelfern und Laufburschen!

Fünf Pfennig oder fünf Pfennige?

Wenn fünf einzelne Pfennige auf dem Tische liegen, so sind das unzweifelhaft fünf Pfennige; wenn ich aber mit diesen fünf Pfennigen (oder auch mit einem Nickelfünfer) eine Zigarre bezahle, kostet die dann fünf Pfennige oder, wie auf dem Nickelfünfer steht, fünf Pfennig? Schwierige Frage!

Bei Angaben von Preis, Gewicht, Maß, Zeit, Lebensalter usw. ist oft eine Pluralform üblich, die sich vom Singular nicht unterscheidet, wenigstens bei Wörtern männlichen und sächlichen Geschlechts,[20] wie bei Taler, Gulden, Groschen, Heller, Pfennig, Batzen, Pfund, Lot, Fuß, Zoll, Schuh, Faden, Faß, Glas (zwei Glas Bier), Maß, Ries, Buch (drei Buch Papier), Blatt,[21] Jahr, Monat, Mann (sechs Mann Wache), Schritt, Schuß (tausend Schuß), Stock (drei Stock hoch). Diese Formen sind natürlich keine wirklichen Singulare, sondern zum Teil sind es alte Pluralformen (vgl. S. 20 Fach und Fächer), zum Teil Formen, die solchen unwillkürlich nachgebildet worden sind. Von einer Regel also, daß in allen solchen Fällen der Singular stehen müsse, kann keine Rede sein. Es ist ganz richtig, zu sagen: das Kind ist drei Monate alt, drei Jahre alt, wie denn auch jeder drei[S. 25] Taler, drei Gulden, drei Groschen sicherlich als Plural fühlen, folglich auch sagen wird: ich habe das Bild mit zehn Talern bezahlt (nicht mit zehn Taler!). Und so haben wir auch in Mitteldeutschland früher immer Pfennige gesagt so gut wie Könige, Käfige und Zeisige. (In dem alten Liede von der Seestadt Leipzig heißt es sogar: Und ein einzig Lot Kaffee kostet sechzehn Pfennigee.) Bis 1880 war auch auf unsern Briefmarken so gedruckt. Wahrscheinlich war das aber nicht „schneidig“ genug, und so hieß es von da an 3 Pfennig, 5 Pfennig, worauf 1889 die Abkürzung Pf. erschien, die jeder lesen konnte, wie er wollte, bis schließlich gar nur noch die Ziffer übrig blieb!

Jeden Zwanges oder jedes Zwanges?

Zu den unbehaglichsten Kapiteln der deutschen Grammatik gehört die Deklination zweier miteinander verbundner Nomina, eines Substantivs und eines Adjektivs. Heißt es: jeden Zwanges oder jedes Zwanges? sämtlicher deutscher Stämme oder sämtlicher deutschen Stämme? großer Gelehrter oder großer Gelehrten? ein schönes Ganzes oder ein schönes Ganze? von hohem praktischen Werte oder von hohem praktischem Werte? So unwichtig die Sache manchem vielleicht scheint, so viel Verdruß oder Heiterkeit (je nachdem) bereitet sie dem Fremden, der Deutsch lernen möchte, und so beschämend ist es für uns Deutsche selbst, wenn wir dem Fremden sagen müssen: Wir wissen selber nicht, was richtig ist, sprich, wie du willst! Mit einigem guten Willen ist aber doch vielleicht zu ein paar klaren und festen Regeln zu gelangen.

Die Adjektiva können stark und auch schwach dekliniert werden. In der schwachen Deklination haben sie, wie die Hauptwörter, nur die Endung en, in der starken haben sie die Endungen des hinweisenden Fürwortes: es, em, en usw. Nach der starken Deklination gehen sie, wenn sie allein beim Substantiv stehen, ohne vorhergehenden Artikel, und im Singular, wenn ein Pronomen ohne Endung vorhergeht: mein guter Hans, du alter[S. 26] Freund, unser jährlicher Umsatz, welch vorzüglicher Wein. In allen andern Fällen gehn sie nach der schwachen Deklination. Es muß also heißen: gerades Wegs, guter Hoffnung, schwieriger Fragen, dagegen des geraden Wegs, der guten Hoffnung, der schwierigen Fragen, dieser schwierigen Fragen, welcher schwierigen Fragen, solcher schwierigen Fragen, auch derartiger und folgender schwierigen Fragen, beifolgendes kleine Buch (denn derartiger steht für solcher, folgender und beifolgender für dieser).

So ist auch die ältere Sprache überall verfahren; Luther kennt Genitive wie süßen Weines fast noch gar nicht. Im siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert aber drang, obgleich Sprachkundige eifrig dagegen ankämpften, bei dem männlichen und dem sächlichen Geschlecht im Genitiv des Singulars immer mehr die schwache Form ein, und gegenwärtig hat sie sich fast überall festgesetzt; man sagt: frohen Sinnes, reichen Geistes, weiblichen Geschlechts, größten Formats. Höchstens gutes Muts, reines Herzens, gerades Wegs wird bisweilen noch richtig gesagt. Bei den besitzanzeigenden Adjektiven (mein, dein, sein, unser, euer, ihr) hat sich die starke Form überall unangetastet erhalten (meines Wissens, unsers Lebens), dagegen ist es bei den Zahlbegriffen (jeder, aller, vieler, keiner, mancher) ins Schwanken gekommen. Wie man sagt: größtenteils und andernteils, so sagt man auch jedenfalls und allenfalls neben keineswegs, keinesfalls, jedes Menschen, keines Worts, alles Lebens, alles Ernstes. Nur wenige schreiben noch richtig: trotz alles Leugnens, trotz manches Erfolgs, trotz vieles Aufwands; die meisten schreiben: trotz allen Leugnens usw.

Bei jeder erklärt sich das Schwanken vielleicht daher, daß jeder wie ein Adjektiv auch mit dem unbestimmten Artikel versehen werden kann (ein jeder Mensch), eine Verbindung, die manche Schriftsteller bis zum Überdruß lieben, als ob sie das bloße jeder gar nicht mehr kennten.

[S. 27]

Die Schule sollte sich auch hier bemühen, die alte, richtige Form, wo sie sich noch erhalten hat, sorgfältig zu schützen und zur Schärfung des Sprachgefühls zu benutzen. Und wo ein Schwanken besteht, wie bei jeder, da sollte doch kein Zweifel sein, wie man sich zu entscheiden hat. Falsch ist: die Abwehr jeden Zwanges; richtig ist nur: die Abwehr jedes Zwanges oder eines jeden Zwanges (wie die Bekämpfung solches Unsinns oder eines solchen Unsinns).

Merkwürdig ist, daß sich nach solcher die schwache Deklination noch nicht so festgesetzt hat wie nach welcher. Während jeder ohne Besinnen sagt: welcher gute Mensch, welches guten Menschen, welche guten Menschen, auch solcher vollkommnen Exemplare, hört man im Nominativ und Akkusativ der Mehrzahl viel öfter: solche vollkommne Exemplare. Es kommt das wohl daher, daß auch solcher oft mehr etwas adjektivisches hat. Ebenso ist es bei derartiger (für solcher) und folgender (für dieser). Jeder wird im Nominativ vorziehen: folgende schwierige Fragen, dagegen im Genitiv vielleicht folgender schwierigen Fragen (wie dieser schwierigen Fragen).

Manche Leute glauben, daß Adjektiva, deren Stamm auf m endigt, nur einen schwachen Dativ bilden könnten, weil mem „schlecht klinge“, daß es also heißen müsse: mit warmen Herzen, mit geheimen Kummer, mit stummen Schmerz, mit grimmen Zorn, von vornehmen Sinn, bei angenehmen Wetter, bei gemeinsamen Lesen – ein ganz törichter Aberglaube.

Anderen, andren oder andern?

Ein garstiger Mißbrauch herrscht in der Deklination bei den Adjektiven, deren Stamm auf el und er endigt, wie dunkel, edel, eitel, übel, lauter, wacker; auch die Komparativstämme, wie besser, größer, unser, euer, inner, äußer, ander, gehören dazu. Bei diesen Adjektiven kommen in der Deklination zwei Silben mit kurzem e zusammen, also des eitelen Menschen, dem übelen Rufe, dem dunkelen Grunde, unseres Wissens, mit besserem Erfolge, aus[S. 28] härterem Holze. Diese Formen sind unerträglich: man schreibt sie wohl bisweilen, aber niemand spricht sie, eins der beiden e muß weichen. Aber welches von beiden? Die richtige Antwort darauf gibt der Infinitiv der Zeitwörter, die von Stämmen auf el und er gebildet werden. Auch da treffen zwei e zusammen, von denen eins beseitigt werden muß. Nun ist es zwar hie und da in Deutschland, z. B. in Hannover, beliebt, zu sagen: tadlen, handlen, wandlen, veredlen, vermittlen, verdunklen, verwechslen, ausbeutlen, mildren, verwundren, erschüttren, veräußren, versilbren, versichren, erläutren, im allgemeinen aber spricht, schreibt und druckt man doch tadeln, veredeln, erinnern, erläutern, d. h. man opfert das e der Endung und bewahrt das e des Stammes. Ebenso geschieht es auch in der Flexion des Verbums: er vereitelt, er verändert, nicht er vereitlet, er verändret. Und so ist es gut und vernünftig. Denn nicht nur daß das Stamm-e wichtiger ist als das der Endung, die Formen auf eln und ern klingen auch voller und schöner.[22] Genau so verhält sichs bei den genannten[S. 29] Adjektiven. Aber fast in allen Büchern und Zeitungen druckt man die häßlich weichlichen Formen: unsres Jahrhunderts, des üblen Rufes, die ältren Ausgaben, meiner teuren Gemeinde, in der ungeheuren Menschenmenge, und doch spricht fast jedermann: unsers Jahrhunderts, des übeln Rufes, die ältern Ausgaben, meiner teuern Gemeinde, in der ungeheuern Menschenmenge. Man druckt ja nicht: die Eltren, überall wird richtig Eltern gedruckt, warum also nicht auch die ältern? beides ist doch dasselbe.[23] Bei dem Dativ-m kann man zugeben, daß, wenn das Stamm-e erhalten und das e der Endung ausgeworfen wird, zuweilen etwas harte Formen entstehen; im allgemeinen ist aber auch hier auf dunkelm Grunde, mit besserm Erfolg gewiß vorzuziehen.

Von hohem geschichtlichen Werte oder von hohem geschichtlichem Werte?

Wenn zu einem Hauptwort mehrere Eigenschaftswörter treten, so ist es selbstverständlich, daß sie in der Deklination gleichmäßig behandelt werden müssen. Da haben nun manche in der starken Deklination, wenn das Eigenschaftswort allein, ohne Artikel oder Fürwort steht, im Dativ der Einzahl einen künstlichen Unterschied schaffen wollen. Sie haben gelehrt, nur dann, wenn zwei Adjektiva gleichwertig nebeneinander stünden, wenn sie dem Sinne nach koordiniert wären, a-a-s, dürften sie gleichmäßig behandelt werden, z. B. Tiere mit rotem, kaltem Blute, nach langem, heißem Kampfe; wenn dagegen[S. 30] das zweite Adjektiv mit dem Substantiv einen einheitlichen Begriff bilde, der durch das erste Adjektiv nur näher bestimmt werde, das erste also dem zweiten übergeordnet sei, a(a-s), so müsse das zweite schwach dekliniert werden, wie wenn es hinter einem Fürwort stünde, z. B. mit echtem Kölnischen Wasser, nach allgemeinem deutschen Sprachgebrauch, zu kühnem dramatischen Pathos, mit eigentümlichem humoristischen Anstrich, von großem praktischen Wert, aus übertriebnem patriotischen Zartgefühl, aus süddeutschem adligen Besitz. Ebenso müsse im Genitiv der Mehrzahl unterschieden werden zwischen: frischer, süßer Kirschen (denn die Kirschen seien frisch und süß) und neuer isländischen Heringe, scharfer indianischen Pfeile, einheimischer geographischen Namen, ehemaliger freien Reichsstädte (denn die Heringe seien nicht neu und isländisch, sondern die isländischen Heringe seien neu).

Diese Unterscheidung ist logisch unzweifelhaft notwendig, und sie muß auch in der Interpunktion zum Ausdruck kommen: koordinierte Adjektiva werden durch ein Komma getrennt, während zwischen zwei Eigenschaftswörtern, von denen eins dem andern übergeordnet ist, kein Komma stehen darf. Grammatisch aber ist die Unterscheidung die reine Willkür. Warum sollte sie auch gerade auf diese beiden Kasus beschränkt werden? auf den Dativ im Singular und den Genitiv im Plural? Nur in diesen beiden Kasus aber soll sie gelten, in den übrigen Kasus fällt es niemand ein, das zweite Adjektiv jemals in die schwache Form zu bringen. Oder sagt jemand: ohne selbständiges geschichtliche Studium? von bewährter christlichen Gesinnung?[24] Dazu kommt, daß sich in manchen Fällen kaum entscheiden läßt, ob zwei Adjektiva einander koordiniert sind oder eins dem andern untergeordnet, z. B. nach ergebnislosem[S. 31] zweijährigem Versuche. Unsre Romanschriftsteller scheinen zu glauben, daß stets eine Unterordnung vorliege, wenn das zweite Adjektiv eine Farbe bedeutet: sie schreiben fast ausnahmlos: bei schönem blauen Himmel, mit langem schwarzen Haar, mit schmalem braunen Rande, mit auffälligem roten Bande. Das ist völlig widersinnig. Freilich gibt es langes schwarzes Haar und kurzes schwarzes Haar. Aber eine solche Sortierung schwebt doch hier nicht vor. Bei dem schönen, blauen Himmel vollends denkt doch niemand an eine andre, weniger schöne Art von blauem Himmel, sondern blau ist eine weitere Ausführung und Begründung von schön: der Himmel ist schön, weil er blau ist. Ebenso ist das Band auffällig, weil es rot ist. In Todesanzeigen kann man täglich lesen, daß jemand nach langem, schweren Leiden oder nach kurzem, schweren Leiden gestorben sei. Man liest es so häufig, daß man fast glauben möchte, die Setzer setzten auch das gewohnheitsmäßig so, selbst wenn in der Druckvorlage richtig gestanden hat: nach langem, schwerem Leiden. Denn daß auch gebildete Menschen das immer falsch schreiben sollten, ist doch kaum anzunehmen.

Sämtlicher deutscher Stämme oder sämtlicher deutschen Stämme?

Große Unsicherheit herrscht in der Deklination der Adjektiva im Genitiv der Mehrzahl nach den Zahlbegriffen alle, keine, einige, wenige, einzelne, etliche, manche, mehrere, viele, sämtliche, denen sich auch die Adjektiva andre, verschiedne und gewisse anschließen, die beiden letzten, wenn sie in dem Sinne von mehrere und einige stehen. Da sagt man: aller guten Dinge, aller halben Stunden, mancher kleinen Souveräne, einzelner ausgezeichneten Schriftsteller, verschiedner schweren Bedenken, gewisser aristokratischen Kreise, aber auch: vieler andrer Gebiete, vieler damaliger preußischer Offiziere, einzelner großer politischer Ereignisse, sämtlicher deutscher evangelischer Kirchenregimente, gewisser mathematischer Kenntnisse. Sollte[S. 32] es denn nicht möglich sein, hier Ordnung und Regel zu schaffen?

Tatsache ist, daß auch nach allen diesen Wörtern die Adjektiva ursprünglich stark dekliniert worden sind. Ebenso ist es Tatsache, daß die schwache Form nur nach zweien von ihnen endgültig durchgedrungen ist: nach alle und keine. Sollte das nicht einen tiefern Grund haben? Die schwache Form ist endgültig durchgedrungen auch hinter dem bestimmten Artikel, hinter den hinweisenden Fürwörtern (dieser und jener) und hinter den besitzanzeigenden Adjektiven (mein, dein usw.). In allen diesen Fällen aber handelt es sich um eine ganz bestimmte Menge. Dagegen bezeichnet die artikellose Form eine unbestimmte Menge. Sollte es nun Zufall sein, daß gerade alle (mit seiner Negation keine) der Form gefolgt ist, die eine bestimmte Menge ausdrückt? Alle und keine sind die einzigen in der ganzen Reihe. Alle übrigen (viele, einige, manche usw.) bezeichnen eine unbestimmte Menge; viele und einige bleiben viele und einige, auch wenn einer dazukommt oder abgeht. Sollte sich nicht deshalb hier die artikellose Form erhalten haben? Im Nominativ überall: viele junge Leute, manche bittre Erfahrungen, verschiedne schwere Bedenken, gewisse aristokratische Kreise. Erst im Genitiv beginnt das Schwanken zwischen vieler junger Leute und vieler jungen Leute, verschiedner freisinniger Blätter und verschiedner freisinnigen Blätter, mehrerer andrer ausländischer Blätter und mehrerer andern ausländischen Blätter. Unzweifelhaft wäre also die starke Form hier überall vorzuziehen. Nur noch hinter sämtliche wäre die schwache am Platze, denn sämtliche bedeutet ja dasselbe wie alle, also eine bestimmte Menge.

Hinter den wirklichen Zahlwörtern zwei, drei, vier, fünf usw. steht im Nominativ überall die starke Form, so auch im Genitiv, solange die Zahlwörter selbst undekliniert bleiben: die Kraft vier starker Männer, um fünf Gerechter willen. Dagegen beginnt das Schwanken, sobald die Zahlwörter selbst wie Adjektiva dekliniert werden: ein Kampf zweier großen Völker[S. 33] steht neben einem Kampf zweier großer Völker. Daß aber auch hier die starke Form vorzuziehen sei, kann wohl keinem Zweifel unterliegen. Beide dagegen schließt sich natürlich an alle und keine an: beide großen Männer, beide hier mitgeteilten Schriftstücke.

Ein schönes Äußeres oder ein schönes Äußere? Großer Gelehrter oder großer Gelehrten?

Adjektiva und Partizipia, die substantiviert wurden, nahmen in der ältesten Zeit stets die schwache Form an, auch hinter dem unbestimmten Artikel. Reste davon sind Junge (ein Junge), eigentlich ein Junger, das in der Form Jünger noch daneben steht, und Untertan (e), eigentlich ein Untertaner. Später ist auch bei solchen substantivierten Adjektiven und Partizipien überall hinter ein die starke Form eingetreten: ein Heiliger, ein Kranker, ein Fremder, ein Gelehrter, ein Verwandter, ein Junges (von Hund oder Katze), ein Ganzes, und stark wird auch überall der alleinstehende artikellose Plural jetzt dekliniert: Heilige, Verwandte, Geistliche, Gelehrte, Junge (der Hund hat Junge bekommen). Werden aber diese substantivierten Adjektiva und Partizipia mit einem Adjektiv versehen, so erhält sich ihre schwache Form: ein schönes Ganze (noch genau so wie ein guter Junge), mein ganzes Innere, von auffälligem Äußern, mit zerstörtem Innern, und namentlich im Genitiv der Mehrzahl: eine Anzahl wunderlicher Heiligen, eine Versammlung evangelischer Geistlichen, ein Kreis lieber Verwandten, die Stellung höherer Beamten, die Arbeiten großer Gelehrten, ein Kreis geladner Sachverständigen, große Züge französischer Kriegsgefangnen, die Lehren griechischer Weisen usw.

Neuerdings versucht man, auch hier überall krampfhaft die starke Form durchzudrücken und lehrt, weil es heißt ein Ganzes, so müsse es auch heißen: ein schönes Ganzes, mein ganzes Inneres, ein ungewöhnliches Äußeres, mit zerrüttetem Innerm, und im Genitiv der Mehrzahl: ein Dutzend deutscher[S. 34] Gelehrter, die Aufnahme choleraverdächtiger Gefangner, das Eigentum französischer Staatsangehöriger, inmitten scheelblickender Fremder, die Genossenschaft deutscher Bühnenangehöriger, der Verband sächsischer Industrieller, zum Besten armer Augenkranker, zur Unterstützung verschämter Armer, die Anstellung pensionierter Geistlicher, Mißgriffe preußischer Polizeibeamter, die Einführung neugewählter Stadtverordneter, Geldbeiträge reicher Privater, der Streit zweier berühmter deutscher Gelehrter, die Zustimmung vieler amerikanischer, spanischer und französischer Gelehrter, die Einbildung etlicher wunderlicher Heiliger usw. Daß die gehäuften er in den Endungen nicht gerade schön klingen, würde nichts zu sagen haben; das ließe sich auch gegen manche andre Endung einwenden. Aber da die schwache Form in diesem Falle das ältere ist, so verdient sie unbedingt den Vorzug. Unsre besten Schriftsteller haben nie anders geschrieben als: zur Unterstützung verschämter Armen, Lieder zweier Liebenden, zur Bewaffnung unbegüterter Freiwilligen, inmitten eifersüchtiger Fremden usw. Wenn man heute hört: nach dem Urteil hervorragender Gelehrter, so vermißt man stets das Hauptwort, denkt sich unwillkürlich hervorragender gelehrter geschrieben (mit g) und meint, es müsse noch folgen: Männer. Nur die schwache Form erzeugt das Substantivgefühl. Ein schönes Ganzes und nach dem Urteil hervorragender Gelehrter sind unnatürliche, gewaltsame Erzeugnisse der Halbwisserei.

Eine Liederlichkeit ist es, substantivierte weibliche Adjektivformen, wie die Rechte, die Linke, die Weiße (eine Berliner Weiße), wie Substantiva zu behandeln und zu schreiben: die Einführung der Berliner Weiße; richtig ist nur: der Berliner Weißen, wie in seiner Rechten, auf der äußersten Linken. Auch die Herbstzeitlose gehört hierher und die junge Schöne, die natürlich ebenso wie die Maskulina im Genitiv der Mehrzahl bilden muß: Ein Kreis junger Schönen (nicht Schöner).

[S. 35]

Das Deutsche und das Deutsch.

Die Sprach- und die Farbenbezeichnungen bilden ein substantiviertes Neutrum in zwei Formen nebeneinander, in einer Form mit Deklinationsendung und einer Form ohne Endung: das Deutsche und das Deutsch, das Englische und das Englisch, das Blaue (ins Blaue hinein reden) und das Blau (das Himmelblau), das Weiße (im Auge) und das Weiß (das Eiweiß). Zwischen beiden Formen ist aber ein fühlbarer Bedeutungsunterschied. Das Deutsche bezeichnet die Sprache überhaupt, und dem schließt sich auch das Hochdeutsche, das Plattdeutsche usw. an. Sobald aber irgendein beschränkender Zusatz hinzutritt, der eine besondre Art oder Form der deutschen Sprache bezeichnet, wird die kürzere Form gebraucht: das heutige Deutsch, ein fehlerhaftes Deutsch, das beste Deutsch, Goethes Deutsch, mein Deutsch, dieses Deutsch, das Juristendeutsch, das Tintendeutsch (Goethe im Faust: in mein geliebtes Deutsch zu übertragen; der Deutsche ist gelehrt, wenn er sein Deutsch versteht).

Die längere Form: das Deutsche, das Blaue muß natürlich schwach dekliniert werden: der Lehrer des Deutschen, die beste Zensur im Deutschen, ein Kirchlein steht im Blauen, Willkommen im Grünen! Die kürzere Form halten manche für ganz undeklinierbar und schreiben: des Juristendeutsch, eines feurigen Rot. Sie steht aber durchaus auf einer Stufe mit andern endunglosen substantivierten Neutren, wie: das Gut, das Übel, das Recht, das Dunkel, das Klein (für Kleinod, Kleinet, z. B. Gänseklein), das Wild, und es ist nicht einzusehen, weshalb man nicht sagen soll: des Eigelbs, des Tintendeutschs. An das tschs braucht sich niemand zu stoßen, sonst dürfte man auch nicht sagen: des Erdrutschs, des Stadtklatschs.

Ganz unsinnig ist, was man fort und fort auf den Titelblättern aus fremden Sprachen übersetzter Bücher lesen muß: aus dem Französischen des Voltaire übersetzt u. ähnl. Man kann über das Französisch Voltaires (nicht das Französische!) eine wissenschaftliche[S. 36] Abhandlung schreiben, aber übersetzen kann man etwas nur aus dem Französischen schlechthin; der Name des französischen Verfassers muß an andrer Stelle auf dem Titelblatt angebracht werden: Voltaires Briefe, aus dem Französischen übersetzt usw.

Lieben Freunde oder liebe Freunde?

Obwohl es keinem Menschen einfällt, in der Anrede zu sagen: teuern Freunde, geehrten Herren, geliebten Eltern, schwankt man wunderlicherweise seit alter Zeit bei dem Adjektivum lieb. Das ursprüngliche ist allerdings, daß beim Vokativ die schwache Form steht. Aber bereits im Althochdeutschen dringt die starke Form ein, und im Neuhochdeutschen gewinnt sie bis zum achtzehnten Jahrhundert die Oberhand. Auch die Kanzleisprache sagte schließlich: liebe Getreue statt: lieben Getreuen! Und heute haben wir bei einer Verbindung wie lieben Freunde (wie Luther noch schreibt) nicht mehr das Gefühl von etwas organischem, von etwas, das so in Ordnung wäre, sondern die Empfindung einer gewissen Altertümelei. Wer diese Empfindung nicht erregen will, wird die schwache Form in der Anrede vermeiden.

Wir Deutsche oder wir Deutschen?

Ist es richtiger, zu sagen: wir Deutsche oder wir Deutschen? Diese Frage, die eine Zeit lang viel Staub aufgewirbelt hat, würde wohl gar nicht entstanden sein, wenn nicht Bismarck in der bekannten Reichstagssitzung vom 6. Februar 1888 den Ausspruch getan hätte, der dann auf zahllosen Erzeugnissen des Gewerbes (Bildern, Gedenkblättern, Denkmünzen, Armbändern usw.) angebracht worden ist: Wir Deutsche fürchten Gott, sonst nichts auf der Welt. Denn so hat er nach den stenographischen Berichten gesagt, und so war er also wohl gewohnt zu sagen. Aber schon der Umstand, daß die Zeitungen am 7. Februar (vor dem Erscheinen der stenographischen Berichte!) druckten: Wir Deutschen, und daß sich die Gewerbetreibenden vielfach zu vergewissern suchten, wie er denn eigentlich gesagt habe, zeigt,[S. 37] daß seine Ausdrucksweise auffällig war; dem Volksmunde war geläufiger: wir Deutschen, und so ist in der Tat schon im sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert viel öfter gesagt worden als wir Deutsche, obwohl es in der Einzahl heißt: ich Deutscher, und heute vollends sagt niemand mehr: wir Arme, ihr Reiche, wir Alte, ihr Junge, sondern wir Armen (Gretchen im Faust: am Golde hängt, nach Golde drängt doch alles, ach wir Armen!), ihr Reichen, wir Alten, ihr Jungen, wir Konservativen, wir Liberalen, wir Wilden (Seume: wir Wilden sind doch beßre Menschen), wir Geistlichen, wir Gesandten, wir Vorgenannten, wir Unterzeichneten, wir armen Deutschen, wir guten dummen Deutschen, wir Deutschen sind halt Deutsche! Es ist gar nicht einzusehen, weshalb gerade die Deutschen von all diesen substantivierten Adjektiven und Partizipien eine Ausnahme machen sollen. Wenn sich augenblicklich gewisse Leute, denen es gar nicht einfallen würde, zu sagen: wir Arme, mit dem vereinzelt aufgeschnappten und ihrem eignen Munde ganz ungewohnten wir Deutsche spreizen, so ist das einfach lächerlich.

Die Ursache, weshalb hinter wir und ihr schon früh die schwache Form bevorzugt worden ist, ist offenbar dieselbe, die hinter den hinweisenden Fürwörtern, den besitzanzeigenden Adjektiven und hinter alle und keine wirksam gewesen ist (vgl. S. 32): daß es sich um eine bestimmte Menge handelt. Wenn man sagt: wir Deutschen, so meint man damit entweder alle Deutschen überhaupt oder alle Deutschen in einem bestimmten Falle, z. B. alle, die in einer aus Angehörigen verschiedner Nationen gemischten Versammlung anwesend sind. Daß im Akkusativ der Mehrzahl die starke Form vorgezogen worden ist: uns Deutsche, hat seinen Grund wieder darin, daß man ihn sonst nicht hätte vom Dativ unterscheiden können (bei Burkhard Waldis aber: und das Reich an uns Deutschen kummen).

Ein Unterschied läßt sich zwischen wir beiden und wir beide machen. Wenn der Lehrer am Schluß der Stunde fragt: wer ist noch nicht drangewesen? ein[S. 38] Schüler dann antwortet: Wir beiden sind noch nicht drangewesen, der Lehrer das bezweifelt und sagt: Ich dächte, du wärst schon drangewesen, so kann der Schüler das zweitemal antworten: Nein, wir beide sind noch nicht drangewesen. Im zweiten Falle wird beide zum Prädikat gezogen, wir beiden dagegen ist dasselbe wie wir zwei. Freilich heißt es in Holteis Mantellied auch: Wir beide haben niemals gebebt.

Verein Leipziger Gastwirte – an Bord Sr. Maj. Schiff

Ein gemeiner Fehler, für den leider in den weitesten, auch in gebildeten Kreisen schon gar kein Gefühl mehr vorhanden zu sein scheint, liegt in Verbindungen vor wie: Verein Leipziger Gastwirte, Ausschank Zwenkauer Biere, Hilfskasse Leipziger Journalisten, Verein Berliner Buchhändler, Radierungen Düsseldorfer Künstler, Photographien Magdeburger Baudenkmäler, eine Sammlung Meißner Porzellane, die frühesten Namen Breslauer Konsuln, zur Topographie südtiroler Burgen, nach Meldungen Dresdner Zeitungen.

Die von Ortsnamen gebildeten Formen auf er werden von vielen jetzt für Adjektiva gehalten, wie sich schon darin zeigt, daß sie sie mit kleinen Anfangsbuchstaben schreiben: pariser, wiener, thüringer, schweizer. Das ist ein großer Irrtum. Diese Formen sind keine Adjektiva, sondern erstarrte Genitive von Substantiven. Der Leipziger Bürgermeister ist, wörtlich ins Lateinische übersetzt, nicht consul Lipsiensis – das wäre der Leipzigische Bürgermeister –, sondern Lipsiensium consul, der Bürgermeister der Leipziger. Man sieht das deutlich, wenn man solche Verbindungen zugleich mit einem wirklichen Adjektivum dekliniert, z. B. der neue Berliner Ofen. Dann lauten die einzelnen Kasus: des neuen Berliner Ofens, dem neuen Berliner Ofen, den neuen Berliner Ofen, die neuen Berliner Öfen usw. Während also das Adjektiv neu und das Substantiv Ofen dekliniert werden, bleibt Berliner stets unverändert. Ganz natürlich; es ist[S. 39] eben kein Adjektivum, sondern ein eingeschobner, abhängiger Genitiv. Der Irrtum ist dadurch entstanden, daß man, durch den Gleichklang der Endungen verführt, solche abhängige Genitive mit dem Genitiv von wirklichen Adjektiven wie deutscher, preußischer zusammengeworfen hat. Weil man richtig sagt: eine Versammlung deutscher Gastwirte, glaubt man auch richtig zu sagen: ein Verein Leipziger Gastwirte. Leider heißt nur hier der Nominativ nicht Leipzige, während er dort deutsche heißt.

Nun ist aber in der artikellosen Deklination der Genitiv der Mehrzahl, wenn er nicht durch ein hinzugesetztes Adjektiv kenntlich gemacht wird, überhaupt nicht kenntlich; er muß (leider!) durch die Präposition von umschrieben werden. Wenn man sagt: eine Versammlung großer Künstler, so ist der Genitiv durch das Attribut großer genügend kenntlich gemacht; aber societas artificum läßt sich nimmermehr übersetzen: ein Verein Künstler, sondern nur ein Künstlerverein oder: ein Verein von Künstlern; erst durch das von entsteht ein erkennbarer Genitiv. Ganz ebenso ist es aber auch, wenn zu dem Substantiv ein Attribut tritt, das nicht deklinierbar ist, z. B. ein Zahlwort oder ein abhängiger (kein attributiver) Genitiv. So unmöglich und so falsch es ist, zu sagen: infolge Streitigkeiten, wegen Sonderzüge, mangels Beweise, ein Bund sechs Städte, innerhalb vier Wochen, nach Verlauf vier Wochen, die Lieferung fünftausend Gewehre, in der ersten Zeit dessen Leitung, mit Bewilligung dessen Eltern, unter Angabe deren Kennzeichen, die Neubesetzung Herrn Dornfelds Stelle, unterhalb Dr. Heines Brücke, der Verkauf ihres Mannes Bücher, Genüsse mancherlei Art, eine Quelle allerhand Verlegenheiten, so gewiß in allen diesen Fällen der Genitiv nur mit Hilfe der Präposition von kenntlich gemacht werden kann (ein Bund von sechs Städten, eine Quelle von allerhand Verlegenheiten), so gewiß muß es auch heißen: Verein von Leipziger Gastwirten, Verhaftung von Erfurter Bürgern, Verkauf von Magdeburger Molkereibutter; bei Verein Berliner[S. 40] Künstler glaubt man immer nur einen Nominativ zu hören: ein Verein Künstler, wie bei: eine Menge Menschen, ein Haufe Steine, ein Sack Geld, ein Stück Brot usw.[25]

Ebenso falsch ist es, wenn geschrieben wird: an Bord Sr. Majestät Schiff Möwe, die Forschungsreise Sr. Majestät Schiff Gazelle. Der Genitiv Sr. Majestät hängt ab von Schiff. Aber wovon hängt Schiff ab? Von nichts: es schwebt in der Luft. Und doch soll auch das ein Genitiv sein, der von Bord oder Reise abhängt. Der kann nur dadurch erkennbar gemacht werden, daß man schreibt: an Bord von Sr. Majestät Schiff Gazelle, denn an Bord Sr. Majestät Schiffs Gazelle wird niemand sagen wollen.[26]

Anstatt des abhängigen dessen und deren braucht man sich nur des attributiven sein und ihr zu bedienen, und der Genitiv ist sofort erkennbar. Falsch ist: ich gedenke dessen Güte und Macht – die Briefe Goethes an seinen Sohn während dessen Studienjahre in Heidelberg – eine Darstellung der alten Kirche und deren Kunstschätze – die Interessen der Stadt und deren Einwohner – eine Aufzählung aller Güter und deren Besitzer – eine Versammlung sämtlicher evangelischen Fürsten und deren Vertreter – eine Tochter des Herrn Direktor Schmidt und dessen Gemahlin – zum Besten der Verunglückten und deren Hinterlassenen – die Sicherstellung der Zukunft der Beamten und deren Familien; es muß heißen: seiner Güte und Macht, seiner Gemahlin, ihrer Hinterlassenen, ihrer Familien usw.[27]

[S. 41]

Steigerung der Adjektiva. Schwerwiegender oder schwerer wiegend?

Mannigfachen Verstößen begegnet man in der Steigerung der Adjektiva (Positiv, Komparativ, Superlativ). Von viel heißt der Komparativ nicht mehrere, sondern mehr: ich habe in meinem Garten viel Rosen, du hast mehr Rosen, er hat die meisten Rosen. Mehrere ist nichts andres als einige, etliche. Wenn also ein Hausbesitzer genötigt wird, zu bescheinigen, daß mehrere Hunde als die hier verzeichneten in seinem Hause nicht gehalten werden, so wird er genötigt, einen Schnitzer zu unterschreiben.

Bei Adjektiven, deren Stamm auf einen Zischlaut endigt, stoßen im Superlativ zwei Zischlaute zusammen. Das stört nicht, wenn die Wörter mehrsilbig sind (der weibischste, der malerischste), wohl aber, wenn sie einsilbig sind (der hübschste, der süßste). Man bewahrt dann lieber das e, das sonst immer ausgeworfen wird, und sagt: der hübscheste, der süßeste. Von groß ist allgemein der größte üblich geworden (Goethe im Götz auch: der hübschte, in den Briefen aus Italien: der genialischte).

Bei der Vorliebe, womit jetzt einfache Begriffe wie groß, stark, schwer durch schleppende Zusammensetzungen wie tiefgehend, weitgehend, weittragend, schwerwiegend ersetzt werden, entsteht oft Verlegenheit, wie man solche Zusammensetzungen im Komparativ und im Superlativ behandeln soll. Logisch ist ja die Frage leicht zu beantworten; was gesteigert werden soll, ist nicht das Partizip gehend, sondern das dabeistehende Adverb tief oder weit. In vielen solchen Zusammensetzungen ist aber das Adverb mit dem Partizip so innig verwachsen, daß man kaum noch die Zusammensetzung empfindet. Wenn also auch niemand wagen wird, eine weitverbreitete Unsitte zu steigern: eine weitverbreitetere Unsitte, sondern eine weiter verbreitete,[28] das hochbesteuerte[S. 42] Einkommen, nicht: das hochbesteuertste, sondern das höchstbesteuerte, so ist doch gegen einen Komparativ wie zartfühlender nichts einzuwenden, denn das Partizipium fühlend wird hier gar nicht mehr als Verbalform empfunden, sondern etwa wie fühlig in feinfühlig, und solche Zusammensetzungen (feinsinnig, kleinmütig, böswillig, fremdartig, gleichmäßig) gelten für einfache Wörter und können nur steigern: kleinmütiger, der kleinmütigste. Ihnen würde sich auch das neumodische hochgradig anschließen. Dazwischen liegen aber nun Zusammensetzungen, bei denen manchmal kaum zu entscheiden ist, ob man sie als einfache oder als zusammengesetzte Wörter behandeln soll; sogar derselbe Mensch kann darin zu verschiednen Zeiten verschieden fühlen. Ganz unerträglich sind: der schöngelegenste Teil, die vielgenannteste Persönlichkeit, die naheliegendste Erklärung, die leichtlaufendste Maschine, die tiefliegendere Bedeutung, tiefgehendere Anregungen, die feinschmeckenderen Sorten, die weitblickendere Klugheit, eine engbegrenztere Aufgabe; es muß heißen: der schönstgelegne, noch besser der am schönsten gelegne Teil, die am meisten genannte Persönlichkeit, die tiefer liegende Bedeutung, tiefer gehende Anregungen, die feiner schmeckenden Sorten, die nächstliegende Erklärung, die weiter blickende Klugheit, eine enger begrenzte Aufgabe. Nicht ganz so anstößig erscheint: die wohlgemeinteste Warnung, die weitgehendste Mitwirkung, die weittragendste Bedeutung, die fernliegendsten Dinge, die hochfliegendsten Pläne, obwohl natürlich der bestgemeinte Rat, die weitestgehende Mitwirkung vorzuziehen ist. Völlig gewöhnt haben wir uns an den tiefgefühltesten Dank und an die hochgeehrtesten oder hochverehrtesten Damen und Herren. Schön kann man trotzdem solche Steigerungen nicht nennen; sie klingen alle mehr oder weniger schleppend und schwülstig, und was sie ausdrücken sollen, kann meist durch ein einfacheres Wort oder durch einen kurzen Nebensatz ebenso kräftig und deutlich gesagt werden.

[S. 43]

Größtmöglichst

Noch schlimmer freilich sind die jetzt so beliebten doppelten Superlativbildungen, wie die besteingerichtetsten Verkehrsanstalten, die bestbewährtesten Fabrikate, die höchstgelegenste Wohnung, der feinstlaubigste Kohlrabi u. ähnl. (statt der besteingerichteten oder der bewährtesten). Für so gut wie möglich kann man natürlich auch sagen: möglichst gut. Es gibt ja verschiedne Grade der Möglichkeit, es kann etwas leichter möglich sein und auch schwerer möglich; man sagt auch: tue dein möglichstes! Wie muß sich aber diese Steigerung mißhandeln lassen! Die einen stellen die Wörter verkehrt, bringen den Superlativ an die falsche Stelle und sagen bestmöglich, in der irrigen Meinung, das Wort sei eine Zusammenziehung aus: der beste, der möglich ist; andre wissen sich gar nicht genug zu tun und bilden auch hier wieder den doppelten Superlativ bestmöglichst, größtmöglichst: mit größtmöglichster Beschleunigung. Das beste ist, auch solche schwülstige Übertreibungen zu vermeiden. Das gilt auch von der beliebten Steigerung: der denkbar größte. Wenn ein Nutzen nicht der denkbar größte wäre, so wäre er doch auch nicht der größte. Welch unnötiger Wortschwall also! Manche sind aber in dieses denkbar so verliebt, daß sie es sogar zum Positiv setzen: in ihrer Stimmung sind beide Altarflügel denkbar verschieden.

Vollkommener Unsinn ist es natürlich, wenn gedankenlose Menschen jetzt der erste beste zusammenziehen in der erstbeste, wenn ein Arzt bittet, möglichst keine Briefe an ihn zu richten, da er verreist sei, eine Herrschaft einen möglichst verheirateten oder einen möglichst unverheirateten Kutscher zu möglichst sofortigem Antritt sucht, Zeitungen ihre Abonnenten auffordern, das Abonnement baldgefälligst zu erneuern, oder ein Kaufmann seine Kunden bittet, ihm baldmöglichst oder baldgefälligst ihre geschätzten Aufträge oder Bestellungen zukommen zu lassen. Was sie meinen, ist weiter nichts als: womöglich keine,[S. 44] womöglich verheiratet, womöglich sofort, und: möglichst bald, gefälligst bald. Aber namentlich das baldgefälligst, so albern es auch ist, gehört zu den Lieblingswörtern aller Geschäftsleute und Beamten.

Ebenso unsinnig ist es, wenn ein Superlativ von einzig gebildet wird: der Einzigste, der bisher Großes in diesem Fache geleistet hat. Einziger als einzig kann doch niemand sein.

Gedenke unsrer oder unser?

Auch in der Deklination der Fürwörter herrscht hie und da Unwissenheit oder Unsicherheit. Daß man eine Frage besprechen muß wie die: gedenke unsrer oder unser? ist sehr traurig, aber es ist leider nötig, denn der Fehler: wir sind unsrer acht – es harrt unsrer eine schwere Aufgabe, oder: wir gedenken eurer in Liebe, kommt so oft vor, daß man fast annehmen möchte, die Leute wären der Meinung, die kürzeren Formen seien nur durch Nachlässigkeit entstanden.

Die Genitive der persönlichen Fürwörter ich, du, er, wir, ihr, sie heißen: mein, dein, sein, unser, euer, ihr, z. B.: gedenke mein, vergiß mein nicht, der Buhle mein, ich denke dein, unser einer, unser aller Wohl, unser keiner lebt ihm selber.[29] Daneben sind freilich im Singular schon früh die unorganischen Formen meiner, deiner, seiner aufgekommen und haben sich festgesetzt, aber doch ohne die echten, alten Formen ganz verdrängen zu können (Gellert: der Herr hat mein noch nie vergessen, vergiß, mein Herz, auch seiner nicht); ihr ist leider ganz durch ihrer verdrängt worden; wir wollen uns ihrer annehmen. Aber in der[S. 45] ersten und zweiten Person der Mehrzahl ist doch die richtige alte Form noch so lebendig, daß es unverantwortlich wäre, wenn man sie nicht gegen die falsche, die sich auch hier eindrängen will, in Schutz nähme. Unsrer und eurer sind Genitive des besitzanzeigenden Eigenschaftswortes, aber nicht des persönlichen Fürworts. Also: erbarmt euch unser und unsrer Kinder![30]

Derer und deren

Die Genitive der Mehrzahl derer und deren sind der alten Sprache überhaupt unbekannt, sie hat nur der; beide sind – ebenso wie die Genitive der Einzahl dessen und deren – erst im Neuhochdeutschen gebildet worden und als willkommne Unterscheidungen des betonten und lang gesprochnen Determinativs und Relativs der (dēr) von dem gewöhnlich unbetonten und kurz gesprochnen Artikel der (dĕr) festgehalten worden. Derer steht vor Relativsätzen (und verdient dort den Vorzug vor dem schleppenden derjenigen); deren ist Demonstrativum: die Krankheit und deren Heilung (d. i. ihre Heilung) und Relativum: die Krankheiten, deren Heilung möglich ist. Falsch ist es also, wenn Relativsätze angefangen werden: in betreff derer, vermöge derer.

Ein ganz neuer Unsinn, den man jetzt bisweilen lesen muß, ist dessem und derem: der Dichter, dessem löblichen Fortschreiten ich mit Freuden folge – die Geschäfte werden inzwischen von dessem Stellvertreter besorgt – die fremde Kunst, bei derem Studium der Deutsche seine eigne Kunst vergaß – für die Behörden zu derem alleinigen Gebrauch ausgefertigt. Der Dativ, der in diesen Sätzen steht, hat gleichsam den vorangehenden abhängigen Genitiv angesteckt und dadurch die Mißbildungen geschaffen. Die Verirrung geht aber wohl öfter in den Köpfen der Setzer als in denen der Schriftsteller vor; bei der Korrektur lesen die Verfasser über[S. 46] den Unsinn weg, und so wird er mit gedruckt. Auch dergleichem findet sich schon: er ist zu Verschickungen und dergleichem gebraucht worden.[31]

Einundderselbe

Der arge Mißbrauch, der mit dem Pronomen derselbe getrieben wird (daß man es fortwährend für er oder dieser gebraucht; vgl. S. 226), hat dazu geführt, daß man nun einundderselbe sagen zu müssen glaubt, wo man derselbe mit seiner wirklichen Bedeutung meint. Diese überflüssige Zusammensetzung wird vollends schleppend, wenn man sie pedantisch dekliniert: eines und desselben, einem und demselben. Wer sie nicht entbehren zu können glaubt, der schreibe wenigstens: an einunddemselben Tage, im Laufe einunddesselben Jahres, in einundderselben Hand. Dieselbe Freiheit nimmt man sich ja auch bei Grund und Boden: die Entwertung des Grund und Bodens (als ob beides nur ein Wort wäre), nicht des Grundes und Bodens; ebenso: ein Hut mit blau und weißem Band, wenn nicht zwei verschiedenfarbige Bänder gemeint sind, sondern ein zweifarbiges.

Man

Daß auch das unpersönliche Fürwort man dekliniert werden kann, dessen sind sich die allerwenigsten bewußt. In der lebendigen Rede bilden sie zwar, ohne es zu wissen, die casus obliqui ganz richtig, aber wenn sie die Feder in die Hand nehmen, getrauen sie sich nicht, sie hinzuschreiben, sondern sinnen darüber nach, wie sie sich ausdrücken sollen. Der Junge, der von einem andern Jungen geneckt wird, sagt: laß einen doch gehn! und wenn er sich über den Necker beschwert, sagt er: der neckt einen immer. Auch der Erwachsne sagt: das kann einem alle Tage begegnen. Und Lessing schreibt: macht[S. 47] man das, was einem so einfällt? – so was erinnert einen manchmal, woran man nicht gern erinnert sein will – muß man nicht grob sein, wenn einen die Leute sollen gehn lassen? – Goethe sagt sogar: eines Haus und Hof steht gut, aber wo soll bar Geld herkommen? Es ist also klar, die casus obliqui von man werden in der lebendigen Sprache gebildet durch eines, einem, einen. Aber viele scheinen diese Ausdrucksweise jetzt nicht mehr für fein zu halten, scheinen sich einzubilden, daß sie nur der niedrigen Umgangssprache zukomme. Das ist bloßer Aberglaube, man kann sich gar nicht besser ausdrücken, als wie es Goethe getan hat, wenn er z. B. sagt: wenn man für einen reichen Mann bekannt ist, so steht es einem frei, seinen Aufwand einzurichten, wie man will.

Jemandem oder jemand?

In jemand und niemand ist das d ein unorganisches Anhängsel. Die Wörter sind natürlich mit man (Mann) zusammengesetzt (ieman, nieman), im Mittelhochdeutschen heißen Dativ und Akkusativ noch iemanne, niemanne, ieman, nieman. Da sich das Gefühl dafür durchaus noch nicht verloren hat, da es jedermann noch versteht, wenn man sagt: ich habe niemand gesehen, du kannst niemand einen Vorwurf machen, so ist nicht einzusehen, weshalb die durch Mißverständnis entstandnen Formen jemandem, niemandem, jemanden, niemanden den Vorzug verdienen sollten.

Jemand anders

Der gute Rat, bei den Adjektiven, deren Stamm auf er endigt, immer die schönen, kräftigen Formen: unsers, andern den weichlichen Formen: unsres, andren vorzuziehen (vgl. S. 29), erleidet eine Ausnahme bei dem Neutrum anders. Unser heutiges Umstandswort anders (ich hätte das anders gemacht) ist ursprünglich nichts „andres“ als das Neutrum von andrer, andre, andres (ein andres Kleid). Die Sprache hat sich hier des ganz äußerlichen Mittels bedient, das einemal den Vokal der Endung, das andremal den des Stammes[S. 48] auszuwerfen, um einen Unterschied zwischen Adjektiv und Adverb zu schaffen. (Ebenso bei besondres und besonders.) An diesem Unterschied ist natürlich nun festzuhalten, niemand wird schreiben ein anders Kleid. Zum Glück hat sich aber in der lebendigen Sprache in den Verbindungen: wer anders, was anders, jemand anders, niemand anders die kräftigere Form erhalten; man sagt: wer anders sollte mir helfen? – das ist niemand anders gewesen als du – und die Schlußzeile einer bekannten Fabel: ja, Bauer, das ist ganz was anders – ist durchaus nicht bloß wegen des Reimes auf Alexanders so geschrieben. In allen diesen Verbindungen ist anders nicht etwa als Adverb aufzufassen, sondern es ist der Genitiv des geschlechtslosen Neutrums, das zur Bezeichnung beider Geschlechter dient, wie in jemand fremdes. Darnach kann nun auch kein Zweifel sein, wie diese Verbindungen zu deklinieren sind. Der Volksmund hat das richtige, wenn er sagt: von wem anders soll ich mir denn helfen lassen? – ich bin mit niemand anders in Berührung gekommen. Mit niemand anderm ist falsch, freilich nicht viel falscher als: von was anderm, zu was besserm, zu nichts gutem, wo auch das abhängige Wort, das eigentlich im Genitiv stehen müßte, die Kasusbezeichnung übernommen hat, die in was und nichts nicht zum Ausdrucke kommt.

Ein andres und etwas andres

Das Neutrum von jemand anders heißt etwas andres, im Volksmunde was andres. Die Mutter sagt: ich habe dir was schönes oder etwas schönes mitgebracht. Ebenso etwas gutes, etwas rechtes, etwas wahres, etwas großes, etwas wesentliches, etwas neues, etwas weiteres. Dieses schlichte was oder etwas verschmäht man aber jetzt, man schreibt: und noch ein andres muß ich erwähnen – zunächst möchte ich ein allgemeines voranschicken – und nun können wir noch ein weiteres hinzufügen – man darf nicht glauben, daß damit ein wesentliches gewonnen sei – auch der reichhaltigste Stoff muß ein[S. 49] spezifisches haben, das ihn von tausend andern unterscheidet; und man kommt sich äußerst vornehm vor, wenn man so schreibt. Sogar ein Lied von Oskar von Redwitz, das in der Komposition von Liszt das Entzücken aller Backfische ist, fängt an: Es muß ein wunderbares sein ums Lieben zweier Seelen! Es ist aber nichts als alberne Ziererei. Poetischer wird das Lied durch das ein sicherlich nicht.

„Etwas andres“ ist es, wenn ein nicht das unbestimmte Fürwort, sondern das Zahlwort bedeuten soll, z. B.: dann hätte das Unternehmen wenigstens ein gutes gehabt. Das ist natürlich ebenso richtig wie: das eine gute.

Zahlwörter

Gegen die richtige Bildung der Zahlwörter werden nur wenig Verstöße begangen; es ist auch kaum Gelegenheit dazu. Lächerlich ist es, daß manche Leute immer sechszig und siebenzig drucken lassen, denn in ganz Deutschland sagt man sechzig und siebzig. Für fünfzehn und fünfzig sagen manche lieber funfzehn und funfzig. Im Althochdeutschen stand neben unflektiertem funf ein flektiertes funfi, woraus im Mittelhochdeutschen fünfe wurde. Funfzig ist nun mit funf gebildet, mit fünf dagegen fünfzehn und fünfzig, die in der Schriftsprache die Oberhand gewonnen haben.[32]

Statt hundertunderste kann man jetzt öfter lesen: hundertundeinte, aber doch nur nach dem unbestimmten Artikel: nicht als ob ich zu den hundert Fausterklärungen noch eine hundertundeinte hinzufügen wollte. Es schwebt dabei wohl weniger die Reihenfolge und der neue letzte Platz in dieser Reihenfolge vor, als die Zahl, die von hundert auf hundertundeins steigt. Trotzdem hat die Form keine Berechtigung.

Die Bildungen anderthalb (d. h. der andre, der zweite halb), drittehalb (2½), viertehalb (3½) sind[S. 50] jetzt mehr auf die Umgangssprache beschränkt; in der Schriftsprache sind sie seltner geworden. Es ist aber nichts gegen sie einzuwenden.

Starke und schwache Konjugation

Wie bei den Hauptwörtern zwischen einer starken und einer schwachen Deklination, so unterscheidet man bei den Zeitwörtern zwischen einer starken und einer schwachen Konjugation. Starke Zeitwörter nennt man die, die ihre Formen nur durch Veränderung des Stammwortes bilden, schwache die, die zur Bildung ihrer Formen andrer Mittel bedürfen. Ein starkes Zeitwort ist: ich springe, ich sprang, ich bin gesprungen, ein schwaches: ich sage, ich sagte, ich habe gesagt. Die Veränderung des Stammvokals nennt man den Ablaut, die verschiednen Wege, die der Ablaut einschlägt, die Ablautsreihen.[33] Die wichtigsten Ablautsreihen sind: ei, i, i (reite, ritt, geritten), ei, ie, ie (bleibe, blieb, geblieben), ie, o, o (gieße, goß, gegossen), i, a, u (binde, band, gebunden), i, a, o (schwimme, schwamm, geschwommen), e, a, o (nehme, nahm, genommen), i, a, e (bitte, bat, gebeten), e, a, e (lese, las, gelesen), a, u, a (fahre, fuhr, gefahren). Außerdem gibt es noch eine Mischgruppe mit ie im Imperfekt und einunddemselben Vokal im Präsens und im Partizip, wie falle, fiel, gefallen, stoße, stieß, gestoßen, rufe, rief, gerufen, laufe, lief, gelaufen, heiße, hieß, geheißen, wofür man jetzt bisweilen falsch gehießen hören muß, als ob es in die zweite Ablautsreihe gehörte.

Fast noch bewundernswürdiger als in der Deklination der Hauptwörter ist in der Flexion der Zeitwörter die Sicherheit, mit der auch der Mindergebildete der Fülle und Mannigfaltigkeit der Formen gegenübersteht. Freilich gibt es auch hier Schwankungen und Verirrungen, darunter sogar recht ärgerliche und beschämende. Es gibt Verbalstämme, die eine starke und auch eine schwache Flexion erzeugt haben mit verschiedner Bedeutung; da ist dann Verwechslung eingetreten. Es gibt aber auch Zeitwörter,[S. 51] die sich bloß in die andre Flexion verirrt haben ohne Bedeutungswechsel. Bei gutem Willen ist aber doch vielleicht auch hier noch manches zu verhüten oder aufzuhalten.

Verschieden flektierte und schwankende Zeitwörter

Das intransitive hangen und das transitive hängen (eigentlich henken) jetzt noch streng auseinanderhalten zu wollen wäre wohl vergebliches Bemühen. Wenn auch im Perfekt noch richtig gesagt wird: ich habe das Bild aufgehängt, und aufgehangen hier als fehlerhaft empfunden wird, so hat sich doch leider fast allgemein eingebürgert: ich hing den Hut auf, und hangen, abhangen, zusammenhangen erscheint uns altertümlich gesucht, obwohl es das richtige ist (Heine: und als sie kamen ins deutsche Quartier, sie ließen die Köpfe hangen). Ähnlich verhält sichs mit wägen und wiegen; man sagt jetzt ebenso: der Bäcker wiegt das Brot, wie: das Brot wiegt zu wenig, obwohl es im ersten Falle eigentlich wägt heißen müßte. Auch bei schmelzen, löschen und verderben ist von Rechts wegen zwischen einer transitiven schwachen und einer intransitiven starken Flexion zu unterscheiden: die Sonne schmelzt den Schnee, hat den Schnee geschmelzt, aber der Schnee schmilzt, er ist geschmolzen; der Wind löscht das Licht aus, hat es ausgelöscht, aber das Licht verlischt, ist verloschen; das Fleisch verdirbt, verdarb, ist verdorben, aber der schlechte Umgang verderbt die Jugend, verderbte sie, hat sie verderbt. Leider wird der Unterschied nicht überall mehr beobachtet (am ehesten noch bei löschen). Sehr in Verwirrung geraten sind das intransitive und das transitive schrecken. Das intransitive erschrecken wird allgemein noch richtig flektiert: du erschrickst, er erschrickt, ich erschrak, ich bin erschrocken (in der niederdeutschen Vulgärsprache: ich habe mich erschrocken!); ebenso das transitive: du erschreckst mich, ich erschreckte, ich habe erschreckt. Bei aufschrecken und zurückschrecken aber hat die schwache Form die starke fast ganz verdrängt; selten, daß man noch einmal richtig liest: daß die Sozialdemokratie hiervor nicht zurückschrickt.[S. 52] Von dem ursprünglich intransitiven stecken (der Schlüssel steckt an der Tür) hat sich ein transitives stecken abgezweigt (ich stecke den Schlüssel an die Tür). Beide werden jetzt meist schwach flektiert; das intransitive war aber früher stark: wo stickst du? Und mundartlich heißt es ja noch heute: der Schlüssel stak.

Schlechterdings nicht verwechselt werden sollte gesonnen und gesinnt, geschaffen und geschafft. Gesonnen kann nur die Absicht oder den Willen bedeuten: ich bin gesonnen, zu verreisen; gesinnt, das gar nicht von dem Zeitwort sinnen, sondern von dem Hauptwort Sinn gebildet ist (wie gewillt nicht von wollen, sondern von Wille), kann nur von der Gesinnung gebraucht werden: er war gut deutsch gesinnt, er ist mir feindlich gesinnt. Schaffen bedeutet in der starken Flexion (schuf, geschaffen) die wirklich schöpferische Tätigkeit, das Hervorbringen: der Dichter hat ein neues Werk geschaffen. Ist aber nur arbeiten, hantieren, ausrichten, bewirken, bringen (z. B. Waren auf den Markt schaffen) gemeint, so muß es schwach flektiert werden (schaffte, geschafft). Von Rat schaffen also, Nutzen schaffen, Abhilfe schaffen, Ersatz schaffen, Raum schaffen, Luft schaffen und dem jetzt in der Zeitungssprache so beliebten Wandel schaffen dürfen durchaus nur die schwachen Formen gebildet werden; es ist falsch, zu sagen: hier muß Wandel geschaffen werden. Ein neuer Raum (ein Zimmer, ein Saal) kann geschaffen werden, aber Raum (Freiheit der Bewegung) wird geschafft.

Auch das starke Zeitwort schleifen (schliff, geschliffen) hat im Laufe der Zeit ein schwaches von sich abgespaltet (schleifte, geschleift), das andre Bedeutung hat. Das Messer wird geschliffen, aber die Kleiderschleppe wird über den Boden geschleift. Früher wurden auch Städte und Festungen geschleift, auch Verbrecher auf einer Kuhhaut auf den Richtplatz geschleift; jetzt wird nur noch ein Student vom andern in die Kneipe geschleift, und dort wird dann gekneipt (nicht geknippen), denn kneipen „in diesem Sinne“ ist nur eine Ableitung von Kneipe.

[S. 53]

Zwei ganz verschiedne Verba, ein starkes und ein schwaches, begegnen einander in laden. Zwar werden jetzt ebenso Gäste geladen wie Kohlen und Gewehre, auch sagt man schon in beiden Fällen: ich lud. Im Präsens wird aber doch noch bisweilen unterschieden zwischen: du ladest oder er ladet mich ein (Schiller: es lächelt der See, er ladet zum Bade) und: er lädt das Gewehr.

Sehr unangenehm fällt die fortwährende Vermischung von dringen und drängen auf. Dringen ist intransitiv und hat zu bilden: ich drang vor, ich bin vorgedrungen. Drängen dagegen ist transitiv oder reflexiv und kann nur bilden: ich drängte, ich habe gedrängt; also auch: ich drängte mich vor, ich habe mich vorgedrängt, es wurde mir aufgedrängt. Durchaus falsch ist: ich dringe mich nicht auf, ich habe mich nicht aufgedrungen, diese Auffassung hat sich mir aufgedrungen.

Eine ärgerliche Verwirrung ist bei dünken eingerissen. Man sollte dieses Wort, das ohnehin für unser heutiges Sprachgefühl etwas gesucht altertümelndes hat, doch lieber gar nicht mehr gebrauchen, wenn man es nicht mehr richtig flektieren kann! Das Imperfekt von dünken heißt deuchte; beide Formen verhalten sich zueinander ebenso wie denken und dachte, womit sie ja auch stammverwandt sind. Aus deuchte hat man aber ein Präsens deucht gemacht, noch dazu falsch mit dem Dativ verbunden: mir deucht (!). Wer sich ganz besonders fein ausdrücken will, sagt immer: mir deucht (statt mir scheint) und macht dabei zwei Schnitzer in zwei Worten. Das richtige ist: mich dünkt und mich deuchte.

Willfahren und radebrechen (eine Sprache) sind nicht mit fahren und brechen zusammengesetzt, sondern von Hauptwörtern abgeleitet, von einem nicht mehr vorhandnen willevar und von der Radebreche, einer abschüssigen, für die Wagen gefährlichen Straßenstelle.[34] Beide werden also richtig schwach flektiert: er willfahrt,[S. 54] willfahrte, hat gewillfahrt, er radebrecht, radebrechte, hat geradebrecht.

Von manchen schwachen Verben ist vereinzelt ein starkes Partizip gebräuchlich mit einer besonders gefärbten Bedeutung, z. B. verschroben (von schrauben), verwunschen (der verwunschne Prinz, von verwünschen), unverhohlen (ich habe ihm unverhohlen meine Meinung gesagt, von verhehlen).

Frägt und frug

Eine Schande ist es – nicht für die Sprache, die ja nichts dafür kann, wohl aber für die Schule, die das recht gut hätte verhüten können und doch nicht verhütet hat –, mit welcher Schnelligkeit in ganz kurzer Zeit die falschen Formen frägt und frug um sich gegriffen haben, auch in Kreisen, die für gebildet gelten wollen und den Anspruch erheben, ein anständiges Deutsch zu sprechen. Der Fehler wird deshalb so ganz besonders widerwärtig, weil sichs dabei um ein Zeitwort handelt, das hundertmal des Tags gebraucht wird. Das immer falsch hören und – lesen zu müssen, ist doch gar zu greulich.

Die Zeitwörter mit ag im Stamme teilen sich in zwei Gruppen; die eine Gruppe gehört dem starken Verbum, die andre dem schwachen an. Die erste Gruppe bilden die beiden Verba: ich trage, du trägst – ich trug – ich habe getragen, ich schlage, du schlägst – ich schlug – ich habe geschlagen; sie haben dieselbe Ablautsreihe wie fahre, fuhr, gefahrengrabe, grub, gegrabenwachse, wuchs, gewachsen u. a. Zur zweiten Gruppe gehören: ich sage, du sagst – ich sagte – ich habe gesagt, ich jage, du jagst – ich jagte – ich habe gejagt; ebenso klagen, nagen, plagen, ragen, wagen, zagen. Fragen hat nun seit Jahrhunderten unbezweifelt zur zweiten Gruppe gehört: ich frage, du fragst – ich fragte – ich habe gefragt. Unsre Klassiker kennen keine andre Form. Zwei der besten deutschen Prosaiker, Gellert und Lessing, wissen von frägt und frug gar nichts. Nur ganz vereinzelt findet sich in Versen, also unter dem beengenden Einflusse des Rhythmus, frug; so bei Goethe in den[S. 55] Venezianischen Epigrammen: niemals frug ein Kaiser nach mir, es hat sich kein König um mich bekümmert – bei Schiller im Wallenstein: jawohl, der Schwed frug nach der Jahrszeit nichts. Auch Bürger hat es (Lenore: sie frug den Zug wohl auf und ab, und frug nach allen Namen), und da haben wir denn auch die Quelle: es stammt aus dem Niederdeutschen. Bürger war 1747 in Molmerswende bei Halberstadt geboren; wahrscheinlich sagte man dort schon zu seiner Zeit allgemein frug.[35] Aber noch in den fünfziger und sechziger Jahren des neunzehnten Jahrhunderts hörte man die Dialektform in der gebildeten Umgangssprache so gut wie gar nicht. Auf einmal tauchte sie auf. Und nun ging es ganz wie mit einer neuen Kleidermode, sie verbreitete sich anfangs langsam, dann schneller und immer schneller,[36] und heute schwatzen nicht bloß die Ladendiener und die Ladenmädchen in der Unterhaltung unaufhörlich: ich frug ihn, er frug mich, wir frugen sie, sondern auch der Student, der Gymnasiallehrer, der Professor, alle schwatzens mit, alle Zeitungen, alle Novellen und Romane schreibens, das richtige bekommt man kaum noch zu hören oder zu lesen. Es fehlte nur, daß auch noch gesagt und geschrieben würde: ich habe gefragen, er hat mich gefragen usw.[37] Wie lange wird die alberne Mode[S. 56] dauern? wird sie nicht endlich dem Fluche der Lächerlichkeit verfallen? Alle guten Schriftsteller und alle anständigen Zeitschriften und Zeitungen brauchten nur die falschen Formen beharrlich zu meiden, so würden wir sie bald ebenso schnell wieder lossein, wie sie sich eingedrängt haben.[38]

Merkwürdig ist es, daß in diesem Falle die Sprache einmal aus der schwachen in die starke Konjugation abgeirrt ist. Gewöhnlich verläuft sie sich in umgekehrter Richtung. Wie kleine Kinder, die erst reden lernen, anfangs starke Verba gern nach der schwachen Konjugation bilden: ich schreibte, der Käfer fliegte, der Mann, der da reinkamte, so haben es auch immer die großen Kinder gemacht, die nicht ordentlich hatten reden lernen. So werden falten und spalten, die ursprünglich stark flektiert wurden (falte, fielt, gefalten), jetzt schwach flektiert: mit gefalteten Händen; von spalten hat sich nur das starke Partizip erhalten: gespaltnes Holz. Aber einzelne Zeitwörter sind schon in alter Zeit auch den umgekehrten Weg gegangen; so ist das ursprüngliche geweist und gepreist schon längst durch gewiesen und gepriesen verdrängt worden, und in Mitteldeutschland kann man im Volksmunde hören: es wurde mit der großen Glocke gelauten, ich habe den ganzen Winter kalt gebaden.[39]

Übergeführt und überführt

Auch das transitive führen (d. h. bringen) und das intransitive fahren (d. h. sich bewegen) noch auseinanderhalten zu wollen, wäre vergebliches Bemühen. In beiden Bedeutungen wird schon längst bloß noch fahren gebraucht: ich fahre im Wagen, und der Kutscher fährt mich. Es kann aber gar nichts schaden, wenn man sich an Fuhre, Fuhrmann, Bierführer, dem ältern[S. 57] Buchführer (statt Buchhändler) u. a. den ursprünglichen Unterschied gegenwärtig hält. Und dazu könnte auch überführen dienen, das jetzt in der Zeitungsprache (als Ersatz für transportieren) beliebt geworden ist, wenn man es nur nicht fortwährend falsch flektiert lesen müßte! Täglich muß man in Zeitungen von überführten Kranken und überführten Leichen lesen, das soll heißen: von Personen, die in das oder jenes Krankenhaus oder nach ihrem Tode in die Heimat zum Begräbnis gebracht worden sind. Wie kann sich das Sprachgefühl so verirren! Verbrecher werden überführt, wenn ihnen trotz ihres Leugnens ihr Verbrechen nachgewiesen wird: dann aber werden sie ins Zuchthaus übergeführt, wenn denn durchaus „geführt“ werden muß.

Es gibt eine große Anzahl zusammengesetzter Zeitwörter, bei denen, je nach der Bedeutung, die sie haben, bald die Präposition, bald das Zeitwort betont wird, z. B. übersetzen (den Wandrer über den Fluß) und übersetzen, überfahren (über den Fluß) und überfahren (ein Kind auf der Straße), überlaufen (vom Krug oder Eimer gesagt) und überlaufen (es überläuft mich kalt, er überläuft mich mit seinen Besuchen), überlegen (über die Bank) und überlegen, übergehen (zum Feinde) und übergehen (den nächsten Abschnitt), unterhalten (den Krug am Brunnen) und unterhalten, unterschlagen (die Beine) und unterschlagen (eine Geldsumme), unterbreiten (einen Teppich) und unterbreiten (ein Bittgesuch), hinterziehen (ein Seil) und hinterziehen (die Steuern), umschreiben (noch einmal oder ins Reine schreiben) und umschreiben (einen Ausdruck durch einen andern), durchstreichen (eine Zeile) und durchstreichen (eine Gegend), durchsehen (eine Rechnung) und durchschauen (einen Betrug), umgehen und umgehen, hintergehen und hintergehen, wiederholen und wiederholen usw. Gewöhnlich haben die Bildungen mit betonter Präposition die eigentliche, sinnliche, die mit betontem Verbum eine übertragne, bisweilen auch die einen eine transitive, die andern eine intransitive Bedeutung. Die Bildungen nun, die die Präposition betonen, trennen bei der Flexion die Präposition ab,[S. 58] oder richtiger: sie verbinden sie nicht mit dem Verbum (ich breite unter, ich streiche durch, ich gehe hinter, daher auch hinterzugehen) und bilden das Partizip der Vergangenheit mit der Vorsilbe ge (untergebreitet, durchgestrichen, hintergegangen); die dagegen, die das Verbum betonen, lassen bei der Flexion Verbum und Präposition verbunden (ich unterbreite, ich durchstreiche, ich hintergehe, daher auch zu hintergehen) und bilden das Partizip ohne die Vorsilbe ge (unterbreitet, durchstrichen, hintergangen). Darnach ist es klar, daß von einem Orte zum andern etwas nur übergeführt, aber nicht überführt werden kann. Ebenso verhält sichs mit übersiedeln, wo das Sprachgefühl neuerdings auch ins Schwanken gekommen ist. Richtig ist nur, wann siedelst du über? ich bin schon übergesiedelt, aber nicht: wann übersiedelst du? ich bin schon übersiedelt, die Familie übersiedelte nach Berlin.

Die Verwirrung stammt aus Süddeutschland und namentlich aus Österreich, wo nicht nur der angegebne Unterschied vielfach verwischt wird, sondern überhaupt die Neigung besteht, das Gebiet der trennbaren Zusammensetzung immer mehr einzuschränken. Der Österreicher sagt stets: überführt, übersiedelt; er anerkennt etwas, er unterordnet sich, eine Aufgabe obliegt ihm, er redet von einem unterschobnen Kinde, von dem Text, der einem Liede unterlegt ist, er unterbringt einen jungen Mann in einem Geschäft, er überschäumt vor Entrüstung, er hat die verschiednen Weine des Landes durchkostet usw. Wir sollen uns mit allen Kräften gegen diese Verwirrung wehren, da sie ein Zeichen trauriger Verlotterung des Sprachgefühls ist.

Von den mit miß zusammengesetzten Zeitwörtern sind Partizipia mit oder ohne ge- gebräuchlich, je nachdem man sich lieber miß oder das Verbum betont denkt, also mißlungen, mißraten, mißfallen, mißbilligt, mißdeutet, mißgönnt, mißbraucht, mißhandelt, neben gemißbraucht, gemißbilligt, gemißhandelt. Die Vorsilbe ge- kann aber niemals zwischen miß und das Zeitwort treten, miß bleibt in der Flexion überall[S. 59] mit dem Zeitwort verwachsen. Daher ist es auch falsch, Infinitive zu bilden wie mißzuhandeln, es muß unbedingt heißen: zu mißhandeln, zu mißbrauchen.

Für neubacken wird jetzt öfter neugebacken geschrieben: ein neugebackner Doktor, ein neugebackner Ehemann usw., aber doch immer nur von solchen, die sich die gute alte Form nicht zu schreiben getrauen. Und doch fürchten sie sich weder vor neuwaschen noch vor altbacken noch vor hausbacken.

Ich bin gestanden oder ich habe gestanden?

Ufm Bergli bin i gsässe, ha de Vögle zugeschaut; hänt gesunge, hänt gesprunge, hänt’s Nestli gebaut – heißt es in Goethes Schweizerlied. Ich bin gesessen, gestanden, gelegen ist das Ursprüngliche, das aber in der Schriftsprache längst durch habe gesessen, gestanden, gelegen verdrängt ist. Nur mundartlich lebt es noch fort, und in einer bayrischen oder österreichischen Erzählung aus dem Volksleben läßt man sichs auch gern gefallen, auch in der Dichtersprache (Rückert: es ist ein Bäumlein gestanden im Wald); in einem wissenschaftlichen Aufsatz ist es unerträglich. Wie köstlich aber ist das hänt gesprunge! Die Verba der Bewegung bilden ja das Perfektum alle mit sein; manche können aber daneben auch ein Perfektum mit haben bilden, nämlich dann, wenn das Verbum der Bewegung eine Beschäftigung bezeichnet. Schon im fünfzehnten Jahrhundert heißt es in Leipzig: Der Custos zu S. Niclas hat mit dem Frohnen nach Erbgeld gangen, d. h. er hat den Auftrag ausgeführt, das Geld einzusammeln. Und heute heißt es allgemein: vorige Woche haben wir gejagt, aber: ich bin in der ganzen Stadt herumgejagt, eine Zeit lang bin ich diesem Trugbilde nachgejagt, wir haben die halbe Nacht getanzt, aber: das Pärchen war ins Nebenzimmer getanzt. Jedermann sagt: ich bin gereist, nur der Handlungsreisende nicht, der sagt: ich habe nun schon zehn Jahre gereist, denn das Reisen ist seine[S. 60] Beschäftigung![40] Wenn er aber sagt: Ich bin mit Müller und Kompagnie zehn Jahre lang verkehrt, so ist das falsch: auch verkehren bildet sein Perfektum mit haben. Und geradezu entsetzlich ist es, wenn er seine junge Frau in der Stadt herumführt und ihr ein Haus zeigt mit den Worten: Hier bin ich ein Jahr lang jewohnt! Richtig unterschieden wird wohl allgemein zwischen: er ist mir gefolgt (nachgegangen) und er hat mir gefolgt (gehorcht), er ist fortgefahren (im Wagen) und er hat fortgefahren (zu lügen).

Singen gehört oder singen hören?

Eine der eigentümlichsten Erscheinungen unsrer Sprache, die dem Ausländer, der Deutsch lernen will, viel Kopfzerbrechen macht, wird mit der Frage berührt, ob es heiße: ich habe dich singen gehört oder singen hören.

Bei den Hilfszeitwörtern können, mögen, dürfen, wollen, sollen und müssen und bei einer Reihe andrer Zeitwörter, die ebenfalls mit dem Infinitiv verbunden werden, wie heißen, lehren, lernen, helfen, lassen (lassen in allen seinen Bedeutungen: befehlen, erlauben und zurücklassen), machen, sehen, hören und brauchen (brauchen im Sinne von müssen und dürfen) ist schon in früher Zeit das Partizipium der Vergangenheit, namentlich wenn es unmittelbar vor dem abhängigen Infinitiv stand (der Rat hat ihn geheißen gehen), durch eine Art von Versprechen mit diesem Infinitiv verwechselt und vermengt worden. In der zweiten Hälfte des fünfzehnten Jahrhunderts heißt es bunt durcheinander: man hat ihn geheißen gehen und heißen gehen, und passiv: er ist geheißen gehen, er ist heißen gehen, er ist geheißen zu gehen, ja sogar er ist gegangen heißen. Schließlich drang an der Stelle des Partizips der Infinitiv vollständig durch,[S. 61] namentlich dann, wenn der abhängige Infinitiv unmittelbar davorstand, und so sagte man nun allgemein: ich habe ihn gehen heißen, ich habe ihn tragen müssen, ich habe ihn kommen lassen, ich habe ihn kennen lernen, ich habe ihn laufen sehen, ich habe ihn rufen hören, er hat viel von sich reden machen (Goethe im Faust: ihr habt mich weidlich schwitzen machen, der Kasus macht mich lachen), du hättest nicht zu warten brauchen.[41] Das merkwürdigste ist, daß bei vieren von diesen Zeitwörtern der abhängige Infinitiv ebenfalls erst durch ein Mißverständnis aus dem Partizip entstanden ist, nämlich bei hören, sehen, machen und lassen: ich höre ihn singen, ich mache ihn schwitzen, ich lasse ihn liegen ist ja entstanden aus: ich höre ihn singend, ich mache ihn schwitzend, ich lasse ihn liegend.[42] In der Verbindung also: ich habe ihn singen hören sind, so wunderbar das klingt, zwei Partizipia, eins der Gegenwart und eins der Vergangenheit, durch bloßes Mißverständnis zu Infinitiven geworden! Diese merkwürdige Erscheinung ist aber nun durch jahrhundertelangen Gebrauch in unsrer Sprache so eingebürgert, und sie ist uns so vertraut und geläufig geworden, daß es gesucht, ungeschickt, ja geradezu fehlerhaft erscheint, wenn jemand schreibt: ich habe sie auf dem Ball kennen gelernt – Dozent auf der Hochschule hatte ich werden gewollt (behüt dich Gott! es hat nicht sein gesollt!) – er hatte ein Mädchen mit einem Kinde gewissenlos sitzen gelassen – wir haben die Situation kommen gesehen – über diesen Versuch hat er nie Reue zu empfinden gebraucht – du hast mir das Verständnis erschließen geholfen usw. Wer sich ungesucht ausdrücken[S. 62] will, bleibt beim Infinitiv, ja er dehnt ihn unwillkürlich gelegentlich noch auf sinnverwandte Zeitwörter aus und schreibt: wir hätten diese Schuld auch dann noch auf uns lasten fühlen (statt: lasten gefühlt). (Lenau: Drei Zigeuner fand ich einmal liegen an einer Weide.)

Kommen zwei solche Hilfszeitwörter zusammen, so hilft es nichts, und wenn sich der Papiermensch noch so sehr darüber entsetzt: es stehn dann drei Infinitive nebeneinander: wir hätten den Kerl laufen lassen sollen, laufen lassen müssen, laufen lassen können. Klingt wundervoll und ist – ganz richtig.

Du issest oder du ißt?

In der Flexion innerhalb der einzelnen Tempora können keine Fehler gemacht werden und werden auch keine gemacht. Bei Verbalstämmen, die auf s, ß oder z ausgehen, empfiehlt sichs, im Präsens in der zweiten Person des Singular das e zu bewahren, das sonst jetzt ausgeworfen wird: du reisest, du liesest, du hassest, du beißest, du tanzest, du seufzest. Allgemein üblich ist freilich: du mußt, du läßt, fast allgemein auch: du ißt. Aber zu fragen: du speist doch heute bei mir? wäre nicht fein; zwischen speisen und speien muß man hübsch unterscheiden. (Vgl. auch du haust und du hausest.) Bei Verbalstämmen dagegen, die auf sch endigen, kann man getrost sagen: du naschst, du wäschst, du drischst, du wünschst, sogar du rutschst. Auch in der zweiten Person der Mehrzahl wird das e, wenigstens in Nord- und Mitteldeutschland, schon längst nicht mehr gesprochen; also hat es auch keinen Sinn, es zu schreiben. Über Maueranschläge, wie: Besuchet Augsburg mit seinen Sehenswürdigkeiten, oder: Waschet mit Seifenextrakt, lacht man in Leipzig schon wegen des altmodischen et. Nur bei der Abendmahlsfeier läßt man sich gern gefallen: Nehmet hin und esset.

Stände oder stünde? Begänne oder begönne?

Immer größer wird die Unbeholfenheit, den Konjunktiv des Imperfekts richtig zu bilden. Viele getrauen[S. 63] sichs kaum noch, sie umschreiben ihn womöglich überall durch den sogenannten Konditional (würde mit dem Infinitiv), auch da, wo das nach den Regeln der Satzlehre ganz unzulässig ist (vgl. S. 158). Besonders auffällig ist bei einer Reihe von Zeitwörtern die Unsicherheit über den Umlautsvokal: soll man ä oder ü gebrauchen? Das Schwanken ist dadurch entstanden, daß im Mittelhochdeutschen der Pluralvokal im Imperfektum vielfach anders lautete als der Singularvokal (half, hulfen; wart, wurden), dieser Unterschied sich aber später ausglich. Da nun der Konjunktiv immer mit dem Umlaut des Pluralvokals gebildet wurde, so entstand Streit zwischen ü und ä. Da aber die ursprünglichen Formen (hülfe, stürbe, verdürbe, würbe, würfe) doch noch lebendig sind, so verdienen sie auch ohne Zweifel geschützt und den später eingedrungnen hälfe, stärbe, verdärbe, wärbe, wärfe vorgezogen zu werden. Neben würde ist die Form mit ä gar nicht aufgekommen. Von stehen hieß das Imperfekt ursprünglich überhaupt nicht stand, sondern stund, wie es in Süddeutschland noch heute heißt; das u ging durch den Singular wie durch den Plural. Folglich ist auch hier stünde älter und richtiger als stände. Bei einigen Verben, wie bei beginnen, hat der Streit zwischen ä und ü im Anschluß an das o des Partizips (begonnen) im Konjunktiv des Imperfekts ö in Aufnahme gebracht. Auch diese Formen mit ö (beföhle, begönne, besönne, empföhle, gewönne, gölte, rönne, schölte, schwömme, spönne, stöhle) verdienen, da sie den Formen mit umgewandeltem Pluralvokal entsprechen, den Vorzug vor denen mit ä.

Kännte oder kennte?

Ein Irrtum ist es, wenn man glaubt, aus dem Indikativ kannte einen Konjunktiv kännte bilden zu dürfen. Die sechs schwachen Zeitwörter: brennen, kennen, nennen, rennen, senden und wenden haben eigentlich ein a im Stamm, sind also schon im Präsens umgelautet. Ihr Imperfekt bilden sie ebenso wie das Partizip der Vergangenheit (durch den sogenannten Rückumlaut) mit a: brannte, gebrannt, sandte, gesandt,[S. 64] und da der Konjunktiv bei schwachen Verben nicht umlautet, so sollte er eigentlich ebenfalls brannte, sandte heißen. Zur Unterscheidung hat man aber (und zwar ursprünglich nur im Mitteldeutschen) einen Konjunktiv brennete, kennete, nennete, rennete, sendete und wendete gebildet. Das e dieser Formen ist nicht etwa ein jüngerer Umlaut zu dem a des Indikativs, sondern es ist das alte Umlauts-e, das durch das Präsens dieser Zeitwörter geht. Wirft man nun, wie es jetzt geschieht, aus brennete, kennete das mittlere e aus, das in sendete und wendete beibehalten wird, so bleibt brennte, kennte übrig. In früherer Zeit gehörten noch andre Verba zu dieser Reihe, z. B. setzen und stellen; der Konjunktiv des Imperfekts heißt hier setzte, stellte, der Indikativ und das Partizipium aber hießen früher: sazte, stalte, gesazt, gestalt (das noch in wohlgestalt, mißgestalt, ungestalt erhalten ist).

Deko

[S. 65]

Zur Wortbildungslehre

Deko

[S. 67]

Zierband

Reformer und Protestler

Erstaunlich ist die Fülle und Mannigfaltigkeit in unsrer Wortbildung, noch erstaunlicher die Sicherheit des Sprachgefühls, mit der sie doch im allgemeinen gehandhabt und durch gute und richtige Neubildungen vermehrt wird. Doch fehlt es auch hier nicht an Mißhandlungen und Verirrungen.

Im Volksmund ist es seit alter Zeit üblich, zur Bezeichnung von Männern dadurch Substantiva zu bilden, daß man an ein Substantiv, das eine Sache bezeichnet, oder an ein andres Nomen die Endung er hängt. In Leipzig sprach man im fünfzehnten und sechzehnten Jahrhundert nicht bloß von Barfüßern, sondern nannte auch die Insassen der beiden andern Mönchsklöster kurzweg Pauler und Thomasser, und im siebzehnten Jahrhundert die kurfürstliche Besatzung der Stadt Defensioner. Dazu kamen später die Korrektioner (die Insassen des Arbeitshauses) und die Polizeier, und in neuerer Zeit die Hundertsiebener, die Urlauber, die Sanitäter, die Eisenbahner und die Straßenbahner. Im Buchhandel spricht man von Sortimentern, in der gelehrten Welt von Naturwissenschaftern und Sprachwissenschaftern, in der Malerei von Landschaftern, und in der Politik von Botschaftern, Reformern und – Attentätern![43] Da manche dieser Bildungen unleugbar einen etwas niedrigen Beigeschmack haben, der den von[S. 68] Verbalstämmen gebildeten Substantiven auf er (Herrscher, Denker, Kämpfer) nicht anhaftet, so sollte man sich mit ihnen recht in acht nehmen. In Reformer, das man dem Engländer nachplappert, liegt unleugbar etwas geringschätziges im Vergleich zu Reformator; unter einem Reformer denkt man sich einen Menschen, der wohl reformatorische Anwandlungen hat, es aber damit zu nichts bringt. Noch viel deutlicher liegt nun dieses geringschätzige in den Bildungen auf ler, wie Geschmäckler, Zünftler, Tugendbündler, Temperenzler, Abstinenzler, Protestler, Radler, Sommerfrischler, Barfüßler, Zuchthäusler; deshalb ist es unbegreiflich, wie manche Leute so geschmacklos sein können, von Neusprachlern und von Naturwissenschaftlern zu reden. Eigentlich gehen ja die Bildungen auf ler auf Zeitwörter zurück, die auf eln endigen, wie bummeln, betteln, grübeln, kritteln, sticheln, nörgeln, kränkeln, hüsteln, frömmeln, tänzeln, radeln, anbändeln, sich herumwörteln, näseln, schwäbeln, französeln. So setzen Neusprachler und Naturwissenschaftler die Zeitwörter neuspracheln und naturwissenschafteln voraus; das wären aber doch Tätigkeiten, hinter denen kein rechter Ernst wäre, die nur als Spielerei betrieben würden. An Künstler haben wir uns freilich ganz gewöhnt, obwohl künsteln mit seiner geringschätzigen Bedeutung daneben steht, auch an Tischler und Häusler.

Ärztin und Patin

Von Substantiven, die einen Mann bezeichnen, werden Feminina auf in gebildet: König, KöniginWirt, WirtinKoch, KöchinBerliner, Berlinerin – sogar Landsmann, Landsmännin (während sonst natürlich zu Mann das Femininum Weib oder Frau ist: der Kehrmann, das Waschweib, der Botenmann, die Botenfrau). Von Arzt hat man in letzter Zeit Ärztin gebildet. Manche getrauten sich das anfangs nicht zu sagen und sprachen von weiblichen Ärzten, es ist aber gar nichts dagegen einzuwenden, und es ist abgeschmackt, wenn unsre Zeitungen[S. 69] immer von männlichen und weiblichen Arbeitern, männlichen und weiblichen Lehrern reden statt von Arbeitern und Arbeiterinnen, Lehrern und Lehrerinnen (abgeschmackt auch, wenn es in Polizeiberichten heißt, daß ein neugebornes Kind männlichen oder weiblichen Geschlechts im Wasser gefunden worden sei, statt ein neugeborner Knabe oder ein neugebornes Mädchen). Dagegen ist es nicht gut, ein Femininum auf in zu bilden von Pate, Kunde (beim Kaufmann) und Gast. In der ältern Sprache findet sich zwar zuweilen auch Gästin, auf Theaterzetteln konnte man noch vor gar nicht langer Zeit lesen, daß eine auswärtige Schauspielerin als Gastin auftrete, aber wer möchte noch heute eine Frau oder ein Mädchen seine Gästin oder Gastin nennen? Bei Pate unterscheidet man den Paten und die Pate, je nachdem ein Knabe oder ein Mädchen gemeint ist, und der Kaufmann sagt: das ist ein guter Kunde oder eine gute Kunde von mir. Entsetzlich sind die in der Juristensprache üblichen Bildungen: die Beklagtin, die Verwandtin und – das neueste – die Beamtin. Von Partizipialsubstantiven – und ein solches ist auch der Beamte, d. h. der Beamtete, der mit einem Amte versehene – können keine Feminina auf in gebildet werden; niemand sagt: meine Bekanntin, meine Geliebtin, auch Juristen nicht.

Tintefaß oder Tintenfaß?

Zusammensetzungen aus zwei Substantiven wurden im Deutschen ursprünglich nur so gebildet, daß der Stamm des ersten Wortes, des Bestimmungswortes, an das zweite, das bestimmte Wort vorn angefügt wurde, z. B. Tage-lohn; das e in Tagelohn ist der abgeschwächte Stammauslaut. Später sind zusammengesetzte Wörter auch dadurch entstanden, daß ein vorangehendes Substantiv im Genitiv mit einem folgenden durch einfaches Aneinanderrücken verschmolz, z. B. Gottesdienst, Sonntagsfeier, Tageslicht, Heeressprache, Handelskammer. In manchen Fällen sind jetzt beide Arten der Zusammensetzungen nebeneinander gebräuchlich in verschiedner Bedeutung, z. B. Landmann und[S. 70] Landsmann, Wassernot und Wassersnot. Nun endet bei allen schwachen Femininen der Stamm ursprünglich ebenso wie der Genitiv, beide gehen eigentlich auf en aus, und so haben diese schwachen Feminina eine sehr große Zahl von Zusammensetzungen mit en gebildet, auch in das Gebiet der starken Feminina übergegriffen, sodaß en zum Hauptbindemittel für Feminina überhaupt geworden ist. Man denke nur an Sonnenschein, Frauenkirche (d. i. die Kirche unsrer lieben Frauen, der Jungfrau Maria), Erdenrund, Lindenblatt, Aschenbecher, Taschentuch, Seifensieder, Gassenjunge, Stubentür, Laubendach, Küchenschrank, Schneckenberg, Wochenamt, Gallenstein, Kohlenzeichnung, Leichenpredigt, Reihenfolge, Wiegenlied, Längenmaß, Breitengrad, Größenwahn, Muldental, Pleißenburg, Parthendörfer, Markthallenstraße u. a. Sogar Lehn- und Fremdwörter haben sich dieser Zusammensetzung angeschlossen, wie in Straßenpflaster, Tintenfaß, Kirchendiener, Lampenschirm, Flötenspiel, Kasernenhof, Bastillenplatz, Visitenkarte, Toilettentisch, Promenadenfächer, Kolonnadenstraße. Ein reizendes Bild in der Dresdner Galerie ist das Schokoladenmädchen.

Bei dem einfachen Zusammenrücken von Wörtern stellten sich nun aber Genitive im Plural als erster Teil der Zusammensetzung ein, und das hat neuerdings zu einer traurigen Verirrung geführt. Man bildet sich ein, das Binde-en sei überhaupt nichts andres als das Plural-en, man fühlt nicht mehr, daß dieses en ebenso gut die Berechtigung hat, einen weiblichen Singular mit einem folgenden Substantiv zu verbinden, und so schreibt und druckt man jetzt wahrhaftig aus Angst vor eingebildeten widersinnigen Pluralen: Aschebecher, Aschegrube, Tintefaß, Jauchefaß, Sahnekäse, Hefezelle, Hefepilz, Rassepferd und Rassehund, Stellegesuch, Muldetal, Pleißeufer, Parthebrücke, Gartenlaubekalender, Gartenlaubebilderbuch, Sparkassebuch, Visitekarte, Toiletteseife, Serviettering, Manschetteknopf,[S. 71] Promenadeplatz, Schokoladefabrik usw. In allen Bauzeitungen muß man von Mansardedach und von Lageplan lesen (so haben die Architekten, die erfreulicherweise eifrige Sprachreiniger sind, Situationsplan übersetzt), in allen Kunstzeitschriften von Kohlezeichnungen und Kohledrucken, offenbar damit ja niemand denke, die Zeichnungen oder Drucke wären mit einem Stück Stein- oder Braunkohle aus dem Kohlenkasten gemacht – nicht wahr? Wer nicht fühlt, daß das alles das bare Gestammel ist, der ist aufrichtig zu bedauern. Es klingt genau, wie wenn kleine Kinder dahlten, die erst reden lernen und noch nicht alle Konsonanten bewältigen können. Man setze sich das nur im Geiste weiter fort – was wird die Folge sein? daß wir in Zukunft auch stammeln: Sonneschein, Taschetuch, Brilleglas, Gosestube, Zigarrespitze, Straßepflaster, Roseduft, Seifeblase, Hülsefrucht, Laubedach, Geigespiel, Ehrerettung, Wiegelied, Aschebrödel usw.[44] Sollten einzelne dieser Wörter vor der Barbarei bewahrt bleiben, so könnte es nur deshalb geschehen, weil man annähme, ihr Bestimmungswort stehe im Plural, und der sei richtig, also ein Taschentuch sei nicht ein Tuch für die Tasche, sondern – für die Taschen!

Wo das Binde-en aus rhythmischen oder andern Gründen nicht gebraucht wird, bleibt für Feminina nur noch die eine Möglichkeit, den verkürzten Stamm zu benutzen, der wieder mit dem eigentlichen Stamm der alten starken Feminina zusammenfällt und dadurch überhaupt erst in der Zusammensetzung von Femininen aufgekommen ist. So findet sich in früherer Zeit Leichpredigt neben Leichenpredigt, und so haben wir längst Mühlgasse neben Mühlenstraße, Erdball und Erdbeere neben Erdenrund und Erdenkloß, Kirchspiel und Kirchvater neben Kirchenbuch und Kirchendiener, Elbtal, Elbufer und Elbbrücke[S. 72] neben Muldental und Muldenbett. Vor dreißig Jahren sagte man Lokomotivenführer, und das war gut und richtig. Neuerdings hat die Amtssprache Lokomotivführer durchgedrückt. Das ist zwar ganz häßlich, denn nun stoßen zwei Lippenlaute (v und f) aufeinander, aber es ist ja zur Not auch richtig. Aber ein Wort wie Saalezeitung oder Solebad, wie man auch neuerdings lallt (das Solebad Kissingen), ist doch die reine Leimerei. Bei Saalzeitung könnte wohl einer an den Saal denken statt an die Saale? Denkt denn beim Saalkreis, beim Saalwein und bei der Saalbahn jemand dran?[45] Die Amtssprache fängt jetzt freilich auch an, vom Saalekreis zu stammeln. Als 1747 das erste Rhinozeros nach Deutschland kam, nannten es die Leute bald Nashorn, bald Nasenhorn. Hätte man das Tier heute zu benennen, man würde es unzweifelhaft Nasehorn nennen.[46] Das Neueste ist, daß sich die Herren von der Presse jetzt Pressevertreter nennen und bisweilen ein Pressefest oder einen Presseball veranstalten. Von einem Preßfest oder einem Preßball zu reden fürchten sie sich, offenbar damit niemand an die Preßwurst denke! Ein Glück, daß die Wörter Preßfreiheit, Preßgesetz, Preßvergehen, Preßpolizei, Preßbureau schon in einer Zeit gebildet worden sind, wo die Herren von der Presse noch deutsch reden konnten!

Besonders bei der Zusammensetzung mit Namen wird jetzt (z. B. bei der Taufe neuer Straßen oder Gebäude) fast nur noch in dieser Weise geleimt. Wer wäre vor[S. 73] hundert Jahren imstande gewesen, eine Straße Augustastraße, ein Haus Marthahaus, einen Garten Johannapark zu nennen! Da sagte man Annenkirche, Katharinenstraße, Marienbild, und es fiel doch auch niemand ein, dabei an eine Mehrzahl von Annen, Katharinen oder Marien zu denken.

Speisenkarte oder Speisekarte?

Da haben also wohl die Schenkwirte, die statt der früher allgemein üblichen Speisekarte eine Speisenkarte eingeführt haben, etwas recht weises getan? Sie haben den guten alten Genitiv wiederhergestellt? Nein, daran haben sie nicht gedacht, sie haben die Mehrzahl ausdrücken wollen, denn sie haben sich überlegt: auf meiner Karte steht doch nicht bloß eine Speise. Damit sind sie aber auch wieder gründlich in die Irre geraten. In Speisekarte ist die erste Hälfte gar nicht durch das Hauptwort Speise gebildet, sondern durch den Verbalstamm von speisen. Alles, was zum Speisen gehört: die Speisekammer, das Speisezimmer, der Speisesaal, das Speisegeschirr, der Speisezettel – alles ist mit diesem Verbalstamm zusammengesetzt. So ist auch die Speisekarte nicht die Karte, auf der die Speisen verzeichnet stehen, sondern die Karte, die man beim Speisen gebraucht, wie die Tanzkarte die Karte, die man beim Tanzen gebraucht, das Kochbuch das Buch, das man beim Kochen benutzt, die Spielregel die Regel, die man beim Spielen beobachtet, die Bauordnung die Ordnung, nach der man sich beim Bauen richtet, der Fahrplan der Plan, der uns darüber belehrt, wann und wohin gefahren wird, die Singweise die Weise, nach der man singt, das Stickmuster das Muster, nach dem man stickt, die Zählmethode die Methode, nach der man zählt. Alle diese Wörter sind mit einem Verbalstamm zusammengesetzt. Hätten die Schenkwirte mit ihrer Speisenkarte Recht, dann müßten sie doch auch Weinekarte sagen.[47] Glücklicherweise[S. 74] läßt sich der Volksmund nicht irremachen. Niemals hört man in einer Wirtschaft eine Speisenkarte verlangen, es wird aber immer nur gedruckt, entweder auf Verlangen der Wirte, die damit etwas besonders feines ausgeheckt zu haben glauben, oder auf Drängen der Akzidenzdrucker, die es den Wirten als etwas besonders feines aufschwatzen. Ganz lächerlich ist es, wenn manche Wirte einen Unterschied machen wollen: eine Speisekarte sei die, auf der ich mir eine Speise aussuchen könne, eine Speisenkarte dagegen ein „Menu“, das Verzeichnis der Speisen bei einem Mahl, wofür man neuerdings auch das schöne Wort Speisenfolge eingeführt hat. Die Speisekarte ist die Karte, die zum Speisen gehört, ob ich mir nun etwas darauf aussuche, oder ob ich sie von oben bis unten abesse.

Ein Gegenstück zur Speisenkarte ist die Fahrrichtung; an den ehemaligen Leipziger Pferdebahnwagen stand: nur in der Fahrrichtung abspringen! Es spricht aber niemand von Fließrichtung, Strömrichtung, Schießrichtung, wohl aber von Flußrichtung, Stromrichtung, Schußrichtung, Windrichtung, Strahlrichtung. Bedenkt man freilich, daß der Volksmund die Fahrtrichtung unzweifelhaft sofort zur Fahrtsrichtung verschönert hätte (nach Mietskaserne), so muß man ja eigentlich für die Fahrrichtung sehr dankbar sein.

Äpfelwein oder Apfelwein?

Unnötigen Aufruhr und Streit erregt bisweilen die Frage, ob in dem Bestimmungswort einer Zusammensetzung die Einzahl oder die Mehrzahl am Platze sei. Einen Braten, der nur von einem Rind geschnitten ist, nennt man in Leipzig Rinderbraten, eine Schüssel[S. 75] Mus dagegen, die aus einem halben Schock Äpfel bereitet ist, Apfelmus. Das ist doch sinnwidrig, heißt es, es kann doch nur das umgekehrte richtig sein! Nein, es ist beides richtig. Es kommt in solchen Zusammensetzungen weder auf die Einzahl noch auf die Mehrzahl an, sondern nur auf den Gattungsbegriff. Im Numerus herrscht völlige Freiheit; die eine Mundart verfährt so, die andre so,[48] und selbst innerhalb der guten Schriftsprache waltet hier scheinbar die seltsamste Laune und Willkür. Man sagt: Bruderkrieg, Freundeskreis, Jünglingsverein, Ortsverzeichnis (neuerdings leider auch Namensverzeichnis und Offizierskasino!), Adreßbuch, Baumschule, Fischteich, Kartoffelernte, Trüffelwurst, Federbett, obwohl hier überall das Bestimmungswort unzweifelhaft eine Mehrzahl bedeutet; dagegen sagt man Kinderkopf (in der Malerei), Liedervers, Eierschale, Lämmerschwänzchen, Hühnerei, Städtename, Gänsefeder, obwohl ein Vers nur zu einem Liede, eine Schale nur zu einem Ei gehören kann. Wer näher zusieht, findet freilich auch hinter dieser scheinbaren Willkür gute Gründe. Baumschule, Bruderkrieg und Fischteich sind noch nach der ursprünglichen Zusammensetzungsweise, die nach singularischer oder pluralischer Bedeutung des Bestimmungswortes nicht fragte, mit dem bloßen Stamme des ersten Wortes gebildet. Jünglingsverein und Ortsverzeichnis haben das s, das eigentlich nur dem vorgesetzten maskulinen Genitiv zukommt, aber von da aus weiter gegriffen hat und zum Bindemittel schlechthin, selbst für pluralisch gemeinte Substantiva, geworden ist; auch Freundeskreis ist ein Absenker dieser Bildungsweise. Und ebenso natürlich erklärt sich die Gruppe mit scheinbar pluralischer Form und singularischer Bedeutung. In ihr kommen nur Neutra mit der Pluralendung er und umgelautete Feminina in Frage. Aber sowohl der Umlaut der Feminina wie das er (und der[S. 76] Umlaut) der Neutra gehörte in alter Zeit nicht nur dem Plural, sondern dem Stamme dieser Wörter an, und daß es sich bei den Zusammensetzungen mit ihnen um nichts weiter als um den Stamm handelt, können wir bei einigem guten Willen noch jetzt nachfühlen. Kein Mensch denkt bei dem Worte Gänseblume an mehrere Gänse, sondern jeder nur an den Begriff Gans, so gut wie er bei Rinderbrust nicht mehrere Rinder vor Augen hat.

Trotz alledem ist natürlich Äpfelwein neben Apfelwein nicht zu verurteilen. Der wirklich pluralischen Zusammensetzungen und der pluralisch gefühlten gibt es zu viel, als daß ihnen ein Eingreifen in dieses Gebiet der Zusammensetzungen mit Gattungsbegriffen verwehrt werden könnte. Schwankt man doch auch in Zusammensetzungen wie Anwaltstag, Juristentag, Ärztetag, Bischofkonferenz, Rektorenkonferenz, Gastwirtverein, Gastwirtstag, Architektenverein u. a. Wenn etwas hier bestimmend wäre, so könnte es nur der Wohlklang sein. Die schwach deklinierten ziehen augenscheinlich den Plural, die stark deklinierten den Singular vor; zu Ärztetag hat man ausnahmsweise gegriffen, weil Arzttag undeutlich, Arztstag unerträglich klingt, während gegen eine Arztversammlung niemand etwas einwenden wird, also auch die Ärztekammer (statt Arztkammer) überflüssig war, ebenso überflüssig wie der Wirteverein. Höchst ärgerlich aber ist es, wenn man, nachdem man vierzig Jahre lang von Kollegienheften hat sprechen hören, plötzlich an dem Ladenfenster eines Schreibwarenkrämers Kolleghefte angepriesen sieht. Aber der gute Mann macht es ja bloß den Professoren nach, die jetzt keine Kollegiengelder mehr beanspruchen, sondern Kolleggelder!

Zeichnenbuch oder Zeichenbuch?

Die falschen Zusammensetzungen Zeichnenbuch, Zeichnensaal, Rechnenheft sind in der Schule, wo sie sich früher auch breitmachten, jetzt wohl überall glücklich wieder beseitigt; außerhalb der Schule aber spuken sie doch noch und gelten noch immer manchen[S. 77] Leuten für das Richtige. In Wahrheit sind es Mißbildungen. Wenn in Zusammensetzungen das Bestimmungswort ein Verbum ist, so kann dieses nur in der Form des Verbalstammes erscheinen; daher heißt es: Schreibfeder, Reißzeug, Stimmgabel, Druckpapier, Stehpult, Rauchzimmer, Laufbursche, Spinnstube, Trinkhalle, Springbrunnen, Zauberflöte, oder auch mit einem Bindevokal: Wartesaal, Singestunde, Bindemittel.[49] Nun gibt es aber Verbalstämme, die auf n ausgehen, z. B. zeichen, rechen, trocken, turn; die Infinitive dazu heißen: rechnen (eigentlich rechenen), zeichnen (eigentlich zeichenen), trocknen, turnen. Werden diese in der Zusammensetzung verwendet, so können natürlich nur Formen entstehen wie Rechenstunde, Zeichensaal, Trockenplatz, Turnhalle. Wäre Rechnenbuch und Zeichnensaal richtig, so müßte man doch auch sagen: Trocknenplatz, Turnenhalle, ja auch Schreibenfeder und Singenstunde.

Das Binde-s

In ganz unerträglicher Weise greift jetzt das unorganisch eingeschobne s in zusammengesetzten Wörtern um sich. In Himmelstor, Gotteshaus, Königstochter, Gutsbesitzer, Feuersnot, Wolfsmilch kann man ja überall das s als die Genitivendung des männlichen oder sächlichen Bestimmungswortes auffassen, wiewohl es auch solche Zusammensetzungen gibt, in denen der Genitiv keinen Sinn hat, das s also nur als Bindemittel betrachtet werden kann, z. B. Rittersmann, segensreich (Schiller hat in der Glocke noch richtig segenreiche Himmelstochter geschrieben). Aber wie kommt das s an Wörter weiblichen Geschlechts, die gar keinen Genitiv auf s bilden können? Wie ist man dazu gekommen, zu bilden: Liebesdienst, Hilfslehrer,[S. 78] Geschichtsforscher, Bibliotheksordnung, Arbeitsliste, Geburtstag, Hochzeitsgeschenk, Weihnachtsabend, Fastnachtsball, Zukunftsmusik, Einfaltspinsel, Zeitungsschreiber, Hoheitsrecht, Sicherheitsnadel, Wirtschaftsgeld, Konstitutionsfest, Majestätsbeleidigung, ausnahmsweise, rücksichtsvoll, vorschriftsmäßig?

Dieses Binde-s stammt ebenso wie das falsche Plural-s (vgl. S. 23) aus dem Niederdeutschen. Dort wird es wirklich aus Verlegenheit gebraucht, um von artikellosen weiblichen Hauptwörtern einen Genitiv zu bilden, natürlich immer nur dann, wenn er dem Worte, von dem er abhängt, voransteht, wie Mutters Liebling, vor Schwesters Tür, Madames Geschenk (Lessing: Antworts genug, über Naturs Größe), und so ist aus diesem Verlegenheits-s dann das Binde-s geworden. Es gehört aber erst der neuern Zeit an. Im Mittelhochdeutschen findet es sich nur vereinzelt, erst im Neuhochdeutschen ist es eingedrungen, hat sich dann mit großer Schnelligkeit verbreitet und sucht sich noch immer weiter zu verbreiten. Schon fängt man an zu sagen: Doktorsgrad, Wertspapiere, Raumsgestaltung, Gesteinsmassen, Gewebslehre, Gesangsunterricht, Kapitalsanlage, Inventursaufnahme, Examensvorbereitung, Aufnahmsprüfung, Einnahmsquelle, teilnahmslos, Niederlagsraum, Schwadronsbesichtigung, ja in einzelnen Gegenden Deutschlands, namentlich am Rhein, sogar schon Stiefelsknecht, Erbsmasse (statt Erbmasse), Ratshaus, Stadtsgraben, Nachtswächter, Zweimarksstück, Schiffsbruch, Kartoffelsbrei u. a. In Leipzig sind wir neuerdings mit einem Kajütsbureau beglückt worden (!), und die sächsischen Eisenbahnen reden seit einiger Zeit nur noch von Zugsverkehr, Zugsverbindungen und Zugsverspätungen. Das widerwärtigste aber wegen ihrer Häufigkeit sind wohl die Zusammensetzungen mit Miets- und Fabriks-: das Mietshaus, die Mietskaserne, der Mietsvertrag, der Mietspreis, der Fabriksdirektor, das Fabriksmädchen, das tollste der in[S. 79] rheinischen Städten übliche Stehsplatz und der Verpflegsdienst. Das Binde-s hinter einem Verbalstamm eingeschmuggelt!

Nur eine Wortgattung hat sich des Eindringlings bis jetzt glücklich erwehrt: die Stoffnamen. Von Gold, Silber, Wein, Kaffee, Mehl, Zucker usw. wird nie eine Zusammensetzung mit dem Binde-s gebildet. Nur mit Tabak hat man es gewagt: Tabaksmonopol, Tabaksmanufaktur, natürlich durch das verwünschte k verführt. Der Fabrikstabak und die Tabaksfabrik sind einander wert. Die Tabakspfeife geht freilich schon weit zurück.

Wo das falsche s einmal festsitzt, da ist nun freilich jeder Kampf vergeblich, und das ist der Fall bei allen Zusammensetzungen mit Liebe, Hilfe, Geschichte, hinter vielen weiblichen Wörtern, die auf t endigen, ferner bei allen, die mit ung, heit, keit und schaft gebildet sind, endlich bei den Fremdwörtern auf ion und tät. Hier jetzt noch den Versuch zu machen, das s wieder loszuwerden, wäre wohl ganz aussichtslos.[50] Wo es sich aber noch nicht festgesetzt hat, wo es erst einzudringen versucht, wie hinter Fabrik und Miete, da müßte doch der Unterricht alles aufbieten, es fernzuhalten, das Sprachgefühl für den Fehler wieder zu schärfen.[51] Es ist das nicht so schwer, wie es auf den ersten Blick scheint, denn dieses Binde-s ist ein solcher Wildling, daß es nicht die geringste Folgerichtigkeit kennt. Warum sagt man Rindsleder, Schweinsleder, vertragsbrüchig, inhaltsreich, beispielsweise, hoffnungslos, da man doch Kalbleder, Schafleder, wortbrüchig, gehaltreich, schrittweise, gefühllos sagt? Hie und da scheint wieder der Wohllaut im Spiele zu sein, aber doch nicht immer.

[S. 80]

Nach Hilfe wird übrigens in der guten Schriftsprache ein Unterschied beobachtet: man sagt Hilfsprediger, Hilfslehrer, Hilfsbremser, hilfsbedürftig und hilfsbereit, auch aushilfsweise, dagegen Hilferuf und Hilfeleistung, weil man bei diesen beiden das Akkusativverhältnis fühlt, bei den übrigen bloß die Zusammensetzung. Ähnlich ist es mit Arbeitgeber im Gegensatz zu Arbeitsleistung, Arbeitsteilung, mit staatserhaltend und vaterlandsliebend im Gegensatz zu kriegführend, rechtsuchend, betriebstörend. Niemand redet von kriegsführenden Mächten, auch nicht von Kriegsführung, weil hier die einzelne Handlung vorschwebt und deshalb der Akkusativ (Krieg) deutlich gefühlt wird, während vaterlandsliebend und staatserhaltend eine dauernde Gesinnung bezeichnen. Was nützt aber die Freude über diesen feinen Unterschied? In der nächsten Zeitungsnummer stößt man auf den geschäftsführenden Ausschuß, auf die verkehrshindernde Barriere und auf die vertragsschließenden Parteien.[52]

ig, lich, isch. Adlig, fremdsprachlich, vierwöchig, zugänglich

Eigenschaftswörter können im Deutschen von Hauptwörtern auf sehr verschiedne Arten gebildet werden: mit ig, lich, isch, sam, bar, haft usw. Zwischen allen diesen Bildungen waren ursprünglich fühlbare Bedeutungsunterschiede, die heute vielfach verwischt sind. Doch sind sie auch manchmal noch deutlich zu erkennen, selbst bei den am häufigsten verwendeten und deshalb am meisten verblaßten Endungen ig, lich und isch; man denke nur an weiblich und weibisch, kindlich und kindisch, herrlich und herrisch, launig und launisch, traulich und mißtrauisch, göttlich und[S. 81] abgöttisch, väterlich und altväterisch, gläubig und abergläubisch u. a.

Das von Adel gebildete Adjektiv soll nach der „neuen Orthographie“ nun endgiltig adlig geschrieben werden. Es schadet aber vielleicht nichts, wenn man sich darüber klar bleibt, daß das eigentlich falsch ist. Adlich ist entstanden aus adel-lich, es gehört zu königlich, fürstlich, ritterlich, männlich, weiblich, geistlich, weltlich, fleischlich, aber nicht zu heilig, geistig, luftig, fleißig, steinig, ölig, fettig, schmutzig. Dieselbe Verwirrung des Sprachgefühls wie bei adlig findet sich auch bei billig (das noch bis in das siebzehnte Jahrhundert richtig billich geschrieben wurde) und bei unzählig und untadlig, die eigentlich unzählich und untadlich geschrieben werden müßten. Nur bei allmählich, das eine Zeit lang allgemein falsch allmählig geschrieben wurde (es ist aus allgemächlich entstanden), ist das richtige in neuerer Zeit wiederhergestellt worden, wohl deshalb, weil hier doch gar zu offenbar ist, daß das l nicht zum Stamme gehören kann.

Wenn aus einem Substantiv mit vorhergehendem Eigenschaftswort oder Zahlwort ein Adjektiv gebildet wird, so geschieht es immer mit der Endung ig. Bei kurzweilig, langstielig, großmäulig, dickfellig, gleichschenklig, rechtwinklig, vierzeilig könnte man meinen, sie wären deshalb auf ig gebildet worden, weil der Stamm auf l endigt; es heißt aber auch: fremdartig, treuherzig, gutmütig, schöngeistig, freisinnig, hartnäckig, vollblütig, breitschultrig, schmalspurig, freihändig, buntscheckig, eintönig, vierprozentig usw.

Da hat man nun neuerdings fremdsprachlich und neusprachlich gebildet – ist das richtig? Leider Gottes! muß man sagen. Diese Adjektiva sind nicht etwa entstanden zu denken aus fremd und Sprache, neu und Sprache (so wie fremdartig aus fremd und Art), sondern es sollen Adjektivbildungen zu Fremdsprache und Neusprache sein. Diese beiden herrlichen Wörter hat man nämlich gebildet, um nicht mehr von fremden[S. 82] und neuen Sprachen reden zu müssen; nur die Altsprachen fehlen noch, aber stillschweigend vorausgesetzt werden sie auch, denn neben neusprachlich steht natürlich altsprachlich. Und wie man nun nicht mehr von Sprachunterricht, sondern nur noch von sprachlichem Unterricht redet, so nun auch von fremdsprachlichem, altsprachlichem und neusprachlichem. Neben diesen Bildungen gibt es aber auch fremdsprachig, das nun wirklich aus fremd und Sprache gebildet ist. Während mit fremdsprachlich bezeichnet wird, was sich auf eine fremde Sprache bezieht, bezeichnet fremdsprachig eine wirkliche Eigenschaft. Man redet oder kann wenigstens reden von fremdsprachigen Völkern, fremdsprachigen Büchern, einer fremdsprachigen Literatur (wie von einer dreisprachigen Inschrift und einer gemischtsprachigen Bevölkerung). Sogar ein Unterricht kann zugleich fremdsprachlich und fremdsprachig sein, wenn z. B. der Lehrer die Schüler im Französischen unterrichtet und dabei zugleich französisch spricht. Fremdsprachig steht also neben fremdsprachlich wie gleichaltrig (gebildet aus gleich und Alter) neben mittelalterlich (gebildet von Mittelalter).

Streng zu scheiden ist zwischen den Bildungen auf ig und denen auf lich bei den Adjektiven, die von Jahr, Monat, Tag und Stunde gebildet werden. Auch hier bezeichnen die auf ig eine Eigenschaft, nämlich die Dauer: zweijährig, eintägig, vierstündig. Bis vor kurzem konnte man zwar oft von einem dreimonatlichen Urlaub oder einer vierwöchentlichen Reise lesen; jetzt wird erfreulicherweise fast überall nur noch von einem dreimonatigen Urlaub und einer vierwöchigen Reise gesprochen. Dagegen bezeichnen einstündlich, dreimonatlich so gut wie jährlich, halbjährlich, vierteljährlich, monatlich, wöchentlich, täglich und stündlich den Zeitabstand von wiederkehrenden Handlungen. Da heißt es: in dreimonatlichen Raten zu zahlen, einstündlich einen Eßlöffel voll zu nehmen, ebenso wie: nach vierteljährlicher Kündigung. Unsinn also ist es, von halbjährigen[S. 83] öffentlichen Prüfungen zu reden; es gibt nur halbjährliche, das sind solche, die alle halben Jahre stattfinden, und halbstündige, das sind solche, die eine halbe Stunde dauern.

Falsch ist es auch, von einem unförmlichen Fleischklumpen zu reden. Unförmlich könnte nur als Verneinung von förmlich verstanden werden. Das Betragen eines Menschen kann unförmlich sein (ohne Förmlichkeit, formlos), ein Fleischklumpen aber nur unförmig (gebildet von Unform; vgl. unsinnig und unsinnlich).

Genau zu unterscheiden ist endlich auch noch zwischen abschlägig (eine abschlägige Antwort) und abschläglich (eine abschlägliche Zahlung). Abschlägig ist unmittelbar aus dem Verbalstamm gebildet, eine abschlägige Antwort ist eine abschlagende; abschläglich dagegen ist von Abschlag gebildet, eine abschlägliche Zahlung ist eine Abschlagszahlung. (Vgl. geschäftig und geschäftlich.) Wenn Kaufleute oder Buchhändler neuerdings davon reden, daß Waren oder Bücher wegen ihres niedrigen Preises den weitesten Kreisen zugängig seien, oder eine Zeitung schreibt: die Kinder müssen so viel Deutsch lernen, daß ihnen die deutsche Kultur zugängig ist, oder das „Tuberkulosemerkblatt“ des Kaiserlichen Gesundheitsamtes als Hauptmittel gegen die Ansteckung eine dem Zutritte (!) von Luft und Licht zugängige Wohnung bezeichnet, so ist das dieselbe Verwechslung. Die Wohnung soll der Luft zugänglich sein, d. h. sie soll der Luft Zugang bieten. Zugängig könnte höchstens (aktiv!) etwas bedeuten, was jedermann zugeht, z. B. die Probenummer einer Zeitung, wie das neumodische angängig (für möglich) doch das bedeuten soll, was angeht. (Vgl. auch verständlich und verständig.) Wenn also amtlich bekanntgemacht wird, daß die sächsischen Sterbetaler der Allgemeinheit unmittelbar zugängig gemacht werden sollen, so könnte ich mit Recht sagen: Schön, wann wird mir der meinige zugeschickt? Der Unterschied liegt auf der Hand, und doch hat das dumme zugängig in der letzten Zeit mit ungeheurer Schnelligkeit um sich gegriffen.

[S. 84]

Goethe’sch oder Goethisch? Bremener oder Bremer?

Eine rechte Dummheit ist in der Bildung der Adjektiva auf isch eingerissen bei Orts- und Personennamen, die auf e endigen; man liest nur noch von der Halle’schen Universität, von Goethe’schen und Heine’schen Gedichten und von der Ranke’schen Weltgeschichte. Man übersehe ja den Apostroph nicht; ohne den Apostroph würde die Sache den Leuten gar keinen Spaß machen. In dieses Häkchen sind Schulmeister und Professoren ebenso verliebt wie Setzer und Korrektoren (vgl. S. 8).

Die Adjektivendung isch muß stets unmittelbar an den Wortstamm treten. Von Laune heißt das Adjektiv launisch, von Hölle höllisch, von Satire satirisch, von Schwede schwedisch; niemand spricht von laune’schen Menschen, hölle’schen Qualen, satire’schen Bemerkungen oder schwede’schen Streichhölzchen. Und sagt oder schreibt wohl ein vernünftiger Mensch: dieses Gedicht klingt echt Goethe’sch? oder: mancher versucht zwar Ranke nachzuahmen, aber seine Darstellung klingt gar nicht Ranke’sch? Jeder sagt doch: es klingt Goethisch, es klingt Rankisch. Wenn man aber in der undeklinierten, prädikativen Form das Adjektiv richtig bildet, warum denn nicht in der attributiven, deklinierten? Es könnte wohl am Ende einer denken, der Dichter hieße Goeth oder Goethi, wenn man von Goethischen Gedichten spricht? Denkt vielleicht bei der hansischen Geschichte irgend jemand an einen Hans oder Hansi? August Hermann Francke, der Stifter des Hallischen Waisenhauses (noch bis ins achtzehnte Jahrhundert hinein sagte man sogar mit richtigem Umlaut hällisch),[53] würde sich im Grabe umdrehen, wenn er wüßte, daß seine Stiftung jetzt das Halle’sche Waisenhaus genannt wird. Genau so lächerlich aber sind die Laube’schen Dramen, die Raabe’schen Erzählungen, das Fichte’sche System,[S. 85] die Heyse’schen Novellen, die Stolze’sche Stenographie, der Grote’sche Verlag, die Moltke’sche Strategie und der Lippe’sche Erbfolgestreit. Unbegreiflicherweise stammelt man jetzt sogar in Germanistenkreisen von der Manesse’schen Handschrift, die doch seit Menschengedenken die Manessische geheißen hat.[54]

Man spricht aber neuerdings auch von dem Meiningen’schen Theater (statt vom Meiningischen), von rügen’schen Bauernsöhnen (statt von rügischen), vom schonen’schen Hering (statt vom schonischen) und von hohenzollern’schem Hausbesitz (statt von hohenzollerischem). Dann wollen wir nur auch in Zukunft von thüringen’schen Landgrafen reden, von der franken’schen Schweiz, vom sachsen’schen und vom preußen’schen König! Nein, auch hier ist die Bildung unmittelbar aus dem Wortstamm das einzig richtige. Die Ortsnamen auf en sind meist alte Dative im Plural. Wenn ein Adjektiv auf isch davon gebildet werden soll, so muß die Endung en erst weichen. Es kann also nur heißen: hohenzollerisch, meiningisch.

Derselbe Unsinn wie in meiningen’sch liegt übrigens auch in Bildungen wie Emdener, Zweibrückener, Eislebener, St. Gallener vor; da ist die Endung er an die Endung en gefügt, statt an den Stamm. In den genannten Orten selbst, wo man wohl am besten Bescheid wissen wird, wie es heißen muß, kennt man nur Emder, Zweibrücker, Eisleber, (das Eisleber Seminar), St. Galler, wie anderwärts Bremer, Kempter, Gießer (meine Gießer Studentenjahre), Barmer. Bei Bingen ist das Binger Loch, und in Emden wird einer sofort als Fremder erkannt, wenn er von der Emdener Zeitung redet. Ein wahres Glück, daß der Nordhäuser und der Steinhäger schon ihre Namen haben! Heute würden sie[S. 86] sicherlich Nordhausener und Steinhagener genannt werden: Geben Sie mir einen Nordhausener![55]

All dieser Unsinn hat freilich eine tiefer sitzende Ursache, er hängt zusammen mit der traurigen Namenerstarrung, zu der wir erst im neunzehnten Jahrhundert gekommen sind, und die, wie so manche andre Erscheinung in unserm heutigen Sprachleben, eine Folge des alles beherrschenden juristischen Geistes unsrer Zeit ist. Im fünfzehnten, ja noch im sechzehnten Jahrhundert bedeutete ein Name etwas. Um 1480 heißt derselbe Mann in Leipziger Urkunden bald Graue Hänsel, bald Graue Henschel, bald Hänsichen Grau, um 1500 derselbe Mann bald Schönwetter, bald Hellwetter, derselbe Mann bald Sporzel, bald Sperle (Sperling), derselbe Mann bald Sachtleben, bald Sanftleben, derselbe Mann bald Meusel, bald Meusichen, Albrecht Dürer nennt 1521 in dem Tagebuch seiner niederländischen Reise seinen Schüler Hans Baldung, der den Spitznamen der grüne (mundartlich der griene) Hans führte, nur den Grünhans,[56] und selbst als sich längst bestimmte Familiennamen festgesetzt hatten, behandelte man sie doch immer noch wie alle andern Nomina, man scherte sich den Kuckuck um ihre Orthographie, man deklinierte sie, man bildete frischweg Feminina und Adjektiva davon wie von jedem Appellativum. Noch Ende des achtzehnten Jahrhunderts berichtete der Leipziger Rat an die Landesregierung, daß er Gottfried Langen, Hartmann Wincklern, Friedrich Treitschken, Tobias Richtern und Jakob Bertramen zu Ratsherren gewählt habe. Frau Karsch hieß bei den besten Schriftstellern die Karschin (das heute von „gebildeten“ Leuten wie Berlin betont wird!), und so[S. 87] war es noch zu Anfange des neunzehnten Jahrhunderts. Heute ist ein Name vor allen Dingen eine unantastbare Reihe von Buchstaben. Wehe dem, der sich daran vergreift! Wehe dem, der es wagen wollte, den großen Winckelmann jetzt etwa Winkelmann zu schreiben, weil man auch den Winkel nicht mehr mit ck schreibt, oder Joachimsthal mit T, weil man auch das Tal jetzt nicht mehr mit Th schreibt, oder gar Goethe mit ö! Er wäre sofort von der Wissenschaft in Acht und Bann getan. Das alles haben wir dem grenzenlosen juristischen Genauigkeitsbedürfnis unsrer Zeit zu danken, das keinen gesunden Menschenverstand kennt und anerkennt, das alles äußerlich in Buchstaben „festlegen“ muß, und dessen höchster Stolz es ist, selbst eine Straße mit einem Vornamen, eine Stiftung mit einem Doktortitel und ein Denkmal mit einem Doktortitel und einem Vornamen zu schmücken: Gustav Freytag-Straße, Dr. Wünsche-Stiftung, Dr. Karl Heine-Denkmal.

Hallenser und Weimaraner

Daß wir Deutschen bei unsrer großen Gelehrsamkeit und Gewissenhaftigkeit die Bewohner fremder Länder und Städte mit einer wahren Musterkarte von Namenbildungen versehen, ist zwar sehr komisch, aber doch immerhin erträglich. Sprechen wir also auch in Zukunft getrost von Amerikanern, Mexikanern, Neapolitanern, Parmesanern und Venezolanern, Byzantinern, Florentinern und Tarentinern, Chinesen und Japanesen, Piemontesen und Albanesen, Genuesern, Bolognesern und Veronesern, Bethlehemiten und Sybariten (denen sich als neue Errungenschaft die Sansibariten angereiht haben), Samaritern und Moskowitern, Asiaten und Ravennaten, Candioten und Hydrioten, Franzosen, Portugiesen, Provenzalen, Savoyarden usw. Daß wir aber an deutsche(!) Städtenamen noch immer lateinische Endungen hängen, ist doch ein Zopf, der endlich einmal abgeschnitten werden sollte. Die Athenienser und die Carthaginienser sind wir aus den Geschichtsbüchern glücklich los, aber die Hallenser, die Jenenser und die Badenser,[S. 88] die Hannoveraner und die Weimaraner wollen nicht weichen, auch die Anhaltiner spuken noch gelegentlich. Und doch ist nicht einzusehen, weshalb man nicht ebensogut soll Jenaer sagen können wie Gothaer, Geraer und Altonaer,[57] ebenso gut Badner wie Münchner, Posner und Dresdner, ebenso gut Haller wie Celler, Stader und Klever, ebenso gut Hannoverer und Weimarer wie Trierer, Speierer und Colmarer.

Freilich erstreckt sich die häßliche Sprachmengerei in unsrer Wortbildung nicht bloß auf geographische Namen, sie ist überhaupt in unsrer Sprache weit verbreitet; man denke nur an Bildungen wie buchstabieren, halbieren, hausieren, grundieren, schattieren, glasieren (im sechzehnten Jahrhundert sprach man noch von geglästen Ziegeln und Kacheln), amtieren, Hornist, Lagerist, Probist, Kursist, Wagnerianer, Börsianer, Goethiana, Beethoveniana, Lieferant, Stellage, Futteral, Stiefeletten, Glasur, schauderös, blumistisch, superklug, hypergeistreich, antideutsch usw. Manches davon stammt aus sehr früher Zeit und wird wohl nie wieder zu beseitigen sein; vieles aber ließe sich doch vermeiden, und vor allem sollte es nicht vermehrt werden.

Deko

[S. 89]

Zur Satzlehre

Deko

[S. 91]

Zierband

Unterdrückung des Subjekts

Die meisten Fehler gegen die grammatische Richtigkeit und den guten Geschmack werden natürlich auf dem schwierigsten Gebiete der Sprache, auf dem des Satzbaues begangen. Hier sollen zunächst Subjekt und Prädikat und dann die Tempora und die Modi des Zeitworts in Haupt- und Nebensätzen besprochen werden.

Nicht bloß in dem Geschäfts- und Briefstil der Kaufleute, sondern im Briefstil überhaupt halten es viele für ein besondres Zeichen von Höflichkeit, das Subjekt ich oder wir zu unterdrücken. Kaufleute schreiben in ihren Geschäftsanzeigen: Kisten und Tonnen nehmen zum Selbstkostenpreise zurück, Zeitungen drucken über ihren Inseratenteil: Sämtliche Anzeigen halten der Beachtung unsrer Leser empfohlen, und Ärzte machen bekannt: Habe mich hier niedergelassen, oder: Meine Sprechstunden halte von heute ab von acht bis zehn Uhr. Aber auch gebildete Frauen und Mädchen, denen man etwas Geschmack zutrauen sollte, schreiben: Vorige Woche habe mit Papa einen Besuch bei R.s gemacht.

Wenn man jemand seine Hochachtung unter anderm auch durch die Sprache bezeugen will, so ist das gar nicht so übel. Aber vernünftigerweise kann es doch nur dadurch geschehen, daß man die Sprache so sorgfältig und sauber behandelt wie irgend möglich, aber nicht durch äußerliche Mittelchen, wie große Anfangsbuchstaben (Du, Dein), gesuchte Wortstellung, bei der man den Angeredeten möglichst weit vor, sich selbst aber möglichst weit hinter stellt (so bitte Ew. Wohlgeboren infolge unsrer mündlichen Verabredung ich ganz ergebenst), oder[S. 92] gar dadurch, daß man den grammatischen Selbstmord begeht, wie es Jean Paul genannt hat, ich oder wir wegzulassen. Derartige Scherze schleppen sich aus alten Briefstellern fort – wer Gelegenheit hätte, in den Briefen des alten Goethe zu lesen, würde mit Erstaunen sehen, daß sich auch der nie anders ausgedrückt hat –, sie sollten aber doch endlich einmal überwunden werden.

Noch schlimmer freilich als die Unterdrückung von ich und wir ist die Albernheit, wenn man den andern nicht recht verstanden hat, zu fragen: Wie meinen? Hier mordet man grammatisch gar den Angeredeten!

Die Ausstattung war eine glänzende

Eine häßliche Gewohnheit, die in unserm Satzbau eingerissen ist, ist die, das Prädikat, wenn es durch ein Adjektiv gebildet wird, nicht, wie es doch im Deutschen das richtige und natürliche ist, in der unflektierten, prädikativen Form hinzuschreiben, z. B.: das Verfahren ist sehr einfach, sondern in der flektierten, attributiven Form, als ob sich der Leser dazu das Subjekt noch einmal ergänzen sollte: das Verfahren ist ein sehr einfaches (nämlich Verfahren). Es ist das nicht bloß ein syntaktischer, sondern auch ein logischer Fehler, und daß man das gar nicht empfindet, ist das besonders traurige dabei.

Ein Adjektiv im Prädikat zu flektieren hat nur in einem Falle Sinn, nämlich wenn das Subjekt durch die Aussage in eine bestimmte Klasse oder Sorte eingereiht werden soll. Wenn man sagt: die Kirsche, die du mir gegeben hast, war eine saure – das Regiment dort ist ein preußisches – diese Frage ist eine rein wirtschaftliche – der Genuß davon ist mehr ein sinnlicher, kein rein geistiger – der Begriff der Infektionslehre ist ein moderner – der Hauptzweck der Regierung war ein fiskalischer – das Amt des Areopagiten war ein lebenslängliches – das Exemplar, das ich bezogen habe, war ein gebundnes – das abgelaufne Jahr war für die Geschäftswelt kein günstiges – so teilt man die Kirschen, die Regimenter, die Fragen, die Genüsse usw. in verschiedne Klassen oder Sorten ein und weist das Subjekt nun einer dieser[S. 93] Sorten zu. Es wäre ganz unmöglich, zu sagen: diese Frage ist rein ästhetisch oder: das Regiment dort ist preußisch. Die Kirsche ist sauer – das kann man wohl von einer unreifen Süßkirsche sagen, aber nicht, wenn man ausdrücken will, daß die Kirsche zu der Gattung der sauern Kirschen gehöre. Das unflektierte Adjektiv also urteilt, das flektierte sortiert. An ein Sortieren ist aber doch nicht zu denken, wenn jemand sagt: meine Arbeit ist eine vergebliche gewesen. Es fällt dem Schreibenden nicht im Traume ein, die Arbeiten etwa in erfolgreiche und vergebliche einteilen und nun die Arbeit, von der er spricht, in die Klasse der vergeblichen einreihen zu wollen, sondern er will einfach ein Urteil über seine Arbeit aussprechen. Da genügt es doch, zu sagen: meine Arbeit ist vergeblich gewesen.

In der Unterhaltung sagt denn auch kein Mensch: die Suppe ist eine zu heiße, aber eine sehr gute. Der lebendigen Sprache ist diese unnötige und häßliche Verbreiterung des Ausdrucks ganz fremd, sie gehört ausschließlich der Papiersprache an, stellt sich immer nur bei dem ein, der die Feder in die Hand nimmt, oder bei dem Gewohnheitsredner, der bereits Papierdeutsch spricht, oder dem gebildeten Philister, der sich am Biertisch in der Sprache seiner Leibzeitung unterhält. Die Papiersprache kennt gar keine andern Prädikate mehr. Man sehe sich um: in zehn Fällen neunmal dieses schleppende flektierte Adjektiv, im Aktendeutsch durchweg, aber auch in der wissenschaftlichen Darstellung, im Essay, im Leitartikel, im Feuilleton. Lächerlicherweise ist das Adjektiv dabei oft durch ein Adverb gesteigert, sodaß gar kein Zweifel darüber sein kann, daß ein Urteil ausgesprochen werden soll. Aber es wird nirgends mehr geurteilt, es wird überall nur noch sortiert: das Befinden der Königin ist ein ausgezeichnetes – die Ausstattung war eine überaus vornehme – die Organisation ist eine sehr straffe, fast militärische – der Andrang war ein ganz enormer – der Beifall war ein wohlverdienter – diese Forderung ist eine durchaus gerechtfertigte – die Stellung des neuen Direktors war eine außerordentlich schwierige – in einigen Lieferungen[S. 94] ist die Bandbezeichnung eine falsche – der Erfolg mußte von vornherein ein zweifelhafter sein – diese Anschauung vom Leben der Sprache ist eine durchaus verkehrte – die Verfrachtung ist eine außerordentlich zeitraubende und kostspielige – die Beurteilung des Gedichts war eine verschiedne, doch günstige – dieser Standpunkt ist ein völlig undurchführbarer – die kirchliche Lage der kleinen Gemeinden war eine sehr gedrückte, wenig beneidenswerte – die Aussicht auf die kommende Session ist eine sehr trübe – dieses Gedicht ist ein dem ganzen deutschen Volke teures (!) – allen Verehrern Moltkes dürfte der Besitz dieses Kunstblattes ein sehr willkommner (!) sein – die Notwendigkeit einer Ausdehnung wird schwerlich so bald eine fühlbare (!) sein usw. Ebenso dann auch in der Mehrzahl: die Meinungen der Menschen sind sehr verschiedne – die Pachtsummen waren schon an und für sich hohe – die mythologischen Kenntnisse der Schüler sind gewöhnlich ziemlich dürftige – ich glaube nicht, daß die dortigen Verhältnisse von den unsrigen so grundverschiedne (!) seien. Ist das Prädikat verneint, so heißt es natürlich kein statt nicht: die Schwierigkeiten waren keine geringen – die Kluft zwischen den einzelnen Ständen war keine sehr tiefe – die Rührung ist keine erkünstelte – die Grenze ist keine für alle Zeiten bestimmte und keine für alle Orte gleiche – bei Goethe und Schiller ist der Abstand von der Gegenwart kein so starker mehr. Eine musterhafte Buchkritik lautet heutzutage so: ist der Inhalt des Lexikons ein sehr wertvoller und die Behandlung der einzelnen Punkte eine vorzügliche, so hält die Ausstattung gleichen Schritt damit, denn sie ist eine sehr gediegne.[58]

[S. 95]

Von dem einfachen mit der Kopula gebildeten Prädikat geht aber der Schwulst nun weiter zu den Verben, die mit doppeltem Akkusativ, einem Objekts- und einem Prädikatsakkusativ, verbunden werden. Auch da heißt es nur noch: diesen Kampf kann man nur einen gehässigen nennen (statt: gehässig nennen!) – mehr oder minder sehen wir alle die Zukunft als eine ernste an (statt: als ernst an) – ich möchte diesen Versuch nicht als einen durchaus gelungnen bezeichnen – ich bin weit davon entfernt, diese Untersuchung als eine abschließende hinzustellen – das, was uns diese Tage zu unvergeßlichen macht (statt: unvergeßlich macht!) – und passiv: der angerichtete Schade wird als ein beträchtlicher bezeichnet – abhängige Arbeit löst sich los und wird zu einer unabhängigen (statt: wird unabhängig) – bis die Bildung der Frauen eine andre und bessere wird (statt: anders und besser wird) – unsre Kenntnis der japanischen Industrie ist eine viel umfassendere und gründlichere geworden – durch diese Nadel ist das Fleischspicken ein müheloseres (!) geworden usw.

Besonders häßlich wird die ganze Erscheinung, wenn statt des Adjektivs oder neben dem Adjektiv ein aktives Partizip erscheint, z. B.: das ganze Verfahren ist ein durchaus den Gesetzen widersprechendes. Hier liegt ein doppelter Schwulst vor: statt des einfachen verbum finitum widerspricht ist das Partizip gebraucht: ist widersprechend, und statt des unflektierten Partizips auch noch das flektierte: ist ein widersprechendes. Aber gerade auch solchen Sätzen begegnet man täglich: das Ergebnis ist ein verstimmendes – da die natürliche Beleuchtung doch immer eine wechselnde ist – der Anteil war ein den vorhandnen männlichen Seelen entsprechender – die Mache ist eine verschiedenartige, der Mangel selbständiger Forschung aber ein stets wiederkehrender – die Stellung des Richters ist eine von Jahr zu Jahr sinkende – das schließt nicht aus, daß der Inhalt der Sitte ein verwerflicher, d. h. dem wahren Besten der Gesellschaft nicht entsprechender sei (statt: verwerflich sei, d. h. nicht[S. 96] entspreche) – die Armierung ist eine sehr schwache und absolut nicht ins Gewicht fallende – die Sprache des Buchs ist eine klare, einfache und allgemein verständliche, vom Herzen kommende und zum Herzen gehende – im ganzen ist das Werk freilich kein den Gegenstand erschöpfendes – und auch hier passiv: der Zweck des Buchs ist ein durchaus anzuerkennender (statt: durchaus anzuerkennen).

Es ist kein Zweifel, daß diese breitspurig einherstelzenden Prädikate allgemein für eine besondre Schönheit gehalten werden. Wer aber einmal auf sie aufmerksam gemacht worden oder von selbst aufmerksam geworden ist, der müßte doch jeden Rest von Sprachgefühl verloren haben, wenn er sie nicht so schnell wie möglich abzuschütteln suchte.

Eine Menge war oder waren?

Wenn das Subjekt eines Satzes durch ein Wort wie Zahl, Anzahl, Menge, Masse, Fülle, Haufe, Reihe, Teil und ähnliche gebildet wird, so wird sehr oft im Prädikat ein Fehler im Numerus gemacht. Zu solchen Wörtern kann nämlich entweder ein Genitiv treten, der als Genitiv nicht erkennbar und fühlbar ist, sondern wie ein frei angeschlossener Nominativ erscheint (eine Menge Menschen) und deshalb sogar ein Attribut im Nominativ zu sich nehmen kann (eine Menge unbedeutende Menschen[59]), oder ein auf irgendeine Weise erkennbar gemachter Genitiv (eine Menge von Menschen, eine Menge unbedeutender Menschen); die eine Verbindung ist so gebräuchlich wie die andre. Nun ist wohl klar, daß in dem ersten Falle das Prädikat in der Mehrzahl stehn muß; der scheinbare Nominativ Menschen tritt da so in den Vordergrund, daß er geradezu zum Subjekt, daher für die Wahl des Numerus im Prädikat entscheidend wird. Ebenso klar ist aber doch, daß in dem zweiten Falle das Prädikat nur in der Einzahl stehn kann, denn der abhängige Genitiv von[S. 97] Menschen bleibt im Hintergrunde, und entscheidend für den Numerus im Prädikat kann dann nur der Singular Menge sein. Man kann zwar zu solchen Begriffen – nach dem Sinne – das Prädikat auch in die Mehrzahl setzen, aber doch nur, wenn sie allein stehen; durch den abhängigen deutlichen Plural-Genitiv wird das zusammenfassende, einheitliche in dem Begriff Menge so eindringlich fühlbar gemacht, daß es in hohem Grade stört, wenn man Sätze lesen muß wie: eine auserlesene Zahl deutscher Kunstwerke sind gegenwärtig in Leipzig zu sehen – eine große Anzahl seiner Erzählungen beginnen mit dem jugendlichen Alter des Helden – erfreulich ist es, daß eine große Anzahl unsrer Ärzte schon über zehn Jahre ihren Dienst versehen haben – die größere Anzahl der Lieder und Bearbeitungen sind nicht frei – eine Menge abweichender Beispiele dürfen nicht dazu verleiten, die Regel als ungiltig zu bezeichnen – außer den Seen müssen noch eine Menge kleiner Kanäle benutzt werden – dem Reichsdeutschen treten in dem schweizerischen Schriftdeutsch eine ganze Menge von Besonderheiten entgegen – von diesem schönen Unternehmen liegen nun schon eine Reihe von Heften vor – eine Reihe von Kunstbeilagen ermöglichen dem Kunsthistoriker weitergehendes Studium – kaum ein halbes Dutzend der vorzüglichsten Dramen finden nachhaltige Teilnahme – der größte Teil der Grundbesitzer waren gar nicht mehr Eigentümer – ein ganz geringer Bruchteil der Stellen sind auskömmlich bezahlt – mindestens ein Viertel seiner Lieder stehen in jedem Gesangbuche – wer da weiß, wie schrecklich unbeholfen die Mehrzahl unsrer Knaben sind – dem Erfolge stehen eine Fülle von verschiednen Bedingungen entgegen usw. Alle, die so schreiben, verraten ein stumpfes Sprachgefühl und lassen sich von dem Krämer beschämen, der in der Zeitung richtig anzeigt: ein großer Posten zurückgesetzter Unterröcke ist billig zu verkaufen. Besonders beleidigend wird der Fehler, wenn das Zeitwort im Plural unmittelbar vor dem singularischen Begriff der Menge steht.

[S. 98]

Umgekehrt sind manche geneigt, alle Angaben von Bruchteilen als Singulare zu behandeln und zu schreiben: bei Aluminium wird zwei Drittel des Gewichts erspart – es wurde nur fünf Prozent der Masse gerettet. Hier ist der Singular natürlich ebenso anstößig wie in den vorher angeführten Beispielen der Plural.

Dem Deutschen eigentümlich ist die Anrede Sie, eigentlich die dritte Person der Mehrzahl. Sie ist dadurch entstanden, daß man vor lauter Höflichkeit den Angeredeten nicht bloß, wie andre Sprachen, als Mehrzahl, sondern sogar als abwesend hinstellte. Man wagte gleichsam gar nicht, ihm unter die Augen zu treten und ihn anzublicken. Das pluralische Prädikat zu diesem Sie wird aber nun sogar mit singularischen Subjekten verbunden, wie Eure Majestät, Exzellenz, der Herr Hofrat (Goethe im Faust: Herr Doktor wurden da katechisiert). So unnatürlich das ist, es wird schwerlich wieder zu beseitigen sein. Die wunderlichste Folge dieser Spracherscheinung ist wohl ein Satz wie der: Verzeihen Sie, daß ich Sie, der Sie ohnehin so beschäftigt sind, mit dieser Frage belästige.

Noch ein falscher Plural im Prädikat

Ein Prädikat, das sich auf zwei oder mehr Subjekte bezieht, muß selbstverständlich im Plural stehen, wenn die Subjekte zu einer Gruppe zusammengefaßt werden. Das geschieht aber immer, wenn sie durch das Bindewort und verbunden sind. Dagegen werden die Subjekte niemals zu einer Gruppe vereinigt, wenn sie mit trennenden (disjunktiven) oder gegenüberstellenden Bindewörtern verbunden werden – eigentlich ein Widerspruch, aber doch nur ein scheinbarer, denn die Verbindung ist etwas äußerliches, rein syntaktisches, die Gegenüberstellung ist etwas innerliches, logisches. Zu diesen Bindewörtern (zum Teil eigentlich mehr Adverbien) gehören: oder, teils – teils, weder – noch, wie, sowie, sowohl – wie, sowohl – als auch. Es ist eins der unverkennbarsten Zeichen der zunehmenden Unklarheit des Denkens, daß in solchen Fällen das Prädikat jetzt[S. 99] immer öfter in den Plural gesetzt wird. Verhältnismäßig selten liest man ja so unsinnige Sätze wie: wenn ein schwacher Vater oder eine schwache Mutter der Schule ein Schnippchen schlagen (schlägt!) – es ist sehr fraglich, ob ein roher, trunksüchtiger Mann oder eine böse, schlecht wirtschaftende Frau im Hause mehr Schaden anrichten (anrichtet!) – so war es teils die Willkür des Geschmacks, teils die Willkür des Zufalls, die zu entscheiden hatten (hatte!) – oder gar: sein Milieu, wenn nicht etwas andres in ihm, erhalten (erhält!) ihn unparteiisch und nüchtern. Aber schon etwas ganz alltägliches ist der Fehler bei weder – noch: wenn weder der Beklagte noch er selbst sich stellen – während doch sonst weder Tinte noch Papier gespart werden – da weder der Vater noch die Mutter des Jungen mit uns das geringste zu tun habenweder die Gräfin noch ihr Bruder verfügen über ein größeres Vermögen – weder Boccaccio noch Lafontaine haben solche Abweichungen geduldet – weder Preußen noch das junge Reich waren stark genug, das Zentrum zu überwinden. Am häufigsten wird der Fehler bei wie, sowie und den verwandten Verbindungen begangen: die vornehme Salondame wie die schlichte Hausfrau stellen an Dienstboten oft unerhörte Anforderungen – der Verfasser zeigt, wie sich von da an das Heer wie das Reich immer mehr barbarisierten – da der Rationalismus den Grundzug dieser Religion bildet, so ist es klar, daß ihr der Gebildete wie der Ungebildete in gleicher Weise anhängen – die Ausbildung der städtischen Verfassung wie die Entwicklung der Fürstentümer zwangen zur Vermehrung der Beamten – der höchste Gerichtshof sowie der Rechnungshof des Reichs befinden sich nicht in der Reichshauptstadt – Frankreich sowohl wie Deutschland entwickeln sich sozialistisch – Custine sowohl wie die französische Regierung waren hinlänglich davon unterrichtet – sowohl der romantische als der realistische Meister hatten der Entwicklung eine breite Bahn geöffnet – sowohl der Wortschatz als auch die Formenlehre haben im Verlaufe von hundert Jahren merkliche Veränderungen[S. 100] erfahren – die freundlichen Worte, die sowohl der Vizepräsident an mich als auch der Herr Ministerpräsident an die Direktoren gerichtet haben. In allen diesen Sätzen kann gar kein Zweifel sein, daß nur von einem Singular etwas ausgesagt wird. Dieser Singular wird einem andern Singular gleichgestellt, von dem dieselbe Aussage gilt. Aber dadurch wird doch aus den beiden Singularen noch kein Plural. Wer das Prädikat in den Plural setzen will, muß eben die Subjekte durch und verbinden, nicht durch wie.

Das Passivum. Es wurde sich

Beim Gebrauche der Zeitwörter kommen in Betracht die Genera (Aktivum und Passivum), die Tempora und die Modi. Im Gebrauche der Genera können kaum Fehler vorkommen. Zu warnen ist nur vor der unter Juristen und Zeitungschreibern weit verbreiteten Gewohnheit, alles passivisch auszudrücken, z. B.: namentlich muß von dem obersten Leiter der Politik dieser Zustand als eine Erschwerung seines Amtes empfunden werden (statt: der oberste Leiter muß empfinden) – das hat sehr dazu beigetragen, daß von der Regierung nicht an den bisher befolgten sozialpolitischen Grundsätzen festgehalten worden ist (statt: daß die Regierung nicht festgehalten hat) – bei einem Pachtverhältnis sollte von seiten (!) des Verpächters nicht bloß auf die Höhe der gebotnen Pachtsumme gesehen werden, sondern auch die Persönlichkeit des Bewerbers berücksichtigt und auf dessen Befähigung Wert gelegt werden (statt: der Verpächter sollte berücksichtigen). Das nächstliegende ist doch immer das Aktivum.

Geschmacklos ist es, ein Passivum von einem reflexiven Zeitwort zu bilden: es brach ein Gewitter los, und es wurde sich in ein Haus geflüchtet – mit dem Beschlusse des Rats wurde sich einverstanden erklärt – über dieses Thema ist sich in pädagogischen Zeitschriften wiederholt geäußert worden. Dergleichen Sätze kann man höchstens im Scherz bilden. In gutem Deutsch müssen sie mit Hilfe des Fürworts man umschrieben werden.

[S. 101]

Ist gebeten oder wird gebeten?

Zahlreiche Verstöße werden gegen den richtigen Gebrauch der Tempora begangen. Ganz undeutsch und nichts als eine gedankenlose Nachäfferei des Französischen, noch dazu eines falsch verstandnen Französisch, ist es, zu schreiben: die Mitglieder sind gebeten, pünktlich zu erscheinen. In dem Augenblicke, wo jemand eine derartige Aufforderung erhält, ist er noch nicht gebeten, sondern er wird es erst. Man kann wohl sagen: du bist geladen, d. h. betrachte dich hiermit als geladen. Aber die Mitteilung einer Bitte, einer Einladung usw. kann nur durch das Präsens, nicht durch das Perfektum ausgedrückt werden.

Mißbrauch des Imperfekts

Ganz widerwärtig und ein trauriges Zeichen der zunehmenden Abstumpfung unsers Sprachgefühls ist ein Mißbrauch des Imperfekts, der seit einiger Zeit mit großer Schnelligkeit um sich gegriffen hat.

Das Imperfektum ist in gutem Deutsch das Tempus der Erzählung. Was heißt erzählen?

Mariandel kommt weinend aus der Kinderstube und klagt: Wolf hat mich geschlagen! Die Mutter nimmt sie auf den Schoß, beruhigt sie und sagt: erzähle mir einmal, wies zugegangen ist. Und nun erzählt Mariandel: ich saß ganz ruhig da und spielte, da kam der böse Wolf und zupfte mich am Haar usw. Mit dem Perfektum also hat sie die erste Meldung gemacht; auf die Aufforderung der Mutter, zu erzählen, springt sie sofort ins Imperfektum über. Da sehen wir deutlich den Sinn des Imperfekts. Erzählen heißt aufzählen, herzählen. Das Wesentliche einer Erzählung liegt in dem Eingehen in Einzelheiten. Weiterhin besteht aber zwischen Imperfekt und Perfekt auch ein Unterschied in der Zeitstufe: das Imperfekt berichtet früher geschehene Dinge (man kann sich meist ein damals dazu denken), das Perfektum Ereignisse, die sich soeben zugetragen haben, wie der Schlag, den Mariandel bekommen hat. Wenn ich eine Menschenmasse auf der Straße laufen sehe und frage:[S. 102] was gibts denn? so wird mir geantwortet: der Blitz hat eingeschlagen, und am Markt ist Feuer ausgebrochen; d. h. das ist soeben geschehen. Wenn ich dagegen nach einigen Wochen oder Jahren über den Vorgang berichte, kann ich nur sagen: der Blitz schlug ein, und am Markte brach Feuer aus. Nur wenn ich etwas, was mir ein andrer erzählt hat, weiter erzähle, gebrauche ich das Perfektum; selbst dann, wenn mirs der andre im Imperfekt erzählt hat, weil ers selbst erlebt, selbst mit angesehen hatte, kann ich es nur im Perfekt weiter erzählen. Wollte ich auch im Imperfekt erzählen, so müßte ich auf die Frage gefaßt sein: bist du denn dabei gewesen?

Also mit dem Imperfekt wird erzählt, und zwar selbsterlebtes; es ist daher das durchgehende Tempus aller Romane, aller Novellen, aller Geschichtswerke, denn sowohl der Geschichtschreiber wie der Romanschreiber berichtet so, als ob er dabeigewesen wäre und die Dinge selbst mit angesehen hätte. Das Perfektum ist dagegen das Tempus der bloßen Meldung, der tatsächlichen Mitteilung. Der Unterschied ist so handgreiflich, daß man meinen sollte, er könnte gar nicht verwischt werden.

Nun sehe man einmal die kurzen Meldungen in unsern Zeitungen an, die das Neueste vom Tage bringen, unter den telegraphischen Depeschen, unter den Stadtnachrichten usw. – ist es nicht widerwärtig, wie da das Imperfekt mißbraucht wird? Da heißt es: Prinz A. erkrankte schwer in Venedig; seine Gemahlin reiste aus München dahin ab – Bahnhofsinspektor S. in R. erhielt das Ritterkreuz zweiter Klasse – in Heidelberg starb Professor X – Minister Soundso reichte seine Entlassung ein – in Dingsda wurde die Sparkasse erbrochen – ein merkwürdiges Buch erschien in Turin. Wann denn? fragte man unwillkürlich, wenn man so etwas liest. Du willst mir doch eine Neuigkeit mitteilen und drückst dich aus, als ob du etwas erzähltest, was vor dreihundert Jahren geschehen wäre. Ein merkwürdiges Buch erschien in Turin – das klingt doch, als ob der Satz aus einer Kirchengeschichte Italiens genommen wäre.

[S. 103]

Etwas andres wird es schon, wenn eine Zeitbestimmung der Vergangenheit hinzutritt, und wäre es nur ein gestern; dann kann der Satz den Charakter einer bloßen tatsächlichen Mitteilung verlieren und den der Erzählung annehmen. Es ist ebenso richtig, zu schreiben: gestern starb hier nach längerer Krankheit Professor X, wie: gestern ist hier nach längerer Krankheit Professor X gestorben. Im zweiten Falle melde ich einfach das Ereignis, im ersten Falle erzähle ich. Fehlt aber jede Zeitangabe, soll das Ereignis schlechthin gemeldet werden, so ist der Gebrauch des Imperfekts ein Mißbrauch.

Der Fehler ist aber nicht auf Zeitungsnachrichten beschränkt geblieben; auch unsre Geschäftsleute schreiben schon in ihren Anzeigen und Briefen und halten das für eine besondre Feinheit: ich verlegte mein Geschäft von der Petersstraße nach der Schillerstraße – ich eröffnete am Johannisplatz eine zweite Filiale u. ähnl. Ein Schuldirektor schreibt einem Schüler ins Zeugnis: M. besuchte die hiesige Schule und trat heute aus. Eine Verlagsbuchhandlung schreibt in der Ankündigung eines Werkes, dessen Ausgabe bevorsteht: wir scheuten kein Opfer, die Illustrationen so prächtig als möglich auszuführen; den Preis stellten wir so niedrig, daß sich unser Unternehmen in den weitesten Kreisen Eingang verschaffen kann. Wann denn? fragt man unwillkürlich. Sind diese Sätze Bruchstücke aus einer Selbstbiographie von dir? erzählst du mir etwas aus der Geschichte deines Geschäfts? über ein Verlagsunternehmen, das du vor zwanzig Jahren in die Welt geschickt hast? Oder handelt sichs um ein Buch, das soeben fertig geworden ist? Wenn du das letzte meinst, so kann es doch nur heißen: wir haben kein Opfer gescheut, den Preis haben wir so niedrig gestellt usw. Eine andre Buchhandlung schreibt auf die Titelblätter ihrer Verlagswerke: den Buchschmuck zeichnete Fidus. Zeichneetee! Wann denn?

Es kommt aber noch eine weitere Verwirrung hinzu. Das Perfekt hat auch die Aufgabe, die gegenwärtige Sachlage auszudrücken, die durch einen Vorgang oder eine Handlung geschaffen worden ist. Auch in dieser[S. 104] Bedeutung wird es jetzt unbegreiflicherweise durch das Tempus der Erzählung verdrängt. Da heißt es: die soziale Frage ist das schwierigste Erbteil, das Kaiser Wilhelm von seinen Vorfahren erhielt (statt: erhalten hat, denn er hat es doch nun!) – auch die vorliegende Arbeit führt nicht zum Ziel, trotz der großen Mühe, die der Verfasser auf sie verwandte (statt: verwendet hat, denn die Arbeit liegt doch vor!) – da die Ehe des Herzogs kinderlos blieb (statt: geblieben ist) – folgt ihm sein Neffe in der Regierung – die letzten Wochen haben dazu beigetragen, daß das Vertrauen in immer weitere Kreise drang (statt: gedrungen ist) – wir beklagen tief, daß sich kein Ausweg finden ließ (statt: hat finden lassen) – kein Wunder, daß aus den Wahlen solche Ergebnisse hervorgingen usw. Der letzte Satz klingt, als wäre er aus irgendeiner geschichtlichen Darstellung genommen, als wäre etwa von Wahlen zum ersten deutschen Parlament die Rede. Es sollen aber die letzten Reichstagswahlen damit gemeint sein, die den gegenwärtigen Reichstag geschaffen haben! Da muß es doch heißen: kein Wunder, daß aus den Wahlen solche Ergebnisse hervorgegangen sind, denn diese Ergebnisse bilden doch die gegenwärtige Sachlage.

Es kann wohl kaum ein Zweifel darüber sein, woher der Mißbrauch des Imperfekts stammt. In Norddeutschland ist er durch Nachäfferei des Englischen entstanden und mit dem lebhaftern Betriebe der englischen Sprache aufgekommen. Der Engländer sagt: I saw him this morning (ich habe ihn diesen Morgen gesehen) – I expected you last Thursday (ich habe Sie vorigen Donnerstag erwartet) – Yours I received (ich habe Ihr Schreiben erhalten) – That is the finest ship I ever saw (das ist das schönste Schiff, das ich je gesehen habe) – Sheridan’s Plays, now printed as he wrote them (wie er sie geschrieben hat). Wahrscheinlich weniger durch nachlässiges Übersetzen aus englischen Zeitungen als durch schlechten englischen Unterricht, bei dem nicht genug auf den Unterschied der Sprachen in dem Gebrauche der Tempora hingewiesen, sondern gedankenlos wörtlich übersetzt wird, ist der Mißbrauch ins Deutsche[S. 105] hereingeschleppt worden. In Leipzig kann man schon hören, wie ein Geck, der den Tag zuvor aus dem Bade zurückgekehrt ist, einem andern Gecken auf der Straße zuruft: Jä, ich käm gestern zurück, wie ein Geck in Gesellschaft sagt: ich hatte schon den Vorzug (ich habe schon die Ehre gehabt). In Süddeutschland aber kommt dazu noch eine andre Quelle. Dem bayrisch-österreichischen Volksdialekt fehlt das Imperfektum (mit Ausnahme von ich war) gänzlich; er kennt weder ein hatte, noch ein ging, noch ein sprach, er braucht in der Erzählung immer das Perfekt (bin ich gewesenhab ich gesagt). Daher hat diese Form in Süddeutschland und Österreich den Beigeschmack des Vulgären, und wenn nun der Halbgebildete Schriftdeutsch sprechen will, so gebraucht er überall, auch da, wo es gar nicht hinpaßt, das Imperfektum, weil er mit dem Perfekt in den Dialekt zu fallen fürchtet. In großen Dresdner Pensionaten, wo englische, norddeutsche und österreichische Kinder zusammen sind, soll man den Einfluß beider Quellen gleichzeitig beobachten können.

Ein wunderliches Gegenstück zu dem Mißbrauch des Imperfekts verbreitet sich in neuern Geschichtsdarstellungen, nämlich die Schrulle, im Perfektum zu – erzählen! Nicht bloß vereinzelte Sätze werden so geschrieben, wie: der Enkel hat ihm eine freundliche und liebevolle Erinnerung bewahrt (statt: bewahrte ihm), sondern halbe und ganze Seiten lang wird das Imperfekt aufgegeben und durch das Perfektum ersetzt. Geschmackvoll kann man auch das nicht nennen.

Worden

Ebenso schlimm wie die beiden eben bezeichneten ist aber nun noch eine dritte Verwirrung, die neuerdings aufgekommen ist und in kurzer Zeit reißende Fortschritte gemacht hat: die Verwirrung, die sich in dem Weglassen des Partizips worden im passiven Perfektum zeigt. Es handelt sich auch hier um eine Vermengung zweier grundverschiedner Zeitformen, der beiden, die man in der Grammatik als Perfektum und als Perfectum praesens bezeichnet.

[S. 106]

Nicht nur in gutem Schriftdeutsch, sondern auch in der gebildeten Umgangssprache ist noch bis vor kurzem aufs strengste unterschieden worden zwischen zwei Sätzen wie folgenden: auf dem Königsplatze sind junge Linden angepflanzt worden, und: auf dem Königsplatze sind junge Linden angepflanzt. Der erste Satz meldet den Vorgang oder die Handlung des Anpflanzens – das ist das eigentliche und wirkliche Perfektum; der zweite beschreibt den durch die Handlung des Anpflanzens geschaffnen gegenwärtigen Zustand – das ist das, was die Grammatik Perfectum praesens nennt. Der Altarraum ist mit fünf Gemälden geschmückt worden – das ist eine Mitteilung; der Altarraum ist mit fünf Gemälden geschmückt – das ist eine Beschreibung. Wenn mir ein Freund Lust machen will, mit ihm vierhändig zu spielen, so sagt er: komm, das Klavier ist gestimmt! Dann kann ich ihn wohl fragen: so? wann ist es denn gestimmt worden? aber nicht: wann ist es denn gestimmt? denn ich frage nach dem Vorgange. Wenn ein Maler sagt: mir sind für das Bild 6000 Mark geboten, so heißt das: ich kann das Geld jeden Augenblick bekommen, der Bieter ist an sein Gebot gebunden. Sagt er aber: mir sind 6000 Mark geboten worden, so kann der Bieter sein Gebot längst wieder zurückgezogen haben.

Handelte sichs um einen besonders feinen Unterschied, der schwer nachzufühlen und deshalb leicht zu verwischen wäre, so wäre es ja nicht zu verwundern, wenn er mit der Zeit verschwände. Aber der Unterschied ist so grob und so sinnfällig, daß ihn der Einfältigste begreifen muß. Und doch dringt der Unsinn, eine Handlung, einen Vorgang, ein Ereignis als Zustand, als Sachlage hinzustellen, in immer weitere Kreise und gilt jetzt offenbar für fein. Selbst ältere Leute, denen es früher nicht eingefallen wäre, so zu reden, glauben die Mode mitmachen zu müssen und lassen das worden jetzt weg. Täglich kann man Mitteilungen lesen wie: Dr. Sch. ist zum außerordentlichen Professor an der Universität Leipzig ernannt – dem Freiherrn von S. ist auf sein Gesuch der Abschied bewilligt – in H. ist eine Eisenbahnstation[S. 107] feierlich eröffnet – oder Sätze wie: über den Begriff der Philologie ist viel herumgestritten – die märkischen Stände sind um ihre Zustimmung offenbar nicht befragt – so ist die Reformation in Preußen als Volkssache vollzogen – er behauptete, daß er in dieser Anstalt wohl gedrillt, aber nicht erzogen sei – die Methode, in der Niebuhr so erfolgreich die römische Geschichte behandelte, ist von Ranke auf andre Gebiete ausgedehnt – man rühmt sich bei den Nationalliberalen, daß über 12000 Stimmen von ihnen abgegeben seien – es kann nicht geleugnet werden, daß an Verhetzung geleistet ist, was möglich war – es ist zu bedauern, daß so viel Fleiß nicht auf eine lohnendere Aufgabe verwendet ist – wie hätte die schöne Sammlung zustande kommen können, wenn nicht mit reichen Mitteln dafür eingetreten wäre?

Doppelt unbegreiflich wird der Unsinn, wenn durch Hinzufügung einer Zeitangabe noch besonders fühlbar gemacht wird, daß eben der Vorgang (manchmal sogar ein wiederholter Vorgang) ausgedrückt werden soll, nicht die durch den Vorgang entstandne Sachlage. Aber gerade auch diesem Unsinn begegnet man täglich in Zeitungen und neuen Büchern. Da heißt es: das Verbot der und der Zeitung ist heute wieder aufgehoben (worden! möchte man immer dem Zeitungschreiber zurufen) – der österreichische Reichsrat ist gestern eröffnet (worden!) – der Anfang zu dieser Umgestaltung ist schon vor längerer Zeit gemacht (worden!) – diese Frage ist schon einmal aufgeworfen und damals in verneinendem Sinne beantwortet (worden!) – vorige Woche ist ein Flügel angekommen und unter großen Feierlichkeiten im Kursaal aufgestellt (worden!) – in späterer Zeit sind an dieser Tracht die mannigfachsten Veränderungen vorgenommen (worden!) – in gotischer Zeit ist das Schiff der Kirche äußerlich verlängert und dreiseitig geschlossen (worden!) – an der Stelle, wo Tells Haus gestanden haben soll, ist 1522 eine mit seinen Taten bemalte Kapelle errichtet (worden!) – am Tage darauf, am 25. Januar, sind noch drei Statuen ausgegraben (worden!) –[S. 108] jedenfalls ist der Scherz in Karlsbad bei irgendeiner Gelegenheit aufs Tapet gebracht (worden!) – in B. ist dieser Tage ein Kunsthändler wegen Betrugs zu sechs Monaten Gefängnis verurteilt (worden!) – diese Dinge sind offenkundig, denn sie sind hundertmal besprochen (worden!) – die Wandlungen der Mode sind zu allen Zeiten von Sittenpredigern bekämpft (worden!) – bis 1880 ist von dieser Befugnis nicht ein einzigesmal Gebrauch gemacht (worden!).

Wo der Unsinn hergekommen ist? Er stammt aus dem Niederdeutschen und hat seine schnelle Verbreitung unzweifelhaft auf dem Wege über Berlin gefunden. Die Unterscheidung der beiden Perfekta in unsrer Sprache ist nämlich verhältnismäßig jung, sie ist erst im fünfzehnten Jahrhundert zustande gekommen, und zwar ganz allmählich. Erst um die Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts fing man an, zu sagen: daß ein Knecht geschlagen ist worden (anfangs immer in dieser Wortstellung). Aber schon im sechzehnten Jahrhundert war die willkommne Unterscheidung durchgedrungen und unentbehrlich geworden. Nur die niederdeutsche Vulgärsprache lehnte sie ab und beharrt – noch heute, nach vierhundert Jahren – dabei. Welche Lächerlichkeit nun, diesen unvollkommnen Sprachrest, der heute doch lediglich auf der Stufe eines Provinzialismus steht, aller Vernunft und aller Logik zum Trotz der gebildeten Schriftsprache wieder aufnötigen zu wollen! Der Unterricht sollte sich mit aller Macht gegen diesen Rückschritt sträuben.

Wurde geboren, war geboren, ist geboren

Eine biographische Darstellung ist natürlich auch eine Erzählung, kann sich also in keinem andern Tempus bewegen als im Imperfekt. Aber der erste Satz, die Geburtsangabe, wie stehts damit? Soll man schreiben: Lessing war geboren, Lessing wurde geboren oder Lessing ist geboren? Alle drei Ausdrucksweisen kommen vor. Aber merkwürdigerweise am häufigsten die falsche! Er ist geboren – das kann man doch vernünftigerweise nur von dem sagen, der noch lebt. Den Lebenden[S. 109] fragt man: wann bist du denn geboren? Und dann antwortet er: ich bin am 23. Mai 1844 geboren. Von einem, der nicht mehr lebt, kann man wohl am Schlusse seiner Lebensbeschreibung sagen: gestorben ist er am 31. Oktober 1880. Damit fällt man zwar aus der Form der Erzählung heraus in die der bloßen tatsächlichen Mitteilung; aber die ist dort ganz am Platze, denn sie drückt die gegenwärtige Sachlage aus. Am Anfang einer Lebensbeschreibung aber kann es vernünftigerweise nur heißen: er war oder er wurde geboren; mit wurde versetze ich mich – was das natürlichste ist – an den Anfang des Lebenslaufs meines Helden, mit war versetze ich mich mitten hinein. In wieviel hundert und tausend Fällen aber wird in Zeitungsaufsätzen, im Konversationslexikon, in Kunst- und Literaturgeschichten usw. die Gedankenlosigkeit begangen, daß man von Verstorbnen zu erzählen anfängt, als ob sie lebten! Den Fehler damit verteidigen zu wollen, daß man sagte: ein großer Mann lebe eben nach seinem Tode fort, wäre eine arge Sophisterei. Das Fortleben ist doch immer nur bildlich gemeint, in der Biographie aber handelt sichs um das wirkliche Leben.

Erzählung und Inhaltsangabe

Wer eine Geschichte erzählt, bedient sich des Imperfekts; alle Ereignisse; die vor der Geschichte liegen, die erzählt wird, also zu der sogenannten Vorfabel gehören, müssen im Plusquamperfekt mitgeteilt werden. Imperfekt und Plusquamperfekt sind die beiden einzigen Tempora, die in den erzählenden Abschnitten einer Novelle oder eines Romans vorkommen können. Die Vorfabel braucht nicht am Anfang der Novelle zu stehen, sie kann mitten in der Novelle nachgetragen, ja selbst auf mehrere Stellen der Novelle verteilt werden. Immer aber muß das sofort durch den Tempuswechsel kenntlich gemacht werden. Zieht sich nun die Vorfabel in die Länge, so wird der Leser bald des Plusquamperfekts überdrüssig, und der Erzähler muß dann auch für die Vorfabel in das Imperfekt einzulenken suchen. Das geschickt und fein und[S. 110] an der richtigen Stelle zu machen ist eine Aufgabe, an der viele Erzähler scheitern.

Noch schwieriger freilich scheint eine andre Aufgabe zu sein: wenn Rezensenten den Inhalt eines Romans, eines erzählenden Gedichts, eines Dramas angeben, so zeigen sie nicht selten eine klägliche Hilflosigkeit in der Anwendung der Tempora. Man kann Inhaltsangaben lesen, deren Darstellung zwischen Präsens und Imperfekt, Perfekt und Plusquamperfekt nur immer so hin und her taumelt. Und doch ist auch diese Aufgabe eigentlich nicht schwieriger als die andre. Ein Buch, das besprochen wird, liegt vor. Da hat kein andres Tempus etwas zu suchen als das Präsens und das Perfektum, das Präsens für die Geschichte selbst, das Perfektum für die Vorgeschichte. Wer den Inhalt wissen will, fragt nicht: wie war denn die Geschichte? sondern: wie ist denn die Geschichte? Und anders kann auch der nicht antworten, der den Inhalt des Buches angibt; er kann nur sagen: die Geschichte ist so, und nun fängt er im Präsens an: Auf einem Gut in der Nähe von Danzig lebt ein alter Rittmeister; er hat früher eine zahlreiche Familie gehabt, steht aber jetzt allein da usw. Auch wer in der Unterhaltung den Inhalt eines Schauspiels angibt, das er am Abend zuvor im Theater gesehen hat, bedient sich keines andern Tempus und kann sich keines andern bedienen. Nur manche Zeitungschreiber scheinen das nicht begreifen zu können.[60]

Nicht ganz leicht dagegen ist es wieder, in der Erzählung das sogenannte Praesens historicum, das Präsens der lebhaften, anschaulichen Schilderung richtig anzuwenden. Genau an der richtigen Stelle in dieses Präsens einzufallen, genau an der richtigen Stelle sich wieder ins Imperfekt zurückzuziehen, das glückt nur wenigen. Die meisten fangen es recht täppisch an.

[S. 111]

Tempusverirrung beim Infinitiv

Wenn jemand anstatt: da muß ich mich geirrt haben – sagen wollte: da mußte ich mich irren oder: da habe ich mich irren müssen, so würde man ihn wohl sehr verdutzt ansehen, denn eine solche Tempusverschiebung aus dem Infinitiv in das regierende Verbum ließe auf eine nicht ganz normale Geistesverfassung schließen. Der Fehler wird aber gar nicht selten gemacht, nur daß er nicht immer so verblüffend hervortritt, z. B.: ich glaube bewiesen zu haben, daß die Verfügung des Oberpräsidenten an dem Anschwellen der Bewegung nicht schuld sein konnte (anstatt: nicht schuld gewesen sein kann). Nicht besser, eher noch schlimmer ist es, die Vergangenheit doppelt zu setzen, z. B.: später mochten wohl die Arbeiten für den Kurfürsten dem Künstler nicht mehr die Muße gelassen haben. Wenn ein Vorgang aus der Vergangenheit nicht als wirklich, sondern mit Hilfe von scheinen, mögen, können, müssen nur als möglich oder wahrscheinlich hingestellt werden soll, so gehört die Vergangenheit natürlich nicht in die Form der Aussage, denn die Aussage geschieht ja in der Gegenwart, sondern sie gehört in den Infinitiv. Es muß also heißen: mögen nicht gelassen haben.

Manche möchten es ja nun gern richtig machen, sind sich aber über die richtige Form des Infinitivs nicht klar. Wenn z. B. jemand schreibt: Ludwig scheint sich durch seine Vorliebe für die Musik etwas von den Wissenschaften entfernt zu haben – und sich einbildet, damit den Satz: Ludwig hatte sich von den Wissenschaften entfernt – in das Gebiet der Wahrscheinlichkeit gerückt zu haben, so irrt er sich. Die Tempora des Indikativs und des Infinitivs entsprechen einander in folgender Weise:

L. entfernt sich – scheint sich zu entfernen.

L. entfernte sich – scheint sich entfernt zu haben (nämlich damals).

L. hat sich entfernt – scheint sich entfernt zu haben (nämlich jetzt).

[S. 112]

L. hatte sich entfernt – scheint sich entfernt gehabt zu haben.

L. wird sich entfernen – scheint sich entfernen zu wollen.

Relativsätze. Welcher, welche, welches

Unter den Nebensätzen ist keine Art, in der so viel und so mannigfaltige Fehler gemacht würden wie in den Relativsätzen. Freilich sind sie auch die am häufigsten verwendete Art.

Ein Hauptübel unsrer ganzen Relativsatzbildung liegt zunächst nicht im Satzbau, sondern in der Verwendung des langweiligen Relativpronomens welcher, welche, welches. Das Relativpronomen welcher gehört, wie so vieles andre, fast ausschließlich der Papiersprache an, und da sein Umfang und seine Schwere in gar keinem Verhältnis zu seiner Aufgabe und Leistung stehen, so trägt es ganz besonders zu der breiten, schleppenden Ausdrucksweise unsrer Schriftsprache bei. In der ältern Sprache war welcher (swelher) durchaus nicht allgemeines Relativpronomen, sondern nur indefinites Relativ, es bedeutete: wer nur irgend (quisquis), jeder, der, noch bei Luther: welchen der Herr lieb hat, den züchtiget er. Erst seit dem fünfzehnten Jahrhundert ist es allmählich zum gemeinen Relativum herabgesunken. Aber nur in der Schreibsprache, die sich so gern breit und wichtig ausdrückt, zuerst in Übersetzungen aus dem Lateinischen; der lebendigen Sprache ist es immer fremd geblieben und ist es bis auf den heutigen Tag fremd. Niemand spricht welcher, es wird immer nur geschrieben! Man beobachte sich selbst, man beobachte andre, stundenlang, tagelang, man wird das vollständig bestätigt finden. Es ist ganz undenkbar, daß sich in freier, lebendiger Rede, wie sie der Augenblick schafft, das Relativum welcher einstellte; jedermann sagt immer und überall: der, die, das. Es ist undenkbar, daß jemand bei Tische sagte: die Sorte, welche wir vorhin getrunken haben, oder: wir gehen wieder in die Sommerfrische, in welcher wir[S. 113] voriges Jahr gewesen sind.[61] In stenographischen Berichten über öffentliche Versammlungen und Verhandlungen findet man allerdings oft Relativsätze mit welcher, aber darauf ist nicht viel zu geben, diese Berichte werden redigiert, und wer weiß, wie viele der dabei erst nachträglich in welcher verwandelt werden, weil mans nun einmal so für schriftgemäß hält! Und dann: Leute, die viel öffentlich reden, sprechen nicht, wie andre Menschen sprechen, sie sprechen auch, wenn sie am Rednerpulte stehen, anders als in der Unterhaltung, sie sprechen nicht bloß für die Zeitung, sie sprechen geradezu Zeitung; alte Gewohnheitsredner, die Tag für Tag denselben Schalenkorb ausschütten und es gar nicht mehr für der Mühe wert halten, sich auf eine „Ansprache“ vorzubereiten, suchen auch mit ihrem welcher Zeit zu gewinnen, wie andre mit ihrem äh – äh. Wenn aber ein junger Pfarrer auf der Kanzel Relativsätze mit welcher anfängt, so kann man sicher sein, daß er die Predigt aufgeschrieben und wörtlich auswendig gelernt hat; wenn ein Festredner aller Augenblicke welcher sagt, so kann man sicher sein, daß das Manuskript seiner Festrede schon in der Redaktion des Tageblatts ist. Wer den Ausdruck im Augenblicke schafft, sagt der, nicht welcher. Darum ist auch welcher in der Dichtersprache ganz unmöglich. In Stellen, wie bei Goethe (in den Venezianischen Epigrammen): welche verstohlen freundlich mir streifet den Arm – oder bei Schiller (in Shakespeares Schatten): das große gigantische Schicksal, welches den Menschen erhebt, wenn es den Menschen zermalmt – oder bei Hölty: wunderseliger Mann, welcher der Stadt entfloh – oder bei Schikaneder: bei Männern, welche Liebe[S. 114] fühlen – oder bei Tiedge (in der Urania): mir auch war ein Leben aufgegangen, welches reichbekränzte Tage bot – oder bei Uhland: ihr habt gehört die Kunde vom Fräulein, welches tief usw., ist es nichts als ein langweiliges Versfüllsel, eine Strohblume in einem Rosenstrauß. Darum wird es ja auch mit Vorliebe in der Biedermeierpoesie verwendet und wirkt dort so unnachahmlich komisch: zu beneiden sind die Knaben, welche einen Onkel haben, oder: wie z. B. hier von diesen, welche Max und Moritz hießen. Aber auch in der dichterischen Prosa, was gäbe man da manchmal drum, wenn man das welcher hinauswerfen könnte, wie bei Gottfried Keller in Romeo und Julia auf dem Dorfe: sie horchten ein Weilchen auf diese eingebildeten oder wirklichen Töne, welche von der großen Stille herrührten, oder welche sie mit den magischen Wirkungen des Mondlichtes verwechselten, welches nah und fern über die grauen Herbstnebel wallte, welche tief auf den Gründen lagen!

Leider lernt man in der Schule als Relativpronomen kaum etwas andres kennen als welcher. Man schlage eine Grammatik auf, welche (hier ist es am Platze! denn hier heißt es: welche auch immer) man will, eine lateinische, eine griechische, eine französische, eine englische: wie ist das Relativpronomen ins Deutsche übersetzt? Welcher, welche, welches! Allenfalls steht der, die, das in Klammern dahinter, als ob das gelegentlich einmal als Ersatz dafür geduldet werden könnte! Und sieht man in die Beispielsätze, die zur Übung in die fremde Sprache übersetzt werden sollen, wie fangen die Relativsätze an? Mit welcher, welche, welches. Nur ja nicht mit der! der Schüler könnte ja einmal irre werden! Daß die lebendige Sprache eine einzige große Widerlegung dieses Unsinns ist, sieht gar niemand. Kein Wunder, daß den meisten später das langweilige Wort in die Feder läuft, sowie sie die Feder in die Hand nehmen. Gerade umgekehrt müßte es sein. In allen Grammatiken müßte der, die, das als Relativpronomen stehn, dahinter in Klammern welcher, welche, welches, denn das ist doch das traurige Surrogat. Man benutze[S. 115] in Gottes Namen welcher im Unterricht ein paar Wochen lang als Verständniskrücke; aber sobald der Junge den Begriff des Relativs gefaßt hat, müßte die Krücke unbedingt weggeworfen und er wieder auf seine eignen Beine gestellt werden. Wer einmal auf dieses Verhältnis zwischen der und welcher aufmerksam geworden oder aufmerksam gemacht worden ist, den verfolgt welcher förmlich beim Lesen, er sieht es immer gleichsam gesperrt oder fett gedruckt, und in wenigen Tagen ist es ihm ganz unerträglich geworden: wenn ers schreiben wollte, käme er sich entweder ganz schulknabenhaft vor, oder er sähe sich sitzen wie einen alten, verschleimten Aktuarius mit Vatermördern, Hornbrille und Gänsekiel. Bisweilen will ihm wohl noch einmal ein wel– aus der Feder laufen! aber weiter kommt er nicht, dann streicht ers ohne Gnade durch und setzt der darüber.[62]

Aber gibt es denn nicht Fälle, wo man welcher gar nicht umgehen kann, wo man es ganz notwendig braucht, um einen häßlichen Gleichklang zu vermeiden? Wenn nun unmittelbar auf der (qui oder cui) der Artikel der folgt, unmittelbar auf die (quae oder quam oder quos oder quas) der Artikel die? Nikolaus, der der Vater des Andreas gewesen war – eine Verwandlung, bei der der große Vorhang nicht fällt – die Prozessionsstraße, auf der der Papst zum Lateran zog – auf der Wiese, durch die die Straße führt – die Bildwerke, die die hehre Göttin verherrlichen – das Tau, das das Fahrzeug am Ufer hielt – das sind doch ganz unerträgliche Sätze, nicht wahr? Mancher Schulmeister behauptets. Es gehört das in das berühmte Kapitel von den angeblich unschönen Wiederholungen, vor denen der Unterricht zu warnen pflegt. Die Warnung ist aber ganz überflüssig, sie stammt nur aus der Anschauung[S. 116] des Papiermenschen, der die Sprache bloß noch schwarz auf weiß, aber nicht mehr mit den Ohren aufzufassen vermag. Der Papiermensch sieht das doppelte der der oder die die, und das flößt ihm Entsetzen ein. Aber lies doch einmal solche Sätze laut, lieber Leser, hörst du nichts? Ich denke, es wird dir aufdämmern, daß es zwei ganz verschiedne Wörter sind, die hier nebeneinander stehen: ein lang und schwer gesprochnes der (das Relativpronomen) und ein kurz und leicht gesprochnes der (der Artikel). Was man hört, ist: deer dr. Jedermann spricht so, und keinem Menschen fällt es ein, daran Anstoß zu nehmen; warum soll man nicht so schreiben? Aberglaube, dummer Aberglaube! Und fürchtet sich denn jemand vor daß das? Jeder schreibt unbedenklich: wir wissen, daß das höchste Gut die Gesundheit ist. Ach so, das sind wohl zwei verschiedne Wörter? das eine mit ß, das andre mit s? Nein, es sind keine verschiednen Wörter. Sie klingen gleich, und sie sind gleich; das Fügewort daß ist ja nur in der Schrift ganz willkürlich von dem hinweisenden Fürwort das unterschieden worden.[63]

Das und was

Ein häßlicher Fehler ist es, statt des relativen das zu schreiben was, wenn sich das Relativ auf einen bestimmten einzelnen Gegenstand bezieht, z. B. das Haus, wasdas Buch, wasdas Ziel, was. Nur die niedrige Umgangssprache drückt sich so aus; in der guten Schriftsprache wie in der feinern Umgangssprache ist was als Relativ auf ganz bestimmte Fälle beschränkt: es wird nur hinter substantivierten Fürwörtern,[S. 117] Zahlwörtern und Eigenschaftswörtern gebraucht, z. B. das, wasdasselbe, wasetwas, wasalles, wasvieles, wasdas wenige, wasdas einzige, wasdas erste, wasdas letzte, wasdas meiste, wasdas Gute, wasdas Beste, was. Doch ist auch hier, namentlich bei den substantivierten Adjektiven, wohl zu unterscheiden zwischen solchen Fällen, wo es sich um ein Allgemeines handelt, und solchen, wo etwas Besondres, Bestimmtes, Einzelnes vorschwebt. Fälle der zweiten Art sind z. B.: etwas Ungeschicktes, das mich in Verlegenheit brachte – das Bittre, das zwischen uns getreten ist – das Besondre, das dem Allgemeinen untergeordnet ist – das Schiefe und Hinkende, das jeder Vergleich hat – das Moralische, das einem doch nicht gleichgiltig sein kann – das Erlernbare, das sich jederzeit in Büchern wieder auffinden läßt – wenn an das Gute, das ich zu tun vermeine, gar zu nah was Schlimmes grenzt (Lessing). Hinter dem Superlativ von substantivierten Eigenschaftswörtern ist in den meisten Fällen was das richtige, aber doch nur deshalb, weil gewöhnlich ein partitiver Genitiv zu ergänzen ist (von dem, von allem), der das was verlangen würde. Wenn ich sage: das Erhabenste, was Beethoven geschaffen hat – so meine ich nicht das Erhabenste überhaupt, sondern eben das Erhabenste von dem oder von allem, was Beethoven geschaffen hat. Der Superlativ für sich allein bezeichnet hier noch gar nichts, der Relativsatz ist die notwendige Ergänzung dazu. Wenn ich dagegen sage: das Erhabenste, das wir Gott nennen, so ist gar nichts zu ergänzen, der Relativsatz kann auch fehlen, es ist das Erhabenste schlechthin gemeint. Beispiele der ersten Art sind: das Höchste, was wir erreichen können – das Schlimmste, was einem Staate widerfahren kann – das Ärgste, was Menschen einander antun können – das Beste, was du wissen kannst, darfst du den Buben doch nicht sagen (Faust) – er preist das Höchste, das Beste, was das Herz sich wünscht, was der Sinn begehrt (Schiller). Hier wird denn auch meist richtig was gesetzt. Nach dem Positiv gebrauchen[S. 118] aber auch gute Schriftsteller blindlings bald das, bald was. Sieht man sich die Beispiele näher an, so sieht man, daß sie viel öfter das Falsche als das Richtige getroffen haben.

Endlich ist was für das auch da notwendig, wo sich das Relativ auf den Inhalt eines ganzen Satzes bezieht, z. B. der Mensch, das Tier mit zwei Händen, das auch lachen kann, was der Affe immer noch nicht fertig bringt. In einem Satze wie: es ist kein freundliches Bild, was der Verfasser vor uns aufrollt – wird nicht deutlich, ob sich was auf Bild beziehen soll; man kann den Relativsatz auch als Subjektsatz auffassen: was der Verfasser vor uns aufrollt, ist kein freundliches Bild. In diesem Falle wäre natürlich was richtig, im andern müßte es das heißen.

Wie, wo, worin, womit, wobei

Daß Präpositionen in Verbindung mit dem Relativpronomen durch die hübschen relativen Adverbia worin, woraus, womit, wobei, woran, wofür usw. ersetzt werden können und in der lebendigen Sprache sehr oft ersetzt werden, wenn sich das Relativ auf eine Sache (nicht auf eine Person!) zurückbezieht, daran denken beim Schreiben die wenigsten, und wenn sie daran denken, so wagen sie nicht, Gebrauch davon zu machen. Am ehesten getrauen sie sichs noch da, wo sie auch was statt das sagen würden. Aber ein Brief, worin – eine Fläche, worauf – ein Messer, womit – ein Mittel, wodurch – eine Regel, wobei – ein Geschenk, worüber – eine Gefahr, wovor – (auch: der Grund, weshalb) – wie wenigen will das aus der Feder! Sie halten es womöglich gar für falsch. Irgendein Schulmeister, der sich nicht vom Lateinischen hatte losmachen können, hat ihnen vielleicht einmal in der Jugend davor bange gemacht, und so schreiben sie denn: diese beiden Punkte sind es, an welchen Grimm aufs strengste festgehalten hat – der innige Zusammenhang, in welchem Glaube, Recht und Sitte stehen – das einfache, schmucklose Gewand, mit welchem uns die Natur wie eine Mutter umfängt usw.[S. 119] Und doch heißt es in dem Bürgerschen Spruch: Die schlechtsten Früchte sind es nicht, woran die Wespen nagen. Nun gar das einfache wo: das Gebäude, wo – ein Gebiet, wo – in einer Stadt, wo – in allen Fällen, wo – eine Gelegenheit, wo – eine Ausgabe, wo (z. B. der Sopran die Melodie hat), und vollends dieses einfache wo von der Zeit gebraucht: wir gedenken an jene Zeit der Jugend, wo wir zuerst auszogen – die Eltern sind genötigt, über den Bildungsgang ihrer Kinder schon zu einer Zeit Bestimmungen zu treffen, wo deren Anlagen noch zu wenig hervorgetreten sind – seit dem 29. März, wo die neue Bewegung begann – seit dem Jahre 1866, wo er sein Amt niedergelegt hatte – wie wenige wagen das zu schreiben, wie wenige haben eine Ahnung davon, daß auch das grammatisch ganz richtig und hundertmal schöner ist als das ungeschickte: seit dem 29. März, an welchem Tage – seit 1866, in welchem Jahre usw.[64] Ist es nicht kläglich komisch, in einem Manuskript sehen zu müssen, wie der Verfasser erst geschrieben hat: die Depesche gelangte an demselben Tage in seine Hände, als usw., dann das als wieder durchgestrichen und darübergesetzt hat: an welchem, aber auf das gute, einfache, natürliche wo nicht verfallen ist? Und genau so ist es mit wie. Die Art und Weise, wie – in dem Grade, wie – in jenem Sinne, wie – in dem Maße, wie – über die Richtung, wie – wie wenige getrauen sich das zu schreiben! Die alten Innungen waren Produktivgenossenschaften in jenem vernünftigen Sinne, in welchem jeder Staat es ist – man war im Zweifel über die Art und Weise, in welcher die soziale Gesetzgebung vorzugehen habe – ein Bier, das in demselben Grade ungenießbar wird, in welchem sich seine Temperatur über den Gefrierpunkt erhebt – in dem Maße, in welchem (wie!) sich die Partei dem Augenblicke nähert, in welchem (wo!) sie ihr Versprechen erfüllen soll – anders schreibt der Papiermensch gar nicht.

[S. 120]

Das relative Adverbium wo bedeutet keineswegs, wie so viele glauben, nur den Ort, es bedeutet, wie das ihm entsprechende da, ebensogut auch die Zeit. Merkwürdigerweise hat man noch eher den Mut, zu schreiben: die Zeit, da – als: die Zeit, wo. Manche lieben sogar dieses da, ziehen also hier das Demonstrativ in der relativen Bedeutung vor, während sie doch sonst immer welcher für der schreiben. Aber da als Relativ klingt uns heute doch etwas veraltet (man denke nur an den Bibelspruch: seid Täter des Worts und nicht Hörer allein, damit ihr euch selbst betrüget), es kann auch leicht mit dem kausalen da verwechselt werden, z. B. mitten in einer trüben Zeit, da ihn ein Augenleiden heimsuchte. Für in welchem sollte man, wo es irgend angeht, schreiben worin; bei in dem entsteht der Übelstand, daß es mit dem Fügewort indem verwechselt werden kann: der Aufsatz, in dem ihm vorgeworfen wird, er heuchle Frömmigkeit. Auf dem Papier natürlich nicht, aber das Papier geht uns auch nichts an; beim Hören kanns verwechselt werden – das ist die Hauptsache!

Wechsel zwischen der und welcher

Wenn zu einem Worte zwei (oder mehr) Relativsätze zu fügen sind, so halten es viele für eine besondre Schönheit, mit dem Relativpronomen abzuwechseln. Es ist das der einzige Fall, wo sie einmal mit Bewußtsein und Absicht zu dem Relativum der greifen, während sie sonst, wie die Schulknaben, immer welcher schreiben. Jeden Tag kann man Sätze lesen wie: das Allegro und das Scherzo fanden nicht das Maß von Beifall, welches wir erwartet hatten, und das sie verdienen – jedes Grundstück, welches mindestens zu einem Grundsteuerertrage von 200 Mark eingeschätzt ist, und das mindestens einen Taxwert von 1000 Mark hat – lehrreich ist die Niederschrift durch die Korrekturen, welche der Komponist selbst darin vorgenommen hat, und die sich nicht nur im Ändern einzelner Noten zeigen – in eine weite Hausflur mündete die Treppe, welche in die obern Stockwerke führte, und die man gern als Wendeltreppe gestaltete – die ehrwürdigen Denkmäler der Druckkunst,[S. 121] welche uns der Altmeister selbst hinterlassen hat, und die man mit dem Namen Wiegendrucke bezeichnet – es geht nicht an, daß wir Schäden groß wachsen sehen, die uns als schwache Köpfe erscheinen lassen, und auf welche die Fremden mit Fingern weisen – es war ein Klang in seinen Worten, welcher alle Herzen ergriff, und dem sie gern weiter gelauscht hätten – Aufsätze, welche bereits in verschiednen Zeitschriften erschienen sind, und die durch ihre Beziehungen auf Schwaben zusammengehalten werden. Kein Zweifel: in allen diesen Fällen liegt ein absichtlicher Wechsel vor; alle, die so schreiben, glauben eine besondre Feinheit anzubringen.

Aber das Gegenteil ist der Fall. Abgesehen davon, daß die Wiederholung des Relativpronomens bisweilen ganz überflüssig ist, weil das Satzgefüge dasselbe bleibt, ist es auch unbegreiflich, wie jemand in seinem Sprachgefühl so irre gehen kann. Wenn man an ein Hauptwort zwei oder mehr Relativsätze anschließt, so stehn doch diese Sätze als Bauglieder innerhalb des Satzgefüges parallel zueinander, etwa so:

 
Erster Relativsatz 
Hauptsatz 
Schrägstrich    
  umgekehrter Schrägstrich
Zweiter Relativsatz 

Wie kann man da auf den Gedanken kommen, diese beiden parallelstehenden Sätze verschieden anknüpfen zu wollen! Das natürliche ist es doch, parallellaufende Sätze auch gleichmäßig anzuknüpfen, ja es ist das geradezu notwendig, die Abwechslung stört nur und führt irre. Wenn ich erst der lese und im nächsten Satze welcher, so suche ich unwillkürlich bei dem wechselnden Pronomen auch nach dem wechselnden Hauptwort und sehe zu spät, daß ich genarrt bin. Mit der vermeintlichen Schönheitsregel ist es also nichts; auch sie ist nur ein Erzeugnis der abergläubischen Furcht, kurz hintereinander zweimal dasselbe Wort – geschrieben zu sehen. Die vernünftige Regel heißt: Parallele Relativsätze müssen mit demselben Relativpronomen beginnen, also alle mit der, die, das. Es gibt viele Talente, die vielleicht nie selbständig etwas erfinden werden, die man daher auf der Akademie zwecklos[S. 122] mit Kompositionsaufgaben plagt, die aber beweglich genug sind, das in der Kopierschule erlernte frei umzubilden – das ist gutes Deutsch. Welcher, welche, welches ist auch hier ganz entbehrlich.

Etwas andres ist es, wenn auf einen Relativsatz ein zweiter folgt, der sich an ein neues Hauptwort in dem ersten Relativsatz anschließt, etwa so:

Hauptsatz 
   
  umgekehrter Schrägstrich  
Erster Relativsatz 
 
    umgekehrter Schrägstrich  
Zweiter Relativsatz. 

Da wechselt die Beziehung, und da hat es etwas für sich, auch das Pronomen wechseln zu lassen; die Abwechslung kann da sogar die richtige Auffassung erleichtern und beschleunigen, wie in folgenden Sätzen: Klaviere, die den Anforderungen entsprechen, welche in Tropengegenden an sie gestellt werden – Gesetze, die bestimmte Organisationen zum Gegenstande haben, welche nur bei der katholischen Kirche vorkommen – die Bühnen, die mit einer ständigen Schar von Freunden rechnen können, welche mit liebevollem Interesse ihrer Entwicklung folgen – Verbesserungen, die der Dichter der dritten Ausgabe seiner Gedichte zu geben beabsichtigte, welche er leider nicht mehr erlebte – Amerika zerfällt in zwei Hälften, die nur durch eine verhältnismäßig schwache Brücke zusammenhängen, welche sich nicht zu einem Handelsweg eignet – in dem Pakt, den Faust mit dem Geiste der Verneinung schließt, welcher sich als der Zwillingsbruder des Todes bekennt – es fehlte bisher an einer Darstellung, die allen Anforderungen entsprochen hätte, welche an Kunstblätter von nationaler Bedeutung zu stellen sind – es gelang uns, in Beziehung zu den Stämmen zu treten, die die Artikel produzieren, welche unsern Kaufleuten zugehen, und die zugleich ein weites Absatzgebiet für unsre Industrie bieten. Dabei empfiehlt sich übrigens (aus rhythmischen Gründen, der Steigerung wegen), der immer an die erste, welcher an die zweite Stelle zu bringen, nicht umgekehrt! Aber unbedingt nötig ist der Wechsel auch hier nicht.

[S. 123]

Welch letzterer und welcher letztere

An einen ganzen Rattenkönig von Sprachdummheiten rührt man mit der so beliebten Verbindung: welcher letztere. Auf die häßliche unorganische Bildung ersterer und letzterer – eine komparativische Weiterbildung eines Superlativs! – soll dabei gar kein Gewicht gelegt werden, denn solche Erscheinungen gibt es viele in der Sprache und in allen Sprachen, wenn es auch nichts schaden kann, daß man sich einmal das Unorganische dieser Formen durch die Vorstellung zum Bewußtsein bringt, es wollte jemand der größtere, der kleinstere, der bestere, der schönstere bilden. Viel schlimmer ist ihre unlogische Anwendung.

Wenn ein Relativsatz nicht auf ein einzelnes Hauptwort, sondern auf eine Reihe von Hauptwörtern, zwei, drei, vier oder mehr folgt, so ist es selbstverständlich, daß das Relativ nicht an das letzte Glied angeschlossen, sondern nur auf die ganze Reihe bezogen werden kann, also nicht so:

 Erstes Hauptwort
 
 Zweites Hauptwort
 
 Drittes Hauptwort
 
  umgekehrter Schrägstrich
 Relativsatz 

sondern so:

 Erstes Hauptwort
 
 Zweites Hauptwort
umgekehrter Schrägstrich
 Relativsatz 
 Drittes Hauptwort
Schrägstrich  

Die Hauptwörter werden gleichsam zu einer Gruppe, zu einem Bündel zusammengeschnürt, und der Relativsatz muß an dem ganzen Bündel hängen. Es kann also nicht heißen: Lessing, Goethe und Schiller, der, sondern nur: Lessing, Goethe und Schiller, die. Das fühlt auch jeder ohne weiteres. Nun möchte man aber doch manchmal, nachdem man zwei, drei, vier Dinge aufgezählt hat, gerade über das zuletzt genannte noch etwas näheres in einem Relativsatz aussagen. Ein bloßes welcher – das fühlt jeder – ist unmöglich; es gehn ja drei voraus! Aber welcher letztere oder welch letzterer – das rettet! Also: das Bild stellt Johannes den Täufer und[S. 124] den Christusknaben dar, welch letzterer von dem Täufer in die Welt eingeführt wird – einen Hauptartikel des Landes bildeten die Landesprodukte, wie Kobalt, Wein, Leinwand und Tuch, welch letzteres allerdings dem niederländischen nachstand – er war Regent der weimarischen, gothaischen und altenburgischen Lande, welche letztern ihm aber erst kurz vor seinem Tode zufielen – die Summe des Intellektuellen im Menschen setzt sich zusammen aus Geist, Bildung und Kenntnissen, welchen letztern auch die Vorstellungen zugezählt werden dürfen – es gibt von dem Bilde schwarze und braune Abdrücke, welch letztere aber erst 1784 erschienen sind – den Schluß bildet der Jahresbericht und das Mitgliederverzeichnis, welch letzteres eine große Anzahl neuer Namen enthält – der Neger überflügelt zuerst seine Schulkameraden weit, besonders in der Mathematik und in den Sprachen, für welch letztere seine Begabung erstaunlich ist.

Dieses letztere ist ein bequemes, aber sehr häßliches Auskunftsmittel; ein guter Schriftsteller wird nie seine Zuflucht dazu nehmen. Es läßt sich auch sehr leicht vermeiden, z. B. indem man das letzte Glied für sich stellt: das Bild stellt Johannes den Täufer dar und den Christusknaben, der usw., oder indem man statt des Relativsatzes einen Hauptsatz bildet, worin das letzte Hauptwort wiederholt wird.

Noch schlimmer ist es freilich, wenn, wie so oft, welch letzterer selbst da geschrieben wird, wo nur ein einziges (!) Substantivum vorhergeht, eine falsche Beziehung also ganz unmöglich ist, z. B.: der Plan ist der Wiener Fachschule nachgebildet, welch letztere ihn schon seit längerer Zeit hat – der Urkunde ist die durch den Bischof von Merseburg erteilte Bestätigung beigegeben, welche letztere aber nichts besondres enthält – den gesetzlichen Bestimmungen gemäß scheiden vier Mitglieder aus, welch letztere aber wieder wählbar sind – die Menge richtet sich nach den Beamten, nicht nach dem Gesetz, welch letzteres sie selten kennt – überall wechseln üppige Wiesengründe mit stattlichen Waldungen, welch letztere namentlich die Bergkuppen und Hänge[S. 125] bedecken – der König nahm in dem Wagen Platz, welch letzterer aber schon nach einer Minute vor dem Hotel hielt. Welch eine Schwulst! Vier Silben, wo drei Buchstaben genügen!

Relativsätze an Attributen

Sehr vorsichtig muß man damit sein, einen Relativsatz hinter ein Hauptwort zu stellen, das ein Attribut mit einem zweiten Hauptworte (am häufigsten als abhängigen Genitiv) bei sich hat. Jedes der beiden Hauptwörter, das erste so gut wie das zweite, kann einen Relativsatz zu sich nehmen; es kommt nur darauf an, welches von beiden den Ton hat. Beide zugleich sind nie betont, entweder hat das tragende den Ton, oder das getragne, das im Attribut steht. Welches von beiden betont ist, ergibt sich gewöhnlich sofort aus dem Zusammenhange. Nur an das betonte Hauptwort aber kann sich der Relativsatz anschließen.

Es ist also nichts einzuwenden gegen Verbindungen wie folgende: mit zehn Jahren wurde ich in die unterste Klasse der Kreuzschule aufgenommen, der ich dann acht Jahre lang als Schüler angehörte – bezeichnend ist sein Verhältnis zum Gelde, das er stets wie ein armer Mann behandelte. In diesen Fällen ist das Hauptwort des Attributs betont, der Relativsatz schließt sich also richtig an. Ob man nicht trotzdem solche Verbindungen lieber meiden sollte, namentlich dann, wenn die beiden Hauptwörter gleiches Geschlecht haben, ist eine Frage für sich. Vorsicht ist auch hier zu empfehlen, ein Mißverständnis manchmal nicht ausgeschlossen. Unbedingt falsch dagegen ist folgender Satz: auch warne ich vor einer bravourmäßigen Auffassung der zweiten Variation, die dort gar nicht am Platze ist. Es ist von den Variationen in einer Beethovenschen Sonate die Rede; die erste Variation ist besprochen, nun kommt die zweite an die Reihe. Da ist es klar, daß der Relativsatz nur heißen kann: die eine solche (nämlich eine bravourmäßige Behandlung) gar nicht verträgt.

Viel öfter kommt aber nun der umgekehrte Fehler vor: daß ein Relativsatz an das zweite Hauptwort angeschlossen[S. 126] wird, obwohl das erste den Ton hat. In den meisten Fällen – das ist das Natürliche in jeder logisch fortschreitenden Darstellung – wird das neu Hinzugekommne, das Unterscheidende, also das zu Betonende in dem tragenden Hauptworte liegen, nicht in dem Attribut. Wenn trotzdem an das Attribut ein Relativsatz gehängt wird, so entstehen störende Verbindungen wie folgende: der Dichter dieses Weihnachtsscherzes, der vortrefflich inszeniert war – der Empfang des Fürsten, der um sieben Uhr eintraf – der Tod des trefflichen Mannes, der eine zahlreiche Familie hinterläßt – der Appetit des Kranken, der allerdings nur flüssige Nahrungsmittel zu sich nehmen darf – der linke Arm des Verschwundnen, der sich vermutlich herumtreibt – Flüchtigkeiten erklären sich aus dem körperlichen Zustande des Verfassers, dem es nicht vergönnt war, die letzte Hand an sein Werk zu legen – die folgenden Radierungen tragen schon den Namen des Künstlers, der inzwischen auch mehrere Bildnisse gemalt hatte – um den neuen Lorbeer unsers Freundes, der einen so tiefen Blick in das Leben getan hat, mit Champagner zu begießen – eine Beschränkung der Korrekturlast, die wissenschaftlich gebildete Männer täglich stundenlang bei mechanischer Arbeit festhält – die Hochzeitstorte der Prinzessin, die einen Untertanen, den Herzog von Fife heiratete – die Glanznummer der Wahrsagerin, die noch eine ziemlich junge Frau ist – nun wurde das Dach des Schlosses gerichtet, das man in wenigen Jahren zu beziehen hoffte. Bei oberflächlicher Betrachtung wird mancher meinen, das Störende in diesen Verbindungen liege nur darin, daß die beiden Hauptwörter dasselbe Geschlecht haben, und deshalb eine falsche Beziehung des Relativsatzes möglich ist. Das ist aber nicht der Fall: es sind auch solche Verbindungen nicht gut wie: das letzte Werk des russischen Erzählers, der es seiner Freundin Viardot in die Feder diktierte – die lichtvollen Ausführungen des Redners, der durch seinen Eifer für die Sache der evangelischen Vereine bekannt ist – weist nicht der Ursprung des Gewissens, das ein unveräußerliches Erbteil des Menschen ist, auf[S. 127] eine höhere Macht hin? Für wen der Satzbau etwas mehr ist als ein bloßes äußerliches Zusammenleimen, der wird auch solche Verbindungen meiden.

Oft sind solche falsch angeschlossene Relativsätze nicht bloß dynamisch anstößig (der Betonung wegen), sondern auch logisch; sie enthalten Gedanken, die überhaupt nicht in Relativsätze gehören, beiläufige Bemerkungen, zu denen man sich das beliebte „übrigens“ hinzudenken soll, oder Parenthesen, die eigentlich in Hauptsätzen stehen sollten. Da greifen nun auch hier wieder viele, um Mißverständnissen vorzubeugen, zu dem bequemen Auskunftsmittel welcher letztere und schreiben: die übermäßigen Aufgaben der Schauspieler, welch letztere an einzelnen Tagen dreimal aufzutreten haben – diese ausgezeichnete Landschaftsstudie aus dem Garten der Villa Medici, welch letztere der Künstler eine Zeit lang bewohnte – er mußte sich mit dem Anblick des Waschschwamms begnügen, welch letzterer am Fenster in der Sonne trocknete – eine größere Reihe von Abbildungen kirchlicher Gegenstände, welch letztere einst im Besitz der Michaeliskirche waren – die Freunde der zum Heere einberufnen Studenten, welch letztern dieser Aufruf nicht zu Gesichte kommt usw. Ein schwächliches Mittel. Eine Geschmacklosigkeit soll dazu dienen, einen Fehler zu verbergen!

Einer der schwierigsten, der oder die?

Oft wird an einen Genitiv der Mehrzahl, der von dem Zahlwort einer, eine, eins abhängt, ein Relativsatz angeschlossen, aber gewöhnlich in folgender falschen Weise: ich würde das für einen der härtesten Unfälle halten, der je das Menschengeschlecht betroffen hat – Leipzig ist eine der wenigen Großstädte, in der eine solche Einrichtung noch nicht besteht – das Buch ist eine der schönsten Kriminalgeschichten, die je geschrieben worden ist – das Denkmal ist eins der schönsten, das bis jetzt ans Tageslicht gebracht worden ist – Klopstock ist einer der ersten, der die Nachahmung des Franzosentums verwirft. In solchen Sätzen ist das einer, eine, eins völlig[S. 128] tonlos, es ist wie ein bloßer Henkel für den abhängigen Genitiv, und dieser Genitiv hat den Ton. Es ist aber auch ein logischer Fehler, den Relativsatz an einer anzuschließen; denn der Inhalt des Relativsatzes gilt doch nicht bloß von dem einen, aus der Menge herausgehobnen, sondern von allen, aus denen das eine herausgehoben wird. Es kann also nur heißen: einer der härtesten Unfälle, die je das Menschengeschlecht betroffen habeneine der wenigen Großstädte, in denen (besser wo) eine solche Einrichtung noch nicht besteht usw. Nur scheinbar vermieden wird der Fehler, wenn jemand schreibt: er war ein durch und durch norddeutscher Charakter, der nur die Pflicht kennt; denn hier bezeichnet ein die ganze Klasse, und der geht auf den Einzelnen. Auch hier muß es heißen: er war einer jener norddeutschen Charaktere, die nur die Pflicht kennen.[65]

Falsch fortgesetzte Relativsätze

Ein gemeiner Fehler, dem man in Relativsätzen unendlich oft begegnet, ist der, daß an einen Relativsatz ein zweiter Satz mit und, aber, jedoch angeknüpft wird, worin aus dem Relativ in das Demonstrativ oder in das Personalpronomen gesprungen oder sonstwie schludrig fortgefahren wird, z. B. eine Schrift, die er auf seine Kosten drucken ließ und sie umsonst unter seinen Anhängern austeilte – Redensarten, die der Schriftsteller vermeidet, sie jedoch dem Leser beliebig einzuschalten überläßt – die vielen Fische, die er bisweilen selbst füttert und ihnen zuschaut, wenn sie nach den Krumen schnappen – ein Bauer, mit dem ich über Feuerversicherungsgesellschaften sprach und ihm meine Bewundrung dieser trefflichen Einrichtung ausdrückte – am Schlusse gab Herr W. Erläuterungen über die Vorzüge der Neuklaviatur, welch letztere (!) übrigens in[S. 129] der hiesigen Akademie für Tonkunst bereits eingeführt ist und der Unterricht auf derselben (!) mit bestem Erfolge betrieben wird (das richtige Dummejungendeutsch!) – der Künstler, der dem Männergesang zu jener hohen Stelle verhalf und dieser ihm die gewaltige Bedeutung verdankte, die er heute einnimmt (ebenso!) – eine übermächtige Verbindung, welcher der Herzog schnell mürbe gemacht wich und sich zu einer Landesteilung herbeiließ – dieser Kranke, an den ich seit zwanzig Jahren gekettet war und nicht aufatmen durfte – er entwendete verschiedne Kleidungsstücke, die er zu Gelde machte und sich dann heimlich von hier entfernte – sie erhielt Saalfeld, wo sie 1492 starb und in Weimar begraben wurde – die Seuche, an der zahlreiche Schweine zugrunde gehen und dann noch verwendet werden – es geht das aus dem Testament hervor, das ich abschriftlich beifüge und von fernern Nachforschungen absehen zu können glaube – ein Augenblick, den der Verhaftete benutzte, um zu entweichen, und bis zur Stunde noch nicht wieder aufgefunden worden ist.

Es ist klar, daß durch und nur gleichartige Nebensätze verbunden werden können. Geht also ein Relativsatz voraus, so muß auch ein Relativsatz folgen; die Kraft der relativen Verknüpfung wirkt über das und hinaus fort. In den ersten Beispielen muß es also einfach heißen: und umsonst austeilte –, jedoch einzuschalten überläßt –, in den folgenden: und denen er zuschaut, und dem ich meine Bewundrung ausdrückte. In den letzten Beispielen ist der Anschluß eines zweiten Relativsatzes überhaupt unmöglich, weil der Begriff, der im Relativ erscheinen müßte, in dem zweiten Satze gar nicht wiederkehrt; es kann höchstens heißen: worauf er sich entfernte – sodaß ich absehen zu können glaube.

Steht das Pronomen der Relativsätze im Genitiv, so ist es ein beliebter Fehler, in dem zweiten Relativsatz, obwohl das Subjekt dasselbe bleibt, dieses Subjekt durch ein Relativpronomen zu wiederholen, z. B.: der Kaiser, dessen Interesse für alle Zweige der Technik bekannt ist, und das gerade bei der Berliner Ausstellung wieder klar zutage tritt – das Sprachgewissen, dessen[S. 130] Stimme sich nicht überhören läßt, die sich vielmehr geltend macht bei allem, was wir lesen und schreiben. Ein ebenso beliebtes Gegenstück dazu ist es dann, einen zweiten Relativsatz, der dem ersten untergeordnet ist, mit und anzuknüpfen, z. B.: eine Ehe, vor deren Sündhaftigkeit sie ein wahres Grauen hat, und das sie doch allmählich überwinden muß – er war im Frühling geboren, dessen Blumen ihm stets so lieb blieben, und die er so gern im Knopfloch trug – er sollte ihr ein Wort ins Ohr flüstern, von deren Antlitz sein Herz geträumt hatte, und von dem es sich nicht abwenden konnte. In den ersten beiden Sätzen muß das zweite Relativpronomen weichen, in den drei letzten das und; der letzte Satz bleibt freilich auch dann noch Unsinn.

Ein abscheulicher Fehler ist es, wenn man zwei Relativsätze miteinander verbindet, ohne das Relativum zu wiederholen, obwohl das Relativpronomen in dem einen der beiden Sätze Objekt, in dem andern Subjekt ist, der eine also mit dem Akkusativ, der andre mit dem Nominativ anfängt, z. B.: ein paar Kopien, die ich schon vorfand und mir viel Freude machendie Festschrift, die Georg Bötticher verfaßt hat und von Kleinmichel mit Schildereien versehen worden ist. – Dieser Fehler gehört unter die zahlreichen Sprachdummheiten, die dadurch entstehen, daß man ein Wort nicht als etwas lebendiges, sinn- und inhaltvolles, sondern bloß als eine Reihe von Buchstaben ansieht, also – durch die Papiersprache. Ob diese Buchstabenreihe das einemal Akkusativ, das andremal Nominativ ist, ist dem Papiermenschen ganz gleichgiltig. Schreibt doch eine Memoirenerzählerin sogar: Natur und Kunst lernten wir lieben und wurden in unserm Hause gepflegt!

Relativsatz statt eines Hauptsatzes

Ein schlimmer Fehler endlich, der sehr oft begangen wird, ist es, wenn ein Relativsatz gebildet wird, wo gar kein Relativsatz hingehört, sondern entweder eine andre Art von Nebensatz oder – ein Hauptsatz. Wenn jemand schreibt: Harkort erfreute sich des Rufes eines bewährten Geschäftsmannes, der als Mitbegründer[S. 131] der Leipzig-Dresdner Eisenbahn rastlose Energie an den Tag gelegt hatte – so ist klar, daß der Relativsatz keine Eigenschaft eines bewährten Geschäftsmannes angibt, sondern den Grund, weshalb Harkort in diesen Ruf kam; es muß also heißen: da er als Mitbegründer usw. Wenn jemand schreibt: das Steigen des Flusses erschwerte die Arbeiten, die mit größter Anstrengung ausgeführt wurden – so ist klar, daß der Relativsatz keine Eigenschaft der Arbeiten angibt, sondern eine Folge davon, daß der Fluß steigt; es muß also heißen: sodaß sie nur mit größter Anstrengung usw. Nun vollends: machen Sie einen Versuch mit dem Werke, der Sie voll befriedigen wird – kein Mittel vertreibt den Geruch, der wohl schwächer wird, aber immer bemerklich bleibt – das ersehnte Glück fand er in dieser Verbindung nicht, die nach drei Jahren wieder gelöst wurde – wie im Fluge verbreitete sich die Trauerkunde unter den Vereinsmitgliedern, die dem teuern Genossen vollzählig das letzte Geleit gaben – er widmete sich dem juristischen Studium ohne innern Drang, der ihn zur Literatur und Geschichte führte – jedes Konzert, das er nie versäumte, war ihm ein Hochgenuß – solche Sätze erscheinen wohl äußerlich in der Gestalt von Relativsätzen, ihrem Inhalte nach aber sind es Hauptsätze. Es muß heißen: kein Mittel vertreibt den Geruch; er wird wohl schwächer, bleibt aber immer bemerklich – das ersehnte Glück fand er in dieser Verbindung nicht; sie wurde nach drei Jahren wieder gelöst. Noch fehlerhafter sind folgende Sätze: die Meister sind das Ein und Alles der Kunst, die in ihren Werken und sonst nirgends niedergelegt und beschlossen ist – oder gar: das Honorar beträgt jährlich 360 Mark, welches (!) in drei Terminen zu entrichten ist. Hier ist der Relativsatz nicht bloß an das falsche Wort angeschlossen, sondern logisch falsch: er muß in einen Hauptsatz verwandelt werden.

Nachdem – zumal – trotzdem – obzwar

Verhältnismäßig wenig Fehler kommen in den Nebensätzen vor, die eine Zeitbestimmung, einen Grund oder ein[S. 132] Zugeständnis enthalten (Temporalsätze, Kausalsätze, Konzessivsätze). In den Kausalsätzen ist vor allem vor einem Mißbrauch des Fügewortes nachdem zu warnen. Nachdem kann nur Temporalsätze anfangen. Es ist zwar schon früh auch auf das kausale Gebiet übertragen worden (wie weil und da, die ja auch ursprünglich temporal und lokal sind); gegenwärtig aber ist das nur noch in Österreich üblich. Nachdem der Kaiser keine weitere Verwendung für seine Dienste hatnachdem für die Anschaffung nur unbedeutende Kosten erwachsen – nachdem bei günstigem Wasserstande sich die Verladungen lebhaft entwickeln werden – solche Sätze erscheinen als auffällige Provinzialismen. Falsch ist es aber auch, nachdem in Temporalsätzen mit dem Imperfekt zu verbinden, z. B. der Grund, warum Lasalle, nachdem seine Lebensarbeit zerbrach, doch immer deutlicher als historische Persönlichkeit hervortritt. Nachdem kann nur mit dem Perfekt oder dem Plusquamperfekt verbunden werden.

Ein andrer Fehler, der jetzt in Kausalsätzen fort und fort begangen wird, ist der, hinter zumal das Fügewort da wegzulassen, als ob zumal selber das Fügewort wäre, z. B.: der Zuziehung von Fachmännern wird es nicht bedürfen, zumal in der Literatur einschlägige Werke genug vorhanden sind. Zumal ist kein Fügewort, sondern ein Adverb, es bedeutet ungefähr dasselbe wie besonders, namentlich, hauptsächlich, hat aber noch eine feine Nebenfarbe, insofern es, ähnlich wie vollends, nicht bloß die Hervorhebung aus dem allgemeinen, sondern zugleich eine Steigerung ausdrückt; der Inhalt des Hauptsatzes wird, wenn sich ein Nebensatz mit zumal anschließt, beinahe als etwas selbstverständliches hingestellt. Soll nun, wie es sehr oft geschieht, der in einem Nebensatz ausgedrückte Gedanke in dieser Weise hervorgehoben werden, so muß zumal einfach davortreten, sodaß der Nebensatz nun beginnt: zumal wer, zumal wo, zumal als, zumal wenn, zumal weil, zumal da, je nachdem es ein Relativsatz, ein Temporalsatz, ein Bedingungssatz oder ein Kausalsatz ist, z. B.: das wäre die heilige Aufgabe der Kunst, zumal seit sie bei den Gebildeten zugleich die Religion vertreten soll. So wenig[S. 133] nun jemand hinter zumal das wer, wo, wann oder als weglassen wird, so wenig hat es eine Berechtigung, das da oder weil wegzulassen, und es ist eine Nachlässigkeit, zu schreiben: diese Maßregel erbitterte die Evangelischen, zumal sie hörten – schließlich ließ sich die Angelegenheit nicht länger aufschieben, zumal sich die Aussicht eröffnete usw. Leider ist diese Nachlässigkeit schon so beliebt geworden, daß man bald wird lehren müssen: zumal ist ein Adverb, aber zugleich ist es ein Fügewort, das Kausalsätze anfängt.

Ähnlich wie mit zumal steht es mit trotzdem; auch das möchte man jetzt mit aller Gewalt zum Fügewort pressen. Aber auch das hat keine Berechtigung. Auch trotzdem ist ein Adverb, es bedeutet dasselbe wie dennoch; soll es zur Bildung eines Konzessivsatzes dienen, so muß es mit daß verbunden werden. Zu schreiben, wie es jetzt geschieht: trotzdem Camerarius den Aufgeklärten spielte – trotzdem die Arbeiten im Innern des Hauses noch nicht beendigt sind – trotzdem es an Festlichkeiten nicht mangelte – ist ebenfalls eine Nachlässigkeit. Wir haben zur Bildung von Konzessivsätzen eine Fülle von Fügewörtern: obgleich, obwohl, obschon, wenngleich, wenn auch. Kennt man die gar nicht mehr, daß man sie jetzt alle dem fehlerhaften trotzdem zuliebe verschmäht? Sie sind wohl zu weich, zu geschmeidig, zu verbindlich, nicht wahr? Trotzdem ist gröber, „schneidiger“, trotziger, darum gefällts den Leuten.

Freilich sind alle unsre Fügewörter früher einmal Adverbia gewesen. Auch indem, seitdem, nachdem, solange, sooft, nun (nun die schreckliche Seuche glücklich erloschen ist) wurden zur Bildung von Nebensätzen anfangs gewöhnlich mit einem Fügewort gebraucht (indem daß, solange als). Aber warum soll man nicht einen Unterschied bewahren, solange das Bedürfnis darnach noch von vielen empfunden wird? Wer sorgfältig schreiben will, wird sich auch nicht mit insofern begnügen, wenn er insofern als meint.

Eine österreichische Eigentümlichkeit ist es, Konzessivsätze mit obzwar anzufangen. In der guten Schriftsprache ist das, wie alle Austriazismen, unausstehlich.

[S. 134]

Mißbrauch des Bedingungssatzes

Das temporale Fügewort während, das zunächst zwei Vorgänge als gleichzeitig hinstellt, kommt auf sehr leichte und natürliche Weise dazu, zwei Handlungen einander entgegenzusetzen. Den Übergang sieht man an einem Satze wie folgendem: während ihr euerm Vergnügen nachgingt, habe ich gearbeitet; das Fügewort kann hier noch rein temporal aufgefaßt werden, hat aber schon einen Beigeschmack vom Adversativen. Man muß aber in der Anwendung dieser adversativen Bedeutung sehr vorsichtig sein, sonst kommt man leicht zu so lächerlichen Sätzen wie: während Herr W. die Phantasie von Vieuxtemps für Violine vortrug, blies Herr L. ein Nocturno für Flöte von Köhler – der Minister besuchte gestern (!) die Schulen zu Marienthal und Leubnitz, während er heute (!) die Besuche in den hiesigen Schulanstalten fortsetzte – König Albert brachte ein Hoch auf den Kaiser aus, während der Kaiser ihm dafür dankte.

Geradezu ein Unfug aber ist es, Bedingungssätze in adversativem Sinne zu verwenden. Es scheint das aber jetzt für eine ganz besondre Feinheit zu gelten. Man schreibt: wenn bei vielen niedrigen Völkern die Priester als Träger höherer Bildung zu betrachten sind, so ist das bei den Ephenegern nicht der Fall – wenn Adelung die Sprache hauptsächlich als Verständigungsmittel behandelt wissen wollte, so forderte Herder eine individuelle, schöpferische Empfindungssprache. Auch vergleichende Nebensätze werden schon, anstatt mit wie, mit wenn gebildet: wenn Indien die Geschichte der Philosophie in nuce enthält, so ist es an Materialien für die Geschichte der Religion gewiß reicher als ein andres Land – wenn bei uns vielfach über den Niedergang des politischen Lebens geklagt wird, so ist auch in Amerika, wo das politische Leben schon bisher nicht sehr hoch stand, ein solcher Niedergang bemerkbar – wenn der Verein schon immer bestrebt war, die reichen Kunstschätze Freibergs zu heben, so ist das in besonderm Maße in dem vorliegenden Hefte gelungen – war das Handpressenverfahren[S. 135] ungeeignet, so konnte das Typendruckverfahren hinsichtlich der Güte nicht genügen – war das Haus damals recht unbehaglich, so machten sich auch nach dem Umbau Übelstände bemerklich. Ebenso Kausalsätze: wenn die Macht der Sozialdemokratie in der Organisation liegt, so müssen wir uns eben auch organisieren. Ebenso Konzessivsätze: wenn die gestellte Aufgabe sich zwar (aha!) zunächst nur auf die Untersuchung der Goldlagerstellen bezog, so war es doch nötig, auch andre Minerale in den Kreis der Betrachtung zu ziehen. Sogar wo einfach zwei Hauptsätze am Platze wären, kommt man mit diesem wenn angerückt: wenn mein Herr Amtsvorgänger vorm Jahre viel gutes wünschte, so sind diese Wünsche nicht vergeblich gewesen – wenn im frühern Mittelalter die meisten Häuser einfache Holzhäuser gewesen waren, so ist man erst später aus diesem Zustande herausgekommen. Welcher Unsinn!

Wenn diese Art, sich auszudrücken, weitere Fortschritte macht, so kann es noch dahin kommen, daß der Bedingungssatz alle andern Arten von Fügewortsätzen nach und nach auffrißt.

Unterdrückung des Hilfszeitworts

Sehr verschieden sind merkwürdigerweise von jeher die Ansichten gewesen über den Gebrauch, das Hilfszeitwort und (was gleich damit verbunden werden kann) die sogenannte Kopula in Nebensätzen wegzulassen, also zu schreiben: der Bischof war bestrebt, von dem Einfluß, den er früher in der Stadt besessen (nämlich hatte), möglichst viel zurückzugewinnen, der Rat dagegen trachtete, die wenigen Rechte, die ihm noch geblieben (nämlich waren), immer mehr zu beschränken – die Wirkung der Mühlen würde noch erhöht, wenn sie beständig von Luft durchstrichen (nämlich würden) – seine Briefe blieben frei von Manier, während sich in seine spätern Werke etwas davon eingeschlichen (nämlich hat) – die Pallas trug einst einen Helm, wie aus der oben abgeplatteten Form des Kopfes zu erkennen (nämlich ist) – eine Vorstellung wird um so leichter aufgenommen, je einfacher ihr sprachlicher Ausdruck (nämlich ist) –[S. 136] der Ursachen sind mehrere, wenn sie auch sämtlich auf eine Wurzel zurückzuführen (nämlich sind) – verwundert fragt man, ob denn die Krankheit wirklich so gefährlich, das Übel gar so heillos geworden (ist? sei?) – so lautet das Schlagwort, womit das ideale Werk begonnen (ist? hat?) – sogar: die Lukaspassion kann nicht, wie allgemein behauptet (nämlich wird), von Bach geschrieben sein.

Dieser Gebrauch hat eine ungeheure Verbreitung, viele halten ihn offenbar für eine ganz besondre Schönheit. Manche Romanschriftsteller schreiben gar nicht anders; aber auch in wissenschaftlichen, namentlich in Geschichtswerken geschieht es fort und fort. Ja es muß hie und da geradezu in Schulen gelehrt werden, daß dieses Abwerfen des Hilfszeitworts eine Zierde der Sprache sei. Wenigstens war einmal in einem Aufsatz einer Unterrichtszeitschrift verächtlich vom „Hattewarstil“ die Rede; der Verfasser meinte damit die pedantische Korrektheit, die das hatte und war nicht opfern will. Von ältern Schriftstellern liebt es namentlich Lessing, aus dessen Sprache man sich sonst die Muster zu holen pflegt, das Hilfszeitwort wegzulassen, und Jean Paul empfiehlt es geradezu, diese „abscheulichen Rattenschwänze der Sprache“ womöglich überall abzuschneiden.

Halten wir uns, wie immer, an die lebendige Sprache. Tatsache ist, daß in der unbefangnen Umgangssprache das Hilfszeitwort niemals weggelassen wird. Es würde als arge Ziererei empfunden werden, wenn jemand sagte: es ist ein ganzes Jahr her, daß wir uns nicht gesehen. In der Sprache der Dichtung dagegen ist die Unterdrückung des Hilfszeitworts wohl das überwiegende. Man denke sich, daß Chamissos Frauenliebe und -leben anfinge: seit ich ihn gesehen habe, glaub ich blind zu sein! In der Prosa kommt es nun sehr auf die Gattung an. In poetisch oder rednerisch gehobner Sprache stört es nicht, wenn das Hilfszeitwort zuweilen unterdrückt wird; in schlichter Prosa, wie sie die wissenschaftliche Darstellung und im allgemeinen doch auch die Erzählung, die historische sowohl wie der Roman[S. 137] und die Novelle, erfordert, ist es geradezu unerträglich. Wer das bestreitet, hat eben kein Sprachgefühl. Wer sich einmal die Mühe nimmt, bei einem Schriftsteller, der das Hilfszeitwort mechanisch und aus bloßer Gewohnheit überall wegläßt, nur ein paar Druckseiten lang auf diese vermeintliche Schönheit zu achten, der wird bald täuschend den Eindruck haben, als ob er durch einen Tiergarten ginge, wo lauter unglückselige Bestien mit abgehackten Schwänzen ihres Verlustes sich schämend scheu um ihn herumliefen.

Ganz unausstehlich wird das Abwerfen des Hilfszeitworts, wenn das übrig bleibende Partizip mit dem Indikativ des Präsens oder des Imperfekts gleich lautet, also ohne das Hilfszeitwort die Tempora gar nicht voneinander zu unterscheiden sind, z. B.: in unsrer Zeit, wo der Luxus eine schwindelhafte Höhe erreicht (nämlich hat!) – er ist auch dann strafbar, wenn er sich nur an der Tat beteiligt (hat!) – das, was der Geschichtschreiber gewissenhaft durchforscht (hat!) – er erinnert sich der Freude, die ihm so mancher gelungne Versuch verursacht (hat!) – einer jener Männer, die, nachdem sie in hohen Stellungen Eifer und Tatkraft bewiesen (haben!), sich einem müßigen Genußleben hingeben – nachdem 1631 Baner die Stadt vergeblich belagert (hatte!) – er verteilte die Waffen an die Partei, mit der er sich befreundet (hatte!) – ich kam im Herbstregen an, den mein Kirchdorf lange ersehnt (hatte!) – er schleuderte über die Republik und ihre Behörden den Bannstrahl, weil sie sich an päpstlichem Gut vergriffen (hatten!) – du stellst in Abrede, daß Vilmar mit dem Buch eine politische Demonstration beabsichtigt (habe!). Oder wenn es in zwei oder mehr aufeinander folgenden Nebensätzen verschiedne Hilfszeitwörter sind, die dadurch verloren gehen, haben und sein, z. B.: es war ein glücklicher Gedanke, dort, wo einst der deutsche Dichterfürst seinen Fuß hingesetzt (nämlich hat), auf dem Boden, der durch seinen Aufenthalt geschichtlich geworden (nämlich ist), eine Kuranstalt zu errichten – wir wissen, auf welchen Widerstand einst das Interim gestoßen (ist!), und welchen Haß sich Melanchthon durch seine[S. 138] Nachgiebigkeit zugezogen (hat!) – da sie das Führen der Maschine unterlassen (hatten!) und auf den Fußwegen gefahren (waren!). Oder endlich wenn gar von zwei verschiednen Hilfszeitwörtern das erste weggeworfen, das zweite aber gesetzt wird, sodaß man dieses nun unwillkürlich mit auf den ersten Satz bezieht, z. B.: als ich die Fastnachtsspiele durchgelesen und schließlich zu dem Luzerner Neujahrsspiel gekommen war (also auch: durchgelesen war?) – seitdem die Philosophie exakt geworden, seitdem auch sie sich auf die Beobachtung und Sammlung von Phänomenen verlegt hat (also auch: geworden hat?) – der Verfasser macht Banquo den Vorwurf, daß er nicht für die Rechte der Söhne Duncans eingetreten, sondern Macbeth als König anerkannt habe (also auch: eingetreten habe?). Wie jemand so etwas schön finden kann, ist unbegreiflich.

Selbst in Fällen, wo der nachfolgende Hauptsatz zufällig mit demselben Zeitwort anfängt, mit dem der Nebensatz geschlossen hat, ist das Wegwerfen des Hilfszeitworts häßlich, z. B.: soviel bekannt (nämlich ist), ist der Vorsitzende der Bürgermeister – wie der Unglückliche hierher gelangt (ist), ist rätselhaft – alles, was damit gewonnen worden (war), war unbedeutend gegen das verlorne – wer diesen Forderungen Genüge geleistet (hatte), hatte sich dadurch den Anspruch erworben usw. Zwar nehmen auch solche, die im allgemeinen für Beibehaltung des Hilfszeitworts sind, hier das Abwerfen in Schutz, aber doch nur wieder infolge des weitverbreiteten Aberglaubens, daß ein Wort nicht unmittelbar hintereinander oder kurz hintereinander zweimal geschrieben werden dürfe. Es ist das eine von den traurigen paar stilistischen Schönheitsregeln, die sich im Unterricht von Geschlecht zu Geschlecht fortschleppen. Die lebendige Sprache fragt darnach gar nichts; da setzt jeder ohne weiteres das Verbum doppelt, und es fällt nicht im geringsten auf, kann gar nicht auffallen, weil mit dem ersten Verbum, fast tonlos, der Nebensatz ausklingt, mit dem zweiten, nach einer kleinen Pause, frisch betont der Hauptsatz anhebt. Sie klingen ja beide ganz[S. 139] verschieden, diese Verba, man traue doch nur seinen Ohren und lasse sich nicht immer von dem Papiermenschen bange machen!

Nur in einem Falle empfiehlt sichs zuweilen, das Hilfszeitwort auch in schlichter Prosa wegzulassen, nämlich dann, wenn in den Nebensatz ein zweiter Nebensatz eingeschoben ist, der mit demselben Hilfszeitwort endigen würde, z. B.: bis die Periode, für die der Reichstag gewählt worden, abgelaufen war. Hier würden zwei gleiche Satzausgänge mit war nicht angenehm wirken. Wo bei Häufung von Nebensätzen der Eindruck des Schleppens entsteht, liegt die Schuld niemals an den Hilfszeitwörtern, sondern immer an dem ungeschickten Satzbau.

Die Sitte, das Hilfszeitwort in Nebensätzen gewohnheitsmäßig abzuwerfen, muß um so mehr als Unsitte bekämpft werden, als sie schon einen ganz verhängnisvollen Einfluß auf den richtigen Gebrauch der Modi ausgeübt hat. Daß manche Schriftsteller keine Ahnung mehr davon haben, wo ein Konjunktiv und wo ein Indikativ hingehört, daß in dem Gebrauche der Modi eine geradezu grauenvolle Verwilderung und Verrohung eingerissen ist und täglich weitere Fortschritte macht, daran ist zum guten Teil die abscheuliche Unsitte schuld, die Hilfszeitwörter wegzulassen. Wo soll noch Gefühl für die Kraft und Bedeutung eines Modus herkommen, wenn man jedes ist, sei, war, wäre, hat, habe, hatte, hätte am Ende eines Nebensatzes unterdrückt und dem Leser nach Belieben zu ergänzen überläßt? In den meisten Fällen ist die Unterdrückung des Hilfszeitwortes nichts als ein bequemes Mittel, sein Ungeschick oder seine Unwissenheit zu verbergen. Freilich ist es sehr bequem, zu schreiben: daß viele Glieder der ersten Christengemeinde arm gewesen, ist zweifellos, daß es alle gewesen, ist sehr zu bezweifeln, oder: wenn man nicht annehmen will, daß ihm seine Genialität geoffenbart, was andre schon vorher gefunden, oder: wir bedauerten, daß sie nicht etwas getan, was sie in den Augen unsrer Gespielen recht groß und mächtig gemacht. Hätten die, die so geschrieben haben, gewußt,[S. 140] das es heißen muß: daß viele Glieder der ersten Christengemeinde arm gewesen sind, ist zweifellos, daß es alle gewesen seien, ist sehr zu bezweifeln – wenn man nicht annehmen will, daß ihm seine Genialität geoffenbart habe, was andre schon vorher gefunden hatten – wir bedauerten, daß sie nicht etwas getan hatten, was sie in den Augen unsrer Gespielen recht groß und mächtig gemacht hätte – so hätten sie es schon geschrieben. Aber man weiß eben nichts, und da man seine Unwissenheit durch Hineintappen in den falschen Modus nicht verraten möchte, so läßt man einfach das Hilfszeitwort weg.

Indikativ und Konjunktiv

Sogar in Wunsch- und Absichtssätzen, wo man es kaum für möglich halten sollte, wird jetzt statt des Konjunktivs der Indikativ geschrieben! Da liest man: es ist zu wünschen, daß die Nation auch künstlerisch zusammensteht – wir wünschen von Herzen, daß das der letzte Fall eines solchen Verbrechens gewesen ist – wir hoffen, daß er sich nach längerer Prüfung davon wird überzeugen lassen – wir wollen alle mithelfen, daß es eine gute Ernte gibt – die staatliche Gewalt hat darüber zu wachen, daß der Sittlichkeit kein ernster Schaden zugefügt wird – als deutscher Fabrikant habe ich das lebhafteste Interesse daran, daß in deutschen Bureaus mit deutschen Federn geschrieben wird – wir bitten um Erneuerung des Abonnements, damit die Zusendung keine Unterbrechung erleidet – wir raten ihm, sich an deutsche Quellen zu halten, damit er das Deutsche nicht ganz verlernt. Die schlimmste Verwirrung des Indikativs und des Konjunktivs ist aber in den Subjekt- und Objektsätzen (Inhaltsätzen) und in den abhängigen Fragesätzen eingerissen. Und doch, wie leicht ist es, bei einigem guten Willen auch hier das Richtige zu treffen!

Man vergleiche einmal folgende beiden Sätze: Curtius zeigte seinen Fachgenossen, daß er ihnen auch auf dieses Gebiet zu folgen vermöchte, und: Curtius zeigte seinen[S. 141] Fachgenossen, daß er ihnen auch auf dieses Gebiet zu folgen vermochte. Was ist der Unterschied? In dem ersten Falle lehne ich, der Redende oder Schreibende, ein Urteil darüber ab, ob Curtius wirklich seinen Fachgenossen habe folgen können, ich gebe nur seine eigne Meinung wieder; im zweiten Falle gebe ich selbst ein Urteil ab, ich stimme ihm bei, stelle es als Tatsache hin, daß er ihnen habe folgen können. Ein andres Beispiel: die meisten Menschen trösten sich damit, daß es früher auch so war, und: die meisten Menschen trösten sich damit, daß es früher auch so gewesen sei. Was ist der Unterschied? In dem ersten Falle gebe ich über den Trostgrund der Menschen ein Urteil ab, ich stimme ihnen bei, ich stelle ihren Trostgrund als richtig, als Tatsache hin; in dem zweiten Falle enthalte ich mich jedes Urteils, ich gebe nur die Meinung der Menschen wieder. Noch ein Beispiel: ich kann doch nicht sagen, daß ich krank bin, und: ich kann doch nicht sagen, daß ich krank sei. Der erste Satz bedeutet: ich trage Bedenken, die Tatsache meiner Erkrankung einzugestehen; der zweite: ich trage Bedenken, eine Krankheit vorzuspiegeln. Da haben wir deutlich den Sinn der beiden Modi.

Darnach ist es klar, weshalb nach Zeitwörtern wie wissen, beweisen, sehen, einsehen, begreifen, erkennen, entdecken, ebenso wie nach den unpersönlichen Redensarten: es ist bekannt, es steht fest, es ist sicher, es ist klar, es ist kein Zweifel, es ist Tatsache, es läßt sich nicht leugnen usw. der Inhaltsatz stets im Indikativ steht. In allen diesen Fällen kann das Subjekt oder Objekt nur eine Tatsache sein; welchen Sinn hätte es da, ein Urteil darüber abzulehnen? Es ist also ganz richtig, zu sagen: kann es geleugnet werden, daß die Erziehung des gemeinen Volks eines der wichtigsten Mittel ist, unsre Person und unser Eigentum zu schützen? Dagegen spricht aus folgenden Sätzen eine völlig unverständliche Ängstlichkeit: Hamerling hat bewiesen, daß man als Atheist ein edler und tüchtiger Mensch sein könne – die Besichtigung der Leiche ergab, daß es sich um einen Raubmord handle – schon[S. 142] seit Jahren hatte sich herausgestellt, daß die Räume unzureichend seien – als man die Kopfhaut entfernte, sah man, daß die Schädeldecke vollständig entzwei geschnitten sei – zu meinem Schrecken entdeckte ich, daß der junge Graf nicht einmal orthographisch schreiben könne – die Sammlung tritt sehr bescheiden auf und läßt keinen Zweifel darüber, daß die Zeit des Sturms und Dranges vorüber sei. Was bewiesen, gesehen, entdeckt worden ist, sich ergeben, sich herausgestellt hat, nicht bezweifelt werden kann, das müssen doch Tatsachen sein. Weshalb soll man sich scheuen, solche Tatsachen anzuerkennen?

Dieser Fehler kommt denn auch verhältnismäßig selten vor. Um so öfter wird der entgegengesetzte Fehler begangen, daß nach Zeitwörtern, die eine bloße Meinung oder Behauptung ausdrücken, der Indikativ gesetzt wird, obwohl der Redende oder Schreibende über die ausgesprochne Meinung oder Behauptung nicht das geringste Urteil abgeben, sondern sie als bloße Meinung oder Behauptung eines andern hinstellen will. Die Zeitwörter, hinter denen das geschieht, sind namentlich: glauben, meinen, fühlen, denken, annehmen, vermuten, voraussetzen, sich vorstellen, überzeugt sein, schließen, folgern, behaupten, sagen, lehren, erklären, versichern, beteuern, bekennen, gestehen, zugeben, bezweifeln, leugnen, antworten, erwidern, einwenden, berichten, melden, erzählen, überliefern, erfahren, vernehmen, hören u. a. Stehen diese Verba in dem Tempus der Erzählung, so setzt wohl jeder richtig den Konjunktiv dahinter, wiewohl sich auch Beispiele finden wie: er kam zu der Überzeugung, daß er zu alt war, sich noch den bildenden Künsten zu widmen. Aber wie, wenn sie im Präsens oder im Futurum stehen? Da wird geschrieben: man glaubt, daß die Diebe während der Fahrt in den Zug stiegen – der Ausschuß ist der Meinung, daß der Markt der geeignetste Platz für das Denkmal ist – der Herausgeber ist zu der Ansicht gekommen, das sich diese Rede Ciceros nicht für die Schule eignet – man kann dem Verfasser darin (d. h. in der Ansicht) beistimmen,[S. 143] daß sich das Juristendeutsch gegen früher bedeutend gebessert hat – jeder wird von einer Privatsammlung, die in den fünfziger Jahren genannt wurde, annehmen, daß sie heute nicht mehr besteht – man geht von der albernen Voraussetzung aus, daß Bach und Händel grobe Klötze gewesen sind – hier wirkt noch die alte Vorstellung, daß das Wesen eines Dinges in seinem Bilde steckt – die Rede ist von der Überzeugung erfüllt, daß das amerikanische Deutschtum mit der deutschen Sprache steht und fällt – man behauptet, daß das Lateinische zu schwer ist, als erste fremde Sprache gelernt zu werden – die Behauptung, daß dieser Aufsatz für die Zeitschrift kein Ruhmesblatt bildet, wird schwerlich auf Widerspruch stoßen – Marx sagt, daß keine neue Gesellschaft ohne die Geburtshilfe der Gewalt entsteht – man sagt, daß er sich von einem Priester taufen ließ – der Fremde, der die Ausstellung besucht, wird sagen, daß es der Berliner Kunst an Schwung und Phantasie gebricht – von glaubwürdiger Seite wird uns versichert, daß die Stimmung sehr flau war – die Legende erzählt, daß, als die Greisin noch ein schönes Mädchen war, sie eine tiefe Neigung zu einem jungen Krieger faßte – die Meldung, daß Morenga gefallen ist, wird durch einen amtlichen Bericht bestätigt – in Berliner Künstlerwerkstätten gilt noch heute die Überlieferung, daß Rauch nicht immer der große Mann gewesen ist, als den ihn die Nachwelt preist. In allen diesen Sätzen ist der Indikativ wahrhaft barbarisch. Doppelt beleidigend wirkt er, wenn in dem regierenden Satze die Meinung oder Behauptung, die im Nebensatze steht, ausdrücklich verneint wird, als falsch, als irrtümlich, als übertrieben, als unbewiesen bezeichnet wird. Und doch muß man täglich auch solche Sätze lesen wie: ich kann nicht zugeben, daß diese Satzfügung fehlerhaft ist – es kann nicht zugegeben werden, daß der große Zuzug der Bevölkerung die Ursache der städtischen Wohnungsnot ist – wir sind nicht zu der Annahme berechtigt, daß er sich durch die Mitgift der Frau zu der Heirat bewegen ließ – aus dieser Tabelle läßt sich keineswegs der Schluß ziehen,[S. 144] daß die Kost dürftig ist – daß der sozialistische Geschäftsbetrieb in diesen Industrien möglich ist, hat noch niemand bewiesen – ich kann nicht finden, daß Wagners Musik läutert – ich muß aufs entschiedenste bestreiten, das es in einem unsrer Schutzgebiete Sklavenmärkte gibt – daß das Kreuz erst in christlicher Zeit religiöse Bedeutung erhielt, kann man nicht behauptenniemand wird behaupten, daß es dem Architekten gleichgiltig sein kann, ob sein Ornament langweilig oder geistreich ist – die K. Zeitung geht zu weit mit der Behauptung, daß die beiden vorigen Sessionen des Landtags unfruchtbar gewesen sind – es wird schwerlich jemand dafür eintreten, daß die Ausführung dieses Planes möglich ist – es ist nicht wahr, daß man durch Arbeit und Sparen reich werden kannunwahr ist, daß Herr B. eine Sühne von 500 M. angeboten hat – es ist falsch, wenn der Verfasser behauptet, daß die Fehlerzahl den Ausschlag bei der Versetzung der Schüler gibt – es liegt nicht der leiseste Anhalt vor, daß eine neue Revision des Gesetzes beabsichtigt ist – mir ist nichts davon bekannt, daß das ausdrücklich betont worden ist – es ist unzutreffend, daß das Urteil bereits rechtskräftig geworden ist – die Volkszeitung hat sich direkt aus den Fingern gesogen, daß mich der Minister wegen meines patriotischen Verhaltens gelobt hat – ich kann nicht sagen, daß ich diese Woche große Freude an der Arbeit hatte – damit soll nicht gesagt sein, daß es der Sammlung ganz an duftigen Liederblüten fehlt – es soll damit nicht gesagt sein, daß Beethoven je populär werden kann – wir glauben widerlegt zu haben, daß der Schule in diesem Kampfe ein Vorwurf zu machen ist – wer hat bewiesen, daß die sittliche Höhe eines Künstlers der künstlerischen seiner Werke gleichstehen muß? (niemand!) – ist irgendwo offenbar geworden, daß der Abgeordnete sich seiner Aufgaben bewußt gewesen ist (nein!) usw. Welcher Unsinn, etwas in einem Atem zu leugnen oder zu bestreiten und zugleich als wirklich hinzustellen! Darauf laufen aber schließlich alle solche Sätze hinaus. Der Indikativ kann[S. 145] in solchen Fällen geradezu zu Mißverständnissen führen. Wenn einer schreibt: es ist falsch, daß die Arbeit ohne jeden Grund eingestellt worden ist – so kann man das auch so verstehen: sie ist ohne jeden Grund eingestellt worden, und das ist sehr dumm gewesen. Will einer deutlich sagen: sie ist nicht ohne Grund eingestellt worden, so muß er schreiben: es ist falsch, daß die Arbeit ohne jeden Grund eingestellt worden sei.

Gewiß gibt es zwischen den unbedingt nötigen Indikativen und den unbedingt nötigen Konjunktiven verschiedne Arten von zweifelhaften Fällen. Es gibt doppelsinnige Verba, wie z. B. finden, sehen, zeigen, die ebensogut eine Erkenntnis wie eine Meinung ausdrücken können; darnach hat sich der Modus des Nebensatzes zu richten. Als der erste Schrecken überwunden war, sahen die Römer, daß sich der Aufstand nicht bis zum Rhein ausdehne – man erwartet den Indikativ: ausdehnte; aber der Schreibende hat mit sehen vielleicht mehr den Gedankengang, die Erwägung der Römer ausdrücken wollen. So ist auch beweisen wollen, zu beweisen suchen etwas andres als beweisen; Hamerling hat beweisen wollen, daß man als Atheist auch ein edler und tüchtiger Mensch sein könne – das wäre richtig, ebenso wie: er will beweisen, daß weiß schwarz sei. Ein Bigotter könnte aber auch sagen: beweisen läßt sich alles mögliche; hat nicht Hamerling sogar bewiesen, daß ein Atheist ein edler Mensch sein könne? Dann wäre der Sinn: trotz seines Beweises glaube ich es nicht. Und andrerseits kann man wieder sagen: warum willst du erst noch beweisen, daß zwei mal zwei vier ist? Man vergleiche noch folgende Sätze: darin geben wir dem Verfasser Recht, daß es unerklärlich ist, wie der gütige Gott eine mit Übeln erfüllte Welt schaffen konnte; aber wir bestreiten, daß es deshalb logisch geboten sei, dem Wesen, das die sittliche Norm in sich enthält, die Weltschöpfung abzusprechen. Auch in dem ersten Satze ist der Konjunktiv möglich, mancher würde ihn vielleicht auch dort vorziehen. Bei guten Schriftstellern, bei denen man das angenehme Gefühl hat, daß sie jedes Wort mit Bedacht hinsetzen, macht es Vergnügen, solchen Dingen[S. 146] nachzugehen. Aber wie oft hat man dieses Gefühl? Meist lohnt es nicht der Mühe, hinter plumpen Schnitzern nach besondern Feinheiten zu suchen.

Wenn das Verbum des Hauptsatzes im Präsens steht und das Subjekt die erste Person ist, so ist auch nach den Verben des Meinens und Sagens wohl allgemein der Indikativ üblich und auch durchaus am Platze. Wenn der Hauptsatz heißt: ich glaube oder wir behaupten, so hätte es keinen Sinn, den Inhalt des Nebensatzes als bloße Vorstellung hinzustellen und ein Urteil über seine Wirklichkeit abzulehnen, denn ich und der Redende sind ja eine Person. Daher sagt man am liebsten: ich glaube, daß du Unrecht hast. Und sogar wenn der Hauptsatz verneint ist: ich glaube nicht, daß sie bei so rauher Jahreszeit noch in Deutschland sind – ich glaube nicht, daß der freie Wille der Gesellschaft heute schon stark genug ist – wir sind nicht der Ansicht, daß man die bestehende Welt willkürlich ändern kann. In den beiden letzten Sätzen würde vielleicht mancher den Konjunktiv vorziehen; aber schwerlich wird jemand sagen: ich glaube nicht, daß sie bei so rauher Jahreszeit noch in Deutschland seien. Selbst in Wunsch- und Absichtssätzen steht in solchen Fällen der Indikativ, zumal in der Umgangssprache. Jedermann sagt: spann deinen Schirm auf, daß du nicht naß wirst! Werdest würde hier so geziert klingen, daß der andre mit Recht erwidern könnte: du sprichst ja wie ein Buch. Wenn man aber einen Bibelspruch anführt, sollte man ihn nicht so anführen: Richte nicht, damit du nicht gerichtet wirst!

Genau so wie mit den Objektsätzen, die mit dem Fügewort daß anfangen, verhält sichs mit denen, die die Form eines abhängigen Fragesatzes haben: sie müssen im Konjunktiv stehen, wenn der Redende oder Schreibende kein Urteil darüber abgeben kann, ob ihr Inhalt wirklich sei oder nicht, weil es sich um Dinge handelt, die eben in Frage stehen, sie können im Indikativ stehen, wenn der Redende ein solches Urteil abgeben kann und will, sie müssen im Indikativ stehen, wenn es gar keinen Sinn hätte, ein solches Urteil abzulehnen, weil es sich[S. 147] um eine einfache Tatsache handelt. Richtig sind folgende Sätze: man darf sich nicht damit begnügen, zu behaupten, etwas sei Recht, sondern man muß doch wenigstens angeben, weshalb es Recht sei, und welches Ziel ein solches Recht verfolge – nicht darum handelt sichs in der Politik, ob eine Bewegung revolutionär sei, sondern ob sie eine innere Berechtigung habe – die Frage, ob der Angeklagte den beleidigenden Sinn eines Schimpfwortes erkannt habe, wird meist leicht zu bejahen sein – man sollte sich fragen, ob man nicht selbst die Mißstände zum Teil verschuldet habe, die man beklagt – es sollte nicht gefragt werden, ob die Zölle überhaupt zweckmäßig seien, sondern ob im einzelnen Fall ein Zoll angebracht sei, und ob damit erreicht werde, was erstrebt wird. Liederlich ist es dagegen, zu schreiben: die Verhandlung hat keine Klarheit darüber gebracht, ob die Klagen berechtigt sind oder nicht. Wie kann man etwas als gewiß hinstellen, wovon man eben gesagt hat, daß es noch unklar sei? Falsch sind aber auch – trotz ihres schönen Konjunktivs – folgende Sätze: wie weit das Gebiet sei, das K. bearbeitet, zeigen seine Bücher – ältere Zuhörer, die mehr oder weniger schon wissen, wovon die Rede sei – es ist vom Schüler zu verlangen, daß er wisse, was eine Metapher sei – es wäre interessant, zu wissen, was Goethe mit dieser Bezeichnung gemeint habe.

Schuld an der traurigen Verrohung des Sprachgefühls, die sich in den falschen Indikativen kundgibt, ist zum Teil sicherlich die Unsitte, die Hilfszeitwörter in den Nebensätzen immer wegzulassen; das stumpft das Gefühl für die Bedeutung der Modi so ab, daß man sich schließlich auch dann nicht mehr zu helfen weiß, wenn das Verbum gesetzt werden muß. Daneben aber ist noch etwas andres schuld, nämlich die unter dem verwirrenden Einflusse des Englischen immer ärger werdende Unkenntnis, welche Konjunktive und welche Indikative im Satzbau einander entsprechen, d. h. in welchen Konjunktiv im abhängigen Satz ein Indikativ des unabhängigen Satzes verwandelt werden muß; es scheint das geradezu nicht mehr gelernt zu werden. Man erinnert[S. 148] sich wohl dunkel einer Konjugationstabelle, worin die Indikative und Konjunktive einander so gegenübergestellt waren:

ich bin
ich sei
ich war
ich wäre
ich bin gewesen
ich sei gewesen
ich war gewesen
ich wäre gewesen

oder:

ich nehme
ich nehme
ich nahm
ich nähme
ich habe genommen
ich habe genommen
ich hatte genommen
ich hätte genommen

Aber daß einem diese Gegenüberstellung aus der Formenlehre für den Satzbau gar nichts helfen kann, das weiß man nicht. Die Gegenüberstellung der Modi für die Inhaltssätze sieht so aus:

er trägt
 
daß er trage oder: daß er trüge
er trug
geschweifte
      Klammer rechts
daß er getragen habe oder: daß er getragen hätte
er hat getragen
ich bin
 
daß ich sei oder: daß ich wäre
ich war
geschweifte
      Klammer rechts
daß ich gewesen sei oder: daß ich gewesen wäre
ich bin gewesen

Daß sich gerade der Indikativ des Imperfekts jetzt so oft findet, wo ein Konjunktiv des Perfekts oder des Plusquamperfekts hingehört (Friedmann ist den Beweis dafür schuldig geblieben, daß dieser Verdacht haltlos und sinnwidrig war), zeigt deutlich, daß man einen richtigen Konjunktiv in abhängigen Sätzen zu bilden vollständig verlernt hat.

Die sogenannte consecutio temporum

Daß ich sei oder: daß ich wäre! Oder? Was heißt oder? Ist es gleichgiltig, was von beiden gesetzt wird? oder richtet sich das nach dem Tempus des regierenden Hauptsatzes? Mit andern Worten: gibt es nicht auch im Deutschen etwas ähnliches wie eine consecutio temporum, die vorschreibt, daß auf die Gegenwart im[S. 149] Hauptsatz auch die Gegenwart im Nebensatze, auf die Vergangenheit im Hauptsatz auch die Vergangenheit im Nebensatze folgen müsse?

Das Altdeutsche hat seine strenge consecutio temporum gehabt. Die hat sich aber schon frühzeitig gelockert, und zwar ist in den nieder- und mitteldeutschen Mundarten der Konjunktiv der Vergangenheit, in den oberdeutschen der Konjunktiv der Gegenwart bevorzugt worden. Dort ist die Vergangenheit auch nach Hauptsätzen der Gegenwart, hier die Gegenwart auch nach Hauptsätzen der Vergangenheit vorgezogen worden. Eine weitere Entwicklungsstufe, auf der wir noch stehen, ist die, daß die Eigentümlichkeit der oberdeutschen Mundarten, die Bevorzugung der Gegenwart, weiter um sich griff und mit der Eigentümlichkeit der mittel- und niederdeutschen in Kampf geriet. Schon Luther schreibt (Ev. Joh. 5, 15): der Mensch ging hin und verkündigte es den Juden, es sei Jesus, der ihn gesund gemacht habe. Der gegenwärtige Stand ist der – was namentlich auch für Ausländer gesagt sein mag –, daß es in allen Fällen, mag im regierenden Satze die Gegenwart oder die Vergangenheit stehen, im abhängigen Satze unterschiedslos sei und wäre, habe und hätte, gewesen sei und gewesen wäre, gehabt habe und gehabt hätte heißen kann. Es ist ebensogut möglich, zu sagen: er sagt, er wäre krank – er sagt, er wäre krank gewesen – er sagte, er sei krank – er sagte, er sei krank gewesen – wie: er sagt, er sei krank – er sagt, er sei krank gewesen – er sagte, er wäre krank – er sagte, er wäre krank gewesen. In der Schriftsprache ziehen viele in allen Fällen den Konjunktiv der Gegenwart als das Feinere vor und überlassen den Konjunktiv der Vergangenheit der Umgangssprache. Wenn sich aber jemand in allen Fällen lieber des Konjunktivs der Vergangenheit bedient, so ist auch dagegen nichts ernstliches einzuwenden. Wer vollends durch die Verwirrung der Tempora in seinem Sprachgefühl verletzt wird, wem es Bedürfnis ist, eine ordentliche consecutio temporum zu beobachten, den hindert nichts, das auch jetzt noch zu tun. Das alles ist nun freilich eine[S. 150] Willkür, die ihresgleichen sucht; aber der tatsächliche Zustand ist so.

Glücklicherweise hat aber diese Willkür doch gewisse Grenzen, und daß von diesen Grenzen die wenigsten eine Ahnung haben, ist wieder ein trauriger Beweis von der fortschreitenden Abstumpfung unsers Sprachgefühls.

Der unerkennbare Konjunktiv

Die eine Grenze liegt in der Sprachform unsrer Konjunktive. Der Konjunktiv der Gegenwart hat nämlich jetzt im Deutschen nur zwei (oder drei) Formen, in denen er sich von dem Indikativ unterscheidet: die zweite und die dritte Person der Einzahl (und allenfalls die zweite Person in der Mehrzahl); in allen übrigen Formen stimmen beide überein. Nur das Zeitwort sein macht seine Ausnahme, und die Hilfszeitwörter müssen, dürfen, können, wollen, mögen und sollen; die haben einen durchgeführten Konjunktiv des Präsens: ich sei, du seist, er sei, ich müsse, du müssest, er müsse. Im Plural unterscheiden sich aber die beiden Modi auch bei den Hilfszeitwörtern nicht. Nur in der zweiten Person heißt es im Indikativ wollt, müßt, im Konjunktiv wollet, müsset; eigentlich sind aber auch diese Formen gleich, man hat nur im Konjunktiv das e bewahrt, das man im Indikativ ausgeworfen hat. Die Formen nun, in denen der Konjunktiv nicht erkennbar ist, weil er sich vom Indikativ nicht unterscheidet, haben natürlich nur theoretischen Wert, sie stehen gleichsam nur als Füllsel in der Grammatik (um das Konjugationsschema vollzumachen), aber praktische Bedeutung haben sie nicht, im Satzbau müssen sie durch den Konjunktiv des Imperfekts ersetzt werden. Das geschieht denn auch in der lebendigen Sprache ganz regelmäßig, so regelmäßig, daß es beinahe ein Unsinn ist, wenn unsre Grammatiken lehren: Conj. praes.: ich trage, du tragest, er trage, wir tragen, ihr traget, sie tragen. Solche Schattenbilder sollten gar nicht in der Grammatik stehen, es könnte einfach gelehrt werden: Conj. praes.: ich trüge, du tragest, er trage, wir trügen, ihr trüget, sie trügen. Dieser Gebrauch[S. 151] steht schon lange so fest, daß er selbst dann gilt, wenn das regierende Verbum in der Gegenwart steht, also – gegen die consecutio temporum. Unsre guten Schriftsteller haben ihn denn auch fast immer beobachtet. Nicht selten springen sie in einer längern abhängigen Rede scheinbar willkürlich zwischen dem Konjunktiv des Präsens und dem des Imperfekts hin und her; sieht man aber genauer zu, so sieht man, daß das Imperfekt immer nur dazu dient, den Konjunktiv erkennbar zu machen – ganz wie in der lebendigen Sprache. Nun unterscheidet sich zwar der Konjunktiv des Imperfekts, zu dem man seine Zuflucht nimmt, bisweilen auch nicht von dem Indikativ des Imperfekts. Wenn er aber in der abhängigen Rede zwischen erkennbaren Konjunktiven der Gegenwart und abwechselnd mit ihnen erscheint, so wird er eben nicht als Indikativ gefühlt, sondern hier ist er das einzige Mittel, das Konjunktivgefühl aufrecht zu erhalten. Ganz dasselbe gilt natürlich von dem Konjunktiv des Perfekts und des Plusquamperfekts; der erste ist, abgesehen von den zwei erkennbaren Formen: du habest gesagt, er habe gesagt, für die lebendige Sprache so gut wie nicht vorhanden, er muß überall durch den des Plusquamperfekts ersetzt werden: ich hätte gesagt, wir hätten gesagt usw.

Nun vergleiche man damit die klägliche Hilflosigkeit unsrer Papiersprache! Da wird geschrieben: es ist eine Lüge, wenn man behauptet, daß wir die Juden nur angreifen, weil sie Juden sind. Es muß unbedingt heißen: angriffen, denn es muß der Konjunktiv stehen, und das Präsens angreifen wird nicht als Konjunktiv gefühlt. Zu folgenden falschen Sätzen mag das richtige immer gleich in Klammern danebengesetzt werden: es ist ein Irrtum, wenn behauptet wird, daß sich die Ziele hieraus von selbst ergeben (ergäben!) – wie oft wird geklagt, daß die Diener des Staats und der Kirche von der Universität nicht die genügende Vorbildung für ihren Beruf mitbringen (mitbrächten!) – von dem Gedanken, daß in Lothringen ähnliche Verhältnisse vorliegen (vorlägen!) wie in Posen, muß ganz abgesehen werden – es war eine ausgemachte Sache, daß[S. 152] ich in Kriegsdienst zu treten habe (hätte!) – es gibt noch Leute, die ernstlich der Meinung sind, daß die Nationalliberalen 1866 das Deutsche Reich haben (hätten!) gründen helfen – es wird mir vorgeworfen, daß ich die ursprüngliche Reihenfolge ohne zureichenden Grund verlassen habe[66] (hätte!) – H. Grimm geht von der Voraussetzung aus, daß ich den Unterricht in der neuern Kunstgeschichte an der Berliner Universität bekrittelt habe (hätte!) – am Tage meiner Abreise konnte ich schreiben, daß ich die Taschen voll gewichtiger Empfehlungen habe (hätte!) – da mußte ich erkennen, daß ich für mein wissenschaftliches Streben nicht die gehoffte Förderung zu erwarten habe (hätte!) – der Verfasser ist der Meinung, das Verbrechen müsse als gesellschaftliche Erscheinung betrachtet und bekämpft werden, zu seiner Ergründung müssen (müßten!) die Ergebnisse der Gesellschaftswissenschaft berücksichtigt werden – man behauptet, daß die Lehren des Talmud veraltet seien und nicht mehr befolgt werden (würden!) – ich schrieb ihm, daß ich die Verantwortung nicht übernehmen könne, sondern die anstößigen Stellen beseitigen werde (würde!)[67] – er erhebt den Vorwurf gegen uns, daß wir damit ein bloßes Wahlmanöver bezwecken (bezweckten!) – er hatte vor seinem Tode den Wunsch geäußert, die Soldaten mögen (möchten!) nicht auf[S. 153] seinen Kopf zielen – der Verfasser sucht nachzuweisen, daß die behaupteten Erfolge nicht bestehen (bestünden!) – durch die Städte und Dörfer eilte die Schreckenskunde, daß Haufen französischer Freischärler den Rhein überschritten haben (hätten!) und sich sengend und brennend über das Land ergießen (ergössen!) – ich hatte ihm bei der letzten Besprechung gesagt, ich begreife (begriffe!) sehr wohl, daß unser Verhältnis nicht wieder angeknüpft werden könne usw.

Daß die Verfasser dieser Sätze den Indikativ hätten gebrauchen wollen, ist nicht anzunehmen; sie haben ohne Zweifel alle die redliche Absicht gehabt, einen Konjunktiv hinzuschreiben. Aber sie haben alle jenes Papiergespenst erwischt, das in der Schulgrammatik, um das Kästchen der Konjugationstabelle zu füllen, als Konjunktiv des Präsens oder des Perfekts dasteht, aber in der Satzbildung dazu völlig unbrauchbar ist.

Ganz entsetzlich zu lesen sind Zeitungsberichte über „stattgefundne“ Versammlungen und die dabei „stattgefundnen“ Debatten. Was die Redner da gesagt haben, erscheint ja in den Berichten in abhängiger Rede. Aber von Anfang bis zu Ende wird alles mechanisch in den Konjunktiv der Gegenwart gesetzt, dazwischen noch so und so viel Indikative. Da aber mindestens fünfzig von hundert solchen Konjunktiven gar nicht als solche gefühlt werden können, so taumeln die Berichte nun unausgesetzt zwischen Konjunktiv und Indikativ hin und her. Auch Protokolle werden jetzt zum größten Teil so abgefaßt.

Der Konjunktiv der Nichtwirklichkeit

Eine zweite, ebenso unüberschreitbare Grenze für die Neigung, überall den Konjunktiv der Gegenwart vorzuziehen, liegt in einer gewissen Bedeutung des Konjunktivs der Vergangenheit. Der Indikativ stellt etwas als wirklich hin, der Konjunktiv nur als gedacht, gleichviel, ob diesem Gedachten die Wirklichkeit entspricht oder nicht. Es gibt aber noch einen dritten Fall. Es kann etwas als gedacht hingestellt, aber zugleich aufs bestimmteste ausgedrückt werden, daß diesem Gedachten[S. 154] die Wirklichkeit nicht entspreche. Diese Aufgabe kann aber nur der Konjunktiv der Vergangenheit erfüllen. Das bekannteste Beispiel dafür und eins, das niemand falsch bildet, sind die sogenannten irrealen Konditionalsätze oder Bedingungssätze der Nichtwirklichkeit. Jedermann sagt und schreibt richtig: wenn ich Geld hätte, käme ich, oder: wenn ich Geld gehabt hätte, wäre ich gekommen. Der Sinn ist in dem ersten Falle: ich habe aber keins, im zweiten: ich hatte aber keins, mit andern Worten: sowohl das Geldhaben als die Folge davon, das Kommen, wird in beiden Fällen als nichtwirklich, als „irreal“ hingestellt. Die Sprache verfährt dabei sehr ausdrucksvoll. Sie rückt den Gedanken nicht bloß aus dem Bereiche der Wirklichkeit (den der Indikativ ausdrücken würde), sondern versetzt ihn außerdem auch noch in eine größere Zeitferne: eine irreale Bedingung in der Gegenwart wird durch das Imperfekt (wenn ich hätte), eine irreale Bedingung in der Vergangenheit durch das Plusquamperfekt (wenn ich gehabt hätte) ausgedrückt. Ein Schwanken in dem Tempus des Konjunktivs ist hier völlig ausgeschlossen; Imperfekt und Plusquamperfekt sind in solchen Sätzen unerläßlich.[68]

Solche Sätze bildet ja nun jeder richtig, wenn er auch vielleicht nie darüber nachgedacht hat, warum er sie so bildet. Die Bedingungssätze sind aber keineswegs die einzigen Nebensätze, die irrealen Sinn haben können. Etwas sehr gewöhnliches sind auch Relativsätze, Objektsätze, Kausalsätze, Folgesätze mit irrealem Sinn. In allen diesen Sätzen verfährt die lebendige Sprache genau so wie in den irrealen Bedingungssätzen, jedermann bildet auch sie in der Umgangssprache ganz richtig, ohne sich einen Augenblick zu besinnen, und sagt: ich kenne keinen Menschen, den ich lieber hätte als dich – ich weiß nichts davon, daß er verreist gewesen wäre – ich[S. 155] will nicht sagen, daß ich keine Lust gehabt hätte[69] – er ist zu dieser Arbeit nicht zu brauchen, nicht etwa weil er zu dumm dazu wäre – ich bin nicht so ungeduldig, daß ich es nicht erwarten könnte usw. Aber der Papiermensch getraut sich solche Sätze nicht zu schreiben, er stutzt, zweifelt, wird irre, schreibt schließlich – den Indikativ, und so laufen einem denn täglich auch solche Sätze über den Weg wie: ich kenne keine zweite Fachzeitschrift auf diesem Gebiete, die so allen Ansprüchen entgegenkommt (käme!) – die Geschichte kennt keine Musiker, die auf rein autodidaktischem Wege zur Bedeutung gelangt sind (wären!) – es dürfte heute kein Physiker zu ermitteln sein, der an die Möglichkeit eines absolut leeren Raumes glaube (glaubte!) – bei Shakespeare selbst findet sich kein Wort, das auf eine solche Anschauung seines Helden deutet (deutete!) – es gibt kein Stück Shakespeares, worin die Charaktere klarer entwickelt sind (wären!) – es gibt kein zweites Industrieprodukt, das eine derartige Verbreitung gefunden hat (hätte!) – es gibt heute keine Sängerin von Ruf, die diese Lieder nicht singt (sänge!), kein Publikum, das sie nicht begeistert aufnimmt (aufnähme!) – Wien ist gegenwärtig kein Platz, wo goldne Sporen zu verdienen sind (wären!) – es fehlte bisher an einem Buche, das dem Laien verständlich war (gewesen wäre!) und zugleich auf der Höhe der Wissenschaft stand (gestanden hätte!) – es gibt keinen, der die Entwicklung der politischen Verhältnisse kennt (kennte!), keinen, der sagen kann (könnte!): morgen wird es so sein – nie hat er etwas getan, was mit seiner Untertanenpflicht in Widerspruch stand (gestanden hätte!) – wir haben seit langen Jahren kein Abgeordnetenhaus gehabt, worin diese Partei so stark vertreten war (gewesen wäre!) – wir hören nichts davon, daß die weniger betroffnen Gemeinden den Notleidenden die Hand boten (geboten hätten!) – ich[S. 156] gebe diese Auslassung wörtlich wieder, nicht weil ich sie für sehr bedeutend halte (hielte!), sondern weil usw. – gewiß sind manche Fehler begangen worden, nicht etwa weil unsre Vorfahren unverständige Leute waren (gewesen wären!) und ihre Pflicht nicht getan haben (hätten!), sondern weil eine solche Entwicklung nicht vorauszusehen war – wie selten sind diese Kenntnisse ein so sichrer Besitz geworden, daß mit Freiheit darüber verfügt wird (würde!) – die Summe gewährt ihm keine genügende Unterstützung, daß er während seiner Studentenzeit sorgenfrei leben kann (könnte!) – so dumm sind unsre Schauspieler nicht, daß man ihnen das alles haarklein vorschreiben muß (müßte!) – die Sache ist damals beanstandet worden, ohne daß über den Grund aus den Akten etwas zu ersehen ist (wäre!) – ach, es war eine schöne Zeit, zu schön, als daß sie lange dauern konnte (hätte dauern können!) – zum Glück war ich noch zu klein, als daß mir der Inhalt des Buches großen Schaden zufügen konnte (hätte zufügen können!) – die Hauswirte lassen lieber die Wohnungen leer stehen, als daß sie sie billig vermieten (vermieteten!) – anstatt daß eine Beruhigung eintrat (eingetreten wäre!), bemächtigte sich vielmehr des ganzen Landes eine tiefe Aufregung.

In allen diesen Sätzen drückt der Nebensatz etwas Nichtwirkliches aus. Zu allen diesen Nebensätzen ist gleichsam im Geist ein irrealer Bedingungssatz zu ergänzen: nie hat er etwas getan, was mit seiner Untertanenpflicht in Widerspruch gestanden hätte (nämlich wenn er es getan hätte, was eben nicht der Fall war). Also müssen sie auch alle in den Modus der Nichtwirklichkeit treten. Es würde ganz unbegreiflich sein, wie jemand solche Nebensätze in den Indikativ setzen kann, wenn nicht, wie so oft, die leidige Halbwisserei dabei im Spiele wäre. Man ist nicht unwissend genug, den richtigen Konjunktiv aus der lebendigen Sprache unangezweifelt zu lassen, aber man ist auch nicht wissend, nicht unterrichtet genug, den Zweifel niederzuschlagen und das richtige aufs Papier zu bringen.

[S. 157]

Vergleichungssätze. Als wenn, als ob

Zu diesen Nebensätzen, die sehr oft irrealen Sinn haben, gehören nun auch die Vergleichungssätze, die mit als ob, als wenn, wie wenn anfangen. Sehr oft kann oder muß man zu solchen Sätzen im Geiste den Gedanken ergänzen: was nicht der Fall ist oder: was nicht der Fall war, z. B.: er geht mit dem Gelde um, als ob er (was nicht der Fall ist) ein reicher Mann wäre. Auch diese Sätze werden in der lebendigen Sprache wie alle andern irrealen Nebensätze behandelt, d. h. in der Gegenwart stehen sie im Konjunktiv des Imperfekts, in der Vergangenheit im Konjunktiv des Plusquamperfekts. Auf dem Papier ist aber jetzt auch hier Verwirrung eingerissen. Man schreibt z. B.: er tut, als habe er schon damals diese Absicht gehabt – er sah mich verwundert an, als ob ich irre rede oder Fabeln erzähle. Es muß heißen: als hätte er – als ob ich irre redete oder Fabeln erzählte – ganz abgesehen davon, daß sich in dem zweiten Beispiel die Konjunktive der Gegenwart nicht von den Indikativen unterscheiden. Die Verwirrung geht so weit, daß solche Sätze jetzt sogar in den Indikativ gesetzt werden, z. B.: es will uns scheinen, als ob die mißgünstige Kritik einen sehr durchsichtigen Grund hat – es macht den Eindruck, als ob das Stück der Zensurbehörde vorlag, aber nicht die Sanktion erhielt – es war, als ob seit dem Einzuge der verwitweten Tochter ein unheimlicher Druck auf dem ganzen Hause lag.[70]

Soll nicht angedeutet werden, daß der in dem Vergleichungssatze stehende Gedanke nicht wirklich sei, so[S. 158] kann (nach einem Präsens im Hauptsatze) natürlich auch im Nebensatze der Konjunktiv der Gegenwart stehen, z. B.: es will mir scheinen, als ob er geflissentlich die Augen dagegen verschließe – es gewinnt den Anschein, als wolle der Verfasser das sittliche Gefühl des Zuschauers absichtlich verletzen – ich habe die Empfindung, als ob ihm die Welt zuweilen recht verzerrt erschienen sei.

Würde

Wieviel zu der herrschenden Unsicherheit im Gebrauche der Modi die Unsitte beiträgt, die Hilfszeitwörter wegzulassen, ist schon gezeigt worden (vgl. S. 139). Nicht nur der Unterricht sollte darauf halten, sondern auch jeder Einzelne sich selbst so weit in Zucht nehmen, daß gerade da, wo ein Zweifel über den Modus entstehen kann, das bequeme Auskunftsmittel, das Hilfszeitwort zu unterdrücken, verschmäht würde, der Gedanke stets reinlich und bestimmt zu Ende gebracht würde. Für den Konjunktiv des Imperfekts aber und seinen richtigen Gebrauch ist insbesondere noch der Umstand verhängnisvoll geworden, daß man ihn in Hauptsätzen zu Bedingungssätzen durch den sogenannten Konditional (würde mit dem Infinitiv) umschreiben kann (ich würde bringen statt: ich brächte). Das hat nicht nur dazu geführt, daß sich viele Leute von gewissen Zeitwörtern kaum noch einen wirklichen Konjunktiv des Imperfekts zu bilden getrauen, daß sie sich überall da, wo sie zweifeln (vgl. S. 62), mit dem kläglichen würde behelfen, anstatt sich die Kenntnis der richtigen Verbalform zu verschaffen, sondern sie hat auch schon eine bedenkliche Verwirrung im Satzbau angerichtet. Von Süddeutschland und namentlich von Österreich aus hat sich aus dem fehlerhaften Hochdeutsch der Halbgebildeten immer mehr die Unsitte verbreitet, den Konditional auch in Bedingungs- und Relativsätzen, Vergleichungs- und Wunschsätzen anzuwenden.

Man schreibt: ich würde mich nicht wundern, wenn ich in einer Zeitung lesen würde (läse!) – von großer Bedeutung wäre es, wenn sich der Leserkreis des Blattes[S. 159] erweitern würde (erweiterte) – wir könnten eine monumentale Sprache wiedergewinnen, wenn wir unser Denkmalschema verlassen würden (verließen!) – wie schematisch würde eine historische Darstellung ausfallen, wenn sie immer nur diese Maßstäbe anlegen würde (anlegte!) – weniger Sauberkeit und Regelmäßigkeit wäre dichterisch wertvoller, wenn sich eine starke Natur, eine glühende Leidenschaft, ein hoher Sinn offenbaren würden (offenbarten!) – der Christ, der sich einbilden würde (einbildete!), daß seine Religion die Menschen zu Engeln gemacht habe, wäre ein Utopist – der Stil seiner Abhandlung wird oft so hoch, als wenn er über Goethe schreiben würde (schriebe!) – hat die Kochstunde geschlagen, so muß das Feuer flackern, als ob es auf Kommando gehen würde (ginge!) – er fuhr mit den Händen auf und ab, als ob er buttern würde (butterte!) – wenn man diese Arbeit eines Spezialisten auf therapeutischem Gebiete durchstudiert, so bekommt man den Eindruck, als wenn man das Urteil eines Richters lesen würde (läse!), der in eigner Sache entscheidet – diese Romane tun, als würden sie die Laster nur der Sittlichkeit wegen schildern (schilderten!) – es wäre zu wünschen, er würde dieser Feier einmal beiwohnen (wohnte bei!) – es wäre dringend erwünscht, daß das Polizeiamt dieser Anregung Folge geben würde (gäbe!) – es gibt keine Sphäre des Lebens, deren Anfänge nicht im Unbewußten liegen würden (lägen!) – wenn nur wenigstens künstlerische Form ihre Darstellung adeln würde (adelte!) – der Engländer ist zu sachlich und zu praktisch, als daß er selber beleidigend auftreten würde (aufträte!) – der Ernst des militärischen Lebens läßt es sich ab und zu gefallen, daß das Blümlein Humor an ihm emporwuchert, ohne daß sich dadurch das feste Gefüge der Disziplin lockern würde (lockerte!).

Ein wahres Wunder, daß wir den Kehrreim bei Mirza Schaffy und Rubinstein: ach, wenn es doch immer so bliebe! nicht längst verschönert haben zu: ach, wenn es doch immer so bleiben würde! Ein wahres Wunder, daß wir das alte Volkslied: wenn ich ein Vöglein wär[S. 160] und auch zwei Flüglein hätt! noch nicht umgestaltet haben zu: wenn ich ein Vöglein sein würde und auch zwei Flüglein haben würde! Denn so müßte es doch eigentlich in dem schönen österreichischen Zeitungshochdeutsch heißen! Im Volksdialekt heißt es freilich ganz richtig: Wann i a Vögerl war (= wär) und a zwoa Flügerln hätt.

Nicht zu verwerfen ist es, wenn in Bedingungs- und Wunschsätzen anstatt des Konjunktivs ein wollte, sollte oder möchte mit dem Infinitiv erscheint. Der Satz kann hierdurch bisweilen eine feine Färbung erhalten. Wenn ich mir das erlauben wollte – ist etwas andres als das einfache: wenn ich mir das erlaubte, wenn er sich so etwas unterstehen sollte – etwas andres als das einfache: wenn er sich das unterstünde – wenn sich doch die Regierung einmal ernstlich darum kümmern möchte – etwas andres als das einfache: wenn sie sich doch einmal darum kümmerte. Eine so sinnvolle Verwendung der Hilfszeitwörter ist natürlich mit dem inhaltlosen, nichtssagenden würde nicht auf eine Stufe zu stellen.

Noch ein falsches würde

Ein abscheulicher Stilunfug, der jetzt durch unsre gesamte Erzählungsliteratur geht, ist die Schluderei, die Erzählung durch eine abhängige (indirekte) Rede zu unterbrechen, ohne ein Zeitwort des Sagens, Denkens oder Meinens vorauszuschicken oder wenigstens einzuschalten. Etwa so: Trotz solcher bittern Erfahrungen ließ H. den Mut nicht sinken. Er würde nach Berlin gehn, würde sich dort Arbeit suchen, und es würden auch wieder bessere Zeiten kommen. Jeder, der das liest, glaubt zunächst, der Erzähler spreche weiter, „Er würde“ sei der Konjunktiv des Imperfekts, und es werde nun ein Bedingungssatz folgen. Statt dessen ist der Satz als indirekte Rede dem Helden in den Mund gelegt, und „Er würde“ soll der Konjunktiv des Futurums sein (in direkter Rede: ich werde nach Berlin gehn, werde mir dort Arbeit suchen, und es werden auch wieder bessere Zeiten kommen). Ein guter Erzähler hätte etwa so geschrieben:[S. 161] Er wollte nach Berlin gehn, er beschloß, nach Berlin zu gehn, er hoffte, daß auch wieder bessere Zeiten kommen würden. Das unvorbereitete Umspringen in die indirekte Rede soll wohl der Darstellung etwas dramatisch lebendiges geben, es ist aber eine Liederlichkeit. Leider ist sie in neuern Erzählungen schon so verbreitet, daß sie dem gewohnheitsmäßigen Romanfresser gar nicht mehr auffällt. Woher sie stammt? Wie es scheint, aus schlecht übersetzten Erzählungen aus den skandinavischen Sprachen.

Der Infinitiv. Zu und um zu

In den Infinitivsätzen werden mannigfaltige Fehler gemacht. Vor allem reißt eine immer größere Verwirrung in dem Gebrauch von zu und um zu ein, und zwar so, daß sich um zu immer öfter an Stellen drängt, wo nur zu hingehört. Und doch ist zwischen beiden ein großer Unterschied. Der Infinitiv mit um zu bezeichnet den Zweck einer Handlung; der Infinitiv mit zu dagegen dient zur Begriffsergänzung des Hauptworts oder Zeitworts, von dem er abhängt. In einem Satze wie: die schönen Tage benutzte ich, die Gegend zu durchstreifen, um meine Gesundheit zu kräftigen – ist der Sinn von zu und um zu deutlich zu sehen. Ich benutzte die schönen Tage – das verlangt eine Ergänzung. Wozu denn? fragt man; das bloße benutzte sagt noch nichts. Die notwendige Ergänzung lautet: die Gegend zu durchstreifen. Aber das ist kein Zweck; der Zweck wird dann noch besonders angegeben: um meine Gesundheit zu kräftigen.[71]

Solche ergänzungsbedürftige Begriffe gibt es nun in Menge. Von Hauptwörtern gehören dazu: Art und Weise, Mittel, Macht, Kraft, Lust, Absicht, Versuch, Zeit, Alter, Geld, Gelegenheit, Ort, Anlaß usw., von Zeitwörtern: imstande sein, genug (groß genug, alt genug usw.) sein, genügen, hinreichen, passen, geeignet sein, angetan sein, dasein, dazu gehören, dienen, benutzen usw. Auf[S. 162] alle diese Begriffe darf nur der Infinitiv mit zu folgen.[72] Dennoch wird jetzt immer öfter geschrieben: es wurde eine günstige Gelegenheit benutzt, um sich einen Weg durch die Feinde zu bahnen – hierin sehen wir das beste Mittel, um einem Mißbrauch der Staatssteuer vorzubeugen – als er endlich Kraft und Lust fühlte, um sich an monumentalen Aufgaben zu versuchen – sogar eine Übung mit dem Zeitwort muß den Anlaß geben, um den Rachekrieg zu predigen – wo ist in der Türkei ein Mann, um so umfassende Aufgaben durchzuführen? – wenn man wirklich einmal die Zeit gewinnt, um ein aus dem Drange des Herzens geschaffnes Werk zu vollenden – nach den Vorbereitungen für die Schule behielt sie noch Zeit übrig, um deutsche Gedichte zu lesen – alle waren in dem Alter, um die Gefahr zu begreifen – wie viele Schulbibliotheken haben kein Geld, um sich Rankes Weltgeschichte zu kaufen! – er hatte das nötige Geld, um durch Reisen seinen Wissensdurst zu befriedigen – es gehört schon eine bedeutende Einnahme dazu, um sich eine anständige Wohnung verschaffen zu können – manche Aufzeichnungen scheinen mir nicht geeignet, um einen Platz in diesen Denkwürdigkeiten zu finden – die Zeitlage ist nicht dazu angetan, um diese Forderungen zu bewilligen – den Aufenthalt in Berlin benutzte ich, um mich auch den ältern Fachgenossen vorzustellen – die Arbeiter sind nur dazu da, um den Hausbesitzern eine möglichst hohe Grundrente zu sichern – sind diese Gründe wirklich genügend, um das Bestehen einer solchen Einrichtung zu rechtfertigen? – ist unsre Sprache noch jung genug, um (!) neue Wörter zu erzeugen? – ein Jahrhundert ist lang genug, um (!) in der Sprache erhebliche Änderungen hervorzurufen – der deutsche Geist war stark genug geworden, um(!) die fremden Ketten zu brechen – ich[S. 163] muß abwarten, ob ihm mein Wesen Interesse genug einflößen wird, um(!) sich mit mir abzugeben. Eine Zeitung schreibt: die englische Regierung wird nichts tun, um die Gemeinsamkeit in dem Vorgehen der Mächte zu stören. Das kann doch nur heißen: sie wird sich untätig verhalten, damit sie das gemeinsame Vorgehen der Mächte störe. Es soll aber heißen: sie wird alles unterlassen, was das gemeinsame Vorgehen stören könnte. Solches Unheil richtet das dumme um an!

Namentlich hinter den Verbindungen mit genug hat um zu gewaltig um sich gegriffen, obwohl sich die lebendige Sprache meist noch mit dem bloßen zu begnügt, und die Mutter zu ihrem Jungen ganz richtig sagt: du bist alt genug, das zu begreifen! Vollends verdrängt worden ist aber das ursprüngliche einfache zu nach den mit zu verbundnen Adjektiven: Gott ist zu hoch, um sich um die Kleinigkeiten der Welt zu kümmern – der Stoff ist viel zu umfänglich, um ihn in öffentlichen Vorlesungen zu behandeln – sie haben zu wenig Bildung, um ihre Taktlosigkeiten zu erkennen – die Mannschaft ist zu gering, um einen festen Stützpunkt für die Schulung der Rekruten abzugeben. Auch hier genügt überall das einfache zu und hat auch früher genügt. (Freilich heißt es auch schon im Faust: Ich bin zu alt, um nur zu spielen, zu jung, um ohne Wunsch zu sein.)

Wie die angeführten Beispiele zeigen, ist es nicht nötig, daß das Subjekt des Infinitivsatzes immer dasselbe sei wie das des Hauptsatzes. Doch ist es gut, dabei vorsichtig zu sein. Es braucht bei Verschiedenheit des Subjekts nicht immer solcher Unsinn herauszukommen wie in dem Satze: ohne Gefahr zu ahnen, geriet ein vom Abhange rollender Stein unter das Vorderrad des Wagens – es sind auch solche Sätze schlecht wie: die Kurfürstin ließ den Hofprediger rufen, um sie mit den Tröstungen der Religion zu erquicken; hier wird nur der Fehler durch den Gegensatz der Geschlechter verschleiert. Man setze statt der Kurfürstin den Kurfürsten, und sofort entsteht Unsinn, sofort müßte der Infinitivsatz geändert und geschrieben werden, um sich von ihm mit[S. 164] den Tröstungen der Religion erquicken zu lassen. Erträglich sind aber folgende Sätze: der achteckige Aufbau soll wegfallen, um Turm und Schiff in größern Einklang zu bringen – das Fechten mit der blanken Waffe sollte fleißig geübt werden, um nötigenfalls mit der eignen Person eintreten zu können – zurzeit liegt die Fregatte im Trockendock, um sie für die Winterreise vorzubereiten. Hier schwebt beim Infinitiv ein unbestimmtes Subjekt (man) vor.

Vorsichtig muß man auch mit einer Anwendung des Infinitivs mit um zu sein, die manche sehr lieben, nämlich der, von zwei aufeinanderfolgenden Vorgängen den zweiten als eine Art von Verhängnis oder Schicksalsbestimmung hinzustellen und dabei in die Form eines Absichtssatzes zu kleiden, z. B.: der Herzog kehrte nach F. zurück, um es nie wieder zu verlassen. Der Sinn ist: es war ihm vom Schicksal bestimmt, es nie wieder zu verlassen, während seine Absicht vielleicht war, es noch recht oft zu verlassen. Man kann diesen Gebrauch das ironische um zu nennen. Es entsteht aber sehr oft ein lächerlicher Sinn dabei, z. B.: er wurde in dem Kloster Lehnin beigesetzt, um später in den Dom zu Kölln an der Spree überführt (!) zu werden – er schloß sich der Emin-Pascha-Expedition an, um ein trauriges Ende dabei zu finden – täglich wird eine Masse von Konzert- und Theaterberichten geschrieben, um schnell wieder vergessen zu werden – beim Eintreffen der Feuerwehr brannte das Gebäude bereits vollständig, um schließlich einzustürzen – die Einzeichnungen beginnen im Jahre 1530, um schon im Jahre 1555 wieder abzubrechen – vor etwa dreißig Jahren sind die Niersteiner Quellen versiegt, um erst neuerdings wieder hervorzubrechen – nach einigen Jahren wandte er sich nach Magdeburg, doch nur, um dort in noch größere Bedrängnis zu geraten – die Schwestern reisten in die Schweiz, wo sie sich trennten, um sich nie wiederzusehen. Das Richtige wären hier überall zwei Hauptsätze.

Mit dem Hilfszeitwort sein verbunden kann der Infinitiv mit zu sowohl die Möglichkeit wie die Notwendigkeit[S. 165] ausdrücken; das ist zu erreichen heißt: das kann erreicht werden, das ist zu beklagen heißt: das muß beklagt werden. Daher muß man sich vor Zweideutigkeiten hüten, wie: ein Fräulein sucht Stelle bei einem geistlichen Herrn; gute Zeugnisse sind vorzulegen.

Das Partizipium. Die stattgefundne Versammlung

Partizipia hat unsre Sprache nur zwei: ein aktives in der Gegenwart (ein beißender Hund, d. i. ein Hund, der beißt), und ein passives in der Vergangenheit (ein gebissener Hund, d. i. ein Hund, der gebissen worden ist).[73] Für die Gegenwart fehlt es an einem passiven, für die Vergangenheit an einem aktiven Partizipium; weder ein Hund, der gebissen wird, noch ein Hund, der gebissen hat, kann durch ein Partizip ausgedrückt werden.[74] Nur wirkliche Passiva von transitiven Zeitwörtern und im Aktiv solche Intransitiva, die sich zur Bildung der Vergangenheit des Hilfszeitworts sein bedienen (gehen, laufen, sterben), können ein Partizip der Vergangenheit bilden (gegangen, gelaufen, gestorben).

Diese Schranke hat aber nicht immer bestanden. In der ältern Zeit ist das Partizipium der Gegenwart auch im passiven Sinne gebraucht worden. Noch im achtzehnten und zu Anfang des neunzehnten Jahrhunderts sagte man ganz unbedenklich: zu einer vorhabenden Reise, zu seinem vorhabenden neuen Bau, sein vor dem Tore besitzendes Haus, das gegen mich tragende Vertrauen, laut der in Händen habenden Urkunde, die Briefe des sich von meiner unterhabenden Kompagnie selbst entleibten (!) Unteroffiziers, er nahm dem[S. 166] Erschlagnen die bei sich tragenden Pretiosen ab, wir konnten uns nur mit Mühe den bedürfenden Bissen Brot verschaffen usw., ja man sprach sogar von essender Ware (statt von Eßware). Aber diese Erscheinung ist doch nach und nach durch den Unterricht beseitigt worden. Höchst selten kommt es vor, daß man in einer Zeitung noch heute einen Satz liest wie: er hatte nichts eiligeres zu tun, als ihm eine in der Hand haltende Flasche an den Kopf zu werfen. Verkehrt aber wäre es, die fahrende Habe mit unter diese Ausdrücke zu rechnen, denn hier hat das Partizip wirklich aktiven Sinn, wie bei dem fahrenden Volke: der Fuhrmann führt die Habe, die Habe aber wird geführt, oder sie fährt (vgl. S. 56).

Andrerseits hat man nach dem Beispiel der intransitiven Partizipia schon frühzeitig angefangen, auch passive Partizipia von transitiven Zeitwörtern aktivisch zu verwenden. Einzelne Beispiele davon haben sich so in der Sprache eingebürgert, daß sie gar nicht mehr als falsch empfunden werden; man braucht nur an Verbindungen zu denken wie: ein geschworner Bote, ein abgesagter Feind, ein gedienter Soldat, ein gelernter Kellner, ein studierter Mann, ein erfahrner Arzt, ein verdienter Schulmann usw. Alle diese Partizipia haben aktive Bedeutung, auch der abgesagte Feind, der natürlich ein Feind ist, der einer Person oder einer Sache abgesagt, ihr gleichsam die Absage geschickt hat; aber sie werden kaum noch als Partizipia gefühlt, man fühlt und behandelt sie wie Adjektiva. Auch Verneinungen solcher Partizipia sind gebildet worden, wie ungepredigt, ungefrühstückt: er mußte ungepredigt wieder von der Kanzel gehen. Aber auch diese Verirrung ist doch im Laufe der Zeit durch den Unterricht beseitigt worden, und heute erscheint es uns unerträglich, zu sagen: der vormals zu diesem Hause gehörte Garten, die zwischen den Parteien gewaltete Uneinigkeit, eine im vorigen Jahrhundert obgeschwebte Rechtssache, durch Dekoration leicht gelittene Artikel, die dem Feste beigewohnten Mitglieder, die an der Feier teilgenommenen Offiziere, Nacht verhüllte seinen ihm[S. 167] so lange gestrahlten Glücksstern,[75] und nun vollends in Verbindung mit einem Objekt: die das Zeitliche gesegneten Mitglieder, das den Lokomotivführer betroffne Unglück, eine inzwischen Gesetzeskraft erlangte Übereinkunft, die im vorigen Jahre eingerichtete und sehr günstige Aufnahme gefundne Auskunftsstelle, trotz ihres hohen nun schon ein Jahrhundert überschrittnen Alters. Vor allem aber unerträglich erscheinen die stattgehabte und die stattgefundne Versammlung. Je häufiger die beiden Zeitwörter statthaben und stattfinden – namentlich das zweite – ohnehin in unsrer Amts- und Zeitungssprache verwandt werden, je lebendiger man sie also als Zeitwörter, und zwar als aktive, mit einem Objekt verbundne Zeitwörter (Statt finden, d. h. Platz finden) fühlt, desto widerwärtiger sind für jeden Menschen, der sich noch etwas Sprachgefühl bewahrt hat, diese zahllosen stattgefundnen Versammlungen, Beratungen, Verhandlungen, Wahlen, Prüfungen, Untersuchungen, Audienzen, Feuersbrünste usw.[76]

Sie sind aber doch so kurz und bequem, soll man denn immer Nebensätze bilden? Nein, das soll man nicht; aber man soll ein klein wenig nachdenken, sich in dem Reichtum unsrer Sprache umsehen und dann schreiben: die veranstaltete Feier, die abgehaltne Versammlung, die vorgenommne Abstimmung, die angestellte Untersuchung, die bewilligte Audienz, die ausgebrochne Feuersbrunst usw., oder man soll, was in tausend Fällen das gescheiteste ist, das müßige Partizipium ganz weglassen. Die stattgefundne Untersuchung ergab – kann denn eine Untersuchung etwas[S. 168] ergeben, die nicht stattgefunden hat? In R. ereignete sich bei einer stattgehabten Feuersbrunst das Unglück – kann sich auch ein Unglück ereignen bei einer Feuersbrunst, die nicht stattgehabt hat? Über den stattgefundnen Wechsel im Ministerium sind unsre Leser bereits unterrichtet – können die Leser auch unterrichtet sein über einen Wechsel, der nicht stattgefunden hat?

Nicht viel besser als die stattgefundnen Versammlungen sind aber auch der bei einem Meister in Arbeit gestandne Geselle und der seit langer Zeit hier bestandne Saatmarkt, das früher bestandne Hindernis und das lange bestandne freundschaftliche Verhältnis. Freilich sagt man in Süddeutschland: er ist gestanden (vgl. S. 59), und er ist bestanden[77]; aber in der Schriftsprache empfindet man das doch als Provinzialismus. Es gibt aber sogar Schulräte, die nicht bloß von bestandnen Prüfungen, sondern auch von bestandnen Kandidaten reden! Dann darf man sich freilich nicht mehr über die Zeitungschreiber und die Kanzlisten wundern.[78]

Das sich ereignete Unglück

Aus dem vorigen ergibt sich von selbst, warum man auch nicht sagen darf: das sich gebildete Blatt. Alle reflexiven Zeitwörter gebrauchen in der Vergangenheit das Hilfszeitwort haben, können also kein Partizip der Vergangenheit bilden. Falsch sind daher alle Verbindungen wie: der sich ereignete Jagdunfall, die sich bewährte Geistesbildung, der von hier sich entfernte Lehrer, die sich davongemachten Zuschauer, der[S. 169] kürzlich hier sich niedergelassene Bildhauer, die sich zahlreich eingefundnen Konzertbesucher, die am 9. August sich (!) angefangne Woche, das schon längst sich fühlbar gemachte Bedürfnis, das sich irrtümlich eingeschlichne Wort, das ehemals so weit sich ausgebreitete Lehrsystem, ein sich aus den Kinderschuhen glücklich herausentwickelter Jüngling, ein in der Mauerritze sich eingenisteter Brombeerstrauch. Ein Partizip wäre hier nur dann möglich, wenn man sagen wollte: der sich eingenistet habende Brombeerstrauch, eine Verbindung, die natürlich aus dem Regen in die Traufe führen würde. Es bleibt auch in solchen Fällen nichts übrig, als einen Relativsatz zu bilden: ein Brombeerstrauch, der sich in der Mauerritze eingenistet hatte.

Hocherfreut oder hoch erfreut?

Leipziger Geburtsanzeigen werden nie anders gedruckt als: Durch die glückliche Geburt eines Knaben wurden hocherfreut usw. – auch Zeitungen schreiben: das gesamte Personal der Firma ist durch Jubelgaben hocherfreut worden – Gutenberg ist dieses Jahr in vielen deutschen Städten hochgefeiert worden – und auf Buchtiteln liest man: in dritter Auflage neubearbeitet von usw. Welche Verirrung! Ein Partizip kann Verbalform sein, es kann auch Nomen sein.[79] Aber nur dann, wenn es Nomen, also Adjektiv ist, kann ein hinzugefügtes Adverb damit zu einem Worte verwachsen: wie man von hochadligen Eltern reden kann, so auch von hocherfreuten Eltern. Wie soll aber ein Adverb mit dem Partizip zusammenwachsen, wenn das Partizip Verbalform ist? Wir sind hocherfreut worden – so könnte man doch nur schreiben, wenn es ein Zeitwort hocherfreuen gäbe: ich hocherfreue, du hocherfreust usw. Dasselbe gilt natürlich vom Infinitiv und bei intransitiven Zeitwörtern vom Verbum finitum; es[S. 170] ist töricht, wenn Zeitungen schreiben: der Kronprinz ließ das Brautpaar hochleben, der Vortrag wird hochbefriedigen, feststeht, daß der Minister nicht zurücktreten wird, denn es gibt kein Zeitwort: ich hochlebe, ich hochbefriedige, ich feststehe.

Ebenso wie mit den Adverbien ist es auch mit den Objekten. Man kann wohl schreiben: die notleidende Landwirtschaft, aber falsch ist es, im Infinitiv zu schreiben: notleiden; denn es gibt kein Zeitwort: ich notleide.

Es handelt sich hier durchaus nicht bloß um einen „orthographischen“ Fehler oder gar bloß um eine gleichgiltige orthographische Abweichung, sondern in der falschen Schreibung verrät sich ein grober Denkfehler.

Partizipium statt eines Neben- oder Hauptsatzes

Wie es oft geschieht, daß ein Gedanke, der eigentlich durch einen Hauptsatz ausgedrückt werden müßte, unlogischerweise in einen Relativsatz gebracht wird (vgl. S. 130), so packt man oft auch einen Hauptgedanken in ein attributives Partizip und schreibt: hier ist das bisher noch von keiner Seite bestätigte Gerücht verbreitet – die neue Auflage hat die von dem Verfasser getreulich benutzte Gelegenheit gegeben, manches nachzutragen – ich sandte ausführliche, in freundlichster Weise beantwortete Fragebogen an folgende Bibliotheken – der Mörder nahm die Nachricht von seiner gestern früh erfolgten Hinrichtung gefaßt entgegen – mit klopfendem Herzen betrat ich das Auditorium, um die in der Bohemia abgedruckte Antrittsrede zu halten – die anonym einzureichenden Bewerbungsschriften sind in deutscher, lateinischer oder französischer Sprache zu verfassen. Da fragt man doch: in welcher Sprache sind denn die nicht anonym einzureichenden zu verfassen? Und war denn die Antrittsrede wirklich schon gedruckt, als der Verfasser das Auditorium betrat? Natürlich soll es heißen: um die Antrittsrede zu halten, die dann in der Bohemia abgedruckt wurde – die Bewerbungsschriften sind anonym einzureichen und in deutscher Sprache abzufassen.

[S. 171]

Nicht viel besser ist es, wenn ein Partizipsatz statt eines Hauptsatzes gesetzt wird, z. B.: im Jahre 1850 in den Generalstab zurücktretend (getreten!), wurde B. 1858 zum persönlichen Adjutanten des Prinzen Friedrich Karl ernannt – er ging zunächst nach Paris, dann nach London, an beiden Plätzen im Bankfach arbeitend – oder gar: in der Einleitung stellt Friedländer die Entwicklung des deutschen Liedes dar, hierauf (!) eine übersichtliche Bibliographie bringend – Jürgen lief in die Apotheke, nach wenig Augenblicken (!) mit einer großen Medizinflasche zurückkehrend. Während in den zuerst angeführten Beispielen eine Art von Schnelldenkerei vorliegt – die Verfasser haben es gleichsam nicht erwarten können, zu sagen, was sie sagen wollten –, handelt sichs in den letzten nur um einen ungeschickten Versuch, in den Ausdruck Abwechslung zu bringen. Der Sinn verlangt statt dieser Partizipialsätze Hauptsätze.

Falsch angeschloßnes Partizipium

Noch größer als bei Infinitivsätzen mit um zu ist bei Partizipialsätzen die Gefahr eines Mißverständnisses, wenn das Partizip an ein anderes Wort im Satze als an das Subjekt angelehnt wird; das nächstliegende wird es auch hier immer sein, es auf das Subjekt des Hauptsatzes zu beziehen. Entschieden schlecht sind also Verbindungen wie folgende: angefüllt mit edelm Rheinwein, überreiche ich Eurer Majestät diesen Becher – kaum heimgekehrt, wandte sich die engherzigste Philisterei gegen ihn – einmal gedruckt, kehre ich dem Buche den Rücken – erhaben über Menschenlob und dessen nicht bedürftig, wissen wir, was wir an unserm Fürsten haben – an der Begründung unsers Unternehmens wesentlich beteiligt und während der ganzen Dauer desselben an der Spitze des Aufsichtsrates stehend, verdanken wir der Tatkraft und Geschäftskenntnis des verehrten Mannes unendlich viel – abstoßend, schroff, von der mildesten Güte, verschlossen und hingebend, konnte man ganz irre an ihm werden –[S. 172] durch Rotationsdruck angefertigt, sind wir in der Lage, das Verzeichnis zu einem Spottpreis zu liefern – mich umdrehend grüßt mich im Osten Schloß Johannisberg. Besonders beliebt ist es jetzt, das Partizip anschließend so zu verbinden, daß man eine Zeit lang im Satze suchen muß, worauf es sich eigentlich beziehen soll, z. B.: schon in Ingolstadt hatte er sich, anschließend an seine astronomischen Arbeiten, optischen Studien gewidmet. Das anschließend soll hier auf Studien gehen: er schloß die optischen Studien an seine astronomischen Arbeiten an. Ebenso: anschließend an diese allgemeine Einführung, dürfte es zweckmäßig sein, einmal das Gebiet der Einzelheiten zu übersehen. Das schlimmste ist es, vor den Hauptsatz ein absolutes Partizip zu stellen, für das man sich dann vergebens in dem Satze nach einem Begriff umsieht, auf den es bezogen werden könnte, z. B.: wiederholt lächelnd und lebhaft grüßend, fuhr das Kriegsschiff vorüber. Die Partizipia sollen sich auf – den Kaiser beziehen! Es braucht nicht immer ein so lächerlicher Sinn zu entstehen wie hier, auch so beliebte Partizipia wie: dies vorausgesetzt, dies vorausgeschickt, dies zugegeben u. ähnl. sind nicht schön. Ja man kann noch weiter gehen und sagen: das unflektierte Partizip überhaupt, wenigstens das der Gegenwart (1870 wandte er sich an Richard Wagner, ihn fragend – er schlich sich feige davon, nur ein kurzes Wort des Abschieds zurücklassend – der Vorsitzende entbot den Versammelten ein herzliches Willkommen, dankbar des Erscheinens der Ehrengäste gedenkend und seiner Freude über die Zuwendung reicher Preise Ausdruck gebend), hat im Deutschen immer etwas unlebendiges, steifes; die Sprache erscheint darin wie halb erstarrt.

In Ergänzung

Wie Ungeziefer hat sich in den letzten Jahren eine Ausdrucksweise verbreitet, die die verschiedenartigsten Nebensätze und ganz besonders auch den Infinitiv und das Partizip ersetzen soll: die Verbindung von in mit gewissen Hauptwörtern, namentlich auf ung. Den Anfang[S. 173] scheinen in Erwägung und in Ermanglung gemacht zu haben[80]; diese beiden haben aber schon ein ganzes Heer ähnlicher Verbindungen nach sich gezogen, und das Ende ist noch nicht abzusehen, jede Woche überrascht uns mit neuen. Briefe von Beamten und Geschäftsleuten fangen kaum noch anders an als: in Beantwortung oder in Erwiderung Ihres gefälligen Schreibens vom usw., ein Aufsatz wird geschrieben in Anlehnung oder in Anknüpfung an ein neu erschienenes Buch, ein Abschied wird bewilligt in Genehmigung eines Gesuchs, eine Zeitungsmitteilung wird gemacht in Ergänzung oder in Berichtigung einer frühern Mitteilung oder in Fortsetzung des gestrigen Artikels, der Polizeirat vollzieht eine Handlung in Vertretung oder in Stellvertretung des Polizeidirektors, ein Vereinsmitglied leitet die Verhandlungen in Behindrung des Vorsitzenden, eine Auszeichnung wird jemand verliehen in Anerkennung seiner Verdienste, ein Mord wird begangen in Ausführung früherer Drohungen, eine Bibliothek wird gestiftet in Beschränkung auf gewisse Fächer usw.; man schreibt: in Erledigung Ihres Auftrags – in Würdigung der volkswirtschaftlichen Wichtigkeit des Sparkassenwesens – in Anspielung auf eine frühere Reichstagsrede – in Wahrung meiner Interessen weise ich jeden solchen Versuch zurück – in Vervollständigung der Zirkularnote des Ministeriums – in Veranlassung des 25jährigen Geschäftsjubiläums – in Begründung der Anklage beantragte der Staatsanwalt – in Überschätzung dieses Umstandes oder in Entstellung des Sachverhalts behauptete er – in Ausführung von § 14 des Ortsstatuts bringen wir zur Kenntnis – man gebe den Behörden in Ausdehnung von § 39 die Befugnis – in Verfolgung dieses Zieles hatte Schliemann die obere Schicht zerstört – in Befolgung seiner Befehle wurden noch weitere Gebietsteile unterworfen – die Schauspielkunst hat es, in Abweichung von dem[S. 174] eben gesagten, mit Gehör und Gesicht zugleich zu tun – in Nachahmung einer bei der Kreuzschule bestehenden Einrichtung wurden zwei Diskantistenstellen begründet – der in Verlängerung des Neumarkts durch die Promenade führende Fußweg usw. Vor einigen Jahren ging sogar eine Anekdote aus den Memoiren der Madame Carette durch die Zeitungen, wonach Bismarck dieser Dame auf einem Ball am Hofe Napoleons eine Rose überreicht haben sollte, mit den Worten: wollen Sie diese Rose annehmen in Erinnerung an den letzten Walzer, den ich in meinem Leben getanzt habe.

Wer ein wenig nachdenkt, sieht, daß hier die verschiedensten logischen Verhältnisse in ganz mechanischer Weise gleichsam auf eine Formel gebracht sind, wie sie so recht für denkfaule Leute geschaffen ist. In einem Teile dieser Verbindungen soll in den Beweggrund ausdrücken, der doch nur durch aus oder wegen bezeichnet werden kann; in Ermanglung, in Anerkennung, in Überschätzung, in Behindrung – das soll heißen: aus Mangel, aus Anerkennung, aus Überschätzung, wegen Behindrung. Wenn Nebensätze dafür eintreten sollten, so könnten sie nur lauten: weil es mangelt, weil er behindert ist, weil wir anerkennen, weil er überschätzt. In einem andern Teile soll in den Zweck bezeichnen, der doch nur durch zu ausgedrückt werden kann; in Ergänzung, in Berichtigung, in Vervollständigung, in Erinnerung – das soll heißen: zur Ergänzung, zur Berichtigung, zur Vervollständigung, zur Erinnerung. Mit einem Nebensatze könnte man hier nur sagen: um zu ergänzen, um zu berichtigen, um zu vervollständigen, damit Sie sich erinnern. Wieder in andern Fällen wäre als am Platze statt in: ein Weg wird als Verlängerung des Neumarkts durch die Promenade geführt, ein Brief wird geschrieben als Antwort auf einen andern, der Polizeirat unterschreibt als Stellvertreter des Polizeidirektors. Nur in wenigen Fällen bezeichnet das in wirklich einen begleitenden Umstand, wie man ihn sonst durch indem oder durch das Partizip ausdrückt: ich schreibe einen Aufsatz, anknüpfend an ein neues[S. 175] Buch, oder indem ich an das Buch anknüpfe; dafür ließe sich ja zur Not auch sagen: in Anknüpfung, wiewohl auch das nicht gerade schön ist. Indem der Staatsanwalt die Anklage begründete, beantragte er das höchste Strafmaß – auch dafür kann man sagen: in seiner Begründung (seiner darf nicht fehlen).[81] Aber wie ist es möglich, das alles in einen Topf zu werfen: Ursache, Grund, Zweck, begleitende Umstände, vorübergehende oder dauernde Eigenschaften? Wie können wir uns solchem Reichtum gegenüber freiwillig zu solcher Armut verurteilen? Es handelt sich hier um nichts als eine Modedummheit, die unter dem Einflusse des Französischen und des Englischen (en conséquence, en réponse, in remembrance, in reply, in answer, in compliance with, in his defence u. ähnl.) aufgekommen ist, und die nun gedankenlos nachgemacht und dabei immer weiter ausgedehnt wird. Es wird noch dahin kommen, daß jemand 1000 Mark erhält in Bedingung der Rückzahlung oder in Belohnung treuer Dienste oder in Entschädigung für einen Verlust oder in Unterstützung seiner Angehörigen; es ist nicht einzusehen, weshalb nicht auch das alles durch in und ein Hauptwort auf ung sollte ausgedrückt werden können.

Das Attribut

Unter den Erweiterungen, die ein Satzglied erfahren kann, stehen obenan das Attribut und die Apposition.

Ein Attribut kann zu einem Hauptwort in vierfacher Form treten: als Adjektiv (ein schöner Tod), als abhängiger Genitiv (der Tod des Kriegers), als Bestimmungswort einer Zusammensetzung (der Heldentod), endlich in Form einer adverbialen Bestimmung (der[S. 176] Tod auf dem Schlachtfelde, der Tod fürs Vaterland). Auch gegen die vierte Art ist, wie ausdrücklich bemerkt werden soll, nichts einzuwenden; es ist untadliges Deutsch, wenn man sagt: das Zimmer oben, eine Wohnung in der innern Stadt, der Weg zur Hölle, die Tötung im Duell, die preußische Mobilmachung im Juni usw. Manche getrauen sich zwar nicht, solche Attribute zu schreiben, sie meinen immer ein befindlich, belegen (be!), stattgefunden, erfolgt oder dgl. dazusetzen zu müssen; aber das ist eine überflüssige und häßliche Umständlichkeit.

Bisweilen kann man ja nun zwei solche Attributarten miteinander vertauschen, ohne daß der Sinn verändert wird, aber durchaus nicht immer. Auf wenigen Gebieten unsrer Sprache herrscht aber jetzt eine so grauenvolle Verwirrung wie auf dem der Attributbildung; hier wird jetzt tatsächlich alles durcheinander gequirlt.

Leipzigerstraße oder Leipziger Straße?

Wie würde man wohl über jemand urteilen, der ein Fremdenbuch nicht von einem fremden Buch, einen kranken Wärter nicht von einem Krankenwärter, eine Gelehrtenfrau nicht von einer gelehrten Frau, Bekanntenkreise nicht von bekannten Kreisen, ein liebes Lied nicht von einem Liebeslied, eine Hoferstraße (nach Andreas Hofer genannt) nicht von einer Hofer Straße (nach der Stadt Hof in Bayern genannt) unterscheiden könnte? Genau dieselbe Dummheit ist es, wenn jemand Leipzigerstraße schreibt statt Leipziger Straße.

Die von Ortsnamen (Länder- und Städtenamen) abgeleiteten Bildungen auf er sind unzweifelhaft eigentlich Substantiva. Österreicher und Passauer bedeutet ursprünglich einen Mann aus Österreich oder aus Passau. Als Adjektiva hat die ältere Sprache solche Bildungen nicht gebraucht, die Adjektiva bildete sie von Länder- und Städtenamen auf isch: meißnisch (meißnische Gulden), torgisch (von Torgau, torgisches Bier), lündisch (von London, lündisches Tuch), parisisch (parisische Schuhe schreibt noch der junge Goethe statt Pariser Fuß). Nun[S. 177] ist freilich zwischen diesen beiden Bildungen schon längst Verwirrung eingerissen: die Formen auf er sind schon frühzeitig auch im adjektivischen Sinne gebraucht worden. Lessing schrieb noch 1768 eine Hamburgische Dramaturgie, Goethe aber schon 1772 Rezensionen für die Frankfurter Gelehrten Anzeigen. Natürlich sind nun die Bildungen auf er dadurch, daß sie adjektivisch gebraucht werden, nicht etwa zu Adjektiven geworden (vgl. S. 38); sie können aber doch vor andern Substantiven wie Adjektiva gefühlt werden, wie am besten daraus hervorgeht, daß manche Leute Adverbia dazusetzen, wie echt Münchner Löwenbräu, statt echtes Münchner oder echt Münchnisches Löwenbräu, echt Harzer Sauerbrunnen.[82] Dennoch haben sich im Laufe der Zeit zwischen den Bildungen auf er und denen auf isch auch wieder gewisse Grenzen festgesetzt. Von manchen Länder- und Städtenamen gebrauchen wir noch heute ausschließlich die echt adjektivische Form auf isch, von andern ebenso ausschließlich die Bildung auf er, wieder von andern beide friedlich nebeneinander. Niemand sagt: der Österreicher Finanzminister, der Römer Papst, aber auch niemand mehr das Leipzigische Theater, die Berlinischen Bauten. Dagegen sprechen alle Gebildeten noch von Kölnischem Wasser, holländischem Käse, italienischen Strohhüten, persischen Teppichen, amerikanischen Äpfeln. Warum von dem einen Namen die Form auf isch, von dem andern die auf er bevorzugt wird, kann niemand sagen; der Sprachgebrauch hat sich dafür entschieden, und dabei muß man sich beruhigen.

Nur in gewissen Kreisen, die von dem wirklichen Verhältnis der beiden Bildungen zueinander und von der Berechtigung des Sprachgebrauchs keine Ahnung haben, besteht die Neigung, das Gebiet der Bildungen auf er mehr und mehr zum Nachteil derer auf isch zu erweitern. So empfiehlt mancher Geschäftsmann beharrlich seine Amerikaner Öfen, obwohl alle Gebildeten,[S. 178] die in seinen Laden kommen, seine amerikanischen Öfen zu sehen wünschen. An einer alten Leipziger Weinhandlung konnte man vor kurzem ein Schild am Schaufenster liegen sehen: Italiener Weine! Leipziger Teppichhandlungen preisen Perser Teppiche, sogar echt Perser Teppiche an! Aber auch Holländer Austern und Holländer Käse werden schon empfohlen, ja sogar Kölner Wasser, und der Kölnischen Zeitung hat man schon mehr als einmal zugemutet, sich in Kölner Zeitung umzutaufen – ein törichtes Ansinnen, dem sie mit Recht nicht nachgegeben hat und hoffentlich nie nachgeben wird. Auf den echten Adjektivbildungen auf isch liegt ein feiner Hauch des Altertümlichen und – des Vornehmen, manche sind wie Stücke schönen alten Hausrats; die unechten auf er, namentlich die neugeprägten, sind so gemein wie Waren aus dem Fünfzigpfennigbasar. Unbegreiflich ist es, wie sich gebildete, namentlich wissenschaftlich gebildete Leute solchen unnötigen Neuerungen, die gewöhnlich aus den Kreisen der Geschäftsleute kommen, gedankenlos fügen können. Ein deutscher Buchhändler in Athen hat vor kurzem ein Werk über das Athener Nationalmuseum herausgegeben! Greulich! Auf der Leipziger Stadtbibliothek gibt es eine berühmte Handschrift aus dem Anfange des sechzehnten Jahrhunderts: den Pirnischen Mönch, genannt nach der Stadt Pirna (eigentlich Pirn) an der Elbe in Sachsen. Den nennen jetzt sogar Historiker den Pirnaer Mönch! In Plauen im sächsischen Vogtlande gibt es jetzt ein Plauener Realgymnasium, einen Plauener Altertumsverein, man hat sogar ein Plauener Stadtbuch veröffentlicht; die gute alte Adjektivform Plauisch scheint also dort niemand mehr zu kennen. Und in neuern Werken über die Befreiungskriege wird in den Schilderungen der Schlacht bei Leipzig gar von der Erstürmung des Grimmaer Tores geredet (statt des Grimmischen)![83] Einem Leipziger kehrt sich der Magen um, wenn er so etwas liest.

[S. 179]

Nun ist aber doch so viel klar, daß, wenn ein Wort wie Dresdner in zwei verschiednen Bedeutungen gebraucht wird, als Hauptwort und auch als Eigenschaftswort, es nur in seiner Bedeutung als Hauptwort mit einem andern Hauptworte zusammengesetzt werden kann. Wenn nun eine Straße in Leipzig die Dresdner Straße genannt wird, ist da Dresdner als Substantiv oder als Adjektiv aufzufassen? Ohne Zweifel als Adjektiv. Es soll damit dasselbe bezeichnet sein, was durch Dresdnische Straße bezeichnet sein würde: die Straße, die von Dresden kommt oder nach Dresden führt. Sowie man den Bindestrich dazwischensetzt und schreibt: Dresdner-Straße oder auch in einem Worte: Dresdnerstraße, so kann Dresdner nichts andres bedeuten als Leute aus Dresden, es wird Substantiv, oder vielmehr es bleibt Substantiv, und die Zusammensetzung rückt auf eine Stufe mit Bildungen wie Fleischergasse, Gerbergasse, Böttchergasse und andre Gassennamen, die in alter Zeit nach den Handwerkern genannt worden sind, die auf den Gassen angesessen waren. Eine Dresdnerstraße kann also nichts andres bezeichnen als eine Straße, auf der Dresdner, womöglich lauter Dresdner wohnen, ein Potsdamerplatz nur einen Platz, auf dem sich die Potsdamer zu versammeln pflegen. Wir haben in Leipzig eine Paulinerkirche und eine Wettinerstraße. Das sind richtige Zusammensetzungen, denn die Paulinerkirche war wirklich die Kirche der Pauliner, der ehemaligen Dominikaner Leipzigs, und die Wettinerstraße ist nicht nach dem Städtchen Wettin genannt, wie die Berliner Straße nach der Stadt Berlin, sondern nach den Wettinern, dem sächsischen Herrschergeschlecht.[84] Aus demselben Grunde ist der Wittelsbacherbrunnen[S. 180] in München eine richtige Zusammensetzung. Eine Berliner Versammlung ist eine Versammlung, die in Berlin stattfindet, eine Berlinerversammlung eine Versammlung, zu der lauter Berliner kommen. Die Herrnhuter Gemeinde ist die Gemeinde der Stadt Herrnhut, eine Herrnhutergemeinde kann in jeder beliebigen andern Stadt sein.

Die Verwechslung der adjektivischen und der substantivischen Bedeutung der von Ortsnamen abgeleiteten Bildungen auf er grassiert gegenwärtig in ganz Deutschland und wird von Tag zu Tag ärger. Sie beschränkt sich keineswegs, wie man wohl gemeint hat, auf die Gassen- und Straßennamen, sie geht weiter. Schenkwirte, Kaufleute, Buchhändler, sogar Gelehrte schreiben: Wienerschnitzel, Berlinerblau, Solenhoferplatten, Schweizerfabrikanten, Tirolerführer, obwohl hier überall der Ortsname als Adjektiv verstanden werden soll; denn nicht die Tiroler sollen geführt werden, sondern die Fremden durch Tirol. Ein Wienerschnitzel aber – entsetzliche Vorstellung! – kann doch nur ein Stück Fleisch bedeuten, das man von einem Wiener heruntergeschnitten hat.

Ganz ähnlich wie mit den Bildungen Leipziger, Dresdner verhält sichs mit den von Zahlwörtern abgeleiteten Bildungen auf er: Dreißiger, Vierziger, Achtziger. Auch das sind natürlich zunächst Hauptwörter; wir reden von einem hohen Dreißiger, einem angehenden Vierziger (vgl. S. 67). Aber auch sie können als Adjektiva gefühlt werden; wir sagen: das war in den vierziger Jahren, in den achtziger Jahren. Auch da aber druckt man neuerdings: in den[S. 181] Vierzigerjahren, in den Achtzigerjahren, ein Ölgemälde aus den Neunzigerjahren, als ob von menschlichen Lebensaltern und nicht von dem Jahrzehnt eines Jahrhunderts die Rede wäre!

Eine andre Spielart der hier behandelten Verwirrung tritt uns in Ausdrücken entgegen wie: Gabelsberger Stenographenverein, Meggendorfer Blätter, Nordheimer Schuhwaren (der Geschäftsinhaber heißt Nordheimer!). Hier werden umgekehrt wirkliche Substantiva auf er, und zwar Personennamen, wie Adjektiva behandelt. Ein Gabelsberger Stenographenverein – das klingt wie ein Verein aus Gabelsberg; natürlich soll es ein Gabelsbergerscher sein. Die Meggendorfer Blätter – das klingt, als erschienen sie in Meggendorf; natürlich sollen es Meggendorfers oder Meggendorfersche Blätter sein.

Aber die Verwirrung geht noch weiter. Wie jede Sprachdummheit, wenn sie einmal losgelassen ist, wie Feuer um sich frißt, so auch die, kein Gefühl mehr für den adjektivischen Sinn der Bildungen auf er zu haben. Nachdem unsre Geschäftsleute aus der Dresdner Straße eine Dresdnerstraße gemacht haben, schrecken sie auch vor dem weitern Unsinn nicht zurück, die Bildungen auf isch, über deren adjektivische Natur doch wahrhaftig kein Zweifel sein kann, mit Straße zu einem Worte zusammenzusetzen; immer häufiger schreiben sie Grimmaischestraße, Hallischestraße (oder vielmehr Halleschestraße!), und um das Maß des Unsinns voll zu machen, nun auch Langestraße, Hohestraße und Kurzegasse, und wer in einer solchen Gasse wohnt, der wohnt natürlich nun in der Langestraße, in der Hohestraße, in der Kurzegasse.[85] In frühern Jahrhunderten[S. 182] war die Sprache unsers Volks so voll überquellenden Lebens, daß sich in den Ortsbezeichnungen die casus obliqui in den Nominativ drängten; daher die zahllosen Ortsnamen, die eigentlich Dative sind (Altenburg, Weißenfels, Hohenstein, Breitenfeld). Heute ist sie so tot und starr, daß der Nominativ, dieser langweilige, nichtssagende Geselle, die casus obliqui verdrängt. Man wohnt in der Breite Gasse,[86] und Sommerwohnungen sind auf Weißer Hirsch bei Dresden zu vermieten!

Aber selbst damit ist die Verwirrung noch nicht erschöpft. In Leipzig gibt es auch Ortsbezeichnungen, bei denen einer Örtlichkeit einfach der Name des Erbauers oder Besitzers im Genitiv vorangestellt ist, wie Auerbachs Keller, Hohmanns Hof, Löhrs Platz, Tscharmanns Haus, Czermaks Garten. Bis vor wenig Jahren hat niemand daran gezweifelt, daß alle diese Bezeichnungen aus je zwei getrennten Wörtern bestehen, so gut wie Luthers Werke, Goethes Mutter, Schillers Tell. Jetzt fängt man an, auch hier den Bindestrich dazwischenzuschieben, den Artikel davorzusetzen und zu schreiben: im Auerbachs-Keller, am Löhrs-Platz, im Czermaks-Garten. Man denke sich, daß jemand schreiben wollte: in den Luthers-Schriften, bei der Goethes-Mutter, im Schillers-Tell!

Zum guten Teil tragen die Schuld an der grauenvollen Verwirrung, die hier herrscht, die Firmenschreiber und die Akzidenzdrucker, die ganz vernarrt in den Bindestrich sind, aber nie wissen, wo er hingehört, und wo er nicht hingehört, nie wissen, ob sie ein zusammengesetztes Wort oder zwei Wörter vor sich haben.[87] Aber nicht sie allein. Warum lassen sich die Besteller, Behörden wie Privatleute, den Unsinn gefallen?

[S. 183]

Fachliche Bildung oder Fachbildung?

In beängstigender Weise hat in neuerer Zeit die Neigung zugenommen, statt des Bestimmungswortes einer Zusammensetzung ein Adjektiv zu setzen, also z. B. statt Fachbildung zu sagen: fachliche Bildung. Sie hat in kurzer Zeit riesige Fortschritte gemacht, wie sie sich nur daraus erklären lassen, daß diese Ausdrucksweise jetzt für besonders schön und vornehm gilt. Früher sprach man von Staatsvermögen, Gesellschaftsordnung, Rechtsverhältnis, Kriegsereignissen, Junkerregiment, Soldatenlaufbahn, Bürgerpflichten, Handwerkstraditionen, Geschäftsverkehr, Verlagstätigkeit, Sonntagsarbeit, Kirchennachrichten, Kultusordnung, Gewerbeschulen, Betriebseinrichtungen, Bergbauinteressen, Forstunterricht, Steuerfragen, Fachausdrücken, Berufsbildung, Amtspflichten, Schöpferkraft, Gedankeninhalt, Körperpflege, Lautgesetzen, Textbeilagen, Klangwirkungen, Gesangvorträgen, Frauenchören, Kunstgenüssen, Turnübungen, Studentenaufführungen, Farbenstimmung, Figurenschmuck, Winterlandschaft, Pflanzennahrung, Abendbeleuchtung, Nachtgespenstern, Regentagen, Landaufenthalt, Gartenanlagen, Nachbargrundstücken, Elternhaus, Endresultat usw. Jetzt redet man nur noch von staatlichem Vermögen, gesellschaftlicher Ordnung, rechtlichem Verhältnis, kriegerischen Ereignissen, junkerlichem Regiment, soldatischer Laufbahn, bürgerlichen Pflichten, handwerklichen Traditionen, geschäftlichem Verkehr, verlegerischer Tätigkeit, sonntäglicher Arbeit, kirchlichen Nachrichten, kultischer (!) Ordnung, gewerblichen Schulen, betrieblicher Einrichtung, bergbaulichen Interessen, forstlichem Unterricht, steuerlichen Fragen, fachlichen Ausdrücken, beruflicher Bildung, amtlichen Pflichten, schöpferischer Kraft, gedanklichem Inhalt, körperlicher Pflege, lautlichen Gesetzen, textlichen Beilagen, klanglichen Wirkungen, gesanglichen Vorträgen, weiblichen (!) Chören, künstlerischen Genüssen, turnerischen Übungen,[S. 184] studentischen Aufführungen, farblicher Stimmung, figürlichem Schmuck, winterlicher Landschaft, pflanzlicher Nahrung, abendlicher Beleuchtung, nächtlichen Gespenstern, regnerischen Tagen, ländlichem Aufenthalt, gärtnerischen Anlagen, nachbarlichen Grundstücken, dem elterlichen Hause, dem endlichen (!) Resultat usw. Eine von Offizieren gerittne Quadrille wird als reiterliche (!) Darbietung gepriesen; statt, wie früher, vernünftige Zusammensetzungen mit Volk zu bilden, quält man sich ab, auch davon Adjektiva zu bilden (die einen sagen volklich, die andern völkisch), die „Pädagogen“ reden sogar von schulischen Verhältnissen und unterrichtlicher Methode, und in Schulprogrammen kann man lesen, nicht als schlechten Witz, sondern in vollem Ernste, daß Herr Kand. X im verflossenen Jahre mit der Schule „in unterrichtlichem Zusammenhange gestanden“ habe.[88] Aber auch da, wo man früher den Genitiv eines Hauptwortes oder eine Präposition mit einem Hauptwort oder – ein einfaches Wort setzte, drängen sich jetzt überall diese abgeschmackten Adjektiva ein; man redet von kronprinzlichen Kindern, behördlicher Genehmigung, erziehlichen Aufgaben, gedanklicher Großartigkeit, gegnerischen Vorschlägen, zeichnerischen Mitteln, einer buchhändlerischen Verkehrsordnung, gesetzgeberischen Fragen, erstinstanzlichen (!) Urteilen, stecherischer Technik, gemischtchörigen Quartetten, stimmlicher Begabung, textlichem Inhalt, baulicher Umgestaltung, seelsorgerischer Tätigkeit, wo man früher Kinder des Kronprinzen, Genehmigung der Behörden, Aufgaben der Erziehung, Großartigkeit der Gedanken, Vorschläge des Gegners, Mittel der Zeichnung, Verkehrsordnung des Buchhandels, Fragen der Gesetzgebung, Urteile der ersten Instanz, Technik des Stechers, Quartette für gemischten Chor, Stimme, Text,[S. 185] Umbau, Seelsorge sagte. Ein Choralbuch wurde früher zum Hausgebrauch herausgegeben, jetzt zum häuslichen Gebrauch; eine Bildersammlung hatte früher Wert für die Kostümkunde oder Kunstwert oder Altertumswert, jetzt kostümlichen (!), künstlerischen oder altertümlichen (!) Wert. Die Sprachwissenschaft redete früher von dem Lautleben der Sprache und vom Lautwandel, jetzt nur noch von dem lautlichen Leben und dem lautlichen (!) Wandel; die Ärzte sprachen sonst von Herztönen des Kindes und von Gewebeveränderungen, unsre heutigen medizinischen Journalisten schwatzen von kindlichen (!) Herztönen[89] und geweblichen (!) Veränderungen. Auch Fremdwörter mit fremden Adjektivendungen werden mit in die alberne Mode hineingezogen; schon heißt es nicht mehr: Stilübungen, Religionsfreiheit, Kulturaufgabe und Kulturfortschritt, Maschinenbetrieb, Finanzlage, Inselvolk, Kolonieleitung, Artilleriegeschosse, Infanteriegefechte, Theaterfragen, Solo-, Chor- und Orchesterkräfte, sondern stilistische Übungen, religiöse Freiheit, kulturelles Problem und kultureller Fortschritt (scheußlich!), maschineller Betrieb (scheußlich!), finanzielle Lage, insulares Volk, koloniale Leitung, artilleristische Geschosse, infanteristische Gefechte (alle Wörter auf istisch klingen ja äußerst gelehrt und vornehm), solistische, choristische und orchestrale Kräfte. Auch von Alpenflora wird nicht mehr gesprochen, sondern nur noch von alpiner (!) Flora. Am Ende kommts noch dahin, daß einer erzählt, er habe in einer alpinen Hütte in sommerlichen Hosen sein abendliches Brot nebst einem wurstlichen Zipfel verzehrt.

Was soll die Neuerung? Soll sie der Kürze dienen? Einige der angeführten Beispiele scheinen dafür zu sprechen. Aber die Mehrzahl spricht doch dagegen; man könnte eher meinen, sie solle den Ausdruck verbreitern, ein Bestreben, das sich jetzt ja auch in vielen andern Spracherscheinungen[S. 186] zeigt. Man fragt vergebens nach einem vernünftigen Grunde, durch den sich diese Vorliebe für alle möglichen und unmöglichen Adjektivbildungen erklären ließe: es ist nichts als eine dumme Mode. Wenn so etwas in der Luft liegt, so steckt es heute hier, morgen da an; ob das Neugeschaffne nötig, richtig, schön sei, danach fragt niemand, wenns nur neu ist! Um der Neuheit willen schlägt man sogar gelegentlich einmal den entgegengesetzten Weg ein. Da es bis jetzt silberne Hochzeit geheißen hat, so finden sich natürlich nun Narren, die mit Vorliebe von Silberhochzeit reden. Dazu gehört natürlich nun auch ein Silberpaar: der Bürgermeister schloß mit einem Hoch auf das Silberpaar.[90] In einer Lebensbeschreibung Bismarcks ist gleich das erste Kapitel überschrieben: Unter dem Zeichen des Eisenkreuzes. Also aus dem geschichtlichen Eisernen Kreuz, das doch für jeden unantastbar sein sollte, wird ein Eisenkreuz gemacht – aus bloßer dummer Neuerungssucht.

Die Adjektiva auf lich bedeuten eine Ähnlichkeit; lich ist dasselbe wie Leiche, es bedeutet den Leib, die Gestalt; daher auch das Adjektivum gleich, d. i. geleich, was dieselbe Gestalt hat. Königlich ist, was die Gestalt, die Art oder das Wesen eines Königs hat. Will man nun das mit den kronprinzlichen Kindern sagen? Gewiß nicht. Man meint doch die Kinder des Kronprinzen, und nicht bloß kronprinzenartige Kinder. Was kann eine Arbeit sonntägliches haben? eine Bewegung körperliches? eine Wirkung farbliches? eine Pflicht bürgerliches? ein Herzton kindliches? eine Frage[S. 187] theatralisches? Gemeint ist doch wirklich die Arbeit am Sonntage, die Bewegung des Körpers, die Wirkung der Farben usw.[91] Und hat man denn gar kein Ohr für die Häßlichkeit vieler dieser neugeschaffnen Adjektiva (fachlich, beruflich, volklich, farblich, klanglich, stimmlich, forstlich, pflanzlich, prinzlich, erziehlich)?

Hie und da mag ja ein Grund für die Neubildung zu entdecken sein. So mag zwischen Regentagen und regnerischen Tagen ein Unterschied sein: an Regentagen regnets vielleicht von früh bis zum Abend, an regnerischen (früher: regnichten) Tagen mit Unterbrechungen. Der Chordirektor, der zuerst von einem Terzett für weibliche Stimmen anstatt von einem Terzett für Frauenstimmen gesprochen hat, hatte sich vielleicht überlegt, daß unter den Sängerinnen auch junge Mädchen sein könnten. Und der Ratsgärtner, der seiner Behörde zuerst einen Plan zu gärtnerischen Anlagen am Theater vorlegte, hatte wohl daran gedacht, daß ein eigentlicher Garten, d. h. eine von einem Zaun oder Geländer umschlossene Anpflanzung nicht geschaffen werden sollte. Aber bedeutet denn Frau, wo sichs um die bloße Gegenüberstellung der Geschlechter handelt, nicht auch das Mädchen? Kann sich wirklich ein junges Mädchen beleidigt fühlen, wenn es aufgefordert wird, einen Frauenchor mitzusingen?[92] Und können denn nicht Gartenanlagen auch Anlagen[S. 188] sein, wie sie in einem Garten sind? müssen sie immer in einem Garten sein? Gärtnerische Anlagen möchte man einem Jungen wünschen, der Lust hätte, Gärtner zu werden, wiewohl es auch dann noch besser wäre, wenn er Anlagen zum Gärtner hätte. Nun vollends von gärtnerischen Arbeiten zu reden statt von Gartenarbeiten (die Rekonvaleszenten der Anstalt werden mit gärtnerischen Arbeiten beschäftigt), ist doch die reine Narrheit.

Erstaufführung

Ein Gegenstück zu dem fachlichen Unterricht bilden die schönen neumodischen Zusammensetzungen, mit denen man sich jetzt spreizt, wie: Fremdsprache, Fremdkörper und Falschstück (ein gefälschtes Geldstück!), Neuauflage, Neuerscheinung und Neuerwerbung (die Neuerscheinungen des Buchhandels und die Neuerwerbungen der Berliner Galerie), Neuerkrankung und Leichtverwundung, Deutschunterricht, Deutschbewußtsein und Deutschgefühl, Erstaufführung, Erstausgabe und Erstdruck, Jüngstvergangenheit, Einzelfall, Einzelpersönlichkeit und Allgemeingesang, Mindestmaß, Mindestpreis und Mindestgehalt, Höchstmaß, Höchstpreis, Höchstgehalt, Höchstarbeitszeit und – Höchststundenzahl! Hier leimt man also einen Adjektivstamm vor das Hauptwort, statt einfach zu sagen: fremder Körper, neue Auflage, einzelner Fall, erste Aufführung, allgemeiner Gesang, höchste Stundenzahl usw.

Worin liegt das Abgeschmackte solcher Zusammensetzungen? gibt es nicht längst, ja zum Teil schon seit sehr alter Zeit ähnliche Wörter, an denen niemand Anstoß nimmt? Gewiß gibt es die, sogar in großer Fülle. Man denke nur an: Fremdwort, Edelstein, Schwerspat, Braunkohle, Neumond, Weißwein, Kaltschale, Süßwasser, Sauerkraut, Buntfeuer, Kurzwaren, Hohlspiegel, Hartgummi, Trockenplatte, Schnellzug, Glatteis, Rotkehlchen, Grünschnabel, Freischule, Vollmacht, Hochverrat, Eigennutz, Halbbruder, Breitkopf, Rothschild,[S. 189] Warmbrunn und viele andre. Was ist aber das Eigentümliche solcher Zusammensetzungen? Es sind meist Fachausdrücke oder Kunstausdrücke aus irgendeinem Gebiete des geistigen Lebens, aus dem Handel, aus irgendeinem Gewerbe, einer Kunst, einer Wissenschaft, aus der Rechtspflege, oder es sind – Eigennamen.[93] Nun stecken aber dem Deutschen zwei Narrheiten tief im Blute: erstens, sich womöglich immer auf irgendein Fach hinauszuspielen, mit Fachausdrücken um sich zu werfen, jeden Quark anscheinend zum Fachausdruck zu stempeln; zweitens, sich immer den Anschein zu geben, als ob man die Fachausdrücke aller Fächer und folglich die Fächer auch selbst verstünde. Wenn es ein paar Buchhändlern beliebt, plötzlich von Neuauflagen zu reden, so denkt der junge Privatdozent: aha! Neuauflage – schöner neuer Terminus des Buchhandels, will ich mir merken und bei der nächsten Gelegenheit anbringen. Der Professor der Augenheilkunde nennt wahrscheinlich ein Eisensplitterchen, das einem ins Auge geflogen ist, einen Fremdkörper. Da läßt es dem Geschichtsprofessor keine Ruhe, er muß doch zeigen, daß er das auch weiß, und so erzählt er denn bei der nächsten Gelegenheit: die Germanen waren ein Fremdkörper im römischen Reiche. Und wenn er Wirtschaftsgeschichte schreibt, dann redet er nicht von den fremden Kaufleuten, die ins Land gekommen seien, sondern von den Fremdkaufleuten! Wie gelehrt das klingt! Der gewöhnliche Mensch lernt in der Schule, Evangelium heiße auf deutsch: frohe Botschaft. Der Theolog aber sagt dafür neuerdings Frohbotschaft! Wie gelehrt das klingt! Der gewöhnliche Mensch sehnt sich nach frischer Luft. Wenn aber ein Techniker eine Ventilationsanlage macht, so beseitigt er die Abluft (!) und sorgt für Frischluft! Im gewöhnlichen Leben spricht man von einem großen Feuer. Das kann aber doch die Feuerwehr nicht tun; so gut wie sie ihre Spritzen und ihre Helme hat, muß sie auch[S. 190] ihre Wörter haben. Der „Branddirektor“ kennt also nur Großfeuer. Sobald das aber der Philister weggekriegt hat, sagt er natürlich auch am Biertisch: Bitte, meine Herren, sehen Sie mal hinaus, da muß ein Großfeuer sein, und der Zeitungschreiber berichtet: Diese Nacht wurde das Gut des Gutsbesitzers Sch. durch ein Großfeuer eingeäschert. So bilden sich denn auch die gewerbsmäßigen Theaterschreiber ein, mit Erstaufführung den Begriff der ersten Aufführung aus der gewöhnlichen Alltagssprache in die vornehme Region der Fachbegriffe gehoben zu haben. In Wahrheit ist es weiter nichts als eine schlechte Übersetzung von Premiere,[94] wie alle die wahrhaft greulichen Zusammensetzungen mit Höchst und Mindest nichts als schlechte Übersetzungen von Wörtern mit Maximal und Minimal sind. Für solches Deutsch doch lieber keins! Der Katarrh hat den höchsten Stand überschritten – das klänge ja ganz laienhaft; den Höchststand – das klingt fachmännisch. Wenn aber bei einer Epidemie Ärzte und Zeitungen berichten, daß an einem Tage hundert Neuerkrankungen vorgekommen seien, so kann das geradezu zu Mißverständnissen führen. Eine Neuerkrankung würde ich es nennen, wenn jemand, der krank gewesen und wieder gesund geworden ist, von neuem erkrankt, ebenso wie eine Neuordnung voraussetzt, daß die Dinge schon vorher geordnet gewesen seien. Erstausgabe! Es ist so unsäglich häßlich; aber der große Haufe ist ganz versessen auf solche Narrheiten.

Besonders beliebt ist jetzt der Altmeister, und eine Zeit lang war es auch der Altreichskanzler. Hier ist aber zweierlei zu unterscheiden. Der Altreichskanzler stammte aus Süddeutschland und der Schweiz, wo man den alten, d. h. den ehemaligen, aus dem Amte geschiednen (ancien) so bezeichnete, und wo man z. B. auch vom Altbürgermeister spricht (bei Schiller: Altlandammann). Altmeister dagegen bedeutet wie Altgesell nicht den ehemaligen, sondern den ältesten, d. h.[S. 191] bejahrtesten unter den vorhandnen Meistern und Gesellen. Man konnte also wohl Franz Liszt, solange er lebte, den Altmeister der deutschen Musik nennen, aber Johann Sebastian Bach einen Altmeister zu nennen, wie es unter den Musikschwätzern jetzt Mode ist, ist Unsinn. Bach ist ein Meister der alten Zeit, der Vergangenheit; das ist aber ein alter Meister, kein Altmeister. Sehr beliebt sind jetzt auch Zusammensetzungen wie Altleipzig, Altweimar, Altheidelberg. Sie haben einen poetischen Beigeschmack, wie man sofort fühlt, wenn man an jung Siegfried, jung Roland denkt. Wie abgeschmackt also, von einem Junggoethedenkmal, einem Jungwilhelmdenkmal, einem Jungbismarckdenkmal zu reden! Zu einem logischen Verstoß führen überdies gewisse Zusammensetzungen, mit denen sich jetzt die Kunstgewerbegelehrten spreizen: Altmeißner Porzellan, Altthüringer Porzellan. Denn nicht darauf kommt es an, daß das Porzellan aus Altmeißen ist, sondern nur darauf, daß es aus Meißen ist, aber altes Porzellan aus Meißen! Mancher wird das für Haarspalterei halten, es ist aber ein großer Unterschied.

Sedantag und Chinakrieg

Noch überboten an Geschmacklosigkeit werden Zusammensetzungen wie Erstaufführung durch die Roheit, mit der man jetzt Eigennamen (Ortsnamen und noch öfter Personennamen) vor ein Hauptwort leimt, anstatt aus dem Namen ein Adjektiv zu bilden.

Die Herkunft einer Sache wurde sonst nie anders bezeichnet als durch ein von einem Städte- oder Ländernamen gebildetes Adjektiv oder durch eine Präposition mit dem Namen, z. B.: sizilische Märchen, bengalisches Feuer, Kölnisches Wasser, Berliner Weißbier, Emser Kränchen, Dessauer Marsch, Motiv aus Capri, Karte von Europa. Jetzt redet man aber von Japanwaren, einer Chinaausstellung, Smyrnateppichen, Olympiametopen, Samosausbruch, Neapelmotiven, Romplänen (das sollen Stadtpläne von Rom sein!), einem Leipzig-Elbe-Kanal und einer Holland-Amerika-Linie.[S. 192] Wenn solche Zusammenleimungen auch zu entschuldigen sein mögen bei Namen, von denen man sich kein Adjektiv zu bilden getraut, wie Bordeauxwein, Jamaikarum, Havannazigarren, Angoraziege, Chesterkäse, Panamahut, Suezkanal, Sedantag (in Leipzig Seedangtag gesprochen), so ließe sich doch schon eine Bildung wie Maltakartoffeln vermeiden, denn niemand spricht von einem Maltakreuz oder Maltarittern. Oder klingt Malteser für Kartoffeln zu vornehm? Auch das Selterser Wasser, wie man es richtig nannte, als es bekannt wurde, hätte man getrost beibehalten können und nicht in Selterswasser (oder gar Selterwasser! es ist nach dem nassauischen Dorfe Nieder-Selters genannt) umzutaufen brauchen. Aber ganz überflüssig sind doch die angeführten Neubildungen, denn das Adjektiv japanisch (oder meinetwegen japanesisch!) ist doch wohl allbekannt, jeder Archäolog oder Kunsthistoriker kennt auch das Adjektiv olympisch, auch von samischem Wein hat man früher lange genug gesprochen, und auch von Leipzig und von Holland wird man sich doch wohl noch Adjektiva zu bilden getrauen? Leipzig-Elbe-Kanal! Es ist ja fürchterlich! Einen Städtenamen so vor einen Flußnamen zu leimen, der selber nur angeleimt ist! Vor fünfzig Jahren hätte jeder zehnjährige Junge auf die Frage: wie nennt man einen Kanal, der von Leipzig nach der Elbe führen soll? richtig geantwortet: Leipziger Elbkanal; wie nennt man eine Dampferlinie zwischen Holland und Amerika? Holländisch-amerikanische Linie. Und warum nicht: Smyrnaer Teppiche? Sagt man doch: Geraer Kleiderstoffe. Sachkenner behaupten, die echten nenne man auch so; nur die unechten, in smyrnischer Technik in Deutschland angefertigten nenne man Smyrnateppiche. Mag sein. Aber warum nicht: Motive aus Neapel? Japanwaren, Neapelmotive – wer verfällt nur auf so etwas! Man denke sich, daß jemand Italienwaren zum Kauf anbieten oder von Romruinen reden wollte! Ein Wunder, daß noch niemand darauf gekommen ist, den Cyperwein und die Cyperkatze[S. 193] in Cypernwein und Cypernkatze umzutaufen. Die Insel heißt doch Cypern! Jawohl, aber der Stamm heißt Cyper – das ist so gut wie ein Adjektiv, und der ist zum Glück den plumpen Fäusten unsrer Sprachneuerer bis jetzt noch entgangen. Die Italienreisenden haben wir freilich auch, wie die Schweizreisenden und die Afrikareisenden und neuerdings die Weimarpilger und den Chinakrieg. Schön sind die auch nicht (zu Goethes und Schillers Zeit sprach man von italienischen, Schweizer und afrikanischen Reisenden), aber man läßt sie sich zur Not gefallen; der Ortsname bezeichnet da nicht den Ursprung, die Herkunft, sondern das Land, auf das sich die Tätigkeit des Reisenden erstreckt. Im allgemeinen aber kann doch das Bestimmungswort eines zusammengesetzten Wortes nur ein Appellativ, kein Eigenname sein. Von Eisenwaren, Sandsteinmetopen, Stadtplänen, Fluß- und Waldmotiven kann man reden, aber nicht von Japanwaren, Olympiametopen, Romplänen und Neapelmotiven. Das ist nicht mehr gesprochen, es ist gestammelt.

Gestammelt? O nein, es ist ja das schönste Englisch! Der Engländer sagt ja: the India house, the Oxford Chaucer (das soll heißen: die Oxforder Ausgabe von Chaucers Werken), the Meier Madonna; das muß natürlich wieder nachgeplärrt werden. Wir kommen schon auch noch dahin, daß wir die Weimarische Ausgabe von Goethes Werken den Weimar-Goethe nennen oder gar den Weimar Goethe (ohne Bindestrich).

Shakespearedramen, Menzelbilder und Bismarckbeleidigungen

Das wäre nicht möglich? Wir haben ja den Unsinn schon! Wird nicht täglich von Gastwirten Tucher Bier (so!) empfohlen? Und das soll Bier aus der Freiherrl. Tucherschen Brauerei in Nürnberg sein!

Auch Personennamen können nur dann das Bestimmungswort einer Zusammensetzung bilden, wenn der Begriff ganz äußerlich und lose zu der Person in Beziehung steht, aber nicht, wenn das Eigentum, die[S. 194] Herkunft, der Ursprung oder eine sonstige engere Beziehung bezeichnet werden soll; das ist in anständigem Deutsch früher stets durch den Genitiv[95] oder ein von dem Personennamen gebildetes Adjektiv geschehen.

Wenn, wie es in den letzten Jahrzehnten tausendfach vorgekommen ist, neue Straßen und Plätze großen Männern zu Ehren getauft und dabei kurz Goethestraße oder Blücherplatz benannt worden sind, so ist dagegen grammatisch nichts einzuwenden. Auch eine Stiftung, die zu Ehren eines verdienten Bürgers namens Schumann durch eine Geldsammlung geschaffen worden ist, mag man getrost eine Schumannstiftung nennen, ebenso Gesellschaften und Vereine, die das Studium der Geisteswerke großer Männer pflegen, Goethegesellschaft oder Bachverein; auch Beethovenkonzert und Mozartabend sind richtig gebildet, wenn sie ein Konzert und einen Abend bezeichnen sollen, wo nur Werke von Beethoven oder Mozart aufgeführt werden. Auch die Schillerhäuser läßt man sich noch gefallen, denn man meint damit nicht Häuser, die Schillers Eigentum gewesen wären, sondern Häuser, in denen er einmal gewohnt, verkehrt, gedichtet hat, und die nur zu seinem Gedächtnis so genannt werden. Bedenklicher sind schon die Goethedenkmäler, denn die beziehen sich doch nicht bloß auf Goethe, sondern stellen ihn wirklich und leibhaftig dar; noch in den dreißiger und vierziger Jahren des neunzehnten Jahrhunderts hätte sich niemand so auszudrücken gewagt, da sprach man in Leipzig nur von Bachs Denkmal, von Gellerts Denkmal. Sind einmal die Goethedenkmäler richtig, dann sind es auch die Goethebildnisse, dann ist es auch die Goethebüste, der Goethekopf und – die Goethebiographie. Nun aber das Goethehaus auf dem Frauenplan in Weimar und die Weimarer Goetheausgabe – da meint man doch wirklich Goethes Haus und die Gesamtausgabe von Goethes Werken. Etwas andres ist es mit einer Elzevirausgabe; das soll[S. 195] nicht eine Ausgabe der Werke eines Mannes namens Elzevir sein, sondern eine Ausgabe in dem Format und der Ausstattung der berühmten holländischen Verlagsbuchhandlung. Ist die Goetheausgabe richtig, dann kommen wir schließlich auch zu den Goethefreunden (d. h. Goethes Freunden zu seinen Lebzeiten), den Goetheeltern und den Goetheenkeln. Es ist nicht einzusehen, weshalb man nicht auch so sollte sagen dürfen, und man sagt es ja auch schon. Stammelt man doch auch schon von einem Lutherbecher (einem Becher, den einst Luther besessen hat) und einem Veltheimzettel (einem Theaterzettel der Veltheimschen, richtiger Veltenschen Schauspielertruppe aus dem siebzehnten Jahrhundert), von einer Böttgerperiode (der Zeit Böttgers in der Geschichte des Porzellans!) und einer Schlüterzeit, von Kellerfreunden (Freunden des Dichters Gottfried Keller!) und Pilotyschülern, von einem Grillparzersarg und einem Brahmsgrab.

Noch ärger ist es, wenn man zur Bezeichnung von Schöpfungen, von Werken einer Person, seien es nun wissenschaftliche oder Kunstschöpfungen, Entdeckungen oder Methoden, Vereine oder Stiftungen, Erfindungen oder Fabrikate, den Personennamen in solcher Weise vor das Hauptwort leimt. In anständigem Deutsch hat man sich in solchen Fällen früher stets des Genitivs oder der Adjektivbildung auf isch bedient. In Dresden ist die Brühlsche Terrasse, in Frankfurt das Städelsche Institut, und noch vor dreißig Jahren hat jedermann von Goethischen und Schillerschen Gedichten gesprochen. Jetzt wird nur noch gelallt; jetzt heißt es: Goethegedichte und Shakespearedramen, Mozartopern und Dürerzeichnungen, Bachkantaten und Chopinwalzer, Goethefaust und Gounodfaust, Bismarckreden und Napoleonbriefe, Schopenhauerworte und Heimburgromane, Schweningerkur und Horneffervorträge. Der von Karl Riedel gegründete Leipziger Kirchengesangverein, der jahrzehntelang ganz richtig der Riedelsche Verein hieß, ist neuerdings zum Riedelverein verschönert worden, und wie die Herren Fabrikanten, diese feinfühligsten[S. 196] aller Sprachschöpfer und Sprachneuerer, hinter allen neuen Sprachdummheiten mit einer Schnelligkeit her sind, als fürchteten sie damit zu spät zu kommen, so haben sie sich auch schleunigst dieser Sprachdummheit bemächtigt und preisen nun stolz ihre Pfaffnähmaschinen und Drewsgardinen, ihre Jägerpumpen und Steinmüllerkessel, ihren Kempfsekt und ihr Auergasglühlicht, ihre Rönischpianos und Feurichpianinos, ihre Langeuhren, Zeißobjektive und Ernemanncameras an, und das verehrte Publikum schwatzt es nach und streitet sich über die Vorzüge der Blüthnerflügel und der Bechsteinflügel.[96] In Leipzig nannte eines Tags eine Bierbrauerei (die Riebeckische) ihr Bier Riebeckbier. Flugs kamen die andern hinterdrein und priesen Ulrichbier, Naumannbier und Sternburgbier an (das nun freilich eigentlich Speckbier heißen müßte!). Dieses Schandzeug aus unsrer Kaufmannssprache habt ihr auf dem Gewissen, ihr Herren, die ihr die Shakespearedramen und die Dürerzeichnungen erfunden habt! Wenn man in vornehmen Fachzeitschriften von Bürgerbriefen (Briefen des Dichters der Lenore!) und einem Lenznachlaß (Nachlaß des Dichters Lenz), einem Kuglerwerk und einem Menzelwerk, einem König Albert-Bild, einem Mörike-Schwind-Briefwechsel, einer Rudolf Hildebrand-Erinnerung lesen muß, kann man dann – andern Leuten einen[S. 197] Vorwurf machen, wenn sie von Kathreiners Kneipp-Malzkaffee, Junker- und Ruh-Öfen und August Lehr-Fahrrädern reden? Alle diese Zusammensetzungen zeugen von einer Zerrüttung des Denkens, die kaum noch ärger werden kann. Von Lichtfreunden kann man reden, von Naturfreunden, Kunstfreunden und Musikfreunden, von Zinnsärgen und Marmorsärgen, von Konzertflügeln und Stutzflügeln, aber nicht von Kellerfreunden, Grillparzersärgen und Blüthnerflügeln. Das ist schlechterdings kein Deutsch.

Das Unkraut wuchert aber und treibt die unglaublichsten Blüten. Weißt du, was Kriegerliteratur ist, lieber Leser? ein Senfkatalog? eine Schleicherskizze? ein Pfeilliederabend? Du ahnst es nicht, ich will dirs sagen. Kriegerliteratur sind die Schriften über den Komponisten des siebzehnten Jahrhunderts Adam Krieger, ein Senfkatalog ist ein Briefmarkenverzeichnis der Gebrüder Senf in Leipzig, eine Schleicherskizze eine Lebensbeschreibung des berühmten Philologen Schleicher, ein Pfeilliederabend ein Abendkonzert, bei dem nur Lieder des Männergesangkomponisten Pfeil gesungen werden. Was ein Lenbachaufsatz ist? ein Holbeinbildnis? Das weiß ich selber nicht. Es kann ein Aufsatz von Lenbach sein, es kann aber auch einer über ihn sein, ein von Holbein gezeichnetes Bildnis, aber auch eins, das ihn darstellt. Daß läßt sich in dem heutigen Deutsch nicht mehr unterscheiden.

Es braucht übrigens nicht immer ein Eigenname zu sein, der solche Zusammensetzungen unerträglich macht; sie sind auch dann unerträglich, wenn an die Stelle eines Eigennamens ein Appellativ tritt, unter dem eine bestimmte Person verstanden werden soll. Da hat einer, der den Feldzug von 1870 als Kürassier mitgemacht hat, seine Briefe unter dem Titel Kürassierbriefe drucken lassen. Das können aber niemals Briefe eines bestimmten Kürassiers sein, sondern immer nur Briefe, wie sie Kürassiere schreiben. In allerjüngster Zeit ist das neue Wort Kaiserhoch aufgekommen. Es stammt natürlich aus der Telegrammsprache. Irgendeiner telegraphierte:[S. 198] „Professor Ö. Festrede Kaiserhoch“; daraus machte ein dummer Zeitungschreiber: Professor Ö. hielt die Festrede, die in ein Kaiserhoch ausklang. Ein Kaiserhoch kann aber auf jeden beliebigen Kaiser ausgebracht werden, und wenn die Zeitungen vollends statt ein Kaiserhoch schreiben das Kaiserhoch – die Herabwürdigung einer persönlichen Huldigung, die aus dem Herzen quellen soll, zu einem gewohnheitsmäßigen Bestandteil jeder beliebigen Esserei oder Trinkerei, kann gar keinen schlagendern Ausdruck finden. Ähnlich ist es mit der Königsbüste. Professor Seffner ist damit beschäftigt, eine Königsbüste anzufertigen. Ob von Ramses oder Romulus oder Ludwig dem Vierzehnten, wird nicht verraten. Das Ärgste dieser Art sind wohl die Herrenworte und das Herrenmahl, das die Theologen jetzt aufgebracht haben. Das sollen Aussprüche Christi und das heilige Abendmahl sein! Man denkt doch unwillkürlich an ein Herrenessen.

Den Gipfel der Sinnlosigkeit erreichen solche Zusammenleimungen, wenn das Grundwort ein Verbalsubstantiv ist, gebildet von einem transitiven Verbum. Solche Zusammensetzungen können schlechterdings nicht mit Eigennamen vorgenommen werden, sondern nur mit Appellativen; sie bezeichnen ja nicht eine bestimmte einzelne Handlung, sondern eine Gattung von Handlungen, Menschen, deren Tätigkeit sich nicht auf eine bestimmte einzelne Person, sondern wieder nur auf eine Gattung erstreckt. In den siebziger Jahren erfand ein boshafter Zeitungschreiber das Wort Bismarckbeleidigung. Natürlich sollte es eine höhnische Nachbildung von Majestätsbeleidigung sein. Wie viel dumme Zeitungschreiber aber haben das Wort dann im Ernst gebraucht und sogar Caprivibeleidigung darnach gebildet! Jetzt redet man aber auch von Cäsarmördern, Richardsonübersetzern, Romkennern, Goethefreunden und Schillerfeinden (unter den heute lebenden!), Beethovenerklärern, Wagnerverehrern, Zolanachahmern und Nietzscheanbetern. Entsetzliche Verirrung! Man kann von Vatermördern, Romanübersetzern, Kunstkennern, Frauenverehrern,[S. 199] und Fetischanbetern reden; aber ein Wagnerverehrer – das könnte doch nur ein Kerl sein, der gewerbsmäßig jeden „verehrt“, der Wagner heißt. Wer das nicht fühlt, der stammle weiter, dem ist nicht zu helfen.[97]

Schulze-Naumburg und Müller-Meiningen

Eine andre Abgeschmacktheit, auf die nicht bloß Zeitungschreiber, sondern auch Leute, denen man in Sprachdingen etwas Geschmack zutrauen sollte, ganz versessen sind, ist die Unsitte, an einen Personennamen den Wohnort der Person mit Bindestrichen anzuhängen, anstatt ihn durch die Präposition in oder aus damit zu verbinden und so ein ordentliches Attribut zu schaffen. Den Anfang dazu haben Leute wie Schulze-Delitzsch, Braun-Wiesbaden u. a. gemacht; die wollten und sollten durch solches Anhängen des Ortsnamens von einem andern Schulze und einem andern Braun unterschieden werden. Das waren nun ihrerzeit gefeierte Parlamentsgrößen, und wer möchte das nicht auch gerne sein! Wenn sich daher im Sommer Gevatter Schneider und Handschuhmacher zu den üblichen Wanderversammlungen aufmachen und dort schöne Reden halten, so möchten sie natürlich auch die Parlamentarier spielen und dann im Zeitungsbericht mit so einem schönen zusammengesetzten Namen erscheinen, sie möchten nicht bloß Müller und Meyer heißen, sondern Herr Müller-Rumpeltskirchen und Herr Meyer-Cunnewalde – das klingt so aristokratisch, so ganz wie Bismarck-Schönhausen, es könnte im freiherrlichen Taschenbuche stehen; man hats[S. 200] ja auch den geographischen Adel genannt. Der Unsinn geht so weit, daß man sogar schreibt: Direktor Wirth-Plötzensee bei Berlin. Was ist denn bei Berlin? Direktor Wirth-Plötzensee?

Die ganze dumme Mode ist wieder ein Pröbchen unsers schönen Papierdeutsch. Man höre nur einmal zu, wenn in einer solchen Wanderversammlung die sogenannte Präsenzliste verlesen wird: hört man da je etwas andres als Städtenamen? Man möchte gern wissen, wer anwesend ist, aber man kann es beim besten Willen nicht erfahren, denn der Vorlesende betont unwillkürlich – wie man solche traurige Koppelnamen nur betonen kann –: Herr Stieve-München, Herr Prutz-Königsberg, Herr Ulmann-Greifswald. Der Personenname geht vollständig verloren. Wenn dann die Zeitungen über eine solche Versammlung berichten, so drucken sie zwar den Personennamen gesperrt oder fett: Herr Stieve-München oder Herr Stieve-München. Das hilft aber gar nichts; gesprochen wird doch: Stieve-München (Sprachrhythmus). Dieser fett gedruckte und doch unbetonte Personenname, dieser grobe Widerspruch zwischen Papiersprache und Ohrensprache, ist geradezu ein Hohn auf den gesunden Menschenverstand. Will man beide Namen betonen, so bleibt nichts weiter übrig, als eine Pause zu machen, etwa als ob geschrieben wäre: Herr Stieve (München). Dann hat man aber doch auch Zeit, die Präposition auszusprechen. In neuester Zeit hat man angefangen, auch Fluß-, Tal- und Bergnamen auf diese Weise an Ortsnamen anzuleimen; man schreibt: Halle-Saale (statt Halle a. d. Saale), Frankfurt-Main, Sils-Engadin, Frankenhausen-Kyffhäuser. Und ein Buchhändler in dem Städtchen Borna bei Leipzig schreibt stolz auf seine Verlagswerke: Borna-Leipzig, als ob Leipzig ein unbekannter Vorort von Borna wäre. Wo ist dabei der mindeste Witz?

Die Sammlung Göschen

Während das Vorleimen von Eigennamen unter dem Einflusse des Englischen um sich gegriffen hat, beruhen andre Verirrungen unsrer Attributbildung auf Nachäfferei[S. 201] der romanischen Sprachen, namentlich des Französischen, vor allem der abscheuliche, immer ärger werdende Unfug, Personen- oder Ortsnamen unflektiert und ohne alle Verbindung hinter ein Hauptwort zu stellen, das eine Sache bezeichnet, als ob die Sache selbst diesen Personen- oder Ortsnamen führte, z. B. das Hotel Hauffe, der Konkurs Schmidt, die Stadtbibliothek Zürich (statt: Hauffes Hotel, der Schmidtsche Konkurs, die Züricher Stadtbibliothek). Die Anfänge dieses Mißbrauchs liegen freilich weit zurück, man braucht nur an Ausdrücke zu denken wie: Universität Leipzig, Zirkus Renz, Café Bauer; aber seinen gewaltigen Umfang hat er doch erst in der neuesten Zeit angenommen. In wirklich deutsch gedachter Form bekommt man einen Eigennamen in Attributen kaum noch zu hören: alles plärrt, die Franzosen und Italiener nachäffend (librairie Quantin, chocolat Suchard, rue Bonaparte, casa Bartholdi, Hera Farnese und ähnl.), von dem Antrag Dunger, dem Fall Löhnig, der Affäre Lindau, dem Ministerium Gladstone, dem Kabinett Salisbury, dem System Jäger, der Galerie Schack, dem Papyrus Ebers, der Edition Peters, der Kollektion Spemann und der Sammlung Göschen, von Schokolade Felsche und Tee Riquet,[98] von der Villa Meyer, dem Wohnhaus Fritzen, dem Grabdenkmal Kube, dem Erbbegräbnis Wenzel, dem Pensionat Neumann, der Direktion Stägemann, dem Patentbureau Sack, dem Sprachinstitut Bach, dem Konzert Friedheim, der Soiree Buchmayer, der Tanzstunde Marquart, dem Experimentierabend Dähne, dem Vortrag Mauerhof, dem Quartett Udel, der Bibliothek Simson, der Versteigerung Krabbe und dem Streit Geyger-Klinger[S. 202], von dem Magistrat Osnabrück, der Staatsanwaltschaft Halle, der Fürstenschule Grimma, dem Kaiserl. deutschen Postamt Frankfurt, dem Schreberverein Gohlis, der Mühle Zwenkau, dem Bundesschießen Mainz, dem Löwenbräu München und dem Migränin Höchst. Sogar der Dorfwirt will nicht zurückbleiben: er läßt den Firmenschreiber kommen, die alte Inschrift an seiner Schänke: Gasthof zu Lindenthal zupinseln und dafür Gasthof Lindenthal hinmalen, und der Dorfpastor kommt sich natürlich nun auch noch einmal so vornehm vor, wenn er sich auf seine Briefbogen Pfarrhaus Schmiedeberg hat drucken lassen. Und was der Franzose nie tut, das bringt der Deutsche fertig: er setzt auch hier Vornamen und Titel zu diesen angeleimten Namen und schreibt: die Galerie Alfred Thieme, die Kapelle Günther Coblenz, der Rezitationsabend Ernst von Possart, die Villa Dr. Brüning, das Signet Galerie Ernst Arnold Dresden (das soll heißen: Signet der Galerie von Ernst Arnold in Dresden!). Manchmal weiß man nicht einmal, ob der angefügte Name ein Orts- oder ein Personenname sein soll. In Leipzig preist man Gose Nickau an. Ja, was ist Nickau? Ist es der Ort, wo dieser edle Trank gebraut wird, oder heißt der Brauer so? Der großherzogliche Bahnbauinspektor Waldshut – heißt der Mann Waldshut, oder baut er in Waldshut eine Eisenbahn?

Da kämpfen wir nun für Beseitigung der unnützen Fremdwörter in unsrer Sprache; aber sind denn nicht solche fremde Wortverbindungen viel schlimmer als alle Fremdwörter? Das Fremdwort entstellt doch die Sprache nur äußerlich; wirft man es aus dem Satze hinaus und setzt das deutsche Wort dafür ein, so kann der Satz im übrigen meist unverändert bleiben. Aber die Nachahmung von syntaktischen Erscheinungen aus fremden Sprachen, noch dazu von Erscheinungen, die die Sprache in so heruntergekommenem Zustande zeigen, wie dieses gemeine Aneinanderleimen – leimen ist noch zuviel gesagt, Aneinanderschieben – von Wörtern fälscht doch das Wesen unsrer Sprache und zerstört ihren Organismus.[S. 203] Es ist eine Schande, wie wir uns hier an ihr versündigen! Wie stolz mag der Inhaber der Auskunftei Schimmelpfeng gewesen sein, als er das herrliche deutsche Wort Auskunftei erfunden hatte![99] Aber für die ganz undeutsche Wortzusammenschiebung hat er kein Gefühl gehabt.

Auch hier handelt sichs um nichts als um eine dumme Mode, die jetzt, namentlich in den Kreisen der Geschäftsleute und Techniker, für fein gilt. Wenn es in einer Stadt fünf Kakaofabrikanten gibt, und einer von den fünfen schreibt plötzlich in seinen Geschäftsanzeigen: Kakao Müller (statt Müllerscher Kakao) und hat nun damit etwas besondres, so läßt es den vier andern keine Ruhe, bis sie dieselbe Höhe der Vornehmheit erklommen haben (Kakao Schulze, Kakao Meier usw.). Der fünfte lacht vielleicht die andern vier eine Zeit lang aus und wartet am längsten; aber schließlich humpelt er doch auch hinterdrein, während sich der, der mit der Dummheit angefangen hat, schon wieder eine neue ausdenkt.

Zu einer ganz besondern Abgeschmacktheit hat die neu erwachte Liebhaberei geführt, in Büchern ein Bücherzeichen mit dem Namen des Eigentümers einzukleben. Ein solches Bücherzeichen nennt man ein Exlibris, und wer sich eins anfertigen läßt, der läßt auch stets dieses Wort darauf anbringen. Da gibt es aber doch nun bloß zwei Möglichkeiten. Entweder man versteht das Wort lateinisch und in seiner eigentlichen Bedeutung (eins von den Büchern); dann kann man auch nur seinen Namen lateinisch dahinter setzen: Ex libris Caroli Schelleri. So geschah es im achtzehnten Jahrhundert. Oder man versteht Ex-Libris „deutsch“ als „Bücherzeichen“; dann kann man natürlich nur schreiben: Exlibris Karl Schellers. Das tut aber von Tausenden nicht einer! Alle setzen hinter Exlibris ihren Namen im Nominativ: Exlibris Eugen Reichardt, Exlibris Adolf von Groß, Exlibris[S. 204] Carl und Emma Eckhard. Das vernünftigste wäre ja, weiter nichts als seinen Namen hinzusetzen oder zu schreiben: Eigentum Oskar Leuschners oder Aus der Bibliothek (oder Bücherei) Paul Werners. Aber ohne die Worte oder das Wort Exlibris würde der ganze Sport den Leuten gar keinen Spaß machen. Man tauscht Exlibris, man tritt in den Exlibrisverein, man hält sich die Exlibriszeitschrift, und man druckt auf sein Bücherzeichen eine – Sprachdummheit.

Die Familie Nachfolger

Ebenso einfältig ist noch ein andrer Unfug, der auch auf bloße Nachäfferei des Französischen und des Englischen zurückzuführen ist. Der französische Geschäftsstil setzt père, fils und frères, der englische brothers als Apposition hinter den Personennamen: Dumas fils, Shakelford brothers. Im Deutschen ist das ganz unmöglich, wir können nur von dem Wörterbuch der Gebrüder Grimm reden, nicht der Grimm Gebrüder. Aber unsre Kaufleute müssen natürlich wieder das Fremde nachäffen; sie nennen sich Schmidt Gebrüder, Blembel Gebrüder, Ury Gebrüder. Sie gehen aber noch weiter. Während der Franzose sagt: Veuve Cliquot, schreibt der Deutsche: M. D. Schwennicke Witwe, ja selbst wo es sich gar nicht um ein Verwandtschaftsverhältnis handelt, leimt er ein Appellativ und einen Personennamen in dieser Weise zusammen, statt ein Attribut zu bilden; in unsrer Geschäftswelt wimmelt es schon von Firmen, die alle so aussehen, als ob ihre Inhaber den Familiennamen Nachfolger und dabei die seltsamsten Vornamen hätten, wie: C. F. Kahnt Nachfolger, Johann Jakob Huth Nachfolger, ja sogar Gebrüder Hinzelmann Nachfolger und Luise Werner Nachfolger. In großen Städten findet man kaum noch eine Straße, wo nicht Mitglieder dieser weitverzweigten Familie säßen. Auch daraus ist eine richtige dumme Mode geworden. Während früher ein Geschäft, wenn es den Inhaber wechselte, die alte Firma meist unverändert beibehielt, um sich deren Ruf zu erhalten – in Leipzig gibt es Firmen, die noch heute so heißen wie vor[S. 205] hundert und mehr als hundert Jahren, und sie befinden sich nicht schlecht dabei! –, ist jetzt oft ein Geschäft kaum zwei, drei Jahre alt, und schon prangt der „Nachfolger“ auf der Firma. Manchen will ja die Dummheit, den Personennamen dabei im Nominativ stehen zu lassen, nicht recht in den Kopf; man sieht das an der verschiedenen Art und Weise, wie sie sich quälen, sie hinzuschreiben. Die meisten schreiben freilich dreist: Ferdinand Schmidt Nachfolger. Andre schreiben aber doch mit Komma: Ferdinand Schmidt, Nachfolger, was zwischen einem Schneider und einem Fleischer so aussieht, als ob die Beschäftigung dieses Biedermanns im Nachfolgen bestünde, andre ganz klein, als ob sie sich ein bißchen schämten: Ferdinand Schmidt Nachfolger. Nur auf das einzig vernünftige: Ferdinand Schmidts Nachfolger verfällt keiner.

Namentlich auch im deutschen Buchhandel hat das fruchtbare Geschlecht der Nachfolger schon eine Menge von Vertretern. Einer der wenigen, die den Mut gehabt haben, der abgeschmackten Mode zum Trotz dem gesunden Menschenverstande die Ehre zu geben, ist der Verleger der Gartenlaube: Ernst Keils Nachfolger. Dagegen überbietet alles an Sprachzerrüttung die Cotta’sche Buchhandlung Nachfolger; das soll heißen: der Nachfolger der Cottaischen Buchhandlung! In solchem Deutsch prangt jetzt die Buchhandlung, in der einst Schillers und Goethes Werke erschienen sind!

Ersatz Deutschland

Eine ähnliche Sprachzerrüttung wie in den zuletzt angeführten Beispielen findet sich nur noch in den Namen neuer Schiffe, von denen man jetzt öfter in den Zeitungen liest: Ersatz Preußen, Ersatz Leipzig, Ersatz Deutschland. Was in aller Welt soll das heißen? Man kann es wohl ungefähr ahnen, aber ausgesprochen ist es nicht. Soll Ersatz Preußen aufzufassen sein wie Ersatztruppen, Ersatzknopf, Ersatzgarnitur, so müßte es natürlich als zusammengesetztes Wort geschrieben werden: Ersatz-Preußen. Soll es aber, was das wahrscheinlichere ist, heißen: Ersatz der (!)[S. 206] Preußen[100] oder Ersatz für die Preußen, so läge in dem Weglassen des Artikels oder der Präposition eine beispiellose Stammelei. Man könnte dann ebensogut sagen: Stellvertreter Direktor und sich einbilden, das hieße: Stellvertretender Direktor oder Stellvertreter des Direktors. Das mag Chinesisch sein oder Negersprache, Deutsch ist es nicht. Wahrscheinlich ist es aber – Englisch. Englisch ist ja jetzt Trumpf, zumal wenn es die Marine betrifft.

Der grobe Unfugparagraph

Viel ist schon gespottet worden über Attributbildungen wie: der musikalische Instrumentenmacher, der vierstöckige Hausbesitzer, der doppelte Buchhalter, der wilde Schweinskopf, die reitende Artilleriekaserne, die geprüfte Lehrerinnenanstalt, die durchlöcherte Stuhlsitzfabrik, die chinesische Feuerzeugfabrik, der geräucherte Fischladen, die verheiratete Inspektorwohnung, die gelben Fieberanfälle, das einjährig-freiwillige Berechtigungswesen und ähnliche, wo ein Attribut zu einem zusammengesetzten Worte gestellt ist, während es sich nur auf das Bestimmungswort der Zusammensetzung, in dem letzten Falle sogar auf einen dritten, hinzuzudenkenden Begriff (Dienst) bezieht. Dennoch wagen sich immer wieder Verbindungen dieser Art hervor wie: das alte Thomanerstipendium (das soll eine Stiftung der alten, d. h. ehemaligen Thomaner sein!), der grobe Unfugparagraph, die transportabeln Beleuchtungszwecke, der Vereinigte Staatenstaatssekretär, die Weiße Damenpartitur usw.

Solche Verbindungen werden nur dann erträglich, wenn es möglich ist, sie durch doppelte Zusammensetzung zu dreigliederigen Wörtern zu gestalten; wie: Armesünderglocke, Liebfrauenmilch, Altweibersommer, Sauregurkenzeit u. dgl.

[S. 207]

Nicht besser, eher noch schlimmer sind solche Fälle, wo das Attribut, statt durch ein Eigenschaftswort, durch einen Genitiv oder eine Präposition mit einem Hauptworte gebildet wird wie: der Doktortitel der Philosophie, der Enthüllungstag des Geibeldenkmals, das Heilverfahren der Diphtheritis, das Schmerzstillen der Zähne, die Anzeigepflicht der ansteckenden Krankheiten, der Verhaftungsversuch des Arbeiters, eine Fälscherbande amtlicher Papiere, das Übersetzungsrecht in fremde Sprachen, der Verpackungstag nach Österreich, ein Reisehandbuch nach Griechenland, die Abfahrtszeit nach Kassel, eine Sterngruppe dritter Größe, eine Zuckerfabrik aus Rüben, Erinnerungsstätte an Käthchen Schönkopf, 100 Stück Kinderhemden von 2 bis 14 Jahren, und ähnliches.

Die teilweise Erneuerung

Mit wachsender Schnelligkeit hat sich endlich noch ein Fehler in der Attributbildung verbreitet, der für einen Menschen von feinerem Sprachgefühl etwas höchst beleidigendes hat, gegen den aber die große Masse schon ganz abgestumpft ist: der Fehler, die mit weise zusammengesetzten Adverbia wie Adjektiva zu behandeln. Man schreibt jetzt frischweg, als ob es so ganz in der Ordnung wäre: die teilweise Erneuerung, die stufenweise Vermehrung, die ausnahmsweise Erlaubnis, die bruchstückweise Veröffentlichung, die heftweise Ausgabe, die stückweise Bezahlung, die auszugsweise Abschrift, die vergleichsweise Erledigung, die leihweise oder schenkungsweise Überlassung, der glasweise Ausschank, die probeweise Anstellung, die reihenweise Aufstellung, die versuchsweise Aufhebung, die abwechslungsweise Verteilung usw. Wenn in Leipzig jemand seine Steuern nicht pünktlich bezahlt, so hat er die zwangsweise Beitreibung (!) zu gewärtigen; ja nach einer Dorfversammlung läßt man sogar die Leute in ihre beziehungsweisen (!) Behausungen zurückkehren.

[S. 208]

Es wird einem ganz griechisch zumute, wenn man so etwas liest. Die griechische Sprache ist imstande, das zwischen Artikel und Hauptwort tretende Attribut auch durch ein Adverb oder einen adverbiellen Ausdruck zu bilden.[101] Im Griechischen kann man sagen: das jetzt Geschlecht (τὸ νῦν γένος) für: das jetzige Geschlecht, der heute Tag für: der heutige Tag, der jedesmal König für: der jedesmalige König, die dazwischen Zeit für: die dazwischenliegende Zeit, der zurück Weg für: der zurückführende Weg, die allzusehr Freiheit für: die allzu große Freiheit. Mit unsern Adverbien auf weise lassen sich im Griechischen namentlich gewisse mit der Präposition κατά und dem Akkusativ gebildete Ausdrücke vergleichen wie: κατὰ μικρόν (stückweise), κατ’ ἐνιαυτόν (jahrweise, alljährlich), καθ’ ἡμέραν (tageweise), (einer auf einmal), ἡ καθ’ ἡμέραν τροφή (die tageweise Nahrung). Im Deutschen sind derartige Verbindungen ganz unmöglich.[102] Dem, der sie gebraucht, fällt es auch gar nicht ein, in einer Verbindung wie: die schrittweise Vervollkommnung das schrittweise als Adverb aufzufassen, er meint, er schreibe wirklich ein Adjektivum hin, er dekliniert ja auch: die pfennigweisen Ersparnisse, ein teilweiser Erlaß. Das ist aber eben die Verwirrung. Die mit weise zusammengesetzten Wörter sind Adverbia, die aus Genitiven entstanden sind. Man sagte zunächst: glücklicher Weise, törichter Weise, verkehrter Weise, wie man auch sagte: gewisser Maßen (die Maße hieß es ursprünglich). Dann dachte man nicht mehr an den Genitiv, sondern wagte auch andre Zusammensetzungen (versuchsweise ist eigentlich: nach oder auf Versuchs Weise), und endlich bildete man sich ein, vielleicht verführt durch den Gleichklang mit weise (sapiens), diese Zusammensetzungen wären[S. 209] Adjektiva. Das sind sie aber nicht; man kann wohl etwas teilweise erneuern, ausnahmsweise erlauben, zwangsweise versteigern, bruchstückweise veröffentlichen, man kann sich schrittweise vervollkommnen, aber die schrittweise Vervollkommnung ist eine Verirrung des Sprachgefühls, die nicht um ein Haar besser ist als das entzweie Glas, der extrae Teller, der sehre Hunger und die bisweilen im Scherz gebildeten Ausdrücke, in denen man Präpositionen wie Adjektiva behandelt: ein durcher Käse, eine zue Droschke, ein auses Heft (statt: ein ausgeschriebnes).[103]

Mancher wird einwenden: daß ein Adverbium zum Adjektivum wird, ist doch kein Unglück, es ist auch sonst geschehen. Mit zufrieden, vorhanden, ungefähr ist es ebenso gegangen. Erst sagte man: ich kann mir das ungefähr vorstellen, dann wagte man auch: ich habe davon eine ungefähre Vorstellung. Andre werden einwenden: dieser Mißbrauch (wenn es einer ist) gewährt doch unleugbar eine Bequemlichkeit, wo soll man einen Ersatz dafür hernehmen? Früher sagte man: partiell (die partielle Renovation), fragmentarisch (die fragmentarische Publikation), exzeptionell, obligatorisch, relativ, provisorisch. Nun meiden wir die Fremdwörter und sagen: die teilweise Erneuerung, die bruchstückweise Veröffentlichung, und nun ist es wieder nicht recht.

Das sind hinfällige Einwände. Wer sich der adverbiellen Natur dieser Zusammensetzungen bewußt geblieben ist – und solche Menschen wird es doch wohl noch geben dürfen? –, oder wer sie sich wieder zum Bewußtsein gebracht hat, was gar nicht schwer ist, der bringt Ausdrücke wie teilweise Erneuerung weder über die Lippen noch aus der Feder.[104] Einzelne dieser Verbindungen sind ja nichts als Sprachschwulst oder Ungeschick: für schenkungsweise Überlassung eines[S. 210] Bauplatzes genügt doch wahrhaftig Schenkung und statt: die teilweise Veröffentlichung der Briefe kann man doch sagen: die Veröffentlichung eines Teils oder von Teilen der Briefe. Alle aber lassen sich vermeiden, wenn man sich nur von der Manier freihält oder wieder freimacht, in der unsre ganze Schriftsprache jetzt befangen ist, der greulichen Manier, zum Hauptsinnwort eines Satzes immer ein Substantiv zu machen, statt ein Zeitwort. Wenn wir wieder Verba schreiben lernten, vor allen Dingen einen Satz wieder mit dem Verbum anfangen lernten, was sich heute kaum noch jemand getraut, dann würde so mancher andre Unrat auch wieder verschwinden. Statt zu schreiben: es wurde eine Resolution angenommen, die die zeitweise Aufhebung der Kornzölle verlangte – schreibe man doch: die verlangte, die Kornzölle zeitweise aufzuheben, statt: ihre teilweise Begründung mag diese Gleichgiltigkeit darin finden – schreibe man doch: begründet mag diese Gleichgiltigkeit zum Teil darin sein – und alles ist in bester Ordnung.

Eine nagelneue besondre Abart dieses Fehlers ist das von den Kleiderfabrikanten aufgebrachte fußfreie Kleid, dem sich natürlich schleunigst der armfreie Lodenmantel, die armfreie Betätigung aller Kräfte und die kniefreien Wunderkinder angeschlossen haben. Man kann sich wohl fußfrei kleiden, d. h. so, daß die Füße frei bleiben, man kann sich auch rückenfrei setzen, aber dann kann weder der Mensch noch das Kleid fußfrei, weder der Mensch noch der Stuhl rückenfrei genannt werden.

Der tiefer Denkende, der Tieferdenkende oder der tiefer denkende?

Ein Gegenstück zu der schrittweisen Vervollkommnung, das freilich durch eine andre Sprachdummheit entsteht, bilden Verbindungen wie: das einzig Richtige, der tiefer Denkende, der mittellos Verstorbne, der mit ihm Redende u. ähnl. Da liegt der Fehler nicht im Ausdruck, sondern – in der Schreibung, nämlich in den törichten großen Anfangsbuchstaben,[S. 211] mit denen man ganz allgemein die Adjektiva und Partizipia solcher Verbindungen schreibt und druckt.

Gewöhnlich wird gelehrt, daß Adjektiva und Partizipia, wenn sie kein Hauptwort bei sich haben, selber zu Hauptwörtern würden und dann mit großen Anfangsbuchstaben zu schreiben seien, also: die Grünen und die Blauen, alle Gebildeten. Das läßt sich hören. Nun geht man aber weiter. Man schreibt solche Adjektiva und Partizipia auch dann groß, wenn zu dem Adjektiv ein Adverb oder ein Objekt, zu dem Partizip ein Adverb, ein Prädikat, ein Objekt oder eine adverbielle Bestimmung tritt, z. B.: so Schönes, längst Bekanntes, etwas ungemein Elastisches, der minder Arme, alles bloß Technische, das eigentlich Theatralische, der wirtschaftlich Abhängige, das dem Vaterland Ersprießliche – ein unglücklich Liebender, kein billig Denkender, der wagehalsig Spekulierende, das wahrhaft Seiende, der früh Dahingeschiedne, die mäßig Begüterten, die bloß Verschwägerten, der ergebenst Unterzeichnete, der sehnlichst Erwartete, der wahrhaft Gebildete, das glücklich Erreichte, das früher Versäumte, der hier Begrabne, das anderwärts besser Dargestellte – der beschaulich Angelegte, der gefesselt Daliegende, der unschuldig Hingerichtete, das als richtig Erkannte – die dem Gemetzel Entgangnen, die Medizin Studierenden – die zu ihm Geflüchteten, die vom Leben Abgeschiednen, die bei der Schaffung des Denkmals Beteiligten, die an der Aufführung Mitwirkenden, die auf die Eröffnung der Kasse Wartenden – auch: die von ihm zu Befördernden, das auf Grund des schon Vorhandnen noch zu Erreichende usw.

Ist das richtig? Können in solchen Verbindungen die Adjektiva und Partizipia wirklich als Substantiva angesehen werden? Ein wenig Nachdenken genügt doch, zu zeigen, daß das unmöglich ist. Wenn ich sage: der frühere Geliebte, so ist das Partizip wirklich zum Substantivum geworden; sage ich aber: der früher geliebte, so kann doch von einer Substantivierung keine Rede sein. Welchen Sinn hat es aber, Wörter äußerlich,[S. 212] für das Auge, zu Hauptwörtern zu stempeln, die gar nicht als Hauptwörter gefühlt werden können? Diese Fälle sollten im Unterricht dazu benutzt werden, den Unterschied zwischen einem zum Substantiv gewordnen und einem Partizip gebliebnen Partizipium klarzumachen! Wäre es richtig, zu schreiben: alles bisher Erforschte, alle vernünftig Denkenden, die im Elsaß Reisenden, die zwei Jahre lang Verbündeten, die zur Feier von Kaisers Geburtstag Versammelten, die durch die Überschwemmung Beschädigten, die auf preußischen Universitäten Studierenden, der wegen einer geringfügigen Übertretung Angeklagte, wäre es möglich, alle diese Partizipia als Substantiva zu fühlen – und nur darauf kommt es an! –, dann müßte man auch sagen können: alle bisher Forschung, alle vernünftig Denker, die im Elsaß Reise, die zwei Jahre lang Verbindung, die zur Feier von Kaisers Geburtstag Versammlung, der durch die Überschwemmung Schade, die auf preußischen Universitäten Studenten, die wegen einer geringfügigen Übertretung Anklage. Wollte man hier wirklich eine Substantivierung annehmen und äußerlich vornehmen, so könnte das nur so geschehen, daß man die ganze Bekleidung mitsubstantivierte und schriebe: die Wirklichoderangeblichminderbegabten, jeder Tieferindiegoethestudieneingedrungne. So verfährt man ja wirklich bei kurzen Zusätzen wie: die Leichtverwundeten, der Frühverstorbne, die Fernerstehenden, die Wenigerbegabten.

Nun könnte man sagen: gut, wir wollen da, wo Adjektiva und Partizipia allein stehen, sie mit großen Anfangsbuchstaben schreiben; treten sie mit irgendwelchen Zusätzen auf, so mögen sie mit dem kleinen Buchstaben zufrieden sein. Was soll aber dann geschehen, wenn beide Fälle miteinander verbunden sind, was sehr oft geschieht, z. B.: das unbedeutende, in der Eile hingeworfne – etwas selbstverständliches, mit Händen greifbares – etwas großes, der ganzen Menschheit ersprießliches – eine nach dem pikanten, noch nicht dagewesenen haschende Phantasie – mit Verzicht auf[S. 213] das verlorne und zu unsrer Sicherheit unbedingt notwendige? Soll man da abwechseln? das eine klein, das andre groß schreiben?

Das vernünftigste wäre ohne Zweifel, man beschränkte die großen Anfangsbuchstaben überhaupt auf die wirklichen Substantiva und schriebe alles übrige klein. Aber zu schreiben: das durch redlichen Fleiß Gewonnene, und sich und andern einzureden: Gewonnene sei hier ein Substantiv, ist doch geradezu ein Verbrechen an der Logik. Aber auch das schrittweise Gewonnene ist Unsinn. Denn wäre Gewonnene ein Hauptwort, dann könnte schrittweise nur ein Eigenschaftswort sein, und das ist es nicht, ist aber schrittweise ein Adverbium, dann kann Gewonnene nur eine Verbalform sein, und das ist es ebenfalls nicht, sowie man es mit G schreibt.

Die Apposition

Eine Regel, die schon der Quintaner lernt, lautet: eine Apposition muß stets in demselben Kasus stehen wie das Hauptwort, zu dem sie gehört. Das ist so selbstverständlich, daß es ein Kind begreifen kann. Nun sehe man sich aber einmal um, wie geschrieben wird! Da heißt es: das Gastspiel des Herrn R., erster Tenor an der Skala in Mailand – der Verfasser der Sylvia, ein Buch, das wir leider nicht kennen – es gilt das namentlich von dem mitteldeutschen Hofbau, die verbreitetste aller deutschen Bauarten – der First ist mit freistehenden Figuren, Petrus und die vier Evangelisten, geschmückt – offenbar hat Trippel von jener Skulptur, eine dem Apoll von Belvedere nicht allzufernstehende Arbeit, die Anregung erhalten – in Koblenz war ich ein Stündchen bei Bädeker, ein recht liebenswürdiger, verständiger Mann – das Grab war mit Reseda und Monatsrosen geschmückt, die Lieblingsblumen der Verstorbnen – anders verhält es sich mit dem Sauggasmotor, ein Apparat, der das erforderliche Gas selbst erzeugt. Solche Verbindungen kann man sehr oft lesen; mag der Genitiv, der Dativ, der Akkusativ vorausgehen, gleichviel: die Apposition wird in den Nominativ gesetzt. Sie wird behandelt[S. 214] wie eine Parenthese, als ob sie gar nicht zum Satzgefüge gehörte, als ob sie der Schreibende „beiseite“ spräche oder in den Bart murmelte.

Auch dieser Fehler ist, wie so manches in unsrer Sprache, durch Nachäfferei des Französischen entstanden. Nicht daß das Französische bei seiner strengen Logik eines solchen Unsinns fähig wäre, zu einem Hauptwort im Genitiv eine Apposition im Nominativ zu setzen. Wenn der Franzose schreibt: le faîte est orné de statues, St. Pierre et les quatre évangélistes, so empfindet er natürlich les évangélistes so gut von de abhängig wie das vorhergehende. Der Deutsche aber, der ein bißchen Französisch gelernt hat, sieht nur die unflektierte Form, bildet sich ein, das sei ein Nominativ, und plumpst nun hinter des und dem und den mit seinem der drein. Es ist wie ein Schlag ins Gesicht, ein solcher Nominativ als Genosse und Begleiter eines casus obliquus.

Auch wenn die Apposition mit als angeschlossen wird, muß sie unbedingt in demselben Kasus stehen wie das Wort, zu dem sie tritt, z. B.: ein Vortrag über Viktor Hugo als politischen Dichter (nicht politischer!) – ein Portal mit zwei gefesselten Türken als Schildhaltern (nicht Schildhalter!) – eine Zusammenfassung Schlesiens als eines Ganzen (nicht ein Ganzes!). Nur wenn sie sich an das besitzanzeigende Adjektiv anschließt, also eigentlich im Genitiv stehen müßte, nimmt man sich allgemein die Freiheit, zu sagen: mein Beruf als Lehrer, seine Bedeutung als Dichter.

Nicht zu verwechseln mit der Apposition hinter als ist das Prädikatsnomen hinter als und dem Partizip eines Zeitworts, wie gesandt, berufen, bekannt, berühmt, gefeiert, bewährt, berüchtigt usw. Beim Verbum finitum steht selbstverständlich ein Prädikatsnomen, das sich an das Subjekt anschließt, im Nominativ: der Entschlafne wurde als Mensch wie als Politiker gleich hoch geschätzt; schließt es sich an das Objekt an, so steht es im Akkusativ: ich habe den Entschlafnen als Menschen wie als Politiker gleich hoch geschätzt. Manche schreiben nun aber auch: die Stadt hat[S. 215] ihr als ausgezeichneten Verwaltungsbeamten bekanntes Oberhaupt verloren. Das ist des Guten zu viel. Beim Partizip steht das Prädikatsnomen stets im Nominativ, der Kasus, auf den es sich bezieht, mag sein, welcher er will, z. B.: auf die Vorstellungen des als Gesandter an ihn geschickten Tilo – an die Stelle des als Professor nach Aachen versetzten Baumeisters – als Nachfolger des als Gehilfe des Finanzministers nach Petersburg berufnen Geheimratsdem als vortrefflicher Dirigent bekannten Kapellmeister. Dieser Nominativ erklärt sich daraus, daß er eben stets hinter dem passiven Verbum finitum steht, sogar oft im Aktiv bei rückbezüglichen Zeitwörtern, wie sich zeigen, sich beweisen, sich verraten, sich entpuppen, sich bewähren, wo eigentlich der Akkusativ am Platze wäre: er hat sich als ausgezeichneter Verwaltungsbeamter bewährt. Hier ist übrigens ein Unterschied möglich; er zeigte sich als feinen Kenner – ist etwas andres als: er zeigte sich als feiner Kenner. Der Akkusativ entspricht einem Objektsatz im Konjunktiv (er zeigte, daß er ein feiner Kenner sei), der Nominativ einem Objektsatz im Indikativ (er zeigte, daß er ein feiner Kenner ist). Aber dieser Unterschied ist so fein, daß ihn die wenigsten nachfühlen werden; die meisten schreiben unwillkürlich überall den Nominativ.

Bei sein lassen und werden lassen muß ein zum Objekt gehöriges Prädikat natürlich im Nominativ stehen. Falsch heißt es in dem Gesangbuchliede: laß du mich deinen Tempel sein, falsch auch bei Uhland: laß du mich deinen Gesellen sein – so annehmbar es auch zu klingen scheint. Es muß heißen: laß du mich dein Geselle sein – laß ihn ein tüchtiger Künstler werden.

Der Buchtitelfehler

Ein besonders häufiges Beispiel einer fehlerhaften Apposition findet sich auf Buchtiteln. Gewiß auf der Hälfte aller Buchtitel wird jetzt zum Verfassernamen, der ja immer hinter von, also im Dativ steht, das Amt oder der Beruf des Verfassers im Nominativ gesetzt![S. 216] Noch in den vierziger und fünfziger Jahren des vorigen Jahrhunderts war diese Nachlässigkeit fast unbekannt; da schrieb man noch richtig; von Joseph Freiherrn von Eichendorff, von H. Stephan, kgl. preußischem Postrat. Jetzt heißt es: von C. W. Schneider, Reichstagsabgeordnetervon H. Brehmer, dirigierender Arzt – von F. Kobeker, kaiserl. russischer Geheimrat – von Egbert von Frankenberg, diensttuender Kammerherr – von Havestadt und Contag, Regierungsbaumeistervon Dr. Leonhard Wolff, städtischer Musikdirektor – von J. Hartmann, königl. preußischer Generalleutnant z. D. – von Adolf Zeller, königlicher Regierungsbaumeister – von Adolf Winds, königl. sächsischer Hofschauspieler – von Dr. Friedrich Harms, weiland ordentlicher Professor an der Universität Berlin – von L. Schmidt, korrespondierendes Mitglied des Vereins usw. Besonders häufig erscheinen der Dozent, der Privatdozent und der Architekt in solchen fehlerhaften Appositionen; es ist, als ob die Herren ganz vergessen hätten, daß sie nach der schwachen Deklination gehen (dem Dozenten, dem Architekten). Mitunter sind ja die Verfasser so vorsichtig, das Wort, auf das es ankommt, abzukürzen, z. B.: von Heinrich Oberländer, königl. Schauspieler. Namentlich der ordentl. und der außerordentl. Professor gebrauchen gern diese Vorsicht und überlassen es dem Leser, sich die Abkürzung nach Belieben zu ergänzen. Die meisten Leser ergänzen aber sicher falsch.[105] Hat außerdem noch der Name des Druckers oder des Verlegers eine Apposition, so kann es vorkommen, daß auf einem Buchtitel der Fehler zweimal steht, oben beim Verfassernamen und dann wieder unten am Fuße: Druck von Gustav Schenk, königlicher Hoflieferant!

Aber auch in andern Fällen, nicht bloß wo sich der Verfasser eines Buches nennt, wird der Fehler oft begangen. Man schreibt auch: Erinnerungen an Botho von Hülsen, Generalintendant der königlichen Schauspiele.[S. 217] Auf Briefadressen kann man lesen: Herrn Dr. Müller, Vorsitzender des Vereins usw. Es ist, als ob alle solche Appositionen, die Amt, Titel, Beruf angeben, zusammen mit den Personennamen als eine Art von Versteinerungen betrachtet würden. Daß von den Dativ, an den Akkusativ regiert, dafür scheint hier alles Bewußtsein geschwunden zu sein. Erst kommt die Präposition, dann der Name, und dann, unflektiert und, wie es scheint, auch unflektierbar, der Wortlaut der – Visitenkarte.

Frl. Mimi Schulz, Tochter usw.

Zu der einen Nachäfferei des Französischen bei der Apposition kommt aber jetzt noch eine zweite, nämlich die, den Artikel wegzulassen. In gutem Deutsch ist das nur dann üblich, wenn die Apposition Amt, Beruf oder Titel bezeichnet, und auch da eigentlich nur in Unterschriften, wenn man selber seinen Namen und Titel hinschreibt. Aber abgeschmackt ist es, den Artikel bei Verwandtschaftsbegriffen wegzulassen, und doch kann man das jetzt ebenso oft in Geschichtswerken wie in – Verlobungsanzeigen lesen. Historiker und Literarhistoriker schreiben: die Bekanntschaft mit Körner, Vater des Dichters Theodor Körner – die Briefe sind an die Herzogin Dorothee Susanne, Gemahlin des Herzogs Johann Wilhelm, gerichtet – Gabriele von Bülow, Tochter Wilhelm von Humboldts – sogar: Direktor Adler, Pate meiner Schwester – und der Reserveleutnant und Gymnasialoberlehrer Schmidt zeigt an, daß er sich mit Fräulein Mimi Schulz, Tochter des Herrn Kommerzienrat Schulz, verlobt habe. Diese lapidarische Kürze mag in den Augen des Reserveleutnants der Größe des Augenblicks angemessen erscheinen – deutsch ist sie nicht. Hat der Herr Kommerzienrat nur die eine Tochter, so muß es heißen: der Tochter, hat er mehrere, so muß es heißen: einer Tochter; und warum soll die Welt nicht erfahren, ob er noch mehr hat? Und wenn der Geschichtschreiber nicht wüßte, oder wenn es überhaupt unbekannt wäre, ob die Fürstin, von der er erzählt, eine oder mehrere Töchter gehabt hat, so müßte es immer heißen: eine Tochter, denn eine[S. 218] Tochter war es auf jeden Fall, ob sie nun die einzige war oder Schwestern hatte.

Ebenso falsch ist es natürlich, zu schreiben, der Vorwärts, Organ der sozialdemokratischen Partei. Hat die Partei mehrere „Organe“, so muß es heißen: ein Organ; hat sie nur das eine, ist das ihr anerkanntes amtliches „Organ“, so muß es heißen: das Organ. Organ allein könnte höchstens (in dem zweiten Falle) unter dem Titelkopfe der Zeitung stehen.

Bad-Kissingen und Kaiser Wilhelm-Straße

Daß ein Eigenname nicht mit einer vorangestellten Apposition ein zusammengesetztes Wort bilden kann, darüber ist sich wohl jedermann klar. Kaiser Wilhelm – das sind und bleiben zwei Wörter, so gut wie Doktor Luther, Bruder Straubinger, Inspektor Bräsig, Familie Mendelssohn, Stadt Berlin u. ähnl. Trotzdem ist neuerdings der Unsinn aufgekommen, namentlich bei Badeorten die Apposition Bad durch einen Strich mit dem Ortsnamen zu verbinden, als ob beides zusammen ein Wort bildete. Bad-Sulza, im Gegensatz dazu dann Stadt-Sulza, Bad-Elster, Bad-Kissingen, Bad-Nauheim – so wird selbst amtlich von der Post und der Eisenbahn z. B. in Briefstempeln und auf Eisenbahnbilletts gedruckt. Und besucht man dann einen solchen Badeort, so sieht man, daß dort auch hinter dem Worte Villa der Unsinn in üppigster Blüte steht: Villa-Daheim, Villa-Schröter, Villa-Maria, Villa-Quisisana – anders wird gar nicht mehr an die Häuser gemalt, einer machts immer dem andern nach.[106]

Mit diesem Unsinn kreuzt sich aber nun ein andrer. Teils infolge des übertriebnen juristischen Genauigkeitsbedürfnisses, teils infolge des herrschenden Byzantinismus unsrer Zeit kann man es sich nicht versagen, da, wo nun wirkliche Zusammensetzungen mit Eigennamen gebildet werden, auch noch Vornamen, Titel oder[S. 219] sonstige Appositionen davorzusetzen und zu schreiben: Gustav Freytag-Straße, von (!) Falckenstein-Straße, Kaiserin Augusta-Straße, Königin Carola-Gymnasium, Königin Luisen-Garten, Kaiser Friedrich-Quelle, Generalfeldmarschall Prinz Friedrich Karl von Preußen-Eiche, Familie Mendelssohn-Stiftung, Baronin Moritz von Cohn-Stiftung, Philipp Reis-Denkmal, Waldemar Meyer-Quartett, Gustav Frenssen-Abend, Arthur Nikisch-Stipendium, Auguste Schmidt-Haus, Hugo Wolff-Nachruf usw. Wenn man früher eine Straße nach dem großen Preußenkönig, einen Kanal nach dem großen Bayernkönig nannte, so nannte man sie einfach Friedrichstraße, Ludwigskanal. Eine Stiftung hieß die Wiedebachsche Stiftung, mochte sie nun von einem Manne namens Wiedebach, einer Frau namens Wiedebach oder einer Familie namens Wiedebach herrühren. Auf den Namen kam es an. Ein Name soll doch eben ein Name sein, aber keine Geschichte, kein Steckbrief, keine Hofkalenderadresse, keine Visitenkarte. Die heute beliebten langatmigen Bezeichnungen sind aber alles andre, nur keine Namen. Dazu kommt aber nun, daß alle solche Worthaufen, die doch als zusammengesetzte Wörter gelten sollen, vor den Eigennamen ohne Bindestrich geschrieben werden: Kaiser Wilhelm-Straße. Das kann doch nichts andres bedeuten als einen Kaiser, der Wilhelmstraße heißt! Soll es eine Straße bedeuten, die nach Kaiser Wilhelm genannt ist, so muß sie unbedingt geschrieben werden: Kaiser-Wilhelm-Straße. Und ebenso muß unbedingt geschrieben werden: Gustav-Adolf-Verein, Maria-Stuart-Tragödie, Baronin-Moritz-von-Cohn-Stiftung, Generalfeldmarschall-Prinz-Friedrich-Karl-von-Preußen-Eiche. Wem das nicht gefällt, der bilde keine solchen Wörter. Es geht aber schon so weit, daß man eine Schule Kaiser Wilhelm II. Realschule genannt hat! Wie soll man das nur aussprechen?

In der unsinnigen Schreibung solcher Wortungetüme (ohne alle Bindestriche) offenbart sich wieder der zerrüttende[S. 220] Einfluß des Englischen. Das Englische kennt ja keine Wortzusammensetzungen. Die Wörter kollern da aufs Papier wie die Pferdeäpfel auf die Straße: Original Singer Familien Nähmaschine. Das ist zu schön, das muß doch wieder nachgemacht werden!

Der Dichter-Komponist und der Doktor-Ingenieur

Eine fehlerhafte und abgeschmackte Nachahmung des Französischen und des Englischen liegt auch in Verbindungen wie Prinz-Regent und Dichter-Komponist vor. Nach deutscher Logik (vgl. Chorregent, Liederkomponist) wäre ein Dichterkomponist ein Komponist, der Dichter komponierte, ein Prinzregent ein Regent, der einen Prinzen regierte; das eine soll aber ein Dichter sein, der zugleich komponiert, das andre ein Prinz, der die Regentschaft führt; das erste Wort soll also nicht das Bestimmungswort des zweiten, sondern das zweite eine Art von Apposition zum ersten sein. Das erste Beispiel dieser Art war wohl der Bürgergeneral, wie Goethe wörtlich das französische citoyen-général übersetzt hatte; später kam der Prinz-Gemahl dazu (dem englischen prince-consort nachgebildet). Und nun war kein Halten mehr. Nun folgten auch die Herzogin-Mutter, die Königin-Witwe, der Prinz-Regent, der Fürst-Bischof und der Fürst-Reichskanzler, und in andern Lebenskreisen, dem französischen peintre-graveur, membre-protecteur und commis-voyageur nachgeäfft, der Maler-Radierer, der Maler-Dichter (z. B. Reinick, Stifter, Fitger), der Dichter-Komponist und der Senior-Chef. Kann man sich da wundern, wenn die Dienstmädchen nun auch von einem Prinzen, der in Leipzig studiert, sagen: Dort fährt der Prinz-Student? Manche Zeitungen getrauen sich schon nicht mehr, Fürstenkinder als Söhne und Töchter zu bezeichnen, sondern schreiben stets: die Prinzen-Söhne, die Prinzessinnen-Töchter. In gewissen sächsischen Zeitungen z. B. hat der König von Sachsen immer nur Prinzensöhne. Es fehlt nur noch die Kaiserin-Großmutter und die Königin-Tante. Das neueste der Art ist der Doktor-Ingenieur, der lächerlicherweise[S. 221] noch dazu Dr. ing. geschrieben wird, was man doch höchstens Doctor ingenii lesen kann. Hätte es da nicht näher gelegen und wäre es nicht logischer gewesen, solche Herren als Dr. techn. zu bezeichnen?

In einer Zeit wie der unsrigen

Keine eigentliche Apposition liegt vor, wenn man sagt: in einer Zeit wie der unsrigen, sondern hier hat ein kurzer Nebensatz, und zwar ein Attributsatz (wie die unsrige ist), sein Zeitwort eingebüßt, und das übrigbleibende Subjekt des Satzes ist dann unwillkürlich zu dem vorhergehenden Dativ gezogen, „attrahiert“ worden. Manche wollen von dieser Attraktion nichts wissen; sie ist aber sehr natürlich und liegt so nahe, daß es pedantisch wäre, sie zu vermeiden. Gegen Verbindungen wie: in einem Buche wie dem vorliegenden, oder: es bedarf eines Reaktionsstoffes wie des Natriums – ist nicht das geringste einzuwenden; es klingt sogar gesucht und hart, wenn jemand schreibt: von Perioden wie die jetzige kann man sagen – sie wollte ihren Sohn vor einem ähnlichen Schicksal wie das seines Vaters bewahren – wer die Jugend zu einem Berufe wie der ärztliche vorbereiten will – solche kleinere Sammlungen wurden in Werken wie die Weingartner Handschrift vereinigt.

Gustav Fischer, Buchbinderei

Eine Geschmacklosigkeit, die sich in der Sprache unsrer Geschäftsleute mit großer Schnelligkeit verbreitet hat, besteht darin, zu einem Personennamen eine Sache als Apposition zu setzen, z. B.: Gustav Fischer, BuchbindereiTh. Böhme, Schuhmacherartikel und SchäftefabrikB. Fricke, Kartoffelmehl en grosLeopold Wallfisch, Leder. Früher sagte man vernünftigerweise: Gustav Fischer, Buchbinder, und wer zu verstehen geben wollte, daß er sein Geschäft nicht allein, sondern mit einer Anzahl von Gesellen betreibe (jetzt heißt es vornehmer: Gehilfen, obwohl ein Geselle von damals viel mehr zu bedeuten hatte als so[S. 222] ein moderner „Gehilfe“!), sagte: Gustav Fischers Buchbinderei oder Buchbinderei von Gustav Fischer. Der Unsinn, einen Menschen eine Buchbinderei zu nennen, ist unsrer Zeit vorbehalten geblieben.

Man könnte nun einwenden, in solchen Verbindungen solle der Personenname gar nicht den Mann bedeuten, sondern die Firma, das Geschäft; in dem Zusatz solle also gar keine Apposition liegen, sondern mehr eine „Juxtaposition“. In den altmodischen Firmen sei nur der eine Satz ausgedrückt gewesen: (hier wohnt) Gustav Fischer; in den neumodischen Firmen seien zwei Sätze ausgedrückt: (hier wohnt) Karl Bellach, (der hat eine) photographische Anstalt, oder: (hier hat sein Geschäft) Siegfried Goldmann, (der verkauft) Wolle. Wie steht es denn aber dann, wenn man in einem Ausstellerverzeichnis lesen muß: Herr F. A. Barthel, Abteilung für Metallklammern, oder in einer Verlobungsanzeige: Herr Max Schnetger, Rosenzüchterei, mit Fräulein Luise Langbein, oder in einem Fremdenbuche: Rudolf Dahme, Kognakbrennerei, mit Gattin und Tochter, oder in einer Zeitung: Herr Gustav Böhme jun., Bureau für Orientreisen, telegraphiert uns? Ist da auch noch die Firma gemeint?

Zum Teil ist dieser Unsinn eine Folge der Prahlsucht[107] unsrer Geschäftsleute; es will niemand mehr Gärtner oder Brauer, Tischler oder Buchbinder sein, sondern nur noch Gärtnereibesitzer, Brauereibesitzer, Tischlereibesitzer, Buchbindereibesitzer – immer großartig! Da darf natürlich die Buchbinderei auch in der Firma nicht fehlen. Zum andern Teil ist er aber doch auch eine Folge der Verwilderung unsers Sprachgefühls. W. Spindlers Waschanstalt und Gotthelf Kühnes Weinkellereien – das wäre Sprache; W. Spindler Färberei und Waschanstalt und Gotthelf Kühne Weinkellereien – das ist Gestammel. Man will aber gar nicht mehr sprechen, man will eben stammeln.

[S. 223]

Die persönlichen Fürwörter. Der erstere und der letztere

Recht vorsichtig sollte man immer in dem Gebrauche der persönlichen Fürwörter sein. Wer schreibt, der weiß ja, wen er mit einem er oder ihn meint; der Leser aber versteht oft falsch, weil mehrere Hauptwörter vorhergegangen sind, auf die sich das Fürwort zurückbeziehen kann, sucht dann nach dem richtigen Wort und wird so in ärgerlicher Weise aufgehalten. Wo daher ein Mißverständnis möglich ist, ist es immer besser, statt des Fürworts wieder das Hauptwort zu setzen, besonders dann, wenn im vorhergehenden zwei Hauptwörter einander gegenübergestellt worden sind. Leider macht sich auch hier wieder der törichte Aberglaube breit, daß es unschön sei, kurz hintereinander mehreremal dasselbe Wort zu gebrauchen.

Man nehme folgende Sätze: Schon in Goethe, ja schon in dem musikliebenden Luther findet sich das unbestimmte Vorgefühl einer solchen Entwicklung; Goethe hatte bekanntlich bis zu seinem vierzigsten Jahre die ernstliche Absicht, sich der bildenden Kunst zu widmen, und die Haupttat Luthers, die Bibelübersetzung, ist eine wesentlich künstlerische Tat.

Das sind gewiß ein paar gute, tadellose Sätze, so klar, übersichtlich und wohlklingend, wie man sie nur wünschen kann. Da kommt nun der Papiermensch drüber und sagt: Entsetzlich! Da steht ja zweimal hintereinander Goethe und zweimal hintereinander Luther! Jedes zweite mal ist vom Übel, also weg damit! Es muß heißen: der eine und der andre, oder jener und dieser, oder – und das ist nun das schönste von allem –: ersterer und letzterer. Also: schon in Goethe, ja schon in dem musikliebenden Luther findet sich das unbestimmte Vorgefühl einer solchen Entwicklung: ersterer hatte bekanntlich bis zu seinem vierzigsten Jahre die ernstliche Absicht, sich der bildenden Kunst zu widmen; und die Haupttat des letztern, die Bibelübersetzung, war eine wesentlich künstlerische Tat.

Über die häßliche Komparativbildung ersterer und letzterer ist schon bei den Relativsätzen gesprochen[S. 224] worden (vgl. S. 123). Wie häßlich ist aber erst – dort wie hier – die Anwendung! Das angeführte Beispiel ist ja verhältnismäßig einfach, und da es vorher mit Wiederholung der Namen gebildet worden ist, so sieht man leicht, worauf sich ersterer und letzterer beziehen soll. Aber welche Qualen kann dem Leser in tausend andern Fällen ein solches ersterer und letzterer, dieser und jener bereiten! Man hat ja, wenn man arglos vor sich hinliest, keine Ahnung davon, daß sich der Schreibende gewisse Wörter gleichsam heimlich numeriert, um hinterher plötzlich von dem Leser zu verlangen, daß der sie sich auch numeriert und – mit der Nummer gemerkt habe. Auf einmal kommt nun so ein verteufeltes ersterer. Ja wer war denn der erstere? Hastig fliegt das Auge zurück und irrt in den letzten zwei, drei Zeilen umher, um darnach zu suchen. Ersterer – halt, da steht er: Luther! Also: Luther hatte bekanntlich bis zu seinem vierzigsten Jahre die ernstliche Absicht, sich der bildenden Kunst zu widmen. Unsinn! der andre muß es gewesen sein, also noch einmal suchen! Richtig, hier steht er: Goethe! Also: Goethe hatte bekanntlich die ernstliche Absicht – Gott sei Dank, jetzt sind wir wieder im Fahrwasser. Zum Glück verläuft ja in Wirklichkeit dieses Hinundhergeworfenwerden etwas schneller; aber angenehm ist es nicht, und doch, wie oft muß mans über sich ergehen lassen!

Noch ein paar weitere Beispiele: Diskretion ist eine Tugend der Gesellschaft: diese kann nicht ohne jene bestehen – unerfahrne Kinder und geübte Diplomaten haben das oft blitzartige Durchschauen von Menschen und Charakteren miteinander gemein, aber freilich aus verschiednen Gründen: jene besitzen noch den Blick für das Ganze, diese schon den für die Einzelheiten des menschlichen Seelenlebens – wie Raffael in der Form, ist Rembrandt in der Farbe nichts weniger als naturwahr; dieser hat seinen selbständigen und in gewissem Sinne unnatürlichen Stil gerade so gut wie jener; und insofern Rembrandt in seinen Bildern sogar eine noch intensivere persönliche Handschrift zeigt als Raffael, hat der erstere noch mehr Stil als der letztere – der[S. 225] Gelehrte ist seinem Wesen nach international, der Künstler national; darauf gründet sich die Überlegenheit des letztern über den erstern – dieser Umschwung ist wieder durch den Egoismus bewirkt worden, nur daß es diesmal nicht der des Gebers, sondern der des Nehmers war; jener hat in diesem seinen Meister gefunden; letzterer das Werk würdig fortgesetzt. Alle solche Sätze sind eine Qual für den Leser. Wer ist dieser, wer ist jener, wer ist letzterer? In dem letzten Beispiele sollen dieser und jener der Geber und der Nehmer sein, aber in welcher Reihenfolge? Dieser soll sich auf den näherstehenden, jener auf den fernerstehenden beziehen, letzterer bezieht man unwillkürlich zunächst auf Meister, es ist aber wieder der Nehmer gemeint. Ist es denn da nicht gescheiter, zu schreiben: dieser Umschwung ist wieder durch den Egoismus bewirkt worden, nur daß es diesmal nicht der des Gebers, sondern der des Nehmers war; der Geber hat im Nehmer seinen Meister gefunden, der Nehmer hat das Werk würdig fortgesetzt? Das ist sofort verständlich, und alles ängstliche Umkehren und Suchen fällt weg.

Ein ganz besondrer Mißbrauch wird noch mit letzterer allein getrieben. Viele sind so verliebt in dieses schöne Wort, daß sie es ganz gedankenlos (für dieser!) auch da gebrauchen, wo gar keine Gegenüberstellung von zwei Dingen vorhergegangen ist; sie weisen damit einfach auf das zuletzt genannte Hauptwort zurück; z. B.: das Preisgericht hat seinen Spruch getan, letzterer greift jedoch der Entscheidung nicht vor – das Pepton wird aus bestem Fleisch dargestellt, sodaß letzteres bereits in löslicher Form dem Magen zugeführt wird – Krüge, Teller und Schüsseln bilden das Material, dem die dichterischen Ergüsse anvertraut werden; sind letztere aber elegischer Natur, so finden wir sie auf Grabsteinen und Votivtafeln – in der offiziösen Sprache schreibt man erst dann von gestörten Beziehungen, wenn der Krieg vor der Tür steht, und daß letzteres nicht der Fall sei, glauben wir gern – je weiter entwickelt die Kultur eines Volkes ist, desto empfindlicher ist letzteres gegen gewaltsame Eingriffe – die Stellungnahme (!) des[S. 226] Pietismus zu den Kantoreien mußte auf letztere lähmend wirken – die Genossen, die ohne Kündigung die Arbeit eingestellt hatten und letztere nicht sofort wieder aufnahmen – F. schlug den Wachtmeister über den Kopf, als letzterer (der Kopf?) seine Zelle betrat – diese Aufsätze sind verhaltne lyrische Gedichte, von letztern (solchen!) nur durch die Form verschieden usw. Wenn solche Gedankenlosigkeit weitere Fortschritte macht, so kommen wir noch dahin, daß es in lateinisch-deutschen Wörterbüchern heißen muß: hic, haec, hoc: letzterer, letztere, letzteres (ebenso wie qui, quae, quod: welch letzterer, welch letztere, welch letzteres).

Derselbe, dieselbe, dasselbe

Zu den entsetzlichsten Erscheinungen unsrer Schriftsprache gehört der alles Maß übersteigende Mißbrauch, der mit dem Fürwort derselbe, dieselbe, dasselbe getrieben wird. An der Unnatur und Steifbeinigkeit unsers ganzen schriftlichen Ausdrucks trägt dieses Wort die Hälfte aller Schuld. Könnte man unsrer Schriftsprache diesen Bleiklumpen abnehmen, schon dadurch allein würde sie Flügel zu bekommen scheinen. Der Mißbrauch dieses Fürworts gehört zu den Hauptkennzeichen jener Sprache, von der nun schon so viele Beispiele in diesem Buche angeführt worden sind, und die man so treffend als papiernen Stil bezeichnet hat.[108]

Unter hundert Fällen, wo heute derselbe geschrieben wird, sind keine fünf, wo das Wort in seiner wirklichen Bedeutung (idem, le même, the same) stünde. In der lebendigen Sprache wird es zwar in seiner wirklichen Bedeutung täglich tausendmal gebraucht, auf dem Papier aber fast gar nicht mehr; da wird es immer ersetzt durch ebenderselbe oder einundderselbe oder der nämliche oder der gleiche (von dem gleichen Verfasser erschien in der gleichen Verlagsbuchhandlung usw.). Daß zur Gleichheit mindestens zwei gehören, daran denkt man gar nicht. Zwar so wunderbaren Sätzen wie: Wagner hat dieselben Quellen benutzt wie Goethe,[S. 227] aber in engerm Anschluß an dieselben (wo erst eosdem, dann eos gemeint ist) – fast gleichzeitig wurde der Roman Werthers Leiden fertig; über denselben schreibt Goethe in demselben Briefe usw., begegnet man selten. Aber in fünfundneunzig unter hundert Fällen ist derselbe, dieselbe, dasselbe nichts weiter als er, sie, es oder dieser, diese, dieses. Und das ist das ärgerlichste an dem dummen Mißbrauch, daß dabei auch noch der Unterschied zwischen er und dieser verwischt wird.

Für das persönliche Fürwort er steht derselbe z. B. in folgenden Sätzen (man kann in wenig Minuten in jedem Buch und jeder Zeitung die Beispiele schockweise sammeln): wir brauchten das nur dann zu wissen, wenn die Welt erst noch geschaffen werden sollte; dieselbe ist aber bereits fertig – der Hauptsitz der Rosenkultur ist der Südfuß des Hämus, doch zieht sich dieselbe auch in das Mittelgebirge hinein – durch Höhe der Gebäude suchte man zu ersetzen, was denselben an Breite und Tiefe abging – was Erich Schmidt gegen die Glaubwürdigkeit Bretschneiders in Feld führt, reicht nicht aus, dieselbe zu erschüttern – der Fall muß allgemeines Aufsehen erregt haben, da derselbe eine Bürgerstochter aus guter Familie betraf – neuerdings hat man versucht, den Reim durch die Alliteration zu verdrängen; Jordan hat dieselbe eingeführt, und R. Wagner hat dieselbe in freier Weise verwandt – ich hatte mir gleich anfangs ein Brunnenglas gekauft, aber dasselbe blieb jungfräulich – die Gemeinde war allerdings Besitzer des Bodens, derselbe wurde aber nicht gemeinschaftlich bearbeitet – das Manuskript lag halbvergessen in einem Schubfache, bis mir die Anregung wurde, dasselbe einer Zeitung zu überlassen – Versuche, den Verein zu verfolgen, werden demselben nur neues Wachstum verleihen – der Inhaber hat die Karte stets bei sich zu führen und darf dieselbe an andre Personen nicht weitergeben – der Nebensatz steht gewöhnlich hinter dem Hauptsatz, derselbe kann jedoch auch dem Hauptsatz vorangehen, und endlich kann derselbe auch in den Hauptsatz eingeschaltet sein usw. Kein vernünftiger Mensch spricht so; jeder braucht, um ein[S. 228] eben dagewesenes Hauptwort zu ersetzen, in der lebendigen Sprache das persönliche Fürwort.

In folgenden Sätzen wäre dieser (oder das demonstrative der) das richtige: der Wildbach trat aus und wälzte große Schuttmassen in die Limmat; dadurch wurde dieselbe in ihrem Laufe gehemmt – in Königsberg ließ Lenz seine Ode auf Kant drucken, als derselbe die Professorwürde erlangte – in jeder Küche stand früher ein viereckiges Kästchen aus Blech; dasselbe enthielt vier Gegenstände, unter anderm eine Masse, die man Zunder hieß; dieselbe war hergestellt aus usw. – es finden sich in der Schrift bisweilen originelle Kombinationen; dieselben sind aber doch völlig wertlos – freilich gehört Anlagekapital dazu, dasselbe verzinst sich aber gut – für die lokale Feier sind entsprechende Festlichkeiten in Aussicht genommen; denselben werden geistliche Festlichkeiten vorausgehen – das Ergebnis der Revolution wäre sicher nicht der sozialdemokratische Staat; derselbe (dieser!) verlangt eine solche Umwälzung aller Anschauungen, daß sich dieselbe (sie sich!) nicht von heute auf morgen vollziehen kann.

Ein Zeitungschreiber kann heutzutage nicht eine Mitteilung von zwei Zeilen machen ohne dieses unsinnige derselbe; erst wenn das darinsteht, hat die Sache die nötige Wichtigkeit. Der Adjutant des Sultans ist hier eingetroffen; derselbe überbrachte dem Großfürsten vier Pferde. Daß man nur ja nicht etwa denke, es habe sie ein andrer überbracht! nein nein, es war derselbe! Ach, und wenn nun erst noch die schöne Inversion dazukommt (der Verdacht lenkte sich sofort auf den wegen Nachlässigkeit bekannten Hausmann, und wurde derselbe in einem Bodenraum erhängt aufgefunden), und wenn gar die Inversion nur zu dem Zweck angewandt wird, auch das herrliche derselbe anbringen zu können (die Zigarren erheben sich weit über das gewöhnliche Niveau, und gehören dieselben zu den besten usw.), oder wenn sich zu derselbe noch ein daselbst, dortselbst, hierselbst oder woselbst gesellt (denn da, dort, hier und wo kennt der Zeitungschreiber auch[S. 229] nicht, das ist ihm viel zu simpel), dann schwillt die stolze Reporterbrust, er weiß, daß er seinen „bedeutsamen“ Mitteilungen die würdigste Form verliehen hat. Zur Resolution sprach bei Beginn der Sitzung der Abgeordnete T.; derselbe erklärte sich gegen dieselbe – der Ulan M. erhielt drei Tage Mittelarrest, weil derselbe beim Appell sein Pferd schlecht vorführte, sodaß dasselbe einen Kameraden auf den Fuß trat und denselben verletzte – gestern abend ist der Herr Justizminister hierselbst eingetroffen und im Hotel S. abgestiegen. Derselbe begab sich heute morgen nach dem Amtsgerichtsgebäude, nahm dasselbe eingehend in Augenschein und wohnte verschiedenen Verhandlungen daselbst bei – heute wurde hier eine Windhose beobachtet; dieselbe erfaßte einen Teil des auf der Wiese liegenden Heues und drehte dasselbe turmhoch in die Luft, woselbst es dann weiter geführt wurde – die Färbung der Kreuzotter ist nicht bestimmt anzugeben, da dieselbe bei einunddemselben (!) Individuum (!) wechselt und nach der Häutung meist heller erscheint als vor derselben. Das sind Muster von Zeitungssätzen. Aber auch in wissenschaftlichen Werken und in Erzählungen, in Bekanntmachungen von Behörden und in Geschäftsanzeigen – überall verfolgt einen das entsetzliche Wort. Selbst in den kleinen Scherzgesprächen unter den Bildern der Fliegenden Blätter und in dem Dialog der neuesten Lustspiele ist man nicht mehr sicher davor. Man schnellt im Theater von seinem Sitz in die Höhe, wenn auf der Bühne so ein dummes derselbe (für er) gesprochen wird; aber weder der Schauspieler noch der Regisseur hat es bemerkt und beseitigt! Wie kommt es nur, liebe B. – heißt es auf einem Reklamebildchen –, daß deine Kinderchen stets so blühend und gesund sind, während die meinigen immer bleich und kränklich aussehen? – Wir genießen alle als tägliches Getränk Kakao von Hartwig und Vogel; derselbe ist von anerkannt vorzüglicher Qualität, ergiebig und daher billig. Nein, so spricht die liebe B. nicht. Ein bekanntes Geschichtchen erzählt, daß der Lehrer in der Stunde gefragt habe: wieviel Elemente gibt es, und wie heißen[S. 230] sie? und der Schüler geantwortet habe: es gibt vier Elemente, und ich heiße Müller. Das war die Folge davon, daß sich der Lehrer so gewöhnlich ausgedrückt hatte! Warum hatte er nicht vornehm gefragt, wie unsre statistischen Formulare: und wie heißen dieselben!

Ein Hochgenuß für den Leser ist es, wenn, wie es tausendfach geschieht, beide in einem Satz unmittelbar nebeneinander stehen, die herrlichen Papierpronomina: derselbe (statt er) und welcher (statt der)! Zum Verständnis des Parzival ist es nötig, die beiden Sagenkreise, welche demselben (die ihm!) zugrunde liegen, kennen zu lernen – in Hyrtls Hause befindet sich der fragliche Schädel (Mozarts), und der Besitzer, welcher denselben (der ihn!) der Stadt Salzburg vermacht hat, zweifelt nicht an der Echtheit desselben – Reiskes Briefe kamen in die Universitätsbibliothek zu Leiden; es sind aufrichtige Verehrer gewesen, welche dieselben (die sie!) jener Bibliothek schenkten, und sie werden in derselben als ein Schatz geachtet – das erwähnte Statut und die Bulle, welche dasselbe (die es!) sanktioniert hatte – bezeichnend für den Geschmack der Direktion und die Zumutungen, welche dieselbe (die sie!) an das Publikum zu stellen wagt – was für Forderungen an die Gebildeten gestellt werden, wird je nach dem Zeitalter, welchem dieselben (dem sie!) angehören, verschieden sein – die farbige Aufnahme des Fensters verdanken wir Herrn E., welcher dasselbe (der es!) restauriert hat – wer spricht so? Kein Mensch. Aber sowie der Deutsche die Feder in die Tinte taucht, fährt ihm der Registrator oder der Kanzlist in die Glieder. Im fünfzehnten und sechzehnten Jahrhundert sind Tausende der wichtigsten Urkunden angefangen worden: Wir tun kund mit diesem Brief allen denen, die ihn sehen oder hören lesen. Heute in einem Ehrenbürgerbriefe zu schreiben: Wir ernennen Herrn X. wegen der großen Verdienste, die er sich um unsre Stadt erworben hat usw. – das wäre ja im höchsten Grade würdelos, so spricht man wohl, aber so schreibt man doch nicht! Wir ernennen Herrn in Anbetracht der großen Verdienste, welche derselbe um unsre Stadt sich erworben[S. 231] hat usw. – so klingt es großartig, feierlich, erhaben! Kaiser Friedrich soll als Kronprinz 1859 zu einer Deputation gesagt haben: Wenn Gott meinen Sohn am Leben erhält, so wird es unsre schönste Aufgabe sein, denselben in den Gesinnungen und Gefühlen zu erziehen, welche mich an das Vaterland ketten. Man kann darauf schwören, daß er nicht so gesagt hat, sondern: ihn in den Gesinnungen und Gefühlen zu erziehen, die mich an das Vaterland ketten. Aber der Zeitungschreiber hat das natürlich erst aus dem Menschlichen ins Papierne übersetzen müssen. In der Poesie ist derselbe noch viel unmöglicher als welcher. Nur in dem alten Studentenliede Ça ça geschmauset! heißt es:

Knaster den gelben
Hat uns Apolda präpariert
Und uns denselben
Rekommandiert.

Darin, daraus, daran, darauf usw.

Es sind ja aber nicht bloß die Fürwörter er und dieser (oder der), die durch den unsinnigen Mißbrauch verdrängt und vermengt werden; er – wollte sagen „derselbe“ frißt noch weiter, viel weiter. In der lebendigen Sprache haben wir die leichten, zierlichen Adverbia: darin, daraus, daran, darauf, dabei, davor, dahinter, damit, darum, dafür, dazwischen usw.; jeder braucht sie hundertmal des Tags. Aber sowie einer die Feder ergreift – wehe den armen! Dann heißt es: in demselben, aus demselben, an demselben, auf demselben, mit demselben, bei demselben, zwischen denselben usw. – auch in dieser Gestalt storcht das langbeinige Ungetüm überall durch unsre Schriftsprache. Das Denkmal will alles Prunkvolle vermeiden, nur das allgemein Menschliche soll in demselben (darin!) betont werden – die Geistlichen hatten ihren eignen Predigtstuhl, und in demselben (darin!) jeder seinen bestimmten Platz – so sehr ich in diesem Punkte mit dem Verfasser einverstanden bin, so entschieden muß ich die Forderungen bekämpfen, die er aus demselben (daraus!) ableitet – sie betrachteten[S. 232] sich als die alleinigen Eigentümer des Landes und gestanden andern keinen Anteil an demselben (daran!) zu – obgleich durch den Regen der Abmarsch des Festzuges verspätet und die Beteiligung an demselben (daran!) beeinträchtigt wurde – die Entstellungen sind wirkungslos, ein unbefangner Beurteiler wird sich an dieselben (daran!) nicht kehren – im Jahre 1560 wurde der Turm erhöht und eine Wohnung auf demselben (darauf!) erbaut – die Wiesen waren wieder getrocknet, und bald entwickelte sich auf denselben (darauf!) ein üppiger Graswuchs – 1890 reichte die Zahl an den Durchschnitt hinan, 1900 blieb sie hinter demselben (dahinter!) zurück – der Boden war überall von so wunderbarer Beschaffenheit, daß sich kaum die fruchtbarsten Gegenden Deutschlands mit demselben (damit!) vergleichen ließen – der Holzbau ist ein viel zu überwundner Standpunkt, als daß es der Mühe lohnte, sich in der Praxis mit demselben (damit!) zu befassen – die Erziehung des Knaben ruhte ausschließlich in den Händen der Mutter, da sich der Vater, der sich viel auf Reisen befand, nicht um dieselbe (darum!) kümmern konnte – hier bedarf es des Glaubens an die gute Sache und der Begeisterung für dieselbe (dafür!) – keinem kann dieses Studium erlassen werden, wohl aber bereitet sich für dasselbe (dafür!) ein neuer Maßstab vor – dieser Gedanke wurde am Mainzer Hofe lebhaft erwogen, der Kurfürst war ganz von demselben (davon!) erfüllt – die Fürstin wünschte lebhaft, das Bild zu besitzen, aber Angelika konnte sich von demselben (davon!) nicht trennen – in der Mitte des Schrankes hängt ein mächtiges, reich verziertes Schwert, neben demselben (daneben!) rechts und links zwei kleinere Schwerter – in diesem Graben fließt eine bedeutende Wassermenge, deshalb ist auch ein Steg über denselben (darüber!) gelegt – die Presse ist noch nicht einig, ob sie den Vorfall bedauern oder sich über denselben (darüber!) freuen soll – das Partizip steht hier absolut, ein Komma hinter demselben (dahinter!) würde nur irreführen usw. Anders wird gar nicht geschrieben.

[S. 233]

Nach einem weit verbreiteten Aberglauben sollen sich die Adverbia darin, darauf, dafür usw. immer nur auf eine Handlung, ein Zeitwort, einen ganzen Satz, aber nie auf ein Hauptwort beziehen können. Es sei also zwar richtig, zu antworten: ich kann mich nicht darauf besinnen – wenn gefragt worden sei: besinnst du dich, was du mir damals versprochen hast? aber nicht, wenn die Frage gelautet habe: besinnst du dich auf den Ausdruck, den du damals gebraucht hast? Die angeführten Beispiele zeigen, wie lächerlich dieser Aberglaube ist. Die lebendige Sprache setzt die Adverbia überall statt der Präposition in Verbindung mit einem persönlichen Fürwort. Nur auf Personen können sie sich nicht beziehen, da muß das persönliche Fürwort stehen. Es gibt zwar Fälle, wo das Adverb auch bei Sachen etwas ungewöhnlich klingt, z. B.: wer die hiesigen Universitätsverhältnisse und mein Verhalten dazu nicht kennt; aber das liegt nur daran, daß uns das dumme derselbe so oft vor die Augen gebracht wird, daß uns schließlich das Einfache und Natürliche befremdet. Und was hindert denn, auch hier das persönliche Fürwort zu gebrauchen? Warum sagt man nicht: die hiesigen Universitätsverhältnisse und mein Verhalten zu ihnen? Bei ohne scheint sowieso nichts andres übrig zu bleiben, denn ein Adverb darohne gibt es nicht, obwohl man es zu bilden versucht hat. Auch bei dem Neutrum es entsteht eine Schwierigkeit. Sie wollte sich durch das Geld Vorteile verschaffen, auf die sie ohne dasselbe nicht rechnen konnte – hier ist doch wohl dasselbe ganz unentbehrlich? Soll man schreiben: ohne es? Jakob Grimm hätte es getan, er schrieb so, er wollte, daß es nicht anders behandelt würde als ihn und sie, und einige sind ihm darin gefolgt. Es klingt aber doch seltsam, denn es ist gewöhnlich tonlos, und hier müßte es betont werden. Gibt es denn aber wirklich keinen Ersatz für das fehlende darohne? Gewiß gibt es einen, und er heißt – sonst! Sie wollte sich durch das Geld Vorteile verschaffen, auf die sie sonst nicht rechnen konnte. Das ist gutes Deutsch.

[S. 234]

Bisweilen erscheinen in einem Satze zwei gleichklingende persönliche Fürwörter unmittelbar hintereinander, z. B. sie als Femininum und als Plural: Handlungen dieser Art suchte die Gewerbeordnung zu unterdrücken, indem sie sie verbot. Etwas schrecklicheres ist ja nun für die Augen des Papiermenschen nicht denkbar. Da muß es doch unbedingt heißen: indem sie dieselben verbot? Nein, auch da nicht, denn man spricht nicht so, man spricht frischweg sie sie, und was gesprochen und gehört nicht mißfällt, ja nicht einmal auffällt, kann doch auch geschrieben oder gedruckt keinen Anstoß erregen! Wenn sich in einer Schulklasse die Mädchen gezankt haben, zwei einer dritten ein Buch weggenommen haben, der Lehrer Frieden stiftet und dann fragt: habt ihr ihr ihr Buch wiedergegeben? so ist das doch noch viel „schlimmer“. Aber wird der Lehrer deshalb fragen: habt ihr derselben ihr Buch wiedergegeben?

Der abhängige Genitiv endlich (desselben und derselben) kann überall durch sein und ihr ersetzt werden, denn daß diese Fürwörter nur im reflexiven Sinne gebraucht werden könnten, ist doch auch nur Aberglaube.[109] Als die Kaiserin das Schloß besichtigt und die Schönheit desselben bewundert hatte – warum nicht: seine Schönheit? Die Sammlung ist so zeitgemäß, daß zur Rechtfertigung derselben kein Wort zu verlieren ist – warum nicht: zu ihrer Rechtfertigung? Freilich würden einige Geschäfte dann eingehen, da die ganze Bedeutung derselben darin beruht usw. – warum nicht: ihre ganze Bedeutung? Auch wer sich tief in die Eigentümlichkeiten der spanischen Dichtung versenkt hat und von der lebhaften Bewunderung für die Vorzüge derselben durchdrungen ist – warum nicht: für ihre Vorzüge? Wo eine Verwechslung, ein Mißverständnis entstehen könnte, da schreibe man dessen und deren, z. B.: es muß dem Biographen nachgerühmt werden, daß er bei aller Liebe zu seinem Helden doch nicht blind für dessen Schwächen ist. Aber nur nicht[S. 235] desselben! In den allermeisten Fällen aber – man achte nur darauf und versuche es! – kann man den Genitiv einfach streichen, ohne daß der Gedanke im geringsten an Deutlichkeit verlöre. Nicht auf den Stoff kommt es an, sondern auf die Behandlung desselben – über die Aufgaben waren alle einig, nur schlugen sie zur Lösung derselben verschiedne Wege ein – die Erklärung des Parteitags fand so viel Beifall, daß sich die Führer desselben ermutigt sahen – Gregor klagte, daß sie die Kirche zerstört und das Material derselben zum Bau ihrer Häuser verwendet hätten – zu den Unregelmäßigkeiten in der äußern Anlage unsrer Dörfer kommt noch die Unregelmäßigkeit im innern Aufbau derselben – die steilere Partie des Berges gehört dem weißen, die mäßig geneigten Ausläufer desselben dem braunen Jura an – ich habe die Fachausdrücke des Deutschen und des Französischen miteinander verglichen und habe gefunden, daß die Mehrzahl derselben übereinstimmt – nachdem die Gäste das Gasthaus verlassen hatten und die Wirtin desselben die Tür verschlossen hatte – man streiche überall desselben und derselben: ist irgendwo ein Mißverständnis möglich? Der Kaiser unternahm heute einen längern Spazierritt und erledigte nach der Rückkehr von demselben Regierungsgeschäfte. Ja, wovon soll er denn sonst zurückgekehrt sein als von – demselben?

Derjenige, diejenige, dasjenige

Noch in anderm Sinne als derselbe ist das schöne Kanzleiwort derjenige ein Papierpronomen: es ist eigens für die Papiersprache erfunden worden. Derjenige ist im sechzehnten Jahrhundert aus einem vorhergegangnen der jene entstanden, wie derselbige, das zum Glück wieder verschwunden ist, aus der selbe. Es hat keinen andern Zweck und keine andre Aufgabe, als das betonte, lange der der lebendigen Sprache, das determinative Fürwort, das vor Relativsätzen und vor abhängigen Genitiven steht, auf dem Papier zu ersetzen. Den Ton und die Länge kann man ja weder schreiben noch drucken, wenigstens ist es nicht üblich, dēr oder dér[S. 236] zu schreiben[110]; also hilft man sich, so gut man kann. Der eine läßt das der sperren (wie auch ein, wenn es so viel heißen soll wie ein einziger), ein andrer greift zu jener, wie es in Österreich beliebt ist, in der Regel aber schreibt und druckt man derjenige. Wenn man spricht, sagt man zwar: als er endlich den Weg einschlug, der zum Ziele führen mußte; aber drucken läßt man: als er endlich denjenigen Weg einschlug, welcher zum Ziele führen mußte.

Wenn aber nun derjenige allein steht, ohne Hauptwort hinter sich, z. B.: selbst diejenigen, welche die Schaffung eines allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches nicht ganz ablehnten – kein Scharfsinn hätte eine bessere Lösung finden können als diejenige, welche die Verhältnisse zuletzt aufzwangen – die größten Menschen sind diejenigen, welche die Kultur einer eben dahinsinkenden Epoche noch einmal zusammenfassend verkörpern – da ist es doch wohl ganz unentbehrlich? Nun, in der lebendigen Sprache sagt man getrost: selbst die, die die Schaffung eines Gesetzbuches nicht ganz ablehnten – eine bessere Lösung als die, die die Verhältnisse zuletzt aufzwangen. Aber das ist ja wieder das Schreckgespenst des Papiermenschen: nicht zwei-, nein dreimal hintereinander dasselbe Wort! – Wirklich? dasselbe Wort? Dreimal hintereinander dieselben drei Buchstaben: d–i–e; aber wer seine Ohren aufmacht, der hört doch drei verschiedne Wörter: dieh, die di – drei Wörter von ganz verschiedner Länge, und hinter dem ersten eine Pause. Das ist ja wie Musik, es hüpft und springt ja förmlich. Nun höre man dagegen dieses Schleppen und Schleichen und Schlurfen: diejenigen, welche die![111]

[S. 237]

Nun vollends, daß in der lebendigen Sprache in tausend und aber tausend Fällen statt derjenige, welcher einfach wer gesagt wird – also drei Laute statt sechs Silben! –, das ist dem Papiermenschen völlig unbekannt. Er schreibt: diejenigen, welche die Absicht haben, Adjuvanten zu werden, lassen sich als Anwärter einschreiben. Ja er wäre imstande, das Sprichwort: wer Pech angreift, besudelt sich – oder den Kinderspruch: wer meine Gans gestohlen hat, der ist ein Dieb – oder den Goethischen Vers: nur wer die Sehnsucht kennt, weiß, was ich leide – zu verwandeln in: derjenige, welcher Pech angreift – derjenige, welcher meine Gans gestohlen hat – nur derjenige, welcher die Sehnsucht kennt usw.

Leider liegt hier einmal der Fall vor, daß eine Erscheinung der Papiersprache sogar in die lebendige Sprache eingedrungen ist, was gewiß selten geschieht. Aktenmenschen und Gewohnheitsredner bringen es fertig, in Sitzungen und Verhandlungen in einer Stunde dreißigmal derjenige, welcher zu sagen. Selbst in der Unterhaltung der „Gebildeten“ kann man es hören; sie haben es eben gar zu oft in ihrer Zeitung gelesen. Aber die lebendige Sprache des Volks kennt es nicht; wenn es der Mann aus dem Volke in den Mund nimmt, so tut er es höchstens, um sich darüber lustig zu machen, er spricht es gleichsam mit Gänsefüßchen. Also du bist derjenige, welcher? fragt er höhnisch – na warte, Bursche! Oder er sagt: fällt mir gar nicht ein; wenn ein Unglück passiert, dann bin ich derjenige, welcher (nämlich: blechen muß), und zitiert damit gleichsam das Gesetzbuch oder die Polizeiverordnung, worin er die beiden Papierwörter auf jeder Seite gelesen hat.

Jener, jene, jenes

Der Österreicher gebraucht statt derjenige vor Relativsätzen, namentlich aber vor einem abhängigen Genitiv jener; er schreibt: diese Vorlesungen haben nur einen bedingten Wert für jenen, der selber Einsicht genug hat, Dichterwerke ohne Beihilfe zu verstehen. Das halten manche deutsche Schriftsteller jetzt offenbar für[S. 238] eine besondre Schönheit und machen es nach. In gutem Schriftdeutsch wird aber jener nur in die Ferne weisend gebraucht, mit einem bald stärkern, bald schwächern rhetorischen Beigeschmack: wenn ich an jene schöne Zeit zurückdenke usw.

Ganz unausstehlich für norddeutsche Ohren ist das österreichische jener vor einem abhängigen Genitiv, z. B.: der Orden der Dominikaner und jener der Franziskaner – wir hoffen, daß sich die Ausstellung ebenso erfolgreich erweisen werde wie jene von 1897 – obgleich die Gesamtzahl ihrer Kräfte jener des Feindes bedeutend nachstand – ein Ecce homo trägt das Monogramm Ludwig Krugs, eine Madonna jenes des Marcantonio Raimondi – so auffallend erschien dem Tacitus die Art des deutschen Anbaues gegenüber jener der romanischen Völker – größere Gebäude wie Kirchen und Seminare dürfen für die Gesellschaft Jesu nur mit Erlaubnis des Generals, kleinere mit jener des Provinzials errichtet werden – unter den Dienstkrankheiten der Bahnbeamten nehmen jene der Verdauungsorgane den breitesten Raum ein – man sucht die Farbe der Umhüllung meist jener der Blumen anzupassen usw. In allen diesen Fällen würde die deutsche Amts- und Zeitungssprache derjenige gebrauchen. Die gute Schriftsprache aber kennt vor solchen Genitiven nur das determinative Fürwort der, die, das: die Leistungen der Fabriken stehen gegen die des Handwerks zurück.

Zur Kasuslehre. Ich versichere dir oder dich?

Verhältnismäßig wenig Verstöße werden gegen die Regeln der Kasuslehre begangen; im allgemeinen herrscht eine erfreuliche Sicherheit darüber, welchen Kasus ein Zeitwort oder ein Eigenschaftswort zu sich zu nehmen hat. Bei einer kleinen Anzahl von Zeitwörtern schwankt aber doch der Sprachgebrauch: der eine verbindet sie mit dem Dativ, der andre mit dem Akkusativ. Es sind das namentlich die Zeitwörter heißen, lassen, lehren, angehen, dünken, kosten und nachahmen.

Mit der berüchtigten Berliner Verwechslung von mir und mich hat dieses Schwanken nichts zu tun,[S. 239] sondern es hängt meist damit zusammen, daß in den Begriff dieser Verba sinnverwandte Zeitwörter hineinspielen, die teils mit dem Dativ, teils mit dem Akkusativ verbunden werden. Aber nur in den seltensten Fällen hat das Schwanken eine Berechtigung. Bei nachahmen handelt sichs eigentlich nicht um ein Schwanken, sondern um zwei verschiedne Bedeutungen des Wortes: es ist ein großer Unterschied, ob man sagt: ich ahme dich nach, oder ich ahme dir nach. Mit dem Akkusativ bedeutet es nachmachen (dich), mit dem Dativ nachstreben (dir). Wenn Schüler dem Lehrer nachahmen, so kann das sehr lobenswert sein; wenn sie den Lehrer nachahmen, so kann ihnen das unter Umständen eine Stunde Karzer eintragen.[112] Schwer ist es, bei kosten eine Entscheidung zu treffen; kosten ist ein Lehnwort, entstanden aus dem lateinischen constare. Die Verbindung constat mihi ist aber gar nicht maßgebend, denn kosten ist ursprünglich im Sinne von aufwenden machen gebraucht worden. Der Akkusativ überwiegt denn auch in der guten Schriftsprache. Bei allen übrigen der genannten Verba hat der Dativ überhaupt keine Berechtigung. Sätze wie: laß mir das einmal sehen – das geht dir nichts an u. ähnl. gehören nur der niedrigsten Volkssprache an. Heißen verträgt den Dativ der Person nur ausnahmsweise: wer hat dir das geheißen? (wie: wer hat dir das geboten, befohlen, aufgetragen?). Im allgemeinen verlangt es, wie lehren, den Akkusativ der Person. Aber gerade für lehren und heißen verliert die ganze Frage mehr und mehr an Bedeutung, denn in der lebendigen Sprache werden diese Wörter überhaupt kaum noch in solcher Verbindung gebraucht. In Mitteldeutschland gebraucht das Volk lehren mit einem Akkusativ der Person fast gar nicht mehr, sondern nur lernen; man sagt nicht bloß: wo hast du das gelernt? sondern auch: wer hat dir das gelernt? Und[S. 240] auch wo man wirklich noch lehren sagt, setzt man doch den Dativ der Person dazu. Bei Uhland heißt es noch richtig und sauber: Wer hat dich solche Streich’ gelehrt? Das Volk aber sagt: Ich werde dir Mores lehren. Und in einem Bibelspruche wie: Herr, lehre uns bedenken, daß wir sterben müssen – wo uns natürlich der Akkusativ ist –, wird es sicherlich jetzt von den meisten als Dativ gefühlt.

Ganz lächerlich ist die Unsicherheit und der Streit darüber, ob es heißen müsse: ich versichre dir oder: ich versichre dich, der Hut kleidet dich, oder: er kleidet dir, es lohnt der Mühe oder: es lohnt die Mühe. Versichern ist unzweifelhaft ein transitives Zeitwort; man versichert sein Leben, seinen Hausrat, seine Ernte. Man kann auch sagen: ich versichre dich meiner Freundschaft (Goethe: ich fahre fort, dich meiner Liebe zu versichern), wiewohl das schon etwas gesucht klingt. Aber zu sagen: ich versichre dich, daß ich nichts davon gewußt habe – und das für richtig zu halten oder gar zu verteidigen, kann doch nur einem Sophisten einfallen oder einem Menschen, der wirklich – mir und mich nicht unterscheiden kann. Daß es schon im achtzehnten Jahrhundert so vorkommt, hat gar nichts zu sagen; der Akkusativ ist eben vernünftigerweise mehr und mehr gewichen. Wenn auf versichern ein Objektsatz folgt, so ist doch der Inhalt dieses Satzes das Objekt der Versicherung; diese Versicherung aber gebe ich nicht dich, sondern gebe sie dir. Versichern tritt dann vollständig in eine Reihe mit beteuern, erklären, sagen, melden, mitteilen, berichten,[113] lauter Zeitwörtern, die mit dem Dativ der Person und einem Objekt der Sache verbunden werden. Im Passivum fällt es gar niemand ein zu sagen: ich bin versichert[S. 241] worden, daß, sondern jeder sagt: mir ist versichert worden, daß. Also kann auch im Aktivum das richtige nur sein: ich versichre dir, daß ich nichts davon gewußt habe. Wenn neuerdings namentlich in Kreisen, die für vornehm gelten möchten, mit einer gewissen Absichtlichkeit wieder der Akkusativ gebraucht wird (ich versichre Sie), so ist das eine Modedummheit, durch die sich der gesunde Menschenverstand und ein natürliches Sprachgefühl nicht werden irremachen lassen.

Kleiden mit dem Dativ zu verbinden wäre keinem Menschen eingefallen, wenn nicht die sinnverwandten intransitiven Zeitwörter passen, sitzen und stehen dazu verführt hätten. Weil man sagt: der Hut paßt dir, sitzt dir, steht dir, so sagte man auch: er kleidet dir. Richtig ist natürlich nur: er kleidet dich.

In der Redensart: es lohnt der Mühe (oder: es lohnt nicht der Mühe) ist der Mühe gar nicht der Dativ, sondern der Genitiv (statt: für die Mühe, wegen der Mühe). Die Redensart hat etwa denselben Sinn wie: es ist der Mühe wert (oder: es ist nicht der Mühe wert). Zu sagen: es lohnt nicht die Mühe – ist also nichts als eine Ausweichung aus Unwissenheit.

Ganz unsinnig wird jetzt die Redensart sich Rats erholen gebraucht, z. B. dort kannst du dir am besten Rats erholen! Das sich in dieser Redensart ist ebenfalls nicht der Dativ, sondern der Akkusativ, Rats ein frei angeschlossener Genitiv; es heißt: ich erhole mich Rates. Noch Benedix schreibt 1866 in den Zärtlichen Verwandten richtig: bei mir allein mußt du dich Rats erholen. Der Fehler wird auch nicht besser, wenn man statt Rats sagt Rat: in Einzelheiten erholte ich mir Rat bei besonders sachkundigen Personen, denn dann hat das erholen gar keinen Sinn mehr; es genügt dann, zu sagen: hole dir bei mir Rat, so gut wie: hole dir bei mir Geld. Wenn man die Redensart nicht mehr versteht und nicht mehr richtig anzuwenden weiß, warum gebraucht man sie dann noch? (Vgl. auch dünken S. 53.)

Ein süddeutscher Provinzialismus ist es, verdenken so wie beneiden zu verbinden: wer kann ihn darum[S. 242] verdenken? In gutem Deutsch wird es verbunden wie verargen, verübeln: ich kann dir das nicht verdenken.

Er hat mir oder er hat mich auf den Fuß getreten?

Nicht ganz so lächerlich ist der Streit, ob es heißen müsse: er hat mir oder er hat mich auf den Fuß getreten. Jeder verbindet ohne Besinnen mit dem Akkusativ der Person: in den Finger schneiden, ins Bein beißen, aufs Maul schlagen, auf die Stirn küssen (Luther: du wirst ihn in die Ferse stechen). Jeder verbindet eben so sicher mit dem Dativ der Person: unter die Arme greifen, auf die Finger sehen, auf den Zahn fühlen, auf die Schleppe treten. Warum dort der Akkusativ und hier der Dativ? Was ist der Unterschied zwischen diesen beiden Gruppen von Redensarten? Worauf kommt es an?

Zunächst ist klar, daß, wenn die Person im Akkusativ steht, zuerst die Person im ganzen als von einer Tätigkeit betroffen hingestellt wird, und dann noch nachträglich der einzelne betroffne Körperteil hinzugefügt wird. Steht die Person im Dativ, so wird der betroffne Körperteil in den Vordergrund gerückt und die Person mehr als beteiligt, in Mitleidenschaft gezogen, nicht als unmittelbar betroffen hingestellt. Das paßt nun zu den mitgeteilten Beispielen vortrefflich. Wird jemand nur auf ein Kleidungsstück getreten, so wird sein Körper gar nicht davon berührt; alle andern Redensarten der zweiten Gruppe aber sind bildliche Wendungen, bei denen ebenfalls kein wirkliches, leibliches Angreifen, Ansehen, Anfühlen gemeint ist. So wird es nun auch leicht verständlich, warum man wohl sagt: er hat mich ins Gesicht geschlagen, aber: das schlägt der Wahrheit ins Gesicht – der Mörder hatte ihn mitten ins Herz gestochen, aber: deine Klagen schneiden mir ins Herz – der Schmied hat das Pferd auf den Schenkel gebrannt, aber: solange nicht dem deutschen Michel die Not auf die Nägel brennt – du hast mich mit deinem Stock ins Auge gestochen, aber: am Schaufenster stach mir ein schöner Brillantschmuck ins Auge. Erschöpft wird die[S. 243] Sache mit dieser Unterscheidung zwar nicht, aber man kann sich, wenn man sie sich vor Augen hält, auch in andern Fällen leicht klarmachen, weshalb die Sprache hier den Dativ, dort den Akkusativ vorzieht oder vorziehen – sollte, weshalb man also z. B. sagt: seinem Freund auf die Schulter klopfen (obwohl das doch wirklich und nicht bildlich geschieht). Bisweilen bedeutet der Akkusativ der Person mehr das Absichtliche: weshalb trittst du mich denn auf den Fuß? der Dativ mehr das Unabsichtliche: mir hat vorhin einer auf den Fuß getreten, das tut mir jetzt noch weh.

Zur Steuerung des Notstandes

Ein persönliches Passivum kann natürlich nur von solchen Zeitwörtern gebildet werden, die ein direktes Objekt (im Akkusativ) zu sich nehmen: ich bestreite die Nachrichtdie Nachricht wird von mir bestritten. Von Zeitwörtern, die ein indirektes Objekt (im Dativ) haben, läßt sich nur ein unpersönliches Passivum bilden: ich widerspreche der Behauptungder Behauptung (nicht: die Behauptung!) wird von mir widersprochen. Daher ist es falsch, so, wie es unsre Zeitungen jetzt täglich tun, von unwidersprochnen Nachrichten zu reden, oder zu sagen wie unsre Reichstagsabgeordneten: dieser Artikel darf nicht unwidersprochen bleiben, diese Äußerung möchte ich nicht unwidersprochen ins Land gehen lassen. Unwiderlegt – das wäre richtig, und aufs Widerlegen kommts doch wohl auch viel mehr an als aufs Widersprechen. Ebenso falsch sind bedankt und unbedankt (nun sei bedankt, mein lieber Schwan! – der Vorstand kann Sie an diesem Tage nicht unbedankt hinweggehen lassen); denn es heißt nicht: ich danke dich, sondern ich danke dir, oder: ich bedanke mich bei dir.[114]

Ebenso kann natürlich ein Objektsgenitiv nur an solche Verbalsubstantiva gehängt werden, die aus Zeitwörtern mit direktem Objekt gebildet sind. Falsch und liederlich ist es, zu schreiben: die Kündigung der[S. 244] Arbeiter (wenn nicht gemeint ist, daß die Arbeiter kündigen, sondern daß den Arbeitern gekündigt wird), ebenso falsch: zur Steuerung oder zur Abhilfe des Notstandes – sie war zur Hilfeleistung ihrer Mutter anwesend – denn gesteuert oder abgeholfen wird dem Notstande, nicht der Notstand.

Voller Menschen

Das Adjektivum voll verbindet wohl jeder richtig mit dem Genitiv oder, je nachdem, mit der Präposition von, z. B.: die Straßen waren voll geputzter Menschen – er war deines Lobes voll – das ganze Haus war voll von Altertümern und Merkwürdigkeiten. Daneben ist noch üblich, das Substantiv gänzlich unflektiert zu voll zu setzen: voll Blut, voll Rauch, voll Zorn, voll Haß, voll Verlangen usw. Das ist eigentlich ein Fehler, aber einer, der nicht mehr gefühlt wird. Wenn man voll Liebe sagte, so meinte man natürlich ursprünglich auch den Genitiv. Da dieser aber beim Femininum nicht erkennbar war, verdunkelte sich allmählich das Gefühl dafür, und so ging er auch bei männlichen und sächlichen Substantiven verloren. Auf dieselbe Weise sind ja auch Verbindungen entstanden wie: ein Stück Brot, ein Glas Wein.

Nun aber voller – wie stehts damit? Im Volksmund ist es ganz gang und gäbe, auch unsre besten Schriftsteller haben es oft geschrieben, aber heute getraut man sichs doch nicht mehr so recht, weil man so gelehrt geworden ist, daß man immer grübelt, ob man wohl so sagen dürfe oder nicht, aber nicht gelehrt genug, die Zweifel wieder zu bannen. Die Kirche war voller Menschen – der Kerl ist voller Neid – der Garten ist voller Unkraut – der Himmel hängt ihm voller Geigen – der Junge steckt voller Schnurren – darf man so schreiben? Ei, gewiß darf mans; jedermann, Hoch und Niedrig, spricht so, warum soll mans nicht schreiben dürfen?

Voller ist der erstarrte männliche Singular, der im Prädikat auf alle drei Geschlechter und auch auf den[S. 245] Plural übergegriffen hat (ganz ebenso wie selber und ebenso wie selbst, das nichts andres als das erstarrte Neutrum selbs ist). Schon Luther scheint über diese merkwürdige Spracherscheinung nachgedacht zu haben, aber zu der Annahme gekommen zu sein, daß voller aus voll der entstanden sei; er gebraucht es gern, aber immer nur – vor dem Femininum und vor dem Plural. Auf keinen Fall hat die Bildung etwas niedriges an sich, im Gegenteil etwas trauliches, anheimelndes, und der guten Schriftsprache ist sie durchaus nicht unwürdig.[115]

Zahlwörter. Erste Künstler

In dem Wesen und der Bedeutung des Superlativs liegt es begründet, daß er eigentlich nur den bestimmten Artikel haben kann: unter hundert Männern von verschiedner Größe ist einer der größte. Sind drei von dieser Größe darunter, so sind diese drei die größten. Dann ist aber einer von diesen dreien nicht ein größter – das ist undeutsch! –, sondern einer der größten. Darum ist es eine Abgeschmacktheit, zu schreiben: Lessings Andenken wird gepflegt wie eine seltenste Blume im Treibhause – ein 45jähriger, der einer reifsten Zukunft entgegenschreitet. Nur in der Mehrzahl kann man allenfalls, wie der Kaufmann, von billigsten Preisen oder, wie der Philosoph, von kleinsten Teilen reden.

Ebenso abgeschmackt ist es, zu sagen: dieses Denkmal wird stets einen ersten Rang behaupten – die Politik spielte in seinem ganzen Leben eine erste Rolle – und von ersten Künstlern, ersten Opernsängern zu reden oder von ersten Firmen, ersten Häusern, wie es jetzt in den Anpreisungen der Geschäftsleute täglich geschieht. Gemeint ist weiter nichts als bedeutend, hervorragend, ausgezeichnet – warum[S. 246] sagt man das nicht?[116] So ist es auch unlogisch, zu sagen: ein letzter Wunsch des Verstorbnen, eine Hauptursache des Erfolgs; sorgfältig ausgedrückt muß es heißen: einer der letzten Wünsche, eine der Hauptursachen des Erfolgs, denn auch die Hauptursache ist ein superlativischer Begriff von derselben Bedeutung wie: die höchste, die wichtigste Ursache.

Statt vom fünfzigsten oder sechzigsten Geburtstag redet man jetzt öfter vom fünfzigjährigen: das Buch ist als Festschrift zum fünfzigjährigen Geburtstage Max Klingers erschienen. Das ist völliger Unsinn. Von einem fünfzigjährigen oder hundertjährigen Jubiläum kann man reden, denn da feiert man den ganzen Zeitraum, mit dem Geburtstag aber nur den einzelnen Tag.

Recht unfein klingt es, wie es in militärischen Kreisen üblich ist, hinter Personennamen die Kardinalzahl zu gebrauchen und von Fischer eins, Meyer sieben zu reden. Vielleicht – soll es unfein klingen. Oder wollen wir in Zukunft auch von Otto drei und Heinrich acht reden? Wie mag Wilhelm zwei darüber denken?

Die Präpositionen

Eine grauenvolle Liederlichkeit hat in der niedrigen Geschäftssprache in der Behandlung der Präpositionen um sich gegriffen. Vor allem erscheint immer häufiger der Akkusativ hinter Präpositionen, die den Dativ verlangen. Schweinsknochen mit Klöße, Spinat mit Eier, Kotelette mit Steinpilze, Sülze aus Kalbskopf und Füße – anders wird auf Leipziger Speisekarten kaum noch geschrieben. Das ist freilich Kellnerdeutsch, aber wen trifft die Schande für solche Sprachsudelei? Und ist es nicht eine Beleidigung der Gäste, wenn ihnen Wirte solches Schanddeutsch vorsetzen? Aber auch an Schaufenstern kann man lesen: Sohlen mit Absätze – Neuvergoldung von Spiegel – Verkauf[S. 247] von Zauberapparate – Stühle werden mit Roßhaare gepolstert – Regentropfen auf Hüte werden sofort beseitigt – großes Lager in Regenmäntel – Ausstellung in Damenstiefel; Zeitungen schreiben: er wurde zu zwei Monate Gefängnis verurteilt – und sogar Behörden machen bekannt: die Lieferung von hundert Stück gebrauchte Schwellen – das Abladen von dreißig Kubikmeter Bruchsteine – das Befahren dieses Weges mit Lastfuhrwerke usw.[117]

In andern Fällen drängt sich auf ganz lächerliche Weise der Genitiv an die Stelle des Dativs. In Leipzig kann man von Halbgebildeten hören: unter meines Beiseinsnach meines Erachtens; aber auch Gebildete schreiben: dank dieses Umstandsdank des mir von allen Seiten entgegengebrachten ehrenvollen Vertrauensdank dieser Eindrücke meiner Jugendzeit – dank seines ins einzelste gehenden Verständnissesdank des reichen und neuartigen Programmsdank der Geschenke der Offiziere und andrer Zuwendungen. Wie in aller Welt ist eine solche Verirrung möglich? Man könnte glauben, den Leuten schwebe bei ihrem dank mit dem Genitiv etwas ähnliches vor wie: kraft meines Amts, laut deines Briefs, statt eines Auftrags; kraft, laut und statt werden mit Recht mit dem Genitiv verbunden, denn ursprünglich hieß es: in Kraft (oder: durch Kraft), nach Laut, an Statt. Aber dank ist doch einfach Dank, es hat nie eine Präposition vor sich gehabt, es verlangt also auch unbedingt den Dativ: dank deinem Fleiße, dank deinen Bemühungen ist es gelungen usw. Die wunderlichen Beispiele: unter meines Beiseins und nach meines Erachtens zeigen, wie der falsche Genitiv zustande kommt: er entsteht durch Verwechslung des Dativs mit dem Genitiv im Femininum. Nach meiner Meinung, unter[S. 248] meiner Mitwirkung, dank deiner Bemühung – das klingt den Leuten wie ein Genitiv, und so sagen sie nun auch fröhlich: dank dieses Umstands. Man kann hier einmal die Entstehung einer Sprachdummheit an ihrer Quelle beobachten. Genau so ist es mit trotz gegangen: da sind wir jetzt glücklich so weit, daß der richtige Dativ für einen Fehler und der falsche Genitiv für das Richtige erklärt wird. Vielleicht kommt es auch noch mit dank dahin, und wenn wir uns rechte Mühe geben, auch mit nach, unter und – gemäß; denn schon schreibt man auch: die Arbeiter sind gemäß ihres Beschlusses heute früh wieder in der Fabrik erschienen.

Die Redensart sich an etwas halten – verlangt sie nach an den Dativ oder den Akkusativ? In äußerlicher, sinnlicher Bedeutung unzweifelhaft den Dativ: man hält sich an einer Stange, an einem Seile (an). In übertragner Bedeutung hat man früher geschwankt (Goethe: wer klug ist, wird sich am Zugänglichen halten). Heute ist – unter dem Einflusse sinnverwandter Wendungen wie: sich wenden an, sich stützen auf, sich verlassen auf – nur noch der Akkusativ üblich: wenn er mich nicht bezahlt, so halte ich mich an dich – ich halte mich lieber ans Gewisse als ans Ungewisse.

Die allerneuesten Präpositionen sind ungerechnet und unerwartet. Sie werden beide mit dem Genitiv verbunden: unerwartet des Beitritts andrer Eisenbahnverwaltungen – es hatten vierhundert Händler feil, ungerechnet derer, die in den Höfen standen. Beide sind natürlich dem eben so schönen ungeachtet nachgebildet, das schon älter ist: ungeachtet seines Widerspruchs. Auch hier sieht man eine Sprachdummheit an der Quelle. Ursprünglich hieß es: ungeachtet seinen Widerspruch; das war aber ein absolutes Partizip im Akkusativ.

Alle Präpositionen sind ursprünglich einmal Adverbia gewesen. Auch die häßlichen, langatmigen Modepräpositionen unsrer Amts- und Zeitungssprache: anläßlich, gelegentlich, inhaltlich, antwortlich, was sind sie[S. 249] zunächst anders als Adverbia? Neuerdings soll nun aber noch eine Anzahl weiterer Adverbia mit aller Gewalt zu Präpositionen gepreßt werden, nämlich: rechts, links, nördlich, südlich, östlich, westlich und seitlich (das letzte ein recht überflüssiges Wort). Niemand wird bestreiten, daß auch diese Wörter Adverbia sind. Um anzugeben, im Vergleich womit etwas rechts oder links, nördlich oder südlich sei, haben wir denn auch bis vor kurzem immer die Präposition von zu Hilfe genommen und gesagt: rechts von der Straße, nördlich von den Alpen. Da haben nun offenbar manche Leute geglaubt, von sei hier, wie so oft, eine bloße Umschreibung des Genitivs, und da sei es doch gescheiter, lieber gleich den Genitiv zu setzen. Und so hat sich denn immer mehr der Fehler verbreitet, zu schreiben: rechts und links der Szene, nördlich des Viktoriasees, südlich der Kirche, seitlich des Altars, ja neuerdings sogar abseits aller Parteien und ringsum des Marktes. Namentlich Architekten, Techniker oder Geographen schreiben gar nicht mehr anders, aber auch der gebildete Philister am Biertisch sagt schon: Meißen liegt doch links der Elbe. Ein Fehler ist es aber doch, wenigstens solange es noch Menschen gibt, die so altväterisch sind, zu glauben, rechts und links, nördlich und südlich seien Adverbia, und solange – die Schule ihre Schuldigkeit tut.

Ebenso verhält sichs mit den verneinten Adverbien unfern und unweit. Auch sie können von Rechts wegen nur als Adverbia gebraucht werden: unweit von dem Dorfe; aber auch sie hat man zu Präpositionen zu pressen gesucht, und weiß nun nicht, ob man sie mit dem Genitiv oder, wie das gleichbedeutende nahe, mit dem Dativ verbinden soll; die einen schreiben: unfern des Bodensees, unweit des Flusses, andre: unfern dem Schlosse, unweit dem Tore. Und das hat wieder zur Folge gehabt, daß man sogar bei nahe irre geworden ist und zu schreiben anfängt: nahe Leipzigs! Auch nahe ist keine Präposition, sondern ein Adverbium (nahe bei, nahe an), und als Adjektiv kann es unzweifelhaft nur den Dativ haben; unfern[S. 250] aber und unweit könnte man sich doch ganz ersparen; sie sind gesucht (wie unschwer; vgl. S. 273) und der lebendigen Sprache fremd.

Im oder in dem? zum oder zu dem?

Große Unsicherheit herrscht darüber, in welchen Fällen der bestimmte Artikel mit der Präposition verschmolzen werden darf, und in welchen Fällen nicht, wann es also heißen darf: im, vom, zur, aufs, ins (oder, wenn jemand ohne Apostroph nicht leben kann, auf’s, in’s, vielleicht auch i’m, zu’r?), und wann: in dem, von dem, auf das usw. Dennoch ist die Sache sehr einfach und eigentlich selbstverständlich.

Der bestimmte Artikel der, die, das hat ursprünglich demonstrativen oder determinativen Sinn, er bedeutet dasselbe wie dieser, diese, dieses, oder wie das schöne Kanzleiwort derjenige, diejenige, dasjenige. In dieser Bedeutung wird er ja auch noch täglich gebraucht, er wird dann gedehnt gesprochen und betont: deer, deem, deen (man nehme nur seine Ohren zu Hilfe, nicht immer bloß die Augen!), während er als bloßer Artikel unbetont bleibt und kurz gesprochen wird. Nun ist es doch klar, daß die Verschmelzung mit der Präposition nur da eintreten kann, wo wirklich der bloße Artikel vorliegt. Verschlungen oder verschluckt werden kann immer nur ein Wort, das keinen Ton hat. Es ist also richtig, zu sagen: du wirst schon noch zur Einsicht kommen, wenn gemeint ist: zur Einsicht überhaupt, zur Einsicht schlechthin, oder: ich habe im guten Glauben gehandelt. Sowie aber durch einen nachfolgenden Nebensatz eine bestimmte Einsicht, ein bestimmter guter Glaube bezeichnet wird, so ist eben so klar, daß dann der Artikel einen Rest seiner ursprünglichen demonstrativen oder determinativen Kraft bewahrt hat, und dann kann von einer Verschlingung mit der Präposition keine Rede sein. Es kann also nur heißen: als er nach Jahren zu der Einsicht kam, daß er nicht zum Künstler geboren sei – ich habe in dem guten Glauben gehandelt, daß ich in meinem Rechte wäre. Dennoch muß man fort und fort so fehlerhafte Sätze lesen wie: die Bauern kamen zum Bewußtsein,[S. 251] daß sie auf weitere Schenkung von Grund und Boden nicht rechnen dürften – im Bewußtsein, daß es der Reichshauptstadt an einem Mittelpunkte künstlerischer Bestrebungen fehle – er kam zur Überzeugung, daß alles Suchen vergeblich sei – die Vergleichung seiner Landsleute mit den Deutschen von ehemals führte Melanchthon zur Erklärung, daß die Deutschen leider ihren Vorfahren unähnlich geworden seien – folgende Erwägung führt zur Vermutung, daß die Ohnmacht Gretchens einem geschichtlichen Fall nachgebildet sei – vielleicht wird die praktische Beschäftigung zur Erkenntnis gelangen, daß die Rückkehr zum historischen Ausgangspunkte geboten sei – er sah sich zum Geständnis genötigt, daß er sich getäuscht habe – das Komitee empfahl seinen Kandidaten im festen Vertrauen, daß ein paar Schlagwörter genügen würden. In allen diesen Sätzen ist die Verschmelzung der Präposition mit dem Artikel ein grober Fehler. Es ist unbegreiflich, wie jemand dafür das Gefühl verlieren kann.

Die nähere Bestimmung kann aber auch durch einen Infinitiv mit zu, durch einen Relativsatz, durch ein Attribut ausgedrückt werden – auch dann darf der Artikel nicht verschlungen werden. Also auch folgende Sätze sind falsch: er stand im Rufe, es mit der klerikalen Partei zu halten – er starb im Bewußtsein, die teuersten Güter des Vaterlandes verteidigt zu haben – unter Eigentum verstehen wir die volle Herrschaft über eine Sache bis zur Befugnis, sie zu vernichten – er hielt am Gedanken fest, sich sobald als möglich von dieser Last zu befreien – er stand im Verdacht, einem verbotnen Verein anzugehören – er wurde vom Verdacht, ein preußischer Spion zu sein, freigesprochen – er war vom reinsten Willen erfüllt, Versöhnung mit Gott zu findenim Augenblick, wo er mich sah – Goethe schlug den Hans Sachsischen Ton auch zur Zeit an, wo er sich sonst meist der neueren Formen bediente – er ist nicht sparsam im Lobe, das den polnischen Pferden gebührt – im Deutschen, das heute geschrieben wird (in dem Deutsch, das!) – sie[S. 252] tranken fleißig vom Weine, der auf der reichbesetzten Tafel stand – diese Arie gehört zum Besten, was Verdi geschrieben hat – Vischer hat es nie zur Volkstümlichkeit Scheffels gebracht – ein unbewachter Augenblick stürzte ihn vom Thron seiner Tugendgrößeim Alter von 60 Jahren – zum ermäßigten Preise von 15 Mark – vom Streit um Kleinigkeiten – im Bande über Leibniz – im Essay über Auerbach – im Hause Berliner Straße Nr. 70 usw. Im Augenblicke und zurzeit können nur allein stehen, beides bedeutet dann soviel wie jetzt; ebenso auch: im Alter, im Hause. Auch im Essay kann nur allein stehen, der Essay wäre dann als Gattung etwa dem Roman gegenübergestellt: dergleichen kann man sich wohl im Roman erlauben, aber nicht im Essay; von einem bestimmten Essay aber kann es nur heißen: in dem Essay über Auerbach. Ja es gibt sogar Fälle, wo gar kein Zusatz hinter dem Hauptwort zu stehen braucht und doch die Verschmelzung des Artikels mit der Präposition ein Fehler wäre: wenn nämlich nach dem ganzen Zusammenhange nicht das Ding an sich, sondern ein bestimmtes Ding gemeint ist. So ist z. B. falsch: die Beziehungen, in denen Otto Ludwig zur Stadt und ihren Bewohnern stand – wenn Leipzig unter der Stadt gemeint ist; es muß heißen: zu der Stadt und ihren Bewohnern. Zur Stadt könnte nur im Gegensatz zum Lande gesagt sein.[118]

Eine Unsitte ist es daher auch, zu schreiben, wie es immer mehr Mode wird: im selben Augenblick – die vom selben Verlag ausgegebnen Kupferstiche – die[S. 253] Erfüllung dieser Aufgaben kann beim selben Objekt verschieden erreicht werden. Wer sorgfältig schreiben will, kann nur schreiben: in demselben Augenblick, von demselben Verlag, bei demselben Objekt.

Wo wirklich der bloße Artikel vorliegt, da sollte aber auch nun überall die Verschmelzung vorgenommen werden; nicht bloß in der lebendigen Sprache – da fehlts ja nicht daran –, sondern auch auf dem Papier. Welche Ziererei, zu schreiben: Alle diese schönen Pläne sind in das Wasser gefallen! Kein Mensch sagt: an das Land steigen, der Kampf um das Dasein, eine Anstalt in das Leben rufen, einen Vorgang an das Licht ziehen, einen hinter das Licht führen, eine Sache über das Knie brechen, in das Auge fallen, einem in das Gesicht sehen, etwas in das Werk setzen, eine Sache in das Reine bringen, sich auf das hohe Pferd setzen, sich auf das beste, auf das bequemste einrichten, sondern: ans Land, ums Dasein, ins Leben, ans Licht, aufs beste, aufs bequemste (wie: aufs neue). Also schreibe und drucke man auch so. Dagegen ist wieder falsch: sich aufs hohe Pferd des Sittenrichters setzen – denn hier ist ein bestimmtes hohes Pferd gemeint. Ebenso ist zu unterscheiden: im öffentlichen Leben eine Rolle spielen und: in dem öffentlichen Leben Deutschlands eine Rolle spielen.

Wenn von einer Präposition mehrere Substantiva abhängen und beim ersten die Präposition mit dem Artikel verschmolzen worden ist, so ist es sehr anstößig, bei den folgenden Substantiven den Artikel aus der Verschmelzung wieder herauszureißen und mit Weglassung der Präposition zu schreiben: in gewisser Entfernung vom Brandplatz oder dem Platze des sonstigen Unglücksfalles – von Platos realen Begriffen bis zur Goldmacherkunst und der Telepathie – Geschichte vom braven Kasperl und dem schönen Annerl (Brentano). Die Verschmelzung vom wirkt im Sprachgefühl fort auf das folgende Wort: man hört also unwillkürlich: vom dem Platze. In solchen Fällen ist es unbedingt nötig, entweder auch die Präposition zu wiederholen, also: in[S. 254] gewisser Entfernung vom Brandplatz oder vom Platze des sonstigen Unglücksfalles, oder von vornherein die Verschmelzung zu unterlassen und zu schreiben: von dem Brandplatze oder dem Platze des sonstigen Unglücksfalles. Ebenso verhält sichs bei der Apposition. Es ist eine Nachlässigkeit, zu schreiben: im Süden, dem taurischen Gouvernement – am 12. Januar 1888, dem dreihundertsten Geburtstage Riberas; auch bei der Apposition muß es wieder im und am heißen. Doppelt anstößig wird der Fehler, wenn die Substantiva im Geschlecht oder in der Zahl verschieden sind, z. B. im Berliner Tageblatt und der geistesverwandten Presse – das am Ananias und der Saphira vollzogne Strafwunder – die vom Anarchismus und der Sozialdemokratie drohenden Gefahren – von der Universität herab bis zur Volksschule und dem Kindergarten – das hängt vom guten Willen und der Zahlungsfähigkeit der Untertanen ab – Eingang zum Garten und der Kegelbahn. Auch hier muß überall die Präposition wiederholt werden. Der Gipfel der Nachlässigkeit ist es, die Wiederholung der Präposition dann zu unterlassen, wenn der bestimmte Artikel mit der artikellosen Form wechselt: z. B. zur Annahme von Bestellungen und direkter Erledigung derselben; es muß heißen: zur Annahme und zu direkter Erledigung.

Aus: „Die Grenzboten“

Zu den größten irdischen Freuden des Papiermenschen gehören die sogenannten Gänsefüßchen. Der Schulmeister, der auf Verständnis rechnen kann, wenn er dem Achtjährigen zum erstenmal in die Feder diktiert: der Vater fragte – Doppelpunkt – Gänsefüßchen unten – wo bist du gewesen, Max – Fragezeichen – Gänsefüßchen oben –, hat das stolze Gefühl, daß er seinen Zögling zu einer der wichtigsten Entwicklungsstufen seiner Geistesbildung emporgeführt habe. Aber nicht bloß Schulmeister und Schulknaben, auch andre Leute, z. B. Romanschriftsteller, haben an diesen Strichelchen eine kindische Freude; es gibt Romane, in denen man vor lauter Gänsefüßchen fast nichts vom Dialog sieht. Ein Hochgenuß beim Lesen[S. 255] ist es, wenn Er immer mit zweien („–“), Sie immer mit vieren („„–““) erscheint; dann flimmert es einem förmlich vor den Augen.

Die Gänsefüßchen sind, wie der Apostroph (vgl. S. 8), eine jener nichtsnutzigen Spielereien, die – es steht nicht fest, ob durch den Schulmeister oder durch den Druckereikorrektor – eigens für die Papiersprache erfunden worden sind. Wenn jemand einen Roman vorliest, so kann er doch die Gänsefüßchen nicht mitlesen, und doch versteht ihn der Zuhörer. Wozu schreibt und druckt man sie also? Einen Zweck haben sie nur da, wo man Wörter oder Redensarten ironisch gebraucht (um sie lächerlich zu machen), oder wo man mitten in seine eigne Darstellung eine Stelle aus der Darstellung eines andern einflicht.[119] Aber auch da sind sie überflüssig, wenn diese Stelle in fremder Sprache oder in Versen ist, sich also schon durch die Schriftgattung (Antiqua, Kursiv, Petit) von dem übrigen Text genügend abhebt. Ebenso überflüssig aber und nichts als eine Spielerei sind sie bei Namen und bei Überschriften und Titeln von Büchern, Schauspielen, Opern, Gedichten usw. Wenn man sagt: der Kaiser hatte eine Reise auf der Hohenzollern gemacht – so versteht das doch jedermann, und ebenso wenn man sagt: der Vers ist aus Goethes Iphigenie. Manche Lehrer behaupten zwar, die Iphigenie ohne Gänsefüßchen sei die Person des Schauspiels, die Iphigenie mit Gänsefüßchen sei das Schauspiel selbst; kann man aber in der lebendigen Sprache diese Unterscheidung machen?

Das ärgste aber ist es und eine der abgeschmacktesten Erscheinungen der Papiersprache, wenn Titel und Überschriften wie Versteinerungen behandelt werden, und geschrieben wird: die Redaktion des „Wiener Fremdenblatt“, des „Berliner Tageblatt“ und ebenso nach Präpositionen: Vorspiel zuDie Meistersinger“ – Ouverture zu: „Die Fledermaus“ – einzelne Bilder[S. 256] ausDer neue Pausias“ – Bemerkungen zu Goethes „Der getreue Eckardt“ – erweiterter Separatabdruck ausDer praktische Schulmann“ – diese Aufsätze haben zuerst inDie Grenzboten“ gestanden usw. Jedermann sagt: ich bin gestern abend in der Fledermaus gewesen, der Vers ist aus dem Neuen Pausias, ich habe das im Praktischen Schulmann gelesen, die Aufsätze haben in den Grenzboten gestanden. Versteht man das nicht? Wenn mans aber mit den Ohren versteht, warum denn nicht mit den Augen?

Einige Verlegenheit bereiten ja die jetzt so beliebten Zeitungs- und Büchertitel, die, anstatt aus einem Hauptwort, aus einer adverbiellen Bestimmung bestehen, wie: Aus unsern vier Wänden, Vom Fels zum Meer, Zur guten Stunde u. ähnl. Jedes natürliche Sprachgefühl sträubt sich doch dagegen zu sagen: ich habe das in Vom Fels zum Meer gelesen. Aber immer dazuzusetzen: in dem Buche, in der Zeitschrift – was schließlich das einzige Rettungsmittel ist – ist doch langweilig.

Nach dort

Statt hin und her schreiben unsre Kaufleute jetzt in ihren Geschäftsbriefen nach dort und nach hier: kommen Sie nicht in den nächsten Wochen einmal nach hier? Wenn nicht, so komme ich vielleicht einmal nach dort. Auch die Zeitungen berichten: Herr M. ist als Bauinspektor nach hier versetzt worden. Und wenn ein paar Handlungsreisende bei kühlem Wetter in einem Biergarten sitzen, fragen sie sich sogar: Wollen wir uns nicht lieber nach drin setzen? Diese neumodische schöne Ortsbestimmung ist freilich nicht ohne Beispiel: schon längst hat man zur Bezeichnung einer Richtung, statt die auf die Frage wohin? antwortenden Ortsadverbien zu gebrauchen, die Präposition nach mit Ortsadverbien verbunden, die auf die Frage wo? antworten, z. B. nach vorn, nach hinten, nach oben, nach unten, statt: vor, hinter, hinauf, herunter. Auch Schiller sagt im Taucher: Doch es war mir zum Heil, er riß mich nach oben. Und ebenso hat man auf die Frage woher? geantwortet: von vorn, von hinten, von oben, von[S. 257] unten, sogar von hier, von dort. Nur nach hier, nach dort und nach drin hatte noch niemand zu sagen gewagt. Aber warum eigentlich nicht? Offenbar aus reiner Feigheit. Wir können also dem kaufmännischen Geschäftsstil für seinen sprachschöpferischen Mut nur dankbar sein. Schade, daß Goethe das Lied der Mignon nicht mehr ändern kann; das müßte doch nun auch am Schlusse heißen: nach dort, nach dort möcht’ ich mit dir, o mein Geliebter, ziehn![120]

Bis

Viel Nachlässigkeiten und Dummheiten werden in den Zeitangaben begangen. Ein Ausdruck wie: vom 16. bis 18. Oktober soll dabei noch nicht einmal angefochten werden, wiewohl, wer sorgfältig schreiben will, hinter bis die Präposition nie weglassen, sondern schreiben wird: bis zum 18. Oktober. Denn bis ist zwar selbst eine Präposition, es ist aber auch eine Konjunktion, es ist ein Mittelding zwischen beiden, und bei Ortsbestimmungen verlangt es noch ein an, auf, in, zu, nach, nur vor Städte- und Ländernamen kann es allein stehen, aber doch auch nur dann, wenn eine Strecke, eine Ausdehnung, aber nicht, wenn ein Ziel angegeben wird. Man kann also wohl sagen: bis morgen, bis Montag, bis Ostern, sogar: bis nächste Woche, auch bis Berlin, aber nicht: bis Haus, bis Tür. Nur wer in den Straßenbahnwagen gestiegen ist, antwortet maulfaul auf die Frage des Schaffners: wie weit? Bis Kirche. Eine ganz unzweifelhafte Nachlässigkeit aber ist es, zu schreiben: von Nikolaus I. bis Gregor VII. Denn wie soll man das lesen? Bis Gregor den Siebenten? bis den? Wenn das richtig wäre, dann könnte man auch sagen:[S. 258] wenn wir vom Großvater noch weiter zurückgehen bis den Urgroßvater. Ebenso nachlässig ist es, zu schreiben: Ausgewählte Texte des 4. bis 15. Jahrhunderts, deutsche Liederdichter des 12. bis 14. Jahrhunderts oder mit einem Strich, den man bis lesen soll: des 12.-14. Jahrhunderts,[121] Flugschriften des 16. bis 18. Jahrhunderts, Kulturbilder aus dem 15. bis 18. Jahrhundert. Da hört man erst den Singular des, dem, und dann kommen drei oder vier Jahrhunderte hinterher. Wie kann denn ein Jahrhundert das 4. bis 15. sein! Und doch muß man den Fehler täglich lesen, oft gleich auf Titelblättern neuer Bücher. Wer sorgfältig schreiben will, wird schreiben: Flugschriften des 16., des 17. und des 18. Jahrhunderts – oder wenigstens: des 16., 17. und 18. Jahrhunderts – oder: aus der Zeit vom 16. bis zum 18. Jahrhundert. Das ist zwar etwas umständlich, aber es geht nicht anders. Wir schrecken ja sonst vor umständlicher Ausdrucksweise nicht zurück, können uns oft gar nicht breit und umständlich genug ausdrücken. Warum denn gerade da, wo sie einmal angebracht ist?

In 1870

Wie mit nach hier und nach dort, verhält sichs auch mit in 1870, das man neuerdings öfter lesen kann. Jede andre Präposition kann man so vor die Jahreszahl setzen, man kann sagen: vor 1870, nach 1870, bis 1870 – aber nicht: in 1870. Warum nicht? Weils nicht deutsch ist. Es ist eine willkürliche Nachäfferei des Französischen und des Englischen. Deutsch ist auf die Frage wann? entweder die bloße Jahreszahl ohne jede Präposition, oder: im Jahre 1870.

Bei den Angaben der Monate und der Jahreszeiten scheinen es manche jetzt für geistreich zu halten, in ganz[S. 259] wegzulassen und zu schreiben: das geschah Dezember 1774 – ich wurde Herbst 1874 immatrikuliert. Auch das ist undeutsch; die Monatsnamen wie die Namen der Jahreszeiten verlangen unbedingt die Präposition, denn bei ihnen ebenso wie bei dem ganzen Jahre hat man deutlich die Vorstellung eines Zeitraums, in dessen Innerm sich ein Ereignis zuträgt.

Alle vier Wochen oder aller vier Wochen?

Bei periodisch wiederkehrenden Handlungen antwortet auf die Frage: wie oft? der Genitiv von alle mit einem Zahlwort, z. B.: aller vierzehn Tage, aller vier Wochen, aller zwei Stunden, aller halben Jahre, aller Vierteljahre, aller hundert Jahre, ja sogar ohne Zahlwort: aller Augenblicke. Wenigstens in Mitteldeutschland, namentlich in Sachsen und Thüringen, ist dieser Genitiv allgemein, bei Hoch und Niedrig, im Gebrauch. Nicht bloß die Leipziger Straßenjugend spottete von der Leipziger Pferdebahn: und aller fünf Minuten, da bleibt de Karre stehn – auch die gebildete Mutter sagt zu ihrem Kinde: bleib doch nicht aller zehn Schritte stehen, oder: du bleibst ja aller drei Zeilen hängen, oder: so was kommt nur aller Jubeljahre einmal vor (wobei der Zahlbegriff in Jubel steckt: 25, 50, 100), ja sogar: komm doch nicht aller Nasen lang gelaufen, oder: du störst mich aller Augenblicke, und der Arzt schreibt auf das Rezept: aller zwei Stunden einen Eßlöffel voll zu nehmen. Mit dem Akkusativ, wie er in Nord- und Süddeutschland üblich ist, erscheint uns nicht das Periodische, die Wiederkehr der Handlung in gleichen Zeitabständen, ausgedrückt. Wenn ich sage: das kann ich alle Augenblicke tun, oder von einem geladnen Geschoß: geh zurück! es kann alle Augenblicke losgehen, so heißt das nichts andres als: jeden Augenblick, jederzeit, sogleich, sofort. Sage ich dagegen: es blitzt aller Augenblicke, so heißt das (natürlich mit einer starken Übertreibung): es blitzt in regelmäßigen Abständen von je einem Augenblick. Wenn sich jemand beklagt, er habe vierzehn Tage an einem langweiligen[S. 260] Badeorte sitzen müssen, so kann ich ihn fragen: bist du denn alle vierzehn Tage dort gewesen? Das ist eine Zeitdauer, keine Wiederholung. Wenn sich aber die Landpfarrer in regelmäßigen Zwischenräumen von je vierzehn Tagen zu einer Konferenz in der Stadt zusammenfinden, so kommen sie nicht alle, sonder aller vierzehn Tage. Eine Berliner Zeitschrift verspricht ihren Lesern auf dem Umschlag alle sieben Tage ein Heft. Sie hält aber ihr Versprechen nicht, denn sie bringt nur aller sieben Tage eins. Wenn ich sage: ich reise alle Jahre nach Italien, so kann ich das einemal im März, das andremal im Mai, das drittemal im Oktober reisen. Will ich dagegen sagen, daß ich die Reise in genauen Abständen von je einem Jahre mache, so würde ich zwar nicht sagen: aller Jahre (das ist nicht gebräuchlich), wohl aber, wo es auf eine genaue Bestimmung einer periodisch wiederkehrenden Handlung ankommt: aller zwölf Monate.[122]

Da es sich bei diesem eigentümlich gefärbten „distributiven“ Genitiv, wie man ihn treffend genannt hat, keineswegs um einen niedrigen Provinzialismus handelt, sondern um eine mundartliche Feinheit, deren das Norddeutsche wie das Süddeutsche entbehrt, so kann es uns niemand verdenken, wenn wir ihn nicht dem unklaren, doppelsinnigen Akkusativ zuliebe fallen lassen. Wir bleiben fest bei unserm aller vier Wochen!

Donnerstag und Donnerstags – nachmittag und nachmittags

Auch auf die Frage: wann? muß bei periodisch wiederkehrenden Handlungen stets der Genitiv stehen. Auf die Frage: wann ist der Eintritt ins Museum frei? kann nur geantwortet werden: Montags und Donnerstags, wenn damit gesagt sein soll, daß es[S. 261] jeden Montag und jeden Donnerstag so sei. Ebenso bezeichnet morgens, mittags, vormittags, nachmittags, abends Handlungen, die jeden Morgen, jeden Mittag usw. geschehen. Die einmalige Handlung dagegen wird durch den Akkusativ ausgedrückt. Aber auch hier herrscht jetzt Verwirrung. Genitive wie Sonntags, Montags gelten jetzt lächerlicherweise manchen beim Schreiben für unfein, und umgekehrt drängt sich wieder der Genitiv dahin, wo er nicht hingehört. In der Umgangssprache wird er schon ganz anstandslos auch von einmaligen Handlungen gebraucht: kommst du mittags zurück? Nein, ich komme erst abends zurück. Es muß heißen: zu Mittag und am Abend oder mit dem bloßen Akkusativ: Mittag, Abend. Also: ich bin heute mittag in Berlin, aber heute abend schon wieder in Leipzig; dagegen: ich bin mittags stets in Berlin, abends stets in Leipzig.[123] Ganz abscheulich ist es, zu schreiben: anfangs April, anfangs Dezember, anfangs der fünfziger Jahre, anfangs der Spielzeit, es muß unbedingt heißen: Anfang April, Anfang Dezember, wie Mitte Dezember, Ende Dezember. Auch Anfang, Mitte, Ende sind hier Akkusative, Dezember ein (natürlich schlechter!) Genitiv (vgl. S. 8). Anfangs kann immer nur allein als Adverbium stehen, im Gegensatze zu dann, später, endlich (anfangs wollt ich fast verzagen).

Drei Monate – durch drei Monate – während dreier Monate

Ein widerwärtiger Mißbrauch, der aber auch neuerdings für vornehm gilt – natürlich! es klingt ja französisch –, ist der Gebrauch, auf die Frage: wie lange? mit während zu antworten: wir waren während dreier Monate in der Schweiz – dieses Geräusch[S. 262] blieb während einiger Minuten hörbar – man sprach während einiger Wochen von nichts als von dieser Unternehmung – die Prüfungskommission, der Gottfried Kinkel während einer Reihe von Jahren angehört hat – die Lehren, die während achtzehn Jahrhunderten als die Grundlage rechtgläubigen Christentums angesehen worden sind – der Clavigo wurde während weniger Tage in einem Gusse geschaffen – die Naturaldienste wurden nur während weniger Tage im Jahre geleistet.

Während kann nie auf die Frage: wielange? antworten, sondern immer nur auf die Frage: wann? Vielleicht ist es nicht allen Lesern in der Erinnerung, wie die Präposition während entstanden ist. Noch im achtzehnten Jahrhundert schrieb man währendes Frühlings, währendes Krieges. Allmählich wurde dieser absolute Genitiv mißverstanden, eine Zeit lang wußte man nicht recht, ob man währendes oder während des hörte, und schließlich sprang der Partizipialstamm von der Endung ab und wurde – tatsächlich also durch ein Mißverständnis, durch eine Sprachdummheit – zu einer Präposition. Trotzdem erhielt sich bei richtiger Anwendung der ursprüngliche Sinn: es wird ein Vorgang zusammengestellt mit einem andern Vorgange, mit dem er entweder ganz oder teilweise zeitlich zusammenfällt; er lag während des Kriegs im Lazarett – während des Vortrags darf nicht geraucht werden – während des Gewitters waren wir unter Dach und Fach. Der Krieg, der Vortrag, das Gewitter sind Vorgänge, Ereignisse. Aber ein Tag, ein Monat, ein Jahr, ein Jahrhundert sind bloße Zeitabschnitte oder Zeitmaße. Er lag während dreier Monate im Lazarett – ist völliger Unsinn, denn drei Monate sind kein Ereignis, womit der Aufenthalt im Lazarett zeitlich verglichen würde, sondern sie bedeuten einfach die Zeitdauer; diese kann aber nur ausgedrückt werden durch den Akkusativ drei Monate oder drei Monate lang. Der Clavigo wurde nicht während weniger Tage, sondern in wenigen Tagen geschaffen. Aber kann man denn nicht sagen: während des Tags? Gewiß kann man das; aber dann[S. 263] ist Tag nicht als Zeitmaß gebraucht, sondern als Erscheinung der Nacht gegenübergestellt: während des Tags scheint die Sonne. Die Sonne hat nur während eines Tags geschienen – das ist Unsinn; die Sonne hat während meiner Ferien nur einen Tag geschienen – das hat Sinn. Aber alle Romanschreiber und besonders alle Romanschreiberinnen spreizen sich jetzt mit diesem albernen, dem französischen pendant nachgeäfften Mißbrauch.

Durch fünfzehn Monate endlich, durch lange Zeit, durch fünf Minuten, wie die Zeitungen jetzt auch gern auf die Frage: wielange? schreiben (die heldenmütigen Frauen, die durch fünfzehn Monate mit ihren Kindern im Buschwalde umherirrten – dieses Gefühl war durch lange Zeit künstlich genährt worden – das Publikum lärmte und applaudierte durch wenigstens fünf Minuten), ist ganz undeutsch. Es ist ein gedankenlos dem Lateinischen nachgebildeter Austriazismus, der aus österreichischen Zeitungen in unsre Sprache geschleppt worden ist.

Am (!) Donnerstag den (!) 13. Februar

Ein abscheulicher Fehler, der wieder recht ein Zeichen der immer mehr zunehmenden Verrohung unsers Sprachgefühls ist, ist die gemeine Zusammenkoppelung des Dativs und des Akkusativs, die neuerdings bei Datenangaben aufgekommen ist und mit unbegreiflicher Schnelligkeit um sich gegriffen hat. Fast alle Behörden, alle Berichterstatter, alle Programme, alle Einladungen schreiben: am Donnerstag, den 13. Februar. Sogar die amtlichen stenographischen Berichte des Reichstags sind so überschrieben!

Jede von beiden Konstruktionen für sich allein wäre richtig. Auf die Frage: wann ist das Konzert? kann ebensogut mit dem bloßen Akkusativ geantwortet werden: den Donnerstag, wie mit an und dem Dativ: am Donnerstag.[124] Aber beide Konstruktionen zusammenzukoppeln,[S. 264] einen Akkusativ als Apposition zu einem Dativ zu setzen, ist greulich. Fühlt man das gar nicht? Was glaubt man denn, daß es für ein Kasus sei, wenn auf die Frage: wann wird er zurückkehren? geantwortet wird: Donnerstag. Ist man so stumpfsinnig geworden, daß man hier den Akkusativ nicht mehr fühlt, auch wenn der Artikel nicht dabeisteht? wenn bloß geschrieben wird: Donnerstag, den 13. Februar? Nun meinen ja manche den Fehler zu vermeiden und ihre Sache sehr gut zu machen, wenn sie schreiben: am Donnerstag, dem 13. Februar. Aber da kommen sie aus dem Regen in die Traufe! (vgl. S. 253). Nein nein, es gibt nur ein Heilmittel: man lasse das dumme am wieder weg, und alles ist in Ordnung.

Man schreibt aber auch schon: vom Ende Februar, vom Dienstag, den 6. dieses Monats ab. Das ist fast noch abscheulicher. Die Akkusative Ende Februar, Dienstag, den 6. gelten für den Satzbau genau so viel wie jedes Adverbium der Zeit, das auf die Frage wann? antwortet, wie gestern, heute, morgen usw. Ebenso nun wie auf die Fragen: von wann? und bis wann? geantwortet wird: von heute bis morgen, ebenso muß auch geantwortet werden: von Ende Februar, von Dienstag, den 6. bis Donnerstag, den 8. April. Denn nicht Ende oder der Artikel den hängt von der Präposition von ab, sondern die ganze, wie ein Adverbium der Zeit aufzufassende Formel: Dienstag, den 6.

Derselbe Fall kommt auch bei Ortsbestimmungen vor. Zuhause, das auf die Frage wo? antwortet, wird für die Konstruktion ganz zum Ortsadverbium, wie hier, dort, oben, unten u. a. Auf die Frage: wo kommst du her? ist es also durchaus nicht falsch, zu antworten: von zuhause. Wir in Mitteldeutschland sagen immer so (nicht wie der Norddeutsche sagt: von Hause, das uns fremdartig und geziert klingt), ebenso wie wir auch sagen: er spricht viel von zuhause, er denkt den ganzen Tag an zuhause. (Goethe: ich freue mich recht auf nachhause!)

[S. 265]

Bindewörter. Und

Auch der Gebrauch der Bindewörter hält sich jetzt nicht frei von Fehlern und namentlich nicht frei von Geschmacklosigkeiten, die sich aber natürlich gerade deshalb, weil sie so geschmacklos sind, besondrer Beliebtheit erfreuen. Richtig angewandt werden ja im allgemeinen die geläufigen Verbindungen: nicht nur – sondern auch, sowohl – als auch, entweder – oder, weder – noch; doch kann man bisweilen auch Sätze lesen, wo falsch nicht nur – aber auch gegenübergestellt sind. Feiner und weniger geläufig ist die Verbindung nicht sowohl – als vielmehr. Bei den vorhergehenden Verbindungen sind entweder beide Glieder bejahend oder beide verneinend; hier ist das erste verneinend und das zweite bejahend. Mit dieser Verbindung wissen manche nicht recht umzugehn; sie möchten sich aber doch auch gern damit zieren und schreiben dann: nicht sowohl was die Anzahl, sondern mehr was die Bedeutung der Stücke betrifft.

Aber selbst bei dem einfachen und werden Fehler gemacht. Ein sehr gewöhnlicher Fehler entsteht dadurch, daß sich der Schreibende nicht genügend klar darüber ist, wieviel Glieder er vor sich hat. Da schreibt z. B. einer – gleich auf dem Titelblatt eines Buches! –: Geschichte der Seuchen, Hungers- und Kriegsnot im Dreißigjährigen Kriege. Wieviel Glieder sind das, zwei oder drei? Der Schreibende hat es für drei gehalten, es sind aber nur zwei. Das erste Glied ist Seuchen, das zweite ist Hungers- und Kriegsnot, und dieses besteht selber wieder aus zwei Gliedern. Folglich fehlt die Verbindung zwischen dem ersten und dem zweiten Gliede. Vielleicht fürchtet man sich vor einem doppelten und – es spielt da wieder der Aberglaube herein, daß man nicht kurz hintereinander zweimal dasselbe Wort gebrauchen dürfe! –, aber die Logik verlangt es hier unbedingt. Beseitigen wir noch den zweiten groben Fehler, daß der Plural der vor Seuchen zugleich als Singular auf Hungersnot bezogen ist, so lautet das Ganze richtig: Geschichte der Seuchen und der Hungers- und[S. 266] Kriegsnot usw. Ähnliche Beispiele, wo überall ein und fehlt – wo? deuten die Klammern an –, sind folgende: Ex-Libris, Zeitschrift für Bücherzeichen- [] Bibliothekskunde und Gelehrtengeschichte – die Beziehungen zum Hofe von Alexandrien [] zur alexandrinischen Kunst und Wissenschaft – das Material entnimmt er seinen eignen Erinnerungen [] Aufzeichnungen und Briefen aus dem schleswig-holsteinischen Archiv – ein gemeinsames Münz-, Maß- [] Gewichtssystem [] Patent- und Markenschutzrecht – Hundegeschirre, Hand- [] Kinderwagen und Rollstühle – ein Gärtchen, in dem er Gemüse baute [] Blumen und Bienen pflegte – das schlechte Essen [] Trinken und die lästigen Fliegen – wer lesen, schreiben [] rechnen kann und täglich seine Zeitung liest. In allen diesen Fällen liegen nur zwei (oder drei) Glieder vor, von denen aber das eine selbst wieder aus zwei oder mehr Gliedern besteht, und in den meisten Fällen fehlt das und gerade da, wo die beiden Hauptglieder miteinander verbunden werden müssen. Es ist genau so, wie wenn jemand schreiben wollte: die Räuber, Kabale und Liebe anstatt: die Räuber und Kabale und Liebe. Derselbe Fehler findet sich auch bei oder: z. B. die Beeinträchtigung eines künstlerisch bedeutungsvollen Platzes [], Straßen- oder Stadtbildes. Hier muß auch hinter Platzes unbedingt noch ein oder stehen.

Eine rechte Dummheit ist es, wenn auf Buchtiteln, in Buchhändleranzeigen, auf Konzertprogrammen usw. von zwei Männern, die, entweder gleichzeitig oder nacheinander, der eine vielleicht nach dem Tode des andern, an einem Werke gearbeitet haben, die Namen durch Bindestriche miteinander verbunden werden, z. B.: kritische Ausgabe von Lachmann-Muncker, Quellenkunde von Dahlmann-Waitz, Phantasie von Schubert-Liszt, der Denkmalsentwurf von Schmitz-Geiger. Zwei Namen so zu verbinden hat allenfalls Sinn, wenn der Mann zu seinem Namen den der Frau oder (wie in der Theaterwelt) die Frau zu dem ihrigen den des Mannes fügt. Aber zwei (!) Personen durch einen solchen Doppel- und Koppelnamen zu bezeichnen ist doch sinnwidrig.[S. 267] Warum denn nicht: kritische Ausgabe von Lachmann und Muncker? Wozu solches Telegrammgestammel, wo es gar nicht nötig ist? Aber die Franzosen reden doch auch von Erckmann-Chatrian. Das wars! das muß doch wieder nachgemacht werden. Aber es ist wieder nur gedankenlose Nachäfferei, denn diese beiden wollten doch den Schein erwecken, daß sie nur eine Person wären![125]

Dieselbe Dummheit – einen Bindestrich statt und zu schreiben – ist aber auch sonst noch verbreitet, namentlich in den beliebten Verbindungen: kritisch-historisch, historisch-kritisch, religiös-sittlich, religiös-sozial, sozial-wirtschaftlich, sozial-ethisch, technisch-konstruktiv, wirtschaftlich-technisch, hygienisch-therapeutisch usw. Welche Unklarheit und Verwirrung haben diese törichten Koppelwörter schon in den Köpfen angerichtet! Kann es einen größern Unsinn geben als religiös-sittlich? Religion und Sittlichkeit sind doch zwei ganz verschiedne Gebiete. Kann es einen größern Unsinn geben als historisch-kritische Anmerkungen? Eine historische Anmerkung ist doch keine kritische, und eine kritische keine historische.

Sehr beliebt ist jetzt auch die Abgeschmacktheit – sie stammt aus Österreich –, statt und zwar so zu schreiben: so zwar, z. B.: entscheidend sind die Leistungen im Deutschen, so zwar, daß ein Schüler, der im Deutschen nicht genügt, für nicht bestanden (!) erklärt wird. Wer logisch denkt, wird hinter so zwar stets noch ein zweites Glied erwarten: aber doch auch so, daß usw.

Eine ganz neue Dummheit ist es, auf Quittungen, Wechseln u. dgl. in der Angabe der Geldsumme statt[S. 268] und zu schreiben auch: 75 Mark auch 20 Pfennige. Das ist schwedisch, aber nicht deutsch: utan svafvel och fosfor.

Falsch ist es, einen Satz mit denn an einen untergeordneten Nebensatz anzuknüpfen, z. B.: leider ist der Brief nicht so bekannt geworden, wie er es verdiente, denn er ist für den Entwicklungsgang des Künstlers von großer Wichtigkeit. Man erwartet: denn er ist an einer sehr versteckten Stelle abgedruckt. An einen untergeordneten Nebensatz kann sich nie ein bei- oder nebengeordneter anschließen.

Als, wie, denn beim Vergleich

Ob es richtiger sei, zu sagen: größer als oder größer wie, läßt sich am besten mit Hilfe der Sprachgeschichte beantworten. In der Anwendung der drei vergleichenden Bindewörter als, wie und denn ist im Laufe der Zeit eine Verschiebung vor sich gegangen. Im Althochdeutschen und noch im Mittelhochdeutschen stand (wie noch heute im Englischen) hinter dem Komparativ stets danne, dan, denne, z. B.: wîzer dan ein snê (weißer denn Schnee). Denn bezeichnete also die Ungleichheit. Hinter dem Positiv stand damals stets alsô (d. h. ganz so), alse, als, z. B.: wîz als ein swan (weiß als ein Schwan). Als bezeichnete also die Gleichheit, und zwar nicht nur hinter dem Positiv, sondern auch bei andern Vergleichungen, wie bei Luther: wer nicht das Reich Gottes empfängt als ein Kind – du sollst deinen Nächsten lieben als dich selbst – und auch in vergleichenden Zwischensätzen: als sich gebührt. Wie endlich, althochdeutsch hwêo oder hwio, war ursprünglich überhaupt keine vergleichende Konjunktion, sondern nur Fragewort.

Allmählich erweiterte sich aber das Gebiet von als so, daß es nicht bloß bei der Gleichheit, sondern auch bei der Ungleichheit, hinter dem Komparativ verwendet wurde und dort das alte denn verdrängte. Dafür wurde aber wie zur Vergleichungspartikel und fing nun seinerseits an, das alte als da zu verdrängen, wo dieses[S. 269] früher die Gleichheit bezeichnet hatte, ja es drang sogar noch weiter vor, bis an die Stelle von denn und bezeichnete nun ebenfalls auch die Ungleichheit (größer wie). Diese Verschiebung, die schon im sechzehnten Jahrhundert beginnt, ist im siebzehnten und achtzehnten in vollem Gange und ist eigentlich auch jetzt noch nicht ganz, aber doch ziemlich abgeschlossen. Daß sie noch nicht ganz abgeschlossen ist, daher stammt eben das Schwanken.

Wenn man also auch nicht behaupten kann, es sei falsch, zu sagen: so weiß als Schnee, es dürfe nur heißen: so weiß wie Schnee, so trifft man doch ungefähr das richtige, wenn man sagt: denn als Vergleichungspartikel ist veraltet (nur in gewissen Verbindungen wie: mehr denn je ist es noch üblich), als bezeichnet die Ungleichheit (anders als) und gehört hinter den Komparativ (wie lat. quam, franz. que, engl. than), wie bezeichnet die Gleichheit und gehört hinter den Positiv (wie lat. ut, franz. comme, engl. as). Es könnte nichts schaden, wenn der Unterricht in diesem Sinne etwas nachhülfe und dadurch dem Schwanken ein Ende machte. Wie auch hinter dem Komparativ zu gebrauchen (er sieht ganz anders aus wie die üblichen Sterblichen), müßte dann natürlich der Gassensprache überlassen bleiben. Leider verbreitet es sich neuerdings wieder mehr und mehr auch in der Schriftsprache (besser wie, mehr wie je), wo es dann unsäglich gemein wirkt.

Erhalten hat sich noch die ursprüngliche Bedeutung von als im Sinne der Übereinstimmung bei den Appositionen hinter als: als Knabe, als Mann, als König, als Gast, als Fremder. Da kommt es nun nicht selten vor, daß dieses als unmittelbar hinter ein als beim Komparativ tritt, z. B.: er betrachtete und behandelte den jungen Mann mehr als Freund, als als Untergebnen. In diesem Falle pflegt – nach dem alten, nun schon oft bekämpften Aberglauben – gelehrt zu werden, es müsse heißen: denn als Untergebnen; das Wort als dürfe nicht zweimal hintereinander stehen. Und so schreibt man denn auch meist ängstlich: die Trennung der Christenheit hat sich eher als Gewinn[S. 270] denn als Schädigung erwiesen – Bismarck fühlte sich weniger als deutscher Staatsmann denn als der ergebne Diener des Hauses Hohenzollern – manche Gymnasiallehrer stellen sich lieber als Reserveoffiziere denn als Bildner der Jugend vor. Es fragt sich aber doch sehr, was anstößiger sei: das doppelte als oder das auffällige, gesuchte, veraltete denn, das sonst niemand mehr in diesem Sinne gebraucht. Die Umgangssprache, auch die der Gebildeten, setzt unbefangen ein doppeltes als: mir hat Lewinsky besser als Shylock als als Mohr gefallen. Ein feiner Satz ist: Friedrich Wilhelm der Vierte haßte die Revolution nicht bloß wie, sondern als die Sünde. Hier sieht man deutlich hinter wie die Vergleichung, hinter als die Übereinstimmung.

Die Verneinungen

In dem Gebrauche der Verneinungen ist es zunächst eine häßliche Gewohnheit der Amts- und Zeitungssprache, statt keiner und nichts immer zu sagen: einer nicht, etwas nicht, z. B. dieser Orden wird auch an solche Personen verliehen, die einen Hofrang nicht besitzen – diesem Unterschied ist eine größere Tragweite nicht beizumessen – wenn nachgewiesen wird, daß dieser Versuch einen günstigen Erfolg nicht gehabt hat – von der Opposition hatte sich ein Redner, um diese scharfen Angriffe zurückzuweisen, nicht gemeldet – das Patent schließt sich der Ansicht an, daß in dem vorgelegten Maschinenteil eine wesentliche, zur Erleichterung der Anwendung beitragende neue Erfindung nicht gemacht sei – den auf die Tagesordnung zu stellenden Vorträgen wird eine Erörterung nicht folgen – die Deputation fand gegen alles dieses etwas nicht einzuwenden – durch die neuerlichen (!) Bestimmungen wird im übrigen an den bestehenden Einrichtungen etwas nicht geändert (was mag dieses Etwas sein?). Eine solche Trennung – eine Nachahmung des Lateinischen – ist nur dann am Platze, wenn das Hauptwort betont und einem andern Hauptworte gegenübergestellt wird, z. B.: ein Erfolg ist bis jetzt nicht zu beobachten gewesen – wo[S. 271] Erfolg vorangestellt und vielleicht den vorher besprochnen Bemühungen gegenübergestellt ist.[126]

Eine doppelte Verneinung gilt jetzt fast allgemein in der guten Schriftsprache als Bejahung. Es ist das aber – dessen wollen wir uns bewußt bleiben – eine ziemlich junge „Errungenschaft“ des Unterrichts. In der älteren Sprache bestand, wenn auch nicht geradezu die Regel, so doch weit und breit die Gewohnheit, daß man den Begriff der Verneinung, um ihn zu verstärken, verdoppelte, ja verdreifachte. Diese Gewohnheit hat sich, auch bei den besten Schriftstellern, bis weit in das achtzehnte Jahrhundert erhalten, und der Volksmund übt sie zum Teil noch heute. Nicht bloß Luther schreibt: ich habe keinem nie kein Leid getan,[127] auch Lessing schreibt noch: keinen wirklichen Nebel sahe Achilleus nicht, auch Goethe noch: man sieht, daß er an nichts keinen Anteil nimmt, auch Schiller noch: nirgends kein Dank für diese unendliche Arbeit, und der Volksmund fragt noch heute: hat keener kee Streichhelzchen nich? Wir mögen es bedauern, daß unter dem Einflusse der lateinischen Grammatik diese – falsche darf man nicht sagen, sondern nur andre Art, zu denken, ganz verdrängt worden ist, auch in der Volksschule, die hier ebenfalls unter dem Banne der lateinischen Grammatik steht; aber nachdem das einmal geschehen ist, und die doppelte Verneinung fast allgemein wie im Lateinischen (nemo non) als Bejahung empfunden wird, ist es auch[S. 272] unmöglich, sie noch in der alten Weise zu verwenden. Das gilt besonders auch bei den Nebensätzen, die mit ehe, bevor, bis und ohne daß anfangen, und bei Infinitivsätzen nach einem verneinten Hauptsatze. Es ist also entschieden anstößig, zu schreiben, wie es so oft geschieht: die Hauptfrage kann nicht erledigt werden, ehe nicht (oder: bis nicht) die Vorfrage erledigt ist (wenn nicht oder solange nicht wäre richtig) – es gehört keine große Menschenkenntnis dazu, das nicht auf den ersten Blick zu sehen. Namentlich hinter warnen erscheint ein verneinter Infinitiv, wie in den bekannten Zeitungsanzeigen: ich warne hiermit jedermann, meiner Frau nichts zu borgen u. dgl., unsinnig, denn warnen, d. h. abraten, abmahnen, enthält ja schon den Begriff der Verneinung.

Daß eine Verneinung eines mit un zusammengesetzten Hauptworts oder Eigenschaftsworts (kein Unmensch, nicht ungewöhnlich, nicht unmöglich, nicht unwahrscheinlich) nur eine Bejahung, und zwar eine eigentümlich gefärbte vorsichtige Bejahung ausdrücken kann, darüber ist sich wohl jedermann klar. Man sollte aber mit dieser doppelten Verneinung, der sogenannten Litotes (Einfachheit), wie man sie mit einem Ausdrucke der griechischen Grammatik bezeichnet, recht sparsam sein. Es gibt Gelehrte – es sind dieselben, die auf jeder Seite zwei-, dreimal meines Erachtens lispeln, als ob nicht alles, was sie sagen, bloß ihr „Erachten“ wäre! –, die nicht den Mut haben, auch nur eine einzige Behauptung, ein einziges Urteil fest und bestimmt hinzustellen, sondern sich um alles mit dem ängstlichen nicht un– herumdrücken. Es gibt aber auch Leute, die so in diese Litotes verliebt sind, daß sie sie gedankenlos sogar da brauchen, wo sie die Verneinung meinen, z. B.: das wirkt nicht unübel – dieser Effekt war ein von dem Juden nicht unerwarteter – endlich fand sich ein Tag, an welchem (wo!) keiner der drei Herren unbehindert war – es ist das kein unverächtlicher Zug – die Leistungen zeigen eine nicht ungewöhnliche Begabung – ein gewisser Mangel an Nichtachtung des Lehrerstandes und ähnl. Ist es doch sogar einem so scharfen Denker[S. 273] wie Lessing begegnet, daß er in der Emilia Galotti geschrieben hat: nicht ohne Mißfallen (wo er schreiben wollte: nicht ohne Wohlgefallen, oder: nicht mit Mißfallen). Sehr häufig, viel häufiger, als es bei unserm heutigen hastigen und gedankenlosen Lesen bemerkt wird, findet sich namentlich die törichte Verbindung nicht unschwer: der Leser wird nicht unschwer erkennen – es wird das nicht unschwer zu beweisen sein – man wird sich nicht unschwer vorstellen können. Schon unschwer allein ist ein dummes Wort, wie alle solche unnötig gekünstelten Verneinungen.[128] Nun vollends nicht unschwer! Und das soll heißen: leicht! Erscheint nicht ein solches Hineinfallen in einen logischen Fehler wie eine gerechte Strafe für törichte Sprachziererei? Auch wenn jemand schreibt: der Besitzer sieht in dieser Bronze nichts weniger als ein Werk des Lysipp, es ist aber nur eine römische Nachahmung – so schreibt er gerade das Gegenteil von dem, was er sagen will; er will sagen: der Besitzer sieht in der Bronze nichts geringeres als ein Werk des Lysipp, es ist aber nichts weniger als das, es ist nur eine römische Nachahmung. Auch wenn man gespreizt sagt: das ist nicht zum geringsten Teile der Tätigkeit unsers Vereins zu danken (anstatt einfach: zum größten Teile), kann man sich nicht beschweren, wenn ein Schalk das Gegenteil von dem heraushört, was man sagen will.

Wenn von zwei Verneinungen die zweite gesteigert werden soll, so geschieht das durch geschweige denn, z. B. der Bau kann in vier Jahren nicht ausgeführt werden, geschweige denn in zweien. Ist das erste Glied positiv, so kann geschweige denn nicht angewendet werden. Falsch ist also folgender Satz: diese Bestrebungen können nur mit universalgeschichtlichen Kenntnissen gepflegt, geschweige denn gefördert werden. Hier muß es entweder statt geschweige denn heißen: und vollends (vgl. S. 132), oder das erste Glied muß ebenfalls negativ[S. 274] eingekleidet werden: diese Bestrebungen können ohne universalgeschichtliche Kenntnisse nicht gepflegt, geschweige denn gefördert werden.

Besondere Fehler. Der Schwund des Artikels

Im Niederdeutschen ist es gebräuchlich, bei Verwandtschaftsbezeichnungen den Artikel wegzulassen wie bei Personennamen und zu sagen: Vater hats erlaubt, Mutter ist verreist, Tante ist dagewesen. Wenn das neuerdings auch in Mitteldeutschland viele nachmachen, weil es aus Berlin kommt, so ist das Geschmacksache; schön ist es nicht, nicht einmal traulich. Eine widerwärtige Unsitte aber ist es, diese niederdeutsche Gewohnheit auszudehnen auf Wörter wie: der Verfasser, der Berichterstatter, der Referent, der Rezensent, der Angeklagte, der Kläger, der Redner, der Vorredner (!), der Vorsitzende usw. Es wird aber jetzt fast allgemein geschrieben: in dieser Schrift bietet Verfasser eine Anthologie aus den Hauptwerken der Klassiker der Staatswissenschaft – die Veröffentlichung dieses Buchs hat für Referenten ein besondres Interesse gehabt (für alle Referenten?) – Berichterstatter bekennt gern, daß er eine solche Bemerkung nie zu hören bekommen hat – Schreiber dieser Zeilen hat das selbst beobachtet.

Einen zweiten Fall, wo der Artikel jetzt unberechtigterweise weggelassen wird, vergegenwärtigen Ausdrücke wie: Denkmale deutscher Tonkunst, die erste Blütezeit französischer Plastik, eine ältere Epoche deutscher Geschichte, Fragen auswärtiger Politik, die Freude an heimischer Vergangenheit, eine Tat evangelischen Bekenntnisses. Sind denn die deutsche Tonkunst und die französische Plastik früherer Zeiten Dinge wie französischer Rotwein und deutscher Käse, die unaufhörlich vertilgt und neu fabriziert werden? Es sind doch ganz bestimmt umgrenzte Mengen dauernder Erzeugnisse der menschlichen Geistestätigkeit. Welcher Unsinn, denen den bestimmten Artikel zu rauben! Man denke sich, daß Overbeck seine Geschichte der griechischen Plastik Geschichte griechischer Plastik genannt hätte!

[S. 275]

Ein dritter Fall endlich – ungefähr von derselben Art – ist die Geschmacklosigkeit, den bestimmten Artikel in Überschriften von Aufsätzen und in Buchtiteln wegzulassen. Aber auch das ist jetzt sehr beliebt. Man nimmt eine Monatsschrift zur Hand und findet im Inhaltsverzeichnis: Ballade. Von X. Ei der tausend! denkt man, ist dein guter Freund X unter die Balladendichter gegangen? und schlägt begierig auf. Was findet man? Einen Aufsatz über die Geschichte der Ballade! Der kann aber doch vernünftigerweise nur überschrieben werden: Die Ballade. Ein bekannter Kunstsammler hat über seine Schätze ein Prachtwerk veröffentlicht unter dem Titel: Sammlung Schubart. Ja, so konnte er ins Treppenhaus über die Tür seines Museums schreiben, aber der Buchtitel kann nur lauten: Die Sammlung Schubart (wenn durchaus französelt sein muß!). Namentlich Romane, Schauspiele und Zeitschriften werden jetzt gern mit solchen artikellosen Titeln versehen (Heimat, Jugend, Sonntagskind u. ähnl.), aber auch andre Werke, wie: Stammbaum Becker-Glauch (das soll heißen: der Stammbaum der Familien Becker und Glauch!). Ein bekanntes Werk von Guhl und Koner hat fünf Auflagen lang das Leben der Griechen und Römer geheißen; der neue Herausgeber der sechsten hat es wahrhaftig verschönert zu: Leben der Griechen und Römer. Zu einer wahren Seuche ist dieses Weglassen des Artikels in den sogenannten „Spitzmarken“ der Zeitungen ausgeartet: Frecher Diebstahl, Aufgefundener Leichnam, Fahrrad gestohlen, Mädchen vermißt.[129]

In formelhaften Verbindungen wie: Haus und Hof, Land und Leute, Frau und Kinder bleibt der Artikel stets weg, aber nur dann, wenn die beiden so[S. 276] verbundnen Hauptwörter gar keinen Zusatz haben. Falsch ist es, zu sagen, wie es jetzt oft geschieht: der Verunglückte hinterläßt Frau und drei unmündige Kinder. Er hinterläßt Frau – das ist kein Deutsch, denn niemand sagt: ich habe Frau, hast du Frau?

Es gibt aber auch Fälle, wo der Artikel gesetzt wird, obwohl er nicht hingehört. Gleich unausstehlich sind zwei Anwendungen des Artikels – das einemal des unbestimmten, das andremal des bestimmten – bei Personennamen. Für Leute von Geschmack bedarf es wohl nur folgender Beispiele, um ihren ganzen Abscheu zu erregen: Heyse hat nie die ruhige Größe eines Goethe erreicht – welcher unsrer großen Schriftsteller, selbst ein Lessing und ein Goethe, wäre von Fehlern freizusprechen! – und: von den Franzosen kamen die Dumas Sohn und Genossen herüber – die Neigung und Schätzung der Haupt, Jahn und Mommsen – die tiefeindringende Ästhetik der Hebbel und Ludwig. Der zweite Fall ist ja ein gemeiner Latinismus; den ersten aber sollte man dem Untersekundaner überlassen, der seinen ersten deutschen Aufsatz über ein literargeschichtliches Thema schreibt, ja nicht einmal dem, denn wie soll er sonst seinen Ungeschmack loswerden?

Natürliches und grammatisches Geschlecht

Viel Kopfzerbrechen hat schon manchem die Frage gemacht, ob man auf Wörter wie Weib, Mädchen, Fräulein, Mütterchen mit es, das und sein zurückweisen müsse, oder auch mit sie, die und ihr zurückweisen dürfe, mit andern Worten: ob bei solchen Wörtern das grammatische oder das natürliche Geschlecht vorgehe. Auch bei Backfisch kann die Frage entstehen. Nun, um das Ob braucht man sich nicht zu sorgen, es ist eins so richtig wie das andre; die Schwierigkeit liegt nur in dem Wo und Wie, und hierüber läßt sich keine allgemeine Regel geben, es muß das dem natürlichen Gefühl des Schreibenden überlassen bleiben. Klar ist, daß das grammatische Subjekt solcher Wörter um so eher festgehalten werden darf, je dichter das Fürwort auf das Hauptwort folgt, also besonders bei dem relativen Fürwort,[S. 277] das sich unmittelbar an das Hauptwort anschließt, ebenso, wenn beide sonst nahe beieinander in demselben Satze stehen, z. B.: das Mädchen hatte frühzeitig seine Eltern verloren. Es ist aber auch nicht das geringste dagegen einzuwenden, wenn jemand schreibt: die Dekoration stand dem Mütterchen Moskau gut zu ihrem alten Gesicht. Auch bei Goethe heißt es: dienen lerne beizeiten das Weib nach seiner Bestimmung, denn durch Dienen allein gelangt sie endlich zum Herrschen. Je später das Fürwort auf das Hauptwort folgt, desto mehr schwächt sich die Kraft des grammatischen Geschlechts ab, und die Vorstellung des natürlichen Geschlechts verstärkt sich. Deshalb ist es auch abgeschmackt zu schreiben: die jüngere Tochter ist ein Ausbund von Anmut und Gescheitheit, um den sich die tanzenden Herren förmlich reißen, wenn er in der Gesellschaft erscheint. Namentlich in einer längeren Reihe von Sätzen hintereinander das grammatische Geschlecht solcher Wörter pedantisch festzuhalten, kann unerträglich werden.

Die Frage, ob es heißen müsse: Ihr Fräulein Tochter (Schwester, Braut) oder Ihre Fräulein Tochter, ist sehr leicht zu beantworten. Das besitzanzeigende Adjektivum gehört in diesen Verbindungen nicht zu Fräulein, sondern natürlich zu Tochter, Schwester, Braut, wozu Fräulein, gleichsam in Klammern, als bloßer Höflichkeitszusatz tritt (vgl. S. 15 die Herren Mitglieder). Es darf also nur heißen: Ihre [Fräulein] Braut – empfehlen Sie mich Ihrer [Fräulein] Tochter!

Seitdem die Universitäten den Titel „Doktor“ (als ob er eine Versteinerung wäre, von der kein Femininum gebildet werden könnte!) an Damen verleihen, liest man auf Büchertiteln: Dr. Hedwig Michaelson. Setzt man davor noch Fräulein, so hat man glücklich drei Geschlechter nebeneinander: Fräulein (sächlich) Doktor (männlich) Hedwig (weiblich). Freilich ist dabei eigentlich nichts verwunderliches. Die Verschrobenheit der Sprache ist ja nur das Abbild von der Verschrobenheit der Sache. Vielleicht druckt man auch noch: Fräulein Studiosus medicinae Klara Schulze.

[S. 278]

Mißhandelte Redensarten

Für eine große Anzahl von Tätigkeitsbegriffen fehlt es im Deutschen an einem geeigneten Zeitwort; wir können sie nur durch Redensarten ausdrücken, die aus einem Zeitwort und einem Hauptwort bestehen. Oft ist aber auch ein geeignetes Zeitwort vorhanden, und doch geben viele, weil sie die Neigung haben, sich breit auszudrücken, einer umschreibenden Redensart den Vorzug. Solche Redensarten – unentbehrliche und entbehrliche – sind z. B.: Fühlung haben, Gebrauch machen, Klage führen, Rechenschaft ablegen, Kenntnis nehmen, Platz greifen, Wandel schaffen, Lärm schlagen, Dank wissen, in Kenntnis setzen, zur Verfügung stellen und hundert andre.

Diese Redensarten haben nun meist etwas formelhaftes. Da sie einfache Verbalbegriffe ersetzen, so werden sie auch wie einfache Verba gefühlt. Daraus folgt aber mit Notwendigkeit zweierlei: erstens, daß sie in passivischen Sätzen und in Nebensätzen, wo das Zeitwort am Ende steht, nicht zerrissen werden dürfen; zweitens, daß sie, ebenso wie wirkliche Verba, nur mit Adverbien bekleidet werden können. Gegen beide Gesetze wird fort und fort verstoßen.

Da schreibt man z. B.: er wurde in Kenntnis von dem Geschehenen gesetzt. Falsch! Es muß heißen: er wurde von dem Geschehenen in Kenntnis gesetzt, denn die Redensart in Kenntnis setzen vertritt ein einfaches Verbum und darf nicht zerrissen werden. Andre Beispiele solches gefühllosen Zerreißens sind: wenn eine der brennenden Fragen in Beziehung zur technischen Hochschule gesetzt wurde – es ist nicht mehr als billig, daß wir einen Begriff von Talenten wie Kjelland erhalten – weil die Regierung nicht die Hand zu einer dauernden Spaltung in den Münchner Künstlerkreisen bieten wollte – wenn auch dieser Realismus die Brücke zwischen der Dichterin und der großen Menge schlug – wer sich eine Vorstellung von der eigentümlichen Persönlichkeit Stiers machen will. Der Fehler ist um so störender, als durch das Zerreißen der[S. 279] Redensart der Ton von dem Hauptwort auf das Zeitwort verlegt wird (die Hand bieten, anstatt: die Hand bieten – die Brücke schlug, anstatt: die Brücke schlug), auf das Zeitwort, das meist ziemlich bedeutungslos und nur ein äußerliches Hilfsmittel zur Bildung der Redensart ist. Läßt man die Redensart zusammen, so bleibt auch der Ton an der richtigen Stelle.

Die andre Art, solche Redensarten zu mißhandeln, besteht darin, daß man das Hauptwort herausreißt und mit einem Attribut bekleidet, anstatt die Redensart zusammenzulassen und sie als Ganzes mit einem Adverb oder einem adverbiellen Ausdruck zu bekleiden. Der häufigste Fall ist der, daß man zu dem Hauptwort ein Adjektiv setzt, z. B. es ist sehr zu befürchten, daß er dabei ernstlichen Schaden nehmen werde. Schaden nehmen ist eine Redensart, die einen einfachen passiven Verbalbegriff vertritt (geschädigt werden, beschädigt werden). Man kann nicht ernstlichen, man kann nur ernstlich Schaden nehmen, wie man nur ernstlich geschädigt werden kann. Mit andern Worten: nicht der Schade ist ernstlich, sondern das Schadennehmen, der ganze Begriff. Der Minister nahm von den Einrichtungen der Schule eingehende Kenntnis – derselbe Fehler! Kenntnis nehmen ist eine Redensart, die einen einfachen aktiven oder passiven Verbalbegriff vertritt (kennen lernen, belehrt werden, unterrichtet werden). Man kann von einer Sache weder eingehende, noch gründliche, noch flüchtige, noch oberflächliche Kenntnis nehmen, man kann nur eingehend, gründlich, flüchtig, oberflächlich Kenntnis nehmen. In folgenden Beispielen soll das Richtige immer gleich in Klammern hinzugesetzt werden: bittere Klagen führen (bitter Klage führen) – gebührende Notiz nehmen (gebührend Notiz nehmen) – seiner Abneigung unverhohlenen Ausdruck geben (unverhohlen Ausdruck geben) – wir werden sein Andenken stets in hohen Ehren halten (hoch in Ehren halten) – sie nahm immer noch einen merkwürdigen Anteil an dem Herrn (merkwürdig Anteil) – der Rat wolle zu diesem Plane wohlwollende Stellung nehmen (wohlwollend[S. 280] Stellung nehmen) – es ist nicht leicht, zu dieser Frage richtige Stellung zu nehmen (richtig Stellung zu nehmen) – gegen das Rabattwesen wurde scharfe Stellung genommen (scharf Stellung genommen) – der König besuchte das Geschäft, um die Geschenke in kritischen Augenschein zu nehmen (kritisch in Augenschein zu nehmen) – von seinen literarischen Arbeiten legen die Briefe ausgiebige Rechenschaft ab (ausgiebig) – sie denken nicht daran, mit diesen Hirngespinsten ernsthafte Politik zu treiben (ernsthaft Politik zu treiben) – über meine Tätigkeit war ein entstellender Bericht erstattet worden (entstellend Bericht erstattet worden) – die ausgestellten Gegenstände kommen nicht zu rechter Geltung (recht zur Geltung) – die Stimme des Unmuts im Lande soll nicht zu weiterm Ausdruck (weiter zum Ausdruck) kommen – wir können diesen Gerüchten keinen rechten Glauben schenken (nicht recht Glauben schenken) – allen gröbern Ausschreitungen muß ein energisches Halt geboten werden (energisch Halt geboten) – die gegnerische Presse hat gewaltigen Lärm geschlagen (gewaltig Lärm geschlagen) – das Gottesgnadentum hatte unter seinem Vater trostlosen Schiffbruch gelitten (trostlos Schiffbruch gelitten) – hier wäre Grund vorhanden, bessernde Hand anzulegen (bessernd Hand anzulegen) – die Zeit schafft oft unerwartet schnellen Wandel (schnell Wandel) – er brachte die Angelegenheit zum ausführlichen Vortrag (ausführlich zum Vortrag) – ich erlaube mir, meinen schönen Garten mit Kolonnaden in empfehlende Erinnerung zu bringen (empfehlend in Erinnerung zu bringen).

Ebensowenig wie Eigenschaftswörter dürfen natürlich Zahlwörter oder besitzanzeigende Adjektiva in solche Redensarten eingefügt werden. Da schreibt einer über die Tagespresse: man muß zwischen ihren Zeilen lesen. Unsinn! Man muß bei ihr zwischen den Zeilen lesen! Denn zwischen den Zeilen lesen ist eine formelhafte, unveränderliche Redensart, die nur durch einen adverbiellen Zusatz (bei ihr) näher bestimmt[S. 281] werden kann. Ein andrer schreibt: der erste Sturm sollte gegen das Großkapital gelaufen werden. Doppelter Unsinn! Erstens weil der Sturm gezählt, zweitens weil die Redensart zerrissen ist. Es muß heißen: zuerst sollte gegen das Großkapital Sturm gelaufen werden. Ebenso ist doppelt fehlerhaft: wir müssen fleißigern Gebrauch von der Rute machen (richtig: wir müssen fleißiger von der Rute Gebrauch machen) – die Zeit, wo der Fürst noch unmittelbare Fühlung mit dem Volke hatte (richtig: unmittelbar mit dem Volke Fühlung hatte) – besonderen Dank wird der Leser dem Herausgeber für die kurzen Einleitungen wissen (richtig: besonders wird der Leser dem Herausgeber für die kurzen Einleitungen Dank wissen) – besondre Obacht mußte darauf gegeben werden, daß sich keiner der Buße entzog (richtig: besonders mußte darauf Obacht gegeben werden) – von konservativer Seite wird laute Klage über die antisemitischen Demagogen geführt (richtig: wird laut über die antisemitischen Demagogen Klage geführt).[130]

Ein Attribut kann ja aber auch in der Form eines abhängigen Genitivs erscheinen; auch in dieser Form kommt der Fehler sehr oft vor. Da schreibt man: die Ärzte müssen die ganze Nacht zur Verfügung der Wache stehen – sämtliche Verhafteten wurden zur Verfügung des französischen Botschafters gestellt – wenn sich die Kammer zur Verfügung der größten Schwindelei des Jahrhunderts stellt (muß heißen: der Wache zur Verfügung stehen usw.) – die Streitfragen, die auf der Tagesordnung ihrer Wissenschaft stehen (muß heißen: in ihrer Wissenschaft auf der Tagesordnung stehen) – es sollen ganz bestimmte Gegenstände zur Beratung der Konferenz gestellt werden – (muß heißen: der Konferenz zur Beratung gestellt werden) – die Dame, in deren Mund die Erzählung gelegt ist (muß heißen: der die Erzählung in den Mund gelegt ist). Auch in diesen[S. 282] Fällen wird überdies die Redensart zerrissen, in den meisten entsteht ein Gallizismus (mettre à la disposition de quelqu’un).

Sowenig aber das Hauptwort einer solchen formelhaften Redensart mit einem Attribut bekleidet werden kann, so wenig kann es endlich mit einem Relativsatz behängt werden. Auch ein Relativsatz kann sich immer nur an den Gesamtbegriff der Redensart, aber nicht an den Bestandteil anschließen, den das Hauptwort bildet. Aber auch dieser Fehler, der große Unbeholfenheit verrät, ist etwas sehr gewöhnliches, wie folgende Beispiele zeigen: die Versuche blieben nicht ohne Eindruck, der (!) aber durch die nachfolgenden Ereignisse bald wieder verwischt wurde – namentlich waren die Schöpfungen der Pariser Architektur auf ihn von Einfluß, der (!) bis zu seinen letzten Werken nachhaltend geblieben ist – ein solches Unternehmen muß in Einzelheiten Widerspruch hervorrufen, der (!) dann auch auf die Beratung des Ganzen Einfluß übt – da stand er nun in Verlegenheit, an die (!) er gar nicht gedacht hatte – auf seine Bitten erhielt er in dieser Sprache Unterricht, den (!) er selbst so anziehend geschildert hat – die Scheune geriet in Brand, der (!) erst nach einer Stunde gelöscht wurde – Vischer redet sich alle Galle vom Herzen, das (!) im deutschen Bruderkriege 1866 blutete.

Etwas erträglicher wird der Fehler, wenn man das Hauptwort der Redensart mit einer Art von Anaphora wiederholt, z. B.: man hat den Eindruck, daß beide in dem Augenblick der Entscheidung Friede gemacht haben, einen Frieden, der auch dem unterliegenden Teile zugute kommt. Schwache Gemüter können hier zugleich rein äußerlich sehen, worauf es ankommt: in der Redensart erscheint das Hauptwort ohne Artikel, in der Anaphora mit Artikel; bezeichnend ist dabei der Unterschied, den der Schreibende (unwillkürlich?) zwischen der ältern und der jüngern Form Friede und Frieden gemacht hat. Oft berühren sich nämlich solche unveränderliche formelhafte Redensarten nahe mit andern Wendungen, die nichts formelhaftes haben, sondern im[S. 283] Augenblick gebildet sind und jeden Augenblick anders gebildet werden können. Die sind aber dann von formelhaften Wendungen leicht zu unterscheiden, äußerlich gewöhnlich schon dadurch, daß in der Formel das Hauptwort keinen Artikel hat. Eine zweifellos formelhafte Redensart ist: zu Ohren kommen. Daher wird niemand sagen: es ist zu meinen Ohren gekommen, oder es ist zu Ohren des Ministers gekommen, sondern: es ist mir zu Ohren gekommen, es ist dem Minister zu Ohren gekommen. Zweifeln kann man dagegen, ob auch zur Kenntnis kommen formelhaft sei. Der Vorgang kam zu meiner Kenntnis oder zur Kenntnis des großen Publikums dürfte ebensogut sein wie: er kam mir zur Kenntnis oder dem Publikum zur Kenntnis. Die Grenze ist hier manchmal schwer zu ziehen; wer Sprachgefühl hat, wird meist ohne weiteres das Richtige treffen, wer keins hat, wird auch bei aller Belehrung danebentappen.

Das Tollste ist es, das Hauptwort aus einer solchen Redensart herauszunehmen und in einem besondern Satze zu verwenden. Aber auch das geschieht. Da schreibt z. B. einer: rührend war der Abschied, der genommen wurde, ein andrer: wichtig war für meine spätern Neigungen die Bekanntschaft mit den Zeitungen, die ich schon in meinen Kinderjahren machte. Das soll heißen: rührend war es, als Abschied genommen wurde, wichtig war, daß ich schon in meinen Kinderjahren mit den Zeitungen Bekanntschaft machte. Solche Sätze liegen schon dicht an dem Wege, der zu den bekannten Späßen Wippchens führt, wie: gebt mir einen Haufen, damit ich den Feind darüberwerfen kann.

Vertauschung des Hauptworts und des Fürworts – ein schwieriger Fall

Einen eigentümlichen Fehler, dem man sehr oft begegnet, zeigen in zwei verschiednen Spielarten folgende Beispiele (das Richtige soll wieder gleich in Klammern danebengesetzt werden): die Lage Deutschlands inmitten seiner wahrscheinlichen Gegner mache es ihm zur Pflicht[S. 284] (seine Lage macht es Deutschland zur Pflicht) – das Zartgefühl des Fürsten erlaubte ihm nicht die Annahme des Opfers (sein Zartgefühl erlaubte dem Fürsten nicht) – leider hat die enge Begabung des Dichters ihm nicht ermöglicht (leider hat seine enge Begabung dem Dichter) – der Haß des Berichterstatters gegen Textor hat ihn zu Übertreibungen geführt (sein Haß hat den Berichterstatter) – die Krankheit des Papstes hat ihn zu einer andern Lebensweise veranlaßt (seine Krankheit hat den Papst) – man hatte gleich nach dem ersten Auftreten Raimunds ihn verdächtigt (man hatte gleich nach seinem ersten Auftreten Raimund verdächtigt) – es stellt sich dabei heraus, daß die eignen Kenntnisse des Kritikers ihn zu diesen Angriffen nicht berechtigen (daß seine eignen Kenntnisse den Kritiker) – die Romanschreiber, die im Vertrauen auf die Dummheit der Gesellschaft dieser den Spiegel vorhalten (die der Gesellschaft im Vertrauen auf deren Dummheit) – nach ältern Beschreibungen des Kodex war er früher in roten Sammet gebunden (nach ältern Beschreibungen war der Kodex) – die Begleiter des Kranken vermochten ihn nicht zu überwältigen (die Begleiter vermochten den Kranken) – zur Zeit der Ausweisung des Ordens aus dem Deutschen Reiche zählte er innerhalb desselben sechzehn Niederlassungen (zweimal der Fehler in einem Satze! es muß heißen: zur Zeit seiner Ausweisung zählte der Orden innerhalb des Deutschen Reichs usw.) – angesichts der Macht dieser Gesetze dieselben (!) auf ihre Annehmbarkeit zu prüfen ist dem Gesetzgeber nicht eingefallen (angesichts ihrer Macht diese Gesetze zu prüfen) – wie war es möglich, daß der Besitzer dieses Schatzes denselben so geheim hielt (der Besitzer diesen Schatz) – man wollte trotz der von den Gehilfen beschlossenen Kündigung des Tarifs an letzterm (!) festhalten (trotz der beschlossenen Kündigung an dem Tarif festhalten) – wir betrauern den Heimgang des liebenswürdigen Kollegen, der seit Gründung der Ärztekammer derselben angehört (der der Ärztekammer seit ihrer Gründung angehört) – wegen Reinigung der großen Ratsstube[S. 285] bleibt dieselbe (!) nächsten Montag geschlossen (wegen Reinigung bleibt die große Ratsstube) – wegen Neubaues der Schleuse in der Zentralstraße bleibt letztere (!) für den Fahrverkehr gesperrt (wegen Neubaus der Schleuse bleibt die Zentralstraße) – sie heiratet darauf den Grafen Tr., dessen Frau ihm kurz vorher durchgegangen ist (dem seine Frau) – der Bedauernswerte, dessen Eltern ihm gestern einen Besuch zugedacht hatten (dem seine Eltern) – der Vorwurf trifft nur den, dessen Männerstolz ihm nicht gestattet (dem sein Männerstolz) – der Verfasser, dessen Bescheidenheit ihn bis in sein Greisenalter zögern ließ, seine Arbeit zu veröffentlichen (den seine Bescheidenheit) – Scharnhorst ist einer jener schicksalvollen Männer, deren Genius sie zu Dolmetschern eines ganzen Volkes gemacht hat (die ihr Genius) – es wird das auch von solchen bestätigt, deren Auftrag sie zu möglichst gründlicher Prüfung verpflichtet (die ihr Auftrag) – Menschen, deren Halbbildung sie unempfänglich macht (die ihre Halbbildung) – die Italiener, deren Freude an der farbigen Oberfläche der Dinge sie abhält, in den Chor der Naturalisten einzustimmen (die ihre Freude).

In allen diesen Sätzen ist ein Begriff doppelt da: das einemal in Form eines Hauptworts (in den zuletzt angeführten Relativsätzen in Form eines relativen Fürworts), das andremal in Form eines persönlichen Fürworts (wozu hier auch derselbe und letzterer gerechnet werden müssen). Der Fehler liegt nun darin, daß beide am falschen Platze stehen: sie müssen ihre Plätze wechseln, wenn der Satz richtig werden soll. Warum? Weil das Hauptwort in allen diesen Sätzen nur in einem Attribut (meist in einem abhängigen Genitiv) und damit gleichsam im Hintergrunde, im Schatten, das persönliche Fürwort dagegen als Subjekt oder Objekt im Vordergrunde, im vollen Lichte des Satzes steht. Gerade umgekehrt muß es sein: das Hauptwort gehört in den Vordergrund, der bloße Ersatz dafür, das Fürwort, in den Hintergrund. Nicht selten kann nach dem Platzwechsel das Fürwort ganz wegfallen. Wer lebendiges Sprachgefühl hat, bildet solche Sätze von selber richtig, ohne zu wissen, warum.[S. 286] Andern wird die Sache vielleicht auch durch diese Erklärung nicht deutlich geworden sein. Es ist wirklich ein etwas schwieriger Fall.

Die fehlerhafte Zusammenziehung

Ein Fehler, der die mannigfachsten Spielarten zeigt, obwohl er im Grunde immer derselbe ist, entsteht durch jene äußerliche Auffassung der Sprache, die nicht nach Sinn und Bedeutung, sondern nur nach dem Lautbilde der Wörter fragt. Kehrt dasselbe Lautbild wieder, so glaubt es der Papiermensch das zweitemal ohne weiteres unterdrücken zu dürfen, obwohl es dieses zweitemal vielleicht einen ganz andern Sinn hat als das erstemal. Eine Abart dieses Fehlers ist schon früher besprochen worden: die Vernachlässigung des Kasuswechsels beim Relativpronomen (S. 130). Hierher gehört es aber auch, wenn man einen Fügewortsatz oder Fragesatz zugleich als Objekt und als Subjekt verwendet, z. B.: daß der Verfasser ein Jurist ist, kann man mit Händen greifen, hält ihn jedoch nicht ab – ob das Wort schon früher in Gebrauch war, können wir nicht feststellen, ist auch ohne Belang. Oder wenn man ein Zeitwort gleichzeitig als selbständiges Zeitwort (oder Kopula) und als Hilfszeitwort verwendet und schreibt: er hatte sich aus kleinen Verhältnissen emporgearbeitet und wirklich das Zeug zu einem tüchtigen Künstler – er war vor kurzem erst ins Dorf gezogen und ein kleiner, kugelrunder Mann – er wurde später sächsischer Minister und in den Freiherrnstand erhoben – jeden Morgen, wenn der Kaiser rasiert und der Kopf Habys am Fenster sichtbar wird – oder gar: wenn ein Grenzstein verrückt oder unkenntlich geworden ist (anstatt: verrückt worden oder unkenntlich geworden) – glauben Sie nicht, daß eine Errungenschaft darin liegen würde, wenn Frauen medizinisch gebildet und praktizieren würden? (anstatt: gebildet würden und praktizierten)[131]. Ferner wenn man ein[S. 287] persönliches Fürwort zugleich als Dativ und als Akkusativ verwendet, z. B.: sich stets betastend und die Hände reichend – die Gelegenheit, sich kennen zu lernen, bzw. (!) näher zu treten – kurz alle Fälle, wo ein Wort gleichzeitig in zwei verschiednen Auffassungen gebraucht wird, also auch z. B.: in Halle ist er gestorben und begraben (wo das Perfektum das einemal einen Vorgang, das andremal einen Zustand bezeichnet) – die Pferde stürzten so unglücklich, daß die Deichsel brach, das eine Pferd aber den Oberschenkel – er war darauf angewiesen, sein Leben, an das er große Ansprüche machte, durch erbitterten Kampf gegen die Konkurrenz zu gewinnen (wo Leben das einemal als Lebensweise, das andremal als Lebensunterhalt gemeint ist).

Eine der häufigsten, aber auch widerwärtigsten Spielarten dieses groben logischen Fehlers ist es, ein Femininum und einen Plural unter demselben Artikel, Fürwort oder Adjektivum zusammenzukoppeln (vgl. englisch: the life and times) und zu schreiben: die Höhe und Formen des Gitters – die Umrahmung und Seitenflügel des Altarbildes – die Metalle und Spektralanalysedie Verbreitung und Ursachen der Lungenschwindsucht – die Stellung und Ansprüche des Zentrums – die Sicherung der Post und Transporte – die Analyse der Gestalten und Kunst Shakespeares – Handbuch der Staatswissenschaften und Politik – das Gebiet der Mathematik und Naturwissenschaften – die Angaben der Bevölkerungsdichtigkeit und Temperaturverhältnisseseine Reue und Gewissensbisse – im Kreise seiner Frau und drei Kinder – durch ihre Taten und Hingebung – eine Darstellung ihrer Schicksale und Bauart – die Bühne, die keine Dekoration und Kulissen kannte – die Gegner der deutschen Landwirtschaft und Getreidezölle – zur Erforschung vaterländischer Sprache und Altertümer – trotz der papistischen Gesinnung und Bestrebungen des Herzogs usw.[132]

[S. 288]

Aber auch da, wo Geschlecht und Numerus zweier Begriffe dieselben sind, ist es eine grobe Nachlässigkeit, sie unter einem Artikel unterzubringen und zu schreiben: die Zustimmung des Bundesrats und Reichskanzlers – der Direktor der Bürger- oder Bezirksschule – eine Sitzung des Bau-, Ökonomie- und Finanzausschusses – ein Ausflug nach dem Süßen und Salzigen Seeder Rote und Schwarze Kocherdas alte und neue Buchhändlerhausdie katholische und evangelische Kircheder Renaissance- und Barockstildas sächsische und schlesische Gebirgedie religiöse und weltliche Poesie der Juden – die weiße und rote Rosedas Sol- und Seebad – der Wert der klassischen und modernen Sprachen – die Knochen waren nicht die Überreste eines Frauen- und Kinderskeletts, sondern eines Ferkel- und Kaninchengerippes! Auch in diesen Fällen muß der Artikel unbedingt wiederholt werden; wird er nur einmal gesetzt, so erweckt das die Vorstellung, als ob sichs nur um einen Begriff handelte. Niemand kann erraten, daß der Bau-, Ökonomie- und Finanzausschuß drei verschiedne Ausschüsse sind. Der König von Preußen und Kaiser von Deutschland – das ist richtig, denn beides ist dieselbe Person; das belgische und deutsche Herrscherpaar – das ist falsch, denn das sind zwei verschiedene Paare.

Die Nachlässigkeit wird um so störender, wenn durch das im Plural stehende Prädikat oder auf irgendeine andre Weise noch besonders deutlich fühlbar gemacht wird, daß es sich um mehrere Begriffe handelt, z. B.: der deutsche Handel war bedeutender als der englische und amerikanische zusammender Nominativ und Vokativ sind eigentlich keine Kasus – die erste und letzte Strophe zerfallen in zwei Hälften – der lyrische und epische Dichter bedürfen dieses Mittels nicht – 1830 starben der Bruder und Vater – westlich davon stehen die Thomas- und Matthäikirche – an der Nordseite befinden sich der Dresdner, Magdeburger und Thüringer[S. 289] Bahnhof – die Anlage, die die Mit- und Nachwelt an Bismarck zu bewundern alle Ursache habenzwischen (!) dem 13. und 15. Grade südlicher Breite – der Unterschied zwischen (!) den staatlichen und kirchlichen Einrichtungen – wo ist die Grenze zwischen (!) der Wahrheit, die man mitteilen, und [der!], die man nicht mitteilen darf – die deutsche Umgangssprache schwankt zwischen dem Extrem barscher Kürze und bedientenhafter Redseligkeit – das Zentrum möchte einen Keil treiben zwischen den rechten und linken Flügel des Blocks. Wie kann etwas „zwischen“ einem Grade liegen, „zwischen“ einem Extrem schwanken, „zwischen“ einen Flügel getrieben werden?

Bei mehr als zwei Gliedern kann die sorgfältige Wiederholung des Artikels freilich etwas schleppendes bekommen, und wo mehr aufgereiht als gegenübergestellt wird, da schreibe man getrost: mit den Geruchs-, Geschmacks- und Gefühlsnerven, die Gewohnheiten des Fastens, Beichtens und Betens, ein Schatz des Wahren, Guten und Schönen. Wo aber unterschieden und gegenübergestellt wird, da muß auch der Artikel wiederholt werden. Darum steht auch auf dem Titelblatte dieses Buches: Grammatik des Zweifelhaften, des Falschen und des Häßlichen, denn jeder dieser drei Begriffe bezeichnet eine andre Art von Fällen. Manche glauben genug zu tun, wenn sie den Artikel bei einem Wechsel des Geschlechts wiederholen, und schreiben: die Gelübde der Armut, Keuschheit und des Gehorsams. Ganz irrig! Die Gleichmäßigkeit verlangt den Artikel bei jedem Gliede der Reihe.

Kein grammatischer, aber ein grober Denkfehler liegt vor in Verbindungen wie: Lager von Schneider- und Schuhartikeln – Fabrik von Bambus-, Luxus- und Rohrmöbeln. Der Schneider kann nicht den Schuhen, Bambus oder Rohr nicht dem Luxus gegenübergestellt werden, denn Bambus und Rohr geben den Stoff an, Luxus den Zweck (oder die Zwecklosigkeit). Man könnte ebensogut Kaffee-, Porzellan- und Teetassen verbinden.

[S. 290]

Tautologie und Pleonasmus

Während die fehlerhafte Zusammenziehung aus einem irregeleiteten Streben nach Kürze entsteht, beruht ein andrer Fehler auf dem Streben nach Breite und Wortreichtum: der Fehler, einen Begriff doppelt oder gar dreifach auszudrücken. Man bezeichnet ihn mit Ausdrücken der griechischen Grammatik als Tautologie (Dasselbesagung) oder Pleonasmus (Überfluß).

In den seltensten Fällen will man durch die Verdopplung etwa den Ausdruck verstärken,[133] gewöhnlich fällt man aus bloßer Gedankenlosigkeit hinein. Zu den üblichsten Tautologien gehören: bereits schon, ich pflege gewöhnlich, einander gegenseitig oder gar sich einander gegenseitig.[134] Aber es gibt ihrer von den verschiedensten Arten. Auch in Verbindungen wie: schon gleich (die Bedenken fangen schon gleich beim Lesen der ersten Seite an), auch selbst, nach abwärts, nach dieser Richtung (statt: nach dieser Seite oder in dieser Richtung), nach verschiednen Richtungen (!), unsre Gegenwart (statt: unsre Zeit oder die Gegenwart), unsre deutsche Jugend, unser deutsches Vaterland, mein mir übertragnes Amt, rückvergüten, gemeinschaftliches Zusammenwirken, etwas näher bei Lichte besehen, nicht ganz ohne jede gute Regung, Personen beiderlei Geschlechts (statt beider Geschlechter), Hilfeleistungen weiblicher Schwestern, es kann möglich sein, ich darf mit Recht beanspruchen, das Lob, das ihm mit Recht gebührt,[S. 291] man muß von einem Geschichtschreiber verlangen, die Forderung ist unerläßlich, er hat Anspruch auf gebührende Beachtung, ehe das Einschreiten zur zwingenden Notwendigkeit wird, die Innung geht mehr und mehr dem Rückgange entgegen, die Übung der Denkkraft, die angeblich durch die Mathematik erzielt werden soll – überall ist hier ein Begriff ganz unnötigerweise doppelt da. Es genügt, zu sagen entweder: mein Amt oder: das mir übertragne Amt, entweder: man kann von einem Geschichtschreiber verlangen, oder: ein Geschichtschreiber muß, entweder: die Übung, die angeblich erzielt wird, oder: die erzielt werden soll. In Leipzig werden immer noch Dinge meistbietend versteigert – das soll heißen: an den, der das Meiste bietet, was doch schon in dem Begriffe des Versteigerns liegt –, und dann natürlich gegen sofortige Barzahlung! Auch Zusammensetzungen wie Rückerinnerung, vollfüllen und loslösen sind nichts als Pleonasmen; ebenso die beliebten Partizipzusätze, die zum Teil aus schlechtem lateinischem Unterricht stammen: auf erhaltnen mündlichen Befehl – nach gehaltner Frühpredigt – die erfahrne unwürdige Behandlung – ohne vorhergehende Beschaffung geeigneter Verkehrsmittel – nach einer vorhergehenden Fermate – bis zur getroffnen Entscheidung – die angestellte Untersuchung ergab – meine Erörterung gründet sich auf schon gemachte Erfahrungen – die Aussteller sind in der Reihe ihrer erfolgten Anmeldung aufgeführt. Man streiche die Partizipia, und der Sinn bleibt derselbe, der Ausdruck aber wird knapper und sauberer (vgl. auch, was S. 167 über stattgefunden und stattgehabt gesagt ist).

Der häufigste Pleonasmus aber und der, der nachgerade zu einer dauernden Geschwulst am Leibe unsrer Sprache zu werden droht und trotzdem allgemein als Schönheit, ja als eine Art von Bedürfnis empfunden zu werden scheint, ist der, nach den Begriffen der Möglichkeit und der Erlaubnis, der Notwendigkeit und der Absicht beim Infinitiv diese Begriffe durch die Hilfszeitwörter können, dürfen, wollen, sollen, müssen[S. 292] zu wiederholen, also zu schreiben: niemand schien geeigneter als Ranke, dieses Werk zur Vollendung bringen zu können – die Leichtigkeit, die gepriesensten Punkte Süditaliens erreichen zu können – die Möglichkeit, die Sozialdemokratie mit gleichen Waffen bekämpfen zu können – auf diese Weise ist es möglich, während des Umbaus den Verkehr aufrecht erhalten zu können – die Fähigkeit, über sich selbst lachen zu können – die Mittel, an Ort und Stelle mit Nachdruck auftreten zu können – es ist Gelegenheit gegeben, auch am Polytechnikum Vorlesungen hören zu können – er hatte genügendes Kapital, etwas ausführen zu können – die Finanzwirtschaft ist gar nicht imstande, das Kreditwesen des Staates entbehren zu können – ich getraute mir nicht, das Gespräch mit ihm aufrecht erhalten zu können – wenn es mir gelingen sollte, hierdurch meine Verehrung an den Tag legen zu können – es ist zu beklagen, daß so aufrichtige Naturen sich nicht anders zur Kirche stellen zu können vermögen (!) – der Thronfolger kann von Glück sagen, wenn es ihm erspart bleibt, seine Herrscherautorität nicht erst durch die Schärfe des Schwerts erkämpfen zu brauchen[135] – es sei mir gestattet, einen Irrtum berichtigen zu dürfen – der Biograph hat das schöne Recht, Enthusiast sein zu dürfen – eine Stellung, die ihm erlaubte, ohne Frage nach dem augenblicklichen Erfolg produzieren zu dürfen – einer Deputation war es vergönnt, Glückwünsche darbringen zu dürfen – die Freiheit, seiner innern Eingebung folgen zu dürfen – der Anspruch, Universalgeschichte sein zu wollen – er sprach seine Bereitwilligkeit aus, auf diesem Wege vorgehen zu wollen – die Absicht, blenden oder über ihre Verhältnisse leben zu wollen – er hat versprochen, in den ruhmreichen Bahnen seines Großvaters fortwandeln zu wollen – die Aufgabe, die Akademie reformieren zu sollen – es gehört zu den schönsten Aufgaben, das Leben eines Zeitgenossen beschreiben[S. 293] zu wollen (!) – die Zumutung, Gott ohne Bilder anbeten zu sollen – ein Volk, das sich dazu erwählt glaubt, große Dinge erfüllen zu müssen – die Verhältnisse zwangen den König, auf die Führung seines Heeres verzichten zu müssen.

Statt in Nebensätzen die Hilfszeitwörter sein und haben wegzulassen, wo sie oft ganz unentbehrlich sind (vgl. S. 137), bekämpfe man lieber diese abscheuliche Gewohnheit; die unnützen können, dürfen, wollen, sollen und müssen sind wirklich wie garstige Rattenschwänze.[136]

Die Bildervermengung

Bei dem Worte Bildervermengung denkt wohl jeder an Wendungen wie: das ist wie ein Tropfen auf einen hohlen Stein, oder: er wurde an den Rand des Bettelstabes gebracht, oder: der Zahn der Zeit, der schon so manche Träne getrocknet hat, wird auch über dieser Wunde Gras wachsen lassen – und meint, dergleichen werde wohl beim Unterricht als abschreckendes Beispiel vorgeführt, komme aber in Wirklichkeit nicht vor. Zeitungen und Bücher leisten aber fast täglich ähnliches; gilt es doch für geistreich, möglichst viel in Bildern zu schreiben! Oder wäre es nicht ebenso lächerlich, wenn von einer Nachricht gesagt wird, daß sie wie ein Donnerschlag ins Pulverfaß gewirkt habe, wenn in einem Aufsatz über das Theater von gaumenkitzelnden Trikotanzügen gesprochen wird, oder wenn es in einem Börsenberichte heißt: der Verkehr wickelte sich in ruhigem Tone ab, in dem Bericht über eine Kunstausstellung: was bei den Russen zum Zerrbilde des Fanatismus geworden ist, leuchtet bei den Spaniern als[S. 294] Flamme der Begeisterung, oder wenn gar geschrieben wird: wo finden wir einen roten Faden, der uns aus diesem Labyrinth hinausführt? – das politische Knochengerüst, über dessen Nacktheit durch eine schöne Verbrämung hinweggetäuscht werden soll – der Zauber seiner Persönlichkeit teilt sich dem Leser in einem bestrickenden Fluidum mit – unsre Universitäten sind wie rohe Eier: sobald man sie antastet, stellen sie sich auf die Hinterbeine – der bureaukratische Staat schert (!) alles über einen Leistenpilzartig schossen die Lust-, Schau- und Trauerspiele seiner Feder ins Kraut – alle diese Mitteilungen schweben in der Luft, aus der sie geschnappt sind (in der Luft schweben, aus der Luft greifen, nach Luft schnappen – drei Bilder vermengt!) – das ist eins jener Kolumbuseier, deren der Genius Shakespeares verschiedne ausgebrütet hat – das sind vom nationalökonomischen Gesichtswinkel aus in kargem Gerippe die geistreich variierten Grundzüge seiner Lehre – die Millionen fliegen zum Fenster hinaus und leeren das Reichsfaß bis zum Boden – natürlich muß das Pflaster auf die verschiednen kalten Wasserstrahlen gegen ihre Eitelkeit ein wenig gekitzelt werden – dieses Schreckgespenst ist schon so abgedroschen, daß nur noch ein politisches Wickelkind darauf herumreiten kann – um ihrem geschwächten Parteimagen neue Nahrung zuzuführen, angeln sie in dem Wasser des Bauernbundes nach faulen Fischen – die lauteste Trommel bei dieser Hetze blasen natürlich die Geistlichen – wenn man den Herren einen Floh ins Ohr setzt, wird sofort ein Elefant daraus gemacht und dann auch noch öffentlich breitgetreten.[137]

Dergleichen erregt ja nun die Heiterkeit auch des gedankenlosesten Lesers. Ein Berliner Schriftsteller hat sich sogar (unter dem Namen Wippchen) jahrelang planmäßig dem Anbau dieses Sprachunkrauts gewidmet und großen Erfolg damit gehabt. Es gibt aber auch zahlreiche[S. 295] Bildervermengungen, die genau so schlimm sind, und die doch von Tausenden von Lesern, auch von denkenden, gar nicht bemerkt werden, weil sie nicht so zutage liegen, sondern etwas verschleiert sind. Unsre Sprache ist überreich an bildlichen Ausdrücken, über deren ursprüngliche Bedeutung man sich oft gar keine Rechenschaft mehr gibt. Schon wenn jemand schreibt: die Sache machte keinen durchschlagenden Eindruck – so lesen sicher unzählige darüber weg, denn Eindruck machen und ein durchschlagender Erfolg sind so abgebrauchte Bilder, daß man sich ihres ursprünglichen Sinnes kaum noch bewußt ist. Und doch liegt hier eine lächerliche Bildervermengung vor, denn einen Eindruck machen und durchschlagen schließen einander aus; wenn man das Kalbfell einer Pauke durchschlägt, so ist es mit dem Eindruckmachen vorbei. Ebenso ist es, wenn ein Kritiker von Leistungen eines Schriftstellers redet, die nicht den vollen Umfang seiner Fähigkeiten erschöpfen, denn beim Umfang denkt man an ein Längenmaß, schöpfen kann man aber nur mit einem Hohlmaß. In solchen mehr oder weniger verschleierten Bildervermengungen wird sehr viel gesündigt. Man schreibt: die kleinen Staaten werden von der Wucht ganz Deutschlands getragen – er hatte sich in eine solche Schuldenlast gestürzt – diese Maßregel ist von sehr ungünstigem Einfluß begleitet gewesen – als die auf die Hebung der Hundezucht abzielende Bewegung feste Wurzeln geschlagen hatte – bis sie ihm die Unterlage für Börsenspekulationen eröffnet hatten – wer nicht mit der Herde läuft, muß sich hüten, daß er nicht scheitere usw.[138]

Vermengung zweier Konstruktionen

Wie zwei verschiedne Bilder, so werden oft auch zwei verschiedne Konstruktionen miteinander vermengt. Da[S. 296] wird z. B. die erste Person mit der dritten vermengt und geschrieben: die Verlobung unsrer Tochter (statt: ihrer Tochter!) beehren sich anzuzeigen – um Rückgabe der von mir (statt: von ihm!) entliehenen Biergläser bittet – meiner Mutter (statt: ihrer Mutter!) gewidmet von der Verfasserin. Oder es wird an hoffen ein Nebensatz angeschlossen, als ob wünschen vorherginge: ich hoffe sehr, daß ich das nie wieder erleben möge (erlebe!) – wir hoffen, daß dergleichen nicht wieder vorkommen möge (werde!) – ich übergebe diese Arbeit der Öffentlichkeit in der Hoffnung, daß sie dazu beitragen möge (beitragen werde!) – er hoffe, daß andre Forscher glücklicher operieren möchten (würden!). Es wird weil geschrieben, wo es daß heißen muß: er hat seinen Namen davon, weil er – die fürstliche Ehe war dem Volke besonders dadurch teuer, weil ihr eine reiche Zahl von Prinzen entsprossen war; dagegen daß, wo es als heißen muß: Thomsen ist nur insofern original, daß er die Grundrente als unrechtmäßige Abzahlung betrachtet – meinem Arbeitsfelde liegen diese Untersuchungen nur insofern nahe, daß ich daraus belehrt worden bin usw. Oder es wird geschrieben: da manche Erörterung die Untersuchung eher erschwert, statt sie zu vereinfachen – wo entweder das eher wegfallen, oder fortgefahren werden muß: als daß sie sie vereinfachte.

Sehr häufig ist der Fehler, daß man auf das Adverbium so einen Infinitiv mit um zu folgen läßt statt eines Folgesatzes mit daß, z. B.: Aristoteles sagt, daß eine Stadt so gebaut sein müsse, um die Menschen zugleich sicher und glücklich zu machen – behauptet jemand, daß der Zucker so belastet sei, um weitere Lasten nicht zu ertragen – er hatte gerade noch so viel Zeit, um sich in das Dickicht zu schleichen – die Verhältnisse haben sich so weit geordnet, um der Nation eine andre Haltung zu ermöglichen – dieses Licht läßt uns gerade so viel sehen, um dem Ewigen und Rätselhaften seine Launen abzulauschen – wenn man nur so viel Freiheit des Geistes hat, um sich über die Macht der Gewohnheit emporzuschwingen – die Realien waren noch nicht so weit in sich gefestigt, um als Bildungsmittel[S. 297] Verwendung zu finden – wir müssen das Reinlichkeitsbedürfnis in uns so entwickeln, um schmutzige Literatur fernzuhalten – so einfach sind denn doch diese Fragen nicht, um sie spielend mit einem Worte zu erledigen – die Herren sind nicht so dumm, um auf diesen Leim zu gehen. In einigen der angeführten Beispiele mag wohl das Bestreben, nicht zwei Nebensätze hintereinander – einen Objektsatz und einen Folgesatz – mit daß anzufangen (für manche Leute ein entsetzlicher Gedanke!), zu dem Fehler verleitet haben. Dem läßt sich aber doch leicht dadurch aus dem Wege gehen, daß man den Objektsatz ohne daß bildet: behauptet jemand, der Zucker sei so belastet, daß er usw.

Falsche Wortstellung

Ein völlig vernachlässigtes Kapitel der deutschen Grammatik ist die Lehre von der Wortstellung. Die meisten haben kaum eine Ahnung davon, daß es Gesetze für die Wortstellung in unsrer Sprache gibt. Gewöhnlich besteht die gesamte Weisheit, die dem Schüler oder dem Ausländer, der Deutsch lernen möchte, eingeflößt wird, in der Regel, daß in Nebensätzen das Zeitwort am Ende, in Hauptsätzen in der Mitte zu stehen pflege; im übrigen, meint man, herrsche in unsrer Wortstellung die „größte Freiheit“.

Ein Glück, daß das natürliche Sprachgefühl noch immer so lebendig ist, daß die Gesetze der Wortstellung, wie sie sich teils aus dem Sinne, teils aus rhythmischem Bedürfnis, teils aus der Art der Darstellung (schlichte Prosa, Dichtersprache oder Rednersprache) ergeben, trotz der angeblichen „Freiheit“ im allgemeinen richtig beobachtet werden. Dennoch gibt es auch eine Reihe von argen Verstößen dagegen, die sehr verbreitet und beliebt sind. Auf Abgeschmacktheiten, wie die des niedrigen Geschäftsstils, bei Preisangaben von Mark 50 zu reden, statt, wie jeder vernünftige Mensch sagt, von 50 Mark, oder auf Briefadressen zu schreiben, wie man es neuerdings, natürlich wieder die Engländer nachäffend, tut: 20 Königsstraße Leipzig, statt, wie jeder vernünftige Mensch sagt: Leipzig, Königsstraße 20, soll dabei[S. 298] gar nicht geachtet werden; ebensowenig auf die Ziererei mancher Schriftsteller, in schlichter Prosa einen Genitiv immer vor das Hauptwort zu stellen, von dem er abhängt.[139] Auch der häßliche Latinismus, den manche so lieben: Goethe, nachdem er (vgl. Caesar, cum), soll nur beiläufig erwähnt werden. Ein Nebensatz, der mit einem Fügewort anfängt, und ein Infinitivsatz können in einen Hauptsatz nur dann eingeschoben werden, wenn das Zeitwort des Hauptsatzes bereits ausgesprochen ist. Eine Wortstellung wie in dem Fibelverse: die Gans, wenn sie gebraten ist, wird mit der Gabel angespießt, oder: dem Hunde, wenn er gut gezogen, ist auch ein weiser Mann gewogen – ist wohl dem Dichter erlaubt, aber in Prosa sind Satzgefüge wie folgende undeutsch: die Pflanzen, um zu gedeihen, bedürfen des wärmenden Sonnenlichts – die katholische Kirche, wie sie sich gern der Siebenzahl freut, zählt auch sieben Werke der Barmherzigkeit – alle andern Parteien, wenn sie im übrigen noch so bedenkliche Grundsätze haben, erkennen doch den Staat als notwendig an – der Verband der Sattler, obwohl er erst ein Jahr besteht, umfaßt bereits 37 Vereine. Entweder muß es heißen: der Verband der Sattler umfaßt, obwohl er – oder der Nebensatz muß mit dem Hauptworte vorangestellt werden: obwohl der Verband der Sattler usw., so umfaßt er doch. Auch der Fehler, der in Satzgefügen wie folgenden liegt: um die Reisekosten, die er auf andre Weise nicht beschaffen konnte, aufzutreiben – auf einem der schönsten Plätze der Welt, der zugleich ein Hauptkreuzungspunkt städtischen und vorstädtischen Verkehrs ist, gelegen – M. ist nun auch unter die Novellisten, wohl mehr der Mode folgend als dem innern Drange, gegangen – mir liegt das Stammbuch eines Holsteiners, der um 1750 in Helmstedt studierte, vor – sieht man von der kurzen Würdigung, die Waldberg 1889 in der Allgemeinen Deutschen Biographie gegeben hat, ab – am Neumarkte rissen gestern zwei vor einen[S. 299] Korbwagen gespannte Pferde eine Frau, die auf der Straße stand und sich mit einer andern Frau unterhielt, um – der Redner brach, da die Zeit inzwischen längst die zulässige Frist von zehn Minuten überschritten hatte und noch ein andrer Redner zu Worte kommen wollte, auf die Aufforderung des Vorsitzenden, mit der Bemerkung, daß er noch viel zu sagen habe, ab – auch dieser Fehler soll hier nur gestreift werden. Die Fälle brauchen nicht immer so lächerlich zu sein wie der letzte; ein eingeschobnes Satzglied muß zusammen mit dem Gliede, in das es eingeschoben wird, immer folgende Gestalt ergeben, wenn die Verbindung angenehm wirken soll:

[————[————]————]

Sehen sie zusammen so aus:

[———————[————]—]

so ist der Bau verfehlt, und es ist dann besser, die Einschiebung lieber ganz zu unterlassen, die Glieder so zu ordnen:

[——————] [——————]

und zu schreiben: M. ist nun auch unter die Novellisten gegangen, wohl mehr der Mode folgend als dem innern Drange.

Die alte gute Zeit oder die gute alte Zeit?

Ein Verstoß gegen die Gesetze der Wortstellung, der sehr oft vorkommt und nicht gerade von scharfem Denken zeugt, ist der, daß zwei Adjektiva (oder ein Adjektiv und ein Partizip oder Zahlwort) in verkehrter Reihenfolge zu einem Substantiv gesetzt werden, z. B.: ein sächsischer junger Leutnant – die ausländische gesamte Medizin – westfälische mittelalterliche Volkslieder – man schöpfte mit hölzernen großen Kannen – wenn die Sonne schien, wurden die seidnen verblaßten Vorhänge zugezogen – da wollte auf dem Boden des Handwerks nicht einmal mehr das tägliche kärgliche Brot wachsen – die Turnübungen finden in der städtischen geräumigen Turnhalle statt – die Bestrebungen, den Arbeiterfamilien eigne behagliche[S. 300] Wohnungen zu schaffen – die Bildung künftiger maßgebender Staatsbeamten – in Zeiten wirtschaftlicher schroff aufeinander stoßender Gegensätze – eine chronische mit Geduld ertragne Krankheit – ein sittlicher angeborner Defekt usw. In allen diesen Fällen ist das Eigenschaftswort, das unmittelbar vor dem Hauptworte stehen müßte, weil es mit diesem zusammen einen Begriff bildet, durch ein zweites Eigenschaftswort, das dem Schreibenden nachträglich noch eingefallen ist, von dem Hauptworte getrennt; soll die Darstellung logisch richtig werden, so müssen die beiden Eigenschaftswörter überall ihre Plätze wechseln. Das ärgste dieser Art ist die alte gute Zeit, der alte gute Taler, wie man jetzt auch zu schreiben anfängt. Die alte Zeit ist ein Begriff (die Vergangenheit); tritt zu diesem Begriff das Eigenschaftswort gut, so darf er nicht zerrissen werden, sondern es muß heißen: die gute alte Zeit. Man muß sich also immer klarmachen, welches von den beiden Adjektiven das wesentliche ist; dies gehört dann unmittelbar vor das Hauptwort. Bezeichnet eins der beiden Adjektiva einen Stoff (hölzern, seiden) oder die Herkunft (sächsisch, ausländisch, westfälisch), so gehört dieses in der Regel unmittelbar vor das Hauptwort: mit großen hölzernen Kannen, ein junger sächsischer Leutnant. Natürlich ist es auch möglich, daß das andre Adjektiv mit dem Substantiv zusammen einen Begriff bildet oder wenigstens – bilden soll; dann muß die Ortsbezeichnung von dem Hauptwort entfernt werden, z. B.: Leipziger elektrische Straßenbahn – Münchner neueste Nachrichten – englische historische Romane – die sächsische zweite Kammer – die Straßburger katholische Fakultät – seine Nürnberger gelehrten Freunde usw. Sage ich: der höchste Leipziger Turm, so stelle ich mir alle Leipziger Türme vor und greife dann den höchsten heraus; bei den Leipziger neuesten Nachrichten dagegen soll ich mir alle Zeitungen vorstellen, die Neueste Nachrichten heißen, und soll dann die Leipziger herausgreifen. So ist auch der letzte schwere Tag der letzte einer Reihe von schweren Tagen,[S. 301] z. B. einer Examenwoche, dagegen der schwere letzte Tag der Todestag.

Grundfalsch ist also auch, was man fast in allen antiquarischen Bücherverzeichnissen lesen muß: erste seltne Ausgabe. Es klingt das, als ob es von dem Buche mehrere seltne Ausgaben gäbe, und die jetzt verkäufliche die erste davon wäre. Die Antiquare wollen aber sagen, es sei überhaupt die erste Ausgabe, die Originalausgabe, die editio princeps, und diese sei selten. Das kann nur heißen: seltne erste Ausgabe. Anders verhält sichs mit der zweiten, verbesserten Ausgabe. Hier ist verbessert ein nachträglicher Zusatz, wie schon das Komma zeigt, das hier nicht fehlen darf, aber auf Büchertiteln leider sehr oft fehlt; der Sinn ist: zweite, (und zwar) verbesserte Auflage. Läßt man das Komma weg, so erweckt das die Vorstellung, als ob schon eine erste verbesserte Auflage vorhergegangen, die vorliegende also im ganzen die dritte wäre. Manchem wird das als unnötige Diftelei erscheinen, es handelt sich aber um einen ganz groben, handgreiflichen Unterschied.

Höhenkurort für Nervenschwache ersten Ranges

Mit großer Schnelligkeit, bazillusartig, wie immer, hat sich seit einiger Zeit ein Fehler in der Wortstellung verbreitet, der noch vor fünfzig Jahren ganz undenkbar gewesen wäre, der Fehler, der in Verbindungen liegt, wie den folgenden: der Direktor Hittenkofer des Technikums zu Strelitzdas Töchterchen Alice des Herrn Hofhotelier Baumanndie Sektion Sterzing des österreichischen Touristenklubs. Hier sind zwei Konstruktionen in- und durcheinandergeschoben. Richtig ist es, zu sagen: der Direktor Hittenkofer; hier ist der Name Hittenkofer das Hauptwort, und der Direktor eine Apposition dazu. Richtig ist es auch, zu sagen: der Direktor des Technikums; hier ist der Direktor das Hauptwort, und des Technikums ein Attribut dazu. Aber falsch ist es, beide Konstruktionen so miteinander zu verbinden, wie es in den angeführten Beispielen geschehen ist; denn[S. 302] dann ist Hittenkofer das Hauptwort zu der Apposition der Direktor, und gleichzeitig der Direktor das Hauptwort zu dem Attribut des Technikums. Will man beide Konstruktionen verbinden, so kann es nur heißen: der Direktor des Technikums zu Strelitz Hittenkofer. Dann ist Hittenkofer das Hauptwort, der Direktor die Apposition dazu, und des Technikums das Attribut zur Apposition. Wer ein wenig Sprachgefühl hat, für den wird es dieser langen Auseinandersetzung gar nicht bedurft haben. Man denke sich, daß jemand sagen wollte: die Ballade Erlkönig Goethesder Doktor Meurer der Medizinder Minister von Dallwitz des Innernder Begründer Ritter der wissenschaftlichen Erdkundedas Mitglied Eugen Richter des Reichstags – jeder würde das für lächerlich und ganz unmöglich halten, und doch wären das ganz ähnliche Verbindungen.[140]

Wer sich den logischen Verstoß, der in solchen Ineinanderschiebungen liegt, nicht klarmachen kann, der müßte doch wenigstens stutzig werden, wenn er den abhängigen Genitiv, der sonst immer unmittelbar auf das Wort folgt, von dem er abhängt, hier durch ein dazwischengeschobnes Wort davon getrennt sieht! Es wird aber niemand stutzig; man schreibt ruhig: der Redakteur Küchling des Leipziger Tageblatts, der Direktorialassistent Prof. Vogel des städtischen Museums, der Sekondeleutnant von Guttenberg des Infanterieleibregiments, der Prokurist Hermann Becker der Firma Schimmel und Ko., der Insasse Körner des hiesigen Arbeitshauses, der Mönch Bernardus des Klosters St. Stephan, der Romananfang „Waldrauschen“ der Gartenlaube, das Segelboot Undine des Prinzen Demidoff, der Passagierdampfer Großer Kurfürst des Norddeutschen Lloyd, das Pferd Lippspringe des Freiherrn von Reitzenstein, die Komödie Hans Pfriem des Martin Hayneccius,[S. 303] die Marmorbüste Die Verdammnis des kurfürstl. sächs. Hofbildhauers Permoser, der Bezirksverband Sachsen des deutschen Schmiedeverbandes, die Ortsgruppe Zeitz des Allgemeinen deutschen Schulvereins, der Zweigverein Berlin-Charlottenburg des Allgemeinen deutschen Sprachvereins (!), die Haltestelle Zwischenbrücken der Plagwitzer Eisenbahn, die Strecke Faido-Lavorgo der Gotthardbahn und (das Neueste!): die Königin Wilhelmine der Niederlande, der Prinz Heinrich der Niederlande und die Königin-Mutter Emma der Niederlande. Und die angeführten Beispiele zeigen, daß der Fehler keineswegs bloß in Zeitungen grassiert, sondern auch in wissenschaftlichen Werken spukt.

Unleugbar hat der Fehler etwas bequemes, und das Bestreben, ihn zu vermeiden, manchmal etwas unbequemes. Aber wird er dadurch erträglicher? Wem es nicht gefällt, zu sagen: die Ortsgruppe des Allgemeinen deutschen Schulvereins Zeitz (natürlich ist das häßlich, aber doch nicht wegen der Wortstellung, sondern weil einer „Ortsgruppe“ frischweg ein Städtename beigelegt wird), der sage doch: die Zeitzer Ortsgruppe des Allgemeinen deutschen Schulvereins. Das ist deutsch.

Streng genommen ist es natürlich auch falsch, zu sagen: der Wetterbericht Nr. 200 des Meteorologischen Instituts. Hier drängt sich Nr. 200 eben so störend zwischen die beiden untrennbaren Glieder wie in den vorher angeführten Beispielen die Eigennamen; deutsch wäre: der 200. Wetterbericht des Meteorologischen Instituts. Ganz falsch ist: eine Stiftung von 7000 Mark des Landgerichtsrat N. – eine Handschrift von 240 Blatt der Münchner Hof- und Staatsbibliothekdie Abteilung für Kriegsgeschichte des Großen Generalstabsdie Adreßbücher für 1906 der Städte Berlin, Bremen und Breslauder Oberarzt für Hautkrankheiten des städtischen KrankenhausesHöhenkurort für Nervenschwache ersten RangesFriseurgeschäft für Herren und Damen ersten Rangesder Entwurf[S. 304] zu einem Brunnen des Herrn Werner Steindas Promemoria an die kurfürstliche Bücherkommission des Professors Ernestider Mangel an Selbstbewußtsein und Selbständigkeit der deutschen Mädchen – eine öffentliche Vorlesung gegen Entree der am beifälligsten begrüßten Produktionen – ein großes Konzert mit darauffolgendem Ball der ganzen Kapelle des Füsilierregiments Nr. 36 usw. Auch hier sind überall zwei Konstruktionen, und zwar beidemal ein Hauptwort mit Attribut (z. B. der Oberarzt des städtischen Krankenhauses und der Oberarzt für Hautkrankheiten), in unerträglicher Weise ineinander geschoben, unerträglich deshalb, weil dadurch der Genitiv von dem Worte weggerissen ist, zu dem er gehört. Freilich läßt sich auch in solchen Fällen nicht immer durch bloße Umstellung helfen. Schreibt man: der Oberarzt des städtischen Krankenhauses für Hautkrankheiten, so ist zwar die unsinnige Verbindung: Hautkrankheiten des städtischen Krankenhauses beseitigt; aber dafür wird nun das Mißverständnis möglich, daß es ein besondres Krankenhaus für Hautkrankheiten gebe. In solchen Fällen bleibt nichts übrig, als ein Partizip zu Hilfe zu nehmen und zu schreiben: der an dem städtischen Krankenhaus angestellte Oberarzt für Hautkrankheiten. Solche Partizipia werden so oft ganz überflüssigerweise hinzugesetzt (vgl. S. 291), daß man auch einmal eins hinzusetzen kann, wo es notwendig ist.

Besonders schlimm sind aber nun drei Verstöße gegen die Gesetze der Wortstellung, die zum Teil schon seit alter Zeit, zum Teil auch erst in neuerer Zeit für besondre Feinheiten und Schönheiten gehalten werden und deshalb nicht eindringlich genug bekämpft werden können. Der erste ist:

Die sogenannte Inversion nach und

Als Inversion (Umkehrung, Umstellung) bezeichnet man es in der deutschen Grammatik, wenn in Hauptsätzen das Prädikat vor das Subjekt gestellt wird. Mit Inversion werden alle direkten Fragesätze gebildet, aber auch Bedingungssätze, wenn sie kein Fügewort haben[S. 305] (hätte ich dich gesehen), und Wunsch- und Aufforderungssätze. Aber auch Aussagesätze müssen die Inversion haben, sobald sie mit dem Objekt, mit einem Adverbium oder einer adverbialen Bestimmung anfangen; es heißt: den Vater haben wirdem Himmel haben wirgestern haben wirdort haben wirschon oft haben wiraus diesem Grunde haben wirtrotzdem haben wirzwar haben wirfreilich haben wirauch haben wir usw., nicht (wie im Französischen und im Englischen) gestern wir haben. Ebenso ist die Inversion in Aussagesätzen am Platze bei dem begründenden doch: habe ich es doch selber mit angesehen! Dagegen ist die Inversion völlig ausgeschlossen hinter Bindewörtern; es heißt: oder wir haben, aber wir haben, sondern wir haben, denn wir haben. Nur hinter und, das doch unzweifelhaft ein Bindewort ist, halten es viele nicht bloß für möglich, sondern sogar für eine besondre Schönheit, die Inversion anzubringen und zu schreiben: und haben wir. Der Amtsstil, der Zeitungsstil, der Geschäftsstil, sie wimmeln von solchen Inversionen nach und, viele halten sie für einen solchen Schmuck der Rede, daß sie selbst da, wo zwei Aussagesätze dasselbe Subjekt haben, es also genügte, zu sagen: die erste Lieferung ist soeben erschienen und liegt in allen Buchhandlungen zur Ansicht aus – nur um die Inversion anbringen zu können (!), das Subjekt wiederholen, und zwar in der Gestalt des schönen derselbe, und schreiben: die erste Lieferung ist soeben erschienen, und liegt dieselbe in allen Buchhandlungen zur Ansicht aus – die Fluchtlinie und das Straßenniveau werden vom Rate vorgeschrieben, und sind dieselben dieser Vorschrift entsprechend auszuführen. Bedarf es noch weiterer Beispiele? Wohl nicht. Sie stehen dutzendweise in jeder Zeitung. Der Beginn der Vorstellung ist auf sechs Uhr festgesetzt, und wollen wir nicht unterlassen, darauf aufmerksam zu machen – der Verein hat sich in diesem Jahre außerordentlich günstig entwickelt, und finden die Bestrebungen desselben allgemeine Anerkennung – die alte Orgel war sehr baufällig geworden,[S. 306] und wurde die Reparatur dem Orgelbaumeister Herrn G. übertragen – der Austernfang ist in letzter Zeit sehr ergiebig gewesen, und wurden am Dienstag wieder 10000 Stück in die Stadt gebracht – sämtliche Stoffe sind von mir für Leipzig engagiert, und können daher dieselben Muster nicht von andrer Seite geboten werden – die Ruine ist in zehn Minuten zu erreichen, und bietet sich unterhalb derselben ein herrliches Panorama – heute findet ein nochmaliges Ochsenbraten statt, und können wir den Besuch des Restaurants nur empfehlen – anders wird gar nicht geschrieben. Prof. X ist hier eingetroffen, und fand – na, was fand er denn? eine begeisterte Aufnahme? Gott bewahre! – und fand ihm zu Ehren ein Festmahl statt. Es gibt aber auch Frauen und Mädchen, die imstande sind, auf einer Postkarte zwei Inversionen anzubringen und damit Wunder was für ein feines Briefchen gedrechselt zu haben glauben: Nun sind die schönen Tage in Dresden bald vorüber, und sende ich Ihnen herzliche Grüße; mein Auftreten ist gut gelungen, und freue ich mich nun wieder auf unsre gemütlichen Abende usw.

Einigermaßen erträglich wird die Inversion nach und, wenn an der Spitze des ersten Satzes eine adverbielle Bestimmung steht, die sich zugleich auf den zweiten Satz bezieht, z. B.: hier hört das Rostocker Stadtrecht auf und fängt die gesunde Vernunft an – so werden unsre Reichen mit Wintergemüse versorgt und wird die Zahl der Genußmittel um einige überflüssige vermehrt – zum Glück gibt es noch anständige Meister und nehmen die Fabriken einen großen Teil der jungen Leute auf – selbstverständlich gehört Freigebigkeit gegen die Priester zu den Hauptbestandteilen der Frömmigkeit und ist Geiz gegen sie die größte aller Sünden – zur Pflege der Geselligkeit fand im Januar eine Christbescherung statt und wurden im Laufe des Sommers mehrere Ausflüge unternommen – wo Hindernisse im Wege stehen (Adverbsatz), pflegt sich die Menge innerhalb des ersten Kreises zu halten und kommt die Überschreitung des zweiten nur selten vor.[S. 307] Man hat diesen Fall besonders die „Inversion nach Spitzenbestimmung“ genannt.

Auf keinem Kunstgebiete kann es ein so schlagendes Beispiel für die Verschiedenheit des Geschmacks geben wie auf dem Gebiete der Sprache die Inversion nach und. Der Beamte, der Zeitungschreiber, der Kaufmann hält sie für die größte Zierde der Rede; für den sprachfühlenden Menschen ist sie der größte Greuel, der unsre Sprache verunstaltet, sie geht ihm noch über seitens, über bzw., über selbstredend, über diesbezüglich, sie erregt ihm geradezu Brechreiz. Sie ist ihm so zuwider, daß er sie auch nach der „Spitzenbestimmung“ nicht schreibt; selbst da gibt er lieber, um jeden Anklang an die widerwärtige Verbindung zu vermeiden, die Inversion, die der erste Satz mit Recht hat, im zweiten auf und schreibt: übrigens hatte diese Ordnung nichts puritanisches an sich, und das Joch der Sittenzucht war nicht übermäßig schwer (statt: und war das Joch).

Das Widerwärtige der Inversion liegt nicht nur in dem grammatischen Verstoß, sondern vor allem in der logischen Lüge: die Inversion sucht den Schein engerer, ja engster Gedankenverbindung zu erwecken, und doch haben die beiden Sätze, die so verbunden werden, inhaltlich gewöhnlich gar nichts miteinander zu tun. Darum ist auch die Inversion nur selten dadurch zu verbessern, daß man die beiden Hauptsätze in Haupt- und Nebensatz verwandelt, noch seltner dadurch, daß man Subjekt und Prädikat hinter und in die richtige Stellung bringt, sondern meist dadurch, daß man den Rat befolgt, den schon der junge Leipziger Student Goethe (offenbar nach einer Vorschrift aus Gellerts Kolleg über deutschen Stil) seiner Schwester Cornelia gab, wenn sie in ihren Briefen Inversionen geschrieben hatte: einen Punkt zu setzen, das und zu streichen und mit einem großen Anfangsbuchstaben fortzufahren.

Die Inversion ist aber auch eins der merkwürdigsten Beispiele des wunderlichen Standpunkts, den manche Sprachgelehrten zu der Frage über Richtigkeit und Schönheit der Sprache einnehmen. Es gibt Germanisten, die sagen: mir persönlich (!) ist die Inversion auch unsympathisch[S. 308] (!), aber „eigentlich falsch“ kann man sie nicht nennen, denn sie ist doch sehr alt, sie findet sich schon im Althochdeutschen, im Mittelhochdeutschen, bei Luther, sehr oft im siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert, und ihre große Beliebtheit gibt ihr doch ein gewisses Recht. Als ob eine häßliche Spracherscheinung dadurch schöner würde, daß sie jahrhundertealt ist![141] Wer hat denn zu entscheiden, was richtig und schön sei in der Sprache: der sprachkundige, sprachgebildete, mit feinem und lebendigem Sprachgefühl begabte Schriftsteller, oder der Kanzlist, der Reporter und der „Konfektionär“? Ein Schriftsteller, der die Inversion nach und aufs strengste vermieden hat, ist Lessing. Ich denke, der wird genügen.[142]

Die Stellung der persönlichen Fürwörter

Der zweite Verstoß betrifft die Stellung der persönlichen Fürwörter. Es handelt sich da wieder um eine Spracherscheinung, die äußerst häßlich ist und doch allgemein für eine Schönheit gehalten wird (vgl. S. 116 Anm.). Um die Sache deutlich zu machen, soll zunächst der häufigste und auffälligste Fall besprochen werden.

Wenn das Zeitwort eines Satzes ein Reflexivum ist, gleichviel ob das reflexive Verhältnis den Dativ oder den Akkusativ hat (sich entschließen, sich einbilden), so erscheint in der lebendigen Sprache das reflexive Fürwort sich stets so zeitig wie möglich im Satze. In Nebensätzen wird es stets unmittelbar hinter das erste Wort gestellt, hinter das Relativ, hinter das Fügewort usw. (der sich, wo sich, wobei sich, da sich, obgleich[S. 309] sich, als sich, daß sich, wenn sich, als ob sich, je mehr sich usw.); erst dann folgt das Subjekt des Satzes. Nur wenn das Subjekt selbst ein persönliches Fürwort ist, geht dieses dem sich voran (da es sich, wenn sie sich, die er sich). In Hauptsätzen steht das sich stets unmittelbar hinter dem Verbum (hat sich, zeigt sich, wird sich finden); in Infinitivsätzen steht es ganz an der Spitze, mag das Verbum noch so reich mit Objekten, adverbiellen Bestimmungen u. dgl. bekleidet sein. Man beobachte sich selbst, man beobachte andre, wie sie reden, man wird höchst selten einer Abweichung von diesem Gesetze begegnen.

Nun vergleiche man damit, wie geschrieben wird, ganz allgemein geschrieben wird, und sehe, wo da das sich hingesetzt wird; die Stelle, wo es hingehört, soll jedesmal durch Klammern bezeichnet werden. Da heißt es in Hauptsätzen: selten hat [] eine Darstellung so rasch in der Literatur sich eingebürgert – durch die neue Ordnung glaubte [] namentlich die Universität sich verletzt – diese hielten [] ohne Erlaubnis der Regierung in diesen Gegenden sich auf – der heftige Seelenschmerz löste [] in ein krampfhaftes Schluchzen sich auf – eventuell (!) behält [] der Verkäufer das Rückkaufsrecht sich vor – als Porträtmaler schließt [] Hausmann unmittelbar an Hoyer sich an. Beim Infinitiv: nur einmal scheinen [] die beiden sich gesprochen zu haben – die Photographie scheint [] in Rom wirklich bis an die Grenze echter Kunst sich zu erheben – bald begannen [] Menschen in dem Walde sich anzusammeln – der Name dürfte [] auf den ganzen Gebirgszug sich beziehen – man mußte [] in entsetzlichen Postkarren, von Ungeziefer halb verzehrt, unter Hunger und Durst, in jene schönen Gegenden sich durcharbeiten – es ist leicht, [] diese Kenntnis sich anzueignen – das Recht, [] an der friedlichen Kulturarbeit frei sich zu beteiligen. In Nebensätzen endlich: die Verdienste, welche (!) [] Eure Durchlaucht um das deutsche Vaterland sich erworben haben – es ist das eine der schwierigsten Aufgaben, die [] der menschliche Geist sich stellen kann – bei dieser Lage der[S. 310] Dinge, die [] binnen wenigen Monaten zu einer ganz unerträglichen sich ausbildete – der geistige Zustand, in dem [] die deutsche Jugend in der Zeit der französischen Invasion sich befand – der Modegeschmack, der [] namentlich auf dem Gebiete des Romans so rasch sich ändert – die Philosophie, die [] doch nur dem an das Denken gewöhnten Höhergebildeten sich erschließt – ein Mann, der [] bei allem Eifer für die katholische Sache doch einen warmen Patriotismus sich bewahrt hatte – im Militärwaisenhaus, das [] nach dem Willen des Königs zu einer möglichst großartigen Anlage sich gestalten soll – die Schlagwörter, mit denen [] die sozialdemokratischen Lehren sich zu schmücken lieben – in Fällen, wo [] das Bedürfnis dazu sich herausstellt – der erste Akt versetzt uns in die Welt des Waldes, wo [] Roseggers Phantasie am meisten sich heimisch fühlt – in Bonn, wo [] die ganze Rheinstraße mit ihren Denkmälern zu Exkursionen sich anbietet – die Verbrecher treiben allerlei Ulk, wobei [] ihre wahre Natur sich äußert – die Schicksale, aus deren Zusammenwirken [] erst die eigenartige Entwicklung von Hoffmanns Persönlichkeit sich erklären läßt – unter der Bedingung, daß er [] auf eine bestimmte Probezeit des Wilderns sich enthalte – die Gegenwart beweist, daß [] der kleine Betrieb dem Großkapital gegenüber sich nicht halten kann – der einzelne darf nicht verkennen, daß er [] unter solchen Umständen zu Nutz und Frommen seiner Mitmenschen eine Selbstbeschränkung sich auferlegen mußals [] fast sämtliche Klöster wieder mit den geistlichen Orden sich gefüllt hatten – es wird noch geraume Zeit vergehen, ehe [] ihr Ideal vollständig sich verwirklichen kannseitdem [] das große, für die Kultur so folgenreiche Weltereignis der Entdeckung Amerikas durch Christoph Kolumbus sich ergab – die Aufhebung des Gesetzes können wir nicht beklagen, da es [] im Laufe der Jahre immer mehr als unbrauchbar sich erwiesen hatda er [] gerade jetzt in der Lage sich befindet, Zahlung leisten zu können – weil er [] diese Eigenschaften bis in sein hohes Alter sich bewahrt hat[S. 311] nachdem [] die ursprüngliche Bedeutung im Sprachbewußtsein sich verdunkelt hattenachdem [] die Wogen freundlicher und feindlicher Erregung, die das Buch hervorrief, sich gelegt habenwenn er [] zuweilen zu religiösem Pathos sich erhobwenn der Kurfürst abreist und [] auf einen seiner Landsitze sich begibt – ich würde untröstlich sein, wenn Sie [] durch mich in Ihrer alten Ordnung sich stören ließenwenn [] neuerdings die Unternehmer und Arbeitgeber zur Wahrung ihrer gerechten Interessen sich zusammenschließen – die Namen der Künstler sind so bezeichnet, wie sie [] auf den Blättern sich findenals ob er [] die größten Verdienste um das deutsche Vaterland sich erworben hätteje mehr [] Frankreichs Stellung am Mittelmeere sich behauptet usw.

Wir stehen da wieder vor einer Erscheinung, die recht eigentlich in das Kapitel vom papiernen Stil gehört. Der lebendigen Sprache gänzlich fremd, stellt sie sich immer nur da ein, wo jemand die Feder in die Hand nimmt, aber auch da nicht sofort, sondern erst dann, wenn er zu künsteln anfängt.[143] Man könnte ja nun meinen, es sei doch unnatürlich, das reflexive Fürwort von seinem Verbum zu trennen und so weit vor, an den Anfang des Satzes zu rücken. Aber diese Trennung ist der Sprache offenbar etwas unwesentliches. Das wesentliche ist ihr die enge Verbindung, die erst infolge dieser Trennung eingegangen werden kann: die Verbindung mit dem voranstehenden andern Pronomen oder mit dem Fügewort (der sich, wenn sich). Diese Verbindung ist der lebendigen Sprache wichtiger als die mit dem[S. 312] Verbum, denn durch sie wird der Satz wie mit eisernen Klammern umschlossen. Wenn ich das sich unmittelbar nach da, wo, wenn, seitdem bringe, so erfährt der Hörer schon, daß am Ende des Satzes ein reflexives Zeitwort folgen wird, die Hälfte des Verbalbegriffs klingt ihm gleichsam schon im Ohre. Daß sich auf diese Weise der Satz fester zusammenschließt als auf die andre, liegt auf der Hand. Wenn einer mit wenn oder daß anfängt, und erst nachdem er zwanzig oder dreißig Worte dazwischengeschoben hat, endlich mit sich begab oder sich befindet schließt, so möchte man immer fragen: So viel Zeit hast du gebraucht, dich auf das Zeitwort zu besinnen? dich zu besinnen, daß du ein reflexives Verbum gebrauchen willst?

Es ist ja aber keineswegs bloß das sich, das jetzt in dieser Weise verstellt wird, es geschieht das mit dem rückbezüglichen Fürwort überhaupt. Man schreibt auch: darüber gedenke ich [] später einmal in diesen Blättern mich auszulassen – wenn wir [] auch mit voller Seele an der Jubelfeier uns beteiligen – daß wir [] in unsern nationalen Lebensformen ungehindert uns entwickeln können – wenn wir [] überhaupt von Gott eine Vorstellung uns machen wollen usw. Ja die Krankheit hat sich noch viel weiter verbreitet, sie hat auch das ganze persönliche Fürwort ergriffen. In der lebendigen Sprache wird das persönliche Fürwort genau so gestellt wie das reflexive. Wie aber wird geschrieben? Das war es bloß, wozu [] mein väterlicher Freund mich bewegen wollte – wie willst du den Widerspruch lösen, den [] eine verehrte Autorität dir aufdrängt? – als Goethe seine Reise antrat, war [] Rom ihm nicht fremd – man kann den Fortgang voraussehen, soweit [] nicht unberechenbare äußere Störungen ihn hemmen – die Mängel des Gedächtnisses kommen weniger zur Geltung, wenn [] das Nachdenken ihm Zeit läßt – der Bischof verzichtete auf den Segen, den [] sein Konfrater in Trier ihm anpries – können wir einen Dichter nennen, der [] an Mannigfaltigkeit, an beherrschender Sicherheit ihm gleichkäme? – er würde [] gewiß auch diesmal nicht ohne Not sie warten lassen – die[S. 313] Menge geht dahin, wohin [] der Zar und die Kirche sie treibt – sie wissen viel zu gut, was [] das erreichte Ziel sie gekostet hat – die Arbeiter stehen schon so tief, daß [] ein weiterer Druck sie arbeitsunfähig machen würde – wenn [] die Zeit es erlaubt – wer [] in unsern Tagen noch es wagt – wie [] der Drang seines Herzens es gebot – eine unzulängliche Einrichtung, wie [] das Duell es ist – abgesehen davon hatten [] die Bewohner des Hauses es nicht schlecht – wenn [] die Gegner des Sozialistengesetzes es als einen Vorteil preisen – unter diesem Feldgeschrei hatte man [] in den katholisch-deutschen Ländern es dahin gebracht – es genügt uns nicht, [] bei dieser allgemeinen Schilderung seines Wesens es bewenden zu lassen – wir müssen tragen, was [] unser Geschick uns auferlegt – die praktische Aufgabe, die [] unsre religiöse Gefahr uns stellt – wir halten das für die einzig mögliche Erklärung, weil [] keine andre uns begreiflich ist – wenn [] sein Auge so ernst und mild uns anblickt – wäre er nicht das große Genie gewesen, so würde [] der Name Rembrandt uns unbekannt geblieben sein – am 19. Mai hat [] der Tod wieder einen der hervorragendsten Künstler uns entrissen – nun galt es, [] mit Rat und Tat ihnen beizustehen – sie warfen mit lateinischen Brocken um sich, sodaß [] kein andrer in der Gesellschaft ihnen zu folgen vermochte – er berichtete gewissenhaft die Geschichte, wie [] [] sein alter Schulkamerad sie ihm erzählt hatte – es ist das ein großes Stück Wehrkraft, worin [] [] die Nachbarn im Osten und Westen es uns nicht gleichtun können. Überall ein ängstliches, schulknabenhaftes Voranstellen der Subjekte vor die Objekte, überall das gequälte Aufsparen der Fürwörter bis unmittelbar vor das Zeitwort![144] In einem Roman heißt es: während[S. 314] die Stämme ihre kahlen Äste uns entgegenstreckten, als wollten sie mit ihren Armen unserer (!) sich erwehren. Das soll heißen: während uns die Stämme ihre kahlen Äste entgegenstreckten, als wollten sie sich unser mit ihren Armen erwehren! Am fürchterlichsten ist es, wenn das unbetonte es, vollends das proleptische, das nur einen Inhalts- oder einen Infinitivsatz vorbereitet, und das nur dann erträglich ist, wenn es sich so viel wie möglich versteckt und möglichst flüchtig durch den Satz huscht – wenn das mit solchem Elefantentritt an möglichst unpassender Stelle in den Satz hineintappt: trotz des Widerwillens des Vaters setzte [] der Knabe unter dem Beistande der guten Mutter es durch, daß er usw.

Möglich ist ja eine solche Stellung der Fürwörter auch, falsch ist sie nicht, es fragt sich nur, ob sie schön sei. Wie müssen sich oft die Fürwörter und die Wörter überhaupt in Versen herumwerfen lassen! Wie die Kegel, wenn die Kugel dazwischenfährt. Da senkte sich aus der Höhe ein lichter Engel – nicht wahr, ganz gewöhnliche Prosa?

Da senkte aus der Höhe
Ein lichter Engel sich

auf einmal „Poesie“! Das hat aber doch auch seine Grenzen. Poetischer als ein Vers wie der:

Wie soll aus diesem Zwiespalt ich retten mich?

klingt doch unzweifelhaft die schlichte „Prosa“: Wie soll ich mich aus diesem Zwiespalt retten?

Von Gellerts Fabeln hat man geringschätzig gesagt, sie wären die reine Prosa. Von dem Ausdruck trifft das gar nicht zu, der ist dazu viel zu fein und gewählt. Wenn es sich aber darauf beziehen soll, daß ihre Wortstellung ganz so ist, wie sie in guter Prosa sein würde, so wäre das ja das höchste Lob! Es ist das, was Friedrich der Große mit den Worten sagte: Er hat so etwas Coulantes in seinen Versen.

In fast allen oder fast in allen?

Der dritte Verstoß betrifft die Stellung der Präpositionen. Durch alle gebildeten Sprachen geht das Gesetz,[S. 315] daß die Präpositionen (an, bei, nach, für, in, vor, mit usw.) unmittelbar vor dem Worte stehen müssen, das sie regieren. Das ist so natürlich und selbstverständlich wie irgend etwas, es kann gar nicht anders sein. In der griechischen Grammatik spricht man von Procliticae (d. h. vorn angelehnten).[145] Man versteht darunter gewisse einsilbige Wörtchen, die, weil sie eben einsilbig sind und für sich allein noch nichts bedeuten, keinen eignen Ton haben, sondern – wie durch magnetische Kraft – an das Wort gezogen werden, das ihnen folgt. Dazu gehören auch einige einsilbige Präpositionen. Das ist aber durchaus keine Eigentümlichkeit der griechischen Sprache, sondern solche Wörter gibt es in allen Sprachen, auch im Deutschen, und zu ihnen gehören auch im Deutschen die Präpositionen. Weil diese aber solche Procliticae sind, die mit dem Worte, das von ihnen abhängt, innig verwachsen, so ist es unnatürlich, zwischen die Präposition und das abhängige Wort (Eigenschaftswort, Fürwort, Zahlwort) ein Adverb zu stopfen.[146] Auch dieses Gesetz geht durch alle Sprachen, denn es ist in der Natur der Präpositionen begründet.

Da ist aber nun der große Logiker drüber gekommen und hat sich überlegt: fast in allen Fällen – das kann doch nicht richtig sein! das fast gehört doch nicht zu in, es gehört ja zu allen! Also muß es heißen: in fast allen Fällen. Und so wird denn wirklich seit einiger Zeit immer häufiger geschrieben: die von fast allen Grammatikern gerügte Gewohnheit – es geht eine Bewegung durch fast sämtliche Kulturstaaten – mit fast gar keinen Vorkenntnissen – mit nur echten Spitzen – das Stück besteht aus nur drei Szenen – wir haben es mit nur wenigen Lehrstunden zu tun – wir fuhren durch meist anmutige Gegend – die Kritik, die in meist schlechten Händen ist – es waren gegen etwa vierzig Mann – mit einer Besatzung von oft sechs bis acht Mann – in bald einfacherer, bald[S. 316] prächtigerer Ausstattung – das Buch ist in wohl sämtliche europäische Sprachen übersetzt – andre Kritiker von freilich geringerer Autorität – nach genau einem Jahrhundert – in genau derselben Form – mit genau derselben Geschwindigkeit – nach längstens zwei Jahren – für wenigstens ein paar Wochen – Unterricht in wenigstens einer zweiten lebenden Sprache – die ordnungsliebendern Elemente sehen sich zu wenigstens tatsächlicher Achtung vor dem Gesetze gezwungen – die Kosten belaufen sich auf mindestens tausend Pfund – die Schulden müssen mit mindestens einem Prozent jährlich abgetragen werden – fünf Präpositionen mit jedesmal verschiedner Funktion – eine Anfrage würde das in vielleicht überraschendem Maße bestätigen – überall ist die Technik auf annähernd gleicher Höhe – er wurde auf zunächst sechs Jahre zum Stadtrat gewählt – mit sozusagen absolutem Maßstabe – mit allerdings nur geringer Hoffnung auf Erfolg – Japan war mit alles in allem vier Artikeln vertreten – er stand mit ihm in so gut wie keiner Verbindung – sie sind um zusammen etwa vier Millionen Mark betrogen worden; sogar: ein besondrer Anstrich von erst Farbe und dann Lack wird vermieden.

Es ist eine Barbarei, so zu schreiben. Man hat das Gefühl, als wollte einem jemand in den Ellbogen oder zwischen zwei Fingerglieder einen Holzkeil treiben, wenn man so etwas liest, ja es ist, als müßte es der Präposition selber wehtun, wenn sie auf solche Weise von dem Worte, mit dem sie doch zusammenwachsen möchte, abgerissen wird. Was ist eine Logik wert, die zu solcher Unnatur führt! Man versuche es einmal, man setze in all den angeführten Beispielen das Adverb an die richtige Stelle, nämlich vor die Präposition: meist durch anmutige Gegend – wohl in sämtliche Sprachen – wenigstens für ein paar Wochen – annähernd auf gleicher Höhe – zunächst auf sechs Jahre usw., empfindet wohl jemand die geringste logische Störung?[147]

[S. 317]

Nur die kurzen Adverbia, die zur Steigerung der Adjektiva dienen: so, sehr, viel, weit, stehen hinter der Präposition: mit so großem Erfolg – in sehr vielen Fällen – mit viel geringern Mitteln – nach weit gründlichern Vorbereitungen. Bei allen Adverbien aber, die den Adjektivbegriff einschränken, herabsetzen oder sonstwie bestimmen, ist die Stellung hinter der Präposition unnatürlich.

Zwei Präpositionen nebeneinander

Doppelt häßlich wird das Wegreißen der Präposition von dem abhängigen Worte dann, wenn das Einschiebsel nicht ein einfaches Adverb, sondern ein Satzglied ist, das selbst wieder aus einer Präposition und einem davon abhängigen Worte besteht; dann entsteht der Fall, daß zwei Präpositionen unmittelbar hintereinander geraten – für jeden Menschen von feinerm Gefühl eine der beleidigendsten Spracherscheinungen. Und doch wird auch so jetzt fortwährend geschrieben! Da heißt es: in im Ratsdepositorium befindlichen Dokumenten – in zur Zeit nicht zu verwirklichenden Gedanken – durch vom Kriege unberührtes Land – durch von beiden Teilen erwählte Schiedsrichter – durch für ein weiches Gemüt empfindlichen Tadel – mit in Tränen erstickender Stimme – mit vor Freude strahlendem Gesicht – mit vor keinem Hindernis zurückschreckender Energie – mit auf die Wand aufgelegtem Papier – mit für die Umgebung störendem Geräusch – mit nach außen kräftigen Institutionen – mit über die ganze Provinz verteilten Zweigvereinen – mit mit (!) schwarzem Krepp umwundnen Fahnen – bei nach fürstlichen Personen benannten Gegenständen – das Sammeln von an sich wertlosen Dingen – die Frucht von durch Jahrtausende fortgesetzten Erfahrungen – eine große Anzahl von in einzelnen Fächern weiter ausgebildeten jungen Männern –[S. 318] die Schülerzahl stieg von über zwei- gleich auf über sechshundert – die Falter werden mittelst auf mit (!) Öl begossene Teller gestellter Gläser gefangen usw. Man kann also solche Zusammenstöße sehr leicht vermeiden, und zwar auf die verschiedenste Weise; entweder durch einen Nebensatz: durch Land, das vom Kriege noch unberührt geblieben war – oder durch einen wirklichen Genitiv statt von: das Sammeln an sich wertloser Dinge – oder durch einen Ausdruck, der dasselbe sagt wie die Präposition: von mehr als zweihundert (statt von über) oder durch ein zusammengesetztes Wort: mit freudestrahlendem Gesicht usw. Aber alle diese Mittel werden verschmäht, lieber versetzt man dem Leser den stilistischen Rippenstoß, unmittelbar hinter einer Präposition noch eine zweite zu bringen![148]

Zur Interpunktion

Eine feine und schwierige Kunst ist es, gut zu interpungieren. Hier können nur einige Winke darüber gegeben werden.

Die Interpunktion verfolgt zwei verschiedne Zwecke: erstens die Satzgliederung zu unterstützen und die Übersicht über den Satzbau zu erleichtern, zweitens die Pausen und die Betonung der lebendigen Sprache in der Schrift auszudrücken. Oft fallen beide Zwecke zusammen, aber nicht immer. Wenn z. B. geschrieben wird: die Berliner Künstler haben den französischen Bildern stets die besten Plätze eingeräumt und, wenn diese nicht reichten, andre Räume gemietet – oder: wer die Tagespresse kritiklos liest und, ohne es zu wissen und zu wollen, die dargebotnen Anschauungen in sich aufnimmt – so schließt sich zwar die Interpunktion genau dem Satzbau an, steht aber in auffälligem Widerspruch zur lebendigen Sprache: niemand wird bis zu und (oder oder) sprechen und hinter und eine Pause machen, jeder wird vor und abbrechen. Daher empfiehlt es sich, das Komma hier lieber vor und zu setzen – gegen den Satzbau – und[S. 319] zu schreiben: da die Frauen mit Vorliebe männliche Verhüllungen wählen, und wenn sie ihren Vornamen nicht ausschreiben, auch die Handschrift sie nicht immer verrät – sie glaubte, oder wie es von ihrem Standpunkt aus wohl richtiger heißen muß, sie hoffte – daß Dichter wie Keller und Storm, oder um einige weniger berühmte zu nennen, Vischer und Riehl gesund blieben – die Elemente des Anschauungs- und Gestaltungsvermögens, oder anders ausgedrückt, des Einbildungs- und des Ausbildungsvermögens.[149]

Dem ersten Zwecke dienen nun vor allem die drei üblichen Zeichen: Punkt, Semikolon (;) und Komma. Über die Bedeutung von Punkt und Komma besteht kein Zweifel; sie werden im allgemeinen auch richtig angewandt. Der Punkt schließt ab, das Komma gliedert; der Punkt trennt größere oder kleinere selbständige Gedankengruppen, das Komma scheidet die einzelnen Bestandteile dieser Gruppen, es tritt vor jeden Nebensatz, auch vor Partizipial- und Infinitivsätze. Jeder Satz hat nur einen Punkt; die Zahl der Kommata im Satze ist unbeschränkt. Das Semikolon endlich ist stärker als das Komma, aber schwächer als der Punkt. Es ist überall da am Platze, wo zwei Hauptsätze – mögen sie nun allein stehen oder jeder wieder von einem Nebensatze begleitet sein – einander gegenübergestellt werden, wo also der eine der beiden Hauptsätze nur die Hälfte des Gedankens enthält und den andern zu seiner Ergänzung verlangt, z. B.: hättest du dich an den Buchstaben des Gesetzes gehalten, so träfe dich kein Vorwurf; da du aber eigenmächtig vorgegangen bist, so hast du nun auch die Verantwortung zu tragen. Das Semikolon trennt also und vereinigt zugleich, es scheidet und verbindet. Sehr fein hat es daher David Strauß die Taille des Satzes genannt[150] und auf Lessing hingewiesen als den, der den richtigen Gebrauch davon gemacht habe. In[S. 320] der Tat ist das Semikolon für den, der damit umzugehen weiß, eins der ausdrucksfähigsten Interpunktionszeichen, es wird nur noch vom Kolon übertroffen. Aber wie ungeschickt wird es oft behandelt! Besonders beliebt ist es jetzt, wenn vor einen Hauptsatz eine größere Anzahl gleichartiger Nebensätze tritt, z. B. drei, vier, fünf Bedingungssätze, diese alle durch Semikolon voneinander zu trennen – eine sehr geschmacklose Anwendung. Zwischen Haupt- und Nebensatz ist einzig und allein das Komma am Platze; folgen mehrere gleichartige Nebensätze aufeinander, so kann hinter jedem immer wieder nur ein Komma stehen. Wie der Punkt, so kann auch das Semikolon in einem gut gegliederten Satze nur einmal vorkommen; ein Satz, der mehr als ein Semikolon enthält, ist immer entweder schlecht interpungiert oder schlecht gegliedert.

Aber auch in dem Gebrauche des Kommas werden mancherlei Fehler gemacht. Wenn vor ein Hauptwort mehrere Eigenschaftswörter treten, so gilt im allgemeinen die Regel, diese Eigenschaftswörter durch Kommata voneinander zu trennen. Manche wollen zwar neuerdings davon nichts wissen, sie schreiben: ein guter treuer anhänglicher zuverlässiger Mensch; aber das verstößt gegen die Betonung der lebendigen Sprache, die bei solchen längern Attributreihen hinter jedem Attribut eine fühlbare kleine Pause macht, und vor allem: man beraubt sich damit sehr notwendiger Unterscheidungen. Es ist ein großer Unterschied, ob ich schreibe: er hatte eine tiefe, staatsmännische Einsicht oder: eine tiefe staatsmännische Einsicht – hier schließt der erste, historische Abschnitt oder: der erste historische Abschnitt des Buches. Im ersten Falle stehen die beiden Attribute parallel zueinander, das zweite erläutert das erste: er hatte eine tiefe, (wahrhaft oder echt) staatsmännische Einsicht – hier schließt der erste, (nämlich) historische Abschnitt des Buches. Im zweiten Falle bildet das zweite Attribut mit dem Hauptwort einen einzigen Begriff, sodaß tatsächlich nur ein Attribut übrig bleibt: er hatte staatsmännische Einsicht, und diese war tief – das Buch hat mehrere historische Abschnitte, und hier[S. 321] schließt der erste davon (vgl. S. 301). Auf solche Weise kann sogar ein drittes Attribut wieder dem zweiten übergeordnet werden. Es darf also kein Komma stehen in folgenden Verbindungen: ein starker demokratischer Zug, eine liebenswürdige alte Jungfer, die nackteste persönliche Herrschsucht, das jahrelange geistliche Eifern, der unvermeidliche tragische Ausgang, nach überstandnem sturmvollem Leben, von gewissen hohen österreichischen Offizieren, die ganze vielgepriesene englische Kirchlichkeit. Ebenso muß ohne Komma geschrieben werden: das andre der klassischen Richtung angehörige Drama – wenn der betreffende Dichter mehrere der klassischen Richtung angehörige Dramen geschrieben hat, wogegen das Komma nicht fehlen dürfte, wenn er nur zwei Dramen geschrieben hätte, eins, das der modernen, und eins, das der klassischen Richtung angehört.

Wenn zwei Hauptsätze oder auch zwei Nebensätze durch und verbunden werden, so gilt im allgemeinen die verständige Regel, daß vor und ein Komma stehen müsse, wenn hinter und ein neues Subjekt folgt, dagegen das Komma wegbleiben müsse, wenn das Subjekt dasselbe bleibt. Natürlich ist dabei unter Subjekt das grammatische Subjekt zu verstehen, nicht das logische. Seinem Begriffe nach mag das zweite Subjekt dasselbe sein wie das erste: sowie es grammatisch durch ein Fürwort (er, dieser) erneuert wird, darf auch das Komma nicht fehlen. Dagegen wird niemand vor und ein Komma setzen, wo und nur zwei Wörter verbindet. Doch sind Ausnahmefälle denkbar, z. B.: er welkt, und blüht nicht mehr – in Leipzig, wo man so viel, und so viel gute Musik hören kann – er war unfähig als Heerführer, und als Mensch unbedeutend und wenig sympathisch. Er blüht und duftet nicht mehr – da wäre das Komma überflüssig. In solchen Fällen tritt der zweite Zweck der Interpunktion in seine Rechte: die Pausen und die Betonung der lebendigen Sprache auszudrücken, selbst abweichend von dem ersten, die Gliederung des Satzbaus zu unterstützen.

[S. 322]

Auch vor einem Infinitiv mit zu ist es wohl allgemein üblich, ein Komma zu setzen. Manche lassen es zwar hier jetzt weg, namentlich wenn der Infinitiv ganz unbekleidet ist; sie halten es für überflüssig, ein so kurzes, nur aus zwei Wörtern bestehendes Glied durch ein besondres Zeichen abzutrennen. Es empfiehlt sich aber doch, es zu setzen, da sonst leicht Zweifel oder Mißverständnisse entstehen können. Wenn jemand schreibt: es ist schwer zu verstehen – so kann der Sinn nur sein: es ist zu verstehen, aber schwer. Wenn man aber ausdrücken will: es bereitet Schwierigkeiten, es zu verstehen? Das kann nur durch ein Komma deutlich gemacht werden. Man muß also unterscheiden zwischen: es ist nicht gut, zu verlangen und: es ist nicht gut zu verlangen – es war ein Fest, zu sehen und: es war ein Fest zu sehen. Aber auch in Sätzen wie: er befahl ihm Gläser zu bringen – die ultramontane Presse verstand es bald allerlei Mißverständnisse aufzufinden – entsteht der Zweifel: wozu gehört ihm? wozu gehört bald? zu verstehen oder zu auffinden? Ein Komma hebt sofort den Zweifel.

Nur in einem Falle ist es nicht nur überflüssig, sondern geradezu störend, vor den Infinitiv mit zu ein Komma zu setzen, nämlich dann, wenn der Infinitiv ein Objekt oder ein Adverb bei sich hat, und dieses vor dem regierenden Verbum steht, von dem der Infinitiv abhängt, z. B.: diesen Gedanken könnte man versucht sein, mit Wallenstein herzlich dumm zu nennen. Diesen Gedanken könnte man versucht sein – das ist nur ein Satzbruchstück ohne allen Sinn, was soll da das Komma? Es ist aber auch durch die lebendige Sprache hier nicht gerechtfertigt, denn niemand wird hinter versucht sein im Sprechen anhalten, alles drängt zu dem Infinitiv, der erst das Objekt verständlich macht, das vorläufig noch in der Luft schwebt. Es ist also richtiger, ohne Komma zu schreiben: bares Geld gelang es ihm nicht sich anzueignen – tatsächliche Irrtümer dürfte es schwer sein in dem bändereichen Werke aufzustöbern – was bemüht man sich mit dem Worte Sozialismus zu[S. 323] benennen? – alle Abfälle hatte sie sich ausgebeten ihm bringen zu dürfen – auf die Erhaltung des Waldes war die Behörde geneigt das entscheidende Gewicht zu legen – gegen diese Szene liegt es uns fern uns hier zu ereifern – ich gebe dir keinen Rat, den ich nicht bereit wäre selber zu befolgen – die Anforderungen, die wir uns gewöhnt haben an eine solche Ausgabe zu stellen – der Wust von Aberglauben, den der Vorgänger sich rühmte ausgefegt zu haben – der Unterschied, den der Offizier gewohnt ist zwischen seiner Stellung als solcher und der als Gentleman zu machen – die Oberamtsrichter, denen manche geneigt sind die Rektoren gleichzustellen – seine Verwandten, für die es vor allem seine Pflicht wäre zu sorgen.

Unbegreiflich ist es, daß man die beiden verschiednen ja, die es gibt, das beteuernde und das steigernde, nie richtig unterschieden findet, und doch sind sie durch die Interpunktion so leicht zu unterscheiden. Ein Komma gehört nur hinter das beteuernde ja, denn nur hinter diesem wird beim Sprechen eine Pause gemacht: ja, es waren herrliche Tage! Das steigernde ja dagegen wird mit dem folgenden Worte fast in eins verschmolzen: sie duldete diese Mißhandlungen, ja sie schien sie zu verlangen – es ist wünschenswert, ja geradezu unerläßlich – hinter Frankreich liegt der Atlantische Ozean, ja man kann sagen die ganze andre Welt. Was soll da ein Komma? Ebenso töricht ist es, ein doppeltes ja (ja ja), ein doppeltes nein (nein nein), ei ei! na na oder gar das ha ha!, das das Lachen ausdrücken soll, durch Kommata zu trennen, wie man es in Erzählungen und Schauspielen überall gedruckt lesen muß. Man spricht doch nicht ja (Pause), ja, sondern jajjah, neinnein, als ob es nur ein Wort wäre. Und vollends ha (Komma) ha! Wer lacht so?

Ganz verkehrt wird von vielen das Kolon (:) angewandt: sie setzen es statt des Semikolons (;) und stören damit den, der die Bedeutung der Satzzeichen kennt, auf ärgerliche Weise. Das Semikolon schließt ab wie der Punkt; das Kolon schließt – auf, es hat vorbereitenden,[S. 324] spannungerweckenden, aussichteröffnenden Sinn, ein gut gesetztes Kolon wirkt, wie wenn eine Tür geöffnet, ein Vorhang weggezogen wird. Daher steht es vor allem vor jeder direkten Rede (vor die indirekte gehört das Komma!); es ist aber auch überall da am Platze, wo es so viel bedeutet wie nämlich, z. B.: der Verfasser hat mehr getan als diesen Wunsch erfüllt: er hat die Aufsätze vielfach erweitert und ergänzt – oder wo es dazu dient, die Folgen, das Ergebnis, das erwartete oder unerwartete Ergebnis des vorhergeschilderten einzuleiten, z. B.: wir baten, flehten, schmollten: er blieb ungerührt und sprach von etwas anderm.

Geschmacklos ist es, die der Betonung dienenden Zeichen, das Fragezeichen und das Ausrufezeichen, zu verdoppeln, zu verdreifachen oder miteinander zu verbinden: ??, !!!, ?! Dergleichen schreit den Leser förmlich an, und das darf man sich doch verbitten. Eine Abgeschmacktheit ohnegleichen aber ist es, halbe oder ganze Zeilen mit Punkten oder Gedankenstrichen zu füllen, wie es unsre Romanschreiber und Feuilletonisten jetzt lieben. Das soll geistreich aussehen, den Schein erwecken, als ob der Verfasser vor Gedanken und Bildern beinahe platzte, sie gar nicht alle aussprechen oder ausführen könnte, sondern dem Leser sich auszumalen überlassen müßte. Es ist aber meistens nur Wind; wer etwas zu sagen hat, der sagt es schon. Nur eine Abgeschmacktheit kommt dieser noch gleich, die neueste Zierde des Feuilletonstils: eine Menge kleiner Nebensätze jeden mit einem Punkt abzuschließen, sodaß die aus Hauptsatz und Nebensätzen bestehende Periode dem Leser in lauter Brocken vorgesetzt wird. Auch das soll geistreich aussehen, den Schein höchster dramatischer Lebendigkeit der Gedankenerzeugung und -einkleidung erregen. In Wahrheit ist es eine krasse Stillosigkeit, eine abgeschmackte Manier.

Fließender Stil

Man spricht so viel von fließendem Stil, beneidet wohl auch den und jenen um seinen fließenden Stil.[S. 325] Ist das Sache der Begabung, oder ist es etwas erlernbares?

Zum Teil beruht das, was man fließenden Stil nennt, unzweifelhaft auf der Klarheit des Denkens und der Folgerichtigkeit der Gedankenentwicklung – nur wer sich selbst über eine Sache völlig klar geworden ist, kann sie auch andern klarmachen –, zum Teil auch auf Rhythmus und Wohllaut – es wird viel zu viel stumm geschrieben, während man doch nichts drucken lassen sollte, was man sich nicht selber laut vorgelesen hat![151] –, zum größten Teil aber beruht es auf gewissen technischen Handgriffen beim Satzbau – Handwerksvorteilchen möchte ich sagen –, die man eben kennen muß, um sie anwenden zu können. Unbewußt und unwillkürlich wendet sie niemand an. Es gibt zwar auch einen Naturburschenstil, der den Leser durch eine gewisse Gewandtheit ein paar Seiten lang täuschen kann; dann kommt aber plötzlich ein Satz, der deutlich verrät, daß der Verfasser nur zufällig, nicht mit Bewußtsein fließend geschrieben hat.

Den angenehmen Eindruck, daß jemand fließend schreibe, hat man dann, wenn beim Lesen das Verständnis, die geistige Auffassung des Geschriebnen immer gleichen Schritt hält mit der sinnlichen Auffassung, die durch das Auge vor sich geht. Ist das nicht der Fall, ist man öfter genötigt, stehen zu bleiben, mit den Augen wieder zurückzukehren, einen ganzen Satz, einen halben Satz oder auch nur ein paar Worte noch einmal zu lesen,[S. 326] weil man sieht, daß man das Gelesene falsch verstanden hat, so spricht man von holprigem oder höckrigem Stil. Solch ärgerliches Mißverständnis kann aber die verschiedensten Ursachen haben. Wer diese Ursachen zu vermeiden weiß, wer den Leser jederzeit zwingt, gleich beim ersten Lesen richtig zu verstehen, der schreibt einen fließenden Stil. Das ist das ganze Geheimnis. Im folgenden sollen einige Haupthindernisse eines fließenden Stils zusammengestellt werden.

Vor allem gehört zu ihnen die leider in unsrer Sprache weitverbreitete, ungemein beliebte und doch das Verständnis, namentlich dem Ausländer, aber auch dem Deutschen selbst überaus erschwerende Unsitte (so, wie es hier soeben geschehen ist!), zwischen den Artikel und das zugehörige Hauptwort langatmige Attribute einzuschieben, statt diese Attribute in Nebensätzen nachzubringen. Dergleichen Verbindungen sind eine Qual für den Leser. Man sieht einen Artikel: die. Dann folgt eine ganze Reihe von Bestimmungen, von denen man zunächst gar nicht weiß, worauf sie sich beziehen: verbreitete, beliebte, erschwerende. Endlich kommt das erlösende Hauptwort: Unsitte! Während also das Auge weiter gleitet, weiter irrt, wird unmittelbar hinter dem Artikel der Strom der geistigen Auffassung unterbrochen, es entsteht eine Lücke, und der Strom schließt sich erst wieder, wenn endlich das Hauptwort kommt. Dann ist es aber zu spät, man hat die Übersicht über das Eingeschobne längst verloren, muß wieder umkehren und das Ganze noch einmal lesen. Eine solche Unterbrechung tritt zwar bei jedem eingeschobnen Attribut ein, aber bei kurzen Attributen doch in so geringem Maße, daß man sie gar nicht fühlt. Je länger das Attribut ist, desto empfindlicher und störender wirkt die Lücke. Nur ein guter Schriftsteller hat ein richtiges und feines Gefühl dafür, was er dem Leser in dieser Beziehung zumuten darf. Unsre Kanzlisten und Zeitungschreiber haben meist keine Ahnung davon; sie schreiben seelenvergnügt, indem sie immer ein Attribut ins andre schachteln: das Gericht wolle erkennen, der Geklagte (!) sei schuldig, mir für die von[S. 327] mir an die in dem von ihm zur Bearbeitung übernommenen Steinbruch beschäftigten Arbeiter vorgeschossenen Arbeitslöhne Ersatz zu leisten – oder: von einer durch einen in einer Umwälzung in den wichtigsten Einrichtungen aller Kulturstaaten bestehenden Vorteil ausgezeichneten Erfindung sind einige Gewinnanteile zu verkaufen – oder: mit einem von dem auf der nach dem Wasser zu gelegnen Veranda aufgestellten Musikkorps des ersten Gardedragonerregiments geblasenen Choral wurde die Feierlichkeit eröffnet.

Ein zweites Haupthindernis eines fließenden Stils ist schon früher besprochen worden und soll hier nur noch einmal kurz erwähnt werden: es ist der unvorsichtige Gebrauch der Fürwörter (vgl. S. 224). Wie ärgerlich wird man beim Lesen aufgehalten durch ein er, sie, ihm, ihn, sein, ihr, diesem, wenn man nicht sofort sieht, auf wen oder was es sich bezieht! Wo irgendein Mißverständnis möglich ist, sollte immer statt des Fürworts wieder das Hauptwort gesetzt werden.

Eine dritte Unsitte, die das Verständnis alles Deutschgeschriebnen in neuerer Zeit in der peinlichsten Weise erschwert, besteht darin, daß man das eigentliche und wirkliche Hauptwort des Satzes, nämlich das Verbum, immer in ein Substantiv verwandelt, entweder in ein wirkliches Substantiv oder in einen substantivierten Infinitiv. Da wird z. B. geschrieben: der Zuhilfenahme eines besondern Rechts der Persönlichkeit bedarf es nicht (statt: ein besondres Recht zu Hilfe zu nehmen ist nicht nötig) – beim Unterbleiben einer baldigen Inangriffnahme des Projekts (statt: wenn das Projekt nicht bald in Angriff genommen wird) – nach Umarbeitung eines Teils der Lieder zum Zwecke der Herstellung ihrer Sangbarkeit für Männerchöre an höhern Schulen (statt: nachdem ein Teil der Lieder umgearbeitet worden ist, um sie sangbar zu machen) – aus Gründen der Zugänglichmachung dieses Vorteils für das große Publikum – (statt: um diesen Vorteil zugänglich zu machen) – im Interesse der Vermeidung von Wiederholungen (statt: um Wiederholungen zu vermeiden) –[S. 328] trotz der seitens des Vorsitzenden erfolgten Ablehnung des Antrags des Angeklagten auf Vorladung des Kellners (statt: obgleich der Vorsitzende den Antrag des Angeklagten ablehnte, den Kellner vorzuladen) – das Mißlingen des Versuchs muß natürlich sein Aufgeben zur Folge haben (statt: wenn der Versuch mißlingt, muß er natürlich aufgegeben werden) – für die Mehrzahl der Reisenden hat die Erweiterung des Gesichtskreises aufgehört der Reisezweck zu sein (statt: die meisten reisen nicht mehr, um ihren Gesichtskreis zu erweitern) – die Voraussetzung für die Patentierung eines Advokaten bildet eine mehrjährige Hilfsarbeiterschaft in einem Bureau (statt: wer als Advokat patentiert sein will, muß mehrere Jahre Hilfsarbeiter gewesen sein) – es gibt eine Grenze, bei deren Überschreitung die Vermehrung der Bevölkerung nicht zur Erhöhung, sondern zur Verminderung des Wohlstandes führt (statt: das Wachstum der Bevölkerung hat eine Grenze; wird diese überschritten, so wird der Volkswohlstand nicht vermehrt, sondern vermindert). Es gibt Schriftsteller, bei denen diese Art, sich auszudrücken, vollständig zur Manier geworden ist; sie haben sich so hinein verrannt, daß sie nicht wieder davon loskommen. Jeder Gedanke, der vor ihrer Seele auftaucht, nimmt sofort die Gestalt eines Substantivs an, jeder Hauptsatz, jeder Nebensatz gerinnt ihnen zu einem Substantiv. Erweitern – das können sie gar nicht mehr denken, sie denken nur noch Erweiterung.[152] Statt um zu, weil, so daß, wenn schwebt ihnen sofort Zweck, Grund, Interesse, Folge, Voraussetzung vor. Wenn ein gewissenhafter Redakteur mit solchen Mitarbeitern zu tun hat, so bleibt ihm gar nichts weiter übrig, als Satz für[S. 329] Satz die harten Substantivschalen entzweizuschlagen und überall den weichen Verbalkern herauszuholen, mit andern Worten: Satz für Satz umzuschreiben, aus der Substantivsprache in die Verbalsprache zu übersetzen. Verba erhalten den Satzbau geschmeidig und flüssig, sie lassen sich in der mannigfaltigsten Weise bekleiden, ohne daß die Sätze beschwert werden und dadurch schleppend werden. Sowie man aber den Verbalbegriff substantiviert, entstehen nicht nur so häßliche Bildungen wie: Zuhilfenahme, Inangriffnahme, Inanspruchnahme, Beiseiteschiebung, Zugänglichmachung, Zurannahmebringung, Inanklagestandversetzung, sondern diese zähen Verbalextrakte müssen nun auch erst wieder durch irgendeinen wässerigen, gehaltlosen Zusatz wie stattfinden, erfolgen, bewirken in den flüssigen Zustand zurückversetzt werden, der für den Satzbau notwendig ist. Außerdem verbaut man sich durch solche Substantivierung selbst den Weg, verfitzt sich den Satz, und adverbielle Bestimmungen geraten in die Gefahr, falsch bezogen zu werden, wie in folgenden Sätzen: Seine Majestät gab das Zeichen zum Beginn der Feier durch Absingung eines Chorals (statt: durch Absingung zu beginnen) – man verzichtete auf die Beantwortung einer Thronrede durch eine Adresse (statt: durch eine Adresse zu beantworten) – K. wurde der Körperverletzung mittels eines schweren Werkzeuges angeklagt (statt: mittels eines schweren Werkzeuges verletzt zu haben) – ein Expedient wurde wegen Unterschlagung von 750 Mark zum Nachteil seines Prinzipals verhaftet (statt: weil er zum Nachteil seines Prinzipals oder einfach: seinem Prinzipal unterschlagen hatte) – die Fischerinnung hat das Befahren der Flüsse innerhalb der Stadtflur mit Booten und Kähnen verboten (statt: mit Booten und Kähnen zu befahren). Eine adverbielle Bestimmung gehört, wie ihr Name sagt, zunächst zum Verbum; wird dieses Verbum substantiviert, so flüchtet sie eben zu einem andern Verbum, und der Unsinn ist fertig. Namentlich in unsrer Gesetz- und Verordnungssprache spielt dieser[S. 330] Fehler eine große Rolle; Tausende von Bekanntmachungen, Verordnungen, Warnungen und Verboten, aber auch die einzelnen Punkte von Tagesordnungen und Protokollen fangen gewöhnlich gleich mit einem Verbalsubstantiv oder einem substantivierten Infinitiv an und quälen dann sich und die Leser mit allem, was darauf folgt.

Ein vierter, sehr häufiger Fehler, aus dem das gerade Gegenteil eines fließenden Stils entspringt, besteht darin, daß ein casus obliquus eines Hauptworts so im Satze gestellt wird, daß er beim ersten Lesen entweder nicht erkannt wird oder falsch bezogen werden muß. Sehr gewöhnlich ist es z. B., daß ein Satz mit einem Akkusativ angefangen wird, der, weil er ein Femininum, ein Neutrum oder ein Plural ist oder keinen Artikel hat, nicht eher als Akkusativ erkannt wird, als bis – oft ziemlich spät – das Subjekt folgt[153]; bis dahin hält ihn jeder Leser für den Nominativ, also für das Subjekt des Satzes, z. B.: die Pflege und die Wartung des jüngsten Kindes besorgt die Hausfrau selbst – die Frage, ob es richtig war, auch die schon seit längerer Zeit ansässigen Einwandrer auszuweisen, untersuche ich hier nicht – seine Erziehung hatte bisher nach der allgemeinen Gewohnheit in hochadligen Familien ein Priester geleitet – die beste Schilderung Corneliens, zugleich ein herrliches Denkmal dankbarer Liebe, haben wir in Wahrheit und Dichtung – die harmlose Geselligkeit der anständigen Restaurationen will der Ankläger nicht gemeint haben – die Einreihung der nicht teuern Bände in jede Familienbibliothek befürworte ich aufs wärmste – das Orchester führte schneidig und mit Umsicht Herr Kapellmeister P. – das große Pferd, dessen mythologische Bedeutung schon durch die Statue auf der Säule nahegelegt wird, hat Thausing als Herkules gedeutet – das geistige Leben beherrscht auf der einen Seite die bald in scholastischer[S. 331] Erstarrung erstickende lutherische Theologie, auf der andern der Jesuitismus – anerkannte Namen von bestem Klange wie aufstrebende neue Talente hat unsre Mitarbeiterliste aufzuweisen – des Kaisers Sieg bei Mühlberg, nach dem die Tage des Evangeliums gezählt schienen, feierte Agricola durch einen Dankgottesdienst – die Herren, die sich an unserm Fortbildungskursus beteiligen wollen, ersuchen wir usw. Aber auch andre Fälle solcher falscher Beziehungen kommen vor, wie folgende Beispiele zeigen (das Mißverständnis, in das jeder Leser zunächst verfällt, soll durch den Druck hervorgehoben werden): diese volle Unabhängigkeit fordernde Stelle – in einem Ende November 1862 an das Ministerium gerichteten Schreiben – die Sozialdemokratie besteht noch in dem Staate gefahrdrohender Weise – der Staatsbetrug der Armeelieferanten ist mir lieber als der der Staatsteile verschachernden Fürsten – es handelt sich um eine sehr weite Kreise interessierende Angelegenheit – um sie zu allen Anforderungen entsprechenden Soldaten zu machen – die Absicht, den Platz mit dem Festzweck entsprechenden Dauerbauten zu versehen – sie hat ihm zu seinem Aufsehen erregenden Mädchenbilde gesessen – mit Rücksicht auf die Befähigten zu erteilende Ausbildung – das nationale Gefühl ist durch Jahrhunderte lange Trennung geschwächt – die beiden Täler werden von Steinforellen enthaltenden Bächen durchflossen – diese Konglomerate von kleinlichen, detaillierten Spezialforderungen anzupassenden Verwaltungsräumen – es traten sich mühsam mit der Gitarre begleitende Sängerinnen auf usw. In allen diesen Sätzen verbindet man im ersten Augenblicke falsch; im nächsten Augenblicke sieht man natürlich die richtige Verbindung, aber seinen Rippenstoß hat man weg.

Viele Druckseiten könnten hier mit Beispielen der verschiedensten Art gefüllt werden, die alle darauf hinauslaufen, daß der Leser beim ersten Lesen falsch versteht, an einer gewissen Stelle merkt, daß er falsch verstanden hat, und deshalb umkehren und das Gelesene gleichsam[S. 332] umdenken muß. Sehr häufig ist der Fall, daß dem Schreibenden bei einem Fürwort, einem Partizip, einem Adverb ein erst später folgendes Hauptwort oder Zeitwort vorschwebt, während es der Leser, der das nicht wissen kann, auf ein schon dagewesenes bezieht. Welche Störung dann! Da wird z. B. geschrieben: in Berlin gelang es Bandel nicht, festen Fuß zu fassen; mit der brutalen Deutlichkeit, die ihm eigen war, erklärte ihm Schadow usw. (hier wird jeder Leser ihm zunächst auf Bandel beziehen, während es auf Schadow gehen soll) – die Gedichte wurden meine Einführungsbriefe bei den Dichtern Münchens, die ich fast alle in diesen Jahren im Hause meines Vaters kennen lernte; als Glied des Leseausschusses, als Regisseur, als Träger der Heldenrollen und wahrlich nicht am wenigsten als einsichtsvoller und wohlwollender Berater, als ein in allen Stücken prächtiger Mann war er von den Herren gar eifrig gesucht (hier bezieht der Leser alle die schönen Prädikate des zweiten Satzes auf ich, bis er zuletzt merkt, daß sie sich auf er beziehen) – wie sehr unsre Landsleute am Vaterlande hängen, bewies die reiche Spende, die sie zum Bismarckdenkmal herübersandten. In herrlichem Gartengrün verborgen, umgeben von tropischer Blumenpracht, hat der deutsche Verein in Honolulu sein eignes Heim (hier versucht man, die Partizipia verborgen und umgeben zunächst auf Spende zu beziehen, bis man endlich merkt, daß sie zu Heim gehören sollen) – diese Idee kam von außen, aus der römisch gebildeten Umgebung des Königs und aus den Bedürfnissen des römischen Papsttums erwuchs sie (hier merkt man erst, daß man das zweite aus, und was darauf folgt, fälschlich mit kam verbunden hat) – obgleich ich nicht wußte, ob ich sitzen bleiben dürfte oder mich zurückziehen müßte, blieb ich doch sitzen. So sehr hatte mich die bewundernswerte Persönlichkeit des Grafen gefangen genommen, daß ich selbst die gewöhnlichsten Gesellschaftsregeln außer acht ließ (hier bezieht man so sehr zunächst auf das vorhergehende sitzen bleiben, es soll aber den kommenden Folgesatz[S. 333] vorbereiten) – das ist zum erstenmal der volle, unvergleichliche Beethoven; und angesichts dieser Stelle kann man es nur mit der Eile, mit der er schrieb, entschuldigen, daß Berlioz in dieser Sinfonie nur Haydnsche Musik gesehen hat (hier bezieht jeder Leser das er, womit Berlioz gemeint ist, zunächst auf Beethoven). Auch wenn geschrieben wird: diese Urkunden ändern das Bild, das man sich von jenen Sekten und von der zu ihrer Vertilgung eingesetzten Inquisition gemacht hatte, nicht wesentlich – die jetzige ritterschaftliche Vertretung besitzt in ihrer Mehrheit das nötige Verständnis für die Aufgaben ihrer Zeit nicht – Wien hat den Ruhm, unter allen deutschen Hauptstädten zuerst eine Pflegstätte für das musikalische Lustspiel, die idyllische, bürgerliche und lyrisch-romantische Oper zu besitzen, nicht lange genossen – so liegt derselbe Fehler vor. Daß Wien den Ruhm nicht lange genossen hat, erfährt der Leser zu spät; bis dahin hat er glauben müssen, es hätte ihn überhaupt.

Abzuhelfen ist solchen Anstößen, wie man sieht, auf die verschiedenste Weise, aber immer sehr leicht: ein denkender Schriftsteller wird sich überall schnell zu helfen wissen, sobald er nur – den Anstoß bemerkt. Aber das ist eben das schlimme, daß der Schriftsteller selber gewöhnlich solche Anstöße nicht bemerkt, nur der Leser bemerkt sie. Wie dem abzuhelfen sei? Vor allem dadurch, daß man sich beim Lesen dessen, was andre geschrieben haben, überall da, wo man hängen bleibt, darüber Rechenschaft gibt, warum man hängen bleibt, und dann dergleichen vermeidet. Man kann es darin bei einigem guten Willen sehr bald zu einer gewissen Fertigkeit bringen. Ein andres, sehr einfaches Mittel ist, daß man nichts naß in die Druckerei gibt, sondern alles, was man geschrieben hat, wenn auch nicht nonum in annum, so doch einige Tage lang beiseite legt und dann wieder vornimmt. In dieser Zwischenzeit ist es einem gewöhnlich so fremd geworden, daß man von all den Anstößen, die jeden andern Leser verletzen würden, selber verletzt wird, sie also noch rechtzeitig beseitigen kann.

[S. 334]

Auf jeden Fall sollten folgende stilistische Haus- und Lebensregeln beobachtet werden: 1. schreibe Zeitwörter, nicht Hauptwörter! 2. schreibe Hauptwörter, nicht Fürwörter! 3. schachtle nicht, sondern schreibe Nebensätze! 4. schreibe laut! schreibe nicht immer bloß für die Augen, sondern vor allem auch für die Ohren! Mit der Beobachtung dieser Regeln und Ratschläge wird man freilich noch lange kein großer Schriftsteller, aber ohne sie auch nicht. Die Schriftstellerei ist eine Kunst, und jede Kunst hat ihre Technik, die gelehrt und gelernt werden kann. Wie der Maler malen, so muß der Schriftsteller schreiben können, und der geistvollste Schriftsteller kann sich um alle Wirkung bringen, wenn er seine Leser aller Augenblicke durch Ungeschicklichkeiten und lumpige technische Schnitzer stört und ärgert.

[S. 335]

Zum Wortschatz und zur Wortbedeutung

Deko

[S. 337]

Zierband

Die Stoffnamen

Zahllose Fehler und Geschmacklosigkeiten werden in der Wahl und der Anwendung der Wörter begangen.

Alle Stoffnamen wie: Wein, Bier, Blut, Eisen, können von Rechts wegen nur im Singular gebraucht werden, und so priesen denn auch früher unsre Kaufleute nur ihren guten Lack oder Firnis an, auch wenn sie noch so viel Sorten hatten. Von einigen solchen Wörtern hatte man aber doch gewagt, den Plural zu bilden, um die Mehrzahl der Sorten zu bezeichnen, und wir haben uns allmählich daran gewöhnt. Schon das sechzehnte Jahrhundert kannte die Plurale: die Bier, die Wein, im Faust heißt es: ein echter deutscher Mann mag keinen Franzen leiden, doch ihre Weine trinkt er gern, und die Chemie und die Technologie reden schon lange von Ölen und Fetten. Neuerdings wird aber doch diese Pluralbildung in unerträglicher Weise ausgedehnt; man empfiehlt nicht nur Lacke, Firnisse, Öle und Seifen, sondern auch Mehle, Grieße, Essige, Salate, Honige, Tabake, Zwirne, Garne, Wollen (Strick- und Häkelwollen!), Tuche, Seiden, Flanelle, Plüsche, Tülle, Battiste, Kattune, Damaste, BarchenteTees, Kaffees, Kakaos, Buckskins usw. Diese Formen, die die immer rücksichtsloser werdende Reklamesprache unsrer Kaufleute geschaffen hat, haben etwas stammelndes, sie klingen wirklich wie Kindergelall. Wenn auf diesem Wege weitergegangen würde, müßte man in Zukunft auch Wachse, Leime, Kalke, Porzellane, ja sogar Fleische, Wurste, Korne, Glase, Stahle anpreisen können.[S. 338] Denn Würste, Körner, Gläser, Stähle (Plättstähle sagt man in Leipzig) sind doch etwas andres, sie bezeichnen die einzelnen Stücke, aber nicht die Sorten; ähnlich die Kälke, von denen die Gerber früher sprachen. Die Geologen reden bereits von Sanden und Tonen, statt von Sand- und Tonarten. Wo ist die Grenze? Und wie will man überhaupt eine Mehrzahl bilden von Schiefer, Zucker, Obst, Milch, Butter, Käse, Leinwand, Flachs, Spiritus, Petroleum? Das Bedürfnis, die verschiednen Sorten auszudrücken, ist doch bei diesen Dingen gewiß ebenso stark wie bei andern. An der Firma einer Leipziger Handlung steht: Stahl aller Art. Wie vornehm klingt das! Man freut sich jedesmal, wenn man vorbeigeht. Wie dumm dagegen ist die Mehrzahl Abfallseifen! Wenn es irgend etwas gibt, was man nicht in den Plural setzen kann, so ist es doch das Sammelsurium, daß man als „Abfallseife“ bezeichnet.

Ein wunderliches Gegenstück zu diesen anstößigen Pluralen ist es, daß von manchen Wörtern die Mehrzahl jetzt auffällig vermieden wird. Von den schönen Haaren einer Frau zu sprechen, gilt nicht für fein; nur daß sie schönes Haar habe, hört sie gern. Und beim Schneider bestellt man sich nicht mehr neue Hosen – das wäre ja ganz plebejisch! –, nein, eine neue Hose. Was will man denn aber mit einer Hose? Man hat doch zwei Beine, also wird man auch immer ein Paar Hosen brauchen. Hose bedeutet doch nur die zylinderförmige Hülse für ein Bein. Vornehme Leute haben allerdings auch keine Beine mehr, sondern nur noch Füße. Ich habe mich an den Fuß gestoßen, sagt die feine Dame; wenn man sie aber nach der Stelle fragt, zeigt sie – auf den Oberschenkel.

Verwechselte Wörter

Nicht bloß Kindern, auch Erwachsenen, oft sogar recht „gebildeten“ Erwachsenen begegnet es, daß sie ein Wort in falschem Sinne gebrauchen oder zwei Wörter oder Redensarten miteinander verwechseln oder vermengen. Es fehlt ihnen dann an der nötigen Spracherfahrung. Sie haben die Wörter noch nicht oft genug[S. 339] gehört, oder sie haben nicht scharf genug auf den Zusammenhang geachtet, worin ihnen die Wörter vorgekommen sind, und so verbinden sie nun einen falschen Sinn damit. Es gibt Bücher über Shakespeares, Goethes, Schillers Frauengestalten. Darunter hat wohl noch niemand etwas andres verstanden als die Frauen in den Werken der drei Dichter. Vor kurzem ist aber ein Buch erschienen: Lenaus Frauengestalten. Das behandelt „diejenigen (!) Frauen, welche (!) bedeutsam (!) in das Leben und Werden (!) Lenaus eingegriffen haben“. Wenn eine solche Begriffsverwechslung einem Schriftsteller begegnet, dann kann man den Schenkwirten keinen Vorwurf machen, wenn sie neuerdings mit Vorliebe auf die kleinen Preise ihrer Speisekarte aufmerksam machen. Zwischen Preis (praemium) und Preis (pretium) ist ein Unterschied. Große und kleine Preise gibt es bei Preisausschreiben und Preisverteilungen; im Handel aber gibt es nur hohe und niedrige oder billige oder mäßige Preise. Man scheint zu glauben, daß man durch niedrige Preise das Publikum beleidige; Sängerinnen veranstalten schon Konzerte zu volkstümlichen, sogar populären Preisen.[154] In den Zeitungen kann man jeden Tag lesen, daß ein Erkrankter oder ein Verunglückter in das oder jenes Krankenhaus eingeliefert worden sei. Welche Roheit! Ein Verbrecher wird ins Gefängnis eingeliefert, nachdem er verhaftet worden ist, aber doch nicht ein armer Kranker!

Oft verwechselt werden jetzt von Hauptwörtern: Neuheit und Neuigkeit, Wirkung und Wirksamkeit, Folge und Erfolg, von Zeitwörtern: zeigen, zeichnen, bezeichnen und kennzeichnen, verlauten und verlautbaren u. a., von Adverbien: regelmäßig und in der Regel, anscheinend, scheinbar und augenscheinlich, voran und vorwärts, zumal und besonders.

[S. 340]

Neuheiten liegen in dem Schaufenster des Modewarenhändlers; in dem des Buchhändlers liegen Neuigkeiten. Bis vor kurzem wenigstens ist dieser Unterschied stets beobachtet und von literarischen Erzeugnissen dasselbe Wort gebraucht worden wie von neuen Nachrichten: Neuigkeit. Es hat einen geistigern Inhalt als Neuheit, und die Schriftsteller sollten es sich verbitten, daß man ihre Erzeugnisse mit demselben Worte bezeichnet wie die des Schneiders.

Von der Wirksamkeit des Saxlehnerschen Bitterwassers zu reden ist ebenso verkehrt, wie zu sagen: diese Maßregel verliert auf die Dauer ihre Wirksamkeit. Der Pfarrer wirkt in seinem Amte, eine Maßregel wirkt vielleicht im Verkehr, und das Bitterwasser wirkt in den Gedärmen; aber nur der Pfarrer hat eine Wirksamkeit, die beiden andern haben eine Wirkung.

Ebenso sinnwidrig ist es von dem Erfolg zu knapper Mittel zu reden, statt von den Folgen, denn ein Erfolg ist etwas positives, erfreuliches, zu knappe Mittel sind etwas negatives, unerfreuliches.

Kennzeichnen ist sehr beliebt geworden, seitdem man es als Ersatz für das Fremdwort charakterisieren gebraucht. Es wird aber oft ganz gedankenlos verwendet. Wenn geschrieben wird: welche Stellung er zur Revolution einnahm, ist schon oben kurz gekennzeichnet worden – durch ihre Aussprüche kennzeichnen sie ihre Zugehörigkeit zur stillen Gemeinde – wir haben das Buch als das gekennzeichnet, was es ist: als eine Tendenzschrift – der ungeheure Verbrauch von Offizieren muß als ein Luxus gekennzeichnet werden – der Hauptraum, der als Halle oder Kapelle gekennzeichnet werden kann – die ganze Kläglichkeit der heutigen Handwerkspolitik hat Stieda trefflich gekennzeichnet – so liegt auf der Hand, daß in den ersten drei Sätzen zeigen (andeuten, verraten, nachweisen), in den zwei nächsten bezeichnen, in dem letzten einfach zeichnen (schildern) gemeint ist.

Verlauten ist ein intransitives Zeitwort und bedeutet: laut werden. Es verlautet etwas – heißt: man erzählt es, man spricht davon. Verlautbaren[S. 341] dagegen (ein entsetzliches Kanzleiwort!) ist transitiv und bedeutet: laut aussprechen, bekanntmachen. Ganz verkehrt ist es also, zu sagen: es verlautbart etwas.[155]

Sehr gern verwechselt werden auch erhalten und empfangen: er empfing die Nachricht, daß sein Freund bankrott sei – wenige Stunden später empfing Delbrück abermals ein Telegramm Bismarcks. Wenn man Besuch erhält, so kann man ihn natürlich auch empfangen, entweder freundlich oder höflich oder feierlich; aber Nachrichten, Briefe, Telegramme, Geld usw. erhält man, wenn es auch üblich ist, hinterher den richtigen Empfang anzuzeigen.

Falsch ist es auch, aber trotzdem sehr beliebt, reflexive Zeitwörter, wie: sich erheben, sich anschließen, ihres rückbezüglichen Fürworts zu berauben, sie als Intransitiva zu behandeln und zu schreiben: ein Festaktus in der Aula mit anschließendem Rundgange durch das Gebäude – die Versammlung bezeugte ihre Teilnahme durch Erheben von den Plätzen. Man erhebt sich, oder einfach: man – steht auf!

Regelmäßig ist dasselbe wie immer; in der Regel aber ist nicht dasselbe wie immer. Wer regelmäßig früh um fünf Uhr aufsteht, leistet mehr, als wer es bloß in der Regel tut. Die Regel leidet eine Ausnahme, die Regelmäßigkeit leidet keine.

Wenn eine Zeitung schreibt: die Herren verlebten einen scheinbar ganz köstlichen Abend – so ist das etwas ganz andres, als was der Zeitungschreiber sagen will. Mit scheinbar wird ein Anschein gleich für falsch erklärt, mit augenscheinlich wird er gleich für richtig erklärt, mit anscheinend wird gar kein Urteil ausgesprochen. Er verzichtet scheinbar auf einen Gewinn – heißt: in Wahrheit ist er ganz gierig darnach; er verzichtet anscheinend – heißt: es kann sein, daß er verzichtet, es kann auch nicht sein; er verzichtet augenscheinlich – heißt: er verzichtet offenbar.

Voran bezeichnet einen Platz, und zwar den ersten[S. 342] Platz, die Spitze, vorwärts dagegen eine Richtung. Es ist also Gedankenlosigkeit oder Ziererei, wenn jemand schreibt: Max Müller hat die Forschung in der Sprachwissenschaft in keinem Punkte voran gebracht. Gemeint ist: vorwärtsgebracht oder gefördert.

Durch zumal erfährt eine Behauptung eine in der Sache selbst liegende, also selbstverständliche Steigerung z. B.: die Urkunden sind schwer lesbar, zumal im siebzehnten Jahrhundert (wo man überhaupt schlecht schrieb – ist der Sinn) – du solltest dich doch sehr in acht nehmen, zumal im Winter. Ganz unangebracht ist es dagegen in folgendem Satze: als ich die Quellen zur Geschichte des Bistums durcharbeitete, stieß ich, zumal in zwei Handschriften des fünfzehnten Jahrhunderts, auf zahlreiche Aktenstücke. Hier kann es nur besonders oder namentlich heißen.

Keine Verwechslung, sondern bloße Ziererei ist es, für erstens zu schreiben einmal: ich muß das aus verschiednen Gründen ablehnen, einmal weil, sodann weil usw. Wer darauf aufmerksam gemacht worden ist, unterläßt das; es ist wirklich eine Abgeschmacktheit.

Nicht verwechselt, aber vermengt werden neuerdings fortwährend die beiden Redensarten einig sein und sich klar sein. Einig sein über etwas können immer nur mehrere; sich klar sein kann auch ein einzelner. Ganz sinnlos aber ist das aus beiden zusammengeknetete sich einig sein, das man jetzt täglich lesen muß: Protestanten und Katholiken sind sich in diesem Punkte einig – darin waren sich zwei Männer von so verschiedner Art wie Freytag und Treitschke einig – die Völker andrer Zonen sind sich darüber einig – die Ärzte sind sich schon lange darüber einig – in dieser Wahlparole sind sich heute alle völlig einig – die Reichsregierung ist sich über die Höhe der Forderungen noch nicht einig – es handelt sich um Maßnahmen, über die wohl die überwiegende Mehrheit sich einig ist – vor kurzem noch war man sich in Kunstgelehrtenkreisen darüber einig – offenbar ist man sich über gewisse Personenfragen noch nicht einig – in der Forderung einer amtlichen, unanfechtbaren Darstellung des Falles[S. 343] wird man sich wohl überall einig sein. Wenige Sprachdummheiten haben sich in den letzten Jahren so seuchenartig verbreitet wie dieses sich einig sein. Fort wieder mit dem törichten sich![156]

Hingebung und Hingabe. Aufregung und Aufgeregtheit

Von manchen wird ein lebhafter Kampf gegen die Wörter auf ung geführt. Sie klängen häßlich, heißt es, ja sie seien geradezu eine Verunstaltung unsrer Sprache. Im Unterricht wird gelehrt, man solle sie möglichst vermeiden. Irgend jemand hat sogar die witzige Bemerkung gemacht, unsre Sprache mit ihren vielen ung-ung-ung klinge wie lauter Unkenrufe.

Das ist zunächst eine Übertreibung. Die Endung ung ist tonlos und fällt nicht so ins Gehör, daß sie, in kurzen Zwischenräumen wiederholt, stören könnte. Wenn in dem heutigen Deutsch das Ohr durch nicht schlimmeres verletzt würde als durch die Endung ung, so wäre es gut. Ein Satz wie folgender: über die Voraussetzungen zu einer Schließung des Reichstags enthält die Verfassung keine ausdrückliche Bestimmung – hat gar nichts anstößiges. In lebendiger Rede hört man es kaum, daß hier kurz hintereinander vier Wörter auf ung stehen. Hebt man freilich die Endung auffällig hervor, so kann es wohl lächerlich klingen; aber auf diese Weise könnte man auch hundert andre Spracherscheinungen lächerlich machen.

Nicht die Wörter auf ung muß man bekämpfen, sondern eine immer mehr um sich greifende garstige Gewohnheit, die dazu verleitet, eine Menge wirklich häßlicher Wörter auf ung zu bilden, darunter Ungetüme wie: Inbetriebsetzung, Außerachtlassung, Inwegfallbringung, Zurdispositionstellung, Außerdienststellung u. a., die Gewohnheit, eine Handlung oder einen Vorgang nicht durch ein Zeitwort auszudrücken, sondern durch ein Substantiv in Verbindung mit irgendeinem farblosen Zeitwort des Geschehens[S. 344] (mit Vorliebe stattfinden oder erfolgen). Da ist es aber nicht die Endung ung, die stört, sondern das schleppende Wortungetüm, das damit gebildet ist, und der ganze unlebendige Gedankenausdruck (vgl. S. 328). Wir haben vielmehr allen Anlaß, die Endung ung zu schützen, ja zu verteidigen gegen törichte Neubildungen, die sich ihr an die Seite drängen wollen.

Die Wörter auf ung bezeichnen zunächst eine Handlung, einen Vorgang; Bildung, Erziehung, Aufklärung, Einrichtung bedeuten zunächst die Handlung, die Tätigkeit des Bildens, des Erziehens, des Aufklärens, des Einrichtens. Aus dieser Bedeutung entwickelt sich aber eine weitere, nämlich die des Ergebnisses, das die Handlung hat, des Zustandes, der durch sie herbeigeführt worden ist; Bildung, Erziehung, Aufklärung bedeuten auch den Zustand des Gebildetseins, des Erzogenseins, des Aufgeklärtseins, Einrichtung auch das Eingerichtete selbst. Vielfach hat nun die Sprache, um den Unterschied zwischen der Handlung und ihrem Ergebnis zu bezeichnen, neben dem Wort auf ung noch ein kürzeres, meist mit Ablaut, unmittelbar aus dem Stamme geschaffen, also eine starke Bildung neben der schwachen. So haben wir Anlage neben Anlegung, Vorlage neben Vorlegung und können geradezu reden von der Anlegung von Gas- und Wasseranlagen, der Vorlegung von Zeichenvorlagen. Da besteht nun schon seit alter Zeit die Neigung, die Bildung auf ung ganz zu beseitigen und ihre Aufgabe der kürzern Form mit zu übertragen. So sind die Wörter Kaufung und Verkaufung ganz verschwunden; heute bedeutet Kauf und Verkauf auch die Handlung des Kaufens und Verkaufens. Noch um 1800 sprach man von Einführung und Ausführung von Waren, und wenn man mit etwas nicht einverstanden war, machte man eine Einwendung; heute heißt es: Einfuhr, Ausfuhr, Einwand. Und diese Neigung ist gegenwärtig sehr stark verbreitet: obwohl die Sprache eine Unterscheidung an die Hand gibt, es ermöglicht, einen Unterschied zu machen (wieder ein Beispiel: Unterscheidung und Unterschied!), verschmäht man ihn und redet von[S. 345] Hingabe, Freigabe, Erwerb (in jedem Bande stand auf dem Titelblatte das Datum des Erwerbs!), Gewinn, Bezug, Vollzug, Entscheid, Entsatz, Ersatz, Vergleich, Ausgleich, Aufgebot, Freispruch (des Angeklagten), Zusammenschluß, wo Hingebung, Freigebung (der Sonntagsarbeit), Erwerbung (eines Grundstücks oder der Staatsangehörigkeit), Gewinnung (Schlesiens), Beziehung, Vollziehung, Entscheidung, Entsetzung (Emin Paschas), Ersetzung, Vergleichung, Aufbietung (aller Kräfte), Zusammenschließung das Richtige wäre, weil eine Handlung gemeint ist. Vor dem letzten Einzug des Königs in Leipzig schilderte ein Zeitungschreiber, wieviel fleißige Hände mit dem Ausschmuck der Straßen beschäftigt wären. In den nächsten Tagen plapperten das dumme Wort alle Leipziger Zeitungen nach![157] Andrerseits: da, wo die Sprache wirklich beides, Handlung und Zustand, mit demselben Worte, und zwar auf ung, ausgedrückt hat, schafft man künstlich einen Unterschied durch häßliche Neubildungen auf heit (sie schießen wie Pilze aus der Erde!) und läßt die Menschen aus Geneigtheit oder Abgeneigtheit, in der Zerstreutheit, in der Verzücktheit, in der Verstimmtheit, in der Aufgeregtheit, in der ersten Überraschtheit, mit Gefaßtheit, unter Merkmalen von Geistesgestörtheit oder gar geistiger Gestörtheit tun, was sie früher aus Neigung oder Abneigung, in der Zerstreuung, in der Verzückung, in der Verstimmung, in der Aufregung, in der ersten Überraschung, mit Fassung, in einem Anfalle von Geistesstörung taten. Ja man redet sogar von künstlerischer Abgeklärtheit, von religiöser Aufgeklärtheit, von der Isoliertheit eines Gebäudes, von der Vertiertheit des Proletariats und sieht mit Gespanntheit den kommenden Ereignissen entgegen. Hier überall gilt es, die Bildung auf ung vor der häßlichen Nebenbildung auf heit zu schützen und das einschlummernde[S. 346] Sprachgefühl wieder zu wecken. Der Strafvollzug, von dem die Juristen immer reden, ist ein Greuel, der doch aus unsrer Sprache wieder hinauszubringen sein müßte; ebenso die innige Hingabe.[158] Wird jemand Anziehung und Anzug oder Abtretung und Abtritt oder Eingebung und Eingabe verwechseln und sagen: er tat das aus göttlicher Eingabe? Das fürchterlichste ist wohl der Bezug. Früher kannte man Bezüge nur an Bettkissen, Stuhlpolstern und Regenschirmen. Jetzt steht Bezug überall für Beziehung, und da nun die, die das Wort so gebrauchen, die Bedeutung der Handlung dabei doch nicht recht fühlen, was haben sie gemacht? Sie haben das herrliche Wort Bezugnahme erfunden. Das kann man doch bequemer haben: was mühselig durch das zusammengesetzte Wort Bezugnahme ausgedrückt werden soll, das liegt ja in dem einfachen Worte Beziehung!

Vertauschung der Hilfszeitwörter

Eine vollständige Verschiebung scheinen manche jetzt unter den Hilfszeitwörtern (können, mögen, wollen, dürfen, sollen, müssen) durchsetzen zu wollen. Und warum? Aus bloßer Ziererei, nur, um es einmal anders zu machen, als es bisher gemacht worden ist. Da schreibt einer: es mag für ältere Mitglieder von Interesse sein die Mitgliederliste kennen zu lernen. Nun denkt man, er werde fortfahren: aber für die jüngern hat es kein Interesse, und darum teile ich sie nicht mit. Nein, er teilt sie mit! Er hat also sagen wollen: die Liste kann oder wird vielleicht von Interesse sein, darum will ich sie mitteilen. Eine Zeitschrift macht bekannt: Abonnenten wollen die Fortsetzung bei der Expedition bestellen – ein Realschuldirektor schreibt: Neuphilologisch geschulte Bewerber wollen ihre Gesuche bis zum 1. Dezember einreichen. Das ist doch nichts als Nachäfferei[S. 347] des Französischen (veuillez); deutsch kann es nur heißen: mögen sie einreichen, oder wenn das nicht höflich genug scheint, werden gebeten, werden ersucht, sie einzureichen. Noch alberner ist es, ein solches wollen mit dem Passivum zu verbinden: die Redaktion wolle angewiesen werden (statt: es wird gebeten, die Redaktion anzuweisen) – das Testament wolle in Verwahrung genommen werden – das Öffnen der Fenster wolle den Schaffnern aufgetragen werden – es wolle sich gefälligst des Tabakrauchens enthalten werden. Sehr beliebt ist es auch jetzt, zu schreiben: ich darf endlich noch hinzufügen – hier darf zum Schluß noch angeführt werden usw. Darf? Wer erlaubt es denn? Der Schreibende erlaubt es sich doch selber, er nimmt es sich heraus. Er kann also doch nur sagen: hier darf wohl zum Schluß noch angeführt werden; mit dem wohl sucht man sich höflich der Zustimmung des Lesers zu versichern. Ganz abgeschmackt ist der Mißbrauch, der jetzt mit sollen getrieben wird. Da wird geschrieben: eines nähern Eingehens auf diese Punkte glaube ich mich enthalten zu sollen – wir glauben, diesen Satz auf das ganze Werk ausdehnen zu sollen – der Heilige Vater glaubt dich ermuntern zu sollen, in der begonnenen Arbeit fortzufahren – wir glaubten die Eröffnung nicht vornehmen zu sollen, ohne die maßgebenden Persönlichkeiten dazu einzuladen – im Interesse des Publikums hat die Behörde geglaubt, den Betrieb nicht in städtische Regie nehmen zu sollen. Sollen bezeichnet einen Befehl, einen Auftrag. In den angeführten Beispielen aber handelt sichs entweder um eine Möglichkeit oder eine Notwendigkeit. Weshalb also nicht können, müssen, dürfen? Es ist nichts als dumme Ziererei.

Der Dritte und der Andre

Viele Menschen können jetzt tatsächlich nicht mehr „bis drei zählen“, sondern lassen auf den Ersten gleich den Dritten folgen. Sie schreiben: bei allem, was ich unternommen habe, hat mich nichts verleiten können, das Recht eines Dritten zu verletzen – an einer neuen[S. 348] Entdeckung ging er gleichgiltig vorbei; sobald sie aber durch einen Dritten verballhornt war, erhob er den Kopf – mein Bauplan würde ganz umsonst gemacht sein, wenn dann ein Dritter den Bauplatz bekäme – bei einer solchen Verpachtung würde die Stadtgemeinde das Eigentumsrecht behalten und nur auf eine Reihe von Jahren einem Dritten ein Benutzungsrecht einräumen – auch der Künstler, der aus innerm Drange schafft, wird früher oder später erlahmen, wenn er fortwährend zusehen muß, wie Dritte den ihm zukommenden Ruhm genießen – die juristische Wissenschaft zeigt dem Verwaltungsbeamten die Schranken, die seinem Handeln durch entgegenstehende Rechte Dritter gesetzt sind – ich hätte die Aufgabe ohne die freundliche Hilfe Dritter nicht bewältigen können – das Mißtrauen in (!) seine Begabung, unter dem er durch Dritte zu leiden hatte – die Anerkennung, die sich als Ausbeutung seines geistigen Eigentums seitens (!) Dritter darstellt – die sekundäre Art der Komposition, über Themen Dritter zu phantasieren – Akten über innere Verwaltungssachen und Verträge mit Dritten werden nicht mitgeteilt – da die Mitglieder entfernt wohnen, so lag es nahe, ihre Befugnisse auf dritte Personen zu übertragen – wegen des Zeitverlustes, den mir die Arbeit an dritter Stelle machen würde, bitte ich mir die Bücher in meine Wohnung zu senden. Ein Lokalrichter macht bekannt, er habe Waren im Auftrage eines Dritten zu versteigern – eine Zeitung berichtet, daß ein Klempner von einem Baugerüst gefallen, ein Verschulden Dritter an dem Unglücksfall aber ausgeschlossen sei – eine andre erzählt: der junge Mann besuchte darauf ein Restaurant, wo möglicherweise dritte Personen von seinem Gelde Kenntnis erlangten.

Der Unsinn stammt natürlich aus Juristenkreisen. Die Herren Juristen sind so daran gewöhnt, mit zwei Parteien zu tun zu haben, zu denen dann irgend ein „Dritter“ kommt, daß ihnen schließlich der Dritte auch da in die Feder läuft, wo gar nicht von zweien die Rede gewesen ist; er vertritt schon vollständig die Stelle des Andern. Und andre Leute machen es gedankenlos nach.

[S. 349]

Verwechslung von Präpositionen

Mancherlei Verwirrung herrscht auch auf dem Gebiete der Präpositionen. So werden z. B. sehr oft durch und wegen verwechselt, obwohl sie doch so leicht auseinanderzuhalten wären, denn durch gibt das Mittel, wegen den Grund an. Da wird z. B. geschrieben: das Buch ist durch seine prachtvolle Ausstattung ein wertvolles Geschenk – die Marienkirche enthält viele durch Kunst und Geschichte bemerkenswerte Sehenswürdigkeiten – der Streit ist durch seine lange Dauer von mehr als bloß örtlicher Bedeutung gewesen – durch die verkehrte Methode seines Lehrers machte er lange Zeit keine Fortschritte – Falb, der durch seine kritischen Tage vielgenannte Wetterprophet – die Mißernten bleiben dann nur noch durch Regen zu fürchten – durch körperliches Leiden ist als sicher anzunehmen, daß sie sich ein Leid angetan hat – durch sein liebenswürdiges und aufrichtiges Wesen werden wir stets seiner in Ehren gedenken. In allen diesen Sätzen muß es wegen heißen, denn man fragt hier nicht: wodurch? sondern weshalb oder warum? Ebenso werden für und vor, für und zu, für und über oft vertauscht. Früher hatte man Liebe zu jemand, faßte Neigung zu jemand, hegte Achtung vor etwas, hatte Sinn, Gefühl, Interesse für etwas; jetzt gilt es für fein, das alles durch für zu erledigen: daher seine merkwürdige Neigung für alle Verkommnen und Gescheiterten – wir haben Achtung für den realistischen Geist – der Sozialismus hat wenig Achtung für rein geistige Arbeit. Eine Stadtgemeinde gibt Verwaltungsberichte heraus für das abgelaufene Jahr. Nein, Kalender und Adreßbücher druckt man für ein Jahr, Berichte schreibt man über ein Jahr. Früher sagte man: von heute an. Jetzt liest man nur noch: von heute ab, von Montag ab, vom 1. Januar ab. Warum denn ab? Man bildet sich doch nicht etwa ein, ab könne hier in dem Sinne stehen wie auf den Eisenbahnfahrplänen, wo es den Ausgangspunkt bezeichnet? Nein, es bedeutet die Richtung. Von Kindesbeinen an – das will sagen, daß[S. 350] der Weg von der Kindheit in die Höhe führe (vgl. hinan, bergan); noch deutlicher sagt es: von Jugend auf. Bei dem neumodischen vonab hat man immer die Vorstellung, als ob alles, was jetzt unternommen wird, von Anfang an dazu verurteilt wäre, bergab zu gehen.

Besonders anstößig ist es, wie oft sich – offenbar unter dem Einflusse des Lateinischen – die Präposition in an Stellen drängt, wo sie nicht hingehört. In gutem Deutsch hat man Vertrauen zu jemand, Hoffnung auf jemand und Mißtrauen gegen jemand. Das wird jetzt alles durch in besorgt: man hat Vertrauen in die Kriegsleitung (scheußlich!), verliert die Zuversicht in sich selbst, ist ohne jedes persönliche Mißtrauen in die Behörden und setzt seine Hoffnung in die Zukunft. Ja die Juristen reden sogar von einer Vollstreckung in verschuldeten Besitz, einer Zwangsvollstreckung in Liegenschaften und verurteilen einen Angeklagten in die Kosten. Das alles ist schlechterdings kein Deutsch, es ist das offenbarste Latein. Früher ging man auch auf einem Wege vorwärts, und nur wenn einen auf diesem Wege jemand hinderte, sagte man: er tritt mir in den Weg, er steht mir im Wege, er mag mir aus dem Wege gehen. Unsre Juristen aber möchten nur noch im Wege vorwärtsgehen oder vielmehr „vorschreiten“, sei es nun im Wege der Gesetzgebung oder im Wege der Polizeiverordnung oder im Wege der einstweiligen Verfügung oder im Wege des Vergleichs oder im Wege der Güte oder im Wege der Anregung. Man denkt sich die Herren unwillkürlich in einer Schlucht oder einem Hohlwege stehen, „rings von Felsen eingeschlossen“, wenn sie so „im Wege vorschreiten“. In der Juristensprache bedeutet aber doch wenigstens das Wort den eingeschlagnen Weg, das Verfahren; der Jurist beschreitet ja auch den Klageweg oder verweist einen Klienten auf den Beschwerdeweg. Wenn aber gar eine Bibliothek berichtet, daß ihr Bücher zugegangen seien im Wege der Schenkung, des Tauschs oder des Kaufs, so ist das doch völlig abgeschmackt, denn da ist doch nur von der Art und Weise die Rede: die Bücher sind ihr durch Schenkung, Tausch oder Kauf zugegangen.

[S. 351]

Im Buchdruck und Buchhandel, wo man sich gegenwärtig durch Absonderlichkeiten aller Art zu überbieten sucht – in der Wahl der Schriften, in der Einrichtung der Kolumnen, in der Fassung und Anordnung der Titel, in der Angabe des Verlags –, müssen auch die Präpositionen mit herhalten: ein Buch wird nicht mehr von jemand herausgegeben und verlegt, sondern herausgegeben wird es durch jemand (herausgegeben durch Hans Helmolt) und verlegt wird es bei jemand (verlegt bei Eugen Diederichs). Gedruckt bei – das hat Sinn. Aber verlegt bei – da fragt man doch: verlegt es denn der Herr nicht selbst? wer sind denn die Hintermänner, die es bei ihm verlegen?

Zu den neuesten Dummheiten gehört es auch, daß man die Präposition nach gebraucht in einem Falle, wo sie nicht hingehört, und sie nicht gebraucht in einem Falle, wo sie hingehört. Man schreibt nicht mehr: nach der und der Zeitung oder dem und dem Telegramm ist das und das geschehen, sondern: zufolge (!) der Zeitung oder des Telegramms, als ob die Zeitung oder das Telegramm die Ursache, die Veranlassung des Ereignisses wäre. Da ist hier eine Ministerkrisis ausgebrochen, dort ein Luftschiffer verunglückt, hier beim Rennen ein Pferd gestürzt, dort ein Leprafall vorgekommen, alles zufolge von Zeitungen! Es ist zu dumm. Man kann es aber alle Tage lesen. Andrerseits geht man aber nicht mehr zu Schulze, sondern nach Schulze, ja man schreibt sogar nach Schulze und schickt einen Brief nach Schulze (statt: an Schulze). In meiner Kindheit ging man noch zu Hause, so gut wie man zu Tische und zu Bette ging, und wie der Krug so lange zu Wasser geht, bis er bricht. Dann hieß es auf einmal: zu Hause auf die Frage wohin? sei nicht fein, man müsse sagen: nach Hause. Vielleicht wird auch nach Schulze noch fein. Feine Leute schicken aber auch ihre Kinder nicht mehr in die Schule, sondern zur Schule. Geht Ihre Kleine schon zur Schule? heißt es. Da wird sie nicht viel lernen, wenn sie bloß zur Schule geht; sie muß hineingehen!

[S. 352]

Hin und her

Auch für den Unterschied von hin und her scheinen nur wenig Menschen noch ein Gefühl zu haben; daß hin die Richtung, die Bewegung von mir weg nach einem andern Orte, her die Richtung, die Bewegung von einem andern Orte auf mich zu bedeutet – man vergleiche geh hin! mit komm her! –, wie wenige wissen das noch! In ihrem Sprachgebrauch wenigstens, dem mündlichen wie dem schriftlichen, wird hinein und herein, hinaus und heraus, hinan und heran, hinauf und herauf fortwährend zusammengeworfen. Ein klassisches Beispiel dieser Verwirrung ist die gemeine Redensart: er ist reingefallen. Daß jemand in eine Grube hereingefallen sei, kann man doch nur sagen, wenn man selber schon drinliegt. Die aber, die mit Vorliebe diese Redensart im Munde führen, fühlen sich doch stolz als draußen stehend, sie stehen oben am Rande der Grube und blicken schadenfroh auf das Opfer, das unten liegt. Das Opfer ist also hineingefallen oder neingefallen. Wer auf der Straße bleibt, kann nur sagen: Geh hinauf und wirf mir den Schlüssel herunter! Wer oben am Fenster steht, kann nur fragen: Willst du heraufkommen, oder soll ich dir den Schlüssel hinunter werfen? Aber der Volksmund, auch der der Gebildeten, drückt jetzt beides durch rauf und runter aus, es gilt das jetzt offenbar für feiner als nauf und nunter. Wenn auch niemand drin ist, ich will doch mal reinsehen – so sagen auch gebildete Leute. Wenn zwei an einem Graben stehen, der eine hüben, der andre drüben, so kann jeder von beiden fragen: Willst du herüberspringen, oder soll ich hinüberspringen? Heute springen beide nur noch rüber: Willst du rüberspringen, oder soll ich rüberspringen? Die Herren von der Feder aber machens nicht besser, auch sie verwechseln hin und her. Nicht bloß der Zeitungschreiber schreibt: bis in die jüngste Zeit hinein, auch der Historiker: auf die Sturm- und Drangzeit folgte die klassische Periode, die in unser Jahrhundert hineinragt. Jeder ist aber doch drin in seinem Jahrhundert! In einem Raum oder[S. 353] Zeitraum, worin wir uns befinden, kann doch etwas nur hereinragen. Etwas andres ist es, wenn von einer Erscheinung des sechzehnten Jahrhunderts gesagt wird, sie lasse sich bis ins siebzehnte Jahrhundert hinein verfolgen; das ist richtig, denn wir sind nicht drin im siebzehnten Jahrhundert. Umgekehrt aber wird geschrieben: wir fragen nicht, was in das Bild alles hereingeheimnist ist (hinein!) – über das Zellensystem kommt der Architekt nun einmal nicht heraus (hinaus!) usw.

Nun ist es freilich eine merkwürdige Erscheinung, daß bei allen Zeitwörtern mit übertragner Bedeutung, bei denen man die Vorstellung einer äußern Richtung nur noch undeutlich oder gar nicht mehr hat, hin vollständig durch her verdrängt worden ist; man sagt z. B.: sich herablassen, mit Verachtung herabblicken, den Preis herabsetzen, ein Buch herausgeben, in seinen Vermögensverhältnissen herunterkommen u. a. Die Neigung, her dem hin vorzuziehen, ist also augenscheinlich in der Sprache vorhanden. Man sollte aber doch meinen, daß überall da, wo noch deutlich eine äußere Richtung ausgedrückt wird, eine Verwechslung unmöglich sei. Wie kann man also sagen, daß die Steuern heraufgeschraubt werden? Wir stehen doch unten und möchten auch gern unten bleiben; also werden die Steuern hinaufgeschraubt. Wir erhielten Befehl, an den Feind heranzureiten – wer kann so schreiben? Der Feind kann wohl an uns heranreiten, wir aber an den Feind doch nur hinan. Eine bittre Pille oder einen Vorwurf – schluckt man sie herunter oder hinunter? Da man sein Ich lieber im Kopfe denkt als im Magen, so kann man sie doch nur hinunterschlucken. Er sah zu mir hinauf – Unsinn! Ich und mein Kopf, wir sind doch oben.

Auch sonst, nicht bloß bei hin und her, wird der örtliche Gegensatz jetzt oft verwischt. Hüben und drüben wird allenfalls noch unterschieden, aber haußen und hinnen getraut sich kaum noch jemand zu schreiben; jetzt heißt es: sie holen von draußen, was drinnen fehlt. Aber wo bin ich denn, der Schreibende? Irgendwo muß ich mich doch denken!

[S. 354]

Ge, be, ver, ent, er

Wenn auf solche Weise Wörter mißverstanden und miteinander verwechselt werden können, deren Sinn und Bedeutung man sich mit ein wenig Nachdenken noch klarmachen kann, um wieviel mehr sind Wörter dem Mißverständnis und dem Mißbrauch ausgesetzt, wie die kleinen Präfixe ge, be, ver, ent, er, deren Bedeutung nicht mehr klar zutage liegt, sondern nur noch mehr oder weniger dunkel gefühlt wird! Wie oft wird brauchen und gebrauchen verwechselt! Und doch heißt das eine nötig haben, das andre anwenden. Wie oft liest man das dumme belegen sein (ein Haus ist in der oder der Straße belegen), wie oft das gespreizte beheben (die Hindernisse werden sich hoffentlich beheben lassen), wie oft das widersinnige beeidigen (die Zeugen wurden beeidigt)! Man kann eine Aussage beeidigen, aber nicht einen Zeugen. Im gewöhnlichen Leben sagt man: hier wird Trottoir gelegt; sowie es aber eine Tiefbauverwaltung besorgt, dann wird es verlegt. Warum denn ver? Was man verlegt hat, das findet man doch nicht wieder. Wie oft muß man das lächerliche entnüchtern lesen (statt ernüchtern), auch schon entwehren (statt erwehren)! Wird jemand entledigen und erledigen verwechseln? Wie abgeschmackt ist der Gebrauch von entfallen und entlohnen, mit dem sich jetzt täglich die Zeitungen spreizen! Fabrikarbeiter werden ja nicht mehr bezahlt, sie werden nur noch entlohnt, der deutsche Lehrerstand hat stets die Ideale treu gepflegt trotz kärglicher Entlohnung, und von der Fernsprechstelle Berlin-Wien, die 660 Kilometer beträgt, entfallen 430 auf österreichisches und 230 auf deutsches Gebiet. Warum denn ent? Wem entfallen sie denn? Es wird aber auch nichts mehr gehofft, sondern alles nur erhofft (der erhoffte Erfolg blieb aus.) Das allerschönste aber ist erbringen, das in keiner Zeitungsnummer fehlt. Beweise und Nachweise, die früher gebracht oder geliefert wurden und im Volksmunde noch jetzt gebracht werden, in der Zeitung werden sie nur noch erbracht. Ja selbst Tatsachen werden schon erbracht (die neue Verhandlung hat eine[S. 355] ganze Reihe neuer Tatsachen erbracht), Beispiele (Koschat erbringt dafür ein lebendes Beispiel – schreibt der Musikschwätzer), Erträge (die Staatsforsten erbringen einen Ertrag von einer Million Mark) und sogar Spuren (von einem Sinken des Richterstandes ist bis jetzt noch keine Spur erbracht). Warum denn er? was heißt denn er?

Er ist verwandt mit ur, wie erlauben neben Urlaub zeigt, und beide bedeuteten aus. Diese ursprüngliche Bedeutung von er ist in vielen zusammengesetzten Zeitwörtern noch sehr gut zu fühlen: gewöhnlich bedeuten sie den Anfang oder das Ende einer Handlung, wie auch das Wort ausgehen beides bedeutet (vgl. wir sind davon ausgegangen, und: die Sache ist übel ausgegangen). Den Anfang einer Handlung bezeichnet er z. B. in erblühen, den Endpunkt dagegen in erlangen, erreichen, erfinden, erfüllen, ertrinken, ersticken. Weislingen im Götz sagt mit bewußter Unterscheidung: ich sterbe und kann nicht ersterben. Was da erhoffen bedeuten soll, ist unverständlich; es könnte doch nur heißen: so lange auf etwas hoffen, bis es eintritt. Jedenfalls ist es ein Widerspruch, zu sagen: der erhoffte Erfolg blieb aus, es genügt der gehoffte. Auch ein Brief kann nicht eröffnet werden, wie die Post sagt (amtlich eröffnet!), sondern einfach geöffnet; eine Aussicht wird mir eröffnet, ein Beschluß der Behörde, auch ein neues Geschäft; dann wird es aber jeden Morgen nur geöffnet. Auch weshalb die Eisenbahndirektion Sonntags einen Sonderzug erstellt, ist nicht einzusehen; man ist doch schon zufrieden, wenn sie ihn stellt. Das törichtste aber sind die erbrachten Beweise, Nachweise, Belege, Beispiele, Erträge und Spuren. Einen Beweis oder Nachweis erbringen könnte zur Not einen Sinn haben, wenn man damit den durchgeführten, bis aufs letzte Tüpfelchen gelungnen Beweis im Gegensatz zu dem bloß versuchten bezeichnen wollte. Aber daran ist in den seltensten Fällen zu denken, erbringen wird mit ganz gedankenlosem Gespreiz für bringen gesagt. In bringen liegt ja schon der Begriff des Vollendens, des Beendigens; bringen[S. 356] verhält sich zu tragen wie treffen zu werfen. Man könnte schließlich auch sagen: Kellner, erbringen Sie mir ein Glas Bier!

Ent (urverwandt mit dem lateinischen ante und dem griechischen ἀντί, vgl. Antlitz, Antwort) bedeutet eigentlich vor, gegen, gegenüber. Mit Zeitwörtern zusammengesetzt, drückt es daher zunächst aus, daß sich von einem Ganzen ein Teil ablöst und ihm als ein selbständiges Ganze gegenübertritt, so in entstehen, entspringen. Daraus entwickelt sich dann überhaupt der Begriff der Trennung, Lösung, Befreiung und auch Beraubung, wie in entkommen, entfliehen, entwenden, entlehnen, entkleiden, enthüllen, entblättern, entkräften, entthronen, entfesseln, entlarven, und endlich, bei gänzlicher Verblassung der eigentlichen Bedeutung, eine bloße Verstärkung des Verbalbegriffs, wie in entlassen, enttäuschen, entfremden. Wenn man neuerdings entrechten und enthaften gebildet hat, so ist dagegen nichts weiter einzuwenden, als daß das zweite Wort recht überflüssig ist. Entlohnen aber kann doch nur heißen: einem seinen Lohn wegnehmen (wahrscheinlich hat der Schöpfer des Wortes zugleich an lohnen und entlassen gedacht) und entnüchtern nur: einen betrunken machen, und was das ent in einem Satze wie: auf den Quadratkilometer entfallen 200 Seelen – bedeuten soll, ist gänzlich unverständlich. Man könnte ebensogut sagen: auf den Quadratkilometer entkommen 200 Seelen.[159] Auch wenn Bibliotheken um gütige Entleihung oder Entlehnung eines Buches gebeten werden, so ist das sinnwidrig; die Bibliothek verleiht ihre Bücher, der Leser aber leiht oder entleiht sie.

Lebhafter Streit ist darüber geführt worden, ob es richtig sei, zu sagen: er entblödete sich nicht. Das Grimmische Wörterbuch erklärt die Verneinung bei sich entblöden für falsch. In der Tat liegt es auch am nächsten, sich entblöden mit Zeitwörtern wie entbehren, enthüllen, entschuldigen, entführen,[S. 357] entwischen zu vergleichen, sodaß es bedeuten würde: die Blödigkeit (d. h. Schüchternheit) ablegen, sich erdreisten, sich erfrechen. Dann wäre natürlich die Verneinung falsch, denn sich erdreisten – das will man ja gerade mit sich nicht entblöden sagen. Neuerdings ist aber darauf aufmerksam gemacht worden, daß die Vorsilbe ent hier gar nicht verneinenden (privativen) Sinn habe, sondern wie in entschlafen, entbrennen, entzünden, entblößen das Eintreten in einen Zustand bezeichne, sodaß sich entblöden bedeuten würde: sich schämen, sich scheuen, und die Verneinung davon: sich erdreisten. Die Unsicherheit über die eigentliche Bedeutung des Wortes bestand schon im achtzehnten Jahrhundert. Wieland schreibt bald: Verwegner, darfst du dich entblöden (d. h. dich erfrechen), bald: du solltest dich entblöden (d. h. dich schämen). Das Klügste wäre, man gebrauchte eine Redensart überhaupt nicht mehr, die so veraltet und in ihrer Bedeutung so verblichen ist, daß ihr niemand mehr unmittelbar anfühlt, ob sie mit oder ohne Verneinung das ausdrückt, was man ausdrücken will.

Ver gibt dem Zeitwort meist einen schlimmen Sinn, es bezeichnet, daß gleichsam ein Riegel vor eine Sache geschoben ist, daß sie nicht wieder rückgängig gemacht werden kann, und schließlich auch, da man doch manche eben gern wieder rückgängig machen möchte, daß sie falsch gemacht worden ist. Man denke an: versichern, versprechen, verbinden, verpflichten, verkaufen, verpfänden, sich verlieben, sich verloben, sich verheiraten, verstellen, verdrehen, verrücken, verlieren, verderben, vergiften, verschwinden, verschlimmern, versauern (allerdings auch: verbessern, vergrößern, verfeinern, verschönern, veredeln, versüßen). Für meinen also zu sagen vermeinen, wie es der Amtsstil liebt, wäre eigentlich nur dann am Platze, wenn die Meinung als irrig bezeichnet werden sollte (vgl. vermeintlich), und von jemand, der einfach seine Wohnung oder seinen Aufenthalt gewechselt hat, zu sagen: er ist nach Dresden verzogen, ist geradezu lächerlich, denn es klingt das, als[S. 358] ob er damit verschwunden und gänzlich unauffindbar geworden wäre. Ebenso unverständlich aber ist es, warum, wie in Leipzig, Trottoirplatten, Straßenbahngleise und elektrische Kabel immer verlegt werden, oder, wie in Hamburg, Kaffee verlesen wird, oder, wie in Magdeburg, Rüben verzogen werden. Es genügt doch, wenn sie gelegt, gelesen und gezogen werden.

Am meisten verblaßt ist die Bedeutung von be und ge. Be ist aus bei abgeschwächt; ge, in der ältern Sprache ga (wie noch in Gastein), ist urverwandt mit dem lateinischen con und bedeutet einen Zusammenhang, eine Vereinigung. Am deutlichsten ist sein Sinn noch in Bildungen wie gerinnen, gefrieren, Gedicht, Gebüsch, Gehölz, Gewölk, Gebirge, Gerippe, Gefühl, Gehör, Gewissen (vgl. scientia und conscientia). Aber wenn sich auch die ursprüngliche Bedeutung noch so sehr abgeschwächt hat, so kann man doch immer noch durch umsichtige Vergleichung dahinterkommen, weshalb es unnötig ist, zu sagen: einem die Möglichkeit benehmen, Geld zu beschaffen, oder: ein Haus beheizen, wie unsre Techniker jetzt sagen (sie meinen wohl: beöfnen, mit Öfen versehen), oder: die bei Goslar belegnen geistlichen Stiftungen, weshalb es lächerlich ist, wenn Schmerzen, Krankheiten, Hindernisse immer behoben werden (statt gehoben). Auch für gründen wird jetzt oft unnötigerweise begründen gesagt: die Begründung des Deutschen Reiches. Nein, begründet werden nur Meinungen, Behauptungen, Urteile; aber Reiche, Staaten, Städte, Anstalten, Schulen, Geschäfte, Zeitungen werden gegründet. Befremdlich klingt es auch, wenn Juristen davon reden, daß ein Zeuge beeidigt werden müsse, oder wenn Berichterstatter über Gerichtsverhandlungen einen Beklagten auftreten lassen. Ein Zeuge kann seine Aussage beeidigen (vgl. beschwören), aber er selbst kann nur vereidigt werden (vgl. verpflichten). Beklagen kann man aber nur den, dem ein Unglück zugestoßen ist; vor Gericht kann einer nur verklagt oder angeklagt werden. Wer angeklagt wird, kommt vor den Strafrichter, wer verklagt wird, vor den Richter in[S. 359] bürgerlichen Streitigkeiten. Und ebenso läßt sich endlich recht gut fühlen, weshalb es unnötig ist, zu sagen, die 1883 gebornen haben sich heuer zu gestellen.[160]

Groß in solchen Verschiebungen und Vertauschungen sind namentlich die Kanzleimenschen und die Techniker. Sie suchen etwas darin, und sie verblüffen auch wirklich die große Masse mit diesem wohlfeilen Mittelchen.[161]

Der Unterricht kann sehr viel tun, das abgestorbne Sprachgefühl in solchen Fällen wieder zu beleben. Wem die Bedeutung von ent und er einmal auseinandergesetzt worden ist, der wird nie wieder entnüchtern statt ernüchtern schreiben, er wird aber auch bald alle die Leute auslachen, die sich immer mit entfallen und erbringen spreizen.

Neue Wörter

Kein Tag vergeht, ohne daß einem in Büchern oder Zeitungen neue Wörter entgegenträten. Nun wird niemand so töricht sein, ein neues Wort deshalb anzufechten, weil es neu ist. Jedes Wort ist zu irgendeiner Zeit[S. 360] einmal neu gewesen; von vielen Wörtern, die uns jetzt so geläufig sind, daß wir sie uns gar nicht mehr aus der Sprache wegdenken können, läßt sich nachweisen, wann und wie sie ältern Wörtern an die Seite getreten sind, bis sie diese allmählich ganz verdrängten. Wohl aber darf man neuen Wörtern gegenüber fragen: sind sie nötig? und sind sie richtig gebildet?

Neue Gegenstände, neue Vorstellungen und Begriffe verlangen unbedingt auch neue Wörter. Ein neu erfundnes Gerät, ein neu ersonnener Kleiderstoff, eine neu entdeckte chemische Verbindung, eine neu beobachtete Krankheit, eine neu entstandne politische Partei – wie sollte man sie mit den bisher üblichen Wörtern bezeichnen können? Sie alle verlangen und erhalten auch alsbald ihre neuen Namen. Aber auch alte Dinge fordern bisweilen neue Bezeichnungen. Wörter sind wie Münzen im Verkehr: sie greifen sich mit der Zeit ab und verlieren ihr scharfes Gepräge. Ist dieser Vorgang so weit fortgeschritten, daß das Gepräge beinahe unkenntlich geworden ist, so entsteht von selbst das Bedürfnis, die abgenutzten Wörter gegen neue umzutauschen. Und wie bei abgegriffnen Münzen leicht Täuschungen entstehen, so auch bei vielbenutzten Wörtern; sehr leicht verschiebt sich nämlich ihre ursprüngliche Bedeutung. Hat sich aber eine solche Verschiebung vollzogen, dann ist für den alten Begriff, der durch das alte Wort nun nicht mehr völlig gedeckt wird, gleichfalls ein neues Wort nötig. In vielen Fällen büßen die Wörter, ebenso wie die Münzen, durch den fortwährenden Gebrauch geradezu an Wert ein, sie erhalten einen niedrigen, gemeinen Nebensinn. Dieser „pessimistische“ Zug, wie man ihn genannt hat, ist gerade im Deutschen weit verbreitet und hat mit der Zeit eine große Masse von Wörtern ergriffen; man denke an Pfaffe, Schulmeister, Komödiant, Literat, Magd, Dirne, Mensch (das Mensch, Küchenmensch, Kammermensch), Elend, Schimpf, Hoffart, Gift, List, gemein, schlecht, frech, erbärmlich. Ihnen allen ist ursprünglich der verächtliche Nebensinn fremd, der im Laufe der Zeit hineingelegt worden ist. Sobald sie aber einmal damit behaftet waren, mußten sie, wenn[S. 361] der frühere Sinn ohne Beigeschmack wieder ausgedrückt werden sollte, durch andre Wörter ersetzt werden. So wurden sie verdrängt durch Geistlicher, Lehrer, Schauspieler, Schriftsteller, Mädchen, Fremde, Scherz, Hochherzigkeit, Gabe, Klugheit, allgemein, schlicht, kühn, barmherzig.

Die andre Forderung, die man an ein neu aufkommendes Wort stellen darf, ist die, daß es regelrecht, gesetzmäßig gebildet sei, und daß es mit einleuchtender Deutlichkeit wirklich das ausdrücke, was es auszudrücken vorgibt. Diese Forderung ist so wesentlich, daß man, wo sie erfüllt ist, selbst davon absieht, die Bedürfnisfrage zu betonen. Verrät sich in einem neu gebildeten Wort ein besonders geschickter Griff, zeigt es etwas besonders schlagendes, überzeugendes, eine besondre Anschaulichkeit, und das alles noch verbunden mit gefälligem Klang, so heißt man es auch dann willkommen, wenn es überflüssig ist; man läßt es sich als eine glückliche Bereicherung des Wortschatzes gefallen.

Aber wie wenige von den neuen Wörtern, mit denen unsre Sprache jetzt überschwemmt wird, erfüllen diese Forderungen! Die meisten werden aus Eitelkeit oder aus – Langerweile gebildet. Schopenhauer hat einmal mit schlagender Kürze ausgesprochen, was er von einem guten Schriftsteller verlange: er gebrauche gewöhnliche Wörter und sage ungewöhnliche Dinge! Heute machen es die meisten umgekehrt und hoffen, der Leser werde so dumm sein, zu glauben, sie hätten etwas neues gesagt. Wie quälen sich unsre ästhetischen Schwätzer, ihren Trivialitäten den Schein des Geistreichen zu geben, indem sie sich neue Wörter aussinnen! Eine Art von „Jugendstil“ möchten sie auch in die Sprache einführen. Wie quälen sich unsre Musik- und Theaterschreiber, den tausendmal gesagten Quark einmal mit andern Worten zu sagen! Wie quälen sich die Geschäftsleute in ihren Anzeigen, dem „Konkurrenten“ durch neue Wörter und Wendungen den Rang abzulaufen!

Jahrzehntelang hat man von Zeitungsnachrichten gesprochen; jetzt heißt es: Blättermeldungen! Das eine verhält sich zum andern ungefähr wie der Essenkehrer[S. 362] zum Schornsteinfeger oder der Korkzieher zum Pfropfenheber. Verfallen sein kann auf Blättermeldung nur einer, dem Zeitungsnachricht zu langweilig geworden war. Was soll Jetztzeit? Es ist schlecht gebildet, denn unsre Sprache kennt keine Zusammensetzungen aus einem Umstandswort und einem Hauptwort,[162] es klingt auch schlecht mit seinem tztz und ist ganz überflüssig, denn Gegenwart hat weder etwas von seiner alten Kraft eingebüßt noch seine Bedeutung verschoben. Gepflogenheit hat man gebildet, um eine Schattierung von Gewohnheit zu haben; ist aber nicht Brauch so ziemlich dasselbe? Ein abscheuliches Wort ist Einakter (für einaktiges Schauspiel). Freilich haben wir auch Einhufer, Dreimaster und Vierpfünder; würde aber wohl jemand ein Distichon einen Zweizeiler nennen? Um für Lehrer und Lehrerin ein gemeinschaftliches Wort zu haben, hat man Lehrperson gebildet – eine gräßliche Geschmacklosigkeit. Den Arbeiter nennt man jetzt Arbeitnehmer in plumpem Gegensatz zum Arbeitgeber! Statt voriges Jahr sagt man jetzt Vorjahr; alle Jahresberichte spreizen sich damit. Man hat das aus dem Adjektivum vorjährig gebildet, wie man auch aus alltäglich und vormärzlich gedankenloserweise Alltag und Vormärz (!) gemacht hat, aus freisinnig eine Partei, die man den Freisinn nennt, und neuerdings gar aus überseeisch Übersee: aus Europa und Übersee (die Übersee oder das Übersee?) – die Briefe gehen nach Übersee (warum denn nicht einfach und vernünftig: über See?). Vorjahr ist aber auch dem Sinne nach anstößig. Die mit Vor zusammengesetzten Hauptwörter bedeuten (wenn es nicht Verbalsubstantiva sind, wie Vorsteher, Vorreiter, Vorsänger, Vorbeter) ein Ding, das einem andern Dinge als Vorbereitung vorhergeht, wie Vorspiel, Vorrede, Vorgeschichte, Vorfrühling, Voressen, Vorgeschmack. Die Leipziger Messe hatte sonst eine Vorwoche, die der Hauptwoche vorausging. Wie kann man also jedes beliebige Jahr das[S. 363] Vorjahr des folgenden Jahres nennen! Dann könnte auch der Lehrer im Unterricht fragen: Was haben wir in der Vorstunde behandelt? Mit dem Vortag fängt man aber auch schon an: trotz des schlechten Wetters am Vortage – das Befinden des Monarchen war diese Woche besser als am Vortage. Ebenso verfehlt wie das Vorjahr ist natürlich der Vorredner – man vergleiche ihn nur mit dem Vorsänger und dem Vorbeter. Wenn ein Schiff eine Reise antritt, so nennt man das jetzt nicht mehr abreisen, sondern ausreisen: der Tag der Ausreise rückte heran. War das Wort wirklich nötig, das so lächerlich an ausreißen anklingt? Für die zeichnenden Künste hat neuerdings jemand das schöne Wort Griffelkunst erfunden, das die Kunstschreiber schon fleißig nachgebrauchen. Nun verstand man ja unter den zeichnenden Künsten auch den Kupferstich und die Radierung, die mit dem Griffel arbeiten. Unter der Griffelkunst aber soll man nun auch die Bleistift-, die Feder- und die Tuschzeichnung verstehen, die nicht mit dem Griffel arbeiten. Was ist also gewonnen? Und wollen wir die Malerei vielleicht nun Pinselkunst nennen?

Zu recht verunglückten Bildungen hat neuerdings öfter das Streben geführt, einen Ersatz für Fremdwörter zu schaffen. Dazu gehören z. B. der Fehlbetrag (Defizit), die Begleiterscheinung (Symptom), der Werdegang (Genesis) und die Straftat (Delikt). Auch das Lebewesen kann mit angereiht werden. Ein Verbalstamm als Bestimmungswort einer Zusammensetzung bedeutet meist den Zweck des Dinges (vgl. Leitfaden, Trinkglas, Schießpulver und S. 73).[163] Ein Fehlbetrag ist aber doch nicht ein Betrag, der den Zweck hat, zu fehlen, sondern es soll ein fehlender[S. 364] Betrag sein (ganz anders gebildet sind Fehlbitte, Fehltritt, Fehlschuß, Fehlschluß; hier ist fehl nicht der Verbalstamm, sondern das Adverbium), ebenso soll Lebewesen ein lebendes Wesen, Begleiterscheinung eine begleitende Erscheinung bedeuten. In Werdegang vollends soll der Verbalstamm den Genitiv ersetzen (Gang des Werdens); es scheint nach Lehrgang gebildet zu sein, aber es scheint nur so, denn Lehrgang ist mit Lehre zusammengesetzt. Überdies wird es lächerlicherweise auch schon für Geschichte gebraucht; man redet nicht bloß von dem Werdegang einer Kellnerin, sondern auch von dem Werdegang der mittelalterlichen Pergamenthandschriften! Die verunglückteste Bildung ist wohl Straftat – wer mag die auf dem Gewissen haben! Das Wort ist gebildet, um eine gemeinschaftliche Bezeichnung für Vergehen und Verbrechen zu haben. Was soll man sich aber dabei unter Straf- denken? das Hauptwort oder den Verbalstamm? Eins ist so unmöglich wie das andre. Im ersten Falle würde das Wort auf einer Stufe stehen mit Freveltat, Gewalttat, Greueltat, Schandtat, Wundertat. Alle diese Zusammensetzungen bezeichnen eine Eigenschaft der Tat und zugleich des Täters; in Straftat aber würde – die Folge der Tat bezeichnet sein! Im zweiten Falle würde es auf einer Stufe stehen mit Trinkwasser, und das wäre der helle Unsinn, denn dann wäre es eine Tat, die den Zweck hätte, bestraft zu werden! Freilich sind solche ungeschickte Wörter auch früher schon als Übersetzung von Fremdwörtern „von plumpen Puristenfäusten geknetet“ worden, man denke nur an Beweggrund (für Motiv), Fahrgast (für Passagier) und ähnliche.

Unter den Eigenschaftswörtern sind ebenso geschmacklose wie überflüssige Neubildungen: erhältlich (in allen Apotheken erhältlich), erstklassig (ein erstklassiges Etablissement, ein erstklassiges Restaurant, ein erstklassiges Pensionat, eine erstklassige Firma, erstklassiges Personal, erstklassige Spezialitäten usw.), erststellig und zweitstellig (eine erststellige Beleihung, eine zweitstellige Hypothek), innerpolitisch (die innerpolitische Lage), treffsicher (eine treffsichere Charakteristik), parteilos (für[S. 365] unparteiisch), lateinlos (die lateinlose Realschule!); unter den Adverbien: fraglos, debattelos (es wurde debattelos genehmigt), verdachtlos (ein Fahrrad wurde verdachtlos gestohlen – abgesehen davon, daß hier weder das grammatische Subjekt, das Fahrrad, noch das logische Subjekt, der Dieb, einen Verdacht haben kann). Nach jahrein jahraus hat man tagein tagaus gebildet – ganz töricht! Das Jahr ist ein großer Ring oder Kreis, in den tritt man ein und wieder aus; die kurzen Tage aber gleichen einzelnen Schritten, darum sagt man richtiger: Tag für Tag, wie Schritt für Schritt.

Besonders gern werfen die Techniker unnötige neue Wörter in die Sprache. Wenn man auf einen Gegenstand Licht fallen läßt, so nannte man das früher beleuchten. Das hat aber den Photographen nicht genügt, sie haben sich das schöne Wort belichten ausgedacht. Ein Ding, womit man ein Zimmer heizt, nannte man früher einen Ofen, und ein Ding, womit man ein Zimmer beleuchtet, einen Leuchter (Armleuchter, Kronleuchter) oder eine Lampe. Jetzt nennt man das eine Heizkörper, das andre Beleuchtungskörper. Lehrperson und Heizkörper – eins immer schöner als das andre! Denen, die sich für Krematorien begeistern, will doch das Wort Leichenverbrennung nicht gefallen, obwohl es die Sache schlicht und ehrlich bezeichnet. Daher haben sie zur Einäscherung ihre Zuflucht genommen, oder gar zur Feuerbestattung, ja sie reden sogar davon, daß jemand feuerbestattet worden sei. Nur schade, daß bei der Leichenverbrennung der Verstorbne eben nicht bestattet, d. h. mit einer Grabstätte versehen wird, und daß man wohl von Gasbeleuchtung und Wasserheizung sprechen, aber nicht sagen kann: ich gasbeleuchte, du wasserheizest.

Modewörter

Verbreitet werden neue Wörter namentlich durch die Jugend und durch die Ungebildeten, die keine Spracherfahrung haben, die nicht wissen, ob ein Wort alt oder neu, gebräuchlich oder ungebräuchlich ist; dann werden sie oft in kurzer Zeit zu Modewörtern. Daß es Sprachmoden[S. 366] gibt so gut wie Kleidermoden, und Modewörter so gut wie Modekleider, Modefarben, Modefrisuren und Modesitten, darüber kann gar kein Zweifel sein. In meiner Kinderzeit fragte man, wenn man jemand nicht verstanden hatte: Was? Dazu war natürlich zu ergänzen: hast du gesagt? Dann hieß es plötzlich: Was sei grob, man müsse fragen: Wie? Dazu sollte man ergänzen: meinen Sie? In neuerer Zeit kamen dann dafür die schönen Fragen auf: Wie meinen? (vgl. S. 92) und Wie beliebt? (was immer wie Bibeli klingt), und das Allerneueste ist, daß man den andern zärtlich von der Seite anblickt, das Ohr hinhält und fragt: Bötte?

Nun kommt ja unleugbar auch bisweilen eine hübsche Kleidermode auf, aber im allgemeinen wird doch die Mode gemacht von Leuten, die nicht den besten Geschmack haben. Oft ist sie so dumm, daß man sich ihre Entstehung kaum anders erklären kann, als daß man annimmt, der Fabrikant habe absichtlich etwas recht dummes unter die Leute geworfen, um zu sehen, ob sie darauf hineinfallen würden. Aber immer fällt die ganze große Masse darauf hinein, denn Geschmack ist, wie Verstand, „stets bei wenigen nur gewesen“. Ähnlich ist es mit den Modesitten. Kann es etwas dümmeres, lächerlicheres geben, als den Stock in die Rocktasche zu stecken oder ans Knopfloch zu hängen? etwas unritterlicheres, ja roheres, als daß der Mann auf der Straße die Frau nicht mehr führt, sondern sich bei ihr einhakt und sich von ihr schleppen läßt oder sie vor sich herschiebt? Aber mindestens neunzig von hundert Frauen sind darauf hineingefallen. Zuletzt, wenn eine Mode so gemein (d. h. allgemein) geworden ist, daß sie auch dem Beschränktesten als das erscheint, was sie für den Einsichtigen von Anfang an gewesen ist, als gemein (d. h. niedrig), verschwindet sie wieder, um einer andern Platz zu machen, die dann denselben Lauf nimmt. Vornehme Menschen halten sich stets von der Mode fern. Es gibt Frauen und Mädchen, die in ihrer Kleidung alles verschmähen, was an die jeweilig herrschende Mode streift; und doch ist nichts in ihrem Äußern, was man absonderlich oder gar altmodisch nennen könnte, sie erscheinen so modern[S. 367] wie möglich und dabei so vornehm, daß alle Modegänschen sie darum beneiden könnten.

Genau so geht es mit gewissen Wörtern und Redensarten. Man hört oder liest ein Wort – entweder ein neugebildetes oder, was noch öfter geschieht, ein bereits vorhandnes in neuer Bedeutung! – irgendwo zum erstenmal, bald darauf zum zweiten, dann kommt es öfter und öfter, und endlich führt es alle Welt im Munde, es wird so gemein, daß es selbst denen, die es eine Zeit lang mit Vergnügen mitgebraucht haben, widerwärtig wird, sie anfangen, sich darüber lustig zu machen, es gleichsam nur noch mit Gänsefüßchen gebrauchen, bis sie es endlich wieder fallen lassen. Aber es gibt immer auch eine kleine Anzahl von Leuten, die, sowie ein solches Wort auftaucht, von einem unbesiegbaren Widerwillen dagegen ergriffen werden, es nicht über die Lippen, nicht aus der Feder bringen. Und da ist auch gar kein Zweifel möglich; wer überhaupt die Fähigkeit hat, solche Wörter zu erkennen, erkennt sie sofort und erkennt sie alle. Er sagt sich sofort: das Wort nimmst du nie in den Mund, denn das wird Mode. Und wenn zwei oder drei zusammenkommen, die den Modewörterabscheu teilen, und sie vergleichen ihre Liste, so zeigt sich, daß sie genau dieselben Wörter darauf haben – ein Beweis, daß es an den Wörtern liegt und nicht an den Menschen, wenn manche Menschen manche Wörter unausstehlich finden. Ihrer Ausdrucksweise merkt aber trotzdem niemand an, daß sie die Wörter vermeiden, die klingt so modern wie möglich, niemand vermißt die Modewörter darin. Gewiß gibt es auch unter den Modewörtern einzelne, die an sich nicht übel sind. Aber das Widerwärtige daran ist, daß es eben Modewörter sind, daß sie eine Menge andrer guter Wörter, die bisher im Gebrauch waren, verdrängen, schließlich sogar in völlig unpassendem Sinn angewandt werden und doch das bißchen Reiz, daß sie im Anfange hatten, sehr schnell verlieren.

Im folgenden sollen einige Wörter zusammengestellt werden, die entweder überhaupt oder doch in der Bedeutung, in der sie jetzt fast ausschließlich angewandt werden, unzweifelhaft Modewörter sind. Die meisten[S. 368] davon stehen jetzt in vollster Blüte; einige haben zwar ihre Blütezeit schon hinter sich, sollen aber doch nicht übergegangen werden, weil sie am besten zeigen können, wie schnell dergleichen veraltet.

Darbietung. Als solche wird jetzt alles bezeichnet, was in einem Konzert oder an einem Vereinsabend geredet, gespielt oder gesungen wird: die gelungenste Darbietung des Abends – die Darbietungen des diesjährigen Pensionsfondskonzerts – das Programm enthielt auch einige solistische Darbietungen – die literarischen Darbietungen im Stil der freien Bühne usw.

Ehrung. Für Ehrenbezeigung oder Auszeichnung. In Ehrungen wird jetzt ungemein viel geleistet.

Note. Wofür? Ja, wer das sagen könnte! man schwatzt von einer eignen, einer besondern, einer persönlichen, einer intimen Note: das Leipziger Barock besitzt eine eigne Note – was dem Buche noch eine besondre Note gibt, ist, daß es ein späterer Papst geschrieben hat – ein Haus gibt seine intime Note an ein andres Haus weiter – wenn auch die Sammlung meist Kunstwerke enthält, so fehlt doch auch die Note des Absonderlichen nicht – mit dem fußfreien Rock hat die Modedame ihre Erscheinung auf die Note des Mädchenhaften gestimmt. Das letzte Beispiel ist völliger Unsinn, denn hier ist außerdem noch Note mit Ton verwechselt.

Prozent oder Prozentsatz. Für Teil. Aus der Sprache der Statistik. Man sagt nicht mehr: über die Hälfte aller Arbeiter, sondern: über fünfzig Prozent aller Arbeiter, nicht mehr: ein ganz geringer Teil der Künstler, sondern: ein ganz geringer Prozentsatz der Künstler darf hoffen, als Bildhauer oder Maler vorwärts zu kommen. Man sagt nicht: ein großer Teil der Studenten ist faul, sondern man klagt über den Unfleiß (!) eines großen Prozentsatzes der „Studierenden“.

Rückschluß, Rückschlag und Rückwirkung. Für Schluß, Einfluß und Wirkung. Schlüsse und Wirkungen gibt es nicht mehr, nur noch Rückschlüsse und Rückwirkungen. Von Rück- ist aber meist gar nicht die Rede.

[S. 369]

Unstimmigkeit. Törichte Neubildung für Widerspruch, Meinungsverschiedenheit, Mißhelligkeit. Es gibt einstimmige und vierstimmige Lieder, es gibt auch Einstimmigkeit bei Abstimmungen, aber es gibt weder Stimmigkeit noch Unstimmigkeit.

Verfehlung. Mattherzig bemäntelndes Wort für Verbrechen, Vergehen. Für Betrügereien, Unterschlagungen, Fälschungen, Bilanzverschleierungen, betrügerische Bankerotte, Ehebrüche u. dgl. sehr beliebt.

Bedeutsam. Aufs unsinnigste mißbrauchtes Wort. Goethe sagt in seiner Beschreibung von dem Selbstbildnis des jungen Dürer, der Maler halte das Blümlein Mannstreu bedeutsam in der Hand. Das heißt so viel wie bedeutungsvoll: der Maler habe damit sinnbildlich oder symbolisch etwas andeuten wollen. Von dieser schönen ursprünglichen Bedeutung des Wortes ist heute nicht der leiseste Hauch mehr zu spüren. Kein zweites Wort ist binnen wenigen Jahren so heruntergebracht, so scheußlich entwertet worden wie dieses schöne Wort. Für alles mögliche muß es herhalten, für groß, wichtig, bedeutend, hervorragend, wertvoll, brauchbar usw. Wenn man über eine Sache nichts, gar nichts zu sagen weiß, so nennt man sie bedeutsam. Man schreibt: der Verfasser hat auch über Luther, Kant, Fichte und Hegel bedeutsame Bücher geschrieben – diese Zusammenstellung ist nicht bloß sprachgeschichtlich, sondern auch kulturgeschichtlich bedeutsam – das Buch wird der Erkenntnis Bahn brechen, daß die Bildhauerei des damaligen Deutschlands eine (!) bedeutsame war – für den Buchstaben G lagen schon aus Hildebrands Nachlaß bedeutsame Ergänzungen vor – auch in dem Holzschnittwerk des Meisters findet sich eine bedeutsame Nummer – in Amerika sind für die deutsche Sprache bedeutsame Ereignisse zu verzeichnen – die Thronrede mußte um so bedeutsamer wirken, als Österreich jetzt im Brennpunkt des Interesses steht – daß diese Gedanken von einer Frau ausgesprochen wurden, schien dem Herausgeber bedeutsam genug, um (!) sie hier mitzuteilen. Man schwatzt von bedeutsamen Bekanntschaften, Erfolgen, Aufgaben, Funden,[S. 370] Kunstwerken, von einer für die Kulturgeschichte bedeutsamen Veröffentlichung, von einer bedeutsamen Umgestaltung des Schulwesens, von dem bedeutsamsten Teil der Wettinischen Lande, von einem bedeutsamen Hinweis auf Pflanzenstudien, von bedeutsamen Probeleistungen einer Kunstgewerbeschule, von bedeutsamen politischen Momenten (was mag das sein?), ja sogar von einem bedeutsamen Mozartinterpreten (!), von kunstvollen, bzw. (!) durch (!) die Namen ihrer einstigen Besitzer bedeutsamen Armbrüsten und von der bedeutsamen Stellung, die in der Kundschaft der Fleischer die Schänkwirte einnehmen. Jammerschade um das einst so sinnvolle, gehaltvolle Wort!

Belangreich und belanglos. Zwei herrliche Wörter, obgleich kein Mensch sagen kann, was Belang ist, und ob es der Belang oder das Belang heißt.

Besser. Wird jetzt mit Vorliebe nicht mehr als positive Steigerung von gut, sondern als negative Steigerung von schlecht gebraucht, also in dem Sinne von weniger schlecht. Herrschaften suchen täglich in den Zeitungen bessere Mädchen, und Mädchen natürlich nun auch bessere Herrschaften oder auch, wenn sie sich verheiraten wollen, bessere Herren. Ein Zeitungsverleger versichert, daß seine Zeitung in allen bessern Hotels und Cafés ausliege, und ein Geheimmittelfabrikant, daß sein Fabrikat in allen bessern Apotheken und Drogengeschäften „erhältlich“ sei. Folglich ist gut jetzt besser als besser.

Eigenartig. Äußerst beliebt als Ersatz für das Fremdwort originell und zugleich für eigentümlich, worunter man jetzt nur noch so viel wie wunderlich oder seltsam zu verstehen scheint. Oft auch bloßer Schwulst für eigen (vgl. S. 400): ein eigenartiger Reiz, ein eigenartiger Zauber, eine eigenartige Weihe usw.

Einwandfrei. Schöner neuer Ersatz für tadellos und zugleich für unanfechtbar: gesunde, frische, einwandfreie Milch – ein sittlich einwandfreier Priester – eine absolut einwandfreie Berliner Familie. Daß man nur von Dingen frei sein kann, die einem auch anhaften können (vgl. fehlerfrei, fieberfrei), daran wird gar nicht gedacht.

[S. 371]

Erheblich. Altes Kanzleiwort, das man schon für tot und begraben gehalten hatte, das aber seit einiger Zeit wieder hervorgesucht und nun, als Adjektiv wie als Adverb, zum Lieblingswort aller Juristen, Beamten und Zeitungschreiber geworden ist (für groß, wichtig, bedeutend, wesentlich). Es gibt nichts in der Welt, was nicht entweder erheblich oder unerheblich oder – nicht unerheblich wäre: eine Wunde, ein Schadenfeuer, eine Gehaltsverbesserung, eine Verkehrsstörung, alles ist erheblich. So heißt es auch vor Komparativen nicht mehr viel, sondern nur noch erheblich: erheblich besser, erheblich größer usw.

Froh und viele Zusammensetzungen damit: arbeitsfroh, bildungsfroh, genußfroh, sangesfroh, kunstfroh, farbenfroh, fleischfroh (der fleischfrohe Rubens!), wirklichkeitsfroh, namentlich in der Kunstschreiberei jetzt äußerst beliebt. Wir leben in einer kunstfrohen Zeit, in der es viele novitätenfrohe Kunstfreunde gibt.

Glatt. Modewort von der mannigfachsten Bedeutung: leicht, schnell, sicher, offenbar usw.: der Verkehr wickelte sich glatt ab – er fiel mit seinem Antrage glatt ab – es steht zu hoffen, daß die Heilung der Wunde glatt erfolgen wird – es liegt ein ganz glatter Betrug vor – sogar: das liegt auf glatter Hand (statt: auf flacher)!

Großzügig. Neues Glanzwort, das alle Welt berauscht oder wenigstens berauschen soll. Wenn man sich früher bei einer Darstellung auf große Züge beschränkte, so wurde sie gewöhnlich oberflächlich. Nun kann man ja in anderm Sinne auch von den großen Zügen (Linien) einer Gebirgslandschaft, also allenfalls auch von einer großzügigen Gebirgslandschaft reden. Was soll man sich aber darunter denken, wenn es heißt: ein großzügiges Regierungsprogramm wird aufgerollt (!) – es fehlt dem Wahlkampf an einer großzügigen Bewegung – einen Zufall gibt es für diesen Standpunkt (!) großzügiger Auffassung nicht – die protestantischen Völker verfolgen großzügig ihre Ziele – seiner großzügigen Persönlichkeit entsprechend hat Begas sein Lehramt[S. 372] ohne Pedanterie verwaltet – das Denkmal ist eine großzügige deutsche Tat, auf die Leipzig stolz sein kann – G. verrät in seinen Porträtköpfen eine großzügige Eigenart – zeichnerische Genialität und malerische Kraft paaren sich mit großzügigem Realismus? Was soll man sich unter einer großzügigen Stadtverwaltung, unter großzügigen Straßennetzen, Bebauungsplänen und Bauschöpfungen, einem großzügig redigierten Familienblatt, unter der großzügigen Formensprache des Barock und der imposanten Großzügigkeit seiner Fassaden vorstellen? Was sind das für „Züge“, an die man dabei denken soll? Gemeint ist bald einfach groß oder großartig, bald reich, kräftig oder schwungvoll, bald geistreich oder geistvoll, bald weitherzig oder weitblickend. Das alles soll jetzt das alberne großzügig ausdrücken! Es ist ein ganz infames Klingklangwort, ohne allen Sinn und Inhalt, so recht für die gedankenlose, groß–mäulige Schwätzerei unsrer Tage ersonnen, namentlich für die Kunstschwätzerei, aus deren Kreisen es höchstwahrscheinlich auch stammt.

Hochgradig. Für hoch oder groß; aus der Sprache der Ärzte: hochgradiges Fieber. Dann auch hochgradige Erregung, hochgradige Erbitterung usw.

Jugendlich. Modeersatz für jung, das vollständig in Verruf gekommen ist. Hat namentlich seit der Thronbesteigung des jetzigen Kaisers um sich gegriffen. Den wagte man nicht jung zu nennen – wahrscheinlich hielt man das für eine Majestätsbeleidigung –, man sagte immer: unser jugendlicher Kaiser, und genau so ging es dann wieder mit dem jugendlichen Kronprinzen. Welch großer Unterschied zwischen jung und jugendlich ist, welch erfreuliche Erscheinung z. B. ein jugendlicher Greis, welch klägliche ein junger Greis ist, dafür hat man gar kein Gefühl mehr, fort und fort redet man von jugendlichen Arbeitern, jugendlichen Übeltätern, Verbrechern, Dieben, Brandstiftern, einer jugendlichen Sängerschar, sogar jugendlichen, unter sechzehn Jahren alten Mädchen; den siebenjährigen Knaben Mozart nennt man den jugendlichen Mozart[S. 373] und den sechzehnjährigen Studenten Goethe den jugendlichen Goethe und betont das jugendliche Alter, in dem er die Universität bezog! Überall ist jung gemeint, und jugendlich wird gesagt und geschrieben.

Minderwertig. Verhüllender Ausdruck für schlecht, wertlos, unbrauchbar. Irgendeinen Menschen oder eine Sache schlecht zu nennen, hat man nicht mehr den Mut; man spricht nur noch von minderwertigem Fleisch, minderwertigen Kartoffeln, minderwertigen Existenzen, sogar von minderwertigen Referendaren.

Offensichtlich. Lieblingswort der Zeitungschreiber, zusammengebraut aus sichtlich und offenbar: die offensichtliche Gefahr, offensichtliche Mängel, mit offensichtlichem Stolz usw.

Schneidig. Blühendes Modewort zur Bezeichnung der eigentümlichen Verbindung von äußerlicher Schniepelei und innerlicher Roheit, Fatzkentum und Landsknechtswesen, in der sich ein Teil unsrer jungen Männerwelt jetzt gefällt. Zum Glück im Rückgange begriffen.

Selbstlos. Kühne Bildung. Eine Zeit lang sehr beliebt zur Bezeichnung des höchsten Grades von Uneigennützigkeit und Opferwilligkeit. Hat aber auch schon ziemlich abgewirtschaftet.

Tiefgründig. Neues Modewort. Man spricht von tiefgründiger, das soll heißen: in die Tiefe gehender Arbeit und Forschung, aber auch von tiefgründigen, das soll heißen geheimnisvollen Kunstwerken: Klingers Werke sind viel zu tiefgründig (!), um dem unvorbereiteten Betrachter schnell ihren Gehalt zu offenbaren – endlich aber auch schon von tiefgründiger (statt tiefer!) Vaterlandsliebe.

Tunlich und angängig. Lieblingswörter der Kanzleisprache für möglich: mit tunlichster Bälde.

Uferlos, für endlos: uferlose Debatten, die Darstellung verliert sich in uferlose Breite. Ja ja, wir sind ein seefahrendes Volk geworden.

Unerfindlich. Für unbegreiflich oder unverständlich. Verfehlt gebildet, da erfinden in dem Sinne, wie es in unerfindlich verstanden werden soll,[S. 374] ungebräuchlich ist. Trotzdem eine Zeit lang sehr beliebt, jetzt im Rückgange.

Ungezählt. Sehr beliebte neue Modedummheit für unzählig, zahllos, ja sogar für zahlreich. Napoleon stand einer Streitmacht ungezählter Kosaken gegenüber – die Stadtchronik berichtet von ungezählten Festen – dieser Schrank birgt ungezählte Zinnkannen – die Atmosphäre ist mit ungezählten Kohlenteilchen erfüllt – Messel hat im Wertheimpalast Normen geschaffen, die bestimmend für ungezählte Warenhäuser wurden – eine ungezählte Menge drängte sich nach dem Unglücksplatz – ungezählte Deutsche feiern heute den Geburtstag des großen Kanzlers – der Roman erlebte ungezählte Auflagen. Ob eine Menge gezählt worden ist, darauf kommt es doch gar nicht an, sondern darauf, ob sie gezählt werden konnte! Die Auflagen eines Buches aber werden wirklich gezählt.

Verläßlich. Modewort für zuverlässig. Wunderliche Verirrung! Zuverlässig ist ein schönes, kräftiges Wort; wer zuverlässig ist, auf den kann man sich wirklich verlassen. Einem Verläßlichen würde ich nicht über den Weg trauen; das Wort hat gleich so etwas widerwärtig weichliches.

Vornehm. Im Superlativ ausschließlicher Ersatz für alle Zusammensetzungen, die früher mit Haupt- gebildet wurden. Für Hauptursache, Hauptbedingung, Hauptzweck, Hauptaufgabe heißt es nur noch: die vornehmste Ursache, die vornehmste Bedingung, der vornehmste Zweck, die vornehmste Aufgabe. Je öfter man vornehm schreibt, desto vornehmer kommt man sich selber vor.

Zielbewußt. Von der sozialdemokratischen Presse in Umlauf gesetzt und eine Zeit lang von ihr mit blutigem Ernst gebraucht. Heute nur noch mit Gänsefüßchen möglich: ein „zielbewußter“ Autographensammler u. ähnl.

Abstürzen. Für herabstürzen oder hinabstürzen; namentlich von den Alpenfexen verbreitet. In den Zeitungen stürzen aber schon nicht mehr bloß Bergkletterer ab, sondern auch Steinblöcke in Steinbrüchen, Turner[S. 375] vom Reck, Kinder vom Straßenbahnwagen usw. Man setze fallen für stürzen, und man wird die Lächerlichkeit fühlen! Ab mit Zeitwörtern zusammengesetzt bedeutet ja die Trennung, die Entfernung; vgl. abfallen, abgehen, abfahren, absenden, abspringen, abnehmen, abreißen, abhauen, abschneiden usw.

Anschneiden und aufrollen. Eine Frage, ein Thema wird nicht mehr berührt, angeregt – das ist viel zu fein –, sondern entweder werden sie angeschnitten, wie eine Blutwurst, oder sie werden aufgerollt, wie ein Treppenläufer oder eine Linoleumrolle. Das ist die Bildersprache der Gegenwart! Und wenn eine Frage dann aufgerollt oder angeschnitten ist, dann kommt es darauf an, sich ein tüchtiges Stück abzuschneiden. Gelingt einem das, dann hat man gut abgeschnitten, das soll heißen: man ist gut dabei weggekommen. Wie wird Deutschland dabei abschneiden?

Auslösen. Für erregen, wecken, hervorrufen, veranlassen. Aus der Mechanik, wo es so viel bedeutet, wie durch Beseitigung einer Hemmung irgend etwas in Bewegung oder Tätigkeit setzen: der Dichter will uns nicht seine Gedanken aufnötigen, sondern unsre eignen Gedanken auslösen – ein Wort, das gerade in diesem Zusammenhange eigentümliche Empfindungen auslösen mußte – ob ein Unlustgefühl eine Handlung auszulösen imstande ist – Eindrücke, die leicht pathologische Reize auslösen – durch frische Luft wird körperliches Wohlbefinden ausgelöst – allgemeine Heiterkeit löste folgender Vorfall aus. Aber auch: manche lyrische Gedichte Goethes lassen sich in der Musik nicht voll (!) auslösen – in den ersten Monaten seiner Universitätszeit löste sich (!) bei ihm eine kräftige Fuchsenstimmung aus. Schön gesagt!

Ausschalten. Für beseitigen, fernhalten, vermeiden, unnötig machen, aufgeben usw.: der Einfluß des Charakters kann natürlich nicht ausgeschaltet werden – nachdem alle andern Projekte ausgeschaltet sind – um sprachliche Erklärungen des Textes von vornherein auszuschalten. Man muß doch zeigen,[S. 376] daß man mit dem Telephon und dem elektrischen Licht Bescheid weiß.

Bedeuten. Gespreizter Ersatz für sein, für die ganz einfache „Kopula“: sein Tod bedeutet für die gesamte Kunst einen schweren Verlust – eine dreiköpfige Leitung würde eine äußerst bedenkliche Einrichtung bedeuten – die Schülerfahrt nach Weimar soll für jeden Teilnehmer ein unvergeßliches Erlebnis bedeuten – welche Ermäßigung das gegenüber dem jetzigen Tarif bedeuten würde, mag folgendes Beispiel zeigen – diese Art der Einordnung bedeutet einen willkürlichen Anachronismus – Gobineaus letzte Lebensjahre bedeuten den Schlußakt eines erschütternden Trauerspiels – der Tod der Königin bedeutete für Southampton das Ende der Kerkerhaft. (Vgl. darstellen.)

Begrüßen. Neuerdings sehr beliebt statt: willkommen heißen. Begrüßen ist aber ein neutraler Begriff; man kann etwas mit Freuden, mit Jubel, dankbar, aber auch kühl, gleichgiltig, mit sauersüßer Miene begrüßen. Es ist also nichtssagend, wenn geschrieben wird: es wäre zu begrüßen, wenn solche Untersuchungen weiter angestellt würden – daß Bach mit Chorälen vertreten ist, kann man nur begrüßen – wir müssen es immer begrüßen, wenn ein Mann der Wissenschaft die Gabe volkstümlicher Darstellung besitzt (!).

Bekannt geben. Für bekannt machen, weil machen nicht mehr für fein gilt. Freilich wird ein bißchen viel gemacht: ein Mädchen macht sich erst die Haare, dann macht sie die Betten, dann macht sie Feuer usw. Sonntags macht der Leipziger sogar nach Dresden. Trotzdem ist bekannt geben eine Abgeschmacktheit.

Sich beziffern. Statt betragen, sich belaufen. Aus der Statistik, die ja keine Zahlen kennt, sondern nur Ziffern (obwohl sich Ziffer zu Zahl verhält wie Buchstabe zu Laut und Note zu Ton): Bevölkerungsziffer, Durchschnittsziffer – ich kann Ihnen noch einige Ziffern vorlegen – das Personal beziffert sich auf hundert Köpfe – der Verlust beziffert sich auf 30000 Mann usw.

[S. 377]

Darstellen. Schauderhaft gespreizter Ersatz für bilden in dem Sinne von sein (vgl. bedeuten). Schon bilden war überflüssige Ziererei, wenn man an seine eigentliche Bedeutung denkt. Nun vollends darstellen! Und doch wird jetzt nur noch geschrieben: ein Staatspapier, wie es unsre Konsols bisher darstellten – der Jahresbericht, den die zweite Lieferung des Buches darstellt – das Geschwader stellt eine bedeutende Streitmacht dar – die Zusammenkünfte sollen ein kollegiales Bindemittel darstellen – diese Bahn stellt den nächsten Landweg von Mitteleuropa nach Indien dar – diese Beschäftigung stellt keine ausreichende Tätigkeit dar – die Menschheit, die trotz aller Mängel doch nicht bloß eine Schar von armen Sündern darstellt – Bücherschätze, die ein herrliches Zeugnis für die Freigebigkeit früherer Jahrhunderte darstellen – die Akademie stellt einen zusammenhängenden Organismus dar – ein Gebiet, das an dem großen Baume des Kunstgewerbes nur einen Ast darstellt – ein Unternehmen, bei dem die hochtönenden Namen offenbar die Hauptsache darstellen – das Fleisch der Seefische stellt auch für den Arbeiter ein vollwertiges Nahrungsmittel dar – unterliegt ein Volk seinem Gegner, so bleibt nur der Schluß, daß es einen weniger lebensfähigen Typ (!) repräsentiert (!), als ihn der Sieger darstellt (d. h. nicht so lebensfähig ist wie der Sieger!). Kann es einen alberneren Sprachschwulst geben?

Einschätzen. Es wird nichts mehr geschätzt, beurteilt, für etwas gehalten, sondern alles wird eingeschätzt: ein Buch, das der Kritiker dieses Blattes hoch einschätzt – ein Parteifreund, der die ultramontane Gefahr minder hoch einschätzt – man muß sich selbst beobachten und studieren, um seine Fähigkeiten richtig einzuschätzen – sie nahm zu einem Manne ihre Zuflucht, dessen Charakter sie falsch einschätzte – auch die Einschätzung der künstlerischen Tätigkeit ist dem Wechsel der Zeiten unterworfen – 1849 gab es nicht einen Menschen, der Goethes Wert richtig einschätzte – das Buch ermöglicht uns eine richtige Einschätzung der Verhältnisse unsers Grenznachbars –[S. 378] ein Diplomat, der die Gewähr bietet, daß er Stimmungen und Personen aus eigner Anschauung einzuschätzen weiß – sein Idealismus schätzte den Opfermut seiner Landsleute zu hoch, die Schwierigkeiten zu niedrig ein – Zöllners Musik zur Versunknen Glocke ist höher einzuschätzen als seine Faustmusik. Warum denn ein-? Eingeschätzt wird man bei der Steuer, sonst nirgends. Dort hat das ein- seinen guten Sinn, denn man wird durch die Schätzung in eine bestimmte Steuerklasse gesetzt, und daran hängt die Verpflichtung, eine bestimmte Steuer zu bezahlen. Irgendein dummer Kerl hat das Wort für schätzen, beurteilen gebraucht, und die gescheitesten Leute sind darauf hineingefallen. Hat man gar kein Gefühl mehr für die Bedeutung eines Wortes, daß man solchen Unsinn sagt, wie hohe Einschätzung der Kunst? Muß man denn auf Schritt und Tritt an den Steuerzettel erinnert werden?

Einsetzen. Seit einigen Jahren großartiges Modewort für anfangen und beginnen, und gleichfalls eins der schlagendsten Beispiele von der Gedankenlosigkeit, mit der solche Wörter nachgeplärrt werden. Das Wort ist von den Musikschreibern in die Mode gebracht worden. In einer Fuge setzen die einzelnen Stimmen hintereinander ein, jede Stimme nämlich in das, was die vorhergehende schon singt. Das hat guten Sinn. Aber die erste Stimme – setzt die auch ein? Nein, die beginnt oder fängt an, denn sie ist eben die erste. Und das ist nun der Blödsinn, und diesen Blödsinn haben die Musikschreiber selbst aufgebracht, daß einsetzen als Modewort ausschließlich für das wirkliche anfangen oder beginnen gebraucht wird, außerdem aber noch für viele andre Wörter, auf die man zu faul ist sich zu besinnen. Bücher und Zeitungen wimmeln von Beispielen: die Untersuchungen über die Grenzen der Instrumentalmusik setzen erst nach Beethoven ein – die Festspiele haben Mittwoch mit Don Juan unter sehr günstigem Stern eingesetzt – ihre greifbarste Gestalt haben diese Bestrebungen in dem Einsetzen (Entstehung, Gründung) der deutschen Liedertafeln – die Verhandlungen setzten sehr ruhig ein – überaus heftig setzte[S. 379] alsbald die Kritik ein – groß und vielversprechend setzt Klingers Schaffen ein – die Kampftage waren vorüber, das Strafgericht setzte mit alter Herzlosigkeit ein – die Romantik setzt in Dresden früh und mit Entschiedenheit ein – damit hat Uhlfeldt sein Schicksal besiegelt, und die fallende Handlung setzt ein – die Kunst kann erst einsetzen, wenn dem Schauspieler die Seele der dargestellten Person in Fleisch und Blut übergegangen ist – die Mode, bei Abendgesellschaften farbige Schuhe zu tragen, hat schon eingesetzt – hier hört der Historiker auf, und der Theolog setzt ein – Paul Krügers Memoiren setzen mit seiner Jugend ein – die aufbewahrten Schreiben von Freytags Hand setzen mit dem Jahre 1854 ein – die heutige Verhandlung setzte mit einem Briefe Schmidts ein – dogmatische Spekulation setzte schon zur Zeit der Entstehung der Evangelien ein – in dieser Zeit scheinen seine Bemühungen um eine Professur einzusetzen – die Scheidung der Mundarten hat bereits im sechzehnten Jahrhundert eingesetzt – der wirtschaftliche Niedergang setzte im Jahre 1901 ein – im Frühjahr setzt regelmäßig eine stärkere Bautätigkeit ein – das Erdbeben setzte 5 Uhr 30 Minuten ein – die schon früh einsetzende Dunkelheit erhöht die Gefahr – als ob die Brauchbarkeit der Halle bewiesen werden sollte, setzte am Nachmittag ein gelinder Regen ein – ja sogar: für die diesjährige Saison haben die Fabrikanten mit billigen Preisen eingesetzt (!) – die Diskussion in der Presse beginnt (!) bereits einzusetzen – es beginnt (!) hier eine Entwicklung einzusetzen, die möglicherweise zu irrigen Schlüssen führen könnte. Wem diese Beispiele den Appetit noch nicht verdorben haben, der sammle in den nächsten drei Tagen selber weiter, bis ihm der Appetit vergeht. Vernünftigen Sinn hat es, wenn man schreibt: Hier muß die Wissenschaft einsetzen, wenn sie zu einer befriedigenden Lösung der Frage kommen will; denn hier schwebt ein ganz andres Bild vor, nämlich das vom Einsetzen oder Ansetzen des Hebels. Aber Unsinn ist es wieder, zu schreiben: Hier will mein Buch einsetzen (für eingreifen, einspringen, in die Lücke treten).

[S. 380]

Einstellen. Aus der Sprache des Photographen, der die Camera einstellt: der Blick, die Aufmerksamkeit muß auf diesen Punkt eingestellt werden. Warum denn nicht: gelenkt, gerichtet, geleitet?

Entgegennehmen. Spreizwort für annehmen. Anfangs nahm bloß der Kaiser das Beglaubigungsschreiben des Botschafters eines auswärtigen Souveräns entgegen. Das entgegen malte das Zeremoniell der feierlichen Handlung. Jetzt werden auch Geldbeiträge für öffentliche Sammlungen, Blumenspenden für Begräbnisse, Anmeldungen neuer Schüler, Inserate für die nächste Nummer, Bestellungen auf das nächste Quartal nur noch entgegengenommen – immer feierlich, herablassend. Sogar die Kürschnergesellen nehmen ihren Jahresbericht entgegen, und der Angeklagte nimmt das Todesurteil gefaßt, das Publikum aber nimmt es mit tiefem Schweigen entgegen.

Erübrigen und sich erübrigen. Ein schlagendes Beispiel dafür, welche Verwirrung durch überflüssige und halbverstandne Neubildungen angerichtet werden kann. Erübrigen war bisher ein transitives Zeitwort und bedeutete so viel wie sparen, zurücklegen: ich habe mir schon ein hübsches Sümmchen erübrigt. Das hat man neuerdings angefangen intransitiv zu gebrauchen in dem Sinne von übrig bleiben: es erübrigt noch, allen denen meinen Dank auszusprechen – es erübrigt nur noch, besonders darauf hinzuweisen usw. Andre aber, die das Wort wohl hatten klingen hören, aber nicht auf den Zusammenhang geachtet hatten, fingen gleichzeitig an, es in dem Sinne von überflüssig sein zu gebrauchen: auf die ganze Tagesordnung erübrigt es heute einzugehen – hier erübrigt jedes weitere Wort – es erübrigt für mich jede weitere Bemerkung – ein ausdrücklicher Verzicht erübrigt von selbst. Noch andre endlich machten das Wort in der zweiten Anwendung zum Reflexiv und schrieben: die Ratschläge, deren Wiedergabe sich erübrigt – alle weitern Schritte erübrigen sich hierdurch – es erübrigt sich wohl, noch besonders darauf hinzuweisen – es erübrigt sich, auch nur ein Wort darüber zu verlieren. In solchen Quatsch gerät[S. 381] man, wenn man vor lauter Modenarrheit zwei guten, deutlichen Ausdrücken wie übrig bleiben und überflüssig sein aus dem Wege geht.

Erzielen. Ausschließlicher Ersatz für erreichen. Erreicht wird nichts mehr; Nutzen, Gewinn, Vorteil, Ergebnisse, Erfolge, alles wird erzielt.

Führen. Statt hervorragen, Bahn brechen, den Ton angeben. Man spricht nur noch von führenden Geistern, Denkern, Persönlichkeiten, Kunstschriftstellern, Chirurgen, von der führenden Presse, von Leuten, die eine führende Stelle oder Stellung einnehmen, eine führende Rolle spielen, und Henckell Trocken ist die führende Marke! Bei hervorragen sah man gleichsam eine stillstehende Reihe oder Gruppe vor sich; bei führen sieht man die ganze Bande marschieren, und zwar im Gänsemarsch.

Im Gefolge haben. Modephrase für: zur Folge haben. Bisher hatte nur ein Fürst ein Gefolge; jetzt heißt es: die Not hat Unzufriedenheit im Gefolge – Reformen, die die Schmälerung des Profits im Gefolge haben könnten – anarchistische Bestrebungen, die reaktionäre Maßregeln im Gefolge haben – der Fall hatte eine fünfjährige Freiheitsstrafe im Gefolge – es ist nicht zu verkennen, daß die Preßfreiheit auch schwere Schäden im Gefolge hatte. Man überlege sich nur, was für Unsinn man da hinschreibt!

Gestatten. Feiner Ersatz für erlauben, das ganz ins alte Eisen geworfen ist. Hat aber seine Laufbahn ziemlich rasch zurückgelegt. Auch der Handlanger sagt schon, ehe er einem auf die Füße tritt: Gestatten! so gut wie er schon die Zigarette nachlässig zwischen den Lippen hängen hat. Wo bleibt nun die Feinheit?

Landen für ankommen. Anfangs als Scherz, jetzt aber in vollem Ernst geschrieben: als Schiffbrüchiger landete er in Rom – 1842 war Wagner nach langer Wanderung in Dresden gelandet (wahrscheinlich kam er mit dem Schandauer Dampfschiff).

Rechnung tragen. Beliebte Phrase des Kanzleistils und bequemer Ersatz für alle möglichen Zeitwörter[S. 382] und Redensarten: wir sind bemüht, diesen Beschwerden Rechnung zu tragen (abzuhelfen!) – Ihrem Wunsche, den Gebrauch der Fremdwörter einzuschränken, werden wir gern Rechnung tragen (erfüllen!) – es finden sich Bearbeitungen von den einfachsten bis zu den schwierigsten, sodaß allen Vereinen Rechnung getragen ist (Rücksicht genommen!) – es war zu erwarten, daß das Volk durch eine Landestrauer seinen Gefühlen Rechnung tragen würde (Ausdruck geben!) – dieser Auffassung haben wir auch Rechnung getragen (bestätigt!) – wie wenig die Verwaltung diesem Grundsatz Rechnung getragen hat (gefolgt ist!).

Schreiten, beschreiten, verschreiten. Für gehen oder sich wenden. Man schreitet, oder noch lieber: man verschreitet zur Wahl, zur Abstimmung, zur Veröffentlichung, zur Operation, ja sogar zum Aufgießen des Tees. Fürsten gehen nie, sie schreiten immer: der Kaiser schritt zunächst durch die Sammlung der Musikinstrumente. Aber auch: die Maori schreiten unaufhaltsam ihrem Untergang entgegen – immer mit gehobnen und gestreckten Beinen, wie die Rekruten auf dem Drillplatze.

Tragen. Feierlicher Ersatz für bringen: wir tragen dem Kaiser Liebe und Vertrauen entgegen. Nur schade, daß man einem nur etwas in den Händen oder auf einem Präsentierteller entgegentragen kann, in seinem Innern aber doch nur entgegenbringen. Ganz besonders aber ist getragen sein jetzt beliebtes Spreizwort für erfüllt sein: von künstlerischer Überzeugung getragen – von patriotischer Wärme getragen – von religiöser Gläubigkeit getragen – von wissenschaftlichem Ernst getragen – von düsterm Pessimismus getragen – eine von hoher Begeisterung getragene Rede – eine fesselnde, von staunenswerter Belesenheit getragene Darstellung – eine von froher Geselligkeit getragene Veranstaltung – die geräuschlose, von warmer Fürsorge für die Jugend getragene Arbeit – der Kommers nahm einen von echt studentischem Geiste getragenen Verlauf – der Empfang des[S. 383] Kaisers war von herzlicher Begeisterung getragen usw. Man muß immer an einen Luftballon denken.

Treten. Ebenso beliebt wie schreiten. Einer Frage wird näher getreten, das Ministerium ist zu einer Beratung zusammengetreten, und besonders gern wird in etwas eingetreten: Arbeiter treten in einen Streik, sogar in einen Ausstand ein, eine Versammlung tritt in eine Verhandlung ein, der Reichskanzler ist in ernstliche Erwägungen eingetreten, und der Gelehrte schreibt: ich will auf dieses Gebiet hier nicht näher eintreten – ich mag hier nicht in den Streit über die Bedeutung Hamerlings eintreten. Das schönste aber ist: in die Erscheinung treten (statt erscheinen oder zur Erscheinung kommen): es ist bei dieser Gelegenheit scharf (!) in die Erscheinung getreten (es hat sich deutlich gezeigt) – dabei tritt das Gesetz in die Erscheinung (dabei kann man beobachten) – es zeigten sich Krankheitssymptome, die immer intensiver in die Erscheinung traten – der Zustand der Herzschwäche trat vermindert in die Erscheinung – es handelt sich um eine Krankheit des modernen Lebens, die hier in besonders krasser Weise in die Erscheinung tritt – Unregelmäßigkeiten treten um so mehr in die Erscheinung, je kleiner das Beobachtungsfeld ist – hier tritt nie eine so starke territoriale Zersplitterung in die Erscheinung – das Gesamtleben des Reichs tritt in der Hauptstadt konzentriert in die Erscheinung – das Nachtleben tritt in Berlin weit auffälliger in die Erscheinung – ja sogar der neue Spielplan wird zu Neujahr in die Erscheinung treten. Wie vornehm glauben sich die Leute mit diesem ewigen Getrete auszudrücken, und – wie albern ist es!

Vertrauen. Mit nachfolgendem Objektsatz (!), statt hoffen, glauben, überzeugt sein: das Ministerium vertraut, daß der eingerissene Mißbrauch bald wieder abgestellt sein werde – die Leser können vertrauen, daß wir bei der Feststellung des Textes die größte Vorsicht haben walten lassen.

Vorbestrafen. Lieblingswort aller Polizeireporter und aller Berichterstatter über Gerichtsverhandlungen:[S. 384] ein schon zehnmal vorbestrafter Kellner – ein schon fünfzehnmal vorbestrafter Riemergeselle – ein schon vielfach, sogar mit Zuchthaus, vorbestraftes Subjekt. Als ob nicht bestraft genügte! Müssen denn nicht, wenn einer „schon oft“ bestraft worden ist, diese Strafen vor der liegen, die ihn jetzt erwartet! Der Unsinn ist aber nicht auszurotten. Vielleicht schreibt man nächstens auch noch: eine bisher noch unvorbestrafte Verkäuferin.

Vorsehen, nicht als reflexives, sondern als transitives Zeitwort: etwas vorsehen. Binnen wenigen Jahren mit ungeheurer Schnelligkeit in der Kanzlei- und Zeitungssprache verbreitet, für denkfaule Leute wieder ein willkommner Ersatz für alle möglichen Zeitwörter. Auf dem Gymnasium wird man im lateinischen Unterricht ermahnt, providere ja nicht mit vorsehen zu übersetzen, es sei das ein gemeiner Latinismus; gut übersetzt heiße es: für etwas sorgen, Fürsorge oder Vorsorge treffen, etwas vorbereiten. Dieser „gemeine Latinismus“ ist der neueste Stolz der Kanzlei- und Zeitungssprache: Sache der Übungsbücher ist es, eine geordnete Folge von Übungen vorzusehen – zur Erhöhung der Beamtengehalte sind für das Jahr 1904 keine Mittel vorgesehen – die Erstaufführung (!) ist für die Saison 1903 am Leipziger Stadttheater vorgesehen – als Verbindung zwischen beiden Straßen ist eine Allee vorgesehen – für die Rasenrabatten ist die übliche niedrige Einfassung vorgesehen – für den Speisesaal ist Rokoko vorgesehen – die Selbstregierung, die das Friedensinstrument vorsieht – die zu einer Ferienreise vorgesehenen Ersparnisse der Schulkinder – das Richtfest der hiesigen Kirche ist auf Sonnabend den 5. November vorgesehen – für den Besuch Sr. Majestät in der Handelsschule ist folgendes Programm vorgesehen – für den Abend ist ein Fackelzug vorgesehen usw. Also sorgen, beabsichtigen, planen, bestimmen, festsetzen – alles wird mit diesem aus reiner Dummheit dem Lateinischen nachgeäfften vorsehen ausgedrückt!

In die Wege leiten. Herrliche neue Modephrase der Amts- und Zeitungssprache für – ja, wofür?[S. 385] Eigentlich für gar nichts. Anstatt einfach zu sagen: es wurde eine starke Seemacht geschaffen – er hat mancherlei Technisches unternommen – die Veranstaltung wird schon jetzt vorbereitet – es wäre zu wünschen, daß ein solches Amt eingerichtet würde – heißt es: die Schaffung einer starken Seemacht wurde in die Wege geleitet – er hat mancherlei technische Unternehmungen in die Wege geleitet – die Vorbereitungen zu der Anstalt werden bereits in die Wege geleitet – es wäre zu wünschen, daß die Organisation eines solchen Amtes in die Wege geleitet würde. Und ein Unterbeamter schreibt an den andern: ich bitte, das Weitere baldgefälligst (!) in die Wege leiten zu wollen.

Werten und bewerten. Neben einschätzen (vgl. S. 377) seit kurzem äußerst beliebte Spreizwörter für schätzen, beurteilen, für etwas ansehen oder halten. Bisher kannte man nur verwerten und entwerten. Jetzt wird aber alles gewertet oder bewertet: in Schlesien weiß man die Kraft, die aus der Muttererde strömt, wohl zu werten – diese Luxusausgaben werden im Handel bereits hoch bewertet – seine Schriften verraten eine selten (!) hohe Wertung der Ehe – es drängt sich die Frage auf, wie ein sächsischer Offizier einem preußischen gegenüber zu bewerten sei – wir können diese Urteile nicht als Urteile eines ernsthaften Journalisten bewerten – diese Abweichung von der Regel dürfte als nicht ganz sachgemäß bewertet werden – man muß die Ausdrucksweise einer Zeit kennen, wenn man ihre Freundschaften und Liebschaften bewerten will – die Monarchenzusammenkunft wird in der N. A. Z. mit folgenden Worten gewertet – beide, er wie sie, wollen selbständig gewertet werden – bei der wissenschaftlichen Wertung des Problems tut vor allem Nüchternheit not – man muß die juristische Bewertung des Falles abwarten – ja sogar: die Bewertung und Beurteilung (!) dieser Bilder wird neu festzustellen und zu modifizieren sein – was eine Südländerin von Temperament als Lebensforderung einschätzt und wertet (!) – und das Neueste und Schönste[S. 386] von allem: baugeschichtliche Feststellungen geben uns die Möglichkeit, die Entstehungsbedingungen dieser Baukunst sicher einzuwerten (also aus werten und einschätzen ein drittes Wort zusammengeknetet!). Woher stammen die herrlichen Wörter? Aus der Börsensprache, die von der Bewertung des umlaufenden Edelmetalls spricht? Oder von Nietzsche?

Zeitigen. Für hervorbringen, schaffen: es ist eine armselige Literatur, wie sie noch keine Periode der Musikgeschichte gezeitigt hat.

Zubilligen. Für bewilligen oder zugestehen: den Arbeitern wurde eine Unterredung zugebilligt – jeder höhern Lehranstalt sind für Bibliothekzwecke jährlich tausend Mark zugebilligt – die Hinterbliebenen haben mir das Recht der Veröffentlichung zugebilligt.

Zukommen, auf etwas. Beliebtes neues Ersatzwort des sächsischen Kanzleistils für alles mögliche, für: an etwas denken, etwas ins Auge fassen, etwas beschließen, sich zu etwas entschließen, sich auf etwas einlassen: wenn man auf die Ausführung dieses Gedankens zukommen wollte, so wäre jetzt der geeignete Augenblick – es kann kein Zweifel darüber bestehen, daß auf einen Aufbau der Türme zuzukommen sei – wann wird man an den höhern Schulen auf eine Verminderung der Unterrichtszeiten zukommen.

Bislang. Für bisher. Provinzialismus aus Hannover, nach 1866 stark verbreitet, heute ziemlich vergessen.

Da und dort. Modeverbindung für hie und da: unter den technischen Schwierigkeiten klingt doch da und dort ein tieferer musikalischer Sinn heraus.

Erstmals. Neues Spreizwort für zuerst oder zum erstenmal: eine Fülle von Material ist in diesem Buche erstmals erschlossen. (Vgl. erstmalig S. 407)

Hoch. Einzig gebräuchliches Adverb zur Begriffssteigerung folgender Adjektiva: fein, elegant, modern, herrschaftlich, gebildet, gelehrt, verdient, bedeutend, bedeutsam, wichtig, ernst, feierlich, tragisch, komisch, romantisch, poetisch, interessant, erfreulich, befriedigend, willkommen,[S. 387] achtbar, adlich, konservativ, kirchlich, offiziell. Das wird genügen.

Indes oder indessen. Sehr beliebtes Spreizwort für aber, doch, jedoch: heute wurden hier starke Erdstöße verspürt, die indessen keinen Schaden anrichteten – es kam zu Zwistigkeiten, die indes einen günstigen Verlauf nahmen – er hatte das Stück schon vor Jahren verfaßt, indessen unterblieb damals die Aufführung – der Graf wanderte in den Tower; lange dauerte indes seine Haft nicht – bei näherer Prüfung indessen stellt sich R. als interessante Persönlichkeit dar.

Nahezu. Modewort für fast oder beinahe.

Naturgemäß. Aus Berlin (naturjemäß). Hat sich mit lächerlicher Schnelligkeit an die Stelle von natürlich (d. h. selbstverständlich) gedrängt, sodaß man sich, wo es einmal in seiner wirklichen Bedeutung erscheint (die soziale Bewegung ist naturgemäß erwachsen), erst förmlich besinnen muß, daß es ja diese Bedeutung auch noch haben kann. Sonst heißt es nur noch: wir beginnen naturgemäß mit den preisgekrönten Entwürfen – naturgemäß ist die Studentenzeit zum Lernen bestimmt – die Wiedergabe durch Lichtdruck läßt naturgemäß manches unklar – die Sorge beginnt naturgemäß gleich bei der Aufnahme der Lehrlinge – naturgemäß konnte die Stadtbahn nicht durch den glänzendsten Teil der Hauptstadt gelegt werden – naturgemäß ist der Grund der Unsicherheit nicht in allen Fällen der gleiche – die Unbilligkeit verstärkt sich naturgemäß mit jedem Jahre usw. Man redet aber auch schon von einer vernunftgemäßen (!) Auswahl der Schreibfeder, statt von einer vernünftigen – und da nun einmal gemäß Mode ist, so führt auch der Kaufmann wunschgemäß seine Bestellungen aus, und der Unterbeamte erledigt alles mit großem Eifer auftraggemäß.

Rund. Dem Englischen nachgeäfft. Wird jetzt vor alle Zahlen gesetzt, die, wie der Zusammenhang zeigt, selbstverständlich nur runde Zahlen sein können und sollen: der Kandidat der Ordnungsparteien erhielt rund 3200 Stimmen gegen rund 360 Stimmen der Sozialdemokraten[S. 388] – der Ertrag der Sammlung bezifferte sich (!) auf rund 5000 Mark. Ohne rund bekommt man eine Zahl mit Nullen am Ende kaum mehr zu lesen.

Reichlich. Seit kurzem äußerst beliebt für sehr, aber immer nur da, wo es nicht hinpaßt, nämlich in tadelnden Bemerkungen: du kommst reichlich spät, der Kerl ist reichlich dumm. Es fehlt nur noch, daß gesagt würde: er hat reichlich wenig gegeben.

Selten. Beliebtes Adverb zur Steigerung von Eigenschaftswörtern (in dem Sinne von ungewöhnlich, außerordentlich, in seltnem Grade), z. B.: ein Mädchen von selten gutem Charakter – eine selten frische Witwe – ein selten schönes Familienleben – eine selten günstige Kapitalanlage – wir haben selten schönes Wetter gehabt – dieser Weizen gedeiht auf leichtem Boden und liefert selten hohe Erträge – besonders hebe ich die selten naturgetreuen farbigen Abbildungen hervor – die Inhaber dieser Bauernhöfe sind selten fleißige und tüchtige Wirte usw. Nur schade, daß selten eben vor allen Dingen selten bedeutet, und nicht in seltnem Grade, und daß infolgedessen stets das Gegenteil von dem herauskommt, was die Leute meinen. Darüber ist denn auch schon viel gespottet worden, so viel, daß endlich doch auch dem Harmlosesten ein Licht aufgehen müßte.

Unentwegt. Lächerlicher schweizerischer Provinzialismus für fest, beharrlich. Hat seine Rolle ziemlich ausgespielt.

Vielmehr. Ausschließlicher Ersatz für sondern: diese Preisbewegung ist nicht bloß dem Getreide eigentümlich, sie stimmt vielmehr mit den übrigen Ackerbauerzeugnissen überein – der Leser wird nicht mit einem Ballast von Erläuterungen überschüttet, vielmehr halten die Anmerkungen das rechte Maß ein.

Voll und ganz. Modephrase ersten Ranges, die aber ihren Weg wohl bald „voll und ganz“ zurückgelegt haben wird.[164] Sehr beliebt ist es jetzt, voll allein zu[S. 389] gebrauchen (für ganz oder vollständig): dieser Auffassung kann ich voll beipflichten – überall deckt der Ausdruck voll den Gedanken – um die Tiefe seiner Auffassung voll zu würdigen – Künstler, die diese Bedingung voll erfüllen können – die deutschen Gemälde hielten den Vergleich mit den französischen voll aus usw. Auch Zusammensetzungen mit Voll- als Bestimmungswort schießen wie Pilze aus der Erde: Vollbild, Vollmilch, Vollgymnasium, sogar vollinhaltlich: ich kann das vollinhaltlich bestätigen – er mußte das Leben der Gefangnen vollinhaltlich mitleben.

Vorab und vornehmlich. Beide gleich beliebter Ersatz für besonders, namentlich und hauptsächlich. Das sechzehnte, vorab das siebzehnte Jahrhundert – die Künstler vorab hatten sein herzliches Wohlwollen erfahren – Briefe Wielands, vornehmlich an Sophie La Roche – vornehmlich habe ich die Syntax von Grund aus umgestaltet. (Vgl. vornehm S. 374).

Weitaus. Modezusatz zum Superlativ: weitaus der beste – in weitaus den meisten Fällen.

Außer solchen allgemein gebräuchlichen Modewörtern und Modephrasen gibt es aber noch eine Masse andrer, die auf einzelne Kreise beschränkt sind. In der Sprache der Geschäftsleute, der Zeitungschreiber, wohin man[S. 390] blickt: Mode, nichts als Mode. Kaufleute reden nicht mehr von Preisen, sondern nur noch von Preislagen, an die Stelle der frühern Sorten sind die Qualitäten, die Marken und die – Genres getreten (bitte, probieren Sie meine Spezialmarke!). Wer einen kleinen Laden gemietet und ein Geschäftchen darin eröffnet hat, nennt das jetzt ein Haus; der eine hat ein Schokoladenhaus, der andre ein Porzellanhaus, ein dritter ein Havannahaus, ein Seidenhaus, ein Leinwandhaus, ein Lodenhaus. Vor etlichen Jahren fiel es einem Schneider in Leipzig ein, über seine Ladentür statt Schneidermeister zu schreiben: Herrenmoden. Das war natürlich fürchterlicher Unsinn, denn ein Schneider ist keine Mode und fertigt auch keine Moden, sondern Kleider. Als das aber die andern Schneider gesehen hatten, da kam für die Firmenschreiber gute Zeit. Sämtliche Schneider ließen ihre Schilder ändern, und heute gibt es in ganz Leipzig keinen Schneidermeister mehr. Der kleinste Flickschneider im Hinterhause vier Treppen hoch hat vorn an der Haustür sein Schildchen prangen: Wilhelm Benedix, Herrenmoden! Vor etlichen Jahren fiel es auch einmal einem Bierwirt in Leipzig ein, von einem Militärkonzert anzukündigen, daß es unter persönlicher Leitung des Herrn Musikdirektors X stattfinden würde – als ob in andre Wirtschaften der Herr Musikdirektor seinen Stiefelputzer schickte. Große Aufregung unter den Bierwirten! Binnen vier Wochen fanden alle Konzerte unter persönlicher Leitung statt. Aus nichts als Modewörtern und Modephrasen ist die Sprache der Reporter zusammengesetzt. Da ist eine Gesellschaft stets illustre (wenigstens in Leipzig), ein Kapellmeister stets genial, ein Geschenk stets sinnig, Orgelspiel stets weihevoll. Wird irgendwo ein Vortrag gehalten, so wird er von musikalischen und gesanglichen Darbietungen umrahmt; von einer Festlichkeit wird stets versichert, sie habe einen würdigen (!) Verlauf genommen. Ein Revolverschuß wird stets abgegeben, und flieht der Täter, so wird sofort die Verfolgung aufgenommen; sich selbst aber schießt man eine Kugel niemals zum Vergnügen[S. 391] sondern immer in selbstmörderischer Absicht in den Kopf. Wenn es in einer Familie oder zwischen einem Liebespaar zu Zank und Streit, Mord und Totschlag gekommen ist, so heißt das ein Familiendrama oder eine Liebestragödie. Wer ein Jubiläum feiert, kann stets auf eine 25jährige oder 50jährige Tätigkeit zurückblicken, und ist es ein Verein, so blickt er auf ein 25jähriges Bestehen zurück; wer pensioniert wird, tritt in den wohlverdienten Ruhestand, und stirbt er, so werden an seinem Sarge Lorbeerkränze niedergelegt. Wenn einer von einem Dache herabstürzt, so bleibt er tot (als ob er es schon vorher gewesen wäre!). Leichen von Verunglückten werden nicht gefunden, sondern stets geborgen (hätte man die Lebenden besser „geborgen“, so wären sie nicht verunglückt!), und wenn sie im Wasser gelegen haben, so werden sie geländet; wird aber einer glücklich noch lebend aus dem Wasser gezogen, so wird er dem nassen Element entrissen. Kommt ein Fürst zu Besuch, so steigt er nicht aus dem Wagen, sondern er ent(!)steigt dem Waggon und schreitet dann, und zwar stets elastischen Schrittes, die Front der Ehrenkompagnie ab. Man begreift nicht, warum nicht die Zeitungen für gewisse besonders oft wiederkehrende wichtige Ereignisse, wie die Ankunft eines Fürsten, die Eröffnung einer Ausstellung, die Enthüllung eines Denkmals, das Jubiläum eines Geschäfts, das Begräbnis eines Kommerzienrats und dergleichen, für ihre Berichterstatter Formulare drucken lassen, worin sie dann bloß Tag, Stunde und Namen auszufüllen hätten.

Aber auch die niedrige Umgangssprache ist voll von Modewörtern, die immer wechseln. Man könnte sie die Gassenhauer der Sprache nennen. Zu ihnen gehört das schöne selbstredend, das eine Reihe von Jahren für selbstverständlich gesagt wurde (übrigens stets falsch betont: selbstrédend, wie auch tatsächlich, wunderbár, ekelháft, tadellós). Neuerdings ist wieder selbstverständlich durchgedrungen (aber auch das wieder falsch betont: selbstverständlich). Augenblicklich ist der beliebteste Gassenhauer: ausgeschlossen, ganz ausgeschlossen, völlig ausgeschlossen. Unwahrscheinlich,[S. 392] unmöglich, undenkbar, sogar unnötig – das alles gibt es nicht mehr. Ausgeschlossen – bums! fertig! In der Unterhaltung am Biertisch hört man nichts weiter als: selbstverständlich (für ja) und: ausgeschlossen (für nein). Andre neue Gassenhauer sind: totsicher, totschick, Ton (für Wort): er hat mir nicht einen Ton davon gesagt –, auf Wiederschaun, und ausgerechnet (für gerade, genau oder dgl.): das muß ausgerechnet Bebel begegnen!

Eine feine Nase für Modewörter hat gewöhnlich der Student. Die Studentensprache wimmelt von Modewörtern; sowie ein neues aufkommt, wird es ihr sofort „einverleibt“. Aber der Student spricht sie fast alle mit Gänsefüßchen, er macht sich lustig über sie, während er sie gebraucht. Die Sache hat nur nicht bloß eine lustige, sie hat auch eine sehr ernste Seite. Jedes neu aufkommende Modewort verdrängt eine Anzahl sinnverwandter Wörter mit ihren fein abgetönten Unterschieden, und schließlich wird es gedankenlos auch für Wörter gebraucht, die einen ganz andern Sinn haben. So ist mit jedem neuen Modewort eine zunehmende Verarmung der Sprache und eine zunehmende Oberflächlichkeit und Unklarheit des Denkens verbunden.

Wie alle Modedummheiten haben aber auch die Sprachmoden ihre Zeit. Sie verschwinden alle wieder, die einen früher, die andern später. Darum ist ein Kampf gegen sie eigentlich überflüssig.[165] Verteidigt werden sie immer nur von solchen, die darauf hineingefallen sind, ohne es zu merken; die ärgern sich dann über den, der es gemerkt hat, und bestreiten die Berechtigung seiner Angriffe. Jeder gute Schriftsteller aber wird sich vor ihnen hüten. Denn jeder gute Schriftsteller hat doch den Wunsch, nicht gar zu schnell zu veralten. Dazu gehört aber, daß das, was er schreibt, nicht bloß einen dauerhaften Inhalt, sondern auch eine dauerhafte Form habe.

[S. 393]

Der Gesichtspunkt und der Standpunkt

Ein Modewort, mit dem ein ganz törichter Mißbrauch getrieben wird, der zu einer Unmasse von Bildervermengungen führt, ist Gesichtspunkt. Das Wort bedeutet den Punkt, von dem aus man etwas ansieht, wie Standpunkt den Punkt, auf den man sich gestellt hat, um etwas anzusehen. Beides ist so ziemlich dasselbe. Man sollte doch nun meinen, das Bild, das in diesen Ausdrücken liegt, wäre so klar und deutlich, daß es gar nicht vergessen werden könnte: Standpunkt und Gesichtspunkt bedeuten durchaus etwas räumliches, einen Punkt im Raume. Da ist es nun schon verkehrt, wie es manche sehr lieben, von großen oder allgemeinen Gesichtspunkten zu reden. Man kann sich weder unter einem großen noch unter einem allgemeinen Punkt etwas denken. Offenbar wird hier der Gesichtspunkt mit dem Gesichtskreise verwechselt. Wenn ich mich hoch aufstelle und die Dinge von oben betrachte, so überblicke ich mehr, als wenn ich unten mitten unter den Dingen stehe. Es ändert sich dann auch der Maßstab der Betrachtung: was mir unten groß, im übertragnen Sinne wichtig, bedeutend erschien, schrumpft zusammen, ja verschwindet vielleicht ganz, wenn ich es von oben betrachte. Man kann also wohl von hohen und niedrigen Gesichtspunkten reden, aber nicht von großen und kleinen. Der Geist ist klein, der sich nicht zu höhern Gesichtspunkten aufschwingen kann, auch der Gesichtskreis eines solchen Geistes ist klein, aber ein Punkt ist und bleibt – ein Punkt, er kann weder klein noch groß sein.

Was muß sich aber der Gesichtspunkt sonst noch alles gefallen lassen! Er wird nicht nur berührt, dargelegt, ausgeführt, er wird auch beachtet, ins Auge gefaßt, betont, hervorgehoben, geltend gemacht, aufgestellt, herausgestellt, in den Vordergrund[S. 394] gestellt, zur Diskussion gestellt, verworfen, er wird eröffnet, zugrunde gelegt, gewonnen, er wird in die Wagschale geworfen, und zwar so, daß er ins Gewicht fällt, er ist maßgebend, er berührt sich mit etwas, man tut etwas unter ihm, es wird etwas von ihm abgeleitet, es entspringt ihm etwas usw. Der Leser schüttelt den Kopf? Hier sind die Beispiele: zum Schluß möchte ich noch zwei Gesichtspunkte berühren – er legte die Gesichtspunkte dar, die den Ausschuß veranlaßt hätten, die Versammlung zu berufen – es würde mich zu weit führen, wenn ich den angedeuteten Gesichtspunkt näher ausführen wollte – die Prügelstrafe ist nicht nur brutal, sie ist auch ehrenrührig, und diesen wichtigen Gesichtspunkt muß man vor allen Dingen beachten – diesen Gesichtspunkt faßte Kurfürst August jetzt ins Auge – als der Redner diesen Gesichtspunkt scharf betonte – erfreulich ist es, daß der Herzog für das Gefühl vaterländischer Ehre empfänglich ist und bei der Berücksichtigung der Muttersprache diesen Gesichtspunkt besonders hervorhebt – neue Gesichtspunkte wurden in der Debatte nicht geltend gemacht – es sind hier Gesichtspunkte aufgestellt, die in der Tat zur Diskussion gestellt werden müssen – er wußte immer sofort die höhern Gesichtspunkte herauszustellen – man kann den Mittelstand sehr verschieden abgrenzen, je nach den Gesichtspunkten, die man in den Vordergrund stellt – auch der Gesichtspunkt, daß (!) man mit einer stattlichen Schrift dem Auslande imponieren müsse, ist nicht zu verwerfen – diese Bestimmung eröffnet für die Geschichte der Innung einen neuen Gesichtspunkt – überhaupt möchten wir auf den Gesichtspunkt hinweisen, den alle Gerichte ihren Rechtsprechungen auf diesem Gebiete zugrunde zu legen haben – ich hoffe, daß sich aus meiner Darlegung gesunde (!) Gesichtspunkte werden gewinnen lassen – hier fallen finanzielle (!) Gesichtspunkte schwer ins Gewicht – diese Frage bildet den maßgebenden Gesichtspunkt, von dem aus wir dem Problem näher treten – dieser Gesichtspunkt der Theaterdirektion[S. 395] berührt sich in mannigfacher Beziehung mit dem Interesse des Publikums – der Theologie wandte er nur unter dem Gesichtspunkte, jederzeit brauchbare Kirchendiener zu haben, seine Fürsorge zu – die allgemeinen Gesichtspunkte, aus denen sich der kritische Vorrang der Originaldrucke lutherischer Schriften ableiten läßt, sind folgende – eine innere Kolonisation, die den oben gekennzeichneten Gesichtspunkten entspringt usw. In allen diesen Sätzen ist von dem Bilde, das in dem Worte Gesichtspunkt liegt, keine Spur mehr zu finden. Es bedeutet etwas ganz andres, es steht für Umstand, Tatsache, Grund, Ansicht, Gedanke, ja bisweilen steht es für – gar nichts, es wird als bloßes Klingklangwort gebraucht. Oder bedeutet der Satz: neue Gesichtspunkte wurden nicht geltend gemacht – irgend etwas andres als: neue Gedanken wurden nicht vorgebracht? der Satz: zum Schluß möchte ich noch zwei Gesichtspunkte berühren – irgend etwas andres als: zum Schluß möchte ich noch zweierlei berühren? Das völkerpsychologische Moment (!) ist für ihn der maßgebende Gesichtspunkt – kann man einen einfachen und einfach auszudrückenden Gedanken in einen unsinnigern Wortschwall einhüllen? Von solchen Sätzen wimmelt es aber jetzt in Büchern, Broschüren und Aufsätzen; Tausende lesen darüber weg, haben das dumpfe Gefühl, irgend etwas gelesen zu haben, aber denken können sie sich gar nichts dabei.

Infolge des fortwährenden Mißbrauchs ist es geradezu dahin gekommen, daß dieses gute Wort, das ein so klares und deutliches Bild enthält, und das bisweilen gar nicht zu entbehren ist, einen lächerlichen Beigeschmack angenommen hat, sodaß man es in der Unterhaltung kaum noch anders als spöttisch gebrauchen kann. Eine weitere Folge ist, daß nun gewisse Leute, um das Wort zu vermeiden, es durch Gesichtswinkel ersetzt haben, das freilich gleich von vornherein mit Recht dem Spott verfallen ist.

Derselbe Unfug wie mit dem Gesichtspunkt hat aber neuerdings nun auch mit dem Standpunkt begonnen. Niemand hat mehr eine Ansicht oder eine[S. 396] Meinung, alle Welt hat nur noch einen Standpunkt. Eine Meinung kann man ändern, eine Ansicht berichtigen – das ist nichts. Aber ein Standpunkt – alle Hochachtung! – das ist etwas. Ein Standpunkt ist unverrückbar, der kommt gleich nach der Weltanschauung. Man steht auf einem Standpunkt, stellt sich auf einen Standpunkt, vertritt einen Standpunkt usw., und das schönste dabei ist, daß man von dem Worte Standpunkt (ganz so wie früher von Meinung) einen Objektsatz abhängig macht, ja sogar einen Infinitiv, als ob es soviel bedeutete wie Regel oder Grundsatz, und schreibt: ich stehe auf dem Standpunkte, daß man dieses Verbot wieder aufheben sollte – ich stehe auf dem Standpunkte, daß man zwischen Leipzig und Berlin ohne umzusteigen fahren können müßte – die Gesellschaft steht auf dem Standpunkte, daß die Stadtgemeinde berechtigt sei, unentgeltliche Abtretung der Straßenfläche zu verlangen – der Standpunkt, daß ein Reisender, der auf derselben Linie zurückfährt, durch eine Preisermäßigung belohnt werden müsse, ist ein (!) völlig antiquierter – wir haben stets den Standpunkt vertreten, daß zwischen Deutschland und England kein vernünftiger Grund zur Feindschaft vorliege – man findet heute oft den Standpunkt vertreten, daß das Kleinbürgerhaus eine überwundne Form bedeute (sei!) – wir stellen uns auf den gewiß empfehlenswerten Standpunkt, in schwankenden Fällen das überflüssige Binde-s zu vermeiden. Man sieht: auch der Standpunkt ist nahe daran, zum Gassenhauer zu werden; in Vereinssitzungen wie in öffentlichen Versammlungen ergreift niemand das Wort, der nicht sofort erklärte, daß er auf irgendeinem Standpunkt stehe.

Das Können und das Fühlen

Eine richtige Modenarrheit ist es, gewisse Hauptwörter immer durch einen substantivierten Infinitiv zu umschreiben – wenns nicht manchmal bloßes Ungeschick ist! Und bloßes Ungeschick ist wohl anzunehmen, wenn jemand statt Ende schreibt: das Aufhören, oder statt Mangel: das Fehlen. Eine Modenarrheit aber liegt[S. 397] ohne Zweifel in der Art, wie jetzt das Wissen, das Können, das Wollen, das Fühlen und das Empfinden gebraucht wird – Wörter wie Kenntnis, Fähigkeit, Fertigkeit, Geschick, Absicht, Gefühl, Empfindung scheinen ganz vergessen zu sein. Den Anfang hatte wohl das Streben gemacht,[166] dann kam das Wissen: er hat ein ganz hervorragendes Wissen. Jetzt spricht man aber auch von dichterischem Wollen: anfangs ein Dorfgeschichtenerzähler, wurde Rosegger allmählich ein Poet von großem Wollen – auch diese Kompositionen zeigen die künstlerische Zielbewußtheit (!) seines Wollens. Und in höchster Blüte steht das Können und das Fühlen: folgendes Gedicht mag das Können des Dichters veranschaulichen – das Konzert lieferte einen glänzenden Beweis für das künstlerische (!) Können des Vereins – Beethoven widmete ihr die Cis-moll-Sonate, kein geringes Zeugnis für das musikalische Können der Angebeteten – die Dame hat sich unter dieser vortrefflichen Leitung bereits ein achtunggebietendes Können angeeignet – die Schüler sollen mit einem solchen Können des Deutschen aus der Schule gehen – Herr W. hat damit eine neue Probe seines bedeutenden gärtnerischen (!) Könnens gegeben (es handelt sich um ein Teppichbeet) – die Gedichte zeigen ein gesundes, ursprüngliches Fühlen – in allen Briefen gibt er nur dem einen Fühlen Ausdruck – Tilgner hat den Geist (!) des österreichischen Empfindens am besten zum Ausdruck gebracht – zu der Verehrung für das große Wollen und Können des Meisters gesellt sich das Mitleid mit dem leidenden Menschen – die Pyramiden der Ägypter erzählen uns von dem Fühlen und Wollen ihrer Erbauer und deren Zeitepoche (!). Das Neueste aber ist das Erinnern, das Erleben und das Verstehen: er bewahrte ihm ein dankbares Erinnern – für uns moderne Menschen pflegt Italien das größte Erleben unsers Daseins zu sein – ein Mann, in dessen Erleben sich ein ganzes[S. 398] Stück deutscher Geschichte spiegelt – Böcklin konnte von dem künstlerischen Erleben abstrahieren, bei Klinger erschließt erst die Persönlichkeit das Geheimnis (!) seiner Werke – das Buch ist von tiefem Verstehen für den geheimnisvollen (!) künstlerischen Trieb des Meisters durchtränkt – sie erfreute ihn durch warmes geistiges Verstehen – nimm dieses Buch in dein treues und zartes Verstehen auf! Es kann einem ganz schlimm und übel dabei werden.

Bedingen

Wie unter den Hauptwörtern das Wort Gesichtspunkt, so ist unter den Zeitwörtern das am unsinnigsten mißbrauchte Modewort jetzt bedingen.[167] Der erste Band von Grimms Wörterbuch (1854) erklärt bedingen durch aushalten, bestimmen, ausnehmen. Im Sandersschen Wörterbuche (1860) sind folgende Bedeutungen aufgezählt und belegt: verpflichten, festsetzen, ausmachen, beschränken, von etwas abhängig machen, außerdem eine Anwendung, die bei Grimm noch fehlt: eine Sache bedingt die andre, oder passiv: eine Sache ist oder wird durch die andre bedingt; das Aktivum erklärt Sanders hier durch notwendig machen, erheischen, erfordern, das Passivum durch abhängig sein von etwas.

Nun vergleiche man damit den heutigen Sprachgebrauch (der Sinn, in dem das Wort gebraucht ist, soll stets in Klammern hinzugefügt werden). Da schreiben die einen: eine Laufbahn, die akademische Vorbildung bedingt (voraussetzt, verlangt, erfordert, erheischt, notwendig macht) – der große Aufwand, den die Aufführung dieser Oper bedingt (ebenso) – die angegebnen Preise bedingen die Abnahme des ganzen Werkes (machen zur Pflicht) – die Ausgaben für Saalmiete, Beleuchtung und Annoncen bedingen einen Berg von Kosten (verursachen) – unsre ganzen Zeitverhältnisse[S. 399] bedingen den zurückgegangnen Theaterbesuch (sind die Ursache, bringen mit sich, sind schuld an) – die Lage der Bergarbeiter zu studieren, ist es nötig, auch die Verhältnisse zu berühren, die diese Lage bedingen (schaffen, hervorbringen, hervorrufen, erzeugen) – der Sand- und Lehmboden bedingt eine besondre Flora (ebenso) – dieses Korsett bedingt eleganten Sitz (!) des Kleides (schafft, bewirkt) – der humanistische Charakter des akademischen Studiums bedingt das ganze Wesen unsrer Universitäten (ist von Einfluß auf) – bei Lessing bedingte stets die kritische Einsicht das dichterische Schaffen (ebenso) – Tatsache ist, daß gewisse Affekte den Eintritt des Stotteranfalls bedingen (herbeiführen) – die Stellung der Türen in den Wänden bedingt wesentlich die Nutzbarkeit der Räume (von ihr hängt ab) – nur körperliches Leiden (Laokoongruppe!) bedingt eine so gewaltsame Anspannung aller Muskeln (macht erklärlich, macht begreiflich) – dieser Zweck bedingt sowohl die Mängel als die Vorzüge des Werkes (aus ihm erklären sich) usw.

Nun der passive Gebrauch. Da wird geschrieben: die hohen Ränder des Sees und der dadurch bedingte Reichtum malerischer Wirkungen (geschaffne) – diese durch die Lage Englands bedingte Gunst des Glückes (ebenso) – durch die Verkehrserleichterungen ist ein Rückgang des Kommissionsgeschäfts bedingt worden (bewirkt worden, herbeigeführt worden) – die durch die Großstadt bedingte Vermehrung der Arbeitsgelegenheit (bewirkte, verursachte) – rascher Fortschritt wird durch zahlreiche Mitarbeiter bedingt (entsteht) – der Ausfall der Wahlen ist durch unzählige nicht in der Macht der Regierung liegende Verhältnisse bedingt (hängt ab von) – die Zulassung zur Fakultät war durch den Nachweis des philosophischen Magistergrades bedingt (hing ab von) – der Erfolg des Mittels war durch die Zuverlässigkeit der Leute bedingt (ebenso) – die Überholung Leipzigs durch Berlin ist durch die Macht der äußern Verhältnisse bedingt (ist die Folge) – diese Aussichtslosigkeit war durch die seit drei Jahren gemachte Erfahrung bedingt (war entstanden, war die[S. 400] Folge) – Glück wird durch Leistungsfähigkeit bedingt (entsteht) – die Gefahr für den innern Frieden ist durch den Gegensatz zwischen Besitz und Besitzlosigkeit bedingt (liegt in, beruht auf, entsteht aus) – die durch den Reichtum bedingten Lebensgenüsse (ermöglichten) usw.

Überblicken wir die angeführten Beispiele, so ergibt sich folgendes. Die einen gebrauchen bedingen in dem Sinne von: zur Voraussetzung haben. A bedingt B – das heißt: A hat B zur Voraussetzung, A hängt von B ab, A ist undenkbar, wenn nicht B ist, A verlangt also, erheischt, erfordert B. Das ist die vernünftige und berechtigte Anwendung des Wortes: aus ihr erklärt sich das Wort Bedingung. Die Aufführung der Oper bedingt großen Aufwand – das versteht jedermann; es heißt: die Oper ist ohne großen Aufwand nicht aufführbar, der Aufwand ist die Voraussetzung, die Bedingung einer guten Aufführung.

Nun gebrauchen aber andre das Wort in dem Sinne von bewirken und den zahlreichen sinnverwandten Wörtern (schaffen, erzeugen, hervorbringen, hervorrufen, verursachen, zur Folge haben). A bedingt B – das heißt dann: A ist die Ursache von B. B wird durch A bedingt heißt: B ist die Folge von A. Wie dieser Bedeutungswandel möglich sein soll, ist unverständlich, es ist schlechterdings nicht einzusehen, wie der Begriff der Voraussetzung zu dem der Hervorbringung soll werden können.

Es wird aber noch ein weiterer Schritt getan, namentlich in der passivischen Anwendung des Wortes. B wird durch A bedingt – das heißt nicht bloß: B wird durch A bewirkt, sondern B wird nur (!) durch A bewirkt, es kann durch nichts andres entstehen als durch A, also mit andern Worten: B hat A zur Voraussetzung. Und da wären wir denn glücklich bei der vollständigen Verrücktheit angelangt. Denn wenn es ganz gleichgiltig ist, ob jemand sagt: A hat B zur Voraussetzung, oder B hat A zur Voraussetzung, B ist die Voraussetzung von A, oder A ist die Voraussetzung von B, wenn das beides (!) mit dem Satze ausgedrückt[S. 401] werden kann: A bedingt B (oder passiv: B wird durch A bedingt), mit andern Worten: wenn es ganz gleichgiltig ist, ob jemand sagt bedingen oder bedingt werden, so ist das doch die vollständige Verrücktheit. Auf diesem Punkte stehen wir aber jetzt. Geschrieben wird: Glück wird durch Leistungsfähigkeit bedingt – die Zulassung zur Fakultät wurde durch den Magistergrad bedingt, also aktiv ausgedrückt: Leistungsfähigkeit bedingt Glück – der Magistergrad bedingte die Zulassung zur Fakultät. Gemeint ist aber: Glück bedingt (d. h. ist nicht denkbar ohne) Leistungsfähigkeit – die Zulassung zur Fakultät bedingte (d. h. war nicht zu erlangen ohne) den Magistergrad.

Man übertreibt nicht, wenn man den gegenwärtigen Gebrauch von bedingen etwa so bezeichnet: wenn der Deutsche eine dunkle Ahnung davon hat, daß zwei Dinge in irgendeinem ursächlichen Zusammenhange stehen, aber weder Neigung noch Fähigkeit, sich und andern diesen Zusammenhang klarzumachen, so sagt er: das eine Ding bedingt das andre. In welcher Reihenfolge er dabei die Dinge nennt, ober sagt: Kraft bedingt Wärme oder: Wärme bedingt Kraft, ist ganz gleichgiltig; der Leser wird sich schon irgend etwas dabei denken.

Soll man sich denn aber nicht darüber freuen, daß dieses Wort eine so bewundernswürdige Verwandlungsfähigkeit erlangt hat? Wenn es vor fünfzig Jahren, wie die Wörterbücher zeigen, nur einen kleinen Bruchteil der zahlreichen Bedeutungen hatte, die es heute hat, so ist das doch ein Beweis für die wunderbare Triebkraft, die noch in unsrer Sprache lebt. Aus einem einzigen Wort entfaltet sie noch jetzt einen solchen Reichtum! – Die Sache ist doch wohl anders anzusehen. Wenn zwanzig sinn- und lebensvolle Wörter und Wendungen, die zur Verfügung stehen, und die die feinste Schattierung des Gedankens ermöglichen, verschmäht werden einem hohlen, ausgeblasnen Wortbalg wie diesem bedingen zuliebe, so ist das weder Reichtum noch Triebkraft, sondern nur eine alberne Mode und zugleich ein trauriges Zeichen von der zunehmenden Verschwommenheit unsers Denkens.

[S. 402]

Richtigstellen und klarlegen

Höchst merkwürdig ist es, daß man gleichzeitig mit bedingen, diesem abstraktesten aller Zeitwörter, jetzt Ausdrücke mit möglichst sinnlicher, handgreiflicher Bedeutung liebt. Die Fähigkeit, sich etwas vorzustellen (die Phantasie), ist zurückgegangen; alles will man sehen, alles betasten, alles mit Händen greifen. Nur so erklärt sich die außerordentliche Vorliebe für die Zusammensetzungen mit stellen und legen, die jetzt statt früherer Abstrakta Mode geworden sind. Stellen und legen – dazu braucht man keine geistige Anstrengung, das macht man mit den Händen. So wird denn jetzt niemand mehr befriedigt, sondern zufriedengestellt, nichts mehr vollendet, berichtigt, gesichert, geklärt, sondern alles wird fertiggestellt, richtiggestellt, sichergestellt, klargestellt, klargelegt, festgelegt usw. Der Nervenarzt spricht sogar von Ruhigstellung des Gehirns, statt von Beruhigung. Oder soll das Gehirn in dem Sinne ruhig gestellt werden, wie die Suppe warm und der Wein kalt gestellt wird?

Auf den ersten Blick scheint es ja, als ob sich die Wörter durch eine gewisse Anschaulichkeit empföhlen. Bei richtigstellen soll man wohl nicht an die Zeiger der Uhr denken, sondern eher an ein Bild, das falsch beleuchtet gewesen ist und nun in die richtige Beleuchtung gestellt wird, oder an Gerätschaften im Zimmer, die durcheinander geraten sind und wieder auf ihren Platz gestellt werden; ähnlich, kann man sagen, werden Tatsachen, die verschoben sind, zurechtgerückt oder ins rechte Licht gestellt. Das läßt sich hören. Aber was soll fertigstellen sein? Das Wort kann doch vernünftigerweise nichts andres bedeuten, als eine Sache so lange hin und her rücken, so lange an ihr gleichsam herumstellen, bis sie – steht. Das will man aber doch gar nicht sagen, das Wort wird einfach für fertigmachen, beendigen oder vollenden gebraucht; von einem Romanmanuskript, einem Gemälde oder einem Antikenmuseum so gut wie von einem Denkmal oder einem[S. 403] Straßenpflaster heißt es: es ist fertiggestellt.[168] Ganz törichte Wörter sind klarlegen und klarstellen. Klar kann in sinnlicher Bedeutung nur von der Luft und von Flüssigkeiten gebraucht werden.[169] Wie soll man die auf eine feste Unterlage legen oder stellen? Beide Wörter sind gedankenlos gebildet nach freistellen und bloßstellen, freilegen, bloßlegen und lahmlegen. Gerade diese aber können den Unterschied zeigen: wie richtig sind sie gebildet! Wie anschaulich wird gesagt: den Dom freilegen (nämlich durch Wegreißen der Nachbarhäuser), oder: einen Schaden bloßlegen – unwillkürlich denkt man an den Arzt, der Haut und Muskeln auf die Seite legt, bis der verletzte Knochen bloßliegt, oder: einen in seiner Tätigkeit lahmlegen – denn wer gelähmt ist, der ist ja zum Liegen verurteilt! Besser ist festlegen gebildet; man redet z. B. davon, daß die Ostertage festgelegt werden sollen. Bisher hatten wir nur feststellen und festsetzen, aber beides drückt doch das nicht recht aus, was man sagen will: etwas bewegliches gleichsam aufschrauben, daß es sich nicht mehr rühren kann, etwa wie die Pfote eines Hündchens bei der Vivisektion. Gräßliches Bild! Aber man geht vielleicht nicht fehl damit, wenn man nach der Herkunft von festlegen sucht. Das Neueste ist – leerstellen und offenstellen. Ein Leipziger Baubeamter schreibt: den Bewohnern ist schon gekündigt; sowie die Gebäude leergestellt sein werden, sollen sie zum Abbruch gebracht (!) werden. Und ein Zeitungschreiber berichtet: Fabrikbesitzer haben Gärten für ihre Arbeiter geschaffen, aber auch für die übrigen Bewohner offen gestellt. Natürlich, die guten Wörter räumen und öffnen sind den Leuten nicht eingefallen; aber sie haben einmal davon gehört, daß ein Haus leer steht und ein Garten offen steht, da muß man sie doch auch leer stellen[S. 404] und offen stellen können. Und so wird die Stellerei wohl fröhlich weitergehen.

Fort oder weg?

Nichts weiter als eine Modeziererei ist es auch, daß man das Adverbium weg zu verdrängen und überall fort an seine Stelle zu setzen sucht. Die Mode stammt aus dem Niederdeutschen, hat sich zunächst in das Berliner Deutsch eingedrängt und dann von da aus weitergefressen.

Unleugbar gibt es eine Anzahl von Zeitwörtern, bei denen es keinen fühlbaren Unterschied macht, ob sie mit weg oder mit fort zusammengesetzt werden. Aber ebenso sicher gibt es eine Anzahl andrer, bei denen bisher in der Anwendung von weg und fort nicht bloß ein feiner, sondern ein ziemlich grober Unterschied gemacht worden ist, den alle guten Schriftsteller beobachtet haben und noch beobachten. Fort nämlich (verwandt mit vor und vorn) steht in dem Sinne von vorwärts, wobei stets ein bestimmtes Ziel vorschwebt, wenn es auch nicht genannt ist; es wird überdies nicht bloß vom Raume, sondern auch von der Zeit gebraucht. Weg dagegen (dasselbe wie Weg) wird nur räumlich gebraucht und bedeutet: aus dem Wege, auf die Seite, wobei man nicht an ein Ziel, sondern an ein Verschwinden denkt. Wer verreisen will, kann sagen: mein Koffer ist glücklich fort, in einer Stunde fahre ich; es kann aber auch vorkommen, daß er sagen muß: ich kann nicht fahren, mein Koffer ist weg. In einer Volksmasse wird jemand mit fortgerissen, d. h. in die Strömung hinein, auch von Begeisterung wird jemand fortgerissen, z. B. dem hohen Ziele zu, zu dem uns der Künstler führen will; aber eine Mauer, ein Haus, ein Damm wird weggerissen. Wer aus der großen Stadt auf ein einsames Dorf zieht, kommt sich anfangs wie weggesetzt vor, aber nicht wie fortgesetzt. Der Bruder sagt zur Schwester: setze deine Malerei (das Malgerät) jetzt weg, wir wollen Klavier spielen: nach einer Stunde aber: es ist genug, setze deine Malerei (das Malen) nun fort. Wenn ich ein Bild abzeichne, auf dem auch ein Sperling[S. 405] dargestellt ist, so kann ich den Sperling weglassen; wenn ich aber einen lebendigen Sperling in der Hand habe, so kann ich ihn fortlassen. Auf sumpfiger Landstraße kann man schlecht fortkommen, aber bei einem gewagten Geschäft kann man schlecht wegkommen. Von zwei Hunden, die aus einem Napfe saufen sollten, kann ich sagen: der große hat dem kleinen alles weggesoffen; ein bekannter § 11 aber lautet: es wird fortgesoffen. Wie jemand das Bedürfnis nach diesen Unterscheidungen verlieren kann, ist unbegreiflich. Aber die Zahl derer, die sich einbilden, weg sei gemein, fort sei fein, wird immer größer; man sagt nur noch: die beiden letzten Sätze der Symphonie wurden fortgelassen – wo wurden sie denn hingelassen? die Mauern auf der Akropolis sind fortgebrochen worden – wo sind sie denn hingebrochen worden? Sie hatte das Bild fortgeschlossen – der Damm wurde durch Überschwemmung fortgerissen – es ist eine nicht fortzuleugnende (!) Tatsache – ich habe darüber fortgelesen (!) – meine Bleistifte kommen mir immer fort (!) – er hat mir meine Mütze fortgenommen (!) – so ist es richtig Berlinisch, und wer ein feiner Mann sein will, der schwatzt es nach. Vielleicht setzt man sich auch noch über einen schweren Verlust fort oder spricht sich fortwerfend über jemand aus, und in den Berliner Gymnasien singt man vielleicht nächstens in Uhlands Gutem Kameraden: ihn hat es fortjerissen, er liegt mir vor den Füßen.

Schwulst

Daß die Sprachmode wie die Kleidermode auch den Schwulst liebt, ist kein Wunder. Schon die bisherigen Beispiele haben es zum Teil gezeigt, aber es gibt noch viele andre. Auch die Sprache hat ihre Reifröcke, ihre Schinkenärmel, ihre Schleppen; die Sucht, sich möglichst breit auszudrücken, geht durch unsre ganze Schriftsprache. Wo für einen Begriff zwei Wörter zur Verfügung stehen, ein kurzes und ein langes, da wird gewiß das lange vorgezogen. Man schreibt nicht sein, haben, können, kommen, geben, sehen, sondern sich befinden (z. B. in großer Verlegenheit), besitzen, vermögen (die[S. 406] Hälfte der Bevölkerung vermag weder zu lesen noch zu schreiben), gelangen, verleihen (Ausdruck wird immer verliehen, nicht gegeben), erblicken. Und doch, wie unpassend ist das oft! Erblicken z. B. bezeichnet ja den Augenblick, wo ich etwas zu sehen anfange (vgl. S. 355), wo mir etwas ins Auge fällt, mag ich es nun vorher gesucht haben oder nicht: eine Stunde lang hatte ich mich in dem Menschengewühl nach ihm umgesehen, endlich erblickte ich ihn. Aber: ich erblicke darin einen großen Fehler, oder: darin ist ein großer Fortschritt zu erblicken – wie jetzt immer geschrieben wird –, oder: die meisten haben sich verleiten lassen, in dem Märchen eine Verherrlichung des Freimaurertums zu erblicken – ist doch sinnwidrig; denn hier handelt sichs ja um eine dauernde Ansicht, und die kann nur durch das schlichte, einfache sehen ausgedrückt werden.

Zahllos sind die Fälle, wo ein einfaches Verbum ganz unnötigerweise durch eine Redensart umschrieben wird, wie Folge leisten, Verzicht leisten, Abbitte leisten u. ähnl., oder durch eine schleppende Weiterbildung verdrängt wird. Geld wird nicht mehr eingenommen und ausgegeben, sondern nur noch vereinnahmt und verausgabt. Die Kosten einer Sache werden nicht mehr so und so hoch angeschlagen, sondern veranschlagt. Prozente werden nicht abgezogen, sondern verabzugt, Porto wird nicht ausgelegt, sondern verauslagt, und ein kluger, aufgeweckter Junge heißt nicht mehr glücklich angelegt, sondern beanlagt oder veranlagt. Lauter fürchterliche Wörter – aus dem Zeitwort ist ein Hauptwort gebildet, und aus dem Hauptwort dann wieder ein Zeitwort! Freilich sind sie nicht schlimmer als beauftragt, beaufsichtigt (vgl. Aufseher), beansprucht (statt angesprochen), bevorzugt (statt vorgezogen), beeinflußt, bewerkstelligt (man überlege sich einmal, was Werkstelle heißt!), Wörter, an die wir uns längst gewöhnt haben, und die bei ihrem ersten Auftauchen für feinfühligere Ohren gewiß ebenso fürchterlich gewesen sind wie für uns heute vereinnahmt und verauslagt; aber es ist doch gut, sich des Schwulstes bewußt[S. 407] zu werden. Auch in der Häufung der Präfixe und Präpositionen vor den Zeitwörtern können sich manche nicht genug tun. Da wird ein Stipendium nicht ausgezahlt, sondern ausbezahlt, da werden anlangen und betreffen beide zu anbelangen und anbetreffen verlängert, man lebt sich in einen Gedanken hinein (statt ein), man führt ein Musikwerk mit Hinweglassung des Chors auf (statt: ohne Chor), vor allen Dingen aber bildet sich nichts mehr aus, sondern alles bildet sich heraus: schon lange vor Einführung der Buchdruckerkunst hatte sich bei der Kirche die Sitte herausgebildet usw. Woherrraus denn? Der Ausdruck hat etwas so gewaltsames, daß man die Sitte wie aus einem Krater hervorbrodeln sieht. Am Ende werden noch Trinksprüche hinausgebracht und einem ein paar Hiebe hinaufgezählt. Und welcher Schwulst, wenn jedes auch durch ebenfalls oder gleichfalls, jedes viel durch zahlreich, jedes oft durch häufig, jedes nur durch lediglich, jedes viel vor dem Komparativ (viel weniger) durch bedeutend, unvergleichlich, unverhältnismäßig oder womöglich gar unendlich ersetzt, jedes sehr und mehr umschrieben wird durch: in hohem Grade, in ausgedehntem Maße, in höherm Grade, in erhöhtem Maße, jedes so durch: auf diese Art und Weise, wenn für näher, weiter, länger, breiter, öfter immer geschrieben wird: des nähern (oder gar näheren), des weitern, des längern, des breitern, des öftern, oder wenn jemand Bericht erstattet nicht als Rektor oder Vorsitzender, sondern in seiner Eigenschaft als Rektor, in seiner Eigenschaft als Vorsitzender, wenn schwere Bedenken oder Vorwürfe zu schwerwiegenden Bedenken und Vorwürfen, eine schwere Aufgabe zu einer mit Schwierigkeiten verbundnen, eine erste Aufführung und eine erste Einrichtung zu erstmaligen gemacht werden (die erstmalige Zusammenkunft der deutschen Architekten fand 1842 in Leipzig statt),[170] oder wenn immer von[S. 408] Vorahnung, Voranschlag, Vorbedingung, Rückerinnerung, Beihilfe, Herabminderung geredet wird, als ob man Bedingungen auch hinterher stellen, sich an ein Erlebnis auch voraus erinnern oder einen Aufwand hinaufmindern könnte! Wie der Schwulst immer mehr zunimmt, mag folgendes Beispiel zeigen: der Fall ist sehr verwickelt – der Fall liegt sehr verwickelt – der Fall ist sehr verwickelt gelagert – die Lagerung des Falls ist sehr verwickelt – die Lagerung des Falls ist eine sehr verwickelte. Weiter gehts nicht! In solchem Deutsch spricht man aber jetzt mit Vorliebe in Vereinsversammlungen, schreibt man in Jahresberichten, ja man unterhält sich darin schon am Biertisch, denn so schreiben die Leitartikelschreiber und die Reporter des Lokalblatts, und das sind ja die Lehrmeister des Volks auch in Sprachdingen.

Rücksichtnahme und Verzichtleistung

Erzeugnisse des Sprachschwulstes sind unter den Substantiven besonders die Zusammensetzungen mit nahme, die in neuerer Zeit so beliebt geworden sind: Parteinahme, Stellungnahme, Rücksichtnahme, Einsichtnahme, Anteilnahme, Abschriftnahme, sogar Einflußnahme und Rachenahme! Einige dieser Bildungen sind ganz überflüssig. Oder könnte es wirklich mißverstanden werden, wenn jemand sagt: er handelte ohne Rücksicht auf seine Freunde – lege mir die Papiere zur Einsicht vor – ich erhielt von ihm die Tafeln zur Abschrift? Wozu das -nahme? Offenbar soll es die Handlung ausdrücken. Aber die liegt doch schon in Rücksicht, Einsicht und Abschrift, fühlt man das gar nicht mehr? Recht töricht ist Einflußnahme, denn Einfluß hat man entweder, oder man gewinnt ihn, man kann ihn auch zu gewinnen suchen, sich ihn sogar anmaßen, aber man „nimmt“ ihn nicht. Anteilnahme (in Leipzig Ahnteilnahme ausgesprochen) ist nichts als eine häßliche Verbreiterung von Teilnahme. Man scheint sich jetzt einzubilden, Teilnahme sei auf traurige Ereignisse, Unglücksfälle, Todesfälle u. dgl. zu beschränken, in allen andern Fällen müsse[S. 409] es Anteilnahme heißen. Ein vernünftiger Grund zu einer solchen Unterscheidung liegt nicht vor. Es wäre doch lächerlich, wenn nicht auch bei einem freudigen Ereignis meine Teilnahme genügte; Parteinahme und Stellungnahme scheinen auf den ersten Blick unentbehrlich zu sein, aber doch nur deshalb, weil man immer in ein Substantiv zusammenquetschen zu müssen glaubt, was man mit dem Verbum sagen sollte.

Wie mit Rücksichtnahme aber verhält sichs auch mit Hilfeleistung und Verzichtleistung; Hilfe und Verzicht sagen genau dasselbe.

Anders, andersartig und anders geartet

Ein entsetzlicher Schwulst greift neuerdings unter gewissen Eigenschaftswörtern um sich: man fühlt nicht mehr oder tut so, als ob man nicht mehr fühlte, daß diese Eigenschaftswörter eben die Art, die Eigenschaft eines Dinges bezeichnen, sondern glaubt, das noch besonders ausdrücken zu müssen, indem man das Wort Art zu Hilfe nimmt. Bildungen wie gutartig, bösartig und großartig sind ja schon alt und haben mit der Zeit einen Sinn angenommen, der sich von dem einfachen gut, böse und groß unterscheidet, wiewohl zwischen einem bösen Hund und einem bösartigen Hund, einer großen Auffassung und einer großartigen Auffassung ein recht geringer Unterschied ist. Aber schon fremdartig und verschiedenartig ist doch oft nichts als eine überflüssige Verbreiterung von fremd und verschieden. Oder wäre es wirklich nicht mehr deutlich, wenn man sagt: es ist dem innersten Wesen des Deutschen fremd – oder wenn man Gaslicht und elektrisches Licht verschiednes Licht nennt? Vollends unnötiger Schwulst aber ist in den meisten Fällen das neumodische andersartig für anders. Oder ist es etwa nicht mehr zu verstehen, wenn jemand sagt: die Befriedigung, die wir aus der Kunst schöpfen, ist eine ganz andre als die, die uns die Natur gewährt? (Vgl., was S. 370 über eigen und eigenartig gesagt ist.)

Man begnügt sich aber schon nicht mehr mit den Zusammensetzungen von artig – es scheint das noch[S. 410] nicht schwülstig genug zu sein –, sondern hat das herrliche Partizip geartet erfunden und schreibt nun nicht bloß von einer anders gearteten Zeit und anders gearteten Verhältnissen, sondern auch von einer so gearteten Begabung (statt von einer solchen), von ähnlich gearteten Unternehmungen (statt von ähnlichen) usw. Ist der heutige Sextaner anders geartet als der frühere? – man sah der Ausführung zwar mit anders gearteter, aber nicht geringerer Spannung entgegen – wären alle Deutschen Österreichs so geartet wie die Siebenbürger Sachsen – das Schöffengericht hat in einem ganz ähnlich gearteten Falle auf Freisprechung erkannt (vgl. S. 408 den gelagerten Fall!) – mit der besondern Veranlassung war auch eine besonders geartete Zuhörerschaft gegeben – so spreizt man sich, und dabei ist man womöglich noch stolz auf seinen Scharfsinn, der den Unterschied zwischen ähnlich und ähnlich geartet ausgediftelt hat.

Vielleicht erleben wirs noch, daß auch anders geartet nicht mehr genügt, daß man sagt: die Befriedigung, welche (!) wir aus der Kunst schöpfen, ist eine ganz andersartig geartete als diejenige, welche (!) uns die Natur gewährt. Breiter könnte dann der Ausdruck beim besten Willen nicht genudelt werden.

Haben und besitzen

Wohin es führt, wenn man ein kurzes Zeitwort immer gedankenlos und aus bloßer Neigung zur Breite durch ein längeres ersetzt, zeigt am besten der heutige Mißbrauch von besitzen für haben. Auch er ist, wie der Mißbrauch des Zeitworts bedingen (vgl. S. 398), zu völliger Verrücktheit ausgeartet.

Die Grundbedeutung von haben ist halten, in der Hand haben. Aus ihr hat sich dann leicht die des Eigentums, des Besitzes entwickelt, wie sie deutlich in Habe vorliegt. Aber damit ist die Anwendung des Wortes nicht erschöpft: mit haben läßt sich fast jeder denkbare Zusammenhang, jedes denkbare Verhältnis zwischen zwei Dingen ausdrücken. Besitzen dagegen bedeutet ursprünglich auf etwas sitzen. Das erste,[S. 411] was der Mensch „besaß“, war unzweifelhaft der Grund und Boden, auf dem er saß. Noch im siebzehnten Jahrhundert „besaß“ der Richter die Bank, der Reiter das Pferd, die brütende Henne die Eier. Vom Grund und Boden ist das Wort dann auf andre Dinge übertragen worden, die unser Eigentum sind, vor allem auf das Haus, das auf dem Grund und Boden errichtet ist – auch dieses „besitzt“ man noch im eigentlichen Sinne des Wortes, man sitzt darin, man ist Insasse des Hauses –, dann auch auf alle fahrende Habe, auf allen Hausrat und endlich auf das liebe Geld. Damit ist aber die sinngemäße Anwendung des Wortes erschöpft.

Bedenklich ist es schon, Kinder als Besitztum der Eltern zu bezeichnen: er besaß vier Kinder, zwei Söhne und zwei Töchter. Eltern haben Kinder, aber sie besitzen sie nicht. Dasselbe gilt von dem Verhältnis des Herrn zum Diener, des Herrschers zu den Untertanen, des Freundes zum Freunde. Es ist abgeschmackt, zu schreiben: er hatte viele sympathische Züge, und doch besaß er keinen Freund. Wer die Abgeschmacktheit nicht fühlen sollte, der kehre sich die Verhältnisse um; wenn Eltern Kinder, ein Herrscher Untertanen „besitzt“, dann „besitzen“ auch Kinder Eltern und Untertanen einen Herrscher. In der Tat schrickt man auch vor solchem Unsinn schon nicht mehr zurück; man schreibt: er besaß Eltern, die töricht genug gewesen waren, in seinen Kinderjahren die Keime der Genußsucht in seinem Herzen zu pflegen – Tycho Brahe besaß auch entfernte Verwandte in Schweden – wir besitzen in unsrer Verwandtschaft einen berühmten Astronomen – Preußen besitzt in den Hohenzollern ein Herrschergeschlecht, um das es jedes andre Land beneiden kann. Ist das richtig, dann kann man schließlich auch einen Onkel, einen Großvater, einen Gönner, einen Widersacher „besitzen“, eine Stadt kann einen Bürgermeister, eine Kompagnie einen Hauptmann „besitzen“.[171]

Ebenso bedenklich ist es, einen Teil unsers eignen Selbst, also entweder den Körper oder den Geist oder[S. 412] einen Teil des Körpers als unser Besitztum zu bezeichnen und zu schreiben: er besaß einen kräftigen, wohlgebauten Körper – sie besaß eine feine, schmale, wohlgepflegte Hand (in Romanen sehr beliebt!) – ein Kind, das ganz normal entwickelt ist, aber leider keine Augen besitzt – ich habe dir treu gedient, ohne daß du ein Auge dafür besaßest – er besaß ein Ohr für den Pulsschlag der Zeit – die Soldaten möchten bedenken, daß die Schwarzen auch ein Herz besäßen. Derselbe Fall ist es, wenn Bestandteile einer Sache als Besitztum der Sache bezeichnet werden, z. B.: die Peterskirche besitzt eine Menge kleiner Türmchen – der Turm besitzt auf jeder Seite eine Uhr – das Stück besitzt fünf Akte – das Werk besitzt über 100 Abbildungen – die spanisch-maurischen Fayencen besaßen eine Zinnglasur – das Buschweidenröschen besitzt einen unterirdischen wurzelartigen Stengel – diese Schaftstiefel besitzen Doppelsohlen, oben von Leder, unten von Blech – wir reden von Fensterscheiben, die doch meist vier Ecken besitzen.

Unzählig aber sind nun die Fälle, wo gar äußere oder innere Eigenschaften einer Person oder Sache, Zustände, Empfindungen, Geistestätigkeiten und ähnliches unsinnigerweise als Besitztum der Person oder Sache hingestellt werden. Da schreibt man z. B: dieser Orden wird auch an solche Leute verliehen, die keinen Hofrang besitzen – er besaß eine auskömmliche Stellung – Herr R. besaß damals ein Engagement in Leipzig – so wenig wird man begriffen, wenn man die Eigenschaften des Künstlers besitzt – K. besitzt dazu weder das reife, ruhige Urteil, noch die nötige Sachlichkeit, ja auch die nötige Wahrheitsliebe – unsre Juden besitzen nicht die Feinheit der Empfindung, vor dieser deutlichen Ablehnung zurückzutreten – einige Tanzweisen der nordischen Völker besitzen mit denen der alten Deutschen große Ähnlichkeit – der hochgeehrte Rat wolle die Güte besitzen, unser Gesuch wohlwollend in Erwägung zu ziehen – das moderne Theater besitzt einen ganz bestimmten Charakter – entscheidend ist die Frage, ob die bedeutendern Künstler[S. 413] diese Kennzeichen des Klassizismus besitzen oder nicht – die Bedeutung, die in der Entwicklung Englands die normannische Eroberung besitzt – die Reise des Kaisers nach London scheint eine politische Bedeutung zu besitzen – fast alle englischen Offiziere besitzen Spitznamen – beide Bauten besitzen einen langgestreckten, rechteckigen Grundriß – diese epochemachende Camera besitzt folgende Einrichtung – der Mann besitzt die stattliche Größe von 2,26 Metern – die Passage besitzt eine Länge von dreiundvierzig Metern – die Zigarre besitzt einen schönen, angenehmen Brand – dieser Fleischextrakt besitzt den Wohlgeschmack des frischen Fleisches – diese Sprachen besaßen nur die Stellung von Mundarten – man muß sich bewußt bleiben, daß diese Unterscheidung keinen theoretischen, sondern nur einen praktischen Wert besitzt – der Name dieses Künstlers besitzt für uns alle einen vertrauten Klang – das Genie besitzt eine Verwandtschaft mit dem Wahnsinn – priesterlicher Gesang kann nicht die Töne besitzen, aus denen das leise Erzittern des frommen Herzens spricht – für die moderne Revolution besitzen Dichter und Denker kaum eine geringere Bedeutung als die Männer der Tat – man besitzt in Preußen volles Verständnis für den sächsischen Standpunkt – wir besitzen an einer Vermehrung der Streitkräfte unsrer Nachbarn nicht das geringste Interesse – die Landstreicher zerfallen (!) in solche, deren Streben darauf gerichtet ist, bald wieder Arbeit zu finden, und solche, die dieses Streben nicht besitzen – die meisten Menschen besitzen den sehnlichen Wunsch, möglichst lange zu leben – die Behörden besaßen keine Ahnung von den ihnen obliegenden Pflichten – wer mit dem Volksleben nicht die geringste persönliche Fühlung besitzt – er besaß die moralische Überzeugung von ihrer Unschuld – er hatte die Kühnheit, eine eigne Meinung zu besitzen (warum nicht auch: er besaß die Kühnheit?) – zu dem praktischen Blick seiner Mutter besaß er unbedingtes Vertrauen – die Neuberin besaß jedenfalls mehr Begeisterung für die Kunst als Pollini – jeder Preuße,[S. 414] der die Befähigung zu den Gemeindewahlen besitzt – die Erde besitzt Raum genug für den Wettkampf der zwei germanischen Völker (Schiller: Raum für alle hat die Erde!) – Leute, die gern Konjekturen machen, besitzen hier ein ergiebiges Arbeitsfeld – wir besitzen hier einen zuverlässigen Ausgangspunkt – nun erst besaßen die Künstler den Malgrund, auf dem sie bequem arbeiten konnten – da er keine Beweise vorgebracht hat, muß man annehmen, daß er keine Beweise besaß – gegen die Diphtheritis besitzen die Naturärzte eine Behandlung von ausgezeichnetem Heilerfolg – der Entschlafne besitzt ein volles Anrecht darauf, daß wir ihn durch Worte dankbarer Erinnerung ehren – die Fortbildungsschüler müssen noch eine Menge Dinge lernen, in denen sie schon Übung besitzen sollten – das Konsistorium wird hoffentlich die Konsequenz besitzen (so konsequent sein!), ebenfalls aus dem Amte zu scheiden – es traten Persönlichkeiten auf, die zum Klagen nicht den geringsten Grund besaßen. In Leipzig kann man sogar schon auf der Straße hören: Nee, so ’ne Frechheet zu besitzen!

Ein Recht auf eine Sache kann gewiß unter Umständen als eine Art wertvollen Besitztums aufgefaßt werden. Dasselbe gilt von Kenntnissen und Fertigkeiten. Aber das meinen doch die gar nicht, die gedankenlos so etwas hinschreiben, wie daß der Entschlafne (!) ein Anrecht auf dankbare Erinnerung „besitze“. Haben kann auch ein Entschlafner noch alles mögliche, besitzen kann er schlechterdings nichts mehr. Aber auch der Lebende kann alle die andern schönen Dinge, wie Begeisterung, Streben, Interesse, Verständnis, Vertrauen, Kühnheit, „Frechheet“, wohl haben, aber nicht besitzen. Güte haben ist ja nur eine verbreiternde Umschreibung von gut sein, Ähnlichkeit haben eine Umschreibung von ähnlich sein. Das sind aber Eigenschaften, keine Besitztümer.

Vollends lächerlich ist es, wenn Eigenschaften oder Zustände, die einen Schaden oder Mangel bilden, als Besitztümer bezeichnet werden. Und doch wird auch geschrieben: das Leiden, das er besaß, war eine Blasenfistel[S. 415] – beim Verhör stellte sich heraus, daß er eine tiefe Wunde am Jochbein sowie eine Schußwunde oberhalb der Herzgegend besaß. Ja sogar Schulden werden als Besitztum hingestellt: das Reich und die Einzelstaaten besitzen gegenwärtig etwas über zehn Milliarden Staatsschulden. Nettes Besitztum!

Aber auch das bloße Dasein, Vorhandensein, Bestehen einer Sache an irgendeinem Orte, in einem bestimmten örtlichen Umkreis oder sonstigen Bereich läßt sich wohl mit haben ausdrücken, aber nicht mit besitzen. In Leipzig sind sechs Bahnhöfe, oder: in Leipzig gibt es sechs Bahnhöfe – dafür kann man auch sagen: Leipzig hat sechs Bahnhöfe. Aber zu schreiben: Leipzig besitzt sechs Bahnhöfe – ist Unsinn. Leipzig besitzt eine Anzahl Waldungen, Rittergüter, auch öffentliche Gebäude, aber seine sechs Bahnhöfe hat es nur. Auf die Spitze getrieben erscheint der Unsinn, wenn die Angabe des Ortes wegfällt und nur gesagt werden soll, daß eine Sache überhaupt da sei. Anstatt: es ist das die älteste Nachricht, die es hierüber gibt – kann man auch sagen: es ist das die älteste Nachricht, die wir hierüber haben, wir, nämlich alle, die sich mit der Sache beschäftigen. Welch törichtes Gespreiz aber, dafür zu schreiben: es ist das die älteste Nachricht, die wir darüber besitzen – Weltrichs Buch ist die beste wissenschaftliche Biographie Schillers, die wir besitzen – Minors Kommentar bedeutet (!) das Beste, was wir bis jetzt über den Faust besitzen.

Die Neigung, besitzen zu schreiben, wo haben gemeint ist, ist freilich nicht von heute und gestern, sie findet sich schon im achtzehnten Jahrhundert. Man denke nur an die Worte des Schülers im Faust:

Denn was man schwarz auf weiß besitzt,
Kann man getrost nach Hause tragen,

oder an den Goethischen Spruch:

Wer Wissenschaft und Kunst besitzt,
Hat auch Religion;
Wer jene beiden nicht besitzt,
Der habe Religion.

[S. 416]

Sieht man sich aber die Stellen, wo so geschrieben ist, näher an, so sieht man, daß es meist mit Absicht geschehen ist, weil eben die Sache, um die sichs handelt, als eine Art von Besitztum hingestellt werden soll, oder es ist der Abwechslung, des Reims, des Rhythmus wegen geschehen.[172] Zur gedankenlosen Mode ist es erst in unsrer Zeit ausgeartet. Nun hat es aber auch so um sich gegriffen, daß man auf alles gefaßt sein muß. Es ist gar nicht undenkbar, daß wir noch dahin kommen, daß einer auch Recht oder Unrecht, Glück oder Unglück besitzt, eine Pflicht oder Verpflichtung besitzt, Zeit zu einer Arbeit, Lust zu einer Reise besitzt, Hunger oder Durst besitzt, schlechte Laune besitzt, das Scharlachfieber besitzt, einen Floh besitzt usw.

Verbalsurrogate

Zum Sprachschwulst gehört auch die immer weiter fressende, kaum noch irgendeinen Tätigkeitsbegriff verschonende Umschreibung einfacher Zeitwörter durch ziehen und bringen im Aktiv, gezogen oder gebracht werden, kommen, gelangen und finden im Passiv. Nichts wird mehr erwogen, überlegt, erörtert, betrachtet, berücksichtigt, sondern alles wird in Erwägung, in Überlegung, in Erörterung, in Betracht, in Berücksichtigung gezogen. Nichts wird mehr vorgelegt, vorgetragen, aufgeführt, dargestellt, wiederhergestellt, ausgeführt, durchgeführt, angeregt, angerechnet, vorgeschlagen, angezeigt, verkauft, verteilt, versandt, ausgegeben, angewandt, erledigt, entschieden, erfüllt, sondern alles wird zur Vorlage gebracht, zum Vortrag gebracht, zur Aufführung oder zur Darstellung gebracht, zur Ausführung oder zur Durchführung gebracht, in Anregung, in Anrechnung, in Vorschlag gebracht, zur Anzeige, zum Verkauf, zur Verteilung, zur Versendung gebracht, zur Ausgabe, zur Anwendung, zur Erledigung, zur Entscheidung, zur Erfüllung[S. 417] gebracht, oder es kommt oder gelangt zum Vortrag, zur Aufführung, zur Wiederherstellung, in Vorschlag, zur Anzeige, es findet Anwendung, Erledigung. Ein Personenzug kommt zur Ablassung, ein Buch gelangt zum Druck, und dann gelangt es zur Ausgabe, das Kommißbrot gelangt zum Verzehr (!). Eine Bürgermeisterstelle wird nicht ausgeschrieben, sondern zur Ausschreibung gebracht; selbst von Häusern, die infolge einer Überschwemmung eingestürzt sind, heißt es, sie seien zum Einsturz gebracht worden. Die Train-Depot-Offiziere fallen nicht weg, sondern sie gelangen zum Fortfall (!). Grund und Boden gelangt zur Aufforstung, alte Schiffe gelangen zur Außerdienststellung, Rinder und Schweine gelangen zur Schlachtung, eine Stadtkassenrechnung gelangt bei den Stadtverordneten zur Richtigsprechung, ja sogar eine Ratsvorlage zur Ablehnung (als ob es Ziel und Bestimmung der Ratsvorlagen wäre, abgelehnt zu werden), und wenn die Straßenbahndirektion ihren Fahrpreis herabsetzt, so macht sie bekannt: Wir bringen hiermit zur Kenntnis, daß der seither giltige Fahrpreis von 15 Pfennigen in Wegfall kommt und der neue Tarifsatz von 10 Pfennigen zur Erhebung gelangt.

Zum Schwulst gesellt sich aber hier noch etwas andres: die höchst bedenkliche Neigung, den Verbalreichtum der Sprache gleichsam auf ein paar Formeln abzuziehen, die alles Flektieren überflüssig machen. Wer von diesen sechs oder sieben Verbalsurrogaten glücklich noch ein Tempus und einen Modus bilden kann, der braucht sich nicht mehr mit Ablautreihen und schwankenden Konjunktivformen zu plagen. Wie sich das Französische für das Futurum ein Surrogat geschaffen hat in seinem avoir mit dem Infinitiv, wie das Deutsche auf dem besten Wege ist, sich für den Konjunktiv des Imperfekts ein Surrogat zu schaffen in würde mit dem Infinitiv, so ersetzen wir vielleicht in hundert Jahren das Verbum überhaupt durch bringen und gelangen mit einem Substantiv und sagen: propono, ich bringe in Vorschlag – proponor, ich komme in Vorschlag.

[S. 418]

Vermittelst, mit Zuhilfenahme von

Unrettbar dem Schwulst verfallen sind unsre Präpositionen. Als Präpositionen gebrauchte man früher eine Menge kleiner Wörtchen, die aus zwei, drei, vier Buchstaben bestanden. In unsern Grammatiken findet man sie auch jetzt noch verzeichnet, dieses lustige kleine Gesindel: in, an, zu, aus, von, auf, mit, bei, vor, nach, durch usw.; in unserm Amts- und Zeitungsdeutsch aber fristen sie nur noch ein kümmerliches Dasein, da sind sie verdrängt und werden immer mehr verdrängt durch schwerfällige, schleppende Ungetüme wie: betreffs, behufs, zwecks, seitens, angesichts, mittelst, vermittelst, vermöge, bezüglich, hinsichtlich, rücksichtlich, einschließlich, ausschließlich, anläßlich, gelegentlich, inhaltlich, ausweislich, antwortlich, abzüglich, zuzüglich, zusätzlich, vorbehältlich usw. Wie lange wird es dauern, so wird in unsern Grammatiken auch der Abschnitt über die Präpositionen vollständig umgestaltet werden müssen; alle diese Ungetüme werden als unsre eigentlichen Präpositionen verzeichnet, die alten, wirklichen Präpositionen in die Sprachgeschichte verwiesen werden müssen.

Früher wurde einer, der mit einem Messer gestochen worden war, mit einer Droschke ins Krankenhaus gebracht; so wird auch heute noch – gesagt. In der Zeitung geschieht es aber nur noch vermittelst eines Messers und vermittelst einer Droschke. Ein herrliches Wort, dieses vermittelst! Dem Anschein nach eine Superlativbildung, aber wovon? Ein Adjektivum vermittel gibt es nicht, nur ein Zeitwort vermitteln. Daran ist aber doch bei vermittelst nicht zu denken. Offenbar ist das Wort in schauderhafter Weise verdorben aus mittels,[173] dem Genitiv von Mittel, der in ähnlicher Weise zur Präposition gepreßt worden ist wie behufs und betreffs, zu denen sich neuerdings noch zwecks, mangels und namens gesellt haben – lauter[S. 419] herrliche Erfindungen.[174] Das Zwischenglied wäre dann mittelst, das es ja auch gibt; fürstliche Personen reisen stets mittelst Sonderzugs, und ein „Etablissement“, das früher mit oder durch Gas erleuchtet wurde, wird jetzt natürlich mittelst Elektrizität erleuchtet, Handelsartikel, die früher mit der Hand hergestellt wurden, werden jetzt mittelst Maschinen gewonnen; ja es kommt sogar vor, daß ausgediente Mannschaften mittelst Musik auf den Bahnhof gebracht werden!

Daß zu unter anderm auch den Zweck bezeichnet, ist dem Beamten und dem Zeitungschreiber gänzlich unbekannt. Früher verstand man es sehr gut, wenn einer sagte: er ist der Polizeibehörde zur Einsperrung überwiesen worden – die Nummern sind zur Registrierung beigefügt; jetzt heißt es nur noch: behufs oder noch lieber zwecks Einsperrung, zwecks (oder zum Zwecke) der Registrierung, zwecks Feststellung der Krankenkassenbeiträge, zwecks Stellungnahme usw. Behufs Bildung einer Berufsgenossenschaft – behufs Wahrung des Prestiges der italienischen Flagge – ein Bündnis Englands mit Rußland zwecks Niederhaltung Deutschlands – die Leiche wurde zwecks Verbrennung nach Gotha überführt (!) – die Bank hat zwecks Erweiterung ihrer Räume das Nachbarhaus angekauft – die Schülerinnen sollen zwecks Schonung ihrer Augen acht Tage vom Unterricht dispensiert werden und dann zwecks erneuter Untersuchung sich wieder in der Schule einfinden – so hufst und zweckeckeckst es durch die Spalten unsrer Zeitungen.

Einen Brief fing man früher an: auf dein Schreiben vom 17. teile ich dir mit –; jetzt heißt es nur noch: antwortlich (oder in Beantwortung oder Erwiderung) deines Schreibens (vgl. S. 173). Früher verstand es jedermann, wenn man sagte: nach der Betriebsordnung oder nach den Bestimmungen der Bauordnung,[S. 420] nach dem Standesamtsregister, nach Paragraph 5; das Volk spricht auch heute noch so. In den Bekanntmachungen der Behörden aber heißt es nur: auf Grund der Betriebsordnung, inhaltlich der Bestimmungen der Bauordnung, ausweislich des Standesamtsregisters, und was das Allerschönste ist: in Gemäßheit von Paragraph 5, in Gemäßheit des Beschlusses der Stadtverordneten. Also statt einer einsilbigen Präposition ein so fürchterliches Wort wie Gemäßheit, flankiert von zwei Präpositionen, in und von! Früher sagte man: nach seinen Kräften, bei der herrschenden Verwirrung, durch den billigen Zinsfuß – jetzt heißt es: nach Maßgabe seiner Kräfte, angesichts der herrschenden Verwirrung, vermöge des billigen Zinsfußes. Eine Festschrift erschien früher zum Geburtstag eines Gelehrten, beim Jubiläum eines Rektors, zur Enthüllung eines Denkmals, jetzt nur noch aus Anlaß oder anläßlich des Geburtstags, gelegentlich des Jubiläums, bei Gelegenheit der Enthüllung. Bei dem Auftreten der Influenza hat sich gezeigt – in den Verhandlungen über den Entwurf wurde bemerkt – auf der Weltausstellung in Sydney traten diese Bestrebungen zuerst hervor – versteht das niemand mehr? Es scheint so, denn jetzt heißt es: gelegentlich des Auftretens der Influenza – gelegentlich der über den Entwurf gepflognen (!) Verhandlungen – bei Gelegenheit der Weltausstellung in Sydney. Für wegen wird aus Anlaß gesagt: der Botschafter X hat sich aus Anlaß einer ernsten Erkrankung seiner Gemahlin nach B. begeben. Für über heißt es betreffs oder bezüglich: das letzte Wort betreffs der Expedition ist noch nicht gesprochen – die Mitteilung der Theaterdirektion bezüglich der Neueinstudierung des Don Juan war verfrüht. Früher verstand es jeder, wenn gesagt wurde: mit der heutigen Versammlung sind dieses Jahr zehn Versammlungen gewesen, ohne die heutige neun; jetzt heißt es: einschließlich der heutigen Versammlung, ausschließlich der heutigen Versammlung. Unsre Kaufleute reden sogar davon, was eine Ware zu stehen komme, zuzüglich[S. 421] der Transportkosten, abzüglich der Fracht oder zusätzlich der Differenz, statt: mit den Transportkosten, ohne die Fracht, samt der Differenz, was man doch auch verstehen würde, und ein Verein macht bekannt, daß er den Jahresbeitrag zuzüglich der dadurch entstehenden Kosten durch Postauftrag erheben werde, statt samt oder nebst den Kosten. Ein Betrüger ist mit 10000 Mark entflohen – ist das nicht deutlich? Der Zeitungschreiber sagt: unter Mitnahme von 10000 Mark! Endlich: mit Zuhilfenahme von, unter Zugrundelegung von, in der Richtung nach, in Höhe von, an der Hand von (jetzt sehr beliebt: an der Hand der Statistik), was sind alle diese Wendungen anders als breitspurige Umschreibungen einfacher Präpositionen, zu denen man greift, weil man die Kraft und Wirkung der Präpositionen nicht mehr fühlt oder nicht mehr fühlen will. Ohne Zuhilfenahme von fremdem Material – was heißt das anders als: ohne fremdes Material? Der Staatsanwalt machte an der Hand einer Reihe von Straftaten (!) die Schuld des Angeklagten wahrscheinlich – was heißt das anders als: mit oder an einer Reihe? Ist es nötig, daß in Bekanntmachungen einer Behörde geschrieben wird, daß ein gewisser Unternehmer eine Kaution in Höhe von 1000 Mark zu erlegen habe, daß eine Straße neu gepflastert werden solle in ihrer Ausdehnung von der Straße A bis zur Straße B? Sind wir so schwachsinnig geworden, daß wir eine Kaution von 1000 Mark nicht mehr verstehen, uns bei dem einfachen von – bis keine Strecke mehr vorstellen können? Muß das alles besonders ausgequetscht werden? Rührend ist es, wenn der „Portier“ auf dem Bahnhof ausruft: Abfahrt in der Richtung nach Altenburg, Plauen, Hof, Bamberg, Nürnberg usw. Der Bureaumensch, der das ausgeheckt hat, verdiente zum Geheimen Regierungsrat ernannt zu werden! Er wird es längst sein. Bei einem bloßen nach könnte sich ja ein Reisender beschweren und sagen: Ich wollte nach Gaschwitz, das ist aber nicht mit ausgerufen worden, nun bin ich sitzen geblieben. Aber in der Richtung nach – da kann sich niemand beschweren.

[S. 422]

Seitens

Der größte Greuel aber auf dem Gebiete unsers ganzen heutigen Präpositionenschwulstes ist wohl das Wort seitens; es ist zu einer wahren Krankheit am Leibe unsrer Sprache geworden.

Zunächst ist es schon eine garstige Bildung. In den vierziger und fünfziger Jahren des vorigen Jahrhunderts schrieben die Beamten und Zeitungschreiber beim passiven Verbum mit Vorliebe von Seiten statt des einfachen von (ebenso auf Seiten statt bei). Das war natürlich unnötiger Schwulst, aber es war doch wenigstens richtig, ja man konnte sich sogar über den schwachen Dativ Seiten freuen, den sich heute niemand mehr zu bilden getrauen würde. Mit der Zeit wurde aber doch selbst den Kanzlei- und Zeitungsmenschen dieses ewige von Seiten zu viel. Statt nun das einzig vernünftige zu tun und wieder zu dem einfachen von zurückzukehren, ließ man das von weg und sagte nur noch seiten. Aber das dauerte auch nicht lange. Kaum war die Neubildung fertig, so wurde sie einer abermaligen Umbildung unterzogen, man hängte gedankenlos, verführt durch Genitive wie behufs, betreffs, ein unorganisches s an den schwachen Dativ,[175] und so entstand nun dieses Jammerbild einer Präposition, das heute das Leib- und Lieblingswort unsrer Amts- und Zeitungssprache ist. Sowie man eine Zeitung in die Hand nimmt, das erste Wort, das einem in die Augen fällt, ist: seitens. Die kleinen Pfennignotizen der Lokalreporter fangen gewöhnlich gleich damit an; wenn nicht, dann stehts gewiß auf[S. 423] der zweiten oder dritten Zeile. Da es die Zeitungssprache immer mehr verlernt, ein Ereignis im Aktivum mitzuteilen, da sie mit Vorliebe im Passivum erzählt, sodaß das Objekt zum grammatischen Subjekt und das logische Subjekt zum äußerlichen Agens wird, von beim Passiv ihr aber gänzlich unbekannt geworden ist, so kann sie tatsächlich nicht die kleinste Mitteilung mehr machen ohne seitens. Die Regierung, der Bundesrat, das Ministerium, das Gericht, der Magistrat, die Polizeidirektion, das Stadtverordnetenkollegium – sie alle tun nichts mehr, sondern alles wird getan, alles geschieht, erfolgt, findet statt seitens der Regierung, seitens des Bundesrats, seitens des Ministeriums, seitens des Gerichts, seitens des Magistrats, seitens der Polizeidirektion usw. Dem fortschrittlichen Kandidaten konnte seitens der Gegner nichts nachgesagt werden – die Maschinen können seitens der Interessenten jederzeit besichtigt werden – gegen solche Unart muß endlich einmal mit Ernst vorgegangen werden, seitens der Schule, seitens der Polizei, aber auch seitens des Publikums – es liegt darin etwas verletzendes, auch wenn dies weder seitens des Dichters, noch seitens der Darsteller beabsichtigt sein sollte; das Stück wurde seitens des Publikums einstimmig abgelehnt – anders wird nicht geschrieben. Aber auch bei aktiven Verben heißt es: zahlreiche Klagen sind seitens (!) einflußreicher Personen eingelaufen – seitens des Herrn Polizeipräsidenten ist uns nachstehende Bekanntmachung zugegangen – seitens der Kurie hat man (!) sich noch nicht schlüssig gemacht – seitens der Regierung gibt man (!) sich der bestimmten Hoffnung hin. Und hier wird seitens auch für bei gebraucht: dabei stieß er seitens des Gouverneurs auf große Schwierigkeiten (statt: bei dem Gouverneur!) – wie er denn auch vielfache Anerkennung seitens der wissenschaftlichen Welt (bei der wissenschaftlichen Welt!) gefunden hat – er erfreute sich des größten Vertrauens seitens seines Chefs (bei seinem Chef!) – das Werk wird dadurch an Teilnahme und Gunst seitens der Berliner (bei den Berlinern!) nichts einbüßen. Für den garstigen Gleichklang, der entsteht, wenn hinter[S. 424] seitens nun immer wieder Genitive auf s kommen, für dieses unaufhörliche Gezisch hat der Papiermensch kein Ohr. Will er ja einmal abwechseln, auf das einfache, vernünftige von oder gar auf das Aktivum verfällt er gewiß nicht; dann schreibt er lieber: englischerseits, staatlicherseits, kirchlicherseits, päpstlicherseits, ministeriellerseits, landwirtschaftlicherseits, ja sogar unterrichteterseits oder: regierungsseitig, eisenbahnseitig, gerichtsseitig, prinzipalseitig: die Gehilfenschaft hatte die Frage in ein Gleis gebracht, an dem sich prinzipalseitig nichts aussetzen ließ! Ein Tierarzt macht darauf aufmerksam – die Judenfeinde behaupten – wie simpel! Der Zeitungschreiber sagt: tierärztlicherseits wird darauf aufmerksam gemacht – antisemitischerseits (Sprachrhythmus: Mark) wird behauptet. So klingts vornehm!

Damit ist aber die Anwendung des garstigen Wortes noch nicht erschöpft. Seitens wird nicht nur mit Verben, es wird auch mit Verbalsubstantiven verbunden. Da schreibt man: die Beiträge zur Unfallversicherung seitens der Arbeitsherren – die Vorführung eines Spritzenzugs seitens des Branddirektors – die Behandlung der Frauen seitens der Männer – die Aufnahme des Gesandten seitens des Königs – die Abneigung gegen die Angestellten seitens der Einwohnerschaft – der Übergang über die Parthe seitens der Nordarmee – die allgemeine Benutzung der Lebensversicherung seitens der ärmern Klassen – ein Opfer von 3000 Mark seitens der Stadt – die Besitznahme dieses Küstengebiets seitens der Franzosen – die Unsitte des Trampelns im Theater seitens der Studenten – der schädigende Einfluß der Verletzung der Glaubenspflichten seitens eines Kirchenmitgliedes – das Dementi der Nachricht von der Audienz des Herrn H. beim Kaiser seitens der Konservativen Korrespondenz – Zeitungen wie Bücher sind voll von solchen Verbindungen! Wie soll man sie aber vermeiden? in allen diesen Beispielen ist doch ohne seitens gar nicht auszukommen. Nun, wie ist man denn früher ohne das Wort ausgekommen? Entweder durch vernünftige Wortstellung: die Beiträge der Arbeitsherren[S. 425] zur Unfallversicherung – der Übergang der Nordarmee über die Parthe – ein Opfer der Stadt von 3000 Mark; oder dadurch, daß man Sätze bildete, anstatt, wie es jetzt geschieht, ganze Sätze immer in Substantiva zusammenzuquetschen. Zu einem Zeitwort kann man ein halbes Dutzend näherer Bestimmungen setzen, da hat man immer freie Bahn und kommt leicht vorwärts; sowie man aber das flüssige Zeitwort in das starre Hauptwort verwandelt, verbaut man sich selbst den Weg, und dann werden solche Angstverbindungen fertig wie: mit der Beherrschung von Raum und Kraft seitens der Menschen wäre es zu Ende (statt: die Menschen würden Raum und Kraft nicht mehr beherrschen) – der redliche Erwerb (!) der Kleidungsstücke seitens des Angeklagten ließ sich zum Glück nachweisen (statt: daß er sie redlich erworben hatte).

Nun aber das Tollste: diese Angstverbindungen von Substantiven mit seitens sind den Leuten schon so geläufig geworden, und man ist so vernarrt in das schöne Wort, daß man es auch da anwendet, wo gar keine Nötigung dazu vorliegt, daß man geradezu – den Genitiv damit umschreibt! Man sagt nicht mehr: der Besuch des Publikums, die Anregung des Vorstandes, eine Erklärung des Wirts, die freiwillige Pflichterfüllung eines Einzelnen, sondern: der Besuch seitens des Publikums, die Anregung seitens des Vorstandes, eine Erklärung seitens des Wirts, die freiwillige Pflichterfüllung seitens eines Einzelnen. Überall laufen einem jetzt solche Genitive über den Weg, man braucht nur zuzugreifen: ich wollte damit etwaigen Einreden seitens der Gegner vorbeugen – der glänzende Erfolg, den der Verfasser dem ausgezeichneten Vortrage seitens des Rezitators zu danken hat – ein ähnliches Beispiel einer starken Willkür seitens eines Herausgebers – er wurde die Zielscheibe vieler Angriffe seitens der Klerikalen – ein höherer Gehilfe kann nicht ohne Vertrauen seitens des Handelsherrn angestellt werden – die Frau war wegen fortgesetzter Roheiten seitens ihres Mannes ins Elternhaus zurückgekehrt – der Gesandte hatte die Stirn, zu fragen, ob man denn auch des Friedensbruchs seitens[S. 426] Frankreichs gewiß sei – es fehlt ihm die Anerkennung seitens der Großmächte – das Urteil klingt hart, beruht aber auf sorgfältiger Prüfung seitens eines Unbefangnen – es bedarf nur der Aufforderung seitens eines geeigneten Mannes – sie wählten diese Wohnungen, um sich gegen Überraschungen seitens ihrer Feinde zu sichern – ohne die freundliche Unterstützung seitens zahlreicher Bibliotheksverwaltungen würde es nicht gelungen sein – es trifft ihn die Verachtung seitens seiner Mitmenschen – es kostete große Anstrengungen seitens der bekümmerten Verwandten – an der Tafel fehlte es nicht an herzlichen Reden und Gegenreden seitens der Arbeiter und Prinzipale – der Straßenhandel hat zu Beschwerden seitens der Einwohnerschaft geführt – eine Trauung, bei der es an aufrichtig frommer Gesinnung seitens der Brautleute fehlte. Für einzelne dieser Beispiele scheint es ja einen Schimmer von Entschuldigung zu geben. Das Hauptwort, von dem der Genitiv abhängen würde, ist meist ein Verbalsubstantiv, und da kann der Zweifel entstehen, ob man die Handlung, die es ausdrückt, als aktiv oder als passiv auffassen soll. Der Besuch des Publikums – das könnte ja auch heißen, das Publikum sei besucht worden; der Besuch seitens des Publikums – das ist nicht mißzuverstehen, da hat das Publikum besucht. Angriffe der Klerikalen – da könnte man auch denken, die Klerikalen wären angegriffen worden; Angriffe seitens der Klerikalen – da haben sie natürlich angegriffen. Die Untersuchung des Arztes – da könnte man ja denken, der Arzt wäre untersucht worden; die Untersuchung seitens des Arztes – nun hat der Arzt untersucht. Sollte es aber wirklich Leser geben, die so beschränkt wären, dergleichen mißzuverstehen?

Bez. beziehungsweise bezw.

Ein Juwel unsrer Papiersprache endlich, der Stolz aller Kanzlisten und Reporter, der höchste Triumph der Bildungsphilisterlogik ist das Bindewort bez. oder bezw.

Vor fünfzig Jahren gab es noch im Deutschen das schöne Wort respektive, geschrieben: resp.; man sagte[S. 427] z. B.: der Vater resp. Vormund – der Rektor der Schule, resp. dessen Stellvertreternachlässige, resp. rohe Eltern. Was wollte man mit dem Worte? Warum sagte man nicht: der Vater oder Vormund? Hätte man das nicht verstanden? I nun, der gesunde Menschenverstand des Volks hätte es schon verstanden; aber der große Logiker, der Kanzleimensch, sagte sich: ein Kind kann doch nicht zugleich einen Vater und einen Vormund haben, es kann doch nur entweder einen Vater oder (oder aber! sagte der Kanzleimensch) einen Vormund haben. Dieses Verhältnis kann man nicht mit dem bloßen oder ausdrücken, für dieses feine, bedingte oder: der Vater oder (wenn nämlich das Kind keinen Vater mehr haben sollte!) Vormund gibt es im Deutschen überhaupt kein Wort, das läßt sich nur durch – respektive sagen, dadurch aber auch „voll und ganz“.

Als man nun auch im Kanzleistil den Fremdwörterzopf abzuschneiden anfing, erfand man als Übersetzung von respektive das herrliche Wort beziehentlich oder beziehungsweise: be-zieh-ungs-wei-se! Das war natürlich etwas zu lang, es immer zu schreiben und zu drucken, und so wurde es denn zu bez. „beziehungsweise“ bezw. abgekürzt. Daß das Wörtchen oder auch nur vier Buchstaben hat und dabei ein wirkliches Wort ist, kein bloßer Wortstummel wie bezw., auf diesen naheliegenden Gedanken verfiel merkwürdigerweise niemand. Und doch, was bedeutet in folgenden Beispielen das bezw. anders als oder: in einer Zeit, wo man alles den einzelnen Kreisen bezw. Staaten überließ – alles weitere ist Spezialsache bezw. Aufgabe der spätern Jahre – über den Mord bezw. Raubmord in R. ist noch immer nichts genaues festgestellt – Windschirme mit japanischer Malerei bezw. Stickerei – der Zusammenschluß zu einem genossenschaftlichen bezw. landschaftlichen Kreisverbande – die wieder bezw. neu gewählten Stadtverordneten – ein angebornes bezw. durch Überlieferung geschultes Geschick – die Bänder haben Wert als geschichtliche bezw. kulturgeschichtliche Erinnerungsstücke – nicht benutzte bezw. nicht abgeholte Bücher werden wieder[S. 428] eingestellt – es wird mit dem Kellergeschoß bezw. Erdgeschoß angefangen – zwei Dachstuben von je drei Meter Breite und drei bezw. vier Meter Länge – jede Serie umfaßt 15 bezw. 12 Hefte – die Bemerkung befindet sich in dem Vor- bezw. Nachwort der Ausgabe – W. A. Lippert, welcher flüchtig ist bezw. sich verborgen hält – da die Anstalt nur solche Kinder aufnimmt bezw. behält, die eine Besserung erwarten lassen – wo Jahnsdorf liegt bezw. gelegen hat, ist ungewiß – viele Personen sind außerstande, selbst bei langsamem Gange des Wagens auf- bezw. abzuspringen – jeder Fachmann wird die Schrift beiseite bezw. in den Papierkorb werfen – es ist anziehend, zu sehen, wie sich dieser Kreis im Laufe der Sprachentwicklung verengert bezw. erweitert – die Weigerung der Prinzessin ist hauptsächlich bezw. ausschließlich auf diesen Umstand zurückzuführen. Und in folgenden Beispielen, was bedeutet da bezw. anders als und: ein Haus an der Beethoven- bezw. Rhodestraße – französische Bonnen bezw. Gouvernanten haben seit Jahrhunderten in Deutschland eine Rolle gespielt – zwei Kinder im Alter von fünf bezw. drei Jahren – K. und T. wurden zu viermonatiger bezw. zweimonatiger Gefängnisstrafe verurteilt – später verfaßte er pädagogische bezw. Schulbücher – alle Bestellzettel bezw. Quittungsformulare sind mit Tinte auszufüllen – Anfragen bezw. Anmeldungen sind an den Vorstand des Kunstvereins zu richten – zur Rechten bezw. Linken des Kaisers saßen der Reichskanzler und der Staatssekretär – die Zinsen werden zu Ostern bezw. zu Michaeli bezahlt – großen Einfluß auf die Zahl der Dissertationen bezw. Promotionen über den pekuniären Anforderungen, die die einzelnen Universitäten bezw. Fakultäten stellen – wann die noch übrigen Befestigungsreste der Burg bezw. Stadt entstanden sind, läßt sich nicht mit Sicherheit angeben – der König tritt eine mehrwöchige Reise nach München bezw. Stuttgart an – die Zehnpfennigmarken und die Fünfpfennigmarken sind von roter bezw. grüner Farbe – in A.[S. 429] sind letzte Nacht zwei Personen, ein Maler und ein Strumpfwirker, die in einem Schuppen bezw. einem Stalle nächtigten, erfroren.

Der große Logiker, der so schreibt, denkt natürlich wenn er und gebrauche, so könnte ihn jemand auch so verstehen, als ob „sowohl“ die Zehnpfennigmarken „als auch“ die Fünfpfennigmarken zweifarbig wären, nämlich beide Arten rot und grün, als ob „sowohl“ der Maler „als auch“ der Strumpfwirker in zwei Räumlichkeiten, nämlich gleichzeitig in einem Schuppen und in einem Stalle genächtigt hätte. Solchen Gefahren wird natürlich durch bezw. vorgebeugt; nun weiß man genau, daß die Zehnpfennigmarken rot und die Fünfpfennigmarken grün sind, daß der Maler in einem Schuppen, der Strumpfwirker in einem Stalle genächtigt hat. Maler: Schuppen = Strumpfwirker: Stall – darin liegt die tiefe Bedeutung von bezw.! Ein unübertreffliches Beispiel ist folgender Zeitungssatz: alle Musik- bezw. Trompeterkorps und alle Spielmannszüge bliesen bezw. schlugen den Präsentiermarsch bezw. die Paradepost.

Aber damit ist der große Logiker noch nicht auf dem Gipfel seines Scharfsinns angelangt. Sein schlauestes Gesicht steckt er auf, wenn er schreibt: und (!) bezw. Die Besitzer und bezw. Pächter der Grundstücke werden darauf aufmerksam gemacht – die Eltern und bezw. Erzieher der schulpflichtigen Kinder werden hiermit aufgefordert – ich bitte mir angeben zu wollen, ob diese Ausgabe und beziehungsweise oder (!) andre Ausgaben auf der Bibliothek vorhanden sind usw. Sogar solche Dummheiten werden jetzt geschrieben „und bezw.“ gedruckt, und die, die sie leisten, bilden sich dabei noch ein, sie hätten sich wunder wie fein und scharf ausgedrückt! Leider ist das widerwärtige Wort, das übrigens neuerdings oft mit bezüglich vermengt wird,[176] aus der Papiersprache bereits in die lebendige Sprache eingedrungen. Nicht nur in Sitzungen und Verhandlungen muß man es hören, es ertönt auch immer häufiger[S. 430] auf Kathedern, und da es der Professor gebraucht, gebrauchts natürlich der Student mit, und selbst der Kaufmannsdiener sagt schon am Biertische: Sie erhalten Sonnabend abend beziehentlich (oder bezüglich!) Sonntag früh Nachricht. Schließlich wird noch der Herr Assessor, der für seine Kinder zu Weihnachten Spielzeug eingekauft hat, zur Frau Assessorin sagen: ich habe für Fritz und Mariechen eine Schachtel Soldaten beziehungsweise eine Puppe mitgebracht!

Provinzialismen

Für Provinzialismen ist in der guten Schriftsprache kein Raum, mögen sie stammen, woher sie wollen. Man spricht jetzt viel davon, daß unser Sprachvorrat aus den Mundarten aufgefrischt, verjüngt, bereichert, befruchtet werden könnte. O ja, wenn es mit Maß und Takt geschähe, warum nicht? Überzeugende Proben davon hat man aber noch nicht viel gesehen. Ein böses Mißverständnis wäre es, wenn man jeden beliebigen Provinzialismus für geeignet hielte, unsern Sprachvorrat zu „bereichern“. Meist liegt kein Bedürfnis darnach vor, man legt sich dergleichen aus Eitelkeit zu, um Aufmerksamkeit zu erregen, etwa wie irgend ein Hansnarr zu einem gut bürgerlichen Anzug einen Tiroler Lodenhut mit Hahnenfeder aufsetzt.

Namentlich sind es österreichische Ausdrücke und Wendungen (Austriazismen), die jetzt durch wörtlichen Abdruck aus österreichischen Zeitungen in unsre Schriftsprache hereingeschleppt, dann aber auch nachgebraucht werden.

Für brauchen z. B. sagt der Österreicher benötigen, für benachrichtigen verständigen (jemand verständigen, während sich in gutem Deutsch nur zwei oder mehr untereinander verständigen können); beides kann man jetzt auch in deutschen Zeitungen lesen. In der Studentensprache ist das schöne Wort unterfertigen Mode (statt unterzeichnen); das ist nichts als eine lächerliche, halb(!)-österreichische Bastardbildung. Der Österreicher sagt: der Gefertigte. Das ist dem deutschen Studenten, der sich zuerst damit spreizen wollte, mit dem Unterzeichneten in eine Mischform zusammengeronnen,[S. 431] und seitdem erfüllt fast in allen akademischen Vereinigungen beim „Ableben“ eines Mitgliedes der unterfertigte Schriftführer „die traurige Pflicht, die geehrten a. H. a. H. und a.  o. M. a. o. M. geziemend (!) in Kenntnis zu setzen“.

Unerträglich in gutem Schriftdeutsch ist das süddeutsche gestanden sein und gesessen sein: die Personen, mit denen er in näherm Verkehr gestanden war – es lebten noch Männer, die in der Paulskirche gesessen waren (vgl. S. 59); ganz unerträglich ferner die österreichischen Verbindungen: an etwas vergessen, auf etwas vergessen und auf etwas erinnern: heute schien die Schar ihrer Verehrer auf sie vergessen zu haben – auf die Einzelheiten des Stückes konnte ich nicht mehr erinnern u. ähnl.

Eine ganze Reihe von Eigenheiten hat der Österreicher im Gebrauche der Adverbia. Er sagt: im vorhinein statt von vornherein, rückwärts statt hinten, beiläufig (bailaifig) statt ungefähr (bis zur höchsten Spitze ist es beiläufig 6000 Fuß – dies ist beiläufig der Inhalt des hübschen Buches – der zweite Band erscheint in beiläufig gleicher Stärke), während in gutem Deutsch beiläufig nur bedeutet: nebenbei, im Vorbeigehen (beiläufig will ich bemerken). Für nur noch heißt es in München wie in Wien: nur mehr: z. B. leidenschaftliche Gedichte von nur mehr geschichtlichem Wert – ein Ausspruch, der uns heute nur mehr grotesk anmutet – alle Bemühungen sind jetzt nur mehr darauf gerichtet – auf die Christlich-Sozialen fielen heute nur mehr acht Stimmen usw. Neuerdings, das gut deutsch nichts andres heißt als: in neuerer Zeit (neuerdings ist der Apparat noch wesentlich vervollkommnet worden), wird in Österreich in dem Sinne von wiederum, nochmals, abermals, aufs neue, von neuem gebraucht, z. B.: es kommt mir nicht darauf an, oft gesagtes neuerdings zu wiederholen – er hat mich hierdurch neuerdings zu Dank verpflichtet – eine Reise führte ihn neuerdings mit der Künstlerin zusammen – in diesem Vertrage wird neuerdings die Frage untersucht – es kam eine Schrift zur Verlesung,[S. 432] worin B. neuerdings für seine Überzeugung eintrat – die Geneigtheit der Kurie muß bei jedem Wahlgange neuerdings erkauft werden.[177] Man möchte wirklich annehmen, daß mancher deutsche Zeitungsredakteur von all diesen Gebrauchsunterschieden gar keine Ahnung habe, denn sonst könnte er doch solche Sätze nicht unverändert in seiner Zeitung nachdrucken, er müßte doch jedesmal den Austriazismus erst ins Deutsche übersetzen, damit der deutsche Leser nicht falsch verstehe!

Nichts als ein Provinzialismus, den man aber in neuern Erzählungen oft lesen kann, ist es auch, bei dem reflexiven sich finden mit Angabe einer Richtung (sich nach Hause finden, sich hinfinden, sich zurückfinden, sich zurechtfinden) das sich wegzulassen und zu schreiben: den sichern Boden, zu dem er zurückfand – er konnte nicht nach Hause finden u. dgl.

Eine Schrulle des niedrigen Geschäftsstils ist es, wenn jetzt angezeigt wird, daß Kohlen ab Zwickau oder ab Werke (!) oder ab Bahnhof oder ab Lager zu haben seien, Heu ab Wiese verkauft, Flaschenbier ab Brauerei oder ab Kellerei, Mineralwasser ab Quelle geliefert werde, daß eine Konzertgesellschaft ab Sonntag den 7. Juni auftrete, oder daß eine Wohnung ab 1. Oktober zu vermieten sei. Ab als selbständige Präposition vor Substantiven (vgl. abhanden, d. i. ab Handen) ist schon seit dem siebzehnten Jahrhundert vollständig durch von verdrängt. Nur in Süddeutschland und namentlich in der Schweiz wird es noch gebraucht, dort sagt man noch ab dem Hause, ab dem Lande. Aber was soll uns dieser Provinzialismus? und noch dazu in solcher Stammelform: ab Werke, von der man nicht weiß, ob es der Dativ der Einzahl oder vielleicht gar der Akkusativ der Mehrzahl sein soll? Es ist übrigens doch zweifelhaft, ob die Geschäftsleute, die sich neuerdings damit spreizen, wirklich das alte deutsche ab meinen, und nicht vielmehr das lateinische ab. Zuzutrauen wäre es ihnen, wenigstens wenn man pro Jahr, pro Kopf,[S. 433] per sofort, per bald, per Weihnachten und ähnlichen Unsinn damit vergleicht.[178]

Ein gemeiner Berolinismus, der aber immer mehr um sich greift und schon in Lustspielen von der Bühne herab zu hören ist, ist die Anwendung von bloß für nur in ungeduldigen Fragen und Aufforderungen: Was hat er bloß? Was will er bloß? Komm doch bloß mal her!

Fremdwörter

Auch unsre Fremdwörter sind zum großen Teil Modewörter. Bei dem Kampfe gegen die Fremdwörter, der seit einiger Zeit wieder in Deutschland entbrannt ist, handelt sichs natürlich nicht um die große Zahl zum Teil internationaler technischer Ausdrücke, sondern vor allem um die verhältnismäßig kleine Zahl ganz entbehrlicher Fremdwörter, die namentlich unsre Umgangssprache und die Sprache der Gelehrten, der Beamten, der Geschäftsleute, der Zeitungschreiber entstellen.

Zwar haben sich die Bemühungen der Sprachreiniger auch auf die technischen Ausdrücke einzelner Berufe und Tätigkeitsgebiete erstreckt, wie des Militärs, des Post- und Eisenbahnwesens, des Handels, der Küche, des Spiels, auch einzelner Wissenschaften und Künste, wie der Grammatik, der Mathematik, der Baukunst, der Musik, des Tanzes. Was aber vorgeschlagen worden ist, hat selten Beifall gefunden. Schlimm und verdächtig ist es immer schon, wenn einfache Fremdwörter durch Wortzusammensetzungen verdeutscht werden sollen: einige Beispiele solcher Art sind schon früher angeführt worden (S. 363). Gewöhnlich sind das gar keine Übersetzungen, sondern Umschreibungen oder Begriffserklärungen. So hat man Redakteur und Redaktion durch Schriftleiter und Schriftleitung „übersetzt“, und einzelne Zeitungen und Zeitschriften haben das angenommen[S. 434] (dann auch Geschäftsstelle für Expedition). Diese Verdeutschungen geben nicht entfernt den Begriff des Fremdworts wieder. Unter Schrift kann dreierlei verstanden werden: die Handschrift, ein Schriftstück und die Lettern der Druckerei. An die erste und die dritte Bedeutung ist hier natürlich nicht zu denken, nur die zweite kann gemeint sein. Aufgabe eines Redakteurs ist es, die eingegangnen Schriftstücke auf ihren Inhalt zu prüfen, sie in anständiges Deutsch zu bringen, eine sorgfältige Druckkorrektur zu lesen und den Inhalt der einzelnen Zeitungsnummern zu bestimmen und anzuordnen. Das alles stellen wir uns wohl bei dem Worte Redakteur vor, aber nicht bei dem mühselig ausgeklügelten Worte Schriftleiter. Die Zeitung selbst wird geleitet, aber nicht ihre Schriftstücke. Wenn es damals, als es im Deutschen noch keine Fremdwörter gab, schon Zeitungen gegeben hätte, ich weiß, wie man den Redakteur genannt hätte: Zeitungmeister! Im Eisenbahnverkehr hat man uns die Fahrkarte und das fürchterliche Abteil aufgenötigt (statt Billett und Coupé). Das kurze, leichte Billett war – man spreche es nur deutsch aus! – fast schon zum Lehnwort geworden. In Leipzig hieß schon im sechzehnten Jahrhundert die Kupfermarke, die sich der Brauerbe auf dem Rathause holen mußte, wenn er Bier brauen wollte, Bollet. Was für ein langstieliger Ersatz dafür sind unsre Fahrkarten, Eintrittskarten, Teilnehmerkarten usw.! Und ist etwa Karte ein deutsches Wort? Eine wirkliche Übersetzung von Coupé wäre Fach gewesen, das in dem ältern Deutsch jede Abteilung eines Raums bedeutete, nicht bloß in einem Schrank oder Kasten, sondern auch im Hause (vgl. Dach und Fach). Sogar eine Straße, die in einen Fahrweg, einen Fußweg und einen Reitweg geteilt war, hieß im achtzehnten Jahrhundert eine Straße in drei Fachen. Das Abteil und die Fahrkarte werden sich schwerlich einbürgern. Die Schaffner sind ja dazu verurteilt, die Wörter zu gebrauchen, aber das Publikum gebraucht lachend die Fremdwörter weiter. Etwas ganz komisches – wenigstens nach meinem Gefühl – ist bei der Übersetzung der militärischen Fachausdrücke[S. 435] mit untergelaufen: die Wiedergabe von Terrain durch Gelände. Gelände war früher ein poetisches Wort, und zwar ein Wort der höchsten Poesie. Man denke nur an Schillers Berglied: da tut sich ein lachend Gelände hervor – und vor allem an Goethes herrlichen Spruch: Gottes ist der Orient, Gottes ist der Occident, Nord- und südliches Gelände ruht im Frieden seiner Hände. Einem solchen Wort jetzt in den Manöverberichten der Zeitungen zu begegnen ist doch gar zu komisch. In der Musik möchte man jetzt die Wörter komponieren und Komposition abschaffen, und durch vertonen und Vertonung ersetzen. Gräßliche Geschmacklosigkeit! Von einem vertonten (ver!) Liede kann man doch nur mit Bedauern sprechen, denn das könnte doch nur eins sein, das ungeschickt, falsch, fehlerhaft komponiert, durch die musikalische Zutat verdorben worden wäre (vgl. S. 357). Die Architekten vermeiden jetzt erfreulicherweise das überflüssige Fremdwort Dimension, nur sollten sie es nicht immer durch Abmessung übersetzen, was meist gar keinen Sinn gibt (denn Abmessung bedeutet eine Handlung, keine Eigenschaft!), sondern einfach durch Maß oder – es ganz weglassen. Denn ist ein Gebäude von riesigen Abmessungen etwas andres als ein riesiges Gebäude? Und welcher Schwulst, zu schreiben: der Baumeister ist verpflichtet, Irrtümer im Voranschlag in bescheidnen Abmessungen auftreten zu lassen! Wenn vollends allgemein angenommene und geläufige alte Kunstausdrücke einzelner Wissenschaften „übersetzt“ werden, wie man es den Kindern der Volksschule zuliebe in der Grammatik, auch in der Arithmetik versucht hat, so ist das Ergebnis meist ganz unerfreulich. Wenn man ein Buch oder einen Aufsatz mit solchen Verdeutschungen liest, so hat man immer das unbehagliche Gefühl, als ginge man auf einem Wege, wo aller zwanzig Schritt ein Loch gegraben und ein paar wacklige Bretter darüber gelegt wären.

Am ehesten darf man vielleicht hoffen, daß die Fremdwörter aus der Umgangssprache verschwinden werden, denn hier wirkt fast nur die Mode. Die Fremdwörter unsrer Umgangssprache stammen zum Teil noch aus dem[S. 436] siebzehnten Jahrhundert, andre sind im achtzehnten, noch andre erst in der Franzosenzeit zu Anfange des neunzehnten Jahrhunderts eingedrungen. Aber sie kommen eins nach dem andern wieder aus der Mode. Viele, die vor fünfzig Jahren noch für fein galten, fristen heute nur noch in den untersten Volksschichten ein kümmerliches Dasein! man denke an Madame, Logis, vis-à-vis, peu-à-peu (in Leipzig beeabeeh gesprochen), retour, charmant, mechant, inkommodieren, sich revanchieren und viele andre. In den Befreiungskriegen gab es nur Blessierte; wer hat 1870 noch von Blessierten gesprochen? Wer amüsiert sich noch? anständige Leute nicht mehr; die haben längst wieder angefangen, sich zu vergnügen. Auch existieren, passieren (für geschehen oder begegnen: es ist ein Unglück passiert, mir ist etwas Unangenehmes passiert), sich genieren sind so heruntergekommen, daß man sie anständigerweise kaum noch gebrauchen kann. Vor dreißig Jahren gab es noch vereinzelt Schneidermamsellen; jetzt wird jedes Dienstmädchen in der Markthalle mit Fräulein angeredet, wofür die Bürgerstochter freilich zum gnädigen Fräulein aufgerückt ist. Und wo ist das Parapluie geblieben, das doch auch einmal fein war, und wie fein!

Leider tauchen nur an Stelle veraltender Fremdwörter immer auch wieder neue auf. Wer hat vor dreißig Jahren etwas von Milieu gewußt? Als es aufkam, mußten auch gebildete Leute das Wörterbuch aufschlagen, um sich zu belehren, was eigentlich damit gemeint sei. Und was war es schließlich? Weiter nichts, als was man bis dahin als Hintergrund (einer Handlung, einer Erzählung) bezeichnet hatte. Neue Schiffe werden jetzt nicht mehr nach einem Muster gebaut, sondern nur noch nach einem Typ, ebenso auch schon Automobile und Orgeln. Unsre Frauen und Mädchen tragen keine Kleider oder Anzüge mehr, sondern nur noch Kostüme, die es früher nur auf dem Theater oder auf Maskenbällen gab. Wagen wurden bisher in eine Remise gestellt; die Automobile müssen natürlich etwas besondres haben, sie werden in die Garage gebracht; aber auch[S. 437] das ist nichts weiter als ein Schuppen. Ein neues Eigenschaftswort, das man seit kurzem täglich hört und liest, ist markant: eine markante Erscheinung, ein markanter Unterschied, eine markante Persönlichkeit, die markanteste Linie des Gesichts. Eine feine, leicht auf der Zunge zergehende Schokolade heißt im Französischen chocolat fondant; fondre heißt schmelzen. Was haben die deutschen Fabrikanten daraus gemacht? Fondantschokolade! Warum denn nicht Schmelzschokolade? Wer hat vor dreißig Jahren etwas von chic gewußt? Es ist nichts andres als unser geschickt, das nach Frankreich gegangen und in der Form chic zurückgekehrt ist und nun für fein, hübsch, nett gebraucht wird. Der Plural davon wird von unsern Geschäftsleuten chice geschrieben: chice Hüte, chice Kleider, chice Schuhe, was man wohl schicke aussprechen soll, aber doch nur schitze aussprechen kann (vgl. Vice). Zum Glück ist es neuerdings schon wieder aus der Mode gekommen. Zu einem greulichen Modewort dagegen ist eventuell geworden. Es bedeutet ja: vorkommendenfalls, ferner nötigenfalls oder möglichenfalls, je nachdem, dann immer mehr verblassend: möglicherweise, vielleicht, etwa, wohl und endlich: gar nichts. Es gibt aber eine Menge Leute, die heute kaum noch einen Satz sagen können, worin nicht eventuell vorkäme: wir könnens ja eventuell auch so machen – ich kann eventuell schon um sieben kommen. Wenn man auf der Straße aus der Unterhaltung Vorübergehender zehn Worte aufschnappt, das Wort eventuell ist sicher darunter. Aber auch der Musikschreiber sagt: etwas mehr Fülle des Tons hätte eventuell den Vortrag noch mehr unterstützt; ein Buchhändler schreibt: umstehenden Bestellzettel bitten wir eventuell direkt an die Verlagsbuchhandlung gelangen zu lassen, und Zeitungen schreiben: ein Mensch, der eine Volksschule und eventuell eine höhere Schule besucht hat – der Kreuzer X erhielt Befehl, sich eventuell zur Ausreise (!) bereit zu halten – die Regierung hat alle Maßregeln getroffen, um für einen eventuellen (!) Streik gerüstet zu sein – es war Schutzmannschaft aufgestellt,[S. 438] um einen eventuellen Tumult zu verhüten – der Platz soll zur eventuellen (!) Bebauung liegen bleiben. Fast überall kann man eventuell streichen, und der Sinn bleibt genau derselbe. Eine ganz neue Aufgabe erfüllt das Zeitwort interpretieren. Aus der Sprache der Philologie, wo es immer mehr zurückgegangen ist, ist es in die der Musik- und Theaterschreiber eingedrungen. Eine Rolle auf der Bühne wird nicht mehr gespielt, ein Musikstück nicht vorgetragen, ein Lied nicht gesungen – es wird alles interpretiert: Strauß wird die Lieder selbst dirigieren, Frau B. wird Interpretin sein – der Künstler hat durch die Interpretation dieses Liedes einen Beweis seines hervorragenden Könnens (!) erbracht(!) usw. An Stelle der Sensationen sind neuerdings die Attraktionen getreten, das Konzertprogramm hat man zwar in Vortragsordnung „übersetzt“, aber in dieser „Vortragsordnung“ erscheint nun statt des ehemaligen Potpourris die Selektion, und dafür hat man den guten Theaterzettel in Theaterprogramm verwandelt, wenigstens in Leipzig, wo die Jungen jetzt abends am Theater ausrufen: Deeaderbroogramm gefällig? Kunst- und Kunstgewerbemuseen veranstalten jetzt mit Vorliebe retrospektive Ausstellungen. Wieviele Leute, die in solche Ausstellungen laufen, mögen wissen, was retrospektiv heißt? Ein Friedhof hat in Sachsen seit einiger Zeit keine Leichenhalle mehr, sondern eine Parentationshalle! Wieviel Leute, auch gelehrte Leute, mögen wissen, was parentare und parentatio heißt, wissen, daß das heidnische Begriffe sind, die auf unsre Friedhöfe gar nicht passen?

Ganz widerwärtig ist es, wie unsre Sprache neuerdings mit englischen Sprachbrocken überschüttet wird. Da wird das kleine Kind Baby genannt, und die Bedürfnisse für kleine Kinder kauft man im Babybasar, ja im zoologischen Garten ist sogar ein Elefantenbaby zu sehen! Ein Frauenkleid, das der Schneider gemacht hat, wird als tailor-made bezeichnet, eine Schauspielerin oder Sängerin, die Aufsehen erregt, wird als Star gefeiert, Buchhändler reden von Standard-Werken, unsre Schuhe werden aus Boxcalf gemacht (wenn nicht noch[S. 439] lieber aus Chevreau), an allen Mauern, Wänden und Schaufenstern schreit uns das Wort Sunlight-Seife entgegen, das die Fabrikanten den deutschen Dienstmädchen zuliebe neuerdings sogar in Sunlicht-Seife (!) geändert haben, ein andrer Fabrikant preist seine Safety-Füllfedern an, und an den Anschlagsäulen heißt es, daß in dem oder jenem Tingeltangel fife sisters oder fife brothers auftreten werden. Und dabei rühmt eine bekannte Fabrik von Teegebäck in Hannover, daß ihr Fabrikat der (!) beste Buttercakes sei! Eine deutsche Mutter sollte sich schämen, ihr Kind Baby zu nennen. Was würden unsre guten Freunde, die Engländer, sagen, wenn ein englischer Fabrikant wagen wollte, Sonnenlicht Soap anzupreisen!

Unsre Kanzleisprache hat sich im Laufe eines Jahrhunderts gewaltig gereinigt. Noch 1810 konnte ein deutsches Stadtgericht an das andre schreiben: „Ew. Wohlgeboren werden in subsidium juris et sub oblatione ad reciproca ergebenst ersucht, die anliegende Edictalcitation in Sachen des Kaufmanns R. daselbst loco consueto affigiren zu lassen und selbige effluxo termino cum documentis aff- et refixionis gegen die Gebühr zu remittiren.“ Heute hat sich, wenigstens unter den höhergebildeten Beamten, doch fast allgemein die Einsicht Bahn gebrochen, daß das beste und vornehmste Amtsdeutsch das sei, das die wenigsten Fremdwörter enthält. Nur der kleine Unterbeamte, der Folium und Volumen, Repositorium und Repertorium nicht unterscheiden kann, der eine Empfangsbescheinigung eine Rezepisse nennt und vom Makulatieren der Akten redet, weil er einmal von Makulatur gehört hat, tut sich noch etwas zugute auf ein sub oder ad (das gehört unter sub A, sagt er), auf ein a. c. (anni currentis), ein eodem die, ein s. p. r. (sub petito remissonis), ein cf. pg. (confer paginam) u. dgl.; er fühlt sich gehoben, wenn er solche geheimnisvolle Zeichen in die Akten hineinmalen kann.

Wundern muß man sich, daß die Männer der Wissenschaft, bei denen man doch die größte Einsicht voraussetzen sollte, fast alle noch in dem Wahne befangen sind, daß sie durch Fremdwörter ihrer Sache Glanz und Bedeutung geben könnten. Auf den Universitätskathedern[S. 440] und in der fachwissenschaftlichen Literatur, da steht die Fremdwörterei noch in voller Blüte. Der deutsche Professor glaubt immer noch, daß er sich mit editio princeps, terra incognita, eo ipso, bona fide, Publikation, Argumentation, Modifikation, Akquisition, Kontroverse, Resultat, Analogie, intellektuell, individuell, identisch, irrelevant, adäquat, edieren, dokumentieren, polemisieren, modifizieren, identifizieren, verifizieren vornehmer ausdrücke als mit den entsprechenden deutschen Wörtern. Er fühlt sich wunderlicherweise auch gehoben (wie der kleine Rats- und Gerichtsbeamte), wenn er lexikalisches Material sagt statt Wortschatz, wenn er von heterogenen Elementen, intensiven Impulsen, prägnanten Kontrasten, approximativen Fixierungen oder einer aggressiven Tendenz, einem intellektuellen oder moralischen Defekt, einem Produkt destruktiver Tendenzen redet, wenn er eine Idee ventiliert, statt einen Gedanken zu erörtern, wenn er von einem Produkt der Textilkunst die Provenienz konstatiert, statt von einem Erzeugnis der Weberei die Herkunft nachzuweisen, wenn er schreibt: es kommt fast nie vor, daß gutartige Polypen recidivieren (statt: wiederkehren) – die Autopsie konstatierte die Existenz eines sanguinolent tingierten Serums im Perikardium (statt: bei der Öffnung der Leiche zeigte sich, daß der Herzbeutel blutig gefärbte Flüssigkeit enthielt).[179] Und der Student macht es ihm leider meist gedankenlos nach; die wenigsten haben die geistige Überlegenheit, sich darüber zu erheben. In der Sprache aller Wissenschaften gibt es ja gewisse Freimaurerhändedrücke, an denen sich die Leute von der Zunft erkennen. Wie stolz ist der Student der Kunstgeschichte, wenn er zum erstenmale Cinquecento sagen kann! Zwei Semester lang tut er, als ob er sechzehntes Jahrhundert gar nicht mehr verstünde.[S. 441] Wie stolz ist er, wenn er das Wort konventionell begriffen hat! Mit der größten Verachtung blickt er auf die gesamte Kunst aller Zeiten und Völker herab, denn mit Ausnahme der Kunst der letzten drei Jahre ist ja alles – konventionell. Und wenn er dann sein Dissertatiönchen baut, wie freut es ihn, wenn er alle die schönen vom Katheder aufgeschnappten Wörter und Redensarten darin anbringen kann! Man kennt den Rummel, man ist ja selber einmal so kindisch gewesen. Dabei begegnet es aber auch sehr gelehrten Herren, daß sie die Verneinung von normal frischweg anormal bilden, also das sogenannte Alpha privativum des Griechischen vor ein lateinisches Wort leimen, statt anomal (griechisch!) oder abnorm (lateinisch!) zu sagen. Was ist in der letzten Zeit von anormalem Denken, anormalem Empfinden, anormalen Trieben geschwafelt worden! Es begegnet auch sehr gelehrten Herren, daß sie von Prozent ein Eigenschaftswort prozentuell bilden (als ob centum „nach der vierten“ ginge, einen u-Stamm hätte wie accentus!), statt prozentisch zu sagen, daß sie indifferent schreiben, wo sie undifferenziert meinen u. dgl.

Besonders stolz auf ihre Fremdwörterkenntnis sind gewöhnlich die Herren „Pädagogen“, d. h. die Volksschullehrer, die sich nicht mit dem Seminar begnügt, sondern nachträglich noch ein paar Semester an den Brüsten der Alma mater gesogen haben. Schon daß sie sich immer Pädagogen nennen, ist bezeichnend. Lehrer klingt ihnen nicht wichtig genug. Daß ein Pädagog etwas ganz andres ist als ein Lehrer, daran denken sie gar nicht. Wenn so ein Pädagog einen Vortrag hält oder einen Aufsatz schreibt über die Aufgaben oder vielmehr die Probleme (!) des Unterrichts in der Klippschule, dann regnet es nur so von exakt, theoretisch, empirisch, empiristisch, didaktisch, psychisch, psychologisch, ethisch, Lustrum, Dezennium, Koedukation usw. Aus diesen Kreisen ist dann auch in andre Kreise der Unsinn verpflanzt worden, von Klavier- und Gesangpädagogen zu reden. Wieck, der Vater der Klara Schumann, der bekanntlich in Leipzig Klavierstunden gab, wird stets „der hervorragende Klavierpädagog“[S. 442] genannt. Vielleicht erleben wir auch noch Geigen-, Posaunen- und Fagottpädagogen.

Weniger zu verwundern ist der Massenverbrauch von Fremdwörtern bei den Geschäftsleuten. Sie stecken infolge ihrer Halbbildung am tiefsten in dem Wahne, daß ein Fremdwort stets vornehmer sei als das entsprechende deutsche Wort. Weil auf sie selbst ein Fremdwort einen so gewaltigen Eindruck macht, so meinen sie, es müsse diesen Eindruck auf alle Menschen machen. Ein Kapitel, das von Jahr zu Jahr beschämender für unser Volk wird, bilden die Warennamen, die, wohl meist von den Fabrikanten der Waren oder von ebenso unfähigen Helfern ersonnen, uns täglich in Zeitungen und Wochenblättern anschreien. Namentlich auf dem Gebiete der Arznei- und Toilettenmittel, aber auch auf andern Gebieten, wie dem der Beleuchtungsmittel, der Kraftfahrzeuge, der Musikmaschinen, der photographischen Artikel, der „alkoholfreien“ Getränke usw., wimmelt es davon. Von vernünftigen Sprachgesetzen, nach denen sich doch auch solche Namen bilden ließen, ist gar keine Rede mehr. Die Zeiten, wo ein Chemiker oder ein Techniker, der einen neuen Namen brauchte, einen Philologen zu Rate zog, sind längst vorüber. Jeder Fabrikant hält sich heute für berechtigt und befähigt, solche Namen zu bilden; er nimmt ein paar – Stämme oder Wurzeln, kann man gar nicht sagen, sondern Stammsplitter oder Wurzelfetzen – von irgendwelchen griechischen oder lateinischen Wörtern und leimt sie aneinander, klebt auch vielleicht noch eine der aus der Chemie bekannten oder sonst beliebten Endungen daran (ol, il, it, in usw.), und der Name ist fertig. Man denke nur an Wörter wie Odol, Pektol, Javol, Virisanol, Antirheumol, Pomeril, Frutil, Fortisin, Antinervin, Bioferrin, Hämoglobin, Sanatogen, Kantophon, Solvolith, Photonox, Humidophor, Pianola, nicht zu reden von solchen Albernheiten wie Velotrab, Biomalz, Abrador, Waschifix u. a.[180][S. 443] Die Verrücktheit geht so weit, daß man sogar die Namen der Orte zu Hilfe nimmt, wo die Waren fabriziert werden, und Namen bildet wie Thürpil (Thüringer Pillen!), ja daß man die Anfangsbuchstaben des in der Regel ja sehr breitspurigen Namens der Anstalt oder Fabrik, aus der die Ware hervorgeht, oder anderer beliebiger Wörter zu einem scheinbaren Wort aufreiht, das in Wahrheit nichts als ein bloßer Lauthaufe ist, ja daß man sogar aus ganz beliebigen Lauten solche Lauthaufen bildet! Tet roia aga simi dalli perco aok degea ohno pilo agfi wuk afpi tita maggi oxo ciba pebeco densos – klingt das nicht wie Sprache der Herero oder der Wahehe? Das alles sind deutsche Warennamen! Ein Glück, daß die meisten nur ein kurzes Dasein fristen. Sie flackern zu irgendeiner Zeit plötzlich auf, verlöschen aber bald wieder wie Lämpchen, denen das nötige Öl fehlt. Leider drängen sich aber an die Stelle jedes verschwindenden sofort wieder zwei oder drei neue. Man kann nur hoffen, daß der ganze Blödsinn schließlich einmal an sich selber zugrunde gehen werde.

Eine Menge Fremdwörter schleppen sich in der Zeitungssprache fort. In der Zeit der Befreiungskriege redete man viel von Monarchen; bei Leipzig erinnert noch der Monarchenhügel daran. Heute dient der Monarch nur noch dem Zeitungschreiber zur Abwechselung und als Ersatz für das persönliche Fürwort er, das er sich von einem gekrönten Haupte nicht zu gebrauchen getraut: heute vormittag empfing der Kaiser den Prinzen X; bald darauf stattete der Monarch dem Prinzen einen Gegenbesuch ab – der Katarrh des Kaisers ist noch im Zunehmen begriffen, doch ist das Befinden des Monarchen befriedigend – es steht jetzt fest, daß die angedeutete Besprechung des Königs nicht stattgefunden hat, der Monarch also gar nicht in der Lage gewesen ist, sich zu äußern – der König nahm heute an der Familientafel teil, nach der Tafel besuchte der Monarch die Gartenbauausstellung – der König wurde aufs Rathaus geleitet, wo der Bürgermeister den Monarchen erwartete – Frl. R. überreichte dem König ein Bukett, wofür der Monarch freundlich dankte.[S. 444] Lieblingswörter der Zeitungssprache sind: Individuum, Panik, Affäre, Katastrophe. Wenn ein Kerl einen Mordversuch gemacht hat, heißt er stets ein Individuum. Ein großer Schrecken in einer Volksmasse oder im Theater wird stets als Panik bezeichnet; ob der Zeitungschreiber wohl eine Ahnung davon hat, woher das Wort stammt? Einen großen Unglücksfall nennt er stets eine Katastrophe: da gibt es Eisenbahn-, Schiffs- und Bootskatastrophen, Erdbeben- oder Vulkankatastrophen, Brandkatastrophen, Überschwemmungskatastrophen, Grubenkatastrophen, sogar Unglückskatastrophen! Er redet auch stets von einer Duellaffäre, einer Säbelaffäre, einer Messeraffäre, einer Giftmordaffäre. Einen gemeinen Betrüger bezeichnet er vornehm als Defraudanten. Wenn sich einer in einem Hotel erschießt, so gibt das stets eine Detonation, dann findet man das Projektil, das Motiv der Tat ist aber gewöhnlich unbekannt. Gerade gegenwärtig schwelgen die Zeitungschreiber wieder – im Leitartikel wie im Feuilleton – ärger denn je in Fremdwörtern. Es ist, als ob es ihnen förmlich Spaß machte, die Puristen zu ärgern und ihnen zu zeigen: wir scheren uns den Kuckuck um eure Bestrebungen! Der Kohlenkonsum figuriert bei der Rentabilität als Bagatelle – von solchen Sätzen sind die Zeitungen wieder voll. Es war schon einmal besser geworden.

Könnte man doch nur den Aberglauben loswerden, daß das Fremdwort vornehmer sei als das deutsche Wort, das momentan vornehmer klinge als augenblicklich, transpirieren vornehmer als schwitzen (der Hufschmied bei seiner Arbeit schwitzt bekanntlich, aber der Herr im Ballsaal transpiriert!), professioneller Vagabund vornehmer als gewerbsmäßiger Landstreicher, ein elegant möbliertes Garçonlogis vornehmer als ein fein ausgestattetes Herrenzimmer, konsequent ignorieren vornehmer als beharrlich unbeachtet lassen, daß ein Eleve etwas vornehmeres sei als ein Lehrling (Apotheker, Banken usw. suchen stets Eleven!), ein Collier etwas vornehmeres[S. 445] als ein Halsband oder eine Halskette![181] Schon der Umstand, daß wir für niedrige, gemeine Dinge so oft zum Fremdwort greifen, sollte uns von diesem Aberglauben befreien. Oder wäre perfid, frivol, anonymer Denunziant nicht zehnmal gemeiner als treulos, leichtfertig, ungenannter Ankläger? Und stehen noble Passionen nicht tief unter edeln Leidenschaften? Um etwas niedriges zu bezeichnen, dazu sollte uns das Fremdwort gerade gut genug sein.[182]

Aber auch unklar, verschwommen, vieldeutig sind oft die Fremdwörter. Was wird nicht alles durch konstatieren ausgedrückt! Feststellen, behaupten, erklären, wahrnehmen, beobachten, nachweisen – alles legt man in dieses alberne Wort! Da ist wieder etwas überraschendes zu konstatieren – was heißt das anders als: da macht man wieder eine überraschende Wahrnehmung oder Beobachtung?[183] Was soll intensiv nicht alles bedeuten: groß, stark, lebhaft, heftig, eifrig, kräftig, genau, scharf, straff! Man nutzt die Zeit intensiv aus, lernt ein Volk intensiv kennen, bespricht eine Rechenaufgabe intensiv usw. Was soll direkt nicht alles bedeuten! Bald unmittelbar (die direkte Umgebung von Leipzig, eine Ware wird direkt bezogen, einer ist der direkte Schüler des andern, ein Aufsatz wird unter direkter Beteiligung des Kanzlers geschrieben), bald gleich (sie gingen direkt von der Arbeit ins Wirtshaus), bald dicht oder nahe (der Gasthof liegt direkt am Bahnhof), bald gerade[S. 446] (die Straße führt direkt nach der Ausstellung), bald geradezu (die Verschiedenheit der Darstellung wird als direkt störend empfunden – die Stelle wirkt in dieser Fassung direkt erschütternd – die Dichtung ist in ihrer Art direkt klassisch – die evangelische Kirche ist hier in direkt falschem Licht dargestellt), bald genau (soll ich denn direkt um sieben kommen?), bald wirklich (bist du in Berlin gewesen, direkt in Berlin?), bald nur (Ihre Bibliothek hat also direkt wissenschaftliche Werke?). Eine Berlinerin ist imstande, zu ihrem ungezognen Bengel zu sagen: was hast du da gemacht? das ist direkt ein Fettfleck! oder: wirst du direkt folgen? wirst dus direkt wieder aufheben? Was für ein unklares Wort ist Konsequenz! Bald soll es Folge heißen (die Konsequenzen tragen), bald Folgerung (die Konsequenzen ziehen). Was für ein unklares Wort ist Tendenz! Bald soll es Bestrebung bedeuten, bald Absicht, bald Richtung, bald Neigung. Was für ein unklares Wort ist System! Man spricht von einem philosophischen System und meint eine Lehre oder ein Lehrgebäude, von einem Röhrensystem und meint ein Röhrennetz, von einem Festungssystem und meint einen Festungsgürtel, von einem Achsensystem und meint ein Achsenkreuz, von einem Sternsystem und meint eine Sterngruppe, von einem Verwaltungssystem und meint die Grundsätze der Verwaltung, von einem Sprengwagen System Eckert und meint die Bauweise, ja man kann nicht ein Hemd auf den Leib ziehen, ohne mit einem System in Berührung zu kommen, entweder dem System Prof. Dr. Jäger (!) oder dem System Lahmann oder dem System Kneipp – was mag sich die Verkäuferin im Wolladen unter all diesen Systemen denken? Man sagt: hier fehlt es an System, und meint Ordnung oder Plan, man spricht von systematischem Vorgehen und meint planmäßiges. Dazu wird System fort und fort verwechselt mit Prinzip und mit Methode (auf derselben Seite spricht derselbe Schriftsteller bald von Germanisierungssystem, bald von Germanisierungsmethode). Wie kann man den Reichtum des Deutschen[S. 447] so gegen die Armut des Fremden vertauschen! Das Erstaunlichste von Vieldeutigkeit und infolgedessen völliger Inhaltlosigkeit sind wohl die Wörter Interesse, interessant und interessieren. Vor kurzem hat jemand in einer großen Tabelle alle möglichen Übersetzungen dieser Wörter zusammengestellt. Da zeigte sich, daß es kaum ein deutsches Adjektiv gibt, das nicht durch interessant übersetzt werden könnte! Ein so nichtssagendes „Bummelwort“ sollte doch anständigerweise in keinem Buche und keinem Aufsatze mehr vorkommen.

Aus der Unklarheit, die durch die Fremdwörter großgezogen wird, entspringen dann auch so alberne Verbindungen wie: vorübergehende Passanten, dekorativer Schmuck, neu renovierter Saal, Grundprinzip, Einzelindividuum, Attentatsversuch, defensive Abwehr, numerische Anzahl, gemeinsame Solidarität, charakteristisches Gepräge (in der Kunst und Literaturschreiberei äußerst beliebt!), ausschlaggebendes Moment u. ähnl. Nicht einmal richtig geschrieben werden manche Fremdwörter. Wir Deutschen lassen uns keine Gelegenheit entgehen, über den Fremden zu spotten, der ein deutsches Wort falsch schreibt. Aber machen wir es denn besser? Nicht bloß der kleine Handwerker setzt uns eine Vetterage oder eine Lamperie auf die Rechnung statt einer Vitrage oder eines Lambris, sondern auch der Zeitungschreiber schreibt beharrlich Plebiscit, Diaspora, Atmosphäre (sogar Athmosphäre), Proſelyten statt Plebiſcit, Diaſpora, Atmoſphäre, Proselyten. Wer Griechisch versteht, dem kommt doch Diaspora und Proſelyten so vor, wie wenn einer Schnürstiefel und Halſtuch schriebe! Auf Leipziger Ladenschildern liest man in zehn Fällen kaum einmal richtig Email, überall steht Emaille, ein Wort, das es gar nicht gibt! Drogue und Droguerie werden sogar amtlich in der „neuen Orthographie“ Droge und Drogerie geschrieben, als ob sie wie Loge und Eloge ausgesprochen werden sollten; man ließe sich noch Drogerei gefallen, aber -erie ist doch eine französische Endung! Wie lange wird man noch posthum[S. 448] mit dem törichten h schreiben! Man kann darauf wetten, daß die meisten dabei nicht an postumus, sondern an humus denken. Ganz glücklich sind die Leute, wenn sie in einem Fremdwort ein y anbringen können; gewöhnlich tun sies aber gerade an der falschen Stelle, wie in Sphynx, Syphon, Logogryph usw.

Manche Fremdwörter berauschen die Menschen offenbar durch ihren Klang, wie glorreich (in Leipziger Festreden chlorreich gesprochen), historisch, Material, Element, Moment, Faktor, Charakter, Epoche und die zahlreichen Wörter auf ion. Material wird in ganz abscheulicher Weise gebraucht: man redet nicht bloß von Pferdematerial, sondern auch von Menschenmaterial, Kolonistenmaterial, sogar Referendarmaterial! Streicht man das Material, so bleibt der Sinn derselbe und der Ausdruck verliert zwar seine klangvolle Breite, aber auch seinen ganz unnötig geringschätzigen Nebensinn. Zu den nichtsnutzigsten Klingklangwörtern gehören Element, Moment (das Moment!) und Faktor, sie werden ganz sinnlos mißbraucht. Es sind ja eigentlich lateinische Wörter (elementum, momentum, factor); wenn man aber einen Satz, worin eins von ihnen vorkommt, in wirkliches Latein übersetzen wollte, könnte man meist gar nichts besseres tun, als die Wörter einfach – weglassen. Liberale Elemente, bedenkliche, unzuverlässige, gefährliche Elemente – das ist doch nichts andres als Männer, Menschen, Leute. Glücklicherweise bildeten die anständigen Elemente die Majorität – das heißt doch nichts weiter als: die anständigen Leute bildeten die Mehrheit. Moment wie Faktor aber bedeutet in den meisten Fällen weiter nichts als res, aliquid, und auch mit Element ist es oft nicht anders. Da will einer sagen: trotz aller Erfahrungen im Seekrieg ist der Torpedo noch immer etwas neues. Das drückt er so aus: trotz aller Erfahrungen im Seekrieg ist der Torpedo noch immer ein neues Element oder ein neues Moment oder ein neuer Faktor – nun klingt es! Hier sind drei Momente zu berücksichtigen, oder hier wirken drei Faktoren zusammen – bei Lichte besehen ist es[S. 449] weiter nichts als: dreierlei (tria). Das wichtigste Moment – es ist schlechterdings nichts andres als das Wichtigste. Der Stock hat von jeher Freud und Leid mit den Menschen geteilt: dies Moment findet in der Glocke einen ergreifenden Ausdruck – wenn diejenigen Momente in den Vordergrund gestellt werden, die für die Technik von Wert und Interesse sind – die Feinhörigkeit ist von osteologischen Momenten abhängig – die Studentenauffahrt mit ihren bunten, malerischen Momenten entrollte ein interessantes akademisches (!) Bild – die gestrige Stadtverordnetensitzung bot verschiedne interessante Momente – bei jedem entstehenden Reichtum ist die Arbeit ein mitwirkender Faktor – sind nicht Moment und Faktor hier ganz taube, inhaltleere Wörter? Bisweilen kann man wohl Moment durch Umstand, Tatsache, Zug, Seite wiedergeben, ebenso Faktor bisweilen durch Macht, Kraft, Mittel, aber in den meisten Fällen ist es nichts als: etwas; ein beunruhigendes Moment, ein differenzierendes Moment – es sind doch nur gespreizte wichtigtuerische Umschreibungen von Beunruhigung und Unterschied.[184] Nicht viel anders ist es mit Charakter. Diese Festlichkeiten haben deshalb einen wertvollen und interessanten Charakter – was bedeutet das anders als: sie sind deshalb wertvoll? Die Raumbildung ist der wesentlichste Faktor, der dem Architekten zur Verfügung steht. Daneben ist ein zweiter, sehr wichtiger Faktor, um (!) einem Raum individuellen Charakter zu geben, die Art seiner Beleuchtung. Das dritte Charakterisierungsmoment, das dem Architekten zur Verfügung steht, ist die Farbengebung. In solch albernem Schwulst wird jetzt der einfache Gedanke ausgedrückt: der Architekt wirkt durch drei Mittel: Raum, Licht und Farbe! Historisch (d. h. geschichtlich oder[S. 450] geschichtswissenschaftlich) wird jetzt unsinnigerweise für alt oder altertümlich gebraucht. Man gibt Konzerte mit historischen Blasinstrumenten (zu dumm!), schießt auf der Schützenwiese mit historischen Armbrüsten, bildet Fanfarenbläser in historischer Tracht ab, schwärmt von der alten, historischen Markgrafenstadt Meißen und preist die althistorischen Sehenswürdigkeiten von Augsburg an. Ganz arg ist auch der Mißbrauch, der mit Epoche getrieben wird, namentlich in den Schriften neuerer Geschichtschreiber. Epoche (ἐποχή) bedeutet Haltepunkt, in der Geschichte ein Ereignis, das einen wichtigen Wendepunkt gebildet hat. So brauchen noch unsre Klassiker bisweilen das Wort. Schiller nennt noch ganz richtig die Geburt Christi eine Epoche, das Ereignis selbst, nicht etwa die Zeit des Ereignisses! Die Epoche der Weltliteratur ist an der Zeit – sagte Goethe zu Eckermann. Daher stammt ja auch die Verbindung epochemachend, d. h. einen Wendepunkt bezeichnend. Das Wort ist dann auf die Zeit selbst übertragen worden – worin allerdings schon der alte Goethe erkleckliches geleistet hat –, und heute bezeichnet man jeden beliebigen Zeitabschnitt, klein oder groß, wichtig oder unwichtig, als Epoche. Für Zeit kennen unsre Geschichtschreiber gar kein andres Wort mehr, sie verwechseln es auch fortwährend mit Periode,[185] reden sogar von Zeitepoche, unaufhörlich pochpochpocht es durch ihre Darstellungen! Aber auch die Jahre, in denen ein tüchtiger Rektor eine Schule geleitet hat, werden schon eine der inhaltreichsten Epochen der Schule genannt! Auch Generation hats den Leuten angetan, obwohl es zu den zahlreichen unklaren Fremdwörtern gehört, denn es bedeutet ja Geschlecht und auch Menschenalter; man kann zuweilen geradezu lesen von der Generation, die vor drei Generationen gelebt hat! Aber es klingt, und das ist die Hauptsache. Wenn sich bei einer großen Festtafel nach dem zweiten Gange, wo der Wein schon zu wirken anfängt, einer[S. 451] erhebt, und nachdem er einigemal mit glorreiche Epoche, Moment, Faktor, zielbewußt, unentwegt um sich geworfen hat, schließlich, ehe er „in diesem Sinne“ sein Glas leert, noch einmal donnert: von Generatiooon zu Generatiooon! so muß ja alles auf dem Kopfe stehen vor Entzücken. Von Geschlecht zu Geschlecht – damit tut man keine Wirkung.

Im Grunde ist die Fremdwörterfrage eine Frage der Bildung und des guten Geschmacks. Man könnte mit Rücksicht auf den Gebrauch unnötiger Fremdwörter die Deutschen in drei Bildungsklassen einteilen: die unterste Klasse gebraucht die Fremdwörter falsch, die mittlere gebraucht sie richtig, die oberste gebraucht sie – gar nicht. Daneben gibts natürlich Misch- und Zwischenklassen, aber die Hauptklassen sind doch diese drei.

Der gewöhnliche Mann aus dem Volke weiß in den meisten Fällen gar nicht, daß er Fremdwörter gebraucht. Woher sollte ers auch wissen? In eine fremde Sprache hat er nie hineingeblickt, über seinen Wortschatz macht er sich keine Gedanken, entweder versteht er ein Wort, oder er versteht es nicht – die Fremdwörter versteht er meist nicht; ob die Wörter, die er gebraucht, deutsch sind oder einer fremden Sprache angehören, vermag er nicht zu beurteilen. In Leipzig ist z. B. dem kleinen Handwerker und Krämer, dem untern Beamten, dem Kutscher, dem Packträger, dem Kellner das Wort zurück fast unbekannt. Wenns ers gedruckt liest, versteht ers wohl, aber seinem Wortschatze gehört es nicht an, er kennt nur das Wort reduhr (retour), das ist für ihn deutsch! Er sagt: ich kriege zehn Fennche reduhr – schiebe mal de Karre reduhr – um zehne fahrmer reduhr – Müller is in seinem Jeschäfte redurjekommen (denn auch in Leipzig wird jetzt vielfach jesehen, jekommen gesagt). So gibt es noch eine Menge von Fremdwörtern aus dem täglichen Leben, die er ganz richtig gebraucht, die aber eben für ihn so gut wie deutsche Wörter sind, wie Gongerrenz (Konkurrenz), degerieren (dekorieren), mummendahn, orchinell u. a. Die meisten aber gebraucht er falsch oder halbfalsch: entweder er verdirbt oder verstümmelt ihre[S. 452] Form, oder er wendet sie in falscher Bedeutung an, oder er verwechselt zwei miteinander: er sagt absorbieren, wo er absolvieren meint (meine Tochter hat die höhere Töchterschule absorbiert), er fordert Reduzierung der Arbeitslöhne (statt Regulierung) und erbietet sich, wenn er eine Stelle sucht, Primadifferenzen vorzulegen, spricht von rabiater Geschwindigkeit (statt von rapider) und von der Gefahr, die es hat, wenn ein Schlaganfall repartiert (statt repetiert), verwechselt luxuriös und lukrativ (wir können nicht so lukrativ bauen wie die reichen Leute), versteht intakt als in Takt, gebraucht irritieren in dem Sinne von irre machen, stören, leitet affektiert von Affe ab, bringt überall ein bißchen „französische“ Aussprache an: Orschester, Sanktimeter, Parangthese, Deelephong, Biweh (Büfett!), Serwih (Service), Dabbeldooh und prophezeit von einem neuen Konzertsaal: wenn er ene gute Renässangs (Resonanz) kriegt, kriegt er ooch ene gute Augustik (Akustik).

Nun die mittlere Klasse. Das sind die, die sich so viel Kenntnis fremder Sprachen angeeignet haben, daß sie von einer großen Anzahl von Fremdwörtern die Ableitung, die eigentliche Bedeutung kennen, auf diese Wissenschaft (wenn sie sich mit den unter ihnen stehenden vergleichen, die Gratifikation und Gravitation verwechseln) sehr stolz sind und ihre hohe Bildung nun durch möglichst häufigen Gebrauch von Fremdwörtern an den Tag zu legen suchen. Das ist die gefährliche Klasse. Sie werfen sich in die Brust und meinen, sie hätten wunder was gesagt, wenn sie von lokalem Konsum reden, statt von örtlichem Verbrauch.

Über dieser aber gibt es noch eine dritte Klasse. Es ist ein Zeichen höchster und vornehmster Bildung, wenn man durch die Erlernung fremder Sprachen zugleich seine Muttersprache so hat beherrschen lernen, daß man die fremden Flicken und Lappen entbehren, daß man wirklich deutsch reden kann.

Deko

[S. 453]

Zierband

Alphabetisches Wortregister

Deko

Druck von Carl Marquart in Leipzig


Verlag von KARL J. TRÜBNER in Straßburg.

Walther von der Vogelweide

Von

Rudolf Wustmann


Kl. 8°. V, 103 S. 1912. Mit 3 Tafeln.
Geheftet Währungssymbol: Mark 2.—, gebunden Währungssymbol: Mark 2.40.


Vorwort des Verfassers:

„Dies Büchlein zu schreiben hat mich schon lange gedrängt. Walther von der Vogelweide verdient in unserer allgemeinen Bildung einen besseren Platz, als ihm die meisten deutschen Hoch- und Mittelschulen zuteil werden lassen. Sein Charakterbild steht im großen und ganzen fest, so vieles auch an seinem Lebensbilde noch undeutlich ist. Daß ich nun auch etwas von Walthers Musik mit vorlegen kann, macht mir besondere Freude.“


Shakspere

Fünf Vorlesungen aus dem Nachlaß

von

Bernhard ten Brink

Mit dem Medaillonbildnis des Verfassers in Lichtdruck

Dritte durchgesehene Auflage

Klein 8°. VII, 149 S. 1907. Währungssymbol: Mark 2.—, gebunden Währungssymbol: Mark 2.50.

Deko

Inhalt: Erste Vorlesung: Der Dichter und der Mensch. – Zweite Vorlesung: Die Zeitfolge von Shaksperes Werken. – Dritte Vorlesung: Shakspere als Dramatiker. – Vierte Vorlesung: Shakspere als komischer Dichter. – Fünfte Vorlesung: Shakspere als Tragiker.


Verlag von KARL J. TRÜBNER in Straßburg.

Deutsches
Fremdwörterbuch

Von

Hans Schulz

Privatdozent an der Universität Freiburg i. Br.

Erste bis vierte Lieferung: A-Kampagne

Lex. 8°. je 5 Bogen. Subskriptionspreis für die Lieferung Währungssymbol: Mark 1.50.
Das Werk wird etwa 10 Lieferungen von je 5 Bogen Lex. 8° umfassen.

Das Buch versucht zum ersten Male eine lexikalische Behandlung der in unsere Sprache aufgenommenen Fremdwörter nach den Grundsätzen der modernen Wortforschung. Der Verfasser hat es sich zur Aufgabe gemacht, für jedes Wort die Quelle und die Zeit der Entlehnung zu ermitteln, seinen ursprünglichen Geltungsbereich festzustellen und unter Darlegung des historischen Belegmaterials seine Entwicklung im deutschen Sprachgebrauch zu veranschaulichen. Besonderer Wert wurde darauf gelegt, die lebende und allgemein gebräuchliche Sprache zu fassen und eingehend zu behandeln.

„Das lang ersehnte geschichtliche Fremdwörterbuch tritt endlich in Erscheinung, nicht im Zusammenarbeiten mehrerer, nicht als Ertrag einer langen Lebensarbeit, sondern dank der Tatkraft, dem mutigen Zugreifen eines jugendfrischen Mannes. Schulz will allerdings nicht ein Seitenstück zum Deutschen Wörterbuch bieten, seine Arbeit ist vielmehr auf ein einbändiges Werk berechnet. Es sollen nur die wirklich lebendigen Fremdwörter behandelt werden und nur die, die der allgemein gebräuchlichen Sprache angehören; Veraltetes, wie das große Heer der technischen Ausdrücke, scheidet also aus. Was Schulz innerhalb dieser Grenzen geleistet hat, ist ganz vortrefflich. Auswahl, Anordnung, Darstellung sind durchaus zweckentsprechend und geschickt; musterhafte Knappheit verbindet sich mit großem Reichtum ... Die Ausstattung des Buches ist durchaus erfreulich. Hoffentlich liegt das Ganze recht bald vollendet vor uns.“

Prof. Dr. O. Behaghel im Literaturblatt für germanische und romanische Philologie XXII. Jahrgang 1911, Nr. 1.


Verlag von KARL J. TRÜBNER in Straßburg.

Etymologisches Wörterbuch
der deutschen Sprache

von

Friedrich Kluge

ord. Professor der deutschen Sprache an der Universität Freiburg i. Br.


Siebente verbesserte und vermehrte Auflage


Lex. 8°. XVI, 519 S. 1910. Geheftet Währungssymbol: Mark 9.—, in Leinwand geb. Währungssymbol: Mark 10.20, in Halbfranz geb. Währungssymbol: Mark 11.—.


Kluges Wörterbuch ist im Jahre 1883 erstmals erschienen; es hat also im Jahre 1908 sein 25jähriges Jubiläum feiern können. Der Erfolg der bis jetzt erschienenen sieben Auflagen und die Anerkennung, welche dem Buche zu Teil geworden, haben gezeigt, wie richtig der Gedanke war, die Ergebnisse des anziehendsten und wertvollsten Teiles der wissenschaftlichen Wortforschung, den über die Entstehung und Geschichte der einzelnen Wörter unseres Sprachschatzes, in knapper lexikalischer Darstellung zusammenzufassen.

Der Verfasser hat es sich zur Aufgabe gemacht, Form und Bedeutung jedes Wortes bis zu seiner Quelle zu verfolgen, die Beziehungen zu den klassischen Sprachen in gleichem Maße betonend wie das Verwandtschaftsverhältnis zu den übrigen germanischen und den romanischen Sprachen; auch die entfernteren orientalischen, sowie die keltischen und die slavischen Sprachen sind in allen Fällen herangezogen, wo die Forschung eine sichere Verwandtschaft festzustellen vermag.

Die vorliegende neue Auflage, die auf jeder Seite Besserungen und Zusätze aufweist, hält an dem früheren Programm des Werkes fest, strebt aber wiederum nach einer Vertiefung und Erweiterung der wortgeschichtlichen Probleme und ist auch diesmal bemüht, den neuesten Fortschritten der etymologischen Wortforschung gebührende Rechnung zu tragen. Am besten aber veranschaulichen einige Zahlen die Vervollständigung des Werkes seit seinem ersten Erscheinen: die Zahl der Stichworte hat sich von der ersten zur siebenten Auflage vermehrt im Buchstaben A: von 130 auf 346 (6. Aufl. 280); B: von 378 auf 608 (6. Aufl. 520); D: von 137 auf 238 (6. Aufl. 200); E: von 100 auf 202 (6. Aufl. 160); F: von 236 auf 454 (6. Aufl. 329). Diese Vermehrung ist in gleicher Weise auch bei den übrigen Buchstaben angestrebt worden.


Verlag von KARL J. TRÜBNER in Straßburg.

Wörterbuch-Bibliothek.

Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache. Von Friedrich Kluge, Professor an der Universität Freiburg i. Br. Siebente verbesserte und vermehrte Auflage. Lex. 8°. XVI, 519 S. 1910. Geh. Währungssymbol: Mark 9.—, in Leinw. geb. Währungssymbol: Mark 10.20, in Halbfranz geb. Währungssymbol: Mark 11.—

Deutsches Fremdwörterbuch. Von Hans Schulz, Privatdozent an der Universität Freiburg i. Br. 1.-4. Lieferung: A-Kampagne. Subskriptionspreis für die Lieferung Währungssymbol: Mark 1.50. Das Werk wird etwa 10 Lieferungen von je 5 Bogen Lex. 8°. umfassen.

Wörterbuch der deutschen Kaufmannssprache. Auf geschichtlichen Grundlagen. Mit einer systematischen Einleitung. Von Alfred Schirmer. Lex. 8°. LI, 218 S. 1911. Geh. Währungssymbol: Mark 6.50, geb. Währungssymbol: Mark 7.50

Die deutsche Druckersprache. Von Dr. Heinrich Klenz. 8°. XV, 128 S. 1900. Geh. Währungssymbol: Mark 2.50, geb. Währungssymbol: Mark 3.50

Schlagwörterbuch. Von Otto Ladendorf. 8°. XXIV, 365 S. 1906. Geh. Währungssymbol: Mark 6.—, in Leinwand geb. Währungssymbol: Mark 7.—

Pennälersprache. Entwicklung, Wortschatz und Wörterbuch. Von Rudolf Eilenberger. 8°. VIII, 68 S. 1910. Geh. Währungssymbol: Mark 1.80, in Leinwand geb. Währungssymbol: Mark 2.30

Schelten-Wörterbuch. Die Berufs-, besonders Handwerkerschelten und Verwandtes. Von Dr. Heinrich Klenz. 8°. VIII, 159 S. 1910. Geh. Währungssymbol: Mark 4.—, geb. Währungssymbol: Mark 5.—

Rotwelsch. Quellen und Wortschatz der Gaunersprache und der verwandten Geheimsprachen. Von Friedrich Kluge. I. Rotwelsches Quellenbuch. Gr. 8°. XVI, 495 S. 1901. Währungssymbol: Mark 14.—


Verlag von KARL J. TRÜBNER in Straßburg.

Allgemeine
Bücherkunde
zur neueren deutschen Literaturgeschichte

Von

Robert F. Arnold

a. o. Univ.-Prof., Kustos der k. k. Hofbibliothek in Wien.

8°. XIX, 354 S. 1910.

Geheftet Währungssymbol: Mark 8.—, in Leinwand geb. Währungssymbol: Mark 9.—.

Dieses Werk gehört zu den Büchern, die wirklich einmal eine vorhandene Lücke ausfüllen und den Bestand unserer Hilfsmittel um ein höchst nützliches Glied erweitern. Aus der Praxis erwachsen, ist es auch in besonderem Sinne praktisch gestaltet worden, zumal der Verfasser reiche bibliothekarische Erfahrung mit literarhistorischer Kritik aufs glücklichste vereinigte ... Alles in allem erscheint der Inhalt des Buches so wohlerwogen und so gewissenhaft überprüft, ist die Anordnung und der Druck so klar und übersichtlich, daß es den zu stellenden Anforderungen aufs beste entspricht ... Und wenn der Verfasser die mühevolle Arbeit mit einem Seufzer der Erleichterung beschließt, so mag in das Bewußtsein trösten, durch sein schönes Buch den Nachstrebenden wie den Fachgenossen einen guten Dienst geleistet zu haben.“

Dr. Otto Ladendorf in Zeitschr. f. d. dt. Unterricht, 24. Jahrg., Heft 11.

Für das Gebiet der deutschen Literatur, den bevorzugten Tummelplatz unserer Bibliophilen, liefert der bekannte, als Bibliograph der neueren Theatergeschichte bewährte Wiener Literaturhistoriker und Bibliothekar Arnold eine überaus nützliche Einführung, indem er streng gegliedert die gesamte eingeschlagene Literatur vorführt. Das System ist praktisch und zumal durch das ausführliche Register auch für Laien leicht benutzbar. Für jedes Gebiet wird eine Art historischer Entwicklung an der Hand der älteren Bücher und Zeitschriften gegeben; knappe, sichere Urteile, Anweisungen für den Gebrauch von Sammelwerken und Nachschlagebüchern gewähren namentlich dem Anfänger die nützlichste Unterstützung ...“

Prof. Dr. G. Witkowski in der Zeitschr. f. Bücherfreunde, Januar-Heft 1911.


Verlag von KARL J. TRÜBNER in Straßburg.

Die Renaissance

Historische Szenen

vom

Grafen Gobineau

Deutsch von Ludwig Schemann

Ausgabe letzter Hand mit den aus der Handschrift erstmalig übertragenen

Originaleinleitungen Gobineaus.

8°. LXXXV, 387 S. 1912.


Preis: Geheftet Währungssymbol: Mark 4.—, geb. in Leinwand Währungssymbol: Mark 5.—, in Ganzlederband Währungssymbol: Mark 6.—.


Der Wert und die Bedeutung der neuen Auflage wird besonders dadurch erhöht, daß in ihr zum ersten Male und allein in ihr die Einleitungen, die Gobineau selbst zur Renaissance geschrieben hat, veröffentlicht werden. „Diese Einleitungen, deren Charakter und Bedeutung auf den ersten Blick erhellt, bringen einerseits eine Art Vorgeschichte der Renaissance, eine knappe, lichtvolle kulturgeschichtliche Übersicht über das Mittelalter, als die eigentliche Grundlage und Voraussetzung jener großen Zeit; anderseits aber Einzelcharakteristiken von Personen und Ereignissen, welche die des Hauptwerkes zum Teil zusammenfassen, zum Teil ergänzen und durch neue Züge bereichern; endlich noch einzelne besondere geschichtsphilosophische Ausblicke und Erörterungen. Das Ganze bildet eine schwungvolle Parallele, die der Kulturhistoriker dem Dichter geliefert hat.“


Verlag von KARL J. TRÜBNER in Straßburg.

DAS GESAMTE GEBIET DER NATURWISSENSCHAFTEN IN ZEHN BÄNDCHEN.

Chemie – Physik – Astronomie – Physikalische Geographie – Geologie – Tierkunde – Botanik – Mineralogie – Physiologie – Allgemeine Einführung in die Naturwissenschaften

vereinigt die bekannte von bedeutenden Gelehrten verfaßte Sammlung

Naturwissenschaftliche Elementarbücher.


Ihren durchschlagenden Erfolg haben die Bändchen dieser Serie dem Umstand zu danken, daß hier zum erstenmal die Wissenschaft durch ihre allerersten Vertreter dem Elementar-Unterricht direkt dienstbar gemacht ist; sie wollen „die Schuljugend zur Beobachtung, zum Nachdenken über die alltäglichen Erscheinungen der Außenwelt anleiten und sie so mit der Natur, in der wir wurzeln, vertraut machen. Nie zuvor sind unserer Schule so gediegene Hilfsmittel dargeboten worden, in denen unter der einfachsten und verständlichsten, zugleich das Gemüt erfreuenden Einkleidung die Resultate der Wissenschaften durchblicken“. – Die schöne klare Sprache machen die Bändchen auch in hervorragendem Maße zum Selbststudium und ersten Einführung gut geeignet.

Gute Ausstattung (klarer Druck, weißes starkes Papier). — Zahlreiche gute Abbildungen.

Zierbordüre
Preis pro Bändchen:
in Schulband
Währungssymbol: Mark —.80,
in gediegenem Leinenband
Währungssymbol: Mark 1.—.
Die ganze Serie zusammen:
in Schulband
Währungssymbol: Mark 8.—,
gebunden in Leinen in elegantem Karton
Währungssymbol: Mark 10.—.

Verlag von KARL J. TRÜBNER in Straßburg.

Kurzes Lehrbuch der
Physikalischen Geographie

von

A. Geikie

Professor an der Universität Edinburg.

Autorisierte Deutsche Ausgabe

von

Prof. Dr. Bruno Weigand.

Mit einer Einführung von Prof. Dr. Erich von Drygalski.


Zweite verbesserte und vermehrte Auflage.

Mit 77 Holzschnitten, 5 Vollbildern und 13 Karten.


8°. X, 386 S. 1908.

Geheftet Währungssymbol: Mark 4.50, in Leinwand gebunden Währungssymbol: Mark 5.20.


Inhalt: 1. Die Erde als Planet. – 2. Die Luft. – 3. Das Meer. – 4. Das Festland. – 5. Das Leben.


„... Wer die kleine „physikalische Geographie“ und „Geologie“ Geikies kennt, die als Nr. 4 und 5 der „Naturwissenschaftlichen Elementarbücher“ (im selben Verlage) erschienen sind, der wird mit großer Spannung an Geikies Lehrbuch herantreten. Und diese wächst mit der Lektüre jeder Seite. Denn es spricht ein Meister und ein Künstler der Sprache zu uns. Da ist alles knapp, einfach, klar und präzise ausgedrückt ...“

Blätter für die Fortbildung des Lehrers und der Lehrerin 1908, Heft 23.

„... In seiner Klarheit, Allseitigkeit, strengen Begründung und doch leichten Faßlichkeit ist das Buch dem Lehrer das beste Werk zum Selbststudium, dem Unterricht ein treffliches Hilfsmittel und der reifen Jugend eine anregende Lektüre.“

Bayerische Lehrerzeitung 1908, Heft 41.

Fußnoten:

[1] Die Bezeichnungen starke und schwache Deklination sind ebenso wie das Wort Umlaut von Jakob Grimm gebildet.

[2] Einige Wörter, wie Auge, Bett u. a., werden in der Einzahl stark, in der Mehrzahl schwach dekliniert. Diese faßt man als gemischte Deklination zusammen.

[3] Mit Ausnahme von Friede und Gedanke, die im Mittelhochdeutschen (vride, gedanc) zur starken Deklination gehörten.

[4] Auch der Nominativ Felsen neben Fels ist auf diese Weise entstanden; das Wort gehört ursprünglich der starken Deklination an, daher ist gegen die Dativ- und Akkusativform Fels (Vom Fels zum Meer) nichts einzuwenden.

[5] Etwas andres ist es in Fällen, wo die falsche Form die alte, richtige aus dem Sprachbewußtsein schon ganz verdrängt hat, wie bei Braten, Hopfen, Kuchen, Rücken, Schinken u. a., die im Mittelhochdeutschen noch brate, hopfe usw. hießen.

[6] Der Apostroph sollte nur da angewandt werden, wo er eine Verwechslung verhüten kann, z. B. zwischen dem Präsens rauscht und dem Imperfektum rauscht’ (Das Wasser rauscht’, das Wasser schwoll), oder zwischen der Einzahl Berg und der Mehrzahl Berg’ (über Berg’ und Täler). Hier bedeutet er wirklich etwas, und hier kann man ihn bei gutem Vorlesen sogar – hören!

[7] Diese schwache oder aus schwacher und starker gemischte Deklination der Eigennamen war früher noch viel weiter verbreitet. Nicht bloß Schwarz und Schütz wurden dekliniert Schwarzens, Schwarzen, Schützens, Schützen, weshalb man aus den casus obliqui nie entnehmen kann, ob sich der Mann Schwarz oder Schwarze nannte; auch von Christ, Weck, Frank, Fritsch bildete man Christens, Christen, Weckens, Wecken, Frankens, Franken, Fritschens, Fritschen (Leipzig, bei Thomas Fritschen). Daher findet man in antiquarischen Katalogen Christs Buch „Anzeige und Auslegung der Monogrammatum“ meist unter dem falschen Namen Christen, Wecks Beschreibung von Dresden meist unter dem falschen Namen Wecken aufgeführt; auf den Titelblättern steht wirklich: von Christen, von Wecken. Die berühmte Leipziger Gelehrtenfamilie der Mencke, aus der Bismarcks Mutter abstammte, war durch ihre casus obliqui so irre geworden, daß sie schließlich selber nicht mehr wußte, wie sie hieß; deutsch schrieben sie sich Mencke, aber latinisiert Menckenius. Aber auch bei solchen Genitiven auf ens richtet der Apostroph oft Unheil an. An Stieglitzens Hof am Markt in Leipzig steht über dem Eingang in goldner Schrift: Stieglitzen’s Hof – als ob der Erbauer Stieglitzen geheißen hätte. Und welche Überraschung, wenn einem der Buchbinder auf einen schönen Halbfranzband gedruckt hat: Hans Sachsen’s Dichtungen!

[8] Wie lange soll übrigens noch in der deutschen Schrift der Zopf der römischen Ziffern weitergeschleppt werden? Warum druckt man nicht Heinrichs 8., Ludwigs XIV.? Auch in andern Fällen werden die römischen Ziffern ganz unnötigerweise verwandt. Warum nicht das 12. Armeekorps, warum immer das XII. Armeekorps? Fast alle unsre Historiker scheinen zu glauben, es klinge gelehrter, wenn sie schreiben: im XVIII. Jahrhundert. Eigentlich sollte man im Druck überhaupt Ziffern nur für das Datum und für rechnungsmäßige, z. B. statistische, finanzielle, astronomische Angaben verwenden, also nicht drucken: Unser Leben währet 70 Jahre. Vornehme Druckereien haben sich auch früher so etwas nie erlaubt. Von den Zifferblättern unsrer Uhren verschwinden erfreulicherweise die römischen Ziffern immer mehr.

[9] Daher schreibt man auch auf Büchertiteln: Von Pfarrer Hansjakob, von Prof. A. Schneider (statt von dem Professor), wo bloß der Titel gemeint ist.

[10] Geschmacklos ist es, vor derartige Appositionen, wo sie wirklich den Beruf, das Amt, die Tätigkeit bedeuten, noch das Wort Herr zu setzen: der Herr Reichskanzler, der Herr Erste(!) Staatsanwalt, der Herr Bürgermeister, der Herr Stadtverordnete, der Herr Vorsitzende, der Herr Direktor, der Herr Lehrer (die Herren Lehrer sind während der Unterrichtsstunden nicht zu sprechen), der Herr Königliche Oberförster, der Herr Organist, der Herr Hilfsgeistliche, sogar der Herr Aufseher, der Herr Expedient, die Herren Beamten usw. Wenn das Herr durchaus zur Erhöhung der Würde dabeistehen soll, so gehört es unmittelbar vor den Namen: der Abgeordnete Herr Götz, der Organist Herr Schneider, der Hilfsgeistliche Herr Richter usw. Fühlt man denn aber nicht, daß der Reichskanzler, der Bürgermeister und der Direktor viel vornehmere Leute sind als der Herr Reichskanzler, der Herr Bürgermeister und der Herr Direktor? Wie vornehm klangen die Theaterzettel der Meininger, wie lächerlich klingt eine Liste der Prediger des nächsten Sonntags, wenn sie alle vom Superintendenten bis herab zum letzten Kandidaten als Herren aufgeführt sind! Das allerlächerlichste sind wohl die Herren Mitglieder. Wie heißt denn davon die Einzahl? der Herr Mitglied? oder das Herr Mitglied?

[11] Obwohl sich schon im fünfzehnten Jahrhundert in Urkunden findet: das Haus, das Peter von Dubins (Peters von Düben) oder das Nickel von Pirnes (Nickels von Pirne) gewest, als das Gefühl für den Ortsnamen noch viel lebendiger war als bei unsern heutigen Adelsnamen.

[12] In München und in Wien fahrt man in Wägen! Die Nägel, die Gärten u. a. sind freilich schon längst durchgedrungen, während es im sechzehnten Jahrhundert noch hieß: die Nagel, die Garten.

[13] Ausgenommen sind nur Mutter und Tochter, die zur starken, und Bauer, Vetter und Gevatter, die zur gemischten Deklination gehören. In der Sprache der Technik aber, wo Mutter mehrfach im übertragnen Sinne gebraucht wird, bildet man unbedenklich die Muttern (die Schraubenmuttern).

[14] Vereinzelt ist auch in Fachkreisen die alte Form lebendig geblieben. Der Leipziger Zimmermann sagt noch heute: die Bret, die Fach, nicht die Bretter, die Fächer.

[15] Als die Schlösser aufkamen, müssen Menschen von feinerem Sprachgefühl etwa dasselbe gefühlt haben, was man heute fühlen würde, wenn jemand von Rössern reden wollte.

[16] Faß e mal das Ding an den Dingern hier an, daß die Dinger drinne nich gedrückt werden. D. h. fasse den Korb an den Henkeln hier an, daß die Hüte drin nicht gedrückt werden.

[17] Auch bei Lohn sind seit alter Zeit beide Geschlechter üblich: aber auch hier hat das Neutrum jetzt einen niedrigen Beigeschmack. Dienstmädchen verlangen hohes Lohn, Gesellen höheres Macherlohn oder Arbeitslohn; aber jede gute Tat hat ihren schönsten Lohn in sich selbst.

[18] Wenn ein Hauptwort in seinem Geschlecht schwankt, so hat das Neutrum nicht selten etwas gemeines. Es hängt das damit zusammen, daß nicht bloß der ungebildete Fremde, der des Deutschen nicht mächtig ist, alle deutschen Hauptwörter im Zweifelfalle sächlich behandelt (das Bruder, das Offizier, das Kutscher), sondern auch der ungebildete Deutsche ebenso mit Fremdwörtern verfährt. Man denke nur an die unausstehlichen Neutra unsrer Handlungsreisenden, Ladendiener, und Ladenmädchen: das Firma, das Fasson, das Etikett, das Offert, das Makulatur! Das neueste ist das Meter, das die Handlungsdiener und Ladenmädchen doch wahrhaftig nicht dem griechischen μέτρον zuliebe plötzlich als Neutrum behandeln!

[19] Vielleicht ist es dort über die Niederlande aus dem Französischen eingedrungen; dann würde es schließlich auch auf die romanische Quelle zurückgehen.

[20] Von Wörtern weiblichen Geschlechts wird immer der Plural gebildet: zwei Mandeln Eier, drei Ellen Band, sechs Flaschen Wein, zehn Klaftern Holz, vier Wochen alt.

[21] Wenn aber ein Antiquar in einem Katalog von einem wertvollen alten Druck sagt: Sechs Blatt sind stockfleckig, so ist das natürlich falsch.

[22] Genau genommen wird freilich auch nicht vereiteln, verändern gesprochen, sondern vereitln, verändrn, l und r werden gleichsam vokalisiert. Aber gemeint ist doch mit dieser Aussprache eln, ern, nicht len, ren. Eigentlich gehören auch noch die Wortstämme auf en hierher, wie rechen, zeichen, orden, offen, eben, eigen, regen (vgl. Rechenschaft, Eigentum, Offenbarung). Die Infinitive können da natürlich nur rechnen, ordnen, eignen lauten; die flektierten Formen aber, die wir jetzt leider allgemein zeichnet, zeichnete, öffnete, gerechnet, geordnet, geeignet schreiben, lauteten im sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert noch überall schöner: zeichent, gerechent, geordent, geeigent. Der Volksmund spricht auch heute noch so, selbst der Gebildete sagt – er mag sich nur richtig beobachten –: es regent, es regente, es hat geregent (genau genommen freilich auch hier wieder regnt, geregnt, mit vokalisiertem n). Nur wer sich ziert, wer „wie gedruckt“ redet, sagt: ausgezeichnet! Net, womöglich nett! Man muß ja förmlich eine Pause machen und Kraft sammeln, um das net herauszubringen! Unsre besten und hervorragendsten Zeitschriften brauchten nur einmal die vernünftigen Formen zeichent, öffent, zeichente, öffente, gezeichent, geöffent eine Reihe von Jahren beharrlich drucken zu lassen, so wären sie wieder durchgedrückt. In atmen (Stamm atem) hat natürlich das Stamm-e ausgeworfen werden müssen, weil atemn niemand sprechen kann; für atmet hört man aber im Volksmunde auch oft genug atent, wie denn auch schon in der ältern Sprache Aten neben Atem erscheint, (und wie auch bodem, gadem, besem, busem zu Boden, Gaden, Besen, Busen geworden sind).

[23] Auch wenn ein Schriftsteller die schönen, kräftig klingenden Formen geschrieben hat, werden ihm in den Druckereien stets die garstigen weichlichen Formen oder gar die Formen mit zwei e daraus gemacht, die gar niemand spricht (anderen, unseren). Die Schriftsteller sollten sich das nur ernstlich verbitten, dann würde dem Schlendrian schon ein Ende gemacht werden. Zu Schillers und Goethes Zeit waren in allen Druckereien noch die Formen mit vollem Wortstamm das selbstverständliche.

[24] Früher hat man freilich auch so gesagt. Im siebzehnten Jahrhundert: nach gepflogner reifen Beratschlagung; Lessing: aus eigner sorgfältigen Lesung.

[25] Das vernünftigste wäre natürlich, man setzte den Artikel und sagte: Verein der Berliner Künstler. Es brauchten doch deshalb nicht alle dabei zu sein. Wer nicht mittun will, läßts bleiben.

[26] Der Fehler ist, wie die ganze Phrase und wie so vieles andre heute in unsrer Sprache, eine Nachäfferei des Englischen. Im Englischen wird on board mit dem Akkusativ verbunden (to go on board a shipon board Her Majesty’s ship Albert). Aber was geht das uns an?

[27] Beim Dichter läßt man sich gefallen: drum komme, wem der Mai gefällt, und freue sich der schönen Welt und Gottes Vatergüte (statt der Vatergüte Gottes).

[28] Völlig unsinnig ist natürlich: es gibt kein leicht verdaulicheres Mehl als Rademanns Kindermehl.

[29] Aus diesen Genitiven sind dann, indem man sie als Nominative auffaßte (mein wie klein) und nun aufs neue deklinierte, die besitzanzeigenden Eigenschaftswörter mein, dein, sein, unser, euer, ihr entstanden. Früher nahm man an, daß auch in den Anfangsworten des Vaterunsers das unser der nachgestellte Genitiv von wir sei (nach dem griechischen πάτερ ἡμῶν). Wahrscheinlicher ist, daß es hier doch das besitzanzeigende Eigenschaftswort ist (nach dem lateinischen Pater noster), das in der ältern Sprache auch nachgestellt werden konnte (in der gotischen Bibelübersetzung: atta unsar).

[30] Genitiv und Dativ von Eure Majestät, Eure Exzellenz heißen natürlich Eurer Majestät, Eurer Exzellenz. Völliger Unsinn aber ist, was man darnach gebildet hat: Eurer Hochwohlgeboren!

[31] Das Dativ-m hat Ungebildeten immer großen Respekt eingeflößt. Schrieb und druckte man doch sogar im achtzehnten Jahrhundert in Leipzig: der Gasthof zum drei Schwanen, der Riß zum Schlachthöfen. Man meinte natürlich zun d. i. zu den, getraute sich das aber nicht zu schreiben.

[32] Leute, die altertümlich schreiben möchten, z. B. Verfasser historischer Romane oder Schauspiele, greifen gern zu zween und zwo, haben aber gewöhnlich keine Ahnung von dem Unterschied der Geschlechter und machen sich deshalb lächerlich. Darum wohl gemerkt: zween war männlich, zwo weiblich, zwei sächlich.

[33] Auch diese Ausdrücke stammen von Jakob Grimm.

[34] Andre wollen es auf das Rädern, die Tätigkeit des Henkers, zurückführen.

[35] Das Niederdeutsche hat auch jug gebildet von jagen. Doch wird ein Unterschied gemacht. Bismarcks Vater brauchte jagte von der Jagd, jug von schneller Bewegung, z. B. schnellem Fahren. In Hannover sagt der gemeine Mann: ehe der Polizist die Nummer merken konnte, jug der Bengel um die Ecke.

[36] Viel zu ihrer Verbreitung haben wohl Scheffel und Freytag beigetragen, die sie beide sehr lieben.

[37] Die Grenzboten veröffentlichten 1882 ein hübsches Sonett aus Süddeutschland, das sich über das Vordringen der falschen Formen lustig machte. Es begann mit der Strophe:

Ich frug mich manchmal in den letzten Tagen:
Woher stammt wohl die edle Form: er frug?
Wer war der Kühne, der zuerst sie wug?
So frug ich mich, so hab ich mich gefragen.

Eine Anzahl von Zeitungen brachte dann elende Gegensonette, aus denen nichts weiter hervorging, als daß die Verfasser keine Ahnung von den Anfangsgründen der deutschen Grammatik hatten, und daß ihnen die falschen Formen schon so in Fleisch und Blut übergegangen waren, daß sie für das Richtige alles Gefühl verloren hatten.

[38] Wenn freilich Kindern, die im Elternhause noch richtig fragt und fragte gelernt haben, in der Schule das dumme frug in die Arbeiten hinein„korrigiert“ wird, dann ist nichts zu hoffen.

[39] Als eine Merkwürdigkeit mag erwähnt sein, daß die Leipziger Buchbinder sagen: das Buch wird bloß geheftet, dagegen die Leipziger Schneider: der Ärmel ist erst gehoften.

[40] Diese Unterscheidung sitzt im Sprachgefühl so fest, daß mir sogar ein vierjähriges Kind auf meine bedauernde Frage: Du bist wohl gefallen? seelenvergnügt erwiderte: Ich bin nich gefallen, ich hab gehuppt.

[41] Bei brauchen darf natürlich zu beim Infinitiv nicht fehlen. Das hättest du ja nicht sagen brauchen – ist Gassendeutsch.

[42] Ebenso bei bleiben und haben: er ist sitzen geblieben (eigentlich: sitzend) – ich habe tausend Mark auf dem Hause stehen (eigentlich: stehend) – hat keiner einen Bleistift einstecken? (eigentlich: einsteckend). In der ältern Zeit schrieb man sogar: ein Büchlein, das man in Kirchen gebrauchen ist (statt gebrauchend) – wir sind euch dafür danken (statt dankend).

[43] Apotheker und, was man im Volke auch hören kann, Bibliotheker ist anders entstanden, es ist verstümmelt aus apothecarius und biliothecarius. Attentäter wurde anfangs nur als schlechter Witz gebildet (es hätte auch Täter genügt); aber törichte Zeitungschreiber haben es dann in vollem Ernst nachgebraucht.

[44] Kreidezeichnung, Höhepunkt und Blütezeit haben wir ja schon längst, und doch wurden auch sie anfangs richtig gebildet: Kreidenstrich, Höhenpunkt, Blütenzeit.

[45] Ein Jammer ist es, auf Weinkarten und Weinflaschen jetzt Liebfraumilch lesen zu müssen! Wahrscheinlich zur Entschädigung dafür schmuggelt man dann das en in den Niersteiner ein und nennt ihn – höchst verdächtig! – Nierensteiner (Nierstein ist nach dem Kaiser Nero genannt). Visitekarte, Manschetteknopf, Toiletteseife soll vielleicht Visittkarte, Manschettknopf, Toilettseife gesprochen werden – gehört habe ichs noch nicht, man siehts ja immer nur gedruckt; aber wozu die französische Aussprache?

[46] Freilich finden sich auch solche Zusammenleimungen schon früh. Schon im fünfzehnten Jahrhundert kommt in Leipziger Urkunden die Parthenmühle als Pardemöl vor. Im Harz spricht man allgemein und wohl schon lange vom Bodetal und vom Ilsetal.

[47] Ähnlich verhält sichs mit dem neuen Modewort Anhaltspunkt. Früher sagte man: ich finde keinen Anhaltepunkt, d. h. keinen Punkt, wo ich mich anhalten könnte (vgl. Siedepunkt, Gefrierpunkt). Daneben hatte man in demselben Sinne das Substantiv Anhalt; man sagte: dafür fehlt es mir an jedem Anhalt. Aus beiden aber nun einen Anhaltspunkt zu bilden, war doch wirklich überflüssig. Wahrscheinlich hat man geglaubt, damit einen feinen Unterschied zu schaffen zu den Anhaltepunkten auf den Eisenbahnen. Als ob Anhaltepunkt nicht ebensogut die Stelle bedeuten könnte, wo man sich anhält, wie die, wo man anhält!

[48] In Leipzig hält man sich ein Kindermädchen, auch wenn man nur ein Kind hat, in Wien eine Kindsmagd, auch wenn man sechs Kinder hat.

[49] Wofür man in Süddeutschland auch Wartsaal, Singstunde sagt, wie neben Bindemittel auch Bindfaden steht. Schreibpapier und Schreibpult spricht sich schwer aus, weil b und p zusammentreffen; man hört immer nur: Schreipapier. Darum ist wohl Schreibepapier vorzuziehen.

[50] Jean Paul hat schon 1817 einmal den Versuch gemacht, diese s-Krätze, wie er es nannte, zu bekämpfen, merzte auch aus einer neuen Auflage seines Siebenkäs alle falschen s aus. Es ist aber vergeblich gewesen. Und ebenso vergeblich wird es sein, daß es jetzt der Herausgeber der in Berlin erscheinenden Wochenschrift Die Zukunft wieder versucht. Die Mitarbeiter sollten sich das einfach verbitten.

[51] Das Bürgerliche Gesetzbuch kennt die greulichen Zusammensetzungen nicht.

[52] Unter den Hunderten mit Liebe gebildeten Zusammensetzungen haben nur wenige das s nicht: liebreich, liebevoll, liebeglühend, liebetrunken, liebedienerisch, Liebedienerei, einige wohl deshalb, weil hier mehr ein dativisches Verhältnis gefühlt wird.

[53] Wie man auch das Haus eines Mannes, der Plank hieß, das Plänkische Haus nannte, die Mühle in dem Dorfe Wahren die Währische Mühle.

[54] Daneben freilich auch schon vom Manesse-Kodex! Es wird immer besser. Vielleicht wird nächstens auch noch der Farnesische Herkules in einen Farnese’schen verwandelt, und der Borghesische Fechter in einen Borghese’schen.

[55] Auch die guten Pfefferkuchen, die Aachner Printen, sollen früher in Aachen selbst Aacher Printen geheißen haben. In vielen ursprünglich undeutschen (lateinischen, slawischen) Ortsnamen gehört das n zum Stamm; die bilden dann natürlich richtig Bozner, Dresdner, Meißner, Posner usw. Aber die guten Gießer hätten sich keine Gießener Neuesten Nachrichten aufnötigen zu lassen brauchen.

[56] Woraus die Kunsthistoriker „Hans Baldung, genannt Grien“, gemacht haben.

[57] Freilich sind Formen wie Jenaer und Geraer auch nicht besonders schön, so wenig wie die in Sachsen in der Schriftsprache beliebten Adjektivbildungen auf aisch: Grimmaisch, Tauchaisch, Bornaisch, Pirnaisch. In diesen Bildungen ist eine deutsche Endung an eine ganz unvolkstümliche, künstlich gemachte lateinische Endung gehängt. Der Volksmund kennt noch heutigestags nur die Städte Grimme, Tauche, Borne, Pirne und so auch nur die Adjektivbildungen Grimmisch, Tauchisch, Bornisch, Pirnisch, und es wäre zu wünschen, daß sich die amtliche Schreibung dem wieder anschlösse. So gut wie sich zu irgendeiner Zeit das Falsche amtlich hat einführen lassen, ließe sich doch auch das Richtige amtlich wieder einführen. Man pflegt jetzt eifrig die „Volkskunde“, sucht überall die Reste volkstümlicher alter Sitten und Gebräuche zu retten und zu erhalten. Gehört dazu nicht vor allem die Sprache des Volks?

[58] Der Unsinn geht so weit, daß man sogar feststehende formelhafte Verbindungen, wie: eine offne Frage, ein zweifelhaftes Lob, ein frommer Wunsch, blinder Lärm, auseinanderreißt, das Prädikat zum Subjekt macht und schreibt: die Frage, ob das Werk fortgesetzt werden sollte, war lange Zeit eine offnedieses Lob ist doch ein sehr zweifelhaftesdieser Wunsch wird wohl ewig ein frommer (!) bleiben – der Lärm war zum Glück nur ein blinder (!).

[59] Vgl. ein Schock frische Eier – ein Dutzend neue Hemden – eine Flasche guter Wein – mit ein paar guten Freunden – mit ein bißchen fremdländischem Sprachflitter.

[60] Den Inhalt eines Dramas kurz anzugeben, gehört zu den beliebtesten Aufgaben für deutsche Aufsätze in den oberen Gymnasialklassen. Es ist auch wirklich eine Aufgabe, bei der viel gelernt werden kann. Wie viel ärgerliche Korrektur aber könnte sich der Lehrer ersparen, wenn er bei der Vorbesprechung immer auch diese Tempusfrage mit den Jungen gründlich erörterte!

[61] Nur in Süddeutschland und Österreich wird welcher auch gesprochen, aber immer nur von Leuten, die sich „gebildet“ ausdrücken möchten. In deren falschem, halbgebildetem Hochdeutsch – da grassiert es. In Wien und München, dort sagen es nicht bloß die Professoren in Gesellschaft, sondern auch schon die Droschkenkutscher, wenn sie zusammengekommen sind, um zu einem neuen Tarif „Stellung zu nehmen“. Ja sogar der norddeutsche Professor spricht, wenn er nach Wien berufen worden ist, nach einigen Jahren „bloß mehr“ welcher. In Mittel- und Norddeutschland aber spricht es niemand.

[62] Um welcher zu verteidigen, hat man neuerdings ausgezählt, wie oft es unsre klassischen Schriftsteller schreiben, und hat gefunden, daß sie es – sehr oft schreiben. Aber was wird damit bewiesen? Doch weiter nichts, als daß auch unsre klassischen Schriftsteller von Kindesbeinen an im Banne der Papiersprache gestanden haben. Das braucht aber nicht erst bewiesen zu werden, das wissen wir längst.

[63] Wenn man nicht der der oder die die schreiben dürfte, dann dürfte man auch nicht schreiben: an andrer Stelle, ein einzigesmal, bei beiden Gelegenheiten, mit mitleidiger Miene. Sehr oft entsteht übrigens die so gefürchtete Doppelung nur durch falsche Wortstellung: ein persönliches oder reflexives Fürwort, das zwischen die beiden der oder die oder das gehört, wird verschoben und erst beim Verbum nachgebracht: alle Änderungen, die die Schule sich hat gefallen lassen – die Grundsätze, an die die Revision sich gebunden hat – die Aufgaben, die die wirtschaftlichen Bedürfnisse der Zeit uns stellen. Man bringe das persönliche Fürwort an die richtige Stelle, und das Gespenst ist verschwunden: alle Änderungen, die sich die Schule hat gefallen lassen.

[64] Hier ist eine Apposition, die vor dem Relativpronomen stehen müßte, in den Relativsatz versetzt. Das ist vollends undeutsch, es ist ganz dem Lateinischen nachgeahmt.

[65] Nicht zu verwechseln hiermit ist natürlich ein Fall wie folgender: eine der größten Schwierigkeiten für das Verständnis unsrer Vorzeit, die meist gar nicht gewürdigt wird. Hier muß es wird heißen, denn hier bezieht sich der Relativsatz wirklich auf eine; der Sinn ist: und zwar eine, die meist gar nicht gewürdigt wird.

[66] Habe wäre ja ein Eingeständnis, daß der Vorwurf berechtigt sei, denn es kann eben nur als Indikativ gefühlt werden. Manchen Süddeutschen will das nicht in den Kopf, weil sie (in Schwaben) den dialektischen Konjunktiv des Präsens haben: ich häbe, wir häben, sie häben und daher den Konjunktiv ich habe, wir haben, sie haben, wo sie ihn gedruckt sehen, unwillkürlich als häbe verstehen und vielleicht auch so – aussprechen. Die mögen dann nichts davon wissen, habe durch hätte zu ersetzen, und behaupten, sie könnten hätte nur als Konditional fühlen. Mag sein. Wir in Mittel- und Norddeutschland fühlen eben anders.

[67] Im Konjunktiv Futuri von werden zu würden auszuweichen ist freilich nicht möglich, wenn der Hauptsatz im Präsens steht, weil dann würden als Konditional gefühlt werden würde, z. B. ein geschlagnes Ministerium kann dem Herrscher raten, das Parlament aufzulösen, in der Hoffnung, daß die Wähler eine seinen Ansichten günstige Mehrheit von Abgeordneten entsenden werden. In solchen Fällen kann man sich aber leicht dadurch helfen, daß man zum Singular greift: daß die Wählerschaft entsenden werde.

[68] Der Volksmund liebt es, eine irreale Bedingung in der Vergangenheit durch den – Indikativ des Imperfekts auszudrücken: wenn ich Geld hatte, kam ich. Das klingt aber der Angabe einer wiederholten Handlung in der Wirklichkeit (jedesmal, wenn ich Geld hatte, kam ich) so ähnlich, daß man es in der guten Schriftsprache besser vermeidet.

[69] Auch oft verkürzt, ohne Hauptsatz: daß ich nicht wüßtenicht daß es dem Vater an trefflichen Eigenschaften gefehlt hätte.

[70] In einem der schönsten Brahmsschen Lieder, Feldeinsamkeit, das H. Allmers gedichtet hat, heißt es: die schönen, weißen Wolken ziehn dahin – durchs tiefe Blau wie schöne stille Träume; – mir ist, als ob ich längst gestorben bin (!) – und ziehe (!) selig mit durch ewge Räume. Das bringt man doch beim Singen kaum über die Lippen. – Natürlich kann ein Vergleich auch als wirklich hingestellt werden, z. B. hörten wir ein Geräusch, wie wenn in regelmäßigen Zwischenräumen ein großer Wassertropfen auf ein Brett fällt, d. h. wie man es hört, wenn ein Wassertropfen fällt (Schiller im Taucher: wie wenn Wasser mit Feuer sich mengt). Hier ist selbstverständlich der Indikativ am Platze.

[71] In der älteren Zeit ist auch der Zweck, die Absicht durch das bloße zu ausgedrückt worden; die Ausdrucksweise mit um zu ist die jüngere.

[72] An ein Hauptwort kann ein Infinitivsatz mit um zu niemals angeschlossen werden, selbst nicht an einen substantivierten Infinitiv. Wenn auf Konzertprogrammen steht: Das Belegen der Plätze, um solche Späterkommenden zu sichern, ist streng untersagt – so ist das ein Schnitzer.

[73] Außerdem die partizipähnlichen passiven Formen: zu hoffend, zu fürchtend, anzuerkennend, die durch Anhängen eines unorganischen d aus dem Infinitiv mit zu entstanden sind.

[74] Nur in einzelnen Fällen kann das passive Partizip die Gegenwart bedeuten, z. B. das von mir bewohnte Haus (d. i. das Haus, das von mir bewohnt wird). Eine Anzeige also wie die folgende: die von dem verstorbenen Rentier Sch. bewohnte Wohnung ist zu Ostern anderweit zu vermieten – kann einem geradezu gruselig machen; hier muß es heißen: die bewohnt gewesene.

[75] Zur Verzierung von Leipziger Wäschschränken wurde eine Zeit lang mit Vorliebe der Spruch gestickt:

Geblüht im Sommerwinde,
Gebleicht auf grüner Au,
Ruht still es nun im Spinde
Zum Stolz der deutschen Frau.

Gebleicht ist richtig; aber daß das geblüht den Stolz der deutschen Frau nicht verletzte, war zu verwundern.

[76] In Bibliotheksbekanntmachungen liest man gelegentlich sogar von demnächst stattzufindenden Revisionen, und in Kunstausstellungsprogrammen von einer aus sechs Mitgliedern zu bestehenden Jury!

[77] Und auch in Mittel- und Norddeutschland spricht man von gestandnem Wasser (im Gegensatz zu frischem).

[78] Vor einiger Zeit hatte ich an mehrere hundert Personen eine Zuschrift abzufassen, auf die ebenso viel hundert teils ablehnende, teils zustimmende Antworten eingingen. Ich beauftragte einen Schreiber mit der Durchsicht und Ordnung der eingelaufenen Antworten. Als er fertig war, legte er mir zwei Mappen vor, und auf der einen stand: abgelehnte Schreiben, auf der andern: angenommene Schreiben. Ich fragte ihn, was das heißen solle. Nun, das hier sagte er, sind die Schreiben, die angenommen haben, und das hier die, die abgelehnt haben.

[79] Daher hat es ja seinen Namen. Partizipium kommt her von particeps, d. h. Anteil habend; es ist davon genannt, daß es zugleich am Verbum und am Nomen Anteil hat, zwischen beiden ein Mittelding ist. Darum hat man es ja auch in der Volksschulgrammatik durch Mittelwort übersetzt.

[80] In Ermanglung ist mir immer so vorgekommen, als ob sichs einer als schlechten Witz ausgedacht hätte, um den Aktenstil zu verhöhnen, um zu probieren, ob es ihm wohl einer nachmachen würde.

[81] Übrigens fehlt es auch nicht an Beispielen, wo noch dazu das Hauptwort auf ung von einem Zeitwort gebildet ist, das den Dativ regiert, also eigentlich gar keinen Objektsgenitiv zu sich nehmen kann, wie: der Zinsfuß wird herabgesetzt in Entsprechung eines Gesuchs (vgl. S. 243). Eine Behörde schreibt: In Begegnung von (!) an (!) andern Orten sich ereignet habenden (!) Vorgängen wird hierdurch bekanntgemacht; das soll heißen: um Vorgängen zu begegnen (vorzubeugen), wie sie sich an andern Orten ereignet haben.

[82] In Leipzig empfiehlt man freilich auch echt Madeirahandarbeiten, echt Gose und echt Bütten (nämlich -papier)!

[83] Manche Leute sind in diese Formen auf er so vernarrt, daß sie sie sogar von Wörtern bilden, die gar keine wirklichen Ortsnamen sind. So redeten die Leipziger Förster früher vom Rosentäler, vom Kuhturmer und vom Burgauer Revier, statt vom Rosentalrevier, Kuhturmrevier, Burgauenrevier. Ob sies auch heute noch tun, weiß ich nicht.

[84] Über die Bedeutung mancher von unsern Straßennamen herrscht ohnehin in den Köpfen der Masse eine solche Unklarheit, daß man sie nicht noch durch fehlerhafte Schreibung zu steigern braucht. Unter den Straßen Leipzigs, die nach den Helden der Freiheitskriege genannt sind, ist auch eine Lützowstraße, eine Schenkendorfstraße, eine Gneisenaustraße. Was machen die Kinder daraus, die kleinen wie die großen Kinder? Eine Lützower Straße, eine Schenkendorfer Straße, eine Gneisenauer Straße! Wir haben ferner eine Senefelderstraße. Auch die wird im Volksmunde als Senefelder Straße verstanden. Freilich gibt es bei Leipzig kein Senefeld, kein Schenkendorf, kein Gneisenau, kein Lützow. Aber das Volk, namentlich das ewig zu- und abfließende niedrige Volk, weiß doch von der Umgebung Leipzigs ebensowenig etwas wie von dem Erfinder der Lithographie und den großen Männern der Freiheitskriege. Wurde doch auch die Fichtestraße, als sie neu war, sofort als Fichtenstraße verstanden, und ein unternehmender Schenkwirt eröffnete dort schleunigst ein „Restaurant zur Fichte“!

[85] Als vor einigen Jahren die Firma August Scherl den Verlag des Leipziger Adreßbuchs an sich gebracht hatte, beliebte es ihr, alle Leipziger Straßennamen über einen Kamm zu scheren und sie alle als zusammengesetzte Wörter drucken zu lassen: Dresdnerstraße, Grimmaischestraße, Hohestraße usw., obwohl in allen amtlichen Veröffentlichungen und an allen Straßenecken zwischen zusammengesetzten und nicht zusammensetzbaren Namen streng geschieden wird, auch das frühere Adreßbuch dazwischen streng geschieden hatte. Zum Glück griff sofort die Behörde ein und zwang den Verleger, vom nächsten Jahrgang an die Namen wieder richtig zu drucken. Geschadet hat aber doch das böse Beispiel ungeheuer. Der Verlag der bekannten Leipziger Illustrierten Zeitung befindet sich noch heute auf der Reudnitzerstraße!

[86] Freilich findet sich auch schon in Leipziger Urkunden des fünfzehnten Jahrhunderts: uf der nuwestrasse (auf der Neuen Straße).

[87] Auf der einen Seite schreiben sie: Kaiser Park, Hôtel Eingang, hier werden Kinder und Damenschuhe gemacht, auf der andern Seite: Grüne-Waren, Täglich-frei-Konzert u. ähnl.

[88] Nachdem die Sprachdummheiten erschienen waren, redeten auch andre von Sprachsünden, Sprachleben, Sprachgefühl usw. Wären die Sprachdummheiten nicht vorangegangen, so kann man sicher sein, daß die andern von sprachlichen Sünden, sprachlichem Leben, sprachlichem Gefühl geredet hätten.

[89] Es handelt sich um Beobachtungen an dem noch ungebornen Kinde!

[90] Fühlt man denn gar nicht, daß bei der silbernen und der goldnen Hochzeit das silbern und golden nur ein schönes Gleichnis ist, wie beim silbernen und goldnen Zeitalter? und daß dieses Gleichnis durch Silberhochzeit sofort zerstört und die Vorstellung in plumper Weise auf das Metall gelenkt wird, das dem Jubelpaar in Gestalt von Bechern, Tafelaufsätzen u. dgl. winkt? Oder wollen wir in Zukunft auch von der Goldhochzeit und vom Goldzeitalter reden? Wir reden von einem Bronzezeitalter, aber in wie anderm Sinne! Daß schon Goethe einmal das Wort Silberhochzeit gebraucht – in einem Brief an Schiller nennt er Gedichte Wielands „Schoßkinder seines Alters, Produkte einer Silberhochzeit“ –, auch Rückert einmal (in trochäischen Versen, wo silberne Hochzeit gar nicht unterzubringen gewesen wäre), will gar nichts sagen.

[91] Darum gehört auch die Behandlung dieses Fehlers nicht, wie manche wohl meinen könnten, in die Wortbildungslehre, sondern sie gehört in die Satzlehre. Der Fehler liegt nicht in der Bildung der Adjektiva – gebildet sind sie ja richtig –, sondern in ihrer falschen Anwendung.

[92] Zu welcher Geschmacklosigkeit sich manche Leute verirren vor lauter Angst, mißverstanden zu werden, dafür noch ein Beispiel. Ein Zeichenlehrer wollte einen Unterrichtskursus für Damen ankündigen. Aber das Wort Damen wollte er als Fremdwort nicht gebrauchen, Frauen auch nicht, denn dann wären am Ende die Mädchen ausgeblieben, auf die ers besonders abgesehen hatte, Frauen und Mädchen aber auch nicht, denn dann wären vielleicht Schulmädchen mitgekommen, die er nicht haben wollte. Was kündigte er also an? Zeichenunterricht für erwachsene Personen weiblichen Geschlechts!

[93] Auch sie hat es übrigens nicht immer gegeben. Noch im siebzehnten Jahrhundert erteilte, wer mit seinem halben Bruder im Streite lag, einem Anwalt volle Macht, den Prozeß zu führen, noch 1820 wurde auf der Leipziger Messe von kurzen Waren gesprochen.

[94] Neuerdings hat man es durch Uraufführung ersetzt, kein glücklicher Ersatz.

[95] Daher Ortsnamen wie Karlsruhe, Ludwigsburg, Wilhelmshaven, die ja nichts andres sind als Karls Ruhe usw.

[96] Das Haarsträubendste, was auf diesem Gebiete geleistet worden ist, sind wohl die Ausdrücke, die einem täglich in den Zeitungen entgegenschreien: Henckell Trocken, Kupferberg Gold u. ähnl. Als vernünftiger Mensch möchte man sich doch hierbei gern etwas denken und fragt: Was sind denn das für Waren: Trocken und Gold? Es sind gar keine Waren, die Bezeichnung der Ware fehlt hier ganz! Gemeint ist Henckellscher Schaumwein, Kupferbergscher Schaumwein. Aber keiner der beiden Fabrikanten sagt das, sondern der eine schreibt statt der Ware eine Eigenschaft der Ware hin (sec, dry), aber mit großem Anfangsbuchstaben, sodaß sie jeder denkende Mensch für die Bezeichnung der Ware selbst halten muß, der andre die Art der Ausstattung, denn Gold soll sich doch wohl auf die Farbe der Kapsel beziehen? Die Sprache mancher afrikanischen Wilden ist gebildeter und fortgeschrittner als solches Fabrikantendeutsch.

[97] Überhaupt kann man nicht, um eine nähere Bestimmung zu schaffen, mechanisch alles mit allem zusammensetzen; es kommt doch sehr auf Sinn und Bedeutung der beiden Glieder an. Bei Gesellschaft und Verein z. B. liegt der Gedanke an die Personen, die den Verein bilden, so nahe, daß es mindestens etwas kühn erscheint, eine Anzahl Geldleute eine Aktiengesellschaft oder eine Immobiliengesellschaft, eine Gesellschaft von Schlittschuhläufern einen Eisverein und eine Vereinigung von Förstern einen Forstverein zu nennen. Noch gewagter ist es, daß sich die deutschen Papierhändler zu einem Papierverein zusammengetan haben. Mit demselben Recht und demselben guten Geschmack könnte sich schließlich auch eine Fleischergesellschaft einen Fleischverein nennen.

[98] Schokolade und Tee – deutsch geschrieben! Manche verbinden die beiden Wörter gar noch durch einen Bindestrich, wie Atelier-Strauß, Tee-Meßmer, was doch nur Männer bezeichnen kann (der Atelier-Strauß, der Tee-Meßmer). In Sachsen gibt es wirklich Geschäftsleute, die sich mit solchen Namen bezeichnen und sich dadurch selber lächerlich machen, wie: Butter-Bader, Gold-Richter, Fahrrad-Klarner, Zigarren-Krause, Schokoladen-Hering.

[99] Man könnte ebensogut eine Abfahrthalle auf dem Bahnhof die Abfahrtei nennen oder die Kopierstube im Amtsgericht die Abschriftei.

[100] Unsre Schiffe werden bekanntlich, wenn sie einen Länder- oder Städtenamen tragen, als Weiber betrachtet: die.

[101] Die englische in einzelnen Fällen, wie: the now king, the then ministry, the above rule, die aber nicht von allen englischen Grammatikern gebilligt werden.

[102] Wenn geschrieben wird: das Bild zeigt den Kaiser in fast Lebensgröße, so liegt wohl nur eine verkehrte Wortstellung vor (in fast statt fast in).

[103] Im Stephansdom in Wien ist etwas bei sogleicher Wegweisung verboten.

[104] Heinrich von Treitschke, ein Meister in der Kunst, deutsch zu schreiben, haßte sie aus tiefster Seele.

[105] Nicht besser, eher schlimmer wird die Sache, wenn man die Apposition voranstellt: von Privatdozent Dr. Albert Schmidt, von ordentl. Professor E. Max, was doch unzweifelhaft von ordentlicher (!) Professor gelesen werden soll.

[106] In Leipzig fängt man jetzt gar an, zwischen Vornamen und Familiennamen einen Bindestrich zu setzen: Horst-Schulze, Hermann-Könnecke.

[107] Der Deutsche sagt dafür Renommage, ein Wort, das es im Französischen gar nicht gibt!

[108] O. Schroeder, Vom papiernen Stil. 7. Aufl. Leipzig, 1908.

[109] Beim Übersetzen aus dem Lateinischen z. B. sollte streng darauf gehalten werden, daß kein ejus und eorum mit desselben und derselben übersetzt werde.

[110] Es ist auch nicht nötig; spricht und betont doch jeder richtig derartig, dermaßen, dergestalt usw.

[111] Bei einer Leichenfeier in der Universitätskirche in Leipzig sagte der Prediger, ein bedeutender Kanzelredner, in der gehobensten und feierlichsten Sprache: selbst die, die die wissenschaftliche Bedeutung des Mannes nicht zu beurteilen wußten usw. Ich bin fest überzeugt, daß außer mir kein Mensch die drei die gehört hat, obwohl Hunderte von Menschen in der Kirche saßen. Mir waren sie ein Labsal, weil sie Natur sind. Ob sie auch gedruckt worden sind, weiß ich nicht.

[112] In der Dichtersprache wird auch rufen noch wie im alten Deutsch bisweilen mit dem Dativ verbunden (Goethe im Faust: Wer ruft mir? Gellert: Er ruft der Sonn’, er schafft den Mond). Auch hier ist aber dann ein Bedeutungsunterschied; rufen steht hier im Sinne von zurufen, gebieten.

[113] In der ältern Sprache hatte auch berichten den Akkusativ der Person mit nachfolgendem Objektsatz bei sich, z. B. ob sie gleich den Kurfürsten mit Lügen berichteten, die hohe Schule zu Wittenberg wäre die studentenreichste. Heute ist das einzige sinnverwandte Zeitwort, das mit einem Akkusativ der Person und einem Objektsatze verbunden werden kann, das verhältnismäßig junge benachrichtigen.

[114] Nur mit den Bildungen auf bar nimmt man es nicht so genau, wie unentrinnbar zeigt.

[115] Eine ähnlich merkwürdige Bildung wie voller ist Maler, Stücker, Tager, Jahrer in Verbindungen wie: ein Maler drei, ein Stücker drei, ein Jahrer fünf, ein Tager sechs u. ähnl. Hier ist das er der Rest eines rasch und nachlässig gesprochnen oder: ein Stück oder drei. Diese Verbindungen würden sich aber doch in der guten Schriftsprache recht seltsam ausnehmen, sie gehören nur noch der Umgangssprache an.

[116] Nur in Verbindungen wie: ein Kaffee erster Sorte, ein Künstler zweiten Ranges, ein Wagen dritter Klasse, ein Stern vierter Größe bleibt der bestimmte Artikel vor den Ordinalzahlen weg.

[117] Hierher gehört auch der beliebte Fehler: aus aller Herrn Länder, der dem Wohllaut zuliebe entstanden ist: das doppelte ern schien unerträglich. Aber noch unerträglicher ist doch der Akkusativ hinter aus, man schreibe nur, wie sichs gehört: aus aller Herren Ländern.

[118] Nur bei vielgebrauchten Redensarten, an deren eigentliche Bedeutung niemand mehr denkt, wie: im Stande, im Begriff, im Interesse, im Sinne, im Lichte, im Spiegel, zum Besten, ist im Dativ die Verschmelzung vollständig durchgedrungen. Niemand sagt: die Heimat der Indogermanen in dem Lichte der urgeschichtlichen Forschung – Napoleons Tod in dem Spiegel zeitgenössischer Dichtung – wir sind in dem Begriff, abzureisen – ich bin nicht in dem Stande, einen Bissen zu essen. Dagegen läßt sich wohl unterscheiden: das Haus ist wieder in Stand gesetzt worden, und: der Verfasser will uns in den Stand setzen, selbst an der Forschung teilzunehmen. Bei dem bloßen in Stand (d. h. in’n Stand) ist der Artikel verschlungen (vgl. in Händen haben, in Kauf nehmen).

[119] An den Leipziger Pferdebahnwagen war am Hintertritt folgender Satz mit Gänsefüßchen (!) angeschrieben: „Dieser Platz des Hinterperrons bleibt frei.“ Offenbar war der Satz ein Zitat. Aber woher? Büchmann gibt keine Auskunft.

[120] Ein gemeiner Provinzialismus (aus Berlin?), der aber neuerdings rasch Fortschritte macht, ist der Gebrauch von hoch für oben und zugleich für hinauf, herauf, empor, in die Höhe, z. B. hoch kommen, hoch gehen, hoch holen (eine Flasche aus dem Keller); wenn ich einmal hoch bin, dann geh ich nicht gleich wieder runter; ein ebenso gemeiner (aus Wien?) der Gebrauch von oben für hinauf, z. B. oben gehen. In anständigem Deutsch geht man weder hoch noch oben, sondern hinauf.

[121] Dieser dumme Strich hat es mit sich gebracht, daß nun auch geschrieben wird: zwischen 1670 bis 1710. Offenbar hatte einer geschrieben: zwischen 1670–1710, ein andrer schrieb das ab und wollte ein Wort aus dem Striche machen. Hier hätte er aber den Strich als und lesen sollen! Besser, man macht keine Striche, sondern schreibt Wörter.

[122] Wenn Wolfgang Müller von der Wunderblume singt: Sie blüht nur einmal alle hundert Jahr, so heißt das nur, daß sie im Verlaufe von hundert Jahren einmal blühe. Soll aber ausgedrückt werden, daß sie in regelmäßigen Zwischenräumen von hundert Jahren blühe, so ist das einmal ganz überflüssig; dann genügt es, sagen: sie blüht aller hundert Jahr.

[123] Ich hatte einmal eine Zeit lang in regelmäßigen Zwischenräumen in der Zeitung bekanntzumachen, daß nächste Mittwoch Abend 8 Uhr eine gewisse Versammlung abgehalten werde (ich gehöre nämlich zu den altmodischen Leuten, die Mittwoch noch für ein Wort weiblichen Geschlechts halten). Regelmäßig hatte mir der Zeitungsetzer, der es natürlich besser wußte, nächste Mittwoch Abends daraus gemacht, bis ich mirs endlich verbat.

[124] Bei Handlungen, die noch bevorstehen, wird die erste Verbindung vorgezogen, bei Handlungen, die vorüber sind, die zweite. Wann wird er zurückkehren? (Den) Donnerstag. Wann ist er zurückgekehrt? Am Donnerstag.

[125] Zu den nicht auszurottenden Scherzen der Geschäftssprache gehört das sogenannte „Undzeichen“ &, das angeblich zur Abkürzung des Wörtchens und gebraucht wird. Es ist aber gar kein Undzeichen, sondern es ist weiter nichts als das verschnörkelte lateinische Wörtchen et. Aber alle Geschäftsleute und Firmenschreiber sind glückselig, wenn sie schreiben können: Calw et Stuttgart, Max et Johann Schneider, Tricotagen et Strumpfwaren, Conditorei et Café, Schnitzel mit Schoten et Karotten. Als ob nicht und eben so kurz wäre!

[126] Durch falsche Stellung oder Beziehung der Negation kann der Sinn eines Satzes vollständig verschoben werden. Es ist ein großer Unterschied, ob ich sage: Nicht alle Bücher dieses Verzeichnisses sind eingebunden, oder: Alle Bücher dieses Verzeichnisses sind nicht eingebunden. Auf den Programmen der Leipziger Gewandhauskonzerte steht: Für die Aufführung sämtlicher Nummern dieses Programms wird keine Gewähr übernommen, d. h.: es ist möglich, daß das ganze Programm nicht aufgeführt wird – eine schöne Aussicht! Die Direktion will aber sagen: es ist möglich, daß nicht das ganze Programm aufgeführt wird. Das hätte sie auf ihre Weise so ausdrücken müssen: Dafür, daß sämtliche Nummern dieses Programms aufgeführt werden, wird keine Gewähr übernommen.

[127] Freilich war kein ursprünglich gar kein verneinendes, sondern ein unbestimmtes Fürwort (irgend ein). Luther hat es sicherlich noch so gefühlt.

[128] Es gibt jetzt Schriftsteller, die vor lauter Ziererei nicht mehr traurig sagen, sondern unfroh.

[129] In der Schiffersprache geht man in See, an Land, an Bord, auf Deck, und der Soldat zieht auf Wache. Neuerdings ist es aber auch fein geworden, nicht mehr auf die Jagd zu gehen, sondern auf Jagd (oder vielmehr auf Jacht, natürlich nachdem man vorher ein Stück „mitm Zuch jefahren is“), und der junge Leutnant wird auf Festung kommandiert oder geht auf Kriegsschule. Schließlich geht man vielleicht auch noch auf Universität, setzt sich auf Stuhl und klettert auf Baum.

[130] Falsch ist es natürlich auch, das Hauptwort solcher Redensarten in die Mehrzahl zu setzen: hierüber sind neuerdings Klagen geführt worden. Man führt nur Klage, aber nicht Klagen.

[131] Solche Zusammenziehungen stehen ungefähr auf derselben Stufe wie die bekannten scherzhaften Wortverbindungen: geo- und arithmetisch – teils aus Frömmig-, teils zum Zeitvertreib – der heutige Tag wird mir ewig denk- und gegenwärtig bleiben.

[132] Vollends arg sind Zusammenziehungen wie: unsre Arbeit und Streben. Über solche Sudelei ist natürlich kein Wort zu verlieren; für sie gibt es auch keinen Schein von Entschuldigung.

[133] Das geschieht z. B. bei der Verdopplung einer Präposition wie: an diese Jugendarbeit schlossen sich mehrere Dramen an – sie traten aus der Landeskirche aus – man warf ihn aus dem Zimmer hinaus – das Gymnasium geriet in einen innern Widerspruch hinein – dieser Gedanke zieht sich wie ein roter Faden durch das Gesetz hindurch – wir können uns schlechterdings nicht darum herumdrücken. Gegen solche Verdopplungen ist nichts einzuwenden.

[134] Von einem Leipziger Bankier erzählt man, daß er auf die Frage, ob er eine gewisse ausländische Geldsorte beschaffen könne, mit der Gegenfrage geantwortet habe: muß es denn jetzt alleweile gleich in demselben Momente sein? Ein Schaubudenbesitzer macht bekannt: „Morgen Eintritt ausschließlich nur allein für Damen.“

[135] Dabei hier noch der gemeine Provinzialismus, daß brauchen mit dem bloßen Infinitiv verbunden ist! (Vgl. S. 61.)

[136] Ein neutraler Begriff ist Lage. Ich bin in der Lage – kann ebensogut heißen: ich habe die Möglichkeit, wie: ich bin genötigt. Hier muß die besondre Art der Lage durch ein können oder müssen näher bezeichnet werden. Dagegen ist es natürlich überflüssig, zu schreiben: er wird in die Zwangslage gebracht, sich mit einer Stellung zweiten Ranges begnügen zu müssen. Vereinzelt wird übrigens auch der umgekehrte Fehler gemacht, nämlich das Hilfszeitwort weggelassen, wo es ganz notwendig ist, z. B.: wir erklärten, dazubleiben – wo es heißen muß: dableiben zu wollen, denn in erklären liegt noch nicht der Begriff der Absicht.

[137] Alle diese Beispiele sind, wie ausdrücklich bemerkt werden mag, nicht erfunden!

[138] Übrigens kann ein Bild auch ohne Vermengung mit andern geschmacklos wirken, nämlich dann, wenn es zu sehr ausgetitscht wird; so, wenn es von den Arbeiten, die ein Schriftsteller seinem Verleger einsandte, heißt: jede jährliche Ernte seines Fleißes und Talentes hat er in den Hof des befreundeten Hauses eingefahren.

[139] Mit dem Voranstellen des abhängigen Genitivs muß man überdies vorsichtig sein. Vor kurzem ist ein Buch erschienen: Lichtenbergs Mädchen. Da fragt doch der Leser sofort: das oder die?

[140] Das Mitglied Eugen Richter des Reichstags habe ich wirklich gedruckt gelesen.

[141] Die Inversion findet sich in der ältern Zeit auch nach denn und nämlich; wird das heute jemand nachmachen wollen? Vortrefflich schließt O. Erdmann einen Aufsatz über die Geschichte der Inversion mit den Worten: „Das historische Studium des ältern Sprachgebrauchs soll einem vernünftigen und kräftigen Streben nach Regelrichtigkeit des gegenwärtigen und künftigen nicht hinderlich, sondern förderlich werden.“

[142] Ein Meister des deutschen Stils, Otto Gildemeister, schrieb einem jungen Neffen, als dieser in einem Brief an ihn eine Inversion gebraucht hatte: So schreiben Kommis und schlechte Journalisten, aber kein edler deutscher Jüngling. Diese Inversion ist so schlimm wie mit dem Messer essen. Tu es nicht wieder!

[143] Tausendmal habe ich bei der Durcharbeitung von Manuskripten das sich heraufgeholt an die richtige Stelle, und niemals haben die Verfasser, wenn sie die Druckkorrektur bekamen, etwas davon gemerkt; alle haben darüber weggelesen, als ob sie selber so geschrieben hätten. Und hundertmal ist mir in Manuskripten der Fall begegnet, daß der Verfasser bei der ersten Niederschrift das sich an die richtige Stelle gesetzt, aber beim Wiederdurchlesen dort ausgestrichen und dann hinten, unmittelbar vor dem Verbum, hineingeflickt hatte – niemals das umgekehrte! Damit ist schlagend bewiesen, daß die Voranstellung des sich das natürliche ist und das, was jedem, der unbefangen schreibt, aus der lebendigen Sprache zunächst in die Feder läuft; erst wenn das Drechseln und Feilen beginnt, entsteht die Unnatur.

[144] Nur wo ein Mißverständnis, eine Verwechslung von Subjekt und Objekt möglich ist, hat es einen Sinn, das Subjekt in dieser ängstlichen Weise vor das Fürwort zu stellen, z. B. Vater und Mutter müssen sich darein finden, daß die Kinder sie verlassen. Aber ist etwa ein Mißverständnis möglich, wenn man sagt: Tatsachen machen sich geltend, gleichviel ob sie die Juristen definieren können oder nicht? Wird hier jemand die Juristen für das Objekt halten?

[145] Der Ausdruck ist von Gottfried Hermann gebildet.

[146] Der Volksmund vermeidet das sogar zuweilen bei dem unbestimmten Artikel und dem unbestimmten Fürwort und sagt: das ist gar ein merkwürdiger Mensch, das ist ganz was feines.

[147] Tausendmal habe ich in Manuskripten auch diese häßliche Wortstellung beseitigt, und niemals haben die Verfasser, wenn sie ihre Druckkorrektur erhielten, von der Änderung etwas gemerkt, immer haben sie ohne Anstoß darüber weggelesen, also offenbar geglaubt, sie hätten selber so geschrieben! Wenn es wirklich ein so starkes logisches Bedürfnis wäre, das Adverb einzuschieben, so hätte doch einmal einer Anstoß nehmen und seine ursprüngliche Fassung wiederherstellen müssen!

[148] Ein harmloses Menschenkind, dem die zwei Präpositionen hintereinander doch wider den Strich gingen, schrieb: mit Zumherunterlassen eingerichteten Fenstern!

[149] Ähnlich: der Dichter begnügt sich mit einer Skizze, da wo wir ein ausgeführtes Bild erwarten. Nach dem Satzbau: der Dichter begnügt sich mit einer Skizze da, wo wir usw.

[150] In dem hübschen Scherz: Der Papierreisende (Gesammelte Schriften, Bd. 2).

[151] Bedingungssätze statt mit wenn mit dem Verbum anzufangen ist an sich nicht übel, nur darf das Verbum dann nicht unmittelbar hinter dem des Hauptsatzes stehen, z. B. ich muß eilen, will ich den Zug nicht versäumen – ein gewissenhafter Mann darf, will er seinen Ruf nicht gefährden – es ist manches verschwiegen, was gesagt werden müßte, sollte die Veröffentlichung überhaupt Berechtigung haben. Wer laut schreibt, wird so etwas nie schreiben. Die beiden Verba platzen aufeinander wie ein paar Lokomotiven. Schreibt man wenn, so mündet der Nebensatz leicht und natürlich ein wie ein Nebenflüßchen, das den Fluß des Hauptsatzes beschleunigt. Hüten muß man sich vor der Häufung einsilbiger Wörter. Doch kann auch eine lange Reihe einsilbiger Wörter ganz fließend klingen, wenn sie durch den Akzent zu Gruppen zusammengefaßt werden, z. B.: ein Umstand, wie es ihn | bis jetzt | noch fast gar nicht | gegeben hat.

[152] Sehr komisch ist es, wenn unwillkürlich einmal die gesunde Natur durch die Manier durchbricht, wo es zu spät ist. Dann entstehen Sätze wie: es ist zu bedauern, was für ein Aufwand von Zeit und Mühe darauf verwendet worden ist – die Erfahrungen, die man in Dresden mit dieser Einrichtung gemacht hat, dürften den Beweis für die Notwendigkeit derselben genügend bewiesen haben – eine telegraphische Nachricht, wonach die Möglichkeit einer persönlichen Begegnung für möglich erachtet wurde.

[153] Schon als Knaben haben mich die Verse nachdenklich gemacht: Ritter, treue Schwesterliebe widmet euch dies Herz. Dann heißt es weiter: fordert keine andre Liebe – wo mir wieder fordert wie ein zweites Prädikat zu Schwesterliebe erschien.

[154] Wenn aber Sigismund Breslauer anzeigt, daß er für alte Kleider staunend hohe Preise bezahle, und Sigismund Cohn, daß er zu staunend niedrigen Preisen verkaufe, so ist das natürlich wieder eine Verwechslung; sie meinen erstaunlich hohe und niedrige Preise.

[155] In Leipzig wird ein Hauskauf nicht ins Grundbuch geschrieben, sondern grundbücherlich (so!) verlautbart.

[156] Das niedrige Volk sagt jetzt auch: da hört sich alles auf! offenbar, indem es die Redensart: das gehört sich – damit zusammenwirft.

[157] Im Friseurladen redet man jetzt von amerikanischer Kopfwäsche. Wenn jemand im Neuen Testament von Jesu Fußwäsche reden wollte!

[158] Im sechzehnten Jahrhundert sprach man noch von Unterrichtung. Als dafür Unterricht aufkam (anfangs gewiß auf der letzten Silbe betont), muß sprachfühlenden Leuten ähnlich zumute gewesen sein wie uns heute beim Vollzug und beim Entscheid.

[159] Bei dem jetzt so beliebten entfallen mag wohl das lateinische dis vorgeschwebt haben, das in distrahere die Trennung, in distribuere die Verteilung bedeutet.

[160] Ein Fehler ist es übrigens, diese Präfixe abzutrennen und zu betonen, wie An- und Verkauf, be- und entladen, Be- und Entwässerung. Getrennt und betont werden können immer nur echte Präpositionen: auf- und absteigen, Ab- und Zugang; dagegen Ankauf und Verkauf.

[161] Auch mit den Präpositionen springen sie in derselben Weise um wie mit den Präfixen. In der Sprache des gewöhnlichen Lebens wird ein neues Haus gedeckt, eine neue Kirche gewölbt, eine Straße gepflastert, Sandsteinfiguren werden an einem Hause angebracht, Bilder werden eingerahmt, und wenn man eine Stube tapezieren läßt, so werden die Möbel vorher zugedeckt; sowie aber der Architekt davon spricht, wird das Haus eingedeckt, die Kirche eingewölbt, die Straße abgepflastert, die Figuren werden aufgebracht, die Bilder gerahmt, und die Möbel – abgedeckt! Gewöhnlich werden Farben gemischt, und zu einer Lotterie werden auch die Lose gemischt. Der Farbenfabrikant aber empfiehlt seine Ausmischungen sämtlicher Farbentöne, und die Lotteriedirektion spricht von der Einmischung der Lose. Gewöhnlich wird ein Vogel von der Stange abgeschossen, und unnütze Sperlinge werden weggeschossen; sowie aber der Herr Landrat davon spricht, werden die Sperlinge abgeschossen. Der gewöhnliche Mensch begnügt sich damit, etwas zu liefern. Im Bauwesen aber werden Steine, Kalk, Ziegel angeliefert, und bei der Post werden Briefe, Postkarten, Pakete, Zeitungen sogar aufgeliefert! Der gewöhnliche Mensch beschneidet in seinem Garten einen Trieb, der Gärtner aber kürzt ihn ein usw.

[162] Höchstens Wollust und Jawort ließen sich vergleichen.

[163] Auch Wörter wie Pflegemutter, Betschwester, Schreihals, Singvogel, Stechapfel, Stinktier machen nur scheinbar eine Ausnahme, auch Beißkorb und Klapperdeckchen, denn sie bezeichnen Dinge, die den Zweck haben, Beißen und Klappern zu verhüten. Nur Bratheringe, Röstkartoffeln und Schlagsahne haben ihren Zweck schon erfüllt, sie sind schon gebraten, geröstet und geschlagen.

[164] Die früheste Anwendung von voll und ganz, freilich in gehaltvollerem Sinne als in Parlaments- und Festreden, wiewohl auch schon ein wenig als Lückenbüßer, steht in Tiecks Übersetzung von Shakespeares Antonius und Kleopatra (I, 3):

Der Zeiten strenger Zwang heischt unsern Dienst
Für eine Weile; meines Herzens Summe
Bleibt dein hier voll und ganz.
(The strong necessity of time commands
Our services a while; but my full heart
Remains in use with you.)

Dingelstedt gebraucht es 1851 in seinem Gedicht „Christnacht“, worin er den Heiland des Jahrhunderts herbeiwünscht, aber nicht als Kind,

Nein, groß und fertig, voll und ganz
Entsteig’ er unsern Dämmerungen –

schon ironisch. In einer Erinnerung an Gottfried Keller (Berliner Tageblatt vom 13. April 1891) wird erzählt, Keller habe, als in der Unterhaltung mit ihm jemand voll und ganz gebraucht habe, ausgerufen: „Voll und ganz! Hm, hm! Da sieht man, was ihr für Patrone seid! Phrase, nichts als Phrase! Voll und ganz ist das charakterloseste Wort, das es gibt, trotz seiner Fülle!“

[165] Als der junge Goethe 1773 seine kecke Schrift „Von deutscher Baukunst“ hatte drucken lassen, schrieb der wackere kurf. sächsische Hofbaumeister Krubsacius eine Kritik darüber. Darin spricht er auch von der „neumodischen Schreibart“, die schon so vielfältig ausgespottet worden sei und trotzdem immer weiter um sich gegriffen habe. Daran knüpft er die wahrhaft klassischen Worte: „Ein Mißbrauch wird nicht anders als durch sich selbst ausgerottet, wenn er nämlich zu einer solchen Höhe anwächst, daß ein jeder, der nicht zu stumpfe Sinne hat, das Ungeheure davon gewahr werden kann.“

[166] Abgesehen natürlich von Infinitiven, die ganz zu Substantiven geworden sind, wie Leben, Essen, Vergnügen, Vermögen, Wohlwollen u. a.

[167] Seitdem dieses Kapitel veröffentlicht worden ist, ist der Mißbrauch erfreulicherweise bedeutend zurückgegangen. Trotzdem mag es unverändert hier wieder abgedruckt werden – als sprachgeschichtliches Zeugnis.

[168] Neuerdings wird das Wort sogar für anfertigen, schaffen gebraucht: er hat sich ein Paar neue Stiefel fertigstellen lassen – eine Sonate ist mit weniger Zeit und Mühe fertigzustellen als eine Symphonie!

[169] Von festen Körpern nur in dem Sinne von zerkleinert; klarer Zucker, klares Holz.

[170] Soll vielleicht auch weiter gezählt werden: die zweitmalige, drittmalige usw.?

[171] Eine Leipziger Zeitung schrieb neulich: das Rathaus besitzt denselben Baumeister wie die Pleißenburg!

[172] Anders in „Künstlers Erdewallen“, wo es von dem Kunstschatz des Reichen heißt: „Und er besitzt dich nicht, er hat dich nur.“

[173] Das t ist dasselbe unorganische Anhängsel wie in jetzt, selbst und Obst. In Leipzig sagt das Volk auch anderst, Rußt, Harzt.

[174] Früher hieß es im Namen des Königs, aus Mangel an genügendem Angebot, jetzt nur noch namens des Königs – mangels genügenden Angebots. Schon der häßliche Gleichklang, der ganz unnötigerweise durch die Häufung der Genitiv-s entsteht, hätte von solchen Bildungen abhalten sollen. Aber die Leute sind ganz vernarrt in solche Genitive; man denke auch an: anfangs (!) Oktober (vgl. S. 8).

[175] Ein solches s drängt sich freilich gar zu gern ein, man denke an vollends, bereits, öfters, nirgends, zusehends, durchgehends, allerdings, schlechterdings (um 1700 noch aller Dinge, schlechter Dinge), „neuerdings“ auch folgends. Bei den meisten dieser Wörter fühlen wir gar nicht mehr das Unorganische des s, höchstens noch bei öfters. Wir fühlen es aber sofort wieder, wenn wir das häßliche süddeutsche und österreichische weiters und durchwegs hören: ein selbständiges, durchwegs auf Erfahrung begründetes Urteil – oder wenn wir unversehens und unbesehens lesen: der Zuhörer steht unversehens vor dem Dämonischen – er hätte dieses Argument nicht so unbesehens hinnehmen sollen.

[176] Bezüglich ist Präposition und bedeutet dasselbe wie hinsichtlich, rücksichtlich.

[177] Auf einige häßliche Austriazismen ist schon in der Formenlehre und in der Satzlehre hingewiesen worden. Vgl. S. 17 und 58.

[178] Manche Kaufleute behaupten, in dem ab liege ein besondrer Sinn; es solle ausdrücken, daß der Übergang einer Ware aus dem Besitz des Kaufmanns in den des Käufers an der angegebnen Stelle (ab Bahnhof, ab Lager) geschehe; der Bahnhof, das Lager sei der „Erfüllungsort“. Davon hat aber doch der harmlose Käufer, der so etwas in der Zeitung liest, keine Ahnung.

[179] Unsre Professoren lachen heute, wenn sie in einem Buche des achtzehnten Jahrhunderts lesen: die iniquitaet ist manifest oder: wir müssen diese difficultaeten superiren. Mache sie es denn aber um ein Haar besser?

[180] Freilich gehen Technik und Wissenschaft mit bösem Beispiel voran. Vgl. Taxameter, Automobil, homosexuell (dessen erste Hälfte auch „gebildete“ Leute für das lateinische homo halten!), Telefunken u. ähnl.

[181] Sehr bitter spottete einmal darüber ein junger französischer Student in Leipzig. Die deutschen Mädchen, sagte er, glauben, sie müßten Colliers tragen, weil jeder Hund ein Halsband trägt. In Paris trägt aber doch jeder Hund ein Collier!

[182] Ein vortrefflicher deutscher Schriftsteller, August Apel, nennt (1815) einen eingebildeten Kunstkenner einen Connaisseur und fügt hinzu: Ich liebe fremde Worte, um die affektierende Abart zu bezeichnen.

[183] Weiß der Leser, wie konstatieren entstanden ist? Durch Anhängen der Endung -ieren an das lateinische Impersonale constat. Fast unglaublich, aber Tatsache. Und dabei ist in 999 von 1000 Fällen konstatieren nichts weiter als ein ganz überflüssiger Henkel für einen Aussagesatz. Man sagt nicht: der Hund hat einen Schwanz, sondern man konstatiert, daß der Hund einen Schwanz hat.

[184] In einem längern Aufsatze, worin Moment und Faktor jedes etwa ein Dutzend mal vorkamen, machte ich mir den Spaß, sie regelmäßig miteinander zu vertauschen. Als ich die Druckkorrektur des Verfassers erhielt, sah ich, daß er nicht das Geringste davon gemerkt hatte. Was müssen das für Wörter sein, mit denen man sich solche Scherze erlauben kann! Ein rechtes Kreuz sind die gesetzgebenden Faktoren; könnte man die doch irgendwie los werden!

[185] Schon Schiller schreibt 1797 an Goethe: Sie müssen eine Epoche gehabt haben, die ich Ihre analytische Periode nennen möchte.

*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 69894 ***