The Project Gutenberg EBook of Mitteilungen aus den Memoiren des Satan V2 by Wilhelm Hauff (#7 in our series by Wilhelm Hauff) Copyright laws are changing all over the world. Be sure to check the copyright laws for your country before downloading or redistributing this or any other Project Gutenberg eBook. This header should be the first thing seen when viewing this Project Gutenberg file. Please do not remove it. Do not change or edit the header without written permission. Please read the "legal small print," and other information about the eBook and Project Gutenberg at the bottom of this file. Included is important information about your specific rights and restrictions in how the file may be used. You can also find out about how to make a donation to Project Gutenberg, and how to get involved. **Welcome To The World of Free Plain Vanilla Electronic Texts** **eBooks Readable By Both Humans and By Computers, Since 1971** *****These eBooks Were Prepared By Thousands of Volunteers!***** Title: Mitteilungen aus den Memoiren des Satan V2 Author: Wilhelm Hauff Release Date: November, 2004 [EBook #6891] [This file was first posted on February 7, 2003] Edition: 10 Language: German Character set encoding: ASCII *** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK, MITTEILUNGEN AUS DEN MEMOIREN DES SATAN V2 *** Delphine Lettau and teh Online Distributed Proofreading Team. WILHELM HAUFF MITTEILUNGEN AUS DEN MEMOIREN DES SATAN ZWEITER TEIL. VORSPIEL. Worin von Prozessen, Justizraeten die Rede; nebst einer stillschweigenden Abhandlung: "Was von Traeumen zu halten sei?" Dieser zweite Teil der Mitteilungen aus den Memoiren des Satan erscheint um ein voelliges Halbjahr zu spaet. Angenehm ist es dem Herausgeber, wenn die Leser des ersten sich darueber gewundert, am angenehmsten, wenn sie sich darueber geaergert haben; es zeigt dies eine gewisse Vorliebe fuer die schriftstellerischen Versuche des Satan, die nicht nur ihm, sondern auch seinem Herausgeber und Uebersetzer erwuenscht sein muss. Die Schuld dieser Verspaetung liegt aber weder in der zu heissen Temperatur des letzten Spaetsommers, noch in der strengen Kaelte des Winters, weder im Mangel an Zeit oder Stoff, noch in politischen Hindernissen; die einzige Ursache ist ein sonderbarer Prozess, in welchen der Herausgeber verwickelt wurde und vor dessen Beendigung er diesen zweiten Teil nicht folgen lassen wollte. Kaum war naemlich der erste Teil dieser Memoiren in die Welt versandt und mit einigen Posaunenstoessen in den verschiedenen Zeitungen begleitet worden, als ploetzlich in allen diesen Blaettern zu lesen war eine W a r n u n g v o r B e t r u g "Die bei Fr. Franckh in Stuttgart herausgekommenen Memoiren des Satan sind nicht von dem im Alten und Neuen Testament bekannten und durch seine Schriften: Elixiere des Teufels, Bekenntnisse des Teufels, als Schriftsteller beruehmten Teufel, sondern gaenzlich, falsch und unecht, was hiemit dem Publikum zur Kenntnis gebracht wird." Ich gestehe, ich aergerte mich nicht wenig ueber diese Zeilen, die von niemand unterschrieben waren. Ich war meiner Sache so gewiss, hatte das Manuskript von niemand anders als dem Satan selbst erhalten, und nun, nach vielen Muehen und Sorgen, nachdem ich mich an den infernalischen Chiffern beinahe blind gelesen, soll ein solcher anonymer Totschlaeger ueber mich herfallen, meine literarische Ehre aus der Ferne totschlagen und besagte Memoiren fuer unecht erklaeren? Waehrend ich noch mit mir zu Rate ging, was wohl auf eine solche Beschuldigung des B e t r u g e s zu antworten sei, werde ich vor die Gerichte zitiert und in Kenntnis gesetzt, dass ich einer Namensfaelschung, eines literarischen Diebstahls angeklagt sei, und zwar--vom Teufel selbst, der gegenwaertig als Geheimer Hofrat in persischen Diensten lebe. Er behauptete naemlich, ich habe seinen Namen Satan missbraucht, um ihm eine miserable Scharteke, die er nie geschrieben, unterzuschieben; ich habe seinen literarischen Ruhm benuetzt, um diesem schlechten Buechlein einen schnellen und eintraeglichen Abgang zu verschaffen; kurz, er verlange nicht nur, dass ich zur Strafe gezogen, sondern auch, dass ich angehalten werde, ihm Schadenersatz zu geben, "dieweil ihm ein Vorteil durch diesen Kniff entzogen worden". Ich verstehe so wenig von juridischen Streitigkeiten, dass mir frueher schon den Name Klage oder Prozess Herzklopfen verursachte; man kann sich also wohl denken, wie mir bei diesen schrecklichen Worten zu Mute ward. Ich ging niedergedonnert heim und schloss mich in mein Kaemmerlein, um ueber diesen Vorfall nachzudenken. Es war mir kein Zweifel, dass es hier drei Faelle geben koenne. Entweder hatte mir der Teufel selbst das Manuskript gegeben, um mich nachher als Klaeger recht zu aengstigen und auf meine Kosten zu lachen; oder irgendein boeser Mensch hatte mir die Komoedie in Mainz vorgespielt, um das Manuskript in meine Haende zu bringen, und der Teufel selbst trat jetzt als erbitterter Klaeger auf; oder drittens, das Manuskript kam wirklich vom Teufel, und ein muessiger Kopf wollte jetzt den Satan spielen und mich in seinem Namen verklagen. Ich ging zu einem beruehmten Rechtsgelehrten und trug ihm den Fall vor. Er meinte, es sei allerdings ein fataler Handel, besonders weil ich keine Beweise beibringen koenne, dass das Manuskript von dem echten Teufel abstamme, doch er wolle das Seinige tun und aus der bedeutenden Anzahl von Buechern, die seit Justinians _Corpus juris_ bis auf das neue birmanische Strafgesetzbuch ueber solche Faelle geschrieben worden seien, einiges nachlesen. Das juridische Stiergefecht nahm jetzt foermlich seinen Anfang. Es wurde, wie es bei solchen Faellen herkoemmlich ist, so viel darueber geschrieben, dass auf jeden Bogen der Memoiren des Satan ein Ries Akten kam, und nachdem die Sache ein Vierteljahr anhaengig war, wurde sogar auf Unrechtskosten eine neue Aktenkammer fuer diesen Prozess eingeraeumt; ueber der Tuere stand mit grossen Buchstaben: "Acta in Sachen des persischen G. H. R. T e u f e l s gegen _Dr._ H----f, betreffend die Memoiren des Satan." Ein sehr guenstiger Umstand fuer mich war der, dass ich auf dem Titel nicht "Memoiren des Teufels", sondern "des Satan" gesagt hatte. Die Juristen waren mit sich ganz einig, dass der Name T e u f e l in Deutschland sein F a m i l i e n n a m e sei, ich habe also wenigstens diesen nicht zur Faelschung gebraucht; Satan hingegen sei nur ein angenommener, willkuerlicher; denn niemand im Staate sei berechtigt, zwei Namen zu fuehren. Ich fing an, aus diesem Umstand guenstigere Hoffnungen zu schoepfen; aber nur zu bald sollte ich die bittere Erfahrung machen, was es heisse, den Gerichten anheimzufallen. Das Referat in Sachen des _et cetera_ war naemlich dem beruehmten Justizrat Wackerbart in die Haende gefallen, einem Manne, der schon bei Daempfung einiger grossen Revolutionen ungemeine Talente bewiesen hatte und neuerdings sogar dazu verwendet wurde, bedeutende Unruhen in einem Gymnasium zu schlichten. Stand nicht zu erwarten, dass ein solcher beruehmter Jurist meine Sache nur als eine _cause celebre_ ansehen und sie also handhaben werde, dass sie, gleichviel wem von beiden Recht, ihm am meisten Ruhm einbraechte? Hierzu kam noch der Titel und Rang meines Gegners; Wackerbart hatte seit einiger Zeit angefangen, sich an hoehere Zirkel anzuschliessen; musste ihm da ein so wichtiger Mann, wie ein persischer Geheimer Hofrat, nicht mehr gelten als ich Armer? Es ging, wie ich vorausgesehen hatte. Ich verlor meine Sache gegen den Teufel. Strafe, Schadenersatz, aller moegliche Unsinn wurde auf mich gewaelzt; ich wunderte mich, dass man mich nicht einige Wochen ins Gefaengnis sperrte oder gar haengte. Man hatte hauptsaechlich folgendes gegen mich in Anwendung gebracht: E n t s c h e i d u n g s = G r u e n d e zu dem vor dem Kriminalgericht Klein=Justheim, unter dem 4. Dezember 1825 gefaellten Erkenntnis in der Untersuchungssache gegen den _Dr_. .....f w e g e n B e t r u g e s. 1. Es ist durch das Zugestaendnis des Angeklagten erhoben, dass er keine Beweise beizubringen weiss, dass die von ihm herausgegebenen Memoiren des Satan wirklich von dem bekannten echten Teufel, so gegenwaertig als Geheimer Hofrat in persischen Diensten lebt, herruehren. Ferner hat der Angeschuldigte .....f zugegeben, dass die in oeffentlichen Blaettern darueber enthaltene Ankuendigung mit seinem Wissen gegeben sei. 2. Die letztgedachte Ankuendigung ist also abgefasst, dass hieraus die Absicht des Verfassers, die Lesewelt glauben zu machen, dass "die Memoiren des Satan" von dem wahren, im Alten und Neuen Testament bekannten und neuerdings als Schriftsteller beliebten Teufel geschrieben seien, nur allzu deutlich hervorleuchten tut. 3. Durch diese Verfahrungsart hat sich der Angeklagte .....f eines Betruges, alldieweilen solcher im allgemeinen in jedweder aus impermissen Kommodum fuer sich oder Schaden anderer gerichteten unrechtlichen Taeuschung anderer, entweder, indem man falsche Tatsachen mitteilt oder wahre dito nicht angibt--besteht; oder, um uns naeher auszudruecken, da hier die Sprache v o n e i n e r W a r e u n d g e d r u c k t e m B u c h ist--einer F a e l s c h u n g schuldig gemacht; denn durch den Titel "Memoiren des Satan" und die Anpreisung des Buches wurde der Lesewelt falsch vorgespiegelt, dass das Buch ausdruecklich von dem unter dem Namen Satan bekannten, k. persischen Geheimen Hofrat Teufel verfasst sei, was beim Verkauf des Werkes verursachte, dass es schneller und in groesserer Quantitaet abging, als wenn das Buechlein unter dem Namen des Herrn ....f, so dem Publiko noch gar nicht bekannt ist, erschienen waere, und wodurch die, so es kauften, in ihrer schoenen Erwartung, ein echtes Werk des Teufels in Haenden zu haben, schnoede betrogen wurden. 4. Wenn der Herr _Dr_. .....f, um sich zu entschuldigen, dagegen einwendet, dass der Name Satan in Deutschland nur ein angenommener sei, worauf der Teufel, wie man ihn gewoehnlich nennt, keinen Anspruch zu machen habe, so bemerken wir Kriminalleute von Klein=Justheim sehr richtig, dass sich .....f auf den Gebrauch jenes angenommenen, uebrigens bekanntermassen den Teufel sehr wohl bezeichnenden Namens nicht beschraenkt, sondern in dem Werke selbst ueberall durchblicken laesst, namentlich in der Einleitung, dass der Verfasser derjenige Teufel oder Satan sei, welcher dem Publiko, besonders dem Frauenzimmer, wie auch denen Gelehrten durch fruehere Opera, z. B. die Elixiere des Teufels _et cetera_ ruehmlichst bekannt ist, wodurch wohl ebenfalls niemand anderes gemeint ist als der Geheime Hofrat Teufel. 5. Man muss lachen ueber die Behauptung des Inkulpaten, dass das in Frage stehende Opuskulum, wie auch nicht destoweniger seine Anzeige, eigentlich eine Satire auf den Teufel und jegliche Teufelei jetziger Zeit sei! Denn diese Entschuldigung wird durch den Inhalt der Schrift selbst widerlegt; ja, jeder Leser von Vernunft muss das auch wohl eher fuer eine etwas geringe Nachaeffung der Teufeleien als fuer--eine Satire auf dieselben erkennen. Waere aber auch, was wir Juristen nicht einzusehen vermoegen, das Werk dennoch eine Satire, so ist durchaus kein guenstiger Umstand fuer .....f zu ziehen, weil derjenige Kaeufer, der etwas E c h t e s, vom Teufel Verfasstes kaufen wollte, erst nach dem Kauf entdecken konnte, dass er betrogen sei. 6. Ausser der voellig rechtswidrigen Taeuschung der Lesewelt, Leihbibliotheken _et cetera_, ist in der vorliegenden Defraudation auch ein Verbrechen gegen den begangen, dessen Name oder Firma missbraucht worden, naemlich und spezialiter gegen den Geheimen Hofrat Teufel, welcher sowohl als Gelehrter und Schriftsteller, als von wegen des Honorars seiner uebrigen Schriften sehr dabei interessiert ist, dass nicht das Geschreibsel anderer als von ihm niedergeschrieben, wie auch erdacht, angezeigt und verkauft werde. 7. Wenn endlich der Angeklagte behauptet, dass er das Buch arglos herausgegeben, ohne das Klein=Justheimer Recht hierueber zu kennen, dass ihn auch bei der Faelschung durchaus keine gewinnsuechtigen Absichten geleitet haetten, so ist uns dies gleichgueltig und haben nicht darauf Ruecksicht zu nehmen; denn Faelschung ist Faelschung, sei es, ob man englische Teppiche nachahmt und als echt verkauft, aber Buecher schreibt unter falschem Namen; ist alles nur verkaeufliche Ware und kann den Begriff des Vergehens nicht aendern, weil immer noch die Taeuschung und Anschmierung der Kaeufer restiert und zwar ebenfalls nichts destominder auch alsdann, wenn die Memoiren des Satan gleichen Wert mit den uebrigen Buechern des Teufels haetten (was wir Klein=Justheimer uebrigens bezweifeln, da jener Geheimer Hofrat ist), weil dem Ebengedachten schon das Unterschieben eines fremden Machwerkes unter seinem Namen ein Schaden in juridischem Sinne sein tut. Es ist daher, wie man getan hat, erkannt worden usw. usw. (Gez.) Praesident und Raete des Kriminalgerichts zu Klein=Justheim. Hast du, geneigter Leser, nie die beruehmten Nuernberger Gliedermaenner gesehen, so, kunstreich aus Holz geschnitzelt, ihre Gliedlein nach jedem Druck bewegen? Hast du wohl selbst in deiner Jugend mit solchem Maennlein gespielt und allerlei Kurzweil mit ihm getrieben und probiert, ob es nicht schoener waere, wenn er z. B. das Gesicht im Nacken truege und den Ruecken hinunterschaue, oder ob es nicht vernuenftiger waere, wenn ihm die Beine ein wenig umgedreht wuerden, dass er vor= und rueckwaerts spaziere, wie man es haben wolle? Das hast du wohl versucht in den Tagen deiner Kindheit, und es war ein unschuldiges Spiel; denn dem Gliedermann war es gleichgueltig, ob ihm die Beine ueber die Schulter herueberkamen oder nicht, ob er den Ruecken herabschaute oder vorwaerts; er laechelte so dumm wie zuvor; denn er hatte ja kein Gefuehl, und es tat ihm nicht weh im Herzen; denn auch dieses war ja aus Holz geschnitzelt und wahrscheinlich aus Lindenholz. Aber selbst ein solcher Gliedermann sein zu muessen in den taeppischen Haenden der Klein=Justheimer Kriminalen! Sie renkten und drehten mir die Glieder, setzten mir den Kopf so oder so, wie es ihnen gefaellig, oder auch nach Vorschrift des Justinian, drehten und wendeten mein Recht, bis der Kadaver vor ihnen lag auf dem gruenen Sessionstisch, wie sie ihn haben wollten, mit verrenkten Gliedern, und sie nun anatomisch aufnotieren konnten, was fuer Fehler und Kuriosa an ihm zu bewerfen, naemlich, dass er das Gesicht im Nacken, die Fuesse einwaerts, die Arme verschraenkt _et cetera_ trage, ganz gegen alle Ordnung und Recht. Ware, Ware! nannten sie deine Memoiren, o Satan, Ware! Als wuerde dergleichen nach der Elle aus dem Gehirn hervorgehaspelt, wie es jener Schwarzkuenstler und Eskamoteur getan, der Baender verschluckte und sie herauszog, Elle um Elle aus dem Rachen. Warenfaelschung, Einschwaerzen, Defraudation, o welch herrliche Begriffe, um zu definieren, was man will! Und rechtswidrige Taeuschung des Publikums? Wer hat denn darueber geklagt? Wer ist aufgestanden unter den Tausenden und hat Zeter geschrien, weil er gefunden, dass das Buechlein nicht von dem Schwarzen selbst herruehre, dass er den Missetaeter bestraft wissen wolle fuer diese rechtswidrige Taeuschung? O Klein=Justheim, wie weit bist du noch zurueck hinter England und Frankreich, dass du nicht einmal einsehen kannst, Werke des Geistes seien kein nachgemachter Rum oder Arrak und gehoeren durchaus nicht vor deine Schranken. Traurig musterte ich das Manuskript des zweiten Teiles, der nun fuer mich und das Publikum verloren war; ich dachte nach ueber das Hohngelaechter der Welt, wenn der erste nur ein Torso, ein schlechtes abgerissenes Stueck, verachtet auf den Schranken der Leihbibliotheken sitze, truebselig auf die hohe Versammlung der Romane und Novellen allerart herabschaue und ihnen ihre abgenuetzten Gewaender beneide, die den grossen Furor, welchen sie in der Welt machen, beurkunden, wie er seine andere Haelfte, seinen Nebenmann, den zweiten, herbeiwuensche, um verbunden mit ihm schoene Damen und Herren zu besuchen, was ihm jetzt, als einem Invaliden, beinahe unmoeglich war. Da wurde mir eines Morgens ein Brief ueberbracht, dessen Aufschrift mir bekannte Zuege verriet. Ich riss ihn auf und las: "Wohlgeborener, sehr verehrter Herr! Durch den Oberjustizrat Hammel, der vor einigen Tagen das Zeitliche gesegnet und an mein Hoflager kam, erfuhr ich zu meinem grossen Aerger die miserablen Machinationen, die gegen Euch gemacht wurden. Bildet Euch nicht ein, dass sie von mir herruehren. Mit grossem Vergnuegen denke ich noch immer an unser Zusammentreffen in den drei Reichskronen zu Mainz, und in meiner jetzigen Zurueckgezogenheit und bei meinen vielen Geschaeften im Norden komme ich selten dazu, eine deutsche Literaturzeitung zu lesen; aber einige Rezensenten, welche ich sprach, versichern mich, mit welchem Eifer Ihr meine Memoiren herausgegeben habt und dass das Publikum meine Bemuehungen zu schaetzen wisse. Der Prozess, den man Euch an den Hals warf, kam mir daher um so unerwarteter. Glaubet mir, es ist nichts als ein schlechter Kunstgriff, um mich nicht als Schriftsteller aufkommen zu lassen, weil ich ein wenig ueber ihre Universitaeten schimpfte und die aesthetischen Tees, und Euch wollen sie nebenbei auch druecken. Lasset Euch dies nicht kuemmern, Wertester; gebet immer den zweiten Teil heraus, im Notfall koennet Ihr gegenwaertige Schreiben jedermann lesen lassen, namentlich den Wackerbart; saget ihm, wenn er meine Handschrift nicht kenne, so kenne ich um so besser die seinige. Ich kenne diese Leutchen, sie sind Raubritter und Korsaren, die jeden beruehmten Prozess, der ihnen in die Haende faellt, fuer g u t e P r i s e erklaeren, und wenn sie ihn festhaben in den Krallen, so lange deuteln und drehen, bis sie ihn dahin entscheiden koennen, wo er ihnen am meisten Ruhm nebst etzlichem Golde eintraegt. Was war bei Euch von beidem zu erheben? Ihr, ein armseliger Doktor der Philosophie und Magister der brotlosen Kuenste, was seid Ihr gegen einen persischen Geheimen Hofrat? Denket also, die Sache sei ganz natuerlich zugegangen, und graemet Euch nicht darueber. Was den persischen Geheimen Hofrat betrifft, der meine Rolle uebernommen hat, so will ich bei Gelegenheit ein Wort mit ihm sprechen. Hier lege ich Euch noch ein kleines Manuskriptchen bei, ich habe es in den letzten Pfingstfeiertagen in Frankfurt aufgeschrieben, es ist im ganzen ein Scherz und hat nicht viel zu bedeuten; doch schaltet Ihr es im zweiten Teile ein; es gibt vielleicht doch Leute, die sich dabei freundschaftlich meiner erinnern. Gehabt Euch wohl; in der Hoffnung, Eure persoenliche Bekanntschaft bald zu erneuern, bin ich Euer wohlaffektionierter Freund, d e r S a t a n." Man kann sich leicht denken, wie sehr mich dieser Brief freute. Ich lief sogleich damit zu dem wackern Mann, der meine Sache gefuehrt hatte; ich zeigte ihm den Brief, ich erklaerte ihm, appellieren zu wollen an ein hoeheres Gericht und den Originalbrief beizulegen. Er zuckte die Achseln und sprach: "Lieber, sie wohnen zusammen in e i n e r Hausmiete, die Kriminalen; ob Ihr um eine Treppe hoeher steigen wollet, aus dem Entresol in die Beletage zu den Vornehmeren, das ist einerlei; Ihr fallet nur um so tiefer, wenn sie Euch durchfallen lassen. Doch an mir soll es nicht fehlen." So sprach er und focht fuer mich mit erneuerten Kraeften; doch--was half es? Sie stimmten ab, erklaerten den persischen fuer den echten, alleinigen Teufel, der allein das Recht habe, Teufeleien zu schreiben, und der Prozess ging auch in der Beletage verloren. Da fasste mich ein gluehender Grimm; ich beschloss, und wenn es mich den Kopf kosten sollte, doch den zweiten Teil herauszugeben, ich nahm das Manuskript unter den Arm, raffte mich auf und----erwachte. Freundlich strahlte die Fruehlingssonne in mein enges Stuebchen, die Lerchen sangen vor dem Fenster, und die Bluetenzweige winkten herein, mich aufzumachen und den Morgen zu begruessen. Verschwunden war der boese Traum von Prozessen, Justizraeten, Klein=Justheim und alles, was mir Gram und Aerger bereitete, verschwunden, spurlos verschwunden. Ich sprang auf von meinem Lager, ich erinnerte mich, den Abend zuvor bei einigen Glaesern guten Weins ueber einen aehnlichen Prozess mit Freunden gesprochen zu haben; da war mir nun im Traume alles so erschienen, als haette ich selbst den Prozess gehabt, als waere ich selbst verurteilt worden von Kriminalrichtern und Klein=Justheimer Schoeppen. Ich laechelte ueber mich selbst. Wie pries ich mich gluecklich, in einem Lande zu wohnen, wo dergleichen juridische Exzesse gar nicht vorkommen, wo die Justiz sich nicht in Dinge mischt, die ihr fremd sind, wo es keine Wackerbarte gibt, die einen solchen Fund fuer gute Prise erklaeren, das Recht zum Gliedermann machen und drauflos hantieren und drehen, ob es biege oder breche, wo man Erzeugnisse des Geistes nicht als Ware handhabt und Satire versteht und zu wuerdigen weiss, wo man weder auf den Titel eines persischen Geheimen Hofrats, noch auf irgend dergleichen Ruecksicht nimmt. So dachte ich, pries mich gluecklich und verlachte meinen komischen Prozesstraum. Doch wie staunte ich, als ich hintrat zu meinem Arbeitstisch! Nein, es war keine Taeuschung, da lag er ja, der Brief des Satans, wie ich ihn im Traume gelesen, da lag das Manuskript, das er mir im Brief verheissen. Ich traute meinen Sinnen kaum, ich las, ich las wieder, und immer wurde mir der Zusammenhang unbegreiflicher. Doch ich konnte ja nicht anders, ich musste seinen Wink befolgen und seinen "Besuch in Frankfurt" dem zweiten Teile einverleiben. Ich gestehe, ich tat es ungern. Ich hatte schon zu diesem Teile alles geordnet; es fand sich darin eine Skizze, die nicht ohne Interesse zu lesen war, ich meine die Szene, wie er mit Napoleon eine Nacht in einer Huette von Malojarosslawez zubrachte und wie von jenen Augenblicken an so vieles auf geheimnisvolle Weise sich gestaltet im Leben jenes Mannes, dem selbst der Teufel Achtung zollen musste. vielleicht--weil er ihm nicht beikommen konnte, doch--vielleicht ist es moeglich, dieses merkwuerdige Aktenstueck dem Publikum an einem andern Orte mitzuteilen. Noch war ich mit Durchsicht und Ordnen der Papiere beschaeftigt, da wurde die Tuere aufgerissen, und mein Freund Moritz stuerzte ins Zimmer. "Weisst du schon?" rief er. "Er hat ihn verloren." "Wer? Was hat man verloren?" "Nun, von was wir gestern sprachen, den Prozess gegen Clauren meine ich, wegen des M a n n e s i m M o n d e!" "Wie? Ist es moeglich!" entgegnete ich, an meinen Traum denkend. "Unser Freund, der Kandidatus Bemperlein? Den Prozess?" "Du kannst dich drauf verlassen; soeben komme ich vom Museum, der Verleger sagte es mir, soeben wurde ihm das Urteil publiziert." "Aber wie konnte dies doch geschehen, Moritz? War er etwa auch in Klein=Justheim anhaengig?" "Klein=Justheim? Du fabelst, Freund!" erwiderte der Freund, indem er besorgt meine Hand ergriff. "Was willst du nur mit Klein=Justheim, wo gibt es denn einen solchen Ort?" "Ach," sagte ich beschaemt, "du hast recht; ich dachte an--meinen Traum." * * * * * MEIN BESUCH IN FRANKFURT. 1. WEN DER SATAN AN DER _TABLE D'HOTE_ IM WEISSEN SCHWAN SAH. Kommt man um die Zeit des Pfingstfestes nach Frankfurt, so sollte man meinen, es gebe keine heiligere Stadt in der Christenheit; denn sie feiern daselbst nicht, wie z. B. in Bayern eineinhalb oder, wie im Kalender vorgeschrieben, zwei Festtage, sondern sie rechnen vier Feiertage; die Juden haben deren sogar fuenf; denn sie fangen in Bornheim ihre heiligen Uebungen schon am Samstag an, und der Bundestag hat sogar acht bis zehn. Diese Festtage gelten aber in dieser Stadt weniger den wunderbaren Sprachkuensten der Apostel als mir. Was die beruehmtesten Mystiker am Pfingstfeste morgens den guten Leutchen ans Herz gelegt, was die immensesten Rationalisten mit moralischer Salbung verkuendet hatten, das war so gut als in den Wind gesprochen. Die Fragen: "Ob man am Montag oder am Dienstag, am zweiten oder dritten Feiertag ins W a e l d c h e n gehen, ob es nicht anstaendiger waere, ins Wilhelmsbad zu fahren, ob man am vierten Feiertag nach Bornheim oder ins Vauxhall gehen sollte, oder beides," diese Fragen scheinen bei weitem wichtiger als jene, die doch fuer andaechtige Feiertagsleute viel naeher lag: "Ob die Apostel damals auch Englisch und Plattdeutsch verstanden haben?" Muss ein so aufgeweckter Sinn den Teufel nicht erfreun, der an solchen Tagen mehr Seelen fuer sich gewinnt als das ganze Judenquartier in einer guten Boersenstunde Gulden? Auch diesmal wieder kam ich zu Pfingsten nach Frankfurt. Leuten, die, von einem beruehmten Belletristen verwoehnt, alles bis auf kleinste Detail wissen wollen, diene zur Nachricht, dass ich im Weissen Schwanen auf Nr. 45 recht gut wohnte, an der grossen _Table d'hote_ in angenehmer Gesellschaft trefflich speiste; den Kuechenzettel moegen sie sich uebrigens von dem Oberkellner ausbitten. Schon in der ersten Stunde bemerkte ich ein Seufzen und Stoehnen, das aus dem Zimmer nebenan zu dringen schien. Ich trat naeher, ich hoerte deutlich, wie man auf gut deutsch fluchte und tobte, dann Rechnungen und Bilanzen, die sich in viele Tausende beliefen, nachzaehlte, und dann wieder wimmerte und weinte wie ein Kind, das seiner Aufgabe fuer die Schule nicht maechtig ist. Teilnehmend, wie ich bin, schellte ich nach dem Kellner und fragte ihn, wer der Herr sei, der nebenan so ueberaus klaeglich sich gebaerde? "Nun," antwortete er, "das ist der stille Herr." "Der stille Herr? Lieber Freund, das gibt mir noch wenig Aufschluss. Wer ist er denn?" "Wir nennen ihn hier im Schwan den stillen Herrn oder auch den Seufzer; er ist ein Kaufmann aus Dessau, nennt sich sonst Zwerner und wohnt schon seit vierzehn Tagen hier." "Was tut er denn hier? Ist ihm ein Unglueck zugestossen, dass er gar so klaeglich winselt?" "Ja, das weiss ich nicht," erwiderte er, "aber seit dem zweiten Tag, dass er hier ist, ist sein einziges Geschaeft, dass er zwischen zwoelf und ein Uhr in der neuen Judenstrasse auf= und abgeht, und dann kommt er zu Tisch, spricht nichts, isst nichts, und den ganzen Tag ueber jammert er ganz stille und trinkt Kapwein." "Nun, das ist keine schlimme Eigenschaft," sagte ich, "setzen Sie mich doch heute mittag in seine Naehe." Der Kellner versprach es, und ich lauschte wieder auf meinen Nachbar. "Den zwoelften Mai," hoerte ich ihn stoehnen, "Metalliques 83 3/4, oesterreichische Staatsobligationen 87 3/8, Rothschildische Lotterielose, der Teufel hat sie erfunden und gemacht! 132, preussische Staatsschuldscheine 81! O Rebekka! Rebekka! Wo will das hinaus! 81! Die Preussen! Ist denn gar keine Barmherzigkeit im Himmel?" So ging es eine Zeitlang fort; bald hoerte ich ihn ein Glas Kapwein zu sich nehmen und ganz behaglich mit der Zunge dazu schnalzen; bald jammerte er wieder in den klaeglichsten Toenen und mischte die Konsols, die Rothschildschen Unverzinslichen und seine Rebekka auf herzbrechende Weise untereinander. Endlich wurde er ruhiger. Ich hoerte ihn sein Zimmer verlassen und den Gang hinabgehen; es war wohl die Stunde, in welcher er durch die neue Judenstrasse promenierte. Der Kellner hatte Wort gehalten. Er wies, als ich in den Speisesaal trat, auf einen Stuhl: "Setzen sich der Herr Doktor nur dorthin," fluesterte er, "zu Ihrer Rechten sitzt der Seufzer." Ich setzte mich, ich betrachtete ihn von der Seite. Wie man sich taeuschen kann! Ich hatte einen jungen Mann von melancholischem, gespenstischem Aussehen erwartet, wie man sie heutzutage in grossen Staedten und Romanen trifft, etwas bleichschmachtend und fein wie Eduard, von der Verfasserin der Ourika, oder von schwaechlichem, beinahe liederlichem Anblick wie einige Schopenhauersche oder Pichlersche Helden. Aber gerade das Gegenteil; ich fand einen untersetzten, runden jungen Mann mit frischen, wohlgenaehrten Wangen und roten Lippen, der aber die trueben Augen beinahe immer niederschlug und um den huebschen Mund einen weinerlichen Zug hatte, welcher zu diesem frischen Gesicht nicht recht passte. Ich versuchte, waehrend ich ihm allerlei treffliche Speisen anbot, einigemal mit ihm ins Gespraech zu kommen, aber immer vergeblich; er antwortete nur durch eine Verbeugung, begleitet von einem halbunterdrueckten Seufzer. In solchen Augenblicken schlug er dann wohl die Augen auf, doch nicht, um auf mich zu blicken; er warf nur einen scheuen, finstern Blick geradeaus und sah dann wieder seufzend auf seinen Teller. Ich folgte einem dieser Blicke und glaubte zu bemerken, dass sie einem Herrn gelten mussten, der uns gegenueber sass und schon zuvor meine Aufmerksamkeit auf sich gezogen hatte. Er war gerade das Gegenteil von meinem Nachbar rechts. Seine schon etwas kahle, gefurchte Stirne, sein braeunliches, eingeschnurrtes Gesicht, seine schmalen Wangen, seine spitze, weit hervortretende Nase deuteten darauf hin, dass er die fuenfundvierzig Jaehrchen, der er haben mochte, etwas s c h n e l l verlebt habe. Den auffallendsten Kontrast mit diesen verwitterten, von Leidenschaften durchwuehlten Zuegen bildete ein ruhiges, suessliches Laecheln, das immer um seinen Mund schwebte, die zierliche Bewegung seiner Arme und seines Koerperchens, wie auch seine sehr jugendliche und modische Kleidung. Es sassen etwa fuenf oder sechs junge Damen an der Tafel, und nach den zaertlichen Blicken, die er jeder zusandte, dem suessen Laecheln, womit er seine Blicke begleitete, zu urteilen, musste er mit allen in genauen Verhaeltnissen stehen. Dieser Herr hatte, wenn er mit der abgestorbenen, knoechernen Hand einen Spargel zum Munde fuehrte und suesslich dazu laechelte, die groesste Aehnlichkeit mit einem rasierten Kaninchen, waehrend mein Nachbar rechts wie ein melancholischer Frosch anzusehen war. Warum uebrigens der Seufzer das Kaninchen mit so finstern Augen mass, konnte ich nicht erraten. Endlich, als die Blicke meines Nachbars duesterer und laenger als gewoehnlich auf jenem ruhten, fing das Kaninchen an, die Schultern und Arme grazioes hin und her zu drehen, den Ruecken auf kuenstliche Art auszudehnen und das spitzige Koepfchen nach uns herueber zu drehen; mit suessem Laecheln fragte er: "Noch immer so duester, mein lieber Monsieur Zwerner? Etwa gar eifersuechtig auf meine Wenigkeit?" An dem zarten Lispeln, an der kuenstlichen Art, das r wie gr auszusprechen, glaubte ich in ihm einen jener adeligen Salonmenschen zu erkennen, die von einer feinen, leisen Sprache Profession machen. Und so war es; denn mein Nachbar antwortete: "Eifersuechtig, Herr Graf?--Auf S i e in keinem Fall." Graf Rebs--so hoerte ich ihn spaeter nennen--faltete sein Maeulchen zu einem feinen Laecheln, drueckte die Augen halb zu, bog die Spitznase auf komische Weise seitwaerts, strich mit der Hand ueber sein langes, knoechernes Kinn und kicherte: "Das ist schoen von Ihnen, lieber Monsieur Zwerner; also gar nicht eifersuechtig? Und doch habe ich die schoene Rebekka erst gestern abend noch in ihrer Loge gesprochen. Ha, ha! Sie standen im Parterre und schauten mit melancholischen Blicken herauf. Darf ich Sie um jenes Ragout bitten, mein Herr?" "Ich war allerdings im Theater, habe aber nur vorwaerts aufs Theater und nicht rueckwaerts gesehen, am wenigsten mit melancholischen Blicken." "Herr Oberkellner," lispelte der Graf, "Sie haben die Trueffeln gespart. Aber nein! Monsieur Zwerner, wie man sich taeuschen kann! Ich haette auf Ehre geglaubt, Sie schauten herauf in die Loge mit melancholischen Blicken. Auch Rebekka mochte es bemerken und Fraeulein von Rothschild; denn als ich auf Sie hinabwies--Kellner, ich trinke heute lieber roten Ingelheimer, ein Flaeschchen--ja, wollte ich sagen-- das ist mir nun waehrend des Ingelheimers gaenzlich entfallen; so geht es, wenn man so viel zu denken hat." Meinem Nachbar mochte das unverzeihlich schlechte Gedaechtnis des Grafen nicht behagen; obgleich er vorhin das Kaninchen ziemlich barsch abgewiesen hatte, so schien ihm doch dieser Punkt zu interessant, als dass er nicht weiter geforscht haette. "Nun, auch Fraeulein von Rothschild hat bemerkt, dass ich melancholisch hinaussah?" fragte er, indem er seine bitteren Zuege durch eine Zutat von Laecheln zu versuessen suchte; "freilich, diese hat ein scharfes Gesicht durch die Lorgnette--". "Richtig, das war es," erwiderte Rebs, "das war es; ja, als ich auf Sie hinabwies und Rebeckchen Ihre Leiden anschaulich machte, schlug sie mich mit ihrem Jocofaecher auf die Hand und nannte mich einen Schalk." Mein Nachbar wurde wieder finster, seine roten Wangen roeteten sich noch mehr, und die ansehnliche Breite seines Gesichtes erweiterte sich noch durch wilden Trotz, der in ihm wuetete. Er zog den Kopf tief in die Schultern und blitzte das Kaninchen hin und wieder mit einem grimmigen Blicke an. Er hatte nie so grosse Aehnlichkeit mit einem angenehmen Froschjuengling, der an einem warmen Juniabend trauernd auf dem Teichel sitzt, als in diesem Augenblicke. Graf Rebs bemerkte dies. Mit angenehmer Herablassung, wobei er das r noch mehr schnurren liess als zuvor, sprach er: "Werter Monsieur Zwerner, Sie duerfen aus dem Schlag mit dem Jocofaecher keine argen Folgerungen ziehen. Es ist nur eine _facon de parler_ unter Leuten von gutem Ton. Wegen meiner duerfen Sie ruhig sein. Zwar solange man jung ist," fuhr er fort, indem er den Halskragen hoeher heraufzog und schalkhaft daraus hervorsah, wie das Kaninchen aus dem Busch, "zwar so lange man jung ist, macht man sich hie und da ein Spaesschen. Aber ein ganz anderer Gegenstand fesselt mich jetzt, Liebster! Haben Sie schon die Nichte des englischen Botschafters gesehen, die seit drei Tagen hier in Frankfurt ist?" "Nein," antwortete mein Nachbar, leichter atmend. "O, ein delizioeses Kind! Augenbrauen wie, wie--wie mein Rock hier, einen Mund zum Kuessen und in dem schoenen Gesicht so etwas Pikantes, ich moechte sagen so viel englische Rasse. Nun, wir sind hier unter uns; ich kann Sie versichern, es ist auffallend, aber wahr, ich sollte es nicht sagen, es beschaemt mich, aber auf Ehre, Sie koennen sich darauf verlassen, obgleich es ein ganz komischer Fall ist, uebrigens hoffe ich, mich auf Ihre Diskretion verlassen zu koennen, nein, es ist wirklich auffallend, in drei Tagen ..." "Nun, so bitte ich Sie doch um Gottes willen, Herr Graf, was wollen Sie denn sagen?" Es war ein eigener Genuss, das Kaninchen in diesem Augenblicke anzusehen. Ein Gedanke schien ihn zu kitzeln; denn er kniff die Aeuglein zu, sein Kinn verlaengerte sich, seine Nase bog sich abwaerts nach den Lippen, und sein Mund war nur noch eine duenne, zarte Linie; dazu arbeitete er mit dem zierlich gekruemmten Ruecken und den Schulterblaettern, als wolle er anfangen zu fliegen, und mit den abgelebten Knoecheln seiner Finger fuhr er auf dem Tisch umher. Noch einmal musste der Seufzer ihn ermuntern, sein Geheimnis preiszugeben, bis er endlich hervorbrachte: "Sie ist in mich verliebt! Sie staunen; ich kann es Ihnen nicht uebelnehmen; auch mir wollte es anfangs sonderbar beduenken, in so kurzer Zeit; aber ich habe meine sicheren Kennzeichen, und auch andere haben es bemerkt." "Sie Gluecklicher!" rief der Seufzer nicht ohne Ironie. "Wo Sie nur hintippen, schlagen Ihnen Herzen entgegen; uebrigens rate ich, diese Englaenderin ernstlicher zu verfolgen; bedenken Sie, eine so solide Partie--" "Merke schon, merke schon," entgegnete Rebs mit schlauem Laecheln, "es ist Ihnen um Rebekka, Sie wollen, ich solle dort gaenzlich aus dem Felde ziehen. Solide Partie! Sie werden doch nicht meinen, dass ich schon heiraten will? Gott bewahre mich! Aber wegen Rebeckchen duerfen Sie ruhig sein; ich ziehe mich gaenzlich zurueck. Und sollte vielleicht eine voruebergehende Neigung in dem Maedchen--Sie verstehen mich schon-- das wird sich bald geben; ich glaube nicht, dass sie mich ernstlich geliebt hat." "Ich glaube auch nicht," entgegnete der Seufzer mit einem Ton, in welchem sich bittere Ironie mit Grimm mischte. Die Gesellschaft stand auf, wir folgten. Graf Rebs taenzelte laechelnd zu den Damen, welchen er waehrend der Tafel so zaertliche Blicke zugeworfen; ich aber folgte dem ungluecklichen Seufzer. * * * * * 2. TROST FUER LIEBENDE. "Was war doch dies fuer ein sonderbarer Herr?" fragte ich meinen Nachbar, indem ich mich dicht an ihn anschloss. "Findet er wirklich bei den Damen so sehr Beifall, oder ist er ein wenig verrueckt?" "Ein Geck ist er, ein Narr!" rief der Seufzende, indem er mit dem Kopf aus den Schultern herausfuhr und die Arme umherwarf. "Ein alter Junggeselle von fuenfundvierzig, und spielt noch den ersten Liebhaber. Eitel, toericht, glaubt, jede Dame, die er aus seinen kleinen Aeuglein anblinzelt, sei in ihn verliebt, draengt sich ueberall an und ein--" "Nun, da spielt dieser Graf Rebs eine laecherliche Rolle in der Gesellschaft, da wird er wohl ueberall verhoehnt und abgewiesen?" "Ja, wenn die Damen daechten, wie Sie, wertgeschaetzter Herr! Aber so laecherlich dieser Gnome ist, so toericht er sich ueberall gebaerdet, so-- oh--Rebekka! der Teufel hat die Weiberherzen gemacht." "Ei, ei," sagte ich, indem ich schnell Nr. 45 aufschloss und den Verzweifelnden hineinschob, "ei! lieber Herr Zwerner, wer wird so arge Beschuldigungen ausstossen? Und auf Fraeulein Rebekka--setzen Sie sich doch gefaelligst aufs Sofa--auf das Fraeulein sollte er auch Eindruck gemacht haben, dieser Gliedermann?" "Ach, nicht er, nicht er. Sie sieht, dass er laecherlich ist und geckenhaft, und doch kokettiert sie mit ihm. Nicht mit ihm, sondern mit seinem Titel. Es schmeichelt ihr, einen Grafen in ihrer Loge zu sehen oder auf der Promenade von ihm begruesst zu werden; vielleicht, wenn sie eine Christin waere, haette sie einen solidern Geschmack." "Wie, das Fraeulein ist eine Juedin?" "Ja, es ist ein Judenfraeulein. Ihr Vater ist der reiche Simon in der neuen Judenstrasse. Das grosse gelbe Haus neben dem Herrn von Rothschild, und eine Million hat er, das ist ausgemacht." "Sie haben einen soliden Geschmack. Und wie ich aus dem Gespraech des Grafen bemerkt habe, koennen Sie sich einige Hoffnung machen?" "Ja," erwiderte er aergerlich, "wenn nicht der Satan das Papierwesen erfunden haette. So stehe ich immer zwischen Tuere und Angel. Glaube ich heute einen festen Preis, ein sicheres Vermoegen zu haben, um vor Herrn Simon zu treten und sagen zu koennen: 'Herr, wir wollen ein kleines Geschaeft machen miteinander; ich bin das Haus Zwerner u. Komp. aus Dessau, stehe so und so, wollen Sie mir Ihre Tochter geben?' Glaube ich nun so sprechen zu koennen, so laesst auf einmal der Teufel die Metalliques um zwei, drei Prozent steigen, ich verliere, und meinem Schwiegerpapa, der daran gewinnt, steigt der Kamm um so viele Prozente hoeher, und an eine Verbindung ist dann nicht mehr zu denken." "Aber kann denn nicht der Fall eintreten, dass S i e gewinnen?" "Ja, und dann bin ich so schlecht beraten wie zuvor. Herr Simon ist von der Gegenpartei. Gewinne ich nun durch das Sinken dieser oder jener Papiere, so verliert er ebensoviel, und dann ist nichts mit ihm anzufangen; denn er ist ein ausgemachter Narr und reif fuer das Tollhaus, wenn er verliert. Ach, und aus Rebeckchen, so gut sie sonst ist, guckt auf allen Seiten der juedische Geldteufel heraus." "Wie, sollte es moeglich sein, eine junge Dame sollte so sehr nach Geld sehen?" "Da kennen Sie die Maedchen, wie sie heutzutage sind, schlecht," erwiderte er seufzend. "Titel oder Geld, Geld oder Titel, das ist es, was sie wollen. Koennen sie sich durch einen Leutnant zur gnaedigen Frau machen lassen, so ist er ihnen eben recht, hat ein Mann wie ich Geld, so wiegt dies den Adel zur Not auf, weil derselbe gewoehnlich keines hat." "Nun, ich denke aber, das Haus Zwerner u. Komp. in Dessau hat Geld; woher also Ihr Zweifel an der Liebe des Fraeuleins?" "Ja, ja!" sagte er etwas freundlicher, "wir haben Geld, und so viel, um immer mit Anstand um eine Tochter des Herrn Simon zu freien; aber Sie kennen die Frankfurter Maedchen nicht; werter Herr! Ist von einem angenehmen, liebenswuerdigen jungen Manne die Rede, so fragen sie: Wie steht er? Steht er nun nicht nach allen Boersenregeln solid, so ist er in ihren Augen ein Subjekt, an das man nicht denken muss." "Und Rebekka denkt auch so?" "Wie soll sie andere Empfindungen kennen lernen in der neuen Judenstrasse? Ach, ihre Neigung zu mir wechselt nach dem Cours der Boersenhalle! Man weiss hier, dass ich mich verfuehren liess, viele Metalliques und preussische Staatsschuldscheine zu kaufen. Mein Interesse geht mit dem der hohen Maechte und mit dem Wohl Griechenlands Hand in Hand. Verliert die Pforte, so gewinne ich und werde ein reicher Mann. Gewinnt der Grosstuerke und sein Reis=Effendi, so bin ich um zwanzigtausend Kaisergulden aermer und nicht wehr wuerdig, um sie zu freien. Das weiss nun das liebenswuerdige Geschoepf gar wohl, und ihr Herz ist geteilt zwischen mir und dem Vater. Bald moechte sie gerne, dass die Pforte das Ultimatum annehme, um mein Glueck zu foerdern; bald denkt sie wieder, wieviel ihr Vater durch diese Spekulation des Herrn von Metternich verlieren koennte, und wuenscht dem Effendi soviel Verstand als moeglich. Ich Ungluecklicher!" "Aber, lieben Sie denn wirklich dieses edle Geschoepf?" fragte ich. Traenen traten ihm in die Augen, ein tiefer Seufzer stahl sich aus seiner Brust. "Wie sollte ich sie nicht lieben?" antwortete er. "Bedenken Sie, fuenfzigtausend Taler Mitgift, und nach des Vaters Tod eine halbe Million, und wenn Gott den Israelchen zu sich nimmt, eine ganze. Und dabei ist sie vernuenftig und liebenswuerdig, hat so was Feines, Zartes, Orientalisches; ein schwarzes Auge voll Glut, eine kuehn geschwungene Nase, frische Lippen; der Teint, wie ich ihn liebe, etwas dunkel und dennoch roetlich. Ha! und eine Figur! Herr! Wie sollte man solches Geschoepf nicht lieben?" "Und haben Sie keinen Rival als den Gnomen, den Grafen Rebs?" "O, einige Judenjuenglinge, bedeutende Haeuser, buhlen um sie, aber ihr Sinn steht nach einem soliden Christen. Sie weiss, dass bei uns alles nobler und freier geht als bei ihrem Volk, und schaemt sich, in guter Gesellschaft fuer eine Juedin zu gelten. Daher hat sie sich auch den Frankfurter Dialekt ganz abgewoehnt und spricht Preussisch. Sie sollten hoeren, wie schoen es klingt, wenn sie sagt: 'Isssst es moeglich?' oder: 'Es jinge wohl, aber es jeht nich.'" Der Seufzer gefiel mir. Es ist ein eigenes, sonderbares Volk, diese jungen Herren vom Handelsstand. Sie bilden sich hinter ihrem Ladentisch eine eigene Welt von Ideen, die sie aus den trefflichsten Romanen der Leihbibliotheken sammeln. Sie sehen die Menschen, die Gesellschaft nie, es sei denn, wenn sie abends durch die Promenade gehen, oder Sonntags, gekleidet wie Herren _comme il faut_, auf Kirchweihen oder sonstigen Plaetzen sich amuesieren. Reisen sie hernach, so dreht sich ihr Ideengang um ihre Musterkarte und die schoene Wirtin der naechsten Station, welche ihnen von einem Kameraden und Vorgaenger empfohlen ist, oder um die Kellnerin des letzten Nachtlagers, die, wie sie glauben, noch lange um den schoenen, wohlgewachsenen jungen Mann weinen wird. Sie haben irgendwo gelesen oder gehoert, dass der Handelsstand gegenwaertig viel zu bedeuten habe; drum sprechen sie mit Ehrfurcht von sich und ihrem Wesen, und nie habe ich gefunden, dass einer von sich sagte: "Kaufmann oder Baenderkraemer", sondern: "Ich reise in Geschaeften des Hauses Baeuerlein oder Zwierlein", und fragt man, in welchen Artikeln, so kann man unter zehn auf neun rechnen, sie ganz bescheiden antworten zu hoeren: "Knoepfe, Haften und Haken, Tabak, Schnupf= und Rauch=, und dergleichen bedeutende Artikel." Haben sie nun gar im Staedtchen ihrer Heimat ein Schaetzchen zurueckgelassen, so darf man darauf rechnen, sie werden, wenn von Liebe die Rede ist, ihre sehr interessante Geschichte erzaehlen, wie sie Fraeulein Jettchen beim Mondschein kennen gelernt haben, sie werden die Brieftasche oeffnen und unter hundert Empfehlungsbriefen, Annoncen von Gasthoefen usw. ein Seidenpapier hervorziehen, das ein Proebchen Haar von der Stirne der Geliebten enthaelt. Glueckliche Nomaden! Ihr allein seid noch heutzutage die fahrenden Ritter der Christenheit. Und wenn es euch auch nicht zukoemmt, mit eingelegter Lanze _a la_ Don Quichotte eurer Jungfrauen Schoenheit zu verteidigen, so richtet ihr doch in jeder Kneipe nicht weniger Verwuestung an, wie jener mannhafte Ritter, und seid ueberdies meist euer eigener Sancho Pansa an der Tafel. Eine solche liebenswuerdige Erziehung, aus Kontorspekulationen, Romanen, Mondscheinliebe und Handelsreisen zusammengesetzt, schien nun auch mein Nachbar Seufzer genossen zu haben. Nur etwas fehlte ihm, er war zu ehrlich. Wie leicht waere es fuer einen Mann von Zweimalhunderttausend gewesen, Kuriere nicht von H o e c h s t oder von L a n g e n, sondern von W i e n, sogar mit a u t h e n t i s c h e n Nachrichten kommen zu lassen, um seinem Gluecke aufzuhelfen. Ist denn auf der Erde nicht alles um Geld feil? Und wenn Rothschild mit Geld etwas machen kann, warum sollte es ein anderer nicht auch koennen, wenn sein Geld ebensogut ist als das des grossen Makkabaeers? Zwar e i n solcher Sperling wagt keinen Sommer. E i n e solche Handelsseele mehr oder weniger mein, kann mir nicht nuetzen. Doch die Nuancen ergoetzen mich, jenes bunte Farbenspiel, bis ein solcher Hecht ins Netz geht, und darum beschloss ich, ihm zu nuetzen, ihn zu fangen. "Ich bin," sagte ich zu ihm, "ich bin selbst einigermassen Papierspekulant; daher werden Sie mir vergeben, wenn ich Ihre bisherigen Verfahrungsarten etwas sonderbar finde." "Wie meinen Sie das?" fragte er verwundert. "Als ich in Dessau war, liess ich mir nicht jeden Posttag den Kurszettel schicken? Und hier, gehe ich nicht jeden Tag in die Boersenhalle? Gehe ich nicht jeden Tag in die neue Judenstrasse, um das Neueste zu erfragen?" "Das ist es nicht, was ich meine. Ein Genie wie Sie, Herr Zwerner (er verbeugte sich laechelnd), das heisst, ein Mann mit diesen Mitteln, der etwas wagen will, muss s e l b s t eingreifen in den Lauf der Zeiten." "Aber mein Gott," rief er verwunderungsvoll, "das kann ja jetzt niemand als der Rothschild, der Reis=Effendi und der Herr von Metternich. Wie meinen Sie denn?" "UEber Ihr Glueck, Sie geben es selbst zu, kann ein einziger Tag, eine einzige Stunde entscheiden. Zum Beispiel, wenn die Pforte das Ultimatum verwirft, die Nachricht schnell hierher kommt, kann eine Krisis sich bilden, die Sie stuerzt. Ebenso im Gegenteil koennen Sie durch eine solche Nachricht sehr gewinnen, weil dann Ihre Papiere steigen?" "Gewiss, gewiss," seufzte er. "Aber ich sehe nur noch nicht recht ein--" "Nur Geduld. Wer gibt nun diese Nachricht, wer bekommt sie? Das Ministerium in Wien oder ein guter Freund, der sehr nahe hingehorcht und dem g r o s s e n P o r t i e r ein Stueck Geld in die Hand gedrueckt hat, laesst noch in der Nacht einen Kurier aufsitzen. Der reitet und faehrt und fliegt nach Frankfort und bringt die Depesche--wem?" "Ach, dem Gluecklichsten, dem Vornehmsten!" "Nein, dem, der am besten zahlt. Einen solchen Kurier kann ich Ihnen um Geld auch verschaffen, ich habe Konnexionen in Wien. Man kann dort mancherlei erfahren, ohne gerade der oesterreichische Beobachter zu sein. Kurz, wir lassen einen Brief mit der Nachricht einer wichtigen Krisis, eines bedeutenden Vorfalles kommen--" "Etwa, der Sultan habe einen Schlag bekommen, oder der Kaiser von Russland sei ploetzlich--" "Nichts davon, das ist zu wahrscheinlich, als dass es die Leute glauben! Unwahrscheinliches, Ueberraschendes muss auf der Boerse wirken!"-- "Also etwa, der Fuerst von M. sei ein Tuerke geworden, habe dem Islam geschworen?" "Ich sage Ihnen ja, nichts Wahrscheinliches. Nein, geradezu, die Pforte habe das Ultimatum angenommen. Bekommen Sie nun diese Nachricht mit allem moeglichen geheimnisvollen Wesen, lassen Sie den Kurier sogleich ein paar Stationen weiter reisen, lassen Sie den Brief einige Geheimniskraemer lesen, gehen kurze Zeit darauf in die Boersenhalle, so kann es nicht fehlen, Sie sind ein wichtiger Mann und setzen Ihre Papiere mit Gewinn ab." "Aber, lieber Herr," erwiderte der Kaufmann von Dessau klaeglich, "das waere ja denn doch erlogen, wie man zu sagen pflegt, eine Suende fuer einen rechtlichen Mann; bedenken Sie, ein Kaufmann muss im Geruch von Ehrlichkeit stehen, will er Kredit haben." "Ehrlichkeit, Possen! Geld, Geld, das ist es, wonach er riechen muss, und nicht nach Ehrlichkeit. Und was nennen Sie am Ende Ehrlichkeit? Ob Sie Ihre Kunden bei einem Pfund Kaffee betruegen, ob Sie einem alten Weibe ihr Lot Schnupftabak zu leicht wiegen, oder ob Sie dasselbe Experiment im grossen vornehmen, das ist am Ende dasselbe." "Ei, verzeihen Sie, da muss ich denn doch bitten; an der Prise, die das Weib zu wenig bekommt, stirbt sie nicht, wie man zu sagen pflegt; aber wenn ich einen solchen Kurier kommen lasse, so kann er durch seine falsche Nachricht ein Nachrichter der ganzen Boerse werden; viele Haeuser koennen fallieren, andere wanken und den Kredit verlieren, und das waere dann meine Schuld!" "So, mein Herr?" sagte ich mit mitleidigem Laecheln zu der schwachen Seele. "So, Sie schaemen sich nicht, die Moral, das Herrlichste, was man auf Erden hat, so zu verhunzen? Also wegen der Folgen wollen Sie nicht? Nicht vor dem Beginnen an sich, als einem unmoralischen, beben Sie zurueck? Wer den Anfang einer Tat nicht scheut, darf auch ihr Ende nicht scheuen, ohne fuer eine kleine Seele zu gelten. Oder glauben Sie, eine Rebekka koenne man dadurch verdienen, dass man im Weissen Schwanen wohnt und seufzt, dass man zur Tafel geht und mit dem Kaninchen, dem Grafen Rebs, grollt?" "Aber, mein Herr," rief der Seufzer etwas pikiert, "ich weiss gar nicht, was Sie mir, als einem ganz Fremden, fuer eine Teilnahme erzeigen; ich weiss gar nicht, wie ich das nehmen soll?" "Mein Herr, das haben Sie sich selbst zuzuschreiben; Sie haben mir Ihre Lage entdeckt und mich gleichsam um Rat gefragt; daher meine Antwort. Uebrigens bin ich ein Mann, der reist, um ueberall das Treffliche und Erhabene kennen zu lernen. In Ihnen glaubte ich gleich auf den ersten Anblick solches gefunden zu haben;--" "Bitte recht sehr, eine so ganz gewoehnliche Physiognomie wie die meine--" "Das koennen Sie nicht so beurteilen wie ein anderer; auf Ihrer Stirne thront etwas Freies, Mutiges, um Ihren Mund weht ein anziehender Geist--" "Finden Sie das wirklich?" rief er, indem er laechelnd meine Hand fasste und verstohlen nach dem Spiegel blickte. "Es ist wahr, man hat mir schon dergleichen gesagt, und in Stuttgart hat man mich sogar versichert, ich sei dem beruehmten Dannecker auf der Strasse aufgefallen, und er sei eigens deswegen einigemal in den Koenig von England gekommen, um von mir etwas fuer seinen Johannes abzusehen." "Nun sehen Sie, wie muss es nun einen Mann, wie ich bin, ueberraschen, so wenig Mut, so wenig Entschluss hinter dieser freien Stirne, diesem mutigen Auge zu finden!" "Ach, Sie nehmen es auch zu strenge; ich habe ja Ihren Vorschlag durchaus nicht verworfen, nur einiges Bedenken, einige kleine Zweifel stiegen in mir auf, und--nun Sie haben wahrlich nicht unrecht, ich fuehle einen gewissen Mut, eine gewisse Freiheit in mir, es ist ein gewisses Etwas, ja--so gut es ein anderer tun kann, will ich es auch versuchen. Es sei, wie Sie sagten, ich will es daranruecken und einen Kurier kommen lassen; wir wollen die Metalliques steigern!" * * * * * 3. EIN SCHABBES IN BORNHEIM. Der einzige Zweifel, der den seufzenden Dessauer noch quaelte, war die Furcht, den Vater seiner Geliebten in bedeutenden Verlust zu stuerzen, wenn er seine Operation nach meinem Plane einrichte. Doch auch dafuer wusste ich ein gutes, sehr einfaches Mittel. Er musste den Herrn Simon in der neuen Judenstrasse auf seine Seite bringen, musste ihm bedeutende Winke von der nahenden Krisis geben; entweder nahm dann der Jude an dem ganzen Unternehmen unbewusst teil und gewann zugleich mit dem Dessauer, oder er war wenigstens gewarnt und musste einige Achtung vor dem Manne bekommen, der so genau die politischen Wendungen zu berechnen wusste, der seine Kombinationen so geschickt zu machen verstand. Dem Kaufmann leuchtete dies ein. Er kam von selbst auf den Gedanken, noch an diesem Tage mit dem alten Simon zu sprechen und lud mich ein, mit ihm nach B o r n h e i m zu fahren, wo der Schabbes heute die noble Welt des alten Judenquartiers, der neuen Judenstrasse, ueberhaupt alle Staemme Israels versammelt habe. Wir fuhren hinaus, der Seufzer schien ein ganz anderer Mensch geworden zu sein. Sein truebseliges Gesicht leuchtete freundlich vom Glanze der Hoffnung, sein Auge hob sich freier, um seine Stirn, seinen Mund war jede Melancholie verschwunden, sein grosser, runder Kopf steckte nicht mehr zwischen den Schultern, er trug ihn freier, erhabener, als wollte er sagen: "Seht, ihr Frankfurter und Bornheimer, ich bin es, das Haus Zwerner und Komp. aus Dessau, naechstens eine bedeutende Person an der Boerse, und, wenn es gut geht, Braeutigam der schoenen Rebekka Simon in der neuen Judenstrasse!" Aus dem Garten des Goldenen Loewen in Bornheim toenten uns die zitternden Klaenge von Harfen und Gitarren und das Geigen verstimmter Violinen entgegen; das Volk Gottes liess sich vormusizieren im Freien, wie einst ihr Koenig Saul, wenn er uebler Laune war. Wir traten ein; da sassen sie, die Soehne und Toechter Abrahams, Isaaks und Jakobs, mit funkelnden Augen, kuehn gebogenen Nasen, fein geschnittenen Gesichtern, wie aus einer Form gepraegt, da sassen sie vergnuegt und froehlich plaudernd und tranken Champagner, aus saurem Wein, Zucker und Mineralwasser zubereitet, da sassen sie in malerischen Gruppen unter den Baeumen, und der Garten war anzuschauen, als waere er das gelobte Land Kanaan, das der Prophet vom Berge gesehen und seinem Volke verheissen hatte. Wie sich doch die Zeiten aendern durch die Aufklaerung und das Geld! Es waren dies dieselben Menschen, die noch vor dreissig Jahren keinen Fuss auf den breiten Weg der Promenade setzen durften, sondern bescheiden den Nebenweg gingen; dieselben, die den Hut abziehen mussten, wenn man ihnen zurief: "Jude, sei artig, mach' dein Kompliment!" Dieselben, die von dem Buergermeister und dem hohen Rat der freien Stadt Frankfurt jede Nacht eingepfercht wurden in ihr schmutziges Quartier. Und wie so ganz anders waren sie jetzt anzuschauen! Ueberladen mit Putz und koestlichen Steinen sassen die Frauen und Judenfraeulein; die Maenner, konnten sie auch nicht die spitzigen Ellbogen und die vorgebogenen Knie ihres Volkes verleugnen, suchten sie auch umsonst den ruhigen, soliden Anstand eines Kaufherrn von der Zeile oder der Million zu kopieren, die Maenner hatten sich sonntaeglich und schoen angetan, liessen schwere, goldene Ketten ueber die Brust und den Magen herabhaengen, streckten alle zehn Finger, mit blitzenden Solitaers besteckt, von sich, als wollten sie zu verstehen geben: Ist das nicht was ganz Solides? Sind wir nicht das auserwaehlte Volk? Wer hat denn alles Geld, gemuenzt und in Barren, als wir? Wem ist Gott und Welt, Kaiser und Koenig schuldig, wem anders als uns? "Dort sitzt sie, die Taube von Juda, dort sitzt sie, die Gazelle des Morgens," rief der Seufzer in poetischer Ekstase und zerrte mich am Arm; "schauen Sie dort, unter dem Zelt von hoelzernem Gitterwerk. Der mit dem runden Leib, der langen Nase und den grauen Loeckchen am Ohr ist der Vater, Herr Simon aus der neuen Judenstrasse, die dicke Frau rechts mit den schwarzseidenen Locken und dem rotbraunen Gesicht ist die Tante; eine fatale Verwandtschaft, aber man weiss sich in Zukunft zu separieren nach und nach." "Aber wo ist denn die Gazelle, die Taube? Ich sehe sie noch nicht--" "Geduld! Noch bedeckt die neidische Wolke, die Tante, das Gestirn des Aufgangs; fassen wir ein Herz, treten wir naeher. Doch eben faellt mir bei, ich muss Sie vorstellen; wie nenne ich Sie, mein lieber Freund und Ratgeber?" "Ich bin der k. k. Legationsrat Schmaelzchen aus Wien," gab ich ihm zur Antwort, "reise in Geschaeften meines Hofes nach Mainz." "Ah," rief er, nachdem er schon bei dem kaiserlich koeniglich an den Hut gegriffen hatte, "Le--Legationsrat, wirklicher, und nicht bloss Titular ums liebe Geld? Das freut mich, dero werte Bekanntschaft zu machen. Haette es mir gleich vorstellen koennen, Sie haben einen gar tiefen Blick in die Staatsaffaeren. Wahrhaftig, haette es Ihnen gleich ansehen koennen; haben so etwas Diplomatisches, Kabinettsmaessiges in dero Visage." "Bitte, bitte, keine Komplimente. Gehn wir zum Juden, ich hoffe Ihnen nuetzlich sein zu koennen." Wir traten zu dem Zelt aus hoelzernem Gitterwerk. Mein Begleiter erroetete tiefer, je naeher er trat; seine Wangen liefen vom Hellroten ins Dunkelrote, von da ins blaeulich Schattierte an, und als wir vor dem Herrn Simon standen, war er anzusehen wie eine schoene dunkelrote Herzkirsche. Die Tante, "das neidische Gewoelk", erhob sich, und nun ward auch das Gestirn des Morgens sichtbar. Das Schickselchen, die Kalle, ich meine Rebekka, des Juden Tochter, war nicht uebel.--Sie hatte, um mich wie Graf Rebs auszudruecken, viel Rasse, und ihre Augen konnten den Seufzer wohl bis auf Herz durchbrennen, obgleich er zur Vorsicht und aus Eleganz drei Westen angetan hatte. Nachdem mich mein Freund, der als solides Haus aus Dessau bei der Familie wohl gelitten schien, vorgestellt hatte, machte er sich an die Taube von Juda und ueberliess es mir, den alten Simon zu unterhalten. Mein Titel schien ihm einigen Respekt eingefloesst zu haben. "Haben da ein schoenes Fach erwaehlt, Herr von Schmaelzlein," bemerkte er wohlgefaellig laechelnd; "habe immer eine Inklination fuer die Diplomatik gehabt, aber die Verhaeltnisse wollten es nicht, dass ich ein Gesandter oder dergleichen wurde. Man weiss da gleich alles aus der ersten Hand! Man kann viel komplizieren und dergleichen; was liessen sich da fuer Geschaefte machen!" "Sie haben recht, mein Herr! Man lernt da die verwickeltsten Verhaeltnisse kennen. Allein aber schauen's, das Ding hat auch seinen Haken. Man weiss oft eigentlich zu viel, es geht einem wie ein Rad im Kopf umher." Der Jude rueckte naeher. Mit einem Wiener Diplomaten, mochte er denken, nehme ich es auch noch auf. "Zeviel?" sagte er. "Ich fuer meinen Teil kann nie zeviel wissen. Was die Papiere betrifft, da kann ein Fingerzeig, ein halber, ein Viertelsgedanke oft mehr tun, als eine lange Rede im Frankfurter Museum. Nu, S i e stehen solide in Wien, Ihr Staat ist ein gemachtes Haus trotz einem; was Herr von M. auf dem Flageolett vorpfeift, das singen die Staren nach." "Die Staren vielleicht, aber nicht die Zaren!" "Gut, _tres bien, bon_! Gut gegeben, hi! hi! hi! _a propos_, wissen Sie Neues aus daher?" Er rueckte mir noch naeher und wurde verfaenglicher. "Herr Simon," sagte ich mit Artigkeit ausweichend, "Sie wissen, es gibt Faelle--" "Wie?" rief er erschrocken. "Gotts Wunder! Neue Fallissements, waas! Ist nicht die Krisis vom letzten Winter schon ein Strafgericht des Herrn gewesen? Waas?" "Um Jottes willen, Papa!" schrie Rebekka, indem sie den Arm des zaertlichen Seufzers zurueckstiess und aufsprang. "Doch kein Unglueck? Mein Jott! Doch nich hier in Frankfort?" "Beruhigen Sie sich doch, gnaediges Fraeulein, ich sprach mit Ihrem Herrn Papa ueber Politik und rechnete einige Faelle auf, und er hat mich holter nicht recht verstanden." Sie presste mit einem zaertlichen, hinsterbenden Blick auf den erschrockenen Dessauer ihre Hand auf das Herz und atmete tief. "Nee! was ich erschrocken bin jeworden, da machen Sie sich keenen Bejriff von!" lispelte sie. "Mein Herz pocht schrecklich! Na, erzaehlen Sie man weiter; was sachte der Graf? Sie haetten ins Parterre jestanden und waeren melancholisch jewesen?" Das Gefluester der Liebenden wurde leiser und leiser; die Blicke des Seufzers wurden feuriger, er zog, als "das Gewoelke" ein wenig im Garten auf und ab ging, die niedliche Hand der Juedin an die Lippen und gestand ihr, wenn ich anders recht gehoert habe, dass naechstens die Metalliques und die .... um drei Prozente steigen wuerden. "Herr von Schmaelzlein," sagte der Alte, nachdem er einigen koscheren Wein zu sich genommen hatte, "Sie haben mir da einen Schreck in den Leib gejagt, den ich nie vergesse. Fallen, Faelle, wie kann man auch nur dies Wort in Gesellschaft aussprechen? Nun, Sie wollten sagen--?" "Es gibt Affaeren," fuhr ich fort, "wo der Diplomat schweigen muss. Ueber das Naehere meiner Sendung z. B. werden Sie selbst mich nicht befragen wollen; nur so viel kann ich Ihnen, aber, mein Herr Simon, im engsten Vertrauen--" "Der Gott meiner Vaeter tue mir dies und das," rief er feierlich, "so ich nur meinem Nachbar oder seinem Weib oder seinem Sohn oder seiner Tochter das Geringste--" "Schon gut! Ich traue auf Ihre Diskretion; kurz, so viel kann ich Ihnen sagen, dass naechstens eine bedeutende Krisis eintreten wird; g a n z zu allernaechst. F u e r oder g e g e n wen darf ich nicht sagen, doch Herr von Zwerner--" "V o n Zwerner?" "Nun, ich nenne ihn so, man weiss ja nicht, was geschieht; an ihn war ich besonders empfohlen vom Fuersten, und ich glaube, wenn ich anders richtig schliesse, er muss in den naechsten Tagen Kuriere aus Wien bekommen." "Der Zwerner? Ei, ei! Wer haette das gedacht! Zwar ich sagte immer, hinter dem steckt etwas; geht so tiefsinnig, kalkulierend umher, hat wahrscheinlich nicht umsonst so unsinnig viele Metalliques gekauft. Ei, sehe doch einer! Haelt sich Kuriere mit Wien! Und wenn man fragen darf, es handelt sich wohl um das Ultimatum mit der Pforte?" "Ja." "Ei darf man fragen? Wie ist es ausgefallen? Hat er eingewilligt, der Effendi? Hat er?" "Mein Herr Simon, ich bitte--" "O, ich verstehe, ich verstehe, Sie wollen es nicht sagen, aus Politik, aus Politik, aber er hat, er hat?" "Trauen Sie auf nichts, ich w a r n e Sie, auf keine Nachricht trauen Sie, als auf authentische. Der Herr dort weiss vielleicht mancherlei und hat nicht das drueckende Stillschweigen eines Diplomaten zu beobachten." "Ei, haette ich das in meinem Leben gedacht, Kuriere von Wien, und der Zwerner aus Dessau; zwar er ist ein solides Haus, das ist keine Frage, aber denn doch nicht so ausserordentlich. Ob sich wohl was mit ihm machen liesse?" setzte er tiefer nachsinnend hinzu, indem er seine Nase herunter gegen den Mund bog und das lange Kinn aufwaerts drueckte, dass sich diese beiden reichen Glieder begegneten und kuessten. Das war der Moment, wo er anbeissen musste, denn er nagte schon am Koeder. Ich gab dem Seufzer aus Dessau einen Wink, sich dem Papa zu naehern, und nahm seinen Platz bei der Gazelle des Morgenlandes ein. * * * * * 4. DAS GEBILDETE JUDENFRAEULEIN. Wie war sie grazioes, das heisst geziert, wie war sie artig, naemlich honett, wie war sie naiv, andere haetten es luestern genannt. "Ich liebe die Tiplomattiker," sagte sie unter anderem mit feinem Laecheln und vielsagendem Blick. "Es is so etwas Feines, Jewandtes in ihren Manieren. Man sieht ihnen den Mann von jutem Jeschmack schon von die Ferne an, und wie angenehm riechen sie nach _Eau de Portugal_!" "O gewiss, auch nach _Fleur d'Orange_ und dergleichen. Wie nehmen sich denn die hiesigen Diplomaten? Kommen sie viel unter die Leute?" "Nun, sehen Sie, wie das nun jeht, die aelteren Herren haben sechs bis sieben Monate Ferien und reisen umher. Die juengeren aber, die indessen hier bleiben und die Geschaefte treiben, sie muessen Paesse visieren, sie muessen Zeitungen lesen, ob nichts Verfaengliches drein is, sie muessen das Papier ordentlich zusammenlegen fuer die Sitzungen. Nun, was nun solche junge Herren Tiblomen sind, das sein janz scharmante Leute, wohnen in die _Chambres garnies_, essen an die _Tables d'hote_, jehen auf die Promenade schoen ausstaffiert _comme il faut_, haben zwar gewoehnlich kein Jeld nich, aber desto mehr Ansehen." "Da haben Sie einen herrlichen Schal umgelegt, mein Fraeulein, ist er wohl echt?" "Ah, jehen Sie doch! Meinen Sie, ich werde etwas anderes anziehen, als was nicht janz echt ist? Der Schal hat mir jekostet achthundert Gulden, die ich in die Rothschildischen Los gewunnen. Und sehen Sie, dieses Kollier hier kostet sechzehnhundert Gulden und dieser Ring zweitausend. Ja, man jeht sehr echt in Frankfort, das heisst, Leute von den jutem Ton, wie unsereine." "Ach, was haben Sie doch fuer eine schoene, gebildete Sprache, mein Fraeulein! Wurden Sie etwa in Berlin erzogen?" "Finden Sie das och?" erwiderte sie anmutig laechelnd. "Ja, man hat mir schon oft das Kompliment vorjemacht. Nee, in Berlin drein war ich nie, ich bin hier erzogen worden; aber es macht, ich lese viel und bilde auf diese Art meinen Jeist und mein Orkan aus." "Was lesen Sie, wenn man fragen darf?" "Nu, Bellettres, Buecher von die schoene Jeister. Ich bin abonniert bei Herrn Doering in der Sandjasse, naechst der Weissen Schlange, und der verproviantiert mich mit Almanachs und Romancher." "Lesen Sie Goethe, Schiller, Tieck und dergleichen?" "Nee, das tu ich nich. Diese Herren machen schlechte Jeschaefte in Frankfort. Es will sie keen Mensch, sie sind zu studiert, nich natuerlich jenug. Nee, den Joethe lese ich nie wieder! Das is was Langweiliges. Und seine Wahlverwandtschaften! Ich werde rot, wenn ich nur daran denke. Wissen Sie, die Szene in der Nacht, wo der Baron zu die Baronin,--ach, man kann's jar nicht sagen, und jedes stellt sich vor--" "Ich erinnere mich, ich erinnere mich. Aber es liegt gerade in diesem Gedanken eine erstaunliche Tiefe--ein Chaos von Moeglichkeiten--" "Nu, kurz, den mag ich nicht; aber wer mein Liebling ist, das is der Clauren. Nee, dieses Leben, diese Farben, dieses Studium des Herzens und namentlich des weiblichen Jemuets, ach, es is etwas Herrliches. Und dabei so natuerlich! Wenn mir die andern alle vorkommen wie schwere vierhaendige Sonaten mit tiefen Basspartien, mit zierlichen Solos, mit Trillern, die kein Mensch nich verstehen und spielen kann, so wie der Mozart, der Haydn, so kommt mir der Clauren akkerat so vor wie ein anjenehmer Walzer, wie ein Hopswalzer oder Galopp. Ach, das Tanzen kommt einem in die Beene, wenn man ihn liest. Es ist etwas Herrliches!" "Fahren Sie fort, wie gerne hoere ich Ihnen zu. Auch ich liebe diesen Schriftsteller ueber alles. Diese andern, besonders ein Schiller, wie wenig hat er fuer das Vergnuegen der Menschheit getan. Man sollte meinen, er wolle moralische Vorlesungen halten. Er ist, um mich eines andern Gleichnisses zu bedienen, schwerer, dicker Burgunder, der mehr melancholisch als heiter macht. Aber dieser Clauren! Er kommt mir vor wie Champagner und zwar wie unechter, den man aus Birnen zubereitet. Der echte verdunstet gleich; aber dieser unechte, setzt er auch im Grunde viele Hefen an, so 'bruesselt' er doch mit allerliebsten tanzenden Blaeschen auf und ab eine Stunde lang, er berauscht, er macht die Sinne rege, er ist der wahre Lebenswein." "O sehen Sie, da kann ich Ihnen ja gleich unsern Clauren vormachen mit Bornheimer Champagner. Man nimmt fremden Wein, so etwa die Haelfte, jiesst Mineralwasser dazu, und nun jeben Sie acht. Ich werfe Zucker in das Janse, und unser Clauren ist fertig. Sehen Sie, wie es siedet, wie es sprudelt und bruesselt, wie anjenehm schmeckt es nich und ist ein wohlfeiles Jetraenke. Nee, ich muss sagen, er ist mein Liebling. Und das Anjenehmste is das, man kann ihn so lesen, ohne viel dabei zu denken, man erlebt es eigentlich, es is, meine ich, mehr der Koerper, der ins Buch schaut, als der Jeist. Und wie angenehm laesst es sich dabei einschlafen!" "Ich glaube gar, ihr seid in einem gelehrten Gespraech begriffen," rief lachend der alte Jude, indem er, den Dessauer an der Hand, zu uns trat. "Nicht wahr, Herr Legationsrat, ich habe da ein gelehrtes Ding zur Tochter? Sie spricht auch wie ein Buch und liest den ganzen Tag." "Nun, und Sie, Papa, und Herr Zwerner haben wohl tiefe Handelsjeheimnisse abjemacht? Darf man auch davon hoeren. Wie werden sie in der naechsten Woche stehen, die Metalliques? Recht hoch? Hab' ich es erraten?" "Stille, Kind, stille! Kein Wort davon! Muss alles geheim gehalten werden! Muss einen grossen Schlag geben. Ist ein Goldmaennchen, der Herr von Zwerner. Setzen Sie sich zu ihr hin und klaeren ihr alles auf. Sie ist auf diesem Punkt ein verstaendiges Kind und weiss zu rechnen, die Rebeckchen." Was schlich denn jetzt durch das Gras? Was huepfte auf zierlichen Beinchen heran? Was laechelte schon von weitem so freundlich nach der Kalle des Herrn Simon? War es nicht das Graefchen Rebs, das alte, freundliche Kaninchen, das in alle Damen verliebt ist und alle bezaubert? Er war es, er kam hereingeschwaenzelt. Er schnaufte und aechzte, als er heran war, und doch konnte er auch in dem Zustand hoechster Erschoepfung, in welchem er zu sein schien, sein liebliches suesses Laecheln nicht unterdruecken. Er warf sich ermattet neben Rebekka in einen Sessel, streckte die duennen Beinchen, so mit zierlichen Spoernchen zum Spazierengehen beschlagen, heftete den matten, sterbenden Blick auf die schoene Juedin und sprach: "Habe die Ehre, vergnuegten Abend zu wuenschen. Ich sterbe, mit mir geht's aus!" "Mein Jott! Herr Israels! Graf Rebs, was haben Sie doch? Ihre Wangen sind ja janz einjeschnurrt, Ihre Augen bleiben stehen. Er antwortet nich! Herr Tiplomat, _Eau de Cologne_! Haben Sie keines bei sich in die Tasche?" So rief das schoene Judenkind und beschaeftigte sich um den Ohnmaechtigen mit zarter Sorgfalt. Da ich keine _Eau de Cologne_ bei mir trug, so begann sie etwas weniges verzweifeln zu wollen und verlangte von dem Dessauer, er solle ihm Tabaksrauch in die Nase blasen. Doch der Vater wusste bessern Rat: "Da geht einer," rief er freudig, "da geht ein charmanter junger Herr, ist in Kondition nicht weit von uns, der traegt bestaendig etzliches Koelner Wasser in seiner Rocktasche!" Wie ein Pfeil schoss er auf den jungen Mann zu und war, als er ihm mit schrecklichen Gebaerden das _Eau de Cologne_= Flaeschchen abforderte, anzusehen wie Sir John Falstaff, als er die Kraemer beraubt. Maria Farinas Lebenstropfen brachten das arme Kaninchen wieder zu sich. Er schlug die Augen auf, seufzte tief und laechelte. "Mich gehorsamst zu bedanken," lispelte er mit zitternder Stimme, "fuer die guetigst geleistete Hilfe. War mir aber recht elend zu Mut; fast als haette ich mehr Bier getrunken als dienlich." "Sind Sie oft solchen Zufaellen unterworfen?" fragte Rebekka, ihn etwas missfaellig betrachtend. "Mitnichten und im Gegenteil," erwiderte er, indem er den Ruecken zierlich wendete und drehte, mit den Schultern ueber die Brust herausfuhr und mannhaft mit den Spoernchen klirrte. "Mitnichten, habe sonst eine ueberaus starke Konstitution. Aber der dicke Pfarrer, der dicke Pfarrer...." Die Juden schwiegen, und Rebekka schlug die Augen nieder, wie immer, wenn von christlichen Pfarrern oder Zeremonien oder auch von Schweinefleisch in ihrer Naehe gesprochen wurde. Der Seufzer aber, dem die Erscheinung des Grafen etwas laestig schien, fragte ihn ziemlich boshaft, ob er etwa im Goldenen Brunnen gewesen, sich allda etwas betrunken und nachher mit dem ehrsamen Pastor Muenster Streit und kirchlichen Skandal angefangen nach seiner Gewohnheit. "Nach meiner Gewohnheit?" rief das Kaninchen erschrocken. "Ich ein Unruhstifter oder Saeufer, ich in dem Goldenen Brunnen, ich, der ich nur die allernobelsten Hotels, den Pariser und den Englischen Hof, den Weidenbusch, in welchem ich logiere, und den Weissen Schwan mit meinem Besuch beehre? Nein, er ist mir begegnet, der Pfarrer, und als er an mir vorbeiging, sah er mich mit schrecklichen Augen an und sagte: 'Das ist auch so ein S t e i n d e s A n s t o s s e s, auch so ein Mystiker.' 'Herr Pfarrer," sagte ich, 'guten Abend, aber ein Mystiker bin ich nicht und will auch fuer keinen gelten, am wenigsten oeffentlich, auf der Chaussee nach Bornheim.' 'Sie wollen keiner sein?' antwortete er, indem er naeher auf mich zutrat, so dass sein Bauch und das Cachet seiner Uhr mir gerade auf die Brust zu sitzen kamen und mich heftig drueckte. "Wollen keiner sein? Warum kommen Sie denn nicht mehr ins Museum? Warum haben Sie an oeffentlichen Wirtstafeln, im Pariser, Weiden= und anderen Hoefen geschimpft ueber mich, dass ich ein gewisses Gedicht von Langbein in besagter Gesellschaft vorgelesen?' Es ist wahr, ich hatte mich ziemlich stark darueber ausgesprochen, aber nicht aus Mystizismus, sondern weil ich glaubte, es koenne zarte Damenohren und weiche Gemueter unangenehm beruehren, jenes Gedicht. Aber er nahm keine Entschuldigung an. Ich schluepfte ihm unter dem Bauch weg und wollte schnell weiter gehen; aber er setzte mir mit weiten Schritten nach, ging neben mir her und beschuldigte mich, seinem Gegenpart, dem mystischen Pfarrer, zu einer reichen Frau verholfen zu haben; er behauptete auch, dass ich mich jeden Morgen statt des Fruehstuecks magnetisieren lasse, und dergleichen. Und erst hier an der Gartentuere liess er mit einer muerrischen Reverenz von mir ab." "Aber was hat denn dies alles zu bedeuten?" fragte ich. "Halten denn die Pfarrer hier auf der Landstrasse Kirche, wie es Sitte war zur Zeit der Apostel?" "In Frankfurt," belehrte mich der Kaufmann aus Dessau, "in Frankfurt ist gegenwaertig ein grosser Krieg zwischen den Pfarrern, und ihre Parteien befehden sich ebenfalls. Mystiker und Rationalisten schelten sie sich hin und her, der eine wirft dem andern vor, er predige nur Moral, der andere entgegnet, sein Gegner rede tiefen Unsinn. Nicht nur in den Kirchen, auf den Kanzeln, sondern auch in den Weinhaeusern und Trinkstuben, auf Chausseen und in Kasinos wird gekaempft; und so konnte es leicht geschehen, dass der Herr Graf einem Eiferer der Vernunft in die Haende fiel.--Doch wie? Herr Graf, wenn ich nicht irre, so faehrt dort der Lord und seine Nichte. Nicht so? Und sie halten vor dem Garten, sie steigen aus?" "Ah, sie hat mich bemerkt," rief das Kaninchen sehr freundlich, "sie schaut schon herueber und wedelt, wenn ich nicht irre, mit dem Taschentuch mir zu. Verzeihen allerseits, dass ich mich entferne. Miss Mary hat ein Auge auf mich geworfen, und Sie wissen selbst, bei solchen Affaeren--" Er schluepfte unter diesen Worten aus dem Zelt und eilte mit zierlichen Spruenglein zu der Gartenpforte, wo er in dem Drang seines Herzens die junge Dame auf den glacierten Handschuh kuesste. Es mochte ihr uebrigens dieses Zeichen seiner Verehrung ueberaus komisch vorkommen; denn ihr Lachen drang bis zu uns herueber, und mit tiefem Bass begleitete sie der Lord, indem er dem Kaninchen das Pfoetchen schuettelte. Das Gewoelk, die Tante Simon, kam jetzt zurueck und beklagte sich, dass es schon etwas kuehl werde. Der Jude liess daher seinen schoenen Wagen vorfahren und verliess mit den Seinigen den Garten. Der Seufzer hatte das Glueck, Rebeckchen in den Wagen heben zu duerfen, und kam mit ganz verklaertem Gesicht zurueck. Sie hatte ihm unter der Tuere noch die Hand gedrueckt und gestanden, dass sie sich diesen Nachmittag janz fuertrefflich amuesiert habe, und der Alte hatte ihn eingeladen, morgen und alle Tage den Abend in seinem Hause zuzubringen. * * * * * 5. DER KURIER AUS WIEN KOMMT AN. Ich koennte dir, geneigter Leser meiner Memoiren, vieles Ergoetzliche und Interessante erzaehlen, was ich in der freien Stadt Frankfurt erlebte. Nicht von frueheren Zeiten her, wo ich oft hinter den Stuehlen der Kurfuersten stand und den Kaiser waehlen half, wo ich so oft unter guten Freunden im Roemer und beim Roemer sass, wenn das neue Haupt des vielgliedrigen Leibes, Deutsches Reich genannt, mit der Krone geschmueckt worden war. Nein, von den heutigen Tagen koennte ich dir viel erzaehlen, von dem tiefen, geheimnisvollen Wesen der Diplomatie, von dem herrlichen Junitag, in welchem es niemals Abend oder Nacht wird, ich meine den deutschen Bundestag; von dem herrlichen Treiben und Bluehen des Mystizismus und wie ich das Feuer anschuerte zwischen seinen Anhaengern und den Rationalisten, und wie es im Wirtshaus zum Goldenen Brunnen einigemal zu bedeutenden Raufereien kam zwischen beiden Parteien, das heisst--nur mit schneidenden Zungen und stechenden Blicken. Ich koennte dir erzaehlen, wie ich in einem Institut, woselbst man junge Fraeulein fuer die Welt zustutzt, nuetzlichen Unterricht gab im Gitarrespielen und andern Kleinigkeiten, so eine junge Dame kennen muss, wenn sie in die Welt tritt. Ich koennte dir erzaehlen von jener Strasse, Million genannt, wo meine speziellsten Freunde wohnen, deren der geringste ueber Millionen gebietet. Doch ich schweige von diesem allem, weil ich mir vorgenommen, dir einen kleinen Abriss zu geben von der Art, wie ich den ehrlichen, seufzenden Sohn Merkurs aus Dessau zu einem Teufelskind machte. Der erste Schritt vom ehrlichen Mann zum schlechten oder Betrueger ist an sich klein und dennoch bedeutend, weil man leicht, sozusagen, in Schuss kommt und unaufhaltsam bergab, bergab geht, anfangs im Trott, nachher im Galopp. Mein guter Seufzer hatte sein bedeutendes Vermoegen mit einem ehrlichen Gemuet geerbt. Er ging in seinen Geschaeften den geraden, ehrlichen Weg, nicht, weil er ihm angenehmer war, sondern weil er es unbequem finden mochte, Winkelzuege und Umwege zu machen. Es ist dies die Ehrbarkeit, die Tugend, die nie auf der Probe war und daher ein negativer Begriff, ein Nichts, auf jeden Fall keine Tugend ist. Nicht der Geldgewinn, er ist ziemlich zufrieden mit seinem Los, sondern die Liebe zu der schoenen Kalle des alten Simon macht ihn straucheln, oder vielmehr, wie Gelegenheit Diebe macht, die suesse Art, wie ich es ihm eingab. Jetzt ist er, um das Kind beim rechten Namen zu nennen, aus dem ehrlichen Mann ein Betrueger geworden. Er wird, weil es ihm diesmal leicht wird, zu betruegen, das naechste Mal aehnliches versuchen. Das Gewissen, die Ehrlichkeit, die Ruhe, die Selbstzufriedenheit ist ja doch schon zum Teufel; warum soll er sich also genieren? Der grosse Gewinn fuer mich liegt aber darin, dass die ersten Versuche des ehrlichen Mannes, ein Betrueger zu werden, gewoehnlich gut ausfallen und zur Wiederholung locken. Denn wer mit mir Geschaefte macht, kann, solange es tunlich ist, darauf rechnen, sie mit Glueck zu machen, und unglueckliche Spekulanten, von denen die Sage geht, dass sie sich erhaengt oder ersaeuft haben, hatten durch Reue und Selbstanklage den Kopf verloren, hatten mir zu wenig vertraut, und nicht ich war es, der sie verliess; sie hatten sich selbst verlassen. Doch, wo gerate ich hin? Habe ich mich von dem dicken Pfarrer anstecken lassen, zu moralisieren? Ist es denn mein Zweck, mit psychologischen Abhandlungen meine Leser zu ermueden oder sogar abzuschrecken? Oder wie, liess ich mich etwa von den Winken einiger gelehrten Leute verfuehren, die behaupten, es liege zu wenig psychologische Teufelei oder teuflische Psychologie in meinen Memoiren, ich sei fuer einen deutschen Schriftsteller, als welchen ich mich im Leipziger Messkatalogus einregistrieren lassen, nicht gruendlich genug? Der Teufel soll es holen! moechte ich mir selbst zurufen. Sobald man vom Wege abgeht, geraet man immer mehr auf Abwege, so auch im Niederschreiben von Memoiren. Ich werde kurz sein. Ich hatte durch meine dienenden Kleinen erfahren, welche Gedanken der Reis=Effendi in einer Privatunterredung mit Herrn von Minciaky ueber das russische Ultimatum geaeussert. Ja, um redlich zu sein, ich hatte selbst grossen Anteil an jener Wendung der Dinge, weil mir dadurch das sogenannte Gleichgewicht etwas aus die Spitze gerueckt zu werden schien und mehr Leben in das schlummernde Europa kommen konnte, das von Revolutionen und andern lustigen Artikeln nur t r a e u m t und im S c h l a f e s p r i c h t. Ich hatte diese Nachricht frueher vernommen, als sie selbst nur nach Petersburg kommen konnte, und in meiner Hand lag es, die Papiere steigen oder fallen zu machen. Der Vater der schoenen Rebekka hatte in den letzten Tagen auf meinen Rat und seine eigene Einsicht hin seine Papiere so umgesetzt, dass er beim geringsten Steigen der----auf grossen Gewinn zaehlen konnte. Grosse Spannung herrschte in dem Hause des Herrn Simon in der neuen Judenstrasse. Der Alte versicherte, seine Gebeine erzittern, so oft er ansetze, einen wichtigen Brief zu schreiben. Die Tante, "das neidische Gewoelk", mochte ahnen, was vorging, und schlich truebe und aechzend im Hause umher. Die Kalle war die mutigste von allen. Zwar war auch sie in einiger Bewegung; denn sie las nicht mehr, weder in Clauren, noch in verschiedenen Almanachs, sogar das Modejournal wollte sie nicht ansehen; sie spielte auch nicht mehr auf der Harfe, aber doch trug sie das Koepfchen noch so hoch wie zuvor und ermutigte durch manche Rede die zagenden Bundestruppen. Der Seufzer war gaenzlich von Verstand gekommen. Bald war er tiefsinnig und zweifelte an seinem Glueck, besonders in der Naehe der schoenen Juedin, wenn er sich die Hoehe seiner Seligkeit, den Besitz der lieblichen Kalle dachte. Dann war er wieder ausgelassen froehlich und sprach allerlei verwirrtes Zeug, wie er ein Millionaer zu werden gedenke, wie und wo er sich ein Haus bauen wolle, und was dergleichen ueberschwengliche Gedanken mehr waren; der Kalle aber fluesterte er ins Ohr, dass er sich wolle adeln lassen und sie zur gnaedigen Frau Baronesse von Zwerner zu Zwernersheim machen, welcher Ort noch auf der Landkarte auszumitteln waere. Endlich, es war am dritten Frankfurter Pfingstfeiertag, und die Maedchen und Frauen spazierten schon scharenweise hinaus an den Main, um sich uebersetzen zu lassen nach dem Waeldchen, und die Maenner riefen ihnen nach, nur einstweilen alles zuzuruesten daselbst, weil sie nur noch auf die Boerse gingen und bald nachkaemen, indem heute nichts Bedeutendes vorkomme, und auch die alte Baubo, die schnoede Hexe, zog hinaus, doch diesmal nicht auf dem Mutterschwein, sondern in einem eleganten Wagen. Sie hatte ihre schoenen Stieftoechter bei sich und nickte mir freundlich zu, als wollte sie sagen: "Dich kenne ich wohl, Satan, obgleich du jetzt in schwarzem Frack und seidenen Struempfen einherzuwandeln beliebst und meiner Elise, dem allerliebsten Kind, praktische Gitarrestunden gibst, dich kenne ich wohl; komm aber nur hinaus ins Waeldchen, da sprechen wir wohl wieder ein Wort zusammen." Da fuhr sie hin, die gute Alte, eine der ersten Palastdamen meiner Grossmutter und sehr angesehen in Frankfurt und auf dem Brocken in der Walpurgisnacht, da fuhr sie hin und viele tausend und wieder tausend fromme Frankfurter Seelen ihr nach, die alle das Gebot in feinem Herzen trugen: "Du sollst den Feiertag heiligen und an Pfingsten auch den dritten und vierten." Jetzt war es Zeit, zu operieren. Den Tag zuvor hatte man sich allgemein mit dem Geruecht getragen, dass die Pforte das Ultimatum nicht annehmen werde, und man erwartete von heute nichts Besonderes. Da jagte um elf Uhr ein Kurier durch das Tor, ganz mit Schweiss und Staub bedeckt; er sprengte, greulich auf dem Posthorn blasend, durch die Strasse, Million genannt, und in einem Umweg durchs neue Judenquartier; die Leute rissen die Fenster auf und fuhren mit den Koepfen heraus, um zu schauen nach dem schrecklichen Trompeten= und Strassenlaerm. "Wo kuemmt Er haer? Wo will Er hin?" riefen sie. "In Weissen Schwan," schrie er, "ich habe den Weg verfehlt, wo geht's in Weissen Schwan?" "Der Herr is wohl ae Korrier?" "Freilich, nur schnell," rief er und zog einen Brief mit grossem Siegel aus der Tasche, "das koemmt von Wien und ist an den Herrn Zwerner aus Dessau im Weissen Schwan." "Da an der Ecke gehts rechts, dann die Strasse links, dann koemmt Er auf die Zeile, da reitet Er bis an die Hauptwache, und von dort ists nimmer weit." So riefen sie, schauten ihm nach, wie er mit der Peitsche knallend davonjagte und besprachen sich dann ueber die Strasse hinueber, was wohl die Depesche aus Wien enthalten moechte. Der Kurier war aber niemand anders als einer meiner dienstbaren Geister, in die Uniform eines hessischen Postillons gekleidet. * * * * * 6. DER REIS=EFFENDI UND DER TEUFEL IN DER BOERSENHALLE. Im Briefe stand mit duerren Worten, dass der Reis=Effendi dem Herrn v. Minciaky die vertrauliche, jedoch halb offizielle Mitteilung gemacht habe, dass die Pforte das Ultimatum, soweit es Russland betreffe, annehmen werde. Der Seufzer bekam nun die noetige Instruktion, was er zu tun hatte. Er fuhr mit dem Briefe sogleich zu Papa Simon und mit diesem zu Herrn v. R-------, dem Papst der Boerse, dem sichtbaren Oberhaupt der unsichtbaren papierenen Kirche. Dieser pruefte die Depesche genau. Er selbst hatte schon zu oft aehnliche Mittel angewendet, Pariser Kuriere aus Mainz, und Wiener aus Aschaffenburg kommen lassen, als dass er so leicht konnte hintergangen werden. Er liess daher ein Licht bringen und pruefte zuerst Geruch und Fluessigkeit des Siegellacks. "Gott's Wunder!" sprach er, bedaechtlich riechend, "Gott's Wunder! das ist echtes Kaisersiegellack, wie es nur in Wien selbst zubereitet wird und was Eingeweihte zu solchen Depeschen zu verwenden pflegen." Dann betrachtete er genau das Kuvert des Briefes und fand darauf die gedruckten Zeichen jeder Poststation von Wien bis Frankfurt, und keins fehlte. Er verglich sodann diese Zeichen mit der Liste der Postzeichen, die er zur Hand hatte, und--sie waren richtig. Hatte er zuvor den Herrn Zwerner, Handelsmann aus Dessau, als ein kleines Paarmalhunderttausendguldenmaennchen so obenhin behandelt, wie der Loewe das Huendchen, so wuchs Letzt seine Achtung mit unglaublicher Schnelle. Er haette zwar am liebsten selbst den Kurier bekommen, samt der inhaltsschweren Depesche, doch, da dies nicht mehr zu aendern war, machte er gute Miene zum boesen Spiel, dankte, dass man ihn sogleich von der wichtigen Nachricht avertiert habe und berechnete dabei, welche Summe dem Dessauer diese Nachricht gekostet haben koennte, indem er annahm, dieser Kaufmann muesse die Preise, die er in Wien fuer solche Winke bezahle, ueberboten haben. Es war Boersenzeit, er selbst fuhr mit auf die Boersenhalle. B o e r s e n h a l l e! Unter diesem Namen stellt sich wohl der Fremde, der diese Einrichtung noch nie gesehen, ein weitlaeufiges Gebaeude vor, wie es der Stadt Frankfurt wuerdig waere, mit weiten Saelen, Seitengaengen, schoenen Portalen und dergleichen. Wie wundert er sich aber und laechelt, wenn er in diese Boersenhalle tritt! Man stelle sich einen ziemlich kleinen, gepflasterten Hof, von unansehnlichen Gebaeuden eingeschlossen, vor, wo man mit Bequemlichkeit Pferde striegeln, Wagen reinigen, waschen, Huehner und Gaense fuettern und dergleichen solide haeusliche Hantierungen verrichten koennte. Statt des ehrwuerdigen Truthahns, statt der geschwaetzigen Huehner und Gaense, statt des Stallknechts mit dem Besen in der Faust, statt der Kuechendame, die hier ihren Salat waescht--sieht man hier zwischen zwoelf und ein Uhr mittags ein buntes Gedraenge. Maenner mit dunkelgefaerbten, markierten Gesichtern, mit schwarzen Baerten und lauernden Augen, mit kuehngebogenen Nasen und breiten Maeulern, mit schmutzigen Hemden und unsauberer Kleidung schleichen mit gebogenen, schlotternden Knien und spitzigen Ellbogen, den Hut tief in, den Nacken zurueckgedrueckt, umher und fragen einander: "Nu, wie stehen se heute?" Du wandelst staunend durch dieses Gewuehl und fuehlst einen kleinen unbehaglichen Schauer, wenn dich eine der unsauberen Gestalten im Voruebergehen anstreift. Du begreifst zwar, dass du dich unter den Kindern Israels befindest; aber zu welchem Zweck treiben sie sich hier unter freiem Himmel in einem Huehnerhof umher? Endlich wirst du eine Tafel, etwa wie ein Wirtshausschild anzusehen, gewahr. Dort steht mit goldenen Buchstaben deutlich zu lesen: "Boersenhalle." Also in der Boersenhalle der freien Stadt Frankfurt befindest du dich. Du hoerst heute ein sonderbares Gemunkel und Gefluester. Die Leute gehen staunend umher, mehr mit Blicken als mit Worten fragend: "Ae Korrier aus Wien?" "Gott's Wunder!" "Wer hat'n gekriecht?" "Ae Fremder, der Zwerner von Dessau." "Wie? Kaner von unsere Lait? Nicht der Rothschild, der grausse Baron, nicht der Bethmann? Auch nicht der Metzler? Waas?" "Was hat'r gebracht, der Korrier! Abraham, wie stehen se?" "Wie werden se stehen! Wer kann's wissen, solange der Zwerner aus Dessau nicht ist auf der Boersenhalle!" "Levi! hat er's Oltemat'm angenommen, der Reis=Effendi? Hat er, oder hat er nicht? Wie werden se stehen?" "Ich hab's genug, 's is a viertel auf Eins, und noch will keiner verkaufen, aus Schrecke vor die Korrier. Waer' nur der Zwerner aus Dessau da! Auch der Rothschild bleibt so lang aus und der Simon von die neue Strasse. Wirst sehen, 's wird geben ae grausse Operation! Der Herr wird verstockt haben das Herz des Effendi, dass er hat nicht angenomme das Oltematum von dem Moskeviter?" "Bethmannische Obligationen will man nicht kaufen, sind gefallen um Vertelpurzent!" "Wie steht's mit die Metalliques? Wie verkauft sie der Metzler? Wie stehen se, Abraham? Tu mer de Gefallen und sag', die Metalliques, wie stehen se?" "Ass ich der sag, ich weiss nicht, wo mer steht der Kopf, weiss heut keiner, wer is Koch oder Keller? Ass ich nicht kann riechen, wie se stehen, die Mettaliques!" Ploetzlich entsteht ein Geraeusch, ein Gedraenge nach der Tuere zu. Ein Wagen ist vorgefahren, die Leute stehen auf den Zehen, machen lange Haelse, um die Mienen der Kommenden zu sehen. Drei Maenner arbeiten sich durch die Menge und stellen sich ernst und gravitaetisch an ihren Platz zur Seite, wie es wohlloeblicherweise auf anderen Boersen der Brauch ist, wo nur die Maekler umherlaufen und sich draengen. Es war der grosse Baron, der an der Seite stand, zu seiner Rechten das Gestirn des Tages, der Kaufmann Zwerner aus Dessau, jetzt nicht mehr Seufzer zu nennen; denn sein Herz schien zu jubilieren und allerlei verliebte Streiche ausfuehren zu wollen, waehrend er doch die Sinne bedaechtlich und gesetzt beisammen behalten musste, um sich nicht zu verrechnen. Zur Linken stand der Jude Simon, angetan mit seinem Sabbather Rock und einer schneeweissen Halsbinde, mit feierlicher, hochzeitlicher Miene, so dass sein Volk gleich sah, es muesse was ganz Ausserordentliches sich zugetragen haben. Jetzt nahten die Kaeufer und Verkaeufer und fragten nach den Preisen. Sie wurden bleich, sie sanken in die Knie und schlichen zitternd umher. Sie lamentierten schrecklich mit den Armen, sie steckten die Finger in den Mund, sie fluchten ebraeisch und syrisch auf den Christen, der sich einen Kurier kommen lassen, auf den Vater, welcher den Kurier gezeugt, auf das Pferd, welches das Pferd des Kuriers zur Welt gebracht, auf seinen Kopf, auf seine vier Fuesse, kurz auf alles, selbst auf Sonne, Mond und Sterne und auf Frankfurt und die Boersenhalle. Jetzt merkte man, warum der schlaue Simon seine Papiere in den letzten Tagen umgesetzt habe; jetzt konnte man sich den Tiefsinn des Kaufmanns aus Dessau erklaeren! "Das Ultimatum ist angenommen," scholl es durch den Hof, "der Reis=Effendi hat zugesagt," hallte es durch die Ecken; und obgleich die drei wichtigen Maenner nur entfernt auf ihren Brief anspielten, nur einige naehere Umstaende angaben, nichts Bestimmtes aussprachen, so stiegen doch die oesterreichischen, die rothschildischen und wenige andere Papiere, von welchen durch Zwerners und des alten Simons Sorge gerade nicht sehr viele auf dem Platz waren, in Zeit von einer halben Stunde um vier und ein halbes Prozent. Mehrere Haeuser, die sich nicht vorgesehen hatten, fingen an zu wanken, eines lag schon halb und halb und hatte es nur seiner nahen Seitenverwandtschaft mit dem regierenden (Boersen=) Hause zu verdanken, dass ihm noch einige Stuetzen untergeschoben wurden. Als man um ein Uhr auseinanderging, lautete der Kurszettel der Frankfurter Boersenhalle: Metalliques 87 5/8. Bethmaennische 75 1/2. Rothschildische Lose 132. Preussische Staatsschuldscheine 84. An den uebrigen war nichts geaendert worden. * * * * * 7. DIE VERLOBUNG. Dieses kleine Boersengemetzel entschied ueber das Schicksal des Seufzers aus Dessau. In den zwei naechsten Tagen wirkte er durch die grosse Menge Metalliques, die er in Haenden hatte, maechtig auf den Gang bei Geschaefte, und als einige Tage nachher Herr von Rothschild Privatmitteilungen aus Wien erhielt, wodurch seine Nachrichten vollkommen bestaetigt werden, da draengte sich alles um den hoffnungsvollen, spekulativen Juengling, um den genialen Kopf, der auf unglaubliche Weise die Umstaende habe berechnen koennen. Seine Zurueckgezogenheit zuvor galt nun fuer tiefes Studium der Politik, seine Schuechternheit, sein geckenhaftes Stoehnen und Seufzen fuer Tiefsinn, und jedes Haus haette ihm freudig eine Tochter gegeben, um mit diesem sublimen Kopf sich naeher zu verbinden. Da aber die Polygamie in Frankfurt derzeit noch nicht foermlich sanktioniert ist und das Herz des Dessauers an Rebekka hing, so schlug er mit grosser Tapferkeit alle Stuerme ab, die aus den Verschanzungen in der Zeile, aus den Trancheen der Million, selbst aus den Salons bei neuen Mainzer Strasse mit gluehenden Liebesblicken und Stueckseufzern auf ihn gemacht wurden. Der alte Herr Simon, konnte sich auch der Dessauer in Hinsicht auf Geld und Gluecksgueter ihm nicht gleichstellen, rechnete es sich dennoch zur besonderen Ehre, einen so erleuchteten Schwiegersohn zu bekommen. Ja, er sah es als eine glueckliche Spekulation an, ihn durch Rebekka gefangen zu haben. Er sah ihn als eine prophetische Spekulationsmaschine an, die ihn in kurzer Zeit zum reichsten Manne Europas machen musste; denn, wenn er immer mit seinem Schwiegersohn zugleich kaufte oder verkaufte, glaubte er nie fehlen zu koennen. Fraeulein Rebekka ging ohne vieles Straeuben in die Bedingungen ein, die ihr der Zaertliche auferlegte; da er eine gewisse Abneigung verspuerte, ein Jude zu werden, so hielt er es fuer notwendig, dass sie sich taufen lasse. Sie nahm schon folgenden Tages insgeheim Unterricht bei dem Herrn Pastor Stein und gab dafuer auf einige Zeit ihre Klavierstunden auf, wobei, wie sie behauptete, noch etwas Erkleckliches profitiert wuerde, da sie dem Klaviermeister einen Taler fuer die Stunde hatte bezahlen muessen. Sie selbst legte dafuer dem Dessauer die Bedingung auf, dass er sich fuer einige hundert Gulden in den Adelsstand erheben lassen und in dem "joettlichen Frankfort" leben muesse. Er ging darauf freudig ein und ueberliess mir dieses diplomatische Geschaeft. Um nun auch von mir zu reden, so traf puenktlich ein, was ich vorausgesehen hatte. Der Seufzer beschwichtigte fuers erste sein Gewissen, das ihm allerlei vorwerfen mochte, z. B. dass das ganze Geschaeft unehrlich und nicht ohne Hilfe des Teufels habe zustande kommen koennen. Sobald er mit dieser Beschwichtigung fertig war, war auch seine Dankbarkeit verschwunden. Weil ihn alles als den sublimsten Kopf, den scharfsinnigsten Denker pries, glaubte er ohne Zaudern selbst daran, wurde aufgeblasen, sah mich ueber die Achsel an und erinnerte sich meiner sehr guetig als eines Menschen, mit welchem er im Weissen Schwan einigemal zu Mittag gespeist habe. Was mich uebrigens am meisten freute, war, dass er die Strafe seines Undankes in sich und seinen Verhaeltnissen trug. Es war vorauszusehen, dass seine prophetische Kraft, sein spekulativer Geist sich nicht lange halten konnten. Missglueckten nur erst einige Spekulationen, die er, auf sein blindes Glueck und seinen noch blinderen Verstand trauend, unternahm, verlor er erst einmal fuenfzig= oder hunderttausend und zog seinen Schwiegerpapa in gleiche Verluste, so fing die Hoelle fuer ihn schon auf Erden an. Rebeckchen, das liebe Kind, sah auch nicht aus, als wollte sie mit dem neuen Glauben auch einen neuen Menschen anziehen. War sie erst "Gnaedige Frau von Zwerner", so war zu erwarten, dass die Liebesintrigen sich haeufen wuerden; junge wohlriechende Diplomaten, alte Suender, wie Graf Rebs, fremde Majors mit glaenzenden Uniformen waren dann willkommen in ihrer Loge und zu Hause, und der Dessauer hatte das Vergnuegen, zuzuschauen. Und wie wird dieser sanfte Engel Rebekka sich gestalten zur Furie, wenn die spekulative Kraft ihres Eheherrn nachlaesst und damit zugleich sein Vermoegen, wenn man das glaenzende Hotel in der Zeile, die Loge im ersten Rang, die Equipage und die hungernden Liebhaber samt der koestlichen Tafel aufgeben, wenn man nach Dessau ziehen muss in den alten Laden des Hauses Zwerner und Komp., wenn die gnaedige Frau herabsinkt aus ihrem geadelten Himmel und zur ehrlichen Kaufmannsfrau wird, wenn man den Gemahl statt mit Papieren, wie es nobel ist und gross, mit Ellenwaren und Baendern, ganz klein und unnobel handeln sieht! Welche Perspektive!! Doch am vierten Pfingstfeiertag 1826 dachte man noch nicht an dergleichen im Hause des Herrn Simon in der neuen Judenstrasse. Da war ein Hin= und Herrennen, ein Laufen, ein Kochen und Backen; es wurde ungemein viel Gaenseschmalz verbraucht, um koscheres Backwerk zu verfertigen; ein Hammel wurde "geschaecht", um koestliche Ragouts zu bereiten. Der geneigte Leser erraet wohl, was vorging in dem gesegneten Hause? Naemlich nichts Geringeres als die Verlobung des trefflichen Paares. Die halbe Stadt war geladen und kam. Hatte denn der alte Simon nicht treffliche alte Weine? Speiste man bei ihm, das Gaensefett abgerechnet, nicht trefflich? Hatte er nicht die schoensten juedischen und christlichen Fraeulein zusammengebeten, um die Gesellschaft zu unterhalten durch geistreiche Spiele und herrlichen Gesang? Auch Graf Rebs, das treffliche Kaninchen, war geladen, und nur das brachte ihn einigermassen in Verlegenheit, dass nicht weniger als zwanzig Frauen und Fraeulein zugegen waren, mit denen er schon in zaertlichen Verhaeltnissen gestanden hatte. Er half sich durch ausdrucksvolle Liebesblicke, die er allenthalben umherwarf, wie auch durch die eigene Behendigkeit seiner Beinchen, auf welchen er ueberall umherhuepfte und jeder Dame zufluesterte, sie allein sei es eigentlich, die sein zartes Herz gefesselt. Die uebergrosse Anstrengung, zwanzig auf einmal zu lieben, da er es sonst nur auf fuenf gebracht hatte, richtete ihn aber dergestalt zugrunde, dass er endlich elendiglich zusammensank und in seinem Wagen nach Hause gebracht werden musste. Die Gesellschaft unterhielt sich ganz angenehm und bewies sich nach Herrn Simons Begriffen sehr gesittet und anstaendig; denn als er am Abend, nachdem alle sich entfernt hatten, mit seiner Tochter Rebekka das Silber ordnete und zaehlte, riefen sie einmuetig und vergnuegt: "Gott's Wunder! Gott's Wunder! Was war das fuer noble Gesellschaft, fuer gesittete Leute! Es fehlt auch nicht e i n Kaffeeloeffelchen; kein Dessertmesserchen oder Zuckerklaemmerchen ist uns abhanden gekommen! Gott's Wunder!" * * * * * DER FESTTAG IM FEGEFEUER. (Fortsetzung.) Am Horizont in diesem Jahr Ist es geblieben, wie es war. M. Claudius. 1. DER JUNGE GARNMACHER FAEHRT FORT, SEINE GESCHICHTE ZU ERZAEHLEN. Das Manuskript, aus welchem wir die infernalischen Memoiren dechiffrieren und ausziehen, faehrt bei jener Stelle, die wir im ersten Teile notgedrungen abbrachen, fort, die Geschichte des jungen deutschen Schneider=Barons zu geben. Er ist aus seiner Vaterstadt Dresden entflohen, er will in die weite Welt, fuers erste aber nach Berlin gehen und erzaehlt, was ihm unterwegs begegnete. "Meine Herren," fuhr der edle junge Mann fort, "als ich mich umsah, stand ein Mann hinter mir, gekleidet wie ein ehrlicher, rechtlicher Buerger; er fragte mich, wohin meine Reise gehe, und behauptete, sein Weg sei beinahe ganz der meinige, ich solle mit ihm reisen. Ich verstand so viel von der Welt, dass ich einsah, es sei weniger auffallend, wenn man einen halberwachsenen Jungen mit einem aelteren Manne gehen sieht, als allein. Der Mann entlockte mir bald die Ursache meiner Reise, meine Schicksale, meine Hoffnungen. Er schien sich sehr zu verwundern, als ich ihm von meinem Onkel, dem Herrn von Garnmacher in der Dorotheenstrasse in Berlin, erzaehlte. 'Euer Onkel ist ja schon seit zwei Monaten tot!' erwiderte er. 'O du armer Junge, seit zwei Monaten tot; es war ein braver Mann, und ich wohnte nicht weit von ihm und kannte ihn gut. Jetzt nagen ihn die Wuermer!' Sie koennen sich leicht meinen Schrecken ueber diese Trauerpost denken, ich weinte lange und hielt mich fuer ungluecklicher als alle Helden; nach und nach aber wusste mich mein Begleiter zu troesten: 'Erinnerst du dich gar nicht, mich gesehen zu haben?' fragte er. Ich sah ihn an, besann mich, verneinte. 'Ei, man hat mich doch in Dresden so viel, gesehen,' fuhr er fort; 'alle Alten und besonders die Jugend stroemte zu mir und meinem jungen Griechen.' Jetzt fiel mir mit einemmal bei, dass ich ihn schon gesehen hatte. Vor wenigen Wochen war nach Dresden ein Mann mit einem jungen ungluecklichen Griechen gekommen; er wohnte in einem Gasthof und liess den jungen Athener fuer Geld sehen, das Geld war zur Erhaltung des Griechen und der Ueberschuss fuer einen Griechenverein bestimmt. Alles stroemte hin, auch mir gab der Vater ein paar Groschen, um den ungluecklichen Knaben sehen zu koennen. Ich bezeugte dem Manne meine Verwunderung, dass er nicht mehr mit dem Griechen reise. 'Er ist mir entlaufen, der Schlingel, und hat mir die Haelfte meiner Kasse und meinen besten Rock gestohlen; er wusste wohl, dass ich ihm nicht nachsetzen konnte; aber wie waere es, mein Soehnchen, wenn du mein Grieche wuerdest?' Ich staunte, ich hielt es nicht fuer moeglich; aber er gestand mir, dass der andere ein ehrlicher Muenchner gewesen sei, den er abgerichtet und kostuemiert habe, weil nun einmal die Leute die griechische Sucht haetten." "Wie?" unterbrach ihn der Englaender. "Selbst in Deutschland nimmt man Anteil an den Schicksalen dieses Volkes? Und doch ist es eigentlich ein deutscher Minister, der es mit der Pforte haelt und die Griechen untergehen laesst." "Wie es nun so geht in meinem lieben Vaterland," antwortete Baron von Garnmacher, des Schneiders Sohn; "was einmal in einem anderen Lande Mode geworden, muss auch zu uns kommen. Das weiss man gar nicht anders. Wie nun vor kurzem die Pargioten ausgetrieben wurden und bald nachher die griechische Nation ihr Joch abschuettelte, da fanden wir dies erstaunlich huebsch, schrieben auf der Stelle viele dicke Buecher darueber und stifteten Hilfsvereine mit sparsamen Kassen. Sogar Philhellenen gab es bei uns, und man sah diese Leute mit grossen Baerten, einen Saebel an der Seite, Pistolen im Guertel, rauchend durch Deutschland ziehen. Wenn man sie fragte: 'Wohin?' so antworteten sie: 'In den heiligen Krieg nach Hellas gegen die Osmanen!' Bat sich nun etwa eine Frau oder ein Mann, der in der alten Geographie nicht sehr erfahren, eine naehere Erklaerung aus, so erfuhr man, dass es nach Griechenland gegen die Tuerken gehe. Da kreuzigten sich die Leute, wuenschten dem Philhellenen einen guten Morgen und fluesterten, wenn er mit droehnenden Schritten einen Fusspfad nach Hellas einschlug: 'Der muss wenig taugen, dass er im Reich keine Anstellung bekommt und bis nach Griechenland laufen muss.'" "Ist's moeglich?" rief der Marquis. "So teilnahmlos sprachen die Deutschen von diesen Maennern?" "Gewiss; es ging mancher hin mit dem schoenen Gefuehl, einer unterdrueckten Sache beizustehen, mancher, um sich Kriegsruhm zu erkaempfen, der nun einmal auf den Billards und in den Garnisonen nicht zu erlangen ist; aber alle barbierte man ueber einen Loeffel, wie mein Vater zu sagen pflegte, und schalt sie Landlaeufer." "Mylord," sagte der Franzose, "es sind doch dumme Leute, diese Deutschen!" "O ja," entgegnete jener mit grosser Ruhe, indem er sein Rumglas gegen das Licht hielt, "zuweilen; aber dennoch sind die Franzosen unertraeglicher, weil sie allen Witz allein haben wollen." Der Marquis lachte und schwieg. Der Baron aber fuhr fort: "Auf diese Sitte der Deutschen hatte jener Mann seinen Plan gebaut, und noch oft muss ich mich wundern, wie richtig sein Kalkuel war. Die Deutschen, dachte er, kommen nicht dazu, etwas fuer einen weit aussehenden Plan, fuer ein fernes Land und dergleichen zu tun; entweder sagen sie: 'Es war ja vorher auch so, lasset der Sache ihren Lauf, wer wird da etwas Neues machen wollen?' oder sie sagen: 'Gut, wir wollen erst einmal sehen, wie die Sache geht, vielleicht laesst sich hernach etwas tun.' Faellt aber etwas in ihrer Naehe vor, koennen sie selbst etwas Seltenes mit eigenen Augen sehen, so lassen sie es sich etwas kosten. Man war dem Griechen frueher oft in mancher kleinen Stadt sehr dankbar, dass er doch wieder eine Materie zum Sprechen herbeigefuehrt habe, eine Seltenheit, welche die Weiber beim Kaffee, die Maenner beim Bier traktieren konnten. Was fuer Aussichten blieben mir uebrig? Mein Onkel war tot, ich hatte nichts gelernt; so schlug ich ein, Grieche zu werden. Jetzt fing ein Unterricht an, bei welchem wir bald so vertraut miteinander werden, dass mir mein Fuehrer sogar Schlaege beibrachte. Er lehrte mich alle Gegenstaende auf neugriechisch nennen, blaeute mir einige Floskeln in dieser Sprache ein, und nachdem ich hinlaenglich instruiert war, schwaerzte er mir Haar und Augenbrauen mit einer Salbe, faerbte mein Gesicht gelblich, und--ich war ein Grieche. Mein Kostuem, besonders das fuer vornehme Praesentationen, war sehr glaenzend, manches sogar von Seide. So zogen wir im Land umher und gewannen viel Geld." "Aber, mein Gott," unterbrach ihn der Franzose, "sagen Sie doch, in Deutschland soll es viele gelehrten Maenner geben, die sogar Griechisch schreiben. Diese muessen es doch auch sprechen koennen; wie haben Sie sich vor diesen durchbringen koennen?" "Nichts leichter als dies, und gerade bei diesen hatte ich meinen groessten Spass; diese Leute schreiben und lesen das Griechische so gut, dass sie vor zweitausend Jahren mit Thucydides haetten korrespondieren koennen, aber mit dem Sprechen will es nicht recht gehen; sie mussten zu Haus immer die Phrasen im Lexikon aufschlagen, wenn sie sprechen wollten; da hatte ich nun, um aus aller Verlegenheit zu kommen, eine herrliche Floskel bereit:----'Mein Herr, das ist nicht griechisch.' Mein Fuehrer unterliess nicht, sogleich, was ich gesagt, dem Publikum ins Deutsche zu uebersetzen, und jene Kathedermaenner kamen gewoehnlich ueber das Laecheln der Menschen dergestalt ausser Fassung, dass sie es nie wieder wagten, Griechisch zu sprechen. So zogen wir laengere Zeit umher, bis endlich in Karlsbad die ganze Komoedie auf einmal aufhoerte. Wir kamen dorthin zur Zeit der Saison und hatten viele Besuche. Unter andern fiel mir besonders ein Herr mit einem Band im Knopfloch auf, der mir grosse Aehnlichkeit mit meinem Vater zu haben schien. Er besuchte uns einigemal, und endlich, denken Sie sich mein Erstaunen, hoere ich, wie man ihn Herr von Garnmacher tituliert. Ich stuerzte zu ihm hin, fragte ihn mit zaertlichen Worten, ob er mein verehrter Herr Onkel sei, und entdeckte ihm auf der Stelle, wie ich eigentlich nicht auf klassischem Boden in Athen, sondern als koeniglich saechsisches Landeskind in Dresden geboren sei. Es war eine ruehrende Erkennungsszene. Das Staunen des Publikums, als der Grieche auf einmal gutes Deutsch sprach, die Verlegenheit meines Oheims, der mit vornehmer Gesellschaft zugegen war und nicht gerne an meinen Vater, den _Marchand tailleur_, erinnert sein wollte, die Wut meines Fuehrers, alles dies kam mir trotz meiner tiefen Ruehrung hoechst komisch vor. Der Fuehrer wurde verhaftet, mein Onkel nahm sich meiner an, liess mir Kleider machen und fuehrte mich nach Berlin. Und dort begann fuer mich eine neue Katastrophe." * * * * * 2. DER BARON WIRD EIN REZENSENT. "Mein Onkel war ein nicht sehr beruehmter Schriftsteller, aber ein beruechtigter, anonymer Kritiker. Er arbeitete an zehn Journalen, und ich wurde anfaenglich dazu verwendet, seine Hahnenfuesse ins Reine zu schreiben. Schon hier lernte ich nach und nach in meines Onkels Geist denken, fasste die gewoehnlichen Wendungen und Ausdruecke auf und bildete mich so zum Rezensenten. Bald kam ich weiter; der herrliche Mann brachte mir die verschiedenen Klassen und Formen der Kritik bei, ueber welche ich uebrigens hinweggehen kann, da sie einen Fremden nicht interessieren." "Nein, nein!" rief der Lord. "Ich habe schon oefters von dieser kritischen Wut Ihrer Landsleute gehoert. Zwar haben auch wir, z. B. in Edinburgh und London, einige Anstalten dieser Art; aber sie werden, hoere ich, in einem ganz anderen Geiste besorgt als die Ihrigen." "Allerdings sind diese Blaetter in meinem Vaterlande eine sonderbare, aber eigentuemliche Erscheinung. Wie in unserer ganzen Literatur immer noch etwas Engbruestiges, Eingezwaengtes zu verspueren ist, wie nicht das, was leicht und gefaellig, sondern was mit einem recht schwerfaelligen, gelehrten Anstrich geschrieben ist, fuer einzig gut und schoen gilt, so haben wir auch eigene Ansichten ueber Beurteilung der Literatur. Es traut sich naemlich nicht leicht ein Mann oder eine Dame in der Gesellschaft ein Urteil ueber ein neues Buch zu, das sich nicht an ein oeffentlich ausgesprochenes anlehnen koennte--man glaubte darin zu viel zu wagen. Daher gibt es viele oeffentliche Stimmen, die um Geld und gute Worte ein kritisches Solo vortragen, in welches dann das Tutti oder der Chorus des Publikums einfaellt." "Aber wie moegen Sie ueber diese Institute spotten, mein Herr Baron?" unterbrach ihn der Lord. "Ich finde das recht huebsch. Man braucht selbst kein Buch als diese oeffentlichen Blaetter zu lesen und kann dann dennoch in der Gesellschaft mitstimmen." "Sie haetten recht, wenn der Geist dieser Institute anders waere. So aber ergreift der, welcher sich nach diesen Blaettern richtet, unbewusst irgend eine Partei und kann, ohne dass er sich dessen versieht, in der Gesellschaft fuer einen Goethianer, Muellnerianer, Vossiden oder Creuzerianer, Schellingianer oder Hegelianer, kurz fuer einen Yaner gelten. Denn das eine Blatt gehoert dieser Partei an und haut und sticht mehr oder minder auf jede andere, ein anderes gehoert diesem oder jenem grossen Buchhaendler. Da muessen nun fuers erste alle seine Verlagsartikel gehoerig gelobt, dann die seiner Feinde grimmig angefallen werden; oft muss man auch ganz diplomatisch zu Werke gehen, es mit keinem ganz verderben, auf beiden Achseln (Dichter=) Wasser tragen und, indem man einem freundlich ein Kompliment macht, hinterruecks heimlich ihm ein Bein unterschlagen." "Aber schaemen sich denn Ihre Gelehrten nicht, auf diese Art die Kritik und Literatur zu handhaben?" fragte der Marquis. "Ich muss gestehen, in Frankreich wuerde man ein solches Wesen verachten." "Ihre politischen Blaetter, mein Herr, machen es nicht besser. Uebrigens sind es nicht gerade die Gelehrten, die dieses Handwerk treiben. Die eigentlichen Gelehrten werden nur zu Kernschuessen und langsamen, gruendlichen Operationen verwandt und mit vier Groschen bezahlt. Leichter, behender sind die Halbgelehrten, die eigentlichen Voltigeurs der Literatur. Sie plaenkeln mit dem Feind, ohne ihn gruendlich und mit Nachdruck anzugreifen; sie richten Schaden in seiner Linie an, sie umschwaermen ihn, sie suchen ihn aus seiner Position zu locken. Auch duerfen sie sich gerade nicht schaemen; denn sie rezensieren anonym, und nur e i n e r unterschreibt seine kritischen Bluturteile mit so kaltem Blute, als wollte er seinen Bruder freundlich zu Gevatter bitten." "Das muss ja ein eigentlicher Matador sein!" rief der Lord laechelnd. "Ein Matador in jedem Sinne des Worts. Auf Spanisch--ein Totschlaeger, denn er hat schon manchen niedergedonnert; und wahrhaftig, er ist der hoechste Trumpf, dieser Matador, und zaehlt fuer zehn, wenn er _Pacat ultimo_ macht. Und bei den literarischen Stiergefechten ist er Matador! Denn er, der Hauptkaempfer ist es, der dem armen gehetzten und gejagten Stier den Todesstoss gibt." "Gestehen Sie, Sie uebertreiben;--Sie haben gewiss einmal den ungluecklichen Gedanken gehabt, etwas zu schreiben, das recht tuechtig vorgenommen wurde, und jetzt zuernen Sie der Kritik?" Der junge Deutsche erroetete. "Es ist wahr, ich habe etwas geschrieben, doch war es nur eine Novelle und leider nicht so bedeutend, dass es waere rezensiert worden; aber nein, ich selbst habe einige Zeit unter meines Onkels Protektion den kritischen kleinen Krieg mitgemacht und kenne diese Affaeren genau. Nun, mein Onkel brachte mir also die verschiedenen Formen und Klassen bei. Die e r s t e war die s a n f t l o b e n d e Rezension. Sie gab nur einige Auszuege aus dem Werk, lobte es als brav und gelungen und ermahnte, auf der betretenen Bahn fortzuschreiten. In diese Klasse fielen junge Schriftsteller, die dem Interesse des Blattes entfernter standen, die man aber fuer sich gewinnen wollte. Hauptsaechlich aber war diese Klasse fuer junge, schriftstellerische Damen." "Wie?" erwiderte der Lord. "Haben Sie deren so viele, dass man eine eigene Klasse fuer sie macht?" "Man zaehlte, als ich noch auf der Oberwelt war, sechsundvierzig juengere und aeltere! Sie sehen, dass man fuer sie schon eine eigene Klasse machen kann, und zwar eine gelinde, weil diese Damen mehr Anbeter und Freunde haben als ein junger Schriftsteller. Die zweite Klasse ist die l o b p o s a u n e n d e. Hier werden entweder die Verlagsartikel des Buchhaendlers, der das Blatt bezahlt, oder die Parteimaenner gelobt. Man preist ihre Namen, man ist geruehrt, man ist gluecklich, dass die Nation einen solchen Mann aufweisen kann. Die d r i t t e Klasse ist dann die n e u t r a l e. Hier werden die Feinde, mit denen man nicht in Streit geraten mag, etwas kuehl und diplomatisch behandelt. Man spricht mehr ueber das Genus ihrer Schrift und ueber ihre Tendenz als ueber sie selbst, und gibt sich Muehe, in recht vielen Worten n i c h t s zu sagen, ungefaehr wie in den Salons, wenn man ueber politische Verhaeltnisse spricht und sich doch mit keinem Wort verraten will. Die v i e r t e Klasse ist die l o b h u d e l n d e. Man sucht entweder einen, indem man ihn scheinbar und mit einem Anstrich von Gerechtigkeit ein wenig tadelt, zu loben, oder umgekehrt, man lobt ihn mit vielem Anstand und bringt ihm einige Stiche bei, die ihn entweder tief verwunden, oder doch laecherlich machen. Die f u e n f t e Klasse ist die g r o b e, e r n s t e; man nimmt eine vornehme Miene an, setzt sich hoch zu Ross und schaut hernieder auf die kleinen Bemuehungen und geringen Fortschritte des Gegners. Man warnt sogar vor ihm und sucht etwas Verstecktes in seinen Schriften zu finden, was zu gefaehrlich ist, als dass man oeffentlich davon sprechen moechte. Diese Klasse macht stillen, aber tiefen Eindruck aufs Publikum. Es ist etwas Mystisches in dieser Art der Kritik, was die Menschen mit Scheu und Beben erfuellt. Die s e c h s t e Klasse ist die T o t s c h l a e g e r k l a s s e. Sie ist eine Art von Schlachtbank; denn hier werden die Opfer des Zornes, der Rache niedergemetzelt ohne Gnade und Barmherzigkeit, sie ist eine Saege= und Stampfmuehle; denn der Mueller schuettet die Ungluecklichen, die ihm ueberantwortet werden, hinein und zerfetzt, zersaegt, zermalmt sie." "Aber wer traegt denn die Schuld von diesem unsinnigen Vertilgungssystem?" fragte Lasulot. "Nun, das Publikum selbst! Wie man frueher an Turnieren und Tierhetzen die Freude hatte, so amuesiert man sich jetzt am kritischen Kriege; es freut die Leute, wenn man die Schriftsteller mit eingelegten Lanzen aufeinander anrennen sieht, und--wenn die Rippen krachen, wenn einer sinkt, klatscht man dem Sieger Beifall zu. Laendlich, sittlich! 'Ein Stier, ein Stier, ruft's, dort und hier!' In Spanien treibt man das in der Wirklichkeit, in Deutschland metaphorisch, und wenn ein paar tuechtige Fleischerhunde einen alten Stier anfallen und sich zu Helden an ihm beissen, wenn der M a t a d o r von der Galerie hinab in den Zirkus springt, Und zieht den Degen, Und faellt verwegen Zur Seite den wuetenden Ochsen an-- da freut sich das liebe Publikum, und von 'Bravo!' schallt die Gegend wider!" "Das ist koestlich!" rief der Englaender; doch war man ungewiss, ob sein Beifall der deutschen Kritik oder dem Rum gelte, den er zu sich nahm. "Und ein solcher Klassenkritikus wurden Sie, Master Garnmacher?" "Mein Onkel war, wie ich Ihnen sagte, fuer mehrere Journale verpachtet; wunderbar war es uebrigens, welches heterogene Interesse er dabei befolgen musste. Er hatte es so weit gebracht, dass er an einem Vormittag ein Buch las und sechs Rezensionen darueber schrieb, und oft traf es sich, dass er alle sechs Klassen ueber einen Gegenstand erschoepfte. Er zuendete dann zuerst dem Schlachtopfer ein kleines, gelindes Lobfeuer aus Zimmetholz an; dann warf er kritischen Weihrauch dazu, dass es grosse Wolken gab, die dem Publikum die Sinne umnebelten und die Augen beizten. Dann daempfte er diese niedlichen Opferflammen zu einer duesteren Glut, blies sie dann mit dem kalten Hauch der vierten Klasse frischer an, warf in der fuenften einen so grossen Holzstoss zu, als die _sancta simplicitas_ in Konstanz dem Huss, und fing dann zum sechsten an, den Ungluecklichen an dieser maechtigen Lohe des Zornes zu braten und zu roesten, bis er ganz schwarz war." "Wie konnte er aber mit gutem Gewissen sechserlei so verschiedene Meinungen ueber e i n e n Gegenstand haben? Das ist ja schaendlich!" "Wie man will. Ich erinnere Sie uebrigens an die liberalen und an die ministeriellen Blaetter Ihres Landes; wenn heute einer Ihrer Publizisten eine Ode an die Freiheit auf der Posaune geblasen hat und ihm morgen der Herr von .... einige Sous mehr bietet, so haelt er eine Schimpfrede gegen die linke Seite, als haette er von je in einem ministeriellen Vorzimmer gelebt." "Aber dann geht er foermlich ueber," bemerkte der Marquis; "aber Ihr Onkel, der Schuft, hatte zu gleicher Zeit sechs Zungen und zwoelf Augen, die Haelfte mehr als der Hoellenhund." "Die Deutschen haben es von jeher in allen mechanischen Kuensten und Handarbeiten weit gebracht," erwiderte mit grosser Ruhe der junge Mann, "so auch in der Kritik. Als mich nun mein Onkel so weit gebracht hatte, dass ich nicht nur ein Buch von dreissig Bogen in zwei Stunden durchlesen, sondern auch den Inhalt einer u n a u f g e s c h n i t t e n e n Schrift auf ein Haar erraten konnte, wenn ich wusste, von welcher Partei sie war, so gebrauchte er mich zur Kritik. 'Ich will dir,' sagte er, 'die erste, zweite, fuenfte und sechste Klasse geben. Die Jugend, wie sie nun einmal heutzutag ist, kann nichts mit Mass tun. Sie lobt entweder ueber alle Grenzen, oder sie schimpft und tadelt unverschaemt. Solche Leute, besonders wenn sie ein recht scharfes Gebiss haben, sind uebrigens oft nicht mit Gold zu bezahlen. Man legt sie an die Kette, bis man sie braucht, und hetzt sie dann mit unglaublichem Erfolg; denn sie sind auf den Mann dressiert trotz der besten Dogge. Zu den Mittelklassen, zu dem Neutralitaetssystem, zu dem verdeckten Tadel, zu dem ruhigen, aber sicheren Hinterhalt gehoert schon mehr als kaltes Blut.' So sprach mein Onkel und uebergab mir die Kraenze der Gnade und das Schwert der Rache. Alle Tage musste ich von frueh acht bis ein Uhr rezensieren. Der Onkel schickte mir ein neues Buch, ich musste es schnell durchlesen und die Hauptstellen bezeichnen. Dann wurden Kritiken von Nr. 1 und 2 entworfen und dem Alten zugeschickt. Nun schrieb er selbst 3 und 4, und war dann noch ein Hauptgericht zu exequieren, so liess er mir sagen: 'Mein lieber Neffe, nur immer Nr. 5 und 6 draufgesetzt; es kann nicht schaden, nimm ihn in Teufels Namen tuechtig durch;' und den ich noch vor einer Stunde mit wahrer Ruehrung bis zum Himmel erhoben, denselben verdammte ich jetzt bis in die Hoelle. Vor Tisch wurden dann die kritischen Arbeiten verglichen, der Onkel tat, wie er zu sagen pflegte, Salz hinzu, um das Gebraeu pikanter zu machen; dann packte ich alles ein und verschickte die heil= und unheilschweren Blaetter an die verschiedenen Journale." "_Goddam_! Habe ich in meinem Leben dergleichen gehoert?" rief der Lord mit wahrem Grauen. "Aber wenn Sie alle Tage nur e i n Buch rezensierten, das macht ja im Jahre 365! Gibt es denn in Ihrem Vaterlande jaehrlich selbst nur ein Dritteil dieser Summe?" "Ha! da kennen Sie unsere gesegnete Literatur schlecht, wenn Sie dies fragen. So viele gibt es in e i n e r Messe, und wir haben jaehrlich zwei. Alle Jahre kann man achtzig Romane, zwanzig gute und vierzig schlechte Lust= und Trauerspiele, hundert schoene und miserable Erzaehlungen, Novellen, Historien, Phantasien usw., dreissig Almanache, fuenfzig Baende lyrischer Gedichte, einige erhabene Heldengedichte in Stanzen oder Hexametern, vierhundert Uebersetzungen, achtzig Kriegsbuecher rechnen, und die Schul=, Lehr=, Katheder=, Professions=, Konfessionsbuecher, die Anweisungen zum frommen Leben, zur Bereitung guten Champagners aus Obst, zur Verlaengerung der Gesundheit, die Betrachtungen ueber die Ewigkeit, und wie man auch ohne Arzt sterben koenne usw. sind nicht zu zaehlen; kurz, man kann in meinem Vaterlande annehmen, dass unter fuenfzig Menschen immer einer Buecher schreibt; hat einer einmal im Messkatalog gestanden, so gibt er das Handwerk vor dem sechzigsten Jahre nicht auf. Sie koennen also leicht berechnen, meine Herren, wie viel bei uns gedruckt wird. Welcher Reichtum der Literatur, welches weite Feld fuer die Kritik!" Der junge Deutsche hatte diese letzten Worte mit einer Ehrfurcht, mit einer Andacht gesprochen, die sogar mir hoechst komisch vorkam; der Lord und der Marquis aber brachen in lautes Lachen aus, und je verwunderter der junge Herr sie ansah, desto mehr schien ihr Lachreiz gesteigert zu werden. "Monsieur de Garnmacker! Nehmen Sie es nicht uebel, dass ich mich von Ihrer Erzaehlung bis zum Lachen hinreissen liess," sagte der Marquis; "aber Ihre Nation, Ihre Literatur, Ihre kritische Manufaktur kam mir unwillkuerlich so komisch vor, dass ich mich nicht enthalten konnte zu lachen. Ihr seid sublime Leute, das muss man euch lassen." "Und der Herr hier hat recht," bemerkte Mylord mit feinem Laecheln. "Alles schreibt in diesem goettlichen Lande, und was das schoenste ist, nicht jeder ueber sein Fach, sondern lieber ueber ein anderes. So fuhr ich einmal auf meiner Grandtour in einem deutschen Laendchen. Der Weg war schlecht, die Pferde womoeglich noch schlechter. Ich liess endlich durch meinen Reisebegleiter, der Deutsch reden konnte, den Postillon fragen, was denn sein Herr, der Postmeister, denke, dass er uns so miserable Pferde vorspanne. Der Postillon antwortete: 'Was das Post= und das Stallwesen anbelangt, so denkt mein Herr nichts." Wir waren verwundert ueber diese Antwort, und mein Begleiter, dem das Gespraech Spass machte, fragte, was sein Herr denn anderes zu denken habe. 'Er schreibt!' war die kurze Antwort des Kerls. 'Wie? Briefverzeichnisse, Postkarten?' 'Ei, behuete!' sagte er, 'Buecher, gelehrte Buecher.' 'Ueber das Postwesen?' fragten wir weiter. 'Nein,' meinte er; 'Verse macht mein Herr, Verse, oft so breit als meine fuenf Finger und so lang als mein Arm!' und klatsch! klatsch! hieb er auf die magern Brueder des Pegasus und trabte mit uns auf dem stossenden Steinweg, dass es uns in der Seele weh tat. '_Goddam_!' sagte mein Begleiter. 'Wenn der Herr Postmeister so schlecht auf dem Hippogryphen sitzt wie sein Schwager auf diesen Kleppern, so wird er holperige Verse zutage foerdern!' Und auf Ehre, meine Herren, ich habe mich auf der naechsten Station erkundigt, dieser Postmeister ist ein Dichter und wie Sie, Mr. Garnmacher, ein grosser Kritiker." "Ich weiss, wen Sie meinen," erwiderte der Deutsche mit etwas unmutiger Miene, "und Ihre Erzaehlung soll wohl ein Stich auf mich sein, weil ich eigentlich auch nicht fuer dieses Gebiet der Literatur erzogen worden. UEbrigens muss ich Ihnen sagen, Mylord, in Ihrem kalten, systematischen, nach Gesetzen aengstlich zugeschnittenen Lande moechte etwas dergleichen auffallen, aber bei uns zu Lande ist das was anderes. Da kann jeder in die Literatur hineinpfuschen, wann und wie er will, und es gibt kein Gesetz, das einem verboete, etwas Miserables drucken zu lassen, wenn er nur einen Verleger findet. Bei den Kritikern und Poeten meines Vaterlandes ist nicht nur in Hinsicht auf die Phantasie die schoene romantische Zeit des Mittelalters; nein, wir sind, und ich rechne mich ohne Scheu dazu, samt und sonders edle Raubritter, die einander die Blumen der Poesie abjagen und in unsere Verliesse schleppen; wir ueben das Faustrecht auf heldenmuetige Weise und halten literarische Wegelagerungen gegen den reich beladenen Kraemer und Juden. Die Poesie ist bei uns eine Gemeindewiese, auf welcher jedes Vieh umherspazieren und Blumen und Gras fressen kann nach Belieben." "Herr von Garnmacker," unterbrach ihn der Marquis de Lasulot, "ich wuerde Ihre Geschichte erstaunlich huebsch und anziehend finden, wenn sie nur nicht so langweilig waere. Wenn Sie so fortmachen, so erzaehlen Sie uns achtundvierzig Stunden in einem fort. Ich schlage daher vor, wir verschieben den Rest und unsere eigenen Lebenslaeufe auf ein andermal und gehen jetzt auf die Hoellenpromenade, um die schoene Welt zu sehen!" "Sie haben recht," sagte der Lord, indem er aufstand und mir ein Sixpencestueck zuwarf, "der Herr von Garnmacher weiss auf unterhaltende Weise einzuschlaefern. Brechen wir auf; ich bin neugierig, ob wohl viele Bekannten aus der Stadt hier sind." "Wie?" rief der junge Deutsche nicht ohne Ueberraschung. "Sie wollen also nicht hoeren, wie ich mich in Berlin bei den Herren vom Muehlendamm zu einem Elegant perfektionierte? Sie wollen nicht hoeren, wie ich einen Liebeshandel mit einer Prinzessin hatte, und auf welche elendigliche Weise ich endlich verstorben bin? O, meine Herren, meine Geschichte faengt jetzt erst an, interessant zu werden." "Sie koennen recht haben," erwiderte ihm der Lord mit vornehmem Laecheln; "aber wir finden, dass uns die Abwechslung mehr Freude macht. Begleiten Sie uns; vielleicht sehen wir einige Figuren aus Ihrem Vaterlande, die Sie uns zeigen koennen." "Nein, wirklich! Ich bin gespannt auf Ihre Geschichte," sagte der Marquis lachend; "aber nur jetzt nicht. Es ist jetzt die Zeit, wo die Welt promeniert, und um keinen Preis, selbst nicht um Ihre interessante Erzaehlung, moechte ich diese Stunde versaeumen. Gehen wir." "Gut," erwiderte der deutsche Stutzer resigniert und ohne beleidigt zu scheinen. "Ich begleite Sie; auch so ist mir Ihre werte Gesellschaft sehr angenehm; denn es ist fuer einen Deutschen immer eine grosse Ehre, sich an einen Franzosen oder gar an einen Englaender anschliessen zu koennen." Lachend gingen die beiden voran, der Baron folgte, und ich veraenderte schnell mein Kostuem, um diese merkwuerdigen Subjekte auf ihren Wanderungen zu verfolgen; denn ich hatte gerade nichts Besseres zu tun. Die Menschen bleiben sich unter jeder Zone gleich--es ist moeglich, dass Klima und Sitten eines anderen Landes eine kleine Veraenderung in manchem hervorbringen; aber lasst nur eine Stunde lang Landsleute zusammen sprechen, der Nationalcharakter wird sich nicht verleugnen, wird mehr und mehr sich wieder hervorheben und deutlicher werden. So kommt es, dass dieser Geburtstag meiner lieben Grossmutter mir Stoff zu tausend Reflexionen gibt; denn selbst im Fegefeuer, wenn diesen Leutchen nur e i n Tag vergoennt ist, findet sich Gleiches zu Gleichem, und es spricht und lacht und geht und liebt wie im Prater, wie auf der Chaussee d'Antin oder im Palais Royal, wie Unter den Linden, oder wie in.... Welchen Anblick gewaehrte diese hoellische Promenade! Die Stutzer aller Jahrhunderte, die Kurtisanen und Merveilleuses aller Zeiten, Theologen aller Konfessionen, Juristen aller Staaten, Finanziers von Paris bis Konstantinopel, von Wien bis London, und sie alle in Streit ueber ihre Angelegenheiten, und sie alle mit dem ewigen Refrain: "Zu unserer Zeit, ja! Zu unserer Zeit war es doch anders!" Aber ach, meine Stutzer kamen zu spaet auf die Promenade, kaum dass noch Baron von Garnmacher einen jungen Dresdener Dichter umarmen und einer Berliner Saengerin sein Vergnuegen ausdruecken konnte, ihre Bekanntschaft hier zu erneuern! Der edle junge Herr hatte durch seine Erzaehlung die Promenadezeit verkuemmert, und die grosse Welt stroemte schon zum Theater. * * * * * 3. DAS THEATER IM FEGEFEUER. Man wundert sich vielleicht ueber ein Theater im Fegefeuer? Freilich ist es weder _Opera buffa_ noch _seria_, weder Trauer= noch Lustspiel; ich habe zwar Schauspieldichter, Saenger, Akteurs und Aktricen, Taenzer und Taenzerinnen genug; aber wie koennte man ein so gemischtes Publikum mit einem dieser Stuecke unterhalten? Liesse ich von Zacharias Werner eine schauerlich=tragikomisch=historisch=romantisch= heroische Komoedie auffuehren,--wie wuerden sich Franzosen und Italiener langweilen, um von den Russen, die mehr das Trauerspiel und Mordszenen lieben, gar nicht zu reden. Wollte ich mir von Kotzebue ein Lustspiel schreiben lassen, etwa die "Kleinstaedter in der Hoelle", wie wuerde man ueber verdorbenen Geschmack schimpfen! Daher habe ich eine andere Einrichtung getroffen. Mein Theater spielte grosse pantomimische Stuecke, welche wunderbarerweise nicht die Vergangenheit, sondern die Zukunft zum Gegenstand haben; aber mit Recht. Die Vergangenheit, ihr ganzes Leben liegt abgeschlossen hinter diesen armen Seelen. Selten bekommt eine einen Erlaubnisschein, als Revenant die Erde um Mitternacht besuchen zu duerfen. Denn was nuetzt es mir? Was frommt es dem irren Geist einer eifersuechtigen Frau, zum Lager ihres Mannes zurueckzukehren? Was nuetzt es dem Mann, der sich um eine zweite umgetan, wenn durch die Gardine dringt-- "Eine kalte weisse Hand. Wen erblickt er? Seine Wilhelmine, Die im Sterbekleide vor ihm stand." Was kann es dem Teufel, was einer ausgeleerten herzoglichen Kasse helfen, wenn der Finanzminister, der sich aus Verzweiflung mit dem Federmesser die Kehle abschnitt, allnaechtlich ins Departement schleicht, angetan mit demselben Schlafrock, in welchem er zu arbeiten pflegte, schluerfend auf alten Pantoffeln und die Feder hinter dem Ohr? Zu was dient es, wenn er seufzend vor den Akten sitzt und mit gluehendem Auge seinen Rest immer noch einmal berechnet? Was kann es dem fuerstlichen Keller helfen, wenn der Schlosskuefer, den ich in einer boesen Stunde abgeholt, durch einen Kellerhals herniederfaehrt und mit krampfhaft gekruemmtem Finger an den Faessern anpocht, die er bestohlen? Zu welchem Zweck soll ich den General entlassen, wenn oben der Zapfenstreich ertoent und die Hoerner zur Ruhe blasen? Wozu den Stutzer, um zu sehen, ob sein bezahltes Liebchen auf frische Rechnung liebt? Zwar sie alle, ich gestehe es, sie alle wuerden sich ungluecklicher fuehlen, koennten sie sehen, wie schnell man sie vergessen hat; es waere eine Schaerfung der Strafe, wie etwa ein Koenig, als ihm ein Urteil zu l e b e n s l a e n g l i c h e r Zuchthausstrafe vorgelegt wurde, "n o c h s e c h s J a h r e l a e n g e r" unterschrieb, weil er den Mann hasste. Aber sie wuerden mir auf der andern Seite so viel verwirrtes Zeug mit herabbringen, wuerden mir manchen fromm zu machen suchen, wie der reiche Mann im Evangelium, der zu Lebzeiten soviel getrunken, dass er in der Hoelle Wasser trinken wollte,--ich habe darin so viele Erfahrungen gemacht und kann es in neuern Zeiten, wo ohnedies die Missionarien und andere Mystiker genug tun, nicht mehr erlauben. Daher kommt es, dass es in diesen Tagen wenig mehr in den H a e u s e r n, desto mehr aber in den K o e p f e n, spukt. Um nun den Seelen im Fegefeuer dennoch Nachrichten ueber die Zukunft zu geben, lasse ich an Festtagen einige erhebliche Stuecke von meiner hoellischen Bande auffuehren. Auf dem heutigen Zettel war angezeigt: M i t A l l e r h o e c h s t e r B e w i l l i g u n g. Heute, als am Geburtstage der Grossmutter, diabolischen Hoheit: E i n i g e S z e n e n a u s d e m J a h r e 1 8 2 6. Pantomimische Vorstellung mit Begleitung des Orchesters. Die Musik ist aus Mozarts, Haydns, Glucks und anderen Meisterwerken zusammengesucht von Rossini. (Bemerkungen an das Publikum.) Da gegenwaertig sehr viele allerhoechste Personen und hoher Adel hier sind, so wird gebeten, die ersten Ranglogen den Hoheiten, Durchlauchten und Ministern bis zum Grafen abwaerts inklusive, die zweite Galerie der Ritterschaft samt Frauen bis zum Leutnant abwaerts zu ueberlassen. Die Direktion des infernal. Hof= und Nationaltheaters. Das Publikum draengte sich mit Ungestuem nach dem Hause. Ich bot mich den drei jungen Herren als Cicerone an und fuehrte sie gluecklich durchs Gedraenge ins Parkett. Obgleich der Lord ohne Anstand auf die erste, der Marquis und der deutsche Baron auf die zweite Loge haetten eintreten duerfen, fanden es diese drei Subjekte aber amuesanter, von ihrem niederen Standpunkt aus Logen und Parterre zu lorgnettieren. Wie mancher Ausruf des freudigen Staunens entschluepfte ihnen, wenn sie wieder auf ein bekanntes Gesicht trafen! Besonders Garnmacher schien vor Erstaunen nicht zu sich selbst kommen zu koennen. "Nein, ist es moeglich?" rief er wiederholt aus. "Ist es moeglich? Sehen Sie, Marquis, jener Herr dort oben in der zweiten Galerie rechts, mit den roten Augen, er spricht mit einer bleichen jungen Dame; dieser starb in Berlin im Geruch der Heiligkeit und soll auch hier sein an diesem unheiligen Ort? Und jene Dame, mit welcher er spricht, wie oft habe ich sie gesehen und gesprochen! Sie war eine liebenswuerdige, fromme Schwaermerin, ging lieber in die Dreifaltigkeitskirche als auf den Ball--sie starb, und wir alle glaubten, sie werde sogleich in den dritten Himmel schweben, und jetzt sitzt sie hier im Fegefeuer! Zwar wollte man behaupten, sie sei in Toeplitz an einem heimlichen Wochenbette verschieden; aber wer ihren frommen Lebenslauf gesehen, wer konnte das glauben?" "Ha! die Nase von Frankreich!" rief auf einmal der Marquis mit Ekstase. "Heiliger Ludwig, auch Ihr, auch Ihr unter Euern verlorenen Kindern? Ha? und ihr, ihr verdammten Kutten, die ihr mein schoenes Vaterland in die Kapuze stecken wollet. Sehen Sie, Mylord, jene haesslichen, kriechenden Menschen? Sehen Sie, dort--das sind beruehmte Missionaere, die uns glauben machen wollten, sie seien froemmer als wir. Dem Teufel sei es gedankt, dass er diese Schweine auch zu sich versammelt hat." "O mein Herr," sagte ich, "da haetten Sie nicht noetig gehabt, bis ins Theater sich zu bemuehen, um diese Leutchen zu sehen. Sie zeigen sich zwar nicht gerne auf den Promenaden, weil selbst in der Hoelle nichts Erbaermlicheres zu sein pflegt als ein entlarvter Heuchler. Aber im _Cafe de la Congregation_ wimmelt es von diesen Herren, vom Kardinal bis zum schlichten Pater. Sie koennen manche heilige Bekanntschaft dort machen." "Mein Herr, Sie scheinen bekannt hier," erwiderte Mylord, "sagen Sie doch, wer sind diese ernsten Maenner in Uniform nebenan? Sie unterhalten sich lebhaft, und doch sehe ich sie nicht laecheln. Sind es Englaender?" "Verzeihen Sie," antwortete ich, "es sind Soldaten und Offiziere von der alten Garde, die sich mit einigen Preussen ueber den letzten Feldzug besprechen." Alle drei schienen erstaunt ueber dieses Zusammentreffen und wollten mehr fragen; aber der Kapellmeister hob den Stab, und die Trompeten und Pauken der Rossinischen Ouvertuere schmetterten in das volle Haus. Es war die herrliche Ouvertuere aus _il maestro ladro_, die Rossini auf sich selbst gedichtet hat, und das Publikum war entzueckt ueber die schoenen Anklaenge aus der Musik aller Laender und Zeiten, und jeder fand seinen Lieblingsmeister, seine Lieblingsarie in dem herrlich komponierten Stueck. Ich halte auch ausser der _Gazza ladra_ den _Maestro ladro_ fuer sein Bestes, weil er darin seine Tendenz und seine kuenstlerische Gewandtheit im Komponieren ganz ausgesprochen hat. Die Ouvertuere endete mit dem ergreifenden Schluss von Mozarts Don Juan, dem man zur Vermehrung der Ruehrung einen Nachsatz von Pauken, Trommeln und Trompeten angehaengt hatte, und--der Vorhang flog auf. Man sah einen Saal der Boersenhalle von London. Aengstlich draengten sich Juden und Christen durcheinander. In malerischen Gruppen standen Geldmaekler, grosse und kleine Kaufleute und steigerten die Papiere. Nachdem diese Introduktion einige Zeitlang gedauert hatte, kamen in sonderbaren Spruengen und Kapriolen zwei Kuriere hereingetanzt. Allgemeine Spannung. Die Depeschen werden in einem _pas de deux_ entsiegelt, die Nachrichten mitgeteilt. In diesem Augenblicke erscheint mein erster Solotaenzer, das Haus Goldsmith vorstellend, in der Szene. Seine Mienen, seine Haltung bruellen Verzweiflung aus. Man sieht, seine Fonds sind erschoepft, seine Beutel leer, er muss seine Zahlungen einstellen. Ein Chor von Juden und Christen dringen auf ihn ein, um sich bezahlt zu machen. Er fleht, er bittet, seine Gebaerdensprache ist bezaubernd--es hilft nichts. Da rafft er sich verzweiflungsvoll auf. Er tanzt ein Solo voll Ernst und Majestaet. Wie ein gefallener Koenig ist er noch im Unglueck gross, seine Spruenge reichen zu einer immensen Hoehe, und mit einem prachtvollen Fusstriller faellt das Haus Goldsmith in London. Komisch war es nun anzusehen, wie das Chor der englischen, deutschen und franzoesischen Haeuser, vorgestellt von den Herren vom _corps de ballet_, diesen Fall weiter fortsetzten. Sie wankten kuenstlich und fielen noch kuenstlicher, besonders exzellierten hierbei einige Berliner Boersenkuenstler, die durch ihre ungemeine Kunst einen wahrhaft tragischen Effekt hervorbrachten und allgemeine Sensation im Parterre erregten. Ploetzlich ging die lamentable Boersenmusik in einen Triumphmarsch ueber. Die herrliche Passage aus der "Italienerin in Algier": H e i l d e m g r o s s e n K a i m a k a n! ertoente. Ein glaenzender Zug von Christensklaven, Goldbarren und Schuesseln mit gemuenztem Gold tragend, tanzten aufs Theater. Es war, wie wenn in der Hungersnot ein Wagen mit Brot in eine ausgehungerte Stadt koemmt. Man denkt nicht daran, dass der spekulative Kopf, der das Brot herbeischaffte, nichts als ein gemeiner Wucherer ist, der den Hunger benuetzt und sein Brot zu ungeheuren Preisen losschlaegt; man denkt nicht daran, man verehrt ihn als den Retter, als den schuetzenden Schild in der Not. So auch hier. Die gefallenen Haeuser richteten sich mit Grazie empor, sie schienen Hoffnung zu schoepfen, sie schienen den Messias der Boerse zu erwarten. Er kam. Acht Finanzminister beruehmter Koenige und Kaiser trugen auf ihren Schultern eine Art von Triumphwagen, der die transparente Inschrift: "S e i d u m s c h l u n g e n, M i l l i o n e n!" trug. Ein Herr mit einer bekannten morgenlaendischen Physiognomie, wohlbeleibt und von etwas schwammigem Ansehen, sass in dem Wagen und stellte den Triumphator vor. Mit ungemeinem Applaus wurde er begruesst, als er von den Schultern der Minister herab auf den Boden stieg. "Das ist Nothschild! Es lebe Nothschild!" schrie man in den ersten Ranglogen und klatschte und rief bravo, dass das Haus zitterte. Es war mein erster Grotesktaenzer, der diese schwierige Rolle meisterhaft durchfuehrte, besonders, als er mit dem englischen, oesterreichischen, preussischen und franzoesischen Ministerium einen Cosaque tanzte, uebertraf er sich selbst. Nothschild gab in einer komischen Solopartie seinem Reich, der Boerse, den Frieden, und der erste Akt der grossen Pantomime endigte mit einem brillanten Schlusschor, in welchem er foermlich gekroent und zu einem allerhoechsten _cher cousin_ gemacht wurde. Als der Vorhang gefallen war, liess sich Mylord ziemlich ungnaedig ueber diese Szene aus. "Es war zu erwarten," sagte er, "dass diese Menschen bedeutenden Einfluss auf die Kurse bekommen werden; aber dass auf der Boerse von London ein solcher Skandal vorfallen werde, im Jahre 1826, das ist unglaublich." "Mein Herr," erwiderte der Marquis lachend, "unglaublich finde ich es nicht. Bei den Menschen ist alles moeglich, und warum sollte nicht einer, wenn er auch im Judenquartier zu Frankfurt das Licht der Welt erblickte, durch Kombination so weit kommen, dass er Kaiser und Koenige in seinen Sack stecken kann?" "Aber England, Alt=England! Ich bitte Sie," rief der Lord schmerzlich. "Ihr Frankreich, Ihr Deutschland haben beide von jeher nach jeder Pfeife tanzen muessen! Aber, _Goddam_! das englische Ministerium mit diesem Hep=Hep einen Cosaque tanzen zu sehen! O! es ist schmerzlich!" "Ja, ja!" sprach Baron von Garnmacher, des Schneiders Sohn, sehr ruhig. "Es wird und muss so kommen. Freilich, ein bedeutender Unterschied zwischen 1826 und der Zeit des Koenigs David." "Das finde ich nicht," antwortete der Marquis; "im Gegenteil, Sie sehen ja, welch grossen Einfluss die Juden auf die Zeit gewinnen!" "Und dennoch finde ich einen bedeutenden Unterschied," erwiderte der Deutsche. "Damals, mein Herr, hatten alle Juden nur e i n e n Koenig, jetzt aber haben alle Koenige nur e i n e n Juden." "Wenn Sie so wollen, ja. Aber neugierig bin ich doch, was fuer eine Szene der Teufel uns jetzt geben wird. Ich wollte wetten, Frankreich oder Italien kommt ans Brett." "Ich denke, Deutschland," erwiderte Garnmacher. "Ich wenigstens moechte wohl wissen, wie es im Jahre 1826 oder 1830 in Deutschland sein wird. Als ich die Erde verliess, war die Konstellation sonderbar: Es roch in meinem Vaterlande wie in einer Pulverkammer, bevor sie in die Luft fliegt. Die Lunte gluehte, und man roch sie allerorten. Die feinsten diplomatischen Nasen machten sich weit und lang, um diesen geheimnisvollen Duft einzuziehen und zu erraten, woher der Wind komme. Meinen Sie nicht auch, es muesse bedeutende Aenderungen geben?" "Es wird heissen: 'Auch in diesem Jahr ist es geblieben wie es war'," antwortete ich dem guten Deutschen. "Um eine Lunte auszuloeschen, bedarf es keiner grossen Kuenste. Man wird bleiben, wie man war, man wird hoechstens um einige Prozente weiser vom Rathaus kommen. Sie wollen Ihr Vaterland in die Szene gesetzt sehen, um zu erfahren, wie es anno 1826 dort aussieht? Armer Herr! Da muesste ich ja zuvor noch fragen, was fuer ein Landsmann Sie sind." "Wie verstehen Sie das?" fragte der Baron unmutig. "Nun? Was koennte man Ihnen denn Allgemeines und Nationales vorspielen, da Sie keine Nation sind? Sind Sie ein Bayer, so muesste man Ihnen zeigen, wie man dort noch immer das alte ehrliche Bier, nur nach neuen Rezepten, braut. Sind Sie Wuerttemberger, so koennten Sie erfahren, wie man die Landstaende waehlte. Sind Sie ein Rheinpreusse und drueckt Sie der Schuh, so lassen Sie den eigenen Fuss operieren; denn an dem Normalschuh darf nichts geaendert werden. Sind Sie ein Hesse, so trinken Sie ganz ruhig Ihren Doppelkuemmel zum Butterbrot; aber denken Sie nichts, nicht einmal, ob es in der letzten Woche schoen war und in der naechsten regnen wird. Sind Sie ein Brandenburger, so machen Sie, dass Ihnen die Haare zu Berge stehen und hungern Sie, bis Sie eine schoene Taille bekommen---" "Herr, Sie sind des Teufels!" fuhr der Baron auf. "Wollen Sie uns alles Nationalgefuehl absprechen? Wollen Sie--" "Stille! Sie sehen, der Vorhang geht wieder in die Hoehe!" rief der Marquis. "Wie, was sehe ich? Das ist ja das Portal von Notre=Dame! Das finde ich sonderbar. Wenn man von Frankreich etwas in Szene setzen will, warum gibt man uns kein Vaudeville, warum nicht den Kampf der Kammer?" Die Glocken von Notre=Dame ertoenten in feierlichen Klaengen. Chorgesang und das Murmeln kirchlicher Gebete naeherte sich, und eine lange Prozession, angefuehrt von den Missionaeren, betrat die Buehne. Da sah man koenigliche Hoheiten und Fuersten mit den Mienen zerknirschter Suender, den Rosenkranz in der Hand, einherschleichen. Da sah man Damen des ersten Ranges, die schoenen Augen gen Himmel gerichtet, die _a la_ Madonna gekaemmten Haare mit wohlriechender Asche bestreut, die niedlichen Fuesschen bloss und bar in dem Staube wandelnd. Das Publikum staunte. Man schien seinen Augen nicht zu trauen, wenn man die Herzogin D--s, die Comtesse de M--u, die Fuerstin T--d im Kostuem einer Buessenden zur Kirche wandeln sah. Doch, als Offiziere der alten Armee, nicht mit Adlern, sondern mit heiligen Fahnen in der Hand hereinwankten, als sogar ein Mann in der reichen Uniform der Marschaelle, den Degen an der Seite, die Kerze in der Hand und Gebetbuecher unter dem Arm, ueber die Szene ging, da wandte sich der Marquis ab; die Soldaten der alten Garde an unserer Seite ballten die Faeuste und riefen Verwuenschungen aus, und wer weiss, was meinen Akteurs geschehen waere, haette man faule Aepfel oder Steine in der Naehe gehabt! Das hohe Portal von Notre=Dame hatte endlich die Prozession aufgenommen, und nur der Schluss ging noch ueber die Szene. Es war ein Affe, der eine Kerze in der Hand und unter dem Arm eine Vulgata trug. Man hatte ihm einen ungeheuern Rosenkranz als Zaum um den Hals gelegt, an welchem ihn zwei Missionaere wie ein Kalb fuehrten. So oft er aus dem ruhigen Prozessionsschritt in wunderliche Seitenspruenge fallen wollte, wurde er mit einer Kapuzinergeissel gezuechtigt und schrie dann, um seine Zuchtmeister zu versoehnen: "_Vive le bon Dieu! vive la croix!_" So brachten sie ihn endlich mit grosser Muehe zur Kirche. Orgel und Chorgesang erscholl, und der Vorhang fiel. "Haben Sie nun Genugtuung?" sagte der Marquis zu dem Lord. "Was ist Ihr Skandal auf der Boerse gegen diesen kirchlichen Unfug? O mein Frankreich, mein armes Frankreich!" "Es ist wahr," antwortete Mylord sehr ernst, indem er dem Franzosen die Hand drueckte, "Sie sind zu beklagen; aber ich glaube nicht an diese tollen Possen. Frankreich kann nicht so tief sinken, um sich so unter den Pantoffel zu begeben. Frankreich, das Land des guten Geschmacks, der froehlichen Sitten, der feinen Lebensart, Frankreich sollte schon im Jahre 1826 vergessen haben, dass es einst der gesunden Vernunft Tempel erbaute und den Jesuiten die Kutte ausklopfte? Nicht moeglich, es ist ein Blendwerk der Hoelle!" "Das moechte doch nicht so sicher sein," sagte ich. "Das Vaterland des Herrn Marquis gefiel sich von jeher in Kontrasten. Wenn einmal der Jesuitismus dort zur Mode wird, moechte ich fuer nichts stehen." "Aber was wollten sie nur mit dem Affen in Notre=Dame?" fragte der Baron. "Was hat denn dieses Tier zu bedeuten?" "Das ist, wie ich von der Theaterdirektion vernahm, der Affe Joco, der sonst diese Leute im Theater belustigte. Jetzt ist er wohl auch von den Missionaeren bekehrt worden, und wenn er, wie man aus seinen Seitenspruengen schliessen koennte, ein Protestant ist, so werden sie ihn wohl in der Kirche taufen." "_Goddam_! Was Sie sagen! Doch Sie scheinen mit der Theaterdirektion bekannt. Sagen Sie uns, was noch aufgefuehrt wird. Wenn es nichts Interessantes ist, so denke ich, gehen wir weiter; denn ich finde diese Pantomimen etwas langweilig." "Es kommt nur noch ein Akt, der mehr allgemeines Interesse hat," antwortete ich. "Es wird naemlich ein diplomatisches Diner aufgefuehrt, das der Reis=Effendi den Gesandten hoher Maechte gibt, das Siegesfest der Festung Missolunghi vorstellend. Es werden dabei Ragouts aus Griechenohren, Pastetchen von Philhellenennasen aufgetischt. Das Hauptstueck der Tafel macht ein Roastbeef von dem griechischen Patriarchen, den sie lebendig geroestet haben, und zum Beschluss wird ein kleiner Ball gegeben, den ein besternter Staatsmann, so alt er sein mag, mit der schoensten Griechensklavin aus dem Harem seiner mohammedanischen Majestaet eroeffnet." "Ei!" rief der Marquis. "Was, wollen wir diese Schande der Menschheit sehen? Ihre Londoner Boerse war laecherlich, die Prozession gemein und dumm; aber diese ekelhafte Erbaermlichkeit, ich kann sie nicht ansehen! Kommt, meine Freunde! Wir wollen lieber noch die Geschichte des Herrn von Garnmacker hoeren, so langweilig sie ist, als dieses diplomatische Diner betrachten." Der Lord und der deutsche Baron willigten ein. Sie standen auf und verliessen mein Theater, und der Lord sah, als er heraustrat, mit einem derben Fluche zurueck und rief: "Wahrlich, es steht schlimm mit der Zukunft von 1826!" * * * * * DER FLUCH. (E i n e N o v e l l e.) (Fortsetzung.) Man kann sich denken, dass ich in Rom immer viele Geschaefte habe. Die h e i l i g e S t a d t hatte immer einen Ueberfluss von Leuten, die in der ersten, zweiten oder dritten Abstufung mein waren. Man wird sich wundern, dass ich eine Klassifikation der g u t e n L e u t e (von andern Suender genannt) mache; aber, wer je mit der Erde zu tun hatte, hat den Menschen bald abgelernt, dass nur das Systematische mit Nutzen bei ihnen betrieben werden koenne. Es ist dies besonders in Staedten wie Rom unumgaenglich notwendig; wo so vielerlei Nuancen g u t e r L e u t e vom roten Hut bis auf die Kapuze, vom Fuersten, der die Macht hat, Orden zu verleihen, bis auf den Armen, dem solche um dreissig Taler angeboten werden, sich vorfinden, da muss man Klassen haben. Ich werde in der Bibel und von den heutigen Philosophen als das negierende Prinzip vorgestellt, daher teilte ich meine guten Leute ein in: Erste Klasse, mit dem Praedikat r e c h t g u t, solche, die geradehin verneinen, als da sind: Freigeister, Gottesleugner &c. Zweite Klasse, g u t; sie sagen mit einigem Umschweif nein, gelten unter sich fuer Heiden, bei Vernuenftigen fuer liberale Maenner, bei der Menge fuer fromme Menschen. In dieser Klasse befinden sich viele Tuerken und Pfaffen. Die dritte Klasse mit dem Praedikat m i t t e l m a e s s i g sind jene, die ihr Nein nur durch ein Kopfschuetteln andeuten. Es sind jene, die sich selbst fuer eine Art von Gott halten, moegen sie nun Ablass verkaufen oder als evangelisch=mystisch=pietistische Seelen einen Separatfrieden mit dem Himmel abschliessen; der letzteren gibt es uebrigens in Rom wenige. Es laesst sich annehmen, dass das Innere dieses Systems, die verschiedenen Uebergaenge der Klassen beinahe mit jedem Jahr sich aendern. Geld, Sitten, der Zeitgeist ueben hier einen grossen Einfluss aus und machen beinahe alle zwei Jahre eine Reise an Ort und Stelle notwendig. Als ich vor einiger Zeit auf einer solchen Visitationsreise in Rom verweilte, war ich Zeuge folgender Szenen, die ich aufzuzeichnen nicht unterlassen will, weil sie vielleicht fuer manchen Leser meiner Memoiren von Interesse sein moechten. Ich ging eines Morgens unter den Saeulengaengen der Peterskirche spazieren, dachte nach ueber mein System und die Veraenderungen, die ihm durch die Missionaere in Frankreich und das Ueberhandnehmen der Jesuiten drohte; da stiess mir ein Gesicht auf, das schon in irgend einer interessanten Beziehung zu mir gestanden haben musste. Ich stand stille, ich betrachtete ihn von der Seite. Es war ein schlanker, schoener junger Mann; seine Zuege trugen die Spuren von stillem Gram; dem Auge, der Form des Gesichtes nach war er kein Italiener,--ein Deutscher, und jetzt fiel mir mit einem Male, dass ich ihn vor wenigen Monaten in Berlin im Salon jener Dame gesehen hatte, die mir und dem ewigen Juden einen aesthetischen Tee zu trinken gegeben hatte. Es war jener junge Mann, dessen anziehende Unterhaltung, dessen angenehme Persoenlichkeit mir damals ein so grosse Interesse eingefloesst hatten. Er war es, der uns damals ein Abenteuer aus seinem Leben erzaehlt hatte, das ich fuer wuerdig fand, bei der Beschreibung jenes Abends mit aufzuzeichnen. Ob ihn wohl die Liebe zu jener jungen Dame noch einmal in die heilige Stadt gezogen hatte? Ob ihm, wie mir, der duestere Himmel seines Landes und die suesse Langeweile der aesthetischen Tees im Hause seiner Tante so drueckend wurde, dass er sich unter eine suedlichere Zone fluechtete? Ich beschloss, seine Bekanntschaft zu erneuern, um ueber jene interessante Begegnis, dessen Erzaehlung der Jude unterbrochen, um ueber ihn selbst, ueber seine Schicksale etwas Naeheres zu vernehmen. Er stand an einer Saeule des Portals, den Blick fest auf die Tuere gerichtet; fromme Seelen, schoene Frauen, junge Maedchen stroemten aus und ein. Ich sah, er blieb gleichgueltig; wenigstens schien ihn keine dieser Gestalten zu interessieren. Endlich erscheint ein kleiner Florentiner Strohhut in der Tuere; war es die Form dieses Hutes, waren es die weissen, wallenden Federn, war es die einfache Rose, aus welcher dieser Busch herwallte, was dem jungen Manne so reizend, so bekannt duenkte? Noch konnte man weder Gestalt noch Gesicht der Dame sehen; aber seine Augen glaenzten, ein Laecheln der erfuellten Hoffnung flog um seinen Mund, seine Wangen roeteten sich, er richtete sich hoeher auf und schaute unverwandt den Saeulengang hin. Noch verdeckten zwei Pfaffen mit ihren Kapuzen die Nahende; jetzt bogen sie rechts ein, und ich sah ein holdes, suesses Wesen heranschweben. Wer, wie ich, erhaben ueber jede Leidenschaft, die den Sterblichen auf der Erde quaelt, die Dinge betrachtet, wie sie sind, nicht wie sie euch Liebe oder Hass oder eure tausend Vorurteile schildern, dem ist eine solche seltene Erscheinung ein Fest; denn es ist etwas Neues, Originelles. Ich gedachte unwillkuerlich jener Worte des jungen Mannes, wie er uns den Eindruck beschrieb, den der Anblick jener Dame zum ersten Male auf ihn machte, mit welchem Entzuecken er uns ihr Auge beschrieb;--ich war keinen Augenblick im Zweifel, dass diese liebliche Erscheinung, die auf uns zukam, und jene raetselhafte Dame eine und dieselbe sei. Ein gluehendes Rot hatte die Zuege des Juenglings uebergossen. Er hatte den Hut gezogen; es war, als schwebte ihm ein Morgengruss oder eine freundliche Rede auf den Lippen, und ueberrascht von der stillen Groesse des Maedchens sei er verstummt. Auch sie erroetete, sie schlug die Augen auf, als er sich verbeugte, sie warf einen fragenden Blick auf ihn, hielt einen kurzen Moment ihre Schritte an, als erwarte sie, von ihm angeredet zu werden; er schwieg, sie eilte bewegt weiter. Der junge Mann sah ihr mit trueben Blicken nach, dann folgte er langsamen Schrittes; oft blieb er, wie in Gedanken verloren, stehen. Ich ging ihm einige Strassen nach; er trat endlich in ein Kaffeehaus, wo sich die deutschen Kuenstler zu versammeln pflegen. Hatte schon frueher dieser Mensch und seine Erzaehlung meine Teilnahme erregt, so war ich jetzt, da ich Zeuge eines fluechtigen, aber bedeutungsvollen Zusammentreffens gewesen war, um so neugieriger, zu erfahren, in welchem Verhaeltnis der Berliner zu dieser Dame stehe; dass es kein glueckliches Verhaeltnis, kein gewoehnliches Liebesverstaendnis war, glaubte ich in ihren Mienen, in ihrem sonderbaren Benehmen gelesen zu haben. Man wird sich erinnern, dass ich als hoffnungsvoller Zoegling des ewigen Juden, als Herr von Stobelberg, die Bekanntschaft dieses Mannes machte. Daher trat ich in dieser Rolle in das Kaffeehaus. Der junge Herr sass in einem Fenster und las in einem Brief. Ich wartete eine Weile, ob er wohl bald ausgelesen haben werde, um ihn dann anzureden; aber er las immer. Ich trat von der Seite hinter ihn, um nach dem Schluss dieses riesengrossen Briefes zu blicken,--es waren wenige Zeilen von einer Frauenhand, die er, wie es schien, gedankenlos anstarrte. "Habe ich die Ehre, Herrn von S. vor mir zu sehen?" fragte ich in deutscher Sprache, indem ich vor ihn trat. "Der bin ich," antwortete er, indem er den duesteren Blick von dem Brief auf mich schlug und mein Kompliment durch ein leichtes Neigen des Hauptes erwiderte. "Sie scheinen mich nicht mehr zu kennen, und doch war ich so gluecklich, einmal einen Abend im Hause Ihrer Tante in Berlin zu geniessen, den vorzueglich Ihre Unterhaltung, Ihre interessanten Mitteilungen mir unvergesslich machen." "Im Hause meiner Tante?" fragte er, aufmerksamer werdend. "Wie, war es nicht ein hoechst ennuyanter Tee? Waren nicht einige maennliche Weiber und einige zartweibliche Herren zugegen? Ich erinnere mich, ich musste etwas erzaehlen. Doch Ihr Name, mein Lieber, ist mir leider entfallen." "Baron von Stobelberg; ich reiste damals mit--" "Ah--mit einem ganz sonderbaren Kauz von Hofmeister; jetzt erinnere ich mich ganz; er war so ungluecklich, allen Damen, ohne es zu wollen, Sottisen zu sagen und ueberschnappte endlich, naemlich mit dem Stuhl?" "So ist's; wollten Sie erlauben, meinen Kaffee hier zu trinken? Ich bin noch so fremd hier, ich kenne keine Seele. Sie sind wohl schon lange hier bekannt?" Ein melancholisches Laecheln zog um seinen Mund. "O ja, bin schon lange hier bekannt," antwortete er duester. "Ich war frueher in Geschaeften hier, jetzt zu--meiner Erholung." "Sie erinnern mich da auf einmal wieder an den Abend bei Ihrer Tante; mein Hofmeister brachte mich damals um einen koestlichen Genuss. Sie erzaehlten uns ein kleines Abenteuer, das Sie mit einer Deutschen in Rom gehabt. Ihre Erzaehlung war auf dem Punkte, eine Wendung zu nehmen, die uns ueber vieles, namentlich ueber Ihre sonderbare Verwechslung mit einem Ebenbilde aufgeklaert haette, da zerstoerte mein Mentor durch seinen Fall meine schoene Hoffnung; ich war genoetigt, mit ihm den Salon zu verlassen und plage mich seitdem mit allerlei Moeglichkeiten, Wahrscheinlichkeiten, wie es Ihnen moechte ergangen sein; ob Sie sich mit Ihrem Ebenbilde geschlagen haben; ob Sie auch ferner der schoenen Luise sich nahen konnten; ob nicht endlich ein Liebesverhaeltnis zwischen Ihnen entstanden. Kurz, ich kann Sie versichern, es peinigte mich tagelang, die tollsten Konjekturen erfand ich, aber nie wollten sie passen." Der junge Mann war waehrend meiner Reden nachdenklich geworden; es schien etwas darin zu liegen, das ihm nicht ganz recht war; vielleicht ahnte er meine unbezwingliche Neugierde nach seiner Aventuere; er blickte mich scharf an, aber er wich in seiner Antwort aus. "Ich erinnere mich," sagte er, "dass wir damals alle bedauerten, Ihre Gesellschaft entbehren zu muessen. Sie waren uns allen wert geworden, und die Tanten behaupteten, Sie haetten etwas Eigenes, Anziehendes, das man nicht recht bezeichnen koenne, Sie haetten einen hoechst pikanten Charakter. Nun, Sie werden in der Zeit diese Damen entschaedigt haben; wann waren Sie das letzte Mal bei meiner Tante?" Ich sah ihn staunend an. "Ich hatte nie die Ehre, bei Ihrer Tante gesehen zu werden als an jenem Abend." Er entgegnete hierauf nichts, sprach vom Papst und dergleichen, kam aber immer wieder darauf zurueck, mich durch eine Zwischenfrage nach Berlin ins Haus seiner Tante zu verlocken. "Was wollen Sie nur immer wieder mit Berlin?" fragte ich endlich. "Ich war seit jenem Abend nicht mehr dort und reiste in dieser Zeit in Frankreich und England. Sehen Sie einmal in meinen Pass, welch ungeheure Tour ich in dieser Zeit gemacht habe!" Er warf einen fluechtigen Blick hinein und erroetete. "Verzeihen Sie, Baron!" rief er, indem er meine Hand ungestuem drueckte. "Vergeben Sie, ich hielt Sie fuer einen Spion meiner Tante."-- "Ihrer Tante? Fuer einen Spion, den man Ihnen bis Rom nachschickt?" "Ach, die Menschen sind zu keiner Torheit zu gut. Ich halte mich etwa seit zwei Monaten wieder hier auf. Meine Verwandten toben, weil ich meinen Posten im Bureau des Ministers ploetzlich und ohne Urlaub verlassen habe; sie bestuermten mich mit Briefen, ich kam nicht; sie wandten sich an die preussische Gesandtschaft hier; sie fand aber nichts Verdaechtiges an mir und liess mich ungestoert meinen Weg gehen. Vor einigen Tagen schrieb mir ein Freund, ich solle auf meiner Hut sein, man werde einen Spion in meine Naehe senden, um alle meine Schritte--" "Ist's moeglich? Und warum denn dies alles?" "Ach, es ist eine dumme Geschichte; eine Anordnung meines verstorbenen Vaters legt mir Pflichten auf, die--ein andermal davon--, die ich nicht erfuellen kann. Und Sie, lieber Stobelberg, hielt ich fuer den Spion. Vergeben Sie mir doch?" "Unter zwei Bedingungen," erwiderte ich ihm, "einmal, dass Sie mir erlauben, Sie recht oft zu begleiten und der Spion Ihres Spions zu sein. Halten Sie mich nicht fuer indiskret, es ist wahre Teilnahme fuer Sie und der Wunsch, Ihnen nuetzlich zu werden. Sodann--teilen Sie mir, wenn es Ihnen anders moeglich ist, den Schluss Ihres Abenteuers mit." "Den Schluss?" rief er und lachte bitter. "Den Schluss? Ich wuenschte, es schloesse sich, koennte es auch nur mit meinem Leben schliessen. Doch kommen Sie, wir wollen unter jene Arkaden gehen. Die Kuenstler kommen um diese Zeit hierher, wir koennten nicht ungestoert reden; wer weiss, ob man, nicht einen von ihnen zu meinem Waechter ersehen hat." * * * * * Ich folgte Otto v. S.--so hiess der junge Mann--unter die Arkaden. Er legte seinen Arm in den meinigen; wir gingen eine Weile schweigend auf und ab; er, schien mehr nachdenklich als zerstreut. "Es ist etwas, was mir Vertrauen zu Ihnen einfloesst," hub er laechelnd an. "Ich habe ueber den Ausspruch jener Damen in Berlin nach gedacht und finde ihn, so komisch er mir damals vorkam, dennoch bestaetigt. Es ist mir in den paar Viertelstunden, die wir beisammen sind, als seien Sie ein Wesen, das ich laengst kannte, als seien Sie schon jahrelang mein Freund. Und doch haben Sie nicht jenes Gutmuetige, Ehrliche, was an den Deutschen sogleich auffaellt, was bewirkt, dass man ihnen gerne vertraut; Sie haben fuer Ihre Jahre viel Beobachtungsgeist in Ihrem Auge und um Ihren Mund in gewissen Augenblicken einen Zug, der nicht immer das bestaetigt, was Sie sagen wollten. Und dennoch fuehle ich, dass mir der Zufall viel geschenkt hat, der Sie in jenes Haus fuehrte, ich fuehle auch, dass man Ihnen trauen kann, mein Lieber." "Ich halte nichts auf Gesichter und habe durch Erfahrung gelernt, dass sie nicht immer der Spiegel der Seele sind. Es freut mich uebrigens, wenn etwas an mir ist, was Ihnen Vertrauen einfloesst. Es ist vielleicht der rege Wunsch, Ihnen dienen zu koennen, was Ihnen einiges Vertrauen gibt?" "Moeglich; doch ich bin Ihnen einige Aufschluesse ueber mich und mein Abenteuer hier in Rom schuldig. Ich erzaehlte Ihnen, wie ich mit Luise von Palden bekannt wurde--" "Erlauben Sie, nein! Diesen Namen hoere ich zum ersten Male. Sie erzaehlten uns, dass Sie eine junge Dame in den Lamentationen der Sixtinischen Kapelle kennen lernten, die Ihre ganze Aufmerksamkeit erregte. Sie wurden von ihr mit einem andern verwechselt, Sie gefielen sich in diesem Quiproquo und versetzten sich unwillkuerlich so in die Stelle des Liebhabers, dass Sie das Maedchen sogar liebten--" "Und wie liebe ich sie!" rief er bewegt. "Sie suchten die Dame lange vergeblich in Rom, der Zufall fuehrte endlich das schoene Kind im Karneval als Maske an Ihre Seite. Es ist schon dunkel, sie glaubt in Ihnen den Freund zu finden; Sie, lieber Freund, benuetzen die Gelegenheit noch einmal, diesen Scherz, der Ihnen so angenehm ist, fortzufuehren. Sie bringen die Dame auf eine Loge, um das Pferderennen anzusehen. Da erscheint auf einmal der rechte Liebhaber und Sie--erblicken sich. Bis hierher hoerte ich damals. Sie koennen sich denken, wie begierig ich bin, zu hoeren, wie es Ihnen erging." "Ich gestehe," fuhr Herr v. S. fort, "mir selbst fiel die Aehnlichkeit dieses Mannes mit meinen Zuegen, meiner Gestalt, selbst meiner Kleidung ueberraschend auf. Das letztere hatte wohl die Mode verschuldet, die damals alle junge Welt zwang, sich schwarz zu kleiden. Doch auch fuer die grosse Aehnlichkeit unserer Zuege, so auffallend sie ist, hat man Beispiele. Sie erinnern sich vielleicht des Falles, der in Frankreich vorkam. Zwei Franzosen trafen in Amerika zusammen. Ihre Aehnlichkeit war so gross, dass man sie gewoehnlich miteinander verwechselte; der eine starb, der andere, ein armer Teufel, wusste sich seine Papiere zu verschaffen, reiste nach Frankreich zurueck und lebte mit der Frau des Verstorbenen noch lange Jahre, bis der Betrug an den Tag kam. [Fussnote: Die Moeglichkeit einer solchen Verwechslung beweist ein Fall, der sich vor einigen Monaten in Ravensburg im Wuerttembergischen zutrug. Zwei Zwillingsbrueder sahen sich taeuschend aehnlich. Der eine toetete einen Mann und floh. Er wusste, dass sein Bruder, der in Bregenz in einem oesterreichischen Regiment diente, desertiert war. Der Moerder wandte sich dorthin, zeigte sich in der Gegend, liess sich als Deserteur gefangen nehmen und viermal Spiessruten jagen. Er diente einige Zeit in der Stelle seines Bruders, bis der Betrug durch einen Zufall entdeckt wurde.] Der Herr und die Dame schienen nicht weniger ueberrascht als ich; die letztere erroetete, sie gedachte vielleicht jenes Kusses, und es wurde ihr wohl mit einem Male klar, dass es schon an jenem Abend nicht ihr Otto gewesen sei, gegen den sie sich so zaertlich bewiesen. Der Herr mit meinen Gesichtszuegen fragte mich in etwas barschem Ton in schlechtem Franzoesisch, wie ich dazu komme, diese Komoedie zu spielen. Ich nahm, nicht aus Furcht vor seinem rollenden Auge, sondern im Gefuehl, ein Unrecht, vielleicht eine Unschicklichkeit wieder gutmachen zu muessen, alle Artigkeit, die ich in der Welt gelernt hatte, zusammen und bat die Dame, mir einen Scherz zu vergeben, zu dem sie mich selbst verleitet habe. 'Sie selbst?' rief bei diesen Worten jener Mann, und seine Zuege verzogen sich immer mehr zum Zorn. 'Sie selbst? Es ist ein abgekartetes Spiel, ich sehe schon, ich bin der betrogene Teil. Doch ich will nicht stoeren.'--Er sagte dies, vor Wut zitternd, indem er sich von seinem Platz entfernen wollte. Luise--o, ich habe sie nie so suess, so wundervoll gesehen wie in jenem Augenblicke, sie schien mit aller Hingebung der Zaertlichkeit an diesem Manne zu haengen; sie ergriff bebend feine Hand, sie rief ihn mit den liebevollsten Toenen; sie beteuerte, sich unschuldig zu wissen, sie rief mich zuernend zum Zeugen auf. Ich war hingerissen von diesem Zauber der Liebe, der sich mir hier zum ersten Male in seiner ganzen Schoenheit darstellte. Es ist etwas Schoenes um ein Maedchen, das in sanfter, stiller Liebe ist, es ist etwas Heiliges, moechte ich sagen. Aber der Schmerz inniger Liebe, das Zittern zaertlicher Angst und diese Traenen in den blauen Augen, dieses Fluestern der suessesten Namen von den feinen Lippen und diese Roete der Angst und der Beschaemung auf den zarten Wangen, es ist ein Bild, irdischer zwar als jenes, aber von einer hinreissenden Gewalt." "Ich kenne das," unterbrach ich diese rednerischen Schilderungen des verliebten Berliners, dem die Dame seines Herzens in jeder neuen Form wieder lieblicher schien, "ich kenne das; so was Heiliges, so was Weinendes, Madonnenartiges, Grazienhaftes, Suesses, Bitterschmerzliches, kurz, so was Klagendes, Anziehendes, ich kenne das; aber wie war es denn mit dem zornigen Patron, der Euer Wohlgeboren so aehnlich?" "Er glaubte ihren Versicherungen nicht; war es Eifersucht, war es sein leidenschaftlicher Zorn, den er nicht bemeistern konnte, er stiess sie zurueck, er drohte, sie nie mehr zu sehen. Das Maedchen setzte sich weinend auf ihren Stuhl. Die tobende Freude der Roemer an dem Pferderennen, ihr Jauchzen, ihr Rufen standen in schneidendem Kontrast mit dem stillen Schmerz dieses Engels. Ich fuehlte inniges Mitleid mit ihr, ich fuehlte mich tief verletzt, dass ein Mann eine Dame, ein Liebender die Geliebte so schnoede beleidigen koenne. 'Mein Herr,' sagte ich, 'das Wort eines Mannes von Ehre kann Sie vielleicht ueberzeugen, dass die Schuld dieser Szene allein auf mir ruht.' 'Eines Mannes von Ehre?' rief er, hoehnisch lachend; 'so kann sich jeder Tropf nennen.' Jetzt glaubte ich die Formen der gesellschaftlichen Hoeflichkeit nicht weiter beobachten zu muessen. Ich gab ihm ein wohlbekanntes Zeichen, fluesterte ihm meinen Namen, die Nummer meines Hauses und die Strasse zu, in welcher ich wohnte, und verliess ihn. Es waren widerstreitende Gefuehle, die in meiner Brust erwachten, als ich zu Haus ueber diesen Vorfall nachdachte. Ich musste mir gestehen, dass ich unbesonnen, toericht gehandelt hatte, die Rolle eines andern bei diesem Maedchen zu uebernehmen. Es ist wahr, der Zufall war so ueberraschend, die Gelegenheit so lockend, ihre Erscheinung so reizend, so anziehend, dass wohl keiner der Versuchung widerstanden haette. Aber musste mich nicht schon der Gedanke zurueckschrecken, dass es ihr bei dem Geliebten schaden koennte, traf er uns beide zusammen. In welch unguenstigem Lichte musste ich, musste auch sie ihm erscheinen! Und doch--wo ist der Mensch, der nicht in einem solchen Falle sich vor sich selbst zu entschuldigen wuesste? Ich fuehlte, dass ich dieses unbekannte, reizende Wesen liebe, und wie leicht entschuldigt Liebe! Und weil ich sie liebte, hasste ich den beguenstigten Mann. Er war ein Barbar in meinen Augen. Wie konnte er die Geliebte so grausam behandeln? Wie durfte er, wenn er sie wahrhaft liebte, an ihrer Tugend zweifeln, und wer, der jemals in dieses treue, seelenvolle Auge gesehen, wer konnte an der Reinheit dieses Engels zweifeln? Am Morgen nach dieser Begebenheit bekam ich einen italienischen, schlecht geschriebenen Brief; er enthielt die Bitte einer Signora Maria Campoco, dem Ueberbringer des Briefes in ihr Haus zu folgen, wo sie mir etwas Wichtiges zu sagen habe. Ich kannte keine Dame dieses Namens, ich fragte den Diener nach der Strasse, er nannte mir eine, von welcher ich nie gehoert hatte. Eine Ahnung sagte mir uebrigens, dieser Brief koennte mit meinem Abenteuer von gestern zusammenhaengen; ich entschloss mich, zu folgen. Der Diener fuehrte mich durch viele Strassen in eine Gegend der Stadt, die mir voellig unbekannt war. Er bog endlich in eine kleine Seitenstrasse; ein Brunnen, eine Madonna von Stein fiel mir ins Auge, es war kein Zweifel, ich befand mich an dem Haus, wohin ich Luise aus den Lamentationen begleitet hatte. Es war ein kleines, unscheinbares Haus, dessen Tuere der Diener aufschloss; ueber einen finstern Gang, eine noch dunklere Treppe brachte er mich in ein Zimmer, dessen Eleganz nicht mit dem uebrigen Ansehen des Hauses uebereinstimmte. Nachdem ich eine Weile gewartet hatte, erscholl das Klaeffen vieler Hunde, die Tuere oeffnete sich--aber nicht meine Schoene, sondern eine kleine, wohlbeleibte, aeltliche Frau trat, umgeben von einer Schar kleiner Hunde, ins Zimmer. Es dauerte ziemlich lange; bis Tasso, Ariosto, Dante, Alfieri; und wie die Klaeffer alle hiessen, ueber den Anblick eines fremden Mannes beruhigt waren und die kleine Dame endlich zum Wort kommen konnte. Sie sagte mir sehr hoeflich, sie habe mich rufen lassen, um wegen einer Angelegenheit ihrer Nichte, Luise von Palden, mit mir zu sprechen. Das Verlangen, das schoene Kind wiederzusehen, mich bei ihr selbst zu entschuldigen, gab mir eine Notluege ein; ich fragte sie in so miserablem Italienisch als mir nur moeglich war, ob sie Franzoesisch oder Deutsch verstehe. Sie verneinte es, ich zuckte die Achseln und gab ihr mehr durch Zeichen als Worte zu verstehen, dass ich der italienischen Sprache durchaus nicht maechtig sei. Sie besann sich eine Weile, sagte dann, ich koennte in i h r e r G e g e n w a r t mit ihrer Nichte sprechen, und entfernte sich. Wie schlug mein Herz, von Erwartung, von Liebe bewegt! Wie beschaemt fuehlte ich mich, in ihren Augen als ein Nichtswuerdiger zu scheinen, der ihren Irrtum auf so indiskrete Art benuetzte! Die huendische Leibwache der Signora verkuendete, dass sie nahe. Ich fuehlte seit langer Zeit zum ersten Male eine Verlegenheit, ein Beben; ich fuehlte, wie ich erroetete, jene Sicherheit des Benehmens, die mich jahrelang begleitet hatte, wollte mich in diesem Augenblicke verlassen. Sie kam; sie duenkte mir in dem einfachen, reizenden Neglige lieblicher als je, und ihre Verwirrung, als sie mich sah, der Unmut, den ich in ihren Augen zu lesen glaubte, vermochte ihre Anmut nicht zu schwaechen. 'Mein Herr! Es ist eine sonderbare Begebenheit, die Sie in dieses Haus fuehrt,' sprach sie mit jenen klangvollen Toenen, die ich so gerne hoerte; 'Sie muessen selbst gestehen,' setzte sie hinzu, aber sei es, dass die Erinnerung an jenen Abend sie zu unangenehm beruehrte, sei es, dass sie einem meiner Blicke begegnete, die vielleicht mehr als Ehrfurcht ausdrueckten, sie schlug die Augen nieder, erroetete aufs neue und schwieg. Ich fasste mich, ich suchte mich zu entschuldigen, so gut es ging; ich erzaehlte ihr, wie ich sie hilflos und in Ohnmacht in der Kirche gefunden, wie ich ihren Irrtum nicht habe berichtigen koennen, aus Furcht, sie moechte meine Begleitung ablehnen, die ihr in ihrem damaligen Zustande so notwendig war. Meine zweite Unbesonnenheit schob ich auf die Maskenfreiheit des Karnevals; ich suchte einen Scherz daraus zu machen, ich behauptete, es sei an diesem Abend erlaubt, jede Maske vorzunehmen, und so habe ich die ihres Freundes vorgenommen. Ich glaubte, sagte ich, in diesen Scherz um so eher eingehen zu duerfen, da wir Landsleute sind und die Deutschen in Rom als Kinder e i n e r Heimat nur e i n e grosse Familie sein sollten." "Eine gefaehrliche Verwandtschaft," unterbrach ich den jungen Berliner, indem ich mich im stillen ueber seine jesuitische Logik freute. "Wie? brachte die Dame nicht das _Corpus juris_ und den------gegen Sie in Anwendung? In Schwaben moechte zur Not ein solches Verwandtschaftssystem gelten oder bei den Juden, welche Herren und Knechte, Norden und Sueden, 'unsere Leute' nennen; aber Deutschland? Bedenken Sie, dass es in zweiunddreissig Staaten geteilt ist; wo ist da ein Verwandtschaftsband moeglich? Wenn sie sich im Himmel oder in der Hoelle treffen, so heissen sie nur Oesterreicher, Preussen, Hechinger und fuerstlich reussische Landeskinder!" "Luise mochte auch so denken," fuhr er fort. "Doch noetigte ihr meine Deduktion ein Laecheln ab; es schien ihr angenehm, ueber diese Punkte so leicht weggehen zu koennen. Sie klagte sich selbst an, diesen Irrtum veranlasst zu haben, sie vergab, sie erlaubte mir, ihre schoene Hand zu kuessen. Doch ihre Blicke werden wieder duester. Sie sagte, wie sie nur zu deutlich bemerkt habe, dass ich tief beleidigt weggegangen sei, dass dieser Streit noch eine gefaehrlichere Folge haben koenne. Ihr Auge fuellte sich mit Traenen, als sie dies sagte. Sie beschwor mich, ihrem Freund zu vergeben, sie suchte ihn zu entschuldigen, ihn, der sie selbst so tief beleidigt hatte; sie sprach mit so zaertlicher Waerme fuer den Mann, der so ganz vergessen hatte, dass die wahre Liebe glauben und vertrauen muesse, der so niedrig war, dieser reinen Seele gegenueber gemeine Eifersucht zu zeigen. Ich waere gluecklich, selig gewesen, haette dieses Maedchen s o von mir gesprochen! Ich fragte sie, ob sie in seinem Auftrag mir dieses sage. Sie war betreten, sie antwortete, dass sie gewiss wisse, dass es ihm leid sei, mir jene Worte gesagt zu haben; ich versprach, wenn er mir dieses selbst sagen werde, nicht mehr an die Sache zu denken. Wie heiter war sie jetzt! Sie scherzte ueber ihren Irrtum, sie verglich meine Zuege mit denen ihres Freundes, sie glaubte, grosse Aehnlichkeit zu finden, und doch schien es ihr unbegreiflich, wie sie nicht an meinen Augen, meiner Stimme, an meinem ganzen Wesen ihren Missgriff erkannt habe. Sie rief ihrer Tante zu, dass sie ihren Zweck vollkommen erreicht habe. Signora Campoco, die waehrend der ganzen Szene am Fenster gesessen und bald die Leute auf der Strasse, bald ihre Huendchen, bald uns betrachtet hatte, kam freundlich zu mir, dankte fuer meine Gefaelligkeit, ihr Haus besucht zu haben, und bemerkte, sie haette nie geglaubt, dass unsere barbarische Sprache so wohltoenend gesprochen werden koenne. Sie sehen, ich hatte jetzt nichts mehr in diesem Hause zu tun; so gerne ich noch ein Stuendchen mit Fraeulein von Palden geplaudert haette, so neugierig ich war, ihre Verhaeltnisse in Deutschland und ihre Lage in Rom zu erfahren,--der Anstand forderte, dass ich Abschied nahm, mit dem ungluecklichen Gefuehle Abschied nahm, diese Schwelle nie mehr betreten zu koennen. Signora, sie haette sich vielleicht gekreuzt, haette sie gewusst, dass ein Ketzer vor ihr stehe, Signora empfahl mich der Gnade der heiligen Jungfrau, und Luise reichte mir traulich die Hand zum Scheiden. Ich fragte sie noch, wie der Herr heisse, mit welchem ich das Glueck gehabt habe, verwechselt zu werden. Sie erroetete und sagte: 'Er will zwar hier nicht gekannt sein und so zurueckgezogen als moeglich leben; doch warum sollte ich Ihnen seinen Namen verhehlen? Ich moechte so gerne, dass Sie Freunde wuerden. Er heisst------und wohnt------'." So "etwas breit nach Art der lieben Jugend" hatte mir der junge Mann den weiteren Verlauf seines Abenteuers erzaehlt; ich hoerte ihm gerne zu, obgleich nichts peinlicher fuer mich ist, als eine lamentable Liebesgeschichte recht lang und gehoerig breit erzaehlen zu hoeren; aber interessant war mir dabei die Art, wie er mir erzaehlte. Sein ausdrucksvolles Auge schien die Glut seiner Gefuehle widerzustrahlen, seine Zuege nahmen den Charakter duesterer Wehmut an, wenn er sich ungluecklich fuehlte, und ein angenehmes Laecheln erheiterte sie, wenn er mir die Reize der jungen Dame zu beschreiben suchte. Ploetzlich, als er mir eben erzaehlte, wie er das Haus der Signora verlassen habe, drueckte er meinen Arm fester und brach, in einen kleinen Fluch aus. "So muss der Teufel diesen Pfaffen doch ueberall haben!" rief er und wandte sich unmutig um. Ich war erstaunt, welchen Pfaffen sollte ich denn ueberall haben? Ich fragte ihn, was ihn so aufbringen koenne. "Sehen Sie nicht hin, sonst muessen wir gruessen," gab er mir zur Antwort, "ich kann ihn nicht ansehen, den Jesuiten." Ich stellte mich, als befolge ich treulich seinen Befehl, doch konnte ich nicht umhin, einen Seitenblick in die Strasse zu werfen, und sah wirklich ein hoechst ergoetzliches Schauspiel. Die Strasse herauf kam ein hoher Praelat der Kirche, der Kardinal Rocco, ein Mann, der schon laengst als einer der zweiten Klasse mit dem Praedikat "g u t" auf meinen Tafeln verzeichnet ist. Eine grosse, majestaetische Gestalt mit stolzer Wuerde; sein weisses Haar, von einem einfachen, roten Kaeppchen bedeckt, stach sonderbar ab gegen ein Gesicht, das man eigentlich reich nennen konnte. Gewoelbte Brauen, grosse Augen, eine Adlernase, die Unterlippe etwas uebermuetig gezogen, das Kinn und die Wangen voll und kraeftig. Ueber das rollende Untergewand trug er einen Talar, dessen eines Ende er in malerischen Falten ueber den Arm gelegt hatte; das andere Ende hielt, in einiger Entfernung hinter ihm herschleichend, sein Diener, ebenfalls ein Moench, ein duerres, bleiches Geschoepf, dessen tueckische Augen nach allen Seiten spaehten, ob Seine Eminenz von den Glaeubigen ehrfurchtsvoll, wie es sich gebuehrt, begruesst wuerden. Der Gang des Kardinals war der Gang eines Siegers, und eine solche Erscheinung in diesen Strassen erinnerte nur zu leicht an die Senatoren der "ewigen Stadt". "Sehen Sie, wie er hingeht, dieser Pharisaeer," fluesterte der junge Mann, mit den Zaehnen knirschend. "Sehen Sie, wie der Poebel sich zum Handkuss draengt, mit welcher Wuerde, mit welcher Grazie er seinen Segen erteilt. Theaterpossen! wenn diese Leute wuessten, was ich von ihm weiss, sie wuerden diesem Pharisaeer, diesem Verfaelscher des Gesetzes die Insignien seiner Wuerde vom Leibe reissen, oder sie waeren wert, von einem Tuerken beherrscht zu werden." "Was bringt Sie so auf, verehrter Freund? Wer ist dieser Ehrenmann? Was hat er Ihnen zuleid getan? Haengt er mit Ihren Abenteuern zusammen?" Ich musste lange fragen, bis er mich hoerte; denn er schaute mit durchbohrenden Blicken der Eminenz nach und murmelte Verwuenschungen wie ein Zauberer. "Ob ich ihn kenne? Ob er mir etwas zuleid getan? O! dieser Mensch hat ein Leben vergiftet, ein Herz zu Boden getreten, das--doch Sie werden mehr von ihm hoeren; es ist der Kardinal Rocco, der Satan ist nicht schwaerzer als er; mit seinem roten Hut deckt er alle Suenden zu; aber trotzdem, dass er geweiht ist, wird ihn dennoch der Teufel holen!" Da hat es gute Wege, dachte ich; Nro. 2, gute Sorte! Doch was konnte dieser Berliner gegen Rocco haben? Unmoeglich konnte ich glauben, dass sein Protestantismus so tief gehe, dass er jeden, der violette Struempfe trug, in die Hoelle wuenschen musste. Er hatte sich wieder gesammelt. "Vergeben Sie diese Hitze; Sie werden mir einst recht geben, so zu urteilen, wenn ich Sie erst mit dem Treiben dieses Menschen bekannt mache. Doch jetzt noch einiges zum Verstaendnis meines Abenteuers. Die Geschichte mit--war bald abgetan. Er schickte einen Franzosen zu mir, der mir erklaerte, dass jener sich in mir geirrt habe und um Verzeihung bitte. Durch ihn erfuhr ich auch, dass Luisens Geliebter frueher Offizier, und zwar in ...schen Diensten gewesen sei. Um diese Zeit kam die Schwester des saechsischen Gesandten nach Rom, sich einige Zeit mit ihrer Familie bei ihrem Bruder aufzuhalten. Ich war am ersten Abend ihres Aufenthaltes zufaellig zugegen, und--stellen Sie sich einmal mein Erstaunen vor, als ich hoerte, wie sie eine andere Dame fragte, ob nicht ein Fraeulein von Palden hier lebe. Ich wandte mich unwillkuerlich ab, um nicht dem ganzen Kreise mein Erroeten, mein Entzuecken zu zeigen; es war mir etwas so Neues, so Schoenes, Luisens Namen aus einem fremden Munde zu hoeren. Jedoch keine der anwesenden Damen wollte von ihr wissen, und ich fuehlte mich nicht berufen, unaufgefordert mein Geheimnis mitzuteilen. Deutsche, besonders Frauen, pflegen immer grossen Anteil an Landsleuten zu nehmen; es konnte daher nicht anders sein, als dass man seine Verwunderung laut darueber aussprach, dass ein deutsches Fraeulein in Rom lebe, die auch nicht einem von allen bekannt sein sollte. Wer ist sie? Ist sie schoen? Wie kommt sie nach Rom? fragte, man einstimmig, und wie lauschte ich, wie pochte mein Herz, endlich ueber das interessante Wesen etwas zu hoeren. Sie erzaehlte, wie sie in .....th Luise kennen gelernt, die damals durch ihr schoenes Aeussere, durch ihre Liebenswuerdigkeit, ihren Verstand die ganze Stadt beschaeftigt, ihre naeheren Bekannten bezaubert habe. Umso auffallender sei auf einmal ein Liebeshandel gewesen, der sich zwischen einem Offizier, einem buergerlichen Subjekt, und der Tochter des Geheimen Rats von Palden entspann. Dieser Mensch habe ausser seiner schoenen Figur und einem bluehenden Gesicht keine Vorzuege, nicht einmal gute Sitten gehabt. Dem Vater sei diese Geschichte zu ernstlich geworden, er habe den Offizier zu einem Regimente zu versetzen gewusst, das mit einem Teil der franzoesischen Armee nach Spanien bestimmt war. Man habe sich in ....th allgemein gefreut ueber die Art, wie sich Fraeulein von Palden in diese Wendung fuegte; doch bald erfuhr man, dass die Verbindung mit dem Offizier nichts weniger als abgebrochen sei, sondern durch Armeekuriere und dergleichen Briefe gewechselt wuerden. Es vergingen so beinahe zwei Jahre. Die Armee kehrte zurueck, doch nicht mit ihr jener Offizier. Man sagte in Gesellschaften und in Luisens Naehe, er sei wegen einer Ehrensache aus dem Dienst getreten. Seine Kameraden schwiegen hartnaeckig hierueber, und doch gab es einige Stimmen im Publikum, die von einer vorteilhaften Heirat, andere, die von einer Entfuehrung oder von beidem sprachen, kurz, man bemerkte, dass Herr ..., so hiess der Offizier, seiner Dame ungetreu geworden sei. Um diese Zeit starb der alte Herr von Palden. Seine erste Frau war eine Roemerin; das Fraeulein entschloss sich auf einmal zu grosser Verwunderung der Stadt ....th, zu ihren Verwandten nach Rom zu ziehen. So viel wusste die Schwester des Gesandten von Luise. Es war mir genug, um ihr Verhaeltnis zu .... ganz in der Ordnung zu finden; nur war es mir unbegreiflich, was ihn bewogen haben koennte, nach Rom zu gehen; oder kam er erst nach ihr hierher? Und warum heiraten sie sich nicht, da doch ihre Hand jetzt frei und von niemand abhaengig ist? Ich quaelte mich mit diesen Gedanken. Ich haette so gerne mehr und immer mehr von dem holden Kind erfahren; ich fuehlte lebhaft den Wunsch, sie wiederzusehen, zu sprechen; ich wollte ja nicht geliebt werden, nur sehen, nur lieben wollte ich sie. Da fiel mir bei, wie ich dies so leicht moeglich machen koennte. Ich durfte ja nur der Schwester des Gesandten sagen, wo sich Luise aufhalte, und dann konnte ich gewiss sein, sie schon in den naechsten Tagen im Hotel des Gesandten zu sehen. Ich tat dies, und mein Wunsch wurde erfuellt." Ein Bekannter des Herrn v. S. gesellte sich hier zu uns und unterbrach zu meinem grossen Aerger die Erzaehlung. Ich machte noch einige Gaenge mit ihnen unter den Arkaden; als ich aber sah, dass der Bekannte sich nicht entfernen wolle, fragte ich den Berliner nach seiner Wohnung und ging mit dem Vorsatz, ihn am naechsten Morgen zu besuchen. Ich muss gestehen, ich fing an, die Geschichte des jungen Mannes weniger anziehend zu finden, weil sie mir in eine gewoehnliche Liebesgeschichte auszuarten schien. Doch zwei Umstaende waren es, die mir von neuem wieder Interesse einfloessten und mich bestimmten, seine Abenteuer zu hoeren. Ich erinnerte mich naemlich, wie ueberraschend sein Anblick, sein ganzes Wesen in Berlin auf mich gewirkt hatten. Es war nicht der gewoehnliche Kummer der Liebe, wie er sich bei jedem Amoroso vom Muehlendamm ausspricht; es war ein Gram, ein tieferes Leiden, das mir um so anziehender duenkte, als es nur ganz unmerklich und leise durch jene Huelle schimmerte, womit die gesellschaftlichen Formen die weinende Seele umgeben. Er schien ein Unglueck zu kennen, zu teilen, das ihn unausgesetzt beschaeftigte, zu welchem ihn die Erinnerung sogar mitten in einem aesthetischen Tee zurueckfuehrte. Das zweite, das mich zu dem jungen Mann und seinem Abenteuer zog, war die Szene, die ich morgens vor der Peterskirche beobachtet hatte. Ich hatte dort bemerkt, dass er sie mit Sehnsucht erwarte; sie war gekommen, aber es schien kein froehliches Zusammentreffen. Sie schien ihn etwas mit ihren Blicken zu fragen, das er nie beantworten, sie schien etwas zu verlangen, das er nicht erfuellen konnte; wie schwer musste es ihm werden, in der Ferne zu stehen und dem holden Maedchen durch keine Silbe zu antworten! Er liess sie gehen, wie sie gekommen, aber dann sandte er ihr Blicke voll zaertlicher Liebe nach. Warum sagte er ihr nicht auf der Stelle, wie er sie liebe? Welche Gewalt musste sie ueber ihn ausueben, um ihn in diese engen Schranken einer beinahe bloeden Bescheidenheit zurueckzuweisen? Wieviel es s i e koste, sah ich an ihrem Auge, in welchem eine Traene perlte, als sie weiter ging. Diese Fragen draengten sich mir auf, als ich ueber den jungen Mann und die raetselhafte Dame nachdachte. Wo nicht ein blindes Fatum waltet und ein Uhrwerk die Gedanken der Sterblichen treibt, da lernt keiner aus, sei er Gott oder Teufel. Wohl sagt der Mensch, der kleinlich nur auf die Resultate seiner Geschichte sieht: "Es wiederholt sich alles im Leben;" aber wie es sich wiederholt, wie der endliche Geist in seiner kurzen Spanne Zeit waechst und ringt und strebt und gegen die alte Notwendigkeit ankaempft, das ist ein Schauspiel, das sich taeglich mit ewig neuem Reize wiederholt; und das Auge, das von Weltintrigen gesaettigt, vom Anschauen der Kaempfe grosser Massen ermuedet ist, senkt sich gerne abwaerts zum kleineren Treiben des einzelnen. Drum moege es keinem jener verehrlichen Leute, fuer die ich meine Memoiren niederschreibe, kleinlich duenken, dass ich in Rom, wo so unendlich viel Stoff zur Intrige, ein so grosser Raum zu einem diabolischen Festtagsspiel ist, mit einer Liebeshistorie mich befasse.-- Am Abend dieses Tages fuhr ich mit einigen griechischen Kaufleuten auf der Tiber. Wir hatten eine der groesseren Barken bestiegen und die freien Sitze des Vorderteils eingenommen, weil das Zelt in der Mitte, wie uns die Schiffer sagten, schon besetzt war. Der Abend war schwuel und wirkte selbst mitten im Fluss so drueckend und ermattend auf die Menschen, dass unser Gespraech nach und nach verstummte. Ich vernahm jetzt ein halblautes Reden und Streiten im Innern des Zeltes; ich setzte mich ganz nahe hin und lauschte. Es waren zwei Maenner und eine Frau, soviel ich aus ihren Stimmen schliessen konnte. Sie sprachen aber etwas verwirrt und gebrochen; der eine hatte gutes, wohltoenendes Italienisch, er sprach langsam und mit vieler Salbung; die Dame mischte unter sechs italienische Worte immer zwei spanische und ein franzoesisches, der andere Mann, der wenig, aber schnell und mit Leidenschaft sprach, hatte jene murmelnde, undeutliche Aussprache, an welcher man in Italien sogleich den Deutschen oder Englaender erkennt. Ein kleiner Riss in der Gardine des Zeltes liess mich die kleine Gesellschaft ueberschauen; und, o Wunder! Jene salbungsvolle Rede entstroemte dem Kardinal Rocco! Ihm gegenueber sass eine Dame, schon ueber die erste Bluete hinaus, aber noch immer schoen zu nennen. Ihre beweglichen schwarzen Augen, ihre vollen Lippen, ihr etwas nachlaessiges Kostuem, dessen Schuld der schwuele Abend tragen musste, zeigten, dass sie mit den ersten Dreissig die Lust zum Leben noch nicht verloren habe. An ihrer Seite glaubte ich auf den ersten, fluechtigen Anblick Otto v. S. zu erkennen. Doch die Zuege des Mannes im Zelte waren duesterer, sein Auge blickte nicht so offen und frei wie das des Berliners,--ich war keinen Augenblick im Zweifel, es musste sein Doppelgaenger, ...., sein. Aber wie! Die Dame war nicht Luise von Palden; durfte dieser Mann so traulich neben einer andern sitzen, ohne dieselbe Schuld wirklich zu tragen, die er der Geliebten aufbuerden wollte! "Gilt dir denn meine Liebe, meine Zaertlichkeit gar nichts?" hoerte ich die Dame sagen. "Nichts meine Aufopferung, nichts meine Leiden, nichts meine Schande, der ich mich um deinetwillen aussetzte? Ein Wort, ein einziges Wort kann uns gluecklich machen. Du sagst immer morgen, morgen! Es ist jetzt Abend, warum willst du morgen doch wieder nicht?" "Mein Sohn," sprach der Kardinal, "ich will nichts davon sagen, dass Euer langes Zoegern, Eure fortwaehrende Weigerung fuer unsere heilige Kirche Beleidigung ist. Ich weiss zwar wohl, nicht Ihr seid es, der diese Zoegerungen verschuldet; der Teufel, der leibhaftige Satan spricht aus Euch; es ist das letzte Zucken Eurer ketzerischen Irrtuemer, was Euch die Wahrheit nicht sehen laesst; aber beim heiligen Kreuz, den Naegeln und der heiligen Erde beschwoere ich Euch, folget mir, lasset Euch aufnehmen in den heiligen Schoss der Kirche zur, Verherrlichung Gottes." Ha! dachte ich, den haben sie gerade recht in den Krallen. Ein schoenes Weib, ein Kardinal Rocco und ein paar Gewissensbisse, wie der Herr im Zelte zu haben schien,--da kann es nicht fehlen!--Er seufzte, er blickte bald die Dame, bald den Priester mit unmutigen Blicken an. "Ich will ja alles tun, ins Teufels Namen, alles tun," sagt er, "mein Leben ist ohnedies schon verschuldet und vergiftet; aber wozu diese sonderbare Prozedur? Warum soll ich vor der Welt zum Narren werden, um die Ehre von Donna Ines wieder herzustellen?" "Mein Sohn, mein Sohn! Wie frevelt Ihr! Zum Narren werden, sagt Ihr? O, Ihr verstockter Ketzer! Ihr alle seid von eurer Taufe an, wo der Satan zu Gevatter steht, Renegaten, Abtruennige! Es ist also nur eine Rueckkehr, kein Uebertritt, keine Ableugnung eines frueheren Glaubens. Ihr hattet ja vorher keinen Glauben. Ihr werdet doch nicht die Ketzerei so nennen wollen, die der Erzketzer in Wittenberg aus den Fetzen, die er dem Heiligtum gestohlen, zusammenstueckelte?" "Lasset mich, Eminenz! Es ist einmal gegen meine Ueberzeugung. Ich muesste mich ja vor ganz Deutschland schaemen." "O verstockter Ketzer! Schaemen, sagt Ihr? Hat sich der liebe Mann, der Herr von Haller, auch geschaemt? Schaemen! Wie ein Heiliger wuerdet Ihr dastehen. Braucht sich ein Heiliger zu schaemen? Hat sich der treffliche Hohenlohe geschaemt, umgeben von Ketzern, seine Wunder zu verrichten? Es sei gegen Eure Ueberzeugung, saget Ihr? Da sieht man wieder den Deutschen, nicht wahr, Donna Ines, den ehrlichen Deutschen! Zu was denn immer Ueberzeugung? Das ist ja gerade das Wunderbare am Glauben, dass er von selbst wirkt ohne Ueberzeugung. Gesetzt, Ihr waeret krank, mein lieber Freund; man schickt Euch den ersten Arzt der Christenheit. Ihr seid nicht ueberzeugt, dass er der alleinige wahre Arzt ist; aber Ihr lasst Euch gefallen, seine Arzneien einzunehmen, und siehe, sie wirken auf Euren Koerper ohne Ueberzeugung, gerade wie uns er Glaube auf die Seele." "Otto," sprach Dame Ines mit schmelzenden Toenen, "teurer Otto! Siehe, wenn mich der heilige Mann hier nicht absolviert und beruhigt haette, ich muesste ja schon laengst verzweifelt sein, einen Ketzer so innig zu lieben! Wie leicht wird es dir gemacht, einer der Unsrigen zu sein und dann ein Weib auf ewig gluecklich zu machen, das dir alles opferte! Und bedenke die schoene Villa an der Tiber und das koestliche Haus neben dem Palast Seiner Eminenz. Dies alles will uns der heilige Vater zur Ausstattung schenken. Bist du nicht geruehrt von so vieler Liebe?" "Nicht verhehlen kann ich es Euch, mein Sohn," fuhr der beredte Mann mit dem roten Hute fort, "nicht verhehlen kann ich es Euch, dass man im Lateran noch heute von Euch sprach, dass es sogar Seiner Heiligkeit selbst auffaellt, dass Ihr so lange zoegert. Bis ueber acht Tage naht ein grosses Fest heran; welch herrliche Gelegenheit, etwas zu Gottes Ehre zu tun, bietet sich Euch dar!" "Wozu doch diese Oeffentlichkeit?" fragte Otto. "Ich hasse dieses Ruehmen und Ausschreien in alle Welt. Lasset mich still in einer Kapelle die Zeremonie verrichten. Was nuetzt es Euch, ob ich laut und offen das Opfer bringe! O Luise; Luise! es toetet sie, wenn sie es hoert!" "Elender!" rief die Dame, indem sie in Traenen ausbrach. "Sind das deine Schwuere? Du falsches Herz! Ich habe dir alles, alles geopfert, und so kannst du vergelten? O Barbar! Gehe hin zu ihr, lege dich nieder in ihre Fesseln; aber wisse, dass ich mich in die Tiber stuerze! UEber meine armen Wuermer, meine ungluecklichen Kinder, mag sich Gott erbarmen!" "Kinder, Kinder! Meine fromme Tochter, mein lieber, aber verblendeter Sohn! Wozu dieser Skandal, diese Szene auf dem Schiffe? Stillet Eure Traenen, schoene Frau, es wird noch alles gut werden; kommet, ich will einen vaeterlichen Kuss auf Eure Augen druecken, so. Und Ihr, wisset Ihr nicht, dass Ihr Euch versuendiget gegen Donna Ines! Was wollet Ihr nur immer wieder mit der Ketzerin, die einst Eure Sinne zu bestricken wusste? Haben wir Euch nicht Beweise genug gegeben, dass sie in einem strafwuerdigen Verhaeltnis zu dem Teufel ist, der Eure Gestalt und Sprache angenommen hat?" "Welch einfaeltiges Maerchen!" rief der junge Mann. "Was wollet Ihr auch den Teufel ins Spiel ziehen? Ein ehrlicher Berliner ist er, ein Tropf, dem ich das Maedchen nicht goennen mag, wenn sie mich auch zehnmal betrog!" "Mein Sohn, die heilige Jungfrau schuetze uns, aber der Satan selbst ist es. Hat es nicht letzthin meinem dienenden Frater Piccolo getraeumt, der Teufel gehe hier in der heiligen Stadt spazieren? Alle seine Traeume sind noch eingetroffen. Der deutsche Baron ist der hoellische Geist selbst. Wer es aber auch sei, sie hat Euch betrogen. Hat nicht die fromme Frau Maria Campoco Euch, selbst dieses Gestaendnis ueber ihre Nichte gemacht? Was wollet Ihr nur auf die treulose Ketzerin Ruecksicht nehmen!--Und schaut, was ich Euch hier mitgebracht habe," fuhr Seine Eminenz fort, indem sie ein grosses Papier entfaltete. "Sehet, wie ich Wort halte: Ich habe Euch versprochen, die Liste aller derer mitzubringen, welche in Eurem Deutschland oeffentliche Ketzer, insgeheim aber gute Christen der wahren Kirche sind. Da, leset!" Der junge Mann las und staunte. Er sah den Kardinal fragend an, ob er denn wirklich dieser Schrift trauen duerfe. Donna Ines, welche bemerkte, welch guenstigen Eindruck diese Liste mache, zog die Hand des heiligen Mannes an den Mund und bedeckte sie mit feurigen Kuessen der Andacht. "Nicht wahr," fuhr Rocco fort, "da stehen wohlklingende Namen? Professoren, Grafen, Fuersten sogar. Freilich, diese Leute koennen nicht so oeffentlich sich erklaeren, Freundchen. Die Politik, die Ruecksicht auf ihre ketzerischen Untertanen erlaubt das nicht. Aber im Herzen, im H e r z e n sind sie unser. Da, dieser Nr. 8, ich kann eure barbarischen Namen nicht aussprechen, der wird sich sogar oeffentlich erklaeren und seine Irrtuemer abschwoeren. Der da oben wird auch einen tuechtigen Schritt vorwaerts tun. O! und bedenket, was erst in Frankreich, selbst in England fuer uns getan wird, bald, vielleicht erlebe ich es noch, bald werdet ihr alle samt und sonders zu uns zurueckgekehrt sein. Wie herrlich muss dann ein Name, wie der Eurige, leuchten, der nicht mit der Menge, sondern lange zuvor auf unsere heiligen Tafeln verzeichnet wurde!" "Aber, o Himmel, Kardinal! Ich bin ja schlechter als die ganze Liste dieser Heimlichen. Ihr selbst wisset, dass, wenn ich zu Eurer Kirche abfalle, es nur geschieht, um den ewigen Klagen der Donna Ines zu entgehen. Diese Heimlichen haben keinen Vorteil bei ihrer Heimlichkeit. Sie gelten von aussen fuer echte Lutheraner, und was haben sie davon, dass sie von innen roemisch sind?" "O Einfalt! Es ist gut, dass Ihr nicht die ketzerische Theologie studiert habt. Ihr waeret durch das Examen gefallen! Was ist denn das Schoene an unserer Kirche? He? Nicht nur, dass sie die alleinseligmachende; dass sie gleichsam eine Brandversicherungsanstalt gegen die Hoelle, eine Seelenassekuranz gegen den Tod ist; denn schon aus physischen Gruenden kann man annehmen, dass keine Seele von den Unserigen lange im Fegefeuer oder gar in der Hoelle verweilt, wenn sie auch ohne Beichte abfaehrt. Antonio Montani hat berechnet, dass im Durchschnitt hundertundzwanzig Millionen Menschen in der Hoelle und ebensoviele im Fegefeuer sind. Nun kann man annehmen, dass seit eurer verfluchten Reformation neunzig Millionen Ketzer, zwanzig Millionen Tuerken und zehn Millionen Juden hinabgefahren sind. Das macht zusammen hundertundzwanzig." "O, wie gut haben wir es, hochwuerdiger Herr!" sagte Ines mit zauberischem Laecheln. "Ach, Otto! Dich soll ich an jenem Ort wissen, in der Gesellschaft des Teufels und seiner Grossmutter? O Gott! es ist nicht moeglich!" "Sodann weiter," fuhr der Salbungsvolle fort, "euer Erzketzer in Berlin, der Schleiermacher, nimmt selbst an, dass alle Menschen praedestiniert sind, und zwar so beilaeufig die Haelfte zum Boesen. Diese muessen nun eine Art von Seelenwanderung in verschiedenen Stationen des Elends machen, bis sie selig werden, und fangen mit der Hoelle an. Der Mann hat vernuenftige Gedanken und waere wert, einst nur ins Fegefeuer zu kommen. Aber das weiss er doch nicht recht. Wenn einer auch zehnmal praedestiniert, zur Hoelle plombiert, zum Teufel rekommandiert ist, wir koennen ihn doch absolvieren und _recta_ in den Himmel schicken. Nun, und wenn man annimmt, dass das Fegefeuer hundertundzwanzig Millionen fasst und darunter hundert Millionen Tuerken und zwanzig Millionen Ketzer, so ist, weiss Gott, auch dort wenig Raum fuer eine etwas liederliche Seele." "Ihr wisset, Eminenz, was ich von solchen Berechnungen halte; machet mir doch Eure Sache nicht noch laecherlicher. Eure Seelenassekuranz kann mich nicht locken. Doch ist sie gut fuers Volk, und ich begreife nicht, warum Ihr nicht schon lange ganze Regimenter, Divisionen, ja Armeen, Kavallerie, Infanterie, Artillerie samt dem Generalstab oeffentlich verassekuriert habt. Das waere eine Anstalt _a la_ Mahomed; die Kerls wuerden sich schlagen wie der Teufel; denn sie wuessten, wenn sie heute erschossen werden, wachen sie morgen im Paradiese auf. Lasset mich lieber noch einen Blick in die Liste werfen, sie ist mir troestlicher; denn es stehen ganz vernuenftige Maenner dort." "O dass Ihr nur ein Jahr auf einer deutschen Universitaet zugebracht haettet! Unsere Agenten geben uns herrliche Berichte; die ketzerische Jugend soll gegenwaertig ganz absonderlich fromm, heilig und mystisch sein. Das Mittelalter, das gute, liebe Mittelalter versetzt sie in diesen liebenswuerdigen Schwindel. Sie neigen sich schon ganz zu uns, und lasset nur erst die Jesuiten recht in Deutschland ueberhandnehmen, dann sollt Ihr erst Wunder sehen! Auch einige brave Maenner, Professoren, nehmen sich unserer Sache an. Seht, dieser da, Nr. 172, Signor Crusado, der umhuellt sie mit einem so tiefen symbolischen Dunkel, dass sie bald uns er sind. Wahrlich, der Hofmechanikus Seiner Heiligkeit, der beruehmte Signor Carlo Fiorini, hat vollkommen recht. Er hat berechnet, wenn Deutschland einige Grade suedlicher laege, wenn ihr eine schoenere Natur, ein wenig mehr Sinnlichkeit und Phantasie haettet--die Ketzerei haette nie aufkommen koennen, oder ihr waeret wenigstens schon lange wieder zurueckgekehrt." Die Barke stiess bei diesen Worten ans Land. Wie gerne haette ich diesem trefflichen Pfaffen noch laenger zugehoert, wie er diese deutsche Seele bearbeitete; es war ein schweres Stueck Arbeit, ich gestehe es. Ein Mensch ohne Phantasie, der in den Zeremonien nur Zeremonien sieht, der die Tendenz dieser Roemer durchschaut, der durch keinen weltlichen Vorteil zu blenden ist; wahrlich, ein solcher ist schwer zu gewinnen. Doch fuer diesen war mir nicht bange. Ein Kardinal Rocco und ein schoenes Weib haben schon andere geangelt als diesen. Der heilige Mann stieg aus; mit Ehrfurcht empfingen die Schiffer seinen Segen, den er mit einer Wuerde, einem Anstand, wuerdig eines Fuersten der Kirche, erteilte. Donna Ines folgte. Ich bewunderte, waehrend sie ueber das Brett ging, ihren feinen, zierlichen Wuchs, die Harmonie in ihren Bewegungen und die Glut, die aus ihren Augen strahlte und den Abend schwuel zu machen schien. Sie reichte dem geliebten Ketzer ihre schoene Hand mit so besorgter Zaertlichkeit, mit einem so bedeutungsvollen Laecheln, dass ich im Zweifel war, ob ich mehr seine transmontanische Kaelte belaecheln oder den Mut bewundern sollte, mit welchem er den geistlichen Lockungen dieser in Liebe aufgeloesten Circe widerstand.--Am Ufer hielt ein schoener Wagen. Der dienende Bruder Piccolo, welchem ich im Traum, in Rom spazieren gehend, erschienen war, stand am Schlag und erwartete Seine Eminenz. Es kostete einige Zeit, bis dieser sein Gewand zu gehoeriger Wirkung drapiert hatte, dann erst folgte der Frater Piccolo. Der Ketzer und seine Dame schlugen einen Fusspfad ein und gingen der Stadt zu. "Wer sind diese?" fragte ich den Schiffer. "Kennt Ihr den heiligen Mann, den Kardinal Rocco, nicht? O, es ist einer der besten Fuesse des Heiligen Stuhls! Alle Abende faehrt er in meiner Barke auf dem Fluss." "Und die Dame?" "Ha, das ist eine gute Christin," antwortete er mit Feuer. "Sie faehrt beinahe immer mit dem Kardinal, zuweilen allein mit ihm, zuweilen mit dem Manne, den Ihr gesehen. Dem traue ich nicht ganz; es ist entweder ein Deutscher oder ein Englaender, und die sind doch Kinder des Teufels." "So? Da sagt Ihr mir etwas Neues; und dieser Mann, ist er ihr Gemahl?" "Bewahre uns die heilige Jungfrau? Ihr Gemahl? Wo denkt Ihr hin? Da wuerde er nicht so zaertlich mit ihr spazieren fahren. Ich denke, es ist ihr Geliebter." "So ist es," sagte einer der griechischen Kaufleute, "die Dame wohnt nicht weit von mir. Sie lebt allein mit ihren Kindern. Sie sieht niemand bei sich als einige fromme Geistliche und diesen jungen Mann! Er ist ihr Geliebter. Aber sie fuehren ein Hundeleben zusammen. Man hoert sie oft beide weinen und zanken und schreien. Der junge Mann flucht und donnert und jammert mit schrecklicher Stimme, und die Donna weint und klagt, und die Kinder erheben ein Zetergeschrei, dass die Nachbarn zusammenlaufen. Dann stuerzt oft der junge Mann verzweifelnd aus dem Haus und will fliehen, aber die Donna setzt ihm mit fliegenden Haaren nach, und die Kinder laufen heulend hinterdrein. Sie fasst ihn unter der Tuere am Gewand, sie achtet nicht auf die Menschen, die umherstehen. Sie zieht ihn zurueck ins Haus und besaenftigt ihn; und dann ist es oft auf viele Tage stille, bis das Wetter von neuem losbricht." "Heilige Jungfrau," rief der Schiffer, "und hat er sie noch nie totgestochen im Zorn?" "Wie Ihr seht, nein!" erwiderte der Grieche. "Aber krank ist sie schon oft geworden, wenn er so greulich raste. Dann lief er schnell zu drei, vier Doktoren, um sie wieder ins Leben zurueckzurufen. Es sind doch gute Seelen, diese Deutschen!" So sprachen diese Maenner, und ich ging von ihnen in tiefen Gedanken ueber das, was ich gehoert und gesehen hatte. Jenes Wort des jungen Berliners fiel mir wieder bei, der den Kardinal Rocco beschuldigte, ein schoenes, gutes Herz gebrochen zu haben. Welches andere Herz konnte dies sein als Luisens? Ich glaubte deutlich zu sehen, dass der Priester den Kapitaen der Geliebten entzogen, indem er sie verleumdet, dass er ihn in die Fesseln dieser Donna Ines geschmiedet habe, um ihn fuer die Kirche zu gewinnen. Aber wie war alles dies geschehen? Wie hatte er diesen Mann aus den Armen seines Maedchens ziehen, von einem Herzen hinwegreissen koennen, das ihn mit so heisser Glut umfing? Sollten jene Beschuldigungen von Untreue wahr sein, die der Kardinal dem Kapitaen einfluesterte? Hatte sie wirklich den jungen Mann, der ihm so aehnlich sah, vorgezogen? Doch ich wusste ja, wo ich mir Gewissheit verschaffen konnte. Ich beschloss, bei guter Zeit am naechsten Morgen den Berliner wieder aufzusuchen. Herr v. S..... schien mich liebgewonnen zu haben; denn er empfing mich mit Herzlichkeit und einem Wohlwollen, das selbst den Teufel erfreut, wenn er auch schon an dergleichen gewoehnt ist. Ich hatte mir vorgenommen, von meiner gestrigen Fahrt und den Wunderdingen, die ich gehoert hatte, noch nichts zu erwaehnen, um den Verlauf seiner Geschichte zuvor desto ungestoerter zu vernehmen. "Von allem Unglueck, das die Erde traegt," fuhr er zu erzaehlen fort, "scheint mir keines groesser, schmerzlicher und ruehrender als jener stille, tiefe Gram eines Maedchens, das ungluecklich liebt oder dessen zartes, gluehendes Herz von einem Elenden zur Liebe hingerissen und dann betrogen wird. Der Mann hat Kraft, seinen Gram zu unterdruecken, den Verrat seiner Liebe zu raechen, die gepresste Brust dem Freunde zu oeffnen; das Leben bietet ihm tausend Wege, in Muehe und Arbeit, in weiter Ferne Vergessenheit zu erringen. Aber das Weib?--Der haeusliche Kreis ist so enge, so leer. Jene taeglich wiederkehrende Ordnung, jene stille Beschaeftigung mit tausend kleinen Dingen, der sie sich in der Zeit gluecklicher Liebe froehlich, beinahe unbewusst hingab, wie drueckend wird sie, wenn sich an jeden Gegenstand die Erinnerung an ein verlorenes Glueck heftet! Wie traege schleicht der Kreislauf der Stunden, wenn nicht mehr die suessen Traeume der Zukunft, nicht der Zauber der Hoffnung, nicht die Seligkeit der Erwartung den Minuten Fluegel gibt, wenn nicht mehr das von gluecklicher Liebe pochende Herz den Schlag der Glocke uebertoent! Doch, wozu Sie auf ein Unglueck vorbereiten, das Sie nur zu bald erfahren werden? Hoeren Sie weiter: Mein Wunsch, Luise von Palden im Hause des Gesandten zu sehen, gelang. Schon nach einigen Tagen wurde sie durch seine Schwester dort eingefuehrt. Sie erroetete, als sie mich zum ersten Male dort sah, doch sie schien mich wie einen alten Bekannten dort zu nehmen; es schien sie zu freuen, unter so vielen fremden Maennern einen zu wissen, der ihr naeher stand. Denn so war es; sei es, dass die Erinnerung an unser sonderbares Abenteuer mich aus einem Fremden zum Bekannten machte, sei es, dass sie gerne zu mir sprach, weil ich die Zuege ihres Freundes trug, sie unterschied mich auffallend von allen uebrigen Maennern, die dieser seltenen Erscheinung huldigten. Sie laecheln, Freund? Ich errate Ihre Gedanken--" "Ich finde, Sie sind zu bescheiden; koennte es nicht auch Ihre eigene Persoenlichkeit gewesen sein, was das Fraeulein anzog?" "Nein, denken Sie nicht so von diesem himmlischen Geschoepf; ich gestehe, ich war ein Tor, ich machte mir Hoffnung, sie fuer mich gewinnen zu koennen; ja, Freund, ich sagte ihr sogar, was ich fuerchte--" "Und Sie wurden nicht erhoert? Das treue, ehrliche Kind! Und ihr Kapitaen lag vielleicht gerade in den Armen einer andern!" Der Berliner stutzte. "Wie? Was wissen Sie?" fragte er betroffen. "Wer hat Ihnen gesagt, dass West noch eine andere liebe?" "Nun, Sie selbst haben mich genug darauf vorbereitet," erwiderte ich; "sagten Sie nicht, dass jener das Maedchen betrog?" "Sie haben recht;--nun, ich wurde laechelnd abgewiesen, abgewiesen auf eine Art, die mich dennoch gluecklich, unaussprechlich gluecklich machte. Sie war keinen Augenblick ungehalten, sie gestand mir, dass ich ihr als Freund willkommen sei, dass ihr Herz keinem andern mehr gehoeren koenne. Sie sagte mir auch manches von ihren Verhaeltnissen, was ganz mit dem uebereinstimmte, was uns die Schwester des Gesandten erzaehlte; sie gestand, dass sie nur darum nach Rom gezogen sei, weil den Kapitaen seine Verhaeltnisse hierherriefen; sie gestand, dass er einen Rechtsstreit wegen einer Erbschaft hier habe, dass er, sobald die Sache entschieden sei, vielleicht schon in wenigen Wochen, sie zum Altar fuehren werde. Etwa eine Woche nach diesem aufrichtigen Gestaendnis rief mich eines Abends der Gesandte aus dem Salon, in welchem die Gesellschaft versammelt war, zu sich. Es war nichts Seltenes, dass er sich mir in Geschaeftssachen mitteilte, weil ich sein Vertrauen auf eine ehrenvolle Art besass; doch die Zeit war mir auffallend, und es musste etwas von Wichtigkeit sein, weswegen er mich aus dem Kreis der Damen aufstoerte. 'Kennen Sie einen gewissen Kapitaen West?' fragte er, indem er mich mit forschenden Blicken ansah. 'Ich habe einen Kapitaen West fluechtig kennen gelernt,' gab ich ihm zur Antwort. 'Nun, so fluechtig muss es doch nicht sein,' entgegnete er mir, 'da Sie ein Duell mit ihm gehabt.' Ich sagte ihm, dass ich Streit mit ihm gehabt wegen einer ziemlich gleichgueltigen Sache; es sei aber alles guetlich beigelegt worden. Dennoch war es mir auffaellig, woher der Gesandte diesen Streit erfahren hatte, den ich so geheim als moeglich hielt, und von welchem Luise in seinem Hause gewiss nichts erwaehnt hatte. 'Wegen einer Dame haben Sie Streit gehabt,' sagte er; 'doch moechte ich Ihnen raten, solche Haendel wegen einer so zweideutigen Person zu vermeiden. Sie wissen selbst, wenn man einmal einen oeffentlichen, besonders einen diplomatischen Charakter hat, ist dergleichen in einem fremden Lande wegen der Folgen fuer beide Teile fatal.' Der Ton, worin dies gesagt wurde, fiel mir auf. Er war sehr ernst, sehr warnend; noch schmerzlicher beruehrte mich, was er ueber jene Dame sagte, 'zweideutige Person'! Und doch sass gerade diese Person als Krone der Gesellschaft in seinem Salon, er selbst, ich hatte es deutlich gesehen, er selbst hatte noch vor einer halben Stunde mit ihr auf eine Art gesprochen, die mich, in dem alten Herrn einen aufrichtigen Bewunderer ihrer Reize und ihres glaenzenden Verstandes sehen liess. Ich konnte eine Bemerkung hierueber nicht unterdruecken; ich bat ihn hoeflich, aber so fest als moeglich, in meiner Gegenwart nicht mehr s o von einer Dame zu sprechen, die ich achte und die einen so entschiedenen Rang in der Gesellschaft einnehme. Ich wolle davon gar nicht reden, dass er selbst sein Haus beschimpfe, wenn er in solchen Ausdruecken von seinen Gaesten spreche. Er sah mich verwundert an; er sagte mir, er koenne meine Reden nicht begreifen; denn weder behaupte die Dame einen Rang, in der Gesellschaft, die e r sehe, noch habe sie je einen Fuss ueber seine Schwelle gesetzt. Die Reihe zu erstaunen war jetzt an mir; ich sah, dass hier ein Irrtum vorwalte, und belehrte ihn, dass Fraeulein von Palden die Dame sei, um die wir uns schlagen wollten. 'Verzeihen Sie,' rief er, 'man sagt mir, Sie haben sich wegen der Geliebten dieses Kapitaens West geschlagen; daher glaubte ich, Ihnen dies sagen zu muessen.' 'Und wenn dies nun dennoch waere?' fragte ich. 'Kennen Sie denn die Geliebte des Kapitaens?' 'Gott soll mich bewahren;' entgegnete er. 'Nein, ich glaube, er hat schon selbst genug an seiner Spanierin.' Ich staunte von neuem. 'Von einer Spanierin sprechen Sie? Wie kommen Sie nur darauf? Ich weiss bestimmt, dass der Kapitaen eine deutsche Dame liebt!' 'Um so schlimmer fuer das arme Kind in Deutschland,' war seine Antwort; 'wie die Sachen stehen, scheint man im Lateran ernstlich daran zu denken, den goldenen Quadrupeln der schoenen Donna Gehoer zu geben und ihre fruehere Ehe, weil sie nicht ganz gueltig vollzogen war, fuer nichtig zu erklaeren. Der Kapitaen macht eine gute Partie, aber--jeder Mann von Ehre wird diesen Schritt missbilligen.' Ich stand wie vom Donner geruehrt vor dem alten Mann; entweder lag hier eine Verwechslung der Namen und Personen zugrunde, oder es war ein schreckliches Geheimnis und der Kapitaen ein Betrueger, der Luisens Glueck vielleicht auf ewig zerstoert hatte. Ich sagte dem Gesandten geradezu, dass er mit mir ueber Dinge spreche, die mir voellig unbekannt seien. Er staunte, doch glaubte er, da er schon so viel gesagt hatte, mir die weitere Erklaerung dieser Raetsel schuldig zu sein. 'Dieser Kapitaen West ist ein Sachse,' erzaehlte er; 'er diente frueher im Generalstab und wurde dann zu einer diplomatischen Sendung nach Spanien verwandt; er soll ein Mann von vielen Talenten, aber etwas zweideutigem Charakter sein. Warum die Wahl gerade auf ihn fiel, da noch aeltere Leute und aus guten Haeusern im Departement waren, ist mir unbekannt; nur so viel erfuhr ich zufaellig, dass man ihn damals von Dresden habe entfernen wollen. Man erzaehlt sich, er habe in Madrid in einem Verhaeltnis zu einer schoenen jungen Frau gelebt; sie war eine Spanierin, aber an einen alten Englaender verheiratet, der sie vielleicht nicht so strenge unter Schloss und Riegel hielt, wie man sonst in Spanien zu tun pflegt. Als aber endlich dieses Verhaeltnis zu den Ohren des Englaenders kam, bewirkte dieser, dass der Kapitaen von seinem Posten abgerufen und sogar aus dem Dienst entlassen werde. Doch sagen andere, er selbst habe aus Aerger ueber seine schnelle Abberufung quittiert. Doch das Beste kommt noch; einige Wochen nach seiner Abreise war die Frau des Englaenders mit ihren beiden Kindern ploetzlich verschwunden, man kann sagen, spurlos verschwunden; denn so viele Muehe sich ihr Gatte gab, ihrer habhaft zu werden, alles war vergeblich. Vielleicht scheiterten auch seine Bemuehungen an den Unruhen, die gerade in jener Zeit ausbrachen und die Kommunikation mit Frankreich sehr erschwerten. Der Verdacht dieses Englaenders fiel, wie natuerlich, vor allem auf den Kapitaen West. Er wusste es zu machen, dass dieser in Paris angehalten und verhoert werde. Man sagt, er solle sehr betreten gewesen sein, als er die Nachricht von der Flucht dieser Dame hoerte; er wies sich aber aus, dass er die Reise bis nach Paris allein gemacht habe, und bekraeftigte mit einem Eide, dass er von diesem Schritt der Donna nichts wisse. Etwa ein Vierteljahr nachher kam er nach Rom und lebt seitdem hier sehr still und eingezogen, besucht keine Gesellschaft, hat keinen Freund, keinen Bekannten; vorzueglich vermeidet er es, mit Deutschen zusammenzutreffen. Um diese Zeit, fuhr der Gesandte fort, sei von seinem Hofe die Anfrage an ihn ergangen, ob dieser West sich in Rom befinde, wie er lebe, und ob er nicht in Verhaeltnis mit einer Spanierin sei, die sich ebenfalls hier aufhalten muesse. Man habe ihm dabei die Geschichte dieses Kapitaens West mitgeteilt und bemerkt, dass der Englaender von neuem Spuren von seiner Frau entdeckt habe, die beinahe mit Gewissheit annehmen lassen, dass sie in Rom sich aufhalte. Man habe deswegen von Spanien aus sich an die paepstliche Kurie gewandt; es scheine aber, man wolle sich hier der Dame annehmen; denn die Antwort sei sehr zweifelhaft und unbefriedigend ausgefallen. Der Gesandte tat die noetigen Schritte und erfuhr wenigstens so viel, dass jener Verdacht bestaetigt saehen. Er wandte sich nun auch an Consalvi, um zu erfahren, ob der roemische Hof in der Tat die Dame in seinen Schutz nehme, und erhielt die in eine sehr bestimmte Bitte gefasste Antwort, man moechte diese Sachen beruhen lassen, da die Ehe der Donna Ines mit dem Englaender wahrscheinlich fuer ungueltig erklaert werde.' Dies erzaehlte mir der Gesandte; er fuegte noch hinzu, dass er aus besonderem Interesse an diesem Fall dem Kapitaen immer nachgespuert habe, und so sei ihm auch der Streit zu Ohren gekommen, den ich im Karneval mit jenem 'wegen einer Dame' gehabt habe. Sie koennen sich denken, Freund, welche Qualen ich schon waehrend seiner Erzaehlung empfand, und als ich das ganze Unglueck erfahren hatte, stand ich wie vernichtet. Der Gesandte verliess mich, um zu der Gesellschaft zurueckzukehren; ich hatte kaum noch so viel Fassung, ihn zu bitten, er moechte niemand etwas von diesen Verhaeltnissen wissen lassen; das Warum versprach ich ihm ein andermal. Ich konnte von dem Zimmer, wohin der Gesandte mich gerufen, den Salon uebersehen, ich konnte Luise sehen, und wie schmerzlich war mir ihr Anblick! Sie schien so ruhig, so gluecklich. Der Friede ihrer schoenen Seele lag wie der junge Tag freundlich auf ihrer Stirne; ihr sanftes blaues Auge glaenzte, vielleicht von der Erwartung einer schoenen Abendstunde, und das Laecheln, das ihren Mund umschwebte, schien der Nachklang einer freudigen Erinnerung hervorgelockt zu haben. Nein, es war mir nicht moeglich, diesen Anblick laenger zu ertragen, ich eilte ins Freie, um dieses Bild durch neue Bilder zu verdraengen; aber wie war es moeglich? Der Gedanke an sie kehrte schmerzlicher als je zurueck; denn der Friede der Natur, der zauberische Schmelz der Landschaft, die suesse Ruhe, die diese Fluren atmeten, erinnerten sie mich nicht immer wieder an jenes holde Wesen? Und die Wolken, die sich am fernen Horizont schwaerzlich auftuermten und ein naechtliches Gewitter verkuendeten, hingen sie nicht ueber der friedlichen Landschaft wie das Unglueck, das Luisen drohte? Ich ging nach Hause; ich dachte nach, ob nicht Rettung moeglich sei, ob ich sie nicht losmachen koenne von dieser schrecklichen Verbindung. Doch, war nicht zu befuerchten, dass sie mir misstrauen werde? Sie wusste, ich liebe sie; kannte sie mich hinlaenglich, um nicht an der Reinheit meiner Absichten zu zweifeln? Ich konnte es nicht ueber mich gewinnen, ihr selbst ihr Unglueck zu verkuenden. Nur einen Ausweg glaubte ich offen zu sehen; ich wollte ihn selbst zur Rede stellen, den Elenden, ich wollte ihn bewegen, einen entscheidenden Schritt auf die eine oder die andere Seite zu tun. Ja, darin glaubte ich einen gluecklichen Weg gefunden zu haben; er selbst musste ihr sagen, dass er nicht mehr verdiene, von ihr geliebt zu werden; und dann, dachte ich, dann wird sie zwar ungluecklich sein, aber ich will versuchen, sie gluecklich zu machen; durch ein langes Leben voll Treue und Liebe will ich ihr Unglueck zu mildern suchen." "Aber wie konnten Sie glauben," rief ich, ueber diese romantischen Ideen unwillkuerlich laechelnd, "wie konnten Sie glauben, Freund, dass ein Kapitaen West zu diesem sonderbaren Gestaendnisse sich hergeben werde? In Romanen mag dies der Fall sein, aber, Herr! in der Wirklichkeit? Haben Sie je einen Narren der Art gekannt?' "Ach, ich dachte zu gut von den Menschen," antwortete er. "Ich dachte, wie ich, muss jeder fuehlen.--Ich ging in die Wohnung des Kapitaens West. Er wohnte schlecht, beinahe aermlich. Ich traf ihn, wie er einen schoenen Knaben von acht Jahren auf den Knien hatte, welchen er lesen lehrte. Erroetend setzte er den Knaben nieder und stand auf, mich zu begruessen. 'Ei, Papa,' rief der Kleine, 'wie sieht dir dieser Herr so aehnlich!' Der Kapitaen geriet in Verlegenheit und fuehrte den Knaben aus dem Zimmer. 'Wie,' sagte ich zu ihm, 'Sie haben schon einen Knaben von diesem Alter? Waren Sie frueher verheiratet?' Er suchte zu lachen und die Sache in einen Scherz zu drehen; er behauptete, der Knabe gehoere in die Nachbarschaft, besuche ihn zuweilen und nenne ihn Papa, weil er sich seiner annehme. 'Er gehoert wohl der Donna Ines?' fragte ich, indem ich ihn scharf ansah. Noch nie zuvor hatte ich gesehen, wie schrecklich das boese Gewissen sich kundtut; er erblasste, seine Augen glaenzten wie die einer Schlange, ich glaubte, er wolle mich durchbohren. Noch ehe er sich hinlaenglich gesammelt hatte, um mir zu antworten, sagte ich ihm gerade ins Gesicht, was ich von ihm wisse und was ich von ihm verlange, um das Fraeulein nicht voellig ungluecklich, zu machen. Er lief in Wut im Zimmer umher, er schimpfte auf Zwischentraeger und Zudringliche; er behauptete, ich habe die ganze Geschichte aufgedeckt, um Luise von ihm zu entfernen. Ich liess ihn ausreden; dann sagte ich ihm mit kurzen Worten, wie ich sein Verhaeltnis zu der Spanierin erfahren habe, und bat ihn noch einmal mit den herzlichsten Toenen unserer Sprache, das Fraeulein so schonend als moeglich von sich zu entfernen. Es gelang mir, ihn zu ruehren; aber nun hatte ich eine andere unangenehme Szene durchzukaempfen; er klagte sich an, er weinte, er verfluchte sich, das holde Geschoepf so schaendlich betrogen zu haben. Er schwor, sich von der Spanierin zu trennen; er flehte mich an, ihn zu retten; er gestand mir, dass er sich von einem Netz umstrickt sehe, das er nicht gewaltsam durchbrechen koenne, weil einige hohe Geistliche der Kirche kompromittiert wuerden. Er ging so weit, mich zu zwingen, seine Geschichte anzuhoeren, um vielleicht milder ueber ihn urteilen zu koennen. Es war die Geschichte eines--Leichtsinnigen. Dieses Wort moege entschuldigen, was vielleicht s c h l e c h t genannt werden koennte. Es lag in dem Wesen dieses Mannes ein Etwas, das ihn bei den Frauen sehr gluecklich machen musste. Es war der aeussere Anschein von Kraft und Entschlossenheit, die ihm uebrigens sein ganzes Leben hindurch gemangelt zu haben schienen. Er musste eine fuer seinen Stand ausgezeichnete Bildung gehabt haben; denn er sprach sehr gut, seine Ausdruecke waren gewaehlt, seine Bilder oft wahrhaft poetisch, er konnte hinreissen, so dass ich oft glaubte, er spreche mit Eifer von einem Dritten, waehrend er mir seinen eigenen beklagenswerten Zustand schilderte. Ich habe dies oft an Menschen bemerkt, die sonst ihrem Triebe folgen, in den Tag hineinleben, ohne sich selbst zu pruefen, und erst in dem Moment der Erzaehlung ueber sich selbst fluechtig nachdenken. Sie werden dann durch die Sprache selbst zu einem eigentuemlichen Feuer gesteigert, sie sprechen mit Umsicht von sich selbst; doch eben weil diese ihnen sonst abging, ist man versucht, zu glauben, sie spraechen von einem Dritten. Es war Luise, die ihn zuerst liebte; er erkannte ihre Neigung; Eitelkeit, die herrlich aufbluehende Schoenheit, die Tochter eines der ersten Haeuser der Stadt, fuer sich gewonnen zu haben, riss ihn zu einem Gefuehl hin, das er fuer Liebe hielt. Der Vater sah dies Verhaeltnis ungerne. Ich konnte mir denken, dass es vielleicht weniger Stolz auf seine Ahnen, als die Furcht vor dem schwankenden Charakter des Kapitaens war, was ihn zu einer Haerte stimmte, welche die Liebe eines Maedchens wie Luise immer mehr anfachen musste. Er soll ihr, was ich jetzt erst erfuhr, auf seinem Sterbebette den Fluch gegeben haben, wenn sie je mit dem Kapitaen sich verbinde. West suchte die Geschichte mit der Frau des Englaenders auf Verfuehrung zu schieben. Ich habe eine solche bei einem Manne, der das Bild der Geliebten fest im Herzen traegt, nie fuer moeglich gehalten. Doch die Strafe ereilte ihn bald. Er gestand mir, dass er froh gewesen sei, als er, vielleicht durch Vermittlung des Englaenders, von seinem Posten zurueckberufen wurde. Donna Ines habe ihm allerlei sonderbare Vorschlaege zur Flucht gemacht, in die er nicht habe eingehen koennen; er sei, ohne Abschied von ihr zu nehmen, abgereist. Was ihn eigentlich bestimmte, nach Rom zu gehen, sah ich nicht recht ein, und er suchte auch ueber diesen Punkt so schnell als moeglich hinwegzukommen. Er erzaehlte ferner, wie er durch Luisens Ankunft erfreut worden sei, wie er sich vorgenommen, nur ihr, ihr allein zu leben. Doch da sei ploetzlich Donna Ines in Rom erschienen, sie habe sich mit zwei Kindern gefluechtet, sei ihm nachgereist und habe jetzt verlangt, er solle sie heiraten. Es entging mir nicht, dass der Kapitaen mich hier belog. Ich hatte von dem Gesandten bestimmt erfahren, dass jener schon in Paris angehalten und ueber die Flucht der Donna zur Rede gestellt worden sei; er konnte sich also denken, dass sie ihm nachreisen werde, und dennoch knuepfte er die Liebe zu Luisen von neuem an. Ferner, wie haette es Ines wagen koennen, ihm zu folgen, wenn er ihr nicht versprochen haette, sie zu heiraten, wenn er sie nicht durch tausend Vorspiegelungen aus ihrem ruhigen Leben herausgelockt und zur Abenteurerin gemacht haette? Er schilderte mir nur ein Gewebe von ungluecklichen Verhaeltnissen, in welche ihn diese Frau, die mit allen Kardinaelen, namentlich mit Pater Rocco, schnell bekannt geworden, gefuehrt habe. Es werde ernstlich an der Aufloesung ihrer frueheren Ehe gearbeitet, und es war als bekannt angenommen worden, dass er die Geschiedene heiraten werde. 'Sie sagten mir hier nichts Neues,' antwortete ich ihm; 'dies alles beinahe wusste ich vorher. Aber ich hoffe, dass Sie als Mann von Ehre einsehen werden, dass das Verhaeltnis zu Fraeulein von Palden nicht fortdauern kann, oder Sie muessen sich von der Spanierin lossagen.' Das letztere koenne er nicht, sagte er, er habe von ihr und dem Kardinal Rocco Vorschuesse empfangen, die sein Vermoegen ueberstiegen; er koenne also wenigstens im Augenblicke keinen entscheidenden Schritt tun. 'Im Augenblicke heisst hier nie,' erwiderte ich ihm. 'Sie werden sich aus diesen Banden, wenn sie s o beschaffen sind, nie mit Anstand losmachen koennen. Ich halte es also fuer Ihre heiligste Pflicht, Luise nicht noch ungluecklicher zu machen; denn was kann endlich das Ziel Ihrer Bestrebungen sein?' Er erroetete und meinte, ich halte ihn fuer schlechter, als er sei. Doch er fuehle selbst, dass man einen Schritt tun muesse. Er glaube aber, es sei dies meine Sache. Er trete mir Luise ab, ich solle mir auf jede Art ihre Gunst zu erwerben suchen und sie gluecklich machen. Er hatte Traenen in den Augen, als er dies sagte, und ich sah mit beinahe zu mitleidigen Augen, wie weit ein Mensch durch Leichtsinn kommen koenne. Ich ging, um nichts weiser geworden, ohne dass ein wirklicher Entschluss gefasst worden war, von dem Kapitaen; mein Gefuehl war eine Mischung von Verachtung und Bedauern. Auf der Treppe begegnete mir wieder der schoene Knabe und fragte, ob er wohl jetzt zu Papa kommen duerfte." "Ha! Und jetzt setzten Sie wohl alle Segel auf, Freundchen," fragte ich; "jetzt machten Sie wohl Jagd auf die schoene Galeere Luise?" "Ja und nein," antwortete er truebe; "sie schien meine Liebe zu uebersehen, nicht zu achten; aber bald bemerkte ich, dass sie aengstlicher werde in meiner Naehe; es schmerzte sie, dass mir ihre Freundschaft nicht genuegen wolle. Und jener Elende, sei es aus Bosheit oder Leichtsinn, zog sich nicht von ihr zurueck, ich vermute es sogar, er hat sie vor mir gewarnt. So standen die Sachen, als die Zeit, die ich in Rom zubringen sollte, bald zu Ende ging. Im Kabinett des Gesandten arbeitete man schon an Memoiren, die man mir nach Berlin mitgeben wollte, man wunderte sich, dass ich noch keine Abschiedsbesuche mache,--und ich, ich lebte in dumpfem Hinbrueten; ich sah nicht ein, wie ich dieser Reise entfliehen konnte, und dennoch hielt ich es nicht fuer moeglich, Luise zu verlassen, jetzt, da ihr vielleicht bald der schrecklichste Schlag bevorstand. Oft war ich auf dem Punkt, ihr alles, alles zu entdecken; aber wie war es mir moeglich, ihre himmlische Ruhe zu zerstoeren, das Herz zu brechen, das ich so gerne gluecklich gewusst haette? Da stuerzte eines Morgens der Kapitaen West in mein Zimmer; er war bleich, verstoert; es dauerte eine lange Zeit, bis er sich fassen und sprechen konnte. 'Jetzt ist alles aus,' rief er; 'sie stirbt, sie muss sterben, dieser Kummer wird sie zerschmettern!' Er gestand, dass Donna Ines oder der Kardinal Rocco seine Liebe zu Luisen entdeckt haetten; ihr schrieben sie sein Zoegern, sein Schwanken zu, und der Kardinal hatte geschworen, er wolle an diesem Tage zu dem deutschen Fraeulein gehen und sie zur Rede stellen, wie sie es wagen koenne, einen Mann, der schon so gut als verehelicht sei, von seinen Pflichten zurueckzuhalten. Ich kannte diesen Priester und seine tueckische Arglist, ich erkannte, dass die Geliebte verloren sei. Ich weiss Ihnen von dieser Stunde, von diesem Tage wenig mehr zu erzaehlen. Ich weiss nur, dass ich den Kapitaen in kalter Wut zur Tuere hinaus schob, mich schnell in die Kleider warf und wie ein gejagtes Wild durch die Strassen dem Hause der Signora Campoco zulief. Als ich unten an dieser Strasse anlangte, sah ich einen Kardinal sich demselben Hause naehern. Er schritt stolz einher, Frater Piccolo trug ihm den Mantel; es war kein Zweifel, es war Rocco. Ich setzte meine letzten Kraefte daran, ich rannte wie ein Wahnsinniger auf ihn zu; doch--ich kam eben an, als mir Piccolo mit teuflischem Laecheln die Tuere vor der Nase zuwarf. Eine Art von Instinkt trieb mich, all diesem Jammer zu entfliehen. Ich ging, wie ich war, zu dem Gesandten und sagte ihm, dass ich noch in dieser Stunde abreisen werde. Er war es zufrieden, gab mir seine Auftraege, und bald hatte ich die heilige--unglueckselige Stadt im Ruecken. Erst als ich nach langer Fahrt zu mir selbst kam, als meine Vorstellungen sich wieder ordneten und deutlicher wurden, erst dann tadelte ich meine Feigheit, die mich zu dieser uebereilten Flucht verfuehrte. Ich tadelte meine ganze Handlungsweise, ich klagte mich an, die Unglueckliche auf diesen Schlag nicht vorbereitet zu haben;--doch es war zu spaet, und wenn ich mir meine Gefuehle, meine ganze Lage zurueckrief, ach, da schien es so verzeihlich, die Geliebte verschont zu haben! So kam ich nach Berlin, in dieser Stimmung trafen Sie mich dort, und ein Teil dieser Geschichte war es, den ich damals im Hause meiner Tante erzaehlt habe." Der junge Mann hatte geendet; seine Zuege hatten nach und nach jene Trauer, jene Wehmut angenommen, die ich in seinem Wesen, als ich ihn in Berlin sah, zu bemerken glaubte; er war ganz derselbe, der er an jenem Abend war, und die Worte seiner Tante, er sehe seit seiner Zurueckkunft so geheimnisvoll aus, kamen mir wieder in den Sinn und liessen mich den richtigen Blick dieser Dame bewundern. An seiner ganzen Historie schienen mir uebrigens nur zwei Dinge auffallend. Unglueckliche Maedchen wie das Fraeulein, abenteuernde Damen wie Ines, intrigante Priester wie Kardinal Rocco hatte ich auf der Welt schon viele gesehen. Aber die beiden Maenner waren mir als Menschenkenner etwas raetselhaft. Der Kapitaen hatte allerdings schon einen bedeutenden Grad in meinem Reglement erlangt; aber unbegreiflich war es mir, wie sich dieser Mann so lange auf einer Stufe halten konnte, da doch nach moralischen wie nach physischen Gesetzen ein Koerper, welcher abwaerts gleitet, immer schneller faellt. Er war falsch, denn er spielte zwei Rollen; er war leichtsinnig, denn er vergass sich alle Augenblicke; er war eifersuechtig, obgleich er es selbst mit zwei Frauen hielt; er war schnell zum Zorn reizbar; als deutscher Kapitaen liebte er wahrscheinlich auch das _Est, Est, Est_, Eigenschaften, die nicht lange auf einer Stufe lassen. Ein anderer an seiner Stelle waere vielleicht aus Eifersucht und Zorn schon laengst ein Totschlaeger geworden; ein zweiter waere, leichtsinnig wie er, all diesem Jammer entflohen, haette die Donna Ines hier und Fraeulein Luise dort sitzen lassen und vielleicht an einem andern Orte eine andere gefreit; ein dritter haette vielleicht der Donna Gift beigebracht, um die schoene Saechsin zu besitzen oder aus Verzweiflung die letztere erdolcht. Aber wie langweilig duenkte es mir, dass das Fraeulein noch in demselben Zustande war, dass die beiden Anbeter noch nicht in Streit geraten waren, dass das Ende von diesen Geschichten ein Uebertritt zur roemischen Kirche, eine Hochzeit der Donna Ines und vielleicht eine zweite, Luisens mit dem Berliner, werden sollte? Denn eben dieser ehrliche Berliner! Er stand zwar in etwas entfernten Verhaeltnissen zu mir, doch wusste ich, wenn ich ihm das Ziel seines heimlichen Strebens, das Fraeulein, recht lockend, recht reizend vorstellte, wenn ich ihren Besitz ihm von ferne moeglich zeigte, so machte er Riesenschritte abwaerts, denn seine Anlagen waren gut. Ich beschloss daher, mir ein kleines Vergnuegen zu machen und die Leutchen zu hetzen. Waehrend diese Gedanken fluechtig in mir aufstiegen, wurde dem Herrn von S. ein Brief gebracht. Er sah die Aufschrift an und erroetete, er riss das Siegel auf, er las, und sein Auge wurde immer glaenzender, seine Stimme heiterer. "Der Engel!" rief er aus. "Sie will mich dennoch sehen! Wie gluecklich macht sie mich! Lesen Sie, Freund," sagte er, indem er mir den Brief reichte; "muessen solche Zeilen nicht begluecken?" Ich las: "Mein treuer Freund! Mein Herz verlangt darnach, Sie zu sprechen. Ich wollte Sie nicht mehr sehen, nicht mehr sprechen, bis Sie mir gute Nachrichten zu bringen haetten; Sie selbst sind es eigentlich, der diesen Bann aussprach. Doch heben Sie ihn auf, Sie wissen, wie troestlich es mir ist, mit Ihnen sprechen zu koennen. Der Fromme ist wieder hier; er verspricht sich das Beste von West. Ach! dass er ihn zurueckbraechte von seinem Abwege, nicht zu mir, meine Augen duerfen ihn nicht mehr sehen, nur zurueck von dieser Schmach, die ich nicht ertragen kann. L. v. P. N. S. Wissen Sie in Rom keinen Deutschen, der in Mecklenburg bekannt waere? West hat dort Verwandte, die vielleicht in der Sache etwas tun koennten." "Ich kann mir denken, dass dieses schoene Vertrauen Sie erfreuen muss," sagte ich; "doch einiges ist mir nicht recht klar in diesem Brief, das Sie mir uebrigens aufklaeren werden. Wegen der Verwandten in Mecklenburg kann sich uebrigens das Fraeulein an niemand besser wenden als an mich; denn ich war mehrere Jahre dort und bin beinahe in allen Familien genau bekannt." Der junge Mann war entzueckt, dem Fraeulein so schnell dienen zu koennen. "Das ist trefflich!" rief er. "Und Sie begleiten mich wohl jetzt eben zu ihr? Ich erzaehle Ihnen unterwegs noch einiges, was Ihnen die Verhaeltnisse klarer machen wird." Ich sagte mit Freuden zu, wir gingen. "In Berlin," erzaehlte er, "hielt ich es nur zwei Monate aus; ich hatte niemand hier in Rom, der mir ueber das unglueckliche Geschoepf haette Nachricht geben koennen, und so lebte ich in einem Zustande, der beinahe an Verzweiflung grenzte; nur einmal schrieb mir der saechsische Gesandte: Der Papst habe sich jetzt oeffentlich fuer den Kapitaen West erklaert, man spreche davon, dass der Preis dieser Gnade der Uebertritt des Kapitaens zur roemischen Kirche sein solle. In demselben Briefe erwaehnte er mit Bedauern, dass die junge Dame, die uns alle so sehr angezogen habe, die mich immer besonders auszuzeichnen geschienen, sehr gefaehrlich krank sei, die Aerzte zweifeln an ihrer Rettung. Wer konnte dies anders sein als die arme Luise. Diese letzte Nachricht entschied ueber mich. Zwar haette ich mir denken koennen, dass alles, was ihr der Kardinal mitteilte, Krankheit, vielleicht den Tod zur Folge haben werde; aber jetzt erst, als ich diese Nachricht gewiss wusste, jetzt erst kam sie mir schrecklich vor; ich reiste nach Rom zurueck, und meine Bekannten hier haben sich nicht weniger darueber gewundert, mich so unverhofft zu sehen, als meine Verwandten in Berlin, mich so ploetzlich wieder entlassen zu muessen. Besonders die Tante konnte es mir nicht verzeihen; denn sie hatte schon den Plan gemacht, mich mit einem der Fraeulein, die Sie beim Tee versammelt fanden, zu verheiraten. Erlassen Sie es mir, zu beschreiben, wie ich das Fraeulein wieder fand! Nur eins schien diese schoene Seele zu betrueben, der Gedanke, dass West zu seiner grossen Schuld noch einen Abfall von der Kirche fuegen wolle. Ich lebe seitdem ein Leben voll Kummer. Ich sehe ihre Kraefte, ihre Jugend dahin schwinden; ich sehe, wie sie ein Herz voll Jammer unter einer laechelnden Miene verbirgt. Um mich noch zu taetigerem Eifer, ihr zu dienen, zu zwingen, gelobte ich, sie nicht mehr zu sprechen, bis ich von dem Kapitaen erlangt haette, dass er nicht zum Apostaten werde,-- oder bis sie mich selbst rufen lasse. Das letztere ist heute geschehen. Es scheint, sie hat Hoffnung; ich habe keine; denn er ist zu allem faehig, und Rocco hat ihn so im Netze, dass an kein Entrinnen zu denken ist." "Aber der Fromme," fragte ich; "soll wohl der seine Bekehrung uebernehmen?" "Auf diesen Menschen scheint sie ihre Hoffnung zu gruenden. Es ist ein deutscher Kaufmann, ein sogenannter Pietist; er zieht umher, um zu bekehren; doch leider muss er jedem Vernuenftigen zu laecherlich erscheinen, als dass ich glauben koennte, er sei zur Bekehrung des Kapitaens berufen. Eher setzte ich einige Hoffnungen auf Sie, mein Freund, wenn Sie durch die Verwandten etwas bewirken koennten; doch, auch dies koemmt zu spaet! Wie sie sich nur um diesen Elenden noch kuemmern mag!" Viel versprach ich mir von diesem Besuch bei dem Fraeulein von Palden. Was ich von ihr gesehen, von ihr gehoert, hatte mir ein Interesse eingefloesst, das diese Stunde befriedigen musste. Ich hatte mir schon lange zuvor, ehe ich sie sah, ein Bild von ihr entworfen; ich fand es, als sie mir damals im Portikus erschien, beinahe verwirklicht; nur eines schien noch zu fehlen, und auch das hatte sich jetzt bestaetigt; ich dachte mir sie naemlich etwas fromm, etwas schwaermerisch, und sie musste dies sein; wie konnte sie sonst einem deutschen Pietisten die Heilung des Kapitaens West zutrauen? Wir wurden von der Signora Campoco und ihren Hunden freundlich empfangen; den Berliner fuehrte sie zu ihrer Nichte, mich bat sie, in ein Zimmer zu treten, wo ich einen Landsmann finden werde. Ich trat ein. Am Fenster stand ein langer, hagerer Mann von kaltem, finsteren Aussehen. Er heftete seine Augen immer zu Boden, und wenn er sie einmal aufschlug, so gluehten sie von einem trueben, unsicheren Feuer. Ich machte ihm mein Kompliment, er erwiderte es mit einem leichten Neigen des Hauptes und antwortete: "Gegruesset seist du mit dem Grusse des Friedens!" Ha, dachte ich, das ist niemand anders als der Pietist! Solche Leute sind eine wahre Augenweide fuer den Teufel, er weiss, wie es in ihrem Innern aussieht, und diese herrliche Charaktermaske, laecherlicher als Policinello, komischer als Passaglio, pathetischer als Truffaldin, und wahrer als sie alle, trifft man besonders in Deutschland und seit neuerer Zeit in Amerika, wohin sie die Deutschen verpflanzt haben. Diese Protestanten glauben im echten Sinne des Wortes zu handeln, wenn sie gegen alles protestieren. Der Glaube der katholischen Kirche ist ihnen ein Greuel; der Papst ist der Antichrist, gegen ihn und die Tuerken beten sie alle Tage ein absonderliches Gebet. Nicht zufrieden mit diesem, protestieren sie gegen ihren eigenen Staat, gegen ihre eigene Kirche. Alles ist ihnen nicht orthodox, nicht fromm genug. Man glaubt vielleicht, sie selbst sind um so frommer? O ja, wie man will. Sie gehen gesenkten Hauptes, wagen den Blick nicht zu erheben, wagen kein Weltkind anzuschauen. Ihre Rede ist, "Ja, ja, nein, nein". Auf weitere Schwuere und dergleichen lassen sie sich nicht ein. Sie sind die Stillen im Lande; denn sie leben einfach, und ohne Laerm fuer sich; doch diese selige Ruhe in dem Herrn verhindert sie nicht, ihre Mitmenschen zu verleumden, zu bestehlen, zu betruegen. Daher koemmt es, dass sie einander selbst nicht trauen. Sie vermeiden es, sich oeffentlich zu vergnuegen, und wer am Sonntag tanzt, ist in ihren Augen ein Ruchloser. Unter sich selbst aber feiern sie Orgien, von denen jeder andere sein Auge beschaemt wegwenden wuerde. Drum lacht mir das Herz, wenn ich einen Mystiker dieser Art sehe. Sie gehen still durchs Leben und wollen die Welt glauben machen, sie seien von Anbeginn der Welt als extrafeine Sorte erschaffen und plombiert worden, und der heilige Petrus, mein lieber Cousin, werde ihnen einen naeheren Weg, ein Seitenpfoertchen in den Himmel aufschliessen. Aber alle kommen zu mir; Separatisten, Pietisten, Mystiker, wie sie sich heissen moegen, seien sie Kathedermaenner oder Schuhmacher, alle sind in Nr. 1 und 2, sie v e r n e i n e n, wenn auch nicht im Aeussern; denn sie sind Heuchler in ihrem Herzen von Anbeginn. Ein solcher war nun der fromme Mann am Fenster. "Ihr seid ein Landsmann von mir," fragte ich nach seinem Gruss, "Ihr seid ein Deutscher?" "Alle Menschen sind Brueder und gleich vor Gott," antwortete er; "aber die Frommen sind ihm ein angenehmer Geruch." "Da habt Ihr recht," erwiderte ich, "besonders wenn sie in einer engen Stube Betstunde halten. Seid Ihr schon lange hier in dieser gotteslaesterlichen Stadt?" Er warf einen scheuen Blick auf mich und seufzte: "O welche Freude hat mir der Herr gegeben, dass er einen Erweckten zu mir sandte! Du bist der erste, der mir hier sagt, dass dies die Stadt der babylonischen H---, der Sitz des Antichrists ist. Da sprechen sie in ihrem weltlichen Sinne von dem Altertume der Heiden, laufen umher in diesen grossen Goetzentempeln und nennen alles 'heiliges Land', selbst wenn sie Protestanten sind; aber diese sind oft die Aergsten." "Wie freut es mich, Bruder, dich gefunden zu haben! Sind noch mehrere Brueder und Schwestern hier? Doch hier kann es nicht fehlen; in einer Gemeinde, die der Apostel Paulus selbst gestiftet hat, muessen fromme Seelen sein." "Bruder, geh mir weg mit dem Apostel Paulus, dem traue ich nur halb; man weiss allerlei von seinem frueheren Leben, und nachher, da hat er so etwas Gelehrtes wie unsere Professoren und Pfarrer; ich glaube, durch ihn ist dieses Uebel in die Welt gekommen. Zu was denn diese Gelehrtheit, diese Untersuchungen? Sie fuehren zum Unglauben. Die Erleuchtung macht's, und wenn einer nicht zum D u r c h b r u c h gekommen ist, bleibt er ein Suender. Ein altes Weib, wenn sie erleuchtet ist, kann so gut predigen und lehren in Israel als der gelehrteste Doktor." "Du hast recht, Bruder," erwiderte ich ihm; "und ich war in meinem Leben in der Seele nicht vergnuegter, nie so heiter gestimmt, als wenn ich einen Bruder Schuster oder eine Schwester Spitaelerin das Wort verkuendigen hoerte. War es auch lauterer Unsinn, was sie sprach, so hatte ihr es doch der Geist eingegeben, und wir alle waren zerknirscht. Doch sage mir, wie koemmst du ins Haus dieser Gottlosen?" "Bruder, in der Stadt Dresden im Sachsenland, wo es mehr Erleuchtete gibt als irgendwo, da wohnte ich neben ihrem Haus. Damals war sie ein Weltkind und lachte, wenn die Frommen am Sonntagsabend in mein Haus wandelten, um eine Stunde bei mir zu halten. Als ich nun hierher kam in dieses Sodom und Gomorra, da gab mir der Geist ein, meine Nachbarin aufzusuchen. Ich fand sie von einem Unglueck niedergedrueckt. Es ist ihr ganz recht geschehen; denn so straft der Herr den Wandel der Suender. Aber mich erbarmte doch ihre junge Seele, dass sie so sicherlich abfahren soll dorthin, wo Heulen und Zaehneklappern. Ich sprach ihr zu, sie ging ein in meine Lehren, und ich hoffe, es wird bei ihr bald zum Durchbruch kommen. Und da erzaehlte sie mir von einem Manne, den der Satan und der Antichrist in ihren Schlingen gefangen haben, und bat mich, ob ich nicht loesen koenne diese Bande kraft des Geistes, der in mir wohnet. Und darum bin ich hier." Waehrend der fromme Mann die letzten Worte sprach, kam der Berliner mit dem Fraeulein. Jener stellte mich vor, und sie fragte erroetend, ob ich mit der Familie des Kapitaens West in Mecklenburg bekannt sei. Ich bejahte es; ich hatte mit mehreren dieser Leute zu tun gehabt und gab ihr einige Details an, die sie zu befriedigen schienen. "Der Kapitaen ist auf dem Sprung, einen sehr toerichten Schritt zu tun, der ihn gewiss nicht gluecklich machen kann; S. hat Ihnen wohl schon davon gesagt, und es koemmt jetzt darauf an, ihm das Missliche eines solchen Schrittes auch von seiten seiner Familie darzutun." "Mit Vergnuegen; dieser fromme Mann wird uns begleiten; er ist in geistlichen Kaempfen erfahrener als ich; ich hoffe, er wird sehr nuetzlich sein koennen." "Es ist mein Beruf," antwortete der Pietist, die Augen greulich verdrehend, "es ist mein Beruf, zu kaempfen, solange es Tag ist. Ich will setzen meinen Fuss auf den Kopf der Schlange und will ihr den Kopf zertreten wie einer Kroete; soeben ist der Geist in mich gefahren. Ich fuehle mich wacker wie ein gewappneter Streiter. Liebe Brueder, lasset uns nicht lange zaudern, denn die Stunde ist gekommen; Sela!" "Gehen wir!" sagte der Berliner. "Seien Sie versichert, Luise, dass Freund Stobelberg und ich alles tun werden, was zu Ihrer Beruhigung dienen kann. Fassen Sie sich, sehen Sie mutig, heiter in die Zukunft; die Zeit bringt Rosen." Das schoene bleiche Maedchen antwortete durch ein Laecheln, das sie einem wunden Herzen muehsam abgezwungen hatte. Wir gingen, und als ich mich in der Tuere umwandte, sah ich sie heftig weinen. Wir drei gingen ziemlich einsilbig ueber die Strasse; der Pietist, vom Geiste befallen, murmelte unverstaendliche Worte vor sich hin und verzog sein Gesicht, rollte seine Augen wie ein Hierophant. Der Berliner schien an dem guten Erfolg unseres Beginnens zu zweifeln und ging sinnend neben mir her; ich selbst war von dem Anblick der stillen Trauer jenes Maedchens, ich moechte sagen, beinahe geruehrt; ich dachte nach, wie man es moeglich machen koennte, sie der Schwaermerei zu entreissen, sie dem Leben, der Freude wiederzugeben; denn so gerne ich ihr den Himmel und alles Gute wuenschte, so schien sie mir doch zu jung und schoen, als dass sie jetzt schon auf eine etwas langweilige Seligkeit spekulieren sollte. Durch den Berliner schien ich dies am besten erreichen zu koennen, besser vielleicht noch durch den Kapitaen West, der mir ohnedies verfallen war; doch zweifelte ich, ob man ihn noch von der Spanierin werde losmachen koennen. Auf dem Hausflur des Kapitaens liess uns der Pietist vorangehen, weil er hier beten und unsern Ein= und Ausgang segnen wolle. Doch, o Wunder! Als wir uns umsahen, nahm er nach jedem Stossseufzer einen Schluck aus einem Flaeschchen, das seiner Farbe nach einen guten italienischen Likoer enthalten musste. Ha! jetzt muss der Geist erst recht ueber ihn kommen, dachte ich, jetzt kann es nicht fehlen, er muss mit grosser Begeisterung sprechen. Der Kapitaen empfing uns mit einer etwas finsteren Stirne. Der Berliner stellte uns ihm vor, und sogleich begann der Pietist, vom Geiste getrieben, seinen Sermon. Er stellte sich vor den Kapitaen hin, schlug die Augen zum Himmel und sprach: "Bruder! Was haben meine Ohren von dir vernommen? So ganz hat dich der Teufel in seinen Klauen, dass du dich dem Antichrist ergeben willst, dass du absagen willst der heiligen christlichen Kirche, der Gemeinschaft der Heiligen? Sela. Aber da sieht man es deutlich. Wie heisst es Sirach am 9. im dritten Vers? He? 'Fliehe die Buhlerin, dass du nicht in ihre Stricke fallest.'" "Zu was soll diese Komoedie dienen, Herr von S.?" sprach der Kapitaen gereizt. "Ich hoffe, Sie sind nicht gekommen, mir in meinem Zimmer Sottisen zu sagen." "Ich wollte Sie mit Herrn von Stobelberg, der Ihre Familie kennt, besuchen. Da liess sich dieser fromme Mann, der gehoert hat, dass Sie uebertreten wollen, nicht abhalten, uns zu begleiten." "Grosse Ehre fuer mich, geben Sie sich aber weiter keine Muehe; denn--" "Hoeret, hoeret, wie er den Herrn laestert, in dessen Namen ich komme," schrie der Pietist. "Der Antichrist kruemmet sich in ihm wie ein Wurm, und der Teufel sitzt ihm auf der Zunge. O, warum habt Ihr Euch blenden lassen von Weltehre? Was sagt derselbe Sirach? Lass dich nicht bewegen von dem Gottlosen in seinen grossen Ehren; denn du weisst nicht, wie es ein Ende nehmen wird.--Wisse, dass du unter den Stricken wandelst und gehest auf eitel hohen Spitzen!"' "Sie kennen meine Familie, Herr von Stobelberg? Sind Sie vielleicht selbst ein Landsmann aus Mecklenburg?" "Nein! Aber ich kam viel in Beruehrung mit Ihrer Familie und bin mit einigen Gliedern derselben sehr nahe liiert. So zum Beispiel mit Ihrem Onkel F., mit Ihrer Tante W., mit Ihrem Schwager Z." "Wie? Der Satan hat ihm die Ohren zugeleimt?" rief der fromme Protestant, als sein abtruenniger Bruder ihn voellig ignorierte. "Auf, ihr Brueder, ihr Streiter des Herrn, lasset uns ein geistliches Lied singen, vielleicht hilft es." Er drueckte die Augen zu und fing an, mit naeselnder, zitternder Stimme zu singen: "Herr, schuetz' uns vor dem Antichrist, Und lass uns doch nicht fallen; Es streckt der Papst mit Hinterlist Nach uns die langen Krallen; Und lass dich erbitten, Vor den Jesuiten Und den argen Missionaren Wollest gnaedig uns bewahren. Sie sind des Teufels Knechte all, Nur wir sind fromme Seelen; Wir kommen in des Himmels Stall, Uns kann es gar nicht fehlen; Denn nach kurzem Schlafe Ziehn wir frommen Schafe In den Pferch fuer uns bereitet, Wo der Hirt die Schaeflein weidet; Dort scheidet er die Boecke aus--" Man kann eben nicht sagen, dass der Fromme wie eine Nachtigall sang; aber komisch genug war es anzusehen, wie er, vom Geiste getrieben, dazu agierte. Auf den Wangen des Kapitaens wechselte Scham und Zorn, und man war ungewiss, ob er mehr ueber die Unverschaemtheit dieses Proselytenmachers staunte oder mehr ueber den Inhalt der frommen Hymne erbost sei. Als der Pietist nach einem tiefen Seufzer den dritten Vers anhub, ging die Tuere auf, und die hohe, majestaetische, Gestalt des Kardinals Rocco trat ein. Er war angetan mit einem weissen, faltenreichen Gewand, und der Purpur, der ueber seine Schultern herabfloss, gab ihm etwas Erhabenes, Fuerstliches. Er uebersah uns mit gebietendem Blick, und die Rechte, die er ausstreckte, mochte vielleicht den ehrerbietigen Kuss eines Glaeubigen erwarten. Der Kapitaen war in sichtbarer Verlegenheit. Er fuehlte, dass der Kardinal uns den Protestantismus sogleich anriechen, dass es ihn erzuernen werde, seinen Katechumenen in so schlechter Gesellschaft zu sehen. Er nannte der Eminenz unsere Namen, doch als er Herrn v. S. erblickte, trat er erschrocken einen Schritt zurueck und fluesterte dem Frater Piccolo in der violetten Kutte zu: "Das ist wohl der Teufel, den du im Traume gesehen?" Piccolo antwortete mit drei Kreuzen, die er aengstlich auf seinen Leib zeichnete, und der Kardinal fing an, leise einige Stellen aus dem Exorzismus zu beten. Waehrend dieser Szene hatte sich der fromme Kaufmann, dem das Wort auf der Lippe stehen geblieben war, wieder erholt. Er betrachtete die imponierende Gestalt dieses Kirchenfuersten; doch schien sie ihm nicht mehr zu imponieren, nachdem er bei sich zu dem Resultate gelangt war, dass nur ein frommer protestantisch= mystischer Christ zur Seligkeit gelangen koenne. Er hub im heulenden Predigerton auf italienisch an: "Siehe da, ein Sohn der babylonischen H---, ein Nepote des Antichrists. Er hat sich angetan mit Leide und Purpur, um eure armen Seelen zu verlocken. Hebe dich weg, Satanas!" "Ist der Mensch ein Narr?" fragte der Kardinal, indem er naeher trat und den Prediger ruhig und gross anschaute. "Piccolo, merke dir diesen Menschen, wir wollen ihn im Spital versorgen." Der Pietist geriet in Wut. "Baalspfaffe, Goetzendiener, Antichrist!" schrie er. "Du willst mich ins Spital tun? Ha, jetzt koemmt der Geist erst recht ueber mich. Ich will barmherzig sein mit dir, Sodomiter! Ich will dich lehren die Hauptstuecke der Religion, dass du deine ketzerischen Irrtuemer einsehest. Aber zuvor ziehe sogleich den Purpur ab! Zu was soll dieser Flitter dienen? Meinst du, du gefallest dem Herrn besser, wenn du violette Struempfe anhast? O du Tor! Das sind die eitlen Lehren des Antichrists, des Drachen, der auf dem Stuhle sitzt; in Sack und Asche musst du Busse tun." Jetzt gluehte Roccos Auge vor Wut, seine Stirne zog sich zusammen, seine Wangen gluehten. "Jetzt sehe ich, Kapitaen," rief er, "was Euch solange zoegern macht. Ihr haltet Zusammenkuenfte mit diesen wahnsinnigen Ketzern, die Euch in Eurem Aberglauben bestaerken. Ha! bei der heiligen Erde, Ihr habt uns tief gekraenkt." "Herr Kardinal!" fiel ihm Herr v. S. in die Rede. "Ich bitte, uns nicht alle in eine Klasse zu werfen. Wenn jener Mann dort den Trieb in sich fuehlt, alle Welt zu bekehren, so koennen wir ihn nicht daran verhindern. Doch meine ich, man habe sich nicht darueber zu beklagen; denn Ew. Eminenz wissen, dass es gleichsam nur Repressalien fuer die Missionen und die Jesuiterei sind, mit welcher man gegenwaertig alle Welt ueber schwemmt." Jetzt war der rechte Zeitpunkt, die Leutchen zu hetzen. Jetzt galt es, sie zu verwickeln, um sie nachher desto laenger trauern zu lassen. "Herr v. S.," sagte ich, "der Herr Kapitaen will, denke ich, durch sein Schweigen beweisen, dass er Seiner Eminenz recht gibt. Zwar schliesst mich mein Bewusstsein von den 'wahnsinnigen Ketzern' aus: ich mache keine Proselyten, ich unterrichte niemand in der Religion; aber Ihrer werten Familie in Mecklenburg werde ich bei meiner Rueckkehr sagen koennen--" "Stille!" rief der Pietist mit feierlicher Stimme. "Bruder, Mann Gottes, willst du dich so versuendigen, mit dem Baalspfaffen zu rechten? Er geht einher wie ein Pharisaeer; aber es waere ihm besser, ein Muehlstein haenge an seinem Hals, und er wuerde ertraenket, wo es am tiefsten ist." "Huete dich, einen Pfaffen zu beleidigen," ist ein altes Sprichwort, und der Kapitaen mochte auch so denken. Ich sah, dass die Beschaemung, vor uns von Rocco wie ein Schulknabe behandelt zu werden, und die Furcht, ihn zu beleidigen, in seinem Gesichte kaempften. "Ich muss Ihren Irrtum berichtigen, Eminenz," entgegnete er. "Diesen Mann hier kenne ich nicht, und er kann sich auch entfernen, wann er will, denn seine schwaermerischen Reden sind mir zum Ekel; aber ueber diese Herren hier haben Sie eine ganz falsche Ansicht. Herr von Stobelberg bringt mir Nachrichten von meiner Familie, Herr v. S. besucht mich. Ich weiss nicht, welche boesliche Absicht Sie darein legen wollen." Weit entfernt, den Kardinal durch diese Worte zu besaenftigen, brachte er ihn nur noch mehr auf; doch bezaehmte er laute Ausbrueche desselben, und seine stille Wut werde nur in kaltem Spott sichtbar. "Ja, ich habe mich freilich hoechlich geirrt," sagte er laechelnd, "und bitte um Verzeihung, meine Herren. Ich dachte, Ihr Besuch betreffe religioese Gegenstaende; doch nun merke ich, dass es friedlichere Absichten sind, was Sie herfuehrt. Herr v. S. wird wahrscheinlich den Herrn Kapitaen wieder in die suessen Fesseln des deutschen Fraeuleins legen wollen? Trefflich! Ob auch eine andere Dame darueber sterben wird, ist ihm gleichgueltig. Ich bewundere nebenbei auch Ihre Gutmuetigkeit, Capitano, dass Sie sich von demselben Manne zurueckfuehren lassen, der Sie so geschickt aus dem Sattel hob!" Zu welch sonderbaren Spruengen steigert doch den Sterblichen die Beschaemung. Gefuehl des Unrechts, wirkliche Beleidigung, Zorn, alle Leidenschaften seiner Seele haetten den Kapitaen wohl nicht so ausser sich gebracht als das Gefuehl der Scham, vor deutschen Maennern von einem roemischen Priester so verhoehnt zu werden. "Die Achtung, Signore Rocco," sagte er, "die Achtung, die ich vor Ihrem Gewand habe, schuetzt mich, Ihnen zu erwidern, was Sie mir in meinem Zimmer ueber mich gesagt haben. Ich kenne jetzt Ihre Ansichten ueber mich hinlaenglich und wundere mich, wie Sie sich um meine arme Seele so viele Muehe geben wollten. Diesem Herrn, der, wie Sie sagten, mich aus dem Sattel hob, werde ich folgen. Doch wissen Sie, dass, was er getan hat, mit meiner Zustimmung geschah. Ich werde ihm folgen, obgleich es zuvor gar nicht in meiner Absicht lag; nur um Ihnen zu zeigen, dass weder Ihr Spott noch Ihre Drohungen auf mich Eindruck machen; und wenn Sie ein andermal wieder einen Mann meiner Art unter der Arbeit haben, so rate ich Ihnen, Ihren Spott oder Ihren Zorn zurueckzuhalten, bis er im Schosse der Kirche ist." Das reiche, rosige Antlitz Roccos war so weiss geworden als sein seidenes Gewand. "Geben Sie sich keine Muehe," entgegnete er, "mir zu beweisen, wie wenig man an einem seichten Kopf Ihrer Art verliert. Glauben Sie mir, die Kirche hat hoehere Zwecke, als einen Kapitaen West zu bekehren--" "Wir kennen diese schoenen Zwecke," rief der Berliner mit sehr ueberfluessigem Protestantismus; "Ihre Plaene sind freilich nicht auf einen einzelnen gerichtet, sie gehen auf uns arme Seelen alle. Sie moechten gar zu gerne unser ganzes Vaterland und England und alles, was noch zum Evangelium haelt, unter den heiligen Pantoffel bringen. Aber Sie kommen hundert Jahre zu spaet oder zu frueh; noch gibt es, Gott sei Dank, Maenner genug in meinem Vaterlande, die lieber des Teufels sein wollen, als den heiligen Stuhl anbeten." "Bringe mir meinen Hut, Piccolo," sagte der Priester sehr gelassen. "Ihnen, mein Herr v. S., danke ich fuer diese Belehrung; doch lag uns an den dummen Deutschen wenig. Es liegt ein sicheres Mittel in der Erbaermlichkeit Ihrer Nation und in ihrer Nachahmungssucht. Ich kann Sie versichern, wenn man in Frankreich recht fromm wird, wenn England ueber kurz ueber lang zur alleinseligmachenden Kirche zurueckkehrt, dann werden auch die ehrlichen Deutschen nicht mehr lange protestieren. Drum leben Sie wohl, mein Herr, auf Wiedersehen!" Die Zuege des Kardinals hatten etwas Hohes, Gebietendes, das mir beinahe nie so sichtbar wurde als in diesem Moment. Ich musste gestehen, er hatte sich gut aus der Sache gezogen und verliess als Sieger die Walstatt. Frater Piccolo setzte ihm den roten Hut auf, ergriff die Schleppe seines Talars und, mit Anstand und Wuerde gruessend, schritt der Kardinal aus dem Zimmer. Der Berliner fuehlte sich beschaemt und sprach kein Wort; der Pietist murmelte Stossgebetlein und war augenscheinlich duepiert; denn der Streit ging ueber seinen Horizont, an welchem nur die Ideen von dem Antichrist, dem Drachen auf dem Stuhl des Lammes, dem Baalspfaffen, der babylonischen Dame, dem ewigen Hoellenpfuhl und dem Paradiesgaertlein, in lieblichem Unsinn verschlungen, schwebten. Dem Kapitaen schien uebrigens nicht gar zu wohl bei der Sache zu sein. Ich erinnerte mich, gehoert zu haben, dass er von Donna Ines und diesem Priester bedeutende Vorschuesse empfangen habe, die er nicht zahlen sonnte; es war zu erwarten, dass sie ihn von dieser Seite bald quaelen wuerden, und ich freute mich schon vorher, zu sehen, was er dann in der Verzweiflung beginnen werde. Auch zu diesem Auftritt hatte ihn sein Leichtsinn verleitet; denn haette er bedacht, was fuer Folgen fuer ihn daraus entstehen koennten,--er haette sich von falscher Scham nicht so blindlings hinreissen lassen. Der Berliner fuhr uebrigens bei dieser Partie ebenso schlimm. Ich wusste wohl, dass er die Hoffnung auf Luisens Besitz nicht ausgegeben hatte, dass er sie maechtiger als je naehrte, da sie ihn heute hatte rufen lassen; ich wusste auch, dass sie den Kapitaen nicht gerade zu sich zurueckwuenschte, sondern ihn nur nicht katholisch wissen wollte; ich wusste, dass sie dem Berliner vielleicht bald geneigt worden waere, weil sie sah, mit welchem Eifer er sich um sie bemuehte; und jetzt hatte der Kapitaen vor uns allen ausgesprochen, dass er das Fraeulein wiedersehen wolle; und so war es. "Es ist mein voller Ernst, Herr v. S.," sagte er, "ich sehe ein, dass ich mich diesen unwuerdigen Verbindungen entreissen muss. Koennen Sie mir Gelegenheit geben, das Fraeulein wiederzusehen und ihre Verzeihung zu erbitten?" "Ich weiss nicht, wie Fraeulein von Palden darueber denkt," antwortete der junge Mann etwas verstimmt und finster; "ich glaube nicht, dass nach diesen Vorgaengen--" "O! Ich habe die beste Hoffnung," rief jener, "ich kenne Luisens gutes Herz und kann nicht glauben, dass sie aufgehoert habe, mich zu lieben. Hoeren Sie einen Vorschlag. Signora Campoco hat einen Garten an der Tiber; bitten Sie das Fraeulein, mit ihrer Tante heute abend dorthin zu kommen. Ich will sie ja nicht allein sehen, Sie alle koennen zugegen sein; ich will ja nichts, als Vergebung lesen in ihren Augen; ein Wort von ihr soll mir genug sein, um mich mit mir selbst und mit dem Himmel zu versoehnen. Ach, wie schmerzlich fuehle ich meine Verirrungen!" "Gut, ich will es sagen," erwiderte der Berliner, indem er mit Muehe nach Fassung rang. "Soll ich Ihnen Antwort bringen?" "Ist nicht noetig; wenn Sie keine Antwort bringen, bin ich um sechs Uhr als reuiger Suender in dem Garten an der Tiber." * * * * * Ich gestehe, der Berliner hatte ein sonderbares Geschick. Das Verhaengnis zog ihn in diese Verhaeltnisse; seine Gestalt, sein Gesicht, zufaellig dem Kapitaen West sehr aehnlich, bringt ihm Glueck und Unglueck; es zieht ihn in die Naehe des Maedchens; er lernt ihr Schicksal kennen, er sieht sie leiden, er leidet mit ihr; die Zeit, die alle Wunden heilt, bewirkt endlich, dass sie den Kapitaen vielleicht nicht mehr so sehnlich zurueckwuenscht; sie will nur, dass er jenen Schritt nicht tue, den sie fuer einen toerichten haelt; sich selbst unbewusst, gibt sie dem armen S. Hoffnungen; er glaubt, sie errungen zu haben durch die vielen Bemuehungen um ihre Wahl, und jetzt muss er den gefaehrlichen Nebenbuhler, einen Mann, den er verachtet, zu ihr zurueckfuehren! Ich war begierig auf diesen Abend; der Berliner hatte mir gesagt, dass sie einwillige, ihn, von Signora Campoco begleitet, zu sehen. Sie hatte ihn eingeladen, zugegen zu sein, und er bat mich, ihn zu begleiten, weil er diese Szene allein nicht mit ansehen koenne. Als ich seiner Wohnung zuging, trat mir auf einmal Frater Piccolo in den Weg mit der Frage, wo er wohl den Kapitaen finden koennte? Ich forschte ihn aus, zu welchem Zwecke er wohl den Kapitaen suche, und er sagte mir ohne Umschweife, dass er ihm von dem Kardinal einen Schuldschein auf fuenftausend Scudi zu ueberreichen habe, die jener zwoelf Stunden nach Sicht bezahlen muesse. "Wertester Frater Piccolo," erwiderte ich ihm, "das sicherste ist, Ihr bemuehet Euch nach sechs Uhr in den Garten der Signora Campoco, welcher an der Tiber gelegen; dort werdet Ihr ihn finden, dafuer stehe ich Euch." Er dankte und ging weiter; dass er diese Nachricht dem Kardinal und vielleicht auch Donna Ines mitteilen werde, glaubte ich voraussehen zu duerfen. "Fuenftausend Scudi, zwoelf Stunden nach Sicht!" sagte ich zu mir. "Ich will doch sehen, wie er sich heraushilft!" Den armen Berliner traf ich sehr niedergeschlagen. Er schien zu fuehlen, dass seine Hoffnungen auf ewig zerstoert seien; doch nicht nur dies Gefuehl war es, was ihn ungluecklich machte, er fuerchtete, Luise werde nicht auf die Dauer gluecklich werden. "Dieser West!" rief er. "Ist es nicht immer wieder Leichtsinn, was ihn zu uns, zu ihr zurueckfuehrt! Wie leicht ist es moeglich, wenn einmal die Reue ueber ihn kommt, die Spanierin so ungluecklich gemacht zu haben--wie leicht ist es moeglich, dass er auch Luise wieder verlaesst!" Ja, dachte ich, und wenn erst das Wechselchen anlangt und er nicht zahlen kann, und wenn ihn Donna Ines mit den funkelnden Augen sucht und bei der Fremden findet, und wenn erst der Kardinal seine Kuenste anwendet! Die Schule der Verzweiflung hat er noch nicht ganz durch gemacht. Aber auch das Fraeulein, hoffe ich, wird jetzt auftauen und ihre Hilfe zu kleinen Teufeleien und Hoellenkuensten nehmen, und der gute Berliner soll wohl auch bekannter mit mir werden muessen! Wir gingen hinaus an die Tiber zum verhaengnisvollen Garten der Signora Campoco. Unterwegs sagte mir der junge Mann, das Fraeulein sei ihm unbegreiflich. Als er ihr die Nachricht gebracht, wie sich im Hause des Kapitaens auf einmal alles so sonderbar, wie durch eine hoehere Leitung, gefuegt habe, wie West nicht nur zur protestantischen Kirche zuruecktreten, sondern auch als reuiger Suender zu ihr zurueckkehren wolle, da sei, so sehr sie ihn zuvor angeklagt, ein seliges Laecheln auf ihren schoenen Zuegen aufgegangen. Sie habe geweint vor Freude, sie habe mit tausend Traenen ihre Tante dazu vermocht, uns in ihrem Garten zu empfangen. Und dennoch sei sie jetzt nicht mehr recht heiter; eine sonderbare Befangenheit, ein Zittern banger Erwartung habe sie befallen, sie habe ihm gestanden, dass sie der Gedanke an den Fluch ihres Vaters, wenn sie je die Gattin des Kapitaens werde, immer verfolge. Es sei, als liege eine schwarze Ahnung vor ihrer sonst so kindlich frohen Seele, als fuerchte sie, trotz der Rueckkehr des Geliebten dennoch nicht gluecklich zu werden. Unter den Klagen des Berliners, unter seinen Beschuldigungen gegen das weibliche Geschlecht hatten wir uns endlich dem Garten genaehert. Er lag, von Baeumen umgeben, wie ein Versteck der Liebe. Signora Campoco empfing uns mit ihren Huendlein aufs freundlichste; sie erzaehlte, dass sie das deutsche Geplauder der Versoehnten nicht mehr laenger hoeren koenne und zeigte uns eine Laube, wo wir sie finden wuerden. Erroetend, mit glaenzenden Augen, Verwirrung und Freude auf dem schoenen Gesicht, trat uns das Fraeulein entgegen. Der Kapitaen aber schien mir ernster, ja, es war mir, als muesste ich in seinen scheuen Blicken eine neue Schuld lesen, die er zu der alten gefuegt. Dem Berliner war wohl das schmerzlichste der feurige Dank, den ihm das schoene Maedchen fuer seine eifrigen Bemuehungen ausdrueckte. Sie umfing ihn, sie nannte ihn ihren treuesten Freund, sie bot ihm ihre Lippen, und er hat wohl nie so tief als in jenem Augenblicke gefuehlt, wie die hoechste Lust mit Schmerz sich paaren koenne. Mir, ich gestehe es, war diese Szene etwas langweilig; ich werde daher die naehere Beschreibung davon nicht in diese Memoiren eintragen, sondern als Surrogat eine Stelle aus Jean Pauls Flegeljahren einschieben, die den Leser weniger langweilen duerfte: "Selige Stunden, welche auf die Versoehnung der Menschen folgen! Die Liebe ist wieder bloede und jungfraeulich, der Geliebte neu und verklaert, das Herz feiert seinen Mai, und die Auferstandenen vom Schlachtfelde begreifen den vorigen, vergessenen Krieg nicht." So sagt dieser grosse Mensch, und er kann recht haben, aus Erfahrung; ich habe, seit sich der Himmel hinter mir geschlossen, nicht mehr geliebt, und mit der Versoehnung will es nicht recht gehen. Bei jener ganzen Szene ergoetzte ich, mich mehr an der Erwartung als an der Gegenwart. Wenn jetzt mit einem Male, dachte ich mir, Frater Piccolo durch die Baeume herbei kaeme, um seinen Wechsel honorieren zu lassen,--welche Angst, welcher Kummer bei dem Kapitaen, welch es Staunen, welcher Missmut bei dem Fraeulein! Ich dachte mir allerlei dergleichen Moeglichkeiten, waehrend die andern in suessem Geplauder mit vielen Worten nichts sagten--da hoerte ich auf einmal das Plaetschern von Rudern in der Tiber. Es war nach sechs Uhr es war die Stunde, um welche ich Frater Piccolo hierher bestellt hatte; wenn er es waere!-- Die Ruderschlaege wurden vernehmlicher, kamen naeher. Weder die Liebenden, noch der Berliner schienen es zu hoeren. Jetzt hoerte man nur noch das Rauschen des Flusses, die Barke musste sich in der Naehe ans Land gelegt haben. Die Hunde der Signora schlugen an, man hoerte Stimmen in der Ferne, es rauschte in den Baeumen, Schritte knisterten auf dem Sandweg des Gartens, ich sah mich um--Donna Ines und der Kardinal Rocco standen vor uns. Luise starrte einen Augenblick diese Menschen an, als sehe sie ein Gebild der Phantasie. Aber sie mochte sich des Kardinals aus einem schrecklichen Augenblick erinnern, sie schien den Zusammenhang zu begreifen, schien zu ahnen, wer Ines sei und sank lautlos zurueck, indem sie die schoenen Augen und das erbleichende Gesicht in den Haenden verbarg. Der Kapitaen hatte den Kommenden den Ruecken zugekehrt und sah also nicht sogleich die Ursache von Luisens Schrecken. Er drehte sich um, er begegnete zornspruehenden Blicken der Donna, die diese Gruppe musterte, er suchte vergeblich nach Worten; das Gefuehl seiner Schande, die Angst, die Verwirrung schnuerten ihm die Kehle zu. "Schaendlich!" hob Ines an. "So muss ich dich treffen? Bei deiner deutschen Buhlerin verweilst du und vergisst, was du deinem Weibe schuldig bist? Ehrvergessener! Statt meine Ehre, die du mir gestohlen, durch Treue zu ersetzen, statt mich zu entschaedigen fuer so grossen Jammer, dem ich mich um deinetwillen ausgesetzt habe, schwelgst du in den Armen einer andern?" "Folget uns, Kapitaen West!" sagte der Kardinal sehr strenge. "Es ist Euch nicht erlaubt, noch einen Augenblick hier zu verweilen. Die Barke wartet. Gebt der Donna Euren Arm und verlasset diese ketzerische Gesellschaft." "Du bleibst!" rief Luise, indem sie ihre schoenen Finger um seinen Arm schlang und sich gefasst und stolz aufrichtete. "Schicke diese Leute fort. Du hast ja noch soeben diese Abenteurerin verschworen. Du zauderst? Monsignore, ich weiss nicht, wer Ihnen das Recht gibt, in diesen Garten zu dringen; haben Sie die Guete, sich, mit dieser Dame zu entfernen." "Wer mir das Recht gibt, junge Ketzerin?" entgegnete Rocco. "Diese ehrwuerdige Frau Campoco; ich denke, ihr gehoert der Garten, und es wird sie nicht belaestigen, wenn wir hier verweilen." "Ich bitte um Euren Segen, Eminenz," sagte, sich tief verneigend, Signora Campoco; "wie moeget Ihr doch sprechen? Meinem geringen Garten ist heute Heil widerfahren! Denn heilige Gebeine wandeln darin umher!" "Nicht gezaudert, Kapitaen!" rief der Kardinal. "Werfet den Satan zurueck, der Euch wieder in den Klauen hat; folget uns, wohin die Pflicht Euch ruft!--Ha! Ihr zaudert noch immer, Verraeter? Soll ich," fuhr er mit hoehnischem Laecheln fort, "soll ich Euch etwa dies Papier vorzeigen? Kennet Ihr diese Unterschrift? Wie steht es mit den fuenftausend Scudi, verehrter Herr? Soll ich Euch durch die Wache abholen lassen?" "Fuenftausend Scudi?" unterbrach ihn der Berliner. "Ich leiste Buergschaft, Herr Kardinal, sichere Buergschaft"-- "Mitnichten!" antwortete er mit grosser Ruhe. "Ihr seid ein Ketzer; _haeretico non servanda fides_. Ihr koenntet leicht ebenso denken und mit der Buergschaft in die Weite gehen. Nein,--Piccolo! Sende einen der Schiffer in die Stadt; man solle die Wache holen." "Um Gottes willen, Otto! Was ist das?" rief Luise, indem ihr Traenen entstuerzten. "Du wirst dich doch nicht diesen Menschen so ganz uebergeben haben? O Herr? Nur eine Stunde gestattet Aufschub, mein ganzes Vermoegen soll Euer sein; mehr, viel mehr will ich Euch geben, als Ihr fordert"-- "Meinst du, schlechtes Geschoepf," fiel ihr die Spanierin in die Rede, "meinst du, es handle sich um Geld? Mir, mir hat er seine Seele verpfaendet; er hat mich gelockt aus den Taelern meiner Heimat, er hat mir ein langes seliges Leben in seinen Armen vorgespiegelt, er hat mich betrogen um diese Seligkeit; du--du hast mich betrogen, deutsche Dirne; aber siehe zu, wie du es einst vor den Heiligen verantworten kannst, dass du dem Weib den Gatten raubst, den Kindern, den armen Wuermern, den Vater!" "Ja, das ist dein Fluch, alter Vater!" sagte Luise, von tiefer Wehmut bewegt. "Das ist dein Fluch, wenn ich je die Seine wuerde; er nahte schnell! Ich haette dir ihn entrissen, unglueckliches Weib? Nein, so tief moechte ich nicht einmal dich verachten. Er kannte mich laengst, ehe er dich nur sah, und die Treue, die er dir schwur, hat er mir gebrochen!" "Von dieser Suende werden wir ihn absolvieren," sprach der Kardinal; "sie ist um so weniger drueckend fuer ihn, als Ihr selbst, Signora, mit einem andern, der hier neben sitzt, in Verhaeltnissen waret. Zaudere nicht mehr, folge uns! Bei den Gebeinen aller Heiligen, wenn du jetzt nicht folgst, wirst du sehen, was es heisst, den heiligen Vater zu verhoehnen!" Der Kapitaen war ein miserabler Suender. So wenig Kraft, so wenig Entschluss! Ich haette ihn in den Fluss werfen moegen; doch musste es zu einem Resultate kommen, drum schob ich schnell ein paar Worte ein: "Wie? Was ist das fuer ein Geschrei von Kindern?" rief ich erstaunt. "Es wird doch kein Unglueck geben?" "Ha, meine Kinder!" weinte die Spanierin. "O, weinet nur, ihr armen Kleinen! Der, der euch Vater sein sollte, hat Erz in seiner Brust. Ich gehe, ich werfe sie in die Tiber und mich mit ihnen; so ende ich ein Leben, das du, Verfluchter, vergiftetest!" Sie rief es und wollte nach der Tiber eilen; doch das Fraeulein fasste ihr Gewand; bleich zum Tod, mit halbgeschlossenen Augen fuehrte sie Donna Ines zu dem Kapitaen und stuerzte dann aus der Laube. Ich selbst war einige Augenblicke im Zweifel, ob sie nicht denselben Entschluss ausfuehren wolle, den die Donna fuer sich gefasst; doch der Weg, den sie einschlug, fuehrte tiefer in den Garten, und sie wollte nur diesem Jammer entgehen. Der Berliner aber lief ihr aengstlich nach, und als sich auch der Kapitaen losriss, ihr zu folgen, stuerzte die ganze Gesellschaft, der Kardinal, ich und Signora Campoco, in den Garten. Wir kamen zu ihnen, als eben Luise erschoepft und ohnmaechtig zusammensank. S. fing sie in seinen Armen auf und trug die teure Last nach einer Bank. Dort wollte ihn der Kapitaen verdraengen; er wollte vielleicht seinen Entschluss zeigen, nur ihr anzugehoeren; er glaubte heiligere Rechte an sie zu haben und entfernte den Arm des jungen Mannes, um den seinigen unterzuschieben. Doch dieser, ergriffen von Liebe und Schmerz, aufgeregt von der Szene, die wir gesehen, stiess den Kapitaen zurueck. "Fort mit dir!" rief er. "Gehe zu Pfaffen und Ehebrechern, zu Schurken deines Gelichters! Du hast deine Rolle kuenstlich gespielt; um diese Blume zu pfluecken, musstest du dich den Armen jenes hergelaufenen Weibe noch einmal entreissen, Hinweg mit dir, du Ehrloser!" "Was sprechen Sie da?" schrie der Kapitaen schaeumend, es mochte in der Rede des jungen Mannes etwas liegen, was als Wahrheit um so beissender war. "Welche Absichten legen Sie mir unter? Was haette ich getan? Erklaeren Sie sich deutlicher!" "Jetzt hast du Worte, Schurke; aber als dieser Engel zu dir flehte, da hatte deinen Mund die Schande verschlossen. Ruehre sie nicht an, oder ich schlage dich nieder!" "Das kann dir geschehen," entgegnete jener, und einem Blitze gleich fuhr er mit etwas Glaenzendem aus der Tasche nach der Brust des jungen Mannes.--In Spanien lernt man gut stossen. Der Berliner hatte einen Messerstich in der Brust und sank, ohne das Haupt der Geliebten zu lassen, in die Knie. "Jetzt wird der tapfere Hauptmann gewiss katholisch," war mein Gedanke, als das Herzblut des jungen Mannes hervorstroemte; "jetzt wird er sich bergen im Schosse der Kirche!" Und es schien so zu kommen. Denn willenlos liess, sich der Kapitaen von Ines und dem Kardinal wegfuehren, und die Barke stiess vom Lande. * * * * * Wenige Tage nach diesem Vorfall erschien jener glorreiche Tag, an welchem der Papst vor dem versammelten Volke mir, dem Teufel, alle Seelen der Ketzer uebermacht; ich habe zwar durch diese Anweisung noch nie eine erhalten und weiss nicht, ob Seine Heiligkeit falliert haben und nun auf der Himmelsboerse keine Geschaefte mehr machen, also wenig Einfluss auf das Steigen und Fallen der Seelen haben, oder ob vielleicht diese Verwuenschung nur zur Vermehrung der Ruehrung dient, um den Wirten und Gewerbsleuten in Rom auf versteckte Weise zu verstehen zu geben, dass sie sich kein Gewissen daraus machen sollen, die Beutel der Englaender, Schweden und Deutschen zu schroepf en, da ihre Seelen doch einmal verloren seien. An einem solchen Tage pflegt ganz Rom zusammenzustroemen, besonders die Weiber kommen gerne, um die Ketzer im Geiste abfahren zu sehen. Man draengt und schlaegt sich auf dem grossen Platz, man hascht nach dem Anblick des heiligen Vaters, und wenn er den heiligen Bannstrahl herabschleudert, durchzueckt ein maechtiges Gefuehl jedes Herz, und alle schlagen an die Brust und sprechen. "Wohl mir, dass ich nicht bin wie dieser einer." An diesem Tage aber hatte das Fest noch eine ganz besondere Bedeutung; man sprach naemlich in allen Zirkeln, in allen Kaffeehaeusern, auf allen Strassen davon, dass ein beruehmter, tapferer ketzerischer Offizier an diesem Tage sich taufen lassen wolle. Dieser Offizier machte seine Grade erstaunlich schnell durch. Am Montag hiess es, er sei Kapitaen, am Dienstag, er sei Major, am Mittwoch war er Obrist, und wenn man am Donnerstag fruehe ein schoenes Kind auf der Strasse anhielt, um zu fragen, wohin es so schnell laufe, konnte man auf die Antwort rechnen: "Ei, wisset Ihr nicht, dass zur Ehre Gottes ein General der Ketzer sich taufen laesst und ein guter Christ wird wie ich und Ihr?" Wer der beruehmte Taeufling war, werden die Leser meiner Memoiren leicht erraten. Endlich, endlich war er abgefallen! Sie hatten ihn wohl nach der Szene in Signoras Garten so lange und heftig mit Vorwuerfen, Bitten, Drohungen, Versprechungen und Traenen bestuermt, dass er einwilligte, besonders da er durch den Uebertritt nicht nur Absolution fuer seine Seele, was ihm uebrigens wenig helfen wird, sondern auch Schutz vor der Justiz bekam, die ihm schon nachzuspueren anfing, da der Berliner einige Tage zwischen Leben und Tod schwebte, und sein Gesandter auf strenge Ahndung des Mordes angetragen hatte. Ich stellte mich auf dem Platze so, dass der Zug mit dem Taeufling an mir vorueber kommen musste. Und sie nahten. Ein langer Zug von Moenchen, Priestern, Nonnen, andaechtigen Maennern und Frauen kam heran. Ihre halblaut gesprochenen Gebete rollten wie Orgelton durch die Luefte. Sie zogen im Kreis um den ungeheuern Platz, und jetzt wurden die Roemer um mich her aufmerksamer. "_Ecco, ecco lo_!" fluesterte es von allen Seiten; ich sah hin--in einem grauen Gewand, das Haupt mit Asche bestreut, ein Kruzifix in den gefalteten Haenden, nahte mit unsicheren Schritten der Kapitaen. Zwei Bischoefe in ihren violetten Talaren gingen vor ihm, und Chorknaben aller Art und Groesse folgten seinen Sch ritten. "Ein schoener Ketzer, bei St. Peter! Ein schmucker Mann!" hoerte ich die Weiber um mich her sagen. "Welch ein frommer Soldat!" "Wie freut man sich, wenn man sieht, wie dem Teufel eine Seele entrissen wird!"-- "Werden sie ihn vorher taufen oder nachher?" "Vorher," antwortete ein schoene schwarzlockiges Maedchen, "vorher; denn nachher verflucht der heilige Vater alle Ketzer, und da wuerde er ihn ja ewig verdammen und nachher segnen und taufen."-- "Ach, das verstehst du nicht," sagte ihr Vater, "der Papst kann alles, was er will, so oder so." "Nein, er kann nicht alles," erwiderte sie schelmisch laechelnd; "nicht alles!" "Was kann er denn nicht?" fragten die Umstehenden. "Er kann alles; was sollte er denn nicht koennen?" "Er kann nicht heiraten!" lachte sie; doch nicht so schnell folgt der Donner dem Blitz, als die schwere Hand des Vaters auf ihre Wange fiel. "Was? Du versuendigst dich, Maedchen?" schrie er. "Welche unheiligen Gedanken gibt dir der Teufel ein? Was geht es dich an, ob der Papst heiratet oder nicht? Dich nimmt er auf keinen Fall." Das Volk begann indes in die Peterskirche zu stroemen, und auch ich folgte dorthin. Es ist eine laecherlich materielle Idee, wenn die Menschen sich vorstellen, ich koenne in keine christliche Kirche kommen. So schreiben viele Leute C. M. B. (Caspar, Melchior, Balthasar) ueber ihre Tueren und glauben, die drei Koenige aus Morgenland werden sich bemuehen, ihre schlechte Huette gegen die Hexen zu schuetzen. Ich draengte mich so weit als moeglich vor, um die Zeremonien dieser Taufe recht zu sehen. Der tapfere Kapitaen hatte jetzt sein graues Gewand mit einem glaenzend weissen vertauscht und kniete unweit des Hochaltars. Kardinaele, Erzbischoefe, Bischoefe standen umher, der ungewisse Schein des Tages, vermischt mit dem Flackern der Lichter, der Kerzen, welche die Chorknaben hielten, umgab sie mit einem ehrwuerdigen Heiligenschein, der jedoch bei manchem wie Scheinheiligkeit aussah. Auf der andern Seite kniete unter vielen schoenen Frauen Donna Ines mit ihren Kindern. Sie war lockender und reizender als je, und wer Luise und ihr sanftes blaues Auge nicht gesehen hatte, konnte dem Taeufling verzeihen, dass er sich durch dieses schoene Weib und einen listigen Priester unter den Pantoffel St. Petri bringen liess. Neben mir stand eine schwarzverschleierte Dame. Sie stuetzte sich mit einer Hand an eine Saeule, und ich glaubte, sie waere ohne diese Hilfe auf den Marmorboden gesunken, denn sie zitterte beinahe krampfhaft. Der Schleier war zu dicht, als dass ich ihre Zuege erkennen konnte. Doch sagte mir eine Ahnung, wer es sein koennte. Jetzt erhoben die Priester den Gesang, er zog mit den blauen Woelkchen des arabischen Weihrauchs hinauf durch die Gewoelbe und berauschte die Sinne der Sterblichen, uebertaeubte ihre Seelen und riss sie hin zu einer Andacht, die sie zwar ueber das Irdische, aber auch ueber die ewigen Gesetze ihrer Vernunft hinwegfuehrt. Die Priester sangen. Jetzt fing der Taeufling an, sein Glaubensbekenntnis zu sprechen. "Er hat mich nie geliebt," seufzte die Dame an meiner Seite; "er hat auch dich nie geliebt, o Gott, verzeihe ihm diese Suende!" Er sprach weiter, er verfluchte den Glauben, in welchem er bisher gelebt. "Gib Frieden seiner Seele," fluesterte sie; "wir alle irren, so lange wir sterblich sind, vielleicht hat er den wahren Trost gefunden! Lass ihn Frieden finden, o Herr!" Da fingen die Priester wieder an zu singen. Ihre tiefen Toene drangen schneidend in das Herz der Dame. Jetzt wurde das Sakrament an ihm vollzogen; der Kardinal Rocco, im vollen Ornat seiner Wuerde, segnete ihn ein, und Donna Ines warf dem Getauften frohlockende Gruesse zu. "Vater, lass ihm mein Bild nie erscheinen," betete die Dame an meiner Seite, "dass nie der Stachel der Reue ihn quaele! Lass ihn gluecklich werden!" Und mit dem Pomp des heiligen Triumphs schloss die Taufe, und der Kapitaen stand auf, zwar als ein so grosser Suender wie zuvor, doch als ein rechtglaeubiger katholischer Christ. Das Volk draengte sich herzu und drueckte seine Haende, und Donna Ines fuehrte ihm mit holdem Laecheln ihre Kinder zu. Aber noch war die Szene nicht zu Ende. Kardinal Luighi fuehrte den Getauften an die Stuf en des Altars, stieg die heiligen Stufen hinan und las die Messe. Die Dame im schwarzen Schleier zitterte heftiger, als sie dies alles sah; ihre Knie fingen an zu wanken. "Wer Ihr auch seid, mein Herr," fluesterte sie mir ploetzlich zu, "seid so barmherzig und fuehrt mich aus der Kirche; ich fuehle mich sehr unwohl." Ich gab ihr meinen Arm, und die frommste Seele in St. Peters weiten Hallen ging hinweg, begleitet vom Teufel. Auf dem Platze vor der Peterskirche deutete sie schweigend auf eine Equipage, die unfern hielt. Ich fuehrte sie dorthin, ich oeffnete ihr den Schlag und bot ihr die Hand zum Einsteigen. Sie schlug den dunklen Schleier zurueck; es war, wie ich mir gesagt hatte, es waren die bleichen, schoenen Zuege Luisens. "Ich danke, Herr!" sagte sie. "Ihr habt mir einen grossen Dienst erwiesen." Noch zitterte ihre Hand in der meinigen, ihre schoenen Augen wandten sich noch einmal nach St. Peter und fuellten sich dann mit einer Traene. Aber schnell schlug sie den Schleier nieder und schluepfte in den Wagen; die Pferde zogen an, ich habe sie--nie wieder gesehen. * * * * * Eine wichtige Angelegenheit, die wankende Sache der hohen Pforte, welcher ich immer besondere Aufmerksamkeit geschenkt habe, rief mich an diesem Tage nach ...., wo ich mit einem beruehmten Staatsmann eine Konferenz halten musste. Man kennt die Zuneigung dieses erlauchten Wesirs eines christlichen Potentaten zum Halbmond; und ich hatte nicht erst noetig, ihn zu ueberzeugen, dass die Tuerken seine natuerlichen Alliierten seien. Von .... eilte ich zurueck nach Rom. Ich gestehe, ich war begierig, wie sich die Verhaeltnisse loesen wuerden, in welche ich verflochten war und die mir durch einige Situationen so interessant geworden waren. Der erste, den ich unter der Porta del Popolo traf, war der deutsche Kaufmann. Er sass in einem schoenen Wagen und hatte, wie es schien, Streit mit einigen paepstlichen Polizeisoldaten. Ich trat als Stobelberg zu ihm. "Lieber Bruder," sagte ich, "es scheint, du willst Sodom verlassen gleich dem frommen Lot?" "Ja, fliehen will ich aus dieser Staette des Satan," war seine Antwort; "und hier laesst mich der Drache auf dem Stuhl des Lammes noch einmal anhalten, aus Zorn, weil ich einen seiner Baalspfaffen im Christentume unterweisen wollte." Ich sah hin und merkte jetzt erst die Ursache des Streites. Die Polizei hatte, ich weiss nicht aus welchem Grunde, den Wagen noch einmal untersucht. Da war man auf ein Kistchen gestossen und hatte den Pietisten gefragt, was es enthalte. "Geistliche Buecher," antwortete er. Man glaubte aber nicht, schloss auf, und siehe da, es war ein gutes Flaschenfutter, und die Polizeimaenner wollten wegen seines Betruges einige Scudi von ihm nehmen. "Aber, Bruder!" sagte ich zu ihm. "Eine fromme Seele sollte nach nichts duersten als nach dem Tau des Himmels, nach nichts hungern als nach dem Manna des Wortes, und doch fuehrst du ein Dutzend Flaschen mit dir, und hier liegt ein ganzer Pack Salamiwuerste? Pfui, Bruder, heisst es nicht: 'Was werden wir essen, was werden wir trinken, nach dem allem fragen die Heiden?'" "Bruder," erwiderte jener und drehte die Augen gen Himmel, "Bruder, bei dir muss es noch nicht voellig zum Durchbruch gekommen sein, dass du einem Mann von so felsenfestem Glauben, dass du mir solche Fragen vorlegst. Gerade, dass ich nicht zu seufzen brauche: 'Was werden wir essen, was werden wir trinken, womit uns kleiden?' Gerade deswegen habe ich mir den neuen Rock hier gekauft, habe meinen Flaschenkeller gefuellt und diese aus Eselsfleisch bereiteten Wuerste gekauft; es geschah also aus reinem Glaubensdrang, und der Geist hat es mir eingegeben. Da, ihr lumpigen Soehne von Astaroth, ihr Brut des Basilisken, so auf dem Stuhl des Lammes sitzt und an seinen Klauen Pantoffeln fuehrt, da nehmet diesen hollaendischen Dukaten und lasset mir meine geistlichen Buecher in Ruhe!--So, nun lebe wohl, Bruder, der Geist komme ueber dich und staerke deinen Glauben!" Da fuhr er hin, und wieder werde ich in dem Glauben bestaerkt, dass diese christlichen Pharisaeer schlimmer sind als die Kinder der Welt. Ich ging weiter, den Korso hinab. Am unteren Ende der Strasse begegnete mir der Kardinal Rocco und Piccolo, sein Diener. Der Kardinal schien sehr krank zu sein; denn ganz gegen die Etikette trug ihm Piccolo nicht die Schleppe nach, sondern fuehrte ihn unter dem Arm, und dennoch wankte Rocco zuweilen hin und her. Sein Gesicht war rot und gluehend, seine Augen halb geschlossen, und der rote Hut sass ihm etwas schief auf dem Ohr. "Siehe da, ein bekanntes Gesicht!" rief er, als er mich sah, und blieb stehen. "Komm hierher, mein Sohn, und empfange den Segen. Haben wir uns nicht schon irgendwo gesehen?" "O ja, und ich, hoffe noch oefters das Vergnuegen zu haben; ich hatte die Ehre, Ew. Eminenz im Garten der Frau Campoco zu sehen." "Ja, ja! Ich erinnere mich, Ihr seid ein junger Ketzer; wisset Ihr, woher ich komme? Geradenwegs von dem Hochzeitsschmause des lieben Paares." Jetzt konnte ich mir die Krankheit des alten Herrn erklaeren; die spanischen Weine der Donna Ines waren ihm wohl zu stark gewesen, und Piccolo musste ihn jetzt fuehren. "Ihr waret wohl recht vergnuegt?" fragte ich ihn. "Es ist doch Euer Werk, dass die Donna den Kapitaen endlich doch noch ueberwunden hat?" "Das ist es, lieber Ketzer," sagte er, stolz laechelnd. "Mein Werk ist es; kommt, gehen wir noch ein paar hundert Schritte zusammen!--Was wollte ich sagen? Ja--mein Werk ist es; denn ohne mich haette die Donna gar keine Kunde von ihm bekommen. Ich schrieb ihr, dass er sich in Rom befinde. Ohne mich waere ihre fruehere Ehe nicht fuer ungueltig erklaert worden; ohne mich waere der Kapitaen nicht rechtglaeubig geworden, was zur Glorie unserer Kirche notwendig war; ohne mich waere er nicht von seiner Ketzerin losgekommen,--kurz, ohne mich--ja, ohne mich staende alles noch wie zuvor." "Es ist erstaunlich!" "Hoeret, Ihr gefallt mir, lieber Ketzer. Hoert einmal, werdet auch rechtglaeubig. Brauchet Ihr Geld? Koennet haben soviel Ihr wollt, gegen ein Reverschen, zahlbar gleich nach Sicht. O, damit kann man einen koestlich in Verlegenheit bringen. Brauchet Ihr eine schoene, frische, reiche Frau? Ich habe eine Nichte, Ihr sollt sie haben. Brauchet Ihr Ehren und Wuerden? Ich will Euch _pro primo_ den goldenen Sporenorden verschaffen. Es kann ihn zwar jeder Narr um einige Scudi kaufen--aber Ihr sollet ihn umsonst haben. Wollet Ihr in Eurer barbarischen Heimat grosse Ehrenstellen? Duerfet nur befehlen. Wir haben dort grossen Einfluss, geheim und oeffentlich. Na! was sagt Ihr dazu?" "Der Vorschlag ist nicht uebel," erwiderte ich. "Ihr seid nobel in Euern Versprechungen. Ich glaube, Ihr koenntet den Teufel selbst katholisch machen?" "_Anathema sit! anathema sit!_ Es waere uns uebrigens nicht schwer," antwortete der Kardinal. "Wir koennen ihn von seinen zweitausendjaehrigen Suenden absolvieren und dann taufen. Ueberdies ist er ein dummer Kerl, der Teufel, und hat sich von der Kirche noch immer ueberlisten lassen!" "Wisset Ihr das so gewiss?" "Das will ich meinen. Zum Beispiel, kennet Ihr die Geschichte, die er mit einem Franziskaner gehabt?" "Nein, ich bitte Euch, erzaehlet!" "Ein Franziskaner zankte sich einmal mit ihm wegen einer armen Seele. Der Teufel wollte sie durchaus haben und hatte allerdings nach dem Mass ihrer Suenden das Recht dazu. Der Moench aber wollte sie _in majorem dei gloriam_ fuer den Himmel zustutzen. Da schlug endlich der Satan vor, sie wollten wuerfeln; wer die meisten Augen mit drei Wuerfeln werfe, solle die Seele haben. Der Teufel warf zuerst, und, wie er ein falscher Spieler ist, warf er achtzehn; er lachte den Franziskaner aus. Doch dieser liess sich, nicht irre machen. Er nahm die Wuerfel und warf--neunzehn. Und die Seele war sein." "Herr, das ist erlogen," rief ich, "wie kann er mit drei Wuerfeln neunzehn werfen?" "Ei, wer fragt nach der Moeglichkeit? Genug, er hat's getan, es war ein Wunder. Nun, kommet morgen in mein Haus, lieber Sohn, wir wollen dann den Unterricht beginnen." Er gab mir den Segen und wankte weiter. "Nein, Freund Rocco!" dachte ich. "Eher bekomme ich dich als du mich. Von dir laesst sich der Satan nicht ueberlisten." Es trieb mich jetzt, nach dem Hause des Berliners zu gehen, den ich schwer verwundet verlassen hatte. Zu meiner grossen Verwunderung sagte man mir, er sei ausgegangen, und werde wohl vor Nacht nicht zurueckkehren. So musste ich den Gedanken aufgeben, heute noch zu erfahren, wie es ihm ergangen sei, wie das Fraeulein sich befinde, ob er wohl Hoffnung habe, jetzt, da der Kapitaen auf immer fuer sie verloren sei, sie fuer sich zu gewinnen. Es blieb mir keine Zeit, ihn heute noch zu sehen; denn den Abend ueber wusste ich ihn nicht zu finden, und auf die kommende Nacht hatte ich eine Zusammenkunft mit jenen kleineren Geistern verabredet, die als meine Diener die Welt durchstreifen. Ich trat zu diesem Zwecke, als die Nacht einbrach, ins Kolosseum; denn dies war der Ort, wohin ich sie beschieden hatte. Noch war die Stunde nicht da; aber ich liebe es, in der Stille der Nacht auf den Truemmern einer grossen Vorzeit meinen Gedanken ueber das Geschlecht der Sterblichen nachzuhaengen. Wie erhaben sind diese majestaetischen Truemmer in einer schoenen Mondnacht! Ich stieg hinab in den mittleren Raum. Aus dem blauen, unbewoelkten Himmel blickte der Mond durch die gebrochenen Woelbungen der Bogen herein, und die hohen ueberwachsenen Mauern der Ruine warfen lange Schatten ueber die Arena. Dunkle Gestalten schienen durch die verfallenen Gaenge zu schweben, wenn ein leiser Wind die Gestraeuche bewegte und ihren Schatten hin und wieder zog. Wo sie schwebten, diese Schatten, da sah man einst ein froehliches Volk, schoene Frauen, tapfere Maenner und die ernste, feierliche Pracht der kriegerischen Kaiser. Geschlecht um Geschlecht ist hinunter, diese Mauern allein ueberdauerten ihre Zeit, um durch ihre erhabenen Formen diese Sterblichen zu erinnern, wie unendlich groesser der Sinn jenes Volkes war, das einst ein Jahrtausend vor ihnen um diese Staette lebte. Die ernste Wuerde der Konsuln und des Senates, der kriegerische Prunk der Caesaren und--d i e s e r roemische Hof und d i e s e Roemer! Der Mond war, waehrend ich zu mir sprach, heraufgekommen und stand jetzt gerade ueber dem Zirkus. Ich sah mich um; da gewahrte ich, dass ich nicht allein in den Ruinen sei. Eine dunkle Gestalt sass seitwaerts auf dem gebrochenen Schaft einer Saeule. Ich trat naeher hin,--es war Otto von S..... Ich war freudig erstaunt, ihn zu sehen. Ich warf mich schnell in den Herrn von Stobelberg, um mit ihm zu sprechen. Ich redete ihn an und wuenschte ihm Glueck, ihn so gesund zu sehen. Er richtete sich auf; der Mond beschien ein sehr bleiches Gesicht, weinende Augen blickten mich wehmuetig an, schweigend sank er an meine Brust. "Sie scheinen noch nicht ganz geheilt, Lieber!" sagte ich. "Sie sind noch sehr bleich; die Nachtluft wird Ihnen schaden!" Er verneinte es mit dem Haupt, ohne zu sprechen. Was war doch dem armen Jungen geschehen, hatte er wohl von neuem einen Korb bekommen? "Nun, ein Mittel gibt es wohl, Sie gaenzlich zu heilen," fuhr ich fort. "Jetzt steht Ihnen ja nichts mehr im Wege, jetzt wird sie hoffentlich so sproede nicht mehr sein. Ich will den Brautwerber machen. Sie muessen Mut fassen, Luise wird Sie erhoeren, und dann ziehen Sie mit ihr aus dieser ungluecklichen Stadt, fuehren sie nach Berlin zu der Tante. Wie werden sich die aesthetischen Damen wundern, wenn Sie Ihre Novelle auf diese Art schliessen und die holde Erscheinung aus den Lamentationen persoenlich einfuehren!" Er schwieg, er weinte stille. "Oder wie! Haben Sie etwa den Versuch schon gemacht? Sollten Sie abgewiesen worden sein? Will sie die Rolle der Sproeden fortspielen?" "Sie ist tot!" antwortete der junge Mann. "Ist's moeglich! Hoere ich recht? So ploetzlich ist sie gestorben?" "Der Gram hat ihr Herz gebrochen. Heute hat man sie begraben." Er sagte es, drueckte mir die Hand, und einsam weinend ging er durch die Ruinen des Kolosseums. * * * * * *** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK, MITTEILUNGEN AUS DEN MEMOIREN DES SATAN V2 *** This file should be named 7msv210.txt or 7msv210.zip Corrected EDITIONS of our eBooks get a new NUMBER, 7msv211.txt VERSIONS based on separate sources get new LETTER, 7msv210a.txt Project Gutenberg eBooks are often created from several printed editions, all of which are confirmed as Public Domain in the US unless a copyright notice is included. Thus, we usually do not keep eBooks in compliance with any particular paper edition. We are now trying to release all our eBooks one year in advance of the official release dates, leaving time for better editing. Please be encouraged to tell us about any error or corrections, even years after the official publication date. Please note neither this listing nor its contents are final til midnight of the last day of the month of any such announcement. The official release date of all Project Gutenberg eBooks is at Midnight, Central Time, of the last day of the stated month. A preliminary version may often be posted for suggestion, comment and editing by those who wish to do so. Most people start at our Web sites at: http://gutenberg.net or http://promo.net/pg These Web sites include award-winning information about Project Gutenberg, including how to donate, how to help produce our new eBooks, and how to subscribe to our email newsletter (free!). Those of you who want to download any eBook before announcement can get to them as follows, and just download by date. This is also a good way to get them instantly upon announcement, as the indexes our cataloguers produce obviously take a while after an announcement goes out in the Project Gutenberg Newsletter. http://www.ibiblio.org/gutenberg/etext04 or ftp://ftp.ibiblio.org/pub/docs/books/gutenberg/etext04 Or /etext03, 02, 01, 00, 99, 98, 97, 96, 95, 94, 93, 92, 92, 91 or 90 Just search by the first five letters of the filename you want, as it appears in our Newsletters. Information about Project Gutenberg (one page) We produce about two million dollars for each hour we work. The time it takes us, a rather conservative estimate, is fifty hours to get any eBook selected, entered, proofread, edited, copyright searched and analyzed, the copyright letters written, etc. Our projected audience is one hundred million readers. If the value per text is nominally estimated at one dollar then we produce $2 million dollars per hour in 2002 as we release over 100 new text files per month: 1240 more eBooks in 2001 for a total of 4000+ We are already on our way to trying for 2000 more eBooks in 2002 If they reach just 1-2% of the world's population then the total will reach over half a trillion eBooks given away by year's end. The Goal of Project Gutenberg is to Give Away 1 Trillion eBooks! This is ten thousand titles each to one hundred million readers, which is only about 4% of the present number of computer users. Here is the briefest record of our progress (* means estimated): eBooks Year Month 1 1971 July 10 1991 January 100 1994 January 1000 1997 August 1500 1998 October 2000 1999 December 2500 2000 December 3000 2001 November 4000 2001 October/November 6000 2002 December* 9000 2003 November* 10000 2004 January* The Project Gutenberg Literary Archive Foundation has been created to secure a future for Project Gutenberg into the next millennium. We need your donations more than ever! As of February, 2002, contributions are being solicited from people and organizations in: Alabama, Alaska, Arkansas, Connecticut, Delaware, District of Columbia, Florida, Georgia, Hawaii, Illinois, Indiana, Iowa, Kansas, Kentucky, Louisiana, Maine, Massachusetts, Michigan, Mississippi, Missouri, Montana, Nebraska, Nevada, New Hampshire, New Jersey, New Mexico, New York, North Carolina, Ohio, Oklahoma, Oregon, Pennsylvania, Rhode Island, South Carolina, South Dakota, Tennessee, Texas, Utah, Vermont, Virginia, Washington, West Virginia, Wisconsin, and Wyoming. We have filed in all 50 states now, but these are the only ones that have responded. As the requirements for other states are met, additions to this list will be made and fund raising will begin in the additional states. Please feel free to ask to check the status of your state. In answer to various questions we have received on this: We are constantly working on finishing the paperwork to legally request donations in all 50 states. If your state is not listed and you would like to know if we have added it since the list you have, just ask. While we cannot solicit donations from people in states where we are not yet registered, we know of no prohibition against accepting donations from donors in these states who approach us with an offer to donate. International donations are accepted, but we don't know ANYTHING about how to make them tax-deductible, or even if they CAN be made deductible, and don't have the staff to handle it even if there are ways. Donations by check or money order may be sent to: Project Gutenberg Literary Archive Foundation PMB 113 1739 University Ave. Oxford, MS 38655-4109 Contact us if you want to arrange for a wire transfer or payment method other than by check or money order. The Project Gutenberg Literary Archive Foundation has been approved by the US Internal Revenue Service as a 501(c)(3) organization with EIN [Employee Identification Number] 64-622154. Donations are tax-deductible to the maximum extent permitted by law. As fund-raising requirements for other states are met, additions to this list will be made and fund-raising will begin in the additional states. We need your donations more than ever! You can get up to date donation information online at: http://www.gutenberg.net/donation.html *** If you can't reach Project Gutenberg, you can always email directly to: Michael S. Hart Prof. Hart will answer or forward your message. We would prefer to send you information by email. **The Legal Small Print** (Three Pages) ***START**THE SMALL PRINT!**FOR PUBLIC DOMAIN EBOOKS**START*** Why is this "Small Print!" statement here? You know: lawyers. They tell us you might sue us if there is something wrong with your copy of this eBook, even if you got it for free from someone other than us, and even if what's wrong is not our fault. So, among other things, this "Small Print!" statement disclaims most of our liability to you. It also tells you how you may distribute copies of this eBook if you want to. *BEFORE!* YOU USE OR READ THIS EBOOK By using or reading any part of this PROJECT GUTENBERG-tm eBook, you indicate that you understand, agree to and accept this "Small Print!" statement. If you do not, you can receive a refund of the money (if any) you paid for this eBook by sending a request within 30 days of receiving it to the person you got it from. If you received this eBook on a physical medium (such as a disk), you must return it with your request. ABOUT PROJECT GUTENBERG-TM EBOOKS This PROJECT GUTENBERG-tm eBook, like most PROJECT GUTENBERG-tm eBooks, is a "public domain" work distributed by Professor Michael S. Hart through the Project Gutenberg Association (the "Project"). Among other things, this means that no one owns a United States copyright on or for this work, so the Project (and you!) can copy and distribute it in the United States without permission and without paying copyright royalties. Special rules, set forth below, apply if you wish to copy and distribute this eBook under the "PROJECT GUTENBERG" trademark. Please do not use the "PROJECT GUTENBERG" trademark to market any commercial products without permission. To create these eBooks, the Project expends considerable efforts to identify, transcribe and proofread public domain works. Despite these efforts, the Project's eBooks and any medium they may be on may contain "Defects". Among other things, Defects may take the form of incomplete, inaccurate or corrupt data, transcription errors, a copyright or other intellectual property infringement, a defective or damaged disk or other eBook medium, a computer virus, or computer codes that damage or cannot be read by your equipment. LIMITED WARRANTY; DISCLAIMER OF DAMAGES But for the "Right of Replacement or Refund" described below, [1] Michael Hart and the Foundation (and any other party you may receive this eBook from as a PROJECT GUTENBERG-tm eBook) disclaims all liability to you for damages, costs and expenses, including legal fees, and [2] YOU HAVE NO REMEDIES FOR NEGLIGENCE OR UNDER STRICT LIABILITY, OR FOR BREACH OF WARRANTY OR CONTRACT, INCLUDING BUT NOT LIMITED TO INDIRECT, CONSEQUENTIAL, PUNITIVE OR INCIDENTAL DAMAGES, EVEN IF YOU GIVE NOTICE OF THE POSSIBILITY OF SUCH DAMAGES. If you discover a Defect in this eBook within 90 days of receiving it, you can receive a refund of the money (if any) you paid for it by sending an explanatory note within that time to the person you received it from. If you received it on a physical medium, you must return it with your note, and such person may choose to alternatively give you a replacement copy. If you received it electronically, such person may choose to alternatively give you a second opportunity to receive it electronically. THIS EBOOK IS OTHERWISE PROVIDED TO YOU "AS-IS". NO OTHER WARRANTIES OF ANY KIND, EXPRESS OR IMPLIED, ARE MADE TO YOU AS TO THE EBOOK OR ANY MEDIUM IT MAY BE ON, INCLUDING BUT NOT LIMITED TO WARRANTIES OF MERCHANTABILITY OR FITNESS FOR A PARTICULAR PURPOSE. Some states do not allow disclaimers of implied warranties or the exclusion or limitation of consequential damages, so the above disclaimers and exclusions may not apply to you, and you may have other legal rights. INDEMNITY You will indemnify and hold Michael Hart, the Foundation, and its trustees and agents, and any volunteers associated with the production and distribution of Project Gutenberg-tm texts harmless, from all liability, cost and expense, including legal fees, that arise directly or indirectly from any of the following that you do or cause: [1] distribution of this eBook, [2] alteration, modification, or addition to the eBook, or [3] any Defect. DISTRIBUTION UNDER "PROJECT GUTENBERG-tm" You may distribute copies of this eBook electronically, or by disk, book or any other medium if you either delete this "Small Print!" and all other references to Project Gutenberg, or: [1] Only give exact copies of it. Among other things, this requires that you do not remove, alter or modify the eBook or this "small print!" statement. You may however, if you wish, distribute this eBook in machine readable binary, compressed, mark-up, or proprietary form, including any form resulting from conversion by word processing or hypertext software, but only so long as *EITHER*: [*] The eBook, when displayed, is clearly readable, and does *not* contain characters other than those intended by the author of the work, although tilde (~), asterisk (*) and underline (_) characters may be used to convey punctuation intended by the author, and additional characters may be used to indicate hypertext links; OR [*] The eBook may be readily converted by the reader at no expense into plain ASCII, EBCDIC or equivalent form by the program that displays the eBook (as is the case, for instance, with most word processors); OR [*] You provide, or agree to also provide on request at no additional cost, fee or expense, a copy of the eBook in its original plain ASCII form (or in EBCDIC or other equivalent proprietary form). [2] Honor the eBook refund and replacement provisions of this "Small Print!" statement. [3] Pay a trademark license fee to the Foundation of 20% of the gross profits you derive calculated using the method you already use to calculate your applicable taxes. If you don't derive profits, no royalty is due. Royalties are payable to "Project Gutenberg Literary Archive Foundation" the 60 days following each date you prepare (or were legally required to prepare) your annual (or equivalent periodic) tax return. Please contact us beforehand to let us know your plans and to work out the details. WHAT IF YOU *WANT* TO SEND MONEY EVEN IF YOU DON'T HAVE TO? Project Gutenberg is dedicated to increasing the number of public domain and licensed works that can be freely distributed in machine readable form. The Project gratefully accepts contributions of money, time, public domain materials, or royalty free copyright licenses. Money should be paid to the: "Project Gutenberg Literary Archive Foundation." If you are interested in contributing scanning equipment or software or other items, please contact Michael Hart at: hart@pobox.com [Portions of this eBook's header and trailer may be reprinted only when distributed free of all fees. Copyright (C) 2001, 2002 by Michael S. Hart. Project Gutenberg is a TradeMark and may not be used in any sales of Project Gutenberg eBooks or other materials be they hardware or software or any other related product without express permission.] *END THE SMALL PRINT! FOR PUBLIC DOMAIN EBOOKS*Ver.02/11/02*END*