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Kasimir Edschmid

Die Engel mit dem Spleen

Mit Steinzeichnungen
von
Robert Genin

Hans Heinrich Tillgner Verlag
Berlin 1923

Copyright 1923 by Hans Heinrich Tillgner Verlag in Berlin

Die Engel mit dem Spleen

Ich warne unbefangene Leute, sich in diese Geschichte einzulassen, die sich aus Kriminalitäten und Unwahrscheinlichkeiten zusammensetzt und vielleicht nicht einmal zeitgemäß scheint. Es werden in ihr die Menschen weder verdorben noch zu jenen dekorativen Läuterungen aufgerufen, mit denen der dichtende Schwert-Adel heute seine Unvollkommenheit zu echter Männlichkeit behängt. Man wird die Bürger darin am Leben gelassen und die Arbeiter nicht mit Verbeugungen bedacht finden und weder um Generäle noch um Kapitäne der Kohle jenes Wesen gemacht sehen, das nicht ihnen, sondern der Geschichte zukommt.

Man wird eine lächerlich phantastische Angelegenheit hinzunehmen haben, die vielleicht nicht einmal gut erzählt ist, weil sie des Nachts statt in einem Eisenbahnabteil in einer abscheulichen Landkutsche erzählt wurde, die zu heftig nach Apfelsinen und Zigaretten roch, um nicht Kopfschmerzen zu machen. Ich klage den Chef der Bahnen nicht an, daß unser Jahrhundert zerrüttet ist, vielmehr versuche ich für den Leser die Verbindung zu einer Zeit herzustellen, wo die Launen der Menschen noch stichhaltigere Werte waren wie heute ihre Verzweiflung. Man wird gewiß heute einen Mord ebenso zu kaufen bekommen wie eine verbotene Banknote, aber der Hunger und die Geschäfte der Börse werden die Erinnerung daran zerstört haben, daß es Zeiten gab, die so unmenschlich vollendet schienen, daß es Genies bedurfte, um sich jene Anregungen der Herzen zu verschaffen, die man Leidenschaften heißt.

Sie sind billig wie die Äpfel geworden und nichts erscheint heute im neunten Jahr des Dreißigjährigen Krieges, den die Herren Creusot und Stinnes, oder wie ihre Nachfolger heißen werden, sich liefern, um die lothringischen Erze zum Ruhrkoks oder den Ruhrkoks zu den lothringischen Erzen zu bringen, nichts scheint bewunderswerter als ein kaltes Herz.

Diese Geschichte in der Tat, welche aus der mathematischen Sicherheit eines Zeitalters hinausführt, von dem uns erst zehn Jahre zu trennen scheinen, das uns aber legendär wie ein Roman Jules Vernes erscheinen will, hat die fatale Absicht, sich in Gegenden zu verirren, die heute an der Tagesordnung, früher kaum in Romanen sichtbar waren. Ich fürchte, man wird mit phantastischen Darstellungen langweilen oder sich stets dann lächerlich machen, wenn die Gegenwart die unglaubhafteste Phantasie selbst ist.

Ohne Zweifel wäre es richtiger, nur engelhafte Wesen in dieser Zeit darzustellen, wo Frauen uns dadurch entwürdigt werden, daß wir sie bei allen jenen abscheulichen Maschinen an die Arbeit geschmiedet finden, die das letzte Jahrhundert zu erfinden die Bosheit hatte, und daß wir kaum erschrecken, wenn wir sie mit den Wahlzetteln in der Hand auf dem Weg finden, unsere Schicksale, den Staat, ja sogar die Führung der Kriege und Grausamkeiten zu beeinflussen.

Einer derart barbarisch verwilderten Zeit gehörten Frauenbilder, die wie in Walter-Scott-Romanen jene Anmut hätten, deren Anblick allein vergöttlichte Gedanken hervorruft. Die wahre Literatur hat immer nur Frauen dargestellt, die uns beglücken und die Herzen wie beim Anblick einer hinreißend süßen Natur erheben sollen oder solche, die sich durch das Böse, das sich in ihrer Schönheit, wenn es einmal in sie eingedrungen ist, nur um so verhängnisvoller auswirkt, zu unserer Vernichtung verschworen haben.

Die Sitten der Nationen waren immer von solcher Haltung, daß sie, sofern sie die Frauen nicht die Äcker bebauen ließen, ihnen jedenfalls die Freiheit nahmen, in jenem Sinne frei zu sein, der für eine Frau den Untergang bedeuten muß. Eine Frau darf nicht über jene Schwelle treten, wo sie das Geheimnis ihrer erhabensten Wirkung verlieren muß.

Eine Frau, die einer tragischen Schuld unterliegt, und jene Mädchen, welche mit den herrlichsten Gedanken der Sehnsucht auf den Lippen sterben, sind immer von dem verehrungsvollen Zauber verhüllt, den die männliche Gesellschaft bei den Frauen als ein Erbteil des Rittertums anbetet, welches seine Stärke demütig zu machen suchte, wo es jene wundervolle Schwäche fand, welche Frauen so unermeßlich erhebt. Die Literatur täte gut daran, wo heute die einen Frauen leiden, weil sie ihre Angehörigen auf den Schlachtfeldern getötet sehen oder die anderen in den Fabriken sie um die Sonne geschunden oder die meisten sie am Hunger zu Grunde gehen sehen, nur Frauen von einer unermeßlichen Lichtkraft darzustellen, deren Anblick allein erhebt.

Allein, wo die Furien der sozialen Aufklärung oder die Agentinnen der kriegerischen Verhetzung durch die Straßen jagen und dafür noch sich bezahlen lassen, scheint es nicht weniger für die Entdeckung der Geographie des menschlichen Herzens bedeutsam, einen Heroismus in der Literatur wieder darzustellen, der aus Spielerei und Spleen sich entfaltete und dabei keineswegs geringer an Freude und Schmerzen zugeteilt bekam als andere. Die Zeiten jener unbeschreiblichen Leidenschaft, welche Nonnen und Krieger, oder Arme und Adlige, sich verbluten ließ, sind verschwunden in dem Augenblick, wo man der Frau als sichtbarsten Fortschritt die Erlaubnis gab, sich der Freiheit des Mannes zu bedienen, und damit die Frauen vernichtete. Die Frauen mußten in einer Freiheit zerstört werden, die sie zu albernen Karrikaturen der Männer erniedrigte oder ihnen jenen zarten Reiz nahm, der sie manchmal himmlisch wirken ließ und der in ihrer Unfähigkeit, auf sich selbst gestellt zu leben, bestand.

Indem man den Frauen die Brutalität gab, sich Eisenbahnplätze vor dem Mann zu erobern oder ihn auf dem Motorrad zu überholen, tat man das gleiche, wie wenn man den Engeln Grünewalds Revolver oder den Jungfrauen Holbeins Strümpfe in die Hand gegeben hätte, man tötete sie. Man vernichtete die Leidenschaften und gab unruhvollen Herzen auf, sich Rebusse zu erfinden, um die Welt in ihren Widersprüchen bis zu jener Tollheit zu erleben, die manchmal mit dem Tod bezahlt wurde aber unvergeßlich war.

Es ist selbstverständlich, daß man derartige Launen heute leicht wie Capricen auffaßt und darin eher eine dumme Koketterie als eine Leidenschaft erblicken will. Ohne Zweifel war vor einem Dezennium, als die kriegerischen Wölfe noch in den Höhlen Europas schliefen, jene Laune einer Frau nur ihr unbewußter Drang zu einer Übertreibung des Gefühls, durch die es erst unsterblich wird. Es ist aber genau so ungeheuer offensichtlich, daß diejenige Frau, die sich soweit gegen die Gesetze ihres Schicksals und der Zeit stellte, vernichtet werden mußte.

Die Literatur kennt viele Beispiele, daß ein Dichter Vorwürfe wählt, die aus einem Leben von Höhepunkten in eine grauenhafte Kriminalistik münden, oder die in Absonderlichkeiten enden, die wahnsinnig sind. Die Pole gesicherten Lebens scheinen die mystische Anziehungskraft der umstürmten Pole schicksalhaft zu spüren. Es ist bekannt, daß Balzac sich der Listen der Gerichte bediente, um edle Menschen in ihren abscheulichsten Paragraphen aufzuhenken. Die Romane Dostojewskis sind in der Regel Scheußlichkeiten des täglichen Lebens, die ein Genie mit einem bewundernswerten Grad von Reichtum beschenkte, der sie über das Menschliche erhob. Stendhal mußte in der Kartause von Parma zeigen, daß in den erhabensten Seelen Mörderbanden steckten, die sich entfalteten, wenn die geringste Leidenschaft ihnen die Besinnung nahm, und welch unbeschreiblich edle Herzen hat er geschildert! Stiege man in die Jahrhunderte hinunter, wäre von Iweins Fahrten bis zu den Jünglingen im Feuerofen, von Muspilli bis zum Kastellan von Coucy, von Rabelais bis zu den beispiellosen Epen Krestien von Troies der Gleichklang von Adeligkeit und Verbrechen in einem Maße auffindbar, der sich fast über die gesamte Literatur erstreckte. Erinnert man sich nicht jener Prinzessin, die in der siebenjährigen Gefangenschaft ihres Turmes ihre Gefährtinnen verspeiste, um endlich erlöst zu werden, mit einem Lächeln, das die Unschuld der ganzen Welt auf ihre Stirne trieb?

Diese junge Frau, die mir gegenüber in einer nach Lysol und Zigaretten riechenden Arztkutsche saß, die, wie vom Teufel gejagt, über aufgepflügte Äcker sauste, weil durch irgendeine der Verwicklungen der ehrgeizigen östlichen Staaten die Bahnen eingestellt waren, hatte keinen anderen Wunsch, als von mir eine Erklärung gerade über diese Angelegenheiten des Herzens zu erfahren, nachdem sie die Torheit begangen hatte, mich in ihr Schicksal hineinschauen zu lassen. Man wird verstehen, warum ich, statt abzukürzen, so lange mich mit den Launen der Frauen beschäftige, weil dies in jener Zeit der Achtzehnjährigen, in der die Keime zu den Schicksalen der Menschheit von Dreißig heute gelegt wurden, tatsächlich die einzigen Möglichkeiten waren, Schicksale, die töten, zu erleben.

Die junge Frau war einer Puppe ähnlicher wie einer Dreißigjährigen und hatte, soweit man bei der unmöglichen Beleuchtung sehen konnte, die eigentlich nur aus der Gewöhnung des Auges an eine klassische Dunkelheit bestand, eine tiefe Melancholie über ihr Gesicht gleiten lassen, hinter der man die Spuren von Tränen zu sehen glaubte, die zu oft geflossen waren, um sich wiederholen zu können. Der Schmerz schien diese Figur, die auch unter dem fürchterlichen Tempo eines Wagens, der keine Federung besaß und querfeldein sprang, eine bemerkenswerte Elastizität zeigte, förmlich verstrickt zu haben.

Das Leben dieser jungen Frau war in einem Maße von ihm infiziert, daß sie gar nicht daran dachte, aufzuhören, über ihr Schicksal nachzudenken. Sie hatte sich ihm nicht ergeben, obwohl der Schmerz in einer fürchterlichen Form Gewalt über sie erlangt hatte. Die Art, wie sie von ihrem Leben sprach, bewies die Glut, mit der sie es erhofft hatte und die Enttäuschung, die sie mit gleicher Größe überrumpelt hatte und mit der sie sich noch auseinandersetzte.

Sie hatte, kurz, in einem wahnsinnigen Schicksal noch die Kraft, es abzuleugnen oder vielmehr nach seinem Sinn zu suchen, weil, wenn sie es anerkennen und sich die Schuld zuschreiben müßte, sie sofort daran zu Grunde gehen würde.

Das gab ihrer Haltung eine merkwürdige Eleganz, eine Süßigkeit der Bewegungen, die vom Tod gelähmt aber von einer wundervollen Energie noch gehalten wurden. Ihr Körper hatte eine Lässigkeit, die Frauen oft besitzen, denen der Sport einmal eine Beherrschung aller Muskeln geschenkt hat, die sie nun besitzen, aber nicht mehr auszuüben vermögen. Es war nicht möglich, ihren Kopf, der mit dem matten Schein einer fremden Blume aus dem Pelz herauskam, in der Beleuchtung zu sehen, man vermochte ihn aber mit seinen blassen Lippen, den etwas schrägen aber mandelgroßen hellblauen Augen und der Stirn, die an den Schläfen eigensinnig nach vorn gewölbt war, irgendwo zu vermuten, obgleich man, wenn sie sprach, bemerkte, daß man ihn vorher an einem falschen Platz geglaubt hatte. Der Kopf besaß also die Einprägsamkeit, daß man ihn deutlich körperlich wahrnahm, selbst, wenn er unsichtbar war, was für seinen Reiz sprach. Der Charme des Kopfes lag wohl mehr in jenem Teil, wo die Stirnwurzeln über dem Nasenbogen sitzen und wo die Erlebnisse dem Kopf die Charakternoten geben, als in dem Mund, der von Entsagungen nichts zu wissen schien, ja einen fast leblosen Eindruck machte. Die Glut, die diesen Kopf hinter den Augen bewohnte, war die des Untergangs und nicht der Reiz der Zukunft.

Es war offensichtlich, daß diese Frau nach etwas nur hungerte und das war, daß man sie tröstete, indem man ihr Leben bejahte.

Für den Mann, der das Leben jeder Frau nur mit seinem eigenen vergleichen und nur nach dem Weg seines eigenen beurteilen kann, wenn es wie der Mond dieses begleitet und ihm daher untertan war, ist nicht in der Lage, dies zu tun. Eine Frau wird kein Glück haben, wenn sie die Lebenskurve einen Mann prüfen läßt, der darin nichts erkennt als seine eigenen Bewegungen, seine eigene Freiheit, alle jene Torheiten, aber Bestimmungen seiner Männlichkeit, die nun einmal zu einer Frau nicht gehören.

Er kann den harten Stahl, die scharfe Linie, die Exponiertheit eines weiblichen Daseins nicht ertragen, das ihm verwildert, entzaubert, geschändet vorkommt; er kann es nicht anders sehen wie eine Frau, die ihm in seinen eigenen Kleidern entgegentritt. Der Mann hat ein tiefes und unerschütterliches Gefühl der Zuneigung zu jedem weiblichen Schicksal, das sich im Glanz der weiblichen Schwäche, die er als Stärke verehrt, vollzieht. Er will die Frau anbeten, aber sie nicht als Konkurrentin erblicken. Er vermag den Schein an ihr nur zu verstehen, der ihm in seinen dunklen Minuten von seiner eigenen Flamme entfacht von ihrer Stirn zurückscheint.

Er wird ein auf den Spuren der männlichen Energie abenteuerndes Frauenschicksal nur verehren, wenn es Spuren des schöpferischen Genius an sich trägt wie das der Dido, der Sappho, der Jeanne d’Arc, der Cortey, der Bettina, der Rahel, der Sand. Er wird diesen Frauen jenen äußersten Respekt der Verehrung in seinem Herzen einräumen, den er den großen Ausnahmen der Natur: Gewittern, Lawinen, Erdbeben, Vulkanen entgegenbringt. Er wird wissen, daß die Erscheinung dieser Frauen diesen wunderlichen Entladungen der Natur ähnlich und tödlich, jedenfalls unberechenbar aber toll aus Größe ist. Er wird sie anerkennen, aber als Frauen nicht begehren. Er wird ihnen ausweichen und sich vorlügen, daß ihr Leben ihn nichts angehe, wenn ihre Produkte nur das Siegel des Genius tragen, und wird versuchen, sich an die Werke zu halten, wobei er bei letzter Ehrlichkeit sogar hier noch widerstrebt.

Es gehört die Schwäche eines romantischen Zeitalters, die Melancholie Mussets, die Verzweiflung Constants dazu, sich herrischen Naturen wie der Sand und der Tochter Neckers in einer Liebe hinzugeben, die eine Tyrannei werden mußte und in unfruchtbarer Verzweiflung endete.

Frühere Epochen, die sich durch die Tugend einer Männlichkeit auszeichneten, die, sicher auf der Erdkugel stehend, das Gesicht selbstbewußt nach allen Seiten zu kehren wußte, haben einen Schlag Frauen verehrt, der ihnen wohl mit der Üppigkeit eines Rubens, mit der süßen Erscheinung der Lady Alice in schottischen Balladen, mit den visionären Überirdischkeiten eines Grünewald, den sanften Traumfiguren des Botticelli, den verstrickten zarten Klarheiten des Holbein als die wahrhaftigen Erfüllerinnen der tiefen Sehnsuchtsträume des Mannes erscheinen, und die, so verschieden sie kamen, mit schicksalstreuer Gewalt irgendwo mädchenhaft blieben. Sie hatten einen Hintergrund der Demut, die wohl eine Abart des Stolzes sein konnte, aber dann sicher immer nur der süße Trotz der Schwäche war.

Diese Hilflosigkeit kann der Mann verehren, sie kann ihm als das wundervollste aller begnadeten Dinge erscheinen, er kann sich in diesem unwahrscheinlichen, ja himmlischen Mysterium der Schwäche als der notwendige Ergänzer vorkommen, den die Vorsehung dazu bestimmte. Die Griechen, die in ihren Anfängen wohl Männer gewesen zu sein scheinen, haben vermutlich gewußt, warum, wer Diana sah, dem Tod verfallen, wer aber Aphrodite sah, gesegnet war.

Diese junge Frau, die mir gegenüber die Stöße des Wagens mit einer bemerkenswerten Ruhe ertrug, hatte die unverzeihliche Sünde begangen, die die Natur nie verzeiht, sich auf die Pfade des Mannes zu begeben und seine Freiheiten zu ihren zu machen, eine Sünde, die nur dadurch entschuldigt wird, daß sie die einzige Kühnheit einer Zeit war, die den Namen Hindenburg noch nicht kannte, nicht wußte, daß mit dem Namen eines Amerikaners, Wilson, sich die größten Enttäuschungen, mit denen des General Foch vollständige Änderungen in der Geographie der Nationen Europas einstellen würden. Aus den Klammern der Feiertage und Eisenbahnzeiten, der narrenhaften Versteifung der Gesellschaft, in der nur die Ränge, aber nicht die Bedeutungen entschieden, in einer Zeit, die cäsarisch angelegt aber mit den Methoden eines Warenhauses verwaltet war, aus dieser Zeit vermochten nur Capricen jener furchtbaren Art zu erlösen, die die Frau aus ihren gesellschaftlichen Banden heraus in Abenteuer gegen die erstarrte Gesellschaft trieb. Es war ein aufregendes Spiel, weil der gesellschaftliche Untergang stets das Atout war, mit dem gespielt wurde, und das dann Sieger bleiben mußte, wenn einen Herzschlag lang die Haltung nicht größer war als die Gefahr.

Ich will die Frauen nicht verteidigen, indem ich sie entschuldige, ich will sie zeigen. Man muß dem Elend einer Zeit, das seine Frauen zu Wölfen und Maschinen, statt zu Müttern und zarten Geliebten erzieht, das sie aufklärt über Geheimnisse, die eine Frau nie ausgesprochen hören darf, die sie mit Männern zusammen in den Universitäten belehrt über Angelegenheiten, von denen eine Frau keine Ahnung haben dürfte, man muß dem Elend einer solchen gegenwärtigen Zeit nicht ein falsch und herrlich gemaltes Bild der vorangegangenen Zeit entgegensetzen, um sie zu belehren. Die Frauen in der Tat, welche freudig bereit ihre Söhne in den Tod eines Krieges entließen, dessen Sinn sie nicht verstanden, die aber später in dem Ruin der Revolutionen und Friedensschlüsse fast zu Hyänen erniedrigt wurden, die fast an nichts als die Befriedigung ihres Hungers denken durften, waren ohne Zweifel ein Übergang. Sie waren im Besitz einer Freiheit, deren Anwendung man ihnen nicht erlaubte. Sie waren bereits Halbemanzipierte dem Mann gegenüber, sie lagen nicht mehr tief gebettet im Schoß der Familie, die sie vor den harten Forderungen des Lebens behütet, sondern sie klammerten sich gerade noch an die Türen der Familie, deren Schein sie noch umschwebte, aber den sie abzustreifen begannen. Trotzdem aber war es damals möglich, oft Frauen zu sehen, die jene Scham kannten, die unter Blicken errötet und die sich bewußt waren, daß es Sünde gibt, obwohl sie nicht wußten, daß sie unschuldig waren. Es gehört die Kühnheit eines Looping the Loop-Fahrers dazu, sich aus diesem durch tödliche Strafen gerade noch gehaltenen Zersetzungszustandes der Familie hinauszustürzen, aber diese Kühnheit war der Mut des Frevels und nicht jener der Entdeckung und der Opferungsbereiten.

Die junge Frau, die nun unter den verrückten Stößen des Wagens zu seufzen begann, hatte diesen Sprung getan, sie war nun der Ruin aller Vorzüge, die sie einst hatten vergöttern lassen, und sie hatte jetzt nur die eine Hoffnung im Herzen, während sie zu dem Sterbelager ihres letzten Kindes fuhr, daß ich ihrem Leben recht gab, das ich verabscheute. Ich hatte diese Gestalt, die aus der Ferne in ihrem gestreiften zusammengesetzten Pelz, wie ihn die Engländerinnen um diese Zeit trugen, mitten in den Äckern vor zwei Tagen angetroffen, wo sie mehr einem Tier aus der Entfernung als einer Frau glich, die im Zusammenbrechen noch die Kraft hatte, nach ihrem Kinde zu rufen.

Dieser Ruf, der mich, als sie zu sich kam, in ihr Leben mit einzuziehen schien, war der Grund, daß sie ihr Schicksal vor mir öffnete, ohne daß ich es gewünscht hätte. Wir hatten zwei Tage, beide abgeschnitten durch den Streik der Bahnen und die sich daran schließenden kriegerischen Unternehmungen irregulärer Banden, die uns eines Nachts mit Kugeln verpfefferten, als ob sie auf unsere Pelzen sich einschießen wollten, den Fluß nach einer Überfahrt abgesucht, die mich den dritten Teil meiner Barschaft kostete. Ihre Sehnsucht, selbst auf die tollste Weise nach Deutschland zu kommen, hatte mich gerührt, obwohl ich keineswegs eilte und mit Vergnügen die Entwicklung dieses Bauernkrieges aus Kowno durch die Zeitungen verfolgt hätte.

Dieser Wagen kostete mich das zweite Drittel meiner Barschaft, das letzte Drittel würde denjenigen das Leben kosten, der es begehrte, da ich entschlossen war, es an der Grenze der Dame einzuhändigen, um sie nicht schutzlos zu lassen. Ich gestehe, daß ich unter ihren Geständnissen ebenso litt wie ich erstaunt war, daß sie hingegen über sich selbst und ihren Namen ein tiefes Geheimnis breitete. Sie hatte mich mit einem unwiderstehlichen Blick gebeten, sie an der Grenze allein zu lassen. Man hörte zwischen den Windstößen, die den Regen auf den Boden schlugen, den Kutscher abgerissen die Pferde anfeuern, plötzlich sank der linke Teil des Wagens auf die Seite. Der Sturz hatte die Unbekannte auf meine Kniee geschleudert.

„Vertrauen Sie mir,“ flüsterte ich ihr zu, da ich fürchtete, daß der Wagen umstürzen werde. Im gleichen Augenblick rissen ihn die Pferde aus der Mulde und jagten weiter. Die junge Frau hatte die Nervosität abgelegt, die Frauen an den Tag legen, die ihr Leben selbst zu bestimmen gedenken und sich der Führung des Mannes anzugliedern nicht entschließen können. Der Druck ihres mädchenhaften Körpers hatte eine bezaubernde Vertrauenswilligkeit gezeigt. Sie war so zerschmettert vom Leben und so in Eile, einem furchtbaren Verhängnis vorzugreifen, daß sie weich genug war, zu glauben.

Dieser Moment, wenn ein Herz sich bezwingt, hat etwas von überwältigender Größe, und ich hätte ihr die Hände geküßt, wenn ich nicht gefürchtet hätte, sie in ihrem Schmerz zu verletzen. Ich stand ohne Zweifel als Verteidiger vor einem Schicksal, das ich ablehnte und war entflammt für eine Frau, der ich es nicht zeigen durfte und deren Leben davon abhalten mußte, daß sie mir gefiel. Dazu waren wir in Lebensgefahr. Ich fürchtete, daß sie unter den grotesken Sprüngen, die der Wagen immer öfter vornahm, vor Schmerzen ohnmächtig werden müßte.

Man mußte eine belebte Gegend erreicht haben, obwohl es noch weit zur Grenze sein durfte, denn man hörte von Zeit zu Zeit das Rufen von Stimmen, denen unser litauischer Kutscher antwortete. Plötzlich wurde an den Zügeln gerissen. Diesem schlug der Kutscher die Peitsche quer durch das Gesicht, das wie ein Gespenst am Fenster vorbeifiel. Jedesmal in solchen Augenblicken fühlte ich, daß mein Gegenüber zitterte wie nur eine Frau zittern kann, deren letzte Zuflucht, deren Glaube an die Güte der Welt und ihres Schöpfers auf dem Spiel stand und die zu dem Lager ihres Kindes wie eine Wahnsinnige, die sich kalt stellt, floh.

Ich vermutete ihre Augen zu sehen, obwohl das Dunkel fast undurchdringlich war, und ich hatte den Eindruck, daß ihr Licht etwas Verklärtes habe, trotzdem es verwirrt war, als habe der Tod hineingeschienen und in die Süßigkeit dieses Lächelns den Zauber gebracht, der es erst unübertrefflich macht. „Glauben Sie, daß wir es erreichen?“ murmelte sie. „Vertrauen Sie,“ sagte ich und begriff, wie sehr sie litt, denn diese Fahrt entschied über ihr Leben.

Sie war sich als Kind eines Luxus bewußt gewesen, der ihr fast alle Neigungen gestattete, und sie hatte nicht mehr als den unbewußten Gebrauch gemacht, der ihr als selbstverständlich erschien und von dem sie annahm, daß alle Menschen über ihn verfügten. Das Gold hat genug Kraft, die edelsten Menschen, die in seiner Umgebung aufgewachsen, in einer wunderbaren Weise über die Leiden der Welt im ungewissen zu lassen.

Die Kinder des Luxus leben wie die der Armut in einer gleichen Unklarheit, die einen über die Tiefen, die anderen über die Höhen des Daseins. Das Bewußtwerden erst dieser furchtbaren Kluft schafft in diesen Kreisen die Emporkömmlinge, die krepieren werden oder die Macht zwischen den Schenkeln haben wollen, und jene Messiasse, die im Dunkeln ein Selbstgenügen predigen, das in dem Munde dessen eine Lüge sein muß, der aus dem Reichtum kommt. Es wird nur eine Vermischung, aber keine Versöhnung der Klassen möglich sein, indem die Elenden sich bereichern und die Begüterten etwas verarmen und zwischen ihnen die Schranken fallen, denn es ist offenbar, daß die Armen die Notwendigkeit des Luxus und die Reichen die Entsetzlichkeit des Elends gegenseitig immer weniger verstehen, als ein Chinese einen Marabu, oder ein vollblütiger Franzose einen deutschen General verstehen kann.

Diese Blindheit unter den einzelnen Völkern ist das Schicksal unseres Jahrhunderts, das bestimmt scheint, diese Mißverständnisse als das hinzunehmen, was sie keineswegs sind: nämlich als die furchtbarsten Bürgerkriege.

Die unbekannte junge Frau, die mit mir durch ein in Flammen des Hasses aufgehendes Land in einer um ein Vermögen gekauften Kutsche unserer Großeltern jagte, war die Tochter eines Vaters, dessen Liebe ihr zum Verhängnis ward, mehr fast als seine Strenge. Dieser aus Deutschland eingewanderte und später in England naturalisierte Mann (der seine Nationalität nach der Sitte damalig freier Männer nicht aus Schwäche, sondern aus ausdrücklichem Bekenntnis zur neu gewählten Heimat änderte) war mit der fast kindischen Sorgfalt bestrebt, das Häßliche von seiner Tochter fernzuhalten und das Schöne und Vortreffliche um sie zu versammeln. Er hatte die Schwäche der Männer, die ihre Frau überirdisch geliebt haben und in der Tochter ihr Bild weiter verehren wollen.

Sie überhäufen ihre Kinder mit einem Maß von Güte, die jene nicht zu ertragen vermögen, und züchten den Geist eines Widerstandes, der um so mehr aus dem schlummernden Bösen kommt, je höher man die liebenswerten Seiten ihres Gefühles belastet. Ein Haus in London und das Sterbehaus der Mutter in Kairo standen ihr zur Verfügung, ihr Vermögen war in Holland angelegt, was so gut war, als sei es Gott in die Hand gegeben. Ihr Vater hatte geschworen, daß sie ihr Glück machen werde, und darum hatte vielleicht, weil dies ein Frevel ist, der Teufel sich bemüht, in ihr Herz die Widerstände zu säen, die das unmöglich machen sollten.

Je mehr der Vater sich versteifte, sie mit Geschenken, Aufmerksamkeiten, Überraschungen zu überhäufen, um so erbitterter sann dieses schöne und edle Mädchen darauf, sich dem entgegenzusetzen, wobei sie sich ihrer Handlung kaum mehr als eines fast schelmischen Trotzes bewußt ward. Diese Situation war furchtbar, denn sie liebte ihren Vater, der, wiederum aus Liebe, sie vor der Welt abschloß. Der alte Starrkopf, der seine Tochter vortrefflich machen wollte, sperrte das Kind vor jeder Gefahr ab. Er war ebenso eifersüchtig auf sie, für die er sich auf die Stelle die Hand hätte abschlagen lassen, wie voll ständiger Ängstlichkeit, so daß er sie unter anderem jeden Monat zu allen Spezialisten schleifte, um von allen die Versicherung ihrer Gesundheit zu erhalten.

Der Alte war bereit, ein Vermögen für jede ihrer lächerlichsten Wünsche auszugeben. Das junge Mädchen zeigte sich bedürfnislos. Es hätte keine noch so phantastische Angelegenheit gegeben, die der Alte ihr nicht zu Füßen gelegt hätte. Sie hätte den Eifelturm abreißen und eine eigene Bahnlinie nach Dover verlangen können, es wäre ihr ebenso sicher gewesen, wie daß sie keine Sekunde allein an diesen Genüssen hätte teilhaben können. Ihr Vater ließ sie keinen Schritt ohne Begleitung tun, nicht weil er mißtraute, sondern weil er um sie bangte, und gerade dies ist es, was junge Mädchen mit entzündlicher Phantasie zu Dämonen verwandeln kann. Es machte seine Güte so nutzlos wie einen verwilderten Garten. Das Mädchen begann diese Aufmerksamkeit zu hassen und sich vor der Liebe zurückzuziehen, die ihr Herz mit Entzückungen erwidert hätte, wenn sie weniger pendantisch sich gezeigt hätte.

Dieser Kampf zwischen der elterlichen Liebe, die bevormundete, und der Liebe des Kindes, die sich ihr entzog, und damit der Teuflischkeit zuwandte, dauerte bis zum achtzehnten Jahr dieses noblen Herzens, an welchem Tag sie verschwand.

Sie reiste ein Jahr, doch das genügte, sie völlig zu verderben. Sie reiste ein Jahr, ohne das geringste zu erleben. Ihr Vater, den die Entfernung der Tochter wie ein Schlag traf, ließ sie nicht im Stich, sondern bemühte sich erst recht, sie auf die Entfernung zu beeinflussen. Das trieb das merkwürdige Geschöpf, das selbst in dieser furchtbaren Nacht, halb dem Tod überliefert und von so vielen Leiden zusammengeschlagen, noch einen unbegreiflichen Schein von Reinheit um sich hatte, in einen entsetzlichen Widerstand. Die Briefe ihres Vaters, der sie mit Beweisen seiner Sorge in Gestalt von Detektiven, Auskunfteien, vorausbestellten Schiffen, Hotels und Zügen, ja mit Menschen, die plötzlich auftraten und ihr Geschick zu beeinflussen wagten, überschwemmte, bewirkten in ihr eine Anzahl launenhafter Widerstände, die verrückt bezeichnet werden müssen.

Die Geschichte ihrer Erlebnisse, mit denen ihr Vater sie ins Verderben jagte, hat hier keinen Sinn. Seine Güte ermangelte der Strenge, ohne die Liebe keinen Zweck hat. Statt sie arretieren zu lassen und sie an einen Mann von Vermögen, Sicherheit, Stellung und nicht zuviel Geist zu verheiraten, dessen männliche Nüchternheit ihr die versteifte Romantik abgenommen hätte, benutzte er ihr Entweichen zu verdoppelten Beweisen seiner Zärtlichkeit. Ein Jahr lang hatte sie alle Angriffe abgewiesen, ja sich eine Frau für ihre Toilette und eine zur Wahrung ihres Rufes gehalten, währenddem sie ihren Vater aus Trotz im Glauben ließ, sie reise allein und sei eine Emanzipierte, die sie in keiner Weise war, ein Jahr lang hatte sie über die Männer lachen können, bis allzuviele Warnungen sie ihnen in die Hände trieb.

Ihr Spleen trieb dieses im Grunde sanftmütige Mädchen in die Hände eines Mannes, den sie offensichtlich nicht liebte, als sie sich ihm gab, der sie nicht einmal reizte, in dem sie nach wenigen Wochen aber einen Verbrecher fand. Diese Erkenntnis, die sie fast zum Wahnsinn brachte, vermochte, daß sie sich entschloß, ihren Mann zu lieben.

Die Tyrannei des Verbrechens hatte die wunderbare Kraft, dieses edle Geschöpf anzuziehen und zu einer Hingebung zu bringen, welche die Liebe, vor der sie sich auf der Flucht befand, nie erreicht hatte. Diese furchtbaren Umstände sind bei leidenschaftlichen Menschen deshalb bis zur Unerschütterlichkeit bestimmend, weil die ersten Schritte, die sie von der Familie und den der Frau vorgeschriebenen Gesetzen abseits tun, bereits die Tragödie mit der unendlichen Kraft des Untergangs herbeigerufen haben.

Das Mädchen hielt mit einer Treue zu dem Mann, der weder ihren Geist noch ihre Vornehmheit des Charakters besaß, die einer beispielhaften Ehe jede Ehre gegeben hätte. An dem ungelösten Körper dieser Frau, deren Mädchenhaftigkeit durch ihren Kummer nicht vertrieben worden war, konnte man heute noch sehen, daß sie eine wahre befreiende Liebe nie gekannt hatte. Sie hatte sich aus Laune in eine Verliebtheit hineingestürzt, die von der glühenden Zartheit einer mädchenhaften Neigung unendlich entfernt war. Sie liebte einfach ihr Schicksal wie alle starken Naturen, die auch zu ihren Fehlern und Niederlagen stehen.

Die Spannkraft, die ein menschliches Herz für soviel Leiden hinzugeben hat, besitzt eine Grenze, und sie schien es mit dem Zittern, das sie hin und wieder grundlos überlief, zu ahnen.

Ihr Vater, der sie dem Mann entreißen wollte, hatte den Fehler begangen, es nicht mit jener Brutalität zu tun, die Halunken dieser Art allein einschüchtert, nämlich nach ihrer Entlarvung ihnen den Prozeß zu machen und sie henken zu lassen. Die Möglichkeit hierzu war gegeben, von einem Skandal spricht man einen Monat und in bewegten Zeiten eine Woche, und wenn es sich um ein vornehmes Herz mit großem Vermögen und einer gewissen Schönheit handelt, drei Tage. Er fürchtete, seine Tochter zu verletzen und gab ihr nach, er kaufte sie dem Mann ab, der mit einer großen Summe Geld verschwand. Er ließ eine Frau zurück, die ein zweijähriges Kind in der Wiege und eines unter dem Herzen trug und ihrem Vater diesen Streich nie verzieh.

Sie holte ihren Mann ein, der sich nicht weigern konnte, sie aufzunehmen, vielmehr die Waffe umdrehte und auf Grund seiner tatsächlichen Schandtaten ihren Vater erpreßte, dessen Angst vor Skandal größer war als sein Zorn. Dieser Balte, dessen Name keine Erwähnung fand, verpraßte einen Teil des väterlichen Vermögens auf eine schwachsinnige Weise. Er liebte diese Frau nicht, weil sie ihm ergeben war, und suchte Anregungen in Angelegenheiten, die er seinem damaligen Vermögensstand nach nicht gebraucht hätte. Er war ein Spieler, der auf jeden Zufall versessen war und den der Krieg, der erbarmungsvoll hauste, staatenlos und also zu den verrücktesten Unternehmungen geeignet fand. Sein Vermögen nahm in einer beängstigenden Weise ab, worauf er, bei der Unmöglichkeit, für einige Monate aus England Geld zu beziehen, da die Konten der ehemaligen Deutschen gesperrt waren, seine Frau kurzerhand verkaufte.

Man wird fragen, wie eine Frau, die jede Freiheit hatte und über eine Familie und Vermögen verfügte, dazu der übermenschlichen Liebe eines Vaters sicher war, diese Ungeheuerlichkeit ertragen konnte, zumal von der Seite eines Mannes, den sie nur in der Einbildung lieben konnte. Sie ertrug es, und diese Heldentat ist eines jener tiefen Mysterien der weiblichen Seelen, die, wenn sie von der Natur zur Reinheit bestimmt sind, alle Höllen des Lasters und der Erniedrigung durchlaufen können, ohne daß ihr Wesen auch nur im geringsten leidet.

Zu spät ließ ihr Vater den Mann verhaften, er setzte seine Ehre aufs Spiel, die er verlor, und erreichte, daß seine Tochter ihn haßte und das Jahr, bis ihr Mann aus dem Gefängnis entfloh, diesem glühende Briefe in seine Verlassenheit schrieb. Dieser Elende behandelte sie mit einer Kälte und Brutalität, die mit ihrer Liebe wuchs. Entflohen, verbot er ihr zu folgen. Sie folgte ihm. Ihr Vater hatte England, gebeugt, verlassen müssen, der Skandal seines Schwiegersohns hatte ihn zertrümmert. Die Kälte seiner Tochter brachte ihn zur Verzweiflung. Innerhalb zweier Jahre war der Alte um dreißig Jahre gealtert. Die drei Menschen lebten jahrelang in einer furchtbaren Verfolgung. Der Gatte diente seinen dunklen und abenteuerlichen Neigungen, die ihn jeden Tag in Gefahr brachten, mit den Gesetzen sich zu verwickeln. Seine Frau suchte seinen Aufenthalt auszukundschaften und bei ihm zu leben, wovon sie keine Erniedrigung abhielt. Ihr Vater bemühte sich, ihr Herz zu erweichen, mit ihm in sichere Verhältnisse zurückzukehren, Europa zu verlassen und ein Glück zu suchen, das ihr nach soviel Schmerzen vorbehalten sein mußte ... aber was er erreichte, war, daß sein Vermögen zerfiel. Er hatte es sich zur Aufgabe gemacht, wie früher seine Tochter, so ihren Mann zu bespitzeln, und, um ihr Herz zu gewinnen, ihrem Mann ein Leben zu verschaffen, das ihn sorglos machen mußte.

Diese Geschichte der Liebe ist furchtbar, weil sie sinnlos bis zum Äußersten ist, denn jeder dieser Liebenden beging Verbrechen gegen die Liebe. Sie zerstörten sich in einer grauenerregenden Weise, während sie sich zu nutzen suchten.

Der Alte, der durch den Untergang Deutschlands zu einer rührenden Liebe zu seinem Heimatland gebracht wurde, legte sein Vermögen in Deutschland an, was seinen Schwiegersohn bald zur Raserei brachte, und als er es ablösen wollte, war es bereits ruiniert. Der Schlag, den Deutschland empfing, war auch mit derselben Teufelei in den Nackenwirbel des Alten gehauen. Er hatte sich mit der Freiheit seiner großzügigen Denkungsart von seinem Vaterland geschieden, als dessen unfeiner Reichtum ihm mißfiel. Als er es elend und am Boden fand, sah er die Möglichkeit, es wieder zu lieben, und kam in eine Begeisterung, die ebenso großartig und bewundernswert wie vernichtend war.

Er starb an dieser letzten Leidenschaft, die ihn unfähig gemacht hatte, vernünftig zu denken, was ein Lebensalter lang seine Stärke gewesen war. Er fiel mit dem Stolz seiner Heimat und begrub sein Vermögen im Sturz der deutschen Mark, deren wahnsinniges ungeheuerliches Vernichten sein letzter Seufzer war. Es war ihm nicht gelungen, seine Tochter wiederzugewinnen.

Als sie seinen Tod erfuhr, stand sie am Sarg ihrer zweiten Tochter, ohne zu wissen, wo ihr Mann sich befand, der ein Vergnügen darin suchte, sie mit einer Öffentlichkeit zu betrügen, deren nur ein Neger fähig ist. Die rohste Natur hat vor einem Grad des Leides jene Ehrfurcht, die der Zauber der Frau auch bei Kannibalen auszulösen vermag. Dieser Balte, dessen slawisches Blut seine deutsche Güte, dessen deutsche Rohheit seine slawische Weichheit vertrieben hatte, dieser Verbrecher, den die verfluchten Fehler zweier Nationen gezeugt hatten, ohne eine einzige Tugend außer einer schwachköpfigen Kühnheit ihm zu verleihen, fand einen beispiellosen Genuß daran, seine Frau zu demütigen. Es gibt wohl keine Schande, in die er sie nicht verwickelt hatte.

Wäre die junge Frau nicht mit einem so ungeheuren Stolz von der Natur versehen worden, so wäre sie ohne Zweifel durch das Übermaß der Erniedrigung dazu gebracht worden, diesen Mann zu vernichten. Sie hielt ihrem Schicksal eine beispiellose Treue, sie überwand das Verbrechen sogar, indem sie sich nicht wehrte. Es gelangte nicht bis in ihre Seele.

Als sie ihren Mann erreichte, fand sie ihn in Fesseln. Ihr wohltrainierter Körper war durch die Kinder und die Sorgen mitgenommen, unterhöhlt, aber nicht aufgerieben. Sie sah ihren Mann, den es, nachdem er die Familie seiner Frau zerstört hatte, wie alle Abenteurer nach dem Osten trieb, dessen wildes Chaos ihnen voll wunderbarer Reize scheint, an einer Mauer stehen. Sie lief aus dem Wagen in eine Umzäunung, ein Tuch in der Hand, als von der anderen Seite einmal die Trommel gerührt wurde. Darauf erschollen Schüsse, ihr Mann fiel vor ihren Augen langsam um, ohne sie anzublicken. Die Soldaten, die aus Bewunderung über den Mut des Mannes, der mit keiner Wimper gezuckt hatte, in die Hände klatschten, fanden sie auf dem Rücken liegen. Sie war am Abend bereits wieder bei Sinnen.

Eine Sekunde hatte genügt, sie ihre tiefe Schuld begreifen zu lassen. Eine geheimnisvolle Stimme hatte im Augenblick der Salve, als ihr Mann, der von Wuchs und Aussehen von vollkommener Schönheit war, fiel, gesagt, daß vom Augenblick ihrer Entfernung von ihrem Hause alle Schuld und alles Elend, das in ihrem Kreis geschehen sei, auf ihr liege, sie empfand unwiderleglich auch die Erschießung ihres Mannes als einen bewundernswerten Heldentod.

Sie fühlte mit einer Klarheit, die fast erhebend war, die Last dreier vernichteter Leben auf ihrer Seele und war einsichtig genug, daran nicht zu sterben, sondern ihren Glauben mit jener Tapferkeit, die schon überirdisch wirkte, auf ihr Kind zu setzen.

In diesem Kind und seiner Zukunft schien ihrer mütterlichen Seele der Sinn ihres Lebens und die Frage ihrer Schuld sich zu lösen oder zu knüpfen, und sie hatte ein Maß der Gläubigkeit darüber, das keinen Zweifel gestattete. Doch hat die Natur der Spannkraft eines Herzens Grenzen gesetzt, die nicht übertreten werden dürfen, ohne zu vernichten. Sie erfuhr die Erkrankung dieses Kindes, das sich in Dresden befand. Gleichzeitig brachen die Bahnen ab. Sie schien zurückgestoßen von einem Schicksal, das sie nach Jahren des Leidens zur Klarheit hatte erwachen lassen. Das Leben dieses Kindes ward das Ziel eines grauenhaften Wettlaufs, den sie mit dem Schicksal unternahm. Sie wäre ohne Schuhe bis an das Ende der Welt gelaufen, um dieses Kind wieder in die Arme zu nehmen und den Erfolg ihres vernichteten Lebens in jener Erkenntnis dem Kinde zuzuführen, das in einer Erziehung sich geäußert hätte, die die Fehler der ihren vermied und die Liebe so aus der Hand gab, daß sie genommen werden konnte, ohne in die Schuld hinauszutreiben.

Diese Frau konnte nur ein ganz ungeheures Glück retten, konnte nur ein sie dauernd in Sicherheit hüllendes Ereignis am Leben erhalten.

Sie hatte die Grenze des Lebens fast schon überschritten, und jede Enttäuschung war ihr sofortiger Tod. Ihre Seele war an das Leben ihres Kindes angebunden wie ein Flügel an den anderen bei einem Falter, sie würde sich mit diesem Kind in das Leben wieder retten oder mit ihm zusammen zerfallen müssen. Sie befand sich in dem Zustand einer gewissen Übererhöhtheit des Lebens, wie es in Augenblicken eintritt, an denen die Qual und das Leid so übertrieben sind, daß sie überirdisch scheinen. Die Frau schien von einer Zartheit der Seele zu sein, daß man nicht gewagt hätte, ihren Körper ohne Not zu berühren, aus Angst, er könne im Zustand dieser Verklärtheit zusammenbrechen. Man mußte diese Seele in eine Behandlung nehmen wie einen Lichtschein, den man nicht mit dem Schatten der Hand verderben möchte.

Diese Seele war nur in der Lage, die Welt in einer Verschleierung aufzunehmen, die sie ermunterte. Jeder Zweifel war schon der Tod für dieses Wesen, das nur einer Medizin, nämlich der Bejahung und des Trostes und der Zuversicht bedürftig war.

Man mußte diesem Körper, auch wenn man die Unwahrheit verabscheute, Lügen zuführen, die allein ihr die Kraft geben konnten, die nächsten Stunden zu überleben, kurz, ich war gezwungen, wenn auch ohne Begeisterung, so mit der Leidenschaft, die sie in mir entflammte, zu lügen.

Da sie eine Frau von Geist war, konnte man die Literatur zu Hilfe ziehen, die ähnliche Schicksale wie die ihren bejaht hat, ihnen sogar eine bestimmte Größe des Ruhmes zugewiesen hat, aber man mußte die fast tödlich verzogene Frage auf ihrem Munde lesen, welches denn die Gründe seien, die große Schriftsteller veranlassen konnten, ihre Wesen in Verbrechen zu führen, statt die ausgezeichneten Bahnen einer Literatur einzuschlagen, welche jenseits des Kriminellen genug Maße für höchste Leidenschaften findet. Der Abbé Prevost hat seinem Desgrieux, der ohne Zweifel ein Halunke aus Liebe war, ein großes Monument errichtet. Zwischen dem Rolla des Alfred de Musset und Karl Moor besteht nur der Unterschied, daß der Franzose Vernunft, der Deutsche nur Verzweiflung kennt, daß aber ein Schicksal beide mit einem Fangarm erreicht, dessen Rumpf eine verzweiflungsöde Epoche ist. Der Marquis de Sade hat die Verbrechen offenbar der Wollust unterlegt, während Shakespeares Halunken das Böse so genial verkörpern, daß ihre verwandtschaftliche Nähe zu den Engeln deutlich ist. Es bedarf nur einer kleinen Wendung des Charakters, um sie zu unsäglichen Heilbringern zu verwandeln. Die Antike, ähnlich dem britischen Genie, kannte nur Verstöße gegen heilige Institutionen der Götter, deren Verstoß aber ungeheuerlicher Frevel war. Zwischen Verbrechen und Heldentaten machten sie so wenig Unterschied wie alle Stämme, denen mit der Kriegerischkeit ein Sinn für große Ideen verliehen war.

Die Natur scheint die Gesetze des Blutes und der Familie mit einem ungeheuren Schutz umgeben zu haben, der in ihrer Reinhaltung die beste Auslese unter der menschlichen Rasse bewirken zu wollen schien. Die ungeheuerlichen Strafen für den Frevel an der Familie sind mit einem anderen Sinn nicht erklärbar. Es gibt Geheimnisse, in die alle Nationen einbezogen sind, und in denen die Reinheit der Frau als wundervollste Säule der Familie und des gewaltigen Bauwerks eines stolzen Staates mit nicht beweisbarer aber beispielloser Gesetzlichkeit verwoben sind.

Man mußte dieser in ihrem Elend bezaubernden Frau eine dünne Limonade der Ewigkeit brauen, wenn man ihr diese Gesetze verschwieg und aus der Literatur einen Saft zog, der vielleicht von großen Dichtern, aber schlechten Kennern des Schicksals stammte. Es hieß ihr die Welt mit wohlwollender, aber zitternder Hand verschleiern und erbeben unter der Hast und dem Glück, mit dem sie diese schwache Weisheit in sich sog.

Man konnte ihr auf die Frage, die am Anfang dieser Geschichte angeschnitten steht, schließlich sagen, daß die Dichter den Weg ins Verbrechen deshalb immer wieder suchten, weil in den närrischsten und grundlosesten Leidenschaften sie den unendlichen Goldgrund der besten Herzenstugenden am schönsten schimmern sehen, aber man konnte diese akademische Phrase nur loswerden, weil man das Geschöpf, an das sie gerichtet war, liebte. Das Bangen der jungen Frau hatte etwas von jener Gläubigkeit und Unberührtheit, deren Nähe niemand verlassen kann, ohne einer tiefen Rührung zu verfallen. Ich hätte meinen Kopf gegeben, wenn ich in diesem Augenblick die Hände der jungen Frau hätte an mich ziehen und ihr zuflüstern können, daß diese Neugeburt zur Mädchenhaftigkeit, die das Schicksal mit einer kurzen, vielleicht in Stunden schon beendeten aber jetzt in unvergleichlichem Glanz erstrahlenden Frist ihr verliehen hatte, mich in meiner tiefsten Seele getroffen habe.

Ich war in der verdammten Lage, sie ohne Pause belügen zu müssen. „Was hätten Sie gehabt,“ rief ich wohl etwas zu prahlerisch, „wenn Sie ohne das Erlebnis so gewaltiger Schmerzen Ihr Leben verbracht hätten? Die Literatur zeigt, daß die Unschuld, wenn sie mit dem Verbrechen zusammentrifft, die wundervollsten Menschenblumen hervorbringt. Sie hätten ohne Zweifel einen Gatten und Kinder besessen, aber Sie wären sich nicht mehr der Welt bewußt gewesen, als daß Sie die wirtschaftlichen Mächte, unter denen wir stehen, mit einem geringen Stolz gespürt hätten. Das heißt, Sie hätten reich gewohnt, den sozialen Aufstieg Ihres Gatten bewundert, Ihre Kinder gekleidet, die Menüpläne Ihrer Köchinnen berichtigt und mit Verehrung oder Verachtung auf die Gesellschaft um Ihr Leben herumgeblickt, je nachdem sie im Rang über oder unter Ihnen gestanden wäre. Was wäre aus Ihrem Herzen geworden? Soviel an Großmut und soviel an spätem ungeheurem Glück, wie Sie es heute zu verlangen haben, vermag ein durchschnittliches Leben nie zu geben, und die Tugend, die nie an den Abgrund geschleppt ward, hat keinen Anspruch, ein Herz zu besitzen, das durch den Tod wie durch die Liebe mit derselben Kühnheit hindurchgeschritten ist.“ Man wird mir zugestehen, daß ich mit Feuer log, obwohl mein Gefühl offenbar geneigt war, in Tränen auszubrechen, denn je mehr ich mich begeisterte, um so furchtbarer empfand ich, welch verabscheuenswerten Unsinn ich sprach.

Sie seufzte, als ob sie alle Liebe der Welt einsauge, und das brachte mich fast von Sinnen. Nur als ich mit der falschen Kühnheit, die Verliebten eigen ist, fragte: „Was hätten Sie gehabt?“ schien sie wie ohnmächtig zurückzufallen. Ein Blick, den ich durch ein Licht, das aufglomm, auf ihrem Gesicht mit göttlicher Ergebung aufgeschlagen sah, belehrte mich, daß sie an ihren Vater dachte. In diesem Augenblick schienen wir umzingelt zu sein.

Um uns herum erschollen Stimmen. Der Kutscher hielt den Wagen an und gab sichtlich Auskunft. Ich öffnete die Wagentür nach der einen Seite und schloß sie im gleichen Augenblick. Offenbar hatte man sich an der Stelle zusammengeknäuelt, um eine Auskunft einzuziehen. Ich riß den anderen Schlag auf, zog die junge Frau heraus, und wir liefen über die Wiese. Als wir hinter Buschwerk kamen, zitterte sie so, daß ich sie tragen mußte. Als wir den Wald erreichten, fing eine sinnlose Schießerei an, überall loszuknallen. Wir standen hinter Bäumen, um nicht getroffen zu werden. In diesem Augenblick war ihr Herz auf der Höhe der Gefahr. Eine Verwundung hätte sie niedergeworfen und getötet. Denn dieses wundgelaufene Herz hatte nur noch eine kurze Frist, die die Natur ihr verliehen hatte, zu leben oder auszusetzen, und diese Frist langte noch bis zum Lager ihres Kindes, aber litt keine Minute Verzögerung.

Es gibt eine Zärtlichkeit bei Männern, die in Augenblicken der Gefahr für das geliebte Wesen sich in nichts von der Liebe unterscheidet, die das schönste Recht der Mütter ist. Ich hätte diese Frau, deren Schmerz und deren Schicksal ich offenbar wie ein Wahnsinniger liebte, mit meinem Körper zudecken mögen, um sie vor den Kugeln zu schützen, wenn diese Bewegung nicht eine Narrheit gewesen wäre und die Soldaten auf uns gelenkt hätte. Sie war im Augenblick der Gefahr von einer fast übermenschlichen Kühle. Als wir eine halbe Stunde durch den Niederwald gerannt waren, kamen wir auf eine Straße. Wir hatten die Vorposten hinter uns und waren in Sicherheit.

Nach einer halben Stunde fanden wir unseren Wagen. Zwei Stunden später erreichten wir die Station. Hatte ich unrecht, daß ich ihr, als wir mit einer gewissen Heiterkeit die letzten Wagenstunden machten, eine Geschichte nicht vorenthielt, die ihr Herz stärken konnte? Da sie aus dem Leben stammte und mit ihren bekannten Figuren aus der Wahrheit wie aus einem Bilderbogen geschnitten war, hatte sie mehr Überzeugungskraft als die Literatur, die nur beweist, aber nicht atmet.

Ich wagte kaum zu zittern, als wir uns der Station näherten, ich war besinnungslos von einer Leidenschaft, die ich nicht zeigen durfte, und ich war genötigt, ihren Befehl zu respektieren, der mich zurückstieß. „Zeichnen Sie diese Geschichte auf,“ sagte sie mit einem so verheißungsvollen Lächeln, daß mir die Tränen kamen, „und senden Sie es mir morgen nach als einen Beweis, der mich stärken wird.“ Sie hatte eine wundervolle Zartheit im Klang, daß ich fürchtete, ich würde sie nicht wiedersehen. An der Grenze empfingen uns Soldaten. Plötzlich sahen wir uns an, von Fackelschein übergossen.

Dieses Gesicht, das lange nicht geweint hatte und auf dem Spuren unzähliger Schmerzen wie ein Verhängnis schwebten, trug die Spuren von Tränen. Ich reichte ihr die Hand, um auszusteigen, und bemerkte an dem Druck ihrer Hand, daß es Tränen der Freude, ja der Erlösung waren. In diesem Augenblick trat ihre ganze Seele, die noch nie gelebt hatte, auf ihr Gesicht, und ich wurde eines so himmlischen Glanzes ansichtig, daß mich die Besinnung verließ.

„Ich danke Ihnen mit aller Herzlichkeit, die soviel Unglück übrig gelassen hat,“ flüsterte die Unbekannte mit hinreißender Anmut und gab mir eine Adresse, unter der ich ihr schreiben konnte. Sie empfing mit dem Nicken einer Vertrautheit, die nicht mehr menschlich war, mein Portefeuille.

Man fand mich auf dem Platz hingestreckt wie einen Toten. In der Nacht schrieb ich die Geschichte eines Frevels auf, dem ein Glück, das der Sühne, abzugewinnen ich meine Natur in unerhörter Weise zwang. Denn um das Glück der Sühne zu ertragen, bedarf es eines kalten Herzens. Das Kind mußte leben, oder sie starb. Ich blieb nach diesem Wettlauf mit der Wahrheit, der mein Innerstes zerriß, drei Tage besinnungslos in meinem Zimmer liegen. Ich war gezwungen, mich zur Herstellung meiner Natur ins Gebirge zu begeben, da mein Körper gewohnt war, alles zu ertragen, die härtesten Strapazen und die irrsinnigsten Enttäuschungen, aber nicht den Kampf gegen die Gesetze der Seele, die ihn regieren.

Es gibt vielleicht eine einzige Möglichkeit, ihn diesen Streit ertragen zu lernen, das ist, ihn zum Siege zu führen. Man hatte mir versichert, daß am Abend ein Zug gehe, der ihr als ein Herold meinen Brief senden sollte, der eigentlich mein Schicksal war, auf dessen Echo ich wie ein Verrückter warten mußte. Ich verbrachte diesen Tag mit einer so unheimlichen Getrenntheit meines Wesens, daß ich mit den Kerzen plötzlich vor den Spiegel sprang.

Ich reiste an diesem Tag in dem furchtbaren Hotelzimmer, während ich gleichzeitig Bogen auf Bogen hinter verschlossenen Läden füllte, an der Erinnerung der Nacht jede Minute zurück und badete mich, füllte meine Seele mit jeder Bewegung und jeder Silbe, welche die Unbekannte von sich gegeben. Gleichzeitig wußte ich, daß bei jedem Buchstaben, den ich für sie schrieb, sie der Ungewißheit entgegenfuhr, ob dieses Kind sie verflucht hatte, ehe es starb, oder ob es mit einem Lächeln sie ansehen würde, das der Anfang eines unfaßbaren Glückes war. Die Frist war kurz, in der dieses bewundernswerte Herz lieben durfte, und ich hätte nicht Gott sein mögen, in dessen Hand es lag, und der es vielleicht zertrümmern mußte.

Man wird mich nach der Geschichte, die ich aufzeichnete, fragen, ich verheimliche sie nicht. Sie besitzt jene Kostbarkeit, die Erlebnisse erst adelt, wenn sie ein Herz enthüllt oder getröstet haben. Man darf der Literatur nur dann jene Liebe, die sie zu Beweiszwecken benutzt, zuwenden, wenn die Literatur jenes geheimnisvolle Herz besitzt, das mit den wahren Leidenschaften der Menschen gefüllt ist. Dieses Herz kann sich plötzlich öffnen, und die Menschen sind in der phantastischen Stunde dieses Zufalls in der Lage, darin ihre Seele zu sehen. Eine vortreffliche Literatur wird ihre Bewunderer durch dieses Mysterium unbeschreiblich entzücken, eine erbärmliche wird sich in den Sekunden, wo man ihrer bedarf, als das akademische Geplapper entlarven, das nur sich selber liebt. Das Herz des Menschen ist der Ort, wo die Gegenstände, die Ereignisse und die Sitten der Welt gemessen werden und ihren Rang erhalten. Ausgezeichnet wird lediglich, was die Größe hat, dem Herzen gleich zu sein oder den Ehrgeiz besitzt, es zu übertreffen.

Es gibt in der Literatur einen Opfermut und eine Kühnheit von Gefühlen, die weit über das hinaus wollen, was menschlichem Ertragen und menschlicher Spannkraft möglich ist. Diese Literatur ist ohne Zweifel die höchste in den verschiedenen Klassen des Schrifttums, in dem der Zynismus die niedrigste, die Weisheit die erhabendste ist. Es ist unmöglich für ein gleichzeitig kluges wie feuriges Temperament, eine Literatur anzuerkennen, die ihr Wesen nur durch sich selbst erhält und wie Narziß sich von den Menschen und ihren Beispielen fernhält. Die Dichtkunst, meint Balzac, sei die Einleitung zum Staatsmann. Napoleon, Julius Cäsar, der große Friedrich, der erste Franz von Frankreich, Machiavell, ja selbst Goethe, Richelieu, der Kardinal Retz, Disraeli, Bulwer und Constant haben dieser These recht gegeben, indem sie ihren Geist, der das Schöne zu formen wußte, derart disziplinierten, daß er das Gebäude des Staates unter den letzten Gesetzmäßigkeiten der Vernunft, der Gerechtigkeit und der Harmonie erblickte.

Der Staat ist aber jene wundervolle Handschrift der Vorsehung, welche die Leidenschaften der Menschen auf den Rücken der Ewigkeit gezeichnet hat und in dem alle Linien des menschlichen Herzens enthalten sind. Wer diesen Kreis, den das Gebet eines unschuldigen Mädchens bis zur Grenzenlosigkeit der himmlischen Satzungen durchläuft, verläßt, begeht einen Frevel, den nur ein Opferwille sühnen kann, welcher stärker ist als die Natur. Wer kann die Erde aufhalten? Wer vermag die Sonne zu verdunkeln? Zur Sühne ist dem menschlichen Herzen die Kraft, zum Verzeihen die Größe gegeben. Zum Widerstand gegen die Gesetze der Natur besitzt es nur das Dulden, welches die Trotzigen und seit Prometheus ewig Zerschmetterten manchmal bis zu himmlischem Licht erhebt. Hier ist die Geschichte:

Im Jahre neunzehnhundertelf ereigneten sich drei Dinge, die an verschiedenen Stellen der Welt einen geheimnisvollen Zusammenhang schafften. Es war das Jahr, wo, drei Jahre vor den Schüssen von Serajewo, die Mitteleuropas Vernichtung und unsere Armut veranlaßten, einige Menschen anfingen, sich in die Luft zu schwingen, andere das Meer einige hundert Meter unter der Oberfläche mit Tauchbooten zu durchfliegen und jenen Kampf begannen, den ein ehrgeiziges Geschlecht mit seinen Maschinen der Natur ansagte. In einem zarten Vorspiel, das vier Jahre lang die grandiosen Schlachten ankündigte, die unsere Nachfolger mit Stumpf und Stiel hinwegrotten werden, hat sich gezeigt, daß die Natur diese Provokationen auf ihre Urheber zurückwirft.

Wenn in einem Landhaus in York Lady Grace ihr Leben in einer auffallenden Weise verließ, von einem Tag auf den anderen aus der behütetsten Dame in einer Reihe von Verbrechen sprang, bedarf es nur der einen Erklärung, daß sie von jener Krankheit erfaßt war, welche alle leidenschaftlichen Naturen in dieser Zeit erfaßt hatte: daß sie dieser Welt kein Interesse abzugewinnen vermochte. Besonders glänzende Figuren wußten damals sich allerdings in ihrem Innern zu beruhigen und für die Zeit aufzusparen, wo die künstliche Sicherheit dieses Jahrzehntes in Flammen aufging, und die Menschheit sich in die grauenhaftesten Kämpfe stürzen mußte, die diese Erde gesehen hat. Andere, welche mit der Kühnheit eine Unsicherheit des Glaubens vereinten, begannen jene furchtbaren Herausforderungen, welche die Natur nicht unbeantwortet ließ, indem sie die Versucher mit einem Lächeln abschüttelte, das die Welt mit Blut überschwemmte. Andere, zu denen Lady Grace offensichtlich gehörte, wechselten plötzlich ihre Seele aus.

Diese Menschen, die damals nicht zahlreich waren, scheinen unter ihrer Seele eine andere zu besitzen, die plötzlich die erste völlig verdrängt. Diese Annahme ist aber ohne Zweifel ein Irrtum, denn eine Seele kann nur durch den Tod den Menschen verlassen. Wenn ein erhabener Mensch sich plötzlich in furchtbarer Weise verändert, so beweist das nur, daß er den Weg, welchen das Schicksal ihm vorgeschlagen hat, völlig verläßt, und daß die Keime des Bösen, die in ihm lagen, tief in ihn eingedrungen sind. Es bedarf nur der Rückkehr mit gläubigem Herzen, um eine solche Figur wieder zum schönsten Licht zu entfachen.

Die Entschlüsse, die einen Menschen von großer Leidenschaft wie dieses kühle Mädchen, von ihrer klaren Bahn und aus der Familie wegtreiben, liegen oft mit der Kraft eines Abgrundes da in Momenten, wo sie am wenigsten erwartet werden. Der Übergang kann sich mit einer Plötzlichkeit vollziehen, der alle ratlos macht, welche die Zusammenhänge nicht erkennen, welche die Gesetze der Natur selbst mitten durch die Seele eines reinen Mädchens gelegt haben. Sie passieren zehnmal am Tage jene Stelle, wo ihr Leben furchtbar bedroht ist, ohne es zu wissen, und gehen in jenem Augenblick mit nachtwandlerischer Kraft in das Böse hinein, wo ihre Leidenschaft eine Laune gebiert, die jenseits ihres Gemütes liegt.

Diese Übergänge sind nicht weiter mit der Vernunft erklärbar, sie müssen nur bestimmt und von denen, die sie vornehmen, ausgetragen und erduldet werden. Das Schicksal ist gewaltig genug in jener gewitterhaften Güte, die es selbst über die Schuldigsten verteilt, auch an das Ende dieses Frevels ein Licht zu stellen.

Man kann nach Belieben bei Lady Grace alle jene Vorzüge voraussetzen, die eine Schilderung abkürzen werden, ihren Geist, ihre Erziehung, die Stellung ihres Vaters, ihre Lieblichkeit in gewissen Augenblicken, ihre körperlichen Fähigkeiten. Ihr Alter beträgt sechsundzwanzig Jahre, was erstaunlich ist, da ihr Vermögen auch das Leben ihres bevorzugten Bewerbers hätte ändern können. Ihre Nase, über jener schon sprichwörtlichen Verlängerung der Oberlippe hatte von der Seite einen leicht geschwungenen Bogen, sah von vorn aber fast etwas gesträubt und trotzig aus. Das gab ihr zwei Gesichter, ein durchgängig kühnes und ein romantisches, was sich sehr apart mischte. Ihre Figur, mehr groß als mittel, ward von jenem Dunkel der Augenfarben beherrscht, von denen man in gewissen Momenten erschrocken feststellt, daß sie hell wie das Meer und fast blau wie Perlmutt sind. Sie gehörte zu jenen Mädchen, die in den Mondnächten die Nachtigallen um ihren Gesang beneiden, in ihre Kissen weinen und selbst erstaunt sind, am Tag diese rätselhaften Spannungen aus sich gewichen zu sehen. Sie sind dabei von einer Verstandesschärfe, die nur jene Unerwecktheit ist, mit welcher die Mädchen in unbegreiflichem Instinkt unter den Erfahrungen her die Welt durchschauen und wohin sie erst durch die Weisheit der Leidenszeit wieder gelangen werden, ein Zustand, vor dem junge Männer zurückweichen, weil sie Überlegenheit und Stolz dahinter fürchten. Sie besaß dabei neben dem Weltblick, den ihre Erziehung ihr mitgegeben, eine Kameradschaftlichkeit, die jene Distanz der Männer zu ihr noch vergrößerte, weil sie so traumhaft sicher hingegeben ward.

Diese Sicherheit war es, die sie wie einen Diamant aufleuchten ließ, wenn sie im Abendkleid und phantastischem Schmuck in der Halle erschien. Es war ein unbeschreiblich siegreicher Schmelz in dem mit der Plötzlichkeit eines Schusses aufglühenden Lächeln, daß man, obwohl man sie haßte, ihr eine unvergleichliche Karriere voraussagte. Den Zorn der Frauen, die sich die Männer neideten, erregte sie erst durch ihre völlige Teilnahmlosigkeit für Bewerber. Man hielt sie für wählerisch und berechnend und nahm an, daß sie sich für den Besten aufhebe und vor Hochmut bis zum sechsundzwanzigsten Jahre noch keinen so Vortrefflichen gefunden habe, der ihren Träumen entsprach, während sie in Wahrheit ihre Seele noch nicht gefunden hatte und eigentlich eine Romantische war.

Diese Mädchen scheinen kalt, weil ihre Herzen glühender als die Möglichkeiten sind, die ihnen zu Gebot stehen, diese Herzen daran zu erproben. Man muß bedenken, daß das Fest, welches auf der Terrasse des Landhauses stattgefunden hatte, eigentlich eines der romaneskesten war, das die damalige englische Gesellschaft kannte, und daß Lady Grace bis zum Tod bleich und gelangweilt davon schien. Es war in den zarten und traumhaften Kostümen Gainsbroughs getanzt worden, dann hatte es geregnet, und nun gingen in der roten Dämmerung die Fenster alle auf und es roch nach dem Boden des Parks. In diesem Augenblick erregte es das Erstaunen eines jungen Mannes, daß ihr Auge sich auf ihn richtete.

Der junge Mann, der den Vorzug hatte, in Indien gekämpft zu haben, was seine Blässe und Melancholie mit einem dicken Kontrast unterstrich, war vor Schreck darüber fast erstarrt, in welcher Weise sich ihr Blick, während er auf ihm ruhte, veränderte. Ihm schwindelte ein wenig und er fühlte sich halb umstrickt, halb durchbohrt. Er folgte ihr, als sie das Auge zur Tür gleiten ließ: „Kann ich auf Sie vertrauen?“ frug sie mit grauenhafter Kälte. „Vergessen Sie nicht, daß ich das Leben von fünfhundert Menschen, die mir dienten, monatelang in Händen hatte,“ rief er. „Wollen Sie mir dienen, Charley?“ sagte sie mit einer Stimme, die ihn erzittern machte. „Diese Frage,“ sagte er ergriffen, „beleidigt das Herz, das nie etwas anderes tat.“ „Sie werden mich verlassen, wenn ich es wünsche?“ sagte sie ruhig. Er nickte betroffen. „Sorgen Sie für zwei Wagen. Vergessen Sie Ritch nicht abzuholen. Sie wohnt im Gartenhaus. Ich brauche einen älteren Begleiter. Nehmen Sie Davis und geben Sie ihm Geld, daß er einen Kammerdiener mitnimmt. Zweihundert Meter von der Parktür warten Sie auf mich in einer Stunde.“ Sie nickte und zog sich zurück. Zwei Stunden später fuhr das Mädchen nach Dover, ohne sich die Mühe zu nehmen, ihr Kleid zu wechseln, das sie unter einem Staubmantel verbarg.

Ritch war ein schwarzes Faktotum, das ihren Vater aus den Kolonien begleitet hatte und auf das sie sich blindlings verließ. Diese Negerin war eigentlich javanischen Blutes, fast schön, nur zu dunkel, stark wie ein Tier und von der Wachsamkeit eines Hundes. Was im zweiten Auto folgte, war ein Greis mit Kammerdiener und einer alten Gouvernante. Sir Davis war von der senilen Schwäche eines Lebemanns, der nicht genügend Mittel hatte, seine Leidenschaften in der Jugend zu befriedigen, in diese Hörigkeit zu jungen Damen angekommen, die nichts begehrt, als ihnen zu Diensten zu sein. Sie opfern sich auf für den Beruf einer Attrappe und würden ihr Leben hingeben dafür, daß sie in der Nähe dieser Wesen trotz des Zustandes ihrer Zähne noch bleiben dürfen. Sie werden nicht beachtet, auch nicht bedankt und erfüllen die Dienste des Hofmarschalls mit größerer Leidenschaft, als diejenigen des Liebhabers, als sie noch Wünsche hatten.

In der Nacht fuhren sie noch über und setzen die Autos auf die Strecke Paris, Dijon, Valence, Montélimar, Avignon.

Ehe sie Calais verließen, frug Lady Grace, als sie den Fuß auf die Dampfbarkasse setzte: „Ist das Telegramm abgegangen?“ „Es ist durch meinen Bruder vom Foreign Office aufgeliefert worden,“ antwortete Charley mit dem Ton eines Menschen, der etwas unerhört Schweres erledigt hat. „Dann kehren Sie zu Gaby zurück,“ rief sie mit jener Härte, die nur unverbrauchte Herzen über sich gewinnen, weil sie nicht wissen, wie unendlich sie damit schmerzen. Man muß wissen, daß sich bei ihrer Abreise eine Szene abspielte, deren Helden ihre Windspiele waren. Diese Tiere, die sie auf allen Einladungen, so auch nach York begleiteten, von denen einige noch von ihrem Vater kurz vor seinem Tod eingestellt waren, wollten sie nicht verlassen, holten die Autos ein und rannten eine Weile neben ihnen her. Sie hörten die Locktöne ihrer Herrin und wußten nicht, daß diese sie zum erstenmal zurücktrieb. Plötzlich begann ihr Lieblingstier Gaby etwas Unerwartetes, Ungeheures, es sprang über das hinrasende Auto. Diese Sprünge wiederholten sich, bis Lady Grace halten ließ. Man mußte die Tiere anbinden. Nun kommandierte sie den jungen Mann zum Schutz ihrer Tiere, ohne zu bedenken, ob er gemerkt habe, daß sie innerlich weinte, als Gaby ihre unglaublichen Sätze begann. Er konnte denken, daß sie ihn zu ihren Liebsten sandte, aber er vermochte sich dabei nicht voll Bitterkeit zu verschweigen, daß sie die Hunde mehr liebte als ihn. Ein englischer Junge dieser Kreise hat zum Glück genug Einfältigkeit, die Launen einer Frau zu prüfen. Er war tödlich gekränkt, aber, da er liebte, machte er sich ohne Umstände an den Anfang.

Das zweite Ereignis, das in jenem seltsamen Zusammenhang mit dieser Abreise stand, war der General-Appell des Mégroz-Clubs in New York, von dessen Bestand Lady Grace ebensowenig ahnte wie dieser Club von der Tatsache, daß eine glänzend schöne Frau sich anschickt, ein tödliches Wettrennen mit seinen besten Mitgliedern zu beginnen. Dieser Club, der sich nach einem der berühmtesten Eiskünstler nannte, vereinigte seine Mitglieder zum Curling. Das ist ein Spiel, welches, dem italienischen Bocca ähnlich, auf der Eisfläche geschossen wird und Kraft mit Gewandtheit verbindet. Man hielt sich jahrüber eine eigene geschlossene Eisbahn, was gewisses Aufsehen erregte, da dieser Sport in Amerika fast unbekannt war. Der Club hatte sehr strenge sportliche Satzungen, spielte Inter-League-Games und unterstand dem Olympischen Komitee. Man wird nicht vermuten, daß diese ernste Angelegenheit, die jeder Prüfung standhielt (denn keine menschliche Fähigkeit wird so genau kontrolliert wie das grausamste Spiel der modernen Zeit, der Sport) eine Lächerlichkeit sei.

Diese Sportleute fanden das Curling erbärmlich langweilig, es war ein Gesicht, das sie sich vorhielten, um ein anderes zu verstecken. Diese Zeit vor den Erfindungen der Tanks und der Vernichtungslust mußte Gefühle verstecken und mit den Kräften, die keine Auswirkung fanden, auf einer so gefährlichen Ebene zu spielen beginnen, daß sie ihr Leben und ihren Geist riskierten. Es gab so wenig Widerstände, daß man welche erfinden mußte wie jene Dächse tun, die sich Bauten so kompliziert anlegen, daß sie sie teilweise wieder zerstören müssen, um in ihren Hauptkessel zu gelangen. Hätte jemand vermutet, daß dieser Sport den Bedürfnissen seiner Mitglieder genügte, hätten sie ihn im Inneren für einen Verrückten gehalten. In der Tat hatten diese Leute eine ingeniöse Erfindung gemacht, sich das Geheimnis zu beschwören, nach dem sie lechzten. Das war eine Tambola der Gefahr, eine Machinerie der Leidenschaften, ein wahrhaftiger Apparat, dessen Einrichtung von genialem Irrsein war.

In dieser Einrichtung war ihr Schicksal mit einem Raffinement verbunden, das jeden von ihnen täglich mit aller Furchtbarkeit wahllos erfassen konnte, kurz, diese Leute waren begabte Spieler, die statt um Geld, das sie besaßen, um Erlebnisse spielten, bei denen mehr zu verlieren war als Vermögen. Vor allem verband sie, der Zuchtlosigkeit entgegen, die jedem erlaubte, nach Gutdünken zu leben, eine eiserne Disziplin, gegen welche der Gehorsam der Armeen ein Kinderspiel war.

Was sie beherrschte und im Notfall bestrafte, war ihnen nämlich unbekannt. Sie hatten sich eine geheimnisvolle Macht erfunden, die sie mit aller Tyrannei beherrschte, womit sie glücklich waren. Die Zucht, die diesen Haufen von Spielern, Abenteurern, Soldaten der Kolonialarmeen, Kenner oder Adepten des Wunderbaren, Blasierte und vom Leben Gezüchtigte zusammenhielt, verwickelte sie in fast jede scheinbar unmögliche Angelegenheit. Es wird nicht erstaunen, daß Curling nur ein liebenswürdiges Lächeln gegen die Welt darstellte, hinter dem sie zwischen halsbrecherischen Gefahren ja Verbrechen, sich jene Genugtuung ihrer Nerven verschafften, die verrückt, aber bewundernswert war.

Der eigentliche Vorgang war folgendermaßen: Das Haus war derart gebaut, daß es allen Entdeckungen auch durch Mitglieder gewachsen war und jede Manipulation erlaubte, die nötig schien. Jährlich wurden fünfzig Metallkapseln im Dunkeln gezogen, in einer befand sich der Schlüssel zu einem Verschlag, dessen Vorderseite eine viereckige Uhr war. Keiner, selbst der Besitzer des vorigen Jahres, wußte, in wessen Hand der Schlüssel kam. In dem Haus waren sechzig Kabinen aus Stahl, in denen die Mitglieder sich zu maskieren hatten, wenn sie aufgerufen wurden, einem Appell Folge zu leisten. Auch die Einrichtung der Kabinen, ihre Numerierung und die jedesmalige Verteilung der Nummern schloß jedes gegenseitige Erkennen aus. Ihre Vermummungen und die Art ihres Eintritts in den Hauptraum sowie die Abdämpfung der Lichter genügte ebenfalls, daß man nicht wußte, in wessen Nähe man sich befand.

Vor allem darf nicht vergessen werden, daß diese Leute das Geheimnis liebten, das sie eingesetzt hatten und toll gewesen wären, wenn sie es gelüftet hätten. Diese Leute flüchteten aus ihrer ungeheuren Macht in die Unsicherheit und waren damit beschäftigt, das Gift eines Frevels zu genießen und nicht, es zu enthüllen. Diese geheime Legion der Männlichkeit, die ihr Jahrhundert verachtete und seine Garantien wie seine Einrichtungen verlachte, besaß nur eine Abhängigkeit, das war jener Wille, der von dem Träger des Schlüssels ausging, welcher ihr Leben und Tod nach völligem Belieben in der Hand hielt. Wenn eine Sache dieser Welt groß oder verrückt genug schien, sich daran zu bewähren, berief er den Appell.

Zu diesem Zweck erschien irgendein Mann im Club und frug nach einem Glas Whisky. Dieser Mann mußte einen Satz sagen, der lautete: „Die Uhr ist aufgestellt, meine Herrn.“ Diese Uhr war die Seele des Clubs. Da sie Schicksale bestimmte, war das Grausen auf sie übergegangen, das man der Vorsehung schuldet. Durch eine Vorrichtung war es möglich, daß am Tag nach der Ankündigung jeder der Vermummten, wenn er den Schlüssel besaß, sich, ohne aufzufallen, in den Raum hinter der Uhr begeben konnte. Dies geschah durch eine liftartige Versenkung, die lautlos alle Etagen durchglitt. Man konnte von fünf Etagen über zwei Dutzend Gänge in den Saal kommen, es war unmöglich festzustellen, wer in die Uhr eintrat.

Diese Uhr ruhte auf drei Säulen und hatte einige ovale Öffnungen. Die Mitglieder mußten in den dämmerigen Raum vor die Uhr, einer nach dem anderen, treten, in dem Verschlag zur Seite die Maske lüften und weitergehen. Jeder tat dies mit dem furchtbaren Gefühl, daß hinter der Milchglasscheibe einer in sein Gesicht sah und über sein Leben bestimmte. Dies geschah so, daß der Mann, der nach Whisky fragte, einen Brief abgab, der in der Regel nur einen aus einer Zeitung gerissenen Wisch enthielt. In den kurzen Nachrichten der Journale sind in trockener Form die ungeheuerlichsten Dramen enthalten.

Der Fall, der diese Geschichte mit England und einem ereignisvollen Teile der Geschichte Asiens verknüpft, hatte ein schauderhaftes Aufsehen unter den Mitgliedern gemacht. Ihr unverbrüchliches Schweigen bewies, daß sie zitterten vor Erregung. Die ersten Dreißig waren ergebnislos passiert. Da blitzte ein weißes Licht und rollte in einen Ausschnitt der Uhr, daneben glomm in dem Schalter auf der Platte der Name George Good auf. Bei dem zweiundvierzigsten wiederholte sich eine Linie tiefer dasselbe. Der Name hieß nur: Capt. Pound.

Diese Uhr trug übrigens an der Seite ein Verzeichnis aller Namen des Clubs, hinter denen in einem breiten Feld ebenfalls kleine Glasgitter von verschiedenen Farben glühten. Dieses Verzeichnis konnte mit Auszeichnungen im Team gedeutet werden, es betraf aber die Frage, ob diese Leute sich im Spiel mit den Gesetzen berühmt gemacht hatten, ob sie unterlegen waren oder ob sie wegen Verräterei aus der Welt geschafft werden mußten. Das gelbe Licht war Verrat, das rote Verdacht, das weiße bezeichnete besonderen Ruhm, das grüne war der Durchschnitt, das schwarze das Todeszeichen. Dieses Register war für den, der es studierte, von den Schauern des Furchtbaren umweht, ein erschreckendes Thermometer jener Leidenschaften, die sich unterwarfen, um sich auszutoben. Bei besonderen Anlässen war dieses Register verhüllt.

Hinter den Namen Good und Capt. Pound glänzten die Scheiben grün, das Signal, daß, nachdem die Auszeichnung auf sie gefallen war, ihre Tätigkeit begann, die nunmehr neutral beurteilt ward. Jede Leistung begann auf diese Weise, aber keiner vermochte zu sagen, mit welcher dieser erschreckenden Farben sie aufhörte, weil noch verfehmter als das Mißlingen jene Untreue gerächt ward, die das Ziel aufgab oder dem Sinn des Auftrags sich entgegenstellte. Diese letzte Frage war diejenige, welche den Bann tödlich machte, der die Männer vereinte, weil sie mit letzter Raffiniertheit das Schicksal herausforderte, jenes Schicksal, das mit Vorliebe in menschliche Handlungen eingreift und sowohl ihre Kurve als auch ihren Sinn ins Gegenteil verkehrt.

Man muß gestehen, daß diese Vorkehrungen mit höllischer Genauigkeit getroffen waren. Nachdem die beiden Namen bekannt waren, gingen die Männer auf verschiedenen Ausgängen auseinander. Beim Curling hätte jeder sich eher die Zunge abgebissen, als daß er ein Wort über diese Dinge von sich gegeben hätte. Es versteht sich, daß das Geheimnisvolle halb gewesen wäre, wenn man es mit einer Silbe erwähnt hätte. Die Sitte des Verschweigens gestattet, das Ungeheuerlichste zu erleben. Es gibt keine Verschwörung, wenn man ihr die grauenhafte Größe nimmt, indem man davon spricht.

Am folgenden und den drei nächsten Tagen wurden an allen Börsen eine Masse Aktien der Nord W. L. Schiffahrtsgesellschaft gekauft. Der Agent, der das Paket erworben hatte, gab den telephonischen Auftrag zum Kauf von zwei Fabriken, in der einen wurden gewisse Sorten Edelstahl gewalzt, in der anderen wurden die Platten zu verschiedenen Zwecken zusammengesetzt. Am folgenden Tage erhielten die beiden Unterleiter des Direktoriums der Schiffahrtsgesellschaft einen seltsamen Besuch. Besuche verrückter Art sind in Amerika häufig, man schützt sich davor, indem man Leute in die Besuchszimmer der Direktoren setzt, die nicht die Direktoren sind, sie aber scheinen und in Haltung und Überlegenheit nachahmen, um die Besucher auszuforschen. Diese Täuschung ist eine der geringsten, welche die Handelswelt seit der Erfindung der alles zertrümmernden Trusts gegen die Menschheit vornimmt. Sie hat den Vorteil, daß von den großen Betrügern die kleinen entlarvt und die Narren beseitigt werden.

„Halloooo meine Herren,“ sagte Capt. Pound, der ein Stelzbein hatte, „ich besitze dieses Paket Aktien. Die Nummern finden Sie hier eingetragen. Hier ist die Bescheinigung des Notars. Die Mäntel liegen bei Hallgarten. Telephonieren Sie.“ Die Klerks blieben rührungslos, sie schienen aus Wachs, wie man es in Läden für Konfektion sieht. „Und was,“ sagte einer, aber es war nicht zu erkennen, welcher, „hat dieses Ihr Eigentum mit Ihren Wünschen zu tun?“

Sie sahen gar nicht auf die Papiere, die Pound auf den Tisch geworfen hatte. „Dies,“ sagte Capt. Pound, ohne im geringsten auf die beiden zu achten, „sind Beurkundungen, daß ich Besitzer der Rollway-Fabriken bin. Hier ist der Kaufvertrag. Hier die beeidigte Beglaubigung. Hier die letzte Bilanzabschrift des Unternehmens.“ Und er warf sie auf den Tisch. „Und,“ sagte einer der beiden Wachsmänner, die vermuteten, er wolle seinem Geschrei nach das Personal aus dem Hause treiben, „welchen Zusammenhang sehen Sie zwischen den beiden abgegebenen Erklärungen?“ „Darüber,“ sagte Capt. Pound, „werde ich mit dem sprechen, der am Ende dieses Gegenstandes sitzt,“ und er schlug mit dem Stock auf einen großen Kautschukbecher, der die Gespräche aufnahm, und wandte sich einer dichtwattierten Tür zu, die sich von selbst vor diesem unerschrockenen Besucher öffnete.

Den Tag darauf begannen Arbeiter der Rollway-Fabriken den Einbau einer unerhört gesicherten Stahlkabine in den Dampfer „Leviathan“. Ein Mann mit Stelzbein kontrollierte. Die Arbeit mußte in fünf Tagen beendet sein, sie war es nach viereinhalb, weil Pounds Anwesenheit zauberhaft wirkte, er verstand mehr von dem Geschäft als seine Ingenieure. Außerdem ließ er nachts arbeiten. Der geheimnisvolle Mann ließ die Arbeiter dauernd wechseln und übertrug jedem nur einen geringen Teil der Beschäftigung, auf diese Weise übersahen sie in der Tat in keiner Weise, was sie arbeiteten.

Dieser Mann, der sie beaufsichtigte, machte auf alle den fürchterlichsten Eindruck. Dieser Capt. hatte in einem Krieg, den einige Jahre vorher seine Nation mit Spanien geführt hatte, sein Bein verloren. Obwohl niemand heute die Tatsache für möglich halten wird, daß eine edelmütige Nation wie die amerikanische mit dem friedlichsten Volk der Welt in kriegerische Verwicklungen kommen konnte, da man vergißt, daß die kubanischen Erze die Wirtschaftskapitäne beider Länder wie die Irrsinnigen lockte, trotzdem schoß eine der damals noch kindlich primitiven Kugeln eines kleinkalibrigen Geschützes ihm in das Knie, fetzte den unteren Teil ab und Capt. Pound sah sein Bein ins Wasser fallen. Einer seiner Leute holte es wieder heraus. Er ließ es präparieren und führte es zu jeder Zeit mit sich. Man hätte diesen eleganten Mann für einen Professionel im Boxen gehalten, er war Ende der Dreißig, hatte das Gesicht eines quadratischen Orang und eine furchtbare Stimme.

Was jetzt geschah, ist aufs äußerste geheimnisvoll. Das Schiff fuhr nach Beendigung der Arbeiten ab, durchfuhr eine Reihe von Tagen das Meer und kreuzte einen Tag an einem Teil der chinesischen Küste. Die Nacht erhielt es Signale und einen Lotsen und botete die meisten Leute aus. Die Europäer und Amerikaner standen neugierig auf dem Verdeck und betrachteten in der Morgendämmerung eine grauenhafte Szene. Sie sahen einen Kilometer lang eine Treppe gegen das Meer herunterkommen, die sich oben in einer Wolke verlor. Sie schien aus dem Himmel förmlich herabzufallen, was noch geheimnisvoller dadurch war, daß die Sonne vom Meer her das ganze Bild grell beleuchtete.

Zuerst rannten einige Tiere, die man als Kamele erkannte, auf den Stufen herunter. Es waren vier Tiere, von denen zwei stürzten und mit zertrümmerten Knochen von Stufe zu Stufe herabglitten. Dann kamen Stelzenläufer. Die paar Mann an Bord rissen die Augen auf und lachten über die possierlichen Sprünge. Hinter ihnen her kam ein Trupp, der die Treppenknäufe besetzte. Ihnen auf dem Fuß folgte eine Kompagnie mit Fahnen an sehr hohen Stangen. Hinter diesem Trupp, der übrigens von einer herabrennenden Schar Musikleute begleitet war, kam ein Kamel, das sehr langsam geführt wurde und ein Zelt auf dem Rücken trug. Die Leute, welche Ferngläser besaßen, konnten dann Falkenträger mit ihren Tieren erkennen, zwei bronzene Löwen, die getragen wurden, Fächerträger und einige Leute, die sehr breite, kurze Banner hielten. Es schien sich eine große Zeremonie zu entfalten, aber man vermochte nicht zu erkennen, wozu.

Es folgte offenbar in einem Wall von Speerträgern ein rotausgeschlagener kleiner, fast ovaler Sarg, dahinter ein Heer von Papageien und Reihern, die fürchterlich schrien. Dahinter liefen Leute die Treppe herunter, die mit Bällen jonglierten, unter ihnen bewegten sich andere, die Goldfischgläser mit eiserner Ruhe trugen, davor ein majestätischer gelber Sonnenschirm, unter dem sich niemand befand, zuletzt eine ebenfalls leere Sänfte. Die Treppe führte direkt ins Meer, verbreiterte sich aber bei der Mündung in eine riesenhaft mit breiten Stufen herabkommende Terrasse.

An diesem untersten Teil der Stufe hielt eine Motorbarkasse des „Leviathan“. Nun traten, während sichtlich verhandelt wurde, ein Teil der angeschwollenen Menge, die sich vermischt hatte, zurück, und endlich wurde der kleine Sarg mit einem Dutzend Begleiter in die Barkasse übernommen, die sofort abfuhr. In diesem Augenblick fingen sämtliche Menschen, die die Treppe hinuntergezogen waren, an sie in einer entsetzlichen Flucht hinaufzurennen und man hörte in der Ferne ein Signal von Hörnern, die abwechselnd weich und lang und dazwischen scharf geblasen wurden. Dieser Vorgang war ungewöhnlich, in seiner Eile verwirrend, das Schreckliche daran bestand in der Atmosphäre der Unheimlichkeit, die er ohne Grund hinterließ.

Diese wurde aufs Furchtbarste erhöht. Es waren drei Personen übrig geblieben, die nun etwa zwanzig Stufen herabstiegen, bis sie links und rechts auf die Brüstung kamen, die schon über dem Wasser hing. An dieser Stelle erschossen sie sich und stürzten in das Meer. Der letzte trat bis an die unterste Stufe, setzte sich und schnitt sich den Leib auf. Er schnitt, nachdem er die Kleider bei Seite geschoben hatte, eine lange langsame Linie, die Eingeweide fielen ins Meer, er stürzte zurück und blieb liegen. „By Jove,“ sagte ein Mann am Reeling „er hat keinen Jonny Rumford, der sie ihm herausholt wie das Bein von Capt. Pound“. Der Matrose drehte sich um und bemerkte, daß Capt. Pound nicht anwesend war. Auf diesen Mann konnte sich Capt. Pound wie auf das Sakrament verlassen, er hatte jedoch, obwohl er in Kuba neben ihm gefochten hatte, vermieden, ihn von seiner Abwesenheit zu benachrichtigen. In diesen Augenblicken, die zwischen Grauen und Verständnislosigkeit schwanken, ist der Anblick eines verdutzten Gesichts eine wundervolle Rettung für den Verstand. Die Matrosen lachten, sie wieherten vor Vergnügen. Im selben Augenblick legte die Barkasse an.

Durch ein Signal wurde das Deck geleert. Die Leute, die heraufgestiegen, erblickte kein Auge. Sie nahmen Besitz von einem Teil des Schiffs, der nicht zugänglich war.

Das Geheimnis dieser Vorgänge ist völlig banal. Man wird es heute weniger verstehen, daß es Aufsehen machte als morgen und die Bedeutung, die man ihm beilegte, damit verstehen, daß in diesen Jahren der Untergang eines Eisbergs durch ein Schiff, das mit ihm zusammenstieß, die wahrscheinliche Ermordung einer Mutter durch die rothaarige Frau Steinheil in Paris oder die Flucht einer sächsischen Prinzessin mit einem italienischen Walzerkomponisten sensationelle Geschehnisse waren, die den Atem der Gesellschaft für Monate gepreßt hielten. Das Geheimnis, das nach Jahren noch nicht gelöst ward, hätten zwei Menschen leicht entschleiern können.

Der erste war natürlich Capt. Pound, der am Abend an Land gegangen, die Verhandlungen mit den Leuten über jener Treppe geführt hatte und sich daraufhin verabschiedet und mit einem Auto nach der nächsten Station hatte bringen lassen. Man war der Ansicht, daß er nach Peking fahren wolle. Der hühnenhafte Stelzfuß war drei Stunden am Strand zurückgelaufen und in der Nähe der Treppe trotz seinem Holzzusatz am rechten Bein nach dem Schiff zurückgeschwommen. Er hatte ungesehen seine Kajüte erreicht.

Hier nahm er ein Musterwerk der Mechanik vor, indem er eine Wand über seinem Bett öffnete, in einen Korridor geriet, von diesem in eine Stahlkabine, die allerdings nicht hoch genug war, um darin stehen zu können, dafür ein Ruhebett besaß, das sie in fünfundvierzig Grad diagonal durchschnitt. Der übrige Raum dieser Kabine war aufs verständigste ausgenutzt, um Lebensmittel, Wasser und Zigaretten unterzubringen. Der Mann hatte die Klappen hinter sich geschlossen, untersuchte die Nietungen, brummte, untersuchte die Nietungen an der anderen Seite der Kabine und nahm befriedigt Platz: „Diese Fabrik,“ sagte er, „fertigt die anständigste Präzisionsarbeit der Welt. Es lohnt sich, eine Zeitlang schräg zur Erde sich aufzuhalten. Im übrigen werde ich sie behalten, denn sie scheint ausbaubar zu sein.“

Dann erst sah er in einen Apparat, der einem Stereoskop glich. Es war der Beginn eines Scherenfernrohrs. Er vermochte durch zwei winzige Löcher, die der Ventilation dienten, von der Decke der Kabine, die er hatte einbauen lassen, diesen ganzen Raum zu übersehen. Er befand sich durch fünfzig Zentimeter besten Stahl getrennt neben dieser Kabine.

Diese wurde am Morgen geöffnet, einige Leute betraten sie und untersuchten zwei Stunden lang. Sie benutzten dazu nicht nur Instrumente, sondern auch die Zunge, um geheime Ritzen zu erkennen. Capt. Pound, der offenbar wie auf die Auferstehung auf die Zuverlässigkeit der Mechanik vertraute, konnte es nicht unterlassen, während dieser Zeit Zigaretten zu rauchen. Der tollkühne Bursche hatte die Frechheit der Abenteurer, die jeden Einsatz auf der höchsten Quote spielen, ähnlich den Seiltänzern eines verschwundenen Jahrhunderts, die lieber zwischen Kirchtürmen, als in mittlerer Höhe und mit einem Netz geschützt laufen. Es gibt eine Berufsehre, die den Militärs mit den Verbrechern gemeinsam ist und die beide veranlaßt, mit der möglichsten Kühnheit zu leben.

Als die Untersuchungen abgeschlossen waren, wurde mitten in dem Raum, der vorher mit Blendlaternen übertaghell erleuchtet war, der Sarg, offen, aufgestellt, worauf der Raum in einem leichten grünen Licht schwamm. Daraufhin wurde die große Stahltür geschlossen und man konnte eine Scheibe aus meterdickem Glas darin beobachten, die trotzdem durchsichtig genug war, den Raum zu kontrollieren. Die Leute, die diesen Transport zu erledigen hatten, hatten scheinbar die Tür plombiert und mit Wachen umzingelt, denn das Schiff begann sich zu bewegen.

„Capt. Pound,“ sagte der Matrose Jonny Rumford, „ist nicht zurückgekehrt. Er wird seine Gründe haben. Wir sind nicht allein. Sein Bein ist da.“ Er ahnte nicht, daß Pound seine Ruhe, die er vor Kuba behalten hatte, als er ihm sein Bein überreichte, verloren hatte. Capt. Pound hatte damals, obwohl er vor Schmerz weiß geworden war, gesagt: „Das nächstemal deines, Junge, ich werde es dir bringen.“ Capt. Pound starrte wie ein aufgeregter Verrückter in das Fernrohr. In dem offenen kleinen Sarg lag jene schauerliche Sache, die diesen Mann in seinem kleinen Käfig fast ersticken ließ, und deren Anziehungskraft stark genug war, ein junges Mädchen aus einem völlig vortrefflichen Dasein in das Verbrechen hineinzujagen, dem sie ebenso überlegen war wie den Tugenden.

Der zweite Mann, der das Geheimnis kannte, aber gelächelt hätte, wenn dieses Wort an sein Ohr gedrungen wäre, bedarf einer Minute Pause, um ihn einzuführen, weil die Literatur seinen Namen mit jenem Pomp behängt hat, den armselige Skribenten anwenden, wenn ihnen ein Begriff die Mühe ersetzen soll, einen Menschen darzustellen, dessen Schilderung sie nicht gewachsen sind. Eine gute Literatur tut gut daran, einen Menschen so zu bringen, daß man seine Stellung nicht kennt, denn die unbegabten Schriftsteller haben um gewisse Sachen einen Lärm gemacht, daß die Leser unter dem Namen schon Vorstellungen empfangen, die die erlesenste Schilderung nicht mehr beseitigen kann. Diese schlechten Zauberkünstler haben es fertig gebracht, daß ein Feldherr etwas Vollendetes erscheint und unmöglich pucklig und feig geglaubt wird, daß ein Flieger schlank und kühl sich vorgestellt wird, während das in der Regel neurasthenische Affen sind, daß man eine französische Frau kokett und eine englische langweilig findet, während die einen nur natürlich, die anderen höchst amüsant sind. Diese Schriftsteller haben es in hunderten von Fällen fertig gebracht, daß man sich entschuldigen muß, eine Illusion zu zerstören, die im Grunde nichts wie eine Bequemlichkeit unfähiger Leute war.

Die Kunst des Schreibens besteht in vielem darin, daß, wenn etwa von einer Wendeltreppe die Rede ist, der Leser nicht begeistert mit dem Zeigefinger eine Spirale in die Luft haut, sondern sprachlos vernimmt und glaubt, daß sie viereckig ist. In der Tat ist schon bei den Ägyptern eine Wendeltreppe stets ein im Grunde quadratischer Aufbau gewesen, und die Römer sind ihnen darin ebenso gefolgt wie die Früh-Germanen und Juden.

Diese Person ohne Zweifel, die der Anlaß einer immer schneller dem Ende sich nähernden Geschichte ist, ist von berückender Schlichtheit. Sie hatte das Unglück, eine Kette, die nicht den geringsten Wert besitzt, da sie keiner der bekannten Edel- oder Halbedelstein-Arten zugehört, zu zerreißen. Diese Person hatte Gründe, die nicht verheimlicht werden sollten, diese Kette in Europa reparieren zu lassen.

Diese Zusammenhänge sind von kläglicher Einfältigkeit. Würde ich Sie fragen, wie Sie sich den chinesischen Kaiser vorstellten, würden Sie ihn dick und würdevoll, offenbar mit der Unbequemlichkeit einer Krone, eines Szepters und eines Baldachins vorstellen und damit eine beklagenswerte Dummheit der Zivilisation vollziehen. Das in der Tat Wunderbare ereignet sich allerdings sekündlich in aller Öffentlichkeit dieses mechanisierten Zeitalters, ohne beachtet zu werden. Man hat sich jedoch, wahrscheinlich als Entschuldigung für soviel Blindheit einige phantastische Vorstellungen aufgebahrt, an denen nicht gerüttelt wird. Man begeht in fröhlicher Laune die Vergewaltigung, Menschen und Vorgänge, die unter den wirtschaftlichen Gesetzen der modernen Zeit stehen wie wir auch, zu geheimnisvollen, fast göttlicher Einwirkung fähigen Sachen zurechtzudenken.

Diese Kritik an der Zeit wäre im Munde eines Räsoneurs in der Tat voll großer Möglichkeiten. Diese Geschichte ist nicht im Stile Diderots geschrieben, sondern in einem verbrecherisch stoßenden Wagen erzählt und handelt von Halunken, deren Tempo und Technik auch die Erzählung anzunehmen hat. Dieser junge, elegante Mann also, dessen Stirn ein großes Nachdenken gefaltet, eine noch tiefere Weisheit aber wieder geglättet hat, der in dieser Nacht im Auto ankam und am Morgen auf dem Meer den „Leviathan,“ auf der anderen Seite des Hügels einen Garten mit Springbrunnen, kleinen Kindern und Pelikanen beobachtete, wäre ohne Zweifel zusammengestürzt unter der Welle von Reflexionen, zu denen selbst Schiller und Moliere ihren Teil gegeben haben, wenn er unter jenem Titel vorgeführt worden wäre, dessen Machtvorstellungen ihn einfach zertrümmert hätten.

Dieser junge Mann, den jene Wolke nebst seinem Haus den Blicken Jonny Rumfords und seiner Kameraden entzog, war in der peinlichen Lage, vor einer der Legenden zu fliehen, die die Stütze eines Staates und der Dynastie, aber den Beteiligten ein Stachelbett der Unbequemlichkeiten sind. Er versuchte sich eines Wunders zu entledigen, dessen Tatsache die Leute so verrückt zu machen schien, daß sie es in der Tat erlebten. Jene zerrissene Kette, die unter Pounds Kontrolle auf dem Meer schwamm, sollte eine Kraft haben, die einer vertausendfachten Leidenschaft glich, das heißt, wer sie sah, ward von der Begierde angefallen, sie zu besitzen.

Diese Albernheit, die einer Anzahl Menschen, welche die Tradition lieben, zum Verhängnis und Tod gedieh, veranlaßte den klügeren Besitzer, sie aus dem Lande zu bringen, bis er den Gerüchten der Masse das Gerücht entgegensetzen konnte, sie sei in der Tat wieder vollendet zurückgekehrt. Man mußte sich einer Legende bedienen um eine Legende zu parieren ebenso, wie Achilleus sich in ein Löwenfell wickeln ließ, um einen Löwen zu erwürgen. Es ist bezeichnend für die Dummheit der Menschen, daß selbst Leute von der überlegenen Klugheit Europas, die dieses Metier der gutwilligen Fälschung in Kriegen und Revolutionen brillant verstanden, auf den Leim eines Wunders gingen, von dem der Urheber sich halb ärgerlich gerade befreit, der Urheber, den man als Kaiser vorzustellen freilich ohne diese Vorbereitung nicht den Mut besitzen konnte. In diesem Sinne waren selbst jene Menschen, die ihr Leben einsetzten um dieser banalen Sache willen, vollkommen Betrogene, aber es ist zu ihrer Erläuterung zu sagen, daß die Ziele eines Herzens in dieser Welt nicht wichtig sind, die Erlebnisse des Herzens aber ungeheuer gewogen werden.

Bald darauf, vor Genua, kam Lady Grace an Bord. Das Telegramm des Foreign Office hätte ihr die gepflegteste Aufmerksamkeit gesichert, wenn man sie ihr nicht von selbst gewidmet hätte. „Gehen Sie,“ sagte sie, als sie das Schiff betrat, zu Sir Davis, der ihren schwarzen Shawl auf dem Arm hatte „und erzählen Sie mir beim Lunch, was Sie mir bieten wollen auf diesem Floß, auf das Sie mich geschleppt haben.“

„Sie ist sechsundzwanzig,“ sagte Sir Davis zu dem Kapitän, der von ihrem Lächeln nicht rasch genug entzückt war, „aber sie besitzt die Linie von achtzehn und den Verstand von fünfunddreißig, wo er gerade groß genug ist, auch vom Genuß noch ein paar Jahre etwas zu haben.“

„Wir,“ sagte der Kapitän, der jenen amerikanischen Typ Männlichkeit verkörperte, der halb weibisch, halb mulattisch wirkt, und steckte die Hände in die Manschetten, „wir, die zehn Monate des Jahres unter Männern und auf dem Wasser sind, haben, wie mir scheint, die gleichen Ideen wie die Herren vom Land.“

Er salutierte und dachte dabei an Ritch. Er fand Grace zu mager. Mit der Geschicklichkeit der Leute, die das für sie Unerreichbare aus ihrem Geschmack ausschalten, hatte er infolge ihrer runden Formen die Javanerin, die ein hübsches Tuch als Turban trug, bereits in sein Herz geschlossen. Sir Davis konnte Grace von dem Geheimnis erzählen, über welches das Schiff munkelte. Ritch erhielt gewisse Befehle. Der Kapitän widerstand der Neugier einer so hochstehenden Dame. Der chinesische Sekretär vermochte in der Angehörigen eines der höchsten englischen Beamten keine Feindin seiner Aufgabe zu sehen. Auf diese Weise erblickte Lady Grace die Kette durch das Glas.

Capt. Pound kam in die Lage, durch sein Scherenfernrohr zum erstenmal eine beispiellos schöne Frau zu sehen, die die Kette besichtigte. Er sah dieses Gesicht öfters und es prägte sich ihm ein. Pound empfand einen Haß gegen dieses Gesicht, das sich mit seinen meerblauen Augen an die Kette festsaugte und von dem er bemerkte, daß es zitterte. Es bebte nicht mit den Nerven oder mit den Augen, es zitterte mit der ganzen Gewalt einer Gefangenheit, die hinter einem kühlen Gesicht sich bäumt. „Ich gehe meine Bären füttern,“ sagte sie im Scherz, wenn sie hinunterschlüpfte. In der Tat, sie hatte etwas von der Leidenschaft der Dompteusen, die ihre Macht über die Tiere genießen und dabei selbst etwas von der Grazie und der Gefährlichkeit ihrer Tiere angenommen haben.

Sie hatte die blitzhafte Kraft in der Wirkung ihrer Erscheinung beibehalten, aber es war ein wenig von der geheimnisvollen Gefahr der Steine auf ihr Gesicht getreten. Ihre Anmut schien voll tödlicher Schrecken, ihre Gefahr aber war ihre Anmut. Lachend verwöhnte sie die Wärter mit Früchten und Zigaretten. Die kleinen Chinesen aßen ihr aus der Hand wie einem Wärter die Katzen. Vor Marseille gab sie ihnen Opiumzigaretten, sie wirkten nicht und sie mußte das Experiment vertagen. Inzwischen hatte Ritch eingesehen, daß der Kapitän gewisse Eigenschaften, die ihn auszeichnen müßten, ebensowenig besaß als Schlüssel.

„Dieses Glas,“ sagte Sir Davis eines Tages vor der Stahlkabine, „muß eine luftleere Füllung besitzen, sonst wäre das Gestein nicht zu sehen.“ „Zehn Jahre auf dem Ozean,“ sagte der Kapitän, „und es interessiert Sie nichts mehr als eine Frau.“ „Aber,“ sagte Sir Davis, „deshalb vermag doch ein gewisses Quantum Luftleere zwischen dem Glas sich zu befinden“. „Möglich,“ erwiderte der Kapitän und nahm eine Pfeife in den Mund und pfiff, „ich kümmre mich nicht darum.“ Diese Hoffnung ging für Grace verloren. Ritch verschaffte ihr aus dem Zimmer des Sekretärs den Schlüssel, nachdem sie ihn narkotisiert hatte. Man war vor Lissabon, die Wärter hatten ein Mittel im Bauch, das sie wie Klötze liegen ließ. Der Dampfer hatte schon angelegt und sollte am nächsten Tag nach Rotterdam fahren.

Das Mädchen trug einen schwarzen Ledermantel mit einer ähnlichen Mütze. Als sie den Schlüssel umdrehte, der nach einer besonderen Weisung gedreht werden mußte, brach er ab. In dem gleichen Augenblick sah sie einen furchtbar aussehenden Mann eine Tür aus der gegenüberliegenden Wand herausdrücken und sich blitzschnell nach dem kleinen rot ausgeschlagenen Sarg hin bewegen. Ehe er zugriff, schoß Lady Grace einmal in das Glas. Es war nicht luftleer gefüllt und die Kugel prallte ab. Den zweiten Schuß gab sie in das Schloß, die Kugel drang ein, blieb aber stecken.

Zwischen den beiden Schüssen sah sie plötzlich von der Decke einen Matrosen herabstürzen. Dieser Mann war ohne Zweifel schön und bei anderer Zeit hätte man ihn bewundert. Er hatte eine klare weiße, fast zu hohe Stirn, was seinem Kopf eine Bedeutung gab, die etwas zu stark war für die banale Schönheit seiner Mund- und Augenpartien. Die Nase war nicht gerade edel, aber stolz genug, die übrigen Gesichtsfehler zu beherrschen und einheitlich zu machen. Seine blauschwarzen Haare setzten mit einem Halbbogen wie bei Jüdinnen an und waren tief und lang zurückgestrichen. Dieser Mann, der eine Spur zu gewandt war, um nicht weichlich zu wirken, griff nach der Kette. Es war zweifellos, daß er kein Matrose war.

Capt. Pound rollte die Augen, als ob er sterben wolle. Dieser Mann war George Good, sein Partner, der ihm die Beute abjagte und den er nicht berühren durfte, solange dieser nicht einen Verrat beging. In diesem Augenblick, den ihre Pupillen sich ineinanderbissen, griffen beide nach der Kette, es ward dunkel. Man stürzte auf die Schüsse herbei. Da man den Eingang durch die Kugel versperrt fand, mußte die halb wahnsinnige Grace den Eingang von der anderen Seite erklären. Man fand, wie sie gesagt hatte, durch Capt. Pounds ehemalige Kabine keinen Eingang, kam jedoch durch ein Loch über den Schornstein herein.

Ein Mann, der tagelang mit einer Rauchmaske gearbeitet haben mußte, hatte mit einer Unmenge Säure den Stahl zerstört. Im Innern fand man die Mechanik der Klapptüre, aber man kam nicht weiter, da die Öffnung nach dem Korridor und Pounds Kabine nur durch ein seltsames System von Druck- und Klopfbewegungen herzustellen war. Die beiden Männer mußten durch den Schornstein geflohen sein. Mittlerweile hatte Lady Grace jene Kälte angenommen, die unbegreiflich ist, wenn man sie vorher kannte. „Laternen“ schrie sie sofort, während die anderen noch untersuchten, Davis ins Ohr.

„Sechsundzwanzig Jahre,“ flüsterte der alte Seigneur, als er die Blendlaternen rollen ließ, „aber das Genie eines Feldherrn.“ Sie entdeckten zwei Boote und folgten mit einem der kleinen Motore, die heruntergelassen waren. An der im glatten Hafenwasser noch stehenden Furche sahen sie, daß sie einen Motor vor sich hatten. Auf der Verfolgung hörten sie Ruderschläge. Sir Davis, der einen Scheinwerfer bediente, richtete ihn nach der Seite. Sie hatten zwei Matrosen bei sich und schossen durch ein Gewirr von Dampfern. Die Ruderschläge gingen nach der Seite und sie sahen einen Kahn, der, von einem Tollen gerudert, gerade an einem Segler anlegte. Sie schossen hinüber.

Bei ihrer Ankunft hatte der Mann sich an Bord begeben; indem er einen ganz unglaublichen Sprung, aufs Ruder gestützt, gemacht und ein Tau erreicht hatte. In diesem Moment zog einer der Matrosen Lady Grace bei Seite, bekreuzigte sich und hob den Daumen in die Höhe. Sie erkannten am Wimpel, daß das Schiff die Pest und das gelbe Fieber hatte. Sie hatten sich dem Quarantäne-Schiff genähert. Grace war außer sich. Sie warfen den Motor herum, fanden die Spur des anderen und folgten, sie sahen das Motorboot lediglich an einer Mole treiben. Als der Matrose auf das Fieberschiff sich schwang, hatte Lady Grace ihn erkannt. „Photographiere“ zischte sie und Ritch faßte ihn mit einer wunderbaren Magnesiumflamme.

Der eine Matrose hatte ihn ebenfalls erkannt. „Capt. Pound,“ sagte er zu sich, „war an Bord. Wir waren nicht allein. By Jove, er hat bestimmt, auch wenn es das erstemal ist seit Cuba, Gründe, sein Bein zurückzulassen.“ Er täuschte sich. Es war vielleicht der verrückteste Erfolg, den Pound in seinem Leben hatte, als er sich mit seinem Bein unterm Arm auf das Fieberschiff schwang, das er vor Wochen nicht verlassen durfte und von dem der unerschreckbare Bursche nach drei Tagen ans Ufer schwamm.

Lady Grace schäumte vor Wut. Dieses junge Mädchen war von der Pranke des Geheimnisses erfaßt wie ein Süchtiger von dem Mond, der ihn verzaubert. Sie zermarterte hinter der glatten ruhigen Stirn ihr Hirn, man hätte sie nach dem Namen ihrer Mutter fragen können und sie hätte mit der Antwort gezögert. Sie bebte vor Zorn, daß sie besiegt war und verstand diesen Zustand hinter einer Vernunft zu verstecken, die eigentlich Mathematik ist.

Ein junges Mädchen, das vor Leidenschaft beginnt, ihre Chancen zu berechnen, ist in der größten Gefahr, weil sie ein fürchterlicher Gegner geworden ist. Sie treibt die Waffen der Feinde zur abscheulichsten Grausamkeit. „Ich habe,“ sagte sie sich, „Ritch, die für mich zu sterben bereit ist und Mittel. Dazu zähle ich Davis. Er ist ein Gerippe, aber dieses Gerippe ist ehrgeizig auf seine Männlichkeit, darum wird er unendlich treu sein. Im übrigen werden wir sehen,“ und sie biß sich auf die Lippen mit einem Ausdruck, der hätte sagen können, sie meine das Leben ihres Vaters.

Man wird diesen Zustand der Leidenschaft nur begreifen, wenn man immer daran festhält, daß, wenn das Höllische in ein so reines Gefäß fällt, es sämtliche Kraft zu allen guten Handlungen, ja selbst die zärtesten und unausgesprochensten Gefühle zu einer unglaublichen Energie zusammenbindet. An Hand der Photographien erfuhr sie in kurzer Zeit, daß Pound in Lissabon war. In Lissabon findet man jemand, den man sucht, leichter bei Nacht als am Tag. Auf der Placa do Commercio kauft man um Mitternacht nicht nur Tänzerinnen, sondern auch Gemüse. Dies Volk der Weltentdecker hat eine bezaubernde Art, seine Vergangenheit auf den Banknoten zu verherrlichen, die sie mit einer solchen Leichtigkeit ausgeben, daß die Geschäfte genötigt sind, die ganze Stadt nachts zu illuminieren. Hier läuft, während in den Varietés Quadronen und Mestizinnen tanzen, die Hochbahn wie auf Seilen durch den Sternhimmel, die Motorräder brausen vorüber, und wer auf einem zweispännigen Wagen oder einem Auto oder Sattel sitzt, schwenkt den Hut, um die Damen auf der Avenida in ihrem Korso zu begeistern, wenn sie zu einer ihrer heißblütigen Beichten gehen, zu denen die Kirchen die ganze Nacht offen stehen.

Lady Grace vermutete, daß es leicht sei, in diesem Tollhaus die Spur eines Mannes zu entdecken, den sie berauben oder zum mindesten übertölpeln wollte. Sorge machte ihr lediglich der Gedanke an jenen Matrosen, von dem sie nicht annehmen konnte, daß er Pounds Gehilfe war, da er gezittert hatte. Auch war ihre gemeinsame Flucht diejenige von Gegnern. Sie fühlte, daß sie diesen Mann nicht genügend bei ihren Plänen bedachte.

Sie machte trotzdem den Fehler, den imposanteren Mann für den gefährlicheren Partner zu halten, in den eigentlich nur Frauen fallen, die geliebt haben. Sie bedachte nicht, daß George Good sie gesehen hatte und sie von seiner Seite beobachtete.

Good, der auf eine glänzende Weise den Capt. übertölpelt hatte, indem er auf dessen Schiff sich aller Energieaufwände Pounds bediente wie die Parasiten, die in der Gestalt von Vögeln im Mund der Krokodile Sicherheit und Nahrung haben, um damit den Capt. zu betrügen, war ohne Zweifel vorderhand der geschickteste Feind. Er war der elegantere, das heißt der klügere. Seine Weichheit erlaubte ihm, auf Brutalität zu verzichten, aber die Rohheiten seines Partners durch seine Intelligenz auszunutzen. Er war eine jener glücklichen Naturen, dem diese Abenteuer dennoch ein, wenn auch glänzendes, so dennoch begrenztes Spiel da noch blieben, wo die anderen schon Fanatiker und damit gebunden waren. George Good beobachtete noch, wo Pound schon schäumte.

Als er im Augenblick der Schüsse, die Grace abgefeuert hatte, ihr Gesicht, daß er täglich beobachtete, sah, war ihm die Leidenschaft dieser Frau noch nicht klar. Er war entfernt, eine Besessene in ihr zu sehen, aber zu intelligent, einen so ungewöhnlichen Vorgang mit einer Liebesangelegenheit zu verquicken. Da er Lissabon an dem ersten Tag nicht verlassen konnte, reizte es ihn, das Geheimnis der Frau auszukundschaften. Er ging dabei in seine eigenen Netze. An diesem Tage wurden zwei Dutzend Offiziere der Marine verhaftet und der Hafen gesperrt.

Good hatte in einem Kasino masqué beim Chemin-de-Fer-Spiel Grace gesprochen und über die Halbmaske mit ihr Worte zu wechseln versucht. Sie hatte sich umgedreht, da sie ihn nicht erkannte und mit ihrem Hochmut den Mann gereizt. Er hatte in ihrem Hotel Wohnung genommen. Es gelang ihm, eine Sekunde in ihr Zimmer einzudringen. Zu seinem Unglück sah er sofort das Bild des Capt. Pound und hielt sie für Pounds Geliebte, ohne zu ahnen, daß jeder Detektiv Lissabons dieses Bild in der Tasche trug. Er fühlte sofort, daß er Pound unterschätzt hatte, der mit solchem Aufwand vorging und reiste dahin, wo man ihn am wenigsten vermuten konnte, nach Rotterdam.

Grace hatte natürlich das Fieberschiff umstellen lassen und Spitzel in der Baracke, durch welche die Gesundeten in Quarantäne gingen. Da sie Geduld noch nicht zu ihren Waffen zählen konnte, machte sie sich auf einen Einbruch in das Schiff bereit. Hier konnten ihr weder Davis noch Ritch zu Diensten sein, sie sandte sie weg. Davis hatte ohne Zweifel soviel in seinem Leben nicht flaniert. „Wenn sie,“ sagte er sich, „meine Augen ruiniert, wird sie mir gestatten müssen, sie mit den Händen zu befühlen. Praxiteles soll im Alter auf ähnliche Weise die Schönheit wahrgenommen haben.“ Im übrigen war dieser Geck bis zur Besinnungslosigkeit treu. Da sein Verstand sich vollkommen auf den Dienst bei jungen Frauen eingestellt hatte, war ihm das Bewußtsein des tieferen Sinns aller Vorgänge abhanden gekommen. Sein Verstand arbeitete wie die Vernunft der Setzer, die ein Wort aber nie einen Satz im Gedächtnis behalten. Er war vielleicht der geschickteste Detektiv, weil für ihn schließlich jeder Mann ein Konkurrent war und nur der Hahn das beste Gehör für jenes siegreiche Kikeriki eines anderen besitzt, das noch kaum angestimmt ist.

Als Grace sich zu dem furchtbaren Schritt entschloß, sich durch eine reichliche Bestechung an das Fieberschiff fahren zu lassen, erfuhr sie, daß Pound an Land sei. Eh weiteres bekannt ward, sprach erst sie dann Davis mit Good. Grace hatte ihn verachtet.

Die Maske hatte Davis eingeholt: „Diese Dame,“ sagte sie ihm ins Ohr, „könnte eine Prinzessin sein, denn sie ist sehr stolz. Vermutlich kann sie eine Bürgerin sein, denn sie setzt so hoch, wie Aristokraten es nicht tun würden, die den Reiz des Geldes schon zu lange kennen, um es so unsinnig auf die Kante zu setzen. Aber ich wette, sie vermöchte auch, nachdem ich ihre Augen gesehen habe, die Geliebte eines Piraten sein, der eine Kanonenkugel von achtzehnhundertsiebzig als Kopf, einen Boxhandschuh als Herz, eine Leber an Stelle der Nase und als Charakter ein Stelzbein hat.“ „Dies erste“ erwiderte Davis ihm, „ist sie nicht, aber sie kann es jeden Tag sein. Der zweite Verdacht stellt Ihren Scharfblick so in Frage, daß man zweifeln muß, ob Sie ein Edelmann sind, so daß daher leider für die dritte infame Frage Sie von Sir Joshua Davis nicht zur Rechenschaft gezogen werden können.“ Der alte Geck benahm sich wie ein verliebter Franzose und ließ den Maskierten stehen, nachdem er sich aus Eitelkeit verraten hatte.

Zwei Stunden später war Good im Hotel. Den Tag nach ihm reiste Pound ab, der ihn beobachtete. „Vielleicht,“ sagte sich Grace, „ist auch Good hinter Pound hergefahren,“ als Ritch ihr erzählte, daß sie Good auf dem Gang in dem Moment angetroffen hatte, wo er wie durch Irrtum ihre Tür öffnete. Auch Davis erinnerte sich an den Mann, mit dem er gesprochen hatte. Diese Personen, die nach Graces Angaben suchten, hatten alle durch ihre Fehler nur das Wesen Pounds zu entziffern gesucht in dieser Stadt, die sie wie ein Karneval überfiel und Good nicht beachtet. Grace richtete sich auf beide nunmehr ein, nachdem sie eine Niederlage von demjenigen erhalten hatte, den sie verachtet hatte. Sie hatte nunmehr seine Witterung.

Sie folgte bis Rotterdam. „Welcher von beiden hat die Kette?“ fragte sie sich in zwei Nächten, die sie im Zug verbrachte. „Wer verfolgt und wer wird gejagt? Ist das ganze Arrangement gar eine Täuschung? Vielleicht führt sie ein Dritter weg, während ich hinter diesen beiden her bin? Genug,“ endete sie jedesmal mit seltsamer Gelassenheit, „sie ist da, ist geraubt, sie muß zu finden sein.“ Das hieß, daß sie an ihre Mittel und ihre Leidenschaft glaubte. Sie war derart besessen, daß sie vollkommen überlegen war.

Woher, fragt man, besaß dieses Mädchen, das vor drei Wochen die behütetste Erbin in York war, die Kenntnis dieser Welt, diese Erfahrungen, die einen Abgrund an Lastern voraussetzen, jene ungewöhnliche Sicherheit, die nur großen Kokotten oder alten Lebemännern eigen ist? Diese Frage erledigt eine Tatsache: ihr Genie. Die Tradition einer alten Familie hatte in ihr alle Fähigkeiten, der Welt gegenüber sicher zu sein, so vorbereitet, daß im Augenblick, wo sie innerlich entflammte, sie wie durch ein Geheimnis die Erfahrungen übersprang und aus dem Genie ihres Instinkts heraus alles beherrschte. Ihre Besessenheit gab ihr die Überlegenheit über die Ideen des Lasters und Verbrechens ebenso zu gebieten, wie sie es über diejenigen der Tugend und der Mädchenhaftigkeit getan hätte. Sie hatte sofort und ohne Probezeit den Schritt vom nichts zur Vollkommenheit getan.

Ungeschickterweise setzte man sie in Rotterdam auf eine falsche Spur. Es schien, als solle sie nicht aus der Eisenbahn herauskommen. Sie fuhr diesmal hinter Good her bis Warnemünde, von wo dieser nach Dänemark übersetzen sollte. Diese Nachricht kam von einem Paßbureau und zu ihrem Unglück prüfte sie sie nicht genauer. Sie verwirrte die Fäden damit ins Unendliche. Die drei Hauptspieler dieses Stückes hatten sich bereits derartig eingekreist, daß es kein Entrinnen mehr gab. Da einer immer den anderen beobachtete und mindestens vom Aufenthalt eines der drei auf dem Laufenden war, trafen sie sich stets zusammen und hingen mit unsichtbaren Ketten einer Leidenschaft aneinander, die ungeheuer war, aber deren Gefühle sich aufs schroffste unterschieden.

In der Tat reiste George Good nach Warnemünde, aber ohne Paß, und erst nach Lady Grace. Pound, der erfuhr, daß Good hinter einer Frau nach der Ostsee fuhr, erlitt einen Wutanfall. Nach der Beschreibung war kein Zweifel, daß es sich um jenes Weib handelte, das er tagelang durch sein Scherenfernrohr an dem Glas seiner Stahlkabine gesehen hatte. Er brachte es mit seinem Hereinfall zusammen und schlug die Zähne aufeinander vor Ärger. Er zweifelte nicht daran, in dieser Frau Goods Helferin und Geliebte zu sehen und war bereit, ihnen einen furchtbaren Streich zu spielen. In diesem Fall vereinte der Zufall, auf den zu setzen ein Wahnsinn, den nicht zu bedenken ein noch größerer Unsinn ist, die zwei Männer und die Frau, welche zu folgen glaubte, aber die Gejagte war. Angekommen, erreichte sie es, das Zimmer des Mannes zu sehen, hinter dem sie herzusein vermutete.

Einer jener seltsamen kleinen Zufälle, die scheinbar Beweise sind, ließ sie ein halbgeräumtes Zimmer sehen. Da die Fähre ausgeblieben war, hatte der Mann das Stations-Flugzeug genommen und sie sah dieses am Horizont noch niedergehen. Sie verfolgte das Wasserflugzeug, das eine Panne hatte, mit einem Küstenmotorboot, einem abscheulichen plumpen Kahn, der sie halb tot puffte und erreichte es, als der Passagier von einem der Hochsee-Fischerboote aufgenommen wurde, die drei Masten haben und wie eine Arabergasse stinken. Dieser Herr aber, den sie an Reeling rufen ließ, hatte nicht nötig, ihr die Gründe seiner Eile anzugeben, denn sie hatte dieses Gesicht auch im Traum noch nicht gesehen.

So kam es, daß, als sie nach Rotterdam zurückfuhr, ihr Schlafwagen die Züge kreuzte, in denen zuerst Good, dann Pound an ihr vorüber nach der Ostsee sausten. Keiner Betonung bedarf es, daß beide ihr wieder folgten. Dabei erlitt Good eine Schlappe, weil Pound ihn dem Zoll denunziert hatte und ihn durch eine scharfe Kontrolle laufen ließ. Da man nichts fand, konnte er triumphieren, aber er mußte diese Visitation einer Macht zuschreiben, die ihn überwachte. Er machte hier seinen größten Fehler, denn er begann Pound zu hassen, auf dessen Geliebte er die Schuld seiner Kontrolliertheit schob, und verlor damit seine Sicherheit. Der Haß schob die beiden Spieler der Leidenschaft auf einer Ebene nah zusammen, auf der es kein Entweichen mehr gab. Als George Good am Bahnhof Muiderpoort in Amsterdam ankam, war er tief in das Netz eines Hasses geraten, der ihm nur einen Ausweg ließ, den verderblichsten. Er hatte sich mit dem Bild jener Frau, die er mit Pound dauernd zusammenbrachte, so heftig beschäftigt, daß ein Mensch von seiner Schönheit und Gewandtheit sich glühend in sie verlieben mußte. Er begehrte dieses Mädchen plötzlich mit einer Wildheit, die ihn unfähig machte, seine Klugheit anzuwenden.

Er wäre vernichtet worden durch diese Leidenschaft, wenn nicht Capt. Pound von einer anderen Leidenschaft ergriffen worden wäre, die so finster war, daß sie ihn fast erblinden ließ. Dieses Stelzbein, das noch nie geliebt hatte, war unfähig zu begreifen, daß eine Frau schließlich jeden Fehler bei Männern entschuldigt, die sie lieben. Das Leben dieses Seemanns, der ein unerschrockenes und daher kindliches Herz besaß, war auf jene Treue gestellt, die überhaupt nur auf Männer rechnet. Einen Treubruch hätte er nicht überlebt, und als eifrigster der Mitglieder des Mégroz-Clubs hätte er einen Abfall von seinen Gesetzen als ebenso toll und verabscheuungswert angesehen, wie er in einer besseren Zeit den Übergang zum Feind von einer Front zur anderen verdammt hätte.

Dieser Mann war aus dem Holz der Leute, die früher in ihre Fahne gewickelt ins Meer gesenkt wurden, welche von ihren Königen mißbraucht wurden und für die Verführer ihrer Frauen starben und die jene Dummheit der Treue besaßen, mit der die Thermopylenkämpfer starben und welche die bewundernswerteste Größe eines menschlichen Herzens ist. Für Charaktere seiner Art bedarf es Zeiten, die entweder selbst Größe besitzen oder zum mindesten nicht von jenem Geist verseucht sind, der eine Nation gescheit, aber charakterlos macht. Diese Treue und ein vortrefflich geschultes Hirn gehen nicht zusammen, weil die Erde sonst vollkommen genannt werden müßte, was sie nicht sein darf, da sie dann als glühende Gotteslästerung durch die Sphären jagen würde. Capt. Pound war überzeugt, daß George Good der Frau zuliebe, die dieser wiederum für des Capt. Geliebte hielt, das Gesetz des Clubs verrate und das machte ihn besinnungslos vor Rachgier. Auf diese Weise hatten die Gegner nichts voneinander voraus.

Ihre Leidenschaften hatten sich verschoben und damit verschärft, ja sie hatten sich zu einer Ungeheuerlichkeit entwickelt, die sie nicht mehr aufeinander jagen ließ, sondern sie zusammenpreßte auf den engsten Raum, der ihnen möglich war. Sie suchten gegenseitig ihre Gegenwart, die sie nicht mehr entbehren konnten. Das Rätsel der Kette schien für alle außer Lady Grace völlig in den Hintergrund getreten. Gewöhnlich ist jede Leidenschaft trügerisch, weil das unbekannte Gesetz, das sie beherrscht, jeden Augenblick den Sinn zu wechseln vermag. Über den Verbleib der Kette konnte es indessen nur einen Anhalt geben. Jener geheimnisvolle Unbekannte, der die Geschicke dieser Menschen zu leiten schien, war allein in der Lage, an den Färbungen seiner Uhr es abzulesen.

Lady Grace kam dem Zustand der Annäherung entgegen. Es war soweit, daß ein Zusammentreffen für alle am erfolgreichsten schien. Sie lockte die Tiere ins Haus, von denen sie hören mußte, daß sie es umschlichen. „Sir Davis,“ sagte sie und richtete einen tiefblauen Blick auf ihn, daß er nervös zu zittern anfing, „Sie erinnern sich des Mannes, mit dem Sie in Lissabon auf dem Tajoball beim Kasino über mich plauderten. Gehen Sie in das Doelenhotel. Ist er da nicht, finden Sie ihn im Flora-Varieté. Sie werden ihn finden.“

Davis fühlte die Notwendigkeit unter diesem Blick wie unter denen einer Armee sich zu halten. „Ihre sechsundzwanzig Jahre verlangen, daß ich, ehe Sie ihn sehen, ihn zur Rechenschaft ziehe. Er hat Sie beleidigt, auch wenn er eine Maske trug.“

Grace lachte und Ritch lachte mit ihr. Die Vorstellung, daß Davis fechte, war weniger komisch als die Grenadierpose, die dieser knieschwache Lebemann angenommen hatte. Da er gutmütig war, lachte er mit ihnen.

„Auf,“ sagte Grace dann, indem sie die Stirn wieder ohne Bewegung hielt, „gehen Sie und vergessen Sie Ihre Ehre. Nicht alle Leute haben darin ein so langes Gedächtnis wie Sie.“ Im Amstelroom kamen sie nach dem Theater zum Speisen. Vollkommener als Davis hätte niemand diese Zusammenkunft arrangieren können. Sie war vollendet in ihrer Zufälligkeit und brillant durch die Liebenswürdigkeit, mit der man sich voneinander versteckte.

Als Good zum Tee bei Lady Grace erschien, wurde er durch einen offenbaren Zufall in ein falsches Appartement geführt, der Sessel, in dem er Platz genommen hatte, fiel nach hinten und schraubte ihn an Händen und Füßen fest. Offenbar wurde er hinterher betäubt und untersucht. Als er zu sich kam, blickte er in das Gesicht von Ritch, das ohne Ausdruck war. Er befand sich in einem anderen Zimmer. Kurz darauf erschien Grace. Er konnte sein Mißtrauen kaum hinter seiner Gewandtheit verbergen. Die Stirn dieser Frau war ohne Trübung. Sie war von einer Höflichkeit und einer Würde, die ihn bezauberten, je stärker er hinter ihnen die Einfalt eines ausgezeichneten Herzens entdeckte. Diese keusche Frau, deren Formen unnahbar waren, hätte keinen Gedanken fassen können, der nicht vollkommen war.

Als er ihre Hand zum Abschied faßte, verlor er zum erstenmal die Besinnung. Er stürzte auf seinen Stuhl zurück. Ein unerhörtes Zittern überfiel ihn, bis er die Augen fest gegen die von Grace richtete, die so hell waren wie der Himmel. Dieser aufs wildeste erschütterte Mann hatte ihre Hand am Druck erkannt. Es gibt keine narkotische Betäubung, hinter der nicht die Leidenschaft des Mannes heraus Wege in das Leben findet. Die Hände, die ihn narkotisiert hatten, waren von einer Süßigkeit und Unerbittlichkeit, daß sie ihn besinnungslos machten, als er sie im Leben umfaßte. Dieser Spieler war zum zweitenmal besinnungslos, aber von einer Wollust, die ihn bis zur Raserei durchstürmte. Es wäre ihm früher unmöglich gewesen, eine Frau sich vorzustellen, die einen Engel Philippo Lippis mit der Gestalt der Judith vereinigte. Von diesem Augenblick an war er ihr ebenso verfallen, wie sie ihn verachtete.

Die Unerbitterlichkeit dieses Mädchens für ihren Spleen war viel härter als die der Männer. In den folgenden Wochen, die den Inhalt eines Detektivjournals füllen könnten und von beispielloser Grausamkeit der Ideengänge erfüllt waren, aber langweilen würden, weil sie die Charaktere nicht deutlicher, aber ihre Taktik auch nicht klarer machen könnten, ließ sie ein Instrument bauen, das beweist, daß das Mädchen wahnsinnig oder vollkommen verändert war. Sie ließ es in ein Landhaus bringen, das Davis gemietet hatte, und welches ein großer Garten umschloß. Es lag weit genug ab von einer Straße, um isoliert zu sein, ohne aus den Parkavenuen herauszufallen. Die Räume, die Capt. Pound und Good bewohnten, hatte sie mittlerweile verschiedentlich untersuchen lassen. Sie hatte eine kleine Armee von Verbrechern im Dienst, die teilweise für sie rekognoszierten oder sie schützten. Es war fast ein Sport, bei sich einbrechen zu lassen, um den anderen eine Falle zu stellen.

In der Tat hatte Grace versucht, Good nicht mehr zu sehen, sie konnte ihn jedoch nicht vermeiden. An diesem Gletscher von einer Frau geriet der Junge in eine Glut, die ihn wie einen Verrückten herumrennen ließ. Er schien an manchen Tagen geistesabwesend, wenn er nicht gemurmelt hätte wie ein Shakespearischer Narr. Dies waren Beweisstücke für Capt. Pound, daß George Good ein Verräter war. Was ihn veranlaßte, der jungen Engländerin in die Falle zu gehen, war, daß Good plötzlich völlig verschwand. Es war Pound unmöglich, ein Lebenszeichen von ihm zu erhalten.

Das hing damit zusammen, daß George Good an einer Melancholie erkrankt war, die das äußere Zeichen eines furchtbaren Kampfes ist. Er begann zertrümmert zu werden unter der Neigung zu Grace, der sich seine Männlichkeit entgegenstellte, die sich an die Gesetze des Clubs klammerte, welche ihm allerdings einfältig erscheinen mußten, wo er wirklich liebte.

Er war dieser Frau so verfallen, daß er förmlich unter dieser Neigung zerfiel. „Darf ich Sie,“ sagte Sir Davis bei Tisch zu ihm, „junger Mann darauf aufmerksam machen, daß man das Äußere an den Austern in England entfernt.“ Good starrte den nackten Vogelschädel so geistesabwesend an, daß alle lachten. Good, der nichts verstanden hatte, faßte sich und sagte mit bewundernswertem Instinkt: „Well Sir. Doch sagte man, der Kondor lasse sie auf die Felsen fallen, um sie nur öffnen zu können,“ und warf einen eisernen Blick auf Grace, die bei dem Wort Kondor lächelte.

Hier vermochte Sir Davis ein Lächeln nicht zu verbergen: „Dies,“ sagte er und senkte den trockenen Diplomatenkopf, „ist in der Tat wahr. Zehntausend Dollars dem Kater, der das gleiche vermöchte.“ Bei dieser Antwort wurde Good fahl und fiel vom Stuhl. Den Armen hätte seine Leidenschaft fast zum zweitenmal getötet.

Der Satz des alten Roués war eine Rohheit, die selbst seine gedrechselte Sprache nicht verbarg. Er spielte darauf an, daß man Good in letzter Zeit den Garten hatte abends umschleichen sehen. Selbst einem Blinden wäre aufgefallen, daß der Anlaß keineswegs ein krimineller war. „Sie werden ein Ständchen erhalten.“ „Werfen Sie Baldrian in den Nebengarten,“ hatte Grace gesagt. George Good war bei dem Satz, den er am Fenster vernommen, seinerzeit zusammengezuckt.

Als er nun eine Anspielung hörte, war er unter der Erkenntnis der Hoffnungslosigkeit seiner Bemühungen zusammengestürzt.

Er lag seit einigen Tagen nun in einem apathischen Zustand in einem Parterrezimmer von Graces Landhaus. Sie war so davon überzeugt, daß er die Kette nicht besaß, daß sie diese Gunst des Zufalls nicht einmal ausnutzte, bei ihm nachsuchen zu lassen. Zu ihrem Glück gelang es ihr, dadurch den Capt. auf ihre Spur zu bringen. Er sah ihr Gesicht zuerst im Spiegel eines Ladens an dem er stand, sprang in einen Wagen und folgte ihrem Auto in einer Versessenheit, die er nicht mehr bändigen konnte. Er nahm an, daß sie Good bei Seite geschafft habe und hatte die Kraft, den Toten noch zu hassen, was ihn nicht hinderte, ihn rächen zu wollen. Die Überlegungen der Redlichen sind von bezwingender Heiterkeit, wenn die verschiedenen Ergebnisse einer konsequenten Treue sich zu komplizieren beginnen und beweisen, daß die höchste Treue nicht ein Gesetz, sondern das mit allen Gesetzen harmonierende Gefühl ist. Mit welcher Schönheit ist Treue verklärt, wenn sie die Anmut eines reinen Herzens krönt. Den Fahnenträger eines Räuberhaufens der Treue vermag man höchstens zu schätzen, weil er unerbittlich ist, aber zu einfältig, um über der Anhänglichkeit auch den Sinn der Moral zu erkennen, für die er sich hergibt.

Als er mit seinem Wagen einfuhr in den Park, entschlossen, ans Äußerste zu gehen, erlag er dem Paroxysmus seines Blutes. Ein Diener wie aus Marmor, einer jener Domestiken, die aus den Zeiten Sullas und Vespasians stammen, die nie sprechen, sondern vor der Schaurigkeit des, was sie sehen müssen, Eisberge der Kühlheit geworden sind, wies ihn mit einer stummen Gebärde auf eine Tür. Gleichzeitig meldete er mit einer Stimme, die vor Entwöhnung von der Hohlheit eines Grabes geworden war: „Lady G. P. erwartet Sie zum Lunch.“ Ehe Capt. Pound sich fassen konnte, sah er ein Ruhezimmer um sich, auf dem in der soigniertesten Weise ein Abendanzug aufgelegt war. Es fehlte keine Kleinigkeit, sogar die Seidenstrümpfe gingen über das Knie. Diesem wilden Scherz ergab sich selbst der Held von Cuba.

Er fühlte eine Falle, aber die Unverfrorenheit reizte ihn so, daß er seine Brutalität zurückschob. „Hallo,“ murmelte er, als er bemerkte, daß das Abendjackett keine Taschen hatte, „Windstärke zehn, Capt. Pound.“ Er pfiff vor sich hin, als ein Page mit einem Gong den Korridor entlang lief. Er folgte ihm, kam durch eine Menge Zimmer und wartete an einer Tapisserie. Plötzlich machte er einen Sprung und lief denselben Weg zurück, lief, als wolle er sein Leben retten. Durch eine Unvorsichtigkeit des Chasseurs, der die Tür hinter ihm schließen sollte, geriet Ritch in eine Falle. Er überraschte sie beim Untersuchen seiner Taschen, warf sie, obwohl sie ein Weib war, an die Wand. Sie hatte nichts gefunden, aber der Capt. brüllte nun vor Wut. Wie der Stier, in dem allerdings ein Gott saß, der Europa entführte, jagte er die Mestizin durch den Garten und eine Terrasse herauf. In diesem Zimmer hatte Grace die Absicht, ihm entgegenzutreten, der Stier warf ihr Programm über den Haufen. Sie zeigte, daß sie auch dem gewachsen war.

Der Auftritt sollte lange dauern und kürzte sich teuflisch ab. „Geben Sie Good heraus,“ schrie der Capt., als er sie sah und versuchte, nach seiner Pistole zu greifen, fand aber keine Tasche, was ihn förmlich berauschte vor Zorn. Grace gab ihm einen fragenden Blick, der ihn vereiste. Dieser Blick wechselte, er war bald dunkel wie Samt, bald so weißblau wie das Meer unter einem Gewitter. Dieses Auge hatte in beiden Ausdrücken die Entschlossenheit eines Tigers.

„Ich will es tun,“ sagte sie mit der möglichsten Einfachheit. „Geben Sie dafür die Kette.“

Dies warf Pound in sich selbst herum, er war vor Erstaunen sprachlos. Das Oranggesicht über der athletischen Schulter war einfach geistlos, selbst die Wildheit kennt einen Moment der Bestürzung, wo das Böse sich vor der Dummheit kuscht.

Dann blitzte ein Plan in ihm auf, der das Verrückteste war, denn er hatte die Kette holen wollen und nach Good gefragt. Nunmehr drängte ihn seine Verblüfftheit in ein primitives Rachegefühl: er versuchte, sich dieser Frau zu bemächtigen. In diesem Augenblick erschrak er bis auf den Rand der Lippen. Dieselbe Frau, die vor ihm stand, stand auch auf der anderen Seite des Zimmers. Er fuhr sich mit der Hand über die Stirn, lief auf die eine zu, hielt ein, wandte sich nach der anderen. Auf diese Weise waren beide verschwunden, als er sich erholt hatte.

„Jonny Rumford,“ sagte er, als er die Terrasse herunterging, „ich müßte jetzt drei Beine haben, wenn wir die gleichen Gespenster wären wie diese da. Eins unter jedem Arm.“ Er tobte vor Zorn mit seinem Holzbein auf den Stufen. Als er verschwunden war, ließ Sir Davis Wolfsteller im Garten legen und engagierte ein Dutzend neue Leute. Dieser Bursche war ihm auf die Nerven gefallen. Er zuckte zusammen, wenn er an das Geräusch des Stelzbeins dachte, das einem Engländer, auch wenn er ein Franzose sein will, entsetzlich ist.

Auf Good hatte der Auftritt eine merkwürdige Wirkung. Er stand auf. Das Gesicht dieses Mannes war völlig verändert. Es war heiter wie der Mond, obwohl es härter geworden war. Der junge Mann hatte einiges verloren und anderes gewonnen, wie dies bei Leuten unter Dreißig häufig ist, wenn ihre Seele sich unter Entschlüssen ändert. Er war weniger hübsch und langweiliger geworden. Dagegen waren seine Augen im Ausdruck besser. Im Ganzen schien er verloren zu haben. Es ist seltsam, daß junge Männer einfältiger wirken, wenn sie besser werden. Bei Frauen ist dies unmöglich, sie beginnen unter diesen Entschlüssen mit jenem Licht zu strahlen, das ihre erste Schönheit ist.

Der junge Mann hatte sich entschlossen, Grace die Kette zu bringen. Die Liebe hatte ihn überwältigt zu einer Handlung, die die erste leidenschaftliche seines Lebens war, aber sein Leben abschließen mußte. Dieser Gedanke, daß man ihn töten würde und daß er mit dieser Möglichkeit immer gerechnet hatte, sie jetzt aber erst begriff, machte ihn voll einer schmerzlichen Melancholie, die ihn wohl schön erscheinen ließ, aber mit einer Schönheit, die, anders als sein Geckentum, ihn von innen heraus erhellte.

Der junge Mann, der lieben gelernt hatte, ohne daß er wieder geliebt ward, empfand einen tödlichen Schmerz, als er nach seiner Wohnung schritt. Er wußte, daß nun alles vorbei war, aber er vermochte nicht anders zu handeln. Die Blätter fielen um ihn nieder von den Bäumen, er hätte weinen können, obwohl er seit Jahren den Tod herausgefordert hatte. In einer stillen Straße fühlte er die Tränen. Das machte ihn fassungslos, gab ihm aber eine Sicherheit des Schmerzes, die ihm die Welt verdunkelte.

Dieser süße Druck in seiner Brust war von sehr großer Kraft: Wenn er an Grace dachte, empfand er jene Begeisterung, die bei wirklich erhabenen Seelen auch den Tod verachtet, ja die um dieser Glut zuliebe den Tod als höchste Erhabenheit herbeisehnt.

Dies hatte bei aller augenblicklichen Täppigkeit ihm einen Ausdruck gegeben, der Grace neugierig gemacht hatte, sie war ihm durch eine Parktür in einem Umhang Ritchs gefolgt und so den Spionen Pounds entgangen. Dieser ließ, nur von dem Gedanken der Rache getrieben, das Haus umstellen. Er nahm keine Rücksichten mehr, weil das Bewußtsein des Geldes ihn vor jeder Torheit schützte. Man vermochte sich auch damals nicht zu denken, wenn man ein Einkommen von ein paar hunderttausend Dollars besaß, daß es Gesetze geben könne, die töten. Er kam mit zwei riesigen Autos an, stürmte das umzingelte Haus, durchsuchte es nach Good, den er nicht fand und stellte Ritch, die seine Faust bereits kennengelernt hatte. Er faßte sie, wie man Hasen anfaßt, und hob sie in die Höhe.

„Wo ist die Lady?“ herrschte er sie an. Ein teuflischer Blick der Negerin traf ihn. „Schonen Sie sie, wenn Sie ein Gentleman sind,“ schrie sie und schlang, während sie die Portiere aufriß, einen großen schwarzen Shawl um ihre Gebieterin. „Marsch,“ schrie Capt. Pound, und da die völlig zusammengebrochene Frau ihn irgendwo verwirrte, stampfte er mit dem Holzfuß wie ein Verrückter auf den Boden. Sein eleganter Athletenkörper mit dem verwüsteten Gesicht sah aus wie ein Teufel, den einer der jungen Maler dieser Zeit geschildert hat, die von der Natur verflucht waren, die Dinge in höllischen Verzerrungen zu sehen. Er hielt die Pistole immer wieder zur Seite nach rückwärts und beobachtete beide mit einem flackernden Auge.

„Marsch,“ schrie er heiser „in den Wagen,“ und er stampfte vor, weil er sich fürchtete, entweder zusammenzubrechen oder schießen zu müssen. Er war völlig verstört und nur von dem Gedanken wie von einer Biene, die sein Hirn durchsummte und deren monotoner Ton ihn verrückt machte, gefüllt, diese Frau in die Hand zu bekommen. Die Javanerin warf ihm einen verschleierten Blick zu, als sie mit ihrer Lady einstieg. Die Wagen waren geschlossen, Grace war wie eine Betrunkene getaumelt. Der Capt. beobachtete sie mit funkelnden Augen. Grace saß mit der Starrheit des Todes und schenkte ihm keinen Blick. Sie schien bei jedem Sprung des Wagens zusammenfallen.

Diese Fahrt war eine abscheuliche Quälerei. Pound schien das zu bedenken: „He,“ brüllte er plötzlich, „Lady, ich bin dafür, daß Sie meinen Platz tauschen.“ Sie beachtete ihn wie einen alten Schuh. Der Soldat war diese Rache einer Feindin gewohnt und schwieg. Nach einer Weile versuchte er einfach die Lady herüberzusetzen. Er sprang auf und schrie so toll, daß der Chauffeur ihn gehört haben mußte. Er hielt eine Puppe in der Hand. Sie war Grace mit bewundernswerter Kunst nachgebildet.

Capt. Pound mußte den Verstand verlieren oder sich befreien. Er verlor den Verstand eine Sekunde, das Blut verließ seine Schläfen und er zitterte, weiß wie Wachs, mit geschlossenen Augen. Dann sagte er kalt: „Ich werde mich überzeugen, ob du aus derselben Wolle gemacht bist“ und schoß viermal in Ritchs Körper, wo dieser dem Kapitän des „Leviathan“ am köstlichsten erschienen war. Diese Schüsse waren nicht tödlich, aber sie verunstalteten, was schlimmer ist. Es gibt Schüsse, die das Herz oder die Lunge durchbohren und die ein unglaublicher Wille überwindet. Manche geringfügige Blessuren haben den Tod sofort hinter sich her. Capt. Pound begab sich in das andere Auto. Das seine drehte, mit Hilfe der Leute, die er bezahlte, ward Ritch in das Landhaus getragen und starb in Graces Armen, als sie zurückkam.

Der Tod hat eine lösende Kraft für junge Menschen. Er befreit sie von jenen Ängsten, die ihre Klarheit verbittern, er bringt sie zurück bis an die Schwelle ihrer Jugend, die die reinste Zeit eines Lebens ist, er hat die Ungeheuerlichkeit einer sühnenden Kraft, die beispiellos ist, weil sie blind ist. Nur das Leben ist ängstlich, weil es verwirrt ist. Der Tod ist von einer Reinheit und Größe, deren Horizont sich unvergeßlich aufschlägt und ordnet. Das Furchtbare des Todes empfinden nur die Verstockten, der Anblick des Todes ist für die Verirrten das erhabenste Erlebnis. Es ist der Freude ebenso nahe, wie der Schmerz ein Bruder der Liebe ist. Am Lager eines Toten herrscht die Harmonie, welche mit der Majestät der Liebe gesegnet ist.

Als Grace von dem Lager Ritchs zurücktrat, die für sie gestorben war, trat George Good herein. Er ging fast gebückt aber mit der Heiterkeit der Leute, die wissen, daß die Kugel für sie geladen ist. Er schreckte zusammen, als er eine Frau sah, die er kaum kannte. Sie trat ihm wie eine Fürstin entgegen, die beleidigt ist, aber so verziehen hat, daß alles an ihr schäumt vor einer kalten Güte, deren Entscheidungen ihn verdammen mußten, auch wenn sie segnen.

Er trug die Kette auf beiden Händen, für die sie keinen Blick hatte. Sie winkte ihm. In diesem Augenblick strömten ihm die Tränen aus den Augen. Das Glück dieses Augenblicks war das größte seines Lebens. Sie winkte noch einmal, er ging langsam zurück. An der Tür steckte er die Kette ein. Es rettete sein Leben, aber an dieser Wunde ging er zugrunde wie jener Prinz, dem ein Affe ein Stück aus der Brust gebissen, und der kein Fleisch hatte, die Wunde damit zu nähren. Dieser Prankenhieb schlug die Sehnsucht in ihm frei, und er litt mit dem Maß, mit dem er sie nicht gekannt hatte und nicht befriedigen konnte, nach diesem Erlebnis. Dieser junge Mann, der nie besiegt worden war, gewann sein Leben, aber die Liebe saß wie der Tod in seinem Herzen, das heißt, er ging verklärt aus diesem Haus, wie ein Wahnsinniger, vom Blitz gerührt von Glück, bis zur Besessenheit von Liebe beladen, die er kaum tragen konnte ...

„Sechsundzwanzig Jahre,“ sagte Sir Davis, als sie drei Tage später über den Kanal fuhren, „und soviel Erlebnisse, daß man ein Jahr davon erzählen könnte, und man muß darüber schweigen, welches Verhängnis.“ Grace sah ihn mit einem Blick an, der alle Erleuchtungen eines klaren Herzens trug: „Wovon reden Sie, Davis?“ sagte sie, und der alte Geck war von dieser unwiderstehlichen Frage so verwirrt, daß er sich in den Arm kniff, um festzustellen, ob er denn träume oder sie. Der erfahrene Frauenkenner sah sie ängstlich an, er erblickte ein unberühmtes, nichts wissendes Gesicht. Dieses Gesicht war das einer Sechszehnjährigen voll großer Hoffnungen und ohne Erlebnisse, die eine Seele vergiften. Der Tod hatte diesem Mädchen die Barriere geschlossen, durch die ohne Trennung die Welt des Frevels neben der Welt ihrer Seele lag. Das Glück hatte sie verschwenderisch überhäuft. Das Glück, das im Augenblick des Todes einen Menschen überfällt, hat eine wundervolle Verwandtschaft mit dem Blut, das in dem Sinn der Sühne vergossen ist, dieses Glück heilt, verzeiht und macht vergessen. Es tilgt die Schuld, es wirft den Frevel zurück, es überwindet das Böse mit einer Übermacht der Reinheit, die mit der Majestät der Liebe darin gekrönt wird. Diese Liebe, die selbst das Vergessen lehrt, kennt keine Abgründe mehr, weil das Herz, das sie nunmehr regiert, unbeirrbar ist.

Dieses Glück, welches das junge Mädchen überfallen hatte, besaß das Anrecht, mit den zartesten Namen genannt zu werden. Davis staunte und bekam hektische Backen. Dieser Wollüstling, der die Frau als Wesen verehrte, ohne ihre Moral abzuschätzen, sah, statt einer Frau mit den kalten Augen des Tigers, eine liebliche Erscheinung. Davis hielt sich einige Sekunden für verrückt. In ihren Blicken war keine Spur mehr von der harten Glut, die ihr jene Entschlossenheit der Tollheit geliehen hatte, der er sich sofort gefügt hatte. Dieses Mädchen war völlig rein, hatte den Himmel im Auge und nur einen leichten Unmut, wie ihn verwöhnte, engelhafte Kinder haben, um den Mund: „Von was reden Sie, Davis?“

Dieser Satz machte den alten Wüstling, der die tollsten Sprünge seines Lebens in diesen Tagen erlebt hatte, fast närrisch. Er starrte sie an. Der Lüstling, welcher, ohne mehr zu tun als es festzustellen, Kurtisanen verröcheln, Damen zu Dirnen werden, Frevlerinnen bereuen gesehen hatte, der beobachtet hatte, daß Menschen sich blitzschnell herumwandten, als ob ihre Seele beweglicher sei als wie ihr Rücken, der Frauen aus Leidenschaft in den Tod und aus dem Tod in jene Wollust hatte tauchen sehen, die durch ihre Verzweiflung noch tiefer ist als der Tod, der Mörderinnen hatte sich bessern und Engel in ein Unglück hatte treiben sehen, das beispiellos war, der Mann, der die Wandlungen der Frauen einer Gesellschaft beobachtet hatte, welche an der Grenze zwischen zwei Menschenklassen stand, von der die eine sie band und die andere sie befreite, ohne daß die Fessel sie beglückte und die Befreiung sie erlöste, ... der Mann, der die Verheerungen des Teufels und einer lächerlich angewandten Vernunft unter den Frauen der Jahrhundertwende von den Verzückungen der Verwirrten bis zu den Heucheleien der Verdammten bis ins Kleinste kannte, starrte dieses Wunder vor sich an.

Vor diesem Mädchen, in der Tat, lag das Leben makellos. Er hatte eine Jungfrau vor sich, der kein Schatten die Stirn getrübt hatte. Reinheit ist immer unberührbar, weil sie vollkommen ist. Sir Davis, der nach der Sitte seines zurückliegenden Jahrhunderts nur beobachtete, ohne den Sinn zu ergrübeln, schwenkte sofort um. Er gehörte zu den Männern, die Gott oder der apokalyptischen Hure dienen, wenn beide nur in der Form der Frau erscheinen, die sie anbeten dürfen.

Davis lachte in sich hinein. „Ich freue mich auf Gaby,“ sagte Grace. „Das,“ sagte Sir Davis, „tut man mit sechzehn Jahren. Glückliche Windspiele, die herrlich sein müssen, auch mit sechsundzwanzig das Gleiche noch zu erregen. Warum soll man es mit einundziebzig nicht tun?“ Der Alte, der ein Glück darin sah, der ewige Sklave der Launen schöner Frauen zu sein, und sein Alter zum erstenmal gestand, reichte ihr mit großartiger Bewegung den Schirm, damit die Sonne keine Wolke über diese Stirn ziehen ließe ... – – –

Fünf Jahre später las ich diese Geschichte, die hier abschließt, zwei Leuten vor, die in verschiedener Weise damit sich zu beschäftigen hatten. „Sie haben,“ sagte der Mann, der im Kreis einer Lampe sich auf einen der breiten Stühle gelegt hatte, wie ein Hund darin Platz nimmt, „im wesentlichen hier Angriffe gegen eine Zeit gerichtet, welche ich ehre. Ich verstehe nichts von Literatur.“ Dieses Scheusal hustete auf eine heimtückische Weise, indem er sich mit der Koketterie einer wohlgewachsenen Frau ausdehnte. Die Natur hatte ihm seine schlechte Seele in die linke Schulter gezogen, die wie ein zweiter Kopf ohne Augen neben seinem Scheitel in die Luft ragte. Er war eine der gefürchtetsten Hyänen der Börse und voll Launen, die einem Journalisten Ehre gemacht hätten. Dieser Kopf schien Milliarden aus der Börse ziehen zu können, Straßenzüge mit einem Gedanken zu schlucken, zu verdauen und mit einem märchenhaften Gewinst auszuspeien. Seine Agenten reisten, mit seinen Gedanken belastet, als Herolde der Vernichtung durch jene Staaten, deren Währungen sie bald vernichteten, bald nahe an eine unglaubliche Hoffnung auf Besserung kommen ließen. Der Kopf des Mannes, dessen Atem roch wie Vernichtung, und dessen Augen den spitzen Glanz hatten, der Totengräbern eigen ist, war der Kopf eines Götzen, dessen verbrecherische Größe von jenen Schlachtplänen der Leere und den Bilanzen des Umsturzes herkommt, die aus Europa ein Leichenfeld der Gesittung und eine Wüste der Schönheit gemacht hatten.

Dieser Mann glänzte förmlich wie eine häßliche Gottheit aus Kupfer, die sich an dem Elend von Millionen gemästet hat. Die Siege, die nicht mit dem Herzen errungen werden, sind zwecklos, wenn sie gewogen werden, aber von den Siegen der Macht sind die ohne Zweifel die erbärmlichsten, die ohne den Ruhm der Traditionen und mit der Gier der Häßlichkeit gestempelt sind.

Diese Hyäne, die anfing, ein Loblied ihrer Zeit zu singen, hatte eine Schwäche, seine Frau. Er war der Besitzer einer Frau von so überwältigender Schönheit, daß die Sicherheit seines Geldes ihn nicht von der Eifersucht freihielt, die jeden Zwerg selbst mit der furchtbarsten Macht im Gefühl seiner Niedrigkeit von der Schönheit entfernen mußte. Auch Schönheit allein ist nicht vollkommen und daher käuflich, aber immer nur mit der Menge Goldes, die eine Spanne, nicht eine Ewigkeit aufwiegt. Das Scheusal, dessen Erfolge seine Klugheit beweisen, war nicht blind, und wo andere ihn nachts auf seine Tagerfolgen ausruhen dachten, glühte es vor der Größe seiner Zweifel.

Da diese Leute Bescheidenheit nicht kennen dürfen, weil sie an Kümmerlichkeit, der niederen Schwester der Einfachheit, übermäßig bedacht sind, trug er die Maske der Herausforderung. Er, der zitterte um jeden Blick seiner Frau, konnte nicht anders als den Libertinismus im weitesten Sinne verteidigen, ja rühmen. Dieser Enterbte der Natur, welcher mit guten Beinen und sportlicher Figur an den Gesetzen des Lebens gehangen hätte wie ein Priester, gab sich einer schrankenlosen Bewunderung der Ausschweifung hin. Zwischen der Angst und den Großmäulern hat schon Rabelais die verbindende Kurve gezogen. Die Macht, wenn sie in die Hände der Zwerge fällt, ist die schauerlichste Komödie des Heldentums. „Zum Teufel mit einem Jahrhundert, das uns Daumenschrauben anlegt,“ sagte er höhnisch. „Sie reden, als seien Sie ein Mitglied der Inquisition. Ihre Vorzüge der Tugend sind Schrullen gegen die Vorzüge der Industriepapiere. Eine Frau ist eine alberne Gans, wenn sie nicht weiß, inwieweit ‚Canada Pacific‘ von ‚Garelly‘ unterschieden wird und wenn sie sich mit ihrer Keuschheit mehr beschäftigt als mit dem Mann, der ihr die Möglichkeit eines großen Lebens bietet, das, gestehen Sie es, heute eine Seltenheit ist. Ich bin nicht gebildet aber auch nicht dumm genug, um dem bloßen Genuß das Wort zu reden, oder Ihnen an Hand der Geschichte zu beweisen, daß jede Zeit ihre wirtschaftlichen Notwendigkeiten und danach ihre Ziele hat. Die Schätzung der Tugend würde eine Frau heute verhungern lassen. Es gibt einen Krieg, dessen Heldentypen Sie unterschätzen, das ist der Kampf um das Gold. Die Notwendigkeit der Zeit erfordert den Zynismus. Wer heute Greenbacks besitzt, ist morgen vielleicht bankerott, weil er verschiedentlich nicht à la baisse die polnische Mark gekauft oder den Dinar gestützt hat. Ich werfe in acht Tagen die Mark in Krakau auf Fünfzigtausend pro Dollar und senke sie in Berlin um die Hälfte von Vierzigtausend. Wenn ich morgen in New York Mark kaufen lasse und verteile die Schatzanweisungen an alle Großbanken und ziehe sie auf drei Tage Distanz mit einem Ruck ein, mache ich eine Knappheit des Geldes, gegen das die Heuschreckenschwärme und Hungernöte einer Zeit Bagatellen waren, wo man vielleicht den Import der Keuschheit als Sport betrieb. In dieser Zeit, wo ich die Hälfte Mitteleuropas vernichten kann, wenn ich die Kohlenkuxe senke oder Creusot und Krupp zusammenbringe, in einer Zeit, wo die Männer mit dem Degen in der Faust aus der Hand der jüdischen Bankiers wie die Tauben fressen, wo die Fürsten ihre alten Wappensprüche verhüllen, um in unsere Geschäfte mithineingenommen zu werden, damit sie nicht verhungern, in einer Epoche, wo die Kunst einfach überritten, die geistigen Berufe niedergemacht, wo die Seelen der Menschen wie Fische aufs Maul geschmissen und zertreten werden, und wo der Zusammenschluß der lothringer, der schlesischen und der Ruhrerze tausendmal größere Revolutionen bedeutet als etwa die Figur Napoleons oder die erste Völkerwanderung, in einer Zeit also, kurz gesagt, wo das Gold allein seine Generale ausschickt und die seitherige Welt in Armeen gegliedert ist, die von einem Tag bis zum anderen unter den Kanonen der Wirtschaft und Börse stehen und bluten, da gibt es nur eine einzige und mögliche Bewegung: die Zerreißung aller Rücksichten, den Krieg der Leidenschaften, die unbedingte Freiheit der Frau, die sich in ein Wesen von solcher Gefährlichkeit gewandelt hat, daß nur die wahre Macht, das Gold, sie zu halten imstande ist. Das ist mein Standpunkt.“ Das Scheusal leckte sich die Zunge und warf einen glühenden Blick in die Ecke. Diese Frau aber wußte zu schweigen.

„In einer Zeit,“ sagte ich, „wo die Seelen zerschmettert werden durch das Gold, wo das Laster eine Mode ist, wo die verruchtesten Erfindungen uns überschwemmen, in einer Zeit, wo die Mörder fast noch Heilige und die Heerführer Engel scheinen, in einer Zeit, wo die Kokotten Ehen eingehen, weil man sie ihrer Übung halber vorzieht und nicht die Zeit hat, Frauen anzulernen, eine Ehe zu führen, in einer Zeit, wo der Adel seine Töchter verkaufen muß und das Bürgertum verhungert, wo die Arbeiterinnen ihre Eingeweide zerstören, um in den Fabriken ihre Weiblichkeit an die Maschinen zu hängen und mit falschen Ringen durch die Sonntage zu spazieren, in einer Zeit, wo die Güte mit den Engeln auf den Mars ausgewandert ist und die Börsenmakler die fetten Heroen eines verabscheuenswerten Jahrhunderts geworden sind, in einer Zeit, wo jede Frau käuflich, aber jeder Mann ein Schelm geworden scheint, in einer Zeit, die, gestehen Sie, wie selten eine Zeit gemein ohne Größe und verdorben ohne Geist ist, gibt es nur eine Majestät der Haltung: die Tugend. Im Chaos der Moralbegriffe, die von der Hand des Hungers ausgejätet werden, im Zusammenbruch der Gebäude, die seit alters her den Staat mit wundervoller Kraft an unseren Horizont zeichneten, im Wanken der Gesetze, die seit Jahrhunderten Recht und Unrecht mit gewissermaßen ehernen Stirnen schieden, gibt es nur eine Säule: die Familie. Unter den Tugenden, an welche die Menschheit glaubte, und die von Konfutse bis Hartmann die Welt besang, die von den indischen Künstlern der Jahreszeiten bis zu Holbein und Fran Angelico die Welt gemalt und geheiligt hat, ist nur eine stark genug, die Welt in ihrem Brechen aufzuhalten: die Reinheit. Diese Tugend ist unzerschmetterbar, weil sie wahrlich vollendet ist. Sie besitzt die Weichheit des Himmels, und den Stahl, der die Körper der Helden wie ihre Seelen unsterblich machte. Diese Reinheit darzustellen, heißt die Liebe aufrechterhalten, die das einzige ist, was zu leben verlohnt. Die Laster, die Sie preisen und die Ungebundenheiten, von denen Sie schwärmen, sind Verirrungen, die von erbärmlicher Leichtigkeit sind. Einem Menschen, den eine gewisse Haltung gegen seine Zeit einzunehmen reizt, sollte es immer nur als eines Mannes würdig scheinen, sich nicht in dem Schmutz der allgemeinen Phrasen zu wälzen, sondern das schwierigste Ziel mutig anzuerkennen, das in der Regel das edelste ist. Ich weiß mich des Verdachtes, den Asketen ins Ohr zu reden, in dem Ausmaß erhaben, in dem ich das Leben mit aller Glut, deren ich fähig bin, angebetet habe, wo ich es traf. Aber ich sage Ihnen: wenn ich die Wahl zwischen einer schönen unberührten, einfachen aber großen Seele und der mit allem Glanz auftretenden Macht einer Kurtisane hätte, die meinetwegen die ersten Stellen des Staates mit ihrem Namen deckt, ich würde mich mit der letzten Bestimmtheit für das Kind entscheiden, dessen Einfalt mit ein Beweis der sittlichen Größe unserer Zukunft ist.“

Das Scheusal rekelte sich auf seinem Stuhl, als sei er ein Lotterbett. Ein Blick der Frau mußte ihn getroffen haben, er zog sein Kinn durch die Hand, als wolle er es bis zu seinem Magen herunterziehen:

„Sie haben Ihr Herz uns nicht vorenthalten. Die Geschmäcker der Menschen sind verschieden. In Mexiko macht man mit Revolvern Jagd auf Rosen, in Bukarest gibt es Flöhe so groß wie eine Hand, die wieder Läuse haben, die Söhne der amerikanischen Finanz heiraten nur noch Damen vom Film, in Partenkirchen ist ein General Ackerbauer geworden, hat eine Türkin zum Weib genommen und fährt in einem Wagen, den eine Kuh und eine Ziege gemeinsam ziehen. Der Bischof von Speyer, der im Schloß von Bruchsal gemalt ist, rühmte sich mehr geschrieben zu haben, als vierundzwanzig Ochsen transportieren konnten. In Ungarn lernt man die Kinder: es gibt zwei Reiche, Ungarreich und Himmelreich. Was wollen Sie, die Ideale sind immer persönlich. Sie ziehen dies vor, ich jenes. Das Resultat hat immer entschieden. Sie spekulieren in belgischen Francs, an denen Sie verlieren werden, da ich dagegen bin. Sie vertrauen mir an, daß Sie für unberührte Frauen schwärmen. Vertrauen gegen Vertrauen: ich habe einen Puckel.“ Diese letzte Rohheit, die zu zynisch war, um verstanden zu werden, veranlaßte die Frau, ihn zu unterbrechen.

„Kehren wir zur Literatur zurück, die“ und sie lächelte das Lächeln einer Madonna, „eine gewisse Logik verlangt, der sie nicht entbehren darf. Ich zweifle nicht, daß vor den Gesetzen der Literatur dieser Schluß Ihrer Geschichte ebensowenig standhalten kann wie vor denen Ihres Herzens. Sie haben einen Frevel verdammt, den Sie dann verklärt haben, Sie haben einem Glauben, der Sie auszeichnet, die Schärfe der Waffe genommen, die ihn glaubhaft machen kann. Wenn Fehler in der Architektur einer Geschichte liegen, müssen sie aus dem Herzen kommen, das seine Erlebnisse selbst über die Kunst zu stellen die Angst oder die Kühnheit hat.“

Diese Frau war nicht nur schön, sie besaß einen gefährlichen Geist. Selbst Lionardo wäre über die Gespaltenheit dieses Gesichtes erschrocken, dessen Schönheit unter roten Haaren fast schmerzhaft des Heiligenscheines entbehrte, deren Augen mit der Milde Maria Magdalenas schauten, deren Mund nichts zu wissen schien von den Verzückungen, die ihr Gatte auf schlechte Manier gepriesen hatte, und die eben dieser Gatte fast ebenso kompromittierte, als er sie auszeichnete, weil niemand zu sagen wagte, es gehöre mehr Verworfenheit oder mehr Demut dazu, diese Hyäne von einem Mann zu ertragen.

Der Lebenswandel dieser Frau war von dem denkbarsten Anstand. Man hätte jedermann, der sie verleumdete, niederschlagen können und hätte für ihre Unschuld garantieren dürfen. Und dennoch trug dieses Gesicht, das wie die Inthronisierung des Adels wirkte, den Zug eines Verhängnisses, den Anfang vom Hauch einer ungeheuren teuflischen Verderblichkeit, den Schleier unerhörter Verbrechen um sich, daß ihr Anblick auf die seltsamste Weise erschütterte.

In diesem Gesicht lagen das Engelhafte und die Glut der Messaline mit einer grandiosen Schönheit auf der Lauer, und dies Gesicht trug, wie von der Vorsehung berufen, die sonst im Inneren vergrabenen Leidenschaften mit einer schamlosen Sicherheit auf der Stirn. Dieses Gesicht ruhte noch in der Huld der Klarheit und seine Gedanken waren noch zart. Nur dem, den das Unheil einmal tödlich in diese Falle verstrickt hatte, war es möglich, auf ihm jene noch verdeckten Ungeheuerlichkeiten zu sehen, die sich darüber stürzen konnten. Die Geographie dieses madonnenhaften Gesichtes zeigte eine Lust-Welt noch ungesehener, oder entdeckter Frevel bereit, in die Kontinente der Reinheit hineinbrechen.

Die Augen dieser Frau waren schleierlos, sie waren groß wie die Augen pompejanischer Frauen, die die Hälfte ihres Gesichtes und dreiviertel ihres Gefühles damit bedeckten. Sie waren dunkel, fast achatdunkel, oval und klarer, als das Schwarz hergibt. Diese Frau durchschaute mich völlig. Ich konnte nichts großmütigeres tun, als es zuzugeben.

Die Frau hatte die Sensibilität eines Herzens, das bei einer Geschichte genau versteht, ob sie erfunden oder ob sie an eine Adresse gerichtet ist, die nicht mehr der Kunst unterliegt, sondern nur dem Herz. Frauen haben immer die unheimliche Witterung der Zusammenhänge, weil sie anders wie die Männer begabt sind, die Zwischentöne wichtiger als die Komposition zu nehmen. Dieser Mangel an Konzentration macht sie aus demselben Grund zu Menschenkennern, der die Männer zu Pedanten und Starrköpfen verbildet. Wo die Frau versteht, macht der Mann ein Gesetz. Wo die Männer aber versagen, nämlich die Gesetzmäßigkeit der Gefühle anzuerkennen, weil sie zu dumm sind, ihnen folgen zu können, da verlangen die Frauen mit einer Grausamkeit nach der Logik, die der furchtbaren Idee der Amazonen gleich ist, welche für die Hingabe an einen Mann den Tod verlangten.

Diese Frau, die einen Lionardo erschreckt hätte mit den Wegweisern unausgesprochener Träume über dem hermelinhaften Gesicht, wollte mir erpressen, daß ich endlich gestand, daß Frevel gegen die Natur von der Natur unerbittlich gerichtet werden. Man konnte sehen, daß die engelhafte Frau vor Heißhunger bebte, diese Gewißheit zu erhalten, und wenn ihr Mund nicht vor den Qualen einer geahnten Grausamkeit lebte, war es nur, weil dieser Mund der verschwiegenste war, den eine Frau besaß. Niemand konnte sich rühmen, ein Wort gehört zu haben, das die Seele der Sprecherin betraf.

In dieser Zeit waren alle Frauen, da sie den Weg der Familie und damit der Zurückhaltung verlassen hatten, bereit, mit einem schändlichen Zynismus Dinge auszusprechen, die einer Frau die Weiblichkeit nehmen und verächtlich machen. Eine Frau, die sich preisgibt, hat ihre wundervollste Begnadung, schweigend zu verstehen und ohne Enthüllung verehrt zu werden, eingebüßt.

Die Frau wollte mich durchbohren: „In der Tat,“ erwiderte ich und warf ihr ebenfalls einen kalten Blick zu, „diese Geschichte nahm ein anderes Ende, da das Leben oft grausamer ist als die Literatur. Das Leben hätte in einer Zeit, wo die tolle Kühnheit die Ausnahme und die Tugend eine schöne Gewohnheit waren, ohne Zweifel nicht das Maß von Entsetzen aufgebracht, mit der Gier eines Panters zu vernichten, sondern hätte jenes Maß an Sühne zugelassen, das der Tod in seiner schönen Größe immer bereit hält. Diese Geschichte hätte ihren Beweis in einer vollendeten und klaren Epoche gefunden, wo die Frauen wirklich das Zeichen ihrer himmlischen Abkunft wie einen unsichtbaren Schein getragen haben. Diese Zeit des Verruchten aber macht das Schicksal, das den Sieg will, (das heißt, die Durchsetzung der echten Liebe, die Anerkennung der Größe der Gesittung), unerbittlich wie einen Feldherrn, der Tausende opfert, um das Schlachtfeld zu behaupten. Die Frauen, die mit einer Reinheit im Herzen untergehen, sind die Marksteine einer wunderbaren Generation von Frauen, die hinter diesen Märtyrerinnen herkommen werden. Die Natur macht aus ihrem Blut jene Sühne, an die Sie nicht glauben wollen, weil das Leben es nicht in diesem einen Fall bejaht hat. Zeiten der Gesetzlosigkeit zwingen zu töten, wo man in Jahren der Harmonie vor Liebe gebebt hätte.

Dieser Capt. Pound hätte es in der Hand gehabt, Ritch zu erschießen, aber er war in der Hand des Schicksals und dieses ließ ihn den Schuß nicht tun, der die Tugend gerettet hätte. Er entdeckte die Puppe nach zwei Stunden, warf Ritch aus dem Auto und fuhr zurück. In diesen zwei Stunden war Grace hinter George Good hergeschlichen und hinter ihm in die Wohnung geschlüpft. Der Kampf, der sich zwischen ihr und dem ehemaligen Matrosen des „Leviathan“ abspielte, war der Kampf des Spleen gegen besinnungslose Anbetung. Der junge Mann flehte sie auf den Knieen an, sich die Kette schenken zu lassen. Der Trotz des Mädchens, das den Mann in ihm völlig übersah, lechzte danach, ihn zu rauben.

Diese Szene war von scheußlicher Dramatik, Grace versuchte, mit der Pistole in der Hand den Mann zu reizen, sie sagte ihm Verächtliches und wünschte, indem sie ihn wie Diana niederschmetterte, den Haß in seinen Augen zu sehen. Die Liebe aber war zum erstenmal in sein Herz gebrochen und er konnte ihr nichts wie die Ergebenheit beweisen, die von seiner Seele in sein Gesicht trat. Die Seele dieses Mädchens blieb von der Kälte umsponnen, in die sie verwirrt war. Sie trieb den Mann in die Ecke, als ihr zu ihrem Unglück eine Idee kam.

Sie öffnete den Rahmen eines Bildes, indem sie gegen die Wand schlug und sah die Kette in dem Augenblick, als Pound eindrang. Sie drehte sich um, schrie und fiel zusammen. Die zweite Kugel traf Good ...

Als der Wagen, der Graces Körper nach dem Friedhof brachte, durch das Tor des Landhauses in York fuhr, hatte man Mühe, die Windspiele zu beruhigen, die ein seltsames Spiel trieben. Sie waren den Pferden dicht gefolgt, plötzlich fingen die Gäule an zu laufen, daß sie den Sarg fast auf die Straße geschleudert hätten, die Allee hinauf, die sich geheimnisvoll vernebelte. Die Hunde sprangen mit großen Sätzen über den Wagen hin und zurück. Wäre es nicht schaurig gewesen, dieser Anblick hätte einen Henker rühren müssen. Die Tiere hatten mehr Gefühl für ein Herz, das auserlesen gut war, als das Leben, von dem sie es zurückverlangten.

Capt. Pound erlebte einen Zusammenbruch, der ein Damaskus war. An der Leiche brach er zusammen. Man kennt die Geheimnisse der Menschen nicht, ihre Erkenntnisse sind von noch größerer Dunkelheit. Da er in eine Melancholie verfiel, die ihn der Welt entzog, steht die Frage offen, was diesen rohen Meervagabunden gewandelt hatte. Es gibt nur eine Erklärung: die Liebe, die der Tod an seiner Seite als Sühne in ihm erweckte.

Dafür gibt es einen Beweis, den Jonny Rumford aufgezeichnet hat, wenn Beweise von Irren anerkannt werden sollen. Capt. Pound ward in einem Pflegehaus gehalten, das ein milder Name für einen Aufenthaltsort von Irren ist, und von dem aus er die Pfiffe der Dampferrohre hören, die Masten und Vertauungen der Handelsschiffe sehen konnte. In dem Garten gab es einen von Rosenstöcken umpflockten Weg, den der athletische Soldat auf- und abstampfte, sein Bein auf der Schulter. Wenn ein neues Schiff eingelaufen war, benutzte er es als Fernrohr. Er sah genau hindurch, und wenn es ihm mißfiel, kommandierte er Feuer. Als Jonny Rumford im Hafen hörte, sein Capt. hause hier, ging er in den Garten, wo ihn Pound mit einer Salve empfing. Er hatte das Bein auf eine Gabel gelegt wie ein Scherenfernrohr, als wolle er den Mars beobachten und stampfte mit dem Holzbein auf den Zement, daß es klang, als würden Schiffskanonen gelöst. „Halloooooo, Capt., come on ...“ schrie Jonny, „Cuba ist ein Paradies gegen dieses Dreckloch,“ da erkannte ihn Pound. Er ließ ihn eine viertel Stunde in Habtachtstellung stehen, was Jonny anstrengte, der im Hafen keinen Alkohol erhielt, dann umarmte er ihn. Die Tränen rannen ihm aus den Augen, was Jonny völlig verwirrte. Außerdem nannte er ihn Grace. Diesen Wahnsinn hat der Matrose seinem Herrn nicht vergessen, er verstand ihn nicht und, wie alle primitiven Naturen, empfand er eine Beleidigung in dem Satz, wo dem Soldaten das Herz geborsten war.

Es hatte sich geöffnet in einer verrückten Weise, aber was fragt die Liebe nach dem, was den Menschen Bequemlichkeiten oder ungeheure Leiden sind. Die Liebe hatte dieses Herz in einen erbarmenswerten Abgrund geschleudert, aber sie hatte es erreicht, auch wenn der Verstand diese Glut nicht mehr ertrug.“ – – –

Die junge Frau sah mich, als ich zu erzählen aufhörte, mit jenen großen Augen an, die nicht feucht zu werden brauchen, um erschüttert zu sein. „Sie sind,“ sagte sie mit einem furchtbaren Hohn, „stets auf der Seite, wo Sie entschuldigen können, während Sie die Verdammnis predigen.“ Das Gesicht der Frau war in diesem Augenblick von einer Leidenschaft verdunkelt, die den Kopf von Bestien schmückt, deren Züge genug Süßigkeit der Linien und der Farben haben, um den Kontrast unerträglich wild zu machen. Sie hatte ohne Zweifel die Absicht, mich durch ihre Verachtung verzweifelt in sie verliebt zu machen. Sie bewegte ihren Stuhl ein wenig nach der Lampe, in diesem Augenblick hätte niemand gezweifelt, eine Madonna vor sich zu haben, deren Lieblichkeit Rafael bis ins Herz gerührt hätte.

„Was würden Sie tun?“ frug ich die Hyäne, und lachte, „wenn man Ihnen vorwürfe, daß Sie die Währung einer Nation vernichteten, aber aus einer Sentimentalität heraus die Papiere lobten, die Sie verachten und die unter den Händen Ihrer Makler wie ein Höllensturz fielen?“ Die Frau warf mir einen furchtbaren Blick der Sanftmut zu. Das Scheusal, das einige Jahre darauf von einer tobsüchtigen Dirne von der Galerie in einen Kronleuchter geschleudert und erdrosselt ward, war blaß vor Gift. Der Heroe seines Handwerks antwortete:

„Dasselbe, was Daniel Drew nach Vanderbildt tat, als man ihn fragte, warum er die Eisenbahn zum Entsetzen seiner Bürger vertrustet habe, wo er doch täglich für seine Mitmenschen bete: Ich würde Sie bitten, mir den Puckel herunterzurutschen, wenn es nicht so beschwerlich wäre.“ Die Hyäne verschwand wie der Blitz. Es gibt Frauen, deren Herz die Liebe nie erreicht. Ihr Mund ist so verschlossen wie ihr Herz. Aber auch die Heuchelei der Ausschweifung, die hinter einer göttlichen Stirn haust, welche die Liebe nicht versteht, wird zu irgendeiner Stunde entlarvt.

Diese Geschichte, welche einmal den Trost der Liebe und der Sühne dem zerschmetterten Blick einer bewundernswerten und tapferen Frau bringen sollte, mit der ich für ein Drittel meines Vermögens durch die Schüsse verrückter Bauern eine Nacht im litauischen Leiterwagen fuhr, hatte diese nie erreicht. Auf der Station der Grenze, wo ich sie erwartete, kam damals nur die Nachricht eines Todes an mich, der im Anblick des vernichteten Kindes in ihre Seele jäh und sanft eingetreten war wie der Schlaf.

Diese Frau aber, an welche die Geschichte von Lady Grace nun durch einen Zufall gelangt war und deren Seele auf der Sanftheit eines reinen Herzens zu schimmern schien, verachtete die Liebe, deren sie nicht wert schien. Sie verließ das Scheusal, das fast zugrunde ging über die Entdeckungen, die seine Freunde nach ihrer Flucht über ihre Tätigkeit als Gattin machen mußten. Da er nur seinen Schmerz liebte, verging er vor Eifersucht über Qualen, die seine Eitelkeit über die Ausschweifungen dieser Frau empfand. Sie lernte in Ouchy einen Sekretär Kemal Paschas kennen, als dieser die Frauen aus den Harems zur Betätigung in der Öffentlichkeit ausrief.

Diesen verließ die ehrgeizige Frau, um ihr Schicksal an einen der Generale zu hängen, die das Bild unserer Welt zu bestimmen den unzweifelbaren Auftrag haben. Sie wußte den Frevel, den sie mit jener Freiheit, die sie nicht zu benutzen verstand, übte, hinter einem immer geschlossenen Lippenpaar zu verbergen, das der Glut einer nicht ganz erblühten Rose glich und hinter einer Stirn, die sich in nichts von dem kalten Glanz der Schneeberge unterschied. In Tripolis ward sie auf der Straße durch den Mund geschossen. Gott hat viel Mitleid und sieht lange zu, aber die Natur ist grausam, wenn seine Geduld zu Ende ist. Das Schicksal, das sich den Ort aussucht, an dem es straft, öffnet auf die furchtbarste Weise die Lippen, die sich der Liebe entziehen wollen.

Dieses Werk erschien im Sommer 1923 als vierzehnter und fünfzehnter Band der Reihe „Das Prisma“ im Verlag Hans Heinrich Tillgner, Berlin. Den Einband entwarf W. E. Gerull. Druck des Textes F. E. Haag, Melle, der Steinzeichnungen A. Ruckenbrod, Berlin. Hundert numerierte Exemplare wurden auf Bütten gedruckt, mit der Hand in Leder gebunden und vom Autor signiert. Die ganzseitigen Steinzeichnungen dieser Ausgabe wurden vom Künstler signiert.

Anmerkungen zur Transkription

Die Seitennummern der ganzseitigen Abbildungen und ihrer leeren Rückseiten wurden entfernt.

Offensichtliche Fehler wurden stillschweigend korrigiert. Weitere Änderungen sind hier aufgeführt (vorher/nachher):

*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 63100 ***