The Project Gutenberg EBook of Schein und Sein, by Wilhelm Busch
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Title: Schein und Sein
Nachgelassene Gedichte
Author: Wilhelm Busch
Release Date: October 19, 2019 [EBook #60522]
Language: German
Character set encoding: UTF-8
*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK SCHEIN UND SEIN ***
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Schein und Sein
Wilhelm Busch
Schein und Sein
Nachgelassene Gedichte
Zweite Auflage
München
Lothar Joachim Verlag
1909
Published April 15 1909, Privilege of Copyright in the U. S.
reserved by Lothar Joachim, Munich under the Act approved
March 3 1905.
Alle Rechte vorbehalten.
| Seite |
Schein und Sein |
1 |
1899 | |
Woher, wohin? |
2 |
1899 | |
Der Stern |
3 |
Leider! |
4 |
Selbstgefällig |
5 |
Zum Geburtstag im Juni |
6 |
Unbeliebtes Wunder |
9 |
1895 | |
Waldfrevel |
12 |
1899 | |
Abschied |
13 |
Der Renommist |
14 |
1899 | |
Doppelte Freude |
16 |
1899 | |
So und So |
17 |
1899 | |
Greulig |
18 |
1899 | |
Empfehlung |
19 |
1899 | |
Zum Geburtstag |
20 |
1898 | |
Modern |
22 |
1899 | |
Der fremde Hund |
23 |
1899 | |
So war's |
24 |
1899 | |
Die Nachbarskinder |
25 |
1899 | |
Von selbst |
26 |
1899 | |
Beneidenswerth |
27 |
1899 | |
Auch er |
28 |
1899 | |
Die alte Sorge |
29 |
1899 | |
Eitelkeit |
30 |
1899 | |
Gedankenvoll |
31 |
Vielleicht |
33 |
1899 | |
Niemals |
34 |
1899 | |
Wanderlust |
35 |
1899 | |
Beruhigt |
36 |
1899 | |
Fehlgeschossen |
37 |
1899 | |
Unbillig |
38 |
1899 | |
Er ist mal so |
39 |
1899 | |
Verzeihlich |
40 |
1899 | |
Befriedigt |
41 |
1899 | |
Gestört |
42 |
1899 | |
Armer Haushalt |
43 |
1899 | |
Ärgerlich |
44 |
1899 | |
Gedrungen |
45 |
1899 | |
Im Sommer |
46 |
1899 | |
Künftig |
47 |
1899 | |
Vergeblich |
48 |
1899 | |
Versäumt |
49 |
1899 | |
Wassermuhmen |
50 |
1899 | |
Das Blut |
51 |
1899 | |
So nicht |
52 |
1899 | |
Laß ihn |
53 |
1899 | |
Bis auf weiters |
54 |
1899 | |
Gründer |
55 |
1899 | |
Entrüstet |
56 |
1899 | |
Wiedergeburt |
58 |
1899 | |
Frisch gewagt |
59 |
1899 | |
Glückspilz |
60 |
1899 | |
Immerfort |
61 |
1899 | |
Verfrüht |
62 |
1899 | |
Nörgeln |
63 |
1899 | |
Vertraut |
64 |
1900 | |
Tröstlich |
65 |
1900 | |
Unfrei |
66 |
1900 | |
Zwei Jungfern |
67 |
1900 | |
Unbequem |
68 |
1900 | |
Rechthaber |
69 |
1900 | |
Bös und gut |
70 |
1902 | |
Immerhin |
71 |
1905 | |
Erbauliche Bescheidenheit |
73 |
1906 | |
Ich bin Papa |
74 |
1907 | |
Gründliche Heilung |
76 |
1907 | |
Frühlingslied |
78 |
1907 | |
Zu Neujahr |
80 |
1907 | |
In trauter Verborgenheit |
81 |
1907 | |
Was Großmütterlein sang |
83 |
Am Vorabend von Rosens Geburtstag |
85 |
1893 | |
Peinlich berührt |
91 |
1907 | |
Das traurige Röslein |
92 |
Der Thürmer |
93 |
1907 | |
Buch des Lebens |
95 |
Mein Kind, es sind allhier die Dinge,
Gleichviel, ob große, ob geringe,
Im Wesentlichen so verpackt,
Daß man sie nicht wie Nüsse knackt.
Wie wolltest du dich unterwinden,
Kurzweg die Menschen zu ergründen.
Du kennst sie nur von außerwärts.
Du siehst die Weste, nicht das Herz.
W. B.
1899.
Wo sich Ewigkeiten dehnen,
Hören die Gedanken auf,
Nur der Herzen frommes Sehnen
Ahnt, was ohne Zeitenlauf.
Wo wir waren, wo wir bleiben,
Sagt kein kluges Menschenwort;
Doch die Grübelgeister schreiben:
Bist du weg, so bleibe fort.
Laß dich nicht auf's Neu gelüsten.
Was geschah, es wird geschehn.
Ewig an des Lebens Küsten
Wirst du scheiternd untergehn.
Hätt Einer auch fast mehr Verstand,
Als wie die drei Weisen aus Morgenland,
Und ließe sich dünken, er wär wohl nie
Dem Sternlein nachgereist, wie sie;
Dennoch, wenn nun das Weihnachtsfest
Seine Lichtlein wonniglich scheinen läßt,
Fällt auch auf sein verständig Gesicht,
Er mag es merken oder nicht,
Ein freundlicher Strahl
Des Wundersternes von dazumal.
So ist's in alter Zeit gewesen,
So ist es, fürcht ich, auch noch heut.
Wer nicht besonders auserlesen,
Dem macht die Tugend Schwierigkeit.
Aufsteigend mußt du dich bemühen,
Doch ohne Mühe sinkest du.
Der liebe Gott muß immer ziehen,
Dem Teufel fällt's von selber zu.
Mein Büdelein
Is noch so tlein,
Is noch so dumm,
Ein ames Wum,
Muß tille liegen
In seine Wiegen
Und hat noch keine Hos'.
Ätsch, ätsch!
Und ich bin schon so goß.
[6]
Zum Geburtstag im Juni.
Den Jahreszeiten allen
Selbviert sei Preis und Ehr!
Nur sag ich: Mir gefallen
Sie minder oder mehr.
Der Frühling wird ja immer
Gerühmt, wie sich's gebührt,
Weil er mit grünem Schimmer
Die graue Welt verziert.
Doch hat in unsrer Zone
Er durch den Reif der Nacht
Schon manche grüne Bohne
Und Gurke umgebracht.
Stets wird auch Ruhm erwerben
Der Herbst, vorausgesetzt,
Daß er mit vollen Körben
Uns Aug und Mund ergötzt.
[7]
Indeß durch leises Tupfen
Gemahnt er uns bereits:
Bald, Kinder, kommt der Schnupfen
Und's Gripperl seinerseits.
Der Winter kommt. Es blasen
Die Winde scharf und kühl;
Roth werden alle Nasen,
Und Kohlen braucht man viel.
Nein, mir gefällt am besten
Das, was der Sommer bringt,
Wenn auf belaubten Ästen
Die Schaar der Vöglein singt.
Wenn Rosen, zahm und wilde,
In vollster Blüthe stehn,
Wenn über Lustgefilde
Zephire kosend wehn.
Und wollt' mich Einer fragen,
Wann's mir im Sommer dann
Besonders thät behagen,
Den Juni gäb ich an.
Und wieder dann darunter
Den selben Tag gerad,
Wo einst ein Kindlein munter
Zuerst zu Tage trat.
[8]
Drum flattert dies Gedichtchen
Jetzt über Berg und Thal
Und grüßt das liebe Nichtchen
Vom Onkel tausendmal.
In Tours, zu Martin Bischofs Zeit,
Gab's Krüppel viel und Bettelleut.
Darunter auch ein Ehepaar,
Was glücklich und zufrieden war.
Er, sonst gesund, war blind und stumm;
Sie sehend, aber lahm und krumm
An jedem Glied, bis auf die Zunge
Und eine unverletzte Lunge.
Das paßte schön. Sie reitet ihn
Und, selbstverständlich, leitet ihn
Als ein geduldig Sattelthier,
Sie obenauf, er unter ihr,
Ganz einfach mit geringer Müh,
Bloß durch die Worte Hott und Hüh,
Bald so bald so, vor allen Dingen
Dahin, wo grad die Leute gingen.
Fast Jeder, der's noch nicht gesehn,
Bleibt unwillkürlich stille stehn,
Ruft: »Liebergott, was ist denn das?«
Greift in den Sack, giebt ihnen Was
Und denkt noch lange gern und heiter
An dieses Roß und diesen Reiter.
[10]
So hätten denn gewiß die zwei
Durch fortgesetzte Bettelei,
Vereint in solcherlei Gestalt,
Auch ferner ihren Unterhalt,
Ja, ein Vermögen, sich erworben,
Wär' Bischof Martin nicht gestorben.
Als dieser nun gestorben war,
Legt man ihn auf die Todtenbahr
Und thät' ihn unter Weheklagen
Fein langsam nach dem Dome tragen
Zu seiner wohlverdienten Ruh.
Und sieh, ein Wunder trug sich zu.
Da, wo der Zug vorüber kam,
Wer irgend blind, wer irgend lahm,
Der fühlte sich sogleich genesen,
Als ob er niemals krank gewesen.
Oh, wie erschrak die lahme Frau!
Von weitem schon sah sie's genau,
Weil sie hoch oben, wie gewohnt,
Auf des Gemahles Rücken thront.
»Lauf, rief sie, laufe schnell von hinnen,
Damit wir noch beizeit entrinnen.«
Er läuft, er stößt an einen Stein,
Er fällt und bricht beinah ein Bein.
Die Prozession ist auch schon da.
Sie zieht vorbei. Der Blinde sah,
Die Lahme, ebenfalls kuriert,
Kann gehn, als wie mit Öl geschmiert,
Und beide sind wie neu geboren
Und kratzen sich verdutzt die Ohren.
[11]
Jetzt fragt es sich: Was aber nun?
Wer leben will, der muß was thun.
Denn wer kein Geld sein eigen nennt
Und hat zum Betteln kein Talent
Und hält zum Stehlen sich zu fein
Und mag auch nicht im Kloster sein,
Der ist fürwahr nicht zu beneiden.
Das überlegten sich die Beiden.
Sie, sehr begabt, wird eine fesche
Gesuchte Plätterin der Wäsche.
Er, mehr beschränkt, nahm eine Axt
Und spaltet Klötze, daß es knackst,
Von morgens früh bis in die Nacht.
Das hat Sankt Martin gut gemacht.
Ein hübsches Pärchen ging einmal
Tief in des Waldes Gründe.
Sie pflückte Beeren ohne Zahl,
Er schnitt Was in die Rinde.
Der pflichtgetreue Förster sieht's.
Was sind das für Geschichten?
Er zieht sein Buch, er nimmt Notiz
Und wird den Fall berichten.
Die Bäume hören auf zu blühn,
Mein Schatz will in die Fremde ziehn;
Mein Schatz der sprach ein bittres Wort:
Du bleibst nun hier, aber ich muß fort.
Leb wohl, mein Schatz, ich bleib dir treu,
Wo du auch bist, wo ich auch sei.
Bei Regen und bei Sonnenschein,
So lang ich lebe, gedenk ich dein.
So lang ich lebe, lieb ich dich,
Und wenn ich sterbe, bet für mich,
Und wenn du kommst zu meinem Grab,
So denk, daß ich dich geliebet hab.
Einst in München geschrieben als Ergänzung zu der letzten
Strophe, die Freund Krempelsetzer, der das Ganze componirte
aus dem Volksmunde behalten hatte.
In einem Winkel, genannt die Butze,
Wo allerlei Kram,
Der nichts mehr nutze,
Zusammenkam;
Bei alten Hüten, alten Vasen,
Bei Töpfen, ohne Henkel und Nasen,
Befand sich ein Reiterstiefel auch,
Jetzt nur noch ein faltiger Lederschlauch.
Großmächtig hat er das Wort geführt
Und ganz gewaltiglich renommirt:
»Ha, damals! Ich und mein Kamerad!
Immer fein gewichst von hinten und vorn,
Blitzblank der Sporn,
Durch die Straßen geklirrt,
Alle Herzen verwirrt,
Es war ein Staat!
Hurrah, der Krieg,
Maustodt oder Sieg!
Unser Herr Leutenant,
Schneidig, Schwert in der Hand;
Doch hätt ich nicht gespornt sein Pferd,
Verloren wär die Schlacht von Wörth.«
[15]
In dem Moment, zu aller Schrecke,
Trat plötzlich hervor aus seiner Ecke
Ein strammer Reiserbesen.
»Hinaus! rief er, du alter Renommist!
Was schert es uns, was du gewesen;
Wir sehen, was du bist!« –
Ein Schubbs. Ein Schwung.
Der Stiefel liegt draußen auf dem Dung.
Ein Herr warf einem Bettelmann
Fünf Groschen in den Felber.
Das that dem Andern wohl, und dann
That es auch wohl ihm selber.
Der Eine, weil er gar so gut,
Kann sich von Herzen loben;
Der Andre trinkt sich frischen Muth
Und fühlt sich auch gehoben.
Zur Schenke lenkt mit Wohlbehagen
Er jeden Abend seinen Schritt
Und bleibt, bis daß die Lerchen schlagen.
Er singt die letzte Strophe mit.
Dagegen ist es zu beklagen,
Daß er die Kirche nie betritt.
Hier, leider, kann man niemals sagen:
Er singt die letzte Strophe mit.
Er hatte, was sich nicht gehört,
Drei Bräute an der Zahl
Und nahm, nachdem er sie bethört,
'ne vierte zum Gemahl.
Allein, es war ein kurzes Glück.
Kaum waren sie getraut,
So hat der Hund auch diesen Strick
Schon wieder abgekaut.
Du bist nervös. Drum lies doch mal
Das Buch, das man dir anempfahl.
Es ist beinah, wie eine Reise
Im alten wohlbekannten Gleise.
Der Weg ist grad und flach das Land,
Rechts, links und unten nichts wie Sand.
Kein Räderlärm verbittert dich,
Kein harter Stoß erschüttert dich,
Und bald umfängt dich sanft und kühl
Ein Kaumvorhandenseinsgefühl.
Du bist behaglich eingenickt.
Dann, wenn du angenehm erquickt,
Kehrst du beim »stillen Wirthe« ein.
Da giebt es weder Bier noch Wein.
Du schlürfst ein wenig Äpfelmost,
Ißt eine leichte Löffelkost
Mit wenig Fett und vieler Grütze,
Gehst früh zu Bett in spitzer Mütze
Und trinkst zuletzt ein Gläschen Wasser.
Schlaf wohl, und segne den Verfasser!
Der Juni kam. Lind weht die Luft.
Geschoren ist der Rasen.
Ein wonnevoller Rosenduft
Dringt tief in alle Nasen.
Manch angenehmes Vögelein
Sitzt flötend auf den Bäumen,
Indeß die Jungen, zart und klein,
Im warmen Neste träumen.
Flugs kommt denn auch dahergerennt,
Schon früh im Morgenthaue,
Mit seinem alten Instrument
Der Musikant, der graue.
Im Juni, wie er das gewohnt,
Besucht er einen Garten,
Um der Signora, die da thront,
Mit Tönen aufzuwarten.
[21]
Er räuspert sich, er macht sich lang,
Er singt und streicht die Fiedel,
Er singt, was er schon öfter sang;
Du kennst das alte Liedel.
Und wenn du gut geschlafen hast
Und lächelst hold hernieder,
Dann kommt der Kerl, ich fürchte fast,
Zum nächsten Juni wieder.
Hinweg mit diesen alten Herrn,
Sie sind zu nichts mehr nütz!
So rufen sie und nähmen gern
Das Erbe in Besitz.
Wie andre Erben, die in Noth,
Vergeblich warten sie.
Der alte reiche Hoffetodt
Der stirbt bekanntlich nie.
Was fällt da im Boskettgesträuch
Dem fremden Hunde ein?
Geht man vorbei, so bellt er gleich
Und scheint wie toll zu sein.
Der Gärtner holt die Flinte her.
Es knallt im Augenblick.
Der arme Hund, getroffen schwer,
Wankt in's Gebüsch zurück.
Vier kleine Hündchen liegen hier
Nackt, blind und unbewußt.
Sie saugen emsig alle vier
An einer todten Brust.
Der Theetopf war so wunderschön,
Sie liebt ihn, wie ihr Leben.
Sie hat ihm leider aus Versehn
Den Todesstoß gegeben.
Was sie für Kummer da empfand,
Nie wird sie es vergessen.
Sie hielt die Scherben an einand
Und sprach: So hat's gesessen!
Wer Andern gar zu wenig traut,
Hat Angst an allen Ecken;
Wer gar zu viel auf Andre baut,
Erwacht mit Schrecken.
Es trennt sie nur ein leichter Zaun,
Die beiden Sorgengründer;
Zu wenig und zu viel Vertraun
Sind Nachbarskinder.
Spare deine guten Lehren
Für den eigenen Genuß.
Kaum auch wirst du Wen bekehren,
Zeigst du, wie man's machen muß.
Laß ihn im Galoppe tollen,
Reite ruhig deinen Trab.
Ein zu ungestümes Wollen
Wirft von selbst den Reiter ab.
Sahst du noch nie die ungemeine
Und hohe Kunstgelenkigkeit,
Sowohl der Flügel, wie der Beine,
Im Thierbereich mit stillem Neid?
Sieh nur, wie aus dem Felsgeklüfte
Auf seinen Schwingen wunderbar
Bis zu den Wolken durch die Lüfte
In stolzen Kreisen schwebt der Aar.
Sieh nur das Thierchen, das geringe,
Das zu benennen sich nicht ziemt,
Es ist durch seine Meistersprünge,
Wenn nicht beliebt, so doch berühmt.
Leicht zu erlegen diese beiden,
Das schlag dir lieber aus dem Sinn.
Wer es versucht, der wird bescheiden,
Sei's Jäger oder Jägerin.
Rührend schöne Herzgeschichten,
Die ihm vor der Seele schweben,
Weiß der Dichter zu berichten.
Wovon aber soll er leben?
Was er fein zusammen harkte,
Sauber eingebundne Werklein,
Führt er eben auch zu Markte,
Wie der Bauer seine Ferklein.
Er kriegte Geld. Die Sorge wich
Die ihn bisher beklommen.
Er hat die Jungfer Fröhlich sich
Zu seinem Schatz genommen.
Sie tranken Wein, sie aßen fein,
Sie sangen zum Klaviere;
Doch wie sie sich so recht erfreun,
Da klopft es an die Thüre.
Die alte Sorge war's, oweh,
Die magerste der Sorgen.
Sie setzte sich in's Kanapee
Und wünschte Gutenmorgen.
Ein Töpfchen stand im Dunkeln
An stillverborgener Stelle.
Ha, rief es, wie wollt ich funkeln,
Käm ich nur mal in's Helle.
Ihm geht es, wie vielen Narren.
Säß Einer auch hinten im Winkel,
So hat er doch seinen Sparren
Und seinen aparten Dünkel.
Ich weiß ein stilles Fensterlein
Liegt heimlich und versteckt,
Das hat mit Laub der grüne Wein
Und Ranken überdeckt.
Im Laube spielt der Sommerwind,
Die Rebe schwankt und nickt,
Dahinter sitzt ein hübsches Kind
Gedankenvoll und stickt.
Im jugendklaren Angesicht
Blüht wundersüß der Mund
Als wie ein Rosenknösplein licht
Früh in der Morgenstund.
Im Netzgeflecht das blonde Haar
Umfaßt ein braunes Band,
Das liebe blaue Augenpaar
Blickt sinnend auf die Hand.
[32]
Und's Köpfchen scheint so still zu sein.
Ist doch ein Taubenschlag.
Gedanken fliegen aus und ein
Den lieben langen Tag.
Sie fliegen über Wald und Flur
In's weite Land hinaus.
Ach, käm ein einzig Täubchen nur
Und flöge in mein Haus.
Sage nie: Dann soll's geschehen!
Öffne dir ein Hinterpförtchen
Durch »Vielleicht«, das nette Wörtchen,
Oder sag: Ich will mal sehen!
Denk an des Geschickes Walten.
Wie die Schiffer auf den Plänen
Ihrer Fahrten stets erwähnen:
Wind und Wetter vorbehalten!
Wonach du sehnlich ausgeschaut,
Es wurde dir beschieden.
Du triumphirst und jubelst laut:
Jetzt hab ich endlich Frieden!
Ach, Freundchen, rede nicht so wild,
Bezähme deine Zunge.
Ein jeder Wunsch, wenn er erfüllt,
Kriegt augenblicklich Junge.
Die Zeit, sie orgelt emsig weiter,
Sein Liedchen singt dir jeder Tag,
Vermischt mit Tönen, die nicht heiter,
Wo Keiner was von hören mag.
Sie klingen fort. Und mit den Jahren
Wird draus ein voller Singverein.
Es ist, um aus der Haut zu fahren.
Du möchtest gern wo anders sein.
Nun gut. Du mußt ja doch verreisen.
So fülle denn den Wanderschlauch.
Vielleicht vernimmst du neue Weisen,
Und Hühneraugen kriegst du auch.
Zwei mal zwei gleich vier ist Wahrheit.
Schade, daß sie leicht und leer ist,
Denn ich wollte lieber Klarheit
Über das, was voll und schwer ist.
Emsig sucht ich aufzufinden,
Was im tiefsten Grunde wurzelt,
Lief umher nach allen Winden
Und bin oft dabei gepurzelt.
Endlich baut ich eine Hütte.
Still nun zwischen ihren Wänden
Sitz ich in der Welten Mitte,
Unbekümmert um die Enden.
Fritz war ein kecker Junge
Und sehr geläufig mit der Zunge.
Einstmals ist er beim Ährenlesen
Draußen im Felde gewesen,
Wo die Weizengarben, je zu zehn,
Wie Häuslein in der Reihe stehn.
Ein Wetter zog herauf.
Da heißt es: Lauf!
Und flink, wie ein Mäuslein
Schlüpft er in's nächste Halmenhäuslein.
Krach! – Potztausendnochmal!
Dicht daneben zündet der Wetterstrahl.
Ätsch! rief der Junge, der nicht bange,
Und streckt die Zunge aus, die lange:
Fehlgeschossen, Herr Blitz!
Hier saß der Fritz!
Nahmst du in diesem großen Haus
Nicht selbst Quartier?
Mißfällt es dir, so zieh doch aus.
Wer hält dich hier?
Und schimpfe auf die Welt, mein Sohn,
Nicht gar zu laut.
Eh du geboren, hast du schon
Mit dran gebaut.
Zwar mit seinem losen Mund
Neigt er zum Krakeele.
Dabei ist er doch im Grund
Eine treue Seele.
Die er seine Freunde nennt,
Dulden seine Witze,
Denn ein Jeder, der ihn kennt,
Kennt auch seine Mütze.
Er ist ein Dichter, also eitel.
Und, bitte, nehmt es ihm nicht krumm,
Zieht er aus seinem Lügenbeutel
So allerlei Brimborium.
Juwelen, Gold und stolze Namen,
Ein hohes Schloß im Mondenschein
Und schöne höchstverliebte Damen,
Dies alles nennt der Dichter sein.
Indessen ist ein enges Stübchen
Sein ungeheizter Aufenthalt.
Er hat kein Geld, er hat kein Liebchen,
Und seine Füße werden kalt.
Er 'hört, als eines von den Lichtern,
Die höher stets und höher steigen,
Bereits zu unsern besten Dichtern,
Das läßt sich leider nicht verschweigen.
Was weiß man von den Sittenrichtern? –
Er lebt von seiner Frau geschieden,
Hat Schulden, ist nicht immer nüchtern –
Aha, jetzt sind wir schon zufrieden!
Ich gedachte still zu sitzen,
Doch sogleich begann das Treiben:
Du mußt gehen, laufen, schwitzen,
Um so forsch, wie wir, zu bleiben.
Und sie wollten mir nach ihrer
Mode keine Ruhe gönnen,
Gleich wie Boten und Hausierer
Sollt ich hin und wieder rennen.
Ich besah mir diese Geister,
Diese ungestümen Treiber.
Oft sind solche weisen Meister
Grad die ärgsten Klageweiber.
Weh, wer ohne rechte Mittel
Sich der Poesie vermählt.
Täglich dünner wird der Kittel,
Und die Milch im Hause fehlt.
Aengstlich schwitzend muß er sitzen,
Fort ist seine Seelenruh,
Und vergeblich an den Zitzen
Zupft er seine magre Kuh.
Aus der Mühle schaut der Müller,
Der so gerne mahlen will.
Stiller wird der Wind und stiller,
Und die Mühle stehet still.
So geht's immer, wie ich finde,
Rief der Müller voller Zorn.
Hat man Korn, so fehlt's am Winde,
Hat man Wind, so fehlt das Korn.
Schnell wachsende Keime
Welken geschwinde;
Zu lange Bäume
Brechen im Winde.
Schätz nach der Länge
Nicht das Entsprungne;
Fest im Gedränge
Steht das Gedrungne.
In Sommerbäder
Reist jetzt ein jeder
Und lebt famos.
Der arme Docter,
Zu hause hockt er
Patientenlos.
Von Winterscenen,
Von schrecklich schönen,
Träumt sein Gemüth,
Wenn, Dank Ihr Götter,
Bei Hundewetter
Sein Weizen blüht.
Oh komm herbei, du goldne Zeit,
Wenn alle, die jetzt bummeln,
In schöner Unparteilichkeit
Sich bei der Arbeit tummeln.
Der Lärm, womit der Musikant
Uns stört, wird dann geringer.
Wer Dünger fuhr, wer Garben band,
Dem krümmen sich die Finger.
Schon recht. Du willst als Philosoph
Die Wahrheit dir gewinnen;
Du machst mit Worten ihr den Hof,
Um so sie einzuspinnen.
Nur sage nicht, daß zwischen dir
Und ihr schon alles richtig.
Sie ist und bleibt, das wissen wir,
Jungfräulich, keusch und züchtig.
Zur Arbeit ist kein Bub geschaffen,
Das Lernen findet er nicht schön;
Er möchte träumen, möchte gaffen
Und Vogelnester suchen gehn.
Er liebt es, lang im Bett zu liegen.
Und wie es halt im Leben geht:
Grad zu den frühen Morgenzügen
Kommt man am leichtesten zu spät.
In dem See die Wassermuhmen
Wollen ihr Vergnügen haben,
Fangen Mädchen sich und Knaben,
Machen Frösche draus und Blumen.
Wie die Blümlein zierlich knicksen,
Wie die Fröschlein zärtlich quacken,
Wie sie flüstern, wie sie schnacken,
So was freut die alten Nixen.
Wie ein Kranker, den das Fieber
Heiß gemacht und aufgeregt,
Sich herüber und hinüber
Auf die andre Seite legt –
So die Welt. Vor Haß und Hader
Hat sie niemals noch geruht.
Immerfort durch jede Ader
Tobt das alte Sünderblut.
Um's Paradies ging eine Mauer
Hübsch hoch vom besten Marmelstein.
Der Kain, als ein Bub ein schlauer,
Denkt sich: Ich komme doch hinein.
Er stieg hinauf zu diesem Zwecke
An einer Leiter mäuschenstumm.
Da schlich der Teufel um die Ecke
Und stieß ihn samt der Leiter um.
Der Vater Adam, der's gesehen,
Sprach, während er ihn liegen ließ:
Du Schlingel! Dir ist recht geschehen.
So kommt man nicht in's Paradies.
Er ist verliebt, laß ihn gewähren,
Bekümmre dich um dein Pläsir,
Und kommst du gar, ihn zu bekehren,
Wirft er dich sicher vor die Thür.
Mit Gründen ist da nichts zu machen.
Was Einer mag, ist seine Sach,
Denn kurz gesagt: In Herzenssachen
Geht Jeder seiner Nase nach.
Das Messer blitzt, die Schweine schrein,
Man muß sie halt benutzen,
Denn Jeder denkt: Wozu das Schwein,
Wenn wir es nicht verputzen?
Und Jeder schmunzelt, Jeder nagt
Nach Art der Kannibalen,
Bis man dereinst Pfui Teufel! sagt
Zum Schinken aus Westfalen.
Geschäftig sind die Menschenkinder,
Die große Zunft von kleinen Meistern,
Als Mitbegründer, Miterfinder
Sich diese Welt zurecht zu kleistern.
Nur leider kann man sich nicht einen,
Wie man das Ding am besten mache.
Das Bauen mit belebten Steinen
Ist eine höchst verzwickte Sache.
Welch ein Gedrängel und Getriebe
Von Lieb und Haß bei Nacht und Tage,
Und unaufhörlich setzt es Hiebe,
Und unaufhörlich tönt die Klage.
Gottlob, es giebt auch stille Leute,
Die meiden dies Gewühl und hassen's
Und bauen auf der andern Seite
Sich eine Welt des Unterlassens.
Zu gräßlich hatt er mich geneckt.
Wie weh war mir zu Sinn.
Und tief gekränkt und aufgeschreckt
Zum Kirchhof lief ich hin.
Ich saß auf einem Leichenstein,
Die Augen weint ich roth.
Ach lieber Gott, erbarm dich mein
Und mach mich endlich todt.
Sieht er mich dann in meinem Sarg,
So wird er lebenssatt
Und stirbt vor Gram, weil er so arg
Mein Herz behandelt hat.
Kaum war's gesagt, so legten sich
Zwei Arme um mich her,
Und auf der Stelle fühlte ich,
Wer das gethan, war er.
[57]
Wir kehrten Arm in Arm zurück.
Ich sah ihn an bei Licht.
Nein, solchen treuen Liebesblick
Hat doch kein Bösewicht.
Wer nicht will, wird nie zunichte,
Kehrt beständig wieder heim.
Frisch herauf zum alten Lichte
Dringt der neue Lebenskeim.
Keiner fürchte zu versinken,
Der in's tiefe Dunkel fährt.
Tausend Möglichkeiten winken
Ihm, der gerne wiederkehrt.
Dennoch seh ich dich erbeben,
Eh du in die Urne langst.
Weil dir bange vor dem Leben,
Hast du vor dem Tode Angst.
Es kamen mal zwei Knaben
An einen breiten Graben.
Der erste sprang hinüber,
Schlankweg je ehr je lieber.
War das nicht keck?
Der zweite, fein besonnen,
Eh er das Werk begonnen,
Sprang in den Dreck.
Geboren ward er ohne Wehen
Bei Leuten, die mit Geld versehen.
Er schwänzt die Schule, lernt nicht viel,
Hat Glück bei Weibern und im Spiel,
Nimmt eine Frau sich, eine schöne,
Erzeugt mit ihr zwei kluge Söhne,
Hat Appetit, kriegt einen Bauch,
Und einen Orden kriegt er auch,
Und stirbt, nachdem er aufgespeichert
Ein paar Milliönchen, hochbetagt;
Obgleich ein jeder weiß und sagt:
Er war mit Dummerjan geräuchert!
Das Sonnenstäubchen fern im Raume,
Das Tröpfchen, das im Grase blinkt,
Das dürre Blättchen, das vom Baume
Im Hauch des Windes niedersinkt –
Ein jedes wirkt an seinem Örtchen
Still weiter, wie es muß und mag,
Ja selbst ein leises Flüsterwörtchen
Klingt fort bis an den jüngsten Tag.
Papa, nicht wahr,
Im nächsten Jahr,
Wenn ich erst groß
Und lesen kann und schreiben kann,
Dann krieg ich einen hübschen Mann
Mit einer Ticktackuhr
An einer goldnen Schnur.
Der nimmt mich auf den Schooß
Und sagt zu mir: Mein Engel,
Und giebt mir Zuckerkrengel
Und Kuchen und Pasteten.
Nicht wahr, Papa?
Der Vater brummt: Na na,
Was ist das für Gefabel.
Die Vögel, die dann flöten,
Die haben noch keinen Schnabel.
Nörgeln ist das Allerschlimmste,
Keiner ist davon erbaut;
Keiner fährt, und wär's der Dümmste,
Gern aus seiner werthen Haut.
Wie liegt die Welt so frisch und thauig
Vor mir im Morgensonnenschein.
Entzückt vom hohen Hügel schau ich
Ins frühlingsgrüne Thal hinein.
Mit allen Kreaturen bin ich
In schönster Seelenharmonie.
Wir sind verwandt, ich fühl es innig,
Und eben darum lieb ich sie.
Und wird auch mal der Himmel grauer;
Wer voll Vertraun die Welt besieht,
Den freut es, wenn ein Regenschauer
Mit Sturm und Blitz vorüberzieht.
Die Lehre von der Wiederkehr
Ist zweifelhaften Sinns.
Es fragt sich sehr, ob man nachher
Noch sagen kann: Ich bins.
Allein was thut's, wenn mit der Zeit
Sich ändert die Gestalt?
Die Fähigkeit zu Lust und Leid
Vergeht wohl nicht so bald.
Ganz richtig, diese Welt ist nichtig.
Auch du, der in Person erscheint,
Bist ebenfalls nicht gar so wichtig,
Wie deine Eitelkeit vermeint.
Was hilft es dir, damit zu prahlen,
Daß du ein freies Menschenkind?
Mußt du nicht pünktlich Steuern zahlen,
Obwohl sie dir zuwider sind?
Wärst du vielleicht auch, so zu sagen,
Erhaben über gut und schlecht,
Trotzdem behandelt dich dein Magen
Als ganz gemeinen Futterknecht.
Lang bleibst du überhaupt nicht munter.
Das Alter kommt und zieht dich krumm
Und stößt dich rücksichtslos hinunter
Ins dunkle Sammelsurium.
Daselbst umfängt dich das Gewimmel
Der Unsichtbaren, wie zuerst,
Eh du erschienst, und nur der Himmel
Weiß, ob und wann du wiederkehrst.
Zwei Jungfern giebt es in Dorf und Stadt,
Sie leben beständig im Kriege,
Die Wahrheit, die Niemand gerne hat,
Und die scharmante Lüge.
Vor jener, weil sie stolz und prüd
Und voll moralischer Mücken,
Sucht Jeder, der sie nur kommen sieht,
Sich schleunigst weg zu drücken.
Die andre, obwohl ihr nicht zu traun,
Wird täglich beliebter und kecker,
Und wenn wir sie von hinten beschaun,
So hat sie einen Höcker.
Ernst und dringend folgt mir eine
Mahnung nach auf Schritt und Tritt:
Sorge nicht nur für das Deine,
Sondern für das Andre mit.
Demnach soll ich unterlassen
Was mir von Natur genehm,
Um das Gute zu erfassen?
Ei, das ist mal unbequem.
Zu einem Wohlthätigkeitsbazar in Berlin geschickt.
Dezember 1905.
Seine Meinung ist die rechte,
Wenn er spricht, müßt ihr verstummen,
Sonst erklärt er euch für Schlechte,
Oder nennt euch gar die Dummen.
Leider sind dergleichen Strolche
Keine seltene Erscheinung.
Wer nicht taub, der meidet solche
Ritter von der eignen Meinung.
Wie kam ich nur aus jenem Frieden
In's Weltgetös?
Was einst vereint, hat sich geschieden,
Und das ist bös.
Nun bin ich nicht geneigt zum Geben,
Nun heißt es: Nimm!
Ja, ich muß tödten, um zu leben,
Und das ist schlimm.
Doch eine Sehnsucht blieb zurücke,
Die niemals ruht.
Sie zieht mich heim zum alten Glücke,
Und das ist gut.
Mein Herz, sei nicht beklommen,
Noch wird die Welt nicht alt.
Der Frühling ist wiedergekommen,
Frisch grünt der deutsche Wald.
Seit Ururvätertagen
Stehen die Eichen am See,
Die Nachtigallen schlagen,
Zur Tränke kommt das Reh.
Die Sonne geht auf und unter[1]
Schon lange vieltausendmal,
Noch immer eilen so munter
Die Bächlein in's blühende Thal.
Hier lieg ich im weichen Moose
Unter dem rauschenden Baum,
Die Zeit, die wesenlose,
Verschwindet als wie ein Traum.
[72]
Von kühlen Schatten umdämmert,
Versink ich in selige Ruh;
Ein Specht, der lustig hämmert,
Nickt mir vertraulich zu.
Mir ist, als ob er riefe:
Heija, mein guter Gesell,
Für ewig aus dunkler Tiefe
Sprudelt der Lebensquell.
[73]
Erbauliche Bescheidenheit.
Sehr schlecht befand sich Mutter Klöhn.
Sie kann nicht gehn,
Ist krumm und lahm
Und liegt zubett und rührt sich nicht.
Seit zwanzig Jahren hat sie schon die Gicht.
Herr Küster Bötel, welcher häufig kam,
Um gute Bessrung ihr zu wünschen,
Erzählt ihr auch des weitern,
Um sie ein wenig zu erheitern,
Die Mordgeschichte, die man jüngst verbrochen.
Ja, denken Sie nur mal,
Der Präsident von Frankreich ist erstochen
Von einem Strolch
Mit einem Dolch.
Ist das nicht ein Skandal?
Oh, Lü und Kinners, rief sie voller Graun,
Wat gift et doch vär Minschen.
Sau wat könn eck doch nich e daun!!
Herr Bötel sprach und sah sie freundlich an:
Dies Wort von Ihnen mag ich leiden.
Ein guter Mensch ist niemals unbescheiden
Und thut nicht mehr als was er kann.
Adieu, Frau Klöhn!
Auf fröhlich Wiedersehn!
Mitunter schwitzen muß der Schreiner,
Er stößt auf manchen harten Ast.
So geht es auch, wenn unsereiner
Sich mit der Grübelei befaßt.
Zum Glück hat meine gute Frau,
Die liebevoll an alles denkt,
Mir einen kleinen Fritz geschenkt,
Denn oft erfreut mich dieser Knabe
Durch seinen kindlichen Radau,
Wenn ich so meine Schrullen habe.
Heut mittag gab es wieder mal
Mein Leibgericht, gespickten Aal,
Und wie ich dann zur Körperpflege,
Die Weste auf, die Augen zu,
Die Hände friedlich auf dem Magen
Im Polsterstuhl mich niederlege,
Oh weh, ein Schwarm von dummen Fragen
Verscheucht die heißersehnte Ruh.
Ach, wird es mir denn niemals klar,
Wo ich gewesen, eh ich war?
Schwamm ich, verkrümelt in Atome,
Gedankenlos im Wirbelstrome,
[75]
Bis ich am Ende mich verdichtet
Zu einer denkenden Person?
Und jetzt, was hab ich ausgerichtet?
Was war der Mühe karger Lohn?
Das Geld ist rar, die Kurse sinken,
Dagegen steigt der Preis der Schinken.
Fast jeden Morgen klagt die Mutter:
Ach Herr, wie theuer ist die Butter!
Ja, selbst der Vater wird gerührt,
Wenn er sein kleines Brödchen schmiert.
Und doch, trotz dieser Seelenleiden,
Will keiner gern von hinnen scheiden.
Wer weiß?
Ei sieh, wer kommt denn da?
Hallo, der Fritz! Nun wird es heiter,
Nun machen wir den Eselreiter.
Flugs stell ich mich auf alle Viere,
Indem ich auf und ab marschiere,
Und rufe kräftig mein Ih – ah!
Vor Wähligkeit und Uebermuth.
Ih – ah! Die Welt ist nicht so übel.
Wozu das närrische Gegrübel?
Ich bin Papa, und damit gut.
Es saß der fromme Meister
Mit Weib und Kind bei Tisch.
Ach, seine Lebensgeister
Sind nicht wie sonst so frisch.
Er sitzt mit krummem Nacken
Vor seinem Leibgericht,
Er hält sich beide Backen,
Worin es heftig sticht.
Das brennt wie heiße Kohlen.
Au, schreit er, au, verdammt!
Der Teufel soll sie holen,
Die Zähne allesammt!
Doch gleich, wie es in Nöthen
Wohl öfter schon geschah,
Begann er laut zu beten:
Hilf, Apollonia!
[77]
Kaum daß aus voller Seele
Er diesen Spruch gethan,
Fällt aus des Mundes Höhle
Ihm plötzlich jeder Zahn.
Und schmerzlos, Dank dem Himmel,
Schmaust er, wie sonst der Brauch,
Nur war es mehr Gemümmel,
Und lispeln thät er auch.
Pohsit! Wie klingt so niedlich
Des Meisters Säuselton.
Er trank, entschlummert friedlich,
Und horch, da schnarcht er schon.
3. August 1907 an die »Lustige Woche« gegeben.
In der Laube von Syringen,
Oh, wie ist der Abend fein.
Brüder, laßt die Gläser klingen,
Angefüllt mit Maienwein.
Heija, der frische Mai
Er bringt uns mancherlei.
Das Schönste aber hier auf Erden
Ist lieben und geliebt zu werden,
Heija, im frischen Mai.
Ueber uns die lieben Sterne
Blinken hell und frohgemuth,
Denn sie sehen schon von ferne,
Auch hier unten geht es gut.
Wer sich jetzt bei trüber Kerzen
Der Gelehrsamkeit befleißt,
Diesem wünschen wir von Herzen,
Daß er bald Professor heißt.
[79]
Wer als Wein- und Weiberhasser
Jedermann im Wege steht,
Der genieße Brod und Wasser,
Bis er endlich in sich geht.
Wem vielleicht sein altes Hannchen
Irgendwie abhanden kam,
Nur getrost, es gab schon Manchen,
Der ein neues Hannchen nahm.
Also, eh der Mai zu Ende,
Aufgeschaut und umgeblickt,
Keiner, der nicht eine fände,
Die ihn an ihr Herze drückt.
Jahre steigen auf und nieder;
Aber, wenn der Lenz erblüht,
Dann, ihr Brüder, immer wieder
Töne unser Jubellied.
Heija, der frische Mai,
Er bringt uns mancherlei,
Das Schönste aber hier auf Erden
Ist lieben und geliebt zu werden,
Heija, im frischen Mai.
Will das Glück nach seinem Sinn
Dir was Gutes schenken,
Sage Dank und nimm es hin
Ohne viel Bedenken.
Jede Gabe sei begrüßt,
Doch vor allen Dingen:
Das, warum du dich bemühst,
Möge dir gelingen.
[81]
In trauter Verborgenheit.
Ade, ihr Sommertage,
Wie seid ihr so schnell enteilt,
Gar mancherlei Lust und Plage
Habt ihr uns zugetheilt.
Wohl war es ein Entzücken,
Zu wandeln im Sonnenschein,
Nur die verflixten Mücken
Mischten sich immer darein.
Und wenn wir auf Waldeswegen
Dem Sange der Vögel gelauscht,
Dann kam natürlich ein Regen
Auf uns hernieder gerauscht.
Die lustigen Sänger haben
Nach Süden sich aufgemacht,
Bei Tage krächzen die Raben,
Die Käuze schreien bei Nacht.
[82]
Was ist das für Gesause!
Es stürmt bereits und schneit.
Da bleiben wir zwei zuhause
In trauter Verborgenheit.
Kein Wetter kann uns verdrießen.
Mein Liebchen, ich und du,
Wir halten uns warm und schließen
Hübsch feste die Thüren zu.
[83]
Was das Großmütterlein sang.
Surre surre surre!
Mein gutes Rädchen schnurre!
Für unser kleines Kätchen
Dreh mir ein feines Fädchen
So lang von hier bis Köllen
Wohl mehr als tausend Ellen.
Wir wollen es winden
Und Docken von binden,
Meister Weber es geben,
Soll Leinen uns weben,
Das breiten wir beide
Auf blumige Heide
Auf Anger und Wiesen
Und wollen es sonnen
Benetzen und gießen
Aus Bächen und Bronnen.
Ach, komm du lieber Sonnenschein
Und bleiche unser Leinen rein.
Dann kriegt mein Herzenstäubchen
Wohl manch ein feines Hemd
Und Tüchlein oder Häubchen,
Bis daß der Freier kömmt.
[84]
Schön guten Tag, Herr Freiersmann!
Was schaut er so mein Kätchen an?
Das Kätchen geben wir nicht her,
Und wenn's für Tausend Thaler wär.
Ei, Mutter, nur nicht gleich geschmält!
Den hübschen jungen Knaben
Den will und muß ich haben;
Den Krauskopf, den Krauskopf
Hab ich mir auserwählt.
Und willst du denn ein Bräutchen sein,
So geb ich meinen Segen drein.
So manches Blümlein wachsen mag
Von Ostern bis Michelistag,
So manches Körnlein, als man sät,
So mancher Halm in Aehren steht,
So vielmal Gutes wünsch ich dir
Aus meines Herzens Grund herfür.
Und wenn die Pfeifen klingen,
Dann tanzen wir und springen;
Dann spring ich wohl und tanz ich
Von Danzig bis nach Nanzig –
Knipp knapp!
Da reißt mein Faden ab!
[85]
Am Vorabend von Rosens Geburtstag.
Lauschend am Fenster sitzt der Poet. –
Draußen die Blumen und Pflänzchen
Halten ihr Abendkränzchen
Auf dem Gartenbeet.
Der Mond in Silberlivree,
Leise geschäftig,
Kredenzt den Thau, den Blüthenthee,
Anregend und kräftig.
Und von Kelch zu Kelche
Geht ein Geflüster:
Also morgen ist er!
Frau Ehrenpreis (Veronika).
Ja, morgen feiert sie
Ihren werthen Entsprießungstag –
Taubnessel (mit dem Hörrohr).
[86]
Frau Ehrenpreis (lauter).
– – Drüben im Garten die schöne Frau Rose – –
Taubnessel.
Ah! mit den zwei Knospen die!
Frau Ehrenpreis.
– – die tadel- und dornenlose – –
Distel (für sich).
Frau Ehrenpreis.
– Von Duft und Glanz umwoben.
Distel.
Man weiß, man weiß!
Die gute Frau Ehrenpreis
Muß immer loben.
Und doch hat unser Röschen, das feine
Allerlei kleine
Grillen und Räupchen
Unter dem zierlichen Häubchen.
Gänseblümchen.
Distel.
Bald steht sie da so mildiglich
Und senkt die Blätter,
Bald rüttelt, schüttelt und spreizt sie sich,
Je nach dem Wetter.
[87]
Gänseblümchen.
Klatschrose.
Ja reizend, das wollt ich meinen!
Drum sieht man auch häufig den Löwenzahn,
Den Rittersporn und den Baldrian
Dort wachsen und erscheinen.
Gänseblümchen.
Klatschrose.
Ja reizend, ganz recht!
Und dann dieser Musenknecht,
Dieser Dichter –
Distel.
Klatschrose.
– mit den langen Locken –
Distel.
– mit dem Loch im Socken.
Gänseblümchen.
Klatschrose.
Alltäglich kläglich mit Gefühl
In ihrer Nähe
[88]
Entlockt er seinem Saitenspiel
Lieblich Getön
Und singt so schön –
Distel.
Klatschrose.
Zum Beispiel, noch gestern – –
Lilie (sanft).
Frau Ehrenpreis.
Ihr Muster der Milde!
Ihr Tugendgebilde!
Lilie.
Wen sollte der festliche Tag nicht rühren!
Ich denke doch – –
Levkoje, Tulpe, Päonie, Flox etc.
Ja ja, wir alle gratuliren!!
Frau Ehrenpreis.
Ein Schöngeist blüht in unsrer Mitte,
Ein hochgeschickter –
Fräulein Federnelke –
Federnelke.
[89]
Distel (für sich).
Frau Ehrenpreis.
– – Federnelke, die wundersame,
So lautet ihr holder botanischer Name.
Vielleicht läßt sie sich freundlich erweichen
Und schreibt und dichtet ein Billet,
Duftend, geistvoll und nett.
Das möge dann die dienende Biene,
Unsere süße geflügelte Schleckerkathrine,
Hinschwebend im frühesten Morgenwind,
Dem hohen Geburtstagskind
Ehrfurchtsvoll sumsend überreichen.
Gänseblümchen.
Federnelke (schreibt und liest).
»Veredelte Rose und Nachbarin!
»Nehmet dies Brieflein gnädig hin,
»Sintemalen dasselbe geschrieben
»Von allerlei Pflanzen, welche Euch lieben.
»Verleihe der Himmel Euer Gnaden
»Beständig ein sanftes Sonnenlicht
»Und frischen Thau und meinetwegen
»Auch hie und da ein wenig Regen,
»Nur Sturmwind nicht,
»Denn dieser thut der Schönheit Schaden.
»Ergebenst mit Herz und Honigmund
»Das Blumenkränzchen: Tugendbund.«
[90]
Gänseblümchen.
Federnelke.
Ich denke, es macht sich so!
Alle.
Mond.
Noch 'n Täßchen Thee gefällig?
Levkoje.
Flox.
Tulpe.
Päonie.
Alle.
(Die Blumen nicken. Der Mond geht unter. Der Poet, nachdem er
noch einen Blick in die Nacht hinaus gebohrt, schließt leise das Fenster.)
Im Dorfe wohnt ein Vetter,
Der gut versichert war
Vor Brand und Hagelwetter
Nun schon im zehnten Jahr.
Doch nie seit dazumalen
Ist ein Malör passiert,
Und so für nichts zu zahlen,
Hat peinlich ihn berührt.
Jetzt, denkt er, überlasse
Dem Glück ich Feld und Haus.
Ich pfeife auf die Kasse.
Und schleunig trat er aus.
Oweh, nach wenig Tagen
Da hieß es: Zapperment!
Der Weizen ist zerschlagen
Und Haus und Scheune brennt.
Ein Narr hat Glück in Masse,
Wer klug, hat selten Schwein.
Und schleunig in die Kasse
Trat er halt wieder ein.
[92]
Das traurige Röslein.
Ein Röslein war gar nicht munter,
Weil es im Topfe stand,
Sah immer traurig hinunter
Auf die Blumen im freien Land.
Die Blumen nicken und winken.
Wie ist es im Freien so schön
Zu tanzen und Thau zu trinken
Bei lustigem Windeswehn.
Von bunten Schmetterlingen
Umgaukelt, geschmeichelt, geküßt;
Dazwischen der Vöglein Singen
Anmuthig zu hören ist.
Wir preisen dich und loben
Dich, fröhliche Sommerzeit;
Ach, Röslein am Fenster droben
Du thust uns auch gar zu leid.
Da ist ins Land gekommen
Der Winter mit seiner Noth.
In Schnee und Frost verklommen
Die Blumen sind alle todt.
Ein Mägdlein hört es stürmen,
Macht fest das Fenster zu.
Jetzt will ich dich pflegen und schirmen,
Du liebes Röslein du.
Der Thürmer steht auf hohem Söller
Und raucht sein Pfeifchen echten Kneller,
Wobei der alte Invalid
Von oben her die Welt besieht.
Es kommt der Sommer allgemach.
Die Schwalben fliegen um das Dach,
Derweil schon manche stillbeglückt
Im Neste sitzt und fleißig drückt.
Zugleich tritt aus dem Gotteshaus
Ein neuvermähltes Paar heraus,
Das darf sich nun in allen Ehren
Getreulich lieben und vermehren. –
Der Sommer kam, und allenthalben
Schwebt ungezählt das Heer der Schwalben,
Die, wenn sie flink vorüberflitzen,
Des Thürmers alten Hut beschmitzen.
Vom Platze unten tönt Juchhei,
Die Klosterschüler haben frei,
Sie necken, schrecken, jagen sich,
Sie schlagen und vertragen sich
Und grüßen keck mit Hohngelächter
Des Thurmes hochgestellten Wächter. –
[94]
Der Sommer ging, die Schwalben setzen
Sich auf das Kirchendach und schwätzen.
Sie warten, bis der Abend da,
Dann flogen sie nach Afrika.
Doch unten, wo die Fackeln scheinen,
Begraben sie mal wieder Einen
Und singen ihm nach frommer Weise
Ein Lebewohl zur letzten Reise.
Bedenklich schaut der Thürmer drein.
Still geht er in sein Kämmerlein
Zu seinem großen Deckelkrug,
Und als die Glocke zehne schlug,
Nahm er das Horn mit frischem Muth
Und blies ein kräftiges Tuhuht.
Haß, als minus und vergebens,
Wird vom Leben abgeschrieben.
Positiv im Buch des Lebens
Steht verzeichnet nur das Lieben.
Ob ein Minus oder Plus
Uns verblieben, zeigt der Schluß.
Von diesem Buche ist zugleich mit dieser Ausgabe auch
eine Luxusausgabe
in 1200 numerirten Exemplaren erschienen.
Sie ist auf handgeschöpftes Büttenpapier gedruckt, in
Leder gebunden und kostet Mk. 8.–.
Im September 1908 erschien im gleichen Verlage:
»Hernach«
von
Wilhelm Busch.
Ein stattlicher Band mit 95 zum Theil farbigen Zeichnungen
nebst Versen.
A. Facsimile-Ausgabe in 1000 numerirten Exemplaren,
die Zeichnungen in Lichtdruck, die Texte in des Dichters
Handschrift reproduzirt, auf 60 Cartons gelegt. Gebunden
in Kalbleder
Preis Mk. 16.–.
B. Gewöhnliche Ausgabe, in Buchdruck hergestellt
auf starkem, getöntem Papier. In Leinwand gebunden
Preis Mk. 5.–.
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