Project Gutenberg's Kleine Lebensgemälde in Erzählungen, by Julius von Voß This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and most other parts of the world at no cost and with almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included with this eBook or online at www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you'll have to check the laws of the country where you are located before using this ebook. Title: Kleine Lebensgemälde in Erzählungen Author: Julius von Voß Release Date: June 11, 2019 [EBook #59731] Language: German Character set encoding: ISO-8859-1 *** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK KLEINE LEBENSGEMÄLDE *** Produced by The Online Distributed Proofreading Team at http://www.pgdp.net (This transcription was produced from images generously made available by Bayerische Staatsbibliothek / Bavarian State Library.)
von
Julius von Voß.
Berlin, 1821.
In der Sanderschen Buchhandlung.
Kurstraße No. 51.
Ein Sittengemälde.
Zwanzig Jahre sind eben so viele Umläufe des Erdballs um die Sonne; regelmäßig ist die Wandlung, auf eine Minute voraus zu berechnen, in welchem Abstand er sich an diesem oder jenem Tage von der Sonne, auch von allen bisher entdeckten Planeten befinden wird. Es kann der Mensch stolz seyn, daß er so erhabner Berechnungen fähig ist; sie unterscheiden ihn von dem sprachlosen Thier. Stets kehren die Jahreszeiten regelmäßig wieder, und die veränderte Witterung hängt an atmosphärischen Ursachen, die genau der Mensch noch nicht ergründen konnte. Im Allgemeinen sind diese Abweichungen aber nicht bedeutend, und man wird doch ziemlich voraussagen können, welch ein Ansehn die Natur an diesem oder jenem Orte, in einem oder dem anderen Monate, haben wird.
Nicht so ist es bei dem Menschen. Er verfolgt auch einen Gang, dem an sich Frühling, Sommer, Herbst und Winter zugetheilt sind; übrigens hat sein Leben aber so wenig Regelmäßigkeit, und die Zukunft läßt sich so ungewiß aus der Gegenwart bestimmen, daß oft eine ganz andere Erscheinung, als die gehoffte, eintreten wird. Nach einem Zeitraum von zwanzig Jahren darf nur – wer so lange denken kann – sich fragen: welche Bekannte hatte ich, als dieser Zeitraum anfing? Was ist aus ihnen geworden; und wie hofften und glaubten sie einst, daß ihrem Wünschen und Streben die Fügung entsprechen würde? Aus den vorhandenen Thatsachen werden nun die Beantwortungen hervorgehn, und nicht wenig in Erstaunen setzen.
Auf die allmähligen Veränderungen, welche in zwanzig Jahren mit unsern Bekannten sich zutragen, achten wir bei dem Allen viel zu wenig, als daß uns die entstandnen Kontraste zwischen Ehedem und Jetzt recht deutlich ins Auge fielen. Wo die Farben nach und nach sich umwandeln, befremdet es endlich kaum noch, wenn aus dem Weiß ein Schwarz sich hervorgebildet hat; doch wer aus dem Mittag jähling in die Mitternacht träte, oder aus dem Julius in den Februar, könnte von auffallenden Gegensätzen der Ansicht reden.
So auch, wenn wir die Bekannten in zwanzig Jahren nicht gesehn, auch während dieser Zeit nicht das Mindeste von ihnen gehört haben. Diese Erfahrung sollte ich machen, und ich entnahm daraus, wie viel merkwürdiger noch es seyn muß, wenn der Zeitabschnitt dreißig oder noch mehr Jahre beträgt.
Ich wurde in einer Stadt mittlern Umfangs in Deutschland geboren. Mein Vater bekleidete das Amt eines Rathsherrn, und stand in ausgezeichnetem Ansehn; theils weil es seine Würde ihm gab, theils, weil er mit einem anerkannt redlichen Sinn eine ungemein scherzhafte Laune verband, die ihn jeden Zirkel, in den er trat, beseelen, und allenthalben Freunde gewinnen ließ. Eben so war meine Mutter, ihres gutmüthigen und feinen Betragens willen, in meiner Heimath geachtet.
Ich hatte noch einen älteren Bruder Otto, welcher die Rechte studierte, wogegen ich auf einer Hochschule der Cameralwissenschaft oblag. Meine Schwester, Wilhelmine, zählte einige Jahre weniger als ich.
Mit Otto stand ich von den Kinderjahren her nicht zum Beßten. Vater und Mutter gaben mir einigen Vorzug; dies machte ihn zu meinem Feind. Unsre Gemüthsweisen hatten eine große Verschiedenheit. Otto war einsilbig, trocken, mißlaunig, galt daher nicht bei den Knabenspielen in unserer Nachbarschaft für einen lustigen Gefährten; ein Lob, das mir hingegen ward, bei meiner natürlichen, in jenen Zeiten oft muthwilligen, Lebhaftigkeit. Man konnte Ottos Fleiß auf Schulen nicht tadeln; er zeigte vielmehr dort guten Eifer, trieb jedoch Alles mechanisch, konnte es nur zu langsamen Fortschritten bringen, und am Ende schien Alles bei ihm nur magres Gedächtnißwerk. Die Mitschüler nannten ihn einen Pinsel; bei den Lehrern aber galt er, weil er ihnen eine ungemein unterworfne Ehrerbietung bewies. Mein Streben war nicht so ernst, allein die Arbeit wurde mir leicht; ich konnte in einer Stunde mehr vor mich bringen, als Otto in einem halben Tage. Daher übertraf ich ihn nicht selten, und erregte oft die Verwunderung meiner Lehrer in Fragen, die von scharfsinnigem Nachdenken und treffendem Urtheil zeugten; oder in Einfällen, die ihnen witzig schienen. Allein ich trieb nebenbei auch manchen kleinen Unfug, war zu leichtsinnig die Gunst der Lehrer auf solchen Wegen zu suchen, wie Otto, an dem ich vielmehr eine kriechende, sklavische Höflichkeit bespöttelte. So gewann ich dort wenig Gunst.
Als wir gemeinschaftlich die Hochschule bezogen hatten, blieb unser Verhältniß zu einander sich ähnlich. Otto galt mehr bei den Professoren, ich mehr bei den aufgeweckten Burschen, war bald in meiner Landsmannschaft, in meinem Orden ein strahlendes Licht. Otto wirthschaftete spärlich; weit mehr kostete ich dem Vater. Bei dem Allen war ich ihm doch lieber, als mein Bruder, nachdem wir von der Hochschule in die Vaterstadt zurückkamen. Meine Außenseite schien ihm vortheilhafter, meine Unterhaltung geistreicher. Unser Wissen dünkte ihm sich ungefähr die Wage zu halten; doch meinte er: ich würde mit meinem Pfund gescheidter zu wuchern verstehn, die Wege, auf denen man sein Glück macht, mit Scharfblick suchen, mit kluger Beharrlichkeit verfolgen, und so bald an einem namhaften Ziele stehn. Otto, pflegte er zu sagen, wird so ein sechs Jahre als Referendarius der Jurisprudenz mitlaufen, und dann sich zum Senator, oder, wenn es hoch kommt, zum Bürgermeister in einem Landstädtchen ernannt sehn, und damit wird seine Laufbahn geschlossen seyn. An Wilhelm denke ich hingegen noch zu erleben, daß er zum Geheimen-Finanz-Rath oder Präsidenten emporsteigt.
Der gute Vater irrte, wie es die Folge zeigen wird. Ueberhaupt gehört es auch zu meinen gesammelten Erfahrungen, daß häufig die Eltern ihrer Kinder wahrscheinliches Loos unrichtig beurtheilen.
Man stellte uns bei den zwei Collegien an, die in meiner Vaterstadt sich befanden. Otto glänzte auf seinem Standpunkt gar nicht; meine Talente wurden bald gepriesen. Doch hatte sich nach zwei Jahren da viel geändert. Otto griff mehr und mehr ein, und hatte die Zuneigung der Obern, in seinem höchst aufmerksamen Betragen, gewonnen. Die meinigen aber fanden an mir dies und das zu erinnern. Ich hätte zwar Talente, hieß es, wäre aber auch voreilig eitel darauf, ließe mir bald Nachlässigkeiten in der gebührenden Achtung gegen Höherstehende, bald in den amtlichen Verrichtungen, zu Schulden kommen, und wäre oft auch absprechend, anmaßend; wollte am Eingang der Laufbahn manches besser verstehen, als Männer, die größtentheils sie schon durchlaufen hätten.
Doch ich will meine nächste Umgebung, in diesen zwei Jahren, beschreiben, um hernach darzuthun, welche seltsame Wechsel zwanzig Jahre in den Schicksalen der Menschen hervorzubringen fähig sind.
Mein Vater hatte ein Einkommen, das für den Ort ansehnlich heißen durfte, und auch meine Mutter hatte ihm einiges Vermögen zugebracht. Dies setzte ihn in den Stand, oft Gäste einzuladen, oder, wie man es nennt, ein Haus zu machen. Es entsprach seinen Neigungen zu heitrer Geselligkeit, und er setzte auch eine Art Stolz in den Ruf: sein Haus könne ein Wohnsitz des guten Geschmacks heißen. Er traf auch deshalb eine sorgsame Auswahl unter den Leuten, mit welchen er vorzüglich umging; wenigstens mußten sie zur feinsten Welt des Ortes gehören, und es lag ihm mehr daran, zu bewirthen, als bewirthet zu werden. Daneben war gute, frohe Laune eine den Hausfreunden gemachte Bedingung. Sie wohnte ihm selbst in hohem Maße bei, und lange Weile floh er.
Er liebte diesen Aufwand jedoch zu viel, erwog nicht genug, daß zwischen seinen Einnahmen und Ausgaben kein richtiges Verhältniß bestände. Wir Söhne hatten ihm auf der Hochschule auch nicht wenig gekostet, und durften in den nächsten Jahren noch keinem Amtsgehalt entgegen sehn. Deshalb war um die Zeit, als wir an den erwähnten Landesstühlen untergeordnete Plätze gefunden hatten, das Vermögen seiner Gattin schon mit aufgezehrt. Nichts destoweniger lebte mein Vater nach alter Weise, zum Theil einmal daran gewöhnt, zum Theil auch aus überdachten Gründen. Er meinte, wenn er die Obern seiner Söhne durch öftere Einladungen sich verbindlich machte, so würden sie um so geneigter seyn, Jenen zu einem besseren Fortkommen zu helfen. Zudem wuchs auch meine Schwester heran; eine glückliche Verheirathung derselben gehörte zu den sehnlichsten Wünschen meiner beiden Eltern. Die Mutter pflegte zu sagen: Ein Mädchen, das nicht gesehn wird, kann auch nicht begehrt werden. Und so munterte sie ihn zu dem noch auf, wovon ihn abzumahnen vielleicht rathsamer gewesen wäre.
In der That mußte aber Wilhelmine nahe gesehn, nach ihren verschiednen Eigenthümlichkeiten beobachtet werden, wenn diese auf Männerherzen Eindruck machen sollten; es konnte dann jedoch ein namhafter seyn. Der Mitgift wegen ließen Freier sich nicht absehn, und Wilhelmine hatte keinen Mangel an Schönheit, zeichnete sich gleichwohl auch daran nicht aus. Sie hatte eine mittlere, feine Gestalt, ein nicht unregelmäßiges, und allerdings auf schönen inneren Sinn deutendes, aber wie gesagt, nicht ausgezeichnetes Gesicht. Es hätte sich daran mehr frische Blüthe, und schärferer Ausdruck in den Zügen wünschen lassen; sonst hingegen war es hold, freundlich und angenehm.
Viel hatten die Eltern an Wilhelminens Erziehung gewandt, und sie war ihren Bemühungen stets mit regem Eifer entgegen getreten. Sie zählte nun achtzehn Jahre, und hatte ihren natürlichen Verstand ungemein durch nützliche Schriften, und vortheilhaft gewählte Freundinnen, ausgebildet. Der französischen und italiänischen Sprache war sie mächtig, und dehnte ihr Urtheil auf mannichfache Gegenstände im Gebiet der Wissenschaften und Künste aus. Vor Allem nannte sie Tonkunst ihr Lieblingsthum, und erregte in der That mit ihrem Gesang die Bewunderung der Kenner. Man sagte von ihr: sie eine die Fertigkeit einer Virtuosin mit dem Gefühl einer Dilettantin; und es war keine Schmeichelei. Sie wußte sich daneben mit einem edel einfachen Geschmack zu kleiden, und trat allenthalben mit Anmuth und feiner Darstellung auf.
So mußte Wilhelminens Gesammtheit allerdings anziehend seyn, und in den Augen sinniger Männer blieben auch schönere, doch weniger gebildete Mädchen ihr weit nachgesetzt. Man feierte die Schwester auf eine ausgezeichnete Weise; namentlich glänzte sie, wo man sie veranlaßte, ihre Meinung über schönwissenschaftliche Gegenstände zu äußern, oder ihren Gesang tönen zu lassen.
Ohne tadelhaft eitel zu seyn, fühlte aber Wilhelmine doch, daß man sie auszeichnete, und daß ihre geistigen und gemüthlichen Vorzüge ihr höhere Ansprüche gäben, als vielen Mädchen. Schon weil sie das Ideal eines sehr vollkommenen Mannes, einer höchst glücklichen Ehe, sich mit vielem Sinn und Geschmack zu entwerfen wußte, hoffte sie auch, einen Bräutigam zu finden, der geeignet wäre, ihre Wünsche – dem größeren Theil nach mindestens – zu erfüllen.
Ich hatte ihr Vertrauen mehr, als Otto; daher theilte sie mir oft ihre Wünsche mit, und ich konnte das, ihr zartes Selbstgefühl Ehrende und Verständige darin, nicht abläugnen.
Ihres Standes sollte der Bräutigam seyn, oder auch höheren; das Letzte würde, eben nicht aus stolzem Sinn, doch in dem Betracht, daß Wilhelmine durch ihre sich angeeigneten Vorzüge sich bereits erhoben hatte, ihr nicht unangemessen gedünckt haben. Reichthum gehörte nicht zu den Bedingungen, welche sie aufstellte; Ueberfluß, meinte sie, wäre unnöthig, doch unerläßlich nöthig auch, vor Nahrungssorgen und Mangel geschirmt zu seyn. Eine mittlere Wohlhabenheit – auf ein darüber Hinausgehn würde sie auch nicht gezürnt haben – stand hier also in Rede. Aber einen schönen jugendlichen Mann wünschte sie vorzüglich; wie hätte sie dem an ihr gerühmten feinen Geschmack sonst entsprechen können! Gleichwohl beschränkte sie noch ihre Forderungen mäßig. Ein Adonis, ein Antinous, sagte sie, thut g'rade nicht Noth, doch eine Gestalt, an der nichts Makelhaftes oder gar Lächerliches heraustritt, die eine wahrhaft männliche zu nennen ist. Nichts stelle ich mir kläglicher vor, als wenn ich an der Seite einer hagern, gebrechlichen, oder sonst verbildeten Mißgestalt einhergehn müßte; ich würde in Aller Augen Bespöttelung, und die Frage lesen: wie konnte sie aber mit einem solchen Mann zum Altar gehn? Geist und Fühlbarkeit, eine gewisse Romantik, Sinn für Poesie und Tonkunst durften in keinem Fall ausgeschlossen seyn: je höher die Gabe von dem Allen, je besser. Am meisten würde mein Fantasiebild jedoch erreicht seyn, fügte Wilhelmine hinzu, wenn der Bräutigam auch mit irgend einem Tonwerkzeug virtuosenhaft auftreten, mein Spiel am Pianoforte begleiten könnte, und wenn er daneben eine wohllautende Baß- oder Tenorstimme ausgebildet hätte. Eine Doppelsonate, ein Duett, müssen doch manche Stunden im langen Eheleben reitzend ausfüllen.
Nun, pflegte sie zu enden, dies Alles heißt doch nicht übertrieben, nicht unbescheiden fordern. Es kann demungeachtet wohl seyn, daß ich es, nach vollem Wunsch, nicht beisammen finden werde. Mag indeß meinem Vorbild auch nur in den Hauptzügen Wort gehalten seyn, der Mehrzahl von meinen Bedingungen nach. Darunter – lasse ich aber mich nicht ein, und werde mich hüten, leicht und voreilig meine Hand wegzugeben.
Der Vater, sehr eingenommen für Wilhelminen, und selbst zum sanguinischen Hoffen geneigt, bestärkte sie in den hochfliegenden Ansprüchen; die Mutter hingegen schüttelte den Kopf, und sagte: einem Mädchen ohne Vermögen stände leider wenig Auswahl zu.
Außer unsern schon genannten Obern lud mein Vater nun, in jener Absicht, häufig einen Baron von Lilienthal in sein Haus. Er hatte Wilhelminen an öffentlichen Versammlungsorten große Aufmerksamkeiten bewiesen; das weckte Aufmerksamkeit für ihn.
Er stand als Offizier bei der Besatzung im Orte, und war in der That ein schöner, einnehmender Mann, von etwa fünf und zwanzig Jahren. Was man ein lustiges Betragen nennt, und an jungen Militärpersonen nicht eben selten findet, ließ sich ihm nicht vorwerfen. Er schien jetzt wenigstens darüber hinaus, mochte es auch früherhin ihm ein wenig eigen gewesen seyn. Er sprach mit Geist und richtigem Urtheil, äußerte ein feines Empfinden; seine Darstellung war höchst gefällig. Ueber seine Glücksumstände war man bei uns nicht unterrichtet, hegte aber glänzende Vermuthungen; denn Lilienthal zeigte sich stets in artiger Eleganz, hielt Reitpferde und Livreebedienten, und fehlte bei keinen Bällen oder anderen Lustfestlichkeiten, welche die sogenannte schöne Welt anordnete. In den Concerten, oder – wenn reisende Mimen eintrafen – im Theater, blieb er noch weniger aus, gab hier den Ton des Urtheils an, und mit sinnigem Geschmack. Er selbst blies die Flöte ziemlich, konnte Wilhelminen allenfalls eine Sonate begleiten.
Es schmeichelte ihr nicht wenig, daß Lilienthal ihren Vorzügen, mit so vielem Sinn dafür, huldigte. Nicht allein, daß er nicht den mindesten Adelstolz in unserm Hause zeigte, auch an öffentlichen Orten achtete er auf keine Schönheit von Geburt mehr, so bald man Wilhelminen sah. Vieler Mädchen Antlitz umwölkte Neid; denn unter allen jungen Männern der hiesigen schönen Welt nahm Lilienthal, nach der gebildeten Schönheiten Anerkennung, eine der obersten Rangstufen ein.
Es wurde auch in der Stadt mancherlei von ihm gesprochen, was die Theilnahme an ihm von Zeit zu Zeit erneute und erhöhte. Bald sagte man: er habe mächtige Gönner am Hofe, die ihm nächstens zu einer einträglichen Hauptmannsstelle helfen würden; bald: er habe einen reichen Oheim beerbt.
Da wären nun die Hauptzüge von meiner Schwester Ideal so ziemlich vorhanden gewesen. Daß Lilienthal mehr für sie empfinde, als eine gewöhnliche Werthachtung ihrer ausgebildeten Talente, stellte sie in keinen Zweifel. Seine Blicke sprachen von heißer Liebe; auch manches hingeflogne Wort ließ diese ahnen. Zu einem unumwundenen Geständniß, einer netten Werbung um ihre Hand, kam es demungeachtet nicht, obschon Wilhelmine oft meinte, beides schwebe auf seinen Lippen. Als Jahr und Tag so entflohen waren, zweifelten die Eltern, ob es hier zum Ernst hingehn würde; die Tochter aber nicht.
Ferner lud man einen jungen Referendarius fleißig ins Haus, der auch zu einem der Landesstühle gehörte, und sich mit uns auf der Hochschule befunden hatte. Es war ein Herr von Soldin, und von ihm bekannt, daß ihm sein Vater einst hunderttausend Thaler nachlassen würde. Seine übrigen Eigenschaften wichen indeß sehr in den Schatten zurück, wo Lilienthal sich zeigte. Soldin hatte eine zwar nicht verkrüppelte, aber doch unscheinbare Gestalt, und trug sie noch krumm und unbeholfen. Sein Gesicht drückte rohen Stumpfsinn aus, seine Gespräche verriethen überall Unwissenheit, seine Kleidung war vernachlässigt. Die Amtslaufbahn, worin er sich schleppend fortbewegte, hatte auch nur den Zweck, ihn seiner dörfischen Linkheit zu entwöhnen, und er empfand einst weder Lust zu den Studien, noch jetzt zur Dienstarbeit. Ist mein Vater todt, sagte er, nehme ich den Abschied, und ziehe auf meine Güter.
Ueber diese Güter allein wußte er mit einiger Sachkenntniß zu sprechen, und zeigte auch hinsichtlich des Geldes und seines Werths richtige Begriffe. Sein Vater unterstützte ihn namhaft; doch übte der Referendarius eine so wirthliche Beschränkung, daß er mehr als die Hälfte davon sparte. Seine einzige Liebhaberei bestand in einem Pudel, den er mit in unser Haus bringen zu dürfen bat, auch dort mit großer Zuneigung streichelte und fütterte.
Wilhelmine urtheilte: es sei ein geschmackloser, in hohem Grad ungebildeter Mensch – häßlich wäre seine Gestalt aber doch nicht zu nennen. Ohne allen Verstand wäre Soldin auch nicht: er bewiese ihn ein seiner klugen Sparsamkeit; auch ein freundliches Gemüth lege er bei dem Pudel an den Tag. Es würde nur eine Schleifung des rohen Diamants bedingen.
Die hunderttausend Thaler milderten wohl ihr Gutachten über ihn so.
Zwei Umstände machten sie aber noch gespannt. Soldin kam oft, auch uneingeladen, zum Besuch; ihn mußte in unserm Hause folglich etwas anziehn. Auch sagte er einmal denkwürdig: bei seiner Heirath wolle er nicht auf Adel, nicht auf Reichthum sehn, vielmehr ganz nach Liebe wählen. Sein Vater ließe ihm darin Freiheit, und könne auch nicht füglich mit Einreden auftreten, weil auch er ein bürgerliches und ganz unbemitteltes Mädchen geehlicht habe.
Wilhelmine fand nicht rathsam, die löblichen Grundsätze zu tadeln, wohl aber, so viel es thunlich sei, die anziehende Kraft zu erhöhen, die uns des jungen Mannes so wiederholten Zuspruch verschaffte. Namentlich wenn sie mit ihm allein sich befand – was die Eltern so eifrig eben nicht hinderten – nahm sie an dem Pianoforte eine idealische Haltung an, und sang nicht wenig schmelzend. Doch seltsam! was Alle hinriß, brachte sein Gefühl nicht aus der Stelle. Soldin gähnte oft, schlief sogar etliche Mal ein; und wenn ihm meine Schwester das freundlich verwies, gestand er freimüthig: daß ihm ein Marsch, oder ein lustiges Stückchen, zum Beispiel, Freut Euch des Lebens, mehr gefallen würde. Sie meinte dann, über den Geschmack sei nicht zu streiten, und gab ihm das Verlangte zum Beßten. Doch wie sie auch Hände und Mund für ihn gefällig bewegte, ließ er Wilhelminen immer noch nicht hören, was sie gern vernommen hätte, zumal als es auch ihr zu scheinen begann: Herr von Lilienthal liebe sie zwar ungemein, habe gleichwohl keine Absichten auf ihre Hand.
Es war, als ob eine Art Furcht ihm die Zunge bei Wilhelminen lähmte. Nicht einmal ein fortlaufendes Gespräch konnte er mit ihr führen. Nicht allenthalben ließ er eine ähnliche Zurückhaltung sehn. Mein Vater liebte Scherz; oft ging Soldin darauf ein, wenn schon auf eine ziemlich derbe Weise. Ueber Haushaltung richtete er oft ein Gespräch an die Mutter. Auch hatten meine Eltern eine junge arme Verwandte ins Haus genommen, die Charlotte hieß. Keinen Unterricht in Gegenständen, welche man zur feinen Bildung zählt, hatte sie bekommen; nur schlicht bürgerlich war sie in einer kleinen Landstadt erzogen. Sie führte meistens unsre häusliche Wirthschaft, kam selten ins Besuchzimmer, und, wenn es geschah, blieb sie entweder gänzlich unbeachtet, oder man blickte auch wohl befremdet und spöttisch auf sie hin; denn sie stand allerdings in einem auffallenden Gegensatz zu der so geistvollen, zarten, niedlichen, abgeglätteten Wilhelmine. Sie konnte nur von den alltäglichsten Hausdingen reden. Ihre Gestalt war lang, rund, derb; und wer noch das Beiwort plump beifügte, konnte es allenfalls verantworten. Nicht einen Zug in dem Gesicht hätte interessant nennen mögen, wer sich auf das Interessante verstand; unbedeutend, fade, selbst gemein, würden Kunstrichter des Schönen es bezeichnet haben. Gleichwohl konnte Soldin bisweilen sich eine gute halbe Stunde zu Charlotten in einen Winkel setzen, und mit ihr ein Gespräch über Nichtiges unterhalten. Wilhelmine, nach ihrer Gutmüthigkeit, legte ihm auch diesen Verstoß gegen ihren, doch so viel höheren, Werth zum beßten aus. Sie äußerte sich: auch dies sei ein Beleg guten Herzens an Soldin. Er fühle bei den Zurücksetzungen, die Charlotten widerführen, Mitleid, und wolle ihr zeigen, daß er keines Stolzes gegen übersehene Personen fähig sei.
Indem sie aber zugleich urtheilte: die Gespräche von gewöhnlichem Stoff hätten für Soldin eine behagliche Seite, weil er die Seelenkräfte dabei nicht so zu spannen brauche, als wenn sie den Regionen der Wissenschaften und Künste entgegen eilte, und ihm dahin zu folgen ansann, – wollte sie es ihm auch bequem machen, und fragte ihn bald um die Hühner, bald um die Gänse auf den väterlichen Gütern. Sie empfing zwar befriedigende Antworten; allein es schien demungeachtet, er könne das rechte Vertrauen zu ihr noch nicht gewinnen. Sie meinte nun, Alles würde mit der Zeit sich finden; auch hernach die allmählige Umbildung des jungen Mannes, welche ihn ihrem Vorbilde näher brächte.
Außer diesen beiden, stellten noch zwei andere junge Leute sich häufig ein. Die Eltern bauten eben keine Entwürfe auf sie; es stand mit der Zeit, wo sie an eine Heirath würden gehn können, zu weit aussehend. Allein sie waren angenehm unterhaltende Gesellschafter, und hatten mit Otto und mir die Schule besucht. Allenfalls konnten Jene auch denken: gesetzt es fände sich für Wilhelminen nicht bald etwas Annehmlicheres und Einem oder dem Anderen glückten feine Absichten, so möchte er als Eidam nicht verwerflich seyn.
Eduard war ein junger Kaufmann, stand jedoch erst im Begriff, sich anzusiedeln. Einige tausend Thaler hatte er zum Anfang; indem er gleichwohl einsah, es würde sich damit nichts von Bedeutung unternehmen lassen, wollte er zuvor nach Hamburg, Amsterdam, Bordeaux, Lion, Triest und anderen berühmten Handelsstädten reisen. Dies sollte ihn eignen, sich die vortheilhafteren Geschäfte auszuwählen, bedeutende Verbindungen anzuknüpfen und gleich im Großen seinen Kredit zu gründen; so ließe auch zur Stelle im Großen sich spekuliren und gewinnen. Eine Fabrikenanlage von Belang gehörte auch zu Eduards hochfliegenden Planen. Die Landesregierung, meinte er, würde ihm gewiß mit den dazu nöthigen Summen beistehn, wenn er ihr deutlich bewiesen hätte: seine Fabrik würde nicht allein Hunderttausende, welche ins Ausland flössen, zurückhalten, sondern noch Hunderttausende aus der Fremde hereinziehn, auch Tausende von Armen nützlich beschäftigen, und was dessen mehr war. Er behauptete: kluge Spekulationen, wie Unternehmungen von weitem Umfange, müßten den Kaufmann nach weniger Zeit reich machen; dies habe eine so einleuchtende Evidenz, wie das Einmaleins. Träfe es bei Vielen nicht ein, so läge es an ihrem Mangel an kühner Regsamkeit; der echte Handelsgeist beseele die Alltagsköpfe nicht. Er wußte auch von gar manchen Grossirern, Wechslern, Rhedern zu erzählen, die mit nichts angefangen, und doch Millionen vor sich gebracht hätten; und er fügte naiv hinzu: In so fern die Wege doch bekannt sind, auf denen es ihnen gelang, sehe ich nicht ein, warum ich sie nicht auch betreten sollte.
Eduard war übrigens eine ganz hübsche Mannsperson, kleidete sich gut, sprach wie Leute von Ton, und ließ sich gern finden, wo Leute von Ton zusammenkamen. Er machte Wilhelminen so ehrerbietig als schmeichelhaft seine Aufwartung, zeigte, daß es ihm so wenig, als Herrn von Lilienthal, an Urtheil und Herz für hohe weibliche Vollkommenheit fehle. Ich zweifle auch gar nicht, daß ihm die Schwester ihre Hand würde gereicht haben, wenn er von seiner ersten Million vor der Hand nur den zwanzigsten Theil aufgewiesen hätte. Er trug einige Mal auf ein vorläufiges Versprechen an, und bewies dadurch wenigstens: er hege doch eine ernste Meinung. Wilhelmine beschied ihn nicht abschlägig, war aber doch zu klug, sich voreilig zu binden. Sie verwies ihn auf den Spruch des weisen Salomo: Jedes Ding hat seine Zeit.
Die Eltern hatten es auch so gewollt. Man hörte, des jungen Mannes ererbtes Vermögen bestehe in drei- bis viertausend Thalern. Seit Vollendung seiner Lehrjahre beschäftigten ihn aber nur die Entwürfe künftiger Plane, und er lebte einstweilen, als ob schon gelungen sei, was erst späterhin gelingen sollte, hatte auch deshalb mit seinem Vormund, der auf eine baldige Ansiedlung in Kleinem drang, manchen Streit. Weil Eduard indeß bald darauf nach Hamburg reis'te, und von dort schrieb: er sei schon auf dem beßten Wege, seinen, gar nicht zu großen merkantilischen Ideen aufgelegten, Vormund zu beschämen, konnte man dem echten Handelsgeist doch auch nicht alles Glück absprechen wollen.
Jetzt komme ich auf den genievollsten unter den vermeinten, und wirklichen, Aspiranten zu Wilhelminens Torus. Es war ein Ex-Kandidat der Theologie, sein Vorname August. Theils aus philosophischem Sinn, noch mehr aber, weil er ausschließlich der Tonkunst leben wollte, hatte er die Gottesgelahrtheit aufgegeben. Für Tonkunst, in Tonkunst lebte, webte und strebte sein Genius; und so verstand es sich von selbst, daß er mit Wilhelminen in eine innigere Wahlverwandtschaft treten konnte, als die Uebrigen. Er spielte Klavier und Geige, sang auch einen recht artigen Bariton. Da kam es folglich zu Doppelsonaten und Duetten, welche Andere mit Vergnügen hörten, wobei die Vollziehenden aber das süßere und erhebendere Vergnügen empfanden. Wilhelminens Notensammlung enthielt auch manches Lied, von Jenem in Töne gesetzt, und sie redete manches von einem darin wehenden Geist, von den neuen, eigenthümlichen Gedanken, welche diese Lieder enthielten.
August wollte bei dem Allen höher hinaus. Es schien auch Noth zu thun, nachdem er auf ein Predigtamt Verzicht geleistet hatte; wozu aber auch – der Sage nach – das Consistorium seinen Genius wenig tüchtig erachtet haben sollte. Es schien, er habe über die Tonleiter die Himmelsleiter vergessen, oder gemeint: die Tonleiter führe auch zu Himmelsgefilden. Er sagte indeß vom hinderlichen Consistorium nichts.
Dem sei wie ihm wolle, – Vermögen, das geniale ausgenommen, besaß er keineswegs, und mußte kümmerlich von musikalischem Unterricht leben. Dagegen beschäftigte ihn seit einiger Zeit die Composition einer großen Oper, und er zweifelte im mindesten nicht, es würde auch dem Kunstwerth nach etwas Großes damit seyn. Denn nie hatte er solche Weihe im Genius empfunden, als bei dieser Arbeit. Es ist auch wahr, daß er sich höheren Aufflug gar sinnig zu bereiten verstand. Draußen in einem Garten der Vorstadt, und zwar in einem Lusthause desselben, das auf einer Höhe lag, und eine anmuthige Aussicht in die Umgegend öffnete, hatte er seine Wohnung aufgeschlagen. Maienblüthe, Jasminduft, Aurora, Sommerabendroth, helles Wintermondlicht übten begeisternde Einflüsse, und die heftig leidenschaftlichen Stellen fertigte August, während Aequinoctialstürme tobten. Nach Vollendung wollte er das geniale Singspiel den vorzüglichsten Bühnen in Deutschland verkaufen, und rechnete – auf dem Papier – die nöthige Summe zu einer Kunstwallfahrt ins gelobte Italien heraus. In Venedig, Mailand, Florenz, Rom, Neapel, Palermo dachte er Opern in Mozarts Styl zu schreiben, dann wie ein neuer Gluck in Paris, später in London wie ein Händel redivivus aufzutreten, und endlich, nach vorangegangener ansehnlichen Bereicherung, bei irgend einem deutschen Fürsten als Kapellmeister zu glänzen.
Der Plan schien so übel nicht, und der Meinung nach, welche die Schwester von dem kunstsinnigen Jüngling hegte, mußte dessen Ausführung schier nothwendig gelingen. Sie bezog sich dabei auf Schillers:
Mochten einige Kunstverständige auch sagen: es habe so gar viel mit dem Talent des jungen Mannes nicht auf sich; er sehe es mit überschätzendem, träumerischem Dünkel an, – Wilhelmine sprach dagegen: das sei die Stimme des Neides. Am liebsten würde sie den ihr so kunstverwandten August geheirathet, für die – ihm noch winkenden – Honorare Soldins Reichthum vergessen haben, und lieber auch Frau Kapellmeisterin als Frau von Lilienthal gewesen seyn; weil in jenem Falle auch ihres Mannes berühmter Name in allen europäischen Notenhandlungen glänzen würde. August war nicht schön – Alles ist nun einmal nie beisammen – und Wilhelmine sagte: Eduard gefalle ihr, der Außenseite nach, ungemein, auch noch mehr als Lilienthal; dennoch galt ihr August, der genievollen Herrlichkeit wegen, den höheren Preis. Sie war auch nicht abgeneigt, die ganze Reihe von Jahren zu warten, in denen Italien, Frankreich und England des Geliebten Ruhm krönen sollten, um endlich diesen Ruhm mit ihm zu theilen.
Aber – und das ehrt Wilhelminens Verstand – sie war von Liebe auch nicht so geblendet, daß sie, wenn eine andere anständige Heirath sich dargeboten hätte, sie würde abgelehnt haben. Wilhelmine kannte den Vorzug gewisser vor ungewissen Dingen. Doch – dies stand ganz fest – ihr Ideal sollte meistens erreicht seyn; sonst wollte sie ihre Hand gar nicht vergeben, und müßte sie auch lebelang unvermählt bleiben.
Nach diesem flüchtigen Abbild meiner Schwester wird man gestehn, daß sie, für ihren hellen Geist und ihr schön fühlbares Herz, auch ihr löbliches Streben sich zu bilden, ein gutes Glück verdient hätte.
Ich erwähne noch eines Advokaten, Namens Sauer, den man seltner, aber doch von Zeit zu Zeit, in unserm Familienkreise sah. Mein Vater hatte allerlei Geschäfte mit ihm, weshalb er denn aus Höflichkeit bisweilen eingeladen wurde.
Seinen Namen führte er mit der That: er war ein recht sauertöpfiger Gesell, bei einer unvortheilhaften körperlichen Bildung. Sein Gesicht hatten die Blattern entstellt, daneben war es schwammicht und fahl. Verstand ließ sich ihm nicht absprechen, doch zeugte sein Urtheil von einem lieblosen Gemüth; die satirische Laune, in welche er zuweilen ausbrach, hatte einen finstern und hämischen Styl. Fühlloser gegen das Schöne konnte Niemand seyn. Lief das Gespräch um reitzende Mädchen, so blieb er nicht allein eiskalt, sondern wußte auch viel an den Gestalten zu tadeln, bis er sie völlig herabgewürdigt hatte. Ueber Poesie spottete er wie über eine Narrheit, Musik war ihm unleidlich. Deshalb, und wegen seiner ganzen Sinnesart, war er auch meiner Schwester unleidlich; sie konnte ihr Mißvergnügen nicht hehlen, wenn Sauer ins Zimmer trat, und wich den Unterhaltungen mit ihm gerne aus.
Einst kam Wilhelminen jedoch zu Ohren: der Advokat hätte an einem dritten Orte gesagt: er ginge mit dem Vorhaben um, sie zu heirathen. Liebe, meinten die Hinterbringer, schiene dabei eben nicht sein Antrieb, vielmehr wohl der Umstand, daß man Wilhelminen, ihrer Talente wegen, so erhöbe; nun möchte er stolz mit einer beneideten Frau prunken. Bald, hatte er indeß noch erinnert, solle die Anwerbung nicht geschehn; in einigen Jahren erst, wenn seine Berufsgeschäfte mehr empor gekommen wären. Denn es gehörte noch zu dem Abstoßenden an diesem Ehrenmann, daß er wenig zu thun, und deshalb üble Vermögensumstände, neben manchen Schulden, hatte.
Wilhelmine entsetzte sich zum Theil, als sie das hören mußte, zum Theil lachte sie hell auf. Ich würde vor ihm schaudern, sagte sie, und wenn er eine Tonne Goldes besäße; ja, ich würde ihn, möchte er daneben auch jung und schön seyn, seines verächtlichen Gemüths wegen, doch fliehn. Ha ha ha! so ein Mann wäre für mich! Also nach etlichen Jahren will er obenein erst kommen, und zählt jetzt schon mehr als dreißig. Zu meinen Bedingungen gehört auch ein Abstand von höchstens sechs Jahren, zwischen Mann und Frau. Und hier sollte ich – – Hu hu! Mögen ihm die Freunde sagen: er solle sich den Verdruß eines, nicht einmal zierlich geflochtenen, Korbes sparen. Indeß – wird es auch nicht einmal dahinkommen. Der saubre Freier will ja noch etliche Jahre verziehn.
Allerdings meinte Wilhelmine, sie würde, nach diesem Zeitraum, schon lange angemessen vermählt seyn. Ich theilte diese Hoffnung; auf Soldin oder Eduard rechnete ich am meisten, obwohl ich auch dachte: meiner Schwester nicht alltägliche Vorzüge könnten noch andere zuständige Bewerber finden.
Meine Eltern hatten jedoch Wilhelminens Verheirathung nicht allein im Auge; ihre Söhne kamen daneben mit in Betracht. Keiner von jenen Vorgesetzten, die uns zu guten Aemtern helfen konnten, hatte eine mannbare Tochter; sonst dürften Jene vermuthlich hierauf einen Entwurf gebaut haben. Doch lebte ein gewisser Commerzienrath Hill in unserm Wohnorte, den mein Vater, schon seines aufgeweckten Humors wegen, gern sah. Hill sollte aber auch Reichthum besitzen, und der Aufwand in seinem Hause stritt gegen die allgemeine Sage nicht. Er hatte zwei Töchter, Emma und Minna, eben in der holdesten Blüthenzeit begriffen, und weiterhin noch so angethan, daß sie vor allen übrigen Mädchen in der Stadt glänzten. Beide waren ausgezeichnet schön: sie übertrafen Wilhelminen ohne Zweifel in diesem Betracht; und konnte dasselbe nicht von den ausgebildeten Talenten meiner Schwester gelten, so hatten Jene doch Manches, was, bei der Menge wenigstens, noch mehr in die Augen fiel. Dahin gehörte ein Studium des feineren Welttons, das sich kaum höher getrieben denken ließ. Sie wußten über Vieles zu sprechen, und geschah es nicht immer mit Gründlichkeit, so erwarben ihnen die einnehmende Weise, die lebhaften und treffenden Bemerkungen, der eingemengte und unbefangene Witz, Verehrer genug. Die Huldinnengestalten erschienen nicht bloß in den neusten Moden, sie wählten auch davon mit bewundertem geschmackvollem Sinn, und an reicher Kleidung überschimmerten sie alle Nebenbuhlerinnen, wie man auch in gefälligem, bildlichen Tanz ihnen das Meisterinnenthum zuerkannte. Die jungen artigen Männer umflatterten sie emsig; von Bräutigamen verlautete dagegen noch nichts.
Die Eltern meinten: wir Brüder würden nicht übel thun, wenn wir es auf Eroberung dieser Schönheiten anlegten. Reichen Mitgaben ließe sich bei ihnen entgegen sehn, und ein Mann, der eine schöne Frau habe, komme dadurch oft um so besser fort, weil er um so geachteter sei.
Das ließ sich hören, und ich fühlte mich zudem aufgelegt, den elterlichen Rath zu befolgen, weil Emma, die Schönere mir dünkend, bereits lange einigen Eindruck auf mein Gefühl machte. Otto ging schwerer daran, hatte auch einen gewissen steifen Ernst, und eine nach dem Amtsberuf klingende Sprachweise, die ihm den Eingang zur Frauengunst wenig öffneten. Dennoch versuchte er einige Aufwartung bei Minna. Sie that aber schneidend fremd, und als sie erst seine wahre Absicht zu durchblicken schien, dergestalt hochfahrend, daß Otto wohl ahnen konnte, sie wolle ihm alle Bemühung um sie verleiden. Er stand nun auch gleich um so mehr davon ab, als er noch daneben ausgekundet haben wollte: es stehe mit Hills Vermögensumständen nicht so, wie die Eltern glaubten; Unterrichtete sprächen vielmehr zweideutig davon. Ich meinte dagegen: Otto rede dem Fuchs ähnlich, bei den Trauben, die er nicht erreichen konnte, und setzte meine schon begonnenen Annäherungen bei Emma fort. Zuerst wär' es mir beinahe so schlimm gegangen, wie dem Bruder. Emma trug das griechische Näschen ziemlich hoch, und that schnippisch, wenn ich sie eine bedeutendere Zuneigung wahrnehmen ließ, als die allgemeinen Huldigungen, welche sie erhielt. Der Widerstand entwaffnete meine Liebe jedoch nicht, erhöhte sie vielmehr, und ich strebte bei allen Gelegenheiten, ihr es darzuthun. Nach und nach schien es demungeachtet, als ob ich ihr nicht ganz mißfiele, sie aber noch manches Bedenken trüge. Oft ruhten die schönen tiefblauen Augen mit Theilnahme auf mir, ja, sie blinkten und strahlten dergestalt Gefühl, daß ich die Hieroglyphen der Gegenliebe entzifferte. Bei dem Allen suchte Emma näheren Erklärungen sich zu entziehen. Um desto heller flammte es in meiner Brust: meine Liebe erreichte einen hohen Grad heftiger Leidenschaft; Emma war es, nicht ihre Glücksgüter, um die es in meinem Herzen rief, und ich dachte: wenn ich nur genügendes Vermögen, oder ein Amt mit hinreichendem Einkommen besäße, so würde ich Emma, wäre sie auch eine Bettlerin, mit Entzücken heirathen.
Einmal fügte es sich gleichwohl, daß ich meiner Geliebten dies Alles sagen konnte. Sie zuckte die Achseln. Mein Vater ist eigen, sagte sie, und Bitten ändern seine Grundsätze nicht. Wären Sie Geheimer Rath, so würde er Ja, und ich – nicht Nein sagen.
Geheimer Rath war ich aber nicht, und die Aussicht nach diesem Ziel durchlief eine weite Bahn.
Ich hehlte meinem Vater nichts. Er sagte: Wenn Hill seiner Tochter zwanzigtausend Thaler Mitgift auszahlt, so könnt ihr einander bald heirathen, und die Beförderung zum Geheimen Rath abwarten. Er gab dem Commerzienrath dies zu verstehn; der schnitt jedoch den Faden kurz ab, und besuchte, von der Zeit an, unser Haus mit seinen Töchter nicht mehr. Ich hätte verzweifeln mögen.
Noch manche Verdrießlichkeiten gesellten sich zum Schmerz meiner Liebe. Ich hatte den Präsidenten an meinem Landesstuhl in aufwallender Hitze beleidigt, weil er einen jüngeren Referendarius mir voranstellte. Um so weniger durfte ich nun Beförderung hoffen. Da Otto, um eben dieselbe Zeit, auf eine höhere Stufe in seinem Collegium erhoben ward, so demüthigte mich die Zurücksetzung noch mehr.
Es lebte jedoch ein Oheim in Rußland, der ein wichtiges Amt bekleidete. Er hatte meinem Vater geschrieben: Schicke mir einen von deinen Söhnen; hat er Kenntnisse, so werde ich leicht sein Glück machen. Otto hatte keine Lust, in die Ferne zu gehn; ich hingegen überlegte nun, daß manche Deutsche in Rußland zu einem schnellen Fortkommen gelangt wären, und daß, bei dem mächtigen Einfluß des Oheims, mir eine um so größere Hoffnung winke. Den Ort zu verlassen, wo mir so vieles theuer war, kostete meinem Herzen viel; doch weil es am Ersten auch seine glühenden Wünsche zu stillen vermochte, ermannte ich mich.
Zuvor schrieb ich an Emma, und befragte sie: ob ich hoffen könne, daß sie nach Rußland mir zu folgen geneigt seyn würde, sobald ich dort ein Amt von Bedeutung erlangt hätte. Sie antwortete zur Hälfte zärtlich, zur Hälfte mit kluger Vorsicht. Ihre Gegenliebe wurde so heiß geschildert, daß sie dadurch sich bewogen fühlen müsse, jedem Verlangen, das ich an sie richten würde, zu genügen; in so weit ihr Vater damit einverstanden sei. Wenn gleichwohl, ehe ich meinen Wunsch aussprechen könnte, dieser Vater anderweitig über ihre Hand zu gebieten veranlaßt werden sollte, dürfte sie – freilich nicht ungehorsam seyn.
Ich mußte mich hiermit begnügen, und eilte nach Rußland.
Was mir dort begegnet ist, mag nur flüchtig berührt werden. Ich gelangte durch meinen Oheim in eine Laufbahn, auf der ich vermuthlich eine höhere Ehrenstelle würde erreicht haben, wenn sich nicht gewisse Umstände ereignet hätten. Auch schien es mir hier zu weit aussehend mit einer namhaften Beförderung; ich hoffte schneller emporzusteigen, wenn ich mich in eine geheime Verbindung einließe, deren eigentliches Ziel mir Anfangs nicht bekannt war. Allerdings war es jugendliche Unbesonnenheit, die mich in bedenkliche Umtriebe verwickelte. Es kam an den Tag; ich wurde abgesetzt, und nach Sibirien geschickt.
Hier theilte ich das Loos aller Verwiesenen, hatte Zeit genug, über meine begangene Thorheit nachzudenken, und schleppte, zwischen Reue und Hoffnung, ein elendes Leben hin.
Erst nach beinahe zwanzig Jahren schlug die Befreiungsstunde; ich hatte damals auf weiteres Hoffen bereits Verzicht gethan.
Ich kam zurück nach St. Petersburg; mein Oheim war gestorben, hatte mich aber, auf den Fall, daß meine Verbannung enden sollte, zum Erben eingesetzt. Ein Vermögen von etwa dreißig tausend Rubeln wurde mir ausgehändigt.
Mit diesem Eigenthum beschloß ich wieder in meine Heimath zu gehn. Zwanzig Jahre lang hatte ich nicht die mindeste Nachricht von dort erhalten, um so stärker sehnte sich mein Herz nach Wiedersehn.
Auch die Stimme der Liebe war noch nicht darin verhallt. Auf jenen einsamen Schneegefilden hatte Emma nur zu oft meine Gedanken beschäftigt, und ihr Bild um so lebendiger vor meiner Fantasie gestanden, als mich dort kein Umgang mit anderen Frauenzimmern zerstreuen, oder in mir eine andere Neigung erwachen lassen konnte.
Freilich dachte ich aber auch oft: Sie wird längst verheirathet seyn. Es ist nicht glaublich, daß so viel Liebenswürdigkeit ungesucht verblüht wäre.
Auf dem Heimwege mußte ich zunehmend darauf gespannt seyn, in welchem Verhältniß ich Emma antreffen würde. Bisweilen dachte ich: Ganz unmöglich wäre es bei dem Allen nicht, sie noch ledigen Standes zu finden. Sie könnte mehr gezaudert haben, als ihr Brief es zusagte, und, selbst wenn sie von meinem Unglück Nachrichten bekommen hätte, einer nahen Befreiung davon entgegen gesehn haben. Denn schrieb mein Oheim seinem Bruder von den Ursachen meines Unglücks, so schilderte er mich gewiß auch weniger stafbar, als leichtsinnig, und vertröstete auf eine glückliche Wendung meiner Angelegenheit; die er selbst immer gehofft, und eifrig nachgesucht hatte, wie ich nach meiner Rückkunft aus Sibirien erfuhr. Noch ein Umstand machte es nicht ganz unwahrscheinlich, daß Emma unvermählt geblieben seyn könne, denn noch vor meiner Abreise aus der Vaterstadt gewann Otto's Behauptung, daß es um Hills Vermögen nicht am beßten stehe, Glaubwürdigkeit. So dachte ich denn jetzt: Selbst schöne Mädchen, wenn sie unbemittelt sind, bleiben zuweilen ohne Freier, und es könnte also hier auch so ergangen seyn.
Vielleicht hatte sich Emma aber auch vermählt, und ich fand sie jetzt als Wittwe. In jenem und in diesem Falle wollte ich sie besitzen. Ich träumte mir noch die Reste ihrer ehemaligen Schönheit entzückend, und empfand, nur etwas über vierzig Jahre hinaus, in meiner Brust um so mehr liebende Gluth, als ich sie im nördlichen Asien nicht abgekühlt hatte.
Daneben beschäftigte mich aber oft auch die Frage: Was mag aus den übrigen Lieben in dem langen Zeitraum geworden seyn? Von den Eltern ließ es sich kaum hoffen, daß sie noch lebten, wie heiß ich es auch wünschte; beide standen nahe an den Funfzigen, als ich von ihnen schied. Unmöglich war es demungeachtet nicht. Nächst ihnen lag mir die Schwester am Herzen. Vier junge Männer schienen Wilhelminen zu lieben, als ich mich entfernte. Kurz zuvor hatte es noch das Ansehn, als ob Lilienthal wirklich Ernst machen wollte. Man sprach neuerdings von einem Erbe, das ihm zugefallen sei, und einer ihm bevorstehenden Rangerhöhung. Ich konnte meinen: er habe räthlich gefunden, erst diese Umstände abzuwarten. Wo nicht, so hatte vielleicht Soldin bald nachher Entschlossenheit gewonnen, ihr sein Verlangen darzuthun. Oder fände ich etwa in Eduard oder August meinen Schwager?
Die Letzten sowohl, als jene Beiden, waren übrigens meine vorzüglichsten Jugendfreunde; verwandt mit ihnen oder nicht, regten die Schicksale, welche sie erfahren haben konnten, meine warme Theilnahme an. Ich wünschte Jeden beim Wiedersehn glücklich zu finden, und es mangelte nicht an Gründen, es zu hoffen. Lilienthal, der junge Officier voll Geist und Kraft, dessen einnehmende Außenseite ihm allenthalben Freunde gewann, und der bei meiner Abreise glänzende Aussichten hatte, war vielleicht nun Oberst, vielleicht General; wenn er anders in den Kriegen, welche sich unterdessen ereignet hatten, nicht geblieben war. Soldin lebte vermuthlich als ein wohlbegüterter Landedelmann ruhig, und in wirthlich genossenem Ueberfluß. Eduard konnte leicht mit seinem klugen Unternehmungsgeist viel erworben haben; wenn auch nicht alle Erwartungen seiner jugendlichen Fantasie eingetroffen waren. Ich glaubte mit Ueberzeugung, daß ich ihn wenigstens als einen angesehenen, wohlbemittelten Kaufmann begrüßen würde. August hatte einst Genialität dargethan; ich bezweifelte sie weniger, als einige Andere, bei denen, wie ich meinte, wohl Neid im Spiele seyn konnte. Und mochte einst, dachte ich nun, der junge Mann einen zu hohen Glauben an sich nähren; das spornt den Strebeflug, ohne den nichts gelingen kann. Ich zweifle, daß seine Plane nach ihrem ganzen Umfang gelungen seyn werden; mag es aber auch nur ein bescheidner Kreis seyn, in welchem August mit Erfolg sich bewegt: dann finde ich immer einen berühmten Componisten an ihm, den mindestens auch einige Wohlhabenheit oder ein anständiges Auskommen in einem, seinen Neigungen entsprechenden, Beruf erfreut. Ich dachte noch: Wenn ich schon ein mittelmäßiges Vermögen besitze, werde ich vermuthlich doch gegen die alten Freunde zurückstehn; August hat wenigstens einen berühmten Namen in seinem Kunstgebiet, und ich habe den meinigen eben nicht bekannt gemacht. Ich gestehe, daß ich an Otto weniger hing, als an jenen Freunden, und deshalb sein Schicksal nicht so zum Gegenstand meiner Wünsche und Hoffnungen erhob. Zwar verwies ich mir das aus Pflichtgefühl, als unbrüderlich; allein es war nun einmal so. Unsere verschiedene Gemüthsweise hatte schon in den Knabenjahren ein enges Vertrauen gehindert; und vor meiner Abreise entzweite ich mich noch heftig mit ihm. Denn er gab mir auf eine hochtrabende Weise Lehren, tadelte mein Benehmen im Collegium, und verwies mit Stolz mich auf sein Beispiel und das schon erreichte höhere Amt. Uebles konnte ich indeß meinem Bruder deshalb unmöglich wünschen, und hielt übrigens dafür, Otto würde vermuthlich einigermaaßen seinen Weg gemacht, aber es doch nicht zu etwas Ausgezeichnetem gebracht haben. Seine trockne Engherzigkeit schien für diese Meinung zu sprechen.
Auch unsere Verwandte, Charlotte, überging ich damal nicht, bei diesen, mir so viele Theilnahme erregenden, Betrachtungen. Es war ein unbedeutendes Ding, ohne Verstand und Schönheit, nur im Hauswesen tüchtig. Sicher glaubte ich, die Arme würde ohne Mann geblieben, und, wenn meine Eltern nicht mehr lebten, oder Wilhelmine sich ihrer nicht angenommen hätte, gezwungen gewesen seyn, irgendwo ein Unterkommen als Ausgeberin zu suchen. Denn ich urtheilte: ein Mann von Geschmack, selbst nur mit Charlotten in gleichem Standesverhältniß, hätte wohl eine Person nicht begehren können, die einer gewöhnlichen Magd – die schönen darunter ausgenommen – ähnlich sah. Und einem kleinen Bürgersmann, der platt genug empfunden, auf Schönheit gar nicht zu sehn, wohl aber eine rege Hauswirthin gesucht hätte, dürfte schwerlich auch das Wagstück eingefallen seyn, sich um die Verwandte eines Rathsherrn zu bemühen; und mein Vater dann auch seine Einwilligung versagt haben. Ich beschloß aber, wenn es sich dergestalt verhielte, Charlottens Lage nach meinen Kräften zu verbessern.
Endlich sah ich mit klopfender Brust die Thürme meiner Vaterstadt. Sie waren unverändert geblieben, bis auf den an der Hauptkirche. Seines baufälligen Zustandes wegen hatte man ihn bis zur Hälfte abgetragen, und mit einem kleinen stumpfen Dache versehn. Er prangte einst mit einer stattlichen Kuppel und Spitze; die Physiognomie der Stadt gewann durch ihn etwas heiter Aufstrebendes. Als Knabe hatte ich ihn mit einem erhebenden Wohlgefallen angesehn, und ihn oft bis zur sogenannten Haube erstiegen. Es verdroß mich, den alten Freund als einen Krüppel wiederzufinden; schier ahnte mir darin ein Zeichen übler Vorbedeutung.
Als ich näher kam, lächelte mich eine neue, hoch empor gediehene, Pflanzung von Pappeln an. Es war eine Verschönerung; sie würde mir gleichwohl anderswo besser gefallen haben, als hier. Dem erinnernden Bilde in mir widersprach sie, und machte mir die Gegend vor dem Thore fremd.
Ich stieg aus dem Wagen, mich desto bequemer umzusehn, und ließ den Postillon halten. Es war ein schöner Sommerabend; auf dem neuen Spaziergang lustwandelten Einwohner. Ich mengte mich unter sie, fand aber nicht einen der alten Bekannten hier. Auch das erregte mir Unmuth. Meinem Besuch nach zwanzig Jahren in der Vaterstadt, hob ich bei mir an, scheint wenig Freudiges entgegen treten zu wollen.
Wenn auch nicht gerade schon trübe, war ich doch nicht so heiter, wie ich auf der langen Reise gehofft hatte, daß ich es am Eingange der Heimath seyn würde. Von dem geahnten traulich heiligen Empfinden wehte mich jetzt nichts an, und ich klagte heimlich, daß es so sei. Immer wollte ich einen von den Unbekannten anreden, ihn um meine Eltern, um Wilhelminen, um Emma fragen, hatte gleichwohl nicht den Muth dazu. Ebenso zauderte ich, in die Stadt zu gehn.
Meine Blicke fielen auf die Thür des nahen Kirchhofs. Sie stand offen, und ich fühlte einen schwermüthigen Zug hineinzugehn. O wie viele neue Gräber! Doch auch viele neue Denkmähler, die von zugenommenem Luxus und verfeinertem Geschmack zeugten. Baumanlagen, sonst nicht vorhanden, Gitterwerke, die kleine Gärten umfingen, unter denen Todte ruhten, einzelne Hügel, mit Blumen geschmückt, konnten als liebliche Veredlungen des Anblicks trauernder Stille gelten. Aber sie riefen mir auch sehr lebhaft den Gedanken zu: daß Alles endet, wie schön es einst auch blühen und glänzen mochte.
Ich schlich an den Gräbern hin, und las die mancherlei Inschriften der weißen Steine und Eisenplatten. O, hier traf ich Bekannte genug! Ein Mal über das andere stieß ich auf einen Namen, der mir einst wenigstens nicht ganz gleichgültig ins Ohr tönte. Und nicht bloß ältere Personen, die ich vor Zeiten werth hielt, auch jüngere sah ich nun lange schon der Verwesung übergeben. Es war ein Mädchen darunter, das ich ein wenig geliebt hatte, ehe noch Emma den bleibendern Eindruck auf mein Herz machte. Jene war im ein und zwanzigsten Jahre verstorben, und ein Gespiele meiner frühsten Kinderjahre hatte nur bis zum dreißigsten gelebt.
Nun kann eine wahrhaft melancholische Stimmung über mich, und ich bebte, Namen zu sehn, die mich noch stärker rühren könnten. Des Gottesackers Hinterwand umliefen noch inwendig Begräbnißplätze in Gewölben. Mein Vater hatte sich dort einen erkauft, und den nöthigen Bau daran ordnen lassen. Als ich aus meiner Vaterstadt ging, hatten die Seinigen noch keine Anwendung von der neuen Ruhestätte machen dürfen. Ich gewahrte sie schaudernd, und nahte mich zitternd und wankend. Eine Steinplatte, mit Zeilen versehn, war in die Außenwand gemauert. Schon sah ich sie, eh ich die Zeilen noch lesen konnte. Ein Opfer also, dachte ich seufzend, hat sich der Tod aus unserm Kreis genommen. Mit grauenvoller Neugier eilte ich zu lesen, und vermochte es kaum. Es war die Mutter; sie schlief bereits zwölf Jahre hier. Der Kirchhof warf viel auf meine Brust!
Ich starrte einige Zeit die Tafel an, und ging langsam weg. Es gelang mir nicht, durch die Vorstellungen mich zu trösten: daß es sich kaum anders habe erwarten lassen, und daß ich von Glück sagen dürfe, wenn ich meinen Vater noch unter den Lebenden antreffe. Ich fühlte in dem Augenblick, was die übrigen Verwandten zwölf Jahre früher an diesem Grabe empfanden.
Wieder hinausgetreten, sah ich einen dürren bleichen Mann daher kommen. Er bewegte sich mit kleinen Schritten, und hustete im Gehen oft. Er trug ein schlechtes Oberkleid, und sein ganzer Anzug zeugte nicht von Wohlhabenheit. Mir war, als hätte ich ihn früher gesehn; doch besann ich mich auf Namen und Stand nicht. Es schien mir auch, als hätten Blässe und Falten das Gesicht merklich umgewandelt.
Auch er faßte mich ins Auge, und ich war schon an ihm vorübergegangen, als wir Beide zugleich still standen und nach einander umblickten. Jetzt rief er meinen Namen. Auch die Stimme tönte mir bekannt, doch schwach und hohl. Ich ging zu ihm, und sagte: »Verzeihen Sie, mein Herr; ich soll die Ehre haben, Sie zu kennen, und besinne mich doch nicht gleich ...«
Haben Sie Ihren alten Freund Lilienthal vergessen? Mit diesen Worten unterbrach er mich.
Ich trat staunend zurück, und konnte kein Wort sagen.
Ja, fing er lächelnd wieder an, ich habe mich wohl ziemlich verändert. Sie aber scheinen noch ganz munter. Noch nicht einmal, wie ich sehe, Ein graues Haar. (Das seinige war schon zur Hälfte bleich.)
Ich umarmte ihn nun, und stotterte: »Nein – das hätte ich nicht gedacht – und wie gehts? Mit welchem Titel hat man Sie anzureden?«
Er antwortete: Es geht verdammt schlecht. Ich bin invalider, pensionirter Hauptmann.
»Verwundet im Kriege?«
Nein, die Gicht hat es mir gethan. Da muß ich mich nun mit dem schmalen Gnadengehalt hinstümpern. Und wenn ich ihn noch ganz bekäme! So wird mir aber noch für meine Gläubiger die Hälfte abgezogen.
»Freund – ich beklage unendlich, Sie nicht in einem glücklichern Zustande wiederzusehn.«
So geht es nun schon einmal. Wenn man in der Jugend zu rasch gelebt hat, wird man früh alt.
»Hm – ich dachte, Sie besäßen außerdem ein ansehnliches Vermögen« –
Wo bist Du Sonn' geblieben!
»Ehe ich vor zwanzig Jahren abreis'te, hieß es, Sie hätten eine bedeutende Erbschaft« –
Ach, wie man's denn im Leichtsinn treibt. Ich hatte ein Paar tausend Thaler; in ein Paar Jahren flogen sie aber hin. Einmal gewöhnt, auf einem artigen Fuß zu leben, nahm ich auf, und sprengte, um meinen Kredit zu befestigen, allerhand Mährchen aus. Eigentlich nicht ganz Mährchen. Ich hatte begründete Hoffnung, zu steigen, zu erben, nur kein Glück. Manche lebten wüster in den Tag hinein, als ich, und sind jetzt Obersten, Generale, und haben keine Gicht. Das Glück tut alles auf der Welt.
»Sind Sie verheirathet?«
O! wenn ich noch Frau und Kinder hätte, schösse ich gar mich todt. – Die Abendluft wird kalt, ich muß unter Dach. Wir sehen uns wohl ein ander Mal. Leben Sie wohl!
»Erlauben Sie mir, Sie noch einen Augenblick zu begleiten. Ich bin in zwanzig Jahren nicht hier gewesen, und möchte um Manches fragen.«
Er that mir den Vorschlag, mit nach der Kegelbahn zu gehn, die er besuchen wollte; da könnten wir noch eins mit einander plaudern.
Der öffentliche Garten lag nahe. Ich trat mit Lilienthal hinein, und sah, daß Einrichtungen und Gäste nur ein ziemlich mittelmäßiges Ansehn hatten, so daß ich mich wunderte, wie Lilienthal sich an einen solchen Ort begeben könnte.
Unterweges fragte ich: »Lebt mein Vater noch?«
Kann's wohl nicht recht sagen, hieß die Antwort; hab' ihn in langen Jahren nicht gesehn. –
»Hm – ein Rathsherr ist doch nicht so unbekannt« –
Jetzt besinn' ich mich. Er soll noch leben, ist aber schon lange in den Ruhestand versetzt. Es geht ihm wie mir.
»Wohnt er noch in seinem Hause?«
Das ist schon lange verkauft. Irre ich nicht, so hält er sich bei der Tochter auf.
»Und die?«
Sie lebt, das weiß ich gewiß. Noch vor etlichen Wochen ist sie mir mit ihren Kindern begegnet.
Ich wollte eben mit großer Spannung fragen, an wen sie verheirathet sei, als etwas Anderes dazwischen trat. Der Wirth des Gartens kam, und fragte, was uns beliebe. Ich wollte eine Flasche Wein geben lassen. Den habe ich nicht, sagte er mit Achselzucken. Lilienthal nahm das Wort mit Lachen: Hier giebt es nur diverse Biere und Aquavite.
Ich hatte nach Jenem wenig gesehn; nun fiel mir auf, daß er seinen Mund an Lilienthals Ohr legte, und ihn um etwas fragte, wobei er mich ansah. Der invalide Hauptmann erwiederte: Ja, ja, er ists.
Jetzt nahm ich den Wirth mit seinem Mützchen aus Sammet genauer ins Auge. Wieder ein nicht fremdes, aber ziemlich schmalbäckiges Gesicht. Kaum traute ich meinen Augen, und rief endlich: Eduard?
Er gab mir die Hand. Ei, ei! Lange nicht gesehn. Eine dicke Stimme aus der Kegelgesellschaft rief jedoch: Herr Wirth, noch ein Glas Breslauer! Da eilte mein Jugendfreund schnell seinem Beruf nach.
»Um Gottes willen, hob ich mit fast erstickter Rede zu Lilienthal an: der in einem Kegelgarten?«
Der arme Teufel hat ihn gepachtet, wird aber auch nicht sonderlich bestehn; es kommen nur wenig Gäste.
»Er war doch Kaufmann« ...
Hat einen kleinen Bankrott gemacht. Und was sollte er dann thun? Frau und Kinder wollen ernährt seyn.
Eduard hatte sein Geschäft besorgt. Ich nahm ihn bei der Hand, und führte ihn aus der Kegelbahn in einen Gang. »Freund, sagte ich, wie geht es zu? Dein spekulativer Sinn, Dein Unternehmungsgeist von ehedem! Ich dachte ... ich hoffte ...«
Die Stimme, von der ich Bescheid bekam, tönte nicht mehr so leicht und hochfliegend; sie hatte etwas Schweres, neben dem Kleinlauten. Eduard schob die Sammtmütze, um sich hinterm Ohr zu kratzen, und sagte nun: Wer kann für Unglück! Ja hätte der Vormund mich nur in Hamburg gelassen, ich glaube immer noch ... er schickte mir aber kein Geld; ich mußte zurück, und hier meine Handlung mit Spezerei- und Materialwaaren antreten. Nun, ich habe mich viele Jahre dabei hingestümpert. Aber rechts und links etablirten sich Andere, verkauften um Spottpreis, die Consumption nahm in den schlechten Zeiten ab, Einquartierung und andere Kriegslasten dazu – so ward ich endlich ruinirt.
»Du wolltest ja eine große Fabrik anlegen.«
Jung will man viel. Ohne große Mittel läßt sich aber nichts Großes anfangen.
»Du wolltest Dich um Summen an die Regierung wenden.«
Das will mächtige Fürsprache. Ich habe geschrieben, da- und dorthin. Rund abgeschlagen.
»Armer Eduard!«
Wären die Paar Tausend Thaler meiner guten Frau nur nicht mit darauf gegangen!
»Wen hast Du denn geheirathet?«
Die Tochter meines Vorgängers in der Handlung. Der Vormund wollte es so, hatte auch im Grunde nicht unrecht. Ich mochte mich in den ersten Jahren wohl nicht genug nach der Decke strecken, nicht genug um meine Handlung bekümmern; wie das so geht, wenn man denkt, es kann nicht fehlen. Man bereut es hernach, doch zu spät. – Und der Herr Bruder? Ich hörte von Sibirien. Doch also wieder frei! Gratulire. Wie geht es sonst?
»Schon darum übel, weil ich zwei alte Freunde nicht glücklich wiedersehe!«
Was hilft's? Geschehene Dinge sind nicht zu ändern. Hier ist ja noch ein Jugendfreund. He, Cantor, lieber Cantor!
Ich sah den Mann herwatscheln, der mit einer dicken Stimme Breslauer Likör verlangt hatte. Die weitere Gestalt entsprach dem. Keine schmale Wange; ein ächtes Abend-Vollmondgesicht, denn es war mit Kupfer bestreut.
Eduard nannte ihm meinen Namen. Ei, ei! rief er; lange nicht gesehn und doch noch gekannt. Er schloß mich so weit in die feisten Arme, als der Schmeerwanst es nicht hinderte, und sagte jovial: Darauf müssen wir gleich eins trinken. Cantores amant humores!
Verlegen erkundigte ich mich: von wem ich die Ehre hätte, mich umarmt zu sehn?
Karl! rief die fette Gestalt; und Du willst Deinen August nicht mehr kennen?
Ich wand mich los, und starrte aufs höchste betroffen in das faunische Gesicht. In der That, es war August!
Er kicherte: Nicht wahr, ich habe mir da einen runden Bauch angeschafft? Er kostet mir aber auch manchen runden Thaler. Ha ha ha!
»Freut mich, Dich wenigstens vergnügt zu sehn. Ich hoffte indeß gerade nicht den Bauch zu finden ...«
O, den laß mir in Ehren!
»Bist Du nicht in Italien gewesen?«
Was sollte ich da gethan haben! Und wo Geld hernehmen zur Reise!
»Du hattest vor zwanzig Jahren doch gewisse geniale Ideen ...«
Ja, Brüderchen, es gibt nur so vielen Widerstand.
»Ich meinte, Du würdest gegen ihn ankämpfen, ihn besiegen.«
Brüderchen, man wird denn ärgerlich, ist mitunter auch ein wenig faul ...
»Du hattest damal die Composition einer Oper in Arbeit. Was ich davon hörte, fand ich ungemein ...«
Erinnre mich nicht daran. Ich hatte Aerger die Menge dabei, und Schaden. Ließ zehn Abschriften machen, und schickte sie an deutsche Theater. Die meisten remittirten, unter höflichen Ausflüchten. Einige nahmen sie; nur von Einem bekam ich aber Geld, und das ersetzte mir die Kosten noch nicht. Kabalen steckten auch dahinter, Kunstneid, Hudelei. Wo man die Oper aufgeführt hatte, erschienen böse Kritiken, sprachen von entlehnten Gedanken, veraltetem Styl. Ich hätte die Hunde von Recensenten todt prügeln mögen. Hernach verschwor ich's mit den Opern. Aber ein Heft geistlicher Oden und vierstimmiger Motetten habe ich noch herausgegeben; die wurden ziemlich gut recensirt.
»Darum kamst Du nicht nach Italien?«
Italien, Italien! Tempi passati, sagen sie dort.
»Und nach Frankreich, das einen Gluck redivivus in Dir sehn sollte?«
Brüderchen, es taugt im Grunde den Teufel nicht, wenn man in der Jugend Genie hat, und sitzt nicht auch an der Quelle, und weiß die Kabalen nicht todtzumachen. Das Brotstudium wird darüber versäumt, man treibt Allotria, und macht Plänchen, die wie Seifenblasen an der Luft zerplatzen. Jetzt habe ich mir die angenehmen Träumereien abgewöhnt. Non sum qualis eram. Weißt Du, was ich thun würde, wenn ich etliche und zwanzig Jahre zurück hätte, oder was ich hätte thun sollen? Meine Theologie tüchtig treiben, mir Freunde machen, eine gute Pfarre verschaffen, und hernach das liebe Minchen heirathen. O, Minchen war mir gut, besonders am Klavier. Man schwärmte auch ein bischen mit Klopstock, Göthe und Schiller. Alles vorbei! Ich frage auch den Teufel mehr nach Amor; Vater Bacchus ist mein Mann.
»Ei, ei! Und wie lebst Du denn sonst?«
Nun, hier auf der Kegelbahn befinde ich mich ganz wohl, und dann geh ich zum Duchstein*). Die Composition hab' ich an den Nagel gehängt; es kommt nichts dabei heraus. Und, die Wahrheit zu sagen, ich bin auch zu faul, und habe mit meiner Singschule, meiner Kirchenmusik ohnehin so viel zu thun. Brüderchen, so viel kann ich Dir aber noch sagen: aus meinem Bariton ist, ohne Ruhm zu melden, ein Bierbaß geworden, der sich gewaschen hat. Komm nur den Sonntag in die Frühpredigt, Du wirst hören, daß alle Kirchenfenster klingen.
*) Ein Weißbier, das in Königslutter gebraut wird.
Herr Cantor! rief man drinnen; Sie schieben.
Eilig watschelte August davon, und ließ den Freund stehn. Eduard zuckte die Achseln, und sagte: Er ist nun einmal nicht anders, und muß schon so verbraucht werden.
Lilienthal kam wieder zu mir. Es soll, nahm er das Wort, dem Cantor nicht an Geschicklichkeit fehlen; nur betrübt, daß er sich dem Trunk so leidenschaftlich ergeben hat! Es hieß schon einmal: er würde seine Stelle deshalb verlieren.
Ich fragte: »Ist er verheirathet?«
Gewesen, erwiederte Eduard; aber von seiner Frau geschieden. Sie war die Tochter des Rektors. Durch ihn kam er noch endlich zu dem Amt, das er sonst wohl nicht erlangt hätte.
Ich empfahl mich den alten Bekannten, ohne weitere Fragen zu thun, weil ich vor der Hand genug hatte. Schwermüthig über Zeit und Menschenloos nachsinnend, ging ich nach meinem Wagen, und fuhr in die Stadt.
Es sah artiger darin aus, als vordem. Einige neue, einige verschönerte Häuser, mehr Aufwand im Anzug der Bürgersleute, die mir auf der Straße zu Gesicht kamen, zeugten von vermehrter Wohlhabenheit. Doch späterhin erfuhr ich: es wäre nur mehr als sonst üblich, um schimmernde Außenseiten bemüht zu seyn; den alten ächteren Wohlstand habe der Krieg zerstört.
Ich ließ vor einem Gasthof halten. Als ich aus dem Wagen stieg, kam der Advokat Sauer aus der Thür. Er hatte am wenigsten gealtert, auch sich sonst eben nicht verändert; nur noch etwas grämlicher war das stets düstre schwammichte Gesicht geworden. Augenblicklich erkannte ich ihn, sagte ihm indeß nur eine flüchtige, kühle Höflichkeit; weil er mir ehedem nicht gefallen hatte.
Schwager, fiel er mir ins Wort; Schwager, kommt Ihr einmal wieder zu uns? Willkommen aus Sibirien.
Ich stutzte über die Anrede und den vertraulichen Ton. Nach einem betroffenen Schweigen erwiederte ich: »Schwager?«
Mein Gott, rief er, wißt Ihr denn nicht einmal, daß ich Eure Schwester geheirathet habe?
Mit dürrem Staunen sagte ich: »Das ist mir ganz neu!«
Schon vor funfzehn Jahren. Wir haben drei Jungen und zwei Mädchen. Also gar keine Nachricht von den Verwandten gehabt? Nun, in Sibirien, da wundert's mich nicht. Und meines Schwiegervaters Bruder in Rußland ist ja auch schon vor langer Zeit gestorben. Ihr wollt doch nicht im Gasthof logiren? Kommt zu mir. Es ist wohl enge da; doch wir müssen sehn, wie man sich behilft. Der Alte ist ja auch bei uns. Nur wieder in den Wagen; ich steige mit ein.
Dies konnte ich nicht wohl ablehnen. Im Wagen fragte ich: Nun, wie lebt Ihr denn mit Wilhelminen?
Je nun, war die Antwort, so so. In der Ehe giebt es nun einmal viel Aprilwetter. Anfangs hatte sie immer noch die eleganten Herrchen, die Genies, im Kopf; da stand es um unsere Eintracht nicht am beßten. Ich sagte: Das waren nichtige Courmacher, luftige Projektanten; ich bin ein solider Geschäftsmann, und habe es doch ernst gemeint. Also ziemt es sich, daß Madame so gütig ist, und mich liebt. Eine ätherische Liebe verlange ich gleichwohl nicht; bloß eine irdische, wie sie eine deutsche vernünftige Hausfrau kleidet. Wenn ich aber doch sah, daß Madame nicht so gütig seyn wollte, und aus dem angenommenen Schein nur Verstellung hervorblickte, ja dann hielt ich bisweilen eine Gardinenpredigt, und hatte Recht dazu. Mit der ewigen Musik, und den Musenalmanachen hatte ich erst auch meinen Verdruß, und ich gestehe, daß ich bisweilen ein Notenheft, oder ein Bändchen Poesien ins Feuer geworfen habe. Indeß hat es sich gegeben. Sind erst fünf Kinder im Hause, dann geht es prosaisch genug zu, und das liebe Fortepiano wird in Monaten nicht berührt. Im Anfang überlief mich auch der liederliche Cantor oft. Ich wies ihm die Thür; nun paßte er die Zeit ab, wo ich Geschäfte außer dem Hause hatte. Es wurde mir aber gesteckt; ich kam unvermuthet, und dies Mal warf ich ihn zur Thür hinaus. Ich kann's nicht leugnen, daß ich – und wer an meiner Stelle hätte es nicht auch gethan? – daß ich in der Hitze meinem Minchen eine kleine Ohrfeige gab. Nun, das hat mich auch bei kaltem Blute nicht gereut; denn seitdem hat sich Minchen um vieles gebessert.
Diese Mittheilung empörte mich so, daß ich eben ausholen und meinem Schwager eine große Ohrfeige appliziren wollte, als mir noch zur rechten Zeit einfiel, daß meine Schwester davon am meisten zu leiden haben würde. Fünf Kinder hatte sie zudem mit dem Unhold! So knirschte ich denn bloß mit den Zähnen.
Gott, dachte ich heimlich, wäre mir in dem langen Zeitraum all dies Unheil nach und nach zu Ohren gekommen! Aber nun so auf Einmal! Und was mag mir noch bevorstehn!
Wir langten in Sauers Wohnung an. Wilhelmine stieß vor Freude einen heftigen Schrei aus; ich hätte ihn vor Schrecken erwiedern mögen! O Himmel! wie bleich, abgezehrt, und daneben wie alltäglich, zeigte sich jetzt die einst so holde, einnehmende Schwester! Weder ihre Kleidung, noch der sie umgebende Hausrath, deuteten auf eine vortheilhafte Lage. Die Kinder, welche sie rief, den Oheim zu begrüßen, waren reinlich, aber ziemlich dürftig gekleidet. Mich befiel ein Kummer ohne Gleichen.
Sauer holte meinen Vater aus seinem Zimmer. Fast Entsetzen erregte mir sein Anblick. Schneeweißes Haar, nichts als Runzeln, Kopf und Hände bebend. Und so erkaltet war ihm das Gemüth, daß er kaum noch einige Freude über den nach zwanzig Jahren wiedererscheinenden Sohn äußerte. Keine Spur mehr von jener alten Herzlichkeit und dem heitern, aufgeweckten Sinn.
Wir setzten uns zum Abendessen. Ich mußte von meinen Schicksalen im Norden erzählen, wobei die Anderen meistens schwiegen, und ich so zu keinen Fragen gelangte. Ich mochte deren auch keine mehr thun. Hatte ich nicht schon freudenlose Antworten genug bekommen?
Nachher schien es, als habe der Wein den Greis ein wenig aufgethaut, oder als habe er in dem schwach gewordenen Kopfe nun überdacht, was sich zugetragen hatte. Er schloß mich in die zitternden Arme, und weinte. Gott sei Dank, sagte er, daß Du noch kamst. Etwas später, so hättest Du mich nicht mehr gefunden. Ich werde bald zu Deiner Mutter gehn.
O Gott! sagte ich, aufs Neue erschüttert; ich habe bereits an ihrem Grabe gestanden.
Mein Vater ging zu Bette, der Schwager sammt den Kindern auch; Wilhelmine fragte mich: ob wir nicht noch ein halbes Stündchen plaudern wollten?
Ich that das gern. Sie schilderte mir nun ihren häuslichen Zustand. Das Betragen ihres Mannes umging sie zart; außerdem hatte sie aber von nichts als Noth und Kummer zu erzählen. Sauer hatte wenig Freunde; nur Leute, die einen Erzrabulisten suchten, wendeten sich an ihn. Das Einkommen reichte bei fünf Kindern nicht zu; man steckte in peinlichen Schulden, und eben so der alte Vater noch. Die Kreuzträgerin endete: Was ist zu thun? Ich muß mich in Geduld fassen. Noch ein Glück für mein Mutterherz, daß meine Kinder gesund, auch sonst ziemlich wohlgeartet sind. Vielleicht erlebe ich an ihnen noch Freude.
»Gute Schwester, erwiederte ich, einigermaaßen werde ich Deine Lage verbessern können. Doch sage mir: wie hast Du Dich entschließen können, Sauer'n zu heirathen?«
Seufzend erklärte sie: Ja – es ward mit den übrigen Aussichten nichts.
»Ich dachte, Herr von Soldin ...«
Schnell unterbrach sie mich: Auch nichts! und fuhr fort: Die Zeit ging hin; ich war schon drei und zwanzig Jahr. Die Eltern fühlten sich immer mehr bedrängt, und wollten mich versorgt sehn. Da kam mein Mann – Es währte lange, eh ich mich überwinden konnte; doch – was blieb mir ...
»O Gott! sagte ich; Du hast so vielen Fleiß auf die Bildung Deiner schönen Talente gewandt! Was nützt es Dir nun!«
Laß uns nicht mehr über das Vergangene reden, seufzte sie. Hin ist hin! Jetzt lebe ich nur in meinen Kindern.
Ich ging stumm auf und nieder, warf mich dann in das Sopha, und stützte den Kopf auf die Hand; die Unruhe in meiner Brust war unbeschreiblich. Ich dachte an die Worte eines Dichters, welche mir auf der Reise von St. Petersburg hieher, mit einem süßen Anklang, oft einfielen:
Ach, so fand ich es nicht! – Noch hatte ich nach Emma nicht gefragt. Was ich bis jetzt gehört, ließ mich die Geliebte vergessen, indeß nur auf eine kurze Zeit. Die Frage schwebte mir wieder auf der Zunge, doch immer gewann ich keinen Muth dazu; mein Herz fürchtete hier zu viel von einer niederwerfenden Botschaft.
Endlich hob ich doch zu Wilhelminen stockend an:
»Was ist denn aus dem Commerzienrath Hell geworden?«
Schon zehn Jahre todt.
»Das glaubte ich nicht; wenigstens fand ich seinen Namen auf keinem Leichenstein.«
Er ist in der größten Dürftigkeit gestorben. Aufwand und mißlungene Spekulationen ...
»Hm – und Minna, seine Tochter?«
Die hat schmählich geendet.
»Geendet?«
Nach des Vaters Tode waren die Mädchen noch unverheirathet –
»Unverheirathet? Beide?«
Ja! Minna wurde Gesellschafterin im Hause des Präsidenten Wernbach, ließ sich aber in einen sträflichen Umgang mit ihm ein – es ward ruchtbar. – Noch ein Glück, daß sie mit dem Kinde im Wochenbette starb. Die Präsidentin ließ sich scheiden.
»Das herrliche Mädchen und so ehrvergessen! In Gärten kann man aus der Blüthe die Frucht voraussehn, bei den Menschen nicht – Und ... und ...?«
Guter Bruder, ich ahne, was Du noch fragen willst.
»Du hast mein ganzes Vertrauen. Und Emma?«
Frage mich nicht. Die hast Du geliebt –
»Ich liebe sie noch, gute Wilhelmine! Hat sie keinen Mann – wie auch ihre Schönheit verblüht seyn mag, ich gebe ihr meine Hand!«
Dies – kannst Du nicht!
»Warum nicht? Ihre Armuth soll mich nicht zurückstoßen. Sie hat einst mein Herz reich an schönen Empfindungen gemacht, die im Zeitstrom nicht untergegangen sind. Ich habe kein andres Hoffen mehr, als Emma noch mein zu nennen.«
Dies kannst Du ... nein, frage mich nicht. Erkundige Dich bei Andern.
»Auch hier also warten entsetzliche Nachrichten auf mich? So gieb Du sie mir. Wen an Einem Tage schon so viele Dolche trafen, der ist auf Alles gefaßt.«
Ich möchte nicht gern ... mache Dich frei von dieser unglücklichen Neigung!
»Diese Neigung ist mein Glück. Ich will Emma mein nennen!«
Dies kannst Du – wenn Du es denn durchaus hören willst – um einen mäßigen Preis –
»Was sagst Du, Schwester! Ich hoffe doch nicht ...«
Ihr blieb nach dem Tode ihres Vaters weiter nichts übrig, als sich mit Putzarbeiten zu ernähren. Doch, an Hochleben und Müßiggang gewöhnt, wollte sie sich in Spärlichkeit und Fleiß nicht fügen. – Ihr Ruf ward zweideutig.
»Gott!«
Nach und nach sank Emma tiefer, und wurde zuletzt als öffentliche Buhlerin bekannt. Da zog sie den Sohn eines reichen Kaufmanns an sich, plünderte ihn aus, und verführte ihn, die Kasse seines Vaters um nahmhafte Summen zu bestehlen ...
»Höre auf. Doch nein – nein – ende!«
Es kam an den Tag. Emma wurde auf vier Jahre ins Zuchthaus geschickt –
»Zu viel! zu viel!«
Diese Strafe ist überstanden. Emma wurde wieder frei. Sie fing das alte Treiben aufs Neue an; doch – wie man hört, und es ihre Jahre vermuthen lassen – für sich mit schlechtem Erfolg. Dagegen hat sie eine Art von Pflanzschule um sich –
»Genug! Beim Himmel, genug!« – Ich riß mich von Wilhelminen weg, und eilte zu meinem Lager, wo ich aber die ganze Nacht keine Ruhe fand. Eine mehrtägige Krankheit folgte den Gemüthsbewegungen an dem schrecklichen Tag.
Dann ergriff ich meinen Entschluß, und sagte der Schwester: »Meine Liebe ist dahin! Ohne Liebe noch zu heirathen, wäre Thorheit. – Wie hoch belaufen sich die Schulden des Vaters und Deines Mannes?«
Seufzend erwiederte sie: Wohl auf viertausend Thaler.
»Die bezahle ich.«
Bruder! – O Bruder!
»Von den Zinsen meines übrigen Vermögens will ich Deine Kinder erziehen helfen, sie mögen einst meine Erben seyn. Ich will mich auch um ein Amt hier bewerben, so kann ich desto mehr thun, und finde Zerstreuung in den Geschäften.«
Wilhelmine umarmte mich mit Freudenthränen. Es wurde mir doch etwas leicht, daß ich solche Thränen fließen sah. Gott, rief ich, so frommen also Schönheit, Talente, Bildung und andre beneidete Vorzüge nicht, wenn das Glück nicht auch lächelt! O Jugend, auf das Unglück schicke Dich an, und wahrlich am meisten, wenn Dir solche Vorzüge eigen sind!
Mit einer edlen Fühlbarkeit sagte Wilhelmine nach einigem Schweigen:
Und – Emma?
»O die Verworfne!«
Auch die am tiefsten gefallen sind – bleiben Menschen.
»O gute Schwester!«
Du hast sie geliebt.
»Ich gebe ihr ein kleines Jahrgeld.«
Auf Eine Bedingung –
»Versteht sich: daß sie dem ruchlosen Wandel entsagt, und sogleich diese Stadt verläßt.«
Dies macht Deinem Herzen Ehre.
Bei diesem Gespräch kam erst noch zur Aufhellung, woran zeither noch niemand gedacht hatte. Ich sagte: »Aber ist denn die ganze Menschheit in späteren Jahren zum Unheil verdammt? Die Jugendfreunde, die Verwandten, Alles muß ich unglücklich wiederfinden, und ...« Nicht Alles, fiel Wilhelmine ein. Seltsam, daß Du nach unserm Bruder Otto noch nicht gefragt hast. Zum Theil ist wohl Deine Krankheit Schuld daran, daß wir vergessen haben, von ihm zu reden; zum Theil auch – wird bei den Seinigen nicht eben viel über ihn geredet –
Ich begreife selbst nicht, fiel ich ein, wie es zugegangen ist, daß ich an Otto nicht gedacht habe. Von den übrigen bösen Zeitungen war mein Gedächtniß so vollgepfropft, daß ... nun, was macht Otto? Ich wünsche ihm alles Gute.
Die Schwester antwortete: Er ist Minister des Herzogs.
Es war sicherlich keine Mißgunst, was ich empfand; ich staunte nur, faltete die Hände, und schüttelte den Kopf ein wenig.
Jene fuhr fort: Er ist zugleich in den Adelstand erhoben.
»Ist es möglich! Aber ist es möglich!«
Einige Jahre nach Deiner Abreise wurde er Rath, und nicht lange darauf Präsident eines anderen Collegiums; dann wurde er weiter empfohlen, und dem Herzoge näher bekannt. Schon manches Jahr bekleidet er die erste Stelle im Lande.
Immer noch höchlich verwundert sagte ich: »Otto der trockne, engherzige Otto, Minister des Herzogs?«
Lächelnd erwiederte meine Schwester: Wenn nun der Herzog trockne, engherzige Minister liebt? Ueber den Geschmack ist nicht zu streiten. – Dem Bruder gelang es auch noch weiter. Seine Würde verschaffte ihm Gelegenheit, sich mit einem Fräulein aus einem reichen Hause zu verbinden.
»Nun – ich gönne ihm Alles; er ist mein Bruder. So höre ich doch nicht lauter schlimme Nachrichten. Ei, ei! Es scheint also, als müßte eine Anweisung, hier Glück zu machen, so lauten: Fleiß, tüchtigen Geschäftsfleiß, wenn auch mehr dem Schein als der Wirklichkeit nach, und den Fleiß so geregelt, wie ihn jeder alltägliche Kopf zu zeigen vermag; das heißt: trocknen Schlendrian, immer Schlendrian, nie über das Gewöhnliche hinaus. Zweitens Kriecherei, ächte, wahre Kriecherei vor allem Rang. Endlich die so beliebte Engherzigkeit. Nun meinetwegen denn! Ich kann es nicht ändern. Aber sage mir nur, wie es zugeht, daß unser Vater nach so langjährigen, treuen Diensten eine so kärgliche Pension hat! Konnte sie Otto nicht billig erhöhen? Konnte er Deinem Mann nicht eine gute Bedienung verschaffen? Dein Mann mußte allenfalls ja auch sein Mann seyn.«
Wilhelmine erwiederte: O, Se. Excellenz geruhen jetzt, sich Dero armer Verwandten zu schämen. Als wir uns im Anfang von Otto's Erhebung an ihn wandten, fertigte er uns mit kleinen demüthigenden Geschenken ab. Auf wiederholte Bitten, etwas für den Vater, und für meinen Mann zu thun, gab er zur Antwort: »Unmöglich könne er, auf seinem viel beobachteten Platze, sich Nepotismus vorwerfen lassen; vielmehr habe er, aus Consequenz, allenthalben zu vermeiden, daß er nicht für Angehörige und ältere Bekannte eintrete. Der Pensionsfond sei zudem erschöpft, und Sauer habe nur genügende Thätigkeit auf das Advociren zu verwenden, um bestehn zu können.« Nun machte ich selbst eine Reise zu ihm. Es währte lange, ehe ich vorgelassen wurde; und, als es endlich geschah, währte die gnädige Audienz, überhäufter Geschäfte wegen, nur kurze Zeit. Otto blieb auch jetzt unzugänglich, und sagte mir daneben: der Vater sowohl, als ich, hätten ihn immer dem Bruder nachgesetzt, und an diesem ein höheres Talent und manche andere Vorzüge erhoben. Nun, fügte er hinzu, das höhere Talent half ihm nach Sibirien. Mag er von da seinen Lieben Zobelpelze schicken! – Empfindlich, daß er über Dein Unglück noch spotten konnte, verwies ich ihm das, und sagte hernach: eben auch des unglücklichen Bruders wegen käme ich. Glaube er, dem Vater und meinem Manne keine Gunst erzeigen zu dürfen, so möchte er wenigstens den Herzog bewegen, sich am russischen Hofe mit einer Bitte für Dich zu verwenden. O, sagten Se. Excellenz, da würde ich bei Sr. Durchlaucht eine Fehlbitte thun, und noch Höchstihre Ungnade auf mich laden. Mit dem Hofe in St. Petersburg steht der hiesige nicht am beßten. Ich kann weiter nichts als den Unglücklichen bedauern. Seinem unbesonnenen Leichtsinn muß er übrigens sein Schicksal zuschreiben. – Nun folgte ein stolz freundliches Entlassungszeichen. In den Gasthof schickte Otto mir noch ein trocknes Billet, mit einer Summe, die meine Reisekosten vergüten sollte. Ich sandte sie ihm, mit einem Briefchen in seinem eignen Styl, zurück. Seit dieser Zeit haben wir uns so wenig um ihn bekümmert, wie er sich um seine Verwandten.
»Pfui,« rief ich aus; »pfui! – Doch laß ihn! Er kann bei diesem unholden Sinn, trotz allem Ansehn und Vermögen, sich nicht glücklich fühlen. Ich danke um so mehr für Deine schwesterliche Liebe, die, so viel es anging, doch zu handeln versuchte. Aber – damit nicht auch ich keine Theilnahme für arme Verwandten zeige – ich habe noch nicht nach Charlotten gefragt. Lebt sie noch und in welchen Verhältnissen?«
Wilhelmine biß sich ein wenig in die Lippen; es fiel ihr schwer, eine Antwort zu geben. Neid war nicht im Spiel; eines so gehässigen Charakterzuges war sie nicht fähig. Aber einige Spuren von verwundeter, weiblicher Eitelkeit las ich in ihren Augen, als sie über diesen Gegenstand reden sollte. Ihre widrige Empfindung unter einem Lächeln zu verbergen bemüht, hob sie endlich an: Charlotte ist lange verheirathet.
»So hat sie doch einen Mann gefunden? Das freut, und – wundert mich.«
Glücklich verheirathet, wenigstens reich – nein, in der That auch glücklich; die Gemüthsart ihres Mannes paßt zu der ihrigen.
»Reich obenein? Das Mädchenglück hat auch seine Launen.«
Und oft gar seltsame.
»Wer ist denn Charlottens Mann? Habe ich ihn gekannt?«
O ja! Du wirst Dich bei seinem Namen wundern. Herr von Soldin.
»Ist das Scherz oder Ernst?«
Warum sollte ich Scherz treiben!
»Ich meinte – es hatte so ein Ansehn, und man konnte es unmöglich anders deuten – er habe Absichten auf Dich ...«
Die häufigen Besuche galten Charlotten. Um sie bemühte er sich, als wir glaubten ....
»Wie konnte – fast möcht' ich sagen, das platte Geschöpf ihn anziehn!«
Ueber den Geschmack ist nicht zu streiten.
»Hm! – Du nanntest ihn immer geschmacklos. Er hat diesen Ausspruch bestätigt.«
Unbedeutende Mädchen finden oft leichter eine Heirath, als gebildete.
»Wie geht das zu? Etwa, weil es so wenig gebildete Männer giebt? Das ist wohl gewiß nicht die Ursache. Der gebildeten Männer müssen ja viel mehr seyn, als der gebildeten Mädchen; denn die Männer haben mehr Gelegenheit sich zu bilden. Oder sollte Mädchenbildung mehr bewundert, als geliebt seyn, ernste Neigung mehr verscheuchen, als befördern? Dies kann ich auch nicht glauben.«
Einen Grund findet man hier nicht leicht heraus; es bleibt nur dabei, daß nichts verschiedner als der Geschmack, und – daß die Liebe blind ist.
»Ach – meine Liebe war nicht blind. Emma hatte Schönheit, Verstand, und ihrem Herzen ließ sich kein Vorwurf machen. Oder – wäre meine Liebe in so fern doch blind gewesen, daß sie eine heimliche Anlage zur Verworfenheit nicht entdeckte? Hier fragt es sich gleichwohl immer noch: ob eine solche Anlage in der That vorhanden war, oder ob nur die Einflüsse eines dürftigen Zustands Emma zu dem hingezogen, was ihre Grundsätze einst verdammten. Zwar sollte man fast schließen, eine Anlage müsse vorhanden gewesen seyn; sonst wäre Emma nicht durch Armuth gefallen. Wohnen sonst doch Armuth und Tugend oft zusammen. Zwar vielleicht öfter, wenn Tugend zeitig an Armuth gewöhnt ist, als wenn sie sich erst dazu bequemen soll. Im letzten Falle wird Armuth auch oft eine gefährliche Klippe für die Tugend.«
Desto edler ist sie aber auch, wenn sie, wie ein Fels, dem Drange der Armuth widersteht.
»Freilich wohl. Will man indeß Entschuldigungen aufsuchen, so kann man es vorzüglich beredt, wo die Armuth zu nennen ist.«
Dann aber auch standhaft gebliebne Tugend um so beredter loben.
»Allerdings! O Emma, wärst Du tugendhaft geblieben!«
Dann würde sie noch einen späten Lohn in Deiner Hand empfangen haben.
»Die Thörin noch, bei ihrer Verworfenheit! Was soll man übrigens zu einer Anlage sagen, wie ich vorhin sie erwähnte? Ist sie natürlich, und können die Grundsätze, welche eine sorgsame Erziehung einflößt, sie nicht verdrängen, so entschuldigt das Verbrechen sich ja beinahe ganz.«
Nein, da stimme ich Dir nicht bei.
»Und eine Tugend, die nur in der Abwesenheit gewisser schlimmen Neigungen besteht, folglich nicht kämpfen darf, hat keinen Werth.«
Freilich wird die Tugend erst edel, wenn sie, vom edlen Grundsatz begeistert, diesen in sich zu solcher Kraft erhebt, daß er die schlimme Anlage niederzuhalten vermag. Dies aber soll und muß die Tugend. Gänzliche Abwesenheit böser Neigungen ist wohl auch selten; die Umstände wecken sie, wenn sie auch schlummern.
»Die Heftigkeit des Temperaments, welche den Umständen entgegen tritt, ist aber auch verschieden.«
Wohl kein Phlegma ist so tief, daß nicht manche Lüste daraus hervorgerufen werden könnten.
»Es kommt aber in jedem Fall noch auf die Umstände an, ob sie mehr oder weniger auf den Menschen eindringen. Die physische Gemüthsanlage bekommen wir aus den Händen der Natur, über ihre Entwickelung vermögen die Außendinge mehr, als wir. Manche sind glücklich genug, bei einem ruhigen Sinn noch solchen Umständen fern zu bleiben, die verlockend auf sie eindringen könnten.«
Die Gemüthsanlage muß sich durch kräftigen Tugendwillen veredeln lassen. Umstände, welche uns zu verlocken geeignet sind, nahen sich uns so leicht nicht, wenn wir selbst vorsichtig davon entfernt bleiben.
»Zum Theil gebe ich das zu, doch nur zum Theil. Immer wird auf dem ungestümen Lebensmeere das Glück einen weiten Spielraum behalten.«
Tugend bleibt dennoch auf diesem Meere der sicherste Pilot. Und umfängt sie das Glück nicht, so wird sie doch am kräftigsten über das Entbehren desselben trösten und beruhigen.
»Ja, diesen Satz muß ich ohne Einschränkung unterschreiben. – Doch Schwester, ein Wort in Vertrauen. Dein Mann klagte über die öfteren Besuche, die August Dir gemacht hat. Jetzt wirst Du ihn ohne Zweifel verachten. Es geschah auch nur im Anfang Deiner Ehe, wo er noch nicht zum Trinker herabgesunken war. Offen – hatte Dein Mann gerechte Ursache, zu fürchten?«
Nein! Nur Wahlverwandtschaft unserer Ideen und Gefühle vereinigte mich mit August.
»Es scheint mir – Du hast ihn einst wirklich geliebt, so gut wie ich Emma, Und ihn so wenig richtig beurtheilt, wie ich die Geliebte.«
Wenn ich das einräumte, so könnte ich getrost auch hinzufügen: daß ich diese Liebe doch nie über meine Vernunft und Pflicht Herrin werden ließ.
»Hätte sie es aber – durch Zeit und nähere Gelegenheit als im Vaterhause – nicht werden können?«
Ich – glaube nicht.
»Du liebtest Deinen Mann nicht, und empfandest doch ein mächtiges Bedürfniß zu lieben.«
Eins will ich Dir gestehn. Als August sich nicht mehr bei mir einfand, schmerzte es mich tief; späterhin war es mir aber äußerst lieb, daß ihn mein Mann entfernt hatte.
»Deine Tugend, gute Wilhelmine, hatte folglich – Glück. O nicht allein andere Menschen bleiben uns Räthsel, auch das eigne Herz bleibt es. Laß uns aber nicht zu weit ins Feld der Moralphilosophie dringen. Erzähle mir von Charlotten das Nähere.«
Eigentlich – möcht' ich es doch nicht blinde Liebe nennen, was Herrn von Soldin an sie zog. Im Punkte der Schönheit empfand er einmal nicht wie Andere. Charlottens runde, derbe Formen – mochten anders Urtheilende sie auch plump nennen – hatten Reitz für ihn.
»Ha ha ha! Er hatte den Geschmack der Algierer, welche ihre Mädchen zu mästen pflegen. Auf das Gesicht kömmt es nicht an; Schönheit wird durch die Fettigkeit bestimmt.«
Soldin suchte eine wirthliche, anspruchlose, einfache Hausfrau; und weil er sie fand – ließ, nach seinem Sinn, die Wahl sich auch klug nennen. Und soll man fremden oder eignem Sinn folgen? Bereuen durfte er seine Wahl auch nicht. Sein Vater ist lange todt; beide Eheleute wirthschaften gut; die Heimsuchung des Kriegs ist überstanden, und Soldin noch immer ein Mann von hunderttausend Thalern.
»So finde ich wenigstens Einen der Jugendfreunde nicht unglücklich.«
Charlotten muß ich nachrühmen, daß sie weder stolz, noch fremd gegen uns geworden ist. Sie schickt mir manches in Küche und Keller, und wenn die Noth hier zuweilen hoch stieg, suchte ich bei ihr auch anderweitige Hülfe nicht vergebens, ob sie gleich, wie ich, fünf Kinder hat.
»Brav! ... Fortan sollst Du mit ähnlichen Bitten ihr nicht lästig werden.« –
Ich that nun alles, was ich mir vorgenommen hatte, und fühlte mich im Kreise der geliebten Schwester und ihrer Kinder, die ich bald, als wären sie die meinigen, liebte, so glücklich als man es, über vierzig Jahre hinaus, und – in diesem Leben, seyn kann. Die erlittene Sklaverei in Sibirien ließ mich das Glück der Freiheit um so höher achten und genießen.
Auch Wilhelminens Ehe gewann nun, nach dem Verschwinden der Nahrungssorgen, mehr Eintracht, und meine Gegenwart nöthigte ihren Mann zu einem sanfteren Betragen. Auch Menschen von tadelhaftem Charakter bessern sich nach Umständen.
Möchten junge Leser durch meine Erzählung sich bewogen fühlen, zeitig über die Veränderungen nachzudenken, welche die Zeit hervorbringt! Möchten sie, was ihnen das Glück gab, fest halten, da es launenhaft ist! Möchten sie ihre Ansprüche nicht übertreiben, da diese oft betriegen! Möchten sie im Schönheits-, im Talentgefühl, weniger Aufmunterungen zum Hoffen, als Warnungen vor Mißbrauch sehn! Und endlich, möchten sie an Wilhelminens Satz glauben: »Tugend ist der beßte Pilot auf dem Lebensmeer, und erhebt über ein feindliches Schicksal.«
Eine komische Erzählung.
Herr Lund, ein Kaufmann, der – nach Börsentaxe – hunderttausend Thaler, und wohl noch einige Tausend darüber, werth seyn mochte, starb, zur größten Verwunderung seiner Frau. Denn oft hatte sie gesagt: Mein Mann stirbt gewiß nicht; er ist ja einer von den reichsten Leuten in der Stadt, und so klug obenein! Er wird schon wissen, wie man es zu machen hat, daß man nicht zu sterben braucht. Sagten ihr Bekannte dagegen: der Tod sei so unhöflich, nicht Reichthum, nicht Klugheit zu achten; dann bemerkte Jene – doch in Vertrauen –: so stürbe ihr Mann gewiß nicht vor ihr, sondern werde sie überleben: sie habe kein Glück; was sie wünsche, treffe nie ein, das wisse sie schon.
Demungeachtet rief Jenen der Tod ab, und noch früher, als seine bis dahin ziemlich feste Gesundheit es hätte erwarten lassen. Eine plötzliche Erkältung zog ihm einen Schlagfluß zu, der in wenigen Stunden eine Ladung für Charons Nachen aus ihm machte.
Die Wittwe schlug ihre Hände zusammen. Da sieht man's, rief sie nun: unverhofft kömmt doch oft!
Ist er auch gewiß todt? fragte sie den noch beschäftigten Arzt. Kann ich mich darauf verlassen? – Der Arzt gab ihr die heiligsten Betheurungen, und bekam einen reichen Ehrensold für die vergebens angewandte Mühe.
Die Wittwe vergaß auch dem Manne nicht, was er zuletzt für sie gethan hatte. Sie ordnete nicht nur eine stattliche Beerdigungsprozession an, sondern bewies ihm auch ihre Dankbarkeit noch durch einen marmornen Grabstein mit Urne und Todesengel. Unter den Lügen, welche die Inschrift enthielt, war die gröbste: daß Lunds betrübte Wittwe ihm dieses Denkmahl errichtet habe.
Prüfte man die Sache genau, so ließ es sich der Nachgebliebnen eben nicht verübeln, wenn sie über den Todesfall ihre Haare nicht ausraufte. Sie hatte über den Verstorbnen immer die – auch nicht ungerechte – Klage geführt, daß er ihr zu wenig Vergnügen mache. Wenn Alles im Hause bereits zur Ruhe gegangen war, saß er noch an den Büchern, und rechnete dem Buchhalter nach. Morgens stand er am frühsten auf, weckte seine Leute, sah in die Niederlagen, und schmälte arg, wenn er irgend etwas nicht so fand, wie er es finden wollte. Abends und Morgens bekümmerte sich Lund folglich gar nicht um seine Gattin, den Tag über hingegen desto mehr. Früh bekam sie Weisungen, die Köchin zu mehr Sparsamkeit anzuhalten, und darüber zu wachen, daß sie keine Provision am Markt-Einkauf nähme. Mittags gab es gewöhnlich Verweise, daß das Essen zu gut sei, was für die schlechten Zeiten nicht passe. Nachmittags empfahl er seiner Ehehälfte, als eine gesunde Motion, die Mörserkeule zu regen, und gegen Abend ward sie ersucht, den Ladendienern Corinthen, Mandeln, Reiß und andere Material-Waaren, von Unsauberkeiten reinigen zu helfen. Von Schauspiel, Gastereien, und was dahin gehört, war die Rede nie. Aeußerte Frau Lund bisweilen einen Wunsch nach Zerstreuung, dann hieß es: der sonntägliche Kirchengang zerstreue genug. Bei schöner Frühlings- und Sommerwitterung, nach vorsichtigem Aussehn, ob nicht etwa Regen die Kleidungsstücke mit Nachtheil bedrohe, ging Lund auch wohl mit Frau und Tochter am Sonntage vor's Thor. Da man sich dort in das weiche Gras setzte, und in die Anmuth der Gegend sah, würde es immer seine Idyllenwirkung nicht ganz verfehlt haben, wenn der Hausvater, von Landluft umweht, die Stadt vergessen hätte. So aber pflegte er diese Gelegenheiten zu nützen, seinen Frauenzimmern ausführliche Strafpredigten zu halten, weil die Geschäfte zu Hause ihm nur kurze vergönnten. Er bewies dann seiner Frau: daß sie bei weitem nicht mit so geringem Wirthschaftsgelde auszukommen verstehe, wie seine Mutter vor dreißig Jahren, und daß sie eine dumme Gans sei, die sich von den Köchinnen, so lange er sie zur Frau habe, Tag für Tag betriegen lasse. Er hatte nicht völlig unrecht; denn was man Geist nennt, war an Frau Lund eben nicht zu erschaun: sie ließ es bei der Seele bewenden. Wo hätte sie aber auch Geist hernehmen sollen? Ihr Vater hatte sich zwar einst mit Köpfen vielfach beschäftigt, doch für den Kopf seiner Tochter um so weniger etwas gethan, als er sehr geitzig war. Weiland Haarkräusler, gehörte er zu den kunstsinnigsten seiner Kunstgenossen, hatte deshalb auch die meiste Beschäftigung in der Stadt, und frisirte keine Braut unter einem Thaler. Vor zwanzig Jahren wollte Lund sich besetzen. Als Ladendiener hatte er nur hundert Thaler zusammensparen können; nun meinte er: wenn er eine Frau mit etlichen Tausenden nähme, und jene Hundert dazu fügte, so würde sich schon eine solide Materialhandlung gründen lassen. Er klopfte da und dort an, wo sich Tausende vermuthen ließen; doch nirgend wurde ihm aufgethan. Das hatte seine Gründe. Wer Tausende besaß, wollte ihnen auch etwas Namhaftes begegnen sehn; auch war Lund nicht eine schöne, sondern vielmehr eine häßliche Mannsperson, und hatte ein nicht für, sondern gegen ihn einnehmendes Betragen. Nun spekulirte er endlich auf die Tochter des Haarkräuslers. Sie war das einzige Kind; der Vater lief mehr als den halben Tag in seinem gepuderten Rock umher; Präsidenten und Geheime Räthe, Damen vom ersten Rang, gehörten zu dem weiten Kreis seiner Praxis. Auch ging die Sage, daß es ihm gelungen wäre, zwei tausend Thaler zu sparen, die er in sichern Handlungen auf gute Zinsen untergebracht habe.
Lund pochte also auch hier an. Auf Schönheit und Betragen wurde eben nicht gesehen, weil es bei der Friseurstochter um Beides auch nicht sonderlich stand. – Einen Kaufmann zum Schwiegersohn zu haben – schmeichelte der Eitelkeit des Friseurs doch ein wenig; und auf sorgsame Erkundigung bei des jungen Mannes vorigem Principal, erfuhr er: Lund verstehe sich auf die italiänische doppelte Buchhaltung und die Waarenkunde ganz löblich, sei aber auch einem so schmutzigen Geitz ergeben, daß er nicht einmal ein Paar reputirliche Beinkleider habe.
Nun meinte der Haarkräusler: dem könne man schon eine Tochter anvertraun; habe er jetzt wenig, so werde er einst viel haben. Er gab daher sein Ja, sperrte sich aber im Punkte der Ausstattung ganz ungemein. So lange ich lebe, sagte er, gebe ich nichts; dafür aber auch Alles, was ich habe, wenn ich todt bin. Oh gehorsamer Diener, entgegnete Lund; da werde ich mich wohl hüten, die Jungfer Tochter zu lieben.
Endlich verstand der Brautvater sich doch dazu, zwei hundert Thaler, die Kleider und Leibwäsche seiner verstorbenen Frau, sammt einigem Zinn und Messing, herauszurücken. Lund hatte auf mehr gerechnet; weil der Friseur indeß bleich und hager aussah, zuweilen auch hustete, ließ Jener sich die Mitgabe doch gefallen. Denn als ein guter Rechner mußte er theils den Husten ins Gewinn-Conto stellen, theils den Umstand ins Verlust-Conto: daß er, wenn es hier nichts würde, vermuthlich in der ganzen Stadt kein Mädchen, das nur hundert Thaler werth sei, bekommen würde. Ein kupferner Kessel hätte doch beinahe Alles zerschlagen. Diesen wollte der Schwiegersohn noch haben, und der Schwiegervater nicht geben. Den Kessel, sagte Lund, und ich liebe; wo nicht, so lieb' ich nicht. Erst antwortete man ihm zwar: So lassen Sie es bleiben! rief ihn aber doch von der Treppe noch wieder zurück.
Mit drei hundert Thalern fing nun Lund seine Material- und Spezereihandlung an. Einiger Credit that freilich zu Anfang dabei Noth; er wurde indeß bald ansehnlich, als die Börse nicht mehr zweifelte: Lund strahle unter allen Filzen hiesigen Ortes wie ein Stern erster Größe hervor.
Er füllte nach und nach seine Niederlagen mehr, und breitete seine Geschäfte nach kleinen Städten aus, wo er die untergeordneten Krämer mit Waaren versah. Bald discontirte er auch Wechsel, und handelte mit Papieren; doch Alles mit einer so behutsamen Vorsicht, mit einem so richtigen Takt, daß es zu den seltensten Erscheinungen gehörte, wenn es sich zeigte, daß Lund einmal einen Fehlgriff gethan hatte. Nach funfzehn Jahren war es dahin gekommen, daß Papiere, welche Lund kaufte, sogleich ein Procent stiegen, und die Gattung hingegen, welche er ausbot, um etliche Procent fiel. Er merkte sich das, und führte bisweilen die ganze Börse an. Einmal besonders, in den Kriegszeiten, schrieen die Juden Weh über ihn. So eben war eine Schlacht gewonnen, die auf den künftigen Preis der Papiere einen entschieden vortheilhaften Einfluß erwarten ließ. Lund hatte Mittel gefunden, von dem Ereigniß noch zeitiger unterrichtet zu seyn, als die Juden. Er wußte, daß sie einen Agenten im Hauptquartier hielten, der ihnen den Ausgang der nahe bevorstehenden Schlacht sogleich durch eine Estafette melden sollte. Aber auch Lund hatte seinen Schwiegervater dorthin gesandt, und, um viel zu gewinnen, etwas daran gewagt. Der Friseur mußte als Courier herbeifliegen, und obenein auf den Postämtern etliche Schaffner bestechen, daß sie die Juden-Depesche mit lahmen Pferden expedirten. Nun kam die hochwichtige Botschaft um zwölf Stunden früher zu Lunds Ohren, und in diese zwölf Stunden fiel gerade eine Börsenmorgenzeit. Er ließ heimlich aussprengen: eine Hauptschlacht wäre verloren gegangen. Die Juden stritten anfänglich; doch weil ihre Estafette nicht eintraf, so meinten sie: der Feind könnte wohl schon die Postenverbindung stören, und fingen an, Lunds Nachricht zu glauben. Lund kaufte nicht selbst, bot vielmehr emsig feil, was den Papieren, auf die bereits das üble Gerücht wirkte, noch mehr schadete. Seine Bevollmächtigten mußten dagegen zusammenkaufen, so viel sie nur konnten. Eilig schlugen auch die Juden los, weil sie meinten: wäre erst die officielle Nachricht da, dann könnte ein noch tieferes Fallen der Papiere nicht ausbleiben. Damal gewann Lund auf Einen Schlag zwanzig tausend Thaler; der arme schwindsüchtige Friseur hatte aber von seiner übermäßigen Anstrengung den Tod.
Nun glaubte Lund, noch die Erbschaft von dem Schwiegervater zu heben. Schon lange sah er schmachtend danach aus; der Wohlselige aber blieb, bei seinem mäßigen Leben, trotz seiner Schwindsucht, immerfort, wie er seit zehn und mehr Jahren gewesen war. Nur der Couriergalopp hatte die Schwindsucht endlich zu einer galoppirenden gemacht.
Dies Mal täuschte sich Lund aber in seinen Erwartungen. Der Wohlselige hatte in der That einst etliche Tausend Thaler beisammen; kaum war indeß seine Tochter verheirathet, als die Mode seine Kunst in einen solchen Verfall brachte, wie einst die Gothen und Vandalen alle Kunst und Wissenschaft zu Rom. Schwedenköpfe, Titusköpfe, altdeutsche Köpfe, machten den armen Friseuren die Köpfe so warm, daß sie damit gegen die Wände hätten laufen mögen. In den ersten Zeiten ging es noch hin; nur junge Leute dankten ihre Haarkräusler ab, obschon ältere sie Modenarren hießen. Doch als erst im Lauf der Jahre auch Präsidenten und Geheime Räthe Zöpfe und Locken abschafften, als erst auch die Weisen Modenarren wurden, und die Damen ihr ungepudertes Haar durch Kammermädchen in Flechten aufstecken ließen: da war bei den einst hochgeachteten Künstlern ihres Leides kein Ende zu sehn. In so fern Lunds Schwiegervater jetzt nicht viel mehr verdiente, mußte er sein Kapital angreifen und immer davon zusetzen. Ein Unglück gesellte sich zum andern; in Folge des Kriegs hörte das Handelshaus, worin er das meiste Vermögen niedergelegt hatte, zu zahlen auf. Er sagte dem Eidam nichts von diesem Unglück, damit es seine Tochter nicht in Klagen und Vorwürfen empfinden sollte. Des Schwiegervaters nunmehrige Muße benutzte der Eidam genug, und vortheilhaft, zum Ausspähen und Aussprengen dessen, was seinen spekulativen Absichten frommte. Er mußte dabei auch andere, jetzt unbeschäftigte, Kunstgenossen in Thätigkeit setzen, aber sie für ihre Mühe oft aus seiner eignen Tasche bezahlen. Denn Lund versprach wohl ansehnliche Vergütungen; was er gab, war hingegen unansehnlich genug: freilich nicht in Lunds Augen; denn ihm galten schon etliche Groschen für etwas Ansehnliches. Noch ein schwerer Unfall traf den Verstorbenen. Wollte Lund durch fremde Hand kaufen lassen, so wurden des Schwiegervaters Freunde bevollmächtigt; er selbst mußte aber in der Nähe Acht haben, daß nicht Einer mit dem anvertrauten Gelde entwischte. Selbst ein Polizeibeamter, des Alten Vetter, mußte, schnellen Ergreifens wegen, bei der Hand seyn. Nichts destoweniger ging einmal ein Freund mit fünfhundert Thalern davon. Zu leichtfüßig spottete er alles Nacheilens, entkam aus der Stadt, und auch über die Landesgränze. Den Verlust hatte nun der Schwiegervater zu decken, und es kam mit ihm so weit, daß er, trotz seinem ehemaligen Vermögen und Geitz, doch wenig mehr als Puderbeutel, Brenneisen und Kämme nachließ, die, weniger Nachfrage halben, nicht einmal die Trödler kaufen wollten. Die übrige fahrende Habe reichte auch zu den Begräbnißkosten nicht hin, wie spärlich auch Lund dabei zu verfahren gebot. Er suchte für den Leichnam das Armenrecht in einem Gratissarg und Zubehör nach; die Obrigkeit wollte sich aber nicht zur Liberalität bei einem Todten verstehn, der einen reichen Schwiegersohn hinterließ. So mußte schon Lund zutreten; und wie er auch allen eitlen Aufwand vermied, so kostete es ihm doch um so mehr Aerger, als die an seines Schwiegervaters Ableben geknüpfte Hoffnung gänzlich zerrissen war.
Bei jenen sonntäglichen Spaziergängen im Freien blieb auch seine Gattin nie mit Vorwürfen über die eben erzählten Umstände verschont. »Anstatt, daß ich hoffte,« sagte Lund, »von Deinem Vater zu erben, mußte ich ihn noch begraben lassen. Was habe ich nun von Dir gehabt, mein Kind? Zwei hundert Thaler! Denn Kleider, Wäsche, Zinn, Messing und den kupfernen Kessel kann ich doch nicht mitrechnen; Du trägst sie, oder brauchst sie in der Küche. Zwei hundert Thaler sind immer nicht zu verachten, das weiß ich wohl; aber ich kann doch auch nicht einmal behaupten, daß sie mir zu Gute gekommen sind. Denn in den langen Jahren hast Du gewiß zwei hundert Thaler in Essen und Trinken verbraucht; ja, ich habe noch zulegen müssen; zu geschweigen, was die Tochter kostet: eine Last, die Du mir auch aufgebürdet hast.«
Frau Lund erwiederte ihm zwar: Auf meinen zwei hundert Thalern hat doch ein ziemlicher Segen geruht, und mein verstorbener Vater brachte Dir auch noch manchen Thaler ein. Herr Lund bewies aber: seine Spekulationen, sein saurer Fleiß und Schweiß hätten alles gethan. An dem Verlust, den ihr Vater einige Mal gelitten hatte, sollte auch Niemand schuld seyn, als die Tochter. »Du hättest ihn erinnern sollen,« sagte Herr Lund, »daß er sein Geld nicht bei Weber et compagnie lassen müsse; man sprach von diesem Hause schon lange nicht gut an der Börse. Mir wollte er immer nicht sagen, wo sein Geld stände; sonst hätte ich ihm längst ein aviso gegeben. Du hättest ihn auch vor dem spitzbübischen Friseur warnen können, der mit fünfhundert Thalern durchging. Als eine Friseurs-Tochter hättest Du den Spitzbuben wohl kennen sollen. Aber Du bist eine dumme Gans, von der ich alle mein Lebelang nur Schaden gehabt habe.«
Auch seine Tochter Philippine, die gegen das Ende seines Lebens etwa neunzehn Jahre alt war, hatte bei den Spaziergängen ihre Noth. Der erste Vorwurf ging immer auf ihr ganzes Daseyn. Hätte ich Dich nicht, sagte er, o wie viel könnte ich sparen! Gewöhnlich folgten dann Verweise, daß seine Tochter eine Putznärrin sei. Lund pflegte noch hinzuzusetzen: »Und warum bist Du eine Putznärrin? Du denkst wohl einem Mann zu gefallen? Und das könnte am Ende wohl seyn; denn – auch ein großer Fehler an Dir! – ganz passabel siehst Du aus. Ah, gehorsamer Diener! Du sollst nicht heirathen, kannst ledig bleiben. Wenn ein Bräutigam kommt, so will er auch haben; und wo soll man's hernehmen bei den schlechten, nahrungslosen Zeiten, wo aller Handel und Wandel stockt!«
Noch mehr Scheltworte mußte Philippine darüber hören, daß sie ein Mädchen war. Wärst Du ein Junge, hieß es, so könntest Du schon die Lehrjahre überstanden haben, und im Comptoir sitzen. Ich brauchte den Buchhalter nicht. Du könntest in ein Paar Jahren Dich nach einer gut bemittelten Frau umsehn, die so viel Fonds noch zubrächte, als das Haus Lund schon hat; etwa nach zwanzig Jahren änderte sich wohl die Firma, und zeichnete Gottfried Lund und Sohn. Und müßt' ich nach dreißig Jahren, oder später, einmal an meinen Tod denken, dann hätte ich doch die Aussicht, daß die Firma Lund, die an der Börse zu Ehren zu bringen mir so viel Mühe und Schweiß gekostet hat, nicht so bald aufhören würde. Da siehst Du, wie vielen Schaden es mir thut, daß Du ein Mädchen bist.
Philippinens Mutter vertrat sie denn wohl, und erinnerte den Mann: sie doch nicht um etwas zu schelten, wofür sie nicht könne, ihr auch nicht vorzuwerfen, daß sie eine Putznärrin wäre, da dies ja völlig ungerecht sei. Nicht lange vor seinem Tode entstand hierüber ein heftiger Wortwechsel. Wie kann sie eine Putznärrin seyn! sagte die Mutter; sie hat ja keinen Putz!
»Nennst Du das keinen Putz, was sie da trägt?«
Nein! Ein Hauskleidchen von wohlfeilem Kattun.
»Oho! ich soll wohl gar theuren kaufen! Und wenn das kein Putz ist, so möchte sie doch gern welchen haben. Ich seh' ihr ins Herz.«
Mein Himmel, wär es denn auch gerade eine Sünde? Alle junge Mädchen putzen sich gern.
»Braucht sie denn gerade jung zu thun? Kann sie sich nicht alt und ehrbar betragen? Ich habe so oft gesagt, die Kleider, welche Du ablegst, sollen ihr zurecht gemacht werden. Bring' ichs wohl dahin?«
Wie kann ich denn Kleider ablegen? Ich habe selbst nur noch zwei, die so dünne sind, wie Spinnewebe, weil meine selige Mutter sie schon halb abgetragen hat.
»Daß Du ein Reißteufel bist mit Deinen Kleidern, weiß ich schon lange, und Philippine tritt in Deine Fußstapfen. Erst vor drei Jahren habe ich ihr das neue Kleid anschaffen müssen; das alte, hieß es, wäre nicht mehr zu brauchen, und kam auf den Trödel.«
Philippinchen hatte es so geschont, daß es der Trödler noch recht gut bezahlte. Aber es war ihr zu kurz geworden.
»Warum hatte es der Schneider nicht eingelegt? Uebrigens auch einer von ihren Fehlern, daß sie so wächst. Sie braucht nicht allein so oft neue Sachen, sondern immer mehr Zeug dazu.«
Du magst sagen, was Du willst, mein Kind: sie muß doch wieder ein Kleid haben.
»Was? Schon wieder? Erst vor drei Jahren ...«
Da war sie noch nicht sechzehn Jahre; seitdem ist sie erst recht aufgeschossen. Eingelegt war das Kleid; es ist schon einige Mal nachgelassen, nun geht es aber nicht mehr. Pinchen laß einmal das Blumenpflücken, und steh auf ... Da siehst Du? Kaum sind noch die Waden bedeckt.
»Nun, ich sehe noch gar nicht, daß es so sehr zu kurz ist. Aber doch unverantwortlich, wie das Mädchen wächst. Daran bist Du wieder Schuld, sonst Niemand. Das kommt von dem Ueberfüttern.«
In einem Vierteljahr werden vielleicht die Kniee zu sehen seyn. Bedenke doch, was der Wohlstand fordert!
»Wohlstand, Wohlstand! Eben das Mädchen macht, daß ich nimmermehr zu einigem Wohlstand komme! ... Aus einem neuen Kleid wird nichts. Sie kann Sonntags zu Hause bleiben, und im Predigtbuch lesen.«
Und, mein Kind, daß Du immer sagst, Philippinchen soll nicht heirathen, kommt mir auch wunderlich vor. Du wirst so bald nicht sterben. Ach, Gott! ich glaube, Du stirbst in Deinem Leben nicht. –
»Ha ha ha! In meinem Leben freilich nicht, aber in meinem Tode. Du bist und bleibst doch eine dumme Gans! Wenn's aber noch lange damit ansteht, soll es mir lieb seyn.«
O, es wird noch lange genug damit anstehn; Du bist ja gesund, wie ein Fisch im Wasser.
»Das thut meine Mäßigkeit in allen Dingen.«
Wirklich, Du bist allzu mäßig, könntest Dir hier und da wohl manches zu Gute thun, was nicht einmal Kosten verursachte. Aber weil Du selbst doch sagst, daß Du einmal, trotz all' Deinem Verstand und Gelde, wirst sterben müssen – gerade darum sollte Philippine heirathen. Denn wer soll in der Folge erben, was wir haben?
»Sag nur nicht: was wir haben. Das Vermögen gehört mir. Hast Du mir zweihundert Thaler eingebracht, so hast Du mir wohl dreihundert gekostet.«
Nun gut, Dein Vermögen. Soll es denn in fremde Hände kommen? Ist denn Dein eignes Fleisch und Blut Dir nicht lieber, als weitläuftige Vettern und Muhmen?
»Ei, daran werde ich denken, wenn ich dermaleinst dem Tode nahe bin.«
Aber, Du meinst ja, erst in dreißig Jahren würde es dahin kommen. Dann wäre Philippinchen beinahe funfzig Jahre, und das Heirathen könnte auch nicht mehr helfen.
»Im Grunde ist es unartig, Frau, daß Du so oft von meinem Tode sprichst. Das hört Niemand gern, und ich habe doch erst fünf und vierzig Jahre auf dem Nacken. Daß Du es übrigens lieber sehn würdest, wenn ich heute stürbe, als morgen, weiß ich sehr gut.«
Das wohl nicht. Aber Du würdest Dich freun, wenn Du mich begraben lassen könntest; dann kostete ich Dir nichts mehr.
»Ich werde mich aber hüten, daß ich Deinen Wunsch erfülle.«
So viel an mir liegt, ich auch. Du kannst aber ruhig seyn; ich werde Dich nicht überleben, habe nun einmal kein Glück in der Welt.
»Kein Glück? Sei nicht undankbar gegen den Himmel! Dein Vater lief mit dem Puderquast umher; und Du hast einen Mann, der nur Gottfried Lund zeichnen darf, so gilt es an der Börse wie baares Geld.«
Was hab' ich von dem Mann, was hab' ich von dem Geld? Doch laß uns nicht von solchen verdrießlichen Dingen sprechen. Lieber wollen wir nachgerade an Philippinchens Heirath denken.
»Da kömmst Du schon wieder mit Deinem wir! Ich bin Mann, und werde sagen, wie ich's haben will; ihr müßt Order pariren. Bei dem Allen – wenn sich Einer fände, ein solider Mann bei Jahren, der keine Ausstattung verlangte, keinen Heller – wer weiß, was ich thäte! So brauchte ich das Mädchen doch nicht länger zu ernähren.«
Nach dieser Unterredung schien unsern Lund denn doch bisweilen ein Gedanke an die Verheirathung seiner Tochter zu beschäftigen. Er sagte einige Mal: »Ich hätte wohl einen Bräutigam für Philippinen; nur wird sie ihm zu hübsch seyn. Ich kenne ihn; das hat er nicht gern.« Wenn seine Gattin nun fragte, wer es sei, und ob sie den Auserwählten kenne; dann gab er zur Antwort: »Noch ist es nicht so weit; erst muß seine Frau sterben. Da sie aber an einem sogenannten Scirrhus leidet, so kann es damit höchstens noch ein Paar Jahre währen.«
Es währte aber nur ein Paar Monate, und Herr Kauser (so hieß der von unserm Lund zum Schwiegersohn Erwählte), ebenfalls ein wohl renommirter Handelsmann in Material- und Spezerei-Waaren, sah sich in den Wittwerstand versetzt. Er galt an der Börse für gut, und daneben für Lunds Pylades oder Jonathan, indem Beide völlig gleichen Sinnes waren. Er mochte etwa funfzig Jahr alt seyn; aber für jedes konnte er auch wenigstens tausend Thaler auf den Tisch zählen, und war folglich ein nicht zu verachtender Liebhaber, was den einen Punkt betraf. Sollte in anderen Punkten auch etwas zu erinnern seyn, meinte Herr Lund, so müsse man über den Hauptpunkt die Nebenpunkte vergessen. Noch vor dem Ableben der Frau Kauser, hatte Lund den nunmehrigen Wittwer befragt: ob nach demselben Philippine wohl auf seine Hand rechnen dürfe, vorausgesetzt, daß sie nur eine leere Hand bringe, und alle Mitgabe à Conto gestellt sei, bis nach des Vaters Tode. Herr Kauser nahm die Sache in Bedenken, und bedachte heraus: daß es ja vollkommen einerlei wäre, ob Lund oder er Philippinens Geld im Handel umwendete; daß Jener damit eben so viel verdienen würde, wie er selbst, und auch eben so wenig unnütz verthun. Ein so edles Vertrauen zwischen Beiden konnte in der That an Orest und Pylades erinnern.
Als die wohlselige Frau Kauser ihrer sanften Ruhestätte entgegen fuhr, mußte auch Herr Lund sie begleiten, und in der Kutsche des Leidtragenden, welche dem Trauerwagen zunächst folgte, seinen Ehrenplatz nehmen. Er hatte eine schwarze Kleidung dazu entlehnt, und zuvor seiner Ehehälfte gesagt: Philippine möchte sich bereit halten, ihren Bräutigam hernach zu empfangen: denn um nicht viele Zeit an den Geschäften zu verlieren, würde er mit demselben gleich hieher kommen. Auf diese Art könnten zwei Förmlichkeiten zugleich abgethan werden.
Frau Lund hatte doch so viele Begriffe von Anstand, daß sie erinnerte: es würde an diesem Tage sich wenig ziemen, und solche Eil besonders dem Bräutigam übel gedeutet werden.
Herr Lund erwiederte: Solide Geschäftsleute schöben nicht auf, was sie einmal thun wollten, und fragten nach dem Urtheil der Welt gar nicht. Uebrigens sollte es eben keine Verlobung vor Notar und Zeugen seyn, wovon er selbst einräume, daß sie für den Begräbnißtag nicht recht passend seyn würde; sondern bloß ein vorläufiges Versprechen, im Kreis der nächsten Verwandten. Es wäre zugleich eine Gelegenheit, daß Braut und Bräutigam einander kennen lernten.
Frau Lund fragte: welches Kleid nun Philippine anziehen sollte. Wie sie bei dem Spaziergang vor etlichen Monaten vorausgesagt habe, sei durch Philippinens abermaliges Wachsthum das einzige Sonntagskleid nun so kurz geworden, daß wenigstens die Strumpfbänder zum Vorschein kämen. So könne Philippine sich doch einem Bräutigam nicht zeigen!
Herr Lund stampfte mit beiden Füßen. Meinen Sürtout, rief er, den ich im Comptoir zu tragen pflege, habe ich nun zwölf Jahre. Warum kann Philippine nicht auch ein Kleid zwölf Jahre tragen? Ein Kleid, das sie obenein nur Sonntags anzieht! Eigentlich müßte es siebenmal so lange halten, als mein Sürtout, ergo vier und achtzig Jahre!
Die Mutter wandte ihm ganz vernünftig ein: daß er in den verflossenen zwölf Jahren, die er den Sürtout besitze, auch nicht mehr gewachsen sei. Zugleich äußerte sie den Wunsch: aus einem Kleiderladen einen fertigen Anzug gekauft zu sehn, der sich für eine Brautbesichtigung zieme.
Possen! rief Herr Lund; sie mag in dem alltäglichen Hausanzug von Damis erscheinen.
Es ist ja nicht einmal Damis, sagte Jene; nur gefärbte schlechte Leinwand. Und auch schon alt, geflickt, unten ein breiter Saum angenäht, dessen Farbe absticht.
»Thut nichts! Da sieht Freund Kauser, daß man hier nicht überflüßige Haushaltungskosten ins Cassa-Buch notirt, obwohl er sich das ohnehin vorstellen kann. Und Philippine – auch einer von ihren Fehlern, daß sie nur allzu hübsch ist – soll ihm nicht gut ins Auge fallen. Er möchte sonst zurückziehn; es kömmt ihm auf das Netto bei einer Frau an, nicht aufs Brutto, und die Schönheit ist immer ein Brutto, wovon der Mann nur unnütze Last hat. Er muß sorgen, wachen, daß nicht Andere zu der Waare Lust bekommen, und je mehr eine Frau weiß, daß sie passabel aussieht, je ärger quält sie den Mann noch um hübsche Emballage. Ich habe oft gesagt, daß ich etwas darum gäbe, wenn Philippine häßlich wäre. Als Heirathsartikel ist es doch immer einerlei; der Mann gewöhnt sich an eine häßliche Frau, wie an eine hübsche; nach Jahr und Tag weiß er nicht mehr, wie seine Frau aussieht. Doch er kann bei den Geschäften ruhiger seyn, und braucht nicht an der Börse zu denken: jetzt ist ein Hausfreund bei meiner Frau; wenn er so klug gewesen ist, sich eine zu nehmen, die nicht hübsch ist.«
Dabei hatte es sein Bewenden. Philippine erfuhr mit geheimen Grauen ihre Bestimmung. Nie hatte sie Herrn Kauser gesehn; aber es fehlte ihr nicht an natürlichem Verstande, um a priori zu schließen: der Vater würde ihr wohl eben nicht einen liebenswürdigen Mann aussuchen.
Die Leser könnten mit Recht fragen: woher Philippine doch einen Begriff von Liebenswürdigkeit genommen habe? In der That war sie einst gar schlecht unterrichtet worden, kam nur bei den schon erwähnten Gelegenheiten aus, und sah weiter Niemanden, als die Hausgenossen. Denn hatte Jemand in Geschäften mit Lund zu reden, so mußten die Frauenzimmer sich entfernen, wenn sie nicht ohnehin häusliche Verrichtungen hatten.
Bei dem Allen war Philippine nicht ganz ungebildet. Erstlich hatte sie einen lebhafteren natürlichen Verstand, als ihre Mutter. Zweitens ereignete sich aber auch ein Umstand, wodurch einige Entwickelung dieser Anlage entstehen konnte, und wirklich entstand.
Vor Jahr und Tag hatten sich Lunds Geschäfte dergestalt erweitert, daß er, neben den gewöhnlichen Ladendienern, eines Buchhalters bedurfte. Er hatte zeither die Verrichtungen desselben theils allein besorgt, theils den ältesten seiner Ladendiener dazu gebraucht. Dieser ging nun von ihm ab; von den übrigen hatte keiner die nöthigen Kenntnisse, und überdem war, wie schon gesagt, der Kreis, in welchem man sich tummelte, bei weitem größer geworden.
Als Lund damal einen Buchhalter suchte, war es nicht leicht, einen nach seinem Wunsch zu finden. Junge Handelsbeflissene von Erziehung und mannichfachen Kenntnissen pflegten ein gutes Gehalt, gute Beköstigung, und eine anderweitige gute Behandlung zu wollen. Lund verlangte nun mehr Kenntnisse, als er selbst hatte: der Buchhalter sollte in französischer, englischer und italiänischer Sprache Correspondenz führen, was Lund nicht verstand, was aber geschehen mußte, in so fern er die zeither nur auf Deutschland beschränkten Geschäfte über dessen Gränzen hin ausbreiten wollte. Disconto und Handel mit Papiergeld waren nicht mehr so lebhaft wie sonst; Lund hatte namhafte Summen liegen, und mußte sehn, wie er den größtmöglichen Ertrag davon zöge. Trieb er indeß auch manchen Großhandel, so lebte er doch immer noch auf dem Fuß eines Kleinkrämers; ja, selbst bei dem kleinsten unter den Kleinkrämern würde man wohl kaum eine so armselige Lebensweise gefunden haben. Unter diesen Umständen wollte er zwar bei seinem Buchhalter ungemein große Kenntnisse, aber ihn nur schlecht besolden und schlecht beköstigen. Auch sollte der Buchhalter sich – mitunter wenigstens – gefallen lassen, daß er schlecht behandelt würde; denn in dem, was man behandeln nennt, ging Lund mit seinen Ladendienern gar wenig zart um: sie mußten Rippenstöße und andere handgreifliche Weisungen hinnehmen, und wurden nicht allein in der dritten Person angeredet, sondern häufig auch in den Vocativen der Substantive Esel, Schlingel, Lümmel u. s. w. Dies hatte freilich die Folge, daß keiner so leicht ein halbes Jahr bei ihm aushielt.
Als er sich jetzt an der Börse in seiner Absicht umthat, und die Mäkler um junge Handelsbeflissene mit vorzüglichen Kenntnissen befragte, gab es deren wohl, die ein Unterkommen suchten, doch nicht Einen, der es bei Lund finden wollte. Wurde ihnen nur der Name genannt, so hörten sie auch schon auf, von der Sache zu sprechen, und die Mäkler waren also nicht im Stande, Herrn Lund ein taugliches Subjekt nachzuweisen. Einige Monate blieb dessen Absicht unerfüllt; dann meldete sich aber ein hübscher junger Mensch von selbst bei Herrn Lund, mit der Anfrage: ob er bei ihm die Stelle eines Buchhalters bekommen könne.
Lund maß ihn vom Wirbel bis zu den Sohlen. Letztere waren etwas schadhaft, und dort die Haare ohne alle Zierlichkeit geordnet. Ein abgetragner Ueberrock von schlechtem Tuch kam hinzu. Dies Alles konnte dem Prüfenden schon gefallen. Der junge Mensch hielt, dem Ansehen nach, nicht auf windige Eleganz, und trug seine Kleidungsstücke so lange als möglich. Also konnte er sich auch mit wenigem Gehalt begnügen.
Herrisch fragte ihn Lund: ob er Zeugnisse aufzuweisen habe. Jener nahm deren mehrere aus einem wurmstichigen Taschenbuch. Sie waren von namhaften Häusern in Hamburg, Wien und Leipzig ausgestellt, wo der Jüngling conditionirt hatte, und klangen sehr löblich.
Lund hielt sie gegen das Fensterlicht, um zu sehen, ob auch nichts darin radirt und beliebig geändert sei. Dann fragte er barsch: »Aber warum blieb man nicht länger an einem Orte, und zieht umher, wie die Zigeuner?«
Bescheiden wurde ihm geantwortet: Um an verschiedenen Orten meine Kenntnisse zu erweitern.
Nun mußte der junge Mann zur Probe einige verwickelte Handelsrechnungen machen, oder lösen. Hierauf verstand sich Herr Lund; und er sah nun, daß es schnell, richtig, und mit einer saubern Handschrift vollzogen ward. Gleichwohl tadelte er Einiges daran.
Nun führte er den jungen Mann in seine Speicher und Niederlagen. Dort mußte er die Waaren nennen, ihre Güte beurtheilen, und ihre Preise abschätzen. Auch hier bestand er wenigstens ziemlich.
Lund schüttelte aber dennoch den Kopf, ging wieder mit ihm ins Comptoir, und verlangte Geschäftsbriefe in mehreren Sprachen, nach einem durch ihn bestimmten Inhalt.
Sie waren bald vollendet, und hatten ein zierliches Ansehn. Selbst konnte Lund sie nicht beurtheilen, und beschied deshalb Jenen auf den folgenden Tag wieder zu sich.
Unterdessen zeigte er die Briefe einigen Kaufleuten und Mäklern, die fremde Sprachen verstanden, und hörte, daß nichts daran zu tadeln sei.
Ketter – so hieß der junge Mann – fand sich um die bestimmte Zeit wieder ein.
Ganz bin ich zwar nicht zufrieden, sagte Lund; indeß – ich will's versuchen. Was verlangt man an Gehalt?
Zu seiner Befremdung ward nur eine höchst mäßige Summe vorgeschlagen. Lund bot demungeachtet nur die Hälfte. Der junge Mensch zuckte die Schultern, berief sich auf die theure Zeit, und den Umstand: daß er eine unvermögende Mutter habe, die er unterstützen müsse. Doch, setzte er hinzu, will ich für das nächste Vierteljahr einschlagen; auf die Bedingung, daß mir der Herr Principal Einiges zulegen, wenn meine Dienste Ihnen genehm sind.
»Das kann vielleicht geschehn, erwiederte Herr Lund; doch muß ich erinnern, daß man nur Hausmannskost finden wird.«
Daran bin ich in meiner Jugend gewöhnt worden, und sie ist mir die liebste.
»Auch, daß man nicht zu empfindlich seyn darf. Ich habe ein etwas hitziges Naturell, meine es aber gut.«
Ich werde mich stets um die Zufriedenheit des Herrn Principals bemühn; so darf ich keinen Unwillen fürchten.
»Auch, daß man nicht auf einerlei Arbeit muß beschränkt seyn wollen. In meinem Hause kömmt mancherlei vor; und wer in meinem Lohn und Brot steht, muß überall mit angreifen, wo es Noth thut.«
Gern werde ich Ihnen so viele Dienste leisten, als ich nur vermag.
»Auch, daß man ordentlich seyn muß, nicht Abends und Sonntags auslaufen, keine junge lustige Bekannten in's Haus ziehn, die Unfug treiben.«
Die Pflicht der Ordnung versteht sich von selbst; übrigens bin ich hier fremd, und habe keine Bekannten.
»Noch Eins! Man hat nur eine Kammer; auf eine geheitzte Stube lasse ich mich nicht ein.«
Ich bin jung und nicht frostig.
»Am beßten auch, ein junger Mensch wärmt sich das Blut durch Arbeit. Nun – wann will man anziehn?«
Noch heute; in diesem Augenblick, wenn Sie es befehlen.
»Gut; so setz' Er sich gleich an den Schreibtisch.«
In dem Augenblick, wo sich Lund in den wirklichen Principal des Buchhalters verwandelt hatte, verwandelte er auch das bisherige man in die Anrede Er. Andere Buchhalter würden ihm die dritte Person mindestens zurückgegeben haben; Ketter hingegen war so bescheiden, daß er sich gefallen ließ, was Herrn Lund gefiel.
Dieser hatte auch späterhin nicht die mindeste Ursache, Ketters Anstellung zu bereun. Er verrichtete die ihm aufgegebenen Geschäfte nicht allein pünktlich, sondern brachte auch, durch seinen klugen Rath, dem Brotherrn manchen namhaften Vortheil. Er aß und trank so mäßig, wie es ein Harpagon nur verlangen konnte; und waren am Abend die Comptoirgeschäfte vollendet, hatte er nichts dagegen, wenn Lund ihn anwies, mit seiner Frau und Tochter Spezereien zu verlesen, oder Düten zu kleistern. Ungemein selten ging er Sonntags aus, und immer kam er schon nach einer Stunde zurück. In allen Stücken konnte Lund sowohl auf die strengste Redlichkeit, als auf seinen treusten Eifer, den Nutzen der Handlung zu fördern, bauen.
Hatte indeß der Kaufmann, bei so vielem Vortheil, keinesweges Ursache zur Reue, so ärgerte er sich dennoch über den Buchhalter; besonders, als das erste Vierteljahr zu Ende ging. Lund war so weit entfernt, ihm nun eine Gehaltszulage zu bewilligen, daß er vielmehr an einen Abzug dachte. Bei den Ladendienern pflegte das immer zu geschehn; sie hatten irgend etwas zerbrochen, das ihnen zu einem viel höheren, als dem wirklichen, Preise angerechnet wurde, oder es fehlte irgend etwas; genug, Herr Lund verkürzte ihnen den Lohn, und nicht selten bekamen sie gar nichts, oder mußten wohl noch zugeben. Einen ähnlichen Anlaß konnte nun der Principal bei seinem Buchhalter nicht auffinden, wie emsig er auch danach suchte; ja, nicht einmal eine Ursache, ihn zu schelten. So konnte er auch, wenn beim Ablauf des Vierteljahrs Ketter etwa an die ausbedungene Zulage erinnerte, ihm nicht das Mindeste vorwerfen, um die Anschuldigung zu begründen: er sei nicht zufrieden genug mit seinen Diensten, um sein Gehalt zu erhöhen. Deshalb brach er manche Gelegenheit vom Zaun, den jungen Menschen zu schelten. Doch auch hier wurde ihm nur Geduld entgegengesetzt, und als die ersten drei Monate verflossen waren, erinnerte ihn Ketter nicht an jene Bedingung, sondern ließ das kleine Gehalt auch ferner gelten.
Die Abendstunden, wo Ketter sich mit den Frauenzimmern beschäftigen mußte, hatten indeß ihre Nebenwirkungen. Lund pflegte dann oben in eine wohlverwahrte Kammer zu gehn, die seine baaren Summen, und solche Papiere enthielt, wovon Andere nichts wissen sollten. Stundenlang schloß er sich dort ein, zählte, rechnete und schrieb. In seiner Gegenwart sprach Ketter von nichts als von Geschäften, und meistens nur, wenn er befragt wurde; an die Frauenzimmer richtete er nie ein Wort; es hatte das Ansehn, als wäre der junge Mann zu blöde und verlegen dazu.
So verhielt es sich aber in der That nicht; denn sobald Lund sich entfernt hatte, erzählte Ketter Jenen Manches von den großen Städten, worin er sich aufgehalten hatte, oder knüpfte andere Gespräche an, in welchen er sich geistreich genug zeigte. Das unterhielt die so einsam gehaltenen Frauenzimmer angenehm; besonders merkte Philippine eifrig auf Ketters Reden, und zog manche Belehrung daraus. Ihre Mutter hatte nichts dagegen, und sie selbst schöpfte immer mehr Vertrauen zu dem jungen Mann. Er äußerte sich nun auch offen über den Umstand, daß Philippine so wenig Unterricht bekommen hätte, da, bei ihren vortrefflichen natürlichen Anlagen, ihr doch ein mannichfacher zu wünschen sei. Frau Lund sagte: Zu so etwas giebt der Alte kein Geld her; ich selbst sehe wohl ein, daß es Schade um Philippinchen ist, die hier ganz versauern muß, kann aber nichts dabei thun. Nun erbot sich Ketter, in den Abendstunden zuweilen aus einem guten Buche vorzulesen. Jene ließ das gern geschehn, hörte selbst mit großem Vergnügen zu, und willigte auch ein, daß Philippine solche Bücher mit in ihre Schlafkammer nehmen, und sich dort noch daraus belehren konnte. Der junge Mann schrieb ihr auch kleine Aufgaben nieder, mit denen sie sich einsam beschäftigen sollte. Daß man dies Alles vor Lund geheim halten mußte, versteht sich von selbst.
So gelangte Philippine nach und nach zu verschiednen nützlich belehrenden Schriften. Ketter gab ihr Wilmsens Kinderfreund, Raffs Naturgeschichte, Campens Rath für seine Tochter, einige auserlesene Schauspiele, einige Romane von moralischer Tendenz, und mehr, was Geist und Herz bilden konnte. Je angenehmer Philippinen die neuen Beschäftigungen wurden; desto mehr Zeit wendete sie darauf, so viel sie es vor ihrem Vater konnte. Noch kein Jahr war verflossen, und man hätte sagen mögen: mit Philippinen habe sich ein halbes Wunder ereignet. Das sonst kalte, stumme, oder einsilbige Mädchen, an dem nur bisweilen ein lebhaftes Augenblitzen, oder hie und da eine wohl treffende, aber doch übel ausgedrückte Bemerkung ein nicht ganz gewöhnliches Geschöpf ahnen ließ, zeigte nun tiefes, warmes Gefühl, helles Urtheil, nicht selten gar muntern feinen Witz, und hatte im Gedächtniß mannichfache Kenntnisse aufgesammelt. Hatte das – scheinbare – Gänschen sich dergestalt umgewandelt, so konnte man auch bei der Mutter (die Lund eine wirkliche Gans nannte) einige auffallende Entwicklung nicht verkennen. Wenigstens hatte sie mehr Umsicht, als ehedem, wußte die Menschen richtiger zu beurtheilen, und vertraute den eignen Augen mehr.
Daß Lund von den Veränderungen, die mit Beiden vorgegangen waren, wenig merkte, war natürlich. Einmal verbargen sie sich klug vor ihm, und zweitens hatte er den Kopf zu voll von Geschäften, als daß er auf die Frauenzimmer sorgsam hätte achten mögen. Auch sprach er mit ihnen immer nur vom Nöthigen, oder schalt über das Erste Beßte. Ließ man sich dort einmal unvorsichtig ein kluges Wort entfallen, so rief er: »Sehe doch Einer! die Philippine wird am Ende gar naseweis! Willst Du schweigen?« Oder auch: »Die Gans will noch auf ihre alten Tage klug thun.«
Daß Philippine durch Ketters mündliche Unterhaltungen einen starken Impuls auf Gemüth und Verstand bekommen hatte, litt übrigens keinen Zweifel. In dem letzten Vierteljahre hatte sie oft auch Gelegenheit, ihn allein zu sprechen. Es geschah während der sonntäglichen Spaziergänge ihrer Eltern, welche sie, bei dem Mangel an einem neuen Kleide, nicht begleiten konnte. Indeß war Ketter viel zu rechtlich, Mißbrauch von diesen Annäherungen zu machen; er unterrichtete Philippinen nur um desto eifriger über moralische und andere nützliche Gegenstände.
Philippine hatte jetzt auch einige Begriffe von männlicher Liebenswürdigkeit, und die mochte sie hauptsächlich wohl in dem letzten Vierteljahre bekommen haben. Ketters Gestalt war nicht unedel; er kleidete sich zwar ärmlich und wenig zierlich, Philippine hatte indeß nur selten wohlgekleidete junge Männer gesehn, da sie nirgend hinkam. Uebrigens hatte sie wenig natürlichen Hang zum Putz, und daher war ihr auch der Anzug eines Mannes ziemlich gleichgültig. So viel sah sie indeß wohl, daß Ketter, wenn er sich in eine elegante Kleidung würfe, andern artigen Männern keineswegs in der äußern Anmuth nachstehn würde, die sie einer solchen Kleidung verdankten.
Um so niedergeschlagner mußte sie aber seyn, als sie vernahm, daß ein von ihrem Vater gewählter Bräutigam sich ihr zeigen würde. Die Mutter war mit ihr besorgt, wußte ihr aber keinen Trost zu geben; denn Lund hörte auf keine Einreden, trat ihnen stets vielmehr mit Hitze und Härte entgegen, und setzte zuletzt immer despotisch seinen Willen durch.
Nur Eine Hoffnung behielt Philippine noch, in dem Fall, daß sie dem Bräutigam etwa nicht gefiele. Es war ihr daher lieb, in schlechter Hauskleidung vor ihm erscheinen zu müssen; sie schwärzte diese Kleidung noch absichtlich am Küchenherd, und machte sich auch noch selbst einige Rußflecken in das Gesicht. Daneben beschloß sie, gebeugt und linkisch aufzutreten, und auf Alles, was der Bräutigam sie fragen würde, so dumm und albern als möglich zu antworten.
Die Mutter sagte zwar: Ich kenne Herrn Kauser nicht, habe auch sonst nichts von ihm gehört; es wäre aber doch möglich, daß wir uns Beide irrten, und daß der Vater einen Mann ausgesucht hätte, der Dir gefallen könnte. Also ist es nicht klug gehandelt, wenn Du ihm zu mißfallen suchst.
Nein, nein! sagte Philippine; er wird mir nicht gefallen! Das weiß ich, ehe ich ihn noch gesehn habe!
Endlich rollte eine mit schwarzem Tuch überzogne Kutsche vor. Zwei schwarz gekleidete Männer stiegen aus, Herr Lund und Herr Kauser. Die Luft war durch Regen gerade sehr trübe, und die Wohnstube hinter dem Spezereiladen hatte nur Ein Fenster in den etwas engen Hof, so daß es auch an hellen Tagen hier ziemlich dunkel blieb; und vollend bei solchem Wetter, als heute.
Philippinens ohnehin trübes und finstres Gesicht bekam folglich nur ein sehr mattes Licht; und da die Lilien und Rosen darin von den schwarzen Flecken entstellt wurden, so that ihre Schönheit so gut als gar keine Wirkung.
Dazu kam auch noch, daß die kleine Stube, in welche die beiden schwarzen Männer jetzt traten, schon lange nicht mehr geweißt war.
Anfangs redeten sie vom Börsencours, ohne sich um die übrigen Anwesenden zu kümmern. Nach einiger Zeit brachte Herr Kauser denn doch die Angelegenheit, welche ihn hieher führte, zur Sprache. Apropos, fing er an, wenn Ihr keine Ausstattung gebt, so müßt Ihr doch die Hochzeit ausrichten. »Das werd' ich wohl bleiben lassen,« erwiederte Herr Lund; »wer heirathet, der trägt billig auch die Kosten. Man braucht indeß keinen närrischen Aufwand zu machen. Ein Paar Zeugen, ein Paar Tassen Kaffee, und damit gut.«
Herr Kauser dachte ein Weilchen nach, und erwiederte dann: Nun, es ist freilich, genau überlegt, am Ende gleichviel, ob Ihr die Hochzeit ausrichtet oder nicht. Das heißt, wenn es noch dazu kommt. Ihr wißt meine Bedingung. Wo ist die Tochter? Bei diesen Worten setzte er seine Brille auf die Nase.
Lund dagegen brachte seine Ohren in Bewegung, indem er bald hinter dem einen, bald hinter dem andern kratzte. Das that er aus Verlegenheit und Besorgniß, daß der Handel zurückgehn könne.
Kauser fing wieder an: Ist sie schön, und putzt sich gern, so nehm ich sie nicht. Dabei müßte ich mir den Schlag an den Hals ärgern. Ist sie das hier? Hm – nun, es geht damit noch an. Mir wollte Jemand sagen, sie wäre schön. So arg ist es damit eben nicht. Nach ihrem Anzug scheint sie auch eine gute Wirthin zu seyn. Nun ja – ich lass' es mir gefallen.
Philippine, die erst heimlich darüber seufzte, daß sie keine Mühe angewandt hätte, reitzend zu erscheinen, fuhr bei den letzten Worten zusammen, als ergriffe sie ein Fieberfrost. Sie hatte jedoch, seitdem Herr Kauser ins Zimmer trat, nichts anderes empfunden als eine Reihe von kalten Fieberschauern. Der zugewiesene Geliebte war schindeldürr, hatte ein erdgelbes, vielgefaltetes Gesicht, eine lange dünne Habichtsnase, ein spitzes Kinn, und ein Paar weitgeöffnete gelbbraune Augen, die gewöhnlich zwar sehr matt aussahen, aber doch von einem gewissen Isegrimmsfeuer loderten, wenn ein Affekt sie anregte. Die schwarze Kleidung war ihnen günstig; ihr Leuchten trat nunmehr heraus.
Bon jour, Mamsell, krächzte jetzt erst der Prüfende. Ich denke, wir wollen uns schon mit einander vertragen. Werden Sie eine gute Frau seyn, so bin ich ein guter Mann. So viel sag' ich Ihnen aber vorher, spaßen lass' ich mit mir nicht. Servitör, Madam Lund!
Jetzt wandte er sich halb um, auf's Neue mit dem Vater des Mädchens zu sprechen, der jetzt viel leichter athmete, weil sich kein Hinderniß gezeigt hatte. Nun sah die Braut Herrn Kauser, der seine Brille, nach vollendeter Prüfung, wieder abnahm, von der Seite. Dies hatte sein Vortheilhaftes für die convexe Nase und das concave Kinn. Der Zufall ließ aber dem Profil der Gestalt noch einige malerische Ergänzungen angedeihen, welche der Fantasie der Braut ungemein zu Hülfe kamen. Die weitgeöffneten Augen hatten bei ihr den Effekt eines abgebildeten weitgeöffneten Höllenschlundes gethan. Die Wirkung des Profils entsprach jener Illusion, nur daß sie vom Reich zu dem Regenten überging. Das sollte nun der Fantasie noch über alle Erwartung leicht gemacht werden. Der Bräutigam hatte pechfarbne, mit grau durchmengte, struppige Haare, an deren Verschneidung lange nicht gedacht war. Nun sträubten sich am Scheitel zwei gekrümmte, spitz auslaufende Borsten auf, die, von der Seite gesehn, zwei mäßigen Hörnern glichen. Kauser hatte sich aber in den etwas kurzen Trauermantel dergestalt gewickelt, daß er sich bis nahe an die Mitte des Leibes heraufzog. Und weil er darunter seinen Hut einklemmte, so fügte es sich, daß eine Ecke desselben hinterwärts vorblickte, und zugleich einen rheinländischen Fuß lang den schwarzen Flor niederwallen ließ. Nichts konnte lebhafter an den Schweif erinnern, von dem man nicht weiß, ob ihn Lucifer wirklich hat, oder ob ihn die Maler nur freigebig damit beschenken.
Philippine war indeß nun vom Grausen übermannt, sank ihrer Mutter halb ohnmächtig in die Arme, und rief zugleich, mit Wehmuth und Entsetzen zu gleichen Theilen in ihrer Stimme: Hu, der Teufel leibhaftig!
Herrn Kauser gefiel das Compliment freilich schlecht, und Herr Lund wallte in dem grimmigsten Zorn darüber auf. Was Teufel, rief er, schickt es sich für eine Braut, den Bräutigam Teufel zu nennen? Daß ich Dir nicht mit der flachen Hand an das gottlose Maul komme! Du solltest wirklich meinen, der Teufel wär' es!
Philippine stotterte: Beßter Vater, ich flehe Sie um Erbarmen an! Geben Sie mir den Tod, nur diesen Mann nicht. Ich kann ihn nicht heirathen! Mir graut und schaudert vor ihm –
Jungfer Naseweis, fiel Herr Lund ein, wird Sie gefragt? Hat Sie auch eine Stimme?
Jene fuhr fort: Ich eigne mich auch nicht für ihn.
Donnernd gebot ihr der Vater, zu schweigen, und fügte hinzu: Will das Ei klüger seyn, als die Henne? Ich muß wissen, was zusammen paßt!
Frau Lund, ihre Tochter im Arm haltend, brach nun in Thränen aus, und rief: Nein, lieber Mann, der Unterschied in den Jahren ist zu groß. Mache Dein Kind nicht unglücklich!
Seht doch, entgegnete der liebe Mann; will die Gans auch drein schnattern?
»Ich bin Mutter, und gebe meine Einwilligung nicht.«
Ich habe in meinem ganzen Leben noch nicht um Deine Einwilligung gefragt, und werde es auch bis an mein seliges Ende nicht thun.
Ei, fiel Herr Kauser ein, mein lieber Lund, das hätte ich nicht gedacht! Eure Frauenzimmer sind schlecht gezogen. Uebrigens thut bald, was Ihr thun wollt; ich habe Posttag, und verliere meine Zeit.
Gut, entgegnete Herr Lund, ich werde Euch vorläufig mit dem Mädchen versprechen. Ein Zeuge muß wohl noch dabei seyn. Ich rufe meinen Buchhalter.
Er ging, und der Bräutigam wandte sich unterdessen an Philippinen. Mamsell, sagte er, glauben Sie nicht etwa, daß ich so einfältig bin, Ihnen nicht in's Herz zu sehn. Es ist nur Verstellung und Ziererei. Sie heirathen für Ihr Leben gern, sind froh, daß ich gekommen bin. Man kennt die Jüngferchen, sie machen's alle so. Meine selige Frau wollte auch durchaus nicht, der Vater mußte Gewalt brauchen. Aber sie widersetzte sich nur zum Schein; die Gewalt wäre gar nicht nöthig gewesen. Aergern Sie doch Ihren Vater nicht unnützer Weise. Sie stellen sich, als wollten Sie das nicht, was Ihnen doch sehr lieb ist.
Lund fand sich wieder ein; Ketter folgte. Hier ist ein Zeuge, fing Jener an; nun kein Sperren mehr, Jungfer Naseweis! Hingegangen zu Herrn Kauser, gesagt: lieber Bräutigam, ich freue mich, daß ich die Ehre haben soll, Ihre Frau zu werden. Dann ein Küßchen in Ehren gegeben. Allons, wie lange währt's?
Ketter staunte. Herr Lund, rief er, um Gottes willen! was denken Sie zu thun!
Mit großen Augen fragte dieser: Wa ... wa ... wa ... was ist das?
»Sie könnten Ihre liebenswürdige Tochter so hinopfern?«
Wa ... wa ... was geht Sie das an, junger Herr? Zeugen sollen Sie, die Ohren brauchen, nicht den Mund. Wie kann sich auch der Buchhalter unterstehn, seines Principals Verfahren zu tadeln! Da soll ja ...
»Wie unedel muß ein Mann fühlen, der nicht allein an eben dem Tage, an welchem er die vorige Gattin begraben hat, sich abermal versprechen will, sondern auch ein Mädchen, das Grauen vor ihm einer Ohnmacht nahe bringt, durch Zwang an sich gefesselt kann sehn wollen!«
Ich sage Ihnen meinen Dienst auf! – Herr Kauser rief: Und dann muß es an der Börse öffentlich gesagt, ja selbst den Handelsfreunden weit umher geschrieben werden: daß er widerspenstig gegen seinen Principal gewesen ist, einen soliden angesehenen Kaufmann, dem er Respekt schuldig war, mit himmelschreiend unehrerbietigen Worten beleidigt hat. An keinem Orte muß er wieder eine Condition finden! Aber die Zeit vergeht. Macht fort, Lund!
Der junge Mann rief: »Weigern Sie sich Philippine! Es gilt das Glück Ihres Lebens. Die Gesetze berechtigen Sie, da Ihren Gehorsam zu versagen, wo man Sie zwingen will, in Ihr Verderben zu gehn!«
Philippine hatte mehr Muth, seitdem Ketter eingetreten war. Feierlich schwör ich, sagte sie, daß ich diesem Mann nie meine Hand geben werde, und sollte ich darüber auch untergehn.
Frau Lund küßte ihre Tochter, billigte, was sie gesagt hatte, und versprach ihren Beistand nach allen Kräften.
Nun liefen die beiden Schwarzen in blindem Zorn mit den Köpfen an einander, und wurden durch den Schmerz noch wilder. Kauser trat mit eingestemmten Armen vor Philippinen hin, und sah ihr mit so strafenden und drohenden Blicken ins Gesicht, daß selbst die Tapferkeit davor hätte zittern mögen. Zu Worten gelangte sein Grimm dagegen nicht; Lunds Flüche hätten sie auch übertäubt.
Seitdem ihm Ketters kluge Thätigkeit wichtige Vortheile gebracht, hatte Lund das Er doch in eine höflichere Anrede umgeändert, weil er meinte, das Sie koste ja nichts, und der junge Mann könne es anstatt einer Gehaltszulage in Empfang nehmen. Jetzt aber rief er die Anrede mit Er zurück, nachdem schon Flüche vorhergegangen waren. Er packte den jungen Mann zugleich an der Brust, und schrie: Bu – bu – Bursche! Er will meine Tochter zum Ungehorsam verleiten? Wa – wa – was geht meine Tochter Ihn an?
Kaltblütig hielt Jener ihn ab, und sagte: Viel geht sie mich an. Ich sage muthig, daß ich Philippinen liebe. Zuerst sah ich sie in der Kirche, wo ihre Schönheit mich bezauberte. Ich wünschte, ihr nahe zu seyn, um mir ihre Gegenliebe erwerben zu können. Darum kam ich in Ihr Haus, fügte mich in jede Ihrer wunderlichen Launen, suchte durch Redlichkeit und Fleiß meines Principals Wohlwollen zu verdienen. Schon manchen Jünglingen gelang unter solchen Umständen endlich, was sie Anfangs nimmer hoffen durften. Ich machte einen ähnlichen Entwurf, ob mich schon nicht Philippinens Reichthum, sondern ihre Liebenswürdigkeit angezogen hatte. Daher bediente ich mich einer List, doch keiner Arglist, sondern einer schuldlosen, auch dem Redlichen erlaubten. Geben Sie mir Philippinen ohne alle Ausstattung. Ganz so unbemittelt, wie ich es vorgab, bin ich nicht, und traue mir hinreichende Geschicklichkeit zu, eine Frau zu ernähren.
Philippine rief: Auch ich gestehe freimüthig, daß ich ihn liebe.
Die beiden Schwarzen geberdeten sich, als wollten sie mit den Köpfen gegen die Wände laufen, Wände und Köpfe zugleich einstoßen. Doch besannen sie sich noch, und sprachen in dem heftigsten Zorne, beide zugleich. Herr Lund rief zitternd: Also hat Er sich wie ein Betrieger in mein Haus geschlichen, und obenein mir die Tochter verführt! Nicht genug, solchen Bösewicht fortzujagen; verhaften, einstecken lassen muß man ihn. Ich will auf der Stelle zu dem Polizeiamt!
Er klemmte seinen Trauermantel in die Thür, als er beim Weggehn sie hinter sich zuwarf, und ließ ihn, wie Joseph, lieber fahren, als daß er noch zaudern mochte.
Herr Kauser hatte mit ihm zugleich gesprochen: O, wenn es hier noch einen jungen Wildfang giebt, der einem soliden Geschäftsmann böse Tücke spielen könnte; wenn das Jüngferchen obenein in ihn vernarrt ist, so kann ich mich bei einem vorläufigen Versprechen nicht beruhigen. Ich hole einen Notar; gleich Schwarz auf Weiß, unterzeichnet und gehörig besiegelt.
Er ging auch, blieb aber in den Mantel gewickelt; und dies kam ihm zu Statten, wie man sogleich hören wird.
Nie, seitdem er lebte, hatte sich Lund so heftig geärgert, wie diesen Abend. Der Zorn hatte auch seinen ganzen Körper in den stärksten Schweiß gesetzt. In seiner blinden Wuth hatte er gar nicht bedacht, was jetzt das Klügste sei. Ihm, einem guten Rechner, mußte jeder Strich durch die Rechnung ein Dorn im Auge seyn. Der heutige lange aber brachte ihn fast ganz von Sinnen.
So rannte er davon, und bemerkte nicht, daß sich der vorhin mäßige Herbstregen in einen Platzregen verwandelt hatte, den man beinahe einen Wolkenbruch hätte nennen mögen. Es war ziemlich weit nach dem Polizeiamt. Jupiter pluvius drang durch den schwarzen leichten Rock, und überschwemmte die Oberfläche des Körpers zum zweiten Male. Heiße und kalte Nässe vertrugen sich nun so schlecht, daß aus ihrem Zwiespalt ein Zwiespalt zwischen Lunds Leib und Seele entstand, dessen Natur gewiß irgend ein Arzt den Lesern gern erklären wird, wenn sie ihn höflich darum fragen.
Genug, Lund erkältete sich plötzlich auf seinen glühenden Zorn, und fiel, ehe er noch das Polizeiamt erreicht hatte, auf der Straße nieder. Daß er gerade in einen Rinnstein fiel, und daß einige Zeit verging, ehe man ihn aufhob und ins Trockne brachte, vermehrte die Folgen der Erkältung bis zu einem sehr hohen Grade.
Bei einem Platzregen gehen natürlicher Weise schon wenige Menschen aus dem Hause, und in einem Rinnstein kann man länger unbemerkt bleiben, als mitten auf dem Fahrdamm.
Erst nach einer Viertelstunde wurde Lund gesehn, und erkannt, doch im Anfang für betrunken gehalten, bis verständige Leute bemerkten; der, bei seinem Geitze, habe sich gewiß nicht betrunken; ihm sei eine Ohnmacht, ein Krampf, wo nicht gar ein Schlagfluß, zu gestoßen.
Endlich zog man den Röchelnden aus der Tiefe, und schaffte ihn mit einem Tragsessel in seine Wohnung. Ehe dies geschah, untersuchte noch ein vorbeigehender Chirurgus seinen Zustand.
Als vorhin die beiden Schwarzen weggeeilt waren, thaten die zurückgebliebnen Frauenzimmer, was Frauenzimmer unter solchen Umständen zu thun pflegen: sie ließen Klagen auf Thränen folgen, und dann wieder Thränen auf Klagen. Dem Buchhalter fiel das Trösten anheim, obwohl er selbst Trost bedurfte. Er sagte indeß: Standhaft, gute Philippine; man kann und darf Sie nicht zwingen. Wenn Ihre Mutter sich nicht zur Einwilligung bewegen läßt, so muß ihr Wort doch auch gelten. Ich kann nun nicht mehr im Hause bleiben, ob ich es gleich mit Schmerz verlasse. Eine Verhaftung besorge ich zwar nicht, will auch vor jedem Richter vertreten, was ich gethan und gesagt habe; Herr Lund hat mir aber den Dienst aufgekündigt. Nun, meine Bücher sind in Ordnung. Nur eine kurze Anweisung für meinen Nachfolger, und ich kann noch heute gehn.
Philippine bat ihn weinend, zu bleiben, und sie in der Noth nicht zu verlassen. So lange es möglich ist, soll es geschehn, erwiederte Ketter; allein Ihr Vater wird auf meine Entfernung dringen, wenn er weiter nichts vermag. O Philippine, ich weiß nun, daß Sie mich ein wenig lieben. Welche Glückseligkeit, und welches Entsetzen zugleich für mich, da meine Trennung von Ihnen jetzt nothwendig ist, und da ich nun überzeugt bin, von Ihrem Vater nie mein Glück hoffen zu dürfen!
Ketter, sagte Philippine ermannt; ja, ich liebe Sie! Zu sehr haben Sie meine Achtung und meine Dankbarkeit gewonnen, als daß ich je einem Andern meine Hand geben könnte. Braucht mein Vater Gewalt, so sag ich noch am Altare Nein, und rufe die Gesetze zu Hülfe. Doch sagen Sie mir, Sie, der Sie mich mit so vielem Guten, Rechten, Edlen und Schönen bekannt gemacht haben: würde es in meiner Lage unrecht seyn, wenn ich zu entfliehn suchte? Als Kammerjungfer, vielleicht sogar als Lehrerin, fände ich wohl ein Unterkommen. Schwer würde es mir freilich seyn, mich von der guten Mutter zu trennen; das müßte ich aber ja auch, wenn ich den verhaßten Kauser heirathete. In jenem Fall wüßte sie mich doch vor dem schrecklichsten Unglück gesichert.
In dem einzigen Fall, erwiederte Ketter, daß Ihr Vater seine Absicht mit Gewalt durchsetzen will, halte ich es für erlaubt, daß Sie entfliehn. Auf meinen – anspruchlosen – Beistand können Sie dann sicher zählen.
Ich will selbst helfen, schluchzte die Mutter, allen Zorn meines Mannes tragen. –
Der Buchhalter ging ins Comptoir; die Frauenzimmer blieben, und weinten ihre schmerzlichen Thränen fort.
Da eilte, ehe noch der Tragsessel vor dem Hause war, jener Chirurgus herein. Erschrecken Sie nicht, Madame, fing er an; ich bringe eine üble Nachricht. Herrn Lund hat der Schlag gerührt. Er ist ohne alle Besinnung, und – fassen Sie sich – es ist keine Hülfe mehr.
Mutter und Tochter erschraken in der That sehr heftig; doch ihre Thränen hörten sogleich auf zu fließen. Ist es möglich? rief Frau Lund; ist es möglich?
Man trug den Sterbenden bereits in die Hausthür. Die Gattin eilte ihm entgegen, und wußte nicht, ob sie den eignen Augen trauen sollte. Doch that sie nach Pflicht und Gewissen, was nöthig schien. Der Kranke wurde in das Schlafzimmer gebracht, der nassen Kleidung entledigt, und in das gewärmte Bett gelegt. Der Chirurgus öffnete zwei Adern, sagte aber voraus, daß es unnütz seyn würde. Frau Lund befahl, daß noch ein Arzt geholt werden sollte, der berühmteste in der Stadt.
Bis er kam, beschäftigte der Chirurgus sich mit andern Rettungsmitteln. Philippine, die ungemein verstört in die Küche geeilt war, half dem Mädchen Thee bereiten und Steine wärmen. Von Zeit zu Zeit kam Frau Lund zu ihr, und sagte: Er bleibt dabei, daß keine Hülfe ist. Wir müssen aber doch nichts versäumen, daß wir uns nichts vorzuwerfen haben.
Philippine erwiederte jedes Mal: Freilich müssen wir das; sonst behielten wir ja kein gutes Gewissen.
Der berühmte Arzt kam endlich, fand hier aber keine Gelegenheit mehr, noch berühmter zu werden. Lunds Gesicht war zur Hälfte blau; nur selten vernahm man ein Röcheln, und der Puls war kaum noch zu finden.
Ist noch Hoffnung, Herr Doktor? fragte Frau Lund.
Nur einige Minuten kann es noch währen, antwortete der Arzt, nach einem bedauernden Achselzucken.
Frau Lund eilte wieder in die Küche, und schlug die Hände zusammen. Es ist bald aus, sagte sie; ich hätte es nie gedacht. Nun soll ich ihn doch überleben. Da sieht man: unverhofft kömmt doch oft!
Aengstlich sagte ihr Philippine ins Ohr: sie möchte nicht vergessen, ja nicht vergessen – was, das konnte sie nicht hervorbringen.
Die Mutter eilte in die Wohnstube. Beide gingen neben einander auf und ab, ohne etwas zu sagen. Bald kam der Arzt: Madame, ich bezeuge mein Beileid; Ihr Mann hat geendet.
Ist er auch gewiß todt? entfuhr der neuen Wittwe; kann ich mich darauf verlassen?
Philippine zupfte sie wieder ängstlich am Kleide, und Jener erklärte die absolut tödtlichen Wirkungen einer solchen Apoplexie, wie die vorliegende.
Er soll einen Grabstein von Marmor haben, sagte Frau Lund wieder, und dachte dabei dunkel: zum Dank für die große Wohlthat, die er mir durch seinen Tod erzeigt.
Die Nichthülfe der Aerzte ward reichlich bezahlt, und Beide gingen ihres Weges.
Mutter und Tochter flogen zum Todten, und schauderten. Die entseelten Züge schienen Trümmer von Geitz und Wuth. Lange war der Anblick nicht auszuhalten; Jene eilten in die Wohnstube zurück. Noch immer waren sie im Taumel einer Bestürzung, als kämen sie aus einem Kerker, und hätten noch dazu ein Loos von funfzig tausend Thalern gewonnen.
Träum' ich auch nicht? sagte Frau Lund; ist es denn wirklich wahr?
Wahr, erwiederte die Tochter. Nur fassen Sie sich; lassen Sie nicht merken ...
Mein Gott, fiel die Mutter ein, hat er es denn danach gemacht, daß wir uns über seinen Tod grämen können? Ich hatte keine frohe Stunde bei ihm, und sein Kind wollte er auch noch ohne Erbarmen unglücklich machen.
Hätte er noch einen letzten Willen abfassen können, sagte die Tochter, so würde er sicher darin verordnet haben, daß ich Kausern heirathen sollte.
Oder er hätte Dich enterbt, fiel die Mutter ein.
Nun, sagte die Tochter wieder, heirathe ich Kausern doch nicht, liebe Mutter? – Und die Mutter umarmte sie.
Ketter hatte von dem Allen nichts gehört. Jetzt trat er wehmüthig in die Stube. Herr Lund, fing er an, kömmt nicht wieder; so will ich denn gehn.
Er kömmt nicht wieder, sagte Frau Lund; Sie gehn aber nicht. Wer sollte denn die Geschäfte meiner Handlung führen? Oder vielmehr: unsrer Handlung; denn sie gehört mir und Philippinen zur Hälfte.
Der junge Mann verstand sie nicht, und gerieth in das höchste Erstaunen, als man ihm das Nähere sagte. Ungläubig ging er zu dem Leichnam, und kam bald in großer Bestürzung wieder. Jetzt erschien auch Herr Kauser, von einem Notar begleitet. Schwarz auf Weiß, rief er; Siegel und Zeichnung!
Frau Lund sagte: Herr Kauser, ziemt es sich wohl, gleich nach einem Todesfall ein Verlöbniß zu halten?
Warum nicht? antwortete er; über Vorurtheile muß man sich hinwegsetzen, wo es das Mein und Dein gilt.
Gut, hob Frau Lund wieder an; nun habe ich zu reden. Herr Notar, ich verspreche meine Tochter mit meinem Buchhalter, und Herr Kauser ist wohl so gütig, als Zeuge sich zu unterschreiben.
Herr Kauser rief: Was sind das für Possen! Wo ist mein Herzensfreund Lund?
Man hinterbrachte ihm alles. O, wie würde ihn der Tod des Herzensfreundes entzückt haben, wenn er schon mit Philippinen verheirathet gewesen wäre!
Seine Einreden halfen nicht, da er nicht Schwarz auf Weiß hatte. Ketter und Philippine wurden nach einigen Monaten ein frohes Paar. Der wurmstichige Hausrath wurde abgeschafft; man genoß, was der Geitz zusammengescharrt hatte, und freute sich des Lebens, doch mit Anstand und mäßig.
Das Sonst und Jetzt waren im Lundschen Hause nun ziemlich verschieden. So geht es im weiten launigen Reiche der Schicksalsgöttin. Oft sinken die Freuden der Lebenden mit in ein Grab; bisweilen aber blühen ihnen auch Rosen daraus hervor.
Eine
romantische Kriegsbegebenheit.
Der Sohn eines sächsischen, ziemlich bemittelten Landedelmanns wurde nach D*** auf eine Schule gesandt. Er war träge im Lernen, fleißig aber im Koboltschießen und Ballschlagen; oft vergaß er über einer glatten Schlitterbahn im Winter, oder einem steigenden Papierdrachen im Herbst, daß ihn eine Lehrstunde erwartete, und mußte daher ins Carcer. Die ihm jedes Vierteljahr ausgestellten Zeugnisse lauteten ungemein übel; er mußte sie jedes Mal in die Heimath schicken, von wo dann tüchtige Strafpredigten erfolgten. Sechzehn oder siebzehn Jahre mochte er alt seyn, als, nach einem ganz außerordentlich üblen Zeugniß, sein Vater in D*** anlangte, um einmal selbst nach dem ungerathenen Sohn zu sehn. Er fand dessen Wohnzimmer in solcher Unordnung, daß er die Hände über dem Kopf hätte zusammenschlagen mögen. Bälle und Flitzbogen lagen umher, die Schulbücher waren zerrissen, die Hefte voll Tintenflecke, und allerlei Fratzen darauf gezeichnet, so wie auch an den Wänden. Lisuart – so hieß das Söhnchen – hatte sich nicht gewaschen, nicht gekämmt; an Ellbogen und Knieen zeigten sich merklich schadhafte Gegenden.
Aber Junge, rief der Vater, Du spielst noch mit Bällen und Flitzbogen? Und so liederlich sieht Alles neben und an Dir aus? Bist ein Edelmann, und hast nicht mehr Ambition? Gehst mit zerrissenen Hosen, und das Hemd kuckt Dir an den Ellbogen heraus? Wie lange ist es her, daß ich Geld zu neuen Kleidern geschickt habe?
Ehe Lisuart zu einer Antwort gelangen konnte, bekam er zwei derbe Ohrfeigen; nun ward er tückisch, und antwortete gar nicht.
Der Vater machte jedoch mit ihm eine Runde bei den Lehrern, um sich zu erkundigen, woran es doch mit dem Buben läge.
Der Rektor sagte: Zwei Umstände sind es hauptsächlich, an denen es liegt, daß der junge Herr nichts lernt. Einmal schläft er zu lange, und kömmt immer zu spät in die Classe, wie sehr ich ihm auch das Aurora musis amica empfohlen, und ihn ermahnt habe, mit Tagesanbruch seine Uebungen vorzunehmen. Zweitens aber stecken seine Taschen immer voll Kuchen und Obst; er nascht während des Unterrichts in Einem weg verstohlen, und da gilt folglich das plenus venter non studet libenter auch in Einem weg bei ihm.
Junge, hob der Vater wieder an, wo nimmst Du das Geld her? Ich habe Dir doch nur acht Groschen zu Kleinigkeiten monatlich ausgesetzt.
Der Rektor faßte ihm während dessen in die Taschen; in der einen befand sich eine Mandel Abrikosen, in der andern ein Paket überzogner Gewürzkuchen.
Lisuart mußte nun reden, und gestand in abgebrochnen Worten: daß er bei verschiednen Kuchenbäckern und Obsthökerinnen auf Borg nähme.
Der Vater sagte zornig: Ich will in den Zeitungen bekannt machen lassen, daß Dir auch nicht eine gebrannte Mandel, nicht eine Pflaume, kreditirt werden soll.
Der Conrektor und der Subrektor äußerten ebenfalls große Unzufriedenheit, und klagten, daß der junge Mensch sich durch einen gewissen erzschalkhaften, boshaften Sinn auszeichne. Es sollte damit, ihnen zufolge, so weit gehen, daß er die Ehrerbietung vor seinen Lehrern vergäße. Beide führten einige Beispiele an. Einer sagte: Wie oft ich es ihm auch schon verboten, ja, ihn darum ins Carcer geschickt habe, nennt er mich doch oft, anstatt Herr Conrektor, Herr Kornrektor, so daß alle Knaben lachen, und die Aufmerksamkeit verloren geht. Ich bin nicht zu übermäßiger Strenge geneigt; jung ist jung. Sollen aber zuweilen allotria getrieben werden, so gescheh' es in den Freistunden, nicht in der Klasse.
Und mich, fiel der Andere ein, redet er oft, anstatt Herr Subrektor, Herr Suppenrektor an. Man sagt wohl: pueri puerilia tractant; allein der Herr Sohn sollte nicht mehr zu den Knaben gehören wollen.
Sein College nahm abermal das Wort: Daß er es gerade so übel meine, behaupte ich bei dem allen nicht. Die veränderte Silbe in Korn will sagen: ein Mann von ächtem Schroot und Korn. Er sollte gleichwohl bei der alten bleiben.
Nein, hob Lisuart stotternd an; so habe ich es nicht gemeint ...
Der Lehrer fragte: Wie denn sonst?
Er bekam zur Antwort: Nun – weil Sie so gerne Korn trinken.
Hierüber gerieth der Conrektor fast außer sich, und wollte den Beleidiger nicht mehr in seiner Klasse dulden.
Feuerroth wollte nun auch der Subrektor hören, weshalb denn sein Titel eine Veränderung erlitten habe. Der junge Mensch antwortete: es sei ihm zu Ohren gekommen, der Herr Subrektor habe einmal auf einem Schmaus eine ganze Terrine Suppe allein verzehrt.
Nun wollte auch dieser ihn nicht mehr unterrichten. Wär' es noch klassischer Witz, sagte er, so behielt' ich ihn in meiner Klasse; Allein dieser Witz ist schal, trivial.
Bei der Schule stand aber noch ein Quintus, der berühmt und berüchtigt zugleich war: jenes, weil er mehrere Schriften herausgegeben, die Aufsehn in der gelehrten Welt machten; dieses, weil er ehedem schon ein andres Amt bekleidet, aber von den jungen Mädchen, die er unterrichten sollte, zwei in einen Zustand versetzt hatte, nach welchem sie gesegnet zur Einsegnung kamen. Man hatte ihn weggejagt und noch anderweitig hart bestraft; ihn endlich aber, seiner trefflichen Kenntnisse wegen, doch wieder als Schulmann – nur nicht bei Mädchen – angestellt. Dieser Quintus trat nun für Lisuart ein. Er wollte bemerkt haben, daß der junge Mensch ein Genie sei. Nur Geduld! setzte er hinzu; es wird sich schon entfalten, und dann geht es auch mit den Studien über Hals und Kopf. Ich weiß, wie es bei mir gegangen ist.
Schon wollte der Vater seinen ungerathenen Sohn wieder mit nach Hause nehmen; doch der kleine Schimmer von Hoffnung, auf welchen der Quintus deutete, bestimmte ihn anders. Er versprach dem Conrektor und Subrektor, ihnen ein Paar geräucherte Schinken in die Küche zu senden, wenn sie die Sache gut seyn ließen.
Lisuart wohnte bis jetzt bei einem Bürger, dem der Vater eine Art von Aufsicht über ihn anvertraut hatte. Der Mann sagte aber: der junge Herr folge nicht, und richte auch im Hause nur allerlei Unfug an; darum wäre es ihm lieber, wenn der junge Herr auszöge.
Dem Vater fiel nun ein, daß in D*** ein verabschiedeter Hauptmann lebe, der sein Freund und Herr Bruder sei. Er ging mit Lisuart zu ihm, und fragte: ob es anginge, und er ihm die Freundschaft erzeigen wollte, den Sohn in sein Haus zu nehmen? – Von dessen übler Aufführung verschwieg er nichts, setzte aber hinzu: Strenge ist um so nöthiger; und kann Einer noch etwas aus ihm machen, so bist Du es, Herr Bruder.
Warum nicht, Herr Bruder? entgegnete der Hauptmann; das will ich Dir schon zu Gefallen thun. Aber ich muß im Nothfall die Fuchtel brauchen dürfen.
In Gottes Namen, erwiederte der Vater; brauche Sie nur recht oft! Er hat neun Häute; thu' Alles Dir Mögliche, ihm auch durch die letzte zu kommen.
Nicht öfter, sagte der alte Officier, als wenn er nicht pariren will. Von Gelehrsamkeit versteh' ich den Teufel; aber daß er früh aufstehn und sich an die Bücher setzen soll, will ich schon machen. Und kömmst Du wieder, und er ist nicht in seinem Anzug, wie aus dem Ei geschält, so ... gerade soll er mir auch gehn, wie eine Kerze.
Der Hauptmann erfüllte sein Versprechen. Kaum war Lisuart einige Monate in seinem Hause, als er in manchem Betracht sich gebessert hatte; aber doch nur ein wenig, und nicht in allen Stücken. Die Kleidung war sauber, stand ihm aber nicht gut; er ging gerade, doch steif, ohne Anmuth. Das Kinderspielzeug war verschwunden; Lisuart stand auch, in Rücksicht auf die schon einige Mal empfundenen Fuchtel, zeitig auf; doch an den Büchern wurde noch immer nicht viel gethan, ja, eigentlich noch weniger, als zuvor, wo er doch noch Gesichter mit langen Nasen hineingekritzelt hatte; was der Hauptmann nicht mehr zugab. Noch immer lauteten die Schulzeugnisse keineswegs rühmlich, und Lisuart saß noch in Quarta, obschon Manche, die jünger als er waren, sich in Tertia, ja in Secunda befanden.
Der Hauptmann nahm ihm einen Fechtmeister und einen Tanzmeister an, daß sie ihm ein sogenanntes air degagé beibringen sollten. Bei Jenem machte Lisuart einige Fortschritte, zum Tanzen hingegen hatte er so wenig Lust als Geschicklichkeit.
So kam sein achtzehntes Jahr heran, und auch der Winter, für den sein neuer Mentor in eine Gesellschaft trat, die sich wöchentlich zu einem Ball versammelte. Es geschah meistens um Lisuarts willen, der, wie Jener sagte, hier noch mehr den Bauer ablegen, und feinere Lebensart bekommen sollte.
Doch es hinkte auch da genug. Er sollte eine Dame zum Tanz auffordern, weigerte sich aber aus Blödigkeit. Nur angedrohte Fuchtel konnten ihn endlich bestimmen. Nun tanzte er freilich, indeß mit so krummen Knieen und so verwirrt, daß man über ihn lachte. Beim Essen stopfte er dagegen so viel Kuchen und Obst in sich, daß man mit Fingern auf ihn wies. Der Hauptmann ärgerte sich sehr, und fuchtelte ihn noch um Mitternacht, als man wieder zu Hause war.
Auf dem nächsten Ball zeigte er etwas mehr Geschick beim Tanz, und etwas weniger Naschgier an der Tafel; aber ganz unausgelacht kam er doch nicht davon. Sie sollten sich schämen, sagte der Hauptmann daheim; so ein hübscher junger Mensch, und beträgt sich – hol mich der ...! – so ungehobelt wie – nun, ich mag's nicht sagen.
Dies Mal war Lisuart doch so dreist, daß er sagte: Wenn aber Jemand so viel flucht, Herr Hauptmann, ist das gehobelt oder ungehobelt?
Was? rief Jener, der junge Patron will noch auf mich sticheln? Das leid' ich, Gott straf mich, nicht! Ich vertrete Vatersstelle bei ihm, und habe Autorität.
Um diese Autorität abermal thätig zu beweisen, zog er vom Leder; dies Mal aber, anstatt einer gewichtigen Klinge, eine leichte, beräucherte Gänsefeder, welche Lisuart aus einem Flederwisch gezogen und mit der Klinge vertauscht hatte. Es war das erste Mal, daß er dem Hauptmann einen Streich zu spielen wagte.
Dieser rief: Wer hat das gethan?
Ich nicht, antwortete Lisuart.
»Können Sie schwören?«
Hol mich der Teufel!
»Können Sie auch Ihr Ehrenwort darauf geben?«
Nein, das kann ich nicht! Ich hab' es gethan, weil ich dachte, eine Feder thäte doch nicht so weh.
Nun fiel ihm der Hauptmann um den Hals. Sieh! rief er; bist doch ein tüchtiger Kerl, Junge! Schwörst wohl beim Teufel falsch, willst aber nicht Dein Ehrenwort geben. Bravo! Und hast doch einmal Raupen im Kopf, einen guten Einfall. Ich glaube, die zwei Bälle haben Dich schon etwas formirt. Das muß ich gleich meinem Herrn Bruder schreiben. O, ich will zum Teufel fahren, wenn nicht noch was aus Dir wird!
Auf dem nächsten Ball setzte der Hauptmann sich neben eine ihm unbekannte Dame, und hob ein Gespräch mit ihr an. Nicht lange nachher kam ihre, etwa funfzehnjährige, Tochter aus den Reihen zurück, und nahm Platz bei der Mutter. Pfui, Luischen! sagte diese, wie schlecht hast Du getanzt! Und wir haben doch vier Monate einen Tanzmeister bei uns gehabt. Zwar bist Du zum ersten Mal auf einem Ball; ich hätte aber doch nicht geglaubt, daß es so schlecht gehn würde.
O nur Uebung, gnädige Frau, sagte der Hauptmann; da wird das Fräulein dreist. Ich habe da einen Eleven, der soll sie gleich wieder auffordern. Lisuart, kommen Sie her!
Schüchtern nahte sich dieser, und machte eine linkische Verbeugung.
Fordern Sie das Fräulein auf, sagte der Hauptmann wieder; geschwind!
Lisuart stammelte: Kann ich die Ehre haben ...?
Die Dame nahm das Wort: Wird meiner Tochter viel Ehre seyn. Allons, Luise, folge!
Luise stand bebend auf, schien ungern wieder in den Reihen zu gehn. Der Hauptmann sah zu. Es kam ihm vor, als nähme Lisuart sich dies Mal mehr zusammen, und hielte sich dreist, zierlicher.
Lisuart wies auch das Fräulein in den sogenannten Touren zurecht. Als aber der Tanz vorüber war, liefen ihm große Tropfen Angstschweiß vom Gesicht.
Der Hauptmann stand auf, lobte ihn, und sagte hernach leise: Nun setzen Sie sich ein wenig neben die junge Dame, mit der Sie getanzt haben; unterhalten Sie sich mit ihr.
Lisuart wollte nicht, und suchte Ausflüchte. Sie sollen, ward ihm erwiedert, oder es giebt zu Hause Fuchtel. Die Klinge ist eingesetzt.
Lisuart fragte zaudernd: Was soll ich denn mit ihr sprechen?
Tausend Sapperment! entgegnete der Hauptmann, was das für eine dwatsche Frage ist! Eben da formirt sich ein junger Mensch, wenn er mit Damen spricht, und es muß sich ja wohl etwas finden, wovon man sprechen kann, in's Teufels Namen! Sprechen Sie, wovon Sie wollen, nur nichts Ungezognes!
Lisuart nahm zagend neben dem Fräulein Platz, und hob an: Meine Gnädige – es ist heute schönes Wetter.
Die Gnädige antwortete: So muß es eben erst schön geworden seyn. Als wir kamen, schneiete es.
Sie hatte, wie man sieht, etwas mehr Fassung, als er; denn sie hörte doch, was er sagte, und daß es nicht ganz richtig schien. Er dagegen hatte so wenig recht gewußt, was er sagte, als er recht hörte, was sie antwortete. Beide dankten eigentlich dem Himmel, daß sie doch einige Worte hervorgebracht hatten, weil es die Schicklichkeit so gebot. Das Fräulein zeigte etwas mehr Gegenwart des Geistes im Reden, weil die weibliche Natur es so mit sich bringt. Daß Lisuart dagegen beim Tanz sie darin übertroffen hatte, rührte vielleicht davon her, daß er schon einige Mal öffentlich getanzt, Luise aber heute den ersten Versuch machte.
Nach und nach kamen Beide doch mehr und mehr ins Gespräch. Luise erzählte, daß sie zum ersten Mal mit ihrer Mutter in D*** sei, was sie bereits an schönen Sachen gesehn habe, und noch sehn werde, und mehr dergleichen. Ihr Vater, sagte sie auch, der zu Hause geblieben wäre, hätte ihr prophezeiet, sie würde sich recht wundern. Lisuarts Angst verlor sich auf einer Seite; denn er vernahm allmählig, was seine Nachbarin sagte, und konnte dazwischen erzählen: wie es ihm in D*** ergangen sei, und noch gehe; auf der anderen Seite aber stieg diese Angst. Denn er fing an, ein ihm bis dahin ganz unbekanntes wunderbares Vergnügen zu fühlen, als er so mit Luisen redete. Und weil er so oft über das, was ihm Vergnügen gemacht, Tadel, Scheltworte, selbst Ohrfeigen und Fuchtel bekommen hatte, fing er an zu fürchten: daß ihm dieses Vergnügen aller Vergnügen noch etwas viel Schlimmeres zuziehen würde.
Zu seinem Erstaunen klopfte ihm aber der Hauptmann auf die Schulter, und betheuerte bei Ehre und Reputation: so wäre es recht!
Er setzte bei der Abendtafel sich wieder zu jener Dame, und Lisuart mußte neben Luisen Platz nehmen. Der junge Mensch betrug sich fein und angemessen, tanzte hernach noch einmal mit dem kleinen schönen Fräulein, und Beiden ließ sich kein Fehler mehr vorwerfen. –
Am nächsten Morgen kam sein Aufseher in seine Stuben: Was ist das! sagte er; Sie haben gewiß das Licht brennen lassen, und sind darüber eingeschlafen. Der Teufel! so kann ja Feuer entstehn.
Das noch glimmende Licht war ganz herunter gebrannt, und der junge Mensch hatte noch die Kleidung von gestern Stück für Stück auf dem Leibe.
Ich habe, erwiederte Lisuart verwirrt, ein nöthiges lateinisches Exercitium gemacht, und bin darüber nicht zu Bette gegangen. Es war ja schon zwei Uhr, als wir nach Hause kamen.
Eigentlich verhielt sich die Sache so. Lisuart empfand, als er vom Ball nach Hause kam, auch nicht die mindeste Neigung zum Schlaf. Des Fräuleins Bild tanzte ihm unaufhörlich vor dem innern Auge: immer klangen ihre Worte, und die Musik der beiden mit ihr getanzten Tänze, ihm vor dem innern Ohr, und dies machte ihm wieder ein neues, so hohes Vergnügen, daß er sich ihm weit lieber, als dem Schlaf überließ. Es stand ein Klavier auf seinem Zimmer. Er bekam Unterricht in der Musik, hatte aber bis jetzt nur sehr geringe Fortschritte gemacht; theils, weil seine Neigung zu dieser Kunst nicht groß war, theils auch weil sein Lehrer darin nicht zu den vorzüglichsten gehörte. Dieser hatte seinem Schüler binnen einem Jahre eine alte sogenannte Klavierschule mit ganz leichten Anfangsstücken gebracht, etliche Sonaten der Art von Vanhal und Pleiel, auch eine Operette von Hiller, die Ouverture daraus zu lernen; allein der Schüler hatte bis jetzt sehr wenig begriffen.
Nur die alte Operette hatte ihn gewissermaaßen angezogen, weil sie Lisuart und Dariolette hieß. Der Mensch ist nun einmal so, daß er seinen Namen gern gedruckt sieht. Ein Kupfer am Titelblatt, welches einen jungen stattlichen Ritter im Harnisch vorstellte, pflegte er oft anzusehn, und auch einige der leichten Gesangmelodieen aus dem Werk zu klimpern.
Jetzt, indem er so im Zimmer umherging, und der eben entflohenen Stunden dachte, fiel ihm auch das Musikbuch in die Augen, und er betrachtete nun zum ersten Male mit Antheil die junge Dame, welche im Kupfer neben dem Ritter stand. Bald setzte er sich an das Klavier, und es schien ihm ganz anders zu klingen. Er schlug Einiges von dem auf, was der Ritter Lisuart von seiner Liebe singt, und es ergriff ihn gewaltig. Ihm dünkte, als wären es seine eignen Empfindungen; und viel geläufiger, als sonst, konnte er jetzt die Noten lesen, und die Finger rühren. Noch mehr hingerissen fühlte er sich bei dem Gesang der Dame in den Worten:
Er konnte nicht aufhören, die einfache Melodie zu wiederholen und die einfachen Worte dabei zu lesen. Ihm war, als sänge das Luise – zu ihm; und sterben hätte er mögen vor Entzücken über diese Vorstellung. Er beklagte nur, daß nicht Dariolette jenen Namen hatte. Bis an den hellen Morgen konnte er sich nicht von der süßen Beschäftigung losreißen.
Und nun brachte er auch eine ganz veränderte Stimmung mit in die Schule. Die Wissenschaften hatten ihm eine höhere Bedeutung gewonnen; er meinte: was ihn so lange angeekelt habe, könne wohl hohes Vergnügen gewähren. Zum ersten Male schämte er sich, immerfort getadelt worden und gegen Andere zurückgeblieben zu seyn; es erwachte in ihm Ehrgeitz, das Verlangen, seinen Mitschülern gleich, ja zuvor zu kommen, und er dachte nun auch, das könne so schwer nicht seyn.
Die ganze Woche hindurch zeigte er ungemeinen Fleiß, sowohl in den Lehrstunden, als zu Hause, und fragte den Quintus um vielerlei, der sich auch bereitwillig zeigte, ihm durch Winke und guten Rath fortzuhelfen. Schon am Ende dieser Woche wurde er in eine höhere Klasse versetzt. Hierzu trugen die Empfehlungen des Quintus das Meiste bei; dieser hatte nehmlich dem Rektor versichert: Lisuarts Genie fange nun an, sich zu entwickeln.
Gerade an diesem Tage führte ihn sein Mentor wieder auf den Ball. Lisuart hatte sich recht sorgfältig und nett gekleidet, und war viel weniger verlegen, als zeither; einige ältliche Damen, die müßig auf ihren Stühlen die Versammlung musterten, machten die Bemerkung: der Lisuart staffire sich recht gut heraus, und werde ein ganz hübscher Mensch.
Schon die heutige Versetzung in eine höhere Klasse hatte dem jungen Menschen mehr Muth gegeben; dazu kam aber noch, daß der Hauptmann ihn, theils darüber, theils auch über seinen heutigen Anzug und sein verbessertes Betragen gelobt hatte. Lob über ein gewisses Verdienst pflegt dies Verdienst zu erhöhn, namentlich in jüngeren Lebensjahren.
Aus dieser Ursache trat er nicht mehr so scheu vor Luisen, nach der er sich die ganze Woche hindurch gesehnt hatte. Auch Luise war weniger betreten, und daneben vortheilhafter, als neulich, gekleidet. Beide tanzten und sprachen heute mehr mit einander, als vor acht Tagen, und menschenkundigen Beobachtern hätte es nicht entgehn können, daß Beide sich sehr glücklich fühlten, und daß sich in ihren Herzen die ersten Spuren der Liebe zeigten.
Sonderbar übrigens, daß noch keins von Beiden des Anderen Namen wußte, und auch den Muth nicht hatte, danach zu fragen. Lisuart bediente sich nur der Anrede: meine Gnädige; und Luise war genöthigt, alle Anrede zu vermeiden. Der Hauptmann saß am Spieltisch, und kam dies Mal nicht zu ihnen.
Luisens Mutter begegnete dem jungen Menschen darum freundlich, weil er sich immer zu ihr hielt; es war ihr ja daran gelegen, daß Luise, die bisher auf dem stillen Lande erzogen war, sich in der Welt darstellen lernen sollte. Und außer Lisuart kümmerte sich Niemand eben um Luisen; das noch halb kindische Fräulein war den jungen Herren von Ton zu unbedeutend, und auch in D*** nur wenig bekannt.
Heute kam das Gespräch unter andern auf die Tonkunst. Lisuart erfuhr, das Fräulein habe auch darin Unterricht gehabt; und nach ihren Aeußerungen mußte sie viel größere Fortschritte darin gemacht haben, als er. Um so schöner und vortrefflicher schien ihm nun die Musik.
Er brachte den Rest der Nacht abermal am Klaviere hin, und mit noch höher gesteigerten Empfindungen. Heute fand er in seinem alten Opernbuch eine Romanze des Inhalts:
Diese Verse setzten unsern Lisuart in Erstaunen, und gaben ihm noch Deutungen, Aufschlüsse über sein Innres. Ja, so konnte des Herzens Drang erwachen und des Wissens Lust; o, wäre der Alte da gewesen! Doch sah der junge Mensch wohl ein, daß davon bei einem Tertianer die Rede noch nicht seyn könne; aber, dachte er, einst, einst!
Wußte er doch nun ganz klar, daß er Luisen liebte, und seine Liebe sollte eine ganze Ewigkeit dauern, keine Minute weniger.
Verdoppelter Fleiß in der Schule und zu Hause, stets mit wachsendem Vergnügen begleitet, war die Folge seiner erwachten Gefühle. Auch der Conrektor und Subrektor lobten ihn nun; denn von einem Kornrektor und Suppenrektor ließ er nichts mehr hören, sondern zeichnete sich nur durch Wißbegierde aus, so wie durch leicht erworbene Kenntnisse und einen Scharfsinn, der oft in Verwunderung setzte. Der Subrektor selbst gab ihm das Lob: er habe jetzt zuweilen ächt witzige Einfälle.
Ihm fiel aber auch ein, daß seine Kleidung ziemlich abgetragen, und gar nicht recht nach dem Schnitt gemacht sei, wie andere junge Edelleute in D*** sie trugen. Er bat den Hauptmann, ihm eine andere machen zu lassen. Das thue ich von Herzen gern, bekam er zur Antwort; ist doch noch Geld da, und mein Herr Bruder wird nicht geitzen, wenn er nur sieht, daß aus dem Sohn ein Kerl wird.
Lisuart trieb, daß die neue Kleidung zum nächsten Ball fertig werden sollte. Als er darin vor den Spiegel trat, hatte er selbst einen kleinen Anfall von närrischer Eitelkeit; denn er fand, was er bis jetzt nie gefunden hatte, nehmlich, daß er doch ein ganz hübscher Mensch sei.
Luise mußte das auch wohl finden; denn sie wurde, als sie ihn zuerst erblickte, röther, und war hernach freundlicher, als zuvor. Sie schien ihm aber auch heute bei Weitem reitzender; vielleicht, weil er, bei erhöhtem Selbstgefühl, besonnenern Muth gewonnen hatte, sie mehr als flüchtig anzusehn. Heute forderte Lisuart das Fräulein so oft zum Tanz auf, daß die Mutter besorgte, es könnte Aufsehn erregen, und daß sie Luisen befahl, die Aufforderungen nun abzulehnen. Sie vermied auch seine Nähe bei Tische, worüber denn Lisuart sich recht sehr betrübte.
Doch in recht eigentliche Schwermuth sank er, als am nächsten Balltag Luise nicht mehr zu sehen war; auch späterhin nicht mehr kam. Endlich gewann er es, mit großer Mühe, über sich, den Hauptmann, als sie im Dunkeln nach Hause gingen, zu fragen: wo die fremde Dame geblieben seyn möchte – von der Tochter sagte er doch nichts –, neben welcher er, der Hauptmann, neulich gesessen hätte.
Ich weiß nicht, bekam er zur Antwort; vermuthlich ist sie abgereis't.
Noch schwerer ging Lisuart an die Erkundigung: wie sie heißen, und wo sie wohnen möchte?
Der Hauptmann betheuerte, von dem Allen kein Wort zu wissen, und fügte hinzu: Aha, junger Patron! Ich will des Teufels seyn, wenn Sie nicht in die Tochter verliebt sind. Nun, recht gut das. Wenn sich ein junger Mensch verliebt, fängt er auch an, etwas auf sich zu halten. Ich wette, nun werden die Fuchtel nicht mehr nöthig seyn.
Behüte! rief Lisuart; wie kommen Sie darauf! Die Fuchtel anlangend – nun, die werde ich mir künftig verbitten, Ihnen aber auch keine Gelegenheit dazu geben, Herr Hauptmann!
Bravo, erwiederte dieser; das soll mir recht lieb seyn.
Er schrieb dem Herrn Bruder nun auch: der Sohn fange recht ernstlich an, sich zu bessern; und schickte Zeugnisse von den Lehrern mit, die ungemein vortheilhaft klangen.
Lisuart machte jetzt in der That Fortschritte, die man ihm nicht zugetraut hätte, und er selbst hatte mit jedem Tage eine höhere Freude daran. Auf der anderen Seite war es ihm aber so schmerzlich, Luisen nicht mehr zu sehn, und ihren Aufenthalt nicht zu wissen, daß eine merkliche Blässe im Gesicht seinen Gram offenbarte.
So kam der Frühling heran, und nun erst fand er die schönen Umgebungen der Stadt sehr anziehend. Er schweifte oft darin umher, mit irgend einem Dichter in der Tasche, um ihn da oder dort, auf einem Felsen sitzend, zu lesen. Darüber entzündete sich in seiner eignen Brust poetisches Feuer. Er staunte, als er die ersten Versuche niedergeschrieben hatte, daß es ihm auch gelänge, Verse zu machen. Zum Theil enthielten sie Erinnerungen an jenes Beisammenseyn mit der geliebten Luise; zum Theil Sehnsucht nach Wiedersehn; doch einige enthielten nur Lob der schönen Natur. Die letzteren wies er dem Quintus vor, der sie verbesserte, und ihm aufmunternde Lehren, und Rath gab, was er zur ferneren Ausbildung seines Geschmacks lesen müsse; und mit den Worten endete: Sagt' ich es doch voraus, daß hier Genie wäre.
Natürlicher Weise freute sich der Jüngling hierüber. Als er dann Shakespear, Schiller und Göthe las, verzweifelte er bald, Genie zu haben, bald glaubte er wieder, daß es ihm nicht ganz daran fehle. Genie des Gefühls, meinte er doch, könne man ihm nicht absprechen.
Er kam nach Secunda, und ein halbes Jahr später nach Prima. Nun hatte er die meisten von seinen Mitschülern, die ihm vorangeeilt waren, wieder eingeholt. Freude hierüber, die zufriednen Briefe seines Vaters, und die süße Zerstreuung, welche ihm die Poesie gewährte, scheuchten nach und nach aus seinem Herzen den Gram der Liebe, doch keineswegs die Liebe selbst, welche sich vielmehr in seiner Brust immer stärker befestigte. Er machte allerlei Entwürfe, Luisen auszumitteln, und sich zu bestreben, daß er bald, wie sein Vater es wünschte, ein Amt erlangen möchte, um Luisen dann seine Hand anbieten zu können.
Im Herbst erklärte man ihn fähig, die Hochschule zu beziehn, und Jena wurde für ihn ausgewählt.
Ein neuer Lebenskreis, Freiheit, und Gelegenheit sich jugendlichem Frohsinn zu überlassen, wie zuvor nie! Lisuart hatte jedoch keine Neigung, wilden Ergötzlichkeiten nachzugehn, und suchte Freunde von ähnlichem Sinn. Außer den Rechtswissenschaften, trieb er philologische mit beinahe übermäßigem Eifer, und zeichnete sich sogar unter den fleißigern und musterhaften jungen Musensöhnen noch aus.
Durch die mannichfachen, von ihm eingesammelten, Kenntnisse lernte er auch sich selbst mehr kennen. Jetzt sah er wohl ein, daß, wenn er Luisen nicht gesehn hätte, nie diese Neigung zu den Wissenschaften in ihm erwacht seyn, und daß er vielmehr leicht dahin gekommen seyn würde, auf eine ihm höchst nachtheilige Weise die akademische Freiheit zu mißbrauchen. Zu seiner Liebe gesellte sich noch Dankbarkeit für sein Erwachen zu einem edleren Leben, wodurch die Liebe noch mehr Nahrung bekam, und ihm in einem schönern Lichte erschien.
In den nächsten Sommerferien machte er eine Fußreise; wie er vorgab, die schöneren Gegenden von Sachsen zu sehn, eigentlich aber, Luisens Wohnort zu entdecken. Sie hatte einmal in ihrer Unterhaltung mit ihm gesagt: In D*** bin ich noch nicht gewesen, wohl aber schon einige Mal in Leipzig, weil dies nicht so weit von uns ist. Hieraus schloß nun Lisuart, ihr väterliches Gut müsse in der Gegend von Leipzig liegen, und nahm sich vor, eine solche Runde zu machen, daß er es nicht verfehlte.
Die Mühe war indeß vergeblich. Wie sorgfältig er auch jedes Dorf besuchte, das einen Herrenhof hatte, wie genau er auch die Gestalten der Mutter und Tochter beschreiben mochte: es glückte ihm nicht, das Gewünschte zu erfahren, und er mußte endlich unverrichteter Sache nach Jena zurückkehren, was ihn denn tief betrübte.
Als er neunzehn Jahre alt war, dachte er: nun ist Luise im sechzehnten; als er das zwanzigste antrat: nun wird sie in das siebzehnte treten – O, Gott, wenn mir Jemand zuvorkäme!
Er entschloß sich, an den Hauptmann zu schreiben, und ihm sein Geheimniß halb und halb zu entdecken. Es müsse sich ja, schrieb er weiter, in D*** wohl erforschen lassen, wer jene Dame gewesen sei; der Vorsteher der Ballgesellschaft werde sie ohne Zweifel kennen. Er ließ die angelegentlichste Bitte folgen, daß sich der Hauptmann nach ihr erkundigen möchte.
In der Antwort auf diesen Brief hieß es: Der Vorsteher aus jener Zeit sei gestorben, und alles anderweitige Nachfragen habe wenig gefruchtet.
Lisuart besuchte im nächsten Jahr seinen Vater, der ihn mit großer Freude und Herzlichkeit empfing. Der Sohn ließ auch hier etwas von seinem innern Zustand merken; da sagte aber sein Vater: Oho! jetzt schon an eine Heirath zu denken, ist zu früh! Und ich habe übrigens halb und halb ... ein sehr wohlhabender alter Freund, der eine einzige Tochter hat, die auch recht schön und gebildet seyn soll ...
Lisuart unterbrach ihn mit Betheurungen: er würde nie einem andern Mädchen seine Hand geben können. –
Possen! sagte der Vater wieder; so reden alle junge Leute, und die Umstände ändern viel. Nichts mehr davon! kömmt Zeit, kömmt Rath.
Lisuart mußte wieder nach Jena. Seine Poesien machten bei Kennern Aufsehn, und sie riethen ihm, eine Auswahl davon drucken zu lassen. Es geschah endlich, doch so, daß er auf dem Titel nur seinen Vornamen nannte. Die an Luise überschriebenen Gedichte athmeten das meiste und stärkste Feuer.
Doch jetzt, im Jahr 1813, loderte auch das Kriegsfeuer in Deutschland auf. Lisuart meinte, die politische Rolle des Königs von Sachsen wäre nur gezwungen; und, obschon dessen Unterthan, beschloß er doch in preussische Dienste zu gehn, um gegen Deutschlands Unterdrücker zu kämpfen. Er bat seinen Vater um Erlaubniß dazu, und dieser sagte: Thue, was Du willst; ich mag nichts davon wissen. Gieb Dir aber lieber einen andern Namen, daß es nicht heißen kann: Du habest gegen Dein sächsisches Vaterland gestritten.
Lisuart ging nach Berlin, gab sich für einen Herrn von Breitenfeld aus, und bekam eine Lieutenantsstelle bei einem neu errichteten Corps von leichter Reiterei.
Nichts von den Kriegsauftritten, denen er beiwohnte, außer, daß er durch seine Tapferkeit bald Rittmeister wurde.
Als nach der Schlacht bei Leipzig Napoleons Flüchtlinge verfolgt wurden, und man sie theils zu ereilen, theils ihnen in die Seite zu kommen suchte, gehörte Lisuarts Corps zu denen, welche am thätigsten waren.
Im Hessischen machte er eines Tages eine Seitenpatrulle, und traf auf eine Anzahl abgeschnittener französischer Husaren, die so eben einen Reisewagen plünderten. Ein Landedelmann der dortigen Gegend wollte darin mit seiner Tochter fliehn, und hatte das Unglück, in die Hände jener Unholden zu fallen, welche übrigens auch die Tochter reitzend fanden, und geneigt schienen, sie für eine gute Beute zu erklären.
Lisuart, obgleich seine Mannschaft nur halb so stark war, stürzte sich in die Feinde, und so entstand ein hartnäckiger Kampf. Die Preußen siegten; ihren Rittmeister traf aber ein Säbelhieb in den Kopf, der ihn um alle Besinnung brachte.
Man gab dem Edelmann das ihm Gehörende zurück, und hoch erfreut, die Ehre seiner Tochter gerettet zu sehn, dachte er durch die beste Verpflegung der Verwundeten seine Dankbarkeit zu beweisen. Man versicherte ihm, daß er nun nicht zu fliehen brauchte, weil die befreundeten Truppen schon nahe wären. So entschloß er sich denn, nach seinem Dorfe zurückzukehren, und nahm den halb todten Rittmeister in seinem Wagen mit sich, dem ein Feldarzt, der sich glücklicher Weise gefunden, sogleich den ersten Verband um den Kopf gelegt hatte.
Lisuart galt sonst für einen schönen Officier; jetzt aber hätte sein Anblick Entsetzen erregen können. Man denke sich zu einem starken, dunkelbraunen Bart die bleiche Todtenfarbe und die bis an die Augen reichenden Binden!
Der gerettete Gutsbesitzer ließ in seinem Hause ihm ein Zimmer zurecht machen, und einen Wundarzt aus der nächsten Stadt rufen, der um ihn bleiben mußte. Erst nach einigen Tagen bekam Lisuart einen Theil seines Bewußtseyns wieder, das indeß öftere Anfälle vom Wundfieber störten. Zusammenhängendes Denken ward ihm ungemein schwer; seine Ideen durchkreuzten sich, wie im Wahnsinn, denn der feindliche Säbel war sehr tief eingedrungen. Auch sah er nicht recht hell, und der Wundarzt verhehlte ihm nicht, daß sein Leben noch immer in Gefahr schwebe.
Als die ersten Durchmärsche vorüber waren, herrschte in dem abgelegenen Dorf mehr Ruhe. Dies that ihm wohl, und an Pflege ließ sein dankbarer Wirth es nicht fehlen. Eines Abends hörte er im Nebenzimmer zu einem Pianoforte singen. Die Stimme dünkte ihm vorzüglich schön, die Fertigkeit ausgezeichnet. Es schien, als ob durch die Musik sein Fieber nachlasse, sein Schmerz sich vermindre, und sein Kopf freier würde.
Als der Gutsbesitzer – was oft geschah – ihn besuchte, sagte Lisuart: Ich hörte da eben sehr schön spielen und singen; Musik ist mein größtes Vergnügen. Wenn ich des Vergnügen öfter hätte, so würde es viel zu meiner Genesung beitragen.
Es war meine Tochter, erwiederte der Andere; so oft Sie es wünschen, soll sie singen und spielen. Was kann sie weniger für ihren edelmüthigen Retter thun!
Von nun an spielte und sang das Fräulein oft; und, so wie Davids Harfe Sauls Melancholie vertrieb, so wirkte auch hier die Gewalt schöner Töne auf einen zerrütteten Seelenzustand. Mit jedem Tage besserte sich nun auch die Wunde, und freiwillig, obgleich befremdet, gestand der Arzt: er zweifle, ob, ohne Beihülfe einer so lieblichen Anregung der Lebenskräfte, der Rittmeister zu retten gewesen seyn würde.
Nach einigen Wochen war des Kranken Bewußtseyn vollkommen deutlich, und das Wundfieber hatte sich verloren. Nur die Augen blieben noch schwach, weshalb der Arzt die Fenster dicht verhängen ließ.
Zuweilen brachte der Herr vom Hause seine Tochter mit, welche dann jedes Mal dem Rittmeister für ihre Rettung dankte. Ihre Unterhaltungen schienen nicht minder zu wirken, als ihr Gesang und Spiel; Lisuart meinte: so geistvoll habe er noch keine Dame reden hören. Sie erbot sich auch, ihm bisweilen vorzulesen. Er lehnte das zwar, als zu gütig, ab; aber dennoch blieb sie dabei, ihren Retter auch auf diese Art zu unterhalten. Sie ging dazu in das Nebenzimmer, und ließ die Thür offen, weil sie in dem halb finstern Krankenzimmer nicht hätte sehen können.
Eines Tages brachte sie einen Band Gedichte mit, und sagte ihm, daß diese zu ihrer Lieblingslectüre gehörten. Wie staunte der Rittmeister, als sie ihm nun aus Lisuarts poetischen Versuchen vorlas. Die Empfindung, womit sie es that, erregte bei ihm Rührung, Stolz und – Gewissensvorwürfe. O Gott! dachte er, sollt' ich dies Fräulein nicht lieben? nicht treulos an Luisen geworden seyn, der ich doch in meinem Herzen ewige Liebe geschworen habe?
Doch bald dachte er auch: Luisen habe ich seit vier Jahren nicht gesehen, und vielleicht sehe ich sie nie wieder.
Und späterhin: Diesem Fräulein verdanke ich mein Leben; und das ist doch noch mehr, als ich Luisen einst zu verdanken hatte.
Nach gerade sah er heller, und so viel die herabgelassenen grünen Vorhänge es zuließen, prüfte er des Fräuleins Gestalt. Sie war höher als Luise, und ihr Ausdruck voll Adel und Anmuth. Die Gesichtszüge schienen ihm geistiger, bedeutender, aber nicht so heiter, wie er sich Luisens noch erinnerte; eine gewisse sanfte Schwermuth lag darin verbreitet, die er jedoch äußerst anziehend fand.
Einmal sagte er: Den Dichter, von dem Lisuarts poetische Versuche sind, möchte ich beneiden, weil Sie ihm so viel Nachsicht schenken. Und doch – kann ich ihn nicht beneiden. Wissen Sie ihn?
Sehr eilig rief Jene: Nein! Ist er Ihnen bekannt? Schon lange habe ich nach seinem Namen gefragt.
Dies Mal klang die Stimme dem Rittmeister heitrer, als sonst, und schien ihm ein wenig bekannt. Nun faßte er auch die Gesichtszüge schärfer ins Auge.
Mein Fräulein, hob er wieder an, sind ... sind Sie einmal in D*** gewesen? –
»Vor vier Jahren.«
Auf dem Ball bei ***?
»O Himmel!«
Die Gedichte an Luise wurden – an Sie geschrieben.
»Meine Ahnung! Und Sie – Sie retteten mich!«
Sie retteten mein Leben!
Nun konnte der Rittmeister aber nicht mehr zusammenhangend sprechen. Ein heftiger Rückfall vom Fieber, und nichts als Irrereden. Zu stark war die Erschütterung für seine nur erst schwach befestigte Gesundheit.
Erst nach einigen Wochen kam er wieder so weit, als er schon gewesen war. Nun hatten aber das Fräulein und ihr Vater das Gut verlassen, und es war in andern Händen.
Der neue Eigenthümer sagte: Schon lange wäre der Kaufvertrag abgeschlossen gewesen, und nun der Termin seines Antritts herangekommen; indeß sollte es dem Rittmeister an keiner Pflege fehlen.
Lisuart fragte bestürzt: Wo ist denn der vorige Gutsherr geblieben?
Er bekam zu Antwort: Genau weiß ich es nicht. Wie ich höre, ist er nach dem Brandenburgischen gezogen.
»Und sein Name? Noch immer habe ich nicht danach gefragt.«
Von Rothenfeld.
Lisuart bat, sobald er wieder schreiben konnte, Bekannte in Berlin, sich nach dem Aufenthalt eines Herrn von Rothenfeld zu erkundigen. Welch ein glückliches Wiederfinden, dachte er, und Luise liebt mich! Sie hat mein Herz aus den Gedichten an sie errathen. Freilich reden einige deutlich genug vom ersten Anblick, und den mächtigen Wirkungen der ersten Liebe.
Er genas nach einigen Wochen völlig, und eilte nun dem Heer in Frankreich nach. Aus Berlin bekam er jedoch keine günstige Antwort. Man wußte dort nichts von einem Herrn von Rothenfeld und seiner Tochter.
Das ging so zu. Luise hatte aus D*** eine gewisse Schwermuth gebracht, die bei dem, zwei Jahre nachher erfolgenden, Tode ihrer Mutter sich mehrte. Ihr Vater meinte, eine baldige Heirath würde das beßte Heilmittel seyn. Er unterhandelte darüber mit einem alten Bekannten, einen Herrn von Buchenthal, Vater eines einzigen Sohnes, von dem man viel Gutes sagte. Doch die Kriegsunruhen kamen dazwischen.
Luise gestand ihrem Vater: der Rittmeister von Breitenfeld sei schon lange der Gegenstand ihrer Liebe, und trage, wie sie vermuthet habe, auch sie im Herzen.
Aber, antwortete der Vater, ich habe Dich bereits versprochen, und Du wirst auch zufrieden seyn. Dem Rittmeister müssen wir unsere Dankbarkeit auf andere Art beweisen.
So wenig Luise damit auch zufrieden war, mußte sie doch mit dem Vater nach Sachsen reisen, wo er noch andere Güter hatte. Ein halbes Jahr nachher schrieb sein Freund: Mein Sohn wird nun aus dem Kriege heimkehren. Mögen die jungen Leute einander sehn. Können sie keine gegenseitige Neigung zu einander fassen, so muß ihnen kein Zwang angethan werden.
Nach einem Monate reis'te Luise mit ihrem Vater – auf ergangne Einladung – zu dem Herrn von Buchenthal. Sie bat unterwegs sehr viel, und betheuerte: daß sie nur dem Rittmeister ihre Hand geben könne.
Man langte an. Der Sohn war vor einer Stunde gekommen, und – hatte seinem Vater betheuert: nur Eine könne seine Gattin werden.
Luise trat kalt mit ihrem Vater ein. Neben dem Herrn von Buchenthal stand ein schöner Officier. Sehr kalt verbeugte sie sich er auch. Er – war nicht mehr bleich, Binden und Bart waren verschwunden. Er sah das Fräulein genauer an. Es war Luise!
Sie ward vom Schrecken blaß. »Herr von Breitenfeld –«
Ich heiße Buchenthal!
Wie, rief Einer der beiden Väter, Ihr kennt einander? Und der Andere: Ei, Sie sind ja unser Retter!
Nun gab es kein Sträuben mehr.
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Um wiederholten Wünschen zu genügen, lassen wir diese ganze Sammlung bis zu Ostern 1821 für 30 Thlr.
Vorzüglich möchte diese Sammlung auch für Familien auf dem Lande, die entfernt von Städten, eine angenehme Lectüre in den Winterabenden wünschen, sich eignen. Die Verlagshandlung liefert die ganze Sammlung schön gebunden, an solche für 6 Friedrichsd'or.
Sandersche Buchhandlung.
Gedruckt bei L. Wilhelm Krause in Berlin,
Adlerstraße No. 6.
Das Originalbuch ist in Frakturschrift gedruckt.
Der Text des Originalbuches wurde grundsätzlich beibehalten, einschließlich uneinheitlicher Schreibweisen, mit folgenden Ausnahmen,
Seite 5:
"den" geändert in "dem"
(doch wer aus dem Mittag jähling in die Mitternacht träte)
Seite 5:
"den" geändert in "dem"
(oder aus dem Julius in den Februar)
Seite 5:
"habeu" geändert in "haben"
(nicht das Mindeste von ihnen gehört haben)
Seite 18:
"Absiche" geändert in "Absicht"
(lud mein Vater nun, in jener Absicht)
Seite 31:
"Plan" geändert in "Plane"
(künftiger Plane, und er lebte einstweilen)
Seite 60:
"das" geändert in "daß"
(daß es sich kaum anders habe erwarten lassen)
Seite 62:
"in" geändert in "kein"
(Ich trat staunend zurück, und konnte kein Wort sagen.)
Seite 75:
"erfnhr" geändert in "erfuhr"
(Doch späterhin erfuhr ich)
Seite 84:
"«" eingefügt
(»Was ist denn aus dem Commerzienrath Hell geworden?«)
Seite 94:
"»" eingefügt
(gab er zur Antwort: »Unmöglich könne er)
Seite 96:
"«" eingefügt
(Lebt sie noch und in welchen Verhältnissen?«)
Seite 101:
"Entwikelung" geändert in "Entwickelung"
(über ihre Entwickelung vermögen die Außendinge mehr)
Seite 117:
"Firseurs" geändert in "Friseurs"
(schmeichelte der Eitelkeit des Friseurs doch ein wenig)
Seite 119:
"," eingefügt
(wurde indeß bald ansehnlich, als die Börse)
Seite 127:
"Vaten" geändert in "Vater"
(An dem Verlust, den ihr Vater einige Mal gelitten)
Seite 128:
"«" eingefügt
(wo aller Handel und Wandel stockt!«)
Seite 129:
"Comtoir" geändert in "Comptoir"
(Lehrjahre überstanden haben, und im Comptoir sitzen)
Seite 145:
"Kentnisse" geändert in "Kenntnisse"
(bei seinem Buchhalter ungemein große Kenntnisse)
Seite 146:
";" geändert in ":"
(mit der Anfrage: ob er bei ihm die Stelle)
Seite 147:
"." eingefügt
(wenigem Gehalt begnügen.)
Seite 148:
"dara" geändert in "daran"
(daß nichts daran zu tadeln sei)
Seite 171:
"«" eingefügt
(zwingen will, in Ihr Verderben zu gehn!«)
Seite 174:
"Versprrchen" geändert in "Versprechen"
(ich mich bei einem vorläufigen Versprechen nicht beruhigen)
Seite 177:
"dedurfte" geändert in "bedurfte"
(obwohl er selbst Trost bedurfte)
Seite 197:
"Va-Vater" geändert in "Vater"
(In Gottes Namen, erwiederte der Vater)
Seite 200:
"beweiseu" geändert in "beweisen"
(thätig zu beweisen, zog er vom Leder)
Seite 208:
"jehr" geändert in "sehr"
(allein der Schüler hatte bis jetzt sehr wenig begriffen)
End of the Project Gutenberg EBook of Kleine Lebensgemälde in Erzählungen, by Julius von Voß *** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK KLEINE LEBENSGEMÄLDE *** ***** This file should be named 59731-h.htm or 59731-h.zip ***** This and all associated files of various formats will be found in: http://www.gutenberg.org/5/9/7/3/59731/ Produced by The Online Distributed Proofreading Team at http://www.pgdp.net (This transcription was produced from images generously made available by Bayerische Staatsbibliothek / Bavarian State Library.) Updated editions will replace the previous one--the old editions will be renamed. Creating the works from print editions not protected by U.S. copyright law means that no one owns a United States copyright in these works, so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United States without permission and without paying copyright royalties. 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