The Project Gutenberg EBook of Franz Hals, by Hermann Knackfuß

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Title: Franz Hals

Author: Hermann Knackfuß

Release Date: November 27, 2018 [EBook #58365]

Language: German

Character set encoding: UTF-8

*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK FRANZ HALS ***




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Künstler-Monographien

In Verbindung mit Andern herausgegeben

von

H. Knackfuß


XII

Franz Hals


Bielefeld und Leipzig
Verlag von Velhagen & Klasing
1896


Franz Hals

Von

H. Knackfuß


Mit 40 Abbildungen von Gemälden

Verlagssignet

Bielefeld und Leipzig
Verlag von Velhagen & Klasing
1896

Von diesem Werke ist für Liebhaber und Freunde besonders luxuriös ausgestatteter Bücher außer der vorliegenden Ausgabe

eine numerierte Ausgabe

veranstaltet, von der nur 100 Exemplare auf Extra-Kunstdruckpapier gedruckt sind. Jedes Exemplar ist in der Presse sorgfältig numeriert (von 1–100) und in einen reichen Ganzlederband gebunden. Der Preis eines solchen Exemplars beträgt 20 M. Ein Nachdruck dieser Ausgabe, auf welche jede Buchhandlung Bestellungen annimmt, wird nicht veranstaltet.

Die Verlagshandlung.

Druck von Velhagen & Klasing in Bielefeld.


[S. 1]

Kopfstück zu S. 1

Franz Hals.

N

Nachdem in dem langen Kampf der Niederlande gegen die spanische Herrschaft sich die Trennung der nördlichen Provinzen von den südlichen vollzogen hatte, trat die nordniederländische oder holländische Kunst in ganz andere Bahnen, als diejenigen waren, in denen die belgische Kunst sich weiter bewegte. Am augenfälligsten zeigt sich dies in der Malerei, die ja in den Niederlanden schon seit langer Zeit die meistbegünstigte und volkstümlichste Kunst war. Während in den südlichen Provinzen, die unter der Oberhoheit Spaniens und beim katholischen Glauben blieben, die überlieferte und von der italienischen Kunstweise beeinflußte Geschichts- und Heiligenmalerei in voller Geltung verblieb und durch die gewaltige Künstlerkraft eines Rubens zu ungewöhnlich glänzenden Erscheinungen geführt wurde, konnte in dem jungen protestantischen Freistaat, der den Bruch mit den staatlichen und kirchlichen Überlieferungen der Vergangenheit siegreich durchgeführt hatte, die Kunst kein Gefallen mehr finden an dem herkömmlichen, hier ganz unzeitgemäß gewordenen Stoffgebiet. Es war sozusagen eine naturgesetzliche Notwendigkeit, daß hier die Kunst ihre volle Kraft der Gegenwart zuwendete, bei einem gleichsam neu erstandenen Volke, das mit vollberechtigtem Selbstbewußtsein auf die glücklich erkämpfte und behauptete Freiheit und auf eine großartige, stetig wachsende Zunahme an Macht und Ansehen blickte. Für die holländischen Maler bildeten somit Erscheinungen des Lebens, das sie in Wirklichkeit umgab, das von selbst sich erschließende Stoffgebiet.

Wenn die Kunst es sich zur Aufgabe macht, dasjenige, was in der Wirklichkeit vorhanden ist, um seiner selbst willen darzustellen, so ist es nur ein folgerichtiger Schritt, daß sie dazu gelangt, das in der Wirklichkeit Vorhandene auch gerade so wiederzugeben, wie es sich in Wirklichkeit zeigt. Die Kunst wird also im eigentlichen Sinne „realistisch.“ Die Erscheinung des künstlerischen „Realismus“ konnte in der holländischen Malerei um so voller zur Geltung kommen, als schon seit dem ersten aufsehenerregenden Aufblühen der niederländischen Kunst ein ausgeprägter realistischer Zug in derselben lebte. Beruht doch die erhabene Größe der Brüder van Eyck zum großen Teil auf der liebevollen Treue, mit welcher sie die Erscheinungen der Wirklichkeit beobachtet und wiedergegeben haben. Auch während der Zeit, wo die Nachahmung der Italiener die Kunst beherrschte, ging[S. 2] diese angestammte Neigung zu unbedingter Naturtreue nicht unter; vielmehr läßt sich ihr Vorhandensein beständig in mancherlei Werken wahrnehmen. Insbesondere behauptete sich die gewissenhafte künstlerische Wahrheitsliebe auf einem Gebiete, auf dem ihre vollste Berechtigung unanfechtbar ist: auf demjenigen der Bildnismalerei. Gerade die nordniederländischen Maler haben in der lebenswahren Darstellung von bestimmten Persönlichkeiten während des ganzen XVI. Jahrhunderts sehr bedeutende Erfolge erzielt. Der Gefahr, in Nüchternheit zu verfallen, wirkte dabei der den Niederländern gleichfalls von alters her eigene Sinn für die Poesie der Farbe, durch die sich jegliches Ding über die alltägliche Gewöhnlichkeit hinausheben läßt, entgegen. — So war der Weg vorbereitet, auf dem die holländische Malerei zu ihrer eigenartigen Größe gelangen sollte, als die Friedenszeit, welche dem Waffenstillstandsabschluß von 1609 folgte, ihr Gelegenheit zu freier und reicher Entfaltung gab.

Abb. 1. Franz Hals. Bildnis des Meisters im Rathaus-Museum zu Haarlem.
(Nach einer Originalphotographie von Braun, Clément & Cie. in Dornach i. E. und Paris.)

Abb. 2. Festmahl der Offiziere von den St. Georgs-Schützen (1616). Im Rathaus-Museum zu Haarlem.
(Nach einer Originalphotographie von Braun, Clément & Cie. in Dornach i. E. und Paris.)


GRÖSSERES BILD

Abb. 3. Lustige Gesellschaft. Alte Kopie eines jetzt in Nordamerika befindlichen Halsschen Gemäldes von 1616,
im Königlichen Museum zu Berlin.
(Nach einer Photographie von Franz Hanfstängl in München.)


GRÖSSERES BILD

Abb. 4. Bildnis eines vornehmen Herrn. In der Königlichen Galerie zu Kassel.
(Nach einer Photographie von Franz Hanfstängl in München.)

Die Bildnisse von Zeitgenossen festzuhalten, wurde die erste und wichtigste Aufgabe der holländischen Malerei. Das[S. 6] Bewußtsein, an der Schaffung des neuen Staatswesens mitgewirkt zu haben, verlieh sozusagen jedem Bürger desselben einen höheren Wert, und es ist begreiflich, daß gar viele darauf bedacht waren, ihr Bild den Nachkommen zu überliefern, sei es in einem Einzelporträt, sei es in einem Gruppenbild, als Mitglied eines Vereins, innerhalb dessen sie ihre Thätigkeit entfaltet hatten. Schon in früherer Zeit hatte man in den nördlichen Niederlanden eine Vorliebe für Gruppenbilder gehabt; namentlich die Schützengilden, aus denen sich die Bürgerwehr der Städte zusammensetzte, hatten die Ausbildung dieses besonderen Zweiges der Porträtmalerei gefördert. Jetzt trat diese Kunstgattung an die vornehmste Stelle; sie nahm in der holländischen Malerei denjenigen Rang ein, den anderswo die große Geschichtsmalerei behauptete. „Regentenstücke“ und „Dulenstücke“ sind die Namen, mit denen man Bilder solcher Art bezeichnete und auch jetzt noch zu bezeichnen pflegt; „Regenten“ wurden die Vorstandsmitglieder von Vereinen und[S. 7] Gesellschaften jeglicher Art genannt, und „Doelen“ (ausgesprochen Dulen) hießen die Schützenhäuser.

In Regenten- und Dulenstücken hat auch der größte Meister der holländischen Bildnismalerei, Franz Hals, in den verschiedenen Abschnitten seines Lebens die Höhe seiner Kunst gezeigt.

Abb. 5. Bildnis einer vornehmen Frau. In der Königlichen Galerie zu Kassel.
(Nach einer Photographie von Franz Hanfstängl in München.)

Franz Hals war ausschließlich Bildnismaler. Es lag im Wesen einer auf sorgfältig getreue Wiedergabe der wirklichen Erscheinungen gerichteten Kunst begründet, daß sie sich im Laufe der Zeit mit mehr oder weniger scharfer Begrenzung in einzelne Fächer spaltete, je nachdem die einzelnen Künstler für diese oder jene Gattung der natürlichen Erscheinungen eine besondere Vorliebe besaßen. Die Porträtmalerei, das sogenannte Genre, die Landschaft, die Tiermalerei fingen an, sich voneinander zu scheiden. So hat auch Franz Hals sich nie auf einem anderen Kunstgebiet versucht, als auf demjenigen, welches die sprechend naturwahre Wiedergabe des besonderen Charakters und des ständigen oder flüchtigen Aus[S. 10]drucks bestimmter Persönlichkeiten zum Gegenstand der künstlerischen Darstellung machte. Hierin aber hat er alle seine Vorgänger, seine Mitstrebenden und seine Nachfolger in Holland, welche das nämliche Gebiet betreten haben, übertroffen — den großen Rembrandt nicht ausgenommen, dessen hohe künstlerische Bedeutung anderswo lag und der ja überhaupt nicht zu den Realisten der Malerei gezählt werden kann, da er alles, was er malte, mit einem nicht in der Wirklichkeit vorhandenen, sondern nur von ihm selbst erschauten Lichtzauber dichterisch verklärte.

Abb. 6. Bildnis des Jacob Pieterß Olycan, von 1625.
In der Königlichen Gemäldesammlung im Haag.


GRÖSSERES BILD

Abb. 7. Bildnis der Aletta Hanemans, Gemahlin von Jacob Pieterß Olycan, von 1625.
In der Königlichen Gemäldesammlung im Haag.


GRÖSSERES BILD

Franz Hals stammte aus einer alten angesehenen Haarlemer Familie. Seine Geburtsstadt aber ist Antwerpen, wohin sich seine Eltern im Jahre 1579 begeben hatten. Wann er geboren wurde, steht nicht fest; die Überlieferung nennt das Jahr 1584. Auch darüber fehlt die Kunde, wie lange der Aufenthalt der Familie in Antwerpen dauerte, und wann Franz Hals nach Haarlem kam, wo er während der ganzen Zeit seiner Thätigkeit verweilt hat. Überhaupt sind die urkundlichen Nachrichten über ihn dürftig, ungeachtet der emsigen Bemühung, mit welcher verdienstvolle holländische Kunstforscher in den letzten Jahrzehnten nach solchen gesucht haben. Es ist eine Aufzeichnung entdeckt worden von der Hand eines Malers Mathias Scheits aus Hamburg, welcher Franz Hals persönlich gekannt hat. Derselbe erzählt dessen Leben mit den wenigen Worten: „Der treffliche Bildnismaler Franz Hals von Haarlem hat gelernt bei Karl van Mander aus Meulenbecke. Er ist in seiner Jugend etwas lustig von Leben gewesen; als er alt war und mit seinem Malen (welches jetzt nicht mehr so war wie früher) nicht mehr die Kost verdienen konnte, hat er einige Jahre, bis daß er starb, von der hohen Obrigkeit von Haarlem ein gewisses Geld zu seinem Unterhalt gehabt, um der Tüchtigkeit seiner Kunst willen. Er ist um das Jahr 1665 oder 66 gestorben und nach meiner Schätzung wohl 90 Jahre oder nicht viel weniger alt geworden.“

Der als Lehrer des Franz Hals genannte Karl van Mander (geboren 1548) war ein Anhänger der italienischen Richtung. Er hatte in seiner Jugend in Rom studiert, hatte sich dann zuerst in Brügge und darauf in Haarlem niedergelassen und siedelte zuletzt nach Amsterdam über, wo er im Jahre 1606 starb. Sein Name ist der Nachwelt weniger durch seine Gemälde, als durch seine schriftstellerische Thätigkeit im Gedächtnis geblieben. Er hat nämlich ein „Schilderboek“ (Malerbuch) verfaßt, worin er Künstlergeschichte erzählt.

Da Karl van Mander Haarlem im Jahre 1602 verließ, so muß die Ausbildung des Franz Hals um diese Zeit vollendet gewesen sein. Aber die ersten sicheren Werke von seiner Hand, welche sich erhalten haben, stammen aus erheblich späterer Zeit.

Die erste urkundliche Nachricht über Franz Hals ist von 1611. Dieselbe meldet, daß derselbe in diesem Jahre in Haarlem einen Sohn taufen ließ, welchen ihm seine Ehefrau Anna Hermanß geschenkt hatte. Die nächstfolgende Kunde besagt, daß Franz Hals im Februar 1616 vor die städtische Obrigkeit geladen wurde, um wegen Mißhandlungen seiner Ehefrau eine amtliche Rüge zu bekommen, und daß er bei dieser Gelegenheit geloben mußte, sich fernerhin der Trunkenheit und ähnlicher Ausschweifungen zu enthalten. Diese Nachricht berührt um so peinlicher, als man[S. 11] weiter erfährt, daß die arme Frau ganz kurze Zeit darauf starb. Ehe noch ein Jahr abgelaufen war, verheiratete er sich zum zweitenmal, mit Lisbeth Reyniers, die ihm schon in der zweiten Woche ihrer Ehe ein Kind gebar. Wenn wir hiernach keine gute Meinung von dem Menschen Franz Hals und von seinem „etwas lustigen“ Leben bekommen, so erhalten wir eine um so höhere Meinung von seiner Meisterschaft als Maler im Anblick seines ersten beglaubigten Gemäldes, das eben jenem Jahre 1616 angehört.

Abb. 8. Die singenden Knaben. In der Königlichen Galerie zu Kassel.
(Nach einer Photographie von Franz Hanfstängl in München.)

Abb. 9. Ein singender Knabe. Im Königlichen Museum zu Berlin.
(Nach einer Photographie von Franz Hanfstängl in München.)

Dieses Gemälde ist ein großes Dulenstück; es zeigt uns die Offiziere der Schützengilde zum heiligen Georg (St. Jorisdoelen). Dasselbe befindet sich im Hauptsaal des städtischen Museums im Rathaus zu Haarlem, wo nicht weniger als acht Regenten- und Dulenstücke eine vollständige Übersicht über die künstlerische Art des Meisters bis in sein höchstes Greisenalter hinein gewähren. Ebendort befindet sich, wohl von der Hand eines Schülers gemalt, ein Bildnis des Franz Hals aus dessen reiferen Jahren (Abb. 1).

[S. 12]

Gewiß ist das Porträt sehr ähnlich. Unverkennbar sprechen aus diesen gedunsenen Zügen die Wirkungen des Alkohols. Um so merkwürdiger ist der Gegensatz zwischen dem Gesicht des Meisters, wie es uns hier vorgeführt wird, und den Werken desselben. Aus den Werken spricht ein heller, mit großartiger Schärfe der Beobachtung begabter Geist, eine liebenswürdige muntere Laune, vereint mit einer ungewöhnlichen künstlerischen Kraft und einem hochentwickelten Geschmack; es offenbart sich uns eine geradezu verblüffende Sicherheit von Auge und Hand, die, außer bei dem großen Spanier Velazquez, in dieser Weise nicht ihresgleichen hat. — Das Bild von 1616 zeigt uns die Offiziere der St. Georgs-Schützen beim festlichen Mahl versammelt. Man ist in bester Unterhaltung begriffen, und eben schickt der Vorsitzende sich an, den Braten vorzulegen, als die drei Fähnriche, welche wohl einen Grund zur Verspätung haben müssen, eintreten. Auch von vorn, wo sich der Beschauer befindet, mag man sich jemand herantretend denken, so daß es sich erklärt, daß mehrere der Versammelten ihre Blicke hierhin wenden. So ist es dem Künstler gelungen, die von früheren Malern derartiger Gruppenbilder niemals vollständig gelöste Schwierigkeit der Aufgabe, das bildnismäßige Zeigen einer größeren Anzahl von Gesichtern mit einer zwanglosen, natürlichen[S. 13] Gruppierung zu vereinigen, wenn auch nicht vollständig, so doch beinahe vollständig zu überwinden. Dabei hält ein wunderbarer Reiz der malerischen Hell- und Dunkelwirkung und der Farbenstimmung das Gemälde künstlerisch zusammen. Jeder einzelne Kopf aber ist für sich allein schon ein vollendetes Meisterwerk. Man sieht sie leben, man glaubt sie sprechen zu hören, diese tüchtigen Männer, die jetzt in fröhlicher Geselligkeit guter Dinge sind, die aber jeden Augenblick wieder bereit sein werden, mit Gut und Blut für das Vaterland einzustehen, wenn der Ablauf des Waffenstillstandes dasselbe von neuem in Gefahr bringen sollte. Nicht weniger wie jeder Kopf ist jede Hand ein Meisterwerk von Leben und Charakterdarstellung (Abb. 2).

Abb. 10. Ein lustiger Flötenspieler.
In der Großherzoglichen Gemäldesammlung zu Schwerin.

Abb. 11. Der Schalksnarr. Im Reichsmuseum zu Amsterdam.
(Nach einer Photographie von Franz Hanfstängl in München.)


GRÖSSERES BILD

Abb. 12. La bohémienne. Im Louvre zu Paris.
(Nach einer Originalphotographie von Braun, Clément & Cie. in Dornach i. E. und Paris.)


GRÖSSERES BILD

Aus dem nämlichen Jahre 1616 sind die ältesten erhaltenen und bekannten unter den kleineren Bildern von Franz Hals, in denen er mit sprudelnder Laune seinem Übermut die Zügel schießen läßt. Wenn man klassifizieren wollte, würde man diese Gattung Halsscher Bilder zum größten Teil mehr unter die Genredarstellungen als unter die Porträts rechnen müssen; denn es kommt in denselben weniger auf die abgemalten Persönlichkeiten als auf die Schilderung eines Augenblicks aus deren Thun und Leben an. Immer aber blicken wir in die Gesichter von Menschen, die keine Er[S. 16]zeugnisse künstlerischer Vorstellungskraft sind, sondern die wirklich gelebt haben und gerade so ausgesehen haben, wie Franz Hals sie gemalt hat. Bisweilen sind diese Sittenschilderungen — wenn man sie so nennen will — von einer Derbheit, die den heutigen empfindsameren Beschauer verletzen könnte, wenn nicht der unvergleichliche Humor, der in ihnen lebt, alles sich unterordnete und auch den Beschauer überwältigte. Zudem war in jener Zeit im allgemeinen, und in Holland vielleicht mehr als anderswo, eine unbefangene Derbheit, die uns heute kaum begreiflich erscheint, selbst in den besten Ständen ganz gewöhnlich und kaum anstößig. In der Gesellschaft, in welcher Franz Hals seine Erholung von der Arbeit suchte, herrschte wohl ein besonders kräftiger Ton, der dann wiederklang in den aus eben dieser Gesellschaft geschöpften Bildern. Es sind des genußfrohen Meisters Zechgenossen, die da mit ihren lustigen Freundinnen so ausgelassen in das Leben hineinlachen. Das älteste bezeichnete Bild dieser Gattung, eben von 1616, ist in den Besitz eines amerikanischen Kunstliebhabers gelangt.[S. 17] Doch besitzt das Berliner Museum von demselben eine alte, annähernd gleichzeitige Kopie, die uns von dem Gemälde eine gute Vorstellung gewährt, wenn sie auch den unnachahmlichen Strich der Meisterhand nicht vollkommen wiedergeben mag (Abb. 3). Da sitzt ein älterer Herr mit dunkelrotglühend erhitztem Gesicht, das Barett schief über den kahlen Scheitel geschoben, und hält ein pfauenhaft aufgeputztes Mädchen auf dem Schoß. Hinter den beiden steht eine dritte Person — im Original soll es ein dunkelhaariger Bursche sein, in der Kopie ist es ein jüngeres Mädchen — und schwingt mit Ausgelassenheit und mit einem frechen Lächeln nach der Freundin herüber eine zusammengeschlungene Wurst in die Höhe. Die geputzte Schöne lächelt verschämt zu den Einflüsterungen des Liebhabers; aber die Kunst des Malers läßt uns keinen Zweifel darüber, daß die Verschämtheit dieses Lächelns nicht echt ist.

Abb. 13. Der lustige Zecher. In der Königlichen Galerie zu Kassel.
(Nach einer Photographie von Franz Hanfstängl in München.)

Abb. 14. Ein vergnügter Zecher. Im Reichs-Museum zu Amsterdam.
(Nach einer Photographie von Franz Hanfstängl in München.)

Die Wiedergabe des Lachens in allen Abstufungen, vom leisen Schmunzeln an bis zum hellen Gelächter ist das Wunderbarste in der Kunst des Franz Hals. Bei anderen Malern hat es fast immer etwas Unangenehmes, wenn eine so flüchtige Bewegung der Gesichtsmuskeln in der Unbeweglichkeit des Bildes festgehalten wird. Franz Hals aber malt gleichsam die Flüchtigkeit selbst mit. Er hat eine nur ihm eigentümliche, auf einer ganz einzig dastehenden Begabung beruhende Art, das Sprechende in der Be[S. 18]wegung der Gesichtszüge mit unvermittelt hingeworfenen, unfehlbar sicheren Pinselstrichen wiederzugeben; es sieht aus, als ob die ganze Malerei mit blitzartiger Schnelligkeit entstanden wäre, und so ist sie eine vollkommen entsprechende Ausdrucksform für schnellbewegliche Erscheinungen. In dieser Hinsicht üben derartige Halssche Bilder eine überzeugendere Wirkung aus, als selbst die heutigen Augenblicksphotographien; denn die letzteren stehen dadurch, daß sie in ihrer gleichmäßigen Verdeutlichung jeder Einzelform dem Auge mehr zeigen, als dasselbe in der Wirklichkeit zu erfassen im stande ist, mit dem von der Wirklichkeit ausgehenden Eindruck im Widerspruch. Franz Hals’ lachende Gesichter scheinen sich wirklich zu bewegen.

Abb. 15. Selbstbildnis des Künstlers mit seiner zweiten Frau, Lisbeth Reyniers.
Im Reichs-Museum zu Amsterdam.

Gelegentlich übertrug der Meister die Lustigkeit der Auffassung und die Blitzartigkeit der Malweise auch auf ein wirklich als solches geltendes Bildnis; so hat er einen Patrizier, der seinen Reichtum wohl seiner Heringsflotte verdankte, abgemalt, wie derselbe eigenhändig einen Korb voll der eben angekommenen Fische aufgenommen hat und mit lautem Ruf das Lob der frischen Ware verkündet.

Abb. 16. Festmahl der Offiziere der St. Georgs-Schützen (1627). Im Rathaus-Museum zu Haarlem.
(Nach einer Photographie von Franz Hanfstängl in München.)


GRÖSSERES BILD

Abb. 17. Festmahl der Offiziere der St. Adrians-Schützen. Im Rathaus-Museum zu Haarlem.
(Nach einer Photographie von Franz Hanfstängl in München.)


GRÖSSERES BILD

Wenn es auch begreiflicherweise nur selten geschah, daß der Besteller eines Bildnisses gerade solch einem übermüti[S. 23]gem Einfall des Malers mit gleicher Laune entgegenkam, so fand Franz Hals doch häufig Gelegenheit, Bildnisse in einer Weise aufzufassen, welcher seine Augenblicksmalerei — wenn dieser nach dem Ähnlichkeitsbeispiel der Momentphotographie gebildete Ausdruck statthaft ist — als die geeignetste Art der Ausführung entsprach. Er erreichte dadurch eine unvergleichliche Lebendigkeit. In anderen Fällen bildete er die Porträts mit dem äußersten Maß von liebevoller Sorgfalt durch. Sind schon auf dem Schützenbild von 1616 die Köpfe durch eine bewunderungswürdige Sorgfältigkeit der Ausführung ausgezeichnet, so ging der Meister hierin bei Einzelbildnissen bisweilen noch weiter. Da konnte er einen so hingebenden Fleiß entfalten, daß er hierdurch den Beschauer fast ebenso sehr fesselt wie andere Male durch seine Keckheit. Betrachten wir zum Beispiel die Bildnisse eines vornehmen Ehepaares, welche sich in der Gemäldegalerie zu Kassel befinden. Dieselben sind, wie man aus der Tracht mit Sicherheit schließen kann — denn im XVII. Jahrhundert wechselten die Kleidermoden schnell und schroff — in der ersten Hälfte der zwanziger Jahre entstanden (Abb. 4 und 5). Mit welcher staunenswürdigen Feinheit sind da die Gesichter bis in die letzten Einzelheiten der Formen ausgeführt, ohne daß durch die Sauberkeit der Malerei die Frische der Auffassung und die überzeugende Lebenswahrheit der Persönlichkeiten irgendwie Schaden gelitten hätten. Und mit was für einer fleißigen Genauigkeit sind der feine Batist der großen Halskrausen, die kostbaren Spitzen der Haube und der Manschetten, das künstlich gearbeitete lilafarbene Seidenkleid der Frau und deren mit schwarzem Federpelz besetzter Überrock aus schwarzem Damast, sowie die schwarze Atlaskleidung des Mannes gemalt, ohne daß diese Durchbildung des Einzelnen den malerischen Reiz des Ganzen und die feine Einheitlichkeit der Farbenstimmung auch nur im Geringsten beeinträchtigte. — Von verwandter Art sind die mit der Jahreszahl 1625 bezeichneten Bildnisse des Ehepaares Olycan in der königlichen Gemäldesammlung im Haag (Abb. 6 und 7). Es ist lohnend, die beiden Bildnispaare, dieses und das Kasseler, daraufhin miteinander zu vergleichen, wie bei aller Ähnlichkeit der Stellungen, die recht und schlecht diejenigen des Dastehens zum Abgemaltwerden sind, doch die Verschiedenartigkeit der Charaktere auch in den Körperhaltungen zum Ausdruck gebracht ist.

Schon der Umstand, daß der Meister von so vornehmen Persönlichkeiten dazu ausersehen wurde, ihr Bild zu malen, würde hinreichen, um zu beweisen, daß man ihm sein leichtes Leben um seiner Kunst willen, und vielleicht auch um seiner guten Herkunft willen, gern verzieh. Daß er ungeachtet der unerquicklichen Vorkommnisse von 1616 sich eines guten Ansehens erfreute, geht auch aus mancherlei anderweitigen Zeugnissen hervor, so zum Beispiel daraus, daß er von einem der Pflege der Litteratur gewidmeten, sogenannten Rhetoriker-Verein zum Ehrenmitglied ernannt wurde; auch der Umstand spricht dafür, daß er Mitglied der Bürgerwehr von Haarlem war und daß er später sogar in den Vorstand seiner Gilde gewählt wurde.

Abb. 18. Bildnis eines jungen Mannes. Im Königlichen Museum zu Berlin.
(Nach einer Photographie von Franz Hanfstängl in München.)

Abb. 19. Bildnis einer jungen Frau. Im Königlichen Museum zu Berlin.
(Nach einer Photographie von Franz Hanfstängl in München.)

Zwischen dem Malen von ernsten Bildnissen, welche großen Aufwand von Zeit und Mühe erforderten, mochte es dem Meister eine rechte Erholung sein, sich mit dem Schaffen jener leicht und schnell hingemalten genreartigen Darstel[S. 24]lungen zu vergnügen. Diese bald aus einem einzelnen Brustbild, bald aus einer Zusammenstellung von zwei oder mehreren Halbfiguren bestehenden, meist in lebensgroßem Maßstab ausgeführten Gemälde bildeten ihm zugleich eine Quelle des Erwerbs, indem dieselben gern gekauft wurden, wenn auch nur zu niedrigen Preisen. Was für liebenswürdige Werke Franz Hals in dieser Gattung von Malerei entstehen lassen konnte, zeigen die singenden Knaben der Kasseler Galerie (Abb. 8). Man kann sich nicht satt sehen an diesem frischen blonden Jungen, der im Verein mit einem Genossen so ganz aufgeht in dem Einüben des Liedes, das er zur Laute vortragen will. Mit unfehlbaren Pinselstrichen ist das Spiel der Gesichtsmuskeln beim Singen wiedergegeben — eine Thätigkeit, die für andere ebenso spröde gegen das Festhalten im Bilde zu sein pflegt, wie das Lachen. — Ähnliche Darstellungen singender und musizierender Knaben von der Hand des Meisters befinden sich in verschiedenen Sammlungen; so, um noch einige in Deutschland befindliche zu nennen, der muntere Junge, dem die neue Weise für sein Flötenspiel, welche er singend probiert, so gut gefällt, im Ber[S. 25]liner Museum (Abb. 9), und der kecke Bursche in der großherzoglichen Galerie zu Schwerin, der, die Flöte absetzend, den Beschauer anlacht, als ob er ihn fragen wollte: „War das nicht lustig?“ (Abb. 10). — Ganz besonderen Beifall erzielte, wie die mehrfach vorhandenen Wiederholungen bekunden, ein figurenreicheres Bild, welches einen „Rommelpotspieler“ darstellt, einen verkommenen alten Kerl, der durch die komischen Töne seines brummenden und schnurrenden Instrumentes die Straßenjugend in Entzücken versetzt. — Auch wenn Franz Hals seine Gestalten aus dem fragwürdigen Volk herausgreift, welches Wirtshäuser niedrigster Klasse belebte, weiß er denselben durch den Zauber seiner Kunst und durch die ungekünstelte Frische seines Humors alles Abstoßende zu nehmen: im Gegenteil fesseln auch diese Gestalten den Beschauer ganz unwiderstehlich mit einem nicht zu beschreibenden Reiz. Der Schalksnarr gibt den Ton an in diesem Kreis von Darstellungen. Wie wirbt der Spaßmacher so lockend, in seine Gesellschaft herabzukommen, in dem Amsterdamer Gemälde (Abb. 11), wo er mit einem erfolgsgewissen Blick sich umschaut, während er die Weise eines Schelmen[S. 28]liedes auf der Laute anschlägt! Wer empfände, wenn er der übermütigen lachenden Dirne, der sogenannten bohémienne, im Louvre (Abb. 12) entgegentritt, in ihrem Anblick nicht einen wirklichen, herzlichen Kunstgenuß? Oder wer könnte ohne Vergnügen den lustigen Zecher in der Galerie zu Kassel (Abb. 13) ansehen, einen Mulatten in verschossener roter, gelb ausgeputzter Kleidung, der den Deckel des Weinkrugs aufklappt und mit vom Rausche klein gewordenen Augen, von denen das eine in Feuchtigkeit schwimmt, während das andere funkelt, und mit schwerer, naßglänzender Unterlippe, in einer so unbeschreiblichen Mischung von Glückseligkeit und Stumpfsinn den Beschauer anlacht? Nicht weniger glücklich fühlt sich der vornehmere Zecher, der aus einem Bilde im Reichs-Museum zu Amsterdam uns mit gleichfalls schon glänzendem Gesicht und schwer werdenden Augenlidern entgegenblickt, redselig bemüht, uns von den vorzüglichen Eigenschaften des goldenen Weins in dem Glase, das er vor sich hin hält, zu überzeugen (Abb. 14).

Abb. 20. Bildnis eines Kindes mit Amme. Im Königlichen Museum zu Berlin.
(Nach einer Photographie von Franz Hanfstängl in München.)


GRÖSSERES BILD

Abb. 21. Die Familie van Beresteyn. Im Louvre-Museum zu Paris.


GRÖSSERES BILD

Abb. 22. Albert van Nierop. Doktor der Rechte, Mitglied des Justizhofes von Holland.
Von 1631. Im Rathaus zu Haarlem.
(Nach einer Photographie von Franz Hanfstängl in München.)

[S. 29]

Sich selbst und seine Gattin Lisbeth hat Franz Hals in einem köstlichen Bilde, welches sich im Reichs-Museum zu Amsterdam befindet, gemalt, und zwar in ganzen Figuren, in landschaftlicher Umgebung. Das Ehepaar sitzt in einem parkartigen Garten unter einer Baumgruppe auf der Rasenbank. Er lehnt sich behaglich zurück und zeigt dem Beschauer die Miene eines lachenden Philosophen. Sie hat den Arm auf seine Schulter gelegt und blickt uns mit einem halbverlegenen Lächeln von der Seite an. Man sieht, daß beide das Leben nicht von der tragischen Seite zu nehmen pflegen (Abb. 15).

Abb. 23. Cornelia van der Meer, Gemahlin des Albert van Nierop.
Von 1631. Im Rathaus zu Haarlem.
(Nach einer Photographie von Franz Hanfstängl in München.)

Der Entstehungszeit nach liegt dieses Bild zwei Dulenstücken im Haarlemer Rathaus nahe, welche beide die Jahreszahl 1627 tragen und von denen das eine die Offiziere der St. Georgs-Schützen, das andere diejenigen der St. Adrians-Schützen darstellt. Vergleicht man diese beiden großen Porträtgruppen mit dem um elf Jahre älteren Bilde der nämlichen Gattung, so gewahrt man neben der volleren Farbenpracht ein großes Fortschreiten des Meisters hinsichtlich[S. 30] der dort schon so glücklich angestrebten Zwanglosigkeit der Gruppierung. Auch in der gesamten Auffassung besteht ein bemerkenswerter Unterschied zwischen dem Dulenstück von 1616 und den beiden von 1627. Dort zeigte sich gemessener Ernst mit der Heiterkeit des Festmahls gepaart. Hier herrscht eine ungebundene Fröhlichkeit auf den meisten Gesichtern. Man ist nicht mehr beim ersten Glas, man trinkt, lacht und plaudert, alles ist in Bewegung. Die sprühende Lustigkeit, die in anderweitigen Werken des Meisters lebt und die gerade um diese Zeit ihren Höhepunkt erreicht, hat sich auch der wackeren Vaterlandsverteidiger, soweit wie deren Würde das zuläßt, bemächtigt (Abb. 16 und 17).

Eine völlig andere Auffassung zeigt das der Zeit nach folgende Dulenstück: die Offiziere der St. Adrians-Schützen im Jahre 1633 (Abb. 24). Hier spiegelt sich die ernster gewordene Zeit; immer mehr wurde ja der niederländische Freistaat in die Wirrnisse des dreißigjährigen Krieges hineingezogen. Wir sehen die Bürgerwehr-Offiziere nicht in fröhlicher Tafelrunde vereinigt, sondern dieselben haben sich mit ernsten Mienen im Garten des Schützenhauses versammelt. Eine Anzahl von Hauptleuten, Lieutenants, Fähnrichen und Sergeanten umgiebt stehend den Oberst, der in gemessener Würde dasitzt, die Rechte auf seinen Stock gestützt. Andere sind miteinander in einem leise geführten Gespräch begriffen, ein Buch wird aufgeschlagen, das wohl Auskunft geben soll über eine aufgeworfene Frage. Doch tritt das Genremäßige, die Darstellung eines Vorgangs, der die Figuren zu einander in Beziehungen setzt, hier in den Hintergrund; die Mehrzahl der Abgebildeten wendet sich in ruhiger Haltung dem Beschauer zu. Aber auch diese unthätigen Personen sind mit außerordentlichem Geschmack zusammengruppiert. Die bewegten und die unbewegten Gestalten vereinigen sich zu einem Bilde von höchstem Reiz der malerischen Gesamterscheinung. Mit der künstlerischen Wirkung von hell und dunkel geht die prächtige Farbenwirkung Hand in Hand, bei welcher der landschaftliche Hintergrund — tiefschattige Bäume, die Gebäude des Schützenhauses mit roten Ziegeldächern, ein Stückchen Abendhimmel — bedeutsam mitspricht. Unübertrefflich ist bei diesem Bilde auch die Sorgfalt der Ausführung, die namentlich bei den Köpfen mit der größten Liebe auf die feinsten Einzelheiten eingeht. Mit Recht gilt das Dulenstück von 1633 als das vorzüglichste Meisterwerk von Franz Hals.

Abb. 24. Die Offiziere der St. Adrians-Schützen (1633). Im Rathaus-Museum zu Haarlem.
(Nach einer Originalphotographie von Braun, Clément & Cie. in Dornach i. E. und Paris.)


GRÖSSERES BILD

Abb. 25. Bildnis eines unbekannten Herrn. Von 1638.
Im Städelschen Institut zu Frankfurt am Main.


GRÖSSERES BILD

Abb. 26. Bildnis einer unbekannten Dame. Von 1638.
Im Städelschen Institut zu Frankfurt am Main.

Um diese Zeit stand überhaupt der nicht mehr junge Meister auf der Höhe seiner Schaffenskraft. Zahlreiche Bestellungen von Einzelbildnissen, namentlich von seiten der höheren Stande, nicht bloß Haarlems, sondern auch anderer holländischer Städte, hielten ihn in beständiger Thätigkeit. Wohl die Mehrzahl der vielen trefflichen Bildnisse, die von seiner Hand auf uns gekommen sind, gehören dem Ende des dritten und dem vierten Jahrzehnt des XVII. Jahrhunderts an. Das Berliner Museum enthält mehrere vorzügliche Beispiele. Da sind zwei mit der Jahreszahl 1627 bezeichnete, als Gegenstücke gemalte Bildnisse, die ebenso wie das köstlich ausdrucksvolle Bildchen eines verwachsenen jungen Herrn von 1629 in kleinem Maßstabe ausgeführt sind und die in ihrer Nebeneinanderstellung ganz besonders dadurch fesseln, daß man sieht, wie in ihnen nicht die Auffassung allein, sondern selbst die malerische Behandlung den ver[S. 34]schiedenartigen Charakteren der dargestellten Persönlichkeiten — hier eines trocken docierenden alten, dort eines wortreich redenden jungen Gelehrten — angepaßt ist. Dann aus derselben Zeit die so prächtig lebensfrisch aufgefaßten und in breiter, lustiger Behandlung gemalten Brustbilder eines Ehepaares (Abb. 18 und 19). Ferner ein etwa der Mitte der dreißiger Jahre angehöriges ganz hervorragendes Meisterwerk, das aus dem Schlosse Ilpenstein in Nordholland stammt. Es ist das Bild eines kleinen Kindes, das, nach der Mode der Zeit in steifen Putz wie eine große Dame gekleidet, auf dem Arm seiner Wärterin sitzt; aus Spitzen und Goldbrokat blickt das feine, frische Gesichtchen mit bezauberndem frohem Kindeslächeln hervor, und die bäuerische Amme scheint ganz glückselig darüber zu sein, einen so schönen Pflegling dem Beschauer zeigen zu können (Abb. 20). — Im Louvre befinden sich jetzt die Bildnisse aus der Familie van Beresteyn, welche bis vor einigen Jahren in dem Hause einer wohlthätigen Stiftung dieser Familie zu Haarlem aufbewahrt wurden. Wenn man vor die mit der Jahreszahl 1629 bezeichneten Kniestücke des Nikolas van Beresteyn[S. 35] und seiner Gattin hintritt, so wird man überrascht durch die Kraft der Farbenwirkung, die viel weniger, als es sonst bei Hals der Fall zu sein pflegt, die Eigenfarben der Dinge dem Gesamtton unterordnet. Namentlich fällt dies auf bei dem Mann mit seiner tiefschwarzen Kleidung und schneeweißen Krause. Aber der malerische Reiz ist darum keineswegs geringer als bei den tonigen Bildern. Auch das mutmaßlich etwas später entstandene große Familiengemälde, das uns einen Herrn und eine Frau van Beresteyn mit sechs Kindern und zwei Wärterinnen im Garten zeigt, ist sehr kräftig gehalten und dabei infolge der Buntheit der Kleidungen der Kinder und Dienerinnen sehr farbenreich. Es ist dem Meister hier noch vollkommener als bei den Schützenstücken dieser Zeit gelungen, in der gedrängten Zusammenstellung der Figuren den Schein des Zufälligen, Natürlichen zu wahren. In Form und Farbe fügt sich das Ganze wunderbar als Bild zusammen. Und es ist eine entzückende Schilderung von Familienglück. Welch frohes Behagen erfüllt das Elternpaar, welches köstliche Leben sprüht[S. 36] in jedem einzelnen Wesen der lieblichen Kinderschar! Auch die Kinderfrauen, von denen die eine zwei ihrer Pfleglinge liebevoll in den Armen hält, während die andere mit den Fingern schnalzt, um einen besonders lebhaften Jungen zu unterhalten und an die Stelle zu fesseln, nehmen teil an dem sonnigen Glück der Familie (Abb. 21). — Von ähnlicher Art wie die Beresteynschen Kniestücke sind die im Jahre 1631 gemalten Bildnisse des Ehepaars Nierop in Haarlem (Abb. 22 und 23). — Eines der ausgezeichnetsten Halsschen Porträts, aus dieser nämlichen Zeit, enthält die fürstlich Liechtensteinsche Gemäldesammlung in Wien in dem ebenfalls sehr farbigen, in ganzer Figur lebensgroß ausgeführten, vornehmen Bildnis eines Herrn van Heythuysen, eines Haarlemer Bürgers, der sich in ähnlicher Weise wie die Beresteyn um seine Vaterstadt verdient gemacht hatte. Solche Bildnisse aus der Blütezeit des Franz Hals stehen in ihrer wunderbaren Lebensfülle und dem Zauber ihrer Farbenharmonie völlig ebenbürtig neben den schönsten Werken der höchstgefeierten Bildnismaler. — Mit der Jahreszahl 1638 sind die prächtigen Porträts, Halbfiguren, eines Ehepaars bezeichnet, welche das Städelsche Institut zu Frankfurt am Main besitzt (Abb. 25 und 26). Von 1639 ist das wunderbar vollendete Kniestück einer alten Dame im Museum van[S. 37] der Hoop zu Amsterdam (Abb. 27). Um die nämliche Zeit müssen die kleinen Brustbilder von zwei vornehmen Herren entstanden sein, die sich in der Dresdener Galerie befinden, und von denen namentlich das eine uns wieder mit so sprudelnder Lebenskraft die Erscheinung eines selbstbewußten und etwas eitlen Junkers vor Augen führt (Abb. 28). Ein Juwel von des Meisters Augenblicksmalerei ist aus dieser Zeit das im Brüsseler Museum befindliche kleine Bildnis in ganzer Figur von jenem schon genannten Wilhelm van Heythuysen. Im Gegensatz zu dem stattlichen, zu würdevoller Geltendmachung bestimmten großen Gemälde in Wien, ist dieser Herr hier so aufgefaßt, wie er gerade einmal im Gespräch dem Maler gegenübergesessen hat: in Mantel und Reitstiefeln, in bequemer Stellung auf dem Stuhl sich schaukelnd und mit der Reitgerte spielend (Abb. 29).

Abb. 27. Bildnis einer Dame aus der Familie van der Meer.
Von 1639. Im Museum van der Hoop in Amsterdam.
(Nach einer Photographie von Franz Hanfstängl in München.)

Abb. 28. Bildnis eines unbekannten Herrn.
In der Königlichen Gemälde-Galerie zu Dresden.
(Nach einer Aufnahme von F. & O. Brockmann’s Nachf. [R. Tamme] in Dresden.)

Abb. 29. Wilhelm van Heythuysen.
Im Königlichen Museum zu Brüssel.

Wie der Ruhm von Franz Hals sich über Haarlem hinaus verbreitete, das wird am sprechendsten durch den Umstand bekundet, daß auch eine Amsterdamer Schützengilde ihn auserwählte zur Anfertigung eines Gruppenbildes ihrer Offi[S. 38]ziere, obgleich es doch damals in der aufblühenden Hauptstadt der vereinigten Provinzen nicht an tüchtigen Bildnismalern fehlte. Das betreffende Dulenstück, welches im Stadthaus zu Amsterdam aufbewahrt wird, wurde im Jahre 1637 ausgeführt. Es zeigt die Bürgerwehr-Offiziere, dreizehn an der Zahl, in einer Art von Aufmarsch, aber in zwanglosen Haltungen dastehend. Fast alle sind in Schwarz gekleidet; denn das Schwarz fing damals an, für die vornehmste Kleiderfarbe zu gelten, und verdrängte allmählich die frühere heitere Buntheit aus der Modetracht der besseren Stände. Dieser Umstand hat aber den Maler nicht verhindert, in diesem trefflich ausgeführten Gemälde wieder ein Meisterwerk der Farbenwirkung zu schaffen.

Zwei Jahre später trat an Franz Hals zum drittenmal die Aufgabe heran, die Offiziere der Haarlemer St. Georgs-Schützen, denen er selbst angehörte, zu malen. Auch in diesem Bilde, welches sein figurenreichstes ist — die Zahl der Abgebildeten beträgt neunzehn —, wählte der Meister die Anordnung eines Aufmarsches (Abb. 30). Ober- und Unteroffiziere sind in zwei Gliedern angetreten; eine dritte Reihe kommt von einer mit Bäumen bepflanzten Anhöhe herab, um sich erst zu ordnen und ihre Plätze einzunehmen. Im ersten Gliede steht im Gespräch mit dem stattlichen Fähnrich, welcher rechter Flügelmann ist, der Oberst Johann van Los, mit zweifacher Schärpe umgürtet, die beiden Hände vor sich auf den Knopf seines Stockes gelegt. Ihm zur Linken wendet der Schatzmeister Michel de Waal sich nach dem nächsten der drei mit Partisanen bewehrten Hauptleute um, welche weiterhin im ersten Gliede sich anreihen. Ruhig und schweigend stehen im zweiten Gliede mehrere Lieutenants, welche Partisanen wie die Hauptleute tragen, zwischen den an ihren Hellebarden kenntlichen Sergeanten. In beiden Gliedern bilden Fähnriche den linken Flügel. In dem noch ungeordneten dritten Gliede erblicken wir zwischen dem Fahnenträger und einem ganz oben in der Ecke erscheinenden Sergeanten den Kopf des Malers selbst. Auch Franz Hals blickt hier ganz ernst, wie alle übrigen Personen dieses prächtigen Bildes.

Eine heitere Stimmung würde jetzt ganz unangemessen gewesen sein in einem zu öffentlicher Aufstellung bestimmten Bilde holländischer Wehrleute. Das Jahr 1639 war ein ernstes Kriegsjahr, aber ein sehr ruhmreiches für die freien Niederlande. Zweimal nacheinander schlug der Admiral Tromp eine stolze spanische Flotte, und ganz Europa mußte die junge holländische Seemacht als die erste der Welt anerkennen.

Abb. 30. Ober- und Unteroffiziere von den St. Georgs-Schützen (1639).
Im Rathaus-Museum zu Haarlem.
(Nach einer Originalphotographie von Braun, Clément & Cie. in Dornach i. E. und Paris.)


GRÖSSERES BILD

Abb. 31. Bildnis eines Admirals oder Seekapitäns.
Im Ermitage-Museum zu St. Petersburg.
(Nach einer Originalphotographie von Braun, Clément & Cie. in Dornach i. E. und Paris.)


GRÖSSERES BILD

Abb. 32. Entwurf zu dem Gemälde: „Die Vorsteher des St. Elisabeth-Krankenhauses“ im Haarlemer Museum.
Zeichnung in der Albertina zu Wien.
(Nach einer Originalphotographie von Braun, Clément & Cie. in Dornach i. E. und Paris.)

Wenn wir uns eine lebendige Vorstellung machen wollen von den Helden, welche damals mit und unter Tromp für Hollands Macht und Ehre stritten, so können wir uns keinen sprechenderen Charakterkopf denken, als derjenige ist, der aus dem prachtvollen Bildnis eines unbekannten Offiziers zu uns spricht, welchen Franz Hals in eben jener Zeit gemalt hat (Abb. 31). Das Bild befindet sich in der kaiserlichen Gemäldesammlung der Ermitage zu St. Petersburg, deren Meisterwerke auch weiteren Kreisen von Kunstfreunden durch mustergültige photographische Wiedergaben zur Kenntnis gebracht zu haben ein nicht hoch genug zu schätzendes Verdienst der Anstalt von Braun & Cie. in Dornach ist. Wir sehen einen noch ziemlich jugendlichen Mann, der in selbstbewußter, aber ungesuchter Haltung, den rechten Arm keck auf die Hüfte gesetzt, uns halb von der[S. 42] Seite ansieht. Hinter ihm öffnet sich ein Ausblick auf den Schauplatz seiner Thaten, auf die weite, dunkle See. Jahre des Kampfes gegen Wind und Wetter, wie gegen die Waffen der Feinde, haben die Züge des von Natur rundlichen Gesichtes hart und groß gemacht. Aus jeder dieser markigen Formen spricht die Kraft eines eisernen Willens und die Lust zu kühnen Unternehmungen; aber auch das erkennen wir, daß der harte Kriegsmann gern bereit ist, die Lebensgenüsse, welche die Gunst einer flüchtigen Stunde ihm bietet, in vollen Zügen auszukosten, und daß er gutgelaunt an Scherzen Gefallen findet, die gar nicht so sehr fein zu sein brauchen. Trefflich steht zu diesem wetterfesten Gesicht die Umrahmung durch das in dichter Fülle unter dem breitrandigen Filzhut hervorquellende, gleich einer Löwenmähne herabwallende Haar. Das Haar so lang und so ungekünstelt zu tragen, war jetzt die neueste, vielleicht zuerst bei den Kriegsleuten aufgekommene Mode — die mancher freilich nur mit Hilfe einer Perücke mitzumachen im stande war; diese Mode verdrängte jetzt vollständig die früher lange Zeit hindurch herrschend gewesene Sitte, das Haar ganz kurz scheren zu lassen, wie wir es auf dem Schützenbild von 1616 bei fast sämtlichen Personen, bei demjenigen von 1639 aber nur noch bei einem einzelnen alten Herrn sehen. Wie meisterhaft Franz Hals das Beiwerk der Kleidung als etwas Nebensächliches zu behandeln und dabei doch auf das treffendste zu kennzeichnen und zur Wirkung zu bringen wußte, davon gibt dieses Bildnis ein ausgezeichnetes Beispiel. Mit welcher kecken Sicherheit die Spitzen des Weißzeugs, das polierte Metall des Harnisches, die derben Falten des starkstoffigen Wamses und die leichte Seide der Schärpe in schnellen, bald breiten, bald spitzigen Pinselstrichen hingemalt sind,[S. 44] das ist auch in der Abbildung deutlich zu erkennen, dank der selbst das malerische Machwerk bis ins einzelne wiedergebenden Schärfe der Braunschen Photographie.

Abb. 33. Die Vorsteher des St. Elisabeth-Krankenhauses (1641).
Im Rathaus-Museum zu Haarlem.
(Nach einer Originalphotographie von Braun, Clément & Cie. in Dornach i. E. und Paris.)


GRÖSSERES BILD

Abb. 34. Hille Bobbe. Im Königlichen Museum zu Berlin.
(Nach einer Photographie von Franz Hanfstängl in München.)

Abb. 35. Hille Bobbe und der Raucher. In der Königlichen Gemälde-Galerie zu Dresden.
(Nach einer Originalphotographie von Braun, Clément & Cie. in Dornach i. E. und Paris.)


GRÖSSERES BILD

In der Reihe der von Franz Hals gemalten großen Gruppenbildnisse, welche die Sammlung des Haarlemer Rathauses schmücken, folgt der Zeit nach auf das Schützenstück von 1639 ein Genossenschaftsbild ganz anderer Art. In diesem Bilde, welches im Jahre 1641 entstanden ist, sehen wir eine Anzahl von Bürgern vereinigt, welche sich nicht zu gemeinsamer Übung der Wehrhaftigkeit, sondern zu Zwecken der Wohlthätigkeit zusammengefunden haben. Es sind die Vorsteher des St. Elisabeth-Hospitals zu Haarlem (Abb. 33). Die fünf „Regenten“ des Krankenhauses haben sich in einem schmucklosen Zimmer um einen kleinen Tisch, auf dem sich Schreibgerät befindet, versammelt. Alle haben ihre Hüte auf; denn die Bürger der freien Niederlande legten Wert darauf, daß bei öffentlichen Zusammenkünften jeder seinen Kopf bedeckt hielt, zum Zeichen der Gleichberechtigung. An den nachdenklichen Mienen der ernsten Männer erkennen wir, daß es eine wichtige und schwierige Ange[S. 46]legenheit ist, welche sie in Anspruch nimmt. Einer der Herren, der in der Mitte des Bildes sich dem Beschauer gegenüber befindet — vermutlich der Vorsitzende — hat eben seinen Bericht beendet; seine Rechte ruht noch auf einem Büchlein, aus dem er seine Nachweise vorgelesen hat; die Finger seiner Linken spielen mechanisch mit einer Quaste der Kragenschnur oder mit einem Rockknopf. Auf seine Worte ist ein Augenblick allgemeinen Schweigens gefolgt. Mit geschlossenen Lippen und geschlossenen Händen erwägt der Schatzmeister — für diesen müssen wir ihn nach den vor ihm ausgebreitet liegenden Geldstücken halten — das eben Gehörte. Auch der bejahrte Herr, der dem Vortragenden gegenübersitzt, hat noch keine Antwort gefunden auf die Frage, welche in dessen Zügen liegt; er wendet den Kopf und sieht ins Weite, seine Hand liegt ausgestreckt am Rande des Tisches, gleich wird er anfangen mit den Fingern zu trommeln. Wer zuerst das Wort ergreifen wird, darüber können wir keinen Augenblick im Zweifel sein. Es ist der jüngere Mann mit dem vollen, freundlichen Gesicht, der in Zügen und Haltung Lebhaftigkeit und Freimütigkeit erkennen läßt, und der ein gewisses heiteres Wesen auch in seiner Kleidung nicht verbirgt; seine Lippen scheinen sich schon zu schnell fertigem Wort zu öffnen. Dagegen wird das jüngste Mitglied nur leise seine bescheidene Bemerkung dem Vorsitzenden zuflüstern, sobald dieser, durch eine schüchterne Berührung seines Ärmels auf den hinter ihn getretenen jungen Mann aufmerksam gemacht, sich nach demselben umwenden wird. — Die abgerundete Zusammenfassung der Bildnisse zu einer Art von Genrebild, so daß die dargestellten Personen nicht, um sich dem Beschauer zu zeigen, sondern um ihrer gegenseitigen Beziehungen willen da zu sein scheinen, ist hier dem Meister in der denkbar vollkommensten Weise gelungen. In der malerischen Wirkung und der Farbenstimmung ist dieses Bild wesentlich verschieden von den früheren Gruppenbildern. Die schwarzen Kleider der Männer, die Tischdecke, deren Grün so dunkel ist, daß es kaum noch als Farbe wirkt, die dunkelgraue Wand des Zimmers, deren Kahlheit nur von einer Landkarte ohne bestimmte Farbe unterbrochen wird, alles das bildet eine zusammenhängende Dunkelheit, aus der die Gesichter und Hände mit den weißen Kragen und Manschetten hervorleuchten in einem warmen, scharfen, beinahe sonnenscheinähnlichen Licht. Es ist nicht zu verkennen, daß Hals, so fest und ausgeprägt seine eigene Art und Weise auch war, in dieser Zeit einer Einwirkung nicht hat widerstehen können, die von den Werken Rembrandts ausging. Rembrandt hatte ja schon im Jahre 1632, als ein noch junger Maler, durch das genremäßig angeordnete Gruppenbild der Regenten der Chirurgengilde von Amsterdam das größte Aufsehen erregt, und um das Jahr 1640 stand er auf der Höhe der Schaffenskraft und der Berühmtheit.

Unter der geringen Zahl von Handzeichnungen, welche mit einiger Wahrscheinlichkeit dem Franz Hals zugeschrieben werden, befindet sich eine — in der Albertina zu Wien —, welche dem Regentenstück von 1641 bis ins einzelne genau entspricht (Abb. 32). Wenn dies wirklich der Entwurf des Meisters zu dem Gemälde ist, so wird dadurch nur bestätigt, was man auch sonst als wahrscheinlich annehmen müßte, daß Franz Hals seinen Bildern keine langen Über[S. 47]legungen und Vorarbeiten vorausgehen ließ, sondern daß er mit der nämlichen Schnelligkeit, mit welcher er die Erscheinung einer Einzelperson auffaßte, sich auch über die Anordnung eines Gruppenbildes gleich im klaren war. Jedenfalls übertrifft das ausgeführte Gemälde den flüchtigen Entwurf sehr weit in Bezug auf Leben und Ausdruck; bei vielleicht den meisten Malern pflegt das Gegenteil der Fall zu sein.

Abb. 36. Tyman Oosdorp. Gemalt 1656. Im Königlichen Museum zu Berlin.
(Nach einer Photographie von Franz Hanfstängl in München.)

Einen von Rembrandts Gemälden ausgehenden Einfluß glaubt man noch in verschiedenen um das Jahr 1640 herum entstandenen Bildern von Franz Hals wahrzunehmen. Immerhin war dieser Einfluß ein ganz vorübergehender. Hals kehrte bald zu seiner eigenen Art und Weise des malerischen Sehens zurück, deren Besonderheit sich von nun an in deutlich wahrnehmbarer Weise immer stärker ausprägte. Schon seine früheren Bilder — abgesehen etwa von dem Schützenstück von 1616, bei welchem diese Eigenart noch nicht recht entwickelt erscheint, und von den Hauptwerken der Zeit um 1630, wo sie der Kraft und Freudigkeit der Farbengebung gegenüber wieder mehr zurücktritt — zeichnen sich durch einen überaus feinen einheitlichen hellen Ton aus, welcher alle Farben gleichsam überzieht und eine reizvolle harmonische Ruhe hervorbringt, mögen die einzelnen Farben auch noch so heiter[S. 48] sein. Dieser Ton ist bei den verschiedenen Bildern verschieden, je nach der beabsichtigten Stimmung. Ungefähr seit der Mitte der dreißiger Jahre aber wird derselbe fast ausschließlich ein lichtes Grau, dem Ton des natürlichen Tageslichts bei bedecktem Himmel entsprechend. In den vierziger Jahren kehrt dann, nachdem die Versuche mit dem zusammengehaltenen Rembrandtschen Licht überwunden sind, der gleichmäßige Ton in verstärktem Maße wieder, um sich in der Folgezeit immer mehr zu steigern, fast bis zur Unterdrückung der Lokalfarben, d. h. der den einzelnen Dingen von Natur eigenen Farben, durch den Gesamtton. Und je mehr der Ton das Übergewicht über die Farben bekommt, um so mehr vertieft sich derselbe, bis er schließlich beinahe schwärzlich wird, ohne aber darum jemals ins Trübe zu verfallen und den Bildern die leuchtende Wirkung zu nehmen. Diese allmähliche Steigerung des grauen Tones tritt so ausgeprägt in die Erscheinung, daß nach seiner geringeren oder größeren Stärke und Tiefe die Entstehungszeit der Bilder, welche Franz Hals in den letzten 25 Jahren seines Lebens malte, durch Kundige mit Sicherheit bestimmt wird.

Gewiß nicht mit Unrecht wird darauf hingewiesen, daß die allgemeine Stimmung der Bilder eines Künstlers — die natürlicherweise etwas anderes ist als die besondere Stimmung, die derselbe absichtlich einem jeden einzelnen Bilde einhaucht — der unwillkürliche Ausdruck der allgemeinen Seelenstimmung desselben sei. Bei Franz Hals verdüsterte sich das Leben in demselben Maße, wie er seine Bilder in immer dunkleres Grau tauchte. Der lustige Meister war ein schlechter Haushalter. Wenn auch für die vierziger Jahre noch die urkundlichen Belege dafür fehlen, daß er sich in traurigen Verhältnissen befand, so genügt in dieser Hinsicht doch die eine Thatsache, die wir aus dem Jahre 1652 erfahren. In diesem Jahre mußte Franz Hals eine Anzahl von Gemälden und einen Teil seines Hausrats einem Bäckermeister verpfänden für rückständige Brotschuld und für bar geliehenes Geld. Der Gläubiger war indessen so anständig — und das spricht für das Ansehen, dessen Hals sich noch erfreute, — daß er die ihm zuerkannten Möbel und Bilder nicht in Besitz nahm, sondern dem Künstler auf Widerruf gestattete, dieselben zu behalten.

Übrigens waren weder die Armut noch das herangekommene Greisenalter im stande, des Meisters unverwüstliche Lebenslust, seine Freude am Lachen und seinen köstlichen Humor zu unterdrücken.

Das spricht mit voller Deutlichkeit aus seinen Bildern. Um das Jahr 1650 fand Franz Hals einen Gegenstand zu von Humor sprühender bildlicher Wiedergabe in der alten „Matrosenmutter“ Hille Bobbe, der „Hexe von Haarlem“. Als eine Hexe zwar äußerlich ausstaffiert durch eine auf ihre Schulter gesetzte Eule, von Herzen aber sicherlich gutmütig in ihrem derb-lustigen Wesen, so schaut sie uns in dem berühmten, kostbaren Brustbild des Berliner Museums entgegen (Abb. 34). Über was für Zauberkünste die Hille Bobbe in ihren alten oder jungen Tagen verfügt haben mag, wissen wir freilich nicht. Aber ein wirklicher großer Zauberer muß wahrhaftig der Maler sein, der uns so unwiderstehlich festzubannen weiß vor diesem mit breiten, Schlag auf Schlag sitzenden Pinselstrichen hingeworfenen, beinahe farblosen Gemälde, der uns einen Schönheitsgenuß bereitet durch den Anblick dieses so lächerlich häßlichen, eine starke[S. 50] Neigung zu geistigen Getränken verratenden Gesichts, in welchem ein unbändiger plötzlicher Lachreiz alle Furchen stürmisch bewegt! — Kaum weniger komisch wirkt die Alte in einem Bilde der Dresdener Galerie, wo sie in einem Augenblick der Entrüstung aufgefaßt ist. Ein Stammgast ihrer Kneipe macht sich einen Spaß, indem er leise hinter ihren mit Fischen bedeckten Ladentisch getreten ist und, eine Wolke von Tabaksqualm ausstoßend, sie mit weit aufgesperrtem Munde anblökt; sie weicht unwillkürlich erschreckt zur Seite, sieht sich dabei aber mit lautem Keifen nach dem Störer um; aber wie ungehalten sie auch im Augenblick ist, man sieht doch, daß das Schelten sich gleich wieder in Lachen auflösen wird (Abb. 35).

Abb. 37. Bildnis eines vornehmen Mannes. Im Ermitage-Museum zu St. Petersburg.
(Nach einer Originalphotographie von Braun, Clément & Cie. in Dornach i. E. und Paris.)


GRÖSSERES BILD

Dieses letztere Bild ist wohl schwerlich ganz von der Hand des alten Franz Hals, denn so viel Beiwerk, und so sorgsam ausgeführtes totes Beiwerk, wie es hier die Fische sind, war nicht die Sache des alten Meisters, den nichts anderes mehr reizte, als die Wiedergabe des pulsierenden Lebens in Gesicht und Händen der Menschen. Wir dürfen hier wohl an die Mitwirkung seines gleichnamigen Sohnes, Franz Hals des Jüngeren, denken. Nicht weniger als vier Söhne zog der Meister zu Nachfolgern seiner Kunst heran, von denen freilich keiner ihm selbst gleichzukommen vermochte, von denen aber mindestens jener Franz sehr achtbare Erfolge erzielte, besonders auch auf dem in der holländischen Malerei jetzt neu aufkommenden Gebiet des sogenannten Stilllebens. Es verdient erwähnt zu werden, daß ein niederländischer Kunstschriftsteller der Zeit hervorhebt, die Söhne des alten Hals seien in der Gesellschaft beliebt gewesen, weil der Freimut, die Lebenslust und die gute Laune des Vaters sich auf sie alle vererbte.

Außer den eigenen Söhnen bildete Franz Hals noch eine ganze Anzahl von Schülern aus, die alle mit großer Ehrfurcht zu dem Meister hinaufschauten, und die auch gern dessen Ratschläge hörten, nachdem sie selbst schon längst es zu etwas Tüchtigem gebracht hatten. In dem Museum des Haarlemer Rathauses befindet sich ein künstlerisch zwar wenig Bedeutendes, inhaltlich aber höchst interessantes Gemälde, welches uns einen Blick in den Kreis von Malern thun läßt, die in der Zeit gegen die Mitte der fünfziger Jahre den alten Hals als ihren Meister verehrten. Das Bild stellt ein Atelier dar, die Werkstatt des Franz Hals; eine Anzahl von Malern, die meistens schon nicht mehr ganz jung sind, ist dort versammelt, um nach dem Aktmodell zu zeichnen. Es rührt von der Hand eines der jüngeren der darauf Abgebildeten her, des Job Berck-Heyde (geboren 1630, gestorben 1693 zu Haarlem). Wen die Hauptpersönlichkeiten vorstellen, darüber besteht kein Zweifel, da die Namen auf der Rückseite angegeben sind. Unter anderen, deren Namen die holländische Kunstgeschichte mit Ehren nennt, sitzt da neben den Söhnen des alten Meisters auch dessen jüngerer Bruder Dirk (Dietrich) Hals, schon ein bejahrter Mann, nahe dem Ende seiner Laufbahn (er starb 1656), bekannt als einer der Begründer der holländischen sogenannten Gesellschaftsmalerei, welche das Treiben lebenslustiger Kavaliere und schön gekleideter Damen in sauber ausgeführten Genrebildern wiederspiegelt. Der greise Meister selbst steht an der Thür und begrüßt den eben eintretenden Philipp Wouwerman, den gefeierten Maler von feinen Pferde- und Reiterbildern.

[S. 51]

Abb. 38. „Der junge Mann mit dem Schlapphut.
In der Königlichen Galerie zu Kassel.
(Nach einer Photographie von Franz Hanfstängl in München.)

Die berühmtesten Schüler des Franz Hals befinden sich nicht unter den Insassen des von Berck-Heyde gemalten Ateliers. Das waren die großen Genremaler Adrian Brouwer, der schon 1638 im Alter von nur dreiunddreißig Jahren gestorben war, und Adrian von Ostade (geboren 1610, gestorben 1685). Wenn auch Maler verschiedener Richtungen, Bildnismaler, Stilllebenmaler, Landschafter und selbst Architekturmaler, die Unterweisung des Franz Hals aufsuchten und gleichmäßig Nutzen zogen aus der Lehre und dem Beispiel des Meisters der schärfsten Beobachtung und der sichersten Hand, so wirkte seine Lehrthätigkeit doch am fruchtbarsten und nachhaltigsten auf die Genremalerei. Um seiner genremäßig aufgefaßten Darstellungen von charakteristischen Persönlichkeiten aus den hohen und niedrigen Schichten des holländischen Volkes willen könnte man ihn fast als den Vater der in Holland bald so sehr volkstümlich werdenden eigentlichen Sittenbildmalerei bezeichnen. Auf seiner Kunst, den Charakter eines Menschen im Bilde schlagend zu kennzeichnen und das Leben selbst in[S. 52] seinen flüchtigsten Äußerungen mit sicherem Griff zu erfassen und auf die Leinwand festzubannen, auf dieser seiner Kunst fußte, wie das elegante, freilich mitunter sich auch in recht gemischter Gesellschaft bewegende Gesellschaftsstück, so auch die nach der entgegengesetzten Seite sich wendende Schilderung des Bauernlebens in seiner Urwüchsigkeit und Derbheit und seiner tollen Festtagsfreude. Was die Volks- und Bauernstücke von Adrian Brouwer und Adrian von Ostade zu den höchstgeschätzten Erzeugnissen der holländischen Genremalerei gemacht hat, die treffende Charakterzeichnung, das volle, frische Leben, der köstliche unbefangene Humor und nicht minder der feine Ton der Farbengebung, all diese Eigenschaften sind entwickelt und ausgebildet worden in der Schule des Franz Hals.

Der alte Meister sah manchen seiner Schüler zum berühmten Manne werden, und manchen von ihnen sah er vor sich sterben. Er selbst aber arbeitete mit immer gleicher Frische und gleicher Lebendigkeit weiter, wenn er auch anfing, aus der Mode zu kommen, da der Tagesgeschmack sich mehr und mehr einer ins Kleine gehenden und in kleinem Maßstabe schaffenden Kabinettsmalerei zuwendete. Auch in der Bildnismalerei wurden im allgemeinen jetzt solche Maler bevorzugt, welche alles aufs sauberste und sorgfältigste ausarbeiteten, und auf sorgfältige Ausführung ließ der alte Hals sich nicht mehr ein, dem es genügte, wenn er mit möglichst wenigen Strichen ein möglichst lebendiges und sprechendes Abbild einer Persönlichkeit gegeben hatte. Doch fehlte es noch keineswegs an Leuten, welche die künstlerische Überlegenheit des Meisters der Bildniskunst über die Jüngeren würdigten und sich durch die breite und hastige Art seiner Malerei, durch das unverhüllte Zeigen des malerischen Machwerks nicht abhalten ließen, bei ihm ihre Bildnisse zu bestellen und dadurch ihre Erscheinung mit einer Lebendigkeit auf die Nachwelt gebracht zu sehen, wie sie auch den tüchtigsten anderen Bildnismalern kaum jemals erreichbar war. Von Franz Hals in den fünfziger Jahren gemalte Bildnisse sind noch in ziemlicher Anzahl vorhanden. Sie beweisen, daß der Siebzigjährige noch nichts eingebüßt hatte an seinen künstlerischen Fähigkeiten, weder an der Kraft und Schärfe der geistigen Auffassung, noch an der unfehlbaren Sicherheit von Auge und Hand. Es sind fast ausnahmslos Meisterwerke ersten Ranges, die ebenbürtig neben den Werken seiner besten Jahre stehen. Dahin gehört im Berliner Museum das mit der Jahreszahl 1656 bezeichnete Brustbild des Tyman Oosdorp, aus dessen kräftig geformtem Gesicht eine ständige herbe Verdrossenheit spricht (Abb. 36). In Abbildung 37 ist ein in der Sammlung der Ermitage zu St. Petersburg befindliches Bildnis wiedergegeben, welches, nach dem Schnitt des langen Haares und nach der Form des steifen Filzhutes zu schließen, gegen Ende der fünfziger Jahre oder noch etwas später entstanden ist. Wie überzeugend offenbart sich uns das Wesen dieses augenscheinlich den besten Ständen angehörigen Mannes, der, obgleich er kaum das fünfunddreißigste Lebensjahr überschritten hat, doch schon so müde in das Leben blickt, der es nicht für der Mühe wert gehalten hat, für die Porträtsitzung einen frisch geplätteten Kragen anzulegen, und der so nachlässig schief auf dem Stuhle sitzt, auf dessen durch den überfallenden Mantelkragen verdeckte Rücklehne er sich mit dem ganzen Oberarm aufstützt. Wie wunderbar hat der Maler[S. 55] in breitestem Machwerk dieses weiche Fleisch mit den vor der Zeit welk gewordenen Zügen wiedergegeben, und wie hat er es verstanden, bei einer an die Grenzen der Möglichkeit gehenden Einfachheit in der Behandlung der Nebendinge, doch das Stoffliche der Kleidung zu kennzeichnen; man betrachte die blitzartig hingesetzten Glanzlichter auf dem schweren schwarzen Seidenstoff des Wamses, durch welche mit so unanfechtbarer Richtigkeit die Falten angedeutet werden, in denen der Ärmel der Bewegung des Armes gefolgt ist.

Abb. 39. Die Vorsteher des Altmännerhauses (1664).
Im Rathaus-Museum zu Haarlem.


GRÖSSERES BILD

Man fühlt sich versucht, zu glauben, daß der durchgehende Zug von geistiger und körperlicher Ermüdung, der dieses Bild so auffällig unterscheidet von der Mehrzahl der lebensprühenden Halsschen Bildnisse, ebenso wie die fast noch befremdlichere Grämlichkeit in Miene und Haltung des Tyman Oosdorp, weniger auf Rechnung des Urbilds zu setzen wäre, als daß vielmehr darin sich unwillkürlich und unbewußt die Lebensmüdigkeit des hochbetagten, in traurigen Verhältnissen sich befindenden Künstlers spiegelte. Aber um uns zu überzeugen, daß dem greisen Meister die Freude am Lachen noch keineswegs abhanden gekommen war, brauchen wir bloß einen Blick zu werfen auf ein Bildnis in der Kasseler Gemäldegalerie, dessen Entstehung in die nämliche Zeit, um das Jahr 1660, fällt. Es ist das Bild eines nicht gerade den ersten Kreisen von Haarlem angehörenden Unbekannten, der als „der junge Mann mit dem Schlapphut“ bezeichnet zu werden pflegt (Abb. 38). Schlapphüte wurden allerdings beinahe während des ganzen Zeitraumes, innerhalb dessen Franz Hals seine Thätigkeit entfaltete, getragen, und man kann wohl behaupten, daß die Mehrzahl seiner männlichen Bildnisse diese Kopfbedeckung zeigt. Aber in dem Bild, von welchem hier die Rede ist, spielt der Schlapphut eine Rolle, er trägt durch die Art und Weise, wie er aufgesetzt ist, sehr wesentlich mit bei zu dem lustigen Eindruck dieses Porträts. Der junge Mann sitzt, ähnlich wie der in dem eben besprochenen Bild dargestellte Herr, quer auf dem Stuhl, den rechten Ellenbogen auf die Rücklehne aufgestützt. Aber was dort als müde Gleichgültigkeit erscheint, das ist hier ein Überschuß an Lebhaftigkeit. Dieser junge Mann in seiner kecken Laune konnte sich nicht gerade auf den Stuhl setzen, ebensowenig wie er seinen Hut gerade aufsetzen konnte. Schief hängt auch der Mantel auf der linken Schulter. Es ist staunenswürdig, wie in dem Brustbild mit einem Arm die Stellung des ganzen Körpers angedeutet ist: aus der Linie, in welcher der vom Mantel bedeckte linke Oberarm den Körper verläßt, erkennt man, daß die linke Hand hoch aufgestemmt ist auf das Knie des linken, über das rechte geschlagenen Beins. Was die ganze Haltung uns sagt von dem übermütigen und munteren Wesen des Mannes, das leuchtet in gesammelter Fülle aus dem Gesicht desselben. In diesen lustigen Augen, in dem zum Lachen bereiten Mund, da lebt noch mit ganz ungeschwächter Kraft die alte Meisterschaft von Franz Hals, seine Freude an der Wiedergabe vergnügten Daseins, sein gesunder Humor, der in der feinen Überlegenheit, mit welcher er das Komische erfaßt, stets etwas Vornehmes besitzt. — In der Farbe ist das ganze Bild schwärzlich grau, aber das Merkwürdige ist, daß innerhalb dieses grauen Tons das Fleisch seine Leuchtkraft bewahrt und mit voller Körperlichkeit wirkt, und daß die heitere Seelenstimmung gar nicht beeinträchtigt wird[S. 56] durch die schwärzliche Farbenstimmung. Wenn man das Bild für sich allein ansieht, so empfindet man kaum die Dunkelheit seiner Tönung, dieselbe verschwindet gänzlich, wenn man es länger betrachtet. Um so auffallender wird sie fühlbar, wenn man mit diesem Eindruck in den Augen vor die in der Nähe befindlichen Bildnisse hintritt, welche die nämliche Hand vierzig Jahre früher geschaffen hat, und die ganz wie in Licht getaucht erscheinen.

Franz Hals konnte noch völlig der alte sein, wenn es galt, ein lustiges Bild zu schaffen. Aber mochte er auch in der Kunst seinen Humor sprudeln lassen, im Leben war es dem hochbetagten Greis gewiß selten genug zum Lachen zu Mute. Seine Vermögensverhältnisse waren immer weiter zurückgegangen. Die Thatsache, daß ihm im Jahre 1661 von seiner Gilde die fernere Entrichtung der satzungsgemäßen Steuer erlassen wurde, weist darauf hin, daß er sich in dürftiger Lage befand. Wie groß aber seine Dürftigkeit war, erhellt daraus, daß er sich im Jahre 1662 an die Stadtobrigkeit von Haarlem mit einem Bittgesuch um eine jährliche Unterstützung von 50 Gulden und um ein Darlehen von 150 Gulden wendete. Den Wert eines Guldens in damaliger Zeit kann man auf ungefähr 3½ Mark heutigen Geldes schätzen. Die Stadtobrigkeit willfahrte diesem Gesuch und im Anfang des Jahres 1664 erfüllte sie Hals eine weitere Bitte um Beihilfe, indem sie ihm drei Fuhren Torf zur Heizung schenkte und die Zahlung seiner rückständigen Wohnungsmiete übernahm. Außerdem gewährte die Stadt ihm vom 1. Oktober 1663 ab eine jährliche Pension von 200 Gulden auf Lebenszeit. Aus diesen verschiedenen Bewilligungen und insbesondere aus dem letzten Beschluß kann man entnehmen, daß die Stadtväter von Haarlem es als eine Ehrenpflicht empfanden, sich ihres als Künstler so groß dastehenden Mitbürgers in seiner Verarmung anzunehmen.

Seine künstlerische Leistungsfähigkeit bewahrte er sich auch jetzt noch. Zwei Gruppenbilder aus dem Jahre 1664 legen Zeugnis ab von dem Können des Achtzigjährigen. Die beiden Vorstände des Haarlemer Asyls für alte Leute, die Regenten des Altmännerhauses und die Regentinnen des Altfrauenhauses, haben sich von dem armen alten Mann malen lassen.

Abb. 40. Die Vorsteherinnen des Altfrauenhauses (1664).
Im Rathaus-Museum zu Haarlem.
(Nach einer Originalphotographie von Braun, Clément & Cie. in Dornach i. E. und Paris.)


GRÖSSERES BILD

Eine lange Zeit, fast ein Vierteljahrhundert, war vergangen, seit der Meister sein letztes Regentenstück geschaffen hatte. Aber in dieser Zeit hat derselbe nichts von seiner Fähigkeit, aus einer Anzahl von Bildnissen ein abgerundetes Bild zu gestalten, und von seiner Sicherheit, jede einzelne Persönlichkeit sprechend zu kennzeichnen, eingebüßt. Mit der staunenswürdigsten Frische der Auffassung hat er in den beiden Bildern die vornehmen Leiter der Anstalt, hier die sorgfältig nach der Mode gekleideten Herren, dort die in ihrer Tracht eine gesuchte Einfachheit zur Schau tragenden Damen dargestellt (Abb. 39 und 40). Die einen wie die anderen hat er als Leute, denen dieses Amt nicht viel Sorge und Aufregung verursacht, ohne eine besondere Thätigkeit, wie zu einer recht unwichtigen Besprechung versammelt, um einen Tisch herum gruppiert. Jeder dieser Köpfe ist ein unmittelbares Abbild des Lebens selbst, das in seinen sprechenden Zügen noch mit einer ebenso unfehlbaren Sicherheit erlauscht ist, wie nur je in einem Werke aus den jüngeren Jahren des Meisters. Wenn man insbesondere die Köpfe der weiblichen Vorstandsmitglieder[S. 59] eingehend betrachtet, so wird man nicht verkennen, daß in dieser wunderbar feinen Beobachtung des verschiedenartigen, bald grämlichen, bald gelangweilten, hier vom Bewußtsein einer schönen Pflichterfüllung gehobenen, dort sehr würdevoll aufgesetzten Ausdrucks der ehrsamen Damen auch der Humor des Meisters noch leise mitspricht, unwillkürlich vielleicht und ohne Absicht. — In der Farbe weichen die beiden Bilder sehr weit ab von den früheren großen Bildern des Meisters, die mit denselben im Hauptsaal des Haarlemer Rathauses vereinigt sind. In ihnen ist das äußerste Maß dessen erreicht, was sich als etwas stetig Fortschreitendes in seinen Werken der vorhergehenden zwanzig Jahre verfolgen läßt: das Unterordnen der Eigenfarben der Dinge unter einen gemeinsamen grauen Ton, und die Vertiefung dieses Tons bis zum Schwärzlichen. Alles ist gleichsam eingetaucht in eine fast farblose graue Stimmung, die schwarzen Kleider, die eintönige, auf dem Damenbild mit einem nachgedunkelten Landschaftsgemälde geschmückte Wand, die dunkle Tischdecke und das Weißzeug und die Köpfe und Hände. Und dennoch besitzt das Ganze bei aller Spärlichkeit der Farbe eine harmonisch reizvolle Farbenwirkung; und dennoch leuchten diese Gesichter in voller Körperhaftigkeit als die Gesichter lebendiger, von warmem Blut durchströmter Menschen. Das äußerste Maß des Möglichen hat Franz Hals hier auch in Bezug auf seine malerische Behandlungsweise erreicht. Man würde es nicht für denkbar halten, wenn man es nicht sähe, daß es möglich ist, mit so wenigen und so breiten Pinselstrichen alles Nötige in so erschöpfender Weise zum Ausdruck zu bringen.

Ein einziger Umstand macht sich bemerklich, der als eine Schwäche des Alters erscheint: der Meister, der noch mit so unvergleichlicher Frische des Geistes das Wesen der Personen erfaßt, der mit so sicherem Blick die Gesamterscheinung der Gesichter und ihre Einzelformen erkennt, und der mit so jugendkräftiger Handfertigkeit alles hinmalt, ohne auch nur einen Fehlstrich zu thun, dem beginnt das Eine zu mangeln, daß er die Verhältnisse der ganzen Figuren richtig überschaute; der Raumsinn, wenn man so sagen darf, hat nachgelassen. Daher hier und dort ein allzulanger Arm, eine Hand, deren Größe zum Gesicht nicht mehr im Verhältnis steht, Schultern, welche zu schmal sind für die von ihnen getragenen Köpfe, und perspektivische Irrtümer und Schiefheiten, die auf dem Männerbild — das wohl das letztgemalte von den beiden ist — sich sogar bis in einzelne Gesichter hinein erstrecken.

Die beiden Regentenstücke von 1664 sind die letzten Arbeiten des Meisters, deren Entstehungszeit bekannt ist. So schließt die Reihe seiner erhaltenen und der Zeit nach bestimmten Werke, wie sie begonnen hat: Bildnisgruppen von den Vorständen Haarlemer Genossenschaften bezeichnen den Anfang und das Ende der übersehbaren Thätigkeit von Franz Hals. Es ist freilich ein großer Unterschied zwischen den kräftigen, lebensfrohen und thatenbereiten Bürgerschützen von 1616 und den gleichgültig und fade dreinschauenden Pflegern einer wohlgeordneten Wohlthätigkeitsanstalt von 1664. Welch’ ein Stück Geschichte spiegelt sich auch in der Reihe der Halsschen Genossenschaftsbilder im Haarlemer Rathaus! Die Gestalten, welche der Meister uns in ihnen so unübertrefflich lebenswahr vorgeführt hat, sind mehr als die bloßen Abbilder zufälliger Persönlichkeiten, sie sind ge[S. 60]schichtliche Charakterbilder, welche lebendig erzählen von dem Entwickelungsgange ihres Vaterlandes im Laufe eines halben Jahrhunderts. Wir sehen die kampfbereiten Söhne jener unbeugsamen Helden, die noch todesmutig ringen mußten um den Besitz der Freiheit; dann die Männer, welche die Jahre des schweren dreißigjährigen Krieges und des glänzenden Aufblühens der holländischen Macht durchlebten, Jahre, in denen die Lust an vollem Lebensgenuß sich mit ebenso unbändiger Kraft geltend machte wie der wilde Kriegsmut; schließlich das verflachende Geschlecht jener Zeit, für welche es bezeichnend ist, daß auf künstlerischem Gebiet der alles gleichmachende „Stil Louis XIV“ zur Herrschaft gelangte und selbst über die so kräftig entwickelte Eigenart der holländischen Kunst das Übergewicht zu bekommen begann. — Franz Hals selbst aber war in seiner Kunst sich immer treu geblieben. Aus seinen letzten wie aus seinen ersten Werken tritt uns mit gleicher Deutlichkeit das Bild eines Künstlers von bestimmt ausgeprägter Besonderheit entgegen, und zwar eines ganzen Künstlers.

Franz Hals starb im Jahre 1666. Am 7. September wurde er in der „Großen Kirche“ bestattet. Der Nachweis über die Kosten des Begräbnisses hat sich erhalten; dieselben betrugen nur 4 Gulden. — Lisbeth Reyniers überlebte ihren Gatten. Sie wird noch einmal erwähnt im Jahre 1675, wo ihr als besondere Gnadenbewilligung eine wöchentliche Zulage von 14 Sous zu dem gewöhnlichen Armengeld zuerkannt wurde.

Wenn auch die zahlreichen Schüler des Meisters dessen Andenken dankbar in Ehren hielten, für das große Publikum war er, dessen Art und Weise schon bei seinen Lebzeiten Jahrzehnte lang nicht mehr dem herrschenden Tagesgeschmack entsprochen hatte, nach seinem Tode bald vergessen. Seine Bilder wurden nicht mehr geschätzt. Unter den fürstlichen Kunstsammlern des XVIII. Jahrhunderts, welche die großen Galerien begründeten, waren nur wenige, welche einen Maler zu würdigen wußten, dessen künstlerische Art und dessen Malweise so von Grund auf verschieden waren von der Charakterlosigkeit und Glätte der Malerei jener Zeit. Erst seit wenigen Jahrzehnten ist die große künstlerische Bedeutung des Franz Hals wieder ihrem ganzen Werte nach zu allgemeiner Würdigung gelangt — ein nicht zu unterschätzendes Zeichen von Hebung des natürlichen Kunstgeschmacks.

Deko Ende





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