Project Gutenberg's Deutschland und Armenien 1914-1918, by Johannes Lepsius

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Title: Deutschland und Armenien 1914-1918
       Sammlung diplomatischer Aktenstücke

Author: Johannes Lepsius

Release Date: October 21, 2018 [EBook #58144]

Language: German

Character set encoding: UTF-8

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Ein Übertrag in der Tabelle auf S. 297 (‚Väter der Kinder‘) beruht auf einer Unterbrechung, die dem zweispaltigem Layout im Original zugrunde liegt. In der vorliegende Ausgabe fällt diese Unterbrechung aber weg, so dass die Zeile, die ursprünglich den Übertrag enthielt, nun als überflüssig entfernt wurde. In den Registern der Personen- und Ortsnamen wurde in der gedruckten Fassung nicht zwischen den Namen mit den Anfangsbuchstaben ‚I‘ und ‚J‘ unterschieden. Aus Gründen der Übersichtlichkeit wurden diese Namen in der vorliegenden elektronischen Fassung getrennt aufgeführt.

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Deutschland und Armenien

DEUTSCHLAND
UND ARMENIEN
1914–1918

SAMMLUNG
DIPLOMATISCHER
AKTENSTÜCKE

HERAUSGEGEBEN UND EINGELEITET

VON

DR. JOHANNES LEPSIUS

Verlagssignet (Tempel)

DER TEMPELVERLAG IN POTSDAM
1919

Alle Rechte, insbesondere das der Übersetzung, vorbehalten.

Copyright by Tempelverlag zu Potsdam 1919.


[S. v]

Vorwort.

Als ich Ende November vorigen Jahres nach zweieinhalbjährigem Aufenthalt in Holland aus dem Haag nach Berlin zurückkehrte, suchte ich am 1. Dezember den Staatssekretär Herrn Dr. Solf im Auswärtigen Amt auf. Ich bat ihn, mir Einblick zu geben in die Akten des Auswärtigen Amtes, die über die Armenische Frage und ihre Behandlung seitens der deutschen Regierung während der Kriegsjahre Aufschluß geben.

Der Anlaß meiner Bitte war der folgende. Auf Grund von Quellen, die mir im Sommer 1915 auf einer Reise nach Konstantinopel durch persönliche Beziehungen zugänglich geworden waren, hatte ich im Jahre 1916 einen „Bericht über die Lage des armenischen Volkes in der Türkei“ herausgegeben[1]. Eine Verbreitung durch den Buchhandel oder auch nur eine Verwertung der Tatsachen, die er enthüllte, in der Presse war damals nicht möglich. Die Zensur hätte das Buch beschlagnahmt; der Presse war durch offizielle Instruktionen Schweigepflicht über die Armeniergreuel auferlegt. Ich konnte daher meinen „Bericht“ nur vertraulich versenden. Die Zensur ist erst auf ihn aufmerksam geworden, nachdem 20000 Exemplare in Deutschland verbreitet worden waren. Die weitere Drucklegung und Verbreitung wurde verboten. Seit der Revolution stand dem Neudruck und dem Vertrieb durch den Buchhandel nichts mehr im Wege. Für die Neuausgabe lag mir zweierlei am Herzen, erstens mein damaliges Quellenmaterial an den mir bis dahin unzugänglichen deutschen Botschafts- und Konsularberichten nachzuprüfen und zweitens mir ein Urteil zu bilden über die Stellungnahme der deutschen Diplomatie gegenüber den Vorgängen in der Türkei.

Herr Dr. Solf erklärte sich sogleich bereit, mir den gewünschten Einblick in die Akten zu gewähren und erteilte mir die Erlaubnis,[S. vi] davon für meine Publikation Gebrauch zu machen. Er erwähnte dabei, daß das Amt selbst die Absicht habe, ein Weißbuch über die Armenische Frage herauszugeben.

Am nächsten Tage unterzog ich die Akten einer flüchtigen Durchsicht und überzeugte mich, daß eine Verwertung einzelner Aktenstücke nicht ausreichen würde, um die Haltung Deutschlands gegenüber den Vorgängen in der Türkei klarzustellen, sondern daß es dazu einer umfangreichen Publikation bedürfe. Noch am gleichen Tage ließ mir Herr Dr. Solf sagen, daß er von der Veröffentlichung eines Weißbuches absehen würde, wenn ich selbst die Aufgabe übernehmen würde, die Haltung Deutschlands in der Armenischen Frage auf Grund des Aktenmaterials klarzustellen. Ich nahm das Anerbieten an unter der Bedingung, 1. daß mir das Aktenmaterial des Auswärtigen Amtes und der Botschaft vollständig zugänglich gemacht würde, 2. daß die Auswahl der Aktenstücke für die Veröffentlichung ausschließlich meinem Ermessen überlassen bliebe und 3. daß die Publikation nicht im Auftrage des Amtes erfolge, sondern von mir persönlich im Buchhandel herausgegeben würde.

Ich lege Wert darauf, festzustellen, daß diese Bedingungen eingehalten wurden. Für die hier veröffentlichte Auswahl von Aktenstücken und für die Zuverlässigkeit des Bildes, das sie von der Haltung der deutschen Regierung in der Behandlung der armenischen Frage geben, ruht die Verantwortung allein auf mir. Um jedem Verdacht die Grundlage zu entziehen, als ob Aktenstücke, die die deutsche Regierung, die Botschafter und die Konsuln, oder deutsche Offiziere, Beamte und Privatpersonen in irgend einer Hinsicht belasten, von mir unterdrückt sein könnten, habe ich eine so vollständige Auswahl aus der diplomatischen Korrespondenz — die natürlich noch zahllose, für die Sache selbst gänzlich belanglose bureaukratische Materien umfaßt — getroffen, daß die innere Kontinuität des Schriftwechsels für ihre sachliche Vollständigkeit bürgt. Eine Anzahl von detaillierten Berichten über Vorgänge bei den Deportationen und Zustände in den Konzentrationslagern, die der Botschaft von verschiedenen Seiten zugingen und zum Teil schon in meinem „Bericht“ benützt waren, habe ich, um die ohnehin schon umfangreiche Publikation nicht zu sehr zu belasten, vorläufig ausgeschieden, um sie später zu publizieren. Ich habe aber darauf ge[S. vii]sehen, daß alle wesentlichen Vorfälle, die zur amtlichen Kenntnis gelangt sind, zur Sprache kommen, so daß auch das Bild der Tatsachen, soweit es im Sichtbereich der Konsuln lag, auf Vollständigkeit Anspruch macht.

Die Berichte der deutschen Konsulate in Anatolien, Syrien und Mesopotamien — Trapezunt, Erzerum, Samsun, Adana, Alexandrette, Aleppo, Damaskus, Mossul — legen Zeugnis davon ab, daß die Konsuln alle wichtigen kontrollierbaren Vorgänge ihres Amtsbezirks fortlaufend, eingehend und gewissenhaft, mit Sachkenntnis und gesundem, politischem und sittlichem Urteil an die deutsche Botschaft bzw. den Reichskanzler berichtet haben. Die Berichterstattung versagt nur für diejenigen Distrikte, die außerhalb ihrer Sehweite lagen oder durch die russische Okkupation ihrem Blick entzogen waren. Es fehlen daher nähere Berichte über die Vorgänge in Suedije, Bitlis-Musch und Wan, die ich aus anderen Quellen im Anhang beigefügt habe, um ein zutreffendes Urteil über die der Deportation vorhergehenden Ereignisse zu ermöglichen. Ohne Kenntnis dieser Vorgänge kann die Grundfrage, ob die Deportation des gesamten armenischen Volkes durch militärische Notwendigkeiten begründet war, nicht beantwortet werden. Der vierte Bericht des Anhangs soll eine Vorstellung von den Konzentrationslagern am Rand der Wüste geben. Der letzte ist der erste zensurfreie Bericht über das deutsche Hilfswerk.

Ich habe es nicht für meine Aufgabe gehalten, nach irgend einer Seite hin die Rolle des Anklägers, Verteidigers oder Richters zu übernehmen. Ich glaubte der Wahrheit am besten zu dienen, wenn ich mich darauf beschränkte, das Aktenmaterial selbst sprechen zu lassen, aus dem sich jedermann ein Urteil über die Tatsachen und die Schuldfrage bilden kann. Auch die Einleitung, die ich vorausschicke, soll nichts mehr sein als ein Leitfaden durch die Aktenstücke, der in die wichtigsten Themata des weitschichtigen Materials einführt.

Potsdam, Ostern 1919.

Dr. Johannes Lepsius.

[S. viii]

Inhalt.

Vorwort S. V
Einleitung S. IX
I. Das Vorspiel  
  1. Cilicien S. IX
  2. Anatolien S. XII
  3. Die Unruhen von Wan S. XIII
  4. Der Beschluß der allgemeinen Deportation S. XVI
II. Die allgemeine Deportation  
  1. Die Massenverhaftung der Intellektuellen in Konstantinopel S. XIX
  2. Die Ankündigung der Verschickungsmaßregel S. XX
  3. Die Deportation S. XXIII
  4. Die Schritte der Botschafter bei der Pforte S. XXVI
III. Das Schicksal der Deportierten S. XXXIII
  1. Zwangsbekehrungen zum Islam S. XXXV
  2. Schritte der Botschaft S. XXXVII
  3. Die Vernichtung der Deportierten S. XXXIX
  4. Das Großwesirat Talaat Paschas S. XLII
IV. Kaukasus S. XLV
V. Der Charakter der Ereignisse  
  1. Die Deportation, eine administrative Maßregel S. LI
  2. Deutsche Beteiligung S. LV
  3. Militärischer Schade S. LXI
  4. Opfer S. LXIII
  5. Die offizielle Motivierung S. LXVI
Aktenstücke 1913 S. 3
 „1914 S. 9
 „1915 S. 27
 „1916 S. 221
 „1917 S. 311
 „1918 S. 365
Anhang S. 455
Der auswärtige Dienst 1914–1918 S. 503
Aktenregister S. 511
Namenregister S. 520
Ortsregister S. 530
Sachregister S. 536

[S. ix]

Einleitung.

Die Geschichte der Deportation des armenischen Volkes in der Türkei durchläuft die folgenden Perioden:

I. Vom Eintritt der Türkei in den Krieg 1. November 1914 bis zur Erhebung von Wan 20. April 1915.

II. Vom Beschluß der allgemeinen Deportation 20/24. April 1915 bis zu ihrem vorläufigen Abschluß Dezember 1915.

III. Vom Einsetzen der systematischen Islamisierung der Reste des armenischen Volkes Dezember 1915 bis zu den Ausgängen ihrer Vernichtung Oktober 1918.

IV. Kaukasischer Schauplatz: Vom Frieden von Brest-Litowsk 3. März 1918 bis zur Einnahme von Baku 15/17. September 1918.

I. Das Vorspiel.

1. Cilicien.

Die cilicischen Ereignisse nahmen ihren Ausgang von Zeitun, einem Bergnest in den Hochtälern des Taurus, das in der Luftlinie 120 Kilometer von der Küste entfernt liegt. Die Armenier von Zeitun und den umliegenden Dörfern erfreuten sich noch bis in die 70er Jahre einer Unabhängigkeit gleich der der tributpflichtigen seßhaften Kurden. Zur Zeit der Abdul Hamidschen Armeniermassakers 1895/96, denen 80–100000 Armenier zum Opfer fielen, hatte sich Zeitun in Verteidigungszustand gesetzt und durch die Intervention der Mächte Amnestie erlangt. Wer fremde Intervention anrief, galt als Reichsfeind. Die erste Gelegenheit, die sich nach Ausbruch des Krieges bot, wurde benützt, um gegen das mißliebige Zeitun vorzugehen. Schon vor dem Kriege, im Jahre 1913, hatte[S. x] sich in der Nachbarschaft von Zeitun auf dem Bergkegel Ala Kaia eine Räuberbande eingenistet, die sich nach der allgemeinen Aushebung durch christliche und muhammedanische einem harten Dienst entflohene Deserteure verstärkte. Die Bürgerschaft von Zeitun war unschuldig an ihrem Treiben und wünschte nichts mehr, als daß sie eingefangen würden, weil ihre Widersetzlichkeit den Behörden einen Vorwand zum Einschreiten gegen die Stadt geben konnte. Ein Zusammenstoß von Gendarmen mit Deserteuren gab das Signal zu dem gefürchteten Vorgehen. Eine ansehnliche Truppenmacht von 4000 Mann rückte vor Zeitun, angeblich um dem Räuberwesen ein Ende zu machen. Die 150 Deserteure verschanzten sich in einem Kloster abseits von der Stadt. Das Kloster wird beschossen. Bei dem Angriff hatten die Türken 7 bis 8, die Deserteure 26 bis 30 Tote. Die übrigen ließ man in der Nacht entkommen, um die Stadt haftbar machen zu können. Dies geschah am 25. März 1915 im fünften Monat des Krieges. Am nächsten Tage begann man nach Verhaftung von 30 Notabeln mit dem Abtransport sämtlicher armenischer Bewohner von Zeitun und Umgegend, Männern, Frauen und Kindern, 10 bis 20000 Seelen. Ein Teil wurde in die Sumpfdistrikte des Wilajets Konia, ein Teil in die arabische Wüste nach Der es Zor am Euphrat verschickt. Ohne Verhör und Urteilsspruch. Es war eine Maßnahme der inneren Politik, die mit Kriegsnotwendigkeiten nichts zu tun hatte.

Ein zweiter, der Regierung mißliebiger Platz war das Dorf Dörtjol an der cilicischen Küste, unweit dem alten Issus. Die Einwohner von Dörtjol hatten sich während des cilicischen Massakers von 1909, dem 20000 Armenier zum Opfer fielen, mit Erfolg verteidigt. Auch den Bewohnern des weiter südlich gelegenen Dorfes Suedije am Djebel Musa war es damals gelungen, dem Massaker zu entrinnen. Unaufgeklärte, unbedeutende Spionageaffären gaben den Anlaß, gegen Dörtjol vorzugehen. Die Männer von Dörtjol wurden nach Aleppo abtransportiert und zum Straßenbau gepreßt. Suedije und seine Nachbardörfer sollten am 30. Juli in die arabische Wüste deportiert werden. Seine Bewohner flüchteten auf den Djebel Musa. Nach mehrwöchentlicher Belagerung durch türkische Truppen gelang es ihnen, von den steil ins Meer abfallenden Bergabhängen sich mit einem französischen Kreuzer in Verbindung zu setzen, der mit dem herbeigerufenen Flaggschiff „Jeanne d’Arc“ und anderen Kriegsschiffen die Flüchtlinge, Männer, Frauen und[S. xi] Kinder in Zahl von 4058 Seelen, nach Alexandrien verschiffte (Anhang Nr. 1).

Andere Vorfälle, die Grund zu einer allgemeinen Deportation der armenischen Bevölkerung von Cilicien (ca. 80000 Seelen) hätten geben können, haben sich im Küstengebiet nicht ereignet.

Die Vorgänge von Zeitun, Dörtjol und Suedije wurden der Botschaft von den Konsulaten zu ihrer Zeit gemeldet. Die Pforte hatte sich wegen ihres Vorgehens in Cilicien mit der Botschaft nicht in Verbindung gesetzt. Als die Botschaft aus Anlaß der immer weiter greifenden Verschickung ganzer Distrikte mehrfach intervenierte, machte die Pforte geltend, daß es sich um militärische Interessen und innere Angelegenheiten der Türkei handle, die die Botschaft nichts angingen. Massaker waren auf cilicischem Boden nicht vorgekommen, nur Aussiedelungen. Als die Armenier der Stadt Marasch (gegen 60000 Seelen, wovon 24000 Christen), durch die Zeituner Vorgänge und die Erregung der Muhammedaner beunruhigt, ein Massaker befürchteten, begab sich Konsul Rößler aus Aleppo dorthin. Der Schutz deutscher Anstalten in Marasch (Hospital und Waisenhaus) berechtigte ihn dazu. Sein Besuch wirkte beruhigend. Auch die amerikanische Mission, die in Marasch ein Kollege hatte, war dafür dankbar. Die gegen Konsul Rößler ausgestreuten Verleumdungen der englischen Presse, Konsul Rößler habe bei seinem Besuch (in Aintab?) persönlich Massaker dirigiert und zu Greueltaten aufgemuntert — Verleumdungen, die auch im englischen Oberhaus zur Sprache kamen —, sind durch die Zeugnisse amerikanischer Missionare widerlegt[2]. Die zahlreichen Konsularberichte von Herrn Rößler erbringen den Beweis, mit welch unermüdlicher Hingabe und Zähigkeit er während der ganzen Kriegszeit für die Armenier seines Konsularbezirks und die durchflutenden Massen der Deportierten eingetreten ist. Solange Djelal Bey in Aleppo war, erfreute sich Konsul Rößler der Zustimmung dieses gerechten und menschenfreundlichen Walis, der in seinem Wilajet weder Deportationen noch Massaker duldete. Doch schon am 21. Juni 1915 wurde Djelal Bey seines Amtes enthoben, weil er sich den Befehlen von Konstantinopel nicht fügen wollte. Auch der Oberkommandierende der 4. Armee, Djemal Pascha, zu dessen Befehlsbereich Cilicien und Aleppo gehörten, mißbilligte die armenische Politik der Regierung.[S. xii] Durch wiederholte Erlasse hat er wenigstens erreicht, daß in seinem Befehlsbereich Massaker nicht vorgekommen sind. Den von der Zentralregierung befohlenen Deportationen und der Islamisierung der Reste des armenischen Volkes hat auch er sich nicht widersetzt.

2. Ostanatolien.

Aus dem Wilajet Erzerum waren der Botschaft schon seit Kriegsbeginn Klagen über Härte der Requisitionen und Gewalttaten von türkischer Gendarmerie und Tschettäs (berittenen Banden) gegen die armenische Landbevölkerung zugegangen. Urheber dieser Ausschreitungen waren die jungtürkischen Klubs in den Provinzialstädten. Am 10. Februar war der zweite Direktor der Ottomanbank in Erzerum, der Armenier Pasdirmadjian, das Opfer eines Meuchelmords geworden. Obwohl sich General Posseldt Pascha, Mitglied der deutschen Militärmission, der damals noch Festungskommandant von Erzerum war, darum bemühte, wurden die bekannten Mörder nicht verhaftet. In den Landdistrikten der Erzerum- und der Passinebene, östlich von Erzerum, wurden nach und nach alle armenischen Dörfer — hauptsächlich Frauen und Kinder, da die Männer zum Heeresdienst eingezogen waren —, angeblich aus militärischen Gründen, ausgeräumt. Der Befehl kam von dem Oberstkommandierenden der 3. Armee, Kamil Pascha. Der Wali von Erzerum, Tahsin Bey, der die Maßregel mißbilligte, war machtlos dagegen. Am 18. Mai 1915 drahtete der deutsche Vizekonsul v. Scheubner-Richter an den Botschafter Freiherrn v. Wangenheim:

„Das Elend unter den vertriebenen Armeniern ist fürchterlich. Frauen und Kinder lagern zu Tausenden ohne Nahrung um die Stadt herum. Die zwecklose Vertreibung ruft die größte Erbitterung hervor. Darf ich deswegen bei dem Oberstkommandierenden Schritte unternehmen?“

Der Botschafter Freiherr von Wangenheim ermächtigte am gleichen Tage den Konsul, Vorstellungen zu erheben und auf humane Behandlung der Ausgewiesenen hinzuwirken. Der Konsul begibt sich ins Hauptquartier Tortum und berichtet unter dem 2. Juni, daß seine „Rücksprache mit dem Oberstkommandierenden zu keinem positiven Resultat führte“.

Lag im Wilajet Erzerum die Gefahr einer armenischen Erhebung vor?

[S. xiii]

General Posseldt erklärt am 26. April, „die Aufführung der Armenier sei tadellos gewesen.“

Der Konsul bestätigt es: „Da ein Aufstand der hiesigen Armenier nicht zu erwarten ist, ist diese Maßnahme grausamer Ausschließung unbegründet und ruft Erbitterung hervor.“ (16. Mai.) Talaat Bey, der Minister des Innern, bei dem die Botschaft anregt, die Aussiedelungsmaßregel zu mildern, „zeigt sich abgeneigt“, da man gerade in Erzerum belastende Korrespondenzen, Waffen und Bomben gefunden habe (29. Mai). Auf Anfrage drahtet der Konsul v. Scheubner-Richter aus Erzerum: „In Erzerum und Umgebung wurden Bomben und dergleichen nicht gefunden, was auch vom Wali bestätigt werden kann.“ (2. Juni.)

In Cilicien und im Wilajet Erzerum waren die Dinge ihren eigenen Weg gegangen. Ein Zusammenhang bestand nicht, allgemeine Maßregeln gegen die armenische Bevölkerung des Reiches schienen nicht beabsichtigt zu sein. Auch im Wilajet Erzerum sind bis Ende Mai keine Massakers vorgekommen, nur Aussiedelungen, die durch das Oberkommando angeordnet und mit militärischen Notwendigkeiten begründet wurden.

Inzwischen waren aus den Wilajets Bitlis und Wan Meldungen eingegangen, die ernsterer Natur waren. Sie schienen die Anschauung der Pforte zu rechtfertigen, daß die militärischen Operationen durch revolutionäre Bewegungen im armenischen Volkselement bedroht und die Sicherheit des Reiches gefährdet sei. Über indirekt gemeldete Aufstände in Bitlis und Musch, Gebiete, die für die Konsulate nicht erreichbar waren, lagen nähere Berichte nicht vor. Es hat sich später herausgestellt, daß dort bereits im Frühjahr ein Anschlag türkischer Gendarmen auf das Dorf Goms zu Unruhen geführt hatte, die durch Vermittlung der Behörden und des armenischen Abgeordneten Papasian auf Anordnung Talaat Beys gütlich beigelegt wurden. Davon war aber der Botschaft nichts mitgeteilt worden. (Anhang Nr. 2).

3. Die Unruhen von Wan.

Am 22. April wurde der Botschaft aus Erzerum gemeldet: „In Wan und Umgebung Armenierunruhen (vermutlich infolge russischer Umtriebe) ausgebrochen. Straßenkampf, Telegraphenlinien zerstört, Verbindung mit Persien unterbrochen.“

[S. xiv]

Die alarmierende Nachricht wurde von der Pforte bestätigt.

Eine Aufklärung über die Ursachen und den Verlauf der Vorgänge in Wan hat die Botschaft von der Pforte niemals erhalten. Erst Monate später sind darüber von amerikanischen und deutschen Missionaren, die die Dinge miterlebt haben, authentische Mitteilungen nach Europa gelangt (Anhang Nr. 3).

Was war in Wan geschehen? — Mitte Februar war Djevdet Bey, der Wali von Wan, ein Schwager Enver Paschas, aus dem Gebiet von Salmas und Urmia zurückgekehrt, wo er sich an dem nordpersischen Feldzuge türkischer und kurdischer Truppenteile beteiligt hatte. In einer Versammlung von türkischen Notabeln äußerte er sich: „Wir haben mit den Armeniern und Syrern von Aserbeidschan reinen Tisch gemacht, wir müssen mit den Armeniern von Wan das gleiche tun.“ Die Kaimakams (Landräte) seiner Provinz wies er an, beim geringsten Anlaß gegen die Armenier vorzugehen. Mit den Armeniern von Wan (20000 Seelen) stellte er sich zunächst freundlich. Es wurden Kommissionen gebildet und auf die Dörfer geschickt, um den Plünderungen der Kurden und den Gewalttaten der Gendarmen Einhalt zu tun. Inzwischen zog Djevdet Bey Verstärkungen aus Erzerum heran. Als in Schatakh, einem überwiegend armenischen Dorf, Streitigkeiten mit Gendarmen ausbrachen (14. April) bat er die drei Führer der Armenier, Wramian, Ischchan und Aram, mit dem Müdir der Polizei von Wan nach Schatakh zu gehen, um den Streit zu schlichten. Ischchan ging und nahm drei andere Armenier mit sich. Der Müdir der Polizei begleitete sie mit tscherkessischen Saptiehs. Halbwegs übernachtete man in Hirtsch. Als die Armenier schliefen, ließ sie der Müdir der Polizei durch die Tscherkessen ermorden. In der Frühe des nächsten Tages, ehe man noch in Wan etwas von dem Meuchelmorde wußte, ließ der Wali Djevdet Bey die beiden zurückgebliebenen armenischen Führer Wramian und Aram zu sich bitten. Aram war zufällig abwesend. Wramian geht arglos zum Wali und wird, sobald er den Konak betreten hat, verhaftet. Der Wali schickt ihn gefesselt über Bitlis nach Diarbekr. Unterwegs wird er ermordet. Noch am selben Morgen bereitet Djevdet Bey den Angriff auf die Armenierviertel der Stadt vor. Gleichzeitig setzen die Massaker in Ardjesch und den Dörfern von Hayozdzor ein. Um Weib und Kind vor dem drohenden Massaker zu schützen, verschanzen sich die Armenier der Stadt in ihren Vierteln. Sie hatten keinerlei Verbindung mit Rußland.[S. xv] Vier Wochen verteidigten sie sich gegen die türkischen Truppen, die sie belagerten und beschossen. Ihre Vorräte waren erschöpft. Am 15. Mai fand ein letztes Bombardement statt. In der Nacht darauf verließ Djevdet Bey mit den Belagerungstruppen zum größten Erstaunen der Armenier die Stadt. Sie wußten noch nichts davon, daß die russische Armee auf der ganzen kaukasischen Front im Vormarsch war. Am 19. Mai, 30 Tage nach dem Beginn der Belagerung, zogen die Russen in Wan ein. Für den Vormarsch der Russen war die Entsetzung von Wan eine unbedeutende Episode. Ihre Hauptmacht stieß (wie Konsul Anders schon vor dem Kriege vorausgesehen hatte) nördlich vom Wansee in der Richtung auf Musch und Bitlis vor. Auch für die Armenier von Wan bedeutete die Entsetzung der Stadt nur, daß sie sich selbst und ihre Familien durch ihr tapferes Ausharren errettet hatten; denn schon am 31. Juli räumten die Russen Wan und nötigten die ganze armenische Bevölkerung in den Kaukasus überzusiedeln.

Die Pforte mußte über den Charakter des Aufstandes von Wan, der ein Akt der Selbstverteidigung war, unterrichtet sein. Sie wußte, daß dieser „Aufstand“ von dem Wali Djevdet Bey provoziert war und mit den russisch-türkischen Operationen in keinem Zusammenhang stand. Der Bericht über Wan (Anhang Nr. 3.) liest sich, ebenso wie der von Suedije (Anhang Nr. 1.), wie ein Kapitel aus einem Cooperschen Indianerroman, nicht wie eine Episode des Weltkrieges.

Besondere Aufmerksamkeit erfordert die Art, wie der „Aufstand“ von Wan — mit der Bitte um Geheimhaltung — der Botschaft von der Pforte dargestellt wurde[3].

Die Berichte lauteten:

24. April: Gebäude der Dette Publique und der Post in die Luft gesprengt, Straßenkämpfe, 20 Tote.

27. April: Aufruhr in Wan unterdrückt. Kurden am Aufstand beteiligt. 400 Armenier getötet, die übrigen nach Rußland geflohen.

6. Mai: Neue Kämpfe in Wan. Türkische Verluste 600 Mann.

9. Mai: Unruhen in Wan dauern an. Türken 1000, Armenier 3000 Tote.

Sprungweise gehen die Verluste, von 20 auf 400, auf 600, auf[S. xvi] 4000 in die Höhe. In Wahrheit sind bei den Armeniern während der vierwöchentlichen Belagerung vom 20. April bis zum 17. Mai 18 Tote und bei den Türken schwerlich viel mehr gefallen[4]. Falstaff ist nichts gegen Djevdet Bey.

Warum diese grotesken Übertreibungen? Enver Pascha war doch sicherlich von seinem Schwager Djevdet gut unterrichtet. Man wollte der Botschaft beweisen, daß alles auf dem Spiel stehe, daß der Bestand des Reiches durch eine ganz gefährliche Erhebung der Armenier bedroht sei. Der Zweck wurde erreicht. Die Botschaft glaubte es.

4. Der Beschluß der allgemeinen Deportation.

Bei seiner Rückkehr von der kaukasischen Front im Februar des Jahres hatte Enver Pascha als Kriegsminister und Generalissimus der türkischen Armee auf eine Adresse des Bischofs von Konia erwidert: „Ich sage Ihnen meinen Dank dafür und benütze die Gelegenheit, um Ihnen auszusprechen, daß die armenischen Soldaten der ottomanischen Armee ihre Pflichten auf dem Kriegstheater gewissenhaft erfüllen, was ich aus eigener Anschauung bezeugen kann. Ich bitte der armenischen Nation, die bekannt ist für ihre vollkommene Ergebenheit gegenüber der Kaiserlich Ottomanischen Regierung, den Ausdruck meiner Genugtuung und Dankbarkeit zu übermitteln“. (Osmanischer Lloyd vom 26. 2. 1915). Auch dem armenischen Patriarchen gegenüber hatte Enver Pascha „seine besondere Zufriedenheit ausgesprochen über die Haltung und Tapferkeit der armenischen Soldaten, die sich in ausgezeichneter Weise geschlagen hätten“, hatte aber schon damals bezeichnenderweise hinzugefügt, „daß er beim geringsten Vorkommnis in den östlichen[S. xvii] Armenierzentren mit drakonischen Maßnahmen einschreiten würde“. Wie kam es, daß mit dem 20. April das Urteil über die Ergebenheit der armenischen Nation so plötzlich umschlug? Der „Aufstand“ von Wan war das tragische Moment in der armenischen Schicksalstragödie. Das Stichwort für die „drakonischen Maßnahmen“ Enver Paschas war gegeben.

Mit der Fixierung dieses Momentes soll nicht gesagt werden, daß nicht der Vernichtungswille der treibenden Kräfte, die hinter dem Kriegsminister standen, schon vor den Ereignissen in Wan bestanden hätte. Schon auf dem Kongreß des jungtürkischen „Komitees für Einheit und Fortschritt“ in Saloniki Oktober 1911, war der nationalistisch-panislamische Gedanke — die Alleinherrschaft der türkischen Rasse und der Aufbau des Reiches auf rein islamischer Grundlage — als Regierungsprogramm angenommen worden:

„Früher oder später müßte die vollkommene Ottomanisierung aller türkischen Untertanen durchgeführt werden, aber es sei klar, daß dies niemals durch Überredung erreicht werden könne, sondern man müsse zur Waffengewalt Zuflucht nehmen. Der Charakter des Reiches habe muhammedanisch zu sein und muhammedanischen Einrichtungen und Überlieferungen müsse Respekt verschafft werden. Anderen Nationalitäten müsse das Recht der Organisation vorenthalten werden, denn Dezentralisation und Selbstverwaltung seien Verrat am türkischen Reich. Die Nationalitäten seien eine quantité négligeable. Sie könnten ihre Religion behalten, aber nicht ihre Sprache. Die Ausbreitung der türkischen Sprache sei eines der Hauptmittel, um die muhammedanische Vorherrschaft zu sichern und die übrigen Elemente zu assimilieren“[5].

Dies Programm stand seit Ausbruch des Krieges hinter allen Maßregeln, die die „Raja“ der christlichen Nationen als eine „Herde“ von Hörigen behandelten: die allgemeine Entwaffnung der christlichen Bevölkerung, die Degradierung der armenischen Soldaten, die mit der Waffe eingezogen worden waren, zu Lastträgern und Straßenarbeitern, die Entlassung der armenischen Beamten und Ärzte aus dem Verwaltungsdienst und den Kriegslazaretten usw. Dies pantürkische Programm stand schon vor den Tagen von Wan hinter den Verschickungen und Massenverhaftungen in Cilicien und[S. xviii] im Wilajet Erzerum und diktierte den Vernichtungsfeldzug, den türkische und kurdische Truppen im Winter 1914/15 in Nordpersien gegen die friedliche syrische und armenische Bevölkerung von Urmia und Salmas führten. Dies Programm rief die allgemeine Christenverfolgung in den Wilajets Diarbekr und Mossul hervor, der unterschiedslos Jakobiten, Chaldäer, Nestorianer und Armenier zum Opfer fielen.

Auch ohne den „Aufstand von Wan“ wäre dies Programm durchgeführt worden. Denn schon dieser „Aufstand“ war ein Akt des Selbstschutzes gegen das drohende Massaker, das an mehreren Orten gleichzeitig einsetzte, als Djevdet Bey durch den Meuchelmord an den armenischen Führern das Signal dazu gab, in denselben Tagen, in denen auch in Cilicien die Verschickung auf große Distrikte ausgedehnt wurde, die außerhalb des Kriegsgebietes lagen.

Der „Aufstand von Wan“ gab nur einen weithin sichtbaren Vorwand her, um den längst gefaßten Plan der Türkisierung und Islamisierung des Reiches der Außenwelt gegenüber unter den Schein militärischer Notwendigkeiten zu verhüllen und im Schoß des Komitees selbst jeden Widerstand gegen die radikalste Form seiner Durchführung, die Vernichtung zunächst des armenischen Volkes, zu unterdrücken.

Von welcher Seite in Konstantinopel die entscheidende Wendung in der armenischen Politik der Regierung herbeigeführt wurde, durch Enver Pascha oder Talaat Bey oder durch einen Beschluß des jungtürkischen Komitees, darüber wird man erst Aufschluß erlangen, wenn die Interna der jungtürkischen Regierung an den Tag gekommen sein werden[6]. Es scheint, daß im Komitee selbst Gegensätze zwischen einer radikalen und einer gemäßigteren Gruppe bestanden, die in der Zeit vom 24. April bis zum 27. Mai zum Austrag gebracht wurden und mit dem Sieg der radikalen Gruppe endeten.

Das Ergebnis dieser Kämpfe war der Beschluß, der das Schicksal des armenischen Volkes besiegelte: Die allgemeine Deportation.

[S. xix]

II. Die allgemeine Deportation.

1. Die Massenverhaftung der Intellektuellen in Konstantinopel.

Am 22. April bestätigte der Minister des Innern die Mitteilungen, die die Botschaft über den Ausbruch der Unruhen in Wan erhalten hatte, — mit der Bitte um vorläufige Geheimhaltung. An dem darauffolgenden Sonntag, dem 25. April, erfuhr das überraschte Konstantinopel, daß in der Nacht vom Sonnabend auf den Sonntag die politischen und geistigen Spitzen der armenischen Gesellschaft in der Hauptstadt verhaftet worden seien. In der Nacht vom Sonntag auf den Montag wurde die Razzia erneuert. Gegen 600 armenische Intellektuelle, die führenden Männer der Nation, Deputierte, Parteiführer, Schriftsteller, Journalisten, Geistliche, Ärzte wurden in den Tagen darauf ohne Verhör und Urteil aus den Gefängnissen in das Innere von Kleinasien nach Ajasch und Tschangri abtransportiert[7]. Gerüchte von geplanten Attentaten zirkulierten in der Stadt, die aber von der Regierung selbst dementiert wurden. Von den Vorgängen in Wan war noch nichts bekannt. Am 29. April wurde die Bevölkerung von Konstantinopel aufgefordert, alle Waffen abzuliefern, was ohne Zwischenfall geschah.

Offiziell teilte Talaat Bey, der Minister des Innern, der Botschaft durch ihren ersten Dragoman mit, „die Regierung sei jetzt entschlossen, dem bisherigen Zustand ein Ende zu bereiten, wonach jede Religionsgemeinschaft ihre besondere ‚Politik‘ mache und hierzu besondere politische Vereinigungen gründen und unterhalten könne. In der Türkei solle künftig nur ‚osmanische‘ Politik gemacht werden. Unter den hiesigen (Konstantinopeler) Armeniern befänden sich eine Reihe von politisch nicht ganz sicheren Persönlichkeiten; sie seien natürlich gerade unter den tätigen Mitgliedern der Klubs und Redaktionen zu suchen. Die Besorgnis sei nicht von der Hand zu weisen, daß im Falle einer ungünstigen Wendung des Krieges diese Elemente die Gelegenheit zur Unruhestiftung ergreifen könnten. Der Augenblick schien günstig, alle diese Verdächtigen aus der Hauptstadt zu entfernen. Unter den Verschickten gäbe es sicher viele,[S. xx] die in keiner Weise schuldig seien. Dies leugne die Regierung nicht, und er — Talaat — werde aus eigenem Antrieb und ohne daß es hierzu einer Intervention bedürfe, diesen die Erlaubnis zur Rückkehr erteilen.“[8]

So wurde im voraus einer Intervention von deutscher Seite vorgebeugt. Beschuldigungen gegen die allgemein als loyal bekannten und geachteten Intellektuellen, zum Teil persönliche Freunde der jungtürkischen Führer — Zohrab hatte Halil Bey in den Tagen der Gegenrevolution das Leben gerettet —, wurden nicht erhoben. Die Verhaftung wurde als Vorbeugungsmaßregel charakterisiert und eine richterliche Untersuchung in Aussicht gestellt, um etwa Verdächtige zu ermitteln.

Ein Zusammenhang der Verhaftungen mit den Vorgängen in Wan wurde nicht konstruiert. Der Plan der Vernichtung der armenischen Nation, der man in ihren geistigen Führern das Haupt abschlug, ehe man den Leib der Todesfolter unterwarf, mußte im Dunkel bleiben, bis die Vorbereitungen für die Gesamtdeportation getroffen waren. Der Einmarsch der russischen Truppen in Wan scheint den letzten Widerstand im Komitee gebrochen zu haben. Die radikalen Elemente des Komitees triumphierten. Der Beschluß der Deportation wurde auf die ganze armenische Bevölkerung der Türkei ausgedehnt.

Am 27. Mai erschien das „Provisorische Gesetz über die Verschickung verdächtiger Personen“. Artikel 2 lautet:

„Die Kommandanten der Armeen, Armeekorps und Divisionen können, wenn militärische Bedürfnisse es fordern, die Bevölkerung von Städten und Dörfern, die sie der Schuld des Verrats oder der Spionage für verdächtig halten, dislozieren und in anderen Orten ansiedeln.“

Schuldbeweise sind für die Strafe der Verschickung nicht erforderlich. Verdacht genügt. So wurde es in Konstantinopel, so im ganzen Reich gehalten.

2. Die Ankündigung der Verschickungsmaßregel.

Es ging nicht wohl an, einen Beschluß von so großer Tragweite wie den der Deportation der Deutschen Botschaft ganz zu ver[S. xxi]schweigen. Durch die grotesken Übertreibungen und Entstellungen der Vorgänge in Wan, durch gleichzeitige unkontrollierbare Mitteilungen über Aufstände in Bitlis und Musch, über geplante Verschwörungen in Erzerum, Bombenfunde und Spionageakte an verschiedenen Plätzen des Reiches, war auf der Botschaft eine Atmosphäre geschaffen, die einschneidende Maßregeln als gerechtfertigt erscheinen ließ. Allerdings hätte ein Telegramm aus Mossul vom 18. Mai, das gleichzeitig mit dem Fall von Wan durch Konsul Holstein der Botschaft zuging, stutzig machen können. Denn es meldete, daß nach gleichlautenden Mitteilungen des nestorianischen Patriarchen in Kodschanes und des chaldäischen Patriarchen in Mossul, „die Muselmanen im Bezirk Amadia ein allgemeines Christenmassaker planten und schon damit begonnen hätten; Wali gebe Tatsache zu und scheine die Bewegung, wenn nicht gerade zu schüren, so doch nicht energisch genug zu hemmen“. Doch hier handelte es sich um nestorianische, jakobitische und chaldäische Syrer, nicht um Armenier.

Am 31. Mai drahtete der deutsche Botschafter an das Auswärtige Amt: „Zur Eindämmung der armenischen Spionage und um neuen armenischen Massenerhebungen vorzubeugen, beabsichtigt Enver Pascha unter Benutzung des Kriegs- (Ausnahme-) Zustandes eine große Zahl armenischer Schulen zu schließen, armenische Postkorrespondenz zu untersagen, armenische Zeitungen zu unterdrücken und aus den jetzt insurgierten armenischen Zentren alle nicht ganz einwandfreien Familien in Mesopotamien anzusiedeln. Er bittet dringend, daß wir ihm hierbei nicht in den Arm fallen.“

Bezeichnend für die Mitteilung Enver Paschas an den Botschafter ist die Voranstellung von Schulen, Postkorrespondenzen und armenischen Zeitungen vor die Hauptsache, die Ankündigung der Verschickungen. Um Einwänden im voraus zu begegnen, wird die Maßregel auf „nicht ganz einwandfreie Familien“ und die „jetzt insurgierten armenischen Zentren“ beschränkt.

Welche Zentren waren damals insurgiert?

Die Deserteuraffäre in Zeitun und die Spionageakte in Dörtjol waren durch Abtransport der Bewohner von Zeitun und Dörtjol erledigt. Die Unruhen in Bitlis und Musch waren, was die Botschaft nicht wußte, durch die Behörden mit Hilfe des Abgeordneten Papasian beglichen. Vereinzelte verbürgte oder unverbürgte Bomben[S. xxii]funde[9] „gehörten zu dem schon bekannten Inventar der türkischen Behörden an solchen Vorwänden“. In Erzerum „glaubte“ der Wali Beweise für eine armenische Verschwörung in Händen zu haben, obwohl nach dem Zeugnis General Posseldts „die Aufführung der Armenier tadellos“ und nach dem Urteil des Konsuls von Scheubner-Richter „ein Aufstand nicht zu erwarten war“. Als „Massenerhebung“ und ernste Gefahr für die militärischen Operationen mußte dagegen die „Insurrektion“ von Wan erscheinen.

Die Maßregel partieller Verschickungen von „nicht einwandfreien Familien“ konnte sich nach den vorliegenden Berichten nur auf die östlichen Wilajets an der kaukasischen Front beziehen, wo es nach türkischen Meldungen in Wan, Schatakh, Bitlis und Musch „insurgierte Zentren“ zu geben schien. Da schon im Sommer 1914 Rußlands Anteil an Kurdenaufständen in Bitlis und Musch gemeldet war, hatte auch die von der Pforte behauptete „von Rußland genährte Wühlarbeit“ einige Wahrscheinlichkeit für sich[10]. Vom militärischen Gesichtspunkt konnten bei der unvollkommenen Information über die tatsächlichen Vorgänge Vorbeugungsmaßregeln „in den insurgierten Zentren“ als berechtigt erscheinen. So sah der Botschafter keinen Grund, sich den angekündigten Maßregeln Enver Paschas zu widersetzen und hielt sie in den von Enver selbst gezogenen Grenzen („nicht ganz einwandfreie Familien“, „insurgierte Zentren“, „Ansiedlung in Mesopotamien“) für berechtigt. Er glaubte sich darauf beschränken zu müssen, auf Milderung in der Form hinzuwirken, und informierte die Konsulate von Trapezunt, Erzerum, Adana, Aleppo, Mossul, Bagdad — von denen die nördlichen als Ausgangspunkt, die südlichen als Verschickungsziele in Betracht kamen, — um eine geordnete Ausführung der Maßnahmen überwachen zu können. Die Erfahrungen, die mit tscherkessischen und bulgarischen Muhadschirs (Emigranten) gemacht worden waren, hätten den Botschafter belehren können, was bei solchen „Ansiedelungen“ herauszukommen pflegte. Aber er machte sich wohl[S. xxiii] keine deutliche Vorstellung davon. In Pera kennt man nur das europäische, aber nicht das asiatische Gesicht der Türkei. Bisher waren in Cilicien und Ostanatolien keine Massaker vorgekommen. Noch am 15. Mai hatte der deutsche Konsul aus Erzerum berichtet: „Der Ausbruch eines Massakers ist hier kaum anzunehmen, es sei denn, daß Mißerfolge an der Front die türkischen Truppen zu einem Rückzuge nach Erzerum nötigen werden.“ Vorstellungen, die die Botschaft wegen der Deportationsmaßregeln von Frauen und Kindern im Wilajet Erzerum erhob, wurden von Talaat Bey damit beruhigt, daß „die Armenier durch die Deportation vor Schlimmerem, nämlich Massakers, bewahrt werden sollen; die Regierung werde den Ausgewiesenen neue Wohnsitze anweisen und sie auch unterstützen“. Dergleichen Zusagen nahm man damals noch ernst.

3. Die Deportation.

Es stellte sich nur zu bald heraus, daß die Konsuln die Folgen der Deportation zutreffender beurteilten, als die Botschaft.

Am 3. Juni prophezeite der Vicekonsul von Scheubner-Richter in Erzerum die zu erwartenden Wirkungen der Deportationsmaßregel:

„Die armenischen Bewohner aller Ebenen, wahrscheinlich auch Erzerums, sollen bis Der es Zor (in die arabische Wüste) geschickt werden. Diese Aussiedelung großen Maßstabes ist gleichbedeutend mit Massakers, da mangels jeglicher Transportmittel kaum die Hälfte ihren Bestimmungsort lebend erreichen wird, und dürfte nicht nur den Ruin der Armenier, sondern den des ganzen Landes nach sich ziehen.“

Eine Woche später trafen böse Nachrichten aus Diarbekr ein. Konsul Holstein drahtet am 10. Juni:

„614 aus Diarbekr hierher verbannte armenische Männer, Frauen und Kinder sind auf der Floßreise sämtlich abgeschlachtet worden; die Kelleks sind gestern hier leer angekommen; seit einigen Tagen treiben Leichen und menschliche Glieder im Fluß vorbei. Weitere Transporte armenischer ‚Ansiedler‘ sind hierher unterwegs, ihnen dürfte dasselbe Los bevorstehen. Ich habe der hiesigen Regierung meinen tiefsten Abscheu über diese Verbrechen zum Ausdruck gebracht; der Wali sprach sein Bedauern darüber aus mit dem Bemerken, daß allein der Wali von Diarbekr dafür verantwortlich sei.“

Am 12. Juni berichtet Konsul Rößler aus Aleppo:

„Von dem hier weilenden Katholikos von Sis wird die Seelenzahl[S. xxiv] der bisher verbannten Armenier auf über 30000 angegeben. Zeitun und Umgegend, ferner Alabasch, Albistan, Dörtjol, Hassan-Beyli sind vollständig geräumt. Es sind nicht nur die Familien, die „nicht ganz einwandfrei“ schienen, verbannt worden, sondern die ganze Bevölkerung, sogar die Familien der im Heeresdienst stehenden Soldaten... Damit geht die Regierung weit über den Zweck notwendiger Vorbeugungsmaßregeln hinaus.“

Am 18. Juni meldet von Scheubner-Richter aus Erzerum das erste Massaker:

„Vernichtung der ausgewiesenen Armenier auf dem Wege über Ersindjan nach Kharput.“ Es handelte sich, wie erst später bekannt wurde, um die von Kurden und Regierungstruppen der 86. Kavalleriebrigade unter Führung ihrer Offiziere vom 10. bis 14. Juni verübte Abschlachtung von 20 bis 25000 Deportierten, fast nur Frauen und Kinder, in der Kemachschlucht, 12 Stunden von der Garnisonstadt Ersindjan, dem Sitz des Kommandos des 3. Armeekorps.

Der Botschafter drahtet an den Konsul (21. Juni):

„Ich bitte dem Wali eindringlich vorzustellen, daß solche schmachvollen Vorfälle das Ansehen der Regierung im neutralen Auslande und bei den Freunden der Türkei schädigen und die Autorität der Behörden im Inland untergraben... Pflicht der Ortsbehörden ist es, solche Vorkommnisse mit allen Mitteln zu verhindern, wenn sie nicht eine schwere Verantwortung auf sich laden wollen.“

In gleichem Sinne erhebt der Botschafter Vorstellungen bei der Pforte. Auch die Massenausweisungen in Cilicien hatte der Botschafter bei dem Minister des Innern zur Sprache gebracht. Die ungewollte Folge dieses Schrittes war die Enthebung des Walis Djelal Bey von Aleppo, des einzigen Walis, der in seinem Wilajet sich den Maßregeln der Regierung mit Erfolg widersetzt hatte. Auch die Vorstellungen der Konsuln blieben wirkungslos oder hatten das entgegengesetzte Resultat.

Bis gegen Ende Juni konnte es immer noch den Anschein haben, als ob die Maßregel sich auf die strategisch bedrohten Grenzgebiete (Cilicien, Erzerum) beschränken würde. Ende Juni läßt die Regierung den Schleier fallen. A tempo setzen in allen ostanatolischen Wilajets, auch in den mittleren Provinzen (die Hunderte von Kilometern vom Kriegsschauplatz abliegen), Massendeportationen ein, die ausnahmslos mit Konfiskation aller Habe, Abschlachtungen der männlichen Bevölkerung und Raub von jungen Frauen und Töchtern[S. xxv] verbunden sind. Jetzt bestand kein Zweifel mehr, daß es sich nicht um militärische Maßnahmen zur Sicherung des Reiches, sondern um eine planmäßige Vernichtung des armenischen Volkes handelte. Es folgen Schlag auf Schlag:

Ich führe hier nur die Hauptplätze an mit den Daten, an denen sie von den Konsuln gemeldet wurden. Die Verschickung betraf aber nicht nur diese Plätze, sondern die gesamte armenische Stadt- und Landbevölkerung in Ost- und Westanatolien, Cilicien und Mesopotamien (mit Ausnahme von Konstantinopel, Smyrna und Aleppo), im ganzen 1400000 Armenier, Männer, Frauen und Kinder.

Die Ausweisung wurde in der Regel nur wenige Tage oder Stunden vorher angekündigt. Die Ausgewiesenen mußten alle ihre Habe, Häuser, Äcker, Vieh, Hausgerät, Werkzeuge, zurücklassen. Die Deportation war zugleich eine Gesamtkonfiskation des armenischen Volksvermögens. Wo erlaubt wurde, Wagen oder Transporttiere mitzunehmen, wurden sie den Emigranten von den begleitenden Gendarmen auf dem Wege wieder abgenommen. Ebenso Geld, Schmucksachen und was sich sonst noch in ihren Händen befand. Die Männer wurden von Frauen und Kindern getrennt, abseits[S. xxvi] geführt und getötet. Die jüngeren Frauen und Mädchen, auch Kinder, in türkische Harems und kurdische Dörfer verkauft oder verschleppt. Was nach monatelangen Wanderungen am Verschickungsziel, den Rändern der arabischen Wüste, ankam, waren Haufen von zerlumpten, ausgehungerten, bettelarmen Menschen, meist nur Greise, ältere Frauen und Kinder.

Am 31. August erklärt Talaat Pascha dem stellvertretenden deutschen Botschafter Fürst Hohenlohe-Langenburg[11] — wenn auch in anderem Sinne — „La question armenienne n’existe plus.“

4. Die Schritte der Botschafter bei der Pforte.

Was haben die deutschen Botschafter zur Abwehr des Unheils und zur Eindämmung seiner verhängnisvollen Folgen getan?

Durch die Ankündigung von Verschickungen „nicht ganz einwandfreier Familien“ aus den „insurgierten Zentren“ war die Deutsche Botschaft über den Charakter und die Tragweite des Komiteebeschlusses getäuscht worden. Es handelte sich nicht um „Familien“, sondern um das ganze armenische Volk; nicht um „insurgierte Zentren“, sondern um ganz Anatolien und Mesopotamien. Bis in die innersten Provinzen hinein wurde jede Stadt und jedes Dorf, in dem Armenier wohnten, für „insurgiert“ erklärt, obwohl es im ganzen Deportationsgebiet, seit Wan in russischen Händen war, überhaupt keine „Insurrection“ gab. Aber, nach dem provisorischen Gesetz vom 27. Mai genügte ja „Verdacht“ als Grund, um der Verschickung zu verfallen.

Aus den Konsularberichten ergab sich, daß die Verbannung der Armenier keineswegs nur durch militärische Notwendigkeiten motiviert war. Der armenische Patriarch äußerte sich auf der Botschaft dahin, „daß die Maßregeln der Pforte nicht nur die zeitweilige Unschädlichmachung der armenischen Bevölkerung, sondern ihre Ausrottung bezwecke“. Ja, dem Minister des Innern Talaat Bey entfiel einem Botschaftsmitgliede gegenüber die Äußerung, „daß die Pforte den Weltkrieg dazu benutzen wolle, um mit ihren inneren Feinden“ — den einheimischen Christen — „gründlich aufzuräumen, ohne dabei durch die diplomatische Intervention des Auslandes gestört zu werden“.

[S. xxvii]

Die weit verbreitete Meinung, daß die deutsche Regierung auf die innere Politik der Türkei einen nennenswerten Einfluß hatte, wurde von Talaat Bey nicht geteilt. Er wußte sehr wohl, daß Deutschland bis zum Eintritt Bulgariens in den Krieg (5. Oktober 1915) keinerlei Machtmittel in der Türkei besaß, um seinen Wünschen Nachdruck zu verleihen. Bis es soweit kam, hoffte die Pforte die „Armenische Frage“ erledigt zu haben. Die Zahl der deutschen Offiziere und Mannschaften, die sich im Monat April in der Türkei befanden, war eine äußerst geringe, von Militärhandwerkern abgesehen, 75 Offiziere und 150 Mann. Solange die Verbindung zwischen den Mittelmächten und der Türkei durch die Neutralität von Bulgarien gesperrt war, konnte von einer Verstärkung der deutschen Truppen in der Türkei und einem Schutz der christlichen Glaubensgenossen überhaupt nicht die Rede sein. Erst seit Oktober 1915 sind größere deutsche Mannschaftsbestände und auch dann hauptsächlich zum Schutz der Dardanellen in die Türkei gekommen. Im Innern von Anatolien gab es, von einzelnen Offizieren abgesehen, die den türkischen Oberkommandos zugeteilt waren, überhaupt keine deutschen Truppen. Bis zum Eintritt Bulgariens in den Krieg war der Einfluß Deutschlands auf die türkische Regierung auch noch aus einem anderen Grunde sehr prekärer Natur. Die Pforte sah sich in ihren Erwartungen deutschen Beistandes getäuscht und mußte monatelang den Albdruck der Dardanellenstürme allein aushalten, ohne daß auch nur in kritischen Situationen in genügendem Maße Munition herbeigeschafft werden konnte. So fühlte sich die Pforte Deutschland keineswegs verpflichtet und ließ bei jeder Gelegenheit die Zentralmächte fühlen, daß sie die größten Opfer für die Bundesgenossen bringe, ohne Gegenleistungen zu empfangen, und daß sie es sich daher verbitten müsse, wenn man in ihre inneren Angelegenheiten hineinreden wolle.

Im Juni hatte sich der deutsche Botschafter Freiherr von Wangenheim darauf beschränkt, der Pforte die Meldungen aus dem Innern zur Kenntnis zu bringen und die deutschen Konsulate zu beauftragen, daß sie bei den Provinzialregierungen und Oberkommandos eindringliche Vorstellungen erheben sollten, um schmachvolle Dinge abzustellen. Als sich Ende Juni und Anfang Juli die Meldungen über Massendeportationen aus den Wilajets häuften, und es ersichtlich geworden war, daß es sich keineswegs um lokal begrenzte Aussiedelungen aus militärischen Gründen, sondern um[S. xxviii] Vernichtungsmaßregeln handelte, überreichte der Botschafter dem Großwesir Said Halim Pascha

das Memorandum vom 4. Juli.

Abschriften gingen den Ministern des Äußern und des Innern zu. Ein Bericht vom 7. Juli an den Reichskanzler begründete den Schritt.

Im Memorandum erneuert der Botschafter seine Zustimmung zu Maßnahmen in den ostanatolischen Provinzen, „die durch militärische Gründe diktiert sind und ein Mittel legitimer Verteidigung bilden“, und fährt dann fort:

„Andererseits kann die deutsche Regierung die Gefahr nicht verhehlen, die durch diese rigorosen Maßregeln und besonders durch Massenverschickungen, die unterschiedslos Schuldige und Unschuldige treffen, geschaffen werden, noch dazu, wenn diese Maßnahmen von Gewaltakten, wie Massakres und Plünderungen, begleitet sind. Unglücklicherweise sind die Lokalbehörden nach den der Botschaft zugegangenen Informationen nicht imstande gewesen, Vorgänge dieser Art zu verhindern, die in jeder Beziehung bedauernswert sind. Die feindlichen Mächte werden davon Nutzen ziehen, um die Agitation unter den Armeniern zu nähren, und die Nachrichten, die man im Ausland verbreiten wird, werden nicht ermangeln, eine lebhafte Erregung in den neutralen Ländern hervorzurufen, vor allem in den Vereinigten Staaten, deren Vertreter seit einiger Zeit begonnen haben, sich für das Schicksal der Armenier in der Türkei zu interessieren.“

Sodann wird die Pforte auf die Folgen aufmerksam gemacht, die sich aus ihrem Verhalten zu ihrem eigenen Schaden ergeben müssen:

„Es ist vorauszusehen, daß mit dem Friedensschluß die Armenische Frage von neuem den fremden Mächten zum Vorwand dienen wird, um sich in die inneren Angelegenheiten der Türkei zu mischen. Die Botschaft hält es für dringlich, den Provinzialbehörden peremptorische Befehle zugehen zu lassen, daß sie wirksame Maßnahmen treffen, um Leben und Eigentum der verschickten Armenier sicher zu stellen, sowohl auf dem Transport als auch in den neuen Wohnsitzen.“

Eine Antwort auf dies Memorandum vom 4. Juli erhielt die Botschaft erst — am 22. Dezember.

In der Folgezeit fuhr die Botschaft fort, alle Vorgänge im Innern, die zu ihrer Kenntnis kamen, bei der Pforte zur Sprache zu bringen,[S. xxix] und ließ in erneuten Vorstellungen keinen Zweifel über ihre Mißbilligung der fortgesetzten Gewalttaten aufkommen. Die wachsende Beunruhigung in den christlichen Kreisen Deutschlands, die Erregung der Neutralen, die Anklagen der feindlichen Mächte, die vorauszusehenden Folgen für den wirtschaftlichen Ruin der Türkei, die ungünstigen Bedingungen, die sie sich für die Friedensverhandlungen schaffe, blieben das dauernde Thema aller mündlichen und schriftlichen Einwirkungen auf Großwesir und Minister. Doch alles war in den Wind geredet.

„Die Pforte“, schreibt Herr von Wangenheim am 16. Juli, kurz vor seiner Abreise resigniert an den Reichskanzler, „fährt trotz der wiederholten eindringlichen Vorstellungen, die wir dagegen erhoben haben, fort, die Armenier zu deportieren und durch die Ansiedelung in unwirtlichen Gegenden der Vernichtung preiszugeben. Wir können sie nicht daran hindern und müssen ihr die Verantwortung für die wirtschaftlichen und politischen Folgen dieser Maßregel überlassen.“

Fürst Hohenlohe-Langenburg, der zur Vertretung des Botschafters nach Konstantinopel gesandt wurde, kommt in seinen sofort aufgenommenen persönlichen Besprechungen mit den maßgebenden Männern zu demselben negativen Ergebnis. Said Halim Pascha, Talaat Bey, Enver Pascha und Halil Bey verschanzen sich bei allen ihren Äußerungen unentwegt hinter den Rechten der Souveränität, die nach Aufhebung der Kapitulation keiner fremden Macht — also auch Deutschland nicht — gestatte, sich in die inneren Angelegenheiten des Osmanischen Reiches einzumischen. Daneben nehmen sie zu Ableugnungen, Ausflüchten und vagen Versprechungen ihre Zuflucht.

„Alle diesseitigen Vorstellungen“, so faßt Fürst Hohenlohe das Ergebnis aller Bemühungen zusammen (2. August), „haben sich gegenüber dem Entschluß der Regierung, die einheimischen Christen in den östlichen Provinzen unschädlich zu machen, als unwirksam erwiesen.“

Um einen verstärkten Druck auf die Pforte auszuüben, überreicht er der Pforte

das Memorandum vom 9. August.

Er schreibt darüber an den Reichskanzler (12. August):

„Die systematische Niedermetzelung der aus ihren Wohnsitzen vertriebenen armenischen Bevölkerung hatte in den letzten Wochen[S. xxx] einen derartigen Umfang angenommen, daß eine erneute eindringliche Vorstellung unsererseits gegen dieses wüste Treiben, das die Regierung nicht nur duldete, sondern offensichtlich förderte, geboten schien, zumal da an verschiedenen Orten auch die Christen anderer Rassen und Konfessionen nicht mehr verschont wurden.“

Zugleich bittet der Botschafter, zur Unterstützung seiner Schritte auch den neuen türkischen Botschafter in Berlin auf die Folgen der Armenierpolitik seiner Regierung und auf den deutschen Standpunkt in dieser Sache aufmerksam zu machen.

Das Memorandum von 9. August erinnert zunächst an die (von der Pforte unerwiderte) Denkschrift vom 4. Juli und fährt dann fort:

„Die Deutsche Botschaft bedauert, feststellen zu müssen, daß nach den Mitteilungen, die sie aus unparteiischen und glaubwürdigen Quellen seitdem erhalten hat, derartige Vorfälle (Gewalttaten, Massakres, Plünderungen) statt von den Lokalbehörden verhindert zu werden, regelmäßig auf die Austreibung der Armenier gefolgt sind mit dem Erfolge, daß die Mehrzahl derselben umgekommen ist, noch ehe sie das Ziel ihrer Bestimmung erreicht hatte. Hauptsächlich sind es die Provinzen Trapezunt, Diarbekr und Erzerum, von wo diese Tatsachen gemeldet wurden; an gewissen Plätzen, wie in Mardin, haben alle Christen ohne Unterschied der Rasse und Konfession dasselbe Schicksal erlitten.

„Zugleich hat die Kaiserlich Ottomanische Regierung geglaubt, die Maßregel der Verschickung auf die anderen Provinzen von Kleinasien ausdehnen zu müssen, und ganz zuletzt sind die armenischen Dörfer der Distrikte von Ismid in der Nähe der Hauptstadt unter ähnlichen Bedingungen von ihren Bewohnern ausgeräumt worden.

„Angesichts dieser Vorgänge ist die Deutsche Botschaft im Auftrage ihrer Regierung verpflichtet, noch einmal gegen diese Schreckensakte Verwahrung einzulegen und die Verantwortlichkeit aller Folgen, die daraus hervorgehen können, abzulehnen. Sie sieht sich um so mehr genötigt, die Aufmerksamkeit der Ottomanischen Regierung auf diesen Punkt hinzulenken, als die öffentliche Meinung schon zu dem Glauben gelangt ist, daß Deutschland in seiner Eigenschaft als befreundete und verbündete Macht der Türkei diese Gewalttaten gebilligt oder gar inspiriert hätte.“

Auch auf dies zweite Memorandum blieb die Pforte die Antwort schuldig.

Die Botschaft fuhr trotzdem fort, weitere Vorstellungen zu[S. xxxi] erheben. So verwandte sie sich wiederholt für die katholischen und protestantischen Armenier, denen die Pforte mit Rücksicht auf den Papst und die dringenden Vorstellungen des amerikanischen Botschafters die Vergünstigung des Verbleibens in ihren Wohnsitzen zugesagt, aber später wieder zurückgezogen hatte. Auch diese Schritte blieben erfolglos. Ebenso wurden Ausnahmen für Beamte der Ottomanbank, der Tabakregie, alleinstehende Frauen und Kinder, Schwangere, Kranke, Blinde, Familien der Heeresangehörigen und einzelne Personen trotz der Verwendung der Botschaft wieder rückgängig gemacht.

Erst am 2. September scheinen die unermüdlichen Schritte des Botschafters auf Talaat Bey Eindruck zu machen. Er überreicht eine Reihe telegraphischer Befehle an die Provinzialbehörden, um durch sie den Beweis zu liefern, daß die Zentralregierung ernstlich bemüht sei, den Ausschreitungen ein Ende zu machen und für die Verpflegung der Ausgewiesenen Sorge zu tragen. Die Botschaft unterrichtet die Konsuln von den Befehlen der Regierung.

Es dauert nur eine Woche, so laufen von den Konsulaten im Verschickungsgebiet aus Mossul (9. 9.), Aleppo (9. und 12. 9.), Adana (10. und 13. 9.) Berichte ein: die Befehle der Pforte an die Wilajets blieben wirkungslos, die Verschickungen dauerten fort, die Zahl der Hungerleidenden wüchse, die Maßregeln, selbst gegen Witwen, Waisen, Kranke, Blinde und Soldatenfamilien würden verschärft. Der von der Pforte zur Organisation der Deportiertenversorgung nach Cilicien entsandte Inspektor Ali Munif Bey, statt die Maßregeln zu mildern, hebe die noch bestehenden Vergünstigungen auf. „Die Behörden“, schreibt Konsul Dr. Büge aus Adana, „handeln selbstredend nur nach der zweiten Weisung und fahren mit der Ausweisung ohne Unterschied des Bekenntnisses fort. Die von der Pforte der Kaiserlichen Botschaft gemachte Mitteilung ist lediglich eine dreiste Täuschung.“

Das Spiel der Versprechungen hebt aufs neue an. Zusicherungen werden gegeben, eingeschränkt, erneuert, wieder zurückgezogen, wieder erneuert, wieder zurückgezogen, Versprechungen niemals eingehalten. Eine Reihe fortgesetzter diplomatischer Schritte erfolgt wegen der drohenden Verschickung der Armenier von Konstantinopel, die heimlich bereits zu Tausenden abgeschoben waren, deren Gesamtverschickung durch Registrierung von weiteren 70000 vorbereitet wird.

[S. xxxii]

Der im Dezember eintreffende neue Botschafter Graf Wolff-Metternich nimmt sogleich die Verhandlungen auf. Er bespricht erst mit Enver Pascha, Halil Bey, Djemal Pascha, dann mit dem Großwesir Said Halim Pascha „die Armeniergreuel“. Er weist darauf hin, „daß Unruhe und Empörung, auch im befreundeten Ausland und in Deutschland, weite Kreise ergriffen haben und der türkischen Regierung schließlich alle Sympathien entziehen würden, wenn nicht Einhalt geschehe“. Über den Erfolg seiner Schritte schreibt er am 9. Dezember an den Reichskanzler:

„Ich möchte glauben, daß meine Vorstellungen doch nicht ganz vergeblich gewesen sind... Djemal Pascha, der auch zu den Türken gehört, die sich schämen, hatte bisher beim Komitee Widerstand bei der Durchführung seiner Wünsche gefunden. Ganz neuerdings werden sie dagegen, wie mir der Chef seines Stabes, Oberst von Kreß, mitteilt, gewährt. Er schreibt dies meinem Einschreiten zu.“

Am 18. Dezember spricht der Botschafter mit Talaat Bey, der aus Anatolien zurückgekehrt ist, und berichtet darüber.

Talaat Bey habe erklärt, „er habe umfassende Maßnahmen zur Ernährung der abgeschobenen armenischen Familien getroffen. Vergehungen gegen Eigentum und Leben der Armenier würden streng bestraft. Es seien kürzlich noch über 20 Personen, die sich dieser Vergehungen schuldig gemacht hätten, hingerichtet worden... Augenblicklich fänden nirgends mehr Abtransporte statt und die Regierung suche die im Gefolge der Verschiebungen entstandenen Übelstände zu mildern... Die katholischen und protestantischen Armenier könnten, soweit dies möglich sei, in ihre Heimat zurückkehren“.

„Im Laufe der Unterhaltung“, berichtet der Botschafter an den Reichskanzler, „ergab sich die merkwürdige Auffassung bei Talaat Bey, die ich auch schon bei seinen Kollegen gefunden habe, daß wir in ähnlichem Falle ebenso gehandelt hätten und eine revolutionäre Bewegung in Deutschland mit Gewalt ausrotten würden. Ich fand immer wieder Verständnislosigkeit für den Gesichtspunkt, daß, um Schuldige zu treffen, nicht Unschuldige leiden, und daß nur bewiesene Vergehen bestraft werden dürften. Ich habe dem Minister auseinandergesetzt, daß wir niemals ähnlich handeln und nur den einer Schuld Überführten bestrafen würden.

„Von verschiedenen Seiten wird mir mitgeteilt, daß meine[S. xxxiii] ernsten Ermahnungen auf die türkischen Machthaber doch Eindruck gemacht zu haben scheinen.“

Erst am 22. Dezember bequemte sich die Pforte dazu, auf die Noten der Deutschen Botschaft vom 5. Juli, 9. August, 13. September und 16. November eine Antwort zu erteilen.

Note der Pforte vom 22. Dezember.

In dieser „erstmaligen schriftlichen Äußerung der Pforte auf die deutschen Noten bezüglich der armenischen Angelegenheiten“ versteift sie sich auf denselben Grundsatz, den sie bei allen mündlichen Besprechungen betont hatte: daß keine „fremde“ Macht, auch der deutsche Bundesgenosse nicht, sich in die inneren Angelegenheiten der Türkei zu mischen habe.

„An erster Stelle ist zu bemerken“, führt die Note aus, „daß die Maßregeln, die hinsichtlich der armenischen Bevölkerung des Reiches getroffen wurden, in die Domäne von Akten der inneren Verwaltung des Landes gehören; sie können daher nur in dem Falle Gegenstand diplomatischer Schritte sein, wenn sie unvermeidlich fremde Interessen, die dabei engagiert sind, berühren. In der Tat, es ist unbestreitbar, daß jedes Staatswesen das Recht hat, Maßregeln zu ergreifen, die geeignet sind, eine Umsturzbewegung, die auf ihrem Gebiete propagiert wird, einzudämmen, besonders wenn diese Bewegung in die Kriegszeit fällt.“

Mit dieser grundsätzlichen Erklärung und der weiteren Behauptung, daß alle fraglichen Maßnahmen durch „militärische Gründe diktiert seien und ein legitimes Mittel der Verteidigung bilden“, wird die Einmischung der Botschaft in die Armenische Frage ohne irgendwelche Zugeständnisse als unberechtigt abgewiesen.

Der brüske Ton, an dem Maßstab sonstiger türkischer Höflichkeit gemessen, ist bemerkenswert.

III. Das Schicksal der Deportierten.

Die Versicherung Talaat Beys, daß „augenblicklich nirgends mehr Abtransporte stattfänden“, war allzu wörtlich gemeint. Nicht Deportation — denn es war fast nichts mehr zu deportieren — sondern systematische Vernichtung der Deportierten durch Aushungerung unter Nachhilfe von gelegentlichen Massakers sollte jetzt das angefangene Werk vollenden[12].

[S. xxxiv]

Was war inzwischen geschehen?

Nach der ursprünglichen Ankündigung sollte Mesopotamien das Verschickungsziel und Neuansiedelungsgebiet der Deportierten sein. Seit dem Herbst hatte man aber angefangen, die armenische Bevölkerung auch der mesopotamischen Städte auszuräumen. Am 2. September waren die Christen von Djesire (4750 Armenier, 250 katholische Chaldäer und 100 syrische Jakobiten) massakriert worden. Am 16. Oktober wurde die armenische Bevölkerung von Urfa (20000 Seelen) teils massakriert, teils deportiert. Am 18. Oktober hatte das Konsulat aus Aleppo berichtet: „Nach Angabe des Direktors der politischen Angelegenheiten des Wilajets sind bei Radju und Katma 40000 konzentriert. Weitere Scharen aus West-, Mittel- und Nord-Anatolien sind im Anzuge. Zur „Ansiedelung“ nach Süden (westlicher Hauran, Rakka, Der es Zor) weitergesandt 300000. Diese werden nach genanntem Beamten am Ziel notgedrungen sich selber überlassen und werden alle sterben.... Jedenfalls fehlt zur Ansiedelung alles und jedes, für Konzentrationslager werden weder Zelte noch ausreichendes Mehl, noch Brennmaterialien geliefert. Verschickten Bauern sind von der Behörde selbst Hacken und Spaten abgenommen. Allgemeine Überzeugung ist, daß sämtliche Verschickte dem Tode verfallen.“

Wie aus den mesopotamischen Städten, wurde zuletzt auch aus Nordsyrien alles, was an Armeniern noch übrig war, abtransportiert oder abgeschlachtet. Anfang Januar wurden 5–6000 Armenier aus Aintab in die Wüste geschickt, Mitte Februar alle Kinder von Killis deportiert. Am 6. April wurden in dem Konzentrationslager von Ras ul Ain von 14000 Deportierten 12000 abgeschlachtet; der Rest von 2000 später ebenfalls beseitigt. Am 16. April wurden die in Maarra und den umliegenden Dörfern „angesiedelten Armenier“ in die arabische Wüste geschickt; am 19. April folgten ihnen aus Marasch 9000 Armenier (der Rest von 24000) nach Der es Zor. Das Hungersterben in den Konzentrationslagern sorgte dafür, daß immer wieder Platz wurde[13].

Gleichwohl hatten sich die Machthaber in Konstantinopel in ihren Besprechungen mit dem Botschafter im Dezember 1915 den Anschein gegeben, als ob sie den Willen hätten, der Vernichtungsmaßregel Einhalt zu tun. Da in der Tat noch immer einige Hundert[S. xxxv]tausend am Leben waren, war man gerade um diese Zeit auf ein anderes Mittel verfallen, um das zäh verfolgte Ziel der Eintürkung der christlichen Nationen bei den überlebenden Resten auch auf unblutigem Wege zu erreichen.

1. Zwangsbekehrung zum Islam.

Schon in den Anfängen der allgemeinen Deportation hatte man hie und da vereinzelt, im Wilajet Trapezunt sogar in größerem Umfange, das Mittel der Zwangskonversion angewendet, das weniger grausam, aber für den gewollten Zweck ebenso probat erschien: „Armenier, die zum Islam übertreten, werden nicht ausgewiesen,“ wurde beim Beginn der Deportationen von Gendarmen und hohen Regierungsbeamten an vielen Orten verkündet. In Trapezunt, Samsun, Unieh traten unter dem Druck der Behörden viele Hunderte von Familien zum Islam über und blieben verschont. Aus Samsun berichtet der deutsche Vizekonsul Kuckhoff am 4. Juli 1915: „Die Regierung entsandte fanatische strenggläubige muhammedanische Männer und Frauen in alle armenischen Häuser behufs Propaganda für den Übertritt zum Islam, selbstverständlich unter Androhung der schwersten Folgen für diejenigen, die ihrem Glauben treu bleiben.“ Die Zehntausende von jungen Frauen und Mädchen, die auf der Wanderung quer durch Anatolien in Städten und Dörfern in türkische und kurdische Harems verkauft oder verschleppt wurden, die Tausende von ihren Eltern abgenommenen armenischen Kinder, die in sogenannten Regierungswaisenhäusern gesammelt wurden, um später mit muhammedanischen Kindern zusammen auferzogen zu werden — ein Konsul erinnert an die Janitscharen —, waren eine sichere Beute des Islams. Doch alle diese Maßregeln waren bisher nicht allgemein, sondern nur nach Willkür einzelner Provinzial- und Lokalbehörden ausgeführt worden. Jetzt kam Methode in die Sache.

Um dieselbe Zeit, als der Großwesir und das Triumvirat, Enver Talaat und Djemal dem deutschen Botschafter beruhigende Versicherungen gaben (9./18. 12. 1915), als Halil Bey bestritt, „daß zwangsweise Bekehrungen zum Islam in nennenswertem Umfang versucht worden seien“ (20. 12. 1915), war bereits „eine vertrauliche Verfügung der Kaiserlich Ottomanischen Regierung“ erlassen worden, „nach der die türkischen Lokalbehörden im Innern des Landes angewiesen wurden, den Überrest des armenischen Volkes dahin zu bringen, einen Revers zu unterzeichnen, in dem um die[S. xxxvi] besondere Gnade gebeten wird, zur heiligen Religion des Islams übertreten zu dürfen“. Sich Weigernde sollten abtransportiert werden. Zur gleichen Zeit wurde dieser Erlaß durch einen Befehl des Kriegsministeriums ergänzt, „daß sämtliche Armenier, die im Heeresdienst verwendet werden, Muhammedaner werden sollen; schon jetzt sollen sie muhammedanische Namen erhalten, die eigentlichen Formalitäten des Übertritts (Beschneidung) werden mit Rücksicht auf den Kriegszustand für später vorbehalten.“ Auch in der Hauptstadt wurde auf die Armenier eingewirkt, damit sie zum Islam übertreten.

Zwangsbekehrungen zum Islam sind von jetzt ab eine ständige Rubrik in den Konsularberichten. In Urfa muß der verbleibende Rest von Armeniern, darunter auch der armenische Arzt, der Apothekergehilfe und das gesamte männliche Personal des deutschen Missionshospitals zum Islam übertreten. Auch die in Urfa gesammelten armenischen Waisenkinder, die dort von den Deportiertenkarawanen hängen geblieben waren, und mit deutschem und Schweizer Geld unterhalten wurden (zeitweise 2500), werden durch die Regierung dem Islam zugeführt (Januar 1916). In Adana erklärt der Direktor des Regierungswaisenhauses den christlichen Kindern, daß sie entweder zum Islam übertreten oder das Haus verlassen müßten; in einem osmanischen Waisenhause sei für die christliche Religion kein Platz. Die in Konia konzentrierten Armenier werden auf türkische Dörfer verteilt und zur Annahme des Islams genötigt (28. Januar 1916). In Cäsarea läßt der Mutessarrif bekannt machen, „wer zum Islam übertrete, werde verschont; wer nicht, nach Siwas (d. h. in den Tod) geschickt“ (31. Januar 1916). In Aleppo werden Ende Februar die armenischen Arbeiterbataillone genötigt, ihren Glauben zu wechseln. Die Polizisten erklären den Armeniern der Stadt, „einzige Rettung vor Verschickung sei Übertritt zum Islam“ (23. März). Die im Ostjordanland angesiedelten Armenier (15000 in Hauran, 3–4000 in Kerak) werden zum Islam bekehrt (Juni 1916). In Siwas werden „alle noch dagebliebenen, zu Wegebauten und zum Pionierregiment gehörenden Armenier, ferner die Gewerbeschule und auch alle Griechen in der armenischen Kirche eingesperrt. Die Griechen und zum Islam übergetretenen Armenier werden nach einer heftigen Bastonnade wieder freigelassen.“ Den anderen Armeniern wird durch die Behörden angeraten, zum Islam überzutreten. „Weigern sie sich, so werden sie[S. xxxvii] verschickt“ (27. Juni). In Karahissar Scharki ist der Rest der Armenier zum Islam übergetreten. In Siwas werden am Tage des Nationalfestes (24. Juli) alle armenischen Militärärzte jeden Grades unter Drohung gezwungen, zum Islam überzutreten. Ein Sanitätshauptmann, der sich weigerte, wird eingesperrt. In Hama werden in den ersten Wochen des August die Verschickten in Massen durch die Drohung weiterer Verschickung zum Islam gepreßt. Die Sache geht ganz bureaukratisch vor sich: Eingabe, Genehmigung, Namensveränderung, Beschneidung. Die in Urfa angesammelten versprengten Deportierten werden vom Mutessarif unter Drohungen gezwungen, Muhammedaner zu werden (April 1917). Die in Angora verbliebenen katholischen Armenier werden gedrängt, den Islam anzunehmen (Juni 1917). So geht es weiter.

„Vom Schwarzen Meer bis nach Syrien ist der Christenname ausgelöscht, die Kirchen geschlossen, die Schulen entleert, die Priester und Prediger getötet oder verschickt. Von wenigen Levantestädten abgesehen, ist ganz Anatolien islamisiert. Die christlichen Namen sind in den Registern ausgelöscht und durch muhammedanische ersetzt.“

2. Schritte der Botschaft.

Am 12. November 1915 hatte der Reichskanzler von Bethmann Hollweg in Beantwortung einer Eingabe von 50 namhaften Vertretern der evangelischen Kirche vom 15. Oktober und einer entsprechenden des Missionsausschusses des Zentralkomitees für die Generalversammlungen der Katholiken Deutschlands vom 29. Oktober die gleichlautende Antwort erteilt:

„Die Kaiserliche Regierung wird, wie bisher so auch in Zukunft, es stets als eine ihrer vornehmsten Pflichten ansehen, ihren Einfluß dahin geltend zu machen, daß christliche Völker nicht ihres Glaubens wegen verfolgt werden. Die deutschen Christen können darauf vertrauen, daß ich von diesem Grundsatz geleitet, alles, was in meiner Macht steht, tun werde, um den mir von ihnen vorgetragenen Sorgen und Wünschen Rechnung zu tragen.“

Als sich im Januar 1916 die Meldungen der Konsulate über Zwangsbekehrungen häuften, erhob der Botschafter, Graf Metternich, Vorstellungen bei Halil Bey, dem Minister des Äußern. Halil Bey bestritt wiederum auf das entschiedenste, daß zwangsweise Be[S. xxxviii]kehrungen der Armenier zum Islam in nennenswertem Umfange versucht worden seien. Bei den vorgekommenen Fällen von Übergriffen unterer Beamter seien die betreffenden bestraft worden.

„Die Versicherungen des Ministers“, berichtet der Botschafter am 24. Januar an den Reichskanzler, „stehen im Widerspruch mit den übereinstimmenden Berichten, die der Kaiserlichen Botschaft wiederholt über diese Frage aus verschiedenen Lokalitäten und aus von einander unabhängigen Quellen zugegangen sind.“

Der Botschafter erneuert seine Vorstellungen bei der Pforte und berichtet am 11. Mai 1916:

„Sowohl Halil Bey als Talaat Bey versicherten mir wiederholt, daß ihnen jedes Vorgehen gegen die christlichen Elemente der armenischen Bevölkerung fern liege, etwaige Ausschreitungen der Unterbehörden würden aufs strengste geahndet werden.“

Im Anfang des Monats März und Anfang April liefen wiederum Meldungen ein, wonach besonders in Aintab, Cäsarea, Aleppo und Adrianopel mit Hilfe der türkischen Behörden Bekehrungen der zurückgebliebenen christlichen Armenier zum Islam stattfänden. „Ich habe diese Vorgänge“, schreibt der Botschafter, „zur Kenntnis der Pforte gebracht und energisch um Abstellung ersucht. Halil versicherte mir erneut, daß der Zentralregierung in Konstantinopel von diesen Vorgängen nichts bekannt sei. Nach Rücksprache mit seinem Kollegen, Talaat Bey, erklärte er, es seien neuerdings strengste Weisungen an die Provinzialbehörden ergangen, alle Versuche, die christliche armenische Bevölkerung zum Islam zu bekehren, zu unterlassen“. (11. Mai 1916.)

Am 8. Juli muß der Botschafter konstatieren, daß trotz „der offiziellen Dementis und trotz angeblicher Gegenbefehle die Islamisierung der Armenier durchgeführt wird. Unsere Gegenvorstellungen sind nutzlos“.

Am 10. Juli 1916 berichtet Graf Metternich an den Reichskanzler, unter Namhaftmachung vieler Fälle:

„Trotz aller offiziellen Ableugnungen spielt in dieser letzten Phase der Armenierverfolgungen die Islamisierung eine große Rolle.“

So geht es weiter. Da alle mündlichen Vorstellungen wirkungslos geblieben sind, überreicht die Botschaft der Pforte

das Memorandum vom 4. Januar 1917,

um gegen die Gesetzwidrigkeit der Zwangsbekehrungen Einspruch zu erheben.

[S. xxxix]

3. Die Vernichtung der Deportierten.

Die ersten fast gleichzeitigen Schläge der Gesamtdeportation in ganz Anatolien fielen in die letzten Tage des Juni, den Juli und August 1915. Damals setzten sich die ungeheuren Menschenkarawanen, die wie Viehherden unter der Glut der orientalischen Sonne von rohen Gendarmen durch die baumlosen Gebirgstäler von Anatolien getrieben wurden, vom Osten, Norden und Westen des Reiches in Bewegung. Die Wanderzüge waren Monate unterwegs, schlecht oder gar nicht ernährt, von angeworbenen Tschettäs und Kurdenbanden überfallen, getötet, geschändet, mißhandelt, durch Hunger und Krankheit aufgerieben. Meist nur der dritte Teil erreichte das Verschickungsziel, die Ränder der arabischen Wüste, bei Mossul, Nisibin, Ras ul Ain, Rakka, Der es Zor, Deraa, Hauran, Kerak. Auch am Ende des Todesweges ließ man ihnen keine Ruhe, trieb sie wochenlang im Kreis herum, füllte und entleerte die Konzentrationslager, ließ sie kaltblütig an Hunger und Seuchen sterben oder massakrierte sie zu Tausenden. Die Leichenstraßen verpesteten die Luft. Der Flecktyphus verseucht alle Etappenstraßen.

Da die Pforte für die Vorstellungen der Botschaft taub blieb, war den deutschen Konsulaten in den Jahren 1916 bis 1918 nichts anderes übrig geblieben, als die Notstandswerke der im Lande verbliebenen deutschen und amerikanischen Missionen, wo es irgend hinter dem Rücken der türkischen Behörden möglich war, zu fördern und zu schützen. Nach dem Abbruch der diplomatischen Beziehungen zwischen Amerika und der Türkei (20. April 1917) blieb die Last allein auf den Schultern der Missionare und Schwestern deutscher Hilfsgesellschaften, die durch amerikanische, schweizer, holländische, nordische und deutsche Hilfsgelder unterstützt wurden.

Das Auswärtige Amt, die Botschaft und die Konsulate taten ihr Möglichstes, um die gesammelten Gelder an ihren Bestimmungsort zu leiten. Doch alles, was auf diese Weise geschehen konnte, war jammervoll wenig. Die Deportierten in den Konzentrationslagern starben wie die Fliegen, zu Tausenden und Zehntausenden. Am meisten aber wurden die Notstandswerke dadurch erschwert, daß die türkischen Behörden durch generelle Verbote alle Werke der Barmherzigkeit an den Deportierten zu verhindern suchten. In den Städten ging es noch an, da manche türkische Beamte trotz der Regierungsbefehle ein Auge zudrückten.[S. xl] In Aleppo blieb ein deutsches Waisenhaus, das hinter dem Konsulat gelegen war, verschont. Die übrigen Häuser mit Hunderten von Waisenkindern, die von deutschen Schwestern gekleidet und gefüttert wurden, standen unter türkischer Kontrolle und wurden später wieder ausgeräumt. Die Kinder wurden auf rein muhammedanische „Regierungswaisenhäuser“ nach Damaskus, Konia, Ismid und andere Plätze im Innern verteilt, wo sie muhammedanische Namen empfingen und im muhammedanischen Glauben auferzogen werden sollten. Es war Methode in der Sache. Gesuche amerikanischer, schweizer und deutscher Gesellschaften, Hilfsexpeditionen in die Notstandsgebiete senden zu dürfen, wurden, trotz der Befürwortung durch die deutsche Botschaft, rundweg abgelehnt. Auf einen Antrag der Deutschen Orientmission erhielt die deutsche Botschaft von der Pforte die Antwort, „daß die türkische Regierung keinerlei fremde Hilfsaktion für die Armenier zulassen könne, da hierdurch die Armenier in ihren Hoffnungen auf das Ausland bestärkt würden“ (28. April 1916). Eine Anfrage, die die Botschaft durch den Konsul Loytved in Damaskus an Djemal Pascha, den Oberkommandierenden der IV. Armee, richten ließ, welche Aussichten eine vom American Bible House geplante größere Hilfsunternehmung für die notleidenden Armenier in Damaskus hätte, wurde dahin beantwortet, „daß er persönlich das Los der Armenier nach Möglichkeit erleichtern möchte, aber strenge Anweisungen von Konstantinopel habe, jede deutsche und amerikanische Beteiligung an einer Hilfsunternehmung für Armenier zu verhindern, da der innere Widerstand der Armenier gegen die türkische Regierung nur gebrochen werden könne, wenn ihnen beigebracht würde, daß sie keinerlei Unterstützung von irgend einer fremden Regierung zu erwarten hätten“ (29. März 1916).

Auch das armenische Patriarchat wurde von den türkischen Behörden verhindert, den notleidenden Verbannten zu Hilfe zu kommen, so daß das Patriarchat genötigt war, sich zu diesem Zweck fremder Vermittlung zu bedienen. „Es gewinnt den Anschein“, schreibt Graf Wolff-Metternich, „als ob die Pforte jede Notstandshilfe, von welcher Seite sie auch kommen möge, ablehnt.“

Ein Funkspruch vom Eiffelturm meldet unter dem 12. August 1916:

„Aus Washington erfährt man, daß die Türkei die Bitte der Vereinigten Staaten von Amerika abgeschlagen hat, einem neutralen[S. xli] Komitee zu erlauben, in Syrien, wo Tausende von Einwohnern Hunger leiden, Hilfe zu schaffen.“

Ein von Djemal Pascha selbst in Damaskus in die Wege geleitetes Hilfswerk, für das der ehemalige Wali von Saloniki und Aleppo, Hussein Kjasim Bey, den besten Willen mitbrachte, hatte nach seinem eigenen Zeugnis das folgende Schicksal:

„Seine Maßregeln werden nicht nur nicht ausgeführt, sondern die Behörden handeln ihnen entgegen. Die Armenier, die er programmmäßig von Deraa nach Damaskus schicke, werden von den hiesigen Stadtbehörden wieder zurückgeschickt. Die Regierung stelle ihm viel zu wenig Geldmittel zur Verfügung, um wirksam der großen Not der Armenier entgegentreten zu können. Er sei ganz verzagt und glaube überhaupt nicht mehr an den ernsten Willen der türkischen Regierung, den ausgewiesenen Armeniern helfen zu wollen. Er fürchte sogar, daß man sie systematisch ausrotten wolle. Er höre, daß die nach Aleppo geleiteten Armenier wieder nach dem Osten, nach Mossul und Der es Zor gebracht würden, wahrscheinlich um den Beduinen zum Opfer zu fallen. Diese grausame Vernichtungspolitik sei eine Schmach für die Türkei und würde nach dem Frieden der Türkei sehr schaden und auch Deutschland in Verlegenheit bringen, weil es von der Welt beschuldigt würde, nicht wirkungsvoller für die Armenier eingetreten zu sein.“

Die Konzentrationslager aufzusuchen und an Ort und Stelle den Verhungernden Kleider, Brot oder Geld zu bringen, war nahezu unmöglich, da die Regierung es mit allen Mitteln zu verhindern suchte. Nur wenigen Deutschen ist es gelungen, die gewagte Expedition auszuführen. Den deutschen Schwestern war verboten, die Städte zu verlassen, obwohl sie sich gern allen Gefahren ausgesetzt hätten. Die Deutschen wurden um nichts besser als Neutrale behandelt. Unter den Verschickten und dem Hungertode Ausgelieferten fanden sich zahlreiche in deutschen Schulen und Waisenhäusern erzogene deutschsprechende Kinder. Das armenische Lehr- und Hilfspersonal deutscher Anstalten und Schulen, armenische Ärzte, Apotheker, Krankenschwestern deutscher Hospitäler wurden wahllos deportiert, eingekerkert, erschossen, gehängt und zum mindesten zwangsweise islamisiert. Den deutschen Waisenanstalten in Mamuret ul Asis wurden vier ihrer mit Waisenkindern angefüllten Häuser für Militärzwecke requiriert und nachher nicht einmal gebraucht. „Er war ein Schlag gegen die deutsche Arbeit.“

[S. xlii]

Die deutsche Botschaft tat, was sie konnte, um den Wünschen, die vom Papst, von evangelischen und katholischen Missions- und Hilfsgesellschaften an sie gelangten, bei der Pforte Nachdruck zu verleihen. Alles umsonst. Durch Sabotage der Barmherzigkeit sollte der Prozeß, der durch Totschlag, Hungersterben und Seuche das armenische Volk der Vernichtung zuführte, beschleunigt werden.

4. Das Großwesirat Talaat Paschas.

Talaat Pascha, an Stelle Said Halim Paschas Großwesir geworden, stellte sich am 15. Februar 1917 der Kammer vor und kündigte einen neuen Kurs in der inneren Politik der Pforte an. Herr von Kühlmann, der inzwischen Graf Wolff-Metternich auf dem Botschafterposten ersetzt hatte, berichtet darüber am 16. Februar an den Reichskanzler Herrn von Bethmann Hollweg.

„Innerhalb der einflußreichen Kreise gewann eine gemäßigte Richtung an Boden, die im Gegensatz zu dem rücksichtslosen, selbst vor blutiger Gewaltsamkeit nicht zurückschreckenden Nationalismus gewisser Komiteemitglieder eine verständige und tolerante innere Politik für die Türkei verlangte... Die in großem Umfange durchgeführte Armeniervernichtung und die in einzelnen kleineren Unternehmungen zutage tretenden Neigungen, auch dem griechischen Element gegenüber schonungslos vorzugehen, sind das Resultat dieser (nationalistischen) Richtung gewesen. Als Gesamtergebnis hat die Ausrottungspolitik dem türkischen Reiche schwer geschadet. Die Greuel des Armenierfeldzuges werden noch lange auf dem türkischen Namen lasten und noch lange denjenigen Waffen liefern, die der Türkei die Eigenschaft als Kulturstaat absprechen und die Austreibung der Türken aus Europa verlangen. Auch innerlich ist das Land durch den Untergang und die Verbannung einer körperlich kräftigen, arbeitsamen und sparsamen Bevölkerung ansehnlich geschwächt worden, besonders da Armut an Menschen eines der größten Hindernisse bei der rascheren Entwicklung der türkischen Bodenschätze bildet.“

„Im vertraulichen Gespräch habe ich Talaat Pascha gegenüber seit Beginn meiner hiesigen amtlichen Tätigkeit mit meiner Meinung über diese Frage nicht zurückgehalten. Daß er jetzt, zur Macht gelangt, in seiner ersten programmatischen Erklärung die Gleich[S. xliii]berechtigung der ottomanischen Nationalitäten zum wichtigen Punkte des Regierungsprogrammes macht, ist mit Genugtuung zu begrüßen. Wie ich vertraulich höre, ist mit Einstellung der Armeniervertreibungen und mit Aufhören der an einzelnen Stellen hervorgetretenen Verfolgung gegen die Griechen bestimmt zu rechnen. Den Armeniern soll die Rückkehr in ihre alten Wohnplätze, soweit diese nicht als Kriegsgebiet zu betrachten sind, gestattet werden.“

Auch dem gregorianischen und katholisch-armenischen Patriarchen versicherte Talaat Pascha, daß „die verfassungsmäßigen Rechte der armenischen Bevölkerung nicht angetastet werden“ sollen. „Was die vorige Regierung unter dem Zwange militärischer Notwendigkeit habe veranlassen müssen, solle nach Möglichkeit wieder gut gemacht werden; entsprechende Befehle seien an alle Provinzialbehörden ergangen.“

Der Optimismus des Botschafters rechtfertigte sich nicht. Die Hoffnungen der Patriarchen wurden betrogen. Am 1. August 1916 war von der Pforte ein Gesetz über das armenische Katholikat und Patriarchat erlassen worden, durch welches die politischen und kirchlichen Rechte des armenischen Millets (Nation) aufgehoben wurden.

Das Gesetz beseitigte 1. den „grand conseil de la nation“, den großen Volksrat der Armenier, 2. das armenische Patriarchat von Konstantinopel und die Katholikate von Sis und Aghtamar. Der „große Rat“ war hauptsächlich aus angesehenen konservativen Armeniern der Hauptstadt zusammengesetzt, eine Art politischer Vertretung der Nation, die dem gregorianischen Patriarchen, als dem geistlich-nationalen Vertreter des armenischen Millets, übergeordnet war. Die seit Jahrhunderten bestehende Kirchenverfassung der gregorianisch-armenischen Kirche war das letzte Band der Einheit der Nation gewesen. Ihr nationalkirchliches Haupt war der Katholikos aller Armenier in Etschmiadsin. Durch das Gesetz vom 1. August wurde das Band zwischen den Kirchenhäuptern der Türkei und dem Haupt der gregorianischen Nationalkirche zerschnitten. (Eine Maßregel etwa von derselben Bedeutung, als wenn die katholische Kirche Deutschlands durch Staatsgesetz von Rom abgelöst würde.) Dafür wurde das Patriarchat von Konstantinopel mit den beiden Katholikaten von Sis (Cilicien) und Aghtamar (Insel im Wansee) zu einer einzigen Würde vereinigt und aus der Hauptstadt nach Jerusalem in das Kloster Mar Jakub exiliert. Das Gesetz stand im Widerspruch zu dem Artikel 62 des Berliner Vertrages. Es war[S. xliv] nichts anderes als eine „capitis deminutio“ der armenischen Nationalkirche, der ältesten der Christenheit. „Der Patriarch der Armenier“, schrieb Graf Wolff-Metternich, „ist nicht mehr Oberhaupt des armenischen Millets (Nation), sondern einer Djemaet, Kultusgemeinde, denn mit diesem Ausdruck, der im Kanzleistil der Hohen Pforte von den bescheidenen Gemeinden der protestantischen Armenier und karaitischen Juden gebraucht wird (während Griechen, Juden und bisher auch die Armenier ein Millet bildeten), werden jetzt auch diese letzteren in dem neuen Gesetz bezeichnet. Als einfache Gemeindevorsteher sind der Katholikos, Patriarch und die Bischöfe aller Befugnisse entkleidet und, abgesehen von ihren kirchlichen Funktionen, auf die Verwaltung der Gemeindeangelegenheiten beschränkt. Der Sitz des Oberhauptes ist aus der Hauptstadt nach Jerusalem verlegt, er ist nicht mehr das Exekutivorgan des Volksrates, sondern lediglich der Befehle der Regierung; überdies darf er fortan nur mit dem Kultusamte als vorgesetzter Behörde verkehren, während er früher Zutritt zu sämtlichen Behörden und zum Sultan hatte. Endlich ist die Zahl der Bischöfe dadurch erheblich verringert worden, daß solche in Zukunft nur für Distrikte mit über 15000 Seelen bestellt werden dürfen. Nach der Aussiedelung der armenischen Bevölkerung aus Kleinasien und Rumelien dürften nur wenige Distrikte übrig geblieben sein, in denen die armenische Bevölkerung diese Ziffer erreicht[14].“

In seinem Bericht an den Reichskanzler vom 23. August 1916 faßt Graf Wolff-Metternich sein Urteil über die Bedeutung des Gesetzes zusammen:

„Das neue Gesetz vom 1. August des Jahres zieht das Fazit aus den Maßregeln der Regierung, durch die die osmanischen Armenier als lebensfähige Nation vernichtet werden sollen; auf die Massenaussiedlungen mit der Niedermetzelung der Männer, Islamisierung der Zurückgebliebenen und der Kinder ist die Vermögenskonfiskation, auf diese nunmehr die Zertrümmerung der politischen Gemeinde gefolgt.“

Als Talaat Pascha dem Patriarchen versicherte, daß „die verfassungsmäßigen Rechte der armenischen Bevölkerung nicht angetastet werden sollte“, dachte er nicht im entferntesten daran, dies Gesetz, das sein Vernichtungswerk krönte, wieder aufzuheben.

[S. xlv]

Auch seine übrigen Versprechungen blieben Worte. Die an alle Provinzialbehörden ergangenen Befehle waren wirkungslos. Im Wilajet Kharput wurden noch im März 1917 Reste von Armeniern abtransportiert, 300 Frauen und Kinder; die halbwüchsigen Jungen wurden gefesselt und eingekerkert. Unaufhaltsam vollzog sich der Verwesungsprozeß des erschlagenen Volkskörpers. Dem Sterben der Hunderttausende von Frauen und Kindern sah die Regierung ebenso gleichgültig zu wie die Lokalbehörden. Die Konzentrationslager am Rande der Wüste verwandelten sich in Massengräber[15]; von Rückkehr der Armenier in ihre Wohnsitze war nicht die Rede; an „Ansiedlung“ oder auch nur menschenwürdige Unterbringung war nie gedacht worden; die Notstandshilfe deutscher und neutraler Gesellschaften wurde systematisch lahmgelegt. Die in Aussicht gestellte Amnestie ließ 2 Jahre auf sich warten, bis der Zusammenbruch der Türkei der endlosen Qual der überlebenden Reste ein Ziel setzte. Auch die Zwangsbekehrung arbeitete weiter. Von 660 Kindern, die eine schweizerische Schwester im Dienst des deutschen Hilfsbundes für Armenien in Aleppo in Pflege hatte, wurden 70 im Februar in ein türkisches Waisenhaus des Libanon verschickt, 400, die aus fremden Notstandsgeldern gekleidet und ernährt wurden, im März abbefördert, und auf Regierungswaisenhäuser in Konia, Ismid, Balikesri und Adabazar verteilt, wo sie mit muhammedanischen Kindern auferzogen und dem Islam zugeführt werden sollten. Die übrigen entzogen sich der Zwangsbekehrung durch Flucht. Auf die Frage der Schwester, warum die Regierung die Kinder gerade aus ihren Häusern nehme, antwortet ihr der Wali naiv, „daß ihre Kinder am besten genährt und am saubersten gekleidet seien. Wenn er andere verwahrloste Kinder schicke, so würde die Regierung fragen, was er mit den ihm überwiesenen Notstandsgeldern angefangen habe“.

IV. Kaukasus.

Neue Aufgaben stellte die letzte Phase des Krieges, der Kaukasusfeldzug. Als der Friede von Brest-Litowsk den türkischen Truppen den Weg ins Araxestal öffnete, wies man im Reichstag auf die neuen Gefahren hin, die nun auch die Kaukasus-Armenier und die[S. xlvi] Hunderttausende von armenischen Flüchtlingen im Gebiet von Kars und Eriwan mit dem Schicksal der türkischen Armenier bedrohten.

Noch vordem die türkischen Truppen die Kaukasusgrenze überschritten und in die Distrikte von Kars, Ardahan und Batum einrückten, wandte sich die Botschaft im Auftrage des Auswärtigen Amtes (am 8./10. Februar 1918) an die Pforte und an die militärischen Befehlshaber mit dem dringenden Verlangen, daß einer Wiederholung der armenischen Greuel auf kaukasischem Boden unter allen Umständen vorgebeugt werden müsse. Halil Bey beteuerte (11. Februar), daß strengste Befehle erlassen seien. Auf Talaat Pascha, der zurzeit in Berlin war, wurde in gleichem Sinne eingewirkt. Zu gleicher Zeit wurde der Erlaß der versprochenen Amnestie, Beschaffung von finanziellen Beihilfen zum Wiederaufbau der zerstörten Dörfer und Rückführung der Deportierten dringend angeraten (11. Februar, 2./3. März 1918). Die neu einsetzende türkische Preßkampagne gegen die Armenier, die auf Enver Pascha zurückgeht, wird gerügt. „Berichte der Milli Agence“, drahtet der Unterstaatssekretär von dem Busche, „finden nach früheren Erfahrungen keinen Glauben mehr“ (17. März 1918).

Über den Erfolg dieser Schritte berichtet der neue Botschafter, Graf Bernstorff, am 17. März 1918: „Türkische Regierung scheint diesmal wirklich redlich bestrebt, Ausschreitungen zu verhindern.“ In dem gleichen Telegramm aber schildert er die gefährliche Stimmung, die der mühelose Vormarsch der türkischen Truppen in den Kaukasus in der Hauptstadt hervorgerufen hat:

„Abwesenheit Großwesirs ist lebhaft zu beklagen, da er allein imstande ist, Zügel in die Hand zu nehmen und Kundgebungen über armenische Politik zu erlassen. Alle sonstigen hiesigen maßgebenden Kreise befinden sich augenblicklich geradezu in einem Taumel von Siegesbewußtsein, Nationalismus und Panislamismus. Sie glauben, daß alle Muhammedaner Asiens nur darauf warten, den Türken die Bruderhand auszustrecken und eine Islamkonförderation zu gründen.... Der türkische Ehrgeiz geht augenblicklich noch mehr nach Baku als nach Batum. Vielleicht könnte Talaat Pascha veranlaßt werden, von Bukarest aus durch energische Instruktionen in die Behandlung der Armenier einzugreifen.“

Schon am 22. März kommen böse Nachrichten über türkische Massaker in den neu besetzten Gebieten, die, je weiter die Türken in den Kaukasus vorrücken, um so größeren Maßstab annehmen.

[S. xlvii]

Enver Pascha, der am 24. April aus dem Kaukasus zurückkehrt, ist voller Optimismus. „Alles stehe im Kaukasus großartig für die Türken. Sie brauchten nur etwas weiter vorzurücken, dann werde Georgien Frieden schließen.“ Der Botschafter verlangt vom Großwesir eine Garantie in der Armenierfrage. Talaat Pascha erwidert, er autorisiere ihn, amtlich auch zur Veröffentlichung mitzuteilen, „daß die Amnestie für friedliche Armenier nebst Geldbewilligung und Erlaubnis zur Rückkehr in die Heimat in Vorbereitung sei.“ Auf eine Rückfrage des Auswärtigen Amtes, „ob sich die Rückkehrerlaubnis auch auf die nach Rußland geflüchteten, oder nur auf die Deportierten beziehe“, erwidert Talaat Pascha: „Die Amnestie solle nur für die ‚hiesigen‘ Armenier gelten. Die nicht im Lande befindlichen (es handelt sich um ca. 250000) zurückzuholen, ‚sei gefährlich‘.“

Der Vormarsch der türkischen Truppen in den Kaukasus drängt die armenische Bevölkerung, die fluchtartig ihre Wohnsitze verläßt, in die von Tataren eingekeilten Distrikte des Gouvernements Eriwan zusammen. Mehr als eine halbe Million von Armeniern verlassen in der ersten Hälfte des April ihre Dörfer und überlassen ihre Kornfelder, die zur Ernte reifen, den türkischen Eindringlingen. Etwa 14000 Armenier im Alter zwischen 17 und 60 Jahren aus den okkupierten Distrikten werden, obwohl Enver Pascha durch eine Proklamation allen Zurückgebliebenen Sicherheit, Besitz und Freiheit garantiert hat, abgeführt und zum Arbeitsdienst gepreßt. Die Lage der armenischen Flüchtlinge, die nackt und hungrig in Bergen und Wäldern hausen — die Kinder werden zum Grasessen auf die Weide getrieben —, verschlimmert sich von Woche zu Woche, von Monat zu Monat. Auf Bitten der armenischen Regierung im Kaukasus und ihres Delegierten Aharonian in Konstantinopel fordert das Auswärtige Amt und die Botschaft von der türkischen Heeresleitung die Rückkehrerlaubnis für die geflüchteten Armenier. Der türkische Oberkommandierende Essad Pascha verweigert sie, ebenso ablehnend antwortet Enver Pascha auf ein Telegramm der Obersten Heeresleitung. Am 9. Juni läßt Feldmarschall Hindenburg an Enver Pascha drahten:

„Im Namen der Obersten Heeresleitung ersuche ich Euer Exzellenz, anzuordnen, daß alle türkischen Truppen aus dem kaukasischen Gebiet, mit Ausnahme der Bezirke Kars, Ardahan und Batum, zurückgezogen werden.“

Enver Pascha kommt dem Ersuchen nicht nach und weigert sich[S. xlviii] in einem langen Telegramm vom 3. August an Feldmarschall von Hindenburg, die halbe Million von geflüchteten Armeniern in ihre widerrechtlich besetzten heimatlichen Dörfer zurückkehren zu lassen.

Der deutsche Delegierte im Kaukasus, Freiherr von Kreß, drahtet am 4. August, daß nur baldige Hilfe der Mittelmächte Armenien vom Untergang retten könne. „Kleines jetziges Armenien kann nicht einmal seßhafte Bevölkerung ernähren, geschweige denn die zurzeit dort befindlichen 3–500000 Flüchtlinge... Armenien wird von Türken ringsum hermetisch abgeschlossen, diese verhindern jeglichen Handel und Verkehr, veranlassen Abwanderung tatarischer und persischer Bevölkerung, so daß armenische Regierung Angriff auf Eriwan befürchtet. Türken haben auch hier Bedingungen Batumer Friedens nicht eingehalten, sondern halten jenseits Batumer Grenze wichtige Gebiete besetzt... Zurzeit sind produktionsfähige Gebiete fast sämtlich von Türken besetzt, welche sie planmäßig ausrauben. Trotz Vertrags führen sie besonders große Baumwollvorräte aus. Die Ernte zum Teil von Türken eingebracht, zum Teil geht sie zugrunde. Armenier stellen, ebenso wie ich, bestimmt in Abrede, daß es zwischen beiden Staaten zu Kämpfen kommt, wenn Türken sich auf Batumer Grenze zurückziehen. Envers gegenteilige Behauptung nur Vorwand, um für die völlige Zerstörung und Ausbeutung des vertragswidrig besetzten Landes Zeit zu gewinnen.“

Auch Essad Pascha entzieht sich für das Batum-Gebiet der Forderung der Rückführung. Er verlangt für jeden einzelnen Armenier ein schriftliches Gesuch. „Nach Angabe des türkischen Vertreters in Tiflis befinden sich bei Essad Pascha seit Wochen mehr als 12000 unerledigte Gesuche.“ Zugleich wird die Verbindung der armenischen Republik mit dem in Tiflis residierenden Nationalrat von den Türken abgeschnitten.

Seine persönliche Auffassung dieser Obstruktionspolitik faßt Freiherr von Kreß dahin zusammen, „daß nach all den zahlreichen Nachrichten und Berichten, die er erhalten habe, wohl kaum ein Zweifel darüber bestehen dürfte, daß die Türken systematisch darauf ausgehen, die wenigen Hunderttausende von Armeniern, die sie bis jetzt noch am Leben gelassen haben, durch systematische Aushungerung auszurotten.“

Durch verstärkten Druck des Auswärtigen Amtes und des Haupt[S. xlix]quartiers führen die Verhandlungen mit Talaat Pascha in Berlin Ende September endlich zu dem Ergebnis, daß die Pforte ihren Widerstand gegen die Brester Grenze aufgibt und die Räumung des vertragswidrig besetzten Gebietes in Aussicht stellt.

Doch auch dieser diplomatische Rückzug hinkte den Ereignissen nach. Die türkischen Okkupationstruppen hatten inzwischen das Gouvernement Elisabethpol überflutet und waren auf das von der russischen Sowjet-Regierung (mit der der Friede von Brest-Litowsk abgeschlossen war) besetzte Baku marschiert. Am 15. September wurde Baku von den Türken erobert. Das einzige, was Deutschland erreicht hatte, waren diplomatische Sicherungen zugunsten der jungen Kaukasusrepubliken Georgien und Armenien.

Schon im Mai 1918 hatte der Botschafter in Pera laut Instruktion aus Berlin der Pforte die folgende Erklärung abgegeben:

„1. Die Kaiserliche Regierung wahrt sich gegenüber allen Geschehnissen im Kaukasus freie Hand und behält sich namentlich ihre Stellung vor zu solchen innerhalb oder außerhalb der Bezirke Ardan, Kars und Batum getroffenen Maßnahmen, die nicht im Einklang mit dem Friedensvertrag von Brest-Litowsk stehen.

2. Die Kaiserliche Regierung kann einen weiteren Vormarsch türkischer Truppen im Kaukasus und eine türkische Propaganda außerhalb der genannten drei Bezirke weder billigen noch unterstützen.

3. Die Kaiserliche Regierung erkennt die georgische Regierung als de-facto-Regierung an...

4. Die Kaiserliche Regierung ersucht die Kaiserlich Osmanische Regierung, die angemessene Behandlung der Armenier in den von der Türkei besetzten Gebieten sicherzustellen...

5.... Ebensowenig könnten wir die Türkei decken, wenn gegen die christliche Bevölkerung des Kaukasus von türkischer Seite Ausschreitungen verübt würden.“

Trotz dieser Erklärungen hatte sich die Türkei über alle Bestimmungen des Vertrages von Brest-Litowsk hinweggesetzt. Bei der Volksabstimmung in den drei Distrikten Kars, Ardahan, Batum beschränkte sie sich darauf, „die Willensäußerung nur der muhammedanischen Bevölkerung herbeizuführen“ und behandelte die drei Distrikte, deren Schicksal dem Selbstbestimmungsrecht der überwiegend christlichen Bevölkerung überlassen bleiben[S. l] sollte, als rechtmäßig einverleibte Gebiete. In Wahrheit ging sie auf die Eroberung des ganzen Kaukasus aus.

Die Schicksalstragödie des armenischen Volkes fand endlich in der Katastrophe von Baku ihren schauerlichen Abschluß. Trotz der Warnungen des deutschen Oberstleutnant Paraquin, der dem Generalstab der türkischen Belagerungsarmee angehörte und rechtzeitige Vorbeugungsmaßnahmen verlangte, läßt der Oberkommandierende, Nury Pascha, ein jüngerer Bruder Enver Paschas, nach dem Fall der Stadt alle Vorkehrungsmaßregeln außer acht und läßt der tatarischen Bevölkerung Zeit, drei Tage lang die Stadt zu plündern und die christliche, hauptsächlich armenische Bevölkerung, zu massakrieren. Während die Schießereien und das Geschrei der unschuldigen Opfer des fanatischen Tatarenhasses die Straßen durchhallen, hält Nury Pascha vor der Stadt eine Parade ab und setzt sich mit seinen Offizieren im Hotel Metropol zur Tafel. Bei dem Festmahl wird das Kaukasuslied gespielt und mit unverhohlenem Triumph dem deutschen Offizier der Inhalt übersetzt, daß nunmehr die Türkei sich ihr altes Eigentum, den Kaukasus, wiederholen werde.

Trotz des energischen Einspruchs der deutschen Offiziere, des dänischen und schwedischen Konsuls läßt Nury Pascha die Tataren wie die Wilden hausen. Nicht einmal die fremden Bewohner der Stadt werden geschützt, der Mord zweier Deutschen später einfach abgeleugnet. Es kommt zu einem Auftritt bei dem Festmahl zwischen Oberstleutnant Paraquin und Nury Pascha, mit dem Erfolg, daß der deutsche Offizier von Halil Pascha, dem Chef der Ostarmee, — seiner Stellung enthoben wird.

Am 15., 16. und 17. September wurden zwischen 20 und 30000 Armenier in Baku hingeschlachtet. Vorhergingen die Massakers von Karakilissa, Ardahan, Olti und Katharinenfeld, denen mindestens die gleiche Zahl zum Opfer fiel. Es folgten Nuchi und Aresch.

Doch alles dies war nur das Nachspiel zu der Vernichtung des armenischen Volkes in der Türkei.

[S. li]

V. Der Charakter der Ereignisse.

1. Die Deportation, eine administrative Maßregel.

Die Frage der Verantwortlichkeit für die Gesamtdeportation und ihre Folgen bedarf nach der Veröffentlichung der deutschen Dokumente keiner Erörterung mehr. Die türkische Regierung und ihre leitenden Minister bekennen sich selbst zu der Urheberschaft der von ihnen angeordneten Maßregel. Jede von außen kommende Anregung oder Mitverantwortung, insbesondere von Seiten Deutschlands, wird von ihnen nicht nur bestritten, sondern im Prinzip abgelehnt. In einer Druckschrift, die am 1. März 1916 von der Pforte an die Vertretungen der fremden Mächte in Konstantinopel verteilt wurde, heißt es:

„Die Behauptungen, wonach diese Maßnahmen der Hohen Pforte durch gewisse fremde Mächte suggeriert seien, sind von Grund aus haltlos. Die Kaiserliche Regierung, fest entschlossen, ihre absolute Unabhängigkeit aufrecht zu erhalten, würde selbstverständlich keinerlei Einmischung, unter welcher Form auch immer, in ihre inneren Angelegenheiten dulden, und wäre es selbst von seiten ihrer Freunde und Bundesgenossen.“[16]

Als im türkischen Inlande und in der Presse des Auslandes Verleumdungen verbreitet wurden, daß Deutschland die Deportationsmaßregel inspiriert und ihre Ausführung organisiert habe, hat die Botschaft die Pforte aufgefordert, derartigen Behauptungen entgegenzutreten, woraufhin die Pforte den Provinzialbehörden Befehl gegeben hat, solchen Ausstreuungen, die von türkischen Offizieren, Beamten und Geistlichen allgemein verbreitet wurden, und bei Christen und Muhammedanern weithin Glauben fanden, offiziell zu dementieren. Die feiner fühlenden Elemente unter den Muhamme[S. lii]danern, die sich der an den Armeniern verübten Schändlichkeiten schämten, zogen es natürlich vor, das Odium der Maßregel auf die verbündeten Deutschen abzuwälzen. Sie wollten es nicht glauben, daß ihre eigene Regierung der Urheber solcher Greuel sei. Doch so oft auch die deutsche Regierung und die Botschaft wegen dieser Lügen, die im Ausland allzu willigen Glauben fanden, bei der Pforte Vorstellungen erhoben, so oft auch der Großwesir und der Minister des Innern sich in der rückhaltlosesten Weise als allein verantwortlich für die Maßnahmen gegen die Armenier erklärten, die türkischen Mollahs und Beamten im Inneren hörten nicht auf, dem Glauben an diese Verleumdungen Vorschub zu leisten.

Auch die Folgen, die für jeden einsichtigen Menschen die armenische Politik der Regierung für die wirtschaftliche Zukunft des Landes und die Friedensverhandlungen nach sich ziehen mußte, sind der Pforte von der deutschen Regierung und der Botschaft oft und nachdrücklich vorgehalten worden, ohne daß diese Warnungen irgend welchen Eindruck auf die leitenden Männer machten. Wer war schuld daran?

Die Seele der armenischen Politik war das jungtürkische „Komitee für Einheit und Fortschritt“; der Minister des Innern Talaat Bey und der Vizegeneralissimus Enver Pascha waren für ihre Ausführung formell verantwortlich. „Niemand hat hier mehr die Macht“, schreibt Graf Wolff-Metternich am 30. Juni 1916, „die vielköpfige Hydra des Komitees, den Chauvinismus und Fanatismus zu bändigen. Das Komitee verlangt die Vertilgung der letzten Reste der Armenier, und die Regierung muß nachgeben. Das Komitee bedeutet aber nicht nur die Organisation der Regierungspartei in der Hauptstadt. Das Komitee ist über alle Wilajets verbreitet. Jedem Wali bis zum Kaimakam (Landrat) herab steht ein Komiteemitglied zur Unterstützung oder zur Überwachung zur Seite.“

Die dem „Comité Union et progrès“ affiliierten jungtürkischen Klubs in den Provinzialstädten des Innern waren die treibenden Kräfte bei der Vorbereitung, Organisation und erbarmungslosen Durchführung der Gewaltmaßregeln. Sie stellten förmliche Proskriptionslisten auf. Eine Reihe politischer Morde an armenischen Führern wird auf ihre Tätigkeit zurückgeführt. Gegen Walis, die die Maßregel mildern oder Ausnahmen machen wollen, setzen sie die restlose Austreibung in den brutalsten Formen durch. Auch gegen Frauen und Kinder, Kranke, Schwangere, Blinde, einschließlich der[S. liii] Soldatenfamilien, ohne Unterschied der Konfession. Sie werben Banden von Verbrechern und kurdischen Wegelagerern an, um die Deportiertenzüge zu überfallen und niederzumetzeln. Sie bereichern sich an der konfiszierten Habe. Ihre ausgesprochene Tendenz ist die Vernichtung des armenischen Volkes.

Unter den Mitgliedern des Senats gab es viele, die das Vorgehen der Regierung ungern sahen und ihrer Mißbilligung Ausdruck gaben. Eine Interpellation Achmed Riza Beys wurde von der Regierung in einer Weise beantwortet, die an Zynismus nicht übertroffen werden kann.

Die ausführenden Organe des Deportationsbefehls waren die Armeeoberkommandos und die obersten Zivilbehörden der Wilajets. Djemal Pascha, der Oberkommandierende der 4. Armee in Syrien, zu dessen Befehlsbereich Cilicien und das Wilajet Aleppo gehörten, nahm eine Sonderstellung gegenüber den Machthabern in Konstantinopel ein. Er hat schwerere Ausschreitungen in seinem Bezirk verhindert und einiges für die Ernährung der Deportierten und die Versorgung der Anstalten getan. Der Deportation selbst und der Islamisierung der Deportierten hat auch er sich nicht widersetzt, da er mit dem Komitee rechnen mußte. Zu seiner Rechtfertigung erklärte er, daß „Talaat Bey bestimme, in welcher Ausdehnung die Ausweisung stattfinde, während er, Djemal, lediglich für die militärischen Ausführungen der vom Minister des Innern erlassenen Verfügungen zu sorgen habe.“

In der Regel ergingen die Befehle an die Armeeoberkommandos und von den Oberkommandos an die Walis, Mutessarrifs und Kaimakams, die mit wenigen Ausnahmen willig die Hand zur rücksichtslosesten Ausführung boten. Von der Zentralregierung wurde die Durchführung der Deportation in der härtesten und schroffsten Weise den Behörden zur Pflicht gemacht, auch gegen Frauen und Kinder. In Erzerum war es das Oberkommando, das den Bemühungen des Walis für den Schutz der Deportiertenkarawanen Widerstand leistete und auch die Austreibung aller unter deutschem Schutz stehenden armenischen Frauen und Kinder durchsetzte. Bei den Massenabschlachtungen der Deportierten wirkten reguläre Truppen, angeworbene Haufen von Tscherkessen, Kurden und Verbrecherbanden zusammen. Verschiedene Walis, Mutessarrifs und Kaimakams hielten die Verschleierungsform der Verschickung für überflüssig und ließen, wie in Diarbekr, Djesire und Midiat, alle Christen gleich an Ort und Stelle nieder[S. liv]metzeln. „Auf den Transporten ist die Tötung der Männer in den weitaus überwiegenden Fällen nicht durch Kurden, sondern durch die begleitenden Gendarmen erfolgt.“

Die Vernichtung der Reste, die am Verschickungsziel ankamen und in den Konzentrationslagern dem Hungertode ausgeliefert oder niedergemetzelt wurden, ist ebenso ein Werk der Behörden. Die nach Bagdad entsandten Truppen Halil Beys machten auf dem Wege nach Mossul alle „Ansiedelungen“ von Deportierten, die sie antrafen, nieder. Sie hatten das gleiche mit den Armeniern von Mossul vor, scheiterten aber mit ihrem Vorhaben an dem Widerstande des Feldmarschalls von der Goltz. Die 14000 Deportierten im Konzentrationslager von Ras ul Ain wurden „auf Befehl“ von dem Kaimakam der Stadt mit Hilfe von Tscherkessen abgeschlachtet. Die Füsilierung der armenischen Arbeiterbataillone geschah auf Befehl der Militärbehörden unter Kommando von Offizieren.

Regierungsbeamte, die sich der Ausführung der Befehle widersetzten, wurden von der Regierung ihres Amtes enthoben. Der Wali von Aleppo, Djelal Bey, wurde nach Konia versetzt, weil er in seinem Wilajet keine Deportationen und Massaker dulden wollte. Aus Konia wurde er aus demselben Grunde abberufen. Der Mutessarif Suad Bey in Der es Zor, der die Befehle der Regierung in der Ausführung zu mildern suchte, wurde durch den Tscherkessen Sekki Bey ersetzt, der die Konzentrationslager ausräumte und die schon halb verhungerten Deportierten zu Zehntausenden weiter verschickte, um sie auf dem Wege verschwinden zu lassen. Die seltenen Versuche menschlich empfindender türkischer Beamter, Notstandswerke zu organisieren, wie es Hussein Kasim Bey (vormaliger Wali von Aleppo und Saloniki) in Damaskus und Oberst Kemal Bey in Aleppo versuchte, scheiterten an dem Widerstand der Behörden. Der Kaimakam von Midiat wurde auf Befehl des Wali von Diarbekr, Reschid Bey, ermordet, weil er sich weigerte, die Christen seines Bezirks zu massakrieren. Reschid Bey selbst, der Veranstalter des Massakers von Diarbekr, wurde nicht etwa, wie der Konsul Holstein verlangte, abgesetzt, sondern nach Angora versetzt. Als er nach der Kapitulation der Türkei von der Waffenstillstandskommission verhaftet und zur Rechenschaft gezogen werden sollte, nahm er sich das Leben.

Es sei noch einmal darauf hingewiesen, daß edlere Muhammedaner das Vorgehen gegen die Armenier als eine Schande für die[S. lv] Türkei und als Sünde gegen die göttlichen Gebote empfanden. Auch die türkische Bevölkerung, obwohl sie der Austreibung meist gleichgültig zusah und die verlassenen armenischen Häuser plünderte, ist nicht überall mit dem Vorgehen der Regierung einverstanden gewesen; sie spürte sehr bald die infolge der Vertreibung aller Handwerker und Kaufleute hereinbrechende wirtschaftliche Not.

Nirgends aber war die Deportation, die Abschlachtung, die Aushungerung und die Islamisierung des armenischen Volkes ein Werk gehässiger oder fanatischer Volksleidenschaft. Genau so wie zur Zeit Abdul Hamids war die Vernichtung der Armenier eine administrative Maßregel der türkischen Regierung.

2. Deutsche Beteiligung.

Man hat Deutschland nicht nur bezichtigt, die Maßregel der Deportation inspiriert und organisiert zu haben, man hat auch einzelne Deutsche beschuldigt, sich aktiv an den Massakers beteiligt zu haben. Soweit mir ausländische Druckschriften und Zeitungen zu Gesicht gekommen sind, handelt es sich um drei Fälle.

1. Der Fall Rößler. In der englischen und französischen Presse (Times, Westminster Gazette, Matin, Havas-Telegramm von 30. September) wurde Konsul Rößler beschuldigt, sich von Aleppo nach Aintab begeben zu haben, „um dort in Person Massakers zu dirigieren“. Im englischen Oberhaus wurde als indirekter Beweis der Mitschuld Deutschlands von Lord Crewe auf Grund von „Berichten amerikanischer Augenzeugen“ mitgeteilt, „daß deutsche Konsularbeamte in Kleinasien nicht nur zugesehen, sondern zu den Greueltaten kräftig aufgemuntert hätten“. Es könnte genügen, auf den gesamten Inhalt der hier veröffentlichten deutschen Konsularberichte hinzuweisen, um diese Verleumdungen zu entkräften. Da es sich aber im Falle Rößler um spezialisierte Angaben handelt, die auf die Dienstreise des Konsuls nach Marasch vom 28. März bis zum 10. April 1915 Bezug nehmen, habe ich Zeugnisse von amerikanischen Missionaren in Marasch und Aintab und von Mr. E. C. Woodley, der englischer Staatsangehöriger ist, in die Akten aufgenommen, die die Beschuldigung vollkommen entkräften. (Nr. 25, Anl. 2; Nr. 188, Anl. 1–5.)

2. Der Fall Eckart. In dem englischen Blaubuch Nr. 31 (1916) „The Treatment of Armenians in the Ottoman Empire, 1915/16[S. lvi] Documents presented to Viscount Grey of Fallodon by Viscount Bryce. London, Causton and Sons 1916“ (auch verwertet von A. Mandelstam, „Le sort de l’Empire Ottoman, Payot et Cie“, 1917, S. 304) findet sich unter Nr. 134, S. 530, der Auszug eines Briefes von Mr. Toumas K. Muggerditschian, publiziert in der armenischen Zeitung „Gotchnag“ vom 1. April 1916. Mr. Muggerditschian bezieht sich auf den Bericht zweier Damen, von denen eine, eine Engländerin, auf der Durchreise durch Aleppo von zwei Armeniern, die von Urfa kamen und dort Gäste des Deutsch-Schweizers Jakob Künzler waren, das Folgende über die Mitwirkung von Herrn Eckart bei den Massakers in Urfa gehört haben will. Ich schicke voraus, um die angebliche letzte Quelle zu charakterisieren, daß Herr Eckart und Herr Künzler im Dienst der gleichen deutschen Missionsgesellschaft stehen, der von mir begründeten Deutschen Orientmission, daß sie meine Mitarbeiter und Freunde sind, und zwei Jahrzehnte lang, auch während des Krieges, alle ihre Kräfte dem armenischen Hilfswerk in Urfa gewidmet haben. Herr Künzler war Diakon am Missionsspital, Herr Eckart Leiter des Waisenhauses und der Teppichmanufaktur. Herrn Künzler also werden die folgenden Aussagen in den Mund gelegt:

„Zugleich bedauerte Herr Künzler, daß Herr Eckart (im englischen Text fälschlich geschrieben Eckhard) die Armenier verraten und die Türken gegen sie aufgereizt habe. Herr Eckart — der Expräsident des deutschen Waisenhauses in Urfa und jetzt der Geschäftsleiter der Teppichfaktorei — ist ein deutscher Artilleriehauptmann, der nach den Massakers von 1895/96 als Missionar und Spion nach Urfa kam. Im Herbst 1915 ermutigte er den türkischen, kurdischen und arabischen Mob, die Armenier anzugreifen, und ist für die dreimal wiederholten Massaker verantwortlich. Das erste Massaker, in dem 250 Armenier getötet wurden, fand am 19. August 1915 statt; das zweite fand am 23. September statt, es dauerte eine Woche, in der ungefähr 300 Personen getötet und die Stadt geplündert wurde; das dritte fand um den 1. Oktober statt. Zunächst wurden alle Armenier aufgefordert, sich bereit zu machen, nach Der es Zor zu gehen. Als sie einwandten, daß sie alles verloren hätten und nichts behalten hätten, das sie mitnehmen könnten, befahl Fakhri Pascha, sie zu massakrieren. Das Massaker dauerte 10 Tage. Der deutsche Artilleriehauptmann zerstörte die armenischen Quartiere, die Kirche und alles andere, in dem er so der armenischen[S. lvii] Bevölkerung von Urfa ein Ende machte. Damals war es, daß Rev. Apelian, der Apotheker Apraham Attarian, Solomon Effendi Knadjian, Abuhajadian und Hagobian auf Verlangen des Herrn Eckart eingekerkert wurden. Rev. Apelian, Attarian und Hagobian wurden erhängt, Knadjian und Abuhajadian erschossen.“

Über den wirklichen Hergang der Ereignisse in Urfa liegen die Berichte von Herrn Künzler in den Aktenstücken vor. Die massiven Lügen über Herrn Eckart, die angeblicherweise Herrn Künzler in den Mund gelegt werden, sind mit wenigen Worten zu entkräften. Herr Eckart war vor 20 Jahren Volksschullehrer. Er hat niemals bei der Artillerie gedient und niemals in seinem Leben ein Geschütz abgefeuert. Er war nicht Expräsident, sondern bis zu seiner Abreise von Urfa im Jahre 1918 Leiter des armenischen Hilfs- und Waisenwerks und der Teppichmanufaktur, die von mir mit Hilfe deutscher, dänischer, holländischer und schweizer Armenierfreunde als armenisches Hilfswerk vor 20 Jahren nach den Abdul Hamid’schen Massakers begründet worden ist und bis zum Ausbruch des Krieges 400 armenischen Frauen und Mädchen Arbeit und Brot gab. Im Waisenhaus hat er über 700 armenische Waisenkinder auferzogen. Auch während des Krieges hat Herr Eckart alles, was in seinen Kräften stand, getan, um das Leben der Armenier von Urfa zu schützen und den Notleidenden zu helfen.

Es ist nichts Ungewöhnliches, daß sich die Verleumdung, wie es die Fälle Rößler und Eckart beweisen, gerade diejenigen Männer aussucht, die sich in Wahrheit die größten Verdienste erworben haben.

3. Der Fall eines deutschen Offiziers in Musch. In Nr. 25 (S. 94) des genannten Blaubuches wird im Zusammenhang eines Berichtes über das Massaker von Musch nach der kaukasischen Zeitschrift „Mschak“ folgendes erzählt:

„Nach kaukasischen Berichten sammelten die Türken durch Verrat und Täuschung gegen 5000 Armenier von 20 armenischen Dörfern rund um das Kloster St. Garabed in Musch und massakrierten sie. Bevor das Massaker begann, trat ein deutscher Offizier auf die Mauer des Klosters und machte den Armeniern Vorwürfe, weil die türkische Regierung ihnen große Freundlichkeit bewiesen und sie ausgezeichnet habe, daß sie aber nicht zufrieden gewesen wären[S. lviii] und Autonomie verlangt hätten. Dann gab er durch einen Revolverschuß das Zeichen zum allgemeinen Massaker[17].“

Auch diese Geschichte ist erfunden. Durch eine Nachfrage bei der deutschen Militärmission ist festgestellt worden, daß Deutsche im Juli 1915 bei den Ereignissen in und um Musch nicht zugegen waren. Auf Anfrage von mir erklärte Schwester Alma Johansson, jetzt in Ronneby, Schweden, die das Massaker miterlebt hat:

„Kein Deutscher war im Sommer 1915, ebensowenig zur Zeit des Massakers, in der Muschgegend.“

Den drei Fällen von Verleumdungen stehen die zahlreichen Zeugnisse der Dokumente gegenüber, die von dem unermüdlichen Eintreten der deutschen Konsuln für die Deportierten, von der aufopferungsvollen Notstandsarbeit deutscher Missionare und Missionarinnen und von dem erfolgreichen Eintreten deutscher Offiziere zum Schutz bedrohter Armenier Zeugnis ablegen.

Es genüge hier, die mir bekannt gewordenen Fälle militärischen Schutzes aufzuführen.

1. Der deutsche Kriegsfreiwillige Karl Schlimme, Konsulatsdiener des deutschen Konsulats in Erzerum erzählt, wie er am 18. Juni Mitglieder der österreichischen Ski-Mission begleitete, denen eine armenische Familie, zu der auch die Schwester des armenischen Bischofs von Erzerum gehörte, vom Wali anvertraut worden war. In Baiburt wurde, nachdem man ihnen den Kutscher fortgenommen hatte, der Versuch gemacht, ihnen die Armenier zu entreißen, wogegen sie sich zur Wehr setzten. Auf dem weiteren Wege trafen sie regelrechte Posten von Komitatschis. Die zur Bedeckung mitgegebenen Gendarmen weigerten sich, weiter mitzukommen und machten mehrfach den Vorschlag, die Armenier niederzumetzeln. Unter eigener Lebensgefahr brachten die Reisenden die Familie nach Ersindjian.

2. Herr von Scheubner-Richter, der in Erzerum bis zur Ankunft des Herrn Werth mit der Vertretung des Konsulats betraut war und im August 1915 in militärischem Auftrage nach Mossul unterwegs war, verhinderte dadurch, daß er mit den ihm unterstellten deutschen Offizieren und Mannschaften seine Mitwirkung verweigerte, daß ein Lager von Deportierten, das sich aus Furcht vor einem Massaker zwischen Bitlis und Mossul[S. lix] verschanzt hatte, von den ihn begleitenden türkischen Offizieren mit ihren Mannschaften laut Befehl aus Mossul massakriert wurde.

3. Generalfeldmarschall Freiherr von der Goltz erfuhr nach seiner Ankunft in Mossul (Dezember 1915), daß der bisherige Oberkommandierende in Mesopotamien, Nureddin Bey, Befehl gegeben hatte, die nach Mossul transportierten Armenier von Bagdad von dort weiter zu verschicken und auch die in Mossul ansässigen Armenier nach dem Euphrat zu schaffen. Der Feldmarschall hielt diese Maßregel militärisch in keiner Weise für gerechtfertigt und intervenierte bei den Wilajetbehörden; zunächst ohne jeden Erfolg. Er erreichte wenigstens, daß die Armenier einstweilen in Mossul bleiben konnten. Als bis Mitte Januar 1916 keine Antwort aus Konstantinopel kam, verbot der Feldmarschall von sich aus auf Grund seiner Oberbefehlshaberbefugnisse dem Wali von Mossul, die Armenier weiter zu transportieren. Bis Ende Januar erhielt er keine Antwort, erfuhr aber, daß die Regierung auf dem Abtransport bestehe. Hierauf bat der Feldmarschall telegraphisch um seine sofortige Abberufung. Erst jetzt antwortete Enver Pascha in einem verbindlich gehaltenen Telegramm, in welchem er Zusicherungen bezüglich des Verbleibens der Armenier in Mossul machte, im übrigen aber den Feldmarschall darauf hinwies, daß ihn seine Oberbefehlshaberbefugnisse nicht berechtigten, sich in die inneren Angelegenheiten des türkischen Reiches einzumischen.

4. General Liman von Sanders[18] erfuhr am 9. November, als er zur Besichtigung der 56. Division und der nach dem europäischen Kriegsschauplatz beorderten 16. Division in Smyrna weilte, daß am 8. November mehrere hundert Armenier in Smyrna verhaftet und mit der Eisenbahn ins Innere transportiert worden waren, darunter alte Frauen und kranke Kinder, die von der Polizei in der rohesten Weise aus den Betten geholt worden waren. Am 10. November schickte er den Stabschef der 5. Armee zum Wali und ließ ihm sagen, daß er derartige Massenverhaftungen und Transporte nicht dulden und eine Fortsetzung der Maßnahmen mit Waffengewalt durch die ihm unterstellten Truppen verhindern würde. Zugleich gab er Befehl, die nötigen Vorkehrungen zu treffen. Er ließ dem Wali bis Mittag Bedenkzeit. Gegen ½2 Uhr meldete ihm sein Stabschef,[S. lx] daß die Verhaftungen und Transporte eingestellt seien. Ebenso intervenierte General Liman von Sanders wegen der Verhaftung der zehn angesehensten und reichsten griechischen Notabeln von Urla, die ohne Verhör in das Gefängnis von Smyrna gebracht worden waren.

5. General von Lossow und General Freiherr Kreß von Kressenstein[19] (Chef der deutschen Delegation in Tiflis) haben sich mit der größten Energie dafür eingesetzt, daß die türkische Kaukasusarmee, die im Widerspruch mit den Abmachungen des Friedens von Brest-Litowsk in die Gouvernements Tiflis, Eriwan, Elisabethpol und Baku einrückte, hinter die Vertragsgrenze zurückgezogen wurden. Die aus ihren Wohnsitzen geflüchteten kaukasischen Armenier kamen in eine so verzweifelte Lage, daß eine halbe Million von Männern, Frauen und Kindern mit dem Hungertode bedroht war. Trotz der Weigerung Enver Paschas hat die Oberste Heeresleitung (siehe Telegramme von Hindenburg und Ludendorff) ihren Willen durchgesetzt und ermöglicht, daß die geflüchteten Armenier endlich in ihre Wohnsitze zurückkehren konnten.

6. Oberstleutnant Paraquin, der damals dem Stabe des Armeeführers Halil Pascha angehörte, war nach der Einnahme von Baku Zeuge davon, daß Nury Pasha der Niedermetzelung der Armenier durch die Tataren freien Lauf ließ, ohne einzugreifen und die Christen der Stadt zu schützen. Als Oberstleutnant Paraquin, der schon zuvor vergeblich Vorbeugungsmaßregeln gefordert hatte, von seinem Unwillen keinen Hehl machte und energisch auf Schutzmaßregeln drang, zog er sich das Mißfallen Nury Paschas in dem Maße zu, daß er am Tage darauf von Halil Pascha seiner Stellung enthoben wurde.

7. In der deutschen Kolonie Katharinendorf sind durch bewaffnetes Einschreiten der deutschen Kolonisten 152 Armenier aus einem von den Tataren veranstalteten Massaker gerettet worden.

Ich zweifle nicht, daß noch viele deutsche Offiziere, wo sie in die Lage kamen, gefährdeten Armeniern ihren Schutz angedeihen zu lassen, ebenso gehandelt haben. Es würde mir wertvoll sein, von deutschen Kriegsteilnehmern, die aus der Türkei zurückgekehrt sind, zur Vervollständigung meines Materials Mitteilungen über die Erfahrungen zu erhalten, die sie im Zusammenhang mit der Armenierverfolgung gemacht haben.

[S. lxi]

3. Militärischer Schade.

Die Rücksichtslosigkeit, mit der das Komitee trotz der gefährdeten Existenz des Reiches sein innerpolitisches Programm durchführte, wird dadurch charakterisiert, daß es bei der Durchsetzung weder die Interessen der Bundesgenossen noch die Interessen der Kriegführung respektierte. Die deutschen Unternehmungen in der Türkei, wie z.B. die Baumwollgesellschaft in Cilicien und die Teppichmanufaktur in Urfa, wurden durch die Austreibung der Armenier ihrer geschulten Arbeitskräfte beraubt, die deutschen Hospitäler ihres ärztlichen und Pflegepersonals, die Schulen und Waisenhäuser ihrer Lehrer und Gehilfen; den deutschen Banken und Handelshäusern wurden durch Konfiskation des armenischen Nationalvermögens die Sicherheiten für ihre Kredite genommen. Nicht einmal vor der Schranke der eigenen militärischen Interessen machte der rücksichtslose Verfolgungswille des Komitees halt. Daß sich auf den Etappenstraßen, die mit den unbeerdigten Leichen massakrierter und verhungerter Armenier besät waren, der Flecktyphus über das ganze Reich ausbreitete, danach fragte niemand. Daß durch die Abschiebung und Vernichtung der Armenier die Armee ihrer tüchtigsten Militärhandwerker, Hufschmiede, Chauffeure, die Regierung und die Banken ihrer eingearbeiteten Beamten, die Spitäler und Verbandplätze ihrer geschulten Ärzte und ihres Lazarettpersonals beraubt wurden, war die geringste Sorge. Selbst Einsprüche der Obersten Heeresleitung wurden leichten Herzens in den Wind geschlagen. In der kritischsten Periode August 1915 wurde der Generaldirektor der anatolischen Bahn durch den Befehl der Ausweisung von 850 geschulten armenischen Bahnbeamten vor eine Frage gestellt, die den Gang des Krieges unmittelbar beeinflussen mußte. Einen Aufschub der Maßregel zu erwirken gelang ihm zunächst nur dadurch, daß er erklärte, zur selbigen Stunde den Betrieb auf der ganzen Linie einstellen zu müssen. Erst nach langwierigen Verhandlungen und immer wiederholten starken Pressionen durch die Oberste Heeresleitung gelang es, den Aufschub in eine Aufhebung der Maßregel zu verwandeln und dadurch mit dem Bahnbetrieb auch das Leben von 850 Armeniern und ihrer Familien zu retten.

Noch Schlimmeres drohte der Bahnbaugesellschaft. Im Juni 1916 wurde zur Zeit der drängendsten Arbeiten am Amanustunnel durch die Austreibung von 2400 am Bau beschäftigten Armeniern die Zahl[S. lxii] der Arbeiter ohne Befragen der Gesellschaft mit einem Schlage nahezu auf die Hälfte reduziert. Weitere Abtransporte drohten. Infolge Fehlens aller gelernten Arbeiter wurde der Fortschritt der Bauarbeiten und der Bahnhofsbetrieb mit den verbliebenen Arbeitern zu einem Ding der Unmöglichkeit. Anwerbung neuer Arbeiter war ebenfalls unmöglich. Einstellung ungelernter Arbeitersoldaten hätte die Bauzeit um mindestens 3 Monate verlängert. Im Amanustunnel drohten bei Einstellung der Arbeiten Einbrüche und damit andauernde Unterbrechung des Bahnbetriebes. Zugleich wurden zwei armenische Ärzte und 43 Apotheker und Pfleger aus dem Bahnspital vertrieben. Der auf Vorstellungen der Baugesellschaft vom türkischen Kriegsministerium gegebenen Gegenbefehl (18. Juni 1916) blieb wirkungslos. Die Vermittlung vom Großen Hauptquartier, Kriegsministerium und Auswärtigem Amt in Berlin erwirkte zwar den erneuten Befehl vom Kriegsminister an den Kommandanten der 4. Armee und den Wali von Adana, daß die ausgetriebenen Armenier nach ihren Arbeitsstellen zurückgeführt werden sollten. Der Wali aber erklärte (22. Juni), keinen Befehl zur Rückkehr der Vertriebenen erhalten zu haben, sondern nur einen Befehl, „die Zahl der noch zu Vertreibenden zu beschränken“. Der Wali versichert obendrein, daß er einen derartigen Befehl, auch wenn er ihn erhielte, nicht befolgen würde. Der Botschafter erklärte darauf (30. Juni) den Ministern Talaat Bey und Halil Bey, „die Maßregel mache den Eindruck, als ob die türkische Regierung selbst darauf bedacht sei, den Krieg zu verlieren“. Trotzdem inzwischen noch General v. Falkenhayn an Enver Pascha aus dem Großen Hauptquartier drahtlich von der „vollständigen Betriebseinstellung, deren Ende sich nicht absehen ließe“, in Kenntnis gesetzt und „ein unmittelbares deutsches Interesse wegen Behinderung des Nachschubs“ geltend gemacht hatte, geschah nichts, um den Widerstand zu brechen. Am 1. Juli berichtet der Botschafter, daß Talaat nochmals die Ausweisungsfrage mit Enver erörtern wolle und erläutert: „Ausweisung auf Komiteebeschluß zurückzuführen... auch Enver und Talaat Bey sind solchen fanatischen Beschlüssen gegenüber machtlos“. Und dabei blieb es. Ja, es folgten noch weitere Abtransporte. Im März 1917 werden von der Amanusstrecke 505 Arbeiter mit 187 Familienmitgliedern in die Wüste geschickt, von der Taurusstrecke etwa die gleiche Zahl.

[S. lxiii]

4. Opfer.

Bei der Frage nach der Zahl der ermordeten, verhungerten und islamisierten Armenier kann es sich selbstverständlich nur um ganz vage Schätzungen handeln. Nach allgemeiner Annahme, die auch von deutschen Konsuln geteilt wird, ist mit einem Verlust von einer Million türkischer Armenier zu rechnen, darunter eine halbe Million Frauen und Kinder. An Kaukasus-Armeniern sollen noch 50 bis 100000 dazu kommen.

Die Berichte enthalten die folgenden Angaben:

Am 12. August 1915, 6–7 Wochen nach der Massenverschickung, die Ende Juni einsetzte, also zu einer Zeit, wo noch der größte Teil der Karawanen unterwegs war und die Ernte des Hungersterbens in den Konzentrationslagern der Wüste noch nicht in Betracht kam, es sich also in der Hauptsache um Totschlag der Deportierten auf der Wanderung oder um Massakers an Ort und Stelle handelte, wird nach Mitteilung von Fürst Hohenlohe die Zahl der im Osten umgekommenen Armenier auf wenigstens zwei, wahrscheinlich mehrere Hunderttausend geschätzt. Einige Wochen später bezifferte Enver Pascha die Zahl der getöteten Armenier mit 300000[20]. Am 30. September 1915 schreibt Herr von Tyszka aus Konstantinopel: „Ob die Opfer 500000 übersteigen oder nicht erreichen, ist gleichgültig.“ Am 4. Oktober 1916 wird die Zahl der Umgekommenen zwischen 800000 und 1 Million geschätzt. So enorme Zahlen werden verständlich, wenn man aus Konsularberichten erfährt, daß die einzelnen Abschlachtungen in den Städten und in den Wanderlagern in der Regel nach Hunderten und Tausenden zählen, ja Zehntausend übersteigen. Von den ostanatolischen Transporten ist kaum ein Drittel am Verschickungsziel angekommen. Was unterwegs nicht umkam, wurde in den größeren Konzentrationslagern systematisch dem Hungertode ausgesetzt. An einem einzigen dieser Lagerplätze, Meskene, am Knie des Euphrats zwischen Aleppo und Rakka, liegen nach Aussage des türkischen Militärapothekers, die von einem türkischen Offizierstellvertreter bestätigt wurde, 55000 Armenier begraben.[21] Bei den Massakers auf den Wanderungen handelt es sich überwiegend um Männer, bei dem Hungersterben in den Konzentrationslagern fast ausschließlich um Frauen, Kinder und Greise.[S. lxiv] Die Transporte, die nach Der es Zor kamen, wurden 1915 auf 60000 geschätzt. Die immer neuen Transporte konnten nur dadurch Aufnahme finden, daß die ersten Transporte bereits verhungert oder wieder abgeschoben waren. So wurden am 15. April 1916 vier Transporte, 19000 an der Zahl, nach Mossul geschickt, 300 km quer durch die Wüste. Von diesen Transporten sind am 22. Mai, also 5 Wochen später, etwa 2500 in Mossul angelangt. Ein Teil der Frauen und Mädchen wurde unterwegs an Beduinen verkauft, alle übrigen sind durch Hunger und Durst umgekommen. Anfang Juli 1916 zählte man noch 20000 Deportierte in Der es Zor. Acht Wochen später betrug die Zahl, nach dem Zeugnis eines deutschen Offiziers, nur noch einige hundert Handwerker, die für die Truppen arbeiteten. Alle übrigen — auch diejenigen, die in den nördlicheren Stationen sich wirklich anzusiedeln begonnen hatten — waren verschwunden. Die Regierung behauptete, sie seien nach Mossul geschickt worden. Das Volk, sie seien in den Tälern südöstlich von Der es Zor umgebracht worden. Man habe sie nach und nach in Trupps von einigen Hunderten abgeführt und von dazu bestellten Tscherkessenbanden abschlachten lassen. Ein arabischer Augenzeuge, der gerade vom Schauplatz einer solchen Szene kam, bestätigte die Tatsache. Ähnliche Methoden sind für die Abschlachtung von 14000 Deportierten im Frühjahr 1916 nach zuverlässigen Erkundungen eines Deutschen festgestellt worden. Einen Monat lang wurden täglich 300 bis 500 Verbannte aus dem Lager geführt und in einer Entfernung von etwa 10 Kilometer niedergemacht. Die Leichen wurden in den Fluß geworfen. Die am 22. April in Ras ul Ain noch vorhandenen 2000 Deportierten, der Rest der 14000, waren bei einem späteren Besuch des Platzes ebenfalls verschwunden.

Bei solchem Verfahren, wenn es systematisch zwei Jahre lang fortgesetzt wird, wird man es für möglich halten, daß nach der allgemeinen Schätzung etwa eine Million von Armeniern vernichtet worden ist. Wie es in den Konzentrationslagern herging, darüber lese man den Bericht im Anhang Nr. 4. Wer ihn gelesen hat, wird sich nicht wundern, wenn ein anderer Augenzeuge berichtet, daß Ende Januar, während er sich in Bab aufhielt, in 2½ Tagen 1029 Armenier starben.

Ein eigenartiger Weg der Schätzung wird (Nr. 302, 4. 10. 16) auf Grund einer Tabelle über das Schicksal der Eltern und Angehörigen von 720 in Aleppo gesammelten Kindern eingeschlagen. Die 720 deportierten Kinder im Durchschnittsalter von 9 Jahren hatten ihre[S. lxv] Väter und Mütter durch folgende Umstände verloren: Während der Mann im Heere diente, waren 246 Mütter mit ihren Kindern deportiert worden. Eines natürlichen Todes starben 129 Väter und 53 Mütter, eines unnatürlichen Todes starben 321 Väter und 379 Mütter. Die Zahl der Angehörigen der Kinder, die während des Transportes umkamen, betrug 2616. Die Transporte, von denen die 720 Kinder übriggeblieben waren, stammten aus zehn verschiedenen Wilajets und zählten bei der Ausreise 3336 Personen. Es gingen also 78,5 Prozent auf dem Transport verloren. Legt man dies Verhältnis zugrunde und nimmt man die Gesamtzahl der Deportierten auf rund 1½ Millionen an, so würde der überlebende Rest nur 322000 zählen. Natürlich hat dieses Exempel nur den Wert einer Stichprobe.

Die Berechnungen, die sich in meinem „Bericht“[22] finden, ruhen auf der Statistik der armenischen Bevölkerung der Türkei nach den Gemeindelisten des Patriarchats. Nach ihnen zählte die Gesamtzahl der Armenier der Türkei 1845450. Rechnet man die Armenier, die in den Kaukasus und übers Meer nach Alexandrien geflüchtet sind, mit 244400 und die Armenier, die von der Deportation verschont geblieben sind, mit 204700 (was vielleicht zu hoch gerechnet ist), so ist die Zahl der Deportierten mit 1396350 anzusetzen. Die Zahl der Überlebenden an den Rändern der arabischen Wüste soll nach neueren Angaben zwischen 150- und 200000 betragen. Will man außerdem annehmen, daß, was an islamisierten Armeniern, an verschleppten und verkauften Frauen, Mädchen und Kindern noch 200000 betragen mag, wofür es natürlich keine Gewähr gibt, so würde man zu dem ganz allgemeinen Schätzungsergebnis kommen, daß von den 1845000 Armeniern rund 1 Million umgekommen ist und 845000 noch am Leben sind, wovon ca. 200000 in ihren Heimatsstädten zurückblieben, 200000 versprengt, 250000 in den Kaukasus geflüchtet sind und 200000 noch als ausgehungerte Bettler in den Konzentrationslagern übriggeblieben sind. Da die Mehrzahl der Versprengten und der in den Konzentrationslagern Überlebenden als islamisiert anzusehen ist, so wird man die Zahl der islamisierten Armenier zwischen 250- und 300000 schätzen können. Die Verluste an Menschenleben unter den kaukasischen und in den Kaukasus geflüchteten Armeniern werden auf 50–100000 geschätzt.

[S. lxvi]

Der Wert des konfiszierten Nationalvermögens der türkischen Armenier wird auf eine Milliarde geschätzt.

Ich brauche nicht zu wiederholen, daß diesen Berechnungen jede exakte statistische Grundlage fehlt und fehlen muß. Zu einem einigermaßen zuverlässigen Ergebnis wird man erst gelangen können, wenn eine neue Volkszählung der türkischen und kaukasischen Armenier einen Vergleich mit dem früheren Volksbestande erlaubt. Wer wollte nicht hoffen, daß die Zahl der überlebenden Armenier größer sein möchte, als man bis jetzt annehmen darf.

Die Gesamtzahl der türkischen, kaukasischen, persischen und ausländischen Armenier wurde vor dem Kriege auf 3600000 veranschlagt. Schon der Verlust von 800000 Armeniern würde ein Viertel der gesamten armenischen Nation ausmachen.

Welches von den kriegführenden Völkern darf seine Verluste mit denen des armenischen Volkes in Vergleich stellen, das mit dem Kriege selbst nichts zu tun hatte?

5. Die offizielle Motivierung.

Da ich hier nicht eine Geschichte der Armenischen Frage schreiben kann, sondern mich darauf beschränken muß, aus den wichtigsten Daten der vorliegenden Dokumente die Summe zu ziehen, so habe ich nicht zu erörtern, wie es dahin kam, daß nach dem Sturz Abdul Hamids und der Einführung der Konstitution die Einmütigkeit der auseinanderstrebenden Nationalitäten des osmanischen Reiches, die im ersten Rausch der Revolution zur Tatsache geworden und durch eine demokratische Verfassung verbürgt zu sein schien, nach kurzer Zeit dem alten Zerrüttungsprozeß anheimfiel. Das jungtürkische Komitee, das allen nichttürkischen Nationen eifersüchtig und mißtrauisch gegenüberstand, kehrte mit den cilicischen Massakers und den albanesischen Dragonaden zu den Methoden Abdul Hamids zurück. In drei aufeinanderfolgenden Kriegen führte seine unweise Politik in der kurzen Zeit eines Jahrzehnts zuerst den Verlust der afrikanischen Besitzungen, als dann den Verlust der europäischen Türkei herbei und zuletzt den Zusammenbruch des ganzen Reiches, das den Weltkrieg voraussichtlich nur noch als inneranatolischer Kleinstaat überleben wird. Das politische Programm des Komitees für Einheit und Fortschritt, die Aufrichtung eines rein islamischen pantürkischen Großreiches, hat sich als Utopie erwiesen. Die historische Mission der Jungtürken war die Liquidation der Türkei.

[S. lxvii]

Die Maßregel der Deportation fiel in die kritischste Phase des Krieges. Die Türkei, auf drei Fronten, an den Dardanellen, im Kaukasus und in Mesopotamien, von drei europäischen Großmächten angegriffen, war während der ersten elf Kriegsmonate auf ihre eigene militärische Kraft angewiesen. Die Zentralmächte waren infolge der Neutralität Bulgariens und Rumäniens außerstande, ihr mit nennenswerten Truppenkontingenten zu Hilfe zu kommen. So seltsam es erscheinen muß, daß den jungtürkischen Machthabern gerade der äußerste Gefahrpunkt ihrer militärischen Lage — während der heißesten Dardanellenkämpfe — als die „günstigste Gelegenheit“ erschien, ihr innerpolitisches nationalistisches Programm durchzuführen und mit ihrer wirtschaftlichen Existenz zugleich ihren moralischen Kredit aufs Spiel zu setzen, so sehr entsprach doch diese Va-banque-Politik dem abenteuerlichen Charakter der jungtürkischen Machthaber.

Gleichwohl erforderte die Bundesgenossenschaft mit den Zentralmächten eine Verhüllung der leitenden Motive und Zielgedanken der jungtürkischen Politik. Ein offenes Bekenntnis zu den asiatischen Methoden, die zum Erbgut des Islams gehören, konnte den verbündeten Mächten gegenüber die Pforte erst wagen, als sie in der Hauptsache ihre Absicht erreicht und durch die Zertrümmerung der armenischen Nation die „Armenische Frage“ hinter dem Rücken der Botschafter „gelöst“ hatte. Vor den europäischen Diplomaten erschien das türkische Mittelalter im Gehrock. „Militärische Notwendigkeiten“ wurden vorgeschützt, um hinter dem Wandschirm der Deportation die Abwürgung der armenischen Nation den Blicken Europas zu entziehen.

Die „militärischen Notwendigkeiten“ wurden mit einer Reihe von amtlich gemeldeten Vorfällen begründet, deren Gewicht nicht ohne weiteres abschätzbar war:

1. Einzelne, nicht völlig aufgeklärte Spionageakte an der cilicischen Küste.

2. Scharmützel mit Deserteuren, die sich einer (schon vor dem Kriege in der Nachbarschaft von Zeitun bestehenden) Räuberbande angeschlossen hatten.

3. Bombenfunde, wirkliche oder angebliche, an vereinzelten Plätzen (Kaisarie, Erzerum).

4. Unterstützung hochverräterischer Pläne durch feindliche Mächte.

[S. lxviii]

5. Aufstände, vermeintliche oder wirkliche, in verschiedenen Wilajets.

Die Tragweite dieser Vorgänge konnte sehr verschieden beurteilt werden, je nachdem sie als mehr oder weniger beiläufige (selbst in Friedenszeiten nicht ungewohnte) Folgen einer schlechten Verwaltung oder als Symptome einer „weitverbreiteten Verschwörung“ und „allgemein geplanten Volkserhebung“ gedeutet wurden.

Spionageakte und Deserteurgeschichten gehören zu den regelmäßigen Erscheinungen, die der Krieg an allen Fronten, noch dazu bei gemischten Bevölkerungselementen in den Grenzgebieten mit sich bringt. Das tatsächliche oder angebliche Auffinden von Bomben, Waffen, verdächtigen Korrespondenzen, Schriftstücken u. dergl., „gehört“, wie von Kühlmann bei späterer Gelegenheit (17. November 1916) bemerkt, „zu dem bekannten Inventar der türkischen Behörden an Vorwänden.“ Daß die Armenier durch Agenten der Entente „zum Aufruhr gegen die ottomanische Regierung angestiftet seien“, daß englisches Gold und russische Maschinengewehre dabei mitgespielt hätten, ist erfunden und wurde von den deutschen Konsuln bezweifelt[23].

Vermeintliche oder tatsächliche „Aufstände“ fanden in Anatolien (einem Gebiet von der Größe Deutschlands, Deutsch-Österreichs und der Schweiz) nach den eigenen Angaben der Pforte an nicht mehr als sechs Plätzen statt in getrennten Zeitabschnitten: Musch (Anfang März 1915), Zeitun (25. März 1915), Wan (20. April 1915), Schabin Karahissar (3. Juli 1915), Suedije (30. Juli 1915), Urfa (1. Oktober 1915). Es ist zu unterscheiden, ob sie vor, während oder nach der allgemeinen Deportation stattfanden. Vor die Anfänge der Deportation fallen nur Musch, Zeitun und Wan. In den beiden ersten Fällen handelte es sich nicht um „Aufstände“, sondern um belanglose Zusammenstöße von Gendarmen und Deserteuren, wie sie auch in Friedenszeiten nichts Ungewöhnliches waren. Konsul Anders berichtet z. B. aus der Vorkriegszeit von einer Razzia im Wilajet Bitlis, bei der „2500 Kurden, die sich der Dienstpflicht entzogen hatten“, eingefangen wurden. In Zeitun handelte es sich um 150 armenische, zum Teil auch muhammedanische Deserteure; in Dörfern der Muschebene um Schießereien bei Requisitionen. Das Gewicht solcher Vorgänge kann an der geringen Zahl von Toten ab[S. lxix]geschätzt werden: in Zeitun auf türkischer Seite 7–8 Gendarmen und 20–30 Armenier, in der Muschebene 7 Gendarmen und 27 Armenier. In die Anfänge der Deportationszeit, als es im Wilajet Wan und Erzerum bereits zu erheblichen Massakers gekommen war, fallen die „Aufstände“ von Wan, und Schabin-Karahissar, die in Wahrheit Akte der Selbstverteidigung waren. In Wan fielen während der vierwöchentlichen Belagerung 18 Armenier und auf türkischer Seite vermutlich eine entsprechende Zahl. In Schabin-Karahissar zählt das türkische Communiqué „150 Tote, Zivil- und Militärpersonen“, die man nach Analogie der offiziellen türkischen Zahlen von Wan vermutlich auf den zehnten Teil wird reduzieren müssen. Rechnen wir die Toten, die bei diesen Zusammenstößen vor und während der Deportation zu zählen sind, zusammen, so ergeben sich auf türkischer Seite etwa 50 und auf armenischer Seite eine entsprechende geringere oder größere Zahl. In die Zeit nach dem Höhepunkt der Deportation fallen die „Aufstände“ von Suedije und Urfa, Verzweiflungsakte von Menschen, die den Tod mit der Waffe in der Hand der Abschlachtung und dem Hungertode vorzogen. Für Urfa beträgt die Zahl der Toten nach türkischen Angaben 20, nach deutschen 50; für Suedije nach armenischen 200. Alles in allem betragen die nachrechenbaren türkischen Verluste infolge dieser sogenannten „Aufstände“ auf türkischer Seite etwa 300 Tote. Nur eine barbarische Vergeltungslehre kann es gerechtfertigt finden, diese 300 im Kampf gefallener Männer mit dem Opfer von einer Million wehrloser Armenier, einschließlich einer halben Million von Frauen und Kindern aufzuwiegen. Immerhin deckt sich diese Auffassung mit dem Ausspruch des Mutessarrifs von Musch, der bei seiner Leichenrede für sieben gefallene Gendarme schwur: „Für jedes Haar eures Hauptes will ich 1000 Armenier hinschlachten lassen.“

Schwerwiegender als diese Einzelfälle, die, sofern sie nicht zu den regelmäßigen Erscheinungen einer ungeordneten Verwaltung und zum Kriegszustande gehörten, durch die Deportation erst hervorgerufen wurden, ist die Beschuldigung, daß von Seiten der armenischen Parteiorganisationen, insbesondere der Daschnakzutiun, ein allgemeiner Aufstand geplant worden sei.

Ich habe schon im Jahre 1916[24], ehe mir das deutsche Material[S. lxx] bekannt war, den Beweis geführt, daß ein armenischer Aufstand weder vorbereitet, noch von den führenden Männern geplant war, noch überhaupt im Bereich der Denkbarkeit lag. Eine Zeit, in der die christliche Bevölkerung entwaffnet war und die muhammedanische unter Waffen stand, eine Zeit, in der die männliche Bevölkerung der armenischen Städte und Dörfer ausgehoben und zum Wegebau auf entlegene unwegsame Straßen, fern von den Städten, verbannt war[25], wäre ungefähr der unmöglichste Zeitpunkt für eine Volkserhebung und ein Unternehmen gewesen, an das nur Narren hätten denken können. Nationale Autonomie oder gar Unabhängigkeit konnte dem armenischen Volk nur durch die Schicksalsentscheidung des Weltkrieges zufallen, die, wie im Falle Polens, von seinem eigenen Verhalten völlig unabhängig war. Die Deportation als „vorbeugende Maßregel“ gegen eine Erhebung des armenischen Volkes war doppelt sinnlos, seit es sich bei der Massenverschickung und angeblichen Neuansiedlung nach der Abschlachtung der Männer fast nur noch um Frauen und Kinder handelte.

Alle Konsularberichte und alle Aussagen von Deutschen, die im Innern lebten, bestätigen durchaus diese Schlußfolgerungen.

Sie erhärten zunächst, daß keinerlei Beweise für Aufstandspläne oder Gefahr einer Volkserhebung vorlagen. Die Zeugnisse der Konsuln, die völlig unabhängig voneinander urteilen, sind hierin einmütig:

Hoffmann, Alexandrette, 7. März: „Soweit ich den Charakter und die Tätigkeit der hiesigen kleinen Bevölkerung bisher kennen gelernt habe, glaube ich nicht, daß diese sich landesverräterisch betätigt.“

Büge, Adana, 26. März: „Von einem vorbereiteten Aufstand der Armenier (von Zeitun) kann keine Rede sein.“

Rößler, Aleppo, 12. April: „Die Bevölkerung (von Marasch) ist friedlich und denkt nicht an Auflehnung gegen die Regierung.“

General Posseldt, Erzerum, 26. April: „Die Aufführung der Armenier ist tadellos gewesen.“

Missionar Ehmann, Mamuret ul Asis, 5. Mai: „Die Christen hier denken nicht im entferntesten daran, sich gegen die Regierung aufzulehnen.“

[S. lxxi]

v. Scheubner-Richter, Erzerum, 15. Mai: „Ein Aufstand der Armenier Erzerums und seiner näheren Umgebung ist nicht anzunehmen, trotz der geringen hier vorhandenen türkischen Streitkräfte.“

Rößler, Aleppo, 5. August: „Für einen allgemein beabsichtigten und vorbereiteten Aufstand der Armenier fehlen jede Beweise.“

Derselbe, 8. November: „Kein Beweis liegt dafür vor, daß der Bezirk (von Suedije) von vornherein an Aufstand gedacht hat. Er ist vielmehr durch die drohende Verschickung zum Widerstand getrieben worden.“ Derselbe, Ende September 1915: „Es ist nicht erforderlich (für Urfa), Einwirkung von außen anzunehmen... Es genügte, daß die Urfaleute die Vorbeugungsmaßregeln der Regierung, die Verschickung und den damit verbundenen Untergang ihres Volkes und jedes einzelnen vor Augen hatten, um den Entschluß des Widerstandes hervorzurufen.“

Diesen Aussagen entspricht das Gesamturteil der Botschaft und der Konsulate, das von Anfang bis zu Ende das gleiche geblieben ist. Freiherr von Wangenheim schreibt am 15. April 1915: „Nur in einem Punkte dürfte (zwischen der türkischen und armenischen Seite) Übereinstimmung herrschen, daß die Armenier seit Einführung der Konstitution den Gedanken einer Revolution aufgegeben haben, und daß keine Organisation für eine solche besteht.“ Herr von Scheubner-Richter schreibt am 4. Dezember 1916: „Für die mit der Türkei im Bündnis stehenden Mächte wurde eine angeblich vorbereitete Revolution der Partei der Daschnakzagan vorgeschützt. Lokale Unruhen und Selbstschutzbestrebungen der Armenier wurden aufgebauscht und zum Vorwand genommen, die Aussiedelung der Armenier aus bedrohten Grenzgebieten zu motivieren.“

Für Konstantinopel liegt das eigene Zeugnis von Talaat Bey vor, der die Behauptung, „es lägen Beweise vor, daß für den Tag des Thronbesteigungsfestes ein Putsch beabsichtigt gewesen sei, für unzutreffend erklärt“ und die Verhaftung und Verschickung von 600 Notabeln aus der Hauptstadt lediglich als Vorbeugungsmaßregel begründet, da sich unter denselben „eine Reihe nicht ganz sicherer Persönlichkeiten befände“, die „im Falle einer ungünstigen Wendung des Krieges die Gelegenheit zu Unruhestiftungen ergreifen könnten[26]“. Er behauptet nicht einmal, Beweise für diesen Ver[S. lxxii]dacht zu haben, die allgemeine Möglichkeit des Verdachtes genügt ihm als Grund für die Verschickung. Der von Enver Pascha gegenüber Humann ausgesprochene Vorwand, „ihm sei eine Verschwörung bekannt, nach welcher etwa 30000 Armenier in der Gegend von Adabazar-Ismid eine russische Landung bei Sakaria unterstützen wollen“, ist eine der bekannten statistischen Hypothesen des phantasiereichen Kriegsministers, die in Konstantinopel niemand ernst nahm.

Zuletzt ist als Motiv für den Vernichtungswillen geltend gemacht worden, daß man die Massakrierung der Armenier aufrechnen müsse gegen die Massakers, die die Armenier unter der türkischen Bevölkerung veranstaltet hätten. Es könnte sich hierbei nur um sehr begrenzte Vergeltungsmaßregeln und Racheakte handeln, die der Deportation, Abschlachtung und Aushungerung erst auf dem Fuße folgten. Selbst wenn, von standrechtlichen Erschießungen von Mördern und Plünderern abgesehen, Vergeltungsmaßregeln in irgend beträchtlicherem Maßstabe vorgekommen wären, müßte man sie menschlich für mehr als begreiflich halten. Handelte es sich aber, wie es in allen bis jetzt kontrollierbaren Fällen nachweisbar ist, um Selbstschutz und Gegenwehr gegen geplante Vernichtung, so bleibt es bei dem Urteil, das der Wali Djelal Bey von Aleppo gegenüber dem deutschen Konsul Rößler fällte: „Es ist das natürlichste Recht des Menschen, zu leben. Der Wurm, den man tritt, krümmt sich. Die Armenier werden sich wehren.“

Über die Vergeltungsakte, die die Armenier in den östlichen Wilajets (nach dem Rückzug der türkischen Truppen vor der russischen Armee) in den von ihnen wiederbesetzten Gebieten an der muhammedanischen Bevölkerung verübt haben sollen, liegen nur türkische Nachrichten vor. Sie bewegen sich, wie immer, in phantastischen Zahlen und betreffen:

1. das Gebiet von Wan für die Zeit zwischen der Entsetzung von Wan, 17. Mai bis Ende Juni 1915: Enver Pascha erzählt dem Korvettenkapitän Humann: „Die Armenier, verleitet und aufgestachelt durch russische Agenten, haben so gründlich gegen die ottomanische Bevölkerung gewütet, daß von den 150000 Türken, die früher das Wilajet Wan aufzuweisen hatte, nur noch 30000 Muhammedaner am Leben sind.“

2. Bitlis. Aus der Zeit der Einnahme von Bitlis durch die Russen, Anfang März 1916, wird berichtet: „Armenische Banden[S. lxxiii] haben dort Blutbad unter der Bevölkerung angerichtet, das angeblich 2–3000 Opfer gekostet hat.“

3. Ersindjan und Erzerum, Dezember 1917 und Januar 1918 (vor dem Rückzug der russischen Truppen und armenischen Freischaren aus den besetzten Gebieten): einige hundert.

4. Im Gebiet von Kars (vor dem Einmarsch der türkischen Truppen in die im Frieden von Brest-Litowsk preisgegebenen drei Distrikte), Frühjahr 1918: Nach Aussage Enver Paschas hat sich „seit der letzten russischen Zählung allein im Gebiet von Kars die Zahl der muselmanischen Einwohner um 45000 vermindert, welche alle den Verfolgungen der Armenier erlegen sind“.

In allen vier Fällen handelt es sich um türkische Angaben, die durch unabhängige Quellen nicht bestätigt, in der Hauptsache aber als groteske Übertreibungen erweisbar sind. Denn die Zahlen der türkischen Berichte lassen sich meist auch ohne nähere Kenntnis der Einzelvorgänge nachprüfen und um verschiedene Stellen kürzen.

Die von Enver Pascha gegenüber Kapitän Humann genannte Zahl von 150000 Türken des Wilajets Wan, von denen nur noch 30000 am Leben geblieben sein sollen, hat eine Geschichte. Ich habe sie bereits im Jahre 1916, als sie zuerst in einem türkischen Kommuniqué auftauchte, untersucht.

In dem türkischen Kommuniqué vom 29. Juni 1915 heißt es:

„Von 180000 Muselmanen, die das Wilajet Wan bewohnen, haben sich kaum 30000 retten können. Der Rest blieb den Mordtaten der Russen und Armenier ausgesetzt, ohne daß man bis jetzt über deren Schicksal etwas erfahren konnte.“

Das Schicksal dieser 150000 Muselmanen also war nicht bekannt und auch nicht erfahrbar, da sie sich hinter der russischen Front befanden. Die 30000 sind diejenigen Türken, die beim Vormarsch der Russen in die Ebene von Musch geflüchtet sind. (Wie unzuverlässig auch diese Zahlen sind, ergibt sich aus der Tatsache, daß eben diese geflüchteten Muhammedaner am 17. Mai, auch nach einer türkischen Quelle, auf 80000 geschätzt wurden.)

In der Aussage von Enver Pascha ist die vorsichtige Ausdrucksweise des Communiqués, nach der der Rest von 150000 den Mordtaten der Russen und Armenier „ausgesetzt blieb, ohne daß man von ihrem Schicksal etwas wußte“, dahin variiert, daß erstens „die Armenier“ alleinige Missetäter und die Russen fortgelassen sind, und zweitens schlankweg behauptet wird, diese 150000[S. lxxiv] Türken, von denen man nichts wußte und nichts wissen konnte, seien der Wut der Armenier zum Opfer gefallen.

Die letzte Aufmachung der Ziffern des Communiqués findet sich in der Aussage der türkischen Botschaft in Berlin vom 1. Oktober 1915; da wird erzählt, daß „im April während des türkischen Vormarsches nach Aserbeidschan es zu einer Armenierrevolte im Rücken des türkischen Heeres gekommen sei, bei der nicht weniger als 180000 Muhammedaner umgebracht worden seien“. Hier werden die 30000 geflüchteten Muhammedaner mit den 150000 hinter der russischen Front verbliebenen, von denen niemand etwas wußte, zusammengerechnet und alle 180000 für Opfer der Armenierrevolte in Wan ausgegeben. So sind glücklich aus den etwa 18 Türken, die (der Zahl der getöteten Armenier von Wan entsprechend) gefallen sein mögen — 180000 geworden.

Mit solchen phänomenalen Zahlen von 180000 massakrierten Muhammedanern war es der türkischen Botschaft ein leichtes, die Vorstellungen des Auswärtigen Amtes zurückzuweisen: „Es sei nicht verwunderlich, daß die Muhammedaner hierfür Rache genommen hätten.“

Selbst diese in der Phantasie aufgebauten Zahlen sind nicht völlig aus der Luft gegriffen; das Rechenexempel hat eine Grundlage. Er stammt fraglos aus der Wilajetsstatistik. Das Wilajet Wan zählt 180000 Muselmanen, ca. 30000 Türken und 150000 Kurden. Die 30000 Türken waren beim Vormarsch der russischen Armee in das Wilajet Bitlis geflüchtet, so weit stimmt die Aussage von Enver Pascha; denn zur Zeit der Veröffentlichung des Communiqués standen die Russen bereits am Westufer des Wansees. Die 150000 Kurden des Wilajets Wan, die hauptsächlich in den südlichen und südöstlichen Gebieten bis zum oberen Zabtal nach dem Tigris hinunter wohnen, waren teilweise hinter der russischen Front zurückgeblieben, zum größten Teil aber überhaupt nicht in das Kampfgebiet einbezogen. Niemand dachte daran, ihnen ein Haar zu krümmen, denn erstens waren ihre Gebiete in den Bergen der Hakkiari-Kurden so gut wie unzugänglich, zweitens standen die Russen mit den Kurden, deren Chefs hohe Jahrgehälter von ihnen bezogen, auf gutem Fuße und ebenso wenig bestand zwischen Kurden und Armeniern Feindschaft. Diese 150000 Muselmanen waren überhaupt keinen „Mordtaten ausgesetzt“, ge[S. lxxv]schweige denn von den Armeniern massakriert worden; sie erfreuen sich noch heute ihres Lebens.

So löst sich das Rätsel dieses angeblichen Türkenmassakers, das in türkischer Darstellung die Vernichtung des armenischen Volkes als einen Racheakt entschuldigen soll.

Bei den Angaben Enver Paschas über die Verminderung der muselmanischen Einwohner im Gebiet von Kars handelt es sich um ein ähnliches Phantasieexempel. In Wahrheit hatte Enver Pascha die Armenier von Kars, die angeblich dort die Statistik um 45000 Muhammedaner vermindert haben — wann, wird nicht gesagt — durch ein Manifest eingeladen, in ihren Wohnsitzen zu bleiben und diesen Mördern von 45000 Muhammedanern „Leben, Sicherheit und Freiheit“ garantiert. Nach den Erfahrungen aber, die man bereits mit türkischen Truppen im Kaukasus gemacht hatte, zogen es die Armenier von Kars vor, Haus und Hof in Stich zu lassen und mit Weib und Kind ins Gouvernement Eriwan zu fliehen. Die statistischen Phantasien Envers verfolgten aber im Falle von Kars wohl noch einen besonderen Zweck. Man konnte die 45000 „den Verfolgungen der Armenier erlegenen Muselmanen“ bei der Volksabstimmung, von der das Schicksal von Kars abhängig gemacht werden sollte, zu der zurückgebliebenen Minorität von Muhammedanern hinzurechnen, um so eine stattliche muhammedanische Majorität zu bekommen. Tatsächlich hat man in den drei Distrikten nur die Muhammedaner abstimmen lassen, will sagen, man hat die statistische errechnete muhammedanische Seelenzahl für eine Abstimmung ausgegeben.

Die Zahl der Opfer „armenischer Banden“ in Bitlis, die im März 1916 auf 2–3000 aus türkischen Quellen angegeben wurde, kann man jetzt ebenfalls aus türkischen Quellen nachprüfen. In der türkischen Aktensammlung: „Aspirations et Agissements Révolutionnaires des Comités Arméniens avant et après la proclamation de la Constitution Ottomane, Constantinople 1917“, die einer besonderen Beleuchtung wert wäre, findet sich ein Verzeichnis von 131 Personen, die in Bitlis nach der Eroberung der Stadt durch die Russen getötet worden seien. Das Verzeichnis datiert vom 27. August 1917. Die Armenier des Bezirks von Bitlis (51500) waren Anfang Juni 1915 deportiert worden. In der Stadt Bitlis wurde die Mehrzahl der Armenier massakriert, 900 Frauen und Kinder wurden abtransportiert und, wie es heißt, im Tigris ertränkt. Bei diesem Abtransport fand auch der[S. lxxvi] armenische Abgeordnete von Wan, Wramian, seinen Tod. Mag es sich nun mit den 131 getöteten Muselmanen von Bitlis verhalten wie es will, sei es, daß es sich um standrechtliche Erschießungen der an dem Massaker von Bitlis Hauptschuldigen, sei es, daß es sich um einzelne Racheakte handelte, jedenfalls ist die Zahl von 2–3000 auf 131 zu reduzieren, und keinenfalls handelt es sich um ein Massaker, denn in Bitlis mögen an 20000 Muhammedaner leben.

Nach diesen Proben wird man den türkischen Zahlen über Massakers, die armenische Freischärler im Dezember 1917 und Januar 1918 in Ersindjian und Erzerum verübt haben sollen, solange mit Mißtrauen gegenüberstehen müssen, als sie nicht durch andere Quellen bestätigt sind.

Entscheidend ist in allen vier Fällen, daß sich die angeblich oder wirklich vorgenommenen Straf- und Racheakte der Armenier, die sich im Vergleich mit den Hunderttausenden ihrer Toten höchstens in den Hunderten bewegen, nicht vor der Deportation, sondern nach der Verschickung und den Massenmorden abgespielt haben.

Die „Rachgier der aufkochenden muhammedanischen Volksseele“ hat als Motiv für die Massakers ebenso versagt, wie die „militärischen Notwendigkeiten“ für die Deportation. Die Beschlüsse des Komitees hatten einen anderen Grund, der die Maßregel der allgemeinen Deportation, die grausame Methode ihrer Durchführung, die Vernichtung von mehr als zwei Dritteln der Deportierten und die Islamisierung des Restes allein zureichend erklärt.

Lassen wir die Dokumente selbst sprechen. Einer weiteren Erörterung bedarf es dann nicht.

Schon im April 1915 bedauert der Wali von Aleppo, Djelal Bey, „daß bei der türkischen Regierung eine Strömung die Oberhand gewonnen zu haben scheine, welche die Armenier im ganzen als verdächtig oder gar als feindlich anzusehen geneigt sei. Er betrachte diese Wendung als ein Unglück für sein Vaterland und bittet dem Botschafter anheimzustellen, dieser Richtung entgegenzuarbeiten.“

Die deutschen Konsuln urteilen:

„Die Regierung scheint auf dem mittelalterlichen Standpunkt zu verharren, daß für die Tat eines einzelnen oder einiger weniger Solidarhaft eines ganzen Volkes besteht. Denn ihre Maßregeln gehen auf Vernichtung der Armenier[27] in ganzen Bezirken[S. lxxvii] hinaus. Alle Armenier von Besitz, Bildung oder Einfluß sollen beseitigt werden, damit nur eine führerlose Herde zurückbleibe“ (Rößler, 10. Mai 1915).

„Wir werden bald überall den hellsten Aufruhr haben, wenn die Zentralregierung ihr Programm der Christenverfolgung nicht ändert“ (Holstein, 13. Juni 1915).

„Das Zentralkomitee scheint auf diese Weise der armenischen Frage endgültig ein Ende machen zu wollen“ (Bergfeld, 9. Juli 1915).

„Es handelt sich um nichts weniger als um die Vernichtung oder gewaltsame Islamisierung eines ganzen Volkes“ (Kuckhoff, 4. Juli 1915).

„Meine bisherige Berichterstattung dürfte dargetan haben..., daß die Ausdehnung der Anordnungen der türkischen Regierung, deren Durchführung sie in der härtesten und schroffsten Weise den Behörden zur Pflicht gemacht hat, auch gegen Frauen und Kinder, bewußt den Untergang möglichst großer Teile des armenischen Volkes mit Mitteln herbeizuführen bestrebt ist, welche dem Altertum entlehnt sind. Sie hat, wie wohl kein Zweifel sein kann, die Gelegenheit, da sie sich im Kriege mit dem Vierverband befindet, dazu benutzen wollen, um sich der armenischen Frage für die Zukunft zu entledigen, dadurch, daß sie möglichst wenige geschlossene armenische Gemeinden übrig läßt“ (Rößler, 27. Juli 1915).

„Von den Anhängern letzterer (der schroffen Richtung des jungtürkischen Komitees) wird übrigens unumwunden zugegeben, daß das Endziel ihres Vorgehens gegen die Armenier die gänzliche Ausrottung derselben in der Türkei ist. „Nach dem Kriege werden wir keine Armenier mehr in der Türkei haben“, ist der wörtliche Ausspruch einer maßgebenden Persönlichkeit“ (von Scheubner-Richter, 28. Juli 1915.)

„Die Berichte (über den Zustand in den Deportiertenlagern) gewähren einen Einblick in die bewußte und gewollte Vernichtung der Verschickten durch türkische Regierungsorgane.“ (Rößler, 3. Januar 1916.)

„Ein großer Teil des jungtürkischen Komitees steht auf dem Standpunkt, daß das türkische Reich nur auf rein muhammedanischer pantürkischer Grundlage aufgebaut[S. lxxviii] werden muß. Die nichtmuhammedanischen und nichttürkischen Bewohner desselben müssen gewaltsam muhammedanisiert und türkisiert, wo das nicht angängig, vernichtet werden.“ (von Scheubner-Richter, 4. Dez. 1916.)

Nicht anders urteilen die Botschafter.

Am 17. Juni 1915 schreibt Freiherr von Wangenheim:

„Daß die Verbannung der Armenier nicht allein durch militärische Rücksichten motiviert ist, liegt zutage. Der Minister des Innern, Talaat Bey, hat sich hierüber kürzlich (gegenüber Dr. Mordtmann) ... dahin ausgesprochen, ‚daß die Pforte den Weltkrieg dazu benützen wollte, um mit ihren inneren Feinden (den einheimischen Christen) gründlich aufzuräumen, ohne dabei durch die diplomatische Intervention des Auslandes gestört zu werden‘.“

Am 7. Juli derselbe:

„Dieser Umstand“ (die Ausdehnung der Maßregel) „und die Art, wie die Umsiedelung durchgeführt wird, zeigen, daß die Regierung tatsächlich den Zweck verfolgt, die armenische Rasse im türkischen Reich zu vernichten.“

Am 2. August schreibt Fürst Hohenlohe: „Alle diesseitigen Vorstellungen haben sich gegenüber dem Entschluß der Regierung, die einheimischen Christen in den östlichen Provinzen unschädlich zu machen, als unwirksam erwiesen.“

In seinem Bericht an den Reichskanzler vom 30. Juni 1916 beleuchtet Graf Wolff-Metternich die materiellen Zusammenhänge der jungtürkischen Politik:

„Das Komitee verlangt die Vertilgung der letzten Reste der Armenier, und die Regierung muß nachgeben. Von diesen Unglücklichen haben die hungrigen Wölfe des Komitees außer der Befriedigung ihrer fanatischen Verfolgungswut nicht mehr viel zu erwarten. Ihre Güter sind längst eingezogen, und ihr Vermögen ist durch eine sogenannte Kommission liquidiert worden, d. h. wenn beispielsweise ein Armenier ein Haus im Werte von 100 türkischen Pfund besaß, so ist es einem Türken, Freund oder Mitglied des Komitees, für etwa 2 Pfund zugeschlagen worden. Von den Armeniern ist also nicht mehr viel zu holen. Die Meute bereitet sich daher auch schon mit Ungeduld auf den Augenblick vor, wo Griechenland, von der Entente gezwungen,[S. lxxix] sich gegen die Türkei oder deren Verbündete richten wird. Das Griechentum bildet das Kulturelement der Türkei. Es wird dann vernichtet werden, ebenso wie das armenische, wenn äußere Einflüsse nicht Einhalt gebieten. Türkisieren heißt, alles Nichttürkische vertreiben oder töten, vernichten und sich gewaltsam anderer Leute Besitz aneignen. Hierin und im Nachplärren freiheitlicher französischer Phrasen besteht vorläufig die berühmte Wiedergeburt der Türkei.“

Unter dem 10. Juli charakterisiert Graf Metternich die seelischen Zusammenhänge der jungtürkischen Mentalität:

„Die türkische Regierung hat sich in der Durchführung ihres Programmes: Erledigung der armenischen Frage durch die Vernichtung der armenischen Rasse weder durch unsere Vorstellungen noch durch die Vorstellungen der amerikanischen Botschaft und des päpstlichen Delegaten, noch auch durch Drohungen der Ententemächte, am allerwenigsten aber durch die Rücksicht auf die öffentliche Meinung des Abendlandes beirren lassen.“...

„Man darf in der zwangsweisen Islamisierung der Armenier zunächst keine von religiösem Fanatismus eingegebene Maßregel erblicken. Den jungtürkischen Gewalthabern dürften solche Gefühle fremd sein. Dagegen bleibt es wahr, daß, um auch im Herzen ein guter osmanischer Patriot zu sein, man vor allem sich zum Islam bekennen muß. Die Geschichte des türkischen Reiches von seinem Beginn bis in die letzten Zeiten ist da, um die Richtigkeit des Satzes zu beweisen, daß im Orient Glaubensbekenntnis und Nationalität identisch sind, und jeder Osmane ist in seinem Innern hiervon überzeugt. Die gegenteiligen amtlichen und nichtamtlichen Versicherungen gehören samt dem begleitenden Apparat von Belegstellen aus Koran und Tradition zu den konventionellen Phrasen, deren man sich seit der Ära der Reformfermane den Europäern gegenüber bedient, um die Toleranz des Islams und der Osmanen zu beweisen. So entsprechen auch die Dementis, welche die Minister den Mitteilungen über die Glaubensverfolgungen entgegensetzen, zunächst den Anforderungen des guten Tons: sie treffen aber insofern zu, als das leitende Motiv nicht religiöser Fanatismus ist, sondern die Absicht, die Armenier mit den muhammedanischen Bewohnern des Reiches zu amalgamieren.“

[S. lxxx]

Dies Urteil ist zutreffend. Man darf aber nicht vergessen, daß es Religionsverfolgungen in Reinkultur niemals gegeben hat. Die Christenverfolgungen im römischen Reich waren durch Gründe der Staatsraison diktiert, die Judenverfolgungen im Mittelalter und im Rußland der Neuzeit durch Habgier verursacht. Die Pogrome, die Muhammed selbst veranstaltete, hatten es ausschließlich auf Beute abgesehen. Die jungtürkische Christenverfolgung, vielleicht die größte aller Zeiten, hatte die gleichen Motive: Staatsraison und Habgier.

Lepsius.

Aktenstücke
zur
Armenischen Frage
1913 bis 1918

[S. 5]

1913

September.

1.

Kaiserlich
Deutsche Botschaft.

Therapia, den 26. September 1913.

Euerer Exzellenz beehre ich mich in den Anlagen zwei Berichte vorzulegen, welche Vizekonsul Anders nach seinem Eintreffen in Erzerum über seinen Besuch beim armenischen Katholikos in Etschmiadsin, sowie über die Haltung Rußlands gegenüber den gregorianischen Armeniern im Kaukasus erstattet hat.

Wangenheim.

Seiner Exzellenz dem Reichskanzler
Herrn von Bethmann Hollweg.

2.

Kaiserlich
Deutsches Konsulat.

Erzerum, den 16. September 1913.

Auf der Reise von Tiflis durch den Kaukasus nach Erzerum besuchte ich am 7. d. M. den Katholikos aller Armenier, Seine Heiligkeit Kevork V. Surenian, in seinem Patriarchensitz Etschmiadsin am Fuße des Berges Ararat. Das Kloster, in dem ich sehr gastlich aufgenommen wurde, ist im Jahre 303 n. Chr. vom Patriarchen Gregor dem Erleuchter erbaut. Bereits im ersten Jahrhundert n. Chr. hatte sich in Armenien eine christliche Gemeinde gebildet und unter dem König Trdat, welcher Armenien von 301 bis 332 beherrschte, wurde das Christentum als Staatsreligion anerkannt. Obwohl im Jahre 303 n. Chr. sich die armenische Kirche selbständig machte, beschickten die armenischen Patriarchen von Vartashabad (nahe Etschmiadsin) das Konzil von Nicäa 324, von Konstantinopel 328 und Ephesus 432. Die dort festgesetzten Dogmen wurden angenommen, jedoch die Beschlüsse des Konzils zu Chalcedon 451 offiziell verworfen. — Zurzeit vollzieht sich die Patriarchenwahl in der Weise, daß 8 Mitglieder der Synode, die 7 ältesten Klosterbrüder, sowie von jeder Eparchie (6 in Rußland, 2 in Persien, 1 in Rumänien, 50 in der Türkei) 1 Geistlicher und 1 Laie ihre Stimmen abgeben. Dem Zaren werden die beiden Bischöfe mit den meisten Stimmen vorgeschlagen; bei der letzten Wahl am 11. Dezember 1911 waren dies der jetzige[S. 6] Katholikos, damalige Erzbischof von Tiflis, und der armenische Patriarch in Konstantinopel, Turian.

Wie ich erfuhr, bezieht der Katholikos von der russischen Regierung keinerlei Gehalt, dagegen stehen ihm aus den Mitteln der Gemeinde jährlich 12000 Rubel zur persönlichen Verwendung zur Verfügung.

Der Katholikos Kevork V. ist eine ehrwürdige, sympathische Erscheinung mit lebhaftem, klugen Gesichtsausdruck. Er empfing mich in seinem Thronsaal, auf der Kapuze über der Stirn geschmückt mit dem Kreuz aus Brillanten, einem Geschenk des Zaren. Es interessierte ihn ungemein, daß die Kaiserliche Regierung in Erzerum eine konsularische Vertretung eingerichtet hat. Er verspricht sich von dieser Maßnahme großen Vorteil für seine — wie er sich ausdrückte — „armen unterdrückten Glaubensgenossen unter türkischem Joch.“ Seine Heiligkeit bat mich, soweit meine Amtsbefugnisse dies erlaubten, mich der Armenier im Wilajet Erzerum anzunehmen und übergab mir ein Handschreiben an den armenischen Bischof Sinbad in Erzerum.

Betreffs der Reformen äußerte sich der Patriarch dahin, daß bei der Beratung des Programms durch die Großmächte leider noch keine Einigung erzielt sei, da jede Macht neben der humanitären Seite der Vorschläge auch noch ihre eigenen wirtschaftlichen oder politischen Ziele mit dem Programm in Einklang bringen wolle. Er erkenne dankbar an, daß die Kaiserliche Regierung in Berlin den führenden Mann der Bewegung, Boghos Nubar Pascha, empfangen und ihre Sympathien für die Sache der Armenier zum Ausdruck gebracht habe. Leider würde von den Mächten, mit Ausnahme Rußlands, zu viel Rücksicht auf die türkische Regierung genommen, welche sich noch seit Jahrhunderten als unfähig zu jeglichem Reformwerk erwiesen habe. Der Patriarch hob sodann hervor, daß die Entsendung deutscher Kriegsschiffe nach Mersina im Frühjahr d. J. wesentlich zur Sicherung der Armenier in Cilicien beigetragen habe, und daß er einen Bericht über den Besuch des Katholikos von Sis an Bord S. M. S. Goeben am 5. Mai d. J. gelesen habe. Er hoffe, die Kaiserliche Regierung werde auch weiter, speziell im Gebiete der Bagdadbahn, ihren Schutz den Armeniern angedeihen lassen und er hoffe von dem Ausbau der Bahn große zivilisatorische und kulturelle Vorteile für die dort ansässigen Armenier.

Der Patriarch wünschte mir sodann gute Reise und vollen Erfolg für meine Mission nach Erzerum und gab Befehl, daß mir der Klosterschatz, u. a. auch Überreste der Arche Noah, welche dem heiligen Gregor von einem Erzengel übergeben worden sind, gezeigt werde.

Anders.

Seiner Exzellenz dem Kaiserlichen Botschafter
Freiherrn von Wangenheim, Konstantinopel.

[S. 7]

3.

Kaiserlich
Deutsches Konsulat.

Erzerum, den 16. September 1913.

Bei meinem Besuch im Kloster Etschmiadsin erfuhr ich gesprächsweise über die Haltung der russischen Regierung zu den gregorianischen Armeniern im Kaukasus Folgendes:

Als die Russen im Jahre 1828 während der Patriarchenzeit des Katholikos Ephrem Armenien eroberten, wobei ihnen der damalige Erzbischof von Tiflis, spätere Katholikos Nerses V. mit einer armenischen Miliz gute Dienste leistete, versprachen sie den Armeniern Erhaltung ihrer Nationalität und besondere Privilegien. Trotzdem ging der erste Statthalter Paskewitsch-Eriwanski sehr schroff vor. Eine im Jahre 1836 eingeführte Gerichtsordnung (Polojenie) für den Kaukasus, in welcher die Rechte des Patriarchen durch Einführung einer Synode verkürzt wurden, beschränkte auch die armenischen Sonderrechte erheblich.

Zwar wurden bis zum Jahre 1908 alle Patriarchen mit dem Titel „Oberster Katholikos aller Armenier“ vom Zaren feierlich bestätigt, trotzdem versuchte die Regierung dauernd, die Armenier zu russifizieren. Als im Jahre 1903 sogar die Einziehung aller armenischen Kirchengüter verfügt wurde, setzte sich der Katholikos „im Namen aller Armenier“, da die Güter ja auch den außerhalb Rußlands wohnenden Armeniern gehörten, in offenen Widerspruch zur Regierung. Obwohl zwar bereits nach Jahresfrist, hauptsächlich auf Anraten des jetzigen Statthalters Fürsten Woronzoff-Daschkoff die konfiszierten Güter zurückgegeben wurden, hat die russische Regierung es für gut befunden, um dem Katholikos jeden Rechtstitel zur Einmischung in Angelegenheiten der nichtrussischen Armenier zu entziehen, bei der Bestätigung des im April 1909 gewählten Katholikos Mattheos II. Ismirlian zum ersten Male den Titel: „Oberster Katholikos aller Armenier“ fortzulassen. Auch ist das kaiserliche Reskript, in welches mir der führende Bischof Karabed Einsicht gewährte, in einem von den früheren Urkunden erheblich abweichenden Tone gehalten. Der Zar spricht die Erwartung aus, daß der Patriarch in seiner Gemeinde auf strenge Befolgung der Regierungsgesetze achte. Um seiner Mißbilligung der armenischen Sonderbestrebungen sichtbaren Ausdruck zu geben, hat der Zar dem Katholikos Mattheos II. zum ersten Male nicht, wie sonst üblich, den Alexander-Newski-Orden verliehen. Auch der jetzt regierende Patriarch erhielt diesen Orden bei seiner Bestätigung im März 1912 nicht. Erst als infolge der Gestaltung der politischen Lage in der asiatischen Türkei es der russischen Regierung bei ihren Aspirationen auf Türkisch-Armenien angezeigt erschien, sich mit den russischen Armeniern auf guten Fuß zu stellen, wurde der Alexander-Newski-Orden im Frühjahr d. J. dem Katholikos verliehen.

Ich gewann den Eindruck, als ob es den russischen Armeniern im Interesse[S. 8] der Erhaltung ihrer nationalen Eigenart keineswegs lieb sein würde, wenn Türkisch-Armenien unter russische Herrschaft käme. Die russischen Armenier vergäßen vielfach ihre nationale Abstammung. Überall, wo armenische Schulen gegründet werden, entstehen sofort russische Regierungsschulen. Am liebsten schien es den Armeniern zu sein, wenn Türkisch-Armenien nach dem Muster des Libanon eine autonome Verfassung unter türkischer Oberhoheit erhielte. Da dies Ziel ihnen jedoch zunächst noch unerreichbar scheint, würden sie sich auch mit der Ernennung von christlichen Walis zufrieden geben, jedoch wünschen sie dringend europäische Kontrolle. Jedenfalls verlangen sie als Minimum, daß künftig die persönliche Sicherheit, das Eigentum und die Ehre jedes Armeniers gewährleistet werde.

Anders.

Seiner Exzellenz dem Kaiserlichen Botschafter
Freiherrn von Wangenheim, Konstantinopel.

[S. 11]

1914

Februar.

4.

Kaiserlich
Deutsches Konsulat.

Erzerum, den 16. Februar 1914.

Heute besuchte mich der hiesige armenische Bischof Msg. Beadetian, um mir anläßlich der Annahme der Reformen[28] im Namen seiner Gemeinde zu danken für die hartnäckige Verteidigung des Reformprojekts durch die Kaiserliche Regierung, der zum großen Teil das Zustandekommen des so lang ersehnten Reformwerkes zu verdanken sei. Weder in der Stadt noch im Wilajet Erzerum liege zurzeit Grund zu Klagen vor, abgesehen von Differenzen im Kaza Narwan, wo ein Tscherkessenstamm den Besitz der Armenier beschlagnahmt habe. Doch habe der Wali bereits Untersuchung und Abhilfe zugesagt. — Die hiesige islamische Bevölkerung hat die Nachricht der Annahme der Reformen ohne irgendwelche feindseligen Kundgebungen aufgenommen und dürfte auch nichts unternehmen, um die Durchführung derselben zu stören. Nach Ansicht des Bischofs seien die Armenier jetzt völlig ausgesöhnt und fühlen sich als treue Ottomanen. Die hiesigen Armenier seien sich voll bewußt, daß die Kaiserliche Regierung mit Wohlwollen und Interesse ihr Schicksal verfolge und seien mir dankbar, daß ich dies bei verschiedenen Anlässen zum Ausdruck gebracht hätte.

Anders.

Seiner Hochwohlgeboren dem Kaiserlichen Geschäftsträger
Herrn Botschaftsrat von Mutius.

[S. 12]

Juni.

5.

Marschquartier Musch, den 21. Juni 1914.

Der Mutessarrif von Musch war bei meinem Eintreffen hier am 20. d. M. auf Inspektionsreise abwesend. Sein Vertreter, der Oberstaatsanwalt, bereitete mir einen sehr freundlichen Empfang.

Obwohl mir derselbe die allgemeine Lage im Sandjak Musch als derzeitig ruhig darstellte, so gewann ich bald eine andere Meinung, als ich den Besuch des armenischen Erzbischofs Nerses Garakian und den des Führers der Daschnakisten Ruben Effendi erhalten hatte. Beide halten die jetzige Ruhe nur für eine Stille vor dem Sturm und äußerten sich sehr pessimistisch. Nach ihrer Ansicht seien die Kurdenchefs nur momentan durch das rigorose Vorgehen des Kriegsgerichts in Bitlis eingeschüchtert, aber das Reformprojekt widerspreche viel zu sehr ihren Interessen, als daß sie nicht versuchen würden, den neuen Bestimmungen äußersten Widerstand entgegen zu setzen.

Sehr eingehend schilderte mir der Erzbischof die Lage der armenischen Bauern im Kasa Modikan. Das Hörigkeitsverhältnis wird von den Derebeys dermaßen ausgedehnt, daß sie, so wie es Gogol zur Zeit der Leibeigenschaft in Rußland schildert, sich gegenseitig ganze Dörfer mitsamt den Hörigen verkaufen, wobei für eine Seele durchschnittlich 5–15 Ltq. gezahlt werden. So haben die Schegoli, ein Zweigstamm der Ballikli, denen 30 Dörfer gehören, kürzlich von einem Derebey das armenische Dorf Pischenk käuflich erworben.

Bei dem Aufstand der Armenier in Sassun 1894 hatten die armenischen Bauern der Dörfer Taworik und Chiankichub im Bezirk Schatakh ihre kurdischen Frohnvögte vertrieben. Ebenso haben sich unter Beihilfe der konstitutionellen Regierung im Jahre 1908 im Bezirk Pzank 25 Dörfer freigemacht. Dagegen herrschen im Kasa Modikan noch die alten patriarchalischen Zustände. Die Bauern müssen den Beys bestimmte Lieferungen machen. Dabei soll die Armut der armenischen und kurdischen Hörigen schrecklich sein. Im ganzen Kasa Modikan besteht nur in dem Dorfe Chisek eine armenische Schule. In Chinist sollte mit Mitteln von Boghos Nubar Pascha eine Schule eröffnet werden, die Lehrer ergriffen jedoch schon nach wenigen Tagen vor kurdischen Drohungen die Flucht.

Sehr aktuell ist eine Beschwerde der Dorfbewohner von Chinist, Paschawank und Lordenzor, von denen der Balliklistamm je 2300, 1500 und[S. 13] 800 Ltq. fordert für eine vor 60 Jahren von den Vorfahren der jetzigen Bauern aufgenommene minimale Schuld. Der hiesige Bischof hat an das Patriarchat berichtet, die Regierung leugnet jedoch den Tatbestand ab und auch das Preßbüro hat die Meldungen des Bischofs dementiert. Gleichwohl hat der Wali von Bitlis Geld von der Zentralregierung erbeten, um die Angelegenheit gütlich zu ordnen.

Eigenartig ist der Modus der Eintreibung der Hammelsteuer. Kurz vor dem Erscheinen des Tahsildars (Steuerbeamten) trieben die Balliklikurden 300 Hammel in das armenische Dorf Chuit, die dort trotz des Protestes der Bewohner mitgezählt wurden. Da sich die Bauern weigern, den Mehrbetrag von etwa 20 Ltq. Schafsteuer zu zahlen, werden jetzt ihre Kühe und Ochsen zwangsweise verkauft.

Wenn so Hammeldiebstahl und Grundstücksstreite zu Erbitterung zwischen Kurden und Armeniern führen, so gab der Bischof doch zu, daß in den letzten Monaten Klagen wegen Unsicherheit von Leben und Familienehre seltener seien. Kürzlich sind nur 4 bis 5 Armenier von den Bedrikurden (Stamm Mussi) in Sassun ermordet worden. Bei einigen Fällen von Mädchenraub war nicht festzustellen, ob nicht die Mädchen freiwillig den Entführern gefolgt seien. — Der Daschnakistenführer Ruben befürchtet baldige Unruhen, da bisher jedesmal, wenn die Großmächte ein Reformprogramm aufstellten, Massakres erfolgt seien. Die Kurden seien höchst unzufrieden mit der Regierung, die sie nicht als rein islamische anerkennen, da sie ihren religiösen Führer Scheich Seyid, den sie wie einen Propheten verehrten, hingerichtet hat. Nach Rubens Ansicht werden die Derebeys ihre gefährdete Prärogative energisch verteidigen.

Ruben klagte ferner über große Parteilichkeit der Gerichte und darüber, daß die Gendarmen Befehle der Regierung, wenn sie sich gegen Kurden zugunsten von Armeniern richten, nicht ausführen. Auch hätten die Kurden keinen Respekt vor den Gendarmen, nur vor aktiven Soldaten.

Wie mir der Kommandant der 34. Division, Ihsan Pascha, der von hier aus den Belagerungszustand leitet, mitteilt, ist es seinen Truppen gelungen, im Bezirk der Aufständischen (4 Rayons: Simek, Chizan, Guzeldere und Schatakh) nicht nur die Rädelsführer der letzten Bewegung, sondern 50 Prozent aller früher gesuchter Verbrecher sowie 2500 Kurden, die sich der Dienstpflicht entzogen hatten, gefangen zu nehmen.

Ihsan Pascha sieht die Lage als ernst, aber nicht kritisch an. Ich reite morgen nach Bitlis weiter.

Anders.

Seiner Exzellenz dem Kaiserlichen Botschafter
Freiherrn von Wangenheim.

[S. 14]

6.

Marschquartier Bitlis, den 25. Juni 1914.

Auf dem Ritt von Musch nach Bitlis (85 km) begleitete mich der Generalstabshauptmann der 34. Division, Ruhi Bey, der mit einem Sonderauftrage Ihsan Paschas nach Bitlis ging. Wir verließen Musch am 23. d. M. um 5 Uhr vormittags und trafen abends um 9 Uhr in Bitlis ein. In der fruchtbaren Ebene des Kara Su reiht sich Dorf an Dorf. Die Sicherheit in der Ebene ist vollkommen, nur im Dorfe Gebian sitzt ein Kurdenhäuptling Musa Bey, der früher als Gendarmeriekommandant im Jemen sich große Verdienste erworben hat und jetzt als Raubritter zeitweise Karawanen plündert. An der Quelle des Kara Su ist ein sehr schönes, im Verfall begriffenes Denkmal aus der Zeit des Sultans Yaus Selim, der hier in einer Entscheidungsschlacht die Perser besiegte.

Am 24. d. M. vormittags stattete ich dem Wali von Bitlis, Mustapha Abdul Khalik Bey, der bis zum März d. J. Mutessarrif von Soert war, einen Besuch ab. Ich gratulierte ihm zu dem ihm kürzlich verliehenen Medjidieorden I. Klasse und brachte ihn so von selbst auf die Ereignisse am Anfang April d. J. zu sprechen. Wäre es den Aufständischen am 4. April gelungen, die Burg in Bitlis mit dem Regierungskonak einzunehmen, so wären die Folgen unübersehbar gewesen. Ein Aufstand in ganz Kurdistan und ein russischer Einmarsch wären wohl unausbleiblich gewesen. Die kurdischen Rebellen hatten bereits den Stadtteil, in dem das russische Konsulat liegt, besetzt. Der russische Konsul Schilkow sandte dem Wali, als die Sachlage, zu ungunsten der Kurden umschlug, eine Aufforderung, das Feuer einzustellen und hat sich nach Ansicht der hiesigen Türken dadurch erheblich kompromittiert. Schilkow, dem ich ebenfalls einen Besuch abstattete und der mich für morgen einlud, erklärte mir, ihm sei der nun beinahe drei Monate währende Besuch des Mullah Selim und seiner Spießgesellen im Konsulat äußerst peinlich. Das Konsulat ist von allen Seiten Tag und Nacht durch starke Abteilungen von Militär und Gendarmerie bewacht, so daß ein Entkommen Mullah Selims ausgeschlossen erscheint. Man nimmt jedoch an, daß die russische Regierung mit Rücksicht auf ihr Prestige gegenüber den Muselmanen in Buchara und Samarkand den Übeltäter nicht ausliefern, sondern darauf bestehen wird, daß er mit sicherem Geleit über die Grenze geschafft wird. Der Wali hat vor 2 Tagen die Nachricht erhalten, daß der von ihm aus Soert mitgebrachte tapfere Gendarmeriehauptmann Kjasim Bey am 22. d. M. im Gebiet der Karsankurden (Soert) überfallen, verwundet und weggeschleppt worden ist. Heute, am 25. d. M., verläßt eine Strafexpedition (2 Kompagnien) unter Führung des Platzkommandanten Majors Hilmi Bey und des Generalstabshauptmanns Ruchi Bey die Stadt, um die Karsankurden zu züchtigen und den gefangenen Offizier zu befreien. Kjasim[S. 15] Bey hatte sich bei dem Gefecht am 4. April besonders ausgezeichnet, trotzdem bezeichnete mir der Wali den Überfall nicht als politischer Natur, sondern als einfachen Raubanfall, welcher ihm erwünschte Gelegenheit gäbe, erneut ein Exempel zu statuieren.

Es verbleiben somit zurzeit in Bitlis von dem hier garnisonierenden Bataillon nur 2 Kompagnien. Das Gros und der Stab der 34. Division sind deshalb in Musch disloziert, weil die dortigen Geländeverhältnisse eine bessere Ausbildung der Truppen gestatten. Bitlis ist zu sehr in einem Talkessel eingeklemmt. Sowohl in Musch wie in Bitlis sah ich den Anfang neuer Kasernenbauten. Die Regierung ist jetzt eifrig bemüht, nicht nur die bei dem letzten Putsch beteiligten Kurden, sondern auch die seit Jahren verfolgten Übeltäter und Deserteure zu verhaften. In den Dörfern in der Muschebene las ich an Maueranschlägen Veröffentlichungen, daß jeder, der einem Aufrührer Unterschlupf gewährt, vor das Kriegsgericht gestellt werden wird.

Die Hinrichtung der 14 Rebellen, besonders die des allgemein verehrten Seyid Ali, hat einen starken Eindruck gemacht. Ob derselbe jedoch nachhaltig auf die den Reformen feindlich gesinnten Kurdenchefs einwirken wird, werden erst die nächsten Monate zeigen.

Anders.

Seiner Exzellenz dem Kaiserlichen Botschafter
Freiherrn von Wangenheim.

[S. 16]

Juli.

7.

Kaiserlich
Deutsche Botschaft.

Therapia, den 24. Juli 1914.

Der Kaiserliche Vizekonsul Anders (Erzerum) berichtet auf seiner Informationsreise aus Wan unter dem 4. d. M.:

„Nachdem ich vom 1. bis 30. Juni die Hauptstädte der Wilajets Mamuret ul Asis, Bitlis und Wan besucht habe, konnte ich feststellen, daß die Zustände in diesen drei Wilajets denen in Erzerum sehr ähnlich sind. Wenngleich im Wilajet Erzerum die kurdische Frage nicht so akut ist wie in den drei oben genannten, so ist doch in allen vier Wilajets die Reformbedürftigkeit die gleiche. Auf der Informationsreise habe ich in Kharput, Musch, Bitlis und Wan persönliche Beziehungen angeknüpft, sodaß ich nun die Möglichkeit habe, von Erzerum aus die Vorgänge in den drei Nachbarwilajets zu verfolgen.

Die Postverbindung läßt allerdings noch viel zu wünschen übrig. Dagegen wird sich, wie mir der hiesige Wali Tahsin Bey versichert, die Verbindung zwischen Wan und Bitlis in allernächster Zeit sehr verbessern. Die Regierung hat außer dem vorhandenen (zurzeit wegen Gasolinmangels außer Betrieb gestellten) Motorboot noch zwei größere Dampfer bestellt. Statt der bisher nötigen drei Marschtage wird nun die Entfernung von Wan nach Bitlis nur noch acht Stunden benötigen, und zwar von Wan nach Tadwan fünf Stunden im Dampfboot und von Tadwan nach Bitlis auf einer recht guten ebenen Straße drei Stunden.

Einzig und allein dem Motorboot, welches Prähme mit einigen hundert Soldaten nach Tadwan schleppte, ist es nach Tahsin Beys Meinung zu verdanken, daß am 4. April d. J. rechtzeitig genügend Truppen in Bitlis den aufständischen Kurden gegenübergestellt werden konnten. Überhaupt konnte ich beobachten, daß die beiden Walis von Bitlis und Wan sehr Hand in Hand arbeiten, besonders was die Beobachtung und Bekämpfung russischer Einflüsse unter den Kurden betrifft.“

Wangenheim.

Seiner Exzellenz dem Reichskanzler
Herrn von Bethmann Hollweg.

[S. 17]

8.

Kaiserlich
Deutsches Konsulat.

Trapezunt, den 30. Juli 1914.

Euerer Exzellenz beehre ich mich gehorsamst zu berichten, daß in Kurdistan ein neuer Aufstand ausgebrochen ist. Bei der Entfernung und den schlechten Verbindungen sind nicht alle Einzelheiten bekannt. Indessen scheint die Bewegung diesmal in größerem Umfang eingesetzt zu haben. Das Zentrum liegt in Bitlis und der Hochburg des Kurdentums, Dersim. Es verlautet, daß ein türkischer Oberst und einige Gendarmen von den Kurden gefangen genommen und gehängt worden sind. Auch sollen die Aufständischen die Armenier dahin verständigt haben, daß diejenigen, welche flüchtigen Kurden keine Unterkunft gewährten, getötet werden würden.

Während der kurdischen Unruhen im Frühling dieses Jahres hatten die Kurden den Armeniern ihr Leben und Eigentum garantiert. Wenn sie jetzt ihnen gegenüber eine abweichende Haltung einnehmen, so deutet das wohl darauf hin, daß der Zweck der Bewegung ein anderer ist. Früher schien es nur darauf abgesehen, der Türkischen Regierung Schwierigkeiten zu bereiten. Diesmal beabsichtigt man vielleicht eine Intervention Rußlands zu veranlassen. Inwieweit der russische Rubel wieder die Bewegung entfacht hat, läßt sich von hier aus nicht ermitteln.

Vor einigen Tagen hat der hiesige russische Konsul sich plötzlich ins Innere begeben. Es verlautet, daß er die griechischen Klöster besucht. Der hiesige Metropolit ist ihm nach zwei Tagen gefolgt. Er wurde begleitet von einem Russen, der hier bereits eine Woche bei ihm wohnt und sich als Gelehrter ausgibt. Daß der russische Kollege in einem Zeitpunkt, wo die europäische Lage von hier aus sehr wenig geklärt erscheint, seinen für Rußland wichtigen Posten verläßt, um sich Tage weit in das Innere zu begeben, erscheint auffallend.

Dr. Bergfeld.

An Seine Exzellenz den Reichskanzler
Herrn Dr. von Bethmann Hollweg.

[S. 18]

August.

9.

Kaiserlich
Deutsche Botschaft.

Therapia, den 11. August 1914.

Der Kaiserliche Vizekonsul Anders berichtet aus seinem Zeltlager am Wansee unterm 26. v. M.:

„Das Eintreffen des neu ernannten General-Inspekteurs in Ostanatolien, Oberst Hoff Bey[29], auf dessen Tätigkeit naturgemäß die hiesigen Armenier sehr große Hoffnungen setzen, wird hier in den nächsten Tagen erwartet. Seitens des hiesigen armenischen Episkopats ist gestern ein Komitee aus 14 Mitgliedern ernannt worden, welches Hoff Bey nicht nur bei seiner Ankunft im Namen der Gemeinde begrüßen, sondern auch ihn bei seiner späteren Tätigkeit inoffiziell unterstützen soll. Dieses Komitee ist aus Vertretern der hiesigen drei Parteien, der Daschnakzutiun, Hintschakian, Ramgawar und aus Kaufleuten und Notabeln zusammengesetzt. Über die Persönlichkeit der einzelnen Mitglieder machte mir mein hiesiger Gewährsmann nähere Angaben. Offiziell sind zu Hoff Beys Stabe ernannt:

  1. Heigasun Beygian als Beirat für Landwirtschaft, ca. 46 Jahre alt, bisher Direktor im Ackerbauministerium,
  2. Astik Effendi Gözubügian, bisher Zivilinspektor,
  3. Krikor Effendi Schahinjian, bisher Dragoman im Büro für öffentliche Sicherheit in Stambul,
  4. Mattheos Effendi Ebligajan, bisher Präsident des Bidajet Mehkeme (Gericht 1. Instanz) in Wan.

Ich habe, wo sich Gelegenheit dazu bot, die armenischen Kreise darauf aufmerksam gemacht, daß natürlich das Reformwerk einer Reihe von Jahren bedürfe und daß man nicht übertriebene Forderungen stellen dürfe. Jedenfalls könnten sie versichert sein, daß die Kaiserlich Deutsche Regie[S. 19]rung im Verein mit den anderen Großmächten dafür sorgen würde, daß es dieses Mal wirklich zur Durchführung der Reformen komme.“

Herr Hoff selbst hat mir mittels Telegramm vom 6. d. M. sein Eintreffen in Erzerum mitgeteilt und hinzugefügt, daß er am Anfang der folgenden Woche direkt nach Wan weiterzureisen gedachte.

Wangenheim.

Seiner Exzellenz dem Reichskanzler
Herrn von Bethmann Hollweg.

10.

Kaiserlich
Deutsche Botschaft.

Therapia, 11. August 1914.

Urschriftlich

Seiner Exzellenz dem Reichskanzler Herrn von Bethmann Hollweg gehorsamst vorgelegt.

Wangenheim.

Kaiserlich
Deutsches Konsulat.

Zeltlager am Wan-See, den 25. Juli 1914.

Kürzlich hatte ich Gelegenheit, mit dem hier zur Feier des Nationalfestes anwesenden türkischen Konsulatsverweser in Urmia und dem mir vom Jahre 1906 her befreundeten Mutessarrif von Hakkiari, Djevdet Bey, einem Schwager Enver Paschas, über die Verhältnisse im persischen Grenzgebiete zu sprechen. Beide stimmten darin überein, daß in der Provinz Azerbeidjan und besonders im Distrikt von Urmia völlige Anarchie herrsche. Die persischen Beamten seien vollkommen machtlos und bäten oft selbst die starke russische Okkupationsarmee um Hilfe. In Urmia befinden sich allein 1000 russische Soldaten. Der in russischem Solde stehende berüchtigte Simko Bey[30], ein Gefolgsmann des Scheichs von Maku, sei auf russischen Einfluß hin persischer Grenzkommandant geworden. Was den Scheich von Maku betrifft, so soll derselbe nach Djevdets Aussage seit einiger Zeit seinen bisherigen Freunden, den Russen, Schwierigkeiten zu machen beginnen, da er einsieht, daß bald das Ende seiner Unabhängigkeit und seiner Macht gekommen sei. Djevdet Bey sagte mir, es sei unmöglich, das unbefugte Passieren der Grenze durch Räuber zu verhindern oder zu kontrollieren, da auf beiden Seiten keine ausreichend starke Gendarmerie vorhanden sei. Um jedoch den häufigen Diebstählen seitens persischer Banden auf dem Gebiet seines Sandjaks einen Riegel vorzuschieben, habe er aus eigener Initiative, ohne dazu gesetzlich befugt zu sein, die Kurdenchefs, in deren Gebiet Übergriffe vorkommen, für den entstandenen Schaden haft[S. 20]bar gemacht. Seit dieser Maßnahme seien die nächtlichen Viehdiebstähle seltener geworden, woraus evident hervorginge, daß bei den früheren Diebstählen die türkischen Kurden mit den Räubern unter einer Decke steckten. In den letzten Monaten herrsche verhältnismäßig Ruhe, nur Mitte d. M. hätten Leute des Simko ein Dorf, dessen männliche Bewohner auf der Feldarbeit waren, angegriffen, fünf Frauen getötet und das Vieh weggetrieben. Im Interesse der bei solchen Anlässen Geschädigten bedürfe das Gesetz einer Vereinfachung. Bei Anzeigen von Diebstählen ist die Regierung zunächst nur gehalten, die Täter zu strafen. Will der Geschädigte aber von der Regierung Zurückerstattung des geraubten Guts oder Schadensersatz, so muß er eine neue zeitraubende Eingabe machen. Inzwischen sind meist schon die Spuren des geraubten Viehs verwischt.

Was die Propaganda des jetzt in Täbris weilenden Abdul Rezak Bey[31] unter den türkischen Kurden betrifft, so meint Djevdet, daß vorläufig die Hinrichtung von 14 kurdischen Notabeln in Bitlis noch abschreckend wirke. Er habe jedoch geheime Agenten an verschiedenen Plätzen seines Amtsbezirks etabliert, die ihn jederzeit von dem Eintreffen und der Tätigkeit russischer Emissäre in Kenntnis setzten. Das Verhältnis des russischen Konsuls in Wan, Akimowitsch, zu dem Wali ist ein gutes, im Gegensatz zu den ziemlich gespannten russisch-türkischen Beziehungen im Wilajet Erzerum.

Sehr interessant waren Djevdet Beys Ausführungen über die Tendenzen der russischen Politik im Gebiet westlich des Urmia-Sees. Als im Jahre 1907 der Sultan Abdul Hamid die strategisch wichtigen Punkte im Lahidjan-Gebiet bei Peswe und Wesne militärisch besetzen ließ, habe Rußland energisch protestiert. Die gemischte Grenzkommission, der seinerzeit Djevdets Vater Tahir Pascha angehörte, habe kürzlich das bisher persische Gebiet von Kasr-i-Schirin mit seinen Ölquellen der Türkei zugesprochen, dafür aber werde man gewiß das Gebiet westlich des Urmia-Sees bei Saudj-Bulak und Lahidjan den Persern d. h. den Russen überantworten. Sehr bald würden dann die Russen eine Bahn von Täbris an das Nordostufer des Urmia-Sees bauen, einen regelmäßigen Dampferdienst auf dem Urmia-See einrichten und damit sich eine neue Einfallpforte auf Mesopotamien schaffen. Bisher stand ihnen nur der Weg von Igdir-Bayezid nach Musch und damit auf Diarbekr und Mardin offen. Die Hauptstadt Wan würden die Russen bei einer Invasion auf Musch links liegen lassen, und am Nordrand des Wan-Sees entlang marschieren, so daß infolge der Unpassierbarkeit der Gebirge am Südrand des Sees Wan sehr bald von jeglicher Zufuhr abgeschnitten sein würde. Dies sei wohl auch der Grund, weswegen im Frühjahr d. J. das Kommando der 11. Armeekorps von Wan nach Kharput verlegt worden sei.

Anders.

[S. 21]

Oktober.

11.

Kaiserlich
Deutsches Konsulat.

Aleppo, den 16. Oktober 1914.

Wie mir deutsche Missionarinnen aus Marasch erzählen, ist der bisher noch immer durchgesetzte aktive und passive Widerstand der Bewohner von Zeitun gegen die Einstellung der Dienstpflichtigen dieser armenischen Stadt in die Armee von türkischer Seite nunmehr gebrochen worden[32]. Ihr Anführer Nazar Tschausch, das Haupt der schon seit Monaten in den Bergen umherstreifenden Deserteure, der sich mit der Zeit zu einem Räuberhauptmann entwickelt hatte und wegen seiner Willkür von den Armeniern selbst als Plage empfunden wurde, ist etwa Anfang Oktober von den türkischen Truppen durch List und Wortbruch gefangen und in der grausamsten Weise zu Tode gemartert worden.

Rößler.

Seiner Exzellenz dem Kaiserlichen Botschafter
Herrn Freiherrn v. Wangenheim.

29. Oktober: Eröffnung der türkisch-russischen Feindseligkeiten.

[S. 22]

November.

1. November: Abbruch der diplomatischen Beziehungen zwischen Rußland und der Türkei.

12.

Kaiserlich
Deutsches Konsulat.

Trapezunt, den 18. November 1914.

Gestern morgen erschien die russische Schwarze Meer-Flotte, bestehend aus zwei Panzerschiffen, fünf Kreuzern und einem Transportschiff, denen sich einige Torpedoboote zugesellten, auf der Reede von Trapezunt. Um 8 Uhr begann die Beschießung der Stadt, welche mit Unterbrechung etwa eine Stunde dauerte. Es wurden einige Schüsse aus schweren Geschützen (nach den gefundenen Geschoßteilen zu urteilen, etwa Kal. 20 cm) abgegeben, welche dem Kaiserlichen Konsulat, dem alten und dem neuen Telegraphenamt zugedacht waren. Der Rest der Schüsse wurde aus kleinem Kaliber abgegeben und galt in erster Linie der alten Feste Güsel Hissar und dem Hafen. Der von ihnen angerichtete Schaden ist unerheblich.

Der Zweck der Beschießung ist nicht recht klar. Ich möchte annehmen, daß die Russen auf einen Aufstand der armenischen und griechischen Bevölkerung gehofft und für diesen Fall eine Landung beabsichtigt hatten. Die Türken hatten sofort die Muhammedaner bewaffnet und das Ufer besetzt, auch zeigten sich sehr viel Patrouillen unter Führung von Polizisten in der Stadt. Die Muhammedaner haben die beste Disziplin gezeigt.

Gleich zu Beginn des Bombardements hatten einige Armenierinnen und Türkinnen mit ihren Kindern das Asylrecht des Kaiserlichen Konsulats in Anspruch genommen. Sie hatten völlig den Kopf verloren, weinten und drohten eine Panik heraufzubeschwören. Ich habe sie daher nebst meiner Familie und den in meinem Hause befindlichen deutschen Dienstboten in die Berge geschickt und ihnen dort Nachtquartier besorgen lassen, während ich selber auf dem Kaiserlichen Konsulat blieb.

Die von den Russen dem Kaiserlichen Konsulat gewidmete Aufmerksamkeit war wohl unfreundlich und das Gefühl, der Zielpunkt ihrer Geschosse zu sein, deren Sausen deutlich zu vernehmen war, nicht gerade angenehm, immerhin muß man dem Feind die Gerechtigkeit widerfahren lassen, daß er nicht ziellos und aus reiner Zerstörungswut die Stadt beschossen hat.

Dr. Bergfeld.

S. E. dem Reichskanzler
Herrn Dr. von Bethmann Hollweg.

[S. 23]

Dezember.

13.

Kaiserlich
Deutsche Botschaft.

Pera, am 29. Dezember 1914.

Aus Anlaß eines Berichtes des Kaiserlichen Konsuls in Adana über die der deutschen Sache ungünstige Stimmung unter der armenischen Bevölkerung jener Landesteile habe ich den hiesigen Patriarchen der gregorianischen Armenier über seine Auffassung der einschlägigen Verhältnisse sondieren lassen.

Wie aus den Mitteilungen des Herrn Dr. Büge hervorgeht, herrscht unter den Armeniern seines Amtsbezirkes allgemein die Befürchtung, daß im Falle eines deutschen Sieges die Existenz des armenischen Volkes auf türkischem Boden vernichtet sei; wenn aber die Türkei in die Hände der Engländer und Franzosen fiele, dann würden endlich die so schwer heimgesuchten Armenier Ruhe finden. Ich habe daher dem Patriarchen versichern lassen, daß die vor Beginn des Krieges eingeleitete Reformaktion für die ostanatolischen Landesteile zwar aufgeschoben, aber nicht aufgehoben sei, und daß ich nach Wiederherstellung des Friedens für die Wiederaufnahme des Reformwerkes eintreten würde, so wie seinerzeit die dahin zielenden Schritte der russischen Regierung von uns unterstützt worden seien.

Der Patriarch fand es selbstverständlich, daß infolge des herrschenden Kriegszustandes diese Angelegenheit zurückgestellt sei und vor Beendigung des Krieges nicht wieder in Fluß gebracht werden könne. Für den Augenblick beklagte er das Mißtrauen der türkischen Behörden gegenüber den Armeniern und speziell das Los der armenischen Distrikte in der Nähe des Kriegsschauplatzes, namentlich in der Umgegend von Erzerum. Die waffenfähigen Männer im Alter von 20–45 Jahren seien eingezogen, die übrigen würden zu Transporten und dergleichen Diensten verwendet, so daß die Dörfer den Übergriffen und Ausschreitungen marodierender Soldaten schutzlos preisgegeben seien. In den übrigen Provinzen mit armenischer Bevölkerung scheine Ruhe zu herrschen, doch lägen infolge der Unterbrechung der Korrespondenzen keine sicheren Nachrichten vor.

Im allgemeinen bemerkte der Patriarch, daß jeder einsichtige Armenier das Verbleiben der Armenier unter türkischer Herrschaft wünsche und den Gedanken eines Anschlusses der betreffenden Landesteile an einen fremden[S. 24] Staat zurückweise; allerdings sei es unbedingt notwendig, daß im Sinne der geplanten Reformen den Armeniern in Ostanatolien die Gleichheit vor dem Gesetze und Schutz von Leben und Eigentum gewährleistet werde.

Auf die Sympathien der Armenier für die eine oder die andere der mit uns im Kriege befindlichen Mächte übergehend, meinte der Patriarch, es sei begreiflich, daß im Grenzverkehr mit dem russischen Gebiete vielfach russische Sympathien eingeschleppt würden. Alljährlich im Frühling zögen Tausende von Armeniern nach Rußland, um dort zu arbeiten, und kehrten im Herbste mit ihren Ersparnissen in ihre türkische Heimat zurück; da würden dann wohl Vergleiche zwischen der Behandlung, die sie in der Fremde erfahren haben, und ihrer Lage in der Türkei gezogen; wie aber ihr Los sich gestalten würde, wenn sie unter russische Herrschaft geraten sollten, davon hätten sie keine richtige Vorstellung. Während der Armeniermassakres in Erzerum (im Jahre 1898) habe der russische Konsul Maximow nicht nur diejenigen Armenier, die im Konsulate Zuflucht suchten, abgewiesen, sondern auch den fanatischen Pöbel durch laute Zurufe zur Fortsetzung der Ausschreitungen angetrieben. Der Patriarch führte noch andere Einzelheiten an und fügte hinzu, daß das Eintreten Rußlands für Reformen in Türkisch-Armenien durch die Rücksichtnahme auf die armenische Bevölkerung im Kaukasus begründet gewesen sei.

Wenn Sympathien für Frankreich vorhanden seien, so sei das die Folge davon, daß in den armenischen Schulen von fremden Sprachen hauptsächlich Französisch gelehrt werde; die Kenntnis dieser Sprache bilde das Medium zur Einführung französischer Ideen und französischer Sympathien. Das Deutsche sei aus Mangel an geeigneten Lehrkräften bisher nur an wenigen Schulen in den Unterricht aufgenommen. Für Amerika seien ausgesprochene Sympathien vorhanden, obwohl die Proselytenmacherei der amerikanischen Missionare vielfach Anstoß errege. — Die ausgebreitete und segensreiche Tätigkeit der Kaiserswerther Diakonissen und anderer deutscher Vereine für die Armenier in der Türkei werden vom Patriarchen richtig gewürdigt.

Die vorstehenden Ausführungen des Patriarchen dürften im allgemeinen als zutreffend und auch als aufrichtig gemeint zu erachten sein. Soweit mir bekannt, gehört er selber, ebenso wie die Majorität des derzeitigen „Großen Conseils“ der armenischen Gemeinde, der gemäßigten Partei („Ramgavar“) an.

Wangenheim.

Seiner Exzellenz dem Reichskanzler
Herrn von Bethmann Hollweg.

[S. 25]

14.

Kaiserlich
Deutsche Botschaft.

Pera, den 30. Dezember 1914.

Der beifolgende Bericht über türkische Ausschreitungen gegen die armenische Bevölkerung in der Umgegend von Erzerum bestätigt die Mitteilungen, die mir hierüber vom Armenischen Patriarchen zugegangen waren, und hat mich veranlaßt, die Zustände auf der Hohen Pforte zur Sprache zu bringen und dringend zu raten, für die Abstellung solcher Vorkommnisse Sorge zu tragen. Allerdings meinte der Großwesir, daß diese Vorfälle nicht ganz ohne armenische Provokation entstanden seien; als Beleg hierfür führte er an, daß die Armenier in dem Kriege offen gegen die türkische Sache Partei nehmen, und erwähnte u. a., daß die bulgarischen Armenier Rußland eine Freiwilligentruppe zur Verfügung gestellt hätten[33].

Wangenheim.

Seiner Exzellenz dem Reichskanzler
Herrn von Bethmann Hollweg.

Anlage.

Kaiserlich
Deutsches Konsulat.

Erzerum, den 5. Dezember 1914.

Die armenische Bevölkerung des Wilajets Erzerum, insbesondere die Landbevölkerung, ist durch einige Vorgänge sehr beunruhigt, die von ihr als Vorboten neuer Massakres aufgefaßt werden.

In dem Dorfe Osni der Erzerumer Hochebene haben am 1. d. Mts. drei türkische Freischärler (Irreguläre) einen bei den Armeniern sehr angesehenen Priester besucht, bei demselben gegessen und geschlafen und ihn am nächsten Morgen gezwungen, sie bis an das Ende des Dorfes zu begleiten, wo sie ihn durch Flintenschüsse töteten.

In dem Dorfe Tewnik, ebenfalls in der Erzerumer Hochebene, hat eine Gruppe von 12 Freischärlern sämtliche Männer des Dorfes herausgetrieben, gefesselt und ein Lösegeld von 100 türkischen Pfund gefordert. Diese Summe konnte von dem Dorfe nicht aufgetrieben werden. Die Männer blieben gefangen. Einige Frauen dieses Dorfes sind weinend zum armenischen Bischof nach Erzerum gekommen und haben um Hilfe gebeten.

Auch von anderen Dörfern kommen ähnliche Berichte.

Der armenische Bischof von Erzerum hat sich an den Wali gewendet, der die Säuberung der Erzerumer Ebene von den Freischärlern versprach.

Diese Mitteilungen stammen von angesehener armenischer Seite.

[S. 26]

Die armenische Bevölkerung behauptet, daß es sich um eine von der türkischen Partei „Ittihad“[34] angezettelte Bewegung handle.

Tatsache ist, daß die türkischen Offiziere auf die Armenier nicht gut zu sprechen sind und ihnen vorwerfen, sie wären russenfreundlich und hätten das Eindringen russischer Truppen in türkisches Gebiet erleichtert. Auch bei der türkischen Bevölkerung scheint, wie aus mancherlei Symptomen zu ersehen, der alte Haß gegen die Armenier neu aufzulodern.

Schwarz.

Seiner Exzellenz dem Reichskanzler
Dr. von Bethmann Hollweg, Berlin.

[S. 29]

1915

Februar.

15.

Kaiserlich
Deutsche Botschaft.

Pera, den 2. Februar 1915.

Laut Artikel 5 des mit dem Generalinspektor Hoff Bey geschlossenen Vertrages hat die Türkische Regierung das Recht, den Vertrag vor seinem Ablauf zu kündigen. Eine entsprechende Klausel enthält der Vertrag mit dem Sekretär Blehr.

Die in Kristiania akkredierte türkische Gesandtschaft ist angewiesen worden, die Verträge mit den genannten Herren in aller Form zu kündigen.

Entsprechend ist gegenüber dem holländischen Reformer Westenenk verfahren worden[35].

Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß diese Maßnahme der türkischen Regierung in der armenischen Bevölkerung starke Erregung hervorrufen wird; denn sie wird als ein Zeichen dafür ausgelegt werden müssen, daß die Pforte nicht gewillt ist, den Weg der armenischen Reformen fortzusetzen. Zwar wird dies auf der Pforte nicht offen zugegeben, sondern in vagen Wendungen auf die Möglichkeit hingewiesen, die beiden Reformer nach Beendigung des Krieges wieder anzustellen; doch ist dies nicht mehr als eine façon de parler, die nicht ernst genommen werden darf.

Als ich zu Talaat Bey Bedenken äußerte, ob ein derartiger Entschluß günstig sei, erwiderte er: „C’est le seul moment propice!“ Ich bin bei den Türken durchweg der Auffassung begegnet, daß im Falle des Unterliegens der Türkei die armenische Bevölkerung sich unbedingt auf die Seite des Siegers schlagen würde, und daß alle Zugeständnisse in der Reformfrage daran nichts zu ändern vermögen. Die Pforte sei es daher überdrüssig, dem armenischen Elemente eine Vorzugsbehandlung vor den übrigen Volksteilen der Türkei zuteil werden zu lassen.

Die erwähnte Maßregel kennzeichnet sich somit als ein neues Glied in jener Kette von Regierungsakten, durch welche die Türkei neuerdings ihr unbeschränktes Selbstbestimmungsrecht auf allen Gebieten ihres Staatslebens selbstbewußt zum Ausdruck bringt.

Wangenheim.

Seiner Exzellenz dem Reichskanzler,
Herrn von Bethmann Hollweg.

[S. 30]

16.

Kaiserlich
Deutsche Botschaft.

Pera, den 22. Februar 1915.

Unter dem Eindruck, den mein Besuch beim griechischen Patriarchen am 2. d. Mts. auch in weiteren Kreisen hier gemacht hat, hatte der armenische Patriarch den Wunsch geäußert, seinerseits eine Zusammenkunft mit mir zu haben.

Bei dem Besuche, den er mir infolgedessen am 20. d. Mts. abstattete, sprach er zunächst seinen Dank für unsere wohlwollende Politik in der armenischen Reformenfrage aus; auch bat er mich, speziell die armenische Bevölkerung in den vom Kriege heimgesuchten Grenzprovinzen dem Schutze der dort befindlichen deutschen Militärs und Konsuln zu empfehlen. Im übrigen bezeichnete er die Lage der Armenier in jenen Gegenden als „verhältnismäßig befriedigend“.

Ich konnte dem Patriarchen nur wiederholen, daß wir uns nach wie vor um die Verbesserung der Lage der türkischen Armenier bemühten, und daß die längere Friedensperiode, die nach Beendigung des Krieges zu erwarten stünde, uns Gelegenheit bieten würde, unsren moralischen und politischen Einfluß weiter in diesem Sinne geltend zu machen; daß der Krieg allen Teilen der Bevölkerung große Opfer auferlege, und gelegentliche Härten nicht zu vermeiden seien, namentlich im eigentlichen Kriegsgebiete, daß aber die deutschen Beamten, soweit angängig, sich der Armenier annehmen würden und ich mir selber vorbehielte, den einen oder den anderen Punkt auf der Hohen Pforte zur Sprache zu bringen.

Wangenheim.

Seiner Exzellenz dem Reichskanzler
Herrn von Bethmann Hollweg.

[S. 31]

März.

17.

(Kaiserliches
Konsulat Erzerum.)

Telegramm.

Abgang aus Erzerum, den 3. März 1915.
Ankunft in Pera, den 3. März 1915.

An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Aus dem Wilajet Bitlis[36] wird von Aufstandsbewegungen der Armenier und bewaffnetem Vorgehen derselben gegen Militär und Gendarmen berichtet. In Kaisarié sollen bei Haussuchung Bomben und Chiffrebücher gefunden worden sein. Man führt diese Bewegungen auf aufreizende Agitation feindlicher Mächte zurück. Militärbehörden haben scharfe Maßregeln angeordnet, auch dürfen Armenier nicht zum Dienst mit der Waffe zugelassen werden.

Scheubner.

18.

Kaiserlich
Deutsches Konsulat.

Alexandrette, den 7. März 1915.

In den letzten Tagen haben bei sämtlichen hiesigen Rajahs — Armeniern, Syrern, Griechen — auf höheren Befehl (dem Vernehmen nach aus Konstantinopel) Haussuchungen stattgefunden. In einer Anzahl von Häusern wurden Papiere beschlagnahmt, anscheinend nur deswegen, weil sie fremdsprachlich waren. Dasselbe Schicksal hatten Bücher, besonders englische. Eine Verhaftung ist auf Grund des Ergebnisses bisher nicht erfolgt. Soweit ich den Charakter und die Tätigkeit der hiesigen kleinen Bevölkerung bisher kennen gelernt habe, glaube ich auch nicht, daß diese sich landesverräterisch betätigt. Aus diesem Grunde erregte die Maßregel auch bei den nicht betroffenen hiesigen fremden Staatsangehörigen Kopfschütteln. Durchgeführt wurde sie übrigens in verbindlichen Formen.

Die Maßnahme hängt, wie ich von militärischer Seite höre, mit dem Mißtrauen zusammen, das in Regierungskreisen neuerdings gegen die christ[S. 32]lichen, besonders die armenischen Bevölkerungsbestandteile Syriens und Ciliciens — wohl auch anderwärts — wieder stärker geworden ist und das hier und in der benachbarten Gegend durch kleine Vorkommnisse genährt worden ist. So haben sich z. B. unter den Gendarmen, die, wie gemeldet, bei zwei Landungen des Kreuzers „Doris“ in englische Gefangenschaft gerieten, Armenier befunden. Das eine Mal soll der armenische Unteroffizier der sieben Mann starken (mit nicht funktionierenden Martinis ausgerüsteten) Besatzung eines kleinen (ohne rückwärtigen Ausgang angelegten) Schützengrabens das Zeichen der Ergebung mit dem Taschentuch gegeben haben. So naheliegend es ist, dieses Verhalten aus dem Mangel soldatischer Eigenschaften zu erklären, sahen die hiesigen Militärbehörden darin Verrat. Der gemeine Mann wird diesen Eindruck erst recht gehabt haben. Die Folge dieser beiden Vorfälle war denn auch eine panikartige Stimmung unter den hiesigen Armeniern.

Diese hat sich verschärft durch das Vorgehen der Militärbehörden in dem 30 km von hier gelegenen, zum Wilajet Adana gehörigen Flecken Dörtjol. Was dort eigentlich geschehen ist, habe ich des näheren noch nicht feststellen können[37]. Nach Angabe der hiesigen Militärbehörde handelt es sich um eine Razzia, die vor einer Woche dort als einem bekannten Zufluchtsort für Deserteure, Räuber und Unruhestifter vorgenommen wurde. Nach anderen Angaben sollen sämtliche arbeitsfähigen Leute zwangsweise zum Wegebau nach Osmanije abgeführt worden sein. Tatsache ist, daß der Ort militärisch eingeschlossen und der Eintritt sowie das Verlassen nur gegen militärischen Passierschein erlaubt ist.

Hoffmann.

Seiner Exzellenz dem Kaiserlichen Botschafter
Herrn Freiherrn von Wangenheim, Konstantinopel.

19.

Kaiserlich
Deutsches Konsulat

Adana, den 13. März 1915.

Euerer Exzellenz beehre ich mich, in der Anlage eine von meinem Gewährsmann verfaßte Darstellung der Umtriebe in Dörtjol gehorsamst zu überreichen.

Irgend welche Haftung für die Zuverlässigkeit des Berichtes vermag ich nicht zu übernehmen, glaube aber, daß die Sache im ganzen zutreffend geschildert ist.

Büge.

Seiner Exzellenz dem Kaiserlichen Botschafter
Herrn Freiherrn von Wangenheim, Konstantinopel.

[S. 33]

Anlage.

Die Unruhen in Dörtjol.

Die Gegend von Dörtjol ist mit wenigen Ausnahmen von Armeniern bewohnt und ist von türkischen Wohnstätten umgeben. Die Bevölkerung lebt ausschließlich von Orangenkultur und hat in diesem Jahre wegen des allgemeinen Krieges das einzige Produkt ihrer Arbeit nicht an den Markt bringen können. Während der Mobilmachung hatten die Bewohner von Dörtjol entweder dienen oder „Bedel“[38] zahlen müssen. Wegen des allgemeinen Geldmangels haben sich die Leute nicht helfen können und haben viele von ihnen, anstatt der militärischen Einladung Folge zu leisten, desertiert. Manche von den Deserteuren haben das Weite gesucht, aber auch viele sind an ihrem Wohnort geblieben.

Dieser Umstand und das Mißtrauen der in der Umgebung wohnenden Türken den Armeniern gegenüber haben die Aufmerksamkeit der Regierung auf dieselben gelenkt, um so mehr, weil die Bewohner von Dörtjol sich während der letzten Massaker[39] gegen die Türken verteidigt haben.

Nach der Beschießung der türkischen Häfen seitens der englischen Kriegsschiffe sind öfters Engländer ungestört auf das Land gekommen, haben sich nach Dörtjol zu den Armeniern begeben und haben dort Einkäufe gemacht. Aus Gewinnsucht haben manche Armenier mit den Engländern Geschäftsverkehr gehabt, zur Unzufriedenheit Anderer, welche merkten, daß die Regierung alles beobachtete und einmal für das Vorgehen einzelner Personen alle verantwortlich machen werde.

Vor einigen Wochen begibt sich ein früherer Deserteur namens Saldschian, der seine Erziehung bei den hiesigen Jesuiten genossen hat und an der armenischen Schule als Lehrer der französischen Sprache angestellt war, nach Dörtjol. Seit zwei Jahren befindet er sich in Cypern und ist jetzt wahrscheinlich in den englischen Dienst eingetreten. Er geht in Begleitung eines Armeniers aus Alexandrette nach Dörtjol und bleibt dort 6–7 Tage. Man kann fast bestimmt sagen, daß er die Bewohner für den fremden Dienst zu gewinnen versucht hat. In welchem Maße es gelungen ist, kann man nicht feststellen, und einige Kaufleute behaupten, daß die Mission Saldschians privater Natur sei und mit der Allgemeinheit nichts zu tun habe. Die Notabeln der Ortschaft haben von dem ganzen Vorgang keine Kenntnis gehabt, und manche sind nicht einmal dort gewesen.

Saldschian hat sich Ausweispapiere angeschafft und sich als Kaufmann vorgestellt. Sogar die Polizei hat von seiner Anwesenheit Kenntnis gehabt. Nach der Rückkehr Saldschians auf das englische Kriegsschiff wird die Polizei durch reinen Zufall auf den falschen Kaufmann aufmerksam und hat nur den Begleiter festnehmen können.

[S. 34]

Wenige Tage nachher begibt sich wieder ein Armenier namens Köschkerian aus der Ortschaft Odschakli vom Kriegsschiff auf das Land. Dieser befand sich, nachdem seine Frau während der Massaker seitens der Türken ermordet war, im Ausland. Dieser soll auch einen Betrag von 40 Ltq. mit sich geführt haben.

Aus allen Vorgängen und Erscheinungen kann man nicht den Schluß ziehen, daß die Armenier irgendeine Organisation zwecks Verschwörung oder Revolution gehabt haben. Aber sicher ist es schon, daß das Erscheinen der Kriegsschiffe und das aggressive Vorgehen derselben seitens der Mehrzahl der gesamten christlichen Bevölkerung im allgemeinen und speziell von den Armeniern mit Freude begrüßt wurden, und wenn es einmal den Engländern oder Franzosen gelingt, auf das Land zu kommen, dann werden sie von allen Christen mit Jubel empfangen werden.

Auf das dringende Verlangen der türkischen Bevölkerung der benachbarten Wohnstätten um die Wegschaffung der Armenier aus Dörtjol zwecks Vermeidung irgendeiner Eventualität, sowie wegen Festnahme der Deserteure hat die Regierung alle Bewohner männlichen Geschlechts in einer Nacht festgenommen und aus der Gegend entfernt. Man hat sie unter strenger Aufsicht nach Aleppo geschickt und verwendet sie für Straßenbau. Während der Festnahme haben die Armenier volle Ergebenheit gezeigt und haben sich gegen die Regierung gar nicht gewehrt. Nur drei Leute sind bei der Flucht erschossen worden. Auch diese sollen von Waffen keinen Gebrauch gemacht haben.

Adana, den 12. März 1915.

20.

Kaiserlich
Deutsche Botschaft.

Pera, den 26. März 1915.

Unter dem 12. d. Mts. hatte der Kaiserliche Konsul in Aleppo gemeldet, daß in Zeitun, dem aus früherer Zeit bekannten armenischen Wetterwinkel, eine Revolte ausgebrochen wäre, deren Umfang noch unbekannt sei. Trotz Warnung des Wali hätte der Militärkommandant dort keine Truppen gelassen. Der darüber befragte Konsul in Adana berichtete, daß von einem vorbereiteten Aufstand der Armenier keine Rede sei und es sich wahrscheinlich nur um einzelne Ausschreitungen aus Anlaß der Rekrutierung handele. Der hiesige armenische Patriarch bestätigt diese Darstellung und fügt namentlich hinzu, daß die Regierung vor einiger Zeit den Einwohnern von Zeitun sämtliche Waffen abgenommen habe.

Nunmehr telegraphiert Konsul Rößler von gestern:

„In Zeitun hatten armenische Deserteure, die verhaftet werden sollten, einige türkische Gendarmen erschossen; daraufhin hat die muhammedanische[S. 35] Bevölkerung von Marasch offenbar geplant, Metzeleien zu veranstalten, ist aber auf die Ankündigung der Einsetzung eines Kriegsgerichtes ruhig geblieben. Ein deutscher Missionsbruder aus Marasch ist als Unterhändler nach Zeitun gesandt. Wenn die Einwohner die Rädelsführer nicht herausgeben, so soll militärisch vorgegangen werden. In diesem Falle mag es schwer sein, die niedrige muhammedanische Bevölkerung von Marasch im Zaume zu halten. Bitte strengste Befehle zur Verhütung von Ausschreitungen erwirken. Die armenische Bevölkerung von Marasch ist völlig friedlich. Die Mission, in der acht Schwestern sind, hat eine Schwester an mich abgeschickt, mich zu bitten, zum Schutz der Deutschen nach Marasch zu kommen. Ich erbitte Erlaubnis zur Abreise.“

Ich habe hier die nötigen Schritte getan und den Kaiserlichen Konsul zur Reise nach Marasch ermächtigt.

Wangenheim.

Seiner Exzellenz dem Reichskanzler
Herrn von Bethmann Hollweg.

21.

Kaiserlich
Deutsche Botschaft.

Pera, den 29. März 1915.

Die letzten Nachrichten, die der Pforte in diesen Tagen aus Zeitun zugegangen sind, bestätigen die Auffassung des Kaiserlichen Konsuls zu Aleppo vom Ernst der dortigen Lage.

Über die einzelnen Vorfälle, die die Regierung nunmehr zum militärischen Einschreiten veranlaßt haben, machte der Minister des Innern folgende Angaben:

Armenische Deserteure, die sich durch die Flucht der Dienstpflicht entzogen hatten, unternahmen kürzlich einen Angriff auf das Gefängnis in Zeitun, um einige armenische Gefangene zu befreien; es kam zu einem blutigen Zusammenstoß, bei dem mehrere Gendarmen von der Wachmannschaft und auch einige Armenier, die sich den Angreifern entgegenstellten, verwundet und getötet wurden. Gendarmen, die in den Häusern nach Fahnenflüchtigen suchten, wurden mit scharfen Schüssen und Steinwürfen empfangen; hierbei sollen ein oder mehrere Gendarmen den Tod gefunden haben. Das Gros der Deserteure sammelte sich alsdann in einem Kloster bei Zeitun, wo sie von den türkischen Gendarmen angegriffen wurden: letztere verloren 7–8 Tote, unter denen sich auch der Gendarmeriekommandant von Marasch, Suleiman Bey, befand, und 20 Verwundete. Den Armeniern gelang es unter Zurücklassung von einigen 20–30 Toten, denen sie zum Teil die Köpfe abschnitten, zu entfliehen.

Es ergibt sich daraus, daß die renitenten Armenier, trotz der vor einiger Zeit angeordneten Entwaffnung der Bevölkerung von Zeitun, über Waffen[S. 36] verfügen und die Ursache dieser Kämpfe im Widerstande gegen die Konskription zu suchen ist. Der Minister glaubt, daß außerdem fremde Agitatoren ihre Hand im Spiele haben[40]; im übrigen versichert er, daß Besorgnisse wegen Ausschreitungen in den an Zeitun angrenzenden Distrikten unbegründet seien.

Der armenische Patriarch versucht, die Tragweite der Vorgänge in Zeitun und anderwärts abzuschwächen und stellt namentlich das Vorhandensein einer organisierten Aufstandsbewegung in Abrede; er sowohl, wie die ihm nahestehenden armenischen Kreise betonen, daß die türkischen Armenier ernstlich bestrebt seien, sich korrekt und loyal zu verhalten.

Die letzteren Behauptungen scheinen zuzutreffen; es ist indes nicht zu verkennen, daß das gegenseitige Mißtrauen zwischen Armeniern und Türken in den letzten Zeiten zugenommen hat. Als charakteristisches Symptom hierfür wird angeführt, daß seit einigen Wochen die armenischen Dienstpflichtigen, sowohl gediente Mannschaften wie Rekruten, nicht mehr zum Dienste mit der Waffe, sondern zu Wegebauten und dergleichen Diensten verwendet werden.

Wangenheim.

Seine Exzellenz dem Reichskanzler
Herrn von Bethmann Hollweg.

22.

(Kaiserliches Konsulat
Aleppo.)

Telegramm.

Abgang aus Marasch, den 31. März 1915.
Ankunft in Pera, den 31. März 1915.

An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Kampf bei Zeitun ging um ein isoliert liegendes, von Deserteuren zum Aufenthalt genommenes Kloster. Es wurde umstellt, Deserteure brachen aber durch und flüchteten ins Gebirge. Gesamtzahl etwa 150 Mann. Einige gefallen, einige verwundet und gefangen. Kloster mit Artillerie zusammengeschossen. Kämpfe gegen Stadt Zeitun nicht mehr bevorstehend.

Regierung hat alle aufgefordert, sich zu stellen, die ihrer Dienstpflicht nicht genügt haben. 125 aus Zeitun, 450 aus Marasch haben sich gestellt. Belagerungszustand Marasch verhängt, auch Sitz des Kriegsgerichts hier. Verlassen Häuser nach 6 Uhr abends verboten. Haussuchung nach Waffen streng bei Christen, weniger bei Muselmanen. Aufregung läßt seit Sonnabend etwas nach.

Rößler.

[S. 37]

April.

23.

(Kaiserliches Konsulat
Aleppo.)

Telegramm.

Abgang aus Marasch, den 1. April 1915.
Ankunft in Pera, den 1. April 1915.

An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Djemal Pascha hat Mittwoch Befehl bekannt geben lassen, niemand solle sich in Regierungsangelegenheiten mischen. Ein Muhammedaner, der einen Armenier angreife, werde vor das Kriegsgericht gestellt.

Rößler.

24.

Kaiserlich
Deutsche Botschaft.

Pera, den 3. April 1915.

Über die Kämpfe bei Zeitun meldet Konsul Rößler unter dem 31. v. Mts., daß es sich dabei um ein isoliertes Kloster handelte, in dem armenische Fahnenflüchtige sich aufhielten. Das Kloster wurde umzingelt, die Armenier aber brachen durch und flüchteten, etwa 150 Mann stark, in die Berge. Einige von ihnen fielen, andere wurden verwundet oder gefangen genommen. Das Kloster wurde mit Artillerie zusammengeschossen.

Kämpfe gegen die Stadt Zeitun selber scheinen nicht bevorzustehen.

Auf die von den Behörden erlassene Aufforderung haben sich in Zeitun 125 und in Marasch 450 Dienstpflichtige gestellt, die sich bisher der Dienstpflicht entzogen hatten.

In Marasch selber ist ein Kriegsgericht eingesetzt und der Belagerungszustand verhängt worden. Es haben Haussuchungen nach Waffen stattgefunden, namentlich bei den Christen, und das Verlassen der Häuser nach Sonnenuntergang ist verboten. Doch hat sich die Aufregung gelegt.

In einem weiteren Telegramm vom 1. d. Mts. fügt Konsul Rößler hinzu, daß Djemal Pascha habe bekannt machen lassen: jeder Muhammedaner, der einen Armenier angreife, werde vor das Kriegsgericht gestellt werden; niemand habe sich in die Regierungsangelegenheiten zu mischen.

Wangenheim.

Seiner Exzellenz dem Reichskanzler
Herrn von Bethmann Hollweg.

[S. 38]

25.

Kaiserlich
Deutsches Konsulat.

Aleppo, den 12. April 1915.

Die Unruhen, welche in Zeitun ausgebrochen sind, haben die Frage nahegelegt, ob sie von auswärts angezettelt seien. Keinerlei derartige Spuren aber habe ich während meiner Dienstreise nach Marasch vom 28. März bis 10. April entdecken können. Der Vorsitzende des Kriegsgerichts hat allerdings behauptet, fremder Einfluß sei vorhanden, hat mir aber keine Angaben darüber gemacht. Die an Ort und Stelle vorhandenen, aus den inneren Leiden der Türkei stammenden Keime genügen vielmehr vollkommen, die Unruhen zu erklären.

In der Nähe von Zeitun hatte sich ein Räuberunwesen unter den Armeniern unter einem gewissen Nazareth Tschausch entwickelt[41]. Im Oktober v. Js. ist der Mutessarrif Haidar Pascha von Marasch dagegen vorgegangen. Er versprach den Bewohnern von Zeitun auf sein Wort, daß er denen, die ihm die Räuber auslieferten, nichts tun würde und erreichte damit tatsächlich die Auslieferung. Anstatt aber ein Gerichtsverfahren zu eröffnen und die Schuldigen hinzurichten, ließ er Nazareth Tschausch im Gefängnis zu Tode prügeln (vgl. Bericht vom 16. Oktober v. Js). 30 der mit ihm Gefangenen ließ er nach Osmaniyé ins Gefängnis bringen, wo sie noch heute ohne Urteil sitzen, andere hat er laufen lassen, um nicht gleichzeitig gefangene muhammedanische Räuber strafen zu müssen. Dagegen hat er entgegen seiner feierlichen Zusage diejenigen Leute verhaften lassen, die ihm zur Ergreifung der Räuber führende Angaben gemacht hatten.

Mit Kriegsausbruch wurde von General Fakhri Pascha entgegen dem Rat des Wali Djelal Bey von Aleppo die in Zeitun liegende Kompagnie Soldaten fortgenommen und durch Gendarmen ersetzt und zwar durch muhammedanische Gendarmen aus Marasch, die zum Teil die persönlichen Feinde der Bewohner von Zeitun waren. Ihnen waren die letzteren ausgeliefert.

Zeitun ist eine ausschließlich christliche Stadt. Mehrfach wurden die Männer mißhandelt und die Frauen belästigt unter stillschweigender Duldung und Begünstigung durch den Gendarmeriehauptmann und den Kaimakam. Die gedrückte Bevölkerung von Zeitun wandte sich an den Mutessarrif von Marasch mit der Bitte, die beiden Beamten abzurufen. Haidar Pascha war im November auf Vorschlag des Wali durch den Mutessarrif Mumtaz Bey ersetzt worden, der als unparteiisch und besonnen gilt und bestrebt war, sich ein richtiges Bild von der Lage zu machen. Er verlangte Beweise für die Schuld der beiden Beamten. Beweise aber können die Bewohner nicht wagen gegen einen Beamten vorzubringen. Jeder Zeuge müßte früher oder[S. 39] später unnachsichtlich dafür büßen. So haben denn die Gendarmen weiter gehaust und eine erbitterte Stimmung geschaffen.

Noch aus einer anderen Quelle wurde die Unruhe gespeist. Von den armenischen Soldaten in Marasch, die schlecht genährt und, soweit sie Zeitunlis waren, gequält und schlecht behandelt wurden, war ein Teil desertiert. Aus Gründen, die mit dem hiesigen Bezirk nichts zu tun haben, nahm die Regierung etwa Anfang März den christlichen Soldaten Uniform und Waffen. Da dies von den unwissenden Mannschaften als Vorspiel zu weiteren, schwereren Maßnahmen gegen die Christen betrachtet wurde, so desertierten weitere christliche Soldaten und vereinigten sich mit den in der Nähe von Zeitun hausenden Räubern. Als Gendarmen ausgesandt wurden, sie zu fangen, setzten sie sich zur Wehr und erschossen 6 von ihnen etwa am 9. März. Auch einen muhammedanischen Maultiertreiber, der nach Zeitun ging, haben sie ermordet. Die Bevölkerung von Zeitun, fürchtend, daß die Räuber auch Überfälle auf die Stadt ausführen könnten, baten um Schutz, der auch gewährt wurde. Als in den verschiedenen Stadtvierteln Gendarmeriepatrouillen gingen, wurde in dem Stadtviertel Yeni Dunya, in welchem Nazareth Tschausch seinerzeit seine Wohnung gehabt hatte, aus einem Hause heraus auf eine Patrouille geschossen. Anstatt aber dieses Haus zu umstellen und die Schuldigen zu fassen, zog es der Gendarmeriehauptmann, der vorher die Bevölkerung bedrückt hatte, vor, sich nicht mehr in die Stadt zu begeben, sondern in der Kaserne oberhalb der Stadt zu bleiben. Hierauf breitete sich die Bewegung aus. Die Räuber und Deserteure verschanzten sich in einem außerhalb der Stadt gelegenen als Wallfahrtsort dienenden ehemaligen Kloster (Tekke). Versuche, ihre Auslieferung durch die Stadtbewohner zu verlangen, scheiterten, weil die Leute kein Vertrauen mehr zu Regierungsversprechungen hatten. Hier rächte sich, daß Haidar Pascha im Oktober sein Wort gebrochen und die Ausliefernden bestraft hatte. Das Anerbieten des Missionars Blank vom Deutschen Hülfsbund in Marasch, sich nach Zeitun zu begeben und einen Versuch zur gütlichen Übergabe zu machen, wurde vom Mutessarrif Mumtaz Bey verständigerweise angenommen. Blank ging am 23. März nach Zeitun, doch scheiterten seine Bemühungen daran, daß die Verschanzten niemanden mehr an das Kloster heranließen, sondern den von Blank abgeschickten Eingeborenen mit der Waffe bedrohten, sobald von Auslieferung die Rede war. Sie erklärten, sterben müßten sie doch. Sie wollten es lieber mit der Waffe in der Hand, als sich der Regierung ausliefern. Daraufhin ließ der Platzkommandant von Zeitun das Kloster umstellen, aber mit ungenügender Truppenzahl. Wäre er militärisch richtig vorgegangen, so hätte er die ganze Räubergesellschaft gehabt. Er hätte nur Ankunft von Artillerie abzuwarten oder die Räuber auszuhungern brauchen. Statt dessen aber ließ er einen Angriff machen, wobei der Gendarmeriemajor aus Marasch auf das Haupttor des Klosters losritt[S. 40] und nebst einigen Soldaten erschossen wurde. Die Räuber, deren Zahl vielleicht 150 gewesen sein mag, brachen unter Verlust einer Anzahl Toter und Verwundeter, die den Truppen in die Hände fielen, durch, gewannen die Stadt und von dort aus die Berge. Erwähnenswert ist, daß sie zweien ihrer Toten die Köpfe abgeschnitten haben, offenbar um ihre Identifizierung durch die Türken unmöglich zu machen. Das Kloster wurde nachträglich mit Artillerie zusammengeschossen. Die Ergreifung der Räuber in den Bergen wird schwierig sein. Mumtaz Bey, der inzwischen nach Zeitun geeilt war, setzte nunmehr den Gendarmeriehauptmann ab, weil er nach Beschießung der Patrouille nicht die richtigen Maßregeln ergriffen hatte und den Kaimakam, weil er sich noch nach Ankunft des Mutessarrif weigerte, von der Kaserne herab zur Erfüllung seiner Pflichten in die Stadt zu gehen.

Die Ereignisse von Zeitun gewinnen stets dadurch eine größere Bedeutung, daß sie eine Rückwirkung auf Marasch als die nächstgelegene größere Stadt ausüben. Diese zählt schätzungsweise 50–60000 Einwohner, von denen 36000 Moslims und 24000 Christen sein mögen. Sie leben zum Teil von Industrie und Handel, zum großen Teil aber von landwirtschaftlicher Tätigkeit, Weinbau (Gewinnung von Rosinen und Bereitung von Traubenhonig), Reisbau, Baumwolle, Seidenzucht u. a. Obwohl der Boden fruchtbar ist und reichlich Wasser vorhanden, so daß vielfach auch das Getreide bewässert werden kann, ist die Bevölkerung doch arm und gegenwärtig großenteils dem äußersten Elend nahe, teils infolge der dauernden politischen Unruhen, teils infolge der überaus mangelhaften Verkehrsverhältnisse. Die Bevölkerung ist friedlich und denkt nicht an Auflehnung gegen die Regierung. Die Wirkung der Mobilmachung, weitgehende Requisitionen haben stark auf sie gedrückt und u. a. die Beförderungsmittel äußerst knapp gemacht. Der Wagen, mit dem ich aus Aleppo ankam, war der einzige in der ganzen Stadt. Im ganzen sind bis Ende März 2000 Pferde und Maultiere requiriert worden. Am 5. April wurden 500 Esel verlangt. Christliche Maultiertreiber sind gezwungen worden, 4 Wochen lang hintereinander für militärische Zwecke unentgeltlich zu arbeiten, ohne Lohn und ohne Requisitionsschein (während man muhammedanische nach ein paar Tagen laufen ließ). Waren sie dann mit einem Schein entlassen, daß sie ihrer Pflicht genügt hätten, so wurden sie in manchen Fällen trotzdem an anderer Stelle wieder aufgegriffen. — Die Lage war bereits sehr gedrückt, als die Zeitunereignisse kamen. Jetzt wurden auch der armenischen Zivilbevölkerung die Waffen weggenommen, und zwar mit Vorliebe durch nächtliche Haussuchungen. Soldaten schlugen die Christen, Frauen wurden unter dem Vorwande, daß sie nach Waffen durchsucht werden müßten, belästigt, Kinder wurden mit Steinen geworfen. Das Gerücht wurde ausgestreut, die christlichen Soldaten hätten ihren muhammedanischen Kameraden das Brot vergiftet; muhammedanische Frauen drohten offen, es würden wieder[S. 41] Metzeleien vorkommen: ein Muhammedaner bot einem christlichen Freunde sein Haus zum Schutz an. Einflußreiche Muslims beschlossen, ein Telegramm an die Zentralregierung zu schicken, daß die Armenier die Moscheen besetzt hätten. So töricht diese aufreizende Beschuldigung ist, so entspricht sie doch dem niedrigen Bildungsstande der dortigen Muhammedaner. Das Telegramm wurde erst dem Mutessarrif nach Zeitun mitgeteilt, der die Absendung verhinderte und dem Kriegsgericht Anzeige erstattete, das aber gegen die Urheber nichts getan hat. — Während den Armeniern die Waffen abgenommen wurden, hatten die Muslims Gelegenheit, sich Pulver und Schrot zu kaufen. Die Bewohner des Dorfes Tekerek in der Nähe von Marasch schickten Nachricht dorthin, entweder sie müßten zum Islam übertreten, oder sie würden ihr Leben verlieren. Kurzum die ganze Sachlage erschien der deutschen Mission in Marasch derart, daß bei einer weiteren Zuspitzung der Verhältnisse, insbesondere wenn die Kämpfe in Zeitun angedauert hätten und noch weiteres Blut muhammedanischer Soldaten geflossen wäre, zweifelhaft war, ob es der Regierung gelingen würde, das Volk in Marasch im Zaum zu halten, auch zweifelhaft, welche Strömung bei den Ortsbehörden die Oberhand behalten würde, die besonnene des Mutessarrifs oder eine schärfere, der einige Notable zugehören. Da brieflicher Verkehr starker Zensur unterworfen war, nicht nur auf der Post, sondern auch der durch Boten vermittelte, und ein vor 4–5 Wochen an mich abgeschickter Brief der Mission nicht angekommen war, so entschloß sich der Hülfsbund, eine der Schwestern von Marasch nach Aleppo abzusenden, um mich um einen Besuch zu bitten. Diese überbrachte auch einen Brief der Schulleiterin Helene Stockmann, aus dem hervorgehoben zu werden verdient, in welcher unmenschlichen Weise die Prügelstrafe gehandhabt wird. Die amerikanische Mission sprach ihrem Konsul in Aleppo gleichfalls die Bitte um einen Besuch aus. Einen Brief des Dr. Shepard in Aintab darüber beehre ich mich in Abschrift beizufügen. — Allgemein wurde von dem Besuch eines Konsuls sehr viel erwartet, von der Bevölkerung wie von der Mission. In den abgelegenen Gegenden des Innern, zu denen auch Marasch gezählt werden muß, macht ein solcher noch besonderen Eindruck, auch auf die Behörden. Bereits seine Ankündigung, die ich in einem alsbald bekannt gewordenen türkischen Telegramm vom 27. März an den Mutessarrif vorgenommen hatte, hatte beruhigend und mäßigend gewirkt. Offenbar hat er auch weiter zur Beruhigung der Bevölkerung beigetragen und wohl auch Eindruck auf das Militär gemacht. Seit meiner Ankunft sind nicht mehr Leute auf der Straße geschlagen worden. Ich beehre mich, über die Wirkung einen Brief der amerikanischen Mission vom 31. v. Mts. beizulegen. Die gesamte armenische Bevölkerung von Marasch ist für den Besuch sehr dankbar gewesen und hat ihn allgemein als Erleichterung der Lage empfunden. — Erst am 31. März wurde der in der Anlage gehorsamst[S. 42] beigefügte Befehl von Djemal Pascha, der die Bevölkerung zur Ruhe ermahnt, bekannt gegeben. Er hat übrigens nicht zu verhindern vermocht, daß noch am 3. April ein vereinzelt in einem muhammedanischen Stadtviertel lebender Armenier zwangsweise zum Islam bekehrt worden ist, nachdem ihm eine Patrouille mit dem Kolben die Tür eingeschlagen hatte.

Inzwischen nimmt die Entwicklung der Zeitunangelegenheit ihren weiteren Verlauf, ohne bisher beendet zu sein. — Die Regierung hat verlangt, daß sich alle Deserteure stellen. — 450 aus Marasch und 125 aus Zeitun hatten sich bis Ende März gestellt und werden zum Teil in Strafkompagnien zu Arbeiten verwendet, zum Teil sehen sie noch ihrer Aburteilung durch das Kriegsgericht entgegen. — Übrigens richtet sich die Untersuchung durch das Kriegsgericht gegen alle angesehenen und wohlhabenden Armenier von Marasch, von denen viele ganz offenbar mit der Zeitunangelegenheit nicht das geringste zu tun gehabt haben, und obwohl diese nichts sehnlicher wünschen, als daß mit den Räubern ein Ende gemacht werde, damit Marasch endlich einmal Ruhe habe. Man hat den Sohn des armenischen Abgeordneten für Marasch, Hosep Effendi Kirlakian in Haft genommen, erst unter der Beschuldigung, er habe Waffen geschmuggelt, dann, als dafür keinerlei Beweise vorhanden waren, unter der Beschuldigung, er habe einen Mann bestochen, eine Waffe auf der Straße abzufeuern, um auf diese Weise Unruhen hervorzurufen. Schließlich hat man ihn freilassen müssen. — Man hat Haussuchungen vorgenommen bei den armenisch-protestantischen Pfarrern, den katholisch-armenischen Geistlichen, dem armenischen Direktor der deutschen Knabenschule, dem armenischen Arzt des deutschen Krankenhauses. Alles dies angeblich auf die Tatsache hin, daß die bezeichneten Mitglieder des armenischen Wohltätigkeitsvereins (türkisch: ermeni djemiyet kheriye umumiyesi, armenisch: parekorzagan) seien, deren Liste man in Zeitun gefunden habe. Der Verein, der in Ägypten seinen Sitz hat, besteht und ist von der Regierung anerkannt, erst von Abdulhamid, 1910 auch von der konstitutionellen Regierung. Er beschäftigt sich mit der Unterstützung armenischer Schulen und Einrichtung von landwirtschaftlichen Musteranstalten. Um seine Mitglieder festzustellen, hätte man nicht erst eine Liste in Zeitun zu finden brauchen, sondern hätte sich den Vorsitzenden aus Marasch kommen lassen können. Wird die Tatsache als verdächtig angesehen, daß der Verein seinen Sitz in Ägypten hat, und wird geargwöhnt, daß seine Organisation jetzt im Kriege vom Auslande her zu politischem Zweck mißbraucht wird, so wäre das ein Grund, der sich hören ließe. Gegen eine unparteiische Untersuchung auf dieser Grundlage wäre nichts einzuwenden. Die Aussicht aber, daß die Untersuchung durch das Kriegsgericht unparteiisch geführt wird, halte ich für gering. Sein ganzes Vorgehen erweckt den Eindruck, als ob es mangels einer zweckmäßigen Tätigkeit nur eine Scheintätigkeit ausübt[S. 43] und als ob es, weil es die wirklich Schuldigen nicht erreichen kann, die ganze armenische Bevölkerung als verdächtig ansieht und sich aus ihr zu Bereicherungszwecken die führenden aussucht.

Die Gefahr von Metzeleien ist vorläufig vorübergegangen, wenn auch die muslimischen Anstifter ihre Hand noch nicht vom Werke lassen. Sie haben am 31. März ein Telegramm an die Zentralregierung aufgesetzt, die Bewohner Zeituns (etwa 10000 Seelen) sollten verpflanzt und die Stadt dem Erdboden gleich gemacht werden. Es ist klar, daß die Ausführung eines solchen Planes auf lange Zeit hinaus Unruhe schaffen würde. Die Urheber haben auf die wohlhabenden Armenier in Marasch einen Druck ausgeübt, um sie zur Unterzeichnung dieses Schriftstückes zu veranlassen. Diese haben es damit abgewehrt, daß sie verlangten, es solle zunächst dem Mutessarrif vorgelegt werden. Letzterer hat es mißbilligt, wie übrigens auch der Mufti von Marasch. Bei den gleichen Armeniern wurden dann am 3. April die Haussuchungen vorgenommen.

Seit dem 5. April scheint eine Spaltung unter den leitenden muhammedanischen Kreisen in Marasch eingetreten zu sein. Die einen raten zum Frieden, die anderen wollen weiter hetzen.

Da eine unmittelbare Gefahr für die Deutschen in Marasch nicht bestand, und da ich die weitere Entwicklung nicht mehr an Ort und Stelle abwarten konnte, habe ich nach einem Aufenthalt von neun Tagen Marasch wieder verlassen. Es ist mir gelungen, mit den Behörden in freundschaftlicher Weise auszukommen. Der Mutessarrif befindet sich noch in Zeitun.

Ich habe von Anfang an nicht die Absicht gehabt, nach Zeitun zu gehen, weil dort keine deutschen Interessen zu schützen sind, die Militärbehörden haben aber offenbar vermutet, daß ich zu gehen wünschte und haben alles mögliche in Bewegung gesetzt, um es zu verhindern. Nach Ansicht des Missionars Blank würden sich die in die Berge geflüchteten Räuber und Deserteure noch heute ergeben, wenn eine Amtsperson zu ihnen käme, zu der sie das Zutrauen hätten, daß die Bedingungen der Übergabe auch gehalten würden. Die Behörden wünschen aber nicht, daß einem Fremden gelinge, was ihnen nicht gelingt, abgesehen von der verständlichen allgemeinen Abneigung gegen fremde Einmischung in innere türkische Verhältnisse.

Die Unschädlichmachung der Räuber ist bisher nicht geglückt. Anfang April war der etwa halbwegs zwischen Marasch und Zeitun gelegene Bergkegel Ala Kaia, der wie überhaupt die ganze Gegend wild zerrissen und schwer zugänglich ist, die Zufluchtsstätte der Räuber geworden. Hier sollte wieder gegen sie vorgegangen werden. In Marasch verlautete, daß die Bewohner eines Dorfes beim Anrücken der Truppen aus Furcht vor ihnen ihr Dorf verlassen und zu den Räubern übergegangen wären. Sollte diese Nachricht wahr sein, so würde sie ein bedenkliches Zeichen dafür sein, daß die Bewegung auf diese Weise sich doch noch ausbreiten könnte.

[S. 44]

Nach meiner Rückkehr hat mir Djelal Bey, Wali von Aleppo, mitgeteilt, daß an der russischen Grenze auf türkischem Gebiet einige von den Russen besetzte armenische Ortschaften russische Sympathien bekundet hätten, daß die Einwohner einiger armenischer Dörfer auf türkischem Gebiet von Muhammedanern niedergemacht worden seien und daß bei der türkischen Regierung eine Strömung die Oberhand gewonnen zu haben scheine, welche die Armenier im ganzen als verdächtig oder gar als feindlich anzusehen geneigt sei. Er betrachtet diese Wendung als ein Unglück für sein Vaterland und hat mich gebeten, Seiner Exzellenz dem Kaiserlichen Botschafter anheimzustellen, dieser Richtung entgegenzuarbeiten.

Rößler.

Seiner Exzellenz dem Herrn Reichskanzler.

Gelesen.

Pera, 24. April 1915.

Wangenheim.

Anlage 1.

Aintab, March 24. 1915.

Dear Mr. Jackson,

I was in Marash for 48 hours from noon of Tuesday till noon of Thursday 18. March last week.

There had no doubt been a plan to stir up a massacre at Marash over the Zeitoon disturbances. It had gone so far as to send out messengers to call in the Koords from the mountains; but the Government had frowned upon it and it seemed to me to be definitely defeated, especially as I understood that the attitude of the leaders and a large majority of the people in Zeitoon was correct. Now Miss Rohner comes with the statement, that hostilities are imminent as between that place and the Govt. In which case it will be somewhat difficult to control the Moslim mob at Marash. I sincerely wish that a representative from the German or American Consulate or better still from each might be sent to Marash (not to meddle in the least with the Zeitoon matters, but to look after the large German and American interests in Marash).

Miss Rohner will be able to tell about the state of feeling among the Germans and Americans of that place.

Everything is very quiet here in Aintab.

Dr. Shepard.

Jesse B. Jackson, American Consul, Aleppo.

[S. 45]

Anlage 2.

March, 31st 1915.

Let me congratulate your Consul through you on the success thus far since coming to Marash. There is a distinct improvement in the general condition which we are very ready to attribute to his influence. We hope he will be able to remain here long enough to secure that any pledges given to him will be faithfully carried out. Kindly express our gratitude to him.

With kind regards

Yours cordially

E. C. Woodley.

Blank, Marash.

Anlage 3.

Contenu de l’avis
Circulaire

1. Il est arrivé à Zeitoun une révolte à la suite de laquelle il a fallu une action militaire qui se poursuit jusqu’à maintenant.

2. Il est le devoir du gouvernement ottoman de défendre la prospérité, la vie et l’honneur de la population docile, soit arménienne, soit muselmane. Par conséquent celle-ci doit être sûre qu’elle ne sera pas l’objet d’une attaque et qu’elle pourra s’occuper tranquillement du travail.

3. Celui qui des muselmans, pour n’importe quelle raison, attaque un arménien sera regardé comme un émeutrier et sera remis sur-le-champ à la cour martiale. Personne donc ne doit se mêler ni directement ni indirectement des affaires du gouvernement même pour la moindre petite chose.

4. Je récommande à la population docile et innocente de se conformer très vite aux instructions de l’autorité militaire, pour qu’aucun de ses membres ne soit pas victime d’un soupçon, ou d’une punition imméritée parsuite de la poursuite acharnée des brigands.

Le commandant du IV. corps d’armée.
Djemal Pascha.

16. mart 1330 = 29 mars 1915.
(publié) 18. mart 1330 = 31 mars 1915.

26.

Kaiserlich
Deutsche Botschaft.

Pera, den 15. April 1915.

Die Nachrichten aus dem östlichen Anatolien lassen erkennen, daß die schon vorher gespannten Beziehungen zwischen der türkisch-muhammedanischen Bevölkerung und den Armeniern sich im Laufe der letzten Monate[S. 46] noch weiter verschlechtert haben. Das gegenseitige Mißtrauen ist im Wachsen begriffen und beherrscht die Bevölkerung und die amtlichen Kreise, im Innern sowohl wie in der Hauptstadt.

Die Klagen über angebliche und wirkliche Verfolgungen, denen die Armenier infolge des Krieges ausgesetzt sind, werden immer zahlreicher und lauter; umgekehrt werden diese beschuldigt, daß sie mit den Reichsfeinden sympathisieren, mit ihnen hochverräterische Verbindungen unterhalten und an einzelnen Orten sich offen gegen die Landesbehörden aufgelehnt haben. Die Verstimmung gegen die Armenier wird vermehrt durch die Nachrichten über die Haltung der Armenier im Auslande; nicht nur aus dem Kaukasus, sondern auch aus Amerika, Bulgarien und anderen Ländern sollen tausende von ihnen freiwillig in die russische Armee eingetreten sein[42], und es wird behauptet, daß die russische Sektion der Partei Daschnakzutiun für den Fall eines für die Türkei ungünstigen Ausganges des Krieges die Vernichtung der muhammedanischen Bevölkerung in den von der Türkei abzutretenden Gebietsteilen fordere[43]. Besonders gravierend lauten endlich die Berichte über die Aufführung der armenischen Mannschaften in der türkischen Armee während des Feldzuges im Kaukasus: sie sollen wiederholt ihre Waffen gegen die Türken gekehrt haben[44].

Von jeder Seite werden die Anschuldigungen der anderen Seite als grundlos zurückgewiesen, bzw. die Schuld an den Ereignissen dem anderen Teile zugeschoben. Nur in einem Punkte dürfte Übereinstimmung herrschen: daß die Armenier seit Einführung der Konstitution den Gedanken an eine Revolution aufgegeben haben, und daß keine Organisation für eine solche besteht.

Zweifellos haben nun in Ostanatolien Ausschreitungen und Gewaltakte gegen die Armenier stattgefunden, und im allgemeinen dürften die Vorgänge von armenischer Seite richtig geschildert, wenn auch übertrieben sein. Vielfach handelt es sich um die Drangsale und Leiden, die jeder Krieg, auch in Kulturländern, im Gefolge hat; in anderen Fällen lag aber die Schuld auch auf seiten der Armenier, und die Behörden trifft höchstens der Vorwurf, daß sie nicht rechtzeitig Vorsichtsmaßregeln getroffen haben und hinterher mit unnötiger Strenge eingeschritten sind.

Das mir aus armenischer Quelle (Patriarchat und Mitteilungen des aus Deutschland gekommenen Vertrauensmannes der deutsch-armenischen Gesellschaft Dr. Liparit Nasariantz) vorliegende Material bezieht sich in der Hauptsache auf das eigentliche Kriegsgebiet (Wilajet Erzerum) und die unmittelbar daran grenzenden Bezirke (Wilajete Wan und Bitlis).

[S. 47]

Für die Vorkommnisse in diesen Gegenden werden von armenischer Seite verantwortlich gemacht:

  1. die unter der Bezeichnung Miliz militärisch organisierten türkischen Irregulären und Banden von Marodeuren; ihnen werden zahlreiche Plünderungen, Raubmorde und sonstige Ausschreitungen gegen die armenische Landbevölkerung zur Last gelegt;
  2. die dem Komitee Union et Progrès affiliierten Klubs, in denen viel unlautere Elemente vertreten sein sollen. Es wird behauptet, daß diese Klubs, speziell der von Erzerum, förmliche Proskriptionslisten aufgestellt haben, und eine Reihe politischer Morde, die seit Dezember v. Js. an verschiedenen angesehenen Armeniern verübt worden sind, werden auf ihre Tätigkeit zurückgeführt. Es wird hinzugefügt, daß das Ministerium des Innern bereits vor einiger Zeit von den Armeniern vor dem Treiben dieser Klubs gewarnt worden sei, die schon einmal — bei den Vorfällen in Adana im Jahre 1909 — eine verhängnisvolle Rolle gespielt haben;
  3. verschiedene Zivilbeamte, speziell der Gouverneur von Musch (Wilajet Bitlis) und der Wali von Wan. Es wird u. a. angeführt, daß einige 2000 muhammedanische Familien aus dem von den Russen okkupierten Distrikt von Alaschgerd in den armenischen Dörfern von Musch untergebracht worden sind, die kaum imstande sind, ihren eigenen Unterhalt aufzubringen; die armenischen Bauern würden wie Zugvieh zum Transport von Munition und Proviant verwendet, viele von ihnen erlägen der unmenschlichen Behandlung, und die wenigsten, angeblich kaum ein Viertel, kehrten in ihre Dörfer zurück. In zwei Bezirken von Wan sollen unter Konnivenz der Kaimakame förmliche Metzeleien vorgekommen sein.

In den vom Kriegsschauplatz entfernteren Provinzen scheint die Lage der armenischen Bevölkerung soweit erträglich zu sein, obwohl auch von dort vereinzelte Klagen eingegangen sind: doch handelt es sich im ganzen um Vorfälle von geringerer Bedeutung, wie Haussuchungen nach verbotenen Waffen und Deserteuren, wobei es gelegentlich zu Ausschreitungen gekommen sein soll, und dergleichen mehr.

Mehr Beachtung verdienen zwei Vorfälle im Wilajet Adana, über welche die Kaiserliche Botschaft auch durch Konsularberichte eingehend informiert ist.

Anfang März haben sich in der armenischen Ortschaft Dörtjol, nachdem schon vorher wiederholt Engländer von der Flotte gelandet waren und ungestört Einkäufe besorgt hatten, zwei aus jener Gegend stammende Armenier aufgehalten, die dort im englischen Interesse agitierten. Einer dieser Emissäre fiel den türkischen Behörden in die Hände und ist in Adana hingerichtet worden. Die weitere Folge war, daß die gesamte männliche Bevölkerung von Dörtjol ausgehoben und nach dem Wilajet Aleppo geschafft[S. 48] wurde, wo sie zum Wegebau verwendet wird; drei Individuen wurden, weil sie zu fliehen versuchten, niedergeschossen. Es kam hinzu, daß zur Zeit dieser Vorfälle zahlreiche Fahnenflüchtige sich in Dörtjol versteckt hielten, auch hatte man nicht vergessen, daß die Bewohner während des Massakres im Jahre 1909 sich mit den Waffen in der Hand gegen die Türken verteidigt hatten.

Über die Ereignisse in Zeitun, die durch den Widerstand der Armenier gegen die Rekrutierung hervorgerufen worden sind, ist bereits berichtet worden; auch in diesem Falle dürfte die Behörden der Vorwurf treffen, daß sie nicht rechtzeitig eingegriffen haben.

Mit Bezug auf die vorstehend geschilderten Verhältnisse ist von armenischer Seite die Bitte geäußert worden, daß die Kaiserliche Botschaft und unsere Konsulate ihren Einfluß bei den türkischen Regierungsorganen geltend machen möchten, um den weiteren Verfolgungen der Armenier in den in Betracht kommenden Landesteilen Einhalt zu tun. Als besonders wichtig wird die Bestellung von erfahrenen, mit den armenischen Angelegenheiten vertrauten Walis und Mutessarrifs für die betreffenden Provinzen bezeichnet; auch glaubt man, daß die Anwesenheit deutscher Konsuln in Wan, Bitlis usw. hinreichen würde, um die ärgsten Ausschreitungen zu verhindern.

Hier wie auch im Innern wird von den Armeniern eine solche Verwendung unseres Einflusses zu ihren Gunsten als ein nobile officium für uns als christliche europäische Großmacht angesehen und als eine natürliche Folge unseres Bundesverhältnisses zur Türkei erwartet, weil es im eigensten Interesse der Türkei, also auch in unserem, liege, das armenische Element zu schützen und seine Sympathien sich zu bewahren; es wird hervorgehoben — was, wie bemerkt, von den Türken bestritten wird —, daß die Armenier trotz aller Leiden, denen sie ausgesetzt seien, sich loyal und korrekt, mindestens aber passiv verhalten; bei einer fortgesetzten, systematischen Verfolgung wäre aber zu befürchten, daß diese friedliche Gesinnung ins Gegenteil umschlüge; die regierungsfreundlichen Parteien, wie die Daschnakzutiun, würden die Massen nicht mehr zurückhalten können, und es entstünde die Gefahr, daß bei einem Vordringen der Russen nicht nur die Armenier in dem Invasionsgebiete zum Feinde übergehen, sondern auch eventuell im Rücken der türkischen Armee Insurrektionsherde sich bilden.

Der Appell an das nobile officium der deutschen Vertretung in der Türkei ist aus der Entwicklung der armenischen Frage verständlich, besonders aber jetzt, wo infolge des Krieges die Dreiverbandmächte hier ausgeschaltet sind und als Schutzmächte nicht in Frage kommen. Aber ein Versuch, diesem Appell Folge zu geben und die Rolle zu übernehmen, die England nach dem Berliner Kongreß und neuerdings Rußland als Beschützer der Armenier gespielt haben, würde von der Pforte als eine unberechtigte und lästige Einmischung in ihre innerpolitischen Angelegenheiten empfunden werden.[S. 49] Der Moment ist um so weniger dazu geeignet, als die Pforte gerade jetzt daran gegangen ist, die Schutzrechte, die andere fremde Mächte über türkische Untertanen ausgeübt haben, zu beseitigen. Auch hat sie auf das durch die Ereignisse der letzten Jahre stark gehobene Nationalbewußtsein der türkischen Elemente Rücksicht zu nehmen.

Was die sonst von armenischer Seite vorgebrachten Erwägungen anbetrifft, so dürften sie ernste Beachtung verdienen, und ich habe daher schon vorher wiederholt Anlaß genommen, sowohl auf der Pforte wie beim Patriarchat auf eine versöhnliche Politik und auf die Erhaltung guter Beziehungen zueinander zu dringen. Aber die den Armeniern jetzt so ungünstige Stimmung in den Regierungskreisen zieht unserer Verwendung für die Armenier noch engere Schranken. Ich glaube daher auch, daß die in diesem Zusammenhange angeregte Verwendung der deutschen Konsulate in den sogenannten armenischen Provinzen ihren Zweck nicht erfüllen würde. Voraussichtlich würde die Pforte darin den Versuch einer Überwachung ihrer eigenen Behörden durch uns erblicken, ähnlich wie seinerzeit England und in jüngster Zeit Rußland durch Entsendung konsularischer Vertreter die Durchführung der armenischen Reformen in jenen Landesteilen zu kontrollieren versucht haben; eine solche Maßregel wäre geeignet, die Behörden erst recht gegen die Armenier aufzubringen und so den entgegengesetzten Erfolg herbeizuführen.

Wangenheim.

Seiner Exzellenz dem Herrn Reichskanzler.

27.

(Kaiserliches
Konsulat Aleppo.)

Telegramm.[45]

Aleppo, den 20. April 1915.

An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Wie aus neuen zuverlässigen Berichten des Vorstehers des amerikanischen Kollegs in Aintab, Dr. Merril, hervorgeht, wird in Marasch und Zeitun und allen Dörfern bis herunter nach Hassanbeili die armenische Bevölkerung, soweit sie Geld oder Bildung oder Einfluß hat, von der Regierung deportiert. Mit der Ausführung ist begonnen. 35 Familien aus Zeitun sind fort, eine zweite und dritte Abteilung sind unterwegs. Die Männer werden von den Frauen getrennt. Letztere werden in besonderen Trupps von Soldaten geleitet.

Alle christlichen Soldaten vom 32. bis zum 45. Lebensjahre haben ihre Einberufung erhalten, sicher zum Zweck der Deportierung. Die muselmani[S. 50]schen sind nicht einberufen. Offenbar beruhen diese Maßregeln der Zentralregierung auf falschen Berichten aus Marasch. Sie sind ein Unglück für das Land und auf den systematischen Ruin eines wichtigen Bevölkerungsteiles berechnet. Sie gehen von einer falschen Grundauffassung aus, welche die ganze armenische Bevölkerung als verdächtig oder gar feindlich ansieht. Ich stelle gehorsamst anheim, diesem Verfahren entgegenzuwirken.

Mein amerikanischer Kollege bittet, die amerikanische Botschaft, und Dr. Merril bittet im Auftrage der Armenier, das armenische Patriarchat zu benachrichtigen. Der hiesige stellvertretende armenische Bischof ist zum Katholikos nach Sis abgereist.

Rößler.

Inhalt ist am 24. April der amerikanischen Botschaft und dem armenischen Patriarchat mitgeteilt.

25. 4.

Mordtmann.

28.

(Kaiserliches
Konsulat Adana.)

Telegramm.

Adana, den 24. April 1915.

An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Der armenische Katholikos von Sis wünscht einen Bericht über die Vorgänge in Zeitun durch Vermittlung von Konsulat und Botschaft an das Patriarchat in Konstantinopel zu befördern. Deutsche Übersetzung würde mitgesandt werden.[46] Drahtweisung erbeten.

Büge.

Telegramm. Pera, 25./4.
An Konsulat Adana.

Antwort auf Tel. v. 24./4. Einverstanden.

Wangenheim.

29.

(Kaiserlich
Deutsche Botschaft.)

Telegramm.

Pera, den 24. April 1915.
Ankunft, den 25. April 1915.

Der K. Botschafter an Auswärtiges Amt.

Wie Konsulat Erzerum vom 22. drahtet, sind in Wan und Umgebung Armenierunruhen (vermutlich infolge russischer Umtriebe) ausgebrochen.[S. 51] Straßenkampf, Telegraphenlinien sind zerstört. Verbindung mit Persien unterbrochen. Ministerium des Innern hat Richtigkeit bestätigt, bittet aber um vorläufige Geheimhaltung.

Wangenheim.

30.

Kaiserlich
Deutsche Botschaft.

Pera, den 24. April 1915.

Auf dem Ministerium des Innern wurde mir — mit der Bitte um vorläufige Geheimhaltung — die Richtigkeit der Meldung aus Erzerum betreffend Armenierunruhen in Wan bestätigt.

Die unliebsamen Vorfälle, wie Angriffe auf Gendarmen etc., hätten sich in der letzten Zeit stark vermehrt und eine schlimme Wendung voraussehen lassen. Zu bewaffneten Zusammenstößen sei es anfangs in den Orten Schatakh und Wostan südlich von Wan gekommen, dann sei in Wan selbst der Aufstand ausgebrochen. Die Armenier hätten auch mit Bomben gearbeitet, und die Gebäude der Dette Publique und der Post seien infolgedessen vernichtet.[47] Bei den Straßenkämpfen hätten die Truppen 20 Tote gehabt. Der Wali Djevdet Bey, der in Anbetracht der Gärung vor kurzem nach Wan zurückgekehrt war (er war vorher in Persien), gehe energisch vor und hoffe, bald Ruhe zu stiften.

Auf die Bemerkung, daß es vor allem darauf ankomme, die Disziplin unter den Truppen aufrecht zu erhalten, um Vorgängen vorzubeugen, die wie Christenmassakres aussehen könnten, meinte mein Gewährsmann ziemlich kleinlaut, daß die in Wan stehenden Truppen aus neu eingezogenen, nicht gut disziplinierten Leuten bestehen und daher Ausschreitungen vorkommen könnten.

Wangenheim.

Seiner Exzellenz dem Reichskanzler
Herrn von Bethmann Hollweg.

31.

Kaiserlich
Deutsche Botschaft.

Aufzeichnung.

Unterredung mit Herrn General Posseldt am 26.4.1915.

1. Glaubt, daß die Armenier sich ruhig verhalten würden, wenn sie nicht von den Türken bedrückt und gereizt wären, vielfach sei auch Konkurrenzneid im Spiele. Die Aufführung der Armenier sei tadellos gewesen.

[S. 52]

Richtig sei, daß türkische Armenier den Russen bei deren Vordringen gegen Erzerum wiederholt Führerdienste geleistet, auch hätte man solche unter den den Russen abgenommenen Gefangenen gefunden. Dagegen hält er es für ausgeschlossen, daß armenische Mannschaften auf ihre türkischen Kameraden geschossen; man hätte die Armenier stets hinter der Front verwendet.

2. Bestätigt das Treiben des Klubs in Erzerum; die Proskriptionsliste umfaßt 22 Namen von Armeniern. Tahsin Bey, der Wali, hat nach Möglichkeit die Ausführung von Metzeleien verhindert.

Pasdirmadjan wurde umgebracht, weil sein Bruder, früherer Deputierter, im Wilajet Wan, in russischem Interesse gewühlt hatte; er wurde von zwei Soldaten erschossen; die Namen der Mörder wurden anonym den Behörden mitgeteilt, aber trotzdem er, Posseldt, sich für die Sache interessierte, wurden sie nicht ergriffen.

26.4.

Mordtmann.

32.

(Kaiserliches
Konsulat Erzerum.)

Telegramm.

Erzerum, den 26. April 1915.

An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Der Armenische Bischof bittet, den dortigen Patriarchen über die Vorgänge in Wan zu informieren.

Scheubner.

Kaiserlich
Deutsche Botschaft.

Dem Armenischen Patriarchen am 28.4. vertraulich mitgeteilt.

28./4.

Mordtmann.

33.

(Kaiserliches
Konsulat Erzerum.)

Telegramm.

Erzerum, den 26. April 1915.

An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Im Anschluß an Telegramm vom 24. April.

Soeben aus Wan eingetroffene Privatnachrichten vom 19. April besagen, daß die Regierung vor Ausbruch der Unruhen angesehene Armenier verhaftet hat, von denen der armenische Notabele Ischkhan mit drei anderen auf dem Transport unter polizeilicher Bewachung ermordet worden ist. Armenischer Stadtteil wurde umzingelt; 250 armenische Häuser sind[S. 53] vernichtet worden. Die Banque Ottomane ist angeblich von Armeniern in die Luft gesprengt worden.[48]

Hier herrscht Ruhe; die armenische Bevölkerung ist jedoch sehr beunruhigt und befürchtet Massakre. Der Bischof hat um den Schutz des Konsulats gebeten.

Scheubner.

34.

Kaiserlich
Deutsches Konsulat.

Adana, den 26. April 1915.

Anliegender Bericht des armenischen Katholikos nebst deutscher Übersetzung wird gemäß Telegramm der Botschaft vom 25. d. M. der Kaiserlichen Botschaftskanzlei ergebenst übersandt.

(Stempel.)

(In deutscher Übersetzung.)

Adana, den 8./21. April 1915.[49]

An den Hochwürdigen Erzbischof Zaven, armenischen Patriarchen in Konstantinopel.

Mit meinem Schreiben vom 7./20. d. M. habe ich Ihnen über die Vorgänge in Zeitun schon kurze Mitteilung gemacht und will hiermit ausführlich darüber berichten mit der Gewißheit, daß dies Schreiben in Ihre Hände gelangen wird.

Zu seiner Zeit habe ich Ihnen schon über die Grausamkeiten und die unmenschlichen Taten des Mutessarrifs von Marasch berichtet. Es dürfte Ihnen schon bekannt sein, wie er, anstatt die Schuldigen zu strafen, die Unschuldigen, ja sogar die Frauen und Kinder mißhandelt und manche davon Repressalien und Schändungen unterworfen hat. Manche Frauen haben infolge der Mißhandlungen Fehlgeburten und einige Gefangene ganze Körperteile verloren gehabt. Regierungsbeamte verhöhnen unseren Glauben und beschimpfen unsere Ehre. Es soll auch Ihnen schon bekannt sein, wie der Mutessarrif nicht nur die ausgelieferten 25 Deserteure, sondern auch mehrere Unschuldige aus dem friedliebenden Volke nach Marasch bringen ließ und alle Mißhandlungen unterwarf. Dies alles ertrug damals das von der Regierung als aufständisch verrufene Volk, um seine Treue gegen das Reich nicht aufzugeben.

Die unerhörten Greueltaten und Mißhandlungen des Kaimakams von Zeitun, Hüssein Hüssni, des Feldwebels Suleiman Bey, des Müfti und der Regierungsbeamten, die nur das Ansehen der Regierung in Mißkredit brachten, hatten nur den Zweck, das friedliche Volk zum Äußersten zu treiben, um der[S. 54] Regierung Anlaß zur Vernichtung zu bieten. Trotz alledem erträgt das Volk alles und versucht hie und da Klagerufe vernehmen zu lassen. Es bittet umsonst um die Entsendung von loyalen unparteiischen Inspektoren. Niemand schenkt dem armen Volk Gehör, und dieser Zustand dauert fort.

Die Frauen versuchten ihre herzzerreißende Lage durch ein Telegramm der Walidé Sultan (der Kaiserin-Mutter) zu schildern, um Gnade zu erhalten. Weil dies ihnen seitens der Regierung verweigert wurde, glaubten sie, daß der Gemeindevorsteher die Schuld daran trüge und demonstrierten.

Einige Deserteure, die sich ins Gebirge geflüchtet hatten, versuchten die Bevölkerung zum gemeinsamen Widerstände zu bewegen. Es wurde ihnen aber von dem friedlichen Volke keine Folge geleistet.

Im Februar beabsichtigte die Regierung die in der Stadt Zeitun lagernden Waffen und Munition nach Marasch zu transportieren. Die Deserteure vernahmen dies Vorhaben und wollten alles in Besitz nehmen. Aber durch das mißbilligende Auftreten der armenischen Notabeln gelang es ihnen nicht, und ihr Vorhaben scheiterte. Am 15./28. Februar wurde diese Absicht der Deserteure festgestellt und am nächsten Tag nach einer einstimmigen Beschlußfassung der Regierung durch den Gemeindevorsteher und den Bürgermeister amtlich mitgeteilt. Die Regierung hatte schon durch die Geheimpolizei von allen Vorgängen Kenntnis gewonnen.

Inzwischen flüchteten sich einige ins Weite, die den barbarischen Greueltaten Haidar Beys ausgesetzt und Augenzeuge des gräßlichen Todes des gefangen genommenen Nazareth Nor Aschkharian gewesen waren. Sechzehn Gendarmen, die für die Festnahme der Deserteure geschickt waren, kehrten zurück, die dann in den umliegenden Ortschaften neue Greueltaten verübten. Die Gendarmen begegneten während der Rückfahrt den Deserteuren. Nach dem Zusammenstoße flüchteten sich die Gendarmen nach Verlust von 6–8 Mann nach Zeitun zurück.

Die Regierung und die Gendarmerie, erzürnt über den Mißerfolg, verlangten von den Vorgesetzten der Gemeinde die Auslieferung der Deserteure. Die Vorstehenden gaben zu verstehen, daß die Forderung nicht durchführbar sei, nachdem die Bevölkerung ihre Waffen der Regierung abgeliefert habe und machtlos sei gegen die bewaffneten Deserteure.

Am 5./18. März versammelten sich die Notabeln, um die verheerenden Folgen dieser Spannung zu vermeiden. Die Deserteure drangen in die Stadt ein, um der Gendarmerie und der Regierung Herr zu werden. Während dieses Zusammenstoßes, wo die Armenier der Regierung Beistand leisteten, haben die Deserteure einen Verwundeten, aber die Bürger und die Gendarmen 9 Tote gehabt.

Der Mutessarrif von Marasch und der Gendarmeriekommandant eilten mit zwei Kompagnien nach Zeitun und forderten von der Stadt die Auslieferung der von den getöteten Gendarmen eroberten Gewehre. Nach einer[S. 55] Beratung begaben sich der katholische Gemeindevorsteher und der Stadtarzt nach dem Kloster, wohin die Deserteure sich geflüchtet hatten, um sie zur Ablieferung der Gewehre zu überreden, mit dem Versprechen des Kaimakams, ihre Begnadigung zu erwirken.

Anstatt dieses Versprechen zu halten und Friede herbeizuführen, machte der Kaimakam die folgende Deklaration: „Dies ist das 35. Mal, daß die Bewohner von Zeitun sich empören. Die bisherigen Unruhen waren nicht so gefährlich wie jetzt. Die früheren waren wie Familienstreitigkeiten. Jetzt ist das Land von allen Seiten bedroht und jeder muß der Regierung beistehen.“ Diese Forderung ist an und für sich gerecht, aber sie gilt nicht für die Bewohner von Zeitun, weil diese sich niemals empört haben. Möglich ist, daß sie sich gegen die Irregulären gewehrt und die Überfälle derselben abgewiesen haben. Auch damals hat die Regierung, unter dem Vorwand, den Aufstand niederzuringen, Truppen entsandt. Auch diesmal hat die ungerechte Handlung der böswilligen Regierungsbeamten die jetzige traurige Situation herbeigeführt.

Der Mutessarrif von Marasch und der Kaimakam von Zeitun haben nicht einmal ihr Ehrenwort gehalten, welches sie für die Schonung des Volkes gegeben hatten. In 8–10 Tagen hat man mit einer militärischen Kraft von 4000 Mann und einem rücksichtslosen Kommandanten die Bewohner einschüchtern wollen. An demselben Tage begaben sich auch einige Notabeln aus Marasch nach Zeitun, um die Deserteure zur Ergebenheit zu überreden. Nach einer gemeinsamen Beratung wandten sich die Armenier an den Kommandanten mit dem Ersuchen, die Deserteure, weil sie sich nicht ergeben wollten, durch Gewalt niederzuringen. Der Kommandant verlangte wieder von dem Volke die bedingungslose Auslieferung und Übergabe der Deserteure.

Die Notabeln aus Marasch kehrten heim. Die Regierung ließ dann die Vorräte aus der Stadt in die Kaserne schaffen. Sobald die Nachricht von der Wegschaffung von Regierungspapieren und Büchern in der Stadt zirkulierte, schloß man die Schulen, und die Panik wurde größer. Inzwischen flüchteten die Deserteure in das naheliegende Kloster, wo sie vom Militär belagert wurden. Am 12./25. März beginnt das Bombardement mittels 2 Kanonen. Trotz zahlreicher Schüsse hat man auf diese Weise dem Kloster keinen Schaden zufügen können. Nachdem die Regierung sich überzeugt hatte, daß das Volk sich ruhig verhalte, verengte sie den Umzingelungsgürtel. Die Deserteure erwiderten dann das Feuer und die Zahl der gefallenen Soldaten war beträchtlich. Der Oberst (Bimbaschi) näherte sich dem Klostertor, und in dem Moment, wo die Soldaten das Kloster niederbrennen wollten, fiel der Oberst nebst einigen Soldaten. Bis Abend dauerte der Kampf.

An demselben Tage ersuchten die Stadtbewohner die Regierung, daß sie, um den Deserteuren keine Möglichkeit zur Flucht zu geben, die Umzingelung[S. 56] nicht aufgeben solle, sonst würden sie wieder den Bürgern und dem Militär lästig werden. Trotz des gegebenen Versprechens hob die Regierung die Belagerung des Klosters auf und gab den Deserteuren die Gelegenheit, zu entfliehen. Es ist uns nicht begreiflich, wie es 15–20 Deserteuren gelang, den Belagerungsgürtel von 4000 zu durchbrechen. Wir haben den Verdacht, daß die Regierung absichtlich einige Deserteure frei laufen läßt, damit sie die friedliche Bevölkerung als Mitschuldige der Deserteure angeben und die Verbannungsaktion (expatriation) durchführen könne.

Nach der Flucht der Deserteure setzte man die Regierung davon in Kenntnis mit dem Ersuchen, das Kloster zu schonen, welches Eigentum des ganzen armenischen Volkes sei und wo viele Kostbarkeiten und Heiligtümer aufbewahrt seien. Der Kaimakam, der Müfti und andere Beamte versprachen es, aber das Militär beachtete es nicht und setzte das Kloster in Brand. Trotz der Bitte des Gemeindevorstehers wurden sogar die naheliegenden Wohnstätten der Bauern nicht geschont und wurden niedergebrannt. Angesichts dieser Vernichtung weinte und klagte das Volk um sein Schicksal, und sogar die Steine gaben dem Widerhall.

Am nächsten Tag kam ein Hauptmann aus der Kaserne in die Stadt und begann die Untersuchung, um die verwundeten Deserteure und Waffen zu finden. Er fand einige wertlose Waffen und beim Tschakrian Betros, dessen Sohn ebenfalls desertiert war, ein blutiges Hemd. Er nahm Betros und andere Personen als verdächtig fest und führte sie ins Gefängnis.

Am 25./28. März wurden etwa 30 Notable nach der Kaserne gerufen und dort vom Kaimakam Churschid Pascha zurückbehalten. Ohne ihnen Zeit zu geben, um die allernotwendigsten Reisevorbereitungen zu treffen, schickte man sie samt Frauen und Kindern zunächst nach Marasch. Dort wurden sie in einen Chan interniert, wo die herzzerreißenden Klagerufe der Weiber und der Kinder zum Himmel stiegen.

Auf dem Weitertransport kamen die Armen nach dreitägiger Fahrt in Osmaniyé an, von wo aus sie mit vielen anderen Gefangenen nach Adana transportiert wurden. Man hat sie von hier sofort nach Tarsus geschickt.

Alle diese Verbannten sind treue Untertanen und haben der Regierung in jeder Hinsicht Beistand geleistet. Die Regierung sollte eigentlich diese treuen Untertanen auszeichnen, anstatt dessen gab sie ihnen die härteste Strafe, die Verbannung. Wohin werden diese verschickt? Wovon sollen sie leben? Was wird aus dem Hab und Gut der Verbannten? Was wird aus den Daheimgebliebenen? Wird man auch diese so herdenweise in alle Richtungen der Erde verschicken?

Auch ich habe als Katholikos den Bewohnern von Zeitun immer den Rat gegeben, dem osmanischen Reich treu zu bleiben und den staatsbürgerlichen Pflichten nachzukommen. Sie haben mir Gehorsam gezeigt, und jetzt müssen sie mittellos und nackt herumirren! Das ist der Lohn meiner aufrichtigen[S. 57] Bemühungen, und meine Strafe ist noch schwerer. Ich bekomme immer neue Gewissensbisse. Gern möchte ich sterben, weil ich nur im Tode so viele Schmerzen vergessen kann.

Ich kann mich teilweise nur dadurch trösten, daß Dschemal Pascha, an welchen ich telegraphiert hatte, sein Wort gehalten hat und keine Metzelei stattfand.

Nach dem Brand des Klosters ergaben sich ohne Widerstand 190 Deserteure. Diese wurden greulichen Mißhandlungen ausgesetzt, gebunden wie Tiere und unter Knutenhieben nach Damaskus geschickt. Einer von ihnen fand unterwegs den Tod. Was aus den anderen werden wird, weiß ich nicht.

Soviel habe ich bis jetzt erfahren und Ihnen berichten können. Gott soll uns vor den kommenden Übeln schützen! Ich bin jetzt moralisch und physisch ganz machtlos.

Meine 12 jährige Dienstzeit ist mir eine ewige Zeit des Kummers und der Trauer geworden. Wäre ich kein Christ, würde ich dem Tag fluchen, wo ich zur Welt kam, oder vielmehr dem, da ich zu diesem schweren, verantwortungsvollen Amt berufen wurde!

Sahak,
Katholikos von Cilicien.

35.

(Kaiserlich
Deutsche Botschaft.)

Telegramm.

Pera, den 27. April 1915.

An Auswärtiges Amt, Berlin.

Wie das Konsulat Erzerum unter dem 24. April telegraphiert, ist der Aufruhr in Wan nach amtlicher Mitteilung unterdrückt[50]. Hierbei seien ungefähr 400 Armenier getötet worden, die übrigen seien nach Rußland entflohen.[51] Angeblich hätten sich auch Kurden am Aufstande beteiligt, um sich für die Hinrichtung ihrer Scheiche in Bitlis 1914 und die Bedrückung durch die Regierung zu rächen.[52]

Wangenheim.

[S. 58]

36.

(Kaiserlich
Deutsche Botschaft.)

Telegramm.

Pera, den 28. April 1915.

An Deutsches Konsulat, Erzerum.

Eine Verwendung Ihrerseits für die Armenier wird darauf auszugehen haben, Ausschreitungen des Pöbels wie Massakres und Plünderungen zu verhindern und auf ein regelrechtes Verfahren gegen die politisch verdächtigen Personen hinzuwirken. Hierbei wäre der Schein, ab ob wir ein Schutzrecht über die Armenier ausüben und in die Tätigkeit der Behörden eingreifen wollen, zu vermeiden und dies eventuell auch den Behörden gegenüber zu betonen. Vertraulich: Die hiesigen Behörden haben dieser Tage mehrere Hundert armenische Notabeln verhaftet und nach Anatolien verschickt, angeblich weil sich Anzeichen für eine revolutionäre Bewegung gezeigt haben.

Wangenheim.

37.

Kaiserlich
Deutsche Botschaft.

Pera, den 30. April 1915.

Über die Vorgänge in Wan meldet der Kaiserliche Konsul in Erzerum nachträglich auf Grund von Nachrichten aus Wan vom 19. April, daß die dortigen Behörden vor Ausbruch der Unruhen eine Anzahl Armenier verhaften ließen, von denen drei während des Transportes unter polizeilicher Bedeckung ermordet wurden; unter diesen befand sich auch ein gewisser Ischkhan, der sich früher ab Freischärler hervorgetan hat. Während des Kampfes wurde das Armenierviertel umzingelt; 250 Häuser wurden zerstört, darunter das Gebäude der Zweigniederlassung der Banque Ottomane, das von den Armeniern in die Luft gesprengt worden sein soll.[53]

Der Minister des Innern teilte am 28. d. M. dem ersten Dragoman mit: „In Wan sei das Schlimmste überstanden; es sei dort zu einem regelrechten Kampfe gekommen, und die Verluste auf beiden Seiten seien beträchtlich gewesen; über 400 Armenier seien umgekommen, aber auch die Truppen hätten mehrere Hundert Mann verloren. Die Disziplin sei jedoch aufrecht erhalten worden, so daß man nicht von Massakres reden könne. Daß zwischen den Armeniern und Russen enge Beziehungen bestanden, könne als einwandfrei festgestellt gelten.[54] Gleichzeitig mit der Bewegung dort hätte auch eine verstärkte militärische Aktion im Kaukasus eingesetzt.“

[S. 59]

Wan, mit einer armenischen Bevölkerung von etwa 20000 Seelen, war schon seit Jahren ein Hauptzentrum der Partei Daschnakzutiun. In dem Bericht, den sie im Jahre 1910 dem internationalen Sozialistenkongreß in Kopenhagen erstattet hat, wird ihre Tätigkeit in den Provinzen Bitlis und Wan geschildert. „In diesen“, heißt es in dem Bericht, „hatten wir bis 1908 die ganze waffenfähige Landbevölkerung, welche in politische Gruppen organisiert war, unter unserer Fahne... Diese Tätigkeit war wesentlich eine politische und revolutionäre. Sie dauert heute fort, aber schon in offener Weise. In allen Zentren des türkischen Armeniens hat unsere Partei ihre Scharen von Fidais, deren Zweck ist, darüber zu wachen, daß die Reaktion nicht wieder den Kopf erhebe.“ An einer anderen Stelle wird erwähnt, daß im Jahre 1908 in Wan mehr als 1000 Gewehre, eine Million Patronen und Massen von Explosivstoffen angesammelt waren, die damals von der Regierung beschlagnahmt wurden.

Wangenheim.

Seiner Exzellenz dem Reichskanzler
Herrn von Bethmann Hollweg.

38.

Kaiserlich
Deutsche Botschaft.

Pera, den 30. April 1915.

In der Nacht von Sonnabend auf Sonntag den 25. d. M. und von Sonntag auf Montag den 26. d. M. haben hier zahlreiche Verhaftungen von Armeniern stattgefunden. Im ganzen sollen an 500 Personen aus allen Gesellschaftsklassen festgenommen sein, namentlich Ärzte, Journalisten, Schriftsteller, Geistliche, auch einige Deputierte. Das Lokal der Zeitung Azadamart, Organ der Partei Daschnakzutiun, der viele von den Verhafteten angehörten, wurde behördlich gesperrt. Die meisten wurden in den folgenden Tagen nach dem Innern von Klein-Asien verschickt.

Über die Ursachen dieser Maßregeln waren im Publikum allerlei unkontrollierbare Gerüchte verbreitet. Unter anderem hieß es, daß man in armenischen Häusern und Kirchen Explosivstoffe, Bomben und Waffen entdeckt habe, und daß die Armenier für den Tag des Thronbesteigungsfestes (27. d. M.) Anschläge auf die Pforte und andere öffentliche Gebäude geplant hätten.

Als der Armenische Patriarch beim Großwesir und beim Minister des Innern nach den Gründen dieser Massenverhaftungen fragte, wurde ihm erwidert, daß die Organisation der armenischen Bevölkerung zu politischen Parteien im gegenwärtigen Augenblick von einzelnen einflußreichen Persönlichkeiten ausgenützt werden könnte, um die öffentliche Ruhe zu stören, und daß es im Interesse des Staatswohls geboten erscheine, solchen Eventualitäten durch Entfernung der leitenden Persönlichkeiten aus der Hauptstadt vorzubeugen.

[S. 60]

Der Minister des Innern äußerte gegenüber dem ersten Dragoman folgendes:

Die Regierung sei jetzt entschlossen, dem bisherigen Zustand ein Ende zu bereiten, wonach jede Religionsgemeinschaft ihre besondere „Politik“ mache und hierzu besondere politische Vereinigungen gründen und unterhalten könne.[55] In der Türkei solle künftig nur „osmanische Politik“ gemacht werden.

Unter den hiesigen Armeniern befänden sich eine Reihe von politisch nicht ganz sicheren Persönlichkeiten; sie seien natürlich gerade unter den tätigen Mitgliedern der Klubs und Redaktionen zu suchen. Die Besorgnis sei nicht von der Hand zu weisen, daß im Falle einer ungünstigen Wendung des Krieges diese Elemente die Gelegenheit zu Unruhestiftungen ergreifen könnten. Der Augenblick schien günstig, alle diese Verdächtigen aus der Hauptstadt zu entfernen. Unter den Verschickten gebe es sicher viele, die in keiner Weise schuldig seien. Dies leugne die Regierung nicht, und er — Talaat — werde aus eigenem Antrieb und ohne daß es hierzu einer Intervention bedürfe, diesen die Erlaubnis zur Rückkehr erteilen.

Die Behauptung, es lägen Beweise vor, daß für den Tag des Thronbesteigungsfestes ein Putsch beabsichtigt gewesen sei, erklärte Talaat Bey für unzutreffend.

Die Vorgänge in Wan und die in diesen Tagen erfolgten Angriffe der Russen auf den Bosporus und der vereinigten Franzosen und Engländer auf die Dardanellen dürften nicht ohne Einfluß auf die Entschließungen der Regierung gewesen sein.

Wangenheim.

Seiner Exzellenz dem Reichskanzler
Herrn von Bethmann Hollweg.

39.

(Kaiserliches
Konsulat Erzerum.)

Telegramm.

Abgang aus Erzerum den 30. April 1915.
Ankunft in Pera den 1. Mai 1915.

An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Wie aus Erzingian berichtet wird, verübten der dortige Mutessarrif und die Gendarmerie Ausschreitungen und schwere Bedrückungen gegen die armenischen Bewohner.

Hier herrscht Ruhe. Die vorgenommenen Verhaftungen erschweren es, Nachrichten aus Wan zu erhalten.

Scheubner.

[S. 61]

Mai.

40.

(Kaiserliches
Konsulat Aleppo.)

Telegramm.

Abgang aus Aleppo, den 3. Mai 1915.
Ankunft in Pera, den 4. Mai 1915.

An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Die aus Zeitun und Umgegend verbannten Armenier werden auf wenigstens tausend, vielleicht mehrere tausend geschätzt. Sie sollen durch muhammedanische Flüchtlinge aus Mazedonien ersetzt werden.

Die Aktion geht weiter. In Aintab sind neuerdings Verhaftungen, in Aleppo Haussuchungen vorgenommen worden.

Rößler.

41.

(Kaiserliches
Konsulat Erzerum.)

Telegramm.

Abgang aus Erzerum, den 4. Mai 1915.
Ankunft in Pera, den 6. Mai 1915.

An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Die Kämpfe in Wan zwischen den Truppen und Armeniern dauern an. Auf türkischer Seite wurden in den letzten Tagen ungefähr 200 Tote und doppelt so viel Verwundete gezählt. Hier wurden gegen 200 Verhaftungen vorgenommen. Die Furcht vor einem Massaker dauert an. Der Wali glaubt im Besitz von Beweisen für eine Konspiration eines Teiles der hiesigen Armenier zu sein. Die Entscheidung dürfte in den nächsten Tagen fallen. Ich glaube, daß es hier möglich sein wird, Massakres zu vermeiden.

Scheubner.

42.

(Deutsches Waisenhaus.)

Mamuret-ul-Aziz, den 5. Mai 1915.

Ew. Exzellenz!

Da in diesem Wilajet kein deutscher Konsul ist, ersuche ich Ew. Exzellenz um Entschuldigung, wenn ich mir erlaube, über die hiesigen innerpolitischen Verhältnisse kurz zu berichten.

[S. 62]

Seit einigen Tagen werden in den christlichen Häusern der Stadt und Umgegend strenge Haussuchungen gehalten, der Regierung verdächtig erscheinende Personen verhaftet und die Leute zur Ablieferung ihrer Waffen aufgefordert.

Diese Maßnahmen der Regierung scheinen im Zusammenhang mit Vorgängen in Wan und Diarbekr zu stehen und auf Anweisung der Zentralregierung angeordnet worden zu sein.

Die gesamte christliche Bevölkerung ist dadurch in große Unruhe versetzt worden und befürchtet das schlimmste.

Durch meinen 18 jährigen Aufenthalt an diesem Ort die Verhältnisse genau kennend, möchte ich die Aufmerksamkeit Ew. Exzellenz auf die Tatsache lenken, daß, wenn auch die hiesige Bevölkerung zum Teil sich in Privatgesprächen manchmal unzufrieden über die türkische Regierung geäußert hat, und wenn auch die Sympathien mancher Christen in diesem Krieg auf Seiten des Dreiverbands waren, trotz alledem weitaus die große Masse der Bevölkerung dieses Wilajets der Regierung gehorsam ist und die Christen hier im entferntesten nicht daran denken, sich gegen die Regierung aufzulehnen.

Die christliche Mannschaft von 20–45 Jahren hat sich ohne Schwierigkeiten zum Heeresdienst gestellt, und bei Requirierungen von Lebensmitteln wie auch bei der Unterstützung des „Roten Halbmonds“ kam die christliche Bevölkerung soweit als möglich der Regierung entgegen, so daß ich es für meine Pflicht halte, für die Christen hier um Schonung zu bitten.

Der wohlgesinnte Generalgouverneur, mit dem ich eben in freundschaftlicher Weise über die Angelegenheit sprach, hofft, daß es hier zu keinen ernsten Ereignissen kommen wird und versichert mich, daß er alles tun wird, um die Angelegenheit in friedlicher Weise zu ordnen. Er ist ebenfalls von dem friedliebenden und regierungstreuen Charakter der hiesigen christlichen Bevölkerung überzeugt. Doch besteht die Gefahr, daß starke armenierfeindliche Elemente die Oberhand bekommen und zum schlimmsten schreiten, so daß ich Ew. Exzellenz im Interesse der Menschlichkeit ersuche, die nötigen Schritte zur Aufklärung der Türkischen Zentralregierung über die hiesigen Verhältnisse tun zu wollen.

Verehrungsvoll

Johannes Ehmann.

An Seine Exzellenz, Freiherr von Wangenheim,
Botschafter Seiner Majestät des Deutschen Kaisers.

[S. 63]

43.

(Kaiserlich
Deutsche Botschaft.)

Telegramm.

Pera, den 6. Mai 1915.
Ankunft den 6. Mai 1915.

Der Kaiserliche Botschafter an Auswärtiges Amt.

Laut Telegramm des Konsulats Erzerum vom 4. Mai haben in Wan dieser Tage erneut Kämpfe mit Armeniern stattgefunden. Türkische Truppen verloren dabei 600 Mann an Toten und Verwundeten. In Kaisarié und Diarbekr wurden größere Bombenvorräte entdeckt.[56] Die Regierung hat umfassende Vorsichtsmaßregeln gegen Umsichgreifen der armenischen Bewegung im Innern angeordnet. In Erzerum ist Verhaftung von 200 Personen erfolgt, Deportation der Armenier aus den größeren Ortschaften dauert fort. Sie werden durch muhammedanische Einwanderer ersetzt.

Wangenheim.

44.

Kaiserlich
Deutsche Botschaft.

Pera, den 8. Mai 1915.

Trotz der Bemühungen der armenischen Kreise, die Bedeutung der in den letzten Wochen an verschiedenen Stellen ausgebrochenen Unruhen abzuschwächen oder die Schuld den Maßnahmen der türkischen Behörden zuzuschieben, mehren sich doch die Anzeichen dafür, daß diese Bewegung weiter verbreitet ist, als bisher angenommen wurde, und daß sie vom Ausland mit Hilfe der armenischen Revolutionskomitees gefördert wird.

Die bereits gemeldeten Kämpfe in Wan, bei denen die Aufständischen zeitweilig sogar die Oberhand gehabt zu haben scheinen, deuten darauf hin, daß die dortige armenische Bevölkerung ausreichend mit Waffen und Sprengstoffen versehen war; unter den Toten wurden nach Mitteilung der türkischen Behörden vielfach Individuen in russischer Kleidung gefunden, und es wird auch von den Armeniern nicht geleugnet, daß einer ihrer Landsleute, ein gewisser Pasdirmadjian, dort in russischem Interesse stark gewühlt hat. Dieser gefährliche Agitator war seinerzeit durch das von ihm geleitete Attentat auf die hiesige Banque Ottomane auch in weiteren Kreisen bekannt geworden, kehrte dann nach Wiedereinführung der Konstitution hierher zurück, ward Abgeordneter und ging später, weil er nicht wieder gewählt wurde, nach Rußland. Nach den letzten Nachrichten (vom 8. d. M.) ist es armenischen Freischärlern mehrfach gelungen, sich von Wan aus mit den Russen zu vereinigen.[56]

Über die in Kaisarié gefundenen Bomben gibt das armenische Patriarchat an, daß ein aus Amerika zurückgekehrter Armenier, der sich in[S. 64] Everek bei Kaisarié niedergelassen hatte, sich mit ihrer Herstellung beschäftigte, und nachdem er drei verfertigt hatte, bei der vierten verunglückte; die drei fertigen Bomben wurden von seinen Landsleuten versteckt, aber von der Polizei, die durch Zufall von der Sache erfuhr, entdeckt; bei weiteren Nachforschungen kamen 24 leere, noch nicht geladene Hülsen, unter dem Ziegeldache der dortigen armenischen Kirche, zutage. Dies trug sich Anfang Februar zu. Seitdem scheinen noch weitere Funde von Bomben gemacht worden zu sein; der Minister des Innern gab kürzlich die Zahl der in Kaisarié gefundenen Bomben auf 400 an, außerdem seien solche auch in Diarbekr zutage gefördert und nach Wan geschickt worden, um dort im Kampf mit den Aufständischen verwendet zu werden[57].

Daß die armenische Bevölkerung in den östlichen Provinzen über Waffen verfügt, wird von den Armeniern zugegeben; angeblich sollen diese Waffen zur Abwehr gegen die räuberischen Überfälle durch Kurden und anderes Gesindel dienen; es läßt sich vermuten, daß sie in der Hauptsache von den armenischen Revolutionskomitees schon vor längerer Zeit dort angesammelt worden sind[58].

Die Behörden nehmen bestimmt an, daß auch die Armenier von Zeitun durch fremde Umtriebe zum bewaffneten Widerstande gegen die Regierung aufgestachelt worden seien[59].

Es läßt sich nicht leugnen, daß die armenische Bewegung in den letzten Wochen einen besorgniserregenden Charakter angenommen hat, der die Regierung zu scharfen Repressivmaßregeln veranlaßt hat.

Die Massenverhaftungen hier und anderwärts, wie z. B. in Erzerum, wo der Wali Beweise für eine armenische Verschwörung in Händen zu haben glaubt, in Aintab usw. richten sich gegen die Komitees, die auf diese Weise ihrer Führer beraubt werden, in erster Linie gegen die Partei Daschnakzutiun.

Hier in der Hauptstadt ist vor einigen Tagen die gesamte Bevölkerung aufgefordert worden, die in ihrem Besitz befindlichen Waffen aller Art abzuliefern.

Bei der Erregung, die sich auch der muhammedanischen Bevölkerung bemächtigt hat, werden Bedrückungen der ruhigen Elemente und Ausschreitungen seitens der Unterbehörden nicht zu vermeiden sein. Aber trotz der vielfach herrschenden Besorgnisse ist es bisher zu keinen Massakers gekommen, weder in Zeitun, noch in Marasch, noch in Aintab, noch in Erzerum, und es wird der Regierung auch wohl in Zukunft möglich sein, solche zu verhindern.

Wangenheim.

Seiner Exzellenz dem Reichskanzler
Herrn von Bethmann Hollweg.

[S. 65]

45.

(Kaiserliches
Konsulat Erzerum.)

Telegramm.

Abgang aus Erzerum, den 9. Mai 1915.
Ankunft in Pera, den 10. Mai 1915.

An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Unruhen in Wan andauern noch immer. Türken haben bis jetzt rund 1000, Armenier 3000 Tote[60].

Hier kürzlich weitere verhaftet, einige 30 sollen verschickt werden. Es ist nicht ausgeschlossen, daß sie unterwegs ermordet werden.

Scheubner.

46.

(Kaiserlich
Deutsche Botschaft.)

Telegramm.

Pera, den 10. Mai 1915.

Der Kaiserliche Botschafter an Auswärtiges Amt.

Auf Grund der Mitteilung des Walis von Mossul vom 8. Mai telegraphiert dortiges Konsulat:

Christliche Bevölkerung der Provinz Wan befindet sich seit mehreren Tagen im Aufruhr. Armenier überfielen muhammedanische Dörfer bei Wan, angriffen vergeblich Zitadelle Wan. Schwache türkische Garnison verlor 300 Mann bei Abwehr Angriffe. Stadt selber, in der täglich Straßenkämpfe, größtenteils in Händen der Aufrührer. Aufstand besonders heftig im Bezirk Schatakh bei Wan. Nestorianer-Stamm der Tiari im Bezirk Baschkalé erhob sich gleichzeitig, 2000 gut bewaffnete Tiari überfielen muhammedanische Dörfer und verschanzten sich nördlich von Djulamerk. Nach Wan und Baschkalé sollen Truppenverstärkungen unterwegs sein.

Wegen Schicksals deutschen Waisenhauses Wan telegraphiert Botschaft direkt an Prediger Spoerri.

Wangenheim.

47.

Kaiserlich
Deutsches Konsulat.

Aleppo, den 10. Mai 1915.

Seitdem ich von Marasch zurückgekehrt bin, haben neueren Nachrichten zufolge die Verbannungen aus Zeitun und den umliegenden Dörfern größeren Umfang angenommen. Ferner haben nach einem Telegramm des Missionars Blank vom 9. d. M. die Verschickungen jetzt auch aus Marasch begonnen.[S. 66] Die Liegenschaften der Verbannten werden von einer dazu eingesetzten Kommission abgeschätzt und sollen ihnen vergütet werden. Doch wird abzuwarten sein, ob diese Absicht der Regierung auch ausgeführt werden wird. Die Wiederansiedlung soll im Wilajet Konia und anscheinend in Zor erfolgen. Wird die Behandlung aber so fortgesetzt, wie Blank sie schildert, so werden die Überwandernden, soweit sie nicht ihr Leben einbüßen, elend und krank ankommen, und nicht mehr die Fähigkeit haben, sich wirtschaftlich wieder aufzurichten. An Stelle der Verbannten werden muhammedanische Flüchtlinge aus dem Balkan in Zeitun und Umgegend angesiedelt.

Inzwischen habe ich weiter in Erfahrung zu bringen gesucht, worauf sich die Ansicht der Regierung von einer weit verbreiteten armenischen Verschwörung stützt. Nur eine Tatsache aber ist mir bekannt geworden. Nämlich eine mit Armeniern in enger Fühlung stehende und gut über sie unterrichtete neutrale Persönlichkeit hat mir erzählt, es seien im Beginn von Einwohnern von Dörtjol Briefe nach Zeitun abgeschickt worden, daß der Moment zu einer Empörung günstig sei. Verbindung mit den englischen Kriegsschiffen sei hergestellt. Ob die Briefe ihre Bestimmung erreicht haben, ist meinem Gewährsmann nicht bekannt. Bewiesen wäre also damit, wenn überhaupt mein Gewährsmann gut unterrichtet war, eine Aufforderung zur Empörung. Wie sich die Adressaten zu dieser Aufforderung verhalten haben, ist nicht bekannt. Sind von englischer Seite die Adressen von Mitgliedern der Wohltätigkeitsgesellschaft, die ja in Ägypten zu haben waren, zu englischen Zwecken gebraucht worden, so müßte von türkischer Seite gerechterweise vor Bestrafung der Adressaten der Beweis illoyaler Gesinnung oder illoyaler Handlungen derselben erbracht werden. Dieser ist aber offenbar nicht für nötig erachtet worden. Auch im übrigen scheint die Regierung die Verschwörung mit dem Vergrößerungsglase betrachtet zu haben. Ich bin der Überzeugung, daß die ganz überwiegende Mehrheit der Verbannten unschuldig leidet. — Die Mitglieder der Wohltätigkeitsgesellschaft haben stets offen gegenüber der Regierung gehandelt. Dafür müssen sie jetzt büßen. Die Regierung scheint auch auf dem mittelalterlichen Standpunkt zu verharren, daß für die Tat eines einzelnen oder einiger weniger Solidarhaft eines ganzen Volkes besteht. Denn ihre Maßregeln gehen auf Vernichtung der Armenier in ganzen Bezirken hinaus. Alle Armenier von Besitz, Bildung oder Einfluß sollen beseitigt werden, damit nur eine führerlose Herde zurückbleibt. Sie läuft Gefahr, das Vertrauen zu untergraben, daß es für die Armenier in Zukunft möglich sein wird, mit ihr auszukommen, und schafft dadurch selbst den Boden für Verwicklungen.

Gleichen Bericht lasse ich dem Herrn Reichskanzler zugehen.

Rößler.

Seiner Exzellenz dem Kaiserlichen Botschafter
Herrn Freiherrn von Wangenheim.

[S. 67]

48.

(Kaiserliches
Konsulat Aleppo.)

Telegramm.

Abgang aus Aleppo, den 10. Mai 1915.
Ankunft in Pera, den 11. Mai 1915.

An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Bisher waren nur Armenier aus Zeitun und umliegenden Dörfern verbannt worden, jetzt werden auch Familien aus Marasch weggeführt.

Rößler.

49.

(Kaiserliches
Konsulat Mossul.)

Telegramm.

Abgang aus Mossul, den 14. Mai 1915.
Ankunft in Pera, den 14. Mai 1915.

An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Wie Halil Bey gestern dem hiesigen Wali aus Urmia gedrahtet hat, marschiert er mit einem Teil seiner Truppen über Ghever-Baschkalé nach Wan.

Lage scheint sich dort verschlimmert zu haben.

Verbindung mit Wan von hier seit neun Tagen unterbrochen. Bitte daher gehorsamst telegraphische Nachricht über die Lage in Wan.

Holstein.

50.

(Kaiserlich
Deutsche Botschaft.)

Telegramm.

Pera, den 15. Mai 1915.

An Deutsches Konsulat, Mossul.

Wie Minister des Innern heute bestätigte, dauert Kampf in Wan fort. Er fügte hinzu, daß sich russische Streitkräfte Wan nähern. Telegraphische Verbindung zwischen hier und Wan soll noch bestehen.

Wangenheim.

[S. 68]

51.

(Kaiserliches
Konsulat Erzerum.)

Erzerum, den 15. Mai 1915.
Eingetroffen: Konstantinopel, den 27. Mai 1915.

Euerer Exzellenz

erlaubte ich mir bereits in meinen Telegrammen vom 26. und 30. April, 4. und 9. Mai über die Armenierunruhen in Wan und die Erregung im hiesigen Gebiet zu berichten.

Ich halte es für angezeigt, diesen telegraphischen Berichten folgendes hinzuzufügen:

Der äußere Anlaß zu den Unruhen in Wan ist, wie ich bereits berichtete, die Verhaftung und Ermordung einiger armenischer Notabeln, insbesondere Ischkhans und des armenischen Deputierten von Wan, Wramian gewesen, die sich unter den Armeniern eines großen Ansehens erfreuten.

Ob dieses Vorkommnis im Einverständnis mit den dortigen Behörden geschehen ist, lasse ich dahingestellt. Jedenfalls mußte sich aber die Regierung darüber klar gewesen sein, daß dadurch der letzte Anstoß gegeben wurde, die schon seit langem, besonders aber seit Kriegsausbruch gärende Erregung, die nur noch von den Führern niedergehalten werden konnte, zum Ausbruch zu bringen.

Nicht nur in Wan und dessen Umgebung, also den Grenzgebieten gegen Rußland, und den hiesigen, durch Requisitionen und Truppenansammlungen besonders in Mitleidenschaft gezogenen armenischen Gebieten, sondern auch in den mehr im Innern gelegenen armenischen Orten machte sich eine starke Unzufriedenheit bemerkbar. An vielen Stellen waren seit langem Waffen angesammelt worden, anfänglich wohl nur zu Zwecken der Selbstverteidigung bei einem eventuellen Massakre, später wohl auch für einen bewaffneten Aufstand.

Daß von türkischer Seite in der Behandlung der Armenierfrage andauernd Fehler gemacht worden sind, ist Euerer Exzellenz ja zur Genüge bekannt, desgleichen, daß diese Fehler von russischer Seite schon lange vor dem Krieg zu einer planmäßigen Verhetzung ausgenutzt wurden.

Besonders Wan und das dortige russische Konsulat war von jeher ein Brennpunkt russischer Wühlarbeit, die um so ungestörter ins Werk gesetzt werden konnte, als eine ein Gegengewicht bildende deutsche Vertretung dort nicht vorhanden war. Das junge Konsulat von Erzerum konnte, schon infolge der Entfernung, seinen Einfluß nicht in genügendem Maße dorthin erstrecken; eine Einflußnahme in der jetzigen Zeit, die hier die vollste Aufmerksamkeit erfordert, erscheint ausgeschlossen. Zurzeit ist zudem auch die Verbindung mit Wan unterbrochen.

Während die hiesigen armenischen Kreise infolge der besseren Postverbindung und der Tätigkeit des hiesigen Konsulats (Nachrichtenhalle,[S. 69] Lesesaal, Zeitungsartikel, Anschläge über die Kriegslage) über die allgemeine Weltlage und die Mißerfolge der Russen auf den europäischen Kriegsschauplätzen orientiert sind, dürfte diese Orientierung in Wan gefehlt haben. Die dortigen Armenier, die sich den türkischen Veröffentlichungen gegenüber naturgemäß mißtrauisch verhalten, schöpfen ihre sonstigen Nachrichten nur aus russischen, keineswegs ungetrübten Quellen, und erhalten somit, wie so manches andere Volk der Welt, ein völlig falsches Bild der Lage in Europa. Ein Grund mehr, die schon früher vorhandene Zuneigung zu Rußland in einem Aufstand kund zu tun.

Wie Euerer Exzellenz bekannt, sahen die Armenier der Türkei seit jeher in Rußland ihren natürlichen Beschützer, und hat Rußland ja auch stets dieses Schutzrecht für sich in Anspruch genommen und ausgenutzt. Die Tatsache, daß sich die russischen Armenier, abgesehen von der größeren Sicherheit ihres Lebens, auch in besseren wirtschaftlichen Verhältnissen befinden, übt auf die große Masse gleichfalls eine bedeutende Anziehungskraft aus. Demgegenüber blieb die Erwägung, daß eine stärkere Einflußnahme Rußlands die Gefahr der Entnationalisierung mit sich bringen müßte, nur auf die geistigen Führer der Armenier beschränkt. Auch unter den letzteren haben sich zwei Richtungen gebildet: die eine stellt die Bewahrung nationaler Eigenart, die nur in der Türkei möglich, in den Vordergrund, die andere wirtschaftliche Interessen und religiöse Gemeinschaft.

Der deutsche Einfluß war bisher unter den Armeniern gering. Von Deutschland und den Deutschen wußten nur wenige gebildete Armenier. Soweit mir bekannt, machen hierin nur die ehemaligen Zöglinge der Sanassarian-Schule — die vor einigen Jahren nach Siwas verlegt wurde, in Befürchtung einer Besitzergreifung von Erzerum durch Rußland! — eine Ausnahme. Und das auch nur soweit, als sie ihre Hochschulstudien in Deutschland betrieben. Der größere Teil der armenischen gebildeten Jugend erhielt seine Ausbildung in französischen Schulen und später in Frankreich und Rußland. Unter dem Volk bestanden bei Ausbruch des Krieges sogar Zweifel darüber, ob die Deutschen Christen seien, da sie sich mit den Türken verbündet hätten. Die Tatsache, daß Deutschland schon Freund der absolutistischen Türkei war, unter deren Herrschaft die Armenier so viel gelitten, erfüllt sie noch jetzt mit Mißtrauen. Die Schuld am Kriege wird gleichfalls dem Einfluß Deutschlands beigemessen, und die durch denselben hervorgerufenen wirtschaftlichen Schäden werden von dem auf Wahrung und Mehrung seines Besitzes stark bedachten Volk besonders unangenehm empfunden.

Die allgemeine Stimmung der Armenier den Deutschen gegenüber war somit bei Ausbruch des Krieges wenig freundschaftlich, hat sich aber im Laufe der letzten Monate sichtlich geändert. Dazu mag der deutsche Waffenerfolg auf allen Schlachtfeldern und die Anwesenheit deutscher Offiziere[S. 70] in Erzerum ein Teil beigetragen haben. Besonders jedoch machte sich dieser Umschwung bemerkbar, als die hiesigen Armenier gewiß zu sein glaubten, daß — es war etwa Mitte März — der Ausbruch eines Massakres nur durch die Anwesenheit und Tätigkeit des hiesigen Konsulats verhindert worden sei. Der armenische Bischof sprach denn auch wiederholt General Posseldt und mir seinen Dank für den Schutz der Armenier aus.

Zur hiesigen Lage, wie sie sich zurzeit darbietet, bemerke ich, daß ein Aufstand der Armenier Erzerums und seiner näheren Umgebung nicht anzunehmen ist, trotz der geringen hier vorhandenen türkischen Streitkräfte. Die weiter zur russischen Grenze hin gelegenen armenischen Ortschaften sind von ihren Bewohnern längst verlassen; letztere sind teils nach Rußland geflohen, wo sie in den Reihen der russischen Truppen — wie auch bei Wan — gegen die Türken kämpfen sollen, teils kamen sie nach Erzerum. Einzelne Vorkommnisse, wie bewaffneter Widerstand bei Requisitionen in entlegenen Dörfern, Ermordung von Türken, die die Auslieferung armenischer Mädchen und Frauen verlangten, Zerschneiden und Störung von Telegraphen- und Telephonlinien, Spionage, sind Erscheinungen, die während des Krieges in einem Grenzgebiet mit gemischter Bevölkerung nichts Außergewöhnliches darstellen.

Die ruhige Haltung der hiesigen Armenier ist meiner Meinung nach bedingt durch

1. die schon erwähnte bessere Orientierung über die allgemeine Weltlage, die sie auf einen „raschen Sieg“ der Russen nicht mehr hoffen läßt;

2. die vernünftige Stellungnahme der hiesigen Regierung, welche krasse Fälle von Bedrückungen bis jetzt vermieden hat.

Außer der Ermordung des Pasdirmadjan, Direktors der Banque Ottomane, im Februar, sind Fälle von politischen Morden hier nicht vorgekommen. Der Wali Tahsin Bey hat aus seiner früheren Tätigkeit in Wan in der Behandlung der Armenierfrage große Erfahrungen und vertritt, im Gegensatz zu einigen militärischen Kreisen, die den Augenblick der Abrechnung mit den Armeniern für gekommen halten, einen maßvollen Standpunkt. Die Maßregeln der Regierung haben sich bis jetzt auch nur auf Haussuchungen und Verhaftungen beschränkt. Von den Verhafteten ist die Mehrzahl wieder freigelassen worden, einige sollen ins Innere des Landes verschickt werden. Die Haussuchungen haben, soweit mir bekannt, belastendes Material nicht ergeben. Diese Haltung der Regierung trägt viel zur Beruhigung der Armenier bei. Auch der Ausbruch eines Massakres ist hier kaum anzunehmen, es sei denn, daß Mißerfolge an der Front die türkischen Truppen zu einem Rückzuge nach Erzerum nötigen würden. Ich habe nicht versäumt, dem Gedanken einer „Abrechnung“ überall energisch entgegenzutreten und auf die üblen Folgen innerer Unruhen in der Türkei in der jetzigen Zeit hinzuweisen.

[S. 71]

Die Anwesenheit und Tätigkeit des Konsulats, verbunden mit dem guten Nachrichtendienst desselben, dürfte somit nicht wenig zu der bisherigen ruhigen Haltung der hiesigen Türken und Armenier beigetragen haben.

von Scheubner-Richter.

Seiner Exzellenz dem Herrn Botschafter
Freiherrn von Wangenheim, Konstantinopel.

52.

(Kaiserliches
Konsulat Erzerum.)

Telegramm.

Erzerum, den 15. Mai 1915.

An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Aus den umliegenden Dörfern werden die Armenier ausgewiesen und nach dem Etappengebiet verschickt. Die Bevölkerung ist dadurch sehr beunruhigt.

Scheubner.

53.

(Kaiserliches
Konsulat Erzerum.)

Telegramm.

Erzerum, den 16. Mai 1915.

An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Die Maßnahmen der Verschickung der gesamten armenischen Bevölkerung der hiesigen Umgebung nach Mamachatun etc. sind auf Befehl des Armee-Oberkommandos getroffen und mit militärischen Rücksichten begründet worden.

Da die männlichen Armenier zur Dienstleistung in Arbeitsbataillonen eingezogen sind, werden hauptsächlich Frauen und Kinder fortgetrieben, wobei sie ihre Habe zurücklassen müssen. Da ein Aufstand der hiesigen Armenier nicht zu erwarten ist, ist diese Maßnahme grausamer Ausschließung unbegründet and ruft Erbitterung hervor. Die Zivilverwaltung ist unbeteiligt und weist auch jede Verantwortung für die daraus entstehenden Folgen von sich.

Scheubner.

[S. 72]

54.

(Kaiserliches
Konsulat Erzerum.)

Telegramm.

Abgang aus Erzerum, den 17. Mai 1915.
Ankunft in Pera, den 18. Mai 1915.

Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Mit Bezug auf Tel. v. 16. 5.

Der armenische Bischof bittet Eure Exzellenz, den Patriarchen über die hiesige Lage informieren lassen zu wollen.

Scheubner.

55.

(Kaiserlich
Deutsche Botschaft.)

20. Mai 1915.

Notiz.

Heute dem Patriarchen Mitteilung gemacht; er hatte keine Nachrichten von Erzerum. Stellte ihm anheim, daß, falls er seinerseits Schritte täte, er sich ans Kriegsministerium wenden sollte.

Mordtmann.

56.

(Kaiserlich
Deutsche Botschaft.)

Telegramm.

Pera, den 18. Mai 1915.
Ankunft den 19. Mai 1915.

An Auswärtiges Amt.

Meldung des Konsulats Erzerum vom 17. d. M.

Wan ist von Russen besetzt, militärische Situation für Türken ungünstig. Armenier sollen sich Russen angeschlossen und Muhammedaner massakriert haben, 80000 Muhammedaner auf Flucht nach Bitlis sein.

Wangenheim.

57.

(Kaiserliches
Konsulat Mossul.)

Telegramm.

Abgang aus Mossul, den 18. Mai 1915.
Ankunft in Pera, den 20. Mai 1915.

An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Oberherr der Nestorianer Mar Schimun in Kotschanes teilte mir mit, antichristliche Bewegung im Bezirk Amadia wachse täglich, Muselmanen dort planten allgemeine Christenmassakres und hätten teilweise schon damit[S. 73] begonnen. Der hiesige Chaldäische Patriarch machte mir heute gleiche Mitteilung.

Wali gibt Tatsache zu, und scheint mir diese Bewegung wenn nicht gerade zu schüren, so doch nicht energisch genug zu hemmen, was sehr unklug ist. Wenn er kurdische Scheichs beeinflussen wollte, wäre Hemmung unschwer möglich.

Stelle anheim, dahingehende Order an den Wali erwirken zu wollen.

Holstein.

58.

(Kaiserliches
Konsulat Adana.)

Telegramm.

Abgang aus Adana den 18. Mai 1915.
Ankunft in Pera den 18. Mai 1915.

An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Die gesamte armenische Bevölkerung im Wilajet Adana ist durch das Vorgehen der Regierung aufs äußerste geängstigt. Hunderte von Familien sind verbannt worden, die Gefängnisse sind überfüllt. Heute früh haben wieder mehrere Hinrichtungen stattgefunden.

Durch ihr barbarisches Vorgehen schädigt die Regierung offensichtlich die Interessen des Landes. Die Deutsche Orientbank, die insbesondere erheblich geschädigt ist, bat mich dafür einzutreten, daß die Verschickung der Armenier eingestellt werde.

Büge.

59.

(Kaiserliches
Konsulat Erzerum.)

Telegramm.

Abgang aus Erzerum den 18. Mai 1915.
Ankunft in Pera den 18. Mai 1915.

An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Das Elend unter den vertriebenen Armeniern ist fürchterlich. Frauen und Kinder lagern zu Tausenden ohne Nahrung um die Stadt herum. Die zwecklose Vertreibung ruft die größte Erbitterung hervor.

Darf ich deswegen bei dem Oberkommandierenden Schritte unternehmen?

Scheubner.

[S. 74]

60.

(Kaiserlich
Deutsche Botschaft.)

Pera, den 19. Mai 1915.

Telegramm.

An Deutsches Konsulat, Erzerum.

Auf das Telegramm vom 18. d. M.

Sie sind unter den dargestellten Umständen ermächtigt, beim dortigen Oberkommando wegen der vertriebenen Armenier Vorstellungen zu erheben und auf humane Behandlung der ausgewiesenen Bevölkerung hinzuwirken.

Wangenheim.

61.

Kaiserlich
Deutsche Botschaft.

Pera, den 19. Mai 1915.

Euer Hochehrwürden Schreiben vom 5. d. M. und Ihr Telegramm vom 17. sind richtig in meine Hände gelangt.

Aus Ihrem Schreiben entnehme ich zu meiner Befriedigung, daß die dortige Lage vorläufig zu keinen begründeten Besorgnissen Anlaß gibt, und ich hoffe, daß es auch in Zukunft den besonnenen Elementen gelingen wird, ernstere Zwischenfälle zu vermeiden. Daß die Regierung mit Rücksicht auf die bedauerlichen Vorgänge in Wan besondere Vorsichtsmaßregeln ergreift, ist verständlich, ebenso, daß hierunter gelegentlich auch die friedliche Bevölkerung zu leiden hat. Immerhin werde ich bei sich bietender Gelegenheit auf Ihre Ausführungen aufmerksam machen, und bitte Sie, auch Ihrerseits Ihre Beziehungen zu den Behörden und zur Bevölkerung zu benutzen, um auf beide in beruhigendem Sinne einzuwirken. In dieser Beziehung möchte ich noch besonders erwähnen, daß trotz der in der jetzigen Zeit erklärlichen Aufregung und trotz mannigfacher Provokationen es bisher nirgends zu Massenausschreitungen, wie Massakres, Plünderungen u. dgl., gegen die Armenier gekommen ist.

Weitere Mitteilungen von Ihnen werde ich gerne und mit besonderem Interesse entgegennehmen.

von Wangenheim.

Herrn Pfarrer Johannes Ehmann, Hochehrwürden, Mamuret ul Aziz.

62.

Kaiserlich
Deutsche Botschaft.

Pera, den 19. Mai 1915.

Aus Anlaß der in Wan ausgebrochenen Unruhen hatte ich, wie bereits telegraphisch gemeldet, dem Pfarrer Spoerri in Wan direkt telegraphiert, um Auskunft über seine Lage zu erhalten. Da die Antwort ausblieb, wandte ich mich zu gleichem Zwecke an das Ministerium des Innern; letzteres teilt nunmehr folgende telegraphische Auskunft des Walis von Wan mit:

[S. 75]

Die armenischen Aufständischen hätten sich gerade in dem Stadtviertel verschanzt, in dem die Anstalten des Predigers Spoerri und der amerikanischen Mission (Raynolds) liegen. Er, der Wali, habe das für Spoerri bestimmte Telegramm mittels eines Boten mit weißer Flagge an den Adressaten befördern wollen. Die Armenier hätten aber auf den Parlamentär gefeuert[61].

Der Wali fügt hinzu, daß er bei der Verfolgung und Unterdrückung des Aufstandes auf die Anwesenheit der Deutschen und Amerikaner Rücksicht nehme.

Vom Missionar Johannes Ehmann in Kharput (Mamuret ul Aziz) liegen hier ein ausführlicher Bericht vom 5. d. M. und ein diesen Bericht bestätigendes Telegramm vom 17. d. M. vor; danach dürften vorläufig keine Befürchtungen für ihn und seine Anstalt bestehen.

Wangenheim.

Seiner Exzellenz dem Reichskanzler
Herrn von Bethmann Hollweg.

63.

(Kaiserliches
Konsulat Erzerum.)

Telegramm.

Abgang aus Erzerum, den 22. Mai 1915.
Ankunft in Pera, den 25. Mai 1915.

An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Wegen der Vertreibung der Armenier habe ich mit Armee telephonisch gesprochen und werde mich Montag Hauptquartier Tortum begeben. Muhammedanische Emigranten besetzen die Dörfer vertriebener Armenier.

Scheubner.

64.

(Kaiserliches
Konsulat Erzerum.)

Telegramm.

Abgang aus Erzerum, den 24. Mai 1915.
Ankunft in Pera, den 25. Mai 1915.

An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Ich bitte Mr. Peet, Bibelgesellschaft, im Auftrage der hiesigen amerikanischen Mission zu fragen, ob er die vertriebenen Armenier durch Geldmittel unterstützen wolle. Erbitte direkte Drahtantwort an Konsulat und Mission.

Scheubner.

[S. 76]

65.

(Kaiserlich
Deutsche Botschaft.)

Pera, den 26. Mai 1915.

Telegramm.

An Deutsches Konsulat, Erzerum.

Auf das Tel. vom 24. Mai.

Mr. Peet hat Unterstützungsfonds für die Armenier bereitgestellt. Wegen Unsicherheit der Übermittelung wird probeweise zunächst ein kleinerer Betrag übersandt werden.

von Wangenheim.

66.

(Kaiserliches
Konsulat Aleppo.)

Telegramm.

Abgang aus Aleppo den 26. Mai 1915.
Ankunft in Pera den 26. Mai 1915.

An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Aus vollständig zuverlässiger Quelle erfahre ich, daß die Zahl der armenischen Familien, die bisher aus dem Sandschak Marasch und dem östlichen Teil des Wilajets Adana verbannt worden sind, 2000, das sind 10000 Seelen, beträgt. Die Verbannungen werden fortgesetzt. Euerer Exzellenz stelle ich anheim, die Pforte darauf aufmerksam zu machen, daß daraus für die Zukunft Verwickelungen entstehen können. Man sollte nicht Marasch für die Fehler der Armenier im Osten büßen lassen und Unschuldige für die Schuldigen bestrafen. Es ist genug Unglück geschehen, und es wäre an der Zeit, einzuhalten. Wenn man innere Umsiedlung und Kolonisation beabsichtigt, so müßten dafür die nötigen Vorbereitungen getroffen werden.

Rößler.

(Kaiserlich
Deutsche Botschaft.)

Mit Talaat Bey besprochen 29. 5.; der Minister war über die Deportation der Armenier aus Marasch nicht näher unterrichtet und wird sich erkundigen.

Mordtmann.

67.

Office of W. W. Peet, Treasurer of American Missions in Turkey.

Constantinopel.

26th May 1915.

Mr. Mordtmann, Consul General, German Embassy, Pera.

Dear Sir:

Referring to your kind offer this morning to inform our people in Erzroom of my despatch of funds for relief of the poor and needy, I find on consulting late communications from our people in Erzroom, that they are able to[S. 77] secure local money for payment here, I have therefore telegraphed our Dr. Case to draw on me for Lt. 250 of which Lt. 150 is for relief purposes. I enclose herewith a copy of the telegram which I am despatching to-day.

If you will kindly confirm this telegram through your Consul it will be deeply appreciated by us all.

Thanking you for your kindness in this matter, I am, Sir,

Yours faithfully,
W. W. Peet
Treasurer.

Our wire to Erzroom sent this day reads as follows:

Draw for relief of poor and needy hundredfifty Liras, for Station expenses hundred Liras.

68.

(Kaiserlich
Deutsche Botschaft.)

Konstantinopel, 29. Mai 1915.

Telegramm.

An Deutsches Konsulat, Erzerum.

Die dortige amerikanische Mission wird durch Herrn Peet ermächtigt, zweihundertfünfzig türkische Pfund auf ihn zu ziehen, wovon hundertfünfzig für Unterstützung Notleidender und hundert für die Station bestimmt sind.

Neurath.

69.

(Kaiserlich
Deutsche Botschaft.)

29. Mai 1915.

Aufzeichnung.

Habe heute bei Talaat Bey angeregt, die Deportationsmaßregeln gegen die Armenier von Erzerum, namentlich gegen Frauen und Kinder, zu mildern. Er zeigte sich abgeneigt, man habe gerade in Erzerum nicht nur belastende Korrespondenzen, sondern auch Waffen, Bomben u. dgl. bei den Armeniern gefunden[62], es hätte der Plan bestanden, beim Vordringen der Russen einen Aufstand zu erregen und den Türken in den Rücken zu fallen[63]. Durch die Deportation sollten die Armenier vor Schlimmerem, nämlich vor Massakres, bewahrt werden. Die Regierung werde den Ausgewiesenen neue Wohnsitze anweisen und sie auch unterstützen.

Mordtmann.

[S. 78]

70.

(Kaiserlich
Deutsche Botschaft.)

Pera, den 30. Mai 1915.

Telegramm.

An Deutsches Konsulat, Erzerum.

Auf Bericht vom 15. Mai.

Minister des Innern behauptet, Armenier in Erzerum seien durch Funde von Bomben und Schriftstücken stark belastet und hätten bei Vordringen der Russen Aufstand im Rücken der türkischen Truppen zu erregen beabsichtigt[64]. Deportation sei auch im Interesse der Vertriebenen, um Schlimmeres zu verhüten (Massakres).

Wangenheim.

71.

La loi du 14/27 Mai 1915 sur le déplacement des personnes suspectes[65] contient les dispositions suivantes:

Article 1. — En temps de guerre, les commandants d’armée, de corps d’armée et de division ou leurs remplaçants, ainsi que les commandants des postes militaires indépendants, qui se verraient en butte de la part de la population à une attaque ou une résistance armée, ou rencontreraient, sous quelque forme que cela soit, une opposition aux ordres du Gouvernement ou aux actes et mesures concernant la défense du pays et la sauvegarde de l’ordre public, ont l’autorisation et l’obligation de les réprimer immédiatement et vigoureusement au moyen de la force armée et de supprimer radicalement l’attaque et la résistance.

Article 2. — Les commandants d’armée, de corps d’armée et de division peuvent, si les besoins militaires l’exigent, déplacer et installer dans d’autres localités, séparément ou conjointement, la population des villes et des villages qu’ils soupçonnent coupable de trahison ou d’espionnage.

Article 3. — Cette loi entre en vigeur à partir de sa publication.

14/27 Mai 1915.

[S. 79]

72.

(Kaiserlich
Deutsche Botschaft.)

Telegramm.

Pera, den 31. Mai 1915.
Ankunft 1. Juni 1915.

An Auswärtiges Amt.

Zur Eindämmung der armenischen Spionage und um neuen armenischen Massenerhebungen vorzubeugen, beabsichtigt Enver Pascha unter Benutzung des Kriegs-(Ausnahme-)zustandes eine große Anzahl armenischer Schulen zu schließen, armenische Postkorrespondenz zu untersagen, armenische Zeitungen zu unterdrücken und aus den jetzt insurgierten armenischen Zentren alle nicht ganz einwandfreien Familien in Mesopotamien anzusiedeln. Er bittet dringend, daß wir ihm hierbei nicht in den Arm fallen.

Diese türkischen Maßnahmen werden natürlich in der gesamten uns feindlichen Welt wieder große Aufregung verursachen und auch gegen uns ausgebeutet werden. Die Maßnahmen bedeuten gewiß auch eine große Härte für die armenische Bevölkerung. Doch bin ich der Meinung, daß wir sie wohl in ihrer Form mildern, aber nicht grundsätzlich hindern dürfen. Die von Rußland genährte armenische Wühlarbeit hat Dimensionen angenommen, welche den Bestand der Türkei bedrohen.

Bitte Dr. Lepsius und deutsche armenische Komitees entsprechend verständigen, daß erwähnte Maßnahmen bei der politischen und militärischen Lage der Türkei leider nicht zu vermeiden[66].

Konsulate Erzerum, Adana, Aleppo, Mossul, Bagdad sind von mir vertraulich informiert worden.

Wangenheim.

[S. 80]

Juni.

73.

(Kaiserliches
Konsulat Erzerum.)

Telegramm.

Abgang aus Erzerum, den 2. Juni 1915.
Ankunft in Pera, den 3. Juni 1915.

An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Meine Rücksprache mit dem Oberkommandierenden über die Aussiedelung der Armenier führte zu keinem positiven Resultat. Die armenischen Bewohner aller Ebenen, wahrscheinlich auch Erzerums, sollen bis Der es Zor geschickt werden. Diese Aussiedelung großen Maßstabes ist gleichbedeutend mit Massakres, da mangels jeglicher Transportmittel kaum die Hälfte ihren Bestimmungsort lebend erreichen wird, und dürfte nicht nur den Ruin der Armenier, sondern ganzen Landes nach sich ziehen. Militärische Gründe können für Maßnahmen nicht angeführt werden, da Aufstand der hiesigen Armenier nicht anzunehmen ist und die Ausgewiesenen alte Männer, Frauen und Kinder sind. Armenier, die zum Islam übertreten, werden nicht ausgewiesen. Von mir besichtigte verlassene armenische Dörfer fand ich ausgeplündert, desgleichen das Kloster Kizilwang, dessen Kirche verwüstet war.

Scheubner.

74.

(Kaiserliches
Konsulat Erzerum.)

Telegramm.

Abgang aus Erzerum, den 2. Juni 1915.
Ankunft in Pera, den 3. Juni 1915.

An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Unter Bezugnahme auf das Telegramm vom 30. Mai. In Erzerum und Umgebung wurden Bomben und dergleichen nicht gefunden, was auch vom Wali bestätigt werden kann[67]. — Ich kann von hier aus nicht kontrollieren, ob wo anders derartige Funde gemacht wurden.

Scheubner.

[S. 81]

75.

(Kaiserliches
Konsulat Aleppo.)

Telegramm.

Abgang aus Aleppo, den 3. Juni 1915.
Ankunft in Pera, den 3. Juni 1915.

An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Auf das Telegramm vom 31. Mai.

Es ist Befehl ergangen, die aus dem Wilajet Adana hier eingetroffenen Armenier auf muhammedanische Dörfer des Wilajet Aleppo zu verteilen. Dort müssen sie umkommen, was nicht die Absicht Enver Paschas sein kann. Ich stelle gehorsamst anheim, dahin wirken zu wollen, daß diese Armenier in der Stadt Aleppo, wo sie unschädlich sind, bleiben dürfen. Zur Durchführung der Regierungspolitik gegen die Armenier ist ein besonderer Beamter, Eyub Bey, nach Aleppo entsandt und direkt Fachri Pascha unterstellt worden. Der Wali Djelal Bey, von dem die Regierung weiß, daß er für eine mildere Politik eintritt, ist damit ausgeschaltet.

Rößler.

76.

(Kaiserliches
Konsulat Aleppo.)

Telegramm.

Abgang aus Aleppo, den 6. Juni 1915.
Ankunft in Pera, den 6. Juni 1915.

An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

In aller Ehrerbietung bitte ich nochmals vorstellig werden zu dürfen. Unter den armenischen Verbannten befinden sich ganz überwiegend Frauen. Auf dem Transport und in den Dörfern wären sie wehrlos der Schande preisgegeben. Wäre es nicht möglich, daß nur die Männer zerstreut werden und daß Frauen und Kinder in Aleppo bleiben? Bisher sind schon zahlreiche Kinder den Transporten zum Opfer gefallen.

Rößler.

77.

(Kaiserlich
Deutsche Botschaft.)

Telegramm.

An Deutsches Konsulat, Aleppo.

Antwort auf Telegramm vom 6. Juni.

Vom Minister des Innern wurde zugesagt, daß er wegen der Verhältnisse der dort ausgewiesenen Armenier beim Wali in Aleppo anfragen werde.

Wangenheim.

[S. 82]

78.

(Kaiserliches
Konsulat Mossul.)

Telegramm.

Abgang aus Mossul, den 10. Juni 1915.
Ankunft in Pera, den 11. Juni 1915.

Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

614 aus Diarbekr hierher verbannte armenische Männer, Frauen und Kinder sind auf der Floßreise sämtlich abgeschlachtet worden; die Keleks sind gestern hier leer angekommen; seit einigen Tagen treiben Leichen und menschliche Glieder im Fluß vorbei. Weitere Transporte armenischer „Ansiedler“ sind hierher unterwegs, ihnen dürfte dasselbe Los bevorstehen.

Ich habe der hiesigen Regierung meinen tiefsten Abscheu über diese Verbrechen zum Ausdruck gebracht; der Wali sprach sein Bedauern darüber aus mit dem Bemerken, daß allein der Wali von Diarbekr dafür verantwortlich sei.

Holstein.

79.

(Kaiserliches
Konsulat Aleppo.)

Telegramm.

Abgang aus Aleppo, den 12. Juni 1915.
Ankunft in Pera, den 13. Juni 1915.

An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Von dem hier weilenden Katholikos von Sis wird die Seelenzahl der bisher verbannten Armenier auf über 30000 angegeben. Zeitun und Umgegend, ferner Alabasch, Albistan, Dörtjol, Hassan-Beyli sind vollständig geräumt. Es sind nicht nur die Familien, die „nicht ganz einwandfrei“ schienen, verbannt worden, sondern die ganze Bevölkerung, sogar die Familien der im Heeresdienst stehenden Soldaten. Könnte nicht wenigstens für diese eine Ausnahme gemacht werden? Der Transport von Frauen und Kindern auf das Land wird fortgesetzt. Selbst in kleinen Provinzorten wie Bab, Membidj, Idlib läßt man sie nicht bleiben, sondern zerstreut sie zu 3–4 Familien auf die muhammedanischen Dörfer, wo sie, von aller Hilfe abgeschnitten, zugrunde gehen müssen.

[S. 83]

Damit geht die Regierung weit über den Zweck notwendiger Vorbeugungsmaßregeln hinaus. Bedenkt sie nicht, daß beim Friedensschluß, ehe ihr die hauptsächlich von Armeniern bewohnte, augenblicklich verlorene Provinz Wan wieder zugesprochen wird, möglicherweise in Betracht gezogen werden wird, wie sie in Cilicien, statt sich auf notwendige Vorbeugungsmaßregeln zu beschränken, einen wichtigen Teil der Bevölkerung vernichtet hat?

Rößler.

80.

(Kaiserliches
Konsulat Mossul.)

Telegramm.

Abgang aus Mossul, den 13. Juni 1915.
Ankunft in Pera, den 14. Juni 1915.

An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Im Anschluß an mein Telegramm vom 10. Juni.

Die Niedermetzelung der Armenier im Wilajet Diarbekr wird hier von Tag zu Tag mehr bekannt und erzeugt zunehmende Unruhe unter der Bevölkerung, die bei der unverständigen Gewissenlosigkeit und der Schwäche der hiesigen Regierung leicht unabsehbare Folgen haben kann. In den Bezirken von Mardin und Amadia haben sich die Zustände zu einer wahren Christenverfolgung ausgewachsen.

Wir werden bald überall den hellsten Aufruhr haben, wenn die Zentralregierung ihr Programm der Christenverfolgung nicht ändert. Die Armeniermassakres müssen unbedingt aufhören.

Holstein.

81.

Kaiserlich
Deutsche Botschaft.

Pera, den 17. Juni 1915.

Die Austreibung der armenischen Bevölkerung aus ihren Wohnsitzen in den ostanatolischen Provinzen und ihre Ansiedelung in anderen Gegenden wird schonungslos durchgeführt.

Nach den glaubwürdigen Angaben des Katholikos von Sis sind allein aus seiner Diözese bisher 30000 Armenier deportiert worden. Zeitun und Umgegend, Albistan, Dörtjol, Alabasch, Hassan-Beyli und selbst kleinere Ortschaften sind vollständig geräumt. Hier wie anderwärts werden die Be[S. 84]wohner über das Innere zerstreut und unter Muhammedanern angesiedelt, zum Teil in weit voneinander entfernten Gegenden, wie z. B. die Bewohner von Zeitun, die teils nach der Umgegend von Konia, teils nach Der es Zor am Euphrat verpflanzt wurden. Die Armenier von Erzerum sind nach Terdjan (Mamahatun) geschafft worden.

Die Ausgesiedelten werden gezwungen, sofort oder in wenigen Tagen ihre Wohnsitze zu verlassen, so daß sie ihre Häuser und den größten Teil ihrer beweglichen Habe im Stiche lassen müssen und sich nicht einmal mit den notwendigsten Subsistenzmitteln für den Transport versehen können. Bei der Ankunft an ihrem Bestimmungsort stehen sie hilf- und wehrlos inmitten einer ihnen feindselig gesinnten Bevölkerung da. An einzelnen Stellen ist es schon während ihrer Überführung zu Ausschreitungen gekommen; die von Diarbekr nach Mossul abgeschobenen Armenier sollen unterwegs sämtlich abgeschlachtet worden sein. Daß die Regierung die Ausgetriebenen mit Geld, Nahrungsmitteln oder sonst unterstützt, ist ausgeschlossen; in Erzerum haben der Kaiserliche Konsul und die amerikanischen Missionare helfend eingegriffen, anderwärts das hiesige armenische Patriarchat.

Daß die Verbannung der Armenier nicht allein durch militärische Rücksichten motiviert ist, liegt zutage. Der Minister des Innern, Talaat Bey, hat sich hierüber kürzlich gegenüber dem zurzeit bei der Kaiserlichen Botschaft beschäftigten Dr. Mordtmann ohne Rückhalt dahin ausgesprochen, „daß die Pforte den Weltkrieg dazu benutzen wollte, um mit ihren inneren Feinden (den einheimischen Christen) gründlich aufzuräumen, ohne dabei durch die diplomatische Intervention des Auslandes gestört zu werden“.

Der armenische Patriarch äußerte einige Tage später zu demselben Beamten, daß die Maßregeln der Pforte nicht nur die zeitweilige Unschädlichmachung der armenischen Bevölkerung, sondern ihre Austreibung aus der Türkei, oder vielmehr ihre Ausrottung bezweckten. Die Deportierung sei ebenso schlimm wie ein Massakre, und es würde nicht zu verwundern sein, wenn die Armenier sich schließlich zur Wehr setzten, selbst ohne Aussicht auf Erfolg „wie ein gequältes Tier, das gegen seine Peiniger ausschlägt“. Er scheint die Hoffnung aufgegeben zu haben, durch Schritte bei der türkischen Regierung eine Wendung zum Besseren herbeiführen zu können. Er ist nach wie vor — und wie wohl alle Armenier, soweit sie Kenntnis von den Vorgängen haben — der Überzeugung, daß die von der Regierung den Armeniern vorgeworfenen Ausschreitungen durch das Vorgehen der Behörden hervorgerufen worden sind.

Wangenheim.

Seiner Exzellenz dem Reichskanzler
Herrn von Bethmann Hollweg.

[S. 85]

82.

Deutsch-Armenische
Gesellschaft.

Potsdam, den 18. Juni 1915.

Aus Sofia erhielt ich die folgenden Telegramme:

Sofia, aufgegeben den 14.6.
Potsdam, aufgenommen den 16.6.

„Von verbannten Armeniern sind vorläufig Aknuni, Hajak, Zarterian, Minassian nach Angora vor Kriegsgericht geschickt. Man räumt Armenien von Armeniern. Aus Ersindjian, Marasch, Hadjin, Aintab ist armenische Bevölkerung ins Innere Mesopotamiens verschickt. In ganz Cilicien massenhafte Verbannung aller Armenier. Auch aus Konstantinopel. Allgemeine Verzweiflung. Über unternommene Schritte bitten uns zu informieren.“

Sofia, aufgegeben den 17.6.
Potsdam, aufgenommen den 18.6.

„Konstantinopel sind 20 Hentschakisten hingerichtet. Dasselbe Schicksal droht nach Angora verbannten Daschnakisten. Wir bitten alles Mögliche zu tun, um diesem Unglück vorzubeugen.“

Dr. Johannes Lepsius.

An das Auswärtige Amt.

83.

(Auswärtiges Amt.)

Telegramm.

Berlin, den 18. Juni 1915.

An Deutsche Botschaft, Pera.

Die Deutsch-armenische Gesellschaft hat Nachricht erhalten, daß 20 Hentschakisten hingerichtet sind und daß den nach Angora verbannten dort vor Kriegsgericht gestellten Daschnakisten, darunter angesehensten Führern der loyalen Armenier wie Aknuni, Zarterian u. a. gleiches Schicksal droht. Falls die Nachricht zutreffend, ist zu befürchten, daß bisher loyale Armenier ins Ententelager getrieben werden und Empörung sich in Attentaten und Putschen gegen dortige Machthaber Luft macht. Anheimstelle die Pforte dringend vor übereilten Schritten zu warnen und zu befürworten, daß etwaige Todesurteile gegen Daschnakistenführer aufgehoben werden.

Zimmermann.

[S. 86]

84.

(Kaiserliches
Konsulat Erzerum.)

Telegramm.

Abgang aus Erzerum, den 18. Juni 1915.
Ankunft in Pera, den 19. Juni 1915.

An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Die aus der Ebene von Erzerum ausgewiesenen Armenier sind auf dem Wege über Ersindjan nach Kharput von Kurden und ähnlichem Gesindel überfallen worden. Die Männer und Kinder sind größtenteils ermordet, die Frauen geraubt worden. Die Regierung kann oder will nichts zum Schutz Ausgewiesener tun. Welche Schritte soll ich in dieser Angelegenheit und zur Verhinderung weiterer Abschlachtungen unternehmen?

Scheubner.

85.

(Kaiserliches
Konsulat Erzerum.)

Telegramm.

Abgang aus Erzerum, den 18. Juni 1915.
Ankunft in Pera, den 19. Juni 1915.

An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Sind Gerüchte über Armenieraufstand in Adana zutreffend? Erbitte Drahtmitteilung.

Scheubner.

86.

(Kaiserlich
Deutsche Botschaft.)

Telegramm.

Pera, den 19. Juni 1915.

An Pfarrer Ehmann,

Deutsche Missionsstation Mamuret ul Aziz.

Auf Telegramm vom 18. Juni.

Nach Auskunft Ministerium des Innern ist Ausweisung dortiger armenischer Bevölkerung nicht beabsichtigt.

Wangenheim.

[S. 87]

87.

(Kaiserlich
Deutsches Konsulat Aleppo.)

Telegramm.

Abgang aus Aleppo, den 21. Juni 1915.
Ankunft in Pera, den 22. Juni 1915.

An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Der hiesige Wali Djelal Bey hat den Befehl erhalten, mit dem Wali von Angora zu tauschen. Abberufung ist auf seine Haltung in der armenischen Frage zurückzuführen. Djelal Bey hatte bisher aus dem Wilajet Aleppo keine Armenier verbannt und sich dafür verbürgt, daß sie ruhig bleiben. Offenbar will die Regierung auch hier freie Hand haben.

Die Abberufung ist im türkischen Interesse bedauerlich.

Rößler.

88.

(Kaiserlich
Deutsche Botschaft.)

Telegramm.

Pera, den 21. Juni 1915.

An Deutsches Konsulat, Erzerum.

Antwort auf das Telegramm vom 18. Juni.

Ich bitte dem Wali eindringlich vorzustellen, daß solche schmachvollen Vorfälle das Ansehen der Regierung bei den Freunden der Türkei und im neutralen Auslande schädigen und die Autorität der Behörden im Innern untergraben. Repressalien und Racheakte von Seiten der Russen und Armenier in den von ihnen besetzten Gebieten sind die unausbleibliche Folge. Auch wird dadurch die Stellung der Türkei bei den künftigen Friedensverhandlungen erschwert und erneut Grund zur Einmischung der Mächte in die armenischen Angelegenheiten gegeben. Wenn wir auch gegen Maßregeln, soweit sie durch die Kriegslage gerechtfertigt sind, keine Einwendungen erheben können, so müssen wir doch um so energischer, auch in unserem Interesse, darauf dringen, daß Niedermetzelungen der wehrlosen Bevölkerung unterbleiben. Pflicht der Ortsbehörden ist es, solche Vorkommnisse mit allen Mitteln zu verhindern, wenn sie nicht eine schwere Verantwortung auf sich laden wollen.

Zu Ihrer persönlichen Information bemerke ich, daß ich in gleichem Sinne Vorstellungen bei der Pforte erheben werde.

Wangenheim.

[S. 88]

89.

(Kaiserlich
Deutsche Botschaft.)

Telegramm.

Pera, den 22. Juni 1915.

An Deutsches Konsulat, Adana.

Gerücht meldet Armenieraufstand Adana. Erbitte Drahtbericht.

Wangenheim.

90.

(Kaiserliches
Konsulat Adana.)

Telegramm.

Abgang aus Adana, den 23. Juni 1915.
Ankunft in Pera, den 23. Juni 1915.

An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Im Wilajet Adana kein Armenieraufstand. Hier herrscht überall Ruhe und Ordnung.

Büge.

91.

(Kaiserlich
Deutsches Konsulat Erzerum.)

Telegramm.

Abgang aus Erzerum, den 21. Juni 1915.
Ankunft in Pera, den 23. Juni 1915.

An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Am 19. und 20. Juni ist die zweite Gruppe ausgewiesener Armenier — ca. 300 Familien — von hier abgegangen. Auf meine Vorstellung und infolge der im Telegramm vom 18. berichteten Vorfälle hat der Wali 100 Gendarmen mitgegeben.

Scheubner.

92.

(Kaiserliches
Konsulat Erzerum.)

Telegramm.

Abgang aus Erzerum, den 22. Juni 1915.
Ankunft in Pera, den 23. Juni 1915.

An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Ich habe dem Wali instruktionsgemäß Vorstellungen gemacht. Er gab Schmachvolles der Vorgänge zu, bedauerte es und versprach sein möglichstes[S. 89] zu tun, damit Wiederholung solcher Vorfälle vermieden werde. Habe Wali ersucht, Armeeoberkommando von meinen Vorstellungen Kenntnis zu geben.

Scheubner.

93.

(Kaiserlich
Deutsche Botschaft.)

Telegramm.

Abgang aus Pera, den 23. Juni 1915.
Ankunft Berlin, den 24. Juni 1915.

An Auswärtiges Amt.

Armenischer Patriarch wird Reise des Dr. Lepsius hierher mit Freude begrüßen. Auch dürfte sie wohl dazu beitragen, auf die uns mißgestimmten armenischen Kreise günstig hinzuwirken. Der Minister des Innern verspricht sich allerdings keinen Erfolg davon und bedauert, Dr. Lepsius das Reisen im Innern nicht gestatten zu können, erklärt aber im übrigen, daß es ihm freistände, hierher zu kommen.

Wangenheim.

94.

(Kaiserliches
Konsulat Trapezunt.)

Telegramm.

Abgang aus Trapezunt, den 24. Juni 1915.
Ankunft in Pera, den 25. Juni 1915.

An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

In Karahissar ist es zu Ausschreitungen gegen die Armenier gekommen. Hier hat heute die Verhaftung der Armenier zwecks Abtransports begonnen. Vom Wali wurden mir die bestimmtesten Versicherungen gegeben, daß die Durchführung der Ausweisung auch im Falle des Widerstands der Armenier unter Ausschaltung des jungtürkischen Komitees oder sonstiger Privatpersonen lediglich den Behörden überlassen sei. Damit dürfte der Gefahr von Ausschreitungen gegen die Armenier hier nach Möglichkeit vorgebeugt sein.

Bergfeld.

[S. 90]

95.

(Kaiserlich
Deutsche Botschaft.)

Telegramm.

Pera, den 25. Juni.

An Deutsches Konsulat, Trapezunt.

Antwort auf Telegramm vom 24. Juni.

Letzthin sind in Erzerum, Diarbekr und anderwärts deportierte Armenier wiederholt von Wegelagerern, angeblich sogar von den Begleitmannschaften überfallen und niedergemacht worden. Ich bitte daher dem Wali eindringlich anzuempfehlen, für den Schutz der Deportierten während des Transports Sorge zu tragen.

Wangenheim.

96.

(Deutscher Hilfsbund
Mamuret ul Aziz.)

Telegramm.

Mamuret ul Aziz, den 26. Juni 1915.
Ankunft den 27. Juni 1915.

An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Nach all den Nöten der letzten Zeit jetzt Ausweisung der gesamten christlichen Bevölkerung von Stadt und Land unterschiedslos befohlen. Bitte im Namen der Menschlichkeit um Fürsprache, daß den Unschuldigen, den Schwachen und Greisen Gnade erwiesen werde. Ferner ersuche ich Euer Exzellenz um Schutz für unsere Anstalten und alle unsere Angestellten.

Ehmann.

97.

(Kaiserliches
Konsulat Trapezunt.)

Telegramm.

Abgang aus Trapezunt, den 26. Juni 1915.
Ankunft in Pera, den 27. Juni 1915.

An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Heute erschien Bekanntmachung: Armenier, auch Frauen und Kinder, haben binnen fünf Tagen abzureisen.

Bergfeld.

[S. 91]

98.

(Kaiserliches
Konsulat Erzerum.)

Telegramm.

Abgang aus Erzerum, den 26. Juni 1915.
Ankunft in Pera, den 27. Juni 1915.

An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Neuerdings hat der Oberkommandierende angeordnet, alle Armenier aus Erzerum auszuweisen. Dieser militärisch unbegründete und meines Erachtens nur auf Rassenhaß zurückzuführende Befehl dürfte, falls er wirklich zur Ausführung kommt, auch für die Armee bedenklich sein, da alle Militärhandwerker, Chauffeure etc. Armenier sind.

Scheubner.

99.

(Kaiserliches
Konsulat Samsun.)

Telegramm.

Samsun, den 27. Juni 1915.

An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Regierung verhängte Ausweisung des gesamten armenischen Volkes nach Mesopotamien mit fünftägiger Frist zur Regelung ihrer Ortsangelegenheiten.

Kuckhoff.

100.

(Kaiserliches
Konsulat Trapezunt.)

Telegramm.

Abgang aus Trapezunt, den 27. Juni 1915.
Ankunft in Pera, den 28. Juni 1915.

An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Im Anschluß an mein Telegramm vom 26. Juni.

Die Deportation trifft allein im Wilajet Trapezunt rund dreißigtausend Personen. Ein Transport derartiger Massen über hunderte von Kilometern auf Wegen, wo es an Unterkommen und Verpflegung mangelt und die 300 Kilometer weit durch Flecktyphus verseucht sind, würde besonders unter den Frauen und Kindern ungeheure Opfer fordern; hierdurch würde nicht nur das moralische Ansehen der Türkei, sondern auch das ihrer Verbündeten leiden. Ich halte mich verpflichtet, Euere Exzellenz auf die Gefahren der Massendeportation vom Standpunkt der Menschlichkeit und des Prestige[S. 92] hinzuweisen. Der hiesige Wali beruft sich auf Weisungen aus Konstantinopel.

Mein österreichischer Kollege berichtet seiner Botschaft im gleichen Sinne. Vielleicht verzichtet die türkische Regierung auf die Verschickung der Frauen und Kinder oder begnügt sich mit ihrer Unterbringung in der Nähe, soweit sie ihren Männern nicht freiwillig folgen.

Bergfeld.

101.

(Auswärtiges Amt.)

Berlin, den 28. Juni 1915.

Telegramm.

An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Wramian, Abgeordneter von Wan und Führer der Daschnakzagan, soll, wie Dr. Lepsius erfährt, vermutlich zur Hinrichtung nach Konstantinopel gebracht werden. Lepsius bittet zu intervenieren.

Zimmermann.

Notiz.

In armenischen Kreisen ist über die Sache nichts Näheres bekannt. Der Patriarch sagte mir heute: Wramian (alias Onik Tertzakian) sei schon vor 1½ Monaten, als Wan noch in türkischen Händen war, verhaftet und von Wan fortgeschafft, und dann auf dem Transport in Bitlis umgebracht worden.

5./7. Mordtmann.

102.

(Kaiserliches
Konsulat Trapezunt.)

Telegramm.

Abgang aus Trapezunt, den 29. Juni 1915.
Ankunft in Pera, den 1. Juli 1915.

An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Die armenischen Familien haben Befehl erhalten, sich morgen Abend zur Abreise bereit zu halten. Mit meinen sämtlichen Kollegen bin ich der Ansicht, daß der Transport der Frauen und Kinder unter den im Telegramm vom 27. Juni geschilderten Verhältnissen an Massenmord grenzt. Ich setze meine Bemühungen fort, beim hiesigen Wali eine Erweiterung der Ausnahmen zu erzielen. Ein genereller Ausschluß der Frauen und Kinder von dieser Deportation kann aber nur durch eine Anordnung der Pforte erreicht werden.

Bergfeld.

[S. 93]

103.

(Kaiserliches
Konsulat Aleppo.)

Telegramm.

Abgang aus Aleppo, den 29. Juni 1915.
Ankunft in Pera, den 29. Juni 1915.

An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Zohrab und Wartkes Effendi, die beiden bekannten armenischen Abgeordneten, befinden sich gegenwärtig hier auf dem Transport nach Diarbekr.

Nach allem, was von dort bekannt, ist anzunehmen, daß dies ihren sicheren Tod bedeutet. Zohrab ist herzleidend, Frau von Wartkes hat eben geboren.

Ich stelle gehorsamst anheim, ein Wort einzulegen, daß sie in Aleppo bleiben dürfen.

Ich schreibe dieses Telegramm auf Verwendung eines hochstehenden Muhammedaners.

Rößler.

(Kaiserlich
Deutsche Botschaft.)

12. Juli 1915.

Notiz.

Nach dem Bericht des Katholikos von Sis aus Aleppo vom 18. v. M. befanden sich dort außer Zohrab und Wartkes noch Dr. Dagavarian, Aknuni, Zarterian (Chefredakteur des Azadamart) und Hajak (Mitarbeiter des Azadamart). Wie mir der Patriarch neulich erzählte, geht es in Diarbekr schlimm zu: ein Dutzend Armenier sind in der Voruntersuchung zu Tode geprügelt worden, der dortige armenische Bischof hat aus Verzweiflung Selbstmord begangen. Wartkes Ef. hatte seinerzeit während der Gegenrevolution den bekannten Halil Bey mehrere Wochen bei sich versteckt.

Mordtmann.

104.

(Kaiserliches
Konsulat Erzerum.)

Telegramm.

Abgang aus Erzerum, den 30. Juni 1915.
Ankunft in Pera, den 2. Juli 1915.

An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Unter Bezugnahme auf Telegramm vom 18. Juni.

Zahl der Armenier, die unterwegs ermordet wurden, dreitausend.

Scheubner.

[S. 94]

Juli.

105.

(Kaiserliches
Konsulat Trapezunt.)

Telegramm.

Abgang aus Trapezunt, den 2. Juli 1915.
Ankunft in Pera, den 2. Juli 1915.

An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Wali hat die Ausnahme auf Kinder unter 10 Jahren ausgedehnt.

Der aus Erzerum über Ersindjan hier eingetroffene Unteroffizier Schlimme berichtet: Zwischen Mamachatun und Ersindjan habe er eine etwa 400 Mann starke Bande unter französisch sprechenden Führern[68] getroffen, die anscheinend auf Armenier aus Erzerum wartete. Zwischen Ersindjan und Sipikor sei er armenischen Frauen begegnet, welche aus Hunger Gras aßen. Schließlich habe er aus sicherer Quelle erfahren, daß die aus Ersindjan deportierten Armenier in den Bergen hinter Ersindjan von Soldaten niedergemacht worden sind.

Bergfeld.

106.

Kaiserlich
Deutsche Botschaft.

Pera, den 7. Juli 1915.

Die Austreibung und Umsiedlung der armenischen Bevölkerung beschränkte sich bis vor etwa 14 Tagen auf die dem östlichen Kriegsschauplatze benachbarten Provinzen und auf einige Bezirke der Provinz Adana. Seitdem hat die Pforte beschlossen, diese Maßregel auch auf die Provinzen Trapezunt, Mamuret ul Aziz und Siwas auszudehnen, und mit der Ausführung begonnen, obwohl diese Landesteile vorläufig von keiner feindlichen Invasion bedroht sind.

Dieser Umstand und die Art, wie die Umsiedelung durchgeführt wird, zeigen, daß die Regierung tatsächlich den Zweck verfolgt, die armenische Rasse im türkischen Reiche zu vernichten.

In dieser Beziehung darf ich meinen früheren Berichten noch folgendes hinzufügen:

[S. 95]

Am 26. Juni wurden, wie der Kaiserliche Konsul in Trapezunt meldet, die dortigen Armenier angewiesen, binnen fünf Tagen abzureisen; ihr Hab und Gut sollte unter der Obhut der Behörden zurückbleiben. Nur Kranke waren ausgenommen; hinterher wurde noch eine Ausnahme für Witwen, Waisen, Greise und Kinder unter fünf Jahren, ferner für Kranke und für die katholischen Armenier zugelassen. Nach neuerer Meldung sind aber die meisten Ausnahmen wieder aufgehoben, und es bleiben nur Kinder und Transportunfähige zurück, welch letztere in Hospitäler gebracht werden.

Im ganzen werden allein im Wilajet Trapezunt rund 30000 Personen betroffen, die über Erzindjan nach Mesopotamien abgeschoben werden sollen. Ein solcher Massentransport nach einem viele hunderte Kilometer entfernten Bestimmungsorte ohne genügende Transportmittel durch Gegenden, die weder Unterkunft noch Nahrung bieten und von epidemischen Krankheiten, namentlich vom Flecktyphus verseucht sind, dürfte besonders unter Frauen und Kindern zahlreiche Opfer fordern. Außerdem führt der Weg der Umgesiedelten durch die kurdischen Distrikte von Dersim, und der Wali von Trapezunt erklärte offen dem Konsul, der ihm auf diesseitige Weisung hin darüber Vorstellungen machte, daß er nur bis Erzindjan für die Sicherheit des Transportes garantieren könnte. Von da ab läßt man die Auswanderer durch die Banden der Kurden und anderer Wegelagerer förmlich Spießruten laufen. So sind z. B. die aus der Ebene von Erzerum ausgetriebenen Armenier auf dem Wege nach Kharput angefallen worden, wobei die Männer und Kinder niedergemacht und die Frauen geraubt wurden. Der Kaiserliche Konsul in Erzerum gibt die Zahl der bei dieser Gelegenheit umgekommenen Armenier auf 3000 an.

In Trapezunt sind die Armenier massenhaft zum Islam übergetreten, um sich der drohenden Deportation zu entziehen und Leben wie Hab und Gut zu retten.

Abgesehen von dem materiellen Schaden, der dem türkischen Staate durch die Depossedierung und Vernichtung eines arbeitsamen und intelligenten Bevölkerungselementes erwächst — für das die an seine Stelle tretenden Kurden und Türken vorläufig keinen nennenswerten Ersatz bieten —, werden auch unsere Handelsinteressen und die Interessen der in jenen Landesteilen bestehenden deutschen Wohltätigkeitsanstalten empfindlich geschädigt.

Ferner verkennt die Pforte die Wirkung, welche diese und andere Gewaltmaßregeln wie z. B. die Massenhinrichtungen hier und im Innern auf die öffentliche Meinung des Auslandes ausüben, und die weiteren Folgen für die Behandlung der armenischen Frage bei den zukünftigen Friedensverhandlungen.

Ich habe es daher für geboten erachtet, die Pforte darauf aufmerksam zu machen, daß wir Deportationen der Bevölkerung nur in[S. 96]sofern billigen, als sie durch militärische Rücksichten geboten ist und zur Sicherung gegen Aufstände dient, daß aber bei Ausführung dieser Maßregel die Deportierten vor Plünderung und Metzeleien zu schützen seien. Um diesen Vorstellungen den nötigen Nachdruck zu geben, habe ich sie schriftlich in Form eines Memorandums zusammengefaßt, das ich am 4. d. M. dem Großwesir persönlich überreicht habe; Abschriften dieses Memorandums habe ich nachträglich den Ministerien des Äußern und des Innern übergeben lassen.

Wangenheim.

Seiner Exzellenz dem Reichskanzler
Herrn von Bethmann Hollweg.

Anlage.

(Kaiserlich
Deutsche Botschaft.)

Memorandum der Deutschen Botschaft in Pera,
am 4./7. 1915 dem Großwesir überreicht.

Les mesures de répression décrétées par le Gouvernement Impérial contre la population arménienne des provinces de l’Anatolie Orientale ayant été dictées par des raisons militaires et constituant un moyen de défense légitime, le Gouvernement Allemand est loin de s’opposer à leur mise en exécution, tant que ces mesures ont le but de fortifier la situation intérieure de la Turquie et de la mettre à l’abri de tentatives d’insurrections.

A ce sujet, les vues du Gouvernement Allemand s’accordent tout à fait avec les explications données par la Sublime Porte en réponse aux menaces que les puissances de l’entente lui avaient adressées dernièrement à la suite des prétendues atrocités commises sur les Arméniens en Turquie.

De l’autre côté, le Gouvernement Allemand ne peut pas dissimuler les dangers créés par ces mesures de rigueur et notamment par les expatriations en masse qui comprennent indistinctement les coupables et les innocents, surtout quand ces mesures sont accompagnées d’actes de violence, tels que massacres et pillages.

Malheureusement, d’après les informations parvenues à l’Ambassade, les autorités locales n’ont pas été en état d’empêcher des incidents de ce genre, qui sont regrettables sous tous les rapports.

Les puissances ennemies en profiteront pour fomenter l’agitation parmi les Arméniens et les nouvelles qu’on en répandra à l’étranger, ne manqueront pas de causer une vive émotion dans les pays neutres, surtout dans les Etats-Unis d’Amérique, dont les représentants ont depuis quelque temps commencé a s’intéresser au sort des Arméniens en Turquie.

[S. 97]

Le Gouvernement Allemand croit de son devoir, comme puissance amie et alliée de la Turquie, d’attirer l’attention de la Sublime Porte sur les conséquences qui en pourraient résulter au détriment de leurs intérêts communs tant pendant la guerre actuelle qu’à l’avenir; il est à prévoir que lors de la conclusion de la paix la question arménienne servira de nouveau de prétexte aux puissances étrangères pour s’ingérer dans les affaires internes de la Turquie.

L’Ambassade pense qu’il serait d’urgence de donner des ordres péremptoires aux autorités provinciales afin qu’elles prennent des mesures efficaces pour sauvegarder la vie et la propriété des Arméniens expatriés, aussi bien pendant leur transport que dans leurs nouveaux domiciles.

Elle pense également qu’il serait prudent de surseoir, pour le moment, à l’éxecution des arrêts de mort déjà rendus ou à rendre contre des Arméniens par les cours martiales de la capitale ou dans les provinces, surtout à Diarbékir et à Adana.

Enfin l’Ambassade d’Allemagne prie le Gouvernement Ottoman, de prendre en considération les nombreux intérêts du commerce allemand et des établissements de bienfaisance allemands dans les provinces où on procède actuellement à l’expulsion des Arméniens. Le départ précipité de ces derniers portant un grave préjudice à ces intérêts, l’Ambassade verrait avec reconnaissance, si la Sublime Porte voulait bien, dans certains cas, prolonger les délais de départ accordés aux expulsés et permettre à ceux qui font partie du personnel des établissements de bienfaisance en question, ainsi qu’aux élèves, orphelins et autres personnes qui y sont entretenus, de continuer à habiter dans leurs anciens domiciles sauf, bien entendu, le cas où ils auraient été reconnus coupables d’actes qui nécessiteraient leur éloignement.

107.

(Kaiserliches Konsulat
Aleppo.)

Telegramm.

Abgang aus Aleppo, den 8. Juli 1915.
Ankunft in Pera, den 9. Juli 1915.

An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Neuerdings sind wieder strenge Befehle von Djemal Pascha gegeben, welche die Verhütung von Armeniermetzeleien bezwecken. Er hat der Regierung vorgeschlagen, auch für den Bereich der 3. Armee gleiche Befehle zu geben. Sein Befehlsbereich schließt nach Osten mit Urfa ab, während Diarbekr zur 3. Armee gehört. Anheimstelle in gleichem Sinne wie Djemal auf Regierung einzuwirken.

Rößler.

[S. 98]

108.

Kaiserlich
Deutsche Botschaft.

Pera, den 9. Juli 1915.

Der Kaiserliche Konsul in Aleppo meldet unter dem 8. d. M. folgendes:

„Der von Mossul zurückgekehrte Major von Mikusch berichtet folgendes:

Vor etwa einer Woche haben Kurden in Tell Ermen und einem benachbarten armenischen Dorf Armeniermetzeleien veranstaltet. Die großen Kirchen sind zerstört; Herr von Mikusch hat selbst 200 Leichen gesehen. Miliz und Gendarmerie hat Metzelei mindestens geduldet, wahrscheinlich sich daran beteiligt.

Zwischen Nisibin und Tell Ermen haben Ersatztruppen (entlassene Sträflinge) ein niedergemetzeltes armenisches Dorf vollständig ausgeraubt und einschließlich ihres Offiziers freudestrahlend von Massakres erzählt.

In Djerabulus sind vielfach zusammengebundene Leichen Euphrat abwärts getrieben.“

In einem weiteren Telegramm von demselben Tage berichtet Herr Rößler, daß Djemal Pascha neuerdings strenge Befehle erteilt, um die Niedermetzelung von Armeniern in seinem Befehlsbereiche zu verhüten, und hier beantragt habe, gleiche Befehle für den Bereich der dritten Armee zu erlassen.

Zu letzterer gehört u. a. auch Wilajet Diarbekr, in dem die Armenier besonders grausam verfolgt werden sollen. Das Kriegsgericht von Diarbekr führt augenblicklich eine Untersuchung gegen eine Anzahl Führer des Daschnakistenbundes wegen hochverräterischer Umtriebe; man nimmt an, daß sämtliche Angeschuldigte, darunter auch solche, die früher in engen Beziehungen zum jungtürkischen Komitee „Einheit und Fortschritt“ standen, zum Tode verurteilt werden. Über die sonstigen Vorgänge dort ist hier nichts Näheres in Erfahrung zu bringen. Der armenische Bischof (Murachas) von Diarbekr soll aus Verzweiflung Selbstmord begangen haben.

Aus Erzerum telegraphiert Herr von Scheubner unter dem 8. d. M., daß nach neueren Nachrichten aus Baiburt, Erzindjan und Terdjan die Armeniermassakres dort wieder begonnen haben. Er ist der Ansicht, daß diese Greuel durch das Komitee, dessen Mitglieder dort als Nebenregierung eine verhängnisvolle Rolle spielen, unter Konnivenz der Behörden gefördert werden.

Wangenheim.

Seiner Exzellenz dem Reichskanzler
Herrn von Bethmann Hollweg.

[S. 99]

109.

Kaiserlich
Deutsches Konsulat.

Trapezunt, den 9. Juli 1915.

Nach dem Eintritt der Türkei in den Krieg machten sich unter den hiesigen Armeniern ernste Befürchtungen für ihre persönliche Sicherheit bemerkbar. Obwohl keinerlei Anzeichen auf bevorstehende Ausschreitungen hindeuteten, habe ich dennoch den Schutz der Christen in Trapezunt und Umgegend bei dem hiesigen Wali in freundschaftlicher Form zur Sprache gebracht. Er gab mir die bestimmtesten Versicherungen, daß gegen sie nichts unternommen werden würde, solange sie selber sich ruhig verhielten, und zeigte mir ein Telegramm des Ministeriums des Innern, in welchem Talaat Bey die Armenier dem besonderen Schutz der Behörden empfahl.[69] Tatsächlich haben sich die Christen hier auch zunächst der größten Sicherheit erfreut, und einige bei Armeniern notwendige Haussuchungen wurden, wie mir von den Armeniern selber versichert worden ist, mit der größten Rücksicht durchgeführt. Dies bedarf um so mehr der Anerkennung, als an der Küste russische armenische Freischaaren in Banden nicht nur gegen die Türken kämpfen, sondern auch gegen die russischen Muhammedaner die schwersten Ausschreitungen begangen haben[70]. Tausende vor ihnen flüchtende Muhammedaner sind hier eingetroffen und zum größten Teil in das Innere weiter transportiert worden.

Die hiesigen Christen machten aus ihrer Abneigung gegen die Türkei und ihren Sympathien für den Dreiverband, insonderheit für Rußland, kein Hehl, und die hier umgehenden Gerüchte unsinnigster Art, wie Fall der Dardanellen, Konstantinopels, Erzerums, russische Landung bei Midia, oder gar Flucht des Sultans nach Brußa sind auf sie zurückzuführen. Es kam dann die Aufdeckung der Verschwörung gegen das jungtürkische System und seine Führer[69], der Aufstand der Armenier in der Provinz Wan[71] und Unruhen von ihrer Seite an anderen Orten der Türkei. Dies veranlaßte wohl die Hohe Pforte, gegen die Armenier Ausnahmemaßregeln zu ergreifen.

Am 24. Juni wurden die hiesigen Führer der armenischen Komitees verhaftet und über Samsun in das Innere abgeschoben. Am gleichen Tage erfuhr ich, daß die Deportierung sämtlicher Armenier erwogen werde und daß sich eine Strömung geltend mache, diesen Anlaß zu Ausschreitungen gegen die hiesigen Armenier zu benützen. Ich habe den Wali hierauf hingewiesen und von ihm die bündigsten Erklärungen erhalten, daß eine etwaige Ausweisung der Armenier, selbst bei bewaffnetem Widerstand, lediglich von den Zivil- und Militärbehörden, unter Ausschaltung irgendwelcher unverantwortlicher Privatpersonen, durchgeführt werden würde. Am 26. Juni[S. 100] wurden dann die Armenier aufgefordert, sich zur Abschiebung ins Innere nach Ablauf von 5 Tagen bereit zu halten. Nur den Kranken wurde erlaubt, zu bleiben, und ihre Unterbringung in Krankenhäuser vorgesehen. Der Verkauf irgend welcher Sachen war ihnen verboten. Die Läden und Magazine sollten versiegelt, alle Gegenstände aus den Wohnungen an bestimmte Orte gebracht und dort der Obhut der Regierung unterstellt, Geld zur etappenweisen Nachsendung auf dem Postamt abgeliefert werden.

Von der Deportierung wurden in der Provinz Trapezunt etwa 30000 Personen betroffen. Ein solcher Massentransport auf Straßen, wo es an genügend Nahrung und Unterkommen mangelt und welche in ihren ersten 300 km als völlig verseucht mit Flecktyphus angesprochen werden müssen, mußte unter den Armeniern, besonders unter Frauen und Kindern, ungeheure Opfer fordern, die im Ausland und auch in Deutschland eine berechtigte Kritik einer derartig weitgehenden Maßregel herausgefordert hätten. Ich habe daher der Kaiserlichen Botschaft in Konstantinopel von der Sachlage Kenntnis gegeben und mich gleichzeitig bemüht, bei dem hiesigen Wali eine Milderung der Ausweisung zu erreichen. Er zeigte meinen Vorstellungen ein williges Gehör und Entgegenkommen. So wurden von der Deportierung zunächst ausgenommen: Alle Kinder unter 10 Jahren, Witwen und Waisen, sowie alle weiblichen Personen, welche zurzeit ohne männlichen Schutz sind, worunter auch die Familien der unter den Waffen Stehenden fielen, Kranke und Schwangere, sowie die katholischen Armenier. Den Kranken und Schwangeren wurde überdies erlaubt, in ihrer Wohnung zu bleiben und eine weibliche Familienangehörige zu ihrer Pflege bei sich zu behalten; Kinder konnten bei Bekannten untergebracht werden. Schließlich wurde den Ausgewiesenen auch gestattet, Wertgegenstände, sowie ihren Hausrat nach einer Einholung einer Genehmigung des Polizeidirektors zu verkaufen. Nach diesen Grundsätzen wurden an den ersten beiden Tagen des Abtransportes verfahren, wobei in bezug auf das Alter der Kinder und auf Krankheiten der Frauen Nachsicht geübt wurde. Bedauerlicherweise wurden am dritten Tage, anscheinend auf Weisungen aus Konstantinopel, alle hier erreichten Ausnahmen, abgesehen von der Erlaubnis des Bleibens für die Kinder, wieder aufgehoben.

Der Abtransport aus der Stadt Trapezunt und der nächsten Umgegend ist beendet.

Für die Sicherheit der Deportierten während des Transports hat der Wali mir beruhigende Versicherungen gegeben. Ich vertraue auch seiner Energie und seinem guten Willen, daß innerhalb seines Machtbereiches den Armeniern nichts zustoßen wird. Indessen deuten Anzeichen darauf hin, daß an anderen Orten an eine Ausrottung der Armenier gedacht wird. So sind zwischen Erzindjan und Diarbekr Armenier auf der Bergstraße, angeblich von Kurden, niedergemetzelt worden, und größere Banden von[S. 101] Wegelagerern unter französisch sprechenden Führern haben sich bei Erzerum und Baiburt gezeigt. Es ist immerhin auffallend, daß in jener Gegend, welche bisher unbedingt sicher war, sich größere Banden bilden können. Ohne für meine Meinung Beweise bringen zu können, vermag ich mich des Eindrucks nicht zu erwehren, daß das jungtürkische Komitee als treibende Kraft für das Vorgehen gegen die Armenier anzusehen ist. Das Zentralkomitee scheint auf diese Weise der armenischen Frage endgültig ein Ende machen zu wollen. Denn diejenigen Armenier, welche ihren Bestimmungsort wirklich erreichen, werden nur ausnahmsweise später in ihre alten Wohnsitze zurückkehren. Den Meisten unter ihnen wird es schon an den nötigen Mitteln fehlen. Damit wird es künftig keine Provinzen mit einem starken Prozentsatz armenischer Bevölkerung mehr geben. Die Lokalkomitees der Jungtürken hoffen bei der Deportierung der Armenier aus der Aneignung von deren Gütern reichen Privatgewinn zu finden, und bei der Abhängigkeit der meisten Verwaltungsbehörden vom Komitee werden sie sicher in ihrer Berechnung sich nicht getäuscht haben.

Meine hiesigen Kollegen haben ihren Botschaften in Konstantinopel von dem Ausweisungsbefehl telegraphisch Kenntnis gegeben. Die Vertreter von Italien und Amerika, denen ein chiffrierter Verkehr mit ihren Botschaften nicht gestattet ist, haben sich auf eine kurze Mitteilung der Tatsache beschränken müssen. Der Konsul von Österreich-Ungarn hat seine vorgesetzte Behörde auf die großen Gefahren, welche die Massendeportierung für Frauen und Kinder bietet, hingewiesen. Bei dem hiesigen Wali hat der österreichische Kollege für einige Kinder, der amerikanische Konsul für die seinem Schutze unterstellten persischen Armenier interveniert, beide erfolglos.

In den kritischen Tagen wurde die in nächster Nähe des Kaiserlichen Konsulats gelegene Polizeiwache militärisch verstärkt und meine Privatwohnung unauffällig von Militär bewacht. Einen Schutz meiner Person, auch für meine Ritte in die Stadt und zurück, habe ich abgelehnt.

Dr. Bergfeld.

Seiner Exzellenz dem Reichskanzler
Herrn Dr. von Bethmann Hollweg.

110.

(Kaiserliches
Konsulat Mossul.)

Telegramm.

Abgang aus Mossul, den 10. Juli 1915.
Ankunft in Pera, den 11. Juli 1915.

An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Von dem zurzeit hier anwesenden früheren Mutessarrif von Mardin wird mir folgendes mitgeteilt:

[S. 102]

Der Wali von Diarbekr, Reschid Bey, wüte wie ein toller Bluthund unter der Christenheit seines Wilajets; vor kurzem habe er auch in Mardin 700 Christen (meistens Armenier), darunter den armenischen Bischof, in einer Nacht durch Gendarmerie, die dazu aus Diarbekr entsandt wurde, sammeln und in der Nähe der Stadt wie Hammel abschlachten lassen. Reschid Bey fahre fort in seiner Blutarbeit unter den Unschuldigen, deren Zahl heute über zweitausend betrage.

Ergreift die Regierung nicht sofort ganz energische Maßnahmen gegen Reschid Bey, so wird die muselmanische niedere Bevölkerung des hiesigen Wilajets gleichfalls Christenmetzeleien beginnen. Die Lage wird hier von Tag zu Tag drohender.

Die Regierung sollte Reschid Bey sofort abberufen und damit dokumentieren, daß sie seine Schandtaten nicht billigt, das würde die allgemeine Erregung hier beschwichtigen[72].

Holstein.

111.

(Kaiserlich
Deutsche Botschaft.)

Telegramm.

Pera, den 11. Juli 1915.

An Deutsches Konsulat Mossul.

Inhalt Ihres Telegramms vom 10. Juli werde ich der Pforte mitteilen.

Wangenheim.

112.

Kaiserlich
Deutsche Botschaft.

Le 12 Juillet 1915.

Dem Minister des Innern Talaat Bey übergeben:

L’Ambassade d’Allemagne vient d’apprendre d’une source digne de foi ce qui suit:

Le Wali de Diarbekir, Réchid Bey a dans les derniers temps organisé des massacres en règle parmi la population chrétienne de sa circonscription sans distinguer les Arméniens des chrétiens appartenant à d’autres confessions, et sans se soucier s’il s’agit de coupables ou d’innocents.

A ce propos on rapporte le fait suivant, qui s’est passé tout dernièrement:

Sur les ordres de Réchid Bey des gendarmes de Diarbekir se rendirent à Mardine et y arrêtèrent l’évêque Arménien avec un grand nombre d’Arméniens et d’autres chrétiens, en tout sept cent personnes; tout ce monde fut[S. 103] conduit pendant la nuit à un endroit hors de la ville et égorgé comme des moutons.

Le nombre total des victimes de ces massacres est évalué à 2000 âmes.

Si le Gouvernement Impérial ne prend pas de mesures contre Réchid Bey il est à craindre que les basses classes de la population musulmane des Vilayets environnants ne se lèvent à leur tour pour se livrer à un massacre général de tous les habitants chrétiens.

113.

(Kaiserliches
Konsulat Mossul.)

Telegramm.

Abgang aus Mossul, den 15. Juli 1915.
Ankunft in Pera, den 16. Juli 1915.

An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Das chaldäische Dorf Feihschahbur bei Djesireh (Wilajet Diarbekr) ist vorigen Sonntag von muselmanischen Kurden überfallen und seine ausschließlich aus chaldäischen Christen bestehende Bevölkerung massakriert worden.

Solange die Regierung nichts gegen den Wali von Diarbekr unternimmt, kann mit dem Aufhören der Massakres nicht gerechnet werden.

Holstein.

114.

Kaiserlich
Deutsche Botschaft.

Pera, den 16. Juli 1915.

Die von Herrn Lepsius mitgeteilten Tatsachen[73] werden durch die der Kaiserlichen Botschaft vorliegenden Nachrichten aus anderen Quellen, namentlich durch die konsularischen Berichte, bestätigt; ebenso dürften die daran geknüpften Betrachtungen zutreffen.

Die Pforte fährt trotz der wiederholten eindringlichen Vorstellungen, die wir dagegen erhoben haben, fort, die Armenier zu deportieren und durch die Ansiedlung in unwirtlichen Gegenden der Vernichtung preiszugeben. Wir können sie nicht daran hindern und müssen ihr die Verantwortung für die wirtschaftlichen und politischen Folgen dieser Maßregel überlassen.

Wangenheim.

Seiner Exzellenz dem Reichskanzler
Herrn von Bethmann Hollweg.

[S. 104]

115.

(Kaiserliches
Konsulat Mossul.)

Telegramm.

Abgang aus Mossul, den 16. Juli 1915.
Ankunft in Pera, den 17. Juli 1915.

An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Der gestern hierher zurückgekehrte hiesige Wali teilte mir mit:

1. Der Kaimakam von Midiat (Muselman) wurde kürzlich auf Befehl des Wali von Diarbekr ermordet, da er sich geweigert hatte, die Christen seines Bezirks massakrieren zu lassen.

2. Von den aus dem Wilajet Diarbekr hierher verbannten Armeniern sind nur Frauen und Kinder angekommen, und von den letzteren auch nur etwa ein Drittel der ursprünglichen Anzahl; die Männer wurden sämtlich unterwegs ermordet; von den Frauen wurden die jungen unter die muselmanischen Kurden verteilt.

Der hiesige Wali hat Maßnahmen getroffen, um im Wilajet Mossul Christenmassakres zu verhindern; ich fürchte jedoch, daß diese Maßnahmen schon zu spät kommen.

Holstein.

116.

Kaiserlich
Deutsche Botschaft.

Pera, den 16. Juli 1915.

Euere Exzellenz beehre ich mich anbei Abschrift eines Berichts des Kaiserlichen Vizekonsuls in Samsun vom 4. d. M. über Armenieraustreibungen zu überreichen. Ich habe Herrn Kuckhoff mitgeteilt, daß ich mit seiner Haltung und seinen Ausführungen einverstanden sei, ihn auch mit Weisungen wegen Sicherstellung der deutschen Interessen zu versehen. Meine Einwirkungen bei der Pforte versprechen leider nur geringen Erfolg.

Wangenheim.

Seiner Exzellenz dem Reichskanzler
Herrn von Bethmann Hollweg.

Anlage.

Kaiserlich
Deutsches Vizekonsulat.

Samsun, den 4. Juli 1915.

Die Maßregel der Deportation — anscheinend für alle anatolischen Wilajets gültig, ist von einer Härte und dem Menschlichkeitsgefühl so widerstrebend, daß sie nicht gleichgültig hingenommen werden kann. Es[S. 105] handelt sich um nichts weniger als um die Vernichtung oder gewaltsame Islamisierung eines ganzen Volkes, dessen Angehörige an der revolutionären Bewegung keinen direkten Anteil hatten, also unschuldige Opfer sind. Die Art der Ausführung des Verbannungsbefehls droht Formen anzunehmen, die nur in der Judenverfolgung Spaniens und Portugals ein Gleichnis finden. Die Regierung entsandte fanatische, strenggläubige muhammedanische Männer und Frauen in alle armenischen Häuser behufs Propaganda für den Übertritt zum Islam, selbstverständlich unter Androhung der schwersten Folgen für diejenigen, die ihrem Glauben treu bleiben. Soviel mir bekannt, sind bis heute hier schon viele Familien übergetreten und täglich vermehrt sich deren Zahl. Die Mehrheit der Unglücklichen widerstand bis jetzt den Lockungen und wurde täglich gruppenweise ins Innere getrieben. Fast keinem verblieb Zeit zur Regelung seiner Angelegenheiten. Nur mit dem Notdürftigsten versehen, mußten sie ihr Heim und Hab und Gut im Stiche lassen. Wie ich erfahre, werden sie an nicht entfernten Punkten jetzt zurückgehalten, um dort noch gründlicher für den Islam bearbeitet zu werden; einige von ihnen kehrten zu diesem Zwecke auch nach hier zurück. In der Umgebung von Samsun sind alle armenischen Dörfer muhammedanisiert worden, ebenso in Unieh. Vergünstigungen wurden, außer den Renegaten, niemandem zuteil. Alle Armenier ohne Ausnahme: Männer, Frauen, Greise, Kinder bis zum Säugling, Altgläubige, Protestanten und Katholiken — welch letztere sich nie einer nationalen revolutionären Bewegung anschlossen und auch von Abdul Hamid verschont wurden — mußten fort. Kein christlicher Armenier darf hier bleiben; selbst nicht solche ausländischer Staatsangehörigkeit; letztere sollen ausgewiesen werden. Der Bestimmungsort der Samsuner Verbannten ist nach Aussage des Mutessarrifs Urfa.

Es ist selbstverständlich, daß kein christlicher Armenier dieses Ziel erreicht. Nachrichten aus dem Innern melden bereits das Verschwinden der abgeführten Bevölkerung ganzer Städte.

Ich habe mit allen Mitteln auf den Gouverneur dahin einzuwirken versucht, daß die Maßregel der Regierung sich auf die einstweilige Verbannung der männlichen Bevölkerung im Alter von 17–60 Jahren beschränken möge, und erst die wirklich Schuldigen zu ermitteln. Auch machte ich ihn auf den sehr peinlichen Eindruck, den seine Maßnahme bei der christlichen Bevölkerung in Deutschland und Österreich-Ungarn hervorrufen müsse, aufmerksam. Alles umsonst: Fanatiker sind Vernunftgründen unzugänglich! Was sind die Folgen? Durch Ausrottung des armenischen Elements wird aller Handel und Wandel in Anatolien zerstört und jegliche wirtschaftliche Entwicklung des Landes auf Jahre hinaus unmöglich, denn alle Kaufleute, Industrielle und Handwerker sind fast ausschließlich Armenier. Auch diesen Punkt erklärte ich dem Gouverneur; leider ohne Erfolg.

[S. 106]

Es ist vorauszusehen, welche Folgen bei Bekanntwerden der Greuel die Armenierfrage zeitigen muß. Ein Entrüstungsschrei der ganzen christlichen Welt ist unausbleiblich. Alle Arbeit der protestantischen und katholischen Missionen in Anatolien ist vernichtet. Unsere Feinde werden davon vorzüglich Kapital schlagen, und auch bei unseren Landsleuten dürfte das Gefühl tiefster Empörung nicht ausbleiben.

Und das Schlimmste an der Sache ist, daß die ganze Welt die Schuld dafür auf Deutschland abwälzen wird, da Freund und Feind glaubt, die Macht bei der Hohen Pforte liege ganz in unseren Händen und daß eine so tiefgehende Maßregel nur mit deutscher Zustimmung ausgeführt werden konnte.

Der aufgepeitschte Fanatismus der Muhammedaner und unsere eigentümliche Stellung in der Türkei bei der heutigen Weltlage, sowie die Geistesverfassung der leitenden politischen Kreise am goldenen Horn lassen die Schwierigkeiten vorausahnen, die einer zufriedenstellenden Lösung der Armenierfrage von Menschlichkeits- und praktischen Vernunftsstandpunkt aus entgegenstehen.

Trotzdem erlaube ich mir zu hoffen, daß es Euerer Exzellenz gelingen wird, der gänzlichen Vernichtung des größten Teils eines der ältesten und unglücklichsten Völker des Erdballs Einhalt zu gebieten.

Kuckhoff.

117.

Kaiserlich
Deutsche Botschaft.

Pera, den 16. Juli 1915.

Ich bestätige ergebenst Ihren gefälligen Bericht vom 4. d. M., von dessen Inhalt ich mit lebhaftem Interesse Kenntnis genommen habe. Mit Ihrer Haltung und Ihren Ausführungen erkläre ich mich einverstanden.

Meine wiederholten Bestrebungen, das Schicksal derjenigen Ausgewiesenen zu mildern, welchen keine strafbaren Handlungen zur Last gelegt werden, versprechen zu meinem Bedauern nur geringe Aussicht auf Erfolg.

Ihrer weiteren Berichterstattung darf ich entgegensehen.

von Neurath.

An den Kaiserlichen Vizekonsul Samsun.

[S. 107]

118.

(Kaiserliches
Konsulat Mossul.)

Telegramm.

Abgang aus Mossul, den 21. Juli 1915.
Ankunft in Pera, den 23. Juli 1915.

An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Hier sind bisher rund sechshundert Frauen und Kinder (armenische, chaldäische, syrische) eingetroffen, deren männliche Verwandte in Soert, Mardin und Feihschahbur massakriert worden sind; ebenso viele werden in den nächsten Tagen erwartet.

Das Elend dieser Menschen ist nicht zu beschreiben, ihre Kleider verfaulen ihnen am Leibe; täglich sterben Frauen und Kinder Hungers.

Mit den ihr zu Gebote stehenden Mitteln kann die hiesige Regierung kaum Brot für diese Elenden kaufen.

Um weitere Menschenleben zu retten, war sofortige Hilfe nötig, namentlich Anschaffung von Kleidung.

Überzeugt, im Sinne der Kaiserlichen Regierung zu handeln, und da sofortige Hilfe ein Gebot der Menschlichkeit war, habe ich namens der Kaiserlichen Regierung gestern der hiesigen Regierung 300 Ltq. zur Verfügung gestellt; hiervon wird Brot, Kleidung und Schuhe für den dringendsten Bedarf angeschafft.

Holstein.

119.

Kaiserlich
Deutsche Botschaft.

Pera, den 21. Juli 1915.

Notiz[74].

Meines unmaßgeblichen Erachtens sind nach den Erfahrungen, die wir in letzter Zeit mit der Pforte gemacht haben (vgl. unsere Verwendung für die Angestellten des Herrn von Scheubner in Erzerum, für das armenische Personal des Hilfsbundes in Marasch, für die Arbeiter von Zimmer in Amasia[75], für Parsighian und Balakian in Tschangri), alle Schritte unsererseits erfolglos bzw. haben den gegenteiligen Erfolg. In der Zimmer’schen Sache hat Talaat Bey angeblich entschieden: „Man könne des bösen Beispiels wegen keine Ausnahme zulassen.“ Im Falle Zohrab und Wartkes handle es sich außerdem noch um eine Ingerenz in ein schwebendes Gerichtsverfahren.

Höchstens könnte noch ein Versuch im Kriegsministerium gemacht werden.

Mordtmann.

[S. 108]

120.

Kaiserliches
Konsulat Aleppo.

Aleppo, den 27. Juli 1915.

Über die Verschickung der Armenier und die Art ihrer Durchführung ist mir seit Abgang meines letzten Berichtes noch das folgende bekannt geworden:

1. Wie nach Absetzung des hiesigen Wali Djelal Bey zu erwarten, wird die Verschickung jetzt auf den Küstenstrich des Wilajets Aleppo ausgedehnt. Befehl zur Räumung von Alexandrette, Antiochien, Haram, Beilan, Soukluk, Kessab und anderen Ortschaften ist Nachrichten aus armenischer Quelle zufolge gegeben, doch wird eine kurze Frist in der Ausführung gewährt. — Das Kaiserliche Vizekonsulat Alexandrette hatte bis zum 17. d. M. keine Kenntnis[76].

2. Nachrichten zufolge, welche der Katholikos von Sis erhalten hat, sind 800–1000 Männer, die von Diarbekr nach Süden geschickt waren, nirgends angelangt. Man nimmt an, daß sie sämtlich umgebracht worden sind. Es muß sich hierbei um ein Geschehnis handeln, das schon wochenlang zurückliegt.

3. Das berichtete Vorbeitreiben von Leichen auf dem Euphrat, das in Rumkaleh, Biredjik und Djerabulus beobachtet worden ist, hatte, wie mir am 17. d. M. mitgeteilt wurde, 25 Tage lang gedauert. Die Leichen waren alle in der gleichen Weise, zwei und zwei Rücken auf Rücken, gebunden. Diese Gleichmäßigkeit deutet darauf hin, daß es sich nicht um Metzeleien, sondern um Tötung durch die Behörden handelt. Es heißt und ist wahrscheinlich, daß die Leichen durch Soldaten in Adiaman in den Fluß geworfen worden sind. Wie weiter unten zu berichten sein wird, hat das Vorbeitreiben nach einer Pause von mehreren Tagen von neuem begonnen und zwar in verstärktem Maße. Dieses Mal handelt es sich hauptsächlich um Frauen und Kinder.

4. Armenier in Tell Abiad haben, wie ich von einem unbedingt glaubwürdigen älteren, bisher in Tell Abiad ansässigen Schweizer Ehepaar erfahre, ihre Mädchen im Alter von 8–12 Jahren verkauft, zunächst für 2 Medjidi (eine Medjidi etwa 3,50 Mk.), später für 1 Medjidi und weniger oder haben sie umsonst weggegeben. Offenbar wollten sie ihnen das in der Wüste vom Klima und von den Beduinen ihrer harrende Geschick ersparen. Immer wieder haben die herbeigeeilten Türken im Dorfe Tell Abiad mit den Verbannten um die Kinder gefeilscht. Mein Gewährsmann hat mir Namen von Käufern genannt. Die in Tell Abiad Durchziehenden, deren erste Trupps aus Zeitun kamen — vorläufig nach Rakka bestimmt —, waren durch ihr[S. 109] Geschick stumpfsinnig geworden und ließen stillschweigend alles über sich ergehen. Nahrungsmittel waren ihnen in genügender Menge gegeben worden, aber zu unregelmäßig. Südlich von Tell Abiad müssen, wo das Wasser sehr knapp, die jüngeren Kinder sterben. Auch sonst müssen viele den Strapazen erliegen. Ein ganzer Trupp ist bereits vollständig an Wassermangel zugrunde gegangen. Landwirtschaftliche Geräte haben sie nicht mitnehmen können. Was sollen die Überlebenden am Bestimmungsort anfangen?

5. Bei der Härte der Befehle der Regierung hängt die Behandlung der Wandernden mehr oder minder von dem guten Willen der einzelnen Beamten und Gendarmen ab, deren Bezirk sie gerade durchziehen. Teilweise werden sie daher ernährt, teilweise nicht.

In Aleppo, wo die Ernährung durch die Regierung zeitweise ungenügend war, wird zurzeit auf Befehl Djemal Paschas nach Verwendung des Katholikos für den Erwachsenen 5 Metalik (20 Pf.), für das Kind 4 Metalik (16 Pf.) gezahlt. Die Zahl der hier auf der Durchwanderung Befindlichen wird gegenwärtig auf durchschnittlich mehrere Tausende geschätzt. Sie dürfen sich hier etwas ausruhen.

6. Es mehren sich die Anzeichen, daß die Regierung sich die Durchführung ihrer Maßregeln absichtlich oder unabsichtlich aus der Hand gleiten und in Armeniermetzeleien durch Tscherkessen und Kurden übergehen läßt.

7. Über Ras ul Ain (die gegenwärtige Endstation der Bagdadbahn) kommen neuerdings Armenier aus Kharput, Erzerum und Bitlis. Von den Armeniern aus Kharput wird berichtet, daß in einem Dorf, einige Stunden südlich der Stadt, die Männer von den Frauen getrennt wurden. Die Männer sind niedergemacht worden und haben rechts und links vom Wege gelegen, an dem die Frauen dann vorbeikamen. Ein Trupp Frauen und Mädchen ist zwischen Mardin und Ras ul Ain von Beduinen vollständig ausgeplündert worden. Solche, die den Beduinen gefielen, wurden mitgeschleppt. Was soll aus den Unglücklichen werden, wenn sie noch tiefer in das Beduinengebiet hineinkommen?

8. Ein hiesiger Armenier hat mir von einer ihm verwandten Familie aus Kharput erzählt, die aus 17 Köpfen bestand. 7 Männer sind abgeführt worden, ihr Geschick ist unbekannt, 2 Frauen sind den Strapazen des Weges erlegen, 8 Köpfe sind in Ras ul Ain angekommen. Dabei fängt der schlimmere Teil des Weges in Ras ul Ain erst an.

9. Die bekannten armenischen Abgeordneten Zohrab und Wartkes hielten sich, aus Konstantinopel verbannt, kürzlich einige Zeit in Aleppo auf. Sie wußten, daß sie den Tod erleiden würden, wenn der Befehl der Regierung, sie nach Diarbekr zu verbannen, ausgeführt würde. Auch hatte ich Anlaß, die Kaiserliche Botschaft hiervon zu unterrichten. Nach den Erzählungen der sie begleitenden jetzt hierher zurückgekehrten Gendarmen, wonach sie Räubern begegnet wären, welche zufällig gerade die beiden Abgeordneten[S. 110] erschossen hätten, kann kein Zweifel mehr daran bestehen, daß die Regierung sie auf dem Wege zwischen Urfa und Diarbekr hat ermorden lassen.

Die geschilderte Behandlung des armenischen Volkes verdient meines gehorsamen Erachtens außer aus anderen Erwägungen auch aus dem Grunde besondere Aufmerksamkeit von deutscher Seite, als sie von weiten Kreisen der Bevölkerung, auch der muhammedanischen, auf deutsche Einwirkung bei der türkischen Regierung zurückgeführt wird. Es heißt, Deutschland sei der Anlaß zu dem Entschluß der türkischen Regierung, das armenische Volk bis zur völligen Bedeutungslosigkeit zu zerschmettern. Die türkische Regierung wird vermutlich alles tun, dieser Ansicht Vorschub zu leisten. Sie wird froh sein, das Odium ihrer Maßregeln auf uns abwälzen zu können.

Meine bisherige telegraphische und schriftliche Berichterstattung dürfte dargetan haben, daß die türkische Regierung über den Rahmen berechtigter Abwehrmaßregeln gegen tatsächliche und mögliche armenische Umtriebe weit hinausgegangen ist, vielmehr durch die Ausdehnung ihrer Anordnungen, deren Durchführung sie in der härtesten und schroffsten Weise den Behörden zur Pflicht gemacht hat, auch gegen Frauen und Kinder, bewußt den Untergang möglichst großer Teile des armenischen Volkes mit Mitteln herbeiführen bestrebt ist, welche dem Altertum entlehnt sind, einer Regierung aber, die mit Deutschland verbündet sein will, unwürdig sind. — Sie hat, wie wohl kein Zweifel sein kann, die Gelegenheit, da sie sich im Kriege mit dem Vierverband befindet, dazu benutzen wollen, um sich der armenischen Frage für die Zukunft zu entledigen, dadurch, daß sie möglichst wenige geschlossene armenische Gemeinden übrig läßt. Hekatomben Unschuldiger hat sie mit den wenigen Schuldigen geopfert.

Wäre es nicht möglich, noch jetzt weiteren Greueln Einhalt zu tun und wenigstens die Armenier aus dem Küstenstrich des Wilajets Aleppo noch zu retten, deren Verschickung erst noch bevorsteht? Sollte aus militärischen Gründen ihre Verschickung unumgänglich notwendig sein, könnte nicht wenigstens ihr Transport um ein bis zwei Monate hinausgeschoben und sorgfältig vorbereitet werden durch Bereitstellung der nötigen Tragtiere und Lebensmittel? Könnten sie nicht in den Städten Aleppo oder Urfa bleiben, mit dem schon jetzt auszusprechenden Recht späterer Rückkehr? Die türkische Regierung hat in einer in der Norddeutschen Allgemeinen Zeitung vom 9. Juni veröffentlichten Denkschrift, „Die Ottomanische Regierung gegen feindliche Beschuldigungen“, behauptet, daß die Verschickungen zeitweilig seien. Sie hat erklärt: „Wenn gewisse Armenier zeitweilig auf andere Reichsgebiete übersiedeln mußten, so geschah das, weil sie im Kriegsgebiet wohnten...“ Könnte sie hier beim Wort genommen werden? Sind Beilan, Soukluk, Kessab u. a. wirklich Kriegsgebiet? Ist die Anwesenheit von Frauen und Kindern dort gefährlich, da doch die Männer so gut wie alle eingezogen sind?

[S. 111]

Die Norddeutsche Allgemeine Zeitung veröffentlicht am 13. Juli in Nr. 192, erste Ausgabe, eine Erklärung der offiziösen osmanischen Depeschenagentur „Agence Milli“, welche gegen die Behauptung der „Gazette de Lausanne“ protestiert, die osmanische Regierung leihe den gegen die in der Türkei lebenden Armenier begangenen Ausschreitungen ihren Schutz und diese Ausschreitungen beständen häufig in Metzeleien.

Leider wird sich vieles für diese Behauptung der „Gazette de Lausanne“ sagen lassen.

Mein telegraphischer Bericht über die ungewöhnlich gut bezeugten Metzeleien in Teil Ermen lag bei Veröffentlichung des Dementis bereits vor. Diese von Kurden vorgenommenen Metzeleien sind nachgewiesenermaßen im Beisein der bewaffneten Macht der türkischen Regierung, wahrscheinlich aber unter deren aktiver Teilnahme vor sich gegangen.

Die türkische Regierung hat ihre armenischen Untertanen, wohlgemerkt unschuldige, unter dem Vorwande, sie aus dem Kriegsgebiet entfernen zu müssen, zu Tausenden und Abertausenden[77] in die Wüste getrieben, weder Kranke noch Schwangere noch die Familien der zu den Waffen einberufenen Soldaten ausgenommen, hat sie ungenügend und unregelmäßig ernährt und mit Wasser versorgt, hat nichts gegen die unter ihnen ausgebrochenen Epidemien getan, hat die Frauen in Not und Verzweiflung getrieben, daß sie ihre Säuglinge und ihre Neugeborenen am Wege ausgesetzt, ihre dem mannbaren Alter entgegengehenden Mädchen verkauft, daß sie sich selbst mit ihren kleinen Kindern in den Fluß gestürzt haben, sie hat sie der Willkür der Begleitmannschaft und damit der Schande preisgegeben, einer Begleitmannschaft, die Mädchen an sich genommen und verkauft hat, sie hat sie den Beduinen in die Hände gejagt, die sie ausgeplündert und entführt haben, sie hat die Männer in einsamen Gegenden ungesetzlich niederschießen lassen und läßt die Leichen ihrer Opfer den Hunden und den Raubvögeln zum Fraß, sie hat angeblich in die Verbannung geschickte Abgeordnete ermorden lassen; sie hat Sträflinge aus den Gefängnissen entlassen, in Soldatenkleider gesteckt und in die Gegenden geschickt, wo die Verbannten durchziehen mußten, sie hat tscherkessische Freiwillige angeworben und sie auf die Armenier hingelenkt. Was aber behauptet sie in ihrer halbamtlichen Erklärung „Die Osmanische Regierung... erstreckt ihren wohlwollenden Schutz auf alle ehrlichen und friedlichen in der Türkei lebenden Christen...“

Fürwahr, ich habe meinen Augen nicht getraut, als ich diese Erklärung gesehen habe, und ich finde keinen Ausdruck, um den Abgrund ihrer Unwahrheit zu kennzeichnen. Denn die türkische Regierung wird die Verantwortung für alles, was geschehen ist, auch soweit es aus mangelnder Fürsorge und Voraussicht, aus der Verderbtheit der ausführenden Organe und aus den an[S. 112] Anarchie grenzenden Zuständen der östlichen Teile ihres Gebietes hervorgeht, nicht ablehnen können, hat sie doch die Verbannten mit Vorbedacht in dieses Chaos hineingetrieben. Die Verantwortung wird auch dann auf ihr lasten, wenn sie die Herrschaft über die von ihr gerufenen Elemente verlieren sollte, wie es besonders im Wilajet Diarbekr leicht sich ereignen könnte. Wie hierzulande die Vernichtung der Armenier auf deutsche Anregung zurückgeführt wird, so versucht die türkische Regierung vor der europäischen Öffentlichkeit ihre Handlungsweise durch unsere Autorität zu decken.

Euerer Exzellenz aber darf ich gehorsamst anheimstellen, in Erwägung ziehen zu wollen, ob türkische Erklärungen zur Armenierfrage noch ferner zur Veröffentlichung in der deutschen Presse geeignet sind und ob nicht Gefahr besteht, daß wir durch unseren Verbündeten kompromittiert werden.

Gleichen Bericht lasse ich der Kaiserlichen Botschaft zugehen.

Rößler.

Seiner Exzellenz dem Reichskanzler
Herrn Dr. von Bethmann Hollweg.

121.

(Kaiserliches Konsulat
Aleppo.)

Telegramm.

Abgang aus Aleppo, den 27. Juli 1915.
Ankunft in Pera, den 27. Juli 1915.

An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Über die Ausrottung der Armenier im Osten hier eintreffende zuverlässige Nachrichten sind grauenerregend. Den Euphrat treiben von neuem und in verstärktem Maße Leichen herunter, diesmal hauptsächlich Frauen und Kinder. Ist keine Möglichkeit, dem Greuel Einhalt zu tun? Bitte gehorsamst Auswärtiges Amt benachrichtigen, damit nicht türkische Dementis Aufnahme in deutsche Presse finden, wodurch Anschein deutscher Billigung erweckt wird.

Rößler.

122.

Kaiserliche Botschaft.

Telegramm.

Pera, den 28. Juli 1915.

An Konsulat, Aleppo.

Antwort auf Telegramm vom 27. Juli.

Von hier aus ist bereits alles mögliche geschehen. Auswärtiges Amt wurde dauernd auf dem laufenden gehalten.

Hohenlohe.

[S. 113]

123.

Kaiserlich
Deutsches Konsulat.

Erzerum, den 28. Juli 1915.

Wie ich Euerer Exzellenz bereits in meinem Bericht vom 9. ds. zu unterbreiten die Ehre hatte, machte sich hier bedauerlicherweise in letzter Zeit der Einfluß einer Nebenregierung bemerkbar.

Abgesehen davon, hat nun auch der Oberkommandierende der III. Armee, Mahmud Kamil Pascha, der sein Hauptquartier hierher verlegt hat, in scharfer Weise in die Regierung des Wilajets eingegriffen.

Bisher ist in Erzerum, im Gegensatz zu den anderen Städten, einigermaßen mild gegen die Ausgewiesenen vorgegangen worden. So stellte z. B. die Regierung vielen mittellosen Familien Ochsenkarren bis Erzindjan und Siwas zur Verfügung. Der Wali erlaubte ferner, daß Kranke, Familien ohne männliche Mitglieder, alleinstehende Frauen in Erzerum bleiben dürfen.

Diesem humanen Vorgehen, für das auch ich eingetreten bin, wurde plötzlich durch irgendwelche Komitee-Einflüsse ein Ende bereitet. Nunmehr hat auch noch Mahmud Kamil Pascha die sofortige und rücksichtslose Ausweisung aller Armenier angeordnet.

Den noch in der Stadt gebliebenen Frauen und Kranken wurden die bereits erteilten Aufenthaltsscheine wieder abgenommen und sie auf die Landstraße getrieben — einem sicheren Tode entgegen.

Es geschah das, während der Wali und ich in Erzindjan waren.

Mir scheint hierbei, daß der hiesige Wali, Tahsin Bey, der in der Behandlung der Armenierfrage eine etwas humanere Auffassung wie die andern haben dürfte, gegen die schroffe Richtung machtlos ist.

Von den Anhängern letzterer wird übrigens unumwunden zugegeben, daß das Endziel ihres Vorgehens gegen die Armenier die gänzliche Ausrottung derselben in der Türkei ist. Nach dem Kriege werden wir „keine Armenier mehr in der Türkei haben“ ist der wörtliche Ausspruch einer maßgebenden Persönlichkeit.

Soweit sich dieses Ziel nicht durch die verschiedenen Massakres erreichen läßt, hofft man, daß Entbehrungen auf der langen Wanderung bis Mesopotamien und das ungewohnte Klima dort ein übriges tun werden. Diese „Lösung“ der Armenierfrage scheint den Anhängern der schroffen Richtung, zu der fast alle Militär- und Regierungsbeamte gehören, eine ideale zu sein. Das türkische Volk selbst ist mit dieser Lösung der Armenierfrage keineswegs einverstanden und empfindet schon jetzt schwer die infolge der Vertreibung der Armenier über das Land hier hereinbrechende wirtschaftliche Not.

v. Scheubner-Richter.

Seiner Exzellenz dem Herrn Botschafter
Freiherrn von Wangenheim, Konstantinopel.

[S. 114]

124.

(Kaiserliches
Konsulat Mossul.)

Telegramm.

Abgang aus Mossul, den 28. Juli 1915.
Ankunft in Pera, den 28. Juli 1915.

An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

1. Der Aufstand christlicher (sowohl chaldäischer als syrischer) Bevölkerung zwischen Mardin und Midiat dauert an. Telegraphenlinie nach Diarbekr ist zerstört.

Dieser Aufstand ist unmittelbar durch das extreme Vorgehen des Wali von Diarbekr gegen Christen im allgemeinen hervorgerufen. Sie wehren sich ihrer Haut.

2. Abd-ur-Rezak Bedr Han marschiert von Bajazid aus über Boghr nach Soert; Kurden unterwegs schließen sich an. Familien von Soert sind auf der Flucht.

3. Verkehr auf Post- und Reiseweg Mossul-Ras ul Ain unterbrochen, da Gegend Nisibin durch aufständische Schammar besetzt.

4. Die Jesidi vom Djebel Sindschar (westlich Mossul) sind gleichfalls seit einigen Tagen revolutioniert.

Holstein.

125.

(Kaiserliches
Konsulat Aleppo.)

Telegramm.

Abgang aus Aleppo, den 30. Juli 1915.
Ankunft in Pera, den 30. Juli 1915.

An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Die Regierung hat jetzt den Befehl gegeben, daß sowohl das Küstengebiet des Wilajete Aleppo als auch Aintab und Killis und wahrscheinlich auch Marasch von Armeniern geräumt werden, Orte, die weder im Kriegsgebiet noch an der Etappenstraße gelegen sind. Aintab hat 32000, Killis 6000 armenische Einwohner. Euerer Exzellenz stelle ich gehorsamst anheim, der Regierung dringend anzuraten, diesen Befehl zu widerrufen oder wenigstens seine Ausführung hinauszuschieben. Ihre Organisation ist für die auf einmal erfolgenden Massenverschiebungen in keiner Weise ausreichend. Schon jetzt liegen 10000 Armenier hier. In Der-Zor liegen 15000, deren Ernährung durch die Regierung völlig ungenügend ist.

[S. 115]

Die zahlreichen gebildeten Städter wären den Strapazen des Weges noch weniger gewachsen als die Dorfbewohner. Die Armenier regen an und bitten, sofern Maßregeln gegen sie unabwendbar sind, ihnen statt der Verschickung die Erlaubnis zur Auswanderung zu verschaffen.

Rößler.

126.

Kaiserlich
Deutsche Botschaft.

Pera, den 31. Juli 1915.

Seit Anfang dieses Monats hat der Wali von Diarbekr, Reschid Bey, mit der systematischen Ausrottung der christlichen Bevölkerung seines Amtsbezirks, ohne Unterschied der Rasse und der Konfession, begonnen. Hiervon sind u. a. besonders die katholischen Armenier von Mardin und Tell Ermen und die chaldäischen Christen und nicht-unierten Syrer der Bezirke Midiat, Djeziret ibn Omar und Nisibin betroffen worden.

Infolgedessen hat sich nach Meldungen des Konsulats Mossul die christliche Bevölkerung zwischen Mardin und Midiat gegen die Regierung erhoben und die Telegraphenlinie zerstört.

Hohenlohe.

Seiner Exzellenz dem Reichskanzler
Herrn von Bethmann Hollweg.

[S. 116]

August.

127.

(Kaiserlich
Deutsche Botschaft.)

Telegramm.

Pera, den 2. August 1915.

An Deutsches Konsulat, Aleppo.

Antwort auf Telegramm vom 30. Juli.

Alle diesseitigen Vorstellungen haben sich gegenüber dem Entschluß der Regierung, die einheimischen Christen in den östlichen Provinzen unschädlich zu machen, als unwirksam erwiesen.

Hohenlohe.

128.

(Kaiserliches
Konsulat Aleppo.)

Telegramm.

Abgang aus Aleppo, den 3. August 1915.
Ankunft in Pera, den 3. August 1915.

An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Bisher sind gegen 40000 Armenier aus dem westlichen Kleinasien verschickt worden. Werden sie jetzt auch aus den großen Städten und Küstenstrichen des Wilajets Aleppo verbannt, so wird die Zahl 150000 erreichen.

Mit der Ausführung ist schon begonnen. Wenn nicht in irgend einer Form eine Hilfsaktion von außerhalb der Türkei eingeleitet werden kann, so ist damit zu rechnen, daß in den nächsten Monaten Tausende verhungern.

Rößler.

129.

Kaiserliches
Konsulat Erzerum.

Erzerum, den 5. August 1915.

Die Aussiedelung der Armenier ist nun zu einem gewissen Abschluß gelangt, d. h. es befinden sich im Amtsbezirk des hiesigen Konsulats keine Armenier mehr. Es scheint mir daher angebracht, über die mit der Armenieraustreibung im Zusammenhang stehenden Vorfälle der letzten Monate kurz zusammenfassend zu berichten.

[S. 117]

Bis Anfang Mai lebten die Armenier hier frei und ungehindert und konnten ungestört ihren Geschäften nachgehen. Einzelne Vorfälle, wie die Ermordung des Bankdirektors Pasdirmadjan und ähnliches, übten nur vorübergehend eine beunruhigende Wirkung aus. Die Furcht vor einem Massaker durch die Türken war allerdings vorhanden und nicht unbegründet, doch dürfte die Anwesenheit und Tätigkeit General Posseldts[78] sowie des deutschen Konsuls den Ausbruch eines solchen verhindert haben.

Zu Beginn des Mai führten die bekannten Vorgänge von Wan dazu, daß die Regierung und die Militärbehörden zu scharfen Maßregeln gegen die Armenier griffen. Alle noch mit der Waffe dienenden Armenier wurden aus dem Heere entfernt und in Arbeiterbataillone gesteckt. Die Bewohner der Erzerumer und der Passin-Ebene, die nur noch aus Frauen, Kindern und alten Männern bestand, wurden aus ihren Dörfern vertrieben und sollten zwangsweise nach Mesopotamien gebracht werden. Diese mit militärischen Rücksichten begründete Maßnahme wurde in unnötig rücksichtsloser und grausamer Weise durchgeführt. Auf dem Wege nach Erzindjan wurden die Betreffenden bei Mamachatun, Sansar, Euphrat Brücke und Päräz von Kurden und türkischen Freiwilligen überfallen, beraubt und getötet. Die Zahl der Umgekommenen dürfte zwischen 10–20000 betragen, nach Angabe der Regierung nur 3–4000.

In derselben Zeit wurden die Bewohner der Erzindjaner Ebene bei ihrem Durchzug durch die Schlucht von Kemach gleichfalls bis auf wenige beraubt und getötet, die Frauen entführt. Hierbei soll, wie mir glaubwürdig mitgeteilt wurde, türkisches Militär bzw. Gendarmen beteiligt gewesen sein.

Zu Beginn des Juni wurde aus Erzerum die erste Gruppe der armenischen Notabeln ausgewiesen mit einer Frist von 14 Tagen. Zirka 500 Personen verließen am 16. Juni Erzerum und zogen durch das Gebirge über Kharput nach Urfa. Von diesen sind laut Mitteilung der Regierung unterwegs 14 Personen ermordet worden, nach mir zugegangenen privaten Informationen fast alle Männer. Die zweite Gruppe, ca. 3000 Personen, verließ am 19. und 20. Erzerum. Bei Baiburt wurde ein Teil von ihnen, besonders Männer, abgetrennt, über deren Verbleib ich nichts ermitteln konnte. Sie dürften wahrscheinlich ermordet worden sein. Die übrigen gelangten unbelästigt nach Erzindjan, wo sie bis zur Sicherung der Wege verblieben. Die dritte Gruppe Ausgewiesener, zirka noch 300 Familien, verließen am 26. Juni Erzerum. Sie gelangten in guter Ordnung und unbelästigt bis nach Erzindjan. Die vierte Gruppe, hauptsächlich aus Handwerkerfamilien bestehend, die zuerst von der Regierung Aufenthaltsscheine erhalten hatten, welche ihnen später auf Befehl des Armee-Oberkommandos entzogen wurden, kamen gleichfalls gut über Baiburt nach Erzindjan. Es waren somit bis zum[S. 118] 15. Juli fast alle Armenier aus Erzerum ausgewiesen worden. Die wenigen dort noch verbliebenen hatten auf Grund besonderer Verhältnisse, wie Unabkömmlichkeit, Krankheit u. dgl. spezielle Aufenthaltsscheine von der Regierung erhalten. Während meiner und des Walis Abwesenheit von Erzerum wurden ihnen diese Aufenthaltsscheine auf Befehl des Armee-Oberkommandierenden plötzlich entzogen. Sie mußten Erzerum in kürzester Zeit verlassen, und viele von ihnen konnten sich nicht einmal mit dem Notwendigsten für die Reise versehen. Diese letzte Gruppe ist bei Aschkalé und Baiburt teilweise ausgeplündert worden. Zu derselben gehörten auch die armenischen Ärzte und Apotheker, von denen ein Teil, angeblich auf kriegsgerichtliches Urteil, bei Baiburt erschossen wurde. Die zweite, dritte und vierte Gruppe sind, wie schon erwähnt, mit einigen Ausnahmen gut in Erzindjan angekommen und bleiben dort bis Anfang August im Zeltlager. Bei meiner Anwesenheit in Erzindjan habe ich mich persönlich davon überzeugt, daß es ihnen nach Maßgabe der Umstände gut ging. Anfang August wurden sie nach Urfa weiter geschickt und sollen die berüchtigte Schlucht von Kemach gut passiert haben. Wie viele von ihnen lebend und gesund an ihrem Bestimmungsort anlangen werden, lasse ich dahingestellt.

Was die aus den benachbarten Wilajets vertriebenen Armenier anbelangt, so soll die Anzahl der Umgekommenen dort eine weit größere sein. So haben z. B. in der Ebene von Khinis große Armeniermassaker stattgefunden und sollen im Wilajet Trapezunt fast alle Männer umgebracht worden sein. Tatsächlich habe ich bei meiner Anwesenheit in Erzindjan bei den dort durchziehenden Armeniern aus dem Wilajet Trapezunt gar keine Männer bemerkt. Auch die Form der Ausweisung war eine weit schroffere; so wurde z. B. in Trapezunt den Armeniern nur einige Stunden Zeit gegeben und ihnen verboten, etwas von ihren Sachen zu verkaufen. Auch erhielten sie keinerlei Transportmittel von der Regierung, so daß die meisten zu Fuß gehen mußten. In ähnlich schroffer Form wurde gegen die Armenier in Siwas vorgegangen.

Was nun meine Haltung bei der ganzen Frage anbetrifft, so habe ich mich von folgenden Gesichtspunkten leiten lassen:

Es war mir bekannt, daß wir ein Recht zum Eintreten für die von der Ausweisung betroffenen, unschuldigen Armenier nicht besitzen, auch sonst keinerlei Schutzrecht über sie ausüben.

Meine Verwendung für die Armenier, welche sich der Regierung gegenüber nichts zuschulden hatten kommen lassen, mußte sich darauf beschränken, daß ich für Schutz ihres Lebens und Eigentums gegen Vergewaltigungen und dafür eintrat, daß die durch die militärische Notwendigkeit begründete Aussiedelung in möglichst humaner Weise vor sich gehe. In diesem Sinne bin ich auch bei Beginn der Aussiedelung sowohl bei der Zivilverwaltung als auch beim Armee-Oberkommando vorstellig geworden. Nach Bekanntwerden der ersten großen Massaker bei Kemach, Khinis[S. 119] Terdjan habe ich gemäß der mir auf meinen diesbezüglichen Bericht an Euere Exzellenz erteilten Instruktion dem Wali in sehr eindringlicher Form Vorstellungen gemacht. Ich habe dabei betont, daß solche schmachvollen Vorgänge geeignet sind, das Ansehen der Türkei im neutralen Auslande und bei ihren Freunden zu schädigen. Weiterhin betonte ich, daß solche Vorgänge leicht Grund zu erneuter fremder Einmischung in die armenischen Angelegenheiten geben und die Stellung der Türkei bei künftigen Friedensverhandlungen unnütz erschweren könnten. Außerdem wies ich noch eindringlich darauf hin, in welch unangenehme Lage unsere Regierung durch diese Vorfälle versetzt wird, und daß wir darum energisch darauf dringen müssen, daß eine Wiederholung derselben durch die verantwortlichen Regierungsorgane auf jeden Fall vermieden wird. Der Wali gab ohne weiteres zu, daß meine Ausführung berechtigt sei, wies aber seinerseits darauf hin, daß die Verantwortung nicht ihn, sondern das Armee-Oberkommando[79] treffe, unter dessen Befehl er stehe. Dasselbe habe trotz der ihm bekannten Unsicherheit der Wege die Aussiedelung der Armenier befohlen, ohne genügenden Schutz für dieselben zu gewähren. Im übrigen versprach der Wali sein möglichstes zu tun zur Verhinderung von Wiederholungen. Tatsächlich ist er auch bemüht gewesen, für den Schutz der Vertriebenen, soweit ihm das bei den entgegengesetzten Absichten des Komitees und anderer maßgebender Persönlichkeiten möglich war, zu sorgen. Um dem Widerstand, den er bei seinen diesbezüglichen Bestrebungen beim Armee-Oberkommando sowohl wie beim Komitee fand, zu begegnen, reichten aber weder sein Einfluß noch seine Energie aus. Im allgemeinen sind die Bewohner Erzerums jedoch bei ihrer Aussiedelung weit besser behandelt worden als die anderer Städte. Dem Entgegenkommen des Wali und meinen Bemühungen zufolge wurden ihnen folgende Erleichterungen gewährt:

1. Die meisten erhielten eine Frist von 14 Tagen zu Reisevorbereitungen.

2. Es wurde ihnen gestattet, ihre Sachen mitzunehmen oder zu verkaufen.

3. Ein Teil der Kaufleute und Notabeln hatte die Möglichkeit, ihre Waren, Sachen und Kostbarkeiten der Ottomanbank zur Aufbewahrung in der armenischen Kirche zu geben.

4. Die Regierung stellte vielen mittellosen Familien Ochsenkarren unentgeltlich zur Verfügung.

5. Diejenigen Männer, deren Familien ohne weiteren männlichen Schutz waren, wurden aus den Arbeiterbataillonen entlassen und durften ihre Familie begleiten.

Eine weitere humane Anordnung der Zivilverwaltung, daß Kranke, alleinstehende Frauen und Kinder in Erzerum bleiben sollten, wurde durch Befehl der Militärbehörde bzw. auf Betreiben des Komitees aufgehoben.

[S. 120]

Es ist tief bedauerlich, daß infolge der von der Militärbehörde geduldeten Haltung des Komitees und seiner dunklen Hintermänner die Maßnahme der Aussiedelung der Armenier aus den Grenzgebieten in einen Rache-, Vernichtungs- und Raubfeldzug gegen sie umgewandelt wurde. Von vernünftig denkenden weiten Kreisen der türkischen Bevölkerung, besonders von den Grundbesitzern, wird diese Ausrottungspolitik auch nicht gebilligt.

Meine Berichte und meine Tätigkeit in der Armenier-Frage zusammenfassend bemerke ich folgendes:

Es würde hier zu weit führen, auf die Ursachen der Armenierunruhen einzugehen und zu untersuchen, ob dieselben durch zweckmäßige Maßregeln und Verhandlungen der Regierung hätten vermieden werden können. Soviel mir bekannt, ist in dieser Hinsicht rechtzeitig nichts geschehen. Es ist ferner selbstverständlich, daß dort, wo auf Betreiben armenischer Revolutionäre und russischer Emissäre Aufstände stattgefunden haben, mit aller Strenge gegen die Schuldigen vorgegangen wird. Ich hätte sogar viel schärfere Vorbeugungsmaßregeln der Regierung und der Militärbehörden an bedrohten Punkten erwartet und gewünscht, nicht aber, wie das meist geschehen, nachträgliche Vergeltungsmaßregeln. Für einen allgemein beabsichtigten und vorbereiteten Aufstand der Armenier fehlen jedoch meines Erachtens jegliche Beweise.

Daß sich eine von ihrer eigenen Regierung unterdrückte und schlecht behandelte, folglich also unzufriedene Grenzbevölkerung anderer Nationalität und anderen Glaubens einem siegreich vordringenden Feinde desselben Glaubens, der sich zudem als Befreier ausgibt und sie mit Versprechungen lockt, anschließt, erscheint mir, wenn auch bedauerlich, so doch natürlich und ist auch auf anderen Kriegsschauplätzen vorgekommen. Ebenso natürlich sind dagegen politische und scharfe militärische Abwehrmaßnahmen. Es erscheint mir aber unnatürlich und einer auf Zivilisation Anspruch erhebenden Regierung unwürdig, wenn dieselbe zuerst keinerlei Maßregeln trifft, um einer vorauszusehenden Erhebung einiger Teile eines mit Recht unzufriedenen Volkes, sei es durch geeignete militärische Vorkehrungen, sei es durch politische Verhandlungen vorzubeugen, sondern eine solche durch ihre Untätigkeit und durch das provokatorische Verhalten ihrer Polizeiorgane und „Tschättäh“ (berittenen Freiwilligen) geradezu herausfordert.

Auf Grund dieser Erwägungen und in Anbetracht der ganzen Sachlage hielt ich es als Vertreter der deutschen Regierung für meine Pflicht, dem Vorgehen der Regierung gegen die Armenier und den gegen sie getroffenen Maßnahmen nicht stillschweigend zuzusehen, sondern da wir diese Maßnahmen nicht hindern können, wenigstens auf eine möglichst milde Form der Ausführung hinzuarbeiten. Ich habe die Unbequemlichkeiten ja Gefahren, die mit meiner Haltung bisweilen für mich verknüpft waren, auch deshalb gern[S. 121] auf mich genommen, weil ich annahm, daß es meiner Regierung nur angenehm sein dürfte, zu wissen, daß ihr hiesiger Vertreter mit allen ihm zu Gebote stehenden gesetzlichen Mitteln für eine humane und rechtmäßige Behandlung unschuldig Leidender eingetreten ist.

Bei diesen meinen Bestrebungen bin ich von vernünftig denkenden Türken aus Regierungs- und Militärkreisen unterstützt worden, soweit dieselben davon nicht durch die Furcht vor dem Komitee zurückgehalten wurden. In dem Ortskomitee wiederum war es eine kleine Gruppe ziemlich minderwertiger, aber die anderen terrorisierenden Individuen, die, durch persönliches Interesse und Habgier veranlaßt, einen Vernichtungsfeldzug gegen die Armenier predigte. Dies waren übrigens dieselben Leute, die durch ihr beispiellos brutales Vorgehen in den von den Türken vorübergehend eroberten Gebieten, wie Ardanuß, Ardahan, Olti usw. die türkische Sache bei den muselmanischen Bewohnern Rußlands auf lange hinaus, wenn nicht auf immer, schädigten.

Leider ist der Einfluß dieser dunklen Komitee-Hintermänner, die außerdem durchaus deutschfeindlich sind, stärker als man im allgemeinen anzunehmen geneigt ist. Diesen Einfluß erhalten sie sich schon durch ihr Terrorisierungssystem und kann derselbe meines Erachtens nur durch sehr energisches Auftreten gegen sie gebrochen werden. Ein Überhandnehmen des Einflusses und der „Regierungsmethoden“ dieser Leute bedeutet eine Gefahr nicht nur für die Türken, sondern auch für uns, ihre Bundesgenossen. Denn die Art der Behandlung der Armenierfrage hat deutlich gezeigt, welches gefährliche Instrument die Regierungsgewalt in der Hand keine Verantwortung tragender und nur persönliches Interesse kennender Leute ist.

Ich erlaube mir beizufügen:

Bericht über das vom Kriegsfreiwilligen Karl Schlimme auf seinem Ritt nach Trapezunt Gesehene.

von Scheubner-Richter.

An Seine Durchlaucht den Kaiserlichen Botschafter
Fürst zu Hohenlohe-Langenburg, Konstantinopel.

130.

Erzerum, den 5. August 1915.

Bericht über meine Reise nach Trapezunt.

Am 18. Juni ritt ich von hier im Auftrage von Herrn Vizekonsul von Scheubner nach Trapezunt. Bis Baiburt ritt ich zusammen mit den Mitgliedern der österreichischen Ski-Mission. Die Herren waren vom hiesigen Wali gebeten worden, eine armenische Familie, u. a. die Schwester des[S. 122] hiesigen armenischen Bischofs mitzunehmen, welche einen Passierschein nach Angora erhalten hatten. In Baiburt wurde von uns verlangt, daß wir die Familie herausgeben sollten. Als wir uns weigerten, wurden die Kutscher fortgenommen, so daß wir die Wagen selbst weiter fahren mußten. Dr. Pietschmann bat mich, ihn weiter bis Ersindjan zu begleiten, auch wurden in Baiburt keine Telegramme von uns für das deutsche Konsulat angenommen. Während wir noch verhandelten, bemerkten wir, daß man uns die Armenier gewaltsam entreißen wollte. Wir machten die Gewehre zum Schuß fertig und konnten nur dadurch unbelästigt aus Baiburt hinauskommen. Unterwegs bemerkten wir regelrechte Posten von Komitatschis. Die uns begleitenden Gendarmen weigerten sich, weiter mitzukommen, und machten uns mehrfach den Vorschlag, die Armenier niederzumetzeln. So gelangten wir unter ständiger Erwartung eines Überfalles nach Ersindjan.

Hier wurde uns die armenische Familie durch die Polizei abgenommen und interniert.

Carl Schlimme, Kriegsfreiwilliger.

131.

Kaiserlich
Deutsche Botschaft.

6. August 1915.

Aufzeichnung.

Gespräch des Korvettenkapitäns Humann mit Enver Pascha.

Anknüpfend an die Anwesenheit des Dr. Lepsius vom deutsch-armenischen Komitee erwähnt Enver einen ihm bekannt gewordenen Bericht eines amerikanischen Konsuls an den hiesigen Botschafter der Vereinigten Staaten. Der Konsul kommt darin zum Resultat, daß die amerikanische Regierung gut tun würde, ihre Armenierpolitik ein für allemal aufzugeben, da die Türken durch ihr Vorgehen gegen die Armenier jede weitere politische Aktion mit diesen unmöglich gemacht hätten. Man habe die Armenier nicht ausgerottet, was vom politischen Gesichtspunkt aus noch nicht das Schlimmste gewesen wäre, denn bei solchen Massakres bliebe immer noch ein kleiner Stamm übrig, auf den man alle späteren Hoffnungen aufbauen könnte. Man habe sie statt dessen — was vom politischen Gesichtspunkte aus viel schlimmer ist! — über das ganze Land zerstreut, so daß sie wohl oder übel in das türkische Element des Landes aufgehen müssen. Damit sei die Grundlage für eine aussichtsvolle Armenierpolitik ohne weiteres aus der Welt geschafft worden.

Enver erzählt weiter von den vielfachen Warnungen, die er dem armenischen Patriarchen zu Beginn des Krieges hat zukommen lassen und weist[S. 123] gleichzeitig auf das Lob hin, das kürzlich Sassonow in der Duma den „treuen“ Armeniern in der Türkei gespendet hat.

Die Armenier, verleitet und aufgestachelt durch russische Agenten, haben so gründlich gegen die ottomanische Bevölkerung gewütet, daß von den 150000 Türken, die früher das Wilajet Wan aufzuweisen hatte, nur noch 30000 Muhammedaner am Leben sind[80].

Enver ist ferner eine Verschwörung bekannt, nach welcher die etwa 30000 Armenier in der Gegend von Adabazar Ismid eine russische Landung bei Sakaria unterstützen wollten[81].

Er selbst hat im Ministerrat den Standpunkt vertreten, daß man gerade mit Rücksicht auf den Krieg den Versuch machen müsse, mit den Armeniern gut und friedlich auszukommen. Er hat auch dieses dem Patriarchen gesagt, jedoch zugleich mit dem Hinweis, daß er beim geringsten Vorkommnis in den östlichen Armenierzentren mit drakonischen Maßnahmen einschreiten würde. Das Heer, das im Kaukasus gegen einen mächtigen Feind kämpft, müsse unbedingt die Gewißheit haben, daß in seinem Rücken kein Feind steht. Dafür werde er, der militärische Oberbefehlshaber, mit allen Mitteln sorgen.

Enver Pascha ist übrigens bereit, Dr. Lepsius zu empfangen und mit ihm die Armenierfrage zu erörtern[82].

132.

(Kaiserliches
Konsulat Erzerum.)

Erzerum, den 10. August 1915.

An das Auswärtige Amt.

Die armenische Frage, welche seit Jahrzehnten die Diplomatie Europas beschäftigt hat, soll nun im gegenwärtigen Krieg gelöst werden. Die türkische Regierung hat den Kriegszustand und die sich ihr durch die Armenieraufstände in Wan, Musch[83], Karahissar[84] und anderen Orten bietende Gelegenheit benutzt, um die Armenier Anatoliens zwangsweise nach Mesopotamien auszusiedeln. Durch Unterdrückung der armenischen Schulen, Verbot der Korrespondenz in armenischer Sprache und ähnliche Maßregeln hofft sie,[S. 124] die politischen und kulturellen Bestrebungen der Armenier endgültig zu unterdrücken. Sie hofft vielleicht weiter dabei, die Armenier wirtschaftlich so zu schädigen, daß es ihnen in Zukunft nicht mehr möglich sein wird, ein selbständiges kulturelles Leben zu führen. Ich will hier davon absehen, daß diese Regierungsmaßnahmen in einer Form ausgeführt wurden, die einer absoluten Ausrottung der Armenier gleichkam. Ich glaube auch nicht, daß es auf andere Weise gelingen könnte, eine Kultur zu vernichten, die älter und viel höher ist, als die der Türken. Auch sonst scheinen mir die Armenier gleich den Juden als Rasse von großer Widerstandskraft. Durch ihre Bildung, ihre kommerziellen Fähigkeiten, ihr Anpassungsvermögen dürfte es ihnen gelingen, auch unter ungünstigsten Verhältnissen wirtschaftlich wieder zu erstarken. Nur eine gewaltsame Ausrottungspolitik, ein gewaltsames Vernichten des ganzen Volkes könnte die türkische Regierung auf diesem Wege zum ersehnten Ziel, zur „Lösung“ der Armenierfrage führen. Ob eine solche Lösung dieser Frage für die Türken zweckmäßig, möchte ich bezweifeln. Zur Begründung führe ich folgendes an:

Die Bewohner Anatoliens setzen sich in der Hauptsache aus Türken, Armeniern und Kurden zusammen. Die Kurden stehen kulturell am tiefsten, die Armenier am höchsten. Die Liebe zu ihrer Heimat, zu der von ihnen seit Jahrhunderten bewohnten armenischen Hochebene, bildet einen Grundzug ihres Charakters, und mit den sympathischsten. Hätten sie diese Liebe nicht, so wäre ihnen als Volk viel Leid erspart geblieben. In den Städten dominieren sie in wirtschaftlicher Hinsicht, fast der gesamte Handel liegt in ihren Händen. Durch ihren rege ausgeprägten Erwerbssinn und ihre Gewinnsucht machen sie oft keinen angenehmen Eindruck. Der türkische Händler gibt ihnen in letzter Hinsicht allerdings wenig nach, ist ihnen aber in Bezug auf kaufmännische Fähigkeiten weit unterlegen. Denn wer von den Türken nur einigermaßen über Bildung verfügt, eventuell eine europäische Sprache spricht, wählt die Beamtenlaufbahn und hat, in der Provinz wenigstens, die Anwartschaft auf den Posten eines Wali. Der überraschend hohe Bildungsgrad der Armenier sowohl in der Stadt wie auf dem Lande, den sie dem Wirken ihrer Geistlichkeit und ihren vorzüglichen Schulen zu verdanken haben, befähigt sie, sich mit europäischer Kultur und Technik bekannt zu machen und die Einführung derselben in ihrem Wohnsitz zu fördern. Hierbei sei bemerkt, daß der Einfluß französischer Kultur auf die Armenier ein sehr starker ist und ihre Sympathien wohl auch auf französischer Seite sind. Die vielen unter Leitung von französischen Geistlichen stehenden Schulen haben in dieser Hinsicht einen starken Einfluß ausgeübt.

Auch politisch ist in Ostanatolien unter den Armeniern von französischer und englischer, besonders aber von russischer Seite eine starke Propagandatätigkeit ausgeübt worden. England und Rußland hatten ein politisches Interesse daran, daß die der Türkei aus der Armenierfrage erwachsenden[S. 125] Schwierigkeiten nicht aus der Welt geschafft würden. Sie spielten sich als Beschützer der Armenier auf und veranlaßten sie, nicht nur durch die Sachlage gerechtfertigte Forderungen zu stellen, um ihr Los zu erleichtern, sondern auch solche utopistisch politischer Natur. Insbesondere möchte ich dabei auf die unheilvolle Tätigkeit der russischen Konsuln hier und in Wan hinweisen.

von Scheubner-Richter.

An das Auswärtige Amt, Berlin.

133.

(Kaiserlich
Deutsche Botschaft.)

Telegramm.

Pera, den 11. August 1915.

Konsulat
 Trapezunt.
 Erzerum.
 Adana.
 Aleppo.
 Mossul.

In den letzten Wochen haben die Armeniergreuel trotz unserer wiederholten Vorstellungen einen Umfang angenommen, der es uns zur Pflicht macht, wo erforderlich, unsere entschiedene Mißbilligung dieser Vorgänge zum Ausdruck zu bringen. Verschiedentlich haben türkische Offiziere, Geistliche und andere Personen im Innern offen ausgesprochen, wir seien die Urheber dieser Greuel; einer solchen uns kompromittierenden Auffassung muß energisch entgegengetreten werden.

Hohenlohe.

134.

(Kaiserliches
Konsulat Aleppo.)

Telegramm.

Abgang aus Aleppo, den 12. August 1915.
Ankunft in Pera, den 12. August 1915.

Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

1. Hiesige Armenier schätzen jetzt die Zahl der im Osten umgekommenen Armenier auf wenigstens zwei, wahrscheinlich mehrere hunderttausend Seelen. In den weitaus überwiegenden Fällen sei die Tötung der Männer nicht durch Kurden, sondern durch Gendarmen erfolgt.

[S. 126]

Es sind ernste Anzeichen dafür vorhanden, daß die Methode, die Verbannten auf der Wanderung umzubringen, auch in den Bezirken Aleppo und Marasch befolgt werden soll. Djemal Paschas Befehle stehen dem entgegen, das Komitee arbeitet jedoch dafür.

2. Die protestantischen Armenier haben den Kriegsminister und den Minister des Innern erneut telegraphisch um die gleiche Vergünstigung wie die katholischen Armenier gebeten.

Rößler.

Notiz: Werde Talaat Bey bei erster Gelegenheit wegen der protestantischen Armenier interpellieren.

Mordtmann.

135.

(Kaiserlich
Deutsche Botschaft.)

Telegramm.

Pera, den 14. August 1915.

Deutsches Konsulat, Damaskus.

Wie das Konsulat in Aleppo meldet, steht die Umsiedelung der Armenier aus dem Wilajet Aleppo und Marasch bevor und man befürchtet Massakre der Auszutreibenden. Bekanntlich hat Djemal Pascha wiederholt Befehle gegen solche Ausschreitungen gegeben, diese Befehle werden aber von anderer unverantwortlicher Seite nicht immer beachtet. Bitte daher Djemal Pascha veranlassen, seine diesbezüglichen Befehle für den vorliegenden Fall zu erneuern.

Hohenlohe.

136.

Kaiserlich
Deutsche Botschaft.

Pera, den 12. August 1915.

Die systematische Niedermetzelung der aus ihren Wohnsitzen deportierten armenischen Bevölkerung hatte in den letzten Wochen einen derartigen Umfang angenommen, daß eine erneute eindringliche Vorstellung unsererseits gegen dieses wüste Treiben, das die Regierung nicht nur duldete, sondern offensichtlich förderte, geboten schien, zumal da an verschiedenen Orten auch die Christen anderer Rassen und Konfessionen nicht mehr verschont wurden. Dazu kam, daß in diesen Tagen die Behörden damit begonnen hatten, die armenischen Einwohner von verschiedenen Ortschaften in der Umgegend von Ismid (Nikomedien), also in unmittelbarer Nähe der Haupt[S. 127]stadt, umzusiedeln, weil sie angeblich eine russische Landung an der Mündung des Sakaria unterstützen wollten. Diese Maßregel rief unter der hiesigen armenischen Bevölkerung eine schwere Beunruhigung hervor, und man wollte wissen, daß nach Ablauf der heute beginnenden Bairamfesttage die hiesigen Armenier ebenfalls ausgetrieben werden würden. Bei der großen Anzahl der hier ansässigen Armenier (nach niedrigster Schätzung 80000 Seelen) hätte die Ausführung eines solchen Vorhabens nicht nur tiefgehende Störungen von Handel und Wandel zur Folge gehabt, sondern auch Leben and Eigentum der nichtmohammedanischen Einwohnerschaft, die Fremden nicht ausgeschlossen, ernstlich gefährdet.

Ich habe daher am 11. d. M. das in Abschrift beigefügte Memorandum auf der Hohen Pforte übergeben. Talaat Bey, der es in Abwesenheit des Großwesirs in Empfang nahm, versprach, soweit möglich Abhilfe zu schaffen und versicherte auf meine Anfrage, daß die Armenier von Konstantinopel nicht verschickt werden sollten.

Der auf der Pforte anwesende Kammerpräsident Halil Bey, der anscheinend das Vorgehen der Regierung gegen die Armenier nicht billigt, behauptete, daß die Massakres und anderen Greuel nicht von der Regierung gebilligt würden, aber die Regierung sei nicht immer in der Lage gewesen, die Ausschreitungen der Volksmassen zu hindern, auch hätten die untergeordneten Behörden bei der Ausführung der Deportationsmaßregel Mißgriffe getan.

Im Anschluß an vorstehendes muß erwähnt werden, daß unter der türkischen Bevölkerung im Innern vielfach die Auffassung besteht, daß die deutsche Regierung mit der Ausrottung der Armenier einverstanden sei und sie sogar geradezu veranlaßt habe. Ich habe daher die Kaiserlichen Konsulate in Anatolien angewiesen, solchen, für uns kompromittierenden Anschauungen, die sogar von Offizieren, Geistlichen und andern Persönlichkeiten der besseren Klassen offen geäußert werden, entschieden entgegenzutreten. Euerer Exzellenz Ermessen darf ich ergebenst anheimstellen, ob es sich nicht empfiehlt, zu geeignetem Zeitpunkt auch in der deutschen Presse darauf hinzuweisen, daß wir den Zwangsmaßregeln der türkischen Regierung gegen die Armenier durchaus fernstehen und daher auch nicht verantwortlich sind für die dabei vorgekommenen Ausschreitungen, die wir nur mißbilligen und bedauern können.

Endlich scheint es zur Unterstützung der hier unternommenen Schritte erwünscht, den neuen ottomanischen Botschafter dort auf die etwaigen Folgen der Armenierpolitik seiner Regierung und unsern Standpunkt in dieser Frage aufmerksam zu machen.

Hohenlohe.

Seiner Exzellenz dem Reichskanzler
Herrn von Bethmann Hollweg.

[S. 128]

Anlage.

Kaiserliche Deutsche Botschaft
in Konstantinopel.

Pera, le 9 août 1915.

Memorandum.

Par son memorandum du 4 Juillet l’Ambassade d’Allemagne a eu l’honneur de faire connaître à la Sublime Porte la manière de voir du Gouvernement Impérial Allemand au sujet de l’expatriation des habitants arméniens des provinces Anatoliennes, et d’attirer son attention sur le fait que cette mesure avait été accompagnée en plusieurs endroits par des actes de violence, tels que massacres et pillages qui ne pouvaient pas être justifiés par le but que le Gouvernement Impérial Ottoman poursuivait.

L’Ambassade d’Allemagne regrette de devoir constater que, d’après les renseignements qu’elle a reçus depuis lors de sources impartiales et dignes de foi les incidents de ce genre, au lieu d’être empêchés par les autorités locales, ont régulièrement suivi l’expulsion des Arméniens de sorte que la plupart d’eux ont péri avant même d’arriver au lieu de leur destination. Ce sont surtout les provinces de Trébizonde, de Diarbékir et d’Erzéroum d’où ces faits sont signalés; en certains endroits, comme à Mardine, tous les Chrétiens sans distinction de race ou de confession ont subi le même sort.

En même temps le Gouvernement Impérial Ottoman a cru devoir étendre la mesure d’expatriation aux autres provinces de l’Asie Mineure et tout dernièrement les villages arméniens des districts d’Ismid à proximité de la capitale ont été évacués de leurs habitants dans des conditions pareilles.

En présence de ces événements l’Ambassade d’Allemagne par ordre de son Gouvernement, est obligée de remontrer encore une fois contre ces actes d’horreur et de décliner toute responsabilité des conséquences qui en pourraient résulter. Elle se voit forcée à attirer l’attention du Gouvernement Ottoman sur ce point d’autant plus que l’opinion publique est déjà portée à croire que l’Allemagne en sa qualité de puissance amie et alliée de la Turquie aurait approuvé ou même inspiré ces actions de violence.

137.

Kaiserlich
Deutsches Konsulat.

Aleppo, den 13. August 1915.

Der Diakon Künzler aus Urfa hatte seinen mit Bericht vom 11 d. M. eingereichten Brief mit den Worten geschlossen: „Über die Furchtbarkeit der Frauen- und Kindertransporte wird Ihnen ein Augenzeuge mündlich berichten.“ Dieser Zeuge, ein Österreicher, der mir seit zwei Jahren genau be[S. 129]kannt ist und für dessen Wahrheit in der Darstellung ich persönlich einstehe, hat zur Erholung einige Wochen in einem Weinberge bei Urfa mit seiner Frau zugebracht, ist aber vorzeitig zurückgekehrt, weil er die Greuel nicht länger mit ansehen mochte. Auf meinen Wunsch hat er einige seiner Beobachtungen in der in anliegender Abschrift gehorsamst eingereichten Aufzeichnung niedergelegt. Übrigens ist er auf dem Wege von Urfa nach Arab Punar einem sehr ernsten Raubanfall ausgesetzt gewesen, den er hat zurückschlagen können, weil die Räuber nicht darauf vorbereitet waren, daß er Feuerwaffen bei sich hatte und weil ihm einige von den Angreifern nicht bemerkte Kutscher zu Hilfe eilten. Offenbar haben die Räuber einem Zuge Armenier aufgelauert. Die Frau des Österreichers liegt an den Folgen des Schrecks noch jetzt krank.

Der Vertreter der deutschen Orient-Handels- und Industriegesellschaft, Teppichmanufaktur Urfa, Herr Franz Eckart, hat den in anliegender Abschrift gehorsamst beigefügten Brief vom 5. August an mich gerichtet. Dieser Brief, sowie die allgemeine Lage in Urfa hat mich veranlaßt, ein Schreiben an den Mutessarrif in Urfa zu richten, in dem ich ihm den Schutz der dortigen Deutschen für ihre Person, für ihr Personal und für die Ausübung ihrer Tätigkeit besonders empfohlen habe.

Über einen weiteren aus Adiaman abgegangenen Trupp sind mir, wie in früheren ähnlichen Fällen, genaue Mitteilungen gemacht worden. Von 696, die Adiaman verließen, sind 321 in Aleppo angekommen; 206 Männer und 57 Frauen sind getötet worden, 70 Frauen und Mädchen und 19 Knaben sind entführt worden. Über den Rest fehlen die Angaben.

Ein aus Siwas am 12. d. M. hier angekommener Trupp war 3 Monate lang unterwegs und völlig erschöpft. Gleich nach der Ankunft sind einige gestorben. Vielfach hatte man ihm unterwegs das Wasser verweigert. Am Muradsu sind sie 14 Tage lang an einer Stelle im Kreise herumgeführt worden, in der Weise, daß sie tagsüber kein Wasser hatten. Die Zahl der Verluste bei diesem Trupp ist mir nicht bekannt geworden.

Wie mir der hiesige Wali, Beschir Sami Bey, heute mitteilt, ist die den katholischen Armeniern gewährte Vergünstigung wieder aufgehoben worden. Alle ohne Ausnahme werden verschickt. Auf der anderen Seite hat er erklärt, daß er Ungesetzlichkeiten oder Einflüsse unverantwortlicher Stellen in seinem Wilajet nicht dulden und gegen etwaige Missetäter auf das schärfste vorgehen werde. Leider verhindert dieser gute Wille nicht solches Unglück, das aus mangelnder Organisation und Vorbereitung erwächst. Es ist kein Zweifel, daß auch im Wilajet Aleppo, z. B. auf dem Weg von Bab nach Membidj, zahlreiche Frauen und Kinder an Erschöpfung zugrunde gegangen sind.

Gleichen Bericht lasse ich der Kaiserlichen Botschaft zugehen.

Rößler.

Seiner Exzellenz dem Herrn Reichskanzler.

[S. 130]

Anlage I.

Aufzeichnungen eines Österreichers.

Dem Deutschen Konsulat Aleppo am 11. August 1915 übergeben.

Beobachtungen bei den Armeniertransporten in der Gegend von Urfa.

Die Transporte bestanden nur aus Frauen, Greisen und Kindern. Rüstige, kräftige Männer fehlten. Diejenigen Trupps, die bereits eine Woche oder noch länger auf dem Marsche waren, machten einen erbärmlichen Eindruck. Viele von den Strapazen Übermüdete und Erkrankte hinkten mit und zogen Kinder mit sich (viele Säuglinge und schwangere Frauen). Bei Kindern, alten oder sonst schwachen Personen sah man meist wunde, dickgeschwollene in Fetzen gewickelte Füße. Die meisten Transporte hatten ihre Habseligkeiten vor Urfa verkauft, um Transportesel in den Dörfern zu mieten (3 Medjidie pro Tag, d. i. der dreifache des gewöhnlichen Preises). Andere Haufen brachten noch einige Reisegegenstände und Hausgeräte mit nach Urfa, deren sie hier auf schreckliche Weise beraubt wurden, fast ohne Geld. In der Tscharschi verkauften selbst Soldaten Sachen dieser Transportierten. Die meisten Angekommenen wurden im Waisenhause untergebracht, wo sie für Nahrung selbst zu sorgen hatten. Militärposten hielten ringsum Wache. Ich bemerkte, wie ein gieriger Händler mit gekauften Kleidern über die Gartenmauer sprang und dem Posten das Bestechungsgeld offen in die Hand zählte.

Durch Trinkgeld, Kauf oder Freundschaft konnte man von den wandernden Massen Frauen, Mädchen und Kinder an sich nehmen. Später verbot die Behörde diesen Handel; dennoch kommen die Aneignungen vor. Ich sah selbst zwei Frauen von 16 und 30 Jahren, die von der Straße weg von Türken zu sich genommen wurden und die mir dann — als ich zu den Türken noch am selben Tage als Gast kam, erzählten, sie seien aus Adiaman und bereits 10 Tage auf dem Wege. Die Gendarmen waren gut mit ihnen gewesen, schlugen eine räuberische Kurdenbande, die auf Weiberraub lauerten, zurück — in den Dörfern bekamen sie immer wieder Brot und Käse. Tagesmärsche dauerten 6–7 Stunden, Rast hatten sie oft. Auf dem Wege von Adiaman trafen sie nackte ermordete Frauen, auch verstümmelte mit abgeschnittenen Brüsten, zwei noch Lebende erzählten, sie seien vom Zuge zurückgeblieben, teils aus Krankheit, teils aus Fluchtabsicht, wobei sie dann von den Kurden geschändet und beraubt wurden.

Auf dem Transporte gehen viele Personen zugrunde. In Urfa stürzte vor mir eine Frau nieder. Da der Polizist nicht zurückbleiben durfte, forderte er einige Umstehende auf, zur Polizei zu gehen, um dies zu melden, damit man die Kranke wegtrage. Am andern Tag fand ich dieselbe Frau (30 Jahre alt) in einer anderen Straße vor dem Waisenhause in dem größten Sonnenlicht auf der Straße tot liegen. Ich trat hinzu, und sie zeigte bereits blaues[S. 131] Gesicht. Soldaten standen nebenan auf Posten, Polizei und Zivil belebten den Platz. Die Frau lag meiner Schätzung nach schon mehrere Stunden tot da. Erst meine Intervention beim Mutessarrif veranlaßte innerhalb einer halben Stunde die Abfuhr des Leichnams, jedoch mit einem Mistwagen.

Außerhalb Urfas (gegen Tell Abiad zu), knapp vor den Urfagärten, lag am Straßenrande der Leichnam eines 20–24 jährigen Mannes. Niemand beerdigte ihn, sondern Raubvögel fraßen daran.

Auf der Straße Urfa-Arab Punar sah ich wohl im Dunkeln keine Leichen, doch mein Kutscher, der diesen Weg beständig fährt, zeigte mir längs der Straße hin und wieder Brandstellen — die menschlichen Kadaver werden nämlich an Ort und Stelle verbrannt.

Manche Züge humpeln schreiend vor Schmerz dahin. Sobald sie eines Menschen ansichtig werden, fallen viele dieser Unglücklichen auf die Knie und erbitten Hilfe und Rettung oder legen ihre Kinder zur Annahme vor. Auf diesen Märschen bei 56 Grad Celsius und bei Wassermangel erliegen viele vor Erschöpfung. Wer zurückblieb, ist dem Tode sicher.

Anlage II.

Deutsche Orient-Handels- und
Industriegesellschaft m. b. H.
Teppichmanufaktur Urfa.

Urfa, den 5. August 1915.

Vor einigen Tagen haben zwei junge Türken eine junge Frau aus den auf der nahen Diarbekrstraße vorüberziehenden armenischen Emigranten nach dem untern Teil meines Grundstückes in eine Versenkung geschleppt und sie entkleidet, um sie zu vergewaltigen. Auf das Schreien der Frau sind meine Kinder hinzugeeilt und haben drei in der Nähe befindliche Arbeiter von mir zu Hilfe gerufen. Diese befreiten die Frau, welche in mein Haus flüchtete. Nach kurzer Zeit kamen die zwei Türken mit vier andern Begleitern vor mein Haus und forderten in meiner Abwesenheit von meiner Frau die Herausgabe der Frau. Auf wiederholte Antwort meiner Frau: „Hier wohnen Deutsche“ zogen sie drohend ab.

Trotz meiner Vorstellungen bei dem Gouverneur bin weder ich noch meine Familie, noch meine Arbeiter vor weiteren Belästigungen jener Türken sicher. Sie haben erst heute morgen wieder die drei Arbeiter von ihrer Arbeit in meinem Garten vertrieben. Ich bin daher gezwungen, den Schutz meiner eigenen Regierung anzurufen.

Fr. Eckart.

An das
Kaiserlich Deutsche Konsulat, Aleppo.

[S. 132]

138.

Kaiserlich
Deutsche Botschaft.

Pera, den 13. August 1915.

Das Kriegsgericht in Konstantinopel erläßt in den hiesigen Blättern die öffentliche Ladung des bekannten armenischen Politikers und ägyptischen Staatsmannes Boghos Nubar Pascha, der verschiedener landesverräterischer Handlungen beschuldigt wird.

Das vom Kriegsgericht eröffnete Verfahren ist nicht ernsthaft zu nehmen.

Richtig dürfte sein, daß Nubar Pascha sich an den Verhandlungen des Katholikos von Etschmiadsin mit den Dreiverbandmächten über die Schaffung eines autonomen oder unabhängigen armenischen Staates aus den ostanatolischen Provinzen beteiligt hat, bzw. noch beteiligt. Dagegen wird — mit Recht — bezweifelt, daß er in einer direkten Verbindung mit den in der Ladung genannten Blättern steht, welche Organe der Hintschakistenpartei sind, da er sich bisher von dem bekannten armenischen Vereine ferngehalten hat.

In der weiteren Anschuldigung, die sich auf Boghos Nubar Pascha’s Tätigkeit in der armenischen Reformfrage[85] während der Jahre 1913 und 1914 bezieht, wird hier von manchen Seiten ein versteckter Vorwurf gegen unsere damalige Politik erblickt, die das Zustandekommen des Reformprojektes unterstützt habe.

Hohenlohe.

Seiner Exzellenz dem Herrn Reichskanzler.

139.

(Kaiserliches
Konsulat Mossul.)

Telegramm.

Abgang aus Mossul, den 14. August 1915.
Ankunft in Pera, den 15. August 1915.

An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Ich habe in verschiedenen deutschen Zeitungen türkische amtliche Dementis der Christengreuel gelesen und bin über die Naivität der Pforte erstaunt, welche die Tatsachen der Verbrechen türkischer Beamten durch krasse Lügen aus der Welt schaffen zu können glaubt.

Holstein.

[S. 133]

140.

(Kaiserliches
Konsulat Aleppo.)

Telegramm.

Abgang aus Aleppo, den 15. August 1915.
Ankunft in Pera, den 16. August 1915.

An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Immer weiter eintreffenden Informationen zufolge sind die Armenier im Osten schon heute so gut wie völlig vernichtet.

Regierung will die Armenier des Westens entweder auch vernichten, oder sie weiß nicht, was sie tut. Es herrscht völlige Desorganisation, so daß die mit der Ausführung beauftragten Beamten nicht wissen, was die Regierung will. Die Armenier aus Cilicien, die sich in Aleppo befinden, erhalten, wenn auch unregelmäßig, etwas Lebensunterhalt von der Regierung. Die aus dem Osten, von denen etwa 6000 hier sind, während täglich etwa 300 ankommen, erhalten nichts. Die von der armenischen Gemeinde Aleppo aufgebrachten Mittel sind bald erschöpft. Früher konnte jeder Flüchtling 4 kleine Brote täglich, jetzt nur 2 erhalten und keine andere Nahrung. Für Tausende und aber Tausende an anderen Orten als Aleppo sorgt niemand.

Rößler.

141.

(Kaiserliches
Konsulat Aleppo.)

Telegramm.

Abgang aus Aleppo, den 16. August 1915.
Ankunft in Pera, den 16. August 1915.

An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Der Abtransport der Armenier von Marasch hat begonnen. Es liegen keine Nachrichten von der dortigen deutschen Mission vor. Ich stelle gehorsamst anheim, eine Ausnahme für das Personal des Hospitals und für den Lehrkörper, die Schüler und Schülerinnen der Schulen des Hilfsbundes zu erwirken, da es sich um deutsche Anstalten handelt.

Rößler.

[S. 134]

142.

(Kaiserlich
Deutsche Botschaft.)

Telegramm.

Pera, den 17. August 1915.

An Deutsches Konsulat, Aleppo.

Vom Minister des Innern wurde mir der Schutz der deutschen Anstalten, des Hospitals nebst Apotheke und der Schulen in Marasch, auch das Verbleiben des Hilfspersonals und der Schulkinder zugesagt. Gleichzeitig wurde versprochen, daß die Ortsbehörden entsprechende telegraphische Anweisung erhalten werden.

Hohenlohe.

143.

(Bericht von Deutschen
in Konia.)

Konia, den 16. August 1915.

Die unterzeichneten, zurzeit in Konia ansässigen deutschen Staatsangehörigen gestatten sich, der Kaiserlich Deutschen Botschaft folgenden Bericht zu unterbreiten:

Seit einer Woche sind wir Zeugen der ergreifendsten Szenen, über die sich ein Fernstehender kaum ein Bild machen kann. Täglich kommen lange Züge mit Armeniern an, die nach ihren Aussagen aus Ismid, Adabazar und Umgebung ausgewiesen worden sind.

Von Durchreisenden haben wir erfahren, daß diese Ausweisungsmaßregeln schon seit Monaten in Cilicien und Nordmesopotamien zur Anwendung kommen, und wie wir hören, soll auch in anderen Orten Anatoliens mit den Armeniern aufgeräumt werden. Heute erhielten auch die hiesigen Armenier den Befehl, die Stadt innerhalb acht Tagen zu verlassen.

Was wir mit unserem Bericht bezwecken, ist, gegen die jeder Menschlichkeit zuwiderlaufende Art der Behandlung dieser Vertriebenen Einspruch zu erheben.

Weiber und Kinder werden mit Faust- und Stockschlägen angetrieben. Auf offenen Karren und Tatarwagen werden sie in die Nacht gejagt, und die Unbemittelten müssen zu Fuß mit dem Rest ihrer Habe die beschwerliche lange Reise fortsetzen.

Die des Nötigsten entbehren, müssen ihre geringen Habseligkeiten verschleudern, ja, sie werden ihnen oftmals mit Gewalt entrissen und gestohlen.

Wie groß die Verzweiflung ist, geht daraus hervor, daß Mütter ihre Kinder verschenken, um sie vor dem elendesten Los zu bewahren.

Kinder, die von mitleidigen christlichen Familien angenommen wurden, sind diesen später von den Behörden abgefordert und Türken gegeben worden.

[S. 135]

Hilfeleistungen von unserer Seite wurden nicht gern gesehen. Dies erinnert uns an einen Vorfall im April d. J., wo die Unterstützung der hiesigen amerikanischen Mission an die ca. 3000 von Zeitun ausgewiesenen Armenier verboten wurde; dagegen wurde von keiner Seite Einspruch erhoben, als bei den Balkanwirren von der gleichen Mission für mehr als 500 Ltq. Betten und Wäsche von Eskischehir bis Eregli unter den muhammedanischen Auswanderern verteilt wurden.

Der ganze Weg von hier bis hinter Aleppo gleicht einer Karawane des Jammers und des Elends. In Ortschaften wie Karaman, Eregli und Bozanti, wo die Bewohner selbst an Brotmangel leiden, ist das Los der Vertriebenen unausdenkbar; sie sind einem langsamen qualvollen Hungertode preisgegeben. Zur Kenntnisnahme erwähnen wir, daß in Bozanti trotz einem Brotpreise von Piaster 8 per Oka solches nicht zu bekommen ist.

In den Gebirgsgegenden diesseits und in der Ebene jenseits des Taurus sind diese Ärmsten den schändlichen Gelüsten der halbwilden muhammedanischen Bevölkerung ausgesetzt.

Die ganze Maßregel läuft also allem Anschein nach auf eine völlige Ausrottung der Armenier hinaus.

Diese unmenschliche Behandlung bildet nicht nur für die Türken einen unauslöschlichen Schandfleck in der Weltgeschichte, sondern auch für uns Deutsche, falls wir der Sache untätig zusehen und die Vernichtung dieses Volkes zulassen. Abgesehen davon ist dieses Vorgehen höchst beklagenswert im Interesse der wirtschaftlichen Lage des Landes und auch deutsche Unternehmungen werden dabei in Mitleidenschaft gezogen, wenn dieses arbeitsame Volk zugrunde geht.

Wenn sich Unterzeichnete erlauben, der Kaiserlichen Botschaft einen Bericht über diese Zustände zu übersenden, so tun sie dies in der Annahme, daß diese der Kaiserlich Deutschen Botschaft nicht in vollem Umfange bekannt sind.

Wir Deutsche, die wir hier jetzt täglich gezwungen sind, einem unmenschlichen Treiben zusehen zu müssen, fühlen uns als Mitglieder eines Kulturstaates inmitten eines halb zivilisierten Volkes verpflichtet, dagegen zu protestieren.

In Erwartung, daß unsere Bitte dahin berücksichtigt wird, daß wenigstens das Los der tausende und abertausende unschuldiger Frauen und Kinder gemildert wird, zeichnen wir

Hochachtungsvoll

Willy Seeger, Leiter der Anatolischen Industrie- und Handelsgesellschaft, Filiale Konia. Georg Biegel, Mittelschullehrer. Heinrich Janson, Werkmeister. J. E. Maurer, Diplom-Ingenieur.

An die Kaiserlich Deutsche Botschaft
Konstantinopel.

[S. 136]

144.

(Auswärtiges Amt.)

Telegramm.

Berlin, den 18. August 1915.

An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Bitte zu geeigneter Zeit und in entsprechender Form Bericht aus Aleppo vom 27. Juli bei Pforte verwerten und Überzeugung aussprechen, das Vorgehen gegen die Armenier widerspreche ihren Absichten und Instruktionen.

Unsere Freunde im türkischen Kabinett werden begreifen, daß wir schon wegen des gegen uns erhobenen Vorwurfs der Anstiftung an energischer Unterdrückung der Ausschreitungen lebhaft interessiert sind.

Zimmermann.

145.

Eingabe eines Armeniers.

Deutsche Botschaft.
(Von Msgnre Dolci übergeben.)

Pera, 19.8.1915.

Aus der Deportation der Armenier.

Die Katholiken von Nicomedia (Ismid) sind mit anderen Armeniern deportiert worden. Zwei Priester und ein Teil der katholischen Armenier sind durch einen glücklichen Zufall in Eskischehir geblieben. Nach fünf Tagen werden sie davon fortgejagt. Wir bitten Sie, es zu erlangen, daß diese zwei Priester und ihr Volk entweder nach ihren Städten oder Dörfern zurückkehren, oder in Eskischehir bleiben, aber so frei wie die dortigen katholischen Armenier.

Gegen alle Versprechungen hat man am 16. d. M. die katholischen und protestantischen Armenier von Baktschedjik abtransportiert. Durch einen Zufall sind fünf Nonnen und drei Priester in Nicomedia geblieben und ihr Volk durch Eisenbahn deportiert. Wir bitten Sie, diese Priester und Schwestern entweder nach Baktschedjik zurückzuschicken oder nach Konstantinopel kommen zu lassen. Ebenfalls das katholische und protestantische Volk nach seinem Dorfe zurückschicken oder in Eskischehir aufhalten.

Den Eisenbahnbeamten Order geben, daß sie diese Unglücklichen menschlicher behandeln.

Man gestatte uns, den Armen Almosen zu geben.

(Kaiserlich
Deutsche Botschaft.)

Verfügung.

Herrn Generalkonsul Mordtmann mit der Bitte, die Sache möglichst heute noch bei Talaat befürwortend zur Sprache zu bringen.

21. August 1915.

Neurath.

[S. 137]

146.

Aufzeichnung.

21. August 1915.

Ich habe heute auf dem Ministerium des Innern bei Aziz Bey (Minister und Djambulad Bey waren nicht da) wegen Rücksendung der bereits abtransportierten katholischen Armenier Schritte getan.

Aziz Bey wird die Sache dem Minister vortragen, und bemerkte dabei, daß nach neuester Verfügung die katholischen Armenier von Angora und Adana von der Vergünstigung wieder ausgenommen seien.

Ich hatte speziell gebeten, wegen der bereits nach Eskischehir und Konia abgeführten und dort in den Konzentrationslagern internierten katholischen und protestantischen Armenier dem Mutessarriflik Eskischehir und Wilajet Konia telegraphische Weisungen wegen Sistierung des Weitertransports bzw. Rücksendung der Internierten zugehen zu lassen.

Mordtmann.

Notiz:

Pera, 23. August 1915.

Der katholische armenische Patriarch teilt mit, der Befehl, die katholischen Armenier von der Ausweisung auszunehmen, sei rückgängig gemacht und bittet um Verwendung.

147.

Aufzeichnung.

23. 8. 15.

Heute Talaat Bey vorgetragen, der sich ausweichend ausdrückte. Gleichzeitig regte ich an, die bereits nach Eskischehir und Konia abgeschobenen Armenier protestantischen und katholischen Glaubens nicht weiter zu transportieren und ihnen eventuell die Rückkehr in ihre Heimat zu gestatten, und erhielt gleiche unbestimmte Auskunft.

Aziz Bey, den ich hierauf aufsuchte, um ihm die Sache wegen Eskischehir dringend zu machen, bezweifelte sehr, daß der Minister die gewünschten Ordres geben würde.

Mordtmann.

[S. 138]

148.

Telegramm.

(Kaiserlich
Deutsche Botschaft.)

Pera, den 24. August 1915.

An Deutsches Konsulat, Adana.

Kürzlich hatte die Pforte das Verbleiben der katholischen und protestantischen Armenier in ihren Wohnsitzen zugesagt, nachträglich aber diese Vergünstigung für Angora und Adana zurückgezogen. Daraufhin sind von hier aus Schritte getan worden, um den letzten Beschluß der Pforte rückgängig zu machen. Ob diese Schritte Erfolg haben werden, erscheint zweifelhaft. Bitte eventuell Drahtbericht über die dortige Lage.

Hohenlohe.

149.

(Oberstleutnant Stange.)

Erzerum, den 23. August 1915.

Bericht über die Armeniervertreibungen.

Die Armenieraustreibungen begannen etwa Mitte Mai 1915. Bis dahin war alles ziemlich ruhig geblieben; die Armenier konnten ihrem Handel und Gewerbe nachgehen, übten ungestört ihre Religion aus und waren im allgemeinen mit ihrer Lage zufrieden. Allerdings wurde am 10. Februar d. J. der 2. Direktor der hiesigen Ottomanbank, ein Armenier, gegen 6 Uhr abends auf offener Straße erschossen. Trotz angeblicher Bemühungen der Regierung ist der Täter nie ermittelt worden; heute ist kein Zweifel mehr darüber, daß der Anlaß zu diesem Morde ein rein politischer war. Um die damalige Zeit wurde auch der armenische Bischof von Ersindjan ermordet.

Gegen den 20. Mai war vom Oberkommandierenden Kamil Pascha die Räumung der armenischen Dörfer nördlich Erzerum befohlen worden, was von den türkischen Organen in rohester Weise ausgeführt wurde; hierüber liegt die Abschrift eines Briefes der armenischen Dorfbewohner an ihren Bischof vor: Die Leute wurden in kürzester Zeit von Haus, Hof und Feld verjagt und zusammengetrieben, einem großen Teil ließen die Gendarmen nicht die Zeit, das Nötigste zusammenzupacken und mitzunehmen. Zurückgelassenes und mitgenommenes Gut wurde von den begleitenden Gendarmen und Soldaten den Eigentümern abgenommen oder aus den Häusern gestohlen. Bei dem damaligen schlechten Wetter mußten die Vertriebenen unter freiem Himmel nächtigen; sie erhielten von den Gendarmen meist nur gegen besondere Bezahlung die Erlaubnis, die Ortschaften zur Besorgung von Lebensmitteln oder zur Entnahme von Wasser betreten zu dürfen.[S. 139] Vergewaltigungen sind vorgekommen und tatsächlich haben verzweifelte Mütter ihre Säuglinge in den Euphrat geworfen, weil sie keine Möglichkeit mehr sahen, sie zu ernähren. Der deutsche Konsul ließ mehrmals durch seine deutschen Konsulatsangestellten Brot verteilen, und letztere sind in der Lage, über das Elend der Verjagten zu berichten.

Es steht einwandfrei fest, daß diese Armenier fast ohne Ausnahme in der Gegend von Mamachatun (Terdjan) von sogenannten Tschettäs (Freiwilligen), Aschirets und ähnlichem Gesindel ermordet worden sind, und zwar unter Duldung der militärischen Begleitung, sogar mit deren Mithilfe. Der Wali gab diese Tatsachen — natürlich nur in beschränktem Umfange — dem deutschen Konsul zu, und letzterer hat über die Begebenheiten einen dem Gemetzel verwundet entkommenen alten Armenier eingehend vernommen. Eine größere Anzahl von Leichen wurde vom Konsulatsdiener Kriegsfreiwilligen Schlimme dort gesehen.

Anfangs Juni wurde mit der Ausweisung der Armenier aus der Stadt Erzerum begonnen. Die Art und Weise, wie sie von den Regierungs- und Polizeibehörden und deren Organen durchgeführt wurde, läßt jegliche Organisation und Ordnung vermissen. Im Gegenteil ist sie ein Musterbeispiel für rücksichtslose, unmenschliche und gesetzwidrige Willkür, für tierische Roheit sämtlicher beteiligter Türken gegenüber der ihnen tief verhaßten und als vogelfrei angesehenen Bevölkerungsklasse. Hierüber liegt eine große Zahl von sicheren Beispielen vor. Die Regierung tat nicht das geringste, den Ausgewiesenen irgendwie behilflich zu sein, und da die Polizisten die Gesinnung ihrer Vorgesetzten kannten, so taten sie auch ihrerseits alles, was die Quälereien der Armenier vermehren konnte. Ausweisungen wurden verfügt und wieder aufgehoben, dann die ausgestellten Aufenthaltserlaubnisscheine von der Polizei nach wenigen Tagen wieder abverlangt und vernichtet und neue Ausweisungsbefehle erteilt; in vielen Fällen wurden letztere vom Abend zum Morgen gegeben. Einsprüche und Beschwerden wurden nicht beachtet und nicht selten mit Mißhandlungen beantwortet.

Die Regierung gab den Ausgewiesenen keinen Bestimmungsort an. Sie ließ zu, daß die Preise der Beförderungsmittel eine fast unerschwingliche Höhe erreichten, sie gab meist eine unzureichende Zahl Begleitmannschaften mit, die schlecht ausgebildet waren und ihre Pflicht, die Vertriebenen zu schützen, keinesfalls ernst nahmen, wie sich später oft herausstellte. Und doch war es allgemein bekannt, daß die Unsicherheit auf den Landstraßen einen hohen Grad erreicht hatte, was die Behörde aber nicht abhielt, die Armenier hinauszujagen. Sie sollten eben umkommen. In Trapezunt war es den Armeniern nach erhaltenem Ausweisungsbefehl sogar verboten worden, irgend etwas von ihrem Eigentum zu veräußern oder mitzunehmen. Der Diener des hiesigen Konsulats, deutscher Kriegsfreiwilliger Schlimme (Schlimme hatte eine Dienstreise im Auftrag des Konsulats über Baiburt[S. 140] Ersindjan nach Trapezunt unternommen) hat selbst in Trapezunt gesehen, wie Polizeimannschaften den an der Polizeiwache vorüberziehenden ihre ärmlichen Bündel abnahmen.

Vorstehendes möge genügen, um einen, wenn auch nur schwachen Begriff von der rohen Behandlung zu geben, der die Armenier ausgesetzt waren. Zahlreiche weitere Einzelheiten stehen zur Verfügung.

Soweit es bei dem Bestreben der Regierung, die Ereignisse zu verheimlichen oder abzuschwächen, übersehen werden kann, ist die Lage folgendermaßen:

Von dem ersten Trupp, der am 16. Juni auf dem direkten Weg nach Kharput abging, und der vorwiegend aus armenischen Notabeln bestand, die ziemlich viel Gepäck mitführten, sind alle Männer mit wenigen Ausnahmen umgebracht, was vom Wali für eine Anzahl von 13 Armeniern zugegeben wurde. Die Frauen scheinen mit den kleinsten Kindern in Kharput angekommen zu sein, von den erwachsenen Mädchen ist nichts sicheres bekannt. Die übrigen Trupps wurden über Baiburt und Ersindjan und weiter in Richtung Kemach (Euphrattal) geleitet. Sie „sollen“ im allgemeinen glücklich durch das Euphrattal durchgekommen sein, haben aber noch eine gefährliche Gegend auf dem Marsch nach Kharput und in die Gegend von Urfa zu durchqueren.

Von den Armeniern von Trapezunt wurden die Männer abseits ins Gebirge geführt und unter Mithilfe von Militär abgeschlachtet, während die Frauen in bejammernswertem Zustande nach Ersindjan getrieben wurden. Was weiter mit ihnen geschah ist zurzeit nicht bekannt. In Trapezunt wurden Armenier aufs Meer hinausgefahren und dann über Bord geworfen. Der Bischof von Trapezunt wurde vor das Kriegsgericht in Erzerum geladen und auf der Reise dahin samt seinen Kawassen erdrosselt. Ein armenischer Militärarzt wurde zwischen Trapezunt und Baiburt ermordet.

Die Armenier von Ersindjan wurden allesamt ins Kemach-(Euphrat-)Tal getrieben, und dort abgeschlachtet. Es wird ziemlich glaubwürdig berichtet, daß die Leichname auf schon vorher bereit gehaltenen Wagen nach dem Euphrat geschafft und in den Fluß geworfen wurden. Der Bischof von Ersindjan hat seine Glaubensgenossen begleitet und wird ihr Los geteilt haben.

In Erzerum befinden sich nur noch ganz wenige Armenier, nachdem die ursprünglich getroffene Anordnung, Frauen und Kinder ohne männlichen Schutz dürften in der Stadt bleiben, wieder aufgehoben und deren Vertreibung streng und rücksichtslos durchgeführt war. Selbst diejenigen, deren man für Heeres- und Verwaltungsbetrieb unbedingt bedurfte, Handwerker, Beschlagschmiede, Kraftwagenführer, Lazarettpersonal, Bank- und Regierungsbeamte, Militärärzte wurden planlos verschickt.

Die Entfernung der Armenier aus dem Kriegsgebiet von Erzerum war[S. 141] gesetzlich zulässig und wird mit militärischer Notwendigkeit begründet. In der Tat hatten sich die Armenier in verschiedenen Gegenden als unzuverlässig erwiesen. Es kam zu Aufständen z. B. am Wansee, in Bitlis und Musch.[86] Gelegentlich wurden Telegraphendrähte durchgeschnitten und nicht wenig Fälle von Spionage kamen vor. Andererseits hatte sich bisher die armenische Bevölkerung in Erzerum vollkommen ruhig verhalten. Ob sie bei etwaiger Annäherung der Russen an Erzerum weiter ruhig geblieben wären, ist zurzeit nicht mit Sicherheit festzustellen. Alle wehrfähigen Armenier waren bis auf einen verhältnismäßig geringen Bruchteil eingezogen. Ein besonderer Anlaß, eine Erhebung zu befürchten, lag demnach nicht vor. Trotzdem scheint die Regierung eine solche Furcht vor den Armeniern gehabt zu haben, die in keinem Verhältnis zu dem machtlosen Zustande stand, in dem sich zurzeit hier die Armenier befanden. Wenn nun auch immer die Entscheidung über Entsendung dieses nicht ganz zuverlässigen Elementes allein Sache des Oberkommandos ist, so dürfte doch erwartet und verlangt werden, daß diese Maßnahme ohne Schaden für Leben und Eigentum der Ausgewiesenen, denen persönlich nicht die geringste Schuld nachzuweisen war, durchgeführt wurde. Hierdurch wird die Berechtigung und Verpflichtung, einzelnen Schuldigen den Prozeß zu machen, nicht berührt. Daß aber Hunderte und Tausende regelrecht ermordet wurden, daß die Behörden über jedes zurückgelassene Eigentum (Häuser, Läden, Waren, Hausrat) willkürlich verfügten — in der armenischen Kirche lagen Vorräte im Werte von etwa 150000 Ltq[87] — daß überhaupt die Entfernung in der unmenschlichsten Weise vor sich ging und Familien und Frauen ohne männlichen Schutz vertrieben wurden, daß endlich die zum muhammedanischen Glauben übergetretenen Armenier nicht mehr als verdächtig betrachtet und also in Ruhe gelassen wurden, gibt zu der Vermutung berechtigten Anlaß, daß militärische Gründe erst in zweiter Linie für die Vertreibung der Armenier in Betracht kamen, und daß es hauptsächlich darauf ankam, diese günstige Gelegenheit, wo von außen her Einspruch nicht zu erwarten war, zu benutzen, einen lang gehegten Plan, die gründliche Schwächung, wenn nicht Vernichtung der armenischen Bevölkerung zur Ausführung zu bringen. Hierzu boten militärische Gründe und die aufrührerischen Bestrebungen in verschiedenen Landesteilen willkommenen Vorwand.

Dabei scheinen die Behörden den Grundsatz als berechtigt anzuerkennen, an Unschuldigen Vergeltung zu üben für die Vergehen Schuldiger, deren man aber nicht habhaft werden kann.

Bei der Durchführung der Ausweisungsmaßnahmen berief sich der Wali einmal auf die Befehle des Oberkommandierenden, ein anderesmal auf Befehle[S. 142] von Konstantinopel. Umgekehrt drängte der Oberkommandierende dauernd auf rücksichtslose Beschleunigung der Austreibung und gab nicht selten Befehle, für deren Ausführung er dem Wali die Verantwortung zuschob, ohne ihm die Mittel zur Ausführung geben zu können oder zu wollen. Der Oberkommandierende mußte von der Ermordung der ersten Armenier Kenntnis haben, auch von dem Verhalten der begleitenden Gendarmen; er kannte die Unsicherheit der Straßen, tat nichts zur Beseitigung dieses Übelstandes und befahl trotzdem die Vertreibung der Armenier auf eben diese Straßen. Dieses Verhalten entspricht allerdings seiner Äußerung zum Konsul, „daß es nach dem Kriege eine Armenierfrage nicht mehr geben werde“.

Nach allem vorgefallenem kann folgendes als sicher angenommen werden:

Die Austreibung und Vernichtung der Armenier war vom jungtürkischen Komitee in Konstantinopel beschlossen, wohl organisiert und mit Hilfe von Angehörigen des Heeres und von Freiwilligenbanden durchgeführt. Hierzu befanden sich Mitglieder des Komitees hier an Ort und Stelle.

Hilmi Bey, Schakir Bey, der Abgeordnete für Erzerum, Seyfulla Bey; außerdem hier im Amt: Der Polizeidirektor Chulussi Bey und der Oberkommandierende Mahmud Kamil Pascha.

Stange,
Oberstleutnant.

An die deutsche Militärmission
Konstantinopel.

150.

(Kaiserliches
Konsulat Aleppo.)

Telegramm.

Abgang aus Aleppo, den 25. August 1915.
Ankunft in Pera, den 25. August 1915.

An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Djemal Pascha hat gegen den klaren Befehl des Minister des Innern, daß protestantische Armenier bleiben dürfen, Gegenbefehl gegeben. Er ist zunächst durch den Wali auf den Widerspruch aufmerksam gemacht worden.

Rößler.

[S. 143]

151.

(Kaiserlich
Deutsche Botschaft.)

Telegramm.

Pera, den 27. August 1915.

An Deutsches General-Konsulat, Jerusalem.

Die protestantischen Armenier waren durch Verfügung der Pforte von der Ausweisung ausgenommen. Djemal Pascha hat bezüglich Wilajet Aleppo laut Telegramm dortigen Konsuls Gegenbefehl gegeben. Bitte, falls Djemal Pascha dort erreichbar, auf Zurücknahme des Gegenbefehls hinwirken, eventuell dessen Gründe feststellen[88].

Hohenlohe.

152.

(Kaiserlich
Deutsche Botschaft.)

Telegramm.

Pera, den 27. August 1915.

An Deutsches Konsulat, Aleppo.

Ich habe Konsulat Jerusalem ersucht, bei Djemal Pascha wegen der protestantischen Armenier vorstellig zu werden. Auf der Pforte wurde erklärt: die Ausnahme für katholische und protestantische Armenier bezöge sich nur auf die Stadt Aleppo, nicht auf das Wilajet.

Hohenlohe.

153.

(Kaiserliches
Konsulat Aleppo.)

Telegramm.

Abgang aus Aleppo, den 26. August 1915.
Ankunft in Pera, den 27. August 1915.

An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Ein seinerzeit mit Waffe vom Militär geflüchteter Armenier hat am 19. August in Urfa bei Haussuchung drei Polizisten getötet.

Daraufhin erfolgte ein regelrechtes Massakre durch Pöbel, wobei etwa 200 Männer, Armenier und Syrer, erschlagen wurden. Die Regierung hatte am folgenden Morgen das Heft wieder in der Hand.

Rößler.

[S. 144]

154.

(Kaiserliches
Konsulat Damaskus.)

Telegramm.

Abgang aus Damaskus, den 26. August 1915.
Ankunft in Pera, den 27. August 1915.

An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Djemal Pascha ist auf dem Wege nach Jerusalem und nicht nach Damaskus gekommen, ich konnte ihn daher nicht sprechen. Habe hiesigen Wali, der heute zu ihm fährt, vom Inhalt des Telegramms vom 14. August in Kenntnis gesetzt. Bisher sind 3000 Armenier mit Hedjasbahn nach der Gegend von Kerak gebracht. Es sollen 60000 Armenier dorthin und nach Hauran verschickt werden. Gegenwärtig könnten in Provinz Damaskus nach Ansicht Sachverständiger nur für 12000 Einwanderer Unterkunft und Unterhalt besorgt werden. Außerdem erklärt Hedjasbahn, nicht für 60000 Armenier ohne Gefährdung der Transporte für Eisenbahnbau Hedjas-Ägypten für Getreidelieferung nach Hedjas und der Truppenbewegungen Züge bereitstellen zu können. Bisherige Behandlung der Armenier soll seitens der hiesigen Behörden ordentlich sein. Jedoch ist zu befürchten, daß Armenier allmählich ein Opfer der Beduinen und Drusen in Kerak und Hauran werden.

Loytved.

155.

(Kaiserliches
Konsulat Trapezunt.)

Telegramm.

Abgang aus Trapezunt, den 28. August 1915.
Ankunft in Pera, den 28. August 1915.

Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Die Armenier, die anfangs mit Erlaubnis des Wali zurückbleiben durften, wie die Beamten der Ottomanbank und der Regie und alleinstehende Frauen, werden nachts abgeschoben und anscheinend an der Stadtgrenze ermordet. Der Wali, der machtlos ist, hat das Feld geräumt und begibt sich für etwa drei Wochen ins Innere.

Ich darf gehorsamst anheimstellen, die Einrichtung eines Kriegsgerichts in Trapezunt zur Untersuchung des Sachverhalts anzuregen. Von dieser Maßnahme ist aber nur dann ein Erfolg zu erwarten, wenn die Einrichtung für die Behörden, die Gendarmerie und das Jungtürkische Komitee überraschend geschieht und die Mitglieder des Gerichts unabhängig genug sind, um nicht der Versuchung einer Teilung der armenischen Beute und der Furcht vor dem Jungtürkischen Komitee zu erliegen.

Bergfeld.

[S. 145]

156.

Kaiserlich
Deutsches Konsulat.

Trapezunt, den 27. August 1915.

Bei der allgemeinen Deportation der Armenier aus Trapezunt blieben einzelne mit der mündlichen oder schriftlichen Genehmigung des Wali hier. Es handelt sich um die Beamten der Ottomanbank, der Tabakregie, zwei Frauen von Beamten und einige alleinstehende Frauen. Diese werden nun nachts abgeschoben und anscheinend unmittelbar vor der Stadt ermordet. Der Wali von Trapezunt ist wohl Mitglied des jungtürkischen Komitees, aber er war bestrebt, die Maßnahmen gegen die Armenier nach Möglichkeit abzuschwächen, und bemühte sich, seine Unabhängigkeit zu wahren. Auf seinen Einfluß dürfte die inzwischen erfolgte Abberufung des hiesigen Inspektors und Führers des Komitees zurückzuführen sein. Leider findet er bei seinen Beamten und den Polizeiorganen keinerlei Unterstützung. Sie bereichern sich mit geringer Ausnahme bei der Räumung der armenischen Häuser auf das schamloseste. So hat der Wali gegen die Verbrecher an armenischem Leben und Eigentum nicht aufkommen können. Andererseits müßte es seiner Natur widersprechen, machtloser Zuschauer der von ihm gemißbilligten Übeltaten zu bleiben. Hierauf dürfte es zurückzuführen sein, daß er das Feld geräumt und sich unter einem unbedeutenden Vorwand auf etwa drei Wochen ins Innere begeben hat.

Die geschilderten Vorkommnisse sind nicht nur im Hinblick auf das deutsche und das türkische Ansehen, sowie aus allgemein menschlichen Gründen bedauerlich, sie bieten auch die Gefahr, daß die Komiteeleute an einer derartigen mühelosen Bereicherung Gefallen finden und, falls jetzt keine Bestrafung erfolgt, im gegebenen Moment gegen die griechische Bevölkerung in derselben Weise vorgehen.

Bestrafung ist nur durch die Errichtung eines Kriegsgerichts in Trapezunt zur Untersuchung und Aburteilung der Angelegenheit möglich. Indessen wird die Stellung der Richter nicht leicht sein. Sie werden nicht nur Versuchen von Bestechung aus der armenischen Beute ausgesetzt sein, sondern laufen auch Gefahr, durch ein Vorgehen gegen die Komiteeleute ihre Zukunft zu kompromittieren.

Ich habe der Kaiserlichen Botschaft in Konstantinopel Abschrift dieses Berichts eingereicht.

Dr. jur. Bergfeld.

Seiner Exzellenz dem Reichskanzler
Herrn von Bethmann Hollweg.

[S. 146]

157.

Aktennotiz.

(Kaiserlich
Deutsche Botschaft.)

Pera, den 31. August 1915.

Der Herr Botschafter hat am 30. August in Begleitung des Botschaftsrats den Großwesir aufgesucht und Vorstellungen wegen des Vorgehens gegen die Armenier erhoben.

Am 31. August morgens hat der armenisch-katholische Patriarch Seine Durchlaucht aufgesucht, Abschrift eines allgemeinen Ausweisungsbefehls des Gouverneurs von Adana übergeben und um Fürsprache wegen Rückgängigmachung der die armenischen Katholiken von Adana und Angora betreffenden Ausweisungsbefehle gebeten. Seine Durchlaucht hat sich darauf bei Talaat Bey anmelden lassen. Dieser ist aber selbst auf die Botschaft gekommen, um mitzuteilen, daß er diese Ausweisungsbefehle schon rückgängig gemacht habe. Er will morgen Abschrift des Gegenbefehls schicken. Zugleich erklärte Talaat Bey, die Maßnahmen gegen die Armenier seien überhaupt eingestellt. „La question arménienne n’existe plus.“

Auf Anordnung des Herrn Botschafters habe ich (telephonisch) dem armenisch-katholischen Patriarchat (Sekretär Hoissich) mitgeteilt, daß die Ausweisung der Katholiken aus Adana und Angora nicht mehr stattfinden solle. Der Herr Botschafter bittet, sobald wir die versprochene Abschrift des Gegenbefehls haben, dem Patriarchen auch noch schriftliche Nachricht zu geben.

Göppert.

158.

(Kaiserliches
Konsulat Aleppo.)

Telegramm.

Abgang aus Aleppo, den 31. August 1915.
Ankunft in Pera, den 31. August 1915.

An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Auf meine Vorstellung hat gestern der Wali den Weitertransport der hier befindlichen armenischen Protestanten aus Aintab und Marasch unter der Hand um eine Woche verschoben, um das Ergebnis der von Euerer Durchlaucht bei Djemal Pascha eingeleiteten Schritte abzuwarten. Voraussichtlich trifft Djemal Pascha am 1. September in Jerusalem ein.

Rößler.

[S. 147]

September.

159.

(Auswärtiges Amt.)

Telegramm.

Berlin, den 1. September 1915.

An Deutsche Botschaft, Pera.

In Mamaret ul Aziz, Marasch und Harunije sind nach Mitteilung des deutschen Hilfsbundes seine Anstalten infolge der Armenierverfolgung gefährdet. Bitte dafür einzutreten, daß die Waisenkinder aus deutschen Anstalten nicht entfernt werden.

Zimmermann.

160.

Kaiserlich
Deutsche Botschaft.

Pera, den 4. September 1915.

Talaat Bey übergab mir am 2. d. M. die in Abschrift beigefügte deutsche Übersetzung von verschiedenen telegraphischen Befehlen, die er in Sachen der Armenierverfolgungen an die in Betracht kommenden Provinzialbehörden gerichtet hat. Er wollte hiermit den Beweis liefern, daß die Zentralregierung ernstlich bemüht ist, den im Innern vorgekommenen Ausschreitungen gegen die Armenier ein Ende zu machen und für die Verpflegung der Ausgewiesenen auf dem Transporte Sorge zu tragen. Mit Bezug hierauf hatte Talaat Bey einige Tage vorher mir gegenüber die Äußerung getan: La question arménienne n’existe plus.

Die erste und die dritte Depesche tragen kein Datum; erstere dürfte am 31. August abgegangen sein.[89]

Indem ich mir weitere Berichterstattung vorbehalte, darf ich bemerken, daß nach einem Telegramm des Kaiserlichen Konsulats in Trapezunt dort noch in den letzten Tagen des August eine Anzahl bisher verschonter Armenier (darunter Beamte der Ottomanbank, der Regie und Frauen) nachts abgeschoben wurden und in der Nähe der Stadt umgebracht sein sollen. Ebenso wird vom hiesigen armenisch-katholischen Patriarchat auf Grund der Aussagen von Reisenden berichtet, daß die Armenier von Angora (hauptsächlich[S. 148] Katholiken), darunter der katholische Erzbischof mit seinem Klerus und mehreren Ordensschwestern am 30. August von Angora abgeschoben und in einiger Entfernung sämtlich getötet worden seien.

Hohenlohe.

Seiner Exzellenz dem Reichskanzler
Herrn von Bethmann Hollweg.

Anlage 1.

(Osmanisches Ministerium
des Innern.)

Depesche.

An die Provinzialbehörden von:

Hudawendigiar, Angora, Konia, Ismid, Adana, Marasch, Urfa, Aleppo, Zor, Siwas, Kutahia, Karassi, Nigde, Mamuret ul Aziz, Diarbekr, Karahissar, Kaissarijeh, Erzerum.

Da die Kaiserliche Regierung durch die Versetzung der Armenier aus ihren Wohnstätten in die im voraus bestimmten Zonen das alleinige Ziel verfolgt, die regierungsfeindliche Tätigkeit und Unternehmung dieser Nationalität zu verhindern, sowie dieselbe außerstand zu setzen, ihren nationalistischen Bestrebungen bezüglich der Schaffung eines armenischen Staates nachzujagen, nicht aber deren Vernichtung, so wurde endgültig beschlossen, alle Maßregeln zur Beschützung und Beköstigung der Kolonnen während der Abführung zu treffen und alle übrigen Armenier, mit Ausnahme derjenigen, welche bereits aus ihren Wohnorten entfernt sind und ihre weitere Versetzung erwarten, sowie gemäß der bereits erfolgten Mitteilung die Soldatenfamilien, eine den Bedürfnissen entsprechende Zahl von Handwerkern und die Armenier von der katholischen und protestantischen Gemeinde künftighin von ihren Wohnorten nicht auszuweisen.

Es wird hierdurch erklärt, daß gegen alle Personen, welche die Kolonnen angreifen, Räubereien begehen und durch ihre bestialischen Triebe Schandtaten verüben würden, samt ihren Mithelfern, sowie gegen alle schuldigen Beamten und Gendarmen zu ihrer strengen Bestrafung unverzüglich das gerichtliche Verfahren eingeleitet werden wird. Diejenigen Beamten, welche sich schuldig gemacht haben, müssen genannt werden. Bei Wiederholung solcher Missetaten werden die Wilajet- und Livabehörden dafür verantwortlich gemacht.

[S. 149]

Anlage 2.

(Osmanisches Ministerium
des Innern.)

Depesche vom 16. August 1331 (29. August 1915).

An das Wilajet Konia.

Für die in Eregli befindlichen armenischen Auswanderer müssen Brot und Oliven besorgt und verteilt, sowie Zwieback bereitgestellt werden. Die erforderlichen Spesen bekanntgeben, damit die nötige Summe von hier aus abgeschickt wird.

Anlage 3.

(Osmanisches Ministerium
des Innern.)

Depesche.

An die Provinzialbehörden zu:

Ismid, Eskischehir, Kutahia, Karahissar, Hudawendigiar, Konia, Angora, Adana, Aleppo.

Hierdurch sind Sie beauftragt, für die Armenier, welche sich bereits in den Haltestellen befinden und für solche, die von den weiteren Haltestellen hingeführt werden sollen, auf drei oder vier Tage Brot zu besorgen und alle Maßregeln zu treffen, damit sie auf dem Wege nicht Not leiden.

161.

(Kaiserlich
Deutsche Botschaft.)

Telegramm.

Pera, den 7. September 1915.

An Deutsches Konsulat, Trapezunt.

Antwort auf das Telegramm vom 28. August.

Kürzlich (angeblich am 29. August) hat die Pforte den meisten Wilajeten, allerdings mit Ausnahme Trapezunts, eröffnet, daß Gewalttaten gegen deportierte Armenier gerichtlich geahndet und im Wiederholungsfalle die Provinzialbehörden dafür zur Verantwortung gezogen werden sollen. Die Botschaft hat eine deutsche Übersetzung dieses Rundtelegramms erhalten. Ich bitte, Näheres über die gemeldeten Vorfälle festzustellen und, falls sie sich bestätigen, die Aufmerksamkeit des Wali in geeigneter Form auf das erwähnte Rundtelegramm zu lenken.

Hohenlohe.

[S. 150]

162.

(Kaiserliches
Konsulat Trapezunt.)

Telegramm.

Abgang aus Trapezunt, den 8. September 1915.
Ankunft in Pera, den 9. September 1915.

An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Von Schritten bei dem Wali, welcher noch nicht zurückgekehrt und dem jungtürkischen Komitee gegenüber machtlos ist, verspreche ich mir keinen Erfolg. Werde den Auftrag gleichwohl ausführen, bitte aber inzwischen das erwähnte Rundtelegramm der Pforte der hiesigen Provinzregierung zukommen zu lassen.

Bergfeld.

163.

(Kaiserliches
Konsulat Jerusalem.)

Telegramm.

Abgang aus Jerusalem, den 9. September 1915.
Ankunft in Pera, den 9. September 1915.

An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Antwort auf Telegramm vom 27. August.

Djemal Pascha erklärte, daß Talaat Bey bestimme, in welcher Ausdehnung die Ausweisung stattfände, während er — Djemal Pascha — lediglich für die militärischen Ausführungen der vom Minister des Innern erlassenen Verfügungen zu sorgen habe.

Schmidt.

164.

(Kaiserlich Deutsches
Konsulat Aleppo.)

Telegramm.

Abgang aus Aleppo, den 9. September 1915.
Ankunft in Pera, den 9. September 1915.

An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Die Regierung hat seit einigen Tagen anscheinend allgemeine Weisung erteilt, daß die Armenier, die noch in ihren Wohnsitzen sind, dort belassen werden. Die als verdächtig Bezeichneten werden aber doch verschickt. Unter den Emigranten in Aleppo ist die Zahl der täglichen Todesfälle von[S. 151] 25 auf 40, dann auf 60 gestiegen. Hier herrscht Dysenterie, auf anderen Stationen wütet der Typhus. Die Etappenstraßen der Armee sind in Gefahr, verseucht zu werden. Es liegt daher im militärischen Interesse, daß die Emigranten ärztliche Behandlung erhalten.

Die Zahl der Hungerleidenden wird immer größer. Hilfe in irgend einer Gestalt wird immer dringender, z. B. Geldüberweisung durch den Patriarchen.

Rößler.

165.

(Kaiserliches
Konsulat Adana.)

Telegramm.

Abgang aus Adana, den 10. September 1915.
Ankunft in Pera, den 10. September 1915.

An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Die von der Pforte der Kaiserlichen Botschaft gemachte Mitteilung vom 31. August bezüglich der Armenier ist lediglich eine dreiste Täuschung, weil nachher die Pforte auf Betreiben des hierher entsandten Inspektors An Munif Bey diese Verfügung vollkommen aufgehoben hat. Die Behörden handeln selbstredend nur nach der zweiten Weisung und fahren mit der Ausweisung ohne Unterschied des Bekenntnisses fort. Die Zahl der auf Order ermordeten Armenier übersteigt hier wahrscheinlich schon die Masse der Opfer der jungtürkischen Massakres von 1909[90]. Es ist möglich, daß die nichtdeutsche Presse trotz der bisher von türkischen Konsuln veranlaßten Dementis den Greueln näher treten wird.

Übrigens hatte der hiesige Komiteeführer, wenn die Armenier nicht deportiert würden, mit allgemeinem Christenmassakre gedroht.

Büge.

166.

Schreiben des Militärkommissars an die Bauabteilung III der Bagdadbahn.

Commissariat Militaire.

Alep le 28 Août, 10 Septembre 1915.

Monsieur l’Ingénieur en Chef,

La quatrième Armée ayant été informée que certains Ingénieurs et Employés du Chemin de Fer de Bagdad prennent les photographies de vue de transports des Arméniens, Son Excellence, Djémal Pacha, Commandant en Chef de[S. 152] l’Armée, a donné ordre afin que ces Ingénieurs et Employés remettent de suite et dans le délai de 48 heures, au Commissariat Militaire tous les clichés des photographies avec toutes les copies qu’ils ont pris. Tous ceux qui ne remettront pas ces photographies seront soumis aux punitions et jugés comme ayant pris des photographies sur le champ de guerre sans autorisation.

Veuillez, je vous prie, donner les instructions nécessaires en conséquence à qui de droit et agréez, Monsieur l’Ingénieur en Chef, l’assurance de ma parfaite considération.

pr. le Commissaire Militaire.
Nizami.

167.

Kaiserlich
Deutsche Botschaft.

Pera, den 11. September 1915.

Der Kaiserliche Konsulatsverweser Holstein telegraphiert unter dem 9. d. M. aus Mossul, daß nach den von anderer Seite bestätigten Angaben türkischer Truppen, die auf dem Marsche von Djezireh nach Bagdad durch Mossul kamen, etwa eine Woche vorher Banden von Kurden, die zu diesem Zwecke von dem Deputierten von Diarbekir angeworben waren, unter Duldung der Ortsbehörden und Teilnahme des Militärs die gesamte christliche Einwohnerschaft der Stadt Djezire (Wilajet Diarbekr) niedergemetzelt haben.

Die Bevölkerung von Djezireh wurde im Jahre 1891 auf etwa 10000 Seelen geschätzt, von denen die Hälfte Muhammedaner (darunter über 2000 Kurden); die andere Hälfte setzte sich zusammen aus 4750 Armeniern (2500 Gregorianern, 1250 Katholiken, 1000 Protestanten), 250 katholischen Chaldäern und 100 syrischen Jakobiten.

Dieser Vorfall sowie die bereits gemeldeten Vorfälle in Trapezunt und Angora stehen in offenem Widerspruch mit den kürzlich vom Ministerium des Innern erlassenen Weisungen, die hoffen ließen, daß die Armenierverfolgungen und die damit im Zusammenhange stehenden Ausschreitungen nunmehr aufhören würden.

Hohenlohe.

Seiner Exzellenz dem Reichskanzler
Herrn von Bethmann Hollweg.

[S. 153]

168.

(Kaiserlich
Deutsche Botschaft.)

Telegramm.

Pera, den 12. September 1915.

Der Kaiserliche Botschafter an Auswärtiges Amt.

Bereits vor einiger Zeit hat die Kaiserliche Botschaft wegen der Anstalten des Deutschen Hilfsbundes wiederholt Schritte bei der Pforte getan mit folgendem Ergebnis:

Pfarrer Ehmann drahtete am 10. September aus Mamuret:

„Die Witwen- und Waisenarbeit mit über 450 Pfleglingen ist bis jetzt ohne ernste Störungen fortgesetzt worden. Sämtliche Schulgebäude und ein Waisenhaus sind seit sechs Monaten mit Militär belegt, der Schulbetrieb ist daher eingestellt. Mehr als die Hälfte des Lehrpersonals hier; Tagesschüler mit den Familien sind größtenteils ausgewiesen. Die Wiedereröffnung unserer Schulen in früherem Umfang mit türkischer und deutscher Unterrichtssprache wäre erwünscht.“

Das Kaiserliche Konsulat in Aleppo drahtete unterm 7. September:

„Die Anstalten in Marasch werden weiter betrieben; das deutsche und armenische Personal sowie die Schüler bleiben.“

Was Harunijeh betrifft, so gab der Minister des Innern Anfang August den Befehl, die deutschen Waisenanstalten in keiner Weise zu belästigen. Auf meine diesbezügliche telegraphische Anfrage hat das Kaiserliche Konsulat in Adana noch nicht geantwortet.

Hohenlohe.

169.

(Kaiserliches
Konsulat Aleppo.)

Telegramm.

Abgang aus Aleppo, den 12. September 1915.
Ankunft in Pera, den 13. September 1915.

An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Hiesiger Wali versteht die Instruktionen der Pforte dahin, daß nur solche Protestanten und Katholiken nicht mehr verschickt werden sollen, die noch nicht von ihrem Wohnsitz deportiert sind. Dagegen will er die von auswärts in Aleppo angesammelten, nicht nur Altarmenier, sondern auch Protestanten und Katholiken, weiterverschicken. Erbitte gehorsamst Erwirkung erneuter klarer Befehle, daß sie allgemein da bleiben dürfen, wo sie sind. Eile ist geboten.

Rößler.

[S. 154]

170.

(Kaiserliches
Konsulat Adana.)

Telegramm.

Abgang aus Adana, den 13. September 1915.
Ankunft in Pera, den 13. September 1915.

An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Die gegen die Armenier getroffenen Maßregeln sind verschärft worden: Witwen, Waisen und Soldatenfamilien, selbst Kranke und Blinde sollen sofort abreisen! Das Konsulat wird von Hilfe suchenden Frauen umlagert.

Ich bitte gehorsamst um Bescheid, ob Aussicht besteht, daß diese Verfügung rückgängig gemacht wird.

Büge.

171.

(Kaiserlich
Deutsche Botschaft.)

Telegramm.

Konstantinopel, den 15. September 1915.

An Deutsches Konsulat, Adana.

Antwort auf das Telegramm vom 13. September.

Der Minister des Innern sagte zu, heute nach Adana zu telegraphieren, daß die erwähnten Kategorien von der Verschickung ausgenommen werden.

Hohenlohe.

172.

(Kaiserliches
Konsulat Aleppo.)

Telegramm.

Abgang aus Aleppo, den 14. September 1915.
Ankunft in Pera, den 14. September 1915.

An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Da die Türken nicht imstande sind, die organisatorische Aufgabe der Massenernährung zu lösen, muß trotz des Befehls der Pforte, die Deportierten zu ernähren, die Mehrzahl mit der Zeit verhungern. Wenn noch irgend eine Hoffnung besteht, auf die Entscheidungen der Pforte Einfluß auszuüben, so stelle ich gehorsamst anheim, dafür einzutreten, daß wenigstens die Protestanten und Katholiken da bleiben dürfen, wo sie sich aufhalten.

Rößler.

[S. 155]

173.

(Kaiserlich
Deutsche Botschaft.)

Telegramm.

Pera, den 16. September 1915.

An Deutsches Konsulat, Aleppo.

Antwort auf Telegramm vom 14. September.

Der Notstand der armenischen Auswanderer in Aleppo ist von mir erneut auf der Pforte zur Sprache gebracht worden. Talaat Bey hat materielle Hilfe zugesagt, sich jedoch gegen das Verbleiben von Katholiken und Protestanten ausgesprochen.

Hohenlohe.

174.

(Auswärtiges Amt.)

Berlin, den 22. September 1915.

An die Deutsche Botschaft, Pera.

Auf den Bericht vom 11. d. M.

Ich darf annehmen, daß Euere Exzellenz die gemeldeten Ausschreitungen gegen die christliche Bevölkerung der Stadt Djezireh bei der Pforte zur Sprache gebracht haben. Nötigenfalls bitte ich, erneut und in entschiedener Weise dahin vorstellig zu werden, daß die Zentralregierung ihren zum Schutz der christlichen, insbesondere armenischen Bevölkerung an die Provinzialbehörden erlassenen Weisungen Nachdruck verleiht und deren Ausführung streng überwacht.

Zimmermann.

175.

Kaiserlich
Deutsche Botschaft.

Pera, den 25. September 1915.

Weitere Meldungen der Kaiserlichen Konsuln in Adana und Aleppo bestätigen, daß die bekannten telegraphischen Weisungen der Pforte, um das Los der ausgesiedelten Armenier zu verbessern, infolge der verschiedenen Ausnahmen, die die Pforte selber von vornherein und nachträglich von den gewährten Vergünstigungen gemacht hat, und durch die Willkür der Provinzialbehörden, ihren Zweck zum größten Teil verfehlt haben.

Wie Herr Dr. Büge unter dem 13. d. M. berichtet, sollten in Adana Witwen, Waisen, Soldatenfamilien, selbst Kranke und Blinde verschickt werden.

Gleichzeitig meldet Herr Rößler aus Aleppo, daß trotz des Befehls der Pforte, die Deportierten mit Nahrungsmitteln zu versehen, die Mehrzahl derselben an Hunger zugrunde gehen müßten, da die Behörden nicht imstande seien, eine solche Massenernährung zu organisieren.

[S. 156]

Letzthin ging von Herrn Rößler noch das folgende Telegramm vom 18. d. M. ein:

„Lange Züge fast verhungerter armenischer Frauen und Kinder sind dieser Tage vom Osten zu Fuß hier eingetroffen und weiter transportiert, soweit sie nicht alsbald hier starben.

Der Befehl der Pforte, die noch an ihrem Wohnsitz befindlichen zu belassen, wird illusorisch, da jeder beliebige als verdächtig bezeichnet werden kann. Davon wird vielfach Gebrauch gemacht.

Entgegen dem Befehl werden Soldatenfamilien nicht ausgenommen. Auch schwer Kranke werden unbarmherzig abtransportiert.

Transporte erfolgen neuerdings auch wieder nach Mossul und Der es Zor.

Trotz gegenteiliger Versicherung der Pforte läuft alles auf Vernichtung des armenischen Volkes hinaus.

Armenier haben mich gebeten, Ew. Durchlaucht dies noch einmal vorzustellen.“

Talaat Bey, den ich auf diese Zustände habe aufmerksam machen lassen, hat zwar bereitwilligst Abhilfe zugesagt; ich glaube indes kaum, daß die Befehle der Zentrale eine wesentliche Besserung in der Lage der ausgesiedelten Armenier herbeiführen werden.

Hohenlohe.

Seiner Exzellenz dem Reichskanzler
Herrn von Bethmann Hollweg.

176.

(v. Tyszka.)

Konstantinopel, den 30. September 1915.

Die türkischen Maßregeln zur Vernichtung der Armenier.

In den Wilajets von Smyrna und Adrianopel beläßt man die Armenier, ebenfalls zum Teil in Konstantinopel. In allen anderen Provinzen sind die Armenier nach Aleppo, Mossul, Der es Zor und anderen Orten verbannt worden, wo sie nicht eingetroffen sind. Der frühere Deputierte Zohrab, einer der bedeutendsten Anwälte in Konstantinopel, ist auf dem Wege von Alexandrette nach Urfa gestorben, der Deputierte Wartkes in Diarbekr, wohin er verbannt war, nicht eingetroffen.

Die Walis von Smyrna, Rahmi Bey, und von Adrianopel, Hadji Adil Bey, haben erklärt, die Armenier nicht ausweisen zu wollen. Zum Bericht beim Minister des Innern eingetroffen, sind beide bei ihrem Entschlusse geblieben. Auch ein Zeichen von Unstimmigkeit im Komitee. Talaat ist extrem, was er wollte, geschah bisher. Rahmi hat mehr gelernt als Talaat, ist mehr in der Welt herumgekommen, ein praktischer aber auch humaner Charakter, dessen klares Urteil als Deputierten über verschiedene politische Fragen von mir wiederholt eingeholt wurde. Er hat großen Anhang im Komitee.

[S. 157]

Im allgemeinen schenkt man alarmierenden Gerüchten in der Türkei wenig Aufmerksamkeit, weil man weiß, daß viel übertrieben wird, aber auch weil man der heutigen Regierung möglichst viel Armfreiheit gewährt. Die heutige Regierung ist ganz zu Unrecht in den Geruch einer liberalen gekommen. Sie ist alles eher als dieses, sie ist absoluter, diktatorischer als die Abdul Hamids war. Die Presse ist geknebelt und kennt nur das Lob der jetzigen Machthaber.

So sprach man von strengen Maßregeln, die die Regierung gegen die Armenier wegen des Aufstandes in Wan in Anwendung brachte, als von einer gerechten Selbsthilfe, zu der der Staat greifen muß, um Ordnung zu schaffen. Die Schuld der Armenier erschien um so größer, als sie sich im Pakt mit dem Nationalfeinde, dem Russen, befanden, die der armenischen revolutionären Erhebung in Wan Vorschub leisteten.

Daß die Regierung mit eiserner Hand eingreift und niederzwingt, was sich loslösen will, ist ihr gutes Recht, denn das Land besteht aus vielen disparaten Elementen, die nur auf eine passende Gelegenheit warten, es den Armeniern nachzutun, und nichts wirkt nachteiliger, als Schwäche zu zeigen, wo nur Kraft das Ansehen der Regierung stärken kann. Aber sie muß, wenn der Freiheitsmantel nicht zum Popanz werden soll, eine Grenze, eine Beschränkung kennen und darf nicht statt Schuldige zu strafen, Unschuldige und Wehrlose vernichten, weil sie zur Rasse der Empörer gehören.

Es handelt sich heute um Opfer, wie sie die an Gewaltakten wahrlich nicht arme türkische Geschichte noch nicht kennt. Das ist eine erschütternde Wahrheit, die Hilfe erheischt von Jedem, der zu helfen imstande ist.

Ob die Opfer, die die Armenier gebracht haben, 500000 übersteigen oder nicht erreichen, ist im Prinzip gleichgültig. Was ins Gewicht fällt, ist die Ruhe und Selbstverständlichkeit, die bei der Verfolgung vor sich geht und von einem Selbstdünkel zeugt, der jeder fremden Einmischung spottet.

Es waren nicht Armenier, die meine tiefere Beschäftigung mit Ursachen und Folgen der Handlung der türkischen Regierung wachriefen, als Vertreter des Rechts und der Humanität zu erscheinen, es waren türkische Senatoren des hiesigen Senats, Männer von größtem Verdienst und tadellosem Charakter, die Ekel empfanden über Taten, die ihre Regierung mit unerschütterlicher Ruhe und Selbstverständlichkeit ausübte.

Als dann ein armenischer intimer Freund von mir, ein Zivilinspektor im Ministerium des Innern, der 26 Jahre lang als Conseiller légiste, als Vertreter von Gouverneuren und Generalgouverneuren, Agop Hamamdjan Effendi, mit großem Eifer und unerschütterlicher Loyalität beschäftigt war und plötzlich ohne Pension aus dem Dienst entlassen wurde, da verlangte ich Aufklärung, da dem ersten Schritte bald ein zweiter, vernichtender für das Leben einer Familie folgen konnte.

[S. 158]

Von dem mir befreundeten Direktor im Ministerium des Innern, Hassan Fehmy Bey, bekam ich unter dem 14. September d. J. folgenden Bescheid:

„Die Ehrlichkeit Ihres Freundes steht außer Zweifel. Nur infolge einer angenommenen, allgemein gültigen Maßregel wird er in den Ruhestand versetzt.“

So lautet der Verlegenheitsausweis; denn der Mann ist der fähigste, beste Arbeiter und, wie auch amtlich erklärt wird, von erprobter Ehrlichkeit. Er hat aber eine zahlreiche Familie, ist ihr einziger Ernährer und kann jeden Augenblick nach außerhalb versandt werden, woher er nicht zurückkehrt.

Am 20. d. M. erklärte mir Hassan Fehmi Bey, daß der Minister Talaat Bey alle Armenier aus dem Ministerium des Innern entfernen wolle, da die türkischen Beamten nicht mehr mit ihnen arbeiten wollen. Diese türkische Weigerung könne aber nur schädlich auf den Dienstbetrieb wirken und fortgesetzt weitere Schwierigkeiten in der inneren Verwaltung im Gefolge haben. So habe denn der Minister des Innern entschieden, alle Armenier in seinem Ressort ohne Ansehen der Person aus dem Dienste zu entlassen. In der inneren Verwaltung hätten die Armenier mehr als in jedem anderen Ministerium die Gelegenheit, gemeinsam Pläne zu schmieden und Empörungen anzuzetteln. Mit den Armeniern müsse aufgeräumt werden, denn sie haben einen unversöhnlichen, rachsüchtigen Charakter, und da sie mutig sind, seien sie gleichzeitig ein staatsgefährliches Element.

Auf meinen Einwand, daß in anderen Ministerien, wie in denen der Justiz, der Finanzen, der öffentlichen Arbeiten, der Forsten und Landwirtschaft, wie auch im Conseil d’Etat, sich doch ebenfalls Armenier befänden, erhielt ich zum Bescheide, daß mit den Armeniern reiner Tisch gemacht werden müsse. Es müßte im Ministerium des Innern der Anfang gemacht werden, mit der Zeit würden auch die anderen Staatsbehörden folgen.

Es ist mithin in der Türkei beschlossene Tatsache, aus allen staatlichem Zweigen die Armenier zu entfernen und das osmanische Reich auf rein türkischer Grundlage weiter zu bauen.

Der türkische Plan, alle Armenier aus den Provinzen fortzujagen und sie in Mesopotamien anzusiedeln, ist alten Datums. Die Türken trauten den Armeniern nicht als russischen Grenznachbarn. Ein Anstoß, die Vertreibung der Armenier durchzuführen, war durch die Erhebung in Wan gegeben. Einem Mann von so eisernem Willen wie Talaat Bey, der zu dem extremsten Schritte neigt, wenn er ihn für richtig hält, sich von Niemandem beeinflussen läßt und jede Art der Ausführung für gut hält, wenn sie ihn zum Ziele bringt, einem solchen Mann war mit der Erhebung in Wan die Vertreibung der Armenier zur Notwendigkeit geworden.

Welche Ungerechtigkeiten und Härten dabei unterlaufen, gilt gleich. Talaat Bey ist Optimist par excellence, insbesondere bezüglich seiner eigenen Entschlüsse. Wie er heiteren Sinnes dekretiert, so nimmt er gleichmütig[S. 159] alle Beschwerden entgegen. Bis vor kurzem, anfangs dieses Jahres, galt das armenische Element als das zuverlässigste, ja das allein zuverlässige von den christlichen Elementen in der Türkei. Man las es in allen Zeitungen, und die türkischen Großwürdenträger bestätigten es bei allen sich bietenden Gelegenheiten.

Seit dem März hat sich die Änderung vollzogen, so allgemein, so bestimmt, als ob die Türken bisher nicht gewußt hätten, wie gefährliche Nattern sie am Busen gewärmt hätten.

Wo keine Erfahrung die Handlungen reguliert und bestimmt, da gibts nur Willkür und Unstätigkeit. Djemal Pascha, als Marineminister, war der eifrigste Förderer des türkisch-französischen Komitees. Auch dem Todfeinde, den Russen, sollten goldene Brücken gebaut werden. Take Jonesku, der vielgenannte rumänische Minister des Innern, war der vertrauteste Freund Talaat Beys.

Was können die Armenier im allgemeinen für ein Interesse haben, sich von den Türken loszureißen? Sie haben keinen Anschluß, wie Bulgaren, Griechen und Serben in der Türkei an ihr Königreich und sehen zu klar, um den Russen zu trauen. Die Waffen aber, die die Türken bei den Armeniern fanden, waren großenteils dieselben, die sie von den Türken 1908 erhielten, damit sie dem Komitee bei der Verteidigung gegen die Reaktion Helferdienste leisten konnten. Wenn die Türken aber den Armeniern, die an der russischen Grenze echeloniert waren, nicht trauten, warum schaffte man sie mit derselben Härte wie an der russischen Grenze aus Jalova, Angora, Brussa, Kastamuni fort? Aus diesen Orten sind allein 250000 Armenier vertrieben. In 48 Stunden hatten sie ihre Wohnungen zu verlassen und in die Verbannung nach Aleppo, Zor, Hama, Mossul, ja nach dem Hauran zu gehen.

Nichts war geschehen seitens der türkischen Regierung, um die Vertriebenen an den Ort ihrer Verbannung zu befördern. Die Bahnzüge waren durch den Truppentransport besetzt. Kein Armenier fand dort Platz. Für die Sicherheit auf dem Wege war keine Fürsorge getroffen.

Die Tschettäs, die alten Baschiboschuks vom Kriege 1877/78, waren wieder da, wo billig Beute zu machen und zu morden war, ohne dabei etwas zu riskieren. So tapfer der türkische Soldat ist und so menschlich er fühlt, wenn er nicht religiös aufgestachelt wird, so feige und unmenschlich ist der Irreguläre. Daß die Tschettäs von Jungtürken angestiftet und geführt wurden, wird mit Sicherheit behauptet.

In den Plätzen, wo Massakres der armenischen Bevölkerung stattfanden, wie in Baiburt, Marasch, Schabin-Karahissar, Angora, Malatia, wurden die Männer von der Familie getrennt. Was die Weiber in der Eile zusammenraffen konnten, führten sie mit sich. Die Tschettäs folgten den Zügen der Wehrlosen, beraubten, vergewaltigten und töteten, wie es ihnen beliebte. Ein türkischer Oberstleutnant, der an den Dardanellen kämpft und mit[S. 160] kurzem Urlaub in der Hauptstadt eintraf, erzählte weinend, was ihm seine Verwandten aus Trapezunt und Siwas über die türkischen Massakres an den Armeniern geschrieben hatten.

Von der hohen armenischen Geistlichkeit weiß man heute nur, daß der Bischof von Smyrna am Leben ist, mit der Ermordung der meisten anderen fürchtet der Patriarch rechnen zu müssen. Was mit den armenischen Kirchen, mit den durch Jahrhunderte gesammelten Schätzen in den Kirchen geschehen ist, weiß niemand. Jede Anfrage des armenischen Patriarchen beim Minister des Innern bleibt ohne Antwort.

Die Türken lassen sich gern loben. Zu früherer Zeit hörten sie das Lob und freuten sich darüber, ohne daß das Lob eine nachhaltige Wirkung auf ihr Verhalten ausübte. Heute nehmen die Jungtürken alles Lob für bare Münze und sonnen sich an ihrer Unfehlbarkeit.

Es ist wirklich Zeit, daß die so gänzlich überflüssigen Lobhudeleien den Türken gegenüber eingestellt werden. Will man doch in den höheren Schulen in Hessen die türkische Sprache als Lehrgegenstand einsetzen. Dies zu einer Zeit, da man durch die Straßen irrt, ohne sich durch die rein türkischen Inschriften der Schilder zurecht zu finden und die Türken alle Bescheinigungen über angekommene Wertsendungen dem Europäer bis auf seinen Namen in türkischer Sprache schicken, so daß man nicht wissen kann, ob man der Empfangsberechtigte ist, oder nicht. Man darf in der Sentimentalität doch nicht zu weit gehen und den an Größenwahn Leidenden nicht immer neuen Stoff für ihren unberechtigten Dünkel zuführen. Ein inspirierter Artikel des „Hilal“ verlangt, daß deutsche Professoren, die auf der hiesigen Universität dozieren wollen, nicht ihre Dolmetscher aus der Heimat mitbringen, sondern sie hier suchen und, um mit Erfolg zu lehren, sich bemühen müßten, das Türkische so zu erlernen, daß sie die Lehrgegenstände in dieser Sprache vortrügen. Ein anderer Leitartikel des „Hilal“ stellt Enver Pascha an Dispositionsfähigkeit, Willenskraft und genialer Ausführung auf gleiche Stufe mit Hindenburg.

Ohne Voreingenommenheit sehen die Dinge aber ganz anders aus. Die Expedition nach dem Suezkanal mußte versagen, da sie zu unrichtiger Zeit und mit ungenügenden Mitteln, als dem Mangel an schweren Geschützen und an Lasttieren, Kamelen, deren Lieferung man sich rechtzeitig beschaffen mußte, unternommen war.

Im arabischen Irak wurden die Türken durch den englischen Vormarsch überrascht und hatten von den langen Vorbereitungen zur Expedition seitens der Engländer in Basra keine Kenntnis. Die Expedition nach dem Kaukasus erfolgte mit ungenügend bekleideten Truppen, deren Bedürfnisse nicht gedeckt waren. Der Typhus, dem ein Armeekorps an Zahl zum Opfer fiel, war auf die schweren Strapazen zu schieben, die den Truppen ohne Grund und ohne Resultat zugemutet wurden. Wan ist noch in den Händen der Russen,[S. 161] die auch in der Nähe von Erzerum sind. Zum Schutz der Dardanellen ist viel geschehen. Die Truppen sind gut ausgerüstet und werden gut verpflegt. Nach den außerordentlichen Resultaten daselbst, die sich vor den Augen Europas vollziehen, wird die Kraft der Türkei beurteilt. Und doch lägen die Dinge auch dort anders, wenn dort nur Türken kommandierten. Die Bravour der Truppen tut es nicht allein. Die Türken sind keine Systematiker. Die meisten Generale verstehen nicht zu befehlen, sie können den Unterführern nicht in die Hand arbeiten. Sie bedürfen des Lehrers, der ihnen zeigt, wie der einzelne nur im Rahmen des Ganzen mit Erfolg tätig sein kann und ihnen daher den Blick für eine Offensive eröffnet, die ihnen noch fremd ist. Deutsche Arbeit kann hierbei Großes schaffen. Ihr unvergeßlicher alter Lehrmeister v. d. Goltz Pascha müßte noch einmal die Zügel in seine feste Hand nehmen und Einheitlichkeit in das ganze Getriebe bringen.

Enver Paschas Verdienst um die Ausstattung dieser türkischen Musterarmee an den Dardanellen soll gewiß nicht verkleinert werden; er hat geschaffen, was guter Wille und Fleiß und Aufgehen im Berufe schaffen kann. Ohne die Deutschen wäre es aber nicht so gegangen, wie es gegangen ist.

v. Tyszka,
Zeitungskorrespondent.

177.

(Kaiserlich
Deutsche Botschaft.)

Telegramm.

Pera, den 30. September 1915.

An Auswärtiges Amt.

Bis Mitte September war die Anstalt in Harunijeh in ungestörtem Betrieb, obschon die armenischen Lehrer wiederholt mit Ausweisung bedroht wurden. Auf Intervention der Botschaft war die Pforte geneigt, die armenischen Lehrer und das Dienstpersonal dort zu belassen, während der Wali auf Ausweisung bestand; schließlich ist die Belassung der Lehrer unterm 25. September von der Pforte telegraphisch angeordnet worden.

Hohenlohe.

[S. 162]

Oktober.

178.

(Auswärtiges Amt.)

Notiz.

Berlin, 1. Oktober 1915.

Dem türkischen Botschaftsrat wurden heute eindringlich alle Argumente vor Augen geführt, die für schonende Behandlung der armenischen Bevölkerung in der Türkei sprechen. Durch Verfolgung und Vernichtung des armenischen Elementes, das einer der Hauptträger von Handel und Gewerbe in der Türkei sei, würde die Türkei selbst wirtschaftlich aufs schwerste geschädigt. Die Nachrichten über die Armenierverfolgungen erregten nicht nur im feindlichen, sondern auch im neutralen Auslande großes Aufsehen und seien für das Ansehen der türkischen Regierung abträglich. In Deutschland selbst beginne in philantropischen Kreisen lebhafte Beunruhigung sich bemerkbar zu machen.

Edhem Bey versprach, mit dem Botschafter zu sprechen und auch nach Konstantinopel zu berichten. Er gab zu, daß es zu Ausschreitungen gekommen sei, wenn auch die im Auslande verbreiteten Nachrichten stark übertrieben seien. Bis zum Frühjahr dieses Jahres habe ein durchaus gutes Verhältnis zwischen Armeniern und Türken bestanden, was um so erklärlicher sei, als ja die Armenier während der Revolutionszeit mit dem Komitee sympathisiert hätten und gemeinsam mit ihm gegen das alte Regime vorgegangen seien. Der Umschwung sei erst im April eingetreten, als es während des türkischen Vormarsches nach Aserbeidschan zu einer Armenierrevolte im Rücken des türkischen Heeres gekommen sei, bei der nicht weniger als 180000 Muhammedaner umgebracht worden seien[91]. Es sei nicht verwunderlich, daß die Muhammedaner hierfür Rache genommen hätten. Der Abtransport der Armenier ins Innere sei aus militärischen Gründen und im Interesse der Selbsterhaltung der Türkei notwendig gewesen. Wenn es dabei zu Übergriffen gekommen sei, so würden diese von der Zentralregierung durchaus gemißbilligt. Bei den großen räumlichen Entfernungen und den primitiven Verhältnissen des Reichs sei die Zentralregierung leider nicht immer in der Lage, Ungeschicklichkeiten und Nachlässigkeiten unterer Behörden zu verhindern.

Rosenberg.

[S. 163]

179.

Kaiserlich
Deutsche Botschaft.

Pera, den 5. Oktober 1915.

Der Dr. med. Roupen Tschilinguirian, eine in den hiesigen armenischen Kreisen bekannte Persönlichkeit, wurde mit vielen anderen Armeniern am 24. April d. J. verhaftet, um nach Anatolien verbannt zu werden. Ursprünglich sollte er nach Ajasch bei Angora verschickt werden, wo die schwerer belasteten Persönlichkeiten untergebracht und zum Teil in Polizeihaft gehalten wurden. Auf diesseitige Verwendung wurde er in Tschangri (Kiangri) interniert, wo sich die Verbannten frei bewegen und ihren Berufen nachgehen konnten.

Frau Dr. Tschilinguirian[92] und ihre Mutter, Frau Apell, haben dann Schritte unternommen, um für den Genannten die Erlaubnis zur Rückkehr hierher und zur Übersiedelung nach Deutschland zu erwirken. Die türkischen Behörden lehnten indes beides ab, weil sie — wie aus den Äußerungen der betreffenden Beamten hervorging — den Dr. T. für einen jener „Intellektuellen“ hielten, deren Einfluß auf die Massen sie fürchteten. Wie Frau Apell hier angab, hatte zwar der Polizeipräfekt Bedri Bey geäußert, daß dem Dr. T. unter genügender Garantie für sein Wohlverhalten die Reise nach Deutschland gestattet werden könnte, doch hat Bedri Bey, als er von einem Beamten der Kaiserlichen Botschaft darüber befragt wurde, jede dahingehende Äußerung in Abrede gestellt.

Schließlich versuchten noch die beiden Damen für den Dr. T. die Erlaubnis zu erwirken, seinen Aufenthalt in Angora zu nehmen, als hier am 26. August ein Telegramm von ihm einging, daß er denselben Tag nach Ajasch überführt werden sollte. Das Ministerium des Innern gab auf die diesseitigen Schreiben hin sofort telegraphische Anweisung, den Genannten in Tschangri zu belassen bzw. ihn dorthin zurückzubefördern. In Beantwortung dieses Telegramms meldete dann der Gouverneur von Tschangri unter dem 30. August, daß der Dr. T., nachdem er am 26. desselben Monats Tschangri verlassen hatte, in der Nähe von Kaledjik von Wegelagerern angefallen und umgebracht worden war, sowie daß 4 von der aus 12 Individuen bestehenden Bande durch die Behörden festgenommen waren.

In Vertretung
Freiherr von Neurath.

An den Herrn Reichskanzler.

[S. 164]

180.

Kaiserliches
Konsulat Aleppo.

Telegramm.

Abgang aus Aleppo, den 9. Oktober 1915.
Ankunft in Pera, den 9. Oktober 1915.

An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Der armenischen Bevölkerung Urfa droht Verschickung, hat aber beschlossen, den Greueln des Verschickunsgtodes sofortiges Ende vorzuziehen und sich verbarrikadiert. Fachri Pascha soll selbst in Urfa sein, hat Armenierviertel blockiert und Zerstörung durch Artillerie angeordnet. Fortschritte der türkischen Truppen sollen bisher gering sein. Deutsche in Urfa wohlbehalten.

Hoffmann.

181.

(Kaiserlich
Deutsche Botschaft.)

Telegramm.

Abgang aus Pera, den 13. Oktober 1915.
Ankunft in Berlin, den 14. Oktober 1915.

Der Kaiserliche Botschafter an Auswärtiges Amt.

Von Seiner Heiligkeit dem Papst ist an den Sultan ein Handschreiben gerichtet worden, in welchem dessen Mitleid für die verfolgten Armenier in Anspruch genommen wird. Monsignore Dolci war von der Kurie beauftragt, dem Sultan das Handschreiben in besonderer Audienz zu übergeben. Da die Pforte in der päpstlichen Kundgebung eine Kritik ihrer eigenen Politik erblickte und den Standpunkt einnahm, daß, solange die diplomatischen Beziehungen nicht hergestellt seien, der päpstliche Delegierte nicht offiziell vom Sultan empfangen werden könne, hatten seine Bemühungen bisher keinen Erfolg. Auf Bitte Dolcis habe ich dem Großwesir vorgestellt, daß gerade das päpstliche Handschreiben der Pforte Gelegenheit biete, in ihrer Antwort den türkischen Standpunkt zu der Armenierfrage darzulegen. Der offizielle Empfang des Delegierten durch den Sultan werde überall den Eindruck hervorrufen, als ob die diplomatischen Beziehungen im Begriff ständen, hergestellt zu werden oder hergestellt seien.

Der Großwesir ließ sich überzeugen und stellte in Aussicht, daß Audienz gewährt werde.

Wangenheim.

[S. 165]

182.

Deutsche Realschule in Aleppo.

Aleppo, den 15. Oktober 1915.

Als Lehrer einer deutschen Schule, der sich ein weites Feld der Tätigkeit eröffnet hat, halten wir Unterzeichneten es für unsere Pflicht, das Auswärtige Amt auf die traurige Wirkung hinzuweisen, die diese hoffnungsvolle Arbeit durch die Gräßlichkeiten erleidet, die sich in der Austreibung der Armenier tagtäglich vor unseren Augen abspielen.

Wir wollen nicht bei den blutigen Greueln verweilen, mit denen die Wegführung der Armenier aus ihrem Gebirgslande zu beginnen pflegt; den Tausenden von Männern, die abgesondert oder manchmal vor den Augen der ihrigen abgeschlachtet wurden; nicht bei den zahllosen Mädchen, Frauen und Kindern, die der Schändung oder der Verstümmelung durch ihre Wächter und deren Spießgesellen anheimfielen und deren nackte Leichen an den Wegen liegen, die die immer neuen Scharen der Verbannten wandern müssen; nicht bei den unsäglichen Roheiten, dem Verdursten, dem Hunger, die die übriggebliebenen, meist bis aufs letzte ausgeplünderten Witwen und Waisen dezimierten, ehe sie, oft zu Gerippen geworden, hier anlangen, um dann vielleicht — eine von sechs, die auszogen — auf einem ähnlichen Leidenswege ohne Existenzmöglichkeit wieder in die Wüste geschickt zu werden, auf daß der armenische Name verschwinde.

Das alles, nehmen wir an, wird dem Auswärtigen Amt durch seine Vertreter hier im Lande bekannt sein.

Dagegen sei uns erlaubt, einen kleinen Ausschnitt aus dem Massenelend dieser Volksvertilgung zu beleuchten, einen Ausschnitt, der uns dicht unmittelbar neben unserer Schule, nur durch eine schmale Gasse getrennt, entgegentritt.

Es ist da ein alter großer Chan, den die türkischen Behörden den Armeniern für ihre Vertriebenen, besonders die schwer Kranken, zur Verfügung gestellt haben. Also eine Art Krankenhaus, sollte man meinen. Treten wir durch den engen, schmalen Gang ein.

Einige Gewölbe, mit elenden, ausgemergelten Gestalten, in Lumpen gehüllt, auf der nackten Erde, bestenfalls auf einigen ärmlichen Resten ihrer fahrenden Habe gelagert. Frauen und Kinder. Hin und wieder ein Greis. Das Mannesalter fehlt.

Wir treten auf den Hof. Er ist ein einziger Abort geworden. Am Rande, vor jenen Gewölben, Haufen von Kranken, Sterbenden, Toten, durcheinander in ihrem Unrat liegend. Millionen Fliegen auf den erschöpften Kranken und auf den Leichen. Stöhnen, Wimmern, hier und da ein Schrei nach dem Arzt, eine Klage wegen der von Hunderten von Fliegen gepeinigten Augenhöhlen. Neben der nackten Leiche eines Greises zwei Kinder, die ihre Notdurft verrichten.

[S. 166]

Wir steigen über den mit Exkrementen bedeckten Hof in ein Gewölbe. Ein Dutzend Kinder, halb verhungert, stumpf; einige sterbende — oder tote? — darunter. Keiner nimmt sich ihrer an. Aus einer finsteren Nische wurde eine halbverweste Knabenleiche hervorgezogen, auf die man erst durch den Verwesungsgeruch aufmerksam geworden war. Da sind Waisen, deren Mütter in diesen letzten Tagen in diesen Räumen starben. Kein Arzt erscheint hier. Keine Arznei bringt Linderung. Auch sie sind einem schrecklichen Tode geweiht. Sie werden verhungern. Die Regierung liefert diesem „Krankenhause“ Linsen oder Burgul (eine Art Weizenschrot), oder schwarzes Soldatenbrot. Der geschwächte Magen dieser elenden, oft Wochen, ja Monate durch wasserlose Hitze getriebenen Geschöpfe verträgt solche Nahrung nicht mehr, die ohnehin nicht entfernt hinreichen würde. Dysenterie, Entkräftung, Typhus folgen.

Inzwischen sind Lastträger mit Särgen erschienen. Ein Teil der in den letzten Tagen Gestorbenen wird, wie sie sind, hineingelegt, zum nächsten Kirchhof getragen, in das Massengrab entleert. Der Transport mit Särgen (die bloße Traggelegenheit sind) genügt nicht; sterben doch täglich 100 bis 150 der hierher gelangten Überlebenden; auf Lastwagen werden die Leichen ladungsweise abgefahren; eine Plane deckt das Schlimmste. Beine, ein Kopf hier und da, baumeln herunter, wie der Karren über die Straße rattert.

Unmittelbar neben dem Schauplatz dieser Szenen sind wir deutschen Lehrer gezwungen, unsere Schüler einzuführen in deutsche Kultur. Sie haben vielleicht auf dem Gange zur Schule einen solchen Wagen voll Leichen gekreuzt oder das Stöhnen der elenden Opfer aus dem offenen Fenster der Gewölbe gehört oder sind von den Jammergestalten angebettelt worden, die, um Luft zu schöpfen, auf die enge Straße hinausgekrochen sind, aber in ihrer Schwäche sich nicht wieder haben zurückschleppen können, und die nun fliegenbedeckt und sterbend auf der Straße liegen.

In welcher Stimmung sollen die Schüler, wenn sie Armenier sind, sich von uns, ihren Lehrern, in Geschichte und Heimatkunde, in Religion u. a. unterweisen lassen, wenn in den der Schule benachbarten Höfen ihre Volksgenossen verhungern?!

Ja, glaubt man, daß die muhammedanischen Kinder nicht irre werden, wenn sie angesichts solcher Bilder unsere Lehren hören? Gibt es doch zahllose, anständige Muhammedaner, die dieses Massenmorden an unschuldigen Frauen und Kindern voll Abscheu als Sünde wider die Gebote Gottes des Barmherzigen verurteilen und, nicht fassend, daß ihre eigene Regierung die Urheberin solcher sündhaften Greuel sein könne, in den Deutschen die Urheber suchen. Gräßliche Flecken drohen hier dem Ehrenschilde Deutschlands in der zukünftigen geschichtlichen Erinnerung der morgenländischen Völker!

Es ist nicht unsere Sache, die politische Berechtigung der Vertreibung[S. 167] der Armenier aus ihrem Gebirgslande zu erörtern. Darauf aber wollen und müssen wir mit lauter Stimme hinweisen: daß die deutsche Schularbeit bei der Fortdauer dieser gräßlichen Art der Vertreibung in Form eines Massenmordens an Frauen und Kindern, eines Massenmordens, wie es die Geschichte wohl noch nicht erlebt hat, in diesem Lande einen nicht wieder gut zu machenden Schaden erleidet.

Wir haben die Zuversicht zu dem Auswärtigen Amt, daß es seinem Einfluß gelingt, diesem schmählichen Morden noch in letzter Stunde Halt zu gebieten und uns deutsche Lehrer von der Scham zu befreien, die uns der Verdacht der Mittäterschaft schon jetzt hier — bei Christen und Muhammedanern — wie aber später erst in der ganzen Welt! — täglich mehr auf der Seele lasten läßt.

Oberlehrer Dr. Niepage.

Die Darstellung des Kollegen Dr. Niepage übertreibt in keiner Weise. Wir atmen hier seit Monaten Leichengeruch und leben unter Sterbenden. Nur die Hoffnung auf ein baldiges Ende des himmelschreienden Zustandes erlaubt uns noch, an der Schule weiter zu arbeiten, und der Wille, der hiesigen nichttürkischen Bevölkerung mit unseren schwachen Hilfskräften zu beweisen, daß wir Deutsche persönlich nichts mit den entsetzlichen Methoden dieses Landes zu tun haben.

Schuldirektor Huber.
Eduard Graeter, Dr. phil.
Marie Spieker.

An das Auswärtige Amt, Berlin.

183.

(Kaiserlich
Deutsche Botschaft.)

Telegramm.

Der Kaiserliche Botschafter an Auswärtiges Amt.

Abgang aus Pera, den 15. Oktober 1915.
Ankunft in Berlin, den 15. Oktober 1915.

Der amerikanische Botschafter, Herr Morgenthau, mit welchem ich den im englischen Oberhaus und in der feindlichen Presse gegen die deutsche Regierung und die deutschen konsularischen Vertreter in der Türkei erhobenen Vorwurf der Begünstigung der Armenierverfolgungen besprochen habe, betonte wiederholt, er wisse genau, daß deutscherseits alles geschehen sei, um Ausschreitungen zu verhindern und um die türkische Regierung von ihrem Vorgehen gegen den unschuldigen Teil der Armenier abzubringen. Auch sei ihm aus Berichten seiner Konsuln bekannt, daß sich die deutschen Konsuln stets und überall der Armenier angenommen haben.

Wangenheim.

[S. 168]

184.

Kaiserlich
Deutsche Botschaft.

Pera, den 15. Oktober 1915.

Der Inhalt der hierher gelangten Meldung über die Metzeleien von Djezireh ist seinerzeit dem Ministerium des Innern mitgeteilt worden, das angeblich keine Kenntnis von diesen Vorfällen hatte. Als der Minister kürzlich von neuem darüber interpelliert wurde, erklärte er, daß er die fraglichen Nachrichten in Abrede stellen müsse; in der Türkei kämen keine Massakres vor. Aus dieser wenig befriedigenden Antwort dürfte zu schließen sein, daß es tatsächlich in Djezireh zu Ausschreitungen gekommen ist und die Pforte durch ein Dementi sich unbequemen Erörterungen entziehen zu können glaubt.

Wangenheim.

Seiner Exzellenz dem Reichskanzler
Herrn von Bethmann Hollweg.

185.

(Kaiserliches
Konsulat Aleppo.)

Telegramm.

Abgang aus Aleppo, den 18. Oktober 1915.
Ankunft in Pera, den 19. Oktober 1915.

An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Gestern wurde Räumung der Stadt von verschickten Armeniern (20000) binnen 14 Tagen angeordnet. Einstweilen Sammlung in Konzentrationslagern außerhalb der Stadt. Südlich Taurus soll Eisenbahn nicht mehr zur Verschickung benutzt werden. Familien ohne eigene Fuhrmittel werden zu Fuß abtransportiert. Jede Familie soll ein Kamel für Gepäck erhalten, welches aber notgedrungen oftmals zurückbleibt. Nach Angabe des Direktors der politischen Angelegenheiten des Wilajets sind bei Radju und Katma 40000 konzentriert. Weitere Scharen aus West-Mittel-Nord-Anatolien im Anzug. Zur „Ansiedelung“ nach Süden (westlicher Hauran, Rakka, Der-es-Zor) weitergesandt 300000. Diese werden nach genanntem Beamten am Ziel notgedrungen sich selbst überlassen und „werden alle sterben“; die Regierung hätte „vielleicht“ im Frieden Ansiedlung fertiggebracht, obwohl Ansiedlung von Muhammedanern vielfach ebenso gescheitert, habe aber jetzt weder Geld noch Beamte. Jedenfalls fehlt zur Ansiedlung alles und jedes, für Konzentrationslager werden weder Zelte noch ausreichendes Mehl, noch Brennmaterialien geliefert; verschickten Bauern sind von Behörde selbst[S. 169] Hacken, Spaten abgenommen. Allgemeine Überzeugung, daß sämtliche Verschickte dem Tode verfallen. Einverständnis Deutschlands mit diesem Massenmord wird übrigens nicht nur von gesamten Christen, sondern, teils billigend, teils aber auch mißbilligend, von muhammedanischer Bevölkerung des Landes angenommen.

Hoffmann.

186.

(Kaiserliches
Konsulat Aleppo.)

Telegramm.

Abgang aus Aleppo, den 18. Oktober 1915.
Ankunft in Pera, den 19. Oktober 1915.

An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Seit heute wird bemittelten Armeniern Benutzung Bahn oder eigenes Fuhrwerk behufs Selbstansiedelung gestattet. Wenn unsererseits noch Eindämmung dieses schon rein wirtschaftlich betrachtet unsinnigen Massenmordes beabsichtigt und möglich sein sollte, so käme in Frage: 1. Belassung aller, die noch nicht verschickt sind, vor allem auch der ansässigen Bevölkerung Aleppos (die ebenfalls Verschickungsorder fürchtet), sowie derjenigen Verschickten, die feste Wohnung in Städten gefunden. 2. Sofortige Organisation der Ansiedlung unter Opferung bedeutender Mittel; dabei stärkere Heranziehung der Städte wie Damaskus, Hama, Homs, sowie ihrer Umgebung, eventuell nur vorläufig der leichteren Unterbringung halber. 3. Gestattung Auswanderung.

Nachdem die Pforte selbst kürzlich zahlreiche feindliche Ausländer aus Syrien (Urfa) ausgewiesen, dürften militärische Bedenken unerheblich sein.

Hoffmann.

187.

(Auswärtiges Amt.)

Berlin, den 20. Oktober 1915.

Der Verweser des Kaiserlichen Konsulats in Erzerum hat mir Abschrift des der Kaiserlichen Botschaft unter dem 5. August d. J. erstatteten Berichts über die Armenierfrage eingereicht.

Ich bin mit der Haltung des Kaiserlichen Vertreters in Erzerum zur armenischen Frage einverstanden und kann es nur begrüßen, wenn er sich[S. 170] der armenischen Bevölkerung nach Möglichkeit angenommen hat. Ebenso stimme ich dem von ihm geplanten Versuche zu, durch Anbahnung einer Verständigung zwischen den türkischen Vertretern und den Führern der Daschnakzagan-Partei einen erträglichen Modus vivendi herzustellen.

Ew. Exzellenz bitte ich Herrn von Scheubner-Richter entsprechend zu bescheiden.

Zimmermann.

Seiner Exzellenz dem Kaiserlichen Botschafter
Herrn Freiherrn von Wangenheim, Konstantinopel.

188.

Kaiserlich
Deutsches Konsulat.

Aleppo, den 25. Oktober 1915.

Euerer Exzellenz beehre ich mich auf die in der „Westminster Gazette“[93] gegen mich erhobenen Beschuldigungen, ich hätte die türkische Bewegung gegen die Armenier geleitet und ermutigt, in der Anlage mit dem Anheimstellen geeignet scheinender Verwendung zwei Briefe zu überreichen, welche dartun, wie die amerikanische Mission in Marasch über meine Wirksamkeit in dieser Stadt aus Anlaß meiner Dienstreise vom 28. März bis 10. April d. J. gedacht hat. Der erste dieser Briefe ist an den deutschen Missionar Herrn Blank gerichtet. Der Verfasser E. C. Woodley ist englischer Staatsangehöriger (Kanadier) und befindet sich noch jetzt an der Spitze der amerikanischen Mission in Marasch. Der zweite Brief ist vom Vorstand der Mission, an erster Stelle wieder von Herrn Woodley an mich selbst gerichtet und drückt mir den Wunsch aus, dahin zu wirken, daß Herr Blank zum deutschen Konsularagenten in Marasch ernannt werde; offenbar in der Überzeugung, daß damit auch den amerikanischen Missionsinteressen gedient sein würde. Es hätte nicht geschehen können, wenn die Amerikaner und in erster Linie Mr. Woodley nicht volles Vertrauen zu meinen Bestrebungen, mildernd zu wirken und unnötiges Unheil abzuwenden, gehabt hätten. Ein Beweis auch für die Stärke der europäischen Kulturgemeinschaft, deren Empfindung unter den besonderen Verhältnissen von Marasch trotz des Weltkrieges sich geltend machte. Beide Äußerungen der Mission sind spontan erfolgt und in keiner Weise von mir hervorgerufen worden. Ich bedurfte solcher Äußerungen nicht und konnte nicht voraussehen, daß sie von mir einst noch zur Abwehr feindlicher Verleumdungen gebraucht werden könnten. Wenn die Missionare nicht die Ernennung eines Konsularagenten ihrer eigenen Nationalität[S. 171] herbeizuführen bestrebt waren, so geschah es, weil sie eine prinzipielle Entscheidung der amerikanischen Regierung kannten, nicht einen Missionar zum Konsularagenten zu ernennen.

Je eine der Abschriften ist vom hiesigen amerikanischen Konsul beglaubigt.

Rößler.

Seiner Exzellenz dem Kaiserlichen Botschafter
Herrn Freiherrn von Wangenheim.

(Kaiserlich
Deutsche Botschaft.)

Abschriftlich nebst 2 Originalanlagen

Seiner Exzellenz dem Reichskanzler Herrn von Bethmann Hollweg gehorsamst vorgelegt.

Pera, den 9. November 1915.
Neurath.

Anlage 1.

Le Matin.

Les Allemands Assassins.

Londres, 30 Septembre. — On mande du Caire au Times:

„Plusieurs consuls allemands ont dirigé ou encouragé les massacres des Arméniens.

„On cite notamment M. Roessler, consul à Alep, qui s’est rendu à Aintab pour diriger en personne des massacres, et le fameux baron Oppenheim[94], qui a donné l’idée de transporter les femmes et les enfants appartenant aux nations alliées à Ourfa, sachant bien que ces malheureux ne pourraient éviter d’y voir les actes barbares commis par les troupes dans les rues mêmes de la ville qui sont littéralement inondées de sang.“ (Havas.)

Anlage 2.

(Reuter-Telegramm.)

Amsterdam, den 7. Oktober, 8 Uhr 44 Min. N.

Wie Reuter meldet, beschäftigte sich gestern englisches Oberhaus mit böser Lage der Armenier. Lord Cromer sagte, daß nicht weniger als 800000 getötet seien. Obschon er keine direkten Beweise für Deutschlands Mitschuld[S. 172] habe, sei es doch infolge großen Einflusses auf Türkei zweifellos dafür verantwortlich. Lord Crewe erklärte, daß es nützlich sei, wenn Tatsachen der ganzen Welt bekanntgegeben werden, soweit diese amtlich bestätigt seien, und hinzufügte, daß Regierung keine amtliche Bestätigung von Deutschlands Mitschuld erhalten könnte. Daß aber deutsche Konsularbeamte in Kleinasien nicht nur zugesehen, sondern zu diesen Greueltaten kräftig aufgemuntert haben, sei aus Berichten amerikanischer Augenzeugen ersichtlich, und aus dem, was Deutsche an anderen Stellen getan haben, sei es nicht unwahrscheinlich, daß ihre Mitschuld auch hier in Frage kommt. Lord Crewe, der Vorsitzende des Ausschusses ist und Untersuchung leitet, gab dann noch einige Greueltaten zur Kenntnis, so wurden z. B. in Trapezunt gesamte Bevölkerung armenischer Abstammung in Booten auf See geführt und ertränkt. Daß Gesamtzahl Opfer 800000 betrage, sei ihm sehr wahrscheinlich.

Anlage 3.

March 31st 1915.

Dear Herr Blank,

Let me congratulate your Consul, through you on the success thus far since coming to Marash. There is a distinct improvement in the general condition, which we are very ready to attribute to his influence. We hope he will be able to remain here long enough to secure that any pledges given to him will be faithfully carried out. Kindly express our gratitude to him.

With kind regards

Yours cordially
E. C. Woodley.

Anlage 4.

Marash, April. 2nd 1915.

Mr. Rößler, Consul of the Imperial German Government at Aleppo, Marash.

Sir,

We desire to express our sense of the value of your present visit to Marash and that its results may be permanently secured, venture to approach you with the hereafter mentioned request.

It is unnecessary for us to set forth here the critical state of affairs in Marash, in recent weeks, inasmuch as you are fully acquainted with it. We rejoice that your influence has already made itself felt for good. Our fear, however, is that, when the restraint of your official presence is removed,[S. 173] the former conditions will return. We feel very strongly that there should be some official representative or representatives of Foreign Powers in Marash, at least until a more normal state obtains.

No one knows the situation here better than Mr. Karl Blank, and in view of this fact, we desire to prefer the following request.

As members of the American Mission we would unitedly request you to use your influence to secure the appointment of Mr. Blank as an official representative in Marash[95], of the Imperial German Government, promising to support him in every way possible in any action he may take for the safeguarding of all the interests of the various communities here.

Trusting that this request may meet with your approval, and expressing again our gratitude for what you have already done to secure better conditions here, we remain

Yours respectfully

The American Mission in Marash
E. C. Woodley, Chairman
James K. Lyman, Vice-Chairman
Kate E. Ainslie, Secretary.

Anlage 5.

Central Turkey College
Aintab, Turkey-in-Asia.

Aleppo, December 9, 1915.

Hon. Walter Rößler, Imperial German Consul, Aleppo.

Sir,

Replying to your note of the 4th inst, I have the honour to state that no disturbances have occurred in Aintab[96].

Respectfully
J. E. Merrill.

[S. 174]

November.

189.

(Hauptquartier.)

Telegramm.

Abgang aus Pleß, den 3. November 1915.
Ankunft in Berlin, den 4. November 1915.

Der Kaiserliche Gesandte an Auswärtiges Amt.

General von Falkenhayn hat folgendes Telegramm an Enver Pascha gerichtet:

„Die Entwickelung der Kriegslage läßt es möglich erscheinen, daß Leistung auf den nach Syrien und Mesopotamien führenden Bahnen bis aufs äußerste gesteigert werden muß. Erbitte Ihre Unterstützung, daß den Bahngesellschaften die Erhaltung ihres geschulten Personals erleichtert wird, die durch Deportierung der armenischen Angestellten während des Krieges schwer gefährdet werden würde.“

Treutler.

190.

(Kaiserliches
Konsulat Mossul.)

Telegramm.

Abgang aus Mossul, den 4. November 1915.
Ankunft in Pera, den 5. November 1915.

An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Gestern ist Halil Bey mit seinem Stab hier angekommen. Er selbst muß infolge Erkrankung einige Tage das Bett hüten. Ein Oberst seines Stabes erklärte mir soeben, man müsse auch in Mossul die Armenier niedermachen, was zu tun er die Absicht habe; er werde sich auch durch mich davon nicht abhalten lassen; die Deutschen verleugneten ihre Freundschaft für die Türken, da sie diese an der Exekution gegen die Armenier verhindern wollten.

Es sind dringend sofortige ganz energische Befehle an Halil Bey geboten, auf jeden Fall weitere Massakres zu verhindern.

Morgen oder übermorgen werden die Truppen Halils, die im Norden massakriert haben, hier erwartet.

Holstein.

[S. 175]

191.

(Kaiserlich
Deutsche Botschaft.)

Telegramm.

Pera, den 5. November 1915.

An Deutsches Konsulat, Mossul.

Antwort auf Telegramm vom 4. November.

Kriegsminister ist sofort vom Minister des Auswärtigen ersucht worden, die dortige Militärbehörde telegraphisch anzuweisen, sie solle nichts gegen die Armenier unternehmen.

Neurath.

192.

Auswärtiges Amt.

Berlin, den 6. November 1915.

Der abschriftlich anliegende Bericht des der Roten-Kreuz-Expedition angehörenden deutschen Arztes Dr. Neukirch aus Erzindjan über die Armenierfrage wird zur gefälligen Kenntnisnahme ergebenst übersandt.

(Stempel.)
Auswärtiges Amt.

An den Kaiserlichen Geschäftsträger
Herrn Freiherrn von Neurath, Konstantinopel.

Anlage.

Rote Kreuz-Expedition.

Erzindjan, den 5. August 1915.

Die armenische Frage ist für Erzindjan zunächst erledigt. Außer wenigen von der Regierung zurückbehaltenen Handwerkern ist kein einheimischer Armenier mehr hier. Schaue ich auf meine bisherigen Mitteilungen zurück, so glaube ich genau genug das Gehörte von dem selbst Gesehenen unterschieden zu haben. Will man sich allerdings nur auf Gesehenes beschränken, so bleibt wenig übrig, da bei den eventuellen Massakres Fremde auf alle Fälle ferngehalten werden. Wie solche Dinge hier vorgehen, wissen die Kenner der Armenierunruhen genügend. Andererseits ist schwer festzustellen, was an den Erzählungen, die man täglich hört, wahr ist. Immerhin schien es, mangels anderer Quellen nötig, die Dinge so zu notieren, wie ich es getan habe. Nach dem, was in letzter Zeit hier zu sehen war, sind Schritte, die die Ausweisung der Armenier humaner gestalten sollten, und über die wir naturgemäß nichts Näheres wissen, von Erfolg gewesen.

Während früher elende Horden von armen Weibern und Kindern ohne Habe vorbeigetrieben wurden, nur von wenigen Bewaffneten geleitet, hatten später die Leute, die vorbeikamen, auch Lasttiere und Vieh mit sich. Zuletzt[S. 176] kamen die Einwohner von Erzerum in riesigen wohlausgerüsteten Ochsenwagenkarawanen vorbei. Die Leute (offenbar auch die Männer vollzählig) sahen sehr gut aus, reisten in kleinen Märschen und waren durch äußerst zahlreiche Gendarmen unter Führung von Offizieren geschützt.

Den größten der Züge begleitete ein hoher Beamter, der Mutessarrif von Bajasid, persönlich. Die Leute bezogen in der Ebene von Erzindjan ein Zeltlager und zogen nach etwa einer Woche weiter. Das Verdienst für diese sachgemäße Beförderung der Erzerumer Armenier hat offenbar der dortige Wali, Tahsin Bey. Es ist zu bedauern, daß die hiesige Lokalbehörde anders verfahren ist. — Auch die Vorgänge in Trapezunt sollen nach guter Quelle bedauerlich gewesen sein. Die Leute aus der dortigen Gegend kamen zu Fuß und mit wenig oder keiner Habe hier durch.

Die Beziehungen der Expedition zu Behörden und Bevölkerung sind gut. Dagegen werden die Armenier uns mit der Verantwortung für das Geschehene belasten wollen.

Zusammenfassung.

Es hat eine vollkommene Entfernung aller Armenier aus diesem Lande stattgefunden, offenbar als Antwort auf die Verrätereien in Wan. In den ersten Wochen sind fraglos schwerste Mißgriffe vorgekommen, späterhin ist die Sache für orientalische Verhältnisse ziemlich geordnet verlaufen. Massakres haben hier offenbar seit Mitte Juni nicht mehr stattgefunden.

Die wirtschaftlichen Folgen sind unübersehbar.

Dr. Neukirch.

193.

Kaiserlich
Deutsches Konsulat.

Aleppo, den 8. November 1915.

Die Verschickung der Armenier ist um die Mitte Oktober zu einem gewissen Höhepunkt gelangt, so daß ihre Ausdehnung zu überblicken und der Moment geeignet war, einen zusammenfassenden Überblick zu geben.

Ich fahre hier in der Schilderung einiger Ereignisse fort und darf eine allgemeine Bemerkung vorausschicken. Ranke sagt in seiner Weltgeschichte bei Besprechung der Politik Karls des Großen gegen die Sachsen:

„Man dürfte nicht leugnen, daß die Strenge der Gesetze einen Widerstand gegen dieselben hervorrufen mußte. In Verwickelungen dieser Art tritt das immer ein. Die Maßregeln, die man ergreift, um den Ausbruch der Opposition zu verhüten, sind geeignet, denselben zu erwecken.“

Dieser Satz dürfte zutreffen auf die Politik der türkischen Regierung, die seit den Massakres des Jahres 1895 von Schwankungen abgesehen, im großen und ganzen gegenüber den Armeniern verfolgt worden ist. Er dürfte[S. 177] insbesondere auch auf die letzten Ereignisse zutreffen. Die Regierung hat Vorbeugungsmaßregeln von einer in der Geschichte selten vorkommenden Härte gegen die Armenier ergriffen und hat dadurch Widerstand an zwei verschiedenen Stellen hervorgerufen, in Suedije und in Urfa[97]. Die Kämpfe in Suedije (von 6 Dörfern aus der Nähe Antiochiens) haben damit geendet, daß die Aufständischen sich in einer versteckten Bucht, gedeckt durch das Feuer eines feindlichen Kriegsschiffes mit Frauen und Kindern in einer Seelenzahl, die von armenischer Seite auf 5000 angegeben wird[98], an Bord eingeschifft haben. Rechnet man bei dieser ländlichen Bevölkerung den sehr hohen Prozentsatz von 10 Prozent als waffenfähig, so käme man auf 500 Mann. Trotz dieser Tatsache und trotz der schließlich bewerkstelligten Verbindung mit einem feindlichen Kreuzer, liegt kein Beweis dafür vor, daß der Bezirk von vornherein an Aufstand gedacht hat. Er ist vielmehr durch die drohende Verschickung zum Widerstand getrieben worden.

Auch für den Armenieraufstand in Urfa ist es nicht erforderlich, Einwirkung von außen anzunehmen. Von Wan und Diarbekr zugewanderte mögen geschürt und sich an die Spitze gestellt haben, es genügte aber, daß die Urfaleute die Vorbeugungsmaßregeln der Regierung, die Verschickung und den damit verbundenen Untergang ihres Volkes und jedes Einzelnen vor Augen hatten, um den Entschluß des Widerstandes hervorzurufen. Der Ausbruch des Kampfes ist dann durch die Schuld der Armenier selbst herbeigeführt worden. Im einzelnen haben sich die Ereignisse etwa folgendermaßen abgespielt.

Nach der am 19. August erfolgten Niederschießung einer Patrouille und dem sich daran anschließenden Massaker ist nichts weiter erfolgt, nicht einmal eine Untersuchung gegen die Mörder der Patrouille. Ende September ereignete sich wieder eine Schießerei im Armenierviertel, von welcher nichts weiter bekannt geworden ist, auch nicht, gegen wen sie gerichtet war. Als am nächsten Tage die Regierung eine Gendarmeriepatrouille aussandte, um den Vorfall zu untersuchen, wurde diese zum Teil niedergeschossen. Die Armenier verbarrikadierten darauf ihren Stadtteil. Er wurde zunächst von den in Urfa vorhandenen etwa 60 oder 80 Gendarmen umstellt. In den ersten Oktobertagen traf ein Bataillon ein, am 4. Oktober Fakhri Pascha, am 5. Oktober ein zweites Bataillon mit 2 Feldgeschützen. Eine Aufforderung zur Übergabe lehnten die Armenier, unter denen die Zahl der Verteidiger auf etwa 2000 geschätzt wird, ab. Am 6. Oktober begann der Kampf, der sich vornehmlich auf drei Verteidigungsstellungen richtete. Die enge und winklige Bauart der Stadt Urfa, deren Häuser aus Stein sind und vielfach über alten[S. 178] Höhlenwohnungen stehen, von den Armeniern auch mit Geschick zur Verteidigung eingerichtet waren, erschwerte die Eroberung. Die Armenier waren mit Gewehren bewaffnet und mit Handgranaten versehen, zu deren Herstellung wohl beim Bau der Bagdadbahn gestohlenes Dynamit gedient haben wird. Dagegen waren sie nicht, wie fälschlich behauptet worden ist, im Besitz russischer oder anderer Maschinengewehre. Am 12. Oktober wurde noch ein 3. Bataillon mit zwei 12 cm Haubitzen hinzugezogen. Am 14. Oktober wurde die Kirche gestürmt, am 15. die amerikanische Mission, welche gegen den Willen des amerikanischen Missionars Leslie von den Armeniern besetzt und als ein starkes Gebäude zu einem Hauptstützpunkt eingerichtet war. Leslie war von den Armeniern als Geisel zurückbehalten worden, in der Hoffnung, daß auf ein Gebäude, in dem er sich befände, nicht geschossen werden würde. Die türkische Aufforderung, ihn gehen zu lassen, lehnten sie ab. Er wurde erst von den erobernden Truppen befreit. Mit der Erstürmung der Kirche und der Mission war der Widerstand gebrochen. Die türkischen Verluste betrugen 50 Tote und 120 bis 130 Verwundete. Die Absuchung der Höhlen und Brunnen kostete dann noch einer Anzahl Soldaten durch vereinzelte Schüsse versteckter Verteidiger das Leben. Kriegsgerichtliche Untersuchung ist eröffnet. Eine Kommission wird über weitere Maßregeln gegen die Armenier Urfas beschließen.

Die Verschickungen gehen im übrigen in der durchgreifendsten Weise und mit dem schrecklichsten Ergebnis weiter. Hunger und Seuche treiben dem Tode reiche Beute zu. Die Sterblichkeit unter den Vertriebenen ist in der Stadt Aleppo außerordentlich groß. Dabei fehlten bis zum Eintreffen Djemal Paschas, von dem weiter unten zu berichten sein wird, die notwendigsten sanitären Anordnungen. Etwa Mitte Oktober wurde ein neuer Begräbnisplatz außerhalb der Stadt bestimmt. Ehe aber alles so weit war, daß dort mit der Beerdigung begonnen werden konnte, wurden die Leichen bereits haufenweis abgeladen und lagen einige Tage unter freiem Himmel. Unter diesen Umständen kann man sich nicht wundern, daß der Flecktyphus auf die Stadtbewohner übergegriffen hat und eine allgemeine heftige Epidemie ausgebrochen ist. Die Zahl der täglichen Todesfälle wird auf 150 bis 200 angegeben.

Zufällig habe ich kürzlich selbst von einer Straße, die die Vertriebenen ziehen, einen Eindruck erhalten. Zwischen dem Afrin und Aleppo, also auf einer Länge von etwa 60 km sah ich am 21. Oktober unmittelbar an der Straße 4 Leichen liegen, zwei davon bereits von Tieren halb gefressen. Als ich nach dem Anblick der ersten dieser Leichen an den ersten Chan kam und den Besitzer aufforderte, Leute gegen Bezahlung zur Beerdigung auszuschicken, lächelte er, tat aber, was ich wünschte. Als ich ihn fragte, warum er gelächelt, sagte er: „Wenn Du wünschest, lasse ich diese Leiche beerdigen. Warum legst Du aber gerade auf diese eine so viel Wert? Wenn Du wüßtest, wieviel[S. 179] hier in jeder Bodenfalte liegen, so würdest Du darauf verzichten, gerade die eine begraben zu lassen, die vom Wege aus sichtbar ist.“ Wenn dies an der vielbegangenen Alexandretter Chaussee sich ereignet, ohne daß die vorübergehenden Soldaten und Gendarmen Meldung erstatten, so liegt der Schluß nahe, daß es auf den weniger begangenen Straßen des Innern nicht besser aussehen wird. Die zahlreichen, die Luft verpestenden Tierkadaver habe ich noch nicht erwähnt. Das Konzentrationslager bei Katma bot einen unbeschreiblichen Anblick mangelnder hygienischer Fürsorge. Die Wandernden waren in allen Stadien der Ernährung und Rüstigkeit, von Barfußlaufenden dem Hungertode nahen, sich mühsam Hinschleppenden oder verzweifelt und stumpf am Wege Sitzenden, bis zu solchen, die noch unversehrtes Schuhwerk besaßen oder mit einigem Hausrat auf Karren fuhren. Dabei erklären sich die Unterschiede aus der Länge der bis dahin zurückgelegten Strecken.

Die Zustände sind derart geworden, daß die Etappenstraße von Bozanti nach Aleppo verseucht ist, und daß es erst dem Oberst Freiherrn von Kreß gelungen ist, durch den Hinweis auf die militärische Wichtigkeit hygienischer Maßregeln für die Etappen, den Oberkommandierenden der 4. Armee, Djemal Pascha, zu einem Besuch Aleppos zu veranlassen. Ehe er kam, hatte Djemal Pascha auf telegraphische Anfrage über den Gesundheitszustand vom Chef der Etappeninspektion, Weli Pascha, die Antwort erhalten, es gäbe einige Fälle von Dysenterie, aber keine ansteckende Krankheit. Erst als bei Djemal Pascha die Meldung aus Rajak eintraf, daß in einem Zuge aus Aleppo drei Leichen gefunden seien, hat er sich zur Reise entschlossen.

Hier hat er jetzt energische Maßregeln angeordnet. Die Anzeigepflicht ist eingeführt. Hospitäler werden eingerichtet. Transportwagen für die Überführung der Kranken sollen bereitgestellt werden. Die Stadt ist in Bezirke geteilt, für welche je ein Arzt die Aufsicht übernimmt, mit dem Recht, Häuser zu besuchen. Der Reinigungsdienst für die Stadt wird neu organisiert.

Die Befehle sind gegeben und es handelt sich jetzt um die Ausführung. Ein deutscher Hygieniker, Militärarzt, ist erbeten worden.

Bei der Wichtigkeit der hiesigen Gegenden, aus denen Armeen je nach dem Irak oder nach Ägypten zu entsenden sind, muß der Bekämpfung der Seuche auch weiterhin die ernsteste Aufmerksamkeit gewidmet werden. Die Persönlichkeit des Freiherrn von Kreß bürgt dafür, daß das Mögliche geschehen wird.

Gleichen Bericht lasse ich der Kaiserlichen Botschaft in Konstantinopel zugehen.

Rößler.

Seiner Exzellenz dem Reichskanzler
Herrn Dr. von Bethmann Hollweg.

[S. 180]

194.

(Kaiserlich
Deutsche Botschaft.)

8. November 1915.

Akten-Notiz.

Auf Grund von Nachrichten, daß die türkische Regierung neuerdings beabsichtige, auch die Armenier in Konstantinopel zu vertreiben, bin ich heute bei Halil Bey vorstellig geworden und habe ihn erneut auf die Gefahr eines solchen Vorgehens und die schweren Schädigungen wirtschaftlicher Art hingewiesen. Halil Bey erklärte, der Ministerrat habe bereits beschlossen, von allen weiteren Armenierverschickungen, insbesondere auch von Verschickung der Armenier Konstantinopels abzusehen.

von Neurath.

195.

Kaiserlich
Deutsche Botschaft.

Pera, den 9. November 1915.

Herr v. Scheubner-Richter berichtet aus Mossul unter dem 5. d. M. folgendes:

„Auf dem Wege von Erzerum über Khinis, Musch, Bitlis, Soert nach Mossul habe ich alle früher von Armeniern bewohnten Dörfer bzw. Häuser vollständig leer und zerstört angetroffen. Lebende männliche Armenier habe ich nicht gesehen. Es sollen etliche sich in die Berge geflüchtet haben. Ca. 500 armenische Frauen und Kinder befinden sich in beklagenswertem Zustande in der armenischen Kirche in Bitlis; auch sollen armenische Frauen in türkischen Häusern gefangen gehalten werden. Auf dem ganzen Wege habe ich und die mich begleitenden deutschen Herrn noch Leichen von armenischen Männern, Frauen und Kindern liegen sehen, vielfach mit Zeichen von Bajonettstichen, trotzdem die Wege vor uns auf Veranlassung der Regierung durch Gendarmerie von Leichen gesäubert worden waren. Nach Aussage von Kurden sind alle Armenier der dortigen Gegend umgebracht worden. Eine von den Armeniern vorbereitete Revolution bzw. Erhebung hat es nach meinen Informationen nur in Wan gegeben[99], an anderen Orten war es Selbstverteidigung. Die Türken u. a. auch türkische Offiziere, haben überall verbreitet und vielfach auch selbst geglaubt, daß die deutsche Regierung die Vernichtung der Armenier veranlaßt habe.“

Über die Ausrottung der Armenier von Musch und die Zerstörung des Armenierviertels in Musch sowie der armenischen Dörfer in der Umgegend hat die kürzlich hier eingetroffene Schwester Alma Johansson (Schwedin) von dem dortigen Waisenhause des deutschen Hilfsbundes für christliches Liebeswerk im Orient eingehende Angaben gemacht. Danach dürfte von der armenischen Bevölkerung außer wenigen Flüchtlingen und einigen geraubten[S. 181] Frauen fast nichts übrig geblieben sein; die armenischen Häuser wurden in Brand gesteckt und dann dem Erdboden gleich gemacht. Diese Ereignisse, die in der ersten Hälfte Juli sich zutrugen, waren, wie aus den Schilderungen der Genannten zu schließen ist, anscheinend mit durch das Herannahen der russischen Truppen, die nach der Besetzung von Achlat, Bulanik, Gop und Liz bis ein, zwei Tagemärsche von Musch streiften, veranlaßt.

Fräulein Johansson, die im August Musch verließ und, nachdem sie sich in Kharput (Mesereh, Mamuret ul Aziz) einige Monate aufgehalten, über Siwas hierher gekommen ist, bemerkte zum Schluß ihrer Schilderungen, daß die offiziellen Kreise sowohl in Musch wie in Mesereh und auch in Siwas übereinstimmend behaupteten, die Deutschen hätten die türkische Regierung zu den Armenierverfolgungen gedrängt.

Neurath.

Seiner Exzellenz dem Reichskanzler
Herrn von Bethmann Hollweg.

196.

Kaiserlich Deutsche Botschaft.

6. November 1915.

Aufzeichnung.

Angaben der Schwester Alma Johansson (Schwedin) von den Anstalten des „Deutschen Hilfsbundes für christliches Liebeswerk im Orient“ in Musch über die Armenierverfolgungen in Musch.[100]

(NB. In Musch besteht ein deutsches Waisenhaus für Knaben und ein zweites für Mädchen, und eine Poliklinik, die sogenannte ärztliche Station.)

Die Stadt Musch zählt 50000 Einwohner, von denen die eine Hälfte Armenier die andere Muhammedaner (Kurden, Türken); im Bezirk Musch etwa 300 Dörfer, meist armenisch.

Während des Winters wurde die männliche armenische Bevölkerung bei den Proviant- und Munitionskolonnen für den östlichen Kriegsschauplatz verwendet; von diesen Leuten kehrten nur die wenigsten zurück, von 2–300 im Durchschnitt kaum 50.

Im Frühling wurden die armenischen Dörfer zerstört, nachdem sie schon vorher durch Einquartierung und Requisitionen schwer heimgesucht waren.

Im Mai-Juni wurde Bitlis von Armeniern ausgeräumt.

Um Mitte Juni wurde der Alma Johansson und der Bodil Björn vom Mutesarrif eröffnet, daß die deutsche und türkische Regierung beschlossen hätten, alle Europäer nach Kharput zu senden.

Die Russen hatten nämlich auf ihrem Vormarsch von Wan aus Ahlat, Bulanik, Gop und Liz besetzt und ihre Patrouillen streiften in einer Entfernung von 1–2 Tagesmärschen von Musch.

Die beiden Schwestern weigerten sich aber, Musch zu verlassen.

[S. 182]

Die Stadt war von Truppen umzingelt und Artillerie ringsum aufgefahren.

Am 11. Juli, Sonntag Nacht, wurde das Massaker der armenischen Bevölkerung mit Gewehrschüssen eingeleitet, die Türken behaupteten, daß einige Armenier den Versuch gemacht hätten, sich nach Sassun durchzuschlagen.

Einigen wohlhabenden Armeniern wurde auf dem Konak eröffnet, daß sie in drei Tagen mit der gesamten Bevölkerung die Stadt zu verlassen hätten, aber all ihre Habe, die nunmehr der Regierung gehöre, zurücklassen müßten.

Ohne den Ablauf dieser Frist abzuwarten, begannen die Türken schon nach zwei Stunden in die armenischen Häuser einzudringen und zu plündern.

Montag, den 12., hielt das Geschütz- und Gewehrfeuer den ganzen Tag an; die türkische Bevölkerung nahm daran teil.

Am Abend drangen Soldaten in das Mädchenwaisenhaus ein, um nach versteckten Armeniern zu suchen.

In der Nacht und am folgenden Tage wurde noch viel geschossen. Beim Versuch, das Hoftor zu schließen, wurde eine Frau und ein Waisenmädchen neben der Schwester Johansson durch Kugeln getötet.

Mittwoch früh begab sich die Genannte zum Mutessarrif Servet Bey, um Schutz und Schonung für die Anstalt und ihre Insassen zu erlangen.

Der Mutessarrif, ein intimer Freund von Enver Pascha, gebärdete sich wie ein Rasender und lehnte die Bitte schroff ab trotz des Zuredens aus seiner Umgebung; es wurde den beiden Schwestern nur gestattet, drei Mädchen und einen Diener zu behalten.

Die männliche armenische Bevölkerung ist gleich vor der Stadt umgebracht worden; die Frauen, Mädchen und Kinder hat man noch eine Tagereise weiter geschleppt und dann beseitigt. Nur drei armenische Lehrerinnen vom Waisenhause sind später freigelassen worden.

Nach Räumung der Stadt wurde das armenische Viertel in Brand gesteckt und dem Erdboden gleich gemacht; ebenso die armenischen Dörfer.

Bei diesen Vorfällen hat sich der Militärarzt, ein Albanese, durch Roheit ausgezeichnet und auch die beiden Schwestern bedroht.

Am 10. August reisten diese nach Mesereh Kharput ab, wo sie am 20. August eintrafen. Zusammen mit dem erkrankten Mutessarrif, der 2 Tage später starb.

Über die Ausrottung der Armenier in Kharput hat die Schwester Alma ebenfalls eingehende Angaben gemacht. Die Verfolgungen begannen dort schon im Mai, die Massenausrottung der Männer fand in den ersten Julitagen statt.

Von Einzelheiten erwähne ich:

Die offiziellen Kreise in Musch, Mesereh-Kharput und Siwas behaupten einstimmig, daß die Deutschen die türkische Regierung zur Vertreibung und Ausrottung der Armenier gedrängt hätten.

Mordtmann.

[S. 183]

197.

Der Reichskanzler.

Berlin, den 10. November 1915.

In der abschriftlich anliegenden Eingabe haben namhafte Vertreter protestantischer Kreise Deutschlands die Armenierfrage bei mir zur Sprache gebracht. Mit dem gleichen Gegenstande beschäftigt sich die in Abschrift beigefügte Entschließung der Missionskonferenz des Zentralkomitees der deutschen Katholiken. Beide Kundgebungen zeigen die steigende Sorge und Erregung, mit der auch in Deutschland das Vorgehen der Türken gegen die Armenier verfolgt wird.

Euer Hochwohlgeboren bitte ich, unter Berücksichtigung der in den Anlagen dargelegten Gesichtspunkte und Wünsche weiter bei jeder sich bietenden Gelegenheit und mit allem Nachdruck Ihren Einfluß bei der Pforte zugunsten der Armenier geltend zu machen und insbesondere Ihr Augenmerk darauf zu richten, daß die Maßregeln der Pforte nicht etwa noch auf andere Teile der christlichen Bevölkerung in der Türkei ausgedehnt werden.

Über die Entwickelung der Angelegenheit wollen Euer Hochwohlgeboren mich fortlaufend unterrichten.

von Bethmann Hollweg.

Seiner Hochwohlgeboren
dem Kaiserlichen Geschäftsträger Herrn
Freiherrn von Neurath, Konstantinopel.

Anlage 1.

Berlin, den 15. Oktober 1915.

Euer Exzellenz!

Die Unterzeichneten fühlen sich in ihrem Gewissen gedrängt, der Unruhe Ausdruck zu geben, in die sie und wachsende Kreise deutscher Christen durch das jammervolle Geschick des armenischen Volkes in der Türkei versetzt sind, dem nach glaubhaften Nachrichten die Ausrottung droht, wenn den unmenschlichen Maßregeln, denen es unterworfen ist, nicht schleunigst Einhalt geboten wird.

Diese Nachrichten zeichnen uns folgendes Bild:

Nachdem bereits seit Ausbruch des russisch-türkischen Krieges Hunderte von armenischen Dörfern durch Kurden und irreguläre Milizen in den östlichen Wilajets geplündert und Tausende von wehrlosen Armeniern ermordet worden, ist seit Ende Mai die Deportation der gesamten armenischen Bevölkerung aus allen anatolischen Wilajets und Cilizien in die arabischen Steppen südlich der Bagdadbahn angeordnet worden. Diese Maßregel ist mit unmenschlicher Härte in den vergangenen Monaten durchgeführt worden.[S. 184] Während die wehrhaften Männer des armenischen Volkes zur Armee eingezogen und unbewaffnet auf den Etappenstraßen des Innern als Lastträger und Chausseearbeiter verwendet wurden, hat man die des männlichen Schutzes beraubten Frauen, Kinder, Kranke und Greise aus ihren Wohnsitzen ausgetrieben, ihrer Habe beraubt und ohne Ausrüstung und Proviant, barfüßig, hungernd, verschmachtend und fortgesetzten Mißhandlungen und Schändungen ausgesetzt, in Haufen von Hunderten und Tausenden gleich Viehherden durch rohe Saptiehs mehr als hundert Meilen weit in die Verbannung treiben lassen. Die Maßregel wurde dadurch eingeleitet, daß in der Hauptstadt und in den Zentren des Innern die Führer des Volkes, Intellektuelle, Notable und kirchliche Würdenträger, über Nacht ins Gefängnis geworfen und ohne Verhör und Gerichtsverfahren erschossen oder deportiert wurden. Zum Arbeitsdienst einberufene Militärpflichtige sind auf den Straßen überfallen und erschossen worden. Von den deportierten Frauen, Kindern und Greisen sollen weniger als die Hälfte an ihren Bestimmungsorten angekommen sein. Mädchen und junge Frauen wurden in türkische Harems und kurdische Dörfer verschleppt, wo ihnen keine andere Wahl bleibt, als den Islam anzunehmen. Ebenso sind zahllose Kinder ihren christlichen Eltern abgenommen worden und werden nun als Muslims auferzogen. Von der Deportation verschont wurden nur viele Hunderte von christlichen Familien, die sich entschlossen, den Islam anzunehmen. Die Maßregel der Verschickung hatte in Wahrheit den Charakter eines Massakres von allergrößtem Maßstabe. Durch Schlächtereien an bestimmten Stellen des Weges, durch Verhungern und Verschmachten sind die Deportierten, wie es scheint, auf die Hälfte ihrer Zahl vermindert worden.

Es ist naturgemäß vor der Hand nicht möglich, genaue Angaben über die Zahl der Deportierten und Massakrierten zu machen. Nach der Statistik des armenischen Patriarchates waren die von der Deportation betroffenen Wilajets von 1200000 Armeniern bewohnt. Will man auch annehmen, daß ein Teil der Bevölkerung in die Berge flüchten konnte und entlegene Bezirke verschont blieben, so bleibt doch etwa 1 Million armenischer Christen, die von den Deportationen und Schlächtereien betroffen wurden, und zwar ohne Unterschied der Konfession, Gregorianer, römische Katholiken und Protestanten. Ob die Hälfte oder wieviel immer davon umgebracht wurde, ob die Zahl der zum Islam konvertierten Familien nach Tausenden oder Zehntausenden rechnet, kann zurzeit niemand angeben. Darüber aber kann kein Zweifel sein, daß der Schlag, der das arbeitsamste und strebsamste christliche Volk des Orients betroffen hat, in wirtschaftlicher, kultureller und politischer Beziehung die verhängnisvollsten Folgen für die Zukunft der Türkei haben und schon bei den Friedensverhandlungen die Interessen und die Ehre der mit der Türkei verbündeten Mächte aufs empfindlichste berühren wird.

[S. 185]

Der Handel und das Handwerk im Innern, die fast ausschließlich in den Händen der Armenier lagen, sind vernichtet worden. Die in Vorbereitung befindliche Deportation der armenischen Handels- und Handwerkerbevölkerung von Konstantinopel (ca. 180000), Smyrna (28000), Adana und einigen anderen, an der Peripherie der armenischen Gebiete liegenden Städte, die bisher verschont waren, würde die wirtschaftliche Entwicklung der Türkei verhängnisvoll treffen, an der Deutschland in höchstem Maße interessiert ist. Nach dem Urteil von Kennern des Landes ist nicht darauf zu rechnen, daß selbst in Jahrzehnten das türkische und jüdische Element in der Lage wären, für den Ausfall des armenischen einzutreten. Mögen zu diesen Fragen Autoritäten des wirtschaftlichen Lebens sich äußern.

Was aber die Unterzeichneten in erster Linie beunruhigt und sie veranlaßt, sich vertrauensvoll an Euer Exzellenz zu wenden, ist nicht die Sorge um die Zukunft deutscher Wirtschafts- und Kulturarbeit, die durch die Ausschreitungen des türkischen Nationalismus und islamischen Fanatismus ernstlich in Frage gestellt wird, was unser Gewissen beunruhigt, ist die Verantwortung, die dem deutschen Volke als einem christlichen aus dem Bundesverhältnis mit der Türkei für die zur Sprache gebrachten Vorgänge erwächst.

Nicht nur die Ententepresse, auch die öffentliche Meinung in den neutralen Ländern sieht Deutschland als mitverantwortlich für die inneren Vorgänge in der Türkei an. Gewiß wird hierbei der Einfluß der deutschen Diplomaten auf die Pforte überschätzt. Aber bestehen bleibt der Eindruck, daß Deutschland nach Ausschaltung der Ententemächte die einzige Macht am Bosporus war, die für die Verhinderung von Christenschlächtereien in Frage kam. Die Maßregeln, welche das armenische Volk mit dem Untergang bedrohen, werden von der Hohen Pforte mit revolutionären Umtrieben in der armenischen Bevölkerung und strategischen Maßnahmen in den Grenzbezirken begründet. Mögen irgendwo Armenier von diesem Vorwurf zu Recht getroffen werden — nach den uns vorliegenden Informationen liegen für ein vaterlandsfeindliches Verhalten der maßgebenden armenischen politischen und kirchlichen Organisationen keine Beweisgründe vor —, er rechtfertigt nicht die getroffenen unerhörten Maßregeln. Wir enthalten uns des Urteils über die Ziele, die die türkische Regierung mit ihnen letztlich verfolgt. In der Ausführung aber haben sie jedenfalls dem islamischen Fanatismus und dem Christenhaß den schlimmsten Anreiz gegeben, der auch für die übrigen, nicht muslimischen Volkselemente der Türkei gefahrdrohend bleibt. Es kursieren Worte wie dies: „Das Land soll rein muslimisch sein und nichts anderes“. Dem entspricht, daß auch Missionsinstitute ausgeräumt worden sind. Es gewinnt den Anschein, als solle jede Art von christlichem Liebeswerk und jeder ausländische Kultureinfluß im Innern ausgetilgt werden.

Diese Vorgänge sind für die übrige Christenheit schlechthin unerträglich und müssen auch der Türkei in ihrem berechtigten Streben, ihre inneren[S. 186] Verhältnisse gegen Eingriffe von außen sicherzustellen, kaum überwindliche Schwierigkeiten bereiten. Die Erregung im neutralen und feindlichen Auslande hierüber ist im Wachsen und muß zu leidenschaftlichem Ausdruck kommen, sobald die Tatsachen in vollem Umfange bekannt werden. Wird sich nicht diese Entrüstung mit ganzer Schärfe gegen Deutschland wenden, dem allein die Welt zutraut, daß es durch sein Verhältnis zur Türkei diese furchtbaren Dinge verhüten und etwa notwendige Maßnahmen auf das strategisch Gebotene einschränken konnte? Wie man Deutschland für den Eintritt der Türkei in den Krieg und für die Erklärung des „heiligen Krieges“ verantwortlich gemacht hat, so wird man ihm die ganze Schuld an der Vernichtung eines christlichen Volkes beimessen. Die Wirkung wird, wie wir fürchten, noch tiefer gehen, als bei der Agitation wegen der angeblichen belgischen Greuel.

Während aber bisher alle Anschuldigungen des Auslandes an dem einmütigen guten Gewissen unseres Volkes wirkungslos abprallten, werden diese Nachrichten, deren Bekanntwerden niemand verhindern kann, auf die deutschen Christen die unheilvollste Wirkung haben. Schon bei der Erklärung des heiligen Krieges regten sich in manchen Kreisen Gewissensbedenken; wir vermochten sie durch den Hinweis zu beschwichtigen, daß dieser heilige Krieg nicht gegen die Christen als solche, sondern in Gemeinschaft mit christlichen Völkern gegen die Feinde der Türkei geführt werde. Niemand vermag aber die lähmende Wirkung auf die Freudigkeit der deutschen Christen zu verhindern, wenn sie es mit ansehen müssen, wie von ihren Bundesgenossen ein ganzes Christenvolk vernichtet wird. In dem guten Gewissen, mit dem wir alle Gott um den Sieg für unsere Waffen anrufen, wurzelt die Widerstandskraft unseres Volkes. Diese Einmütigkeit und Freudigkeit droht erschüttert zu werden, wenn bekannt wird, daß von unseren andersgläubigen Bundesgenossen Hunderttausende unserer Glaubensgenossen grundlos und sinnlos zu Tode gehetzt werden, ohne daß unsererseits das Mögliche zu ihrer Rettung geschah.

Es ist uns bekannt, daß seitens der deutschen Regierung wiederholt Schritte getan sind, um, auch im eigenen Interesse der Türkei, der Vernichtung der Armenier zu steuern.

Die Tatsachen zeigen leider, daß diese Schritte das Verhängnis nicht haben aufhalten können. Die türkische Regierung hat, soweit wir unterrichtet sind, bisher nicht das Erforderliche getan, um die Deportierten vor dem Hungertode zu bewahren, ja sogar Versuche, den notleidenden Frauen und Kindern Hilfe zu bringen, abgelehnt. Es ist zu befürchten, daß auch die noch überlebenden Deportierten, in der Hauptsache Frauen und Kinder, dem Untergange geweiht werden.

Das können wir, das kann unser christliches Volk nicht schweigend mit ansehen. Die türkische Regierung, die selbst planvoll das islamische Gemein[S. 187]gefühl aller Länder für ihre nationalen Ziele wachruft und verwertet, darf ihren christlichen Bundesgenossen nicht zumuten, daß sie ihr christliches Gemeingefühl zum Stillschweigen verurteilen. Sie muß es erkennen, in welchem Grade sie für die Zukunft ihren eigenen Weg erschwert, wenn sie unter ihrer Verantwortung eine ungeheure Tat geschehen läßt, die die gesamte Christenheit als einen Schlag in ihr Angesicht empfinden muß. Es muß verhütet werden, daß die Ehre des deutschen Namens auch nur mit dem Schein der Mitschuld an den gekennzeichneten Schandtaten befleckt wird. Der Gedanke ist unerträglich, daß, während wir Deutsche gefangenen Muhammedanern Moscheen bauen, Hunderte von christlichen Kirchen zerstört oder in Moscheen verwandelt werden. Es bedrückt unser Gewissen, daß, während die deutsche Presse den Edelmut und die Toleranz unserer muhammedanischen Bundesgenossen preist, von Muhammedanern unschuldiges Christenblut in Strömen vergossen wird und Zehntausende von Christen zwangsweise zum Islam konvertiert werden.

Wir verkennen nicht die Pflichten, die uns deutschen Christen aus dem Bundesverhältnis unseres Reiches mit der Türkei erwachsen. Wir teilen aufrichtig den Wunsch, daß ihr aus ihrem heldenmütigen Kampf an unserer Seite die verdienten Früchte zufallen, und wir wünschen durchaus nicht, ihr in irgend einer Weise unnötige Schwierigkeiten zu machen. Aber wir können auch die Pflichten gegen unsere Glaubensgenossen nicht verleugnen. Wir handelten sonst gegen Ehre und Gewissen, und es fiele ein Schatten auf den Sieg unseres Volkes.

Wir bitten daher Euer Exzellenz, der Hohen Pforte die Unerträglichkeit der geschaffenen Lage und die äußerste Dringlichkeit von Abhilfemaßregeln mit allem Nachdruck vorzustellen, und dabei vornehmlich drei Ziele ins Auge zu fassen, die auf keine Weise dem Wohle der Türkei oder der Erreichung unserer Kriegsziele widerstreiten, dagegen aufs engste mit den Forderungen der Menschlichkeit und mit dem wirtschaftlichen Interesse verknüpft sind:

1. daß der Deportation der bisher verschonten armenischen Bevölkerung von Konstantinopel, Smyrna, Aleppo und anderen, noch nicht betroffenen Städten und Distrikten ein Riegel vorgeschoben wird,

2. daß nicht nur angebliche und scheinbare, sondern wirkliche und wirksame Maßregeln getroffen werden, um die Hunderttausende von deportierten Frauen und Kindern in den mesopotamischen Steppen am Leben zu erhalten und weitere Grausamkeiten an den noch übrigen Armeniern zu verhindern,

3. daß Christen anderer Länder es ermöglicht werde, vielleicht unter der Mitwirkung deutscher und neutraler Vertrauensleute, den notleidenden Deportierten Hilfsdienste zu erweisen und Unterstützungen zukommen zu lassen.

Beim Friedensschluß bitten wir darauf Bedacht zu nehmen, daß den jetzt zwangsweise islamisierten Christen die Rückkehr zum Christentum ermöglicht[S. 188] und für eine künftige friedliche und loyale Weiterentwicklung der christlichen Minderheiten in der Türkei und für die ungehinderte Fortführung der christlichen Liebes- und Kulturarbeit im Orient die nötige Bürgschaft gegeben werde.

Wir bitten Euer Exzellenz in Ehrerbietung, uns möglichst bald in die Lage zu versetzen, daß wir der Beunruhigung unter den deutschen Christen entgegentreten und die Anklagen des Auslandes wirksam entkräften können.

Euer Exzellenz ganz gehorsamste

Dr. Karl Axenfeld, Direktor der Berliner Missionsgesellschaft, Berlin.

Professor D. Baumgarten, Kiel.

Professor Dr. Johannes Burchard, Professor der Rechtswissenschaften an der Königlichen Akademie zu Posen.

Superintendent D. A. Cordes, Leipzig.

D. Adolf Deißmann, ord. Professor der Theologie an der Universität Berlin, Vorstandsmitglied der deutschen Orientmission.

Oberhofprediger D. Dibelius, Dresden, Vizepräsident des Evangelisch-lutherischen Landeskonsistoriums.

Konsistorialrat Pfarrer D. Erich Foerster, Frankfurt a. M.

Th. Haarbeck, Pfarrer, 1. Vorsitzender des deutschen Verbandes für Gemeinschaftspflege und Evangelisation, Barmen.

Direktor D. G. Haccius, Hermannsberg i. Hannover.

A. Haccius, Geh. Justizrat, Hannover.

Haendler, Propst und Generalsuperintendent, Berlin.

Professor D. v. Harnack, Wirkl. Geh. Rat., Berlin-Grunewald.

Professor D. G. Haußleiter, Halle a. d. S.

Held, Missionsinspektor der Sudan-Pioniermission, Wiesbaden.

P. O. Hennig, Missionsdirektor der Brüdergemeinde, Herrnhut.

Professor Dr. W. Herrmann, Marburg.

D. Hesekiel, Generalsuperintendent, Wernigerode.

Dr. Hornemann, Landgerichtsrat, Berlin.

Generalsuperintendent D. Kaftan, Kiel.

Pastor D. Dr. Kind, Präsident des Allg. Ev. Prot. Missionsvereins, Berlin.

D. W. L. Kölbing in Herrnhut, Vorsitzender der Verwaltung des Aussätzigenasyls der Evangelischen Brüdergemeinde in Jerusalem.

Dr. Johannes Lepsius, Potsdam.

Geh. Konsistorialrat Professor Dr. Loofs, Halle.

Professor D. Mahling, Berlin-Charlottenburg.

D. Philipps, Berlin-Charlottenburg.

Stadtpfarrer Pfisterer, Weinsberg, Württemberg.

Professor D. Julius Richter, Berlin-Steglitz.

Pastor Röbbelen, Hermannsberg i. H., Vorsitzender des Vereins für lutherische Mission in Persien.

[S. 189]

Roedenbeck, Superintendent der Diözese Potsdam I, Direktor der deutschen Orientmission, Klein-Glienicke bei Potsdam.

Lic. Dr. Paul Rohrbach, Berlin.

Pastor Johs. Spiecker, Direktor der Rheinischen Missionsgesellschaft, Barmen.

Missionsinspektor Lic. Schlunk, Hamburg.

Schlicht, Superintendent, früher Pfarrer der deutschen evangelischen Gemeinde in Jerusalem, Rudow b. Berlin.

A. W. Schreiber, Missionsdirektor, Berlin-Steglitz.

D. Dr. Hans von Schubert, Geh. Kirchenrat, ord. Professor der Theologie, zurzeit Dekan der theologischen Fakultät zu Heidelberg.

Professor D. Dr. R. Seeberg, Berlin.

Direktor D. F. A. Spiecker in Berlin-Grunewald.

Pfarrer Ewald Stier, Alten bei Dessau, für die „Deutsche Armenische Gesellschaft“ und den Verein „Notwendiges Liebeswerk“.

F. Schuchardt, Deutscher Hilfsbund für christliches Liebeswerk im Orient, E. V., Frankfurt a. M.

Martin Urban, Missionsinspektor, Vorsitzender der Mission für Süd-Ost-Europa, E. V., Hausdorf, Kr. Neurode.

Professor Dr. Weckesser, Karlsruhe.

Geh. Kirchenrat H. H. Wendt, Professor der Theologie in Jena.

A. Winkler, Pfarrer, Berlin, Mitglied des Kuratoriums der Deutschen Orientmission.

Adolf Zeller, Pastor, Zehlendorf, früher Marasch, Wilajet Aleppo.

Gerhard von Zezschwitz, Pfarrer und Senior in Burgbernheim, Bayern.

Professor D. Dr. Dalman aus Jerusalem.

Gustav Gerock, Stadtpfarrer in Stuttgart.

Johannes Lohmann, Pastor am Diakonissenhaus Friedenshort in Miechowitz.

Lic. R. Mumm, Mitglied des Reichstags, Berlin NW. 87.

An den Kanzler des Deutschen Reiches
Herrn Dr. von Bethmann Hollweg, Exzellenz, Berlin W.

Anlage 2.

Berlin, den 29. Oktober 1915.

Der Missionsausschuß des Zentralkomitees für die Generalversammlungen der Katholiken Deutschlands, versammelt zu Berlin am 29. Oktober 1915, hält es für seine unabweisbare Pflicht, seine Stimme zu erheben, damit den überaus harten Maßregeln, welche zurzeit von Seiten der türkischen Regierung gegen die Armenier zur Anwendung gebracht werden, sofort ein Ende gemacht werde. Was immer auch den Armeniern zur Last fällt, so verlangt doch das Gebot der Menschlichkeit, welchem auch die türkische Regierung[S. 190] ihr Ohr nicht versagen darf, daß der drohenden Ausrottung des ganzen armenischen Volkes gesteuert werde.

Die Versammlung hat das Vertrauen zu der Leitung des Deutschen Reiches, daß sie auch bisher schon zur Linderung des Loses der Armenier alles getan hat, was in ihren Kräften stand. Sie bittet aber angesichts der fortdauernden Schrecknisse in Armenien, daß sie unausgesetzt auf diplomatischem Wege, durch Einwirkung auf die Regierung der uns verbündeten Türkei, alles zur Linderung des Loses der Armenier aufbiete, was ohne Gefährdung des militärischen Bündnisverhältnisses geschehen kann.

Die türkische Regierung wird begreifen müssen, daß die christliche Bevölkerung Deutschlands trotz ihrer politischen Bundesfreudigkeit zur Türkei in Aufregung geraten muß, wenn ihre Glaubensgenossen in der Türkei so schwer bedrückt werden. Dies um so mehr, als alle deutschen Katholiken, wie es sich aus den Besprechungen des Missionsausschusses als springender Punkt ergab, auf dem Standpunkt stehen, von allen christlichen Völkern der Türkei volle Loyalität gegenüber dem türkischen Staate zu verlangen, sie auch ihrerseits bereit sind, in dieser Richtung auf die orientalischen Christen einzuwirken und bei ihnen das Verständnis für staatsbürgerliche Gesinnung zu wecken.

Übrigens erfordert es das richtig verstandene Interesse der Türkei selbst, daß diese sich nicht so wertvoller Mitarbeiter beraubt, wie die Armenier bisher es auf dem Gebiete der Staatsverwaltung und des wirtschaftlichen Fortschrittes für sie gewesen sind.

Vor allem aber bitten wir den Herrn Reichskanzler, darauf ein wachsames Auge zu halten, daß unter keinen Umständen auch in anderen Teilen des türkischen Reiches ähnliche Ereignisse gegenüber der christlichen Bevölkerung Platz greifen.

Die im unterzeichneten Missionsausschuß vertretenen deutschen Katholiken hegen volles Vertrauen zur Leitung des Deutschen Reiches und zur befreundeten Regierung der Türkei, daß durch Beseitigung der erwähnten Mißstände unser Bündnis mit der Türkei auch weiterhin beim christlichen Volke Deutschlands freudige Stimmung und Teilnahme finden kann.

Im Namen aller im Missionsausschuß vertretenen Organisationen der deutschen Katholiken zeichnen:

Prälat Dr. Werthmann, Vorsitzender.
Justizrat Dr. jur. Carl Bachem.
Erzberger, M. d. R.

Seiner Exzellenz dem Herrn Reichskanzler
von Bethmann Hollweg.

[S. 191]

198.

(Der Reichskanzler.)

Berlin, den 12. November 1915.

Euer Hochwohlgeboren darf ich den Empfang der mir unterm 15. v. M. übermittelten Eingabe mit ergebenstem Danke bestätigen.

Die Kaiserliche Regierung wird, wie bisher, so auch in Zukunft es stets als eine ihrer vornehmsten Pflichten ansehen, ihren Einfluß dahin geltend zu machen, daß christliche Völker nicht ihres Glaubens wegen verfolgt werden. Die deutschen Christen können darauf vertrauen, daß ich von diesem Grundsatz geleitet, alles, was in meiner Macht steht, tun werde, um den mir von Ihnen vorgetragenen Sorgen und Wünschen Rechnung zu tragen.

Die Kaiserliche Botschaft in Konstantinopel habe ich von dem Inhalt Ihrer Eingabe unterrichtet.

von Bethmann Hollweg.

An den Direktor der Deutschen Evangelischen Missionshilfe,
Herrn A. W. Schreiber, Hochwohlgeboren.

199.

Der Reichskanzler.

Berlin, den 12. November 1915.

Euer Hochwohlgeboren darf ich den Empfang der mir unterm 30. v. M. übermittelten Entschließung der Missionskonferenz des Zentralkomitees der Katholiken Deutschlands mit ergebenstem Danke bestätigen.

Die Kaiserliche Regierung wird, wie bisher, so auch in Zukunft es stets als eine ihrer vornehmsten Pflichten ansehen, ihren Einfluß dahin geltend zu machen, daß christliche Völker nicht ihres Glaubens wegen verfolgt werden. Die deutschen Christen können darauf vertrauen, daß ich von diesem Grundsatz geleitet, alles, was in meiner Macht steht, tun werde, um den mir von Ihnen vorgetragenen Sorgen und Wünschen Rechnung zu tragen.

Die Kaiserliche Botschaft in Konstantinopel habe ich von der Entschließung der Missionskonferenz unterrichtet.

von Bethmann Hollweg.

Herrn M. Erzberger, M. d. R., Hochwohlgeboren, hier.

200.

Auswärtiges Amt.

Berlin, den 12. November 1915.

Euere Exzellenz bitte ich, den Bericht eines deutschen Lehrers[101] zum Anlaß nehmen zu wollen, um bei der Pforte erneut gegen die grausame[S. 192] Behandlung der Armenier Verwahrung einzulegen und sie auf die verhängnisvollen Folgen aufmerksam zu machen, die dem türkischen Reiche aus der Fortsetzung einer derartigen Ausrottungspolitik erwachsen müssen.

Jagow.

Seiner Exzellenz dem Kaiserlichen Botschafter
Herrn Grafen Wolff-Metternich, Konstantinopel.

201.

Kaiserlich
Deutsche Botschaft.

Pera, den 12. November 1915.

Aus zuverlässiger Quelle erfahre ich, daß die türkische Regierung trotz aller gegenteiligen Versicherungen beschlossen hat, auch die in Konstantinopel ansässigen Armenier in die Verbannung zu schicken. Die Maßregel soll nicht sofort und nicht gegen alle armenischen Bewohner der Hauptstadt auf einmal ergriffen werden, jedenfalls aber noch vor Beendigung des Krieges zur Ausführung gelangen. Ich habe deshalb Halil Bey am 8. d. M. wiederholt dringend auf die unabsehbaren Folgen aufmerksam gemacht, die ein solches Vorgehen in politischer und wirtschaftlicher Hinsicht nach sich ziehen werde. Euerer Exzellenz Erwägung möchte ich anheimstellen, auch Hakki Pascha vor Ausführung des unheilvollen Planes eindringlich zu warnen.

Neurath.

Seiner Exzellenz dem Reichskanzler
Herrn von Bethmann Hollweg.

202.

Kaiserlich
Deutsches Konsulat.

Aleppo, den 16. November 1915.

Die türkische Botschaft in Berlin hat über den Aufruhr in Urfa die in der Anlage beigefügte Erklärung veröffentlicht, die in der Norddeutschen Allgemeinen Zeitung vom 28. Oktober, Nr. 299 (2. Ausgabe), zum Abdruck gekommen ist und mir zu den folgenden Bemerkungen Anlaß gibt. Sie besagt u. a.:

„Der Zweck, den die Banden mit dem Aufruhr verfolgten, war einerseits der, Schaden anzurichten, fremde Niederlassungen zu zerstören und Untertanen der mit der Türkei im Kriege befindlichen Staaten zu töten, um die Folge dieser Morde auf die Türkei abzuwälzen. Andererseits wollten sie einen Teil der Kaiserlichen Truppen an die befestigten Schlupfwinkel fesseln und sie vom Kriegsschauplatz abziehen.“

Demgegenüber wird daran festzuhalten sein, daß der Zweck des Aufruhrs nicht ohne seine Vorgeschichte verstanden werden kann. Urfa hat unter den[S. 193] Armeniermetzeleien vor 20 Jahren schwer gelitten. Damals wurden u. a. 1000 Menschen in der Kirche, in die sie unter dem Vorwande, ein Asyl zu finden, hineingelockt waren, vorsätzlich verbrannt. Die Armenier haben seitdem in steter Furcht vor einer Wiederholung der Metzeleien gelebt und sich mit Waffen versehen, um nicht wehrlos zu sein.

Als im Frühsommer d. J. die Armenierverschickungen angeordnet wurden, sagte mir der hiesige Wali Djelal Bey, der sich weigerte, sie auszuführen und deswegen versetzt wurde, „es ist das natürlichste Recht des Menschen, zu leben. Der Wurm, den man tritt, krümmt sich. Die Armenier werden sich wehren.“

Welcher Art die Vorbeugungsmaßregeln sind, die von der türkischen Regierung in der gegenwärtigen Weltkrisis gegen die Armenier ergriffen wurden, hatten die Bewohner von Urfa bereits erfahren. Gegen Mitte Juni sind 50 der angesehensten von ihnen verhaftet und einer von ihnen mit 100 Stockschlägen fast zu Tode geprügelt worden. Kurz darauf wurden sie nach Diarbekr in Marsch gesetzt, woselbst angeblich ihre Aburteilung erfolgen sollte, sind aber unterwegs — also ohne Urteil — umgebracht worden. Darunter befand sich der langjährige Apotheker des deutschen Hospitals, der nach dem Zeugnis der deutschen Missionare, wie übrigens viele unter den 50 Abgeführten, loyaler ottomanischer Untertan gewesen ist. Auch das Schicksal der aus dem Norden und Osten angekommenen Verschickten hatten die Urfaleute vor Augen. Sie wußten, daß die Männer ermordet, Frauen und Mädchen geschändet, günstigstenfalls in muslimische Harems aufgenommen, und daß der Rest, nämlich Kinder und ältere Frauen dem Hungertode preisgegeben waren. Daher ihr Entschluß, lieber mit der Waffe in der Hand zu sterben, und ihr Leben so teuer wie möglich zu verkaufen, als sich und ihre Familie wehrlos vernichten oder entehren zu lassen. Es ist richtig, daß die allgemeine Verschickung der Armenier Urfas noch nicht beschlossen war, als der Aufruhr losbrach. Die einzigen Städte der Türkei, welche bis dahin dieses Geschick noch nicht erlitten hatten, waren, soweit hier bekannt, Konstantinopel, Smyrna, Aleppo und Urfa. Welche Gewähr aber bestand, daß Urfa nicht auch an die Reihe kommen würde? 18 Familien waren im Mai bereits verbannt, von der Vernichtung der 50 im Juni habe ich soeben gesprochen.[102] Es lag nahe, daß, wie überall, auch die Masse verschickt werden würde, nachdem die Führer beseitigt waren. Haussuchungen nach Waffen erfolgten. Dabei wurde eine Patrouille niedergeschossen. Eine zweite, nicht aufgeklärte Schießerei hat dann die Krisis ausgelöst.

Die Armenier haben sich nicht, wie die Erklärung verallgemeinernd behauptet, „der fremden Niederlassungen“ bemächtigt, woraus ein mit den Verhältnissen vertrauter Deutscher schließen müßte, daß auch die deutschen Missionshäuser in den Kampf hineingezogen worden sind, sondern sie haben[S. 194] nur die für ihre Verteidigung günstig gelegene amerikanische Mission benutzt[103].

Auch haben die Armenier den amerikanischen Missionar Leslie und sieben französische Untertanen in ihrem Stadtviertel als Geiseln zurückbehalten, aber nicht, um sie zu töten. Hätten sie dies gewollt, so hätten sie reichlich dazu Gelegenheit gehabt, da sie tagelang diese Fremden in ihrer Gewalt hatten. Verständlicher wäre es gewesen, wenn die Erklärung gesagt hätte, „um sie durch türkische Kugeln töten zu lassen“. Denn die Zurückbehaltung war allerdings ein verzweifelter Versuch, das Schicksal der Fremden an das der Armenier zu ketten, um auf diese Weise irgendwie ihre Lage zu verbessern.

Was schließlich die Behauptung betrifft, daß die Armenier sich der Stadtteile der Muslimen bemächtigt und begonnen hätten, die Einwohner niederzumetzeln, so ist sie erfunden. Sie erinnert mich an folgenden Vorfall: Als ich Anfang April in Marasch war, und die wenigen Armenier, die sich überhaupt aus den Häusern wagten, unter dem Druck des verhängten Belagerungszustandes und der Furcht vor dem Kommenden sich nur ängstlich an den Häusern entlang drückten, versuchten muslimische Intriganten ein Telegramm nach Konstantinopel zu schicken, des Inhalts, die Armenier hätten die Moscheen in Marasch besetzt und in Kirchen verwandelt!

Die in der türkischen Erklärung gegebenen Daten sind diejenigen des orientalischen Kalenders. Die Schießerei war also nach westlichem Kalender am 29. September und der Aufstand war am 16. Oktober unterdrückt. Die türkischen Verluste an Toten betrugen nicht 20, sondern 50, außerdem 120 bis 150 an Verwundeten.

Ich beabsichtige mit meiner Darstellung nicht, der einen oder der anderen Partei zu Liebe oder zu Leide zu schreiben, halte es aber für meine Pflicht über Dinge, die sich in meinem Amtsbezirk ereignet haben, Euerer Exzellenz vorzulegen, was ich für die Wahrheit halte.

Gleichen Bericht lasse ich der Kaiserlichen Botschaft in Konstantinopel zugehen.

Rößler.

Seiner Exzellenz dem Reichskanzler
Herrn Dr. von Bethmann Hollweg.

[S. 195]

Anlage.

(Norddeutsche
Allgemeine Zeitung.)

Berlin, den 27. Oktober 1915.

Die Kaiserlich Türkische Botschaft teilt mit: In der Nacht vom 16. September haben armenische Banden einen Aufruhr veranstaltet. Sie hatten sich in starken Gebäuden auf den beherrschenden Punkten der Stadt Urfa verschanzt und eröffneten das Feuer gegen unsere Gendarmeriepatrouillen, von denen zwei Mann getötet und acht verwundet wurden. Unsere Gendarmerie wurde überall mit Feuer empfangen. Nachdem die Armenier sich der fremden Niederlassungen bemächtigt und deren Besitzer mit Gewalt zurückgehalten hatten, stellten sie dort Schießscharten her. Da diese Tatsachen bewiesen, daß die aufrührerischen Banden entschlossen waren, bewaffneten Widerstand zu leisten und die Unzulänglichkeit der in geringer Zahl vorhandenen Gendarmerie auzunützen, und da sie sich schließlich der Stadtteile der Muselmanen bemächtigt hatten und die Einwohner niederzumetzeln begannen, wurden einige für die Front bestimmte Truppen nach Urfa abgeschickt. Die Schlupfwinkel der Banden wurden zerstört, und der Aufruhr war am 3. Oktober unterdrückt. Die Zahl der bei diesem Vorfall getöteten Soldaten und Gendarmen beträgt 20, die der Verwundeten 50.

Der Zweck, den die Banden mit ihrem Aufruhr verfolgten, war einerseits der, Schaden anzurichten, fremde Niederlassungen zu zerstören und Untertanen der mit der Türkei im Kriege befindlichen Staaten zu töten, um die Folgen dieser Morde dann auf die Türken abzuwälzen, andererseits wollten sie einen Teil der Kaiserlichen Truppen an ihre befestigten Schlupfwinkel fesseln und sie so vom Kriegsschauplatz abziehen.

Dank den kräftigen und schnellen Maßnahmen der Kaiserlichen Behörden hatte der Aufruhr nicht den erwünschten Erfolg. Er wurde unterdrückt, ohne daß einem Untertanen der mit der Türkei im Kriege befindlichen Länder oder einem Neutralen Schaden zugefügt worden ist.

203.

Kaiserlich
Deutsches Konsulat.

Aleppo, den 16. November 1915.

Euerer Exzellenz überreiche ich gehorsamst in der Anlage den Bericht eines Deutschen, den ich kürzlich aus dienstlichem, mit der Armenierfrage in keinerlei Zusammenhang stehenden Anlaß nach Der-es-Zor zu entsenden hatte, über das Geschick der auf dem Wege dorthin wandernden oder am Ziel angelangten Armenier. Es sind Beobachtungen, die sich unterwegs aufgedrängt haben.

Oberstabsarzt Dr. Schacht, der auf dem Wege von hier nach Bagdad den Flußweg gewählt hat, schrieb mir am 3. November aus Der-es-Zor: „Ich habe unterwegs viel Böses gesehen. Es ist schon wahr, was man erzählt hat.“

[S. 196]

Die zu Lande nach Bagdad führende Etappenstraße von Aleppo nach Der-es-Zor ist durch Flecktyphus verseucht. Und das Gleiche muß wohl auch vom Wasserweg gelten.

Gleichen Bericht lasse ich der Kaiserlichen Botschaft zugehen.

Rößler.

Seiner Exzellenz dem Reichskanzler
Herrn Dr. von Bethmann Hollweg.

Anlage.

Wanderung der Armenier nach Der-es-Zor.

Auf der Reise nach Der-es-Zor gelangt man notwendigerweise in Fährten der ausgewiesenen Armenier. Schon Der Hafir zeigt die erste Spur: Früher einen Krämerladen, besitzt es jetzt deren drei, die einzig darauf ausgehen, die Zwangslage der Armenier durch hohe Preise auszubeuten (Ziegenfleisch 1 Okka 5–6 Piaster, Brot 4–5, Eier 10 Para usw.). Diesem Unfug begegnet man bis Der-es-Zor. Da Tausende von Armeniern durch die Chans längs der Bagdadstraße wandern, sind die spärlich eingerichteten Läden, die an Ware eigentlich fast gar nichts besitzen, sämtlich leer und der Verkäufer findet für hohe Preise hungrige Käufer. An den Lagerplätzen ist nur schlammreiches, durch Leichen, Mist und Fetzen verunreinigtes Euphratwasser zu haben. Für Zufuhr von Lebensmitteln ist bei den Transporten — obwohl Möglichkeit vorhanden wäre — nicht gesorgt. Wasserstellen mit abgestandenem, abgesetztem Wasser könnten ja ohne weiteres für den permanenten Durchzug errichtet werden. Die Verschickten müssen somit außer ihren Lasten, Kindern, Kranken und Leiden auch Lebensmittel und selbst Wasser für lange Märsche mit sich schleppen. An manchen Stellen fehlt jedes Brennmaterial. Weit und breit in der Runde suchen die spät abends eintreffenden Ankömmlinge mit ihren erschöpften Kräften, die nur mühsam auszureißenden Süßholzwurzeln als Feuerungsmaterial zusammen. All die Rastplätze sind Monate hindurch durch Massen von menschlichen Exkrementen, Abfällen, Fetzen und Mist in den abscheulichsten Zustand versetzt, der sich nicht ändern wird, als bis der letzte Trupp dahin sein dürfte. Die begangenen Wege längs des Flusses und der Bagdadstraße weisen nacheinander die Merkmale der Wanderung auf: Zurückgelassene Wagen, von denen das Vieh einging; zerbrochene Wagen, Kleiderreste and Fetzen, die eben am Leibe nicht mehr zu haften vermögen. Tierleichen und Menschenleichen in allen Stadien der Zersetzung. Nur gut, die Natur mit ihren Aasfressern besorgt in sehr kurzer Zeit die Beseitigung dieser Kadaver. In Meskene fanden wir einen kleinen Trupp Zurückgebliebener, dabei ein sitzender Toter in Verwesung, eine sterbende Frau und 2 Kranke. Militär und Lasttiere füllten den Chan und dessen schmutzige Umgebung, und jedermann hatte andere Sorgen als diesen Unglücksflecken zu reinigen.

[S. 197]

Abu Hrere am Euphrat, vor kurzem noch mit einem Chandschi und einem Händler versehen, derzeit ein riesiger menschlicher Düngerhaufen, 5 Tierleichen, Mist, Fetzen, Millionen Fliegen, eine richtige Stätte des Todes, dann stundenweit nur Wüste. An dieser Unglücksstätte saß verlassen ein abgehungertes Mütterlein. Die hellen blauen Augen, das blendend weiße Haar, die Gesichtszüge, verrieten ein besseres Einst. Alles zog weiter dahin. Sie jammerte irre nach den Kindern, vielleicht ein Sonnenuntergang, dann ist sie ihrer Befreiung sicher. Wir ließen sie in den Chan schaffen — eine menschenleere Miststätte mit 2 Soldaten, sonst nichts. Hinter Abu Hrere, wo der Weg durch die wasserleere Wüste zieht, fanden wir außer zahlreichen Tierleichen und Fetzen von Kleidern 3 Knabenleichen, 1 Männer- und 1 Frauenleiche am Straßenrande.

Hamam besitzt zwei große Chans, verwüstet, 3 große Lager von Armeniern: a) Schiffer mit 7 Holzbooten, b) Fahrer mit ihrem Wagenpark, c) Fußgänger in erbärmlichem Zustande mit den Resten ihres Habs und Gutes. Vor Morgengrauen brachen sie wieder auf. 8 bis 900 Personen aus Antiochien, Zeitun, der Gegend von Marasch, Killis, Susli. Der Weg zweigte nach 3 Stunden hinter Hamam von unserer Straße ab und näherte sich wahrscheinlich dem Flußufer, während die Straße über die Wüstenklippen hinweg führte.

Sabcha, die erste Ansiedlerstation. Früher einige hundert Einwohner zählt derzeit 7000 Köpfe (Aussage des Nahié Mudir’s). Zwischen den felsigen Abstürzen der Wüste und dem Flußlaufe liegt der Ort, am Flußufer der alte Teil mit einigen Hausgärten, dem Bergrücken zu vergrößert sich nun die Niederlassung, in schnurgeraden, rechtwinklig angelegten Gassen; Tausende von Händen schaffen in regstem Eifer; lange Zeilen von Bruchsteinen lagern dort, über 100 neue Häuser stehen. In kurzer Zeit sollen noch 250 Häuser fertig sein. Im Juli und August kamen die ersten Ansiedler von Zeitun an. Viele wohnen noch in gemieteten Häusern (3–4 Medjidijeh Miete) die meisten noch in Zeltlagern und in Höfen. Die Behörde gibt den Baugrund und gestattet Steine zu brechen. Brot und Mehl wird in kaum genügendem Maße verabreicht, worüber Klagen wahrgenommen werden. Von den Ansiedlern ist eine Schmiede, ein Fleischverkauf, 1 Klempner und 2–3 Krämerläden eingerichtet. Durch Krankheit gehen viele Armenier zugrunde. Die Zeltlagerer, zum Selbstschutz getrieben, stoßen die Kranken — meist Frauen — aus dem Lager und übergeben sie der Natur. Ohne Nahrung, ohne Arzt, ohne Pflege, liegen sie wimmernd, Brot bittend, bis ein gütiges Geschick sie sterben läßt (ca. 40 schrecklich entstellte Personen). Gegenüber der Überfahrtsstelle zählte ich 12 angeschwemmte Leichen, deren entsetzlicher Gestank keine einzige Seele zu einem Begräbnis aufzurütteln vermag. Nach Aussage des Gemeindevorstehers kommen noch viele Tausende von „Ansiedlern“, d. h. wie der Herr wörtlich sagte: „Wir lassen sie kommen!“ „Um das Land zu kultivieren.“ Fluß auf- und abwärts ist allerdings für die[S. 198] Überlebenden ein fruchtbares Terrain. Ärztliche Hilfe ist dort unbedingt nötig.

Hauptsiedelungsplatz ist Der-es-Zor. Schon die Einfahrt zeigte sofort die Hauptbeschäftigung der Ansiedler: Totenbegraben, stumpfes Hinbrüten, mühevolles krankes halbtotes Dahinschreiten. Der-es-Zor selbst ist eine nicht unschöne Stadt, mit schönen breiten Straßen. Früher 14000 Einwohner, derzeit 25–30000. Für die riesige angestaute Menschenmenge ist keine organisatorische Regelung vorhanden. Keine genügende Menge von Nahrungsmitteln (stundenlang sind die Bäcker ohne Brot), eine Dampfmühle klappert unzureichend Tag und Nacht, Mangel an Brot und Gemüse wurde festgestellt. 3 Spitäler sind voll gepfropft mit über tausend Kranken. 1 Gemeindearzt, 1 Regierungsarzt, Apotheke fast leer. Der Gemeindearzt verließ eben die Stadt auf einige Tage für eine Dienstreise, die Sterblichkeit beträgt täglich 150–200 Köpfe (Worte des Gemeindearztes). Nur so ist es möglich, daß immer noch Tausende von Ansiedlern zugeschafft werden können. Oberhalb und unterhalb der Stadt großes Zeltlager. Am linken Flußufer neben der Schiffsbrücke lagert in ortsüblichen Laubhütten eine Unmasse von Sterbenden. Sie sind die Vergessenen, deren einziger Befreier der Tod ist.

Kein sprachlicher Gedankenaustausch vermag auch nur annähernd die Wirklichkeit dieses menschlichen Elends zu schildern, so unbeschreiblich sind dort die Vorkommnisse. Und immer wieder ergänzt sich der Unglückshaufen. Nach Aussage von anderen Fußgängern liegen dann weiter weg Hunderte von weggeschleppten unbeerdigten Leichen! Der diensttuende Gendarm antwortet mir: „Was soll man machen? Sie sterben alle von selbst.“

Die Behörden reinigen täglich sorgfältig alle Winkel und Straßen, bauen neue Wohnviertel wie in Sabcha, verteilen Geld unter die Leute, sowie Brote und Mehl und doch ist mit Ausnahmen der Tod dem Leben vorzuziehen. Wie in Sabcha, so ist auch in Der-es-Zor jede andere menschliche Niederlassung viele Stunden weit entfernt... Wüstenrand.

Von den Arabern werden die Armenier mit Steinen beworfen, geschlagen, verspottet und ausgelacht, wie wir selbst Beispiele sahen.

Beispiel: In Maden am Euphrat trieben am Ufer drei Leichen, die Araber warfen Steine danach, spuckten darauf und lachten dazu. (Eine Leiche mit abgeschlagenem Kopfe.)

Während unseres Aufenthaltes verbot die Polizei mehreren Armeniern, sich an uns zu wenden und mit uns zu sprechen (dazu ist die Regierung da, nicht die Deutschen!).

Was für die Überlebenden an Arbeit vorhanden ist: Ackerbau und Gartenbau längs des Flusses, wo allerdings fruchtbarer Boden vorhanden ist, Handwerk und wenig Handel.

Aleppo, den 11. November 1915.
Unterschrift.

[S. 199]

204.

Kaiserlich
Deutsche Botschaft.

Pera, den 20. November 1915.

Über die Vorgänge in Urfa liegt seitens des Kaiserlichen Konsuls in Aleppo bisher nur ein kurzes Telegramm vom 9. Oktober vor. Danach hat die armenische Bevölkerung, als sie Ende September von ihrer bevorstehenden Verschickung erfuhr, beschlossen, sich zur Wehr zu setzen und sich in ihren Häusern verschanzt. Fahri Pascha, der Militärkommandant von Aleppo, begab sich an Ort und Stelle, aber erst nach hartnäckigen Straßenkämpfen, bei denen die Türken auch Artillerie verwendeten, konnte der Aufruhr niedergeschlagen werden.

Leider ist es trotz der dringenden Verwendung der Kaiserlichen Botschaft und des Konsuls Rößler nicht gelungen, das Verbleiben der armenischen Angestellten und Pfleglinge der deutschen Anstalten in Urfa zu erlangen. Der Minister des Auswärtigen, Halil Bey, hatte zunächst die Berücksichtigung unserer diesbezüglichen Wünsche zugesagt, aber Fahri Pascha erklärte, nur militärischen Rücksichten gehorchen zu können, und wollte höchstens solche Armenier in deutschen Diensten ausnehmen, die nicht mit Familien von Aufständischen verwandt sind und keine soziale Stellung einnehmen.

Neurath.

Seiner Exzellenz dem Reichskanzler
Herrn von Bethmann Hollweg.

205.

Auswärtiges Amt.

Berlin, den 29. November 1915.

Der Bericht des Herrn von Scheubner-Richter[104] vom 5. d. M. und andere hier vorliegende Nachrichten erwecken leider den Eindruck, daß die türkische Regierung allen unseren Vorstellungen und Warnungen zum Trotz an ihrer verhängnisvollen Politik gegenüber den Armeniern festhält. Abgesehen von Erwägungen allgemein humanitärer und politischer Natur, können wir es als aufrichtige Freunde der Türkei in deren eigenstem Interesse nur auf das tiefste beklagen, daß sie sich durch ihr Vorgehen in unbegreiflicher Kurzsichtigkeit eines für die wirtschaftliche Entwicklung des Landes wichtigen Bevölkerungselementes beraubt. Im feindlichen und neutralen Ausland hört man nicht auf, uns für das Treiben der türkischen Behörden verantwortlich zu machen. Wie der Bericht des Herrn von Scheubner von neuem bestätigt, ist sogar in weiten Kreisen der türkischen Bevölkerung die Vorstellung verbreitet, daß Deutschland die Türkei zu den Armenier[S. 200]verfolgungen angestiftet habe. Wir glauben von der Loyalität der Pforte gegen ihren deutschen Bundesgenossen erwarten zu dürfen, daß sie derartigen Gerüchten mit Nachdruck entgegentritt.

Euer Exzellenz beehre ich mich zu bitten, im vorstehenden Sinn mit der dortigen Regierung zu sprechen und bei dieser Gelegenheit erneut der Erwartung Ausdruck zu geben, daß die Pforte unseren Ratschlägen in der Behandlung der armenischen Frage Folge geben wird.

von Jagow.

Seiner Exzellenz dem Kaiserlichen Botschafter
Herrn Graf Wolff-Metternich, Pera.

206.

Deutsch-Armenische Gesellschaft.

Potsdam, den 29. November 1915.
Gr. Weinmeisterstraße 45.

Euer Exzellenz.

Bezugnehmend auf den in der Eingabe zugunsten der Armenier in der Türkei ausgesprochenen Wunsch, daß der Deportation der bisher verschonten armenischen Bevölkerung von Konstantinopel ein Riegel vorgeschoben werden möchte, beehre ich mich, die folgende mir von dem armenischen Komitee in Sofia zugegangene Mitteilung zur Kenntnis zu bringen:[105]

„Malgré les assurances faites aux représentants des Grandes Puissances à Constantinople le Gouvernement Turc a commencé inexorablement l’expulsion des Arméniens de Constantinople. Jusqu’à présent on a expulsé déjà 10000 personnes, dont la majorité est assassinée dans les montagnes d’Ismid. La liste de 70000 hommes est préparée.

Au nom du christianisme et de l’humanité sauvez les derniers débris d’un peuple, qu’on extermine et par une intervention efficace arrêtez le martyr des innocents.

Comité arménien.“

Dr. Johannes Lepsius.
Vorsitzender.

An Seine Exzellenz den Herrn Reichskanzler
Dr. von Bethmann Hollweg, Berlin.

[S. 201]

Dezember.

207.

Auswärtiges Amt.

Berlin, den 1. Dezember 1915.

Die bei Mardin und Midiat befindlichen Christen syrischer Konfession dürften mit den Nestorianern identisch sein. Soweit hier bekannt ist, haben sich die betreffenden Syrer hauptsächlich deshalb in die Berge zurückgezogen, um den Gewalttätigkeiten der Kurden zu entgehen, nicht aber, um sich gegen die türkischen Behörden aufzulehnen. Es erscheint daher dringend erwünscht, daß die entstandenen Schwierigkeiten auf gütlichem Wege beseitigt werden.

Euer Exzellenz bitte ich, in geeignet scheinender Weise hierauf hinzuwirken und über das Veranlaßte berichten zu wollen.[106]

Zimmermann.

Seiner Exzellenz dem Kaiserlichen Botschafter
Herrn Grafen Wolff-Metternich, Konstantinopel.

208.

(Auswärtiges Amt.)

Telegramm.

Berlin, den 4. Dezember 1915.

An die Deutsche Botschaft, Pera.

Die türkische Regierung soll nach Mitteilung des armenischen Komitees in Sofia[107] entgegen früheren Versprechungen nun auch die Austreibung der Armenier aus Konstantinopel begonnen haben. 10000 sind angeblich bereits vertrieben und größtenteils im Ismidgebirge ermordet, über weitere 70000 sei Proskriptionsliste vorbereitet. Bitte nachdrückliche Vorstellungen zu erheben, falls Meldung zutreffend.

Zimmermann.

209.

Kaiserlich
Deutsche Botschaft.

Pera, den 7. Dezember 1915.

Ich habe die Armeniergreuel im Laufe der letzten Woche mit Enver Pascha, mit Halil Bey und heute mit Djemal Pascha ernstlich besprochen und darauf hingewiesen, daß Unruhe und Empörung auch im befreundeten[S. 202] Ausland und in Deutschland weite Kreise ergriffen habe und der türkischen Regierung schließlich alle Sympathien entziehen würde, wenn nicht Einhalt geschehe. Enver Pascha und Halil Bey behaupten, daß keine ferneren Deportationen — insbesondere nicht aus Konstantinopel — beabsichtigt seien. Sie verschanzen sich hinter Kriegsnotwendigkeiten, daß Aufrührer bestraft werden müßten, und gehen der Anklage aus dem Wege, daß Hunderttausende von Frauen, Kindern und Greisen ins Elend gestoßen werden und umkommen. Djemal Pascha sagt, daß die ursprünglichen Anordnungen notwendig gewesen seien, ihre Ausführung aber schlecht organisiert worden sei. Er leugnet nicht, daß infolgedessen traurige Zustände herrschten, die er durch Zuführung von Lebensmitteln und Geld zu lindern bestrebt sei. Es ist dies richtig. Seine Etappenstraße bei Aleppo ist infolge des Elends der Flüchtlinge verseucht, und er sucht nach Abhilfe, hat auch mehrere Personen, die die Flüchtlinge bestohlen haben, aufhängen lassen. Oberst von Kreß, der Chef des Stabes Djemals, sagt mir, daß das Elend jeder Beschreibung spotte und alle Schilderungen übertreffe. Dabei wird im Lande verbreitet, die Deutschen wünschten die Massakres.

Ich habe eine äußerst scharfe Sprache geführt. Proteste nützen nichts, und türkische Ableugnungen, daß keine Deportationen mehr vorgenommen werden sollen, sind wertlos.

Von vertrauenswürdiger Seite erfahre ich, daß nach Auskunft des hiesigen Polizeipräsidenten, auch aus Konstantinopel neuerdings etwa 4000 Armenier nach Anatolien abgeführt worden sind und daß mit den 80000 noch in Konstantinopel lebenden Armeniern allmählich aufgeräumt werden soll, nachdem schon im Sommer etwa 30000 aus Konstantinopel verschickt und andere 30000 geflohen sind. Soll Einhalt geschehen, sind schärfere Mittel notwendig.

Auch soll man in unserer Presse den Unmut über die Armenierverfolgung zum Ausdruck kommen lassen.

Um in der Armenierfrage Erfolg zu haben, müssen wir der türkischen Regierung Furcht vor den Folgen einflößen. Wagen wir aus militärischen Gründen kein festeres Auftreten, so bleibt nichts übrig, als mit ferneren erfolglosen Verwahrungen, die mehr verärgern als nützen, zuzusehen, wie unser Bundesgenosse weiter massakriert.

Talaat Bey kehrt erst Ende der Woche aus Anatolien zurück. Ich werde erst dann erfahren, welche Wirkung meine Besprechungen mit seinen Kollegen und Djemal auf ihn haben.

Metternich.

Seiner Exzellenz dem Reichskanzler
Herrn von Bethmann Hollweg.

[S. 203]

210.

Kaiserlich
Deutsche Botschaft.

Pera, den 9. Dezember 1915.

Ich habe heute mit dem Großwesir die Armenierfrage in ernster Weise besprochen, ihn darauf aufmerksam gemacht, daß die türkische Regierung sich durch die Armenierverfolgungen die Sympathien verscherze, die sie in dem ihr wohlgesinnten Auslande besitze, daß in Deutschland die Erregung zunehme und der Herr Reichskanzler mit Adressen bestürmt werde, um bei der befreundeten und verbündeten türkischen Regierung sich zugunsten der Armenier zu verwenden. Ich habe wiederum darauf hingewiesen, daß Verschwörer gegen die Sicherheit des Staates zwar strenger Bestrafung verfallen, daß aber die schmähliche Vertreibung von Hunderttausenden von Greisen, Kindern und Frauen ein dunkles Blatt in der jungtürkischen Geschichte bildete.

Ich habe diesmal absichtlich bei dem Großwesir und nicht bei einem Mitgliede des Triumvirats Vorstellung erhoben, weil mir bekannt ist, daß er die Armenierverfolgungen mißbilligt. Er hat zwar nicht die Macht, sie einzustellen, es wird ihm aber ganz erwünscht sein, meine Vorstellungen bei seinen Kollegen zu verwerten.

Ich habe ihm schließlich von dem Mißbrauch gesprochen, den türkische niedere Beamte sich zuschulden kommen ließen durch die falsche Behauptung, daß die Deutschen die Armenierverfolgungen begünstigten. Diese Verleumdung sei in Anatolien, wie ich von Reisenden und aus anderen Quellen unumstößlich wisse, weit verbreitet. Wir seien durchaus nicht gesonnen, die Verantwortung für die Armenierpolitik mit der türkischen Regierung zu teilen, und ich bäte ihn, diesen Gerüchten mit Nachdruck entgegenzutreten.

Dem Großwesir war über derartige Gerüchte nichts bekannt. Er versprach aber ausdrücklich, sie dementieren zu lassen. Im übrigen führte er aus, daß die Armenier ein Opfer fremder, insbesondere russischer Anstiftung geworden seien. Ganze Distrikte seien zum Aufstande organisiert gewesen und mit Waffen versorgt worden. Es habe sich nicht um den Aufstand einzelner, sondern ganzer Gegenden gehandelt, weshalb auch nicht nur einzelne zur Bestrafung hätten herausgegriffen werden können. Im übrigen sei er nicht einverstanden mit der Behandlung, die die armenische Bevölkerung betroffen habe. Ich bemerkte ihm, daß, wie er wisse, nach der Erfahrung der Geschichte, Revolutionen die Folge einer schlechten Regierung seien, und daß die Verfolgung und Mißhandlung von Hunderttausenden unschuldiger Personen keine legitime Abwehrmaßregel eines Staates bilde.

Wenn ich den Türken etwas Unangenehmes zu sagen habe, so tue ich dies mit großer Ruhe, und sie lassen es sich auch gefallen. Es gibt zwar keine[S. 204] alttürkische Partei mehr, aber unter den älteren Türken gibt es noch Leute, die sich über die Armenierverfolgungen schämen.

Ich möchte glauben, daß meine Vorstellungen doch nicht ganz vergeblich gewesen sind. Djemal Pascha hatte gewisse Erleichterungen für die Armenier verlangt: daß die noch in Aleppo befindlichen Armenier in der Nähe verbleiben dürften, anstatt nach Der-es-Zor am Rande der Wüste abgeschoben zu werden, wo sie umgekommen wären; daß die beim Bau der Bagdadbahn beschäftigten armenischen Ingenieure, Baubeamten und Arbeiter, die schon verschickt waren, zurückgerufen, und daß die vertriebenen Handwerker ebenfalls für Armeezwecke wieder angeworben werden dürften. Djemal Pascha, der auch zu den Türken gehört, die sich schämen, hatte bisher beim Komitee Widerstand bei der Durchführung seiner Wünsche gefunden. Ganz neuerdings werden sie dagegen, wie mir der Chef seines Stabes, Oberst von Kreß, mitteilt, gewährt. Er schreibt dies meinem Einschreiten zu. Der Oberst sagt mir, daß die Erinnerung an die schauderhaften Bilder des Armenierelends ihn wohl sein Leben lang nicht verlassen würde.

Metternich.

Seiner Exzellenz dem Reichskanzler
Herrn von Bethmann Hollweg.

211.

Auswärtiges Amt.

Berlin, den 10. Dezember 1915.

Euerer Exzellenz Ermessen darf ich ergebenst anheimstellen, auch den vom Kaiserlichen Konsul in Aleppo unter dem 16. v. M. eingereichten Bericht eines Deutschen über das Schicksal der nach Der es-Zor verschickten Armenier[108] zur Kenntnis der türkischen Regierung zu bringen und den Inhalt zu erneuten Vorstellungen im Interesse der Armenier zu benutzen.

Zimmermann.

Seiner Exzellenz dem Kaiserlichen Botschafter
Herrn Grafen Wolff-Metternich, Konstantinopel.

212.

Auswärtiges Amt.

Berlin, den 12. Dezember 1915.

Dr. Straubinger schreibt an den Reichstagsabgeordneten Erzberger unter dem 25. November:

„Dieser Tage sagt mir Msgr. Dolci, daß der Minister des Auswärtigen ihm versprochen habe, die katholischen Armenier dürften zurückkehren. Sollte dieses Wort sich bewahrheiten, so ist die Möglichkeit der Hilfeleistung wohl gegeben. Das Gerücht, daß alle Armenier ausgerottet seien, ist nämlich[S. 205] nicht ganz wahr; es existieren deren außer in der europäischen Türkei noch die in die Berge versprengten, sowie einige Gemeinden an den Bahnlinien und diejenigen, die die Deportation aushielten. Die drei Dinge, die zur Erhaltung des Restes der Armenier notwendig erscheinen, sind: Möglichkeit der Rückkehr für alle, Möglichkeit der Hilfeleistung (Kleidung und Nahrung für den Winter) seitens Europäer und Amerikaner, Möglichkeit der Wiedererlangung des alten Besitztums. Letzteres ist nämlich, soweit es nicht zerstört ist, durch das Liquidationsgesetz[109] so gut wie verloren.“

Euere Exzellenz bitte ich, sich zu Dr. Straubingers Schreiben äußern zu wollen.[110]

Zimmermann.

Seiner Exzellenz dem Kaiserlichen Botschafter
Herrn Grafen Wolff-Metternich, Konstantinopel.

213.

Auswärtiges Amt.

Berlin, den 12. Dezember 1915.

Nach dem abschriftlich anliegenden Schreiben des Direktors Schuchardt vom 4. d. M. soll die türkische Regierung versuchen, die Überreste des armenischen Volkes gewaltsam zum Islam zu bekehren. Es liegt auf der Hand, daß wir einem derartigen Vorgehen nicht ruhig zusehen könnten. Indem ich auf das Schreiben Bezug nehme, in dem der Herr Reichskanzler kürzlich zur Armenierfrage Stellung genommen hat, beehre ich mich Euer Exzellenz zu bitten, den Sachverhalt aufzuklären und gegebenenfalls bei der Pforte nachdrückliche Vorstellungen zu erheben. Über das Ergebnis Ihrer Schritte bitte ich zu berichten.[111]

Zimmermann.

Seiner Exzellenz dem Kaiserlichen Botschafter
Herrn Grafen Wolff-Metternich, Konstantinopel.

Anlage.

Deutscher Hilfsbund
für christliches Liebeswerk im Orient.

Frankfurt a. M., den 4. Dezember 1915.

An Seine Exzellenz den Herrn Reichskanzler von Bethmann Hollweg, Berlin.

Euere Exzellenz gestattet sich der ergebenst Unterzeichnete auf eine vertrauliche Verfügung der Kaiserlich Ottomanischen Regierung aufmerksam zu machen, nach der die türkischen Lokalbehörden im Innern des Landes[S. 206] angewiesen sind, den Überrest des armenischen Volkes dahin zu bringen, einen Revers zu unterzeichnen, in dem sie um die besondere Gnade bitten, zur heiligen Religion des Islam übertreten zu dürfen. Sich Weigernde sollen abtransportiert werden. Eine Anzahl armenischer Frauen sind bereits zum Islam übergetreten, um sich vor dem Hungertod zu retten.

Wie vor 20 Jahren hervorragende Armenier gezwungen wurden, eine Erklärung zu unterschreiben, daß sie in jeder Weise mit den Maßnahmen der türkischen Regierung zufrieden gewesen seien und daß alle im Auslande verbreiteten Nachrichten über Massakres usw. nicht den Tatsachen entsprächen, ebenso wird es den Machthabern im Innern auch ein leichtes sein, nach außen hin den Schein der „Freiwilligkeit“ für die zum Islam Übergetretenen zu wahren.

Nach der Antwort, die der Herr Reichskanzler den Vertretern der evangelischen Kreise Deutschlands unter dem 12. November 1915 gegeben hat, hoffe ich mit Bestimmtheit, daß Euere Exzellenz die Kaiserlich Deutsche Botschaft in Konstantinopel mit entsprechenden Weisungen versehen und vor allen Dingen darauf hinwirken wird, daß eine Täuschung unserer Behörde unmöglich gemacht werde.

Der Wali von Mamuret-ul-Azis hatte dem Leiter unserer Station, Herrn Prediger Ehmann, für alle Armenier vollkommene Straflosigkeit versprochen für den Fall, daß es ihm gelänge, die Armenier der dortigen Gegend zu veranlassen, alle Waffen, die sich in ihrem Besitz befänden, abzuliefern. Herr Ehmann unterzog sich diesem Auftrag, und nichtsdestoweniger wurde auch die dortige Bevölkerung niedergemacht oder verbannt. In den Augen der Armenier hat unsere Arbeit dadurch sehr an Ansehen eingebüßt.

F. Schuchardt.

214.

Kaiserlich
Deutsche Botschaft.

16. Dezember 1915.

Aufzeichnung.

Der hiesige armenische Patriarch teilt mir folgendes mit:

Die Verhaftungen und Austreibungen von hier ansässigen Armeniern, die aus Anatolien zugewandert sind, dauern fort. Seit Beginn der Verfolgungen sind etwa 5000 Individuen abgeschoben worden. Nach offiziellen Angaben leben in Konstantinopel und Umgegend 75000 Armenier; die Ziffer ist anscheinend viel zu niedrig gegriffen; von anderer Seite wird ihre Zahl auf 120–150000 Seelen geschätzt.

Mordtmann.

[S. 207]

215.

Kaiserlich
Deutsche Botschaft.

Pera, den 18. Dezember 1915.

Ich habe heute mit Talaat Bey, der von Anatolien zurückgekehrt ist[112], die Lage der Armenier eingehend besprochen. Er habe umfassende Maßnahmen zur Ernährung der abgeschobenen armenischen Familien getroffen. Vergehungen gegen Eigentum und Leben der Armenier würden streng bestraft. Es seien kürzlich noch über 20 Personen, die sich dieser Vergehungen schuldig gemacht hätten, hingerichtet worden. In den Bezirken an der russischen Grenze und bei Aleppo wären aus Rücksichten der militärischen Sicherheit Massenverschiebungen seinerzeit notwendig gewesen. Von der russischen Regierung eingeleitete Verschwörungen unter den gregorianischen Armeniern in den Grenzbezirken und bei Aleppo seien in großem Maßstabe entdeckt worden. Anschläge auf Brücken und Eisenbahnen seien vorbereitet gewesen. Es sei unmöglich gewesen, aus der Masse einzelne Schuldige herauszugreifen. Nur der Abtransport im großen habe Sicherheit gewährt. In Syrien seien die Armenier unbehelligt geblieben, in Konstantinopel ebenfallls. Augenblicklich fänden nirgends mehr Abtransporte statt, und die Regierung suche die im Gefolge der Verschiebungen entstandenen Übelstände zu mildern.

Ich bemerkte, der katholisch-armenische Expatriarch und sein Stellvertreter hätten mir heute den üblichen Antrittsbesuch gemacht und mir versichert, daß sie und ihre Gemeinden loyale ottomanische Untertanen seien und sich an keinen revolutionären Bewegungen beteiligten. Trotzdem seien die meisten vertrieben worden. Diese Geistlichen hofften, daß die Vertriebenen in ihre Gemeinden und verlassenen Heimstätten in und bei Aleppo zurückkehren dürften. Ich fragte den Minister, ob ihnen dies ebenso wie den protestantischen Armeniern, die sich als nicht revolutionär erwiesen hätten, gestattet werden könne. Er entgegnete, daß die katholischen und protestantischen Armenier sich im großen und ganzen nicht revolutionär betätigt hätten und, soweit dies möglich sei, sie in ihre Heimat zurückkehren würden.

Ich sprach dem Minister sodann von dem in Anatolien weit verbreiteten Gerücht, wonach die deutsche Regierung die Verfolgung der Armenier begünstigt habe. Er erwiderte, infolge meines Gesprächs mit dem Großwesir über diese Angelegenheit habe er sämtliche in Frage kommenden Behörden angewiesen, dem Gerüchte entgegenzutreten und zu erklären, daß die deutsche Regierung nichts mit der Angelegenheit zu tun habe und daß die türkische Regierung allein für die Maßnahmen gegen die Armenier die Verantwortung trage.

Im Laufe der Unterhaltung ergab sich die merkwürdige Auffassung bei[S. 208] Talaat Bey, die ich auch schon bei seinen Kollegen gefunden habe, daß wir im ähnlichen Falle ebenso gehandelt hätten und eine revolutionäre Bewegung in Deutschland mit Gewalt ausrotten würden. Ich fand immer wieder die Verständnislosigkeit für den Gesichtspunkt, daß, um Schuldige zu treffen, nicht Unschuldige leiden und daß nur bewiesene Vergehen bestraft werden dürften. Ich habe dem Minister auseinandergesetzt, daß wir niemals ähnlich handeln würden und nur den einer Schuld Überführten bestraften.

Von verschiedenen Seiten wird mir mitgeteilt, daß meine ernsten Ermahnungen auf die türkischen Machthaber doch Eindruck gemacht zu haben scheinen. Sobald es notwendig ist, werde ich wieder eingreifen.

Metternich.

Seiner Exzellenz dem Herrn Reichskanzler
Herrn von Bethmann Hollweg.

216.

(Kaiserlich
Deutsche Botschaft.)

Telegramm.

Pera, den 18. Dezember 1915.

An das Auswärtige Amt, Berlin.

Talaat Bey hat mir erklärt, daß keine neuen Maßnahmen gegen Armenier beabsichtigt sind und daß vertriebenen Familien Hilfe geleistet wird. Regierung widerlegt durch Anweisung an ihre Beamten Gerüchte in Anatolien, daß wir Verfolgungen begünstigen.

Metternich.

217.

20. Dezember 1915.

Halil Bey bestreitet aufs entschiedenste, daß zwangsweise Bekehrungen zum Islam in nennenswertem Umfang versucht worden seien. Die vorgekommenen Fälle von Übergriffen unterer Beamter seien bestraft worden.

von Neurath.

Aufzeichnung.

Pera, 21. Dezember 1915.

Gewaltsame Islamisierung der Armenier in Anatolien.

Sie begann in größerem Umfange und wurde systematisch betrieben in der Provinz Trapezunt.

Der Vizekonsul Kuckhoff (Samsun) berichtete darüber ausführlich zu Anfang Juli d. J.[113]

[S. 209]

Er schreibt u. a.:

„Es handelt sich um nichts weniger als um die Vernichtung oder gewaltsame Islamisierung eines ganzen Volkes. Die Regierung entsandte strenggläubige fanatische muhammedanische Männer und Frauen in alle armenischen Häuser behufs Propaganda für den Übertritt zum Islam, unter Androhung der schlimmsten Folgen für diejenigen, die ihrem Glauben treu bleiben. Bis heute sind hier schon viele Familien übergetreten, und ihre Zahl vermehrt sich täglich. Die Mehrzahl widerstand bisher den Lockungen und wurde täglich gruppenweise ins Innere getrieben. Wie ich erfahre, werden sie an nicht entfernten Orten zurückgehalten, um noch gründlicher für den Islam bearbeitet zu werden. In der Umgegend von Samsun sind alle armenischen Dörfer muhammedanisch geworden, ebenso in Unieh. Vergünstigungen werden, außer den Renegaten, niemand zuteil.“

Über Übertritte in Erzerum und Trapezunt vgl. Berichte von dort[114].

Anfang August berichtete ein muhammedanischer Reisender aus jenen Gegenden, daß in Unieh, Samsun, Ineboli usw. die Armenier massenhaft zum Islam übergetreten seien; trotzdem seien manche von ihnen hinterher deportiert worden. In Termeh war der armenische Priester Muhammedaner geworden und die Kirche in eine Moschee verwandelt worden.

In anderen Gegenden scheint die Islamisierung keinen weiteren Erfolg gehabt zu haben; doch wurde z. B. berichtet, daß in Konia eine Anzahl Armenier (25) bereit waren, überzutreten.

Es ist anzunehmen, daß in vielen Fällen die Behörden, um nicht den Zweck der Armenieraustreibungen, Vernichtung der Männer und Konfiszierung des armenischen Eigentums, zu vereiteln, den Massenübertritt hinderten bzw. die Übergetretenen trotzdem verschickten.

Auf die Islamisierung der Armenier in Hadjin und Umgegend (Wilajet Adana) bezieht sich ein Bericht der Schwester Didsun vom 15. November. Aus Adana selbst berichtet der Konsul Büge unter dem 21. Oktober:

„Der Direktor des türkischen Waisenhauses hat den christlichen Zöglingen erklärt, daß sie entweder zum Islam übertreten oder das Haus verlassen müßten. Die Mädchen verließen das Haus, ebenso ein Teil der Knaben, von denen 14 zurückblieben, die vermutlich islamisiert wurden. Der Direktor hatte den Kindern erklärt, daß in einem osmanischen Waisenhause die christliche Religion keinen Platz hätte; das Beten wurde ihnen untersagt.“

Hier in Konstantinopel sollen bis jetzt unter dem Druck der Verhältnisse 20 Armenier übergetreten sein; angeblich namentlich solche, die in Anatolien begütert sind und durch den Übertritt ihr Vermögen zu retten suchen.

Mordtmann.

[S. 210]

218.

Kaiserlich
Deutsche Botschaft.

Pera, den 23. Dezember 1915.

Euerer Exzellenz beehre ich mich in der Anlage Abschrift einer mir soeben zugegangenen erstmaligen schriftlichen Äußerung der Pforte auf die diesseitigen Noten bezüglich der armenischen Angelegenheiten vorzulegen.

Die Notiz der Kaiserlichen Botschaft vom 4. Juli ist mittels Berichts vom 7. Juli vorgelegt worden. Die von der Pforte in bezug genommene Notiz vom 13. September bzw. die Verbalnote vom 16. November sind durch Reklamationen deutscher Interessenten veranlaßt worden, über die ich mir gegebenenfalls Berichterstattung vorbehalten darf.

Metternich.

Seiner Exzellenz dem Reichskanzler
Herrn Dr. von Bethmann Hollweg.

Anlage.

Notice Nr. 75510.

Le 22 Décembre 1915.

En réponse aux communications de l’Ambassade de Sa Majesté l’Empereur d’Allemagne datées des 3 Juillet, 13 Septembre et 16 Novembre 1915 et relatives au déplacement des arméniens, il est porté à sa haute connaissance ce qui suit:

En premier lieu il est à remarquer que les mesures prises à l’égard de la population arménienne de l’Empire rentrent dans le domaine des actes d’Administration intérieure du pays; elles ne sauraient donc faire l’objet d’une démarche diplomatique fussent-elles de nature à toucher inévitablement aux intérêts des étrangers y établis. En effet, il est incontestable que tout Etat a le droit de prendre les mesures propres à enrayer un mouvement subversif propagé sur son territoire; surtout lorsque ce mouvement se produit en temps de guerre.

L’Ambassade de l’Empire Allié, dans son appréciation éclairée a bien voulu du reste confirmer la justesse de ce point de vue. C’est ainsi qu’elle a reconnu dans son memorandum du 3 Juillet, que les mesures de répression décrétés contre la population arménienne des provinces de l’Anatolie Orientale sont dictées par des raisons militaires et constituent un moyen de légitime défense. En effet partout où les mesures en question ont été appliquées, elles ont été provoquées par les mêmes motifs impérieux.

Pour ce qui est de la responsabilité des dommages que le commerce allemand aurait subis, le Gouvernement Impérial Ottoman ne peut que la décliner; car l’Ambassade de sa Majesté l’Empereur voudra bien reconnaître elle-même que l’exercise d’un droit légitime ne peut donner lieu à une récla[S. 211]mation quelconque. On pourrait d’autant moins prétendre la responsabilité du Gouvernement Impérial que malgré les soucis de la défense nationale qui doit absorber toute son attention, il fait preuve d’une extrême vigilance afin de réduire aux minima les préjudices qui pourraient résulter du déplacement des personnes susindiquées. C’est dans cet ordre d’idées que la Loi provisoire du 17 Zilkadé 1333[115], contenant les garanties désirables pour la sauvegarde de tous les intérêts a été promulguée.

S’il importe de déterminer la responsabilité des dommages et perturbations — lesquels sont ressentis dans la vie économique ottomane dans une mesure incomparablement supérieure — elle ne doit en réalité être attribuée qu’aux ennemis communs extérieurs qui ont provoqué et encouragé le mouvement révolutionnaire arménien dans l’Empire, ainsique cela résulte des documents authentiques.

En ce qui concerne les considérations de l’Ambassade Impériale relative aux délais, la Loi du 17 Zilkadé étant exécutoire depuis sa publication à l’égard de toute personne intéressée, les sujets étrangers devront s’y conformer aussi bien que les ottomans pour faire valoir leurs réclamations dans les délais impartis.

En conséquence de ce qui précède les réserves formulées par l’Ambassade Impériale d’Allemagne dans les communications susvisées des 3 Juillet, 13 Septembre et 16 Novembre ne peuvent qu’être déclinées.

219.

Kaiserlich
Deutsche Botschaft.

Pera, den 27. Dezember 1915.

Auf den Erlaß vom 12. d. M.[116]

Monsignore Dolci bestätigt, daß Halil Bey, der Minister des Auswärtigen, ihm seinerzeit in Aussicht gestellt habe, daß die Verfolgung der katholischen Armenier eingestellt und den Deportierten die Rückkehr in ihre Heimat gestattet werden sollte, aber diese Zusage, die übrigens in keiner bindenden Form erfolgte, ist nicht erfüllt worden, wenigstens soweit es sich um die Rückkehr der Verschickten handelt. Wenn seitdem von weiteren Verfolgungen gar nichts mehr verlautet ist, so hat das seinen Grund darin, daß die Austreibung der Armenier in der Hauptsache beendet ist. Ein weiterer Schritt des apostolischen Delegaten, um die Wiedereröffnung der gesperrten katholischen Kirchen und die Rückkehr der verbannten Geistlichen in ihre Diözesen zu erlangen, wurde auf der Pforte als „Einmischung in die inneren Angelegen[S. 212]heiten der Türkei“ aufgefaßt und hatte keinen Erfolg, außer etwa, daß der Bischof von Kaisarijeh (Caesarea) nachträglich nach Aleppo verschleppt wurde.

Ferner ist zu bemerken, daß die Zahl der Armenier, die der Verschickung entgangen sind, geringer ist, als Herr Dr. Straubinger annimmt. In der europäischen Türkei dürften, nachdem die armenische Bevölkerung der größeren Städte und Ortschaften im Innern in den letzten Monaten nach Anatolien übergeführt worden ist, nur spärliche Reste verblieben seien.

Was die Fürsorge für die in den Konzentrationslagern in Anatolien (z. B. in Eskischehir, Konia, Eregli, Aleppo) und sonst angesammelten Armenier betrifft, so halte ich die Anregung des Dr. Straubinger für unausführbar, da die Pforte jeder Hilfeleistung von auswärts und sogar von seiten der beteiligten Patriarchate die größten Schwierigkeiten in den Weg legt. Eine solche Aktion würde voraussichtlich das Zeichen dazu geben, daß die Pforte diejenigen Armenier, die durch Zufall oder infolge Duldung seitens der Lokalbehörden in Anatolien verblieben sind, nach Mesopotamien oder Syrien abschiebt.

Ebenso halte ich es für ausgeschlossen, daß die Verschickten je wieder in den Besitz ihres von der Regierung beschlagnahmten Eigentums gelangen. In einem Spezialfalle wurde auf dem Ministerium des Innern erklärt: Die Rückkehr der betreffenden Individuen in ihre Heimat sei unzulässig, weil sie dort ihr Eigentum nicht mehr vorfänden, von dem inzwischen die Liquidationskommission Besitz ergriffen habe.

Metternich.

Seiner Exzellenz dem Reichskanzler
Herrn von Bethmann Hollweg.

220.

Kaiserlich
Deutsche Botschaft.

Pera, den 31. Dezember 1915.

Notiz.

Amerikanischer Botschafter sagte mir heute, daß 4000 protestantische und katholische Armenier in Aintab bedroht seien und die Abtransportierungen begonnen hätten. Wer nicht Muslim werde, werde verschickt. Talaat Bey habe ihm seinerzeit versprochen, die Protestanten und Katholiken in Ruhe zu lassen. Mir ebenfalls.

Metternich.

[S. 213]

221.

(Kaiserlich
Deutsche Botschaft.)

Telegramm.

Konstantinopel, den 31. Dezember 1915.

An Deutsches Konsulat, Aleppo.

Vertreibung von Protestanten und Katholiken von Aintab steht angeblich bevor oder hat begonnen. Erbitte Drahtbericht.

Metternich.

[S. 214]

Anhänge
zum Jahr 1915.

222.

Loi provisoire
concernant les biens, les dettes et les créances des personnes
transportées ailleurs.

Art. I. — Les biens, les dettes et les créances des particuliers et des personnes morales transportés ailleurs, conformément à la loi provisoire du 14 mai 1331, sont liquidés par les tribunaux sur la présentation des bilans dressés spécialement, pour chaque personne, par une commission instituée à cet effet.

Art. II. — Les propriétés bâties (vakf Idjarétéinli) et les terrains vakfs appartenant aux personnes dont il est question à l’article I, sont inscrits au nom de la caisse du ministère des fondations pieuses; les autres immeubles sont inscrits au nom du ministère des finances. Après épuration de la situation du propriétaire il lui sera remis le reliquat du montant de la valeur de sa propriété payée par l’un de ces deux ministères.

Dans les procès concernant les immeubles et relatifs, soit à des contestations de propriété, soit à d’autres objets, la partie adverse est représentée par les fonctionnaires du cadastre. On peut établir la propriété par d’autres preuves que les actes de propriété délivrés par le ministère des Cadastres, pourvu qu’il ne s’agisse pas d’un acte aprocryphe. Si dans les actes de transfert et de vente faits par les personnes susvisées, dans les 15 jours avant leur transport, on constate à la suite d’un procès, l’existence d’une simulation ou d’une tromperie excessive l’acte conclu est annulé.

Art. III. — L’argent liquide, le bien mobilier délaissé, les créances et les dépôts des personnes précitées sont réunis, repris et exigés par les présidents des commissions ad hoc qui, en même temps, opèrent la vente des biens mobiliers délaissés pour lesquels il n’y a pas de contestation. Les sommes ainsi produites sont laissées en dépôt dans les caisses du ministère des finances au nom de leur propriétaire.

Art. IV. — Un délai de deux mois est imparti à ceux qui prétendent avoir des droits sur les meubles délaissés ou qui disent avoir des créances sur les personnes transportées pour s’adresser personnellement ou par[S. 215] l’entremise d’un fondé de pouvoirs aux commissions et faire inscrire leurs réclamations. Ce délai est de 4 mois pour les personnes habitant l’étranger. Elles sont obligées, en outre, d’élire un domicile dans la ville où siège de la commission pour qu’on puisse leur faire toute sorte de communications. Les procès intentés après ce délai suivent les règles de la procédure ordinaire et les personnes ayant eu gain de cause dans ces procès ne peuvent pas s’adresser aux biens liquidés conformément à la présente loi.

Art. V. — Les commissions recherchent les preuves de chaque créance et dette, elles acceptent et enregistrent celles qu’elles trouvent fondées et envoient les créanciers aux tribunaux compétents après avoir inscrit les procès en contestation concernant les bien délaissés. Ensuite, la commission dresse le bilan du passif et de l’actif de chaque personne et porte ce bilan à la connaissance des intéressés en affichant aux endroits voulus les copies légalisées de ces bilans dont ils expédient les originaux au procureur général avec les pièces y afférentes.

Le procureur envoie ces papiers au tribunal de première instance dans la circonscription du quel se trouvait la demeure légale du débiteur avant son transport et demande à ce tribunal d’enregistrer les dites pièces. Les créanciers peuvent faire des objections à ces procès verbaux, devant le tribunal compétent et dans les 15 jours suivant la date de l’affichage.

A l’expiration de ce délai le tribunal examine les comptes en présence du procureur général et, s’il y a eu des objections il convoque d’urgence la personne qui les a formulées et le président de la commission ou son remplaçant pour prendre connaissance de la demande et de la défense. Après quoi, le tribunal apporte les modifications voulues aux bilans en cause et les ayant enregistrés les rend aux commissions sous forme de sentence pour qu’ils soient exécutées conformément aux dispositions de l’article suivant: Ces sentences ne sont susceptibles ni d’objection ni de renvoi, ni d’appel ni de cassation.

Art. VI. — Le soin de payer conformément à la sentence définitive du tribunal les dettes privilégiées et ordinaires du débiteur incombe aux commissions de liquidation et aux bureaux exécutifs, lorsque ces commissions ne siègeront plus. Sil’ensemble des biens du débiteur ne suffit pas à payer intégralement ses dettes ordinaires et privilégiées on paie ces dernières au prorata de l’actif.

Art. VII. — Les saisies conservatoires et les saisies exécutoires mises sur les biens des personnes transportées, soit par les tribunaux, soit par les administrations de l’Etat sont nulles et ceux qui ont fait ces saisies doivent se conformer à la présente loi. Ceux qui ont des procès en cours contre les personnes transportées sont libres de s’adresser aux commissions ou de laisser l’affaire suivre son cours normal conformément aux dispositions générales.

[S. 216]

A ceux qui ne s’adressent pas aux commissions s’applique le dernier paragraphe de l’article quatre. Les procès en cours en faveur de ces personnes sont poursuivis par le président de la commission ou par son préposé.

Art. VIII. — Le façon dont les commissions vont être instituées et l’application des différentes dispositions de la présente loi seront fixés par un réglement.

Art. IX. — Les immeubles bâtis de la catégorie des vakfs Idjaréteinli ainsi que les terrains vakfs et les autres immeubles inscrits au compte des ministères de l’Evkaf et des finances pourront être, conformément aux règlements concernant les immigrés, distribués aux immigrés.

Art. X. — Les ministres de l’evkaf, de l’intérieur, de la justice et des finances sont chargés de l’exécution de la présente loi.

Art. XI. — La présente loi entre en vigueur dès sa promulgation.

Le 13. ejlul 1331
(= 26. September 1915.)

223.

Bericht über Senatsverhandlungen im Oktober und November 1915.

1. Sitzung vom 21. ejlul 1331 (= 4. Oktober 1915); Verhandlungsberichte S. 301.

Ahmed Riza Bey: Tausende und Hunderttausende von Frauen, Kindern und Greisen irren heute elend und ratlos auf den Straßen und in den Bergen Anatoliens umher. Von dem Gerechtigkeitssinn der Regierung erwarte ich, daß diese Leute noch vor Eintritt des Winters entweder in ihre Heimatsorte zurückgebracht oder dort angesiedelt werden, wo sie es wünschen. Falls das hohe Haus sich diesem meinem Wunsche anschließt, bitte ich den Herrn Präsidenten, der Regierung hiervon Mitteilung zu machen. (Rufe: Einverstanden!) Ich überreiche auch einen Gesetzesvorschlag und bitte, ihn in die nächste Tagesordnung aufzunehmen zwecks Überweisung an den Ausschuß für Gesetzesvorschläge.

2. Sitzung vom 28. ejlul 1331 (= 11. Oktober 1915); Verhandlungsberichte S. 305 ff.

Der Gesetzesvorschlag Ahmed Riza Beys gelangt zur Verlesung.

Gesetzesvorschlag.

Ich schlage vor, den Art. 11 des provisorischen Gesetzes vom 13. ejlul 1331 (= 26. September 1915) über das Vermögen der an andere Orte verbrachten Personen und über ihre hinterlassenen Schulden und Forderungen folgendermaßen abzuändern:

Dies Gesetz gelangt nach Beendigung des Weltkrieges und einen Monat nach Bekanntgabe des Friedensschlusses zur Ausführung.

[S. 217]

Motive:

1. Kriegszeiten geben niemand das Recht, anderen bewegliches oder unbewegliches Vermögen wegzunehmen.

2. Wo Grundstücke veräußert werden, sind jetzt gerade die Personen, die für den Ankauf das meiste Interesse haben, nämlich die Bauern und die Ortsansässigen, wegen des Krieges abwesend. Ferner können sich jetzt wohlhabende Leute, die für diese Grundstücke angemessene Preise bezahlen würden, kein Geld beschaffen. Im gegenwärtigen Augenblick würde daher der Verkauf dieser Grundstücke ihre Eigentümer schwer schädigen, außerdem würde die Mitbewohnerschaft des betreffenden Ortes keinen Vorteil davon haben.

3. Dieses provisorische Gesetz, das zwei Tage vor Eröffnung des Parlaments erlassen worden ist, widerspricht dem Art. 16 der Verfassungsurkunde in verschiedener Hinsicht. Auch ist es unvereinbar mit Recht und Gerechtigkeit. Dieses Gesetz muß daher zunächst durch das Parlament gehen und erst nach dem Kriege zur Ausführung kommen. Deshalb verlange ich gemäß Art. 53 der Verfassung die vorstehende Abänderung.

Am 21. ejlul 1331.

Ahmed Riza.

Stellvertr. Präsident: Das in dem Antrag angezogene Gesetz betrifft den Verkauf des Vermögens einer gewissen Klasse abwesender Personen. Das Gesetz ist am 13. ejlul veröffentlicht worden und ist mit diesem Tage in Kraft getreten. Ahmed Riza Bey schlägt vor, daß das Gesetz einen Monat nach Friedensschluß in Kraft tritt und daß ein Artikel abgeändert wird. Das provisorische Gesetz selbst ist aber noch nicht zu uns gelangt, auch wissen wir nicht, wann es zu uns kommen wird. Wollen wir den Antrag dem Ausschuß für Gesetzesvorschläge überweisen in Erwartung des Eingangs des provisorischen Gesetzes?

Musa Kiazim Effendi: Natürlich muß der Antrag diesem Ausschuß zugehen.

Stellvertr. Präsident: Gut. Nach Eingang des provisorischen Gesetzes soll dann der Antrag zusammen mit dem Gesetz beraten werden.

Ahmed Riza Bey: Ist das Gesetz heute in Kraft oder nicht?

Stellvertr. Präsident: Ich kenne das provisorische Gesetz nicht. Sie sagen ja selbst, daß es vom Tage der Bekanntgabe ab in Kraft ist.

Ahmed Riza Bey: Ich habe es im Amtsblatt gelesen. Es ist am 12. ejlul veröffentlicht worden und vom Tage der Veröffentlichung ab in Geltung.

Stellvertr. Präsident: Dann verlangen Sie also die Abänderung von Art. 11.

Ahmed Riza Bey: Wir wissen nicht, wann das Gesetz zu uns kommt. Was soll geschehen, wenn es überhaupt nicht zu uns kommt, oder erst so spät, daß keiner der Betroffenen überhaupt noch Vermögen hat?

Hüsni Pascha: Es scheint mir zwecklos, den Antrag an den Ausschuß[S. 218] gehen zu lassen. Wir haben das Gesetz selbst noch nicht, können also einen Abänderungsvorschlag nicht in Erwägung ziehen.

Mahmed Pascha: Der Antrag muß doch an den Ausschuß gehen.

Aristidi Pascha: Zunächst mag sich der Ausschuß dazu äußern.

Stellvertr. Präsident (läßt abstimmen): Die Mehrheit ist für Überweisung des Antrags an den Ausschuß.

3. Sitzung vom 19. teschrin-i-ewwel 1331 (= 1. November 1915); Verhandlungsberichte S. 331:

Ahmed Riza Bey: Ich hatte früher gebeten, die Aufmerksamkeit der Regierung auf gewisse Punkte betreffend die in den Bergen Anatoliens herumirrenden bedauernswerten Leute zu lenken. Das hohe Haus hatte sich meiner Bitte angeschlossen. Ist die Regierung auf die Notwendigkeit, Maßnahmen zur Erleichterung des Loses dieser Personen zu treffen, hingewiesen worden, und zu welchem Ergebnis ist es gekommen?

Präsident: Auf den Beschluß des hohen Hauses habe ich mich mit der Regierung über diese Frage besprochen. So wie die Regierung sich bemüht hat, die Hindernisse zu beseitigen, die das Wohlergehen der Bevölkerung irgendwie beeinträchtigen könnten, bemüht sie sich auch Mittel zu finden, durch die das Wohlergehen dieser Personen sichergestellt wird. Sie hat sogar zu diesem Zweck den Direktor für Angelegenheiten von Auswanderern lediglich für diese Angelegenheit in jene Gegenden entsandt[117]. Kredite sind bereitgestellt worden, und weitere Beamte werden entsendet. Die Regierung läßt sich die Sorge für das Wohlergehen dieser Personen angelegen sein. (Rufe: Sehr gut.)

Ahmed Riza Bey: Wie Sie wissen, stehen wir schon im Winter. Wenn etwas geschehen soll, muß es so bald wie möglich geschehen. Die Regierung hat Ihnen doch in diesem Sinne amtlich Auskunft erteilt, nicht wahr?

Präsident: Jawohl.

224.

Aufzeichnung
über die geplante Deportation der Armenier von Mossul, Dezember 1915.

Im Spätsommer 1915 waren auf Anordnung der türkischen Regierung die in Bagdad wohnhaften Armenier nach Mossul deportiert worden. Kurz nach der Ankunft des Feldmarschalls Freiherrn v. d. Goltz in Bagdad (Dezember 1915) erließ der bisherige Oberkommandierende in Mesopotamien, Nureddin Bey, den Befehl, diese Armenier von Mossul weiter zu transportieren und auch die in Mossul ansässigen Armenier nach dem Euphrat[S. 219] zu schaffen. Der Feldmarschall erhielt zufällig Kenntnis von dieser militärisch in keiner Weise gerechtfertigten Maßnahme und intervenierte energisch bei den Wilajetbehörden. Zunächst ohne jeden Erfolg. Die Sache zog sich fast einen Monat lang hin, und der Feldmarschall konnte zunächst nur erreichen, daß die Armenier einstweilen in Mossul auf weitere Weisung warten sollten. Als bis Mitte Januar 1916 keine Weisung aus Konstantinopel eingetroffen war, verbot der Feldmarschall auf Grund seiner Oberbefehlshaberbefugnisse dem Wali von Mossul, die Armenier weiter zu transportieren. Der Wali berichtete erneut nach Konstantinopel. Eine Antwort war bis zum 27. Januar nicht eingetroffen, vielmehr kam die Nachricht, die Regierung bestehe auf dem Abtransport. Hierauf bat der Feldmarschall telegraphisch um seine sofortige Abberufung. Erst jetzt antwortete Enver Pascha in einem verbindlich gehaltenen Telegramm, in welchem er Zusicherungen bezüglich des Verbleibens der Armenier in Mossul machte, im übrigen aber den Feldmarschall darauf hinwies, daß ihn seine Oberbefehlshaberbefugnisse nicht berechtigen, sich in die inneren Angelegenheiten des türkischen Reiches einzumischen.

Der Feldmarschall wollte auch jetzt noch auf seinem Abschiedsgesuch bestehen, gab diese Absicht aber auf, da er ja in der Sache selbst seinen Willen durchgesetzt hatte, und da er sich für verpflichtet hielt, angesichts der schwierigen militärischen Lage von Kut-el-Amara auf seinem Posten zu bleiben.

Berlin, den 19. November 1918.

Legationsrat Dieckhoff.

[S. 223]

1916

Januar.

225.

Telegramm.

(Kaiserliches
Konsulat Aleppo.)

Aleppo, den 3. Januar 1916.

An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Antwort auf Telegramm vom 31. Dezember.

In Aintab waren nach den Verschickungen vor einigen Monaten noch 7 bis 8000 Armenier geblieben. Von diesen sind jetzt 5 bis 6000 ohne Unterschied der Konfession teils schon verschickt, teils in Verschickung begriffen; der Befehl hierzu ist anscheinend von militärischer Seite ergangen wahrscheinlich unter dem falschen Vorwand der Anteilnahme am Widerstand der Stadt Urfa. Jetzt ist auch die letzte protestantische Kirche in Aintab geschlossen.

Rößler.

Kaiserlich
Deutsche Botschaft.

Notiz.

Die Meldung wurde Halil Bey mitgeteilt. Er erklärt die Nachricht für unrichtig. Es seien nur einige an der Bahn angesiedelte Armenier aus militärischen Gründen weiter geschickt worden.

Neurath.

226.

Kaiserlich
Deutsches Konsulat.

Aleppo, den 3. Januar 1916.

Euerer Exzellenz überreiche ich gehorsamst in der Anlage die folgenden Nachrichten zur Armenierverschickung:

1. Abschrift eines Berichtes des Diakons Künzler aus Urfa über die dortigen Vorgänge seit Anfang August bis Anfang Dezember. Der Bericht wiederholt zwar zum Teil schon Bekanntes, verdient aber doch eine Wiedergabe. Insbesondere ist daraus zu entnehmen, daß gegen 600 Armenier bereits abgeschlachtet waren, ehe die Kämpfe Anfang Oktober begannen, nämlich 100 in der Stadt, ungefähr 100 eines Arbeiterbataillons[S. 224] im Norden der Stadt, und 400 eines Arbeiterbataillons im Süden der Stadt, abgesehen von den bereits vorher Verschickten und auf dem Wege nach Diarbekr Ermordeten. Neu ist auch, was er über das Geschick der Stadt nach ihrer militärischen Niederzwingung berichtet.

2. Ein deutscher Ingenieur, der während der entscheidenden Ereignisse wochenlang in Ras-ul-Ain und Tell-Abiad für den Bau der Bagdadbahn beschäftigt war und dessen Glaubwürdigkeit die allerbeste ist, gab erschütternde Berichte, die einen Einblick in die bewußte und gewollte Vernichtung der Verschickten durch türkische Regierungsorgane gewährten. Die von den Armeniern immer wieder vorgebrachte Erzählung, daß die Züge der Verbannten absichtlich kreuz und quer geführt worden sind, um sie „zu Tode zu wandern“ fand an einem Beispiel ihre Bestätigung. Ein Trupp Verschickter aus Urfa hat folgenden Weg zurücklegen müssen:

Von Urfa nach Tell-Abiad,
  „  Tell-Abiad nach Rakka,
  „  Rakka nach Tell-Abiad,
  „  Tell-Abiad nach Rakka.

Die Strecke von Tell-Abiad nach Rakka beträgt in der Luftlinie rund 90 km.

3. Die schon öfter gemeldete und soeben wieder bestätigte Tatsache, daß Regierungsorgane die Bevölkerung zur Vertilgung der Armenier aufgefordert und ermutigt haben, kann dahin eingeschränkt werden, daß Djemal Pascha, der Höchstkommandierende der 4. Armee, persönlich die Vernichtung der Armenier nicht gewollt hat. Sein Wille hat sie nicht aufzuhalten vermocht, aber es ist eine Erleichterung, in dem grauenhaften Bilde auch einmal einen versöhnlichen Zug entdecken zu können. Das Sammellager der Armenier in Islahije ist 6 Wochen lang, trotz der Verteidigung durch deutsche Ingenieure, der Gegenstand zahlreicher Raubüberfälle durch Kurden gewesen, bei denen Frauen und Kinder abgeschlachtet wurden. Als Djemal Pascha durchkam und ihm darüber Vortrag gehalten wurde, stellte er seine 12 Leibgendarmen zur Verfügung, die sehr energisch gegen die Kurden vorgingen und einige gefangen einbrachten. Diese sind dann gehängt worden. Wenn die Zustände im Bereich der 4. Armee, obwohl sie schlimm genug sind, doch nicht an diejenigen im Bereiche der 3. Armee heranreichen, so wird neben den durch die geographische und politische Lage sowie durch den verschiedenen Stand der Verkehrswege bedingten Unterschieden auch der Einfluß Djemal Paschas in Anschlag zu bringen sein[118].

4. Während ich früher wiederholt berichtet habe, daß Leichen der Armenier unbeerdigt geblieben sind und den Raubtieren zum Opfer fielen, kann nach neuerdings mir erstatteten mündlichen Berichten kein Zweifel mehr sein, daß auch noch lebende Armenier, die im Krankheits- und Er[S. 225]schöpfungszustande im Freien lagerten und um die sich niemand kümmerte, von Hunden angefressen worden sind.

Es liegt dafür das Zeugnis eines älteren deutschen Ingenieurs von unbedingter Zuverlässigkeit vor, der, in Arab-Punar stationiert, die Strecke zwischen dort und Harab-Nass unter sich hatte. Die Beobachtung ist sowohl von ihm selbst, wie von seinen eingeborenen Angestellten gemacht worden. Sein Name steht auf Erfordern zur Verfügung.

Der Leichengeruch auf der Straße zwischen diesen beiden Stationen war derartig stark, daß er sich mehrfach das Gesicht verbunden hat, wenn er sie zu Pferde zurückzulegen hatte.

Gleichen Bericht lasse ich dem Herrn Reichskanzler zugehen.

Rößler.

Seiner Exzellenz dem Kaiserlichen Botschafter
Herrn Grafen Wolff-Metternich, Hochgeboren.

Anlage 1.

Deutsche Missionsklinik Urfa.

Urfa, den 5. Dezember 1915.

Ich nehme an, daß Sie über die meisten hiesigen Vorgänge seit August richtig unterrichtet sind. Dennoch möchte ich hier etwas wiederholen. Vielleicht, daß darunter doch noch etwas ist, was Sie nicht wissen.

Anfang August Ankunft zweier Beys von Diarbekir. Gleich darauf begann der Todestransport der schon lange gefangen gehaltenen Armenier, darunter auch unser Apotheker Abraham. Am 15. August beginnt neue Suche nach jungen Armeniern, behufs angeblichen Soldatendienstes. Am 19. August wurde bei einer Hausdurchsuchung aus dem Hinterhalt ein Polizist niedergeschossen, nachmittags 3 Uhr. Die übrigen Polizisten springen weg ins muslimische Quartier und melden es der Obrigkeit. Die beiden Beys von Diarbekr gaben Orders zu einem Massakre. Bis zum Abend fielen ca. 100 Armenier. Anderen Tags werden ungefähr 100 Armenier des Arbeiterbataillons eineinehalbe Stunde nördlich von Urfa abgeschlachtet. Anderen Tags 400 eines im Süden arbeitenden Arbeiterbataillons. Seit dem 19. August Stille, aber die Armenier bleiben in ihren Häusern. Am 29. September suchte die Polizei nach jungen Armeniern, welche nachts zuvor aus einem Hause Schüsse abgaben. Hierbei wurde wieder auf sie geschossen. Wer fliehen konnte, floh. Auf dem Markte befindliche Armenier wurden abgeschlachtet, doch hatten sich seit dem 19. August nur einzelne auf den Markt herausgewagt. Schon am Abend war das armenische Viertel für Muhammedaner nicht mehr zugänglich. Dann begann die Belagerung des armenischen Stadtviertels, welche ja für die Armenier schlecht enden mußte. Am 16. Oktober die Internierung der meist unbeteiligten Armenier, besonders Frauen und Kinder. Die Männer, die sich übergeben hatten, wurden ab[S. 226]geschlachtet, auch einige gehängt. Die Frauen und Kinder nach und nach in den Süden verschickt. Die Suche nach dem Rest der Armenier, welche sich nicht ergaben, sondern sich in Brunnen und Verstecken verborgen hatten, dauerte noch recht lange, bis Mitte November.

Anfänglich ließ man an der Revolution unbeteiligte Bäcker am Leben und in ihren Läden arbeiten, aber am 20. November entfernte man auch diese, indem man sie auf den Weg schickte und sie dann draußen abschlachtete.

Ein paar Armenier, die das zweifelhafte Metier hatten, den Türken die Wege zu den Verstecken zu zeigen, durften mit ihren Familien in Urfa bleiben. Auch Apotheker Karekin kann bleiben, aber jetzt werden diese Leute halb und halb gezwungen, Muslim zu werden. Unserem Apotheker wurde es heute nahegelegt, wenn er bleiben wolle, wenigstens einen muslimischen Namen anzunehmen. Wahrscheinlich wird auch unserem Arzt diese Sache nahegelegt.

Das an dem Aufstand völlig unbeteiligte einzige christliche Dorf Garmudj ist letzte Woche auch verschickt worden! Sehr traurig!

Oft denke ich, wenn nur jemand von uns nach Rakka, Der-es-Zor usw. gehen könnte, um dem Rest Überlebender der Verschickten beizustehen.[119] Allein ich bin sicher, die Regierung würde eine Hilfe unsererseits nicht zulassen. So müssen wir denn das Volk einfach untergehen lassen.

Jakob Kuenzler.

An den Kaiserlich Deutschen Konsul Herrn Rößler in Aleppo.

Anlage 2.

Publication aux Vilayets.

Malgré les ordres et communiqués que j’ai donnés pour que la population arménienne expédiée en différents endroits ne soit soumise à aucune oppression et mauvais traitement, j’apprends des faits regrettables qui se sont produits.

Ci-dessous quelques détails que j’ai reçus jusqu’à présent à ce sujet:

1. Une oppression a été faite pendant la recherche d’armes et un certain nombre d’arméniens ont dû acheter des armes à des prix très élevés de leurs voisins turcs et circassiens pour les livrer au gouvernement.

Un certain nombre de leurs chevaux et de leurs effets de valeur ont été volés.

Sous prétexte qu’ils seront rationés en route ils ont été laissés sans pain et sans eau.

[S. 227]

Ils ont subi de la part des fonctionnaires chargés de les accompagner un traitement sévère et inutile tel que d’insultes et des voies de faits.

Pendant leurs étapes ils ont dû se suffir des 25–30 Drames de pain et une solde de 25 paras par jour.

Les employés et professeurs des écoles et orphelinats arméniens ont subi le même traitement que la population indigène au lieu d’être renvoyés dans leurs provinces. On ne laissa même pas à certains d’entre eux le temps de prendre leurs effets. A Gueben des femmes ont été convoquées au moment où elles faisaient leurs lessives et dûrent se mettre en route pieds-nus et sans avoir pu emporter les linges qu’elles avaient lavés.

Certains pères de familles ont été expédiés à des endroits séparément de leurs femmes et enfants. Et par manque de moyens de transport, certaines femmes ont dû se débarasser de leurs enfants comme d’une charge inutile et les ont laissés au bord d’une route ou au revers d’une haie et même certaines entre elles essayèrent de les vendre.

La permission de faire venir leurs bêtes qui se trouvaient à quelque distance de leurs lieux d’habitation leur a été refusée.

De pareils traitements portent atteinte à notre honneur national et forment une tâche au nom de l’Ottomanisme. J’attire donc l’attention des autorités compétentes à ce sujet.

2. Enquêtes sévères doivent être faites immédiatement au sujet de tous ces évènements et les fauteurs de troubles seront punis pour cette fois de réprimande. Tous ceux qui commettraient des actes pareils seront considérés par moi comme des Ottomans indignes de ce nom et livrés à la cour martiale sous inculpation de traîtrise de la Patrie.

3. Avant le déplacement de la population arménienne un délai fixe leur sera donné et au moment de l’expulsion, ceux qui auront des voitures et des chevaux en profiteront pour leur voyage. Le Gouvernement procurera des moyens nécessaires de transport pour les autres.

4. Les malades resteront jusqu’à leur guérison, à l’endroit où ils se trouvent.

5. La population sera expédiée avec une escorte de gendarmerie et aisément. Une solde de 50 Paras aux adultes et aux hommes et de 30 Paras aux enfants sera donnée s’ils sont indigents.

6. Les gendarmes et les employés faisant partie de leur escorte sont responsables de leur vie, de leurs biens et de leur honneur.

7. Aux endroits où ils seront établis tout leur nécessaire sera assuré et tous seront sous la protection et affection du Gouvernement.

Je m’assurerai de l’exécution absolue de ces ordres par l’inspection de mes officiers en qui j’ai toute confiance. Nul ne sera informé de leurs enquêtes et suivant leurs rapports tous peuvent être assurés que je punirai de la façon la plus rigoureuse ceux qui agiront contre ces ordres.

Djemal Pascha.

[S. 228]

227.

(Kaiserliches
Konsulat Aleppo.)

Telegramm.

Aleppo, den 10. Januar 1916.

An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Aus Aintab stammende Armenier, die schon 3 oder 4 Jahre hier wohnhaft sind, erhielten die Aufforderung, Aleppo binnen einer Woche zu verlassen.

Es gibt Anzeichen dafür, daß auch die in Aleppo ansässigen Armenier verschickt werden sollen. Es scheint zu diesem Zwecke von der Behörde eine Liste aufgestellt zu werden. Von Bab erfolgen Weiterverschickungen, die in Widerspruch zu dem stehen, was Djemal Pascha in Konstantinopel durchgesetzt hatte.

Rößler.

228.

Kaiserliche Botschaft.

Pera, den 20. Januar 1916.

Telegramm.

An Deutsches Konsulat, Aleppo.

Auf Telegramm vom 10. Januar.

Die Pforte erklärt, daß Verschickung der Armenier aus Aleppo nicht beabsichtigt sei.

Metternich.

229.

(Kaiserliches
Konsulat Aleppo.)

Telegramm.

Aleppo, den 12. Januar 1916.

An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Neuerdings werden 3000 armenische Witwen, die früher von Aleppo nach Killis gesandt und dort verhältnismäßig gut aufgehoben waren, nach Der-es-Zor verschickt, wobei die meisten zugrunde gehen. Könnte nicht erreicht werden, daß wenigstens der jetzt noch verbliebene Rest dort belassen wird?

Rößler.

Bei Halil zur Sprache gebracht. Er wollte Talaat Bey informieren.

20.1.1916. Neurath.

[S. 229]

230.

Kaiserlich
Deutsche Botschaft.

Pera, den 24. Januar 1916.

Auf den Erlaß vom 12. Dezember v. J.[120]

Der hiesige Minister des Äußern, Halil Bey, hat auf meine Vorstellungen hin auf das entschiedenste bestritten, daß zwangsweise Bekehrungen der Armenier zum Islam in nennenswertem Umfange versucht worden seien. Bei den vorgekommenen Fällen von Übergriffen unterer Beamter seien die Betreffenden bestraft worden.

Die Versicherungen des Ministers stehen in Widerspruch mit den übereinstimmenden Berichten, die der Kaiserlichen Botschaft wiederholt über diese Frage aus verschiedenen Lokalitäten und aus von einander unabhängigen Quellen zugegangen sind.

Aus den eingehenden Angaben des Vizekonsuls Kuckhoff in Samsun, die von anderer Seite bestätigt wurden, ist zu schließen, daß namentlich in den Distrikten am Schwarzen Meer die Islamisierung der Armenier — teils durch Überredung, teils durch Drohungen — in größerem Umfange durchgeführt worden ist.

Allerdings haben anderwärts, wo zahlreiche Armenier aus eigenem Antriebe, um der Verbannung und Vermögenskonfiskation zu entgehen, sich zum Übertritt zum Islam entschlossen, die Behörden diese Bewegung nicht begünstigt und die Übergetretenen trotzdem verschickt. Anscheinend befürchtet man, daß durch weitere Massenübertritte der eigentliche Zweck der Armenieraustreibungen, die völlige Unschädlichmachung der armenischen Bevölkerung, vereitelt werden könnte.

Seitdem ist ein anderer weniger auffälliger Weg eingeschlagen worden.

So berichtet der Konsul Büge in Adana im Oktober v. J., daß der Leiter des dortigen türkischen Waisenhauses den christlichen Zöglingen eröffnet habe, daß in einem osmanischen Waisenhause die christliche Religion keinen Platz hätte; wer nicht zum Islam übertrete, müsse das Haus verlassen. Daraufhin verließen die christlichen Kinder das Haus mit Ausnahme von 14 Knaben, die vermutlich inzwischen zum Islam übergetreten sind.

Ferner teilte der armenische Patriarch Mitte Dezember hierher mit, daß man in Anatolien begonnen habe, die weiblichen Mitglieder der verschickten armenischen Familien, deren männliche Mitglieder umgekommen oder verschollen sind, gruppenweise auf muhammedanische Dörfer zu verteilen, um sie dem Islam zuzuführen; auch habe das Kriegsministerium angeordnet, daß sämtliche im Heeresdienste befindlichen Armenier Muhammedaner werden und schon jetzt muhammedanische Namen erhalten sollten,[S. 230] während die eigentlichen Formalitäten (Beschneidung) mit Rücksicht auf den Kriegszustand für später vorbehalten werden.

Endlich wird behauptet, daß auch hier in der Hauptstadt von Türken vielfach auf Armenier eingewirkt werde, damit sie zum Islam übertreten; doch ist die Zahl der Übergetretenen im Verhältnis zur Gesamtzahl der hiesigen armenischen Bevölkerung nur geringfügig. Angeblich haben bis jetzt nur einige 20 Armenier den Islam angenommen, darunter namentlich solche, die in Anatolien begütert sind und durch den Übertritt ihr Vermögen zu retten suchen.

Metternich.

Seiner Exzellenz dem Reichskanzler
Herrn von Bethmann Hollweg.

231.

Kaiserlich
Deutsches Konsulat.

Aleppo, den 26. Januar 1916.

Zur Frage der Verschickung der Armenier aus Aleppo habe ich aus Anlaß eines Einzelfalles von einem Polizeikommissar folgendes erfahren:

Es sind Befehle gegeben, jeden Armenier auszuweisen, der nicht ein in Aleppo selbst ausgestelltes „Teskere Nufus“ (Heimatschein) besitzt, und zwar ohne Rücksicht auf die Zeit, die er etwa schon in Aleppo zugebracht hat. Nur ein solches gilt als Nachweis, daß der Inhaber nicht zu den Verschickten gehört.

Ist also ein Armenier z. B. vor 10 Jahren aus einer anderen türkischen Stadt nach Aleppo übergesiedelt und besitzt er ein Teskere Nufus aus jener anderen Stadt, ohne indessen Veranlassung gehabt zu haben, dieses Papier gegen ein hiesiges umzutauschen, so ist er der Verschickung verfallen.

Mit diesem Befehl hat die Regierung eine Waffe in der Hand, die Mehrzahl der hiesigen Armenier auszuweisen. Nur die hier Geborenen sind sicher, und auch diese nur, soweit sie bei der Regierung eingetragen sind, was bekanntlich bei den ottomanischen Untertanen nicht durchweg geschieht. Von den Zugewanderten, d. h. also auch den vor der Verschickung Zugewanderten, wird ein sehr erheblicher Teil nicht im Besitze des hiesigen Papieres sein. Die Polizei ist mit den Feststellungen beschäftigt. Auch sind manche hiesige Armenier auf diese Art bereits verschickt worden.

Rößler.

Seiner Exzellenz dem Kaiserlichen Botschafter
Herrn Grafen Wolff-Metternich.

[S. 231]

232.

Kaiserlich
Deutsche Botschaft.

Pera, den 28. Januar 1916.

Ein weiteres sicheres Beispiel für die Islamisierung der Armenier wird vom Kaiserlichen Konsul in Aleppo gemeldet. Auf Antrag des Herrn Rößler stand die Kaiserliche Botschaft im Begriff, sich für den Arzt und den Apothekergehilfen des von der deutschen Orientmission in Urfa unterhaltenen Spitals zu verwenden, welche von den Behörden verhaftet worden waren und von denen der letztere bereits zum Islam übergetreten war. Nunmehr zeigt Herr Rößler hier an, daß auch der Arzt, ein gewisser Abuhaijatian, mit dem gesamten übrigen männlichen Personal des Spitals Muhammedaner geworden sei und den Namen Arif angenommen habe. Trotzdem ist er vom Kriegsgericht verurteilt worden. Die von den Behörden in Urfa gesammelten Waisen sind ebenfalls dem Islam zugeführt worden. Nach Ansicht des Herrn Rößler würde ein weiteres Eintreten für die auf diese Weise Bekehrten nur zur Folge haben, daß sie verschickt und unterwegs aus dem Wege geräumt werden.

Endlich wird in einem Briefe aus Konia bestätigt, daß die dort konzentrierten Armenier allmählich weiter ins Innere abgeschoben werden, wo sie auf türkische Dörfer verteilt und zur Annahme des Islam genötigt werden.

Metternich.

Seiner Exzellenz dem Reichskanzler
Herrn von Bethmann Hollweg.

233.

Kaiserlich
Deutsches Konsulat.

Aleppo, den 29. Januar 1916.

Mit dem von deutscher Seite für die armenische Hilfsaktion zur Verfügung gestellten Gelde eine besondere Organisation zu schaffen, ging nicht an, denn sie wäre von türkischer Seite nicht geduldet worden. Auch war die Not so ungeheuer, daß den Hungernden nicht die Hilfe zugunsten einer erst noch zu schaffenden Organisation verweigert werden konnte. Ein großer Teil der im Herbst zur Verfügung gestellten Summen ist durch das hiesige Missionsehepaar Spieker verteilt worden, dem die Notleidenden vielfach persönlich bekannt waren und das seine Vertrauensleute hatte, so daß für Verwendung für wirklich Bedürftige gesorgt war.

Von armenisch-protestantischer Seite ist ein Waisenhaus geschaffen und hierfür die wohlwollende Unterstützung des Deutschen Konsulats erbeten worden. Formell konnte ich sie nicht gewähren, aber tatsächlich. Ich gab die Genehmigung, daß ein hinter dem Deutschen Konsulat gelegenes, von einem Deutschen zur Verfügung gestelltes Haus benutzt würde.[S. 232] Die Polizei hat darauf dieses Haus unbelästigt gelassen, wohl in der stillschweigenden Annahme, daß sie andernfalls auf den Widerstand des Deutschen Konsulats stoßen würde. Es hieß dann bei den Armeniern wie bei den Behörden das „Deutsche Waisenhaus“. Ich habe monatliche Beiträge seit September beigesteuert und diese Beisteuer zunächst bis Ende April zugesagt.

Aleppo ist gegenwärtig der Mittelpunkt eines Hilfswerks an den Armeniern, das sich auf Bab, Membidj, Der-es-Zor, Damaskus u. a. Plätze erstreckt. Auf Vorschlag der Schwester Beatrice Rohner habe ich kürzlich für Waisenarbeit in der Umgegend von Damaskus einen Beitrag zur Verfügung gestellt.

Ein zweites hiesiges Waisenhaus, welches auf Verwendung des Freiherrn von Kreß durch Befehl Djemal Paschas der deutschen Schwester Beatrice Rohner zur Verwaltung übergeben worden ist, nachdem es bis dahin von türkischer Seite geleitet worden war, zählt zurzeit 376 Kinder.

Die Regierung hat die Absicht, die sämtlichen Waisenkinder aus Aleppo nach Konstantinopel überzuführen. Sie hat nur die Ausführung dieser Absicht mit Rücksicht auf die winterliche Ungunst des Wetters und mit Rücksicht darauf, daß die Beförderungsmittel ausschließlich für militärische Zwecke gebraucht werden, auf das Frühjahr verschoben. Durch die Überführung würde in einschneidender Weise in die gegenwärtige Gestaltung der Hilfsaktion eingegriffen.

Rößler.

Seiner Exzellenz dem Kaiserlichen Botschafter
Herrn Grafen Wolff-Metternich.

234.

Kaiserlich
Deutsches Konsulat.

Aleppo, den 31. Januar 1916.

Euer Exzellenz überreiche ich gehorsamst in der Anlage Abschrift eines Briefes des Diakons Künzler in Urfa, aus welchem hervorgeht, daß die letzten in Urfa verbliebenen Armenier unter dem Zwange der Verhältnisse den Islam angenommen haben. Darunter auch die von türkischer Seite in Urfa gesammelten Waisen.

Über die Verhaftung von Dr. Arménak Abuhajatian, Arzt am Deutschen Hospital, habe ich der Kaiserlichen Botschaft anderweit berichtet. Aus dem Briefe geht hervor, daß er an den Widersetzlichkeiten der Bevölkerung völlig unbeteiligt war.

Zwangsbekehrungen zum Islam sind vor einigen Wochen hier auch von anderer Stelle bekannt geworden. In Caesarea war der Befehl ergangen, die Armenier nach Siwas zu verschicken. Diese Verschickung bedeutete den Tod. Möglicherweise um sie zu retten, ließ der Mutessarrif bekannt werden, wer zum[S. 233] Islam übertrete, werde verschont. Viele traten über. Eine Anzahl protestantischer und katholischer Geistlicher weigerten sich, überzutreten. Auf mir nicht bekannt gewordene Weise kam es dahin, daß diese nicht nach Siwas, sondern nach Eregli verschickt wurden, auf welchem Wege die Gefahren geringer waren. Als sie nach mancherlei Fährlichkeiten in Tarsus ankamen, trafen sie dort zufällig Freiherrn von Kreß auf seiner Reise mit Djemal Pascha nach Konstantinopel. Er führte sie beim Pascha ein, der ihnen sicheres Geleit nach Aleppo gab und ihnen später teils Damaskus, teils Jerusalem als Wohnsitz anwies. Von diesen stammt die Nachricht. Unter ihnen befindet sich der protestantische Prediger Wahram Tahmissian, jetzt in Damaskus.

Gleichen Bericht lasse ich dem Herrn Reichskanzler zugehen.

Rößler.

Seiner Exzellenz dem Kaiserlichen Botschafter
Herrn Grafen Wolff-Metternich, Hochgeboren.

Anlage.

Deutsche Missionsklinik Urfa.

Urfa, den 17. Januar 1916.

Hochgeehrter Herr Konsul!

Sie erwarten wohl mit Recht wieder einige Zeilen von mir über die Vorgänge in unserem Hospital.

Gestern vor 8 Tagen wurde plötzlich unser sich noch immer in Rekonvaleszenz befindender Arzt von der Polizei abgefaßt. Eine Stunde später geschah das gleiche auch mit dem Apothekergehilfen Hosep, jetzt muhammedanisch Jussuf genannt. Als ich sah, daß die beiden statt von der Polizei zurückzukehren, ins Gefängnis geworfen wurden, begab ich mich abends zum Gouverneur, wobei ich nur erfuhr, daß der Verhaftungsbefehl nicht aus Urfa, mutmaßlich aus Aleppo stammte. Am folgenden Morgen sandte ich dann das Telegramm an Sie. Im Laufe der Woche erfuhr ich unter der Hand, von wo der schlechte Wind wehte. Wir hatten eine Zeit lang einen militärischen Obern hier, Z. G., der jetzt dort weilt, welcher den Befehl gegeben. Ganz Urfa war empört über die Gefangennahme der beiden, von denen jedermann bezeugen kann, daß sie bei dem Widerstande völlig unbeteiligt waren. G. ist eben ein roh Durchgehender. Hätte er vielleicht gewußt, daß unser Arzt, jetzt Arif Eff. genannt, inzwischen, wie das ganze männliche eingeborene Personal, muhammedanisch geworden ist, hätte er vielleicht den Befehl nicht erlassen. Die Waisen, welche auf Befehl des jetzt dort weilenden, früheren Obersten (Generals) Fakhri ed din Paschas hier gesammelt wurden, sind alle vor kurzem „umgetauft“ worden, mitsamt den diversen Hausmüttern.

Ich höre, daß der Arzt bereits verurteilt ist; wie lange die Strafe, weiß ich nicht.

Jakob Künzler.

[S. 234]

Februar.

235.

Kaiserlich
Deutsches Konsulat.

Aleppo, den 9. Februar 1916.

Aus dem andauernden langsamen Untergang größerer Teile des armenischen Volkes berichte ich gehorsamst die folgenden Einzelzüge, die mir in den letzten Wochen bekannt geworden sind:

Im November und Anfang Dezember befanden sich größere Massen von Verschickten längs der Bahnstrecke von Adana nach Aleppo, insbesondere in Islahiye und in Katma. Hier mußten sie aus militärischen Gründen entfernt werden, um die Etappe frei zu bekommen und Übertragung ansteckender Krankheiten auf das Heer zu verhüten. Die Abbeförderung erfolgte zunächst mit der Bahn nach Ras-ul-Ain. Da aber die Verschickten in Ras-ul-Ain dem Tode geweiht waren, und da ferner die Bahn den gleichzeitigen Transport der Armenier und der Soldaten nicht bewältigen konnte, so wurden die Armenier von Islahije und Katma zu Fuß nach Akhterin und von Akhterin nach Bab verschickt. Die Strecke von Katma bis Akhterin beträgt etwa 30 km und von dort bis Bab noch einmal so viel. Es war also eine verhältnismäßig günstige Lösung. Djemal Pascha setzte in Konstantinopel durch, daß die Armenier zwischen Akhterin und Bab bleiben sollten. Dort wäre von der Station Akhterin aus eine Verpflegung möglich gewesen. Diese Befehle sind aber wieder umgestoßen worden, und die Unglücklichen werden von Bab nach Der-es-Zor weiter geschickt. Mit welchem Ergebnis, darüber unterrichtet ein Brief des Konsuls Litten, den er über seine Fahrt von Bagdad nach Aleppo geschrieben hat. Wie es zwischen Meskene und Der-es-Zor aussieht, darüber hatte ich unter dem 16. November schon einmal den Bericht eines Deutschen eingereicht. Auf dieser Straße ist immer wieder der Strom der Unglücklichen gezogen. Dort hat u. a. Seine Durchlaucht Prinz Reuß etwa am 12. Januar zwischen den Stationen Tibne und Sabkha, wie er mir erzählt hat, 15 Leichen am Wege liegen sehen, während sein Kutscher noch mehr gezählt habe.

Anfang Januar hat zwischen Katma und Killis ein Mitleidiger 50 Kinder am Wege aufgesammelt und nach Killis gebracht. Er wollte sie dem Kaimmakam übergeben, dieser aber nahm sie nicht an, so daß sie im Freien bleiben mußten. Am nächsten Morgen waren 30 der kranken und erschöpften Kinder[S. 235] erfroren. Die Nachricht kommt aus armenischer Quelle, doch liegt kein Grund vor, an ihrer Wahrheit zu zweifeln.

Ein Armenier, der den Mut hat, von Zeit zu Zeit von hier in Verkleidung nach Bab zu gehen, um den Notleidenden Unterstützungsgelder zu überbringen (deutschen Schwestern ist eine Tätigkeit außerhalb Aleppos nicht erlaubt worden), berichtet, daß Ende Januar in den 2½ Tagen seines Aufenthalts in Bab 1029 Armenier gestorben seien. Das Furchtbarste sei, wenn die Elenden und Kranken gezwungen würden, zur Wanderung aufzustehen. Sie würden mit Schlägen weitergetrieben, ja ihre Zelte würden ihnen angezündet. Er sei Zeuge gewesen, wie eine Frau auf diese Weise mit dem Knüttel totgeschlagen wurde. Nach den Vorgängen, die sich früher in der Stadt Aleppo selbst abgespielt haben, muß auch diese Erzählung für wahr gehalten werden.

Vor einigen Monaten waren 3000 Frauen und Witwen von Aleppo nach Killis geschickt worden, wo sie es verhältnismäßig gut hatten und wenigstens ihr Leben fristen konnten. In der zweiten Januarwoche sind sie von dort weiter verschickt worden.

Gleichen Bericht lasse ich dem Herrn Reichskanzler zugehen.

Rößler.

Seiner Exzellenz dem Kaiserlichen Botschafter
Herrn Grafen Wolff-Metternich, Konstantinopel.

236.

(Kaiserliches
Konsulat Aleppo.)

Telegramm.

Aleppo, den 9. Februar 1916.

An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Unter Bezugnahme auf Bericht vom 26. Januar.

1. Über 70 hiesige armenische Familien, die aus Aintab stammen, aber größtenteils schon jahrelang hier wohnen, werden verschickt. Dies ist nur ein Anfang.

2. Die mit Erlaubnis der Regierung seit einigen Monaten auf Gütern in der Provinz Aleppo angesiedelten Armenier, vielleicht 10000 Menschen, werden jetzt weiter verschickt.

3. Die von der Zentralregierung erlassenen Befehle scheinen milder; aber Verschickungskommissar und Wali arbeiten unerbittlich an der Vernichtung der Armenier.

Rößler.

[S. 236]

237.

(Kaiserliches
Konsulat Erzerum.)

Telegramm.

Erzerum, den 9. Februar 1916.

An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Wali hat mir durch Polizeipräsidenten sagen lassen, daß auf Befehl des Armeekommandanten Kiamil Pascha, respektive der Militärbehörde, alle armenischen Frauen und Mädchen, die unter unserem Schutze stehen, ausgewiesen werden. Männer stehen keine unter unserem Schutze.

Euere Exzellenz bitte ich gehorsamst, dringende Schritte zu unternehmen, damit unsere Schützlinge hier verbleiben können.

Selbst von den ausgewanderten reichen und wohlhabenden Familien sind unterwegs viele durch die Kälte zugrunde gegangen.

Ich bitte um Drahtweisung, wie ich mich zu den hiesigen Behörden verhalten soll. Müssen die Armenier auswandern, so ist es sicher, daß alle umkommen werden.

Werth.

238.

Kaiserlich
Deutsche Botschaft.

Pera, den 11. Februar 1916.

Euerer Exzellenz beehre ich mich Abschrift einer mir vom Abgeordneten Erzberger übergebenen Aufzeichnung vorzulegen über die Unterredungen, welche er mit Enver Pascha und Talaat Bey bezüglich der Armenierfrage und der christlichen Interessen in der Türkei gehabt hat. Ähnliche Zusagen haben die türkischen Minister auch mir bekanntlich wiederholt gegeben, ohne daß ich bisher eine Einlösung derselben wahrnehmen konnte. Ob der Schritt des Herrn Erzberger nachhaltiger wirken wird, erscheint mir vorerst recht zweifelhaft.

Metternich.

Seiner Exzellenz dem Reichskanzler
Herrn von Bethmann Hollweg.

Anlage.

Unterredung des Abgeordneten Erzberger am 10. Februar 1916 betreffend
Armenierfrage und Christenfrage im Orient.

1. Mit Enver Pascha, der zusagte, daß keine weiteren Maßnahmen gegen die Armenier erfolgen werden. Die vertriebenen Armenier werden in geschlossenen Ortschaften angesiedelt. Religionsfreiheit werde garantiert.

[S. 237]

2. Mit Talaat Bey, Minister des Innern, der als Kriegsziel die volle Unabhängigkeit der Türkei bezeichnete, Deutschland möge sich über alle Fragen mit der Türkei verständigen, auch über den Ersatz der Kapitulationen. Dann lasse sich alles regeln. Die Öffnung der armenischen Kirchen werde erfolgen. Die Ansiedelung der vertriebenen Armenier in geschlossenen Dörfern geschehe in der Weise, daß ihnen mindestens dieselbe Fläche an anbaufähigem Land zugewiesen werde, die sie vorher besessen haben.

Erzberger.

An die Kaiserlich
Deutsche Botschaft.

239.

Basel, den 12. Februar 1916.

An den Kaiserlich Deutschen Gesandten Exzellenz Freiherrn von Romberg, Bern.

Exzellenz!

Nachdem Sie die Freundlichkeit gehabt haben, unsere Vertreter, die Herren Leopold Favre und Dr. Wilhelm Vischer zu empfangen, beehren wir uns, Ihrem Wunsche gemäß im Anschluß an die Unterredung vom 26. Januar d. J. und in Bestätigung derselben, Ihnen folgendes mitzuteilen.

Das Vorgehen der türkischen Regierung gegen die Armenier, welches die Vernichtung dieses christlichen Volkes zum Ziele hat, hat in weiten Kreisen unseres Landes eine tiefe Bewegung erregt und den dringenden Wunsch wachgerufen, etwas für die von den schweren Verfolgungen Betroffenen zu tun.

Auf Veranlassung von Vereinigungen und Persönlichkeiten in der Schweiz, welche schon seit Jahren für Hilfszwecke unter den Armeniern tätig sind und welche über die Vorgänge des letzten Jahres genügend informiert sind, ist ein schweizerisches Hilfswerk 1915 für Armenier organisiert worden zum Zwecke, den Überlebenden dieses Volkes die Hilfe zu leisten, die noch möglich ist.

Es kommt für uns, da uns Mittel nicht zu Gebote stehen, direkt auf die türkische Regierung einzuwirken, um eine Milderung der gegen die Armenier getroffenen Maßregeln zu erreichen, vornehmlich in Betracht, einen Weg zu finden, wie den noch vorhandenen Resten des armenischen Volkes, die sich in der größten Not befinden, materielle Hilfe gebracht werden kann.

Die aus ihren Wohnsitzen nach verschiedenen Gegenden in Mesopotamien verbrachten, aus Greisen, Frauen und Kindern bestehenden Deportiertenzüge sind den größten Qualen von Hunger und Krankheit ausgesetzt; wenn[S. 238] es nicht möglich ist, ihnen zu Hilfe zu kommen. Wir möchten gerne zur Linderung des Loses dieser Unglücklichen nach unseren Kräften beitragen und gestatten uns daher die Anfrage, ob wir dabei auf die Unterstützung der Kaiserlich Deutschen Regierung rechnen dürften. Es würde sich z. B. darum handeln können, daß durch Persönlichkeiten, welche wir aussenden könnten oder durch zuverlässige Vertrauensleute, die sich in der asiatischen Türkei befinden, Geld oder Lebensmittel ausgeteilt oder sonst für die Linderung der Not Vorkehrungen getroffen würden. Wir wären sehr dankbar, wenn eine solche Aktion ermöglicht und durch die Organe der deutschen Regierung unterstützt werden könnte. Wir gestatten uns, in dieser Angelegenheit uns an die Vertretung des Deutschen Reiches zu wenden, da ohne die Unterstützung der Deutschen Regierung uns Schritte in der von uns angedeuteten Richtung aussichtslos scheinen und in der Überzeugung, daß ein Eintreten für die Rettung der Reste des armenischen Volkes, das lediglich von allgemein menschlichem Mitgefühl veranlaßt ist, nur im Interesse sowohl der Türkei selbst als namentlich der mit ihr verbündeten Mächte liegen kann.

Wir werden für eine wohlwollende Prüfung unseres Anliegens sehr dankbar sein und stehen gerne zu jeder etwa noch gewünschten weiteren Auskunft in der Sache zur Verfügung.

Genehmigen Euer Exzellenz den Ausdruck unserer ausgezeichnetsten Hochachtung.

Der geschäftsführende Ausschuß des Schweizerischen Hilfswerkes 1915 für Armenien.

Der Präsident: Dr. Vischer.
Der Sekretär: Dr. A. Oeri.

240.

Kaiserlich
Deutsche Botschaft.

Pera, den 14. Februar 1916.

Die zwischen den syrischen Christen bei Mardin und Midiat, und den türkischen Behörden entstandenen Schwierigkeiten[121] sind inzwischen behoben. Hierbei hat der Einfluß mitgewirkt, welchen Generalfeldmarschall Freiherr von der Goltz auf militärischem Gebiet auszuüben in der Lage gewesen ist.

Metternich.

Seiner Exzellenz dem Reichskanzler
Herrn von Bethmann Hollweg.

[S. 239]

241.

(Kaiserliches
Konsulat Aleppo.)

Telegramm.

Aleppo, den 23. Februar 1916.

An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Wie ich vertraulich erfahre, sollen die armenischen Waisen aus Aleppo nach Konstantinopel gebracht werden, woselbst Platz für 500 sei. Hier sind 1000, darunter 400 der Schwester Rohner unterstehende, die mit fort sollen.

Schwester Rohner hält für wahrscheinlich, daß die Regierung unterwegs Reiseziel ändern wolle.

Rößler.

Kaiserlich
Deutsche Botschaft.

Pera, den 28. Februar 1916.

Abschriftlich

Seiner Exzellenz dem Reichskanzler Herrn von Bethmann Hollweg gehorsamst vorgelegt.

Metternich.

242.

(Auswärtiges Amt.)

Telegramm.

Berlin, den 23. Februar 1916.

An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Nach einem Telegramm des Kaiserlichen Botschafters in Washington haben die Vereinigten Staaten ihren Geschäftsträger in Konstantinopel mit Demarche zugunsten der Armenier beauftragt. Euere Exzellenz wollen der Pforte zu entgegenkommender Antwort raten.

Zimmermann.

243.

Kaiserlich
Deutsche Botschaft.

Pera, den 27. Februar 1916.

Ich habe mit Talaat und Halil Bey im Sinne des Telegramms vom 23. d. M. gesprochen und entgegenkommende Antwort angeraten, die mir auch zugesagt worden ist.

Metternich.

Seiner Exzellenz dem Reichskanzler
Herrn von Bethmann Hollweg.

[S. 240]

244.

Auswärtiges Amt.

Berlin, den 26. Februar 1916.

Euer Hochwohlgeboren bitte ich, dem geschäftsführenden Ausschuß des Schweizerischen Hilfswerks 1915 für Armenien auf seine Eingabe mitzuteilen, daß sein Wunsch, zur Linderung der Not unter den ausgesiedelten Armeniern beizutragen, sich mit den Bemühungen der Kaiserlichen Regierung begegnet und von dieser gern unterstützt werden wird, soweit dies unter Wahrung der gebotenen Rücksicht auf die verbündete Türkei und auf inoffiziellem Wege möglich ist. Die Kaiserliche Regierung nimmt davon Kenntnis, daß das Eintreten des Schweizerischen Hilfswerks für die Armenier lediglich vom allgemeinen menschlichen Mitgefühl veranlaßt ist und setzt infolgedessen voraus, daß jeder Anschein einer politischen Propaganda für die Armenier oder gegen die Türkei von den Veranstaltern der Aktion sorgsam vermieden werden wird. Um beurteilen zu können, in welcher Form etwa deutscherseits den Bestrebungen des Hilfswerks Unterstützung gewährt werden kann, wären uns, wenn tunlich, eingehendere Angaben darüber erwünscht, wie die technische Durchführung der Aktion gedacht ist. Wir würden dann zunächst die Ansichten der Kaiserlichen Botschaft in Konstantinopel und derjenigen Kaiserlichen Konsulatsbehörden einholen, die sich bisher mit der Fürsorge für die Armenier befaßt haben. Insbesondere dürfte das Kaiserliche Konsulat in Aleppo, das sich für gewisse Gebiete zum Mittelpunkt derartiger Hilfsunternehmungen entwickelt hat, in der Lage sein, zweckmäßige Ratschläge zu erteilen. Nach unseren bisherigen Erfahrungen wird es kaum empfehlenswert sein, von der Schweiz aus besondere Abordnungen zu entsenden, da diese bei Reisen in der Türkei, sofern ihnen die Erlaubnis hierzu angesichts der gegenwärtigen militärpolitischen Lage überhaupt erteilt wird, voraussichtlich großen technischen Schwierigkeiten begegnen würden. Den Vorzug dürfte der von dem Schweizerischen Hilfswerk ins Auge gefaßte zweite Weg verdienen, nämlich zuverlässige Vertrauensleute, die sich bereits an Ort und Stelle befinden, mit Geld, Kleidungsstücken und Lebensmitteln zwecks Verteilung an die Notleidenden zu versehen. Soweit geeignete Mittelsleute noch nicht bekannt sind, würden solche auf Wunsch zum Teil möglicherweise auch mit Hilfe der Kaiserlichen Konsulate ausfindig gemacht werden können.

Zimmermann.

Seiner Hochwohlgeboren dem Kaiserlichen Gesandten
Herrn Freiherrn von Romberg, Bern.

Berlin, den 26. Februar 1916.

Abschriftlich

Seiner Exzellenz dem Kaiserlichen Botschafter Herrn Grafen Wolff-Metternich, Konstantinopel, zur gefälligen Kenntnisnahme ergebenst übersandt.

Zimmermann.

[S. 241]

März.

245.

Kaiserlich
Deutsche Botschaft.

Pera, den 2. März 1916.

Die Pforte hat unter dem 1. d. M. an die hiesigen fremden Vertretungen eine Druckschrift[122] verteilt, welche eine Darstellung der armenischen revolutionären Bewegung und der seitens der türkischen Regierung dagegen ergriffenen Maßregeln enthält.

Metternich.

Seiner Exzellenz dem Reichskanzler
Herrn von Bethmann Hollweg.

Notiz.

Auf Seite 11 der Druckschrift wird erklärt:

Les assertions d’après lesquelles ces mesures auraient été suggérées à la Sublime Porte par certaines Puissances étrangères sont absolument dénuées de fondement. Le Gouvernement Impérial, fermement résolu à maintenir son absolue indépendance, ne pouvait naturellement admettre aucune immixtion, sous quelque forme que ce soit, dans ses affaires intérieures fut-ce même de la part des amis et alliés.

246.

Berlin, den 3. März 1916.

Seiner Hochwohlgeboren Herrn Baron von Rosenberg, Auswärtiges Amt

Sehr geehrter Herr Baron!

In der Anlage überreiche ich Ihnen den Entwurf zu der Denkschrift wie ich sie mir gedacht habe, um sie Enver Pascha und Talaat zu überreichen, dem letzteren in französischer Übersetzung.

M. Erzberger, Mitglied des Reichstags.

[S. 242]

Anlage.

Denkschrift
über die Maßnahmen zugunsten der Christen in der Türkei.

— — — — — — — — — — — —

Die Lage der katholischen Armenier.

1. Die katholischen Armenier, deren Zahl von einigen auf annähernd 100000, von anderen höher geschätzt wird, sind scharf zu unterscheiden von den sogenannten gregorianischen oder orthodoxen, wie von den protestantischen Armeniern. Sie stehen unter einem eigenen Patriarchen, sind von der türkischen Regierung als Millet anerkannt und haben in nationaler Hinsicht nie Anlaß zur Beschwerde gegeben.

2. Trotz der loyalen Gesinnung der katholischen Armenier und trotz der Zusicherungen, die man ihnen gab, widerfuhr ihnen dasselbe Schicksal wie ihren Volksgenossen. Die Verluste an Menschenleben und Gütern sind bei ihnen relativ ebenso groß wie bei den anderen, nur der Unterschied wurde gewöhnlich gemacht, daß bei ihnen Exekution und Deportation um einige Tage oder Wochen aufgeschoben wurden.

3. Man hatte nach den Versprechungen, die die türkische Regierung dem apostolischen Delegaten gegenüber abgab, gehofft, daß der Rest der katholischen Armenier zurückkehren dürfe. Tatsächlich ist keiner von ihnen zurückgekehrt. Im Gegenteil. Nach zuverlässigen Nachrichten, die in diesen Tagen eingingen, geht man jetzt auch gegen die zurückgebliebenen Armenier in Marasch, Aintab und Aleppo vor.

Die Interessen der türkischen Regierung erfordern es, daß noch während des Krieges eine Reihe von Maßnahmen durchgeführt werden. Als solche Maßregeln zur sofortigen Durchführung werden vorgeschlagen:

1. Möglichkeit der direkten Annäherung an die Deportierten, und zwar nicht durch Privatpersonen, sondern durch eine Mission des Malteser-Ritterordens, die in Deutschland ausgerüstet wird und kostenlos arbeitet. Brot und andere nötige Subsistenzmittel werden durch diese Mission verteilt, aber von der deutschen oder türkischen Regierung geliefert.

2. Allmählicher Rücktransport der Deportierten und Neuansiedlung derselben. Die Ansiedlung darf sich indes nur auf Kleinasien und nicht auf Syrien und Arabien erstrecken. Die Ansiedlung erfolgt in geschlossenen Ortschaften. Die Regierung stellt den heimkehrenden Armeniern soviel und so gutes Land zur Verfügung, als sie vorher besessen haben. Für den Verlust der Wohnungen und Inventars sollen sie dadurch entschädigt werden, daß ihnen Brennmaterial, Ackergeräte und Saatfrüchte gratis zur Verfügung gestellt werden. Der Rücktransport und die Ansiedlung erfolgen durch die Delegation des Malteser-Ritterordens.

3. Befriedigung der religiösen Bedürfnisse der Armenier. Es sind z. B. in Angora immer noch 2000 katholische Armenier ohne Bischof und Priester,[S. 243] obwohl schon vielfach Schritte unternommen wurden, ihnen einen Priester zu schicken. Die geschlossenen Kirchen müssen wieder geöffnet werden, das Kirchengut zurückgegeben und den Armeniern, die aus Angst zum Islam übergetreten sind, die Rückkehr zu ihrer Kirche nicht zur Unmöglichkeit gemacht werden.

4. Die städtischen Armenier dürfen in ihre Städte, soweit sie nicht Kriegsgebiet sind, zurückkehren.

5. Das Liquidationsgesetz wird suspendiert oder findet wenigstens auf diejenigen Armenier keine Anwendung, die zurückkehren.

6. Da die katholischen Armenier sich anerkanntermaßen von revolutionären Umtrieben fernhielten, sollen sie beim Rücktransport zuerst berücksichtigt werden.

7. Die türkische Regierung wird gebeten, den Patriarchen der katholischen Armenier, Msgr. Terzian, nach kirchlich-katholischen Prinzipien anzuerkennen.

Durch die Ausführung dieser Maßnahmen würde erreicht werden, daß die auch unter den Christen der Mittelmächte vorhandene Erregung nachlassen würde. Gerade der Malteserorden eignet sich sehr für die Durchführung dieser Maßnahmen. Die hierfür notwendigen Gelder müßten von der deutschen Regierung zu Lasten der türkischen zur Verfügung gestellt werden.

Diese Vorschläge sind von dem Bestreben diktiert, die Hindernisse, die der Erreichung der türkischen Kriegsziele im Wege liegen, zu beseitigen. Wir glauben auch allen berechtigten Ansprüchen der türkischen Regierung weitgehendst Rechnung zu tragen. Diese Vorschläge geben auf der anderen Seite den ausländischen und einheimischen Katholiken in der Türkei die Garantie für völlige Glaubensfreiheit.

247.

(Auswärtiges Amt.)

Telegramm.

Berlin, den 5. März 1916.

Auswärtiges Amt an Botschaft Pera.

Auf Bericht vom 28. Februar.

Bitte eventuell nach Rückfrage in Aleppo für Waisenkinder intervenieren.[123]

Zimmermann.

[S. 244]

248.

(Kaiserlich
Deutsche Botschaft.)

Telegramm.

Pera, den 10. März 1916.

Der Kaiserliche Botschafter an Auswärtiges Amt.

Wie Konsulat Aleppo meldet, ist Abreise der Waisen vorläufig verschoben worden.[124]

Metternich.

249.

Basel, den 6. März 1916.

An Seine Exzellenz Freiherrn von Romberg, Kaiserlich Deutschen Gesandten in Bern.

Euere Exzellenz hatten die Güte, am 4. März eine Delegation des Schweizerischen Hilfswerks 1915 für Armenien, bestehend aus Herrn Dr. Andreas Vischer und dem Unterzeichneten zu empfangen und ihr mitzuteilen, daß unsere Bitte um Unterstützung des Bestrebens, den notleidenden Armeniern unter Ausschluß aller politischen Nebenzwecke Hilfe zu leisten, an den zuständigen deutschen Amtsstellen wohlwollend aufgenommen worden ist. Wir bitten Euere Exzellenz nochmals, den Ausdruck unseres wärmsten Dankes dafür entgegen zu nehmen und auch weiterleiten zu wollen. Die Wünsche, die wir auf Grund der Unterredung glauben formulieren zu dürfen, sind folgende:

Da es sich auf Grund Euerer Exzellenz Mitteilungen nicht wird darum handeln können, eine schweizerische Hilfsexpedition in die Türkei zu schicken, so möchten wir die gütig angebotene Vermittelung gerne in Anspruch nehmen, um notleidenden Armeniern Hilfe zukommen zu lassen, vor allem aber auch, um mit den Persönlichkeiten, die Unterstützungen an Ort und Stelle austeilen, in Verbindung zu treten. Wir denken, daß außer dem Kaiserlich Deutschen Konsul Herrn Rößler in Aleppo, vor allem der Reichsdeutsche Herr F. Eckart, Mitglied der deutschen Orientmission in Urfa, und die Schweizer, Herr Jakob Künzler, ebenfalls Mitglied der deutschen Orientmission in Urfa, und der Kaufmann Herr E. Zollinger in Aleppo bereit wären, sich an dem schweizerischen Hilfswerk für die Armenier zu beteiligen. Wie weit diese Herren persönlich für das Werk werden arbeiten können, oder wen sie sonst vorzuschlagen haben, wird sich aus der Korrespondenz er[S. 245]geben. Ebenso wird es sich zeigen, ob die Verhältnisse so sind, daß es sich hauptsächlich um Rettung Deportierter vor dem Hungertode handelt, oder ob unsere Mittel für Bedürfnisse anderer Art, Kleidung, ärztliche Hilfeleistung usw. Verwendung finden können.

Indem wir uns noch gestatten, nach Euerer Exzellenz Vorschlag einen Brief für Herrn Konsul Rößler und einen Fragebogen für andere Stellen, die sich unter Umständen mit Unterstützung von Armeniern beschäftigen könnten, beizulegen, danken wir zum voraus für alle weiteren freundlichen Bemühungen und zeichnen

mit vollkommener Hochachtung

Schweizerisches Hilfswerk 1915 für Armenier.
Dr. A. Oeri, Sekr.

250.

(Kaiserlich
Deutsche Botschaft.)

Telegramm.

Pera, den 7. März 1916.

Der Kaiserliche Botschafter an Auswärtiges Amt.

Am 5. d. M. drahtet Graf Schulenburg aus Erzindjan: Lage unverändert. Wahib Pascha heute fast ohne Aufenthalt hier durchgereist. Bitlis von Russen genommen. Armenische Banden haben dort Blutbad unter Bevölkerung angerichtet, das angeblich 2–3000 Opfer gekostet hat.[125]

Metternich.

251.

Kuratorium der Deutschen
Orientmission.

Potsdam, den 10. März 1916.

Exzellenz!

Die unterzeichneten Gesellschaften, die mit ihrer Arbeit unter den Christen des Orients ausschließlich humanitäre und kulturelle Zwecke verfolgen, wünschen eine Hilfsexpedition auszurüsten nach den Gebieten in Syrien und Mesopotamien, in welche die Frauen und Kinder des armenischen Volkes der Türkei deportiert worden sind.

Die Expedition soll aus Ärzten und Krankenschwestern und solchen Herren bestehen, die der Landesverhältnisse kundig sind. Der Zweck der[S. 246] Expedition ist, unter der Masse der deportierten Frauen und Kinder, die nach Hunderttausenden zählt und ohne Fürsorge, Hilfsmittel, Pflege und Obdach der langsamen Vernichtung durch Hunger und Krankheit preisgegeben ist, Lebensmittel und Unterstützungen zu verteilen, für sanitäre Maßnahmen zu sorgen und ärztliche Hilfe zu bringen.

Wir bitten Euere Exzellenz, die Genehmigung der türkischen Regierung für die Samariterarbeit dieser Expedition erwirken zu wollen.

Die türkische Regierung hat, soviel uns bekannt ist, derartige Hilfeleistungen von neutraler Seite abgelehnt. Um so mehr ist es die Pflicht der humanitären Kreise Deutschlands, die mit den einschlägigen Verhältnissen vertraut sind, durch die Vermittelung der Reichsregierung einen Notstand lindern zu helfen, für dessen Fortbestand Deutschland als Bundesgenosse der Türkei von der übrigen Welt moralisch verantwortlich gemacht wird.

Die türkische Regierung hat seit Kriegsbeginn ein solidarisches Interesse für die muhammedanischen Völker auch in den nichttürkischen Ländern geltend gemacht. Dieselbe Solidarität darf von der deutschen Christenheit in Anspruch genommen werden für ein humanitäres Werk unter den notleidenden Christen der Türkei. Der Untergang einer halben Million von Frauen und Kindern kann in keinem Falle als politisches Interesse der Türkei anerkannt werden. Dagegen erscheint es uns als ein wesentliches politisches Interesse Deutschlands, sich vor der Welt von dem Vorwurf der moralischen Mitverantwortlichkeit für den Untergang eines christlichen Volkes zu entlasten.

Zur Rechtfertigung unserer Bitte dürfen wir uns auf die Antwort berufen, die Euer Exzellenz am 12. November v. J. auf die Eingaben von evangelischer und katholischer Seite erteilt haben, und auf die Zusicherung von amtlicher Stelle bei Gelegenheit der Veröffentlichung dieser Antwort, daß sich die deutschen Christen darauf verlassen dürfen, daß ihre humanitären Bestrebungen zur Linderung bestehender Not seitens der deutschen Regierung nachdrückliche Unterstützung finden werden.

Das Kuratorium der Deutschen Orientmission.

Dr. Johannes Lepsius.
Prof. Adolf Deißmann.
Dr. Paul Rohrbach.
Roedenbeck, Superintendent.

Das Notwendige Liebeswerk.

Prof. D. Martin Rade,
Marburg.
Prof. D. Dr. H. Guthe,
Leipzig.

Die Deutsch-Armenische Gesellschaft.

Pfarrer Stier, Marburg.

Seiner Exzellenz dem Herrn Reichskanzler
Dr. von Bethmann Hollweg, Berlin.

[S. 247]

252.

Auswärtiges Amt.

Berlin, den 14. März 1916.

Abschriftlich nebst Anlage

Seiner Exzellenz dem Kaiserlichen Botschafter, Herrn Grafen Wolff-Metternich, Pera.

Zur gefälligen vertraulichen Kenntnisnahme ergebenst übersandt.

Die Note bezieht sich auf die mit Telegramm vom 23. Februar angekündigte Demarche.[126]

Zimmermann.

Embassy of the United States of America. Berlin, Germany.

Note Verbale.

Acting under instructions from its Government, the American Embassy has the honor to transmit herewith to the Imperial Foreign Office, for its information, a copy of a Note dated February 16, 1916, which the Secretary of State has delivered to the Imperial German Ambassador at Washington, relative to an instruction which the former had cabled to the American Chargé d’Affaires at Constantinople, instructing him to again urgently appeal to the sense of humanity and justice of the Turkish Government and to urge it to take immediate steps towards the amelioration of the conditions at present existing among the Armenians and towards the redress of the injuries already inflicted upon them.

Berlin, March 11th, 1916.

To the Imperial Foreign Office,
Enclosure: Copy of a Note dated Feb. 16, 1916 from Washington.

Anlage.

Department of State, Washington, February 16, 1916.

Excellency:

Referring to your unofficial note of October 8, 1915, enclosing a copy of a memorandum handed to the Imperial Ottoman Government by the acting Imperial Ambassador at Constantinople on August 9, 1915, protesting against the expulsion of the Armenians, I have the honor to inform you that[S. 248] the United States Government has received and is still receiving information giving detailed accounts of the continued sufferings which have accompanied and resulted from the systematic expulsion of the Armenians from their homes and from the other mistreatment which they have suffered. The information has come largely from private but reliable sources and from individuals of many different nationalities and indicates that the promise, which you state in your note of October 8th the Ottoman Government had made to the acting Imperial German Ambassador at Constantinople, to the effect that it would take the measures necessary to prevent the repetition of excesses against the Armenians, has not been fulfilled. Being greatly in doubt as to whether I am longer justified in keeping from the American people the terrible facts in my possession, I have instructed the American Chargé d’Affaires at Constantinople again earnestly to appeal to the sense of justice and to the humanity of the Ottoman Government, and to urge it to take prompt action to redress the injuries, which have been inflicted upon the Armenians and to adopt measures to ameliorate the condition of the surviving Armenians in the future. My decision as to what if any statement, on the subject of the treatment of the Armenians by the Turks, should be made to the American people, will depend very largely upon the action which the Ottoman Government takes upon the new appeal made in behalf of the Armenians by the American Chargé d’Affaires.

As your note of October 8, 1915, to the Department and the note of the acting Imperial German Ambassador at Constantinople, both indicate that the German Government shares with the Government of the United States its indignation at the conduct pursued by the Ottoman Government against the Armenians and its desire to secure an amelioration of the existing conditions, I have thought it proper to communicate to you at this time the substance of the instruction which has been cabled to the American Chargé d’Affaires at Constantinople, in the hope that the German Government may see fit to exercise once more its influence with the Ottoman Government in the effort now being made to put an end to the Armenian tragedy.

Accept, Excellency, the renewed assurances of my highest consideration.

Robert Lansing.

His Excellency Count J. H. von Bernstorff, Imperial German Ambassador.

253.

Kaiserlich
Deutsche Botschaft.

Pera, den 21. März 1916.

Infolge der letzthin in Aleppo, Marasch, Brussa, Adrianopel, Angora, Konia und anderen Orten wieder einsetzenden Armenierverfolgungen waren von verschiedenen Seiten, u. a. vom Pater Dr. Straubinger und Pater Liebl,[S. 249] Gesuche um Intervention bei der türkischen Regierung an mich gerichtet worden. Ich hatte daraufhin umgehend Schritte bei Halil Bey in dieser Angelegenheit unternommen und ihn insbesondere darauf aufmerksam gemacht, daß eine etwaige Austreibung der fast allein noch übrigen christlichen Frauen und Kinder bei der überdies erregten Stimmung in Deutschland den allerschlechtesten Eindruck machen würde. Halil Bey hatte mir versprochen, sofort beim Minister des Innern darauf hinzuwirken, daß etwaige geplante Schritte gegen die genannte armenische Bevölkerung eingestellt werden würden.

Bei meinem gestrigen Besuche auf der Hohen Pforte sagte mir nun der Minister des Auswärtigen, nach Rücksprache mit Talaat, die Regierung habe kürzlich auf Berichte der türkischen Lokalbehörden hin angeordnet, einige unruhige Elemente zu entfernen. Die Lokalbehörden aber hätten in übertriebenem Eifer den Befehl mißgedeutet und Anstalten getroffen, größere Abteilungen Armenier abzuschieben. Es sei nunmehr angeordnet worden, daß in Konia, Angora, Aleppo, Aintab und Marasch überhaupt keine Armenier mehr abgeschoben werden dürften.

Ich erwiderte dem Minister, daß ich mich über diese Mitteilung freue, da in Deutschland auf Grund von dorthin gelangten Nachrichten in weiten Kreisen die Beunruhigung über das Los der Armenier wieder stark zugenommen habe.

Metternich.

Seiner Exzellenz dem Reichskanzler.

254.

(Kaiserlich
Deutsches Konsulat.)

Telegramm.

Abgang aus Aleppo, den 23. März 1916.
Ankunft in Pera, den 25. März 1916.

An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Armeniern ist von einigen Polizisten erklärt worden, einzige Rettung vor Verschickung sei Übertritt zum Islam. Auf ähnlichen Druck hin haben schon Ende Februar Anzahl Armenier in Arbeiterbataillonen Glauben gewechselt. Gestern sind 30 Familien um Übertritt eingekommen.

Rößler.

[S. 250]

255.

Kaiserlich
Deutsche Botschaft.

Pera, den 27. März 1916.

Der zu telegraphischem Bericht aufgeforderte Kaiserliche Konsul zu Aleppo bezeichnet die von schweizerischer Seite angebotene Hilfe für die notleidenden Armenier sowie die Informationsreise des Dr. Vischer, den er für besonders geeignet zu diesem Zwecke hält, als sehr erwünscht. Allerdings glaubt er nicht, daß die Beteiligung des Schweizerischen Vereins in einer festen Form wird erfolgen können, vielmehr würde es sich um einen Versuch handeln, unter der Hand zu helfen.

Metternich.

Seiner Exzellenz dem Reichskanzler
Herrn von Bethmann Hollweg.

256.

Kaiserlich
Deutsche Botschaft.

Pera, den 29. März 1916.

Im Anschluß an Bericht vom 27. März.

Auf Bitten des hiesigen American Bible House hatte ich den Kaiserlichen Konsul in Damaskus aufgefordert, sich über die Aussichten einer von dieser Anstalt geplanten größeren Hilfsunternehmung für die notleidenden Armenier in Damaskus zu äußern. Der Gedanke war, in Damaskus oder eventuell in Beirut eine Zentralstelle mit Depots einzurichten; die erforderlichen Geldmittel und das Hilfspersonal sollten von amerikanischer Seite zur Verfügung gestellt werden, dagegen wurde dringend gewünscht, eine deutsche Persönlichkeit mit der Leitung zu betrauen, und man hatte hierfür bereits den Pastor Kunze ins Auge gefaßt.

Herr Loytved meldet daraufhin folgendes:

„Vor etwa 3 Wochen hatte ich die Absicht, unter Leitung des in Damaskus wohnhaften deutschen Missionars Hanauer für die in Damaskus und Umgebung befindlichen Armenier ein Waisenhaus, eine Garküche und ein Bad einzurichten. Als ich Djemal Pascha hiervon in Kenntnis setze, sagte er mir vertraulich, daß er persönlich das Los der Armenier nach Möglichkeit erleichtern möchte, aber strenge Anweisung von Konstantinopel habe, jede deutsche und amerikanische Beteiligung an einer Hilfsunternehmung für Armenier zu verhindern, da der innere Widerstand der Armenier gegen die türkische Regierung nur gebrochen werden könne, wenn ihnen beigebracht würde, daß sie keinerlei Unterstützung von irgend einer fremden Regierung zu erwarten hätten. Auf meine Bitte, dann selbst etwas zu tun, gab er in meiner Gegenwart dem Bürgermeister von Damaskus Befehl, ein Haus zu[S. 251] mieten und darin Armenierwaisen aufzunehmen. Djemal Pascha erklärte sich bereit, Gelder für die Armenier durch mich entgegenzunehmen und durch türkische Beamte verteilen zu lassen, die auch mein Vertrauen genießen.“

Hierzu ist zu bemerken, daß die türkischen Behörden auch das armenische Patriarchat daran zu hindern suchen, den notleidenden Verbannten zu Hilfe zu kommen, so daß das Patriarchat genötigt ist, sich zu diesem Zwecke fremder Vermittelung zu bedienen. Es gewinnt somit den Anschein, als ob die Pforte jede Notstandshilfe, von welcher Seite sie auch kommen möge, ablehnt.

Metternich.

Seiner Exzellenz dem Reichskanzler
Herrn von Bethmann Hollweg.

[S. 252]

April.

257.

(Kaiserliches
Konsulat Aleppo.)

Telegramm.

Abgang aus Aleppo, den 6. April 1916.
Ankunft in Pera, den 7. April 1916.

An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

In Ras-ul-Ain ist dieser Tage das armenische Konzentrationslager von den dicht dabei wohnenden Tscherkessen und anderen ähnlichen Leuten überfallen worden, wobei von den unbewaffneten 14000 Insassen der größte Teil niedergemacht wurde. Einzelheiten werden mir erst später zugehen.

Nach anderer Quelle handelt es sich zunächst nur um 400 Familien, die abgetrennt und niedergemacht worden sind.[127]

Rößler.

258.

Deutsch-Armenische Gesellschaft.

Potsdam, den 17. April 1916.
Gr. Weinmeisterstraße 45

Von dem armenischen Zentralkomitee in der Schweiz erhielten wir gestern die telegraphische Mitteilung, daß die Führer der Daschnakzagan und die armenischen Intellektuellen, die am 25. April v. J. ins Innere transportiert wurden (nach Ajasch bei Angora, Tschangri, Tschorum, Aleppo usw.), nach Konstantinopel gebracht wurden, um vom Kriegsgericht verurteilt und gehängt zu werden. Es sollen im ganzen 190 sein. Unter ihnen Aknuni, Hajak, Malumian, Sartarian, Siamanto und alle im Vordergrund stehenden Männer der armenischen Intelligenz. Das Zentralkomitee der Daschnakzagan richtet durch uns im Namen der armenischen Nation die dringende Bitte[S. 253] an die Reichsregierung, daß die Ermordung ihrer Führer und Intellektuellen — nach der allgemeinen Deportation der schwerste Schlag, der die Nation treffen kann — durch den Kaiserlichen Botschafter in Konstantinopel verhindert werden möchte.

Wir nehmen darauf Bezug, daß auf Veranlassung des Auswärtigen Amtes im Juni v. J. die Kaiserliche Botschaft mit Erfolg für eben diese Verbannten eingetreten ist, so daß sie zum größten Teil bis jetzt mit dem Leben davongekommen sind.

Der Vorstand der Deutsch-Armenischen Gesellschaft kann nicht dringend genug anraten, daß alles geschehen möchte, um die Führer der türkischen Armenier am Leben zu erhalten. Die gegen sie gerichteten Beschuldigungen sind nachweislich unwahr und können nur durch gekaufte Zeugen und unter Tortur erzwungene Aussagen bewiesen werden. Der Zweck der vom Komitee für Einheit und Fortschritt geplanten Exekution ist, abgesehen von der Befriedigung des Rachegefühls für die russischen Erfolge in Hocharmenien, der, durch eine öffentliche Hinrichtung den Schein zu erwecken, als sei eine allgemeine Verschwörung entdeckt worden, und so die bisherige Ausrottungspolitik zu rechtfertigen und die Notwendigkeit etwaiger weiterer Maßnahmen zu begründen.

Das deutsche Interesse wird, nächst den Forderungen der Humanität, nach drei Seiten berührt.

1. Die Hinrichtung der Führer der türkischen Armenier wird die russischen Armenier zur äußersten Wut reizen und sie antreiben, ihre ganze nationale Kraft für die Ausdehnung der russischen Erfolge in Armenien und den Vormarsch gegen Mesopotamien und Bagdad einzusetzen. Die 1¾ Millionen Armenier im Kaukasus und in Südrußland, dazu ¼ Million aus der Türkei geflüchteter Armenier im Araxestal, fallen für den Erfolg der russischen Operationen ins Gewicht.

2. Von armenischer Seite ist bisher mit Rücksicht auf das Schicksal der türkischen Armenier, deren Führer sich als Geiseln in den Händen der türkischen Regierung befinden, von terroristischen Mitteln gegen die verantwortlichen Leiter der türkischen Politik Abstand genommen worden. Diese Rücksicht würde nach der Exekution fortfallen. Als Antwort auf die systematische Vernichtung der armenischen Nation könnte eine Ära der terroristischen Mittel einsetzen.

3. Die russischen Armenier waren vor dem Kriege der Einverleibung der von Rußland okkupierten armenischen Gebiete in Rußland abgeneigt und wünschten unter entsprechenden Sicherheiten für den Fortbestand ihrer Nation die Erhaltung der Souveränität des Sultans. Durch die Befreiung der armenischen Führer von der ihnen drohenden Exekution kann Deutschland die verlorenen Sympathien der türkischen Armenier zurückgewinnen und auch auf die russischen Armenier in der Richtung einwirken, daß[S. 254] sie bei der Neugestaltung der von den Russen okkupierten armenischen Gebiete das armenische Interesse vom russischen trennen.

4. Es sollte verhindert werden, daß sich die Sympathien von 3 Millionen Armeniern in Rußland, in der Türkei und im Auslande ausschließlich der Entente und Amerika zuwenden, und daß im armenischen Bewußtsein Deutschland für die verhängnisvolle innere Politik der Türkei verantwortlich gemacht wird.

Vorausgesetzt, daß der deutsche Botschafter in Konstantinopel in der Lage ist, die den armenischen Führern drohende Exekution zu verhindern, möchten wir bitten, daß in vertraulicher Weise der Vorstand der Deutsch-Armenischen Gesellschaft von dem Erfolg der Schritte des Botschafters in Kenntnis gesetzt wird, damit unsererseits das armenische Zentralkomitee in der Schweiz davon verständigt werden kann.

Der Vorstand der Deutsch-Armenischen Gesellschaft.
Dr. Johannes Lepsius.

An Seine Exzellenz Herrn Unterstaatssekretär
Zimmermann, Berlin, Auswärtiges Amt.

259.

Notiz.

Kaiserlich
Deutsche Botschaft.

Pera, den 17. April 1916.

Unterzeichneter hat am 13. d. M. dem stellvertretenden Unterstaatssekretär des Auswärtigen Ministeriums Folgendes vorgetragen:

Bitte des Deutschen Vereins für christliches Liebeswerk im Orient in Frankfurt a. M., den in Aleppo tätigen Schwestern des Vereins die Fürsorge für 200 armenische Waisen zu übertragen.

Ich hob hervor, daß Dr. Schuchardt, der Leiter des Vereins, über die Lage orientiert sei, die Behörden von Aleppo machten Anstalt, die Waisen weiter zu verschicken (nach Konia und Eskischéhir in Kleinasien).

Mordtmann.

260.

Kaiserlich
Deutsches Konsulat.

Aleppo, den 27. April 1916.

Über die Verschickung der Armenier, ihre Folgen und Begleiterscheinungen habe ich zuletzt unter dem 9. Februar d. J. berichtet. Das Sterben des Volkes hält seitdem an. Manche der nachfolgend berichteten Einzelzüge tun von neuem dar, daß es planvoll auf seine Aufreibung abgesehen ist.

[S. 255]

1. Um die Mitte Februar wurden alle Kinder aus Killis nach Bab überführt, nachdem schon früher die Frauen weiterverschickt waren.

2. Am 16. April sind die in Maarra und den umliegenden Dörfern „angesiedelten“ Armenier, die größtenteils durch Hunger und Entbehrungen schon stark entkräftet waren, in Richtung Der-es-Zor weiterverschickt worden.

3. Am 19. April wurde hier bekannt, daß Befehl ergangen war, die bis dahin in Marasch verschont gebliebenen 9000 Armenier, den Rest von ehemals 24000, gleichfalls zu verschicken. Diese Leute hatten bei den ersten Verbannungen, in Ausführung des Befehls, sich zur Wanderung bereit zu halten, ihr letztes Hab und Gut verkauft und sind seitdem durch Entbehrungen sehr entkräftet. Mit der Ausführung des Befehls ist begonnen worden. 120 Familien sind bis zum 25. April in Aintab angekommen, von wo sie über Biredjik nach Der-es-Zor weiter sollen. Am 26. oder 27. wird ein zweiter größerer Schub in Aintab erwartet.

4. Wie ich am 20. April von einem aus Der-es-Zor kommenden türkischen Offizier erfahren habe, hat der Mutessarrif von Der-es-Zor Befehl erhalten, nur so viel Armenier dort zu lassen, als 10 Prozent der ansässigen Bevölkerung entspricht, den Rest aber nach Mossul weiter zu schicken. Die ansässige Bevölkerung von Der-es-Zor mag vielleicht 20000 betragen. Die Zahl der dorthin verschickten Armenier wird auf wenigstens 15000 zu schätzen sein, so daß also mindestens 13000 fortzuschicken wären. Der Mutessarrif Suad Bey, ein menschenfreundlicher Mann, der jahrelang in Ägypten gelebt hat, ist einer der wenigen türkischen Beamten, welche die grausamen Befehle der Regierung in ihrer Ausführung zu mildern suchen; trotzdem war der Offizier der Ansicht, daß der größte Teil der Unglücklichen verschickt werden müsse und die wenigsten davon in Mossul ankommen würden. Was Beduinen, Yesiden und Kurden übrig lassen sollten, das wird Hunger, Entbehrung und Krankheit dahinraffen.

Nachrichten vom 19. April besagen, daß in jeder der Stationen zwischen Aleppo und Der-es-Zor, also in Meskene, Abu Hrere, Hamam, Sabkha, täglich 50–100 Menschen sterben, davon der größte Teil an Hunger.

5. Am 6. April war hier bekannt geworden, daß bei Ras ul Ain wieder Massakre vorgekommen seien[128]. Die eine Nachricht besagte, daß der größte Teil des aus 14000 Personen bestehenden Konzentrationslagers niedergemacht sei, während nach einer anderen Nachricht 400 Familien aus dem Lager geführt und unterwegs umgebracht worden seien. — Nach zuverlässigen Erkundigungen eines Deutschen, der mehrere Tage in Ras ul Ain und Umgegend gewesen ist und mich bei seiner Rückkehr von dort am 22. April besuchte, muß ich folgendes annehmen: Das Lager besteht noch aus höchstens[S. 256] 2000 Verbannten[129]. — Es sind einen Monat lang täglich oder fast täglich 300–500 Verbannte aus dem Lager geführt und in einer Entfernung von etwa 10 km von Ras ul Ain niedergemacht worden. Die Leichen wurden in den Fluß geworfen, der auf der großen Kiepertschen Karte von Klein-Asien, Blatt Nsebin (D VI), als Djirdjib el Hamar eingezeichnet ist und der um diese Jahreszeit viel Wasser führte. Ein türkischer Offizier, welcher wegen dieser Vorgänge den Kaimakam von Ras ul Ain zur Rede stellte, habe die ruhige Antwort erhalten, er handle auf Befehl. Durch jene Gegend führt die Etappenstraße der VI. Armee von Ras ul Ain nach Mossul. Da sich dort der Bau von zwei Brücken als notwendig herausgestellt hatte, die VI. Armee aber nicht die nötigen Kräfte dafür bereit hatte, so wurde von der IV. Armee etwa am 15. April ein syrisch-muhammedanisches Pionierbataillon dafür abgegeben. Diese Leute, welche in zwei Tagen von Damaskus nach Ras ul Ain befördert worden sind, von der Lage der verschickten Armenier nichts wußten und unterwegs, wie anzunehmen, nicht beeinflußt worden sind, waren bei Ankunft an Ort und Stelle ganz entsetzt. Sie waren der Ansicht, daß die Armenier durch Soldaten niedergemetzelt seien. Darin kehrt also die Auffassung wieder, daß das Werk auf Befehl vollbracht worden sei. Jedenfalls war dies die in der Gegend allgemein verbreitete Ansicht. Als Henker hat der bei Ras ul Ain ansässige Tscherkessenstamm der Tschetschen gedient.

6. Ende Februar, Anfang März wurde den Armeniern im Arbeiterbataillon Aleppo, teilweise mit Erfolg nahegelegt, zum Islam überzutreten. Im Laufe des Monats März wurden polizeiliche Listen der Armenier Aleppos als Vorbereitung für die Verschickung angefertigt und durch Polizisten die Nachricht verbreitet, die einzige Rettung vor der Verschickung sei der Übertritt zum Islam. Als darauf eine Reihe von Familien um den Übertritt einkam, wurden sie so behandelt, als ob die Gewährung der Bitte eine besondere Gnade sei. Man schreckte also eher wieder ab, sei es, daß man unliebsames Aufsehen fürchtete, sei es, daß die Aufforderung zum Übertritt auf andere als die verantwortlichen Stellen zurückzuführen war, sei es endlich, daß man sich nur daran weiden wollte, mit den Armeniern wie die Katze mit der Maus zu spielen.

7. In Aleppo ist im März und in der ersten Hälfte April nicht nur auf die von außerhalb gekommenen hier versteckten Armenier die schärfste Jagd gemacht, sondern auch mit der Verschickung der hierorts ansässigen Armenier der Anfang gemacht worden. Auch einzelne Frauen und Mädchen wurden auf der Straße aufgegriffen und dieser Zustand zu Willkürakten von Regierungsorganen benutzt. Es wäre vielleicht nicht zu verwundern[S. 257] gewesen, wenn die in ihrer Religion und der Ehre ihrer Frauen angegriffenen Armenier zu Akten der Verzweiflung getrieben worden wären.

Seit dem 18. April ist in Aleppo etwas Ruhe eingetreten und zwar, wie es scheint, auf Intervention der Kaiserlichen Botschaft, welche den Minister des Innern zu dem Befehl an die Ortsbehörden veranlaßt hat, die Ortsansässigen, sowie Katholiken und Protestanten nicht zu verschicken. Die Form, unter welcher der Wali die Pause hat eintreten lassen, war seine Zusage an die hiesige Geistlichkeit, während des Osterfestes Schonung zu gewähren. Man wagt noch nicht zu hoffen, daß die Schonzeit lange dauern oder gar die Gefahr vorüber sei. Auch sind trotz der Zusage unter der Hand immer noch einzelne verschickt worden.

Gleichen Bericht lasse ich der Kaiserlichen Botschaft zugehen.

Rößler.

Seiner Exzellenz dem Reichskanzler
Herrn Dr. von Bethmann Hollweg.

261.

Kaiserlich
Deutsche Botschaft.

Pera, den 28. April 1916.

Die von der Deutschen Orientmission geplante Hilfsexpedition[130] für die notleidenden Armenier in Syrien und Mesopotamien ist diesseits auf der Hohen Pforte zur Sprache gebracht worden. Ich habe dabei hervorheben lassen, daß der genannte Verein hierbei lediglich humanitäre Ziele im Auge habe, wie dies schon daraus sich ergebe, daß es sich in der Hauptsache um Fürsorge für Frauen und Kinder handle, ferner, daß der Verein unter seinen Mitgliedern zahlreiche Persönlichkeiten von Einfluß und Ansehen habe, sowie endlich, daß Herr Lepsius im vorigen Jahre persönlich hierhergekommen sei und sich u. a. durch Rücksprache mit Enver Pascha über die armenische Frage zu unterrichten Gelegenheit gehabt habe.

Die Antwort der Pforte lautete durchaus ablehnend, und zwar mit der Begründung, daß die türkische Regierung keinerlei fremde Hilfsaktion für die Armenier zulassen könnte, da hierdurch die Armenier in ihren Hoffnungen auf das Ausland bestärkt würden. Diese Begründung stimmt wörtlich überein mit der Antwort, die dem Konsul Loytved in Damaskus von Djemal Pascha erteilt wurde, als er den letzteren über die von amerikanischer Seite mit deutscher Beteiligung geplante Hilfsaktion sondierte.

Über eine eventuelle Verteilung der den Armeniern zugedachten Hilfsmittel durch Djemal Pascha hat sich Konsul Loytved auf telegraphische Anfrage dahin geäußert, daß er diesen Modus zunächst nur dort für zweck[S. 258]mäßig erachte, wo Konsulate die Unterorgane Djemal Paschas beaufsichtigen können. Aber auch hierfür müsse die Genehmigung der Zentralregierung eingeholt und dann dem Djemal Pascha Art und Weise der Verteilung von den Geldgebern genau mitgeteilt werden, im übrigen empfehle es sich, die Hilfsaktion wie bisher durch Vertrauenspersonen im geheimen fortzusetzen.

Metternich.

Seiner Exzellenz dem Reichskanzler
Herrn von Bethmann Hollweg.

262.

Kaiserlich
Deutsche Botschaft.

Pera, den 28. April 1916.

Im Anschluß an Bericht vom 27. März.

Euerer Exzellenz beehre ich mich die von den Konsulaten zu Aleppo und Adana eingegangenen Beantwortungen[131] des Fragebogens des Schweizerischen Hilfswerks 1915 für Armenien, ferner ein Schreiben des Konsuls Rößler an Dr. Vischer nebst Unterlage mit dem Anheimstellen zu überreichen, diese Schriftstücke dem genannten Verein übermitteln lassen zu wollen.

Metternich.

Seiner Exzellenz dem Reichskanzler
Herrn von Bethmann Hollweg.

Anlage 1.

Kaiserlich
Deutsches Konsulat.

Aleppo, den 12. April 1916.

Sehr geehrter Herr Dr. Vischer!

Ihren durch die Kaiserliche Gesandtschaft in Bern eingegangenen Brief vom 7. März habe ich zusammen mit dem weiteren Brief vom 18. März vorgestern erhalten und seine Anlagen an Schwester Beatrice Rohner gegeben, die auch die Beantwortung des Fragebogens übernommen hat. Haben Sie vielen Dank für alle Ihre Bemühungen sowie für die Übersendung zuerst von 10000 Frs., dann von 5000 Frs., welch letzterer Betrag mir dieser Tage ausgezahlt worden ist.

Das erschütternde Bild, das Schwester Beatrice Rohner von dem Unglück entworfen hat, wird Ihre Schweizer Freunde hoffentlich nicht entmutigen, ebensowenig wie der Umstand, daß eine feste Form der Notstandsarbeit nicht in Aussicht steht. Es gilt, wie sie gesagt hat, so viel als möglich vor dem Hungertode zu retten. Bei einer Organisation der Arbeit, wie Ein[S. 259]richtung von Suppenküchen, regelrechten Waisenhäusern, Krankenhäusern usw. würde mit demselben Geld voraussichtlich mehr zu erreichen sein. Die Spender müssen aber die Entsagung üben, die Verhältnisse zu nehmen, wie sie sind, und müssen die der Hilfe entgegenstehenden Schwierigkeiten in den Kauf nehmen. Auch die Amerikaner überlassen alles dem Ermessen der Schwestern Rohner und Schäfer.

Einen Teil des Schweizer Geldes habe ich der Schwester Paula Schäfer überlassen und füge zur Begründung eine Schilderung von ihr vom 1. März in der Anlage bei.

Rößler.

Herrn Dr. Andreas Vischer, Hochwohlgeboren,
Basel.

Anlage 2.

Maraschhospital, z. Z. Aleppo.

Aleppo, den 1. März 1916.

Das Krankenhaus Salem in Marasch hat schon seit Beginn der Armenierausweisungen und damit in Hospital und Klinik eine außerordentliche Tätigkeit gehabt — und mehr als fast möglich — geleistet an Verpflegung von Vertriebenen, wie Medikamentenausgabe an eben solche in der Klinik.

Bei den außergewöhnlichen Umständen mußte das Krankenhaus, da es der Not wegen das ganze Jahr hindurch offen bleiben mußte (da wir sonst doch für 1–2 Monate schließen), mit all seinen Nahrungsmitteln, wie Medikamenten und Verbandstoffen, ziemlich abwirtschaften, da das monatliche Fixum nicht erhöht werden konnte.

Darum bitte ich, mir einen Zuschuß für diese Notstandsarbeit des Marascher Hospitals freundlich zukommen zu lassen.

Die Not in Marasch wie Umgegend ist unbeschreiblich, besonders in der Basardjikebene, wo Verschickte aus Erzerum angesiedelt wurden, die aber Hungers sterben, wenn wir ihnen nicht auf irgend eine Weise helfen würden.

Es handelt sich darum, für diese Vertriebenen Weizen in großen Mengen anzukaufen.

Schwester Paula Schäfer.

263.

Fragen des Schweizerischen Hilfswerks 1915 für Armenien.

1. Welche Zahl von deportierten Armeniern befindet sich ungefähr in Ihrem Wirkungskreise?

2. Können Sie uns Mitteilung über ihren Zustand und ihre Bedürfnisse machen?

[S. 260]

3. Können Sie den Deportierten Unterstützungen zukommen lassen? In welcher Weise? Mit wessen Hilfe?

4. In welchem Umfang wären Mittel erforderlich?

5. Haben Sie zu diesem Hilfswerk Hilfskräfte nötig?

Anlage 1.

Aleppo, den 12. April 1916.

Beantwortung der Fragen des Schweizerischen Hilfswerks 1915 für Armenien.

1. Frage: Welche Zahl von deportierten Armeniern befindet sich ungefähr in Ihren Wirkungskreisen?

Antwort:

Unser Wirkungskreis ist ein doppelter: Schwester Paula Schäfer übernahm die Bahnstrecke Osmanie-Islahije und die Ebene südlich von Marasch, wo sich überall kleinere und größere Lager versprengter, zurückgebliebener Armenier befinden. In Marasch selbst ist unter den dort zurückgebliebenen ca. 7000 Armeniern furchtbare Not. Unter Türken und Armeniern gleich bekannt, kann Schwester Paula an diesen Orten ziemlich ungehindert ihre Arbeit tun.

Dem Einfluß des Herrn Oberst von Kreß ist es gelungen, Ende Dezember Djemal Pascha zu veranlassen, der Unterzeichneten ein Waisenhaus mit ca. 400 Waisen zu übergeben; dadurch war die Möglichkeit geschaffen, in aller Stille Notstandsarbeit zu betreiben. Dieselbe hatte schon im Sommer begonnen und war, von dem deutschen und amerikanischen Konsul unterstützt, durch die evangelischen und gregorianischen Geistlichen weitergeführt worden. Der sich dabei durch besondere Treue und Hingabe auszeichnende Prediger Eskidjian ist vor wenigen Wochen am Flecktyphus gestorben. Im ganzen sind hier 1250 Waisen gesammelt, davon sind 400 bei Prediger Haron Schiradjian, 250 in der gregorianischen Kirche und 600 (früher 400) bei der Unterzeichneten. Anfangs beschaffte die Regierung die nötigen Lebensmittel, doch ließ der Eifer bald nach, seit etwa 5 Wochen bekommen wir noch Brot, und auch das geht zu Ende. Die Lebensmittel sind mehr als vierfach im Preise gestiegen, wir müssen bei der denkbar einfachsten Beköstigung 4 Piaster (80 Cts.) pro Kind täglich rechnen, brauchen demnächst allein für die Waisen in Aleppo 50 Pfund türkisch pro Tag. Außer diesen Kindern halten sich in Aleppo noch ca. 4000 deportierte Armenier als Flüchtlinge versteckt. Sie fliehen vor der Polizei von einem Haus, einem Viertel ins andere und fristen ein jammervolles Dasein. Sie werden unter der Hand von den Vorstehern ihrer Kirchen unterstützt.

Südlich und südöstlich von hier sind noch jetzt ca. 250000 Armenier[S. 261] zerstreut, von denen die meisten, nicht direkt, aber unter der Hand, mit Liebesgaben zu erreichen sind. In der Gegend von Hama, Damaskus, Ostjordanland, am Euphrat, warten viele auf Hilfe.

2. Frage: Können Sie uns Mitteilungen über ihren Zustand und ihre Bedürfnisse machen?

Antwort:

Der Zustand der Deportierten spottet jeder Beschreibung. Von Hausrat, Betten, Kleidern, ist natürlich längst nicht mehr die Rede, alles ist verkauft und verzehrt. Auch früher Reichen fehlt es heute am täglichen Brot.

3. Frage: Könnten Sie den Deportierten Unterstützungen zukommen lassen? In welcher Weise? Mit wessen Hilfe?

Antwort:

Außer der Notstandsarbeit in Aleppo selbst, sind in Killis, Maarra, Hama, Ras-ul-Ain, Damaskus, Der-es-Zor, Kinder gesammelt worden, und es wurden an die erwähnten Ortschaften, wie auch nach Bab, Meskene, Sabkha, bis nach Ana hinunter größere Summen zur Linderung der Not geschickt. Dies konnte natürlich nur durch Vermittlung treuer eingeborener Christen geschehen und ist Gott sei Dank bis heute gelungen, ohne den Verdacht der Regierung auf uns zu lenken.

4. Frage: In welchem Umfange wären Mittel erforderlich?

Antwort:

Außer 4000 Pfund monatlich für Aleppo wären pro Person 2 Piaster Unterstützung gerechnet, täglich 100000[132] Frs. nötig. Es gilt so viele als möglich vom Hungertode zu retten und womöglich bis nach dem Krieg zu erhalten.

5. Frage: Haben Sie zu diesem Hilfswerk Hilfskräfte nötig?

Antwort:

Hilfskräfte müssen aus dem Volke selbst herangezogen werden. Eine europäische Organisation würde nur dazu dienen, der Sache ein jähes Ende zu bereiten.

Beatrice Rohner.

Anlage 2.

Deutsches Konsulat.

Adana, den 15. April 1916.

Beantwortung der Fragen des Schweizerischen Hilfswerks 1915 für Armenien.

1. Rund 1000 deportierte Armenier sind zurzeit auf der Baustrecke der Bagdadbahn als Handwerker und Arbeiter, einige von ihnen als Bau- und Transportunternehmer der Baugesellschaft beschäftigt.

[S. 262]

2. Die Leute werden von der Bagdadbahn-Baugesellschaft reichlich bezahlt und bedürfen daher keiner Unterstützung.

3.-5. Diese Fragen erledigen sich durch die Beantwortung der ersten beiden Fragen.

Bemerkung: Das deutsche Waisenhaus in Harunije hat sich zur Zeit, als große Scharen Deportierter namentlich in Osmanie lagen, dieser angenommen und die hierfür nötigen Mittel von amerikanischer Seite erhalten. Gegenwärtig ist diese Hilfstätigkeit in das Wilajet Aleppo verlegt worden.

Anlage 3.

Deutsches Konsulat.

Damaskus, den 17. April 1916.

Fragen des Schweizerischen Hilfswerks 1915 für Armenien.

1. Welche Zahl von deportierten Armeniern befindet sich ungefähr in Ihrem Wirkungskreise...?: Im Wilajet Damaskus gegen 2000 Familien zu je 5 Köpfen.

2. Können Sie uns Mitteilungen über ihren Zustand und ihre Bedürfnisse machen?: Höchstens 10 vom Hundert können sich durch eigene Geldmittel erhalten. Den übrigen fehlt alles zum Lebensunterhalt. Sie werden auch größtenteils bisher zu keiner Beschäftigung zugelassen.

3. Können Sie den Deportierten Unterstützungen zukommen lassen? In welcher Weise? Mit wessen Hilfe?: Die eingegangenen Unterstützungen habe ich bisher durch den armenischen Prediger V. B. Tahmissian den hilfsbedürftigen Armeniern zukommen lassen. Diesem stehen vier Vertrauensleute in der Stadt Damaskus und weitere Hilfskräfte im Wilajet Damaskus zur Verfügung.

4. In welchem Umfang wären Mittel erforderlich?: Für den Lebensunterhalt ist vorläufig wenigstens 1 Frs. täglich zu rechnen. 10000 Armenier im ganzen, davon 1000 Armenier nicht unterstützungsbedürftig, bleiben 9000 Armenier, die hilfsbedürftig sind. Täglich würden 9000 Frs. erforderlich sein.

5. Haben Sie zu diesem Hilfswerk Hilfskräfte nötig?: Weitere Hilfskräfte sollen nach Ansicht des Predigers Tahmissian nicht unbedingt erforderlich sein. Die Hilfskräfte arbeiten alle im geheimen, da die türkische Regierung eine offene Hilfsarbeit verbietet.

Anlage 4.

Deutsches Konsulat.

Mossul, den 4. Mai 1916.

Beantwortung.

Zu 1. Die Zahl der nach dem Wilajet Mossul deportierten Armenier wechselt dauernd infolge starker Mortalität, sowie infolge dauernden Weiterschubs und neuen Zuzugs. Zurzeit befinden sich im Wilajet Mossul ungefähr 4–5000 deportierte Armenier aus Erzerum, Bitlis, Ras ul Ain, Der-es-Zor,[S. 263] hauptsächlich Frauen und Kinder. Auf diesem Bestand dürfte auch künftig auf längere Zeit hinaus die Zahl der ins hiesige Wilajet deportierten Armenier bleiben.

Zu 2. Ein geringer Teil der Deportierten (nur Frauen und Kinder und etwa 200 Männer) hat, soweit die Stadt Mossul selbst in Frage kommt, Unterkunft in hiesigen christlichen und muhammedanischen Familien gefunden. Der Zustand dieser Wenigen, die von seiten der Regierung keinerlei Unterstützung erhalten, ist erträglich. Der Rest ist in Mossul, Kerkuk und Suleimanijeh in ihrem Bestande nach dauernd wechselnden Lagern untergebracht. Ihr Zustand ist mehr als elend. Offiziell soll die Regierung an die deportierten Armenier pro Kopf und pro Tag einen Piaster (20 Pf.) zahlen, wovon sich die Deportierten alsdann selber zu verpflegen haben. Die Zahlung dieser Unterstützungsgelder erfolgt jedoch sehr unregelmäßig, häufig überhaupt nicht, so daß eine große Anzahl der Deportierten aufs Betteln angewiesen ist. Es fehlt den Leuten hauptsächlich an Kleidung aller Art, an ärztlicher Behandlung und an Nahrungs- und Arzneimitteln. Voraussetzung für eine wirksame Hilfe ist, daß die Deportierten zunächst mal an zu bestimmenden Orten definitiv verbleiben dürfen und nicht wie es bisher geschehen ist und noch dauernd geschieht, je nach Gutdünken der sich mit jenen Angelegenheiten befassenden und sehr skrupellos vorgehenden türkischen „Spezialkommissionen“ ruhelos hin- und hergehetzt werden. Solange dies letzter Verfahren weiter angewandt wird, ist jede wirksame Hilfe ausgeschlossen. Die Zahlung von Unterstützungen in diesem Falle würde nur eine Verlängerung der Leiden der Deportierten bedeuten und ihr elendes Ende nur etwas weiter hinausschieben.

Zu 3. Unterstützungen an die im Wilajet Mossul befindlichen deportierten Armenier könnten durch Vermittlung des Konsulats geführt werden, und zwar direkt oder auch durch Inanspruchnahme der betreffenden türkischen Deportiertenkommissionen, im Einvernehmen mit der Regierung.

Zu 4. Bei Berechnung von 1 Ltq. pro Kopf, welcher Betrag zur Beschaffung von Kleidern und Wäsche genügen und wovon noch pro Kopf ein kleiner Barbetrag übrig bleiben würde, würde für die ins hiesige Wilajet deportierten Armenier eine Summe von 4–5000 Ltq. erforderlich sein.

Zu 5. Eine, die Landessprachen (arabisch und türkisch) beherrschende Persönlichkeit als Hilfskraft für Rechnungsführung, Beschaffung der nötigen Gegenstände etc. wäre erforderlich. Diese Hilfskraft kann hier beschafft werden. Monatsremuneration von 4–6 Ltq.

[S. 264]

Mai.

264.

Kaiserlich
Deutsche Botschaft.

Pera, den 11. Mai 1916.

Nachdem die türkische Regierung im letzten Jahre den Entschluß gefaßt hatte, die armenische Bevölkerung aus gewissen Teilen des Landes abzuschieben, hatte sie auf Grund der von hier aus unternommenen Schritte wiederholt zugesichert, die Armenier römisch-katholischen und protestantischen Glaubens soweit als irgend möglich von der Verschickung auszunehmen. Trotz dieses Versprechens ist es vorgekommen, daß auch diese Armenier von Haus und Hof vertrieben wurden. In einzelnen Fällen konnten allerdings die bereits eingeleiteten Austreibungen wieder rückgängig gemacht werden.

Gleichzeitig mit der Vertreibung der armenischen Bevölkerung trafen aus verschiedenen Gegenden des türkischen Reiches Meldungen hier ein, wonach, zum Teil mit Hilfe der türkischen Behörden, eine zwangsweise Bekehrung der Bevölkerung zum Islam eingeleitet worden war. Von der Zentralregierung in Konstantinopel wurde die Richtigkeit dieser Vorgänge stets in Abrede gezogen. Sowohl Halil Bey als Talaat Bey versicherten mir wiederholt, daß ihnen jedes Vorgehen gegen die christlichen Elemente der armenischen Bevölkerung durchaus fernliege, etwaige Ausschreitungen der Unterbehörden würden aufs strengste geahndet werden. Im Laufe des Monats März und Anfang April liefen hier wiederum Meldungen ein, wonach besonders in Aintab, Cäsarea, Aleppo und Adrianopel mit Hilfe der türkischen Behörden Bekehrungen der zurückgebliebenen christlichen Armenier zum Islam stattfinden. Auch in Urfa sollten die Insassen des dortigen armenischen Waisenhauses und die zurückgebliebenen armenischen Frauen zwangsweise zum Islam bekehrt worden sein.

Ich habe diese Vorgänge Ende v. M. zur Kenntnis der Pforte gebracht und energisch um Abstellung ersucht. Halil Bey versicherte mir erneut, daß der Zentralregierung in Konstantinopel von diesen Vorgängen nichts bekannt sei. Nach Rücksprache mit seinem Kollegen Talaat Bey erklärte er, es seien neuerdings strengste Weisungen an die Provinzbehörden ergangen, alle Versuche, die christliche armenische Bevölkerung zum Islam zu bekehren, zu unterlassen. Außerdem sei den Provinzbehörden streng[S. 265] verboten worden, selbst etwaige freiwillige Anerbietungen zum Übertritt zum Islam entgegenzunehmen. Seit dieser Zeit sind keine neuen Meldungen über Bekehrungsversuche der armenischen Bevölkerung hier eingetroffen.

Metternich.

Seiner Exzellenz dem Reichskanzler
Herrn von Bethmann Hollweg.

265.

(Kaiserliches
Konsulat Aleppo.)

Telegramm.

Abgang aus Aleppo, den 12. Mai 1916.
Ankunft in Pera, den 12. Mai 1916.

An Deutsche Botschaft in Konstantinopel.

Mutessarrif von Marasch, der bisher den Armeniern gegenüber milde war, hat einer deutschen Schwester folgendes erzählt: „Armenier seien aufgegriffen, die sich als Syrer ausgaben und im Besitze neuer englischer Waffen waren. Verhör durch Mutessarrif persönlich habe ergeben: Sie gehören einer geheimen Verbindung an, die Beziehungen zu Russen und Engländern habe. Sie gaben viele Namen an, auch eine Straße und Haus in Aleppo, wo Waffendepot sein sollte, das auch tatsächlich gefunden worden sei.“

Offenbar handelt es sich um Leute, die sich aus der Verschickung einzeln in die Zeitungegend zurückgeschlichen haben. Nach hiesiger Version ist mit Waffen desertierter Soldaten zu geschäftlichen Zwecken Handel getrieben worden, wobei auch Muhammedaner und Juden beteiligt waren.

Wali von Aleppo hat erklärt: „Djemal Pascha habe auf diese Vorgänge hin Befehl gegeben, Marasch ganz zu räumen, und von Aleppo alle ausgewiesenen von außerhalb ohne jede Ausnahme weiter zu schicken, während die in Aleppo ansässigen Armenier, weil tatsächlich schuldlos, ausgenommen seien.“

Außerdem sollen die hiesigen 1400 Waisenkinder zum Teil vom jungtürkischen Komitee übernommen, zum Teil nach Konia, Eskischehir, Konstantinopel geschickt werden.

Wali will beantragen, daß der Schwester Rohner 100 oder wenigstens 50 Waisen belassen werden, mit denen sie wahrscheinlich nach Konia übersiedeln soll.

Rößler.

[S. 266]

266.

Berlin, den 13. Mai 1916.

Euere Exzellenz

haben durch Herrn Dr. Lepsius dieser Tage einen französischen Bericht über die Rede des russischen Parlamentariers Miljukow in Sachen der Armenier vorgelegt erhalten. Wie mir Herr Dr. Lepsius mitteilte, fehlte in der französischen Wiedergabe der Miljukowschen Rede die Angabe des Datums und der näheren Umstände. Ich habe das Stück in dem Dumabericht der Zeitung „Rjetsch“, Nr. 70, vom 25. März d. J., aufsuchen und übersetzen lassen.

Dabei möchte ich mir gestatten, die Aufmerksamkeit Euerer Exzellenz auf den ungemein wichtigen Schlußpassus bei Miljukow hinzulenken, wo deutlich gesagt ist, daß die russische Regierung die Besiedelung des eroberten Gebiets in Türkisch-Armenien mit Kosaken, also mit einer militärisch organisierten russischen Grenzbevölkerung, beabsichtigt. Die gleichfalls von Miljukow erwähnten Bemühungen russischerseits, die Kurden ansässig zu machen, dürften so zu erklären sein, daß man daran denkt, das türkische System, nach dem die Kurdenstämme zu einer irregulären berittenen Miliz organisiert waren, zu übernehmen und in russischem Sinne auszubauen. Schon vor dem Kriege befolgte die russische Regierung die Praxis, die Kurden mit Waffen und Geld zu versehen und sie sowohl gegen die Türkei als auch gegen die Armenier aufzuhetzen, während umgekehrt den Armeniern Schutz vor den Kurden in Aussicht gestellt wurde, sobald sie für ihre Rettung auf Rußland bauen würden.

Wie weit die Pläne der russischen Regierung bereits in der Ausführung begriffen sind, geht aus der Mitteilung Miljukows hervor, der von den Einwohnern (d. h. also auch von den geflüchteten Armeniern) hinterlassene Besitz — es ist damit natürlich der unbewegliche Besitz, der Grund und Boden gemeint — sei als russisches Staatseigentum erklärt worden.

Dr. Paul Rohrbach.

An Seine Exzellenz den Herrn Staatssekretär
des Auswärtigen Dr. v. Jagow.

Anlage.

Rjetsch Nr. 70 vom 25. März 1916.

Miljukow in der Reichsduma über die armenische Frage.

Leider sind Anzeichen vorhanden, die dafür sprechen, daß sich auch hier wiederum Dinge wiederholen können, die die traurige Erinnerung an die galizische Epopöe wachrufen. Diese Anzeichen treten bereits in die Erscheinung: es ist das viel zu leichtfertige Verhalten zu dem von den Ein[S. 267]wohnern hinterlassenen Besitz, welcher aus irgend welchen Gründen als Staatseigentum erklärt wurde (Stimme von links: „Januschkewitsch“)... Ja, das ist Januschkewitsch, das ist die Politik Januschkewitschs — das ungleichmäßige Verhalten zu den Völkerschaften. Wir sind geneigt, die Kurden, diese unverbesserlichen Nomaden, zu unterstützen, und bemühen uns sogar, Ackerbauer aus ihnen zu machen — auf Kosten ihrer alten Opfer — der Armenier. Vor noch nicht langer Zeit nahm der Kurde dem Armenier Land fort, entführte ihm Weib und Tochter, beraubte und erschlug ihn, aber jetzt wird diesem Feinde von gestern aufgewartet, wie einem Freunde, und es wird ihm sichtlich der Vorzug vor dem alten Freunde, dem Armenier, gegeben. Erinnern wir uns, meine Herren, der Worte Doumergues an die Adresse der Armenier: Mögen die Opfer der Toten den Lebenden angerechnet werden. Wir wollen nicht die Früchte der Plünderung und des Landraubs sanktionieren — was nur auf dem Boden der alten Türkei möglich war. Aber noch weniger dürfen wir an eine Umwandlung des angestammten armenischen Landes in irgend ein Territorium eines Neu-Euphratischen Kosakentums denken. Setzen wir nicht die Arbeit der Türken fort! Entsagen wir wenigstens hier im feierlichen Moment der Wiederherstellung des verletzten Rechtes und der Gerechtigkeit — den engen Plänen des nationalistischen Egoismus.

267.

Berlin, den 27. Mai 1916.

Euerer Exzellenz gestatte ich mir nachstehendes über erneut einsetzende Verfolgungen der Christen im Orient zu unterbreiten.

Von zwei absolut sicheren Vertrauensmännern, von denen der eine gestern mit dem Balkanzug aus Konstantinopel hier eingetroffen ist, erfahre ich folgendes:

„Von Angora kommen böse Nachrichten. Die Polizei verbot dem dortigen deutschen katholischen Geistlichen jeden Beistand an katholische Armenier, auch an Sterbende. Die Frauen, durch die man Almosen verteilen ließ, wurden eingesperrt. Sodann ist der Generalvikar des griechisch-katholischen Bischofs von Beirut in Angora eingetroffen und wird von dort weiter deportiert.“

Nachdem bisher die türkische Regierung auf das Bestimmteste zugesagt hat, daß gegen die ruhigen Armenier und die Christen in Syrien nichts unternommen werden soll, jetzt aber mit solchen Zwangsmaßregeln vorgeht, würde ich Euere Exzellenz sehr dankbar sein, wenn Euere Exzellenz die Güte hätten, die türkische Regierung erneut darauf hinweisen zu lassen, wie sehr die Dauerhaftigkeit des Bündnisses mit Deutschland erschwert[S. 268] wird, wenn solch ungesetzliches Verhalten ohne jeden Anlaß fortgesetzt wird; denn weder in Aleppo noch in Syrien kann es sich um Strafen gegen aufrührerische Elemente handeln.

Erzberger, Mitglied des Reichstages.

Seiner Exzellenz dem Reichskanzler
Herrn von Bethmann Hollweg.

Auswärtiges Amt.

Berlin, den 30. Mai 1916.

Abschriftlich

Seiner Exzellenz dem Kaiserlichen Botschafter Herrn Grafen Wolff-Metternich, Konstantinopel

zur gefälligen Kenntnisnahme und mit dem Anheimstellen der geeignet erscheinenden weiteren Veranlassung ergebenst übersandt.

Stumm.

[S. 269]

Juni.

268.

Kaiserlich
Deutsche Botschaft.

Pera, den 5. Juni 1916.

Auf Erlaß vom 30. Mai 1916.

Die in dem Schreiben des Abgeordneten Erzberger enthaltenen Nachrichten aus Angora hatten mich schon vor einiger Zeit veranlaßt, bei Halil Bey energische Vorstellungen gegen das Vorgehen der dortigen Behörden zu erheben. Auf Grund meiner Schritte ist auch sofort ein Gegenbefehl durch das Ministerium des Innern erlassen und Abhilfe geschaffen worden.

Metternich.

Seiner Exzellenz dem Reichskanzler
Herrn von Bethmann Hollweg.

269.

(Kaiserlich
Deutsche Botschaft.)

Telegramm.

Konstantinopel, den 7. Juni 1916.

An Konsulat Damaskus.

Konsulat Aleppo meldet unter dem 5. Juni:

„Offenbar steht die Weiterverschickung aller auswärtigen Armenier von Aleppo unmittelbar bevor. Seit vorgestern werden auch denjenigen, die Aufenthaltserlaubnis für Aleppo besaßen, ihre Scheine abgenommen. Anscheinend ist eine Bekanntmachung im Druck, wonach alle Genannten Aleppo binnen wenigen Tagen verlassen sollen, widrigenfalls sie erschossen würden.“

Ich bitte, bei Djemal Pascha in geeigneter Form gegen eine solche Maßregel Vorstellung zu erheben und über das Ergebnis telegraphisch zu berichten.

Metternich.

[S. 270]

270.

(Kaiserliches
Konsulat Damaskus.)

Telegramm.

Damaskus, den 11. Juni 1916.

An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Antwort auf Telegramm vom 7. Juni.

Auf meine Vorstellungen teilte mir Djemal Pascha mit, daß diejenigen Armenier, denen er Aufenthaltsscheine für Aleppo erteilt habe, nicht weiter verschickt werden würden. Zur Verschickung der übrigen eingewanderten Armenier sähe er sich gezwungen, weil von ihnen in Aleppo ein geheimes Aktionskomitee gegen die türkische Regierung gebildet worden sei.

Loytved.

Halil Bey sagte mir heute, es würden keine Armenier aus Aleppo oder Angora mehr verschickt.

12.6. Metternich.

271.

(Kaiserliches
Konsulat Aleppo.)

Telegramm.

Aleppo, den 17. Juni 1916.

An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Es scheint, daß die Vorstellungen bei Djemal Pascha doch etwas gewirkt haben. Die geplante Verschickung ist bisher jedenfalls unterblieben.

Rößler.

272.

Deutsche Botschaft
Konstantinopel.

Pera, le 19 juin 1916.

Aide-Mémoire.

L’Ambassade Impériale d’Allemagne vient d’être informé que les Arméniens déportés à Alep et qui s’y étaient installés avec la permission du Gouvernement Impérial, allaient être de nouveau expulsés par ordre des autorités militaires.

A cette occasion l’Ambassade a l’honneur de renouveler sa prière de vouloir bien exempter de cette mesure les déportés appartenant aux communautés catholiques et protestantes ainsi que ceux qui se trouvent en possession de permis de séjours en règle.

[S. 271]

En même temps l’Ambassade se permet d’attirer l’attention du Gouvernement Impérial sur la situation des Arméniens en cours de déportation et se trouvant à Angora, Afioun-Karahissar, Eski-Chéhir et Konia; elle prie de vouloir bien aviser aux moyens nécessaires afin que ces exilés et notamment les membres des deux communautés précitées puissent rester dans ces localités, sans être exposés à une nouvelle déportation dont ils paraissent être menacés.

den 19. 6. 1916.

Halil Bey heute mündlich mitgeteilt. Erklärte, daß keine Austreibungen mehr stattfinden.

Metternich.

273.

Kaiserlich
Deutsche Botschaft.

Therapia, den 19. Juni 1916.

Verschiedene Meldungen aus dem Innern Kleinasiens, wonach in der letzten Zeit erneute Austreibungen von Armeniern stattfinden oder von den türkischen Behörden in Aussicht gestellt sind, veranlaßten mich heute, Halil Bey davon Mitteilung zu machen. Der Minister versicherte mir, die türkische Regierung beabsichtige keine Austreibungen mehr vorzunehmen, werde jedoch über die angegebenen Fälle Erkundigungen einziehen.

Metternich.

Seiner Exzellenz dem Reichskanzler
Herrn von Bethmann Hollweg.

274.

Kaiserlich
Deutsches Konsulat.

Aleppo, den 17. Juni 1916.

Euerer Exzellenz überreiche ich gehorsamst in der Anlage Abschrift eines Berichtes der Schwester Beatrice Rohner an Mr. Peet in Konstantinopel, mit welchem sie ihre Abrechnung über 7435 Ltq. vom 1. Januar bis 1. Juni d. J. durch sie zur Verteilung gelangte amerikanische Notstandsgelder begleitet hat.

Rößler.

Seiner Exzellenz dem Reichskanzler
Herrn Dr. von Bethmann Hollweg.

[S. 272]

Anlage.

Bericht über Notstandsarbeit in Aleppo 1. Januar bis 1. Juni 1916.

Als ich Ende Dezember 1915 mit Schwester Paula Schäfer nach Aleppo kam, um wenn möglich eine Erlaubnis zu erwirken, weiter nach Süden den Vertriebenen nachziehen zu können, war die Notstandsarbeit bereits im Gange. Die durch den amerikanischen Konsul eingehenden Gelder wurden in der Hauptsache von dem protestantischen Prediger Ohannes Eskidjian verwaltet. Es bestanden bereits mehrere Waisenhäuser und die verschiedenen Gemeinden versorgten ihre Armen soweit die eingehenden Mittel reichten. Natürlich dachten wir da zunächst nicht daran, hier die Arbeit zu übernehmen, bis Djemal Paschas abschlägige Antwort auf unsere Reisevorschläge und seine dringende Aufforderung uns des einen sehr vernachlässigten Waisenhauses anzunehmen, mich nötigte, einstweilen in Aleppo zu bleiben. Bis Ende März beschränkte ich meine Tätigkeit auf die mir übergebenen 350 Kinder und half persönlich, wo die Not an mich herantrat. Als aber Badwelli Eskidjian sowohl als der Hausvater eines Waisenhauses Ende März starben, übernahm ich nach seinem Wunsch die Notstandsarbeit ganz, sowie auch das Waisenhaus, das er mit Erlaubnis der Regierung eröffnet hatte. Wie aus der Abrechnung von April und Mai hervorgeht, habe ich Gelegenheit, Gelder nach den verschiedensten Richtungen zu versenden. Mit der Post können natürlich nur kleine Beträge unauffällig gesandt werden, aber Geschäftsleute und Durchreisende, auch einzelne mutige junge Armenier, denen es gelingt, zwischen Aleppo und Der-es-Zor zu reisen, vermitteln größere Summen. Die Schwierigkeit in dieser Arbeit besteht hauptsächlich in der mangelnden Organisation, aber es ist unmöglich, jetzt Komitees zu bilden, ohne sofort den Verdacht der Regierung auf sich zu laden. Auch Quittungen sind nicht zu bekommen, da sich die Leute aus Furcht weigern, ihre Unterschrift zu geben. Daß diese Art der Arbeit viel unzufriedene Gemüter aufregt, läßt sich denken; manches fühlt sich übergangen und andere vorgezogen; man kritisiert diejenigen, welche die Gelder verwalten. Hoffentlich hat dies nicht noch schließlich zur Folge, daß die Regierung doch aufmerksam wird, und daß diese letzte Hilfsquelle abgeschnitten wird.

Beatrice Rohner.

275.

Kaiserlich
Deutsche Botschaft.

Therapia, den 19. Juni 1916.

Abschriftlich

Seiner Exzellenz dem Reichskanzler Herrn von Bethmann Hollweg gehorsamst überreicht.

Metternich.

[S. 273]

Kaiserliches Konsulat.

Damaskus, den 30. Mai 1916.

Wie ich im März d. J. telegraphisch zu melden die Ehre hatte, hat Djemal Pascha ein Hilfswerk für die hierher ausgewiesenen Armenier organisiert, das seit etwa sechs Wochen an der Arbeit ist. An der Spitze dieser Organisation steht der ehemalige Wali von Salonik und Aleppo, Hussein Kasim Bey, der allgemein als gediegener Charakter und rührig geschätzt wird. Ihm zur Seite stehen zwei höhere außer Dienst befindliche Beamte und der stellvertretende Wali von Damaskus. Auch diese drei Kommissionsmitglieder genießen einen guten Ruf.

Hussein Kasim Bey bereiste seit vorigem Monat die im Hauran und südlich davon gelegenen Gebiete, in denen sich Armenier befinden. In Deraa hat er zunächst Brot an die Armenier verteilen lassen und eine Entlausungs- und Badeanstalt mit Krankenhaus errichtet. Von dort aus wurden nach erfolgter Reinigung viele Armenier nach verschiedenen Orten verschickt, in denen sie Arbeit finden konnten. Gegen 700 Witwen und Waisen kamen nach Hama, wo sie in einer Wirkfabrik arbeiten.

Vorgestern traf ich gelegentlich eines Essens, das Djemal Pascha gab, den Hussein Kasim Bey. Als er mich sah, sagte er mir, daß er mich dringend sprechen möchte. Er erklärte mir in sehr erregtem Tone, daß er sein Amt als Vorsitzender der Armenierkommission niederlegen wolle, da er nicht mehr arbeiten könne. Seine Maßregeln werden nicht nur nicht ausgeführt, sondern die Behörden handeln ihnen entgegen. Die Armenier, die er programmäßig von Deraa nach Damaskus schicke, werden von den hiesigen Stadtbehörden wieder zurückgeschickt. Die Regierung stelle ihm viel zu wenig Geldmittel zur Verfügung, um wirksam der großen Not der Armenier entgegentreten zu können. Er sei ganz verzagt und glaube überhaupt nicht mehr an den ernsten Willen der türkischen Regierung, den ausgewiesenen Armeniern helfen zu wollen. Er fürchte sogar, daß man sie systematisch ausrotten wolle. Er höre, daß die nach Aleppo geleiteten Armenier wieder nach dem Osten in der Richtung nach Mossul und Der-es-Zor gebracht würden, wahrscheinlich um den Beduinen zum Opfer zu fallen. Diese grausame Vernichtungspolitik sei eine Schmach für die Türkei und würde nach dem Frieden der Türkei sehr schaden und auch Deutschland in Verlegenheit bringen, weil es von der Welt beschuldigt würde, nicht wirkungsvoller für die Armenier eingetreten zu sein. Er finde keinen anderen Ausweg, als daß Deutschland dahin wirke, daß alle Armenier nach irgend einem Land — er meinte Südamerika — baldigst verschickt würden. Auf diese Weise würde man der Türkei und den Armeniern am besten helfen.

Ich wies ihn auf die armenierfeindliche Stimmung bei den maßgebenden Komiteemitgliedern in Konstantinopel hin, gegen die selbst Djemal Pascha scheinbar nicht aufkommen könne. Ich machte ihn darauf aufmerksam, daß Deutschland, soweit die gegenwärtige Lage es erlaube, den Armeniern[S. 274] nach Möglichkeit helfe, und bat ihn, im Interesse der Sache sein gedachtes Amt nicht niederzulegen und trotz aller Gegenströmungen weiter zu arbeiten. Er wird, sobald Djemal Pascha in einigen Tagen von Aleppo zurückkommt, mit ihm weiter verhandeln und, wenn ihm nicht mehr Machtvollkommenheit und Geldmittel zur Verfügung gestellt werden, auf sein Ehrenamt verzichten. Nach seiner Schätzung befinden sich zwischen Aleppo und dem Hedjas 60000 Armenier. Falls das Schweizerische Hilfswerk Geldmittel für die hiesigen Armenier zur Verfügung stellen will, würde ich empfehlen, durch das Konsulat unter der Hand dem Hussein Kasim Bey, zu dem ich volles Vertrauen habe, Geld für den gedachten Zweck zu geben. Es scheint Eile dringend geboten, weil die Not groß ist.

Loytved Hardegg.

Seiner Exzellenz dem Kaiserlichen Herrn Botschafter
Grafen von Wolff-Metternich, Konstantinopel.

276.

(Kaiserlich
Deutsche Botschaft.)

Telegramm.

Therapia, den 19. Juni 1916.

An das Auswärtige Amt.

Für Herrn von Gwinner und Geh. Rat Riese, Berlin:

Aus Airan drahten Winkler und Morf vom 18. Juni, daß infolge Austreibung armenischer und dadurch veranlaßter Flucht türkischer Arbeiter im Amanus nur 2900 Arbeiter von zusammen 5300 verblieben. Weitere Abnahme der Arbeiterzahl wird infolge andauernder Austreibung mit Sicherheit eintreten. Infolge Fehlens aller gelernten Arbeiter ist mit den Verbliebenen der Fortschritt der Bauarbeiten und der Betrieb des Bahnhofs unmöglich. Vor einigen Tagen auf unsere Vorstellungen vom türkischen Kriegsministerium gegebener Gegenbefehl erfolglos geblieben. Anwerbung neuer Arbeiter ist heute unmöglich. Entsprechende Zahl Arbeitersoldaten zu stellen, würde längere Zeit erfordern, und wegen Ungeübtheit neuer Arbeiter weitere Verlängerung der Bauzeit um mindestens drei Monate verursachen. Im großen Amanustunnel besteht Gefahr Einbruchs ausgezimmerter unsicherer Abschnitte und damit lange dauernde Unterbrechung des Betriebes. Polizei verweigert unseren Ingenieuren und Arbeitern Eintritt in den großen Tunnel zur Ausführung unbedingt notwendiger Sicherungen. Da auch zwei armenische Ärzte und 43 Apotheker und Pfleger vertrieben sind, liegen Kranke unversorgt in Hospitälern Bagtsche, Yarbaschi und Entilli, was bei vor[S. 275]handener Seuche größte Gefahr bedeutet. Bitte dringende Vorstellung bei deutschem Großen Hauptquartier, Kriegsministerium, Auswärtigem Amt und außerdem bei Generalmajor von Lossow zu erheben, der im Hauptquartier oder in Berlin. — Anatolische Bahngesellschaft.

Grages.

277.

(Kaiserlich
Deutsche Botschaft.)

Telegramm.

Therapia, den 21. Juni 1916.

An Auswärtiges Amt.

Für Deutsche Bank und für Riese:

Der Kriegsminister hat heute dem Kommandanten der IV. Armee und dem Wali von Adana telegraphisch befohlen, daß die ausgetriebenen Armenier nach ihren Arbeitsstellen zurückgeführt werden.

Grages.

278.

(Kaiserlich
Deutsche Botschaft.)

Telegramm.

Pera, den 22. Juni 1916.

An Auswärtiges Amt.

Anatolische Bahngesellschaft an von Gwinner und Riese.

Winkler drahtet heute wie folgt:

Der Wali erklärt, keinen Befehl zur Rückkehr der Vertriebenen erhalten zu haben, sondern nur einen Befehl, durch den die Zahl der noch zu Vertreibenden beschränkt wird[133]. Der Wali erklärte obendrein, daß er einen derartigen Befehl, auch wenn er ihn erhalten würde, nicht befolgen würde; er fügte hinzu, das könne ein anderer Wali besorgen.

Neurath.

279.

Kaiserliches
Deutsches Generalkonsulat.

Jerusalem, den 26. Juni 1916.

Der armenische Patriarch hat mich heute besucht, um mir mitzuteilen, daß die im Ost-Jordanland angesiedelten Armenier gewaltsam zum Islam bekehrt würden. Der frühere Ansiedlungskommissar Kiazim sei ziemlich[S. 276] milde gewesen; sein kürzlich aus Konstantinopel gekommener Nachfolger Kanal wende indes brutale Mittel an. Unter seinem Druck hätten sich in Deraa kürzlich 3500 Personen zum Übertritt zum Islam bereit erklärt.

Die Zahl der im Ostjordanland angesiedelten Armenier bezifferte der Patriarch auf 15000 im Hauran, und 3–4000 in Kerak.

Dr. Brode.

Seiner Exzellenz dem Kaiserlichen Botschafter
Herrn Grafen Wolff-Metternich in Konstantinopel.

280.

(Kaiserliches
Konsulat Siwas.)

Telegramm.

Abgang aus Siwas, den 27. Juni 1916.
Ankunft in Therapia, den 28. Juni 1916.

An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Gestern Abend sind alle noch hier verbliebenen, zu Wegbauten und zum Pionierregiment gehörenden Armenier, ferner die der Gewerbeschule und auch alle Griechen in der armenischen Kirche eingesperrt worden. Die Griechen und zum Islam übergetretenen Armenier sind nach einer heftigen Bastonnade heute wieder freigelassen worden, den anderen Armeniern ist durch die Behörden angeraten worden, zum Islam überzutreten. Weigern sie sich, so werden sie verschickt.

Werth.

281.

(Kaiserliches
Konsulat Aleppo.)

Telegramm.

Abgang aus Aleppo, den 27. Juni 1916.
Ankunft in Therapia, den 28. Juni 1916.

An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Im Anschluß an Telegramm vom 17. Mai.

Unter dem Vorwand, es handele sich um sanitäre Maßregeln oder politisch Verdächtige, hat seit dem 19. Juni wieder rücksichtslose Verschickung aus Aleppo begonnen, auch von solchen, die seit langer Zeit hier ansässig.

Rößler.

[S. 277]

282.

Kaiserlich
Deutsche Botschaft.

Therapia, den 30. Juni 1916.

Ich habe die Vertreibung der armenischen Arbeiter von der Amanusstrecke, wodurch die Kriegführung geschädigt wird, mit Talaat Bey und Halil Bey besprochen. Diese Maßregel, so sagte ich u. a. den Ministern, mache den Eindruck, als ob die türkische Regierung selbst darauf bedacht sei, den Krieg zu verlieren.

Der Vorgang ist lehrreich nach verschiedenen Richtungen hin. Leute wie Talaat und Enver wissen wohl, daß dem Kriegszweck durch die Gefährdung des Eisenbahnbetriebes und -baues am Amanus geschadet wird. Es hat aber niemand hier mehr die Macht, die vielköpfige Hydra des Komitees, den Chauvinismus und Fanatismus, zu bändigen. Das Komitee verlangt die Vertilgung der letzten Reste der Armenier, und die Regierung muß nachgeben. Das Komitee bedeutet aber nicht nur die Organisation der Regierungspartei in der Hauptstadt. Das Komitee ist über alle Wilajets verbreitet. Jedem Wali bis zum Kaimakam (Landrat) herab steht ein Komiteemitglied zur Unterstützung oder zur Überwachung zur Seite. Die Armeniervertreibungen haben überall wieder begonnen. Von diesen Unglücklichen haben die hungrigen Wölfe des Komitees außer der Befriedigung ihrer fanatischen Verfolgungswut aber nicht mehr viel zu erwarten. Ihre Güter sind längst eingezogen, und ihr Vermögen ist durch eine sogenannte Kommission liquidiert worden, d. h. wenn beispielsweise ein Armenier ein Haus im Werte von 100 Ltq. besaß, so ist es einem Türken, Freund oder Mitglied des Komitees, für etwa 2 Ltq. zugeschlagen worden. Von den Armeniern ist also nicht mehr viel zu holen. Die Meute bereitet sich daher auch schon mit Ungeduld auf den Augenblick vor, wo Griechenland, von der Entente gezwungen, sich gegen die Türkei oder deren Verbündete richten wird. Es werden dann Massakres in weit größerem Umfange eintreten, als bei den Armeniern. Die Opfer sind zahlreicher und die Beute ist verlockender. Das Griechentum bildet das Kulturelement der Türkei. Es wird dann vernichtet werden, ebenso wie das armenische, wenn äußere Einflüsse nicht Einhalt gebieten. Türkisieren heißt, alles nicht Türkische vertreiben oder töten, vernichten und sich gewaltsam anderer Leute Besitz aneignen. Hierin und im Nachplärren freiheitlicher französischer Phrasen besteht vorläufig die berühmte Wiedergeburt der Türkei. Leute wie Talaat, die den ehrlichen Willen haben, die Türkei vorwärts zu bringen, obgleich auch er nur Machtpolitik kennt, müssen sich der vielköpfigen Hydra fügen.

Metternich.

Seiner Exzellenz dem Reichskanzler
Herrn von Bethmann Hollweg.

[S. 278]

283.

(Kaiserliches
Konsulat Damaskus.)

Telegramm.

Abgang aus Damaskus, den 30. Juni 1916.
Ankunft in Therapia, den 1. Juli 1916.

An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Armenier werden sämtlich mehr oder weniger gezwungen, Muhammedaner zu werden. In Deraa haben 149 Familien den Islam angenommen; nur eine einzige blieb dem christlichen Glauben treu. Da Djemal Pascha in Jerusalem ist, habe ich einen hiesigen muhammedanischen Notabeln, der gegen diese zwangsweisen Religionsänderungen ist, veranlaßt, den Gereanten des Wilajets aufmerksam zu machen, daß diese Maßnahme in Deutschland eine starke Strömung gegen die jungtürkische Regierung hervorrufen würde. Politische Vorteile, die durch solche Versuche, die Armenier zu entnationalisieren und ihre Beziehungen zu den christlichen Mächten abzuschneiden, vielleicht hier erreicht würden, ständen nicht im Verhältnis zu den Nachteilen, die durch die Gegenstimmung in Europa und Amerika gegen die Türkei entstehen würden. Der Gereant des Wilajets, der diese Besprechung an Djemal Pascha gedrahtet haben dürfte, bestritt die Islamisierungsversuche.

Loytved.

[S. 279]

Juli.

284.

Kaiserlich
Deutsche Botschaft.

Pera, den 8. Juli 1916.

An Deutsches Konsulat, Damaskus.

Antwort auf Telegramm vom 30. Juni.

Auch anderwärts wird trotz der offiziellen Dementis und trotz angeblicher Gegenbefehle die Islamisierung der Armenier durchgeführt. Unsere Gegenvorstellungen sind nutzlos; doch bin ich mit Ihrer Demarche einverstanden.

Metternich.

285.

Telegramm.

Großes Hauptquartier, den 1. Juli 1916.
Ankunft, den 1. Juli 1916.

Der Kaiserliche Gesandte an Auswärtiges Amt.

General von Falkenhayn hat am 29. 6. an Enver Pascha gedrahtet:

„Wie ich erfahre, ist durch die Ausweisung von Arbeitern, die im Amanus- und Taurusgebiet beschäftigt waren, eine vollständige Betriebseinstellung verursacht worden, deren Ende sich nicht absehen läßt. Ich würde es in hohem Maße für die Gesamtlage bedauern, wenn dadurch auch nur ein Aufschub der geplanten Operationen notwendig würde, und würde Euerer Exzellenz für eine Orientierung über die Folgen des bedauerlichen Vorfalls dankbar sein. Wegen der Behinderung des Nachschubs für die deutschen Formationen in Kleinasien liegt ein unmittelbares deutsches Interesse vor.“

Treutler.

[S. 280]

286.

(Kaiserlich
Deutsche Botschaft.)

Telegramm.

Abgang aus Therapia, den 1. Juli 1916.
Ankunft in Berlin, den 1. Juli 1916.

An Auswärtiges Amt.

Ich habe schon vorgestern ernste Vorstellung bei Halil und Talaat Bey erhoben unter Betonung der Kriegszwecke. Talaat Bey wollte nochmals mit Enver die Ausweisungsfrage erörtern. Über inzwischen erfolgte Gegenbefehle und deren Ausführung noch keine Klarheit. Ausweisung auf Komiteebeschluß zurückzuführen, da überall Armenierverfolgungen wieder einzusetzen scheinen. Auch Enver und Talaat Bey sind solchen fanatischen Beschlüssen gegenüber machtlos.

Mit stellvertretendem Militärbevollmächtigten habe ich von vornherein vereinbart, daß ich seine Schritte bei Enver meinerseits bei der türkischen Regierung unterstütze.

Metternich.

287.

Kaiserlich
Deutsche Botschaft.

Therapia, den 10. Juli 1916.

Die Armenierverfolgungen in den östlichen Provinzen sind in ihr letztes Stadium getreten.

Die türkische Regierung hat sich in der Durchführung ihres Programms: Erledigung der armenischen Frage durch die Vernichtung der armenischen Rasse, weder durch unsere Vorstellungen noch durch die Vorstellungen der amerikanischen Botschaft und des päpstlichen Delegaten, noch auch durch Drohungen der Ententemächte, am allerwenigsten aber durch die Rücksicht auf die öffentliche Meinung des Abendlandes beirren lassen; sie steht jetzt im Begriff, die letzten Ansammlungen von Armeniern, welche die erste Deportation überstanden haben, aufzulösen und zu zerstreuen.

Es handelt sich hierbei um Armenier, die in Nordsyrien (Marasch, Aleppo, Ras-ul-Ain) sowie in einigen größeren Ortschaften Kleinasiens (Angora, Konia) zurückgeblieben sind, namentlich solche, die durch Verschickung dorthin gelangt oder schon früher dort eingewandert waren. Aber auch unter der alteingesessenen Bevölkerung und unter den katholischen und protestantischen Armeniern wird jetzt aufgeräumt, obwohl die Pforte wiederholt die Schonung dieser letzteren zugesagt hatte.

[S. 281]

Diese Überreste werden teils nach Mesopotamien weiter verschickt, teils islamisiert.

Das Konzentrationslager in Ras ul Ain, das Ende April noch 2000 Insassen zählte, ist vollständig geräumt; ein erster Transport ist auf dem Marsch nach Der-es-Zor überfallen und zusammengehauen worden; es wird vermutet, daß es den übrigen nicht besser ergangen ist[134].

In Marasch und Aleppo ist die Verschickung in vollem Gange; in Marasch wurden nicht einmal die Familien geschont, die früher vom Minister des Innern spezielle Aufenthaltsermächtigungen hatten. In Angora ist der durch seine Tätigkeit in Diarbekr bekannte Wali Reschid Bey beschäftigt, die letzten Armenier (ausschließlich Katholiken) ausfindig zu machen und auszutreiben. In gleicher Weise wird mit den in Eskischehir und in der Umgegend von Ismid noch befindlichen protestantischen und katholischen Armeniern verfahren.

Trotz aller offiziellen Ableugnungen spielt in dieser letzten Phase der Armenierverfolgungen die Islamisierung eine große Rolle.

Bereits Ende April berichtete der Pfarrer Christoffel aus Siwas, daß er in Eregli die letzten christlichen Armenier angetroffen habe; von dort bis Siwas war gründlich aufgeräumt. Entweder verschickt, oder bekehrt oder umgebracht. Man hörte nirgends mehr einen armenischen Laut. In Karahissar-Scharki waren anscheinend noch einige Gruppen christlicher Armenier übrig geblieben. Letzthin sollten sie in Gemeinschaft mit den dortigen Griechen ein Komitee gebildet haben, um unter den Soldaten einen Aufstand zu erregen. Daraufhin wurden alle Armenier festgenommen, um verschickt zu werden; sie haben es dann vorgezogen, zum Islam überzutreten. Aus Damaskus zeigt Konsul Loytved unter dem 30. Juni an: „Armenier werden sämtlich mehr oder weniger gezwungen, Muhammedaner zu werden; in Deraa haben 149 Familien den Islam angenommen, nur eine einzige blieb dem christlichen Glauben treu.“

Endlich muß hier das Vorgehen der Pforte gegen die Anstalten erwähnt werden, die von deutschen und amerikanischen Vereinen zum Wohl der armenischen Bevölkerung in jenen Gegenden bisher unterhalten wurden, wie Waisenhäuser, Spitäler, Schulen u. dgl. Die wenigen Anstalten, die noch nicht geschlossen sind, werden durch die Behörden tagtäglich bedroht mit Verschickung des armenischen Personals, der Schul- und Waisenkinder und mit anderen Maßregeln. Einzelne Vergünstigungen, die die Regierung noch im vorigen Jahre zugestanden hatte, sind zurückgezogen worden, und es ist nur geringe Hoffnung vorhanden, daß diese Anstalten nach dem Kriege ihre Tätigkeit in dem früheren Umfange werden aufnehmen können. Die türkische Regierung hat richtig erkannt, daß die von den Ausländern geleiteten Schulen[S. 282] und Waisenhäuser einen großen Einfluß auf die Weckung und Entwicklung des armenischen Nationalgefühls gehabt haben; es ist von ihrem Standpunkt aus nur konsequent, wenn sie sie einer straffen Kontrolle unterstellt, oder ganz eingehen läßt.

Ebenso darf man in der zwangsweisen Islamisierung der Armenier zunächst keine von religiösem Fanatismus eingegebene Maßregel erblicken. Den jungtürkischen Gewalthabern dürften solche Gefühle fremd sein. Dagegen bleibt es wahr, daß, um auch im Herzen ein guter osmanischer Patriot zu sein, man vor allem sich zum Islam bekennen muß. Die Geschichte des türkischen Reiches von seinem Beginn bis in die letzten Zeiten ist da, um die Richtigkeit des Satzes zu beweisen, daß im Orient Glaubensbekenntnis und Nationalität identisch sind, und jeder Osmane ist in seinem Innern hiervon überzeugt. Die gegenteiligen amtlichen und nichtamtlichen Versicherungen gehören samt dem begleitenden Apparat von Belegstellen aus Koran und Tradition zu den konventionellen Phrasen, deren man sich seit der Ära der Reformfermane den Europäern gegenüber bedient, um die Toleranz des Islams und der Osmanen zu beweisen. So entsprechen auch die Dementis, welche die Minister den Mitteilungen über die Glaubensverfolgungen entgegensetzen, zunächst den Anforderungen des guten Tons; sie treffen aber insofern zu, als das leitende Motiv nicht religiöser Fanatismus ist, sondern die Absicht, die Armenier mit den muhammedanischen Bewohnern des Reiches zu amalgamieren.

So sehr es auch zu beklagen ist, daß es uns nicht gelungen ist, die Armenierpolitik der Pforte in andere Bahnen zu lenken, so haben andererseits weder unsere Feinde noch die Neutralen ein Recht, uns daraus einen Vorwurf zu machen. Wir haben nach besten Kräften das Los des unglücklichen armenischen Volksstammes in der Türkei zu mildern gesucht, sowohl durch Einwirkung auf die Regierung wie durch Hilfsleistungen.

Metternich.

Seiner Exzellenz dem Reichskanzler
Herrn von Bethmann Hollweg.

288.

Kaiserliches
Deutsches Generalkonsulat.

Genf, den 12. Juli 1916.

Die hiesigen Vertreter des Schweizerischen Hilfswerks für die Armenier, der Schweizer Herr Leopold Favre und der ehemalige Pastor der deutsch-evangelischen Gemeinde von Genf, Herr Adolf Hoffmann (Reichsangehöriger), haben mir mitgeteilt, daß ihr Komitee die Absicht habe, den auf türkischem Gebiet lebenden notleidenden Armeniern aufs neue Geld[S. 283]unterstützungen zukommen zu lassen. Das Hilfskomitee würde es mit Dank begrüßen, wenn es für dieses Unternehmen bei den Kaiserlichen Konsularbehörden in Kleinasien Unterstützung finden würde und wenn es sich ermöglichen ließe, die von dem Komitee für den angegebenen Zweck gesammelte Geldsumme durch die Vermittlung unserer Konsuln unter die hilfsbedürftigen Armenier zu verteilen.

Geißler.

Seiner Exzellenz dem Reichskanzler
Herrn von Bethmann Hollweg in Berlin.

289.

(Kaiserliches
Konsulat Siwas.)

Telegramm.

Siwas, den 23. Juli 1916.

An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Heute am Tage des Nationalfestes sind alle armenischen Militärärzte jeden Grades unter Drohung gezwungen worden, zum Islam überzutreten. Alle mußten sich bekehren. Ein armenischer Sanitätshauptmann weigerte sich und ist deshalb vorläufig eingesperrt worden.

Werth.

Kaiserlich
Deutsche Botschaft.

Therapia, den 24. Juli 1916.

Abschriftlich

Seiner Exzellenz dem Reichskanzler Herrn von Bethmann Hollweg gehorsamst überreicht.

Metternich.

290.

Kaiserlich
Deutsches Konsulat.

Aleppo, den 29. Juli 1916.

Die von allen Seiten einlaufenden Nachrichten tun dar, daß die Armenierverfolgung unvermindert und unerbittlich anhält. Von den Deutschen, die den Euphratweg von Bagdad her zurückkehren, ist keiner, der nicht von dieser Katastrophe den tiefsten Eindruck empfinge.

1. Ein Beamter des höheren deutschen Reichsdienstes hat mir am 18. Juli erzählt, die Strecke von Sabkha über Hammam nach Meskene sei mit Resten von Kleidungsstücken übersät; sie sähe aus, als ob dort eine Armee zurückgegangen wäre.

[S. 284]

Der türkische Militärapotheker in Meskene, der dort seit 6 Monaten stationiert ist, hat ihm erzählt, daß allein in Meskene 55000 Armenier begraben seien. Dieselbe Zahl ist ihm unabhängig davon von einem türkischen Offizierstellvertreter dortselbst gleichfalls genannt worden.

2. Aus Der-es-Zor kam unter dem 16. Juli Nachricht, daß die Armenier den Befehl zum Weiterwandern erhalten hatten. Am 17. wurden alle Geistlichen und führenden Männer verhaftet. Bis zum 22. Juli, so war der Befehl, sollten alle Armenier wieder zum Wanderstab gegriffen haben. Nachdem schon früher von der Zentralregierung angeordnet worden war, daß nur soviel Armenier in Der-es-Zor bleiben sollten, als 10 Prozent der ansässigen Bevölkerung entsprach, soll nun auch der letzte Rest vertilgt werden, eine Änderung, die möglicherweise damit zusammenhängt, daß der menschliche Mutessarrif Suad Bey nach Bagdad versetzt ist und einen unbarmherzigen Nachfolger erhalten hat.

Mit Peitsche und Knüppel werden wehrlose erschöpfte Frauen und Kinder von Gendarmen geprügelt, eine Beobachtung, die schon oft gemacht und mir auch jetzt wieder von einem des Wegs gekommenen deutschen Offizier aus eigener Anschauung bestätigt worden ist.

3. Ein aus Diarbekr über Urfa hier angekommener deutscher Offizier hat mir am 24. Juli erzählt, daß einige Zeit vorher wieder 2000 armenische Frauen aus den östlichen und nördlichen Gebieten nach Urfa gebracht worden sind. Es handelt sich hier offenbar um eine Nachlese von solchen, die sich früher hatten versteckt halten können oder die in muhammedanische Familien aufgenommen waren und deren man jetzt überdrüssig geworden ist.

Auf ähnliche Zustände deutet die in Abschrift gehorsam hier beigefügte briefliche Nachricht des Diakons Künzler aus Urfa vom 22. Juli, wonach es ihm gelungen ist, 150 Waisenkinder zu unterstützen.

4. In Aleppo ist seit dem 12. Juli die Verschickung eingestellt, anscheinend weil ein Konflikt zwischen den oberen Behörden darüber ausgebrochen ist, daß es den reicheren Armeniern gelungen ist, Schonung zu erlangen, während die ärmeren der Polizei ausgeliefert waren. Aus Meskene ist es etwa 250 Armeniern gelungen, mit stillschweigender Duldung des dortigen Militärkaimakams, nach Aleppo zurückzuwandern, wo sie in erbarmungswürdigem Zustande ankamen. Der Wali hat infolgedessen Befehl an die Dörfer gegeben, keinen Armenier nach Aleppo zurückzulassen. Überträgt man die Ausführung behördlicher Anordnungen der Bevölkerung, so erklärt man die Armenier damit für vogelfrei. Weitere Maßregeln gegen sie werden hier vermutlich zu erwarten sein. Gleichen Bericht lasse ich der Kaiserlichen Botschaft zugehen.

Rößler.

Seiner Exzellenz dem Reichskanzler
Herrn Dr. von Bethmann Hollweg.

[S. 285]

Anlage.

(Notstandswerk Urfa.)

Urfa, den 22. Juli 1916.

Unter der Hand ist es mir gelungen, Dank der Hilfe aus der Schweiz, hier Überreste des armenischen Volkes, Waisenkinder, bereits 150 an der Zahl, zu unterstützen und sie so vom drohenden Hungertode zu retten. Es gibt noch mehr; allein für alle reichts nicht.

Jakob Künzler.

An den Kaiserlichen Konsul Rößler, Aleppo.

[S. 286]

August.

291.

(Kaiserliches Konsulat
Aleppo.)

Telegramm.

Abgang aus Aleppo, den 7. August 1916.
Ankunft in Therapia, den 7. August 1916.

An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Es scheint, daß die Weiterverschickung aller auswärtigen Armenier von Aleppo erneut und ernstlich in Angriff genommen werden soll. Ich werde von den hiesigen Armeniern gebeten, dies Euer Exzellenz vorzutragen. Offenbar will die hiesige Regierung die Angelegenheit nicht zur Ruhe kommen lassen.

Rößler.

292.

(Kaiserliches
Konsulat Aleppo.)

Telegramm.

Abgang aus Aleppo, den 8. August 1916.

An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Im Anschluß an das Telegramm vom 7. August.

Die auswärtigen Armenier, deren Verschickung unmittelbar bevorsteht, zählen über 8000. Der amerikanische Konsul schätzt außerdem die Zahl der hier ansässigen Armenier, die in großer Gefahr stehen, verschickt zu werden, auf etwa 15000. Er glaubt, daß diese Maßregel auf die eigene Initiative des Wali zurückzuführen ist, und bittet Ew. Exzellenz, die amerikanische Botschaft zwecks Intervention vom vorstehenden zu verständigen.

Rößler.

Kaiserlich
Deutsche Botschaft.

Notiz.

Am 12. 8. auf der amerikanischen Botschaft in Abwesenheit des Geschäftsträgers an Mr. Tarler mitgeteilt; Mr. Tarler bestätigt, daß die amerikanische Botschaft mit der Sache befaßt ist und Schritte auf der Pforte getan hat.

13. 8. Mordtmann.

[S. 287]

293.

(Kaiserliches
Konsulat Aleppo.)

Telegramm.

Abgang aus Aleppo, den 13. August 1916.
Ankunft in Therapia, den 14. August 1916.

An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Im Anschluß an das Telegramm vom 8. August.

Die ersten 200 Personen sind am 12. August verschickt worden. Weitere Transporte werden folgen. Ich bitte um Benachrichtigung auch der amerikanischen Botschaft.

Rößler.

Deutsche Botschaft

am 15. 8. der amerikanischen Botschaft mitgeteilt. Auf der Pforte hatte man versichert, daß keine Verschickungen mehr stattfinden würden.

16. 8. Mordtmann.

294.

14. August 1916 p. m.

Ein Funkspruch vom Eiffelturm meldet unter dem 12. 8. 1916:

„Aus Washington erfährt man, daß die Türkei die Bitte der Vereinigten Staaten von Amerika abgeschlagen hat, einem neutralen Komitee zu erlauben in Syrien[135], wo Tausende von Einwohnern Hunger leiden, Hilfe zu schaffen.“

295.

Kaiserlich
Deutsche Botschaft.

Therapia, den 17. August 1916.

Der Erzbischof Stepan hatte vor einiger Zeit durch Vermittelung des Patriarchats darum gebeten, von Meskene, wohin er inzwischen geschafft worden war, in eine größere Ortschaft überführt zu werden. Nach Mitteilung des Patriarchats ist nunmehr der Statthalter von Aleppo angewiesen worden, dem Genannten die Übersiedelung nach Jerusalem zu gestatten.

Metternich.

Seiner Exzellenz dem Reichskanzler
Herrn von Bethmann Hollweg.

[S. 288]

296.

Kaiserlich
Deutsche Botschaft.

Therapia, den 23. August 1916.

Das von der Pforte erlassene Gesetz über das armenische Katholikat und Patriarchat trägt das Datum des 2 Schawwal 1334/19 Temuz 1332 (d. i. 1. August d. J.) und wurde im türkischen Reichsanzeiger (takvimi-vakaji) vom 10. d. M., Nr. 2611, veröffentlicht.

Wie der erste Paragraph bestimmt, werden die beiden Katholikate von Sis und Aghtamar mit den beiden Patriarchaten von Jerusalem und Konstantinopel zu einer einzigen Würde vereinigt und der Titular als „Katholikos-Patriarch“ zum geistlichen Oberhaupte der osmanischen Armenier mit dem Sitze im Kloster Mar Jakub in Jerusalem eingesetzt; die hierarchischen und sonstigen Beziehungen zum Katholikos von Etschmiadsin werden gelöst.

Titel und Würde eines armenischen Katholikos entsprechen denen eines Patriarchen in den griechisch-orthodoxen Kirchen. Ursprünglich gab es nur den einen Katholikos von Etschmiadsin. Im Laufe der Zeit und infolge der politischen Ereignisse wurden im späten Mittelalter und zu Beginn der Neuzeit noch die Katholikate von Aghtamar (am Wansee) und Sis (Cilicien) errichtet.

Durch die Verschmelzung der Katholikate von Aghtamar und Sis mit den beiden Patriarchaten hat der neue Katholikospatriarch von Jerusalem das Recht erworben, sämtlichen Bischöfen in der Türkei die Weihe zu erteilen und ist hierarchisch unabhängig geworden. Die Auflösung aller Beziehungen zu Etschmiadsin dürfte die weitere Folge haben, daß den osmanischen Armeniern künftighin die Beteiligung an der Wahl des Katholikos von Etschmiadsin nicht mehr gestattet ist.

Unstreitig hatte die Pforte ein großes politisches Interesse, das Zwitterverhältnis, in dem der Patriarch von Konstantinopel zur türkischen Regierung und zu dem von Rußland abhängigen Katholikos von Etschmiadsin stand, zu beseitigen, und hat jetzt von demselben Rechte Gebrauch gemacht, wie Rußland, als es im Jahre 1836 die Palajenia erließ und dadurch die Stellung des Katholikos einseitig im Reichsinteresse regelte. Formell aber steht diese Maßregel im Widerspruch mit den Verpflichtungen, die sie durch Art. 62, Abs. 4, des Berliner Vertrages übernommen hatten: „Aucune entrave ne pourra être apportée soit à l’organisation hiérarchique des differentes communions, soit, à leur rapports avec leurs chefs spirituels.“

Die zweite tief eingreifende Veränderung ist die Beseitigung des „Grand Conseil de la Nation“, des großen Volksrats der Armenier.

Das neue Gesetz hat durch die Aufhebung des Volksrates und andere Bestimmungen dem demokratischen Regiment ein Ende bereitet. Der zukünftige Katholikospatriarch und seine Suffragane sind nunmehr unabhängig von dem russisch-armenischen Kirchenfürsten von Etschmiadsin und von dem[S. 289] politischen Parteien der Hauptstadt und haben den ihnen zustehenden Einfluß als Vorsteher der Gemeinde. Andererseits ist damit eine empfindliche Capitis deminutio verbunden. Der Patriarch der Armenier ist nicht mehr Oberhaupt des armenischen Millet („Nation“), sondern einer Djemaët, Kultusgemeinde; denn mit diesem Ausdruck, der im Kanzleistil der Hohen Pforte von den bescheidenen Gemeinden der protestantischen Armenier und Karaitischen Juden gebraucht wird, während Griechen, Juden und bisher auch die Armenier ein „Millet“ bildeten, werden die letzteren jetzt im neuen Gesetz bezeichnet. Als einfache Gemeindevorsteher sind der Katholikospatriarch und die Bischöfe aller politischen Befugnisse entkleidet und, abgesehen von ihren kirchlichen Funktionen, auf die Verwaltung der Gemeindeangelegenheiten beschränkt. Der Sitz des Oberhauptes ist aus der Hauptstadt nach Jerusalem verlegt, wo er jeder politischen Betätigung entrückt ist; er ist nicht mehr das Exekutivorgan des Volksrates, sondern lediglich der Befehle der Regierung; überdies darf er fortan nur mit dem Kultusamte als vorgesetzter Behörde verkehren, während er früher Zutritt zu sämtlichen Behörden und zum Sultan hatte. Endlich ist die Zahl der Bischöfe dadurch erheblich verringert worden, daß solche in Zukunft nur für Distrikte mit über 15000 Seelen bestellt werden dürfen. Nach der Aussiedelung der armenischen Bevölkerung aus Kleinasien und Rumelien dürften nur wenige Distrikte übrig geblieben sein, in denen die armenische Bevölkerung diese Ziffer erreicht.

Das neue Gesetz vom 1. August d. J. zieht das Fazit aus den Maßregeln der Regierung, durch die die osmanischen Armenier als lebensfähige Nation vernichtet werden sollen; auf die Massenaussiedelungen mit der Niedermetzelung der Männer, Islamisierung der Zurückgebliebenen und der Kinder ist die Vermögenskonfiskation, auf diese nunmehr die Zertrümmerung der politischen Gemeinde erfolgt.

Metternich.

An Seine Exzellenz den Reichskanzler
von Bethmann Hollweg.

297.

Kaiserliches
Konsulat Aleppo.

Aleppo, den 29. August 1916.

Über den Stand der Armenierverschickung in der Euphratgegend berichtet ein deutscher Offizier, der soeben von dort zurückgekehrt ist und die Zustände von früheren Reisen auf derselben Strecke gut kennt, folgendes:

Die Straße Aleppo-Der-es-Zor (die die Verschicktenzüge seit langen Monaten benutzen) biete jetzt ein verändertes Bild: sie sei verhältnismäßig leer geworden. Zwar seien bei den Aleppo zunächst gelegenen Stationen noch[S. 290] größere Armenierlager vorhanden. Weiter nach Süden zu, von Meskene ab, seien die Lager bedeutend verkleinert. Von den großen Stationen sei Sabkha ganz, Der-es-Zor bis auf einige hundert Handwerker, die für die Truppen arbeiteten, geleert, während an letzterem Orte noch vor 8 Wochen viele Tausende (von anderer Seite auf 20000 geschätzt) gelagert gewesen seien. Die geistigen Führer, wie Lehrer, Anwälte, Geistliche habe man in der letzten Zeit aus den Lagern gesammelt und in die Regierungsgebäude (also wohl in Gefängnisse) gesperrt. Alle übrigen — auch diejenigen, die in den nördlicheren Stationen sich wirklich anzusiedeln begonnen hatten — seien verschwunden. Nach amtlicher Lesart seien sie nach Mossul weitergeführt (d. h. einen Weg, auf dem die wenigsten Aussicht haben, lebend ans Ziel zu gelangen), nach allgemeiner Volksmeinung aber in den kleinen Tälern südöstlich von Der-es-Zor, im Winkel zwischen Euphrat und Chaburfluß, umgebracht worden. Man habe die Armenier nach und nach in Trupps von einigen Hunderten abgeführt und von dazu bestellten Tscherkessenbanden abschlachten lassen. Diese Angaben wurden dem Offizier bestätigt von einem arabischen Augenzeugen, der gerade vom Schauplatz einer solchen Szene kam, wohin ihn die Neugier getrieben hatte. Der Mann machte auf den Offizier einen glaubwürdigen Eindruck. Er erwähnte bei seiner Schilderung, deren Einzelheiten ich übergehe, zurzeit harrten an der von ihm besuchten Stelle noch dreihundert Armenier der Abschlachtung; die Hälfte kämen noch am selben Nachmittag, der Rest in der Nacht an die Reihe.

Manche Armenier haben Unterschlupf in Araberhäusern gefunden. Zu deren Aufsuchung ist Gendarmerie aufgeboten, die förmliche Jagden veranstalten soll. Die Beute wird in Euphratkähne geladen und nach Der-es-Zor gebracht.

Die Nomaden haben nach meinem Gewährsmann jenen Winkel zwischen Euphrat und Chabur verlassen, angeblich wegen der geschilderten Vorgänge.

In Aleppo hat die Verschickung der nicht „eingesessenen“ Armenier noch keinen großen Umfang angenommen. Immerhin sind ihr bisher schon etwa 800 verfallen. Dabei wird rücksichtslos auf der Straße aufgegriffen. Einen Aleppiner Bekannten traf jener deutsche Offizier beispielsweise unterwegs in einem Trupp von 50 Leuten in Pantoffeln und Hausrock ohne jedes Gepäck; er war beim Einkauf auf dem Markte aufgehoben, ins Sammellager geführt und verschickt worden.

Auch für die hiesigen Waisenhäuser, in denen man die Waisen Verschickter gesammelt, scheint die wiederholt angedrohte letzte Stunde nunmehr geschlagen zu haben. Diese Waisenhäuser werden bekanntlich von europäischen (Schweizer und deutschen) und amerikanischen Hilfsgeldern unterhalten und von armenischen Geistlichen und (eins mit über 800 Waisen) Schwestern des Deutschen Hilfsbundes für christliches Liebeswerk verwaltet. Jetzt hat die hiesige Regierung einen besonderen Kommissar für diese[S. 291] Waisenhäuser ernannt, der die Übernahme in türkische Verwaltung ausführen soll. Nach unter der Hand eingezogenen Erkundigungen soll diese nach folgenden Grundsätzen vor sich gehen:

Die Knaben über 13 Jahre sollen verschickt, die Mädchen über 13 verheiratet werden (natürlich an Muhammedaner). Die Kinder zwischen 10 und 13 Jahren werden, weil sie schon unter dem Eindruck des Erlebten stehen, von den jüngeren getrennt in rein türkischen Waisenhäusern untergebracht, wo sie ein Handwerk lernen sollen. Die Kinder unter 10 Jahren werden in besonderen Waisenhäusern erzogen. Das heißt mit anderen Worten: Die Knaben über 13 Jahre werden umgebracht, die Mädchen dieses Alters in die Harems gesteckt — ein auffallend hübsches 12 jähriges Mädchen wurde soeben unter Drohung von Repressalien gegen hier lebende Verwandte aus dem neben dem Konsulat gelegenen Waisenhaus weggenommen und zwangsweise an einen stadtbekannten 70 jährigen Pascha verheiratet — die kleineren Kinder dem Islam zugeführt, soweit sie die türkische Waisenhausverwaltung überstehen.

In Hama, Homs, Damaskus usw. sind, übereinstimmenden Nachrichten zufolge, in den letzten Wochen die Verschickten in Massen durch die Drohung weiterer Verschickung zum Übertritt zum Islam gepreßt worden. Dieser geht rein bürokratisch vor sich: Eingabe, und darauf Namensveränderung.

Daß die Türkei durch diese Scheinbekehrung wirklich eine Vertürkung der Armenier erreichen könnte, muß als Illusion angesehen werden. Augenscheinlich schweben den Urhebern Beispiele aus der Erobererzeit des Osmanentums vor. Sie dürften aber ihre Rechnung ohne das heute ganz anders gestärkte Rassen- und Nationalgefühl gemacht haben und ohne den abgrundtiefen Haß, der ganz natürlicherweise auch in den neuen armenischen Muhammedanern gegen das eigentliche Türkentum — den Henker ihres Volkes — weiter leben wird. Werden die muhammedanischen Armenier somit nach allem Erlebten auch im Denken und Fühlen Armenier bleiben — und sicherlich nicht nur in der gegenwärtigen Generation —, so macht sie ihre Vermummung im Islam dem türkischen Volkstum künftig nur noch gefährlicher, weil weniger kenntlich.

I. V.:
Hoffmann.

An die Kaiserliche Botschaft in Konstantinopel.

[S. 292]

September.

298.

Kaiserliches
Konsulat Aleppo.

Aleppo, den 5. September 1916.

Die Angaben des Berichts vom 29. v. M. über die Verhältnisse der Armenierverschickung in der Gegend von Der-es-Zor sind mir inzwischen aus anderen vertrauenswürdigen Quellen im wesentlichen bestätigt worden. So berichtete mir ein soeben von dort zurückgekehrter deutscher Angestellter einer amerikanischen Firma, der gelegentlich einer Geschäftsreise die meisten dortigen Lager besucht hat, folgendes:

„Längs der Euphratstraße ziehen sich bis Der-es-Zor nur noch kleine Lager von je 1000–2000 Seelen hin. Die 20–30000 Armenier, die ich bei meiner letzten Reise in Der-es-Zor sah und die unter dem menschlich denkenden Mutessarrif aufzuatmen begannen, sind seit dessen vor einigen Monaten erfolgten Ersetzung durch den brutalen jetzigen Mutessarrif Sekki Bey, einen Tscherkessen, bis auf einige Handwerker und etwa 1200 Kinder, weiterverschickt, und zwar, wie ich hörte, in die Gegend des Flusses Chabur[136]. Dort werden sie, allgemeiner Ansicht nach, niedergemetzelt oder kommen sonstwie um. Die erwähnten 1200 Kinder sind ganz verelendet; was man sieht, trägt den Hunger im Gesicht.

Für den Unterhalt der in den Lagern Untergebrachten tut die Regierung gar nichts. Die Lager sind fast durchweg entfernt von Städten und Dörfern. Deshalb ist die Versorgung mit Nahrung selbst für den, der noch Geld hat, äußerst schwer. Sie beschränkt sich auf das, was die arabischen Bauern täglich an Brot, Melonen usw. ins Lager bringen, d. h. eine ganz unzureichende Menge. Viele leben nur von Melonen, die in jenen Gegenden reichlich wachsen und die sie mit Schale und Kernen essen. Als ich in einem kleinen Lager Brot verteilte, benahmen sich die Leute wie die wilden Tiere, ich mußte flüchten und die Verteilung durch Gendarmen vornehmen lassen. Wer kein Geld hat, verhungert. Das Papierpfund gilt 45 Piaster. Aber man weist Unterstützung in Geld sogar zurück und schreit nach Brot. Ich sah Leute, die Gerstenkörner aus dem Pferdemist zum Essen heraussuchen.

Solange die Verschickten noch Geld haben, läßt man sie in ihrem Lager. Ist es damit zu Ende, werden sie gegen Der-es-Zor abgeschoben. Dabei reißt man rücksichtslos Familien auseinander. Bei El-Hammam arbeiten 6–700 armenische Männer ohne Familien an Regierungsbauten. Auch sie sehen übrigens ganz verhungert aus.

[S. 293]

Die Lagerinsassen setzen sich aus Angehörigen aller gesellschaftlichen Schichten zusammen. Ich wurde bei meinen Besuchen vielfach auf französisch, englisch und deutsch angesprochen; auf deutsch von Zöglingen deutscher Schulen und Waisenhäuser. Viele Flüchtlinge versuchen, in andere Lager zu flüchten, die näher bei Ansiedlungen liegen und daher eher Nahrungsgelegenheit bieten. Auf solche Flüchtlinge fahnden beständig Gendarmen. Wer gefaßt wird, gilt als verloren.

Die Winterkälte wird unter den Verschickten wohl endgültig aufräumen.“

Soweit der oben erwähnte Gewährsmann.

Was das Schicksal der von Der-es-Zor weiter Verschickten angeht, die nach amtlicher Angabe nach Mossul gehen, so habe ich mich beim Konsulat Mossul erkundigt, wieviel Verschickte von Der-es-Zor in den letzten Monaten schätzungsweise angekommen seien. Nach der daraufhin erteilten Auskunft sind am 15. April vier Transporte auf zwei Wegen von Der-es-Zor abgegangen und, 19000 an der Zahl, in einem Lager am Flusse Chabur vereinigt worden. Am 22. Mai, also 5 Wochen später, sind von diesen Transporten etwa 2500, darunter auch einige hundert Männer, in Mossul angelangt. Ein Teil der Frauen und Mädchen ist unterwegs an die Beduinen verkauft worden; alles übrige ist durch Hunger und Durst unterwegs umgekommen.

Seit 3½ Monaten sind demnach keine neuen Transporte in Mossul angekommen. Auch diese Tatsache dürfte die Volksmeinung in Der-es-Zor und die ihr entsprechenden tatsächlichen Angaben bestätigen, daß unter der Herrschaft des neuen tscherkessischen Mutessarrifs von Der-es-Zor mit den weiter Verschickten neuerdings im Euphrat-Chabur-Winkel kurzer Prozeß gemacht wird.

Die Auflösung der hiesigen Waisenhäuser für Kinder umgekommener Verschickter hat noch nicht begonnen. Jedoch hat der Vertreter des hiesigen Verschickungskommissars der einen leitenden Schwester jetzt auch amtlich erklärt, diese Waisen würden in ein neues großes nationales Waisenhaus in Konia verbracht werden; dort würden sie selbstredend türkische Namen bekommen und als Türken (d. h. Muhammedaner) erzogen werden.

I. V.:
Hoffmann.

An die Kaiserliche Botschaft in Konstantinopel.

299.

Auswärtiges Amt.

Berlin, den 25. September 1916.

Ich habe heute mit Halil Bey eingehend gesprochen und ihn nachdrücklich darauf hingewiesen, daß während die früheren Verschickungen von Armeniern angesichts der damaligen militärischen Lage im Interesse der Sicherheit des Landes noch mit einem Schein des Rechts verteidigt werden konnten, die[S. 294] jetzt geplanten Maßregeln gegen die aus Frauen und Kindern bestehenden traurigen Reste der Armenier in keiner Weise gerechtfertigt oder entschuldigt werden könnten. Das Vorgehen der türkischen Regierung werde in der ganzen zivilisierten Welt einen Sturm der Entrüstung hervorrufen, der sich auch nach dem Kriege nicht so bald legen werde. Insbesondere werde die geplante Auflösung der Waisenhäuser und die Massenbekehrungen zum Islam nicht nur in Deutschland, sondern bei allen christlichen Völkern mit Recht dem schärfsten Widerspruch begegnen.

Zimmermann.

300.

86. Sitzung des Reichshaushaltausschusses am 29. September 1916.

Aufzeichnung des Staatssekretärs.

Wir haben in der armenischen Frage von Anfang an energische Vorstellungen bei der Pforte erhoben. Wir werden vielleicht später einmal nach dem Kriege, wenn unsere Position nicht mehr so delikat ist wie heute, unsere ganzen Verhandlungen veröffentlichen. Ich kann Ihnen vertraulich erzählen, daß unser Botschafter soweit gegangen ist, sich direkt den Unwillen des Großwesirs und des Ministers des Innern zuzuziehen. Nach den ersten drei Monaten seiner Tätigkeit haben die betreffenden Minister gesagt, der Botschafter scheine wohl nichts anderes zu tun zu haben, als sie immer in der Armeniersache anzuöden.

Die neuen Klagen, daß die armenischen Waisenhäuser aufgelöst, die Armeniermädchen in die Harems und die Knaben in die türkischen Waisenhäuser gebracht und gezwungen werden, Muhammedaner zu werden, haben mir Anlaß gegeben, persönlich bei dem zurzeit hier anwesenden türkischen Minister des Auswärtigen ernste Vorstellungen zu erheben. Ich habe darauf hingewiesen, daß diese Vorgänge nicht nur für die Türken, sondern auch für uns außerordentlich peinlich wären und wir dringend bitten müßten, Mittel und Wege zu finden, daß hier Abhilfe geschaffen werde.

Ich kann nur sagen, wir haben alles getan, was wir konnten. Das äußerste, was uns übrig bliebe, wäre, das Bündnis mit der Türkei zu brechen. Sie werden verstehen, daß wir uns dazu nicht entschließen können. Höher als die Armenier, so sehr wir vom rein menschlichen Standpunkt aus ihr Los beklagen, stehen uns unsere Söhne und Brüder, die ihr teures Blut in den schwersten Kämpfen vergießen müssen und die mit auf die Unterstützung der Türken angewiesen sind. Denn die Türken leisten uns zur Deckung der Südostflanke wesentliche Dienste. Sie werden mit mir übereinstimmen, daß wir so weit nicht gehen können, den Türken, die wir tatsächlich durch unsere andauernden Vorstellungen in der armenischen Frage stark verstimmt haben, noch das Bündnis zu kündigen.

[S. 295]

Oktober.

301.

(Kaiserliches
Konsulat Aleppo.)

Telegramm.

Aleppo, den 2. Oktober 1916.

An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Auf Befehl von Konstantinopel erfolgen in Marasch, wo von 25000 Armeniern noch etwa 4000 verblieben waren, wieder neue Ausweisungen. 120 Familien sind seit dem 18. September verschickt, weitere sollen folgen.

Rößler.

Kaiserlich
Deutsche Botschaft.

Therapia, den 4. Oktober 1916.

Abschriftlich

Seiner Exzellenz dem Reichskanzler Herrn von Bethmann Hollweg gehorsamst überreicht

W. Radowitz.

302.

Kaiserlich
Deutsche Botschaft.

Therapia, den 4. Oktober 1916.

Die in Abschrift beigefügte, vom Kaiserlichen Konsul in Aleppo hierher mitgeteilte statistische Aufzeichnung der Schwester Beatrice Rohner vom Deutschen Hilfsbunde für christliches Liebeswerk im Orient über die ihr überwiesenen 720 armenischen Waisen, verdient in mehrfacher Beziehung[S. 296] Beachtung. Sie gibt den ersten einigermaßen sicheren Anhalt, um die Zahl der bei der Aussiedlung umgekommenen Armenier wenigstens prozentual annähernd zu schätzen. Die 720 Pfleglinge der Schwester Rohner sind die Überreste von 3336 Personen; wenn man nun die Gesamtzahl der türkischen Armenier auf 2 Millionen und die Zahl der Verschickten auf 1½ Million veranschlagt und dasselbe Verhältnis zwischen Überlebenden und Umgekommenen wie bei den Waisen der Schwester Rohner annimmt, so gelangt man zu einer Zahl von über 1175000 von Umgekommenen und rund 325000 Überlebenden. Die bisherigen Schätzungen der Umgekommenen bewegten sich zwischen 800000 und 1 Million und scheinen nach vorstehendem nicht übertrieben.

Ein anderer Punkt, der hervorgehoben werden muß, betrifft die erschreckend große Zahl der Mütter, die einen gewaltsamen Tod gefunden haben (379), während nur 321 Väter als unnatürlichen Todes verstorben aufgeführt werden; endlich bestätigt die vorliegende Statistik die auch sonst berichtete Tatsache, daß gegen die ausdrücklichen Weisungen der Zentralregierung die Familien von Männern deportiert worden sind, die zum Militärdienst eingezogen waren; die Statistik führt nicht weniger als 246 solcher Fälle auf.

Radowitz.

Seiner Exzellenz dem Reichskanzler
Herrn von Bethmann Hollweg.

Anlage 1.

Kaiserlich
Deutsches Konsulat.

Aleppo, den 15. September 1916.

Euerer Exzellenz beehre ich mich, eine von der Schwester Beatrice Rohner für den Monat August aufgestellte Statistik über die ihr infolge der Armenierverschickung unterstellten 720 Waisenkinder zur geneigten Kenntnisnahme anliegend zu überreichen.

Rößler.

Seiner Exzellenz dem Kaiserlichen Botschafter
Herrn Grafen Wolff-Metternich.

[S. 297]

Anlage 2.

Statistischer Bericht über 720 in unserem Waisenhaus befindliche Kinder im August 1916.

Heimat
Zahl
Wilajet Siwas
 142
Erzerum
 50
Aleppo
 189
Adana
 162
Angora
 21
Kharput
 34
Konia
 11
Brussa
 22
Diarbekr
 30
Konstantinopel
 3
Mesereh
 9
Adiaman
 3
Smyrna
 1
Ismid
 2
Ägypten
 1
Heimat unbekannt
 40
 
 720
Väter der Kinder.
 
 
Zahl
Getötet
 152
Den Entbehrungen und Strapazen
auf dem Wege erlegen
 85
Im Adanamassaker umgekommen
 32
Zum Militär eingezogen
 107
In der Verbannung
 52
Im Gefängnis
 11
Noch lebend
 80
In Amerika
 10
Vor der Ausweisung gestorben
 129
Verschollen
 62
 
 720
Mütter der Kinder.
 
In der Verbannung gestorben
 282
Noch in der Verbannung
 91
Zum Islam übergetreten
 4
Lebend
 97
Vor der Ausweisung gestorben
 53
Kinder, die keine Auskunft über
ihre Mutter geben konnten
 193
 
 720
Konfession der Kinder.
 
Gregorianisch
 554
Protestantisch
 106
Katholiken
 20
Sabbatisten
 1
Konfession nicht zu ermitteln
 39
 
 720

Durchschnittsalter der Kinder 9 17/36 Jahre.

Kinder, die früher in Waisenhäusern waren: 40.
 
Zahl der Väter, die eines unnatürlichen Todes starben
 321
 „ „   „   „  „ natürlichen   „  „
 129
 „ „   „  deren Leben gefährdet ist
 170
 „ „   „  die durch den Kriegsdienst von den Kindern entfernt sind
 107
 „ „   „  infolge der Ausweisung den Kindern verloren gingen
 394
Mütter, die eines unnatürlichen Todes starben
 379
  „    „  „ natürlichen   „   „
 53
  „  deren Leben gefährdet ist
 91
[S. 298]   „    „  durch Deportation den Kindern verloren gingen
 474
  „    „  deportiert wurden, während der Mann im Heere diente
 246
Angehörige der Kinder, die während der Deportation umkamen
 2616
Es blieben von 3336 Deportierten übrig: 720; also betrug Verlust:
 78,5%
Kinder von 1–6 Jahren, die keine Auskunft geben konnten
 126
Vollwaisen
 258
Von der ganzen Familie nur zu zweit übrig geblieben
 144
  „ „  „     „  allein      „    „
 239

Beatrice Rohner.

303.

Kaiserlich
Deutsche Botschaft.

Pera, den 9. Oktober 1916.

In einem Leitartikel bespricht die hiesige türkische Zeitung „Taswiri Efkiar“ im Anschluß an das Euerer Exzellenz bekannte Exposé des Komitees „Einheit und Fortschritt“ die armenische Frage und gelangt zu dem Schluß, daß die anfänglich vom Komitee eingeschlagene Politik der Vereinigung und Verschmelzung der verschiedenen Bevölkerungselemente „Bankrott gemacht“ habe, und statt dessen die „Säuberung“ des Reiches von allen nichtmuhammedanischen, d. h. von den christlichen Elementen ins Auge gefaßt werden müsse. Der Artikel dürfte die Überzeugung der ultranationalistischen Kreise ziemlich getreu wiedergeben, zum Teil sind diese Gedanken bereits in die Tat umgesetzt worden durch die Austreibung der in den östlichen Grenzprovinzen ansässigen syrischen Christen und der Griechen in einzelnen Distrikten von Kleinasien und Rumelien. Ferner verlangt wohl der Verfasser auch noch die Aussiedlung der bisher von der Aussiedlung verschonten Armenier von Konstantinopel und Smyrna.

Radowitz.

Seiner Exzellenz dem Reichskanzler
Herrn von Bethmann Hollweg.

304.

Kaiserlich
Deutsche Botschaft.

Pera, den 20. Oktober 1916.

Der türkische Reichsanzeiger (Takvimi-Vakaji) veröffentlicht in seiner Ausgabe vom 1./14. d. M. ein provisorisches Gesetz, durch das den ausgesiedelten Personen in den ihnen angewiesenen Ortschaften zum Zweck ihrer Unterkunft und Niederlassung und um ihnen die Mittel zum Unterhalt zu gewähren, Wohnplätze und Ländereien aus der Kategorie der vakanten[S. 299] Evkaf-und Miriländereien unentgeltlich zur Verfügung gestellt werden. Die Ministerien des Innern und der frommen Stiftungen sowie das Justiz- und Finanzministerium sind mit der Ausführung dieses Gesetzes betraut, das vom 22 Elul 1332 (5. Oktober d. J.) datiert und mit dem Tage der Veröffentlichung in Kraft tritt.

Das Gesetz steht in auffälligem Widerspruch mit den hier vorliegenden Berichten über die Behandlung, der die nach Mesopotamien geschafften Armenier in letzter Zeit ausgesetzt sind.

I. V.:
Göppert.

Seiner Exzellenz dem Reichskanzler
Herrn von Bethmann Hollweg.

[S. 300]

November.

305.

Kaiserlich
Deutsches Konsulat.

Aleppo, den 11. November 1916.

Am 25. September d. J. hatte mir Djemal Pascha erzählt, daß er beabsichtige, die Herren Dr. Niepage und Dr. Graeter, welche beide bis zum Juni d. J. als Lehrer an der deutschen Realschule in Aleppo tätig gewesen waren, wegen Veröffentlichungen in der Armenierangelegenheit kriegsgerichtlich verurteilen zu lassen. Dieser Tage sind nun Polizisten mehrfach in der Schule erschienen, um nach ihnen zu forschen. Offenbar wird also das Verfahren ernstlich durchgeführt[137].

Rößler.

Seiner Exzellenz dem Reichskanzler
Herrn Dr. von Bethmann Hollweg.

306.

Kaiserlich
Deutsche Botschaft.

Pera, den 13. November 1916.

Wie der Kaiserliche Konsul zu Smyrna meldet, haben die dortigen Behörden mit der Verschickung der armenischen Bevölkerung begonnen. Den Anlaß dazu bot der Umstand, daß angeblich vor einigen Wochen auf dem katholischen Friedhofe alte Bomben u. dgl. Material aufgefunden wurden, die von Armeniern dort versteckt sein sollen. Daraufhin forderte der Wali den armenischen Bischof bzw. die Gemeinde auf, die verdächtigen Personen zu benennen und noch vorhandene Waffen abzuliefern, der Bischof erklärte jedoch, daß ihm keine solche Personen bekannt und keine Waffen mehr versteckt seien.

Infolgedessen wurden am 8. d. M. eine Anzahl Verhaftungen vorgenommen und den folgenden Tag 300 Armenier ohne Unterschied des Alters und Geschlechts mit der Eisenbahn abgeschoben; weitere Transporte sollen folgen.[S. 301] Die Verschickung wird vom Polizeichef von Smyrna geleitet, dem der Wali freie Hand gelassen hat.

Der zurzeit in Smyrna anwesende Marschall Liman von Sanders hat den Wali darauf aufmerksam gemacht, daß diese Massenverschickung die militärischen Interessen schädige und er daher weitere Verhaftungen und Abschiebungen nicht dulden würde.

Der Marschall schreibt folgendes: „Da derartige Massendeportationen in das militärische Gebiet hinübergreifen — Wehrpflichtige, Gebrauch der Eisenbahnen, Gesundheitsmaßnahmen, Unruhe der Bevölkerung in einer Stadt nahe vor dem Feinde etc. —, so hatte ich den Wali benachrichtigt, daß ohne meine Genehmigung derartige Massenverhaftungen und -deportationen nicht mehr stattfinden dürften. Ich verständigte den Wali, daß ich sie im Wiederholungsfalle mit Waffengewalt verhindern lassen würde.

Daraufhin hat der Wali nachgegeben und mir zugesagt, daß sie unterbleiben würden.

Da er aber angibt, von Konstantinopel aus (Talaat Bey) dazu veranlaßt zu sein, so bin ich nicht sicher, daß nur vielleicht andere Wege gewählt werden.

Soweit ich in Erfahrung bringen konnte, beläuft sich die Zahl der in Smyrna lebenden Armenier auf 6–7000, darunter die reichsten Leute der Stadt, aber auch einzelne üble Persönlichkeiten.“

Aus der Aufzeichnung des Grafen Spee füge ich folgendes hinzu:

„Die ganze Angelegenheit ist, abgesehen von der rechtlichen Vergewaltigung und den unabsehbaren Folgen für die Opfer, für die deutschen Interessen bzw. das deutsche Ansehen von größter Tragweite.

Die Maßnahmen der Regierung erfolgen in einer Zeit, zu welcher außer dem deutschen Korpskommandeur auch der Oberbefehlshaber, Marschall Liman von Sanders, in Smyrna anwesend war. Das Gerücht geht in der Stadt, daß das planmäßige Vorgehen von den Deutschen vorbereitet sei, damit sie sich der ihrem Handel unbequemen armenischen Konkurrenten auf diese Weise entledigen könnten.

Materiell wird ein direkter Schaden entstehen, da tatsächlich die armenischen Kaufleute deutsche Waren in großem Umfange abgenommen haben, die zum großen Teil noch nicht bezahlt sind. Die von den Armeniern noch zurückgehaltene Ware wird unter Anwendung des neuen Gesetzes über zurückgelassene Habe den üblen türkischen Elementen die Handhabe bieten, sich ohne weiteres in den Besitz dieser Waren gleichzeitig mit den sehr beträchtlichen Vermögen der Armenier zu setzen. Und dies alles unter dem billigen Vorwande, daß die Deutschen es gemacht haben.

Radowitz.

Seiner Exzellenz dem Reichskanzler
Herrn von Bethmann Hollweg.

[S. 302]

307.

Kaiserlich
Deutsche Botschaft.

Pera, den 17. November 1916.

Euerer Exzellenz beehre ich mich in der Anlage Abschrift einer Aufzeichnung des Marschalls Liman von Sanders über die Armenierverschickungen in Smyrna vorzulegen. Wie daraus und auch aus dem nebenbezeichneten Bericht hervorgeht, sind die gegen die Armenier gerichteten Maßnahmen auf Anordnung aus Konstantinopel getroffen worden. Der Vorwand für die Verschickungen — das angebliche Auffinden von Bomben und Waffen auf einem armenischen Friedhof — gehört zu dem schon bekannten Inventar der türkischen Behörden an solchen Vorwänden. Das Eingreifen des Marschalls ist auch deshalb zu begrüßen, weil sich in Smyrna, wie dies auch an anderen Orten vorgekommen ist, das Gerücht verbreitet hatte, die deutschen militärischen Stellen hätten die Austreibung der Armenier verlangt. Ich werde nicht verfehlen, die türkische Regierung auf den Vorfall anzureden und ihr größte Zurückhaltung in der Behandlung der Armenierfrage zu empfehlen.

Kühlmann.

Seiner Exzellenz dem Reichskanzler
Herrn von Bethmann Hollweg.

Anlage.

Militärmission.

Konstantinopel, den 17. November 1916.

Aufzeichnung für die Kaiserliche Botschaft.

Vom 4. bis 11. November war ich zur Besichtigung der neu formierten 56. Division und der nach dem europäischen Kriegsschauplatz abzutransportierenden 16. Division in Smyrna.

Am Donnerstag, den 9. November, gegen Abend, als ich von der Besichtigung der österreichischen Batterie bei Phokia zurückkehrte, wurde mir von Konsul Graf v. Spee mitgeteilt, daß am 8. und in der vergangenen Nacht zahlreiche Armenierverhaftungen in Smyrna stattgefunden hätten und daß diese Armenier mit der Eisenbahn in das Innere des Landes abtransportiert seien.

Ich zog an verschiedenen Stellen nähere Erkundigungen ein. Es wurde mir bestätigt, daß durch die Polizei — zum Teil in rohester Weise, indem alte Frauen und kranke Kinder in der Nacht aus den Betten geholt wurden — mehrere hundert Armenier verhaftet und direkt auf die Bahn gebracht worden seien. Zwei Eisenbahnzüge voll Armenier waren abtransportiert worden. — In der Stadt herrschte große Aufregung über diese Vorgänge.

Ich schickte am 10. November morgens den Chef des Stabes der[S. 303] V. Armee, Oberst Kiasim Bey, zum Wali und ließ ihm sagen, daß ich derartige Massenverhaftungen und Transporte, welche in einer vom Feinde bedrohten Stadt nach verschiedenen Richtungen in das militärische Gebiet eingriffen, nicht weiter dulden würde. Sollte die Polizei trotzdem mit diesen Maßnahmen fortfahren, so würde ich sie mit Waffengewalt durch die mir unterstehenden Truppen verhindern. Ich gab dem Wali bis zum Mittag dieses Tages Zeit, sich zu entscheiden.

Den Kommandierenden General in Smyrna, Königlich Preußischen Oberst Trommer, der die Vorgänge bereits kannte, verständigte ich durch Major Prigge von obiger Mitteilung und den eventuell zu treffenden Maßnahmen.

Gegen 1,30 Uhr nachmittags kam Major Kiasim Bey vom Wali, der in Burnabad war, zurück und meldete mir, daß die Verhaftungen und Transporte eingestellt worden seien und unterbleiben würden.

Am Nachmittag des Tages kam der erste Departementschef des Wali — Kara Biber Bey — zu mir, und hatte ich ausführliche Rücksprache über die Angelegenheit mit ihm.

Am selben Abend kamen 3 Griechen aus Urla bei Smyrna (ca. 25000 griechische Einwohner) zu mir und zeigten mir mit Bitte um Hilfe an, daß die 10 angesehensten und reichsten Notabeln in Urla durch 30 dorthin entsandte Gendarmen ohne Verhör verhaftet und in das Smyrnaer Gefängnis verbracht worden seien.

Am 11. November vormittags war ich zu Besichtigungen in Urla, fand die Tatsache bestätigt und erhielt vom Abschnittskommandeur nähere Meldung.

Am 11. November nachmittags suchte mich der Wali persönlich auf. In einer langen Rücksprache setzte mir der Wali die Gründe für die Massenverhaftungen der Armenier auseinander. Ich konnte diese Gründe, die auf ganz unzureichenden Grundlagen beruhten, nicht billigen und betonte, daß die militärische Lage die größte Ruhe in der zum größten Teil von Griechen bewohnten Stadt Smyrna unbedingt erfordere.

Ich erklärte dem Wali, daß ich hier als Oberbefehlshaber in meinem Bezirk Verschickungen nicht dulden dürfe, ohne die Ruhe zu gefährden. Er könne sich auf mich berufen. Er sagte dies zu und versprach mir, schriftlich Nachricht zu geben.

Ebenso veranlaßte ich sofortige Untersuchung über die scheinbar unschuldig verhafteten Einwohner von Urla.

Am Abend reiste ich ab. Der Wali war an der Bahn.

Kurz nach meiner Rückkehr nach Panderma erhielt das Oberkommando Schreiben des Wali, worin mitgeteilt wurde, nach welchem Ort die Armenier verbracht worden seien, und in dem erklärt wurde, daß die unschuldig Befundenen nach Smyrna zurücktransportiert werden würden.

Liman von Sanders,
Königl. Preuß. General der Kavallerie.

[S. 304]

308.

(Kaiserlich
Deutsche Botschaft.)

Telegramm.

Pera, den 25. November 1916.

An das Auswärtige Amt.

In Smyrna sind die Armenierverschickungen inzwischen sistiert. Angelegenheit ist damit erledigt.

Kühlmann.

[S. 305]

Dezember.

309.

von Scheubner-Richter.

z. Zt. München, den 4. Dezember 1916.

Unter ergebenster Bezugnahme auf meinen Bericht vom 5. August 1915 aus Erzerum und den daraufhin erfolgten, meine Stellungnahme zur Armenierfrage anerkennenden Erlaß Euerer Exzellenz, dessen Inhalt mir unter dem 28. Oktober 1915 durch die Kaiserliche Botschaft in Konstantinopel nach Mossul übermittelt wurde, erlaube ich mir ganz gehorsamst folgendes zu unterbreiten:

Bei meinem Bestreben, noch in letzter Stunde zu versuchen, die Anbahnung eines Modus vivendi zwischen den sich mit dieser Frage befassenden Vertretern des türkischen Komitees und den Armeniern herbeizuführen, ging ich von der Voraussetzung aus, daß ich in dem mit mir nach Aserbeidschan und dem Ostkaukasus gehenden Generalinspektor des türkischen Komitees für Einheit und Fortschritt, Omer Nadji, den ich persönlich gut kannte, Unterstützung finden würde, da ich wußte, daß er die rigorosen Maßnahmen der übrigen Komiteemitglieder nicht billigte. Mit Recht befürchtete er, daß dieses Vorgehen eine ungünstige Wirkung auch auf die Führer der kaukasischen Partei Fidai ausüben würde.

Ich hoffte ihn bei unserer gemeinschaftlichen Reise von der Unsinnigkeit der Maßnahmen gegen die Armenier noch weiter zu überzeugen. Außerdem rechnete ich darauf, daß meine Anwesenheit zum mindesten verhüten werde, daß die Omer Nadji zur Verfügung gestellten Truppen, unter dem Einfluß einiger anderer mit uns reisender Komiteemitglieder, unter denen mir einer als einer der Anstifter der Armeniermassakers im Wilajet Trapezunt bekannt war, dazu mißbraucht werden würden, ähnlich wie die Truppen Halils, in Nordpersien Christenmassakers zu inszenieren.

Diese meine Voraussetzungen haben mich, wie ich mit Befriedigung feststellen kann, nicht getäuscht.

Omer Nadji selbst war froh, in mir, als deutschem Offizier, eine Stütze für seine maßvolle Haltung gegenüber den anderen Komiteemitgliedern zu finden.

Der grauenvolle Anblick der erschlagenen Armenier in den verwüsteten Dörfern der von uns durchzogenen Gebiete bis Bitlis verfehlte auch auf die anderen Herren seine Wirkung nicht. Es war ihnen sichtbar unangenehm, daß ich und meine deutschen Begleiter Zeugen dieses Wirkens ihrer Ge[S. 306]sinnungsgenossen wurden, und versuchten sie wiederholt durch Erklärungen, die alle Schuld den Kurden beimaßen, den von uns empfangenen üblen Eindruck abzuschwächen.

Ich konnte in einzelnen Fällen, so z. B. in Bitlis, den noch dort zurückgebliebenen armenischen Frauen und Kindern, deren sich amerikanische Missionarinnen angenommen hatten, Erleichterungen verschaffen und auch den letzteren Hilfe gewähren.

Nicht unerwähnt möchte ich folgenden charakteristischen Vorfall lassen:

Auf dem Wege nach Mossul, der uns in den neugeschaffenen Befehlsbereich der 6. Armee führte, erhielten Omer Nadjis und meine Abteilungen den Befehl, ein Armenierdorf bei Hesak, in dem sich angeblich aufständische Armenier verschanzt hatten, zu stürmen und zu bestrafen. Ich erfuhr rechtzeitig, daß die angeblich „Aufständischen“ Leute waren, die sich aus Furcht vor einem Massaker verschanzt hatten und gern bereit wären, ihre Waffen auszuliefern, wenn ihnen nur ihr Leben zugesichert würde.

Ich entzog mich dem mir drohenden Konflikt dadurch, daß ich die mir unterstellten Deutschen, Offiziere und Mannschaften, nach Mossul berief und den Befehl über die türkischen Mannschaften einem meiner türkischen Offiziere übergab, mit der Motivierung, daß es sich um eine „innertürkische“ Angelegenheit handele und ich es daher nicht für angebracht halte, daß Deutsche hierbei den Befehl über „Gendarmeriedienst“ tuende türkische Truppen führten. Mein Verhalten fand die Billigung des Generalfeldmarschalls v. d. Goltz.

Auch von türkischer Seite wurde dasselbe anerkannt. Die dabei zutage tretende Enttäuschung legt die Vermutung nahe, daß es sich bei diesem mir erteilten Befehl um einen Versuch Halil Beys handelte, mich und die mich begleitenden Deutschen, in uns kompromittierender Weise in die Armenierangelegenheit hineinzuziehen[138].

Die später erfolgte Zuteilung meiner Abteilung zur neugeschaffenen Gruppe Mossul und meine dadurch bedingte militärische Unterstellung unter das Kommando des Wali von Mossul, Haidar Bey, legte mir naturgemäß größere Zurückhaltung in bezug auf das Eingreifen in armenische Fragen auf.

Trotz der Schwierigkeit meiner Stellung konnte ich aber auch hier bewirken, daß während der ganzen Zeit meiner Anwesenheit bei den in Nordpersien operierenden türkischen Truppen Fälle von Massakern oder außergewöhnlichen Bedrückungen der dortigen orientalischen Christen nicht vorgekommen sind.

[S. 307]

Besonders möchte ich hervorheben, daß es mir im Verein mit Omer Nadji gelungen ist, bei der Eroberung von Sautschbulag, die dortige nicht muhammedanische Bevölkerung, einschließlich der Parteigänger Rußlands, vor Niedermetzelung und Vergewaltigungen zu schützen, wie sie bei früheren Besetzungen der Stadt durch türkische Truppen bzw. Freischärler stattgefunden hatten.

Dieses ist auch von dem in Sautschbulag lebenden amerikanischen Missionar Fossum und der deutschen Missionarin Meta v. d. Schulenburg anerkannt worden.

Aus Gefangenenaussagen und anderen an mich gelangten Nachrichten konnte ich aber feststellen, daß das diesmalige maßvolle Verhalten der türkischen Truppen auf gegnerischer Seite Erstaunen hervorgerufen und somit geeignet gewesen ist, den schlechten Eindruck früherer türkischer Offensiven in Nordpersien und Ostkaukasus wenigstens zum Teil zu verwischen.

Das Vordringen der russischen Truppen im Mai dieses Jahres, wodurch die schwachen türkischen Kräfte zurückgehen mußten, sowie meine anderweitige militärische Verwendung, setzten meinen diesbezüglichen Bestrebungen ein vorläufiges Ende.

Ich bitte gehorsamst, im Anschluß hieran noch auf folgendes hinweisen zu dürfen:

Die in meinem Bericht aus Erzerum ausgesprochene Befürchtung, daß die Aussiedelung der Armenier ihrer Vernichtung gleichkommen werde bzw. dieselbe bezwecken sollte, hat sich leider bewahrheitet. Was von den Ausgesiedelten dieses Volksstammes noch in Mesopotamien lebt, befindet sich in einem trostlosen Zustande. Es ist nicht zu viel gesagt, wenn man ausspricht, daß die türkischen Armenier mit Ausnahme einiger Hunderttausender in Konstantinopel und anderen größeren Städten Lebender so gut wie ausgerottet sind.

Es würde zu weit führen, wollte ich auf die Ursachen der Ausrottung der Armenier und die politischen und wirtschaftlichen Folgen dieser Maßnahme für die Türkei eingehen.

Dieses Kapitel ist fürs erste leider abgeschlossen, und kann sich unsere Fürsorge und unser Interesse nur noch auf die Erleichterung der Lage der sich in Mesopotamien befindenden Überlebenden erstrecken.

Ich halte mich aber andererseits für verpflichtet, die Aufmerksamkeit Euerer Exzellenz noch auf nachstehendes zu lenken: Eine Reihe von Gesprächen mit maßgebenden türkischen Persönlichkeiten hinterließ bei mir folgende Eindrücke:

Ein großer Teil des jungtürkischen Komitees steht auf dem Standpunkt, daß das türkische Reich nur auf rein muhammedanischer, pantürkistischer Grundlage aufgebaut werden muß. Die nichtmuhammedanischen und nicht[S. 308]türkischen Bewohner desselben müssen gewaltsam muhammedanisiert und türkisiert, wo das nicht angängig, vernichtet werden.

Zur Verwirklichung dieses Planes scheint diesen Herren die jetzige Zeit die geeignetste.

Als erster Punkt ihres Programms kam die Erledigung der Armenier.

Für die mit der Türkei im Bündnis stehenden Mächte wurde eine angeblich vorbereitete Revolution der Partei der Daschnakzagan vorgeschützt. Lokale Unruhen und Selbstschutzbestrebungen der Armenier wurden außerdem aufgebauscht und zum Vorwand genommen, die Aussiedelung der Armenier aus bedrohten Grenzgebieten zu motivieren. Unterwegs wurden die Armenier auf Anstiftung des Komitees von kurdischen und türkischen Banden, stellenweise auch von Gendarmen, ermordet.

2. Etwa zu gleicher Zeit wurden die Nestorianer im östlichen Kurdistan durch türkische Truppen von Mossul nach tapferer Gegenwehr aus ihren Wohnsitzen vertrieben und zum Teil vernichtet. Ihre Felder und Wohnstätten wurden verwüstet. Die Überlebenden flüchteten zu den Russen und kämpfen jetzt in deren Reihen gegen die Türkei.

3. Der Feldzug Halil Beys nach Nordpersien hatte Massakrierung seiner armenischen und syrischen Bataillone und Vertreibung der armenischen, syrischen und persischen Bevölkerung aus Nordpersien zur Folge und hinterließ eine große Erbitterung gegen die Türken.

4. An eine Abrechnung mit den Arabern wird ebenfalls gedacht, doch die im Augenblick ungünstige militärische Lage ließ den Zeitpunkt dafür noch nicht für gekommen erscheinen. Inzwischen versuchte man durch starke Rekrutierung der Araber und Entsendung arabischer Truppen in mangelhaftester Ausrüstung in klimatisch ungünstige Gegenden (Winterfeldzug 1914 Erzerum, 1915 Nordpersien) einen geeigneten Ersatz zu finden.

5. In lächerlicher Überschätzung der Kraft und der Fernwirkung pantürkischer Ideen, und in Unterschätzung des Einflusses der kaukasischen Armenier, glaubt man die Muhammedaner des Kaukasus für einen Anschluß an die Türkei und zu einem Aufstand gegen Rußland gewinnen zu können, und nur langsam dämmert die Erkenntnis, daß durch das Vorgehen gegen die Armenier und das Verhalten türkisch-kurdischer Freischärler in den kaukasischen Grenzgebieten dieser Plan stark an Wahrscheinlichkeit eingebüßt hat. Die deutsche Verständigung mit den Kaukasiern wird ungern gesehen und vielfach gehindert.

Meine Eindrücke in bezug auf die Frage des Verhältnisses der Türken zu den anderen dort lebenden Nationen zusammenfassend (die ich bis Ende August 1916 gewonnen habe), möchte ich, im Hinblick auf die Zukunft, folgendes ausführen:

Es erscheint mir nicht ausgeschlossen, daß im Bereich der 6. Armee der Versuch gemacht werden wird, zur Hebung der Stimmung der auf[S. 309] türkischer Seite kämpfenden Kurden, ihren Fanatismus erneut anzufachen und ihnen freie Hand gegen die dortige christliche Bevölkerung zu geben.

Ein ähnliches Ausspielen der sunnitischen Kurden gegen die schiitischen Perser könnte unter Umständen in Nord- und Mittelpersien stattfinden und dadurch, abgesehen von den wirtschaftlichen Folgen, einen dauernden Gegensatz zwischen den Beteiligten hervorrufen.

Ich habe schließlich den Eindruck gewonnen, daß ein schärferes Auftreten gegen die rigorosen Bestrebungen des jungtürkischen Komitees, wo wir die Macht dazu haben, unserem Ansehen dienen dürfte und uns die Sympathien, nicht nur der Nichtmuhammedaner und Araber, sondern auch der Alttürken und der derzeitigen Minderheit der Jungtürken eintragen würde.

Bei der Unsicherheit der türkischen politischen Verhältnisse erscheint es mir nicht unangebracht, die Stimmung dieser in der Provinz Einfluß habenden Kreise in Rechnung zu ziehen.

Wenn wir, die Türken, in diesem Kampf um die Existenz des osmanischen Reiches verbluten, so soll es auch keine anderen Nationen in demselben mehr geben: dieser Ausspruch eines jungtürkischen Politikers kennzeichnet am besten den Standpunkt der jungtürkischen Komiteekreise. Die, meist aus Mangel an Organisation und Voraussicht immer mehr auftretende Schwächung des reinen Türkentums (der Anatolier) zieht in logischer Konsequenz auch die gewaltsame Vernichtung der anderen in der Türkei lebenden Nationen nach sich.

Diesem Vernichtungsprozeß unsere Aufmerksamkeit zuzuwenden und ihm auch entgegenzuwirken, scheint mir in unserem politischen und wirtschaftlichen Interesse geboten.

v. Scheubner-Richter.

An Seine Exzellenz den Reichskanzler
Herrn von Bethmann Hollweg, Berlin.

310.

Auswärtiges Amt.

Berlin, den 25. Dezember 1916.

In einem Bericht des Verwesers des Kaiserlichen Generalkonsulats in Jerusalem ist u. a. davon die Rede, daß nach zuverlässigen Nachrichten und entgegen allen türkischen Ableugnungsversuchen die gewaltsamen Islambekehrungen unter den verschickten Armeniern fortgesetzt werden. Die gleiche Nachricht ist auch auf anderen Wegen hierher gedrungen und hat in weiten Kreisen der deutschen Christen berechtigte Empörung hervorgerufen.

[S. 310]

Euer Hochwohlgeboren bitte ich, die Angelegenheit erneut mit gebührendem Ernste bei der Pforte zur Sprache zu bringen und ihr zu bedeuten, daß sie durch Duldung zwangsweiser Bekehrungen zum Islam nicht nur ihre Stellung bei den Friedensverhandlungen erschwere, sondern den Mächten auch für die Zukunft eine neue Handhabe zur Einmischung in innere türkische Verhältnisse bieten würde. Als christliche Macht und als Bundesgenosse, dem die innere Kraft und Unabhängigkeit der Türkei am Herzen liegt, können wir unseren türkischen Freunden nur dringend raten, für schnelle und gründliche Abhilfe zu sorgen.

Zimmermann.

Seiner Hochwohlgeboren dem Kaiserlichen Geschäftsträger
Herrn Göppert, Pera.

[S. 313]

1917

Januar.

311.

Kaiserlich
Deutsche Botschaft.

Notiz.

Pera, den 4.1.17.

Inhalt der Anlage mit Halil Bey besprochen.

Er versprach, bei Enver Pascha und Talaat Bey dahin zu wirken, daß die Zwangsbekehrungen sofort aufzuhören hätten. Den Übergetretenen die Rückkehr zum christlichen Glauben schon jetzt zu ermöglichen, sei nicht wohl angängig und nicht praktisch, da dies neue Verschickungen zur Folge haben könnte. Nach dem Kriege werde das ebenso möglich sein, wie nach den Armenierverfolgungen zu Abdul Hamids Zeiten.

Göppert.

Anlage.

Péra, le 4 janvier 1917.

Le Gouvernement Allemand apprend de sources dignes de foi que, contrairement aux démentis officiels, on continue de forcer les Arméniens dans les provinces à renier la foi chrétienne et à embrasser l’islamisme. Les nouvelles de ces faits s’étant répandues en Allemagne les milieux chrétiens s’en sont émus à juste titre et ce n’est qu’à grande peine que le Gouvernement Allemand a réussi à empêcher, jusqu’à présent, la discussion publique de cette question; cependant, il ne peut ne pas tenir compte des nombreuses démarches faites auprès de Mr. le chancelier de l’Empire et auprès du Département des Affaires Etrangères à l’effet de faire cesser ces persécutions et de donner aux personnes converties de force la faculté de rentrer dans la foi chrétienne après le rétablissement de la paix.

Le Gouvernement Allemand, en sa qualité de puissance chrétienne, ne peut que regretter et désapprouver des actes de violence qui sont contraires aux principes de la liberté de conscience, principes qui ont été toujours observés en Turquie et qui, d’ailleurs, ont été consacrés dans un article spécial de la constitution Ottomane. De même, il est d’avis que les persécutions des Arméniens Chrétiens sont de nature à créer au Gouvernement Ottoman de sérieuses difficultés lors de la discussion des conditions de paix, et il prévoit que les puissances de l’entente en profiteront à l’avenir pour s’ingérer dans les affaires intérieures de l’Empire.

[S. 314]

Le Gouvernement Allemand guidé par le sincère désir de contribuer à l’affermissement de l’indépendance nationale de l’Empire Ottoman, a cru de son devoir de communiquer au Gouvernement Ottoman sa manière de voir au sujet d’une question qui, dans ce sens, intéresse également les deux Gouvernements alliés. En même temps, il aime à espérer que le Gouvernement voudra bien prendre les mesures nécessaires pour mettre fin à des incidents qui ne peuvent être justifiés ni par les intérêts militaires ni par des motifs d’ordre public.

312.

(Kaiserlich
Deutsche Botschaft.)

Telegramm.

Konstantinopel, den 5. Januar 1917.

An Auswärtiges Amt.

Antwort auf Erlaß vom 25. Februar.

Halil Bey versprach dahin zu wirken, daß Zwangsbekehrungen sofort ein Ende gemacht werde. Sofortige Rückkehr der zwangsweise Bekehrten zum Christentum sei nicht opportun, doch werde sich diese Frage nach Friedensschluß voraussichtlich befriedigend lösen lassen.

Göppert.

313.

Kaiserlich
Deutsche Botschaft.

Pera, den 26. Januar 1917.

In einem längeren Auszuge, den die in New York erscheinende griechische Zeitung „Atlantis“ aus einer Veröffentlichung des Lord Bryce gebracht hat (Ausgabe vom 7. November v. J.), wird u. a. behauptet, daß bei der Niedermetzelung der armenischen Bevölkerung von Musch im Juli 1915 ein nicht näher bezeichneter deutscher Offizier eine aktive Rolle gespielt habe.

Hierüber wird folgendes gesagt:

„Die Türken hatten unter allerlei Vorwänden einige 5000 Armenier aus den umliegenden Dörfern beim Kloster Surb Karabet in Musch gesammelt, die sie dann vor den Mauern des Klosters niedermachten. Bevor das Gemetzel begann, stieg ein deutscher Offizier auf die Mauer und warf den Armeniern vor, daß die türkische Regierung den Armeniern stets viel Gutes erwiesen und große Vorrechte verliehen habe, daß aber die Armenier, hiermit[S. 315] nicht zufrieden, nach Autonomie gestrebt hätten. Darauf feuerte er seinen Revolver ab und gab damit das Zeichen zum allgemeinen Gemetzel usw.“

Über die Vorgänge in Musch lagen hier die Angaben der Schwester Alma Johansson vom Deutschen Hilfsbunde für christliches Liebeswerk im Orient vor, welche sich in den kritischen Tagen an Ort und Stelle befunden hat[139]; sie hat in ihrer Erzählung dieser Ereignisse mit keiner Silbe die Anwesenheit eines deutschen Offiziers bei den türkischen Truppen erwähnt, und es ist nicht anzunehmen, daß sie keine Kenntnis davon erhalten, oder, wenn sie davon gehört, es hier verschwiegen hätte. Durch weitere Nachfrage bei der hiesigen Militärmission ist dann noch festgestellt worden, daß Deutsche im Juli 1915 bei den Ereignissen in und bei Musch nicht zugegen waren.

Die Angaben des Lord Bryce über die Beteiligung eines deutschen Offiziers an den fraglichen Ereignissen beruhen also auf Erfindung.

von Kühlmann.

Seiner Exzellenz dem Herrn Reichskanzler.

[S. 316]

Februar.

314.

Deutscher Hilfsbund für christliches
Liebeswerk im Orient, E. V.

Abschrift
eines Briefes von Frau Prediger Joh. Ehmann.

Mamuret-ul-Asis, den 10. Februar 1917.

Da ich hoffe, eine Gelegenheit zu haben, einen Brief zu senden, der nicht die türkische Zensur passieren muß, so will ich heute abend noch sehen, was ich schreiben kann.

Wir sind in diesen Tagen sehr niedergedrückt und beschwert durch die drohende Kriegsgefahr mit Amerika. Wie wird es auslaufen?... Über wie viel Tausende wird neues Elend kommen! Wir denken zunächst an die Amerikaner in Kharput — die Türken sollen sich teilweise schon auf die reiche Beute freuen, die ihnen dann zuteil würde. Und sanft würde gewiß mit den Amerikanern nicht verfahren werden, obwohl im vergangenen Jahre die Stimmung ihnen gegenüber recht günstig war im Gegensatz zu 1915, wo man sehr kurz mit ihnen war. In letzter Zeit waren wir die weniger Wohlgelittenen; in den letzten Monaten hat sich eine ziemlich stark antideutsche Stimmung herausgebildet, unter der wir auch schon leiden mußten. Vor 14 Tagen mußten wir, der Gewalt gehorchend, ein weiteres Waisenhaus abtreten, nachdem schon 4 Häuser in Händen des Militärs sind. Als man zuerst mit der Forderung an meinen Mann herantrat, wies er die Forderung ab mit der Begründung, dies ginge über seine Befugnisse hinaus, er sei unserer Gesellschaft und den Freunden unserer Arbeit verantwortlich, er wolle sich bei der Botschaft Rat holen; sobald von dieser der Befehl käme, die Häuser auszuliefern, so sei er bereit. Man forderte nämlich, das vergaß ich zu sagen, alle unsere Häuser unter der Behauptung, es sei ein Telegramm von Enver Pascha gekommen, daß sowohl unsere Häuser als die der Amerikaner für die Soldaten ausgeräumt werden sollten. Als besondere Gnade wollten sie uns das Knabenwaisenhaus Ebenezer lassen! — Da wir am nächsten Tage erfuhren, daß man sich an die Amerikaner gar nicht gewandt hatte, zweifelte mein Mann die Echtheit dieses Enverschen Telegramms sehr an. Er sandte nun einige Telegramme an die Botschaft ab, aber offenbar hat man keines davon durchgelassen, denn bis[S. 317] heute ist keine Antwort eingelaufen. 8 Tage nach der ersten Forderung kam man wieder mit neuem Drängen, mein Mann konnte nur antworten, er müsse auf die Antwort der Botschaft warten. Am Dienstag darauf kamen zwei Abgesandte mit der Nachricht, man habe jetzt lange genug gewartet, wenn am nächsten Tage die Häuser nicht gegeben würden, so würden sie mit Gewalt genommen. Mein Mann ging darauf zum Kommandanten, zu demselben, der noch an unserer Weihnachtsfeier teilnahm, um in Freundschaft mit ihm zu verhandeln, fand ihn aber so aufgeregt und so grob, daß nichts bei der Sache herauskam und der Kommandant schließlich, ohne sich zu verabschieden, aus dem Zimmer hinauslief und meinen Mann stehen ließ. Die Botschaft habe sich gar nicht mehr hineinzumischen seit der Aufhebung der Kapitulationen etc. Mein Mann tat dann noch Schritte bei dem obersten Schulbeamten, der versprach, gleich am nächsten Morgen mit dem Kommandanten zu verhandeln und ihn dahin zu bestimmen, daß man sich mit der Abtretung eines Hauses begnüge. Aber siehe da, am nächsten Morgen, ungefähr um 9 Uhr, rückte Militär und Polizei an und umstellte unsere beiden Mädchenwaisenhäuser! Sie hatten Werkzeuge mitgebracht, um eventuell die Türen mit Gewalt einzuschlagen. Schwester Kathrine, die am Tor stand, wurde vor die Brust gestoßen, niemand durfte hinaus; und als Schwester Marie schnell herausschlüpfte, um meinem Mann Nachricht zu bringen, schlug man nach ihr, zum Glück, ohne sie zu treffen. Die Soldaten drangen nun in die Häuser ein, d. h. nur einige, in jedem Stockwerk stand einer mit geladenem Gewehr, und Schwester Kathrine durfte in ihrem eigenen Hause nicht mehr die Treppe hinauf, sie mußte bleiben, wo sie war. Schwester Jenny im anderen Hause war mutiger, sie sagte zu dem Soldaten, der sie auch bedrohte: „Was fällt dir ein? Ich bin eine Deutsche (sie ist Dänin), ich fürchte mich nicht!“ und konnte daraufhin im Hause frei umhergehen. Inzwischen hatte nun mein Mann Nachricht und war eilends gekommen. Er verhandelte mit dem Offizier, der mit den Soldaten vorm Hause stand, dann mußte unser Dragoman hin und herlaufen zwischen dem Kommandanten und meinem Mann, bis nach vielem Hin und Her sich der Kommandant bereit erklärte, zufrieden zu sein, wenn an diesem Tage Emmaus, das gemietete dänische Waisenhaus, geräumt würde und am nächsten Tage Elim, unser eines Mädchenwaisenhaus. Die Räumung von Emmaus zerschlug sich dann in der letzten Minute, da ein Offizier, der das Haus besichtigte, behauptete, es sei zu klein, sie hätten gedacht, es sei größer. So wurde denn Elim ausgeräumt. Mein Mann hatte einige Häuser in der Nachbarschaft verlangt für die Waisen, die uns nach einigen Schwierigkeiten schließlich gegeben wurden. Aber trotz der Eile, die man damals hatte, und trotz des Drängens, bis ihnen die Schlüssel abgeliefert waren — es war am 24. Januar —, steht Elim bis heute, am 11. Februar, leer. Wir wissen wohl, daß es nicht das Haus war, das man brauchte, denn in Mamuret-ul-Asis sind noch Häuser genug, sondern[S. 318] es war ein Schlag gegen die deutsche Arbeit. Nun, wir sind auch über dies hinübergekommen, und Gott wird weiterhelfen. Aber wir sehen nicht zu rosig in die Zukunft. Wenn es wirklich zum Krieg mit Amerika kommt, wäre es auch für die Armenier sehr schwer. Man weiß kaum, was werden sollte. Es kommen riesige Unterstützungsgelder von dort. Die vielen Armen hier und in Kharput leben hauptsächlich von diesen Unterstützungen.

Wir haben wieder ziemlich viel Armenier hier in der Stadt oben, d. h. Frauen und Kinder; sie ziehen sich aus der ganzen Umgegend hier zusammen, die meisten waren bei Türken gewesen für die Feldarbeit oder auch als Frauen und wurden dann einfach hinausgetan, wenn man sie nicht mehr wollte. Sie leben hier zum Teil in den erbärmlichsten Hütten, in halb zerstörten Häusern, denn ein großer Teil der Armenierhäuser wurde nach der Ausweisung einfach von der Bevölkerung niedergerissen, zuerst Fenster, Türen, Treppen usw. weggeschleppt, später die Wände eingerissen und alles Holz, was drin war, herausgerissen, zu Brennzwecken. Bis heute wird solch Holz aus den Dörfern zum Verkauf gebracht.

315.

Kaiserlich
Deutsches Konsulat.

Aleppo, den 14. Februar 1917.

Der Beauftragte des amerikanischen Konsulats, welcher im Einverständnis mit der türkischen Regierung vor kurzem zur Verteilung von Notstandsgeldern an die verschickten Armenier ausgesandt wurde, ist zurückgekehrt und berichtet folgendes: Er hat in Rakka 20000 Kilo Getreide angekauft, die durch den Vertreter der amerikanischen Süßholzgesellschaft gemeinsam mit 2 türkischen Beamten zu verteilen sein werden, und hat 4500 Ltq. verteilt, indem er persönlich jedem einzelnen der 600 Verschickten wenigstens eine Viertelpfundnote, zum Teil mehr, ausgehändigt hat. Trotzdem ist er der Ansicht, daß ein sehr großer Teil davon dem Hunger und der Entbehrung erliegen muß. Denn es herrscht jetzt nicht nur unter den Armeniern, sondern auch unter der Bevölkerung von Rakka selbst Hunger, so daß die Verteilung von Nahrungsmitteln durch die Regierung an die Vertriebenen fast ganz aufgehört hat. 160–175 Kilo Weizen kosten 500 Piaster Hartgeld oder nicht ganz das Dreifache in Papiergeld, so daß also ein Kilo Weizen auf ungefähr 2 Mk. zu stehen kommt. Die Vertriebenen wohnen dicht gedrängt. Ihre Kleidung ist zerlumpt, Typhus ist unter ihnen ausgebrochen, so daß die Zahl der täglichen Todesfälle gegenwärtig 20 beträgt.

An manchen Stellen des Weges werden die Reste der Armenier zu Straßen-, Brücken- und Häuserbauten verwendet, so:

[S. 319]

in Nahr Dahab (35 km vor Aleppo)
 172
in Der Hafir (50 km  „    „   )
 180
Meskene
 600
außer denen in der Nähe noch 300 Unbeschäftigte im elendesten Zustande vorhanden sind,
 
Sabkha (zum Teil beschäftigt)
 2000
Dazu kommen, wie schon aufgeführt (unbeschäftigt),
 
in Rakka
 6000
in Siaret bei Rakka (unbeschäftigt)
 400
und in Urfa infolge Zuzuges aus Rakka
 2500

In Urfa sind sie jetzt verhältnismäßig gut und sicher aufgehoben. Man hat sie dorthin geholt, um die notwendigsten Handwerker zu haben.

Der Beauftragte des amerikanischen Konsulats war der in früherer Berichterstattung bereits genannte Deutsche Bernau, der jetzt bei Rückkehr von seiner Reise die Nachricht vom Abbruch der Beziehungen zwischen Amerika und Deutschland vorfand und infolgedessen seine Stellung am amerikanischen Konsulat niederlegt. — Über Sabkha hinaus nach Süden ist er diesmal nicht gekommen.

In Aleppo hat die Regierung am 13. d. M. auf Befehl Djemal Paschas aus den von der Schwester Beatrice Rohner geleiteten Waisenhäusern 70 Knaben genommen, um sie in ein Regierungswaisenhaus auf dem Libanon zu verbringen, wo sie mit Kindern muhammedanischer Flüchtlinge aus Ostanatolien zusammen erzogen werden sollen. Weitere derartige Verteilungen auf Regierungswaisenhäuser sind in Aussicht genommen. Die Armenier sollen auf diese Weise zu vaterlandsliebenden Osmanen und, wie die offene oder stillschweigende Voraussetzung ist, zu Muhammedanern gemacht werden. Es ist schwer, hierbei die Erinnerung an die Rekrutierung der Yanitscharen zu unterdrücken. Dem gegenwärtigen Versuch muß man wohl skeptisch gegenüberstehen. Die meisten armenischen Knaben werden weglaufen, diejenigen, welche in die Regierungswaisenhäuser kommen, werden dort vor die Frage gestellt werden, ob sie den Islam annehmen wollen. Lehnen sie ab, und versagen Zwangsmittel, so werden sie auf die Straße gejagt werden und verkommen. Nur die wenigsten werden dort heranwachsen. Der mit der Verteilung auf die Regierungswaisenhäuser beabsichtigte positive Zweck wird also nicht erreicht werden, nur wird die Zahl heranwachsender junger Armenier erneut erheblich vermindert sein.

Gleichen Bericht lasse ich der Kaiserlichen Botschaft zugehen.

Rößler.

Seiner Exzellenz dem Herrn Reichskanzler.

[S. 320]

316.

Auswärtiges Amt.

Berlin, den 16. Februar 1917.

Der Vorsitzende der Orient- und Islamkommission des Deutschen Evangelischen Missionsausschusses, Missionsdirektor D. Karl Axenfeld, hat im Interesse wirksamerer Fürsorge für die deportierten Armenier gebeten, den anliegenden Fragebogen[140] von den zuständigen deutschen konsularischen Vertretern ausfüllen zu lassen.

Euere Exzellenz wollen die Fragebogen den in Betracht kommenden Kaiserlichen Konsulaten mit entsprechender Weisung zugehen lassen und für tunlichst beschleunigte Erledigung Sorge tragen.

Zimmermann.

Seiner Exzellenz dem Kaiserlichen Botschafter
i. a. M. Herrn von Kühlmann, Pera.

317.

Kaiserlich
Deutsche Botschaft.

Pera, den 16. Februar 1917.

Das Kabinett Talaat Pascha hat sich gestern offiziell der Kammer vorgestellt. Bei dieser Gelegenheit hat der neue Großwesir programmatische Erklärungen abgegeben, die mir von prinzipieller Wichtigkeit scheinen und in der inneren Geschichte der Türkei einen neuen Wendepunkt bilden.

Wie ich bereits vor einiger Zeit Euerer Exzellenz zu berichten die Ehre hatte, gewann innerhalb der einflußreichen Kreise eine gemäßigte Richtung an Boden, die im Gegensatz zu dem rücksichtslosen, vor blutiger Gewaltsamkeit nicht zurückschreckenden Nationalismus gewisser Komiteemitglieder eine verständige und tolerante innere Politik für die Türkei verlangte. Die Türkei ist durch die vielen fremden Elemente in ihrer Mitte ein von jedem anderen europäischen Staate wesentlich unterschiedenes Gebilde. Die Versuche, durch versöhnliches Entgegenkommen die fremden Bestandteile im ottomanischen Staatskörper zu einem wirklichen ottomanischen Patriotismus und damit zur freiwilligen überzeugten Mitarbeit am türkischen Staatsleben zu erziehen, haben immer wieder abgewechselt mit Perioden, in denen durch Druck und Ausrottungsbestrebungen die dem Staate so nötige Einheit der Zusammensetzung erzwungen werden sollte.

Sultan Abdul Hamid war in der letzten Zeit seiner Regierung durch die berüchtigten Armeniermassakers in der Richtung einer schonungslosen Ausrottungspolitik soweit gegangen, daß selbst in dem an Blutvergießen[S. 321] gewöhnten Orient ein Schauder durch alle Gemüter ging. Das Komitee, in allen Stücken trachtend, eine der Sultanpolitik entgegengesetzte Haltung einzunehmen, schrieb im Anfang seiner Wirksamkeit Zusammenfassung aller in der Türkei lebenden Körperschaften zu freier und freiwilliger Mitarbeit im Staate auf seine Fahnen und konnte im Anfange seiner Tätigkeit fast alle dissentierenden Elemente — Araber, Armenier und Griechen —, wenn auch nur für kurze Zeit, unter einen Hut bringen. Das Fortbestehen der separistischen Treibereien unter den Armeniern und die während des Balkankrieges, als die Türkei dem Zusammenbruche nahe schien, aufs neue klar hervortretende, vaterlandsverräterische Gesinnung weiter nichttürkischer Kreise aber führte zu einem Umschwunge und zu einem vollständigen Siege der türkisch-nationalistischen Richtung im Komitee.

Die in großem Umfange durchgeführte Armeniervernichtung und die in einzelnen kleineren Unternehmungen zutage tretenden Neigungen, auch dem griechischen Elemente gegenüber schonungslos vorzugehen, sind das Resultat dieser politischen Richtung gewesen.

Als Gesamtergebnis hat die Ausrottungspolitik dem türkischen Reiche schwer geschadet. Die Greuel des Armenierfeldzuges werden noch lange auf dem türkischen Namen lasten und noch lange denjenigen Waffen liefern, die der Türkei die Eigenschaft als Kulturstaat absprechen und die Austreibung der Türken aus Europa verlangen. Auch innerlich ist das Land durch den Untergang und die Verbannung einer körperlich kräftigen, arbeitsamen und sparsamen Bevölkerung ansehnlich geschwächt worden, besonders da Armut an Menschen eines der größten Hindernisse bei der rascheren Entwicklung der türkischen Bodenschätze bildet.

Im vertrauten Gespräche habe ich Talaat Pascha gegenüber seit Beginn meiner hiesigen amtlichen Tätigkeit mit meiner Meinung über diese Frage nicht zurückgehalten. Daß er jetzt, zur Macht gelangt, in seiner ersten programmatischen Erklärung die Gleichberechtigung der ottomanischen Nationalitäten zum wichtigen Punkte des Regierungsprogrammes macht, ist mit Genugtuung zu begrüßen. Wie ich vertraulich höre, ist mit Einstellung der Armeniervertreibungen und mit Aufhören der an einzelnen Stellen hervorgetretenen Verfolgung gegen die Griechen zu rechnen. Den Armeniern soll (damit will man aber erst in einiger Zeit hervortreten) die Rückkehr in ihre alten Wohnplätze, soweit diese nicht als Kriegsgebiet zu betrachten sind, gestattet werden.

Die wilde nationalistische Richtung ist natürlich noch nicht tot. Die fähigen und rücksichtslosen Köpfe, die sie vertreten haben, werden sich bei ihrer zeitweiligen Niederlage nicht beruhigen. Auch darauf, daß nun, wie mit einem Zauberschlage, die Klagen aus verschiedenen Provinzen über Bedrückungen und Verfolgungen einzelner Verwaltungsbeamten völlig ver[S. 322]stummen, ist nicht zu rechnen. Aber die Erfahrung lehrt doch, daß die in Konstantinopel ausgegebene Parole im großen ganzen in der Provinz befolgt wird; um so mehr, wenn die Parole nicht das Ergebnis fremden Drucks auf die Zentralregierung ist, sondern der freien Entschließung der türkischen Machthaber entspricht. Dies ist zum Glück dieses Mal der Fall.

Zweifellos wird die Stellungnahme Talaat Paschas in seiner gestrigen Rede für geraume Zeit hinaus richtunggebend bleiben. Dies ist, meiner Ansicht nach, für uns und die Sache des deutsch-türkischen Bündnisses ein großer Gewinn. Denn auf Seiten all unserer Feinde bestand das Bestreben, uns für die blutigen Ausschreitungen des türkischen Nationalismus verantwortlich zu machen. Andererseits bildeten die häufigen Einmischungsversuche, zu denen uns humanitäre Erwägungen gegenüber diesen Maßnahmen veranlaßten, eine Quelle ständiger Reibung mit der türkischen Regierung. Auch unserer Öffentlichkeit gegenüber ist das Bündnis mit einer gemäßigten, auch im Innern nach modernen Grundsätzen arbeitenden Türkei leichter zu verteidigen und aufrecht zu erhalten, als mit einem ausgesprochen ottomanisch-nationalistischen Gebilde.

von Kühlmann.

Seiner Exzellenz dem Herrn Reichskanzler.

318.

Kaiserlich
Deutsche Botschaft.

Pera, den 24. Februar 1917.

Talaat Pascha bestätigte mir persönlich, daß er in allen Fragen der Nationalitätenpolitik einen neuen Kurs zu steuern beabsichtige. Er habe sowohl den katholischen, als den ökumenisch armenischen Patriarchen zu sich kommen lassen und ihnen gesagt, die armenische Bevölkerung könne sicher sein, daß ihre verfassungsmäßigen Rechte nicht angetastet werden. Was die vorige Regierung unter dem Zwange militärischer Notwendigkeit habe veranlassen müssen, solle nach Möglichkeit wieder gut gemacht werden. Entsprechende Befehle seien an alle Provinzialbehörden ergangen.

von Kühlmann.

Seiner Exzellenz dem Reichskanzler
Herrn von Bethmann Hollweg.

[S. 323]

319.

Deutscher Hilfsbund für christliches
Liebeswerk im Orient, E. V.

Frankfurt a. M., den 28. Februar 1917.
Fürstenbergerstraße 151.

Herrn Geh. Legationsrat von Rosenberg, Berlin

Auswärtiges Amt.

Unsere Schwester Beatrice Rohner meldet mir heute telegraphisch aus Aleppo, daß die unter ihrer Obhut stehenden armenischen Waisenkinder verteilt würden. Ich möchte Sie nun herzlich bitten, durch die Botschaft bei dem Deutschen Konsulat in Aleppo anfragen zu lassen, was das Schicksal dieser Kinder für die Zukunft sein wird, und wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mir dann ebenfalls auf telegraphischem Wege Mitteilung zukommen ließen[141].

F. Schuchardt.

[S. 324]

März.

320.

(Auswärtiges Amt.)

Berlin, den 1. März 1917.

Telegramm.

An Deutsche Botschaft, Pera.

Auf Grund eines Telegramms der Schwester Beatrice Rohner aus Aleppo, daß die ihr anvertrauten armenischen Waisenkinder verteilt würden, bittet Deutscher Hilfsbund durch Konsulat Aleppo festzustellen, was mit den Kindern geplant ist.

Anheimstelle, wenn möglich, die günstigen Dispositionen des neuen Großwesirs zugunsten der Kinder zu verwerten.

v. Stumm.

321.

Auswärtiges Amt.

3. März 1917.

Aufzeichnung.

Die zwischen Missionsdirektor Schreiber als Wortführer der deutschen Armenierfreunde und dem Kriegsarbeitsamt geführten mündlichen Verhandlungen haben zu dem Ergebnis geführt, daß die von der Einberufung nach der Türkei bedrohten in Deutschland befindlichen Armenier — es handelt sich um 50–60 Mann — im Zivilhilfsdienst untergebracht werden und dadurch zunächst von der Abschiebung nach der Türkei gesichert sind. Wie Direktor Schreiber mitteilt, hat Oberst von Braun, der die Verhandlungen seitens der Militärbehörden führte, für die politische Seite der Frage volles Verständnis gezeigt.

Rosenberg.

[S. 325]

322.

(Kaiserlich
Deutsche Botschaft.)

Telegramm.

Konstantinopel, den 7. März 1917.

An Auswärtiges Amt.

Antwort auf Telegramm vom 1. März.

Türkische Regierung hatte bereits im Dezember 1915 Schwester Rohner eröffnet, daß ihr die Waisenkinder nur zeitweilig übergeben seien; sie werden nunmehr auf Befehl Ministers des Innern verteilt; 70 sind Mitte Februar nach dem Libanon übergesiedelt, 400 sollten am 5. März mit Eisenbahn Reise nach verschiedenen Ortschaften Kleinasiens antreten. Einige 350 fanden bei entfernten Verwandten Unterkunft. Bericht Konsul Rößlers eintrifft demnächst.

Kühlmann.

323.

Auswärtiges Amt.

Berlin, den 8. März 1917.

Abschriftlich

Seiner Exzellenz dem Kaiserlichen Botschafter i. a. M. Herrn v. Kühlmann, Konstantinopel,

zur gefälligen Kenntnis übersandt.

Eingeständnis des armenischen Verrats am türkischen Staat.

Artikel des Retsch Nr. 24 vom 26. 1./8. 2. 17:

Am 25. Januar a. St. stattete eine aus angesehenen Vertretern der einheimischen armenischen Bevölkerung bestehende Deputation der Stadtduma von Petersburg einen Besuch ab und übergab dem Stadtoberhaupt im Namen des Katholikos aller Armenier, Kework, eine Dankesadresse für die von der Duma erwiesene Unterstützung der armenischen Bevölkerung. Das Schriftstück ist an das ehemalige Stadtoberhaupt Graf J. J. Tolstoi gerichtet, der an der Spitze eines Komitees zur Unterstützung der Armenier stand und darin eine wirksame Tätigkeit entfaltete. Der Patriarch schreibt in seiner Adresse u. a. folgendes: Euerer Erlaucht ist die Vergangenheit und Zukunft des armenischen Volkes bekannt. Von jeher hat die türkische Regierung meinem Volke jegliche Menschenrechte verweigert. Leben, Ehre und Vermögen der Armenier blieben nicht vor den grausamsten Vergewaltigungen verschont, und so konnte mein Volk nie frei denken und nie ruhig für den nationalen Fortschritt und Wiederaufbau arbeiten. Jetzt aber werden die unglücklichen Söhne meines Volkes noch schonungsloser unterdrückt und[S. 326] verfolgt, unbewaffnet und wehrlos sind sie den räuberischen Kurden und türkischen Beamten ausgeliefert, von denen nicht einmal Frauen und unschuldige Kinder verschont werden; die Kinder werden gewaltsam zum muhammedanischen Glauben bekehrt. Und diese an der wehrlosen christlichen Bevölkerung vollzogenen Greueltaten werden damit entschuldigt, daß die Armenier auf der Seite des großen Rußlands und seiner Verbündeten stehen und mit ihnen sympathisieren. In der Stunde der großen Prüfung des armenischen Volkes haben Euere Erlaucht zusammen mit den würdigen Vertretern der Petersburger Stadtverwaltung geruht, 50000 Rubel zu gunsten der armenischen Flüchtlinge, die nicht nur ihre ganze Habe, sondern oft auch ihre nächsten Verwandten verloren haben, zu opfern...“

Die Adresse schließt mit dem Ausdrucke heißer Dankbarkeit für die brüderliche Unterstützung der Armenier in der Zeit der schweren Prüfung.

324.

Kaiserlich
Deutsche Botschaft.

Notiz.

Pera, den 15. März 1917.

Nach meinem Dafürhalten rechtfertigt die gesperrte Stelle in der Dankesadresse des Katholikos von Etschmiadsin nicht die sensationelle Überschrift „Eingeständnis des armenischen Verrats am türkischen Staat“.

Nach der Fassung des betreffenden Passus ist es vielmehr wahrscheinlich, daß die Worte:

„daß die Armenier auf der Seite des großen Rußlands und seiner Verbündeten stehen und mit ihnen sympathisieren“

vom Katholikos den Türken in den Mund gelegt werden.

Selbst wenn aber diese Auffassung nicht zutrifft, liegt keinesfalls Bestätigung der Gesinnung durch Handlungen vor.

Mordtmann.

325.

(Kaiserlich
Deutsche Botschaft.)

Telegramm.

Pera, den 12. März 1917.

An Deutsches Konsulat, Aleppo.

Die im Auslande lebenden Armenier haben die Deutsch-Armenische Gesellschaft gebeten, die Verteilung und Überweisung der von ihnen für ihre deportierten Stammesgenossen gesammelten Hilfsgelder, die bisher haupt[S. 327]sächlich über Amerika gingen, zu übernehmen. Die Gesellschaft beabsichtigt zu diesem Zwecke einen Vertreter nach der Türkei zu entsenden.

Das Kaiserliche Konsulat ersuche ich um gutachtliche Drahtäußerung und um eventuelle Vorschläge über die Wege, auf welchen die Hilfsgelder zweckentsprechend geleitet werden könnten.

Kühlmann.

326.

(Kaiserliches Konsulat.)

Telegramm.

Abgang aus Aleppo, den 15. März 1917.
Ankunft in Pera, den 15. März 1917.

An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Antwort auf Telegramm vom 12. März.

Nach Auflösung ihrer Waisenhäuser ist Schwester Rohner sowohl vom amerikanischen Konsul als von türkischen Behörden gebeten worden, die Notstandsarbeiten in der Stadt Aleppo neu zu organisieren, wobei letzteren allerdings nicht bekannt sein wird, daß es sich um 20000 Bedürftige handelt.

Die in der Organisation begriffene Arbeit soll sich auch auf 1200 verwahrloste Kinder erstrecken. Bleiben amerikanische Gelder aus, so wäre deren Ersetzung aus deutschen Quellen hierbei am unauffälligsten. Die Schwester geht zunächst nach Marasch. Nach Rückkehr in einem Monat ist sie bereit, deutsche Gelder zu dem gedachten Zweck zu verwenden, woran sich wahrscheinlich die Arbeit nach außerhalb anknüpfen ließe. Die deutsch-armenische Gesellschaft muß als Geldgeber unbekannt bleiben. Geld könnte durch die deutsche Orientbank an dieses Konsulat überwiesen werden. Die Tätigkeit eines besonderen Vertreters der Gesellschaft könnte unmöglich unbekannt bleiben und riefe die Gefahr hervor, die ganze Hilfsarbeit unmöglich zu machen.

Rößler.

327.

Kaiserlich
Deutsches Konsulat.

Aleppo, den 16. März 1917.

Im Anschluß an den Bericht vom 14. Februar.

Die türkische Regierung hat ihre Absicht, die von der Schwester B. Rohner geleiteten Waisenhäuser aufzulösen, zur Ausführung gebracht, wie sie es sich von vornherein vorbehalten hatte.[142] Bei ihrer Berufung im Dezember 1915[S. 328] zur Leitung eines damals auf das furchtbarste verwahrlosten und von Krankheiten heimgesuchten Hauses hatte Djemal Pascha erklärt, daß es ein Waisenhaus der Regierung bliebe, dessen Unterhaltung derselben obliege. Tatsächlich haben die Behörden durch gelegentliche Lieferung von Lebensmitteln wenigstens Beiträge zum Unterhalt geleistet.

Die höchste Zahl der von der Schwester Rohner zu einer Zeit vereinigten Kinder hat etwa 850 betragen. Als ihr aus dieser Schar die größeren Knaben genommen wurden, um zu Straßen- und Häuserbauten verwendet zu werden, gab sie eine Anzahl von solchen an Frauen zurück, die in einer Menge von zuerst 4000, jetzt 10000 von der türkischen Etappe in Arbeitshäusern mit Spinnen und Weben beschäftigt werden und sich tagsüber um die Kinder natürlich nicht kümmern können, so daß sie zuerst von der Schwester aufgenommen waren. — Die Zahl der Mädchen hatte sie schon vorher nach Möglichkeit beschränkt, um zu verhüten, daß die Waisenhäuser von den Muhammedanern als Sammelstellen betrachtet wurden, aus denen sie sich nach Belieben Mädchen für Zwecke ihres Haushalts entnehmen könnten. So betrug gegen Mitte Februar die Zahl der Kinder etwa 600, wozu die Angestellten mit ihren Familien in Stärke von 100 Köpfen kamen, als am 13. Februar die ersten 70 nach dem Libanon verschickt wurden. Etwa 370 Kinder sind darauf der Schwester entflohen und haben wohl größtenteils bei den tagsüber in Arbeitshäusern beschäftigten Frauen Unterschlupf gefunden. — 60 kranke und kleine, zur Reise unfähige sind von der Schwester in einem von Armeniern geleiteten Waisenhaus untergebracht. — Als die Regierung noch 400 Kinder verlangte, waren nur noch 280 vorhanden, darunter 30 Mädchen. Die Behörde nahm daher 70 aus jenem armenischen Waisenhaus, woraufhin die meisten der dort unterhaltenen Kinder auch zerstieben, und 70 sammelte sie von der Straße auf. — Alle 400 ließ sie von der Schwester aus Notstandsgeldern einkleiden und hat sie dann am 5. d. M. mit der Bahn abbefördert. Sie hat erklärt, daß sie zur Verteilung auf Regierungswaisenhäuser in Konia, Ismid, Balikesri und Adabazar bestimmt seien. Auf die Frage der Schwester, warum die Regierung die Kinder gerade aus ihren Häusern zur Verschickung zuerst genommen habe, hat ihr der Wali bezeichnend und naiv geantwortet, „daß ihre Kinder am besten genährt und am saubersten gekleidet seien. Wenn er andere verwahrloste Kinder schicke, so würde die Regierung fragen, was er mit den ihm überwiesenen Notstandsgeldern angefangen habe.“

Hat auch das Werk der Schwester, bei dem sie von Schwester Anna Jensen unterstützt war, sein Ende genommen, so ist es doch nicht vergeblich gewesen. — Hunderte von Kindern sind fünf Vierteljahr hindurch dem Elend entrissen gewesen. Wäre es nicht getan worden, so wären die Kinder schon 1915 an Krankheiten zugrunde gegangen oder in die Wüste geschickt worden.

[S. 329]

Der bisherige Verschickungskommissar von Aleppo hat die Kinder auf ihrer Reise nach Norden begleitet. Ein Nachfolger wird nicht ernannt — das Verschickungsbüro ist aufgehoben. Doch würde es meines Erachtens falsch sein, daraus auf eine versöhnlichere Stimmung der Regierung gegenüber den Armeniern zu schließen. Die hartherzige Arbeit ist vielmehr im wesentlichen getan. Für das Nachspiel genügen die gewöhnlichen Verwaltungsbehörden. Jeder, der für „verdächtig“ gilt, wird voraussichtlich auch in Zukunft ohne weiteres verschickt werden. Im übrigen ist Befehl ergangen, daß jeder Armenier zu bleiben habe, wo er sich gegenwärtig befindet. Dieser Befehl wird auf das härteste ausgelegt. Familien bleiben auseinandergerissen. Kinder dürfen nicht zu ihren nächsten Anverwandten zurück.

Schwester Rohner ist inzwischen vom amerikanischen Konsul und von der türkischen Etappe gebeten worden, die Notstandsarbeit in Aleppo neu zu organisieren. Für den amerikanischen Konsul war der Grund, daß sich Mißstände in der Arbeit herausgestellt hatten. Dem türkischen Etappenoffizier Oberst Kemal Bey unterstehen die Spinnereien und Webereien, in denen die Arbeitsleistung und der Lohn so gering sind, daß sie nicht ausreichen, das Leben der Arbeiterinnen und ihrer Kinder zu fristen. — Er würde seinen Vorgesetzten gegenüber berechtigt sein, zugrunde gehen zu lassen, was dabei nicht bestehen kann, hat aber ein Herz und wünscht zu helfen. — Mit der Gewinnung der Schwester Rohner hofft er auch die Notstandsgelder für die Frauen und Kinder zur Verwendung zu bringen. Er beabsichtigt, zwei Waisenhäuser einzurichten, sei es als Internat, sei es als Tagesschulen mit Suppenküche. Die Schwester hat zugesagt. — Sie hat zunächst dieser Tage die Verteilung der Notstandsgelder für die 20000 bedürftigen Armenier der Stadt Aleppo auf eine neue Grundlage gestellt. Am 19. d. M. wird sie sich auf einen Monat zur Erholung nach Marasch begeben und wird sich dann der Etappe zur Arbeit an den 1200 verwahrlosten Kindern zur Verfügung stellen. Wieder unter dem eigenen Namen eine Arbeit zu eröffnen, hat sie abgelehnt, dagegen hat sie Oberst Kemal Bey erklärt, daß sie gern bereit sei, zu helfen.[143] — Außer den genannten 1200 Kindern befinden sich noch 450 in der gregorianischen Kirche unter armenischer Obhut und 400 in dem oben erwähnten, wieder neu gefüllten armenischen Waisenhaus.

Gleichen Bericht lasse ich der Kaiserlichen Botschaft zugehen.

Rößler.

Seiner Exzellenz dem Reichskanzler
Herrn Dr. von Bethmann Hollweg.

[S. 330]

328.

(Kaiserlich
Deutsche Botschaft.)

Telegramm.

Abgang aus Konstantinopel, den 25. März 1917.
Ankunft in Berlin, den 26. März 1917.

Der Kaiserliche Botschafter an Auswärtiges Amt.

Für Deutsche Bank von Anatolischer Bahn:

Neuerdings haben wieder Armenierausweisungen eingesetzt. Die zweite Baudivision meldet Ausweisung aus Amanusstrecke von 505 Arbeitern mit 187 Familienmitgliedern seit dem achtzehnten. Vom Taurus etwa gleiche Zahl.

Kühlmann.

[S. 331]

April.

329.

Kaiserlich
Deutsche Botschaft.

Pera, den 5. April 1917.

Der Fragebogen des D. Karl Axenfeld ist den Kaiserlichen Konsularbehörden in Aleppo, Bagdad, Beirut, Damaskus und Mossul übermittelt worden. Bisher liegt nur die Beantwortung aus Aleppo vor; die Berichte der übrigen Konsulate folgen bei Eingang nach.

Waldburg.

Seiner Exzellenz dem Reichskanzler
Herrn von Bethmann Hollweg.

Antworten auf die Fragebogen.
330.
(1. Deutsches Konsulat Aleppo.)

Aleppo, den 20. März 1917.

Fragen.
Antworten.
1. Welche Zahl von deportierten Armeniern befindet sich ungefähr in Ihrem Wirkungskreise?
1. Etwa 45000.
2. Können Sie uns Mitteilung machen über ihren Zustand und ihre Bedürfnisse?
2. 10000 Frauen sind in Aleppo mit Spinnen und Weben beschäftigt, doch reicht ihr Arbeitsverdienst zur Ernährung nicht aus. Die übrigen 35000 sind in äußerster Not, viele am Verhungern.
3. Können Sie den Deportierten Unterstützungen zukommen lassen? In welcher Weise? Mit wessen Hilfe?
3. Ja, doch sind überwiegend nur Geldunterstützungen möglich. — Durch Schwester B. Rohner vom Deutschen Hilfsbund, die in Aleppo als der Zentrale des Hilfswerkes bleibt. In Marasch mit Hilfe des Hilfsbundes, in Aintab mit Hilfe der amerikanischen Mission (an deren [S. 332] Stelle nur in dem äußersten Notfall, daß die Missionare abzureisen hätten, Eingeborene treten müßten), in Urfa mit Hilfe der Deutschen Orientmission. Nach anderen Gegenden, wie Sabkha und Rakka, muß auf Gelegenheiten zur Entsendung von Hilfsgeldern gewartet werden.
4. In welchem Umfange wären Mittel erforderlich?
4. Ein Kilo Weizen kostet mehr als 2 Mark. Wollte man nicht allen 45000, sondern nur 35000 täglich 250 Gramm Weizen ohne andere Nahrung geben, so wären täglich 17500 Mark erforderlich. Ein Kilo Brot kostet gar 3,40 Mk.
5. Haben Sie zu diesem Hilfswerk Hilfskräfte nötig?
5. In Aleppo ist das Werk, so gut es geht, mit armenischen Hilfskräften Mitte März von Schwester Rohner neu organisiert. — Anderen deutschen Kräften als ihr würde die Arbeit von den türkischen Behörden bald unmöglich gemacht werden. — Unter Umständen kommt, wenn Schwester Rohner es wünschen sollte, die Zuteilung einer zweiten Hilfsbundschwester in Frage.

Schwester Rohner ist am 19. März auf einen Monat zur Erholung nach Marasch gereist. Vorher hat sie noch hier in Aleppo mit amerikanischem Geld für einen Monat für die Bedürftigen in der Stadt vorgesorgt.

Schätzung.
Marasch  4500
Aintab und Umgegend  8000
Urfa jetzt  2500
Biredjik und Djerablus  2000
Aleppo jetzt 20000
Rakka  6400
Zwischen Aleppo und Sabkha  3200
  46600

[S. 333]

331.
(2. Deutsches Konsulat Beirut.)

Beirut, den 24. März 1917.

Fragen.
Antworten.
1. Welche Zahl von deportierten Armeniern befindet sich ungefähr in Ihrem Wirkungskreise?
1. a) Zum Islam übergetretene Armenier: in Beirut ca. 40 Familien; in Saida und Sur ca. 200 Familien. Für diese Familien sorgen die türkischen Regierungsstellen durch Brotverteilung, Arbeitsnachweis etc.

b) Nicht zum Islam übergetretene gregorianische Armenier, die sich meistenteils heimlich, d. h. ohne bei der Polizei gemeldet zu sein, hier aufhalten:

In Beirut 17 Familien, davon ein Drittel wohlhabend, ein Drittel hat Arbeit, ein Drittel in Not. Im Libanon, in Zahle und Dur-e-Schuer ca. 50 Familien, davon reichlich ein Drittel in Not.

2. Können Sie uns Mitteilungen über ihren Zustand und ihre Bedürfnisse machen?
2. In wirklicher Not sollen sich von obigen unter 1b verzeichneten Armeniern ca. 25 Familien mit etwa 100 Angehörigen befinden. Die Männer können sich aus Besorgnis, zum Militärdienst gezwungen zu werden, und weil sie polizeilich nicht angemeldet sind, nicht frei bewegen, demzufolge auch nicht frei arbeiten.
3. Können Sie den Deportierten Unterstützungen zukommen lassen? In welcher Weise? Mit wessen Hilfe?
3. Ja, mit Hilfe hiesiger wohlhabender Armenier, wie z. B. des Sackis Cassabian, Inhabers der angesehenen Firma Jusuffian u. Cassabian in Mersina, der für die Kriegsdauer hierher übersiedelte.
4. In welchem Umfang wären Mittel erforderlich?
4. Bei den heutigen Preisen wären pro Person 5 Ltq. monatlich, also 100 Personen 500 Ltq., zum Unterhalt erforderlich.
5. Haben Sie zu diesem Hilfswerk Hilfskräfte nötig?
5. Nein.

[S. 334]

332.
(3. Deutsches Konsulat Damaskus.)

Damaskus, den 23. März 1917.

Fragen.
Antworten.
1. Welche Zahl von deportierten Armeniern befindet sich ungefähr in Ihrem Wirkungskreise?
1. Im Mai v. J. wurde die Zahl der zwischen Aleppo und dem Hedschas befindlichen Armenier von dem Vorsitzenden der Auswandererkommission, Wali a. D. Hussein Kasim Bey, der als aufrichtig und Armenierfreund gilt, auf 60000 Seelen geschätzt. Von diesen dürfte etwa die Hälfte inzwischen gestorben sein.

Im April v. J. gab der auf Empfehlung des Kaiserlichen Konsulats Aleppo mit dem hiesigen armenischen Liebeswerk betraute armenische Hilfsprediger V. B. Tachmisian die Zahl der im Wilajet Damaskus befindlichen Armenier mit 2000 Familien zu je 5 Köpfen (10000 Seelen) an. Der Genannte schätzt jetzt die Zahl der in der Provinz Damaskus (Hama, Homs, Damaskus, Hauran und Kerak) befindlichen Armenier auf 30000 Seelen. Es ist bei der Zerstreutheit der Armenier und bei ihrer Zurückgezogenheit nicht leicht, ihre Zahl genau anzugeben.

2. Können Sie uns Mitteilungen über ihren Zustand und ihre Bedürfnisse machen?
2. Sie befinden sich größtenteils in einem beklagenswerten Zustand. Immerhin hat sich dieser in den letzten Monaten etwas gebessert, indem ihnen in den Städten die Möglichkeit zum Erwerb gegeben wurde. Als fleißige und geschickte Handwerker verstehen sie sich durchzusetzen. [S. 335] Viele von den Armeniern sind, wenn auch zwangsweise, Muselmanen geworden und können infolgedessen ungestörter ihren Lebensunterhalt erwerben. Bei der zunehmenden Teuerung, über die ich in der Anlage eine Zusammenstellung der wichtigsten Lebensmittelpreise beifüge und bei der Entwertung des Papiergeldes, das heute nur 25% des Nennwertes beträgt und voraussichtlich weiter sinken wird, befinden sich die meisten Armenier in einer schweren Notlage. Es würde sich darum handeln, ihnen Brot und sonstige Nahrungsmittel, ferner Kleider und gesunde Unterkunft zukommen zu lassen.
3. Können Sie den Deportierten Unterstützungen zukommen lassen? In welcher Weise? Mit wessen Hilfe?
3. Bisher hat dieses Kaiserliche Konsulat hauptsächlich durch den armenischen Hilfsprediger V. B. Tachmisian, ferner durch den hiesigen deutschen Missionar Hanauer und in gewissen Fällen das Kaiserliche Konsulat direkt Geld an die Armenier verteilt. Im allgemeinen empfiehlt es sich, das Geld durch einen vertrauenswürdigen Europäer verteilen zu lassen, der ein Herz für das armenische Liebeswerk hat und außerdem in geschickter unauffälliger Weise zu arbeiten versteht. Die türkischen Behörden sehen es im allgemeinen nicht gern, wenn sich Europäer der Armenier annehmen. Sie fürchten, daß diese hierdurch in ihrer Opposition gegen die türkische Regierung gestärkt werden. Ein gewandter Europäer oder Europäerin, die die orientalischen Verhältnisse kennen, würden trotzdem eine Organisation schaffen können, die [S. 336] in unauffälliger Weise den Armeniern helfen könnte. Der hiesige Prediger Hanauer kennt Land und Leute. Für die Konsularbehörde ist es nicht möglich, eine solche Organisation zu schaffen und offen zu überwachen, da sie in den Verdacht kommen würde, gegen die türkische Regierung zu arbeiten. Sie kann höchstens mit Rat zur Seite stehen und von Zeit zu Zeit unter der Hand der einen oder anderen Person und den Armen auf der Straße Unterstützungen zukommen lassen.
4. In welchem Umfange wären Mittel erforderlich?
4. Von den hiesigen Armeniern sollen etwa 10% sich selbst erhalten können. Die anderen sollen unterstützungsbedürftig sein. Für die Person kann man täglich etwa 1 Mk. gleich ca. 5 Piaster wenigstens für den Unterhalt rechnen, vorausgesetzt, daß dieser Betrag in Hartgeld gezahlt wird. Bei Papiergeld müßte der 4 fache Betrag gerechnet werden.

Nimmt man die Zahl der im Wilajet Damaskus unterstützungsbedürftigen Armenier mit durchschnittlich 15000 Seelen an, so würden täglich 15000 Mk. und im Monat 450000 Mk. zu zahlen sein, wenn man allen helfen wollte.

5. Haben Sie zu diesem Hilfswerk Hilfskräfte nötig?
5. Wie bereits unter Nr. 3 hervorgehoben, würden besonders europäische Hilfskräfte für das gedachte Unterstützungswerk am geeignetsten sein, die sich ihrerseits armenischer Vertrauenspersonen als Unterorgane bedienen könnten.

[S. 337]

Damaskus, den 23. März 1917.

Lebensmittelpreise in Goldgeld. (Hartgeld, nicht Papier.)

a) Nahrungsmittel.
 
 
 
Vor dem 
Kriege 
Piaster G. 
Jetziger 
Preis 
Piaster G. 
Erhöhung
um Prozent
Weizen
per 
100 
kg 
  90
 300
 333
Bulgur (zerstoßener Weizen) 
100 
 „
 100
 500
 500
Reis
100 
 „
 220
1000
 455
Kartoffeln
100 
 „
  50
 250
 500
Gemüse
100 
 „
 200
1000
 500
Butter
100 
 „
1000
3200
 320
Käse
100 
 „
 700
1700
 245
Öl
100 
 „
 800
1600
 200
Hammelfleisch
100 
 „
 550
1300
 235
Zucker
100 
 „
 200
2700
1350
Kaffee
100 
 „
 750
4500
 600
Früchte, frische und getrocknete 
 
 
 
 
 
 500
Wein II. Qualität
100 
 „
 125
 500
 400
Alkohol
100 
 „
 450
7500
1665
Eier per 100 Stück
 
 
 
  25
  60
 240
b) Kleidung.
 
 
 
 
 
 
Stoffe
 
 
 
 
 
 500
Ledersohlen
 
 
 
 
 
 300
Baumwolle, Garn
 
 
 
 
 
 400

Vorstehende Preise sind in Hartgeld berechnet. Bei Bezahlung in Papiergeld erhöhen sie sich auf das Vierfache.

333.
(4. Deutsches Konsulat Mossul.)

Mossul, den 19. Juli 1917.

Fragen.
Antworten.
1. Welche Zahl von deportierten Armeniern befindet sich ungefähr in Ihrem Wirkungskreise?
1. In den Städten Mossul und Kerkuk, sowie in den Dörfern des Wilajets Mossul befinden sich etwa 7000–8000 anderwärts ausgesiedelte Armenier, größtenteils Frauen und Kinder. Eine größere Anzahl von Frauen und Mädchen soll außerdem [S. 338] bei den Beduinen der Dschesireh und den Yesiden des Sindschargebirges in halber Sklaverei leben.
2. Können Sie uns Mitteilung über ihren Zustand und ihre Bedürfnisse machen?
2. Ein Teil der Deportierten hat Arbeit und Verdienst gefunden. Im vorigen Jahre wurde eine größere Anzahl auf die umliegenden Dörfer verteilt, wo sie in der Landwirtschaft beschäftigt wurden. Aus mehreren muhammedanischen Dörfern mußten die Verschickten jedoch infolge des Fanatismus der Bevölkerung flüchten und wieder in die Städte zurückkehren. Hier hat die Regierung teilweise Anstrengungen gemacht, den Leuten Arbeit zu verschaffen, eine hinreichende Linderung der Not konnte dadurch nicht erreicht werden, es fehlt vielfach an Unterkunft, Verpflegung, Kleidung und ärztlicher Behandlung.
3. Können Sie den Deportierten Unterstützungen zukommen lassen? In welcher Weise? Mit wessen Hilfe?
3. Wenn die zur Unterstützung der Verschickten bestimmten Beträge den türkischen, zuständigen Stellen überwiesen werden, bleibt der größte Teil an den Fingern unredlicher Beamten kleben, zumal der Wali Heidar Bey, der in solchen Angelegenheiten zuverlässig war und den Armeniern nicht übelwollend gegenüberstand, mittlerweile abberufen worden ist.
4. In welchem Umfange wären Mittel erforderlich?
4. Eine Unterstützung mit kleineren Beträgen würde nur Verlängerung der Qualen der Deportierten bedeuten; größere Beträge ihrem Zwecke wirksam zuzuführen, erscheint fast unmöglich. Es muß offen und klar ausgesprochen werden, daß alle derartigen Hilfsaktionen solange Schöpfen in ein Faß ohne Boden bedeuten, als die türkische Regierung sich nicht selbst entschließt, [S. 339] mit dem bisherigen System zu brechen und die Reste der Armenier zu erhalten.

Wenn aber trotzdem laufende Unterstützungen gezahlt und diese pro Kopf auf nur 1 Pfund türkisch monatlich bemessen werden sollen, würde ein monatlicher Aufwand von etwa 5000 Pfund türkisch erforderlich sein.

5. Haben Sie zu diesem Hilfswerk Hilfskräfte nötig?
5. Da das Kaiserliche Konsulat nicht in der Lage ist, das Unterstützungswerk unmittelbar auszuüben, würden dafür besondere Hilfskräfte einzustellen sein.

334.

(Notstandswerk Urfa.)

Urfa, den 8. April 1917.

Wie Ihnen kund sein dürfte, hat sich in Urfa eine ziemliche Menge von armenischen Emigranten angesammelt, welche die Regierung hierher gebracht hat. Leider fordert die Regierung, unter deren Mitgliedern der Gouverneur am meisten, diese Unglücklichen öfter auf, die muhammedanische Religion anzunehmen. Selbst an Drohungen mit neuen Ausweisungen fehlt es nicht. Obwohl ich glaube, daß dagegen nichts zu machen ist, fühlte ich mich doch gedrungen, Ihnen hiervon Nachricht zu geben.

Jakob Künzler.

Kaiserlich
Deutsches Konsulat.

Seiner Exzellenz dem Reichskanzler Herrn Dr. von Bethmann Hollweg zur geneigten Kenntnis gehorsamst überreicht.

Aleppo, den 20. April 1917.

Rößler.

335.

(Notstandswerk Urfa.)

Urfa, den 25. April 1917.

Bericht über muhammedanische Emigrantenhilfe[144] in Urfa.

Die mir vom amerikanischen Konsulat in Aleppo zur Verteilung an die muslimischen Emigranten in dieser Gegend überlassenen ca. 100000 Kilo[S. 340] Weizen und Gerste habe ich im Gebiet von Haran und von Besowa unter 17600 Hungrige verteilt, so daß pro Kopf ein halbes Dimin gegeben werden konnte. Ein halbes Dimin entspricht etwa 21 kg.

Mit den 300 Ltq., mir vom Kaiserlich Deutschen Konsulat in Aleppo für diesen Hilfszweck überlassen, habe ich die Notleidenden im Dorfe Garmusch, nahe Urfa, 1200 Hungrige unterstützen können.

Ich habe bei der Verteilung immer die Quellen der Gaben angegeben und ich verhehle nicht, daß das ganze Hilfswerk allgemein großen Eindruck gemacht hat. Ganz besonders soll ich im Namen der Beschenkten den tiefstgefühlten Dank aussprechen, welcher Aufgabe ich mich hiermit gern entledige.

Jakob Künzler.

An das Kaiserlich Deutsche Konsulat in Aleppo.

336.

Orient-und Islamkommission des Deutschen
Evangelischen Missionsausschusses.

Berlin, den 27. April 1917.
Georgenkirchstraße 70.

Euere Exzellenz

wollen es mir nicht verübeln, wenn ich noch einmal eine dringliche Bitte zugunsten des armen armenischen Volkes ehrerbietigst vorzutragen mir erlaube.

An den Wechsel des Großwesirats hatte sich, wie Nachrichten vom Orient erkennen ließen, die Hoffnung auf Milderung der gegen die Armenier getroffenen Maßnahmen geknüpft. Neuere Eingänge, die durch die dem Auswärtigen Amt vorliegenden Berichte nur bestätigt werden, lassen leider erkennen, daß das Elend noch immer wächst, ja neuerdings wieder Verschärfungen eingetreten sind.

Sollte es nicht Euerer Exzellenz möglich sein, die Anwesenheit des Herrn Großwesirs zu benutzen, um ihm persönlich darzulegen, wie schlechthin unerträglich es für uns deutsche Christen ist, mit verschränkten Armen mit ansehen zu sollen, daß ein altes christliches Volk unter den Händen unserer Bundesgenossen dahinstirbt, und ihn zu bitten, daß er endlich eine Lösung der Armenierfrage suche, die den politischen Bedürfnissen und den wahren Interessen des osmanischen Reiches entspricht, ohne seine neue Entwicklung mit so furchtbarer Blutschuld und dem Fluch der gesamten gesitteten Welt zu beladen?

Die Frage ist besonders dringlich geworden durch den Abbruch der politischen Beziehungen zwischen der Türkei und Amerika, weil dadurch die[S. 341] Fortführung der amerikanischen Liebestätigkeit in Frage gestellt ist. So sollte wenigstens uns Deutschen, deren loyale Gesinnung gegen die Türkei ja jenseits jeden Zweifels steht, der Weg zur Hilfeleistung vertrauensvoll freigegeben werden.

D. Karl Axenfeld,
Vorsitzender der Orient- und Islamkommission
des Deutschen Evangelischen Missionsausschusses.

Seiner Exzellenz dem Herrn Reichskanzler, Berlin.

337.

(Auswärtiges Amt.)

Berlin, den 6. Mai 1917.

Euer Hochwohlgeboren beehre ich mich auf das an den Herrn Reichskanzler gerichtete gefällige Schreiben vom 27. v. M. zu erwidern, daß die Armenierfrage selbstverständlich bei Talaat Pascha während seiner Anwesenheit in Deutschland zur Sprache gebracht und unser Standpunkt dabei nachdrücklich dargelegt worden ist.

Wegen Euer Hochwohlgeboren Anregung, im Hinblick auf die Einstellung der amerikanischen Liebestätigkeit der deutschen Hilfeleistung, wenn möglich, einen weiteren Spielraum zu verschaffen, habe ich mich mit dem Kaiserlichen Botschafter in Konstantinopel in Verbindung gesetzt.

Zimmermann.

An den Vorsitzenden der Orient- und Islamkommission des Deutschen Evangelischen Missionsausschusses, Herrn Missionsdirektor D. Karl Axenfeld, Hochwohlgeboren, Berlin.

338.

(Notstandswerk Urfa.)

Urfa, den 28. April 1917.

Gestern bin ich wohlbehalten von Rakka zurückgekehrt. Dort angekommen, erfuhr ich, daß die dortigen Emigranten kurz vor Ostern (armenische) 250 Ltq. Gold von Aleppo erhalten haben. Aber was bedeutet dies für die Übriggebliebenen! Jedes Glied erhielt 5 Piaster. Ich konnte auch nicht mehr geben. Also eine Verlängerung der Leiden bis zum Eintritt des sicheren Hungertodes um einige Tage! Wenn deren Gebundenheit an den Ort noch länger als zwei Monate anhält, so wird wenig mehr von ihnen übrig bleiben. Der Hunger wird sie alle hinraffen. Ich überlege mir, ob es nicht richtig wäre, in Zukunft, wenn wieder Mittel für die Unglücklichen anlangen, man nicht am besten täte, damit eine kleinere Anzahl zu beschenken, damit diese wenigen womöglich durchgebracht werden.

[S. 342]

Ohne eine Summe von 3–5000 Ltq. wieder dorthin zu gehen, ist bei diesen niedrigen Notenkursen eigentlich fruchtlos, denn was sind 5 Goldpiaster (92,5 Pf.)! Allerdings ist vorauszusehen, daß bis in zwei Monaten viele am Hunger gestorben sein werden und daß dann vielleicht auch mit einer kleineren als der oben genannten Summe noch etwas zu erreichen wäre.

Auf der Rückreise besuchte ich auch noch die 400 Emigranten im Dorfe Ain Isse. Hier der gleiche, womöglich noch trostlosere Zustand wie in Rakka. Bis jetzt konnten sich die Armen noch von Gras ernähren, aber jetzt ist auch diese Möglichkeit durch das Vertrocknen desselben ausgeschlossen. Wenn nur die Regierung anfangen wollte, die wenigen noch Übriggebliebenen, vor denen sie wahrlich keine Angst mehr zu haben brauchte, frei zu lassen. In größeren Städten würde sich manche Witwe mitsamt ihren Kindern durchzuschlagen wissen mit ihrer Hände Werk.

Jakob Künzler.

An den Kaiserlichen Konsul, Herrn Rößler,
Hochwohlgeboren, Aleppo.

[S. 343]

Mai.

339.

Kaiserlich
Deutsches Konsulat.

Aleppo, den 1. Mai 1917.

Euerer Exzellenz überreiche ich gehorsamst in der Anlage eine Zusammenstellung der vom Diakon Künzler in Urfa verwalteten Notstandsgelder für Armenier. — Die Zahl der dort unterstützten Waisenkinder ist auf 2200 gestiegen.

Rößler.

Seiner Exzellenz dem Reichskanzler
Herrn Dr. von Bethmann Hollweg.

Anlage.

Zusammenstellung der vom Diakon Künzler in Urfa verwalteten Notstandsgelder für Armenier.

Einnahmen seit dem 1. Juni 1916 bis 31. März 1917.
Piaster
von Basel
255344,35
von Potsdam, Dr. Johs. Lepsius
207491,—
vom Deutschen Hilfsbund
9975,—
vom amerikanischen Konsulat
140000,—
 
 Total 612810,35
Ausgaben 1916.
 
Waisenversorgung, Witwenversorgung, Bekleidung.
 
Juni
3783,05
Juli
7954,—
August
11203,—
September
18513,—
Oktober
29542,05
November
26868,—
Dezember
41662,30
Januar
66684,20
Februar
57813,10
März
106551,15
Für Arbeitsbeschaffung, Taschentücherarbeit und Seidenzucht
43774,25
Für Gehälter
17500,—
 
 Total 431849,30

Aktivsaldo pro April 180961,10 Piaster.

[S. 344]

340.

(Kaiserliches
Konsulat Aleppo.)

Telegramm.

Abgang aus Aleppo, den 2. Mai 1917.
Ankunft in Pera, den 3. Mai 1917.

An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Werden Gelder, die bisher dem amerikanischen Konsul überwiesen wurden, in Zukunft seinem noch zu bestimmenden Vertreter überwiesen? Ist bekannt, ob die amerikanische Zentrale für Zahlung der Hilfsgelder (Peet, Bibelhaus) bestehen bleibt? Der amerikanische Konsul hat Schwester Rohner den Rest der Hilfsgelder übergeben. In Rakka fallen täglich eine Anzahl Menschen dem Hungertode zum Opfer.

Rößler.

341.

American Bible House.

Pera, May 3rd. 1917.

My dear Dr. Mordtmann.

In view of the present situation which brings my work to an end, I have decided, to take advantage of the opportunity given to leave the country and to take a vacation. My wife needs this change even more than I do. She has been most devotedly attached to her work in the hospitals and in divising work for the poor. I am distressed in view of the misery which may come to the poor people in the interior and I am doing what I can to keep the stream of help which we have supplied thus far from dying out altogether.

I cannot leave without sending a word of thankfulness for your never-failing kindness to me in these matters.

I have also most grateful recollections of the Embassy’s courtesy in their share of the work.

It will always afford me pleasure to testify of this.

Yours faithfully
M. M. Peet.

[S. 345]

342.

(Kaiserlich
Deutsche Botschaft.)

Telegramm.

Pera, den 7. Mai 1917.

An Deutsches Konsulat, Aleppo.

Antwort auf Telegramm vom 2.5.

Bibelhaus wird versuchen, die Notstandsaktion durch den Vertreter des Herrn Peet fortzuführen und amerikanische Gelder über Holland oder Schweden hierher zu leiten.

Waldburg.

343.

Bible House.

May 12, 1917.

My dear Mr. Mordtmann,

Before leaving for Europe, Mr. Peet told me of his conversation with you, and of your willingness to help us in the matter of carrying on Relief to the poor in the Aleppo District, through our German friends there, Miss Rohner and Miss Schaeffer.

I should be very glad of an opportunity to talk over this matter with you, now that I am attempting to carry on Mr. Peet’s work. If convenient for you, could I call at your home some time soon to see you? I live near Tokatlian’s Hotel, and so could come in some evening, if that would be more convenient for you than during the day time.

Trusting that you will be able to see me on this matter,

Believe me,
Very truly yours,

L. R. Fowle.

344.

(Kaiserliches
Konsulat Aleppo.)

Telegramm.

Abgang aus Aleppo, den 14. Mai 1917.
Ankunft in Pera, den 14. Mai 1917.

An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Antwort auf Telegramm vom 7. Mai.

Deutsch-armenische Gesellschaft und Direktor Axenfeld mögen etwa zur Verfügung stehende Notstandsgelder durch die Deutsche Orientbank an Zollinger, Aleppo, überweisen lassen.

[S. 346]

Schwester Rohner hat infolge Erkrankung ihre Arbeit einer Kommission von Armeniern unter Aufsicht von Zollinger übergeben und zieht sich nach Marasch zurück.

Rößler.

345.

Kaiserlich
Deutsches Konsulat.

Aleppo, den 14. Mai 1917.

Euer Exzellenz überreiche ich gehorsamst in der Anlage eine Aufzeichnung des Diplomingenieurs Bünte über Beobachtungen gelegentlich, einer vom 1. bis 6. April am Chabur ausgeführten Reise. Es ist kein Zweifel, daß die dort in großen Mengen liegenden menschlichen Schädel und Gebeine von den Armeniermetzeleien des vorigen Juli und August herrühren, über die ich zuletzt am 5. September v. J. berichtet habe[145]. Die aus armenischer Quelle stammenden Erzählungen der Anlagen jenes Berichtes, welche als eine Stelle, bei der hauptsächlich die Metzeleien erfolgt seien, Schedadie (Kalat Scheddad) genannt hatten, finden dadurch ihre Bestätigung.

Gleichen Bericht lasse ich der Kaiserlichen Botschaft zugehen.

Rößler.

Seiner Exzellenz dem Reichskanzler
Herrn Dr. von Bethmann Hollweg.

Anlage.

Aleppo, den 11. Mai 1917.

Ich bin in der Zeit vom 1. bis 6. April zusammen mit Herrn Hauptmann Loeschebrand und Herrn Unteroffizier Langenegger von Buseir am Euphrat den Chabur hinaufgegangen und fand am linken Ufer große Mengen von ausgebleichten Menschenschädeln und Gerippen, zum Teil waren die Schädel mit Schußlöchern. An einigen Stellen fanden wir Scheiterhaufen, ebenfalls mit menschlichen Knochen und Schädeln. — Gegenüber der Kischla Scheddade waren die größten Anhäufungen. Die Bevölkerung sprach von 12000 Armeniern, die hier allein niedergemetzelt, erschossen oder ertränkt seien[146].

An dieser Stelle verließen wir den Fluß und fanden auf dem Wege zum Sindjar keine Spuren mehr.

Bünte,
Diplomingenieur, K. O. Oberleutnant.

[S. 347]

346.

(Kaiserliches
Konsulat Aleppo.)

Telegramm.

Abgang aus Aleppo, den 17. Mai 1917.
Ankunft in Pera, den 18. Mai 1917.

An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Bitte zu veranlassen, daß das Bibelhaus von jetzt an das Geld an Zollinger, Aleppo, schickt. Schwester Rohner ist abgereist und zieht sich endgültig von der Arbeit zurück.

Rößler.

Notiz. Ich habe den Verwalter der amerikanischen Hilfsgelder (Mr. Fowle, American Bible-House) unter der Hand verständigt.

Mordtmann.

347.

Kaiserlich
Deutsche Botschaft.

Pera, den 19. Mai 1917.

Wie der Kaiserliche Konsul in Aleppo meldet, ist die Schwester Beatrice Rohner, welche bisher die Hilfsaktion für die deportierten Armenier leitete, infolge Erkrankung nach Marasch zurückgereist und hat die Arbeit einer Kommission von Armeniern übergeben, die von Herrn Zollinger kontrolliert wird. Da die Genannte endgültig zurückgetreten ist, so werden die deutsch-armenische Gesellschaft und die Orient- und Islamkommission des deutschen Evangelischen Missionsausschusses gebeten, die von ihnen eventuell zu bewilligenden Hilfsgelder durch die Deutsche Orientbank an Herrn Zollinger in Aleppo zu überweisen.

Ich bitte gehorsamst, vorstehendes zur Kenntnis der beiden genannten Vereine bringen zu wollen.

Waldburg.

An das Auswärtige Amt, Berlin.

348.

Kaiserlich
Deutsche Botschaft.

Pera, den 19. Mai 1917.

Das hiesige American Bible House, das bisher die amerikanischen Hilfsgelder für die Türkei verwaltete und verteilte, hofft bestimmt, daß weder von amerikanischer noch auch von türkischer Seite der Fortführung des Liebeswerkes, das sich nicht nur auf die deportierten Armenier erstreckte, sondern auch anderen christlichen Bevölkerungselementen (Griechen, Syrer etc.) und den Muhammedanern zugute kam, keine Hindernisse in den Weg gelegt[S. 348] werden. In dieser Beziehung wird darauf hingewiesen, daß die amerikanische Hilfsaktion für die notleidende Bevölkerung in Belgien auch nach dem Bruche mit Deutschland unter neutraler Leitung ihren Fortgang nimmt, und daß die hiesigen türkischen Behörden und speziell Talaat Pascha sich der Tätigkeit des Bible House gegenüber bisher wohlwollend verhalten haben. Übrigens sind seitens des Bible House bereits Verhandlungen angeknüpft worden, um eventuell, d. h. sobald die amerikanische Regierung die Verwendung der Hilfsgelder nach der Türkei gestattet und sofern kein anderer Weg sich bietet, diese über Holland oder Schweden hierher zu leiten. Im Augenblick verfügt das Bible House noch über genügend Fonds für etwa zwei Monate und hat hiervon noch in den letzten Tagen u. a. einen größeren Betrag nach Aleppo überwiesen; bereits vorher hatte der dortige amerikanische Konsul Jackson bei seiner Abreise den Rest seiner Hilfsgelder an die Schwester Rohner abgegeben. Die Verwalter dieser Fonds (Mr. W. W. Peet, der inzwischen am 9. d. M. nach der Schweiz abgereist ist, und sein Nachfolger, Mr. Fowle) haben unter der Hand die Bitte ausgesprochen, daß die Kaiserliche Botschaft und die Kaiserlichen Konsulate in der Provinz ihnen in der bisherigen Weise die rein geschäftlichen Berichte der im Innern mit dem Hilfswerke betrauten Personen übermitteln möchten, und ich trage um so weniger Bedenken, dieser Bitte zu entsprechen, als es sich hauptsächlich um die Vermittelung der Korrespondenz mit Schweizer Staatsangehörigen, wie z. B. Schwester Rohner und Hr. Zollinger in Aleppo, handelt.

v. Kühlmann.

Seiner Exzellenz dem Reichskanzler
Herrn von Bethmann Hollweg.

349.

Kaiserlich
Deutsche Botschaft.

Telegramm.

Pera, den 23. Mai 1917.

An Deutsches Konsulat, Aleppo.

Das amerikanische Bibelhaus überwies durch die ottomanische Bank am 15. Mai 3000 t. Pfund. Glauben Sie, daß es zu erreichen wäre, Merrill oder Martin von Aintab zur Organisation und Kontrolle des Hilfswerkes nach Aleppo kommen zu lassen? Geschäftliche Nachrichten über Hilfswerk würden dem Bibelhause erwünscht sein und ihm von der Botschaft unter der Hand mitgeteilt werden.

Kühlmann.

[S. 349]

350.

(Kaiserliches
Konsulat Aleppo.)

Telegramm.

Abgang aus Aleppo, den 31. Mai 1917.
Ankunft in Pera, den 1. Juni 1917.

An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Die Organisation, welche Zollinger leitet, ist von Schwester Rohner geschaffen und so brauchbar als bei der schwierigen Lage möglich. Meines Erachtens könnten Amerikaner aus Aintab hier nicht von der Polizei ungestört arbeiten. Durch amtliche Verwendung für diesen Zweck könnte das ganze Hilfswerk gefährdet werden.

Bitte dem Bibelhaus anheimzustellen, 3000 Pfund türkisch, die am 15. Mai auf den Namen der Schwester Rohner überwiesen waren, auf Zollinger überschreiben zu lassen.

Rößler.

[S. 350]

Juni.

351.

Kaiserlich
Deutsche Botschaft.

Pera, den 15. Juni 1917.

Im Anschluß an den Bericht vom 19. v. M.

Das American Bible House, das bisher die amerikanischen Hilfsgelder für die Türkei ihrer Bestimmung übermittelte, ist seit Abbruch der diplomatischen Beziehungen zwischen der Türkei und Amerika von jeder Verbindung mit den Geldgebern abgeschnitten. Der bisherige Leiter des Bible House, Mr. Peet, ist vor einiger Zeit nach der Schweiz abgereist und hat bisher keine Nachrichten hierher gelangen lassen. Inzwischen sind die vorhandenen Fonds fast völlig aufgebraucht, und der Betrieb müßte demnächst eingestellt werden, wenn nicht dem Vertreter des Mr. Peet neue Kredite eröffnet werden.

Meines Erachtens haben auch wir ein wesentliches Interesse daran, daß die amerikanischen Geldsendungen nicht unterbrochen werden oder ganz aufhören.

Ich glaube daher der Bitte des Mr. L. R. Fowle, der den abwesenden Mr. Peet vertritt, um Beförderung des anliegenden Briefes entsprechen zu sollen. Gegebenenfalls bitte ich die Antwort des Mr. Peet auf gleichem Wege hierher gelangen zu lassen wollen; eine tunlichst baldige Erledigung würde im allseitigen Interesse sein und von den Beteiligten mit besonderem Dank begrüßt werden.

v. Kühlmann.

Seiner Exzellenz dem Reichskanzler
Herrn von Bethmann Hollweg.

352.

Berlin, den 20. Juni 1917.

Seiner Hochwohlgeboren Herrn Geheimrat von Rosenberg, Auswärtiges Amt.

In der Anlage überreiche ich Ihnen die Abschrift eines Briefes, der mir aus Angora zugegangen ist. Ich würde es für gut halten, wenn man die Türkei doch wissen lassen würde, daß diese Art des Auftretens den türkischen Interessen in Deutschland schädlich ist.

Erzberger, Mitglied des Reichstags.

[S. 351]

353.

Auswärtiges Amt.

Berlin, den 25. Juni 1917.

Nach dem auszugsweise hier beigefügten, dem Abgeordneten Erzberger zugegangenen Schreiben des Dr. David in Angora gibt das Verhalten der dortigen Behörden gegenüber den katholischen Armeniern neuerdings zu Besorgnissen Anlaß. Nach Dr. Davids Ansicht ist es auf Zwangsbekehrungen abgesehen; möglicherweise werden auch neue Austreibungen beabsichtigt, die sich durch militärische Gründe nicht würden rechtfertigen lassen.

Euere Exzellenz bitte ich, die türkische Regierung auf die Vorgänge in Angora aufmerksam zu machen und die Erwartung auszusprechen, daß sie die dortigen katholischen Armenier vor Zwangsbekehrungsversuchen und anderen Verfolgungen der Ortsbehörden schützen wird.

Zimmermann.

Seiner Exzellenz dem Kaiserlichen Botschafter
Herrn von Kühlmann, Konstantinopel.

Anlage.

Angora (Kleinasien), den 3. Juni 1917.

Seit Dezember vorigen Jahres fand sich hier wieder ein armenisch katholischer Priester, der in vollkommener Freiheit Seelsorge ausüben konnte. Die Folge war, daß die so hart geprüfte Bevölkerung wieder aufatmete und neue Lebenshoffnung bekam. Damit ist es nun wieder völlig vorbei.

Schon im Februar dieses Jahres verleidete man den Armeniern die Teilnahme an meinem Gottesdienste, indem man während der hl. Messe in brutalster Weise lärmend mit Polizei und Gendarmerie eindrang und alle Armenier hinauswies. Seit Pfingsten ist nun auch dem armenisch-katholischen Priester die Abhaltung öffentlicher Gottesdienste untersagt. Außerdem finden Vorkehrungen statt, die nach früheren Erfahrungen und nach ausdrücklicher Versicherung unterer Polizeiorgane eine neue Exilierung einleiten sollen. Ich habe allerdings einstweilen noch den Eindruck, es handele sich mehr darum, die wieder mutiger gewordenen Katholiken einzuschüchtern, ihren Widerstand gegenüber der Einladung zum Übertritt zum Islam zu lähmen und die früher in nicht rechtsverbindlicher Form Übergetretenen beim Islam festzuhalten.

Wie dem auch sei, jedenfalls liegt eine eigentliche religiöse Verfolgung vor. Jedenfalls kommen Gründe militärischer Art gar nicht in Betracht, da es sich fast nur um Frauen und Kinder handelt und Angora zudem soweit als möglich von jedem Kriegsgebiet entfernt liegt.

Dr. David, Feldgeistlicher in Angora.

[S. 352]

Juli.

354.

(Auswärtiges Amt.)

Berlin, den 1. Juli 1917.

Telegramm.

An Deutsche Gesandtschaft, Bern.

Bitte Herrn Peet, Genf, mitzuteilen: Wie die Botschaft Konstantinopel drahtet, hat das amerikanische Bibelhaus, da seine Mittel erschöpft sind, die Geldüberweisungen nach dem Innern eingestellt. Dringende Gesuche um Unterstützung aus den amerikanischen Hilfsgeldern sind gerade in den letzten Tagen durch das Konsulat Aleppo eingegangen.

Zimmermann.

355.

Kaiserlich
Deutsche Botschaft.

Pera, den 9. Juli 1917.

Auf Erlaß vom 25. Juni[147].

Auf Wunsch des Dr. David in Angora bin ich bereits im Monat Mai bei der Pforte in der Angelegenheit der katholischen Armenier vorstellig geworden.

Der Vertreter des Vereins vom heiligen Lande, Herr Dr. Schade, hat mir einen Auszug verschiedener Briefe Dr. Davids zur Verfügung gestellt; aus einem vom 13. Juni (also 10 Tage nach Abgang des Briefes an Herrn Erzberger) datierten Schreiben ist folgende Stelle zu entnehmen: „Vorige Woche kam mir eine telegraphische Weisung des Ministeriums zur Sicht, in der kategorisch dem hiesigen Wali untersagt wird, die Katholiken zu deportieren, selbst falls dafür Gründe vorlägen, und aufgegeben wird, weitere Weisungen abzuwarten. Ich denke, daß dies eine Wirkung der von der Botschaft unternommenen Schritte ist. Man beschränkt sich seither auf Maßnahmen gegen solche, die früher einmal zum Islam übergetreten waren, und scheint sich damit zufrieden zu geben, wenn sie sich im Gefängnis bereit erklären, in Zukunft türkische Tracht zu tragen.“

Aus weiteren Stellen der erwähnten Briefe geht hervor, daß in Angora unter den armenischen Katholiken große Beunruhigung besteht. Bei der nun[S. 353] einmal hier herrschenden Willkür ist es nicht ausgeschlossen, daß gewisse Übergriffe von Zeit zu Zeit erfolgen werden. Immerhin ist die Regierung zweifellos gewillt, ein schärferes Vorgehen gegen die armenischen Katholiken zu vermeiden. Dr. Schade erhält mich fortgesetzt auf dem Laufenden über die Verhältnisse in Angora. Ich werde nicht verfehlen, die Angelegenheit im Auge zu behalten und nötigenfalls die hiesige Regierung auf die Vorgänge in Angora aufmerksam zu machen.

v. Kühlmann.

Seiner Exzellenz dem Reichskanzler
Herrn von Bethmann Hollweg.

356.

Deutsche Evangelische
Missionshilfe.

Berlin-Steglitz, den 14. Juli 1917.

An das Auswärtige Amt, Berlin.

Als Vorstandsmitglied der Deutschen Blindenmission im Orient ging mir von dem Leiter unseres Blindenheims in Malatia, Ernst J. Christoffel, ein Brief vom 26. März d. J. zu, der die Anschauung des Herrn Christoffel über die Lage und Zukunft der Armenier in Kleinasien enthält. Ich erlaube mir, denselben in Abschrift zur Kenntnisnahme vorzulegen, ohne zu den Mitteilungen Stellung zu nehmen.

A. W. Schreiber,
Direktor der Deutschen Evangelischen Missionshilfe.

Anlage.

Bericht des Herrn J. Christoffel, Vorsteher des Blindenheims Malatia, über die Lage der Armenier, an Pastor G. Stoevesandt, Berlin.

Malatia, den 26. März 1917.

Ich benutze eine günstige Gelegenheit, um Nachricht zu geben. In der Hauptsache die Lage der orientalischen Christen Betreffendes.

Die Verluste des armenischen Volkes seit der Verschickung Sommer 1915 bis heute übersteigen 1 Million. Ein Teil wurde in den Gefängnissen, nach fürchterlichen Folterqualen, getötet. Von Frauen und Kindern starben die meisten auf dem Wege in die Verbannung, an Hunger, Seuche und Mord. Auf Einzelheiten kann ich nicht eingehen. Sollte A. K. Gelegenheit haben, Sie zu sehen, so kann er mehr oder weniger meine nackten Sätze illustrieren.

[S. 354]

Ein kümmerlicher Rest der Verschickten fristet in den Ebenen Syriens und Nordmesopotamiens ein elendes Dasein und wird durch Seuchen und Zwangsbekehrungen täglich kleiner. Männer sind nur vereinzelt übrig geblieben. In den Städten Anatoliens befindet sich noch eine Anzahl Versprengter, Geflüchteter, die aber meistens zum Islam übergetreten sind. Neben den Zwangsbekehrungen, die in Massen stattfanden, stand als ein anderes charakteristisches Zeichen die Massenadoption armenischer Kinder. Es handelt sich da um viele Tausende. Sie werden künstlich zu fanatischen Muhammedanern gemacht. Das Morden hat nachgelassen, aber der Vernichtungsprozeß hat nicht aufgehört, hat nur andere Formen angenommen.

Den Leuten ist alles geraubt worden. Eigentum, Familie, Ehre, Religion, Leben. Im Herbst 1915 kam für die protestantischen und katholischen Armenier, wahrscheinlich auf Veranlassung der deutschen und österreichischen Botschaft, ein Gnadenerlaß heraus, der diese vor der Verschickung bewahren und sie in Besitz ihres Eigentums lassen sollte. Er war nur wie ein Schlag ins Wasser. Meistenteils wurde er unterdrückt, bis die protestantischen Männer getötet waren, und auch für die Frauen und Kinder hatte er kaum praktische Bedeutung.

Vom Schwarzen Meer bis nach Syrien ist die Predigt des Evangeliums verstummt, ausgenommen in den deutschen Anstalten. Die protestantischen Gemeinden sind vernichtet. Ihre Prediger, bis auf einzelne Ausnahmen (vielleicht 4 bis 5), getötet. Ihre Kapellen und Schulen weggenommen, geschändet oder zerstört. Dasselbe gilt von den katholischen und altarmenischen Gemeinden.

Den armenischen revolutionären Kreisen die Verantwortung zuzuschieben, ist ein Unsinn. Die haben vom türkischen Standpunkt aus gefehlt, nicht so vom armenischen aus. Die Nation als solche war nicht schuldig. Das weiß die türkische Regierung so gut wie jeder in diesem Lande. Für uns deutsche Missionare ist es unsagbar schwer, daß Deutschland von Christen und Muhammedanern als der Urheber der Greuel angesehen wird. Die Ansicht wird von türkischer Seite genährt und gestärkt. Bleibt dieser Vorwurf auf Deutschland haften, dann wird er auf Jahrzehnte hinaus das größte Hindernis deutscher Mission sein, sowohl den Christen wie den Muhammedanern gegenüber. Nachrichten aus türkischen oder turkophilen Kreisen sind entweder glatt abzulehnen oder mit größtem Mißtrauen zu behandeln. Wenn jemals diese Verfolgung untersucht werden sollte, so müßte von deutscher Seite darauf gedrungen werden, daß damit:

1. Unparteiische, unabhängige Männer beauftragt würden, die auch Verständnis für die religiöse Seite der Frage haben.

2. Den Armeniern, die zwangsweise zum Islam bekehrt wurden, muß Gelegenheit gegeben werden, den Übertritt rückgängig zu machen, und zwar dieses, ohne daß sie für Leib und Leben zu fürchten haben.

[S. 355]

3. Die Verwandten derjenigen Kinder, die in muhammedanischen Häusern weilen, müssen das Recht haben, dieselben zurückzufordern.

4. Die gottesdienstlichen und Schulgebäude müssen zurückgegeben werden.

5. Das immobile Eigentum muß zurückgegeben oder der Wert ersetzt werden.

6. Den Armeniern muß die Auswanderung erlaubt sein.

7. Der christliche Gottesdienst darf nicht verhindert werden.

Wir deutschen Missionare hier im Innern können nicht viel mehr tun, als das unsagbare Leid der orientalischen Christenheit, mehr oder weniger passiv, mitzutragen. Aktivität aber ist Sache der deutschen evangelischen Christenheit und bei den deutschen evangelischen Missionskreisen.

Ich bin überzeugt, wenn man die Wahrheit wüßte, würde ein einziger Schrei der Entrüstung durch unser Volk gehen. Es ist kein Zweifel, das, was dem armenischen Volke angetan wurde und noch angetan wird, ist das größte Verbrechen der Weltgeschichte. Wird das Volk der Reformation die gänzliche Vernichtung einer christlichen Nation als gegebene Tatsache hinnehmen? Wird die deutsch-evangelische Kirche, die in diesem Jahr ihre Reformationsjahrhundertfeier begehen will, kein Wort des Protestes dafür haben, daß hier eine Schwesterkirche von sadistischen Fanatikern zerstört wurde? Das wäre nicht deutsch, nicht christlich.

Bitte machen Sie von meinem Brief Gebrauch, wo Sie können. Womöglich lassen Sie auch Exzellenz Dryander Einsicht nehmen.

Gott aber, der Herr der Kirche, wolle Sie in allem leiten!

Und dann noch eins: Wir brauchen materielle Hilfe, und wieder Hilfe und nochmals Hilfe. Es stehen missionarische Güter von höchstem Wert auf dem Spiel.

Ernst J. Christoffel.

357.

(Kaiserlich
Deutsche Gesandtschaft.)

Telegramm.

Bern, den 24. Juli 1917.

An Auswärtiges Amt.

M. Léopold Favre (Genf) hat mir einhunderttausend Franks ausgehändigt für Hilfswerk im Innern.

Er bittet, diese Summe Mr. Fowle in Konstantinopel zur Verfügung zu stellen.

Romberg.

[S. 356]

358.

(Kaiserliches
Konsulat Aleppo.)

Telegramm.

Abgang aus Aleppo, den 31. Juli 1917.
Ankunft in Berlin, den 2. August 1917.

Der Kaiserliche Konsul an Auswärtiges Amt.

Für Dr. Andreas Vischer, Basel:

Ich habe zweitausend Franks erhalten. Geber sollten diesen Betrag lieber für Waisenkinder in Aleppo bestimmen, anstatt für Tokatleute. 800 Kinder sollen morgen mangels Brot aus armenischer Kirche auf die Straße gesetzt werden.

Große Summen wären zu wirksamer Hilfe erforderlich. Letzte Zuwendungen für Kinderheim waren ganz unzureichend. Drahtantwort.

Rößler.

[S. 357]

August.

359.

Auswärtiges Amt.

Berlin, den 7. August 1917.

An Deutsche Gesandtschaft, Bern.

Unter dem 4. d. M. ist der Kaiserliche Geschäftsträger in Konstantinopel angewiesen worden, Herrn Fowle den Gegenwert von 100000 Franks gleich 6987,5 türkische Pfand auszuzahlen. Bitte, Herrn Favre hiervon zu verständigen.

Frhr. v. d. Bussche.

360.

Niederschrift über den Gang der Besprechung zwischen dem Generalissimus der türkischen Armee in Syrien, Djemal Pascha, und Missionsdirektor D. Axenfeld, Direktor A. W. Schreiber und Oberlehrer Sommer, zu Berlin.

Hotel Adlon, den 28. August 1917.

Nach freundlicher Begrüßung durch Exzellenz Djemal Pascha eröffnete die in französischer Sprache geführte Besprechung

D. Axenfeld. Er dankte für die Gewährung der Unterredung und gab der Sympathie aller Deutschen für die tapferen türkischen Bundesgenossen Ausdruck. Namens der Sr. Exzellenz bekannten deutschen evangelischen, Liebesarbeiten im Orient dankte er auch für den Schutz und die mannigfache Förderung dieser dem Wohle der notleidenden türkischen Bevölkerung dienenden Unternehmungen, so der Arbeit der Kaiserswerther Schwestern in Jerusalem, Beirut und Aleppo und des deutschen Hilfsbundes in Aleppo und Marasch (Schwester Beatrice Rohner, Schwester Paula Schäfer, Herr Blank). Die Not, namentlich bei den Armeniern, übersteige aber unsere Hilfskräfte und wecke unser tiefstes Mitleid. Wir seien Deutsche, und darum sei es selbstverständlich, daß wir loyale Freunde der Türkei seien. Aber wir seien auch Christen. Wie es ein muslimisches Gemeingefühl gäbe, so hätten auch wir Christen ein herzliches Mitgefühl mit allen unseren Mitchristen, zumal wenn sie sich in Not und Anfechtung befänden. Es gehe[S. 358] ein tiefer Schmerz durch die Kreise der deutschen Christen wegen des Geschickes der Armenier. Er erlaube sich daher die sehr herzliche Bitte um Hilfe für die Notstände, an deren Linderung die deutschen Liebeswerke arbeiten, namentlich um Gewährung von Nahrungsmitteln für die Frauen und Kinder.

Djemal Pascha dankt für den Besuch, sowie den Ausdruck der Sympathie für die Türkei und spricht seine „Anerkennung der geäußerten edlen religiösen Gefühle und seine volle Übereinstimmung mit den bekundeten menschenfreundlichen Gesinnungen“ aus. Diese Übereinstimmung werde aber nicht widerlegt durch die Stellung, die die Türkei gegen die Armenier eingenommen habe. Ihnen gegenüber habe es sich nicht um eine religiöse, sondern um eine politische Frage gehandelt. Die Türkei habe einem Manne geglichen, der von allen Seiten überfallen wird und in der höchsten Lebensnot zu den äußersten Mitteln greifen muß. In jedem Lande ginge ferner die Bevölkerung, zumal in Zeiten der Erregung, leicht über strenge Maßnahmen der Regierung noch hinaus und ließe sich zu Ausschreitungen hinreißen, die nicht zu billigen seien, so in der Türkei besonders die Kurden. Gegen die Armenier sei die türkische Regierung nicht vorgegangen, weil sie Christen, sondern weil sie Armenier waren, und der Bestand des Staates gefährdet war. Gegen Araber würde im gleichen Fall ebenso verfahren. Im übrigen wären in seinem Bezirke, dank seines starken persönlichen Einflusses, keine Ausschreitungen gegen Armenier erfolgt. Aber nicht jeder Oberbefehlshaber könne einen so starken Einfluß ausüben.

Auf die Frage, ob seine Ausführungen deutlich gewesen und verstanden worden seien, erwiderte

D. Axenfeld: Ich habe die Ausführungen Euerer Exzellenz wohl verstanden. Mir liegt aber Ihnen gegenüber sehr daran, festzustellen, daß wir nicht gekommen sind, um zu tadeln oder anzuklagen, sondern nur, um in loyaler Gesinnung Hilfe zu erbitten für Notleidende. Diese hungernden Frauen und Kinder können der Türkei nicht gefährlich sein. Es handelt sich um ein Werk der rein menschlichen Barmherzigkeit.

Djemal Pascha: Dem kann ich nur beistimmen. Ich bin gern bereit, in jeder Beziehung Ihre Arbeiten zu unterstützen und unentgeltlich Lebensmittel zu gewähren. Schreiben Sie Ihren Freunden in Aleppo und Marasch, in Jerusalem und Beirut und anderen Orten, daß sie ihre Bitten mir vorlegen. Ich werde reichlich helfen und auch in anderen Bezirken meinen Einfluß geltend zu machen suchen.

Oberlehrer Sommer dankt in türkischer Sprache für die bisherige Hilfe und die freundliche Zusage der freien Gewährung von Lebensmitteln. Da die Hungersnot sehr empfindlich und Getreide auf dem offenen Markt nicht zu haben sei, bittet er besonders um Gewährung von Getreide aus den staatlichen Vorräten. Es sei dieses eine reine Menschlichkeitsfrage; auch in unseren[S. 359] Anstalten, besonders den Krankenhäusern, werde Christen und Muhammedanern die gleiche Hilfe zuteil.

Djemal Pascha, ebenfalls in türkischer Sprache: Das ist auch meine persönliche Stellung. Ich mache keinen Unterschied zwischen Christen und Muhammedanern. Das Wohl aller Osmanen liegt mir am Herzen. Der Grundsatz der Toleranz ist mir sehr sympathisch. Ihre Bitten will ich gerne gewähren.

D. Axenfeld. Schreiber.

[S. 360]

Oktober.

361.

Deutsche Evangelische
Missionshilfe.

Berlin-Steglitz, den 24. Oktober 1917.

An das Auswärtige Amt, Berlin.

Herr Dr. Greenfield, der stellvertretende Vorsitzende der Deutsch-Armenischen Gesellschaft, schickt mir einen Brief von Agathon Bey, dem Sekretär von Nubar Pascha. Der Brief ist die Antwort auf eine von Dr. Greenfield gerichtete Anfrage betreffend die zeitweilige Stockung in der Überweisung von Unterstützungen für die Armenier, die glücklicherweise seit Mitte August wieder aufgehoben ist. Agathon Bey fragt an, wie von ihm gesammelte Kleidungsstücke am besten an Konsul Rößler in Aleppo geschickt werden. Dr. Greenfield gibt mir diese Anfrage weiter, die ich hierdurch dem Auswärtigen Amt mit der Bitte um Beratung vorlege.

A. W. Schreiber,
Direktor der Deutschen Evangelischen Missionshilfe.

[S. 361]

November.

362.

Telegramm.

Berlin, den 6. November 1917.

An Deutsche Botschaft, Pera.

Funkspruch Lyon 3. 11. 1917 meldet: Rußland. Das armenische Heer, Tiflis: Das armenische Heer, dessen Aufstellung von der provisorischen Regierung Rußlands verfügt worden ist, beginnt sich zu organisieren. Dieses Heer wird in kurzer Zeit 150000 Mann stark sein und setzt sich nur aus Armeniern russischer Untertanenschaft zusammen, welche sonst an anderen Fronten standen und nun für die Befreiung Armeniens von der Türkei kämpfen werden. Die armenischen Freiwilligen-Legionen werden wie früher ein Korps für sich bilden, welches Seite an Seite mit dem oben erwähnten russisch-armenischen Heere kämpfen wird. Der Kommissar der provisorischen Regierung Rußlands, Kharlawoff, wohnte einer Parade über die Truppen bei und erklärte ihnen im Auftrag der Regierung: „Es ist die heilige Pflicht der russischen Demokratie, den Armeniern zur Erlangung ihrer alten politischen Wünsche beizustehen. Eine Folge unseres Sieges wird die Befreiung Armeniens sein.“

[S. 362]

Dezember.

363.

Sozialdemokratische Partei
Deutschlands.
Der Parteivorstand.

Berlin, den 7. Dezember 1917.

Das holländisch-skandinavische Komitee, die derzeitige Vertretung der Sozialisten der neutralen Länder in Stockholm, übersendet uns eine ihm von armenischer Seite zugegangene Mitteilung über eine angeblich geplante neue Deportation von Armeniern nach wüsten Gegenden Mesopotamiens. Wir fügen die betreffende armenische Mitteilung in der uns übermittelten Fassung bei.

Das holländisch-skandinavische Komitee ersucht uns, bei der Deutschen Regierung zu intervenieren, in der Hoffnung, daß es durch Einwirkung auf die türkische Regierung gelingen würde, Tausende Frauen und Kinder zu retten.

Wir unterbreiten Ihnen die Angelegenheit und bitten, Ermittelungen darüber anzustellen, ob die Behauptungen den Tatsachen entsprechen.

Ergebenst

Der Vorstand der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands.
Hermann Müller, Reichenbach, M. d. R.

An das Auswärtige Amt, Hier.

364.

(Auswärtiges Amt.)

Telegramm.

Berlin, den 10. Dezember 1917.

An Deutsche Botschaft, Pera.

Durch die deutsche sozialdemokratische Partei hat das holländisch-skandinavische Komitee, welches die Sozialisten neutraler Länder vertritt, unsere Intervention bei der türkischen Regierung erbeten, damit angeblich[S. 363] geplante neue Armenierverschickungen aus Konia und Aleppo und Umgegend unterbleiben.

Bitte bei dortiger Regierung festzustellen, ob der in letzter Zeit mehrfach von feindlicher Presse erwähnte Verschickungsplan tatsächlich besteht und gegebenenfalls dringend von Ausführung abzuraten.

Kühlmann.

365.

(Kaiserlich
Deutsche Botschaft.)

Telegramm.

Konstantinopel, den 11. Dezember 1917.

An Auswärtiges Amt.

Antwort auf Telegramm vom 10. Dezember.

Großwesir bittet kategorisch zu dementieren, daß neue Deportierung von Armeniern erfolge.

Vertraulich fügte er hinzu, er habe die Absicht, wenn es zum Separatfrieden mit Rußland komme, einen allgemeinen Gnaden- und AmnestieerlaB für Armenier nebst Geldbewilligung zu veröffentlichen. Jeder deportierte oder gefangene Armenier solle frei hingehen können, wohin er wolle, und mit Geld unterstützt werden. Die Finanzfrage habe er — Talaat Pascha — bereits mit Djavid Bey erörtert.

Bernstorff.

366.

Kaiserlich
Deutsche Botschaft.

Pera, den 16. Dezember 1917.

Der armenisch-katholische Patriarch, Monseigneur Terzian, hat mir kürzlich die in der Anlage beigefügte Übersicht über den Bestand der armenisch-katholischen Gemeinden in den von den Armenierverfolgungen betroffenen Bezirken in Kleinasien und Ostanatolien übergeben.

Danach zählten diese Gemeinden vor dem Kriege rund 70000 Seelen mit 157 Geistlichen und 128 Ordensschwestern; hiervon sind:

1.
an Ort und Stelle
verblieben
 16360 (23,37 %) 
 21 
Geistliche,
 24 
Ordensschwestern
2.
ausgesiedelt:
 
 
 
 
 
 
a) an anderen Orten
 angesiedelt
 13050 (18,64 %) 
 37 
 56 
 
b) verschollen
 40590 (57,99 %) 
 99 
 48 
 
 
 70000 
 157 
 128 

[S. 364]

Unter den Verschollenen dürfte sich ein, wenn schon geringer Prozentsatz von solchen finden, die sich zurzeit noch versteckt halten oder zum Islam übergetreten sind; anderen dürfte es gelungen sein, nach Rußland oder Persien zu flüchten. Von der Mehrzahl kann jedenfalls angenommen werden, daß sie durch Krankheiten und Entbehrungen und auf gewaltsame Weise ums Leben gekommen ist. Am schlimmsten betroffen sind die Gemeinden Diarbekr, Trapezunt, Siwas, Tokat, Harput, Kaisarieh, Musch und Malatia. Sämtliche Verschickte sind aber durch die mit der Aussiedelung verbundenen Vermögenskonfiskationen um ihr gesamtes Hab und Gut gekommen.

Bernstorff.

Seiner Exzellenz dem Reichskanzler
Herrn Grafen von Hertling.

1918

[S. 367]

Februar.

367.

(Auswärtiges Amt.)

Telegramm.

Berlin, den 8. Februar 1918.

An Deutsche Botschaft, Pera.

Deutsche Armenierfreunde sind durch Meldung der Milli-Agence vom 4. Februar über armenische Greuel lebhaft beunruhigt. Sie bezweifeln Richtigkeit dieser Meldungen und befürchten türkische Vergeltungsmaßnahmen.

Euere Exzellenz bitte ich, bei der dortigen Regierung bei jeder sich bietenden Gelegenheit mit allem Nachdruck darauf hinzuweisen: Es ist im eigensten Interesse der Türkei durchaus notwendig, bei dem Vormarsch der Kaukasusarmee die strengste Disziplin zu halten, von allen Vergeltungsmaßregeln abzusehen und lediglich diejenigen Armenier den Gerichten zur Bestrafung zu übergeben, die an Verbrechen gegen die muselmanische Bevölkerung teilgenommen haben.

Für die Türkei, und zwar auch für ihr Verhältnis zu den Bundesgenossen müßte eine Wiederholung der türkischen Armeniergreuel die schwersten Folgen haben. Erbitte Drahtbericht über die Aufnahme Ihrer Vorstellungen.

Freihr. v. d. Bussche.

368.

(Kaiserlich
Deutsche Botschaft.)

Telegramm.

Konstantinopel, den 10. Februar 1918.

An Auswärtiges Amt.

Antwort auf Telegramm vom 8. Februar.

Bereits mehrfach habe ich mich im Sinne der Weisungen Euerer Exzellenz ausgesprochen, insbesondere General v. Seeckt gebeten, dafür zu sorgen, daß nicht etwa militärischerseits Repressalien angeordnet werden. Auch[S. 368] Halil werde ich energisch auf mögliche Folgen aufmerksam machen. Da hierzulande nur ein Mann Autorität besitzt, nämlich Talaat Pascha, dürfte es sich daher empfehlen, schon jetzt vor seiner Abreise aus Brest oder Berlin auf ihn einzuwirken.

Bernstorff.

369.

(Kaiserlich
Deutsche Botschaft.)

Telegramm.

Pera, den 11. Februar 1918.

An Auswärtiges Amt.

Im Anschluß an Telegramm vom 10. Februar.

Auf meine Vorstellungen antwortete mir Halil Bey, daß sehr strenge Befehle erlassen wären, um Repressalien wegen der armenischen Banden zu verhindern. Ich erinnerte den Minister an das Versprechen des Großwesirs, nach Abschluß des Friedens mit Rußland eine armenische Amnestie zu erlassen, und sagte ihm, jetzt sei dazu der Moment gekommen, worin mir Halil Bey zustimmte. Ich darf annehmen, daß der Herr Staatssekretär Gelegenheit gehabt haben wird, Talaat Pascha in unserem Sinne zu beeinflussen, da mir Halil Bey sagte, daß der Großwesir die Frage mit Trotzki besprochen hätte.

Bernstorff.

370.

Orient- und Islam-Kommission
des Deutschen Evangelischen Missions-Ausschusses.

Berlin, den 11. Februar 1918.

Euer Exzellenz

bitte ich als Vorsitzender der Orient- und Islam-Kommission des Deutschen Evangelischen Missionsausschusses unsere ernste, neuerdings aufs höchste gesteigerte Sorge um das Geschick des armenischen Volkes gehorsamst vortragen zu dürfen, wie ich mich in gleicher Angelegenheit wiederholt an Euer Exzellenz Herrn Amtsvorgänger habe wenden dürfen.

Wenn schon im Januar d. J. die durch die Verhandlungen in Brest-Litowsk eröffnete Aussicht auf Wiederbesetzung des von den Russen eroberten Teils von Türkisch-Armenien durch die Türken die Gefahr neuer, schlimmer Ausschreitungen nahelegte, so läßt die vom Wolffschen Büro am 4. Februar mitgeteilte Meldung der Agence Milli für die nächste Zeit Vorgänge befürchten, die alles, was schon während dieses Krieges an Greueln bekannt[S. 369] wurde, unter Umständen weit hinter sich lassen können. Wenn es wahr ist, daß nachdem die russischen Truppen von ihrer dortigen Front abgezogen sind, die armenischen Kadres des russischen Heeres aber, verstärkt durch armenische Freischärler von türkischer Seite, um ihre Landsleute nicht wehrlos in die Hände der nach den früheren Erlebnissen nicht ohne Grund gefürchteten Türken fallen zu lassen, sich selbständig zur Wehr gesetzt, die armenische Republik erklärt, und bereits an türkischer Bevölkerung, die ihnen erreichbar war, Racheakte verübt haben, so ist nicht nur zu erwarten, daß die Türken bei der Niederwerfung dieses verzweifelten, in letzter Stunde gewagten armenischen Freiheitskampfes mit schonungsloser Grausamkeit vorgehen werden, sondern es ist auch die Lage der noch in Anatolien und Syrien lebenden Armenier aufs neue und sehr ernstlich gefährdet. Aber selbst wenn die armenische Bevölkerung im türkischen Machtbereich, eingeschüchtert durch ihre furchtbaren Erlebnisse in den letzten Jahren, sich gänzlich loyal verhält, so ist nicht anzunehmen, daß ihre muslimische Umwelt ihnen das glauben wird. Auf beiden Seiten sind von der Vergangenheit her Verbitterung, Rachsucht und Mißtrauen jetzt so hoch gehäuft, daß schon ein grundloses Gerede genügen könnte, um Ausbrüche der Volkswut auszulösen. Sind aber solche Exzesse erst an einigen Stellen vorgekommen, so ist das Unheil unter Umständen nicht mehr aufzuhalten, und das Ende kann die fast völlige Ausrottung des armenischen Volkes werden.

Diese unsere Sorgen wären selbst in dem Falle begründet, daß die türkische Regierung jetzt den ernstlichen Willen hätte, Ausschreitungen zu verhüten, wie auch wir hofften neuerdings voraussetzen zu dürfen. Aber die erwähnte Meldung der Agence Milli spricht leider stark für das Gegenteil. Kam es der türkischen Regierung nur darauf an, militärische Maßnahmen über die Waffenstillstandsgrenze hinaus zur Pazifizierung ihres früheren Gebietes im voraus vor der Öffentlichkeit Europas zu rechtfertigen, so genügte dazu der Hinweis auf den dem Waffenstillstandsvertrag zuwiderlaufenden Abzug der russischen Truppen und auf das Auftreten irregulärer armenischer Banden. Wenn sie statt dessen in jener Meldung sich über die an Türken verübten armenischen Gewalttaten, die, so verabscheuenswert sie sind, nicht ein Tausendstel dessen ausmachen, was während dieses Krieges Türken an Armeniern begangen haben, ausführlich ergeht, so kann ihr die Wirkung solcher Schilderung auf die muselmanische Bevölkerung des eigenen Landes nicht unbewußt gewesen sein. Dazu kommt, daß in der durch die Agence Milli unter dem 5. Februar mitgeteilten Rede von Halil Pascha die Worte,

„Wir weisen noch einmal alle Vorschläge oder Ratschläge, die uns von welcher Seite auch immer in Form einer Einmischung in unsere inneren Angelegenheiten zugehen, entschieden zurück.“

nach dem Zusammenhang und nach ihrer Betonung auffallen. Ist denn die Selbständigkeit der Türken in ihren inneren Angelegenheiten durch irgend[S. 370]wen außer durch die Ententemächte bedroht? Oder soll hier im voraus einem Einspruch auch der Bundesgenossen, den zu befürchten man allen Grund hat, ein Riegel vorgeschoben werden?

Ich bitte, das Mißverständnis, als sei diese meine ehrerbietige Vorstellung aus unfreundlicher, illoyaler Gesinnung gegen unsere osmanischen Bundesgenossen geflossen, völlig ausschließen zu dürfen. Die zu der von mir geleiteten Orient- und Islam-Kommission gehörigen evangelischen Missionen und Liebeswerke verfolgen rein religiös-charitative Ziele. Unsere Instruktion bildet der supranationale Missionsbefehl Jesu. Wir dienen den Völkern, zu denen wir uns gesandt wissen, mit dem Evangelium und sind überall der bestehenden Obrigkeit untertan. Als einen verhängnisvollen Mißgriff müßten wir es verurteilen, wenn eine Mission ein unterworfenes Volk zum Freiheitskampf verleiten, oder in ihm bestärken oder unterstützen wollte. Als Einzelne verfolgen wir die politischen Ziele unseres deutschen Vaterlandes, als Missionsarbeiter im fremden Lande kennen wir politische Ziele nicht. Uns treibt allein christliches Erbarmen, dieses aber ist ebenso der muselmanischen Bevölkerung zugewandt, wie der armenischen. Wir können den Untergang eines altchristlichen Volkes durch fremde und eigene Schuld nicht teilnahmslos mit ansehen, wissen auch wohl, daß die Türkei durch seine Ausrottung sich selbst den größten Schaden zufügt, und dürfen auch nicht gleichgültig bleiben gegenüber dem ungeheuren Ärgernis, mit dem dadurch der deutsche Name in aller Welt belastet wird.

Von allen Verleumdungen, die gegen Deutschland erhoben sind, hat nach unserer Kenntnis keine eine so unheilvolle Dauerwirkung erlangt, wie die, daß Deutschland der verborgene Anstifter der armenischen Greuel sei. Man geht im Auslande von der irrigen Voraussetzung aus, daß Deutschland, was es wollte, bei der Türkei habe erreichen können, ist auch beeinflußt durch türkische Äußerungen, die ohne Scheu ihre Maßnahmen auf deutschen Befehl zurückführen, und durch die unseligen Ableugnungen des tatsächlich Geschehenen seitens deutscher Türkenfreunde, die, wie man im Auslande richtig sieht, dadurch die türkische Regierung gegen die Vorwürfe der übrigen Welt unempfindlich machen und in ihrer Armenierpolitik bestärken. Die Überzeugung von der Verantwortlichkeit Deutschlands für die Behandlung der Armenier durch die Türken ist tatsächlich in der neutralen und feindlichen Welt so weit verbreitet und hat so tief gewurzelt, daß auch die Empörung, die über neuerliche Massakres ausbrechen müßte, in erster Linie wieder Deutschland zur Last fallen würde. Es kann somit die Frage ihrer Verhütung nicht lediglich als eine innere Angelegenheit der Türkei angesehen werden, die Deutschland außer Betracht zu lassen hätte.

Wie aber die politische Leitung Deutschlands deswegen angegriffen wird, so erregt es in der außerdeutschen Christenheit auch Ärgernis, daß, wie man meint, wir deutsche Christen und besonders die Missionskreise zu[S. 371] dem allen gewissenlos stillschweigen. Neue Greuel müssen daher auch den Riß in der Christenheit noch weiter vertiefen.

Aus all diesen Gründen bitte ich inständigst und gehorsamst, mit allen überhaupt in Frage kommenden Mitteln auf die türkische Regierung einzuwirken, daß sie die Maßnahmen gegenüber den armenischen Insurgenten in den Grenzen des Unerläßlichen halte und an ihrem Teil Ausschreitungen allerwärts ernstlich zu verhüten suche.

D. Karl Axenfeld, Missionsdirektor.

Dem Kanzler des Deutschen Reiches
Herrn Grafen von Hertling, Exzellenz, Berlin.

371.

Auswärtiges Amt.

Berlin, den 14. Februar 1918.

Dem Kaiserlichen Botschafter Herrn Grafen von Bernstorff, Exzellenz, Pera, zur gefälligen Kenntnis ergebenst übersandt.

Freihr. v. d. Bussche.

[S. 372]

März.

372.

(Auswärtiges Amt.)

Telegramm.

Berlin, den 2. März 1918.

An die Deutsche Botschaft, Pera.

Bei künftigen Friedensverhandlungen mit den Westmächten werden diese unzweifelhaft die Armenierfrage zur Sprache bringen und versuchen, möglichst weitgehende Autonomie ostanatolischer Wilajets durchzusetzen. Gegenüber solchen Versuchen wird Lage der Türkei günstiger sein, wenn sie schon vor Eintritt in Verhandlungen greifbare Beweise dafür gegeben hat, daß sie entschlossen ist, den christlichen ebenso wie den muhammedanischen Bewohnern dieser Provinzen eine gleichmäßige, milde und gerechte Behandlung angedeihen zu lassen und ihnen beim Wiederaufbau des durch die Kriegsereignisse Zerstörten behilflich zu sein.

Die Wiederbesetzung des Gebiets vollzieht sich unerwartet schnell. Nach den letzten Nachrichten ist mit baldiger Einnahme Erzerums zu rechnen. Sobald dies geschehen, dürfte die Zeit gekommen sein, um die Armenier, die noch die Waffen tragen, zu freiwilliger Unterwerfung aufzufordern und ihnen für diesen Fall Straflosigkeit und freie Rückkehr in ihre Wohnsitze zu gewähren. Abgesehen davon, daß auf diese Weise weitere vielleicht schwierige Kämpfe vermieden würden, kann nur so der Anfang dazu gemacht werden, dortige Armenier, die unentbehrliches wertvolles Bevölkerungselement dieser Provinzen darstellen, wieder zu loyalen Untertanen der Türkei zu erziehen. Weiter müßten die geplanten finanziellen Beihilfen zum Wiederaufbau der Dörfer und zur wirtschaftlichen Wiederaufrichtung der Wilajets gleichzeitig Christen und Muhammedanern zugute kommen. Auch würde sich empfehlen, die Rückführung der ins Innere des Reichs verbannten armenischen Bewohner in Aussicht zu nehmen.

Außerdem würde es die Stimmung weiter und einflußreicher Kreise günstig beeinflussen, wenn die türkische Regierung den deutschen Missionsanstalten, die früher unter Armeniern gewirkt haben, gestatten wollte, Vertreter an Ort und Stelle zu entsenden, um unter der Bevölkerung, ohne Unterschied des Glaubensbekenntnisses, Wohltätigkeit zu üben.

Fast ebenso wichtig wie die Behandlung der Armenier ist die der Griechen. Bei jetziger Lage besteht kein Grund mehr, die weggeführte griechische[S. 373] Bevölkerung der Küstendistrikte des Schwarzen Meeres von dort fern zu halten. Ihre baldige Zurückführung würde einzuleiten sein.

Euere Exzellenz bitte ich, in Ihren Besprechungen mit dem Großwesir, mit dem Minister des Äußern und auch Enver Pascha diesen Gedankengang zu entwickeln und über die Aufnahme Ihrer Vorstellungen zu berichten.

v. d. Bussche.

373.

(Kaiserlich
Deutsche Botschaft.)

Telegramm.

Konstantinopel, den 3. März 1918.

An Auswärtiges Amt.

Seit Monaten habe ich bei jeder Gelegenheit die Gedankengänge des Telegramms Euerer Exzellenz vom 2. d. M. an maßgebender Stelle wiederholt. Einer direkten Ablehnung bin ich niemals begegnet. Öfters gelang es, beabsichtigte unkluge Maßnahmen zu verhindern, meist erhielt ich aber Versprechungen, die bisher noch unerfüllt blieben.

Der Großwesir ist seit seiner Rückkehr aus Europa für Ermahnungen im Sinne der Berücksichtigung der öffentlichen Meinung zugänglicher.

Erst gestern sprach ich mit Talaat Pascha im Sinne Euerer Exzellenz Weisung, und er versprach dabei, mit den Armeniern entsprechend zu verhandeln und eine Amnestie bald zu erlassen.

Bernstorff.

374.

(Kaiserlich
Deutsche Botschaft.)

Telegramm.

Konstantinopel, den 13. März 1918.

Der K. Botschafter an Auswärtiges Amt.

Wie mir Monsignore Dolci mitteilt, ist er vom Papst angewiesen worden, bei der hiesigen Regierung für die Armenier einzutreten.

Unter allen Armeniern herrscht große Aufregung, da sie befürchten, daß allgemeine Repressalien seitens der Türken zu erwarten sind. Ich drahtete deshalb direkt an den Herrn Staatssekretär nach Bukarest die Bitte, die Angelegenheit mit dem Großwesir zu besprechen. Ohne Talaat Pascha werde hier nichts getan, und vielleicht sei der Großwesir zu bewegen, jetzt nach dem Frieden mit Rußland und der Einnahme Erzerums die versprochene Amnestie zu erlassen.

Bernstorff.

[S. 374]

375.

(Auswärtiges Amt.)

Telegramm.

Berlin, den 17. März 1918.

An die Deutsche Botschaft, Pera.

Tanin und Terdjüman-Artikel vom 15. März sind geeignet, nicht nur Armenier, sondern auch unsere öffentliche Meinung über Absichten türkischer Regierung in Armenierfrage zu beunruhigen. Abgesehen davon sind aber so heftige Presseäußerungen auch deshalb bedenklich, weil dadurch unter türkischer Bevölkerung Stimmung hervorgerufen wird, die zu gefährlichen Ausbrüchen gegen Armenier führen kann und jedenfalls der türkischen Regierung die von ihr beabsichtigte versöhnliche Armenierpolitik erschweren muß. Ich empfehle dringend, daß türkische Regierung der Presse Zurückhaltung auferlegt. Es wäre auch zweckmäßig, weitere amtliche Meldungen über Greueltaten der Armenier zurückzuhalten, bis die Berichte der zu Wehib Pascha zu entsendenden Pressevertreter vorliegen. Berichte der Milli-Agence finden nach früheren Erfahrungen im neutralen und feindlichen Auslande keinerlei Glauben mehr.

Bitte dringend in diesem Sinne auf dortige Regierung einzuwirken.

v. d. Bussche.

376.

(Auswärtiges Amt.)

Telegramm.

Berlin, den 17. März 1918.

An den Herrn Staatssekretär, Bukarest.

Botschafter Pera telegraphiert: „In armenischer Frage hat trotz aller Ermahnungen Zensur erst jetzt eingegriffen und Presse gezwungen, beruhigende Artikel zu schreiben oder zu schweigen.

Alle Armenier waren schon von Todesangst befallen. Beinahe täglich sandten sie den päpstlichen Delegaten, den Patriarchen oder sonstige Abgesandte zu mir, um Hilfe zu erbitten. Türkische Regierung scheint diesmal wirklich ehrlich bestrebt, Ausschreitungen zu verhindern.

Abwesenheit Großwesirs ist lebhaft zu beklagen, da er allein imstande wäre, Zügel in die Hand zu nehmen und Kundgebungen über armenische Politik zu erlassen. Alle sonstigen hiesigen maßgebenden Kreise befinden sich augenblicklich geradezu in einem Taumel von Siegesbewußtsein, Nationalismus und Pan-Islamismus. Sie glauben, daß alle Muhammedaner Asiens nur darauf warten, den Türken die Bruderhand auszustrecken und eine Islam-Konföderation zu gründen. Großwesir steht nach Euerer[S. 375] Exzellenz Telegramm noch auf dem gleichen Standpunkt wie früher, daß er nicht unbedingt Batum behalten will. Der türkische Ehrgeiz geht augenblicklich wenigstens noch mehr nach Baku als nach Batum.“

Vielleicht könnte Talaat Pascha veranlaßt werden, von Bukarest aus durch energische Instruktionen in die Behandlung der Armenierfrage einzugreifen.

Bernstorff.

377.

Aufzeichnung.

Berlin, den 19. März 1918.

Vom Herrn Stellvertreter des Staatssekretärs seinen Erklärungen im Reichstag am 21. und 22. März zugrunde gelegt.

... Das Auswärtige Amt und die Kaiserlichen Vertretungen in der Türkei haben von Beginn der armenischen Krise an alles mit diplomatischen Mitteln mögliche getan, um das Los der Armenier zu mildern. Die Kaiserliche Regierung ist bei ihrem Druck auf die türkische Regierung bis zur äußersten Grenze gegangen. Die Verantwortung dafür, durch einen Bruch mit der Türkei wegen der Armenierfrage die Südostflanke unserer Weltkampfstellung zu entblößen und dadurch unsere damals im Osten und Westen schwer ringenden Heere in eine bedrohliche Lage zu bringen, hätte keine deutsche Regierung tragen können.

Als nach Abschluß des Waffenstillstands von Brest-Litowsk die Möglichkeit einer Räumung der damals von den Russen besetzten ostanatolischen Provinzen näher rückte, haben wir uns sofort mit den türkischen Staatsmännern wegen der Behandlung der Frage der Armenier in Verbindung gesetzt und ihnen gesagt, wie wichtig es im eigensten Interesse der Türkei, auch wegen ihrer Beziehungen zu den Bundesgenossen ist, daß beim Wiedereinmarsch der türkischen Truppen Ausschreitungen gegen die armenische Bevölkerung vermieden und daß von vornherein die Grundlagen für friedliche Verhältnisse zwischen den christlichen und muhammedanischen Elementen geschaffen werden. Der Finanzminister und der Minister des Äußern, mit denen im Januar bei ihrem Aufenthalt in Berlin in diesem Sinne gesprochen wurde, zeigten volles Verständnis und erklärten sich auch grundsätzlich damit einverstanden, daß sich nach Wiedereinnahme Ostanatoliens deutsche Wohltätigkeitsunternehmungen der Armenier dort annähmen.

Anfang Februar gelangte die Nachricht hierher, daß die russischen Truppen aus Ostanatolien abzogen, daß sich aber in dem von ihnen verlassenen Gebiet armenische Freischaren unter Führung fremder Offiziere[S. 376] gebildet haben und dort schlimm hausten. Einzelheiten sind durch die amtliche türkische Telegraphenagentur bekannt gegeben worden. Diese Nachrichten haben vielfach keinen Glauben gefunden und sind so aufgefaßt worden, als ob die türkische Regierung damit ein beabsichtigtes grausames Vorgehen gegen die Armenier im voraus entschuldigen wollte. Diese Auffassung scheint nicht begründet. Obwohl andere telegraphische Meldungen aus dem Kaukasus ins Ausland gelangen, ist bisher in keinem feindlichen oder neutralen Blatte eine Nachricht über türkische Ausschreitungen veröffentlicht worden. Auch das schweizerische Hilfskomitee für Armenien hat keine solche Nachricht erhalten. Einem Telegramm der Genfer Gruppe der armenischen Sozialisten an das Internationale Sozialistische Büro in Genf, worin von neuen türkischen Metzeleien nach Räumung des Landes durch die Russen die Rede ist, liegen offenbar nur Befürchtungen zugrunde. Diese Befürchtungen sind im Hinblick auf die Ereignisse des Jahres 1915 und die gegenseitige Erbitterung wohl begreiflich. Die Kaiserliche Regierung hat deshalb keine Gelegenheit vorübergehen lassen, der türkischen Regierung die Bedeutung der armenischen Frage vor Augen zu führen und hat bestimmte Vorschläge gemacht, wie weiteres Blutvergießen vermieden und auf die Dauer friedliche Zustände hergestellt werden können. Sie hat namentlich dringend geraten, die strengste Manneszucht unter den einrückenden Truppen aufrecht zu erhalten, die armenischen Freischaren zur freiwilligen Unterwerfung aufzufordern, ihnen, wenn sie dieser Aufforderung Folge leisten, Amnestie zu gewähren, bei der beabsichtigten Hilfsaktion für die ostanatolischen Provinzen gleichmäßig die Armenier und Muhammedaner zu berücksichtigen, ferner auch die Zurückführung der nach dem Innern des Reiches Ausgesiedelten, die sich bei den jetzigen Transportschwierigkeiten allerdings nicht durchführen läßt, wenigstens zu beschließen und einzuleiten. Die türkische Regierung hat sich diesen Vorschlägen durchaus zugänglich gezeigt. Nach den bündigen Versicherungen, die der Großwesir, der Minister des Äußern und sein Vertreter Halil Bey gegenüber dem Herrn Reichskanzler, dem Staatssekretär von Kühlmann und dem Kaiserlichen Botschafter abgegeben haben, sind wir zu dem Vertrauen berechtigt, daß die Regierung zur Milde gegen die Armenier entschlossen ist, die unbeteiligte Bevölkerung nicht für die Untaten Einzelner verantwortlich machen und ähnliche Vorgänge, wie sie sich im Jahre 1915 abgespielt haben, zu verhüten wissen wird. Denn es besteht die Gefahr, daß sich in den benachbarten Bezirken von Kars und Ardahan, die nach dem Friedensvertrag von Brest von den Russen zu räumen sind und deren Bevölkerung selbst ihr künftiges Schicksal beschließen soll, zwischen Armeniern und Muhammedanern Kämpfe entspinnen, die, da die Armenier auch hier in der Minderheit sind, zu ihrem Nachteil ausschlagen müssen. Der baldige Erlaß einer Amnestie ist zugesagt worden.

[S. 377]

378.

Telegramm.

Bukarest, den 20. März 1918.

Der Staatssekretär an Auswärtiges Amt.

Habe die armenische Frage im Sinne dortiger Anregungen mit Großwesir besprochen. Talaat Pascha meinte, daß er von hier aus wenig machen könne. Sobald er nach Konstantinopel zurückgekehrt sei, werde er die in Aussicht genommene Amnestiekundgebung erlassen. Bitte Graf Bernstorff entsprechend zu verständigen.

Kühlmann.

379.

(Auswärtiges Amt.)

Telegramm.

Berlin, den 22. März 1918.

An den Staatssekretär, Bukarest.

Funkspruch Lyon vom 17. März meldet:

„Armenisches Nachrichten-Übermittelungsbüro gibt bekannt, daß Rückkehr Türken nach Trapezunt sich in neuerlichen Akten von Roheiten bemerkbar machte. Tausende von russischen Nachzüglern wurden erschossen oder lebend verbrannt. Die Armenier werden unbeschreiblichen Qualen unterzogen; Kinder in Säcke gesteckt und ins Meer geworfen. Die alten Männer und Frauen wurden gekreuzigt und verstümmelt, alle jungen Mädchen und jungen Frauen wurden den Türken ausgeliefert.“

Botschafter Konstantinopel ist benachrichtigt und um Äußerung ersucht. Anheimstelle Ew. Exzellenz, Angelegenheit mit Talaat zu besprechen.

v. d. Bussche.

380.

(Auswärtiges Amt.)

Telegramm.

Berlin, den 24. März 1918.

An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Die letzte heftige Preßkampagne gegen die Armenier ist dem Vernehmen nach auf unmittelbare Veranlassung Enver Paschas zurückzuführen. Ich bitte Euere Exzellenz durch General von Seeckt auf Enver einzuwirken. Alle Preßangriffe gegen die Armenier und auch Meldungen über Greueltaten der Armenier sollten, da sie der Sache nur schaden, unbedingt verhindert werden.

v. d. Bussche.

[S. 378]

April.

381.

(Auswärtiges Amt.)

Telegramm.

Berlin, den 3. April 1918.

An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Mit dem Überschreiten der früheren russischen Grenze gelangen die türkischen Truppen jetzt in Gegenden dichter armenischer Ansiedlungen. Damit wächst die Gefahr, daß es zu Ausschreitungen kommt. Euere Exzellenz wollen dahin wirken, daß Aufrechterhaltung strengster Manneszucht und mildes Vorgehen gegen die friedliche Bevölkerung den Truppenführern von neuem eingeschärft wird.

v. d. Bussche.

382.

(Auswärtiges Amt.)

Telegramm.

Berlin, den 14. April 1918.

An Deutsche Botschaft, Pera.

Folgender Funkspruch ist aus Moskau hier eingegangen:

„Der armenische Nationalrat, als das oberste Organ der Willenskundgebung des armenischen Volkes, wendet sich an Sie aus Anlaß der entstandenen unerträglichen Lage. Armenien, das blutüberströmt kaum aus dem Zustande einer jahrhundertlangen Unterdrückung entrissen wurde, ist neuen Leiden unterworfen worden. Den Abzug der russischen Truppen ausnützend, ergossen sich die türkischen Truppen sofort über das wehrlose Land, indem sie nicht nur alle türkischen, sondern auch schon alle russischen Armenier der Ausrottung unterwarfen. Im Widerspruch mit den Friedensbedingungen, die das Selbstbestimmungsrecht aller kaukasischen Bezirke anerkennen, rückt das türkische Heer, das Land verwüstend und die christliche Bevölkerung vernichtend, gegen Kars und Ardahan vor. Die Verantwortung für das weitere Schicksal der Armenier trifft Deutschland, da auf sein Betreiben die russischen Truppen aus den armenischen Bezirken herausgezogen wurden. Jetzt hängt es von ihm ab, die türkischen Truppen von den gewohnten Exzessen, die auf dem Boden der Rache und Wut stehen, ab[S. 379]zuhalten. Nur schwer kann man sich mit dem Gedanken aussöhnen, daß ein Kulturstaat wie Deutschland, der die Möglichkeit einer Einwirkung auf seinen Bundesgenossen, die Türkei, hat, es gestatten würde, daß der Friedensvertrag von Brest für das armenische Volk, das gegen seinen Willen in diesen Krieg hineingezogen wurde, zur Quelle zahlloser Leiden würde. Deshalb ist der Nationalrat des Glaubens, daß Sie die nötigen und nur Ihnen möglichen Maßnahmen gegen die türkischen Behörden zwecks Beschützung des armenischen Volkes vor neuen Schrecken treffen werden.

Als Bevollmächtigter des Nationalrates
Nikolai Adonz, Professor der Universität Petrograd,
Johannes Sawriew, vereidigter Rechtsanwalt.“

Bitte dortiger Regierung Mitteilung zu machen und auf das Bedenkliche des türkischen Vorgehens hinweisen.

v. d. Bussche.

383.

(Auswärtiges Amt.)

Telegramm.

Berlin, den 15. April 1918.

An die Deutsche Botschaft, Pera.

Die Nachrichten über Greueltaten der vorrückenden türkischen Truppen mehren sich neuerdings. Euere Exzellenz darf ich um baldige Äußerung bitten, wie Sie diese Nachrichten beurteilen und was für Meldungen dort etwa aus dem ehemals russischen Gebiet eingegangen sind.

Da wir die Bestimmung des Brester Vertrages über Kars, Ardahan und Batum für die Türken durchgesetzt haben, wären wir in einer äußerst peinlichen Lage, wenn die jetzt erhobenen Beschuldigungen auf Wahrheit beruhten. Wir müssen verlangen, daß die Türkei schonend mit der christlichen Bevölkerung umgeht und ihre Rechte in jeder Hinsicht achtet. Auch haben wir ein Recht darauf, von den Türken über alle Vorgänge in den genannten Gebieten auf dem Laufenden erhalten zu werden. Euere Exzellenz wollen in diesem Sinne mit Großwesir und Minister des Äußern sprechen und Talaat Pascha an seine Zusage erinnern, alsbald nach der Rückkehr aus Bukarest eine Amnestie für die Armenier zu erlassen. Von einer solchen Maßnahme versprechen wir uns im gegenwärtigen Augenblick eine beruhigende Wirkung auf die überall bereits stark erregte öffentliche Meinung. Auch auf die Armenier in dem ehemals russischen Gebiete dürfte sie ihren Eindruck nicht verfehlen. Es wäre erwünscht, wenn General von Seeckt die Entsendung deutscher Offiziere durchsetzen würde.

Unterstaatssekretär v. d. Bussche.

[S. 380]

384.

(Kaiserlich
Deutsche Botschaft.)

Telegramm.

Pera, den 24. April 1918.

An Auswärtiges Amt.

Enver Pascha, der heute morgen aus Batum zurückgekehrt ist, war bei meiner heutigen Unterredung mit dem Großwesir längere Zeit zugegen. Enver war voll Optimismus. Alles stehe im Kaukasus großartig für die Türken. Sie brauchten nur etwas weiter vorzurücken, dann werde Tschenkeli sofort nach Batum kommen und Frieden schließen. Enver hat im gleichen Sinn unserer obersten Heeresleitung gedrahtet.

Ich sagte Großwesir, daß wir zum mindesten eine Garantie in der Armenierfrage haben müßten, wenn wir die türkische Politik im Kaukasus unterstützen sollten. Hierauf erwiderte Talaat Pascha, daß ich seine diesbezügliche Zusage nicht mehr als vertraulich zu behandeln brauche. Ich sei autorisiert, Euerer Exzellenz amtlich auch zur Veröffentlichung mitzuteilen, daß die Amnestie für friedliche Armenier nebst Geldbewilligung und Erlaubnis zur Rückkehr in Heimat in Vorbereitung sei.

Bernstorff.

385.

(Auswärtiges Amt.)

Telegramm.

Berlin, den 26. April 1918.

An die Deutsche Botschaft, Pera.

Auf Telegramm vom 24. April.

Es wäre uns vor Veröffentlichung türkischer Erklärung erwünscht, Aufklärung zu erhalten, ob sich die Rückkehrerlaubnis auch auf die nach Rußland Geflüchteten oder nur auf die Deportierten bezieht. Für welche Zwecke ist Geldbewilligung beabsichtigt?

v. d. Bussche.

386.

(Kaiserlich
Deutsche Botschaft.)

Telegramm.

Abgang aus Konstantinopel, den 28. April 1918.
Ankunft, den 29. April 1918.

An Auswärtiges Amt.

Antwort auf Telegramm vom 26. April.

Die Amnestie soll, wie mir Großwesir sagte, für die hiesigen Armenier gelten. Die nicht im Lande befindlichen zurückzuholen, wäre — so meinte[S. 381] Talaat Pascha — gefährlich. Die Geldbewilligung soll erfolgen, um die Armenier zu entschädigen, die ihren Besitz verloren haben. Die Armenier sollen, so weit dies möglich ist, die Wahl zwischen ihrem früheren Besitz und einem Geldbetrag haben.

Bei seiner Anwesenheit in Batum hat Enver Pascha eine Proklamation an die in den drei neuen türkischen Bezirken wohnhaften Armenier erlassen, daß sie dort bleiben möchten. Er hafte für ihre Sicherheit, Besitz und Freiheit. Die meisten hätten sich zu bleiben bereit erklärt.

Bernstorff.

387.

Auswärtiges Amt.

Berlin, den 30. April 1918.

Richtlinien für den deutschen Bevollmächtigten zu Verhandlungen mit der Transkaukasischen Republik in Batum.

I. Bei den Verhandlungen mit den Transkaukasiern ist zu beachten:

. . . . . . . . . . . . . . . . . .

3. Es ist dahin zu wirken, daß den Armeniern in den Gebieten, wo sie in geschlossenen Siedelungen wohnen, von den Georgiern und Tataren lokale Autonomie gewährt und auch in den übrigen Teilen Transkaukasiens ihnen volle Freiheit in der Ordnung ihrer kirchlichen und kulturellen Angelegenheiten zugestanden wird.

II. Bezüglich der Türkei ist zu berücksichtigen:

. . . . . . . . . . . . . . . . . .

2. Die türkische Regierung ist zu bewegen, in den an sie nach dem Brester Frieden und dem Vertrag mit Transkaukasien zurückfallenden Gebieten den Armeniern, wo sie in geschlossenen Siedelungen wohnen, lokale Autonomie zu gewähren und in den übrigen Teilen des Landes ihnen volle Freiheit in der Ordnung ihrer kirchlichen und kulturellen Angelegenheiten zuzugestehen.

[S. 382]

Mai.

388.

(Kaiserlich
Deutsche Botschaft.)

Telegramm.

Konstantinopel, den 3. Mai 1918.

An Auswärtiges Amt.

Aus Erzindjan ging folgendes Telegramm ein:

Im Kreise Erzindjan waren während der russischen Okkupation 1916/17 1500 mohammedanische Einwohner zurückgeblieben. Verhalten Okkupationsarmee wird allgemein gelobt. Als Russen nach Waffenstillstand Dezember v. J. desertierten, wurde armenisches Schreckensregime unter Mrat Pascha gebildet. 600 Muslims im Alter von 3–70 Jahren wurden ermordet, Hunderte werden vermißt. Stadt ist ein Trümmerhaufen, nur das Zentrum mit Regierungskonak und Generalkommando sind erhalten, da Mine versagte.

Bernstorff.

389.

(Auswärtiges Amt.)

Telegramm.

Berlin, den 6. Mai 1918.

An Deutsche Botschaft, Pera.

Von den Armeniern ist der Wunsch geäußert worden, daß ihren aus der Türkei geflüchteten Stammesgenossen die Rückkehr gestattet werde, da ihr Verbleiben im Kaukasus wegen des Mangels an Land und Unterhaltsmitteln zu Reibungen mit der nichtarmenischen Bevölkerung führen würde. Euere Exzellenz bitte ich, General von Lossow als Nachtrag zu seiner Instruktion zu ersuchen, den Versuch zu machen, die bekannten türkischen Bedenken gegen Wiederzulassung der Ausgewanderten zu überwinden.

Stellvertretender Staatssekretär v. d. Bussche.

[S. 383]

390.

(Kaiserlich
Deutsche Botschaft.)

Telegramm.

Konstantinopel, den 12. Mai 1918.

An Auswärtiges Amt.

Nach militärischen Meldungen beträgt die Zahl der wegen armenischer Grausamkeiten aus Erivan, Igdir und Nakhitschevan nach Bajasid ausgewanderten Mohammedaner etwa 10000. Ein großer Teil mußte wegen Verpflegungsschwierigkeiten nach Persien weitergeschickt werden. Die Leute können sich nicht gegen die Armenier wehren, da es ihnen an Waffen und Munition fehlt.

Bernstorff.

391.

Kaiserlich
Deutsches Konsulat.

Aleppo, den 15. Mai 1918.

Wie mir erst jetzt bekannt wird, sind Mitte März auf Befehl des Kommandeurs des 4. Korps Ali Ihsan Pascha in seinem Bereich, insbesondere im Wilajet Mamuret-ul-Aziz wieder Maßregeln gegen den Rest der noch vorhandenen Armenier ergriffen worden. So sind aus den Ortschaften Pertak und Peri etwa 300 Frauen und Kinder nach Mamuret-ul-Aziz gebracht worden. Die halbwüchsigen Jungens waren gefesselt und wurden gesondert hinterher gebracht. Der Wali von Mamuret-ul-Aziz hat die Frauen und Kinder unbehindert gelassen, die Knaben aber sind in das Gefängnis gebracht worden.

Hungersnot herrscht in weiten Gebieten der östlichen Wilajets, so in Diarbekr, Meya-Farkin, Mardin und anderen Orten.

Gleichen Bericht lasse ich der Kaiserlichen Botschaft in Konstantinopel zugehen.

Rößler.

Seiner Exzellenz dem Reichskanzler
Herrn Grafen von Hertling.

392.

(Kaiserlich
Deutsche Botschaft.)

Telegramm.

Konstantinopel, den 15. Mai 1918.

Der K. Botschafter an Auswärtiges Amt.

Telegramm des Generals von Lossow:

„Die maßlose türkische Forderung, auch auf die rein armenischen Gebiete von Achalkalaki, Alexandropol und Eriwan abzielt auf Gebietserwerb weit über Brester Vertrag hinaus, auf alleinige wirtschaftliche Ausbeutung[S. 384] Kaukasiens und auf völlige Ausrottung der Armenier auch in Transkaukasien.

Am 13. abends haben die Türken die Überlassung der Bahn Kars-Alexandropol-Dschulfa in Form eines Ultimatums gefordert, ohne mein Einverständnis erlangt oder mich vorher benachrichtigt zu haben. Ich habe gegen dieses Vorgehen protestiert. Mein Vermittelungsvorschlag, auf Grund dessen eine prinzipielle Regelung der wichtigsten und brennendsten Fragen zu erlangen wäre, ist folgender:

1. Die Türken müssen den Brester Vertrag als Basis anerkennen.

2. Um den Türken den Rückzug zu erleichtern, wird der muhammedanische Bezirk von Achalzich in Form von Grenzregulierungen gegen georgisches Gebiet nördlich Batum und den rein armenischen Ostteil vom Bezirk Kars ausgetauscht, wobei Festung Kars den Türken verbleibt.

Halils Stellung noch unbekannt. Sobald der Vorschlag angenommen ist, kann der Transport türkischer Truppen auf der Strecke Kars-Dschulfa beginnen, jedoch nur unter deutscher Leitung und Garantie. Ich bitte daher, sofort kleine Kommission zu schicken, die gemeinsam mit mir in Tiflis die Bahnsachen bearbeitet, sowie ein deutsches Bataillon, das Wach- und Ordnungsdienst auf den Stationen von Alexandropol bis Dschulfa übernimmt. Dies wird von Kaukasiern unbedingt verlangt, da sie den Türken mit größtem Mißtrauen gegenüberstehen. Türkische Leitung oder Beeinflussung der kaukasischen Bahn lehnen sie mit größter Entschiedenheit ab.

Nachsatz: Aus einer Besprechung, die ich nachmittags mit Halil hatte, geht klar hervor, daß er, Wehib und ich im Prinzip einig sind. Dagegen bleibt Enver auf seinen Forderungen bestehen und verlangt ein sofortiges Ultimatum. Soll ein neuer blutiger Krieg im Kaukasus vermieden werden, so muß der Botschafter unverzüglich dem Großwesir erklären, daß die deutsche Oberste Heeresleitung niemals Envers Forderung unterstützen kann und schärfsten Protest gegen das die verbündeten Interessen schwer schädigende türkische Vorgehen einlegt.“

Bernstorff.

393.

Kars, den 16. Mai 1918.

Am 14. April d. J. trat ich von Konstantinopel die Reise nach meinem früheren Amtssitz Erzerum an. An Bord der „Gul Nihal“, die eigentlich nach dem von den Türken am 26. Februar d. J. zurückeroberten Trapezunt gehen sollte, befand sich Enver Pascha und das türkische große Hauptquartier. Da auf hoher See durch Funkspruch die Einnahme von Batum gemeldet wurde, so ließ Enver Pascha trotz erheblicher Minengefahr die „Gul Nihal“ nach Batum gehen und lief Trapezunt nur an, um den türkischen Oberbefehlshaber Wehib Pascha an Bord zu nehmen.

[S. 385]

Bei dem Aufenthalt in Batum vom 18. bis 20. April konnte ich authentisch feststellen, daß die Türken, ebenso wie ich es in Trapezunt am 26. Februar beobachtet hatte, strenge Manneszucht hielten und den Einwohnern von Batum gegenüber Milde walten ließen. Die meisten Armenier waren aus Furcht vor Massakres aus Batum geflohen, jedoch erwies sich ihre Furcht als unbegründet und einige kehrten bereits dorthin zurück. Gewiß trug die persönliche Anwesenheit Enver Paschas, Wehib Paschas und des Generals von Seeckt zur Aufrechterhaltung der Disziplin bei. Es handelte sich hier um Truppen der 37. kaukasischen Division des Kjasim Bey, die sich bereits bei Trapezunt, Rize und Chope ausgezeichnet hatten.

Vom 22. bis 25. April hatte ich in Trapezunt Gelegenheit, griechische und persische Kaufleute zu sprechen, die ebenfalls keine Klagen über das Verhalten der Türken hatten. In Trapezunt war seit einigen Tagen der neue Wali eingetroffen und die Zivilverwaltung hatte wieder eingesetzt. Ich erfuhr Einzelheiten über die Verschickung der Armenier aus Trapezunt im Sommer 1915, wobei dieselben auf Mahonen verladen wurden, die jedoch nicht am Bestimmungsort Samsun ankamen, sondern mit Mann und Maus auf hoher See untergegangen sind[148]. Ich stellte authentisch fest, daß auf dieser tragischen Fahrt auch der mir persönlich aus Bagdad und Erzerum befreundete Armenier Regiedirektor Belekdjian mit seiner hochgebildeten Frau und seinen Söhnen umgekommen ist. Während der russischen Okkupation hat im Trapezunter Bezirk Ordnung geherrscht. Als jedoch nach der russischen Revolution vom Kaukasus aus armenische Regimenter nach Trapezunt in Garnison kamen, begannen trübe Zeiten für die Muselmanen. Nach dem Abzug der russischen Truppen im Februar 1918 hatten sich im Gebiet von Trapezunt und Erzindjan armenische Freischaren gebildet, die das Land gegen die vorrückenden Türken verteidigen wollten. Auf der Strecke von Trapezunt bis Erzindjan vom 25. bis 30. April passierte ich viele verwüstete Dörfer. Ob diese Verwüstungen von den armenischen Freischaren verübt worden sind, oder ob die abziehenden griechischen Einwohner vor den anmarschierenden Türken oder die abziehenden Türken vor den armenischen Freischaren selbst ihre Dörfer angezündet haben, war nicht festzustellen.

In Erzindjan verblieb ich vom 1. bis 4. Mai. Die Stadt, die ich in ihrer besten Blütezeit noch im Juni 1914 besucht hatte, war nicht wieder zu erkennen. Es sollen nach dem türkisch-kaukasischen Waffenstillstand im Dezember 1917 dort die Armenier unter Führung von Mrat Pascha ein Schreckensregime geführt haben. 600 Muselmanen im Alter von 3–70 Jahren sollen ermordet worden sein, Hunderte werden vermißt. Beim Abzug im März d. J.[S. 386] hatten die Armenier eine Mine gelegt, um die hervorragenden Regierungskonaks und das von Zeki Pascha erbaute Generalkommando zu sprengen; die Mine versagte jedoch. Am furchtbarsten sah das früher blühende armenische Viertel aus, das nach der Verpflanzung der Armenier aus Erzindjan nach Mesopotamien von den Türken okkupiert worden war. Der Bischofssitz, in dem ich dem armenischen Bischof gemeinsam mit dem englischen Konsul in Erzerum, Mr. Monahan, im Juni 1914 einen längeren Besuch abgestattet hatte, war völlig abgebrannt.

In Erzindjan erfuhr ich auch noch Einzelheiten von dem tragischen Ende des mir aus Erzerum befreundeten armenischen Bischofs Sinbad, der ein gern gesehener Gast im deutschen Konsulat in Erzerum gewesen war. Nach den mir gemachten Angaben ist Bischof Sinbad, den ich als einen überaus sympathischen und loyalen türkischen Armenier hochschätzte, im Juli 1915 auf dem Wege von Erzindjan nach Kemach, einige Kilometer von Erzindjan entfernt, von türkischen Gendarmen ermordet worden.

Zwischen Erzindjan und Erzerum hatte ich schon auf der Informationsreise im Juni 1914 festgestellt, daß außer dem Flecken Mamachatun, dem Sitz des Kaimakams des Kasa Terdjan, nur einige ganz kleine Weiler am Wege lagen. Mamachatun, um dessen Besitz von 1915 bis 1918 Russen und Türken heftig gekämpft hatten, war ein Trümmerfeld. Jetzt ist es türkische Etappenstation und von etwa 100 Muselmanen bewohnt. Seit Ende April war bereits wieder eine türkische Zivilverwaltung eingerichtet. Der Kaimakam sagte mir, daß alsbald von der türkischen Heeresleitung die Genehmigung zur Rückkehr der nach Kemach und Kharput geflüchteten muselmanischen Einwohner in ihre Ländereien zu erwarten sei. Von ihm erfuhr ich auch, daß der bisherige Wali von Sivas zum Wali von Erzerum ernannt sei und in einigen Tagen in Erzerum eintreffen solle.

In Erzerum verblieb ich vom 5. bis 8. Mai. Die Stadt, die bereits im Frieden einen trostlosen Eindruck gemacht hatte, war nun fast gänzlich verwüstet. Das deutsche Konsulat, das von den Kosaken am 7. Februar 1916 geplündert worden war, hatte bis zur Wiedereinnahme der Stadt durch die Türken als russisches Hospital gedient. Nun war es türkisches Hospital; in jedem der fünf Zimmer lagen 10 sieche türkische Soldaten.

Besonders stark hatte das armenische Viertel gelitten, in dem sich die armenischen Freischaren bis zum Einzug der Türken im April 1918 verteidigt hatten. Dieses Viertel war bereits von den Türken beim Abzug aus Erzerum zerstört worden, dann jedoch von den Russen wieder aufgebaut worden. Von den 10000 Armeniern, die ich im Jahre 1914 dort gekannt hatte, fand ich keinen mehr vor. Doch stellte ich mit Genugtuung fest, daß die beim deutschen Konsulat angestellten Armenier Solighian und Scherefian sowie alle österreichischen Schutzgenossen (die armenisch-römisch-katholischen Mechitaristen, sowie der armenisch unierte katholische Bischof) von den[S. 387] Türken im Sommer 1915 verschont worden waren und sich in Siwas und Konstantinopel in Sicherheit befinden. Dagegen war der mir befreundete zweite Direktor der Ottomanbank, Setrak Pasdirmadjian, ein Opfer der Leidenschaften geworden. Seine Töchter haben zwangsweise türkische Gendarmen geheiratet und sollen zurzeit in Urfa leben. In Erzerum selbst sollen bei dem Auszug der Armenier im Juni 1915 Ausschreitungen gegen das Leben der Deportierten nicht vorgekommen sein, da der Wali Tahsin Bey nur strikt den Ausweisungsbefehl aus Konstantinopel durchführte. Dem Führer der Daschnakisten in Erzerum, Rostom Effendi, war es gelungen, nach Rußland zu entkommen. Die nach der am 6. Februar 1916 erfolgten Einnahme von Erzerum durch Russen dort verbliebenen Muselmanen hatten ein trauriges Los. Viele wurden ins Gefängnis geworfen oder nach Sibirien verschickt. Ein neben mir im Todeskorridor der Zitadelle Tiflis inhaftierter Kurdenscheich wurde ohne kriegsgerichtliches Urteil auf Befehl des Großfürsten Nikolai Nikolajewitsch im Februar 1917 gehängt. Einwandfreie Augenzeugen, deutschstämmige russische Soldaten aus den deutschen Kaukasus-Wolga-Kolonien, hatten mir bereits in Tiflis übereinstimmend erzählt, daß russische und armenische Soldaten türkische Frauen und Kinder in Erzerum unter dem Vorwande, nach Waffen zu suchen, vergewaltigt und geschändet hätten. Einzelheiten über die gegen die Muselmanen von armenischer Seite verübten Racheakte teilte der belgische Journalist Simais in Tiflis mit, der im Stabe des Generals Tschernosuboff den Einmarsch der Russen von Persisch-Azerbeidjan nach Wan und Rewanduz mitgemacht hatte. Dabei sollen armenische Drujinen (Freiwilligenkorps) nach dem russischen Vormarsch auf Bitlis und Musch Einwohner der hinter der neuen russischen Front gelegenen türkischen Dörfer niedergemetzelt haben. Von türkischer Seite wurde dann noch erzählt, daß, als die russischen Soldaten im Januar 1918 freiwillig Erzerum verließen und die Armenier beschlossen, unter Leitung französischer Offiziere die besetzten Gebiete der Türkei zu verteidigen, die Muselmanen Erzerums furchtbaren Martern ausgesetzt worden seien. Hunderte von Muselmanen, Männer, Frauen und Kinder, seien in zwei gegenüberliegende Häuser eingesperrt worden, die alsdann angezündet wurden.

Von andrer Seite erfuhr ich jedoch auch, daß vorher die Türken bei der Wiedereroberung von Erzerum sämtliche in der Stadt zurückgebliebenen Armenier hatten über die Klinge springen lassen.

Ich reiste von Erzerum über das Schlachtfeld von Sarikamisch nach Kars, wo ich vom 10. bis 14. Mai verblieb. Nach der Erzählung von Deutschrussen, die den Einmarsch der Türken in Kars Ende April d. J. miterlebt haben, war diesmal die Manneszucht gelockert und die einziehenden Truppen raubten und plünderten. Auch gingen die Türken sehr rigoros bei Requirierung von Proviant und Vieh vor. Trotz Weisung Enver Paschas konnte[S. 388] nicht verhindert werden, daß das Symbol von Kars, eine zur Verherrlichung des russischen Sieges 1878 gesetzte Statue eines russischen Soldaten in Bronze, der mit dem Fuße eine ottomanische Fahne zertritt, von den erbitterten türkischen Soldaten sofort zertrümmert wurde.

Zurzeit leisten die armenischen Truppen, die sich nach Preisgabe der früheren russisch-türkischen Grenze bei Alexandropol konzentriert haben, den Türken verzweifelten Widerstand.

Anders.

394.

(Auswärtiges Amt.)

Berlin, den 21. 5. 1918.

Aufzeichnung.

Ich habe Herrn Nasariantz beim Abschied folgende Mitteilung gemacht:

Seit die Delegierten des armenischen Nationalrates von dem stellvertretenden Herrn Staatssekretär empfangen worden sind, haben sich die Ereignisse im Kaukasus weiter entwickelt. Die Türken haben sich aus militärischen Gründen veranlaßt gesehen, die Grenzen von Ardahan, Kars und Batum zu überschreiten. Leider erscheint es infolgedessen zu Zusammenstößen mit Armeniern gekommen zu sein. Wir stehen wegen dieser Fragen in Telegrammwechsel mit der türkischen Regierung. Auch wird bereits in nächster Zeit der Oberst Freiherr von Kreß, ein guter Kenner der Türkei und der Türken, nach dem Kaukasus entsandt werden. Die armenischen Delegierten könnten sich nach ihrer Rückkehr in die Heimat mit ihren Wünschen an Oberst von Kreß wie auch an General von Lossow wenden. Herrn von Kreß ist die armenische Angelegenheit besonders ans Herz gelegt worden.

Göppert.

395.

(Kaiserlich
Deutsche Botschaft.)

Telegramm.

Abgang aus Konstantinopel, den 23. Mai 1918.
Ankunft, den 24. Mai 1918.

An Auswärtiges Amt.

General von Lossow drahtet:

Eine Deputation armenischer Vertrauensmänner sowie die armenischen Vertreter in transkaukasischer Delegation, die gleichzeitig als Minister der Regierung angehören, hatten mehrfach Besprechungen mit mir. Armenier erwarten von Deutschland Rettung und Hilfe in ihrer verzweifelten Lage.

Das Ziel der türkischen Politik ist, wie ich immer wiederhole, dauernde Besitznahme der armenischen Distrikte und Ausrottung der Armenier.[S. 389] Alle gegenteiligen Versicherungen Talaats und Envers sind wertlos. In Konstantinopel herrscht die extreme armenierfeindliche Richtung. Türkischer Plan liegt klar vor mir: den muhammedanischen Bezirk von Achalzich glauben sie sicher zu bekommen, den völlig armenischen Bezirk von Achalkalaki suchen sie unter Verschleierung der Tatsachen als zum Bezirk Achalzich gehörig hinzustellen. Die Stadt Alexandropol ist von ihnen besetzt. Die Bahnstrecke nach Djulfa wollen sie einschließlich eines Geländestreifens 25 Kilometer östlich der Bahn okkupieren; um ihn nie wieder mehr zurückzugeben.

Die Annexion des Gouvernements Elisabethpol und Baku haben die Türken mit Einverständnis tatarischer Bevölkerung bewirkt, zugleich vorgehen sie auf Baku, um dortige Bolschewiki zu vertreiben und sich dort festzusetzen. Ferner sind türkische Truppen auf Front südlich Achalkalaki im Vorrücken gegen Tiflis und Eriwan. Die Armee begleitende kurdische und tatarische Freiwillige rauben und morden in armenischen Ortschaften. Männer werden alle abgeführt. Die armenischen Truppen weichen, um Konflikte zu vermeiden, nach Osten aus. Armenische Bevölkerung flieht nach Osten, wo sie alsbald auf Tataren stoßen muß, was zu Massakers führen muß. Türkische Politik hat offenbar das Ziel, unter Vermeidung von Ultimatum bezüglich des Territorialbesitzes ein fait accompli zu schaffen. Für armenische Bevölkerung bleibt kein Platz zum Leben. Dies muß zu Guerillakrieg führen, der Transport und Nachschub auf Linie Alexandropol-Djulfa unmöglich machen wird. Wie ich vermute, liegt dies in türkischer Absicht. Der Bevollmächtigte der Delegation armenischen Volkes, armenischen Nationalrats nachsucht Schutz Deutschlands gegen völlige Vernichtung und bittet, den Rest armenischen Territoriums unter deutsches Protektorat zu nehmen. Offizielles Schriftstück hierfür befindet sich in meiner Hand. Wenn die Ausrottung der Armenier verhindert werden soll, ist sofortiger ständigster Druck auf Türkei notwendig. Erbitte baldigst deutsches Kriegsschiff, damit ein Bataillon nach Poti, ferner Instruktionen über Stellungnahme zu offizieller armenischer Erörterung. Sofortige Aktion erforderlich.

396.

(Auswärtiges Amt.)

Telegramm.

Berlin, den 26. Mai 1918.

An den Botschafter, Wien.

Infolge des Verhaltens der türkischen Regierung sind die Verhandlungen in Batum gescheitert. Die transkaukasische Republik ist auseinandergefallen, während sich Georgien vermutlich inzwischen als selbständiger Staat proklamiert hat.

[S. 390]

Die türkische Regierung hat sich auf Grund der Bestimmungen des Brester Vertrags, wonach die Bezirke Ardahan, Kars und Batum von Rußland geräumt und es der Bevölkerung überlassen wurde, ihre staatsrechtlichen und völkerrechtlichen Verhältnisse im Einvernehmen mit den Nachbarstaaten, besonders mit der Türkei, neu zu ordnen, für berechtigt gehalten, diese Bezirke zu okkupieren. Sie hat aber an ihren Grenzen nicht haltgemacht, sondern den Vormarsch weiter fortgesetzt. Die türkischen Delegierten haben bei den Verhandlungen in Batum mit dem Vorrücken ihrer Truppen immer weitergehende Gebietsforderungen gestellt. Außer Ardahan, Kars und Batum verlangten sie die Bezirke Achalzych und Achalkalaki, im Gouvernement Eriwan die Bahn Alexandropol-Djulfa, einschließlich des Gebiets westlich davon und einen 25 km breiten Streifen östlich der Bahn, das Gebiet nördlich Batums bis in die Höhe von Kubelity, wogegen sie sich zur Rückgabe des weiter nördlich von ihnen besetzten georgischen Gebietes bereit erklärten. Demgegenüber haben wir der türkischen Regierung nachdrücklichst geraten, die Grundlage des Brester Vertrages nicht zu verlassen und ihr empfohlen, die Stadt Batum nicht zu behalten, sondern den Georgiern zu überlassen, da es sonst wegen der Bevölkerungsverhältnisse und aus wirtschaftlichen Gründen schwerlich zu dauernd friedlichen Verhältnissen zwischen Türken und Georgiern kommen würde. Wir haben einen Austausch des Bezirks Batum nördlich des Tschorochflusses gegen andere und zwar von Tataren bewohnte transkaukasische Gebietsteile ins Auge gefaßt und der Türkei dringend nahegelegt, eine freundschaftliche Einigung mit der transkaukasischen Regierung herbeizuführen.

Statt diesem Rate zu folgen, haben die Türken jedes Maß verloren. Sie haben in Elisabethpol und anderen tatarischen Bezirken die türkische Flagge gehißt, beabsichtigen die Annexion des ganzen Gouvernements Elisabethpol und Baku und gehen auf Baku vor, um die Bolschewisten zu vertreiben und sich dort festzusetzen. Auf der Front südlich Achalkalaki sind türkische Truppen im Vorrücken gegen Tiflis und Eriwan. Die sie begleitenden kurdischen und tatarischen Freiwilligen rauben und morden in armenischen Ortschaften, aus denen alle Männer abgeführt werden. Die armenische Bevölkerung flieht nach Osten, wo sie alsbald auf Tataren stoßen wird.

Die Lage muß als außerordentlich kritisch bezeichnet werden. Ein weiterer Vormarsch der Türken würde im Kaukasus den allgemeinen Kampf entfesseln. Ferner ist zu besorgen, daß die kaukasischen Christen, besonders die Armenier, dem Wüten der tatarischen Bevölkerung und der irregulären Truppen preisgegeben, ausgeplündert, aus ihren Wohnsitzen vertrieben werden und, wenn es ihnen gelingt, ihr Leben zu retten, in jeder Weise vergewaltigt werden. Wir können es aber weder vor unserem eigenen Volke, noch vor der Welt verantworten, wenn wir es zuließen, daß die Bestimmun[S. 391]gen des Brester Vertrages, die mit unserer Hilfe durchgesetzt worden sind, als Freibrief zur Verfolgung der Christen im Kaukasus mißbraucht werden. Abgesehen hiervon, werden durch das türkische Vorgehen im Kaukasus starke Kräfte den wichtigsten militärischen Aufgaben der Türkei, den Operationen zur Verteidigung Mesopotamiens und Palästinas und zur Wiedergewinnung des verlorenen Gebietes, entzogen.

Unter diesen Umständen ist dem Kaiserlichen Botschafter in Pera folgende Instruktion erteilt worden:

„Das Vorgehen der Türken, die sich über unsere, von wahrer Bundesfreundlichkeit eingegebenen Mahnungen und Warnungen hinweggesetzt haben, hat die Hoffnung auf eine gütliche Einigung mit dem Kaukasus zerstört und die kaukasische Konföderation gesprengt. Angesichts dieser neuen schwierigen und bedauerlichen Lage bitte ich Euere Exzellenz, der Pforte in freundschaftlicher aber bestimmter Form mündlich folgende Erklärung abzugeben:

1. Die Kaiserliche Regierung wahrt sich gegenüber allen Geschehnissen im Kaukasus freie Hand und behält sich namentlich ihre Stellung vor zu solchen innerhalb oder außerhalb der Bezirke Ardahan, Kars und Batum getroffenen Maßnahmen, die nicht in Einklang mit dem Friedensvertrag von Brest-Litowsk stehen.

2. Die Kaiserliche Regierung kann einen weiteren Vormarsch türkischer Truppen im Kaukasus und eine türkische Propaganda außerhalb der genannten drei Bezirke weder billigen noch unterstützen.

3. Die Kaiserliche Regierung erkennt die georgische Regierung als de-facto-Regierung an und erklärt sich vorbehaltlich der Zustimmung der russischen Sowjet-Republik grundsätzlich zur Anerkennung der Unabhängigkeit Georgiens bereit. Sie ladet die Kaiserlich Osmanische Regierung ein, ebenso zu verfahren und die Grenzen Georgiens zu achten. Die genaue Abgrenzung Georgiens wird unter Beteiligung Deutschlands zu vereinbaren sein.

4. Die Kaiserliche Regierung ersucht die Kaiserlich Osmanische Regierung, die angemessene Behandlung der Armenier in den von der Türkei besetzten Gebieten sicher zu stellen. Sie behält sich nähere Vorschläge hierüber vor.

5. Die Kaiserliche Regierung macht die Kaiserlich Osmanische Regierung darauf aufmerksam, daß die Türkei aus den bestehenden politischen Verträgen gegen Deutschland keine Ansprüche auf Schutz oder Beistand für solche militärischen oder diplomatischen Aktionen herleiten kann, die sie ohne unsere Zustimmung oder gar gegen unseren Rat unternimmt. Die Kaiserliche Regierung lehnt jede Verantwortung für derartige auf eigene Faust begonnene Unternehmungen ab und muß der Türkei die Folgen überlassen. Sollte sich durch willkürliche Zersplitterung der Kräfte die Gesamtlage der Türkei verschlechtern und die Erreichung der vertragsmäßig ver[S. 392]bürgten Ziele in Frage gestellt werden, so wird sich die Türkei damit abzufinden haben, da wir uns ihr gegenüber auf eine Mehrbelastung unseres politischen Kontos nicht einlassen können. Ebenso wenig könnten wir die Türkei decken, wenn gegen die christliche Bevölkerung des Kaukasus von türkischer Seite Ausschreitungen verübt würden.“

Unsere Oberste Heeresleitung hat entsprechende Schritte bei der türkischen Heeresleitung unternommen.

Da Gefahr im Verzuge ist, war es nicht möglich, uns vorher mit der österreichisch-ungarischen Regierung ins Einvernehmen zu setzen. Ich wäre aber dem Grafen Burian besonders dankbar, wenn er den Markgrafen Pallavicini mit größtmöglicher Beschleunigung anweisen wollte, die gleiche Erklärung wie Graf Bernstorff abzugeben, damit sich die türkische Regierung einem einheitlichen Vorgehen der beiden verbündeten Großmächte gegenübersieht und nicht den Versuch macht, die eine gegen die andere auszuspielen.

Einem schleunigen Drahtbericht über die Antwort des Grafen Burian sehe ich entgegen.

Kühlmann.

[S. 393]

Juni.

397.

(Auswärtiges Amt.)

Telegramm.

Berlin, den 1. Juni 1918.

An die Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Talaat Pascha hat uns in der Armenierfrage vor mehr als einem Monat einen Amnestieerlaß als unmittelbar bevorstehend angekündigt und eine entsprechende Veröffentlichung anheimgestellt. Daraufhin ist hier eine solche Veröffentlichung veranlaßt worden. Deshalb und als Beweis des guten Willens der Türken müssen wir erwarten, daß die Amnestie nunmehr erlassen wird.

Kühlmann.

398.

(Auswärtiges Amt.)

Telegramm.

Berlin, den 3. Juni 1918.

An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Euere Exzellenz wollen den dort vorliegenden Bericht des Konsuls in Aleppo vom 15. 5. 1918 inhaltlich beim Großwesir verwerten[149].

Stellvertretender Unterstaatssekretär von Langwerth.

399.

Großes Hauptquartier.

Telegramm.

Den 8. Juni 1918.

Der K. Legationssekretär an Auswärtiges Amt.

General Ludendorff hat an Enver Pascha gedrahtet:

„Die Türkei hat sich ohne irgendwelche Rücksichten auf die Bundesgenossen über die in Brest geschlossenen Verträge, soweit sie Transkaukasien betreffen, hinweggesetzt. Die deutsche Regierung hat hiergegen bereits Verwahrung eingelegt und auf die Folgen eines solchen Verfahrens hingewiesen. Ich möchte nicht unterlassen, Euerer Exzellenz zu versichern, daß[S. 394] ich mich mit dem Vorgehen der deutschen Regierung in vollster Übereinstimmung befinde.

General von Lossow hat den Bahnschutz auf der Bahnlinie Poti-Tiflis-Alexandropol aus deutschen Kommandos gebildet, nicht lediglich aus deutschem Interesse, sondern auch im Interesse der türkischen Operationen in Richtung Djulfa. Diese Bahnwachen sind deutsche Truppen, und ich erhebe Einspruch dagegen, daß sie von dem Führer der 3. Armee nicht entsprechend respektiert werden.

Euere Exzellenz ersuche ich nochmals, die durch den Brester Vertrag gezogenen Grenzen zu respektieren, widrigenfalls ich mir die Freiheit weiterer Entschließungen vorbehalten muß.

Verträge, die zwischen der Türkei und den transkaukasischen Staaten unter Umgehung Deutschlands, Österreichs und Bulgariens abgeschlossen wurden, vermag ich von vornherein nicht anzuerkennen.

Wie Euerer Exzellenz bekannt, habe ich stets Ihre Interessen und Wünsche warm vertreten. Ich muß es Euerer Exzellenz gegenüber klar aussprechen, daß ich dies für die Folge nicht nur nicht tun kann, sondern daß das vertragswidrige Vorgehen der Türkei für mich jedes Zusammengehen mit Euerer Exzellenz ausschließen würde.“

Berckheim.

400.

Großes Hauptquartier,

den 9. Juni 1918.

Der Kaiserliche Legationssekretär an Auswärtiges Amt.

Feldmarschall Hindenburg läßt drahten:

Ich habe an Enver Pascha gedrahtet:

Im Namen der Obersten Heeresleitung ersuche ich Euere Exzellenz, anzuordnen:

daß alle türkischen Truppen aus dem kaukasischen Gebiet mit Ausnahme der Bezirke Kars, Ardahan und Batum zurückgezogen werden.

Berckheim.

401.

Tiflis, den 14. Juni 1918.

Bericht über das Blutbad bei Katharinenfeld am 1. Juni 1918.

Ich glaube von dem Ereignis, das sich am 1. Juni in der Nähe von der Kolonie Katharinenfeld zugetragen hat, ein ziemlich richtiges Bild zu besitzen. Insofern ich nicht selbst Augenzeuge war von den Tatsachen, konnte ich dieselben durch Ausfragen von Tataren, die an den Metzeleien beteiligt waren, und von geretteten Armeniern ergänzen.

Nach blutigen Kämpfen zwischen Türken und Armeniern bei Karakilissa, in denen die letzteren unterlagen und schließlich von den Türken[S. 395] umringt wurden, gelang es einer Schar von ungefähr 800 Armeniern — Soldaten und Flüchtlingen —, in der Richtung der Bahnlinie den Türken zu entkommen. Unter Verfolgung der Türken flohen diese der Bahnlinie entlang, und der größere Teil erreichte glücklich die Station Sanain, wo sie, wie anzunehmen war, die Türken nicht mehr zu fürchten hatten, da die Station von einer deutschen Truppenabteilung bewacht wurde und der dortige deutsche Kommandant die Armenier unter seinen Schutz nahm. Doch ihr Ziel war Tiflis; da allein, glaubten sie, würde ihr Leben gesichert sein. Sie schlugen den Weg über Ach-Kjoerpi nach Bolnis-Chatschin ein, wo von der gesamten Zahl nur noch 480 Mann ankamen. Unterwegs hatten sie große Not: keine Lebensmittel; kein Dorf wollte sie durchlassen, weder ein tatarisches, noch ein armenisches, aus der Befürchtung, dafür als Feinde der Türken betrachtet werden zu können. So mußten sie, meist auf Umwegen, durch tiefen Wald und auf menschenleeren Bergrücken entlang, flüchten und gelangten den 29. Mai, ganz ausgehungert, in die Nähe des armenischen Dorfes Bolnis-Chatschin. Da Bolnis-Chatschin bekanntlich ein reiches Dorf ist, so hofften auch die Unglücklichen hier bestimmt auf Aufnahme und Unterstützung von seiten ihrer Volksgenossen. Doch, wie ich von verschiedener Seite vernommen habe, sollen sie bei dem Versuche, sich dem Dorfe zu nähern, auch hier bewaffnetem Widerstande nicht nur der Tataren der benachbarten Dörfer, sondern auch der Bewohner von Bolnis-Chatschin begegnet sein. Sie wurden nachts, währenddem sie sich in dem benachbarten Walde (von den Deutschen der „Judenwald“ genannt) aufhielten, von der Seite des Dorfes her beschossen. Da trat ein tapferer Fähnrich der armenischen Bergbatterie, der sich schon vorher auf dem Wege als tüchtiger Führer bewährt hatte, kühn mit der weißen Fahne vorangehend auf und erklärte, daß seine Leute fast waffenlos seien. Daraufhin wurde ihnen erlaubt, das Dorf zu betreten. Doch hier mußten sie bald entdecken, daß sie von einer übermächtigen tatarischen Horde umringt waren, an deren Spitze ein gewisser Israfil-Begh aus Bolnis-Kapanaktschi stand. Man verlangte von den Belagerten vor allem die Abgabe ihrer Waffen, die im ganzen ungefähr noch 80 Flinten ausmachten. Was die übrigen Flinten anbetrifft, so — gaben die Flüchtlinge an — hatten sie die längst teilweise bei Karakilissa an die Türken verloren, teilweise unterwegs bei der Bevölkerung gegen Brot ausgetauscht. Nach langem Zögern traten sie schließlich ihre Waffen ab, unter Versicherung ihrer Volksgenossen, sowie der Tataren, sie glücklich nach Katharinenfeld zu bringen. Dann erklärte Israfil-Begh, im Namen des sich in Katharinenfeld befindlichen türkischen Paschas, des angeblichen Divisionsstabschef aus Dschelal-Ogly, die Entwaffneten als türkische Gefangene, die er die Aufgabe habe nach Katharinenfeld zum Pascha zu bringen. Hierbei muß bemerkt werden, daß in der Kolonie die Gemüter schon längst in Aufregung waren infolge verschiedener Gerüchte von dem Anrücken[S. 396] der Türken und der verzweifelten Flucht der armenischen Partisanenschar unter der Führung des berüchtigten und weit und breit gefürchteten Andraniks.

Die Türken zeigten sich denn eines Tages wirklich in Person zweier Offiziere, die von Dschelal-Ogly angekommen waren. Doch hatte sich die Nachricht von der Ankunft des Andraniks nie bewährt. So war es denn nichts Neues, als am 29. Mai tatarische Reiter mit der Nachricht angesprungen kamen, daß Andranik mit einem einige tausend Mann starken Haufen in Bolnis-Chatschin eingetroffen sei, doch wurde die Angabe so kategorisch wiederholt und dabei betont, Andranik wolle sich über Katharinenfeld nach Tiflis durchschlagen, daß es wiederum die ganze Kolonie auf die Füße brachte und eine gewaltige Panik hervorrief und den deutschen Bataillonschef veranlaßte, sämtliche Mannschaften unter Gewehr zu bringen. Dies geschah am Abend des 29. Mai. Um den Durchzug etwaiger Banden durch die Kolonie zu verhindern, wurden sofort 3 Posten, je 60 Mann stark, in den Richtungen südlich, westlich und nördlich, in 2 Kilometer Entfernung von der Kolonie ausgestellt, die, in ununterbrochener Verbindung mit einander stehend, die ganze Nacht durch Wache hielten. Um Mitternacht wurden Reiter nach Bolnis-Kapanaktschi ausgeschickt, die von dort ganz beruhigende Nachrichten brachten. Namentlich ist ihnen unterwegs niemand begegnet, und in dem Tatarendorfe gab man ihnen eine Auskunft, aus der man schließen konnte, es sei nichts los. Gegen Morgen wurden die ausgestellten Posten wieder zurückgezogen. Hierauf trat eine verhältnismäßige Ruhe ein; die Kolonisten, gewöhnt an verschiedenartige Provokation der Tataren, kamen zu dem Entschluß, daß auch diesmal Ähnliches vorliege und begaben sich auf die Arbeit. Nur erschien an demselben Tage — das ist der 30. Mai — wieder ein türkischer Offizier, nachdem die oben genannten ersten zwei die Kolonie verlassen hatten. Derselbe gab sich für den Stabschef der Division, die in Dschelal-Ogly stand, aus. Am selben Tage kamen die Tataren und Armenier aus den benachbarten Dörfern, u. a. auch aus Bolnis-Chatschin, und brachten dem „Pascha“ ihre Huldigung dar. Im übrigen verlief der Tag ruhig.

Am 31. morgens kamen wiederum aus Kapanaktschi Boten (Tataren) mit der Meldung an den „Pascha“, daß in Bolnis-Chatschin 700 bis 1000 Mann armenischer Soldaten angekommen seien. Doch bald wuchs die Zahl derselben, da immer neue Boten aus dem Bolnistale ankamen, bis auf etliche tausend Mann. Die Panik war wieder groß in der Kolonie. Obwohl ich diesen Nachrichten wenig Glauben schenkte, ging ich doch auf den Kirchenplatz, um womöglich Näheres zu erfahren. Dort traf ich den türkischen Stabsoffizier, welcher mir sagte, daß er soeben oben erwähnte Nachricht erhalten habe, und bat mich, Alarm zu blasen. Es ist zu bemerken, daß die Angaben der Tataren sich unterdessen schon an 10000 Mann beliefen. Ich, an der[S. 397]artige Übertreibungen tatarischerseits gewöhnt, riet dem Offizier, den Tataren nichts zu glauben, da ohnehin 5 von meinen Soldaten, die ich vor einer Stunde in den „Faldasch“ (das Wasserscheidegebirge zwischen dem Muschawer- und Bolnistale) geschickt, um das Nähere auszukundschaften, in einer Stunde hier sein müßten mit zuverlässigen Nachrichten. Er war einverstanden, auf das Eintreffen meiner Soldaten zu warten und gab offen sein Mißtrauen zu den tatarischen Meldungen kund. Nach einer Stunde kamen meine Soldaten vom Faldasch zurück und meldeten, die Tataren hätten die ganze Bergkette Faldasch besetzt, und somit den Weg nach Katharinenfeld abgesperrt. Obwohl dieser Bericht uns nicht beunruhigte, alarmierten wir doch sofort die ganze Mannschaft. Es wurden wieder Posten ausgestellt; einer im Süden bei der Muschawerbrücke und einer im Westen der Kolonie.

Hier muß ich jedoch bemerken, daß diesmal auf den Alarm nur wenige eintrafen, denn die Kolonisten, die letzten Tage schon so oft unnötigerweise alarmiert, verhielten sich ziemlich gleichgültig und schenkten der Bekanntmachung keinen Glauben mehr. Darum konnten nur verhältnismäßig schwache Posten ausgestellt werden.

Es verlief der Abend und die Nacht zum 1. Juni ganz ruhig. Am Morgen des 1. Juni ging ich zu dem türkischen Stabsoffizier, welcher mich mit den Worten empfing: „Es ist doch unglaublich, wie die Tataren lügen können. Es hat sich nun herausgestellt, daß in Bolnis-Chatschin nur 80 Mann bewaffneter Armenier sind.“ Auf dieses hin hoben wir die Posten auf und entließen unsere Mannschaften bis auf die wachthabende Halbkompagnie, und alles machte sich wieder an die Arbeit, da diese in den Gärten sehr dringend war.

Bis 5 Uhr nachmittags am 1. war alles ganz ruhig. Da, plötzlich fing am St. Georgsberg eine heftige Schießerei an. Ich begab mich sofort in den höher gelegenen Teil der Kolonie, von wo aus man das Tal und die daran grenzende Anhöhe, die „Tatarensteppe“, übersehen konnte. Die letztere wimmelte von Tatarenhaufen, deren Zahl ich ungefähr auf 3000 Mann schätzte. Im Verlaufe von etlichen Minuten hatten sich die Massen ins Tal heruntergewälzt, wo das Schießen immer heftiger wurde. In unglaublich kurzer Zeit waren große tatarische berittene Haufen im Galopp den Mühlenweg und den Karbacher Viehtrieb herangeritten und hatten so ihren Opfern den Zutritt zur Kolonie unmöglich gemacht. Etliche von den Reitern erklärten den Deutschen, daß diese sich ruhig verhalten möchten, da sie es nur mit den Armeniern zu tun hätten. An ein Einmischen unsererseits war übrigens im Moment auch gar nicht zu denken, da, wie schon gesagt, die ganze Mannschaft entlassen worden war und sich in den Gärten und Feldern auf der Arbeit befand. Es standen uns alles in allem nur 90–100 Mann zur Verfügung. Dazu kam noch der Zufall, daß von den auf der Tatarensteppe[S. 398] Arbeitenden niemand das Herannahen der Haufen zeitig bemerkt hatte. Und so wußte man den genauen Sachverhalt lange nicht. Die Tataren sagten nur, das wären die Armenier, die schon etliche Tage erwartet würden; sie würden jedoch allein mit denselben fertig werden.

Schnell verpflanzte sich unterdessen der „Kampf“ in die dicht an die Kolonie angrenzenden Weingärten, bis in die westlichen Straßenenden des Dorfes hinein, wo wir uns inzwischen, mit Maschinengewehren versehen, aufgestellt hatten, und zwar anfangs mit der Absicht, keinenfalls irgend jemand von den Banden in das Dorf herein zu lassen. Erst durch die von Deutschen geretteten und in die Kolonie eingeführten Armenier erfuhren wir den wahren Sachverhalt, woraufhin wir uns fest entschlossen, so viel als möglich, von den Armeniern, koste es was es wolle, zu retten. Die Armenier erzählten nämlich, daß — was oben schon teilweise vorausgegriffen ist — sie in Bolnis-Chatschin auf die Versicherung des Tatarenführers Israfil-Begh, sie ungefährdet nach Katharinenfeld zu bringen, als Kriegsgefangene des türkischen „Paschas“, ihre Waffen — etwa 80 Flinten — ausgeliefert und sich den Tataren übergeben hätten. Auf dem Wege in die Kolonie seien sie aber am Fuße des St. Georgsberges plötzlich von ihren Begleitern überfallen und der größere Teil zwischen der Kolonie und der erwähnten Stelle niedergemacht worden. Diese Angaben bestätigten sich u. a. auch tatarischerseits. Nur wenigen, berichteten weiter die Armenier, sei es gelungen, in die Weingärten zu entkommen, seien jedoch auch hier, verfolgt von den Tataren, größtenteils niedergemacht worden.

Nun gingen wir energisch vor und stellten den Tataren die kategorische Forderung, das Gemetzel einzustellen. Wir machten uns bereit zum Eingreifen, richteten das Maschinengewehr gegen die Tatarenmassen auf und drohten jeden niederzuknallen, der sich noch erlauben würde, einem Armenier nachzustellen. Gleichzeitig schickte ich eine Abteilung deutscher Schützen in das Innere der Kolonie, um sämtliche Muselmanen, deren in der Kolonie eine große Anzahl wohnt, und die, Blut gerochen, auch bereit waren, auf die Armenier loszugehen, in ihre Häuser zu treiben und sie zu bewachen.

Die Tataren, die anfangs, trotz der Drohung der Deutschen, immer noch vordrangen und fortfuhren, einzelne sich flüchtende Armenier zu verfolgen, fügten sich zwar grollend den Deutschen, als sie merkten, daß unserer mehr geworden waren. Die Leute hatten sich unterdessen, beunruhigt durch das gewaltige Schießen, schleunig allerseits von den Gärten in die Kolonie begeben und die Mannschaft sich gesammelt. Dies alles geschah innerhalb von stark zwei Stunden.

Um die Verwundeten aufzulesen und die sich dort noch aufhaltenden Tataren zu verjagen, durchstreiften wir nun die Gärten und das Tal. Es bot sich uns daselbst ein schauderhaftes Bild dar. Die ganze Gegend war bestreut mit nackten blutbefleckten, unmenschlich zugerichteten Leichen[S. 399] und Schwerverwundeten. Aus verschiedenem Versteck, aus dem Gebüsch, aus hochgewachsener Saat, aus Wassergräben und Kanälen krochen auf unseren Ruf die am Leben Gebliebenen hervor und freuten sich unbeschreiblich, als sie sich in den Händen der Deutschen wußten. So gelang es uns, hundert unversehrte und 52 verwundete Armenier zu retten. Die Toten ließen wir vorläufig noch liegen, da es inzwischen Nacht geworden war, die Verwundeten aber schneller Hilfe bedurften. Die 152 Mann wurden nun im Schulhause untergebracht, wo ihnen sogleich ärztliche Hilfe durch die Ärzte Ljesnik und Tetter zuteil wurde. Auch stellte sich sofort eine Anzahl deutscher Frauen und Mädchen bereitwillig zur Verfügung, die Unglücklichen zu pflegen. Die Kolonisten brachten gleich Wäsche, Kleider, Brot, Milch, Butter und Käse und alles Mögliche herbei, um die Untergebrachten zu stärken. Diese konnten sich für ihre Rettung nicht genug bedanken.

Erst am nächsten Morgen, am Sonntag den 2. Juni, machten wir uns daran, die Toten zusammenzufahren. Dank zahlreicher Teilnahme konnte das schnell geschehen. Wir fuhren sie an einen Hügel westlich von der Kolonie zusammen. Nachmittags um 1 Uhr wurden sie da in einem Massengrabe mit der Teilnahme unseres Herrn Pastor Steinwand christlich beerdigt, im ganzen 270 Mann.

Die hundert Mann, die unversehrt geblieben und von den Kolonisten mit Kleidern und Speise versehen waren, wurden von dem türkischen Stabsoffizier als seine Gefangene erklärt und uns zur Bewachung überlassen. Am selben Tag traf in Katharinenfeld eine Eskadron türkischer Reiter ein, mit denen die Gefangenen sogleich nach Dshelal-Ogly befördert werden sollten. Dieser Umstand versetzte die Armenier in solche Angst, daß noch in derselben Nacht 35 Mann von ihnen flüchteten, darunter auch der oben erwähnte Fähnrich von der armenischen Bergartillerie. Die übrigen 65 Mann wurden am 3. Juni mit den türkischen Soldaten nach Dshelal-Ogly befördert. Die Verwundeten wurden in Katharinenfeld in unserer Pflege zurückgelassen, wo sie sich noch jetzt befinden. Jedoch sind davon die am schwersten Verwundeten, 20 an der Zahl, schon gestorben.

Leutnant Walker.

402.

(Kaiserliches
Konsulat Tiflis.)

Telegramm.

Tiflis, den 19. Juni 1918.

An Auswärtiges Amt.

Deutsche Bahnwachen haben unverändert strengen Befehl, nichts Feindseliges gegen die Türken zu unternehmen. Einfahrt der Türken ohne deutsche Genehmigung ist gemäß Artikel 2 unseres Abkommens dadurch[S. 400] verhindert worden, daß die Züge an der Grenze von der deutschen Kommission angehalten werden mit der Drohung, die Eisenbahnstrecke werde zerstört, falls die Türken gewaltsam weiterfahren sollten. Türken haben tatsächlich nachgegeben und haben bis heute noch keinen Transportantrag bei der deutschen Kommission gestellt.

Türkische Truppen haben gestern morgen nördlich Kalageran deutsche Truppen beschossen, die Feuer erwiderten. Türken haben auf der Strecke nach Karakliß 3 Brücken verbrannt, Schanze Tiegenhof, nördlich von Kalageran, und denken vorläufig nicht daran, auf Karakliß zurückzugehen. Truppentransporte wegen vernichteter Brücken nunmehr dort unmöglich.

Türken haben in Batum alle muhammedanischen Nationalisten (türkenfeindliche und zu Georgien neigende) verhaftet. Hiesige Regierung bittet dringend, etwas für diese Leute zu tun, da sonst Abstimmung in Batum voraussichtlich für Türken ausfallen wird.

Schulenburg.

[S. 401]

Juli.

403.

Armenische Delegation.

Berlin, den 2. Juli 1918.

An das Auswärtige Amt des Deutschen Reiches, Berlin.

Durch unsere Denkschrift vom 15. Juni und bei Gelegenheit der Unterredungen, die Sie uns zu gewähren die Güte hatten, durften wir die Aufmerksamkeit der Deutschen Regierung auf die äußerst besorgniserregende Lage der armenischen Flüchtlinge im Kaukasus lenken.

Fast aus allen Ortschaften Transkaukasiens, die von den Türken besetzt wurden, sind die Armenier mit Weib und Kind geflüchtet, Hab und Gut im Stiche lassend und nur darauf bedacht, das nackte Leben zu retten. Die Zahl der so geflüchteten Armenier wird, niedrig geschätzt, mit 600000 berechnet (die Flüchtlinge türkisch-armenischer Herkunft nicht einbegriffen). Viele dieser Unglücklichen haben in den Bergen Zuflucht gesucht, und fast alle leben unter freiem Himmel, da für Unterbringung und Verpflegung solcher Massen bei der Einschränkung des armenischen Territoriums und der allgemein herrschenden Not keinerlei Möglichkeit besteht.

Ist der Zustand der armenischen Flüchtlinge jetzt schon unerträglich, so verschlimmert er sich in steigendem Maße von Woche zu Woche. Das Wenige an Lebensmitteln, die sie vielleicht mitnehmen konnten, wird bald erschöpft sein, und sie dürfen angesichts des allgemeinen Mangels auf eine nennenswerte Hilfe von anderer Seite nicht rechnen. Andererseits naht der Herbst heran, und das Hausen im Freien wird in dem herben Klima der gebirgigen Gegend ohne ernste Gefahr für Leben und Gesundheit nicht möglich sein. Dazu kommt noch, daß ihre Felder und Äcker herrenlos zurückgelassen unbestellt bleiben und ihre Wirtschaften und Baulichkeiten gänzlich verfallen müssen, wenn sie nicht bald in ihre Heimatsorte zurückkehren. Das wäre ein Ruin für viele Hunderttausend Menschen, aber auch ein großer Nachteil für die Lebensmittelversorgung und das wirtschaftliche Gedeihen von ganz Transkaukasien. Auch der Umstand, daß unter den armenischen Flüchtlingen bereits epidemische Krankheiten aufgetreten sind und sich ausbreiten, birgt Gefahren in sich, die für diese selbst verderblich, aber auch für die übrige Bevölkerung der Gegend verhängnisvoll werden können.

Nur durch eine sehr baldige Zurückführung der Flüchtlinge in ihre Heimstätten könnte allen diesen Gefahren vorgebeugt werden. Dank der[S. 402] schützenden Hand Deutschlands ist glücklicherweise der Schaden an Leben und Eigentum infolge des türkischen Einmarsches in Transkaukasien nicht in dem Maße eingetreten, wie wir es befürchtet hatten. Wird den Flüchtlingen die Möglichkeit der baldigen Rückkehr in ihre Wohnorte gegeben, so kann auch der durch ihre Flucht herbeigeführte Schaden in engeren Grenzen gehalten werden. Aber solange die Türken ihre Ortschaften besetzt halten, wird es nicht möglich sein, die Flüchtlinge zur Rückkehr zu bewegen. Sie befürchten, von den Türken festgenommen und verschleppt zu werden, wie das mit ihren zurückgebliebenen Volksgenossen an manchen Orten geschehen ist, wo die Männer über 16 Jahre eingezogen wurden und verschwanden.

Die Flüchtlinge werden erst dann zurückkehren, wenn die Türken die Gegend geräumt haben. Wir durften erfahren, daß die Deutsche Regierung entschlossen ist und Schritte getan hat, die türkischen Truppen zur Räumung des armenischen Gebietes bis zu der durch den Brester Vertrag gezogenen Grenze zu veranlassen. Dieser wirksame Schutz unserer nationalen Existenz im Kaukasus erfüllt uns mit tiefster Dankbarkeit und läßt uns vertrauensvoll in die Zukunft blicken. Es bleibt uns zu bitten, daß die Räumung, da sie nunmehr beschlossen ist, mit Rücksicht auf die unhaltbare Lage der armenischen Flüchtlinge und die Dringlichkeit ihrer sehr baldigen Rückkehr rechtzeitig genug erfolgt, um die geflüchteten Armenier vor größten Gefahren und Nachteilen zu bewahren.

Die Bevollmächtigten der armenischen Regierung.
Dr. H. Ohandjanian.

404.

(Kaiserlich Deutsche Delegation
im Kaukasus.)

Telegramm.

Tiflis, den 10. Juli 1918.

An Auswärtiges Amt.

Brieflich eingegangen am 30. Juli.

Bischof Mesrop ist mit Lebensgefahr von Eriwan hierher gekommen, um deutsche Hilfe zu erflehen. Nach seiner Angabe müssen mindestens eine halbe Million Armenier Hungers sterben, wenn nicht sofort den Armeniern die Rückkehr in die Gegend von Sadarabad-Igdir und Darvala erlaubt wird, um die reife Ernte einzubringen. Die Schilderungen des glaubwürdigen und verdienten Bischofs sind erschütternd. Die türkische Absicht, die ganze armenische Nation durch völlige Abschließung verhungern[S. 403] zu lassen, liegt klar zutage. Essad hat meine Bitte, den armenischen Flüchtlingen und dem armenischen Nationalrat die Rückkehr zu erlauben, unter nichtigen Vorwänden abgeschlagen. Stärkster Druck der Mittelmächte auf die Türken ist dringendes Gebot der Menschlichkeit und Politik.

Kreß.

405.

Kaiserlich Deutsche Delegation
im Kaukasus.

Tiflis, den 11. Juli 1918.

Heute hat mich der armenische Bischof Mesrop, ehemaliger Verweser des Erzbistums Tiflis, besucht, wie ich Euerer Exzellenz bereits anderweitig berichtete.

Der Bischof, ein ehrwürdiger Mann, Ende der fünfziger Jahre, ist in Dorpat geboren und spricht gut deutsch. Er ist allein zu Pferde über das Gebirge durch die tatarischen Banden hindurch in steter Lebensgefahr von Eriwan nach Tiflis geritten, um die deutsche Hilfe zur Rettung der Reste der armenischen Nation zu erbitten.

In ergreifenden Worten schildert der Bischof das Schicksal seiner Nation. Er hat sich redlich bemüht, das Elend zu lindern und zu helfen. Mehr als eine halbe Million von Armeniern aus den von den Türken besetzten und bedrohten Gebieten haben in der ersten Hälfte des April in panikartiger Flucht ihre Dörfer verlassen und sind vor den Türken geflohen. Sie sind zurzeit in der Gegend von Eriwan versammelt. Man hat zwar etwas Geld aufgebracht, um sie zu unterstützen, aber sie bekommen auch für schweres Geld nichts zu essen. Viele, viele Tausende leben seit Wochen nur von Gras. Selbstverständlich wüten ansteckende Krankheiten und fordern zahllose Opfer unter den halb verhungerten und verelendeten Menschen.

Die Türken haben ungeachtet des Friedensvertrages von Batum und der Anerkennung der Selbständigkeit von Armenien das armenische Gebiet nicht geräumt und erlauben vor allem dem in Tiflis sitzenden Nationalrat und den in Georgien befindlichen Flüchtlingen nicht, in die Heimat zurückzukehren. Da der Nationalrat keine Verbindung mit Armenien hat, kann er seinen Regierungspflichten nicht nachkommen.

Die Ernte wird in den nächsten Tagen reif. Sie soll besonders in dem Gebiet zwischen Sardarabad-Igdir und Darvala gut sein. Wenn aber den armenischen Bauern nicht in kürzester Zeit gestattet wird, in ihre Heimat zurückzukehren, so ist die Ernte verloren. Die Armenier müssen dann entweder Hungers sterben oder ihre Ernährung fällt den Mittelmächten zur Last.

Etwa 14000 Armenier im Alter zwischen 17 and 60 Jahren sollen von den Türken zum Arbeitsdienst gepreßt sein. Nach Angabe des Bischofs herrscht größtes Elend unter ihnen. Jeder Armenier erhält trotz schwerer Arbeit täglich nur ein Stück türkisches Hartbrot (etwa 200 g). Der Bischof appelliert im[S. 404] Namen der armenischen Nation und in seiner Eigenschaft als Priester einer christlichen Kirche an die Großmut Seiner Majestät des Kaisers und der Deutschen Regierung. Nur Deutschland sei in der Lage, die Türkei zu zwingen, daß sie von ihrem verbrecherischen Beginnen einer systematischen Aushungerung der geringen Reste der armenischen Nation ablasse.

Deutschland müsse sich bewußt sein, daß es vor der Geschichte die Verantwortung zu tragen habe, wenn es seine Macht nicht dazu ausnutze, um eine christliche Nation vor der Ausrottung durch die Muhammedaner zu schützen.

Euere Exzellenz bitte ich, meine persönliche Auffassung dahin äußern zu dürfen, daß nach all den zahlreichen Nachrichten und Berichten, die ich hier erhalten habe, wohl kaum ein Zweifel darüber bestehen dürfte, daß die Türken systematisch darauf ausgehen, die wenigen Hunderttausende von Armeniern, die sie bis jetzt noch am Leben gelassen haben, durch systematische Aushungerung auszurotten.

Es steht mir nicht zu, Euere Exzellenz auf die Pflichten aufmerksam zu machen, die Deutschland als christliche Nation den christlichen Armeniern gegenüber zu erfüllen hat, und auf den Eindruck, den es auf unsere öffentliche Meinung und die ganze christliche Welt machen wird, wenn wir die Armenier nicht vom Untergange retten. Ich darf aber die Aufmerksamkeit Euerer Exzellenz darauf lenken, daß unser Ansehen im Kaukasus und den umliegenden Gebieten schweren Schaden leiden wird, wenn es uns nicht gelingt, die Armenier gegen die Türken zu schützen.

Entschieden wird man uns vorwerfen, daß uns der gute Wille gefehlt habe, oder man wird annehmen, daß wir nicht die Kraft und die Macht besitzen, den Türken gegenüber unseren Willen durchzusetzen. Wir würden uns die zahlreichen und infolge ihres großen Reichtums sehr einflußreichen Georgier armenischer Abstammung zu unversöhnlichen Feinden machen und würden unseren Gegnern ein ganz besonders wirksames Propagandamittel gegen uns in die Hand geben.

Ich bitte deshalb Euere Exzellenz ebenso dringend wie gehorsamst, mit allen verfügbaren Mitteln und möglichst rasch einen energischen Druck auf die türkische Regierung auszuüben, daß sie sofort ihre Truppen aus Armenien zurückzieht, den geflüchteten Armeniern die Rückkehr in ihre Heimat gestattet, dafür sorgt, daß die Armenier unbehindert und ungefährdet an Leben und Gut ihre Ernte einbringen können, und daß die zum Arbeitsdienst gepreßten Armenier sofort in ihre Heimat entlassen werden.

Freiherr von Kreß.

Seiner Exzellenz dem Reichskanzler
Herrn Grafen von Hertling.

[S. 405]

406.

Königlich
Preußische Gesandtschaft.

München, den 12. Juli 1918.

Der Nuntius bittet mich soeben, festzustellen, ob es möglich wäre, durch die Deutsche Regierung dringende Unterstützung für die armenische und syrochaldäische Bevölkerung im Kaukasus und in Persien zu senden, da es nicht möglich sei, solche vermittels der englischen Regierung über Konstantinopel zu schicken.

Der Nuntius ist zu dieser Anfrage durch den Kardinalstaatssekretär beauftragt und legt auf Beschleunigung der Antwort großen Wert.

Treutler.

Seiner Exzellenz dem Reichskanzler
Herrn Grafen von Hertling.

407.

Armenische Republik.
Delegation in Berlin.

Berlin, den 15. Juli 1918.

An das Auswärtige Amt des Deutschen Reiches, Berlin.

Wir haben die Ehre, in der Anlage Auszüge aus Briefen und Nachrichten aus der Heimat einzusenden, die als Belege für unsere Mitteilungen über die kritische Lage in Kaukasisch-Armenien dienen mögen.

Die Bevollmächtigten der armenischen Regierung.
Dr. H. Ohandjanian. A. Suraboff.

408.

Berlin, den 15. Juli 1918.

Neueste Nachrichten aus Kaukasisch-Armenien.

Auszüge aus dem Brief des Präsidenten des Nationalrates Herrn Aharonian vom 11. Juni (n. S.) aus Tiflis.

... Es hat den Anschein, daß Deutschland bezüglich Georgien ernste und entschiedene Engagements hat, die es in edler Weise und mutvoll verwirklicht, während unsere Sache noch in der Schwebe ist. Durch das türkische Eindringen flieht unser Volk zu Hunderttausenden, alles im Stiche lassend. Der Bezirk Achalkalaki ist schon ganz entvölkert; die Stadt ist niedergebrannt und liegt in Trümmern. 80000 Einwohner sind geflüchtet und haben sich in den Schluchten von Bakuriani eingeschlossen. Aus ganz Surmalu, aus allen besetzten Gebieten von Alexandropol und Kars, aus Etschmiadsin und den sonstigen Gegenden, bis wo die Türken vorgedrungen sind, flieht die Bevölkerung in großer Eile und geht zu Zehntausenden zu[S. 406]grunde. Diese Tatsache, daß die Türken aus Stadt und Bezirk Alexandropol die ganze armenische Jugend gesammelt und ins Innere der Türkei verschleppt haben, verbreitet Schrecken, und kein Flüchtling will in die von den Türken besetzten Gebiete zurückgehen. Das armenische Volk geht in den „Krallen“ der Flucht zugrunde, wie es in Türkisch-Armenien zugrunde gegangen ist. Deutschland, das in Türkisch-Armenien dieses furchtbare Verbrechen gegen die Armenier dulden mußte, weil sein Arm nicht hinreichte, wird es dulden wollen, daß nun auch hier im Kaukasus das armenische Volk durch Hunger und Flucht ausgetilgt wird, da Deutschlands Arm hinreicht und Wunder tun kann, wenn es will? Das müssen Sie unseren deutschen Freunden verständlich machen.

Der deutsche Vertreter, Graf von Schulenburg, verhält sich uns gegenüber wohlwollend; doch hat er die erforderlichen Anweisungen aus Berlin noch nicht erhalten, zu unseren Gunsten ebenso zu wirken, wie er zugunsten Georgiens tätig ist.

In der Tat beherrschen die Türken heute ganz Aserbeidschan bis Ciskaukasien. Sie beherrschen selbst die armenischen Gebiete, die nach dem letzten (Friedens-) Vertrag nicht unter die türkische Herrschaft fallen. Die türkischen Truppen halten besetzt: Lori, Kasach, Bortschalu. Aus Eriwan haben wir keine Nachrichten. Wir sind abgeschnitten. Die Eisenbahn und der Telegraph sind außer Betrieb. Es ist eine unerträgliche Lage. Wir konnten selbst die Nachricht von dem Friedensschluß dem General Nazarbekoff nicht mitteilen. Wir sind auch von Baku abgeschnitten. Wir versuchen, eine Regierung unserer armenischen Republik zu bilden; aber es besteht keine Möglichkeit einer Reise nach Eriwan. Unser Volk ist herrenlos, unsere Flucht unendlich, die Sterblichkeit riesengroß. Wir müssen entschieden und sofort wissen: Will Deutschland uns in der Tat beschützen oder nicht?

Auszüge aus der in Tiflis erscheinenden armenischen Zeitung „Horizon“ vom 11. Juni (Nr. 112).

25 Offiziere getötet.

Der Festungsoffizier von Kars, Karapetian, welcher am 4. Juni aus türkischer Gefangenschaft geflohen ist, berichtet folgende erschütternde Geschichte:

„Wir waren 28 Offiziere: 12 russische, 6 georgische und 10 armenische. Wir gerieten in der Station Allahwerdi in türkische Gefangenschaft. Man brachte uns nach Aschagha-Maral, wobei man uns unterwegs die Schuhe auszog. Dann kam ein türkischer Offizier und sagte: Folgt mir zu unserem Pascha, welcher sich in der Nähe in dem Büro von Mantascheff befindet und Euch verhören will.

Als man uns aus dem Eisenbahnwagen herausholte, fragte einer der[S. 407] Askjaris (türkischer Soldat): Habt Ihr die Maschinengewehre gebracht? Der andere hieß ihn drohend schweigen. Wir folgten dem Unteroffizier, umzingelt von Askjaris. Nachdem man uns etwa 3 Werst weiter geführt hatte, wurde der Regimentskommandeur Wladimiroff vorgerufen und seiner Kleider und Barschaft (1500 Rubel) beraubt, ebenso verfuhren sie mit den übrigen Offizieren. Auch mir nahmen sie die Kleider und 3833 Rubel weg. Dann hieß man uns zusammen hinsetzen, während der Unteroffizier die Gewehre zu laden befahl. In einem Halbkreis, 6 Schritt von uns entfernt, legten sich die Askjaris mit geladen Flinten hin. Gerade als der Befehl — Feuer — erteilt werden sollte, flohen wir alle, aber nur drei von uns konnten sich retten: ich und zwei andere, Leutnant des Ephremoffschen Regiments Smirnoff und Militärbeamter Kusma Fomin.

Die Nacht verbrachten wir im Schilf. Im Morgengrauen des 5. Juli krochen wir nach dem Platz, wo das Verbrechen begangen worden war und sahen dort die Leichen unserer Kameraden umherliegen, darunter die des Regimentskommandeurs Wladimiroff, des Offizierstellvertreters Sohraboff, des Bataillonchefs Bosnakian und des Offizierstellvertreters Bosnakian.

Mit großen Schwierigkeiten konnten wir die Station Kumis erreichen, von wo aus deutsche Offiziere uns nach Tiflis brachten. Barfuß und in Unterkleidern meldeten wir uns bei dem Stab der Roten Garde und erhielten Kleider und Schuhe.“

Ferman Wehib Paschas.

Zum Zwecke der Wiederherstellung der Eisenbahnverbindung zwischen Eriwan und Elisabethpol wurden besondere Züge abgelassen, in denen sich türkische Offiziere befanden. Diese Offiziere nahmen einen Ferman Wehib Paschas mit, in dem der tatarischen Bevölkerung mitgeteilt wurde, daß nunmehr der Friede geschlossen sei und ihre feindselige Haltung den Armeniern gegenüber aufzuhören habe. Ebenso sei es verboten, fernerhin die Armenier zu töten[150].

Auf der kaukasischen Heeresstraße.

(Zur Lage der armenischen Flüchtlinge.)

Aus Wladikawkas wird uns vom 2. Juli berichtet:

Es gibt keinen Armenier, dem nicht in Lars bei Kasbek ein Unglück begegnet wäre. Die armenischen Flüchtlinge werden nicht nur ihres Geldes und ihrer Habe beraubt, sondern sie haben dazu noch Erniedrigungen und Vergewaltigungen aller Art zu erdulden. Die Flüchtlinge, welche Wladikawkas erreichen, glauben, dort in Sicherheit zu sein. Nach kurzer Rast daselbst begeben sich die Flüchtlinge nach Armavir. Auf den Stationen Darkoch[S. 408] und Elchotowo wird der Flüchtlingszug das Opfer eines organisierten Räuberüberfalles. Hier werden die Flüchtlinge von den Räubern gründlich ausgeplündert, die geraubte Habe wird auf kleine Wagen verladen und nach den Wohnsitzen der Räuber geschleppt. Dies alles geschieht am hellen Tage und straflos. Die dortige Regierung, welche alle diese Ereignisse mit ansehen mußte, hat nun endlich strenge Maßnahmen ergriffen. Diesen zufolge sollten die Züge durch Soldatenabteilungen beschützt werden und hauptsächlich aus Panzerwagen bestehen. Wir hoffen, daß die räuberischen Überfälle nunmehr bald aufhören werden.

Aus Duschet wird uns vom 8. Juni gemeldet:

Einige Kilometer von Kazbek entfernt, brachen Feindseligkeiten zwischen den Gardisten der georgischen Republik und den Gardisten der russischen kommunistischen Republik aus. Die beiderseitigen Gegner schlossen, als sie das Elend der Flüchtlingsscharen auf dem betreffenden Gebiet sahen, einen Waffenstillstand von 8 Uhr früh bis 2 Uhr nachmittags, um den Flüchtlingen Gelegenheit zu geben, gruppenweise die Linien zu passieren. Nach 2 Uhr sollte das „Kriegsspiel“ wieder aufgenommen werden. Nicht wenige Flüchtlinge werden trotzdem Opfer dieser Scharmützel und müssen, oft unter Zurücklassung ihrer gesamten Habe, schleunigst flüchten, um nur das nackte Leben zu retten. Auf den Sammelstellen der Flüchtlinge herrschen schreckliche Zustände. Kälte, Schmutz, Nächte unter dem freien Himmel fördern gefährliche Epidemien, denen viele zum Opfer fallen.

Auszug aus der Depesche der armenischen Delegation in Konstantinopel.

Aus dem Felde, den 12. Juli 1918.
Ankunft, den 12. Juli 1918.

Kaiserliche Botschaft an Auswärtiges Amt.

Für Dr. Ohandjanian, Berlin.

Avons reçu de Tiflis conseil national télégramme suivant date 7 juillet. Nationalrat erhält täglich alarmierende Nachrichten aus dem von türkischen Truppen besetzten Gebiet Lori. Fälle von Plünderungen und Morden seitens türkischtatarischer Banden im Süden von Sanahin mehren sich. Nach Unterzeichnung des Vertrages von Batum sind in Karakilissa fast 2000 armenische Männer, Frauen und Kinder Massakers zum Opfer gefallen. Zahlreiche Banden operieren noch jetzt in dieser Gegend. Nationalrat ersucht Euch um energischen Protest und um unverzügliche Räumung des armenischen Gebietes, das noch von türkischen Truppen besetzt ist. Essad Pascha Batum sandte mir ein Schreiben, worin er mitteilt, daß Rückkehr armenischer Flüchtlinge nach Akhalkalaki unangängig, da Bevölkerung noch stark erregt sei, über Verbrechen, die Armenier in demselben Gebiet verübten.

[S. 409]

409.

Berlin, den 15. Juli 1918.

An das Auswärtige Amt, Berlin.

Bei Besprechungen im Großen Hauptquartier sind in bezug auf die Kaukasusstaaten sowie in bezug auf Persien die in der folgenden Niederschrift enthaltenen Richtlinien festgelegt worden. General Ludendorff, der sich mit diesen Richtlinien einverstanden erklärt hat, hat mich beauftragt, im Auswärtigen Amt dem Herrn Staatssekretär Vortrag zu erstatten und bittet, daß möglichst völlige Übereinstimmung der politischen und militärischen Stellen herbeigeführt wird.

von Lossow.

410.

Berlin, den 15. Juli 1918.

Richtlinien.

Armenien, Kaukasisch-Aserbeidschan, Nordkaukasische Republik.

Nachdem die Verhandlungen mit Georgien beendet sind, folgen der Reihe nach Verhandlungen mit Armenien, Aserbeidschan und Nordkaukasus. Bezüglich Armeniens und Aserbeidschans könnte die Verhandlung gleichfalls in einer Revision der von der Türkei mit diesen Ländern in Batum geschlossenen Verträge bestehen. Auf der Konferenz wäre an die Delegierten dieser Länder als erste Frage zu stellen: „Wer ist Euer Staat, wer ist Eure Regierung, ist Eure Unabhängigkeit anerkannt oder nicht?“ Da eine befriedigende Antwort auf diese Fragen noch nicht gegeben werden kann, so ist es klar, daß die weiteren Verhandlungen mit diesen Staaten nur provisorischen Charakter haben können. Immerhin ist es möglich, daß für Armenien und Aserbeidschan der bisher rein türkische Vertrag durch einen provisorischen allgemeinen Vertrag ersetzt wird, der die politischen und wirtschaftlichen Beziehungen zwischen diesen neuen Staatengebilden und den Vierbundmächten einigermaßen festlegt. Für die Nordkaukasusstaaten, deren staatliche Grundlage auf noch unsicheren Füßen steht, wird der Abschluß eines Vertrages vielleicht großen Schwierigkeiten begegnen.

General Ludendorff spricht sich dahin aus, daß sich die deutsche Oberste Heeresleitung und die Oberste Kriegsleitung auf die rein militärische Seite der Kaukasusfragen zurückzuziehen wünscht und die politische Leitung ausschließlich dem Auswärtigen Amt überlassen will.

General Ludendorff bittet den Staatssekretär, ihn darin zu unterstützen.

Bezüglich Armeniens ist noch nachzutragen, daß die deutsche Oberste Heeresleitung anstrebt, daß auch seitens der österreichisch-ungarischen Obersten Heeresleitung einige Bataillone und Batterien zur Verfügung gestellt werden, um in Armenien eine ähnliche Aufgabe zu übernehmen, wie[S. 410] die Deutschen in Georgien, vor allem den Schutz der physischen Existenz der Armenier gegenüber drohenden türkisch-tatarischen Massakers.

Weiter ist erwünscht, daß die armenischen Streitkräfte organisiert und wieder verwendungsfähig gemacht werden, in ähnlicher Weise, wie wir es in Georgien beabsichtigen.

411.

Kaiserlich Deutsche
Delegation im Kaukasus.

Telegramm.

Tiflis, den 16. Juli 1918.

An das Auswärtige Amt.

Frhr. v. Frankenstein hat seiner Regierung folgende Beobachtungen gedrahtet, die sich mit meinen decken:

„In Begleitung des Bischofs Mesrop und eines k. u. k. Militärarztes habe ich gestern einen Teil der in den Wäldern von Bakuriani kampierenden ca. 40000 Armenier besichtigt, die aus dem 2 Tagereisen entfernten Achalkalaki angesichts des türkischen Vormarsches im Mai geflüchtet sind. Ein Teil ist noch im Besitz geringer Vorräte, die übrigen sind in großer Not, liegen teils krank herum, dem Regen ausgesetzt; Flecktyphus und andere Krankheitsfälle sind in Zunahme. Sollten diese Flüchtlinge noch längere Zeit in ihrer gegenwärtigen Lage bleiben, so wird nach Ansicht der unter ihnen tätigen Ärzte eine hohe Sterblichkeit durch Hunger eintreten. Die georgische Regierung gestattet wegen der Seuchengefahr nicht ihre Verteilung in Georgien.

Die besonders gut stehende Ernte in ihren Heimatdörfern muß in 10 bis 20 Tagen spätestens eingebracht werden. Falls die Flüchtlinge nicht bis dahin geschützt gegen türkische Gewalttätigkeiten zurückkehren können, so wird voraussichtlich ein großer Teil der Ernte zugrunde gehen, da die Türken zur Bergung der Ernte nicht in der Lage sein werden, und es wird nötig sein, daß die Mittelmächte in den kommenden Monaten diese Leute mit Getreide versorgen oder der Hungersnot überlassen. Gegen 30000 geflüchtete Armenier sind notdürftigst in Tiflis untergebracht und befinden sich, wie ich heute persönlich festgestellt habe, wegen hiesigen Brotmangels an der Verhungerungsgrenze; sie erwarten sehnsüchtig eine Möglichkeit zur Heimkehr.

Wie Bischof Mesrop versichert, ist die Lage der rund 500000 in die Umgebung von Eriwan gedrängten Armenier geradezu verzweifelt.“

Kreß.

[S. 411]

412.

Auswärtiges Amt.

Berlin, den 18. Juli 1918.

Auf Bericht vom 12. 7. 1918.

Euer Exzellenz bitte ich dem Nuntius zu sagen, daß wir prinzipiell gern bereit sind, die Übermittlung von Unterstützungsgeldern an die armenische und syrochaldäische Bevölkerung im Kaukasus und in Persien zu übernehmen. Ob und wie weit die Ausführung — insbesondere in Persien — praktisch möglich ist, steht allerdings dahin.

Frhr. v. d. Bussche.

An die Königlich Preußische Gesandtschaft München.

413.

Armenische Republik.
Delegation in Berlin.

Berlin, den 15. Juli 1918.

An das Auswärtige Amt des Deutschen Reiches, Berlin.

Die Depesche unserer Delegation in Konstantinopel vom 12. d. M., die Sie uns zuzusenden die Güte hatten, übermittelt uns ein Telegramm des armenischen Nationalrats aus Tiflis vom 7. d. M., wonach täglich alarmierende Nachrichten über Greuel gegen Armenier aus den von den türkischen Truppen besetzten armenischen Gebieten einlaufen. Zahlreiche türkische und tatarische Banden treiben ungestraft ihr Unwesen. Im Süden von Sanahin in Lori mehren sich die Plünderungen und Morde an Armeniern, und in Karaklis sind noch nach Unterzeichnung des Friedensvertrages von Batum fast 2000 armenische Männer, Frauen und Kinder den Massakres zum Opfer gefallen. Nach den bitteren Erfahrungen in Türkisch-Armenien bedeuten diese Vorgänge, die ähnlich auch in anderen Gegenden sich häufen — so z. B. bei der deutschen Kolonie in Katharinenfeld —, das Vorspiel zu katastrophalen Ereignissen, und aus diesen Befürchtungen heraus ersucht der armenische Nationalrat seine Delegierten, gegen diese Untaten energischen Protest zu erheben, und auf die unverzügliche Räumung des armenischen Gebiets durch die türkischen Truppen zu dringen.

Wir durften bereits durch unser ergebenes Schreiben vom 2. Juli der schweren Sorge Ausdruck geben, die uns und unserer Nation die Fortdauer der türkischen Besetzung unseres Gebiets bereitet, wodurch die Lage der Hunderttausende zählenden armenischen Flüchtlinge, die nackt und hungrig in den Bergen und Wäldern umherirren und massenweise den Entbehrungen erliegen, sich in steigendem Maße verschlimmert und die Rückkehr von Ruhe, von Beruhigung in unser Volk unmöglich gemacht wird. Jede Woche, um die sich die Räumung verzögert, erschwert die Lage, verwickelt die Situation mehr und treibt einem Zustand entgegen, dessen Gefahren für das Schicksal der Flüchtlinge und die Existenz unserer Nation überhaupt offensichtlich sind. Wir bitten auch, darauf hinweisen zu dürfen, daß die mit der türkischen[S. 412] Besetzung zusammenhängenden dauernden Ausschreitungen gegen die Armenier bei unseren Volksgenossen in allen Ländern begreiflicherweise starke Erregung und Befürchtungen hervorrufen.

Von dem dringenden Wunsche der Deutschen Regierung, Armenierverfolgungen im Kaukasus zu verhindern, sind wir vollkommen überzeugt und dankbar dafür. Aber solange die Türken noch Teile unseres Gebiets besetzt halten, werden sie immer Mittel und Wege finden, offen oder versteckt, direkt oder indirekt, durch organisierte türkische und tatarische Banden ihrer Politik der Armenier-Ausrottung nachzugehen. Schon die Vertreibung der Armenier aus ihren Heimstätten ist ein solches Mittel, das die Flüchtlinge wirtschaftlich ruiniert und sie zugleich allen Gefahren der Aufreibung aussetzt. Daher werden die Türken in jeder Weise ihre Rückkehr in ihre Wohnstätten verhindern. In dem Telegramm des armenischen Nationalrats ist auch von einem Schreiben Essad Paschas die Rede, der die Rückkehr der armenischen Flüchtlinge aus Achalkalaki für unmöglich erklärt, weil die Bevölkerung angeblich über Verbrechen der Armenier dort noch stark erregt ist. Von Verbrechen, die Armenier in Achalkalaki verübt haben sollen, ist uns nichts bekannt; aber die Hinfälligkeit der Begründung Essad Paschas ergibt sich schon aus der Tatsache, daß in Achalkalaki die Muhammedaner — auf die sich doch nur die Erregung beziehen könnte — nur einen verschwindend kleinen Prozentsatz der Gesamtbevölkerung ausmachen. In dem Bezirk Achalkalaki leben:

82775 
Armenier,
9939 
christliche Georgier und nur
5400 
Muhammedaner und
800 
Kurden.

Das einzige Mittel, den verderblichen Absichten der Türken bezüglich der Armenier rechtzeitig und wirksam zu begegnen, bietet nur die baldige Räumung unseres Gebiets und die Verwirklichung der Bedingungen des Brester Vertrags hinsichtlich unserer Grenzen. Nur ein energisches Eingreifen Deutschlands vermag die Türken zur Zurücknahme ihrer Truppen zu nötigen, und im Hinblick auf die wachsende Erregung und Panik, die das Verbleiben und die Ausschreitungen türkischer Truppen auf unserem Gebiet verursachen, wiederholen wir, indem wir gegen die türkischen Ausschreitungen in aller Form protestieren, inständigst unsere dringende Bitte, durch alsbaldige Entfernung der türkischen Besatzungen unser Volk aus einer Lage folgenschwerer Entwurzelung und voll lauernder Gefahren zu retten, bevor es zu spät ist. Wir bitten ferner, bis zur Durchführung der Räumung und zu ihrer Überwachung die Armenier durch eine militärische Expedition vor weiteren Verfolgungen schützen zu wollen.

Die Bevollmächtigten der armenischen Regierung.
Dr. H. Ohandjanian. A. Suraboff.

[S. 413]

414.

(Auswärtiges Amt.)

Berlin, den 17. Juli 1918.

Aufzeichnung für mündlichen Vortrag.

Armenien hat sich zu einer selbständigen Republik erklärt.

Sein Gebiet ist aber zum größten Teil von den Türken besetzt, die Bevölkerung teils in die Berge zusammengedrängt, teils nach Georgien geflohen, und die armenische Regierung außerhalb des Landes in Tiflis.

Die Lage der Armenier ist derart, daß etwas für sie geschehen muß.

Das den Armeniern zur Verfügung stehende Gebiet ist so beschränkt, daß die Armenier unmöglich darin leben können und bei Fortdauer des gegenwärtigen Zustandes dem Untergange geweiht sind. Es wird daher erforderlich sein, die Türken zu bewegen, hinter die Grenze zurückzugehen, die ihnen im Vertrage von Brest-Litowsk zugestanden worden ist und auf armenischem Gebiete höchstens Bahnwachen zu belassen zur Sicherung der ungestörten Abwicklung der Militärtransporte in der Richtung auf Djulfa und Täbris. Die Armenier werden aber nur dann in ihr altes Gebiet zurückkehren können, wenn ihnen ein Schutz sowohl gegen erneute türkische Einfälle wie gegen Ausschreitungen tatarischer Banden gegeben wird. Dies läßt sich nur erreichen, wenn das Land von zuverlässigen Truppen besetzt wird. Die russische Regierung würde die Anwesenheit deutscher Truppen in Armenien vielleicht ohne Widerspruch hinnehmen, wenn ihr klar gemacht wird, daß diese Maßnahme nur aus humanitären Gründen erfolgt, um die Reste des armenischen Volkes zu retten. Können wir die für diesen Zweck erforderlichen Kräfte zur Verfügung stellen? Es darf darauf hingewiesen werden, daß die Rückführung der Armenier dringlich ist, damit die Ernte in den in Betracht kommenden Gebieten wenigstens noch zum Teil gerettet und Armenien vor einer Hungersnot bewahrt wird.

415.

(Kaiserlich
Deutsche Botschaft.)

Telegramm.

Pera, den 18. Juli 1918.

An Auswärtiges Amt.

Der Armenierführer Aharonian hat bei mir wieder verschiedene Klagen vorgebracht. Es handelt sich in erster Linie um die armenischen Flüchtlinge, wegen deren ich schon mehrmals beim Großwesir vorstellig wurde. Ferner bat Aharonian, Armenien durch österreichische oder deutsche Polizeitruppen zu besetzen. Er ist mit mir der Ansicht, daß die Beschlüsse der Konferenz einen Schlag ins Wasser bedeuten werden, wenn nicht die betreffenden Ge[S. 414]biete durch deutsche oder österreichische Truppen besetzt sind. Schließlich war Aharonian sehr besorgt wegen einer Unterredung des Berliner armenischen Delegierten mit Joffe. Dieser habe gesagt, daß Rußland zur Not Georgien anerkennen werde, aber nicht Armenien und Aserbeidjan. Lieber würde Rußland die Türkei mit Waffengewalt hinter die Grenzen von Brest-Litowsk zurücktreiben. Es scheint, daß die Russenherrschaft von den Armeniern ebenso sehr gefürchtet wird wie die der Türken.

Bernstorff.

416.

(Kaiserlich
Deutsche Botschaft.)

Telegramm.

Pera, den 25. Juli 1918.

An Auswärtiges Amt.

Täglich werde ich von der hiesigen armenischen Delegation mit der Bitte um Entsendung deutscher oder österreichischer Truppen nach Armenien bestürmt. Ohne eine solche Hilfeleistung unsererseits würde es unmöglich sein, die Anarchie in Armenien zu unterdrücken. Die armenischen Flüchtlinge würden jede Hoffnung verlieren, sich zusammenrotten und Banden bilden, um die Türken und die Tataren zu bekämpfen. Gefahr sei im Verzuge. Selbst wenn die Konferenz bald zusammentreten und Beschlüsse fassen sollte, würden diese in Armenien nicht befolgt werden, wenn nicht deutsche oder österreichische Truppen ihre Durchführung überwachten. Aharonian übergab dem Großwesir eine Denkschrift über die Lage in Armenien, welche ich mit dem nächsten Feldjäger einreiche. Talaat Pascha machte die üblichen Versprechungen; diese werden aber natürlich nicht erfüllt werden, da die lokalen türkischen Militär- und Zivilbehörden Weisungen aus Konstantinopel bekanntlich nicht befolgen, am allerwenigsten dann, wenn sie wissen, daß diese Weisungen die Folge eines deutschen Drucks sind.

Bernstorff.

417.

(Auswärtiges Amt.)

Telegramm.

Berlin, den 27. Juli 1918.

An die Deutsche Botschaft, Pera.

General von Kreß drahtet vom 19. Juli:

„Ist bei der türkischen Regierung die dauernde Rückkehr der armenischen Flüchtlinge nicht sofort zu erreichen, so bitte ich dringend, durchzusetzen, daß eine größere Anzahl Männer vorübergehend zur Ausführung der Erntearbeiten in ihre Heimat zurückkehrt. Andernfalls werden Hundert[S. 415]tausende Hungers sterben müssen. Es ist größte Eile geboten. Die Türkei muß auf Konferenz unbedingt dazu gezwungen werden, daß sie die Rückkehr der Armenier gestattet. Armenien ist viel zu klein, um alle diese Leute zu ernähren.“

Ferner vom 20. Juli:

„Ich halte es für meine Pflicht, nochmals darauf hinzuweisen, daß wir unter allen Umständen durchsetzen müssen, daß die Türken den geflüchteten Armeniern sofort die Heimkehr und Bergung ihrer Ernte gestatten.

Abgesehen vom Gebot der Menschlichkeit würde unser Ansehen und unser Einfluß im Orient die schwerste Einbuße erleiden, wenn wir uns so schwach zeigten, daß wir die Rettung einer halben Million Christen vom sicheren Hungertod bei den Türken nicht durchzusetzen vermögen.“

Euere Exzellenz bitte ich bei der dortigen Regierung in diesem Sinn nachdrückliche Vorstellungen zu erheben. Der österreichisch-ungarische Geschäftsträger erhält entsprechende Weisung.

Ich bitte die Oberste Heeresleitung, auf Enver Pascha im gleichen Sinne einzuwirken[151].

Hintze.

418.

(Kaiserlich
Deutsche Botschaft.)

Telegramm.

Konstantinopel, den 30. Juli 1918.

An Auswärtiges Amt, Berlin.

Endlich haben sich nun der Großwesir und Nessimi Bey entschlossen, in der Kaukasusfrage bestimmte Stellung zu nehmen, nachdem die Angelegenheit mehrfach im Ministerrat besprochen worden ist.

Was die armenischen Flüchtlinge betrifft, so will die türkische Regierung sofort mit der Zurückführung in die Heimat beginnen. Talaat und Nessimi behaupteten, daß sie den Widerstand Envers, der militärische Gründe vorschütze, mit großer Mühe überwunden hätten. Letzterer habe auch bestimmt verlangt, daß für den Bezirk Achalkalaki bis nach Abschluß der Konferenz eine Ausnahme gemacht werde. Dort ständen nur neu gebildete schwache türkische Truppen, auf deren Disziplin man sich nicht verlassen könne. Die Armenier hätten dort vor ihrem Rückzug mit den Greueltaten begonnen; es liege daher die Gefahr nahe, daß die Türken sich rächen würden.

In der Frage der Grenzregulierungen blieb die türkische Regierung vollkommen intransigent.

[S. 416]

Wir haben meines Erachtens gar kein Mittel, die Türken zum Nachgeben zu zwingen. Mit jeder Art von Repressalien ist bereits vergeblich gedroht worden.

Sollten Euere Exzellenz es für ausgeschlossen erachten, daß wir auf obiger Basis zu einer Einigung mit der Türkei kommen, so bliebe meines Erachtens nur übrig, mehr Truppen nach Armenien und Georgien zu schicken.

Bernstorff.

419.

Deutscher Militärbevollmächtigter.

Konstantinopel, den 30. Juli 1918.

Generalfeldmarschall von Hindenburg drahtet am 29. 7. für Euere Exzellenz:

„Verschiedene Meldungen weisen übereinstimmend auf die dringende Notwendigkeit hin, den armenischen Flüchtlingen die Rückkehr nach Armenien zu gestatten, damit sie die Ernte einbringen können. Andernfalls müßten Hunderttausende Hunger sterben, da ihre anderweitige Versorgung nicht möglich ist. Allergrößte Eile sei geboten. Mit Euerer Exzellenz weiß ich mich darin eins, daß wir nicht gegen die Bevölkerung Krieg führen wollen. Euere Exzellenz werden es auch verstehen, wenn ich mich hier als Christ für die Errettung von 500000 Glaubensgenossen vom sicheren Hungertod einsetze. Im Interesse der Menschlichkeit bitte ich Euere Exzellenz, Befehl zu geben, daß die Unglücklichen in ihre Heimat zurückkehren dürfen. Ich zweifle nicht, daß Euere Exzellenz, nun Sie durch mich von der Lage der Armenier unterrichtet sind, keinen Augenblick zögern werden, allerstrengste Weisung zu geben und ihre Durchführung zu überwachen.“

Lyncker.

Seiner Exzellenz dem Herrn Kriegsminister
und Vizegeneralissimus Enver Pascha.

420.

Großes Hauptquartier, den 31. Juli 1918.

Telegramm.

An General von Seeckt für Enver Pascha.

Die Mitteilungen über die Bewegungen der türkischen Divisionen in Richtung Djulfa bestätigen, daß in diesen Gegenden Kämpfe mit Armeniern stattfinden. Ich würde es für einen ebenso großen politischen wie militärischen Fehler halten, wenn diese Kämpfe über das militärisch unbedingt nötige Maß ausgedehnt würden. Wir können auch aus militärischen Gründen nicht über die bedenkliche Stimmung hinwegsehen, die durch Exzesse gegen die Einwohner bei diesen Kämpfen in Transkaukasien hervorgerufen würde.

v. Hindenburg.

[S. 417]

August.

421.

Armenische Republik.
Delegation in Berlin.

Berlin, den 2. August 1918.

An das Auswärtige Amt des Deutschen Reiches, Berlin.

Wir erlauben uns, in der Anlage Auszüge aus den Briefen unserer Delegation in Konstantinopel zur gütigen Kenntnisnahme zu überreichen. Sie konstatieren eine weitere Verschlimmerung der Lage der armenischen Flüchtlinge, die äußerste Gefährdung ihrer Existenz und eine bedenkliche Zunahme der blutigen Gewalttätigkeiten der türkischen Truppen und tatarischen Banden. Angesichts dieser verhängnisvollen Entwicklung, die uns mit der tiefsten Sorge um unsere Nation erfüllt, bitten wir, unsere dringende Bitte um baldige Hilfe wiederholen zu dürfen.

Die Bevollmächtigten der armenischen Regierung.
Dr. H. Ohandjanian.

Anlage.

Die letzten Nachrichten über die Lage in Kaukasisch-Armenien.

Aus dem Brief des Vorsitzenden des armenischen Nationalrates, Herrn Aharonian, vom 20. Juli.

„... Sie können sich dort keine Vorstellung davon machen, welchen ungeheuren Maßstab die Flucht unserer Nation angenommen hat und wie furchtbar das daraus entspringende Elend ist. Von Eriwan bis Dilidjan und Neubayazid sind die Straßen ein einziges Meer von armenischen Flüchtlingen. Die Heeresstraße zwischen Tiflis und Wladikawkas ist bedeckt von flüchtenden Armeniern... Die 80000 Armenier von Achalkalaki sind in den Schluchten von Bakuriani zusammengedrängt, ausgesetzt den amtlichen und nichtamtlichen Feindseligkeiten der fremden Ortsobrigkeiten. Die Täler von Karakilissa sind gefüllt mit Flüchtlingen. Dort befinden sich alle armenischen Einwohner von den Bezirken Kars und Alexandropol. Tataren aus Kaasch und Bortschalu haben, ermutigt durch die Gegenwart der türkischen Truppen, unmenschliche Metzeleien gegen sie verübt. So haben sie allein im Bezirk Karakilissa 2000 Armenier ermordet. Auf der Station Aschaghaserail wurden armenische Waisen, die mehrere Waggons füllten, mit ihren Lehrerinnen niedergemetzelt. Überhaupt ist die Eisen[S. 418]bahnlinie von Karakilissa bis Tiflis das „Schlachthaus“ unserer Nation geworden... Die Schar der Flüchtlinge, die an Zahl eine halbe Million übersteigt, schwindet in Not und Elend dahin, täglich und stündlich... Wenn nicht sehr bald unser Gebiet bis zur Brester Grenze geräumt wird, ist unser Volk verloren...“

Aus dem Brief des Ministers des Auswärtigen, Herrn Chatissian, vom 20./23. Juli.

„... Auf unsere Note, betreffend die Frage der Flüchtlinge, hat die türkische Regierung noch nicht geantwortet, obgleich sie versprochen hatte, die Angelegenheit binnen drei Tagen zu prüfen... Die türkischen Truppen verhalten sich sehr unkorrekt und begingen selbst Metzeleien in Karakilissa, Lori, Nucha, im Bezirk Achalkalaki usw..... Unsere Flüchtlinge gehen aus Lori über die Berge nach Dilidjan und von dort nach Neu-Bayazid und Eriwan. Die Türken führen die Tataren aus Kasach in den Bezirk von Kars über, um sie in den Ortschaften der geflüchteten Armenier anzusiedeln...“

Aus dem Briefe des Sekretärs der armenischen Delegation in Konstantinopel
Herrn Kotscharian, vom 20. Juli.

„... Der Verkehr ist noch nicht wiederhergestellt, weder nach Baku noch nach Eriwan.... Es bestätigt sich, daß viele Armenier aus der Ebene Schirak festgenommen und nach der Türkei verschleppt worden sind. In Elisabethpol sind die Armenier von den Türken ihrer Waffen beraubt worden.... Die armenischen Flüchtlinge aus den Tälern von Lori haben sich nach Kasach und andere Gegenden zerstreut. Die Heeresstraße nach Wladikawkas ist endgültig versperrt.... Die Flüchtlinge aus Achalkalaki sind noch nicht zurückgekehrt, Räuberbanden treiben in diesem Bezirk ihr Unwesen.... Die Zahl der armenischen Flüchtlinge allein aus unserem beschränkten Gebiet beläuft sich auf über 600000. Hunger und Epidemien herrschen unter ihnen und nehmen tagtäglich an Umfang zu.... Die Armenier entfernen ihre Familien aus der Stadt Baku...“

422.

(Kaiserlich
Deutsche Botschaft.)

Telegramm.

Konstantinopel, den 3. August 1918.

An Auswärtiges Amt.

Enver Pascha hat folgendes Telegramm an Feldmarschall von Hindenburg gerichtet:

„Ich habe dem (türkischen) Auswärtigen Ministerium, welches sich mit der Frage der armenischen Flüchtlinge beschäftigt, mitgeteilt, ich könne[S. 419] vom militärischen Standpunkt zustimmen, daß die Flüchtlinge in das Gebiet bis zu 20 km östlich der Bahn Alexandropol-Dschulfa sowie in die Distrikte zurückkehren, in welchen keine Kämpfe zwischen Muselmanen und Armeniern stattgefunden haben[152]. Als solcher ist z. B. die Gegend von Batum anzusehen. Im einzelnen muß Oberbefehlshaber der 3. Armee bestimmen. Ich vermag noch nicht anzugeben, inwieweit hiernach vom Auswärtigen Ministerium die Zulassung der Flüchtlinge erfolgen wird, werde jedoch nicht verfehlen, die Angelegenheit beschleunigen zu lassen und Euerer Exzellenz Mitteilung von dem Ergebnis zu machen.

Zu meinem Bedauern bin ich aus zwingenden militärischen Gründen bei vollster Würdigung der Euerer Exzellenz leitenden Beweggründe und dem lebhaften Bestreben, den Wünschen Euerer Exzellenz zu entsprechen, nicht in der Lage, die Rückkehr der Armenier in vollem Umfang und ohne Einschränkung zuzulassen.

Ich bitte, bei Beurteilung dieser Frage unsere Lage den Armeniern gegenüber in Betracht ziehen zu wollen. Vor Baku, bei Dschulfa und bei Urmia stehen sie uns im Kampf gegenüber, ihre Verbindung mit den Engländern ist nachweisbar. Eine Trennung zwischen Volk und militärischem Gegner ist in diesem Falle kaum möglich bei aller Bereitwilligkeit, grundsätzlich nicht gegen eine Bevölkerung Krieg zu führen. Euere Exzellenz verlangen von mir, eine halbe Million zum Teil bewaffneter und feindlich gesinnter Einwohner im Rücken unserer kämpfenden Armeen zu lassen, ohne daß irgend eine Gewähr für ihr friedliches Verhalten gegeben werden kann. Sie werden jedoch wie früher im russischen, so jetzt im englischen Sold unserer Kriegführung Schwierigkeiten machen. Zurückgekehrt in Gebiete, die durch Jahrhunderte alten nationalen Haß durchwühlt sind, werden sie Anlaß zu neuen blutigen Kämpfen geben. Euere Exzellenz wollen berücksichtigen, daß seit der letzten russischen Zählung allein im Gebiet Kars sich die Zahl der muselmanischen Einwohner um 45000 vermindert hat, welche alle den Verfolgungen der Armenier erlegen sind[153], da in dieser Gegend eine russische Aushebung nicht stattgefunden hat. Es ist unausbleiblich, daß das muselmanische Volk in diesen Gegenden zur Rache aufstehen wird, so daß die türkischen Truppen gezwungen wären, um die Armenier zu schützen, gegen ihre eigenen Stammes- und Glaubensgenossen einzuschreiten. Gerade im Interesse der Menschlichkeit muß ein solcher erneuter Bürgerkrieg mit seinen unausbleiblichen grausamen Folgen vermieden werden. Die Rückkehr der Armenier würde ein Truppenaufgebot[S. 420] im Innern bedingen, welches die beabsichtigten Operationen unmöglich machen und unsere Kriegführung lahmlegen würde. Euere Exzellenz bitte ich, bei Beurteilung unseres Verhaltens diese Verhältnisse würdigen zu wollen.

Wenn ein Abzug der Armenier aus Baku und ihre Rückkehr in das armenische Staatsgebiet unmittelbar oder durch Vermittlung des Generals von Kreß verlangt wird, so werden von dem in Aserbeidschan kommandierenden türkischen Befehlshaber keine Schwierigkeiten gemacht werden. Ihre Entfernung aus Baku kann uns nur erwünscht sein, da es leichter sein wird, sich mit den dortigen Russen zu verständigen, falls nicht der dort anscheinend herrschende Einfluß eine Verständigung verhindert.“

423.

(Auswärtiges Amt.)

Berlin, den 4. August 1918.

An General v. Kreß, Tiflis.

Die türkische Regierung hat sich auf unsere von der Obersten Heeresleitung unterstützten sehr zahlreichen Schritte bereit erklärt, mit der Zurückführung der armenischen Flüchtlinge in die Heimat sofort zu beginnen. Nur der Bezirk Achalkalaki bleibt aus militärischen Gründen bis nach Abschluß der Kaukasuskonferenz ausgenommen. Wir hoffen, weiter Erfolg zu haben.

Der Staatssekretär
Hintze.

424.

(Delegation im Kaukasus.)

Telegramm.

Abgang aus Tiflis, den 4. August 1918.
Ankunft, den 15. August 1918.

Augenschein und eingehende Besprechung mit Regierung und Katholikos in Eriwan, von wo wir eben zurückgekehrt sind, haben unsere Auffassung bestätigt und bestärkt, daß nur baldige Hilfe der Mittelmächte Armenien vom Untergang retten kann. Kleines jetziges Armenien kann nicht einmal seßhafte Bevölkerung ernähren, geschweige denn die zurzeit dort befindlichen drei bis fünfhunderttausend Flüchtlinge, die Herstellung der Ruhe unmöglich machen. Entgegen dem Willen der Regierung führt schwierige Lage der Flüchtlinge dauernd zu neuen Bandenbildungen und hervorruft somit neue Verwickelungen mit Türken. Armenien wird von Türken ringsum hermetisch abgeschlossen, diese verhindern jeglichen Handel und Verkehr, veranlassen Abwanderung tatarischer und persischer Be[S. 421]völkerung, so daß armenische Regierung Angriff auf Eriwan befürchtet. Türken haben auch hier Bedingungen Batumer Friedens nicht eingehalten, sondern halten jenseits Batumer Grenze wichtige Gebiete besetzt. Armenien nur lebensfähig mit Brest-Litowsker Grenzen ohne von Türken angestrebte Grenzberichtigungen, welche gerade wirtschaftlich wichtigste Distrikte an Türkei bringen würden. Zurzeit sind produktionsfähige Gebiete fast sämtlich von Türken besetzt, welche sie planmäßig ausraubten. Trotz Vertrags führen sie besonders große Baumwollvorräte aus. Die Ernte zum Teil von Türken eingebracht, zum Teil geht sie zugrunde. Bis Nachitschewan muß Eisenbahn unbedingt armenisch werden. Türken wäre Anspruch auf Truppentransport einzuräumen wie in Georgien. Bahn in leidlich gutem Zustande. Armenier stellen ebenso wie ich bestimmt in Abrede, daß es zwischen beiden Staaten zu Kämpfen kommt, wenn Türken sich auf Batumer Grenze zurückzogen. Envers gegenteilige Behauptung nur Vorwand, um für die völlige Zerstörung und Ausbeutung vertragswidrig besetzten Landes Zeit zu gewinnen, Türken wollen neuerdings von Aserbeidschan aus in rein armenische Provinz Karabagh einrücken und diese entwaffnen. Neue Kämpfe der wehrhaften Bergbewohner gegen Mohammedaner sind unvermeidlich, wenn wir sie nicht daran hindern.

In Eriwan Empfang warm und herzlich.

Kreß.

Seiner Exzellenz dem Reichskanzler
Herrn Grafen von Hertling.

425.

Der k. u. k. Vertreter in Tiflis.

Tiflis, den 4. August 1918.

An Seine Exzellenz den Herrn Minister des k. u. k. Hauses und des Äußern, Stefan Grafen Burian.

Eröffnung des armenischen Parlamentes.

Während Baron Kreß wegen dringender Angelegenheiten nach eintägigem Aufenthalte in Eriwan nach Tiflis zurückkehren mußte, blieb ich noch einen Tag in der Hauptstadt Armeniens, um der Eröffnung des Rates von Armenien beizuwohnen, hierbei Eindrücke zu sammeln und um noch mit dem Minister des Innern ein Gespräch zu führen.

Der bisherige Präsident des armenischen Nationalrates verlas von einer Tribüne vor den 46 Mitgliedern des Parlaments, hinter denen sich ein zahlreiches Publikum versammelt hatte, eine längere Eröffnungsrede, in welcher er zuerst einen historischen Überblick über die Vorgänge gab, die zur Selbständigkeitserklärung geführt haben, durch welche das Ziel jahrhundertelanger Bestrebungen erreicht worden sei. (Im Jahre 1046 verlor Armenien[S. 422] endgültig seine Selbständigkeit.) Er erklärte sodann, daß die Grenzen des Batumer Vertrages, innerhalb welcher Armenien nicht leben könne, nicht feststehend seien und revidiert werden würden. Alle in Armenien wohnenden Nationalitäten sollen ihr ruhiges Heim in der Republik haben, daher sei Wert darauf gelegt worden, daß die Nationalitätenvertreter bereits bei der ersten Sitzung anwesend seien. (Im Gegensatze hierzu sind im georgischen Nationalrate bisher nur georgische Volksvertreter, doch soll eine Vertretung der hiesigen anderen Nationalitäten in dieser Körperschaft geplant sein.) Er übergebe die Fürsorge für das Wohl des Vaterlandes dem Parlamente und trete als Präsident des Nationalrates zurück. Er wurde sodann einstimmig zum Parlamentspräsidenten gewählt. Seine Rede wurde hierauf zuerst auf türkisch und dann auf russisch verlesen, weil die Nationalitätenvertreter zum Teil armenisch nicht verstehen.

Die Volksvertretung ist folgendermaßen zusammengesetzt:

18 
Daschnakzagan,
6 
Freisinnige,
6 
Sozialdemokraten,
6 
Sozialrevolutionäre,
2 
Parteilose,
6 
Tataren,
1 
Russe,
1 
Yeside.

Die Yesiden sind ein den Kurden verwandter Stamm, der Religion nach sogenannte Teufelsanbeter.

Unter der Präsidententribüne hatten links die Präsidenten des tatarischen und des russischen Nationalrates Platz genommen, rechts die Pressevertreter. Über diesen in einer Loge die Minister und die Generäle, ihnen gegenüber war der leer gebliebene Armstuhl des Katholikos. Neben diesem war die Loge für die fremden Vertreter, in welcher sich außer mir zwei deutsche, nach Eriwan zur politischen und wirtschaftlichen Orientierung detachierte Offiziere, ferner der türkische und der persische Konsul und der Vertreter der Ukraine befanden. Außer der erwähnten Rede des Präsidenten wurden keine Ansprachen gehalten. Ein Teil der Abgeordneten verlangte dringend, daß am nächsten Tage sofort eine Sitzung abgehalten werde, da die furchtbare Notlage Armeniens sofortige Arbeit erheische.

Anschließend an die Eröffnungssitzung fand eine Parade aller Waffengattungen statt, zu der der größte Teil der Truppen morgens von der nahen türkischen Front gekommen war. Sie waren schlecht adjustiert, aber bemerkenswert große und kräftige Leute, die stramm marschierten. Das zahlreiche bunte Publikum — größtenteils Bauern — von Polizisten in Ordnung gehalten, verhielt sich ruhig.

Der k. u. k. Vertreter.

[S. 423]

426.

Kaiserlich Deutsche
Delegation im Kaukasus.

Tiflis, den 5. August 1918.

Am 30. v. M. abends fuhr ich mit Baron Frankenstein und einigen Herren meines Stabes von Tiflis über Alexandropol nach Eriwan, um mich der armenischen Regierung vorzustellen. Essad Pascha hatte sein Versprechen gehalten und dafür gesorgt, daß unser Zug ohne ernstliche Belästigung das von den Türken besetzte Gebiet passieren konnte. Die Fahrzeit betrug etwa 22 Stunden. Wir trafen um 9 Uhr abends in Eriwan ein und wurden noch zu einem vom Bürgermeister gegebenen Essen eingeladen. Am 31. vormittags machten wir den Ministern und dem Vorsitzenden des Nationalrats unseren Besuch und fuhren dann nach Etschmiadzin, um dem Katholikos unsere Aufwartung zu machen. Seine Heiligkeit lud uns zu Tisch. Nachmittags kamen der Ministerpräsident und der Präsident des Nationalrats zu einer langen vertraulichen Besprechung zu uns. Abends wurde uns zu Ehren ein Bankett gegeben, an dem alle Würdenträger der Republik Armenien teilnahmen.

Ich trat noch am gleichen Abend die Rückreise an, während Baron Frankenstein die Einladung zur Teilnahme an der am nächsten Tage stattfindenden Parlamentseröffnung annahm. Ich konnte mich nicht dazu entschließen, meinen Aufenthalt in Eriwan zu verlängern, weil die zurzeit bestehende Spannung zwischen Aserbeidschan und Georgien meine sofortige Rückkehr nach Tiflis wünschenswert machte.

Die Aufnahme, die uns von der Regierung und der Bevölkerung zuteil wurde, war warm und sympathisch. Mir fiel besonders vorteilhaft die gute Haltung und Straßendisziplin der armenischen Offiziere und Soldaten auf. Der Oberkommandierende General Nazarbekow macht einen sehr guten Eindruck; er soll auch in der russischen Armee den Ruf eines besonders tüchtigen Generals besessen haben.

Der Bolschewismus scheint beim armenischen Volke und beim armenischen Soldaten nur wenig Anhänger gefunden zu haben.

An der Spitze der Regierung steht als Ministerpräsident Herr Ruben Katschasnuni, ein etwa 60 jähriger, verständiger, sympathischer Mann, Minister des Innern ist Herr Aram Marukian, Minister des Auswärtigen Herr Alexander Chatissian, Kriegsminister General Aschwerdian und Finanzminister Herr Chatschatur Kartschikian.

Die Herren scheinen ruhige besonnene und zielbewußte Arbeiter zu sein.

Eine imponierende Persönlichkeit ist der Katholikos. Ein schöner stattlicher Greis von etwa 70 Jahren, von der Würde seiner hohen Stellung und dem ganzen Gewicht der auf ihm lastenden Verantwortung durchdrungen, klug und zielbewußt, während der Verhandlungen von einer geradezu ab[S. 424]weisenden Zurückhaltung und Kälte, bei Tisch der aufmerksamste und liebenswürdigste Hausherr.

Die Unterredung des Katholikos mit Baron Frankenstein und mir nahm einen geradezu dramatischen Verlauf. Während von draußen das Summen und Brausen der tausendköpfigen Menge von Flüchtlingen, die in den weiten Höfen des Klosters biwakieren, in das klösterliche Gemach hereindrang, sprach sich der greise Katholikos bei der ergreifenden Schilderung des Elends seines Volkes, das der Vernichtung preisgegeben sei, und dem er als oberster geistlicher Hirte nicht helfen könne, in eine solche Erregung hinein, daß er am ganzen Körper zitterte. Er beruhigte sich wieder, als ich die Rolle schilderte, die die Mittelmächte bei den Armeniergreueln 1915 gespielt haben und ihm auseinandersetzte, wie Deutschland, das mit einer Welt von Feinden um seine Existenz kämpfte, der Armenier halber nicht das Bündnis mit den Türken auf das Spiel setzen konnte, und deshalb gezwungen war, sich auf Proteste gegen das Vorgehen der Türken in der Armenierfrage zu beschränken.

Im folgenden erlaube ich mir, die augenblickliche Lage Armeniens zu skizzieren, wie sie sich mir auf Grund persönlicher Beobachtung und auf Grund der Besprechungen mit den maßgebenden Persönlichkeiten darstellt.

Die Armenier sind zurzeit von den Türken auf einem ganz kleinen Gebiete eingekreist, das mit Ausnahme des Beckens von Eriwan vollkommen Hochgebirgscharakter trägt und nahezu völlig unproduktiv ist. Ebenso wenig wie gegenüber Georgien haben die Türken Armenien gegenüber die Bestimmungen des von ihnen selbst diktierten Friedens von Batum eingehalten. Sie haben jenseits der von ihnen festgesetzten Grenze eine Reihe von Gebieten besetzt, deren Verlust für Armenien ganz besonders schmerzlich ist, weil ihnen dadurch auch noch die letzten Produktionsgebiete abgenommen wurden.

Zurzeit scheinen die Türken von Aserbeidschan aus gegen die zu 90 Prozent von Armeniern besiedelte Provinz Karabach vorgehen und die dortige Bevölkerung entwaffnen zu wollen, unter dem Vorwand, daß dort neuerdings die Armenier gegen die Muselmanen aggressiv geworden seien.

Die türkische Politik gegen die Armenier zeichnet sich klar ab. Die Türken haben ihre Absicht, die Armenier auszurotten, noch keineswegs aufgegeben, sie haben nur ihre Taktik gewechselt. Man reizt die Armenier, wo nur irgend möglich, man provoziert sie in der Hoffnung, dadurch einen Vorwand zu neuen Angriffen auf Armenien zu erhalten. Gelingt dies nicht, so will man sie aushungern und wirtschaftlich völlig ruinieren. Zu diesem Zwecke wird das unter nichtigen Vorwänden entgegen dem Vertrag von Batum besetzte Gebiet systematisch und planmäßig ausgeplündert und alles, was nicht niet- und nagelfest ist, abgeführt. Die Beute an Kriegsmaterial, die die Türken in und bei Alexandropol gefunden haben, ist außerordentlich groß. Daß sie entgegen den Bestimmungen des Aprilvertrages auch alle[S. 425] Baumwolle ausführen, deren sie habhaft werden können, habe ich bereits gemeldet. Baron Frankenstein, der im Kraftwagen über Akstafa hierher zurückreiste, begegnete einer Kolonne von 3–400 schwer mit Baumwolle beladenen Bauernwagen, die aus Aserbeidschan nach Karakilissa fuhren.

Der Widerstand, den die Türken allen Aufforderungen zum Räumen des widerrechtlich besetzten Gebietes entgegensetzen, ist meines Erachtens lediglich darauf zurückzuführen, daß es ihnen noch nicht gelungen ist, alle Beute aus diesen Gebieten wegzuführen. Armenien befindet sich demgegenüber in einer sehr schwierigen Lage. Die Regierung ist fest entschlossen, alles zu vermeiden, was den Türken einen Vorwand zu neuen Angriffen geben könnte; aber sie besitzt nicht die Macht, zu verhindern, daß sich immer wieder neue Banden bilden. Es sind weniger politische Motive, aus denen heraus diese Banden entstehen, als der Hunger, der die Leute zwingt, auf Raub auszuziehen. Die Armenier in Karabach sind wilde Bergstämme, die niemals freiwillig ihre Waffen ausliefern werden. Wenn die Türken trotz meiner Warnungen die Entwaffnung durchführen wollen, so sind heftige Kämpfe mit allen den hier üblichen Begleiterscheinungen unvermeidlich. Der bekannte Bandenführer Andranik sollte in Armenien verhaftet werden. Man konnte aber nur eines Teiles seiner Bande habhaft werden, der Rest, unter Andraniks Führung, ist aus der Republik Armenien geflohen und führt nun auf eigene Faust Krieg gegen die Türken. Die armenische Regierung ist sich der Gefahr, in der sich ihr Land dauernd befindet, wohl bewußt. Sie ist entschlossen, dem Kampf auszuweichen und ihn solange wie irgend möglich zu vermeiden. Sie ist aber ebenso fest entschlossen und weiß sich darin mit dem ganzen armenischen Volke eins, sich bis zum letzten Mann zu verteidigen, falls die Türken ihr Land nochmals angreifen sollten. Die Türken würden dann in einen Gebirgskampf verwickelt, der unter Umständen recht beträchtliche Kräfte auf längere Zeit bindet — falls die Armenier nicht durch den Hunger besiegt werden.

Die Behauptung Envers, die Türken müßten die Bezirke von Alexandropol, Karakilissa usw. besitzen, um Zusammenstöße zwischen Armeniern and Georgiern zu verhindern, ist darauf berechnet, soviel Zeit zu gewinnen, daß die Ernte aus diesen Gebieten weggeführt und die Gebiete noch völlig ausgeraubt werden können.

Was die innere Lage Armeniens angeht, so wird sie außerordentlich erschwert durch die große Anzahl von Flüchtlingen, die sich gegenwärtig auf dem kleinen Gebiet Armeniens und insbesondere in der Gegend von Eriwan angesammelt haben.

Die eingesessene Bevölkerung des derzeitigen Gebietes der Republik Armenien wird auf 750000 Köpfe geschätzt. Auf dem Gebiet, das schon diese Leute nicht annähernd ernähren kann, befinden sich zurzeit aber[S. 426] außerdem noch 300–500000 Flüchtlinge. Diese Leute sind Hals über Kopf vor den Türken geflüchtet und mußten vielfach ihr ganzes Hab und Gut zurücklassen. Die geringen Vorräte, die sie mitgebracht haben, sind schon längst verzehrt. Sie schlachten nach und nach ihr Vieh und berauben sich damit der letzten Möglichkeit zu Gründung einer neuen Existenz. Die Regierung schreitet energisch gegen Marodeure ein, aber der Hunger ist stärker als die Furcht vor der Strafe. Auf diese Weise geht auch der eingesessenen Bevölkerung der größere Teil ihrer Ernte verloren. Mit gebundenen Händen müssen inzwischen die Armenier zusehen, wie in den von Türken besetzten Gebieten die Ernte weggeführt wird oder zugrunde geht. Die armenische Regierung und den Katholikos bedrückt die doppelte Sorge, wie die Bevölkerung im laufenden Jahre ernährt werden soll und wie sich die Ernährungsfrage in der Zukunft gestalten wird. Wenn es den Zentralmächten Ernst ist mit ihrer Absicht, die Armenier vor der Vernichtung zu schützen, so müssen sie ihnen auch so viel Grund und Boden verschaffen, daß wenigstens die Hauptmenge des Verpflegungsbedarfes aus dem Lande gedeckt werden kann. Über das laufende Jahr aber müssen wohl oder übel die Zentralmächte durch Getreidelieferungen hinweghelfen. Ich kann mir nicht vorstellen, daß das Deutsche Reich ruhig zusehen kann, wie die Muhammedaner ein christliches Volk der Vernichtung durch Hunger preisgeben.

Nachdem die Türken trotz unserer Vorstellungen die armenische Ernte zugrunde gehen ließen, ist es wohl nicht mehr wie recht und billig, daß das zum Unterhalt des armenischen Volkes benötigte Getreide jenen Beständen entnommen wird, die die Türken sonst aus der Ukraine oder aus Rumänien erhalten würden.

Die armenischen Flüchtlinge leben im Freien. In kürzester Zeit werden die Nächte kalt. Dann wird sich zum Hunger der Frost gesellen, um die Flüchtlinge zu dezimieren, wenn sie nicht vorher in ihre Heimat zurückkehren durften. Unsere Hilfe muß bald wirksam werden, sonst kommt sie zu spät. Wenn die Konferenz von Konstantinopel noch lange auf sich warten läßt, sind viele Tausende von Menschen zum Tode verurteilt.

Die Frage, was zu geschehen hat, um Armenien lebensfähig zu machen und ihm zu ermöglichen, unter Anlehnung an eine der Mittelmächte ein selbständiges Dasein zu führen, möchte ich dahin beantworten, daß Armenien die Grenzen des Brest-Litowsker Vertrages erhalten muß, aber ohne daß den Türken die von ihnen angestrebten Grenzberichtigungen bewilligt werden. Gerade diese Grenzberichtigungen würden Armenien seiner besten Grenzgebiete berauben. Wenn diese Gebiete den Türken überlassen werden, so geht ihre Produktion infolge der geschäftlichen Untüchtigkeit der Türken sofort zurück und ist für den Markt verloren.

Bei entsprechendem Ausbau der Bewässerungsanlagen, bei Einfuhr der[S. 427] nötigen Maschinen usw. werden die Armenier, aber niemals die Türken, aus diesen fruchtbaren Gebieten eine reiche Ernte von Seide, Baumwolle, Reis, Wein, Kognak, Spiritus und Obst, wahrscheinlich auch an Montanprodukten, herausholen.

Ich werde mir in Bälde erlauben, Euerer Exzellenz einen ausführlichen Bericht über die wirtschaftlichen Verhältnisse in Armenien vorzulegen.

Kreß.

Seiner Exzellenz dem Reichskanzler
Herrn Grafen von Hertling, Berlin.

427.

(Kaiserlich
Deutsche Botschaft.)

Telegramm.

Konstantinopel, den 6. August 1918.

An Auswärtiges Amt.

Der Ministerrat hat endlich die Amnestie für die türkischen Armenier beschlossen, Djambolat wird mit der Ausführung beauftragt[154].

Bernstorff.

428.

(Großes Hauptquartier.)

Telegramm.

Großes Hauptquartier, den 6. August 1918.

Der Kaiserliche Legationssekretär an Auswärtiges Amt.

Bei zweckmäßiger Auswahl der Truppen hat General Ludendorff keine Bedenken[155]. General v. Cramon erhielt bereits vor mehreren Tagen Weisung, unter dieser Einschränkung die Frage der Entsendung einer österreichisch-ungarischen Polizeitruppe mit Generaloberst von Arz zu besprechen.

Berckheim.

429.

(Auswärtiges Amt.)

Telegramm.

Berlin, den 14. August 1918.

An General v. Kreß, Tiflis.

Die bisherige Haltung der türkischen Regierung in der Angelegenheit der Rückkehr der armenischen Flüchtlinge nötigt uns zur Prüfung der Frage,[S. 428] ob eine Abwanderung der Flüchtlinge nach dem Norden möglich ist und unverzüglich ins Werk gesetzt werden kann.

Euer Hochwohlgeboren wollen sich hierzu umgehend telegraphisch äußern; gegebenenfalls bitte ich geeignete Maßnahmen in die Wege zu leiten.

v. Stumm.

430.

(Auswärtiges Amt.)

Telegramm.

Berlin, den 20. August 1918.

An General v. Kreß, Tiflis.

Ohne die politische Wichtigkeit, die eine Besserung der Lage der Armenier für uns und für die Türkei besitzt, im geringsten zu verkennen, und bei aller menschlichen Teilnahme für ihre Leiden müssen wir uns doch eine gewisse Zurückhaltung mit Rücksicht auf die Türkei auferlegen.

Wir würden selbstverständlich für rein humanitäre Maßnahmen freie Hand haben. In dieser Hinsicht regen hiesige Armenierfreunde an, der Regierung in Eriwan dasselbe Quantum Getreide zu liefern, wie der Georgischen Regierung. Ob es möglich sein würde, das Kriegsernährungsamt zur Hergabe zu bestimmen, ist noch zweifelhaft. Ehe ich einen Versuch in dieser Richtung unternehme, bitte ich Euer Hochwohlgeboren um Äußerung, ob es angängig erscheint, Getreide durch Georgien nach Armenien gelangen zu lassen, obwohl wir den Georgiern selbst nur ein geringeres Quantum geben können als zuerst versprochen.

Hintze.

431.

Kaiserlich Deutsche Delegation
im Kaukasus.

Tiflis, den 21. August 1918.

Urschriftlich dem Auswärtigen Amt, Berlin

gehorsamst vorgelegt.

Frhr. von Kreß.

Der armenische Nationalrat
von Kars.

Tiflis, den 19. August 1918.

Der armenische Kirchenrat von Kars, der einzig und allein befugt ist, den Willen und die Interessen der vielgeprüften armenischen Bevölkerung des erwähnten Gebietes auszudrücken, protestiert auf das entschiedenste im Namen der armenischen Bevölkerung des Gouvernements gegen das von der türkischen Regierung unternommene Referendum der Bevölkerung des Gouvernements, wonach dieses Gebiet ohne weiteres dem ottomanischen Reiche einverleibt werden soll und erklärt hierdurch, daß § 4 des Brester[S. 429] Vertrages durch die türkische Regierung auf die gröbste Weise verletzt worden ist, da erstens die türkische Regierung teils mit Gewalt, teils mit Zwang, den sie auf die kaukasischen Regierungen geübt, wider den direkten und ausgesprochenen Sinn des Vertrages das Land okkupiert hat und zweitens allein und eigenmächtig ohne Rücksicht auf die Signatarmächte, die in demselben Paragraphen neben der Türkei erwähnt werden, die Willensäußerung nur der muhammedanischen Bevölkerung herbeigeführt habe, da ja die armenische Bevölkerung, die eine Majorität im Sandjak Kars bildet mit den anderen christlichen Völkern gänzlich von ihren Stammsitzen fortgetrieben, jeglicher juridischer Willensäußerung entzogen worden ist, obwohl sie faktisch durch ihre Flucht aus dem durch die türkischen Truppen okkupierten Lande ihre Willensrichtung deutlich zur Genüge an den Tag gelegt hat.

Im Namen der Rechte, die auf Grund des Brester Vertrages der ganzen Bevölkerung und nicht allein ihrem muhammedanischen Teile zugesprochen sind, appelliert der armenische Nationalrat von Kars an das Gewissen der im Brester Vertrage erwähnten Signatarmächte und bittet erstens, die türkischen Okkupationstruppen, sowie auch die muhammedanischen Massen, die von verschiedenen Nachbargebieten dorthin gezogen worden sind, um eine Stimmenmehrheit mit türkischer Orientierung herbeizuführen, zu entfernen und zweitens, Bedingungen zu schaffen, die der christlichen Bevölkerung die Rückkehr und die Festsetzung in ihrer Heimat ermöglichen, damit sie in den Stand gesetzt werden, laut demselben Vertrage ihre Regierungsform selbst zu bestimmen.

Eine diesbezügliche, ausführliche, durch geschichtliche, geographische und ethnographische Angaben unterstützte Denkschrift wird in Bälde der Kaiserlich Deutschen Regierung unterbreitet.

Der Vorsitzende des armenischen nationalen Rates von Kars.

Die Mitglieder: Unterschriften.
Der Schriftführer: Unterschrift.

An die Kaiserlich Deutsche Regierung in Berlin.

432.

(Auswärtiges Amt.)

Telegramm.

Berlin, den 22. August 1918.

An Deutsche Botschaft, Pera.

Von General v. Kreß ging nachstehendes Telegramm vom 12. August ein:

„Envers Antwort[156] geht von falschen Voraussetzungen aus. Nicht darum handelt es sich, daß Armenier in das Gebiet östlich von Alexandropol-[S. 430]Djulfa einwandern dürfen, sondern darum, daß die dort eingepferchten und durch Hunger zur Verzweiflung getriebenen Armenier über die Bahn nach Westen zurückwandern dürfen, und daß das Gebiet bis zur Brester Grenze der Republik Armenien zur Ansiedlung der Flüchtlinge zurückgegeben wird. Die Durchführung der im Prinzip erteilten Erlaubnis zur Rückwanderung der Armenier in bestimmte Bezirke, wie Batum, wird dadurch erschwert, daß Essad Pascha für jeden einzelnen Armenier ein schriftliches Gesuch verlangt und diese Gesuche nicht erledigt. Nach Angabe des hiesigen türkischen Vertreters sollen sich bei Essad Pascha seit Wochen mehr als 1200 unerledigte Gesuche befinden.

Die armenische Regierung will und braucht Frieden mit der Türkei. Bei Djulfa, Baku und Urmia handelt es sich um Banden, die sich meist aus ehemaligen türkischen Armeniern zusammensetzen, Leuten, die alles verloren haben und deshalb weiter kämpfen.

Die rückwärtigen Verbindungen der türkischen Armee könnten durch Österreicher und Deutsche geschützt werden.

Die auf dem kleinen Gebiet der Republik Armenien bestehende Ansammlung vom Hungertode bedrohter Hunderttausender von Flüchtlingen bedeutet zweifellos eine größere Gefahr als die Verteilung der Leute im Lande.“

Euere Exzellenz wollen die Pforte darauf aufmerksam machen, daß ihre Absicht, den armenischen Flüchtlingen die Rückkehr in gewisse Gebiete freizugeben, durch das Verfahren Essad Paschas vereitelt wird. Sie wollen die türkische Regierung um Abhilfe ersuchen und sie bitten, nochmals zu erwägen, ob nicht überwiegende Gründe dafür sprechen, das ganze Gebiet bis zur Brester Grenze den Rückwanderern zu öffnen.

v. Hintze.

433.

(Auswärtiges Amt.)

Telegramm.

Berlin, den 24. August 1918.

An den Kaiserlichen Delegierten in Tiflis.

Mit Euerer Exzellenz Reise nach Eriwan und Ihrem dortigen Auftreten bin ich völlig einverstanden. Da die sehr ernsten Vorstellungen des Kaiserlichen Botschafters und die energischen Schritte der Obersten Kriegsleitung die Türkei nicht zur Räumung des armenischen Gebiets und zur Bewilligung der Rückkehr der Flüchtlinge bestimmt haben, erscheint es leider zweifelhaft, ob wir überhaupt imstande sein werden, den Armeniern wirksam zu helfen. Unser weiteres Vorgehen hängt von der allgemeinen politischen und militärischen Lage ab.

Hintze.

[S. 431]

434.

(Kaiserlich
Deutsche Botschaft.)

Telegramm.

Abgang aus Konstantinopel, den 25. August 1918.
Ankunft, den 26. August 1918.

An Auswärtiges Amt.

General von Kreß telegraphiert unterm 20. August:

„Das scheinbare türkische Zugeständnis in der Frage der Rückkehr armenischer Flüchtlinge ist vollkommen wertlos. Während in den von türkischen Truppen besetzten Gebieten die Ernte, soweit sie nicht von den Türken selbst fortgeschafft wird, aus Mangel an Arbeitskraft verfault, gehen die zusammengeballten Menschenmassen in den unproduktiven Gebieten östlich der von Enver Pascha bezeichneten Linie ihrem sicheren Untergang entgegen. Die Lage verschlimmert sich täglich. Sollten alle verzweifelten Hilferufe der Regierung und der obersten Geistlichkeit Armeniens ungehört verhallen, so wird die Verantwortung für Vernichtung dieses alten christlichen Volkes für immer auf Deutschland und Österreich lasten. Geschichte wird und kann nicht gelten lassen, daß die beiden großen Christenreiche Mitteleuropas nicht imstande waren, wenigstens hier, wo es sich um Sein oder Nichtsein eines ganzen Volkes handelt, ihrem asiatischen Verbündeten ihren Willen aufzuzwingen.“

Bernstorff.

[S. 432]

September.

435.

Kaiserlich Deutsche
Delegation im Kaukasus.

Tiflis, den 3. September 1918.

Euer Exzellenz berichte ich gehorsamst, daß ich am 30.8., einer Einladung Halil Paschas und den dringenden Bitten der armenischen Regierung folgend, zusammen mit Baron Frankenstein Halil Pascha bei seinem Antrittsbesuch in Eriwan begleitet habe.

Ich habe die an mich gerichtete Einladung angenommen, weil ich hoffte, bei dieser Gelegenheit Halil Pascha davon überzeugen zu können, daß die Vorstellungen, die man sich in Konstantinopel von der sogenannten Armeniergefahr macht, unrichtig und unberechtigt sind. Ich hoffe, daß es den Berichten Halil Paschas gelingen wird, die türkische Oberste Heeresleitung davon zu überzeugen, daß all den Schlagworten, wie „militärische Notwendigkeiten“, „Bedrohung der rückwärtigen Verbindungen“ und dergleichen mehr, mit denen man den Mord an vielen Tausenden von Menschen zu rechtfertigen und die Bemühungen des deutschen Botschafters und der deutschen Obersten Heeresleitung zur Rettung der Armenier lahmzulegen versucht, jeder berechtigten Grundlage entbehren.

Die türkischen Truppen im Kaukasus, mit den Armeeführern angefangen bis herunter zum letzten Leutnant, der auf Grenzwache steht, sind von Wehib Pascha derart gegen die Armenier und Deutschen verhetzt, daß es voraussichtlich lange dauern wird, bis es Halil Pascha, der auf einem weit vernünftigeren Standpunkt steht, gelingen wird, sich durchzusetzen. Essad und Ali Ichsan Pascha, sowohl wie insbesondere Schewki Pascha machen ihm nach jeder Richtung hin Schwierigkeiten. Der letztere hat jüngst Halil Pascha geschrieben, er könne sich mit seiner Politik in keiner Weise einverstanden erklären. Seitdem er, Halil Pascha, den Oberbefehl übernommen habe, mache sich schon wieder der Einfluß dieser Deutschen fühlbar. Hinsichtlich der Einzelheiten unseres Besuches bitte ich auf die beiliegende Abschrift eines von Baron Frankenstein verfertigten Berichtes, dem ich in allen Punkten beitrete, Bezug nehmen zu dürfen.

Ich möchte mir erlauben, die folgenden Punkte als besonders charakteristisch für die türkische Politik unterstreichen zu dürfen.

1. Auf das Drängen der deutschen Regierung und Obersten Heeresleitung hin, sagt die türkische Regierung unserem Botschafter und den armenischen[S. 433] Bevollmächtigten in Kospoli zu, daß die Bezirke Lori and Pambak unter gewissen Bedingungen den Armeniern eingeräumt werden sollen. Ein diesbezügliches, von General v. Seeckt unterzeichnetes Telegramm trifft in Batum ein, mit dem Auftrag, auch mir hiervon Kenntnis zu geben. 2 Stunden später setzt ein Telegramm Envers den von General v. Seeckt gezeichneten Befehl außer Kraft. Ich erhalte keine Mitteilung.

2. Enver ordnet an, daß die armenischen Flüchtlinge, unter gewissen Bedingungen, nach gewissen Gegenden zurückkehren können. Essad Pascha sollte die nötigen Vollzugsbestimmungen erlassen. Da dieser grundsätzlich auf Briefe und Telegramme, die ihm nicht genehm sind, keine Antwort gibt, schicken Baron Frankenstein und ich den K. u. K. Oberstleutnant Pawlas nach Batum, um mit Essad Pascha über die Formalitäten der Rückkehr der Flüchtlinge zu verhandeln. Dieser schickt ihn wieder weg mit der Behauptung, die Kommandoverhältnisse hätten sich geändert, Halil Pascha sei nunmehr zuständig. Wir kommen zu Halil, um von ihm zu erfahren und durch Dokumente belegt zu erhalten, daß die Behauptung Essads glatt erfunden ist.

3. Halil las uns einen Bericht vor, den er von Nuri Pascha zur Weitergabe nach Konstantinopel erhalten hatte. In diesem Bericht wird wider besseres Wissen behauptet, daß „die Armenier“ im Bezirk von Karabag innerhalb 2 Tagen 30 tatarische Dörfer niedergebrannt hätten. Nuri weiß sehr wohl, daß es sich hier nicht um die Armenier, d. h. die armenische Republik, sondern nur um Andranik handelt, mit dem die armenische Regierung nichts zu tun hat. Nuri weiß ferner sehr wohl, daß höchstens 10 Dörfer zerstört sind, wenn ein Tatare ihm meldet, daß 30 vernichtet worden seien, er weiß auch sehr wohl, daß man sich in Kospoli nicht 4 oder 5 armselige Lehmhütten darunter vorstellt, wenn er von Tatarendörfern meldet. Dies ist nur ein Beispiel für viele, in welch gewissenlos tendenziöser Weise nach Kospoli berichtet wird, um dort völlig übertriebene und unrichtige Vorstellungen von der sogenannten Armeniergefahr zu erwecken. Nur aus dieser wissentlich falschen Berichterstattung läßt es sich erklären, daß man sich, ungeachtet unserer Berichte, noch immer auf den Standpunkt stellt, daß die Rückkehr der armenischen Flüchtlinge in die Heimat eine Gefahr für die türkische Armee bedeute. „Man kann nicht zugeben, daß eine halbe Million bewaffneter Feinde im Rücken unserer Armee angesiedelt wird.“ Diese halbe Million bewaffneter Feinde sind Greise, Weiber und Kinder. Dafür, daß nahezu keine waffenfähigen Männer mehr zurückkehren können, haben die Türken und Tataren gründlich gesorgt. Es ist ein leichtes, die Flüchtlinge beim Überschreiten der Grenze völlig zu entwaffnen.

Auf ein weites Gebiet verstreut, bilden die verelendeten Flüchtlinge eine geringere Gefahr, als wenn sie auf einem engen Raum versammelt durch Hunger zu Verzweiflungstaten getrieben werden.

[S. 434]

Wenn die Armenier wollten, so könnten sie heute tagtäglich in dem unübersichtlichen Gebirgsgelände ohne alle Schwierigkeit die rückwärtigen Verbindungen der Türken an einer der zahlreichen Kunstbauten der Gebirgsbahn Sanain-Karakilissa auf Wochen unterbrechen. Wenn die Türken sich gegen eine Bedrohung ihrer rückwärtigen Verbindungen sichern wollen, dann können sie dies nur dadurch tun, daß sie sich die Armenier zu Freunden machen. Treiben sie aber die Armenier zur Verzweiflung, so erreichen sie gerade das Gegenteil von dem, was sie beabsichtigen.

Die diesjährige Ernte in den von den Türken besetzten armenischen Gebieten ist zum Teil von den Türken eingebracht worden. Zum weitaus dem größeren Teil aber haben die Türken die Ernte dadurch vernichtet, daß sie ihre Pferde und ihr Vieh auf die Felder trieben.

Wenn die Flüchtlinge nicht zurückkehren dürfen, so werden diese reichen Gebiete — in erster Linie zum Schaden der Türken — auch im nächsten Jahre keine Ernte tragen.

Frhr. von Kreß.

Seiner Exzellenz dem Reichskanzler
Herrn Grafen von Hertling, Berlin.

Anlage.

Ergebnis der Eriwaner Verhandlungen Halil Paschas und der armenischen Regierung unter unserer Mitwirkung:

Im Gegensatz zu den tendenziös entstellten Meldungen Essad, Schefki und Nuri Paschas über die der Türkei seitens Armeniens drohende Gefahr, gewann Halil Pascha den Eindruck, daß Armenien keineswegs beabsichtigt, gegen die Türkei vorzugehen. Halil versprach, Enver darüber aufzuklären, es handle sich bei der Rückkehr der Flüchtlinge hauptsächlich um Frauen, Kinder, Greise, die wenigen übrig gebliebenen Männer könnten vorher leicht entwaffnet werden. Er bezeichnete selbst Envers Zugeständnis der Rückkehr der Armenier in Gebiet 20 km östlich Bahnlinie Alexandropol-Djulfa als wertlos.

Die Rückgabe der Gebiete von Lori und Pambak, die General v. Seeckt vor einiger Zeit durch Telegramm nach Batum anordnete, Enver Pascha aber durch ein zweites Telegramm widerrief, versprach Halil wärmstens zu befürworten.

Essad Paschas Hinterhältigkeit ist durch die Oberstleutnant Pawlas gegenüber abgegebene offensichtlich unwahre Erklärung erwiesen, die Feststellung der Gebiete in seinem Kommandobereiche, in welche die Flüchtlinge ohne Gefahr der Niedermetzelung zurückkehren könnten, falle infolge Kommandoveränderung in Halil Paschas Kompetenz, was dieser selbst als unrichtig bezeichnet.

Erbitten eheste Mitteilung, ob Halil in obigem Sinne Enver berichtete, und mit welchem Ergebnisse.

Sterblichkeit unter den Flüchtlingen zunehmend.

Kreß.   Frankenstein.

[S. 435]

436.

Kaiserlich Deutsche
Delegation im Kaukasus.

Eriwan, den 10. September 1918.

An die Kaiserlich Deutsche Delegation im Kaukasus, Tiflis.

1. Am 9. September traf der politische Vertreter der Türkei, Mehmed Ali Pascha, mit 2 Offizieren in Eriwan ein.

2. Die erste Zusage Halils, Zurücksendung der armenischen Gefangenen, ist in Ausführung begriffen. Es sind bis heute ca. 400 Mannschaften und Offiziere eingetroffen. Der Zustand der Leute ist allerdings fürchterlich.

Der gestern eingetroffene zweite Transport soll ein gleiches Bild geboten haben.

Die türkische Regierung hat den armenischen Flüchtlingen erlaubt, wieder in ihre Dörfer, die jetzt zerstört sind, zurückzukehren.

Eisenmann.

437.

Auswärtiges Amt.

Berlin, den 20. September 1918.

An den Herrn Geschäftsträger, Pera.

Talaat Pascha hat geäußert, daß er sich bei seinen hiesigen Besprechungen mit Georgiern und Armeniern davon überzeugt habe, wie wichtig ein gutes nachbarliches Verhältnis mit beiden Völkern für die Türkei sei, und daß, abgesehen von Kars, Ardahan und Batum, das von den Türken besetzte Gebiet zurückgegeben werden müsse. Es ist daher zu hoffen, daß die türkische Regierung in der Rückwanderungsfrage jetzt Entgegenkommen zeigen wird.

von Stumm.

438.

Kaiserlich
Deutsche Delegation.

Tiflis, den 23. September 1918.

Wie mir Halil Pascha mitteilt, hat Nuri den Einmarsch regulärer armenischer Truppen in das Karabachgebiet zur Entwaffnung der Bande des Generals Andranik mit der Begründung abgelehnt, daß Karabach aserbeidschanisches Gebiet sei; demnach dürften die türkischen Klagen über die angeblich illoyale Haltung der armenischen Regierung und ihr geheimes Einvernehmen mit den Feinden der Türkei fortab jeder Berechtigung entbehren.

Freiherr v. Kreß.

An das Auswärtige Amt, Berlin.

[S. 436]

Oktober.

439.

Armenische Republik.
Delegation in Berlin.

Berlin, den 1. Oktober 1918.

Das Ergebnis der kürzlich in Berlin mit Talaat Pascha gepflogenen Verhandlungen gestattet uns, zu hoffen, daß die türkische Regierung, nachdem sie ihren Widerstand gegen die Anerkennung der Brester Grenze aufgegeben hat, nunmehr durch die baldige Räumung unseres Gebiets ihrem Zugeständnis die Tat folgen lassen wird. Wir sind uns der Bemühungen wohl bewußt, die von der Deutschen Regierung aufgewendet wurden, um dieses für uns erfreuliche Resultat herbeizuführen, und bitten, dafür den Ausdruck unserer aufrichtigen Dankbarkeit gütigst entgegennehmen zu wollen.

Unsere hiesige Delegation wurde in einem Augenblick äußerster Gefahr für unsere Existenz nach Berlin geschickt, um bei der Deutschen Regierung Schutz und Hilfe zu suchen. Wir wurden hier freundlich aufgenommen und genossen in weitestem Maße Gastfreundschaft, ein Zeichen gütigen Wohlwollens, welches wir zu schätzen wissen und das uns zur Dankbarkeit verpflichtet hat.

Durch die hoffentlich baldige Lösung der Räumungsfrage ist wohl der dringendste Teil der Aufgabe unserer hiesigen Delegation erfüllt.

Dr. H. Ohandjanian,
Bevollmächtigter Vertreter der armenischen Regierung.

An das Auswärtige Amt des Deutschen Reiches, Berlin.

440.

Kaiserlich Deutsche Delegation
im Kaukasus.

Tiflis, den 17. Oktober 1918.

Urschriftlich nebst Anlage

Seiner Großherzoglichen Hoheit dem Reichskanzler,
Prinz Max von Baden,

gehorsamst vorgelegt.

Frhr. von Kreß.

[S. 437]

La République de l’Arménie
M. A. E.

Mission diplomatique
en Géorgie, Tiflis.

Tiflis, Le 17 Octobre 1918.

Excellence!

J’ai l’honneur de communiquer à Votre Excellence la traduction textuelle de la note de protestation, que je viens d’adresser à Monsieur le Représentant Diplomatique de l’Azerbaidjan concernant le massacre de la population arménienne dans la ville de Bacou.

Je prie Votre Excellence d’avoir l’obligeance de porter à la connaissance du Gouvernement Impérial le contenu de cette note et les protestations de mon Gouvernement au sujet des cruautés inouies, commises lors de la prise de la ville de Bacou.

Profitant de cette occasion, je me fais plaisir de renouveler à Votre Excellence l’assurance de ma très haute considération.

Djamalian.

Chargé d’Affaires de la République de l’Arménie en Géorgie.

Son Excellence Monsieur le Général Kress von Kressenstein,
Chef de la Délégation Impériale Allemande au Caucase.

La République de l’Arménie.
Mission diplomatique en Géorgie.

Traduction.

Tiflis, le 16 Octobre 1918.

Le soussigné, Chargé d’Affaires de la République d’Arménie en Géorgie, a l’honneur de communiquer à Monsieur le Représentant Diplomatique de l’Azerbeidjan auprès du Gouvernement Géorgien, que d’après des renseignements d’une source certaine, reçus par le Gouvernement de la République d’Arménie, la prise de la ville de Bacou a été suivie d’un cruel massacre de la population paisible arménienne sans distinction de sexe et d’âge et complétée par un pillage des maisons, commis par des foules musulmanes.

Le nombre des victimes s’élève de vingt cinq jusqu’à trente mille personnes. Les scènes d’une barbarie inouie ont eu lieu pendant trois jours, et ce n’est qu’après l’expiration de ce délai, que des mesures ont été prises par les autorités, et quelques bandits alors surpris sur place ont été punis.

Lors de l’établissement du pouvoir du Gouvernement de l’Azerbeidjan, de nombreuses arrestations ont été opérées parmi les restes de la population arménienne et surtout parmi la classe intellectuelle, quant aux arméniens riches, des extorqueurs les somment, sous menace de les délivrer, à verser des sommes d’argent considérables.

[S. 438]

Les blessés restés sans soins, les enfants jetés sur le pavé complètent le spectacle affreux de la domination de la foule dans cette ville.

En informant de ce qui précède, le soussigné a l’honneur de prier Monsieur le Représentant Diplomatique de porter à la connaissance du Gouvernement de l’Azerbeidjan la protestation la plus énergique du Gouvernement de la République d’Arménie, contre la non-prise des mesures opportunes pour faire cesser le massacre de la population paisible arménienne. Le Gouvernement de la République d’Arménie insiste également et sur la punition la plus sévère des personnes coupables d’agressions contre les habitants arméniens et sur l’adoptation des mesures efficaces, afin de mettre fin aux violences, qui ont lieu sur les malheureux survivants.

A. Djamalian.

Pour traduction conforme: M. Toumanoff, Conseiller de Légation.

441.

Kaiserlich Deutsche Delegation
im Kaukasus.

Tiflis, den 21. Oktober 1918.

Euerer Großherzoglichen Hoheit beehre ich mich, anliegend Abschrift einer Eingabe des armenischen diplomatischen Vertreters in Tiflis gehorsamst vorzulegen.

Ich habe den Vertreter der Delegation in Baku, Oberstleutnant Freiherr von der Goltz, beauftragt zu helfen, soweit dies möglich ist.

Frhr. von Kreß.

Seiner Großherzoglichen Hoheit dem Reichskanzler
Prinzen Max von Baden.

Anlage.

Stempel der Vertretung
der armenischen Regierung in Tiflis.

Tiflis, le 19. Octobre 1918.

Excellence!

Vos bonnes intentions pour tout ce qui concerne Bacou me sont connues. Je sais également tous les efforts que Votre Excellence a apporté à introduire à Bacou un détachement avec les troupes turco-tatares, ce qui aurait occasionné une garantie des biens et des vies des habitants arméniens de Bacou. Il ne m’est également pas inconnu le refus tenace qui était opposé à toutes vos intentions.

[S. 439]

Tout le monde connaît maintenant les horreurs dont fut victime la population inoffensive arménienne de Bacou et je n’ai aucun doute que les renseignements que vous avez, seront à temps communiqués au Gouvernement et à la nation Allemande. Toutefois la conduite inhumaine qui continue à avoir lieu envers cette population martyrisée, et le cauchemar sous lequel continuent à vivre encore les Arméniens de Bacou — ne sont pas connus à tout le monde.

Une terreur règne à Bacou. D’après les récits et les rapports des témoins de nationalités différentes et dans ce nombre il faut inclure et des musulmans, toute la classe intellectuelle arménienne est arrêtée et endure des tortures inimaginables. De ce nombre jusqu’à présent nous avons appris l’arrestation des personnes suivantes.

1. 
Tigrane Sakharian (docteur en médecine),
2. 
Djoumchout Aroutiuniantz (l’ex-maire de la ville),
3. 
Artem Egiasarian,
4. 
Konstantin Kalantarian (ingénieur),
5. 
Samson Amiroff,
6. 
Serge Melikoff,
7. 
Georges Melikoff,
8. 
Petre Souraboff,
9. 
Stepan Tigranian (avocat),
10. 
Mickail Atabékian (directeur de la banque du Caucase),
11. 
Konstantin Khisanian (ingénieur),
12. 
Manandian (avocat),
13. 
Khoublarian (directeur de la banque de commerce),
14. 
Grigor Ogandjanian.

La plupart des emprisonnés n’ont aucun rapport avec la politique, car tous ceux qui ont organisé la défense de la ville de Bacou, d’après les mêmes sources, ont quittée la ville à temps. L’arrestation de la classe intellectuelle peut être envisagé comme un acte de vengeance d’une cruauté inutile.

Les poursuites et les oppressions de la population arménienne ont fait surgir des groupes d’extorqueurs qui achèvent de ruiner cet élément. Sous la menace de dénoncer aux autorités, ces groupes d’extorqueurs somment beaucoup d’arméniens riches à verser des sommes d’argent plus que considérables et en cas de refus menacent de les faire emprisonner, les accusant d’avoir pris part au massacre des tatares.

Après le massacre apparurent une foule d’orphelins et de blessés, équi sans aucun aide de quel coté que ce fut, survivent à des jours effroyables et des bruits en plus circulent, que les autorités de Bacou ont l’intention d’amasser les réfugiés dans des camps de concentration, où ces derniers seront voués sans aucun doute à une mort certaine.

[S. 440]

En vous communiquant tous ces faits, je prie Votre Excellence au nom de l’humanité et de la charité dont vous vous êtes toujours guidés à bien vouloir protéger les malheureux habitants arméniens afin qu’ils soient à l’abri des attentats qui pourraient se commettre et sur leurs vies et sur leurs biens.

Veuillez agréer, Excellence, l’expression de ma plus haute considération.

A. Djamalian

Chargé d’Affaires de la République de l’Arménie auprès du Gouvernement Géorgien.

Son Excellence, Monsieur le Général Kress von Kressenstein,
Chef de la Délégation Impériale Allemande au Caucase.

442.

Kaiserlich Deutsche Delegation
im Kaukasus.

Tiflis, den 30. Oktober 1918.

Euerer Großherzoglichen Hoheit beehre ich mich, in der Anlage das Hauptsächlichste über die Baku-Massakres mir zugegangene informatorische Material für die Akten des Auswärtigen Amts gehorsamst zu übersenden.

Desgleichen füge ich den Schrift- und Notenwechsel bei, welcher zwischen der Kaiserlichen Delegation und den türkischen Befehlshabern bzw. Diplomaten und der Aserbeidschanischen Regierung in der gleichen Angelegenheit entstanden ist. Ich halte es für angezeigt, daß sich dieses Material bei den Akten des Auswärtigen Amts befindet, damit die Kaiserliche Regierung über die Maßnahmen unterrichtet ist, die die hiesige Kaiserliche Vertretung im Interesse der Menschlichkeit und zum besonderen Schutze der in Baku lebenden Deutschen unternommen hat.

Wenn die von mir vorgeschlagenen Maßnahmen nicht alle zur Ausführung gelangt sind, so trägt daran einzig und allein die ablehnende Haltung der Türken die Schuld, gegen die ich keine Machtmittel besaß.

Die Entsendung des Barons von der Goltz erfolgte zum Teil ebenfalls aus dem Grunde, um wenigstens einen moralischen Druck auf die höheren türkischen Heerführer ausüben zu können.

Frhr. von Kreß.

Seiner Großherzoglichen Hoheit dem Reichskanzler,
Prinzen Max von Baden.

[S. 441]

Anlage 1.

Türkische Heeresgruppe Ost.
Chef des Generalstabes
Osmanischer Oberstleutnant Paraquin.

Tiflis, den 26. September 1918.

An Generalleutnant von Seeckt, Exzellenz.

Vorgänge in Baku nach der Einnahme am 16. und 17. September 1918.

Am 16. 9. vormittags begaben sich Halil und Nuri Pascha mit ihrer Begleitung von Puta mit der Bahn nach Baku.

Bei Baladschari lagen 10 bis 12 tote weiße Engländer am Bahndamm. Der Bahnhof war nach der Wegnahme durch die Türken abgebrannt. Der Bahnkörper war auf der ganzen Strecke unbeschädigt.

Über der schwarzen Stadt hingen mächtige Rauchwolken. Türkische Artillerie hatte am 15. 9. vormittags einen Massut-Tank in Brand geschossen. Nuris Behauptung, er habe selbst gesehen, daß ein kleines russisches Kriegsschiff die schwarze Stadt beschossen habe, ist falsch. Ich habe in Baku deutsche und russische Zeugen, vor allem auch die Vertreter der russischen Flotte gesprochen. Da Südwestwind herrschte, schien der Brand eine große Gefahr für die Fabrikstadt zu bedeuten. Doch sprang der Wind am Nachmittag um. Es wurden nur 3 bis 4 große Tanks vom Feuer erfaßt, deren Inhalt am Abend des 17. noch nicht ausgebrannt war.

Noch am Vormittag des 17. war die schwarze Stadt von keinem türkischen Soldaten betreten worden! An diesem Tage kamen aus der schwarzen Stadt von verschiedenen Seiten Hilferufe. Die Tataren waren eingedrungen und plünderten. Die Gefahr, daß durch die Schießereien oder andere Zwischenfälle ein Brand mit verhängnisvollen Folgen eintreten könne, war groß. Es bedurfte trotzdem nochmaliger energischer Vorstellungen des Majors Mayr bei dem zum Stadtkommandanten bestimmten Generalstabschef Nuris, Nasim Bey, um endlich zu erreichen, daß am 17. mittags ein Infanterieregiment mit dem Schutze der wertvollen Anlagen betraut wurde, durch deren Zerstörung Baku seine wirtschaftliche Bedeutung einbüßen würde.

Die Fahrt durch die Außenstadt auf das Kampffeld bot einen seltsamen Anblick. Die Straßen waren fast menschenleer. Die Läden und Häuser waren nahezu ausnahmslos geplündert. An verschiedenen Stellen waren Haufen von geraubten Gegenständen zusammengetragen, die anscheinend den[S. 442] tatarischen Plünderern abgenommen und teilweise von einzelnen türkischen Soldaten bewacht wurden. Die an sich zweckmäßige Maßnahme kam jedoch nicht zur beabsichtigten Wirkung, da Soldaten und Tataren ungehindert in dem Haufen herumwühlten und wegtrugen, was ihnen beliebte. Schon auf dieser Fahrt zeigten sich die unverkennbaren Spuren schwerer Ausschreitungen. Zwei ermordete Kinder lagen am Wege, dicht neben uns krachte in einer Seitengasse ein Schuß, aus einem Fenster schrien Frauen in höchster Verzweiflung um Hilfe. Unsere Autos hielten, wir eilten in das Haus, allein die Übeltäter waren nach rückwärts entflohen. Trotzdem damals schon allgemein die Überzeugung herrschte, daß in der Stadt jede Zucht und Ordnung aufgehört und die christliche Bevölkerung geplündert, vergewaltigt und gemordet werde, wurde die Fahrt auf das Kampffeld fortgesetzt, wo eine stundenlange Parade vom 6. Infanterieregiment und den übrigen Waffen stattfand.

Nuri Pascha, der in Baku der Höchstkommandierende war, hat es unterlassen, rechtzeitig und ausreichend Maßnahmen zum Schutze des bedrohten christlichen und europäischen Lebens und Eigentums zu treffen. Ich bitte als Beweis für meine Behauptung folgende Punkte aufführen zu dürfen:

1. Am 23. 8. sagte mir Mürzel Pascha in Güsdek, daß die Tataren offen aussprächen, sie würden die Armenier massakrieren, sobald die Türken Baku nähmen. Ich habe diese Äußerung Nuri Pascha mitgeteilt, und ihn rechtzeitig mehrfach um vorbeugende Maßnahmen gebeten.

2. Ich habe sowohl Mürzel als Nuri Pascha gegenüber an Hand des Stadtplanes von Baku dargelegt, wie die Maßnahmen zur Besetzung einer großen Stadt zu treffen seien, einmal zur eigenen Sicherheit, dann zum Schutze fremden Lebens und Besitzes. Ich schlug die Anfertigung vervielfältigter Stadtskizzen und die genaue Einweisung der Regimenter in ihre Aufgaben vor. Von alledem ist nichts geschehen.

3. Der größte Teil der Tataren wohnt in Baku in einem durch eine 2 km lange hohe Mauer abgeschlossenen Stadtteile. Nichts wäre einfacher gewesen, als die Zugänge zu besetzen. Damit wäre einem großen Teil des Mordgesindels die Möglichkeit zu Ausschreitungen genommen gewesen. Bis zuletzt wurde diese Maßnahme nicht durchgeführt.

4. Von vornherein mußten in Gensche oder Tiflis Plakate vorbereitet werden, die das Standrecht verkündeten und jede Plünderung mit dem Tod bedrohten. Als das Gemetzel unvermindert den dritten Tag anhielt, entschloß man sich endlich zu dieser Maßnahme.

5. Nach der Flucht des Feindes wurde am 15. 9. ein Infanterieregiment zu kaum 1000 Mann, das 56. Infanterieregiment, in die Viertel-Millionenstadt mit ihrer gewaltigen Ausdehnung entsendet. Es bedarf keiner Ausführung, daß diese Besetzung völlig unzureichend war.

[S. 443]

6. Der Rest der Truppe wurde nicht etwa zur taktischen Sicherung der Stadt verwendet. Die Truppe lagerte friedensmäßig auf den Höhen, hörte unten in der Stadt die ununterbrochenen Schießereien in den Häusern und hielt am 16. 9. vormittags eine Parade vor dem Pascha zu Ehren des hohen muhammedanischen Festtages, des Kurban-Beiram. Auf meine dringenden Vorstellungen, die ich an Halil Pascha als Mensch und Freund richtete, befahl Nuri, daß noch ein zweites Regiment in die Stadt rücken solle. Ich hielt mich für verpflichtet, sofort aufmerksam zu machen, daß diese Maßnahme nicht ausreichend sei. Nuri erwiderte, er hielte sie für genügend.

7. Als wir im Saale des Hotel Metropol versammelt waren, stürmten von allen Seiten telephonische und persönliche Hilferufe auf uns ein. Die neutralen Konsuln, an ihrer Spitze der dänische, erschienen und beschwerten sich in bitteren Worten über die Untätigkeit der Türken, der es allein zu verdanken sei, daß Gemetzel und Plünderung andauerten.

Naturgemäß wendeten sich alle Deutschen und deutschen Schutzbefohlenen an mich, aber auch die Konsuln und andere Persönlichkeiten baten mich als Deutschen um Vermittlung und Unterstützung. Ich brachte sie zu Nuri Paschas Kenntnis. Vor allem ersuchte ich, da ein amtlicher deutscher Vertreter fehlte, um den Schutz deutschen Lebens und Eigentums. Ich erbat die sofortige Gestellung von Schutzposten vor die deutschen Quartiere.

8. Statt mit allen Mitteln an die Herstellung der Ordnung in der Stadt zu gehen, trieben sich die Paschas, der Stadtkommandant, die gesamten Generalstabsoffiziere müßig in den Sälen des Hotels umher. Wenn Klagen und Bitten an Nuri oder den Stadtkommandanten kamen, so wurden sie mit jener inneren Teilnahmslosigkeit abgefertigt, die sofort erkennen läßt, daß jeder ernste Eifer und Wille fehlt. Ein großes Festmahl schloß sich an, dem sämtliche Generäle und die Stäbe mit dem Stadtkommandanten beiwohnten. Das Kaukasuslied wurde gespielt. Mit unverhohlenem Triumph wurde mir der Inhalt verdeutscht, daß nunmehr die Türkei sich ihr altes Eigentum, den Kaukasus, wieder holen werde. Während und nach der Tafel ging in der Stadt Mord und Plünderung weiter. Die Türken ließen sich dadurch in ihrer Untätigkeit nicht stören.

Ich kann die vielfach offen ausgesprochene Ansicht nicht unerwähnt lassen, daß die türkische Führung den Tataren die Gelegenheit zur Rache an den Armeniern geben wollte.

Zwischen 5 und 6 Uhr nachmittags erschien der dänische Konsul in großer Erregung im Saale des Hotel Metropol, wo sich unentwegt das ganze freie Treiben abspielte, und teilte mir mit, daß erneut deutsche Häuser geplündert und die Bewohner mit Waffen bedroht würden. Ich ging auf Nuri Pascha zu und sagte mit lauter erhobener Stimme ungefähr folgendes: „Exzellenz, ich bitte Sie nun endlich wirksame Maßnahmen zum Schutze der Deutschen[S. 444] zu treffen. Ich bin sonst gezwungen, der Deutschen Botschaft in Konstantinopel zu berichten, wie wenig Sie deutsches Leben und deutsches Eigentum schützen.“ Nuri erwiderte etwas verdutzt, er habe doch alles getan. Ich antwortete, daß dies nicht stimme. Man hätte eine Parade gehalten, während Mord und Plünderung herrschten. Es stünden immer noch 5 Regimenter untätig vor der Stadt, außerdem sitze der Stadtkommandant noch immer untätig im Saale. Von den Führern und Generalstabsoffizieren habe noch keiner das Hotel verlassen, um selbst einzugreifen. Ich bäte ihn nochmals dringend, nun endlich die Sicherheit der Deutschen zu gewährleisten. Ich persönlich würde mich nun mit den 3 deutschen Offizieren in die Stadt begeben, um nach Möglichkeit selbst den Deutschen zu helfen, daraufhin wandte ich mich ab und verließ den Saal.

Die ganze Auseinandersetzung konnte natürlich den im Saale Anwesenden nicht verborgen bleiben. Ich habe mit scharfer Betonung gesprochen, aber kein Wort und keine Geste gebraucht, die im geringsten beleidigend sein könnte. Der Tragweite meines Schrittes war ich mir wohl bewußt. Ich bin der festen Überzeugung, daß ich in der gegebenen Lage nach all dem Vorausgegangenen so handeln mußte, wenn nicht die deutschen und neutralen Vertreter die Anschauung gewinnen sollten, daß der Schutz deutschen Lebens und Eigentums in ungenügender Weise von mir vertreten würde, da höfliches Ersuchen nicht zum Ziele geführt hatte.

Sachlich trug mein Auftreten jedenfalls Früchte. Der Stadtkommandant wurde sofort seiner Stelle enthoben. Nasim Bey wurde zum Stadtkommandanten ernannt und richtete sich nun eine Arbeitsstätte in einem anderen Hotel ein. Offiziere wurden mit Autos in die Stadt entsandt. Neue Truppen wurden in die Stadt gezogen. In diesen Maßnahmen dürfte das beste Eingeständnis der bisherigen Unterlassungen liegen.

Ich hatte an einige deutsche Häuser türkische Posten aufgestellt und war auf Ersuchen einer deutschen Familie mit Major Mayr zu einem jungen armenischen Rechtsgelehrten gefahren, der von den Tataren mit dem Tode bedroht wurde. Ich stellte vor das Haus ebenfalls einen Posten und nahm den Mann mit in das Hotel. Es war Nacht geworden. Als wir heimfuhren, krachten von allen Seiten die Schüsse. Das Feuer wurde immer lebhafter. Es klang, als ob in der Stadt ein erbitterter Kampf ausgefochten würde. Nuri Pascha meinte, es sei Festschießen zu Ehren des Kurban-Beiram. Auf jeden Fall war das Schießen ein willkommener Deckmantel für die Fortsetzung des Gemetzels.

Am nächsten Morgen, 17. 9., ging die Plünderung ruhig weiter. Nun wurde vor unserem Hotel ein Plünderer aufgehängt. Die Türken erzählten uns, auch andere Hinrichtungen würden jetzt vollzogen, um die Plünderer abzuschrecken. Als ich am 17. 9. abends Baku verließ, war in der Nähe des[S. 445] Bahnhofs noch eine lebhafte Schießerei. Die Ordnung war in der Stadt noch nicht hergestellt.

Die Ausschreitungen spielten sich meist im Innern der Häuser ab. Daher lagen auf den Straßen verhältnismäßig wenig Leichen. Sie waren meistens in Winkeln zusammengetragen, so daß man oft erst durch den Geruch aufmerksam wurde. An einer Stelle sah ich sieben Leichen, meist nackt, übereinander liegen, darunter mehrere Kinder und eine Wöchnerin. Die Leichen waren nahezu alle mit blutunterlaufenen Stellen, die von Kolbenschlägen herrührten und mit Stichen bedeckt. Aus Kellern schlug Leichengeruch entgegen. Ich muß betonen, daß ich nur wenig Zeit hatte, den Spuren des Gemetzels nachzugehen, da ich von allen Seiten um Hilfe bestürmt wurde. Doch schon auf meinen kurzen Gängen traf ich auf diese handgreiflichen Beweise der Metzeleien. Der Eindruck der Plünderung ganzer Straßenzeilen vom Keller bis unter das Dach drängte sich ohne weiteres beim Passieren der Straßen auf. Als ein türkischer Major am 17. abends von einem Rundgang zurückkam, sagte er unaufgefordert zu mir: „Sie haben recht. In der Stadt ist es schrecklich zugegangen. Man kann es nicht leugnen.“ Vor anderen Zeugen erzählte mir ein Deutscher, er sei mit dem Adjutanten Nuri Paschas in ein Haus gekommen, in dem 13 Grusinier ohne Unterschied des Geschlechts und Alters ermordet lagen. Als er darauf hinwies, daß es sich um Grusinier, also deutsche Schutzbefohlene handle, erhielt er die Antwort: „Man hat sie eben für Armenier gehalten.“

Der dänische Konsul bemühte sich, die Erschießung der beiden Deutschen aufzuklären. In ihrem Hause hatten sich armenische Soldaten verteidigt, die bei der Annäherung der Türken flohen. Obwohl beide ohne Waffen waren, und sich als Deutsche bezeichneten, wurde sie ohne weitere Prüfung des Sachverhaltes an die Wand gestellt und erschossen.

Aus der Fülle der tragischen Erlebnisse und erschütternden Eindrücke möchte ich ein Vorkommnis herausgreifen. Eine deutsche Dame mit drei Töchtern teilte mir mit, daß ihr Schwiegersohn — ein Armenier — getötet worden und ihre Tochter — eine Deutsche — mit zwei Kindern weggeschleppt worden sei. Da ich hoffte, sie befänden sich vielleicht in einem der Schutzlager, in die die Armenier seit dem 17. vormittags mit Kolbenstößen und Peitschenhieben zusammengetrieben und wie Viehherden zusammengepfercht wurden, so ging ich mit ihr von Lager zu Lager. Die Verlorene war nirgends zu finden. Alles hofft auf Deutschlands Hilfe. Vom Auftreten der Türken hat man genug.

Ich halte es für dringend nötig, schon zum Schutze der riesigen wirtschaftlichen Interessen, daß deutsches Militär und deutsche Sachverständige nach Baku kommen.

Den türkischen Versuchen gegenüber, die schweren Verfehlungen und widerlichen Vorgänge in Baku als harmlos und als im Zusammenhang mit der Erstürmung der Stadt hinzustellen, möchte ich nochmals be[S. 446]tonen, daß das Gemetzel schon vor Wochen angekündigt und ohne jeden Zusammenhang mit taktischen Vorgängen durchgeführt wurde. Auch der Einwurf, man habe die Truppen nicht in die Stadt gelassen, da man ihrer nicht sicher gewesen sei, ist nicht stichhaltig. Allerdings durfte man nicht, wie es vielfach geschah, die Soldaten in kleineren Patrouillen durch die Stadt schicken. Wo dies geschah, beteiligte sich die türkische Soldateska lebhaft am Plündern und Schänden. Hätte man sie bataillonsweise auf den großen Plätzen aufgestellt und von dort Züge unter Offizieren entsendet, so hätte sich Ordnung schaffen lassen und die Truppe wäre in der Hand behalten worden.

Aus der Fülle von Zeugen, die weit besser wie ich über die schweren Ausschreitungen berichten können, möchte ich den dänischen, schwedischen und persischen Konsul, einen Herrn Dassel neben zahlreichen Deutschen, deren Namen mir entfallen, dann Major Hartmann, Major Mayr, Oberstabsarzt Brokelmann, Leutnant Uttermarck des bayerischen Jägerregiments Nr. 15 nennen. Der russische General Ali Pascha erzählte mir, daß sogar seinen beiden alten Schwestern 600 Rubel in der Wohnung abgepreßt wurden, da man ihnen vorhielt, sie seien Christinnen, obwohl sie den Koran vorzeigten. Ich würde es für richtig halten, daß in Baku eine deutsche Kommission gebildet wird, bei der alle Ausschreitungen gegen Deutsche und deutsche Schutzbefohlene angemeldet werden.

Ab ich am 17.9. abends mich von Nuri Pascha verabschiedete, reichte er mir die Hand. Obwohl es bekannt war, daß bei Baladschari ein Zusammenstoß zweier Züge erfolgt war und die Strecke gesperrt sei, fuhren wir los. Vielleicht käme man doch durch. Die Folge war, daß wir fast 24 Stunden vor Baladschari liegen blieben. Die Station Kyschli war ebenfalls geplündert. In der Gegend im Nordosten Bakus zeigten sich Reitergruppen, zahlreiche Schüsse fielen, Staubwolken tauchten auf. Was wirklich vorging, war nicht zu erkennen.

Am 18. vormittags erschien der Adjutant Halil Paschas und überreichte mir, ohne daß vorher ein Wort zwischen Halil und mir gewechselt oder irgend eine Reibung erfolgt wäre, folgendes Enthebungsschreiben, datiert vom 17. 9.:

Votre tenue et vos paroles d’hier contre S. E. Noury Pascha, le commandant en Chef de l’armée Islam, devant une foule amie et étrangère et par conséquence la plainte officielle de S. E. à moi m’obligent définitivement de mettre un terme à votre Mission de Chef d’Etat-Major chez moi.

Je vous ai mis à la disposition du grand quartier Général auquel je l’ai télégraphié.

Halil
en Chef de groupe d’armées d’Est.
Lieutenant-Général et commandant.

[S. 447]

Der schroffe Inhalt des Schreibens machte es mir unmöglich, die Geschäfte bis zur Antwort des Großen Hauptquartiers weiterzuführen. Sie wurden vom Sous Chef, Oberstleutnant Bassri Bey, übernommen.

Paraquin, Oberstleutnant.

Anlage 2.

Délégation Imperiale Allemande
au Caucase.

Tiflis, le 20 Septembre 1918.

Excellence,

En vous faisant parvenir ci-jointe la copie d’un télégramme que je viens d’adresser à Son Excellence Noury Pascha, je ne manque pas de prier aussi Votre Excellence instamment de faire valoir toute votre influence auprès de votre Gouvernement et auprès du commandant-en-chef de l’armée Islam afin qu’il consente à la demande que j’ai dû lui exprimer. Comme représentant de l’Allemagne le plus rapproché des événements de Bacou je porte toutes les responsabilités pour la protection des sujets Allemands de cette ville vis-à-vis de mon Gouvernement ainsi que de la nation Allemande toute entière.

En même temps je crois pouvoir recourir à vos sentiments de haute justice et de l’humanité pour obtenir l’intervention de Votre Excellence en faveur des pauvres gens qui en ce moment souffrent si terriblement de la fureur des Tatares et qui ne sauraient être sauvés que par une puissante protection des troupes régulières Ottomanes.

D’après les renseignements absolument sûrs que je viens de recevoir, les Tatares ont commencé immédiatement après l’entrée dans la ville des troupes Ottomanes à se livrer à toutes sortes de cruautés, de pillages et de massacres. En première ligne ces atrocités furent dirigées contre les Arméniens, mais il y en a aussi des sujets des autres nations, qui sont tombés victimes eux-mêmes et leurs biens propres.

Quoique Noury Pascha disposât d’un nombre suffisant de troupes régulières pour mettre immédiatement fin à ces cruautés, il n’a pas pris pour des raisons qui ne me sont pas connues à temps des mesures énergiques de sorte que même le soir du 17 l’ordre à Bacou ne fut pas encore rétabli.

C’est en ma qualité de collègue et d’Allié que je me permets d’adresser cet appel au représentant d’une grande nation civilisée. En particulier je me base sur les promesses que Votre Excellence a bien voulu me donner au[S. 448] sujet des efforts que vous avez fait pour arriver à un resserrement des relations cordiales entre nos deux puissances.

Je saisis l’occasion pour renouveler à Votre Excellence l’assurance de ma très haute considération.

v. Kreß.

Son Excellence Abdoul Kerim Pascha, Représentant Impérial Ottoman près du Gouvernement de la République Géorgienne à Tiflis.

Anlage 3.

Délégation Imperiale Allemande
au Caucase.

Tiflis, le 20 Septembre 1918.

Très urgent!

Télégramme.

Je tiens d’une source absolument sûre que lors des massacres, qui malheureusement ont eu lieu à Bacou après la prise de la ville, plusieurs sujets ou anciens sujets Allemands sont aussi tombés victimes des atrocités et leurs biens dévastés. Par conséquent vu le fait que Votre Excellence n’était pas à même de protéger suffisamment les vies et les intérêts des citoyens Allemands, je vous adresse au nom de l’Empire Allemand la demande officielle et formelle de donner dès à présent votre consentement à l’envoi d’un bataillon Allemand qui sera exclusivement chargé de la sauvegarde des dits intérêts de mes connationaux. En ce qui concerne les crimes, qui ont été déjà commis contre des sujets Allemands je me réserve d’y revenir plus tard après avoir reçu les instructions y relatives de mon Gouvernement. Veuillez répondre, Excellence, par retour du courrier, et agréez l’assurance de ma haute consideration.

Général v. Kreß.

A Son Excellence Noury Pascha
Général de division Impérial Ottoman à Bacou.

Anlage 4.

Kaiserlich Deutsche Delegation
im Kaukasus.

Tiflis, den 20. September 1918.

Herr Diplomatischer Vertreter!

Ich erfahre soeben aus absolut zuverlässiger Quelle, daß nach der Eroberung Bakus durch die türkischen Truppen tatarische Banden und Teile der tatarischen städtischen Bevölkerung Gemetzel größten Umfangs angezettelt haben, dem auch einige Deutsche zum Opfer gefallen sind.

[S. 449]

Indem ich mir vorbehalte, auf einzelne Geschehnisse zurückzukommen, sobald ich im Besitz entsprechender Instruktionen meiner Regierung bin, bitte ich Euere Exzellenz schon heute, Ihrer Regierung mitteilen zu wollen, daß ich genötigt sein werde, volle Genugtuung für die Gewalttaten zu fordern, denen wehrlose Deutsche oder unter deutschem Schutz stehende Personen von Seiten der Tataren ausgesetzt gewesen sind.

Genehmigen Euere Exzellenz die erneute Versicherung meiner vorzüglichen Hochachtung.

v. Kreß.

Seiner Exzellenz Herrn Djafaroff, diplomatischem Vertreter der Aserbeidschanischen Republik bei der Georgischen Regierung in Tiflis.

Anlage 5.

(Ottomanische Vertretung
in Tiflis.)

Tiflis, le 21. Septembre 1918.

A Son Excellence le Représentant du Gouvernement de l’empire allemand, Général von Kreß.

Excellence,

J’ai l’honneur de vous informer sur les soi-disantes atrocités et attaques sur les vies et bénéfices des sujets allemands pendant l’occupation de Bacou. Cela a été avisé à Votre Excellence par une idée tout à fait exagérée et pour les Arméniens aussi il n’a pas été commis aucun excès et aucune cruauté. Quant aux petits événements qui soi-disant eurent lieu pendant l’occupation de la ville, ils peuvent être considérés comme des accidents attachés aux anciens événements et cela peut arriver partout, mais c’est bien sûr que sur la chute d’une position de défense, qui a passée des scènes sanglantes, dans le passé et dans le présent, quelques petits accidents peuvent surgir, mais ils n’ont absolument aucun sens de massacre. Et surtout de pratiquer volontairement une attaque contre les sujets allemands, peut rester tout à fait en dehors de la vérité. C’est absolument impossible admettre de la part de l’armée et du peuple ottoman d’une telle action vis-à-vis de son allié et ami, Etat et peuple d’Allemagne. On peut réparer toujours les petits dégats qui soi-disant ont eu lieu pendant le courant des événements de Bacou et en même temps s’il y a eu de tels incidents appartenants à ce temps là, ce sera bien possible d’empêcher définitivement leurs répétitions et de maintenir la discipline et l’ordre, d’établir aussi la tranquillité et la paix et je crois que jusqu’à maintenant toutes ces choses là sont faites. C’est pour cela que je ne vois d’après moi aucun besoin d’envoyer un autre bataillon pour une ville qui a été prise avec tel prix de sang et des pareils sacrifices.

[S. 450]

Parce que c’est bien sûr que les officiers supérieurs, les officiers et les troupes ottomanes qui se trouvent à Bacou savent que toutes sortes de droits de leurs confrères allemands sont aussi honorés et sacrés au même degré de leurs propres droits. C’est ce que j’appuis sur les idées et les jugements de n’envoyer sans nécessité un bataillon allemand à Bacou, c’est fondé sur la raison qui ne consiste aucun danger pour l’Empire ottoman et pour les armées devant nos ennemis communs ainsi que pour les sujets allemands et la façon d’agir en envoyant le susdit bataillon aura peut-être quelques inconvénients et des rumeurs nuisibles dans les sphères qui nous entourent.

Cependant en parlant du texte de votre lettre, Excellence, je l’ai communiqué au Gouvernement et au Commandant de l’armée de l’Islam et j’ai ajouté de ma part qu’il soit apporté de la part des troupes ottomanes le concours essentiel avec une attention spéciale, et s’il existe des nécessiteux, il faudrait pour ces pauvres aussi, par grâce, prêter le concours immédiat.

En joignant mes respects, Excellence, j’ai l’honneur d’appuyer sur notre alliance remplie d’honneur et de gloire communs et nos liens et amitiés et aussi les créances que Votre Excellence porte pour le gouvernement et le peuple ottoman et ainsi que pour l’armée remplie d’héroisme.

Veuillez agréer, Excellence, l’assurance de ma haute considération.

Représentant Diplomatique et Militaire du Gouvernement Impérial Ottoman,
Abdul-Kerim

Anlage 6.

(Türkische Kaukasusarmee.)

Bakou, le 25-9-34.

Excellence,

J’ai reçu votre télégramme et votre honoré du 20.9.18 informant les évènements arrivés à Bakou.

Ces nouvelles ne peuvent être de si authentique comme d’annonce.

Le premier jour de l’offensive générale de nos troupes contre Bakou, la résistance de l’ennemi n’avait pas été rompu tout à fait.

Le lendemain, par suite de la défense et durable et définitive de l’ennemi, l’armée a été obligée d’entrer en combat à la ville.

Plusieurs musulmans déjà chagrinés du massacre des musulmans fait par les arméniens en date 18 Mars 1918, et surtout les gaspilleurs ouvriers Persans, profitèrent instantanément de l’occasion présentée et se mirent à commettre quelques offenses.

Ces évènements a pu se rétablir en sûreté par les preuves et les mesures énergiques prit par l’armée et par la condamnation à mort de centaines de musulmans coupables de ces atrocités.

[S. 451]

Dès lors, la ville possède une sûreté extraordinaire de sorte qu’aucun du peuple ne porte plainte.

Les renseignements que vous venez de recevoir sur les sujets allemands tombés victimes des atrocités ne sont pas ni vrais et ni réels, si il y a de même des offenses commis envers les sujets allemands, le Gouvernement Azerbaydjanien est obligé de dédommager les pertes désignées.

Les troupes turcs ont déjà rétabli l’ordre et la sûreté public. Voilà pourquoi il ne serait pas nécessaire d’envoyer les troupes allemandes pour la sauvegarde des sujets allemands.

C’est un de mes spéciaux devoirs la charge de protéger les vies et les intérêts des sujets allemands.

Noury, Général de Division.

Son Excellence le Général von Kreß,
Délégué Impérial Allemand Tiflis

443.

Auswärtiges Amt.

Berlin, den 29. Oktober 1918.

Die Meldung der Tribune de Genève[157] ist unzutreffend. Der wahre Sachverhalt ist folgender:

Bereits am 4. Juni hat die Türkei in Batum mit der damals neu gegründeten armenischen Republik einen Friedensvertrag geschlossen, dessen Bestimmungen in territorialer Hinsicht für die Armenier sehr ungünstig waren. Die türkische Grenze war weit über die im Frieden von Brest-Litowsk gezogene Linie vorgeschoben. Das den Armeniern verbleibende unfruchtbare Gebirgsland reichte nicht aus, um außer den ursprünglichen Bewohnern, den vielen Flüchtlingen aus Türkisch-Armenien und den von den Türken besetzten kaukasischen Gebieten Unterkommen und Nahrung zu bieten. Wir haben den Vertrag von Batum nicht anerkannt und alsbald energische Schritte unternommen, um die Türken zur Innehaltung der Bestimmungen des Brester Friedens zu veranlassen. Lange zeigte sich die türkische Regierung taub gegen alle Vorstellungen. Auch unser Versuch, den armenischen Flüchtlingen wenigstens zur Bergung der Ernte die Rückkehr in ihre verlassenen Dörfer zu ermöglichen, blieb zunächst erfolglos.

Erst bei den Verhandlungen, die im September hier mit dem Großwesir geführt wurden, gelang es uns, ihn zum Entgegenkommen gegenüber den[S. 452] Wünschen der Armenier zu bewegen und das Versprechen einer Revision der territorialen Bestimmungen des Vertrages von Batum zu erlangen. Die seit Anfang Juni in Berlin anwesenden armenischen Delegierten haben an den deutsch-türkischen Verhandlungen nicht teilgenommen. Talaat Pascha hat sich aber ihnen gegenüber im gleichen Sinne ausgesprochen.

Unmittelbar nach seiner Rückkehr nach Konstantinopel hat er dann sein uns gegebenes Versprechen erfüllt und mit der armenischen Republik eine Vereinbarung über Wiederabtretung und Räumung des armenischen Gebiets bis zur Grenze von Brest-Litowsk abgeschlossen.

I. A.:
von Langwerth.

An die Deutsche Gesandtschaft, Bern.

[S. 453]

November.

444.

Société Impériale ottomane
du Chemin de Fer de Bagdad.

Konstantinopel, den 5. November 1918.

An den Verwaltungsrat der Bagdad-Eisenbahn-Gesellschaft, Berlin, betreffend Armenierfrage.

In dieser Frage haben wir Ihnen in den Jahren 1915 und 1916 — hauptsächlich im Sommer und Herbst 1915 — vielfach und eingehend zu berichten gehabt.

Wie Sie sich erinnern werden, hatten wir Kämpfe zu bestehen, um unsere armenischen Angestellten ihrem Dienst an unseren Bahnen zu erhalten. Die kritischste Periode war im August 1915, als die türkische Regierung unvermittelt eines Tages an die Ausführung ihrer Absicht ging, unsere armenischen Angestellten in der Zahl von etwa 850 zwangsweise mit ihren Familien in die entfernteren Gegenden des Reiches abzuführen. Sie erinnern sich, daß der Zeichner dieses damals zunächst einen Aufschub der Maßregeln erwirkte dadurch, daß er erklärte, zur selbigen Stunde den Betrieb auf der ganzen Linie einzustellen, weil ein solcher in geregelter Weise nach der Herausnahme von 850 geschulten und eingearbeiteten Beamten eine Unmöglichkeit sei. An unserer ohnehin geschwächten Organisation zu rühren, bilde überhaupt eine Gefahr von ungeheurer Tragweite, die sogar den Gang des Krieges beeinflussen könne.

Es war dann eine sehr schwierige Aufgabe, den Aufschub in eine Aufhebung der Maßregeln gegen unsere armenischen Angestellten umzuwandeln, und, wie Sie wissen, haben wir diese Aufgabe trotz vielfacher und immer wieder aufs neue einsetzender starker Pression siegreich durchgeführt.

In diesen Tagen war nun eine Deputation unserer armenischen Angestellten bei uns, um zu erklären, daß sie erst jetzt die Freiheit besäßen, uns auszusprechen, was sie seit 1915 in steigender Lebhaftigkeit empfunden hätten, nämlich daß sie und ihre Familien Leben und Existenz nur unserem damaligen festen Eingreifen zu danken hätten. Daß sie seien, und was sie seien, dankten sie einzig der Leitung der anatolischen Eisenbahn-Gesellschaft, und es gäbe in den armenischen Familien an unseren Linien kein Familienmitglied, daß dieser Tatsache nicht jeden Tag, den Gott gibt, dankbar gedächte. In diesem Sinne sprach sich die Deputation aus, und[S. 454] unsere Erwiderung bewegte sich in der Richtung, daß wir an unseren armenischen Angestellten stets gewissenhafte Mitarbeiter besessen hätten, und daß es sich um ein einfaches Gebot der Pflicht für uns gehandelt hätte, Treue mit Treue zu entgelten. Den Dank nähmen wir gerne entgegen und hofften, daß wir ihn in der Gestalt von treuer Pflichterfüllung und Hingabe an unsere gemeinsame Aufgabe betätigt sähen. Wenn wir uns wie bisher auf unsere armenischen Angestellten verlassen könnten, so könnten sie sich mit Zuversicht auch auf uns — die Leitung — verlassen, und auf diese Weise könnten wir in gemeinsamer ernster Arbeit jeder von seinem Platze aus die Aufgabe erfüllen, die unseren Bahnen in der Türkei zum Besten des Landes und seiner Bewohner gestellt ist.

Einige Tage nach dem Erscheinen dieser Deputation sandte der armenische Patriarch in seiner Vertretung einen Herrn zu uns, dessen offizielle Tätigkeit die Führung der Geschäfte des armenischen Patriarchats ist. Im Namen des Patriarchs und des ganzen armenischen Volkes dankte er mir für meine Intervention zugunsten unserer armenischen Angestellten und deren Familien. Die armenische Nation habe eine Dankesschuld abzutragen, die Ehrensache eines jeden Armeniers sein müsse.

Ich möchte hier noch beifügen, daß unmittelbar nach meinem ersten Vorgehen im August 1915 und meiner stürmischen Auseinandersetzung mit den Behörden der damalige armenische Patriarch einen Vertrauten zu mir sandte mit folgender Botschaft: Er (der Patriarch) sei ein alter Mann und hoffe bald vor Gottes Thron zu stehen. Er sehne diesen Augenblick herbei, und er werde sich dem Throne Gottes mit einem Gebet auf den Lippen für mich nähern. Das sei alles, was er mir für jetzt im Namen der Armenier sagen lassen könne.

Die Armenier werden jetzt wieder in ihre ursprünglichen Wohnorte zurückgeführt. Das Elend der Armen ist nach ihren mehrjährigen Leiden ungeheuer. Um im Gebiet unserer Bahn den Leuten etwas Hilfe zu leisten, haben Herr Huguenin und Zeichner dieses im Hinblick auf die Unmöglichkeit einer vorhergehenden Verständigung mit Ihnen jeder von sich aus Ltq. 500 dem bestehenden Komitee gespendet.

Hochachtungsvoll
Der Generaldirektor.
Günther.

[S. 455]

Anhang

[S. 456]

Inhalt.

1. Zeitun und Suedije
2. Bitlis-Musch
3. Wan
4. In den Konzentrationslagern 
5. Das Hilfswerk in Urfa

[S. 457]

1.
Zeitun und Suedije.[158]

Ich war ein Jahr lang Pfarrer im Dienste der armenisch-protestantischen Kirche in Zeitun. Der folgende Bericht gibt meine persönlichen Erfahrungen wieder:

Früh im Frühjahr dieses Jahres begann die Regierung eine drohende Haltung gegenüber der Bewohnerschaft von Zeitun anzunehmen. Älteste und Notable der Stadt wurden vorgeladen und einem inquisitorischen Verfahren unter Anwendung der Bastonnade unterzogen. Absurde und unmögliche Anklagen wurden erhoben, um Geld zu erpressen. Inzwischen wurden 4000 Soldaten regulärer Truppen in den Kasernen oberhalb der Stadt einquartiert. Ein Versuch, das armenische Kloster, in das sich Deserteure geflüchtet hatten, zu überrumpeln, kostete den Türken einige Verluste und verfehlte seinen Zweck. Die Besatzung des Klosters verteidigte sich, und selbst als sie von Feldartillerie angegriffen wurde, gelang es nicht, das Kloster zu nehmen.

Infolgedessen wurden fünfzig der angesehensten Männer von Zeitun in die Kaserne geladen „zu einer Konferenz mit dem Kommandeur“. Sie wurden sofort gefangen gesetzt, und ihre Familien wurden geholt. Jedermann wartete ängstlich auf die Rückkehr dieser Leute. Aber nach einiger Zeit erfuhr man, daß sie an einen unbekannten Bestimmungsort fortgeschickt worden waren. Ein paar Tage später wurde eine andere und größere Gruppe von Familien in die Kaserne befohlen und mit Drohungen und Flüchen an einen anderen Verbannungsort fortgetrieben. Auf diese Weise wurden 300 oder 400 Familien fortgeschickt, auf abseitigen Wegen durch die Berge, die einen nordwestlich nach Konia zu, andere südöstlich in heiße[S. 458] und ungesunde Distrikte von Mesopotamien (Der es Zor). Tag für Tag sahen wir, wie die verschiedenen Viertel der Stadt von Einwohnern entblößt wurden, bis von den 10000 Einwohnern der Stadt nur ein kleiner Rest übrigblieb.

Neben meinen Pflichten als Pfarrer hatte ich gerade damals die Aufsicht über das Missions-Waisenhaus. Der Kommandeur ließ mich morgens holen und sagte mir, ich solle mich sofort zur Abreise bereit halten. „Ihre Frau muß auch gehen“, sagte er, „und die Kinder vom Waisenhaus.“ Wir trafen eilends unsere Vorbereitungen, denn wir durften nur wenig mit uns nehmen. Als wir fortzogen, sah ich mit trauerndem Herzen zurück auf unsere Kirche, die leer und verlassen stand. Die letzte Schar von unsern Landsleuten strömte das Tal hinunter in die Verbannung. Ich hatte in früheren Zeiten Massakers gesehen, aber etwas Ähnliches hatte ich niemals vorher gesehen. Ein Massaker ist wenigstens schnell vorüber, aber die verlängerte Seelenqual einer solchen Deportation ist fast nicht zu tragen.

Der erste Tagesmarsch erschöpfte uns alle. Als wir uns im Freien niederlegten, kamen im Dunkeln türkische Maultiertreiber und beraubten uns der wenigen Esel und Maultiere, die wir hatten. Am nächsten Tag erreichten wir in kläglichem Zustand Marasch: die Kinder mit geschwollenen und wunden Füßen. Durch dringende Fürsprache der amerikanischen Missionare erhielten wir für mich und meine Frau vom Gouverneur Erlaubnis, in mein Heimatdorf, Yughonoluk, das in der Nähe der See, 12 Meilen westlich von Antiochia, gelegen ist, zurückzukehren. Der Gouverneur gab die Erlaubnis nur aus dem Grunde, weil meine Frau und ich nicht Eingeborene von Zeitun waren. Mein Herz war geteilt zwischen dem Wunsch, dem Rest meiner Gemeinde in die Verbannung zu folgen, und dem Wunsch, meine Frau an einen Ort zu bringen, wo sie in meinem Elternhaus verhältnismäßig sicher war. Da der Reiseschein schon ausgestellt war, hatte ich keine Alternative, sondern mußte gehen.

In Aintab fanden wir die große armenische Gemeinde in großer Sorge, aber damals war noch nicht der Befehl gegeben, die Stadt zu verlassen. Gerüchte erreichten uns, daß auch die Dörfer am Meer bedroht waren, aber wir hielten es für das beste, unsern Weg nach Süden fortzusetzen, obgleich die Reise zu solcher Zeit schwierig war.

Der letzte Teil unseres Weges führte uns durch eine fruchtbare[S. 459] Ebene nach Antiochia. Reste der Römerstraße, die einst von Antiochia nach Seleucia ans Meer führte, sind noch in dem Tal unterhalb meines Heimatdorfes zu bemerken. Die steinernen Dämme der römischen Hafenbauten von Seleucia sind durch die Stürme und Erdbeben der Jahrhunderte noch nicht völlig zerstört worden.

Die Leute meines Heimatdorfes Yoghonoluk sind einfache fleißige Leute. Jahrelang war ihre Hauptbeschäftigung das Sägen und Handpolieren von Kämmen aus hartem Holz und Bein. Viele unserer Männer sind auch geschickte Holzschnitzer. In den Nachbardörfern sind die Hauptbeschäftigungen Seidenraupenzucht und Webereien für seidene Taschentücher und Shawls auf Handwebstühlen. Jedes Haus ist von Maulbeerbäumen umgeben, und viele schöne Obstgärten bedecken die terrassenartigen Abhänge nach Süden und Westen. Reisende, welche in Süditalien gewesen sind, erzählen uns, daß die Dörfer bei Neapel den unsern gleichen. Der breite rauhe Rücken des Musa-Dagh, der an den Djebel el Ahmar stößt, erhebt sich im Osten. Jede Schlucht und jede Klippe unseres Berges ist unsern Knaben und Männern bekannt. Unsere Leute lieben ihre Kirchen sehr, und seitdem die amerikanischen Missionare hier Schulen eröffnet haben, haben die meisten unserer Kinder Lesen gelernt.

Ich erwähne diese Dinge über mein Heimatsdorf, damit Sie etwas fühlen können von dem ruhigen glücklichen Leben, das durch diesen letzten Versuch der Türken, unsere Rasse auszurotten, so roh und so vollständig zerstört worden ist.

Achtzehn Tage, nachdem ich meine Heimat erreicht hatte, kam ein offizieller Befehl von der türkischen Regierung in Antiochia, daß die sechs Dörfer am Musa Dagh sich innerhalb sieben Tagen auf die Verschickung vorzubereiten hätten. Sie können sich die Bestürzung und Entrüstung kaum vorstellen, welche dieser Befehl verursachte. Wir saßen die ganze Nacht auf und überlegten, was wir am besten tun könnten. Es schien hoffnungslos, der türkischen Regierung zu widerstehen, und doch schien es eine so furchtbare Aussicht, unsere Familien in die ferne Wüste zu schicken, die von fanatischen Araberstämmen bewohnt wird, daß die Frauen sowohl als die Männer dahin neigten, sich dem Befehl zu widersetzen und lieber den Zorn der Regierung auf sich zu laden. Indessen waren nicht alle dieser Ansicht. Pastor Harutiun Nokhudian, der Pfarrer der protestantischen Kirche in Beytias, zum Beispiel kam zu der Überzeugung, daß es eine Torheit sein würde, Widerstand zu leisten, und daß die Härte der Verbannung[S. 460] vielleicht irgendwie gemildert werden könnte. Er war dafür, nachzugeben. Fünfzig Familien seines eigenen Dorfes und eine beträchtliche Zahl aus dem Nachbardorf die ihm zustimmten, trennten sich von uns und machten sich unter türkischer Bewachung nach Antiochia auf den Weg. Sie wurden in der Richtung auf den unteren Euphrat weitertransportiert. Wir haben alle Spur von ihnen verloren und hören vielleicht niemals wieder von ihnen.

Unsere Freunde, die amerikanischen Missionare, waren von uns abgeschnitten, 120 (engl.) Meilen weit nach Norden in Aintab. Da alle Verbindungen mit der Außenwelt abgebrochen waren, sahen wir uns auf unsere eigene Hilfe angewiesen, und es wurde uns klar, daß die Gnade Gottes unsere einzige Hoffnung war. Da wir wußten, daß es unmöglich sein würde, unsere Dörfer am Fuß der Berge zu verteidigen, entschlossen wir uns, uns auf die Höhen des Musa-Daghs zurückzuziehen. Wir nahmen soviel als möglich Nahrungsmittel mit und soviel Gerät, als möglich war zu tragen. Alle Schafe und Ziegenherden wurden den Berg hinaufgetrieben, und jede Verteidigungswaffe wurde instand gesetzt. Wir fanden, daß wir 120 Büchsen und Gewehre hatten und vielleicht dreimal soviel alte Feuersteinschloßgewehre und Sattelpistolen. Die Hälfte unserer Männer blieb noch ohne Waffen. Es wurde uns schwer, unsere Häuser zu verlassen und von unseren Kirchen und Schulen Abschied zu nehmen. Am dritten Tage erreichten wir bei Eintritt der Nacht die Höhen des Berges. Beim Morgengrauen des nächsten Tages waren alle Hände an der Arbeit, um an den wichtigsten Stellen Gräben zu graben. Wo keine Erde war, um Gräben zu graben, wurden Felsen aufeinandergerollt und daraus Barrikaden gemacht, hinter welchen unsere Schützen verteilt wurden. Die Sonne ging herrlich auf, und wir waren den ganzen Tag hart an der Arbeit, um unsere Stellungen gegen einen Angriff zu befestigen, den wir bald erwarten mußten.

Gegen Abend hatten wir eine allgemeine Zusammenkunft und wählten ein Verteidigungskomitee, dem die oberste Autorität für unsere sechs Gemeinden zuerkannt wurde. Einige begünstigten eine Wahl durch Händehochheben, aber andere meinten, daß dies eine Sache von so ungeheurer Wichtigkeit sei, daß die übliche Wahlmethode der Gemeinde durch geheime Abstimmung befolgt werden sollte. Schnell wurden Papierschnitzel gesammelt und die Wahl vorgenommen. Nachdem auf diese Weise ein Rat gebildet worden war, wurden sofort Pläne gemacht, um jeden Paß des Berges und jeden[S. 461] Zugang zum Lager zu verteidigen. Wächter, Boten und eine Reservetruppe von Schützen wurden gewählt und ihnen ihre Pflichten zugeteilt.

Der Regierungsbefehl war am 30. Juli ausgegeben worden. Die Frist von sieben Tagen war jetzt fast verstrichen, und wir konnten feststellen, daß die Türken unsere Flucht entdeckt hatten. Die Ebene von Antiochia ist von Türken und Arabern bevölkert, und immer liegt eine starke militärische Besatzung in den Kasernen von Antiochia.

Am 5. August begann denn auch der Angriff. Die Vorhut bestand aus 200 Regulären. Ihr Hauptmann rühmte sich, daß er den Berg an einem Tage säubern würde. Aber die Türken hatten mehrere Verluste und wurden an den Fuß des Berges zurückgeworfen. Als wir Vorbereitungen trafen, uns zu lagern und das Abendessen zu kochen, setzte ein strömender Regen ein, der die ganze Nacht andauerte. Darauf waren wir schlecht vorbereitet. Es war nicht Zeit gewesen, Hütten aus Zweigen zu machen, noch hatten wir irgendwelche Zelte aus wasserdichtem Stoff. Männer, Frauen und Kinder, im ganzen etwas über 5000, wurden bis auf die Haut naß. Viel von dem Brot, das wir mitgebracht hatten, wurde in eine Teigmasse verwandelt. Wir waren mehr besorgt, unser Pulver und unsere Büchsen trocken zu halten.

Als die Türken zu einem allgemeinen Angriff vorgingen, schleppten sie zwei Feldkanonen auf den Berg, welche nach einigen Experimenten sich einen Abschnitt sicherten und Verheerungen in unserm Lager anrichteten. Einer unserer Schützen, ein beherzter junger Bursche, kroch durch das Buschwerk hinunter und zwischen den Felsen entlang, bis er dem Bereich der Feldkanonen nahe war, die auf einer Felsenfläche aufgestellt waren. Nachdem er sich eine Barrikade von Zweigen gemacht hatte, wartete er auf eine gute Gelegenheit. Er war so nahe, daß er die Türken miteinander reden hören konnte, wenn sie die Kanonen luden. Als ein Kanonier in Sicht kam, streckte ihn der junge Mann mit dem ersten Schuß nieder. Mit 5 Kugeln tötete er 4 weitere Kanoniere. Der Hauptmann warf voll Entsetzen seine Hände in die Höhe, und da er nicht fähig war, unseren Schützen zu entdecken, befahl er, daß die Kanonen nach einem gedeckten Platz geschleppt wurden. So wurden wir an jenem Tage und an mehreren späteren vor schwerem Feuer bewahrt.

Aber die Türken zogen ihre Streitkräfte zu einem Hauptangriff[S. 462] zusammen. Sie hatten in viele muhammedanische Dörfer Botschaft geschickt, um die Leute zu den Waffen zu rufen. Armeebüchsen und viel Munition wurden aus dem Arsenal in Antiochia ausgegeben, bis der Haufe von 4000 Muhammedanern, die nach einem Massaker dürsteten, ein für uns furchtbarer Feind geworden waren. Aber die Hauptmacht der Türken waren die 3000 regulären Truppen, die an Disziplin und an Beschwerlichkeiten gewöhnt waren.

Plötzlich eines Morgens meldeten unsere Späher unserm Hauptquartier, daß der Feind an jedem der Bergpässe erschienen sei. Hier und da hatten die Türken schon die Hänge und die Bergrücken besetzt. Unsere Reservetruppe war unklugerweise, wie wir später merkten, in kleinen Gruppen nach diesen verschiedenen Punkten geschickt worden. Kaum waren unsere Kräfte so verteilt, als ein Massenangriff mit großer Gewalt eine Schlucht hinauf einsetzte. Das gesamte übrige Vorgehen waren Scheinangriffe gewesen, die nicht weiter verfolgt wurden. Mit der Zeit erkannten unsere Leute die Lage und berichteten von verschiedenen Punkten, daß die Türken unsere Späher erschossen und einen wichtigen Paß genommen hätten. Zu unserm Entsetzen sahen wir sie schon in vollem Besitz der Höhen, so daß sie unser Lager bedrohten. Verstärkungen rückten beständig den Berg herauf, und als der Nachmittag herankam, sahen wir, daß wir weit in der Minderzahl waren. Wir merkten auch, daß die Schußweite der türkischen Büchsen unsern altmodischen Feuerwaffen weit überlegen war. Bei Sonnenuntergang hatte der Feind 3 Kompagnien durch das dichte Unterholz und den Wald vorgeschickt, bis auf 400 Ellen vor unsern Hütten. Eine tiefe dumpfige Schlucht lag dazwischen, und die Türken entschlossen sich, lieber da, wo sie standen, zu biwakieren als in der Dunkelheit weiter vorzugehen.

Unsere Führer hielten in aller Eile Rat ab, flüsterten nur leise und erlaubten kein Licht im Lager. Jedermann wußte, daß die Lage kritisch war. Endlich wurde ein gewagter Plan angenommen. Im Dunkel der Nacht an die türkischen Stellungen heran zu kriechen, eine Einkreisungsbewegung auszuführen, dann einen plötzlichen Feuerüberfall zu eröffnen und zum Nahkampf überzugehen. Wir wußten, daß alles verloren war, wenn dieser Plan scheiterte. Mit außerordentlicher Geschicklichkeit krochen unsere Männer durch die dunkeln und feuchten Wälder. Hier machte unsere Vertrautheit mit jenen Schluchten und Dickichten es möglich, etwas auszuführen, was Fremde nicht hätten versuchen können. Der Kreis war tatsächlich[S. 463] geschlossen, als mit Blitzen und Krachen von allen Seiten unsere Männer zum Angriff übergingen und mit verzweifeltem Mute vorwärts stürmten.

Nach wenigen Augenblicken war es klar, daß Bestürzung und Schrecken das türkische Lager in die größte Verwirrung gebracht hatte. Die Truppen stürzten in der schwarzen Nacht hierhin und dorthin und stolperten über Felsplatten und Baumstämme. Offiziere schrieen sich widersprechende Befehle zu und mühten sich vergeblich, ihre Leute zusammenzuhalten. Augenscheinlich glaubten sie es mit einem sehr gefährlichen Angriff zu tun zu haben, denn nach weniger als einer halben Stunde gab der türkische Oberst den Befehl zum Rückzug, und vor Morgengrauen waren die Wälder tatsächlich von Truppen frei. Mehr als 200 Türken waren gefallen, und wir hatten einige Beute gemacht: 7 Mausergewehre, 2500 Pack Munition und einen Maulesel. Kein Anzeichen deutete auf einen Wiederbeginn des Kampfes, aber wir wußten, daß unser Feind nicht geschlagen war. Er war nur vertrieben.

Während der nächsten Tage wurde die ganze muhammedanische Bevölkerung, viele Meilen im Umkreis, mobil gemacht, eine Horde von vielleicht 8000 Menschen. Mit dieser Masse konnten sie den Musa Dagh umzingeln und auf der Landseite belagern. Ihr Plan war, uns auszuhungern. Auf der Seeseite war kein Hafen, noch irgendeine Verbindung mit einem Seehafen möglich. Der Berg fiel steil zum Meere ab. Wir waren voll beschäftigt mit der Sorge für unsere Verwundeten und der Ausbesserung des Schadens, der in unserm Lager angerichtet war. Besondere Versammlungen wurden abgehalten, um Gott zu danken, daß er uns so weit bewahrt hatte, und für unsere Familien und für unsere Kleinen zu beten.

Als wir entdeckten, daß unser Berg im Belagerungszustand war, begannen wir, unsere Nahrungsquellen abzuschätzen. Während der ersten Woche auf der Höhe war das Brot, die Kartoffeln und der Käse, welche wir von Hause mitgebracht hatten, zu Ende gegangen. Sehr wenige nur hatten Mehl und andere Feldfrüchte mitbringen können. Einen Monat etwa lebten wir von unsern Herden und schlachteten täglich eine Zahl Schafe und Ziegen. Die Ziegenmilch brauchten wir für die Kinder und die Kranken. Diese beständige Fleischnahrung bekam uns nicht, aber wir waren tief dankbar, daß wir so dem Hungertode entgingen. Ende Juli zählten wir sorgfältig die Herden und fanden, daß unser Vorrat, selbst bei reduzierter Fleischration, nicht[S. 464] länger als zwei weitere Wochen reichen würde. Von Anfang an hatten wir daran gedacht, ob wir nicht auf dem Seewege entkommen könnten.

Ehe wir durch die Belagerung eingeschlossen waren, hatten wir einen Läufer abgesandt, der die gefährliche Reise von 85 (engl.) Meilen durch türkische Dörfer bis Aleppo, der Provinzialhauptstadt, machen mußte, mit einer Bitte an den amerikanischen Konsul Mr. Jackson, uns, wenn möglich, Hilfe von der See aus zu schicken. Aber es war durchaus nicht wahrscheinlich, daß unser Läufer Aleppo je erreichen würde. Da kam uns der Gedanke, daß möglicherweise ein Kriegsschiff der Verbündeten 35 Meilen nördlich im Hafen von Alexandrette liegen könnte. Einer unserer jungen Leute, der ein guter Schwimmer war, erklärte sich freiwillig bereit, durch die türkischen Linien zu kriechen und eine Botschaft mitzunehmen, die an der Innenseite seines Gürtels befestigt war. Es gelang ihm auch, die Hügel zu erreichen, von denen aus man den Hafen von Alexandrette überblicken konnte, aber als er sah, daß kein Kriegsschiff da war, kehrte er zurück. Sein Plan war gewesen, in das Meer hinauszuschwimmen, das Kriegsschiff zu umkreisen und so den türkischen Wachtposten auf den Straßen, die in die Stadt führen, zu entgehen.

Wir stellten dann dreifache Abschriften des folgenden Hilferufs her und bestimmten drei Schwimmer, welche ständig auf jedes vorüberfahrende Schiff aufpassen, sich durch die Brandung durchschlagen und am Kap hinausschwimmen sollten, um das Schiff zu erreichen:

„An irgendeinen englischen, amerikanischen, französischen, italienischen oder russischen Admiral, Kapitän oder Befehlshaber, den diese Petition erreichen mag.

Wir flehen im Namen Gottes und menschlicher Brüderlichkeit. Wir, die Bevölkerung von sechs armenischen Dörfern, im ganzen etwa 5000 Seelen, haben uns in den Teil des Musa Daghs, der Damlajik genannt wird, drei Stunden Wegs nordwestlich von Suedije an der Meeresküste, geflüchtet.

Wir haben hier Zuflucht gesucht vor türkischer Barbarei und Grausamkeit und vor allem vor der Schändung der Ehre unserer Frauen. Sir, Sie müssen gehört haben von der Vernichtungspolitik der Türken gegen unsere Nation. Unter dem Schein der Verschickung und dem Vorwand, einer Rebellion vorzubeugen, vertreiben sie unsere Leute aus ihren Häusern und berauben sie ihrer Gärten, Weinberge und aller ihrer Habe. Dieses grausame Programm ist schon mit der[S. 465] Stadt Zeitun und ihrer 32 Dörfer, auch mit Albistan, Göksun, Yarpus, Gürün, Diarbekr, Adana, Tarsus, Mersina, Dörtjol, Hadjin usw. durchgeführt worden. Dieselbe Politik wird auf die anderthalb Millionen Armenier in verschiedenen Teilen der Türkei ausgedehnt.

Der Schreiber dieses war protestantischer Pfarrer in Zeitun vor wenigen Monaten und war Augenzeuge von vielen unsagbaren Grausamkeiten. Ich sah Familien von 8 oder 10 Köpfen die Straßen entlang getrieben, barfüßige Kinder von 6 und 7 Jahren neben alten Großeltern, hungern und dürsten. Ihre Füße geschwollen von der schwierigen Reise. Längs der Straße hörte man Schluchzen, Fluchen und Gebete. Unter dem Druck der Angst kamen Frauen in den Gebüschen an der Straßenseite nieder. Unmittelbar nachher wurden sie von den türkischen Wachen gezwungen, ihre Reise fortzusetzen, bis der gütige Tod ihrer Qual ein Ende bereitete.

Der Rest der Leute, welche stark genug waren, die Beschwerlichkeiten des Marsches zu ertragen, wurden unter den Peitschen der Gendarmen in die Steppen des Südens weitergetrieben. Einige starben vor Hunger. Andere wurden beraubt auf dem Wege. Andere wurden von der Malaria dahingerafft und mußten an den Straßen liegen bleiben. Als letzter Akt dieser entsetzlichen Tragödie massakrierten die Araber und Türken alle Männer und verteilten die Witwen und Frauen unter ihre Stämme.

Etwa vor 35 Tagen benachrichtigte uns die Regierung, daß unsere 6 Dörfer in die Verbannung gehen müßten. Wir zogen es vor, uns auf diesen Berg zu flüchten, statt uns diesem Befehl zu unterwerfen. Wir haben jetzt wenig Nahrung übrig, und die Truppen belagern uns. Wir haben fünf heftige Kämpfe bestanden. Gott hat uns bisher geholfen, aber das nächste Mal werden wir eine viel größere Macht gegen uns haben.

Sir, wir flehen Euch an im Namen Christi!

Bringt uns, wir bitten Euch, nach Cypern oder nach irgend einem andern freien Lande. Unsere Leute sind nicht träge. Wir wollen unser Brot selbst verdienen, wenn wir beschäftigt werden.

Wenn dies zu viel ist, um es uns zu gewähren, so nehmt wenigstens unsere Frauen, alte Leute und Kinder auf. Stattet uns mit genügenden Waffen aus, mit Munition und Nahrung, und wir wollen uns[S. 466] mit aller Macht gegen die türkischen Streitkräfte verteidigen. Wir bitten, Sir, wartet nicht, bis es zu spät ist!

Im Namen aller Christen hier.

2. September.

Ihr untertäniger Diener
Digran Andreasian.“

Aber Tage vergingen, und nicht ein Segel war zu sehen. Der Krieg hatte die Küstenschiffahrt auf ein Minimum reduziert. Inzwischen hatten auf meinen Vorschlag unsere Frauen zwei große Flaggen zusammengenäht, auf deren eine ich in großen, deutlichen, englischen Druckbuchstaben schrieb: Christen in Not, Hilfe! Es war eine weiße Flagge mit bunten Buchstaben, hastig von unsern Frauen gestickt. Die andere, welche meine Schwester Iskuhi gemacht hatte, war auch weiß mit einem großen roten Kreuz in der Mitte. Wir befestigten diese Flaggen an großen Bäumen und stellten eine Wache am Fuß auf, um den Horizont vom Morgen bis zum Abend abzusuchen. Einige Tage hatten wir Regen und an andern schweren Nebel, die an unserer Küste ziemlich häufig sind.

Die Türken griffen uns wiederholt an, und wir hatten einige schwere Kämpfe, aber niemals solche Nahkämpfe, wie während des ersten Zusammenstoßes. Von einem günstigen Punkt aus konnten wir Felsstücke die steile Bergseite hinunterrollen mit furchtbarer Wirkung auf unsern Feind. Unser Pulver und unsere Kugeln verringerten sich, und die Türken hatten augenscheinlich eine Ahnung von unserer Bedrängnis, denn sie begannen uns mit lautem Geschrei in unverschämter Weise zur Übergabe aufzufordern. Das waren ängstliche Tage und lange Nächte! Hier gebar meine Frau ihr erstes Kind, einen Sohn. Als wir zwei Tage später an die See hinunterflohen, litt sie sehr, aber ich trug sie und half ihr, soviel ich konnte. Gott sei Dank geht es ihr und unserm kleinen Sohn jetzt gut.

Eines Sonntagsmorgens, am 36. Tage unserer Verteidigung, während ich mich eben auf eine kurze Predigt vorbereitete, um unsere Leute zu ermutigen und zu stärken, wurde ich aufgeschreckt durch einen Mann, der mit höchster Stimme schrie. Er raste durch unser Lager geradenwegs auf meine Hütte zu. „Pastor! Pastor!“ schrie er, „ein Kriegsschiff kommt und hat auf unsere Fahnen geantwortet! Gott sei Dank, unsere Gebete sind erhört!... Wenn wir die Rote Kreuz-Flagge schwingen, antwortet das Kriegsschiff mit Signalflaggen ... Sie sehen uns und kommen näher an die Küste!“

Das Schiff erwies sich als der französische Kreuzer „Guichin“,[S. 467] ein Schiff mit 4 Schornsteinen. Während eines der Boote herabgelassen wurde, stürzten einige unserer jungen Leute zur Küste hinab und schwammen zu dem stattlichen Schiff, welches uns wie von Gott gesandt erschien. Mit klopfendem Herzen eilten wir hinunter zum Strand, und bald kam eine Einladung vom Kapitän, eine Gesandtschaft solle an Bord kommen und über die Lage berichten. Er schickte ein drahtloses Telegramm an den Admiral der Flotte, und nach kurzer Zeit erschien das Flaggschiff „Sainte Jeanne d’Arc“ am Horizont, von anderen französischen Kriegsschiffen gefolgt. Der Admiral sprach Worte des Trostes und der Aufmunterung zu uns und gab Befehl, daß jede Seele unserer Gemeinde an Bord der Schiffe genommen werden sollte.

Die Einschiffung dauerte einige Zeit und war außerordentlich schwierig, da die Küste so rauh war. Wir mußten über improvisierte Flöße klettern, um durch die brüllende Brandung zu den Booten der Schiffe zu kommen. Vier französische und ein englischer Kreuzer nahmen uns an Bord, und man sorgte sehr freundlich für uns.

Nach zwei Tagen kamen wir in Port Said (Ägypten) an und haben uns jetzt in einem dauernden Lager niedergelassen, welches die britischen Behörden für uns eingerichtet hatten.

Wir sind Mr. William C. Hornblower besonders dankbar für die ausgezeichnete Organisation dieses Lagers und Oberst P. G. Elgoot und seiner Frau, wie Miß Russell für ihre große Güte und unermüdlichen Bemühungen unseretwegen. Die armenische Rote-Kreuz-Gesellschaft, welche kürzlich organisiert worden ist, hat uns drei Ärzte und drei Pflegerinnen geschickt. Der gregorianische Bischof ist Ehrenvorsitzender dieser Gesellschaft, Mr. Fermanian Direktor und Professor Kayajan Sekretär. Eine genaue Statistik ist aufgestellt worden, welche zeigt, daß die Zahl der Überlebenden folgende ist:

427 
Säuglinge und Kinder unter 4 Jahren,
508 
Mädchen von 4–14 Jahren,
628 
Knaben von 4–14 Jahren,
1441 
Frauen über 14 Jahre,
1054
Männer über 14 Jahre,
4058 
Seelen im ganzen gerettet.

Nach der ersten Aufforderung der Türken am 30. Juli verteidigten wir uns auf dem Musa Dagh 44 Tage und eine zweitägige Reise brachte uns nach Port Said am 14. September.

Dikran Andreasian.

[S. 468]

2.
Bitlis-Musch.[159]

„Seit dem Ausbruch des Krieges waren die Städte und die armenischen Dörfer von türkischen und kurdischen Banden angefüllt, die als Milizen in die Armee eingestellt waren. Die Gendarmen beschäftigten sich unter dem Vorwande von Requisitionen mit Räubereien und Plünderungen. Den Armeniern wurden alle für den Winter aufgesparten Vorräte an Lebensmitteln weggenommen, und man befürchtete für das Frühjahr eine Hungersnot....

Gouverneur von Bitlis war Mustafa Chalil Pascha, Schwager des Ministers des Innern Talaat Bey. In der Stadt und Umgegend hatte er bereits alle männlichen Armenier zwischen dem 20. und 45. Jahre zum Heeresdienste (d. h. zum Straßenbau und Lasttragen) ausheben lassen. Kirchen und Häuser der Armenier mußten für Einquartierung geräumt werden. Nach der Erklärung des Dschihad begannen die Mollahs, die Scheichs und die Banden, die von bekannten Räubern geführt wurden, ihre aufreizende Tätigkeit.

Die Muhammedaner wurden bewaffnet, und in den Moscheen wurde der Christenhaß gepredigt. Schon in den Monaten Dezember und Januar kam es zu mancherlei Untaten. Türken aus Bitlis hatten eine kurdische Bande gebildet und belagerten das Dorf Urdap. Sie nahmen den Bauer Pallabech Karapet und einige andere gefangen, führten sie gefesselt in die Stadt und folterten sie, indem sie ihnen die Bärte ausrissen. Eine andere Bande von 300 Mann unter Führung des Chumadji Farso (eines Nachkommen des berüchtigten Kurdenscheichs Djelaleddin) und des Emirs Mehmed griff 10 armenische Dörfer im Gebiet von Gargar an, plünderte und verbrannte sie....

[S. 469]

Außer den Armeniern, die zur Armee ausgehoben waren, wurden Armenier jeden Alters in beliebiger Zahl zum Wegebau und zum Lasttragen requiriert. Die Lastträger hatten den Winter über durch die verschneiten Gebirge schwere Lasten bis zu 70 Pfund an die Kaukasusfront zu tragen. Schlecht genährt und ohne Schutz gegen Kurdenüberfälle, kam die Hälfte auf dem Wege um, oft kehrte auch nur ein Viertel zurück. Als nach den Kämpfen von Sarikamisch und Ardahan die Kaukasusarmee in Schnee und Eis einquartiert war, desertierten viele Soldaten. Aber auf fünf türkische Deserteure kam höchstens ein armenischer.

Einzelne Deserteure kehrten in ihre Dörfer zurück. Die Gendarmen gingen mit Listen von Deserteuren von Dorf zu Dorf, um die Auslieferung derselben zu verlangen. Zugleich nahmen sie Haussuchungen nach Waffen vor. Falls sich die Deserteure nicht fanden, wurden ihre Häuser niedergebrannt und ihre Äcker eingezogen. Diese Razzias, die die Gendarmen veranstalteten, führten gelegentlich zu Zusammenstößen. Anfang März kam so der Kommissar Razim Bey und der Mülasim Djevded Bey mit 40 Zaptiehs in das armenische Dorf Zronk. Bei einem Kugelwechsel mit einem Flüchtling wird einem Gendarm das Pferd unter dem Leibe weggeschossen. Er kehrt in das Dorf zurück, nimmt ein gutes Pferd von den Bauern, läßt sich 40 türkische Pfund als Ersatz für das tote Pferd zahlen, 25 Häuser anzünden, die Männer des Dorfes über die Klinge springen und konfisziert die Äcker. In Armedan werden türkische Freiwillige in armenischen Häusern einquartiert. Zum Dank für die Verpflegung vergewaltigt der Anführer die Schwiegertochter seines Quartierwirtes....

Ähnliche Dinge wiederholten sich in anderen Dörfern. Zu gleicher Zeit wurden alle noch irgendwie tauglichen armenischen Männer zu den Wegebau- und Lastträgerkolonnen (Hamalar-Taburi) und ohne Rücksicht darauf, ob die Familien ohne Ernährer blieben, ausgehoben. So erhielt z. B. der Vorsteher des Dorfes Goms in der Musch-Ebene Befehl, 50 Ochsen und 50 Mann für Transportzwecke zu stellen. Trotzdem das Dorf nur 70 Männer, die Greise eingerechnet, hatte, brachte er 50 Ochsen und 45 Mann zusammen und bot für die fünf fehlenden Mann die Militärbefreiungssteuer an. Der Müdir von Agdschemak, der nach Goms gekommen war, wollte damit zufrieden sein, aber sein Begleiter, der Kurde Mehmed Amin, ein Feind des Dorfvorstehers, nahm das Fehlen der 5 Mann zum Anlaß, den Dorf[S. 470]vorsteher auszupeitschen und 7 Armenier zu erschießen. Es kam zu einem Zusammenstoß, bei dem 7 Gendarmen und weitere 20 Armenier getötet wurden. Drei Tage nach diesem Vorfall kam es zu einem Zwischenfall in dem Kloster Arakeloz. Dorthin hatten sich 80 Armenier geflüchtet. Truppen aus Musch, die das Kloster durchsuchten, brachen einen Streit vom Zaun, der blutig endete. Der Mutessarrif von Musch schickte Truppen, forderte die Auslieferung der Flüchtlinge, ließ sie aber nach weiteren Verhandlungen abziehen. Trotzdem ließ der Mutessarrif die Leichen der Türken, die bei dem ersten Zusammenstoß umgekommen waren, nach Musch bringen und sagte in der Leichenrede öffentlich: „Für jedes Haar Eures Hauptes will ich tausend Armenier hinschlachten lassen“...

Trotz aller Drangsalierungen verhielten sich die Armenier ruhig, ertrugen die Übergriffe und ließen sich zu keinem Widerstand verleiten. Sie beschwerten sich bei der Regierung, und zeitweise schien die Regierung sie auch schützen zu wollen. In Musch hielt sich zu der Zeit Wahan Papasian, der Abgeordnete des Parlaments für Musch, auf. Er vertrat die Interessen der Armenier beim Mutessarrif von Musch und beim Wali von Bitlis. Er versuchte, durch Verständigung mit der Regierung (unter Zustimmung des Ministers des Innern Talaat Bey) dahin zu wirken, daß Streitigkeiten geschlichtet wurden und die Ordnung, so gut es unter den anarchistischen Zuständen möglich war, aufrecht zu erhalten.“

Ende Juni kam Djevded Bey, nachdem er Wan den Russen preisgegeben hatte, mit seinen Truppen nach Bitlis, ließ dort die armenische Bevölkerung massakrieren und den Rest, 900 Frauen und Kinder, abtransportieren. Wie es heißt, wurde der Transport im Tigris ertränkt. In Musch begann das Massaker am 11. Juli. Von den 15000 Armeniern der Stadt blieben nur 200, von den 59000 Bewohnern der mit armenischen Dörfern besäten Muschebene konnten sich nur 9000 in die Berge von Sassun durchschlagen.

[S. 471]

3.
Wan.[160]

Halil Bey in Nordpersien.

In den ersten Kriegsmonaten Ende 1914 und Anfang 1915 waren türkische Truppen in Nordpersien in das Gebiet von Urmia und Dilman eingefallen. Den 20000 Regulären hatten sich noch 10000 Kurden aus dem oberen Zabgebiet angeschlossen. Auch Djevdet Bey, der Wali von Wan, beteiligte sich an diesen Operationen. Djevdet Bey ist ein Schwager des türkischen Kriegsministers Enver Pascha; Halil Bey, der Kommandeur des Korps, das in Persien einfiel, ein Onkel von Enver Pascha. Die türkischen und kurdischen Truppen verwüsteten auf persischem Gebiete alle christlichen Dörfer. Die syrische Bevölkerung des Urmiagebietes und die armenische Bevölkerung der Salmas-Ebene (um Dilman) wurde, soweit sie nicht auf russisches Gebiet flüchten konnte oder in dem Anwesen der amerikanischen Mission Schutz fand, von den Kurden erbarmungslos niedergemacht.

Djevdet Bey in Wan.

Als Djevdet Bey, der Wali von Wan, Mitte Februar aus Salmas zurückkehrte, begrüßte er freundlich die armenischen Führer, versprach den Plünderungen der Dörfer Einhalt zu tun und die Geplünderten zu entschädigen. Nur bat er, noch einige Wochen zu warten, bis die persische Expedition vorüber sei. Zugleich aber hörte man, daß er in einer Versammlung von türkischen Notabeln gesagt habe: „Wir haben mit den Armeniern und Syrern von Aserbeidschan (Nordpersien) reinen Tisch gemacht; wir müssen mit den Armeniern von Wan das gleiche tun.“

[S. 472]

An der Spitze des Daschnakzagan-Komitees standen damals drei bekannte Armenier, Wramjan, Deputierter von Wan, Ischchan und Aram.

Der Wali stellte sich in den nächsten Wochen freundlich mit ihnen und bat sie, wie bisher, mit ihm zusammenzuarbeiten, um die Ordnung im Wilajet aufrechtzuerhalten. Es wurden Kommissionen gebildet, die in die Dörfer geschickt wurden, um den Plünderungen der Kurden und den Gewalttaten der Gendarmen Einhalt zu tun und Streitigkeiten zu schlichten. Inzwischen hatte der Wali um Verstärkungen von Erzerum gebeten und rechnete wohl auch auf die Unterstützung durch die Truppen, die in Persien eingefallen waren, falls sein geplantes Vorgehen gegen die Armenier, die sich noch nichts Schlimmes von ihm versahen, auf Widerstand stoßen würde. Plötzlich demaskierte er sich und zeigte sein wahres Gesicht.

In Schatakh, einem überwiegend von gregorianischen und katholischen Armeniern, zum geringeren Teile auch von Kurden bewohnten Landstädtchen von über 2000 Einwohnern, an den Quellen des östlichen Tigris (50 Kilometer von Wan), wurde am 14. April der Armenier Howsep, ein Daschnakzagan, von Gendarmen verhaftet. Seine Freunde wollten ihn befreien, es gab einen blutigen Zusammenstoß. Als der Wali davon hörte, ließ er die drei Führer der Daschnakzagan, Wramjan, Ischchan und Aram, zu sich kommen und bat sie, zusammen mit dem Müdir der Polizei von Wan nach Schatakh zu gehen, um den Streit zu schlichten. Das Komitee bestimmte, daß Ischchan mit drei anderen Armeniern namens Wahan, Kotot und Miran nach Schatakh gehen sollte. Der Müdir der Polizei nahm einige tscherkessische Saptiehs mit sich. Halbwegs nach Schatakh, in der Flußniederung von Hayoz-Dzor, übernachteten sie in dem Dorfe Hirtsch. Als die vier Armenier eingeschlafen waren, ließ der Müdir der Polizei sie im Schlaf durch die Tscherkessen ermorden. In der Frühe des nächsten Tages, ehe noch die Armenier von Wan etwas von dem Meuchelmorde wußten, ließ der Wali Djevdet Bey die beiden andern armenischen Führer Wramjan und Aram zu sich bitten. Aram war zufällig abwesend. Wramjan geht arglos zum Wali und wird, sobald er den Konak betreten hat, verhaftet. Der Wali schickt ihn sofort gefesselt nach Bitlis. Von Bitlis wurde Wramjan, der als Deputierter von Wan in besonderem Ansehen stand, nach Diarbekr transportiert und unterwegs ermordet.

Noch am gleichen Morgen bereitete der Wali Djevdet Bey den[S. 473] Angriff auf die beiden armenischen Viertel vor und ließ Kanonen gegen sie in Stellung bringen. Es gab damals in Wan 10–15 Kanonen älterer Konstruktion und zwei neue Maschinengewehre, die kürzlich mit einer Abteilung Soldaten von Erzerum gekommen waren. Zur selben Zeit, als der Wali sich der Führer zu bemächtigen suchte, hatten die Massaker in Ardjesch und den Dörfern der Hayoz-Dzor schon ihren Anfang genommen. Die Armenier der Stadt konnten nichts anderes erwarten, als daß ein Massaker über sie verhängt werden sollte, auch hatten sie gehört, daß der Wali 6–7000 Mann Kavallerie aus Erzerum angefordert und beiläufig gesagt hatte, jetzt würde es gefährlich für die Armenier.

Wir lassen nun den Bericht des amerikanischen Missionars folgen, der die weiteren Ereignisse miterlebt hat[161]:

Die Belagerung von Wan.

„Wan ist eine Stadt von Gärten und Weinbergen, die inmitten einer von hohen, prächtigen Bergen umgebenen Ebene am Wansee liegt. Die von Mauern umgebene Stadt enthält den Bazar und den größten Teil der öffentlichen Gebäude. Sie wird beherrscht von dem Kastell-Felsen, einem gewaltigen Felsblock, der sich steil aus der Ebene erhebt, von alten Mauern und Festungswerken gekrönt ist und nach der Seeseite zu berühmte Keilinschriften trägt. Die Vorstadt Aigestan, die „Gärten“ genannt (weil jedes Haus seinen Garten oder Weinberg hat), erstreckt sich 4 (engl.) Meilen ostwärts der umwallten Stadt und ist 2 (engl.) Meilen breit.

Das Grundstück der amerikanischen Mission liegt am südöstlichen Rand des mittelsten Drittels der Gärten auf einer kleinen Anhöhe, wodurch die Gebäude ihre Umgebung beträchtlich überragen. Diese Gebäude bestehen aus einer Kirche, zwei großen, neuen Schulgebäuden, zwei kleineren, einer Spitzenschule, einem Hospital, Klinik und vier Missionsgebäuden. Nach Südosten dehnt sich, ganz in der Nähe, die große Ebene aus. Hier lag die größte Kaserne der großen türkischen Garnison, unmittelbar an dem Bereich der amerikanischen Mission. Nordwärts, durch einige Straßen getrennt, lag eine andere Kaserne, und noch weiter nördlich in Schußweite der Burgfelsen (Topkala) mit einer kleinen Kaserne darauf, die die Armenier[S. 474] „Pfefferdose“ getauft hatten. 5 Minuten östlich von den amerikanischen Instituten liegt das deutsche Waisenhaus, dem Herr Spörri nebst Frau und Tochter, Schweizer von Herkunft, und drei unverheiratete Damen vorstanden. Die amerikanische Mission bestand zurzeit aus der alten Mrs. Raynolds (Dr. Raynolds war in Amerika), Dr. Usher, dem Chefarzt des Hospitals, Mrs. Usher, der Leiterin der Spitzenindustrie, Mr. und Mrs. Yarrow, den Leitern der Knabenschule, Miß Rogers, Vorsteherin der Mädchenschule, Miß Silliman, Leiterin der Vorschule, Miß Usher, Lehrerin für Musik, Miß Bond, der Oberin des Hospitals und der Missionarin Mc. Claren. Auch Miß Knapp aus Bitlis war zu Besuch da.

Die Stadt Wan hatte 50000 Einwohner, von denen drei Fünftel Armenier und zwei Fünftel Türken waren. Ich sage „waren“, denn inzwischen haben sich die Verhältnisse vollständig geändert. Die Führer der Armenier waren Wramjan, Ischchan und Aram, Leiter der Partei der Daschnakzagan.

In der Zeit seit der Mobilisation, im letzten Herbst und Winter, waren die Armenier unter dem Vorwand von Requisitionen in der härtesten Weise ausgeplündert worden. Reiche Leute wurden ruiniert und arme Leute völlig entblößt. Die armenischen Soldaten in der türkischen Armee wurden vernachlässigt, äußerst mangelhaft ernährt, gezwungen, nur niedrige Arbeiten zu tun, und, was das Schlimmste war, jeder Waffe beraubt, so daß sie der Gnade ihrer fanatischen muhammedanischen Kameraden ausgeliefert waren. Kein Wunder, daß, so viele es vermochten, sich von ihrer Militärpflicht loskauften, andere auch desertierten. Wir ahnten im voraus, daß es zu einem Zusammenstoß kommen würde. Aber die Daschnakzagan benahmen sich mit erstaunlicher Zurückhaltung und Klugheit, beherrschten die heißblütige Jugend, patrouillierten in den Straßen, um Unruhen zuvorzukommen, und befahlen den Dorfbewohnern, lieber schweigend zu dulden, daß das eine oder andere Dorf niedergebrannt werde, als durch Gegenwehr den Anlaß für ein Massaker zu geben.

Trotzdem Dr. Usher seit Beginn des russischen Krieges manche verwundete türkische Soldaten aufgenommen und behandelt hatte, versuchte die Regierung gleichwohl, die Arzneien der amerikanischen Apotheke zu requirieren und das Hospital zu schließen. Außerdem hatten Miß Mc Claren und Schwester Martha vom deutschen Waisenhaus im Dezember angefangen, die Verwundeten in dem anderthalb[S. 475] (engl.) Meilen von unserem Grundstück entfernten türkischen Militärlazarett zu pflegen, wo keine Pflegeschwestern und die Zustände unbeschreiblich waren.

Als Djevdet Bey, der Generalgouverneur des Wilajets, in den ersten Frühlingswochen von den Grenzkämpfen zurückkehrte, ahnte jedermann, daß bald etwas geschehen würde. Und so war es. Er verlangte von den Armeniern 3000 Soldaten. Sie waren aufs äußerste besorgt, Frieden zu halten, so daß sie seinem Verlangen nachzukommen versprachen. Aber gerade da brach in der Gegend von Schatakh der Streit zwischen Türken und Armeniern aus, und Djevdet Bey verlangte von Ischchan, daß er mit drei anderen angesehenen Daschnakzagan dorthin gehen sollte, um Frieden zu stiften. Auf dem Wege wurden alle vier heimtückischerweise ermordet. Das war Freitag, den 16. April. Dann befahl Djevdet Wramjan zu sich unter dem Vorwand, daß er sich mit ihm beraten wolle, ließ ihn verhaften und verschickte ihn. Die Daschnakzagan wußten nun, daß sie Djevdet Bey nicht trauen konnten und daß es daher unmöglich wäre, ihm die geforderten 3000 Mann zu geben. Sie sagten, sie würden 400 geben und nach und nach die Militärbefreiungssteuer für die übrigen zahlen. Der Wali erklärte aber, er brauche Leute und nicht Geld, sonst würde er die Stadt angreifen. Einige Armenier baten Dr. Usher und Mr. Yarrow, zu Djevdet Bey zu gehen und zu versuchen, ihn zu begütigen. Unterwegs begegnete ihnen ein Offizier, der ausgeschickt war, um sie zu rufen. Der Wali war hartnäckig. Man habe zu gehorchen. Er werde diesen Widerstand unter allen Umständen brechen, es koste, was es wolle. Erst werde er Schatakh bestrafen und dann die Sache mit Wan vornehmen. Wenn aber die Armenier nur einen Schuß abfeuerten, würde das für ihn das Zeichen zum Angriff sein. Für das amerikanische Grundstück wollte er eine Wache von 50 Soldaten stellen[162]. Diese Wache müsse entweder angenommen werden, oder man müsse ihm schriftlich das Zeugnis ausstellen, daß die Wache verweigert worden wäre und er dadurch von aller Verantwortung für unsere Sicherheit frei sei. Er verlangte sofortige Antwort, war aber schließlich bereit, bis Sonntag zu warten. Ferner verlangte er, daß Miß Mc Claren und Schwester Martha ihre Arbeit im türkischen Lazarett[S. 476] fortsetzen sollten. Sie gingen und waren darauf gefaßt, vielleicht für längere Zeit nicht mit uns korrespondieren zu können.

Als Dr. Usher am Montag den Wali wiedersah, fragte der Wali, ob er die Wache senden solle. Dr. Usher überließ ihm die Entscheidung. Wir haben keine Wache erhalten.

Dienstag, den 20. April, um 6 Uhr morgens, versuchten einige türkische Soldaten, aus einem Trupp Frauen, die nach der Stadt kamen, sich eine herauszugreifen[163]. Sie floh. Armenische Soldaten kamen hinzu. Der türkische Soldat schoß auf sie und tötete sie. Herr Spörri war Augenzeuge von diesem Ereignis, mit dem die Feindseligkeiten begannen.

Den Tag über gab es mehr oder weniger anhaltendes Gewehrfeuer; vom Burgfelsen her wurde beständiger Kanonendonner auf die befestigte Stadt vernommen, die nun von aller Verbindung mit den Gärten abgeschnitten war. Nachts sah man nach jeder Richtung hin Häuser in Flammen stehen. Die Zahl der in den Gärten wohnenden Armenier betrug gegen 30000, während die armenische Bevölkerung in der inneren befestigten Stadt nur gering war. Die Bewohner der Gartenstadt wurden nun in einem Bezirk von etwa einer (engl.) Quadratmeile zusammengebracht, und dieser Raum wurde durch „Dirks“ (Barrikaden), sowie durch Mauern und Verhaue geschützt. Von den Verteidigern konnten 1500 mit Gewehren bewaffnet werden, ebensoviele etwa noch mit Pistolen. Ihr Vorrat an Munition war gering, darum waren sie sehr sparsam damit und wandten allerlei Listen an, um die Angreifer zum Feuern und zum Verbrauch ihrer Munition zu verführen. Sie machten sich daran, Kugeln zu gießen und Patronen anzufertigen, 3000 wurden täglich fertig. Ebenso machten sie sich Schießpulver, und nach einiger Zeit machten sie sich auch drei Mörser. Der Materialverbrauch für alle diese Dinge war gering, Methoden und Einrichtung roh und primitiv. Aber sie waren sehr froh und hoffnungsvoll und freuten sich ihrer Geschicklichkeit, den Angreifern standzuhalten. Einige der Regeln, die sie für ihre Leute aufgestellt hatten, waren: Haltet euch sauber, trinkt nicht, sagt immer die Wahrheit, sagt nichts gegen die Religion des Feindes.

An die Türken der Stadt schickten sie ein Manifest, um ihnen kundzutun, daß sie nur mit einem einzigen Manne (dem Wali) Streit[S. 477] hätten und nicht mit ihren türkischen Nachbarn. Walis würden gehen und kommen, aber die beiden Rassen müßten fortfahren, miteinander zu leben, und sie hofften, daß, wenn Djevdet gegangen wäre, ihre Beziehungen zueinander wieder friedlich und freundlich sein würden. Die Türken antworteten in demselben Sinne und sagten, sie wären gezwungen, zu kämpfen. Tatsächlich wurde auch von mehreren vornehmen Türken ein Protest gegen diesen Kampf unterzeichnet, aber Djevdet ließ ihn vollständig unbeachtet.

Die Kaserne nördlich von unserem Grundstück wurde von den Armeniern erobert und niedergebrannt. Die Insassen ließen sie entkommen. Eine weitere Offensive versuchten sie in keiner Weise, da ihre Zahl zu gering war. Sie kämpften nur für ihre Heimstätten und für ihr Leben.

Kein bewaffneter Mann durfte unser Grundstück betreten. Aram, der Führer der Armenier, verbot sogar, daß die verwundeten Armenier in unser Hospital gebracht würden, damit unsere Neutralität nicht verletzt würde. Dafür behandelte sie Dr. Usher in ihrem eigenen provisorischen Lazarett.

Am 23. April schrieb Djevdet Bey an Dr. Usher, daß man bewaffnete Leute unser Grundstück habe betreten sehen und daß die Rebellen Verschanzungen in unserer Nähe aufgeworfen hätten. Wenn bei einem Angriff ein Schuß von diesen Schanzen abgefeuert würde, würde er zu seinem Bedauern gezwungen sein, seine Kanonen auf unser Grundstück zu richten und es vollständig zu zerstören; wir möchten das als sicher annehmen.[164] Dr. Usher antwortete, daß wir unsere Neutralität mit allen uns zu Gebote stehenden Mitteln[S. 478] aufrecht erhielten. Kein Gesetz könnte uns verantwortlich machen für Handlungen von Personen oder Organisationen, die sich außerhalb unseres Anwesens befänden.

Unsere Verhandlungen mit dem Wali wurden durch unseren amtlichen Vertreter, Signore Sbordone, den italienischen Konsularagenten, geführt, und unser Briefträger war eine alte Frau, die sich durch eine weiße Fahne schützte. Bei ihrem zweiten Ausgang fiel sie in einen Graben, und als sie darauf ohne ihre Fahne wieder aufstand, wurde sie sofort von den türkischen Soldaten erschossen. Es fand sich eine andere, aber sie wurde verwundet, als sie vor der Tür ihrer Hütte, in der Nähe unseres Grundstücks, saß.

Da erklärte Aram, er würde keine weitere Korrespondenz mehr erlauben, bis nicht der Wali auf einen Brief des Konsularagenten Sbordone geantwortet hätte, in welchem gesagt war, Djevdet könne von den Armeniern nicht erwarten, daß sie sich jetzt übergeben, da sein Vorgehen gegen die Armenier den Charakter eines Massakers habe.

Während der Zeit der Belagerung hausten die türkischen Soldaten und ihre Gesellen, die wilden Kurden, fürchterlich in der ganzen Umgegend. Sie massakrierten Männer, Frauen und Kinder und brannten ihre Heimstätten nieder. Kleine Kinder wurden in den Armen ihrer Mütter erschossen, andere schrecklich verstümmelt, Frauen ihrer Kleider beraubt und geschlagen. Die Dörfer waren auf einen Angriff nicht vorbereitet, andere widersetzten sich, bis ihre Munition verschossen war. Sonntag, den 25. kam der erste Trupp Flüchtlinge mit ihren Verwundeten in die Stadt. Unser Hospital, das in normaler Zeit 50 Betten hat, mußte für 142 Patienten Raum schaffen. Bettzeug wurde geliehen und überall auf den Fußböden Lagerstätten geschaffen. Leichtverwundete wurden täglich verbunden.

4000 Menschen waren mit aller ihrer Habe aus „den Gärten“ ausgezogen und füllten unsere Kirche, Schulgebäude sowie alle nur irgendwie entbehrlichen Räume unserer Missionshäuser. Eine Frau sagte zu Mrs. Silliman: „Was sollten wir tun, wenn die Missionare nicht wären? Das ist nun das dritte Massaker, während dessen ich hier Zuflucht gefunden habe.“ Ein großer Teil dieser Leute mußte ernährt werden, denn sie waren so arm, daß sie ihr Brot täglich vom Bäcker gekauft hatten, und nun gab es das nicht mehr. (Die Armenier backen ihr Brot meistens selbst und sorgen dafür, daß sie fürs ganze Jahr die nötigen Weizenvorräte haben.) Diese vielen Menschen unterzubringen, für ihre Gesundheit, Nahrung und Disziplin zu[S. 479] sorgen, waren Probleme, die uns zu schaffen machten. Mr. Yarrow organisierte Komitees für diese Arbeit. Jedem irgendwie fähigen Mann wurde darin eine Rolle zugewiesen, und es zeigte sich ein wundervoller Geist der Selbstlosigkeit und Aufopferungsfähigkeit. Ein Mann gab allen Weizen, den er besaß, mit Ausnahme von einem Monatsvorrat, den er für seine Familie behielt. Ein öffentlicher Backofen wurde erworben, Weizen und Mehl gekauft und verteilt, Brotkarten ausgegeben und später eine Suppenküche eröffnet. Miß Rogers und Miß Silliman sicherten sich einen täglichen Milchvorrat und ließen die Milch von ihren Schulmädchen kochen und an die kleinen Kinder verteilen. Hundertneunzig wurden auf diese Weise ernährt. Die Schuljungen betätigten sich als Schutzleute, schützten die Gebäude gegen Feuersgefahr, hielten unser Grundstück sauber, sahen nach den Kranken und verteilten Milch und Eier an Kinder und Kranke außerhalb unseres Grundstücks. Ein regelrechtes Stadtregiment wurde von den Armeniern mit Bürgermeister, Richtern und Polizisten organisiert. Nach Ablauf von zwei Wochen ließen uns die in der befestigten Stadt in ihrem Viertel belagerten Armenier sagen, daß sie einige von den Regierungsgebäuden erobert hätten, obgleich sie nur eine Handvoll waren und Tag und Nacht bombardiert wurden. Ungefähr 16000 Kanonenkugeln oder Schrapnells wurden auf sie gefeuert. Die altmodischen Kugeln trafen die drei Fuß dicken Lehmmauern, ohne viel Schaden anzurichten. Mit der Zeit fielen die Mauern natürlich ein, aber es waren die oberen Mauern, und die Leute flüchteten hinter die unteren, so daß nur drei Personen ihr Leben ließen. Einige von den „Dirks“ in „den Gärten“ wurden auch bombardiert, aber ohne viel Schaden. Es schien, als wolle der Feind sein schweres Geschütz und seine Schrapnells bis zuletzt aufbewahren. Drei Kanonenkugeln fielen in der ersten Woche auf unser Grundstück, eine davon gegen ein Tor von Dr. Ushers Haus; 13 Personen wurden von Kugeln auf unserem Grundstück verwundet, eine tödlich. Unser Grundstück liegt so im Mittelpunkt, daß die Kugeln der Türken hindurch pfiffen, in mehrere Zimmer eindrangen, die Ziegel der Dächer zerbrachen und die Mauern draußen mit Löcherspuren verzierten.

Dr. Usher tat und tut noch die Arbeit von drei Menschen. Als einziger Arzt in der belagerten Stadt mußte er natürlich für die Patienten im Hospital, die verwundeten Flüchtlinge und die verwundeten armenischen Soldaten tätig sein, aber auch seine Poliklinik[S. 480] und seine Außenpatienten vermehrten sich in erschreckender Weise. Bei den Flüchtlingen hatten Not und Mangel unzählige Fälle von Lungenentzündung und Dysenterie im Gefolge; dazu wütete unter den Kindern eine Masernepidemie. Miß Silliman übernahm die Masernkranken, Miß Rogers und Miß Usher halfen im Hospital, wo Miß Bond und ihre armenischen Krankenschwestern bis an die Grenzen ihrer Kraft angestrengt wurden. Nach einer Weile eröffnete Miß Usher mit Hilfe von Miß Rogers ein weiteres Hospital in einem armenischen Schulhaus, in dem vorher Flüchtlinge Unterkunft gefunden hatten. Dabei war die Schwierigkeit, Bettzeug, Utensilien, Helfer, ja selbst Nahrung für die Patienten zu bekommen. Die ärztliche und wundärztliche Tätigkeit wurde durch Mangel an Medikamenten gehemmt, denn die jährlichen Lieferungen für Dr. Ushers Apotheke lagerten im Hafen von Alexandrette.

Zwei Wochen nach dem Beginn der Belagerung kam ein aus Ardjesch geflüchteter Mann, um von dem Schicksal dieser Stadt, der zweitgrößten im Wilajet nach Wan, zu berichten. (Ardjesch liegt in der fruchtbaren Ebene, die das Nordufer des nordöstlichen Ausläufers des Wansees, der See von Ardjesch genannt wird, bildet. Die alte Stadt, eine Residenz der armenischen Könige und des Seldschukken Toghrul Beg, ist vor 70 Jahren vom See überschwemmt worden, und der Name ist auf die neue Stadt [Agantz] übergegangen. Die Ebene von Ardjesch ist durch ihre Fruchtbarkeit von Melonenkultur berühmt.) Der Kaimakam von Ardjesch hatte die Männer von allen Handwerksgilden zusammengerufen. Da er immer freundlich gegen sie gewesen war, vertrauten sie ihm. Als sie alle beisammen waren, ließ er sie von den Soldaten niedermähen. Soweit wir in Erfahrung bringen konnten, entkam nur ein Mann und zwar dadurch, daß er sich die ganze Nacht unter einem Haufen von Leichen versteckt hielt.

Viele von den Flüchtlingen hatten nahe bei der Stadt in dem kleinen Dorf Schuschanty auf einem Berge, wo man einen Blick auf die Stadt hat, haltgemacht. Hier befahl ihnen Aram zu bleiben. Am 8. Mai stand das Dorf in Flammen, und ebenso verbrannte das danebenliegende Kloster Warak nebst seinen unersetzlichen alten Manuskripten. Jetzt kamen die Flüchtlinge in die Stadt. Der Wali Djevdet schien seine Taktik geändert zu haben. Er ließ Frauen und Kinder zu Hunderten hereintreiben, damit sie die Hungersnot in der Stadt vermehren hülfen. Dank der Mobilisation im vorigen Herbst[S. 481] waren die Weizenvorräte in „den Gärten“ schon im Anfang sehr zusammengeschmolzen und nun, da zehntausend Flüchtlingen eine tägliche Ration gegeben wurde — wenngleich eine Ration, die kaum zur Erhaltung des Lebens genügte —, neigten sich die Vorräte schleunigst ihrem Ende zu. Auch die Munition wurde knapp. Die Aussichten schienen sehr trübe. Djevdet konnte viele Leute und Munition von anderen Städten heranschaffen. Wenn nicht von anderer Seite Hilfe kam, war es nicht möglich, die Stadt noch länger zu halten, und die Hoffnung auf solche Hilfe schien sehr schwach zu sein. Wir hatten keine Verbindung mit der Außenwelt. Ein Telegramm, das wir an unsere Botschaft schicken wollten, kam nie aus unserer Stadt heraus. Die Daschnakzagan schickten Hilferufe an die russisch-armenischen Freiwilligen an der Grenze, aber keiner von den Boten kehrte zurück, und wir haben seitdem erfahren, daß keiner seinen Bestimmungsort erreichte. Wir wußten, daß in der letzten Bedrängnis unser Grundstück die letzte Hoffnung für die Leute in den belagerten „Gärten“ sein würde. Von Djevdet, der über die lange Belagerung wütend war, konnte man kaum hoffen, daß er das Leben von irgendeinem dieser Männer, Frauen und Kinder schonen würde. Er würde vielleicht den Amerikanern persönliche Sicherheit versprechen, wenn sie das Grundstück verließen, aber das wollten wir natürlich nicht tun. Wir wollten das Schicksal unserer Leute teilen. Und es war auch durchaus nicht unwahrscheinlich, daß der Wali uns nicht einmal Sicherheit bieten würde, da er zu glauben schien, daß wir die „Rebellen“ unterstützten.

Sonnabend und Sonntag, den 15. und 16. Mai, sah man mehrere Schiffe Avantz, den Hafen von Wan, verlassen. Sie enthielten die Familien von Türken und Kurden; den Männern war verboten worden, sich zu entfernen. Wir begaben uns nun alle auf die Dächer, sahen durch Ferngläser und wunderten uns. Bei den Türken herrschte augenscheinlich eine Panik. Schon einmal, am Anfang des Jahres, war unter ihnen eine Panik ausgebrochen, als die Russen bis Sarai vorgerückt waren; aber es war weiter nichts erfolgt. Hatte diese Flucht eine ähnliche Bedeutung?

Wie dem auch sein mochte, jedenfalls hatten die Türken die Absicht, noch so viel Unheil als möglich anzurichten. Am Sonnabend begannen die Kanonen der großen Kasernen auf uns zu schießen. Zuerst konnten wir nicht glauben, daß die Schüsse auf unser Sternen[S. 482]banner zielten, aber schließlich blieb kein Zweifel darüber[165]. Sieben Bomben fielen auf unser Grundstück, eine auf das Dach von Miß Rogers und Miß Sillimans Haus, wobei sie ein großes Loch machte. Zwei andere bewirkten dasselbe auf den Dächern der Knaben- und Mädchenschule. Am Sonntagmorgen begann das Bombardement von neuem. 26 Bomben fielen schon am Vormittag auf unser Grundstück, am Nachmittag weitere 10, die entweder niederfielen, oder in der Luft explodierten. Das Pfeifen der Schrapnells war ein Laut, den man nie wieder vergißt. Eine Granate explodierte in einem Zimmer von Mrs. Raynolds Haus und tötete ein kleines Kind. Eine andere Granate schlug durch die äußere Mauer von Miß Knapps Zimmer in Dr. Ushers Haus, explodierte, und dabei drangen die Hülsen und die Kugeln, die sie enthielt, durch die Mauer in das angrenzende Zimmer und zerbrachen die Tür der entgegengesetzten Mauer.

Nach Sonnenuntergang war alles still. Es kam ein Brief von den Bewohnern des einzigen armenischen Hauses innerhalb der türkischen Linien, das verschont geblieben war, weil Djevdet als Knabe darin gelebt hatte[166]. Darin wurde mitgeteilt, daß die Türken die Stadt verlassen hätten. Die Kasernen auf dem Burgfelsen und am Fuß desselben enthielten eine so kleine Wache, daß sie leicht überwältigt wurden. Dann wurden die Kasernen niedergebrannt. Dasselbe geschah mit sämtlichen türkischen „Dirks“ (Verschanzungen), die danach aufgesucht wurden. Die große Kaserne spie ihre Garnison aus, einen Trupp von zahlreichen Reitern, die über die Hügel davon ritten. Nach Mitternacht wurde dann die Kaserne niedergebrannt. Man fand große Vorräte von Weizen und Munition. Das alles erinnerte an 2. Könige 7 (Belagerung von Samaria).

Die ganze Stadt war wach, man sang und freute sich die ganze Nacht. Der Weg zur befestigten Stadt war nun offen, ebenso auch zum türkischen Hospital. Nun aber kam der erste Dämpfer auf unsere Freude. Miß Mc Claren und Schwester Martha waren nicht da. Sie waren vor vier Tagen mit den verwundeten Soldaten nach Bitlis[S. 483] geschickt worden. (Ein Brief von Djevdet Bey an Herrn Spörri besagte, „das Kriegsglück habe sich gewendet und die Schwestern seien mit ihrem Willen nach Bitlis gegangen“[167].) Aus anderer Quelle erfuhr ich, daß Djevdet ihnen nicht gestattet hätte, uns zu besuchen, weil (so sagte er) die Armenier vernichtet worden seien und es nicht sicher für sie wäre, zu uns zu gehen. Wir waren ihretwegen sehr besorgt[168]. 25 türkische Soldaten, die zum Reisen zu krank waren, hatte man ohne Nahrung und Wasser im Hospital zurückgelassen. Sie wurden zu uns gebracht. Man fand viele Leichen, einige von russischen Kriegsgefangenen, die die Türken bei ihrer Flucht getötet hatten.

Am Dienstag, den 18. Mai, kam die Vorhut der russisch-armenischen Freiwilligen. Sie hatten keine Botschaft von Wan erhalten und wußten nicht, daß die Stadt schon in den Händen der Armenier war. Am Mittwoch, den 19. Mai, kamen die Freiwilligen mit Soldaten der russischen Armee herein. Sie hatten das ganze Land östlich des Wansees von türkischen Truppen gesäubert und fuhren damit fort. Auch heute wurde heftig gekämpft. Russische Truppen hatten schon den Weg nach Bitlis eingeschlagen, wo bis dahin noch kein Massaker stattgefunden hatte, wie uns der russische General erzählte. Das Feldlazarett war bei dem schnellen Vormarsch mehrere Tage hinter der Armee zurückgeblieben; ebenso war es mit den Proviantkolonnen. Es war für die Stadt eine schwere Aufgabe, jetzt auch noch die Armee zu ernähren und ihr alles zu überlassen. Es gab Weizen, aber kein Mehl, denn die Mühlen hatten nicht mehr gearbeitet. Fleisch war kaum zu bekommen, obwohl die Kosaken große Schafherden in den kurdischen Bergen requiriert hatten.

Auf unserm Grundstück sind tausend türkische Frauen und Kinder, die die armenischen Soldaten uns gebracht haben, weil das der sicherste Zufluchtsort für sie wäre[169]. Ein verwundeter Soldat, der vom türkischen Hospital zu uns gebracht wurde, rühmte sich, daß er 20 Armenier getötet habe. Sie setzten ihn bei uns ab und taten ihm weiter nichts. Die Ernährung der Flüchtlinge in dieser Notzeit und die Frage, was mit ihnen werden[S. 484] solle, sind schwierige Probleme für unsere Mission und werden schwieriger von Tag zu Tag. Es würde ihr Tod sein, sie jetzt wegzuschicken, sie müssen unbedingt durchgebracht werden, und niemand außer uns kann es tun. Der General hat uns eine Wache für sie versprochen.

Inzwischen ordnen sich allmählich die Verhältnisse. Aram ist zum Gouverneur ernannt worden. Die Dorfleute kehren zu ihren Heimstätten zurück. Unsere 4000 Gäste haben uns verlassen. Wir haben die Schutzvorrichtungen von unseren Fenstern entfernt. Die Freiwilligen haben unser zweites Hospital übernommen; so wird die Arbeit in unserem eigentlichen Hospital wieder leichter.“

Soweit der amerikanische Bericht.

Armenischer Bericht.

„12000 Granaten wurden gegen die Stadt gefeuert. Die Kanonenschüsse haben fast keine Verluste gebracht. Sie zerschossen am Tage die Häuser, aber in der Nacht wurden sie wieder instand gesetzt, so daß die Armenier kein Terrain verloren, dagegen wurden 20 türkische Häuser von ihnen besetzt. Den Hauptvorteil gewannen sie, als es ihnen am vierten Tage gelang, die Hamid-Agha-Kaserne in die Luft zu sprengen und niederzubrennen. Sie legten eine Bombe an die Grundmauer der Kaserne, die explodierte. Obwohl die Kaserne nicht zusammenstürzte, geriet sie in der Nacht plötzlich in Brand. Einige Soldaten verbrannten, die übrigen flohen im Schutz der Nacht. Durch Besetzung des Terrains dieser Kaserne waren die Armenier Herren von Aigestan. Die Stärke der Regierungstruppen überstieg nicht 6000 Mann, nur die Hälfte waren reguläre Truppen. Die Regierung versuchte alle Mittel, die Armenier zur Übergabe zu bewegen. Bis zur letzten Stunde wußten sie nichts von einem Entsatz.

Die Belagerung hatte genau 30 Tage gedauert. Auf armenischer Seite sind im ganzen nicht mehr als 18 gefallen, aber viele verwundet; die Verluste der Türken sollen beträchtlicher gewesen sein. Von den armenischen Stadtteilen verbrannten Glortach und Surb Hagop, ebenso mehrere türkische Quartiere. Die türkischen Bewohner flohen nach Bitlis. Zehn Tage nach dem Einmarsch der russischen Vortruppen in Wan kam der General Nikolajeff mit dem Gros in die Stadt. Aram begrüßte ihn und sagte in seiner Ansprache: „Als wir vor einem Monat zu den Waffen griffen, rechneten wir nicht damit, daß die Russen kommen würden. Unsere Lage war damals ver[S. 485]zweifelt. Wir hatten nur die Wahl, uns zu ergeben und uns wie die Schafe abschlachten zu lassen oder mit klingendem Spiel im Kampfe zu sterben. Wir zogen das letztere vor. Unerwartet wurden wir von Ihnen entsetzt, und jetzt sind wir Ihnen, nächst der tapferen Verteidigung der Unsrigen, unsere Errettung schuldig.“

Es ist wichtig, festzustellen, daß, wie die amerikanischen Missionare und der Bericht über den Empfang der Russen übereinstimmend bezeugen, die Armenier von Wan in keiner Verbindung mit den Russen und den russisch-armenischen Freikorps standen, auch während der Belagerung nicht in der Lage waren, sich mit ihnen in Verbindung zu setzen. Der sogenannte „Aufstand von Wan“ war ein Akt der Selbstverteidigung und eine Episode in der Geschichte der Massakers, nicht Landesverrat[170]. Der Entsatz von Wan war eine Etappe in den Operationen der russischen Truppen gegen Nordpersien und das Wangebiet, nicht eine Aktion zugunsten der Armenier von Wan. Die beiden Ereignisse, die Selbstverteidigung der Wan-Armenier gegen das ihnen drohende Massaker und der Vormarsch der Russen stehen in keinem kausalen Zusammenhange mit einander. Hätten die Türken genügende Truppen und fähige Führer gehabt, um den russischen Vormarsch aufzuhalten, der ihnen ihre nordpersischen Eroberungen und die nordöstliche Hälfte des Wilajets Wan kostete, so hätte die Episode keinerlei Bedeutung für die Kriegslage an der kaukasisch-persischen Grenze gehabt. Durch ihre Selbstverteidigung bezweckten die Wan-Armenier nichts anderes, als das Leben der Ihrigen zu retten. Sie hätten sonst dasselbe Schicksal wie die Armenier der übrigen Wilajets erlitten.

[S. 486]

4.
In den Konzentrationslagern.[171]

„Ich hatte die Erlaubnis erlangt, die Lager der Armenier längs des Euphrat von Meskene bis Deir-es-Sor zu besuchen und Rechenschaft zu geben von dem Zustande, in dem sich die dorthin deportierten Armenier befinden, von den Bedingungen, unter denen sie leben, und, wo möglich von der annähernden Anzahl der Verschickten.

Die Aufgabe des gegenwärtigen Berichtes ist, die Ergebnisse dieser Mission darzustellen. Ich nehme mir die Freiheit, Ihnen meinen Bericht zu übersenden, indem ich Sie zugleich bitte, die sich daraus ergebenden Schlußfolgerungen in Erwägung zu ziehen. Auch wenn Sie dieselben annehmen, werden sie nur in sehr geringem Maße dazu dienen, die täglich andauernden Leiden eines unglücklichen Volkes zu lindern, das im Begriff ist zu verschwinden.

Es ist unmöglich, eine Vorstellung von den entsetzlichen Eindrücken zu geben, die ich auf der Reise durch die verstreuten Lager längs des Euphrat empfing. Ich reiste auf dem rechten Ufer des Stromes. Von „Lagern“ zu sprechen ist eigentlich nicht möglich. Der allergrößte Teil dieser Unglücklichen, die in brutaler Weise aus ihrer Heimat von Haus und Hof fortgetrieben worden, getrennt von ihren Familien, noch im Augenblick ihrer Austreibung alles dessen beraubt, was sie besessen, unterwegs entblößt auch von allem, was sie noch mitgenommen hatten, ist unter freiem Himmel wie Vieh zusammengepfercht, ohne den geringsten Schutz gegen Hitze und Kälte, beinahe ohne Kleidung, sehr unregelmäßig und durchgängig in völlig unzureichender Weise ernährt. Jedem Wechsel der Witterung ausgesetzt, im Sommer dem glühenden Sonnenbrand der Wüste, im Frühjahr und Herbst dem Wind und Regen, im Winter der bitteren[S. 487] Kälte, durch die äußersten Entbehrungen geschwächt, durch endlose Märsche entkräftet, übelster Behandlung, grausamen Torturen und der beständig drohenden Todesangst ausgesetzt, haben sich diejenigen, die noch einen Rest ihrer Kräfte behielten, an den Ufern des Stromes Löcher in die Erde gegraben, in die sie sich verkriechen.

Die äußerst Wenigen, denen es gelungen ist, einige Kleider und etwas Geld bei sich zu behalten und die in der Lage sind, etwas Mehl zu kaufen, werden als glückliche und reiche Leute angesehen. Glücklich auch die, welche sich von den Landleuten einige Wassermelonen oder eine kranke und magere Ziege, die sich die Nomaden mit Gold aufwiegen lassen, erstehen können. Überall sieht man nur blasse Gesichter und ausgemergelte Gestalten, herumirrende Skelette, die von Krankheiten geschlagen sind und sicherlich dem Hungertode zum Opfer fallen werden.

Bei den Maßnahmen, die man getroffen hat, um diese ganze Bevölkerung in die Wüste zu transportieren, hat man in keiner Weise für irgend welche Ernährung Sorge getragen. Im Gegenteil, es ist ersichtlich, daß die Regierung den Plan verfolgt hat, sie Hungers sterben zu lassen. Selbst ein organisiertes Massentöten wie in der Zeit, da man in Konstantinopel noch nicht Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit proklamiert hatte, würde eine sehr viel menschlichere Maßregel gewesen sein, denn es würde diesem erbarmungswerten Volk die Schrecken des Hungers, den langsamen Tod und die entsetzlichsten Schmerzen unter raffinierten Torturen, wie sie grausame Mongolen nicht erdacht haben würden, erspart worden sein. Aber ein Massaker ist weniger konstitutionell als der Hungertod. Die Zivilisation ist gerettet!

Was noch übrig ist von der armenischen Nation, die an die Ufer des Euphrat versprengt ist, setzt sich zusammen aus Greisen, Frauen und Kindern. Männer mittleren Alters und junge Leute, soweit sie noch nicht abgeschlachtet sind, wurden auf den Landstraßen des Reiches zerstreut, wo sie Steine klopfen oder für den Bedarf der Armee für andere Arbeiten auf Rechnung des Staates requiriert sind.

Die jungen Mädchen, oft noch Kinder, sind die Beute der Muhammedaner geworden. Auf den langen Märschen zum Ziel ihrer Verschickung hat man sie verschleppt, bei Gelegenheit vergewaltigt, verkauft, soweit sie nicht bereits von den Gendarmen, welche die düsteren Karawanen begleiteten, umgebracht wurden. Viele sind von ihren Räubern in die Sklaverei des Harems geschleppt worden.

[S. 488]

Wie an die Pforte von Dantes Hölle kann man an die Eingänge des Konzentrationslagers schreiben: „Die ihr hier eintretet, lasset alle Hoffnung fahren.“

Berittene Gendarmen machen die Runde, um alle, die zu entweichen suchen, festzunehmen und mit der Knute zu bestrafen. Die Straßen sind gut bewacht. Und was für Straßen! Sie führen in die Wüste, wo sie ein ebenso gewisser Tod erwartet, wie unter der Bastonnade ihrer ottomanischen Gefängniswärter.

Ich begegnete in der Wüste, an verschiedenen Orten, sechs solcher Flüchtlinge, die im Sterben lagen. Sie waren ihren Wächtern entschlüpft. Nun waren sie von ausgehungerten Hunden umgeben, die auf die letzten Zuckungen ihres Todeskampfes warteten, um sich auf sie zu stürzen und sie zu verzehren.

Am Wege findet man überall die Überbleibsel solcher unglücklichen Armenier, die hier liegengeblieben sind. Zu Hunderten zählen die Erdhaufen, unter denen sie ruhen und namenlos entschlafen sind, diese Opfer einer unqualifizierbaren Barbarei.

Auf der einen Seite hindert man sie, die Konzentrationslager zu verlassen, um sich irgendwelche Nahrung zu suchen, auf der anderen Seite macht man es ihnen unmöglich, die natürlichen Fähigkeiten, die dieser Rasse eigen sind, zu gebrauchen, um sich an ihr schreckliches Schicksal anzupassen und ihre traurige Lage in erfinderischer Weise zu verbessern.

Man könnte irgend welche Unterschlupfe, Stein- oder Erdhütten bauen. Wenn sie wenigstens irgendwo unterkommen könnten, wäre es ihnen möglich, sich mit Landarbeit zu beschäftigen. Aber auch diese Hoffnung hat man ihnen genommen, denn sie werden beständig unter Bedrohung des Todes von einem Ort zum andern geschleppt, um Abwechslung in ihre Qualen zu bringen. Man scheucht sie auf zu neuen Gewaltmärschen, ohne Brot, ohne Wasser, unter der Peitsche ihrer Treiber neuen Leiden, neuen Mißhandlungen ausgesetzt, wie sie nicht einmal die Sklavenhändler des Sudan ihren Opfern zufügen würden, und die ganze Strecke des Weges, eine fürchterliche Reihe von Leidensstationen, ist durch die Opfer dieser Transporte bezeichnet.

Diejenigen, die noch etwas Geld bei sich haben, werden unablässig von ihren Wärtern ausgeplündert, die sie mit einer noch weiteren Verschickung bedrohen, und wenn ihre kleinen Mittel erschöpft sind, diese Drohungen auch in Ausführung bringen. Hier von „Tausend[S. 489] und eine Nacht“ des Schreckens zu reden, heißt nichts sagen. Ich glaubte buchstäblich die Hölle zu durchqueren. Die wenigen Züge, die ich wiedergeben will, sind zufällig und in der Eile zusammengelesen. Sie können nur eine schwache Vorstellung von dem entsetzlichen und grauenhaften Bild geben, das ich vor Augen gehabt habe. Überall, wo ich gereist bin, habe ich dieselben Szenen gesehen; überall, wo das Schreckensregiment der Barbarei herrscht, das die systematische Ausrottung der armenischen Rasse zum Ziel hat. Überall findet man dieselbe unmenschliche Bestialität der Henker, dieselben Torturen, mit denen man die unglücklichen Opfer quält. Von Meskene bis Der es Zor, überall sind die Ufer des Euphrat Zeugen derselben Scheußlichkeiten.

1.

Meskene, durch seine geographische Lage an der Grenze von Syrien und Mesopotamien, ist der gegebene Konzentrationspunkt für die Transporte der deportierten Armenier aus den anatolischen Wilajets, von wo aus sie längs des Euphrat verteilt wurden. Sie kamen dort zu Zehntausenden an, aber der größte Teil von ihnen ließ dort sein Leben. Der Eindruck, den die große Ebene von Meskene hinterläßt, ist tieftraurig und deprimierend. Die Auskünfte, die ich an Ort und Stelle empfangen habe, gaben mir das Recht zu sagen, daß gegen 60000 Armenier hier begraben sind, die dem Hunger, den Entbehrungen, der Dysenterie und dem Typhus erlagen. Soweit das Auge reicht, sieht man Erdhügel, von denen jeder etwa zweihundert bis dreihundert Leichen enthält. Frauen, Greise, Kinder, alles durcheinander, von jedem Stand und jeder Familie.

Gegenwärtig sind noch 4400 Armenier zwischen der Stadt Meskene und dem Euphrat eingepfercht. Sie sind nicht mehr als lebende Gespenster. Ihre Oberwächter verteilen ihnen sehr unregelmäßig und sparsam ein kleines Stück Brot. Es kommt oft vor, daß sie im Lauf von drei oder vier Tagen absolut nichts erhalten.

Eine entsetzliche Dysenterie wütet und fordert besonders unter den Kindern schreckliche Opfer. Diese unglücklichen Kleinen fallen in ihrem Hunger über alles her, was sie finden, sie essen Gras, Erde und selbst Exkremente.

Ich sah unter einem Zelt, das nur einen Raum von fünf zu sechs Metern im Quadrat bedeckte, ungefähr vierhundert Waisenkinder, die am Verhungern waren. Diese unglücklichen Kinder sollen täglich[S. 490] 150 Gramm Brot erhalten. Es kommt nicht nur vor, sondern geschieht oft, daß man sie zwei oder drei Tage ohne jede Nahrung läßt. Natürlich ist die Sterblichkeit fürchterlich. In acht Tagen hatte die Dysenterie, wie ich selbst feststellen konnte, siebzig dahingerafft.

2.

Abu Herere ist eine kleine Ortschaft nördlich von Meskene am Ufer des Euphrat. Es ist der ungesundeste Ort der Wüste. Auf einem Hügel zweihundert Meter vom Fluß fand ich 240 Armenier, von zwei Gendarmen bewacht, die sie mitleidslos unter gräßlichen Qualen des Hungers sterben ließen. Die Szenen, welche ich gesehen habe, lassen jede Vorstellung denkbaren Grausens hinter sich. Nahe dem Ort, wo mein Wagen hielt, sah ich Frauen, die kaum, daß sie mich hatten kommen sehen, sich daran machten, aus dem Kot der Pferde die wenigen unverdauten Gerstenkörner, die sich noch darin fanden, auszulesen, um sie zu essen. Ich gab ihnen Brot. Sie warfen sich darüber, wie verhungerte Hunde, und zerrissen es in grauenhafter Gefräßigkeit mit ihren Zähnen, unter Zuckungen und epileptischen Konvulsionen, und sobald jemand diesen 240 Unglücklichen, oder besser gesagt, diesen 240 hungrigen Wölfen, die seit 7 Tagen nichts gegessen hatten, meine Ankunft mitgeteilt hatte, stürzte sich die ganze Horde, von der Höhe des Hügels herabrasend, auf mich, streckten mir ihre Skelette von Armen entgegen und flehten mich mit heiserem Geschrei und Schluchzen um ein Stück Brot an. Es waren nur Frauen und Kinder, etwa ein Dutzend Greise darunter.

Bei meiner Rückkehr brachte ich ihnen Brot, und mehr als eine Stunde lang war ich der mitleidige aber ohnmächtige Zuschauer einer wahren Schlacht um ein Stück Brot, wie sie selbst verhungerte wilde Tiere nicht aufführen können.

3.

Hamam ist ein kleines Dorf, wo 1600 Armenier eingeschlossen sind. Auch da jeden Tag dasselbe Schauspiel des Hungers und Entsetzens. Die Männer sind in Strafabteilungen zu Erdarbeiten auf den Straßen requiriert worden. Als Lohn ihrer Arbeit empfangen sie täglich ein ungenießbares und unverdauliches Stück Brot, das absolut unzureichend ist, um ihnen für ihre schwere Arbeit die nötige Kraft zu geben.

[S. 491]

An diesem Ort traf ich einige Familien, die noch etwas Geld hatten und auf eine nicht ganz so jämmerliche Weise ihr Leben zu fristen suchten. Aber die große Masse hatte kein anderes Quartier als die nackte Erde, ohne den geringsten Schutz und nährte sich von Wassermelonen. Die Elendesten unter ihnen suchen ihren Hunger zu betrügen, indem sie die Schalen, die die andern wegwerfen, essen. Die Sterblichkeit ist enorm, besonders unter den Kindern.

4.

Rakka ist ein bedeutender Platz am linken Ufer des Euphrat. Dort sind 5–6000 Armenier, hauptsächlich Frauen und Kinder, die auf die verschiedenen Stadtviertel verteilt sind, in Gruppen von fünfzig bis sechzig, in verfallenen Häusern untergebracht, die die Güte des Gouverneurs diesen Unglücklichen angewiesen hat. Man soll das Verdienst ehren, wo man es findet. Was als nichts anderes als die Erfüllung elementarster Pflichten gegenüber ottomanischen Untertanen von Seiten eines türkischen Beamten gelten sollte, muß unter den gegenwärtigen Umständen für einen Akt eines besonderen, ja fast heroischen Edelmutes angesehen werden. Obwohl die Armenier in Rakka besser behandelt werden, als sonst irgendwo, ist ihr Elend gleichwohl schrecklich genug. Brot wird ihnen nur sehr unregelmäßig und in völlig unzureichenden Quantitäten von den Behörden ausgeteilt. Alle Tage sieht man Frauen und Kinder vor den Bäckereien angesammelt, die um ein wenig Mehl betteln. Hunderten von Bettlern begegnet man in den Straßen. Immer diese entsetzliche Qual des Hungers! Dabei muß man bedenken, daß sich unter der verhungerten Bevölkerung nicht wenige befinden, die eine hohe Stellung im sozialen Leben eingenommen haben, die begreiflicherweise unter diesem Elend doppelt leiden müssen. Gestern waren sie reich und beneidet. Heut betteln sie gleich den Ärmsten um ein Stück Brot.

Auf dem rechten Ufer des Euphrat, gegenüber von Rakka, fand ich ebenfalls Tausende Armenier unter Zelten zusammengepfercht und von Soldaten bewacht. Sie waren gleichermaßen ausgehungert. Sie warteten darauf, an andere Plätze weitertransportiert zu werden, wo sie die ausgestorbenen Reihen ihrer Vorgänger ausfüllen sollen. Aber wie viele werden auch nur an ihren Bestimmungsort gelangen?

[S. 492]

5.

Sierrat liegt nördlich von Rakka. Dort kampieren 1800 Armenier. Sie leiden dort mehr als anderwärts unter dem Hunger. Denn in Sierrat ist nichts als Wüste. Gruppen von Frauen und Kindern irren am Flusse entlang und suchen einige Halme von Kräutern, um ihren Hunger zu stillen. Andere brechen unter den Augen ihrer gleichgültigen, mitleidlosen Wächter ohnmächtig zusammen. Eine barbarische Order, barbarisch in jedem Sinn, verbietet jedermann die Grenze des Lagers zu verlassen ohne spezielle Erlaubnis, bei Strafe der Bastonnade.

Semga ist ein kleines Dorf, wo 250 bis 300 Armenier eingesperrt sind, unter denselben Bedingungen, in derselben traurigen Lage wie überall.

6.

Der es-Zor ist der Sitz des Gouverneurs der Provinz gleichen Namens. Vor einigen Monaten waren hier 30000 Armenier in verschiedenen Lagern außerhalb der Stadt unter dem Schutze des Gouverneurs Mutessarif Aly Suad Bey untergebracht. Obwohl ich mich der persönlichen Bemerkungen enthalten will, möchte ich mir doch den Namen diese Mannes einprägen, denn er besitzt ein Herz, und die Deportierten sind ihm dankbar, weil er versucht hat, ihr Elend zu erleichtern. Ihm ist es zu danken, daß einige unter ihnen sich etwas durch Straßenhandel verdienen konnten und sich erträglich dabei standen. — Dies beweist, daß, selbst wenn man einen Augenblick zugestehen will, daß irgend eine Staatsraison die Massen-Deportation der Armenier forderte, um den Schwierigkeiten, denen die Lösung der armenischen Frage begegnen konnte, zuvorzukommen, gleichwohl die türkische Behörde, im eigenen Interesse des Reiches, die Menschlichkeit nicht hätte zu verleugnen brauchen, wenn sie die Armenier in Gegenden transportiert hätte, wo sie Arbeit finden und sich dem Handwerk oder Handel hätten widmen können. Man hätte sie in kultivierbare Gegenden schicken können, wo sie in dieser Zeit, wo der Ackerbau so darniederliegt, reichliche Arbeit gefunden hätten. Aber nein, es war ein vorbedachter Plan, die armenische Rasse zu vernichten und so mit einem Schlage die armenische Frage aus der Welt zu schaffen. Diesen Zweck würde man bei einem anderen Vorgehen nicht erreicht haben. — Die günstigeren Umstände, deren sich die Armenier von Der es-Zor erfreuten, wurden der Anlaß zu einer[S. 493] Denunziation bei der Zentralbehörde in Konstantinopel. Der „schuldige“ Aly Suad Bey wurde nach Bagdad geschickt und durch Zekki Bey ersetzt, der durch seine Grausamkeit und Barbarei genügend bekannt ist. Man hat mir entsetzliche Dinge erzählt, die unter diesem neuen Gouverneur passiert sind. Einkerkerung, scheußliche Torturen, Bastonnaden, Hängen waren an der Tagesordnung. Sie waren das tägliche Brot der Deportierten in dieser Stadt. Die jungen Mädchen wurden vergewaltigt und den arabischen Nomaden der Umgegend überlassen. Die Kinder wurden in den Fluß geworfen. Aly Suad Bey, dieser seltene türkische Beamte, hatte etwa Tausend Waisenkinder in einem großen Hause untergebracht und gab ihnen auf Kosten der Munizipalität ihren Unterhalt. Sein Nachfolger Zekki Bey warf sie auf die Straße, und die meisten von ihnen starben wie Hunde vor Hunger und entsetzlichen Entbehrungen. Noch mehr. Die 30000 Armenier, die in Der es-Zor waren, wurden in das Gebiet längs des Flusses Chabur, eines Nebenflusses des Euphrat, verschickt. Es ist die schlimmste Gegend der Wüste, wo es unmöglich ist, irgend etwas zum Lebensunterhalt zu finden. Nach den Nachrichten, die ich eingezogen habe, ist ein großer Teil dieser Deportierten bereits dem Tode erlegen. Was davon noch übrig ist, wird dasselbe Schicksal erleiden.“

[S. 494]

5.
Das armenische Hilfswerk in Urfa und Umgebung.

Unser Hilfswerk in Urfa und Umgegend begann als die allgemeine Deportation und Vernichtung des armenischen Volkes in der Türkei begonnen hatte. Dies war im Mai 1915. Damals kamen die ersten Deportierten aus Nordanatolien hier durch, bereits schon in der unsagbar traurigsten Verfassung und keine Männer unter ihnen, nur Frauen und Kinder. Die Männer und Väter waren schon auf die Seite gebracht worden. Wer immer von Urfas christlicher Bevölkerung damals jemand von diesen Bedauernswerten verstecken konnte, der tat es. Urfa besaß damals drei Missionen, zwei evangelische, eine amerikanische und eine deutsche, und eine katholische. Letztere allerdings war schon seit Kriegsausbruch, weil französisch, unterbunden. Alle taten ihr Möglichstes zur Linderung der Not. Schon im April 1915 hatten sie Boten an ihre Konsuln in Aleppo gesandt, um sie von dem drohenden Unheil zu unterrichten. Im Juni suchte Schreiber dieses, er war eben von einem schweren Typhus aufgestanden, das deutsche, österreichische und amerikanische Konsulat in Aleppo auf, um sie inständig zu bitten, doch ihr Möglichstes zur Unterbindung des grausamen, auf die völlige Vernichtung des armenischen Volkes hinzielenden Treibens zu tun. Allein alle diese Schritte nützten nichts. Der Armenier war vogelfrei geworden. Er mußte umgebracht werden. Ich war nicht in der Lage, über die schrecklichen Frauen- und Kindertransporte in europäischen Zeitschriften Berichte zu lesen, aber ich nehme an, daß diese gewiß schon oft geschildert worden sind. Mir ist es, als ob sie unbeschreiblich waren. Schon im August wurde die persönliche christliche Hilfe für die Unglücklichen hier illusorisch wegen der Maßregeln der Regierung. Wohl hatten alle Missionare hier ihre Häuser voll der Schutz Suchenden, aber an ein und demselben Tage wurden alle[S. 495] aus diesen Häusern, es waren deren etliche Hundert, polizeilich abgeholt. Wer unter ihnen Mann war, wurde, wenn er aus dem amerikanischen Institute war, erhängt; wenn er aus dem deutschen Spitale, aus dem deutschen Privathause war, oder aus dem dänischen und schweizerischen Hause, wurde er alsbald als Soldat weggeschickt. Die Frauen aber und Kinder mußten in die Wüste wandern, von wo es keine Rückkehr mehr gab. Auch den Muhammedanern wurde verboten, Armeniern Unterschlupf zu geben. Glücklicherweise aber finden alle amtlichen Verbote in der Türkei ihre Übertreter. Und diesen Übertretern ist es zu verdanken, wenn heute noch Tausende und Abertausende von armenischen Kindern wieder zum Vorschein kommen, nachdem sie 4 Jahre in muslimischen Häusern in Stadt und Land gewesen waren. Auch das deutsche Missionshospital durfte, selbst in der Zeit, da es am schlimmsten zuging, viele Frauen und Kinder hindurchretten. Freilich, Männer hindurchretten konnte es nicht, da selbst die in demselben sich befindenden Verwundeten abgeholt und umgebracht worden waren. Nur der dänischen Missionarin, Fräulein Karen Jeppe, gelang es, allen Hausdurchsuchungen zum Trotze, sieben Männer durchzubringen. Die amerikanische Mission hatte im Oktober ihre Arbeit einstellen müssen, weil der noch vorhandene Missionar seiner Sache zum Opfer gefallen war. Mir drohte ein Pascha, mich wie einen Armenier zu behandeln, wenn ich ferner den Armeniern beistehen würde. Durch meine Tätigkeit in unserem Hospital konnte ich aber für die Sterbenden und Schwerkranken, welche wir aus den nie endenwollenden Zügen der hier Durchdeportierten nahmen, sehr viel tun und tun lassen. Wir beherbergten von Juli 1915 bis Juni 1916 nicht weniger als 500 dieser Unglücklichsten. Das Hospital galt allgemein als ein Hort der Armenier. Dies war wohl der Hauptgrund, weshalb ein jungtürkischer Sanitätsrat das Hospital im Juni 1916 schloß. Nun mir die Tätigkeit im Hospital verboten war, konnte ich an die Gründung eines eigentlichen Hilfswerkes denken. Denn jetzt hatte ich auch Zeit dazu. Die Deportation nahte ihrem Ende. Daher wagten sich denn immer mehr von den Arabern in den Dörfern versteckt gehaltene Frauen mit ihren Kindern nach der benachbarten Stadt zurück. Diesen mußte geholfen werden. An eine Wiedereröffnung der zwei Waisenhäuser, welche bis Oktober 1915 hier existierten, durfte nicht gedacht werden. Das hätte die Regierung niemals erlaubt. Aber ich konnte mehr oder weniger heimlich die[S. 496] Armen unterstützen. Wohl mußte ich mir deshalb des öfteren polizeiliche Untersuchungen gefallen lassen. Ich galt auch als Spion, deshalb kam auch niemals ein noch so unverdächtiges, von mir abgesandtes Telegramm an sein Ziel.

Dem Eingang der eingegangenen Hilfsgelder entsprechend, die anfangs ziemlich spärlich flossen, konnte ich Waisen unterstützen. Erwachsene mußten sehen, wie sie sich durchbrachten, an Arbeit fehlte es damals nicht, weil die Muhammedaner Dienerinnen benötigten. Ich trug die Namen der Waisen, welche ich unterstützen konnte, in fortlaufender Nummer in ein Buch ein. Auf der Karte, welche das unterstützte Kind erhielt, waren die Unterstützungen eingetragen, damit ich doch eine gewisse Kontrolle hatte. Ein Arbeitsmangel für die vielen Witwen trat erst zu Anfang 1917 ein, als große Transporte von Armeniern aus dem Deportiertenlager, aus Rakka hierher gebracht worden waren, und als eine Teuerung begann, weshalb viele Araber ihre armenischen Schützlinge nach der Stadt schickten.

Ich ließ nun feine Handarbeiten verfertigen, in denen so viele Armenierinnen große Künstler sind. So ließ ich über 13000 Taschentücher mit feinen Spitzen anfertigen. Allein deren Herstellung erforderte gar bald so große Summen, daß alsdann für die vielen Waisen keine Hilfe mehr möglich gewesen wäre. Eine Umsatzmöglichkeit war ausgeschlossen, weil solche Tücher für Europa und Amerika bestimmt sind, und wegen des Krieges an einen Transport nicht zu denken war. Aus gleichem Grunde ging auch eine im Frühjahr angefangene Seidenzucht wieder ein. Es war da ein junger verbannter Armenier aus Brussa, der ein Diplom hatte als Seidenzüchter, der arbeits- und brotlos war. Dem verhalf ich zur Arbeit, indem ich ihn Seide züchten ließ, und da wir bestimmt auf ein baldiges Kriegsende rechneten, so ließ ich ihn auch für das andere Frühjahr Brut bereiten. Allein der Krieg ging nicht zu Ende. Jemand, der die Kokons hätte verarbeiten können, fand sich nicht, auch kein Seidenweber. Nicht einmal ein Käufer für die Kokons ließ sich auftreiben. Und als die junge Brut im Frühjahr 1918 ausschlüpfte, war niemand da, der hier und anderswo danach verlangte. Auch der Mann aus Brussa hatte Urfa wieder verlassen. So blieb mir nichts anderes übrig, als die wimmelnde Brut wegzuwerfen.

War die Zahl der unterstützten Waisenkinder im Juni 1916 bloß 87, so stieg sie bis zum Juni 1917 auf über 2000. Im Sommer[S. 497] 1917 aber kam wieder ein Abtransport. Man benötigte zum Straßenbau Frauen und Kinder, weshalb viele nach Biredjik und Surudj gebracht worden waren. Andere wieder flohen und suchten ihre alte Heimat wieder aufzufinden. Manche von diesen erhielten etwas Zehrgeld von uns.

Eine schwierige Arbeit war die Versorgung der Armenier in anderen Städten, welche zum Sandjak Urfa gehörten. Rakka war ein Emigrantenzentrum. Diese Stadt war bis Frühjahr 1917 von Aleppo aus vom amerikanischen Konsul versorgt worden. Nach Wegzug dieses Konsuls wurde mir vom deutschen Konsul in Aleppo diese Arbeit übergeben. Zweimal konnte ich Mittel hinsenden und zweimal ging ich selbst mit bedeutenden Mitteln hin. Das zweite Mal aber wurde ich einige Tage festgehalten. Der Gendarmeriekommandant hatte von mir Bestechung erwartet. Nach Biredjik und Adiaman gelang es mir, kleine Summen zu senden und sie dort durch deutsche Offiziere zu verteilen. Den an der Straße von Surudj Frohndienst leistenden halbnackten Kindern und Frauen konnten wir einmal zwei Lasten Kleider bringen. Aus Dörfern der Umgebung kamen zuweilen Armenier, welche im Namen der daselbst befindenden Notleidenden Hilfe erbaten. Geringe Mittel konnten wir geben.

Im Dezember 1916 begab ich mich nach Aleppo, um dem amerikanischen und deutschen Konsul auch die Not der kurdischen Emigranten ans Herz zu legen, die zu Tausenden an den Wegen und in den Dörfern Hungers starben. Ich hoffte durch eine Unterstützung auch dieser Emigranten eine Erleichterung für das armenische Hilfswerk von seiten der türkischen Regierung, die dies bislang so sehr beargwöhnte. Schon im Februar 1917 reifte die Frucht dieses Schrittes. Durch Konsul Jackson erhielt ich 700 Pfund, und vom deutschen Konsul 300 Pfund für diesen Zweck. Im März habe ich denn auch in Hunderten von Dörfern an Tausende von Muselmanen, die dem Hunger verfallen waren, Weizen und Gerste austeilen dürfen. Von diesem Zeitpunkte an konnte ich wenigstens in Urfa freier für die Armenier arbeiten.

Im Laufe dieser Notzeit haben wir auch armenische Familienreste leihweise, aber kräftig unterstützt. Diese hatten vor der Deportation bedeutende Summen bei Banken oder bei Missionen hinterlegt, welche sie aber jetzt unmöglich beziehen konnten.

Anfang 1917 richtete meine Frau heimlich, sorgfältig vor den Augen der Regierung versteckt, ein kleines Waisenhaus ein, nach[S. 498]dem sie schon früher in christlichen syrischen Familien eine Anzahl Ganzwaisen untergebracht hatte. Ende 1917 hatte sie schon zwei kleine Häuser mit Waisen gefüllt, denen sie sogar den Segen der Schule zuteil werden lassen konnte. Über hundert Kinder besuchten auch eine vom Hilfsgelde eingerichtete Schule im syrischen Stadtquartier. Doch dauerte diese Freude nicht lange. Durch jungtürkischen Ukas wurden alle nicht vom Staate geöffneten Schulen im ganzen Reiche geschlossen. Etwas Gescheiteres gab es offenbar für die Landesväter nicht zu tun während dieses fürchterlichen Krieges.

Neue Aufgaben brachte unserem Werke der Waffenstillstand. Da begannen Urfa-Armenier, sei es aus der Wüste, sei es vom Soldatenstande hierher zurückzukehren. Diese fanden hier ihre Häuser zerstört vor. Man mußte ihnen zu einem Bette verhelfen oder ihnen zu einem neuen Geschäftsanfange die Hand reichen.

Gott Bei Dank war nun der Bann gebrochen, den das jungtürkische Regime über das armenische Volk verhängt hatte, und das zur Vernichtung von wohl mehr als Dreiviertel des Volkes geführt hatte. Nun wehte ein anderer Wind. Durch Ausrufen ließ die Regierung in den Straßen der Stadt verkünden, daß jetzt kein Armenier mehr bedrückt werden dürfe, und daß alle armenischen Kinder, Jungfrauen und Frauen, selbst wenn diese verheiratet worden seien, jetzt entlassen werden müssen. Dieser Befehl aber war eine bittere Nuß für viele Muhammedaner. Besonders, die Frauen entlassen! Hatten doch viele sich Armenierinnen genommen und dann gefunden, daß so eine Armenierin doch eine ungleich bessere Hausfrau ist, als eine geborene Türkin. Immerhin, mit der Entlassung der besten unter ihnen hatten sie keine Eile. Erst entließ man einmal die Alten, Gebrechlichen und Kranken. Daneben diejenigen Kinder, welche man noch nicht recht zur Arbeit gebrauchen konnte. Aber eine große Menge wurde doch schon entlassen. Wohin sollten sich diese wenden? Eine armenische Gemeinde existierte seit 1916 in Urfa nicht mehr[172]. Zu Jakob Effendi, war die Losung der Befreiten! Damit war ich und meine Frau gemeint. Es war sehr gut, daß ich in jenen Tagen die Gebäude des amerikanischen Instituts von der Regierung zurückerhalten hatte. Wenn sie auch ihres Mobiliars beraubt waren, so waren doch wenigstens die Gebäude noch bewohnbar. Somit war Platz für mehrere Hunderte von Waisen ge[S. 499]schaffen. Diese kamen denn auch in großer Zahl, sei es, daß sie von den Muhammedanern entlassen worden waren, oder selbst von diesen fortliefen. Allein sie kamen ohne Betten, oft ohne Kleider, viele von ihnen krank. Auch viele Frauen kamen an. Im Vertrauen auf Gott nahmen wir fast alles auf, was da kam. Die Gebäude füllten sich rasch. Leider aber stellten die Banken, durch welche wir unsere Hilfsgelder erhielten, ihre Auszahlungen ein. Der Geldmangel zwang mich, Ende November nach Aleppo auf die Suche nach Mitteln zu gehen. Allein auch dort war vorerst nicht viel zu holen. Um nicht mit leeren Händen nach Urfa zurückkehren zu müssen, griff ich zu etwas sonst nicht erlaubtem, ich schrieb einen Scheck auf die Bank in der Schweiz, durch die ich bisher Gelder von dort geschickt bekam. Mit dem Gelde des Schecks, es waren 10000 Franks, konnte ich viele Kleider, Bettwerk, Essen für die wachsende Kinderschar anschaffen. Aber schon im Januar dieses Jahres war wieder völlige Ebbe in der Kasse, trotzdem stieg die Zahl der aufgenommenen Waisen bis zu Ende des Monats auf 200. Diesmal half ich mir dadurch, daß ich Herrn Dr. Lepsius in Potsdam mit 26000 Mk. belastete, welche ich hier auch in der Hoffnung aufnahm, daß bei ihm gewiß wieder Hilfsgelder eingegangen sein werden, welche aber jetzt nicht hergesendet werden konnten. Anfang Februar erhielt ich auch von Mr. Fowle, American Board, wieder Hilfsgelder. Auch zeitigte meine im November nach Aleppo gemachte Reise eine neue Frucht, indem mein damals an das britische Hauptquartier gerichtetes Gesuch Erhörung fand und uns nun für das Hilfswerk eine bedeutende Summe zugestellt wurde.

Nun ist aber das amerikanische Institut voll besetzt. Eine Schule ist im Gange, Weberei, Schusterei und Spinnerei sind in Betrieb, aber der Waisen werden es täglich mehr. Zusammen mit einigen wenigen noch vorhandenen armenischen Männern wollen wir noch eins, zwei weitere Waisenhäuser einrichten. Diejenigen, welche von auswärts sind, und irgendwo westwärts Verwandte zu haben glauben, senden wir an die nächste Bahnstation, von wo sie durch englische Hilfe in die alte Heimat geschickt werden.

Mit Beginn des Waffenstillstandes erhielt ich auch das von der Deutschen Orient-Mission (auch mit Schweizer Geld) unterhaltene Hospital zurück von der militärischen Behörde, welche es zwei Jahre lang für ihre Soldaten besetzt hatte. Somit war auch gleich ein hochnötiges Krankenheim für die vielen kranken Waisenkinder bereit.[S. 500] Augenblicklich ist die Skabies in sehr hartnäckiger Form die Hauptkrankheit.

Mit den Hilfsgeldern konnten wir wieder einmal nach drei Monaten die täglich in vermehrter Zahl unser Haus umlagernden Witwen und Waisen unterstützen, welche in der Stadt zerstreut wohnen oder neu aus Dörfern eingekehrt waren, aber in unserem Waisenhause nicht Aufnahme fanden. So wurden an einigen Tagen über 1000 Personen, meist Kinder, unterstützt. Ferner konnten wir all den Vielen, welche in ihre alte Heimat reisen wollten, wieder wie den früher Verreisten, einen Zehrpfennig auf den Weg mitgeben.

In der ersten Zeit unseres Hilfswerks machten diese Arbeit meine Frau und ich allein. Seit Frühjahr 1917 mußte ich ab und zu Pater Ephraim Djurassian, den Prediger in der syrisch-protestantischen Kirche, einer der wenig übrig gebliebenen Armenier, zu Hilfe rufen. Er übernahm auch das Lehramt. Seit November 1918 aber habe ich ihn und seine Frau als Waiseneltern im amerikanischen Institut eingesetzt. Seit Februar 1919 ziehen wir uns zur wachsenden Arbeit die nötigen Helfer heran. Wir, das heißt meine Frau, welche fast übermenschlich ihr organisatorisches Talent in den Dienst des Hilfswerks stellte, und ich harren auf neue amerikanische oder europäische Hilfe, denn es ist uns zuweilen, als ob die Kraft uns versagen wollte. Doch, wie der Tag so die Kraft, so war es bis heute gewesen und wird es weiter so bleiben, bis die Ablösung da sein wird.

Urfa, den 20. Februar 1919.

Jakob Künzler.

[S. 503]

Der auswärtige Dienst 1914–1918

Der auswärtige Dienst 1914–1918.

Reichskanzler.

Dr. von Bethmann Hollweg vom 14. Juli 1909 bis 14. Juli 1917.

Dr. Michaelis vom 14. Juli bis 1. November 1917.

Dr. Graf von Hertling vom 1. November 1917 bis 3. Oktober 1918.

Prinz Max von Baden vom 3. Oktober bis 9. November 1918.

Staatssekretäre.

von Jagow vom 11. Januar 1913 bis 22. November 1916.

Zimmermann vom 22. November 1916 bis 6. August 1917.

von Kühlmann vom 6. August 1917 bis 16. Juli 1918.

von Hintze vom 16. Juli 1918 bis 7. Oktober 1918.

Dr. Solf vom 7. Oktober 1918 bis 30. Dezember 1918.

Unterstaatssekretäre.

Zimmermann vom 5. Mai 1911 bis 22. November 1916.

von Stumm vom 22. November 1916 bis 7. Dezember 1918.

Freiherr von dem Bussche-Haddenhausen, zweiter Unterstaatssekretär vom 27. November 1916 bis 1. Januar 1919.

Botschaft Konstantinopel.

Freiherr von Wangenheim, Botschafter seit 1912, † 25. Oktober 1915, beurlaubt vom 20. Juli 1915 bis 2. Oktober 1915, vertreten durch Fürst Hohenlohe-Langenburg, Botschafter in außerordentlicher Mission vom 20. Juli 1915 bis 2. Oktober 1915.

Botschaftsrat Freiherr von Neurath, Geschäftsträger vom 25. Oktober 1915 bis 15. November 1915.

Graf Wolff-Metternich, Botschafter in außerordentlicher Mission vom 15. November 1915 bis 3. Oktober 1916.

[S. 504]

Geh. Legationsrat von Radowitz, Geschäftsträger vom 3. Oktober 1916 bis 16. November 1916.

Dr. von Kühlmann, Botschafter in außerordentlicher Mission vom 16. November 1916 bis 24. Juli 1917. Beurlaubt vom 26. Dezember 1916 bis 5. Januar 1917, vertreten durch Geh. Legationsrat Dr. Göppert. Beurlaubt vom 26. Juni 1917 bis 7. Juli 1917, vertreten durch Botschaftsrat Grafen von Waldburg.

Botschaftsrat Graf von Waldburg, Geschäftsträger vom 24. Juli 1917 bis 7. September 1917.

Graf von Bernstorff, Botschafter vom 7. September 1917 bis 27. Oktober 1918.

Botschaftsrat Graf von Waldburg, Geschäftsträger vom 27. Oktober 1918 bis 20. Dezember 1918.

Konsulate.

Adana.

Dr. Büge, Konsul, von Mai 1910 bis Oktober 1918.

Aleppo.

Rößler, Konsul, von 1910 bis 30. Mai 1918.

Vom 27. März 1915 auf Dienstreise in Marasch, vertreten durch Herrn Rühe, Direktor der deutschen Orientbank,

beurlaubt vom 3. Oktober bis 22. Oktober 1915 geschweifte Klammer zu vertreten durch
Vizekonsul
Hoffmann.
 „   „  15. August bis 9. September 1916
 „   „  12. August bis 30. September 1917
 „   „  30. Mai 1918 ab, vertreten durch Konsul Dr.
Schönberg, bis 12. Oktober 1918.

Alexandrette.

Hoffmann, Vizekonsul, seit April 1914.

Bagdad.

Hesse, Konsul, seit 1910 bis 28. Februar 1917.

Beirut.

v. Mutius, Konsul (seit 15. April 1916 Generalkonsul) von 1912 bis Ende September 1918, beurlaubt vom 15. Juni bis 25. Oktober 1917, vertreten: 1. bis 29. Juli 1917 durch Konsul Graf v. d. Schulenburg, 2. vom 30. Juli bis 25. Oktober 1917 durch Herrn Drubba.

[S. 505]

Damaskus.

Karl Schiffer, Prokurist der Deutschen Palästina-Bank, Verweser, von Juni 1914 bis 15. Januar 1915.

Dr. Padel, Konsul, Verweser, vom 15. Januar bis 26. Mai 1915.

Dr. Loytved-Hardegg, Konsul, Verweser, vom 13. Juni 1915, † 7. Mai 1917, vom 13. September bis 2. Oktober 1915 in Haifa.

Vizekonsul Hoffmann, Verweser, vom 10. Mai bis 10. August 1917.

Graf v. d. Schulenburg, Konsul, Verweser, vom 10. August 1917 bis 2. April 1918.

Dr. Ziemke, Verweser, vom 2. April bis 20. Juni 1918.

Dr. Brode, Konsul, Verweser, vom 30. Juni bis Ende September 1918.

Erzerum.

Vizekonsul Anders, Verweser, seit 4. September 1913 bis Ende Juli 1914.

Dr. Schwarz, Konsul, Verweser, seit 29. September 1914 bis 17. Februar 1915.

Scheubner-Richter, Verweser, vom 17. Februar bis 6. August 1915.

Graf v. d. Schulenburg, Konsul, Verweser, vom 6. August bis Ende Februar 1915; bis 12. Februar 1916 Geschäfte von Sekretär Werth geführt, der dann nach Siwas übersiedelte.

Haifa.

Dr. Loytved-Hardegg, Vizekonsul (seit 23. Juni 1914 Konsul) seit 1912; beurlaubt vom 18. Juli bis 9. September 1914, vertreten durch Bankdirektor Faber.

Seit 1915 wurde Haifa von Damaskus aus verwaltet, als Vertreter des Konsulats Damaskus befand sich bis Ende September 1918 Dragoman Hoffmann in Haifa.

Jaffa.

Dr. Brode, seit Juni 1914 bis Ende März 1916,

beurlaubt vom 13. Juli bis 9. September 1914 geschweifte Klammer zu vertreten durch
Dragoman
Baumert.
in Jerusalem vom 1. bis 15. August 1915
 „    „    „ 5. Sept. bis 26. Okt. 1915

Seit Ende März 1916 bis November 1917 wurde Jaffa von Jerusalem aus verwaltet; in Jaffa bis 28. August 1917 Dragoman[S. 506] Schabinger, dann bis 21. September Dragoman Baumert, dann bis November 1917 Dragoman Schabinger.

November 1917 nach Haifa verlegt.

Jerusalem, Generalkonsulat.

Schmidt, Generalkonsul seit 1914, † 27. März 1916,

abwesend vom 1. bis 14. August 1915 geschweifte Klammer zu vertreten durch
Konsul Dr. Brode.
  „    „  5. September bis 26. Oktober 1915

Dr. Brode, Verweser, vom 25. März 1916 bis 15. November 1917. Am 15. November 1917 nach Damaskus übergesiedelt.

Mossul.

Vizekonsul Holstein, Verweser seit 1911 bis Ende April 1918; vom 1. November bis 19. Dezember 1914 Dienstreise nach Wan, Oktober 1915 auf Dienstreise; beurlaubt 22. Juli bis 23. September 1916, vertreten durch Vizekonsul Schünemann; beurlaubt 1. Mai bis 19. September 1917, vertreten durch Vizekonsul Wustrow.

Vizekonsul Wustrow, Verweser, von Ende April bis 23. Juli 1918.

Vizekonsul Seiler, Verweser, vom 23. Juli bis Oktober 1918.

Samsun.

Kuckhoff, Wahlvizekonsul, seit 1905 bis August 1917.

Mosel, Kaufmann, Verweser, von August 1917 bis 7. Januar 1918.

Dr. Bergfeld, Konsul, Verweser, vom 7. Januar bis 3. Juli 1918 (zugleich für Konsulat Trapezunt).

Hesse, Konsul, Verweser, vom 3. Juli 1918 bis November 1918.

Siwas.

Vom 27. Februar 1916 bis 4. Februar 1917 von Sekretär Werth verwaltet.

Dr. Bergfeld, Konsul, Verweser, vom 4. Februar bis 8. Oktober 1917.

Hesse, Konsul, vom 8. Oktober 1917 bis August 1918. Seit August 1918 wurden die Geschäfte von Erzerum und Siwas von Konsul Bergfeld von Trapezunt aus geführt.

Smyrna.

Humbert, Konsul seit 1910 bis 8. Januar 1916.

Graf v. Spee, Konsul, Verweser vom 8. Januar 1916 bis 19. Januar 1917.

Dr. Weber, Konsul, Verweser, vom 19. Januar 1917 bis November 1918.

[S. 507]

Trapezunt.

Dr. Bergfeld, Konsul, seit 1910 bis 8. März 1916; am 8. März 1916 nach Samsun übergesiedelt, das Konsulat Trapezunt wurde seitdem von Samsun aus verwaltet. In Samsun bis 27. Januar 1917 Konsul Dr. Bergfeld, dann Vizekonsul Kuckhoff, Verweser bis August 1917, dann bis Anfang Januar 1918 Kaufmann Mosel, Verweser, dann wieder Konsul Dr. Bergfeld bis Juli 1918.

Dr. Bergfeld, Konsul, wieder in Trapezunt vom Juli bis November 1918.

[S. 511]

Register

Aktenregister.

[S. 520]

Namenregister.

[S. 530]

Ortsregister.

[S. 536]

Sachregister.


Der Tempelverlag in Potsdam

Postscheckkonto Berlin Nr. 35928.


Bericht über die Lage des armenischen Volkes in der Türkei. Von Dr. Johannes Lepsius. 302 Seiten. 1916. Zweite Auflage 1919.

Eindrücke eines deutschen Oberlehrers aus der Türkei. Von Oberlehrer Dr. Martin Niepage. 16 Seiten. 1919.

Suedije. Eine Episode aus der Zeit der Armenierverfolgungen. 1919.

Mitteilungen aus der Arbeit von Dr. Johannes Lepsius. 1912/1918.

Der Orient. Monatsschrift für die Wiedergeburt der Länder des Ostens. Herausgegeben von Dr. Johannes Lepsius. 1919.

Das Leben Jesu. Von Dr. Johannes Lepsius. Erster Band 1917. 8o. 384 Seiten. Zweiter Band 1918. 8o. 384 Seiten.

John Bull. Eine politische Komödie von Dr. Johannes Lepsius. 1915. Zweite Auflage 1919.

Ein Totentanz. (Ahasver.) Mysterium in drei Akten und einem Vorspiel von Dr. Joh. Lepsius. Zweite Auflage 1906.

Das Kreuz Christi. Vortrag von Dr. Joh. Lepsius, gehalten auf der Eisenacher Konferenz Mai 1902. Zweite Auflage.

Adolf Harnacks Wesen des Christentums. Von Dr. Joh. Lepsius. Zweite Auflage 1903.

Das Reich Christi. Monatsschrift für Verständnis und Verkündigung des Evangeliums. Herausgegeben von Dr. Joh. Lepsius. Jahrgang I-XIII. 1899–1911.


Gedruckt bei Imberg & Lefson G. m. b. H. in Berlin SW. 48.

Fußnoten:

[1] Im Tempelverlag in Potsdam.

[2] Vgl. Nr. 25, Anl. 1; Nr. 188, Anl. 1–5.

[3] Auch die Telegramme der deutschen Konsuln über Wan geben nur türkische Berichte wieder.

[4] Zuguterletzt sind in der türkischen Phantasie die 18 Toten von Wan zu 180000 angewachsen. In der türkischen Botschaft erzählte man am 1. Oktober 1915 in Berlin: „Bis zum Frühjahr dieses Jahres habe ein durchaus gutes Verhältnis zwischen Armeniern und Türken bestanden, was um so erklärlicher sei, als ja die Armenier während der Revolutionszeit mit dem Komitee sympathisiert hätten und gemeinsam mit ihm gegen das alte Regime vorgegangen seien. Der Umschwung sei erst im April eingetreten, als es während des türkischen Vormarsches nach Aserbeidschan zu einer Armenierrevolte im Rücken des türkischen Heeres gekommen sei, bei der nicht weniger als 180000 Muhammedaner umgebracht worden seien. Es sei nicht verwunderlich, daß die Muhammedaner hierfür Rache genommen hätten.“ Vgl. S. LXXIII.

[5] Lepsius, Bericht über die Lage des armenischen Volkes in der Türkei. Tempelverlag in Potsdam. 1916. S. 220 ff.

[6] Mir gegenüber hat Enver Pascha in dem Gespräch, das ich am 10. August mit ihm in Stambul hatte, erklärt, daß er die Verantwortung für das, was im Innern vor sich gehe, übernehme.

[7] Zohrab, der erste Rechtsanwalt von Konstantinopel, und die namhaftesten Führer der Daschnakzagan, Aknuni und Wartkes, wurden erst einige Zeit später verhaftet und ebenfalls nach Ajasch gebracht, Zohrab und Wartkes nach Diarbekr weitertransportiert, wo sie vor ein Kriegsgericht gestellt werden sollten.

[8] Von den etwa 600 Verhafteten sind 8 wieder freigelassen worden. Die andern sind spurlos verschwunden. Zohrab und Wartkes sind auf dem Wege nach Diarbekr in der Gegend von Urfa ermordet worden.

[9] Vgl Nr. 307. Die Pforte bedient sich noch der alten Bezeichnung Bombe statt des modernen Ehrennamens Handgranate, um die Stimmung nihilistischer Attentate zu erzeugen. Es waren in der Tat alte von der Polizei ausgegrabene Bomben aus der Zeit Abdul Hamids.

[10] In Wahrheit hatten die Armenier von Wan keinerlei Verbindung mit Rußland. Ebensowenig waren in Cilicien Aufstände „mit englischem Gelde“ angezettelt worden. „Keinerlei derartige Spuren habe ich... entdecken können.“ (Konsul Rößler, Aleppo, 12. April 1915.)

[11] Frhr. von Wangenheim war erkrankt und am 20. Juli auf Urlaub nach Deutschland gereist.

[12] Siehe Anhang Nr. 4.

[13] Siehe Anhang Nr. 4.

[14] Außer Konstantinopel nur noch Smyrna (Aidin). H.

[15] Vgl. Anhang Nr. 4. H.

[16] „Vérité sur le mouvement révolutionnaire arménien et les mesures gouvernementales.“ Pag. 11.

„Les assertions, d’après lesquelles ces mesures auraient été suggérées à la Sublime Porte par certaines Puissances étrangères sont absolument dénuées de fondement. Le Gouvernement Impérial, fermement résolu à maintenir son indépendance absolue, ne pouvait naturellement admettre aucune immixtion, sous quelque forme que ce soit, dans ses affaires intérieures, fût-ce même de la part des amis et des alliés.“

[17] Vgl. auch A. Mandelstam, „Le sort de l’Empire Ottoman“, S. 304.

[18] Liman von Sanders war, abgesehen von v. d. Goltz, der die 6. Armee einige Monate führte, der einzige deutsche Offizier, der zu der in Betracht kommenden Zeit einen Oberbefehlshaberposten in der türkischen Armee einnahm.

[19] Vgl. auch Nr. 233 und 234 und S. 260. H.

[20] Gegenüber Dr. Jäckh. H.

[21] Siehe Anlage Nr. 4. H.

[22] Bericht über die Lage des armenischen Volkes in der Türkei. Tempelverlag in Potsdam 1916. Statistik S. 298–303.

[23] Vgl. Nr. 25, 193 (S. 178), 365 u. Anhang Nr. 4.

[24] Bericht über die Lage des armenischen Volkes in der Türkei. Tempelverlag. Potsdam 1916. Zweiter Teil: Die Schuldfrage.

[25] Seit Anfang März waren „die armenischen Dienstpflichtigen, sowohl gediente Mannschaften wie Rekruten, nicht mehr zum Dienst mit der Waffe, sondern zu Wegebauten und dergleichen Diensten verwendet worden“.

[26] Von mir gesperrt. H.

[27] Die Sperrungen im Folgenden rühren von mir her. H.

[28] Das von den Großmächten auf russische Initiative geforderte Reformprogramm für die ostanatolischen (armenischen) Provinzen wurde in der Fassung, wie es von der russischen und deutschen Botschaft nach langwierigen Verhandlungen (seit dem Juli 1913) vereinbart worden war, von der Pforte durch Note vom 26. Januar/8. Februar 1914 angenommen. Das Reformprogramm sah zwei europäische General-Inspektoren vor für die in 2 Sektoren geteilten sechs ostanatolischen Provinzen. H.

[29] Die beiden zur Durchführung der armenischen Reformen auf Grund der mit den Mächten vereinbarten Entschließung der Pforte vom 26. Januar/8. Februar 1914 berufenen General-Inspekteure, der Norweger Hoff und der Holländer Westenenk, wurden bald nach Kriegsausbruch durch ein Iradé des Sultans vom 3./16. Dezember ihrer Funktionen enthoben; die Reformen kamen nicht mehr zur Ausführung. Vgl. No. 4 u. 15. H.

[30] Der Scheich von Maku und Simko sind Kurden. H.

[31] Abdul Rezak Bey ist ebenfalls Kurde. H.

[32] Über die Lage in Zeitun hatte Konsul Rößler unter dem 25. April 1913 an die Botschaft in Konstantinopel berichtet:

„Der armenisch-gregorianische Bischof von Aleppo Nerses Danielian ist vor einigen Wochen von einer Reise zurückgekehrt, die er auf Wunsch der türkischen Regierung nach Zeitun unternommen hat. Die Bewohner jener Stadt, welche von jeher für unbotmäßig galten, haben sich so weit als möglich der Militärpflicht entzogen. Die jungen Leute sind von Zeitun auf die Berge gegangen, von wo aus sie, um ihr Leben zu fristen, ein Räuberleben zu führen begonnen haben. Neuerdings haben sich ihnen auch Muhammedaner angeschlossen. Des Bischofs Aufgabe sollte sein, seine Glaubensgenossen zu geordnetem Leben zurückzuführen. Sie verlangten aber ein Iradé des Sultans, welches sie vom Militärdienst befreie, so daß es ihm wohl nicht gelungen ist, seine Aufgabe zu lösen. Der Bischof, ein kluger und ernst zu nehmender Mann, gehört jener gemäßigten und einsichtsvollen Richtung der Armenier an, welche Bestrebungen auf Anschluß an Rußland mißbilligen, vielmehr wünschen, innerhalb des türkischen Staats auf friedlichem Wege Reformen zu erlangen.“

[33] Man darf nicht vergessen, daß die Hälfte des armenischen Volkes, die Armenier des Kaukasus, russische Untertanen waren. H.

[34] „Ittihad“ ist Abkürzung von „Ittihad we Teraki Djemijeti“, Comité Union et Progrès, Name des jungtürkischen „Komitees für Einheit und Fortschritt“. H.

[35] Vgl. No. 4 u. 9. H.

[36] Vgl. Anhang Nr. 2. H.

[37] Vgl. Nr. 19. H.

[38] Die gesetzliche Loskaufssumme. H.

[39] Im Jahre 1909. H.

[40] Vgl. Nr. 25. H.

[41] Vgl. Nr. 11. H.

[42] Es waren 2–3000 H.

[43] Für diese Behauptung gibt es keine Beweise. H.

[44] Vgl. dagegen Zeugnis von General Posseldt. Nr. 31. H.

[45] Wurde von der Botschaft an das Auswärtige Amt weitergegeben.

[46] Siehe Nr. 34. H.

[47] Vgl. Nr. 33 Anm.

[48] Beide Meldungen sind unrichtig. Vgl. Anhang Nr. 3. H.

[49] Das gregorianische Datum ist überall zugesetzt. H.

[50] Vgl. dagegen Nr. 41, 43, 45, 50 u. 56. Die Belagerung dauerte 27 Tage. H.

[51] Vgl. Einl. S. XV. H.

[52] Vgl. Nr. 6. H.

[53] Vgl. Nr. 33 Anm. H.

[54] Vgl. Einl. S. LXVIII. H.

[55] Zur Zeit der Revolution von 1908 bedienten sich die Jungtürken dieser Vereinigungen, um ihre Herrschaft zu begründen. H.

[56] Vgl. Einl. S. LXVIII. H.

[57] Vgl. Nr. 307. H.

[58] Vgl. Nr. 176. S. 159. H.

[59] Vgl. Nr. 25. H.

[60] Vgl. Anhang Nr. 3 und Einl. S. XV. H.

[61] Vgl. dagegen Anhang Nr. 3. S. 478. H.

[62] Vgl. Nr. 74. H.

[63] Vgl. Nr. 53. H.

[64] Vgl. Nr. 53 und 74.

[65] Veröffentlicht in: Aspirations et agissements révolutionaires des Comités Arméniens avant et après la proclamation de la Constitution Ottomane. Constantinople 1917. H.

[66] Die Mitteilung veranlaßte Dr. Lepsius zu seiner Reise nach Konstantinopel. Vgl. Reisebericht in Der Orient, 1919. Heft 1/3. Tempelverlag, Potsdam. H.

[67] Vgl. Nr. 69 und 70. H.

[68] Mitglieder des jungtürkischen Komitees. Vgl. Nr. 109, S. 101 u. Nr. 176, S. 159. H.

[69] Gemeint ist die Verhaftung der armenischen Intellektuellen in Konstantinopel. Nr. 39. H.

[70] Vgl. die entgegengesetzte Anklage. Nr. 129. S. 121. H.

[71] Vgl. Anhang Nr. 3. H.

[72] Reschid Bey hat im Februar 1919, als er verhaftet werden sollte, um wegen seines Vorgehens gegen die Armenier zur Verantwortung gezogen zu werden, Selbstmord begangen. H.

[73] Vgl. Nr. 82. H.

[74] Auf eine erneute Verwendung für Zohrab und Wartkes.

[75] Dr. Zimmer, Reichsdeutscher, besitzt das Gut Atabey in der Nähe von Amasia. H.

[76] 28. Juli. Die Nachricht ist inzwischen amtlich bestätigt. Auch Aintab und Killis, obwohl nicht in der Küstenzone gelegen, sollen geräumt werden.

[77] Bis Mitte Juli mehr als 30000 aus dem Wilajet Adana und dem Mutestarriflik Marasch. Dabei dehnt sie die Verschickungen immer weiter aus.

[78] General Posseldt wurde schon im April 1915 von seinem Posten als Festungskommandant von Erzerum abberufen. H.

[79] Vgl. Nr. 123. H.

[80] Vgl. Einl. S. LXXIII. H.

[81] Vgl. Nr. 136. H.

[82] Über sein Gespräch mit Enver Pascha berichtet Dr. Lepsius in seiner Monatsschrift „Der Orient“, 1919, Heft 1/3. Tempelverlag in Potsdam. H.

[83] S. Anhang Nr. 2 und 3. H.

[84] Vgl. Nr. 94. H.

[85] Vgl Nr. 4. 9. 15. H.

[86] S. Anhang Nr. 1 und 3. H.

[87] ca. 2775000 Mk.

[88] Vgl. Nr. 163. S. 150. H.

[89] Inhalt ist den Konsulaten Erzerum, Adana, Aleppo mitgeteilt.

[90] Bei dem Massaker von Adana 1909 kamen 22–26000 Armenier um.

[91] Vgl. Einl. S. LXXIII. H.

[92] Eine Deutsche. H.

[93] Und in anderen Zeitungen. Die Nachricht hat zuerst in der „Times“ gestanden als Telegramm aus Kairo. H.

[94] Einige Zeit vor den Kämpfen in Urfa waren türkischerseits eine Anzahl bis dahin in Aleppo und anderen Städten untergebrachter Zivilinternierten der feindlichen Mächte (Franzosen, Engländer, Italiener) nach Urfa gebracht worden. Man wirft Baron Oppenheim vor, er habe den Rat hierzu gegeben, damit sie dort das Blutbad mitansehen müßten!

Es genügt, auf das Absurde dieser Beschuldigung hinzuweisen. Geschehen ist den Internierten nichts.

[95] Die Ernennung von Herrn Blank zum deutschen Konsularagenten in Marasch ist aus den im Bericht des Botschafters vom 15. April No. 26, S. 49 dargelegten Gründen unterblieben.

[96] Dieser dritte Brief ist nachträglich vorgelegt worden, da die feindliche Beschuldigung lautete, Konsul Rößler habe ein Massacre in Aintab geleitet. — Mr. J. E. Merrill ist Vorsteher des amerikanischen Kollegs in dieser Stadt. H.

[97] Suedije vgl. Anhang Nr. 1, zu Urfa Nr. 153. 180. 202. H.

[98] Es waren nach in Alexandrien erfolgter Zählung 4058.

[99] Auch in Wan war es Selbstverteidigung. Vgl. Anhang Nr. 3.

[100] Vgl. S. LVIII. H.

[101] Vgl. Nr. 182. Aleppo, den 15. Oktober 1915. H.

[102] Vgl. auch Nr. 226. S. 223. H.

[103] Von den deutschen Häusern (Hospital, Waisenhaus, Privathäusern der deutschen Angestellten, Teppichfabrik) ist nur die letztere, die inmitten der alten Stadt liegt, in Mitleidenschaft gezogen worden und zwar ganz leicht. Sie lag am Rande des Gefechtsbezirks und hatte einige Gewehrschüsse, wohl auch eine Handgranate erhalten, die aber keinen irgend nennenswerten Schaden angerichtet hat. Von den Deutschen ist niemand verletzt. Dagegen ist die Mission insofern stark in Mitleidenschaft gezogen, als ihr ganzes einheimisches Personal, obwohl am Aufruhr nicht beteiligt, rücksichtslos und schonungslos weggeführt worden ist. Welcher Einfluß dadurch auf die Fortführung der Arbeit geübt wird, kann ich vorläufig noch nicht übersehen. R.

[104] Vgl. Nr. 195. H.

[105] Vgl. Nr. 208. H.

[106] Vgl. Nr. 240. S. 238 und Nr. 309. S. 306. H.

[107] Vgl. Nr. 206. H.

[108] Vgl. Nr. 203, Anlage. H.

[109] Siehe Nr. 222. H.

[110] Vgl. Nr. 219. H.

[111] Vgl. Nr. 230. H.

[112] Vgl. Nr. 209, Schluß. H.

[113] Vgl. Nr. 116 Anlage. H.

[114] Nr. 73. 106 A. 131. H.

[115] 14./27. Mai. 1915. Siehe Nr. 71. H.

[116] Vgl. No. 212.

[117] Über die Tätigkeit dieses Beamten vgl. Nr. 165 und 236. H.

[118] Vgl. den im Juni oder Juli 1915 erschienenen Erlaß Djemal Paschas. Anlage 3.

[119] Vgl. Nr. 338. H.

[120] Nr. 213. H.

[121] Vgl. No. 207, S. 201. H.

[122] Vérité sur le mouvement révolutionnaire arménien et les mesures gouvernementales. 1916 Constantinopel.

[123] Vgl. Nr. 241. H.

[124] Vgl. Nr. 241. H.

[125] Nach späteren türkischen Angaben nicht 2–3000, sondern 131. Vgl. Einleitung S. LXXV. Dagegen ist gut bezeugt, daß Djevdet Pascha auf seinem Rückzug von Wan Ende Juni 1915 die armenische Bevölkerung von Bitlis vernichtete. Vgl. auch Nr. 309. H.

[126] Vgl. Nr. 242. H.

[127] Vgl. Nr. 260, 287, 345 Anlage. Sämtliche 14000 wurden abgeschlachtet. H.

[128] Vgl. Nr. 257 und 287. H.

[129] Vgl. Nr. 257, 287 und 345 Anlage. Auch der Rest von 2000 wurde später umgebracht. H.

[130] Vgl. Nr. 251. H.

[131] Vgl. Nr. 249 und 263. Die später eingetroffenen Antworten aus Damaskus und Mossul sind beigefügt.

[132] Die Regierung gewährte an einigen Stellen in gänzlich ungenügendem Umfange Lebensmittel, ließ aber längst damit nach. B. Rohner.

[133] Siehe Nr. 285. H.

[134] Vgl. Nr. 257, 260 und 345 Anlage. H.

[135] Libanondistrikt. H.

[136] Vgl. Nr. 345.

[137] Dr. Niepage und Dr. Graeter waren bereits in die Heimat zurückgekehrt. Vgl. Nr. 182. H.

[138] Infolge der Ablehnung des Herrn von Scheubner-Richter unterblieb das Vorgehen gegen das Dorf. Unter dem Einfluß des Generalfeldmarschalls von der Goltz wurde die Sache der angeblich Aufständischen gütlich beigelegt. Vgl. Nr. 240. H.

[139] Vgl. Nr. 196. H.

[140] Siehe Nr. 332. H.

[141] Vgl. Nr. 233, 241, 274 Anlage, 298, 302, 315, 321, 323, 328.

[142] Vgl. Nr. 233, 320.

[143] Oberst Kemal Bey hat seinen Plan leider nicht ausführen können.

[144] Es sind auch Kurden aus dem Operationsgebiet von der türkischen Regierung verschickt worden, die sich in der Nähe von Urfa in schwerer Not befanden.

[145] Nr. 298. H.

[146] Vgl. 257, 260, 287. H.

[147] Vgl. Nr. 353. H.

[148] Sie wurden in den Booten von der Besatzung getötet und über Bord geworfen. Vgl. den amerikanischen Konsularbericht vom 28. Juli 1915. Lepsius, Bericht über die Lage des armenischen Volkes in der Türkei. Tempelverlag in Potsdam. 1916. S. 31. H.

[149] Vgl. Nr. 391. H.

[150] Daraus geht hervor, daß die Tötung der Armenier vor dem Friedensschluß erlaubt war.

[151] S. Nr. 419.

[152] Vgl. Nr. 432. H.

[153] Dem widerspricht, daß Enver Pascha (vgl. Nr. 386) die in den drei Bezirken wohnhaften Armenier durch eine Proklamation aufforderte, dort zu bleiben, und ihnen Sicherheit des Lebens und Eigentums garantierte. Vgl. auch Einl. S. LXXV. Vgl. Nr. 395 und 412. H.

[154] Ist nicht erlassen worden. H.

[155] Vgl. Nr. 410. und 413. H.

[156] Vgl. Nr. 422. 426. H.

[157] Die Meldung betrifft den angeblichen Abschluß von in Berlin zwischen türkischen und armenischen Vertretern gepflogenen Verhandlungen durch Unterzeichnung eines Geheimfriedens. H.

[158] Nach dem unter dem Titel „A red cross flag that saved four thousand“ von der Nile Mission Press für das American Relief Committee in Cairo veröffentlichten Bericht.

[159] Lepsius, Bericht über die Lage des armenischen Volkes in der Türkei. Tempelverlag in Potsdam. 1916. S. 112 ff.

[160] Lepsius, Bericht über die Lage des armenischen Volkes in der Türkei. Tempelverlag in Potsdam. 1916. S. 220 ff.

[161] Der amerikanische Bericht wurde durch die Mitteilungen von Herrn Spörri, Leiter des deutschen Waisenhauses, der nach der Zerstörung von Wan als letzter die Stadt verlassen hat und über Rußland zurückgekehrt ist, bestätigt. H.

[162] Das gleiche Angebot wurde dem deutschen Waisenhaus gemacht und von Herrn Spörri angenommen; eine Wache wurde aber nicht gestellt.

[163] Sie war als Mädchen im deutschen Waisenhaus erzogen und war vom Lande, wo die Dörfer verwüstet wurden, in die Stadt geflüchtet.

[164] Dazu schrieb mir Prediger J. Spörri, Leiter der Station Wan des Deutschen Hilfsbundes für christl. Liebeswerk im Orient, am 7. 10. 16 aus Zürich:

„Als am 20. 4. 15 die Feindseligkeiten vor meinen Augen ausgebrochen waren und in schauerlicher Weise auf uns geschossen wurde, war ich gedrungen, an den Wali zu schreiben. Ich erzählte den Anfang der Feindseligkeiten, teilte mit, daß wir dem Kugelregen ausgesetzt seien, ersuchte, da ich annehmen mußte, das solches unmöglich nach dem Wollen des Walis sein könne, um weitere Vermeidung solcher Handlungen und bat, die Streitigkeiten friedlich zu ordnen. Mit meinem Schreiben ging ich zu Dr. Usher (es war das ein gefährlicher Weg, da unaufhörlich geschossen wurde), las ihm den Inhalt vor und veranlaßte ihn, von seiner Seite ein Gleiches zu tun. Der Brief vom 23. 4. von Djeodet Bey war die Antwort auf unser Schreiben. Übrigens hatte ich die Verteidiger gebeten, sie möchten sich von der Front unserer Station zurückziehen, da sie das Feuer auf uns zögen. Ich hatte die Genugtuung, daß mein Wunsch erfüllt wurde. Freilich war auch so von einem Aufhören des Feuers gegen uns nicht die Rede.“ H.

[165] Auch das Grundstück der Deutschen Mission wurde beschossen, obwohl eine deutsche Fahne darüber wehte.

[166] Djevdet Bey ist der Sohn und Nachfolger des ausgezeichneten Wali Tahir Pascha, der 16 Jahre lang im besten Einvernehmen mit den Armeniern als Gouverneur des Wilajets Wan in der Stadt gelebt hatte und Muhammedanern und Christen gleichermaßen gerecht geworden war.

[167] Nach einer Mitteilung von Herrn Spörri. H.

[168] Inzwischen traf die Nachricht ein, daß Schwester Martha Kleiß am 30. Juli in Bitlis an Typhus gestorben ist.

[169] Auch auf dem Grundstück der deutschen Mission wurden 600 türkische Frauen und Kinder untergebracht.

[170] Dies wird auch von den Deutschen, die die Belagerung mit durchmachten, bestätigt.

[171] Bericht eines neutralen Augenzeugen, veröffentlicht vom amerikanischen Hilfskomitee für Armenien und Syrien.

[172] Sie zählte früher über 20000 Seelen. H.






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Johannes Lepsius

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WARRANTIES OF MERCHANTABILITY OR FITNESS FOR ANY PURPOSE.

1.F.5.  Some states do not allow disclaimers of certain implied
warranties or the exclusion or limitation of certain types of damages.
If any disclaimer or limitation set forth in this agreement violates the
law of the state applicable to this agreement, the agreement shall be
interpreted to make the maximum disclaimer or limitation permitted by
the applicable state law.  The invalidity or unenforceability of any
provision of this agreement shall not void the remaining provisions.

1.F.6.  INDEMNITY - You agree to indemnify and hold the Foundation, the
trademark owner, any agent or employee of the Foundation, anyone
providing copies of Project Gutenberg-tm electronic works in accordance
with this agreement, and any volunteers associated with the production,
promotion and distribution of Project Gutenberg-tm electronic works,
harmless from all liability, costs and expenses, including legal fees,
that arise directly or indirectly from any of the following which you do
or cause to occur: (a) distribution of this or any Project Gutenberg-tm
work, (b) alteration, modification, or additions or deletions to any
Project Gutenberg-tm work, and (c) any Defect you cause.


Section  2.  Information about the Mission of Project Gutenberg-tm

Project Gutenberg-tm is synonymous with the free distribution of
electronic works in formats readable by the widest variety of computers
including obsolete, old, middle-aged and new computers.  It exists
because of the efforts of hundreds of volunteers and donations from
people in all walks of life.

Volunteers and financial support to provide volunteers with the
assistance they need, are critical to reaching Project Gutenberg-tm's
goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will
remain freely available for generations to come.  In 2001, the Project
Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure
and permanent future for Project Gutenberg-tm and future generations.
To learn more about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation
and how your efforts and donations can help, see Sections 3 and 4
and the Foundation web page at http://www.pglaf.org.


Section 3.  Information about the Project Gutenberg Literary Archive
Foundation

The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit
501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
Revenue Service.  The Foundation's EIN or federal tax identification
number is 64-6221541.  Its 501(c)(3) letter is posted at
http://pglaf.org/fundraising.  Contributions to the Project Gutenberg
Literary Archive Foundation are tax deductible to the full extent
permitted by U.S. federal laws and your state's laws.

The Foundation's principal office is located at 4557 Melan Dr. S.
Fairbanks, AK, 99712., but its volunteers and employees are scattered
throughout numerous locations.  Its business office is located at
809 North 1500 West, Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887, email
[email protected].  Email contact links and up to date contact
information can be found at the Foundation's web site and official
page at http://pglaf.org

For additional contact information:
     Dr. Gregory B. Newby
     Chief Executive and Director
     [email protected]


Section 4.  Information about Donations to the Project Gutenberg
Literary Archive Foundation

Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide
spread public support and donations to carry out its mission of
increasing the number of public domain and licensed works that can be
freely distributed in machine readable form accessible by the widest
array of equipment including outdated equipment.  Many small donations
($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt
status with the IRS.

The Foundation is committed to complying with the laws regulating
charities and charitable donations in all 50 states of the United
States.  Compliance requirements are not uniform and it takes a
considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up
with these requirements.  We do not solicit donations in locations
where we have not received written confirmation of compliance.  To
SEND DONATIONS or determine the status of compliance for any
particular state visit http://pglaf.org

While we cannot and do not solicit contributions from states where we
have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition
against accepting unsolicited donations from donors in such states who
approach us with offers to donate.

International donations are gratefully accepted, but we cannot make
any statements concerning tax treatment of donations received from
outside the United States.  U.S. laws alone swamp our small staff.

Please check the Project Gutenberg Web pages for current donation
methods and addresses.  Donations are accepted in a number of other
ways including checks, online payments and credit card donations.
To donate, please visit: http://pglaf.org/donate


Section 5.  General Information About Project Gutenberg-tm electronic
works.

Professor Michael S. Hart is the originator of the Project Gutenberg-tm
concept of a library of electronic works that could be freely shared
with anyone.  For thirty years, he produced and distributed Project
Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of volunteer support.


Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed
editions, all of which are confirmed as Public Domain in the U.S.
unless a copyright notice is included.  Thus, we do not necessarily
keep eBooks in compliance with any particular paper edition.


Most people start at our Web site which has the main PG search facility:

     http://www.gutenberg.org

This Web site includes information about Project Gutenberg-tm,
including how to make donations to the Project Gutenberg Literary
Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to
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