The Project Gutenberg EBook of Achtzehn Töchter, by Leopold Schefer

This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and with
almost no restrictions whatsoever.  You may copy it, give it away or
re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included
with this eBook or online at www.gutenberg.org/license


Title: Achtzehn Töchter
       Eine Frauen-Novelle

Author: Leopold Schefer

Release Date: August 29, 2018 [EBook #57805]

Language: German

Character set encoding: UTF-8

*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK ACHTZEHN Töchter ***




Produced by the Online Distributed Proofreading Team at
http://www.pgdp.net (This book was produced from scanned
images of public domain material from the Google Books
project.)






Anmerkungen zur Transkription

Der vorliegende Text wurde anhand der 1847 erschienenen Buchausgabe so weit wie möglich originalgetreu wiedergegeben. Typographische Fehler wurden stillschweigend korrigiert; altertümliche und ungewöhnliche Wortformen wurden aber nicht an die heutige Schreibweise angepasst. Die Vewendung von Anführungszeichen der wörtlichen Rede erscheint teilweise willkürlich. Da dies möglicherweise vom Autor beabsichtigt war, wurden die Anführungszeichen so belassen wie im Original vorgegeben.

Umlaute in Großbuchstaben wurden in ihrer Umschreibung (Ae, Oe und Ue) dargestellt. Das Inhaltsverzeichnis wurde vom Bearbeiter erstellt.

Das Origial wurde in Frakturschrift gesetzt. Passagen in Antiquaschrift werden in der vorliegenden Fassung kursiv wiedergegeben. Abhängig von der im jeweiligen Lesegerät installierten Schriftart können die im Original gesperrt gedruckten Passagen gesperrt, in serifenloser Schrift, oder aber sowohl serifenlos als auch gesperrt erscheinen.

Achtzehn Töchter.

Eine Frauen-Novelle

von

Leopold Schefer.

Verzierung

Breslau, 1847.

L. M. R. Kühn’sche Verlags-Buchhandlung.


I.
Wer besitzt, wird besessen.
1
II.
Der siebenundzwanzigste Geburtstag.
19
III.
Der Donner als Brautwerber.
40
IV.
Das einzige Kind.
49
V.
Die Vorstellung.
65
VI.
Die jetzt verführte Jugend.
75
VII.
Der Vater und das Kinderhaus.
83
VIII.
Verwickelungen.
116
IX.
Der betrogene Freier.
154
X.
Die feindlichen Schwestern. Der Brief.
174
XI.
Ruhig zum Guten, getreu zum Glück.
201
XII.
Der Vater Semi-morto.
248

[S. 1]

I.
Wer besitzt, wird besessen.

So hatte ich mich denn angekauft! Vorher frei wie Jeder, der großes oder hinlängliches Vermögen hat, um allen Geschicken eines Landes aus dem Wege zu gehn, war ich nun selber verkauft, an mein Schloß, meinen See, meine Eichen, meine Unter-Herren (denn das heißt Unter-Thanen); mir ging es nur wohl, wenn es meinen Ochsen und Kühen und Kälbern und Fohlen wohlging! Ja, als ich das erstemal den Schäfer sah mit seinem Stabe und Hunde die Schafe austreiben, ward mir so demüthig zu Sinne, daß ich im Geiste als Milchschaf mich unter der Heerde hinwandeln sah, eine stattliche Schweizerglocke am Halse. Mir war ganz demüthig, bis ich mich besann, daß ich doch mehr der Hund, der Wächter, ja der Hirt meiner kleinen Menschenheerde sei... denn, wie mein Doppelgänger, bot mir der Hirt seinen:[S. 2] „Guten Morgen, gnädiger Herr Baron.“ Aber der Hund knurrte mich neubackenen Herrn noch an. — Ich hatte ihn noch nicht geprügelt; wie mir der Schäfer zu thun rieth. Denn Prügeln macht zum gnädigen Herrn! sagte er. Aber ich, mich keinen Augenblick zu verläugnen, sondern sogleich fest und wahr zu erscheinen wie ich bin, ich verbot ihm, bei Cassation ohne Phrase, was er als ohne Fraß... ohne Brot verstehen mochte: mich jemals wieder „gnädigen“ Herrn zu nennen. „Herr“ sei mehr, wenn nicht schon zu viel. Aber die Sprache hat für die neuen Verhältnisse noch keine neuen Ausdrücke.... doch die deutsche Sprache ist bildsam, ja verwandlungsfähig wie der deutschen Gesinnung, und schafft sich noch alles. Wie oft hatte ich Gott heimlich gebeten, mich vor „gnädigem Lächeln, herablassenden Mienen und huldreichen Worten“ zu retten! Meinen Ingrimm wollte ich also, mir zum Heile und Wohlwollen, meinen Unter-Herren ersparen. Es wäre nun noch bedenklicher gewesen, sich in dieser gewitterdrohenden Zeit auf Erdbebenschwangerer Erde anzukaufen; aber meine Mutter wollte nicht nach Massachusets, wo mich mein redlicher Vater bei seinem ausgewanderten Bruder hatte[S. 3] erziehen lassen, um den Deutschen ein antirussisches Beispiel zu geben, und die in freiem Lande erzogenen Söhne gerade nach dem fünfundzwanzigsten Jahre — wo Russen als durchjuftet genug, erst in gelobte Länder reisen dürfen — nach Hause zu nehmen. Bei Ankauf von Gütern in Deutschland machte mir meine Mutter nur zwei Bedingungen aus weiblicher Furcht. „Im dreijährigen Kriege von 1813–15 nämlich war ihre Mutter von den bekannten singenden Bärten „übermannt“ worden und war zum Glück wahnsinnig gestorben. Ihr Vater, gewaltsamer Wittwer, hatte es dafür zum Geschäft seiner Trauer gemacht, den Rettungs- oder Auferstehungs-Menschen überall hin nachzureisen, und in Jahren ein nicht zu verachtendes Werk von sechs Quartbänden mit Illustrationen zusammen getragen, das unter dem Titel „Nebenthaten“ wahrscheinlich jetzt bald erscheinen wird. Ihre Sieben Brüder aber waren, am zerblasenen Werke Napoleons Blutarbeit verrichtend, alle umgekommen, bis auf Einen, der noch ohne Beine dasaß, jetzt 70 Jahr alt. Daher hatte ich als erste Bedingung einen Ort in Deutschland auszusuchen, an welchem weder ein Ko[S. 4]sak, noch ein Franzose gewesen war, also wahrscheinlich auch nie Einer mehr hinkäme. Und ein Anverwandter berichtete ihr, daß einige Neugierige aus dieser Gegend am See sogar endlich eine Reise hätten unternehmen müssen, um Franzosen zu sehen, diese Weltwunder und Russen, diese Weltwunder. Die zweite Bedingung war, wenn es einen gäbe, einen Ort auszusuchen, an welchem der Blitz seit Menschengedenken nicht eingeschlagen hätte. Denn sie war bei einem Gewitter mit meinem Vater unter großen einzelnen Tropfen vom Felde nach Hause gegangen, und auf einmal war ihr der Mann, wie auf dem wahren feurigen Wagen Elias so zu sagen: gen Himmel genommen oder gefahren worden, denn er sei mit Haut und Haar verschwunden gewesen. Es war ihr trotz allen Suchens, Rufens und Scharrens auf der schwarzen schwefeldampfigen Erdstelle nichts übrig geblieben, denn als Wittwe nach Hause zu gehen. Den Prozeß wegen hochadeliger Begräbnißkosten an Geistlichkeit, Schule und Todtengräber loci hatte sie mühsam in dritter Instanz zwar gewonnen, aber meine rechtschaffene Mutter meinte, sie hätte für die Prozeßkosten gern 3 Männer sehr adlig be[S. 5]graben.... lassen.... können. Nur der Tischler loci hatte nichts für den, nachweislich nicht gemachten Sarg verlangt! Aber gerade diesem alten armen Manne hatte sie den Preis für den schönsten prachtvollsten Sarg bezahlt, und die arme achtzigjährige Todtenfrau loci für die Einbuße ihrer Einnahme, — auf welche sie sich schon bei einer guten jüdischen Nachbarin Einen Thaler geborgt — so reich bis zu Thränen entschädigt. — Meine rechtschaffene Mutter rieth mir also das Gut Südfrei am See zu erstehen, weil bei Subhaftationen den Bietern noch keine Stühle gesetzt werden. Und warum soll ich es läugnen, mich zog in die Gegend ein einfacher Magnet, die als das schönste Mädchen weit und breit gerühmte Tochter des bankrott gewordenen, alten armen Herrn von Hase; und der achtzehnfache Magnet, die als nereidisch schön bekannten achtzehn Töchter des Herrn von Sangallo, also meines künftigen Nachbars in Ostfrei.

So besah ich mir das sub hasta, wie es lag und stand, zu erwerbende reizende Gut Südfrei. Der Gerichtshalter, der vom Wunsche meiner Mutter nach Gewitterlosigkeit gehört, auch daß sie bei fernem Blitzleuchten oder nur leisem[S. 6] Donnermurren, ja vor einer Wolke, die die geniale kecke Gestalt einer Gewitterwolke trug, schon leise zittre und unwillkührlich und unwiderstehlich, vor Angst zu jedem Geschäft, ja nur zu Ruhe und Schlaf ganz unfähig war, sagte mir daher: Ihrer Frau Mutter zur Beruhigung, gnäd.... verzeihen Sie, Herr Baron, will ich den beiden ältesten Männern des Ortes den Eid deferieren, daß es, bei allen Heiligen! seit sie gedenken können, allhier nicht eingeschlagen hat. Es kostet zwei Lichter — halb! Summa Ein Licht! Und wozu ist die schwarze Schwurgrotte, als daß darinnen soll und muß geschworen werden? Hat mir doch gar ein sogenannter Spaßvogel, oder wohl Ernstvogel, mit Bleistift sowohl aus der alten, wie aus der neuen Diatheke Stellen daran geschrieben, und gesetzwidrige Geister zitiert, die vergeblich behauptet haben: Du sollst nicht schwören. Der Herr Citateur, der wahrscheinlich das berühmte französische Buch „le Citateur“ zu Herzen und zu Verstande genommen, sitzt mir eben criminalisch! Es war mein eigner Gerichtsschreiber! So nahe sitzen uns unsere Feinde, die uns alle untergraben mit unsichtbaren Handwerkszeugen; sie reden mit[S. 7] uns; sie hören uns unterthänigst an; sie preisen sich glücklich: unsere Befehle ausführen zu dürfen; sie essen mit uns, sie schlafen mit uns, sie bewachen uns, so zu sagen! Sie tauchen den Bissen mit uns in eine Schüssel! — So geht es, so steht es. Ja, so steht es. „Der Welt-Lauf“ ist ein bekümmernder Ausdruck geworden, den ein Wurm von Manne sich nicht mehr untersteht im Munde zu führen. Wir alle sind doppelt geworden. Nur daß wir nicht doppelten Gehalt oder Abgaben — beziehen; leider nicht.... außer: Gott bezahlt uns die Gedanken und Wünsche: durch Erfüllung! Denn wir dürfen vertrauen, nicht daß die Welt das Rauhe herauskehrt, sondern das Innere! Daß alles zu Tage kommt, daß es keine Schande, kein Verbrechen mehr ist, aufrichtig zu sein, und daß endlich allen klar wird: aus welchen Fonds eigentlich alles Volk lebt, nämlich aus dem bloßen Herzen; da eine die Juristen und Richter erstaunende Unkenntniß der Gesetze und beklagenswerthe Gleichgültigkeit gegen alle Verordnungen hereingebrochen ist, so daß Einzelne nur noch etwa mit den Strafgesetzen nothgedrungen Bekanntschaft machen, oder bestimmter gesagt, mit[S. 8] den Strafen. Wir, wir leben in dem großen Interim, das gewiß nicht den Schalk wird hinter sich haben dürfen, der eben noch jetzt vielfach verkappt darinnen steckt. Es ist ein gräßliches Wort: Die Erwartung besserer Zeiten hebt schon in Allen alles Alte auf, und Alles ist Traum, oder schlimmer: alles scheint Druck, Ungerechtigkeit, selbst das, was nothwendig und heilsam einst (wünschenswerth: bald) seine ihm leerstehenden Plätze einnehmen wird. Wir wollen also indessen, verehrter Herr Patron, human sein, uns des unschädlichen Alten bedienen — und wollen die beiden alten Bauern das hiesige Gewitter abschwören lassen.

So sprach er und that er.

Auf das ihr eingesandte Schwurprotokoll kam nun meine rechtschaffene Mutter zum Tage meiner Huldigung an. Sie sollte, als noch mit großem eigenen Vermögen behaftet, ja beladen, meine Großalmosenierin werden; ich kannte ihren Wohlthätigkeitssinn: sich alles Häßliche und Dürftige aus den Augen und somit aus der Welt zu schaffen — als Vorbereitung: daß das Schöne und Gute aufkomme und vollständig erscheine. Ich mußte es also ganz an[S. 9]ders einleiten, als furchtsame lobbegierige Menschen, die den reisenden Herrschaften alles Mangelhafte, Aermliche und Elende ängstlich verbergen, um ihnen das Mitleid mehr als gnädigst zu ersparen, und jede Verbesserung erst wirklich gottlos unmöglich zu machen. Mein Voigt kam und fragte, ob ich nicht die Wege zu uns ausbessern lassen wollte? und dergleichen. Ich aber befahl ihm: Nichts verkleistert! Nichts verheimlicht! Keinen falschen Schein von Sicherheit, Bequemlichkeit, Wohlhabenheit oder Ordnung. Kein Loch im Wege, im Zaune, im Dache, kein Loch im Rocke ausgebessert! Brechen die Wagenachsen, bleibt der Wagen im Sande stecken, staubt es Wolken, desto besser! Desto besser wird der Weg dann für immer werden! Keinen Bettelmann, kein armes Lumpenvolk, kein Kind im Hemde von der Straße vertreiben! Jeder Krüpel, jedes alte dürre Weib, alle armen Kinder sollen freien Zutritt haben. Wenn alles wohlhabend, zufrieden und fröhlich scheint, wie soll selbst ein barmherziger Bruder, eine barmherzige Schwester oder Dorfmutter, wie nun meine Mutter, einen Funken Mitleid, Lust zu Schonung, Drang zu Besserung fühlen? Keine Ehrenpforte[S. 10] gebaut; kein Halloh geschrieen; außer es machte den Kindern selber Spaß, wie sie Puppenspielern nachschreien. Vielleicht bricht ein Rad an ihrem Wagen zu Nacht, und sie muß einmal zu Nacht essen und des Nachts schlafen wie die gemeinen Leute immer! Das wäre eine Cur, um Respect vor gemeinen Leuten zu bekommen, und das nicht als Träume anzuhören, was sie dann später bitten kommen!“

Und die Speculation: meine rechtschaffene Mutter rechtschaffen zu rühren, statt trunken vor Stolz und Glück zu machen, gelang über Erwartung! Sie mußte richtig im Hause einer armen Familie im Walde übernachten.... wofür sie am Morgen den guten Leuten ein neues Haus versprochen. Die Wege zu mir wollte sie machen lassen. Die gesprungene, abscheulich klirrende wimmernde Glocke, die der Schulmeister zu ihrer Einfahrt mit geläutet hatte, sollte mit einer neuen großen gut metallenen Glocke ersetzt werden, zu welcher sie mir gleich Geld auf den Tisch stellte, indem sie mich der Ueberraschung anklagte und sprach: hätte ich nur nicht im Vertrauen auf deinen guten Kauf die alte Gräfin mitgebracht! Welche Nacht! Welche Bewohner! Sie bekam[S. 11] Grimmen von der Glocke, und der Klang war ihr in die Zähne gefahren.

Das war wohl zum Lachen; so wie die mir dargebrachte Huldigung am folgenden Tage! Alter, Dummheit, Falschheit, Armuth — in Galla! Der hasenmüde Jäger sah mich manchmal an mit fragenden Augen, ob ich ihn nun verabschieden und verhungern lassen würde? Leuten, die nun das Himmelreich erwarten oder die Hölle, muß man doch ein Paar Worte sagen, und ich sprach: „Lieben Menschen und Mitleider dieses Lebens! Ich will Euch nichts vorreden; Ihr sollt mir nichts nachsprechen. Ich will Euch nichts versprechen, da brauche ich nichts zu brechen; Ihr sollt Mir nichts halten — wie Jedem — als die Redlichkeit. Ich will Euch nichts rund absagen und abschlagen; denn es könnten Umstände mich bändigen, daß ich Euch noch mehr als alles, Euch im Herzen durch Worte doch nicht Todtgemachte, sogar anbieten müßte. Sondern wir wollen in unserm Lebensschiffe zusammen verträglich, mittheilend und aufrichtig fahren — und um gut Wetter bitten! Uebrigens: wenn die Blätter abfallen, oder schon die Blüthen — wenn Euch die alten Leute sterben,[S. 12] oder die Kinder; wenn es hagelt oder dürre wird; wenn Unvorsichtige und Dumme Hals und Beine brechen, so wollen wir uns das Unglück einander nicht zuschreiben, noch das Glück. Denn ein Herr ist leider wenig; am wenigsten aber ist ein Herr für alle, die ihn auf dem Kopfe haben: ein Wünschhütlein! ein Eselschlagaus, der Gold verstreut, oder ein Knüppel aus dem Sack gegen alles Mögliche! Selber müßt ihr klug sein und rüstig zur That. Das Uebrige muß die Geduld thun, nicht die Wuth!“ — Meine Mutter, die als Sultanin-Valideh dabei saß, weinte über diese unschuldigen Worte dennoch, wohl nur aus der Rührung, die alle solche Ersten oder Letzten „Akta“ den Menschen erregen. Mein Pastor, ein getaufter Jude, mit dem erwählten neuen Namen „Doctor Schleierlöser“, beglückwünschte mich gehörig und fein bei den Haaren der Seele zupfend. Wie jetzt gewöhnlich, hatte er aus dem Magister-Diplom, das zum Doctor und Magister ernennt, den Magister fallen lassen und den an Luther erinnernden Doctor gewählt. Unglaublich, was Männer im Fache das Fach kindisch macht — er freute sich so fein und witzig über die neue Glocke, wie[S. 13] ich mich als Kind einst, da mein Schaf eine neue Klingel bekommen hatte, die ich, als das Schaf zuletzt denn doch auch gestorben war, mir noch oft vor dem Ohre leise läutete, zu seiner Erinnerung und meiner großen Kinderseligkeit! Ich habe das Glöckchen noch. — Der alte Ziegelstreicher gab mir die Hand; auch der Schulmeister, die Teichwärter und Fischer; der Bleicher; kurz alle meine Vasallen. Zuletzt kam auch der Dorfchirurgus und Barbier, ein schlauer Patron — mein künftiger Hausdoctor, ein Jude, mit seinem nicht weggetauften Namen Salomon. Ich nannte ihn Herr Doctor, als ich mich ihm — als dem nächsten Arzt in der Noth — auf Leben und Sterben ergab; aber er sprach unbeschreiblich würdig und scheinbar spottlos: „Wer hält nicht auf eine Ehre? wer verläugnet den Menschen in Noth seine allerhöchste Wissenschaft! Aber verzeihen Herr Baron, ich bin nur Chirurgus von der letzten Sorte, und darf nur in der allerhöchsten Noth und dringendsten Lebensgefahr — wo wohl grade die allergraduirtesten oder allerkundigsten gewaltigsten Aerzte benöthigt wären — als Nothengel und Nothnagel eingreifen, auch innerlich! Desto[S. 14] getroster sind wir Dorf-Sorte; Glück gehört zu allen Dingen, also auch zu allen Curen; und ich genieße den allgemeinen Ruhm im ganzen Kirch-Spiel um den See, in Ostfrei-, Westfrei- und Südfrei-Dorf, daß ich Glück habe, selber unverdientes Glück, als das angenehmste und wahrste. Fassen Sie Vertrauen zum Glück, erkundigen Sie sich drüben bei Ihrem neuen Herrn Wassernachbar in Ostfrei, dem Herrn von Heiligenhahn; (wie sein Vater seinen auswärtigen Namen Sangallo verdeutscht hat) ich erhalte ihn nebst seinen Achtzehn Töchtern stets gesund! Drüben in Westfrei: den Herrn von Stifter, mit seinen vier Nebensöhnen — immer gesund! Seine Frau, immer sterbend! Selber den Herrn Kriegsrath von Hase, nebst Fräulein Tochter Brigitta hoffe ich gesund zu erhalten, so lange der ausgepfändete blutarme Mann, dessen Gut, unser liebes schönes Südfrei hier, Sie, wie es steht und liegt, sub hasta gekauft haben, bei Ihnen hier im Schlosse bleiben darf. Der so edle, so arme Mann ist unter der Decke der Gesetze schändlich betrogen. Wir Einwohner müssen ja das allgemeine Elend gut machen. Verachten Sie meine Fürbitte nicht, weil ich ein Jude[S. 15] bin! Ich wollte mich taufen lassen und ein Heuchler scheinen, ja sein, wenn Ich — der Kirch-Spiel-Barbier Salomon, dem guten Mädchen helfen könnte!“ — Ich gab ihm die Hand, da ich ihm nöthigen Falls ja den ganzen Leib geben mußte, und wunderte mich nur innerlich: wie gründlich das Volk urtheilen kann; ob es gleich nicht gut ist, wo es klüger und verständiger ist als der Kalender und die Verordnungen der unverantwortlichen Minister oder des Parlaments. Das ist unfehlbar: Demjenigen Reiche ist das höchste Glück zu prophezeihen, welches zuerst nur in seinem Kalender gleich oben zu Anfange das „Jahr von Erschaffung der Welt“ wegläßt. Denn mit diesem Weglaß wirft es sich Gott in die Arme, und eine große Welt-Constitution wird ihm und allen „eine Wahrheit.“

Wie ich sehe, spukte auch in mir ein wenig der Kobold, der neue Herren besitzt — bis sie der Alp drückt. Ich war sehr fröhlich, gut gelaunt und freigebig. Und: ich hatte baar bezahlt! Da fehlte mir der Kummer vieler hundert Güterkäufer; ich hatte also keine Schulden, also fehlte mir das Blei aller Lebensfreude und Unternehmungen vieler hoher und niedriger Herr[S. 16]schaften zu Lande oder des Landes. Sonderbar! Ich schrieb nur neun Zeilen Anweisung an meinen Banquier, so und so viel für meine Rechnung, die und die Zeit, als Kaufgeld für das erstandene Gut des Herrn von Hase zu bezahlen — und nun seh’ ich als Eigenthümer des Schlosses zu seinem Fenster hinaus auf seinen Hof, auf die mühsam erzogenen Rinder, Kühe, Pferde und Schafe! Das alles brüllt, blöckt und wiehert mir! Der Brunnen rinnt mir, die Tauben auf dem Taubenhause girren und trommeln mir — denn ich kann Krieg erklären — ihre Kinder alle — sie selbst müssen für mich bluten und sterben, ja noch schlimmer, sich täglich für mich plagen. Das Wild im Walde, Hasen und Hühner in Busch und Feld sind meine wahren Unterthanen; ich bin ihr wahrer Herr, wie kein Menschenherr über Menschen. Und Herr von Hase wohnt im Kellergeschoß in der Jägerstube, bis auf mein erlaubendes Wort, sich im Walde eine Hütte zu bauen. — Alles für Geld. — Da kommt seine Tochter Brigitte über den Hof vorsichtig; sie hat für ihr erarbeitetes Geld, dem Vater ein Töpfchen Milch gekauft für den Vater und sich zum Abendessen. Sie hat wahr[S. 17]scheinlich auch ein paar Pataten (das klingt englischer und amerikanisch-freier als Kartoffeln) in der heraufgesteckten blauleinwandenen Hausschürze. Die Schürze geht ihr auf. Himmel! die Früchte rollen ihr verrätherisch auf die Erde! Sie wird aber nicht roth! auch nicht blaß, sondern sie bückt sich so, wie alle Mädchen und Weiber allein sich gesund, vorsichtig und anständig bücken — sie knieet auf ein Knie und lieset ihr Abendbrot zusammen ruhig. Aber, mein Gott, das hingesetzte umgestoßene Töpfchen Milch kann sie nicht auflesen! Doch;... sie holt unsere Schloßkatze, die Junge hat, die leckt der Erde den Trunk weg. Nun grüßt sie mich, als sei nichts geschehen, ruhig und bescheiden und geht in das Haus. — Alles für mein Geld! Richtiger: für das Geld, das Er an den betrügerischen Verkäufen verloren. Ich darf ihn und sie nicht so oft mehr zu Tische bitten unter dem Vorwande etwas Gutes aus der Stadt, oder etwas Neues vom Jahre zu haben, denn da ich das Gut und das Schloß, wie es steht und liegt unter dem Matterholze aller Lüderlichen, Unvorsichtigen und schuldlos Armgewordenen, unter dem grausamen Spieße der Juristen, der Hasta, erstanden habe,[S. 18] so esse ich auf ihrem Silberzeuge, ihren silbernen Tellern, mit ihren Löffeln, Gabeln und Messern, auf denen ihr Wappen, ja schon ihr Namen: B. v. H. eingegraben ist! Ich will mein Silber in Gebrauch nehmen lassen. Neulich erklärte sie mir sogar ihr Wappen und die Devise an der Terrine. Welch’ ein Mädchen, welch’ ein Erzieher ihr Vater, wenn das Betragen reine Fassung und himmlische Zufriedenheit ist, wie ich glauben muß. Was kann ein Vater sein, ein Vater thun; welchen Edelmuth, welche Ruhe auf ein Jahrhundert bei seinen Kindern und durch diese bei seinen Enkeln gründen! Und thut das etwa die Gewalt? Oder der Gehorsam! — o Thoren! — Sie scherzt sogar! Sie sah sich inwendig im spiegelblanken Löffel verkehrt; dann auf der äußern erhabenen Seite... erst die Länge... dann die Breite, lachte und sagte: „Wer in einem silbernen Löffel schön aussieht, der ist gewißlich schön. Aber eine Probe ist es nicht.“ Dabei ward sie feuerroth.

[S. 19]

II.
Der siebenundzwanzigste Geburtstag.

Darauf war Pfingsten — das uralte deutsche, nicht erst aus dem gelobten Lande gebrachte Fest. „Denn die Deutschen mustern die ganze Welt durch, und fangen an, gegen alles Ausländische, ohne Ausnahme der Person und der Sache, das nicht aus ihrem Volke und ihrer Seele stammt, einen fast bedenklichen Widerwillen furchtbar im Stillen groß zu ziehen! Deswegen ist es ohnfehlbar interessant, die nächsten dreißig Jahre in Deutschland mitzuleben.“

So sagte mein Großoheim; und deswegen mußte ich nach Deutschland heim und mich in einem kleinem Ländchen mit einem der kleinen Herren ankaufen, die wie kleine Schiffe sicher durch alle Stürme kommen; die nichts Großes gethan haben, denen keine fremde Vergeltung zuhängt, die nicht die Waage in Händen halten, nur Ausgleichungsgewichte sind, am meisten sicher, wie die Zunge im Munde leben, und die Früchte des Lebens am meisten genießen.

Diesen Pfingstsonntag also traf mein sieben[S. 20]undzwanzigster Geburtstag, wozu mir meine Mutter am Morgen Glück zu wünschen kam. Dabei erschien der Geist meines Vaters, in hellem Sonnenscheine, um es wahrhaft auszudrücken: leibhaft. Denn es ist jetzt offenbar, daß auch und gerade die Geister leibhaft sind.

Ich will aber nicht „jungstillingen“ oder „justinuskernern“, sondern wissenschaftlich reden und sagen: meine Mutter übergab mir einen Brief meines Vaters, in welchem sein Geist abgedrückt, eingeschlossen gelebt, und jetzt auferstehen wollte unter der Sonne. Auch mein Pastor, Dr. Schleyerlöser, kam dazu, sah mich mit dem Briefe, wie ich ihm sagte, aus der Unterwelt, in der Hand und sprach: „die Wilden, die Naturmenschen haben von allen Dingen die richtigsten Begriffe, kurz, bündig, poetisch und wahr. Poesie und Wahrheit wird nur von Kindern und kindlichen Menschen durch ungetrenntganze ungeheure unbewußte Kraft verbunden. Ist den Wilden ein Brief — ein Geist, so ist auch nichts wahrer als die Auferstehung! Und Homer, König David, Moses, Sophokles und Hunderte sind alle wahrhaft Auferstandene. Die Geistlosen bleiben im Grabe. Und so nur sind die[S. 21] Auferstandenen noch etwas nütze den Andern, und also auch nur vor ihrem Tode: sich selbst. Was Ihr guter Herr Vater aber selbst indessen wohl machte und dachte? Und ob er was machte und dachte? Wahrscheinlich Etwas! Da Ruhe der Tod ist, Geist aber Leben; und die Welt wirklich ruhig machen wollen, hieße: ihr den Geist abzapfen, beschwören, den Geist todtschlagen.“ — Ich war sehr gerührt, beinahe furchtsam, und Dr. Schleyerlöser setzte hinzu: „Lassen Sie Ihren Herrn Vater auferstehen in sich! Nur durch die Lebendigen stehen die Todten auf, und nur in die Lebendigen. Ohne neue Geister wären alle alten Geister todt. Denn was wollte etwa nur — Elias bei Murmelthieren? oder was geschah den Geistern in der Heerde Säuen...., deren Besitzer bei uns gewiß eine Entschädigungsklage eingereicht, gewonnen, und gehörigen Ersatz erhalten hätte. So ändern sich die Zeiten und die Besessenen.“

Meine Mutter, die wahrscheinlich vom Vater eine Abschrift des Briefes an mich besaß, lächelte mir sehr mütterlich zu, küßte mein Haupt und zog sich mit dem Pastor in die Fensterbrüstung zurück, um die Leute aus den Dörfern[S. 22] in ihren Kirchkähnen über den See kommen zu sehen; unter denen auch, wie ich hörte, der Herr von Heiligenhahn mit seinen 18 Töchtern war, die 3 Kähne füllten. Ich erbrach den Brief. Ein Ring fiel heraus. Ich fand ihn kostbar. Mein Namen stand darin. Der Vater schrieb:

„Mein lieber Sohn!“

„Zuerst sei gegrüßt! innig gegrüßt! Umarmen und küssen kann dich meine Gestalt nicht, die gewiß jetzt aus deiner Seele dir vor Augen schwebt. Vielleicht kennst Du noch das Wort: „Es werden nicht Alle auferstehen;“ aber Vater und Mutter haben das Schöpferrecht im Kleinen: auch todt bei ihren Kindern zu sein, als ihre guten Geister, als die Vollmacht und Vollkrafthaber, Ableger und Geschäftsführer des Alls, als — wie die Alten sagten: die gegenwärtigen sichtbaren Götter. Als solcher Geist rede ich heute zu Dir und mahne Dich: Thue was alle Kräfte zu ihrer Zeit thun, ohne das sie alle vergebens da wären; thue was die Erde alljährig thut, was die Sonne und alle Sonnen thun, was die Wolken, der Blitz, das Gewitter thun: heirathe! heirathe! Heirathen, das ist das Wort,[S. 23] vor welchem die ganze Welt süß bebt, zu welchem die ganze Welt immer fort lebt, sinnt, liebt, drängt und bebt. Du aber suche dazu — ein Bild das dir gleich sei, eine Gestalt, die ohne Dich nichts ist, ohne die Du nichts bist — ein Schatten auf Erden: Nimm eine Jungfrau! zaudre nicht, säume nicht, keinen Tag! Denn über dir stürzen in sausender Eile die Augenblicke dahin, schrecklich in ihrem Schweigen! Zur Verzweiflung dem, wer am Strome des Lebens schlief wie ein wahnsinniger Müller. Jeder Wurm thut alles mit Blitzeseil, was ihm aufgegeben ist; was die Flügel nur regen kann, fliegt sogleich; die schöne Distel ist nur reif, und schon fliegen ihre Kinder an Fallschirmen mit dem eben heranwehenden Winde hinaus: ihr Hauswesen zu gründen! Jede Blüthe, jede Blume blüht kaum auf — so heirathet sie! Der ganze betäubende Frühlingsblüthenduft ist nur Hochzeitduft aus ihren tausend kleinen Hochzeitküchen und Bechern. Nur der Mensch hat Unverstand zu Blindheit und Säumniß; aber Verstand: was er ist, zu sein; was er soll, zu werden. Selber der Bauer sät nicht erst in den Schnee, oder neben die Furche, oder auf des[S. 24] Nachbars Acker! Jede Stunde ist dem Manne, der einem Weibe erwachsen, verloren; und dem Weibe, die dem Manne zusteht, verloren, die sie zu spät heirathen. Ein zu zeitiger Wittwer ist entweder eine Schandthat an den Naturgesetzen oder ein Unglück, groß wie Eins in der Natur. Vaterlose Waisen sind, wenn nicht Mißgeburten, doch Missethaten, Versündigungen an der Schöpfung, mißrathene Selige, nackt aus dem Nest geworfene Junge, von Liebe nicht groß gezogen, nicht Freude der Eltern, Beraubte der Freude an Vater oder Mutter. Eine zu frühe Wittwe, weil ihr Mann seine und ihre Jahre versäumt, ist die größte Leidträgerin der ganzen Welt. Sie muß dulden und verwürgen, was einem Thiere zu hart wäre; sie muß dasein, ohne zu leben! Sie muß aufstehn mit Thränen, und zu Bett gehn mit Klagen oder Verstummen; und was alle Welt erfreut, das bedrückt, erdrückt und erstickt sie fast. Aber auch zu frühe mutterlose Waisen sind elend. Ein früher Wittwer wird ein halbes Weib oder ein ganzer Thor; er verfällt vor Erinnerung in Irrsinn; heirathet er wieder, was freilich selber ein Affe kann, so geschieht es, weil er die Liebe für ein Irrlicht hält,[S. 25] geradezu alle Weiber für Eins, da er die zweite Frau für ein, für sein Weib hält. Und so bahrt er das Hochzeitbett auf dem Todtenbett seiner Geliebten auf, worin ihm die Lebende dann zur Leiche wird, zu gerechter Rache. Darum — halte deine Frau heilig! Die Frau halte den Mann heilig! heiliger wie alle Heiligen und bloße Fürbitter. Mann und Frau sind sich einander einzige, unersetzliche Schätze! Sie bitten nicht für einander, sie leben und sterben für einander, umeinander. Also: nimm eine Frau! und unmißverstehbar: nimm eine Jungfrau zur Frau, die fest und lebenswillig ist, also doch 21 Jahre. Eine Wittwe nehme ein Wittwer allein aus Noth, als dann noch leidlich passend; weil beide schon abgestorbenes Gut sind, beide entzauberte Wesen, mit zerrissener Liebe, ausgespieltem oder verblasenem, zerstücktem, halb im Grabe liegendem Herzen, beide an unsichtbaren Ketten der Todten gehend, beide nothwendig einander nur Klepperbeinsche Magenpflaster, trotz aller aufgekochten Liebe und vergeßlicher Zärtlichkeit und Treue. — Denn die Treue ist, wie du siehst, nur eine gemeine Mitgift der Liebe, eine den Lie[S. 26]benden unbewußte Tugend — trotz aller Güter und alles Goldes, ja trotz eines noch jugendlichen schönen Leibes, selbst wenn der Wittwer oder die Wittwe es vor ihrer Brautnacht geworden. So heilig ist die Liebe — aber verstehe endlich mich wohl und merke es endlich wohl — so heilig ist nur die menschliche bezaubernde wahrhafte Liebe; die uralte, ewig geübt, von Keinem zu unterlassenmögliche! Nicht das Wohlwollen, gleich gegen Alle, was in der Diatheke überall nur Agape heißt, und was Luther aus Mangel unterscheidender Wörter, in dieser großen Natursache so irrthümlich und zuvielverlangend mit dem allen Jünglingen, Jungfrauen und Gatten allein verständlichen und zugehörigen Worte „Liebe“ übersetzt hat! Auf diesen, diesen Zauber durch Schönheit, holdselige Gegenwart mit Leib und Seele, auf dieses Weltwunder allein, was unser deutsches Wort „Liebe“ meint, ist jede Wonne, jede Treue, jede reine hohe feurige Seligkeit der Jugend.... jedes Paares.... jedes Hauses.... also des Volkes, aller Völker, und des menschlichen Geschlechtes begründet! Dies Wort Liebe bezeichnet diesen heimlichen heiligen seligen Zustand allein;[S. 27] wenn Agape, laut allen Griechischen Wortbüchern der Welt, nur Wohlwollen, Wohlthun, sehr eifrig für jeden Andern sein, bedeutet und verlangt. Deine Seele giebt mir so gern, und fromm, und freudig Recht, wenn Du mich weiter hörst. Nur höre unverstockt! Für Andere, für alle um uns, ist diese Agape auch genug, und genügt zu einem freundlichen Zustand im Lande, zwischen Nachbarn der Hütten und Völker; aber Wir fordern für Uns selbst und die Unsern, also für Mutter, Vater, Weib, Mann und Kinder in aller Welt allein die alleinwahre Liebe — und für keinen andern als die Unsern ist sie zu verlangen und zu erlangen; und sie ist für diese nicht etwa nur genug, sondern allein Wonne, Freude und Seligkeit des Lebens. So ist diese endlich erkannte Liebe die Verknüpfung, der Halt, der Preis und Werth des Lebens Aller, Aller, weil sie es von allen wirklichen Paaren ist. Darum nimm die Geliebte zum Weibe! die Liebende nehme Dich zum Manne! Was ihr Euch sonst zubringt, ist alles geringer als die ausschließende, nur durcheinander beseligte Liebe. Nimm es mit ihr, wenn es da ist: Gut und[S. 28] Gold, mächtige Freunde, Wissen und Können — aber aller Welt Kunst und Schätze ersetzen Dir nicht ein Weib, das Du liebst (denn das geht über alles, da ist aller Zauber vollendet) und ein Weib, das Dich liebt (denn da gedeiht Dir Deine Liebe, und bringt Dir Freude und Wonne.) Freude und Wonne... diese zwei Kleinigkeiten der Pfaffen, ohne welche doch ihrer Keiner überhaupt nur da wäre; und nun schütten sie Teufels-asa auf das Aroma der Welt. Diese, die ganze Natur durchglühende, alle Wesen hervorzaubernde, allen Wesen das Leben erst werthmachende Liebe, konnten Leute nicht meinen, die da meinten: Nicht freien, nicht heirathen, ist besser. Bewundern des Schönen, Erstaunen über Lebendiges, allerheißestes Verlangen, süßestes Erlangen, himmlische Gnüge, Begründung unsterblichen Lebens, und noch ein reiner göttlicher Hauch — das alles in der flammenden Seele — ist Liebe! Diese Liebe! allein werth, allein genug: der Inhalt und der Grund des Lebens des Mannes und des Weibes, also allen Volkes zu sein, der Grund aller Reiche, wie die Verehrung des Vaters es ist bei Chinesen. In dieser Liebe ist alles klar, anschaubar, möglich, jedem[S. 29] erfreulich; sie hat die heilige Vernunft, als Verwahrerin vor Selbstbetrug und Täuschung, zur Seite. Siebenmal drei Jahr soll das Weib sein, der Mann neunmal drei. Nur die Ehe zu rechter früher Tageszeit erstickt die Laster der Ehelosen, erspart Schande und bitteres Unglück, erspart unzählige verwilderte Kinder, Kerker, Zucht- und Irrenhäuser, die Pein der Strafen; nur sie giebt das rechte Glück. Dir ist möglich, es zu erlangen. Ergreif’ es. Bei Deinem Wahrsinn oder Wahnsinn —: Du sollst ein Weib haben, ehe das letzte Jahr der rechten Zeit voll wird.

Ich glaube, ich habe Dich bewegt, wenn Du meinen einzigen, dir so gut wie bei Todesstrafe gegebenen Befehl getreu befolgst, wenn ein Weib dir noch neu ist! Alles Erste hat Gewalt des Göttlichen und verbindet auf Lebenszeit; alles Einzige, oder Einziggehaltene bewährt seine Wunderkraft und Herrschaft.

Und so verschwind’ ich Dir wieder, und komme nur noch einmal — in Deiner Todesstunde. Mir wird die kurze Zeit dahin nicht lang; sei sie Dir schön, sei sie Dir werth: daß die Sonne vom Himmel scheint! Du, mein lieber[S. 30] Arminius, befolgtest als Knabe meine geringsten Worte auch hinter meinem Rücken — befolge mein wichtiges Wort jetzt über meinem Grabe. Auch todt, dennoch stets

Dein

treuer Vater
B. v. Kopernik.“

Weint denn der Mensch auch, wenn er soll glücklich werden? nicht blos wenn er unglücklich werden soll! So fragte ich mich, als ich Tropfen auf den Himmelsbrief fallen sah. Ich glühte. Solchen treuen, wahren, mächtig überzeugenden Worten war nur sich hinzugeben, da sie mir die Welt in neuem freundlichem freudigem Lichte zeigten, das gewiß auf allen Gestirnen leuchtet, das schon die Alten, die alten Juden, die alten Aegypter, die alten Griechen, gekannt und danach gelebt hatten. Darauf war das Beste, der Kern und das Leben der Welt, bei den himmlischen Seelen, ein mißliches Geheimniß, das unausrottbare Stück Heidenthum, ein Punkt der Duldung geworden; bis jetzt die Menschen nun endlich von göttlichen Geistern erlöst, mit dem einzigen Gewinn von zwei zerstiebenden Jahr[S. 31]tausenden, einem reinen gönnendern Empfinden und Behandeln auch der Nebenmenschen, wieder zu den alten ewigen Schätzen greifen, die ihnen kein Zepter noch Bischofsstab mehr aus den Händen schlagen kann, und mit voller Ueberzeugung auch nicht mag; denn die Schätze sind ihnen selbst zu herrlich und schön und nützlich und wahr. Was Herrschsucht und Eigennutz nicht stört, hat freien Eingang; besonders Ansichten, die nie selbst zu erscheinen brauchen, und wodurch jeder nur die alten unklaren Dinge als Carricatur sieht. Das Gute vom Altem besteht ja dabei, und das Ewige erhält ein Recht.

Meine Mutter winkte mir an das große bunte Glasfenster zu kommen, hinter dem ich unbemerkt die 18 Töchter durch die rosenrothe, goldgelbe, blaue, grüne oder schwarze Scheiben sehen konnte, — und sie zupfte den Pastor, als sie bemerkte, daß ich nach den, als schön und besonders schön gewachsen berühmten Jungfrauen, durch die rosenrothe Scheibe sah! — „Er folgt dem Vater!“ lispelte sie hinter meinem Rücken ihm zu, doch mir nicht leise genug.

Und sonderbar, ich suchte die Mädchen — am Himmel! jetzt freilich mit Unrecht, da sie ja[S. 32] schon daraus auf die Erde eingeblüht waren, aber mit Recht, da jede Blüthe vom Himmel gewebt und gewirkt wird. Das war meiner Begeisterung jetzt sonnenklar. Aber ich sah nur im Fluge eine milde unsäglich schöne Rose am Himmel, statt Sonne! Wehende Rosenblätter statt Wolken! Drunten den See, wo ich nun suchte, als einen großen Spiegel aus flüßigen Rosendiamanten gegossen, und noch glimmend und schimmernd — und noch heller flammend den schmalen glitzernden Sonnensteg darauf, und Kähne voll festlich gekleideter stehender Menschen, alte Männer, kleine Mädchen an der Hand; alte Weiber, Knäbchen an der Hand; junge Männer und Weiber und Jungfrauen mit Büchern unter dem Arm — alles von fernen, wie chinesischen Zwergbuchen und Zwergeichen und Rebenhügeln umgeben — und von dem Klange der in reinen Dreiklang gestimmten Glocken überhallt. Das alles ergriff ich mit Augen und Ohren wie im Fluge. Aber Sangallo’s achtzehn Töchter, sie sah ich nun schon zwischen den glimmenden Leichensteinen, mit wie aufgeglühten alten Rittergestalten, in die Mauer der Kirche nach und nach verschwinden! Keine sah sich um. Aber da wa[S. 33]ren sie mir in ihrer neuen vergrößerten Loge gefangen! und meine Loge war gegenüber!

Der Schulmeister kam den Pastor abzuholen und zu begleiten. Ich begleitete meine Mutter — und hinter uns kam in die, mit duftenden grünen Maien geschmückte Loge, wer? der arme Herr von Hase, mit seinem einzigen armen Häschen, Brigitten. Sie betete erst still; dann trat sie vor mich, verneigte sich und bat: „Sie erlauben uns doch noch, daß wir hieher kommen?“ — Und ohne Antwort abzuwarten, zog sie sich zu ihrem Vater auf den Sitz im Hintergrunde zurück. Ja, mir nichts dir nichts, sangen sie auch getrost, doch sanft.

Ueber der Loge des Herrn Sangallo stand das in Stein gehauene in schönen Farben prangende Wappen, ein silberner Hahn mit dem Heiligenschein in himmelblauem Felde. Erst neulich sagte mir ein Franzose: wir alle haben den Hahn als Sinnbild der Verehrung der Frauen im Wappen, und führen ihn alle im Kopf. — Da drüben war er im Himmel! Doch das träumte mir jetzt nur; wie denn der Mensch immer von tausend Gedanken als Dämonen und Sylphen umschwebt und umflüstert ist. Wenn der Mensch[S. 34] die Geister nahen läßt, wie der Dichter, dann reden und vielleicht auch fühlen sie für ihn, und bilden ihm das Gedicht: das Leben! Ich verneigte mich, verehrungsvoll hinübergrüßend, und Sangallo verneigte sich wieder, und seine 18 Töchter — wie an einem Faden. Das hätte mir noch gestern etwas Lächerliches gehabt. Aber die Mädchen blieben in der Würde, und flüsterten auch nachher sich kein Wörtchen zu. Welche Erziehung oder welche anständige Natur. Und wie sie sangen! das war die edelste Schule, das war geoffenbartes, tönendes Herz. — Da sagte mir meine rechtschaffene Mutter: Lieber Armin, siehe nur, das prachtvolle Altartuch haben sie auch gestickt, in den Zipfeln ihr Wappen und an den Goldborten ihre Namen umher, die alle Achtzehn mit A anfangen; du siehst da gerade „ARMINIA“. — Die Kanzeldecke aber hat, zum Andenken das arme Häschen gestickt und geschenkt. Das arme Häschen! So bleibt doch ihr Wappen und redender Namen, der Hase, an der Kanzel zu unserem Andenken und aller künftigen Geistlichen.

Als Doctor Schleyerlöser, mit Recht ohne sich gegen uns Herrschaften zu verneigen — wo[S. 35]ran ihr im Herzen mitgebrachter Inhalt die Liebediener verhindern sollte, und ohne an unterschiedene Menschen an ihrer Stelle auch nur zu denken, auf die Kanzel getreten war, überraschte es mich angenehm bittersüß, in seiner Person die Urgestalt der Juden zu sehen, die Rom und ganz Europa so tief besiegt haben, daß auch wir Deutsche nur gepfropfte Juden sind, bis nun unser alter ursprünglicher Germanen-Stamm aus ureigener göttlicher Wurzel den heiligen Sproß treibt, so daß der gepfropfte allmälig nothwendig eingeht, nach Naturgesetz. Noch mehr überraschte mich die Wendung und Nutzanwendung, die er vom Pfingstevangelium zu machen verstand, indem er zur Gemeinde — „von dem Geist der zur Ehe treibt“ sprach, ja sich des Ausdrucks meines Vaters bediente: „von der Verheirathung zur rechten frühen Tageszeit!“ Dann stellte er den Niedrigen und Armen ihr Glück vor, daß ihre Jünglinge über Prinzen und ihre Jungfrauen über Prinzessinnen auch der mächtigsten Kaiser, frei und glücklich darin wären, zur rechten frühen schönen einzig richtigen Tageszeit heirathen zu können, weil kein Zwang sie hindere, kein Warten ihnen nutze, und sie allein[S. 36] nur durch glückliche freie Liebe, und zur rechten Zeit geschlossene Ehen so froh seien bei der geringsten Ursache; so ungebeugt und unbeugbar bei Leid, so fast übermenschlich geduldig; — daß nur ihr kräftiges Geschlecht auf Erden bleiben werde; — daß aus allen „Spät“ also immer zu spät Verheiratheten allmälig nur ein trauriges, schlechterzogenes, verwahrlosetes, allem Laster und Unglück zum Opfer freigegebenes Volk erwachsen werde, und müsse, wenn nicht die tausend äußeren und inneren Hindernisse der Ehe „zur rechten frühen Tageszeit“ mit aller Gewalt ausgetilgt würden; gegen welche Verbesserung alle Reichs- und Volksverbesserungen nur Eitelwerk, vergebliche Mühe und Tappen der Blinden nach Schätzen wären. Und mit erhobner feierlicher Stimme sprach er: Der gesunde, vollendete Zustand eines Volkes und der Menschheit hat nur Ein Zeichen: die Ehe zur rechten frühen Tageszeit. Wo sie allgemein ist und sein kann, da ist der Naturzustand neben aller menschlichen nöthigen Bildung erst wieder erreicht. — Das führte er aus, das bewies er sonnenklar und Gottesmächtig. Nach welchen Wünschen er Amen sprach, — zu welchem Amen der Himmel, wie bestellt, donnerte, daß die[S. 37] ganze Gemeinde und meine Mutter betroffen aufsah — will ich nicht wiederholen; aber ich erstaunte: was wahre Geistliche alles sagen dürfen ja müssen, ohne daß ihnen Jemand anders als ein Unsinniger, Schändlicher, ein Haar krümmen darf: wenn sie nur Geist und Herz und Muth haben. Aber sehr viele sind Feiglinge geworden. Von den Mädchen schaute während der Predigt keine auf, oder gar von drüben Eine herüber! Auch Brigitte regte sich nicht, oder nahm gar Stellung und Miene an, wie solche, die nur voraussetzen, man wird sie jetzt ansehen. Auch Herr von Hase hustete nicht, oder niesete gar!

Diese Mädchen, so über Blumen bescheiden, — die doch noch im Hauche der Luft den Bienen ihre Gegenwart verrathen — rührten mich innig zur männlichen Bewunderung von solcher Geduld in gewiß liebeschwervollen Herzen! vor solcher Sicherheit: sie seien gewiß einem Liebenden heraus auf die Erde gesandt; vor solchem Vertrauen auf sich: weil sie alle Huld und Wonne tragen, werden ihre Blüthentage, ihre Zeit der Früchte kommen! werde gewiß doch der Eine Augen und Herz und ein Häuschen und ein Bettchen für sie haben, den sie in heiligen Na[S. 38]turschweigen erwarten. Wen gäbe es wohl so Unverschämten: diese Mädchen bei Jünglingen umher auf die Heirath zu schicken! Aber ihr Nein ist der Jungfrau gegeben, um des Jünglings und ihr eigenes Glück nicht vergeuden ja opfern zu müssen. Denn selbst an Liebende wirft sich noch die Nichtliebende weg; wenn ihm die Wiederliebende erst ein Glück bringt.

Neben mir in der Loge der Herrschaft des Gutes Westfrei („Dorf“, lassen die Leute weg) befand sich Herr von Stifter, mit seiner kinderlosen Frau und seinen vier Nebensöhnen, jungen wie Engel schönen Männern, die mir, ich weiß, nicht, welche Eifersucht erregten! Sie zerbrachen sich bald die Rücken bei den Abschiedsverbeugungen zu den Mädchen hinüber! Ihnen hatte ich auf morgen meinen ersten Besuch in Westfrei ansagen lassen; dem Herrn von Sangallo in Ostfrei aber auf heute Vormittag. Ich sah ihn daher mit seinen Töchtern nach dem Segen — nach dem stillen Vaterunser — und nach achtzehn Verbeugungen, mit einer gewissen Sicherheit fortgehen, nicht heimeilen.

Im Schlosse legte meine rechtschaffene Mutter noch großen Staat und ihren schönsten[S. 39] Schmuck an; ich gab ihr den Mantel um, wegen wahrscheinlicher Zugluft auf dem See, nahm den meinen um, und wir stiegen in unsere mit Maien geschmückte Prachtgondel, unsern Bucentoro, als gerade der Doctor Schleyerlöser mit seiner Frau in seinen Abendmahlkahn (für Berichten, Krankenbesuche und Hauskindtaufen bestimmt) nebst meinem Schulmeister einsteigen wollte. Auf meine Einladung kamen sie, zur Gesellschaft auf der halbstündigen Ueberfahrt, in unsern Kahn. Der „Chirurgus von der letzten Sorte“ fuhr rasch an uns vorüber und voraus, und antwortete auf meine Frage: wohin? immer entfernter: „Geschwind nach Ostfrei hinüber!“ Ein Junge ist von der Maistange gefallen. Unter der Kirche ist er heimlich nach einem Tuche gestiegen. Er soll alle Arme gebrochen haben, wie der alte Dorfwächter hier sagte. Gesunde Nachkunft! — „Es steht ein Gewitter am Himmel!“ schrie er noch, schon von weitem zurück.

Wir sahen hinauf, und allerdings! Aber meine Mutter hatte das Schwurprotokoll! Ich hatte Seesturm und dreitägige und dreimächtige Verfolgung und Getöse von hallenden Seegewittern überlebt; und es ist gut: die größten Un[S. 40]annehmlichkeiten aller Art überstanden zu haben; denn damit hat man alle folgenden kleinen im Geist überwunden und sich leicht gemacht. Was konnte hier werden in 30 Minuten? — Und doch!

III.
Der Donner als Brautwerber.

Der Pastor erklärte mir den Zweck seiner Reise — eine Magenreise! Mein und meiner Frau Magen fahren zum Diner! Weihnachten muß ich die Ehre genießen, bei Ihnen in Südfrei unsere Magen einzustellen, laut Vocation; Ostern in Ostfrei; Pfingsten in Westfrei; und also dermalen bei Herrn von Sangallo, dessen Vater schon ein Muster aller kleinen und größeren Herren war; die großen haben oder leiden kein Muster, so wie sie denn wenig ihres Gleichen haben. Der selige Herr von Heiligenhahn, der den Heiligenschein, als bei ihm eine Wahrheit, verdient, was hat er gethan? Denken Sie! Freuen Sie sich, daß Sie und keiner Ihrer so gottwilligen Erben es nun zu thun braucht; oder[S. 41] bedauern Sie, daß er Ihnen solche Thaten, nach denen kein Hahn kräht, weggenommen hat! Und fühlen Sie die Beraubung, so ersinnt Ihr Herz gewiß ein Neues Gute; oder räumt ein anderes, auf den Menschen lastendes Uebel weg, wovon zur Freude aller Arbeitslustigen noch Bergevoll und Bergehoch zu beliebiger Auswahl vorhanden und vor Augen liegt. Das hilft aber nichts, bis etwas den Leuten vor — Herzen kommt, oder die Buße wieder Mode wird, oder von hohem Ort wieder Mode gemacht wird; und der Buße allein verdanken wir die meisten Kirchen und Hospitäler! Alte christliche Ritter, die aber unbeschadet ihres riesenfesten Glaubens, schlimmer wie die Heiden lebten, verstanden das Wort „Kirchenbuße und Klosterbann“ so: daß sie mit Kirchen und mit Klöstern büßten! Gott, welche Sünden und Verbrechen stehen da gemauert in unserm heiligen Deutschland umher, und die Glocken lallen sie unverständlich zum Schrecken; wie Kinder, welche die schändliche Mutter noch nicht dem Vater verrathen können.

Und was stiftete Er? fragte ich.

Kirchen- und Schulfreiheit! Hochzeit- und[S. 42] Kindtaufenfreiheit in Ost-, West- und Südfrei; Nordfrei gibt es nicht, versetzte der Pastor.

Wie in Amerika? fragte ich, erstaunt über Deutschland; wie dort, wo man Alles unversehrt lehren kann und lehrt, wo erst Menschen eine Kirche bilden — können, wenn sie wollen, und nicht eine Kirche: Menschen!

Sie wissen nicht, woran wir absterben, wenn nicht sollen, doch werden; sprach mein Pastor. Herr von Sangallo konnte es nur plump thun. Er hat Gestifte gemacht: Hier giebt kein Mensch in Ewigkeit — verzeihen Sie den unprophetischen Ausdruck — etwas zu Kirche oder Schule, für Pastor oder Schullehrer; freier Unterricht, freier Gottestisch, freie Hochzeit — um die Trauung so zu nennen — frei Taufen, freies Begräbniß! Also alle göttliche Dinge — Sonne, Mond und Erde ausgenommen — frei! Er hat, freilich jetzt sehr achselbezuckt, geglaubt: ein Herr ist nicht blos, der Dienste und Gaben von seinen Leuten, die Wolle von den Schaafen, die Garben vom Felde, die Bäume aus dem Walde nimmt, und alles Andere Gott überläßt; sondern ein Herr ist, wer seinen Leuten das, wozu ihr Verstand und ihre Mittel nicht reichen, verschafft,[S. 43] selbst mit Opfern. Und wie klein ist dies Opfer gewesen? Was hat so lange Wohlthat geleistet? —: ein Stück Wald! wie ihn andere Herren oft in einer Nacht verspielen, oder in eines Jahres Lauf vertrinken und verschmausen. Und wie gesegnet: Dort sehen Sie die himmelanstrebenden Fichten wieder stehen, daß einem das Herz im Leibe lacht.

— Ich habe vor Kurzem die Berechnung eines Engländers fast beweint, sprach mein Schulmeister, Lieutenant Groll: Wie viel Vermögen der Völker eitel vergeudet wird, unnachgefragt, so daß nichts nachbleibt, unnachgefragt. Aber von jetzt an doch nachgesagt und vorgesagt. — Er hatte die bejammernswürdige Summe gezogen, was alle europäischen Heere seit 30 Jahren kosten. Er sagt: „Deutschland feiert jetzt bald den dreißigjährigen Frieden; keine Flinte ist gegen einen Feind loszuschießen gewesen.“ Aber da waren: Welche Nachbarn, gegen die das ganze Volk in Waffen stehen muß! oder welche Furcht vor den eigenen Völkern! Und wohlgemerkt, die so theuren Heere sind nicht mehr da. Die Soldaten waren nicht unsterblich, sondern sind gestorben, gealtert; also soll die genossene Ruhe[S. 44] die Frucht sein. Aber war es möglich und waren etwa 5 Millionen Thaler nur eines angenommenen Landes auf den Stamm eines Heeres verwendet, andere 20 Millionen jährlich gespart worden, also in 30 Jahren 600 Millionen Thaler, und diese 600 Millionen Thaler wären auf Schulen, Schulmeister, wahre Heil-Anstalten aller Art, Verbesserungen des Landes, zu Abgaben-Erlässen ganzer armer Städte; kurz, statt auf die Furcht, auf die Liebe verwendet worden — wo wäre da im ganzen Lande ein Unsinniger gewesen, der seinen Herrn nicht auf Händen getragen hätte? Wo wäre ein Mensch zu Hause geblieben: um dieses sein solches Vaterland nicht gegen Legionen Teufel glorreich zu beschützen? Da quollen Geister aus der Erde, da stiegen begeisterte Engel vom Himmel.

Wie eine feurige Schlange fuhr jetzt ein Blitz über den ganzen Himmel, und Donner schmetterte hinter ihr drein.

Nicht weiter! sprach ich. Sie spielen ganz vortrefflich Orgel, Herr Lieutenant? Wie kommt das? —

Ich bin Theologiemüder Candidat, antwortete er, und war lange Musiklehrer der Fräulein[S. 45] Sangallo. Der Herr Pastor sollte Sie doch vorher ein wenig mit diesem, seinem Schicksal gemäßlebenden Vater so vieler Töchter bekannt machen; obgleich der Oberförster in nächster Stadt auch schon 11 Töchter hat. Auch unser Barbier Salomon ist das achtzehnte Kind von Einer Mutter.

Und ich vervollständigte: Ich selbst habe auf meiner Heimreise über England in Leeds bei einem Wirth logirt, der gerade sein neunundzwanzigstes Kind taufen ließ.

Herr von Stifter, Ihr Gutsnachbar hier am See, der lange in der Levante gereist ist, bemerkte der Pastor, hat gesehen, daß viele Türken, gewiß nur eigene, 30 bis 40 Söhne hatten; Töchter werden da nicht gezählt. In Sicilien sind um sein ankommendes Schiff die Kinder von nur 13 Matrosen herbeigelaufen, ein Schwarm von 105! Aber die Erziehung! die Erziehung! das ist die Sache; und die Verheirathung, die gute Verheirathung! Denn die Töchter sind schon alle so so, oder so wie ihre Mutter Agathe, verheirathbar, welche gewiß dem Fürsten zu Lynar zu seinem wunderhold naiven Gedicht, „die Frau von sechzehn Jahren“,[S. 46] das schöne Vorbild gegeben hat, oder doch gegeben haben könnte; um dem Autor sein Eigenthum nicht anzutasten. Mit 19 Jahren ist sie schon Mutter von 7 Kindern gewesen, laut Kirchenbuche; denn darin stehen einmal Drillinge, zweimal Zwillinge; darauf in fünfzehn Jahren eilf einzelne Töchter. Nur 33 Jahr jung, ist sie über die jüngste Tochter eingegangen. Jetzt ist sie gegen 13 Jahre todt; also ist diese Jüngste schon so alt; und die älteste erst in dem berühmten und beliebten Standjahre 29, in welchem alle noch ältere Mädchen sich rühmen zu sein. Diese Aelteste, Antonie, ist Wittwe; Auguste: Wittwe. Und auffällig, beide kurz hintereinander zu Wittwen geworden. Zwanzig Jahre auseinander wäre es Niemandem aufgefallen. Antoniens Mann ist nicht in die Brautkammer gekommen, weil er am Hochzeittisch an einer Fischgräte, die ihm durch Husten den Blutsturz erregt, krank geworden. Auguste ist beim Austritt aus der Trauung krank geworden, und ihr Mann ist vor ihrer Genesung mit dem Pferde gestürzt und gestorben. Darum bedenkt sich die jetzige Braut, Afanasia, durch die Verheirathung ihren schönen jungen Bräutigam, dem Post[S. 47]secretaire Herrn von Rheingraf geheimnißvoll umzubringen! Zehn andere Töchter haben jetzt Brautbewerber. — — —

Ich wollte mir ihre Namen so eben nennen lassen, um zu hören — daß er nicht Arminia darunter nenne; als es wieder furchtbar blitzte und einschlug, am Ufer von Westfrei. Wir wußten Herrn von Sangallo mit seinen schönen Nereïden gelandet. Wir sahen sein Schloß. Kein Rauch quoll aus; keine Flamme stieg auf; und wir waren ruhig, bis auf meine rechtschaffene Mutter, die in Beschwerden ausbrach und mir vorwarf: „Da hast Du den Schwur!“ Und ich mußte mir erlauben, ihr vorzustellen: Liebe gute Mutter, der Schwur hat sich nur auf ein Menschengedenken zurück bezogen; aber Niemand kann beschwören, das nicht ferner, oder bald bei uns ein Gewitter aufzieht und donnert und blitzt und einschlägt! Ja gerade, weil noch nicht, desto wahrscheinlicher!

Der Gewittersturm jagte uns; die Wellen drängten den Nachen; die Ufer flogen zurück. Der herabstürzende Wind wühlte hohle Kessel im See aus; uralte große Fische, Karpfen von 20 bis 30 Pfunden, mit bemooseten Häuptern und[S. 48] gelben fleischernen Schnauzbärten wie Seehusaren, tauchten empor; große Hechte stoben vorüber. Aus der Gegend, wo wir fuhren, sollten alle drei Schlösser und Dörfer in den Buchten des kühn verzogenen dreieckigen Sees zu sehen sein. Aber dichter Regen ergoß sich uns seitwärts herab und warf Blasen auf dem Wasser. Ich will nicht behaupten, daß die Frau Pastorin, obzwar eine getaufte Jüdin, nicht den Messias erwartet habe; denn Er hatte sie gewiß auch darum mit geheirathet, um im Hause im Gespräch von alten Tagen und neuen Hoffnungen, von denen das alte Herz nie abgewaschen wird, stets in der Seele verstanden, mit ihr reden, mit ihr leben zu können. Auch nur Sie konnte seinen Kindern nicht die morgenländische Nase.... und Er nur auch ihr nicht die großen schönen Augen der Töchter und ihr immerfremdes, oft linkisches, oft engelhaftes Wesen vorwerfen. Kurz sie war voll Andacht; er war sonderbar still. Wir andern, die wir keine, keine Hoffnung mehr haben, als das unabsehliche Weltende — waren sehr froh, als wir auf das Ufer sprangen.

[S. 49]

IV.
Das einzige Kind.

Aber noch weit vom Ufer hatten wir eine Geistererscheinung auf dem Wasser; denn es ging nicht, sondern es fuhr ein aufrecht stehender dürrer blasser Mann mit einem krank aussehenden Jungen, nur von einem alten Landmann gerudert, an uns vorüber nach meinem Kirchhof zu.

Ein Gespenst! sprach der Pastor zürnend, als er sich von seinem Erstaunen erholt hatte.

Wer war das? fragte meine rechtschaffene Mutter.

Sie können sich rühmen etwas Wunderbares, ein grassirendes Wunder gesehen zu haben! Das war ein Patentirter! eine neue Art Reisender, der „in Gebeten“ und verwandten Artikeln macht, nach dem Kunstausdrucke; kurz der früher abgesetzte, jetzt scheu-belobte Pastor mit seinem Bet-Jungen.

Aber, mein Gott, sprach meine rechtschaffene Mutter, würden Sie denn Luthern einstecken oder verbrennen wollen, wenn Er heute umherzöge und auch zu Ihnen käme, und Sie Macht hätten?

[S. 50]

Die Niemand mehr hat! versetzte der Pastor. Aber, erlauben Sie, es ist ein großer Unterschied zwischen den Zeiten. Wie nützlich, zum Beispiel, war nicht die Sündfluth zu ihrer Zeit! Aber was soll uns Noah jetzt mit seinem Kasten voll Thiere, in welchem, laut Oken und ausgerechneter Maaßen, nicht der zwanzigste Theil der Ehepaare aller ersaufbaren bekannten lieben Thiere Platz gehabt hätten. Aber das ist ja eben das Wunder! so gut wie die 11,000 Jungfrauen nicht in ihren Paar Schiffchen Platz gehabt hätten. Aber das schadet nichts: das ist eben das Wunder! sonst wäre es ja keins, und Wunder müssen ja sein! Die sind besser als die ganze Welt; sie bereichern sie und machen die Welt und den Menschen erst vollkommen. Verzeihen Sie den Abstecher in die aschgraue Unmöglichkeit, in das Eldorado der Gläubigen. Himmel, was gäben wir alle darum, wenn jetzt wieder ein Luther käme! der alle weitere Offenbarung des Geistes dem Volke gestattet. Und er kommt gewiß und sein Melanchton dazu. Aber die ernsthaftesten Ursachen sind oft nicht ohne die spaßhaftesten Folgen, und die lächerlichsten Wirkungen nicht ohne die traurigsten Ursachen[S. 51] — der eilende schuhmacher-blasse und doch kochende Mann will gewiß mit seinem Betjungen ein Wunder thun in meiner Kirche; denn uns handwerkmäßigen Pastoren pfuschert, bei auch geistlicher Gewerbefreiheit, jeder ins Handwerk; es ist also gewiß in Ostfrei ein Unglück geschehen! Feuer, da wir keins sehen, ist es nicht! zu Hause will ich Ihnen eine kleine Schrift mittheilen: „Das Popenland“, woraus ein Blinder sehen kann, wie gräßlich sich die Herren die eigenen Hände binden, welche ihre Leute suchen unter das Joch der Popen aller Art zu bringen. Denn sie selbst am meisten und die Leute brauchen zum künftigen Leben auf dieser Welt die freie Wissenschaft. Nicht zurück! sondern noch klüger und noch besser! das wahrhaft aufgeklärte Volk ist das treuste! Vom Glück und dem Recht ein Mensch zu sein, gar nicht zu reden.

Man hatte mich in Amerika theils bedauert, theils ausgelacht: daß ich nach Europa wolle, nach Deutschland. Aber ich freute mich im Herzen meines unverwüstlichen Vaterlandes voll herrlicher Männer, groß und stark wie Saamenbäume, und über das frische kräftige junge Gehege voll singender Vögel!

[S. 52]

Am Ufer hörten wir nun wirklich sogleich ein verworrenes Geräusch. Rechts, aber weit ab von dem Wege zum Schlosse des Herrn von Sangallo standen die bunten Kirchleute, Männer und Weiber und Kinder, die vor uns über den See nach Hause gefahren, noch ihre Bücher unter dem Arm, und sahen durch den hohen lichtblauen Gitterzaun in den herrschaftlichen Garten. Es fing an zu tröpfeln. Ich eilte mit meiner rechtschaffenen Mutter und Pastors nach dem Schlosse, in welches ich voraus meinen goldbetressten Jäger zur Meldung sandte. Wir eilten nach. Kein Jäger kam zurück. Wir traten in die Halle. Niemand da. Alle Thüren offen. Auch die Thür nach dem Garten. Dort sah ich zwischen großen Linden um ein erhöhtes abgeblühtes Hyazinthen-Quartier viele Menschen stehen. Ich hatte die erste Visite im Kopfe, was mir verbot gegen den Anstand zu handeln, ob ich gleich wie die Andern vor Ungeduld der Neugier brannte und vor Furcht eines Ungeheuern mich fröstelte. Da stürmte der Chirurgus Salomon in das Haus um hindurch zu eilen.

Ich vertrat ihm den Weg und fragte: Was ist?

[S. 53]

„Das fragt sich erst!“ antwortete er eben so hastig.

Was scheint?

„Jemand vom Blitz erschlagen.“

Herr von Sangallo?

„Möglich!“

Oder die Fräulein? Alle?

„Das geschieht auch den Schafen.“

Fort! rief ich und drängte ihn rasch in den Garten.

Der Pastor schlich nach. Ich endlich dem Pastor. Warum nicht? Aber langsam. Ich blieb stehen, denn alle unnöthigen Zugaffer, auch mein Jäger, wurden zurück getrieben. So standen wir Viele auf den Gängen in der Ferne. Ich fragte, wer denn todt sei?

Eine Tochter vom Hause, antwortete der Jäger, die allerschönste, die allerbeste!

Welche?

Die Arminia!

Das durchzuckte mich. Nie sie gesehen; und auf Sie schien mir der Wechselbrief vom Vater gestellt. Man verliebt sich schon voraus, vorher, ehe man Jemand sieht, hört, anrührt! Und doch nicht: hatte mich nicht schon viele Tage[S. 54] zuvor das Wort gerührt, das ich heute nur wieder hörte: „die Allerschönste, die Allerbeste!“ Herr von Stifter, ein nur zu bekannter Weiberkenner, hatte das Wort gesagt. Und wußte Ich von Natur nicht: was ein Mädchen überhaupt ist, was jeder Jüngling von Natur? und Jeder würde die Gestalt des Weibes zeitlebens vermissen, wenn kein Weib auf der Welt wäre. Was sie ihm aber besonders sein und werden soll, o das weiß er erst recht. Und von welchem naturadligen schönem Geschlechte auch die Arminia sein mußte, das hatte ich heute an Siebzehn ihrer Schwestern gesehen, vielleicht an ihr selbst!

Merke wohl: wie hier der Himmel dich im Voraus lehrte: sie zu entbehren, sie nicht zu besitzen! Aber das Wort, besitzen von einer Geliebten oder einem Weibe gesagt, ist doch zu abscheulich und sollte nie von jemand gebraucht werden, der seine Ausdrücke gemalt, von der Phantasie illustriert und ausgeführt vor Augen sieht. Ein anderer Tropus statt besitzen, eines Engels, wäre aber noch unziemlicher, obgleich das Wort besitzen auf ewig nur dem Alp zu vermachen ist.

[S. 55]

Jetzt wurden auch die Hunde, Neufundländer, zu uns gejagt. Sogar zwei zahme Kraniche und Störche. Das thaten die Schwestern, die jetzt einen Kreis um die in ihrem weißen Kleide daliegende Todte schlossen, aber den Rücken auf sie zugekehrt, die blassen Gesichter nach außen. Sie trockneten sich manchmal die Thränen selbst, oder auch Eine der Andern. Doch sah ich noch, daß der Pastor dem Chirurgus mit einem weißen Tuche die Augen verband, dann Herr von Sangallo dem Chirurgus. Darauf kam der Vater selbst aus dem Kreise hervor.

Was machten sie nur? Ich hatte keinen Teller mit Blut von einem Aderlaß wegtragen sehen. Die Frau Pastorin meinte: vielleicht ist das eine Bezauberung, die der vagabundirende Pastor angeordnet hat. Aber da gäbe sich mein Mann ja nicht dazu her! Vielleicht eine magnetische Kur aus der Ferne; meinte ein Herr.

Darauf fing es zu regnen an, warmen befruchtenden Regen in großen Tropfen. Ich hörte freudige Stimmen. Der Kreis der Schwestern löste sich auf; aber sie blieben zerstreut, oder hier Drei, wie Grazien; dort Neun, wie Musen; dort wieder zwei in der Nähe stehen, so[S. 56] daß ich nun durch die Lücken deutlich sah: die beiden Männer nahmen sich die Binden von den Augen, und mit ihren Schaufeln schaufelten sie noch hie und da. Dann standen sie, auf die Geräthe gelehnt, bis der Pastor sein Grabscheid in die Erde stach, seine Frau holen kam, die mit ihm näher hinging, dann mir winkte, zu folgen.

Ich nahte mich. Von dem großen eirunden schwarzen lockeren Blumenbeet waren alle Blumen ausgerissen, und in der Mitte lag Arminia begraben; leicht, doch sorgsam bedeckt. Nur ihr dem Himmel zugekehrtes bloßes Antlitz blinkte aus der schwarzen Erde. Die Augenlieder bedeckten die Augen, die Lippen die Zähne. Kein Hals, keine Schultern, kein Arm erschien. Es sah aus, als wenn man einen Engel aus einem Bilde begraben hätte, der ohne Leib war. Und wenn dieses schöne Antlitz mit diesen schwarzen Haaren allein lebendig gewesen, allein liebte, redete, blickte — wäre das: das Weib? das ganze Weib? Ich lachte bald der Thoren, und lächelte wirklich; und empfand in meinem ganzen Wesen von Jammer entzückt und von Wonne durchjagt: ein Weib ist mehr wie ein Engel.[S. 57] — Und da lag sie begraben — wenn der Himmel noch seine Wunder könne, um aufzuerstehen von den Todten! Wie der Erdschooß das erste Weib hervorgequollen, so sollte er sie heute, groß und vollendet, noch einmal zur Welt bringen.

Welche Wunder geschehen vielleicht jetzt! sprach Doctor Schleyerlöser. Weil das Volk keinen wahren Begriff von den wahren alle Tage geschehenden Wundern hat, weil ihm Sonne, Mond und Sterne bloß nützliches oder schönes Gaukelspiel, der Wind mäßiges überflüßiges Gesause dünkt, und Geburt eines Kindes nur ein Anlaß zu einem Schmause ist; weil alle gerade zu erstickt und ersoffen in Wundern sind, weil sie selbst — sie die elenden Schlucker und elenden Schluckerinnen — deren Eins eine bekannte Prinzessin, das Andre eine Frau Besenbinderin, oder Frau Justizräthin, wieder ein anderer ein Schornsteinfeger oder ein bekannter Fürst ist — weil sie Selbst nicht allein ein Wunder mit sein sollen, sondern sogar Eins der größten Wunder — darum verlangen die Zeichen und Wunder; darum halten sie Unsinniges und Unmögliches für mehr, ja für heilig und allein für göttliche Religionspflicht es zu glauben, weil es ihr Verstand und[S. 58] also jeder Verstand nicht faßte. Soll man nun diese Menschen beneiden, daß sie Etwas mehr haben als alle Andere? oder sie verlachen und verspotten? Ich meine: Keins von beiden; aber sie belehren und belehren lassen — und auch dazu reicht die einzige Freiheit, außer der wir nichts mehr bedürfen, (als die große Mutter der Götter und Menschen) — die Preßfreiheit.

Ich sah aber, wie dem armen Mädchen vom Regen die Augenwinkel, wie von gesammelten Thränen voll Wasser standen, das von Stirn und Wangen da zusammenfloß, und über die blassen Wangen ab.

Mein Chirurgus Salomon trat noch hoffnungsvoll zu mir, und sagte: Sie verwandelt sich nicht! Sie hat sich nicht verwandelt. Sie hatte im Augenblicke des Getroffenwerdens Ernstes gedacht — und ihre Züge sind noch ernst! Wäre sie todt, so müßte ihr immer heiteres Wesen wieder aufschlagen; sie müßte freundlich sein, wie sie war! Aber wer ist in der Noth zuverläßig? Konnten die Schwestern vor Zittern und Zagen die eigene Schwester entkleiden? nicht möglich! Konnte der Vater, oder wollte er seinem Kinde das Letzte vom Leibe ziehen? Wir[S. 59] mußten es blind thun; wir, sie in die Erde zu Bett legen! Er brachte nichts hervor als immer nur: „Mein einziges Kind! Mein einziges Kind!“ und man durfte nicht einmal sagen, daß er noch Siebzehn Töchter hat. Der Regen soll, wie den tausend Apfelbaumknospen, auch ihr die Augen wohl wieder aufthun!

Wohl? sagen Sie, sprach ich. Das klingt übel!

Versehrt ist sie nirgend am ganzen Leibe. Blau aber kann man nicht fühlen; der klügste Blinde kann das nicht; ich hätte sie sehen müssen; doch eine der getrostesten Schwestern, Wittwe Antonie, sagte nein; sie ist so weiß wie Schnee. Und gegen das Lebendigbegrabenwerden ist kein anderes Mittel, als den Menschen zu begraben! Auch zum Auferstehen soll es allein helfen. Mir, als Juden, war immer am meisten davor Angst, nämlich nicht gerade vor dem Auferstehen, aber vor dem Lebendigbegrabenwerden, (das nun ausgerottet ist), indem gewiß mehr Juden nur lebendig begraben worden sind, als Christen glauben.

Doctor Schleyerlöser drohte ihm mit dem Finger.

[S. 60]

Mir aber sagte Salomon näher und leise: Ich muß nur auf jeden Fall nach dem warmen Bade sehen! Auf den besten Fall aber darf ich mir ein gutes schönes liebes Sostrum versprechen! Herr von Sangallo hat einen Geniestreich vor: alle seine Töchter zu verheirathen und vielleicht, ja wahrscheinlich schließt er mich mit darein; wie denn bei großen Gelegenheiten allemal viel Kleines mit durchgeht. Arminia’s Liebe schläft noch in ihr, es hat sie ihr noch Niemand angezündet. Weiber halten oft Dank für Liebe; wo sie belohnen wollen, glauben sie es nicht höher und lieber thun zu können, als geradezu mit ihrer ganzen Person! Mein Bruder, der Doctor David in der Stadt, der keinen goldenen oder silbernen, leiblichen oder geistigen Profit von der Hand weiset, hat mir Wunderdinge erzählt, wie überaus dankbar kurirte Frauen sind! Nach überstandener Todesgefahr sollte jeder hübsche oder gar schöne Doctor sogleich abgedankt werden; das ersparte auch das Mahnen des Liquidationsbetrages. In unserem vernünftigen Ländchen dürfte auch Keiner von uns „changiren.“ Kein Leib eines Weibes oder Mannes ist katholisch oder reformirt, keine Liebe ist türkisch oder jü[S. 61]disch, und Leib und Liebe ist einzig zum Ehestande tauglich und genüglich. Diese schwere Weisheit haben sie jetzt zu Tage gebracht, und es ist wirklich Hoffnung, daß man so klug werden wird — wie alberne Kinder. Das Andere ist Angewohnheit, und Vieles, Vieles ist nicht mehr — als nur noch Gewohnheit, und wird nur noch der Bequemlichkeit wegen gebraucht. Möchten Sie daraus sehen, daß ich nicht ganz dumm bin! Ich bin ein guter ehrlicher Kerl, für den Sie wohl ein Wort mit verlieren sollten!

„Verlieren“, wollte ich, von Eifersucht selbst aus dem Grabe angehaucht, entgegnen; als er schon fortsprang. Denn indessen war uns eine Gestalt in braunem Mantel genaht, die Kapuze über den Kopf gezogen. Kleine Händchen öffneten die Kapuze vorn ein wenig, wie einen Heiligenschrein, darin ein Muttergottesbild schimmert. Das wehmüthig freundliche Gesicht gehörte unserer Brigitte; die Ruhe, Gelassenheit und unmerkliche Wehmuth in ihren Zügen war aus Umständen ihre Alltagsmaske. Pfui doch, Maske! Es war ihre sichtbarerscheinende Seele, ihres Herzens treue leider wahre Empfindung!

[S. 62]

Uns nimmt der Himmel alles Liebe und Gute; nun auch meine einzige beste Freundin Arminia! sprach sie zu mir mit jener Ergebenheit, welche weit über alle Schicksale, Entbehrungen und den bittersten Mangel erhaben ist, und statt Ergebenheit einzig richtig nur „freies Bewußtsein, reiner Göttergeist, Herrschaft über die immer unsichere unvergänglichen Erscheinungen“ heißen sollte. Aber es glühte, oder doch glühte in ihrem Wort eine Neigung, eine Gunst und Liebe zu dem, was ihr der Himmel alles genommen, daß sie es mit Entzücken und Jubel wieder empfangen hätte! Dieser Widerstreit im Geiste, oder diese doppelte Eigenschaft macht alle Seligkeit und alle Schmerzen der Liebe, kurz, den Inhalt des ganzen menschlichen Lebens aus. Daher war mir ohngefähr so, als wenn Jemand des Andern warme Hand in seine Hand nähme und auf meine bloße Brust legte; aber der Jemand zuletzt mir eine eigene Hand daneben sogar auf das Herz legte, als Brigitte leise mir anvertraute: Arminia wird nicht mehr aufstehen, und immer darf ich es sagen: „Ihnen hatte ich sie zuge[S. 63]dacht; als das Beste was ich kenne, was mich am liebsten hatte, und was ich“ —

Die kleinen Hände verschlossen wieder den Heiligenschrein mit dem Mund der Liebe; und die braune Gestalt knieete zu ihrer Freundin, beugte sich über sie, schwebte mit Augen und mit den halb ausgebreiteten Händen über ihr, dann mit der Stirn auf ihrer Stirn ruhend, nahm sie Abschied und schlich hinweg.

Warum kommt nun in einen Mantel verborgen, wie in ein Nachtgewölk verhüllt, uns Sprache, Worte und Geist der Liebe so geisterhaft vor? Was hat die schöne Gestalt, die Menschengestalt, was haben Füße, Brust und Hände, was hat sogar das Antlitz und seine Sterne, die Augen, was haben sie so Gemeines, Alltägliches — daß wir sogar über Kleider, ja über eine Haube, das Weib, die Seele vergessen! Oder wissen das die Weiber? und treiben sie durch Putz und Lappen und Bänder und Schnüre Spott mit dem Himmlischen — um das Himmlische alltäglich, umgänglich, angreifbar zu machen? oder den Kindertand himmlisch und ewig! — „Schändlich! Räthselhaft!“ sprach ich dem verschwebenden Mantel nach, welcher[S. 64] allein mir jetzt die ganze Brigitte schien! Doch wenn ich zuvor durch des Pastors Kanzelwort „von der Heirath zur rechten frühen Tageszeit“ ein Verständniß desselben mit meiner rechtschaffenen Mutter, oder eine Mittheilung anzunehmen mir erlauben durfte; wenn mir Brigitte, als Vermittlerin, noch mehr Gedanken machte, so lag doch die vom Blitz Getroffene, die Begrabene, außer aller Berechnung. Der Himmel conspirirt nicht; er hält auch keine Conferenzen, und verfolgt keinen, der seine Geheimnisse verräth.

Vor Trauer und Regen hatten sich die Schwestern verloren, um sich ihr Leid zu klagen, zu hoffen und zu fürchten. Die Diener waren in Geschäften; nur die treuen Hunde hatten sich wieder als Wächter der Begrabenen eingefunden; Arminia’s Reh kam auch, umwitterte ihr so stilles stummes Gesicht, schüttelte die silbernen Schellen am Halsband von Silbertressen und legte sich ihr dann zu Häupten. Herr von Sangallo war in den Gartensaal gegangen, wo ich ihn von weitem durch die hohen offenen Glasthüren, unter dem großen Spiegel mit goldenen Rahmen, auf einem rothen Sopha sitzen sah. Ich[S. 65] ging zu dem armen Vater. Eine bange Stunde mußte entscheiden. Die wollt’ ich ihm überstehen helfen.

V.
Die Vorstellung.

Er blieb sitzen, als ich eintrat. Ich verneigte mich vor ihm, wie man es vor dem Unglücklichen aus Ehrfurcht und einer heimlichen Scheu thut, indem man in ihm den Träger, Leider und Darsteller einer gar nicht zu verachtenden, wenn auch meist unerfreulichen Macht sieht; und wahrlich eben sowohl diese Macht bedauert, als ihren Schauspieler. Und die Macht wird nur in unserer Seele vom Hasse los, sie wird gleichgültig, ja sie wird etwas werth, wie Eisen, daraus ein Meister ein angenehm schönes Kunstwerk, auch nur eine Spielerei gegossen; oder wie ein tückischer Strom, woran ein Kind ein Glockenspiel aufgestellt — und die Glöckchen klingen! sie spielen gar:

„Freut euch des Lebens!“

[S. 66]

So geschah mir vor dem, noch schönen ernsten Manne; ein Mann von 50 Jahren, dem Leibe nach, dessen Geist aber heute so alt und gefaßt und ruhig wie die Welt, die schweigsame Welt schien. Denn er lächelte. Er reichte mir die Hand und „nannte mich bei Namen“ wie Homer sagt. Ich nannte ihn aber nicht bei Namen, um ihn nicht aufzuwecken — wie einen vor Schmerz jetzt Mond- oder Sonnensüchtigen, dessen Gefühle und Gedanken durch alle Himmel schweiften und nach allen Ursachen, Geheimnissen und Seligkeiten forschen und verlangen mochten.

Er deutete mir, mich zu ihm zu setzen. Er holte tief Athem. Lange darauf erst sprach er unter dem leisen Donner: „Welches große, durch Endlosigkeit grause Muß, das da Welt heißt, das vielleicht in einer fürchterlichen Einsamkeit so hangen und weben muß! Das nie auf seinen Tod hoffen darf, wie doch wir, die wir.... einzeln.... nacheinander.... ihn für dasselbe sterben. Und so quält es sich selbst, ohne alles andere mögliche Ergebniß ab, als daß es sterbend, verwandelt, so fort lebt! O wie heilig ist das Leben!“ Mir ist heute und vielleicht auf immer der Humor zerstört, dieser süße Duft aus[S. 67] bitterem Aloeholz; das höchste Rauchopfer, das wahrsagende singende Kind aus dem Zauberkessel! Ich gedachte jetzt an das, was mir einst mein Lehrer — der jetzt noch sogenannte, aber dem Blitz und Donner und allen Sternen unbekannte, äußerstgeheime, verborgene Oberconsistorialrath X...., dem ich die Paulus’sche Ausgabe des Spinoza brachte — heimlich in der Laube seines Gartens sagte, als höchsten Lebensrath: „Thue alles; nur nimm kein Weib!“ — Damit meinte er sein treuloses Weib — also kein wahres Weib. Ich wußte sein Leid. Treulosigkeit ist Lieblosigkeit; ja, Untreue mag einem Weibe darum noch angenehm sein. Die einmal so Leichtsinnige, wird sich vielleicht auch leichtsinnig trösten; aber dem liebenden Manne ist mit ihr alle Schmach, Schande, alle tiefste Verachtung angethan. Und warum ihm? Er hatte dieselbe Schmach einem Andern angethan. Schlimm, wer Vergeltung zu fürchten, ja zu hoffen hat, daß seine Seele Ruhe gewinnt; denn die Vergeltung kann nie ausbleiben. Wenn sein Weib auch nichts davon wußte, Er wußte es; Er war kein Mann, der sein Leben ursprünglich vom wahren allein gesegneten Anfang mit seiner[S. 68] Frau angefangen hatte. Das Leben zusammen rein und freudig anfangen, das allein ist der hinlängliche feste Grund zur Ehe. Allen andern ist die Möglichkeit zur Ruhe und Glück voraus schon abgeschnitten. Ich bin strenger, als alle Stoiker und möglichen und gewesenen Sittenlehrer, nur aus Seelenkunde, ja aus Chemie! Auf welche, welche erstaunende Reinlichkeit muß der Scheidekünstler halten, der viel richtiger ein Verbindungskünstler heißt. — Ich nun, ich hatte das Leben, die Ehe, mit meinem Weib rein und ursprünglich angefangen — mein treues Weib, die unabwehrbar fleißige Hausfrau, die liebende Mutter ist rein wie ein Engel von mir geschieden. Das heimtückischeste Unglück hat mich glücklichen Mann nicht getroffen — auch pries ich mich als den glücklichsten Vater: mir war kein Kind gestorben! Mir verlief die Natur nach ihrem Gesetz: „die Eltern sterben vor den Kindern.“ Aber wie wahr sagt der in allen andern so ungewöhnlich glückliche, in den Hauptstücken des Lebens, an Weib und Kind aber unglückliche Göthe aus tiefer Brust ein Wort, wie aus der Brust Gottes als Stimme des Weltalls:

[S. 69]

„Ein jeder hat, er sei auch wer er mag,
Ein letztes Glück und einen letzten Tag!“

Ich habe mein einziges Kind verloren: ein einziges Kind. Nur sie war sie. Keine gleicht ihr nur, Keine ersetzt sie. Sie ist hinweg! Schneiden Sie Jemandem nur eine Zehe, einen Finger weg, er fühlt nur die schmerzende Stelle, keinen der gebliebenen Finger. Ein Vater hat für jedes Kind ein ganzes Herz, die volle Liebe! Das ist für alle meine Töchter so wahr, daß ich einmal ganz überrascht wurde von einem aus der Türkei zurückgekehrten Freunde, der behauptete: „So kann ein Türke — also auch ein Mann, ein Mensch auch seine mehre Weiber lieben, und alle mit ganzer Liebe! und sie alle nur ihn.“ Aber wir Deutschen haben nicht Wörter genug, um, wie Blumengeschlechter, alle Gattungen der Neigungen des Herzens zu unterscheiden, und stecken alle im Rummel in den Sacknamen „Liebe.“ Glauben Sie, ich ehrte meine Töchter, weil sie wie wandelnde Gefäße der höchsten schönsten Glut, der seligsten und beseligendsten fähig sind. Und Arminia ist dahin. Der Mensch soll auch, was er liebt, noch beweinen, noch beklagen, um die ganze[S. 70] Wunderbarkeit und Ewigkeit desselben, seinen ganzen Himmel sich aufzuschließen. Wir haben schon die Priester der künftigen Welt. In welchem alten Buche, in welchem Gesangbuch stehen da Worte, wie Schillers heiliges Machtwort in dem himmlischen Requiem über alle Todten; wie der aus der Messe seliger Geister tröstliche Text für alle Welt, (da Jedem sein Tag kommt) wie das göttliche Wort:

Laß rinnen der Thränen vergeblichen Lauf!
Es wecke die Klage den Todten nicht auf!
Das süßeste Glück für die trauernde Brust
Nach der schönen Liebe verschwundenen Lust
Sind der Liebe Schmerzen und Klagen. —

Und nun weinte er bitterlich hinter seinen Händen.

Was war da zu sagen? Was an dem Mann zu trösten, der auch die Leiden der Liebe als Leben erkannt, als zuletzt jedes Menschen stilleres inniges Leben! Ich lernte an dem Manne künftige Fassung. Es gereute mich nicht, ich gelobte mir, es nie zu bereuen: nach Deutschland gekommen zu sein.

Darauf kamen einzeln seine Töchter um ihm Bericht von Arminia abzustatten. Er fragte jede[S. 71] nur stumm mit den Augen. Aber jede bewegte nur leise das Haupt zur Verneinung, und faltete die Hände. Ehe sie sich dann setzten, nannte er mir nur jede bei Namen. Und so erschienen, nach und nach in Zwischenräumen: eine schwarzhaarige Adda — eine blonde Adelheid, eine braune Alma, eine gedrungene Aurelie — eine schlanke Amalie, eine glutäugige Anna — schwebende Angelika — feurige Armida —; dann eine hagere Alexandra — blauäugige Alwina — kleine Armgard — hohe Adele — sanfte Agnes — lockige Apollonia — dann die jungfräulichen Wittwen, die Sympathievögel Antonie und Auguste, in der Mitte die bräutliche Afanasia. Bei ihrer Verschiedenheit an Haar, Farbe, Gesicht, Augen, Mund, Wuchs und Gang, Charakter und Stimme, drängte es sich auf, daß in ihnen viele alte Großmütter und alte Muhmen wieder auf der Welt erschienen waren, um sich aufs neue umzusehen! Die Heimlichkeit des Ortes; die blassen Gesichter, daraus nur Augen sich zuwinkten; die Stille; das bisweilige Flüstern, das eintönige Tröpfeln des Regens auf die Blätter der hohen Bäume; dann wieder ein leises Murren der Wol[S. 72]ken, die wie berauschte oder gutmüthige Wahnsinnige im Schlafe murmelten; ein rosiges Aufthun des ganzen Himmels; Schrecken in den Gliedern, den Tod im Sinn, und selber die Verdoppelung aller Gestalten in dem deckenhohen breiten Spiegel — dem foppenden Echo der Augen, wie das Echo der redende Affe der Natur — das Alles machten uns alle zu Traum und zu Bild, das in der traurigen düsteren Stunde bis zum märchen- und fabelhaft Wahrem nachdunkelte! O wie unendlich Süßes und Schönes giebt diese vergänglich gescholtene Welt zu fühlen, zu leben, zu sein! Und nur weil sie vergänglich ist, kein starrer Himmel.

Jetzt rief der Kukkuk auf den Bäumen über uns. Und der Vater sprach: Ich nehme alle Zeichen der Natur nicht als Orakel, aber als Mahnungen stets mir an. Mir fliegt keine Biene, daß ich als Mensch nicht aufgeweckt zu meiner Arbeit eile. Gehen Sie, lieber Nachbar, sehen Sie noch einmal nach; dann wollen wir das liebe Kind bis zu seiner Ruhe bei uns bewahren.

Ich ging in meinem Mantel. Aber ich fand, daß der Regen ganz aufgehört hatte. Die[S. 73] Sonne brach durch die zerrissenen Wolken, die noch wie wunderliche Thiere über den Himmel zogen. Bei Arminia lagen die treuen Hunde noch wachsam, sahen mich an, setzten sich auf und schüttelten sich den Regen ab. Das Reh lag noch auf ihren Kleidern und blickte mich an, aber stand nicht auf. Nur von einer Fingerspitze hatte, wie von einem weißen Keime, der Regen die Erde abgespült. Ihr Gesicht überflog die hervorblitzende Sonne. Aber da zuckte kein Auge, keine Lippe! So niederblickend, und mit dem allerhöchsten bitterwonnigen Gefühle der ganzen Natur „das Schöne todt zu schauen“ ganz überladen, wie die Blumen umher von Gewitter-Ichor, zuckten meine Augen kaum von einem plötzlich niederfallenden Blitz; aber von dem herniederstürzenden Donner, krachend als bräche der ganze Himmel ein, knickte ich wie ein Rohr, und fiel auf meine Kniee. Der Schooß der Erde hüpfte von der Erschütterung ordentlich auf, und ein Zittern lief durch die Glieder der heiligen Mutter. Ich besann mich wieder durch das plötzliche Aufflammen eines Strohdaches mit Fischernetzen am Ufer des See’s. Aber — vor mir fuhr die nackend Begrabene empor! Ihre[S. 74] Hände langten über ihr Haupt, wie in die rollenden Wolken hinauf. Sie saß. Die nasse Erde fiel ihr von Hals und Nacken und Schulter und Brust in den Schooß. Vor Erstaunen, das noch nicht Entzücken zu werden vermochte, starrte ich sie an. Ihre Augenlieder bedeckten noch die Augen und zuckten.... ihre Lippen zuckten; ihre Wangen überströmte eine Rosengluth; auch ihre Stirn ward wie sonnenabendroth, ihre Gestalt zitterte; die wie nach mir ausgestreckten Arme bebten, daß die Steine der Ringe an ihren Fingern im Sonnenstrahl blitzten wie Thau. Ich griff ihr unter die Arme, ich hob sie an meiner Brust aus dem Grabe empor. Sie ruhte an mir wie ein verschlafenes Kind, das aufstehen soll zu einer Reise, und legte den Kopf auf meine Schulter. So, mit ihr stehend, löste ich das Schloß des Mantels, umhüllte sie allein damit, und befestigte das Schloß ihr unter dem Halse. So hielt ich die Wankende, die ohne mich gefallen wäre, während das Reh an ihr heraufsprang, und die Hunde sie wie rasend vor Freude umbellten. Jetzt schlug sie die Augen auf. Welcher Gestirne Aufgang ist irgend wo schöner in der ganzen Welt!

[S. 75]

Wie die Schaar Nereïden, umgaben uns die herbeigesprungenen Schwestern und drängten mir die Schwester ab. Arminia! — Arminia! — Arminia! rief es, sie weckend, sie ermunternd und ermunternder. Sie wandte die Augensterne nach ihnen; aber ihre Lippen konnten nur zucken.

VI.
Die jetzt verführte Jugend.

Sie wollten sie fortführen, aber sie war noch fühllos wie ein Kind, das zum erstenmal wagen will ein Schrittchen allein zu thun. Endlich kam der Vater — wie er meinen mochte herbeigestürzt; aber er konnte kaum die Füße heben, wie ein alter schwacher Greis, und mußte noch auf dem kurzen Wege vielmal stehen bleiben, Athem schöpfen und ausruhen von der himmlischen Müdigkeit. „O würde doch allen Armen und Unglücklichen auf der Erde vor Freude der Weg so sauer! Müßten sie doch solchen Athem schöpfen! Gingen sie alle doch einem solchen Glücke entgegen;“ sagte mein Pastor Doctor Schleyerlöser,[S. 76] als ich ihm des Vaters Gang erzählte. Meine rechtschaffene Mutter schenkte ihm für diesen Regentenwunsch einen fetten Ochsen, den er — redlich unter die Armen vertheilte. Auch das Geld für das Leder. Nicht die Zunge hat er behalten. Stupor in — gentibus! auf Deutsch: ein weißer Sperling unter den schwarzen oder schäckigen.

So eilte der Vater herzu. Sie machten ihm Platz und reiheten sich zum schönsten Spalier in der Welt! Sie riefen: der Vater! der Vater! Sie starrte hin. Er nahte. Sie war nicht gelähmt, sie lief ihm entgegen! Sie war nicht stumm geworden: sie rief: „Mein Vater! mein Vater.... o mein Vater!“ Der Vater konnte nicht sagen: O mein einziges Kind! Aber er schloß sie in seine Arme.

Da brachen alle in Thränen aus! Da waren alle — was man sonst Engel nannte —: selige Geister in Wundergestalt! mit Haupt und Haar! Denn nicht das Unglück rührt am tiefsten, wie unser biedere, auch an Geist colossale Rückert sagt; denn das Unglück ist der Abscheu, das Unwürdige, das verhaßte Ungethüm der Natur. Das Glück erhebt uns zu Göttern, in un[S. 77]sern wahren Stand! Nicht das unermeßliche Unglück der Deutschen in dem Kriege für die Freiheit der Könige rührt uns so. Aber wenn ich Varnhagen’s kostbares „Leben Blüchers“ lese, und dahin gelange, wo Blücher nach England kommt, und er vor Freuden über das Glück von den Menschen fast erdrückt und zerzauset wird. — Da schluchz’ ich vor unermeßlicher Wonne! Denn doch die Ehre, das Bewußtsein der Kraft haben wir Deutschen wieder; und das ist, das erwirbt alles.

So vor Freude weinend führten sie mir den Vater mit der Tochter in das Haus. Der Himmel glänzte wieder blau und klar — der Schelm! — die Vögel sangen wieder, der Kukkuk rief. Eine Schaar Studenten, die im Gasthaus den Regen verpaßt und vertrunken, jetzt wieder flott hinaus auf ihre Pfingstreise ziehend, sangen auf dem Wege längs des Gartens vorüber. Und süßer wie dem Freiheit liebenden Volke im Theater nach des Landvoigts Falle der Gesang der fahrenden Bettelmönche ertönt, ertönten mir aus ihrem Liede mit unvergleichlich schöner Melodie gerade jetzt die Worte:

[S. 78]

— — — „auf’s Wohlsein deiner Schönen,
„Die deiner Jugend Traum erhellt!“

Mir — schwebte dabei Arminia vor. Ich hatte, wenn auch wie im Traume, im Eifer der Rettung genug gesehen, um mir entweder überhaupt ein Weib zu wünschen; oder insonderheit dieses wider Willen bestaunte schöne Wesen zum Weibe. Das konnte mein summendes Haupt nicht unterscheiden. Den väterlichen Befehl zum Heirathen hatte ich in der Tasche, was ich merkte.... da ich wirklich danach fühlte, um ein Zeichen vom Himmel, à la Sangallo, zu haben: ob höchst derselbe vielleicht auch meinte — (ich hatte gestern erst vielleicht die aufrichtigste kleine Schrift über Göthe gelesen) — daß ich „diese Person“ heirathen solle, wie er seine todte Frau im Wagen genannt, und sie auch „nach Hause fahren“ solle? So kann Ich jetzt nur schreiben. Damals konnte ich nicht so denken. Denn Brigitte, die mich allein stehen und nicht folgen gesehen, kam zu mir und führte mich ganz Betäubten.

Ach Gott, sprach sie, hätte ich Ihnen nur vorhin nicht die Worte gesagt! Vergessen Sie alles! Ich bin außer mir! Das trübt mir die[S. 79] Freude darüber, daß sie wieder lebendig ist. Wir haben uns so lieb; wir gönnten Eine der Andern das Herz aus dem Leibe. Aber die Liebe verräth sich nicht! Sie ist der Jungfraun Geheimniß — und das Räthsel der Andern!

Ich beruhigte sie damit, daß ihr Gönnen, ja keine Gewalt über ihrer Freundin und Niemandes Herz habe! Sie lächelte mich noch geschwind dankbar an, und wir betraten das Haus. Der Pastor kam uns mit meiner rechtschaffenen Mutter entgegen und sagte: „Ich habe uns beurlaubt! Heilige Feste, ich meine alle, soll und kann nur der Mensch in seinem Hause feiern; sie leiden durch die Prostitution, das heißt hier: wenn sie Vorstellungen für Andere werden. Wir Anderen sind ja so glücklich, daß unsere ächten Erben nicht vor Zeugen müssen geboren werden; unsere Lieben nicht vor Zeugen sterben müssen; wir sind der chambre ardente, der Beilager, der öffentlichen Bewillkommung unserer Lieben in Gnaden überhoben; wir dürfen nicht erst beweisen, daß wir umarmen und weinen können. Der Vater Sangallo bat uns kurz, morgen zum Mittagsessen und Trinken wiederzukommen. Den Herrn von Hase sollen wir ja mitbringen, Fräu[S. 80]lein von Hase! Arminia ist im Bade und wird von den Nereïden bedient.“

Brigitte sah mich leicht an, und sprang zu ihr in das Bad. Ein vornehmes mir fremdes Fräulein brachte mir meinen Mantel, in den ich mich mit süßem Schauder hüllte, als würde ich die Prinzessin mit der Schwanenhaut! Ich dankte ihr überaus beschämt vor ihrer Herablassung. Sie ging. Der Pastor lachte und sprach im Fortgehen zu mir: Herr von Heiligenhahn kennt zwischen den Frauen keinen Unterschied. Jung ist einmal jede. Schön, wohlgekleidet will jede sein. Und so gehen die dienenden Mädchen in seinem Hause wie arme Prinzessinnen; alles schön in Form, rein, solid, nur ohne falschen Schmuck, und vom Stoff ihrer Kleider kostet die Elle zehn Kreuzer. Er statuirt nur einen Beutelunterschied zwischen den Mädchen, der denn wirklich existirt und groß genug ist. Alle andern Naturrechte und Menschenrechte und Ansprüche auf Freude an sich und der Welt gesteht er gerade erst recht allen armen und allgemeinen Volke zu; gesteht er ihnen zu — als Wundern Gottes. Er sagt laut, man muß auf alle mögliche Art das Volk heben, daß es die[S. 81] falschen niederträchtigen Ehrfurchten verliert, damit es die Hochträchtigkeit verliert, wenn Albernes, Hohles, Verderbliches ihm nicht hoch, sondern ausrottungswerth erscheint. Er sagt: es ist möglich, daß ein ganzes Volk blos an Rang- und Titelsucht untergeht, zum Beispiel, das deutsche; wenn selbst die besten Männer, das Salz des Volkes, für einen Titel oder Orden von Gesinnung und Gott abfallen. Doch man kennt jetzt die Wege des Herrn. Mit Erkenntniß und Urtheil ist allem Volke geholfen.

An der Stiege zum See holte uns der Noth-Doctor Salomon ein. Geschwind nehmen Sie mich mit, forderte er mehr als er bat. Ein neues Unglück oder Glück!

Nun? fragten wir, schon fahrend.

— Der Betjunge ist auf der Hinfahrt ersoffen! Er hat aus dem Kahn einen großen Karpfen richtig ergriffen, aber das Uebergewicht verloren. Der geistliche Herr hat, nach seiner Art Todte zu retten, nur den Ersoffenen erwischt. Dem soll ich nun eine neue Seele einblasen! Wenn das jetzt möglich wäre, dann wäre ich über alle Potentaten. Wie sich der Vater und die Schwestern bei mir bedankten — bei mir Naturpfuscher! Bei[S. 82] der Natur hätte man sich nur für ihre Eigenschaften bedanken sollen, so wie der Inhaber einer Nase dafür, daß sie riecht, und dergleichen. Doch dergleichen kommt aus der Mode. Hier die 100 blanken Dukaten habe ich dafür, daß ich die Satyre auf den Tod —: das Begraben als Mittel wußte, und daß es anschlug, nämlich daß es wieder einschlug! Das war mein Glück! Die Natur verklärte mich! Sie zeugte für die Wissenschaft! Der Vagabundus hat nun historisch das Wunder an Arminia nicht gethan, und prostituiert, wird er nun wohl nach Tyrus und Sidon entweichen! Nur der arme verführte Junge thut mir leid. Darum geschwind!

Gott, wozu wird jetzt die Jugend gemißbraucht! seufzte der Pastor. Klage Jemand noch Zigeuner und Englische Bereiter an!

Er und ich halfen nun rudern bis zum Angstschweiß. Der arme Junge lag in meinem Dorfe im geöffneten Spritzenhause. — Er blieb tod. Seinem Führer mußte eine Erleuchtung gekommen sein: er hatte sich in der Nacht ersäuft, wie die Teichwächter sagten.

Am andern Tage zu Mittag standen wir[S. 83] wieder in der Halle von Westfrei. Diesmal der arme Herr von Hase, in seinem letzten wohlausgebürsteten Rock mit uns.

VII.
Der Vater und das Kinderhaus.

Herr von Sangallo in der Mitte der beiden jungfräulichen Wittwen empfing uns sechs Gäste. Brigitte nahm sogleich ihr Väterchen in Beschlag; die zwei Töchter, meine Mutter und die Frau Pastorin, um sie zu Arminia zu führen. Der Schulmeister ward gebeten, das Pianoforte zu stimmen; der Pastor hörte von angekommenen Candidaten und ging sie aufzusuchen. Ich bat meinen Nachbar Sangallo, mir bis zur Tischzeit sein Haus zu zeigen.

Da hängt zwar der Riß, sprach er. Aber der Weltbaumeister schickt uns auch lieber selbst in seinem Hause umher, und läßt alle par terre wohnen. Ich habe auch nur par terre gebaut. Hohe Häuser mit vielen Stockwerken sind Nothställe; Treppen sind Lungenverderber, Diener[S. 84]und Köchinnenplagen, Marterwerkzeuge der Alten, Zeitdiebe, Buckelmacher und Beinbrecher der Kinder, und Leichenpein! Wer baut, muß für alle Alter und alle Vorkommenheiten sorgen. Ich habe meiner Frau und den Kindern alles auf ebener Erde hergerichtet. Glücklich, wer Raum hat! Diese große Halle ist — das Atrium der Alten, nur nordisch nöthig mit Glas, mit bunten Scheiben gedeckt, ist der Hof in der Mitte des Hauses. Vier Flügel mit Zimmern liegen umher, groß und klein; Küche, Gewölbe und Kammern. Ich wohne bequemer, gesünder, wie jeder König. Ich brauche keine Treppen der Ehre, worauf sich die Menschen erst — klopfende Herzen ersteigen müssen oder sollen. Freilich mußte ich, endlich überschwemmt von Kindern, den Schlafsaal oben anlegen; aber Sie sollen sehen, wie sicher und bequem. Sie sind doch einmal neugierig, und wohlgesinnten Nachbarn müssen wir uns zeigen, wie wir sind, damit sie uns gegen böse Zungen mit vertreten.

Er öffnete eine Thür, sah in einen Saal, wollte sie mit dem Ausruf „aha!“ wieder zudrücken, aber sagte: Desto besser! Und so fand ich darin auf einer Seite den Schuhmachermeister,[S. 85] den Schneidermeister auf der andern, die beide auf Stühlen und Tischen ihre mitgebrachten Arbeiten auslegten. Ich ging stumm mit dem Vater daran hinunter, und zählte 72 neue Schuhe und 72 neue Frauenkleider; an jedes Stück den Namen der Tochter gesteckt.

„Auf das Sommerhalbjahr!“ Ostern ist zu früh in Deutschland, sich anders zu kleiden; erklärte er mir. Jeder Tochter ein Paar Sonntagsschuhe und ein Paar Wochentagsschuhe; ein Sonntagskleid und ein Wochentagskleid. Zum Winter, um die Fischzeit, geht es mir wieder so! Ich sehe, ich bin wirklich ein lächerlicher Vater für andere in der ganzen Gegend; für mich oft ein weinerlicher! sagte er aber seelenvergnügt und heute wieder in vollem Glanze einer zufriedenen glücklichen Seele. Die Sommerkleider bezahle ich mit grünen Gurken oder Kirschen; die Winterkleider mit sauren Gurken oder Pfeffergürkchen. Er entließ die beiden Lieferanten bis nach dem Anprobiren der neuen Sachen, und sprach: Wie viel hundert solcher, erst winzigen, dann immer größern, besseren Schuhe hat die gute Mutter Erde schon für mich bezahlt! Gut ist’s, wenn in einem Haus[S. 86]halt Jedes zu Etwas besonders angewiesen ist, als seiner Quelle, seiner Möglichkeit! Wie hält man da auf alles! Sie sollten nur sehen meine Kinder Melonen pflegen, (denn das sind — Brusttücher) die wälschen Nüsse klopfen, (denn das sind Bücher und Musikalien) — die Champignons suchen, (denn das sind Zwirn, Nähnadeln und Stecknadeln) die Gänsefedern und Kielen sammeln (denn das sind Bücher, Papier, Siegellack und Postgeld). Einer mißrathenen Kasse darf eine der reichlich gerathenen ihre Wohlthätigkeit beweisen. Als ich anfing lächerlich zu werden, wollte ich dazu zu lachen scheinen, und fuhr — wie man meine Kutschen ins groteske Deutsch übersetzte — mit drei Heuwagen voll Mädchen auf den Ball. Wie Ich geärgert ward, so ärgerte ich einige Töchterbegabte Väter wieder, und bat die weitläuftigen Freier derselben auch zu uns zu Gaste! Und dergleichen, und dergleichen. Denn es ist thöricht, von beschwerlichen, ja gefährlichen Dingen nicht auch den Scherz und die Genugthuung zu erndten! Meine Töchter bekamen den übelsten Stand; sie sollten nicht zu sehr gefällig erscheinen, wie Mädchen aus dem Kinderliede „fünfzehn um ein Stroh[S. 87]seil“; und, wie alle Fehler leicht in ihr Gegentheil umsetzen, gab ich acht, und es gelang mir: daß sie aus Haltung und sehr gemessenem Wesen nicht stolz wurden; wie es einem Vater mit 10 großen Töchtern und einem Sohne in der nahen Stadt L...... ergangen ist, denen eigentlich die vielen barocken Anecdoten zukommen, welche die Sage — nun auch von meinem Hause umherträgt. Sie werden sehen und unterscheiden.

Jetzt sah ich durch das Fenster; Vier Lieutenants kamen geritten. „Jeder auf einem Pferde“ setze ich der Folge wegen hinzu. Der Vater fuhr fort:

In welche seltene Lage hat mich der himmlische Vater hineingesegnet, mich, der ich doch fortwährend meinte: doch endlich einen Sohn in der Ehestandslotterie gewinnen zu müssen; das war mein tragischer Fehler. Da ist mir mein Schicksalstrotz vergolten! Ich leide gerechte Strafe, der ich doch kein Majorat habe, die Niemand mehr Mode machen wird, weil vernünftige, alle ihre Kinder gleichliebende Eltern nicht um Einen Gesegneten die andern so zu sagen verdammen wollen: sich in der Welt herumstoßen zu lassen[S. 88] als allerhand Gethier. Denn Sinecuren, Befehlshaberstellen in aller Welt, käufliche Hauptmanns- und Majorpatente sind wir nicht zu haben so glücklich wie die Engländer. Ich allein kann noch reich heißen; meine Töchter eher arm; soll ich Siebenzehen von ihnen selbst mit dem Blitz erschlagen? Reichthum hilft so schlimm wie nichts: Töchter an Männer zu bringen. Denn von nur 10 schönen Töchtern, deren jede eine Zehntel-, vielleicht eine Fünftelmillion Mitgift erhält, hat mein hochverehrter polnischer Freund, Graf N...., jetzt in D.... erst Eine an Mann gebracht; während Tausend arme Mädchen umher Tausend von Männern im Lande geheirathet haben. Auch Schönheit hilft nicht zur Heirath, möchte ich sagen dürfen. Gute Wirthinnen sein — gar nichts. Angesehene Verwandte haben — gar nichts. Gesundsein — nichts. Selbst Bucklige, Küchenignorantinnen, den Scharfrichter zum Vetter, versorgt Hymen.

Jetzt kamen Vier Herren in Einem Wagen gefahren. „Referendarien“; bemerkte der Vater, und sprach weiter:

In die Bäder — diese vornehmen Gesinde[S. 89]vermiethungs-Märkte — zu fahren mit so vielen Töchtern, wäre rasend! Auf Messen und Jahrmärkte mit den angreifischesten Artikeln, unklug! Auf Bälle Eine oder Zwei, ist fruchtlos. Kein Mädchen ertanzt sich einen Mann. Ja, viele vertanzen sich die Nehmer. Denn schon die jetzigen rasenden Tänze machen die schönsten Gestalten, Gesichter, Kleider — im Schwunge geradezu unsichtbar; alle Grazie weicht vor der Wuth; und nach dem Tanze steht ein keuchendes, pustendes, krebsrothes oder todtenblasses bedauernswürdiges Wesen (das nur die Wiener mit dem Wort Pamperlätschen bezeichnen können), da, von den Herren bedauert, weil es Grazie, Gesundheit, Schaamhaftigkeit durch den privilegirten schaamlosen Ballanzug wegwirft — um einen Mann zu ertanzen. Das soll ein Vater mit anhören und ansehen! Etwa Ich! Meine Töchter tanzen nicht, bis die reizendste Pantomime von der Welt, die Minuett wieder Mode wird, und das schöne Steyerisch, wozu wohl noch die steyrische Mädchentracht gehörte. Und nur nach den vergeblichen Fischzügen und Angelhakenauswerfen und Reißenlegen ängstlicher Eltern, was bleibt noch: als ehrsame, wohlerzogene Mädchen im Hause[S. 90] aufsuchen zu lassen! Aber da müßte man wieder eine große vergißmeinnicht-blaue Tafel auswendig über die Hausthür setzen lassen mit den großen goldenen Worten: „Suchet, so werdet Ihr finden“ (das „Ihr“ ja höflichst mit dem großen I!) „Klopfet an, so wird Euch aufgethan;“ und die Tafel inwendig Abends zum Fortgehn illuminiert: „Vergeßt das Wiederkommen nicht, theuerste Freunde!“

Jetzt, sahen wir, kamen fünf schwarzgekleidete Predigtamtscandidaten jeder auf seinen Füßen gelaufen!

„Sie sehen, sprach er, an Heirathscandidaten fehlt es nicht. Gott, wer Gefühl hat, will nicht heirathen? Jedes Mädchen ist gleich bezaubert und gebannt von dem Wort: Wollen Sie heirathen? Denn in dem Wort steckt Alles, was Jugend und Phantasie nur wünschen und träumen. Erst bei der Frage: Wollen Sie mich heirathen, sehen sie sich „den Mann auf Tod und Leben“ etwas genauer an, und haben den Freier sogleich ganz und gar auf einmal weg auf ewige Zeiten; richtiger, wie ein Wechsler die Wichtigkeit eines Dukaten oder die Aechtheit eines Steines nach drei Tagen Probe. Diese Sicher[S. 91]heit, diese Schärfe eines fast augenblicklich summarischen Urtheils ist die wahre Gottesgabe der Mädchen! So beurtheilt die junge Biene schwebend jede Blume vollkommen wahr für sich. Zuletzt, glaub’ ich, das Wahre getroffen zu haben: mannbare Töchter müssen Eltern weder verbergen noch vorführen, also in anständigem Verkehr bleiben mit der Nachbarschaft, mein Herr Nachbar! Was Niemand sieht noch kennt, kann Niemand liebgewinnen und wählen. Guter Ruf der Eltern empfiehlt die Kinder weit genug umher. Denken Sie aber, wie viel müßten mir Freier kommen, wenn meine deux fois neuf-Mädchen, zweifachen Musen und sechsfachen Grazien schnippisch und kostbar auswählen sollten; mein Herr Nachbar? Wie wohlerzogen und schön müssen sie alle sein, daß sie alle jeden Gekommenen hinreißen — wie Göthes „feuchtes Weib“ den Fischer, mein Herr Nachbar. Ich stelle also aus väterlicher Weisheit den Herren, welche kommen, höchstens Drei, besser Zwei, am richtigsten nur Eine meiner Nereïden vor. Zu viel Liebes verwirrt; jedes Weib ist des Andern Vernichterin, Eine hebt die Andere auf. Einzeln ist jede ein Kleinod. Wie würde etwa Robinson Crusoe[S. 92] schon über die Fräulein Po...... in Berlin oder das berühmte aufsätzige „Kind“ entzückt gewesen sein! Müßte aber vor jedem jungen Manne, der ein Weib nehmen will, der ganze unendliche Zug von Mädchen auf der ganzen Erde in Putz, oder ohne allen Putz, vorüber ziehen — welcher Parademarsch[1] von den hundert Millionen Hindostanerinnen, Perserinnen, Cirkassierinnen, und so aller anderen, in geziemendem anständig langsamem Schritt, der ein Schauen, Lächeln und Zulächeln gestattete, und freilich mehrere höchst angenehm verständerte Monate ausdauern dürfte, — so würde der unglückliche Heirathskandidat, wenn sie alle vorüber marschiert wären, wenigstens wahllos, rathlos und verwirrt geworden sein. So ist eine Bildergallerie eine Bildermords-Anstalt, wo nicht nur einzelne leidliche, reizende Bilder, sondern selbst die besten alle Tage ermordet werden.“

[1] Hiezu erscheint hoffentlich eine Illustration.

Jetzt kam in einer blasenden Extrapost (die ganze Erscheinung für ein von Menschen geschaffenes Thier angesehen und angehört) ein an sei[S. 93]ner Uniform als Postsecretair erkenntlicher, sehr angenehmer junger Mann.

„Meine der Natur nachgemachte List, sprach Herr von Heiligenhahn, hat Früchte getragen; denn wie die vorigen Gäste, so ist auch dieser ein an der Natur, als an schön blühender Venus muscipula Klebengebliebener; kein Freier, sondern ein Nehmer; ein furchtbarer, oft ehrenräuberischer, manchmal sogar tödtlicher Unterschied! Denn die geradezu göttliche Kraft der Weiber: in Einem ihre Welt zu schauen, diese wohlerdachte Eigenschaft: überschwenglich glücklich zu werden, wird auch durch die Maske der Liebe, die ein blos lüsternes, betrügerisches, von der Natur auf den Kauf gemachtes Männchen vornimmt, der Weiber äußerstes Unglück, die dann verstandlos wähnen, gar keines Mannes werth zu sein, wenn ein Betrüger ihrer unwerth war! So unsinnig sind sie aus Herzentzündung!“

Mein Herr Nachbar, der mir, ich wußte nicht wie, eine Respectsperson geworden, schwieg, setzte sich, und eine Falte, die sehr oft seine Stirn gefurcht haben mußte, furchte sich wieder, und tief. Doch lächelte er dabei und schielte un[S. 94]ter den Wimpern tiefsinnig hervor. Seine Reden waren so wahr! Aber daß er so offen solche Hausgeheimnisse redete, die wohl vielen tausend Vätern das Herz bedrücken, das machte mir den Mann unheimlich. Es fiel mir ein, daß er um die Zeit, wo er sein erstes Gut verkaufen müssen, tiefsinnig gewesen sein soll, und dann wieder, als er sein zweites Gut um die Erziehung der Kinder willen — verstoßen. Doch soll sich der Tiefsinn nicht schlimmer als nur dadurch geäußert haben, daß er an seinem Pianoforte die Melodie von „Freut Euch des Lebens“ mit Einem Finger gespielt; oder einige Male Hölty’s schönstes Lied also gesungen:

und weiche keine Meile weit
von Vaters Wegen ab!

Ich besah mir indeß einige Bilder an der Wand dieses Ankleidezimmers und fand unter colorirten Modejournalbildern, worauf Mädchen und Mütter mit kleinen Mädchen und Knaben freilich bejammernswürdig zum Muster gekleidet da standen, wie die neuentdeckte hundertste Art Familienaffen, oder Affenfamilien. Darunter stand die Schrift: „Putzaffen“ und der Vers, angeblich von Logau:

[S. 95]

„Du edles deutsches Weib, wie bist du angethan!
Um andern gleich zu sein, dem Höll’entstiegnen Wahn;
Zerputzt, belappt, beschnürt, der Aeffin gleich gemacht,
Doch als ein menschlich Weib, so schön, mit Recht verlacht;
Der Gute aber weint ob solch verstellter Zier,
Die Dich zur Geckin macht, zum bunten Sclaventhier.“

Unter einem Bilde mit sogenannten Wespentaillen „Weibern,“ stand:

„Schämt Euch, Männer, hier über dies Weib, der Erbärmlichkeit Tochter!
Weint, daß die Herzlose Glück, Güter und Liebe verputzt.
Ist es denn wahr „„Gebt täglich dem Weib: Schmuck! Spitzen und Kleider!
Und nie frägt sie nach Mann, Kinder und Himmel und Gott?““ —
Nein! das ist Lug! Denn kost’ es dem Mann Gut, Ehr’ — Ihr das Leben,
Fragt sie noch dann nach — Hut, Schleier und Hauben und Band!“

Er sah mich lesen und sprach: „Das war ein schwerer Punkt, der Mode trotzen lehren: Achtzehn junge Weiber im Hause! Ich mußte zu[S. 96] den bittersten Räucherungsmitteln greifen: die Wespen zu Tode zu räuchern! Was ist schöner, und den edelsten Marmor-Götterbildern gleicher als ein ohne Bänder aufgewachsenes Mädchen! Von allem das Verführerischeste sind am Weibe die Hüften, und ich beschuldigte alle Wespenweiber offenbarer Verführung zu — dem schwer von einem Vater vor seinen Kindern auszusprechendem Worte — Wollust. Sie erblaßten vor Schaam. Ihre reine Seele war besiegt — das Uebrige that ein Seitenstück zum Bilde eines Trinkermagens, das Bild einer, an der Schnürbrust, elend und schmerzlich gestorbenen Apothekerstochter in S****. Den herzgewinnenden Ausschlag aber geben die Pariser Abgüsse der unvergleichlich schönen griechischen Marmorbilder der Frauen, die dem Bildhauer zur Medizeïschen und der Capitolinischen Venus Modell gestanden — mit vollen Taillen. Jener Nachtwächter hatte Unrecht, die Frauen lassen sich schon etwas sagen, aber nicht mit Worten auf der Gasse, sondern mit reizenden Dingen. Die Sinne der Frauen müssen besiegt sein, dann ist es ihr Verstand. Wir reden das unter uns. Vatersein, Muttersein ist ein Amt, das einzige, höchste,[S. 97] göttliche, und das süßeste, belohnendste! Dieses treu zu erfüllen, bin ich weiter nichts geworden als ein Vater. Ich hoffe aber: eine Schaar Töchter, künftige Gattinnen und künftige Mütter wohl und schön ausarbeiten, wie ein Bildhauer in Fleisch und Geist, das heißt viele Männer glücklich machen, eine Heerschaar weise ins Leben geführter Kinder und Enkel in heiliger Stille säen! Ich habe nur Einen Wunsch: Endlich auf meiner jüngsten Tochter Hochzeit tanz’ ich den Großvatertanz, davon glücklich ermüdet schleich ich zu Bett, und — bin todt. —

In solchen Worten schaute ich keinen Unsinn, keinen eingeschlichenen Gedanken; und wir gingen durch saubere freundliche Arbeitszimmer der Mädchen, worin er mir kurz sagte: „Leibliche Arbeit muß mit geistiger Freude bedeckt werden“, wie den Kameelen ihr saurer Weg durch frohe Schalmei! Darum ist die Zeit gewonnen, nicht verloren, die Eine dazu verwendet, Allen vorzulesen. Was? steht dort im kleinen Bücherschrank.“ —

Das war eine Aufforderung. Aber ich will nicht verrathen, welche Bücher ich dort nicht fand. Es könnte es manche Celebrität übel[S. 98]nehmen. Eins aber sage ich: ich erstaunte, wie viel Kernbücher schon die Deutschen in aller Stille aus freier göttlicher Seele geschrieben haben! Die Deutschen werden mit Völkerrecht auch ihre deutsche Bibel haben, damit es wieder etwas Neues zum Verbieten und zum Verbrennen giebt.

„Wenn ich ein Kaiser oder nur ein König wäre, zu welcher Schule des Lebens wollte ich die jahrelange Versammlung der Jugendblüthe des Volkes machen, welche „Soldaten“ heißt! O Gott, welche Gelegenheiten werden versäumt, auf ewig versäumt; „denn auch die Jahre des Volkes sind gezählt!“ Das sagt’ er stöhnend und auf der Stirn furchte sich seine düstere Falte. Ich fand auch deutsche Journale, wozu er sagte: Fast in jedem Journal stehen schöne, wahre, oft für immer merkwürdige Aufsätze oder Stellen, an welchen die mächtigsten Magen zu verdauen haben. Diese, nämlich die schönsten Stellen aus den jährlichen Journalen, müssen gesammelt und dem Volk als Bücher gegeben werden. Die Weiber, da sie gerade das größte Interesse am öffentlichen Volksleben haben, um nicht im Hause die öffentlichen Sünden zu büßen, oder ihre Söhne und Brüder[S. 99] zuletzt einer Verwirrung zum Opfer zu geben, die Weiber müssen in das Volksleben gezogen werden, um miturtheilen und mit den Männern Stimmung geben zu können; darum muß die Jugend, die heranwachsende Mutterschaft schon Kenntniß erhalten, und ein deutsches edles Weib doch so viel, wie jede Höckerfrau in England! Wo Volksverlangen und Volkswohl ein Geheimniß ist, da wird es auch unsichtbar bleiben. Sela! nicht etwa Amen! Aber wie fällt meine deutsche Jugend über die Wahrsagungen und Prophetenstimmen her! Der morgende Tag, das morgende Brot auf dem Tische ist ihr nicht so wichtig, wie ihre Zukunft auf Erden, in welche sich die vormalige ewige Seligkeit verwandelt hat. Aber kommen Sie in den Musiksaal!“

Darin nun überzählte ich 10 Pianoforte, außer dem Directionsflügel, einer herrlichen „Repetition“ von Breitkopf und Härtel in Leipzig, mit einer Claviatur, elastisch und Händebeflügelnd zur Wonne! von einem Tone, erst in der Ferne recht laut und klar. Mein Schulmeister stimmte nur eine Saite, wie er sagte. Vor Abend, sprach der Vater — denn bei Licht Noten lesen ist bei Cassation den Augen der Meinen ver[S. 100]boten — werden wir Ihnen und den Gästen eine Sonate à quarante quatre mains vortragen. Warum setzt man unserem deutschen Schröder, der durch das Pianoforte die Musik vom Himmel in alle Häuser getragen hat, nicht auch ein Monument! Wem verdanken unsere, als Muster aus jedem Hause zu werfende Pianofortekünstler ihren Ruhm und ihr Gold? Schrödern! Also Ihm als Tantieme ein Conzert von Jedem! dazu legt jeder Pianoforte-Spieler Einen Pfennig — und so ist das Monument erbaut. Ohne Musik kein deutsches Leben mehr. Musik ist unsere halbe Religion, unser Herzenscultus des Himmlischen allen in der Natur. Der Conzertsaal ist der Tempel der Gefühle, wie an jedem Musikherd, dem Pianoforte — diesem hölzernen Engel, und doch einem Engel! Wer hat schon ermessen, welche Ströme Andacht durch die Musik neben der Kirche vorbeifließen! Wer ermißt die Tiefen der Musik ohne Text, der Jeder frei weltprotestantisch sein Herz unterlegen kann und unterlegt; selbst die Ultramontanen und unsere Citramontanen thun das, die gar nicht wissen: wie frei sie die Musik macht, sonst wäre sie[S. 101] längst verboten, und jede Liedertafel wie eine Herzen- und Seelen-Freimaurerloge, auch noch verboten. Aber den Deutschen die Musik zu nehmen, daran scheiterte endlich Alles. Und wie die Musik die Gemüther erhebt! wie Beethoven die Männer stählt und stolz und feuerfest macht, wie Prometheus! Aber vergeblich war der Schwalbe Warnung an die Vögel: den blühenden Lein auszureißen! die Vögel kannten die Stricke und Netze daraus nicht; „die Vögel lachten;“ Gott regiert die Welt durch Wetter und Wind, und auch die Musik ist so ein Wind! jeder kraftreiche seelenvolle Tonsetzer ist sein Untergott. Aber still, daß wir nicht Kaffeeriecher — Tonlauscher bekommen, deren freilich die unmögliche Zahl von ein Paar Millionen zu besolden wären. Auch ein Quartett von Haydn werden wir Ihnen vortragen. Denn selbst Mozart hat aus so kindlich großem Herzen kein Quartett geschrieben: Haydn ist unser tiefer Orpheus und klarer Homer zugleich. Blos den Quartetten Haydn’s verdanke ich den Besitz meines Herzens, und dadurch der ganzen seligen Welt, von Thau und Blume bis Mensch. Mit seinen Adagio’s und Andante’s darin, getraue[S. 102] ich mich einen vollkommnen sittlichen Menschen zu bilden, ohne jedes Buch, ohne alles „Wort“. Denn Worte sind auch nur in Laute übersetzte Gefühle. Bloße sittliche Worte kenne ich aber nicht.

Mein Schulmeister und Lieutenant spielte jetzt den ersten Satz der einzigschönen Sonate Beethovens, Op. 18 aus C moll, während ich die Musikalien musterte, die endlich so bequem aufgestellt waren, daß sie nicht unter den andern aus dem Stoß durften hervorgezogen werden. Welch ein Reichthum, und nur von den schönsten Werken, unserer Meister! Lohn’ Euch Gott, ihr Künstler! betete ich fast; da ich bedachte: der ächte Künstler arbeitet für die ganze Menschheit, für alle folgenden Geschlechter. Wie viele dieser Werke schon in Amerika, in Ostindien, auf den Inseln oft an schönen Tagen und Nächten ihre Blüthe entfalten und duften, so werden sie die Runde um die ganze Erde machen! Ich brach aber die Hände, nun ich hinaus sah, und ahndete: Alle diese Blätter wird einst die Natur wie Baumblätter verwehen, begraben! Das alles wird nicht mehr sein! Ich klagte das laut. Aber Herr von San[S. 103]gallo sprach, das bedeutet uns Freude! Was auch andere Sterne in dem großen chemischen Wetterglase das Welt heißt, des Schönen besitzen: Helena und Homer haben Wir allein! nur Wir haben in aller Welt: die schöne Venus und den Apollon, Göthe und Schiller, selber das Wort „und“ haben wir allein! Das ist auch etwas werth: einzige Schätze besitzen! Und die größten Deutschen werden erst kommen, wir sind berechtigt sie erst zu erwarten; so wie das ganze deutsche Volk, nach den Frühlingsstürmen, in herrlicher Blüthe mit reichlichen Früchten in seinem heiteren ruhigen Herbst! Amen, das heißt: das Werdewahr! —

Durch das Frühstückszimmer gingen wir dann in das Ankleidezimmer. Ich durfte durch eine halb mir geöffnete Thür einen Augenblick in das leere Bad der Nereïden sehen. Dann ladete der Vater mich in einem Cabinet auf ein Sopha zum Sitzen ein; er setzte sich mir gegenüber, zog an einer Schnur, und leis und rasch schwebten wir hinauf — auf seiner früher angedeuteten Treppe, die sich wieder senkte — und landeten gleichsam droben in dem freundlichen Schlafsaal mit den schneeweißen Lagerstellen der Mädchen. Eine[S. 104] kleine, kleine gothische Kirche mit Thürmen, aus Gyps geformt, mit bunten Glasfenstern, nannte der Vater — die Nachtlampe. „Den Schwestern liest Eine aus den neuesten Religionsbüchern vor; dann spielt sie ihre Seelen durch die schändlich im Volke vergessene Glasharmonika in den Schlaf. Früh erweckt sie sie so, und liest ihnen und sich dann Leben und Tag überschauend, weihende Worte.“ Unter den „neuen“ Büchern fand ich Astronomische und auserlesene Poesien. Nur Eins hat mir Mühe gemacht, sprach er lachend: das Frühaufstehn! Ich mußte zu dem verzweifelten Mittel greifen, am hellen Morgen den Nachtwächter vor dem Fenster der süß und fest schlafenden Mädchen ein Horn blasen und singen zu lassen. Das war wohl Schande! Doch nur in der Meinung der Verschlafenen. Der Nachtwächter aber wußte von mir nicht anders, als er solle mir den Haushund gewöhnen, daß er über sein Horn nicht heule; welche Abgewöhnung ich nicht in der Nacht vornehmen wolle. Ein Hauptfehler wäre: Kindern durch Ausplaudern ihrer kurzen vergänglichen Fehler, Schande oder Nachrede auf Lebenszeit zu machen! Der Fehler wird verbessert, selber die Kinder und[S. 105] Eltern vergessen ihn. Aber Nachrede bleibt. Die Sache mit dem Nachtwächter ist wahr; aber von einem Andern auf mich, als eisernen Erzieher übertragen ist die Begebenheit: Ich hätte meine stets unvorsichtige und ungeduldige große Tochter Armida in kurzer Zeit von Ungeduld und Unvorsichtigkeit dadurch kurirt, daß ich ihr für ein Tag und Nacht im Busen ausgebrütetes Ei 100 Louisd’or gegeben. Was hilft, ist ein Mittel; und es sieht mir ähnlich! Denn Vorsichtigkeit und Geduld einer Frau sind wohl Goldes werth, und mit 100 Louisd’or durchaus nicht zu theuer bezahlt!

Darauf führte er mich in die Kinderschatzkammer — in das grüne Gewölbe der Jugend, wie er sagte. Aber eine weiße Gestalt war uns leise nachgekommen, nur von mir bemerkt. Sie blieb in der Thür stehen, erröthete vor mir und schlug die Augen nieder. Das war wohl lieblich! Ich erkannte Arminia! Mir klopfte das Herz auf. Ihr gewiß auch. Aber wer anders war da sie zu retten bei ihr in der Noth, als Ich? Denn die letzte Schwester war, verzweifelnd an ihrer Auferstehung, zum Vater gekommen. Wer müßte der sein, der ihr[S. 106] nicht geholfen! Ich fühlte: wie heimlich vertraut wir einander geworden waren und blieben. Sie that keinen Schritt; sie blieb stumm. Und der Vater forderte mich auf zu sehen: die vielen kleinen Jahresschuhe der Kinder! unter durchsichtigen Florstaubschleier. Das war wohl liebliche Waare! Dann eben so die schneeweißen kleinen Strümpfchen, wie für Lämmchen; dann die kleinen Kinderhäubchen alle; rosig, himmelblau, grasgrün, golden — und die Schneeweißchen, Tauf- oder Westerhemdchen mit Spitzen. Lieblich! — Dann mußte ich die Reihe Puppen sehen, zerspielt, mit ernsten Gesichtchen: jede ihren Namen aus dem Kinderparadiese, großgeschrieben in der ausgestreckten steifen Hand! — Hier, das erste Gestricke der Kleinen! Dort das erste gesponnene Garn, vom Vater Katzengarn genannt. Und von der Decke hingen die Christbäume alle, jeder mit seiner Jahrzahl, vertrocknet, fast nadellos; die paar Nadeln daran gelb und braun, wie Haare in einer Gruft! Auf den Zweigen noch die Enden der Wachstocklichtchen, die goldenen und bunten Rosen, und die Zuckermännchen und Weibchen. — Dann wieder die ausgestopften Vögel, die einstige Freude der Kinder:[S. 107] Rothkehlchen!... Zeisig!... Staar!... Kanarienvogel! Dabei ein Lämmchen, ein kleines Hündchen, ein Eichhörnchen. Das war wohl lieblich! Mir war so, als wäre ich in den Himmel gekommen, in das Zimmer, worin der Kindervater seinen unsterblichen Vorrath hat, und daraus immer den Menschenkindern herabfliegen, herabbringen läßt, was ihnen Freude macht. Aber da lagen noch im Sonnenschimmer auf blauer Seide gebettet, unter hellen Glasglocken, die Kinderhärchen! Das war wohl lieblich! Rings umher aus den goldenen Rahmen aber sahen noch die Bilder der Kleinen lächelnd in ihre Kindertage! Und so stand auch der Vater, der jetzt Arminia erblickte und sie zu uns winkte. Sie kam. Der Kukuk rief wieder — dieser Schutzheilige, Allgegenwärtige in den Frühlingen der Jugend und des Alters, der Vogel der Hoffnung und der Erinnerung — und erweckte uns die Gefühle von gestern.

Sie stand vor uns. Aber nicht etwa ein Lächeln war unter ihrem Gesicht verborgen. Und der Vater sprach:... Und Tochter, Du dankst nicht unserem Freunde?

Ihre Glieder regten sich zu einer Bewegung,[S. 108] die gleichsam im Keime, im Hervorbrechen erstickte. Doch reichte sie mir die Hand und bemühte sich mir in die Augen zu sehen.

Das ist schon mein Weib! sprach meine Seele heimlich jauchzend zu mir.

Der Vater aber entschuldigte sie mit den Worten: die Begrabene fühlte sich, wie alle ihres Gleichen, durch den Todesschlaf der Angst überhoben, die wir alle um sie trugen — nun fühlt sie unsere Angst nach!

Sie lehnte sich an den Vater: sie küßte Ihn — ein himmlisches Zeichen zu Gunsten meiner — dann bat sie ihn zu Tisch zu kommen, wo mich und ihn die Anderen schon lange erwarteten.

Ist der alte General da? fragte er.

Auch; antwortete sie, sich die Lippe beißend; und Herr von Stifter mit seiner Frau und den vier Söhnen? Sie verneigte sich ganz erblaßt und ging. Er sah ihr nach und meinte dann: Wie gern seh’ ich meine Tochter noch in ihrem Frieden, so noch ungedungen! unbezwungen von Augen und Herz und eigener Himmelsgewalt. Aber ich muß des Nordlichtes schon gedenken, das bald in ihre Blüthen, auf ihre Früchte, in ihre Nächte fällt.

[S. 109]

Aus allem diesem nahm ich ab, ich solle abnehmen: daß sicher noch Niemand Anwartschaft auf Arminia habe. Ich blickte zur Sonne, um mich zu stärken, mit Muth zu erfüllen, indem ich mir an ihrer Ewigkeit alles zu Traum verschweben lassen wollte, nur Arminia eben nicht! Dann sprach ich wahrscheinlich — denn ich hörte nichts von meinen Worten —:

Geben Sie mir dies Mädchen zum Weibe!

Kurz darauf setzte ich hinzu: Gestern, als sie begraben war, hätten sie mir sie gegönnt!

Er lächelte, als dächt’ er: heute lebt sie; dann antwortete er mir: Herkömmlich ist es, sich für die Ehre zu bedanken.... die ich nicht begreife. Sie scheinen zu lieben; das würde Ihr Glück sein, wenn ihre Liebe — — Liebe ist; (mir fehlt ein Gleichniß, ein Beiwort, denn der Liebe gleicht Nichts). Prüfen Sie sich. Daß Sie aber meine Tochter von mir, dem Vater, verlangen, bei mir um sie anhalten, das erlaubt drei Antworten auf drei Voraussetzungen. Eine, die: Ich sitze, wie ein Mann in der Bude, überhäuft von Waare. Ich muß losschlagen — mit Schaden —; und meine Töchter sind so wohlerzogen, so dankbar und mir so gehorsam,[S. 110] daß Ich nur ja sagen darf. Aber meinetwegen in allen Dingen, nur in der Liebe keinen Gehorsam! Das heißt mit der Liebe. Das ist ja eben die bittere Erfahrung, die jetzt viele Tausende machen: die Liebe läßt sich nicht befehlen; nur das, mit Zwang ja mit Abscheu „Thun“ — zur Noth. So aber meint der reiche alte General — der gestern um meine Arminia angehalten hat, und heute kommt, mein Jawort zu holen. Hier ist ein Brief. Er ist wahrscheinlich kein Frommer, der sich auch den Glauben und das Beten hat zum Schein befehlen lassen, und denkt: Ich und Er werden mit dem Schein, also mit der Heuchelei zufrieden sein, weil er hochgestellt und reich ist. Ich werde nach Tisch ihm die Antwort schriftlich zusagen, und Sie sollen die Antwort concipiren! Auf gleiche Bedürfnisse schließt man weltliche Bündnisse, und Verträge mit Denen, die gegen unsere Bedürfnisse fanatisch denken und handeln. Also muß der Brief ein Concordat mit ihm sein. Das wirksame Gefühl dazu geben Ihnen etwa die Sätze: Alle goldenen Schätze und Kreuze, ja Kronen eines Alten, wiegen nicht die jungen Jahre eines Mädchens auf. Das[S. 111] ärmste Bauermädchen, das den alten uns bekannten Dalailama heirathete, wäre schändlich um das betrogen, was die ganze Welt Einem nur einmal zu geben hat, um die Jahre, das Leben! Der Werth der jungen Jahre ist unermeßlich! Dagegen ist aller Reichthum der Reichen nichts, gar nichts; aller Rang und Stand der Berangten ist dagegen nichts, gar nichts. Denn die Jahre sind die einzigen Gaben der Welt an Jeden, sein eigener schönster und höchster Besitz, die Blüthe der Zeit, die Frucht der Ewigkeit. O möchten doch alle vermeintlich armen Mädchen einsehen, was sie besitzen mit ihrer Jugend! Aber die Unschuld nur giebt uns Achtung vor uns selbst und Werthgefühl unserer selbst, jeden Haares an unserem heiligen Leibe, heiliger, als Reste von Todtenknochen, und wenn Gott selbst der Todte wäre! Ein Alter, der ein junges Mädchen liebt, wie er seine Anfechtungen nennt, hat den Weltverstand verloren und meint, was ihm tausend Fälle bestätigen: die Mädchen denken: „lieber äußerlich glücklich, als doch nicht innerlich! Lieber Pein und Strafe, als Leere! Lieber schlecht und kurz geheirathet, als gar nicht.“ Solchen Unverstand müssen Eltern[S. 112] mit Gewalt brechen. Stellen Sie sich vor, junger Mann und hoffentlicher Herr Schwiegersohn: eine alte Frau will Sie zum Manne haben; und mit der Erbitterung gegen diese ehrwürdige Dame, verfassen Sie dem alten reichen hohen Herrn den Absagebrief, aber so artig, als wenn die Begehrte — Arminia wäre.“

Ich versicherte meinen ganzen Kopf und mein ganzes Herz auf den Brief zu verwenden.

Die Zweite Antwort für Sie wäre: Sie ahnden und ehren den Verlust, den ein Vater leidet, wenn er ein Kind hingeben soll! Die gediehene Fruchtpalme seiner Sorge und Mühe, seine als holde Lebendige auferstandene Lehre, Liebe und Treue, einen Hauptgewinn seines Lebens — da Sie dem alten Stamme die grünen Zweige abhauen, daß er kahl und leer stehen soll, bis er eingeht. Mögen Sie dafür einst mit der freudigen Wehmuth belohnt werden: dem heiligen Gange der Welt sich hoffnungsvoll zu fügen. Eine Tochter glaubt man wegzugeben, zu verlieren — ein Sohn scheint etwas zu nehmen, zu gewinnen — eine Frau. Aber beide sind verloren; doch wenn die Kinder gewinnen, dann werden gute Eltern reich.[S. 113] Dr. Troxler hat mich versichert, meine Herren Schwiegersöhne würden fast lauter Söhne haben. Der Familientypus, der Mensch bleibt: „Mädchen und Knaben sind nur Revers und Avers derselben Goldmünze der „Geister-Falschmünzerei““ — spricht unser Nachbar von Stifter darein; weil seine gute Frau, die bei ihm zum bleichen Gespenst sich verzehrt hat, ihm gar keine Kinder gebracht; und seine Verwandten ihn verhindern, daß auch nur Einer seiner Nebensöhne legitimiert werde, um sein nicht fern von hier liegendes großes Majorat zu erben. Deswegen ist er schon bei Lebenszeit nach Ostfrei gezogen, das seiner Frau verschrieben ist. Sie werden die Unglückliche sehen, die so gut ist, wie ein homerisches Weib, das seines Mannes natürliche Kinder mit solcher Liebe und Eifersucht, und solchem Neid und Gram erzogen, daß sie bald zu den Schatten steigen wird. Und stellen Sie sich vor, diese Unglückliche wird in weitem Kreise hiehin und dahin als wunderthätiges Bild geholt! — eingeladen von Frauen schon oder noch wankender Greluchons. Und ihr Anblick, ihr Schweigen, ihre himmlische Geduld, ein leichtentschlüpftes Wort, ihr widerwilliges leises tiefes Aufath[S. 114]men, das ein Seufzen oder Gebet schien, hat nach ihrem Abschied die verstocktesten, verblendetsten Männer ihren Frauen zu Füßen geworfen.

Trotz meiner Rührung freute ich mich; denn welchem Schwiegersohne kann man eine einschneidendere Warnung geben, als er that; und noch mehr dadurch, daß er mich darauf bei Tisch der wie vom Tode erstandenen blassen armen Frau gegenüber setzte, von der ich schon bei meinem heutigen ersten Besuch vor Jammer fast übereilt geschieden war. Er zahlte mir also schon Gold „auf den Schwiegersohn“ aus!

„Meine dritte Antwort an Sie wäre, fuhr er fort: Sie haben den weisen Vorsatz: Du mußt dir die Liebe der Geliebten gewinnen. Ohne zu lieben heirathen, ein dich nicht liebendes Weib nehmen, ist Todsünde, weil es nicht das wahre göttliche Leben bringt. Liebe ist ja die ganze Sache dabei. Mit Begeisterung muß alles geschehen. Die Begeisterung ist alles selbst. Ob einander Liebende dann verstehen die Liebe zu erhalten, das ist ein Anderes. Darum ist ein Herrnhutisches Losen und Gelost werden die Austreibung — des höchsten Wesens! Darum ist Weibergemeinschaft:[S. 115] Erniedrigung unter den Elephanten! Nur Jüngling und Mädchen lieben einander mit der Liebe, die einzig den Namen Liebe verdient! Sie nur macht Weib und Mann glücklich, glücklich die Kinder. Nur unter Weib, Mann und Kindern ist Liebe — gegen Andere alle ist nur: Agape, und von ihnen ist auch nur Agape zu verlangen, Anderen wohlzuwollen, wie sie uns; aber Niemand kann sich selber lieben, also auch nicht alle Anderen. Aber alle Anderen lieben sich untereinander, aber alle nur als Mann und Weib und Kinder. Und das thut der Eisbär! Das, die Vögel alle in allen Nestern! Das, die Blumen und Blüthen alle! — Das ist der Geist der Welt und ist das, was man sonst die Seligkeit nannte, aber was sie allein überall wirklich und ewig ist. Andere sollte man nur agapiren wie sich — aber alle Liebende lieben den geliebten Anderen mehr wie sich! Die Schlange läßt das Leben für ihre Kleinen! Die Menschenmutter stirbt für ihre Kinder — und mit Freuden! mit Freuden! Glücklicher kann der Geist der Welt in keiner Gestalt werden. Ich wünsche meine Tochter glücklich. „Darum, heißt[S. 116] es, soll Dich die Tochter lieben; wenn der Vater, als Hausverstand sie Dir geben soll! Zwinge sie also dazu dadurch, daß Du ein Mann bist, durch alles was und wie Du da bist und was Du hast. Denn das alles eben bist Du. Nur hüte Dich, daß die Geliebte nicht blos Deine Liebe liebt, und sich Dir aus Rührung, Eitelkeit, Mitleid oder Weiblichkeit nur ergiebt. Ihre Liebe muß nach Dir heimlich weinen!“ — Aber zu dem allen spreche ich, und gebe Ihnen ein Zeichen: Wenn Arminia zögert und ihr Jawort zu geben hinausschiebt, dann gerade liebt sie Sie. Denn jedes Haus und jedes Herz hat seine eigene Religion! Ich werde ihr von Ihrem gottseligen Vorhaben sagen, und wenn sie bei Tische nicht ißt — dann trinken Sie auf meine Gesundheit! —“

VIII.
Verwickelungen.

.... Und ich konnte trinken! darüber trank mir wieder der schon innerliche Schwiegervater[S. 117] zu. Die Mittagstafel war aber zugleich Verlobungsfest der Afanasia mit dem Postsecretair Rheingraf, einem allerliebsten jungen feingebildeten mit Sprachen und Wissenschaften reich versehenem Adligen, der sich der Einpferchung und Einstellung zum Schwiegersohn seines, an schönen und guten Töchtern, so wie an Gelde reichen Postmeisters, heimlich und glücklich entzogen hatte.

Eine Verlobung erregt anderer Mädchen Herzen, erweicht sie, zieht sie an, und macht sie handgiebig. Besonders wenn eine Schwester des Hauses Braut ist, oder gar geheirathet hat, dann sind alle leichter zu erwerben. Denn ein leiser Neid erweckt mit Recht ein Begehren nach den göttlichen Dingen. So auch hatten die Herren Referendarien, Candidaten und Offiziere heute das Leben sehr süß und hoffnungsreich! Aber da ich ihnen, durch Vater und Tochter gewiß schon als künftiger siebenzehnfacher Schwager im Herzen lebte, so war doch auf keinem der schönen Gesichter ein Zug des Neides, ein Zürnen über Zurücksetzung wahrzunehmen. Wie schön, dacht’ ich, auch, wann — Schwestern, ein Haus voll, so einträchtiglich und gön[S. 118]nend bei einander wohnen! Was für Arbeit und Mühe, Pflege und Lehren des Vaters und der Mutter stecken doch in Kindern, wie in einem Nelkenflor der Gärtner steckt. Nur unsere Brigitte aß auch nicht, sondern sah ihre Freundin Arminia mit den allerzärtlichsten, ja wirklich liebebeladenen Blicken an. Sie bewunderte sie; sie erblaßte und erröthete vor ihr, daß ich nicht wagte, das arme Häschen anzusehen. Aber wie zärtlich streichelte sie auch den sammtenen Kopf meines Hundes, der als ein stummer, aber gewiß tiefaufmerksamer Beobachter und Kundiger der Seele seines Herrn neben Brigitten saß! Versteht sich, auf der Erde. Der Psycholog! Der Herzenkenner! Konnte mir nicht eine Stimme vom Himmel damals zuflüstern, was später einmal der Weiberkenner Herr von Stifter mir sagte: „Liebende Weiber lieben alles, was ihr Geliebter liebt, sogar seine Geliebte. Sie allein finden den Weg: sich selber quasi zu lieben! Ja, im Morgenlande finden Männer-schwärmerisch-liebende Frauen zuletzt jedes schöne Weib zum Anbeten schön!“ — Mir geschah nur, daß ich einen Augenblick denken mußte: „wenn Du Brigitten so aus dem Grabe gezogen!“ —[S. 119] Darüber mußte ich wenigstens mit dem Stuhle rücken, um nicht gar aufzustehen. Da erblickte ich mir gegenüber die blasse unglückliche Frau von Stifter, und ich war vollständig retabliert. Fast ein jeder Bräutigam soll noch in der Entscheidungsstunde einen solchen Abschiedsanfall haben, wo ihm alles geschauete Schöne und Liebe noch einmal — zur Prüfung — vor Augen erscheint. Dann macht die Phantasie ihr Bilderbuch zu, und die ernste Liebe tritt heran. Denn die Liebe, sie, die allein wahre, die alles Leben hervorbringende, alles berauschende Glut aller Welt, ist das ernsteste und lebensgefährlichste Wesen zugleich. Verwandelt, zersetzt, zerstört und nur leise gekränkt, ist sie Gift und Tod, wie kein anderes Schrecken. Arminien betrafen meine Augen auf einem langen finstern wie recht zürnendem Blick nach mir. — Das lobte mir Herr von Stifter, der heimlich mich gern rasch zur Verheirathung mit Arminien drängen wollte, mit den Worten: „Finstere Mädchen, lohende Herzen. Heiter lachende Mädchen machen finstere Männer. Ich möchte wohl wissen, worauf die Finstern so zürnen? Denn es ist[S. 120] keine Verstellung. Ich glaube, wenn ihnen ein Mann verkündigt wird, das ist kein Scherz!“

„Gewiß nicht“ sprach seine Frau gegenüber in ihrer Rede mit dem Nachbar, und Herr von Stifter ward über das unwillkührliche Orakelwort finster und stumm. Weil man ihn Barnabas Habakuk Gallus getauft hatte, deswegen war er ein Todfeind von Kalendernamen und hatte seinen Söhnen, nach Art der Alten, bedeutende und mahnende, nicht zu Tode abgetragene Namen gegeben, die ich über Tische im Gespräch von ihm nennen hörte: Ehrenfest, Wohlgemuth, Fürchtenichts, Freimund. Wie wohlthätig wären auch zeitlebens sie erinnernde Namen, sagte er, statt hohler unverständlicher, nichtssagender, heiliger, weil sie alte Schafe schon getragen haben; jeder besondere Mensch ist seinen eigenen Namen werth. Doch still! Wo bliebe sonst das Brigittenfest etc.! Doch ernstlich, auch vom Kalender müssen wir uns emancipiren, besonders von Krebs, Scorpion; Zusammenkunft, Drachenkopf und Drachenschwanz, Erdfinsternissen; denn die Sonne wird nicht finster, und von den Schaltjahren! Ich sehe, Sie freuen sich über meine Söhne, die einen König freuen[S. 121] würden, die armen Menschen! Bei den abscheulichen unchristlichen Türken wären sie nach ihrem Gesetz Menschen, wahre Söhne, Erben — ehrliche Leute! bei uns über alle Türken bis zum Himmel erhabenen künftigen Seligen, gilt ihre Sohnschaft und meine Vaterschaft — nichts. Welche Schande für alle Götter, selbst für die als albern bekannte Erde! die Türken ehren und achten jeder Mutter Kind dem andern gleich; jedes Frauenzimmer ist also bei ihnen in der Hauptsache emancipiert, und die ärmste Schöne kann Kaiserin werden, und Mutter sein mit Ehren und mit Gerechtigkeit. Dort ist, Gott sei Dank, kein unschuldiges Kind, kein Fehlender mit dem Fehler verachtet.

Jetzt wurden Gesundheiten getrunken und wir alle sammt und sonders auf Sonntag über acht Tage zu Afanasia’s Hochzeit geladen.

Mit einem eintretenden Bedienten war Arminias Reh mit hereingekommen, und wollte den Braut-Strauß von Afanasias Busen sich kapern, aber er war zu fest, dagegen erwischt’ es Arminias Strauß. So ein Thier! Sie ließ ihm die Blätter, da es die Blumen zer[S. 122]rupft hatte. Das war ein Characterzug, den ich mir merkte.

Meine rechtschaffene Mutter zog eine traurige Miene zu dem Orakel. Wir hatten sehr lange getafelt, und als wir im Begriff waren aufzustehen, meldete der Bediente dem Verlobungsvater, den Herrn von Rizzi. So blieben wir noch an der splendiden Tafel sitzen. Denn mein gewünschter Schwiegervater sprach: Ach, mein eigener, oder mein Stroh-, Hafer- und Heufreund, der redliche liebe Postmeister vom alten Geschlecht der Rizzi!

Der lange hagere feingebildete Mann trat ein und überschaute sein Unglück.

Wahrscheinlich in seiner letzten Angst hieher nachgefahren, um noch geheim ein Wort an seinen Rheingraf zu verlieren, hatte er sich hinter das Heu versteckt, das er zu handeln kam; und wohl empfangen als gütiger braver Mann und Duzbruder aller Welt, mußte er sich jetzt der Fräulein Afanasia als eines Rheingrafens verlobter Braut vorstellen.... sich mit seinen fünf Töchtern zur Hochzeit einladen lassen, und des „überraschendrasch“ verlobten Brautpaares Gesundheit in, ihm wahrscheinlich wie pures bloßes[S. 123] Wasser oder bittere Tisane schmeckenden Champagner trinken. Denn mein Nachbar von Stifter machte mich aufmerksam, daß dem Herrn von Rizzi dabei die Thränen im Auge standen und hatte die Worte gehört, die er beim Niedersetzen dem Brautvater zugemurmelt: Dir kann niemand etwas verdenken! Du hast angeborene vielfache Vorrechte vor uns allen. Du bleibst dennoch uns andern Vätern allen der liebe Leidenstrost, die lebendige Altar- und Taufstein-Hoffnung! Meine Paar Rizzi’s werde ich vor meiner Ruhe schon noch an Folgende anbringen. Denn hoffentlich wirst Du nun deinen Rheingraf poussiren; ich gratulire Dir also von Herzen! denn eines rechtschaffenen Vaters Noth ist groß, die fahren sechs Beiwagen nicht!

Darauf trank er ein „Hurrah“ dem Rheingrafen, Herrn von Postmeister! — wie er sich in seiner sich sedimentirenden Verlegenheit noch versprach, statt dem Postmeister, Herrn von Rheingraf.

Aber — kein Hurrah im gebildeten Europa! sagte höflich der tapfere bildschöne Offizier von P....., nachdem Herr von Rheingraf sich für die Gesundheit bedankt; Hurrah ist von Praga[S. 124] und Suwaroff her, ein garstiges russisches Wort! Hurrah ist auch ganz unverständlich, ja eine zu freimüthe Assonanz, ganz unaussprechbar vor manchem „hohen Balkone,“ wie Schiller sagt. Dieses schnarrende, trommelnde Wort ist das offenbar allein unedle von unserem ganzen Soldatenleben. Ich bin kein Sprach- sondern Herzens-Purist! Wir Deutschen haben ja unser schönes Glück auf; oder klingt das zu unterirdisch, oder wie der Wunsch: Glück aus, so haben wir das: Glück zu: oder das „Heil“; gewiß aber immer das schöne „Lebe hoch“ — hoch, hoch in allen Lüften! was — Viele so Vielen wünschen. Aus wohlmeinendem Scherz tranken nun alle dem Herrn von Rizzi ein Glück zu.... (zu was, das ward nur angedeutet) und noch Eins und zum dritten und letzten Mal Eins, dem ganzen Geschlecht der Rizzi; wofür er sich, als aus Italien stammend, aber der Italienischen Sprache vergessen, sich für uns zur innerlichen Freude überaus feierlich bedankte.

Der gute Vater weinte aber, da er seinen einzigen unvergeßlichen Sohn verloren, und wir küßten ihn ruhig.

Nach aufgehobener Tafel zerstreuten wir uns[S. 125] in den Garten, und das junge Volk entwickelte und sonderte sich allmälig in Paare und entfernte sich im Gespräch. Aber alle wandelten wir übersehbar im Schatten der Bäume; und auf dem weiten Wege im Kreise begegneten Alle in kleineren und größeren Zwischenräumen Allen. Das nannte Herr von Stifter eine große Liebespolonaise. So war ich zuletzt mit Brigitten und Arminien allein stehen geblieben. Die Freundinnen führten sich jetzt, so daß ich bald dieser, bald jener zur Seite gehen mußte. Als wir aber zu den beiden jungfräulichen Wittwen, zu Antonien und Augusten gekommen, die, ihre verlobte Schwester Afanasia in der Mitte, im heimlichen Gespräch auf einer Gartenbank saßen, und leise Brigitten winkten, beurlaubte sie sich von mir; die drei Schwestern standen auf und alle Vier gingen weit hinter nach dem Gartenpförtchen. Der Bräutigam wollte ihnen folgen, aber Afanasia bat ihn zu bleiben.

Ihre Stimme klang wie eine Geisterstimme, sprach ich zu Arminia. Eine so betretene Braut habe ich kaum gesehen! Wenn sie über Tisch ihren Bräutigam anblickte, verwandelte sich ihre Farbe in Blässe. Daß Antonie, daß Auguste[S. 126] heute aus Erinnerung ihres Glückes, oder — verzeihen Sie — ihrer todten Männer, zu keiner Freude kamen, oder vielmehr erst recht in Trauer versanken, das finde ich so wahr und treu und lieb, daß es mich selbst innig gerührt. Aber Afanasia — — doch ich habe kein Recht zu fragen und wünschte es so — so — so über alles in der Welt, denn nur ein....., ach, kann es mir geben!

Wer? fragte Arminia.

Und auch ich mußte es ihr sagen: ein Engel, eine Göttin, meine Göttin.

Und sie freute sich ächtweiblich. Und warum soll ein schönes Mädchen nicht auch hören, was sie ist! Denn der tiefsten Wahrheit gemäß, ist ihre Gestalt ja eben nicht erst so lange vom Himmel, ist auf Erden das Schönste — und bleibt nicht so lange, wie ja die Sonne weiß. Auch flüsterte mir Herr von Stifter bei Tische ins Ohr: „Es ist doch von Dalailama und allen Petern unläugbar: Kein Mann von allen möchte einen Geist heirathen! Kein Geistlicher selbst! Säßen diese schönen Jungfrauen hier alle als Geister — hui, wie nähmen die Herren alle Extrapost und Courierpferde bei Nacht[S. 127] und Nebel, kämen nie wieder, verwünschten das Schloß und sprächen: darinnen spuckt es! Also was zu beweisen war, also heirathen alle Männer: Leiber, wo möglich mit Geist, aber wenn nur mit Liebe, vor allem gern schöne Leiber, und solche, die Weiber heißen und sind.“ — Darauf ließ er mich die schönen Mädchen alle bewundern, besonders Brigitten und Arminien, wozu ich schon vom Himmel am Probegrabe Gelegenheit gehabt.

Gelegenheit, Miteinanderalleinsein und gepreßtes gedecktes Gespräch also thaten auch an mir das Wunder, dem Herzen Sprache zu geben. Wie ich weiter an den Engel und die Göttin anknüpfte, was ich weiter stammelte oder ausströmte — ich weiß es nicht mehr — denn ich bin kein Göthe, der sich selbst und sein lebendiges Präparat der Liebe behorcht, wie ein Tonsetzer vor dem Instrument, um Studien zu machen. Ich, war hingerissen! Das Ergebniß meiner Worte war die Antwort von Arminia: In sechs Wochen nach meiner dritten Schwester Afanasia Hochzeit bereiten Sie sich auf meine Entscheidung. Bis dahin gebe ich Ihnen alle mögliche Hoffnung, selber schon das Jot vom a,[S. 128] so daß Sie nur noch das kleine a zu der ganzen A...rmini...a zu erwarten haben.

Wir standen zufällig vor dem Beet, wo sie in der Erde gelegen. Sie erröthete, verneigte sich mit gesenktem Gesicht, wandte sich rasch und ging zum Vater. Und ich sah ihr nach, sah sie hingehen, mit welcher Bezauberung von ihrer Gestalt, ja Erstaunen vor ihrem „in der Welt sein!“ Mit welchem Entzücken der Ahndung, solch ein Wesen, das so gewöhnlich „ein Weib“ heißt, zu — besitzen. O welche Göttinnen schlafen und schliefen schon alle im Himmelblau! Nun sind sie hier, sie sind da — und in Einer sind alle dein. — Das mußt’ ich der Sonne sagen, und sagt’ es ihr leise hinauf. Aber sie schwieg.

Da trat Brigitte wieder vor mich hin, und lächelte mich an. Ich fragte sie nicht, sie gestand mir nichts. Sie fragte nicht, ich gestand ihr nichts, aber sie sah mich so wehmüthig an. Jetzt ging ich mit ihr zu dem offenstehenden Gartenpförtchen. Eine schwarzeiserne Thür in weißem Marmor. Drüber auf himmelblauer Marmortafel mit goldenen Buchstaben:

Hier bist du hinausgegangen —
Wann kommst du hier wieder herein?

[S. 129]

Ich erfuhr aber nichts, als das sei das Ende eines Liedes. Und sie sang mir die Melodie. Sie stammt aus Rom vom Capitol, und ist uralt, sagte sie dazu. Ich mußte nur rathen, daß die Männer der beiden jungen Weiber zu demselben Gartenpförtchen hinausgegangen und nicht wieder hereingekommen waren, aus Ursachen, die am Ende allen bevorstehen, vielen zu Anfang und in der Mitte; nicht nach irgend einem Unglücks-Gesetz, sondern nach dem alle Augenblicke neuem Ergebniß aller Himmelskräfte — nach dem Wetter der Welt.

Den Sonnenuntergang feierten die Töchter durch Musik, die große Sonate zu 44 Händen. Der Vater entschuldigte zuvor die nur hinreichende Fertigkeit, da sie keine Virtuosen wären, die alle nur aus Eitelkeit oder Gewinnsucht reisten, als musikalische Riesen. Alle Hauswesen, alle Gefühle würden zerrüttet, wenn alle sich so aufblasen wollten wie Frösche um den — morgenländischen Dreschern zu gleichen. (Auch den Sängern soll man nicht den Mund verbinden.) Zuletzt sangen sie die Nänie von Schiller „Auch das Schöne muß sterben“, dies allerhöchste und schönste Gedicht der Welt, dieser[S. 130] unendlichen und unermeßlichen Elegie, und Göthes eben so schöne als traurige Antwort darauf:

Warum bin ich vergänglich, o Zeus? so fragte die Schönheit,
Macht’ ich doch (sagte der Gott) nur das Vergängliche schön.
Und die Liebe, die Blumen, der Thau und die Jugend vernahmen’s,
Alle gingen sie weg, weinend von Jupiters Thron.
Leben muß man und lieben; es endet Leben und Liebe,
Schnittest du, Parze, doch nur beiden die Fäden zugleich.

Hören Sie, der Vater läßt Ihnen allen vorsingen: „Geschwind zugegriffen! Sie können es! sprach Herr von Stifter und sagte dazu: Sonst hielt ich ein schönes Weib auf einem schönen Pferde für alles Schönste vereinigt, was es geben kann überall. Heute erfahre ich: Schöner Gesang aus schöner Frauen Munde, die die Seele der Welt auszuhauchen scheinen — das ist das Befriedigendste! Dabei, danach rührt sich kein Wunsch. Auf solche Klage giebt es keine Klage! Ich bin kein Mensch mehr; ich glaube, wenn mich Jemand schnitte, ich blutete[S. 131] nicht, oder ich sänke aus dem Kahn in den See, und rührte keine Hand zu meiner Rettung. — Kommt essen, rief er auf einmal laut, daß man wieder zum Menschen wird, der Steuern und Gaben bezahlen muß!

Nach dem Essen fuhren wir Westfreien spät im Mondenglanz nach Hause. Wir schwiegen zu Anfang; keiner wollte den Schein haben, das Haus zu bereden, oder die Fremden. Aber endlich brach denn doch die Frau Pastor aus und sprach: Stecken uns die Fische an? So stumm sein, nach so viel Geschautem und Gehörtem ist doch unmenschlich. Es ist zu natürlich, daß alle aus einer Gesellschaft nach Hause Gehenden, das Haus, die Speise und Getränke, die Bedienung, den Koch, das Geschirr bei Veranlassung des kleinsten Fehlers bereden, aus Besserwissen oder Besserhaben oder Besserwünschen tadeln; die Heuchler aber alles in Bedauern einkleiden. Dann kommen die Herren und Frauen Gäste daran, welche unter der Maske redlicher Theilnahme wieder bedauert werden. Dann scheidet eine Gesellschaft, eine Familie unterwegs von der anderen, und nun beredet jede besonders wieder die Anderen nach gehöriger Entfernung. So[S. 132] mögen auch wir jetzt beredet werden, denn mir klangen die Ohren, und wie!

Wohl nur von der Zugluft auf dem See; sprach ich, wie allen nach Hause Gehenden leicht nach der Erhitzung durch Zimmer, Getränk und Gespräch. Oder.. so wären es gar die Götter selbst, die das Klatschen erfunden, indem sie durch Ohrenklingen zur Rache erinnern! Da muß ich etwas erzählen: Als ich jüngst in der Hauptstadt war, hörte ich, daß ein vornehmer Wirth, der loyalste prächtigste Mann, nach einem in Wahrheit übersplendidem Fest schändlich war beredet worden, von den Heuchlern, daß er, wie Pyrrhus, nach mehreren solchen gewonnenen Terrinen- und Bouteillen-Schlachten das Feld werde räumen müssen. Er hatte daher zum folgenden Fest im reizenden Boudoir einen kostbaren kleinen Schrein in einer Ecke angebracht, auf die Thür desselben das Wort „verbotene Frucht vom Baum der Erkenntniß“ setzen — und den kleinen goldenen Schlüssel daran stecken lassen. Das hieß eine schöne Eva reizen — und lesen. Bald winkte sie einem Legationsrath, der gelesen; und Andere zum Schränkchen schickte. So schickte auch Einer mich hin, und ich las: „Ein[S. 133] freundlicher Wirth giebt alles von Herzen gern allen Magen ohne Dank zu erwarten. Aber Undank thut weh! Möchte doch Jede und Jeder mir gnädig ihn aufsparen bis nach dem Fest bei einem Anderen, und Diesem wieder so lange! Denn ich habe 100 solche Schränkchen unsern vorzüglichsten Festgebern zum Geschenk gemacht. Wo Sie also ein solches Schränkchen oder großes Buch mit der Aufschrift „Verboten“ erblicken, da bitte ich, sich meiner großgünstigt zu erinnern, auch wenn der Hausherr schonend die Inschrift, als jetzt notorisch nicht ausgestellt hätte. Noch melde ich, daß auch zwei kleine kostbare Schwur-Boudoirs für Herren und Damen besonders eingerichtet sind, welche vor Eintritt in die Gesellschaft schwören wollen: einander nicht zu bereden, oder moralisch todt zu schlagen. Der Zugang dazu ist geheim, so daß jeder von dem anderen annehmen kann: er habe geschworen, und nun sicher von ihm nicht beredet zu werden, ihn auch durchläßt. Gezeichnet: Graf N.

Wir lachten und schwiegen. Nach langer Zeit erst setzte ich mich zu dem alten guten Herrn von Hase und fragte ihn theilnehmend,[S. 134] warum er denn gar so still, so unaufgeweckt von anderer Freude sei?

Die Türken haben einmal einen braven Mann gehabt, sprach er seufzend, der hat Mezzo morto, der Halbtodte geheißen. Der bin ich wieder. Meine Freunde in der Stadt haben für mich gesorgt, und ich kann Bogenschreiber werden, zu 3 Kreuzer den Bogen. Aber meine Hand will nicht mehr fort, weil meine Seele vom Unglück gelähmt ist. Ich habe keinen Trost, als daß meine Frau gestorben ist, ohne meine Lage zu erfahren! Denken Sie, so etwas muß mein Trost sein! Aber es ist ein großer Fehler, daß ein Mann alle seine Geschäfte geheim hält und allein betreibt, um seiner Frau die vorübergehenden Sorgen und Gedanken zu ersparen! Denn die Weiber wissen den besten Rath, haben viel unbrauchbare Einfälle, aber ihr Herz entdeckt auch den rechten, wie durch Eingebung; sie trösten gewiß, und so sind sie getrost und getröstet. Für meine Liebe ist meine Frau nun ganz- und ich bin halbtodt, und mein armes Häschen, das lebt und möchte leben. Unglück ohne Aussicht, auch wenn man Blitze zu Blicken hätte, lähmt völlig. Denn es ist alles ver[S. 135]gebens zu sinnen, zu reden, zu thun. Warum ich esse und trinke, ist mir unbekannt. Ich sehe völlig klar: alles Menschenthun ist nur ein Streben nach einem inneren Ziel; ich beneide Niemanden, ich beklage Niemanden, selbst mich nicht. Am liebsten schlafe ich, oder sitze mit gefalteten Händen. Ich würde doch entlassen als Bogenschreiber! Nur drei Bemerkungen möchte ich zum allgemeinen Besten niederschreiben. Wenn ein Gut sieben bis achtmal verkauft wird, so hat die Landeskasse den ganzen Werth dafür baar durch Verschreibungskosten, Lehnwaare, Stempel und Taxen. Das hieße also: Behaltet was ihr habt, kauft und verkauft nicht so oft! Güterhändler sollten unerschwingliche Gewerbsteuer zahlen, statt frei davon zu sein. Dann: Wann ein Käufer offenbar über die Hälfte betrogen ist, dann sollte ihm ein Jahr lang der freie Rücktritt zustehen. Die Clausel der Verzicht über oder unter die Hälfte, sollte nicht gelten. Und zuletzt: Wenn zwei Jahr dürre Zeit und allgegenwärtiger Mißwachs im Lande sein wird, dann hilft Gott dem Volke ohne Mühe zu allem Erwünschten; wie er mit 29 Grad Kälte, Deutschlands unüberwindlichen stolzen Feind mit der[S. 136] großen Armee in Rußland nur weghauchte. Das prophezeihe ich, nämlich Gottes Hilfe allein und gewiß. Nur partielles Unglück ist Unglück, das hab’ ich erfahren.

Er schwieg eine Weile, dann ergriff er meine Hand und sprach leiser: Haben Sie nur noch einige Zeit Geduld mit uns! Nehmen Sie nur nicht übel, daß so oft allerlei Weiber und Mädchen aus unsern Dörfern in Ihr Schloß kommen, und mit Bündeln! Ich bitte sie alle, nur ja recht leise aufzutreten! Und sein Sie nur nicht böse, daß meine Tochter so oft und vielmal hintereinander, leider so laut, in die Hände klatscht! Sie stärkt Wäsche für die Leute, Hauben, Bänder, Tücher. Es geht wirklich nicht anders! Ich habe es selbst auf alle Arten versucht! Und dann, daß sie den armen Staat, zwar hinter den Fliedersträuchern, doch immer in Ihrem Garten aufhängt! Die Nacht aber trocknet die Wäsche nicht; sie wird thaunaß! Wir haben versucht, die Wäsche in unserm Gewölbe zu trocknen, und haben eingeheizt; aber lieber Herr von Kopernick, da haben wir uns bald zu Tode geschwitzt, und der Schlag hätte mich bald gerührt; doch kam ich mit Zahn[S. 137]schmerzen weg! Lieber Himmel, da hatte ich doch wieder einen Wunsch, daß mir die Zähne wehe zu thun aufhörten, wie man sagt, oder daß mir die Bratwurst wieder von der Nase fiel! Verkennen Sie mich nicht, daß ich einmal scherze. Aber wie gesagt, das arme Mädchen ernährt mich mit der lieben Wäsche, und wenn sie so in die Hände klatscht, da denken Sie gütigst nur, sie klatscht mir Brot und sich — Dank. Mein neues Halstuch, daß Sie freilich in der Nacht nicht als neu zu erkennen vermögen, aber es ist wirklich neu, das hat mir das arme Häschen auch — — — —

Brigitte hatte aber des Vaters Worte gehört, kam, hielt ihm den Mund zu, und sprach nur leise: „Vater!“ Der Vater zog sie an sich, und sprach: Schilt den Vater nicht, der sein Kind ehrt! Du bist doch mein gutes Häschen!

Es war kühl. Ich gab dem alten Manne meinen Mantel um, und in ihren Gefühlen verloren, nahmen beide das so an, und sie hüllte ihn dicht darin ein.

Um uns aus der weichen Scene zu bringen, fragte mich der Pastor: Aber was sagen Sie[S. 138] zu dem guten Postmeister von Rizzi, der seine schon auf Jahre voraus verlobten Töchter vor Freude schon immer gnädige Frau nennt! — Mich rührt das tief! Der sorgliche treue Vater ist ein Repräsentant so vieler Väter jetzt im Vaterlande, die zu solchen Mitteln greifen müssen, die Tänzer auf Bällen auffordern zu gehen, um mit ihren Töchtern zu tanzen; die jungen Männer, die in Jahren erst ein Weib nehmen und ernähren können, in Beschlag zu nehmen, sie buchstäblich am Aermel zu führen; nach der Verlobung: „Gott sei Dank“ zu sagen; dem Herrn Bräutigam Anstellungen zu verschaffen durch goldene Sorge; den amtlos oder kleinbeamtet Vermählten jährliche, so zu sagen, Pensionen zu ertheilen, daß jeder Vater zuletzt selbst „Oel geben“ möchte! Das ist die wahre reine heilige Vaterliebe im gerechtesten Widerstreit mit der, den jungen Männern allen jetzt zu spät möglichen Ehe! Weiter nichts, nicht lächerlich, sondern zum Weinen tragisch. An späten Ehen geht ein ganzes großes Volk unter; jedes Land verdirbt dadurch, weil es entsittlicht wird, indem es lieblos gemacht wird. Denn wie ist das Leben der meisten Spätver[S. 139]heiratheten Männer! und wie muß es fast sein! Alle spät, das heißt immer zu spät verheiratheten Candidaten, Beamten u. s. w. müssen verdorben sein, ihre Weiber unglücklich, oder doch nicht glücklich, wozu sie das himmelschreiendste Recht haben! Die Ehe ist in so späten Jahren eine Spekulation; die Braut muß nur reich sein; dann muß sie passen, wohl oder übel; sie muß die Kosten ersetzen, die Schulden decken, als Wittwe leben können und die paar Waisen erziehen! Alte Männer wollen reiche Weiber. Ein liebender junger Mann ist mit einer jungen Frau allein zufrieden, ja wenn sie kein Bett mit brächte! kein Kleid auf dem Leibe hätte! Das ist die einzigrechte Zeit zum Heirathen! Das ist Glück! Das ist Ehe! Und nun wie voreilig, wie unvorbereitet: die Ehen unauflöslich machen zu wollen — denn geschehen wird es nicht, weil es nicht kann — welche Grausamkeit! Da habe ich gehört von einer Gesellschaft von Sanct Francis de Regis (nicht de Regibus), die in Belgien armen Leuten mit unehelichen Kindern die Verheirathung bezahle, damit ihre Kinder eheliche Kinder werden, ehrliche Kinder wie Schneekönigskinder im Mär[S. 140]chen! Wieder die Pferde hinter den Wagen gespannt! Die Ehen müssen erst möglich gemacht werden; es müssen nur Leute einander heirathen, die ohne einander nicht leben können; sich lieber das Leben nehmen möchten, als einander entbehren; die so wohlerzogen sind, so duldend, beschieden und bescheiden, so durch Kinderliebe gefesselt, so einander ehrend, daß man sie zerhauen müßte, um sie auseinander zu reißen. Jammer, Schande, Elend, Verzweiflung unauflöslich machen, das heißt die Hölle unsterblich machen wollen, was wir nur dem sogenannten Teufel zutrauen. Welche Einzelne geben gute Paare? Das ist die Frage! Und wie können sie sich vereinigen? Das aber will Niemand fragen, aus Furcht der Arbeit mit Umwandlung so vieler Formen! Da habe ich mir die jungen Herren Offiziere so recht herzinnig beschaut, ihnen zugehört. Welche Vaterlandsliebende — also gewiß bis auf das Herzblut tapfere Männer! Wie gebildet, wie gelehrt in ihrem Fach, wie schönes junges deutsches armes Blut! Und wie sind sie mitten im Leben aus dem Leben verbannt! — Und die Herren Candidaten! solche junge Männer machen dem[S. 141] Lande, das sie hervorgebracht, Ehre. Und wann werden sie das gelobte — Pfarrhaus erblicken! — Und die Herren Referendäre, die mehr Gerechtigkeit im Herzen tragen, als in allen Büchern steht, wann werden sie ihre Bräute heimführen? frühverliebt alle, manche frühverlobt, tritt ein vergelbtes sehnsuchtverdorrtes Paar vor den Altar, woran junge Leute wie Adam und Eva gehören, die übrigens gar nicht getraut wurden, und doch ihre Kinder liebten. Denn ich wüßte kein ehrenrührigeres Gebot, als:

„Jüngling! du sollst eine Jungfrau lieben und zu dir nehmen zum Weibe!“

und:

Mutter! du sollst deine Kinder lieben!

Der alte Herr von Hase bejahte das alles immerfort! Unter diesen und andern Gesprächen waren wir nach Hause gekommen, und schieden mit dem: gute Nacht! Am andern Tage ließ meine rechtschaffene Mutter den armen Betjungen begraben; und ich beschloß, ihm, der Nachwelt zur Nachricht, was es heut zu Tage für untergegangengewähnte Träume in sogenannter Menschengestalt gegeben, ein Monument setzen zu lassen; verfaßte die Inschrift und bestellte es so[S. 142]gleich. Ich besuchte darauf auch den in einer Dachkammer meines Schlosses sitzenden armen Schelm, den Betmeister Nox (nicht etwa Knox) der seiner Ersäufung vergessen, wieder ganz wohlgemuth dasaß! Auf dem Gange zu ihm hatte ich Brigitten begegnet, die feuerroth vor mir geworden war. Ihn fand ich wie einen Zauberer, über dem Buche Tobias brüten. Er war ein weitläuftiger Verwandter von Heiligenhahns, darum schonte ich ihn; ja ich gab ihm Taschengeld und Speise und Trank. In den folgenden Tagen sah ich ihn Würmer suchen und angeln am See, wo er alle Arten Fische, auch in weidenen Reußen fing. Die Fische schenkte er weg, und ich bekam erst eine Ahndung davon, wozu er sie fing, als ich eines Abends zu meinem offenen Fenster herein große Lamentation aus dem Garten vernahm, daß die Sperlinge ihm seine, auf Horden zum Trocknen und Dorren ausgestellte Lebern verzehrt! „Er will den Engel des Herrn von Heiligenhahn spielen und den Eheteufel Asmodi verräuchern“, sprach nach unauslöschlichem Gelächter mein Pastor. Er ist aber doch nicht rechtgläubig — er schreibt einem gewissen Fisch, also atheistisch und glau[S. 143]benlos der Natur höhere Kraft zu, als dem Engel selbst und der Begehung des Opfers, weil er von allen erlangbaren Fischen die Leber nimmt, um die rechte ja dabei zu erwischen! Da können ja aber die andern das Rezept verderben! Es ist zum Lachen und Weinen: aber auch zum Trost: Denn die Verwirrung zeigt aller Dinge Ende an, vom Thurm zu Babel bis zur Schlacht bei Belle alliance; ja die Verwirrung ist schon die Verwesung; wenn dagegen eines lebendigen Baumes nackte Wurzeln sogar nicht in der feuchten Erde verfaulen!

Eins aber will ich denn doch gestehen, mußte ich meinem Pastor sagen; wenn ich eine Jungfrau wäre, und mir Sieben liebe schöne junge Männer vor dem Brautbette weggestorben wären, was ja möglich ist, so würde ich doch kopfscheu und brautbettscheu werden, und einen Achten, der mich verlangte, aus Liebe zu ihm und zu mir doch erst wohlmeinend zu den sieben Gräbern führen!

Das möchten Sie als zaghaftes Mädchen thun, sprach der Pastor. Aber wäre ich auf gut Pythagoräisch mit meinem Pastoral-Verstande der achte Bräutigam, so würde ich eine[S. 144] solche betrübte Siebenmännerwittwe gar nicht nehmen, als nunmehr mit Herzen und Gedanken unerwerbbar, darauf ihre siebenfach erschütterte Liebe und siebenfacher Tod liegt; aber getrost jede Andre; obgleich vielen jungen Bräuten und jungen Frauen die Männer wegsterben. Daß aber Einem oft geschieht, was allen tausendmal geschieht, das ist kein Wunder, kein Fluch, kein Bann — nur eine Art Conglomerat oder Cumulat — eine Anhäufung. Die ganze, und ganz triftige Ursache, daß es jetzt so viel Gläubige giebt, ist die: daß die Menschen jetzt von allerhand Verzweiflung und Schmach getrieben, so viele und schwere fromme Wünsche haben! Da sie ihnen Niemand realisirt, so realisiren sie sich sie selbst; wie der Dichter sein Gedicht abfaßt, drucken, mit Bildern versehen läßt, und mit Selbstgenüge und Frohlocken als fromme Scarteken in Städten und Dörfern vom durchfahrenden Wagen verliert. Aus Kinderaugen schaut auch die Mutterliebe heraus; was schaut aus unseren, aus den Augen des Volkes?

Meine rechtschaffene Mutter mußte mich aber darauf zu meiner Beschämung erst erinnern, doch dem alten Herrn von Hase sein voriges Wohn[S. 145]zimmer wiederzugeben! Das arme Häschen hatte kein Hochzeitkleid zu Afanasias Trauung, und hatte endlich eins zusammengenäht und aufgefärbt, das meine Mutter mit Erbarmen gesehen. Nun hatte sie auch nichts, gar nichts zu einem Hochzeitgeschenk für sich oder den Vater, da sie alles daran verwandt, dem Vater Güte zu thun. Meine rechtschaffene Mutter ließ ihr alles für sie und den Vater neu und prächtig aus der Stadt kommen; hatte ihr 100 helle Dukaten in den Strickbeutel gesteckt und sie damit zu ihrem in der Stille verweinten Geburtstage beschenkt, an welchem der Vater sich seinen Trauring vom Finger gezogen — und sie gebeten, die Augen zuzumachen, die Finger auszuspreizen und ihr den weiten Ring — auf Zuwachs — indessen auf den Daumen gesteckt. Der Mutter Geschenk aber schien sie gebeugt zu haben; sie schämte sich vor mir, und wenn ich vorüber ging, blieb sie mit niedergeschlagenen Augen und angehaltenem Athem stehen. Wie ungern erscheint die Schönheit doch arm... oder die Liebe. Nur eine Bitte wagte sie nach mehren Tagen an mich: sie brachte eine neue verschriebene Jagdflinte und bat mich, dem Vater für dieselbe[S. 146] seine alte liebe Jagdflinte aus nun meinem Gewehrschranke zu geben! — Wie thut doch angethanes Unrecht die Seele auf, und die Augen! Aber um mich nicht zu verrathen, gab ich ihr zwar die alte Flinte, aber nahm die neue dafür. Wer enträthselt die Lust selbst in bessern Menschen, andern schönen und gar so guten Menschen hart, schneidend hart zu sein? Mir war ganz wohl auf die That! Was ging in mir vor, als ihr die Thränen in den Augen standen? Wie verdrossen war ich, als sie mit Freuden davon eilte! Ich sah sie darauf im Kahn mit dem Vater, der wilde Enten schoß, die sie ehrlich ablieferte. Und auch die Enten ließ ich alle liegen, ohne ihr Eine wiederzugeben. Aber sie dankte sehr für die Freude, die der Vater wieder gehabt! Dann sah ich sie wieder mit ihrem heraufgesteckten Schürzchen und ihrem Töpfchen Milch über den Hof kommen.

Natürlich war ich diese Tage oft drüben in Schloß Westfrei; aber ich bat um das bewußte kleine a umsonst, auch nur um ein großes K, ein kleines u und ein ss von Arminia! Ich beschwerte mich bei Brigitten; ich befragte sie auch über den Engel Tobiä. — „Sie sind recht grau[S. 147]sam, Armin!“ antwortete sie finster-bös. Armin nannte sie mich? Spricht sie im Traum? redet sie aus dem vertrauten Gespräch mit der Freundin?

Am Hochzeittage kam Brigitte in völligem Staat mit dem Vater in neuen Kleidern, um sich bei meiner rechtschaffenen Mutter zu bedanken. Sie war so schön, daß sie meine Mutter — vorsichtig, um sie nicht zu verderben, als ihre Schöpfung, an’s Herz drückte. Sie besah sie dann mit Freuden und Lob. Nur irgend ein Ring fehlte am Finger. Die Mutter langte ihr Ringfutteral herbei und bot es mir dar, um daraus der guten Tochter einen Ring an den Finger zu stecken. Brigitte mußte es geschehen lassen und bebte innerlich dabei, daß ihr die Finger sich leise regten.

Wir fuhren dann alle in’s Brauthaus, wo wir den Engel Tobiä obendrauf und mit innerer Ueberhobenheit über uns alle, als faiseur des Tages und der Nacht, der Hochzeitnacht, umhergehend fanden. Er stand Niemandem Rede. Der Zug zu Wasser in den rosenbekränzten Kirchkähnen war schön, über dem Wasser, und drunten. Freude und Sicherheit schaute aus aller[S. 148] Augen. Nur, vor der Thür meiner Kirche hatte die Braut den Trauring verloren. Ein oft sich erneuernder Fall, der aber allemal nur eine unaufmerksame, also zerstreute oder versonnene Braut beweiset, welche Eigenschaften die Leute der Braut dann für ihre immerwährende Eigenschaften annehmen, und ihr Unglück prophezeihen, ohne Recht oder Unrecht zu haben, wie in allen Glaubenssachen mit und ohne Aber; sagte Doctor Schleyerlöser den Tag nachher zu meiner rechtschaffenen Mutter.

Zur Hochzeit waren billig alle Bekannten, oft oder selten gesehenen Freunde und Nachbarn, auch die in der That sehr wohlerzogenen, herzensguten und außerordentlich wirthschaftlich vom Vater gerühmten Töchter, Schwestern von Rizzi. Nur eine Amazone — das vormalige Non plus ultra der Schöpfung für Herrn Barnabas Habakuk Gallus von Stifter — war dem Hochzeitvater auf ihrem Rosse unwillkommen, die junge Gräfin N... und er äußerte seinen Abscheu heimlich gegen uns; worauf ihm Herr von Stifter, heute höflich Recht gebend, sagte: „Die Männer verderben die Weiber und machen sie zu ihren Puppen und englischen Bereiterinnen so[S. 149]gar, nur zu ihrem nie laut aussprechbaren Vergnügen. Und in der That, das Roß ist für Frauen oder gar Mädchen nicht geboren, eher noch eine Jumarte, oder geradezu der wahre leibhafte einfache geduldige Esel. Querreiten — wie widersinnig! nach vorn zu geritten, aber zur Seite gesessen und gesehen! Und, nach dem technischen Ausdrucke, „à la fourchette“ reiten, ist eigentlich gotteslästerlich; und nicht à la fourchette reiten, zeigt doch klar: warum sie nicht à la fourchette reiten! Kurz jedenfalls ist ein reitendes Frauenzimmer blamiert, ausgenommen die Schamlose, bei Schamlosen.“ — So sprach er laut, ja vor Zuhörern.

Ich kenne Sie an ihren Worten nicht wieder! entgegnete Herr von Heiligenhahn.

Das macht, versetzte der schlauverstellte Herr von Stifter: Ich habe vier mannbare, richtiger: weibbare Söhne, und da sehe ich schon ihre Bräute vor Augen, und sehe sie reiten! Sehe aber zum Glück auch meine Hetzpeitsche, Herr Nachbar! Man lernt verständige Leute erst verstehen — wenn man die Jugend mit ihrer Lust ablegt und Andere an seine Stelle rücken sieht. Ich denke aber auch, daß meine Söhne wohl,[S. 150] sehr wohl, hochwohlerzogen sind — weil ich sie mit allen meinen bittersüßen tiefen und weiten Erfahrungen, zum ehemaligen vergessenen Gegentheil von mir, erzogen habe. Ich darf wahrscheinlich — deswegen — um nur Vier von Ihren Töchtern anhalten, und gestatten Sie meinen Söhnen ihren bekannten Weg zu machen: ob ihre Töchter sie leiden und lieben?

Schlag ein, Alter! Greif zu, Vater! sprach Herr von Rizzi! Vier Töchter auf einmal los zu werden, los vom Herzen! Das sollte mir Einer bieten!

Freilich vom Herzen! da liegen sie alle darauf! bestätigte ihm der Hochzeitvater. Ich hörte und sah das, und mußte alle die drei guten Väter ehren und lieb gewinnen. Der Postmeister nahm mich unter den Arm und führte mich zu Tische „zu Ihrer Arminia“ sagte er mir, und zu ihr: „ich bringe Ihnen Ihren Armin!“ Und so saß ich zwischen Arminia und ihrer Freundin Brigitte. Die Betretenheit der Braut Afanasia löste sich in einen Freudenschrei, als ihr der Engel Tobiä in einem verdeckten Becher ihren gefundenen Trauring überreichte. Zu Nacht sollte sogar getanzt werden, wozu aber[S. 151] keine Veranstaltung getroffen war. Die Herren Offiziere und Andere mit ihnen bestürmten den Hochzeitvater. Aber er sagte zum Herrn von Rheingraf und zu mir: Wenn Sie nach meinem gehörten Worte dennoch tanzen wollen, so überlaß’ ich Ihnen den Sonntagssaal; denn der Musiksaal ist den Fremden zur Nacht eingerichtet. Aber — wenn Sie bedenken, und wenn die Mädchen wüßten, wie schädlich ihnen das Tanzen ist, blos schon als das Leiblich-sich-hingeben an junge Männer in solcher nahen Berührung; wenn sie wüßten, wie mancher sich blos satt mit- und an ihnen tanzt — wie unberührbar sie Jedem sein und bleiben müßten, der sie heirathen soll, sie würden nicht so zum Tanz und im Tanz rasen. Aber leider wollen und müssen sich viele Mädchen selbst auch mit und an andern jungen Männern in so naher Berührung einmal doch — satt tanzen! Aber auch dieses Geheimniß ist nun offenbar worden; und dies üble Verhältniß hieße, wenn es ein Buch gewesen, jetzt gewiß auch desgleichen mit Recht „das entdeckte Tanzthum“ oder „der Tanz der Zukunft.“ Von Liebenden aber sagt die Schrift Göthe’s:

[S. 152]

Laß du uns wandeln, und laß du sie tanzen,
Wandeln der Liebe ist himmlischer Tanz!

Die Herren Candidaten stimmten ihm bei. Die Herren Referendäre blieben stumm; die Herren Postsecretaire aber vermittelten die Sache mit den Herren Offizieren dahin, daß doch Brautpolonaise und Menuett getanzt werde. Und das geschahe denn überraschend neu, nach der Orgel im Saal, wozu „der Engel“ die Bälge trat. Braut und Bräutigam erharrten so Mitternacht.

Vor ihnen aber entwich schon der Engel, gewiß in die Brautkammer... dem Bräutigam den Tod zu verbannen.

Denn nach einiger Zeit verbreitete sich im ganzen Schloß ein auffälliger unerhörter Geruch, (da ein ungerochner Geruch zu sagen nicht üblich ist, auch wir ihn alle riechen mußten!) Uns Eingeweihten war kein Zweifel, daß der Engel unfehlbar mit dem Räucherpulver betrogen worden sei! Es entstand nach und nach ein kaum mehr zu unterdrückendes Gelächter, blos über den uneinathmenbaren pestilenzialischen Geruch. Viele Damen bissen sich bald die Zunge weg, oder in die gestickten Taschentücher; selbst meine rechtschaffene Mutter beklagte sich vor Lachen über[S. 153] Stiche im Magen; allen stand das Wasser in den Augen, und glücklich der, der in einem Winkel, hinter einer Thür, einem Vorhang oder dem Rücken eines andern das Gelächter einmal ausschütten konnte. Dann hielten sie sich die Seiten und weinten noch. Und wenn der Tod darauf gestanden hätte, da war kein Verhehlen mehr! Die Hunde, die sich hereingeschlichen, wurden pro forma hinausgepfiffen, selbst das Reh ward hinaustransportirt: zum Schein wurden in Wahrheit alle Lampen revidirt; Fenster aufgemacht, Thüren zugeschlossen; von den Bedienten auf glühenden eleganten Schäufelchen mit Eau d’une million de fleures geräuchert — alles umsonst! nur erst recht zum Todtlachen — wir mußten scheiden. Es geschah grandement und mit Anstand. Doch geschah’ es. Einige Töchter waren roth, Brigitte außer sich. Der entschieden Heiterste und Gehaltenste von allen war Sangallo. Ich verdenke Ihnen nichts! sprach er; und wenn Dergleichen einmal durch einen Mephistopheles von Kometen auf Erden geschieht, so läuft die ganze Menschheit davon — und der große Hochzeitvater bleibt allein. Be[S. 154]dauern sie ihn — und vor der Hand mich. Auf Wiedersehen!

Der Postmeister bot uns eine Dose, und wünschte uns eine gute — Nase, am liebsten gar keine. Ich lachte noch im Bett, daß ich keinen Athem hatte. Der arme Bräutigam! die arme Braut!

IX.
Der betrogene Freier.

Ich weiß nicht, was mein Schwiegervater in spe zu dieser Wiederholung alter verschollener Wunderlichkeiten gesagt, da ein wegen seiner Armuth an Geist und Geld schonenswerther Anverwandter sie wieder in das neueste klare Leben eingeführt, „weil er der Meinung gewesen und noch war und blieb: daß alle alten Wunder auch für uns Neue geschehen seien, bei uns eben so gut wie jemals geschehen könnten, ja müßten.“ So referirte mir mein Pastor und setzte hinzu: Auf der Nachhochzeit fand ich den Herrn Engel Tobiä mitten unter den Candidaten triumphirend im Garten. Ich hatte da zweimal zu erstaunen.[S. 155] Einmal über ihn, der sein Unternehmen für wahr und bewiesen hielt, da es Gläubige gefunden; und er habe es nur „auf vielfaches hohes Begehren ausgeübt.“ Er klagte sich dabei selbst seiner Freigeisterei an, da er es mit der Leber des rechten Fisches nicht so genau genommen; aber die Leber könne doch nicht der wahre Wunderthäter sein, als eine bloße verächtliche Natursache! Uebrigens müsse die Religion dem Menschen in allen Fährlichkeiten, wo kein anderes Mittel ausreiche noch ausreichen könne, ja eben Hilfe bringen! Besser Etwas als Nichts! Ja der Glaube erfülle das Nichts, der Glaube sei etwas allein für sich selbst, und wenn ihm die ganze Welt geradezu widerspräche. Und hier sei sichtbar, daß die lieben besorgten Mädchen nun getrost freien, und zuversichtlich ihre Liebhaber zu Männern nehmen würden, wovon sie außerdem eine unerklärliche zwar, aber durch die Vorgänge der Todesfälle der Männer der schon verheiratheten Schwestern unläugbar über sie gekommene Furcht gerade um so mehr abgehalten haben würde, je mehr sie ihren Bräutigam geliebt. Denn das sei doch keinem, nur einigermaßen es mit ihrem Geliebten und sich selbst[S. 156] wohlmeinenden Mädchen anzumuthen, daß sie gerade durch ihre Heirath, als dem alles hingebenden, alles ihr erwerbendem Act des Lebens, ihren Mann umbringen wolle! Und aus allen diesen Gründen bitte er sich von sämmtlichen Herren Freiern der schönen Mädchen einen guten Kuppelpelz aus, deren einer ein wirklicher Schafpelz sein könne, da ein alter mit sibirischer Katze gefütterter, und einst anständig vorgestoßener, zu nichts mehr tauge als auf das Backfaß zu decken.

Das Zweitemal war mein Pastor über die unirrbare Sicherheit und die vollkommene Duldung der Herren Candidaten erstaunt. Die überaus nobeln jungen Männer, erzählte er mir, lächelten aus ihrer wohlerrungenen Sicherheit des Geistes, sie zuckten nicht einmal die Achseln, eine Geberde, die jetzt oft sogar in Gesellschaft hoher Personen heimlich geübt, mit Schadenfreude bemerkt wird. „Der liebenswürdige Herr Markwort, Lehrer bei dem Präsidenten, sprach nur: Es ist weit gekommen; aber es giebt kein Rückwärts. Es wird noch weiter kommen; aber es giebt noch keinen Weg in die Vorzeit, nur in die Zukunft. Kein Greis ist mehr zu einem Kinde zu machen, als im Lande der Poesie —[S. 157] in Nirgendheim, wo bekanntlich alle Alten, Männer und Weiber, jung gemahlen werden. Unser armer Freund ist ein Poet; er gehört zu jenen lieben Menschenkindern, welche die Poesie ins Leben einführen, als Leben ausführen wollen.“

„Nichts wäre trauriger, sprach sein Freund, Herr Mährhold, Lehrer bei dem Superintendenten, als die Poesie aus der Seele vertilgen wollen; denn das Können widerlegt jedes neugeborene Kind bis ins Zehnte Jahr. Auch wir Erwachsene glauben dem Homer, wenn er uns in seine Tage versetzt hat, und das sind wir in Constantinopel so fähig wie in Rom. Wir glauben dem Sophokles im Theater von Berlin so gut wie in Paris; wir glauben dem Schiller, einer Jungfrau, einem Posa, einer Braut von Messina in Dresden so gut wie in Wien. Alle ohne Ausnahme in Prag und München glauben ihm, ja selber der Papst in Rom glaubte ihm, wenn er deutsch verstünde. Aber Poesie ist Poesie in allen Dingen ohne Ausnahme. Und der große Prozeß, den die Deutschen führen und unfehlbar glorreich gewinnen, ist der Prozeß: Poesie und Wahrheit zu scheiden, und jede einzeln hoch und[S. 158] herrlich und heilig den Menschen aufzustellen, oder doch die Piedestale dazu zu gründen und zu bauen. Woran aber auch nur ein Mensch mit Grund zweifelt, das ist nicht Wahrheit. Was der ganzen Welt unmöglich, ihren Gesetzen zuwider ist, das ist Winkelwahrheit, nicht einmal Poesie. Ist denn nun die nicht mehr aufhaltbare Scheidung ein Unglück, da die Menschheit beide geschiedenen Dinge wie zuvor behält, ja noch herrlicher, reiner, himmlischer in Besitz nimmt! Wer kann da von Unheil sprechen? Wem lähmt sein verlachtes Bemühen nicht Geist und Hand? — Es ist kein Ernst, kein heiliger Ernst in dem Wort: „Rückwärts! — Werdet alt!“ „Werdet Kinder.“ — Die Verlachung lauscht schon im Schweigen.“

„Der Dritte, Herr Wöllner, unvergeßlichen Namens, jetzt Lehrer bei dem General, sprach: Was wollen, was sollen, was können die Menschen? Was bedürfen sie alle und Jeder? Das Leben! nichts weiter. Zum Leben aber die Lehre, um es schön und rein und richtig zu leben. Aber auch ohne Todesfurcht. Gegen diese aber nur Vertrauen, Ueberzeugung: daß sie sind und daß die ganze Welt ist und bleibt. Die[S. 159] Poesie hat zu dem rein „richtig“ und sicher zu leben alle Kraft verloren, oder vielmehr sie nie dazu besessen; nur zum schönen frohen Leben. Das Volk, denn in das Volk ist schon die Kunde vom größeren ewigen Himmel und seinen Folgen auf Erden gedrungen, und bei ihm nie mehr auszurotten: Das Volk könnte leicht Alles mit Allem verwerfen. Darum bedarf es jetzt nur der Wiederanknüpfung der Sittlichkeit, als des Höchstnothwendigen zu einem würdigen Leben, an den ewigen Geist; und dazu nur der Erkenntniß: daß aller Geist, Geist Gottes ist. So ist die Verpflichtung, die neue Vereidung vollbracht.“

„Und sie wird vollbracht werden, hat der Vierte, Herr Wolkamp, Lehrer bei dem Herrn Geheimrath gesagt. Endlich, nach vielen Widerwärtigkeiten, vielleicht Gefahren, und tausend bitteren Erfahrungen unserer Feinde, vielleicht eher als sie und wir es vermeinen, dürfen wir auf die Anerkennung der Legitimität auch der Vernunft hoffen. Wenn dann die Einsicht klar und in allen siegreich geworden: Auf den unzählbaren großen Gestirnen giebt es Billionen Religionen mit Trillionen Bekennern, deren Je[S. 160]der dennoch auf seine eigene Weise den Geist der Welt und die Welt, in seinem Geiste versteht, mit göttlicher Berechtigung; und: Gott hat keine Armee Gläubiger mit gleichfarbiger Uniform und derselben Parole; sondern jeder Geist ist freier ewiger Geist der Welt selbst; dann werden wir armen oder reichen, viel reicheren Geister erscheinen dürfen; wer Recht thut, wird frei sein mit Hand und Zunge zum Bekenntniß. Jeder wird den Anderen helfen zu leben wie Geschwistern, aber ihren Wahn wird er ihnen vorstellen dürfen, sanft und treu, und unverfolgt und ungefangen. Denn keine Unwahrheit ist heilig; jeder Irrthum und Aberglaube ist Seelentodtschädlich, unwürdig und überflüssig. Nichts Ungewisses, Bezweifelbares, Verdächtiges kann die Grundlage des Lebens sein. Das Aufgeben aller Vernunft, die Verzweiflung führt nimmer zur Ruhe und Seligkeit. Eine Verzichtung auf den lebendigen, heutlebenden und ewig sich offenbarenden Gott und seine Verläugnung trägt ihren Fluch. Eine Absperrung in ein von Fanatikern mit Brettern wohlvernageltes Haus mit künstlicher Lampe, worein kein einziger anderer Sonnenstrahl hineindringen[S. 161] soll, ist durch seine Idee schon das Haus der Angst und des Todes und des sicheren Verfalls. Ja, es ist der Menschheit besser, daß Jeder dem Andern zu Leben und Glück und Freude von Herzen hilfe, und weniger stolzüberhoben zu sein, ja sich weniger sicher zu dünken — als Andere zu hassen, verachten, verfolgen, ihr Vaterland zu unterwühlen, ihr Lebensglück zu bedrohen, und blos darum, damit sie dereinst nicht auf göttlichem unfehlbarem heiligem Wege, sondern nur auf ihre besondere Methode in den Himmel gekommen erscheinen. Aber nur Gott giebt Erde und Himmel, Gott giebt das jetzige Leben so gut wie das ewige. Doch Geduld! Meine Deutschen alle sind ein unüberwindliches Volk; sie kennen, wie die Aegyptier, keine heiligen Ochsen, und ziehen still wie Rinder sacht aber stet und unablässig ihren Strang.“ —

„Da hat ihm der Fünfte, Herr Haltaus, der Lehrer des Consistorialraths gesagt: Ein Volk ist langlebig, und hat mit Recht Geduld. Wir Menschen brauchen alles schon in unserem Leben und haben die Ungeduld nicht ganz mit Unrecht. Unter zehn Jahren nach unserer Würdigerklärung für das Amt finden Wenige ihre[S. 162] Werkstatt. Uns insonderheit aber bleibt nichts übrig als unsere Anwartschaft aufzugeben, und anders wie im Volke zu nutzen. Auch erkläre ich ehrlich und fest: Ich will mein Weib nicht einer Albernheit verdanken; so gut wie mein Amt nicht, meiner, um Brot an den Nagel gehangenen, in der Tiefe der Seele verwundeten Ueberzeugung; einem bösen Gewissen, einem falschen Schwur. Es ist schändlich seine „Obern“ zu betrügen, schändlicher, das Volk; am schändlichsten ein Betrüger zu sein. Die Erde hat noch Brot für aufrichtige redliche Männer. Das Land zwingt keinen zum geistlichen Stande, was aber mit dieser Zeit nöthig werden könnte. Wer sonst zu allem zu dumm war, ward Theolog, oder Oekonom. Jetzt möchten und müssen das die ausgezeichnetsten Köpfe sein. Aber nur die Reichen können fortan studiren. Vielleicht schade um die Köpfe der Armen, deren Genie ihr stupender Reichthum ist. Aber welche Aussicht für die Reichen! Welche feine Anstalt: sie zur Bildung und Arbeit zu zwingen! Darum spreche ich gern wie Du „doch Geduld.“

[S. 163]

Und so haben sie das Gespräch mit einem stillen feinen Lächeln beschlossen, wozu der ambulante Geistliche ein frommes Lied bald leise, bald laut gesungen. „Das rührte mich, aber berührte mich nicht; und klug ist, der Welt ihren Lauf zu lassen.“ So referirte mir mein Pastor.

Mir war eigen zu Muthe — ich liebte! Dessen war ich gewiß. Denn wer ein Mädchen wirklich liebt, der fühlt die äußerste Ehrfurcht vor ihr, so, als schwebe sie als Göttin um ihn, und schaue ihm immer zu. Er lebt im höchsten Anstand. Wer seiner Geliebten gegenüber ungeheuer essen kann, von dem glaube sie ja nicht daß er sie liebe. Er ist aller Dinge satt, von allen Dingen selig. Kaum ein Wort kann er ihr stammeln, als sei jedes unwerth der Schönheit und des Himmels, in dem er mit ihr zu wandeln hofft, selige Jahre lang. Wer einem Mädchen vermag, Schmeicheleien vor Andern freilich ihr am bestechendsten, in das Angesicht zu sagen, der liebt sie nicht, der will sie nicht ganz, nur Etwas von ihr, der erscheint nur ein bezauberter holder Betrüger des holden Menschenkindes. Doch mir erging es eigen. Ich konnte auch der schönen Brigitte Wört[S. 164]chen sagen! Auch ihr gegenüber war mir die Brust so voll! Geschah mir das, weil sie Arminias Freundin war? Oder: wem Eine Jungfrau als ein göttliches Wunderwerk in aller Herrlichkeit erschienen ist, dem ist dadurch jede Jungfrau, jedes Weib, als heilig einem Andern, heilig geworden, und jedes Kind, als ein Menschenkind, wunderbar und theuer? Wenn die wahre enge gefangene und befangene Liebe zu Einem auf Erden solche Freude ausgießt über die ganze Welt, uns alle Anderen so glücklich und himmlisch erscheinen läßt — o, welcher andern Liebe bedarf da es noch, als dieser Liebe zwischen Jüngling und Jungfrau, daraus Mann und Weib wird, die Kinder werden, und das ganze gesegnete Menschengeschlecht!

Ich mußte diese Stelle aus meinem Tagebuche, oder wahrer gesagt: aus meinem geheimen Nächtebuche hieher setzen, um darzulegen, welche meine Empfindungen bei den nun folgenden Ereignissen waren, und wie sie mir halfen klar zu sehen und zu meinem guten Weibe zu gelangen. Um aber von mir zu erzählen, muß ich von einem Stück Welt oder einem Stück Leben Anderer erzählen. Denn der Wind der[S. 165] uns hier umsauset, ist in der Ferne bereitet; die Wolken, die heute über uns ziehen und regnen, sind weit im Weitem gemacht; und die Rose die heute aufblüht, war gestern eine Knospe!

Der gute Herr unseres kleinen Vaterländchens hatte nun eine treuauszurichtende Versendung nach England. Niemand war ihm empfohlener als Rheingraf, leider der neue Ehemann, der eine Nachtpoststelle bekleidend, alle Morgen zu seiner Frau Afanasia gekommen, alle Abende von ihr geritten war.

Uns Brautwerbern ward an dem geplagten Freunde die jetzt noch so geplagte Männerwelt recht deutlich und innig leid. Die größte Sclaverei ist wohl, um Brot seine Zeit, seine einzigen Tage mit Seufzen hinzugeben. Wer nicht Herr seiner Zeit ist, der ist der Unglücklichste. Und wie viele treibt nur die Noth, nicht der innere Beruf: Weib und Kinder am Morgen früh zu verlassen, am Abend spät erst müd’ und verdrossen wiederzusehen; verheirathet zu sein — wie ohne Weib; Vater zu sein — wie ohne Kinder; sie nicht lehren und erziehen zu können. Offenbar ein noch nicht wohleingerichtetes Verhältniß, das seiner Ausgleichung harrt.[S. 166] Wie viel glücklicher als alle dergleichen scheinbarreichen aber wahrhaftarmen Leute, ist das allgemeine Volk auch darin! Der ganze Stand der Handwerker, welcher Stiefeln, Kleider, Töpfe, umgeben von Weib und Kindern, macht; das Landvolk, das mit Frau und Kindern zufrieden sich müht; denen vereint die Tage des Lebens vergehen, das jede Stunde des Lebens mit ihnen genossen. Indeß tröstet die Andern der Stolz, das Geld, die Ehre, die Macht, und die Einbildung: Herren und Köche des Lebens zu sein; oder die Opfer für alle Unmündigen, Unverständigen und Argen. Was überhaupt noch unentbehrlich erscheint, ist ihnen eine freiwillig übernommene Pflicht. Schweigen wir vor ihnen ja von dem Glücke: „seines Lebens fleißige weise Herren zu sein.“

Zu diesem Bedauern kam bald darauf ein kleines Billet vom Postsecretair Rheingraf an Afanasia aus der Stadt. Sie hatte es dem Generalvater, wie wir den Hausherrn nannten, mitgetheilt, dieser den Schwestern, diese dem Engel Tobiä, dieser ließ uns, mit Stolz auf seine Kunst, die wenigen Worte lesen:

[S. 167]

Liebes Weib!

Ich komme 14 Tage längstens nicht. Der Herr versendet mich nach London. Er selbst war so huldreich bei der Abfertigung! und was ist denn heut zu Tag Reisen? Er versprach mir die nächste Postmeisterstelle und lächelnd bis dahin eine Tagpost. Dann komme ich alle Abend! Ich bin mit allem wohlversorgt. Bleibe indessen gesund und treu

Deinem

glücklichen Manne
L. v. Rheingraf.

Afanasia weinte. Die Schwestern schwiegen betreten. Selbst der Generalvater bedauerte, daß er nicht gleich den Schwiegersohn zu sich genommen, wie ein alter Patriarch. Wir beritten nach einigen Tagen die näheren, angenehm gelegenen Gehöfte am See, am Wald und an den Bergen, die er auch aus ältern Gebäuden hatte zu freundlichen bequemen, ja geräumigen Familienwohnungen einrichten lassen, welche aber alle noch nicht völlig ausgebaut, nur unter Dach standen. Jeder dieser Villen, hatte er den Namen von einer seiner Töchter beigelegt; und so sahen wir von früh bis Abend die rei[S. 168]zenden Höfe: Amalienhof, Alwinenhof, Antonienhof, ja sogar einen Armidenhof, der mir überflüssig schien, und die anderen; bis wir bei Sonnenuntergang in Afanasienhof am längsten verweilten, in dessen, im venezianischen Styl erbauten Wohnhause nur noch die Möbel fehlten. Aber schon die Spiegel standen unausgepackt da, und die Teppiche zusammengerollt. Er zuckte die Achseln und wir ritten heim. Da war schon wieder ein Brief aus Hamburg von Rheingraf an Afanasia gekommen, im Comptoir des Banquier Hamster und Comp. geschrieben, aber abrupt, phantastisch, mit einer unendlichen Abschweifung über den Namen Kalypso, über schöne englische Mädchen und eine Zwergin. Mein Chirurgus Salomon, um Armida willen freilich nicht mehr mein Freund, der gegenwärtig war, flüsterte mir dennoch ins Ohr: Der Brief ist nicht geheuer! oder der wohl, doch nicht der Briefsteller! — Die Freude über die mitgesendeten Geschenke aber ließ alles vergessen.

Darauf kein Brief von London! In 14 Tagen kein Rheingraf. In 4 Wochen keiner! Da weinten die beiden Wittwen wieder. Afanasia kam blaß, mit verweinten Augen. Sie saß mit[S. 169] den Wittwen spät bis in die Nacht an der marmornen Pforte; oder sie gingen alle Drei den Weg weit hinaus in die Kornfelder bei Wachtelschlag ihren Erwarteten entgegen. Aber die Schwestern hüteten sich wohl, Afanasia schon durch das Lied zu betrüben:

Hier bist Du hinaus gegangen —
Wann kommst Du hier wieder herein?

Denn der ambulante Pastor stärkte sie durch den Trost: Ohne Probe, ohne Bewährung keine geistliche noch weltliche Medizin! Jetzt ist eben die Zeit des Glaubens! Auch Armida und Brigitte hielten sich jetzt fast geheimnißvoll zusammen. Sie sah mich zuweilen verstohlen an; sie ward immer stiller, ja dienstbarer, aber dagegen nur strenger, ich möchte sagen enthaltsamer gegen mich. Alles war ja so natürlich; alles war so natürlich zugegangen, treu und tüchtig, wahr und offen — und nur der Ambulante, der Nox, war der Narr; und Narren stecken an wie Kranke. Das will man nicht glauben, oder gerade hoffen so Manche von dieser Ansteckung die Weltrettung! Wenn nun auch Rheingrafs Ueberfahrtschiff in den letzten Stürmen mit Mann und Maus im sogenannten deutschen[S. 170] Meere untergegangen wäre, sprach mein Pastor zu mir, dann ist alles und jedes wohl und weise hergebracht, und Ursach- und folgerecht durch- und ausgeführt; so daß, wer den Vorgang durchschaute, jeden Wassertropfen, jeden Windeshauch dabei heilig sprechen müßte. Aber, aber — Sie, mein theurer Herr Patron, sind wahrscheinlich als Brautwerber und Junggesell schon ein Wittwer! Denn obgleich diese Anhäufung einerlei Geschickes mehrer Schwestern in einem Hause nichts ist, als für Jede Einzelngeschehenes und gewiß nicht geschehen, um uns auf’s Neue zu Narren zu machen; so ist die Sache den Schwestern doch aufgefallen. Sie wissen, der Vater ist nach Auskunft, aber ohne Auskunft zu erhalten, mit Afanasia zum Herrn in unser Hauptstädtchen, vulgo Residenz, gereiset. Warum hat sich ihr Arminia vor allen zur Begleiterin aufgedrängt? Aus Herzensdrang mein’ ich. Auch sind sie auf ihren Betrieb auf dem Heimweg über G.... gereiset, die angebliche Geburtsstadt des Pabstes Gaganelli. Dort hat sie sich etwas in der Apotheke gekauft, um sich zu überzeugen, daß der Apotheker als ein redlicher Bruder alle seine Schwestern bei sich im Hause hat, deren[S. 171] Dreien die Männer alle in den Honigwochen gestorben sind; und nun heirathen die andern drei Schwestern durchaus nicht, weil sie sich als eine Art schöner Tod oder süße Mörderinnen vorkommen. Das ist wahr, sub fide pastorali, und Sie können sich von der Sache durch eine kleine Reise dahin, alle Tage überzeugen und die reichen armen Wittwen und schönen armen Nonnen sehen und sprechen. Auch wissen es alle Leute. Und nun sind für Sie die albernen Folgen: Liebt Arminia Sie nicht, so sagt sie Ihnen nicht das kleine a! Liebt sie Sie, so sagt sie das kleine a noch weniger. Dazwischen werden Sie zu zweifeln haben, und vom wahren Grunde nie Gewißheit erlangen. Auch gefällt meiner scharfsehenden Frau gar nicht der Haß, den Arminia und Herr von Stifter so verwunderlich gegen einander hegen. Meine Frau schüttelt den Kopf. Ich muß es Ihnen sagen.... und mögen es die kommenden Monde nicht erklären: Sie hat Arminia, die Hände vor der gesenkten Stirn verwendet, stehen gesehen, und der Stifter hat mit rollendem Auge in die Ferne sehend, sich mit zwei Fingern die Unterlippe gestrichen; das bedeutet große Verlegenheit. Das[S. 172] Bewundertwerden, das Angebetetwerden erweicht Steine; und gerade Sünder reißen Göttinnen aus dem Himmel —, und berufene selbst ältere Sünder sind Engeln aus Phantasie croquanter als junge unschuldige Engel. Zwar, Tropfen höhlen Steine aus, aber Ueberraschung sprengt Felsen. Das Unglück kommt rasch, aber es bleibt unermüdlich lange. — Zwei Weiber irren schwer! Ihm soll wohl eine Scheidung alles tilgen. Folglich würden Sie dann wohl ihre Freundin Brigitte heirathen, alles thun und alles empfangen, was dieses reichste aller Wörter der Menschen in sich faßt. Meine Frau meint: das edle arme schöne Kind liebt sie von Herzen. Uebrigens, ad hoc, etwas Neues im Dorfe: Die alte Mutter Heidemann ist mit Händen und Füßen, wahrscheinlich auch mit der Zunge dagegen gewesen, daß ihre Tochter Siegemunde einen armen lieben jungen Menschen im Dorf, den Ehrenfried, hat heirathen dürfen — heute morgen haben die Fischer die Tochter todt aus dem See gezogen! Sie liegt noch am Ufer, und der arme Ehrenfried und Siegemundens Bruder Bernhard sitzen da neben ihr weinen. Hier haben Sie das Fernrohr.

[S. 173]

Durch das Fernrohr sah ich nun die blasse Todte mit grünem langen Grase in den langen Haaren — und die Weinenden. Auch die Mutter kam, blieb unter einem Baume stehen, sah mit finsterm Gesicht hin, ob es möglich, ob es wahr sei? und trug das erstarrte Gesicht auf den alten wankenden Beinen in den vielgrünen sonnigen Wald. Und mein Pastor sagte mir: In dem mehr als man geglaubt verständigen China würde Ich, sammt Ihnen und vielen Obern jetzt abgesetzt, weil wir auf solche Dinge des Hauses nicht Acht gegeben; weil wir unsere Leute nicht gekannt. Die Mutter geht nun frei aus; denn bei uns, bei mir und Ihnen hat sie Nichts begangen! Aber sein Sie versichert, es ist der erste Fall, der, oder ähnlicher Art in meiner Gemeinde. Ich fühle, was alles ein evangelischer Geistlicher sein kann und soll. Jetzt essen wir unser Brot fast mit Sünden. Uns fehlt die Kenntniß, der nahe Verkehr mit den Menschen, die Einwirkung zur rechten Zeit; denn was Alle überhaupt sollen, das wissen alle Menschen jetzt auswendig! Wir sind in Trägheit versunken, weil wir die Dinge erwarten, die da kommen sollen! Wir sitzen da wie arme Leute,[S. 174] denen das Haus abgebrannt ist. Das kann und wird kein Verständiger läugnen.

Er war kaum fort, als der arme Herr von Hase zu mir kam, mir zu sagen, daß er mit Brigitten mein Haus verlassen werde. Ihn werde sein Bruder zu sich nehmen. Brigitte hoffe einen Dienst zu finden. — Konnt’ ich das hindern? Hätte ich sogar ihm sein Gut wiedergeschenkt, so fühlte er sich erst recht bedrückt. O wer bedenkt das Wort: Erst der Arme und Unglückliche bedarf erst recht der Freiheit, der Ruhe der Seele.

X.
Die feindlichen Schwestern. Der Brief.

Jetzt mischten sich natürliche wirkliche Dinge in meine Verhältnisse; wie denn zu jedem Traume — wozu ich viel Mehreres rechne als man glaubt — ein natürlicher, wirklicher schlafender Mensch gehört; wie zu einem Spiegelbild der Spiegel, und zum Opiumtraume das Mohnhaupt, was Niemand genug bedenkt.[S. 175] Nämlich, als ich eines Vormittags drüben in Westfrei Herrn von Heiligenhahn besuchte, fuhren drei Englische Reisewagen mit landesherrlichen Pferdebeinen vor. Ein Diener meldete den Baronet N. Angenommen. Er trat ein. Jeder der zu Fremden die fremde Sprache spricht, wird nur sein eigener Uebersetzer, während der Fremde durch Freiheit und Geist sich ergehend und ergießend dem höflichen Radebrechern der fremden Sprache überlegen wird. Obgleich Herr von Sangallo vortrefflich Englisch verstand und sprach, zwang er nicht sowohl aus Stolz, sondern aus Klugheit den Baronet deutsch zu sprechen. Der englische Irländer war der leibhafte Mann von fünfzig Jahren, dieser wirkliche arme ewige Jude der Männer, der in jedem Geschlecht aber in tausend Exemplaren erscheint, und reeller als jener, wirklich bis zum jüngsten Tage umherwandern muß. Schön gewesen und noch bedauerbar, trug er die Spuren der Gefallsucht und des Gefallens schöner Weiber an ihm, sichtbar als hagere blasse Wangen, düsteren Blick, gezwungene Gradhaltung. Man sah ihm an, daß er nicht wußte, warum oder wonach er nur noch die Hände ausstrecken sollte;[S. 176] was als vornehme Ruhe erschien. Und doch sprachen seine Züge jetzt von wirklichem ehrlichen Kummer und schwerer Sorge, die aber wie eine Strafe auf ihm lag; wie ein Pilger aussieht, der um seiner Sünden willen nach Mekka wallfahrtet. So sagte der eben gegenwärtige Herr von Stifter, der wohl der Mann war ihn zu erkennen.

Es entspann sich nun folgendes Gespräch zwischen dem Baronet und Herrn von Heiligenhahn:

Haven Ihr effectiv tweiandwenzig Dachters?

Achtzehn, Ja, Sir.

Nein: Mylord! Eich forgas darauf, thats mein Bruther begraven is. Ihr seyn famos für habing soltsch ein Nummer, van Dachters. Eich bin kurios sie tu sihn.

Sie sind keine Curiositäten.

Wheirum willen Ihr sie natcht schonen?

Zeigen? Wollen Sie Eine heirathen?

No! Thank, Sir,.... Willen Ihr Wanne af mein sieven Dachters? Ihr sind Widofer!

[S. 177]

Nein, Dank! sprach der Generalvater; aber er rief seine Schaar Nereïden.

Der Lord, unwillig die Töchter nicht sehen zu sollen, sprach auf Englisch vor sich hin: Ich habe Eile; meine Frau stirbt mir sonst, ehe ich in das Seebad nach Peisa komme! Hilft doch ein Herrscher, ein Priester dem Andern mit Rath und That. Soll ein Vater dem Andern nicht rathen? Ist das deutsch? So thun wir Irländer nicht! — Aber, sprach er, Sie Holycock, expecten Sie! expecten Sie! und eilte hinaus an die Wagen. Darauf führte er uns seine Töchter herein, etwas scheue Wesen von über der See, an denen man wohl bewundern konnte, was der liebe Gott, oder der Gott, der wahren Liebe auch da, wo man gar nicht hindenkt, für allerliebste Dinge macht! Die gegenwärtigen sieben Exemplare standen im Alter von drei bis zu achtzehn Jahren und trugen selbst auf der Reise schneeweiße Kleider mit kornblumenblauen Bändern um den Leib und die Hüte; so daß ich die bildschöne stillgefolgte Kammerjungfer bedauerte, wenn ich nur dachte, wie schon meine einzige rechtschaffene Mutter auf Reisen ihr Mädchen schor, welches, wenn sie[S. 178] selber schlief, waschen und plätten mußte, und dann am Tage auf dem Bocke schlafen sollte und einmal hinuntergestürzt war, worauf meine rechtschaffene Mutter ihr meinen Platz im Wagen eingab. „Das Mädchen für Sieben“ glühte jedoch über und über wie eine Rose in der Abendsonnengluth, und hielt sich heimlich die Stirn vor Unwohlsein. Der Baronet hatte zuerst Augen dafür, sprach mit ihr, bat uns dann einen Arzt holen zu lassen; und ich sandte nach meinem Salomon. Seine älteste Tochter Dolly (Dorothea) hatte der Nolly (Helena) aber beim Aussteigen auf das Kleid getreten, wodurch sie es sich aus den Falten gerissen; und obgleich hier im Zimmer von Fremden, ermordeten sie sich bald mit den Augen und führten einen kaum moderirten Zank untereinander, wie Fischweiber etwa während es fürchterlich blitzt und donnert.

Da sehen und hören sie, sprach der Baronet außer sich, weswegen ich Sie um Rath fragen wollte, da ich im Hause meines Banquiers in Hamburg zufällig von Ihrem Schwiegersohn erfahren, mit wie viel Töchtern Sie Gott begabt; zur Strafe oder zum Lohn — wage ich armer[S. 179] Siebenvater nur eines Siebengestirns von Mädchen nicht mehr zu sagen. Mein Bruder, lange General in Indien, lachte mich aus und sagte nur kurz: Alles geschieht „right and noble;“ Strafe und Lohn sind nur die Empfindung der Weltfiguren in rechten oder ignobeln Menschen; so daß dieselbe Figur Zweien, ja Tausenden verschiedene Gesichter schneidet! „Ein gutes Gewissen ist die wahre Freiheit, und erlöst von allen indischen Propheten und Götzen und Bonzen und ihren den Menschen gemachten Aengsten jetzt und in Ewigkeit.“ — Aber was da! Sind Ihnen unter so vielen Töchtern nicht „die feindlichen Schwestern“ aufgelebt? wie mir! Nach allen vergeblichen Zucht-Worten habe ich mich zu ihrem ferneren Bessern nicht entblödet, den Bischof sie admoniren zu lassen. Aber Sie redeten ihn stumm ja sprachlos! — Ich habe sie Jahre lang getrennt. — Doch in der ersten Stunde des Wiedersehens war der Streit ärger wie je! Ich habe sie beide hungern lassen, und in den polnischen Bock gespannt. Seit der Zeit war es gar aus; denn Eine schreibt der Andern ihr Unglück und ihre Schande zu, nicht sich! nicht mir! Am liebsten hätte ich sie[S. 180] verheirathet, beide, oder nur Eine. Aber in meiner Umgebung nahm sie Keiner; denn in der That darf sich kein Mann allein getrauen, was Vater und Mutter nicht im Stande gewesen. Ich besuchte zwei Seasons die Bälle in London. Aber ihr Ruf war ihnen in Gestalt einer verrätherischen Nachbarin vorausgeeilt. Und wer seine Töchter auf jenen großen Mädchenmarkt in zwei Jahren nicht verthan, der ist lächerlich wenn er mit Töchtern wiederkommt, als käm’ er mit großschnablichen Ritterdamen-Schuhen aus der neuern Fabelwelt. Mein Bruder fand die feindlichen Schwestern beide sehr schön und meinte, ihre Feindschaft komme nur daher, daß Eine Sommersprossen habe, die andere Wintersprossen, die auch im Winter blieben. Aber er irrte, sie waren schon Feindinnen als Kinder. Vielleicht haben Sie selbst nun auch so ein Paar Hauszerrütterinnen gehabt, und Sie schlagen mir gewiß nicht ab, das Mittel mitzutheilen, durch welches Sie den Unglücklichen selbst, den fünf Schwestern, der Mutter, mir und dem ganzen Hause den Frieden und die Ruhe, früh, bei Tische und zu Nacht als gründlicher Vater wiedergeben!

[S. 181]

So sprach der Lord auf englisch; und bat sich die Antwort deutsch aus; da der Hauptgewinn, fremde Sprachen zu wissen, nur darin liege: die Fremden zu verstehen und in seiner Muttersprache verstanden zu werden, so daß Jeder aus vollem Herzen mit allen Vortheilen des Ausdrucks, allem Reichthum seines Wissens sprechen könne. Etwas verstehen, sei in allen Dingen aber leichter als es selber machen, und die Menschen hätten jetzt zwanzigmal mehr zu lernen, als ein alter Aegyptier, Grieche oder Jude, da die alten Goldbarren des Wissens täglich zu unzähligen Goldschlägerblättchen geschlagen würden.

Unser Herr von Holycock erwiederte ihm, daß er ihm gern die wenigen Lehren mittheilen wolle, wodurch er seine Töchter hoffentlich gut erzogen, und die, aber unermüdlich angewandt, wahrscheinlich ausreichten in den Hauptsachen, um aller Welt Töchter mehr als nur untadlich zu machen. Lieber Herr College, sprach er, wie ich gern sage und gesagt, ich habe mein Amt begriffen und übernommen; denn Ehemann sein, ist ein Amt der wahren Liebe; Vater sein, ist ein Amt der Treue, dem keins vorgeht, als Mutter sein. Neben diesen Aemtern darf jeder[S. 182] Mensch, der Aermste wie der Reichste durchaus kein anderes übernehmen, als so weit es sich mit diesen einzigen wahren Menschenämtern verträgt, sonst wird er unglücklich und macht unglücklich, über alle Maaßen, auf mehre Geschlechter. Ich bin fest überzeugt, daß auf vernünftigeren Gestirnen schlechte Väter und Mütter enthauptet werden; denn Waisen gerathen besser als verzogene Kinder. Ich bin aber auch überzeugt, daß in jener Welt, die wir alle Abend und die ganze Nacht vor Augen sehen, auch Anstalten sind, wo junge liebe Leute zu guten Eheleuten, guten Väter und Müttern besonders erzogen werden; Anstalten die bei uns auf der Erde noch gänzlich fehlen, als auf einem noch ziemlich albernen Planeten; und die doch nöthiger sind als alle Zuchthäuser und Irrenhäuser, welche post festum die Uebel zudecken. Wir armen Thoren fangen alles am Ende an, wie mit der ewigen Seligkeit. Eine der Früchte meiner paar Lehren sehen Sie schon eben dadurch — daß Sie meine Töchter nicht schon hier sehen.

Wie so? fragte der Lord.

Ich habe ihre Neugierde nur auf die wahren Dinge gerichtet, weil ich behaupte: Eher[S. 183] sind die Menschen nicht glücklich, ruhig, noch belehrt und erzogen, bis z. B. kein Mensch mehr nur von der Arbeit wegsieht, und, wenn Sieben Päbste und Acht Kaiser in Parade durch die Straßen ziehen. Diese Ruhe bei allen elenden Vorgängen habe ich meinen Kindern am gestirnten Himmel gelehrt.

Wir wollen doch sehen! versetzte der Lord, und ging hinaus. Und bald trug er auf den Armen eine kleine Araberin herein, eine Zwergin von 17 Jahren, die, wie er nachher sagte, ihm sein Bruder aus Aden mitgebracht hatte. Das unvergleichlich schöne Quasi-Kind mit seinen großen Augen, seiner wie nur angehauchten Farbe vom schwächsten Ton aus Schwarz und Braun gemischt, seine kleinen Händchen mit Fingerchen und Nägelchen, die der schönste Affe nicht zierlicher haben konnte, ein weißer Turban mit Perlen umwunden, die Füßchen, die unter den weiten weißen Höschen kaum Füßchen zu nennen waren, der himmelblaue Kafftan, der silberne Gürtel, sogar die kostbare, im Verhältniß sehr lang zu nennende Tabakspfeife; und die zwei so kleinen Chinesischen Zwerghündchen, daß sie gegen den Newfoundländer füglich Infusionshunde[S. 184] zu nennen waren — das alles hatte die Töchter des Hauses gereizt, hinter dem Fenster hervor und hinaus zu treten; und nun begleiteten sie das liebe Kind Gottes in Jubel herein, wo es sein Herr mitten auf den runden Tisch stellte, aber auch gern die Neugier entschuldigte, welcher sogar „ihre Königin“ nicht widerstanden habe.

In diesen Wirrwarr kam der Herr Postmeister von Rizzi mit seinen Töchtern, um die Eine als Braut, bis zur möglichen Heirath, mit dem ihn begleitenden Postschreiber vorzustellen. — Nun Gott sei gedankt, sprach er in aufrichtiger aber etwas plumper Weise, hier geht es zu Frauenzimmern! — Aber das feine Benehmen des Irländers legte ihm Anstand auf, und er verstand zu schweigen, was sein — wie aller jetzt klugen Leute — größter Verstand war. Die reizende Gouvernante, Miss Denny (Isabella) brachte aus dem Wagen auch Lady Pat (Martha), ihre kranke blasse Herrin hereingeführt, die nach den Begrüßungen sehnlich wünschte, die Frau vom Hause, die glückliche Mutter so vieler Töchter zu sehen und zu sprechen!

Das Verlangen rührte uns alle tief. Denn sie lag in der Gruft in einem weißmarmornen Sarkophage. Und obschon die sonderbaren und[S. 185] wahren Worte mit goldenen Buchstaben über dem Eingange standen:

Es giebt keine Todten!

so empfanden wir Bekannte doch bang die Abgeschiedenheit der Gestorbenen; und es ward ernste Stille. Der Wittwer versprach ihr das Bild auch immer noch seiner „Wittwe im Himmel“ in der Gruft zu zeigen, was er nur bei feierlichen Anlässen oder an Geburtstagen, und nur dem Kinde sich satt schauen ließ, dessen Geburtstag war, um es heilig zu halten.

Indessen hatte Afanasia schon sich den Schlüssel zur Gruft geholt; denn der Hofmeister des Baronet, ein, um wirklich schön zu sein, nur zu langer junger Mann, mit zu schmaler Stirn, hatte ihr für den Vater einen Brief aus Hamburg übergeben. Da sie zumeist die Nachrichten von dort betrafen, hatte sie heimlich und schnell den Inhalt gelesen:

P. P. Hamburg, d. 18. Juni 184—

Wir avisiren Sie hierdurch, daß Schiff Kalypso, Capitain Ellis, welches Ihren Herrn Sohn oder Schwiegersohn nach London überfahren sollen, wie man sagt „mit Mann und Maus“ untergegangen ist. Die Stürme waren[S. 186] zu groß, und auch wir haben empfindlichen Schaden gelitten.

Hamster und Comp.

Nachdem die arme Afanasia sich zur Wittwe gelesen, und eine Zeit ohnmächtig gelegen, hatte sie der ambulante Geistliche so gefunden und zu sich gebracht. Sie hatte ihn mit einer schrecklichen Lache von sich gestoßen, ihm den Brief hingeworfen, und sich zur Mutter geflüchtet.

Auf unserem Zuge zur Gruft — denn ein Zug war es — führten die feindlichen Schwestern die Mutter, die ihre Gesundheit über sie beide verloren. Denn beide liebten die Mutter, wenigstens jetzt, wirklich rührend. Die Aelteste litt an Kopfweh, sie überwand sich aber, um mit der Mutter zu gehen. Der Baronet führte sich mit Herrn von Sangallo; die wunderschöne Zwergin Aïscha mit der kleinsten Tochter; Herr von Rizzi konnte sich nicht enthalten zu fragen: Ob die kleine „Apfelsinerin,“ oder „glückliche Araberin“ denn gar nicht zu verkaufen wäre? Er wüßte jemand, der den höchsten Preis für dieselbe bezahlen würde. Er habe die Ehre den Verstorbenen manchmal zu kennen, der Personen und Verhältnissen, selber der Natur[S. 187] gern einen unschuldigen Zopf anhänge. Diesem würde nichts willkommener sein, als eine Zwergenhochzeit, nebst fürstlich gefeiertem Brautlagerchen, und als dann ein winziges Kindtaufen und eine neukindische Menschenrace, da er schon den Stammhalter, den kleinen Adam zu dieser Eva in seinem Schlosse besäße, oder zu Mann und Vater geliehen bekomme; den reizendsten kleinen Hampelmann, der je drei Käse hoch gewesen. Ihm thue der kleine — doch auch Mensch — leid, welcher sogar in dieser mädchensteinreichen Zeit, kein Mädchen, nicht einmal eine arme Wittwe zur Frau finden könne.

Die beiden Väter aber wandelten langsam in ihr Gespräch vertieft. Herr von Sangallo sagte ihm, in Bezug auf die feindlichen Schwestern, deren fast in allen Häusern wären: „Von der Geburt des Kindes muß die Erziehung anfangen; dann sind Vater und Mutter mit dem dritten Jahre in allen Hauptsachen damit fertig. Kenntnisse und Erfahrungen sind ein Anderes; diese gehen ihm dann von Menschen und Welt zu. In den ersten Jahren müssen Neigungen und Abneigungen, Scham und Ehre, Recht und Unrecht, schon entschieden gestimmt und ge[S. 188]richtet werden. Wer das Gute zu erregen, hervorzutreiben und entfalten versteht, was jedem Menschenkinde eingeboren ist, der hat sogar nicht Irriges oder Arges nieder zu halten — es erscheint da gar nicht! Eltern, Geschwister, Beispiele sind die entscheidendsten unaustilgbaren freien Lehrer des Menschen nach seiner Epiphanie, oder Erscheinung auf Erden. Aber da denkt man: Was ist schon so einem stummen dummen Wurme zu lehren? Das kleine Männchen oder Weibchen zermalmen wir sogar immer noch! Es hört nicht, es sieht nicht, es ist kein Geist aus dem Himmel. Zu spät, ist Erziehung — unmöglich. Jedoch will ich Ihnen sagen, was mir in ähnlichem, eingeschlichenem Falle geholfen. Ich bin mit meinen Kindern krank gewesen, mit tausend Vaterleiden; Ich bin mit ihnen gesund geworden, mit tausend Freuden. Meine Kinder sind mir, wie Blumen, alle wie fühlbar in der Brust gewachsen, und stehen noch darin. Ich bin auch mit ihnen krank an Gemüthe gewesen; und ich habe immer Denen zumeist und einige Zeit ausschließlich gehört, die den Vater bedurften, während mein Auge die andern nur leicht überwachte. Verlassen Sie sich in allen Dingen in[S. 189] der Welt am liebsten auf die bessern Menschen. Das ist kürzer und sicher. Denn ist von Zweien schon nur Eins vernünftig und fest, dann müßte das Andere ein Wolf sein, wenn es den Treuen, Sanften noch anfiele! Ich habe mit der sanftmüthigeren Tochter der beiden „feindlichen“ hinlängliche Zeit allein gewohnt, von früh bis zu Nacht und wieder zum Morgen, und kaum etwas anderes gethan, als ihr ihre Fehler in allem Unrecht, in allen Folgen recht klar gemacht; aber ohne Hinterhalt klar und wahr. Und als die Ueberzeugung davon sich in ihr befestigt, entließ ich sie mit der Lehre: „Sage und thue deiner Schwester nur das, was ihr gut und lieb ist.“ Auch das überwachte ich einige Zeit, half es ihr ausführen — und ich hatte nicht nur zwei Herzen gewonnen, sondern alle bemühten sich noch eifriger sie zu übertreffen! Die schlimmere Schwester besiegte die Scham, und nach mancher noch heimlichen Thräne, war sie mein liebstes Kind!“

Also haben Sie auch ein liebstes Kind? Das freut mich! sprach der Baronet.

[S. 190]

„Ach, das, dem die Mutter gefehlt hatte! Diesem mußte ich mich ja, billig und recht, mehr hingeben! Ich denke immer, wer Männern treue verständige Weiber, und Kindern liebevolle glückliche Mütter erzogen, der hat mehr gethan, als der Bildhauer Bernini, Thorwaldson oder — Cornelius, deren Werke nicht weiter zeugen, nicht Gefühl und Seele haben, wie die Türken sagen, noch glücklich sind. Die Lebendigen sind die wahren Kunstwerke, denn sie leben, statt in der Vorhölle, gewiß in dem Vorhimmel, wenn nicht geradezu einzig und allein in dem wahren Himmel. Meine Tage, meine Nächte, meine Arbeit und Sorge ruhen in meinen Kindern, sie sind in die übergegangen, sie sterben nicht mehr mit mir, nicht mit ihnen; sie stehen in vielen noch auf. Das ist die Auferstehung des Geistes.“

In einer Gesellschaft werden viele Interessen zu gleicher Zeit verfolgt; Reisende müssen Augen und Ohren immer offen haben, um jede Gelegenheit zu ergreifen; und so hatte die Gouvernante und der lange Pädagog sich zuerst an die demüthige kleinlaute Brigitte gewandt, und bald von ihr herausgebracht, daß sie gern die[S. 191] Stelle einer Kammerfrau bei der Lady ersetzen und mit nach Italien gehen wolle, schon weil sie da in der Fremde diente und vor ihren Bekannten nicht zu Schanden geworden erschien. Sie hatte sich aber hohen Gehalt bedungen, welcher dem Vater in voraus hier ausgezahlt werden und erlöschen sollte, auch wenn sie, ohne ihn abverdient zu haben, in der Fremde stürbe. Das gute arme Kind! Das mußte es wohl vermuthen! So mußte rasch verhandelt worden sein; denn jetzt traten, Lehrer und Lehrerin, beides Deutsche und Protestanten, mit dem schönen glühenden Opferthiere vor den Baronet, es ihm vorzustellen. Er genehmigte alles, wenn Brigitte seiner Frau gefiele — (ob die Frau ihr gefiele, davon war keine Rede) — und wenn wir, namentlich ich, ihr ein gutes Zeugniß gäbe! — Das verwirrte mich, und mein mündliches Zeugniß mochte wohl so feurig und wundersam ausgefallen sein, daß mich Herr von Stifter zupfte, und mir darauf bei Seite sagte: Mit Erstaunen habe ich Sie den schönen Pädagogen mit grimmiger Eifersucht betrachten ja beneiden gesehen! Sie hätten ihn lieber ermordet! Lieber junger Freund, wie viel Schönes[S. 192] müssen wir Andern in der Welt überlassen! Ja wenn wir Einzelnen alle in tausendfacher Gestalt lebten, so würden wir noch nicht glauben: Arme und Lippen genug zu haben! Wir scheitern alle an der Unmöglichkeit. Aber Eifersucht und Neid vollenden oft das, was die Liebe nicht thut; denn was wir glauben auch entbehren zu können, das wollen wir doch keinem Andern lassen, zu solchem Besitz, woran nur zu denken uns Angst macht!

Heute verstand ich ihn noch nicht; und wozu mich der Tag für Tag ängstlicher werdende Mann gern erwecken wollte, und manchmal wiederum nicht; aber da sah ihm der Schelm aus den Augen. Ich sah jetzt nur wirklich mit Neid und Leid das arme Mädchen der Lady vorstellen.

Ihr voriges Gespräch fortsetzend ersuchte der Irländer jetzt einen „Collegen“ Herrn Holycock, ihm diejenigen Hausregeln zu sagen, die er bei seinen Töchtern bewährt gefunden.

Ohne Auslegung ist das mißlich; antwortete ihm der Hausvater. Doch will ich Ihnen bewährte Worte sagen. Es sind etwa nur ihrer Zehn:

[S. 193]

1) Mutter und Vater müssen sich lieben, innig und gesund sein und Verstand haben!

2) Bei Tische darf nichts Unangenehmes des Hauses ausgethan werden. Essen ist ein wichtiges Werk.

3) Mutter und Vater dürfen in Gegenwart der Kinder sich nie widersprechen, daß beide heilige Götterbilder bleiben.

4) Eltern müssen in Zeiten der Leichtgläubigkeit der Töchter vorbeugen.

5) Wenn Vater oder Mutter gegenwärtig sind, darf keins der Geschwister das andere tadeln oder loben.

6) Lehrstunde muß immer sein; besonders bei Gelegenheiten und Vorfällen, welche die Erfahrung der Jugend sind, um sie Urtheil zu lehren, und ihr das Rechte und Wahre dabei zu sagen.

7) Den Kindern muß man von Kleinauf die ganze reine Wahrheit sagen. Das vertragen sie neben den Mythen und Mährchen aller Zeiten, sogar neben dem besten und herrlichsten Buche der Kinder —: Grimms Haus- und Kindermährchen. Nach den Jahren der Phantasie[S. 194] und des Allesglaubens wächst dann das Wahre wie die Eiche über Blumen empor.

8) Die Kinder sollen ganz zeitig wissen: Jeder soll sich selbst glücklich machen, nicht blos den Andern. Liebe und Schönheit sollen keine Opfer sein. Schon Moses hat gesagt: Liebe deinen Nächten wie dich selbst; demnach soll jeder auch sich selbst lieben, und sich zu lieben verstehen.

9) Den Kindern muß man die Phantasie aufschließen, alles als wirklich lebendig darstellen, um ihr Mitleid zu gründen, und die Liebe zu Mutter und Vater und Geschwistern, Andern bei erfordernden Gelegenheiten angedeihen zu lassen so weit und so gering das auch nur möglich ja auch nur nöthig ist — da alle überall die Ihrigen haben und wirklich lieben, was da Liebe zu heißen und zu sein verdient.

10) Jeder soll die Seinigen doch nur so gut und höflich wie Fremde behandeln.

Freilich, setzte er hinzu, bedürfen diese Zehn Worte: Parabeln oder auch unbildliche Auslegungen, um ganz überraschend und allein „hinlänglich zur Erweckung des Geistes zu wirken — (das Herz liegt im Geiste, nicht im Thorax,[S. 195] dem Brustgerippe!). Ich ließ diese Worte auch aufführen, z. B. zu dem Zehnten Worte sandte ich bei Regenwetter den Kindern in das Zimmer eine alte nasse Frau, die sich auf den Stuhl setzen mußte, um auf mich zu warten. Und sie duldeten das, ja bewirtheten und bedauerten sie. — Ich sandte ihnen einen alten dummen tauben Bauer, der durchaus behaupten mußte, bei uns recht im Schlosse des Herrn von Stifter in Nordfrei zu sein. Und sie hatten ihn sanft belehrt; ja das mitgebrachte gebundene Kalb im Zimmer geduldet und gestreichelt. Und noch Widerwärtigeres, ja Grobes hatten sie von Fremden geduldet, die sie im Leben nicht wiedersahen, mit denen sie nicht alle künftigen Tage zu leben hatten, denen sie keinen Dank schuldig waren! — Ich bat mir dann, was sie so Fremden gethan und an diesen geübt, auch von allen den Meinigen an den Ihrigen aus! Sie waren überrascht und sie freuten sich. Ja wenn diese Lehre vielleicht einmal gegen Eine im Hause vergessen werden wollte, dann durfte diese nur sagen: „Bedenke, ich bin ja eine Fremde!

Mit diesen Worten langt man weit, überall[S. 196] hin. Denn welch unsinniges Gebot wäre das: Du sollst deine schöne für dich glühende Geliebte lieben!... Du sollst dein Weib lieben! Du sollst deine Kinder lieben! Nur zu lieben verstehen ist die Sache!“

Der gute Irländische „Katholik auf dem Sprunge“ schrieb sich jedes Wort getreu in seine Schreibtafel. Als wir so zaudernd zur Gruft gekommen, stand sie offen. Vom Sarkophage der Mutter erhob sich da langsam die schöne Afanasia, blaß und schweigend, edel wie je Elektra oder Iphigenia. Sie kam dämonisch heraus geschritten, staunte, von den Marmorstufen emporblickend, die Inschrift an: „Es giebt keine Todten!“ Doch sie lächelte und sprach in den Himmel hinauf: Aber Sterbende! Gestorbene! Uns Verlierende! Uns Verlorene!

Der ambulante Geistliche gab dem Vater den Hamburger Brief; sie fiel dem Vater um den Hals, und er hielt sie an einer Brust sich fest. Dann reichte sie den Schwestern die Hände hin. Sie führten sie fort. Niemand besuchte das Bild der Mutter, als die kranke Mutter, Lady Pat; sie dachte sich selbst wohl in die Erde; denn sie lächelte und sah nicht unerquickt,[S. 197] welch Leben über dem Grabe glüht und wächst und sich freut und leidet wie einst die Todten.

Herr von Rizzi stand ganz betroffen über die Nachricht des Todes von seinem Rheingraf. Muß ich Gott nun nicht danken für das, was ich für eine Beraubung hielt? Meine gute Tochter, sprach er zu seiner schönen Clementine, nun wärst Du eine Wittwe! Und eine Wittwe so jung und reich sie ist, verheirathet sich schwer! Dabei küßte er sie auf die Stirn. Das edle Mädchen schwieg.

Eine der sonderbaren geheimnißvollen Stunden der Erde verging. Mein gerufener Arzt kam. War nun vorher schon eine Veränderung in den Schwestern vorgegangen, welche zumeist der vagabunde fromme Mann nur erst gerade durch seine Zaubercur zu Wege gebracht, indem er Natur und Schicksal und göttliche Dinge für curabel und verbesserlich ausgegeben, und sich für den Generalgewaltigen: sie zu curiren; so befiel nun alle ein soliderer Schreck: die Reisenden hatten die Blattern mit ins Haus gebracht. Die schöne Kammerjungfer hatte ihre Freundin vor dem Tode noch einmal heimlich besucht und sich selbst sie deutlich erkennbar geholt. Auch[S. 198] Dolly, die Eine der feindlichen Schwestern, war davon ergriffen, und zu den beiden unzertrennlichen Kleinen, zu der Zwergin Aïscha und der jüngsten Tochter des Irländers zuckte der hierin weise Salomon die Achseln und schwieg. Der Baronet bat nothgedrungen den Herrn von Holycock um das Gastrecht mit den Worten: „Ich bin ein Fremder! Die Kinder sind fremd!“ Der Vater drückte ihm die Hand, und den Gästen wurde eingerichtet. Der brave Vater-Postdirector, was er indessen geworden zur Anerkennung überaus löblicher redlicher Postmeisterschaft, empfahl sich mit seinen fünf Töchtern und dem dritten Verlobten, auf gesundes Wiedersehen, alsbald sehr vorsichtig. Der steinreiche herrliche Mann, der nur als schon bejahrt in Todesangst schwebte vor seinem gewiß noch fernem Ende alle seine Töchter wohl zu verheirathen, bedachte gewiß: daß sie zur Heirath doch leben müßten und schön bleiben! Und daran hatte er Recht. Niemand belächelte seine Liebe. Ich selbst sandte Brigitten in aller Stille nach Hause fort, um mein Haus einzurichten für die Schwestern Sangallo, gab ihr einen Brief an meine rechtschaffene Mutter mit, in welchem ich sie bat,[S. 199] Brigitten durchaus nicht mehr von sich zu lassen! Aber Herr von Sangallo befahl weder seinen Töchtern, noch wehrte er ihnen, indeß in mein Schloß hinüberzuziehen, das ich ihm angeboten. „Sie sind vor zwei Jahren alle zum drittenmal vaccinirt“, sprach er nur, durchaus nicht kopfscheu vor der Natur und ihrer Gerechtigkeit, die von menschlichen Gesetzen oder Befehlen nicht eingefangen noch gebannt wird, und von Kaiser und Pabst sich kein X für ein U machen läßt, sondern frei aus allen heiligen Pentagrammen und Dreiecken schreitet — und Niemanden auslacht, der da weint.

Arminien suchte ich; aber vergebens. Erst spät, als ich schon Abschied genommen, sah ich sie vom Schlosse aus, im Garten an dem Orte stehen, wo ich ihr aus dem Grabe geholfen. Sie starrte da hinab, als wünschte sie: nicht daraus auferstanden zu sein. Als ich aber selbst in den Garten kam, war sie entschlichen, und in der Dämmrung auf der Erde, über die schon die Sterne am Himmel heraustraten und blinkten, konnt’ ich sie nirgends entdecken. Ich schlich zu meinem Kahn. Der See glomm in Abendschein. Da hörte ich die Melodie des Liedes mit rüh[S. 200]render Stimme singen. Es war Afanasia in wahrem Schmerz des Verlustes ihres Geliebten, und die Abendluft hauchte mir — da mich nur wenige Gebüsche von ihr schieden, jedes Wort verständlich zu. Sie war „die Erwartende“ selbst, und sang aus tiefster Seele:

Hier sitz’ ich am Gartenpförtchen
Im goldenen Abendschein;
Hier bist Du hinausgegangen —
Wann kommst Du hier wieder herein?
Du bist von mir fortgezogen
In die weite Welt hinein;
Ich weinte Dir bittere Thränen,
Ich weine sie noch allein!
Du bist nicht wiedergekommen,
Da der Tod die Herzen zerbricht;
Du hast nicht die Treue gebrochen,
Ich breche die Liebe Dir nicht!
Sie kommen alle wieder
Die Sterne! der fehlende Mond!
Ihr süßes Wiederkehren
Das bin ich so süß gewohnt.
Wann alle Sterne zergehen,
Wann droben der Himmel zerbricht,
Wann Tod und Liebe gestorben,
Dann kommst Du ..... auch dann noch nicht!
[S. 201]
Bei goldenem Abendscheine
Ach, sitz’ ich und harre Dein;
Hier bist Du hinausgegangen .....
Wann kommst Du hier wieder herein?

XI.
Ruhig zum Guten, getreu zum Glück.

So war ich mit theilnehmendem Herzen geschieden, betrübt, daß ich Arminien nicht bereden gekonnt, wenn nicht zu mir und meiner rechtschaffenen Mutter, doch zu dem ehrenwerthen Pastor für die Zeit der Gefahr im Vaterhause zu kommen. Aber ich sollte sie sogar auch längere Tage nicht sehen. Denn heut zu Tag nicht mehr für möglich gehaltene, wie aus einem modrigen Grabe schauderhaft auferstandene Gespenster bannten mich in ihr Pentagramm und entfernten mich von Hause. Ich hatte nämlich, nicht als Curiosität, sondern als Werthstück, aus Amerika, aus Massachusets den Katechismus mitgebracht, der zum Lehrbuch in den Schulen von den Vorstehern aller Confessionen war ausgearbeitet worden, und der keine Lehre enthielt,[S. 202] welche irgend Einer derselben ein sogenannter Glaubensdorn im sogenannten Auge ist. Diesen, der vielen dasigen Deutschen wegen auch deutsch gedruckt, hatte ich einst meinem Schullehrer, dem resignirten Predigtamtscandidaten gezeigt; er hatte ihn mitgenommen und danach seine Schule: Kinder von evangelischen, katholischen, reformirten und jüdischen Eltern des Kirch-Spiels zu aller Zufriedenheit, zu großer Einigkeit und wachsender Verträglichkeit, also mit Segen gelehrt. Damit war er vom Ambulanten Geistlichen verrathen, und deswegen vorsichtig des Nachts abgeführt worden, nicht etwa damit ihm kein Schaden geschehen solle, sondern keinem der Schergen. Geschehenes aber sind alle Leute, auch deutsche Leute zufrieden, und wenn der Himmel einfiele, ja sogar die Kirche, und sie hielten Gottesdienst auf dem Gottesacker wie nach einem totalen Abbrande. Zugleich war mein Pastor mit Absetzung bedroht, weil er der Vernunft Gehör gegeben; und ich, als Einschmugler dieses satanischen Katechismus, war zu einem sogenannten Colloquium, einem Gespräch das leicht an Collum, den Hals gehen kann in dieser letztbetrübten Zeit, mehr als nur eingeladen. Wer in Amerika er[S. 203]zogen worden, nur vom Hörensagen es kennt, ja nur daran denkt und sich je dahin, oder es zu sich her gewünscht hat, der kann meine Stimmung sich figuriren! Ich sah gleichsam Amerika in Person wirklich bei uns gelandet wiedergekommen, gebilligt, und festen Fuß fassen, wie einen klaren Mann, dessen Herz keine Beine hat, und darum nicht auf die Kniee fällt. Ich sprach also in dem Colloqium fest, offen, frei, stark, ein wenig — nicht vom hohen Pferde herunter, sondern vom hohen Sternengewölbe, und so etwa nur aus dem nächsten Jahrhundert, das diese letztbetrübte Zeit überwunden und an den Nagel gehangen haben wird; wie Chriemhilde den sie zu bändigen zu schwachen König, der zu ihrem Betrug die Nebelkappe bedurfte, aber mit dem Leben dafür büßte. Jetzt noch, half es uns nichts, daß die Kinder nachweislich mehr, ja alles zu glauben Verlangte auch richtig wußten; sie sollten dieses blos allein wissen. Das Buch sei Verbrennens- oder Zerstampfenswerth. Denn der Unsinn, die Unmöglichkeit desselben sei klar, da dasselbe, wenn es noch mehr Confessionen in Indien und China aufnehmen und versöhnen wolle, dadurch das Nichts darinnen stehe, als was Seine Gläubigen auf Erden läug[S. 204]nen, oder gar das, was alle Milliarden Bewohner der Millionen großen ewigen Gestirnen gut hießen, ja am Ende nur der Name Gottes und die Pflicht eines rechtschaffenen Lebenswandels darin stehen könnte! Quod non datur.

Da die Sache also schlimm werden konnte, so rieth ich meinem Schullehrer in’s Preußische zu flüchten, da noch kein Religionscartel in den Deutschländern bestehe, und sich dort um eine Stelle bei einem Bekannten von mir zu bewerben. Der Mann ging aber nicht; auch mein Pastor nahm keinen Rath an; und ich mußte erstaunen, so feste Ueberzeugungen, so unbewegsamen Muth aus gutem Gewissen zu finden. Mein Pastor hatte auch seinen Brust- und Herzenskranken Bruder bei sich aufgenommen, der katholischer Hof-Prediger in einer Stadt gewesen war, wo die Kirchenmusik von unzähligen Fremden bewundert wird. Ihn hatte die Reue ergriffen; er wollte wieder als Jude sterben, da ihn selber vernünftige Katholiken über manche Worte constituirt hatten. Und ich mußte wieder erstaunen, wie sehr aufgeklärt und vorbereitet eine unermeßliche Zahl deutscher Katholiken ist. Denn sie sind zuerst Menschen[S. 205] und Deutsche; das erklärt alles. Ich reiste, lange gehudelt, mit Extrapost wieder nach Haus. Aber auf der Station unseres lieben Postdirectors fühlte ich mich so unwohl, daß er mich nicht weiter ließ, in seinem schönen Hause, unterhalb der Landstraße in einem großen Blumengarten gelegen, gastfreundlichst aufnahm und selber den Doctor holte. Er fand mich krank an den Folgen der Politik, die jetzt noch zum Unglück unter die Herrschaft des Gallen-Gestirns falle; so daß den Menschen nichts recht sei, geschweige das Ungerechte, Anwidernde und Aufgedrungene. Und doch sei das Beste, daß sich die Menschen noch ärgerten und ergrimmten, (so daß jetzt viele, vom so civilen Militär und so militärischen Civil mit zusammengebissenen Zähnen stürben und im Sarge lägen;) da Lachen und Spotten eigentlich alles gut heiße, und dadurch nichts besser werden könnte. Daher er auch die einreißende und endemisch gewordene Predigerkrankheit, als eine Krankheit der alten mürrischgewordenen Erde, nicht mit repellentibus zu behandeln rieth, um nicht Ausbruch des Wahnsinns zu erzwingen. „Gott, sprach er, von welchem Unsinn und Starrsinn oder welcher Furcht bekommen wir Aerzte die[S. 206] Folgen als Herzschwindsucht, Verstandeschwäche, ja Geistesabwesenheit, Gliederlähmung und Verlust allen Appetites zu leben, in unsere Cur! Die Erde muß vor ihren Kindern erschrecken, welche sauere sardonische Gesichter sie ihr im Sarge heimbringen; und wenn Gott Jedem erlaubt zu petiren, weil die Pfaffen doch dasselbe als beten zur Pflicht machen, so mag ich jetzt nicht droben extrahirender oder vortragender himmlischer Rath sein. Wenn aber die Pfaffen, überführt, daß „zum Himmel beten“ auf Erden petiren sei, antworteten: Gott thue dennoch was er wolle; so wäre die Antwort unwiderleglich: Ja! Aber kein Mensch kann weder für alle wollen noch handeln, und das zu wollen, sei die Blasphemie: sich für Gott zu halten.“

Da hatte ich wieder zu erstaunen: über die Doctoren, sie, die in den ernstesten feierlichsten Tagen zu allen tausend Kranken gehen, mit ihnen und den Gesunden Vernunft reden, und sie über die Zeit und den Tod trösten. Ich wüßte auch gar kein Mittel, — nicht etwa blos Juden Doctoren werden zu lassen, wie es jetzt Tausende werden — sondern das: alle Aerzte vorher acht Jahre Orthodoxie studiren zu lassen. Ich aber[S. 207] war lange Tage krank und lag im Phantasiren oder in Schwäche. Der gute von Rizzi hatte meine rechtschaffene Mutter kommen lassen, und ich hörte wohl sie beide manchmal leise miteinander sprechen und verstand davon die Bitte meiner Mutter: „Nur jetzt sagen wir ihm noch nichts davon!“

Als ich darauf wieder nach den Dingen im Leben neugierig ward, fragte ich den redlichen Postdirector, der nichts auf dem Herzen behalten konnte. Und in großen Zwischenräumen von Nächten und halben Tagen brachte er mir verschiedene Gedanken zum Angehör. Einmal stöhnte er verwundert: „Ein Vater ist doch ein guter Mann; erst ist er aus Liebe der Diener seiner Frau, zuletzt der Sclave seiner Kinder!“ — Ein andermal: „Sollte man es für möglich halten, daß ein Vater fünfzehn Töchtern gestattet: fünfzehn Körbe auszutheilen! Man dankt Gott für Einen Freier, geschweige für ein Vierteldutzend Nehmer!“ — Wiedereinmal: „Sollte mir ein Pfaffe mein Haus zerrütten, alle Pläne ins Wasser werfen?“ Noch ein andermal: „Der gute Irländer! Nun hat er sieben durch die Blattern abscheulich entstellte Töchter, und die Kleine ist ganz blind![S. 208]“ Aber wir wollen ihn glücklich schätzen; denn nur die kleine glückliche Araberin, oder Apfelsinerin, die Zwergin, ist gestorben. Das verständige Mädchen hat aber ein schönes Wort hinterlassen, nämlich den Trost: „Wenn Ich auch sterbe — wenn Gott nur leben bleibt!“ — Und der bleibt gewiß leben. Der Doctor nennt das Wort vollkommen, wenn, oder da Gott zuvor auch nur allein gelebt hat. Sie ist in Ihrer Kirche beigesetzt. „Unter 9 Tagen kein Begräbniß“ hat der Irländer verordnet, aber er bezahlt Geistliche und Schullehrer alle drei Tage einmal dafür, als wenn sie gesungen, geläutet und auf dem Kirchhofe die Parentation gehalten: „Sie war so fromm! — Sie war so gut!“

So hatte von Rizzi sich die Zunge gelöst und fuhr fort: Aber ihren Chirurgus letzter Klasse, den Salomon sollten Sie einmal sehen! Wer ihn zuvor nicht gekannt hat, der kennt ihn nicht wieder. Aber beruhigen Sie sich: Fräulein Brigitte hat ein offenes Billet für Sie, worinnen Arminia Ihnen schreibt:

„Weiß Gott, was Sie überrascht hat und mich, was Ihnen an mir so gefallen. Aber, ich kann Sie nicht lieben! Ich darf Sie nicht[S. 209] lieben. Wünschen Sie es aber, so will ich zeitlebens unvermählt bleiben; Ihnen zur Ehre und mir zur Strafe.“

Beruhigen Sie sich, damit Sie nichts Falsches denken: Arminia hat dieses Billet schon acht Tage zuvor geschrieben, ehe sie sich des Nachts unbewacht die Pockenmaske vom Gesicht gerissen, und nun schrecklich, statt so lieblich aussieht. Sie bedecken sich die Augen? Ich bedaure Sie. Die Schönheit verlieren, ist kein gemeiner Verlust. Die schöne Braut verlieren, wer kann das ertragen? Aber für Sie wird es einen Trost geben, eine Trösterin: das arme Häschen, die schweigende Brigitte! Ihre Frau Mutter meinen, vielleicht habe es nie treuere, einander selbst Glück und Liebe sich so aufopfernd gönnende Freundinnen gegeben, als diese beiden Mädchen. Aber aufrichtig gestanden: ich habe noch nie zwei Mädchen oder gar Weiber gekannt, die solche Freundinnen gewesen wären, wie viele Jünglings- und Männer-Paare. Doch da müssen noch andere geheime Dinge vorgefallen sein, die....

Meine rechtschaffene Mutter war leise genaht, hielt ihm den Mund: „das Posthorn“ zu, wie[S. 210] sie sagte, und nannte ihn ziemlich verblümt einen Klatscher. Als wir darauf allein waren, sprach sie: „Doch ist er gut und hat Gutes gestiftet, wie immer die Wahrheit thut. Du, mein lieber Sohn, thust am besten: entschlossen und rasch das arme Kind zu nehmen, das dich von Herzen liebt.... aber nicht geathmet hat, sich zu verrathen! Um unseren Verdruß in frohes Geschäft zu verwandeln, werde ich sogleich in der Stadt umherfahren, den Brautstaat und alles Nöthige zu euerer Hochzeit einzukaufen. Mein lieber Sohn, Gott segne Dich! und Dein Weib mit Dir! Du thust den alten Willen der Welt in Deinem; Du thust des Vaters Willen, und nun auch meinen — und dem armen Häschen! Sie weinte; und ich will nicht läugnen: ich verstummte und weinte.“

Ich — ich zog noch einmal Arminien aus dem Grabe, umhüllte sie mit dem Mantel, und sie ruhte an mir. Aber ich versuchte auch Brigitten mir so aus dem Grabe zu ziehen.... und die Sache gelang! Ja, ich trug sie fort, und fuhr mit ihr über den See in mein Schloß zur plötzlichen Hochzeit. Da saßen wir in Gold und Silber am Tische; die Kerzen brann[S. 211]ten; vor uns hielten zwei Engel unsere verschlungenen Namen und Brigitte weinte Perlen; ihr alter Vater war vor Freude zum Jüngling geworden, und Herr von Sangallo sang wieder ein „Freut Euch des Lebens,“ daß ich vor Angst aus dem wachen Traume emporfuhr.

Da fragte mich der Postdirektor: Nun? geht die Sache? Das heißt „umsatteln!“ Glauben Sie mir, ich bin fast notorisch ein redlicher Mann durch und durch, liebte und liebe meine einfache Frau einfach; aber wenn sie krank ward und kränker, desto deutlicher flogen auch mir die Gedanken durch den Kopf und wie Federn um die Haare: „Wen wirst Du nur müssen zur Frau nehmen?“ und dann traten auch gleich verschiedene artige Persönchen vor mich hin, die ich sonst nur so gewiß freundlich angesehen hatte, weil ich wußte, daß sie gern Posthorn blasen hörten. So ist das Ding, und so sind wir. Aber wenn wir nun sogar müssen....

Und zu diesem Muß zwingt die Ehre, schloß meine rechtschaffene Mutter; diese langt hoffentlich bei meines Mannes Sohn! Laß Arminien dem Doctor Salomon; denn Doctor will er und kann er nun werden. Uebrigens es gleich[S. 212]sam keine Arminia mehr; ihr schönes Antlitz ist aus der Welt entschwunden; Du wirst sie nicht wiedererkennen, sie wird Dich nicht wiedersehen, Du wirst sie nicht wiederfinden. Wie sich ein Glaube ablösen kann, so kann und muß es die Liebe von verlorenen Dingen und Personen.

Ich war Mann genug mich zu fassen. Doch wie bedauerte ich Arminien, daß sie nicht mehr schön war, daß sie außer diesem höchsten Verlust für ein Weib und einen Freier, noch mehr als blos unglücklich geworden schien, oder war, da es meine rechtschaffene Mutter sagte! Und die Liebe, die sich in Mitleid verwandelt, hat den Keim zum Sterben gekeimt. Aber, wie sie versprochen, half mir meine Mutter durch Vorzeigen der eingekauften Dinge zu einem neuen Leben mit einer neuen Geliebten, oder wohl mit der ersten mir unbewußt-wirklichen, über meine Liebesrevolution hinweg. Ich fing an schon Brigitten zu sehen, wie sie in Thränen ausbrach vor Freuden über das Wort: „Mein Häschen, willst Du mein sein?“ Ich fühlte ihre Arme um meinen Nacken, als sie darauf mich mit uralter Gewalt der Mädchengewordenen Natur umschlang. Ich mußte mich freuen. Da schrieb ich zu[S. 213] Tagesschluß in mein „Nächtebuch“ die aus meinen Gefühlen mir zu hellen Krystallen angeschossenen Worte: „Wie süß und schön ist die Jugend! Und kein Kind vermag besser jung zu sein, als unbewußt. Unbewußt ist nicht ungenossen. Darum gehören Jugend und Unschuld so innig zu einander. Der alte Göthe spricht zwar: Was man in der Jugend wünscht, das hat man im Alter in Fülle. Aber das ist eine barbarische Unwahrheit! Denn was man auch im Alter habe, das hat man nur eben als selber alt, wenn alle Güter nur wenig bedeuten und sind. Denn ihnen fehlt die Glorie der Welt und die Fülle des Herzens. Und so erfreuten zwei Hände voll Kirschen ein Kind mehr, wie die Alten ein Hut voll Juwelen. — Und nun gar erst zwei Hände voll Himmelsgestalt die ein Weib heißt! Ich weiß zwar nicht, was der Geist ohne die Welt wäre, aber ich weiß, daß ich Brigitten nicht heirathete noch heirathen könnte, wenn sie ein bloßer nackter Geist wäre, und das wäre doch Jammerschade! Darum glaube ich mit allen Sinnen und Verstand, mit aller Liebe und Genüge an die Welt, die schöne Welt — das schöne Weib.“

[S. 214]

Der Postillon, der mich zuletzt gefahren, hatte mir geklagt, daß er einen gar lieben „Schatz“ habe, mit der er so gern zusammen wolle, wie sie mit ihm. Aber sie hätten nichts und müßten wohl noch 12 Jahre dienen. Diesen hatte ich nun vor eigener Freude, Liebe und Hoffnung das Nöthige, die Heirath anzufangen und fortzusetzen, geschenkt. Sein „Schatz“ war gekommen sich mit Thränen bei mir zu bedanken, da ich sie doch gar nicht kenne und nichts Gutes oder Böses zu vermuthen sei. Darauf schrieb ich wieder in mein Nächtebuch ein schweres Wort:

„Wie arm und elend wäre die Welt, wenn sie nur die Liebe hätte, die sie Andern im Lande beweisen kann! Wie selten, nur bei Gelegenheiten und Noth, die alle Tage mehr verschwindet, könnten die Menschen da lieben? und endlich gar nicht mehr! Auch hilfe Andern die Liebe nichts, nur die Hilfe; höchstens wiederum nur den Helfenden selbst wäre sie angenehm, und Gerechtigkeit und Verstand ersetzen die Liebe nach außen völlig. Aber es ist sonnenklar: Alle sogenannte Liebe ist nur der schwache Abglanz und Widerschein von der Liebe derer, die allein wahrhaft, und, was alle Thoren auch einwenden möchten, heilig[S. 215] lieben; und wahrhaft selig und beseligend lieben nur Mädchen und Jünglinge sich, und als Gatten die Kinder; und die Kinder die Eltern, so lange, bis sie um den Gatten Vater und Mutter verlassen. Ueberflüssig und kein großes Wesen daraus zu machen, wenn nicht fast zum Lachen anstoßend wär’ es zu sagen: Liebender, Du sollst Deine Geliebte lieben! Mutter, du sollst Deine Kinder lieben. — Was ich da heute that, war auch nur ein Ableger, ein Nebenwunsch meiner alten Naturliebe, welche die Vögel und vierfüßigen Thiere, ja alle Elemente auf ihre Weise haben, selber Sonne und Mond, wie Löwe und Tiger. Ich wollte Anderen nur zu dem Glück verhelfen, das mir vorschwebt, wie ich zwei Fliegen nicht störe. Jeder liebt nur die Seinen und das ist für ihr Glück genug. Andere, liebe ich nicht, ich kann sie nicht lieben, und sie bedürfen das nicht, und sind es nicht fähig anzunehmen. Ich kann mir nur aus mir einbilden, daß sie sich lieben, und sorgen, daß ihr Glück gelingt oder nicht verkümmert wird. Amen, für immer.“

Mich erschreckte aber zuletzt meine Sicherheit: Brigitte werde das „Ja“ sagen. Denn „was ich liebe, ist mein“, ist nur eine einseitige[S. 216] leblose Einbildung. Geständlichermaßen lebt die Hoffnung auch nur so lange, bis das Erhoffte wirklich wird, und soll doch das Beste von allen Dingen sein! Credat Judäus, oder das glaubt einmal kein Jude. Der Glaube ist auch nur ein Fürwahr- oder nur ein Fürmöglichhalten des Gewünschten, der geträumte Wunsch, der immer anders geträumt wird, je dümmer, klüger, schlechter oder besser Jemand ist. Weswegen man sagen könnte: Gott glaubt erstaunend wenig, ja gar nichts. Aber die Liebe will erfüllt sein. Sie muß wahr, voll und ganz werden, sie muß es in den Armen halten, es muß sie wieder lieben, was sie liebt. Deswegen ist die Liebe von den berufenen heiligen Dreiköniginnen die vernünftigste und einzig zuverläßigste, allein unentbehrliche. Sie wird erst gültig und lebendig durch den Beweis, und den schönen, den süßen! —

Meine Nachkur hatte aus Tokayer bestanden; ich war wieder ganz der Alte, das heißt ganz der junge; nur wie mir die lieben, in solchen Dingen gar verständigen Töchter Rizzi fünfstimmig sagten, viel interessanter als blos glatte lackirte Jugendgesichter, durch mir sehr wohl stehenden Ernst und Blässe. „Wem die Weiber[S. 217] schmeicheln, der kann glauben, daß er unverschweiglich hübsch ist“ sprach ihr Vater dazu — und bot mir Courierpferde an, mir das Häschen zu fangen. Und ich brannte nach dem lebendigen Beweis. Der Brief meines Vaters befiel mich wie ein Fieber, ich hörte die Ehepredigt im Gewölbe der Kirche hallen, ich wollte keinen Tag, keine Nacht des Lebens versäumen, davon die alles berechnenden Amerikaner für den Ehestand 10,000 zählen, von denen 7000 auf Tara abgehen.

„Wer, der heirathet, denket an Kinder? Die Liebenden wollen nur sich; nur umeinander willen nehmen sie sich. Kinder fallen Keinem dabei ein! Der himmlische Vater sendet dann Kinder nur als kleine Engelseinquartierung; weswegen auch Leute ohne Kinder noch recht glücklich und ohne himmlisch sehnsüchtiges Seufzen leben, so lange sie jung sind — und nichts zu vererben haben;“ sagte mein Pastor einmal. Als ich aber mein Gut, mein Schloß, meinen Garten erblickte und Kinder darin — sah ich schon meine Kinder in ihnen und freute mich! Ich stieg aus. Ich nahte; es waren Kinder aus dem Dorf, die meine Aepfel plünderten. Die Jungen unter dem Baume[S. 218] liefen fort; aber ich half dem Knaben droben vorsichtig vom Stamme herunter, damit er mir ja nicht Schaden nähme! Dann gab ich ihm alle geschüttelten Aepfel für die Andern mit, in seinem schwarzen Schulmantel. Denn, als ich fragte, sagte er mir, sie begrüben den schönen, Zwerg heute, der in der Kirche stehe in seinem Sarge; die Herren und Fräulein wären schon alle darin. — Ich ging in die Kirche, um unter den verwandelten Umständen an dem feierlichem Vorgange mit Ehren schweigen zu können. Das ganze Haus von Heiligenhahn war gegenwärtig; auch Arminien glaubte ich unter dem Schleier an ihrer Gestalt zu erkennen. Ich biß auf die Lippen und stöhnte. Dagegen trugen die feindlichen Schwestern, Miß Dolly und Nolly, ihr häßlich entstelltes Gesicht, mit einem gewissen Stolz ohne Schleier. Der Baronet trat mich an, zeigte mit dem Daumen leise zurück auf sie und sprach: Sie tragen die Patent-Maske von Jenners Erfindung! Dinge, die so furchtbar gemißbraucht und verquacksalbert werden können wie diese verdammten Hölzchen und ***....., sollten gar nicht erlaubt sein. Alle Ehrfurcht vor der wahren Kuh, mit deren[S. 219] Schwanze in der Hand der fromme Inder selig stirbt! Aber allen Volkes abscheulichen Krankheitsstoff seinen Kindern aufladen lassen, das gleicht.... Sie werden mich verstehen, wenn ich Ihnen sage, ich bin indessen mit Weib und Kindern Protestant geworden. Kein Anstoß an etwa vorgeworfener fehlender Mission! Vernunft ist von Gott, und Handauflegen bringt sie nicht hervor. Darum ersuche ich Sie, unserer lieben Aïscha ein Ruheplätzchen in Ihrem Erbbegräbniß zu gestatten! Ich hörte auch von ihr das Märchen: sie sei irgend eines Königs Kind. Sehen Sie das Himmelskind nur an, und Sie werden nicht hart sein! Sie ist eine Fremde!

Ich drückte ihm die Hand. Sein Weib trat hinzu, und ich verhieß ihnen „keine Stelle im Winkel“ beim Kehrig, als sei die Todte die Schande der Gruft. Denn Göthe sagt, sprach ich, oder Schiller:

„Thörig, auf Bessrung der Thoren zu harren!“ Und die alten Grenadiere sagten zu sich bei Lodi: „Laßt uns das Männchen berühmt machen.“

Und wie alberner Stolz verspottet wird, wissen wir. Ich sah mir darauf die kleine Aïscha an, die wie ein himmlischer Schmetterling in ihren reich[S. 220]sten bunten Gewanden, die kleinen Händchen auf der Brust wie zum Gruß vor Gott gefaltet, schön wie ein Engel dalag. — Das Traurigste war mir, sprach die Baronin, das liebe Kind hat nicht nach Vater und Mutter verlangt! So abgewöhnt war sie von ihnen; so bescheiden und gut wollte sie uns nicht einmal im Tode kränken! — Dabei brach sie selbst in Thränen aus. Und doch mußte ich lächeln; denn der Baron hatte ihr, nur am kostbaren Mündchenstück sichtbar, ihre Tabackspfeife zur Seite mit in den Sarg versteckt. Mir gegenüber am Sarge, stand Brigitte mit niedergeschlagenen Augen, und doch übergoß sie Purpur, als ich sie ansah; dann wich sie mit gehobener Brust zurück, hinter die Andern. Denn mein Pastor erschien, und hielt die Standrede über: Das Unglück in der Fremde zu sterben. Er ließ uns nicht nur das liebe Kind beweinen, sondern er wünschte auch uns in der Heimath begraben zu werden; nicht länger, nicht lange mehr selbst in der vermeinten Heimath. Dennoch nur in der Fremde. Er erklärte uns aber, was Fremde sei, und Heimath: das Land des freien Geistes, so daß wir alle ihn wohl verstanden, als er uns mit Imbrunst wünschte:[S. 221] So lebt denn in unverfälschtem Herzen, in unverfälschtem Hause der Welt!

An den Schwestern Sangallo, die doch Trauer um Landgraf hatten, war nichts durch Kleidung Bezeichnendes zu sehen. Wer traurig ist, gedenkt nicht der Farben; wer keine Trauer fühlt, ist ein schwarzer Heuchler mit oder ohne Stockdegen, sagte mein Schullehrer, der mit ihnen vom Chor eine rührende Motette aufgeführt hatte. Als alles aus war, saß Herr von Sangallo noch an der Orgel und phantasirte höchst traurig über die Melodie: „Freut euch des Lebens“ mit Posaunenbaß und Tremulanten! Der Schullehrer stieß mich an; mir fiel bei, daß mit dem Liede ein stiller Irrsinn anfange. Ich unterbrach ihn; er sah mich freundlich an und drückte mir die Hand, als einem armen verlornen Freunde.

Ich ging von ihm auf den Thurm bis zur Durchsicht unter den Glocken. Ich sah nach Westfrei, ganz geblendet von der Pracht am Himmel; denn die Sonne ging unter und alles war golden. Ich wende mich um — da steht Brigitte! nicht etwa wie ein Engel, sondern geradezu als Engel; wenn Menschen, wenn Jungfrauen Erscheinungen auf Erden sind, und wenn hoffent[S. 222]lich nicht aus der Hölle, also gewiß vom Himmel. Federn machen die Engel nicht aus, sondern Schönheit, Liebe, dienstbares Wesen; denn sonst wären die Störche auch Engel, die jetzt mit Geklapper aus ihrem Nest über uns aufflogen, mir zum günstigen Zeichen, als die Schulkinder jetzt mit der schönen hellen Glocke meiner rechtschaffenen Mutter der Sonne zu Grabe läuteten. Ich ergriff Brigittens beide Hände; sie wollte sie zum Gebet falten; ich ließ sie nicht los; und so beteten und so schwebten unsere vier Hände vor ihrer Brust, während unsere Lippen schwiegen. Als die Glocke verstummte, hielt ich es für keinen Raub, sie zu küssen, da sie mit geschlossenen Augen vor mir stand, und gewiß an ihre gestorbene Mutter dachte, zu der sie einen Augenblick hinunter in die Myrrhenduftige Gruft geschlichen war, aber blaß wie ein Schnee daraus heraufgekommen. Denn sie klagte mir jetzt: Man sieht die Todten nicht mehr! Darum hat mir es am tiefsten das Herz durchschnitten, als drunten die kleine Irländerin, jetzt durch die Blattern blind, vom Vater verlangte, daß er ihr ihre Gespielin doch noch einmal im Sarge sehen lassen sollte, wenn auch dann nichts Anderes mehr auf der Welt.[S. 223] Denn die gute kleine Tochter schreibt alles aus grenzenlosem Gehorsam, dem Wunsch und Willen ihres Vaters zu, der ihr jetzt auch verboten habe zu sehen! O wie sie ihn bat, Lichter anzünden zu lassen! und auf die Antwort: „da langen hundert Lichter nicht“, rief: Vater, so zünde tausend an! Darauf trug er sie sich fort. Und Herr von Sangallo flüsterte mir dabei ins Ohr: „Freut euch des Lebens! Freut euch der Töchter! Besonders derer, die dem Vater das Herz zerreißen“ — da meint er Arminien, o Gott!

Sie brach ab. Ist sie denn gar so entstellt? fragt’ ich. Sie schwieg. Und ich fuhr fort: Ich habe schon eine andere Braut; heute Abend kommt sie zu uns zu Tische; da ist Verlobung, und längstens in acht Tagen Hochzeit; denn der Dichter sagt, was alle Menschen fühlen und wünschen:

Unaussprechliches Entzücken
Faßt Dich ganz und augenblicklich —
Ach, ihr Lächeln, ach, ihr Blicken,
Ja, Du bist, Du bist schon glücklich!
Das ist mehr als nur Verheißen!
[S. 224]
Doch wo ist sie hingeschwunden?
O das kindische Entreißen!
Bin ich denn ein Kind, o Glück?
O wie kühl es wird, wie helle,
Bis sich alles dann gefunden!
Glücklich werden auf der Stelle,
Das, nur das ist Götterglück!

Und Sie schweigen! Brigitte! Sie wollen nicht einmal wissen, wie meine fromme, edle, himmlische Braut heißt? O weh! Ich hätte Ihnen mehr — — ich weiß nicht was — für mich zugetraut! Doch wenn Sie eine zu gute Freundin sind, so will ich Ihnen den Namen meiner Braut ins Ohr sagen. —

Ihre Seele wollte ihn nicht hören, darum neigte sie das Köpfchen nicht; aber aus — o aus Liebe! wandte sie das Gesicht — weg, und also das Ohr mir zu — und ich flüsterte ihr den Namen „Brigitte!“ in die Seele, durch Mark und Bein. Aber sie fiel mir nicht ans Herz. Sie, sie sprach nicht einmal Ja! sondern sie legte Arme und Kopf auf das Gesims. Ich rührte sie nicht an. Ich blieb lange so stumm und glücklich. Eigentlich sollte man ewig so stehen bleiben können! Wer glücklich geworden, sollte versteinern, oder ganz aus der Welt verschwinden![S. 225] Dann wäre die Welt etwas werth und selbst etwas. Ja: Etwas! etwas Heiliges und Seliges. Aber nur Etwas. Sie ist mehr, und wir sind mehr, nämlich Alles. — Und nach langer Zeit erst sprach ich: Brigitte! Meine Brigitte, ich gehe. — Folge mir nach, hinab auf die Erde, ins Leben.

Und sie reichte mir ihre linke Hand unter dem Haupt hervor; sie erhob es und sah mich an! Wer? Was, konnte so ansehen, wie die Liebend-Geliebte!...

Was sind alle Gestirne,
Gegen der Liebenden Augen!
Was ist Strahlen und Leuchten der Sonne,
Gegen das Weihen und Segnen der Liebe!

Drunten kam mir meine rechtschaffene Mutter mit einem Manne entgegen, der nun mein Schwiegervater hieß, der mir mein Weib erliebt und erzogen. Sie hatte mit ihm väterliche Richtigkeit gemacht, wie sie mir winkte. Ich nahm seine Hand; er schloß mich in seine Arme und drückte mich an den neuen grünen Rock über dem alten Menschenherzen und nannte mich einen Sohn. Mit solcher Freude büßen einst nur so platt[S. 226] genannte „Verliebte“ ihre Liebe, mit den schönen lebendigen Folgen!

Ist Jemand besser wie Eltern, das ist mir unbekannt;
Der einzige Stand auf Erden, das ist der Ehestand!

hätte jetzt mir der Aufsinger der nobelheidnischen Niebelungen gesagt. „Das arme Häschen“ war aus, und ich hatte ihr nun das Märchen der Liebe zu erzählen; und sie hörte mir zu wie ein Kind. Die Welt hat nicht viel, selber ihre Seele hat nicht viel; und doch ist sie kein armer Teufel; denn das Wenige ist unermeßlich, sie hat es immer wieder; und mit den paar Gerichten hält sie über alle Sommer und Winter der Sterne aus! Die Mutter hatte heimlich in Brigittens Zimmer allen prächtigen Brautstaat ihr ausgelegt, und Seide, Geld, Perlen, Juwelen, und Spitzen schimmerten und funkelten sie an, als sie mit den Leuchtern schon froh wie eine Himmelsflamme hineingetreten, um in ihrem ärmlichen Bettchen zu schlafen. Sie kam noch einmal herüber zu uns, und wir mußten kommen ihr bewundern helfen — und ich sie zu bewundern.

[S. 227]

Es half nichts. Wir fuhren am andern Vormittag nach Westfrei, und ich stellte dem Hause Heiligenhahn meine Braut vor. Sie erschien allen eine andere Person und ging von Brust an Brust der Freundinnen. Dann ging sie hinauf zu Arminien und kam mit verweinten Augen zurück. Der um allen Schändlichkeiten gegen das Vaterland gründlich zu entgehen, Protestant gewordene Irländer war die Nacht abgereist, aber nur mit Weib und fünf Töchtern. Denn ich sehe noch Dolly und Nolly im Hause, die beide eins, nicht mehr zu bewegen gewesen waren, einen Schritt in die Welt thun und sich vor aller Welt immer neu zu schämen! Der Vater hatte wenigstens die Genugthuung erlebt, daß die feindlichen Schwestern durch gleiches Unglück bewogen, sich versöhnt und sich ewige Freundschaft zugeschworen. Er hatte ihnen gerathen, sich zu verheirathen; und sein von mir beeifersüchtigter langer Pädagog hatte glücklich sein Ziel erreicht: sich eine reiche Tochter des Hauses anzuabälardisiren; ein Fall der Vorgang und Nachgang gefunden, und Vater auf Sohn erblich zu werden verspricht. Ein sehr schöner Lieutenant, dem ein nur von Gesicht häßliches, aber sehr reiches[S. 228] und gutes Weib, von einflußreicher Familie auch lieber geschienen, als der Methusalemorden, war gleichfalls gegenwärtig, und mir wurden, als doppeltes Paroli, zwei irländische Bräute präsentiert! Zum Abschied gab uns der Hausvater unter Thränen die Lehre mit: „Und weichet keine Meile weit von Gottes Wegen ab!“ Brigitte erröthete und schien den Grund dieser Lehre zu verstehen. Ich erkannte nur die Folge der geheimen Ursache: den stillen frommen Wahnsinn! Dagegen sagte sie ihm leiser, doch hörte ich’s wohl: „Mögen Ihre frommen Segenswünsche mich begleiten! Ich werde sie brauchen, um meinen, o Gott, Mann, so zu beglücken, wie er es verdient und mein heißestes Bestreben ist. Wenn Er nur glücklich wird, immer zufrieden ist, dann will ich es auch sein! Aber ist Er es nicht, verhindere ich sein Glück, und bin ich es nicht, so ist mein inniger Wunsch zu sterben.“ —

Zu unserer Hochzeit kam niemand von Westfrei. Dagegen hatte ich die im Leben und nun auch im Heirathen zu längerer Geduld verwiesenen Herren Offiziere, Referendäre und Candidaten als vormals verhoffte Herren Schwäger gebeten, und sie hatten es angenommen: „um sich ein[S. 229]mal recht herzlich zu ärgern.“ Ein leider gewöhnlicher Grund zu den neuen befohlenen und freiwilligen Festen. Auch die vier schönen Söhne des Herrn von Stifter saßen kostbar zu Tisch; Herr und Frau hatten sich entschuldigt. Meine Braut hatte zu weiblicher Unterstützung die fünf verlobten Töchter meines redlichen Freundes, des Postdirectors, der mich in eifrigen Stellen der Rede heute Du nannte und mir heimlich erzählte: Die vier Söhne sollten ihren Vater gefordert haben, was ihn sehr alterirt hätte. — Aber auch der arme Vagabund Nox, überall verlacht, hatte sich eingestellt; und ein Gespenst, ein Revenant, der vor 10 Jahren eine Unmöglichkeit gewesen und an gewissem Orte ein Unterkommen gefunden, saß, leibhaftig, doch aus Commiseration mit am Tische. Daß seine Kunst betteln gegangen, hatte den Irrsinn in ihm in den Wahnsinn veredelt: er seit der Engel Tobiä selbst; wodurch seine Seele sich retablirt und sicher constituirt. Darum legte er nie eine Art Mantelkragen ab, daß niemand seine Flügel sehen sollte! Er erzählte uns unter andern, daß er neulich in Mannheim, der Stadt der am schönsten, gewachsenen Mädchen in allen Deutschländern, vom Chor der Kirche auf sie[S. 230] herabgeschaut, und ganz wunderliche Heirathsgedanken, und mehr wie Gedanken, empfunden habe und setzte naiv hinzu; „Das war wohl sehr Unrecht von einem lieben Engel!“ — Verzagter wie er, konnte niemand sein. Er dachte nicht mehr an’s Weihen und Räuchern und schauderte allemal, wenn ihn meine rechtschaffene Mutter, der Pastor oder der Schulmeister nur ansahen. Daß aber ein Verwirrter auch ein redlicher Mann sein könne, und ein redlicher Mann ein Verwirrter, der Verwirrungen und Unheil stiftet als ein Redlichverwirrter, das wird uns klar, wie der Grund auch jenes Schauders vor meinen amerikanischen Augen, mit welchen ich ihn und die hiesige neue Welt ansah. Wie sich kaum Jemand anders als ein Cretin jetzt schon ohne irgend einen Stachel im Herzen zu Tische setzt, so ward uns noch dazu die Hochzeitstafel verbittert — durch Lachen. Mein Pastor erhielt mündlich über Tische die schriftliche Aufforderung zur Vertheidigung: Aus ehrwürdigem Munde eines Augenzeugen, sei die „auf Reinheit“ bedachte Anzeige eingegangen: daß eine Ungläubige an gläubigem Orte beigesetzt worden, ja sogar mit einem profanen Werkzeuge an der Seite. Es erfordere[S. 231] das Attest, daß jener Fremde mit seinen Kindern und dem todten Kinde, von ihm bekehrt sei.

Ein Verstummen erfolgte, das tausend Reden werth war. Einige riethen dann, es müsse ein Säbel gemeint sein, oder der Dolch. Der Pastor meinte: Der Baronet hat meine Zeugnisse. Sollen wir uns auch noch Atteste von Bekehrten geben lassen? — Das kleine Mädchen war unbekehrbar fest, und wer kann Sterbende peinigen! Leben wir wirklich in König Kreons Tagen?

Darauf wurden Gesundheiten in Strömen getrunken; die edelsten Trinksprüche ausgebracht, selbst dem Revenant, der sich als Angeber angab; und die Amphibie, die ein Engel und ein redlicher Schuft war, trank seelenfroh mit. Zuletzt tranken alle uns, dem Brautpaare, zu: Auf glücklichere Kinder, in einer vernünftigen, krieglosen Zeit!

Nach aufgehobener Hochzeittafel blieb ich mit meiner lieben Jungefrau allein auf dem Altan des Saales. Unter uns im Garten strausirten und sangen die Gäste. Und nur einzelne Worte von Diesem und Jenem drangen zu uns verständlich herauf. Jetzt vernahmen wir: „Sorgen wir Alle, die wahre Liebe wieder aufzu[S. 232]wecken, damit wieder selige Paare werden! Dazu verlangt es ein ganz neues Vaterland im alten, das vielleicht die Industrie mit der Vernunft möglich machen wird.“

Wie glücklich waren wir schon vor Tausenden! Wir hatten uns!

„Elend sehen, ist auch ein Elend, und vielleicht das größte, des Großerherrenelend, oder der guten Seelen.“ Hörten wir dann wieder. Verloren ist der, wer Ketten braucht: da giebt es die Adelskette. Aber der unermeßlich reiche, weil unzählige, gelernte und gelehrte und reiche Bürgerstand braucht keine Kette. Die reichen Bürger-Väter denken so patriotisch, ihre reichen gebildeten Töchter nicht mehr, nach dem classisch gewordenen Ausdruck: als Dung fortfahren und dann doch verachtet, tausend Thränen über allerhand Zurücksetzungen vergießen zu lassen. Der Bürgerstand braucht sein Geld; der Bürgerstand kann das Meiste, selbst große Dinge ins Werk setzen durch Vereinigung. Der Bürgerstand nur erhält die Literatur und die Literaten, die Wissenschaften Kunst und Künstler. Das sehen nun alle ein; wenn die Anderen, ihrem Stande gemäß zu leben, erschöpft, erstarken sie durch Fleiß,[S. 233] Arbeit, Kenntniß und Mäßigung. Und der Bürgerstand ist der durch alle ausgezeichneten Köpfe, in allem Volk immer sich verjüngende, bei Ehren haltende Stand. Frei und geachtet wie einer, dürfen alle aus dem zahllosen Bauernstande ihm sich anschließen. Darum muß die allergrößte Zahl des Volkes, der Bauerstand wohlerzogen, wohlunterrichtet werden. Bibel und Fibel langen nicht aus zum Leben. Die Diatheke ist erhaben über Wissenschaft, Kunst und Gewerbe, ohne welche doch das Land verkümmerte! Kein Weisheitsspruch lehrt nur einen Topf drehen; durch Beten fliegen die Steine nicht zu einem Hause zusammen. Zum Leben gehört alle Wissenschaft und Kunst. Deswegen wird ohnfehlbar Jeder verworfen, der gerade das Volk nichts lernen zu lassen, so wahrhaft-gottlos, so redlich verwirrt wäre. Aber einen solchen Menschen kann es nicht länger geben, als bis er die Hörner herausstreckt, und Ein Schrei der Entrüstung im ganze Lande ihn verschwinden heißt.

Die getäuschten Bräutigamme bedauerten dann sich selbst darum, daß Ein Unsinniger jetzt einem edlen Adligen unmöglich mache: seine Schaar Töchter sogar an brave Bürgerliche zu[S. 234] verheirathen; wodurch sie durch schöne gute reiche Weiber von der Galeere der Geduld, ja der Noth erlöst worden wären. Und nicht lange, so sangen sie im Chor ein Lied, dessen ersten Vers wir deutlich vernahmen:

Vier Stimmen:

Heut stift ich Euch den allerheil’gen Orden:
Zum trocknen Brot!
Wir sind nur stark, wir sind nur frei geworden
Durch unsere Noth.
Wer trocknes Brot mit Freuden essen kann,
Der ist allein der edle freie Mann.

Chor:

Erhebt das Brot! das Seelenbundeszeichen:
Von Wahrheit, Freiheit nimmermehr zu weichen!

Dann verstanden wir, der rauschenden Blätter oder der veränderten Stellung wegen, nur wieder den Chor: „Verkauft Euch nicht! die Zunge um die Zunge; Das Herz für Kreuz, für Trümmer alles Junge!“ Dann erst wieder die Worte: „Ihr braucht nicht Sie,.... Sie brauchen Euch.“ Darauf erst wieder den vorletzten Vers:

Schmach jedem Weib, das Euch um Tand geböte
Ein Sclave sein!
[S. 235]
Die Sclavin flieht, die Schändliche erröthe
Bei Gold und Wein.
Das edle Weib ist edler als der Mann,
Es kann mit Lust, was Er mit Schmerzen kann.

Chor:

Huzza dem Weib! das selbst voll höchster Ehre
Den Mann noch stählt! den Weibern baut Altäre!

Der letzte Vers verscholl im Winde. Im Chor stockte allen auf einmal die Stimme. Sie beugten sich vor; sie starrten einer Entscheidung entgegen; sie wichen zurück; sie erhoben die Hände, dann stürzten sie plötzlich alle auf Einen hinzu, der vor ihnen, mit dem Hut in der Hand, stehen geblieben war; sie umarmten ihn, sie erdrückten ihn fast und riefen mit Jubel: „Rheingraf! Gott! Rheingraf! Rheingraf, Du bist es leibhaftig!“

Wir eilten vom Altan in den Garten hinunter. Er war es: Wir erfuhren mit kurzen, alles aufklärenden Worten: Er war auf dem Schiff krank geworden. Der Arzt hatte gerathen, ihn auf Helgoland auszusetzen. Das Schiff war darauf mit Mann und Maus selbst untergegangen. Er hatte lange Monde ohne eine Besinnung gelegen. Dann hatte er unrichtige Adressen gemacht. Bis er hergestellt, sich besonnen[S. 236] heimzureisen. Als er unterwegs gehört: er sei gestorben, war er zuvor hier bei mir eingekehrt, um seine Afanasia, Schwestern und Vater vorzubereiten. Mein Pastor schiffte sogleich ab; bald ein Kahn voll neubeselter Freier hinter ihm drein. Auch ich und Brigitte. Und im Niebelungenliede würde von uns gestanden haben:

Hei da war irdische Freude, wie im Himmel nicht sein kann,
Bei so viel edlen Schwestern, bei Weibe und bei Mann!

Indessen fuhr ich denn doch auch von dieser Freude, wie nicht im Himmel sein kann, zu meiner Hochzeitnacht nach Hause. Eben weil solche Freude nicht im Himmel ist, kein solches Weib, ja einmal keine Nacht!

Wir lebten ruhig und glücklich. Der Bruder meines Pastors war gestorben hatte ihm ein ansehenswerthes Vermögen hinterlassen. So erwartete er ruhig seine Absetzung, auf welchen Fall ihm die freien Dörfer schon den halben Dezimen fortzuschütten sich verbindlich gemacht. Die Gemeinen haben Vernunft und bekommen Halt durch Einigkeit. Auch der Schullehrer war von ihnen versichert. Dies[S. 237] und hundert Anderes wirkten auf den edlen Generalvater, dessen Vater schon ein Muster der Gutsbesitzer und Patrone im Lande geworden, mit ungemerkter Gewalt. Denn es vermag Niemand zu sagen, wie sehr „das Wetter der Zeit“ ihn durch unbeweisbare Einwirkung stimmt, und sein Leben bestimmt. Das Wetter macht die Erndten: Der Einfluß der Umgebungen macht die Dorf- und Weltgeschichte. Denn in der Nähe war folgendes geschehen: Die Frau Heidemann, die ihre Tochter dem armen jungen Menschen nicht gegeben und sie darüber verloren, hatte ihrem Sohne nun Hochzeit gemacht, war aber von Reue ergriffen, vom Hochzeittisch weg auf den Boden geschlichen und hatte sich, als Opfer ihrer ersäuften Tochter, gehangen. — Ein alter General, der eine Geschichte der Sachsen im siebenjährigen Kriege geschrieben, worin er sonderbar klagt: „Das war der erste Nagel zu unserem Sarge! Das war der zweite Nagel! Das war der dritte Nagel!“ hatte endlich die Letzte von seinen vielen Töchtern glücklich verheirathet — und sich den Morgen darauf erschossen auf seinem Gute Tsch....dorf. — Ein Herr aus Braunschweig war zu uns nach Südfrei gekommen,[S. 238] mit der erschütterten Neuigkeit, daß ein kolossaler oder pyramidaler Freund, ein edler deutscher Mann, der Herr von Münchhausen, mit seinen zwölf kolossalen oder pyramidalen Söhnen an der Grenze von Texas, wo er einen neuen deutschen Stamm gründen wollen, von den Wilden sei gehangen worden. — Die arme Frau von Stifter, eine Oberforstmeisterstochter, hatte mit ihrem Mann — Pistolen geschossen, und ihm — „zufällig“ dabei eine Kugel durch die Brust, die ihn nicht gleich getödtet, an deren Folgen, nach Salomons Urtheil, er aber nach und nach versiechen mußte. — Mit dem am Irländer verdienten großen Ehrensold war Salomon selber fort, Doctor und unabsetzbarer Hausprediger zu werden. — Arminien wollte eine Bekannte in Nürnberg gesehen haben.

Unter allem diesem „Wetter“ ließ nun der Generalvater sein Gut Westfrei in 20 „Höfe,“ jeden mit 500 Morgen schöner fruchtbarer Feldmark theilen; nur das Schloß besaß 1000 Morgen. Die Höfe alle bekamen Namen von allen seinen Töchtern und wurden ausgebaut und eingerichtet. Dabei war auch der mir jetzt verständliche Arminienhof, sichtbar der schönste und[S. 239] beste. Das Schloß bekam den Namen Prytaneum. Ueber alle diese, mit seinem ernsten ja finsterem Geist ausgeführten Anstalten verging auch der Herbst, der wie zum Dank und zum Segen des schweigendliebenden Vaters wundervoll schön und heiter war.

Endlich, um Lichtmesse, ward eine Generalhochzeit gleichsam ausgeschrieben. Die Töchter strahlten von seliger Arbeit. Jede verstand allein einem Hauswesen in allen seinen Zweigen vollkommen vorzustehn; denn alle hatten nach und nach jedes einzelne Geschäft lernen müssen; im Garten, in der Küche, im Bewahrhause und jede wußte alles Erforderliche hervorzubringen, aufzubewahren, und zuzurichten, von Brot bis Berlinertorte, von Radischen bis Ananas, von Flachs bis zum altasglänzendweißen Tischtuch. Jetzt arbeiteten sich alle mit Lust in die Hände, dabei herzten und küßten sie sich untereinander einen Augenblick, wenn sie sich begegneten. Endlich waren die Bräute, kurzzeitige Bräute, und ihre Bräutigamme, alles auserlesene junge Männer: Fünf Candidaten, drei Offiziere, drei Referendäre, die vier Söhne von Stifter und Student Salomon. Zugleich lagen die[S. 240] lieblichbunten Verlobungsbriefe von Nolly und Dolly, zusammen Achtzehn vor uns. Nur die jüngste Tochter war unversorgt, die liebste, Armgard.

Zum Hochzeittage, auch kein Wunder, nur eine natürlich erfolgte Cumulation, Anhäufung oder Vereinigung, fanden wir uns aus Ostfrei in Schloß Westfrei „dem Männerstift“ ein, mit einem Beikahn voll Hochzeitgeschenke, die meine rechtschaffene Mutter für mich, mein Weib und sich selbst höchstreichlich geschafft und passend erdacht. Die Gäste, außer dem heut stöhnenden Herrn von Rizzi, der im Kahne mit blasenden Postillonen gekommen war, schienen wirklich alle sich zum Troste, wie dem Generalhochzeitvater als mildernde Folie gebeten! Denn da war der Maurermeister G... aus der nahen Stadt P... mit neun lebenden Söhnen und einer Tochter. — Der alte Hof- Haus- oder Stall- — eigentlich: Pferde-Sattler G.... aus M..... mit siebzehn Kindern von seiner ersten Frau, und zweien von seiner zweiten, und vieren von seiner dritten. — Dann der Herr von D.....z auf D.l..g mit neunzehn, also lebendigen Kindern von seiner einzigen noch liebenswürdigen Frau, die wirk[S. 241]lich jungfräulich immer wieder über so viele — Kinder erröthete! Ihr Mann, der Landes....., aber stellte seinen jüngsten Sohn Rudolph, einen Coloß, mit besonderem Vergnügen vor, mit der Geschichte, daß derselbe ein elendes Kind gewesen; aber zur Stärkung stets in dem frischausgeteigtem Backfaß so freudenreich erzogen worden sei! Kurz der Generalvater erschien als ein ganz gewöhnlicher Mann, deren Wenige nur „so viel Glück“ hatten. Die vorläufige köstliche Bewirthung erheiterte Alle.

Ehe wir in die Trauung über den See fuhren, trat Herr von Sangallo mitten in den Saal. Er war von draußen, wahrscheinlich vom Ruheort seiner Agathe sehr ernst hereingekommen, und erbat sich die Erlaubniß, gleichsam vom Hausaltare, nur ein Wort zu sagen, was er auf solche Sorgen der Liebe vielleicht sich verdient habe. Dabei blieb seine jüngste Tochter in weißem Kleide, einen Schneeglöckchenkranz in den Haaren, ihm wie zur Stütze stehen. Er hielt sich lange die Hand vor die Augen und murmelte einige unverständliche Worte, dann erschien er heiter und sprach:

Wir alle, keinen Menschen ausgenom[S. 242]men, leben: um uns überflüssig zu machen. Auch ich bin ein abgethaner Vater, das sind abgethane Kinder; ich fühle es am besten, nun wirklich verlorene Kinder für mich; gefundene ihren Männern, und von der Natur, dieser einzigen, wahren und worthaltenden Prophetin überall, ihren Kindern prophezeihte Mütter. Ich spreche also meine Kinder als Kinder los; Ihr seid frei!“

Dabei ging er umher, legte jeder die Hand auf das willig gesenkte Haupt, dann küßte er sie; Arminien umarmte er. Dann trat er ruhig an seinen Platz und sprach weiter: „Meine Liebe geht jetzt in ihren Himmel, unthätig und ohne Furcht zurück, wie da draußen die Sonne die mich bescheint, und Euch alle — wenn ihr glücklich seid — dereinst so bescheint, wenn Ihr Euere Töchter und Söhne freisprecht — das heißt: verheirathet.“

Denn wie schlecht haben die gesehen, welche noch eine Erlösung der Frauen aus Sclaverei, ihre Freilassung verlangen; denn das bedeutet doch Emancipation. Die Weiber sind auch bei den ehrlichen Türken freier, als die Männer überall. Die Männer stecken in der Sclaverei[S. 243] des Lebens, wenn das eine ist. Alle Gefahren, alle Blutarbeit des Krieges, alle schwere Arbeit, von Hammerschmied und Glasmacher an, bis zu Nachtwächter aller Art, alle Aemter, welche sie im Grunde um das bürgerliche, häusliche, menschliche Leben bringen — für Geld, Ehre und Brot bringen, müssen die Männer allein übernehmen. Oder ist das keine Sklaverei, wie frei ist da erst die Frau, da sie im vollständigen unbeschränkten Besitz des ihr von der Natur angewiesenen Lebens, ihres Wirkungskreises, schon immer war, noch ist, und immer sein wird. Das Wenige, was daran fehlt, möchte ihr kaum gut thun, und das halten ihr nur persönliche Umstände vor:

„Böser Mann, Armuth, Krankheit, Unglück, Kinderlosigkeit; zumeist die Weiber selbst, welche die eingefleischte Rangordnung, Ehrsucht und Eitelkeit sind. Die Weiber sollen sich nicht entwürdigen, so kann und wird sie Niemand erniedrigen. Ohne neue papierene Freiheit kann die Frau in jedem Hause Frau sein, ihre Seele entwickeln, ihr Herz ausschütten, ihren Gefühlen leben, ihre Liebe bethätigen, aussprechen, auslehren, auswiegen, aussingen, ja auswaschen —[S. 244] denn selber in einem zum Sonntag neuwaschenem Kinderhäubchen steckt die ganze Mutterliebe! Ihre Lebensaufgabe, ihr Beruf, ihr süßes, schönes, herzliches, geschichtloses Leben, das zum Beweis ihres höchsten Ranges wie alles Göttliche und Ewige selbst „geschichtlos“ ist, sind ihr unverkümmerbar, unraubbar. Höchstens tritt wieder das Weib nur dem Weibe entgegen — als Kebsweib, Abspenstigmacherin, junge schöne Sclavin! Und da theilen die Männer die Schuld durch Sitten, Gebräuche, ja Religion. Man soll mir nicht mit der Frauenerlösung kommen! Denn da befällt mich Trauer, Zorn und Wuth über die Sclaverei, in welcher die Männer noch stecken. Und gerade die Weiber sollen mit Hand und Mund — dem gewaltigen — mit Liebe und Haß, mit Freimuth und Hochsinn daheim und auswärts aus aller Herzenkraft und Weibermacht nach ihrem vollständigen Wohlsein und Glück dazu, dazu beitragen: daß der Mann frei wird! daß er Mensch wird. Mit der Hochzeit ist jede Jungfrau emancipiert. Darum heirathet ihr Mädchen! Dazu macht Ihr den Jünglingen die Ehe möglich, den Männern leicht, durch einfache Ansprüche, gediegenes Leben; und[S. 245] dazu kennt die besten Güter; und dann seid damit zufrieden! Die künftigen Männer macht ihr frei, durch das Kleine und Liebe: Eure Kleinen voll Ehre und Kraft zu erziehen! Voll Verlangen nach jeder guten Göttergabe! Was ihr Mütter die Kinder lehrt, das wehren Euch Legionen Teufel nicht; das tilgen Legionen Tyrannen nicht aus. Die Kinderstube ist das Heiligthum Gottes. Dahin reicht keine freche Hand. Und was Einem das Leben kostete, das lachen nur Viele hinweg. Darum seid froh! Empfangt meinen Dank für alles, was ich Euch zu thun vermocht! für alles Glück, das Ihr mir gewesen seid — und vergeßt Euren Vater nicht! Nun zieht gesegnet in Frieden!“

Darauf entließ er uns, blieb einsam im Saale stehen; dann sah er uns nach, wie wir uns einschifften in die mit blühenden Fichtenzweigen bekränzten Nachen, und rasch hinglitten über den See.

So bleiben die Eltern stehen und haben das Nachsehen; wie ihre Eltern stehen geblieben und ihnen nachgesehen. Aber der Blick in die Fernen der Welt ist schön und süß, und groß und weit, und wonnebedrängend vor Zuversicht: Was die[S. 246] Entwandelten, immer verjüngt, in den heiteren heiligen Räumen alles genießen sollen! Denn sie wissen es: was! Dann gehen die Eltern fort; betäubt, als wenn sie bei einer unlöschbaren weltgroßen Feuersbrunst, bis zum Umsinken ermüdet, Wassereimer mit zugelangt hätten, in einer langen, dunkeln, tosenden Menschenreihe.

Daher konnte ich mir denken, wie zauberisch süß der treue Vater in die liebliche Welt der Wunder versetzt war, als zu Ende des Hochzeitschmauses die Spielsachen und Verlassenschaften aus der Kindheit der Kinder, gleichsam als göttliches Dessert, am Tische in Fülle auf silbernen Schüsseln herumgereicht und von jedem bewundert wurden! Selber der menschliche Gottvater, der im Märchenbuche den Armen und den Reichen besucht, hätte sich herzlich gefreut, ja selber den heiligen Storch heilig gefunden, der im Schnabel die sieben Kindlein trug! Hier aber erschienen achtzehn Störche! und vor jeder Braut blieb Einer stehen und sah Ihn an; und sie an! aber Keine sah ihn wieder an; denn er war ihr der Geist der Natur und der wahren Liebe, der die Frucht der Welt trug. O heiliges Erröthen!

[S. 247]

Wir verbitterten dem Vater die Freude nicht. Denn ob er gleich fragte, wo denn unser lieber redlicher Pastor bleibe? warum er nicht komme? so verschwiegen wir ihm doch, daß er kurz vor der Trauung und schon in seinen Ornate, abgeholt worden war, und daß der ambulante Engel die allgemeine Trauung nach seinem Ausdruck: „so gut wie Einer oder Keiner“ vollzogen hatte. Dafür saß er seligstumm am Tische.

Zu Nacht hatte sich der Vater still zur Ruhe begeben; und ich muß es sagen, es hatte etwas geistermäßiges, ja es war geradezu wahrhaft-geistermäßig und gerecht, als die Töchter alle leise auf den gewölbten Corridor vor seine Thür schlichen, sich reiheten, und seelenbewegend ihm zum Dank mit ihren reinen, schönen, jungfräulichen Stimmen den tiefsinnigen Gesang anstimmten, der da ergreifender klang, wie ein bloßes Benedictus, „qui venit in nomine,“ der blos im Namen kam. Denn sie sangen:

Gesegnet sei der kam,
Und Uns der Vater war!
Der auf den Schooß uns nahm,
Und schmückte zum Altar;
Gesegnet sei, der kam,
Und Uns der Vater war.

[S. 248]

Dann sangen ihm die Schwiegersöhne, die göttlichen Erben, ihr Lied für solche Geschenke. Zuletzt Söhne und Töchter im Chor. Darauf standen sie eine Weile reglos. Der Vater klopfte mit dem Knöchel des Fingers in dieses Schweigen nur leise dreimal von innen an seine Thür. Und sie schlichen leise fort.

Am Morgen hörte ich bei mir aus dem Hochzeithause die etwas ängstlich verkündigte Nachricht: der Vater sei fort! die Nacht mit seiner jüngsten Tochter fortgereist! Nirgend sei eine Auskunft zu finden gewesen, nur endlich am weißen Marmorsarkophage der Mutter, die mit Kohlen geschriebenen Worte: „Seid Ihr glücklich! Forscht nicht nach mir!“

XII.
Der Vater Semi-morto.

Und so war er fort und blieb fort, innig von allen bedauert, ja von Kundigen vor Ahndung wirklich betrauert — wie der General,[S. 249] der auch alle seine überstandene Noth sogar abgeworfen!

Wir erfüllten indessen, das: „Seid Ihr glücklich,“ während des reinen, weißen, traulichen Winters und des Vorfrühlings, und reisten, als der Kukkuk erschien, dahin wo er zu Hause sein soll — nach Italien. Meine Brigitte erkannte zufällig in Rom den Lord, der seine blinde kleine Tochter führte, und dem sie von Dolly und Nolly erzählen mußte. Er meinte: es fehle ihm ordentlich etwas, seit der ewige Streit ihm nicht mehr Angst mache! und Ruhe und Frieden um ihn sei! Ich forschte bei ihm nach Sangallo, da uns eine Sage gekommen war, er sei mit seiner Tochter auf einer bloßen Abendlustfahrt im Golf von Neapel ertrunken, oder doch todt aus dem Wasser gezogen worden. — „Ihm sieht das Schlimmste ähnlich!“ erwiederte er; „das bekenn’ ich, da ich selbst unglücklich bin; aber er lebt auf der geisterhaften Insel Elba!“

Wir eilten nach Piombino, von Piombino hinüber, und entdeckten ihn dort, verwildert, in seiner Heraklesgestalt fast einem alten Deutschen gleich. Ich rief ihn an. — Er ging. — Ich folgte. — Er ging rascher. Ich bat. — Er[S. 250] stand; ja nach langem Besinnen gab er mir die Hand. Ich wollte ihm von seinen Töchtern Nachricht geben — er verbot es. Ich freute mich — er blieb ernst.

Ich allein durfte ihn in den folgenden Tagen zum Gange auf den eisenstein-rothen öden Bergrücken abholen. Doch er schwieg und schwieg. Er war tiefsinnig geworden, erschöpft an allen Gefühlen, gleichgültig, wach, und doch unaufweckbar: er ließ, vorauswandelnd, vor seinen Füßen ruhig ein Kind in den See stürzen, das er mit einem Griff erretten könne.

So blieb er äußerlich; doch innerlich rührte ihm sich das Blut, wie der Wein bei der neuen Traubenblüthe. Nun endlich erst bei meinem Scheiden ging ihm das Herz auf. Und so erfuhr ich Einiges, das er so hin murmelte. Dann bat er mich sogar um Erlaubniß, zu sein wie er sei!... oder um Verzeihung: daß er so sei. Aber, sprach er tiefaufseufzend: „Auch zu viel, zu viel Sorge der Liebe erdrückt. Ich bin ihr erlegen. Der Postdirector vollends hatte mir Todesangst gemacht. Er hatte mich mit seiner Schwiegersohnkrankheit angesteckt, und in mir fand sie heiliges Feuer genug und[S. 251] Stoff viermal so viel! Und dann die Schande! die verheimlichte Schande erwürgt heimlich. Denn worüber ich mich bergehoch erhoben und sicher bedünkte, darein verfiel Ich; darein stürzte mich mein bestes Kind. Soll ich den Namen Arminia vor Ihnen aussprechen? Sie sind glücklich; Sie lieben und sind geliebt; daher kann Sie nichts verwandeln. Aber wahrer ansehen kann man das Vergangene doch! Und Sie hatten sich wahrscheinlich nur in ihre Schönheit verliebt, als sie gereizt und geblendet, sie retteten; was jedoch jeder Beichtvater, jeder Superintendent und frömmste Minister gethan haben würde zu seiner Ehre. Darum konnten Sie sie ohne Verzweiflung, Zorn, Rache und Thränen aufgeben, da sie Ihnen mit Recht war „bedenklich“ geschildert worden; besonders als das frevelhafte Spiel mit Dr. Jenner, und der Glaube an den bloßen Namen „Kuh,“ das arme Mädchen entstellt hatte! Daß Arminia ihr halbes „Ja“ vorher zurückgenommen, das irrte Sie nicht! Aber, mein junger Freund, Arminia, liebte Sie; und durfte Sie dann nicht lieben; denn das verbot ihr das große Wort: Um zu lieben, muß sich die Jungfrau oder der Jüngling des Geliebt[S. 252]werdens werth und würdig fühlen. Das Gefühl giebt Feuer und Muth zu Liebe, vielleicht die Liebe selbst! Denn wer liebt, will dem Geliebten schön, rein, himmlisch erscheinen, ihm das seligste Glück bringen, es ihm sein und bleiben. Mit dem Unwerth versiegt die Liebe. — Sehen Sie da, als Zusatz und Erklärung zu Ihres Vaters Heirathsgebot und des Pastors Ehepredigt, und als Verklärung, die höchste Glorie in den Worten: Die Liebe, diese unsere menschliche Liebe der Geschlechter, ist auch zugleich und allein nur die reinste göttlichste Kraft, über die keine zu wünschen ist; und sie ist die vollkommenste Sittlichkeit, an der alle möglichen Engel, Halbgötter und Götter vollauf in Ewigkeit haben. Da ist kein Zweifel. Wir bedürfen nichts weiter, nichts Anderes. Denn so ist die alltägliche Liebe der alltäglichsten Menschen zwischen den beiden Geschlechtern. Denn drei Geschlechter giebt es nicht!“

Ich stutzte und fragte kleinlaut: Aber was war denn Arminien geschehen?

„Eine Ueberraschung, die erregten Liebenden sehr leicht geschieht — die sie zum Staube warf!“ sprach er. O traue doch kein Vater, keine[S. 253] Mutter und keine getroste Jungfrau einem Manne, (selber einem halben übertünchtem Greise nicht) der aus Verführung von Weibern ein jahrelanges wohl lebenslanges Geschäft gemacht hat. Das Gift bricht wieder aus, und die alte Schlange weiß alle Künste! Daß er dann verwünscht und verabscheut wird, das nimmt er hin als gewohnt. Wer nun das war? Haben Sie nicht gehört, daß vier Söhne ihren Vater gefordert? Aber die Mutter hat sie bedeutet, und als Weib sich mit ihrem Manne geschossen; doch nur dann erst, als ich zum einzigen stummen Vorwurf des Unrechts an seinem fünfzehn Jahr lang kranken Weibe — womit er sich gerade entschuldigen wollen — dem Manne sein Kind — Teufel! — meinen Enkel, das kleine todtgeborene herzensliebe Männchen, in einem Särgchen zugesandt, das ich noch aus der Zeit besaß, wo ich „Meister vom Stuhle“ gewesen, und das mit den geheimnißvollen Zeichen bunt und zierlich bemalt war.

Ich verstummte über Arminia. Zuletzt sprach ich nur — der Stifter ist todt.

Erlauben Sie mir also: als Vater todt zu sein; fuhr er fort. Manch guter Vater stirbt wohl schon, als zu weich und verzagt, an drei[S. 254] oder vier guten Kindern; wie nun ich nicht an achtzehn Töchtern? und darunter zwei Unglückliche, und eine Verunglückte. Ein Tropfen Essig verdirbt eine Tonne Honig.

Er sah mir die Thränen in den Augen.

Kein Mitleid! versetzte er. Zu meinen Zehn Haus- und Kindergeboten rathe ich Ihnen noch die zwei wichtigsten aufzunehmen; und mit allen Zwölfen dürfte ein Vater langen, wenn auch noch nicht ein Gatte. Mein Herz hat mich noch diese letzten gelehrt:

11) Auch die schwersten und größten Fehler halte bei deinem Kinde für möglich. Denn selbst gut sein, läßt noch nicht sicher glücklich bleiben unter den Menschen!

12) Stehe deinem Kinde in jedem Unglück bei, verlaß es in keiner Noth, hilf ihm in jeder Schande.

Und daß meine jüngste Tochter, meine treue Armgard, bis zu meinem Tode bei mir bleiben will? Sie hat sich auch ein Gebot gemacht: dem Vater die Liebe zu vergelten. Da kommt das gutste Kind, wie sie klein sich immer selbst nannte! Jedoch auch sie schenke ich weg, wenn ihr Herr und Freund kommt! Ich bin[S. 255] der Mann der einsam leben kann — vor Erinnerung! vor aller Welt! Auch sage ich nicht ab: wieder heimzukehren und für all’ mein Leid mit Freude belohnt zu werden, wenn ich wieder Sinn dafür und Kraft dazu erlangt. Freude will Feuer und Muth in der Seele; die Lahmen tanzen schlecht. Ich denke wiederzukehren, so in zehn Jahren! Auch schon meines Männerstiftes wegen; denn es giebt viel brave Professoren und ehrenfeste Geistliche, die es bedürfen möchten. In zehn Jahren sind hoffentlich die bösen Geister hinab in die Erde versunken, wenn auch mit Gestank. Indessen möchte mein Prytaneum noch nöthig werden, jetzt so nöthig in so schauriger Zeit, wie einst die Klöster. Die Schulmeister aber, das sind die Eisenköpfe!

Keine Sorge! beruhigte ich ihn. Gott ruft manchmal vom Himmel, ja er langt auch hinunter, oder haucht nur. Und sein Hauch macht lebendig, und ein Wind macht den Himmel schön! So schieden wir, während er mich groß ansah, weil ich noch gesagt: mich verlangt recht heim — nach Deutschland.

In meinem Zimmer drückte ich im Gefühl meines Glückes mein Häschen an’s Herz. Auch[S. 256] sie fing sich an zu beklagen — und wir reisten langsam nach Hause und kehrten gesund zu meiner rechtschaffenen Mutter zurück.

Doch was geschah? — Nach mehren Tagen besucht mich Freund von Rizzi; jetzt auch noch durch einen Orden geehrt. Wir fahren hinüber zu den Schwestern, und Wer steht da? mitten unter den Töchtern und Söhnen? —: der Vater! Heiligenhahn! wie er leibt und lebt!

... Ein Vater ist ein Sclave seiner Kinder; rief er mir zu — aber ein glücklicher; denn er ist wie das Kind vom Hause! wie in der Türkei.

Und Herr von Rizzi sprach: „Ich sagte gleich, der kommt wieder! In der Türkei, zur Pestzeit, wenn das Weib den Mann, und der Mann das Weib geflohen, ja, wenn Mutter die Tochter und Vater den Sohn verlassen haben, da bleibt die Mutter bei ihrem Sohn, und der Vater erst recht bei der Tochter! Das ist Geschlechtsliebe, die reine Geschlechtsliebe. Und Du hier, Heiligenhahn, Du wolltest von achtzehn Töchtern entlaufen? — Nicht von Einer!“ —

Verzierung Ende

Breslau.

Druck von Robert Lucas, Schuhbrücke Nr. 32.






End of the Project Gutenberg EBook of Achtzehn Töchter, by Leopold Schefer

*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK ACHTZEHN Töchter ***

***** This file should be named 57805-h.htm or 57805-h.zip *****
This and all associated files of various formats will be found in:
        http://www.gutenberg.org/5/7/8/0/57805/

Produced by the Online Distributed Proofreading Team at
http://www.pgdp.net (This book was produced from scanned
images of public domain material from the Google Books
project.)


Updated editions will replace the previous one--the old editions
will be renamed.

Creating the works from public domain print editions means that no
one owns a United States copyright in these works, so the Foundation
(and you!) can copy and distribute it in the United States without
permission and without paying copyright royalties.  Special rules,
set forth in the General Terms of Use part of this license, apply to
copying and distributing Project Gutenberg-tm electronic works to
protect the PROJECT GUTENBERG-tm concept and trademark.  Project
Gutenberg is a registered trademark, and may not be used if you
charge for the eBooks, unless you receive specific permission.  If you
do not charge anything for copies of this eBook, complying with the
rules is very easy.  You may use this eBook for nearly any purpose
such as creation of derivative works, reports, performances and
research.  They may be modified and printed and given away--you may do
practically ANYTHING with public domain eBooks.  Redistribution is
subject to the trademark license, especially commercial
redistribution.



*** START: FULL LICENSE ***

THE FULL PROJECT GUTENBERG LICENSE
PLEASE READ THIS BEFORE YOU DISTRIBUTE OR USE THIS WORK

To protect the Project Gutenberg-tm mission of promoting the free
distribution of electronic works, by using or distributing this work
(or any other work associated in any way with the phrase "Project
Gutenberg"), you agree to comply with all the terms of the Full Project
Gutenberg-tm License (available with this file or online at
http://gutenberg.org/license).


Section 1.  General Terms of Use and Redistributing Project Gutenberg-tm
electronic works

1.A.  By reading or using any part of this Project Gutenberg-tm
electronic work, you indicate that you have read, understand, agree to
and accept all the terms of this license and intellectual property
(trademark/copyright) agreement.  If you do not agree to abide by all
the terms of this agreement, you must cease using and return or destroy
all copies of Project Gutenberg-tm electronic works in your possession.
If you paid a fee for obtaining a copy of or access to a Project
Gutenberg-tm electronic work and you do not agree to be bound by the
terms of this agreement, you may obtain a refund from the person or
entity to whom you paid the fee as set forth in paragraph 1.E.8.

1.B.  "Project Gutenberg" is a registered trademark.  It may only be
used on or associated in any way with an electronic work by people who
agree to be bound by the terms of this agreement.  There are a few
things that you can do with most Project Gutenberg-tm electronic works
even without complying with the full terms of this agreement.  See
paragraph 1.C below.  There are a lot of things you can do with Project
Gutenberg-tm electronic works if you follow the terms of this agreement
and help preserve free future access to Project Gutenberg-tm electronic
works.  See paragraph 1.E below.

1.C.  The Project Gutenberg Literary Archive Foundation ("the Foundation"
or PGLAF), owns a compilation copyright in the collection of Project
Gutenberg-tm electronic works.  Nearly all the individual works in the
collection are in the public domain in the United States.  If an
individual work is in the public domain in the United States and you are
located in the United States, we do not claim a right to prevent you from
copying, distributing, performing, displaying or creating derivative
works based on the work as long as all references to Project Gutenberg
are removed.  Of course, we hope that you will support the Project
Gutenberg-tm mission of promoting free access to electronic works by
freely sharing Project Gutenberg-tm works in compliance with the terms of
this agreement for keeping the Project Gutenberg-tm name associated with
the work.  You can easily comply with the terms of this agreement by
keeping this work in the same format with its attached full Project
Gutenberg-tm License when you share it without charge with others.

1.D.  The copyright laws of the place where you are located also govern
what you can do with this work.  Copyright laws in most countries are in
a constant state of change.  If you are outside the United States, check
the laws of your country in addition to the terms of this agreement
before downloading, copying, displaying, performing, distributing or
creating derivative works based on this work or any other Project
Gutenberg-tm work.  The Foundation makes no representations concerning
the copyright status of any work in any country outside the United
States.

1.E.  Unless you have removed all references to Project Gutenberg:

1.E.1.  The following sentence, with active links to, or other immediate
access to, the full Project Gutenberg-tm License must appear prominently
whenever any copy of a Project Gutenberg-tm work (any work on which the
phrase "Project Gutenberg" appears, or with which the phrase "Project
Gutenberg" is associated) is accessed, displayed, performed, viewed,
copied or distributed:

This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and with
almost no restrictions whatsoever.  You may copy it, give it away or
re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included
with this eBook or online at www.gutenberg.org/license

1.E.2.  If an individual Project Gutenberg-tm electronic work is derived
from the public domain (does not contain a notice indicating that it is
posted with permission of the copyright holder), the work can be copied
and distributed to anyone in the United States without paying any fees
or charges.  If you are redistributing or providing access to a work
with the phrase "Project Gutenberg" associated with or appearing on the
work, you must comply either with the requirements of paragraphs 1.E.1
through 1.E.7 or obtain permission for the use of the work and the
Project Gutenberg-tm trademark as set forth in paragraphs 1.E.8 or
1.E.9.

1.E.3.  If an individual Project Gutenberg-tm electronic work is posted
with the permission of the copyright holder, your use and distribution
must comply with both paragraphs 1.E.1 through 1.E.7 and any additional
terms imposed by the copyright holder.  Additional terms will be linked
to the Project Gutenberg-tm License for all works posted with the
permission of the copyright holder found at the beginning of this work.

1.E.4.  Do not unlink or detach or remove the full Project Gutenberg-tm
License terms from this work, or any files containing a part of this
work or any other work associated with Project Gutenberg-tm.

1.E.5.  Do not copy, display, perform, distribute or redistribute this
electronic work, or any part of this electronic work, without
prominently displaying the sentence set forth in paragraph 1.E.1 with
active links or immediate access to the full terms of the Project
Gutenberg-tm License.

1.E.6.  You may convert to and distribute this work in any binary,
compressed, marked up, nonproprietary or proprietary form, including any
word processing or hypertext form.  However, if you provide access to or
distribute copies of a Project Gutenberg-tm work in a format other than
"Plain Vanilla ASCII" or other format used in the official version
posted on the official Project Gutenberg-tm web site (www.gutenberg.org),
you must, at no additional cost, fee or expense to the user, provide a
copy, a means of exporting a copy, or a means of obtaining a copy upon
request, of the work in its original "Plain Vanilla ASCII" or other
form.  Any alternate format must include the full Project Gutenberg-tm
License as specified in paragraph 1.E.1.

1.E.7.  Do not charge a fee for access to, viewing, displaying,
performing, copying or distributing any Project Gutenberg-tm works
unless you comply with paragraph 1.E.8 or 1.E.9.

1.E.8.  You may charge a reasonable fee for copies of or providing
access to or distributing Project Gutenberg-tm electronic works provided
that

- You pay a royalty fee of 20% of the gross profits you derive from
     the use of Project Gutenberg-tm works calculated using the method
     you already use to calculate your applicable taxes.  The fee is
     owed to the owner of the Project Gutenberg-tm trademark, but he
     has agreed to donate royalties under this paragraph to the
     Project Gutenberg Literary Archive Foundation.  Royalty payments
     must be paid within 60 days following each date on which you
     prepare (or are legally required to prepare) your periodic tax
     returns.  Royalty payments should be clearly marked as such and
     sent to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation at the
     address specified in Section 4, "Information about donations to
     the Project Gutenberg Literary Archive Foundation."

- You provide a full refund of any money paid by a user who notifies
     you in writing (or by e-mail) within 30 days of receipt that s/he
     does not agree to the terms of the full Project Gutenberg-tm
     License.  You must require such a user to return or
     destroy all copies of the works possessed in a physical medium
     and discontinue all use of and all access to other copies of
     Project Gutenberg-tm works.

- You provide, in accordance with paragraph 1.F.3, a full refund of any
     money paid for a work or a replacement copy, if a defect in the
     electronic work is discovered and reported to you within 90 days
     of receipt of the work.

- You comply with all other terms of this agreement for free
     distribution of Project Gutenberg-tm works.

1.E.9.  If you wish to charge a fee or distribute a Project Gutenberg-tm
electronic work or group of works on different terms than are set
forth in this agreement, you must obtain permission in writing from
both the Project Gutenberg Literary Archive Foundation and Michael
Hart, the owner of the Project Gutenberg-tm trademark.  Contact the
Foundation as set forth in Section 3 below.

1.F.

1.F.1.  Project Gutenberg volunteers and employees expend considerable
effort to identify, do copyright research on, transcribe and proofread
public domain works in creating the Project Gutenberg-tm
collection.  Despite these efforts, Project Gutenberg-tm electronic
works, and the medium on which they may be stored, may contain
"Defects," such as, but not limited to, incomplete, inaccurate or
corrupt data, transcription errors, a copyright or other intellectual
property infringement, a defective or damaged disk or other medium, a
computer virus, or computer codes that damage or cannot be read by
your equipment.

1.F.2.  LIMITED WARRANTY, DISCLAIMER OF DAMAGES - Except for the "Right
of Replacement or Refund" described in paragraph 1.F.3, the Project
Gutenberg Literary Archive Foundation, the owner of the Project
Gutenberg-tm trademark, and any other party distributing a Project
Gutenberg-tm electronic work under this agreement, disclaim all
liability to you for damages, costs and expenses, including legal
fees.  YOU AGREE THAT YOU HAVE NO REMEDIES FOR NEGLIGENCE, STRICT
LIABILITY, BREACH OF WARRANTY OR BREACH OF CONTRACT EXCEPT THOSE
PROVIDED IN PARAGRAPH 1.F.3.  YOU AGREE THAT THE FOUNDATION, THE
TRADEMARK OWNER, AND ANY DISTRIBUTOR UNDER THIS AGREEMENT WILL NOT BE
LIABLE TO YOU FOR ACTUAL, DIRECT, INDIRECT, CONSEQUENTIAL, PUNITIVE OR
INCIDENTAL DAMAGES EVEN IF YOU GIVE NOTICE OF THE POSSIBILITY OF SUCH
DAMAGE.

1.F.3.  LIMITED RIGHT OF REPLACEMENT OR REFUND - If you discover a
defect in this electronic work within 90 days of receiving it, you can
receive a refund of the money (if any) you paid for it by sending a
written explanation to the person you received the work from.  If you
received the work on a physical medium, you must return the medium with
your written explanation.  The person or entity that provided you with
the defective work may elect to provide a replacement copy in lieu of a
refund.  If you received the work electronically, the person or entity
providing it to you may choose to give you a second opportunity to
receive the work electronically in lieu of a refund.  If the second copy
is also defective, you may demand a refund in writing without further
opportunities to fix the problem.

1.F.4.  Except for the limited right of replacement or refund set forth
in paragraph 1.F.3, this work is provided to you 'AS-IS' WITH NO OTHER
WARRANTIES OF ANY KIND, EXPRESS OR IMPLIED, INCLUDING BUT NOT LIMITED TO
WARRANTIES OF MERCHANTABILITY OR FITNESS FOR ANY PURPOSE.

1.F.5.  Some states do not allow disclaimers of certain implied
warranties or the exclusion or limitation of certain types of damages.
If any disclaimer or limitation set forth in this agreement violates the
law of the state applicable to this agreement, the agreement shall be
interpreted to make the maximum disclaimer or limitation permitted by
the applicable state law.  The invalidity or unenforceability of any
provision of this agreement shall not void the remaining provisions.

1.F.6.  INDEMNITY - You agree to indemnify and hold the Foundation, the
trademark owner, any agent or employee of the Foundation, anyone
providing copies of Project Gutenberg-tm electronic works in accordance
with this agreement, and any volunteers associated with the production,
promotion and distribution of Project Gutenberg-tm electronic works,
harmless from all liability, costs and expenses, including legal fees,
that arise directly or indirectly from any of the following which you do
or cause to occur: (a) distribution of this or any Project Gutenberg-tm
work, (b) alteration, modification, or additions or deletions to any
Project Gutenberg-tm work, and (c) any Defect you cause.


Section  2.  Information about the Mission of Project Gutenberg-tm

Project Gutenberg-tm is synonymous with the free distribution of
electronic works in formats readable by the widest variety of computers
including obsolete, old, middle-aged and new computers.  It exists
because of the efforts of hundreds of volunteers and donations from
people in all walks of life.

Volunteers and financial support to provide volunteers with the
assistance they need, are critical to reaching Project Gutenberg-tm's
goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will
remain freely available for generations to come.  In 2001, the Project
Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure
and permanent future for Project Gutenberg-tm and future generations.
To learn more about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation
and how your efforts and donations can help, see Sections 3 and 4
and the Foundation web page at http://www.pglaf.org.


Section 3.  Information about the Project Gutenberg Literary Archive
Foundation

The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit
501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
Revenue Service.  The Foundation's EIN or federal tax identification
number is 64-6221541.  Its 501(c)(3) letter is posted at
http://pglaf.org/fundraising.  Contributions to the Project Gutenberg
Literary Archive Foundation are tax deductible to the full extent
permitted by U.S. federal laws and your state's laws.

The Foundation's principal office is located at 4557 Melan Dr. S.
Fairbanks, AK, 99712., but its volunteers and employees are scattered
throughout numerous locations.  Its business office is located at
809 North 1500 West, Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887, email
[email protected].  Email contact links and up to date contact
information can be found at the Foundation's web site and official
page at http://pglaf.org

For additional contact information:
     Dr. Gregory B. Newby
     Chief Executive and Director
     [email protected]


Section 4.  Information about Donations to the Project Gutenberg
Literary Archive Foundation

Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide
spread public support and donations to carry out its mission of
increasing the number of public domain and licensed works that can be
freely distributed in machine readable form accessible by the widest
array of equipment including outdated equipment.  Many small donations
($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt
status with the IRS.

The Foundation is committed to complying with the laws regulating
charities and charitable donations in all 50 states of the United
States.  Compliance requirements are not uniform and it takes a
considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up
with these requirements.  We do not solicit donations in locations
where we have not received written confirmation of compliance.  To
SEND DONATIONS or determine the status of compliance for any
particular state visit http://pglaf.org

While we cannot and do not solicit contributions from states where we
have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition
against accepting unsolicited donations from donors in such states who
approach us with offers to donate.

International donations are gratefully accepted, but we cannot make
any statements concerning tax treatment of donations received from
outside the United States.  U.S. laws alone swamp our small staff.

Please check the Project Gutenberg Web pages for current donation
methods and addresses.  Donations are accepted in a number of other
ways including checks, online payments and credit card donations.
To donate, please visit: http://pglaf.org/donate


Section 5.  General Information About Project Gutenberg-tm electronic
works.

Professor Michael S. Hart is the originator of the Project Gutenberg-tm
concept of a library of electronic works that could be freely shared
with anyone.  For thirty years, he produced and distributed Project
Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of volunteer support.


Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed
editions, all of which are confirmed as Public Domain in the U.S.
unless a copyright notice is included.  Thus, we do not necessarily
keep eBooks in compliance with any particular paper edition.


Most people start at our Web site which has the main PG search facility:

     http://www.gutenberg.org

This Web site includes information about Project Gutenberg-tm,
including how to make donations to the Project Gutenberg Literary
Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to
subscribe to our email newsletter to hear about new eBooks.