*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 55657 *** +------------------------------------------------------------------+ | Anmerkungen zur Transkription | | | | Gesperrter Text ist als _gesperrt_ dargestellt, Antiqua-Schrift | | als ~Antiqua~. | | Eine Liste der Änderungen befindet sich am Ende des Buchs. | +------------------------------------------------------------------+ Pieter Maritz, der Buernsohn von Transvaal. [Illustration: Andries Buurman und sein Sohn Pieter Maritz.] Pieter Maritz, der Buernsohn von Transvaal. Von August Niemann. Mit 16 Tonbildern, 1 Karte und zahlreichen Textabbildungen. Achte Auflage. [Illustration] Bielefeld und Leipzig. _Verlag von Velhagen & Klasing._ 1910. Alle Rechte vorbehalten. Druck von Velhagen & Klasing in Bielefeld Inhaltsübersicht. Seite _Erstes Kapitel_: In der Mordhöhle von Makapanspoort 1 _Zweites Kapitel_: Die Gesandten des Zulukönigs 14 _Drittes Kapitel_: Auf der Reise 28 _Viertes Kapitel_: Heimliche Flucht 43 _Fünftes Kapitel_: Die Missionsstation Botschabelo 58 _Sechstes Kapitel_: Lord Adolphus Fitzherbert 71 _Siebentes Kapitel_: Titus Afrikaner 88 _Achtes Kapitel_: Unter den Räubern 103 _Neuntes Kapitel_: Morimo 118 _Zehntes Kapitel_: Die Bekehrung 134 _Elftes Kapitel_: Die Reise in das Zululand 152 _Zwölftes Kapitel_: Tschetschwajo, der Zulukönig 170 _Dreizehntes Kapitel_: Königliche Manöver und Jagden 188 _Vierzehntes Kapitel_: Mainze-kanze -- Laßt den Feind kommen! 206 _Fünfzehntes Kapitel_: Der Regenmacher 224 _Sechzehntes Kapitel_: Der Abschied vom Zululand 243 _Siebzehntes Kapitel_: Utrecht 262 _Achtzehntes Kapitel_: Die Schlacht von Isandula 280 _Neunzehntes Kapitel_: In Pretoria 299 _Zwanzigstes Kapitel_: Die Anwerbung 317 _Einundzwanzigstes Kapitel_: Daheim und in englischen Diensten 335 _Zweiundzwanzigstes Kapitel_: Die Schlacht bei Gingilowo 352 _Dreiundzwanzigstes Kapitel_: Prinz Ludwig Napoleon 376 _Vierundzwanzigstes Kapitel_: Die Schlacht von Ulundi 392 _Fünfundzwanzigstes Kapitel_: König Tschetschwajos Gefangennahme 409 _Sechsundzwanzigstes Kapitel_: Von Pretoria nach Kimberley 424 _Siebenundzwanzigstes Kapitel_: Von Kimberley nach Bloemfontein 442 _Achtundzwanzigstes Kapitel_: Die Rekognoszierung 461 _Neunundzwanzigstes Kapitel_: Der Kampf bei Langes Nek 480 _Dreißigstes Kapitel_: Der Kampf bei Schains Hoogte 498 _Einunddreißigstes Kapitel_: Im feindlichen Lager 521 _Zweiunddreißigstes Kapitel_: Die Erstürmung des Majuba 539 _Schluß_ 555 [Illustration] Erstes Kapitel In der Mordhöhle von Makapanspoort An einem Nachmittage des Monats Januar 1878 zog ein einzelner Reiter, neben dessen Pferd ein Knabe von etwa vierzehn Jahren einherschritt, durch das Thal des Nylflusses, welches die langgestreckten Höhenzüge der Waterberge im Lande Transvaal in Südafrika durchbricht. Die Strahlen der Sonne fielen in blendender Klarheit vom unbewölkten Himmel herab und erzeugten in dem engen Thale eine brennende Glut. Nur langsam bewegte der kleine Zug sich vorwärts, das Pferd ging einen müden Schritt, der Reiter hatte sein bärtiges Haupt auf die Brust gesenkt, und der Knabe, welcher mit einer Hand den Steigbügelriemen gefaßt hatte, blickte oft voll Besorgnis zu dem Gesicht des Mannes empor. Der Reiter war von gewaltigem Wuchse, breit von Brust und Schultern und mit langen Beinen. Er hatte ein kriegerisches Aussehen, obwohl keine Abzeichen militärischer Art seinen Anzug als den eines Soldaten kenntlich machten. Sein Gesicht war von Wind und Wetter gebräunt, ein Hut mit sehr breitem Rande bedeckte sein Haupt, über der dunkelgrauen Bluse trug er einen Gurt von Büffelleder, an welchem ein Hirschfänger herabhing; über die eine Schulter gehängt war ein breiter Lederriemen, der der ganzen Länge nach mit metallenen Patronen besteckt war, und über der anderen Schulter trug er eine Büchse. Seine Füße steckten in hohen, bis zum Knie reichenden Stiefeln mit schweren Sporen. Gleich dem Reiter war auch das Pferd seinem Aussehen nach an die Beschwerden der Märsche, der Jagd und des Krieges gewöhnt. Es war ein schönes starkes Tier von brauner Farbe, an dessen Brust und Hals einige hellere Streifen im Haar die Narben empfangener Wunden, sei es von Kugeln oder den Wurfspießen der Schwarzen kennzeichneten. Seine feinen, nervigen Beine zeigten eine außerordentliche Muskelkraft an, sein schlanker Hals war mit einer langen, leichten Mähne geziert, seine Augen glänzten von Klugheit, sein Kopf war zierlich und gedrungen, sein langer Schweif peitschte die Flanken. Kleine runde Narben über den Sprunggelenken ließen erkennen, daß es die Krankheit der südafrikanischen Wildnis überstanden hatte und nun allen Strapazen jenes Landes gewachsen war. Es war ein gesalzenes Pferd, wie die europäischen Kolonisten sich dort ausdrücken. Welches aber der Grund davon war, daß das Tier so langsam ging und der Reiter sowohl wie der ihn begleitende Knabe so traurig aussahen, das war bei näherer Betrachtung leicht zu erkennen. Die linke Hand des Reiters hing bewegungslos an seiner Seite herab, und die Zügel lagen in der rechten. Dazu war diese gelähmte Hand mit einer Binde umwunden, welche von Blut gefärbt war, wie aus einer frischen Wunde. Außerdem aber war die Bluse auf der Brust mit dunkelroten Flecken reichlich bedeckt, und es war zu erkennen, daß auch hier, so nahe dem Sitze des Lebens, die Geschosse der Feinde bedrohlich gewirkt hatten. Auf diese Flecke und auf das Antlitz des verwundeten Mannes richteten sich die Blicke des besorgten Knaben an seiner Seite. Er hielt sich dicht am Pferde und war bereit, dem Vater eine Stütze zu sein, falls dieser etwa, vom Blutverlust geschwächt, nicht mehr imstande sein sollte, sich allein im Sattel zu halten. Er war ein kräftiger Knabe, dem Vater ähnlich an Gestalt. Unter seinem Hute hervor wallten blonde Locken bis auf den Kragen seiner Bluse herab und umrahmten ein frisches Gesicht mit hellen blauen Augen. Er war gleich dem Vater umgürtet und trug ein Waidmesser an der Hüfte, doch weiter keine Waffen. Ebenso trug er die hohen Stiefel, in welche die weiten Beinkleider hineingesteckt waren, doch keine Sporen. »Wir werden unsern Marsch nicht lange mehr fortsetzen können, ich fühle mich zu schwach, mein Junge,« sagte in holländischer Sprache der Vater. »Und wer weiß, ob diese schwarzen Teufel uns nicht doch überholen, wenn sie die Richtung entdecken, in der wir ihnen entwischt sind. Aber ich weiß ein Versteck hier in dieser Gegend, dort wollen wir uns verbergen. Es ist mir um dich zu thun, Pieter Maritz, mein guter Sohn, denn was mich betrifft, so fühle ich wohl, daß es mit mir zu Ende geht.« Indem der Reiter diese Worte mit schwacher Stimme sprach, lenkte er sein Pferd seitwärts nach dem Abhange des Berges zur Linken hin, in ein Dickicht. Das von der Sommerhitze verbrannte, lange, braune Gras, welches unter den Hufen des Pferdes und den Füßen des Knaben knisterte, hörte hier auf, und der Boden war mit frischen grünen Gewächsen bedeckt. Im Schatten hoher Agaven, deren gelbe Blumen hoch über dem Kopfe des Reiters leuchteten, hatte sich die Erde von dem letzten Gewitterguß feucht erhalten, und brennend rote Pelargonien, sowie die schirmförmigen, himmelblauen Blütenrispen der Kaplilie schimmerten zwischen dem Grün. Der Reiter richtete einen forschenden Blick auf die Gestalt der Felsen, deren rotbraune Flächen zwischen den Büschen hindurchschienen, und trieb das Pferd tiefer in das unwegsame Dickicht hinein. Kaktusbüsche von mannigfaltiger Gestalt, mit furchtbaren Stacheln bewaffnet, versperrten hier und dort den Weg und nötigten zu Umwegen, Schlingpflanzen zogen sich von Busch zu Busch und erschwerten das Vorwärtskommen. Endlich aber war die gesuchte Stelle erreicht. Eine mit grünem Moose überzogene Felswand zeigte sich dem Blicke. Hierher schien die Sonne nicht, denn sie richtete ihre Strahlen auf die andere Seite des Gebirges, und die Felswand lag im Schatten. Ein erfrischender Hauch ging von ihr aus, so daß das Pferd den Kopf erhob und mit den heißen Nüstern durstig schnupperte. Silberhelles Wasser rann in unzähligen Tropfen die Moosdecke hinab und bahnte sich einen Weg nach dem Thale hin. Der wunde Mann hielt das Pferd an und sah mit schwermütiger Miene rings um sich. Es war hier ganz still, nur das leise Rieseln des Wassers war vernehmbar, und aus der Ferne tönte von dem verlassenen Dickicht her der Ruf eines Pavians, der auf Wachtposten vor seiner Herde stehen und die Nähe des Menschen gewittert haben mochte. »Lange Jahre ist es her, daß ich zuletzt hier war,« sagte der Verwundete leise, »und ich hatte nicht gedacht, daß ich diesen Ort wiedersehen sollte.« Er ließ das Pferd wieder angehen und lenkte eine kurze Strecke weit längs der Felswand hin, bis sich in dieser eine Kluft eröffnete. In diese ritt er hinein, und der Knabe hielt sich dicht an seiner Seite. Auf beiden Seiten stiegen die Felsen schroff empor, und ihre Moosbekleidung ward von einem schräg und schmal hereinfallenden Sonnenblick wie mit Gold übergossen. Jetzt zeigte sich in der Kluft ein schmaler Einschnitt in der Wand zur Rechten, kaum breit genug, um Pferd und Reiter hindurchzulassen. Hier hinein ging der Weg. In der Dämmerung, die hier herrschte, ward es dem Knaben, der jetzt dem Pferde folgte, nicht leicht, die Gegenstände ringsum zu erkennen, doch schritt er dicht hinter dem Tiere weiter. Er bemerkte zur rechten Seite einen tiefen Schlund, der schwarz und unabsehbar, wie ein Brunnen, nur mit weit größerer Öffnung, sich hinabsenkte, zur linken Seite dagegen eröffnete sich gleich darauf eine breite mächtige Halle. Auch hier herrschte ein dämmerndes Licht, welches vom Himmel herab durch irgend welche Spalten oder Löcher hereinfallen mußte, und nur undeutlich zeichneten sich an der hohen Wölbung lange spitze Zacken von Tropfstein ab, welche wie Zieraten herabhingen. Von der Halle aus ging es in eine schräg abfallende Höhle, die mit Schutt und Geröll bedeckt war, und an deren Ende führte ein schmaler Eingang in eine zweite hochgewölbte natürliche Halle. Hier war der Boden mit Wasser bedeckt, welches dem Knaben anfänglich bis über die Knöchel reichte. Das Wasser wurde tiefer, je weiter die Flüchtigen in den Berg hinein vordrangen, und es ging dem Pferde bis über die Kniee, als der Reiter zur Seite und aufwärts lenkte, um eine neue Höhle zu erreichen, welche höher lag. Diese bildete einen weiten Saal von etwa dreißig Fuß Höhe, und man blickte von hier aus in eine lange Reihe von anderen ähnlichen Gewölben, deren Ende nicht abzusehen war. Es schien dem Knaben, als befinde er sich in einem unterirdischen Palaste, von dem er wohl die Großmutter in ihren Märchen hatte erzählen hören, und voll Staunen blickte er in den dämmerigen Räumen umher. Ein sonderbares Glitzern und Flimmern, wie von vielen geschliffenen Glasflächen, erfüllte diese unter der Oberfläche des Berges befindlichen Säle und war in der Ferne noch heller als an dem Orte, wo sein Vater jetzt das Pferd anhielt. Doch nicht ohne Schaudern gewahrte der Knabe eine Menge von Gegenständen, die den Boden bedeckten. Es waren gebleichte Knochen in großer Zahl. Hier starrte der Schädel eines Menschen mit leeren Augenhöhlen empor, und daneben lagen lange weiße Arm- und Beinröhren, deren Fleisch, und Blut vor vielen Jahren schon dahingeschwunden war. Dort lag ein ganzer Haufen von Knochen wirr durcheinander. Auch Schädel von Ochsen, an deren Stirn die langen, gewundenen spitzigen Hörner emporragten, lagen zwischen den Gebeinen der Menschen umher. Neben den Gerippen aber waren es noch andere Gegenstände, welche die Aufmerksamkeit des Knaben erregten. Da lagen zerbrochene Wurfspieße und Streitäxte, Bogen und Pfeile, dazu geflochtene Matten, Thonkrüge, Trinkflaschen der Kaffern, Tabaksdosen, allerhand Schmuckstücke, wie Halsketten von Tigerzähnen und kupferne Armringe, auch Mäntel von Fell und sonstige Gegenstände, welche von den afrikanischen Stämmen getragen werden. Das lag alles in wüster Unordnung durcheinander und machte auf den Knaben einen schauerlichen Eindruck. Denn diese unterirdischen Höhlen erschienen ihm wie die Grabstätte eines ganzen Volkes, und der Schimmer der Tropfsteingebilde an der Decke machte den Greuel am Boden nur noch deutlicher. Auch auf den Vater selbst wirkte dieser Ort mit der Gewalt von etwas Unheimlichem, und als der Sohn ihm fragend ins Gesicht sah, schüttelte er den Kopf und wies nach einer Ecke der Höhle hin, wo sich eine kleinere Abteilung, einer Nische gleich, befand und wo dichtes Moos die Erde bedeckte, aber keine jener schrecklichen Überbleibsel lagen. Mühsam stieg er alsdann, von dem Knaben gestützt, vom Pferde und ging wankenden Schrittes, auf dessen Schulter gelehnt, nach der bezeichneten Nische, die wie mit grünem Teppich bekleidet war. Dort breitete Pieter Maritz den Mantel, welchen er vom Rücken des Pferdes genommen hatte, auf dem Boden aus, nahm dem Vater die Büchse und den Patronengurt ab und half ihm sich niederzulegen. Stöhnend sank der gewaltige Mann hin und flüsterte mit trockenen, fieberheißen Lippen: »Wasser.« Pieter Maritz blickte sich um und sah, daß das Pferd, welches sich selbst überlassen geblieben war, seinem Instinkt folgend, dem Geruche frischen Wassers nachgegangen war und am andern Ende der Höhle mit niedergebeugtem Kopfe trank. Er ergriff eine der am Boden liegenden Trinkflaschen und ging eben dorthin, wo ein Quell aus dem Felsen hervorrieselte und ein schmales Bächlein bildete, das abwärts nach jener Höhle lief, durch welche sie gekommen waren. Hier spülte er die Trinkflasche sorgfältig rein, füllte sie und brachte den Trank seinem nach Labung lechzenden Vater. Dieser trank mit begierigen Zügen und sank dann mit einem Seufzer der Erleichterung auf sein Lager zurück. Der Knabe kniete neben ihm nieder und betrachtete traurig sein bleiches Gesicht. »Wir sind hier sicher vor Verfolgung,« hub der Verwundete nach einer Weile an. »Kein Kaffer wird sich hierher wagen, denn sie fürchten sich vor den Toten. Ein furchtbarer Kampf war hier vor mehr als zwanzig Jahren. Ich war mit dabei. Hier in dieser Höhle hatten sich Tausende von Schwarzen eingeschlossen, um sich gegen uns zu verteidigen, aber wir häuften Strauchwerk vor den Eingängen auf und zündeten es an, so daß sie alle im Rauche erstickten.« »Wir haben dieses Land mühsam erobern müssen,« setzte er nach einer Pause hinzu, als der Knabe ihn mit dem Ausdruck des Entsetzens anblickte. »Entweder unser Blut mußte fließen oder das unserer Feinde. Doch laß mich noch einmal trinken, ich fühle ein Brennen in meinem Blute, und ich fürchte, der Pfeil, der meine Hand traf, ist vergiftet gewesen.« Der Knabe reichte ihm von neuem die Trinkflasche, er leerte sie vollständig und schloß dann die Augen, um zu schlafen. Der Knabe aber stand auf und ging zu dem Pferde. Er nahm ihm den Sattel ab und streifte ihm den Zaum über den Kopf, legte beides zur Seite nieder und ließ dem Tiere völlige Freiheit. Es rieb, ihm gleichsam dankend, seinen Kopf an des Knaben Schulter, schüttelte sich und ging dann, nach Futter suchend, zur Höhle hinaus. Als der Knabe wieder zu seinem Vater zurückkehrte, fand er ihn noch mit geschlossenen Augen daliegend, aber sein Atem war unregelmäßig und seine Hände und Arme zuckten unruhig. Der Knabe sah diese Anzeichen des Fiebers mit tiefer Besorgnis. Er preßte die Hände auf die Brust und murmelte leise eine Bitte zu Gott, dem Vater in dieser Not beizustehen. Der Mann mußte die Nähe seines Sohnes spüren, er öffnete die Augen, dann bewegte er den Kopf, richtete sich auf und blickte den Sohn an. »Es geht schnell zu Ende,« sagte er. »Grüße deine Mutter und Geschwister, ich werde sie nicht wiedersehen. Bleibe ein frommer Junge und behalte dein Vaterland lieb. Sei immer treu und wahrhaft und tapfer, Pieter Maritz, und bedenke, daß deine Väter dieses Land mit ihrem Leben erkauft haben.« Er schwieg, da ihm die Kraft zum ferneren Sprechen ausging, und trank noch einmal aus der Flasche, die Pieter Maritz von neuem mit Wasser gefüllt hatte. »Wir haben nur einen Feind,« sagte er dann, während in seinen Augen ein zorniges Licht aufblitzte. »Dieser Feind ist England. Hätten die treulosen Engländer nicht die elenden Kaffern ermutigt, so hätten diese nie gewagt, sich gegen uns aufzulehnen. Es ist die Hand der Engländer, die deinen Vater getötet hat, Pieter Maritz, das vergiß nicht.« »Ich werde es nicht vergessen,« sagte der Sohn, dem Vater mit festem Blick ins Gesicht sehend. Der sterbende Mann heftete seine Augen lange auf des Knaben offenes und ehrliches Gesicht, und der tröstliche Gedanke, daß er einen Sohn von männlichem Sinne zurücklasse, goß Balsam in seine Seele. Er legte von neuem den Kopf auf das Lager zurück und sprach mit flüsternden Lippen ein Gebet. Der Knabe, welcher neben ihm kniete, faltete die Hände, und ein Gefühl des tiefsten Schmerzes durchdrang seine Brust. Er sah, daß das Ende des geliebten Vaters schnell herannahte. Noch eine halbe Stunde wohl bewegte die Brust des tödlich Verwundeten sich auf und nieder und verkündigte, daß das Leben noch nicht entflohen war. Diese Zeit erschien dem Sohne wie eine unermeßliche Reihe voll trauriger Bilder. Er sah sich noch als Kind, umgeben von der Sorgfalt des nun Dahinscheidenden, er sah sich heranwachsend und von dem Vater den Gebrauch des Gewehrs und der Zügel lernend. Diese kraftvollen Hände sollten nun erlahmen, diese starke Gestalt, zu der er sein Lebenlang voll Ehrfurcht aufgeblickt, sollte dahinschwinden. Jetzt richtete sich der Blick des Vaters noch einmal voll Liebe auf den Sohn, ein Schauer durchlief den Körper, ein Zucken bewegte alle Glieder, und es war alles vorbei. Pieter Maritz brach in ein stilles Weinen aus, welches seine Brust krampfhaft erschütterte. Er drückte dem Vater die Augen zu und blieb noch lange auf den Knieen neben ihm. »O Vater, Vater!« rief er einmal über das andere. »O lieber Vater, bist du dahingeschieden und hast mich zurückgelassen? Hätte mich doch die Wunde getroffen! Hätte ich doch für dich sterben dürfen! Nun ist die Mutter verlassen, nun sind wir Kinder verwaist!« Er warf sich über die Brust des Toten, als könnte seine Umarmung das entflohene Leben zurückrufen, er preßte seinen Mund auf die bleichen Lippen und schluchzte voll Jammer. Endlich, als der Körper des Toten erkaltete und als der Gedanke, daß der geliebte Vater wirklich aus dem Leben geschieden sei, ihm völlig klar geworden war, stand er auf und dachte an sein eigenes Schicksal. Doch nur zögernd vermochte er sich von dem toten Körper loszureißen. Der Gedanke, ihn zu verlassen, ihm kein christliches Begräbnis geben zu können, war ihm furchtbar. Noch einmal warf er sich in inbrünstigem Gebet neben der Leiche auf die Kniee, dann erhob er sich und ging mit schwerem Herzen. Er beschloß, zu den Seinigen zurückzukehren. Aber wie sollte er sie finden? Die Gemeinde der Buern, zu welcher er gehörte, war von ihrem Standorte aufgebrochen, weil ein benachbarter Betschuanenstamm sich in feindlicher Absicht in ihrer Nähe gezeigt hatte. Es war zu Kämpfen gekommen, die sich in Angriff und Verfolgung über weite Strecken Landes hingezogen hatten. Wo mochte jetzt die Gemeinde sein? Der Knabe ging bis zum Ausgang der Höhle, und da er das Pferd nicht sah, setzte er die Hand an den Mund und ließ einen gellenden Pfiff von besonderer Art ertönen. Es währte nicht lange, da hörte er den Schritt des treuen Tieres, welches sich gehorsam näherte. Er streichelte es, umarmte seinen schlanken Hals und benetzte die seidenweiche Mähne mit Thränen. Es war ihm, als umarme er einen Freund, der seine einzige Stütze in großer Not sei. »Du und ich, alter Jager, wir sind jetzt allein,« sagte er, ihm die Nüstern liebkosend. Dann legte er ihm den Zaum an und schnallte ihm den Sattel auf den Rücken, verkürzte die Steigbügelriemen, so daß sie für ihn passend wurden, hing die schwere Büchse und den breiten Patronenriemen über die Schultern und stieg auf das Tier. Er war breitschulterig und stark gebaut, nach der Art seines Vaters, und wenn ihn auch dessen Ausrüstung belastete, so war ihm doch der Druck nicht zu schwer. Er warf noch einen Blick zurück, einen Blick, dessen Erinnerung sich für immer seinem Gemüte einprägte, und ritt dann den Weg zurück, den er gekommen war. Als er den letzten Ausgang der Höhle erreicht hatte und aus der Spalte hervorkam, welche ein schmales Eingangsthor in dem moosüberkleideten Felsen bildete, sah er, daß die Sonne schon tief am Horizonte stand und daß der Einbruch der Nacht in etwa einer Stunde zu erwarten war. Es galt also, die Zeit zu benutzen, um noch vor der Dunkelheit ein tüchtiges Stück Weges zurückzulegen. Er lenkte sein Pferd nach rechts, um denselben Pfad durch das Dickicht zurückzureiten, welcher ihn hierher geführt hatte, aber das Tier widersetzte sich und zeigte eine beharrliche Neigung, nach links zu gehen. Weder Zurufe noch Zügeldruck wirkten, es stemmte zuerst seine Vorderfüße fest in den Boden und fing dann an, auf den Hinterbeinen in die Höhe zu steigen. »Nun gut,« sagte sich Pieter Maritz, »vielleicht weißt du besser als ich, welches der richtige Weg ist.« Er legte dem Tier die Zügel auf den Hals, und alsbald wandte es sich links und ging in schnellem, munterem Schritt vorwärts. Ruhe, Wasser und Futter hatten es neu gekräftigt. Zufrieden sah der Knabe, daß Jager mit großem Geschick, als sei er in dieser Wildnis zu Hause, die stachlichten Büsche der Kaktus und der Giraffen-Akazie umging und seinen Weg durch die an manchen Stellen undurchdringliche Waldung fand. So ging es eine Strecke weiter, und dann öffnete sich ein Felsenthal, wo im Grunde ein halbvertrocknetes Bächlein rieselte und allerhand wunderlich gebildete mächtige Steine den Weg von beiden Seiten einfaßten. In Zickzack-Windungen ging es zwischen Büschen und Felsen immer weiter, oft stiegen hohe spitze Felsen wie Türme düster empor, und das tiefe Schweigen dieses Thales ward nur durch das Grunzen einzelner Paviane unterbrochen, welche den Reiter in der Ferne begleiteten und mit großen Sätzen von Stein zu Stein sprangen. Aber nach und nach wurden dieser Tiere mehr, und als Jager unruhig schnob, fingen sie an zu schnattern, die Zähne zu fletschen und laut zu rufen, so daß ihrer Hunderte von allen Seiten zusammenliefen. Sie kamen oft nahe an Pieter Maritz heran, grinsten ihn an, streckten ihre Mäuler vor, zogen die Stirnhaut empor und schienen Lust zu einem Angriff zu haben. Pieter Maritz nahm die Büchse von der Schulter und drohte ihnen, indem er ihnen die Mündung zeigte. Es war ein ausgezeichnetes Gewehr, ein Martini-Henry, dessen Magazin ihn in den Stand setzte, zwölf Schüsse hintereinander abzugeben, ohne neu zu laden. Aber er hütete sich wohl zu schießen, da er die Natur dieser Affen kannte. Hätte er einen von ihnen verwundet, so würden sie ihn in Stücke gerissen haben, ehe er den zweiten Schuß hätte abfeuern können. So begnügte er sich damit ihnen zu drohen, und sie schienen das zu verstehen und griffen nicht an, obwohl einzelne so nahe kamen, daß sie seinen Hut streiften, als er an einem überhängenden Felsen vorüberritt, auf dem sie hockten. Doch jetzt kam Befreiung aus dieser Not. Das enge Thal öffnete sich plötzlich, eine weite Ebene dehnte sich dort aus, und die häßlichen Affen scharten sich am Ausgange zu einer schnatternden lärmenden Versammlung, als ob sie einen Rat hielten, was sie thun sollten. Pieter Maritz hatte wohl Lust, dem größten unter ihnen, einem wild aussehenden Burschen, der ihn zähnefletschend von einem Stein herab ansah, zum Abschied eins auf den Pelz zu brennen, und zweimal war sein Zeigefinger schon im Begriff, an den Drücker zu rühren, aber er sagte sich: Ich bin davongekommen, ich will dankbar sein. Er zog den Kolben von der Backe herunter, warf das Gewehr über den Rücken und ergriff die Zügel, als Jager jetzt aus dem Thal ins Freie trat und alsbald in eine schnellere Gangart fiel. Auch dem Pferde war angst gewesen. Der Schweiß lief ihm vom Körper herab, obwohl es der vielen Steine und verschlungenen Wurzeln wegen hatte im Schritt gehen müssen. Sobald es jetzt auf die freie Ebene kam, schnob es tief und kräftig, hob den Kopf und setzte sich in den schnellsten Galopp. Pieter Maritz drückte den Hut fester auf den Kopf, beugte sich vor und ließ Jager laufen, wie er laufen wollte. Das Tier bewahrte die Schnelligkeit, durch die es berühmt war und die ihm den Namen Jager verschafft hatte, da es auf der Jagd das Wild von fern witterte, ehe noch der Reiter es erblicken konnte, und selbst die Antilope und den Strauß überholte. Wie die Windsbraut fegte Jager mit seiner leichten Last über die Ebene dahin. Aber die Sonne neigte sich zum Untergange. Ihre schrägen Strahlen übergossen das Land mit rotgoldenem Lichte und ließen das Heidekraut, über welches die Hufe des Rosses dahineilten, weithin, soweit das Auge blickte, wie einen roten Teppich erscheinen. Der Schatten von Roß und Reiter war riesengroß angewachsen und begleitete den eiligen Ritt gleich einer am Boden hinfliegenden sonderbar gestalteten Wolke. Jetzt sank die Sonne unter den Horizont, und mit einem Schlage verbreitete sich völlige Finsternis über Himmel und Erde. Pieter Maritz spähte sorgenvoll umher. Was sollte er beginnen? Sollte er das Pferd anhalten und auf freier Ebene die Nacht verbringen? Aber schon hörte er in der Ferne den Ruf der Schakale und Hyänen, welche ihre Schlupfwinkel verließen, um ihrer Beute nachzugehen. Sollte er versuchen, beim Schein der jetzt am Himmel hell aufleuchtenden Sterne ein Gebüsch zu erreichen, wo er hoffen durfte, ein Feuer anzünden zu können, um die Raubtiere während der Nacht fern zu halten? Aber er fürchtete, durch den Schein des Feuers etwa umherstreifende Kaffern herbeizulocken, die ihm, dem einzelnen Knaben, gefährlich werden konnten. Er beschloß nichts zu thun, sondern im Sattel zu bleiben und sich ganz der Führung des Pferdes zu überlassen. Jager war mit Einbruch der Dunkelheit in Schritt verfallen und verschnaufte von dem meilenweiten schnellen Lauf. Er ging vorsichtig weiter und spitzte die Ohren. Der Knabe zog ein Stück getrocknetes Antilopenfleisch aus der Tasche und aß. Er hatte seit dem Morgen nichts genossen, und nur die Aufregung des ereignisreichen Tages hatte seinen Hunger betäubt. Jetzt aß er mit gierigem Appetit das ganze Fleisch, welches er bei sich trug, und trank dazu von dem Wasser, das er vorsichtigerweise in der Trinkflasche aus der Höhle mitgenommen hatte. Währenddessen erhellte sich die Nacht immer mehr, die Sterne funkelten mit Brillantlicht, und die Mondsichel erschien in reiner silberner Klarheit über der schwarzen runden Linie, die im Osten die Erde vom Himmel abschnitt. Aber während das Licht dem Geiste des Knaben Beruhigung einflößte, wurde er zugleich auch darauf aufmerksam, daß die Wüste lebendiger wurde. Das entfernte Heulen und lachende Bellen der Hyänen und Schakale, welches ein seinem Ohre wohlbekannter Ton war, verstärkte sich und schien näher zu kommen. Auch Jager mußte diese unheimlichen Laute vernommen und verstanden haben. Er schnob kräftiger, und sein Gang ward unruhig. Er stutzte zu Zeiten und schnupperte, als wollte er die Luft nach Anzeichen von Gefahr durchforschen, und setzte sich dann mit hoch emporgehobenen Füßen wieder in Bewegung. Mit einem Male erscholl ein neuer Ton über die Wildnis dahin, welcher für kurze Zeit alle übrigen verstummen machte. Er klang aus weiter Ferne und war nicht laut, aber es war eine erschütternde Kraft in der Art und Weise seines Klanges. Es war wie ein Donner aus einer fernen Wolke, ein langhin hallender tiefer Klang. Jager stemmte im Schrecken seine vier Füße fest gegen den Boden und bog sich zusammen. Pieter Maritz fühlte, wie des Pferdes Flanken zitterten. Es hatte die Stimme des Löwen erkannt. Dann sprang es mit einem ungeheuren Satze vorwärts, so daß der Knabe seiner ganzen Reitkunst bedurfte, um sich im Sattel zu erhalten, und flog in erneutem Galopp über den Boden hin. Seine Müdigkeit schien völlig verschwunden zu sein, die Angst gab ihm Flügel, und schneller noch als vorhin jagten seine Hufe über das Heidekraut. Noch einmal und ein drittes Mal erklang nach langen Pausen der fürchterliche Ton, welcher die Stimmen der schwächeren Raubtiere zum Schweigen brachte, und das Brüllen schien näher zu kommen. Kein Spornstreich hätte Jagers Eile so beschleunigen können. Pieter Maritz ließ ihm die Zügel und überließ sich völlig dem Instinkt des edlen Tieres. Er bemerkte, daß es eine bestimmte Richtung festhielt und selbst in seiner Angst nicht von ihr abirrte. Pfeilgerade lief es nach Südosten, wie der Knabe an dem Stande der Sonne gemerkt hatte und jetzt an der Stellung der Sternbilder sah. So wurde Meile nach Meile zurückgelegt, die Nachtluft pfiff durch des Knaben Locken und ließ die weiche Mähne und den langen Schweif des Rosses nach rückwärts flattern. Sollte es immerfort, ohne das Ziel zu erreichen, so weitergehen, bis Erschöpfung dem Rennen ein Ende machte? Da wurde der Knabe auf einen Schimmer aufmerksam, der gerade vor ihm mit mattem, rötlichem Schein den Himmel färbte. Der Schimmer war nahe über der Erde und verlor sich nach oben in einem weißlichen Streifen, gleich einer leichten Wolke. Er ward immer deutlicher, je weiter der Ritt ging, und frohe Hoffnung ließ des Knaben Herz lebhafter pochen. Er erkannte, daß der rote Schein nur von einem großen Feuer ausgehen konnte, und wo das Feuer war, da mußten auch Menschen sein. Seine Hoffnung täuschte ihn nicht. Bald sah er deutlich die roten Flammen mehrerer Lagerfeuer und den Qualm und Rauch brennender Rhenosterbüsche gen Himmel steigen. Er jauchzte vor Freude, als er näher kam. Das treue kluge Tier hatte ihn zu den Seinigen zurückgetragen. In einem großen Kreise standen wohl zwanzig riesige Wagen mit hell schimmernden runden Verdecken, zahllose langhörnige Ochsen waren teils an diesen Wagen festgebunden und teils in einem von Stricken umzäunten Pferch versammelt. Mehrere Feuer inmitten der Wagenburg loderten empor, und ihr rotes Licht, welches bald hell flammte und bald einen düstern Schein aus erstickendem Rauch warf, erhellte den ganzen Umkreis. Pieter Maritz drängte sein Pferd zwischen dem Vieh hindurch in den Kreis der Wagen und sah an dem größten der Feuer eine zahlreiche Versammlung von Buern, Männer und Frauen, darunter auch seine eigene Familie lautlos versammelt. Sie hörten der Abendandacht zu, welche ein stattlicher Mann mit unbedecktem, weißem Haupte und langem, weißem Bart hielt. Pieter Maritz kannte diesen Mann nicht, hörte aber an seiner Aussprache des Holländischen, daß es ein Deutscher sein müsse. Als Kanzel diente dem Prediger der Vorderkasten einer der großen Wagen, so daß er über der schweigenden und andächtigen Gemeinde stand. Sein ehrwürdiges Antlitz war vom Feuerschein hell beleuchtet. Er sprach über die Verwüstung, die der letzte Kampf angerichtet habe, und tröstete seine Zuhörer über ihre Verluste. Zuletzt stimmte er mit starker Stimme und dem Ausdruck unerschütterlicher Zuversicht eine Hymne an und sang: Für eine Zeitlang wohl mag Satan siegen, Sein finstres Reich hält er für sicher dann, Gerechter Männer Bitten unterliegen, Des Himmels frohe Botschaft langt nicht an. Doch harr' im Glauben aus, bald wird ersprießen Das Samenkorn, das zu ersticken schien, Von Zions Höhen wird ein Regen fließen und fruchtbar durch das Land der Dürre ziehn. Dann lacht die Flur und wird mit Grün sich schmücken Jehovahs Preis das bange Herz beglücken. [Illustration] [Illustration] Zweites Kapitel Die Gesandten des Zulukönigs Als sich nach der Beendigung des nächtlichen Gottesdienstes unter den Familien der hier versammelten Buern die Nachricht verbreitete, daß Pieter Maritz allein zurückgekehrt war und seinen Vater verloren hatte, da erhob sich allgemeines Klagen. Es war ein schlimmer Tag gewesen. Außer Andries Buurman, der in der Höhle von Makapanspoort sein Leben ausgehaucht hatte, war noch ein anderer tapferer Mann im Kampfe tot geblieben, und drei Buern lagen an ihren Wunden danieder. Klaas Buurman, der Bruder des Andries und Oheim des Knaben Pieter Maritz, ließ sich von seinem Neffen erzählen, was geschehen war, und führte ihn dann zu einem der großen Wagen, wo die Familie des Verstorbenen wohnte. Hier lagen des Knaben jüngere Geschwister, eine stattliche Schar von fünf Knaben und drei Mädchen, in sanftem Schlummer unter der schirmenden, hochgewölbten Decke, neben dem Wagen aber war eine Frau von starkem Wuchse eifrig beschäftigt, für die Zugochsen zu sorgen. Zwei Schwarze in wollenen Hemden mit nackten Armen und Beinen gingen ihr dabei gehorsam zur Hand, schütteten den Tieren Heu vor, gaben ihnen Wasser und wuschen ihnen die vom Joche wund gedrückten starken Nacken. So erfüllte die wackere Gattin außer den Pflichten der Mutter auch die des Hausherrn. Als sie ihren ältesten Sohn mit den Waffen und dem Pferde des Vaters in Begleitung des Klaas langsam und mit bekümmerter Miene herankommen sah, ging sie ihnen festen Schrittes entgegen, strich das lange goldblonde Haar vom Gesichte zurück und blickte ihren Sohn fragend an. Sie hörte die traurige Botschaft, und die Thränen rannen ihr langsam und schwer über die Wangen herab. Währenddessen drängten sich die schwarzen Dienstboten heran, indem sie die Ochsen und den Wagen verließen, wechselten Blicke untereinander und murmelten: »Der Baas ist tot, der Baas ist tot.« »Elisabeth, dein Mann ist tot,« sagte Klaas Buurman, indem er der bekümmerten Frau seine breite Hand auf die Schulter legte, »aber vergiß nicht, daß ich sein Bruder bin. Ich will auch dein Bruder sein.« Die Frau drückte ihm die Hand, und dann umarmte sie ihren Knaben und weinte an seinem Halse. Endlich richtete sie sich auf, wischte die Thränen ab und sagte: »Pieter Maritz, das Pferd ist müde.« Der Knabe führte das Tier zur Seite und versorgte es, die Frau schickte die Schwarzen an die Arbeit zurück und legte selbst mit Hand an, Klaas aber wandte sich zu seinem eigenen Wagen. Pieter Maritz hatte sich einen Haufen von Büschen neben dem Lager zurecht gelegt, das er für Jager aus Stroh und Blättern bereitet hatte, und streckte sich neben dem Pferde aus. Er sah noch eine kurze Weile die Sterne über seinem Kopfe schimmern, dann aber schlief er ein und wachte nicht eher auf, als bis der Himmel wieder hell geworden war. Er hörte ein Gewirr von Stimmen und drohende Worte, und als er sich aufrichtete, sah er, daß in einiger Entfernung schwarze Diener des Buernlagers zwei andere Schwarze gleichsam als Gefangene mit sich führten. Er konnte diese beiden Gefangenen leicht schon an ihrem Äußern als Fremde erkennen. Denn die Diener der Buern gingen zwar mit nackten Beinen, aber trugen blaue, rote oder schmutzig weiße Wollenhemden, die beiden Männer in ihrer Mitte aber waren völlig nackt, bis auf einen schmalen Lendengurt. Pieter Maritz sprang von seinem Lager auf und näherte sich neugierig der Gruppe. Er sah nun noch deutlicher, daß die beiden Gefangenen von einem fremden Stamme sein mußten. Sie waren dunkelfarbig, von hohem, schlankem Wuchs und stolzem Aussehen. Ihr Haar war sehr künstlich in krause Löckchen zusammengedreht und mit steifem Fett fest gehalten, ihr Körper war weniger dick mit Öl und Butter eingerieben, als er es sonst bei den Kaffern gesehen hatte, und ihr Benehmen war von einer gewissen Würde, so daß der Knabe dachte, es müßten vornehme Leute unter ihrem Volke sein. Er begleitete den lärmenden Haufen bis zum Mittelpunkte des Lagers, welches jetzt mit dem Anbruch des Tages zu erwachen anfing, und sah, daß sich mehrere ältere Buern versammelt hatten und, auf ihre Büchsen gestützt, das Herankommen der Schwarzen erwarteten. Mit vielem Geschrei und offenbar im Gefühle der eigenen großen Wichtigkeit berichteten die schwarzen Diener, daß sie diese beiden Fremden in der Nähe des Wagens des Missionars entdeckt hätten und daß es sicherlich Spione seien. Hierauf richtete der älteste unter den anwesenden Buern einige Fragen an die Fremden, aber diese antworteten nicht, verstanden augenscheinlich die holländische Sprache nicht und zeigten nur mit den Händen nach dem Wagen des Missionars, wobei sie durch Gebärden zu zeigen suchten, daß sie zu ihm gehörten. Aber die Buern sahen dem mit finsterm Gesichte zu, und der älteste unter ihnen, ein Mann mit langem, graugemischtem Barte, sprach nach einer Pause in ruhigem Tone: »Diese beiden fremden Spitzbuben sind sicherlich nicht in guter Absicht hierher gekommen, und da sie nicht sagen können, wer sie sind, so ist es wohl das Einfachste, wenn wir sie tot schießen.« Er blickte nach diesen Worten seine Genossen fragend an, und sie nickten ihm zu, um ihm auszudrücken, daß er mit seiner Ansicht auf ihren völligen Beifall rechnen könne. Hiermit schien der Urteilsspruch besiegelt zu sein, und zwei von den Buern warfen ihre Büchsen über den Rücken und gaben den Dienern einen Wink, die Gefangenen hinaus aufs freie Feld zu führen. Die Diener aber nahmen diesen Wink mit Freude auf, stießen ein Triumphgeheul aus und begannen die Verurteilten hinwegzuzerren. Pieter Maritz konnte dieser Scene nicht ohne das Gefühl des Mitleids für die Fremden zusehen. Er beobachtete die stolze Haltung, welche die schönen, schlanken und geschmeidigen Gestalten auszeichnete, und empfand in seinem Herzen die Neigung, ihnen beizustehen. Doch wagte er nicht, dem ehrwürdigen Ältesten der Gemeinde gegenüber den Mund aufzuthun, und er sah nur traurig zu, wie diese Leute, welche sich nicht verständlich machen konnten, von den Fäusten ihrer gemeineren Landsleute gepackt wurden. Aber nun schien der ältere von den beiden Verurteilten, indem er begriff, daß es sich um Leben und Tod handelte, einen neuen Entschluß gefaßt zu haben. Er stieß die Männer, die ihn hielten, mit einer kraftvollen Bewegung seiner nervigen Arme zurück und richtete dann an den Graubart in englischer Sprache einige Worte, aus denen zu verstehen war, daß er und sein Gefährte unter dem Schutze des Missionars ständen und Gesandte des Zulukönigs seien. Er redete das Englische sehr unvollkommen und mit einer schnalzenden Aussprache, doch war der Sinn seiner Worte klar, und das Wort Zulu traf alle, die es hörten, wie ein Schlag. »Zulu!« riefen die Schwarzen voll Verwunderung und mit einer Art von Schrecken. »Zulu!« sagte der Älteste der Buern mit düsterer Miene. »Es sind Zulus, und sie sprechen die Sprache unserer Feinde,« setzte er dann mit heftigem Tone hinzu, »wir wollen sie niederschießen, ehe sie ferneres Unheil anrichten können. Haltet sie fest, Leute, daß sie euch nicht entkommen, und führt sie vor das Lager hinaus.« Die Diener griffen von neuem zu, Pieter Maritz aber, von einem unüberwindlichen Mitleid getrieben, lief, so schnell er konnte, davon, um den deutschen Missionar zu benachrichtigen; denn er dachte, daß dieser vielleicht ein rettendes Wort für die armen Leute einlegen könnte. Er war in wenig Augenblicken bei dem Wagen angelangt, schwang sich hinauf, schlug das Verdeck vorn auseinander und sah den Greis in tiefem Schlafe liegen. Er trat an ihn heran und legte die Hand auf seinen Arm. Sofort schlug der Missionar die Augen auf, richtete sich empor und wandte seinen milden Blick auf des Knaben erregtes Gesicht. In kurzen Worten teilte ihm dieser den Vorfall mit, und der Missionar, der die Nacht angekleidet verbracht hatte, stieg alsbald vom Wagen herab und begab sich unter des Knaben Führung dorthin, wo die Gefangenen und ihre Richter waren. Man hatte die beiden Zulus bereits aus dem Ringe der Wagenburg hinausgeführt, und die Buern, ihre Büchsen im Arme, folgten den vorangehenden Schwarzen. Jetzt machten alle Halt, die Diener traten von den Gefangenen zurück, und diese kreuzten die Arme über der Brust und sahen unbewegten Blickes auf die harten, strengen Gesichter der weißen Männer, welche ihre Gewehre schußbereit machten. Sie waren nicht gefesselt, aber sie machten keinen Versuch, zu entfliehen, da sie wohl dachten, daß sie der verfolgenden Kugel doch nicht entgehen könnten, oder auch wohl den trotzigen Sinn und die Todesverachtung ihres Stammes den Weißen gegenüber bewähren wollten. In diesem Augenblick war der Missionar bis auf kurze Entfernung herangekommen, und nun streckte er seine Arme gegen die Buern aus und rief laut: »Haltet ein, haltet ein, vergießt nicht das Blut dieser unschuldigen Leute! Im Namen Gottes haltet ein!« Der Anblick des ehrwürdigen Mannes, dessen unbedecktes weißes Haupt im Glanz der Morgensonne zu leuchten schien, machte tiefen Eindruck auf alle Versammelten, und der Ton seiner Stimme erschütterte ihre Herzen. Die Buern setzten die Kolben ihrer Büchsen auf den Boden nieder, und die Gefangenen sahen mit hellen, freudigen Augen auf ihren Beschützer. Baas van der Goot aber, der Älteste, sagte mit unzufriedener Stimme zu dem nun herantretenden Missionar: »Warum wollt Ihr uns hindern, diese Taugenichtse aus der Welt zu schaffen? Die Schepsels« -- bei diesen Worten zeigte er auf die schwarzen Diener -- »haben sie bei unseren Wagen herumschleichend gefunden, und sicherlich führen sie nichts Gutes im Schilde.« »Ich beschwöre Euch, Baas, laßt diese Leute in Frieden,« entgegnete der Missionar. »Sie sind Abgesandte Tschetschwajos, des mächtigen Zulukönigs, und sie haben friedliche Absichten. Sie sind ausgesandt, um sich nach dem Christentum zu erkundigen, und ich erkenne die Liebe Jesu Christi darin, daß er das Herz des wilden Tschetschwajo gelenkt hat.« Der Baas schüttelte den Kopf, nahm die kurze Thonpfeife aus dem Munde, strich den grauen Bart und sagte mit grimmigem Lächeln: »Tschetschwajo wird sich wenig um das Christentum bekümmern, alter Freund, es ist ihm um Raub und Mord zu thun, und diese Leute sind seine Spione. Auch hat er Missionare in seinem eigenen Lande, bei denen er genug über das Christentum erfahren kann, wenn er sich wirklich um dergleichen kümmerte. Aber es ist das alles ganz gleichgültig. Entweder sind diese beiden Männer Spione, und dann müssen sie tot geschossen werden, oder sie sind es nicht, und dann gebietet die Vorsicht, sie tot zu schießen, ehe sie es werden können. Denn es ist besser, diese Pfefferköpfe sterben, als daß Menschenblut vergossen wird.« »O, ich bitte Euch, hört auf das Wort eines Mannes, der ein halbes Jahrhundert lang in diesem Lande dem Evangelium diente,« sagte der Missionar. »Sind denn die Schwarzen keine Menschen? Ihr seid nun in böser Stimmung, weil Ihr mit den Schwarzen erst gestern habt kämpfen müssen. Aber auch ich könnte in böser Stimmung sein, denn sie haben mir das Haus niedergebrannt, darin ich zehn Jahre lang ein Lehrer der Liebe war, und sie haben mir meine Gärten und Pflanzungen verwüstet. Doch wäre ich nicht wert, ein Diener Christi zu sein, wenn Groll gegen die Unwissenden und Ungläubigen in mein Herz eindringen könnte. So sollt auch Ihr gedenken, daß Ihr Christi Diener seid, denn Ihr seid Christen unter den Heiden und ein lebendiges Vorbild. Dazu sind diese Männer von einem andern Stamme und haben Euer Blut nicht vergossen.« »Wie könnt Ihr das sagen?« entgegnete der Baas. »Sie sind vom Volke der Zulus, die beständig unsere Grenzen belästigen und mit denen unsere Brüder im Osten beständig Krieg führen. Eben dieses Zuluvolk war es, das uns vor zwei Jahren auf Anstiften der Engländer angriff und den Engländern zu einem Siege verhalf, den sie allein sicherlich nicht errungen hätten. Diese beiden sind nichts als Spione, die ausgesandt sind, um zu erforschen, wo der beste Angriffspunkt für Tschetschwajos wilde Horden ist. Dazu reden sie englisch, und das ist der deutlichste Beweis, daß sie unsere Feinde sind. Laßt uns denn nicht mehr viel Worte verschwenden, sondern ein Ende machen mit diesen Halunken. Zwei schwarze Teufel weniger macht zwei Feinde weniger, wie die Zeitläufte nun einmal sind.« Die Buern machten von neuem ihre Gewehre fertig, denn das Ansehen und die Meinung ihres Ältesten überwog den Eindruck der Worte des Missionars. Dieser aber stellte sich den Mündungen entgegen und erhob von neuem seine Stimme. »Diese Leute reden englisch, weil sie mit englischen Handelsleuten hierher gereist sind, und sie haben diese Sprache erst auf der Reise gelernt. Sie haben Hunderte von Meilen durchwandert, um die Stationen der Mission zu besuchen. Sie werden nach ihrer Rückkehr den gesegneten Samen des göttlichen Wortes im Lande der Finsternis verbreiten. Ihr begeht ein schweres Verbrechen, wenn Ihr der Lehre des Evangeliums hindernd in den Weg tretet und das Blut von Männern vergießt, die der Herr zu Trägern seines Wortes bestimmt hat.« »Sind sie Christen geworden?« fragte Baas van der Goot. »Nein,« sagte der Missionar, »sie sind noch keine Christen, aber ich hoffe, daß sie es noch werden, wenn sie näher mit dem Evangelium bekannt geworden sind.« Von neuem erschien das grimmige Lächeln auf dem Gesichte des alten Buern. »Mein Freund,« sagte er, »ich will nicht so weit gehen, zu behaupten, daß Ihr uns betrügt, obwohl es klug wäre, in jetziger Zeit sich vor jedermann zu hüten, der nicht von holländischem Blute ist. Ihr seid zwar kein Engländer, doch Ihr seid ein Deutscher. Aber ich behaupte, daß diese schlauen Halunken Euch betrügen. Sie sind ausgeschickt, um die Menge der Büchsen zu zählen, die wir ins Feld führen können.« »Ihr sagt, ich wäre ein Deutscher,« rief der Missionar eifrig, »aber das darf Euch kein Grund des Argwohns sein. Niemals mischen wir Missionare uns in die Politik, wir halten uns fern von Händeln und vom Streit und sind alle Brüder, mögen wir Holländer, Engländer oder Deutsche sein. Dafür zum Beweise seht hier die heilige Schrift! Dies selbe Buch hat Euerm großen Landsmann van der Kemp gehört, aus seinen Händen ging es in die meines Lehrers, des Engländers Moffat, über, und nun lehre ich aus ihm die heilige Predigt.« Der Missionar hatte bei diesen Worten ein vergilbtes und durch langen Gebrauch zerschabtes Buch aus der Tasche gezogen und zeigte es den Buern. Er war wohlbekannt mit dem Ansehen, welches gedruckte Schriften bei den in den unwirtlicheren Landstrichen Transvaals umherziehenden Buern noch immer genossen, und rechnete dazu auf den Namen des berühmten Missionars van der Kemp als auf eine Beglaubigung seiner Persönlichkeit. Er hatte sich in seiner klugen Berechnung nicht geirrt. Die Buern drängten sich neugierig zusammen und betrachteten ehrfurchtsvoll das alte Buch, ein Neues Testament in holländischer Sprache. Baas van der Goot griff in seine Tasche und zog ein großes ledernes Futteral hervor, aus welchem er eine ungeheure Brille mit schwarzer Horneinfassung nahm. Diese Brille setzte er auf die Nase und hielt das Buch auf Armslänge von sich ab. Seine Augen waren, wenn sie über den Lauf der Büchse wegsahen, so scharf wie die eines Falken, aber er hielt es der Würde der Sache für angemessen, beim Lesen eine Brille zu gebrauchen. »Doktor Johann Theodosius van der Kemp, 1799,« las er mit lauter Stimme und dann den mit vergilbter Tinte von des Doktors Hand geschriebenen Spruch: »Eure Lindigkeit lasset kund sein allen Leuten. Der Herr ist nahe.« Der Spruch des Apostels und der Name des großen holländischen Missionars lenkten den Sinn des Baas auf einen andern Weg. Er klappte das Buch wieder zu, überreichte es ehrerbietig dem Eigentümer, räusperte sich und steckte seine Brille wieder in die Tasche. »Was gedenkt Ihr zu thun, wenn ich diese Zulus ziehen lasse?« fragte er den Missionar. »Wohin werdet Ihr Euch wenden?« Der Missionar rief die beiden Schwarzen zu sich heran, um sie durch seine persönliche Nähe besser schützen zu können, und erwiderte: »Ihr wißt, daß ich nur im Drange der Not gestern abend zu Euch stieß, denn mein Beruf ist nicht, mit Kriegsleuten zu ziehen. Ich werde meine Reise nach Südosten fortsetzen, um eine Station zu gründen an irgend einer Stelle, die Gott mir in seiner Gnade als eine günstige bezeichnen wird. Diese beiden Fremden werde ich mit mir nehmen als Gäste, so lange sie bei mir bleiben wollen, oder aber sie in ihre Heimat zurückkehren lassen, wenn sie das vorziehen.« Die Zulus sahen währenddessen den Missionar voll Dankbarkeit an, und ihre Augen funkelten von tiefem, unterdrücktem Gefühl. »Es ist gut,« sagte der Älteste, »zieht in Frieden.« »Auch mit Euch sei der Friede Gottes,« sagte der Missionar, indem er segnend seine Hände erhob. Dann wandte er sich und schritt in Begleitung der beiden von ihm geretteten schwarzen Männer dem Lager und seinem Wagen zu. »Pieter Maritz!« rief Baas van der Goot. Der Knabe näherte sich dem Ältesten, und dieser ging einige Schritte mit ihm auf die Seite, so daß er, ohne von den andern gehört zu werden, mit ihm reden konnte. »Pieter Maritz, du wirst jetzt ein großer Junge,« sagte der alte Buer, ihn mit seinem strengen Auge messend. »Du wirst, wie ich denke, auch ein verständiger Junge sein. Dein Vater, Gott habe ihn selig, war einer unserer besten Männer, und deine Mutter ist eine fromme und tapfere Frau. Du wirst nicht aus der Art geschlagen sein, wie ich hoffe.« Der Knabe errötete bei diesen Worten des Alten und blickte ihm erwartungsvoll fest ins Auge. »Diese Zulus gefallen mir nicht,« fuhr der Baas fort. »Ich würde gern jemand mitschicken, der den Wagen des Herrn Missionars und die fremden Teufel begleitete. Denn ich möchte wohl sicher sein, daß sie auf guten Wegen bleiben und sich nicht etwa nach unsern Städten im Süden oder auch nach Osten, nach Lydenburg, hinschleichen und dort spionieren. Aber wir können keinen Mann entbehren. Deshalb habe ich daran gedacht, du solltest mitgehen. Ich werde mit deiner Mutter darüber reden. Du sollst den Herrn Missionar und seine Freunde begleiten und achtgeben. Merkst du, daß die Sache nicht richtig ist und daß die Zulus sich nach Lydenburg hin wenden oder gar in der Richtung auf Pretoria oder daß sie bei andern Gemeinden herumlauern, so schießt du sie nieder. Verstehst du mich?« »Jawohl, Baas,« antwortete Pieter Maritz, dem das Herz von Stolz schwoll. »Du wirst gut aufpassen, und du wirst zu Pferde sein,« fuhr der Älteste fort. »Das ist ein wichtiger und schwieriger Auftrag für deine jungen Jahre, also nimm dich zusammen. Wie und wann du zu uns wieder zurückkehrst, das ist deine Sorge. Knöpfe deine Augen und Ohren also hübsch auf, mein Junge. Warst ja soeben auch schnell bei der Hand, als du den Herrn Missionar herbeiholtest.« Als Baas van der Goot so gesprochen hatte, ging er mit dem Knaben in den Lagerkreis zurück. Hier herrschte jetzt reges Leben, die Männer sahen nach ihren Waffen und Pferden, Frauen und Mädchen beschäftigten sich mit ihren Haushaltungen, saßen bei den Wagen, wuschen, nähten, melkten die Kühe und bereiteten das Frühstück für die Familien vor, die schwarzen Diener hockten um die Feuer und aßen Maisbrei aus dampfenden Töpfen. Über das alles goß eine hellstrahlende Sonne ihren blendenden Schein aus. Besondere Thätigkeit aber herrschte bei dem Wagen des Missionars. Seine drei schwarzen Diener, Jan, Kobus und Christian, banden die Seile los, mit denen die Hinterbeine der Ochsen zusammengebunden waren und trieben unter lautem Rufen die langhörnigen Tiere in eine Reihe zusammen. Sie hatten zolldicke Ochsenziemer von Rhinozeroshaut, die schrecklichen Sjambocks, in ihren schwarzen Fäusten, und laut schallend fielen die Hiebe, lange Streifen ziehend, auf das Fell der Ochsen. Paarweise ordneten sie die Tiere und schrieen dabei ein jedes mit seinem Namen an; denn alle vierundzwanzig Zugochsen, die zu diesem Wagen gehörten, hatten ihren eigenen Namen, den sie gut kannten. Dann schirrten sie sie paarweise an, indem sie sie an das lange, vorn an der Deichsel befestigte Zugseil heranstellten, welches aus vielen Riemen zusammengeflochten und mit den nötigen Jochhölzern versehen war, die den Tieren auf den Nacken gelegt wurden. Jedes Paar hatte sein bestimmtes Jochholz, einen schweren starken Ast, und wurde an demselben befestigt, indem ein viereckiges Gestell den Hals umfaßte und zugleich das Jochholz mit Stricken an den Hörnern festgebunden wurde. Während dieser Zurüstungen stand der Missionar im Gespräch mit den beiden Zulus in der Nähe des Wagens. Sie unterredeten sich in der Bantusprache, welche sowohl die Schwarzen als der Missionar verstanden. Dieser kannte, seit langen Jahren in seinem schweren Berufe thätig und vielgewandert, viele Sprachen der schwarzen Völker. Bei dieser Unterredung aber fielen einige Bemerkungen, welche zeigten, daß der Argwohn des Baas van der Goot hinsichtlich der beiden Fremden nicht so ganz unbegründet war. »Die Buern lieben es nicht, den Ton der englischen Sprache zu hören,« sagte der ältere von ihnen. »Die Engländer aber sind die Feinde der Zulus. Warum wollen nun die Buern die Zulus töten? Haben sie nicht dieselben Feinde wie wir?« Der Missionar ward durch diese Worte unangenehm betroffen und sah dem Schwarzen prüfend ins Gesicht. Diese Leute hatten, seitdem er mit ihnen zusammen war, noch niemals über solche Dinge gesprochen, sondern nur nach den Lehren der christlichen Religion gefragt. Es schien ihm so, als habe die Aufregung der letzten Stunde und die drohende Todesgefahr ihren Mund gegen ihren Willen aufgeschlossen. »Die Buern sind Christen gleich den Engländern,« entgegnete er, »und beide Völker sind nicht die Feinde der Zulus, sondern möchten sie glücklich machen, indem sie ihnen die Wahrheit über den großen Gott lehren, der alle Dinge erschaffen hat.« Über das Antlitz des Zulu glitt ein Lächeln, und er verneigte sich höflich. »Mein Vater redet gewiß die Wahrheit,« sagte er, »aber er hat lange Zeit in einsamer Gegend gewohnt und weiß vielleicht nicht, was an den Grenzen vorgeht. So wissen auch diese Buern es vielleicht nicht, denn sonst würden sie ihre Schießgewehre nicht gegen die Gesandten Tschetschwajos erhoben haben.« »Ich bekümmere mich nicht um Krieg und Handel,« sagte der Missionar ausweichend. »Ich bin ein Lehrer der frohen Botschaft, welche allen Menschen Frieden verkündigt.« Der jüngere der Zulus mischte sich jetzt in das Gespräch, um ihm eine andere Wendung zu geben. »Tschetschwajo ist sehr stark,« sagte er. »Er ist der mächtige Elefant, der König der Könige, der König des Himmels. Er wird unserm Vater sehr dankbar sein, wenn er vernimmt, was er für uns gethan hat. Wird unser Vater uns erlauben, ihn ferner zu begleiten? Humbati und Molihabantschi können nicht sicher sein in diesen Landstrichen. Haben sie heute ihr Leben gerettet, so werden sie es morgen verlieren, denn die Buern streifen überall umher und werden sie sicherlich töten.« »Es wäre mir lieber, ihr ginget euern eigenen Weg,« erwiderte der Missionar. »Seht zu, daß ihr so bald als möglich nach Hause kommt. Ihr seht, wie gefährlich es für euch ist, mit den Buern zusammenzutreffen, und ich bin nicht gewiß, euch immer beschützen zu können.« Auf den Gesichtern der Zulus drückte sich Bestürzung aus. Sie sahen einander an und schwiegen eine Weile. Dann wandte sich der ältere von den beiden, Humbati, mit einer tiefen Verbeugung wieder an den Missionar und sagte mit demütigem, aber zugleich hofmännischem Wesen: »Mein Vater ist sehr mächtig und sehr gütig. Er wird seine Wohlthat nicht unvollendet lassen wollen. Die Gesandten des großen Königs werden die Güte des christlichen Lehrers zu preisen wissen, und sie werden des Königs Ohr offen finden. Tschetschwajo wird es den Missionaren in seinem Lande entgelten lassen, was unser Vater Gutes thut. Unser Vater möge uns erlauben, unter seinem Schutze weiterzureisen. Wir werden uns in dem rollenden Hause verborgen halten, wenn wir andern Weißen begegnen, oder wir werden unsers Vaters Sklaven sein auf der Reise.« Der Missionar war unschlüssig, was er antworten sollte, da er ebensowohl wünschte, den Fremden seinen fernern Schutz zu gewähren, als auch fürchtete, in politische Händel verwickelt zu werden. Da näherten sich Baas van der Goot und Pieter Maritz. Der Knabe war mit Patronengurt und Hirschfänger ausgerüstet, trug die Büchse auf dem Rücken und führte Jager gesattelt neben sich her. »Mein Freund,« sagte der Baas zu dem Missionar, »Ihr seid ein bejahrter Mann, und die schwarzen Schlingel, die Ihr zu Eurer Bedienung und Gesellschaft habt, werden Euch auf der Reise viel Sorge machen, da Ihr allein seid. Ich gebe Euch deshalb diesen jungen Menschen zur Hilfe mit. Er wird ein Auge auf die Schepsels haben und Euch zur Hand sein, wenn Ihr seiner Hilfe bedürfen solltet.« Der Missionar sah nachdenklich vor sich hin und betrachtete dann den Knaben. Er fühlte die Bedeutung der Worte des Baas und merkte dessen Mißtrauen. Das entschied ihn, die bedrohten Zulumänner in seiner Begleitung zu behalten. Das Aussehen des Knaben gefiel ihm. Er hatte sich darüber gefreut, daß dieser ihn geweckt und herbeigeholt hatte, und war mit der Wahl dieser Begleitung zufrieden. »Es ist gut,« sagte er, »ich danke Euch für Euere Sorglichkeit um mein Wohl.« Der Baas ging und der Missionar reichte dem Knaben die Hand. »Wir wollen gute Freunde sein auf unserm Wege,« sagte er lächelnd. Der Knabe zog den Hut und küßte dem ehrwürdigen Geistlichen, dessen freundliches Antlitz ihm Ehrerbietung und Liebe einflößte, die braune, runzlige Hand. Dann schwang er sich in den Sattel und richtete seinen Blick aufmerksam auf die Vorbereitungen zur Abreise und besonders auf die beiden Zulus, welche in vornehmer Ruhe unbeweglich neben dem Wagen standen. Die Ochsen waren jetzt sämtlich vorgespannt und bildeten, da ihrer zwölf Paare voreinander standen, eine sehr lange Reihe. Doch sah ihre Anschirrung noch sehr unordentlich aus, denn das Zugseil, an welchem sie alle ziehen sollten, lag manchen Tieren auf dem Rücken, bei manchen aber lag es wiederum zwischen dem Gespann am Boden. Es gab keinen gemeinsamen Zügel, sondern die farbigen Diener mußten neben den Tieren gehen und sie mit Peitschen lenken, einer von ihnen saß auf der Vorderkiste des Wagens, um die Hinterochsen anzutreiben. Diesen Platz hatte Kobus eingenommen, und als er sah, daß alle Tiere am Jochholz fest waren, schrie er mit gellender Stimme: »Treck!« Sämtliche Ochsen verstanden den Ruf und legten sich mit den Stirnen ins Geschirr, das harte Seil streifte über ihre Rücken fort, riß einen und den andern herum, der nicht in der rechten Richtung anzog, und setzte die gewaltige Maschine in Bewegung. Der Wagen war wohl vierzehn Fuß lang, vier Fuß breit, schwer aus mächtigem Holze erbaut, mit riesigen, dicken, eisenbeschlagenen Rädern, und glich mit seinem rund gespannten Leinwandzelt in der That einem rollenden Hause, wie der Zulu ihn genannt hatte. Aber obwohl die Tiere angezogen hatten und nun gemessenen Schrittes vom Lager hinwegwandelten, hörten doch der Lärm und das Geschrei der Farbigen nicht auf. Jan und Christian rannten wie toll an ihnen auf und nieder und riefen einen jeden Ochsen mit seinem Namen an. Kobus schwang von seinem Sitze aus eine Peitsche, die einen zwölf Fuß langen Bambusstiel hatte und im ganzen wohl dreißig Fuß lang war, so daß er die vier hintersten Paare damit beherrschen konnte. Der Knall dieser Peitsche klang wie das Aufschlagen eines Zündhütchens und das Auftreffen ihrer Spitze riß einen blutigen Striemen in das Fell. Jan und Christian, angefeuert durch das Knallen dieses furchtbaren Instruments, fuhren mit den Sjambocks zwischen die vorderen Paare und ließen dicke, blutrünstige Schwielen auf den Rücken und Flanken der Ochsen aufschwellen. Inzwischen war der Missionar in den Sattel gestiegen und ritt am Zuge hin. »Was schlagt ihr die Tiere so sehr?« rief er zürnend den Farbigen zu. »Mynheer!« entgegnete Jan ihm achselzuckend, »der Ochs muß seinen Schlag haben, damit er gehorsam ist, und wenn der Ochs gehorsam ist, dann muß er doch seinen Schlag haben.« Die Tiere waren unter diesen Hieben in einen schnelleren Gang gefallen, und so schwer der Wagen und so sandig der Boden war, zogen sie das schwankende und ächzende Gefährt doch in schnellem Trabe dahin. Aber das durfte nicht sein, denn sonst mußten die Tiere ihre Kräfte zu rasch verbrauchen. Jan, der jetzt die beiden an der Stirn durch einen Querriemen verbundenen Vorochsen führte, ließ den Riemen, an dem er sie leitete, los, stürzte mit erstaunlicher Behendigkeit vor, bückte sich und nahm einen faustgroßen Stein vom Boden auf. Diesen schleuderte er mit großer Geschicklichkeit gerade zwischen die Hörner des rechts gehenden Vorderochsen. Der Ochse stutzte und mit ihm hielt sein Nachbar inne. »Avanhou! Avanhou!« brüllten alle drei Diener. Dazu griffen sie neue Steine von der Erde auf und warfen sie den Ochsen vor die Stirn. So mäßigte sich allgemach der Lauf der Tiere, und nun war nach Kobus' Ansicht die Gangart die richtige. Tief schnaufend, mit rollenden Augen und schlagenden Weichen schritten die vierundzwanzig Tiere dahin. Hinter ihnen rollte der Wagen, und seine Räder gruben sich in den Sand ein. Der Missionar hatte sein Pferd hinter den Wagen gelenkt, und neben ihm schritten die Gesandten des Zulukönigs, leichtfüßig mit weiten Schritten einhergehend. Pieter Maritz schloß den Zug. Er war seiner Aufgabe eingedenk und verließ die Fremden nicht mit einem Blicke. [Illustration] So wich das Lager der Buern hinter ihnen zurück, und das blaue Rauchfähnchen über dem weiten Wagenkreise verschwamm allmählich den Augen der Rückschauenden im klaren Äther. Vor ihnen öffnete sich im Morgenglanz ein weites Land voll Schönheit, aber auch voll Gefahren. [Illustration] Drittes Kapitel Auf der Reise Das Land, welches die Reisenden durchmaßen, war sehr eben, und das Auge erkannte bei der Durchsichtigkeit und Klarheit der Luft jener südlichen Gegenden auch entfernte Gegenstände mit großer Deutlichkeit. Der Boden ward immer mehr mit Gras und Kräutern bedeckt, je weiter sie zogen, und die dürren Sandflächen des nördlichen Landstrichs, aus dem sie kamen, verloren sich ganz. Oft sah Pieter Maritz in weiter Entfernung Herden der Springböcke und Gnus erscheinen, die in der Ebene weideten und die in langen Sprüngen verschwanden, wenn ihr feines Gehör den Lärm des Wagenzugs vernahm. Zuweilen war das Gras so hoch, daß es über den Hörnern der Ochsen zusammenschlug und nur die Reiter noch einen freien Umblick hatten. Dann wühlten sich die Ochsen und der Wagen mühsam eine Furche und ließen einen fest gestampften Weg hinter sich, der einem Engpasse gleich dahinlief. Bald war das Gras niedrig und mit vielen schön duftenden, bunten Blumen untermischt. Dann tauchten zahlreiche Völker von Rebhühnern, Perlhühnern und Fasanen vor und neben dem Wagen auf. Sie waren so wenig scheu, daß sie erst dicht vor den Hufen der Ochsen emporflogen, und die Schwarzen fingen mehrere von ihnen mit den Händen oder erlegten sie mit einem Schlage der langen Peitsche. Sie warfen die erjagten Tiere in den Wagen, um sie beim Abendessen zuzubereiten. Oft ward Jager unruhig und blies seine Nüstern auf, wenn er das gehörnte Wild, Antilopen kleiner und größerer Arten witterte, und Pieter Maritz fühlte, wie er vorwärts strebte zur Jagd. Aber der Knabe gedachte seiner Aufgabe, ein wachsames Auge auf die Zulus zu haben, und dämpfte den Eifer seines Rosses. Nach dreistündiger Fahrt wurde in der Nähe eines Teiches Halt gemacht. Die Ochsen wurden ausgespannt und stürzten sich alsbald in das Wasser. Es wurde Kaffee gekocht und gefrühstückt. Dann nach zweistündiger Rast wurden die Ochsen wieder eingefangen, und die Fahrt fortgesetzt. So ging die Reise bis Mittag weiter, als das Land hügelig zu werden anfing. Kleine Höhenzüge wechselten mit sanften Thälern ab, und helle Bäche liefen im Grunde der Thäler. Mühsam schleppten die Ochsen den Wagen bergauf, und unter vielem Geschrei der Schwarzen und kräftigem Gegenstemmen der Zugochsen ging es auf der andern Seite bergab. Dann schlürften die Tiere, indem sie den Bach durchschritten, mit gierigen Mäulern das erfrischende Naß. Die Diener aber gossen das Wasserfaß aus, welches im Wagen mitgeführt wurde, und füllten es neu. Nun gelangte der Wagen an ein größeres Flüßchen, welches zwischen tiefen Uferrändern dahinfloß und nicht zu überschreiten war. Doch führte ein Weg längs des Wassers hin, ein Weg, der durch tief eingedrückte Räderspuren bezeichnet war und andeutete, daß hier ein häufiger Verkehr sein mußte und vermutlich auch eine Furt zu finden war, welche es gestatten würde, den Fluß zu durchmessen. Trauerweiden und ein dichtes Gebüsch von Butterbäumen und Speckbäumen, deren Stämme so weich sind, daß man sie mit einem Messer durchschneiden kann, säumten das Ufer ein, und in diesem Dickicht ging die Fahrt längs des Flusses hin. Da ließ sich in der Entfernung ein Lärm hören, der immer lauter wurde, je weiter der Zug vorwärts kam. Peitschenknallen und Ochsengebrüll, dazu gellende Rufe ertönten, dann ward es plötzlich still, und dann erhob sich der Lärm mit erneuter Kraft. Mit einem Mal erscholl in der Nähe ein lautes Platschen und Poltern und der Schreckensruf von verschiedenen Stimmen. Pieter Maritz drängte sein Pferd an dem Wagen vorbei, um zu sehen, was vorginge, und erreichte eine Öffnung in dem Gebüsch, welches die Aussicht auf den Fluß versperrte. Da sah er nun die Ursache des Lärms und des Schreckens. Hier war die Furt, und inmitten der seichten Stelle im Wasser lag ein langer, ziegelrot angestrichener Wagen in jämmerlichem Zustande. Er lag auf der Seite, zwei Räder sahen aus dem Wasser heraus, und um die Räder herum schwammen Kisten und Tonnen, die aus dem Wagen hervorgetaucht waren. Mehrere Männer standen bis an die Brust im Wasser, schrieen laut und bemühten sich, die schwimmenden Gegenstände zu retten, damit sie nicht vom Wasser fortgespült würden. Ein langer Zug von Ochsen stand in großer Verwirrung vor dem umgestürzten Wagen. Die vordersten Paare waren schon am Ufer und im Trockenen, während die im Wasser stehenden sich hin und her wandten und bald anzogen, bald sich stemmten. Pieter Maritz ritt alsbald ins Wasser hinein und rief seinen Begleitern zu, sie möchten hilfreiche Hand anlegen. So kam auch der Missionar mit seinen Dienern heran, und auch die Zulus sprangen alsbald ins Wasser und halfen die schwimmenden Sachen ans Land bringen. Mit großer Mühe gelang es dann endlich, auch den Wagen wieder aufzurichten und ihn von den Ochsen auf das Ufer ziehen zu lassen. Hier war nun ein Zustand großer Not. Der Besitzer des verunglückten Wagens, ein langer, hagerer Mann mit gelbem Gesicht und langem, schwarzem Bart, wehklagte laut und lief hin und her, um die Kisten und Kasten zu betrachten, die naß im Grase lagen. Dann ließ er sie öffnen, und seine farbigen Leute zogen allerhand Bänder und Tücher, Zeug und fertige Kleider, Leinwand und Wäsche heraus. Alles tropfte von Wasser, und die Klagen des Eigentümers wurden immer lauter. »Gott der gerechte!« rief er einmal über das andere, »ist mir verloren die Hälfte des Wertes!« »Wer seid Ihr, Freund?« fragte ihn der Missionar. »Ich bin der Smaus Abraham ten Winkel,« sagte der schwarzbärtige Mann. »Gott der gerechte, welch ein Verlust!« Damit fiel er über einen Salzsack her, der im Grase lag, hob ihn in die Höhe und sah mit großer Betrübnis, wie die Tropfen aus dem Sacke liefen. »Ist mir das halbe Salz ausgelaufen!« Dann ergriff er einen Kasten, der mit Nägeln gefüllt war, und rüttelte ihn verzweiflungsvoll. »Werden mir alle verrosten!« rief er. »Und der feine Rollenkanaster!« hub er von neuem an, indem er von dem Kasten zu einer kleinen Tonne ging. »Hu, wie naß ist der Tabak! Wird ihn keiner mehr rauchen wollen, ist das ganze Aroma pleite gegangen!« Doch nun ergriff der Smaus wirksame Maßregeln, seinen Schaden möglichst gering werden zu lassen. Er ließ alle seine durchnäßten Zeuge an dem Gebüsch zum Trocknen aufhängen, und es gewährte einen wunderlichen Anblick, das Ufer mit den bunten Stoffen und Blusen, Beinkleidern und Frauenkleidern behängt zu sehen. Tabak und Salz legte er in die Sonne und die Nägel trocknete er mit einem wollenen Tuche ab. Bei alledem ließ er seine schwarzen Augen unaufhörlich hin und her rollen, von einem zum andern, um zu sehen, ob ihm keiner der Fremden etwas entwendete. Besonders hatte er die Schepsels in Obacht. »Wartet nur, ihr sollt kriegen,« rief er. »Ihr habt mir geholfen, und ich will es euch lohnen, aber wartet nur, Geduld müßt ihr haben.« Aber die Schepsels waren listig. Kobus hatte mit scharfem Blicke ein Fäßchen entdeckt, welches der Smaus vorsichtig mit dem Fuße verstohlenerweise hinter einen Kaktusbusch gerollt hatte, und kam mit dem Fäßchen angeschleppt, gleich als wollte er es retten. Während der schwer geprüfte Jude sich eben die Schweißtropfen von der Stirne wischte und seufzend dem Missionar erzählte, er habe schon seit vorgestern mittag hier am Flusse gewartet, weil derselbe vom Regen so sehr angeschwollen sei, daß er mit dem Wagen nicht durchgekonnt habe, machte sich Kobus in sonderbarer Weise mit dem Fäßchen zu thun, und plötzlich zeigte es sich, daß es nicht mehr dicht hielt. Kobus hielt ein Blechgefäß darunter und fing alsbald an zu trinken. Kaum hatten dies die andern Diener bemerkt, als sie alle Arbeit stehen und liegen ließen und sich auf das Fäßchen stürzten. »Zoopje, Zoopje!« schrieen sie und hielten die Hände unter, um den stark duftenden Schnaps aufzufangen, der aus dem leck gewordenen Fasse lief. Vergeblich rannte der bestürzte Jude auf sie zu und bat sie ihm den Schnaps nicht auszutrinken, vergeblich schalt er. Auch der Missionar erhob umsonst seine Stimme, um die Farbigen vom Trunke wegzuscheuchen. Die Schepsels ließen ihn reden, aber tranken weiter. Nur die Gesandten des Zulukönigs standen vornehm beiseite und blickten voll Verachtung auf die Scene. Da ergriff der Jude den Sjambock und ließ ihn auf die Rücken seiner Diener und der Diener des Missionars niedersausen. Die Schepsels zuckten und wanden sich, aber sie hörten nicht auf zu trinken. Das betäubende Getränk half ihnen über die Schmerzen der Rhinozerospeitsche hinweg, und sie standen erst auf, als sie satt waren. Nun waren sie überaus lustig, lachten laut und sangen, wandten sich mit tausend Bitten um Verzeihung an ihre Herren, beteuerten mit lallenden Zungen, daß sie nur hätten retten wollen, weil das Faß ja doch entzwei gewesen sei, und tanzten mit ungeheuerlichen Sprüngen umher. Nach und nach aber wurden sie müde, und einer nach dem andern sank im Grase nieder, um zu schlafen. Währenddessen war es spät am Nachmittage geworden. Die Hilfe, welche der Zug des Missionars dem Handelsmann gebracht, hatte viel Zeit gekostet. Es wäre unmöglich gewesen, die Furt zu passieren, bevor nicht der Wagen des Smaus aus derselben entfernt worden wäre, und der gute Wille, dem Nächsten in der Not zu helfen, ging hier mit der Notwendigkeit, den Weg frei zu machen, Hand in Hand. Aber mehrere Stunden waren darüber verflossen, und es war nun nicht mehr an Fortsetzung der Reise zu denken, weil die Diener unfähig waren, ihren Dienst zu thun. Der Missionar beschloß, sich den Umständen zu fügen, und auch dem Smaus blieb nichts anderes übrig, als sich in das Schicksal zu finden. Die Herren selbst mußten sich unter Beistand des Knaben und der beiden Zulus dazu bequemen, die Ochsen auszuspannen und das Abendessen zu bereiten. Der Platz war nicht ungeeignet, um dort die Nacht zu verbringen. Das Wichtigste war, daß Wasser in unmittelbarer Nähe war, so daß das Vieh saufen konnte. Dazu wuchs üppiges Gras, untermischt mit herrlichen Kallas und anderen Blumen am Ufer, zum Futter für die Tiere, und das ringsum laufende Dickicht bildete gleichsam einen Zaun, der die Ochsen verhinderte, sich allzu weit zu entfernen. Nur zeigte es sich schwierig, ein größeres Feuer anzuzünden. Hier in der Nähe des Flusses waren alle Gewächse so voll von Saft, daß sie nicht brennen wollten, und die Reisenden mußten sich mit dem kleinen Feuer begnügen, welches ausreichte, um die Speisen zu kochen, durften aber nicht hoffen, während der Nacht ein Lagerfeuer zur Abwehr der wilden Tiere unterhalten zu können. Die Zulus suchten mehrere Arme voll Zweige und Büsche zusammen, welche einigermaßen trocken waren und gingen dem Missionar unter Beobachtung einer gewissen stolzen Würde an die Hand. Der Jude brachte seinerseits Mais und Kaffee herbei, und so wurde eine Mahlzeit hergestellt, welche nach den Mühen des Tages herrlich schmeckte. Dann brach die Nacht herein, und sogleich begannen die hellen Sterne zu schimmern. Die Reisenden saßen im Kreise zusammen um das erlöschende Feuer. Pieter Maritz hatte seine Büchse neben sich liegen, ebenso der Jude, die Zulus lagerten auf ihren Mänteln von Tigerfell, welche sie sich aus dem Wagen herbeigeholt, und hatten ihre Assagaien, die scharfspitzigen Wurfspieße mit leichtem Rohrschaft, zur Hand, nur der Missionar, der unbewaffnet durch die Wildnis zog, auf Gott allein vertrauend, hatte ein Werkzeug der Wissenschaft neben sich, einen Sextanten, mit dem er die Höhe des Sternes Kanopus im Augenblick seines Durchganges durch den Meridian berechnen wollte. Er führte eine kleine Laterne mit Magnesiumdraht mit sich, welche er anzünden wollte, um die Zahlen auf dem Nonius ablesen zu können. Ehe er jedoch seine Berechnung anfing, war er in ein Gespräch mit Pieter Maritz vertieft, der seine Verwunderung darüber aussprach, wie die farbigen Diener so ganz der Pflicht und der Gefahr der Lage vergessen und sich sinnloser Trunkenheit hätten hingeben können. »Diese armen Leute sind wie die Kinder,« sagte der Missionar, »und die größte Schuld an ihrem schlechten Benehmen tragen gewissenlose Weiße, welche ihnen den Branntwein ins Land geführt haben.« Der Smaus rückte auf seinem Lager und schien sich getroffen zu fühlen. »Wollen die Schepsels trinken, so finden sie immer Zoopje,« sagte er. »Bin ich's nicht, der ihn verkauft, so ist's ein anderer. Mache ich nicht das Geschäft, macht's ein anderer.« »Das ist wohl wahr,« entgegnete der Missionar, »aber es gab eine Zeit, wo diese Leute den Branntwein überhaupt noch nicht kannten. Damals waren sie ein großes Volk, das bis ans Meer hin das ganze Land dicht bewohnte. Nun sind sie verstreut und sind die Knechte der Weißen. Wohl haben sie den Segen der christlichen Predigt erfahren, aber der Teufel säte viel Unkraut unter den Weizen, und die Gewinnsucht der Kolonisten verdarb, was die Prediger Gutes schufen. Ich habe ein altes Buch in meinem Wagen, Pieter Maritz, das will ich dir morgen zu lesen geben, so Gott will. Darin findest du die älteste Geschichte dieses Landes. Es ist zu Anfang des vorigen Jahrhunderts geschrieben, von einem meiner Landsleute, Peter Kolb, der lange Jahre am Kap gelebt hat. Er war von dem preußischen Geheimen Rat Baron von Krosigk im Jahre 1704 dorthin geschickt worden, um wissenschaftliche Untersuchungen anzustellen. Kannst du denn lesen, Pieter Maritz?« »Jawohl,« erwiderte dieser stolz. »Ich habe schon von meinem zwölften Jahre an, sobald ich ordentlich reiten und schießen gelernt hatte, Unterricht im Lesen, Schreiben und Rechnen gehabt, und ich kann holländische und englische Bücher lesen.« »Dann wirst du aber dieses Buch doch wohl nicht lesen können. Es ist deutsch geschrieben. Aber ich werde dir daraus erzählen, wenn du etwas von den ersten Thaten der Europäer in Südafrika wissen willst.« »Es waren Holländer, die zuerst an das Kap kamen,« sagte Pieter Maritz. »Mein Vater hat mir erzählt, daß von Rechts wegen alles Land hier den Holländern gehörte, daß aber die Engländer es uns weggenommen hätten.« »Zuerst war es ein portugiesischer Seemann, der die weite Fahrt nach der Südspitze von Afrika machte,« erzählte der Missionar. »Er hieß Bartholomeo Diaz und kam im Jahre 1486 mit drei Schiffen nach Sierra Parda, einem Küstenplatz im Lande der Namaquas. Dort richtete er ein Kreuz auf, aber zog bald wieder weiter, weil Stürme seine Schiffe bedrohten und seine Mannschaft unzufrieden war. Dann kam elf Jahre später ein anderer Portugiese, Vasco da Gama, und landete in Natal, begrüßte die dunkelbraunen Eingeborenen, welche Hottentotten genannt wurden, fuhr dann zur Mosselbai, wo er eine Säule mit dem portugiesischen Wappen aufrichtete, blieb aber auch nicht lange, sondern segelte nach Indien. Die Holländer kamen erst viel später, mehr als hundert Jahre nach diesen beiden portugiesischen Seefahrern, aber sie machten nicht einen flüchtigen Besuch, sondern gründeten am Kap der guten Hoffnung eine Kolonie. Am 6. April 1652 ankerten vier holländische Schiffe in der Bai am Tafelberge, und etwa hundert Kolonisten unter Führung des unternehmenden Johann van Riebek, welcher vordem Schiffsarzt gewesen war, stiegen ans Land und gründeten eine Handelskompanie, welche mit der Ostindischen Kompanie in Verbindung stand. Die Holländer bauten eine kleine Festung, legten einen großen, schönen Garten an und handelten mit den Hottentotten um Elfenbein, Straußenfedern und andere Landesprodukte. Als es ihnen gut ging, schickten ihnen die Generalstaaten von Holland eine große Anzahl von Mädchen aus den Armen- und Waisenhäusern nach, und so wurden Familien gegründet. »Als nun die Kolonie zu Wohlstand kam und sich immer weiter ausbreitete, indem sie den Hottentotten Land abkaufte, da kamen immer mehr Menschen aus Holland herüber, und unter den guten auch schlechte Leute, welche die Eingeborenen betrogen und mißhandelten. Herr Peter Kolb erzählt, daß die Hottentotten gute, ehrliche, sanftmütige und liebevolle Menschen gewesen sind, welche ihr Wort heilig hielten und die Gerechtigkeit achteten. Sie nährten sich von Obst, Kräutern, Wurzeln und Milch, und viele wurden über hundert Jahre, manche hundertunddreißig bis hundertundfünfzig Jahre alt. Als sie aber die gekochten Speisen der Europäer und deren gesalzene und gewürzte Gerichte, besonders aber den Branntwein kennen lernten, da wurden sie lecker und trunksüchtig, bekamen viele Krankheiten, wurden nicht mehr alt und verloren ihre Tugenden. Dazu kamen sie in Streit und Krieg mit den Europäern, wurden deren Sklaven und starben in der Knechtschaft schnell aus oder wurden Räuber, welche Buschmänner genannt wurden, und fielen im Kampfe, so daß sie jetzt nur noch zerstreut in den Ländern wohnen, welche ehedem von ihnen dicht bevölkert waren. »Der Europäer aber wurden immer mehr. In den Jahren 1685 bis 1688 kamen französische Protestanten herüber, welche nach Aufhebung des Edikts von Nantes ihre Heimat verließen, um ihren Glauben zu bewahren. Zuerst kamen nur dreihundert, nach und nach aber wohl viertausend Franzosen. Doch mußten sie sich den Holländern fügen, und in ihren Kirchen wurde holländisch gepredigt. Auch Deutsche kamen in großer Zahl aus ihrem Vaterlande herüber. Sie vermischten sich gleich den Franzosen mit den Holländern, und alle zusammen nannten sich Buern, das heißt Bauern: Leute, welche Ackerbau und Viehzucht treiben. Die Buern aber eroberten ringsum Land und schickten vom Jahre 1774 an kleine Heere aus, welche Kommandos genannt wurden und nach allen Seiten hin ihre Herrschaft weithin bis zum Oranjefluß und Vaalfluß befestigten. Damals aber hatten auch schon einige von Gott dem Herrn ausgesandte Männer angefangen, den Heiden das Evangelium zu predigen, und mitten zwischen Blut und Mord und gierigem Trachten nach Erwerb zogen Missionare umher, um den Frieden Christi zu predigen. »Aber noch andere Ankömmlinge lernte das Land kennen, ein mächtiges Volk, das sich den Buern überlegen zeigte. Das stolze England, welches an allen Punkten der Erde seine Schiffe, seine Handelsleute und seine Krieger landen läßt, zeigte sich auch am Kap. Im Jahre 1806 mußten die Kolonisten die Herrschaft der Briten im Kaplande über sich ergehen lassen, und was der Fleiß, der Mut und auch die ungerechte Gewinnsucht der Buern den Hottentotten abgenommen hatten, fiel nun dem stärkeren Räuber zur Beute. Grollend zogen die Buern immer weiter nach Norden, um nicht unter britischen Gesetzen, sondern unter ihren eigenen zu stehen, und im Jahre 1837 setzten sie sich in den Ländern fest, die wir jetzt Oranjefreistaat und Transvaal nennen. Im Jahre 1848 gründeten sie unter Andreas Pretorius nach offenem Kampfe mit den Engländern auf dem rechten Ufer des Vaalflusses den Staat Transvaal, in welchem wir uns jetzt befinden, und 1854 erklärten sich auch die Buern auf dem linken Vaalufer, zwischen Oranjefluß und Vaalfluß für unabhängig und nannten ihr Land Oranjefreistaat, obwohl der englische Gouverneur der Kapkolonie, Sir Henry George Smith, am 3. Februar 1848 die Königin von England für die Oberherrin aller dieser Landstriche erklärt hatte. Seitdem haben die Buern vieler Freiheit genossen, denn die Engländer hatten nicht die Macht, ihre Herrschaft zur Geltung zu bringen; doch nun hat sich die Lage verändert. Vor neun Monaten, am 12. April 1877, ist Sir Theophilus Shepstone, der englische Kommissar für die Angelegenheiten der Eingeborenen von Natal, mit einer Schar berittener Polizeibeamten nach Pretoria, der Hauptstadt von Transvaal, gekommen, hat dort die englische Fahne aufgezogen und das Land für englisch erklärt. Das hat die Buern sehr erbittert, und wer weiß, welche Kämpfe und schreckliche Dinge daraus entstehen werden.« Pieter Maritz hatte dieser Erzählung aufmerksam zugehört, denn vieles von dem, was der Missionar vortrug, war ihm unbekannt, und er liebte es, zu lernen. Besonders aber hörte er gern alles, was die Geschichte seines Vaterlandes anging. Als der Missionar aber schwieg, sah der Knabe ihn mit blitzenden Augen an und sagte, indem seine Hand fest den Lauf der Büchse umschloß; »Mein Vater hat gestern, als er starb, die Engländer unsere Feinde genannt, und ich hoffe es bald zu sehen, daß wir ihnen zeigen, auf welcher Seite das Recht ist.« Der Missionar antwortete nicht, denn er begriff, was in der Seele des Knaben vorging. Er nahm sein astronomisches Instrument zur Hand und setzte alsdann den Magnesiumdraht in der Laterne in Glut. Als der außerordentlich helle, blendende Schein aufflammte, gerieten die Umhersitzenden in das höchste Erstaunen. Keiner von ihnen hatte je ein solches Licht gesehen, und als der Missionar beim Schein desselben mit dem Sextanten arbeitete und bald gen Himmel, bald auf die Zahlen des Instruments blickte, rückten die Zulus voll Entsetzen zurück. Sie waren überzeugt, daß hier die größte Zauberei vollführt werde, ein eiskalter Schauder lief ihnen über den Rücken, und ihre Lippen wurden blaß vor Furcht. Doch eingedenk ihrer Würde und der Gegenwart des Juden und des Knaben, welche ruhig sitzen blieben, gaben sie ihrer Neigung, schleunigst davonzulaufen, nicht nach, sondern zwangen sich, ihre Angst zu verbergen. Während so die tiefste Stille herrschte, der Missionar seine Notizen machte und ringsum alles finster war, bis auf den kleinen überaus hellen Fleck, den die Laterne beschien, ging mit einem Male ein ängstliches Schnauben durch die Herde des ruhenden Hornviehs, und unmittelbar darauf ertönte ein furchtbares Gebrüll in nächster Nähe. Ungeheurer Tumult erhob sich bei diesem Ton, welcher die Erde zu erschüttern schien. Sämtliche Ochsen sprangen mit ängstlichem Brüllen vom Boden auf und stürzten nach allen Richtungen hin auseinander, die an den Wagen gebundenen Pferde stiegen in die Höhe, schlugen mit den Vorderbeinen und zerrten so heftig an den Zäumen, daß die schweren Wagen sich bewegten. Die Zulus waren aufgesprungen und hielten ihre Assagaien kampfbereit in der Hand, der Jude lag, von einem Ochsen zu Boden geworfen, laut schreiend da, Pieter Maritz hielt sein Gewehr schußbereit in den Händen, und der Missionar hatte die Thür der Laterne weit geöffnet und leuchtete im Kreise umher, um zu sehen, von wo die Gefahr drohe. Jetzt fiel das Licht der Laterne auf die Öffnung im Gebüsche, dem Fluß gerade gegenüber, und in ihrem hellen Scheine waren zwei ungeheure Löwen zu erblicken, welche kaum dreißig Schritte weit entfernt waren. Die Tiere standen aufrecht und unbeweglich nebeneinander, ihre großen Köpfe waren von langen gelben Mähnen umwallt, und ihre Gesichter blickten mit feierlichem Ernst vor sich hin. Augenscheinlich waren sie geblendet von der Flamme des Magnesiumdrahts und konnten nichts von dem erkennen, was vor ihnen lag. Denn es war alles dunkel bis auf den Platz, auf welchem sie selber standen, und sie waren so deutlich zu sehen, daß man die starren schwarzen Spürhaare ihrer Oberlippe hätte zählen können. Pieter Maritz hatte die Büchse an die Wange erhoben und stand so ruhig wie ein Steinbild. Jetzt berührte er den Drücker, eine Flamme fuhr aus der Mündung hervor, und, gerade ins rechte Auge getroffen, stürzte der größte der beiden Löwen zusammen. Da duckte sich der andere Löwe und sprang, ehe der Knabe zum zweiten Schuß recht zielen konnte, in gewaltigem Satze voll Mut ins Ungewisse hinein vorwärts. Er kam dicht vor dem Schützen zur Erde, hier blendete ihn der Lichtschein nicht, und mit einem Schlage seiner gewaltigen Tatze mußte er jetzt den Knaben erreichen. Aber in diesem Augenblicke der größten Gefahr kam Hilfe. Zu derselben Sekunde, wo Pieter Maritz sein Gewehr senkte, um es auf den Feind dicht vor sich zu richten, traten mit Blitzesschnelligkeit zwei dunkle athletische Gestalten vor das Untier, und zwei Assagaien bohrten ihre blinkenden scharfen Stahlspitzen in den Rachen und in das Herz des Löwen. So zahlten Humbati und Molihabantschi den Zoll ihrer Dankbarkeit gegen den Buernsohn. [Illustration: Der Kampf mit dem Löwen.] Beide Löwen wälzten sich zum Tode verwundet in den letzten Zuckungen und schlugen mit den Krallen in die Erde, da kamen auch die farbigen Diener, ihrer sieben an Zahl, herbei. Sie waren durch das Gebrüll aus ihrem Schlafe erweckt, und der gewaltige Lärm des Viehs sowie der Schuß, welchen der Knabe abgefeuert, hatten sie völlig munter gemacht. Auch hatte Christian einen Tritt von einem der fliehenden Ochsen erhalten, wodurch ihm ein gut Stück Haut vom Beine abgeschürft worden war. Aber obwohl sie nun nahe an acht Stunden geschlafen hatten, war der Rausch noch nicht völlig wieder aus ihren Köpfen gewichen, und es dauerte einige Zeit, ehe sie ihre verstörten Mienen verloren. Sie standen zuerst voll Staunen und Verwunderung stumm neben den Löwen, dann aber fingen sie nach des Kobus Vorgang sämtlich an zu schwatzen und ruhmredige Worte darüber zu führen, was sie gethan haben würden, wenn sie die Löwen lebend erblickt hätten. Sie hätten keine Furcht vor Löwen, beteuerten sie; sie hätten den Löwen zeigen wollen, was es heiße, nachts an die Ochsen heranzuschleichen. Die Herren hätten ganz ruhig sein können; solange sie, Kobus, Jan, Christian und die vier Diener des Smauses, dagewesen wären, hätte es keine Gefahr gegeben. Aber der Missionar brachte sie zum Schweigen. »Schämt ihr euch nicht, ihr faulen Knechte?« rief er. »Wie, Kobus, hast du nicht erst im vorigen Jahre die heiligen Sakramente empfangen und den Taufunterricht genossen, so daß ich billig erwarten könnte, du erinnertest dich noch meiner Ermahnungen und der Lehren der Kirche? Und nun bist du der erste, der sich der Völlerei hingiebt und liegst betrunken am Boden, während die Tiere der Wildnis dich und deine Genossen und deinen Lehrer und Herrn bedrohen? Und dazu willst du noch prahlen und lügen und deine Schuld zu verstecken suchen, anstatt sie zu bekennen und durch Reue wieder gut zu machen?« Von diesen Worten wurde Kobus tief getroffen, und sein Gewissen ward in ihm rege. Er fing an laut zu weinen und zu schluchzen, seine Betrübnis teilte sich den andern mit, und alle sieben heulten und bekannten, daß sie leichtsinnig und schlecht gewesen wären, daß sie es aber nie wieder sein wollten. »Nun,« sagte der Missionar, »so macht euch jetzt gleich auf die Beine und schafft Holz herbei, daß wir ein Feuer anzünden können. Sowie aber die Sonne aufgeht, sucht nach den zerstreuten Ochsen, damit wir unsere Reise fortsetzen können.« Gehorsam machten sich die Schwarzen ans Werk. Beim schwachen Licht der Sterne suchten sie im Dickicht nach trockenem Holze, wobei sie laut sangen und schrieen, um die Hyänen fern zu halten, deren Geheul ringsum von weitem ertönte. Sie brachten auch nach und nach genug herbei, um ein tüchtiges Feuer entzünden und unterhalten zu können. Beim schützenden Schein desselben schlief die Gesellschaft der Reisenden bis zum Morgen. Nun aber ergab sich eine große Schwierigkeit. Die Zugtiere waren weder zu sehen noch zu hören, und bevor sie nicht zurückgebracht worden waren, konnte der Marsch nicht weitergehen. Noch ermüdet und elend von ihrer Ausschweifung machten sich die farbigen Diener auf, um die Tiere zu suchen. Während dieser Zeit beschlossen die Zulus, auf die Jagd zu gehen, um für Wildbret zu sorgen. Pieter Maritz sah, daß sie sich miteinander besprachen und dann, die Assagaien in der Hand, davongingen. Er war seines Auftrages eingedenk, und obwohl er nicht glaubte, daß sie sich entfernen wollten, fühlte er sich doch verpflichtet, ihnen zu folgen. Rasch sattelte er Jager, warf die Büchse auf den Rücken und ritt ihnen nach. Sie gingen umschauend und nach allen Seiten spähend nebeneinander und tauschten einen verständnisvollen Blick unter sich aus, als sie den eiligen Schritt des Rosses hinter sich hörten und des Knaben ansichtig wurden. Pieter Maritz sagte ihnen in englischer Sprache, daß er an der Jagd, die sie wahrscheinlich vorhätten, teilnehmen wolle, und nun setzten sie ihren Weg gemeinsam fort, der Knabe zu Pferde, die Zulus vor ihm, Jagdhunden gleich spürend und durch das Buschwerk kriechend. Sie hatten noch nicht lange umgeschaut, da stieß Humbati einen leisen Ruf aus, und zu gleicher Zeit streckte das Pferd seinen Kopf vor und setzte sich alsbald in Galopp. Pieter Maritz sah die Hörner zweier Antilopen in der Ferne über das hohe Gras herblicken. Aber auch die Antilopen wurden zu derselben Zeit aufmerksam; die dunklen Streifen, welche des Knaben scharfes Auge oberhalb der wogenden Grasfläche erblickt und an ihren dem Korkzieher ähnlichen Windungen als Hörner der größten Antilopenart erkannt hatte, setzten sich in schnelle Bewegung. Wären die Zulus allein auf der Jagd gewesen, so würden sie sich wohl unbemerkt nahe genug an das Wild herangeschlichen haben, um es mit dem Wurfspieß zu erlegen, aber die Gegenwart des Pferdes ward von den feinen Sinnen der Antilopen in der Ferne schon wahrgenommen. Nun galt es schnelle und ausdauernde Verfolgung. Zuerst gewannen die Antilopen einen Vorsprung. Ihre schlanken, sehnigen Glieder durcheilten die Ebene mit so weiten Sätzen, daß der Raum zwischen ihnen und den Jägern sich vergrößerte. Aber Jager trug seinen jugendlichen Reiter mit äußerster Kraftanstrengung vorwärts und streckte die Beine im schnellsten Laufe. Pieter Maritz ließ dem Tiere die Zügel, da er dessen Natur kannte und wohl wußte, wie groß seine Jagdleidenschaft und wie scharf sein Auge war. Er hielt die Büchse mit beiden Händen vor sich, und die Zügel lagen dem Pferde auf dem Halse. Doch erstaunte der Knabe, als er wahrnahm, daß mit dem langgestreckten Galopp seines edlen Pferdes die Zulus Schritt hielten. Er war es gewohnt, die Schwarzen schnellfüßig zu sehen, denn auch die Kaffern und Hottentotten, Betschuanen und Namaquas, welche er kannte, zeichneten sich durch Behendigkeit im Laufen aus. Aber niemals hatte er Menschen von solcher Schnelligkeit gesehen, wie diese erprobten Krieger des kriegerischsten aller südafrikanischen Völker. Humbati hatte sich rechts, Molihabantschi links gewandt, und sie strebten danach, das verfolgte Wild auf kürzerer Linie einzuholen, falls es sich etwa im Bogen seitwärts wenden sollte. Zwar dort, wo das Gras niedrig und der Boden sehr eben war, kam Jager vor, und die Zulus blieben zurück; wo aber das hohe Gras dem Pferde im Laufe hinderlich war oder wo Büsche im Wege standen und wo es Hügel hinauf und Hügel hinunter ging, da gewannen die Läufer ihren Raum zurück. Ihre nackten schlanken Gestalten, deren glänzend schwarze Haut die feurigen Strahlen der Sonne zurückwarf wie ein Spiegel, glitten so gewandt wie schimmernde Schlangen durch das saftige Grün und die prächtig in allen Farben glühenden Blumen dieses fruchtbaren Landstrichs, und ihre muskulösen Beine durchmaßen wie im leichten Tanz die weite Entfernung. Die langen Federn des blauen Kranichs, welche sie in ihrem dicht gelockten Haar trugen, wehten wie im Sturmwind nach rückwärts, während sie so, die Assagaien in der Faust hoch erhoben, dahinjagten. Wohl zeigten sich Herden einer kleineren Antilopenart auf dem Wege, und die Jagd auf diese Tiere würde leichter und ergiebiger gewesen sein; wohl erhoben sich Ketten von Hühnern und Fasanen vom Boden; aber es hatte sich nun der Eifer des Wettlaufs der Jäger bemächtigt, und sie fühlten, daß es mehr der Ehre galt als dem Gewinn. Sie wollten alle den Triumph feiern, die Ongiris, die stolzesten aller Antilopen, erjagt zu haben, und wiederum zwischen den Zulus und dem Buernsohn war das Feuer des Ehrgeizes im Wettkampf entbrannt. Ja selbst Jager schien zu fühlen, was es galt, denn er blickte mit rollenden Augen bald vorwärts auf die Beute, bald seitwärts nach den behenden schwarzen Gestalten, und er lief mit nie an ihm gesehener Schnelligkeit. Jetzt durchfegte er ein Dickicht stachlichter Büsche, und ein langer Riß in der Haut ließ dem Tiere die Blutstropfen über den braunen Hals herablaufen. Ein Dorn von Kaktus zerriß auch den Ärmel von Pieter Maritz' Bluse. Aber die schlanken Gestalten der Zulus waren links und rechts in gleicher Linie mit dem Pferde, und vorwärts ging es. Nun kamen sie in ein sumpfiges Land, wo die herrlichsten schneeweißen Kelche der Kalla, glänzende blaue Blüten von Lilien und die wunderlichen farbenstrahlenden Gebilde der Orchideen dicht gedrängt gleich dem schönsten Teppich sich ausbreiteten. Ein Wirbel von Schlamm erhob sich unter den Hufen des Pferdes, und nur ächzend kam es an der andern Seite wieder auf festen Boden. Aber auf beiden Seiten glitten die Zulukrieger wie auf Flügeln über den morastigen Boden hin, indem sie gewandt auf faulende Stämme sprangen, die im Schlamm lagen und von einem Holze sich auf das andere schwangen. Nun ging es einen Hügel hinauf, auf der andern Seite hinunter. Unten floß ein silberhelles Wasser, wohl zwanzig Schritte breit. Ohne zu zaudern, warf Jager sich in die Flut und schwamm hindurch. Aber als er auf dieser Seite hineinstürzte, stiegen die Zulus schon auf der andern Seite heraus, und während Jager schnaubend mit den Fluten kämpfte, flogen die Zulus schon den nächsten Hügel hinan, und die Wassertropfen rollten von ihren schwarzen Leibern herab, in der Sonne glitzernd und ohne eine Spur von Nässe auf der fettigen Haut zurückzulassen. Pieter Maritz biß die Zähne zusammen. Hier, wo Berg und Thal wechselten, mußte er das Rennen verlieren. Er kam die Höhe hinauf, und hier erblickte er die Zulus schon mehr als zweihundert Schritte im Vorteil. Doch zugleich erblickte er jetzt deutlich die Antilopen. Sie waren zu Anfang die schnelleren gewesen, aber nun war ihre Kraft erschöpft. Ihre Sprünge waren nicht mehr weit, sie erlahmten in der Flucht. Aber sicherlich mußten sie jetzt die Beute der Zulus werden. Die Schnelligkeit dieser Jäger schien zuzunehmen, von zwei Seiten kamen sie mit hoch geschwungenen Assagaien daher, und in wenigen Minuten konnten sie den Sieg errungen haben. Da zog Pieter Maritz, dessen Gesicht vor Eifer glühte, mit einem plötzlichen Entschluß die Zügel an. Die Entfernung war weit, aber er kannte die Tragweite seines Martini-Henry. Das Pferd schien zu verstehen, es stand still, als wäre es von Erz gegossen. Pieter Maritz zog das Gewehr an die Backe, ein Knall und noch ein Knall -- er jauchzte laut: beide Antilopen flogen in hohem Satze empor und stürzten zu Boden. [Illustration] [Illustration] Viertes Kapitel Heimliche Flucht »Mein junger Freund hat ein sicheres Auge und eine ruhige Hand,« sagte Humbati, als die drei Jäger sich bei dem erlegten Wilde zusammenfanden. Er lehnte sich auf seinen Wurfspieß, dessen stumpfes Ende er auf den Boden gestemmt hatte, und betrachtete Pieter Maritz mit einem Blick, aus welchem Bewunderung sprach, während ein höfliches Lächeln um seinen Mund spielte. Der Knabe blieb auf dem Pferde sitzen und beugte sich hinab, um die Antilopen zu betrachten. Jager senkte den Kopf und beroch gleich einem Jagdhund die Beute. »Das Gewehr der weißen Männer trägt weiter als der Assagai und der Pfeil,« fuhr Humbati fort. »Gewiß aber giebt es nicht viele Männer unter den Buern, die so gut schießen wie mein junger Freund.« »Ich bin nur ein Knabe,« entgegnete Pieter Maritz, »und ich hoffe, noch schießen zu lernen, wie die Buern schießen.« Humbati schwieg eine kleine Weile und fing dann von neuem an. »Es giebt sehr viele Buern. Ihre Zahl ist groß, und viele wohnen in ihren Wagen und Zelten, viele aber auch in großen Häusern, welche immer auf derselben Stelle bleiben. Doch der englischen Krieger giebt es noch mehr, und sie werden die Buern zu ihren Sklaven machen.« Ein Zornblitz schoß aus des Knaben Augen hervor, und er erwiderte heftig: »Das wird niemals geschehen, solange noch ein Buer lebt, der das Gewehr tragen kann.« »Mein junger Freund hat recht,« sagte Humbati. »Edle Männer sterben lieber, als daß sie unter den Armen leben und am Festmahl der Vornehmen keinen Anteil haben. Der große König Tschetschwajo liebt die Buern, denn er weiß, daß sie Krieger sind. Wenn die Buern dem mächtigen König helfen wollten gegen die Engländer, so würden sie ihm gegen ihren eigenen Feind helfen. Humbati und Molihabantschi möchten dies den weisen Männern unter den Buern sagen, aber die Buern wollten die Gesandten des Königs tot schießen. Mein junger Freund ist sehr weise, obwohl er an Jahren noch jung ist. Er kann Humbati und Molihabantschi einen guten Rat geben, wie sie es machen sollen, um die Buern der Freundschaft Tschetschwajos zu versichern.« Mit überlegender Klugheit hatte der Zulu zu seiner Rede einen Augenblick gewählt, wo der Knabe in stolzer, freudiger Erregung war. Und beinahe wäre Pieter Maritz darauf eingegangen, dem Gesandten wirklich einen Rat zu geben oder ihm behilflich zu sein. Aber noch zu rechter Zeit entsann er sich der eigenen Unerfahrenheit und des Auftrags, den er von Baas van der Goot erhalten hatte. »Sind es die jungen Knaben unter den Zulus, welche den Führern Rat erteilen?« fragte er lächelnd. Humbati wandte sich zur Seite und wechselte einen Blick des Verständnisses mit Molihabantschi. Er wunderte sich über die Antwort, und sein Freund teilte dies Gefühl. »Ich kann euch beiden nur einen Rat geben,« fuhr Pieter Maritz fort. »Das ist, ruhig eure Straße zu ziehen, bis ihr an die Grenze eures Landes kommt. Denn wir Buern trauen euch nicht, weil Tschetschwajo oft in unser Land eingebrochen ist und durch seine Heere Vieh hat forttreiben und die Dörfer verbrennen lassen.« Die Zulus tauschten wieder einen Blick miteinander aus, aber sie antworteten nichts weiter, sondern machten sich an die Arbeit, das Wild zu zerlegen, wobei sie sich der scharfen Klingen ihrer Assagaispitzen bedienten. Zuerst öffneten sie den Tieren den Leib, nahmen mit großer Geschicklichkeit die Gedärme heraus und tranken nach ihrer wilden Art das Blut, welches sich in der Bauchhöhle sammelte, während das Herz noch in seinen letzten Pulsen schlug. Dann lösten sie den Rücken der Tiere heraus, schnitten die Hinterschenkel ab und luden diese Stücke, wohl eingewickelt in breite Blätter, um sie vor der Sonne zu schützen, auf ihre Schultern. Das übrige ließen sie liegen. Dann traten alle drei den Rückweg nach der Lagerstelle an. Hier hatten die Diener inzwischen nach mehrstündiger Arbeit wieder Ordnung geschaffen. Sie hatten die Zugochsen nach langem Suchen und Jagen wieder zusammengetrieben, wobei ihnen der Instinkt der Tiere zu Hilfe gekommen war. Denn diese hatten sich nicht allzu weit entfernt, sondern waren, nachdem das Gebrüll der Löwen verstummt war, auf weichen Grasplätzen innerhalb des Dickichts am Flusse geblieben. Doch fehlten zwei der Ochsen, welche trotz aller Mühe nicht hatten aufgefunden werden können, und es war allen wahrscheinlich, daß sie von den Hyänen zerrissen worden seien. Beide Ochsen gehörten zum Zuge des Smauses Abraham ten Winkel, und der unglückliche Mann, der schon so viel Widerwärtigkeiten innerhalb der letzten Tage erlitten hatte, konnte sich über diesen neuen Verlust nur schwer trösten. Als die Jäger mit dem Wildbret erschienen, wurden Vorkehrungen zu einer gemeinsamen Mahlzeit getroffen, welche Frühstück und Mittagessen in sich vereinigen sollte. Denn die Sonne stand schon hoch am Himmel, die gewöhnliche Einteilung der Zeit konnte heute nicht inne gehalten werden, und der größere Teil der heutigen Weiterfahrt mußte auf den Nachmittag und Abend verlegt werden. Nun wurden Kessel über Feuerlöchern angesetzt und Kaffee und Mais gekocht, dazu eiserne Gabeln in den Boden gestoßen, über denen Spieße mit Antilopenbraten sich drehten. Nur die Zulukrieger verschmähten das über dem Feuer gebratene Fleisch und bereiteten es sich in ihrer eigenen Weise zu. Sie legten einen Antilopenrücken ohne Salz einfach in die Kohlen hinein und drehten ihn im Feuer mit einem Stabe um, wenn er gar zu arg zu verbrennen drohte. Nach einer Weile zogen sie dann den Rücken heraus, rissen das mürbe Gewordene mit den Fingern ringsum ab, verschlangen es und warfen den noch rohen Teil von neuem in die Kohlen. Das wiederholten sie mehreremale, bis sie alles bis auf den Knochen abgenagt hatten. Nach der Mahlzeit trennte sich die Gesellschaft. Der Jude zog gen Norden, betrübt über die Verluste, die er an dieser Stelle erlitten hatte, der Missionar mit seiner Begleitung wandte sich nach Südosten. Der Wagen dieses letztern Zuges war um eine stattliche Beute bereichert worden: die Felle der beiden gewaltigen Löwen, welche die Zulus mit geübter Hand abgehäutet hatten. Um nicht dasselbe Schicksal zu erleiden, das den roten Wagen des Juden betroffen hatte, ward die Furt genau untersucht. Denn die Flut hatte sich nur wenig verringert, so daß das Wasser nur wenige Handbreit niedriger stand als am vergangenen Tage. Die Zulus gingen daher zuerst in den Fluß und erprobten dessen Tiefe und Gangbarkeit. Sie fanden eine Stelle etwas oberhalb des Punktes, wo der Wagen des Smauses umgestürzt war, weil ein Rad über einen allzu hohen Stein wegging. Hier war der Boden eben, und das Wasser ging an den tiefsten Punkten den Zulus nur bis an die Mitte der Brust. Der Zug der Ochsen ward hierher geführt und quer hindurchgeleitet, und das Überschreiten der Furt lief glücklich ab. Zwar kamen die Ochsen so tief hinein, daß sie zuweilen schwimmen mußten und daß nur noch ihre Köpfe mit den langen Hörnern und dem dicken Jochholz oberhalb des Wasserspiegels zu sehen waren, aber der Zug war so lang, daß der größere Teil der Tiere immer gehen konnte. Als die Hinterochsen noch schwammen, wandelten die vordersten Paare schon jenseits auf dem Ufer, und so wurde kein Paar seitwärts getrieben, obwohl der Fluß ziemlich reißend strömte. Pieter Maritz schloß den Zug auf Jagers Rücken. Es machte ihm wenig aus, daß seine Stiefel und ledernen Beinkleider naß wurden, denn sie waren von der Jagd her noch nicht wieder ganz trocken. Aber bald sollten sie trocknen. Das jenseitige Ufer war kahl und sandig, der Weg auf eine unabsehbare Entfernung hin ohne Baum und Strauch und die Sonne von einer ungewöhnlichen Glut. Sie stand zur rechten Hand des Zuges ganz hoch am Himmel, und ihre Scheibe erschien durch die erhitzte Luft über der Erde in einer eigentümlichen Weise verändert. Sie schwamm wie ein goldener Teller im weißlich flimmernden Luftmeer. Nur unten, dicht über dem Horizont waren leichte, duftige Wolken zu sehen, sonst glich die ganze Himmelsdecke einer riesigen glühenden Kuppel von funkelndem Metall. Die Erde war unter diesem Strahlenglanz in hohem Grade erhitzt und schien dem Himmel gleich zu brennen. Die Ochsen hoben im Marsche ihre Beine hoch auf und tauchten mit sichtbarem Widerstreben ihre Hufe in den Sand. Links und rechts lagen an mehreren Stellen des Weges Gerippe, welche seltsam vom Boden emporblickten, indem neben den starken, gewölbten Rippen der weiße Schädel mit den gebogenen, langen, schwarzen Hörnern emporragte. Der Missionar hatte sich in den Wagen gesetzt, um unter dem Verdeck geschützt zu sein, die farbigen Diener hatten breitrandige helle Filzhüte auf dem Kopfe, nur die Zulus gingen schutzlos in der Sonne und ließen das Licht ruhig auf ihre krausen Frisuren und die glänzenden schwarzen Körper fallen. Nichts Lebendes ließ sich zu dieser Stunde außer dem Zuge des Missionars auf der Ebene sehen, nur einmal rannte in weiter Ferne ein Rudel Zebra dahin, deren schwarze und weiße Streifen Pieter Maritz mit seinen scharfen Augen unterscheiden konnte. Der Marsch hatte nun schon über drei Stunden gedauert, den Zugochsen hing die dürstende Zunge aus dem Halse, und noch war kein Fleck zu sehen, der sich zur Ruhe geeignet hätte. Der Missionar ließ halten und kam aus dem Wagen hervor. »Es geht so nicht weiter,« sagte er zu Pieter Maritz, »was sollen wir machen? Die Tiere bedürfen des Wassers, aber wir finden hier kein Wasser am Wege.« »Ich sehe dort einen Hügel,« sagte der Knabe, zur linken Hand hin weisend. »Ich will mit den Zulus dorthin, um zu sehen, ob wir an seinem Fuße Wasser finden. Wir wollen Spaten mitnehmen, um ein Loch zu graben.« »Gut,« sagte der Missionar, »aber die Tiere können es nicht lange mehr aushalten, und wir müssen ihnen wohl aus dem Fasse geben.« Er ließ die Ochsen ausspannen, damit sie sich erholen könnten, und man sah sie alsbald nach allen Seiten hin schnuppern, ob sie etwa eine ferne Quelle oder auch nur ein Wasserloch entdecken könnten. Aber sie senkten mutlos die Köpfe und stellten sich dann so, daß ihre brennenden Hufe im Schatten der eigenen Körper standen, wobei sie sich zusammendrängten und immer die außerhalb Stehenden sich bemühten, in das Innere des Haufens einzudringen. Der Missionar ließ indessen aus dem Fasse in Becher laufen und erquickte seine Begleiter und sich selbst. Das Wasser war warm geworden und zu einer andern Zeit würde es wohl von jedem verschmäht worden sein, aber heute erschien es allen wie ein köstliches Getränk. Als dann die Menschen getrunken hatten, ließ er einen Eimer füllen, und mit großer Not inmitten der sich nun herandrängenden Tiere wurde jedem der Ochsen ein kleiner Trunk verabreicht. Währenddessen begaben sich Pieter Maritz und die Zulus, denen sich zuletzt auch noch der Missionar selbst zu Pferde anschloß, nach dem Hügel und spähten eifrig nach Fußspuren von Wild, welche angedeutet haben würden, daß Wasser in der Nähe sei. Aber es waren keine Fährten zu entdecken. Der Hügel war entlegener, als sie zuerst vermutet hatten, und nahm beim Näherkommen eine andere Gestalt an, indem er sich als Ausläufer einer Hügelkette zeigte. Er war sandig, mit Steinen bedeckt und ohne jeden Pflanzenwuchs, aber als die Reisenden auf seinen Gipfel kamen, sahen sie Buschwerk und einzelne Bäume auf der andern Seite. Die Zulus entdeckten sogar, was die Weißen nicht zu erkennen vermochten: den Rauch aus menschlichen Wohnungen in weiter Ferne sich aus waldiger Umgebung emporkräuseln. Belebt durch die Aussicht auf das Buschwerk, da dies die Hoffnung auf Wasser erweckte, stiegen sie den Hügel auf der andern Seite hinab, waren aber erst einige hundert Schritte gegangen, als sie plötzlich still standen, indem sie frische Spuren von Löwen am Boden bemerkten, die vor ganz kurzer Zeit auf diesem Platze gewesen sein mußten. Dann gingen sie, vorsichtig um sich blickend, weiter. Am Fuße des Hügels erblickten sie gar bald ein rundes Loch in der Nähe einiger Rhenosterbüsche, und dies Loch war mit Wasser gefüllt. Sie eilten dahin, aber ein abschreckender Gestank kam ihnen entgegen. In dem Wasser von trübem Aussehen schwamm eine Masse, welche nicht deutlich zu erkennen war, und als die Zulus diese Masse mit dem Schafte ihrer Spieße bewegten und emporhoben, zeigte sich, daß es eine tote Hyäne war. Dem Anschein nach war dies Loch von Kaffern gegraben und das Wasser von ihnen vergiftet, um die Raubtiere zu vertilgen. Es mußten Wohnungen von Kaffern in dieser Gegend sein. Mit Abscheu wandten sich die Reisenden von dem häßlichen Anblick des vergifteten Tieres ab und gingen weiter, auf die Bäume zu, als sich ihnen ein Schauspiel von herzbewegender Traurigkeit bot. Ganz einsam unter einem der Bäume, Euphorbien, die ihre blattlosen Zweige von dem glatten Stamm aus in gleichen Winkeln kandelaberförmig in die Höhe streckten, saß ein altes, schwarzes Weib, nackt, ein lebendiges Gerippe, und lehnte ihr weißhaariges Haupt auf die Kniee. Sie blickte empor, als sie die Nähe der Fremden bemerkte, und blickte entsetzt auf die weißen Gesichter. Dann versuchte sie aufzustehen, um zu fliehen, aber zitternd vor Schwäche sank sie wieder zusammen. Der Missionar stieg vom Pferde, redete sie mit sanftem Tone in der Sprache des Volkes jenes Landes an und nannte sie mit einem Namen, welcher unter jedem Himmelsstrich süß klingt, und selbst das Ohr des Wilden sanft berührt. »Meine Mutter,« sagte er, »fürchte nichts. Wir sind Freunde, wir wollen dir kein Leid thun. Wie kommst du in diese Wildnis, und warum bist du so allein?« Sie antwortete zuerst nicht, sondern sah nur erschrocken in des Missionars Gesicht, bis er seine Frage wiederholte. Dann sagte sie mit schwacher Stimme: »Ich bin eine alte Frau, ich sitze hier seit vier Tagen; meine Kinder haben mich hier zurückgelassen, damit ich sterbe.« »Deine Kinder?« fragte der Missionar. »Ja,« sagte sie, die magere Hand auf ihre welke, runzlige Brust legend, »meine eigenen Kinder, drei Söhne und zwei Töchter. Sie sind dorthin gegangen, nach jenen blauen Bergen und haben mich hier zurückgelassen, um zu sterben.« »Und warum haben sie dich verlassen? Ich bitte dich, sage es mir!« rief der Missionar voller Entsetzen, indem er seine Hände faltete. »Ich bin alt,« sagte sie, »und ich bin nicht mehr kräftig genug, ihnen zu dienen. Wenn sie auf die Jagd gehen, kann ich nicht mehr das Fleisch nach Hause tragen, weil ich zu schwach bin. Ich kann kein Holz mehr sammeln, um Feuer zu machen und ich kann auch ihre Kinder nicht mehr wie früher auf meinem Rücken tragen.« Als das alte Weib so sprach, blickte der Missionar gen Himmel und weinte laut. »O Heidentum!« rief er, »o Heidentum! O du Heiland aller Menschen, laß deine Liebe zu diesem armen, unseligen Volke kommen!« Auch Pieter Maritz konnte seine Bewegung nicht verbergen, und obwohl ihm die Zunge vor Hitze und Durst am Gaumen klebte, rann ein Strom von Thränen über seine Wangen. Nur die Zulus blickten unbewegten Auges auf die Scene und betrachteten die Thränen der Weißen mit verächtlicher Verwunderung. »Ich bin erstaunt, dich hier lebend zu sehen,« sagte der Missionar von neuem zu der Alten. »Denn es gehen Löwen hier umher und müssen dich längst bemerkt haben.« Die alte Frau faßte die Haut ihres linken Armes mit den Fingerspitzen und zog sie empor, als sei es lockeres, leichtes Gewand. »Ich habe die Löwen gehört und gesehen,« sagte sie, »aber es ist nichts an mir, was sie fressen möchten.« Der Missionar griff in die Tasche und holte ein Stück Maiskuchen und gedörrtes Fleisch hervor. »Nimm dies, meine Mutter,« sagte er, »und iß. Wir wollen dich nicht sterben lassen, du sollst nicht hier bleiben. Wir wollen dich mit uns nehmen und für dich sorgen.« Die Alte nahm die Lebensmittel, aber als sie die Worte des Missionars hörte, fing sie vor Angst zu zittern an. »Ich will nicht mit,« sagte sie flehend, »laßt mich hier. Es ist so unsere Sitte, ich bin auch schon beinahe tot, ich will nicht das Sterben noch einmal anfangen.« Vergeblich redete der Missionar ihr zu und versprach ihr, sie zu stützen, daß sie zu seinem Wagen gehen könne, und auch künftig für sie zu sorgen. Sie ward von diesen Vorschlägen so erregt, daß sie in Krämpfe zu verfallen drohte, und der Missionar mußte davon abstehen, sie mit sich zu nehmen. Doch beschloß er, mit dem Wagen hierher zu kommen, sobald sich Wasser gefunden hätte, weil er es nicht übers Herz bringen konnte, die alte Frau zu verlassen. Er wollte seine Reise unterbrechen und von der vorgesetzten Richtung abbiegen, um dies unglückliche Wesen zu beschützen. So setzten die Reisenden vorläufig ihren Weg fort. »Dieses sklavische Volk hat schlechte Sitten,« sagte Molihabantschi. »Es ist nicht gut, die alten Leute verhungern zu lassen. Selbst die Löwen haben bessere Sitten, denn wenn sie eine Beute teilen, fressen die alten Tiere zuerst, und die jungen warten, bis jene satt sind. Ist aber ein Löwe zu alt und schwach, um mit auf die Jagd zu gehen, so bringen ihm seine Kinder das Futter.« »Glaubst du, daß die Löwen dies mit Verstand und Überlegung thun?« fragte der Missionar. Molihabantschi sah ihn verwundert an. »Die Löwen sind sehr klug,« erwiderte er. »Ich sah einen Löwen, welcher auf einem Felsen am Flußufer lauerte, um Zebras zu fangen, welche zur Tränke gingen. Er wollte auf das letzte Tier der Herde springen, aber versah sich und sprang zu kurz, so daß die Zebras flohen und er keines davon bekam. Da beguckte er sich die Stelle, von wo er gesprungen war, und machte den Satz mehreremale, bis dieser weit genug war. Dann kamen noch zwei Löwen zu ihm und sie gingen zusammen auf und ab, wobei er ihnen die Stelle zeigte, wo die Zebras zu trinken pflegten. Sie sprachen dabei laut miteinander, doch konnte ich kein Wort verstehen, obschon sie stark brüllten.« Pieter Maritz und der Missionar wußten, daß die Kaffernvölker glauben, die Tiere sprächen miteinander, und sie lachten nicht über die Erzählung des Zulu. Sie schritten weiter im Thale hin und kamen zu ihrer Freude an ein Gewässer. Zwar war es nur ein Teich, der nicht im Fließen war und trübe aussah, aber sie waren glücklich. Der Missionar beschloß, hier Rast zu halten. »Ich habe die Absicht, mich nach Botschabelo, der Missionsstation, zu begeben,« sagte er zu dem Knaben. »Ich dachte diesen Platz in zwei Tagen zu erreichen, werde nun aber drei Tage auf den Weg verwenden müssen. Denn ich bringe die Ochsen heute nicht mehr weiter, vor allem aber wüßte ich nicht, wie ich die arme alte Frau fortbringen sollte, ohne daß der Wagen hierher kommt. Wir wollen umkehren und den Wagen holen.« Während dieser Worte ging der Missionar an das Wasser hinab, und er sowohl wie seine Begleiter und die beiden Pferde labten sich an einem Trunk. Pieter Maritz glaubte zu bemerken, daß die Zulus aufmerksam geworden wären, als sie den Namen Botschabelo hörten, doch achtete er nicht weiter darauf, weil sich ihm jetzt ein wunderlicher Anblick bot. Ein großer Vogel erhob sich auf dem jenseitigen Ufer, der einen dunklen Gegenstand in seinen Krallen trug. Er flog gerade empor und ließ dann das Ding, welches er trug, zu Boden fallen, auf die Steine, welche dort zerstreut lagen. Alsdann schoß er selbst herab, packte den Gegenstand von neuem und wiederholte dasselbe Spiel, indem er ihn aus der Höhe fallen ließ. Pieter Maritz ritt, da er sich dies nicht erklären konnte, eilig um den Teich herum, und bei seinem Herannahen ward der Vogel scheu und flog davon, ohne das Ding mitzunehmen, mit welchem er beschäftigt war. Der Knabe erreichte die Steine und sah, daß es eine Schildkröte war, welche der Raubvogel erbeutet hatte. Sie lag dort mit zerbrochenem Schilde, und der Vogel hatte sie auf die Steine geworfen, um sich ihres Fleisches bemächtigen zu können. Mehrere zerbrochene Schilder von Schildkröten lagen außerdem umher. Der Knabe hob das Tier auf, welches wohl fünfzehn Pfund wiegen mochte, und nahm es mit sich als einen Beitrag zum Abendessen. Dann kehrten die Reisenden zurück, um den Wagen zu holen. Sie kamen an der Stelle vorüber, wo das alte Weib saß, und fanden es wieder mit dem Kopfe auf den Knieen in seiner hockenden Lage. Sie gingen ruhig vorüber, um es nicht von neuem zu ängstigen, und stiegen wieder über den Hügel, welcher in die Ebene führte. Hier herrschte eine unendliche Glut, und die freie Fläche dort unten glich einem riesigen Herde, von welchem Hitze emporstrahlt. Sie blickten nach dem Wagen hin, der eine halbe Wegstunde entfernt sein mußte, aber anstatt der dunklen Gruppe, die sie vorhin beim Umschauen von dem Hügel aus gesehen, bot sich ihnen ein anderes und wunderbares Bild. Sie sahen einen See vor sich ausgebreitet, dessen heller Spiegel erfrischend glänzte, und dessen Ufer in lieblichster Weise mit schwankenden, vom Winde bewegten Bäumen eingefaßt waren. Schlanke Palmen, Tamarisken und Agaven wiegten ihre graziösen Blattflächen und hellen Blüten, und zwischen ihnen erhoben sich weiße Landhäuser und phantastische, spitze Türme mit goldenen Kuppeln. Staunend sahen sie diesen reizenden Anblick, welcher ein Paradies vor ihre brennenden Augen hinzauberte, und langsam schritten sie den Hügel hinab darauf zu. Da löste sich ein langer Zug von Menschen und Tieren von dem Gestade des lockenden Sees los und kam ihnen entgegen. Reiter und Fußgänger mit wallenden Mänteln und langen Speeren kamen daher, über ihren Häuptern flatterten Fahnen und ihre Waffen blitzten. Aber nach und nach, wie die Reisenden vorwärts kamen, wuchsen die vordersten Reiter des ihnen entgegenkommenden Zuges zu Riesen an. Ihre Lanzenspitzen reichten bis zum Himmel, und ihre Rosse wurden größer wie Giraffen und Elefanten. Sie gingen noch weiter vor, in Staunen verloren, und nun wurden die Gestalten und der See blässer und blässer, der wundersame Schimmer, welcher das Land verklärte, ward zu einem gelblichen, durchsichtigen Nebel, und endlich war alles verschwunden, und sie fanden sich in der glühenden gelben Sandwüste, den Wagen mit den verschmachtenden Ochsen gerade vor sich. Es hatte sich ihnen, wie der Missionar erklärte, eine Luftspiegelung, eine Fata Morgana gezeigt, welche zuweilen entsteht, wenn die Hitze der Sonnenstrahlen von der flachen Erde zurückgeworfen wird. Der letzte Rest aus dem Wasserfasse ward jetzt unter die Ochsen verteilt, um ihnen neuen Mut zu geben, und obwohl ein jedes Tier nur einen Zug thun durfte, war die Wirkung doch sehr belebend. Dann ging es vom Wege seitwärts ab nach dem hügeligen Lande. Die Ochsen merkten, daß es zur Rast ging, sie setzten ihre letzte Kraft daran und kamen stöhnend über den Hügel in das Thal. Aber als sie den Platz erreichten, wo die alte Frau sein mußte, da fanden sie ihren Körper zwar wieder, aber für jede Hilfe war es zu spät, denn die Seele war entflohen. Die Umschlingung ihrer Kniee mit den Armen hatte sich gelöst, ihr Kopf war nach rückwärts gefallen, und kein Atem bewegte mehr die Brust und die Lippen. Da sprach der Missionar ein Gebet, und die schwarzen Diener schaufelten eine Grube in den Sand und legten den mageren Leib hinein. Dann ging es wieder vorwärts. Mühsam wühlten sich die Ochsen durch den tiefen Sand des Thales nach den noch entfernt stehenden Bäumen und Büschen hin, welche den Ort des Teiches erkennen ließen. Sie ließen die Köpfe hängen und schnoben aus tiefster Brust. Mit einem Male begann ein Wind dem Zuge entgegenzuwehen, der einen seltsam frischen Hauch mit sich führte. Der Wind blies aus Nordost und er hatte eine Art von Beigeschmack wie von frischem Grase. Die Ochsen erhoben ihre Köpfe, sogen die Luft mit Begierde ein, und drangen schneller vor. Sie schüttelten die Joche, als seien sie ungeduldig, nicht ungehindert laufen zu können. Wenige Minuten später ward der Wind stärker, und ein sonderbares Heulen begleitete seinen Gang über die Hügel hin. Zugleich veränderte sich die Beleuchtung. Die Reisenden blickten sich um, da es war, als rücke ein Schatten von hinten her über den Himmel weg, und sie sahen, daß die kleinen zarten Wolken, welche um Mittag dicht über dem Horizont gestanden hatten, nun heraufgezogen waren und gleich Schneebergen, ganz weiß mit einem leichten, gelben Saume, dem Winde entgegeneilten. Nun entstand plötzlich eine Totenstille. Es war, als begegneten sich der Wind und die Schneeberge zu einem Kampfe und rüsteten sich schweigend. Die Ochsen standen still, kein Schlag brachte sie vorwärts, sie zitterten und bohrten ihre Hufe in den Boden. »Schirrt sie ab!« rief der Missionar. »Ein Gewitter kommt!« Alsbald stürzten sich die Schwarzen auf das Gespann, lösten die Jochhölzer ab und ließen das Zugseil fallen. Während sie so arbeiteten, zeigte der Himmel eine auffallende Veränderung. Die großen, den Schneebergen ähnlichen Wolken zogen mit scharf umrissenen Formen noch immer in der Richtung nach Nordosten, aber ihnen gegenüber waren, ohne daß man sagen konnte, woher sie kamen, andere Wolken entstanden, welche den entgegengesetzten Weg zogen. Diese gingen tiefer über der Erde hin und glichen losem Wasserdampf, der keine bestimmte Gestalt annimmt, sondern schleierartig wallt. Beide Wolkenschichten zogen mit großer Schnelligkeit gegeneinander und untereinander, und das Sonnenlicht verschwand vollständig. Es ward dunkel und noch immer dauerte die unheimliche Stille. Da, auf einen Schlag, brach ein gewaltiges Wetter los. Es sah aus, als sprängen Blitze in mannigfacher Form, im Zickzack, schräg hin und auch in Bogenlinien, von der Erde empor nach dem Himmel. Dann sah es wieder aus, als fiele eine feurige Kette in Stücken von den Wolken herab. Die Blitze fielen so häufig, daß oft zwanzig in einer Minute zu zählen waren, und ein Donner erschütterte die Luft, der Schlag auf Schlag mit solcher Kraft rollte, daß die Erde unter den Füßen der Reisenden bebte. Dies dauerte mehrere Minuten lang und dann ergoß sich eine Wasserflut vom Himmel herab, als stürze ein Ocean aus den Wolken nieder. Es war ganz finster, nur die Blitze erhellten die Scene. Sie sprangen nicht mehr zwischen Himmel und Erde auf und nieder, sondern wälzten sich gleichsam am Boden hin wie feurige Schlangen, die in ganzen Herden sich daherringelten. Ohne Aufhören brüllte dazu der Donner. Pieter Maritz war vom Pferde gestiegen und hielt das zitternde Tier am Zügel. Er blickte zum Wagen hin und sah keinen der Ochsen mehr. Als der Sturm losbrach, die Blitze zuckten und der Donner grollte, waren sie voller Entsetzen davongestürmt. Der heulende Wind trieb das losgerissene Verdeck einem Segel gleich empor und ließ es wie eine riesige Fahne flattern. Die farbigen Diener waren unter den Wagen gekrochen und hockten dort in angstvoller Stellung. Neben dem Wagen stand der Missionar. Er hielt gleich dem Knaben sein Pferd am Zügel und blickte in einer andächtigen Stellung mit über der Brust gefalteten Händen zu dem von Blitzen erleuchteten Himmel auf. Sein von weißem Haar und Bart umgebenes Antlitz erschien dem Knaben unbeschreiblich ehrwürdig. Nur für Augenblicke war dies Bild dem Knaben sichtbar, alsdann ward es wieder in Finsternis getaucht. Denn die Wolken hingen so niedrig zur Erde herab und gossen solche Regenschauer nieder, daß nur die Blitze Licht geben konnten. Jetzt huschte etwas ungemein Schnelles heran, es glich einem Trupp von Schweinen mit hoch gebogenen Rücken, doch wie es dicht neben dem Knaben vorüberkam, sah er, daß es ein Rudel Hyänen war. Ihre unheimlichen Gestalten verschwanden so schnell wie sie erschienen waren. Die Tiere waren in Angst und dachten nur an Flucht vor dem Unwetter, wie auch die Pferde vor dem Anblick der gefährlichen Bestien zu dieser Stunde nicht scheuten, sondern unter dem stärkeren Eindruck der entfesselten Elemente standen. Die Wassergüsse hatten schon nach kurzer Zeit den Boden völlig aufgeweicht. Sie spülten den losen Sand von den Hügeln herunter und ließen die kleineren Steine mitrollen. Diese von den Höhen fließenden Bäche sammelten sich in den Thälern, und bald rann ein Strom von mehreren Fuß Tiefe durch die Niederungen, wo die Reisenden sich befanden und spülte bis an die Achse des Wagens. Der Missionar und Pieter Maritz mußten mit ihren Pferden seitwärts die Höhe hinansteigen, um außerhalb der Fluten zu sein, und in Schreck und Furcht schlossen sich ihnen die Diener an, welche das Wasser unter dem Wagen hervorgetrieben hatte. Wären die Hügel höher und die Tiefen abschüssiger gewesen, so wäre der Wagen fortgespült worden. Es war ein Glück, daß die unebene Bildung des Bodens nur in geringem Maße vorhanden war. So war es auch ein Glück, daß die Ochsen vom Wagen abgeschirrt waren, denn sie hätten gewiß beim Leuchten der Blitze und dem furchtbaren Krachen der Donnerschläge in wilder Flucht den Wagen mit sich gerissen und wären mit ihm zu Grunde gegangen. So durften die Reisenden hoffen, die versprengten Tiere nach dem Aufhören des Gewitters wiederzufinden. Der heftige Zorn der drohenden Wolken hielt nicht lange an, bald hörten Blitz und Donner auf, die schwarzen Wolken trennten sich und ließen die Sonne wieder durchscheinen. Doch zogen die Wolken nicht völlig vorüber, sondern nach kurzer Helligkeit gab es neue Güsse, und dieses Wetter hielt an, bis die Sonne untergegangen und die Nacht hereingebrochen war. Dann klärte sich der Himmel auf, der Mond und die Sterne gossen ihr mildes, weißes Licht über das Land aus. Die Reisenden hatten bis jetzt zusammengedrängt am Hügel gestanden, von Nässe triefend, frierend und ohne imstande zu sein, irgend etwas zu unternehmen. Doch verloren sich jetzt mit zauberhafter Schnelligkeit die Wasserfluten. Der Erdboden schien sie plötzlich eingesogen zu haben, sobald neuer Zufluß aufhörte. Nun machten sich der Missionar und seine Begleiter sofort auf, um nach den Ochsen zu sehen. Sie schritten beim Mondlicht vorwärts in dem Thale und erreichten die Stelle, wo sie am Nachmittage den Teich gefunden hatten. Aber wie war die Scene verändert! Ein großer See war an der Stelle jenes Teiches, seine Wellen schlugen weit über die ehemaligen Ufer hinaus und bespülten die Bäume, welche vorhin hoch emporgeragt hatten, bis zur halben Höhe des Stammes. Von den Ochsen war nichts zu sehen. Sollten sie in diesen See geraten und ertrunken sein? Ein unheimliches Brüllen erhob sich jetzt in der Nachbarschaft und ließ erkennen, daß die Löwen aus ihren Höhlen hervorgekommen waren und nach Beute ausgingen. Es war wegen der Nacht und wegen der Raubtiere nicht ratsam, auf eine fernere Suche nach den Ochsen auszugehen. Der Missionar beschloß, nach dem Wagen zurückzukehren und in demselben zu übernachten. Ein Feuer konnte nicht angezündet werden, da alle Gegenstände, alles Holz, alle Büsche völlig naß waren. Mit einem Male fiel es Pieter Maritz auf, daß Humbati und Molihabantschi nicht zu sehen waren. Ein Schrecken fuhr durch seine Glieder. »Wo sind die Zulus?« rief er. Niemand konnte ihm Auskunft geben. »Sie werden einen sichern Unterschlupf gefunden haben,« sagte der Missionar. »Diese Leute sind mit der Natur vertrauter als wir.« Der Knabe sagte nichts, aber er glaubte nicht, daß sie noch in der Nähe wären. Große Sorge überfiel ihn. Er konnte nicht umherreiten, um sie zu suchen. Wohin hätte er reiten sollen? -- Die farbigen Diener befestigten das Zeltdach über dem Wagen, und der Missionar mit seinen Begleitern krochen hinein. »Ich werde Wache stehen,« sagte der Knabe, und getreulich hielt er, die Büchse im Arme, Wache während der Nacht. Er spähte unaufhörlich umher, ob er etwas hörte oder sähe, was ihn beruhigen könnte, denn ihn folterte die Befürchtung, seinen Auftrag schlecht vollführt zu haben. Aber nur die Stimmen der Nachttiere, das Heulen der Panther und Hyänen und das Brüllen der Löwen, durchbrach die Stille. Nur einmal glaubte er Molihabantschi vor sich zu sehen. Er erblickte plötzlich funkelnde Augen in der Nähe, die ihm Ähnlichkeit mit dem Blick dieses Kriegers zu haben schienen, und er hoffte für eine Sekunde, in der dunkeln Gestalt, die dort auftauchte, den Zulu zu erkennen. Aber im nächsten Augenblick sah er deutlicher. Die Augen gehörten einer großen Hyäne an, und noch mehrere andere Paar blitzender Augen tauchten auf. Die Tiere hatten sich heimlich und still herangeschlichen, ohne daß die übermüdeten Pferde, die im Stehen, an den Wagen angebunden, schliefen, es bemerkt hatten. Pieter Maritz nahm die große Hyäne aufs Korn, und als der Schuß krachte, wälzte sie sich tödlich getroffen am Boden; die andern flohen, aber noch zweimal fuhr die mörderische Kugel in das Rudel hinein und streckte noch zwei der Tiere auf der Flucht nieder. Erschrocken fuhren die Schläfer empor, aber legten sich bald wieder nieder, als der Knabe sie beruhigte. Dann ward es still umher, der Knall der menschlichen Waffe hatte die Wildnis beruhigt. Doch des Knaben blaue Augen ruhten nicht. Sie blickten nach den verschwundenen Gesandten des Zulukönigs aus. [Illustration] [Illustration] Fünftes Kapitel Die Missionsstation Botschabelo »Du bist so traurig, mein Sohn, was hast du? Irgend eine Sorge drückt dich nieder.« So sprach voll Teilnahme der Missionar am Morgen nach dem Sturm zu Pieter Maritz. Der Knabe stand schweigend auf die Büchse gelehnt neben seinem Pferde und vermied das Auge des alten Mannes, indem er fernhin über das Land blickte, welches nun im Glanze der Morgensonne strahlte, als hätte kein finsterer Schrecken und kein Donnergetose sein heiteres Antlitz je beschattet. Er war allein mit dem Missionar, die schwarzen Diener waren unterwegs, um die Zugtiere zu suchen. »Du antwortest nicht,« fuhr der fromme Mann fort. »Und doch würde es dein Herz erleichtern, wenn du sprächest. Ich sehe es dir an, daß du einen Kummer hast. Du bist nicht, wie du die früheren Tage warest. Deine sonst so hellen blauen Augen sind trübe, und es ist wohl nicht die schlaflose Nacht allein, die dich so müde macht.« Der Knabe schüttelte die blonden Locken mit trotzigem Ausdruck und erwiderte nichts. »Du bist mir auf der Reise ein angenehmer Begleiter gewesen,« sagte der Missionar von neuem, »und ich danke dem Baas van der Goot für seine Fürsorge, mir eine so gut treffende Büchse zur Gesellschaft mitzugeben. Aber ich fürchte, daß du dich grämst, so lange fortzubleiben von deiner Familie. Kehr' wieder um. Du hast ein schnelles Pferd. Du kannst heute abend bei den Deinen sein, wenn du willst.« Pieter Maritz biß die Zähne auf die Unterlippe. »Ich kehre nicht zurück,« sagte er. »Wie? Du kehrst nicht zurück? Sehnst du dich denn nicht, deine Mutter und deine Geschwister wiederzusehen?« Der Knabe schwieg. »Oder ist es dir bedenklich, allein zurückzureiten? Wenn das ist, so will ich dich mitnehmen, bis uns Reisende begegnen, die nach Norden ziehen. Aber ich glaube nicht, daß du zu furchtsam bist, um den Weg allein zu machen.« Pieter Maritz lächelte verächtlich und schüttelte von neuem den Kopf. »Nun dann,« sagte der Missionar, »ich weiß es, was dich bedrückt. Nicht aus Fürsorge für mich gab Baas van der Goot dir den Auftrag, mich zu begleiten. Ist es nicht so? Es war das Mißtrauen der Buern, was dich zu mir führte, und das Verschwinden der Zulus ist es, was dich beunruhigt.« Pieter Maritz sah dem alten Manne jetzt in das Gesicht. Er erkannte freundliche Teilnahme und einen milden Ernst in diesem Antlitz, und seine Zurückhaltung schmolz unter dem Blicke dieses Dieners Gottes. »Ja,« sagte er. »Ich sollte die Zulus überwachen, aber nun sind sie fort, und ich kann nie wieder heimkehren.« »Du kannst nie wieder heimkehren? Und warum nicht?« »Weil ich mich zu sehr schämen würde. Ich kann keine Antwort geben, wenn ich gefragt werde, wie ich meinen Auftrag vollführt habe.« »Sag du, wie es in Wahrheit ist, daß die Zulus in einem schrecklichen Sturm und Gewitter geflohen sind und daß du keine Schuld daran trägst, weil du genug damit zu thun hattest, für dich selbst zu sorgen.« Der Knabe zuckte die Achseln. »Ich würde es nicht sagen können,« erwiderte er. »Die Zulus sind fort, und ich sollte sie doch überwachen. Ich werde nie wieder heimkehren.« Der Missionar bemühte sich, den Knaben auf andere Gedanken zu bringen. Er sprach davon, daß Baas van der Goot nichts Unmögliches verlangt haben könne, er versprach dem Knaben ein Schreiben mitzugeben, worin berichtet würde, auf welche Weise die Zulus verschwunden seien, er ermahnte den Knaben, lieber selbst eine Strafe auf sich zu nehmen als sich in falscher Scham trotzig zu verbeißen. Aber es war alles umsonst. Pieter Maritz hörte ruhig zu, aber schüttelte nur den Kopf und blieb bei seinem Vorsatz. »Behaltet mich bei Euch, Mynheer,« sagte er zuletzt. »Euch habe ich gern, und bei Euch möchte ich bleiben. Vielleicht findet sich eine Gelegenheit für mich, meinem Vaterlande einen Dienst zu erweisen, der meinen Fehler wieder gut macht. Dann kann ich zurückkehren, sonst aber will ich es nicht.« Der Missionar gab es auf, weiter in ihn zu dringen. »Dieser Knabe hat einen eisernen Kopf,« sagte er sich, »und je mehr Widerstand er findet, desto mehr besteht er auf seinem Willen. Aber er wird sich besinnen, wenn die erste Aufregung vorüber ist und sein Gemüt wieder ruhig wird.« »Bedenke nur eins, Pieter Maritz,« sprach er zuletzt, »das Leid, welches dem Menschen aus seinem eigenen trotzigen und doch verzagten Herzen entsteht, ist größer als alles Leid, welches die göttlichen Fügungen über ihn verhängen.« Damit wandte sich der Missionar zu Christian, der jetzt mit den ersten der wiedergefundenen Ochsen zurückkam, Pieter Maritz aber stieg in den Sattel und ritt aus, um den Schwarzen zu helfen. Die Ochsen waren weit verstreut, und es war ein schreckhaftes Wesen in sie gefahren. Sie waren nicht wie sonst in einem Trupp vereint, um auf die Ankunft der Schwarzen ruhig zu warten, sondern sie liefen unruhig zu zweien und dreien umher und scheuten bei dem Herannahen der Menschen. Denn während der Nacht waren wilde Tiere zwischen sie gefallen, und zwei von ihnen konnten überhaupt nicht aufgefunden werden, von zwei andern aber lagen die traurigen Überbleibsel, abgenagte Knochen und die Köpfe mit den Hörnern, auf dem Sande. Als der um vier Häupter verringerte Zug endlich angeschirrt war, ließ der Missionar die Richtung vom vergangenen Tage wieder einschlagen, und Pieter Maritz, der bis jetzt hinterher geritten war, nahm von nun an die Spitze und führte. Nach einer Stunde Weges fing die Landschaft an, belebter und schöner zu werden, Ansiedelungen von Menschen zeigten sich, und zwischen Waldstücken und den von der Natur allein angelegten Blumengärten tauchten bebaute Felder, auf denen Kaffee, Zucker, Baumwolle, Reis, Mais und Weizen gezogen wurden, und hier und da zerstreute Häuser auf. Man war im Kreise Lydenburg zwischen den Flüssen, die sich in den Elefantenfluß ergießen, und Feldwege, welche auf häufigern menschlichen Verkehr hindeuteten, erleichterten die Reise. Gegen Abend näherte sich der Zug einem großen Gehöft, wo der Missionar die Nacht über zu bleiben beschloß. Mehrere niedrige Häuser standen hier inmitten einer weiten grünen Fläche, welche von vielen kleinen Bächen durchrieselt wurde. Diese Bäche, welche Felder und Gärten bewässerten, waren von Menschenhand angelegt, indem ein nahes Flüßchen durch einen Querdamm angestaut und seitwärts in künstlich gegrabene Betten geleitet worden war. Mauern aus übereinander getürmten Bruchsteinen umgaben die Gärten, aus denen goldfarbige Orangen in glänzendem, lederartigem Laubwerk schimmerten. Innerhalb von Zäunen weidete zahlreiches Vieh, und die Gestalten schwarzer Knechte wandelten umher. Pieter Maritz ritt dem Wagen voraus, gerade auf das Wohnhaus zu, welches weiß getüncht mit dem schnörkelig verzierten Vordergiebel aus dem Fruchtgarten hervorblickte und vornehm abstach von den länglichen Lehmhütten der farbigen Dienstleute. Als sie näher kamen, öffnete sich die Hausthür, und ein Mann trat heraus. Er war groß und breit, sein Bart war grau, und im Munde hatte er eine kurze Thonpfeife. Er lehnte sich, die Hände in den Taschen seiner derben Lederhosen, an den Pfosten seiner Thür und musterte die Ankömmlinge. »Guten Tag, Oheim!« rief der Knabe nach der Sitte des Landes. »Guten Tag, Neffe,« antwortete der Buer, ohne sich zu regen. »Wollt Ihr uns die Nacht beherbergen?« fragte Pieter Maritz. »Wer seid ihr und wo wollt ihr hin?« fragte der Buer dagegen. Jetzt kam der Missionar heran und gab dem Hausherrn Auskunft über Ziel und Zweck der Reise. Der Buer reichte dem Missionar die Hand und lud ihn ein, hereinzukommen. Den Schwarzen wies er einen Platz an, wo sie ausspannen könnten. Der Missionar und Pieter Maritz traten in die Stube, deren Boden einer Scheunentenne glich und aus Lehm und Kuhmist bestand, die zu einer festen, glatten Masse vereinigt und festgestampft waren. Auf einem der handfesten Holzstühle saß die Frau, welche von den Gästen höflich als Tante begrüßt wurde. Sie war eine behäbige, runde Frau mit rot glänzendem Gesicht und hatte in den Händen eine große silberne Schnupftabaksdose, aus der sie von Zeit zu Zeit bedächtig eine Prise nahm. Neben ihr saß eine erwachsene Tochter, blondlockig und blauäugig, welche den Gruß der Gäste erwiderte, ohne von ihrem Schoß aufzusehen, wo sie ein Paar lederne Beinkleider nähte. Ein Knabe von zehn Jahren saß zu Füßen der Mutter und schnitzte einen Elefanten aus Holz. Der Buer ging an einen Schrank, holte eine Flasche und ein Glas hervor und schenkte den Ankömmlingen und sich selbst ein Zoopje zum Willkommen ein. Dann spuckte er höchst kunstvoll durch die halbe Stube hin aus dem Fenster und gab der Frau den Auftrag, für das Abendessen zu sorgen. Sie ging hinaus, und bald darauf kam eine schwarze Dienerin mit einer Schale Wasser und einem Tuche herein. Sie hockte vor dem Missionar nieder und lud ihn ein, sich zu waschen. Nachdem er sich Gesicht, Hände und Füße gewaschen hatte, erwies sie Pieter Maritz denselben Dienst. Als dann auf dem großen schweren Tisch die mächtige Schüssel mit Maisbrei dampfte und daneben Rinderbraten und Schaffleisch aufgestellt waren, traten nach und nach sieben erwachsene Söhne herein, die vom Felde kamen, allesamt mit langsamem, gewichtigem Schritte, sechs Fuß hoch, breitschulterig und ungehobelt. Dazu erschienen fünf Töchter, die aus der Küche und dem Garten kamen, tüchtige Mädchen mit roten Gesichtern und breiten harten Händen. Sie traten alle an den Tisch heran und falteten die Hände. Dazu kamen vier schwarze Dienerinnen in roten wollenen Röcken herein und stellten sich bescheiden an die Thür. Der Baas setzte sich an das eine Ende des Tisches und lud den Missionar ein, sich neben ihn zu setzen. Auch die Tante setzte sich. Alle andern aber standen. Nun nahm der Baas seinen Hut ab, schlug eine Bibel mit Messingbeschlag auf, die vor ihm lag, und las einen Psalm. Es war noch hell, die Sonne stand über dem Horizont und schien durch die Fenster herein. Er las langsam und bedächtig, und alle hörten voll Andacht zu. Dann klappte er das Buch zu, und das Essen ging an. Die Familie saß um den Tisch herum, und die farbigen Mädchen bedienten. Ein jeder hatte einen Teller, aber nur die Gäste außer dem Hausherrn und der Hausfrau hatten Messer und Gabel. Die Söhne zogen ihr Taschenmesser hervor, wetzten es an der Schuhsohle und zerschnitten damit ihr Fleisch. Gewaltige Haufen des köstlichen Maisbreies vertilgten sie alle. Zum Nachtisch boten die Dienerinnen herrliche Früchte an: Apfelsinen, Pfirsiche, Feigen und Weintrauben. Zum Beschlusse ward den Männern wieder ein Zoopje eingeschenkt und hierauf das Dankgebet gesprochen. Herrlich schliefen in dieser Nacht die Reisenden in wirklichen Betten. Ehe sie am folgenden Morgen weiter zogen, führte der gastfreie Baas sie noch in seinen Besitzungen umher und zeigte ihnen mit besonderem Stolze seine Straußenzucht. Er hatte an hundert dieser großen Vögel auf einem weiten Platze eingezäumt. Die Tiere schritten mit ihren langen Beinen und Hälsen gravitätisch einher und schauten neugierig nach dem Besuche aus. »Ehedem war es nötig, die Tiere zu jagen,« erzählte der Buer, »und die Jagd war mühsam, weil die Vögel sehr scharf sehen und flink auf den Beinen sind. Die Kaffern hatten eine hübsche Manier, sie zu jagen. Sie strichen ihre Beine weiß an, nahmen einen Sattel auf die Schultern, der mit Straußenfedern besteckt war, und hielten einen Stock über ihren Kopf, an dem ein Straußenhals und Straußenkopf befestigt war. In der andern Hand hielten sie Bogen und Pfeil. So schlichen sie an die Herde heran, und wahrhaftig, sie machten es so listig, daß Sie selbst, Mynheer, auf zwei-, dreihundert Schritte nicht gesehen hätten, ob ein wirklicher Strauß oder ein Pfefferkopf herankam. Aber die Tiere wurden allmählich selten, und Straußenjagd wurde ein schlechtes Geschäft. Nun züchte ich sie, und wir ziehen ihnen die besten Federn aus. Freilich haben sie es nicht gern, weil es weh thut, und zwei starke Schepsels haben ihre Not, den Vogel zu halten, während der dritte ihm die Federn ausreißt. Aber sie werden gut bezahlt. Ein Pfund von den guten weißen Federn ist am Kap seine 35 bis 40 Pfund Sterling wert. Dazu gehören etwa hundert Federn. Jedes von den männlichen Tieren trägt ein Kleid, das seine 10 Pfund Sterling wert ist, die Weibchen sind freilich nur den sechsten Teil davon wert.« Nach einem reichlichen Frühstück von Kaffee, Maisbrei und Ziegenfleisch machten sich die Reisenden von neuem auf den Weg und schieden von ihrem Wirt mit freundlichem Wunsche einer guten Gesundheit, aber ohne zu danken, nach der Sitte des gastfreien Landes. Kaatje, die jüngste Tochter, brachte noch einen Binsenkorb mit Apfelsinen an den Wagen, dann schrie Kobus: »Treck!« und die Ochsen zogen an. Zwei Tage ging es weiter, und eine Nacht dazwischen hielten die Reisenden wieder bei einem Buern Rast, dann erblickte Pieter Maritz am Abend des zweiten Tages den Turm der hoch gelegenen Kirche von Botschabelo. Langsam ging es den gewundenen Weg bergauf, und dann lag die vom Missionar Merensky gegründete Station dicht vor des Knaben Augen. Auf dem Gipfel des Berges war eine kleine Festung erbaut, welche den Ansiedelungen Schutz gegen feindliche Angriffe gewähren sollte und auch wirklich gegen die Häuptlinge Sekukuni und Mapoch gewährt hatte. Die kleine Festung war zu Ehren des Königs von Preußen, nachmaligen deutschen Kaisers, Fort Wilhelm genannt worden und schloß die Missionsgebäude in sich. Rund herum zog sich draußen ein Kranz von Kaffernhütten, und diese waren von Kaffernfamilien bewohnt, welche das Evangelium angenommen hatten und einen Teil der um die Mission versammelten Gemeinde bildeten. Weiter unten im Thale lagen zahlreichere Hütten, und hier hatte sich der Hauptstamm der Gemeinde angesiedelt, ein aus drei verschiedenen Kafferstämmen, den Basutos, Bakopas und Bapedis zusammengesetzter Volkshaufe von mehr als 1000 Köpfen, Männern, Frauen und Kindern. So sah Pieter Maritz denn auch sehr verschiedenartige Gesichtsbildungen und Färbungen unter dem Volke, daß sich draußen um die Hütten herumtrieb. Zum größten Teil waren es Kinder und alte Weiber, während die Männer und jüngeren Weiber noch auf dem Felde beschäftigt und abwesend waren. Viele Kinder mit gewaltig dicken Bäuchen krochen nackt im Sande umher, und die Weiber, welche daheim geblieben waren, beschäftigten sich mit den einfachen häuslichen Verrichtungen, in denen dies arme Volk von seinen christlichen Lehrern unterwiesen worden war. Im Versammlungshause auf dem Berge war Erstaunen und Freude unter den Brüdern, als der greise Missionar erschien, und er mußte erzählen, wie es ihm in den Jahren ergangen war, wo er fern im unwirtlichen Norden gelebt hatte. Der Superintendent selber war gegenwärtig und außerdem mehrere Missionare mit ihren Familien. Botschabelo war die größte unter den deutschen Stationen in Südafrika und Sitz der Superintendentur. Es war eine große Freude für den alten Mann, wieder einmal die Töne der Muttersprache zu hören, mit Brüdern im Dienste Gottes zu verkehren und die köstliche Häuslichkeit wiederzusehen, die von deutscher Frauenhand geleitet wird. Auch auf Pieter Maritz machte dies Zusammenleben von Männern, die ihr Leben der Arbeit im Weinberge des Herrn geweiht haben und die alle Freuden der Welt zu opfern gewillt sind, um den Heiden das Evangelium zu predigen, einen tiefen und erhebenden Eindruck. Als sich diesen Abend die Brüder und die Gemeinde in der geräumigen Missionskirche zum Abendgottesdienst versammelten und sich die Kniee so vieler schwarzen Menschen, die dem Christentum gewonnen waren, vor Gott in Andacht beugten, da fühlte der Knabe bei der Stimme des Predigers so mächtig wie noch nie die Gewalt der Lehre, von welcher kein Wort verloren gehen soll, wenn auch Himmel und Erde vergehen. Beim Abendessen wurde gemeinsam besprochen, wohin der greise Missionar sich nun wohl am besten wenden würde. Denn er war ein feuriger Geist und liebte es mehr, hinaus an die fernsten Grenzen und in die schwierigsten Verhältnisse zu ziehen, als sich dem bequemeren Dienste anzuschließen. Ein jüngerer Bruder war kürzlich aus Natal eingetroffen und erzählte, daß die politische Lage zwischen den Engländern, den Buern und den Zulus sehr unsicher sei. »England hat seine Herrschaft über die Transvaalbuern verkündigt und gedenkt sie auch zu behaupten,« sagte er. »Aber die Engländer sehen wohl ein, daß sie damit auch verpflichtet sind, die Buern vor den Angriffen der Zulus zu schützen. Ich habe ein Vögelchen pfeifen hören, das sang: Die Engländer rüsten einen Feldzug gegen den übermütigen Tschetschwajo.« Pieter Maritz, der dabei saß, wurde ganz rot. Die Buern sind Manns genug, sich selbst zu schützen, dachte er. Er konnte nur mit Mühe seine Zunge im Zaum halten, doch sagte er sich, daß es ihm in Gegenwart so ehrwürdiger und gelehrter Leute nicht zustehe, den Mund zu öffnen. »Wir hier in Botschabelo werden davon wenig berührt werden,« sagte ein anderer Bruder. »Wir liegen weit ab vom Kampfplatz. Wenn nur die Matabeles und Bapedis nicht wieder aufrührerisch werden durch Kriegsgerüchte! Zwar sind Sekukuni und Mapoch gedemütigt, doch ist überall umher unruhiges Volk, denn ihre eiteln Herzen trachten immer nach Neuem und sehnen sich nach Beute. So haben wir jetzt zwar im Norden Ruhe, aber im Osten gefällt es mir nicht.« »Was ist im Osten?« fragte der alte Missionar. »In den Drakensbergen wohnt ein Paar gefährlicher Räuber mit großem Anhang,« entgegnete der andere. »Solange sie dort blieben, waren sie uns nicht gefährlich, denn sie waren wohl fünfzehn Meilen von uns entfernt. Aber sie sind frech geworden und haben sich zuzeiten nach Norden hin bis in das Gebiet von Neuschottland gewagt, um Vieh zu stehlen. Ja, sie haben sich in den großen Wäldern zwei Meilen östlich von uns gezeigt.« »Was sind es für Räuber, und von welchem Stamme sind sie?« »Das ist eine ganze Geschichte,« erwiderte jener. »Es sind zwei Brüder, welche ehedem Fürsten waren, und sie sind vom Stamme der Basuto. Welchen Namen sie unter ihrem eigenen Volke hatten, weiß ich nicht, die Buern aber haben den ältern Bruder Titus Afrikaner, den jüngeren Fledermaus genannt, und unter diesen Namen sind sie der Schrecken der Kreise Utrecht, Wakkerstroom und Lydenburg geworden. Sie lebten ehedem im Oranjefreistaat, besaßen in ihrer Jugend ihre eigenen großen Herden, schossen ihr eigenes Wild, tranken aus ihren eigenen Bächen und ließen die Musik ihrer heidnischen Gesänge zu dem Winde erklingen, der über die Kalambaberge weht, wie sie im Oranjefreistaat die südwestliche Verlängerung der Drakensberge nennen. Als aber die holländischen Ansiedler an Zahl immer mehr zunahmen und sich des Grundes und Bodens bemächtigten, wo Titus Afrikaner und Fledermaus samt ihren Unterthanen zu jagen und zu weiden gewohnt waren, da zogen die schwarzen Fürsten zuerst weiter nach Norden, und endlich kamen sie in die Abhängigkeit der Buern. Sie wurden Hirten eines reichen Grundbesitzers und weideten ihm jahrelang treulich seine Herden. Aber der Buer war ein harter Herr und verlangte in ungerechter Weise immer mehr von seinen Untergebenen. Er und seine Söhne und Knechte peitschten die Anhänger der ehemaligen Fürsten, schossen sie bei geringen Anlässen tot, ermordeten ihre Kinder, mißhandelten die schwarzen Frauen und Mädchen. Als die Vorstellungen der beiden Häuptlinge nichts nützten, sondern der Buer immer übermütiger ward, da regte sich wilder Haß in ihrer Brust. Sie waren beide sehr geschickt im Gebrauch der Feuerwaffen und gute Reiter, und sie thaten ihrem Herrn gute Dienste, indem sie es vortrefflich verstanden, das von Räubern gestohlene Vieh wiederzufinden und zurückzubringen. Aber als sie nun ihre Bitten und Vorstellungen mißachtet sahen, weigerten sie sich eines Tages, nach einer von Buschmännern gestohlenen Herde auszureiten, und, wie man mir erzählt hat, wären sie auch nur die Opfer eines Betruges geworden, wenn sie fortgeritten wären. Denn dem Raube lag ein listiger Plan des Buern zu Grunde. Er fürchtete die Nähe der Häuptlinge und beabsichtigte, sie für immer zu entfernen. Ich lebte ehedem in jener Gegend, und daher kenne ich die ganze Geschichte so genau. »Als nun der Buer auf offenen Ungehorsam stieß, ward er zornig und sandte den Beiden eines Abends den Befehl, vor seiner Thür zu erscheinen. Sie kamen, aber da sie Gewaltthätigkeiten fürchteten, nahmen sie ihre Büchsen mit und hielten sie hinter ihren Rücken. Der Buer stürzte, als er sie kommen sah, wütend heraus, den Sjambock in der Hand, und schlug sofort mit einem Hiebe über den Kopf den jüngern Bruder, Fledermaus, zu Boden. Da ergriff Titus Afrikaner das Gewehr, und durch die Stirn geschossen fiel der Buer vorwärts auf sein Gesicht. Dann traten beide in das Haus. Die Frau des Buern kam ihnen voll Angst entgegen, denn sie hatte die Ermordung ihres Mannes gesehen. Sie warf sich ihnen weinend und um Gnade flehend zu Füßen. Sie versprachen ihr Schonung, aber verlangten alle Gewehre und alle Patronen, die im Hause wären. Als sie diese hatten, befahlen sie ihr, samt ihren Kindern die Nacht über im Hause zu bleiben und die Thür nicht zu verlassen. Dann gingen sie fort und verteilten die Waffen unter ihre Anhänger. Aber zwei Kinder des Buern befolgten die Warnung nicht, sondern liefen zur Hinterthür hinaus, um zu sehen, was die Schwarzen trieben. Sie wurden beide ermordet. Hiernach verschwanden Titus Afrikaner und Fledermaus nebst einem Haufen ihrer ehemaligen Unterthanen aus jener Gegend und zogen über den Vaalfluß. Sie verbargen sich in Höhlen und Schluchten der Drakensberge, und von dort aus machen sie Raubzüge. Sie sind der Schrecken weiter Landstriche. Mehrfach sind Kommandos gegen sie ausgesandt, die Regierung von Oranje wie die Regierung von Transvaal haben Preise auf ihre Köpfe gesetzt, aber bis jetzt ist es nicht gelungen, sie zu erwischen. Sie sind voll Mut und haben manches Gefecht bestanden. Einmal hat Titus Afrikaner ganz allein stundenlang gegen zwanzig Buern gefochten, indem er im Walde von Baum zu Baum und von Fels zu Fels schlüpfte, und er ist erst geflohen, als ihm das Gewehr in den Händen zerschossen wurde.« Der greise Missionar hatte aufmerksam zugehört, und ein Gedanke bewegte ihn. »Diese Leute sind hart behandelt worden,« sagte er, »und ich erkenne in dem, was sie gethan haben, Züge einer wilden, aber doch großartig angelegten Seele. Wenn irgendwo, so muß in solchen Herzen das Evangelium einen fruchtbaren Boden finden. Ich weiß jetzt, was ich zu thun habe. Ich will meinen Stab von neuem zur Hand nehmen und den Weg zu Titus Afrikaner und Fledermaus suchen.« Diese Erklärung des alten Mannes rief große Bewegung unter den Versammelten hervor, und alle drückten ihr Erstaunen aus. Sie stellten ihm ihre Bedenken vor, zählten die Schwierigkeiten auf, welche sein Vorhaben mit sich bringe, warnten ihn vor den Gefahren einer solchen Unternehmung und bezweifelten deren Erfolg. Aber der alte Mann blieb fest. Eine himmlische Ergebung und ein bewunderungswürdiger Mut strahlten aus seinen Augen. »Ihr fürchtet für mein Leben,« sagte er sanft, »aber seht ihr nicht, daß meine Jahre sich zu Ende neigen? Welche Verwendung des kleinen Restes meiner Kraft wäre kostbarer als diese Mission unter den wildesten der Heiden? Und ist nicht überall unser Leben in Gottes Hand? Wer sollte auf den Höchsten vertrauen, wenn nicht wir, die wir seine Diener sind unter den Heiden? Ich fühle in meinem Innern, daß das Herz dieser Räuber verstockt ist durch das Unrecht, welches die Christen ihnen thaten, daß es aber schmelzen wird unter der Flamme christlicher Liebe. Es sind wilde und grausame Männer, aber bedenkt, daß im Himmel mehr Freude ist über einen Sünder, der Buße thut, denn über hundert Gerechte.« »Ich denke, daß unser Bruder recht hat, wenn er meint, daß das göttliche Licht in den Seelen dieser Räuber nicht ganz erloschen ist,« sprach einer der Brüder. »Denn sie haben ja einst die Lehre gehört, und ein Rest davon schlummert sicherlich in ihren Herzen. Dafür ist mir ein Erlebnis, welches ich einst mit ihnen hatte, ein deutlicher Beweis. Zwar ist es eine Geschichte, die im Grunde lächerlich klingt, aber ich möchte sie doch als ein Beispiel dafür mitteilen, daß die Ehrfurcht vor dem Unsichtbaren in diesen Räubern lebt. Wo sich diese findet, da ist auch ein Anknüpfungspunkt für den Glauben an Christum gegeben.« Er ward gebeten, zu erzählen, welche Begegnung er mit den berüchtigten Räubern gehabt habe, und berichtete folgendermaßen: »Ich hatte eine kleine Station drüben am Walde, etwa anderthalb Meilen von hier, gegründet und war dort mehrere Jahre thätig. Ein Kirchlein und ein Haus, dazu vier oder fünf Hütten, bildeten unsere Kolonie. Damals hatte ich den Schmerz, meine geliebte Frau zu verlieren, sie ward neben der Kirche bestattet, und noch einige andere Gräber gesellten sich im Laufe der Zeit dazu, so daß ein kleiner Friedhof entstanden war. Als es unruhig im Lande und unsere Kolonie gefährdet ward, zogen wir ab und kamen hierher. Aber eines Tages, etwa ein Jahr, nachdem ich fort war, wandelte mich Sehnsucht nach der Stätte an, wo ich glücklich gewesen war, und nach dem Orte, wo der Leib meiner treuen Lebensgefährtin ruhte. Mit einem christlichen Kaffer zusammen wandelte ich dorthin zurück. Als wir uns aber der verlassenen Station näherten, kam es uns so vor, als wären wir nicht allein in der Gegend, und wir versteckten uns in einem Dickicht, etwa hundert Schritte von der Kirche, welche noch da stand. Da sahen wir denn einen Haufen von bewaffneten Schwarzen herankommen, welche sich den Gebäuden näherten, alsbald hineindrangen und zu plündern anfingen. Viel konnten sie unmöglich finden, aber was da war, das schleppten sie heraus. Und der Kaffer neben mir flüsterte mir zu, daß Fledermaus an der Spitze der Schar sei. Da bemerkte ich, daß einige verwundert an dem Friedhof standen und die Hügel betrachteten, welche mit Kreuzen geschmückt waren. Und einer von ihnen ging über die Hügel weg. Da ertönte, als seine Füße die eine Erhöhung überschritten, ein sanftes Tönen, welches aus der Erde hervordrang. Er stand bewegungslos, blickte über seine Schulter zurück und wußte offenbar vor Angst nicht, ob er davonlaufen oder stehen bleiben sollte. Endlich ermannte er sich und trat von neuem auf den Hügel. Wiederum erklangen aus der Erde sanfte Noten einer dahinsterbenden Musik. Da ergriff er die Flucht, und mit ihm liefen die andern fort, und sie holten ihren Häuptling herbei. Fledermaus kam tapfer heran und schritt auf die Erhöhung. Als er aber nun ebenfalls die Musik vernahm, da trat er ehrfurchtsvoll zur Seite, versammelte alle seine Begleiter um sich und redete lange mit ihnen. Und offenbar erinnerte er sich der Lehre früherer Zeiten, die er gehört, als er noch unter den Buern lebte: daß nämlich die Seele unsterblich sei und nicht mit dem Körper untergehe. Denn er redete in feierlicher Weise und mochte wohl seinen Genossen auseinandersetzen, daß die Toten, die dort lägen, es nicht billigten, daß ihre früheren Wohnungen beraubt würden. Als er nämlich aufgehört hatte zu reden, trugen sie alle ihre Beute wieder in das Haus zurück und entfernten sich schweigend und, wie mir schien, voll Scheu über das, was sie erlebt hatten.« »Und was war es mit der Musik?« fragte man. »Die geheimnisvollen Töne rührten von meinem Pianoforte her,« sagte der Missionar lächelnd. »Es war mir bei unserer Flucht unmöglich, das schwere Instrument mitzuschleppen; da es aber der Lieblingsgegenstand meiner seligen Frau gewesen und mir selbst sehr wert war, wollte ich es nicht ohne weiteres im Stiche lassen. So begrub ich es denn und türmte Erde gleich einem Grabhügel zum Schutze darüber. Der Boden ist dort so trocken, daß es fast gar nicht von Schimmel und Fäulnis ergriffen war, und seine Saiten ertönten unter den Füßen der Schwarzen auf ganz natürliche Weise.« Die Gespräche hatten Pieter Maritz nachdenklich gemacht, und als sich alle zur Ruhe begaben, folgte er seinem väterlichen Freunde und sagte mit bittendem Tone: »Nehmt mich mit Euch, Mynheer, wenn Ihr weiterzieht!« »O nein, mein Junge,« rief der Missionar erschreckt. »Das geht nicht an. Hier müssen sich unsere Wege scheiden. Du kehrst zurück, und ich gehe weiter.« »Nehmt mich mit,« wiederholte Pieter Maritz. »Ich habe Euch lieb. Wer soll Euch Wild schießen, wenn ich nicht da bin? Wer soll Euch schützen?« »Der Herr hat nicht Gefallen an der Stärke des Rosses noch an jemandes Beinen,« erwiderte der Missionar. »Mit dem Stecken in der Hand sollen seine Diener ziehen, und ihre Waffenlosigkeit ist ihr stärkster Schutz unter dem raub- und mordlustigen Volke.« »Ich bitte Euch, nehmt mich mit,« flehte der Knabe, des alten Mannes Hand ergreifend. »Es macht mir solche Freude, zu sehen, wie sich die Herzen der Heiden unter Euerm Worte beugen.« Der Missionar sah den Knaben voll innigen Anteils an und las in seinem Gesichte edles Gefühl und den Drang zu hohen Thaten. »Ich will es mir diese Nacht überlegen,« sagte er. »Überlege auch du es dir. Morgen früh wird dein Blut ruhiger sein. Gute Nacht!« [Illustration] Sechstes Kapitel Lord Adolphus Fitzherbert Pieter Maritz harrte den ganzen folgenden Tag auf ein Wort des Missionars, welches ihn ermuntern sollte, die fernere Reise ins Ungewisse mitzumachen, aber der Missionar sprach nicht. So ging es auch den zweiten und den dritten Tag. Der Missionar wollte sich in diesen Tagen von den Anstrengungen der vorhergehenden Zeit erholen und zu den bevorstehenden Mühen neu kräftigen. Darum blieb er ruhig bei den Brüdern von Botschabelo, nahm an deren Gottesdienst teil, predigte an dem Sonntage, der innerhalb der drei Ruhetage fiel, und erging sich in erbaulichen Gesprächen mit den Männern und Frauen, die gleich ihm an der schweren Arbeit beschäftigt waren, die unwissenden Köpfe und kindischen Herzen eines auf tiefer Stufe stehenden Volkes zu einem guten Acker für Gottes Wort umzupflügen. Pieter Maritz wagte nicht, von sich selbst aus seinen Wunsch wieder in Erinnerung zu bringen, aber er war keineswegs andern Sinnes geworden. »Kehre ich zurück,« dachte er, »so bin ich ein thörichtes Kind in den Augen der Knaben wie der Männer, denn ich habe meinen Auftrag nicht vollführen können. Und selbst wenn ich keine Strafe bekomme -- zu Hause bin ich immer nur ein Knabe, aber hier draußen gelte ich als Mann.« Die Bilder eines ereignisreichen Lebens in der Ferne bewegten lebhaft sein Herz. Er sah mit Sehnsucht nach den fernen blauen Bergen hinüber und es war ihm wie dem Vogel, der seine Schwingen hebt, um in ferne Länder zu ziehen. Seine Einbildungskraft spiegelte ihm vor, daß sich ihm Gelegenheit bieten würde, ruhmreiche Dinge zu vollführen, so daß bei seiner späteren Rückkehr die Gemeinde mit Bewunderung auf ihn blicken und seine Altersgenossen ehrfurchtsvoll flüstern würden: »Das ist Pieter Maritz, der für sein Vaterland große Dinge gethan hat.« Der Missionar hatte seinen Aufbruch für den vierten Tag festgesetzt, und Pieter Maritz hatte sich vorgenommen, falls der alte Mann nichts sage, sich einfach dem Zuge anzuschließen und herzlich zu bitten. Die ganze Versammlung der Brüder von Botschabelo nebst den Frauen und Mädchen saß am Abend vor der geplanten Abreise beim Essen zusammen, und eben war das Tischgebet gesprochen worden, als sich draußen ein großer Lärm erhob. Schreien und Jauchzen vieler Stimmen drang in das große Gemach, und alsbald kamen mehrere schwarze Diener hereingelaufen und meldeten in höchster Aufregung, daß fremde Krieger den Berg heraufgezogen kämen. Die Brüder erhoben sich bestürzt von ihren Sitzen und ließen das Abendessen stehen, um vor die Thür zu treten; der erste aber, der draußen war, um zu sehen, was es gebe, war Pieter Maritz. Da hatte er einen Anblick, der sein Herz laut klopfen machte und ihn voll Bewunderung regungslos auf die Stelle bannte. Ein Zug von Reitern kam die Straße bergauf geritten, wie er deren noch nie gesehen hatte. In den Strahlen der niedrig stehenden Sonne funkelten Waffen, glänzendes Lederzeug und der metallene Beschlag von weiß leuchtenden Helmen. Die Reiter waren in scharlachrote Röcke gekleidet, trugen hohe blanke Stiefel, ritten auf sehr schönen, großen Pferden und sahen so stolz und prächtig aus, wie Pieter Maritz niemals gedacht hatte, daß Krieger aussehen könnten. Er zählte ihrer vierundzwanzig, die zu dreien in einer Reihe ritten, ihnen voran kam ein blutjunger Mann, der das Kommando führte, und hinterher ritt ein bärtiger Soldat, der durch goldene Streifen auf dem Ärmel seines Rockes ausgezeichnet war. Der Zug hatte den tiefsten Eindruck auf die ganze Gemeinde von Botschabelo gemacht. Es war niemand daheim geblieben, sondern alt und jung, Männer, Weiber und Kinder waren herbeigelaufen, schrieen vor Entzücken und zugleich vor Furcht und drängten sich so auf dem Wege, daß die Reiter nur in langsamem Schritte vorwärts kamen und sich in acht nehmen mußten, die neugierigen, tanzenden und schreienden Schwarzen nicht durch die Hufe ihrer Pferde zu Boden treten zu lassen. Vor dem Versammlungshause angekommen, hielt der jugendliche Führer der Reiterschar sein Roß an, und da Pieter Maritz gerade neben ihm stand, wandte er sich an diesen und fragte, wer hier der Älteste sei und über die Gemeinde zu befehlen habe. Er sprach englisch, und Pieter Maritz verstand diese Sprache sehr gut, aber die Frage ward in so hochmütigem Tone und in einer so besondern Sprechweise gestellt, daß Pieter Maritz nur verwundert in das fragende Gesicht sah und nachdachte, warum dieser junge Krieger wohl so sehr durch die Nase spräche. »Kann der Bauernlümmel nicht antworten oder will er nicht?« rief der Engländer. Pieter Maritz wurde ganz rot vor Zorn und Scham und faßte unwillkürlich nach der Seite, wo er den Hirschfänger zu tragen pflegte. Aber er war ohne Waffen, wie er sich zu Tisch gesetzt hatte. »Ob der Bursche nur wenigstens den Hut vom Kopfe thut!« rief der Engländer von neuem. »Es ist sehr notwendig, diesem Volke Manieren beizubringen.« In diesem Augenblicke aber, ehe sich der Streit noch verschärfen konnte, kam der Superintendent heran und sagte, daß er der Vertreter der Missionsstation wie überhaupt der deutschen Kirchen in Transvaal sei. Der Engländer grüßte hierauf sehr höflich, obwohl immer noch mit der Miene der Herablassung, und sagte, er sei Lord Adolphus Fitzherbert, Leutnant und Kommandant einer Patrouille von der Dragonergarde Ihrer Majestät der Königin. Er beanspruche Quartier für eine Nacht in Botschabelo. Der Superintendent gab hierauf Anweisungen, den Dragonern Wohnung und ihren Pferden Stallung zu geben, die Reiter stiegen ab, und der Leutnant ging mit den Missionaren in das Speisezimmer, wo die Schüsseln noch unangerührt standen. Er legte Helm, Pallasch und Revolver, auch das goldglänzende Bandelier mit der silbernen Patrontasche ab, setzte sich mit seinen Wirten zu Tisch und ließ es sich gut schmecken. Pieter Maritz hatte tiefen Groll gegen den Fremden im Herzen und betrachtete ihn vom Ende des Tisches aus mit schrägen Blicken aus den Augenwinkeln. Der Engländer hatte den Ehrenplatz neben dem Superintendenten und benahm sich so fein und vornehm, daß Pieter Maritz nicht wußte, ob er mehr hassen oder mehr bewundern sollte. Dem Ansehen nach war der Leutnant nur wenige Jahre älter als der Buernsohn. Er hatte ein längliches, blasses Gesicht mit grauen Augen, zierlich geschwungene Augenbrauen und einen kleinen, schwachen Anflug von Bart auf der Oberlippe, und sein dunkles Haar war kurz geschnitten und zurückgekämmt. Seine Hände waren schmal und schneeweiß, mit rötlich schimmernden Nägeln, so daß Pieter Maritz in Verwirrung seine eigenen Hände betrachtete, welche niemals in Schafleder oder Ziegenleder gehüllt gewesen, braun von Farbe und hart wie Horn waren. An Wuchs war der Engländer wohl einen Kopf höher als Pieter Maritz, aber dieser dachte, wenn er sich mit dem übermütigen Jüngling einmal im Ringkampfe messen dürfte, so wollte er ihn in der Mitte durchbrechen. Als das Essen vorüber war, wurden dem Gast zu Ehren einige Flaschen Wein auf den Tisch gesetzt, die Frauen entfernten sich, und die Männer fingen an, von Politik zu sprechen, da die Brüder sehr gespannt waren, zu erfahren, was die unerwartete und nie vorher hier erblickte Erscheinung britischen Militärs zu bedeuten habe. Lord Adolphus Fitzherbert lehnte sich behaglich auf seinem Stuhle zurück, schlug die Beine übereinander, welche mit Stulpenstiefeln von Glanzleder bekleidet waren, zog aus der Brusttasche seines scharlachroten, goldgestickten Waffenrocks ein goldenes Etui hervor, auf welchem ein Wappen graviert war, und nahm eine Zigarrette heraus, welche er anzündete. »Ja, meine Herren,« sagte er, den Dampf des türkischen Tabaks vor sich hin blasend, »ich habe einen kleinen Streifzug durch diese Gegend gemacht, weil es bei uns hieß, das Land sei nicht ganz sicher. Man spricht von ein paar schwarzen Kerlen -- Titus Afrikaner und Fledermaus heißen sie, wenn ich nicht irre --, die hier umhervagabondieren. Es würde eine heilsame Lehre sein, wenn wir einmal den einen oder den anderen der Niggers aufknüpften.« Während er so sprach, hatte sich die Thüre geöffnet, und der Soldat mit den goldenen Abzeichen auf dem Ärmel war hereingetreten. Er pflanzte sich gerade vor dem Leutnant in strammer Haltung hin, legte die Hand an den Helm und sagte: »Ich habe Eurer Herrlichkeit zu melden, daß die Mannschaft und die Pferde untergebracht sind. Haben Eure Herrlichkeit noch weitere Befehle?« »Es ist gut, Wachtmeister,« antwortete der Leutnant, »ich danke Ihnen.« Der Unteroffizier zauderte zu gehen. »Es wäre wohl gut, einen Posten auszustellen,« sagte er dann. »Wenn Eure Herrlichkeit befehlen, werde ich eine Vedette an den Rand des Thales postieren.« »Ach lassen Sie das,« erwiderte Lord Adolphus Fitzherbert. »Wozu sollen wir die Leute müde machen? Was soll hier bei Niggern und Bauern passieren?« Der Wachtmeister machte kehrt und marschierte sporenklirrend ab. Pieter Maritz wunderte sich, daß hier der alte erfahrene Kriegsmann von einem unerfahrenen Jüngling Befehle erhalte, während bei den Buern der Ältere das Kommando hatte. Er war unbekannt mit den Unterschieden von Rang und Stand. »Sind Sie schon lange in Afrika, Mylord?« fragte der Superintendent. »Ich bin erst vor vierzehn Tagen aus England gekommen,« antwortete der junge Offizier. »Es sind ziemlich viel neue Truppen gelandet, soviel ich weiß.« »Ja,« sagte der Leutnant, »die Transvaal-Buern machen uns mehr Plackerei, als sie wert sind. Nun wir sie einmal beherrschen, müssen wir sie auch beschützen. Sie möchten uns sonst von den Niggers aufgefressen werden.« Pieter Maritz konnte sich bei diesen Worten nicht mehr halten. Er sprang auf und rief dem Engländer zu: »Wenn du die Transvaal-Buern kenntest, so würdest du das nicht sagen. Weder von den Niggern noch auch von euch Engländern werden sie gefressen werden.« »Das ist wohl einer von ihnen, ein echter Bauernjunge!« sagte der Lord höhnisch. »Mache, daß du hinauskommst, Schlingel.« Wenn nicht in dieser Sekunde der alte Missionar den Knaben am Arm ergriffen und festgehalten hätte, so würde es einen schlimmen Auftritt gegeben haben. Denn Pieter Maritz war so sehr außer sich, daß er den Offizier thätlich angreifen wollte. Aber der Missionar brachte ihn bald zur Ruhe. »Was willst du thun, Unbesonnener?« sagte er in holländischer Sprache. »Willst du das Haus deiner Wirte in Gefahr bringen? Halte dich ruhig, die Demut ist die erste Tugend des Christen.« Pieter Maritz ließ sich widerstandslos von dem verehrten Manne hinausführen, obgleich das Blut ihm in den Adern kochte. Draußen stand er schwer atmend still und starrte dem Missionar ratlos in das Gesicht. Das Gefühl der erlittenen Beleidigung stritt in ihm mit dem Wunsche, gehorsam und gut zu sein. »Du bist brav,« sprach der Missionar, der den Zwiespalt der Gefühle in des Knaben Brust begriff. »Ich freue mich, daß du mir folgst, denn sich selbst zu besiegen ist die größte Heldenthat. Wir müssen vorsichtig sein, daß wir nicht den Bestand unserer Station gefährden. Dieser unerfahrene und unbesonnene Fant, der die Dragoner befehligt, könnte uns, wenn ihm Widriges begegnete, in ein schlechtes Licht bei der britischen Regierung bringen, die doch einmal unsere Obrigkeit ist und Gewalt über uns hat.« »Es ist aber sehr schwer, sich so etwas gefallen zu lassen,« antwortete Pieter Maritz. »Dergleichen ist mir noch niemals begegnet.« Der Missionar zuckte die Achseln. »Du bist auch noch jung,« sagte er, »und du kennst noch nicht den Übermut der Großen der Erde. Dieser junge Mann ist ein Lord, das heißt, er ist aus einer sehr vornehmen englischen Familie, und die vornehmen Engländer sind den Königen gleich, da sie die Ersten sind in einem Staate, der über viele große und reiche Länder gebietet. Aber freilich, du weißt ja auch nicht, was ein König ist.« Der Missionar kehrte nach diesen Worten wieder um und ging, nachdem er Pieter Maritz gebeten hatte, das Speisezimmer zu vermeiden, zu der Gesellschaft zurück. Dieser aber wandte sich, durch einen lauten Lärm angezogen, einem andern Teile des Gebäudes zu. Aus Mangel an Raum war den Dragonern ein grüner Rasenplatz inmitten der Häuser als Aufenthaltsort zum Speisen angewiesen worden, und hier saßen sie in fröhlichem Lärm an mehreren gedeckten Tischen. Sie hatten ihre langen schweren Pallasche und Karabiner in die Ecken gestellt und an den Wänden aufgehangen, hatten die weißen Korkhelme, welche sie in den tropischen Klimaten anstatt der gewöhnlichen Helme tragen, beiseite gelegt und ließen sich den Antilopenbraten und das Schöpsenfleisch, welches ihnen in reichen Massen aufgetragen wurde, vortrefflich schmecken. Dazu tranken sie Branntwein und ein leichtes Bier, welches in Botschabelo selbst gebraut war. Pieter Maritz fand, daß nicht er allein da war, um sich die Fremden anzusehen. Viel Volk aus dem Dorfe war heraufgekommen, und einige hübsche junge Weiber hatten ihre Halsketten von Tigerzähnen, Glasperlen und kleinen Schildkröten umgehängt, ihre besten Tücher und Röcke umgethan und zeigten sich lachend von ferne, um ebensowohl gesehen zu werden als selbst zu sehen. Es währte auch nicht lange, so wurden sie von den Dragonern hereingerufen, und Pieter Maritz wunderte sich, zu sehen, wie die Krieger mit den schwarzen Mädchen scherzten und Späße trieben, ganz unähnlich dem ehrbaren Benehmen in den Familien und Versammlungen der Buern. Und auch über das jugendliche Aussehen der meisten Dragoner wunderte er sich. Der Wachtmeister zwar war ein starker Mann in den höheren Jahren und glich wohl den Gestalten, die er unter den Seinigen als Krieger kannte, aber viele von den Gemeinen waren junge Leute, welche nicht sehr kräftig aussahen. Pieter Maritz zog sich bald zurück. Er mochte es nicht mit ansehen, wie die fremden Soldaten hier tranken und lachten und thaten, als ob sie die Herren wären. Er besuchte noch den treuen Jager, um sich zu überzeugen, daß die Gesellschaft der Dragonerpferde ihm nichts von seiner Bequemlichkeit raube, und ging dann in seine Kammer in einem der Nebengebäude zwischen den Ställen, um zu schlafen. Noch indem er die Augen schloß, sah er Lord Adolphus Fitzherbert mit den weißen Händen und der hochmütigen Miene vor sich stehen. Schon früh am Morgen wachte Pieter Maritz auf und ging alsbald in den Stall, um Jager zu füttern und zu putzen. Es hatte ihm gestern einen kleinen Stich gegeben, daß die Pferde der Engländer blanker aussahen als Jager; aber Jager hatte auch in der letzten Zeit viel durchmachen müssen, Sturm, Regen und glühende Sonne hatten sein Fell sehr mitgenommen. Nun hatte das Pferd sich in Botschabelo erholen können, es sah sehr frisch und munter aus, und Pieter Maritz versuchte, ihm durch eifriges Reiben mit Strohwischen einen schönen Glanz zu geben. Auch Dragoner stellten sich bald darauf im Stalle ein und putzten ebenfalls. Pieter Maritz bekümmerte sich nicht viel um sie, sattelte Jager und ritt hinaus, um sich nach dem Wagen des Missionars umzusehen. Er fand Kobus, Jan und Christian damit beschäftigt, die Zugochsen auf den Wiesen zusammenzutreiben, und kehrte dann nach Fort Wilhelm zurück, fest entschlossen, sich dem Zuge des Missionars zuzugesellen. Als er in den Hof der kleinen Festung einritt, sah er, daß die Dragoner sich zum Abmarsch ordneten. Der jugendliche Leutnant hielt zu Pferde vor ihrer Front, und neben ihm standen mehrere der Brüder, welche sich mit ihm unterhielten. Der Leutnant warf einen Blick auf Pieter Maritz und rief plötzlich: »Da ist ja unser ungehobelter Bauernbursche von gestern. Er kann sich heute nützlich machen. Wir haben noch keinen Führer. Gewiß kennt er diese Gegend ganz genau. Komm einmal her, Bursche, du sollst uns führen. Wir wollen auf dem besten Wege nach Pretoria.« Pieter Maritz ritt näher, sah dem Engländer voll Trotz ins Auge und sagte: »Wenn ich den Weg auch kennte, so würde ich Euch doch nicht führen.« »Oho!« rief der Leutnant. »Das klingt ja wie Widersetzlichkeit. Ich gebe dir hiermit den Befehl, uns zu führen.« »Und ich führe Euch nicht,« entgegnete Pieter Maritz. »Niemand hat mir Befehle zu geben, ich bin ein freier Bürger von Transvaal, der südafrikanischen Republik.« »Sieh doch,« rief der Leutnant höhnisch lachend, »da kann man sagen: wie die Alten sungen, so zwitschern die Jungen. Aber weißt du wohl, daß du da Hochverrat verübst, mein Junge? Es giebt keine Republik Transvaal. Ihre Majestät erwartet von jedem ihrer Unterthanen Gehorsam und verlangt, daß ihren Truppen auf Verlangen jede Hilfe und jeder Vorschub von seiten der Landeseinwohner geleistet wird.« Der Wachtmeister drängte jetzt sein Pferd an das des Offiziers heran und sprach leise zu ihm. »Ach was,« entgegnete dieser laut, »wenn wir auch den Weg ohne den Burschen finden können und ihn deshalb nicht unbedingt nötig haben -- er soll lernen, wer hier Gebieter ist und wem er zu gehorchen hat. Wir thun ein gutes Werk, wenn wir ihm das beizeiten einprägen, damit er es im Gedächtnis hat, wenn er älter wird. Der Bauernsohn reitet mit uns.« »Ich bitte, Mylord, die Sache nicht zu weit zu treiben,« sagte jetzt der greise Missionar, welcher inzwischen herbeigekommen war. »Der Knabe ist mein Reisebegleiter, ich stehe für seine gute Gesinnung ein. Wenn er sich unehrerbietig geäußert hat, so liegt das in seiner Unkenntnis der politischen Verhältnisse, aber kommt nicht aus bösem Willen.« »Wir wollen ihm ja nichts zuleide thun,« entgegnete der Offizier. »Er soll nur einsehen, daß er nicht, wie er sich nennt, ein freier Bürger der Republik Transvaal, sondern ein Unterthan der Königin von England, Gott beschütze sie, ist.« »Und doch bitte ich, ihn nicht zu zwingen, Herr Leutnant,« sagte der Missionar mit ernster Betonung. »Es ist nicht geraten den Bogen allzu scharf anzuspannen.« »Wirklich nicht?« fragte der Engländer spitzig. »Das muß ich am besten wissen. Mein Streifzug hat auch die Bedeutung, einen Einblick in die Gesinnung hier zu Lande zu gewinnen. Ich hoffe, daß ich nicht nötig habe, bei meiner Rückkehr zu melden, daß ich die unter unserem Schutze stehenden Deutschen für gute Freunde der Buern, aber nicht für gute Freunde Englands halte.« Auch der Superintendent mischte sich jetzt in das Gespräch und versuchte, ihm eine weniger scharfe Wendung zu geben. Es war klar, daß der blutjunge Offizier sich mit unkluger Anmaßung benahm, indem er sich selbst wie dem Zwecke seines Kommandos eine übertriebene Wichtigkeit beilegte. Immerhin mußte er rücksichtsvoll behandelt werden, damit jede Gelegenheit vermieden würde, der Regierung der Kapländer ein Vorurteil gegen die deutschen Missionen einzuflößen. Der Offizier aber blieb bei seiner Ansicht, daß er über die Hilfsleistungen der Bürger von Transvaal zu verfügen habe, wenn er sich im königlichen Dienste befinde. Pieter Maritz hörte dem Gespräche zu und hatte seine eigenen Gedanken. Gestern abend war er durch die hochmütige Behandlung des Engländers sehr gekränkt worden, weil sie ihn als etwas ganz Unerwartetes überrascht und in seinem Selbstgefühl gedemütigt hatte. Aber heute morgen, wo die Sonne vom Himmel lachte und die Welt so schön aussah, wo er noch dazu im Sattel saß und ein Gefühl der Sicherheit auf Jagers Rücken empfand, heute morgen kam ihm die Sache ganz anders vor. Er hielt in der Nähe der offenen Thür von Fort Wilhelm und sagte sich, daß niemand ihn zu irgend etwas zwingen könne. Er brauchte nur sein Pferd zu wenden und davonzujagen. Die ganze Welt stand ihm offen. In diesem Gedanken streichelte er mit liebkosender Hand Jagers Hals und zupfte ihn freundschaftlich an der Mähne. Jager drehte den Kopf, schnupperte an des Knaben Stiefel und scharrte dann mit dem Huf auf der Erde, als ob er sagen wollte, er sei zu allem bereit. Aber Pieter Maritz wollte nicht fliehen. Er sah, daß er der Missionsstation keinen Gefallen mit seinem Trotz gegen die Engländer thue, und er hatte solche Ehrfurcht vor den frommen Männern, daß er ihren Wünschen nicht zuwider handeln mochte. Dazu aber fiel ihm ein, daß er vielleicht den Engländern als ihr Führer einen Possen spielen könne, und er hatte große Lust, das zu thun. Er gab seinen Plan, den Missionar zu begleiten, durchaus nicht auf; er hoffte auf eine Gelegenheit, den Dragonern zu entwischen und den Ochsenwagen wieder einzuholen. In dieser Absicht ritt er auf den Leutnant zu, zog höflich seinen Hut und sagte: »Es ist nicht meine Absicht, Mynheer, einer so mächtigen Frau, wie die Königin von England zu sein scheint, Widerstand zu leisten. Denn ich bin ja nur ein armer Bauernsohn. Ich werde gern die Führung Eurer schönen Soldaten übernehmen, denn ich kenne die Gegend sehr gut. Nur bitte ich, daß Ihr mir mein Pferd nicht nehmt und daß Ihr mir gestattet, zu Pferde zu bleiben, denn ich kann nicht weit zu Fuße gehen in meinen schweren Stiefeln. Und ich bitte Euch auch, Mynheer, reitet nicht zu schnell, denn mein Pferd ist nur ein Bauernpferd und es hat in der letzten Zeit sehr weite Strecken zurücklegen müssen.« Der Leutnant lachte. »Wenn du nur davor Angst gehabt hast, so beruhige dich, mein Sohn,« sagte er. »Wir wollen dir dein Pferd nicht nehmen und mitkommen wirst du auch schon. Übrigens scheint mir dein Gaul gar nicht so übel zu sein,« fuhr er dann fort, indem er Jager mit prüfendem Blicke musterte, »und ich glaube, wenn er anständig gesattelt und gezäumt würde und einen ordentlichen Reiter bekäme, so müßte er eine hübsche Figur machen. Es ist ein Pferd für die leichte Kavallerie. Aber nun vorwärts!« Die Dragoner schwenkten auf das Kommando des Leutnants zu dreien rechts ab, Pieter Maritz aber näherte sich rasch dem Missionar, drückte ihm die Hand und wünschte ihm glückliche Reise, schwenkte dann seinen Hut gegen die Brüder, welche ihn bewirtet hatten, und wünschte ihnen gute Gesundheit. Alsdann ritt er, dem Winke des Leutnants folgend, auf dessen linke Seite an die Spitze des Zuges. Es ging im Schritt den Berg hinab, und die Dragoner lachten viel über das Gedränge der Schwarzen, welche sich schaulustig wieder eingestellt hatten, warfen auch Zigarren und Tabak vom Pferde herab in das Volk und belustigten sich an der Prügelei, die dadurch entstand. Wohl eine halbe Stunde weit blieb eine Schar an dem Zuge hangen, beständig tanzend und singend, ohne müde zu werden. Dann erst, als Trab kommandiert wurde, blieben die Schwarzen zurück. Für Pieter Maritz war es ein Vergnügen, an der Spitze der Dragoner zu reiten. Der Weg war gut, denn es war die gebahnte Straße in südwestlicher Richtung nach Pretoria. Der gleichmäßige Trab der Pferde, das Klirren der Pallasche und der am Sattel hangenden Karabiner, das Schnauben der Tiere, das Knirschen der Gebisse und des Lederzeugs, alles dies machte einen kriegerischen Eindruck auf des Knaben Sinn und erregte ihn. Er malte sich in Gedanken aus, wie schön es sein müßte, eine solche Reiterschar zu kommandieren und sie zum Angriff gegen den Feind zu führen. Nach längerem Trabe ließ der Leutnant wieder Schritt reiten. Die Sonne brannte heiß. Der Weg führte über ein Hochland hin, welches frei und offen lag. Zu beiden Seiten dehnten sich Grasflächen aus, und das Gras war braun gebrannt von der Hitze. Nur Mimosengebüsche unterbrachen die Einförmigkeit. Linker Hand zog sich in weiter Entfernung ein bläulicher Streifen hin, der Saum großer Wälder im Osten. Pieter Maritz betrachtete die Pferde der Dragoner. Sie waren jetzt etwa eine Stunde auf dem Marsche, und der Knabe lächelte, als er sah, daß die meisten ganz naß am Bauche waren und daß ihnen ein weißlicher Schaum unter der Satteldecke stand, während Jager noch kein feuchtes Haar hatte. Nur des Leutnants Pferd war ebenfalls trocken. Es war ein wunderschönes Tier, ganz schwarz und glänzend wie poliertes Ebenholz, wohl eine halbe Handbreit höher als Jager, mit langem Halse, langen, dünnen Beinen und feinem Kopfe. Der Leutnant redete den Knaben an. »Dein Pferd geht einen recht hübschen Trab,« sagte er, »und du scheinst dich auch gut aufs Reiten zu verstehen. Ist das Reiten bei euch Bauern allgemeine Sitte?« »Ja, Mynheer,« antwortete Pieter Maritz, »wir reiten alle von Jugend auf, aber so schön wie bei den Soldaten der Frau Königin ist's bei uns freilich nicht.« Er verglich mit einem bezeichnenden Blick die einfache Trense seines Pferdes mit dem silberblinkenden Stangengebiß im Maule des Rappen und seinen von Dornen zerkratzten, vom Kot vieler Wege und vom Wasser vieler Flüsse und Bäche nahezu schwarz gewordenen Sattel mit dem hellgelben, spiegelblanken Sattel des Leutnants. »Nun,« sagte der Engländer, welcher diesen Blick aufgefangen hatte, »Sattel und Zaum sind etwas Äußerliches, das Pferd ist immer die Hauptsache. Haben denn viele Bauern gute Reitpferde?« »Sie haben alle gute Reitpferde,« entgegnete der Knabe. »Und wie viele Bauern giebt es denn wohl, die ins Feld rücken, wenn etwa Krieg mit den Zulus oder den Betschuanen ausbricht?« fragte der Leutnant, der die Gelegenheit benutzen wollte, Näheres über die Verhältnisse der Buern zu erforschen. »Das ist sehr verschieden,« sagte der Knabe. »Wenn die Zulus angreifen, sammeln sich die Buern in den Gegenden nahe den Zulus; wenn die Betschuanen Überfälle machen, werden in den dortigen Gegenden Kommandos gesammelt.« »Aber wenn alle bewaffneten Buern zusammenkämen, wie viele würden das sein?« »Das weiß ich nicht,« erwiderte Pieter Maritz, indem er ein einfältiges Gesicht machte. »Es sind ihrer zu viele, als daß man sie zählen könnte.« »Oho!« rief der Engländer. »Wenn es so viele wären, hätten sie es sich wohl nicht gefallen lassen, von uns unterworfen zu werden.« »Wahrscheinlich sind es der englischen Soldaten noch mehr,« erwiderte der Knabe. »Wieviel Mann hat denn wohl die Frau Königin im Kaplande und in Natal?« Der Leutnant antwortete nicht, aber er maß den Knaben mit einem argwöhnischen Blicke. »Aus welcher Gegend bist du denn? Wo wohnen deine Eltern?« fragte er. »Ich bin im Norden geboren,« erwiderte Pieter Maritz. »Die Gemeinde, zu welcher ich gehöre, wohnt nicht in einem festen Dorfe, sondern gehört zu den Trekbuern, das heißt, wir ziehen herum, was in unserer Sprache trekken genannt wird. Wir bleiben, wo es uns gefällt, und ziehen weiter, wenn das Vieh nicht mehr gute Weide hat oder die Jagd schlecht ist.« »Ihr seid also eigentlich Vagabonden,« sagte der Engländer, indem er verächtlich herabsah. »Es ist hohe Zeit, daß wir Ordnung in eine solche Gesellschaft bringen.« Die Landschaft war inzwischen eine andere geworden, der Charakter der Ebene verlor sich mehr und mehr, und zur linken Hand zeigte sich hügeliges Land, mit einzelnen Gebüschen und von Wasserläufen durchzogen. Pieter Maritz ließ seine scharfen Augen über die Gegend hinschweifen und überlegte. »Wie weit werdet Ihr mich mitnehmen, Mynheer?« fragte er. »Das wollen wir später sehen,« entgegnete der Engländer. »Ich möchte nicht gern ganz bis nach Pretoria.« »Du wirst thun, was dir befohlen wird,« sagte der Engländer. »Ach, welch ein wunderschönes Pferd habt Ihr, Mynheer!« rief der Knabe aus. »Das habt Ihr wohl von England mitgebracht?« Der Leutnant blickte selbstgefällig an seinem Gaul hinunter. »Das Pferd kann gewiß sehr schnell laufen,« sagte Pieter Maritz von neuem, »das kann gewiß viel schneller laufen als unsere Bauernpferde.« »Dies Tier ist allerdings sehr schnell,« erwiderte der Leutnant. Er hatte dreihundert Pfund Sterling in London für das Pferd bezahlt und konnte sich rühmen, keinen schlechten Handel gemacht zu haben. »Kann das Pferd auch gut springen?« fragte Pieter Maritz mit seinem unschuldigsten Gesicht. »Natürlich,« versetzte der Engländer. »Nun halte aber deinen Mund. Du hast zu warten, bis man dich fragt, und wenn du nicht gefragt wirst, hast du zu schweigen. So etwas nennt man gute Manier.« Pieter Maritz rückte die Büchse und den Patronengurt bequemer auf den Schultern zurecht und drückte leise seine Unterschenkel an Jagers Leib, so daß dieser den Kopf erhob und die Ohren spitzte. »Auf die Weise würde mir der Weg wohl langweilig werden,« sagte er dann mit freundlichem Lächeln zu dem Offizier. »Lebt wohl, ich wünsche Euch glückliche Reise!« Nach diesen Worten warf er plötzlich sein Pferd zur Seite und jagte in gestrecktem Galopp nach links über das Feld hin. »Verdammter Bursche!« rief der Engländer. »Haltet ihn, Leute! Hinter ihm her!« Pieter Maritz hörte in seinem Rücken ein gewaltiges Rasseln und Rufen und das Stampfen und Schnauben vieler Pferde. Er blickte über die Schulter zurück und sah die ganze Schar der Dragoner in aufgelöster Ordnung daherkommen, um ihn zu verfolgen. Sie ritten in einer weiten Kette hinter ihm her, und ihre Scharlachröcke leuchteten in der Sonne, so daß es dem Knaben schien, als jagte ein hüpfendes Heer von Feuerflammen über das Gras weg. Allen voran ritt der Leutnant, dessen kohlschwarzes Pferd rasch einen Vorsprung vor den anderen Tieren gewonnen hatte, und er rief den Dragonern zu, sie sollten nicht schießen, er wolle den Burschen lebendig wieder haben. Pieter Maritz beugte den Oberkörper auf Jagers Hals vor und schnalzte ermunternd mit der Zunge. Wie ein Wirbelwind stob das treue Tier dahin. Das Futter in Botschabelo und die Ruhe während der drei Tage, wo der Knabe nur zu Spazierritten ausgewesen war, hatten das Pferd neu gekräftigt, und seine Beine schnellten über das Gefilde hin mit einer außergewöhnlichen Behendigkeit. Seitwärts des Weges, den sie geritten waren, floß ein Wässerchen mit flachen Ufern, welches sich an manchen Stellen seeartig erweiterte. Auf eine dieser Stellen, welche er schon vom Wege aus entdeckt hatte, lenkte Pieter Maritz hin. Das Wasser war hier wohl über hundert Schritte breit. Der Knabe jagte hinein und bald verlor das Pferd den Boden unter den Füßen und mußte schwimmen. Mitten im Wasser sah er zurück. Die Dragoner zauderten am Ufer, doch der Unteroffizier und fünf Mann warfen sich ebenfalls in das Wasser, indem sie dem Leutnant folgten. Pieter Maritz kam ans andere Ufer, als die Verfolger noch mitten im Wasser waren. Dann trabte er gelassen weiter. Er wählte sich das am meisten durchschnittene Terrain aus: dorthin, wo die Gebüsche dicht auf unebenem Boden standen, wo Felsblöcke umherlagen und von stachligen Kaktus umgeben waren und wo Bäche die Landschaft durchschnitten -- dorthin lenkte er Jager. Jetzt stiegen die Verfolger, deren prächtige Uniformen von Wasser trieften, ebenfalls ans Land, und der Knabe setzte sein Pferd in langen Galopp. Vor ihm rannte eine Herde Springböcke her, die gleich Gummibällen elastisch in weiten Sätzen flohen, und ein Rudel Gnus mit Hörnern gleich den Büffeln und Pferdeschweifen. Nach einem rasenden Ritt, der wohl eine halbe Meile Landes durchmessen hatte, vernahm Pieter Maritz nur noch wenig von dem Lärmen, der ihm zu Anfang im Rücken gewesen war. Er sah wieder zurück und erblickte keinen von den Dragonern mehr auf der Verfolgung. Ganz weit entfernt sah er die Truppe wieder zu einem dunklen Haufen versammelt, und nur noch der Leutnant war hinter ihm. Das schöne schwarze Pferd machte seiner edlen Abstammung Ehre, es kam jetzt eben mit einem weiten Satze über einen tief eingeschnittenen Bach dahergeflogen. Nur etwa zwanzig Schritte war es hinter Jager. Pieter Maritz rief seinem Pferde zu, und wie ein Pfeil schoß es vorwärts. Vor ihm lag ein Dickicht von Aloes und buschförmigen Euphorbien, zwischen denen stachelige Mimosen standen, welche Dornen trugen, die Fischangeln ähnlich gestaltet waren. Pieter Maritz erkannte die eigentümliche Form dieser Mimose, der ~acacia detinens~, schon von weitem. Das Gebüsch stand nicht so dicht, daß nicht ein landesgewohntes Tier wie Jager hätte hindurchkommen können, und in der That wand sich Jager, obwohl in vollem Laufe, einem Aale gleich hindurch, indem er die stacheligen Büsche vermied. Aber dem Engländer ging es nicht so gut. Pieter Maritz blickte sich wieder um und mußte lachen, als er einen langen Riß in der Brust des prächtigen Waffenrocks klaffen und den einen Schoß in Fetzen herabhängen sah. Von der Brust des schwarzen Pferdes und an seinen Beinen lief das Blut herab, und der Schweiß rieselte an ihm nieder. Der Engländer hatte die Lippen zusammengepreßt, seine Augen funkelten vor Wut, und sein Gesicht war vor Hitze so rot wie sein Rock. Jetzt brach Jager aus dem Dickicht hervor, und gleich hinter ihm kam das schwarze Pferd. Der Boden war hier so eben wie eine Tenne, das Gras kurz, und kein Hindernis auf wohl tausend Schritte Entfernung. Die langen Beine des englischen Rassepferdes gewannen hier Vorteil, und so schnell Jager lief -- der Engländer kam, von heftigen Sporenstößen getrieben, jetzt vor, die Nase des Rappen schnob auf Jagers Kruppe, und schon streckte der Offizier die Hand aus, um Pieter Maritz zu ergreifen. Da bog der Knabe aus und lenkte seitwärts. Er fürchtete sich nicht, mit dem Leutnant ins Handgemenge zu kommen; er vertraute darauf, ihn mit dem Hirschfänger fern halten zu können, wenn er wollte, aber es galt die Ehre des Reitens. Noch hatte Jager nicht seine beste Kraft eingesetzt. Auch wollte der Engländer offenbar nicht von seinem Revolver Gebrauch machen. Ritterlichkeit und Eitelkeit verboten dem vornehmen jungen Mann, sich in diesem Wettrennen anderer Waffen als der Schnelligkeit seines Pferdes und seiner bloßen Hand zu bedienen. [Illustration: Pieter Maritz' Flucht.] Einen lauten Ruf der Ermunterung stieß der Knabe aus, indem er dem Griffe des Offiziers entschlüpfte, und dieser Ruf schien Jager Flügel zu verleihen. Er lief auf dem ebenen Boden mit der Leichtigkeit der Antilope hin und ließ den Rappen hinter sich. Nun war die freie Fläche überschritten, und eine Schlucht, auf deren Grunde ein Bach rieselte, versperrte den Weg. Es war ein schwer zu passierendes Hindernis, denn steil ging es hinab und steil hinauf, und dazu lagen große Steine an beiden Abhängen, welche der Bach wohl, im Gewitter hoch anschwellend, vom Gebirge hergespült hatte. Für Jager, der an Ritte in diesem Lande und an die Jagd querfeldein gewöhnt war, bot diese Schlucht gleichwohl nur geringe Schwierigkeit. Pieter Maritz ließ ihm den Zügel, und das kluge Tier kletterte in schräger Linie mit der Gewandtheit einer Katze hinab, sprang über das Wasser und kletterte jenseits empor. Aber für den Engländer war dies ein ganz ungewöhnliches Ding, und nur der maßlose Ärger des jungen Mannes vermochte ihn, sein Pferd hier durchzutreiben. Mit ängstlichem Schnauben stieg der Rappe vorsichtig hinab, und es bedurfte wiederum der Sporen, um ihn durch diese tiefe Schlucht zu bringen. Der Knabe hatte einen solchen Vorsprung gewonnen, daß er Jager in ruhigem Schritt eine Minute lang verschnaufen lassen konnte. Ja, das Leben seines Verfolgers war völlig in seiner Hand. Er hätte nur die Büchse von der Schulter zu nehmen und es zu erwarten brauchen, daß der Offizier über dem Rande der Schlucht wieder auftauchte. Aber er dachte nicht daran; sein Zorn über die Beleidigungen des Lord war völlig verraucht. Jetzt war der Rappe wieder auf ebenem Boden und die Jagd begann von neuem. Der Engländer setzte das Äußerste daran. Die Leidenschaft des Wettrennens hatte sich seiner völlig bemächtigt und ließ ihn jeder Vernunft vergessen. Er konnte den Gedanken nicht vertragen, von dem Buernjungen verhöhnt zu werden und sein herrliches Schlachtpferd besiegt zu sehen. So trieb er den Rappen zum stärksten Laufe an. Aber immer unerreichbar blieb der Buernsohn vor ihm. Es war, als sei er zusammengewachsen mit seinem Pferde. Das waren nicht zwei Gestalten, Roß und Reiter, sondern es war nur eine Figur, und sie glitt mit einer Leichtigkeit, mit einer zierlichen Behendigkeit dahin, deren Anblick den Verfolger rasend machte. Wie zum Hohne schien ihm der Knabe so oft rückwärts zu blicken, und die blonden flatternden Locken schienen den jungen Mann zu äffen. Das Blut tobte ihm im Gehirn, seine Schläfen pochten, und es war ihm zuweilen, als ritte er hinter einer Traumgestalt her, wie sie wohl den Schläfer neckt, der sich vergeblich bemüht, das ungreifbare, vor ihm entweichende Bild zu erfassen. Jetzt näherte sich die Jagd dem Walde. Wie eine dunkle Wand, doch durch die eigentümliche Beleuchtung des sonnigen Himmels in einen bläulichen Schleier gehüllt, dehnte sich ein unabsehbarer Wald vor den Reitern aus. Und dicht vor ihnen tauchte jetzt aus dem hohen Grase und den Büschen ein Wall auf, den die Natur erschaffen hatte, der aber so gleichmäßig geformt war wie eine Mauer. Jager verlangsamte seinen Lauf, als er des Walles ansichtig wurde, dann sammelte er seinen Körper und sprang mit einem schnellenden Satze, einem Panther ähnlich, oben hinauf und auf der andern Seite mit einem zweiten Satze hinunter auf den weichen Boden. Der Engländer folgte. Aber angesichts des Walles scheute der Rappe und bog seitwärts aus. Der Leutnant führte das Tier im Bogen wieder vor, und als es sich bäumte, stieß er ihm mit voller Gewalt die Sporen in die Weichen. Der Rappe rannte in Angst und Schmerz vorwärts, hob sich zum Sprunge, -- aber ungewohnt des Terrains und auch von seinem Reiter nicht ganz richtig geführt, wollte er den Wall mit einem Satze nehmen, anstatt oben hinaufzuspringen. Herrlich hob sich das schöne Tier und flog vorwärts, aber seine Kraft langte zu einem so gewaltigen Sprunge nicht mehr aus. Mit den Vorderbeinen kam es hinüber, aber die Hinterhufe schlugen an den oberen Rand des Walles, und, sich überstürzend, rollte der Rappe am Boden. Lord Adolphus Fitzherbert flog in hohem Bogen während des Sturzes aus dem Sattel, schlug schwer zu Boden und blieb regungslos liegen. [Illustration] [Illustration] Siebentes Kapitel Titus Afrikaner Pieter Maritz war schon eine Strecke weit vorgekommen, während der englische Offizier den Sprung über den Wall unternahm, aber er hörte das Krachen des Sturzes und hielt bei diesem Tone sein Pferd an. Als er sah, was geschehen war, ritt er alsbald zurück, sprang aus dem Sattel und lief auf den gestürzten Verfolger zu. In diesem Augenblicke richtete sich der Rappe, der eine kurze Zeit betäubt dagelegen hatte, empor, sprang auf die Füße und blieb an allen Gliedern zitternd auf dem Flecke stehen, wo er gefallen war. Lord Adolphus Fitzherbert dagegen blieb liegen. Er lag auf dem Rücken, der Helm war ihm vom Kopfe gefallen, sein Gesicht war jetzt ganz bleich, doch war die Stirn von Blut bedeckt, und Blut rann in sein kurzes dunkles Haar. Mit der linken Hüfte lag er auf dem Griff seines langen schweren Degens. Voll Mitleid bog sich der Knabe über ihn, stützte des Verwundeten Kopf und zog den Pallasch unter dem Körper hervor. Der Leutnant öffnete die Augen nicht, er war bewußtlos. Hätte ich doch Wasser, um ihm die Stirn zu waschen! dachte der Knabe. Es fiel ihm ein, daß der vornehme junge Mann beim gestrigen Abendessen ein weißes, beinahe durchsichtiges Tuch aus der Tasche gezogen und sich damit die Oberlippe gewischt hatte. Der Nutzen eines solchen Tuches war ihm unbegreiflich gewesen, aber jetzt dachte er, es könne nützlich sein. Er zog das Schnupftuch aus einer der hinteren Taschen des befleckten und zerrissenen Waffenrocks und trocknete damit das Blut von der Stirne. Da sah er, daß ein langer Riß die Kopfhaut vom rechten Augenlid bis zum Scheitel trennte. Er beschloß, den Verwundeten wieder in das Gras niederzulegen und Wasser zu suchen. In dem Augenblick aber, wo er den schweren Oberkörper sanft niedergleiten ließ, ertönte ein wildes Geheul ganz in der Nähe, welches ihm das Blut in den Adern erstarren machte. Es war ein wildes, triumphierendes, langgezogenes Geschrei, welches ringsum von allen Seiten erscholl, und in derselben Sekunde fühlte sich der Knabe von starken Fäusten gepackt und sah eine Menge dunkler Gestalten mit großer Schnelligkeit vor sich auftauchen. Sie mußten erstaunlich geräuschlos herangeschlichen sein, denn nicht einmal das Rascheln welken Grases hatte ihre Ankunft verkündigt, und nun erfüllten sie wie aus dem Boden gewachsen den Raum umher. Voll Bestürzung blickte Pieter Maritz sich nach allen Seiten um, während er so festgehalten wurde, daß er sich nicht im geringsten bewegen konnte. Wohl an vierzig Schwarze umringten ihn und den am Boden liegenden Offizier. Einer hatte die Zügel des Rappen, ein anderer Jagers Zaum ergriffen, und nun nahmen ihm flinke Hände die Büchse und den Patronengurt ab und gürteten den Hirschfänger von seiner Hüfte ab. Die Schwarzen waren von wildem Aussehen. Sie waren alle bewaffnet, die meisten mit Bogen und Pfeilen, Streitäxten, Wurfspießen und länglichen Schilden, einige aber auch mit Gewehren, und diese trugen nach Art der Buern einen Patronengurt über der Schulter. Manche waren mit Beinkleidern und Blusen oder auch mit Jacken oder wollenen Hemden bekleidet, andere trugen ein Fell vom Panther oder Tiger über den nackten Schultern, einige wenige waren unbekleidet bis auf den Karoß, ein kurzes Fell, welches um die Hüften gebunden wird und einen kleinen Schurz bildet. Alle aber trugen kriegerischen Kopfputz, indem aus ihren gelockten und mit Fett befestigten Haaren Federbüsche vom Strauß, vom Adler und von anderen Vögeln emporragten. In ihrer Mitte bewegte sich ein älterer Mann von gebieterischem Wesen, der ein glänzendes Halsband von großen weißen Zähnen, einen polierten Kupferring um den rechten Oberarm und einen Mantel von Löwenfell um die Glieder geschlungen trug. Dieser wendete sich an Pieter Maritz und fragte ihn in fließendem Holländisch, woher er komme und was die Scene mit dem Jüngling in dem roten Rocke zu bedeuten habe. Pieter Maritz sagte sich, daß die Schwarzen schon von weitem das Rennen beobachtet und verfolgt haben müßten, und er hielt es für das beste, die volle Wahrheit zu erzählen. Er berichtete, daß er aus Botschabelo komme, daß die englischen Reiter ihn gewaltsam hätten mit sich nehmen wollen und daß er ihnen entflohen sei. Der Befehlshaber der Schwarzen richtete hierauf einige Worte an seine Leute, und diese machten sich alsbald daran, den noch immer bewußtlosen Engländer wegzutragen. Einige hieben starke Äste ab, andere holten zähe Ranken von Schlinggewächsen herbei, und dann stellten sie mit großer Geschicklichkeit eine Tragbahre her. Wieder andere plünderten währenddessen den Lord vollständig aus. Sie nahmen ihm seine Waffen ab, schnitten die blanken Metallknöpfe von seinem Rocke, zogen ihm seine Börse voll Guineen und Silberstücke sowie seine mit Edelsteinen besetzte goldene Uhr aus der Tasche und bemächtigten sich des goldenen Etuis mit den Cigaretten. Nur die Kleidung ließen sie ihm. Alsdann legten sie ihn auf die Tragbahre, und zwei starkgebaute Kaffern mit schwellenden Muskeln hoben die Bahre auf und gingen in schnellem Schritte mit ihm davon. Einen traurigen Anblick gewährte der vordem so elegante Offizier. Sein Gesicht war blutig, sein Haar klebte von geronnenem Blut zusammen, sein Anzug war zerrissen und mit Wasser, Blut und Schlamm bedeckt, seine hohen Stiefeln waren von Dornen zerkratzt und trugen so sehr die Spuren des mühseligen Rittes, daß von ihrem früheren Glanz fast nichts mehr zu entdecken war. Hinter der Tragbahre ward Pieter Maritz weggeführt. Auf jeder Seite ging einer der Kaffern, und sie vertrauten wohl darauf, daß er ihnen nicht entlaufen könne, denn sie banden ihn nicht, sondern ließen ihn frei gehen. Beide Pferde wurden am Zügel hinterhergeführt, und ihnen folgte die ganze Schar der Leute, welche unter dem Befehle des Mannes mit dem Löwenfell standen. Pieter Maritz sah, daß der weite und schnelle Ritt bis in die unmittelbare Nähe des großen Waldes geführt hatte, den er von der Höhe von Botschabelo aus als einen fernen bläulichen Streifen entdeckt hatte, und er konnte am Stande der Sonne erkennen, daß es in südöstlicher Richtung weiterging. Bald trat der Zug in den Wald ein, und kühlender Schatten umgab ihn und linderte die Pein des schnellen Fußmarsches in der glühenden Hitze. Denn mit großer Schnelligkeit ging es vorwärts. Die beiden starken Kaffern, welche den Offizier trugen, schienen von ihrer Last gar keine Beschwerde zu haben. Sie schritten mit elastischem Gange dahin, über Steine und unebenen Boden mit derselben Sicherheit wie auf ebener Grasfläche. Auch im Walde verminderte sich die Eile des Marsches nicht. Es gab hier gar kein Unterholz, keine Büsche und Sträucher standen zwischen den Bäumen, sondern die gewaltigen Stämme der Seidenwollenbäume, schattigen Tamarinden und Delebpalmen ragten wie Säulen in einem riesigen Dome empor und wölbten gleich einem Dache in großer Höhe ihre Wipfel. So ging es wohl eine Stunde weiter, und Pieter Maritz sah voll Mitleid, mehr für den verwundeten Engländer als für sich besorgt, auf die Tragbahre, wo der elend zugerichtete Offizier noch immer bewußtlos lag. Aber jetzt erreichte der Zug eine Stelle, wo sich runde Hütten, zeltähnlich geformt, doch ohne Spitze, erhoben und wo der blaue Rauch von einer Feuerstelle zu dem Laubdach der Bäume emporstieg. Der Zug machte Halt, und Pieter Maritz sah eine Menge von Männern und Weibern zusammenlaufen, um die Ankömmlinge zu betrachten. Die Tragbahre ward in der Nähe einer der Hütten niedergesetzt, und der Mann mit dem Löwenfell sprach mit einem weißhaarigen Schwarzen, der langsam aus der Hütte hervorkam. Dieser Alte mußte wohl den Beruf eines Arztes unter seinem Stamme ausüben, denn er fing alsbald an, den Verwundeten zu untersuchen. Pieter Maritz blieb neben der Tragbahre und sah seinem Verfahren zu. Mit geschickter Hand wusch der Kaffernarzt das Blut von der Stirn und holte alsdann einen fein zugespitzten Knochen und sehr dünne Sehnen von irgend einem Wild herbei. Damit nähte er den klaffenden Riß sorgfältig und genau zusammen. Alsdann holte er eine Handvoll Kräuter aus der Hütte hervor, zerkaute sie mit seinen gewaltigen vorspringenden Kinnladen zu einem Brei, legte diesen auf den zugenähten Riß und band ein dünn geschabtes Stück Leder darüber, so daß die Stirn wie von einem großen Pflaster bedeckt war. Hierauf lagerte er den Verwundeten bequem im Schatten auf weichem Moos und Blättern und setzte sich zusammengekauert auf die eigenen Hacken daneben, die Arme um die dürren Beine geschlungen, das Kinn auf den Knieen. Währenddessen hatten sich die schwarzen Krieger um das Feuer versammelt, wo mehrere große Töpfe brodelten und große Fleischstücke teils über den Flammen brieten, teils in den Kohlen lagen und mit Stäben umgewandt wurden. Der Mann mit dem Löwenfell lud auch ihn ein, an der Mahlzeit teilzunehmen, und Pieter Maritz, welcher sehr hungrig geworden war, setzte sich geduldig mit in den Kreis und nahm gleich den anderen ein Stück Fleisch zur Hand und aß. Mit traurigem Blicke sah er zu Jager hinüber, der nebst dem Rappen an einen Pfahl gebunden in der Ferne stand und mit seinem ehemaligen Verfolger zusammen friedlich an demselben Futter kaute. Würde er jemals wieder in Freiheit auf des treuen Tieres Rücken sitzen? Was wollten diese Räuber beginnen? Der Anführer zeigte keine Neigung, sich auf Erklärungen einzulassen. Nachdem sie gespeist hatten, setzten sich die Schwarzen neben der Feuerstelle wieder im Kreise zusammen, indem sie sämtlich auf den Fersen hockten, und schwatzten sehr lebhaft. Dabei ließen sie die Beutestücke unter Ausrufen des Entzückens von Hand zu Hand gehen, und der Knabe konnte trotz seiner Niedergeschlagenheit das Lachen nicht unterdrücken, als er sah, daß sie die Cigaretten aus dem Etui nahmen, hin und her drehten und endlich in der Weise rauchten, daß sie in jedes Nasenloch eine steckten. Der feine türkische Tabak schien ihnen außerordentlich zu gefallen, denn sie patschten sich vor Vergnügen auf den Bauch. Den Revolver des Engländers betrachteten sie mit großer Neugierde. Sie schienen eine solche Waffe noch nicht zu kennen, gingen aber sehr gewandt damit um und erklärten einander die Einrichtung, so daß es klar war, sie seien mit Schußwaffen vertraut. Pieter Maritz, der hin und wieder einen Blick nach dem Verwundeten und dessen treulich neben ihm hockenden Arzte warf, bemerkte jetzt, daß der Scharlachrock sich bewegte. Er lief alsbald dorthin und sah, daß der Leutnant die Augen aufgeschlagen hatte und träumerisch umhersah. Augenscheinlich war er noch ein wenig in seiner Ohnmacht befangen und wußte nicht recht, ob er lebe oder nicht. Erst nach einer Weile wurde sein Blick verständnisvoller und nahm einen zornigen Ausdruck an, als er auf den Knaben fiel. Dann faßte der Verwundete aber auch den alten Kaffern auf der andern Seite seines Lagers ins Auge und geriet in großes Erstaunen. Er wollte sich aufrichten, war aber vor Schmerzen und Steifigkeit dazu nicht imstande, sondern sank gleich wieder zurück. »Was hat dies alles zu bedeuten?« fragte er. Pieter Maritz redete ihm freundlich zu und erklärte ihm, was geschehen sei. Der Leutnant hörte zuerst halb ungläubig, dann aber mit dem äußersten Schmerze zu. »Ich wollte lieber, ich hätte den Hals gebrochen!« murmelte er voll Ingrimm und schloß dann finster und trotzig die Augen. Der Kaffernarzt war inzwischen aufgestanden und braute nun in einem Gefäße, welches aus einem Straußenei gearbeitet war, ein Getränk, welches er für heilkräftig halten mochte. Er mischte den milchigen Saft von Kräutern mit Wasser, drückte eine Apfelsine darüber aus und brachte diesen Trank dem Verwundeten. Dieser sah das Gefäß und den Inhalt mit höchst verächtlicher Miene an, mochte aber wohl sehr durstig sein, denn er probierte und trank dann alles aus. Eine dunkle Gestalt erschien jetzt neben seinem Lager, der Anführer der Bande war herangeschritten. Er hatte seinen Mantel zurückgelassen und stand fast nackt da, die geschmeidigen und muskelstarken Glieder in ihrem schönen Ebenmaß zeigend. Die weißen Raubtierzähne um seinen Hals leuchteten auf der glänzend schwarzen Haut, der breite Armring funkelte gleich dunkelfarbigem Golde, und eine weiße Straußenfeder wallte von seinem Haupte. Der Engländer betrachtete ihn voll Staunen über den kriegerischen Stolz, der sich in seiner Haltung aussprach, und mochte wohl verwundert sein über den Unterschied, den er zwischen diesem freien Krieger und den sklavischen Schwarzen fand, die er bis jetzt während seines kurzen Aufenthaltes in Afrika kennen gelernt hatte. Doch war Lord Adolphus Fitzherbert keineswegs in Furcht, sondern zeigte den Stolz des Briten und des vornehmen Mannes auch in der Gefangenschaft und daniederliegend. »Sprecht Ihr englisch, mein schwarzer Freund?« fragte er mit energischem Tone. Der Anführer schüttelte den Kopf zum Zeichen, daß er nicht verstanden habe. »Wenn Ihr diesem Manne etwas zu sagen habt, so will ich es ihm gern übersetzen; er versteht holländisch,« sagte Pieter Maritz freundlich zu dem Offizier. Der Leutnant wandte sich zu dem Knaben und nickte dankend. »Ihr seid sehr gütig,« sagte er, »und ich werde Euch verbunden sein, wenn Ihr diesen Halunken mitteilen wollt, daß ich sie alle werde hängen lassen, wenn sie mich und mein Pferd nicht dahin zurückbringen, von wo sie mich geholt haben.« Der Knabe schüttelte den Kopf. »Ihr handelt nicht klug, Mynheer,« erwiderte er. »Ihr könnt niemand hängen lassen, wenn diese Kaffern Euch umbringen, und wir sind doch beide in ihrer Gewalt.« »Sie werden es nicht wagen, mich umzubringen,« entgegnete der Engländer. »Sie wissen recht gut, daß der Gouverneur diesen ganzen Wald mit allen schwarzen Spitzbuben, die darin stecken, ausräuchern würde, wenn man einem seiner Offiziere ans Leben ginge.« Nachdem der Leutnant so gesprochen hatte, mochte er aber wohl selbst die Thorheit seiner Prahlerei einsehen, denn er setzte hinzu: »Ihr kennt aber wahrscheinlich diese Art Leute besser als ich, und wenn Ihr es für klüger haltet, so sagt ihnen, sie sollten eine große Summe Geldes haben, wenn sie mich nach Pretoria brächten.« Pieter Maritz nickte und teilte dies dem Anführer mit. Dieser hatte dem Zwiegespräch aufmerksam zugehört und antwortete jetzt auf die ihm übersetzte Mitteilung des Engländers, daß ein anderer darüber zu entscheiden haben werde. »Für jetzt aber,« fügte er hinzu, »macht euch fertig, denn ihr sollt weiterziehen.« Auf seinen Wink kamen wieder zwei Männer heran, welche den Engländer auf die Tragbahre legten, ein Dutzend andere, alle gut bewaffnet, umringten die Bahre und den Knaben und lösten die Pferde los, und dann ging es in derselben beschleunigten Gangart, mit welcher sie gekommen waren, weiter. Mit einem Gefühl der Beruhigung sah Pieter Maritz, daß einer der Kaffern seine ihm vom Vater vererbten Waffen trug. Die Hoffnung flüsterte ihm zu, daß dies eine gute Bedeutung habe, daß er ebensowenig seiner Waffen wie seines Pferdes für immer beraubt werden solle. Der Anführer der Bande und deren größter Teil blieben bei den Hütten im Walde zurück, nur eine Begleitung von vierzehn Schwarzen brachte die Gefangenen und ihre Pferde weiter. Mit immer gleicher Geschwindigkeit ging es in dem ungeheuren Walde weiter, bis die Sonne sank. Dann wurde Halt gemacht und ein Feuer angezündet. Die Schwarzen trafen keine Art von Vorsichtsmaßregeln, um ihre Gefangenen an Flucht zu verhindern, da sie die Finsternis und den Wald für genügende Sicherung halten mochten, sondern stellten nur eine Wache aus, welche auch das Feuer unterhalten mußte, und legten sich schlafen. Auch die Gefangenen schliefen, ohne sich durch das Gebrüll der Panther stören zu lassen. Beide waren todmüde, der Engländer durch seine Verletzungen, Pieter Maritz durch den langen und ihm ungewohnten Marsch. Früh am Tage ward wieder aufgebrochen, nachdem ein jeder von dem mitgenommenen Fleisch zu essen bekommen hatte. Lord Adolphus Fitzherbert war wieder einigermaßen gekräftigt und sprach in freundschaftlicher Weise mit dem Knaben, über dessen Gesellschaft er nun sehr froh war. Es ging den ganzen Tag im Walde weiter, und nur einmal ward eine Rast von einigen Stunden gemacht, um eine Mahlzeit aus einer Elenantilope zu bereiten, die einer der Kaffern unterwegs geschossen hatte. Pieter Maritz dachte oft über die Möglichkeit einer Flucht nach. Wenn es ihm gelang, auf Jagers Rücken zu kommen, so wäre es vielleicht möglich gewesen, davonzueilen, und oft sah er das Pferd trübselig an, und dann schien es ihm, als blicke das Tier auch ihn mit Verwunderung und Teilnahme an. Aber der Gedanke an das Schicksal des Engländers verscheuchte wieder derartige Wünsche. Das Verhältnis zwischen ihm und dem jungen Lord veränderte sich mehr und mehr und wurde ein vertrauliches. Er hätte es wohl schon zu Anfang der gemeinsamen Gefangenschaft nicht übers Herz gebracht, seinen Schicksalskameraden zu verlassen; nun aber, wo sie freundliche Gespräche ausgetauscht hatten, schien es Pieter Maritz ganz unmöglich zu sein, davonzugehen und den andern allein zu lassen. Das Befinden des Engländers hatte sich übrigens im Laufe der Nacht und des darauf folgenden Morgens so sehr gebessert, daß er am Nachmittag schon eine kleine Strecke zu Fuße gehen konnte. Er klagte jetzt mehr über seine linke Hüfte als über seinen Kopf, denn die Hüfte war ihm durch den Sturz auf den Degengriff arg zerstoßen worden. Am Abend dieses Tages kamen sie in gebirgiges Land. Höhen und Thäler wechselten ab und alles war mit Wald bedeckt, der nun niedriger wurde und viel Unterholz hatte. Die Berge wurden allmählich höher, und der Wald hörte an manchen Stellen auf. Tief eingeschnittene Thäler eröffneten sich, Wildbäche rauschten von den Höhen hernieder, und über die niedrigeren Berge hinweg waren die Spitzen sehr hoher Gipfel im Hintergrunde zu sehen. Der Engländer stieg von seiner Tragbahre herab und ging eine Strecke zu Fuß. Zwar wollten die Schwarzen in ihrer bisherigen raschen Gangart bleiben, aber der Engländer, der nur langsam gehen konnte, fuhr sie drohend an, und sie bequemten sich, obwohl sie nicht verstanden, was jener sprach, seinen Gebärden zu gehorchen. Sie waren die Herren, und er war ihr Gefangener, aber so groß war die ihnen eingeborene Ehrfurcht vor der weißen Farbe, daß sie nicht wagten, seinem Willen entgegen zu handeln. Lord Adolphus Fitzherbert lehnte sich auf Pieter Maritz' Schulter und ging in vertraulicher Weise mit dem Knaben. Sein Benehmen gegen ihn hatte sich vollständig geändert. Mochte es nun der Respekt sein, den ihm dessen Reiten eingeflößt hatte, oder das Gefühl, in ihm den einzigen Genossen von gleichem Stamme zu haben, oder mochte auch das gute ehrliche Gesicht des Knaben Eindruck auf ihn gemacht haben -- genug, er behandelte Pieter Maritz in freundlicher Weise und fast wie seinesgleichen. »Wie schön ist diese Landschaft!« sprach er zu ihm. »Sehen Sie dort die blauen Bergeswipfel über die dunklen Schluchten emporragen und die rotglühenden Wolken sich an den Höhen festhängen! Sehen Sie dort den glitzernden Gießbach über den schwarzen Hang sich herabstürzen! Wie das schäumende Wasser zwischen den starren dunklen Felsen und Bäumen glänzt! Wahrlich, dies Land ist so schön wie nur irgend ein von Fremden gesuchtes Stück in den Alpen oder Pyrenäen in unserer Heimat, Europa.« Pieter Maritz sah den Sprecher verwundert an, begriff nicht, was der bleiche junge Mann mit seinem schwärmerischen Blicke dort in der Ferne suchen könne, und erwiderte lachend: »Das Land ist nicht schön, Mynheer. Es sind ja nichts als wüste Berge und unfruchtbare Bäume. Keine gute Weide für das Rindvieh, kein Gras für das Wild und kein Boden für Mais und Weizen!« Der Lord lächelte. »Also nur Weideland und Äcker finden Sie schön?« fragte er. »Gewiß,« versetzte Pieter Maritz. »Welche Landschaft sollte denn sonst schön sein? Drüben im Westen im Kreise Lydenburg und am Potschefstroom um Pretoria, auch im Norden, wo wir leben, dort ist es schön, aber dies ist ein wüstes und wildes Land.« »So ist der Geschmack verschieden,« sagte der Lord. »Bei mir zu Hause reisen die närrischen Leute aus dem flachen Lande fort in die Gebirge, um etwas Schönes zu sehen. Aber sagen Sie mir doch, Pieter Maritz, was werden die schwarzen Kerle mit uns machen? Sie kennen ja die Lebensgewohnheiten dieses Volkes. Ist es hier wohl Sitte, die gefangenen Feinde zu braten und aufzufressen?« »O nein,« sagte der Knabe, »das ist hier nicht Sitte, aber ich weiß wirklich nicht, was sie mit uns machen wollen.« »Oder wollen sie ein Lösegeld aus uns herauspressen? In Europa giebt es gewisse Völker -- man nennt sie Türken und Griechen -- welche gefangene Fremde einsperren und dann von ihren Freunden und Verwandten viel Geld für ihre Freilassung fordern. Ob diese Leute von jener schönen Sitte gehört haben?« »Das denke ich nicht,« sagte Pieter Maritz. »Ich glaube, wir sind in die Hände der Leute von Titus Afrikaner und Fledermaus gefallen. Denn dies ist die Gegend, von der man sagt, sie sei ihr Wohnsitz. Dies müssen die Drakensberge sein, und dort hausen diese Räuber. Aber da sie uns nicht gleich getötet haben, weiß ich nicht, was sie mit uns machen wollen.« »Sie meinen also wirklich, wir wären auf dem Wege zu diesen vielberufenen Räubern? Da habe ich ja gleich zu Anfang meiner afrikanischen Laufbahn interessante Erfahrungen zu machen. Nun, mein lieber Junge, es ist im Grunde alles eins. Dies ist wenigstens etwas Neues, und sicherlich ist das Schlimmste, was uns widerfahren kann, das, daß man uns umbringt, und damit sagen wir einer sehr langweiligen Welt Valet!« Pieter Maritz sah den Lord erstaunt an, denn er verstand durchaus nicht, was er sagte. »Aber was, meinen Sie,« fuhr der Engländer fort, »könnten wir thun? Sollte es sich nicht empfehlen, einen Streit mit unserer Wache anzufangen? Die Kerle haben so hübsche spitzige Spieße. Damit würden sie uns schnell erstechen können und wir ersparten uns vielleicht vielen Ärger, der uns bevorsteht. Wie wäre es, wenn wir stehen blieben, einem der Nigger den Spieß wegrissen und ihn niederstießen? Dann wäre ein hübscher, frischer Zank da.« Pieter Maritz schüttelte den Kopf. »Mynheer, ich glaube, der Sturz vom Pferde hat Euch etwas verrückt gemacht,« sagte er mit aufrichtigem Blick und Ton. »Denkt nicht an solchen Unsinn. Es wird schon alles wieder gut werden, wenn wir auf Gott vertrauen.« Der Lord sah den Knaben mit einem eigentümlichen Blicke an, worin sich eine Art von Rührung aussprach, und fing dann von anderen Dingen zu sprechen an. Bald ward er auch wieder müde und legte sich von neuem auf die Tragbahre. Die Gegend, durch welche sie zogen, ward immer wilder und rauher, und es ging beständig der Höhe zu. Oft freilich senkte sich der Weg ins Thal, aber nur um jenseits eine noch größere Höhe hinaufzuklimmen. Seitdem der Engländer sich wieder tragen ließ, ging es mit verdoppelter Schnelligkeit vorwärts, und Pieter Maritz hatte Mühe mitzukommen. Die schwarze Begleitung schien ein bestimmtes Ziel zu haben, welches sie heute noch erreichen wollte. Pieter Maritz war nicht leicht zu ermüden, sondern von großer Kraft und Ausdauer, dennoch ward es ihm sauer, mit den Schwarzen gleichen Schritt zu halten. Er war mehr an Reiten als an Fußmärsche gewöhnt, und seine schweren Stiefel hinderten ihn am Gehen, während die Kaffern mit ihren nackten Beinen und Füßen so leicht wie Gazellen über Berg und Thal liefen. Selbst die beiden Leute, welche den Engländer trugen und von Zeit zu Zeit abgelöst wurden, liefen mit größerer Leichtigkeit als der unbelastet einhergehende Buernsohn. Die Schwarzen bemerkten die Schwierigkeit, welche der Knabe hatte, um mitzukommen, und sie beschlossen endlich, dem abzuhelfen. Sie gaben ihm Zeichen, daß er zu Pferde steigen möge. Mit der größten Freude näherte sich Pieter Maritz dem treuen Jager und stieg mit einem wahren Wonnegefühl auf dessen Rücken. Der Engländer rief ihm von seiner Bahre aus einen Glückwunsch zu. Pieter Maritz fühlte sich wie neugeboren, als er im Sattel saß, und nicht nur der Genuß der Erholung nach dem langen raschen Marsche, sondern auch ein Gefühl der Sicherheit und der Kraft belebten seinen Mut. An eine Flucht freilich war nicht zu denken, denn nicht allein faßten zwei Kaffern Jagers Zügel von beiden Seiten, sondern es ging auch ein Trupp hinter dem Pferde her, den schmalen Weg durch das Gebirge hin rückwärts versperrend. Jetzt ging die Sonne unter, und die Wälder nahmen, ihres Lichtes beraubt, eine düstere Farbe an, welche daran erinnerte, daß die Stunden herankamen, zu welchen die Raubtiere auf Beute auszugehen anfangen und sich auch die Unthaten grausamer Menschen zu vollziehen pflegen. Dieser Zeitpunkt war um so unheimlicher, als er inmitten des Gebirges eintrat, wo die Gestaltung der umgebenden Landschaft wunderliche und drohende Formen im Verbleichen des Himmels und beim Eintreten der nächtlichen Schatten zeigte. Die Gefangenen erwarteten, daß Halt gemacht werden würde, um die Nacht im Scheine eines Feuers zu verbringen, aber die Schwarzen setzten ihren Weg trotz der Dunkelheit mit derselben Schnelligkeit fort. Es war erstaunlich, daß sie ihn zu finden wußten, denn kaum ließ das Sternenlicht hier die Biegung der Felsenwände, dort den eigentümlich gerichteten Stamm eines Baumes erkennen, der als Merkmal hätte dienen können. Auch war es kein gebahnter Weg, dem der Zug folgte, sondern bergauf bergab führte nur ein untrüglicher Instinkt der rechten Richtung durch waldiges wie offenes Terrain. So ging es unaufhaltsam weiter, während das Gebrüll der nun umherstreifenden Löwen gleich fernem Donner von Echo zu Echo im Gebirge hinrollte und die Pferde ängstlich schnaufen machte. Jetzt ging es durch eine Waldesschlucht über steiniges Geröll hin, in tiefer Finsternis, die gleichzeitig durch die hohen Wände zu beiden Seiten wie durch die von oben überhängenden Büsche verursacht wurde, und als der Zug aus dieser Schlucht hervorkam, lag eine silberglänzende Landschaft ausgebreitet da. Der Mond war hinter den fernen Bergen emporgestiegen und erleuchtete mit beinahe voller Scheibe Berg und Thal. Seine hellen Strahlen zitterten auf einem weiten stillen See, der einen zauberischen Anblick gewährte. Der Zug ging gerade auf den See zu und machte Halt. Nur wenig bewegt war das Gewässer, und wo sich sanfte Wellen regten, indem sie langhin schwellende kleine Furchen bildeten, da glänzte der gebrochene Spiegel der Oberfläche in weiß leuchtendem Schein. Im Hintergrunde schlossen mächtige schwarze Höhen, aus weiter Entfernung herüberragend, den hellen See ab, und die Schatten jener Berge setzten sich im Wasser fort bis zu der Stelle, wo das strahlende Bild des Planeten gleichsam in dem See schwimmend aus ihm hervorblickte. Der Engländer stützte sich auf den Arm und sah mit entzücktem Auge auf dies herrliche Bild. Sein mutiger Sinn, der die Gefahr ebenso verachtete wie die Vorsicht, ließ sich durch die Gefangenschaft nicht beugen und er genoß die Schönheit dieser erzwungenen Reise, als wäre er zu seinem Vergnügen mit aller Behaglichkeit des Reichtums in den Hochlanden Schottlands zur Jagd. Die Schwarzen setzten ihre Last nieder, und dann stieß ihr Führer dreimal den gellenden Ruf der schwarzen Gans aus, der seltsam über das stille Wasser dahintönte. Zugleich hatte ein anderer der Begleitung einen Feuerbrand entzündet und schwenkte ihn dreimal im Kreise umher. Nach einer Weile erschien auf dem See ein dunkler Punkt, der das silberne Licht durchschnitt und sich allmählich vergrößerte. Bald war auch das Plätschern von Rudern vernehmbar. Ein großes Boot von spitzer und gewaltig langer Form kam heran, von vier Schwarzen gerudert. Es stieß ans Land, und der Führer des Zuges wechselte mit den Bootsleuten einige Worte, worauf die Gefangenen in das schmale Schiff gebracht wurden und auch die schwarze Begleitung einstieg. Die beiden Pferde wurden ins Wasser geführt und mußten neben dem Boote schwimmen, wobei sie dadurch unterstützt wurden, daß ihre Zügel dicht am Maul gefaßt und die Köpfe emporgehalten wurden. Nach einer Fahrt von etwa einer Viertelstunde war das jenseitige Ufer erreicht, das Boot stieß an den Felsen, und alle stiegen aus. Die Bootsleute banden ihr Fahrzeug neben mehreren anderen an, die am Ufer lagen. Nur ein schmaler Platz, auf welchem Fuß gefaßt werden konnte, fand sich hier am Gestade, denn überall stiegen die Felsen mit drohender Steilheit empor. Doch fand sich jetzt nach einigen Schritten längs des Ufers eine Öffnung in der Bergwand, gleich einer verborgenen Thür, und nachdem eine kleine Strecke in den Berg hinein zurückgelegt worden war, drehte sich der Weg nach rechts, und es eröffnete sich plötzlich vor den überraschten Augen der Gefangenen eine weite hohe Höhle, welche hell erleuchtet war. Das Licht ging von einem großen Feuer in der Mitte des Raumes aus, und um das Feuer herum bewegten sich zahlreiche Gestalten. Die schwarze Begleitung hielt am Eingange der Höhle still und bedeutete auch die Gefangenen, hier zu bleiben und zu warten, der Führer aber ging in das Innere der Höhle, welche sich, wie es schien, weit in den Berg hinein erstreckte. Er wollte, wie es schien, dem Befehlshaber der hier hausenden Horde Bericht erstatten und dessen Weisungen einholen. Die Gefangenen sahen indessen dem Treiben um das Feuer zu. Augenscheinlich war eine Schar von Schwarzen erst vor kurzem von einem Raubzuge zurückgekehrt, denn es wurde ein Mahl zugerüstet, obwohl es schon spät in der Nacht war. Wohl fünfzig bis sechzig schwarze Gestalten waren um das Feuer und in dessen Nähe beschäftigt und glichen in dem roten Schein einem Heer von Teufeln. Dieser wilde Eindruck ward noch durch die Art ihrer Beschäftigung erhöht. Sie holten aus einer Abteilung der großen Höhle, welche seitwärts im Dunkel lag, von vielen dumpf brüllenden Ochsen ein fettes Tier heraus und führten es in die Nähe des Feuers. Dann rissen sie das Tier zu Boden, wälzten es auf den Rücken und banden ihm einen Strick an jeden Fuß. Diese Stricke zogen sie an, so daß die Beine so weit als möglich auseinander gebogen wurden, und pflöckten sie an kurzen Pfählen in den Boden, so daß der Ochse ganz unbeweglich liegen mußte. Alsdann trat ein Schwarzer mit einem blinkenden Messer heran und schnitt mit einem Zuge den Leib des Ochsen in der Mitte auf, ohne daß mehr als nur einige Tropfen Blutes vergossen wurden. Dann nahm er mit Hilfe eines andern Mannes die Gedärme heraus und übergab sie mehreren Weibern, welche sie in einem großen Kessel wuschen und alsbald ans Feuer setzten, damit sie gegessen würden, während der Ochse noch lebte. Während dessen rührten die Männer mit Stäben das in der Bauchhöhle zusammenfließende Blut um, so daß es nicht gerann, und warteten ab, daß das Tier, dessen Herz und andern edlen Teile noch lange in Bewegung blieben, völlig sterben würde. Die Kaffern standen aufmerksam umher und verwandten kein Auge von den sich bewegenden Organen. »Das sind geschickte Metzger,« sagte der Engländer zu Pieter Maritz, während er einen Blick des Abscheues auf die Scene richtete. »Unsere Metzger in London könnten von ihnen lernen. Aber ich wünschte, daß diesen schwarzen Teufeln selber der Leib aufgeschlitzt würde.« Pieter Maritz erwiderte nichts. Er kannte die Manier der Kaffern schon lange. Während nun aber die Schwarzen anfingen, mit großen Löffeln das Blut aus der Bauchhöhle herauszuschöpfen und in einen Kessel zu füllen, näherte sich den Gefangenen ihr Führer wieder und forderte sie auf, ihm zu folgen. Der Lord stützte sich auf des Knaben Schulter, um besser gehen zu können, und beide gingen an dem von jubelnden und tanzenden Schwarzen umgebenen Feuer vorbei in den Hintergrund der Höhle. Hier war ein Kreis von Männern versammelt, die ernst und schweigend auf ihren Fersen hockten und, wie es schien, einen bevorzugten Rang einnahmen, indem sie sich nicht an dem gemeinsamen Fest am Feuer beteiligten und auch besser gekleidet waren als die große Schar. Sie waren von sehr verschiedener Hautfarbe und Gesichtsbildung, so daß sie leicht als verschiedenen Stämmen angehörig zu erkennen waren. Einige waren braunrötlich, andere tiefschwarz, und sowohl die gebogene Nase des Kaffern wie die eingedrückte Nase des Hottentotten war hier vertreten. Sie trugen sämtlich schöne Mäntel von Tiger- und Pantherfellen und waren mit glänzenden Hals- und Armbändern geziert. Alle hielten Pfeifen in der Hand, aus denen sie Tabak rauchten, und sie tranken dazu abwechselnd aus einer großen Flasche, die in ihrer Mitte stand, ein Getränk, welches Pieter Maritz am Geruche schon als Arrak erkannte. Unter ihnen allen der Vornehmste war aber offenbar ein schon bejahrter Mann, der auf einer Art von Ruhebank lag, die mit Löwenfellen bedeckt war. Er war von sehr glänzender Hautfarbe, von einem Braun, welches dem des gerösteten Kaffees glich, und seine Haare waren stark mit Grau gemischt. Seine kohlschwarzen Augen waren unruhig und durchbohrend, seine Nase war breit, doch nicht platt gedrückt, der Mund vorstehend, mit aufgeworfenen Lippen, doch nicht so sehr, daß seinem Gesicht ein tierischer Zug verliehen worden wäre. Im Gegenteil hatte es einen klugen Ausdruck, denn Augen und Stirn beherrschten den unteren Teil. Dieser Mann trug eine Art von Tunika oder kurzem Gewand von weißer Wolle mit ganz kurzen Ärmeln, die nur eben die Achseln bedeckten, und an seinen muskulösen Armen glänzten breite goldene Ringe. Um den Hals trug er eine Kette von Löwenzähnen, die mit Golddraht zusammengehalten wurden, und ein Mantel von Löwenfell hing über seinen Rücken hinab. Um den Leib trug er einen Gurt von gesticktem Leder, an welchem ein Hirschfänger von europäischer Arbeit und außerdem ein kleines Messer mit Perlmutterschale steckten. Er stand auf und blieb vor seinem Sitze stehen, als die Gefangenen ihm vorgeführt wurden; diese sahen mit Überraschung, daß der Gebieter der großen wilden Schar nur von einer Statur unter Mittelgröße war. Mit drohendem Blicke musterte er den blassen Jüngling in dem zerrissenen Scharlachrock und den Knaben mit den blonden Locken und schüttelte gegen sie die erhobene rechte Faust, so daß die goldenen Armbänder klirrten. Dann rief er in holländischer Sprache, die er vollkommen gut redete: »Ihr seid in die Höhle des Löwen geraten, Söhne der treulosen und grausamen weißen Menschen! Bereitet euch zum Tode, ihr seid in der Macht des Titus Afrikaner!« [Illustration] Achtes Kapitel Unter den Räubern Als die beiden jugendlichen Gefangenen diese Drohung vernahmen und einen Namen hörten, welcher viele Meilen ringsum gefürchtet war und nur mit Schrecken genannt wurde, da zog wohl ein Gefühl des Todesbangens durch ihre Brust, aber ihr Stolz ließ es nicht zu, daß der Räuberfürst etwas von Furcht an ihnen bemerkte. Pieter Maritz trug den Kopf so aufrecht wie vorher, der Engländer, welcher aus Ton und Haltung den Sinn der Drohung verstanden hatte, richtete sich aus seiner gebeugten Haltung höher auf, und beide sahen mit unerschütterlicher Festigkeit dem zornigen Titus Afrikaner in die kleinen, funkelnden Augen. Gegenüber diesem dunkelfarbigen Volke regte sich das Blut des weißen Mannes in ihnen, und nichts hätte sie jetzt dahin bringen können, Demut oder gar Furcht zu zeigen. Titus Afrikaner beobachtete den Eindruck, den seine Worte gemacht hatten, und als er in der stolzen Haltung und den festen Blicken seiner Gefangenen deren unbeugsamen Trotz las, nahm seine Miene eine noch finstere Gestaltung an. »Seht da,« sagte er, sich zu seinen Offizieren wendend und in der Betschuanensprache redend, die vom Oranjefluß im Süden bis zum Limpopostrom im Norden verstanden wird, »seht da dies gefährliche Volk der weißen Männer. Diese hier sind noch Knaben, und ihr seht sie trotzig gleich erprobten Kriegern. Im Frieden treulos, habsüchtig und übermütig, im Kampfe zäh, ausdauernd und grausam, so sind die Feinde beschaffen, die Morimo in seinem Hasse gegen unser Volk zu uns übers Meer geführt hat. Die Griqua, die Koranna, die Namaqua, die Stämme der Kaffern und alle Stämme der ehemals mächtigen Betschuanen schmelzen vor den weißen Männern hinweg, wie das Fett des Ochsen am Feuer schmilzt. In Höhlen und auf den Bergen müssen die wenigen Tapferen sich verbergen, die nicht dem Zugstier gleich das Joch der Weißen auf dem Nacken tragen wollen. Darum keine Schonung! Ihr meint wohl, es sei gut, Tabak und Arrak, Gold und Silber zu erlangen, und ihr wolltet den Jüngling mit dem roten Rocke seinen Freunden zurückgeben, aber ich sage euch, einem wahren Krieger ist das Blut seiner Feinde der süßeste Anblick, und weder den Buernsohn noch den reichen Jüngling von den Truppen des englischen Gouverneurs soll die Hoffnung auf Lösegeld vom Tode retten.« Ein Gemurmel der Zustimmung kam aus dem Kreise der Offiziere hervor, und niemand wagte der Ansicht des Häuptlings zu widersprechen. Doch entging es seinem scharfen Auge nicht, daß mehrere seiner Untergebenen nur widerwillig zustimmten, insgeheim aber begehrliche Blicke auf den Engländer warfen, in denen zu lesen war, daß sie sich den Gewinn, der aus einem solchen Gefangenen zu ziehen sei, wohl überlegten. »Führt sie fort!« befahl Titus Afrikaner jetzt mit ruhiger Stimme, »und bewacht sie gut! Morgen werde ich ihr Urteil sprechen.« Ein Haufen von Schwarzen, welcher die Gefangenen umringte, führte sie dieser Weisung gemäß fort nach einem andern Teile der großen Höhle und gab ihnen zu verstehen, daß sie dort bleiben sollten. Hier war ein kellerartiger Raum aus der Felsenwand herausgesprengt, den einst zu Zeiten großer Erdbewegungen die geheimnisvollen Kräfte des Erdinnern gleich der ganzen Höhle hervorgerufen haben mußten. Nur schwach war hier das Licht, das von dem großen Feuer herüberdrang. Pieter Maritz und der Engländer standen schweigend in diesem Raume und dachten über ihr Schicksal mit traurigen Ahnungen nach. Doch erwiesen sich ihre Wächter menschlicher, als sie erwarteten. Die natürliche Gutmütigkeit der meisten jener Völker, welche die südafrikanischen Länder bewohnen, zeigte sich auch hier unter diesen Leuten, die doch Räuber waren. Zwei von ihnen trugen weiches Laub und Schaffelle herbei, auf denen die Gefangenen bequem ruhen konnten, ein anderer holte einen brennenden Ast herbei, der von einem harzigen Holze war und gleich einer Fackel leuchtete. Diesen Ast steckte er in ein Loch in der Felsenwand, so daß der Kerker erhellt ward. Und endlich schleppten andere Leute einen Topf mit Brühe und gekochtem Fleisch, sowie große Stücke des frisch gebratenen Ochsen herbei und gaben den Gefangenen reichlich davon ab, während sie selber schmausten. So saßen Kerkermeister und Gefangene zusammen und teilten ihr Mahl, als seien sie die besten Freunde. Sowohl Pieter Maritz als der Engländer waren so erschöpft von der Reise und so hungrig, daß die körperliche Natur über die traurigen Vorstellungen ihres Geistes siegte und sie es sich gut schmecken ließen. Ja, als er gegessen hatte, ließ Lord Adolphus Fitzherbert den Hornlöffel, womit er in Gemeinschaft mit den Schwarzen aus demselben Topfe hervorgelangt, mit lautem Lachen in den Topf zurückfallen. »Dies ist eine Komödie ohnegleichen!« rief er. »Was würden meine Freunde im Klub in London dafür bezahlen, wenn sie Eintritt erlangen könnten, mich so zu Abend essen zu sehen!« Pieter Maritz sah und hörte verwundert dies Lachen und diese Worte, und da er weder von einer Komödie noch von einem Klub jemals gehört hatte, wußte er nicht recht, was er denken sollte. »So ist das Leben!« sagte der Lord dann ernsthaft. »Entweder langweilt es uns zu Tode, oder es wirft uns wie einen Spielball umher, so daß wir bald hoch oben in Lüften tanzen, bald unten im Kot liegen. Seien wir froh, daß die Geschichte aus ist, mein junger Freund aus dem holländischen Lager! Morgen sehen wir die Sonne nicht wieder untergehen, und alle Langeweile und aller Ärger sowie alle trügerischen Freuden haben ein Ende.« »Ist es nicht Sünde, so zu sprechen?« fragte Pieter Maritz mit einem treuherzigen Blick seiner blauen Augen. »Weshalb sollte das Sünde sein?« fragte der Engländer. »Der liebe Gott will, daß wir unsere Pflicht thun,« entgegnete der Knabe. »Wir sollen unserm Vaterlande dienen und unsern Eltern Freude machen. Das können wir doch nicht, wenn wir tot sind.« »Sehr wahr,« sagte der Engländer lächelnd. »Nun, es hilft auch alles Überlegen und Denken und Sprechen zu nichts. Alles kommt, wie es kommen soll.« »Wir wollen beten,« sagte der Knabe sanft und voll Andacht. »Wir wollen Gott bitten, daß er uns hilft, dann wird er uns helfen, wie er Daniel in der Löwengrube half -- und unsern Pferden möge er auch helfen!« Nach diesen Worten kniete er nieder und sprach das Vaterunser. Er sprach es mit solchem Ernst und solcher gläubigen Zuversicht, daß das Gebet tiefen Eindruck auf den Lord machte, obgleich er die Worte nicht verstand. Zu Anfang lächelte er, dann aber ward er ernst und betrachtete den frommen Knaben mit Bewunderung. Pieter Maritz legte sich, nachdem er gebetet hatte, nieder, und bald verrieten seine tiefen ruhigen Atemzüge, daß er schlief. Lord Adolphus Fitzherbert wollte ihm nachahmen, aber trotz aller Müdigkeit blieb er noch lange wach. Er dachte an die Heimat und ein blondlockiges junges Mädchen mit Rehaugen. Niemals, so dachte er, würde er das Mädchen wiedersehen. Endlich ward aber auch er von den unaufhörlichen Klängen einer Musik eingewiegt, die von der fröhlichen Versammlung der Schwarzen zu ihm herübertönte. Mit den bald wehmütigen, bald kreischenden Klängen der Kalabaßviol mischte sich der Ton der Mundharmonika, und die mit Ochsenfleisch vollgestopften Räuber tanzten nach den einförmigen Melodien die ganze Nacht hindurch, als hätten sie nicht den Tag vorher beim Viehraub gar manche Meile durch Berg und Thal zurückgelegt. Als die Gefangenen wieder erwachten, wußten sie nicht, ob es früh oder spät am Tage sei, denn nur ein dämmerndes Licht herrschte an ihrem Aufenthaltsorte, und sie hätten nicht sagen können, woher es kam. Vielleicht fiel es durch Spalten in der obern Decke der großen Höhle herein und verbreitete sich bis in ihren Winkel. Die Fackeln waren erloschen, der rote Schein des großen Feuers leuchtete nicht mehr. Doch lagen noch zwei der Schwarzen, welchen ihre Bewachung übergeben worden war, quer in dem Eingange zu ihrem Gefängnis und schienen zu schlafen. Sie lagen auf ihren Mänteln von Tierfell am Boden, den Assagai neben sich und versperrten ihrer Länge nach den Eingang, eine lebendige Schwelle, über welche die Gefangenen hätten hinwegschreiten müssen, wenn sie hätten fortgehen wollen. Aber sie dachten nicht daran. Ihr Aufenthalt war so beschaffen, daß sie an Flucht vorläufig nicht denken konnten. Unbekannt mit dem Orte, wo sie sich befanden, wußten sie nur, daß Hunderte von Männern in der Höhle lagerten und daß vor dieser Höhle ein See sich erstreckte. Während sie aber nach dem Erwachen ihre Gedanken miteinander austauschten und, trüben Ahnungen hingegeben, nur leise miteinander sprachen, entstand in der großen Höhle plötzlich Leben und Bewegung. Viele Stimmen wurden laut und der Klang von Waffen scholl herüber. Die am Boden liegenden Wächter richteten sich auf und lauschten. Mit den Augen war nichts zu erkennen, da es nicht hell genug war, doch konnte das Ohr wohl wahrnehmen, daß etwas Ungewöhnliches vorgehen müsse. Es währte auch nicht lange, so erschien eine Anzahl von bewaffneten Männern im Dämmerlicht der Höhle und näherte sich den Gefangenen. »Man will uns holen,« sagte der Engländer zu dem Knaben. »Dies möchte wohl unsere letzte Stunde sein. Ich bin wirklich neugierig, zu sehen, in welcher Weise diese Niggers Hinrichtungen zu vollziehen pflegen. Wären wir fetter, so möchte ich doch wohl zu der Ansicht neigen, daß man uns rösten und fressen will.« Pieter Maritz schüttelte den Kopf. Tiefer Ernst lag auf seinem Gesicht, aber seine Augen blitzten von so mutiger Entschlossenheit, daß der im Galgenhumor scherzende vornehme junge Mann ihn von neuem mit hoher Achtung ansah. Inzwischen war der bewaffnete Trupp ganz nahe herangekommen, und die Gefangenen erkannten, daß Titus Afrikaner selbst an ihrer Spitze war. An seiner Seite stand ein Mann, den sie tags zuvor noch nicht gesehen hatten. Dieser war eine so bemerkenswerte Erscheinung, daß sie ihn gewiß nicht vergessen haben würden, wenn er am vergangenen Abend mit im Kreise des Häuptlings gewesen wäre. Er hatte an Hautfarbe und Gesichtsschnitt große Ähnlichkeit mit Titus Afrikaner, doch war er größer und stärker gebaut. Er trug eine Mütze von dunkelgrauem Affenfell auf dem schwarzen krausen Haar, und um seine Hüften schlang sich ein Mantel von demselben Stoff. Er trug an seinem nackten rechten Arm, der frei aus dem Mantel hervorsah und dessen Hand den Lauf einer Büchse umschloß, ähnliche goldene Ringe wie der Häuptling selber. Etwas Vornehmes und Gebieterisches in seiner Haltung wie die eigentümliche Farbe seines Anzugs brachten Pieter Maritz auf die Vermutung, daß dies der Bruder des Häuptlings, daß es Fledermaus sei. Titus Afrikaner richtete das Wort an die Gefangenen. »Dies ist der Tag, an welchem ihr sterben müßt,« sagte er. »Aber ihr sollt noch lange genug leben, um zu sehen, wie die Basutofürsten im Kampfe ihre Feinde schlagen. Die Weißen sind heimtückisch und treulos, sie töten die Schwarzen, die mit ihnen ein Bündnis geschlossen haben, aber die Basuto töten ihre Feinde im offenen Kampfe. Die Buern ziehen die Berge heran, um ihr Vieh wiederzuholen. Sie sollen ihre eigenen Leiber in den Bergen liegen lassen.« [Illustration: Titus Afrikaner und seine Gefangenen.] Pieter Maritz wußte im ersten Augenblicke nicht, wie er die Worte des Räubers verstehen sollte. Hatte dieser wirklich gemeint, jetzt, zu dieser Stunde, seien die Buern im Anzug, oder hatte er sich nur bildlich und allgemein ausgesprochen? Sein Herz klopfte mächtig in der Brust. Der Gedanke, möglicherweise könnten seine Landsleute in der Nähe sein, erweckte die schlummernde Hoffnung von neuem. Es war ja sehr denkbar, daß die Buern der Umgegend, denen am Tage vorher eine ganze Herde Ochsen geraubt worden war, sich versammelt und auf den Marsch gemacht hätten, um das Ihrige wiederzuholen und an den Räubern Rache zu nehmen. Er selber hatte schon solche Kommandos begleitet, und bei einem solchen Zuge war es gewesen, daß sein Vater die tödliche Wunde erhalten hatte. Er betrachtete den Häuptling und sah, daß dessen Anzug geändert war. Titus Afrikaner hatte die weiße Tunika abgelegt und sich dafür mit einem Karoß, dem kleinen Fellschurz, umgürtet. Er trug eine Büchse in der Hand und einen Patronengurt über der nackten, muskulösen Brust. Auch den weiten faltigen Löwenfellmantel hatte er abgelegt und dafür ein leichtes und engeres Gewand von Leopardenfell um die Schultern geworfen. Seine nackten Beine waren unterhalb der Kniee mit einem Riemen umgürtet, von welchem weiße Zipfel, aus dem Fell des kleinen gestreiften Maushundes geschnitten, bis auf die Knöchel herabbaumelten. Es war zu erkennen, daß er sich zum Kampfe gerüstet hatte. Pieter Maritz teilte dem Lord den Inhalt der Rede des Häuptlings mit, und alsbald traten mehrere der Schwarzen heran, banden den Gefangenen die Hände mit Riemen auf den Rücken und nötigten sie, dem Zuge der Krieger zu folgen, welche sich nach dem hinteren Teile der Höhle begaben. Es ging in einen engen Gang hinein, der vielfach gewunden war und bergauf stieg, aber allmählich heller ward, indem die Felsen sich oben auseinander thaten und dem blauen Himmel Einblick vergönnten. An mehreren Stellen dieses schmalen, aber nun oben offenen Ganges waren erweiterte Plätze, und hier lagen riesige Steinblöcke, mit denen der Gang selber verschlossen werden konnte, wenn etwa Feinde diesen Schlupfwinkel entdecken und angreifen sollten. Doch war die Gefahr eines solchen Angriffs nur gering, das sahen die Gefangenen, als sie an das Ende des schmalen Ganges gelangten. Sie hatten eine weite Fernsicht, als sie an dessen Ausgang kamen und die dichte Masse der vor ihnen herziehenden Schwarzen sich nun abwärts in das vor ihnen liegende Thal hinab verlor. In unbegrenzter Weite dehnte sich vor ihren Blicken der strahlende blaue Himmel aus, und unten lag Berg an Berg, Thal an Thal, teils in blauem Dufte verschwimmend, teils mit Grün überkleidet in der Nähe zu ihren Füßen. Es wäre wohl ein herrlicher Anblick für sie gewesen, wenn nicht die Aufregung über das eigene Geschick sie so sehr beschäftigt hätte, daß sie keine Aufmerksamkeit auf die Schönheit der sie umgebenden Welt verwenden konnten. Dennoch fühlte sich ihr betrübtes Gemüt durch die helle Sonne und den Glanz der Landschaft nach dem Aufenthalt in der Höhle erfrischt und gehoben. Der schmale Gang mündete in der Nähe des Gipfels eines hohen Berges, oberhalb eines steilen Abhanges, und der Berg, in welchem die Höhle lag, zeigte sich von dieser Seite in einer ganz andern Gestalt als von der Seite, auf welcher die Gefangenen am vergangenen Abend in die Höhle hineingekommen waren. Sie waren allmählich zur Höhe hinangeklommen und hatten nicht bemerkt, wie hoch und schroff der Berg war, der auf seiner westlichen Seite von einem Gebirgssee bespült wurde, während er im Osten seinen Hang jählings in eine große Tiefe neigte. Vor ihnen kletterte die lange Reihe der Schwarzen auf einem sehr engen Wege im Zickzack in das Thal, und sie sahen von oben in Hunderte von krausen Wollköpfen mit Federschmuck und Hunderte von Speerspitzen hinab, hinter ihnen kam wiederum eine lange Kette von Bewaffneten, deren letzte Glieder noch im Berge versteckt waren, als die Gefangenen bereits einen guten Steinwurf weit vom Ausgang der Höhle entfernt hinunterstiegen. »Ein schlauer Fuchs ist dieser Niggerhäuptling,« sagte der Lord. »Er hat mehrere Eingänge zu seinem Bau, und der Teufel selbst sollte nicht ahnen, wie das Ding von hinten aussieht, wenn er es nur von vorn gesehen hat. Doch finde ich es frech, daß er aus dem sicheren Versteck heraus ans Tageslicht kommt, um sich draußen zu schlagen.« »Er ist kühn,« entgegnete Pieter Maritz, »aber doch handelt er vorsichtig, dem Feinde entgegenzugehen, denn er will ihn wohl fern von seiner festen Burg halten und bewahrt sich diese für die letzte Not auf.« Der junge Lord sah im hellen Tageslicht höchst traurig aus, von seiner glänzenden Erscheinung war nichts übrig geblieben. Mitleidig sah der Knabe ihn an. Der Scharlachrock war völlig beschmutzt und hing, da ihm die Knöpfe fehlten, formlos herab. Lehm und Wasser, der schwarze Boden der Höhle und der fettige Schmutz der Lagerfelle hatten ihm seine schöne Farbe nur an wenigen Stellen gelassen, und die Fetzen hingen herunter. Der Kopf war bloß, nur mit dem großen Pflaster bedeckt, welches der Kaffernarzt ihm aufgelegt hatte. Dies Pflaster war schwarzbraun und zog sich bis zur Augenbraue hin. Das Gesicht war sehr bleich infolge der Anstrengungen, der Aufregung und der Verwundung. Nur der Ausdruck seines Gesichts war noch von dem alten Stolz durchdrungen. Auch Pieter Maritz war in seiner äußeren Erscheinung nicht unberührt von den Ereignissen der letzten Tage geblieben. Seine Bluse hatte mehrere Risse. Aber dieser dunkle, ungemein derbe Anzug konnte mehr vertragen als die Uniform des Engländers, und weder das lederne Beinkleid, noch der Rock, noch der breitkrempige Hut hatten ernstlichen Schaden genommen. Der Knabe sah die Sonnenstrahlen auf des jungen Mannes Kopf niederscheinen und bemerkte, wie dieser mit den Augen blinzelte und wie sein Gesicht sich nach und nach mit einer ungesunden Röte bedeckte. »Nehmt meinen Hut, Mynheer,« sagte er, dem Lord seine eigene Kopfbedeckung anbietend. Und mit diesen Worten gab er einem der begleitenden Schwarzen den Auftrag, den breiten Hut auf des Engländers Kopf zu setzen. Denn der Gefangenen Hände waren ja gefesselt. »Ich kann es eher vertragen,« sagte er lächelnd, als der Lord das Erbieten nicht annehmen wollte. Der Lord ließ es sich gefallen und ging, vor der Sonne besser geschützt, frischeren Mutes weiter. Eine Thräne dankbaren Gefühls drängte sich ihm ins Auge. Der Weg, auf welchem die lange dünne Kolonne marschierte, bog sich auf der halben Höhe des Berges plötzlich zur Seite, und nun ging es in einer Richtung weiter, welche der bisher verfolgten gerade entgegengesetzt war. Nach einem halbstündigen Marsche durch ein sehr baumreiches Thal, während dessen sich die langgezogene Reihe mehr zusammengeschlossen und zu dicken Haufen geballt hatte, ging plötzlich ein Ruf durch die Masse hin, und der Zug stockte. Die Gefangenen sahen, daß Titus Afrikaner, der inmitten seiner Schar gegangen war, nach vorn eilte. Es schien eine Störung in dem Plane, den er verfolgte, eingetreten zu sein. Nicht lange darauf ward eine Änderung getroffen. Titus Afrikaner kehrte zurück und versammelte um seine Person alle mit Gewehren bewaffneten Männer, deren es nur etwa zwanzig gab, dazu einen gleich starken Haufen von Speerträgern und bog mit dieser kleinen Schar nach rechts ab. Die Gefangenen mußten ihm folgen. An die Spitze des größeren Haufens, der über vierhundert Köpfe stark war, stellte sich der Häuptling mit dem grauen Mantel, er allein mit einer Büchse bewaffnet, und führte diese Hauptmasse der Streiter in der bisherigen Richtung weiter. Pieter Maritz hatte von einem der begleitenden Kaffern erfahren, daß dieser Häuptling in der That der Bruder des Anführers, der berühmte Fledermaus, sei. Es ging unter der Leitung des Titus Afrikaner eine Höhe hinan, welche mit Buschwerk und einzelnen niedrigen Bäumen bestanden war, die gleich Kandelabern ihre Äste emporstreckten, und nach etwa viertelstündigem Steigen war der Rücken des Berges erreicht. Die Sonne stand jetzt schon hoch, und Pieter Maritz sah, daß es nicht weit von der Mittagsstunde sein könnte. Da er noch nichts gegessen und getrunken hatte, fühlte er sich sehr hungrig und durstig. Noch mehr als er aber litt der junge Lord, der weniger als der Buernsohn an Entbehrungen gewöhnt war. Doch hielt ihr Stolz beide davon ab, um Speise zu bitten. Der Berg, auf welchem sie sich befanden, zog sich in langgestrecktem Zuge hin, aber der Marsch ward nicht in derselben Richtung fortgesetzt, sondern Titus Afrikaner wandte sich jetzt links, so daß er in derselben Richtung vorging, in welcher sein Bruder unten im Thale marschierte. Es ging noch eine Weile vorwärts, und nun sahen die Gefangenen blaues Licht durch das Unterholz vor sich scheinen und erkannten, daß der Berg sich dort schroff hinabsenkte. Ein Abhang von ziemlicher Steilheit lag vor ihnen, und von dem Rande desselben konnten sie weit hinaus in tiefer liegendes Hügelland sehen. Dieser Saum des Abhanges war noch mit Bäumen und Büschen besetzt, und im Versteck derselben ließ Titus Afrikaner seine Schar halten, trat hinter den Stamm einer der kandelaberförmigen Euphorbiazeen und lugte ins Land hinaus. Von Begierde getrieben, zu erfahren, was im Werke sei, näherten sich auch die Gefangenen dem Saume des Abhangs und blickten hinaus, doch hielten sie sich hinter einem Busch verborgen, um nicht den sie bewachenden Männern Anlaß zur Unzufriedenheit zu geben. Pieter Maritz beobachtete den Führer und sah, daß dieser mit unverwandtem Blick seiner schwarzen funkelnden Augensterne auf eine bestimmte Stelle in der Entfernung blickte. Er folgte mit seinem Blicke und erkannte nun mit tiefer Bewegung zwei dunkle Streifen, die sich gleich Würmern über ein grünes Tuch nebeneinander hin bewegten. Sein scharfes, geübtes Auge erkannte aus der Schnelligkeit, mit welcher diese Streifen herankamen, und aus der Gestalt, welche sie hatten, die wahre Natur ihrer Erscheinung. »Seht dort, Mynheer,« flüsterte er dem Engländer zu, mit dem Kopfe winkend, »dort kommen die Buern.« Der Lord sah mit Anstrengung aller seiner Sehkraft hinüber. »Ich sehe nichts,« sagte er. »Seht doch,« sagte der Knabe. »Seht dort die schwarzen Streifen, so lang wie ein Finger und eine Handbreit von einander entfernt. Der eine ist mehr oben, am Rande des dunklen Waldes, der andere mehr unten auf der grünen Fläche. Und seht doch nur! Jetzt könnt Ihr einzelne schwarze Punkte erkennen, die vor den Streifen herziehen. Das sind einzelne Reiter, die den Weg aufsuchen und nach Feinden spähen, die Streifen aber sind zwei Haufen meiner Landsleute. Seht, wie sie wachsen, sie reiten schnell, seht doch nur, sie kommen hierher.« »Ich sehe wahrhaftig nichts,« entgegnete der Engländer. »Meine Augen sind nicht scharf genug, wie mir scheint, und ich habe kein Fernrohr, könnte es ja auch nicht gebrauchen, da ich keine Hand frei habe.« Titus Afrikaner indessen hatte den herankommenden Feind so gut wie der Buernsohn genau erkannt. Seine Faust umklammerte das Gewehr mit festem Griff, so daß die Muskeln seines Armes emporschwollen, sein Kopf war vorwärts geneigt, und sein Blick glich dem eines Raubtiers. Jetzt wandte er sich zu den Gefangenen und zeigte mit dem Finger in die Ferne. »Dort kommen sie,« sagte er mit grausamem Lächeln, »die weißen Männer, eure Väter und Brüder, kommen. Ob sie euch wohl helfen werden? Sie kommen, um den armen schwarzen Mann zu jagen. Sie sehen ihn für ein Wild an, das man in den Bergen schießt. Aber Titus Afrikaner und Fledermaus haben Krallen und Zähne. Das werdet ihr sehen. Sie sind Löwen und werden den Jäger fressen.« Dann wandte er sich zu seinen Kriegern, die ringsum im Grase lagen und mit ihren glänzenden Augen seine Bewegungen verfolgten, und sprach zu ihnen in einer Sprache, welche Pieter Maritz nicht verstand. »Was hat der schwarze Kerl gesagt?« fragte der Lord. »Hat er uns ein Frühstück angeboten? Ich muß gestehen, daß ich für eine Flasche gut gekühlten Champagner und ein Antilopensteak gern die Hälfte des mir noch zur Verfügung stehenden Lebens gäbe.« Er ließ sich müde auf die Erde nieder und starrte vor sich hin. Pieter Maritz hatte unverwandt hinabgesehen. »Seht doch nur,« rief er jetzt, »sie sind so nahe gekommen, daß Ihr sie sicherlich sehen könnt. Ich kann sie beinahe zählen, es müssen ihrer fünfzig bis sechzig Buern sein.« Der Lord wandte den Kopf. »Wahrhaftig, jetzt sehe ich sie auch,« sagte er lebhaft. »Sie kommen hierher. Aber Ihr müßt Augen haben, mein holländischer Freund! Ich wüßte doch auch jetzt noch kaum zu sagen, ob's Krähen oder Menschen wären. Doch was nützt es uns? Sollten die Buern die Niggers unterkriegen, so sticht uns dieser Titus Afrikaner aus Ärger tot, kriegen aber die Niggers die Buern unter, so bringt er uns zum Vergnügen um. Doch darum keine Sorge, lieber Freund. Alt-England für immer -- und meinetwegen Alt-Holland auch! Wenn wir nur einmal darauf trinken könnten!« Nach diesen Worten sah er gleichgültig auf die Schar der schwarzen Krieger, die ihm, wie sie so im grünen Grase lagen, mit ihren glänzenden fettigen Körpern gleich riesigen Waldschnecken erschienen. Pieter Maritz blieb stehen und verwandte den Blick nicht von den heranreitenden Buern. »Wenn ich ihnen nur ein Zeichen geben könnte, wo wir sind,« sagte er leise. »Es wäre schrecklich, wenn sie in einen Hinterhalt fielen. Ich weiß nicht, wo Fledermaus geblieben ist, aber ich denke mir, er ist dort unten im Dickicht versteckt und soll die Reiter überfallen oder auf sich ziehen und dann in solcher Richtung hinter sich her locken, daß Titus Afrikaner sie von der Seite angreifen kann.« »Sollten die Niggers wirklich so schlau sein?« fragte der Lord ungläubig. »Das wäre ja eine Taktik, als hätten sie die Militärakademie besucht.« »Was ist das, eine Militärakademie?« fragte der Knabe. »Das ist eine Schule bei mir zu Hause, wo die jungen Offiziere lernen, wie man Krieg führt.« »Kann man das in der Schule lernen?« fragte Pieter Maritz lachend. »Wir lernen das im Kampfe von unsern Vätern.« »Vielleicht habt ihr die bessere Manier,« sagte der Lord. »Aber bei mir zu Hause herrscht die schöne Sitte des Umherziehens im Lande und des Viehstehlens nicht, und da müssen wir es wohl in der Schule lernen; wenigstens die Anfangsgründe. Denn später lernen wir es auch, indem wir auf dem Felde Krieg spielen -- was wir Manöver nennen -- und dann in den Kolonien im wirklichen Kampfe mit Niggern, Indern, Malaien und allen möglichen bunten Völkerschaften der ganzen Erde. Denn unsere Truppen sind überall, wir beherrschen den größten Teil der Welt.« -- »Jetzt reiten sie langsamer, das ist klug,« sagte Pieter Maritz. »O könnte ich ihnen doch ein Zeichen geben! Aber es ist zu weit, und sie würden es nicht verstehen, wenn ich winkte. Wollte ich ihnen aber entgegenlaufen, so würde mir von hinten gar bald ein Wurfspieß folgen.« Der Lord erhob sich wieder, von Teilnahme an den bevorstehenden Ereignissen trotz seiner Erschöpfung ergriffen, und spähte hinab. »Ja, sie reiten langsamer,« sagte er. »Sie sind noch einen Kanonenschuß weit entfernt. Aber ich begreife nicht, was sie zu Pferde wollen. Sie denken doch nicht etwa daran, mit Niggern im Walde zu Pferde zu kämpfen?« »O nein,« sagte der Knabe. »Sie werden schon wissen, was sie zu thun haben.« »Aber es sind ihrer so wenige. Was wollen fünfzig bis sechzig Leute? Hier sind doch wohl zehnmal so viel.« »Es sind Buern!« sagte der Knabe stolz. »Ein Buer gegen zehn Kaffern ist schon eine starke Übermacht.« »Ihr habt ein schönes Selbstvertrauen,« sagte der Lord kopfschüttelnd. Titus Afrikaner lehnte ruhig an dem Stamm des Baumkandelabers und beobachtete die Scene dort unten. Die Buern waren noch in zwei Haufen geteilt, die einen Büchsenschuß weit voneinander entfernt ritten, und drei Reiter waren jedem der Trupps voraus und durchsuchten das Terrain, damit nicht ein unerwartetes Zusammentreffen mit den Räubern stattfände, deren Anwesenheit in dieser Gegend ihnen bekannt war. Als sie das weite, offene Thal durchmessen hatten und sich nun dem waldigen Teil des höheren Gebirges näherten, verringerte sich die Eile, mit welcher sie sich bis jetzt vorwärts bewegt hatten; sie ritten im Schritt an der Höhe vorbei, auf welcher die Gefangenen waren, und auf einen Wink der vorausgesandten Späher machten sie, noch außer Schußweite, Halt. Ein Wald war vor ihnen, derselbe Wald, in welchem Fledermaus mit der Hauptmasse vorgerückt war, und die kundigen Buern wagten sich nicht ohne Vorsichtsmaßregeln weiter. Sie hielten weit genug vor dem unübersichtlichen Thale still, und mehrere Männer stiegen ab, übergaben ihre Pferde den Kameraden und gingen, die Büchse schußbereit in der Hand, vorsichtig vor. Die Gefangenen konnten deutlich den Anzug und die Waffen der Buern erkennen. Sie trugen alle den breitkrempigen Hut, der so gut vor den Sonnenstrahlen schützt und ein bequemes, sicheres Zielen begünstigt, und waren alle mit dem Patronengurt über der Bluse und dem Hirschfänger ausgerüstet. Titus Afrikaner machte eine Bewegung der Ungeduld und blickte nach dem Walde hin, der das Thal linker Hand erfüllte und aus diesem hervor dort unten in die Ebene vorsprang. Da, mit einem Male, mußten die Buern etwas entdeckt haben. Die zu Fuße vorangehenden Leute blieben plötzlich stehen und verschwanden dann im Buschwerk. Nun stieg ein weißes Rauchwölkchen von der Stelle auf, wo sie verschwunden waren, ein schwacher Knall scholl herauf, und alsbald saßen sämtliche Buern ab, vereinigten sich aus beiden Trupps zu einer langen Linie mit weiten Zwischenräumen und rückten mit Ausnahme einiger weniger, welche die Pferde hielten, gegen das bewaldete Thal vor. Atemlos sahen die Gefangenen zu -- da, plötzlich, erscholl ein wildes Geheul unten im Thale, und aus dem Walde hervor stürzte eine lange dichte Reihe schwarzer Krieger, die Speere schwingend und die Schilde vor die Brust haltend. Allen voran lief eine Gestalt in fliegendem, grauem Mantel, der Häuptling Fledermaus, der wirklich in seiner Erscheinung, wie er so aus dem Walde hervorkam, dem unheimlichen Tiere glich, dessen Namen er trug. Die Schwarzen stürzten sich mit Kriegsgeschrei auf die Buern, so viele gegen so wenige -- aber nun entstand dort unten ein eigentümliches Bild. Die Buern waren nicht mehr zu sehen, es war, als hätte der Erdboden mit seinem hohen Grase, seinen dichten Büschen und den Felsblöcken, die zerstreut umherlagen, sie verschlungen. Aber hier und da, erst einzeln, dann immer häufiger stiegen hinter den Felsblöcken, hinter den Büschen, hinter den Stämmen der Bäume Rauchwölkchen auf, und der Knall vieler Schüsse drang aus der Entfernung empor. Unter den Schwarzen aber entstand alsbald Verwirrung. Es war, als hätte ein Taumel sie ergriffen. So viel Rauchwölkchen aufstiegen, so viel schwarze Krieger stürzten zu Boden, und die in der Nähe der Fallenden liefen seitwärts und stockten im Angriff. »Wie diese Buern schießen!« rief der Lord voll Bewunderung. Er war so von dem Schauspiel in Anspruch genommen, daß er die eigene Ermüdung und die Gefahr seiner Person vergessen hatte und mit weit geöffneten Augen, vorn übergeneigt, nur noch den Kampf sah und nur noch an den Kampf dachte. Pieter Maritz war in derselben Spannung, und unwillkürlich zuckten seine Hände in den Banden. Jetzt wandten sich die Schwarzen, um in den Wald zurückzukehren. Der Angriff war mißlungen oder ward vielleicht mit Absicht so früh aufgegeben, und während viele schwarze Gestalten draußen auf dem Boden liegen blieben, tauchte die Masse wieder in das deckende Grün ein und entschwand dem Blick. Langsam und schrittweise rückten jetzt die Buern vor, indem sie einzeln nach und nach aus ihren Verstecken hervorkamen. In diesem Augenblick hörten die Gefangenen einen zischenden Ton, wie ihn die ~cobra capella~, die gefürchtete Brillenschlange, ausstößt, wenn sie, um auf den Feind zu stoßen, den Leib aufrichtet und mit vorgestrecktem Kopfe den Hals aufbläht, und als sie nach Titus Afrikaner blickten, von dessen Platze aus der Ton gekommen war, sahen sie den Häuptling seine Büchse schwingen und seinen Gefährten winken. Er schien gewachsen zu sein: seine kleine Figur dehnte sich, und die Kampflust schwellte seine Sehnen. Er zeigte nach dem Hange hin und eilte alsbald mit leichtem, weitem Schritte die Höhe hinab, gleichsam hingleitend durch das Buschwerk, das den steilen Abfall des Berges bedeckte. Hinter ihm folgten seine Krieger, und auch die Gefangenen wurden genötigt, zu folgen, indem die letzten beiden Schwarzen sie in die Mitte nahmen. Die Richtung, welche Titus Afrikaner einschlug, mußte den Trupp gerade zwischen die Linie der Buern und den Haufen ihrer ledigen Pferde führen. [Illustration] [Illustration] Neuntes Kapitel Morimo Der Abhang war so steil, daß die Gefangenen nur mit Mühe den eilig voranschreitenden Kriegern folgen konnten. Denn da ihre Hände gefesselt auf dem Rücken lagen, konnten sie weder zu ihrer Stütze die Zweige der Büsche erfassen, noch auch nur durch die Bewegung der Arme das Gleichgewicht des Körpers erhalten; dazu wurden sie durch ihre Stiefel gehindert. Mehr als einmal waren sie dem Sturze nahe, während die Schwarzen vor ihnen mit ihren nackten Beinen und Füßen so leicht wie Springböcke hinabeilten. Der Zwischenraum, der die Gefangenen von der Spitze des Trupps trennte, ward immer größer, und mehrmals mußten die sie begleitenden Speerträger sie stützen oder vorwärts ziehen. »Könnte ich doch nur ein Zeichen geben!« stöhnte Pieter Maritz schmerzlich. »Titus Afrikaner führt seine Schützen den Buern in den Rücken. Aber wenn ich auch mein Leben opfern und laut rufen wollte, so würde es doch nichts nützen. Die Buern würden es nicht hören, denn sie sind zu weit entfernt, und wenn wir erst nahe genug sein werden, dann ist es zu spät, denn dann können die Räuber auch schon schießen.« Aber während der Knabe noch so sprach, fühlte er, daß unter dem beständigen, teils unabsichtlichen Zerren seiner Hände an den fesselnden Bastseilen diese Fessel sich lockerte. Er that einen kräftigen Ruck, und seine starken, harten Hände hatten den letzten Halt zerrissen und waren frei. Ohne sich zu besinnen, ohne an die Gefahr für ihn selbst zu denken, steckte er zwei Finger in den Mund und ließ mit voller Macht seiner Lungen einen langhin gezogenen gellenden Pfiff erschallen. Der Ton durchschnitt weithin die Luft, und es war, als läge eine warnende Bedeutung in dem langsam ersterbenden Klange. Augenblicklich erfaßten die Fäuste der Begleiter seine Schultern, er fühlte sich niedergeworfen, und die Assagaispitzen blitzten toddrohend über ihm in der Luft. Aber der junge Engländer ließ ihn in diesem gefährlichen Augenblick nicht im Stich. Er that, was er thun konnte. Da er sich einen Schritt zurück und auf einem höheren Standpunkte befand, gab er dem einen der Schwarzen einen kräftigen Tritt mit seinem Reiterstiefel in die Rippen. Er stürzte selbst dabei hin, aber im Fallen riß er noch den andern Schwarzen mit sich, und für einige Sekunden rollten alle vier zwischen den Büschen am Boden hin. Aber die Schwarzen waren schnell wieder auf den Füßen und hätten nun sicherlich beiden Gefangenen den Garaus gemacht, wenn nicht das Zischen der Cobra aufs neue sich hätte hören lassen und gleich darauf die dunkle Gestalt des Titus Afrikaner selbst erschienen wäre. Gleich dem Tiger kam der Häuptling in weiten Sätzen herauf. Er winkte mit der Hand, und die Schwarzen ließen von ihrem Angriff ab. Ein böses Lächeln lag auf dem Gesicht des Häuptlings. »Der Tod soll euch nicht so schnell und leicht kommen,« sagte er zu den Gefangenen, und dann wandte er sich zu den beiden Schwarzen und gab ihnen einen Befehl in der eigenen Sprache. Diese rissen alsbald von dem zerfetzten Rockschoße des Engländers zwei tüchtige Streifen ab, rollten sie zusammen und stopften sie den Gefangenen in den Mund. Dann banden sie Pieter Maritz von neuem, und der für einige Minuten ins Stocken gekommene Zug ging weiter, nachdem der Führer sich wieder in langen Sprüngen bergab an die Spitze gesetzt hatte. Es währte nicht mehr lange, so war das Thal erreicht, und nun ward der Weg durch sehr unebenes Terrain in derselben Richtung, welche hinter die Schützenlinie der Buern führen mußte, fortgesetzt. Ein kleiner Bach ward überschritten, und die Gefangenen, welche sich so gern hinabgebeugt und ihre brennenden Lippen erfrischt hätten, mußten sich mit der Kühlung begnügen, die ihnen das um die Füße spülende Wasser gewährte. Sie wechselten Blicke stummer Verzweiflung miteinander. Dann ging es durch ein ziemlich dichtes niedriges Gehölz, in welchem viele große Steinblöcke umherlagen, die vielleicht einmal bei einer Erderschütterung von dem überragenden Berge abgebröckelt und herabgerollt waren. Das Schießen war längst verstummt. Kein anderer Laut als das leise Hinstreichen der Körper an den Büschen und der Schritt der Männer im trockenen, knisternden Grase war zu vernehmen. Titus Afrikaner war voran, sein Gang war langsamer geworden, er schritt vorsichtig weiter, er spähte nach links und rechts. Er mußte seiner Berechnung nach jetzt nahe an der Stelle sein, von wo er die Gewehre seiner Krieger und das eigene Geschoß von der Seite und von hinten auf die Feinde lenken konnte. Nun sprang er mit der Gelenkigkeit des Raubtiers auf einen hohen Stein, um über die vorliegenden Büsche hinwegblicken zu können, und streckte den Hals. Aber in dem Augenblick, wo er mit vorgeneigtem Kopfe auslugte, ward ein feines Pfeifen hörbar, eine der purpurn schimmernden Federn in dem Haarputz des Häuptlings stob davon, und gleich darauf war das scharfe Krachen eines Büchsenschusses zu vernehmen. Ein Wutgeheul brach aus des Führers Munde hervor und klang unter seinen Kriegern wieder. Die Buern hatten das Nahen des neuen Feindes gemerkt und eine andere Stellung eingenommen, um ihm Widerstand leisten zu können. Titus Afrikaner schwang seine Büchse hoch in die Luft, zeigte nach vorwärts und stürzte sich in die Büsche. Hinter ihm liefen die andern Schwarzen, und auch die Gefangenen wurden mitgeschleppt. Nur etwa hundert Schritte aber ging es noch weiter. Denn jetzt lichtete sich das Gehölz, eine für den Überblick fast freie, von kleinen Einsenkungen durchzogene Ebene, in welcher auch Steinblöcke lagen und einzelne Büsche standen, dehnte sich vor den Angreifern aus. Pieter Maritz, hinter einem Baumstamm versteckt, konnte linker Hand in großer Entfernung den Saum des Waldes erkennen, aus welchem Fledermaus bei seinem ersten Angriff hervorgebrochen war, und schloß aus der Form, wie sich ihm das Land jetzt zeigte, daß er in der Nähe des Weges sei, auf welchem die Buern vorhin an dem Berge vorübergeritten waren. Doch war weder von den Buern noch von ihren Pferden etwas zu sehen. Der Knabe lächelte zufrieden und freute sich im Herzen. Er kannte die Fechtart seiner Landsleute, und die Büchsenkugel, welche des Häuptlings Kopf gestreift, hatte ihn beruhigt. Seine Erwartungen wurden bald bestätigt. Unmutig und ungeduldig, auf den Feind zu stoßen, zauderte Titus Afrikaner nicht lange im Saume des Gehölzes. Er schickte zehn seiner Speerträger aus dem schützenden Dickicht hervor. In niedergeduckter Haltung, den Schild vor den Kopf haltend und den Speer in der Rechten, rannten diese Leute heraus und in die Ebene hinein. Aber sie kamen nicht weit. Alsbald tauchten kleine Rauchwölkchen aus dem Grase, hinter den Steinblöcken und hinter den Büschen auf, der Knall der Büchsen ertönte in der Nähe, vier von den Schwarzen stürzten zu Boden, und die übrigen rannten, in Entsetzen vor dem unsichtbaren Feinde, in das verbergende Gehölz zurück. Den Gefangenen war es inzwischen gelungen, sich des Knebels in ihrem Munde durch wiederholte angestrengte Bewegungen der Kinnbacken zu entledigen, und ihre Wächter waren so sehr mit dem Betrachten des Kampfes beschäftigt, daß sie nicht darauf achteten. So konnten sie sich wenigstens unterhalten. Sie kauerten nebeneinander hinter den Stämmen zwei nahestehender Aloebäume und duckten sich in das Gras nieder, um nicht selbst irrtümlich eine Kugel zu bekommen. »Wie sie tiraillieren können, diese Buern!« sagte der Lord, ganz in Staunen verloren. »Man sieht sie gar nicht. Noch keinen Hut habe ich erblicken können, und doch liegen sie keine dreihundert Schritte entfernt.« »So nahe!« erwiderte Pieter Maritz. »O wenn ich denke, daß die Befreiung so nahe ist! Aber wenn wir aufsprängen und hinüberliefen, so möchten wir wohl sehr bald ein Ziel für beide Parteien werden, denn die Buern würden nicht gleich erkennen, wer wir wären, und die Räuber würden uns verfolgen.« Der Lord nickte. »Und doch wäre es vielleicht klug, davonzulaufen,« sagte er, »denn dann wäre es rasch mit uns aus. So aber -- doch es ist ein eigentümliches Gefühl, das mich zurückhält. Ich glaube, die Hoffnung stirbt erst, wenn man uns selbst getötet hat.« Das Gespräch zwischen den beiden Gefangenen hatte inzwischen ihre Wächter aufmerksam gemacht, und diese mußten wohl auf denselben Gedanken gekommen sein, der jene bewegte. Sie nahmen biegsame Zweige von einer in der Nähe stehenden Weide und banden den Gefangenen die Füße zusammen. Titus Afrikaner, voll Wut, daß sein Plan eines Überfalls gescheitert war, konnte jetzt seine Kampfbegierde nicht mehr mäßigen. Er winkte seinen gleich ihm mit Gewehren bewaffneten Leuten und drang mit ihnen vor. Aber nicht frei vorlaufend setzten sich diese auserwählten Krieger dem feindlichen Feuer aus, sondern sie krochen im Grase vorwärts, fast ganz flach liegend und dennoch stets schußbereit, mit den Knieen und Ellbogen sich weiterschiebend, während sie den Kolben des Gewehres in den Händen behielten. Die Buern auf der andern Seite mußten wohl die anhaltende Stille verdächtig finden, und auch sie konnten offenbar nichts mehr von ihrem Feinde sehen. Denn jetzt, während die Schwarzen im Grase heranschlichen, tauchte drüben, bald hier und bald da, ein dunkler Fleck auf, den Pieter Maritz als den Filzhut eines Buern erkannte und dem Lord zeigte. Nun ertönte aus der dunklen Linie der sich am Boden hinbewegenden Krieger wiederum das Zischen der Schlange, und alsbald sprangen fünf bis sechs schwarze Gestalten in die Höhe, standen eine Sekunde lang aufrecht und lagen dann wieder auf dem Bauche. Wohl zehn Schüsse krachten, als die Gestalten sichtbar wurden, aber die Erscheinung derselben war so flüchtig, daß kein einziger Schuß traf. Die Schwarzen krochen weiter. »Wenn Fledermaus auf der Militärakademie gewesen wäre,« sagte der Lord zu dem Knaben, »so würde er jetzt die Gelegenheit zu einem neuen Angriff benutzen. Er muß doch das Schießen hören und daraus merken, daß sein Bruder im Begriff ist, anzupacken.« Kaum hatte der junge Offizier, der sich mit dem ganzen Eifer des Soldaten dem Schauspiel vor ihm hingab, diese Worte ausgesprochen, als sich ein wildes Geheul aus weiter Ferne hören ließ. Fledermaus hatte die Bedeutung des Augenblicks erkannt und brach mit seiner Schar von neuem aus dem Thale hervor; zu sehen war nichts von ihm, aber die Gefangenen erkannten das Geheul und vernahmen auch bald darauf Schüsse, welche ihnen zeigten, daß die Buern auch dort drüben auf ihrer Hut waren. Sie mußten sich geteilt haben und der eine Teil dem Ausgang des Thales gegenüber geblieben sein, während der andere Teil sich dorthin gewandt hatte, von wo das warnende Pfeifen erklungen war. Der Ton des Kampfes, welcher sich dort drüben entspann, ward auch von Titus Afrikaner und seinen Begleitern vernommen und schien diese wilden Krieger zu berauschen. Es duldete sie nicht mehr in ihrer vorsichtigen, langsamen Annäherung an den versteckten Feind, sondern sie sprangen auf und liefen ebenfalls mit Kriegsgeschrei vorwärts. Ihr weithin tönender Ruf antwortete dem der Brüder in der Ferne und mit weiten Sprüngen eilten sie, an den Feind zu kommen, der ihnen gegenüber lag. Aber jetzt wurden auch die Gestalten der Buern sichtbar. Sie erhoben sich hinter ihren Deckungen, und die Geschosse ihrer sicher treffenden Gewehre flogen den Angreifern entgegen. Einer nach dem andern ihrer schwarzen Gegner stürzte nieder. Den einen traf die Kugel mitten im Sprunge, die Büchse entsank seiner Hand, und schwer schlug er nieder; den andern schlug das Geschoß in die Brust, als er eben schießen wollte, so daß er gleich dem getroffenen Wilde hoch emporsprang und dann auf das Gesicht niederfiel; einem dritten zerschlug das Blei den Schenkel, so daß er stöhnend in die Kniee sank. Die Schwarzen hielten von neuem inne und legten nun ihrerseits die Gewehre an. In dieser Scene ward die Aufmerksamkeit der Gefangenen vor allem auf Titus Afrikaner gelenkt, der der Vorderste im Trupp war und sich gerade einem der halb sichtbaren Buern gegenüber befand. Deutlich sah der Knabe den weißlich glänzenden Bart des Buern und den Umriß seiner breiten Schultern und des großen Hutes. Er hatte das Gewehr an der Backe und zielte auf den Häuptling. Die Gestalt des Titus Afrikaner, welche mit der Gelenkigkeit des Panthers über den unebenen Boden dahin gesprungen war, stand jetzt unbeweglich. Auch er hatte die Büchse zielend emporgezogen, und für eine Sekunde glich seine Begegnung mit dem alten Buer einem Zweikampf, der auf die gefährlichste aller Waffen, das weit tragende gezogene Gewehr, ausgefochten wurde. Der Schuß des Weißen kam zuerst, und in dem Augenblick, wo das Feuer aus der Mündung seiner Waffe hervorbrach, schien die aufrechte Gestalt des Häuptlings in sich zusammenzusinken. Er war wie in den Boden hineingedrückt. Aber die Hoffnung der Gefangenen, daß er getroffen sei, erfüllte sich nicht. Seine Büchse verließ ihre Haltung in seinen Armen nicht, und während der Buer begierig der Wirkung seines Schusses nachsah, blitzte der Feuerstrahl aus des Häuptlings Waffe auf. Ein Schreckenslaut entrang sich des Knaben Munde. Der weißbärtige Buer öffnete die Arme, das Gewehr entfiel ihm, und er stürzte vorwärts nieder. Gleich darauf waren alle Gestalten, die drüben zu sehen gewesen waren, verschwunden, die Ebene lag wieder im grünen Schein ihrer Bewachsung da, und kein Hut tauchte mehr auf, kein Pulverdampf stieg mehr empor. Aber auch die Schwarzen lagen jetzt still. Titus Afrikaner blickte unter seinen Leuten umher. Ihrer sechs lagen am Boden, und er mochte wohl denken, daß ein fernerer Sturmlauf unthunlich sei. Von neuem fing er an, vorsichtig im Grase weiterzukriechen, und seine Begleiter ahmten ihm nach. »Seht doch,« sagte Pieter Maritz plötzlich zu dem Lord, indem er nach einem fernen Punkt in der Ebene deutete, »sind das nicht die Pferde?« Der Engländer sah nach der bezeichneten Stelle hinüber und erkannte eine dunkle Masse, welche in Bewegung war. »Die Buern geben den Kampf auf,« sagte der Knabe mit schmerzlichem Seufzer. »Zum Henker!« rief der Lord, »das wäre eine verwünschte Geschichte! Aber wie können sie den Kampf aufgeben? Werden ihnen die Niggers nicht auf den Fersen bleiben?« »Nein, nein, sie werden es schon zu machen wissen. Hört Ihr, Mynheer, daß drüben der Lärm verstummt ist? Fledermaus ist wieder in den Wald zurückgetrieben worden. Nur einige Schüsse sind noch zu hören. Die Buern lassen einige Leute zurück, um auf die Schwarzen zu schießen, welche zu nahe kommen, währenddessen steigt die Masse zu Pferde. Dann folgen auch die letzten, und sie jagen alle davon.« »Aber sie haben doch nur einen einzigen Mann verloren,« entgegnete der Lord ungläubig. »Da werden sie doch nicht schon umkehren. Wenn sie den Kampf auf diese Weise fortsetzen, müssen sie doch zuletzt alle Nigger tot geschossen haben.« »Ich fürchte, sie haben mehr als einen Mann verloren. Wir sahen nur den einen ganz deutlich fallen, aber es schien mir so, als wären noch zwei andere getroffen worden. Und vielleicht sind drüben auch Verluste gewesen. Wenn die Buern ein paar Leute verlieren, so gehen sie zurück, denn sie wollen sich nicht töten lassen, sondern ihr Vieh wiederholen und die Räuber bestrafen.« »Wenn die Buern so bald schon zurückgehen, können sie keine gefährlichen Feinde sein,« sagte der Engländer nachdenklich. »O, es könnte auch der Fall eintreten, daß sie bis auf den letzten Mann kämpften,« erwiderte lebhaft der Knabe. »Es ist nicht Feigheit, daß sie den Kampf aufgeben, sondern das Blut der Männer ist bei uns zu wertvoll, um den Kaffern gegenüber vergossen zu werden. Kämpfen wir aber einmal mit den Engländern, so wird das ganz anders sein.« »Das ist eine sehr freundliche Versicherung,« sagte der Lord lächelnd. »Aber wahrhaftig, Sie haben recht, mein junger holländischer Freund, die Buern ziehen ab.« Der dunkle Haufen war näher gekommen und nun deutlich als ein starker Pferdetrupp zu erkennen. Doch hielt derselbe sich völlig außer Schußweite. Bald waren auch kleine Haufen von Männern zu sehen, die sich den Pferden näherten. Titus Afrikaner hatte diese Bewegung ebenfalls bemerkt, und er drang eiliger vorwärts. Aber noch zweimal sank einer seiner Begleiter, der sich unvorsichtig über dem Grase gezeigt hatte, erschossen zu Boden, und die kleinen Pulverwölkchen stiegen noch einzeln empor und zeigten an, daß die sich zurückziehenden Buern das Feld in ihrem Rücken scharf beobachteten. Die Schüsse entfernten sich aber mehr und mehr, nun sahen die Gefangenen den ganzen Reitertrupp in eiligem Laufe davonsprengen, und vergebens sandten Titus Afrikaner und seine Leute ihnen noch Kugeln nach. Trüben Auges blickten die Gefangenen hinter dem Reitertrupp her, der in derselben Richtung, in welcher er gekommen war, wieder entschwand und immer kleiner und kleiner wurde. Der letzte Schimmer von Hoffnung drohte in ihrem Gemüt zu erlöschen. Aber sie blieben ihren Betrachtungen nicht lange überlassen. Die im Gehölz zurückgebliebenen Speerträger folgten jetzt dem weit voraus auf der Ebene befindlichen Führer, sie banden den Gefangenen die Füße los und nötigten sie mitzugehen. Der Weg führte über die Stelle des Schützenkampfes, und mit tiefer Bewegung sah Pieter Maritz die Leichen zweier Buern ausgeplündert hinter den Deckungen liegen, von denen aus sie gefochten hatten. Dann ging es weiter, dem Titus Afrikaner nach, der sich vor dem Eingange des waldigen Thales mit seinem Bruder Fledermaus vereinigte. Siegesstolz blickten die Räuberfürsten auf ihre Kriegerschar. Wohl hatten sie an fünfzig Leute verloren gegen drei der Buern, aber der Feind, gegen den sie gekämpft hatten, war so gefürchtet, und der Weiße stand bei ihnen in solchem Ansehen, daß sie den eigenen Verlust für reichlich bezahlt mit dem des Gegners hielten. Dazu hatten sie das Schlachtfeld behauptet, ihre Beute behalten und fern von ihren Schlupfwinkeln den Sieg errungen. Ihre Schar mußte sich leicht wieder an Zahl ergänzen, da heimatloses Volk genug im Lande umherstreifte, von den Wohnsitzen seiner Väter vertrieben und bald von den Weißen, bald von feindlichen Stämmen der eigenen Rasse bekriegt. Titus Afrikaner und Fledermaus versammelten ihre Krieger auf der mit Gras bewachsenen Ebene vor dem waldigen Thale und sorgten für ihre Verwundeten. Es gab deren nicht viele. Die meisten der Getroffenen hatten die Kugel in den Kopf oder in das Herz bekommen; diejenigen, welche Fleischwunden in Armen und Beinen hatten, liefen zum höchsten Erstaunen des Engländers mit einem leichten Verband herum, und nur die schwer Verwundeten wurden von einigen alten erfahrenen Kriegern sorgfältig behandelt. Diese wuschen ihnen die Wunden, ohne sich um die Kugel zu bekümmern, wenn sie tief saß, nähten das Loch zu und legten zerkaute Kräuter darauf. Dann ließen die Häuptlinge, nachdem die Gewehre und Patronen der Gefallenen an die besten unter den Überlebenden verteilt worden waren, ein Mahl zurüsten. Auf ihrem Marsche durch den Wald hatten die Leute des Fledermaus Wild erlegt, und nun schleppten sie Holz zusammen, zündeten ein Feuer an, brieten Antilopen und Quaggas und holten in ihren Trinkflaschen Wasser herbei. Bald saß die ganze Schar fröhlich schwatzend beisammen, vergaß der Toten und schmauste nach Herzenslust. Auch die Gefangenen wurden hierbei nicht übergangen. Man band sie los, und ihre Wächter brachten ihnen Fleischstücke und Wasser. »Welch ein gutmütiges Volk!« sagte der Engländer voll Staunen zu Pieter Maritz. »Sie sehen ihre Toten ringsum am Boden liegen und verschonen uns. Dieser schwarze Kerl, der mir Essen und Trinken bringt, hat noch den Eindruck meines Stiefelabsatzes auf der Brust, eine blutige Schramme in der schwarzen Haut. Und doch macht er sich nichts daraus und versorgt mich! Wäre die Sache umgekehrt, wären wir schwarz und von meinen Landsleuten gefangen, so möchte es uns wohl nicht so gut ergehen, und ich denke, die Buern springen auch anders mit ihren Gefangenen um.« Der Knabe nickte. »Die Schepsels sind gut,« sagte er, »aber doch fürchte ich, sie werden noch ein übles Spiel mit uns spielen. Ich traue dem Titus Afrikaner nicht. Seht nur, Mynheer, wie oft er seine schlimmen Blicke nach uns herüberschießt. O, hätten wir doch unsere Pferde hier zur Hand!« Die bösen Befürchtungen, welche er hegte, sollten nur zu bald in Erfüllung gehen. Als Titus Afrikaner gegessen hatte, näherte er sich den Gefangenen, neben ihm ging Fledermaus, und den Führern folgte ein dichter Haufen. »Ihr habt nun gesehen, ihr weißen Jünglinge, daß vor der Macht unserer Waffen der Feind nicht standhält!« sagte Titus Afrikaner, indem er sich in die Brust warf und stolz auf die am Boden sitzenden Gefangenen hinabsah. »Verrat und Treulosigkeit können die Weißen üben, aber im Kampfe unterliegen sie. So auch du, Knabe, wolltest Verrat an uns üben und gabst den Buern ein Zeichen. Aber es half deinen Landsleuten nur wenig. -- Meine tapferen Krieger,« rief er dann, sich umwendend, seiner Schar zu, »welche Strafe wollen wir über diese beiden verhängen? Welche Art, sie zu töten, wird euch das größte Vergnügen bereiten? Ich werde diesen jungen Leuten einen Speerwurf weit Vorsprung geben, damit sie versuchen können, davonzulaufen. Dann sollen die guten Schützen, welche heute den Feind besiegten, mit ihren Gewehren nach ihnen schießen. Das giebt eine lustige Jagd und wird das Herz der Helden erfreuen.« Lautes jubelndes Geschrei antwortete der Rede des Häuptlings, Speere und Schilde wurden geschwungen, und Hunderte von funkelnden Augen richteten sich mordlustig auf die Gefangenen. Die mit Gewehren bewaffneten Leute drängten sich hervor und stellten sich neben den Häuptling, und dieser gab den Verurteilten einen Wink, sich zu erheben und davonzulaufen. Der Engländer war totenbleich, aber sah den Häuptling mit verächtlichem Lächeln an. »Diese schwarzen Spitzbuben können uns umbringen,« sagte er zu dem Knaben, »aber sie sollen uns nicht laufen sehen. Ich gehe keinen Schritt von der Stelle.« Damit kreuzte er die Arme über der Brust, legte sich der Länge nach im Grase nieder und schloß die Augen. Pieter Maritz war aufgestanden und hatte die Hände über der Brust gefaltet. Er sah nicht auf die Schwarzen, sondern blickte zum Himmel empor. Seine Lippen bewegten sich, und leise sprach er ein Gebet, das ihn seine Mutter gelehrt hatte. »Lauft, ihr Weißen, lauft!« rief der Häuptling wütend. »Lauft, oder ich werde euch mit Speerspitzen anstacheln lassen!« Pieter Maritz bewegte sich nicht von der Stelle. Er betete weiter und erwartete den Tod. Auch der Lord bewegte sich nicht. Er biß die Zähne zusammen und hielt die Arme trotzig verschränkt. Die Gefangenen wollten sich nicht zum Spiel der wilden Feinde machen, sondern, ihrer Todeswunde entgegengehend, ihre Würde bis zuletzt behaupten. Und nun näherten sich mehrere der Schwarzen, die Assagaien in der Faust. Aber in diesem Augenblick legte Fledermaus seine Hand auf des Bruders Arm und zeigte mit dem Finger zur Seite. Titus Afrikaner blickte in der bezeichneten Richtung und stieß einen Ruf der Überraschung aus. Auch die Schar um ihn her hielt in ihrem mörderischen Vorhaben inne und sah dorthin, wo eine neue Erscheinung die Aufmerksamkeit der Führer auf sich gezogen hatte. Die Bewegung unter den Schwarzen war so allgemein und gab sich so laut zu erkennen, daß auch die Gefangenen davon ergriffen wurden. Der Lord richtete sich in die Höhe, und Pieter Maritz wandte seine Gedanken vom jenseitigen Leben ab, hielt in seinem Gebet inne und blickte ebendorthin, wohin sich die Augen seiner Feinde richteten. Was er nun sah, erfüllte ihn mit der höchsten Überraschung und zu gleicher Zeit mit Freude und mit Schrecken. Am Saume des Waldes kam von fern in gemütlicher Ruhe ein Wagen daher, der mit einer langen Reihe von Ochsen bespannt war. Die Tiere gingen in dem gewöhnlichen ruhigen Schritt mit vorgeneigten Stirnen im Joche, und drei schwarze Männer begleiteten sie. Jetzt klang der scharfe Knall der langen Peitsche herüber, und das runde Zeltdach des Wagens schimmerte hell auf dem dunklen Hintergrunde des Waldes. Vor dem langen Zuge aber ritt ein Mann, den Pieter Maritz schon von weitem deutlich an seiner Haltung und an seinem weißen Barte erkannte. Es war der alte Missionar. Er richtete seinen Weg gerade auf die Kriegerschar der Räuberfürsten. Das Erstaunen, welches das ruhige Herankommen des Ochsenwagens unter den Schwarzen hervorrief, war so groß, daß sie unter Fragen und Rufen unbeweglich dastanden und die Anwesenheit ihrer Gefangenen gänzlich vergessen zu haben schienen. Die Gegend, in welcher sie sich befanden, wurde niemals von Wagen besucht, denn sie war weit und breit als der Tummelplatz der Räuber bekannt und gemieden. Ja noch weit über diesen Teil der Drakensberge hinaus war der Schrecken des Titus Afrikaner verbreitet, und kein Weißer lenkte seinen Schritt freiwillig in diesen Landstrich. Nur die bewaffneten Kommandos der Buern drangen wohl, wie auch heute geschehen war, in diese Thäler ein, um ihre Kraft mit der der kühnen Viehräuber und Mordbrenner aus den Bergen zu messen. Der Wagen kam näher und näher, das Knarren der schweren Räder und das Schnaufen der Zugtiere war zu vernehmen, und noch immer blieb die Räuberschar unbeweglich und erwartungsvoll versammelt auf ihrem Platze. Jetzt stieg der alte Mann an der Spitze des Zuges vom Pferde, übergab das Tier dem einen der schwarzen Diener, in welchem der Knabe den Christian erkannte, und kam ruhigen Schrittes gerade auf Titus Afrikaner und Fledermaus zu, welche vor ihrer Schar standen, auf die Büchsen gelehnt und in erwartungsvollem Schweigen. »O Mynheer, o lieber Freund,« sagte Pieter Maritz leise aus gepreßter Brust zu dem Engländer, »Gott schickt uns Hilfe. Das ist der Herr Missionar.« Der alte Mann hatte die Gefangenen noch nicht erblickt, da sie durch den Haufen der Schwarzen verdeckt wurden und da er sein Augenmerk auf die beiden Männer richtete, welche er als Häuptlinge erkannte. Er blieb vor diesen stehen, erhob feierlich seine Hände und sagte in holländischer Sprache: »Der Segen Gottes sei mit euch, ihr fremden Leute! Ich bin hierher gekommen, um im Namen des höchsten Schöpfers aller Dinge mit den großen Kriegern zu reden, welche das Volk Titus Afrikaner und Fledermaus nennt. Nach eurem Ansehen und eurer Würde seid ihr Fürsten in diesem Gebirge und gebietet über die Menge der Krieger um euch. Seid gütig gegen den Boten Gottes und zeigt ihm den Weg zu den berühmten Männern, die ich euch genannt habe.« »Ha!« rief Titus Afrikaner. »Der Weg zu ihnen ist nicht weit. Titus Afrikaner und Fledermaus stehen vor dir. Was willst du von ihnen, weißbärtiger Mann?« »So seid ihr also diese Fürsten selbst,« antwortete der Missionar, »und der Anblick eurer Waffen und eurer schönen goldenen Ringe hat mich nicht betrogen. Ihr seid Herrscher in diesem Gebirge und gebietet über viele Streiter. Ihr seid mächtig und verbreitet den Schrecken eures Namens weithin im Lande, so daß die weißen Ansiedler sich fürchten, wenn sie von euch reden. Ich aber komme zu euch im Namen des Fürsten, der im Himmel thront und der alles erschaffen hat, was unsere Augen sehen: das Gebirge und den Wald, die Tiere und die Menschen. Dieser hat mir geboten, zu euch zu gehen und seinen Willen zu verkünden.« Titus Afrikaner schwieg eine Weile, als der Missionar geendigt hatte, und ein nachdenklicher Ausdruck zeigte sich auf seinem klugen Gesicht. Dann wandte er sich zu seinem Bruder und seiner Kriegerschar und sagte mit lachender Miene: »Hier seht ihr, meine Brüder und Freunde, einen der Männer, welche die Weißen Missionare nennen, und erkennt die ganze Arglist dieses treulosen Volkes. Solange der weißen Männer wenige sind und sie nicht wagen, ihre Waffen mit denen der schwarzen Krieger zu messen, so lange reden sie von einem Fürsten, der im Himmel thront und von dem sie lügen, daß er unsichtbar sei. Wenn er aber unsichtbar ist, woher wissen sie dann, daß er im Himmel ist? Können sie etwas sehen, was unsichtbar ist? Aber ihr könnt gar bald erkennen, was ihr Märchen bedeutet. Denn sie lügen, der unsichtbare Fürst wollte, daß die Menschen im Frieden miteinander lebten und daß die schwarzen Männer die Fremden nicht umbrächten. Sobald ihrer aber mehr geworden sind, sobald sie genug Büchsen zusammen haben, um den schwarzen Mann von dem Jagdgebiet seiner Väter zu vertreiben, alsdann reden sie nicht mehr von dem unsichtbaren Fürsten, sondern sie fangen an, die schwarzen Männer zu erschießen, ihre Frauen und Töchter zu rauben, ihre Kinder zu Sklaven zu machen, ihre Dörfer zu verbrennen und ihr Vieh und Wild zu essen.« Lautes Rufen des Beifalls und das Klirren der Waffen antwortete der Rede des Häuptlings aus der Schar seiner Krieger. Inzwischen hatten der Lord und Pieter Maritz sich dem Missionar genähert und der Knabe wandte sich mit flehendem Blicke zu dem alten Mann, der ihn und den Engländer voll Staunen betrachtete, und küßte seine Hand in erneutem Vertrauen und erneuter Hoffnung. »Seht da!« rief der Häuptling, auf diese Gruppe zeigend. »Ihr werdet bald den Nutzen des unsichtbaren Fürsten kennen lernen. Dieser alte Mann will uns dessen Willen verkünden. Ich weiß schon vorher, was dieser Wille ist. Wir sollen unsere Gefangenen verschonen. Wir sollen keinem Weißen ein Haar krümmen. Aber ich sage dir, weißbärtiger Lügner, du bist zu keiner guten Stunde gekommen. Sieh dich um, die Leichen der schwarzen Männer bedecken das Gras ringsum. Sie sind von den Kugeln deiner Brüder gefallen, und wir wissen, was deine Lehre wert ist. Ich habe diese Lehre kennen gelernt, du wirst dem Titus Afrikaner nichts Neues erzählen. Habt ihr meine Krieger und Freunde getötet, so töte ich euch. Wir werden die Jagd nicht allein auf diese unbärtigen Jünglinge, sondern auch auf dich mit eröffnen. Ihr sollt alle drei von unsern Händen fallen, und deine Ochsen werden wir schlachten und essen.« Stürmischer Beifall erklang unter den Schwarzen, und die Aussicht auf den Ochsenbraten machte sie vor Freude jauchzen. Aber von neuem erhob der Missionar seine Stimme, und der Eindruck seiner ehrwürdigen Gestalt, die Zuversicht, welche aus seinem Antlitz strahlte, die Scheu vor der weißen Farbe und das Staunen über den Mut des Unbewaffneten waren so groß, daß der Tumult schwieg und alle lauschten. Er redete jetzt nicht wieder holländisch, sondern bediente sich der Sprache der Betschuanen, weil er hoffte, daß ihn dann alle verstehen würden und daß er dann auf die Gesamtheit einen Einfluß gewinnen könne, an den er dem Häuptling gegenüber nicht mehr glauben durfte. »Du sagst, daß wir Weißen treulos und lügnerisch wären,« begann er, »und behauptest, daß wir von dem Unsichtbaren sprächen, um euch zu betrügen, solange wir noch zu schwach wären, euch mit Gewalt zu unterdrücken. Wie kommt es denn aber, daß ich zu euch in die Berge ziehe? Fehlt es mir an Mais oder Fleisch? Konnte ich nicht bei meinen Brüdern im Lande bleiben, wohin ihr nicht kommt? Konnte ich nicht meine Ochsen, die ihr schlachten wollt, selber essen? Seht, es sind vierundzwanzig Tiere, ich hätte mein Haus auf lange Zeit damit versorgen können, und jahrelang hätte mich ihr Fleisch ernährt, wenn ich drunten bei den Meinigen geblieben wäre. Auch habe ich Mais und Reis und Kaffee und Zucker und viele andere Dinge in meinem Wagen, die ihr mir nehmen könnt, wenn ihr keine Scheu vor dem Unsichtbaren im Himmel habt, der die Sonne und den Mond und die Sterne in seiner Hand hält und die Blitze aus den Wolken schleudert. Ihr seht also, daß ich nichts von euch will, nichts von euch verlange. Nicht um etwas zu holen, suche ich euch auf, sondern um euch etwas zu bringen. Was ich euch aber bringe, das ist sehr köstlich und schön, schöner als alles, was ihr habt, schöner als Schmuck und Waffen und Vieh.« Die Schwarzen horchten gespannt und ihre glänzenden Augen hingen unverwandt am Munde des Weißen. Titus Afrikaner blickte düster und betrachtete mit höhnischem Lächeln seiner Landsleute Mienen. Er machte eine Bewegung, als wollte er dem Missionar das Wort abschneiden, aber er besann sich und mochte wohl überlegen, daß es klüger sei, der gespannten Erwartung und Neugierde seiner Anhänger nicht entgegen zu sein. Vielleicht auch verfehlte auf sein eigenes Gemüt die Rede des Missionars ihren Zauber nicht. Denn er war aus früherer Zeit mit der christlichen Lehre vertraut und sein Gedächtnis hatte den Eindruck des Geheimnisvollen bewahrt. »Du sagst, wir könnten von dem Unsichtbaren nichts wissen, da unsere Augen ihn nicht sehen,« fuhr der Missionar fort. »Ich sage euch aber, daß ihr auch eure Gedanken nicht sehen könnt und doch davon wißt. Du zeigst mir die Toten, die umher liegen. Warum gehen sie nicht mehr umher? Sie haben noch ihre Beine und Arme. Warum laufen und schießen sie nicht? Ich sage euch, es ist deshalb, weil das Unsichtbare in ihnen entflohen ist. Denn in jedem Menschen lebt ein Unsichtbares, und dieses geht zu dem Unsichtbaren, der im Himmel ist, den ihr Morimo nennt, das Sichtbare aber bleibt auf der sichtbaren Erde, wird begraben und verwandelt sich in Erde. Dieses unsichtbare Wesen in uns ist die Seele, welche niemals stirbt, und ....« »Höre auf!« rief Titus Afrikaner jetzt, den Missionar unterbrechend, »du lügst ungeheuerliche Dinge! Wie?« rief er lachend seinen Kriegern zu, »dieser Mann behauptet, es lebten Wesen in uns, die man nicht sehen könnte -- hat man je so alberne Lügen gehört?« Es erscholl lautes Lachen zur Antwort, aber Fledermaus neigte sich zu seinem Bruder und flüsterte ihm etwas zu, wobei er ein ernstes Gesicht zeigte. Titus Afrikaner hörte ihm zu, schüttelte dann aber heftig den Kopf und wandte sich von neuem zu der Schar. »Hört nicht auf diesen Lügenschmied und Verräter!« rief er voll Wut. »Er will sich nach unsern Wohnungen umsehen und den Buern berichten, wo sie uns angreifen sollen. Bald werdet ihr die Reiter mit den Büchsen wiedersehen, wenn ihr diesen Mann lebend nach Hause zurückkehren laßt. Folgt mir, Freunde! Stoßt die Weißen nieder und laßt uns die Ochsen verzehren!« Die folgsame Schar brüllte ihm zu, gedankenlos von einem Wunsche zum andern gelenkt, und jetzt erhoben sich viele Assagaien, und das Leben der Weißen schien verloren zu sein, als plötzlich Fledermaus einen gellenden Ruf ausstieß und mit der Gebärde des höchsten Entsetzens auf das Haupt des Missionars zeigte. »Morimo!« schrie er warnend, »Morimo!« Die ganze Schar der wütend erregten Männer stutzte und blickte dorthin, wohin der Finger des Häuptlings wies. Die Büchsen und Speere entfielen ihren Händen und in starrem Staunen standen viele wie versteinert da, während viele zu Boden sanken und anbetend die Hände erhoben. Scheu und ingrimmig stand Titus Afrikaner da. »Morimo!« klang es aus vieler Munde. Verwundert sahen der Lord und Pieter Maritz bald auf den Missionar, bald auf die Schwarzen. Da aber entdeckte der Knabe die Ursache dieser allgemeinen Bewegung. Auf dem weißen Haar des Missionars, der unbedeckten Hauptes herangekommen war, saß ein Käfer von besonderer Art, etwa ein Fingerglied lang, mit grünem, glänzendem Rücken, dazu weiß und rot gefleckt, mit schimmernden durchsichtigen Flügeln und zwei kleinen Hörnern auf dem Kopfe. Kopf und Flügel waren gelb, die Beine silbergrau, ähnlich dem Haar des Greises. Pieter Maritz erkannte die Bedeutung dieses seltenen Tierchens. Er sah, daß es der geheiligte Käfer war, welchen die südafrikanischen Völker zum Teil als einen Boten der Gottheit, zum Teil als die Gottheit selbst verehren. Die Stelle, auf welche dieser Käfer sich setzt, ist ihnen geweiht, die Person, auf welcher er sich niederläßt, wird für glückselig gehalten. Seine Ankunft bedeutet großes Glück; wenn aber das Insekt oder die Person und selbst das Tier, auf welchem er ruht, verletzt würde, bedeutete es das größte Unglück. »Wir sind gerettet,« rief der Knabe jauchzend und sank dankbar gegen Gott auf die Kniee. [Illustration] Zehntes Kapitel Die Bekehrung Als der Missionar die Ursache der merkwürdigen Umwandlung wahrnahm, welche in den Gemütern der Schwarzen vor sich ging, ward auch er von Staunen ergriffen. Er sah mit ernstem, nachdenklichem Blicke auf das kleine Tier, welches nun von seinem Haupte weggeflattert war und sich vor ihm, mitten zwischen ihm und Titus Afrikaner, auf dem Grase niedergelassen hatte. Wohl ward er von trüben Gedanken ergriffen, indem er sich sagte, daß es Götzendienst sei, der die Seelen dieser armen Unwissenden gefangen hielt; aber doch ward er von Dankbarkeit gegen den allmächtigen Gott bewegt, der in seiner unerforschlichen Weisheit sich dieses Mittels bedient hatte, um das Leben dessen zu schützen, der sein Wort verkündigte. »Sieh doch, mein Sohn, wie unbegreiflich die Wege des Höchsten sind,« sagte er zu Pieter Maritz, der neben ihm stehend gleich ihm das glänzende Insekt betrachtete. »Müßten wir nicht weinen, wenn wir bedenken, daß dies arme kindische Volk seine Ohren verschlossen hält gegen das Wort des Lebens und seine Augen nicht öffnen will, um den Heiland zu sehen, während es seine Kniee beugt vor dieser Kreatur? Aber so gütig ist die Gottheit, daß sie an diesem schwachen Funken der Erkenntnis des Göttlichen, den sie in den armen Seelen glimmend erhält, die Fackel entzünden möchte, von welcher das wahre Licht ausstrahlt. Denn es ist doch die Ahnung einer überirdischen Lenkung des menschlichen Geschicks, welche in den Augen der Schwarzen diesem armseligen Insekte Wert verleiht, und in dem kläglichen Tiere verkörpert sich für diese Armen das Bewußtsein der Gottheit.« Währenddessen hatten sich die Schwarzen in einem weiten, dicht gedrängten Kreise um den Käfer sowie um die Häuptlinge und die Weißen versammelt, welche dem Tierchen zunächst standen. Der Jubel war allgemein und stieg immer höher, indem das laute Rufen und Händeklatschen die leicht beweglichen Gemüter gleichsam berauschte, so daß immer stärker und anhaltender gejauchzt und geschrieen wurde. »Ho! Ho! Ho! Ho!« riefen sie. »Sei gegrüßt! Sei willkommen! Mache, daß wir vielen Honig erhalten! Mache, daß unser Vieh zu fressen finden möge und viel Milch gebe! Mache, daß wir fette Ochsen stehlen können, und gieb uns Fleisch und Fett in unsere Töpfe! Ho! Ho! Morimo, sei gegrüßt, sei willkommen!« So riefen sie und tanzten dazu, schwangen ihre Speere und Schilde, schlugen die Waffen zusammen und wurden mit jedem Augenblicke lustiger, erregter, erhitzter und gleichsam trunken vor Freude. Einige liefen auf des Missionars Ochsenwagen zu, spannten die beiden vordersten Tiere aus, zogen sie herbei und schlachteten sie mit ihren Assagaien, ohne daß der Missionar es in dem allgemeinen Tumulte verhindern konnte. Sie wollten die Tiere dem Morimo zum Opfer bringen und das Fleisch zu seiner Ehre verspeisen. Andre brachten ein Kraut herbei, welches sie Buchu nannten, zerrieben es zu Pulver und bestreuten damit den Käfer, welcher ruhig sitzen blieb, warfen auch eine Handvoll davon über die Kleidung des Missionars hin und endlich bestreuten sie sich selbst damit. Mit demselben Pulver bestreuten sie auch die Eingeweide der Ochsen, ehe sie sie verschlangen. Feuer wurden von neuem angezündet, und ein allgemeines Fest ward gefeiert, an welchem auch die Diener des Missionars fröhlich teilnahmen. Der Käfer hatte inzwischen seine Flügel ausgebreitet und war davongeflogen. Niemand hinderte ihn daran, auch war kein Versuch gemacht, ihn zu fangen. Er hatte ihnen seinen Segen gebracht, mochte er nun thun, was er wollte. Es wäre verwegen gewesen, ihn zu berühren. Titus Afrikaner allein hatte der ganzen Scene mit einer Miene zugesehen, in welcher der Missionar Unbehagen lesen konnte. Er schien nur aus Politik in den Jubel mit einzustimmen, und die verächtlichen Blicke seiner kleinen, funkelnden Augen zeigten, daß er selber anders dachte als sein Volk, daß er aber doch nicht wagte, dem allgemeinen Aberglauben entgegenzutreten. Während die Schwarzen sich um die Feuer versammelt hatten und von neuem zu schmausen anfingen, war der Missionar mit dem Lord und Pieter Maritz zur Seite gegangen, und diese erzählten ihm ihre Erlebnisse. Niemand bewachte die Gefangenen mehr, und sie hätten jetzt vielleicht mit Erfolg einen Fluchtversuch machen können. Aber sie waren ermüdet von dem langen Marsche an dem heißen Tage, sie konnten nicht darauf rechnen, in dem unbekannten Lande sich zurecht zu finden, und sie wären nicht imstande gewesen, weit zu kommen, wenn etwa die schnellfüßigen Kaffern sich zu ihrer Verfolgung hätten aufmachen wollen. Außerdem aber war durch die Gegenwart des Missionars ein Gefühl der Sicherheit über sie gekommen, und der Lord ebensowohl wie der Buernsohn gaben sich der festen Hoffnung hin, daß sie aus ihrer jetzigen Lage auf eine bessere Art und Weise würden herauskommen können, als bei einer unüberlegten Flucht für jetzt möglich war. So saßen alle drei im Schatten des Wagens beisammen, während die ausgespannten Ochsen ringsum ihr Futter suchten, und sie besprachen ihr Geschick und die Zukunft. Voll Verwunderung hörte der Lord die Erklärungen an, welche der Missionar ihm über die schwarzen Völker gab, in deren eigentümliches Wesen er nun selbst schon einen Einblick gethan hatte, und begierig erkundigte er sich nach der Beschaffenheit jenes Morimo, der ihm und den andern beiden Weißen heute das Leben gerettet hatte. »Es ist schwer, ein rechtes Verständnis für die religiösen Anschauungen der südafrikanischen Völker zu gewinnen,« sagte der Missionar. »Denn was man darüber wahrnimmt, ist voll von Widersprüchen. So haben manche Missionare schon vermutet, daß überhaupt die Verehrung der Gottheit dem Menschen nicht angeboren sei, weil sie so oft bei Kaffern und Betschuanen, bei Griquas und Namaquas keine Spur von Religion entdecken konnten. Und mein eigener Lehrer, der edle Moffat, sagte mir, daß nach seiner Erfahrung der Anblick der Schöpfung nicht hinreiche, um in der menschlichen Seele den Glauben an einen Schöpfer zu erzeugen. Er sagte mir, die Erkenntnis göttlicher Dinge in einer jeden Nation, von den verfeinerten Griechen herab bis zu den elenden Götzendienern der schwarzen afrikanischen Stämme, beruhe immer auf Offenbarung, und diejenigen, welche keine Offenbarung hätten, wären durchaus ohne Kenntnis Gottes. In gewissem Sinne mag dies auch wohl wahr sein, aber meine langjährige Erfahrung hat mich doch dahin gebracht, den Gegenstand anders anzusehen. Ich muß gestehen, daß ich nicht den Mut haben würde, zu unbekannten Völkerstämmen zu ziehen, um ihnen zu predigen, wenn ich nicht der Überzeugung wäre, ich fände einen Punkt, an welchen ich die christliche Lehre anknüpfen könnte. Dieser Punkt aber kann nichts anderes sein als die angeborene Verehrung eines höheren Wesens, mag sie nun stark oder schwach sein, mag sie sich an etwas Unsichtbares oder an ein Götzenbild heften. Nur ist es schwer, zu entdecken, welcher Art jene Verehrung Gottes ist. Gemeiniglich habe ich gefunden, daß die Heiden mir in ihren Antworten auswichen, wenn ich sie nach ihrer Religion befragte. Sie sagen wohl, die Weißen wären klug und listig, sie ihres Ortes aber wären einfältig und unwissend, deshalb möge ich sie entschuldigen, wenn sie keine Auskunft gäben. Wenn ich dann aber länger mit ihnen sprach und sie auch wohl mit etwas Rauchtabak zutraulich machte, dann wurden sie offenherziger. Doch sind ihre Auskünfte immer voll Unsicherheit. Oft haben sie mir gesagt, sie glaubten, daß es ein mächtiges Wesen gebe, welches hoch über dem Monde wohne und die Erde und das Meer und alles, was darin lebe, geschaffen habe. Oder sie sagen auch wohl, sowie das Haupt ihrer Nation über alle Häuptlinge der einzelnen Dörfer erhaben sei, so sei auch der höchste Gott im Himmel erhaben über alle Häuptlinge der Nationen. Meistens sagen sie dann auch, dieser höchste Gott regiere die ganze Welt, und durch seine Allmacht hätten alle Menschen und Tiere und Pflanzen Leben und Bewegung. Er habe unbegreifliche Vollkommenheiten und Eigenschaften. Dennoch verehren selbst diejenigen, welche so sprechen, ihre Gottheit nicht in der Weise, daß man sagen könnte, sie hätten eine Religion. Sie beten nicht und opfern nicht, und wenn ich ihnen sagte, es sei sonderbar, daß sie dem allmächtigen Herrn der ganzen Welt keine Verehrung bezeugten, so antworteten sie wohl, es brauche ihn niemand zu fürchten, denn er gebrauche seine Macht niemals zum Schaden der Menschen, und er wohne hoch oben über der Sonne und dem Mond und allen Sternen. Dann habe ich wohl gesagt, dieser Gott sei herabgekommen auf die Erde, und man habe ihn gesehen, und er habe die Menschen belehrt. Aber sie wollen das gemeiniglich nicht glauben, und ein Häuptling der Betschuanen erwiderte mir einmal: »Wie kann es möglich sein, daß der höchste Gott uns würdigen sollte, zu uns zu kommen, da ja der Mond, der doch nur eine geringere Gottheit ist, sich niemals so weit erniedrigt? Welche Absicht oder welchen Vorteil könnte das höchste Wesen dabei haben, sich solchergestalt zu demütigen?« Dabei verwickeln sich diese arme Heiden aber immer in Widersprüche, denn wenn ich sie fragte, woher denn das Üble käme, das sie zu erdulden hätten, Krankheit, Armut, Tod, Sklaverei und andere Leiden, so erzählten sie wohl, ihre ersten Eltern hätten das höchste Wesen beleidigt und seitdem ständen sie unter dem Fluche. Mache ich sie dann auf ihren eigenen Widerspruch aufmerksam, da sie doch gesagt haben, das höchste Wesen thue niemand ein Leid, so werden sie gewöhnlich trotzig, leugnen ihre eigenen Worte, sagen, sie wollten überhaupt nicht mehr mit mir über Gott sprechen, und gehen weg. Ich sehe in dem allen aber eine dunkle verworrene Kenntnis der Wahrheit, welche ihren Seelen eingeboren ist, und ich lasse nicht nach, bis ich die Finsternis durch das Licht der christlichen Lehre durchbrochen habe. Bei manchem ist mir das auch durch die Gnade Jesu Christi gelungen, wenngleich es immer schwer hält, die Bekehrten dahin zu bringen, daß sie ihren Glauben nicht nur äußerlich zur Schau tragen, sondern durch ihr Leben bezeugen. Sie fallen gar zu leicht wieder in niedrige Sinnenlust zurück. So sehe ich denn dort auch jetzt meine drei christlichen Diener fröhlich zu Ehren Morimos schmausen, und ich bin überzeugt, daß sie von dem Segen des Käfers ebensoviel halten wie ihre heidnischen Stammesgenossen. Nur die stärkeren Geister unter ihnen halten die Lehre fest und bilden einen fruchtbaren Acker für das göttliche Wort. Darum lege ich auch auf die Bekehrung des Titus Afrikaner einen hohen Wert. Denn er ist zwar böser als Tausende seiner Brüder, aber er ist ein stärkerer Charakter und klüger als sie, und wenn er sich zum Christentum bekennt, so wird er ein starkes Werkzeug zur Verbreitung des Glaubens.« »Ich glaube nicht, daß es Ihnen jemals gelingen wird, den Titus Afrikaner zu bekehren,« sagte der Engländer. »Er ist ein böser Bursche, und eher frißt er uns alle mit Haut und Haar, als daß er sich taufen läßt.« »O doch, es sind gerade die Bösesten, welche sich bekehren, wenn sie nur kraftvoll und klug sind,« erwiderte der Missionar. »Wurde nicht Saulus zum Paulus und der erste aller Apostel? Die armen Heiden! die armen Heiden! Welch ein schrecklicher Gedanke, daß ihrer so viele sind, die das Heil nicht kennen! Ist es wohl erträglich für einen Christen, ihren Unglauben zu sehen und nicht alles, selbst das eigene Leben, daran zu setzen, ihnen zu helfen und sie mit dem Heiland bekannt zu machen? Ich sage mir immer, daß sie doch alle das Gute wollen und sich nach der Glückseligkeit sehnen, daß aber die Augen ihres Geistes geblendet sind, so daß sie den rechten Weg zur Seligkeit nicht finden können. So sucht ja auch dieser wilde Häuptling das Gute, nur irrt er sich und glaubt, daß die blutige Rache an den Weißen und der kriegerische Ruhm unter seinen Landsleuten dasjenige seien, was ihn glücklich machte. Kennt er aber erst einmal die christliche Liebe, so wird er aus seinem Irrtum erwachen.« Die Räuber blieben um ihre Feuer versammelt und tanzten und sangen, bis die Sonne unterging und der rote Schein der Flammen allein noch die Ebene erhellte. Droben erschienen die ewigen Lichter des Firmaments und blickten in stiller Klarheit auf die wilde Scene herab, wo Hunderte von schwarzen Gestalten in Bewegung waren und bald mit ihren glänzenden Leibern vom Feuer rot beschienen wie Teufel anzusehen waren, bald in der Finsternis verschwanden, während der wirre Jubel ihrer Kehlen weithin erscholl. Endlich gab Titus Afrikaner das Zeichen zum Aufbruch. Er kam auch zu dem Wagen, wo die Weißen sich befanden, und gebot ihnen, zu folgen. Der Missionar rief seine Diener herbei, die Ochsen wurden zusammengetrieben und eingespannt, und dann setzte sich der Zug nach den Bergen hin in Bewegung. Der Engländer hatte seine zerrissene Uniform mit einem braunen Rocke vertauscht, den ihm der Missionar aus seinem Besitz gegeben, und seinen Kopf mit einer Mütze mit breitem Schirm bedeckt, die jener ihm ebenfalls geliehen hatte. So zog alles weiter, und ein Trupp von Schwarzen folgte dem Ochsenwagen, um die heimliche Entfernung der Weißen zu verhindern. Nachdem der Zug sich etwa eine Stunde weit in das Gebirge hinein vertieft hatte, trennte er sich. Titus Afrikaner zog mit einem Teil der Krieger bergan und schien die Höhle wieder aufsuchen zu wollen, welche ihm als Festung diente, Fledermaus aber mit dem andern Teil der Schar bog in ein Thal zur linken Hand ein. Ihm mußten auch die Weißen mit dem Wagen folgen. Die Häuptlinge schienen es nicht zu wünschen, daß der Missionar die Höhle sähe, und sie erlaubten dem Engländer und dem Buernsohn, bei dem Missionar zu bleiben. Diese verdankten die Erlaubnis der Bitte und dem Ansehen des Missionars, welcher sich von seinen weißen Freunden nicht trennen wollte. Fledermaus führte seine Begleiter nun nach einer kleinen Hochebene, von welcher aus sich mehrere Schluchten hinabsenkten, und hier entdeckten die Weißen eine große Anzahl von Hütten, die, vom Monde beschienen, gleich einer ungeordneten Menge schwarzer, oben spitz zulaufender Erdhaufen dalagen. Ein Trupp von Weibern und Kindern kam ihnen entgegen und begrüßte die Krieger mit lautem, freudigem Geschrei. Auf dieser Hochebene pflegte Fledermaus zu wohnen, während Titus Afrikaner in der Höhle hauste. Hier befand sich ein Dorf von mehreren hundert Hütten. Von hier aus erspähte Fledermaus durch seine Kundschafter die Gelegenheit zu Raubzügen und die Annäherung des Feindes nach der einen Seite hin, während sein Bruder droben im Gebirge die andere Seite des umliegenden Landes dem hoch wohnenden Adler gleich unter Augen hielt. Alle Hütten waren von runder Form und aus rohem Holzwerk mit Lehm hergestellt. Die Wände etwa zwei Meter hoch, und der innere Raum drei bis vier Meter im Durchmesser groß. Rauchfang und Fenster gab es nicht. Luft und Licht kamen allein durch die Thür, und diese Thür war ein ovales Loch von weniger als Mannshöhe, welches bei Nacht mit einem geflochtenen Deckel verschlossen ward. Ein Mittelpfeiler in jeder Hütte trug die Spitze des Daches von Kegelform, das aus hölzernen Sparren gebildet und mit Schilfgras gedeckt war. Dieses Dach reichte noch über die Wände hinaus und ward draußen von Stützen getragen, die in den Boden eingerammt waren, so daß ein oben bedeckter Gang um die Hütte herumführte. Das Ganze war von einem Dornengehege eingefaßt, welches bis zum Dache aufragte und so weit war, daß noch ein Hofraum vor der Hütte gebildet wurde. Zuweilen lagen auch mehrere Hütten mit ihren Hofräumen innerhalb eines und desselben Dornengeheges. Regelmäßige Straßen gab es zwischen den Hütten nicht, sondern es ward ein wirres Durcheinander von sehr engen Gäßchen gebildet. Der Ochsenwagen war zu breit und das Gespann zu lang und breit, um in das Dorf selbst einfahren zu können. Der Missionar blieb deshalb mit seinen jungen Freunden draußen, und alle drei legten sich im Wagen selbst zur Ruhe, den Ereignissen der kommenden Zeit entgegensehend. Der vorsichtige Fledermaus stellte Posten ringsum aus, welche die Schluchten überwachen mußten und zugleich die etwaigen Fluchtversuche der Weißen verhindern konnten. Ein Tag folgte nun auf den andern, und die Lage blieb immer dieselbe. Der Missionar sah seinen Zweck erfüllt, indem er ungehindert unter den Räubern wohnen und die Predigt des Evangeliums gleich einem guten Samen ausstreuen konnte. Der Engländer aber und der Buernsohn wären wohl gern davongegangen, der eine, um zu seinem Regimente zurückzukehren, der andere, um seine Landsleute wieder aufzusuchen. Denn Pieter Maritz sehnte sich jetzt nach Hause, und gern hätte er den Tadel oder die Strafe dafür auf sich genommen, daß er die Gesandten des Zulukönigs nicht besser bewacht hatte. Aber es gab für sie beide keine Aussicht, sich entfernen zu dürfen. Die Schwarzen thaten ihnen nichts zuleide, sondern ließen sie ruhig unter sich wohnen, aber sie litten auch nicht, daß sie sich entfernten. Beständig unterhielt Fledermaus eine Postenkette, welche die Ausgänge aus dem Dorfe und der Hochebene überwachte, und es war nicht möglich, ohne seine Erlaubnis über diese hinauszugehen. Er erteilte aber diese Erlaubnis nicht, und immer fühlten sich die Weißen unter dem argwöhnischen Blick des Häuptlings und seiner Krieger. Es war dem Missionar und seinen jungen Freunden eine geräumige Hütte, deren Besitzer im Kampfe gefallen war, als Wohnung eingeräumt worden, hier herein hatten sie die Kisten und Decken aus dem Wagen schaffen lassen und wohnten nun in halb europäischer, halb afrikanischer Weise. Vor der Thür ihres kleinen Hauses war ein vertiefter Feuerplatz, auf welchem die Diener des Missionars das Essen kochten, und das Innere der Hütte war teils mit dem einfachen Hausgerät der Schwarzen, teils mit dem beweglichen Besitz des Missionars ausgestattet. Ein hölzerner Mörser, aus einem ausgehöhlten Baumstamm verfertigt und mit einer doppelten Keule versehen, diente ihnen dazu, die halb weich gekochte Hirse oder den Mais zu zerstampfen. Dazu hatten sie eine Handmühle, die aus einem flachen gehöhlten Steine bestand, in welchem ein anderer walzenförmiger Stein umhergerollt wurde. Hier wurden Hirse und Mais zermalmt und zu einer Art von Grütze gemahlen, aus welcher Brei gekocht wurde. Schüsseln aus Holz mit verziertem Rande und irdene Kochtöpfe mit Deckeln, große urnenförmige Wasser- und Biergefäße, kleinere Kalabassen, die mit spiralförmigen Linien verziert waren, und künstlich geschnitzte Löffel aus Holz und Elfenbein, deren Stiel einen Elefanten oder eine Giraffe oder einen Löwen darstellte, vervollständigten das Gerät, welches die Hütte des Betschuanenkriegers enthielt. Als Sitze dienten erhöhte Stellen des Fußbodens, aus Lehm gebildet, die mit Schaffellen überdeckt waren, und kleine dreibeinige Schemel, wie die Betschuanen sie als Luxusgegenstände besitzen. Dazu hatte der Missionar aus seinen Kisten einen Tisch und ein Büchergestell aufgebaut. Der Engländer unterhielt sich meistens damit, die Hütten der Schwarzen zu besuchen und die verschiedenartigen Gestalten und Manieren der Einwohner zu beobachten. Denn hier unter den Räubern hatte sich eine verschiedenartige Menge heimatlosen und unzufriedenen Volkes angesammelt, welche alle darauf bedacht waren, die Buern zu bekämpfen und lustig vom Raube zu leben, anstatt mühsam das Feld zu bebauen und Vieh zu hüten. Hier waren hauptsächlich Betschuanen von dunkelbrauner Farbe, mit breiter Nase und nur wenig vortretendem Munde. Sie gingen zu Hause meistens nackt, nur mit dem kleinen Schurz bekleidet, und mit Fett und Butter über und über eingerieben. Die Frauen waren auf dem Kopfe ringsum rasiert, nur oben trugen sie ihr Haar wie ein Polster, gleich dem Kissen oder Kranz, worauf die Frauen in Italien und Spanien den Wasserkrug zu tragen pflegen. Dieses Haarpolster war mit einer Pomade eingerieben, Sibilo genannt, die aus Fett und Eisenglimmer bereitet war, so daß es dicht und filzig aussah und dabei glänzte. Es war außerdem von einer Schnur von Glasperlen umgeben. Im übrigen trugen sie zahlreiche Schnüre von Glasperlen um den Hals und die Füße, so daß sie wie ein kleiner Ringpanzer den Hals und oberen Teil der Brust und ebenso die Beine von den Knöcheln bis zur Wade umgaben. Dazu waren sie mit Amuletten zum Schutz gegen die bösen Einflüsse feindlicher Geister versehen, welche sie an den Halsketten befestigten, und trugen das spatelförmige Eisen am Gürtel, womit sie sich den Kopf rasierten. Ihre kleinen Kinder trugen sie in einem Tragetuch auf dem Rücken. Die Männer ließen ihr Haar wachsen, hielten es aber kurz. Sie bereiteten es ebenfalls zu einem filzigen Polster zu oder flochten es in kurze Strähne. Sie trugen Ringe von Elfenbein, Messing oder Kupfer an Armen und Beinen und dazu ihre Waffen: Streitäxte, deren Eisen durch einen keulenförmigen Griff getrieben war, den Kirri, eine mit eingeschnittenen Figuren verzierte Keule aus hartem, schwerem Holze, Messer und Lanzen. Ihr Schild war klein, mit Fell überzogen, quadratisch geformt und mit Ausschnitten versehen. Die Kaffern waren von höherem, schlankerem Wuchs als die Betschuanen und von dunklerer Farbe. Sie waren schmaler in den Hüften und ihre Muskeln an Unterarm und Wade schwächer. Die Nase an der Wurzel ziemlich breit, oben abgerundet, die Nasenflügel etwas nach außen und nach oben gerückt, was etwa die Gestalt eines gekrümmten Schnabels gab. Die aufgeworfenen Lippen hatten einen fahlen, ins Graue spielenden Farbenton. Die Augen waren nur bei den Kindern schön, da nur bei diesen ein reines Weiß die tiefbraune Iris umgab. Bei älteren Kaffern war dies Weiß braunfleckig. Das Haar war bei Männern und Frauen hart und bei den meisten ähnlich wie bei den Frauen der Betschuanen geschoren. Sie trugen Mäntel von Tierfell, schwere Ketten von Schakals- oder Tigerzähnen um den Hals, Perlen in den Ohren, Ringe um Arme und Beine. Die Frauen waren ebenfalls mit dem Ingubo, dem Mantel aus Tierfell, und dazu oft noch mit einem ledernen Unterrock bekleidet. Die Kaffern zeigten sich hochmütiger als die andern, liebten es, zu prahlen, waren aber dabei unverschämte Bettler, die fast immer die Hütte der Weißen umlagerten, um Speise, Tabak, Bier und andere Dinge zu erhaschen. Auch logen sie viel und heuchelten. Mancherlei wertvolle Dinge bargen die Hütten der Räuber, solche Gegenstände, welche für gewöhnlich bei den Schwarzen nicht gefunden werden, welche diese sich aber auf ihren Raubzügen verschafft hatten. Dahin gehörten namentlich Kunstwerke der südafrikanischen Schmiedekunst, wie die Betschuanen sie zu bereiten verstehen: eiserne Geräte, Schalen von Kupfer, Ketten von Kupfer und sogar von Gold. Auch kunstvoll gearbeitete Wurfspieße und Streitäxte und allerhand Hausgerät von Elfenbein, dazu kostbare Zieraten von bunten Perlen, Messing- und Golddraht. Die Nahrung der Leute bestand zumeist aus Hirse, Kafferkorn, Kürbissen, Milch, Wurzeln, Zwiebeln, Rüben und den Früchten des Gelbholzbaumes. Milch war ihnen die liebste Speise. Sie hatten eine große Herde in Besitz, die in der Nähe des Dorfes weidete, und in jeder Hütte hingen lederne Säcke, in welchen die gemolkene Milch gesammelt wurde, um sauer gegessen zu werden. Sie verzehrten sie vermittelst eines Pinsels oder Quastes von Binsen, den sie hineintauchten und dann ableckten. Das für den täglichen Gebrauch nur abgesottene und in kleinen Körben aufgetragene Korn aßen sie mit der bloßen Hand oder einem Stückchen Holz oder mit Eisen oder einer Muschel. Zweimal am Tage aßen sie, morgens um zehn und abends um neun Uhr. Der Mann, als Herr über alles, teilte das Essen aus, nur für die ganz kleinen Kinder, welche die Milch von einer für sie bestimmten Kuh erhielten, sorgten die Mütter. Die Männer aßen für sich unter freiem Himmel, die Frauen jede einzeln im Hause, die Knaben saßen hinter den Männern, die Mädchen bei den Frauen, und die Kinder mußten mit dem fürlieb nehmen, was die Alten ihnen reichten. Vor und nach dem Essen spülten sie sich den Mund aus. Sonst aber waren sie sehr unreinlich, wuschen sich die Hände weder vor noch nach dem Essen, reinigten niemals die Schüsseln, fingen sich das Ungeziefer vom Leibe und aßen es auf. Nur die Hunde, deren es in den meisten Hütten gab, sorgten etwas für Reinlichkeit, indem sie die Schüsseln ableckten. Der Missionar pflegte regelmäßig am Abend auf einem freien Platze in der Nähe seiner Hütte einer größeren oder kleineren Versammlung, die sich um ihn zusammenfand, Geschichten zu erzählen, in welche er eine Lehre verwob. Er ging darauf aus, die Schwarzen an sich zu gewöhnen und sie zu unterhalten, um dann nach und nach den ernsten und heiligen Zweck seiner Anwesenheit unter ihnen mehr zu betonen. Sie kamen auch gern und hörten ihm zu, aber sowohl er als seine jungen Freunde hatten bei Tag und bei Nacht viel unter ihrer Zudringlichkeit und Unverschämtheit zu leiden. Sie betrachteten zu Anfang Gesicht und Kleidung der Weißen, ihr Benehmen, ihre Art und Weise, zu sitzen, zu stehen, zu gehen, zu sprechen, zu essen und zu trinken, machten ihre Bemerkungen darüber und witzelten und lachten. Sobald sie sich aber an das Fremdartige der Erscheinung gewöhnt hatten, bemächtigte sich Gleichgültigkeit ihrer Gemüter, und sie waren nur noch darauf versessen, zu betteln und zu stehlen. Sie drängten sich zu Haufen in den Zaun und die Hütte ein, saßen auf den Sitzen, den Schemeln und den Kisten umher, hockten um die Feuerstelle und betrachteten alles mit begehrlichen Augen. Oft fehlte auch dieser oder jener kleinere Gegenstand, ein Löffel oder eine Schale, und es war nicht zweifelhaft, daß die Schwarzen ihn mitgenommen hatten. Sie thaten oft ganz so, als wären sie bei dem Missionar zu Hause, schliefen, schwatzten, rauchten in seiner Hütte und beschmutzten alles mit ihren fettigen Leibern. Mehrmals mußte ein Kaffer von dem Schreibtisch selbst heruntergeworfen werden, wo er sich, das Kinn zwischen den Knieen und die Dachapfeife im Munde, hingehockt hatte. Einmal hatten mehrere Kaffern einen gußeisernen Topf gestohlen, mit dessen Beschaffenheit sie nicht vertraut waren, da sie nur geschmiedetes Eisen kannten. Sie hatten ihn vom Feuer genommen, als Kobus, welcher das Kochen besorgte, nicht Achtung gegeben hatte; da er aber sehr heiß war, ließen sie ihn aus den Händen fallen, während sie ihn über die Dornenhecke befördern wollten, und er zerbrach auf einem Stein. Nun trugen sie die einzelnen Stücke zum Schmied, um sich Werkzeug daraus machen zu lassen, machten ein Kohlenfeuer, und die Scherben wurden mit Zangen in die Glut gehalten, um weich zu werden. Als sie aber glühend unter den Hammer kamen und nun, anstatt sich zu biegen, in viele kleine Stücke zersprangen, gleich als wären sie von Glas, da standen die Kaffern ganz verwirrt dabei und glaubten, der Missionar hätte, um sie für ihren Diebstahl zu bestrafen, den Topf verzaubert. Unter all dem Ungemach, welches er von der Roheit und Unwissenheit der Schwarzen zu erdulden hatte, tröstete den Missionar jedoch immer wieder das Benehmen des Titus Afrikaner. Oft, wenn er im Kreise der Räuber auf dem freien Platze neben dem Dorfe Geschichten erzählte und lehrte, gab sich eine Bewegung unter seinen Zuhörern kund, und er bemerkte alsdann die finster drohende Gestalt des Häuptlings, der vom Berge niedergestiegen war, um an der Unterhaltung teilzunehmen. Zwar hätte ein anderer Mann als dieser herzenskundige Lehrer des Evangeliums sich wohl schwerlich über diesen Besuch gefreut. Denn Titus Afrikaner saß in seiner Waffenrüstung und mit dem Löwenfell gleich einem unheilvollen Feinde da, warf düstere Blicke auf den Missionar und die Schar der mit kindlicher Aufmerksamkeit zuhörenden Räuber und lachte verächtlich auf, wenn eine Lehre vorgetragen wurde, welche sich auf die Unsterblichkeit der menschlichen Seele und die christliche Liebe bezog. Ja, wenn der Missionar geendigt hatte, ergriff wohl der Häuptling das Wort, verspottete ihn und stieß Beleidigungen gegen den Lehrer und seine Lehre aus. Aber alles dies konnte die Geduld des alten Mannes nicht ermüden und ihn in seiner Hoffnung nicht wankend machen. Sah er doch, daß der Häuptling immer wiederkam, daß seine Besuche immer häufiger wurden und daß er jedem Worte sorgsam lauschte. Fledermaus dagegen nahm keinen Anteil an den Predigten des Missionars, sondern betrachtete mit kaltem Auge alles, was die Weißen betraf. Er dachte an Beutezüge, aber beschäftigte sich nicht mit geistiger Arbeit. Sicherlich hätte er schon längst, so dachte der Missionar, die Weißen davongejagt, wenn nicht ein anderer Einfluß, der Befehl seines Bruders, ihm vorgeschrieben hätte, was er thun sollte. [Illustration: Der Missionar unter den Kaffern.] Eines Tages ereignete sich ein bemerkenswerter Vorfall, welcher eine Veränderung in dem Benehmen des Häuptlings hervorrief. Als der Missionar nachts in tiefem Schlafe lag, berührte eine Hand seinen Arm, und erwachend hörte er Pieter Maritz' Stimme, welcher ihm zuflüsterte, er möge aufstehen und auf seiner Hut sein, da es ihm schiene, als wollte jemand in die Hütte einbrechen. Beide weckten nun den Lord, und vereinigt gaben sie Achtung auf ein sonderbares Geräusch an der einen Seite der Hüttenwand. Sie hielten sich ganz still, und Pieter Maritz sowie der Engländer hatten zu ihrer Verteidigung ihre Messer, mit denen sie zu essen pflegten, bereit, da diese ihre einzige Waffe waren. Sie sahen nach wenigen Minuten zwei Gestalten durch die durchbrochene Wand hereinkommen und eine von diesen sofort nach dem Platze eilen, wo der Missionar zu schlafen pflegte, und einen furchtbaren Hieb mit der Streitaxt nach dem Kopfende führen. Es war nicht hell genug, um die Personen zu erkennen, aber es fiel doch genug Licht durch die Ritzen der Hütte und die durchbrochene Wand herein, um die Bewegungen der Gestalten zu sehen. Als nun die jungen Leute sich mit lautem Rufen auf die beiden Schwarzen warfen, gerieten diese in Bestürzung und Schrecken, der eine floh ohne weiteres durch das Loch zurück, der andere leistete noch kurze Zeit Widerstand, erhielt dabei einen Messerstich von des Engländers Hand in den Arm und entkam dann gleichfalls. Über diesen Einbruch beklagte sich der Missionar am folgenden Morgen bei Fledermaus, aber dieser machte nichts aus der Sache, sondern fertigte den Kläger mit der kurzen Bemerkung ab, er möge zufrieden sein, daß man ihm keinen Schaden zugefügt habe. Hierdurch wurden die beiden Einbrecher so frech gemacht, daß sie sich nicht versteckten, sondern gerade heraus sagten, sie seien es gewesen und würden ein anderes Mal wohl besseres Glück haben. Aber am Abend dieses Tages kam Titus Afrikaner, und als er von der Geschichte hörte, geriet er in großen Zorn. Er ließ die beiden Leute, deren einer den Arm verbunden hatte, herbeikommen und fuhr sie hart an. »Wißt ihr nicht,« sagte er, »daß die Weißen unter dem Schutze eures Häuptlings stehen? Wißt ihr nicht, daß der Weißbart dem Morimo geheiligt ist? Habt ihr vergessen, daß Morimo selbst sich auf seinem Haupte gezeigt hat? Wer die Mordwaffe gegen das Haupt erhebt, das von Morimo geheiligt ist, der ist des Todes schuldig.« Tief erschrocken flehten ihn die Übelthäter um Gnade an, aber der Häuptling blieb unerbittlich und ordnete an, daß sie auf der Stelle getötet würden. Schon wurden sie abgeführt, und die Speere, mit denen sie niedergemacht werden sollten, blinkten schon in der Abendsonne, denn der Respekt vor dem Häuptling war groß, und Menschenleben standen nicht in hohem Preise unter dieser Schar -- da gebot der Missionar Halt und wandte sich bittend an Titus Afrikaner. »Laß diese Leute leben!« sagte er. »Woher sollen sie Zeit nehmen, ihre Übelthat zu bereuen, wenn du sie tötest?« Erstaunt und betroffen sah der Häuptling ihn an und schwieg eine lange Weile, während in seinem Gesichte ein rascher Wechsel der Empfindungen zu lesen war. »Du bittest für Schurken, die dich haben ermorden wollen?« fragte er endlich mit weicher Stimme. »Es ist die Lehre Gottes, dem ich diene, daß der gute Mensch auch seine Feinde liebt,« antwortete der Missionar. »Und wie kann ein Mann seine Feinde lieben?« fragte jener. »Er kann sie lieben, weil er einsieht, daß seine Feinde nur im Irrtum sind, wenn sie ihn berauben und töten wollen. Denn sie glauben doch, daß es ihnen nützen würde, wenn sie sich fremdes Besitztum aneigneten und ihre Gegner umbrächten. In Wahrheit aber thun sie sich selbst damit den größten Schaden, denn sie werden nichts antworten können, wenn sie dereinst nach ihrem Tode von dem Gott, welcher ein Richter ist, gefragt werden, ob sie im Leben gut und edel gewesen sind. Vorlügen können sie ihm nichts, denn er weiß alles. Dann aber werden sie nicht in den Himmel kommen, sondern in die Hölle. Wenn ich nun weiß, wie übel es denen ergehen wird, die mir Schaden thun, muß ich da nicht Mitleid mit meinen Feinden haben?« »Gebt die Leute frei und tötet sie nicht!« rief der Häuptling. Am andern Tage aber kam er schon früh, was gegen seine Gewohnheit war, zu dem Missionar und führte ihn auf einen einsamen Platz unter einem schattigen Baume. »Mein Vater,« sagte er, »ich hatte diese Nacht einen bösen Traum.« »Was träumte dir?« fragte der Missionar. »Mir träumte, daß ich am Fuße eines steilen und felsigen Berges stünde, über welchen ich hinübergehen mußte. Es gab nur einen einzigen Pfad, welcher zum Gipfel führte, und dieser ging an einem tiefen Abgrunde hin. Aus diesem Abgrunde drangen Rauch und Flammen empor, und Blitze zuckten aus ihm hinauf. Der Anblick machte mich fürchten, ich wandte mich ab und ging zur Seite. Da stand ich vor einer großen Finsternis, so daß ich mich nicht zurecht finden konnte, und aus diesem dunklen Lande scholl mir eine Donnerstimme entgegen und rief mir zu, es gebe keine Flucht für mich, sondern ich müßte über den engen Pfad. Ich versuchte nun, ihn hinanzuklimmen, aber die Hitze aus dem brennenden Abgrunde war furchtbar, so daß ich in Todesschweiß niedersank. Aber als ich zu Boden fiel, wandte sich mein Blick aufwärts zu dem Gipfel des Berges und sah eine Gestalt auf einem grünen Hügel stehen. Diese Gestalt war sehr hell, denn sie ward von der Sonne beschienen, und sie kam mir auf dem schmalen Wege entgegen, streckte die Hand gegen mich aus und winkte mir. Da raffte ich mich auf, hielt beide Hände von der Seite vor mein Gesicht, um es vor der Glut des Abgrunds zu schützen, und kletterte empor durch Rauch und Glut, obwohl ich es unerträglich für menschliche Gestalt fand. Und endlich kam ich am Abgrunde vorbei und nahe dem grünen Hügel, auf dem der Fremde gestanden hatte, und das Land war ringsum hell und schön, aber als ich nun den Fremden, der vor mir hergeglitten war, anreden wollte, da wachte ich auf.« »Und was denkst du selbst über diesen Traum?« fragte der Missionar. »Was, meinst du, könnte seine Bedeutung sein?« »Dieser Traum sitzt in mir, wie ein vergifteter Pfeil im Fleisch sitzt,« entgegnete der Häuptling. »Ich kann es nicht aushalten, darüber nachzudenken, außer in einer einzigen Art.« »Und welche Art ist dies?« »Ich denke, der Pfad war der schmale Weg, von dem du gesprochen hast, daß er zum Himmel führe. Die helle Gestalt aber ist der Heiland, von dem du gesagt hast, daß er alle Menschen erlösen wolle. Das Feuer und der Rauch aber sind die Mühsale, die ich zu überstehen habe, wenn ich ein guter Mensch und ein Christ werden will. Denn ich bin ein Häuptling, und meine Krieger werden mich verachten, die Buern aber werden mich töten, wenn sie mich nicht mehr zu fürchten haben.« Nachdem er dies gesagt hatte, stand der Häuptling auf, ging langsam von dannen und ließ sich eine Woche lang nicht wieder sehen. Die Weißen aber erhielten nach dieser Zeit die Nachricht, daß die Räuber eine Ratsversammlung, einen Pitscho, wie die Betschuanen sagen, abhalten wollten. Der Pitscho sollte auf der Khotla, dem freien Platze neben dem Dorfe des Fledermaus, sein. An dem bestimmten Tage sahen die Weißen eine Schar Krieger nach der andern herankommen, denen die Anführer mit seltsamen Sprüngen und mit hoch geschwungenen Waffen voranschritten. Alle die verschiedenen Abteilungen der großen Räuberschar, welche ringsum im Gebirge verteilt wohnten, kamen zusammen. Sie bildeten einen Kreis um einen großen Raum in der Mitte, hockten alle am Boden nieder und stellten ihre Schilde vor sich, so daß eine geschlossene Wand wie eine Barriere den inneren Kreis bezeichnete, während dahinter dichte Scharen lagerten. Alsdann stimmten sie einen gemeinsamen Gesang an, und Titus Afrikaner als der Vornehmste unter ihnen führte einen Tanz auf, indem er mit feierlichen Schritten und Sprüngen inmitten des freien Platzes die Musik begleitete. Hierauf hockte auch er nieder, und nun stand einer der Führer auf und hielt eine Rede, welche er mit dreimaligem Geheul einleitete. Diese Rede enthielt eine scharfe Verurteilung der beiden Häuptlinge Titus Afrikaner und Fledermaus und war mit sehr spitzigen Bemerkungen gewürzt. Er sagte, daß die Häuptlinge in ihrer Sorge für das Wohl des Volkes nachgelassen hätten. Besonders sei Titus Afrikaner zu tadeln. Anstatt sich bei den Führern der Krieger Rats zu holen, sitze er mit den Weißen zusammen, und sie schwatzten wie die Weiber. Darüber werde vergessen, Raubzüge in das umliegende Land zu unternehmen und Vieh zusammenzutreiben. Man könne sehen, daß die Häuptlinge fett würden, und das sei kein gutes Zeichen, denn die Beleibtheit eines Häuptlings verrate, daß er sich wenig Sorge um seine Untergebenen mache und den Gebrauch der Waffen vernachlässige. Nachdem der Redner geendigt hatte, trat ein anderer auf, und nach diesem ein dritter. Ein jeder brachte ähnliche Klagen vor. Das Vieh verringere sich, das Ansehen der Schar nehme ab, die Krieger würden unter solchen Verhältnissen unlustig. Und zum Schluß richtete ein vierter Redner unter allgemeinem Beifall der Versammlung die Aufforderung an Titus Afrikaner, alsbald den jungen Engländer für ein gutes Lösegeld seinen Landsleuten zurückzugeben, den Buernsohn zu töten und den Missionar fortzuschicken, dann aber sogleich einen großen Zug in das Buernland zu unternehmen, um die Würde seines hohen Amtes wiederherzustellen. Der Missionar, welcher nebst dem Lord und dem Buernsohn der Versammlung außerhalb des Kreises beiwohnte, war nicht verwundert über diesen Gang der Verhandlung, da ihm wohl bekannt war, mit welchem Freimut bei den meisten südafrikanischen Völkern die Pitschos hinsichtlich der Häuptlinge verfahren. Aber er war verwundert, als er, nachdem die Ankläger still geworden waren, keine Entgegnung vernahm. Denn in der Regel pflegt der getadelte Häuptling, wenn alle Unzufriedenen geredet haben, sich zu verantworten. Er pflegt seine ganze Beredsamkeit bis zum Ende der Verhandlungen aufzusparen, um dann die gehaltenen Reden zu zergliedern und in wütender Sprache diejenigen zu geißeln, welche gewagt haben, ihm ihre Füße auf den Nacken zu setzen. Aber hier geschah dergleichen nicht. Titus Afrikaner blieb mit gesenktem Haupte sitzen, als ginge die Sache ihn nichts an oder als wisse er nicht, was er sagen solle. Alle blickten verwundert auf ihn, und sein Bruder Fledermaus erhob sich und sah ihn vorwurfsvoll an. »Redest du nichts?« fragte Fledermaus. »Weißt du nichts zu sagen, und soll ich als Jüngerer für dich sprechen?« Titus Afrikaner erhob sich langsam, stützte sich auf die Streitaxt, die er in der rechten Hand trug, sah mit wehmütigem Blicke über die Versammlung hin, und sein Gesicht zuckte von schmerzlichen Gefühlen. »Meine Freunde,« begann er, »es war eine Zeit, wo ein Häuptling in den fernen Thälern wohnte, dort, wo die Sonne um Mittag steht. Er wohnte mit seinem Bruder und seinen Schwestern in den Gefilden, die seinen Vätern gehört hatten, und ringsum waren die Wiesen bedeckt von seinem Vieh. Er war glücklich und reich. Aber Morimo zürnte ihm und ließ die weißen Männer in sein Land kommen. Er verlor durch die Buern alles, was er hatte, sein Vieh, seine Familie, seine Wiesen und Äcker, es blieb ihm nur sein treuer Bruder, und es blieben ihm seine Waffen und einige Freunde. Er schwur, daß er den Weißen nie verzeihen werde, und zog in das Gebirge; dort versammelte er viele hundert tapfere Männer um sich und führte Krieg gegen die Buern. Wiederum ward er reich und stark, aber glücklich ward er nicht. Denn in seinem Herzen peinigte ihn jenes unsichtbare Wesen, von welchem die weißen Männer Kunde haben, und machte ihn unruhig. Es flüsterte ihm zu, daß die erschlagenen Männer und die verwaisten Kinder ihm zürnen und ihm keine Ruhe lassen würden, wenn sie ihm dereinst nach dem Tode an jenem Orte über der Erde begegneten, wo die Verstorbenen leben. Nun ist dieses unsichtbare Wesen so stark in ihm geworden, daß es ihn betäubt und ihm den Anblick seiner Krieger und des fetten Viehes verleidet. Er will nicht mehr mit den Waffen in die Ebene ziehen und Mord und Brand unter den Weißen verbreiten. Darum fahrt wohl, kriegerische Waffen und Schmuck des Häuptlings! Titus Afrikaner will euch nicht mehr tragen, er will im Verborgenen leben und Gott bitten, daß er seiner Seele gnädig sei.« Mit diesen Worten legte der Häuptling die Streitaxt und die Büchse zu Boden, streifte die goldenen Ringe von den Armen und nahm die Kriegsfedern vom Haupte. Einen Augenblick herrschte tiefes Schweigen in der bestürzten Versammlung, dann aber erhob sich lautes Schreien und höhnisches Lachen, mehrere der Führer aber zückten ihre Wurfspieße, als wollten sie den Häuptling niederstoßen, der ein in ihren Augen so jämmerliches Schauspiel bot. Aber mit einem Male änderte sich die Haltung des Pitscho, und von neuem trat Schweigen ein. Zwei dunkle geschmeidige Gestalten traten in den Kreis ein, und Pieter Maritz erkannte in diesen die Gesandten des Zulukönigs, Humbati und Molihabantschi. [Illustration] [Illustration] Elftes Kapitel Die Reise in das Zululand In dem ehrfurchtsvollen Schweigen, welches die Erscheinung der Zulus unter den Räubern hervorrief, erkannte der Missionar die Bedeutung der beiden Männer, die er einst vom Tode durch die Gewehre der Buern errettet hatte, und er fand darin zugleich die Bestätigung einer Vermutung, welche er seit seinem Aufenthalte im Dorfe des Fledermaus gehegt hatte. Es war ihm nämlich so vorgekommen, als ob die Macht des Titus Afrikaner nicht allein auf dessen eigener Kraft beruhe. Die Menge der Kaffern, welche sich unter der Schar befanden, die Art und Weise, mit welcher er von dem Zulureiche Tschetschwajos hatte sprechen hören, und die Nähe der Grenze jenes Reiches hatten ihn oft denken lassen, daß die Räuber im Gebirge die Unterstützung des mächtigen Fürsten genössen, der in ganz Südafrika gefürchtet war, und daß sie gleichsam einen Vorposten der Zulumacht bildeten. In dieser Vermutung ward er jetzt durch die Ereignisse bestärkt. Humbati und Molihabantschi, welche offenbar den Häuptlingen bekannt waren, benahmen sich im Pitscho, als seien sie die Gebieter, und während sie von allen Seiten mit tiefen Verbeugungen begrüßt wurden, trafen sie Anordnungen, welche sofort als gültig anerkannt wurden. Sie geboten, daß die Scharen der Krieger bei gemeinsamer Mahlzeit in der Khotla bleiben, daß aber sämtliche Häuptlinge sich zu einer geheimen Beratung zurückziehen sollten. So geschah es. Die große Menge blieb zurück und rüstete einen Schmaus zu, Humbati und Molihabantschi aber gingen mit den Häuptlingen in den Hofraum, welcher die große Hütte des Fledermaus umgab. Dort blieben sie lange Zeit in Beratung zusammen. Die Weißen begaben sich währenddessen, nicht ohne Sorge wegen des Verlaufs der Dinge, in ihre eigene Hütte und besprachen miteinander, was geschehen war. Die Umwandlung in der Seele des Titus Afrikaner hatte sie tief berührt, und während der Missionar sich im Dankgebet an Gott wandte, der solche Wunder unter den Heiden wirkte, erkannten der junge Lord sowohl wie Pieter Maritz so hell wie nie vorher die nie erlöschende Macht der ewigen Wahrheit in den Herzen der Menschen. Ihr Zusammensein wurde nach einigen Stunden durch die Erscheinung Humbatis unterbrochen. Mit höflicher Verneigung und freundlichem Lächeln trat der Gesandte herein und ließ sich nach Aufforderung des Missionars auf einen Schemel nieder. »Mein Vater,« sagte er mit demütigem Blick zu dem Missionar, »du warst unser Beschützer. Wenn deine Hand uns nicht schirmte, wären Humbati und Molihabantschi tote Männer. Wir sind deine Diener, wir gehören dir an. Siehe dort drüben, in wenigen Tagereisen zu erreichen, wohnt der große Tschetschwajo. Er wird meinem Vater zu danken wissen, was dieser uns Gutes erwiesen hat. Denn er ist sehr reich und mächtig, wir aber sind arm und schwach. Mein Vater möge die Güte haben, uns zu dem König zu begleiten.« Obgleich voll Mut und Gottvertrauen, hörte der Missionar diesen Vorschlag doch nicht ohne Schrecken. Er hatte genug über den Zulukönig vernommen, um zu wissen, daß es keinen Mann im ganzen Südafrika gab, der mehr zu fürchten gewesen wäre. Tschetschwajo war als Tyrann ohnegleichen berüchtigt, er war ein großer Menschenmörder, Blut strömte wie Wasser in seinem Lande. »Mein Freund,« erwiderte er nach kurzem Nachdenken, »ich erkenne die Güte an, welche du mir erweisen willst, aber ich bin nicht gesonnen, so weit zu reisen. Ich habe mir vorgenommen, die christliche Lehre hier unter den Anhängern des Titus Afrikaner zu verbreiten, und da ich mit dieser Aufgabe noch nicht fertig bin, will ich hier bleiben. Was sollte ich bei deinem Könige? Ich bin nicht begierig nach Dank und Lohn. Wir Christen thun das Gute nicht der Belohnung wegen, sondern weil unser Gott es uns so befohlen hat.« »Ich weiß,« entgegnete der Zulu. »Aber mein Vater möge überlegen, ob er hier in Sicherheit noch länger wohnen kann. Gewiß hat er ein Beispiel seiner großen Beredsamkeit gegeben, indem er das Herz des Titus Afrikaner nach seinem Willen gebeugt hat, aber Titus Afrikaner wird ihn nicht länger beschützen können, da er nicht mehr Häuptling ist. Sein Bruder Fledermaus ist an seine Stelle getreten und wird im Gebirge die Herrschaft führen. Die Krieger aber zürnen dem weißen Manne, weil er das Herz des Häuptlings erweicht hat, und diese rohen und ungebildeten Männer können leicht eine Frevelthat an dem ehrwürdigen Haupte meines Vaters begehen, da sie dessen Heiligkeit nicht zu schätzen wissen. Mein Vater möge mit uns gehen. Tschetschwajo wird sich freuen, denjenigen ehren zu können, der seinen Knechten Wohlthaten erwies.« »Es ist nicht möglich,« sagte der Missionar kopfschüttelnd. »Diese Reise würde mich zu weit führen. Du als ein kluger Mann weißt selbst, daß ein Mann den Kreis seiner Thätigkeit nicht zu weit ausdehnen sollte, weil er sonst seine Kraft gebrochen sieht, wie der Bogen zerbricht, der zu straff gespannt wird. Meine Wirksamkeit soll sich auf dieses Land beschränken. Hier hoffe ich durch anhaltende Thätigkeit die Früchte an den Bäumen reifen zu sehen, die ich pflanzte. Gehe ich in ein neues Land, so möchte ich in dem alten nicht nur die Früchte, sondern auch die Bäume verlieren.« »Mein Vater ist sehr weise,« entgegnete der Zulu, »und sicherlich hat Humbati nicht die beredte Zunge, um mit ihm streiten oder ihn belehren zu können. Aber mein Vater möge Mitleid mit den Gesandten Tschetschwajos haben. Der König wird erfahren, was geschehen ist. Er wird hören, daß der weiße Mann hier ist, und er wird uns fragen, ob unser Betragen Anlaß gegeben hat, daß er uns nicht hat begleiten wollen. Er wird zornig werden, wenn wir allein kommen. Er wird es nicht glauben wollen, daß wir den weißen Mann eingeladen haben, an seinen Hof zu kommen. Er liebt es, kluge Männer bei sich zu sehen, und er hat hohe Achtung vor den Lehrern der Weißen. Uns wird er die Schuld geben, wenn mein Vater nicht mit uns kommt, und uns wird sein Zorn treffen. Ehe die Sonne untergeht an dem Tage, wo wir vor sein Antlitz treten, werden unsere Köpfe fallen. Darum, wenn mein Vater uns wirklich liebt, möge er uns begleiten.« Der Zulu sprach so ernst und eindringlich, daß der Missionar nachdenklich ward. War diese Einladung nicht vielleicht eine Fügung Gottes und wies darauf hin, daß der blutige Tyrann für die christliche Lehre empfänglich gemacht werden sollte? »Was wird aus meinen Begleitern werden, aus diesem Bauernknaben und aus dem englischen Krieger?« fragte er. Der Zulu besann sich keinen Augenblick. »Diese beiden werden auf jeden Fall mit uns gehen,« sagte er. »Ich habe Befehl gegeben, daß beiden ihre Pferde und Waffen zurückgegeben werden, denn die Begleiter meines Vaters dürfen nicht beraubt werden. Ich werde sie vor das Angesicht Tschetschwajos führen, und der König selbst wird über ihr Schicksal entscheiden.« »Habt ihr verstanden?« sagte der Missionar, sich in englischer Sprache an seine jungen Begleiter wendend. »Eure Lordschaft und du, Pieter Maritz, sollt die Reise noch weithin fortsetzen. Dieser Gesandte des Zulukönigs will euch zu Tschetschwajo bringen.« »Meiner Treu,« sagte der Lord, »vorausgesetzt, daß ich nicht zu Fuße gehen soll, bin ich bereit, bis ans Ende der Welt zu ziehen. Ich fühle mich von einem Dämon erfaßt, der mit mir umspringt, als wäre ich ein Federball. Ich habe allen eigenen Willen verloren und werde mich über nichts mehr wundern. Ich habe hier in Afrika schon so viel erlebt, daß ich nicht erstaunen würde, wenn ich etwa selbst noch schwarz würde und mich mit Butter einriebe.« »Und was mich betrifft,« fügte Pieter Maritz hinzu, »so vertraue ich auf Gott, und so lange ich in Eurem Schutze bin, Mynheer, werde ich auch Tschetschwajo nicht fürchten.« »Aber wenn ich dich nun bäte, mir deine Dankbarkeit dadurch zu bezeugen, daß du diese jungen Leute heimkehren ließest?« fragte der Missionar den Zulu. »Sie sehnen sich nach ihrer Heimat. Laß sie ziehen, gieb ihnen die Freiheit. Ich aber will mit dir gehen.« »Es ist unmöglich,« antwortete Humbati. »Ich würde den Zorn des Königs auf mich laden. Dies muß außer Frage bleiben. Die Jünglinge müssen mit mir gehen.« Er richtete seine glänzenden Augen auf die jungen Leute. »Wenn die weißen Jünglinge mir ihr Wort geben wollen, nicht zu entfliehen,« sagte er in seinem gebrochenen Englisch, »so werde ich ihnen ihre Pferde lassen, damit sie reiten können. Und auch ihre Waffen werde ich ihnen geben, denn es ist für einen Krieger schmerzlich, unbewaffnet zu gehen.« Beide versprachen, nicht entfliehen zu wollen, und nun wandte sich Humbati von neuem an den Missionar und bat ihn wieder mit flehendem Tone, gleichfalls mitzuziehen und ihn nicht der Gefahr auszusetzen, den Zorn des Königs ertragen zu müssen. »Nun, wie Gott will!« rief der Missionar. »Ja, ich werde mit dir ziehen.« Hocherfreut stand der Zulu auf und ging hinaus, um die Vorkehrungen zum Aufbruch zu treffen, und auch die Weißen packten ihre Habseligkeiten zusammen und sahen nach dem Wagen und den Zugochsen. Draußen hatte sich die Scene sehr verändert. Die Khotla war leer, die Kriegerhaufen waren abgezogen, aber die Bewohner des Dorfes standen in Gruppen beisammen und hatten viel miteinander zu reden. Es dauerte noch einige Stunden, bis alles zur Abreise gerüstet war, bis Jan, Christian und Kobus das Gepäck des Missionars auf den Wagen gebracht und die Ochsen zusammengetrieben und eingespannt hatten und bis endlich die Pferde und Waffen herbeigeschafft worden waren, wie Humbati versprochen hatte. Der Lord und Pieter Maritz erwarteten diesen Augenblick in fieberhafter Aufregung. Acht Wochen lang hatten sie in dem Dorfe einsam unter Schwarzen gesessen, und diese Zeit war ihnen wie eine traurige Gefangenschaft erschienen. Die Aussicht, ihre Pferde wiederzusehen, war für sie ein Gefühl, als sollten ihnen Flügel wachsen, mit denen sie sich aus dem Kerker emporschwingen und die Freiheit erreichen könnten. Der Gedanke, wieder im Sattel sitzen und davonreiten zu können, war für sie so süß, daß sie darüber selbst die Besorgnis vergaßen, welche ihnen die erzwungene Reise ins Zululand einflößen mußte. Die Wunde des Lord war inzwischen vollständig geheilt. Längst hatte er das Pflaster abgenommen, und der Riß in der Haut zeigte sich vollständig geschlossen, nur noch eine rötliche Narbe war zurückgeblieben. Ja, es zeigte sich zu seinem Erstaunen nicht notwendig, den Faden, mit welchem der Riß zusammengenäht worden war, herauszuziehen. Da dieser aus Tiersehnen bestanden hatte, war er vom Fleisch vollständig aufgesogen worden und verschwunden. Als nun die Tiere endlich erschienen, von zwei Kaffern am Zügel geführt, Sattel und Zaumzeug in leidlicher Ordnung und die Tiere selbst, wenn auch nicht eben blank geputzt, so doch gut gefüttert und gesund, da brachen dem Buernsohn die Thränen aus den Augen hervor, und der Lord wurde nur mühsam seiner Bewegung Meister. Pieter Maritz lief mit einem Freudenschrei auf Jager zu, umarmte seinen Hals und Kopf, drückte die Wangen an die Nüstern des Pferdes und ward nicht müde, es zu streicheln und mit ihm zu sprechen. Auch Jager freute sich des Wiedersehens, rieb den Kopf an des Knaben Schulter, wieherte und scharrte mit dem Fuß. Voll Lust schwang sich der Knabe in den Sattel und ritt voll Wonne auf dem freien Platze umher. Lord Fitzherbert betrachtete mit emporgezogenen Lippen den Sattel auf seines Rappen Rücken. Die ehedem helle Lederfarbe war schwarz geworden und das Leder war ganz von Fett durchtränkt, ein Zeichen, daß gar manches Mal ein fettglänzender Räuber darauf gesessen hatte. Aber er überwand den Ekel über den Zustand des Sattels in der Freude über den wiedererlangten Besitz des schönen Pferdes. So stieg auch er hinauf und probierte das Tier in allen Gangarten. Es war etwas aus der Übung gekommen und hatte die schulmäßigen Gänge etwas verlernt, aber es war gesund auf den Beinen, und der junge Offizier atmete erleichtert auf. Dann wurden von den Räubern die Waffen gebracht. Pieter Maritz ergriff das gute Gewehr, welches schon sein Vater geführt hatte, und sah, daß die der Feuerwaffe kundigen Schwarzen es in gutem Stande gehalten hatten. Es war rein und gut geölt, die Federn spielten richtig. Auch den Gurt mit den Patronen und den Hirschfänger erhielt er zurück, und bald war er wieder beritten und gerüstet wie damals, wo er vom Buernlager ausritt, um die Zulus zu überwachen. Nur hatte sich die Sache in ihr Gegenteil verkehrt: er war der Gefangene, und Humbati und Molihabantschi überwachten ihn. Der Lord empfing seinen Pallasch, seine Patrontasche mit goldgesticktem Bandelier und seinen Helm. Er machte eine seltsame, jedoch nicht unkriegerische Figur in dem Rocke des Missionars, über welchen er den Gurt des Degens schnallte und das Bandelier hängte. Sogar seine Uhr und sein goldenes Etui erhielt er zurück, und nur seine Börse mit Geld blieb ihm verloren. Er schrieb einige Worte auf ein Blatt Papier, steckte dies in das Cigarrenetui, ritt auf Fledermaus zu und überreichte es ihm. »Nimm dies zum Andenken, du Niggerräuber,« sagte er englisch, -- was Fledermaus nicht verstand. »Und wenn dich meine Landsleute einmal an einem Baume aufknüpfen wollen zum wohlverdienten Lohne deiner Thaten, so zeig' ihnen dies und berufe dich auf meine Empfehlung. Denn du hast mich, wenn man eins ins andere rechnet, anständiger behandelt, als irgend ein Räuberhauptmann in Europa mich behandelt haben würde.« Fledermaus zog die Lippen auseinander, daß seine prachtvollen weißen Zähne glänzten, und steckte das schöne Etui dankend in seinen Karoß. Währenddessen traten zwölf Kaffernkrieger aus der Bande des Fledermaus heran, den Speer in der Rechten, den Schild in der Linken, die Streitaxt und das Messer im Gürtel. Sie bildeten die Begleitung, welche die Gesandten sich zur Sicherung ihres Marsches bestellt hatten. Aber zum höchsten Erstaunen der Weißen erschien auch Titus Afrikaner. Er war ohne Waffen, trug keine Federn im Haar, sondern war einfach in seiner Tracht wie einer der Diener des Missionars. Nur der kurze Mantel von Leopardenfell bedeckte ihn, und er war mit dem Karoß umgürtet. Ihn begleiteten in Waffenrüstung etwa zwanzig seiner treuesten Anhänger, die den Häuptling nicht verlassen, sondern mit ihm Christen werden wollten. »Behalte mich bei dir,« sagte er zum Missionar. »Ich habe dich noch vieles zu fragen. Ich übergebe dir meine Seele, daß du sie errettest.« Der Missionar war tief bewegt von der demütigen Erscheinung des sonst so stolzen und wilden Kriegers. Er schloß ihn in seine Arme und rief laut: »O Titus Afrikaner, du hast viel gethan! Du hast den schwersten Kampf gefochten, und du hast gesiegt!« Dann setzte sich der Zug in Bewegung und verließ die Hochebene, um in südöstlicher Richtung weiterzuziehen. Voran schritten die Gesandten, ihnen folgten der Missionar und Titus Afrikaner zu Fuße gehend und in religiösem Gespräch, hinter ihnen gingen die Anhänger des ehemaligen Räuberfürsten, von denen einer das Pferd des Missionars am Zügel führte. Auf diese folgte der Ochsenwagen, hinter diesem ritten der Buernsohn und der Lord, und den Beschluß machten die zwölf schwarzen Krieger, welche die Eskorte der Gesandten bildeten. Langsam stieg der lang gedehnte Zug vom Gebirge hinab zu der Ebene im Südosten, welche von den Nebenflüssen des in den Indischen Ocean sich ergießenden Umzuti bewässert wird und mit vielen Wäldern bedeckt ist. Als es Abend ward, war noch nicht der Fuß des Gebirges erreicht, denn erst am Nachmittage war der Aufbruch geschehen, und in einem schönen grünen Thale ward Rast gemacht. Bei so zahlreicher und tapferer Begleitung war an keine Gefahr zu denken, obwohl das Gebrüll des Königs der Tiere in der Ferne zu hören war. Ein mächtiges Feuer ward angezündet, und erlegte Tiere, welche den Assagaien der schnellen Krieger während des Marsches zum Opfer gefallen, wurden gebraten. Am andern Tage ging der Zug weiter und trat nach wenigen Stunden in die Ebene ein. Weite Grasflächen, gleich Feldern von hohem, gelbem Weizen im Hauche des Windes schwankend und wogend, bedeckten das Land, und dazwischen standen hier und da dichte Haufen von Mimosen als kleine Gehölze. Der Monat März endigte, der Herbst fing an, soweit von einem Herbst die Rede sein kann in einem den Tropen nahen Lande, welches den Winter nur als Regenzeit kennt. Zahlreiches Wild war zu sehen, und genügender Vorrat für den Tag ward erlegt. Zuweilen wurden Bewohner dieser Gegend angetroffen, armes Volk, das nur von Wurzeln und Jagdbeute lebte und keine andern Wohnungen als Erdhöhlen hatte. Sie bettelten um Tabak und starrten voll ehrfürchtiger Scheu auf die kriegerische Gesellschaft, welche durch ihr Land zog. Sie waren die Genossen des Löwen, der hier Gebieter war, und kannten seine Gewohnheiten genau. Als am Abend Rast gemacht wurde und sie Holz herbeischleppten und sich bettelnd herzudrängten, ging nicht weit von diesem Platze ein Löwe vorbei und stieß von Zeit zu Zeit ein Brüllen aus, welches in der Entfernung erstarb. »Fürchtet ihr euch nicht?« fragten die schwarzen Krieger. »Denkt ihr nicht, daß er kommen könnte, um euch zu fressen?« »O nein,« sagten sie, nachdem sie auf den Ton des Brüllens gelauscht hatten. »Es ist keine Gefahr, denn er hat gegessen und geht nun heim, um zu schlafen.« »Woher wißt ihr, daß er satt ist und schlafen will?« »Wir leben mit den Löwen,« antworteten die armen Leute, »sie sind unsere tägliche Gesellschaft. Da müssen wir wohl ihre Sprache verstehen.« Am Tage darauf aber fand ein ernstliches Zusammentreffen mit einem der starken wilden Tiere statt. Der Zug ging an einem dichten Gebüsch hin, und er war lang auseinander gezogen. Die Gesandten und der Missionar nebst Titus Afrikaner und dessen Leuten waren weit voraus, während der schwere Ochsenwagen langsam nachkam. Als nun die Zugtiere schnaufend und ächzend unter unaufhörlichem Rufen der Treiber und dem gellenden Klatschen der langen Peitsche an einer besonders undurchsichtigen Stelle des Dickichts vorüberkamen, sprang plötzlich, obwohl es mitten am Tage und heller Sonnenschein war, ein gewaltiger Löwe aus dem Schatten hervor und einem der stärksten Ochsen auf den Nacken. Mit einem einzigen Schlage seiner Pranke hatte er das Tier getötet und bemühte sich nun, es seitwärts in das Gebüsch zu schleppen, was ihm natürlich nicht gelang, da der Ochse im Geschirr lag. Eine entsetzliche Verwirrung entstand. Alle Ochsen brüllten und bemühten sich, nach verschiedenen Richtungen davonzulaufen. Die Treiber schrieen voll Entsetzen und flüchteten. Während nun die Kaffern mit ihren Speeren herbeiliefen, um das Untier anzugreifen, das mit seinen Zähnen an dem getöteten Ochsen zerrte, hatte Pieter Maritz seine Büchse von der Schulter genommen und schoß vom Sattel aus. Aber seine Kugel streifte den Löwen nur an der Haut, indem sie durch die Mähne fuhr, weil das Tier im Augenblick des Schusses eine Bewegung gemacht hatte. Der Löwe ließ nun von dem Ochsen ab, stieß ein furchtbares Gebrüll aus und kauerte sich nieder, um auf den Knaben zu springen. Pieter Maritz wandte sein Pferd, ritt eilig eine Strecke zurück, sprang ab und zielte von neuem. Der Löwe hatte sich aufgerichtet und sah dem Knaben brüllend entgegen. Die Kugel traf diesmal gerade in den weit geöffneten Rachen und zerschmetterte ihm mehrere Zähne, ohne das Tier jedoch tödlich zu treffen. Außer sich vor Wut, stürzte der Löwe vor, ohne sich um die Kaffern zu bekümmern, die ihn von der Seite her angreifen wollten. Aber schon war Pieter Maritz wieder im Sattel und jagte davon. Der Löwe, gewohnt, im Sprunge anzugreifen, folgte nur eine kurze Strecke und kauerte sich dann von neuem nieder. Seine Brust war mit Blut bedeckt, welches ihm aus dem Rachen floß. Pieter Maritz hielt von neuem das Pferd an, sprang ab und feuerte zwei Schüsse hintereinander ab. Diesmal folgte der Löwe nicht wieder. Eine Kugel hatte ihm die rechte Pranke zerschmettert, die andere ihm die Brust durchbohrt. Aber so zäh war das Leben in diesem starken Tiere, daß es noch einer letzten Kugel bedurfte, die ihm aus der Nähe hinter der Schulter eindrang, um es völlig tot niederzuwerfen. Es war ein ganz alter Löwe, den langes Jagdglück so mutig gemacht hatte, daß er am Tage anzugreifen wagte. An den folgenden Tagen änderte sich die Landschaft, durch welche der Zug ging. Sie ward hügelig, und die Höhen waren bis zum Gipfel mit Wald bedeckt. Oft zeigten sich Affen und glänzende Vögel in den Bäumen. Die Thäler waren mit immergrünen Pflanzen geschmückt und von hellen Gewässern durchrieselt, welche alle nach mannigfachen Windungen ihren Weg nach dem Indischen Ocean nahmen, der auf der einen Seite die Ostküste Afrikas und die Insel Madagaskar, auf der andern Seite die indische Küste und den Malaiischen Archipel bespült. Oft ward Lord Fitzherbert beim Anblick der Landschaft an Schottlands Hügel und Thäler erinnert, wie er sagte. Traurig aber war es, inmitten dieses Reichtums der Natur auf zahlreiche Spuren zu treffen, welche anzeigten, daß dies Land einst dicht bevölkert gewesen war, während jetzt nur das Brüllen des Löwen ihm Leben gab. An den Abhängen der Hügel lagen ganze Städte in Ruinen, wo einst Tausende inmitten bebauter Felder und blühender Gärten gewohnt haben mußten. Üppiges Gras wucherte über zerfallenen Wänden und Zäunen. Die verwüstenden Einfälle der Mantatis, Matabeles und Zulus hatten den Raubtieren dieses reiche Land zum Jagdgefilde gemacht. Die Löwen, an die Schwelgerei in Menschenfleisch gewöhnt, umgaben mit immer größerer Frechheit den Zug, als ob der menschliche Leib die ihnen gebührende Nahrung sei, und allnächtlich hörte man ihr Gebrüll in der Nähe des Lagers. Einmal ward auch ein Rhinozeros durch das Knallen der langen Peitsche aus seinem Schlummer geweckt und erhob seine graue finster drohende Masse aus dem hohen Grase, so daß die Zugochsen voll Angst und Schrecken gleich Rennpferden davonzustürmen begannen und der Wagen zerbrochen niederstürzte. Vergeblich schlugen Büchsenkugeln auf das dicke Fell des gewaltigen Tieres, es zog in langsamem Trabe ab in den Wald, wo die kleineren Bäume sich krachend beiseite bogen vor seiner Last. Es kostete Mühe und Zeit, den Wagen wiederherzustellen. Oft mußte der Zug in dem wegelosen Lande sehr große Umwege machen, um den Wagen fortbringen zu können und tiefe Schluchten zu vermeiden. Mehrmals mußten Schaufeln und Hacken gebraucht werden, um den Weg fahrbar zu machen. Am sechsten Reisetage gelangte der Zug zu den ersten Außenposten der Zulus, welche an der Grenze aufgestellt waren, um die Ankunft von Feinden zu erspähen und die Flucht oder den Raub der Viehherden aus dem Innern des Landes heraus zu verhindern. Ehrfurchtsvoll begrüßten die Zulukrieger die herankommenden Gesandten. An eben dieser Stelle, in einem Engpaß zwischen bewaldeten Höhen, bot sich ein Anblick, der selbst den Missionar, obwohl er landeskundig war, überraschte. Ein wunderschöner und riesiger Baum stand im Thale, eine Art von Feigenbaum, der seine belaubten Äste und Zweige nach allen Seiten ausstreckte und eine runde, gewölbte Form gleich einer Linde, nur größer, hatte. Aus dem Grün aber blickten spitze Dächer wie von Hütten hervor, und schwarze Gesichter erschienen zwischen den Zweigen. Mehrere Schwarze saßen auch an den Wurzeln des Baumes. Es zeigte sich, daß der Baum bewohnt war und daß siebzehn kleine Hütten in seinen Ästen zu zählen waren. Die Weißen stiegen neugierig den mit vielen Knoten besetzten Stamm hinan und besuchten die Einwohner, welche dem Stamme der Eingeborenen angehörten, die ehemals das Land bevölkert hatten, nun aber fast ganz ausgerottet waren. Die kleinen Hütten, in welchen ein Mann kaum aufrecht stehen konnte, waren sehr elend ausgestattet. Getrocknetes Gras bedeckte den Fußboden, und ein Speer, ein hölzerner Löffel und ein Topf voll gedörrter Heuschrecken war der einzige Besitz in der Familie, welche sie besuchten. Das Gebäude war so hergestellt, daß aus geraden Brettern eine Plattform gebaut war, auf welcher sich eine spitze Hütte, ähnlich einem Schilderhause, erhob. Doch nahm diese Hütte, welche kaum zwei Meter Durchmesser hatte, nur die Hälfte der Plattform ein, die andere Hälfte gab einen freien Platz vor der Thür. Ein Weib mit einem Kinde an der Brust saß in der Thür, während der Mann und einige Knaben sich in der Nähe auf den Zweigen wiegten. Der Missionar bat um etwas zu essen, und bereitwillig bot ihm die Frau von den Heuschrecken an. Mehrere andere Frauen kamen unterdessen herangeklettert und sprangen von den Nachbarhütten her von Ast zu Ast, hockten in einiger Entfernung nieder und guckten und schwatzten. Der Missionar kostete die Heuschrecken und gab der Frau dann Maiskuchen und getrocknetes Fleisch aus seiner Tasche. Der Lord teilte Tabak unter alle die Leute aus, welche in der Nähe zu sehen waren. Furcht vor den Löwen war es, was diese armseligen Leute zu solchem Wohnen getrieben hatte. Als die Reise weiterging, erschien das Land immer dichter mit Ruinen von Städten und Dörfern bedeckt. Einige dieser Ruinen waren von erstaunlicher Ausdehnung. Dazu waren Hügel und Thäler sehr reich an Boden und Wasser. Der Boden war an manchen Stellen ganz schwarz, eine fette Erde, die, wohl drei bis sechs Meter tief, von den schnell fließenden Gewässern angeschwemmt, den Granitgrund bedeckte. Noch waren Spuren davon zu finden, daß ehedem Kafferkorn, Wassermelonen, Kürbisse, Bohnen und Hirse hier gewachsen waren. Die Ruinen mancher Städte zeigten Spuren großer Arbeitsamkeit und Ausdauer. Steinerne Einfriedigungen, einige vier, einige bis zu sieben Fuß hoch, waren zu sehen, und diese Mauern waren ohne Mörtel, ohne Richtscheit, ohne Werkzeug ausgeführt. Ein jedes Ding war kreisrund: sowohl die inneren Umwallungen und Zäune, welche jede einzelne Wohnung umgaben, als auch die äußeren Mauern, welche das ganze Dorf oder die ganze Stadt umschlossen, waren im Zirkel aufgebaut. Als der Missionar mit seinen jungen Freunden durch die Trümmerfelder dieser Städte hindurchstrich, fanden sie die Überbleibsel einiger Häuser, welche den Flammen entgangen waren. Diese waren groß und in einer Bauart errichtet, die weit ausgebildeter war als irgend eine andere, welche sie bis jetzt unter den Wohnorten der Eingeborenen Südafrikas gefunden hatten. Die kreisrunden Wände waren gemeiniglich aus einer harten Thonart mit geringer Beimischung von Kuhdünger gebildet und so gut verstrichen und geglättet, indem die äußere Fläche aus feinerem Thon mit Erzstaub vermischt war, daß das Innere der Häuser den Anschein hatte, als wäre es gefirnißt. Mauern und Flure waren hübsch verziert und mit Architraven und Simsen gegliedert. Die Stützen, welche das vorspringende Dach trugen, hatten Säulenform und waren mit Bildwerken verziert, welche Geschmack bezeugten. Doch war alles in einem zerbrechlichen Material ausgeführt, nur das Fundament und die äußeren Einfriedigungen waren von Stein. Alle Häuser trugen ein konisch geformtes Dach, welches so weit vorsprang, daß um das Gebäude herum eine schattige Veranda entstand. Der Bau der Einfriedigungen mußte unendliche Mühe gemacht haben, denn alle Steine waren augenscheinlich auf den Schultern von Menschen herbeigeschleppt, und die Orte, woher sie gebracht worden waren, lagen weit entfernt. Auch die umgebenden Hügel, welche die Spuren der Landwirtschaft zeigten, bewiesen Ausdauer und Fleiß der Bewohner, denn die Instrumente, mit denen sie bearbeitet worden waren und deren manche umherlagen, waren von einfachster, rohester Beschaffenheit. Es waren die Wohnsitze der Bakonis, und Feuer und Schwert hatten die Einwohner und ihre Städte zerstört. Nachdenklich durchwanderte der Missionar diese Stätten der Verwüstung und dachte zurück an die Zeit, wo diese Hügel und Thäler, die nun ein Bild der Zerstörung und Verödung boten, von den Ausbrüchen heidnischer Lust erfüllt gewesen waren. Nun war nichts übriggeblieben als zertrümmerte, rauchgeschwärzte und von Gras überwucherte Mauern, Steinhaufen und Schutt, vermischt mit den Knochen der Ermordeten, und die weißen Schädel, welche zwischen den Ruinen hier und da vom Boden emporblickten, schienen eine schaurige Geschichte erzählen zu wollen. Raubvögel, Schakale und Löwen sowie giftige Schlangen waren jetzt die einzigen Bewohner der einst lachenden Gefilde. »Ist es nicht, als ob der Zulukönig sein Land mit einem Gürtel der Verwüstung hätte umgeben wollen?« fragte der Lord den Missionar. »So gingen einst die französischen Heere aus, um die deutschen Nachbarstaaten in eine Einöde zu verwandeln, doch haben die Zulus ihre Sache noch gründlicher verstanden, als die Generale Ludwigs des Vierzehnten.« Von Zeit zu Zeit traf der Zug auf Viehherden der Zulus, welche auf den Trümmerfeldern weideten, und Leute, die dem vernichteten Volke angehörten, dienten als Knechte bei deren Hirten. Aber wenn die Weißen sich nach früheren Zeiten bei ihnen erkundigen wollten, wichen jene scheu aus, denn sie fürchteten sich, die vornehmen Leute, welche den Reisezug anführten, zu erzürnen. Sie zitterten vor den hochmütigen Zulus, die das Land mit eiserner Rute beherrschten. Auch wurde es offenbar, daß die Eroberer bestrebt waren, ein Dunkel über die Ereignisse zu verbreiten, welche die ringsum sichtbare Verwüstung herbeigeführt hatten, denn Humbati und Molihabantschi traten immer herzu, wenn der Missionar sich mit den Leuten bei den Viehherden unterhalten wollte. Doch war einer unter den Anhängern des Titus Afrikaner, der aus dieser Gegend gebürtig war, ein athletischer, ernst blickender Krieger, welcher mit trübem Blick über die öden Gefilde hinsah. Er erzählte in der Betschuanensprache dem Missionar von der Geschichte seines Vaterlandes. Er beschrieb die frühere Einwohnerschaft desselben als so zahlreich wie die Heuschrecken, reich an Vieh, und als Handelsleute, welche mit den Erzeugnissen ihrer Industrie und Viehzucht selbst entfernt wohnende Völkerstämme versorgt hätten. Er war Zeuge der Einfälle der Matabeles und Mantatis gewesen, welche Wohlstand und Glück der Bewohner gleich einer Sturmflut hinweggeschwemmt hatten, aber nichts -- so sagte er -- habe an Furchtbarkeit dem Eindringen der Heere Pandas und seines Sohnes Tschetschwajo geglichen. Doch wagte er nur flüsternd und heimlich über diese Dinge zu sprechen. An einem Morgen, als die Ochsen zusammengetrieben wurden, um angespannt zu werden, hatte der Missionar einen Hügel erstiegen, an dessen Fuße während der Nacht geruht worden war. Er setzte sich eben unter einem Feigenbaume nieder und blickte nach dem Horizont, als jener Begleiter des Titus Afrikaner sich zu ihm stahl, um ihm Antwort auf einige Fragen zu geben, die er gestern wegen der Nähe der Zulus nicht hatte beantworten wollen. Er kauerte neben dem Missionar im Grase nieder, und beide unterhielten sich, als der alte Mann nach einem Trümmerfelde zeigte, welches sich rechter Hand in der Ebene zeigte, und seinen Genossen fragte, was wohl aus den ehemaligen Bewohnern jener Stadt geworden sein möchte. Der Bakoni warf einen Blick dorthin, und nach einer Pause des Brütens sprang er im Übermaß seiner Gefühle in die Höhe, streckte seine rechte Hand in der Richtung der Trümmerstätte aus und rief: »Ich bin es, ich, der dort herrschte.« Er versank von neuem in Nachdenken und fuhr dann fort: »Dort lebte der große Häuptling vieler Menschen. Er herrschte unter ihnen wie ein König. Er war der Häuptling des blaufarbigen Hornviehes. Es war zahlreich wie der dichte Nebel auf dem Kamme des Gebirges, seine Herden erfüllten die Ebene. Er dachte, die Menge seiner Krieger würde seine Feinde in Schrecken halten. Sein Volk rühmte sich seiner Speere und lachte über die Feigheit derer, welche aus ihren Städten geflohen waren. Ich werde sie schlagen und ihre Schilde an meinem Hügel aufhängen. Unser Stamm ist ein Stamm von Kriegern. Wer hat je unsere Väter unterjocht? Sie waren mächtig in der Schlacht. Wer ist nicht im Besitz der Beute alter Zeiten? Haben nicht unsere Hunde die Herzen der Edelsten unter unseren Feinden gefressen? Die Geier haben die Leichen unserer Feinde zerrissen. So sangen sie und so tanzten sie, bis sie auf jenen Höhen dort drüben den Feind herankommen sahen. Da verschlang die Nacht den Ton ihres Gesanges, da füllten sich ihre Herzen mit Traurigkeit. Sie sahen Wolken aufsteigen von den Gefilden. Es war der Rauch von brennenden Städten. Die Verwirrung eines Wirbelwinds erfaßte das Herz des großen Häuptlings über das blaufarbige Hornvieh. Es erhob sich ein Ruf: Es sind Freunde! Da verkündigten ihre Nähe die nackend einhermarschierenden Zulus. Die Männer ergriffen ihre Waffen und liefen hervor, als gelte es die Jagd auf schnellfüßige Antilopen. Ihr Angriff war wie die Stimme des Blitzstrahls, und ihre Speere erklangen wie der Herbststurm, der den Wald schüttelt. Aber die Zululöwen erhoben den Todesruf und flogen gegen ihre Schlachtopfer. Ihr Ruf war der Ruf des Sieges. Ihr zischender und heulender Schrei verkündigte ihren Fortgang unter den Erschlagenen. Nach einigen Augenblicken nur lagen Hunderte am Boden. Der Klang ihrer Schilde war das Zeichen ihres Triumphs. Unser Volk floh mit seinem Vieh auf die Spitze jenes Berges. Die Zulus drangen in die Stadt mit dem Gebrüll des Löwen, plünderten die Häuser und steckten sie in Brand, durchbohrten die Mütter mit dem Speer und warfen die Kinder in die Flammen. Die Sonne ging unter. Die Sieger kamen aus der rauchenden Ebene hervor, sie verfolgten ihren Lauf und umringten den Abhang jenes Berges. Sie schlachteten Vieh, sie tanzten und sangen, bis die Sonne wieder aufging, dann stiegen sie bergan und töteten, bis ihre Hände müde waren, den Speer zu schwingen.« Der Bakoni schwieg, raffte eine Handvoll Staub vom Boden auf, blies ihn von der Handfläche weg und sagte: »Das ist alles, was übrigblieb von dem großen Häuptling des blaufarbigen Hornviehs.« Die Richtung des Weges ward allmählich mehr südlich genommen, und große Wälder wurden durchschritten, mehrere Flüsse mühsam übersetzt. Starke Gewitterstürme überfielen tagelang den Zug und hinderten sein rasches Fortschreiten. Die Regengüsse waren so schwer, daß eine Überschwemmung durch die Ebene flutete. Der reiche schwarze Boden ward so mit Wasser gesättigt, daß es zwei Tage lang unmöglich war, weiterzukommen. Weder Menschen noch Tiere konnten sich darin bewegen. Die Räder des Wagens wurden zu einer Masse von Thon und Lehm und Erde, und nichts konnte diese zähe Masse entfernen. Die Hufe der Ochsen wurden zu riesigen Klumpen, so daß die Tiere sie nicht mehr zu erheben und weiterzusetzen vermochten. Doch die heiße Sonne trocknete alles wieder sehr schnell, und endlich kam der Zug in die Nähe von Ulundi, der Hauptstadt Tschetschwajos. Zahlreiche Dörfer in der Nähe und vielfache Rauchsäulen in der Ferne, welche eine dichte Bevölkerung anzeigten, bereiteten die Reisenden auf den Anblick der Stadt des Zulukönigs vor. Humbati entfernte sich vom Zuge und ging ihm mit sechs Kriegern voran, um dem König den Besuch vorher anzumelden. Der Wagen hatte einen Umweg zu machen, um die Furt durch einen kleinen Fluß zu finden, der diesseits der königlichen Residenz floß, und Molihabantschi machte den Vorschlag, die Weißen möchten mit ihm den geraden Weg machen, damit nicht eine Verzögerung entstände, während Titus Afrikaner mit seinen Leuten den Wagen begleiten und erst später eintreffen solle. Er schien ängstlich zu sein, daß der König vergeblich warten könnte. So stieg denn der Missionar am Tage nach der Entfernung Humbatis zu Pferde, und, von den Kafferkriegern begleitet, zogen die Weißen unter Führung Molihabantschis geradeaus, durchschwammen den Fluß und nahmen den kürzesten Weg nach der Hauptstadt. Am Flusse waren wohl hundert Leute versammelt, Einwohner benachbarter Ortschaften, und badeten, als die Reiter herankamen. Sie gerieten sichtlich in Schrecken bei dem Anblick der weißen Gesichter und Pferde und flohen in großer Hast. Dies zeigte den Reisenden, daß fremder Besuch weißer Farbe und daß Pferde hier eine seltene Erscheinung sein müßten. Nach einigen Stunden, etwa um drei Uhr nachmittags, sahen sie das weite, von Hügeln und Bergen eingefaßte Thal vor sich, in welchem Ulundi, die Residenz des Königs, lag. An den grünen Hängen erblickten sie von weitem mehrere nebeneinander liegende dunkle Kreise, welche gleich großen Kränzen auf einer Wiese aussahen. Sie erfuhren, daß dies die Militärkraale, Garnisonen der Armee des Königs, seien. »Jener Kreis dort ist Umlambongwemja, der Kraal des verstorbenen Königs Panda, der darauffolgende ist Quikazi, der dritte ist Undabakaombi und der vierte ist Ulundi, wo der große Elefant wohnt,« sagte Molihabantschi erklärend. Sie nahmen den Weg auf den letztgenannten Kraal, die Residenzstadt. Doch kein hervorragendes Gebäude zeigte die Stadt an, sondern nur der ausgedehnte Kreis von Rauchfähnchen, welche über konischen Dächern wehten, und eine große Menge von niedrigen dunklen Hütten. Auch war viel Volk am Wege zu sehen, welches durch das Gerücht von der Ankunft der Fremden herbeigelockt war. Die Residenz zeigte sich ihrer Form nach als eine Anzahl von Ringen, die ineinander steckten. Jeder Ring ward von einer Reihe Hütten gebildet, und inmitten des Ganzen war ein gewaltig großer freier Raum. Schon von fern war ein Blitzen und Funkeln in dem freien Raume und an dessen Rande zu bemerken. Die Reisenden konnten dies erkennen, da sie von der Höhe ihrer Pferde herab über die Zäune und Einfriedigungen hinwegsahen. Als sie dann bis in den äußersten Ring der Hütten gekommen waren, näherten sich ihnen einige Männer, welche vom Hofe zu sein schienen. Ihre Frisuren waren seltsam künstlich. Der eine hatte zwei hohe Spitzen von verklebtem Haar auf dem Kopfe, in welche hinein über der Stirn ein rundes Stück Elfenbein, so groß wie ein Fünfmarkstück, gelegt war. Der andere hatte unzählige kleine Wellen aus seinem Haar gebildet. Bei jedem war der Kopfputz anders. Sie trugen goldene Ringe sowie kostbare Mäntel von Affenfell und Kniebänder, von denen vor dem Schienbein weiße Ochsenschwänze herabbaumelten. Sie begrüßten Molihabantschi und die Weißen mit Verbeugungen und führten sie auf dem ferneren Wege. In der Nähe des großen freien Platzes standen auf jeder Seite wohl fünfhundert Krieger in vollem Waffenschmuck, welche Spalier bildeten, zwischen welchem die Fremden dahinzogen. Diese Krieger trugen sämtlich hohe, spitze Schilde, die ihnen vom Kinn bis zu den Füßen reichten, so daß sie den ganzen Körper schützen konnten. Die Schilde waren von Leder und verziert, und alle gleichmäßig rot bemalt. Außerdem trugen sie mehrere leichte Assagaien und einen stärkeren Speer mit blinkenden Eisenspitzen, dazu eine kurze Keule, den Kirri. Ihr Kopf war mit roten Federn, und Hals, Brust, Arme und Beine waren mit Behängen von Ochsenschweifen verziert. Sie standen unbeweglich in doppelter Reihe hintereinander, genau gerichtet, und Schilde und Lanzen in derselben Weise haltend. Nicht eine Feder rührte sich auf ihrem Kopfe, und nur die dunklen Augen rollten, und prachtvolle weiße Zähne leuchteten hier und da aus den schwarzen Gesichtern, welche im Gegensatze zu den andern Völkern Südafrikas einen Bart um Kinn, Wangen und Lippen hatten. Alle trugen die Haarkrone oben auf dem Haupte, während rundum über den Ohren und am Hinterkopfe alles Haar wegrasiert war. Die Haarkrone war mit Perlenketten umwunden. Es waren schöne, große Gestalten, alle von einer Größe, stark von Muskeln und glänzend von Fett. Als die Weißen diesen lebenden Heckengang passiert hatten, traten sie in den weiten freien Platz ein, und sahen sich voll Überraschung um. Soweit ihr Auge umherblickte, fiel es auf Schilde, Speerspitzen und Kriegsfedern. Dichte Haufen von Kriegern umsäumten den Platz, Mann an Mann stehend, mehrere Glieder tief, unbeweglich und schweigend. Wohl zehntausend Mann mochten es nach der Schätzung des Engländers sein. Sie schienen in Regimenter abgeteilt und diese Regimenter durch Farben unterschieden zu sein. Denn hier war alles blau, Schilde und Federn, dort ebenso weiß, dort rot, dort schwarz und dort gelb, dort wieder gestreift, indem Rot und Weiß quer über den Schild gelegt waren. Überall aber blitzten über der rechten Schulter die breiten Spitzen der Speere. Inmitten des tiefen Schweigens, welches über dem Platze lag, als sei es Mitternacht, ertönte jetzt ein Kommando hinter den Pferden, und das Rasseln vieler Speere und Schilde war zu vernehmen. Die tausend Krieger mit roten Schilden, welche Spalier gebildet hatten, zogen in vollkommen geordneten Zügen hinter den Gästen in den großen Platz ein und schlossen den Ausgang. Sie marschierten im Gleichschritt, machten Halt und Wendungen, daß alles ein Tritt, ein Schlag und ein Klirren war. »Goddam!« rief der Lord voll Erstaunen, »diese Niggers exerzieren besser als die Garden der Königin!« Jetzt wurde den Gästen bedeutet, sie möchten vom Pferde steigen. Sie kamen dieser Anordnung der Herren vom Hofe nach und faßten die Tiere am Zügel. Gleich darauf erhob sich gleichzeitig aus allen Teilen des weiten Platzes der Kriegsgesang, und die Pferde schnaubten ängstlich, als nach dem tiefen Schweigen plötzlich dieser mächtige Ton anhob. Es war eine Art von Harmonie in dem Gesange, und sämtliche Krieger stampften den Takt mit den Füßen, aber im ganzen rollte der Gesang wie Donner, der langhin hallend über die Erde zieht, und er hatte einen hohlen, erschütternden Klang, da die Krieger den Schildrand vor den Mund hielten und mit voller Kraft ihrer Lungen in die Wölbung hineinbrüllten. Nur an bestimmten Stellen ward dieser donnernde Klang von einer Musik unterbrochen, welche aus der Hölle selbst hervorzukommen schien. Das war, als wenn das Ächzen der Sterbenden auf dem Schlachtfelde nachgeahmt würde und sich mit diesem Ächzen die gellenden und zischenden Jubelrufe der Sieger vermischten. Auf einmal aber hörte der Gesang auf, und wiederum trat eine Pause der Totenstille ein. Die Fremden sahen sich verwundert um und fragten sich mit Blicken, was dies zu bedeuten habe, als nunmehr ihnen gegenüber die Reihen der Krieger sich öffneten und der Monarch erschien. [Illustration] Zwölftes Kapitel Tschetschwajo, der Zulukönig Der König trat aus der Mitte seiner Krieger hervor, und hinter ihm gingen eine Anzahl von Männern, welche Körbe und Schalen und Krüge trugen. Er ging den Fremden bis in die Mitte des Platzes entgegen, und diesen wurde ein Zeichen gegeben, zu ihm zu kommen. Der Missionar, der Lord und der Buernsohn ließen nun ihre Pferde zurück und gingen auf den König zu. Er war offenbar unterrichtet über die Art der Begrüßung bei den Engländern, denn er streckte seine rechte Hand aus und schüttelte den drei Weißen herzlich, aber so kräftig die Hand, daß sie glaubten, von einem Schraubstock erfaßt zu sein, der ihnen den Arm hätte aus der Schulter reißen wollen. Sie betrachteten den König voll Spannung. Er war sehr groß, fast einen ganzen Kopf höher als der schlanke englische Offizier, welcher der größte unter ihnen war. Aber er war auch sehr breit und dick. Da er nackend war und nur einen kleinen Schurz von Löwenfell trug, konnte seine Figur genau betrachtet werden. Sein Kopf war gewaltig breit und dick, ein dünner Bart zog sich um Kinn und Mund. Sein Nacken glich dem eines Stieres, seine Schultern bildeten wahre Berge von Muskeln. Seine Arme waren die eines Herkules, seine Schenkel schwollen von Kraft. Nur war der König um Bauch und Brust zu fett, um wahrhaft schön von Gestalt zu sein, und sein etwas kurzer Atem deutete an, daß er zu wohlgenährt war, als daß seine Lunge und sein Herz ganz frei hätten thätig sein können. Er trug keine Waffen, sondern einen langen Stab, eine Art von Scepter aus Elfenbein, mit goldenen Ringen verziert. In dem kurzen krausen Haar steckten drei Straußenfedern und ein goldener Pfeil. Um seinen Hals schlang sich vierfach eine Kette von echten Perlen, die vorn am Kehlkopf sehr groß waren und auf der schwarzen Haut herrlich schimmerten. Vier dünne Perlenstreifen, deren Ende aus goldenen Nadeln bestand, hingen vom Halsband herab. Dann trug er an Schmuck noch Perlenohrringe und zwei goldene Ringe an der linken Hand. Nachdem er jedem der Weißen die Hand gegeben hatte, faßte er den Missionar in vertraulicher Weise am Arm, zeigte mit der andern Hand ringsum, so daß sie einen Bogen beschrieb, und sagte in der Sprache der Zulus, welche der Missionar ziemlich gut verstand: »Das Land liegt vor dir. Du bist zu deinem Sohn gekommen. Schlafe, wo es dir gefällt.« Alsdann lud er die Weißen mit einem Wink ein, sich auf das Gras zu setzen, kauerte selbst nieder, indem er ihnen das Beispiel gab, und ließ die Diener ihre Körbe, Schalen und Krüge auf fein geflochtene Matten vor ihm und den Gästen niedersetzen. Als er sich niederkauerte, brach ein ungeheures Getöse im Gefolge und in den Reihen der Krieger los. Alle riefen: »Der große König setzt sich! Der mächtige König des Himmels will speisen! Der starke Elefant hat die Gnade, sich niederzulassen!« Mehrere Minuten lang rollte dieser Ruf donnerartig durch die dichten Reihen, dann wurde es wieder totenstill. Die Weißen sahen Humbati aus dem Gefolge hervorkommen und sich zur Rechten des Monarchen niederkauern. Sie erkannten jetzt deutlich die Stellung dieses Mannes. Doch blickte er bescheiden zu Boden, grüßte die Bekannten nicht, sondern erschien nur als des königlichen Winkes gewärtig. Ähnlich benahmen sich Molihabantschi und die Hofleute, welche den Weißen entgegengegangen waren. Der König sprach kein Wort weiter, sondern aß und trank. In den zierlich geflochtenen Körben waren Apfelsinen, Melonen, Granatäpfel und andere Früchte, dazu allerhand Backwerk. In den Schalen war Milch und Honig, und in den Krügen reines Wasser. Zum Erstaunen der Weißen waren auch mehrere Champagnerflaschen auf die Matten gesetzt. Der Wein war nicht gekühlt und schäumte infolge der Wärme sehr stark. Er wurde deshalb auch nicht in Gläser gegossen, sondern in große Trinkbecher aus der Schale des Straußeneies, welche auf goldenen Untersätzen standen. Nach dem Könige griffen die Gäste zu und dann der Hofstaat, welcher heute nur aus etwa zwölf Männern bestand: Indunas, wie bei den Zulus die Männer vom Hofe, die hohen Räte und die Heerführer genannt wurden. Sie waren einfacher in ihrem Schmuck als die Truppen, aber trugen doch mehr Putz als der König. Alle trugen Schild und Speer, den starken Speer der Zulus, welchen sie im Kampf nicht schleudern, sondern in der Faust behalten, um im Handgemenge zu siegen oder zu sterben. Es war ein durchaus kriegerischer Hofstaat und nichts von Weibern zu sehen. Das Mahl dauerte nur etwa eine Viertelstunde und hatte mehr die Bedeutung einer Ceremonie, mit welcher die Gäste willkommen geheißen wurden, als daß es hätte zur Sättigung dienen sollen. Während desselben ließ der König seinen Blick forschend auf den Gästen weilen, und ganz besonders schienen ihn der Pallasch und die Patrontasche des Engländers zu interessieren. Doch sagte er nichts. Stumm stand er wieder auf und winkte den Gästen zum Zeichen, daß sie entlassen seien, mit der Hand. Von neuem brach das Getöse los, indem Humbati laut rief: »Pezulu! Pezulu! Der König steht auf! Der mächtige Elefant hat gespeist!« Worauf alle Hofleute und hiernach alle Krieger den Ruf wiederholten. Unter dem rollenden Donner dieses Rufes schritt der König davon, wobei seine mächtige Gestalt sich in den Hüften wiegte, so daß er ähnlich dem Seemann auf dem Schiffe dahinging. Ihm folgte der Hofstaat, und nur Humbati blieb bei den Gästen zurück. Er gab ihnen Anweisung, ihm zu folgen, und ging voran, um sie zu ihrer Wohnung zu führen. Im innersten der Straßenringe, welche sich um den freien Platz hinzogen, und nicht weit von diesem entfernt, führte er sie zu einem eingezäunten Raum, worin fünf Hütten standen. Sie waren ähnlich den Hütten der Betschuanen, doch hatten sie mehr die Form eines Bienenkorbes. In diesen Hütten, welche ziemlich geräumig und mit Fellen, Schemeln und anderm Hausgerät versehen waren, sollten die Gäste und die ihnen zugeteilten Diener wohnen. Jeder der Weißen bekam eine Hütte für sich. Auch die Diener fanden sich bereits vor, und zwei Hofbeamte standen bereit, um die nötigen Einrichtungen zu treffen. Doch erfuhren die Gäste, daß sie nur von Zulus umgeben sein würden, mit Ausnahme von Jan, Christian und Kobus, daß aber die ganze Begleitung aus der Schar des Titus Afrikaner fortgeschickt sei. Titus Afrikaner selbst, dessen Benehmen das Mißfallen des Königs erregt hatte, war mit seiner Anhängerschaft nach einer zehn Meilen weit entfernten Missionsstation geschickt worden, wie Humbati erzählte. Nur die Rücksicht auf den Missionar hatte den König abgehalten, ihn und seine Anhänger töten zu lassen. Der Befehl, nach der Missionsstation zu ziehen, war dem Häuptling entgegengesandt worden, so daß dieser Ulundi gar nicht zu Gesicht bekam. Zulukrieger sollten den Wagen herbegleiten. Es that dem Missionar leid, daß er nicht selbst fernerhin auf Titus Afrikaner durch seine Lehre wirken könne, doch mußte er sich wohl oder übel dem Willen des Königs fügen, und er vertraute darauf, daß seine Missionsbrüder das gute Werk fortsetzen würden. Tschetschwajo hatte mehreren Missionsgesellschaften den Aufenthalt in seinem Lande gestattet, duldete jedoch deren Anwesenheit nicht in der eigenen Residenz und in den wichtigsten Garnisonen seiner Armee, da er den verweichlichenden Einfluß der Missionare fürchtete. Im übrigen zeigte er sich sehr gnädig gegen die Gäste. Während sie am Abend auf dem Hofe vor den Hütten saßen und sich über ihre Lage unterhielten, näherte sich ein Zug von Dienern. Sie trugen Körbe mit Früchten und Korn, Schalen mit Milch und Honig, gebratenes Fleisch von Ochsen und Ziegen an Bratspießen, auch gekochtes Fleisch in Töpfen. Voran gingen zwei Männer, welche eine Urne voll rauchenden Blutes trugen. Die Urne faßte wohl einen Eimer, und das Blut war flüssig, als wäre es eben erst aus den Adern des Ochsen gelaufen; denn durch eine besondere Art des Kochens und der Beimischung bestimmter Gewürze verstanden es die königlichen Köche, das Blut für lange Zeit flüssig zu erhalten. Die Übersendung des Blutes war eine besondere Auszeichnung, wie einer der ihnen zugeteilten Hofbeamten ihnen sagte. Aber der Missionar bat, das Blut wieder fortzutragen, da er und die weißen Männer überhaupt keine Bluttrinker wären. Die Hofbeamten waren sehr verwundert und erwiderten, nichts, was der König sende, dürfe zurückgeschickt werden. In dieser Verlegenheit halfen sich die Zulus aber, indem sie sich selbst über die Urne hermachten und mit Händen, Löffeln und kleinen Schalen binnen kurzem den Inhalt selbst vertilgten. Auch sechs schwarze Mädchen von schlankem Wuchse befanden sich in der Schar der Diener und wurden dem Missionar übergeben, damit er ihre Dienste benutzen solle. Aber der Missionar wies auch dieses Geschenk zurück, indem er sagte, daß er an männlicher Bedienung schon Überfluß habe, und die Hofbeamten erklärten, daß sie die Vermittelung Humbatis anrufen würden, damit der König es nicht übel nähme, wenn die Mädchen zurückgewiesen würden. Am folgenden Tage erschien unangemeldet der König selbst. Er war von Humbati und Molihabantschi sowie von zwei andern Indunas begleitet. Er trat in des Missionars Hütte ein, wo dieser sich allein befand, und war sehr freundlich. Er legte seine linke Hand auf des Missionars Schulter, die rechte auf die eigene Brust und sagte: »Panda! Ich nenne dich Panda, denn du bist mein Vater gewesen. Du hast mein Herz so weiß wie Milch gemacht. Milch ist heute nicht weiß, mein Herz ist weiß. Ich kann nicht aufhören, mich über die Liebe eines Fremden zu wundern. Du hattest mich nie gesehen, und doch liebtest du mich! Du liebst mich mehr, als mein Volk mich liebt. Du kleidetest mich, als ich nackend war, du speistest mich, als ich hungrig war, du trugst mich an deinem Busen.« Dann ergriff der König des Missionars rechten Arm und hob ihn die Höhe. »Dieser Arm,« sagte er, »beschützte mich vor meinen Feinden.« Der Missionar merkte wohl, daß Tschetschwajo auf den Schutz anspielte, den er den Gesandten des Königs gewährt hatte, und er sah aus den übertriebenen Ausdrücken des Monarchen, daß der feine Humbati, um sich selbst eine hohe Wichtigkeit zu geben, den weißen Gast in ein glänzendes Licht gestellt hatte. »Ich weiß nicht, daß ich so etwas gethan hätte,« antwortete er. »Ich erinnere mich nicht, dem Könige so große Dienste erwiesen zu haben.« Der König zeigte auf Humbati und Molihabantschi, welche ihm zu Füßen auf der Erde hockten. »Dies sind große Männer,« sagte er, »Humbati ist meine rechte Hand. Als ich diese beiden von meinem Angesicht wegsandte, um das Land der weißen Männer zu sehen, da sandte ich meine Augen, meine Ohren, meinen Mund. Was sie sahen, sah ich; was sie hörten, hörte ich; was sie sprachen, das sprach Tschetschwajo. Du hast sie gespeist, als sie hungrig waren, du hast sie gekleidet, als es regnete, und als sie getötet werden sollten, da decktest du sie mit deinem Schilde. Das hast du mir gethan, du thatest es Tschetschwajo, dem Sohne Pandas.« Der Missionar sah Dankbarkeit, aber zugleich Stolz aus dem Gesichte des Königs leuchten, und offenbar war es dem Herzen des Despoten schmeichelhaft, zu denken, sein Name sei so mächtig und so weit gefürchtet, daß der weiße Mann in weiter Entfernung und mitten zwischen den Buern doch dem fernen Könige einen Dienst habe leisten wollen. Ein leises Gemurmel kam von den Lippen der Hofherren, als der König geendigt hatte. »Pezulu! Pezulu!« klang es leise, »der König des Himmels, der König der Könige. Die Völker kennen seinen Namen, die Nationen fürchten ihn.« Dann fing Tschetschwajo von neuem an. »Bist du ein Induna?« fragte er. »O nein,« rief der Missionar, »ich bin kein Induna. Ich bin der letzte der Diener eines unsichtbaren Herrn.« Tschetschwajo schüttelte den Kopf. »Ich bin ein König,« sagte er, »aber du bist Panda, Tschetschwajos Vater.« »Ich bin ein Lehrer,« versetzte der Missionar, »ich bin ausgesandt von meinem himmlischen Gebieter, sein Wort zu verkündigen.« »Du bist kein Engländer und kein Buer, woher bist du?« fragte der König. »Ich bin ein Deutscher,« antwortete der Missionar. »Deutschland ist ein Land, welches weithin nach Mitternacht neben England liegt.« »Ist in dem Lande auch ein König?« »Ja wohl, ein sehr mächtiger König. Er heißt Wilhelm.« »Was hat er dir gesagt, als du von seinem Angesicht gingst? Hat er dir aufgetragen, Tschetschwajo zu besuchen?« »Ich habe ihn nie gesprochen.« Der König geriet in das höchste Erstaunen. »Wie?« fragte er, »du kennst deinen König nicht? Du hast ihn nie gesprochen? Hast du mir denn nicht gesagt, dein himmlischer Gebieter habe dich ausgesandt?« »Der himmlische Gebieter, von dem ich sprach, ist nicht der König Wilhelm, sondern Gott selbst, der über alle Könige, auch über Tschetschwajo, gebietet.« Der König stieß einen Ruf der Verwunderung aus, doch fragte er nicht mehr nach dem himmlischen Gebieter, sondern nahm mehr Anteil an dem sichtbaren König in Deutschland. »Sicherlich hast du deinen König gesehen,« sagte er. »Auch gesehen habe ich ihn nicht. Ich bin seit vielen Jahren in diesem Lande. Nur Bilder kenne ich von ihm.« »Wie sieht er aus? Ist er so groß wie ich? Ist er schon alt?« »Er sieht aus wie ein König, das heißt, wie ein Gebieter über das Volk. Er ist fast so groß wie du, aber nicht so dick. Er trägt einen weißen Bart und weißes Haar und ist noch einmal so alt wie du, denn er zählt achtzig Jahre.« »Und du hättest ihn nie gesprochen? Wer gab dir die Erlaubnis, das Land zu verlassen?« »Tschetschwajo ist ein großer König,« sagte der Missionar, »und er hat viele Unterthanen, viele Krieger. Aber der König Wilhelm hat so viele Unterthanen, daß er nicht mit jedem sprechen kann und nicht jedem, der das Land verläßt, Erlaubnis geben kann. Seine Häuptlinge sorgen für solche Dinge.« »Hat der König Wilhelm viele Ochsen?« Der Missionar lächelte. »Er hat viele Ochsen,« entgegnete er. »Genau kann ich dir nicht sagen, wie viele es sind, aber ich kann dir mitteilen, daß in seiner Hauptstadt allein jeden Tag wohl mehr als tausend geschlachtet werden.« Der König erschrak, und ein Ausdruck der Verwirrung zeigte sich auf seinem Gesicht. Dieses Beispiel der Größe der königlichen Macht traf ihn tief. Hastig sagte er: »Tschetschwajo liebt den Frieden, er wünscht nicht, mit dem König Wilhelm Krieg zu führen. Sage ihm, wenn du heimkehrst, Tschetschwajo sei sein Freund.« Der Missionar erhob sich und ging an seine Bücherkiste. Es war ihm eingefallen, daß er ein Buch besaß, welches eine Abbildung des Deutschen Kaisers und viele andere Bilder enthielt, die den Zulukönig interessieren mußten. Es war die Beschreibung des deutsch-französischen Krieges von Hiltl, welche aus Leipzig ihren Weg nach Afrika gefunden und ihm in der Ferne die Kunde von den großen Ereignissen in der Heimat gebracht hatte. Dies Buch übergab er dem Könige und zeigte ihm die Bilder. Tschetschwajo geriet in das höchste Entzücken. Zwar war dies Entzücken zu Anfang mit Grauen gemischt. Beim ersten Anblick der Bilder und der schwarzen unzähligen Buchstaben verfärbten sich seine Lippen, und er packte den Arm des Missionars mit einem schreckensvollen Griff, der sich tief in das Fleisch eindrückte. Der Gebieter über Leben und Tod vieler Tausende fürchtete sich vor dem Buche. »Hast du dem Dinge Medizin gegeben?« fragte er mit abergläubischem Schauder. »O nein,« sagte der Missionar, ihn beruhigend. »Es ist ganz ohne Medizin. Alles ist mit Händen gemacht, das glatte Papier, die kleinen schwarzen Zeichen und die Bilder.« Nun verlor sich die Furcht des Königs, er blieb wohl eine Stunde lang bei dem Missionar, ließ sich vieles erzählen und ging sehr befriedigt von dannen, indem er sich das Buch nachtragen ließ. Bald darauf kam eine Einladung zu einem Hoffeste, welches an demselben Abend stattfinden sollte. Das Fest begann bei Sonnenuntergang und ward beim Scheine von tausend Fackeln gefeiert. Vor den ausgedehnten, doch niedrigen Palasträumen des Königs, vier Gebäuden aus Fachwerk, an welche sich eine große Veranda anschloß, war ein ebener großer Platz, ganz mit kurzem, weichem Grase bewachsen. Diesen Platz säumten einige tausend Krieger ein, welche die Fackeln in Händen hielten. Auf der einen Seite waren Herdfeuer, wo Ochsen gebraten und gekocht und Kuchen gebacken wurden. In der Mitte aber befand sich der König mit den königlichen Prinzen und Prinzessinnen und mit seinem ganzen Hofstaate, wohl hundert bewaffneten Männern, und hier nahmen auch die Weißen auf Rasensitzen Platz, die mit Tigerfellen überkleidet waren. Der Hauptteil des Festes bestand in einem Tanze. Der Harem des Königs war zur Stelle, mehrere hundert Frauen. Von diesen waren sechzig der schönsten ausgesucht und in lange, weiße, faltige Gewänder gekleidet. Diese schritten vorwärts und rückwärts, seitwärts und in verschlungenen Figuren durcheinander. Sie umhüllten sich bald mit den Gewändern und bewegten dieselben in verschiedenen Faltungen, bald ließen sie ihre schwarzen, von Fett glänzenden Glieder sehen, daß sie sich wie polierter schwarzer Marmor im Scheine der Fackeln von der Gewandung abhoben. Sie tanzten nach dem Takte eines Gesanges, den sie selbst und die übrigen, am Boden sitzenden Frauen erschallen ließen. Auch in diesem Gesange gleichwie in dem Kriegsgesang am vergangenen Tage war nicht nur Takt, sondern auch eine Art von Harmonie, nur ward er ebenfalls durch schrille Töne in einer für das Gehör der Weißen unangenehmen Art unterbrochen. Tschetschwajo selbst leitete das Fest, indem er durch ein Nicken oder durch eine Handbewegung der ganzen Versammlung ihre Bewegungen vorschrieb. Jede seiner Anordnungen ward von Rufen der Bewunderung und der Schmeichelei begleitet, und wenn er sich setzte oder aufstand, aß oder trank, hallten Himmel und Erde von den donnernden Rufen Tausender wieder. Dazu umschwärmte ihn beständig ein Haufen von Männern, welche eine Art von Hofnarren zu sein schienen oder doch in der Mitte zwischen ernsthaften Hofleuten und Narren standen. Sie waren sehr phantastisch gekleidet, mit bunten Mänteln, hohen bunten Federbüschen und klirrendem Putz. In den Händen trugen sie Stäbe von Elfenbein mit geschnitztem Knauf. Sie gingen vor und hinter dem König, sprangen auf und nieder und umtanzten ihn. Zuweilen warfen sie sich wie in Anbetung vor ihm nieder und riefen mit großer Schnelligkeit der Zunge eine Flut von Schmeicheleien, dann schwangen sie ihre Stäbe und verkündigten laut die Siegesthaten des Despoten. Als der Tanz der Frauen zu Ende war, setzte Tschetschwajo sich auf seinen riesigen, mit Löwenfell überzogenen Schild, den er heute trug, winkte den Missionar zu sich heran und fragte ihn, ob das nicht ein schöner Anblick gewesen sei und ob am Hofe des Königs Wilhelm ebenso schöne Schauspiele wären. Der Missionar war einen Augenblick in Verlegenheit, was er antworten sollte. Es war nicht seine Absicht, den Stolz des von allen Seiten umschmeichelten Despoten zu kitzeln und seiner Eitelkeit Genüge zu thun. Gleichwohl sah er, daß des Königs kriegerische Brust sich hob beim Anblick so vieler Waffenträger und Weiber, die ihm gehorchten, und er wünschte nicht einen so gefährlichen Mann zu erzürnen. Endlich hielt er es nicht für klug, einzugestehen, daß auch in Europa zu Ehren der Großen Bälle, Maskeraden und Balletts gegeben würden. »Wenn ich die stolzen Schauspiele der mächtigen Könige auf Erden sehe,« antwortete er, »so wendet sich mein Blick von ihnen hinauf zu den hellen Sternen, die am Himmel glänzen. Denn so viel heller und klarer die Sterne sind als rot brennende Fackeln, so viel größer ist die Macht des Unsichtbaren über den Sternen als die Macht der sichtbaren Könige.« »Mein Vater liebt es, von dem Unsichtbaren zu reden,« sagte der König mit etwas unzufriedenem Tone. »Aber er kann von dem Unsichtbaren nichts wissen.« »O doch, ich weiß von ihm. Ich kenne seinen Willen, auch ohne ihn gesehen zu haben.« »Und was ist sein Wille?« »Er will, daß alle Menschen einander lieben, weil sie alle Brüder sind. Er will nicht, daß die Könige sich mit Feuer und Schwert überfallen, die Länder verheeren und vieles Blut vergießen. Er lehrt: Du sollst Gott über alle Dinge lieben und deinen Nächsten wie dich selbst. Dies nennt man die christliche Lehre, und es sind Lehrer in deinem Lande, welche dies verkündigen.« »Es ist so,« sagte der König, »mein Vater redet die Wahrheit. Aber mein Vater ist begleitet von einem jungen Häuptling der Engländer. Er kennt die Engländer. Sind die Engländer nicht auch Christen?« »Allerdings.« »Aber die Engländer führen Krieg. Sie haben die Buern bekriegt und haben die schwarzen Männer in den Nachbarstaaten unterworfen. Wenn sie ihren Nächsten liebten wie sich selbst, so dürften sie ihn nicht mit dem Feuergewehr tot schießen.« Der Missionar antwortete auf diesen Einwurf nicht sogleich, sondern überlegte eine passende Erklärung. »Du erzähltest mir von deinem König in Deutschland und gabst mir ein Buch, worin sein Bild und das Bild seiner Krieger ist. Aber ich sehe, daß sie Helme und Waffen tragen und abgebildet sind, wie sie in den Rauch der Feuergewehre und brennender Dörfer gehüllt sind. Wenn sie Christen sind, wie kommt es, daß sie Krieg führen?« Der Missionar sah betroffen vor sich nieder. »Mein König zog in den Krieg, weil er sich gegen seine Feinde verteidigen mußte,« entgegnete er. »Er hat nicht angegriffen, sondern er liebt den Frieden.« Tschetschwajo lächelte triumphierend. »Und so macht es auch Tschetschwajo,« entgegnete er. »Auch Tschetschwajo liebt den Frieden, aber er hat seine Feinde. Er muß in den Kampf ziehen, um sein Land zu verteidigen.« Er faßte nach diesen Worten vertraulich den Arm des Missionars und zog ihn zur Seite. Beide wandelten von dem Festplatze seitwärts, und niemand wagte, ihnen zu folgen. »Mein Vater ist sehr klug,« sagte der König, »und er ist auch sehr gut. Du sagst die Wahrheit und schmeichelst nicht, darum vertraue ich dir. Wenn dir der Friede am Herzen liegt und du nicht willst, daß wieder Blut vergossen wird, so wirst du Tschetschwajos Wünsche gern erfüllen. Ich liebe den Frieden. Nie lebte ein König, der friedliebender gewesen wäre als Tschetschwajo, Pandas Sohn. Sage mir, sind die Engländer alle herübergekommen in das Kapland und Natal, oder sind ihrer noch in ihrem eigenen Lande zurückgeblieben?« Der Missionar verstand die Frage nicht sogleich, und seine Miene verriet dies. »Meine Boten sagen mir, daß viele Krieger in roten Röcken über das Meer gekommen sind,« fuhr der König fort. »Ich möchte wissen, ob alle Krieger der mächtigen Königin von England gekommen sind oder ob noch ein Heer zu Hause geblieben ist.« Jetzt verstand der Missionar. Tschetschwajo wollte erforschen, ob die englischen Truppen noch Verstärkungen erhalten könnten, und hielt es in seiner Unwissenheit für möglich, daß bereits alle Engländer in Afrika wären. Hiernach wollte er offenbar seine Politik einrichten. »O König,« sagte der Missionar, »die Macht der Engländer ist sehr groß. Sie beherrschen nicht allein ihre eigene Insel, auf der ihre Heimat ist, sondern sie haben überall auf der Erde viele Königreiche erobert, und für jeden Unterthan, den du hast, haben sie tausend. Ihre Heere sind sehr groß und sie haben noch nicht den zwanzigsten Teil ihrer Krieger nach Afrika herübergeschifft. Das Kapland und Natal sind nur ein Fußbreit ihrer Besitzungen.« »Ha!« rief der König. Sein Gesicht war sehr finster, und Blitze schossen aus seinen Augen. Er ging schweigsam neben dem Missionar. »Redest du die Wahrheit?« fragte er plötzlich mit drohender Miene. »Ich rede die volle Wahrheit,« sagte der alte Mann. »Du hast noch nicht alle Krieger Tschetschwajos gesehen,« fuhr der König fort. »Sie sind im Lande zerstreut, und du sahest noch nicht den vierten Teil. Die Engländer sind viel schwächer an Zahl. Es sind ihrer nicht mehr als drei meiner Regimenter. Darum halten sie auch Freundschaft mit den Häuptlingen an den Grenzen meines Landes, denn allein können sie den Kampf mit mir nicht aufnehmen. Habe ich nicht recht?« »Was die Zahl betrifft, hast du recht,« sagte der Missionar. »Aber bedenke, daß die Engländer Feuergewehre haben, deine Krieger aber nur Schild und Speer. Dazu bedenke, daß die Engländer niemals eine Niederlage erleiden, ohne neue Krieger nachkommen zu lassen. Sie dürfen ihren vielen unterworfenen Königreichen nicht zeigen, daß sie geschlagen werden können, deshalb lassen sie immer neue Krieger kommen, bis sie siegen. Wenn du es deshalb möglich machen kannst, o König, mit den Engländern in Frieden zu bleiben, so rate ich dir, es zu thun.« Dies war eine kühne Rede gegenüber einem Mann, der sich einbildete, der mächtigste Monarch und immer siegreich zu sein, gegenüber einem Herrscher, der die Sorgfalt seines ganzen Lebens auf die Ausbildung eines musterhaften Heeres verwandt hatte. Aber Tschetschwajo erzürnte sich nicht, im Gegenteil schwebte ein Lächeln um seinen Mund, als der Missionar davon sprach, daß die Zulus nur mit Schild und Speer bewaffnet wären. »Du sprichst die Wahrheit,« begann er von neuem. »Tschetschwajo denkt ebenso wie du. Er wünscht mit den Engländern Frieden zu halten. Mein Vater möge dem Könige dazu helfen. Er möge dem jungen englischen Induna kluge Worte ins Ohr träufeln, damit dieser seinen Landsleuten des Königs gute Absicht mitteilt. Ich werde ihn wie einen Induna ehren und ihn nach seiner Heimat entlassen. Mein Vater möge ihm dies sagen und möge ihm noch folgende Worte Tschetschwajos mitteilen: Wenn die Engländer Land und Vieh erobern wollen, so sollen sie Krieg gegen die Buern führen. Die Buern haben mehr Vieh als Tschetschwajo. Ich will ihnen dabei zu Hilfe kommen. Wenn die englischen Truppen von Mittag her in das Land der Buern einrücken, wird Tschetschwajo mit dreißig Regimentern, jedes tausend Mann stark, vom Aufgang der Sonne her angreifen. Dann wollen beide das Land der Buern teilen. Die Engländer mögen alles nehmen, was jenseits der Drakensberge liegt, Tschetschwajo verlangt nur sehr wenig: er will das Land diesseits der Drakensberge nehmen.« »Ich werde den Wunsch des Königs erfüllen,« sagte der Missionar. »Aber wird mir der König gestatten, meine Ansicht über dieses Unternehmen auszusprechen?« »Tschetschwajo hört.« »Du meinst, daß die Engländer Land und Vieh erobern wollen, aber ich denke, ihre Absicht ist eine andere. Die Engländer haben bereits das ganze Land der Buern für das ihrige erklärt. Du kannst ihnen nicht anbieten, was sie schon besitzen. Die Engländer haben eine andere Art, ihre Herrschaft auszudehnen, als du glaubst. Sie wollen den Buern nicht ihr Land und Vieh wegnehmen, sondern sie wollen nur, daß die Buern die Oberherrschaft der Königin anerkennen. Sie wollen, daß das Land, in welchem die Königin als Oberherrin gilt, glücklich und zufrieden ist. Sie wollen nicht, daß die schwarzen Menschen von den Buern unterdrückt werden, aber sie wollen auch nicht, daß der König Tschetschwajo Einfälle in das Buernland macht, um Dörfer zu verbrennen und Vieh fortzutreiben. Sie wollen den Oranjefreistaat und das Transvaalland beherrschen, aber auch zu einem reichen Gebiet machen und zu einem Gebiete, wo das Christentum gepredigt wird. Deshalb glaube ich nicht, daß der Gouverneur der Königin deinen Vorschlag annehmen wird.« Tschetschwajo hatte aufmerksam zugehört. Dann schüttelte er den Kopf und sagte: »Du irrst. Mein Vater ist sehr weise, aber er kennt die Engländer nicht genau. Haben sie nicht schon einmal, als Tschetschwajo noch jünger war, mit seiner Hilfe gegen die Buern Krieg geführt? Die Engländer wollen alles Land in Afrika für sich nehmen, und sie wollen die schwarzen Männer zu ihren Knechten machen. Sie wollen ihnen ihre Waffen nehmen und sie weibisch machen. Die Engländer sind Handelsleute. Sie halten ihre Krieger, um ihre Handelsleute zu unterstützen. Denn solange Frieden zwischen ihnen und Tschetschwajo ist, kommen die weißen Männer mit Wagen und Ochsen über die Grenze und verkaufen den Zulus ein Gift, welches sie Rum nennen. Wenn die Krieger Tschetschwajos den Rum im Leibe haben, geht ihre Seele hinaus. Auch die Buern wissen wohl, daß die Engländer etwas anderes im Sinne haben, als das Christentum zu lehren und das Land glücklich zu machen. Denn sie sind erzürnt gegen die Engländer, weil diese ihr Land für das ihrige erklärt haben. Tschetschwajo kann nicht in Frieden leben mit den weißen Männern. Entweder muß er sie töten, oder sie töten ihn. Haben nicht die weißen Männer alles Land, welches sie besitzen, den Schwarzen weggenommen? Denn ehe die weißen Männer kamen, so erzählen unsere weisen Leute, gehörte alles den schwarzen Männern, alles Land bis an das Meer hin.« Der König war stehen geblieben und blickte nachdenklich vor sich nieder. »Nicht alle weißen Männer sind schlecht,« sagte er dann. »Du bist gut, du liebst mich. Rede mit dem englischen Induna, wie ich dir gesagt habe, und ich werde dir viele Ochsen und Weiber geben, wenn mein Wunsch in Erfüllung geht. Du liebst mich, und ich werde dich sehr reich und groß machen. Hat der König mit den Engländern vereinigt erst die Buern besiegt, so wird er mit den Buern vereinigt die Engländer besiegen, und dann soll das Vieh, welches meinem Vater gehören wird, nicht mehr zu zählen sein.« Nach diesen Worten gab er dem Missionar durch eine höfliche Verbeugung zu verstehen, daß er das Gespräch für beendigt halte, und kehrte in den Kreis des Hofstaats zurück, wo das Festmahl auf Matten bereit gestellt wurde. Der Missionar blickte ihm sinnend nach, wie seine mächtige Gestalt, ehrfurchtsvoll begrüßt, in die Menge der Krieger und Weiber eintrat. Ein phantastisches, zauberhaftes Bild bot sich dem Auge des alten Mannes und fesselte ihn, obwohl er an wunderbare Anblicke in Afrika gewöhnt war. Der Mond war aufgegangen und die Sterne funkelten. Der Himmel strahlte mit einer Klarheit auf die Erde nieder, welche in Europa unbekannt ist. In diesem silbernen Schein, der auf den großen Platz mit Tausenden von Menschen fiel, und das Feuer der Fackeln überstrahlte, sahen die Gestalten der bewaffneten Schwarzen und die vielen Frauen und Mädchen wunderbar aus. Die schwarzen, glänzenden Glieder mit dem blinkenden Schmuck der Waffen und der goldenen und elfenbeinernen Ringe und im Gegensatz zu den roten, weißen und blauen Schilden, den Straußenfedern und den Perlenketten, boten ein Gemälde, das so reich an Farben war und die natürliche Kraft und Geschmeidigkeit der menschlichen Gestalt so lebhaft darstellte, wie der Missionar Ähnliches nie gesehen hatte. Er ging der mittelsten Gruppe näher, wo seine jungen Freunde, der Lord und Pieter Maritz, in Gesellschaft Molihabantschis und einiger anderer Hofmänner auf einer Rasenbank saßen. Gern hätte er dem jungen Offizier die Nachricht, daß der König ihn entlassen wolle, sogleich mitgeteilt, aber er hatte schon genug von dem überlegten und ceremoniösen Wesen des Hofes kennen gelernt, um zu wissen, daß er klüger thäte, seine wichtige Aufgabe nicht hier vor aller Ohren anzugreifen. Er wußte nicht, wie weit die englische Sprache verstanden würde, und der Anblick so vieler, nicht allein schön geformter, sondern auch intelligenter Gesichter unter dem Hofstaat machte ihn vorsichtig. Er verschob seine Mitteilung auf die Zeit, wo er mit dem Lord allein sein würde, und mischte sich unter die Männer, welche ihn die vornehmsten zu sein deuchten. Er hätte gern noch mehr Aufschlüsse über den Charakter des Königs erhalten, um deutlicher in den Verhältnissen zu sehen. Hatte doch Tschetschwajo noch vor kurzer Zeit Gesandte in das Buernland geschickt, um ein Bündnis mit den Buern gegen England anzubahnen. Nun wollte er mit den Engländern gegen die Buern ziehen? So fing er denn ein Gespräch mit Humbati und einigen Männern an, welche mit diesem zusammen waren. Er gewahrte aber bald, daß er nicht weit kam. Sie antworteten ihm bereitwillig auf seine Fragen, aber in einer so vorsichtigen Weise, so diplomatisch, daß er bald sah, er habe mit Leuten von scharfem Verstande zu thun. Sie redeten in einem flüsternden Tone, als scheuten sie sich, in der Nähe des Monarchen die Luft zu erschüttern, und alle ihre Worte waren Ehrfurchtsbezeugungen für Tschetschwajo. »Er ist der König der Könige,« sagten sie, indem sie sich verneigten. »Wer sollte nicht den Sohn Pandas fürchten, der mächtig ist in der Schlacht? Wo sind die Mächtigen vor dem Angesicht unseres großen Königs? Wo ist die Stärke des Waldes vor dem starken Elefanten? Sein Rüssel zerbricht die Äste der Bäume. Der Klang der Schilde kündigt den Sieg von Pandas Sohn.« Der Missionar machte hier dieselbe Erfahrung, welche er bei den ihm zugeteilten Hofbeamten gemacht hatte: der Despotismus Tschetschwajos, obwohl gewiß von vielen seiner Großen hart empfunden, lag so schwer auf dem ganzen Volke, daß niemand auch nur zu murmeln wagte. Der Missionar begriff, daß die ihm zur Bedienung zugewiesenen Leute mehr seine Wächter und Aufpasser waren und daß sie über seinen Verkehr mit Fremden zu wachen und namentlich zu verhindern hatten, daß eine unerwünschte Mitteilung über den König zu ihm dränge. »Es ist merkwürdig, welch ein Gemisch von Unwissenheit und Schlauheit in diesen Zulus steckt,« sagte der Missionar zu dem Lord, als er am Abend nach dem Feste mit diesem allein war. »Tschetschwajo ist vollständig unbekannt mit den Machtverhältnissen und Zuständen europäischer Mächte und möchte seine barbarische Politik auf sein Verhältnis zu unsern Landsleuten anwenden. Denken Sie, Mylord, er will Sie mit einem Bündnisvorschlage an den Gouverneur des Kaplandes senden.« Der Lord errötete vor Freude. »Wahrhaftig?« rief er. »O, das ist herrlich! Ich werde mein Regiment wiedersehen!« »Ja, aber unter der von mir soeben erwähnten Bedingung,« sagte der Missionar und erzählte dem jungen Offizier die Unterredung, welche er mit dem schwarzen Fürsten gehabt hatte. »Ich habe Tschetschwajo gleich gesagt, daß seine Botschaft schwerlich Erfolg haben würde, denn in der That kann ich nicht an deren Erfolg glauben, aber ich will doch mein Versprechen halten, und ich stelle es Eurer Lordschaft anheim, ob Sie die Sendung auf sich nehmen wollen.« »O gewiß!« rief der Lord lachend, »ich übernehme jede Botschaft, um nur die Freiheit wiederzuerlangen. Es ist ja auf die Entschließungen der Regierung der Königin ganz ohne Einfluß, was ich vorschlage. Ich bin ein unbedeutender Leutnant. Übrigens ist Tschetschwajos Vorschlag nicht so ganz dumm. Jetzt freilich wird er zu spät kommen, er paßt nicht mehr in die politischen Verhältnisse, aber sonst -- unter uns gesagt -- ist der Vorschlag nicht dumm. Vor einigen Jahren noch war das Bündnis mit den Zulus sehr angenehm und nützlich für uns, denn die Buern sind unsere gefährlichsten Feinde in Afrika, und wir wären ihrer vor einigen Jahren nicht Herr geworden, wenn uns die Zulus nicht beigestanden hätten. Auch muß ich gestehen, daß der Anblick der Krieger Tschetschwajos mir Respekt eingeflößt hat. Wären diese Truppen mit Gewehren bewaffnet, so möchten sie leicht sowohl uns als die Buern unterkriegen. Wie die Kerls gut einexerziert sind, wie sie in Ordnung stehen, wie sie schwenken, und wie kräftig sie sind! Mit ihren Schilden und Speeren freilich können sie gegen europäische Truppen nichts ausrichten.« »Sie sind also bereit, Mylord, dem Gouverneur den Vorschlag Tschetschwajos vorzutragen?« »Gewiß, ich werde es thun. Welch ein himmlischer Gedanke, wieder nach Hause zu kommen! Und werde ich Pieter Maritz mitnehmen dürfen? Ich thäte dem armen Burschen so gern einen Gefallen, denn er hat sich gegen mich vortrefflich benommen, und ich werde ihm zeitlebens dankbar sein.« »Das wird nicht gehen,« antwortete der Missionar. »Der König hat davon nichts gesagt, und er hat einen Groll gegen die Buern, weil diese seine Gesandten haben erschießen wollen. Er spielt ein doppeltes Spiel, denn wie Sie wissen, hat er Humbati und Molihabantschi zu den Buern gesandt, um mit ihnen ein Bündnis gegen die Engländer abzuschließen. Mir ist es nicht angenehm, in diese politischen Verhandlungen verwickelt zu sein, denn ein Missionar sollte sich niemals um Politik, sondern nur um die Erfüllung seines Lehramtes bekümmern. Ich hoffe zu Gott, daß sich aus dem allen kein Krieg entwickelt, und vielleicht gewinne ich, so Gott will, Macht über sein Gemüt und bringe ihn dahin, daß er aufhört, Blutvergießen für Heldenthat und für den Zweck seines Lebens zu halten.« »Mein hochverehrter Herr und Freund,« sagte der Lord, »ich habe mit Bewunderung die Macht Ihrer Überredung bei Titus Afrikaner gesehen, aber ich muß Ihnen doch gestehen, daß ich nicht glauben kann, Sie würden jemals dahin gelangen, Tschetschwajo zu bekehren. Dieser König behauptet seine Herrschaft nur durch blutige Gewalt. Er hat alle die kleinen Könige, welche ehemals in seinem jetzigen Reiche herrschten, im Kriege unterworfen, und er hält sie nur durch Furcht im Zaum. Wollte er aufhören, sie zu bedrücken und jede Unzufriedenheit durch Hinrichtungen zu ersticken, so würden sie sich empören. Denn sie würden einen friedliebenden Herrscher verachten. Ich habe über diese Verhältnisse in England Leute reden hören, die mit der afrikanischen Politik genau vertraut sind. Und ich will Ihnen noch etwas sagen, indem ich für Ihr Wohl besorgt bin: Bleiben Sie nicht zu lange hier, sondern wenden Sie Ihren Einfluß beim Könige zu dem Zwecke auf, daß er Sie entläßt. Sie sind hier nicht sicher. Die Regierung des Kaplandes ist entschlossen, mit den Zulus aufzuräumen. Nachdem wir das Transvaalland für britischen Besitz erklärt haben, fühlen wir uns verpflichtet, für dessen Sicherheit zu sorgen. Es darf den Überfällen der wilden Zulus nicht länger ausgesetzt bleiben. Die Buern sind nicht fähig, sich selbst zu beschützen. Die Regierung Ihrer Majestät ist entschlossen, Tschetschwajo zu vernichten. Schon sind zahlreiche Truppen gelandet, es werden noch mehr nachfolgen, und Ende dieses Jahres oder spätestens zu Anfang des nächsten, werden unsere Truppen von mehreren Seiten aus in dies Land einmarschieren und mit der Zulumacht ein Ende machen. Dann aber sind die Weißen gefährdet, welche hier leben. Der erbitterte König oder auch seine Krieger werden sich für den Angriff an den Weißen rächen wollen, welche in ihren Händen sind. Suchen Sie also bald von hier fortzukommen, mein hochverehrter Freund!« »Ich danke Ihnen für diese Mitteilung, Mylord,« sagte der Missionar. »Aber ich rate Ihnen doch, bei Ihrer Rückkehr dem Gouverneur Aufschluß über manches zu geben, was er nicht zu wissen scheint. Mich dünkt, die Engländer unterschätzen die Macht Tschetschwajos und auch die Stärke der Buern. Ich bin der Überzeugung, daß starke Truppenmassen nötig sind, um die Zulus zu besiegen. Was aber die Buern betrifft, so kennen die Engländer deren Macht gar nicht. Die Buern sind sehr wohl imstande, sich der Zulus zu erwehren, und ich halte es nicht für recht, daß England das Transvaalland annektiert hat.« »Wenn ich nach der Tüchtigkeit dieses Buernknaben, des Pieter Maritz, urteilen soll, so sind die Buern allerdings als Krieger sehr hoch zu achten,« sagte der Lord. »Dieser Junge reitet und schießt wie ein junger Gott und hat ein Herz von Gold. Aber die Buern werden wohl nicht alle so sein. England hat eine große Mission in der Welt, und Transvaal sollte sich glücklich schätzen, unter der Königin Schutze zu stehen.« »Ich wünschte doch sehr, Mylord, Sie wendeten Ihren Einfluß für den Frieden nach jeder Richtung hin auf,« erwiderte der Missionar. »Greifen Sie die Zulus nicht an! Überlassen Sie es dem Christentum, diese wilde Macht zu brechen!« »Meiner Treu, was ich dazu thun kann, soll geschehen!« sagte der Lord. »Aber wer bin ich? Der Gouverneur wird sich um meinen Rat nicht bekümmern. Ich bin Soldat und habe nur zu gehorchen. Glauben Sie mir: Tschetschwajo ist verloren.« [Illustration] [Illustration] Dreizehntes Kapitel Königliche Manöver und Jagden König Tschetschwajo führte seine Absicht aus, den englischen Offizier wie einen Häuptling zu ehren, und er verfolgte dabei hauptsächlich den Plan, diesem seine Macht anschaulich zu machen. Er hatte schon zum Empfange seiner Gäste mehr Truppen in der Hauptstadt zusammengezogen, als für gewöhnlich dort zu sein pflegten, indem er die Regimenter aus den zunächst liegenden Garnisonen hatte heranmarschieren lassen. Das bemerkten die Weißen an der Überfüllung mit Kriegern, deren unmöglich so viele für gewöhnlich in Ulundi versammelt sein konnten. Überall lagen die schwarzen Speerträger in den Hofräumen umher und durchstreiften haufenweise die Gassen. Nunmehr aber brach der König von Ulundi auf, um seine Residenz weiter nach Norden zu verlegen, und er lud seine Gäste ein, ihn zu begleiten, da er ein Manöver zu ihren Ehren abhalten wollte. Begleitet von den Kriegern seines Hofstaates, machte sich der König am zweiten Tage nach dem Hoffeste auf, als seine Armee schon unterwegs war. Die Weißen sattelten ihre Pferde und schlossen sich dem königlichen Zuge an, sie allein beritten, während der König selbst gleich dem ganzen Heere zu Fuße ging. Denn Pferde gab es sehr wenige im Zululande, und die Armee bestand nur aus einer einzigen Waffengattung, der Infanterie. Nur die obersten Indunas, welche über mehrere tausend Mann kommandierten, waren beritten. Die schwere Figur des Königs erlaubte ihm nicht, so weit und schnell zu marschieren, wie seine Truppen zu marschieren pflegten, gleichwohl wurde an diesem Tage gar manche Meile zurückgelegt. Gegen Abend kamen sie auf einer weiten Ebene an, wo ihnen viele Feuer schon von weitem verkündigten, hier sei der Sammelplatz der Armee. Dichte lange Reihen von Kriegern waren aufgestellt, um den König zu empfangen, und eine Anzahl bienenkorbförmiger Hütten war in aller Eile errichtet worden, um ihn und sein Gefolge aufzunehmen. Auf zwanzig Eseln und auf den Köpfen von hundert Trägern wurden Speise und Trank herbeigeschleppt. Am folgenden Morgen bot sich den Weißen das Schauspiel einer Armee von wohl zwanzigtausend Mann, welche regimenterweise aufmarschiert war, um das Manöver auszuführen. Einige der Regimenter zählten nur vierhundert oder fünfhundert Mann, andere waren bis zu zweitausend Mann stark. In jedem Regiment waren die Krieger gleichen Alters, die jüngsten Regimenter bestanden aus Leuten von fünfzehn und sechzehn Jahren, die jedoch schon schlank und groß, obwohl nicht stark waren. Mit ohrenbetäubendem Gesang empfingen sie den Monarchen, als er mit seinem Hofstaat herankam, um sie zu besichtigen. Er zog unter diesem Gesange an ihren langen Reihen vorbei und stellte sich dann auf einem Hügel auf, von wo er den Bewegungen der Truppen zusehen wollte. Hierbei ließ er den Lord neben sich stehen und bediente sich der Vermittelung des Missionars, um sich mit ihm zu unterhalten. Er erklärte dem jungen Engländer, während die schwarzen Regimenter sich ordneten, daß in seinem Volke jeder kräftige Mann dienen müsse. Schon als Knaben würden die männlichen Einwohner unter Offizieren vereinigt, um es zu lernen, zu marschieren, zu laufen, den schweren Schild zu tragen und den Speer zu führen. Dann würden sie je nach dem Alter zu Regimentern vereinigt. Niemand dürfe heiraten ohne königliche Erlaubnis, und diese Erlaubnis werde auch nicht den einzelnen Leuten, sondern gleich ganzen Regimentern verliehen. Sie sei die Belohnung für ausgezeichnete Kriegsdienste, denn nur solche Regimenter, welche bereits im Felde und in der Schlacht ihre Tüchtigkeit bewährt hätten, erhielten Frauen zugewiesen. Aus diesen erprobten Regimentern würden die Offiziere genommen welche die jungen Regimenter befehligten, und deshalb sei die Bezeichnung »verheirateter Mann« ein Ehrentitel in der Armee. Die Offiziere führten diese Bezeichnung als Titel. Das Manöver bestand aus regelrechten Bewegungen der Truppen. Sie waren in zwei große Schlachthaufen formiert, deren jeder von einem Bruder des Königs befehligt wurde. Der eine hieß Dabulamanzi, der andere Sirajo. Diese beiden ritten auf Pferden und saßen nackend auf Tigerfellen, die anstatt der Sättel dienten, ohne Steigbügel. Die Regimenter wurden in dichte Kolonnen formiert, dann wieder zu langen Linien auseinander gezogen, machten Schwenkungen und bildeten verschiedenartige Schlachthaufen, welche auf ein bestimmtes Zeichen gegen einen und denselben Angriffspunkt losstürmten. Der Lord war erstaunt über die Genauigkeit, mit welcher alle diese Bewegungen ausgeführt wurden, vor allem aber über die Schnelligkeit, mit welcher die Truppen sich bewegten. Sie machten die meisten Evolutionen im Laufschritt, und dieser Laufschritt war viel stärker, als ihn der Engländer je gesehen hatte. Ermüdung schienen diese Truppen nicht zu kennen. Des Königs Antlitz leuchtete vor Stolz, als der Lord ihm seine Bewunderung über die Manöver durch den Missionar aussprechen ließ. Er befahl einigen der Krieger näherzukommen und zeigte dem Engländer ihre Bewaffnung. Der große Schild, den alle trugen, war fünf Fuß hoch, aus dem stärksten Ochsenfell gemacht und wog so schwer, daß der Lord einsah, er selber würde nicht imstande sein, ihn zehn Minuten lang zu tragen und dabei zu laufen. Die Speere waren von zähem Holz mit breiten langen Stahlspitzen. Die Assagaien hatten sehr leichte Rohrschäfte und lanzettenförmige Spitzen, oft auch noch Widerhaken hinter der Spitze. Der König erklärte, daß beim Angriff zuerst die Assagaien geschleudert würden, dann aber der starke Speer gebraucht würde, welcher für das Handgemenge bestimmt sei, und daß hierin die Überlegenheit seiner Krieger über alle andern schwarzen Krieger begründet liege. Denn jene schleuderten nur ihre leichten Speere und verließen sich allein auf den Kampf aus der Ferne, weshalb sie auch leichte Schilde führten; aber die Zulus griffen Mann gegen Mann an, und sie könnten keinen Kampf führen ohne zu siegen oder fast alle zu fallen. Um die Schnelligkeit der Truppen zu zeigen, ließ er ein halbes Regiment herankommen und bat den Lord, seinen Rappen zu besteigen und die Schar zu begleiten, während sie einigemal die Ebene auf und nieder liefe. Der Lord stieg auf, und auch Pieter Maritz erhielt die Erlaubnis, mitreiten zu dürfen. Die Zulus brachen in einem regelmäßig gebildeten Haufen von fünfzig Gliedern zu je zehn Mann auf, und ein »verheirateter Mann« war an ihrer Spitze. Ihre roten Schilde hingen ihnen am linken Arm, und in der linken Hand trugen sie drei Assagaien, den Speer trugen sie auf der rechten Schulter, und die roten Federn auf den Haarkronen nickten im Winde. Sie gingen im Laufschritt ab, und der Lord und Pieter Maritz folgten ihnen zu Pferde. Die Reiter mußten im kurzen Trabe reiten, um mit dem Fußvolk Schritt halten zu können. Glühend brannte die Sonne, und die Waffen der Krieger, ihre Perlenketten, elfenbeinernen und metallenen Ringe blitzten, die weißen Ochsenschwänze auf der Brust und an den Beinen glänzten hell. Zu Anfang ritten die Jünglinge hinter der Kolonne, da ihnen aber der starke Geruch des reichlichen Fettes, womit die Zulus eingerieben waren, gerade ins Gesicht wehte, bogen sie in schnellerer Gangart ab und ritten neben der Truppe. Der Lauf der Krieger blieb immer derselbe. Sie liefen so weit nach Westen, bis der Hügel, auf dem der König stand, kaum noch zu erkennen war, dann wendeten sie nach Süden, beschrieben einen großen Bogen und liefen nach Osten zurück. Die Pferde schnoben stärker, sie fingen an warm zu werden, aber die Zulus blieben in demselben Laufschritt, und kein Stöhnen oder Keuchen war zu hören. Gleichmäßig tönte das Stampfen von tausend nackten Füßen, das Klirren der Ringe und Ketten, und mit immer derselben Schnellkraft bewegten sich die schlanken Beine. Wohl mochten sie auch warm geworden sein, aber es war kein Schweiß auf den glänzenden, schwarzen Leibern und in den Gesichtern zu erkennen, aus deren tiefer Nacht die herrlichen weißen Zähne hervorleuchteten. »Ob die Kerle wirklich nicht schwitzen?« fragte der Lord den Knaben. »Vielleicht sehen wir nur den Schweiß nicht, weil das Fett die Poren verklebt. Alles glänzt, man weiß nicht, ob es Öl oder Schweiß ist.« »Ich glaube nicht, daß sie schwitzen,« antwortete Pieter Maritz. »Sehen Sie, Mylord, ihr Atem geht ganz ruhig, und sie rollen die Augen vor lauter Vergnügen über ihre befriedigte Eitelkeit. Sie sind stolz, daß sie sich vor ihrem Könige zeigen dürfen.« Der Lord sah auf seine Uhr. Der Lauf hatte bereits eine halbe Stunde gedauert und schien eher schneller als langsamer zu werden. Es ging in östlicher Richtung weiter, bis wiederum der König mit seinem Hofstaat kaum noch zu erkennen war, dann bog der »verheiratete Mann« an der Spitze nach Norden, machte einen großen Bogen und führte die Schar dem Könige, nach Westen laufend, wieder vor. Eine volle Stunde war vergangen, als die Kriegerschar wieder vor dem Hügel ankam, und in derselben Ordnung, wie sie abgegangen war, ohne daß ein einziger Mann gestürzt oder zurückgeblieben wäre, lief sie heran. Auf ein Wort hielt sie an und brach in ein furchtbares Gebrüll aus, welches bezeugte, daß sie alle gut bei Atem waren. Der König lächelte, als der Lord ihm sein Erstaunen aussprach. »Meine Truppen marschieren einen Tag und eine Nacht hindurch, ohne sich auszuruhen,« sagte er stolz. Darauf ließ er einzelne Leute vortreten und mit den Assagaien nach der Scheibe werfen. Ein Ziel von der Größe einer Hand ward aufgestellt, und die Krieger warfen auf eine Entfernung von hundert Schritten. Es mochten wohl die besten Schützen ausgewählt worden sein, denn sie trafen mit nie irrender Sicherheit. Dann erwies der König der Truppe, welche sich vor ihm hatte besonders zeigen dürfen, eine Gnade. Er sandte Humbati den Hügel hinab und ließ ihr sagen, sie sollte heiraten. Es war eine noch junge Truppe, und diese Erlaubnis war eine hohe Gunst, da sie nicht nach der Schlacht, wie sonst üblich gegeben wurde. Die Krieger gerieten in einen wahren Taumel des Entzückens. Sie stimmten den Kriegsgesang an und sprangen mit so gellenden Rufen vom Platze aus in die Höhe und dann wieder auf dieselbe Stelle nieder, daß sie einen schreckenerregenden Anblick boten. Des Lords Rappe und Jager, welche von einigen Zulus am Zaume gehalten wurden, bäumten sich voll Entsetzen auf. Doch hatte das Manöver einen unerwarteten Schluß, der die Herzen der Weißen mit Grauen erfüllte. Nachdem gegessen worden war, bei welcher Mahlzeit der König und sein Gefolge gebratenes Ochsenfleisch und ein sehr dünnes Bier, die Truppen eine Art von Zwieback aus Kafferkorn und kleine Stücke Kürbis erhielten, brach der König mit einem Teile des Heeres noch weiter nach Norden hin auf. Der andere Teil des Heeres ward entlassen und trennte sich, indem die einzelnen Regimenter für sich abzogen und ihre Dörfer wieder aufsuchten. Der Marsch ging mehrere Stunden weit, und die Weißen fragten sich untereinander, wohin es wohl gehen möge. Gegen Abend sahen sie ein Dorf vor sich liegen, und nun verteilte der König die Truppen so, daß sie das Dorf ringsum einschlossen. Man konnte von weitem erkennen, daß die Bewohner herausliefen und ängstlich hin und her rannten, aber sich nicht von den Hütten entfernten. Mit einem Male stürzten die Krieger Tschetschwajos sich von allen Seiten gegen das Dorf und schrieen dazu in furchtbarer Weise. Wie ein Sturmwind packten sie den dunklen Haufen von Hütten an, und bald verkündeten Angstrufe ein entsetzliches Ereignis. Flammen schlugen aus dem Dorfe auf, und bei ihrem Scheine sah man, daß die Einwohner getötet wurden. Männern und Weibern wurde der Speer durch die Brust gestoßen oder der Schädel mit dem Knopf des Kirri eingeschlagen, und die Kinder wurden in die Flammen geschleudert. Die Weißen schrieen vor Mitleid und Abscheu laut auf, und der Missionar lief vor den König und bat ihn um Schonung. Tschetschwajo war aber nur verwundert über diese Bitte, rührte keine Hand, um dem Gemetzel Einhalt zu thun, und erklärte, das Dorf habe seine Unzufriedenheit erregt, weil dort ein Häuptling herrsche, der seinen Befehlen nicht mit der gehörigen Eile nachkäme. Er vermute, daß meuterische Pläne in dem Dorfe geschmiedet würden. »O, das ist schrecklich, König, das ist schrecklich!« rief der Missionar empört. »Deine eigenen Unterthanen läßt du eines Verdachts wegen ermorden? Selbst die Weiber und Kinder werden nicht verschont?« König Tschetschwajo war von einem zahlreichen Gefolge umgeben, welches wie gewöhnlich jede seiner Handlungen mit lautem Beifallsgeschrei begleitete, und dies Hofgesinde hatte soeben beim Anblick des brennenden Dorfes laut gerufen, hier sei die Gerechtigkeit des großen Königs bewundernswert. Als die Schmeichler die Worte des Missionars hörten und seine aufrechte Gestalt vor dem Tyrannen, sein von Entrüstung belebtes Antlitz sahen, befiel sie ein gewaltiger Schrecken. Es wurde stumm in ihrem Kreise, und betroffen wichen sie von dem Manne zurück, den sie sonst als einen Günstling des Herrschers mit der größten Aufmerksamkeit und Demut zu behandeln gewohnt waren. Tschetschwajo selbst richtete einen finstern Blick auf den alten Mann, und eine Sekunde lang bewegte sich seine rechte Faust nach dem Elfenbeingriff des Streitkolbens hin, als wolle er dem kühnen Redner den Kopf einschlagen. Aber er besann sich. »Mein Vater ist sehr weise,« sagte er, »aber dies sind die Angelegenheiten des Königs, und davon versteht mein Vater nichts.« Nach diesen Worten drehte er sich um und ging schnellen Schrittes davon, indem er sich von dem Schauplatz des Strafgerichts entfernte. Sein Hof folgte ihm. Im Weitergehen erteilte er einige Befehle, und mehrere Offiziere liefen eiligst davon und begaben sich zu den Truppen. Der Ton des Kommandos erscholl durch die Reihen hin, und die Weißen sahen, daß die Truppen zusammengezogen wurden und dann das Feld verließen. Nur zweihundertundfünfzig Mann vom Regiment der blauen Schilde folgten dem Könige. Auch die Weißen, welche noch in Betrachtung des furchtbaren, mörderischen Anblicks vertieft stehen geblieben waren, erhielten Weisung, dem Könige zu folgen. Tschetschwajo ging wohl eine Stunde weit, bis von dem Rauch und Brand des Dorfes nichts mehr zu sehen war. Dann ließ er bei einem Gehölz Halt machen und befahl, das Nachtlager aufzuschlagen. Er war augenscheinlich übler Laune, und die Weißen merkten, daß er sich teilweise schämte, ihnen ein Schauspiel geboten zu haben, von welchem er zu spät merkte, daß es ihnen peinlich sei, daß er aber teilweise auch erzürnt war über den Tadel des Missionars. Das Gefolge schlich stumm um den König herum, indem ein jeder in Angst war, das Gewitter könne sich in einem Blitzschlage auf sein Haupt entladen. Tschetschwajo legte sich, in seinen Löwenmantel gehüllt, in das Gras unter einem Baume, das Gefolge, etwa hundert Männer, ahmte ihm nach, indem es in weitem Kreise um ihn her sich niederlegte, die Diener mit dem Küchengerät lagerten sich etwas weiter entfernt, nachdem sie vorher einige Lagerfeuer angezündet hatten, und die Blauschilde stellten ihre Speere zusammen, legten die Schilde nieder und kauerten sich unter den Bäumen nackend ohne Mäntel oder Decken nieder. Pieter Maritz suchte einen Platz zwischen mehreren hohen Büschen aus und ließ dort von den Dienern die Mäntel zum Lager bereiten und in der Nähe die Pferde anbinden, denn die Weißen hatten sich von ihren Dienern begleiten lassen. Leise unterhielten sich die Weißen. Sie waren in schmerzlicher Aufregung. »Da sehen Sie, mein Herr, wie sehr die englische Regierung recht hat, mit diesen wilden Fürsten aufzuräumen,« sagte der Lord. »Ich muß gestehen, daß mir selbst angesichts der königlichen Gastfreundschaft Zweifel gekommen sind, ob ich nicht treulos handelte, indem ich eine Botschaft an den Gouverneur übernähme, von deren Erfolglosigkeit ich doch überzeugt bin. Als Sie mir den Auftrag des Königs überbrachten, da fühlte ich etwas wie Gewissensbisse. Ganz Europa wirft uns vor, daß wir treulos und grausam ein Volk von Wilden und Halbcivilisierten nach dem andern zu Grunde richteten. Aber nun ich dies gesehen habe, mache ich mir keine Sorge mehr um Tschetschwajos Schicksal. Ist er doch wie ein wildes Tier! An mir bebt noch alles. Ich sehe die Gestalten der verzweifelnden Frauen vor mir und sehe die Kinder verbrennen -- nie wird sich dieser Anblick aus meinen Augen verwischen lassen.« Erst spät schliefen die Weißen ein. Doch nach wenigen Stunden schon wurden sie durch einen Lärm geweckt. Das furchtbare Brüllen des Löwen erscholl, und ein gellender Schrei folgte unmittelbar darauf. Nun ward das ganze Lager lebendig. Als Pieter Maritz aufsprang und sich die Augen gerieben hatte, denn er war noch schlaftrunken und konnte nicht gleich sehen, bemerkte er, daß die Feuer erloschen waren, während der erste Tagesschimmer, ein rotes Flammen am östlichen Horizont, über den Himmel hinzuckte. Offenbar hatten die Diener, von Müdigkeit überwältigt, die Feuer vernachlässigt, diese waren erloschen, und infolgedessen war ein Löwe so dreist geworden, in das Lager einzubrechen. Nur das eine Brüllen und der eine Schrei war zu vernehmen gewesen, jetzt war davon nichts mehr zu hören, und dafür erscholl das Lager vom Klang der Schilde und Speere und von vielen Rufen. Aber unter dem donnernden Ruf der Stimme Tschetschwajos erstarb auch dieser Lärm. Der König war wütend. Schon übelgelaunt am Abend vorher, war er durch den Überfall des Löwen, der ihn aus dem Schlafe geweckt hatte, ganz um seine sonstige Fassung gekommen. Pieter Maritz näherte sich ihm vorsichtig, indem er zwischen Büschen ungesehen hinschlich, und sah den König seinem Gefolge drohen. Gleich darauf sah er die schwarzen Krieger sich versammeln. Er erfuhr, daß ein Löwe eingebrochen sei und einen der Diener erwürgt habe. Durch die zahlreiche Mannschaft sei er sofort verscheucht worden, doch habe er den Getöteten mit sich geschleppt. Tschetschwajo, außer sich vor Wut, befahl seinen Kriegern, ihm den Löwen lebendig zu bringen. Mit eigener Hand wolle er das Tier töten, das so kühn gewesen sei, in das königliche Lager zu dringen. Und gehorsam legte die Abteilung vom Regiment der blauen Schilde die Speere, Kirris und Schilde ab, um mit bloßen Händen auf die Jagd zu gehen. Sie durften ja das Tier nicht töten, und auch der Schilde entledigten sie sich, um schneller laufen zu können und beide Hände frei zu haben. Dafür rissen sie Weidenzweige ab und nahmen Stricke vom Küchengerät der Diener. Als Pieter Maritz diese Vorbereitungen sah, lief er eilends zurück, teilte dem Missionar und dem Lord die Sache mit und sattelte Jager. Seine Freunde wollten nicht glauben, daß es wirklich so sei, aber Pieter Maritz irrte sich nicht. Er warf die Büchse über die Schulter, um für den Fall der Not bewehrt zu sein, und ritt aus, um die waffenlosen Jäger zu begleiten. Der Lord verzichtete darauf, mitzureiten, weil er nur seinen Degen hatte und weder sich noch sein Pferd einer möglicherweise sehr großen Gefahr aussetzen wollte. Als Pieter Maritz aus dem Gehölz hervorkam, wobei er eine Stelle wählte, welche der König nicht überblicken konnte, fand er die Krieger bereits auf dem Marsche. Sie waren in eine lange Kette auseinander gezogen und suchten die Spuren des Löwen im Grase. Kein Murren, keine Weigerung und auch keine Furcht zeigte sich bei ihnen, und da sie ganz unbeschwert von Waffen waren, liefen sie wie Windhunde. Pieter Maritz mußte den stärksten Trab reiten, um ihnen folgen zu können. Es war Tag geworden, und die grüne Flur war mit rotem Licht übergossen. Weithin schimmerte die Ebene, und nur hier und da standen kleine Gehölze und Haufen von Gestrüpp inmitten der Landschaft. Offenbar steckte der Löwe mit seiner Beute in einem der Dickichte. Sehr weit war er gewiß nicht entflohen, denn er hatte ja den schweren Körper des getöteten Dieners mit sich zu schleppen. Der Plan der Schwarzen war sehr einfach. Nachdem sie die Spuren des Raubtiers gefunden hatten, liefen sie in langer dünner Reihe in der gefundenen Richtung hin, umkreisten unterwegs die Gebüsche und Gehölze und suchten sie ab. Sie gingen dabei mit solcher Kühnheit zu Werke, daß der Knabe sich verwunderte. Er selbst blieb vorsichtig in der Ferne halten, wenn man vor ein Dickicht kam. Aber die Schwarzen hielten nur die Mitte ihrer langen Linie an, um den Löwen nicht vorzeitig zu verscheuchen, schwenkten mit dem rechten und linken Flügel herum, bis sie das Dickicht umklammert hatten und liefen ohne Besinnen hinein, als suchten sie einen Springbock oder ein Gnu. Auf diese Weise verfolgten sie ihren Weg und durchsuchten ein Gehölz nach dem andern. Ihre elastischen schwarzen Glieder waren in beständiger schneller Bewegung, und sie rannten und sprangen mit kaum begreiflicher Kraft. Diese Treibjagd stöberte gar manches Wild auf. Kleine Antilopen, welche Taucher genannt werden, da sie plötzlich aus hohem Grase aufzuspringen und dann ebenso schnell in einem Busch zu verschwinden pflegen, wurden viel gesehen. Allerhand Vögel, Perlhühner, wilde Tauben, welche nur so groß wie Lerchen waren und lange Schwänze hatten, Kiebitze, Finken und Wachteln stiegen auf, während die zweihundertundfünfzig Krieger durch das Gras und das Buschwerk hin suchten. Einmal ward sogar das gefleckte Fell eines Leoparden im Gebüsch sichtbar, aber erschrocken vor dem Anblick so vieler Männer zog er sich zurück, und er ward nicht gejagt, da dies nicht befohlen war. Nachdem schon sechsmal vergeblich ein undurchsichtiges Dickicht abgesucht worden war, kam die Schar vor ein aus hohen Mimosen gebildetes Versteck, in welchem Felsblöcke lagen, die teilweise aus den stacheligen Zweigen mit rotbrauner Färbung hervorblickten. Ohne Zaudern warfen sich die Zulus hinein, indem sie nur die scharfen Stacheln der Akazien vorsichtig umgingen. Es dauerte nicht lange, so ertönte aus dem Innern die tiefe, grollende Stimme des Königs der Tiere. Ein gellender Ruf aus Hunderten von rauhen Kehlen antwortete ihm. Pieter Maritz hielt außerhalb, auf halbe Schußweite vom Saume, und die Büchse lag ihm quer über dem Sattel. Sein Herz klopfte, indem er sich vorstellte, was da drinnen vorgehen möge. Denn jetzt mischten sich brüllende Töne zu wiederholten Malen mit menschlichem Schrei. Plötzlich erschien der Löwe für den Knaben sichtbar auf einem hervorragenden Felsstücke. Es kam dem Knaben vor, als sei das Tier in Verwirrung, denn indem es nach unten blickte, stieß es Schreie aus, die fast wie das Heulen eines Hundes klangen. Aber nach wenigen Sekunden schon erschienen blaue Federn und schwarze Haarkronen auf dem Felsen. Die Zulus kletterten am Felsen empor. Der Löwe schien verwundert und in Furcht zu sein. Er kauerte nieder und sprang mit einem ungeheuern Satze über mehrere Akazien weg, die wohl zwanzig Fuß hoch waren, und kam nun außerhalb des Dickichts zur Erde. Pieter Maritz konnte ihn genau sehen. Er war sehr groß, seine gelbe Mähne war nahe dem Halse sehr dunkel, und schwarze Zotteln hingen an den Beinen. Er peitschte die Erde mit dem Schweif und brüllte wiederholt, indem er auf den verlassenen Schlupfwinkel zurückstarrte. Jager zitterte an allen Gliedern, stieg in die Höhe, und nur mit Mühe vermochte der Knabe ihn auf dem Flecke zu halten. Aber jetzt stürmten die Zulus aus dem Dickicht hervor, voll Angst, daß die Bestie ihnen entfliehen könnte. Sie fürchteten sich mehr vor ihrem Könige als vor den Tatzen und Zähnen des Löwen. Wie Hunde auf den Eber, so warfen sie sich ohne Besinnen auf das starke, wilde Tier. Ein entsetzlicher Kampf hub an. Mit einem Schlage seiner Tatze hieb der Löwe den vordersten der Angreifer zu Boden, indem er ihm Brust und Leib zerschmetterte. Drei andere warf er in einer raschen Wendung mit Blut bedeckt nieder, und einem fünften zerfleischten seine Zähne den Arm von der Schulter bis zum Ellbogen. Aber die Zulus warfen sich über ihn, ohne nachzulassen. Ihre schwarzen Fäuste packten seine Mähne, seine Tatzen, seinen Schweif, seine Nase, ja sie packten in den Rachen und ergriffen seine Zunge. Ihre Zähne mußten helfen, sie bissen sich wie Tiere in seine Haut und in seine langen Haare ein und hielten ihn ebensowohl mit ihren Gebissen wie mit den Händen fest. Ein schrecklicher Knäuel wälzte sich am Boden. Die gelbe Form des Tieres war wie erdrückt unter schwarzen Gliedern, doch steckte eine so unbändige Kraft in dem Löwen, daß er noch zweimal in die Höhe kam und sich oberhalb der schwarzen Leiber wälzte. Aber die Zulus ließen nicht los, und nach einem Ringen, das mehrere Minuten dauerte, lag der Löwe, an allen vier Pranken fest geschnürt, machtlos am Boden. Ein Strick verschloß auch seinen Rachen, so daß nur noch ein dumpfes Stöhnen aus seiner Brust hervordringen konnte. Aber außer drei Toten lagen noch sechs schwer verwundete Männer neben dem Untier im Grase. Die Zulus stießen ein Jubelgeheul aus. Sie liefen in das Dickicht zurück und holten die Überreste des vom Löwen fortgeschleppten Dieners heraus, zum Beweise dafür, daß sie ihrem Könige den richtigen Löwen brächten. Dann legten sie die Verwundeten auf Tragbahren und trugen sie zum Lager zurück, den Löwen aber schleiften sie an einem Stricke über das Gras hin. Tschetschwajo saß auf seinem Schilde inmitten seines Hofstaats, als der Zug herankam. Demütig trat der Anführer vor ihn und meldete, man bringe den Löwen. Tschetschwajo erhob sich und befahl, den Löwen auf die Füße zu stellen und ihm die Fessel vom Rachen zu nehmen. Gehorsam führten die Krieger den Befehl aus. Dem Löwen wurden die Bande so weit gelockert, daß er stehen konnte, und als er den Rachen wieder öffnen konnte, stieß er ein mehr klagendes als drohendes Gebrüll aus. Er war etwas betäubt und schwankte auf den Füßen, auch hatte er unzählige kleine blutige Flecken auf dem Fell, aber er hatte keine schwere Wunde. Tschetschwajo sah den Löwen an, und seine Augen bekamen einen wilden Ausdruck. Der Missionar beobachtete ihn und bemerkte, wie die kleinen Adern im Weißen des Auges sich mit Blut füllten. Noch niemals war ihm so deutlich wie in diesem Augenblick die Wildheit des Königs aufgefallen, der, indem er dem Löwen gegenüberstand, sich selbst als löwenähnlich zeigte. Denn er fühlte sich von dem Tiere beleidigt, er zürnte ihm, als sei es seinesgleichen. Er trat dem Löwen nahe und schleuderte ihm Verwünschungen zu, er drohte dem Tiere und bestrafte es mit Worten. Endlich aber erhob er den schweren Elfenbeinstab und schlug dem Tiere damit über den Kopf, daß es ingrimmig aufheulte, und auf des Königs Wink stießen ihm einige Herren vom Hofe den Speer in die Rippen und töteten ihn vollends. Ein lautes Triumphgeschrei ertönte. »Der König hat gestraft! Der mächtige Elefant hat sich gerächt! Stark ist die Hand des Königs der Könige! Pezulu! Pezulu!« rief der Hofstaat und riefen die Blauschilde. Dem Könige selbst schien die Bestrafung des Tieres das Herz erleichtert zu haben. Sein Gesicht wurde freundlicher, er lud zum Essen ein und unterhielt sich mit dem Missionar. Durch diesen ließ er dann dem Lord mitteilen, er gedenke ihm zu Ehren eine Elefantenjagd abzuhalten. Nach dem Frühstück sollte aufgebrochen werden. Die ehemals so zahlreichen großen Dickhäuter hatten im südlichen Afrika unter den beständigen Verfolgungen der Menschen so sehr gelitten, daß weder der Lord noch auch Pieter Maritz jemals einen Elefanten zu sehen bekommen hatten. So versetzte die Nachricht der bevorstehenden Jagd beide in große und freudige Aufregung. Der Missionar nahm an dieser Freude jedoch keinen Teil. Er erzählte, daß er oft Elefanten gesehen habe und oft an der Jagd auf sie teilgenommen habe zu früheren Zeiten, wo diese Tiere noch das Gebiet des Transvaallandes und Oranje-Freistaates durchzogen. Aber immer habe es ihm leid gethan, wenn er hätte sehen müssen, daß so gewaltige und so kluge Tiere nur um ihrer Stoßzähne willen hätten sterben müssen, ja oft sogar nur aus Grausamkeit von eifrigen Jägern erlegt worden seien. »Wenn Raubtiere gejagt werden,« sagte der Missionar, »so finde ich es recht und gut, und auch die Jagd auf eßbares Wild ist notwendig. Aber Elefantenjagd hat mir immer Unbehagen verursacht.« Der Lord und Pieter Maritz dachten anders und sahen der Jagd mit Spannung entgegen. Nur darüber waren sie nicht erfreut, daß sie selbst schwerlich anders wie als Zuschauer würden teilnehmen können. Der Lord war ganz ohne Waffen, da sein Pallasch nicht gerechnet werden konnte, Pieter Maritz aber durfte mit dem kleinen Kaliber seiner Büchse auch nicht darauf zählen, die Haut des Elefanten wirksam zu durchbohren. Beide waren sehr begierig, zu sehen, wie der König seine Jagd einrichten werde. Tschetschwajo, der sich durch Boten über die Anwesenheit von Elefanten an den Ufern des Schwarzen Umvolosi hatte unterrichten lassen, brach nach kurzer frugaler Mahlzeit auf, und seine gesamte Begleitung folgte ihm. Es ging noch weiter nach Norden, und den ganzen Tag, bis zum Abend, wurde marschiert. Das hügelige Land wurde immer gebirgiger, je weiter der Marsch ging, schroffe Berge stiegen auf und dunkle Thäler wurden durchschritten. Endlich, als die Sonne sank, wurde der Fluß erreicht. In einem Thale wurde Halt gemacht und gespeist, während ein Induna vom Hofe, der das Amt eines Hofjägermeisters versah, mit einer Jägerschar weiterging, um die Elefanten zu suchen. Dann, als der Mond aufgegangen war, brach der König wieder auf und folgte dem Hofjägermeister, welcher inzwischen Nachricht über die gesuchten Tiere gebracht hatte. Eine wunderbare Beleuchtung herrschte im Umvolosi-Thale, indem das felsenreiche Ufer mit seinen schroffen Höhen von oft seltsamer Form den Schein des Mondes hier hemmte, dort in voller Klarheit durchdringen ließ. An einigen Stellen zogen sich Thäler, welche die Höhenzüge quer durchbrachen, zum Flusse hin, und die niedrig stehende helle Planetenscheibe leuchtete an solchen Stellen mit silbernem Glanze über den Fluß hin und gab den stachligen Gewächsen, welche das Wasser umsäumten, durch den Wechsel von Licht und Schatten oft höchst sonderbare Formen. Nicht selten stockte der Zug, indem die vorangehenden Jäger, durch die eigentümliche Gestaltung eines Busches getäuscht, die dunkle Masse oder in dem vorgestreckten Ast einer Euphorbiazee den Rüssel eines Elefanten zu sehen glaubten. Oft gelang es nur mit Mühe, den Weg fortzusetzen, da Urwald bis an das Wasser herantrat und nur der Pfad, den die Elefanten selbst hier gebahnt haben mußten, hindurchführte. An manchen Punkten lagen starke verwitterte Baumstämme halb im Wasser, halb am Ufer, und während zugleich dunkle Körper sich im Flusse bewegten, welche als Alligatoren erkannt wurden, entstand oft der Zweifel, ob der lang gestreckte Schatten am Wege ein gestürzter Baum oder der schuppige Leib des gefährlichen Amphibiums sei. Die Weißen ritten nebeneinander hinter der Schar der Blauschilde, und das Herz der jungen Leute klopfte vor Erwartung. Der Missionar jedoch ritt ruhig seines Weges, und der gedankenvolle Ausdruck seines Gesichts zeigte, daß sein Geist mit andern und höheren Gegenständen beschäftigt war. Jetzt ging eine Bewegung durch den lang gestreckten Zug. Von der Spitze aus pflanzte sich ein leises Flüstern und ein Winken fort, und alle hielten an. Der König, welcher an seinem Stabe dahinschritt und der Schar des Hofjägermeisters folgte, gab den Blauschilden Befehl, seitwärts abzubiegen und in einem weiten Bogen wieder an den Fluß heranzukommen. Als die Schwarzen sich nun geräuschlos seitwärts geschlichen hatten, so daß der Weg frei geworden war, ritten die drei Weißen vorwärts und gelangten an die Stelle, wo der König stand. Er wies mit ausgestreckter Hand nach vorn, und die Weißen erblickten nun in der Entfernung von etwa tausend Schritten mehrere dunkle Gestalten, die sich am Saume des Wassers und im Wasser selbst bewegten. Deutlich sah man die schwarzen Körper sich von der glänzenden Oberfläche des Flusses abheben, und ihre Größe ließ keinen Zweifel darüber, daß es die Tiere seien, welche Gegenstand der nächtlichen Jagd waren. Zu der Stelle hin, wo sie badeten und tranken, führte ein Seitenthal, und offenbar war hier ihre gewohnte Tränke. Der König hatte die Blauschilde abgeschickt, um aus jenem Thal hervor gegen die Tiere vorzubrechen und ihnen dort den Weg zu verlegen, falls sie etwa die Annäherung der Jäger bemerken und durch das Seitenthal entfliehen sollten. Der König selbst ging mit seiner Begleitung langsam weiter, um den Blauschilden Zeit zu lassen, herumzukommen. Er trug jedoch selbst keine Waffe und hatte augenscheinlich nicht die Absicht, sich selbst an der Jagd zu beteiligen, sondern wollte nur zusehen, wie seine Jäger die Tiere erlegten. Als man den Tieren so nahe gekommen war, daß man sie zählen und ihre Rüssel und Stoßzähne erkennen konnte, ging der König nicht weiter, sondern stieg seitwärts auf einen Felsen, von wo aus er das Flußthal übersehen konnte. Dorthin ließ er sich vom Missionar und von Lord Fitzherbert sowie einer kleinen Schar Indunas begleiten. Alle stiegen hinauf und stellten sich auf einen Vorsprung, der wie eine Tribüne gestaltet war. Hier konnten sie den Verlauf der Jagd in Sicherheit verfolgen. Pieter Maritz stieg vom Pferde, froh, daß er die Jäger begleiten konnte, und übergab Jager einem der Diener, welche zurückblieben. Dann schloß er sich dem Hofjägermeister an und schlich mit diesem im Schatten der Uferbüsche vorwärts. Hinter einem Weidenstrauche niedergeduckt, sah er die gewaltigen Tiere bald in geringer Entfernung vor sich. Es waren ihrer zehn große, dazu noch drei kleine, welche ganz jung waren. Langsam patschten die Elefanten mit ihren säulenartigen Beinen im flachen Wasser herum, sogen ihre Rüssel voll und bespritzten sich ihr dunkles Fell, wälzten sich im Schlamm und wedelten mit den kurzen Schweifen. Ein Tier von ungeheurer Größe, welches bis an die Kniee im Flusse stand, schien der Führer der Herde zu sein. Es erhob zuweilen den Kopf und lauschte, es zeigte einige Unruhe und überließ sich nicht mit der Behaglichkeit der andern dem Genusse der schönen Nacht. Seine langen, spitzen, nach oben gekrümmten Stoßzähne glänzten wie Silber. Der Mondschein war so rein und klar, daß Pieter Maritz jede Bewegung der Tiere genau verfolgen konnte. Er sah die kleinen Augen, sah die riesigen Ohren, welche am Kopfe herabhingen und von denen ein jedes einen Mantel für einen der Zulus hätte abgeben können, sah die blinkenden Wassertropfen über die dicke Haut hinlaufen. Jetzt sah Pieter Maritz die schwarzen Gestalten der Jäger, in deren Händen die Speerspitzen glänzten, neben sich vordringen und nahe an die Elefantenherde heranschleichen. Er wußte nicht, wie diese Leute es machen würden, um die Tiere zu erlegen, und er selbst getraute sich nicht, sich in die Jagd einzumischen. Er hatte seine Büchse, aber er wollte nicht schießen, weil er fürchtete, der Knall des Schusses möchte die beabsichtigte Jagd stören und den Zorn des Königs erregen. Auch glaubte er nicht, mit seiner Büchse Erfolg bei den dickhäutigen Kolossen haben zu können, wenn er nicht etwa mit der Kugel ins Auge träfe. Er war etwa zweihundert Schritte von dem nächsten Tiere entfernt, dort blieb er und wühlte sich in die Schlinggewächse ein, welche den Boden bedeckten. Vor ihm lag ein gebogener starker Ast, über welchen er hinwegsah, sonst war er ganz im Grün und im Schatten vergraben, indem er platt am Boden lag. Doch hatte er die Büchse vor sich und legte deren Lauf auf den Ast, wobei er über das Visier und Korn hinguckte und unwillkürlich auf das Auge des größten Elefanten zielte. Mit einem Male machte sich inmitten des Plätscherns und Rauschens, welches die Tiere im Wasser verursachten, eine Stille bemerklich. Der Führer der Herde schnob und alle andern Tiere standen still. Dann ging der Führer ans Land, erhob den Rüssel und zog die Luft ein, während er zugleich die Ohren absperrte, um jeden Laut aufzufangen. Er mußte die Annäherung der Jäger bemerkt haben, denn nun stieß er einen trompetenartigen Warnungsruf aus, und die andern Tiere fingen an, sich schwerfällig nach ihm hin zu bewegen. In diesem Augenblick sprangen wohl vierzig Jäger unter Leitung des Hofjägermeisters aus dem Ufergebüsch auf und rannten gegen die Tiere los. In größter Aufregung sah Pieter Maritz zu. Die Hälfte der Jäger griff den riesigen Führer der Herde an. Jetzt, wo er am Ufer hinschritt, sah Pieter Maritz deutlich, wie gewaltig groß er war. Wie ein Riese wandelte er, der von Zwergen angegriffen wird. Zwei der Zulus stellten sich ihm in den Weg und liefen dann fort, um ihn zur Verfolgung zu reizen, die übrigen lauerten seitwärts, um ihm, wie Pieter Maritz vermutete, ihre Speere in die Rippen zu rennen. Aber der große Elefant bekümmerte sich um nichts. Er stieß noch einmal, und jetzt viel stärker, den trompetenartigen Ton aus, und als sich nun sämtliche Tiere hinter ihm versammelt hatten, wobei sie die Jungen in die Mitte nahmen, schwang er den Rüssel hoch durch die Luft und stürzte mit weit abstehenden fliegenden Ohren geradeaus in das Querthal. Sämtliche andern Elefanten rannten hinter ihm her. Sie brachen in das Ufergebüsch und das Holz im Thale mit unaufhaltsamer Gewalt ein, und ein Geräusch von krachenden Stämmen und Ästen, von niedergetretenen Sträuchern, ein seltsames Rasseln und Dröhnen erhob sich, wie Pieter Maritz dergleichen noch niemals vernommen hatte. Die Jäger blieben zur Seite stehen, nachdem sie auseinander geflohen waren, und noch hatte kein Speer die Tiere berührt. Aber nun erhob sich noch ein anderer Lärm im Thale, der gellende Ruf der Blauschilde. Sie verlegten den Elefanten den Weg und wollten sie zum Flusse zurückscheuchen. Ein entsetzliches Getöse scholl aus dem Thale hervor in die milde und bezaubernde Tropennacht. Das Trompeten der starken Tiere übertönte den Ruf der Krieger, und deutlich war an manchem Angst- und Schmerzensruf zu erkennen, daß die unerschrockenen Zulus, welche ihr Leben einsetzten, um ihren König und dessen Gäste zu unterhalten, einen schweren Kampf zu bestehen hatten und die Rüssel und Stoßzähne der Elefanten zu spüren bekamen. Dann brachen mehrere der Kolosse wieder rückwärts aus dem Thale hervor, und ihre Erscheinung bewies, daß wenigstens teilweise der Plan der Jagd in Erfüllung gegangen war, wenn auch mehrere der Elefanten durchgebrochen sein mochten. Voran stürmte der große Elefant, welcher der Führer war. Aber Pieter Maritz bemerkte zu seiner Verwunderung, daß er nicht sowohl auf Flucht bedacht zu sein schien, als darauf, seine Begleiter und die Jungen zu beschützen. Vier Tiere, kleiner als er, aber doch gewaltig groß, waren neben ihm, und alle drängten sich um die Jungen zusammen. So nahmen sie ihren Weg gerade auf die Stelle zu, wo Pieter Maritz versteckt lag. Sie schienen den Fluß entlang laufen zu wollen. Kaum war der große Führer aber wieder erschienen, als der Hofjägermeister, eine athletische, ganz nackte Gestalt sich ihm entgegenwarf und mit ihm seine Jägerschar. Es galt, dem König ein würdiges Schauspiel zu bereiten. In großen Sätzen bewegte sich der Hofjägermeister, den Speer in der Faust, vor dem Elefanten her, während die Jäger nach den Hinterbeinen des Tieres liefen, um es in die Sprunggelenke zu stechen und es zu lähmen. Aber trotz seiner Gewandtheit und Elasticität kam der Hofjägermeister zu schaden. Der Elefant ergriff ihn mitten in einem Seitensprunge mit dem Rüssel an seiner künstlichen Frisur, schwang ihn hoch durch die Luft, schmetterte ihn zu Boden und zertrat ihn im Augenblicke darauf zu einem blutigen Brei. Doch gleich darauf kehrte der Elefant sich um. Er fühlte die Spitzen mehrerer Speere in seine Hinterfüße eindringen. Wütend packte er einen der Jäger, die ihn verwundet hatten, schleuderte ihn nieder und bohrte ihm den Stoßzahn durch die Brust. Aber die behenden Jäger waren schon wieder hinter ihm, und nun zerschnitten die breiten Speerklingen ihm die Sehnen an beiden Füßen, und stöhnend sank das mächtige Tier mit dem Hinterteil zu Boden, während ein Blutstrom die Erde färbte. [Illustration: Die Elefantenjagd.] Nun sah Pieter Maritz eine Scene, welche ihn rührte und tief bewegte. Die andern Tiere, obwohl ebenfalls von Jägern umschwärmt, drängten sich an den Gefallenen heran und suchten ihn mit ihren Rüsseln aufzurichten, wobei sie klagende Töne ausstießen, er aber schlang den Rüssel um ein Junges, das ihm nahe war, als wollte er es vor den Waffen der Feinde beschützen. Wie Teufel umsprangen die heulenden Zulus die Kolosse, die einander hilfreich beistanden. Bald ward die Gruppe gesprengt. Aus dem Thale hervor brachen die Blauschilde, und dicht wie Fliegen schwärmten die nackten schwarzen Gestalten umher. Sie griffen die Tiere von allen Seiten an, Hunderte von Assagaien sausten durch die Luft und bohrten sich in die großen Leiber ein, und obwohl gar mancher der tollkühnen Jäger das Leben lassen mußte, indem er durchbohrt, zertreten und in die Luft geschleudert ward, so wurden die Tiere doch voneinander getrennt und einzeln umringt. Jetzt durchbrach ein Elefant, dem wohl zehn Assagaien im Rücken und in den Flanken steckten, den Jägerkreis und lief mit hoch gehobenem Rüssel in seiner Flucht auf den Platz zu, wo Pieter Maritz lag. Es war für den Knaben keine Zeit mehr, aufzuspringen und davonzulaufen. Er blieb ruhig liegen, denn wenn er sich erhoben hätte, würde ihn das Tier mit dem Rüssel gepackt haben. Als aber der Elefant gerade über ihm erschien und seine gewaltig stampfenden Füße unmittelbar neben dem Kopfe des Knaben niedertraten, da schoß Pieter Maritz seine Büchse, ohne zu zielen, gegen die riesige schwarze Gestalt ab und schrie dazu unwillkürlich mit voller Kraft seiner Lungen. Das Tier mochte wohl über den Schuß und das Geschrei, während es keinen Feind sah, verwundert sein, denn es stockte im Laufe, trompetete laut und wandte sich seitwärts. Bald hatten die Jäger es dann wieder eingeholt, da es infolge seiner Wunden nur noch langsam laufen konnte, und auch dieser Elefant sank zu Boden. Bald waren alle Tiere zu Falle gebracht und bluteten aus Hunderten von Wunden. Aber es dauerte fast eine Stunde, bis sie tot waren, denn die Wunden gingen sämtlich nicht tief, und nur langsamer Blutverlust ließ die Tiere sterben. Mit vorwurfsvollem Blick ihrer klugen Augen sahen sie bis zum letzten Augenblick ihre unerbittlichen Mörder an, von denen sie beständig umschwärmt und beständig von neuem verwundet wurden, und umschlangen, selbst sterbend, die toten Jungen zärtlich mit dem Rüssel. [Illustration] Vierzehntes Kapitel Mainze-kanze = Laßt den Feind kommen! Nachdem am folgenden Morgen der König mit der Jagdgesellschaft gespeist hatte und nachdem den erlegten Elefanten die Stoßzähne ausgebrochen und den Trägern aufgepackt worden waren, ließ Tschetschwajo den Marsch am Flusse hin fortsetzen, und zwar in südöstlicher Richtung. Doch verließ der Zug die unmittelbare Nähe des Wassers und wählte den gangbarsten Weg über die Höhenzüge hin. Nach dreistündigem Marsche begegnete ihnen ein anderer kriegerischer Zug, und dessen Führer verneigte sich tief vor dem Könige, der ihn alsdann in seine Arme schloß. Die Weißen erkannten in dem Führer den Bruder des Königs, den Prinzen Dabulamanzi. Der Prinz kam an Höhe des Wuchses seinem Bruder gleich, und da er nicht so fett war wie dieser, sondern alle seine Glieder kriegerische Übung und Gelenkigkeit verrieten, so bot seine Gestalt einen schönen Anblick. Er war dem Könige ähnlich, doch war er wohl zehn Jahre jünger, und sein Gesicht war angenehm und sehr männlich. Sein Haar war weder in Locken gedreht, noch aufgetürmt, noch über den Ohren abrasiert, sondern nur kurz gehalten wie bei europäischen Offizieren, und es bedeckte den Kopf wie ein kurzer krauser Pelz. Ein einfacher goldener Ring, etwa daumensdick, saß einer Krone gleich auf dem Kopfe, ebenso umgab eine goldene Kette, deren Ringe sehr dick waren und ganz nahe aneinander geschoben waren, den Hals. Sonst trug der Prinz weder Schmuck noch Kleidung. Nur der kleine Schurz von Löwenfell umgürtete seine Hüften. Was aber den Weißen sehr auffiel, war die Art seiner Bewaffnung. Er trug ein Gewehr, einen Hinterlader, in der Hand, und ein dünner Lederriemen, der über die rechte Schulter gehängt war, hielt eine Patrontasche. Ebenso war sein Gefolge nackt und mit Hinterladern bewaffnet. Der König schien das Eintreffen des Prinzen erwartet zu haben und setzte mit ihm seinen Weg fort. Nach kurzer Zeit erreichte man den Gipfel eines kleinen Berges, von dem sich eine weite Aussicht bot, und nun hatten die Weißen einen Anblick, der sie sehr überraschte. Sie übersahen ein weites, grünes Thal, das von vielen kleinen Höhen unterbrochen war. In diesem Thale konnten sie den Lauf zweier hell glänzender Flüsse, des Schwarzen und des Weißen Umvolosi, verfolgen, welche sich zwischen felsenreichen Ufern dahinwanden und in der Ferne ineinander strömten. Zwischen beiden Flüssen, in dem Winkel, den sie bildeten, lagen mehrere jener ihnen bekannten dunklen Kränze, der Kraale, welche aus einem Ringe von Hütten um einen großen freien Platz gebildet sind. Vor diesen Kraalen aber blitzte es von Waffen: eine ganze Armee war dort aufgestellt. Der König wandte sich mit triumphierendem Blicke zu dem Missionar. »Mein Vater hat nur einen Teil der Krieger Tschetschwajos gesehen,« sagte er. »Nun wird er einen andern Teil sehen. Dabulamanzi herrscht in Mainze-kanze. Sage dem englischen Induna, Mainze-kanze bedeute: Laßt den Feind kommen.« Als der königliche Zug den Abhang des Berges hinabschritt und sich den Kriegshaufen näherte, sahen die Weißen ein, warum die Kraale am Vereinigungspunkte der Flüsse einen so stolzen Namen führten: wiederum standen wohl zehntausend Krieger aufmarschiert, diese aber führten sämtlich Gewehre. Dabulamanzis Armee war in zwei Reihen aufgestellt, zwischen welchen der königliche Zug hinschritt, von donnerndem Kriegsgesang empfangen und begleitet. Auch diese Truppen waren in Regimenter abgeteilt, welche sich durch Farben voneinander unterschieden, und es waren vier Regimenter Amatongas dabei, ein Volksstamm nördlich von den Zulus wohnend, der die Oberherrschaft Tschetschwajos anerkannte. Auffallend war bei ihnen besonders ihr Kopfputz. Einige Regimenter trugen weiße oder gefleckte Stirnbänder von Ochsenfell oder Tigerfell. Diese Bänder waren hinter dem Kopfe zusammengebunden, und weiße Ochsenschwänze hingen daran herunter, so daß das Haar gleich einer weißen Perücke seitwärts und hinten bis auf Schultern und Nacken herabfiel. Über dem handbreiten Stirnband stand die schwarze Haarkrone empor und war mit Federbüschen geziert. Es sah aus, als trügen diese Krieger Helme oder hohe Mützen. Ein Regiment trug wirklich Mützen. Aus schwarzem oder fleckigem Fell von Raubtieren waren Kopfbedeckungen hergestellt, welche mit hohem Federschmuck verziert waren und sehr kriegerisch aussahen. Die Brust dieser Krieger war ganz mit weißen Haarbüscheln bedeckt, die vom Halsschmuck herabhingen. Dies war das »Regiment des Königs«, wie Humbati den Weißen erklärte, eine auserwählte Schar von fünfzehnhundert Mann, welche ein jüngerer Bruder Humbatis befehligte. Sämtliche Krieger trugen in der linken Hand den großen Schild, die Assagaien und auch noch den starken Speer, in der rechten Hand aber den Hinterlader. Der König mit seinem Gefolge durchschritt die langen Reihen und ging dann in den nächstliegenden Kraal. Diesen wollte er den Weißen zeigen, während die Armee sich zum Manöver ordnete. Er führte seine Gäste zu mehreren größeren Gebäuden, welche unähnlich der Bauart der Zulus nach europäischer Weise aufgeführt waren. Ja aus dem einen ragte ein hoher Schornstein empor, aus welchem Rauch aufstieg. Zu ihrer Verwunderung wurden die Gäste eines weißen Mannes gewahr, der den König in der Thür des größten Gebäudes empfing. Es waren eine Pulverfabrik, eine Patronenfabrik und ein Magazin voller Gewehre, was sie hier erblickten. Schwarze Arbeiter stellten unter Leitung des Weißen die Munition für die Gewehre her. Die Gäste versuchten, mit dem europäischen Landsmann sich zu unterhalten, aber dieser war, wie es schien, unangenehm berührt durch den Anblick von Landsleuten und antwortete ihnen nur kurz und mürrisch. Auch war nicht zu entdecken, welcher Nation er angehörte. Er sprach englisch und holländisch mit gleicher Fertigkeit. Der Missionar vermutete, er sei ein Verbrecher, der die Heimat oder eine Strafanstalt in den Kolonien geflohen habe. Nachdem der König voll Stolz seine Fabriken gezeigt hatte, wobei er oft den Blick auf dem Lord ruhen ließ, als ob er ihn fragen wollte, welchen Eindruck solche Hilfsmittel auf ihn machten, führte er die Gäste wieder zu den Truppen und nahm mit ihnen eine erhöhte Aufstellung, von der aus das Manöver zu übersehen war. Dabulamanzi ließ die Regimenter ihre Bewegungen ausführen und ritt dabei seinen mit einem Tigerfell gesattelten Fuchs. Es war aber kein sehr glänzendes Manöver. Soweit die Regimenter freilich Bewegungen ausführten, welche denen glichen, die schon von der Armee bei Ulundi gemacht worden waren, so weit ging alles gut, und selbst die unverhältnismäßig schwere Bewaffnung, indem zum Schilde und zu den Speeren noch das Gewehr hinzukam, schien die Krieger nicht schwerfällig zu machen. Sie rannten mit großer Schnelligkeit und Ausdauer, wobei sie das Gewehr so trugen wie ehedem den starken Speer. Aber als nun die neue Kampfweise gezeigt werden sollte, welche der Bewaffnung mit dem Hinterlader angemessen war, da entstand Unordnung. Dabulamanzi ließ eine Reihe von Scheiben in der Entfernung aufstellen. Diese Scheiben waren offenbar unter Leitung des weißen Fabrikdirektors entstanden, denn sie waren europäischen Scheiben ähnlich und stellten zum Teil Buern dar. Dann mußte ein Regiment nach dem andern die Scheiben angreifen und aus der Ferne danach schießen. Bei diesen Angriffen aber lockerten sich die Glieder, weil keine Ordnung zwischen Schießen und Laufen herzustellen war. Den Zulus war die alte Fechtweise so in Fleisch und Blut übergegangen, daß sie sich in die neue nicht finden konnten. Wenn die vorderen Glieder stehen blieben, um zu feuern, so wurden sie von den hinteren Gliedern überrannt. Zuweilen feuerten auch die hinteren Glieder, ohne zu bedenken, daß Leute vor ihnen waren, denn der Rauch und Knall berauschte die Zulus. Und weil mit scharfen Patronen gefeuert wurde, fielen mehrere Krieger, von hinten erschossen, nieder. Die Regimenter lösten sich in wilde Haufen auf. Dazu waren die Schilde und Speere beim Schießen hinderlich. Die Leute wußten sich dabei nicht zu benehmen. Bald stützten sie die Mündung auf den Schild und schossen mit der rechten Hand allein, als hätten sie eine Pistole, bald warfen sie Schild und Speere zu Boden, zielten mit beiden Händen, aber hatten dann Aufenthalt, um ihre andern Waffen wiederaufzunehmen. König Tschetschwajo wurde sehr ernst, als er diese Unordnung sah, und ließ das Manöver sehr bald aufhören. Dann entfernte er sich von seinem Gefolge und besprach sich lange mit Dabulamanzi. Die Truppen ruhten während dessen und aßen ihr gewöhnliches Mahl, Kafferkorn und Kürbis, und die Toten und Verwundeten wurden weggetragen. Pieter Maritz und der Lord gingen an die ruhenden Truppen hinan und betrachteten deren Gewehre. Es waren lauter Hinterlader, aber sie waren von verschiedenen Systemen, hier hatte eine Abteilung Zündnadelgewehre, dort Chassepots, dort Enfieldbüchsen, und aus dieser Ungleichheit wie aus dem schlechten Zustande der Gewehre war zu erkennen, daß es alte Waffen waren, die von Händlern aufgekauft worden waren. Das Reich Tschetschwajos erstreckte sich bis nahe an die Delagoabai im Norden, und der König mochte wohl für Gold, Elfenbein, Straußenfedern und Vieh von den Portugiesen die Gewehre gekauft haben. Doch war es auch möglich, daß er sie aus andern Quellen bezog, denn sein Reich grenzte im Osten überall an das Meer, und außerdem kamen die Smauser aus den englischen Besitzungen und aus den Buernländern zu ihm. Humbati erklärte den jungen Leuten auf ihr Befragen nach der Taktik der Zulus, daß es eine schwierige und immer wieder erwogene Frage sei, ob die Krieger Schild und Speer neben dem Gewehre führen sollten oder nicht. Der Prinz Dabulamanzi sei der Ansicht, daß sie nur Gewehre und Patrontasche führen sollten, aber der König sei der Ansicht, es sei gegen die Zulunatur, ohne Schild und Speer zu kämpfen. Schild und Speer, sagte Humbati, seien ebensowohl Ehrenzeichen wie Waffen, und ein Zulugemüt werde sich nur schwer an den Gedanken gewöhnen, ohne diese beiden Stücke leben oder gar fechten zu können. Jetzt ließ Dabulamanzi, nachdem seine Unterredung mit dem König beendigt war, das prächtige Regiment antreten, welches nach dem Könige genannt wurde und dessen eigentliche Garde war. Es waren lauter ältere Männer, von etwa vierzig Jahren, und viele von ihnen waren von wahrhaft prachtvollem Wuchse, breitschulterig, hochgewachsen, mit schwellenden Muskeln. Der Prinz ließ die Schilde und Speere reihenweise in das Gras legen, und dann mußte der Induna, Humbatis jüngerer Bruder, das Regiment zum Angriff gegen die Scheiben führen. In drei Haufen, ein jeder fünfhundert Mann stark, lief die Garde vor. Zwischen den Kolonnen war ein Raum von etwa fünfzig Schritten, und die Kolonnen selbst waren zehn Mann breit und fünfzig Glieder tief. In gehöriger Entfernung sollten die vorderen Glieder schießen. Aber der Angriff fiel nicht gut aus. Die Zulus waren wie verstört, als sie mit den Gewehren allein anstürmten, und während die vorderen Glieder zu feuern anfingen, bemächtigte sich der Kolonne große Aufregung. Die vorderen Glieder blieben nur zum Teil stehen, zum Teil feuerten sie im Laufen, die hinteren Glieder lockerten sich, indem sie stutzten und sich seitwärts wandten. Sie fürchteten, die vorn Stehenden von hinten umzurennen, wußten aber nicht, was sie selbst machen sollten. Mehrere Leute der vorderen Glieder wurden wieder von ihren Hintermännern erschossen. Alle brüllten das Angriffsgeheul, und dieser Lärm, mit dem Knall der Schüsse vereinigt, schien sie rasend zu machen. Nur wenige Schüsse trafen die Scheiben, und bald waren die drei Kolonnen nur noch drei wilde, regellose, brüllende Haufen. Der König machte ein finsteres Gesicht, und Prinz Dabulamanzi ließ das Regiment halten. Die Kolonnen wurden wieder geordnet und zurückgeführt, dann aber wurden zwanzig Männer herausgesucht, welche einzeln nach der Scheibe schießen sollten. Sie wurden zweihundert Schritte entfernt von einem Buer, der aus Papier gemacht und bemalt war, aufgestellt und schossen der Reihe nach. Der König, der Prinz und das Gefolge stellten sich dazu, und die Weißen standen dicht hinter dem König. Die ausgewählten Leute gehörten wahrscheinlich zu den besten Schützen, und sie schossen sehr gut. Der Zulu, welcher die Treffer anzeigte, und der andere Mann, welcher die Löcher verklebte, standen nur zehn Schritte von der Scheibe ohne jeden deckenden Schutz; nach jedem Schuß ward auf Kopf oder Brust der Figur gezeigt. Der König sah sich jetzt nach den Weißen um, wie um ihren Beifall zu hören, da bemerkte er das gespannte Interesse, mit welchem Pieter Maritz nach der Scheibe sah, und daß der Knabe instinktmäßig beide Hände an seiner Büchse hatte. Er lächelte und trug dem Missionar auf, Pieter Maritz zu sagen, er möge versuchen, mit des Königs Garde um die Wette zu schießen. Der Missionar führte den Auftrag aus, und errötend trat Pieter Maritz vor. Die Augen des ganzen Gefolges und der Zuluschützen ruhten auf ihm. Er trat vor die Scheibe, wog einen Augenblick die Büchse in der Hand, schoß, und der Zeiger wies mit der Speerspitze gerade in die Mitte des Gesichts. Der König nickte. »Mynheer,« sagte Pieter Maritz zu dem Missionar, »bitte, sagt dem Könige, ich würde jetzt das rechte Auge der Figur treffen.« »Aber mein bester Junge, hüte dich, den König zu beleidigen, wenn du besser schießest als seine Leute,« entgegnete der alte Mann. »Was sagt der Knabe?« fragte Tschetschwajo. »Er will auf das rechte Auge der Figur schießen,« entgegnete der Missionar, nur ungern, aber aufrichtig. »Mag er es thun!« rief der König. »Die Zulus sollen dasselbe thun.« Pieter Maritz zielte, der Schuß krachte, und der Zeiger wies auf die vorher bezeichnete Stelle. »Nun unsere Leute!« sagte der König. Die Zulus schossen, aber ihre Kugeln trafen wohl in den Kopf und den Hut der Figur, aber unter neun Schüssen hatte noch keiner das Auge getroffen. Da traf der zehnte, und der König nickte befriedigt. Aber alle andern fehlten wieder das Ziel. Die Augen rollten fürchterlich in den schwarzen Gesichtern, die weißen Zähne glänzten, und hohe Aufregung verbreitete sich unter dem königlichen Gefolge wie unter den Gardisten. Pieter Maritz aber war von Ehrgeiz gestachelt. Es hatte ihn geärgert, daß die Zulus nach einer Scheibe schossen, welche einen Buer darstellte, und er wollte ihnen zeigen, von welcher Art die Buern wären. »Dies ist kein Ziel für einen Buer,« sagte er stolz. »Es ist viel zu groß. Der König möge eine Kranichfeder auf eine Speerspitze stecken und den Speer weiter entfernt aufstellen lassen.« Diese Worte wurden dem König übersetzt, und er sandte einen Induna aus, um das neue Ziel zu stecken. Auf dreihundert Schritte wurde ein Speer in den Boden gestoßen, und eine kleine schwarze Feder auf dessen Spitze gesteckt. Es war ein Ziel, welches für den Lord wie für den Missionar gar nicht mehr zu sehen war, nur die scharfen Augen der Zulus und des Buernknaben, durch Lesen nicht verdorben und an freier Luft auf der Jagd und im Kriege geübt, sahen das schmale, von der Luft bewegte Ziel. Der König ließ zuerst die Zulus schießen. Aber sie schossen alle vorbei, bis auf den Mann, der vorhin das Auge getroffen hatte. Dieser traf zwar nicht die Feder, aber seine Kugel zerschmetterte den Schaft des Speeres, dicht unterhalb der Spitze. »Gut! Sehr gut!« rief der König, und er ließ einem seiner Hofherren den goldenen Armring abstreifen und dem glücklichen Schützen überreichen. Aber ein neuer Speer ward aufgerichtet und die schwarze Feder darauf gesteckt. Pieter Maritz trat an den Platz, den der Zulu verließ, setzte den linken Fuß vor und hob langsam die Büchse. Eine Sekunde lang zielte er, und in diesem Augenblicke konnte kein Felsen unbeweglicher stehen als er. Nun blitzte der Schuß, und die kleine Feder war verschwunden, der Speer aber stand noch, wie er gestanden hatte. Der König rief Beifall, aber in seinen Augen loderte düstere Wut. »Hier,« sagte er, sich bezwingend, und indem er einen der goldenen Ringe vom Finger zog, »hier hast du eine Belohnung für dein Schießen. König Tschetschwajo dankt dir für das Schauspiel, das du ihm gegeben hast.« Dann aber wandte der König sich um und ging mit seinem Gefolge von dannen. Pieter Maritz betrachtete den Ring. Derselbe war sehr dick und schwer, und ein Rubin funkelte darin. Doch war der Ring viel zu weit für des Knaben Finger, und er zog deshalb einen dünnen ledernen Riemen durch und hing ihn um den Hals. Der Missionar stand mit besorgtem Blick dabei. Er fürchtete des Königs Ungnade. In der That war der König zornig. Das ganze Manöver hatte ihm mißfallen, und das Schießen des Buernknaben hatte seinen Unmut auf die Spitze getrieben. Doch ließ er seinen Zorn in einer andern Richtung aus, als der Missionar befürchtet hatte. Er versammelte seinen Hofstaat und die höchsten Indunas von der Armee Dabulamanzis um sich und ließ den Kommandanten des Garderegiments, Humbatis Bruder, vor sich treten. »Lege den Schild und den Speer ab!« rief er mit drohendem Tone dem Induna zu. Dieser Ruf erfüllte die Herzen aller Anwesenden mit Schrecken, denn sie wußten, was er zu bedeuten hatte. Humbati, welcher neben dem Missionar stand, verfärbte sich und streckte ängstlich teilnehmend den Kopf vor. Voll Mitleid blickte der Missionar auf den Induna, der nun gehorsam die Waffen zu Boden legte. Es war ein schöner schlanker Mann, mit klugem Gesichte, das Haupt mit dem goldenen Ringe geziert. Nun kniete er vor dem König nieder, und ein tiefes Schweigen herrschte in der Versammlung. »Ich bin mit deinem Regimente nicht zufrieden,« sagte Tschetschwajo. »Es ist das Regiment des Königs, und es soll andern Kriegern als ein Muster vorleuchten. Es soll um die geheiligte Person des Königs selbst sein. Du hast aber die Krieger geführt, als ob sie eine Herde Ochsen wären.« Der Induna hielt seine glänzenden schwarzen Augen auf das Gesicht des Königs geheftet, und obwohl er in demütig knieender Stellung war, prägte sich Würde und Stolz in seiner Haltung aus. Kein Muskel zuckte weder in den schlanken Gliedern noch in dem edel geschnittenen Antlitz. »Du bist ein toter Mann,« fuhr der König fort. »Aber« -- er wandte sich halb zu dem Missionar -- »ich will heute thun, was ich noch nie gethan habe: ich will dein Leben schonen um meines Vaters und Freundes willen, welcher es nicht liebt, Blut zu sehen. Ich weiß, daß sein Herz weint beim Blutvergießen, und deshalb darfst du leben. Er ist aus einem fernen Lande gekommen, um mich zu sehen, und er hat mein Herz weiß gemacht. Er sagt mir, es sei ein schreckliches Ding, jemandes Leben zu nehmen, weil es niemals wieder ungeschehen gemacht werden kann. Ich wünsche, daß er, wenn er heimkehrt, um seinem Könige den Gruß Tschetschwajos zu bringen, ein Herz hat, das so weiß ist wie meines. Seinetwegen schone ich dich, denn ich liebe ihn. Aber du mußt für dein ganzes Leben erniedrigt werden. Ich kann dich nicht an der Spitze meines Regimentes lassen. Du sollst nicht mehr mit den Edlen des Landes umgehen, noch in die Städte der Fürsten kommen dürfen, noch am Tanze bei den königlichen Festen teilnehmen. Nimm den Speer und den Schild wieder auf und tritt in das Regiment ein, welches fern am großen Wasser liegt.« Der Induna senkte das Haupt, dann aber erhob er es wieder, kreuzte die Arme über der Brust und erwiderte: »O, König, betrübe nicht mein Herz! Ich habe deine Ungnade verdient, laß mich erschlagen wie einen Häuptling. Ich kann nicht unter dem niedrigen Volke leben.« Dann legte er die Hand an den goldenen Ring und fuhr fort: »Wie kann ich unter den Hunden des Königs leben und dies Ehrenzeichen schänden, welches ich unter den Mächtigen trug? Nein, ich kann nicht länger leben, laß mich sterben, o Pezulu!« »Gut,« sagte der König. »Dein Wunsch möge geschehen!« Auf seinen Wink traten Krieger heran, welche dem Verurteilten die Hände über dem Kopfe zusammenbanden, und dann ward er hinausgeführt, zwei Männer auf jeder Seite. Humbati machte eine Bewegung, als wollte er dem Bruder folgen, aber er besann sich und murmelte, so daß der König es hören konnte: »Der König ist gerecht, er ist sehr weise, Humbati kennt seinen Bruder nicht mehr.« Doch der Lord flüsterte dem Missionar zu: »Wenn ich der König wäre und hätte Humbatis Blick gesehen, so würde ich unruhige Nächte haben.« Ein Herr vom Hofe ward dem Verurteilten nachgesandt, und Pieter Maritz stahl sich seitwärts, um zu sehen, was mit dem unglücklichen Befehlshaber der Garde geschehen würde. Es war nicht Lust an grausamen Handlungen, was ihn zog, sondern innige Teilnahme, die ihn fast wider Willen trieb. Er folgte dem kleinen Zuge zu einem Platze neben dem Kraal, der auf der Höhe an der Vereinigung der beiden Flüsse lag. Dort neigte sich ein Felsen senkrecht zum Wasser hinab. Hierher ließ der Induna aus dem Hofstaat den Verurteilten führen. Pieter Maritz sah hinunter. Breit und glänzend strömte unten das Wasser, und weithin schweifte der Blick jenseits des Flusses über Berg und Thal. Er sah den stolzen Krieger an, welcher zum Tode ging, und sah ihn gelassen dahingehen. Ein träumerischer Ausdruck lag auf dem schönen schwarzen Antlitz, und seine Lippen zuckten verächtlich, als trüge das Bewußtsein seiner Würde den tapferen Anführer über die Schrecken des Todes hinweg. Viele Krieger sahen aus der Entfernung zu, als der kleine Zug an den Rand des Felsens hintrat, und tiefes Schweigen herrschte unter ihnen. Jetzt, als die Begleiter Hand anlegen wollten, ihn vom Felsen hinunterzustoßen, machte sich der Verurteilte mit einer Gebärde des Unwillens aus ihrem Griff los, trat einen Schritt vor, bis an die äußerste Spitze der Höhe, und stürzte sich in weitem Schwunge hinab. Der schwarze Körper tauchte in die Flut ein, für einen Augenblick glänzte noch der goldene Kopfring aus dem blauen Wasser empor, dann sah Pieter Maritz die gräßlichen Rachen mehrerer Alligatoren dort unten erscheinen, und von dem kühnen Manne war jede Spur verloren. Als der Knabe mit erschüttertem Herzen zurückkehrte, sah er den König inmitten seines Gefolges und der Heerführer unter schattigen Bäumen lagern und speisen. Seine Köche knieten im Hintergrunde um die Feuer herum, und der Geruch gebratenen Fleisches erfüllte die Luft. Die Schmeichler umringten den König und riefen mit leiser Stimme, wie in Verwunderung verloren: »Wo sind die Feinde Tschetschwajos? Sein Atem schlägt in ihr Antlitz wie die Flamme in trockenes Gras! Seine Feinde werden verzehrt von dem Atem des Königs der Könige. Der Vater des Feuers beherrscht den blauen Himmel, er steigt hinauf und sendet seine Blitze aus den Wolken, er läßt den Regen herniederträufeln. Ihr Berge, ihr Wälder und ihr grasreichen Ebenen, hört auf die Stimme Tschetschwajos, des Sohnes Pandas, des Königs des Himmels!« Gegen seine Gewohnheit schloß sich Humbati diesen schmeichelnden Hofleuten an und pries mit demütiger Gebärde die Größe des Königs. Auch eine Anzahl der Weiber des Königs war aus Ulundi herbeigeführt worden, und sie kauerten um ihn her und reichten ihm knieend die Körbe und Schalen. Er winkte eine von ihnen herbei und erwies ihr die Gnade, seine Füße in ihren Schoß zu stellen und sie als Fußschemel zu benutzen, während er auf einer Rasenbank saß. Pieter Maritz sah dieser Scene von der Seite zu und war so traurig und so empört über das grausame Gemüt Tschetschwajos, daß er nicht essen mochte und die Speise zurückwies, welche die königlichen Diener ihm anboten. Da bemerkte er, daß ein erbärmlich aussehendes Paar sich dem Kreise näherte. Der Mann hatte ein bekümmertes Gesicht, und sein magerer Leib war elend gekleidet, ganz ohne Schmuck, die Hüften mit einem abgeschabten Ziegenfell umgürtet. In der Hand trug er ein kleines Päckchen, das mit Ziegenfell umwickelt war. Die Frau sah so kümmerlich aus wie der Mann. Mit niedergeschlagenen Augen schlichen sie an das Gefolge heran, als ob sie eine Bitte vortragen wollten. Die Umgebung des Königs schien Erbarmen mit den Leuten zu haben, oder war so eingeschüchtert, daß sie nicht wußte, was sie thun sollte, denn ohne sie gerade heranzuführen, wichen die Hofleute auseinander und ließen das armselige Paar gleichsam unabsichtlich vor den König kommen. Der König war im Gespräch mit seinem Bruder, als er bemerkte, daß etwa zehn Schritte von ihm die armen Leute niederknieten, doch warf er nur einen flüchtigen Blick auf sie und setzte seine Unterhaltung fort. Da legte der Mann sein Päckchen zu Boden, knüpfte es auf und breitete ein paar elende geschnitzte Dinge, einige Kugeln von Horn, einen verzierten hölzernen Löffel und ein paar messingene Ohrringe, auf dem Boden aus. Dazu fing er an, mit kläglicher Gebärde zu erzählen, er sei vom Lande und wohne im Gebiete der Amatongas, die Zulukrieger aber hätten auf dem Durchmarsche seine beiden Söhne mitgenommen, einen Knaben von zehn und einen Knaben von acht Jahren. Nun biete er dem König das Lösegeld, und bitte, ihm und seiner Frau die Kinder wiederzugeben. Der König runzelte die Brauen, aber beachtete den Bittsteller weiter nicht, denn er erwog gerade die wichtige Frage des Tragens der Schilde im Feuergefecht und blieb in der Unterhaltung mit Dabulamanzi. Da zog der arme Mann trübselig noch ein altes abgeschabtes Messer aus seinem Karoß und legte es zu den übrigen Dingen. »Dies ist alles, was wir haben, o König,« sagte er kummervoll. »Wir sind zehn Tage lang gelaufen, meine Frau und ich, um dem König unsere Bitte vorzutragen.« Aber der König bemerkte ihn noch immer nicht, und das Gefolge fing an, sich zwischen ihn und die Armen zu schieben, in der Besorgnis, etwas Mißfälliges zu begünstigen. Ein schwerer Seufzer drang aus der Brust des armen Mannes hervor, und über die Wangen seiner Frau liefen Thränen. Beide stützten die Köpfe auf die Hände und blickten zu Boden, niedergeschlagen, mutlos, ohne Kraft, ferner zu bitten, noch auch wegzugehen. Sie hatten ihr ganzes bewegliches Besitztum geboten, um ihre Kinder wiederzubekommen. Jetzt traten einige Diener heran, um die Lästigen fortzujagen. Da stand der Missionar auf und näherte sich ihnen. Er legte seine Hand auf des Mannes Schulter, um dessen Aufmerksamkeit zu erregen, und sprach ein paar freundliche Worte. Dieser starrte in die Höhe, aber beim Anblick des weißen bärtigen Gesichtes stieß er einen Schreckensruf aus. Die Frau sprang empor und schrie ebenfalls vor Angst. Nun ward der König aufmerksam und fragte, was es gäbe. »Hier sind die ärmsten von des Königs Unterthanen,« sagte der Missionar mit fester Stimme. »Sie wissen, daß der König sein Auge über den Geringsten wie über den Mächtigen wachen läßt, darum wagen sie es, mit einer Bitte zu nahen.« »Was wollen die Leute?« fragte Tschetschwajo mit finsterer Stirn. »Sie haben zwei Söhne, die von des Königs Truppen geraubt sind. Sie möchten ihre Söhne wiederhaben, denn ihr Herz hängt an den Knaben. Es sind Knaben, die noch nicht die Waffen tragen können.« »Mein Vater will des Königs Armee ihres jungen Nachwuchses berauben und den König zum Frieden nötigen,« sagte Tschetschwajo mit einem ärgerlichen Lachen. Dann aber sprach er einige Worte zu einem der Heerführer und dieser entfernte sich, während der König sich wieder zu seinem Bruder wandte. Der Missionar ließ die armen Leute beiseite treten, und diese küßten ihm die Füße und die Hände, da sie aus dem Verlauf der Scene schlossen, daß ihre Hoffnung in Erfüllung gehen würde. Sie boten dem Missionar ihre ärmlichen Geschenke an, dieser aber wies sie mit freundlichen Worten zurück und gab ihnen Speise. Die Hofleute aber redeten unter sich und waren voll Verwunderung über den Einfluß des weißen Mannes. Nicht lange darauf kehrte der Induna zurück, und man sah einen Knaben an seiner Seite gehen. Das Weib stieß einen Ruf aus und rannte so schnell dem Knaben entgegen, daß es aussah, als müßte sie jeden Augenblick stürzen. Sie umarmte das Kind und kam mit ihm herauf, indem sie vor Freude laut weinte. Der Induna berichtete, der andere Knabe sei tot. Der König aber befahl, den Eltern das überlebende Kind wiederzugeben und sie durch einige Stück Vieh für das andere zu entschädigen. »Ist mein Vater nun zufrieden?« fragte der König den Missionar. »Ist sein Herz nun weiß? Wird er mein guter Vater bleiben?« »Ja,« entgegnete der alte Mann, »aber unter der Bedingung allein, daß Tschetschwajo mein guter Sohn bleiben wird.« Das Gefolge erstarrte vor Entsetzen über diese kühne Antwort. Aber da der König in ein herzliches Lachen ausbrach, stimmten alle in das Lachen ein. Währenddessen sah Pieter Maritz ein neues Schauspiel sich vorbereiten. Er bemerkte, daß das Regiment des Königs sich zusammenzog und, seine Unterbefehlshaber an der Spitze, in langer Linie heranmarschierte. Einige hundert Schritte vom Könige kniete die ganze Masse nieder, und vor der Linie knieten die Indunas. Dabulamanzi machte den König auf die Truppen aufmerksam, und dieser schickte den Prinzen ab, um zu fragen, was das Regiment wolle. Der Prinz kam mit der Nachricht zurück, das Regiment sei traurig über die Ungnade des Königs und bitte um neue Schilde. Diese Bitte hieß nach der militärischen Sitte der Zulus nichts anderes, als daß die Truppe wünschte, zu einem kriegerischen Zuge gegen einen Nachbarstamm ausgesandt zu werden, um im feindlichen Blute seine Schande abzuwaschen und neuen Ruhm zu erwerben. Tschetschwajo wandte sich zu dem Missionar. »Du siehst, wie mein Volk ist,« sagte er. »Ich wünsche nicht den Krieg, mein Volk wünscht ihn. Niemals lebte ein König, der friedliebender gewesen wäre als Tschetschwajo.« Dann winkte er unwillig mit der Hand, und die Garde mußte sich zerstreuen, ohne daß ihre Bitte erfüllt worden war. Aber der Missionar merkte wohl, daß nur Politik den König bewog, so zu sprechen und zu handeln, denn nun ließ Tschetschwajo den Lord herbeikommen und setzte sich mit ihm zusammen nieder. Der Missionar mußte den Dolmetscher spielen, und nur Dabulamanzi war außerdem noch zugegen. Er sei den Engländern sehr befreundet, sagte Tschetschwajo. Böswillige Leute hätten wohl über ihn gelogen und gesagt, er liebe den Krieg und mache Einfälle in das Buernland und in die englischen Besitzungen. Aber in Wahrheit gingen solche Grenzverletzungen von unbotmäßigen Stämmen aus, welche sich gegen seinen Willen vergingen, mit der Zeit aber völlig zum Gehorsam gebracht werden würden. Das möge der englische Induna dem Gouverneur von Natal sagen. Tschetschwajo sei Englands Freund, er habe den Engländern schon früher gegen die Buern geholfen und werde es jetzt wieder thun. Die Buern seien Englands schlimmster Feind; wenn sie niedergeworfen seien, würde England das ganze Afrika beherrschen, mit Ausnahme des Zululandes, dessen König der treueste Freund Englands sei. Seine Armee sei groß und stark, und er werde dreißigtausend Mann der besten Truppen zur Hilfe gegen die Buern bereit halten. Er habe genug Gewehre, um die Hälfte der Regimenter damit zu bewaffnen. Zwar hätten sich die Truppen heute ungeschickt gezeigt, aber das komme davon, daß ihnen das Feuergewehr noch neu sei. Nach einiger Zeit werde das anders sein. Der englische Häuptling möge dies alles dem Gouverneur sagen und Tschetschwajos Bündnis anbieten. Der Lord erwiderte, daß er dankbar sei für die königliche Aufnahme und Bewirtung und den Auftrag pünktlich ausrichten werde. Doch wisse der König wohl, daß er ein sehr junger Mann und keiner der großen Indunas sei. Deshalb könne er weder eine erfolgreiche Botschaft versprechen noch auch vorher sagen, welche Aufnahme der Gouverneur ihm bereiten werde. Doch sei er überzeugt, daß der Gouverneur die große Macht Tschetschwajos zu würdigen wisse und das Bündnis mit dem mächtigen König seiner Bedeutung nach erkennen werde. Jedenfalls werde er, der Leutnant, den Auftrag nach bestem Gewissen ausrichten. Als der Lord so geantwortet hatte, bezeigte der König seine Zufriedenheit. Er ließ durch einen seiner Hofbeamten eine Perlenkette von hohem Wert herbeibringen und überreichte sie dem jungen Offizier. »Die englischen Indunas tragen solchen Schmuck nicht selbst,« sagte er dabei gnädig lächelnd, »aber du kannst die Kette deiner Lieblingsfrau zum Andenken an Tschetschwajo umhängen. Reise, wann du willst, das Land liegt vor dir.« Lord Fitzherbert errötete, indem er an das Mädchen in der Heimat, das Mädchen mit den Rehaugen im alten England dachte, und er lachte vor Freude bei dem Gedanken, daß er sie nun doch wohl wiedersehen könne und daß vielleicht einst das Geschenk des schwarzen Fürsten ihren schlanken Hals zieren werde, wenn er so glücklich sei, sie seine Gattin nennen zu dürfen. Er zog seine kostbare Uhr, die von Edelsteinen funkelte, hervor und überreichte sie nebst der goldenen Kette dem König. »Ich weiß, daß dies Geschenk des Königs nicht würdig ist,« sagte er, »aber vielleicht giebst du das Spielzeug einer deiner Lieblingsfrauen zum Andenken an den Engländer, der dir für seine Freiheit dankt.« Tschetschwajo nahm das Geschenk sehr huldvoll auf und überreichte die Uhr einem der Kammerherren. Die Audienz war damit beendigt, und mit einer höflichen Verbeugung verabschiedete der König seinen Gast. Strahlenden Gesichts blieb der junge Lord zurück und besprach sich mit dem Missionar über den Zeitpunkt seiner Abreise. Der alte Mann riet ihm, ruhig abzuwarten, was geschehen würde, da der König selbst ihm die Zeit und die Art und Weise kundgeben werde. In der That näherte sich bald nachher Humbati den Weißen und wandte sich an den Lord mit der Mitteilung, daß er die Ehre haben werde, ihn auf der Reise zu begleiten. »Der König hat befohlen, daß ich dich an die Grenze bringe,« sagte Humbati, »und zu unserm Schutze wird uns eine Anzahl von Kriegern folgen. Wir werden gerade nach dem Untergange der Sonne zu reisen und können nach wenig Tagesmärschen die Grenze erreichen. Dort kommen wir an den Buffalofluß, und du kannst bei Rorkes Drift hinübergehen in das englische Land Natal. Ich aber soll am Flusse bleiben und die Antwort erwarten, welche der Gouverneur von Natal an den König senden wird.« Der Missionar beobachtete den Zulu aufmerksam, während dieser sprach, denn ein eigentümlicher Klang war in dessen Stimme, und das sonst so gefaßte Gesicht hatte einen besonderen und ungewöhnlichen Ausdruck. Es schien, als werde der Mann von einem geheimen Gedanken bewegt. Seine Augen funkelten mit düsterem Feuer, und die Ruhe seiner Haltung hatte etwas Gezwungenes. Der Missionar dachte nach, was wohl den Häuptling bewege. Trauer um den Bruder konnte es wohl nicht allein sein, denn nicht milde Weichheit war in den schwarzen Zügen zu lesen, sondern heimlicher Grimm. War Humbati zornig auf die Weißen als die Ursache des Todes seines Bruders? Aber die Weißen waren doch unschuldig daran, daß der König so grausam war, und im Gegenteil hatte der König dem Häuptling das Leben schenken wollen, um dem Missionar gefällig zu sein. Dennoch hatte der Missionar das Gefühl, die Erregung Humbatis stehe in Verbindung mit der Reise des Lord. Offenbar hatte Humbati selbst veranlaßt, daß er, ein so vornehmer Mann, zur Reisebegleitung bestimmt worden war, denn dies Amt hätte auch wohl einem Geringeren übertragen werden können. Während der Missionar so dachte und die verschlossene düstere Miene des Häuptlings mißtrauisch beobachtete, während der Lord seine Freude darüber aussprach, von einem so angesehenen und ihm wohlbekannten Mann begleitet zu werden, trat Pieter Maritz heran. Das Herz war ihm schwer geworden, als er von der Abreise des Lord gehört hatte. Das Bild der eigenen Heimat stieg lebhafter als je vorher in seiner Erinnerung auf und ließ ihm den Aufenthalt bei den wilden grausamen Zulus unheimlich und düster erscheinen. Es war ihm, als zöge die Abreise des Lord seine Seele mit. Er wandte sich an Humbati und bat ihn, beim Könige die Erlaubnis zu erwirken, daß auch er mitgehen dürfe. Humbati zuckte die Achseln. »Wer bin ich,« antwortete er, »daß ich dem großen Könige Rat erteilen sollte, ohne daß er meine Ansicht zu hören verlangt hat? Der weiße Jüngling, der so gut schießt, möge selbst den König bitten.« Der Lord ergriff des Buernsohnes Hand. »Ich habe schon daran gedacht, für Sie zu bitten, lieber Freund,« sagte er. »Aber die besondere Art des Auftrags, den mir der König gegeben hat, läßt mich zweifeln, ob er die Bitte gut aufnehmen würde. Ja, ich zweifle nicht nur, ich bin ganz gewiß, daß er zornig werden würde, wenn ich ihm den Vorschlag machte, Sie mitnehmen zu dürfen. Es ist klüger, Sie bitten nicht darum, sondern verlassen sich ganz auf unsern alten Freund und Beschützer hier.« Er wies bei diesen Worten auf den Missionar. »Wir verdanken ihm unser Leben,« fuhr er dann fort, »ohne ihn hätten uns längst die Geier und Hyänen gefressen. Er ist so gut, daß er selbst die Wilden besänftigt, und so beredt, daß er sie mit seinen Worten bezaubert. Er wird Sie sicherlich nach der Heimat zurückbringen.« »Die Zukunft steht allein in Gottes Hand,« sagte der Missionar. »Aber gewiß hat Seine Lordschaft damit recht, daß der König nimmermehr erlauben würde, daß du abreisest. Du darfst gar nicht darum bitten, denn der König würde zornig werden und würde selbst Seine Lordschaft mit Mißtrauen ansehen.« »Dann handelt es sich um einen Plan, der gegen die Buern gerichtet ist!« rief Pieter Maritz erregt. Der Missionar legte mit bedeutsamem Blick den Finger auf den Mund. »Wer klug ist, der sieht und hört, aber redet nicht,« sagte er in holländischer Sprache. »Glaubst du, daß wir uns zu Werkzeugen eines Planes zwischen Heiden und Christen gegen ein christliches Volk hergeben würden? Laß den König planen, was er will, und aus seiner Verblendung Segen kommen. Sieht er ein, daß seine blutigen und räuberischen Anschläge erfolglos bleiben, so wird er den Friedensworten ein offenes Ohr leihen. Mit Gottes Hilfe werden wir beiden später noch zusammen in deine Heimat zurückkehren.« Pieter Maritz schwieg. Er war voll Vertrauen zu dem alten Mann. Aber doch blutete sein Herz, als er am Nachmittage der Abreise des Engländers zusah. Humbati hatte zwanzig Krieger mit Schild und Speer um sich versammelt und außerdem zehn Diener, welche Körbe mit Lebensmitteln trugen. Diese sollten die Reisebegleitung sein. Der Rappe scharrte mit dem Hufe, als wüßte er, wohin er seinen Herrn tragen sollte, und wäre darüber erfreut. Lord Fitzherbert drückte dem Missionar und dem Buernsohn zum Abschied herzlich die Hand. »Kommt ihr jemals in die Lage, auf englischem Gebiete meiner Hilfe zu bedürfen, so rechnet auf mich,« sagte er. Dann schwang er sich in den Sattel, winkte noch einmal mit der Hand zurück und ritt davon. Neben ihm ging mit elastischem Schritte die dunkle Gestalt Humbatis, und der Zug der Krieger und Träger folgte dem Pferde. Die Sonne strahlte auf dem Pallasch des Engländers, auf dem goldenen Kopfring des Häuptlings und den Speerspitzen der Krieger, nach und nach ward der Zug in der Entfernung kleiner und verschwand dann gänzlich hinter einem Hügel. Seufzend kehrte Pieter Maritz zu seiner Hütte in Mainze-kanze zurück. [Illustration] [Illustration] Fünfzehntes Kapitel Der Regenmacher Pieter Maritz war traurig. Er fühlte sich einsam, nachdem der Engländer fort war. Wohl hatte er in dem Missionar nicht nur Gesellschaft, sondern auch eine zuverlässige Stütze in seinem Leben unter dem fremden, schwarzen und ihm unheimlichem Volke; aber dieser war doch ein alter Mann und stand in seinen Ansichten und in seiner Lebensanschauung, in seinen Interessen und Beschäftigungen dem Knaben zu fern. Mit dem Lord hatte er sich so gut unterhalten, daß er die Verbannung von der Heimat weniger gefühlt hatte. Er hatte von dem jungen vornehmen Manne viel gelernt und dessen Erzählungen von England, von dem Leben der reichen Leute, vom Kriege und von der Schiffahrt immer mit der größten Andacht gelauscht. Da der Lord getrennt von seinesgleichen gewesen war, hatte er das äußerliche Glänzen und alle störenden Eigenschaften abgestreift, welche ein Hindernis im Umgange zwischen dem reichen, verwöhnten, stolzen Jüngling und dem armen, einfachen, hart erzogenen Buernknaben hätten sein können. Er war einfach und natürlich geworden und so hatte sich zwischen beiden, die an Alter nicht so sehr verschieden waren, ein wahres Freundschaftsverhältnis gebildet. Sie hatten zusammen im Schatten der Bäume geplaudert, waren zusammen spazieren geritten, vereinigt auf die Jagd gegangen. Pieter Maritz hatte englisch gelernt, so daß er es nun sehr gut verstand und fertig sprechen konnte mit dem Accent eines vornehmen Mannes, während er es vorher nur notdürftig hatte lesen und nur wie ein Bauer sprechen können. Nun war das alles vorbei: die schönen Geschichten von den Kriegen der Engländer, von den stolzen Kriegsschiffen, von den Schlössern und Parks, von dem Leben in London, hatten aufgehört und Pieter Maritz war betrübt. Oft sah er sehnsüchtig den Weg entlang, der von Mainze-kanze nach Natal führte, und er seufzte bei dem Gedanken, nun gleichsam auf einer wüsten Insel zu leben. Oft dachte er, indem er Jagers glänzenden Hals streichelte und dessen Schnelligkeit erwog, darüber nach, ob es nicht möglich sei, auf dem Rücken des treuen Tieres zu fliehen. Aber er gab die Gedanken an Flucht immer wieder auf, wenn er bedachte, daß der Weg bis zur Grenze so weit sei und durch Landstriche führe, die von wilden Tieren nicht nur, sondern von grausamen Menschen bewohnt seien, an den Kraals der Zuluarmee vorbei und zuletzt nahe der Grenze durch die Truppen des Prinzen Sirajo, die an dem Buffalofluß entlang auf der Wacht standen. Am schwersten empfand der Knabe sein Los an seinem Geburtstage, welcher in diese Zeit fiel. Er ward fünfzehn Jahr, und an dem Tage, wo er dies Alter erreichte und nun seine Mutter und seine Geschwister in weiter Ferne sich vorstellte, wo er der Zärtlichkeit gedachte, die ihn sonst an diesem Feste umgeben hatte, war er sehr traurig. Der Aufenthalt beim König Tschetschwajo sah einer Gefangenschaft sehr ähnlich. Zwar wurden die Weißen mit großer Auszeichnung behandelt und hörte der König den Reden des Missionars immer mit der größten Achtung zu, aber die Freiheit, welcher sie sich erfreuten, war nur gering. Die Hofbeamten und Diener, von denen sie umgeben waren, überwachten sie wie Gefangenwärter. Zwar waren diese Leute voll Höflichkeit und sehr gehorsam. Der Missionar brauchte nur den Finger zu erheben, um sie zum Sprechen oder Schweigen zu bringen, und ein Wink genügte, um sie hierhin oder dorthin zu schicken, aber selten ließen sie die Weißen allein. Sie hatten immer Gründe, in der Nähe der Weißen zu sein, und seitdem der Missionar sich der armen Leute angenommen hatte, welche ihrer geraubten Söhne wegen gekommen waren, durfte kein Fremder mehr den Hütten der Weißen sich nahen. Oft mußte der Missionar wehrend dazwischen treten, wenn die Hofbeamten ganz einfach mit Steinen oder Stöcken nach den Zulus warfen, die sich der Umzäunung näherten, welche die Hütten umschloß. Denn ohne das geringste Bedenken hätten diese eifrigen Diener Köpfe und Knochen zerschlagen, um ihrer Pflicht nachzukommen. Die Regierung Tschetschwajos war ein Despotismus im höchsten Grade. Die Personen seiner Unterthanen so gut wie ihre Besitztümer waren das Eigentum des Tyrannen, der nach Gutdünken darüber verfügte. Sein Wort war Gesetz, und er brauchte nur die Hand zu erheben und die Brauen zu runzeln, um die vornehmsten Indunas zittern zu machen. Niemand hatte eine eigene Ansicht oder Meinung, mit der einzigen Ausnahme des Prinzen Dabulamanzi, welcher in allen kriegerischen Angelegenheiten gehört wurde und in der That die Seele der königlichen Armee zu sein schien. Aber keiner sonst wagte in Gegenwart des Königs einen eigenen Gedanken auszusprechen. Wenn die Großen zur Beratung herbeigezogen wurden, so krochen sie vor dem Tyrannen und begnügten sich, wenn sie gefragt wurden, die großen Titel des Königs ehrfurchtsvoll vor sich hin zu murmeln. Beständig kamen Boten aus allen Teilen des Reiches an, welche Nachricht von den äußersten Grenzposten brachten und Meldungen über die einzelnen Regimenter sowie über die Beschaffenheit der großen Viehherden des Königs abstatteten. Diese Boten legten, wenn sie sich näherten, in der Entfernung von hundert Schritten vom Könige Schild und Speer zu Boden, kamen dann noch einige Schritte näher und knieten nieder. War es dann das Belieben des Königs, sie anzuhören, so schickte er einen der Indunas zu ihnen, die gerade den Dienst hatten, und durch den Mund des Indunas vernahm er die Meldung. Zuweilen kam die Botschaft, daß Löwen in eine der Herden des Königs eingebrochen seien, aber niemals wagte ein Bote eine solche Meldung zu machen, ohne gleichzeitig den Kopf und die Vordertatzen des Tieres mitzubringen, welches gewagt hatte, sich an königlichem Eigentum zu vergreifen. Daß der Missionar freimütig mit dem Könige sprach und daß dieser sich darüber nicht erzürnte, war für den ganzen Hof ein Rätsel. Der Missionar ward deshalb gleichsam wie ein überirdisches Wesen betrachtet, man hielt ihn für einen Zauberer ersten Ranges, und nicht selten versuchten Leute, welche ein Anliegen hatten, sich ihm durch Vermittelung seiner Umgebung zu nähern. Der eine wollte von einer Krankheit befreit sein, der andere wünschte sich Vieh, der dritte Regen, und so wurden Ansinnen an ihn gestellt, die nur durch Wunder zu erfüllen gewesen wären. Niemals begriffen die Leute, warum der Missionar sie zurückwies, sondern sie hielten ihn für boshaft und verehrten ihn darum nur noch mehr. Der König selbst konnte sich der Ansicht nicht erwehren, daß der Missionar zaubern könne, und er fragte ihn einmal, da die Regenzeit zu kommen zögerte, ganz ernsthaft, ob er Regen machen könne. Er hielt die Gespräche des Missionars von der Größe und Güte des unsichtbaren Gottes für ein Eingeständnis seiner Zauberkraft. Ebenso glaubte er nicht, es ginge mit natürlichen Dingen zu, daß der Missionar sich so furchtlos ihm näherte und nicht auf seinen eigenen Vorteil bedacht war. Denn der alte Mann wies immer wieder ebensowohl Frauen wie Ochsen, die der König ihm schenken wollte, zurück und begnügte sich mit den Lebensmitteln, die ihm von der königlichen Tafel täglich zugesandt wurden und allerdings sehr reichlich waren, indem nicht selten wohl an fünfzig Schüsseln kamen. Unter dem Eindruck dieser abergläubischen Furcht zeigte sich der König auch geneigt, den Unterhaltungen des alten Mannes über Religion oft ein williges Ohr zu leihen. So kam er eines Tages ganz allein in die Hütte des Missionars und setzte sich mit den Worten nieder: »Ich will zu deinen Füßen sitzen und deine Belehrung hören. Warum liegt es dir am Herzen, daß ich aufhören soll Krieg zu führen und Menschen zu töten?« Der Missionar bemerkte, daß der König in ernsterer und nachdenklicherer Stimmung war als gewöhnlich, und antwortete mit festem Tone: »Sieh die Gebeine der Menschen an, die über dein Land hin und über die Nachbarländer verstreut liegen. Sie sprechen eine schreckliche Sprache und sagen mir, der ich diese Sprache verstehe: ‚Wer Menschenblut vergießt, des Blut soll wiedervergossen werden.‛« Der König verfärbte sich, seine Lippen wurden blaß. »Du hast mir einmal gesagt, daß die Toten wieder aufstehen würden zu einem neuen Leben,« entgegnete er; »meinst du, daß sie sich an Tschetschwajo rächen werden?« »Sie werden sich nicht selber rächen,« antwortete der Missionar, »aber sie werden vor dem Throne Gottes Klage führen über ihren Mörder, und Gott wird das Leben des Mörders dem Schwert seiner Feinde ausliefern.« »Ein König darf so etwas nicht hören,« sagte Tschetschwajo, indem er finsteren Blickes aufstand. »Es ist eine Lehre für die Feiglinge. Warum redest du nicht so zu der Königin von England? Ihre Krieger haben mehr Gebeine über die Erde verstreut als die meinigen.« »Ich weiß, daß Tschetschwajo sein Volk liebt,« sagte der Missionar. »Er trägt seine Unterthanen an seinem Busen und will sie groß und reich und froh machen. Giebt es kein besseres Mittel dazu als den Krieg? Warum hält der König so viele unverheiratete Krieger? Er möge sie verheiraten, damit das Land voll Volks werde. Dann möge er die Leute das Land bebauen lassen, damit es viel Korn trägt. Im Korn liegt der Reichtum, und in der Arbeit liegt das Glück. So verfahren die christlichen Könige, und sie führen nur aus Not Krieg. Du aber lebst vom Kriege und vom Raube an den Gütern der Nachbarn, deine Unterthanen arbeiten nur wenig, gehen mit Schild und Speer einher, prahlen und singen und fechten und faulenzen einen Tag wie den andern. Bedenke, wer dich zum Könige gemacht hat. Du bist nicht selbst vom Himmel gekommen, sondern der unsichtbare Gott hat dich zum Könige gemacht. Er wird die Seelen deines Volkes von deiner Hand fordern und wird dich fragen, was du mit ihnen gemacht hast.« »Laß uns von etwas anderm reden,« sagte der König. »Mein Vater ist sehr weise in den unsichtbaren Dingen, aber er kennt das Amt eines Königs nicht. Kannst du einen Löwen vor den Pflug spannen oder einen Elefanten melken? Der König der Zulus ist der Herr, nur die Knechte arbeiten. Wenn mein Vater so gut bekannt ist mit dem unsichtbaren Gott im Himmel, so möge er ihn bitten, regnen zu lassen, denn der Acker verschmachtet, und das Vieh stirbt. Über die Seelen aber wollen wir ein anderes Mal sprechen.« Der Missionar antwortete ihm, daß er Gott wohl bitten könne, Regen zu senden, daß er aber nicht vorhersagen könne, ob Gott seine Bitte erfüllen werde, und der König lenkte das Gespräch nun auf die Sendung des Engländers. Schon vierzehn Tage waren verflossen, seitdem der Lord abgereist war, und noch war keine Nachricht gekommen. Er fing an unruhig zu werden und besprach mit dem Missionar die Möglichkeiten der Zukunft. Außerdem aber erregte die anhaltende Dürre schwere Sorgen am Hofe und im Volke. Der König kehrte nach Ulundi zurück und beschloß hier Maßregeln zu treffen, um den Regen zu erzwingen. Die Regenmacher, welche in Mainze-kanze und Ulundi wohnten, waren nicht kräftig genug, wie sie selbst erklärten, und der König hatte zu den Swazi, nordwestlich von seinem Reiche wohnend, geschickt und einen sehr berühmten Mann von dort unter reichen Versprechungen nach seiner Hauptstadt bestellt. Seltsam mischten sich Verstand und Aberglauben in Tschetschwajos Hirn, denn er sagte dem Missionar, als er diesem von dem fremden Regenmacher erzählte, daß er diesen nur deshalb kommen lasse, weil es sein Volk beruhigen werde. »Was aus der Ferne kommt,« so sprach er, »das achten sie höher, als was sie täglich sehen. So lassen die Swazi meine Regenmacher kommen und ich die ihrigen.« Der Missionar sah der Ankunft des Regenmachers mit einer gewissen Neugierde entgegen. Er hatte immer gefunden, daß unter den südafrikanischen Völkern die Anwesenheit von Regenmachern und Zauberern -- denn beide Eigenschaften steckten in einer und derselben Person -- das größte Hindernis der Verbreitung des Christentums sei. Denn das Volk glaubte, alles höhere Wissen finde sich in diesen Personen, und wenn der Missionar etwas gelehrt hatte, so liefen die Leute zu ihnen und fragten, ob es wahr sei. Jene aber sagten dann regelmäßig, es sei Unsinn, und spotteten über die Lehren des Missionars. Dazu pflegten jene Zauberer immer die klügsten und beredtesten Leute im Orte zu sein, welche das Volk an der Nase führen und mit vielem Witze die Lehren des Missionars überschütten konnten. Sie fürchteten den Einfluß der fremden Lehrer, weil diese ihren eigenen Einfluß vernichten mußten, wie sie recht gut einsahen, und waren die geborenen Feinde der Mission. Die Regenmacher und Zauberer kannte der alte Mann als seine schlimmsten Gegner, denn sie waren in den Augen des Volkes keine unbedeutenden Persönlichkeiten und sogar insgeheim höher geachtet als die Häuptlinge und der König selbst. Als Doktoren und Leiter des Begräbniswesens gingen sie zu allen Familien und wußten sich durch tausend schlaue Vorspiegelungen das Ansehen zu geben, als könnten sie nicht allein Krankheiten heilen, sondern auch die Geister beherrschen. Denn obwohl die Schwarzen nicht eigentlich an die Unsterblichkeit der Seele glaubten, so hatten sie doch eine Scheu vor Dingen, die sie nicht sehen konnten, und machten sich unklare Vorstellungen von Geistern. Deshalb glaubten sie auch, jene Zauberer könnten den Himmel veranlassen, Wolken zu versammeln und Regen auf die Erde zu ergießen. Doch waren nicht alle Doktoren und Totengräber auch zugleich Regenmacher, sondern nur die berühmtesten und geschicktesten unter ihnen unternahmen es, auch über die Kräfte des Himmels zu gebieten. Die Regenmacher in Ulundi und Mainze-kanze hatten wie nach Verabredung zu jetziger Zeit die Erklärung abgegeben, die Dürre sei für sie zu stark, der Himmel sei wie ein Stein, und sie könnten ihn mit ihren Mitteln nicht erweichen, der König möge deshalb den berühmten Regenmacher der Swazi kommen lassen. Sie hatten hierbei wohl die schlaue Berechnung, daß Zeit darüber vergehen und der Regen von selbst kommen würde. Dazu dachten sie auch wohl das Ansehen ihres Standes im allgemeinen zu heben und rechneten auf Gegendienste von seiten der Swaziregenmacher. Denn die Belohnung für die Dienste eines berühmten Regenmachers war sehr groß. Die Gesandten Tschetschwajos versprachen dem Fremden, er solle seine Hände in Milch waschen, seine Herden sollten Berg und Thal bedecken, die Wälder von seinem Lobgesang widerhallen und Weiber und Kinder ihm die Füße küssen. Eines Nachmittags hörten der Missionar und Pieter Maritz, die sich vor der heißen Sonne in den Schatten des Wagenverdecks zurückgezogen hatten, ein lautes, weithinschallendes, langgezogenes Jubelgeschrei. Sie traten vor ihren Zaun und sahen, daß ganz Ulundi in Aufregung war. Alles strömte aus den Hütten und lief. Der Regenmacher kam heran. In den höchsten Tönen des Entzückens kreischten Tausende von Stimmen. Dann nach einer Weile sah man alles Volk in einer bestimmten Richtung laufen. Sie zogen nach einem Flüßchen neben der Stadt. Der Regenmacher war außerhalb Ulundis geblieben und hatte einen Boten geschickt, der dem Volke befahl, sich vor seinem Einzug die Füße zu waschen. Nun rannte alles, die Edlen und das Volk, nach dem Flusse, selbst die Dienerschaft der Weißen, sogar die drei christlichen Diener, wurden von dem allgemeinen Taumel ergriffen, und die Weißen blieben allein. Nur der König blieb mit seinem Hofstaat und den Weibern zu Hause, doch hörten die Weißen später, daß auch hier eine Fußwaschung vollzogen worden sei. Merkwürdig erschien es nur den Weißen, welche über diesen Vorgang lachten, daß plötzlich, während das Volk sich noch wusch, an dem klaren Himmel, der seit vielen Wochen strahlend hell geblieben war, dunkle Wolken von mehreren Seiten heraufzogen. Der Missionar und Pieter Maritz gingen nach der Seite, wo der Regenmacher war, und sie fanden sich bald in einem dichten Gedränge, welches dem mächtigen Manne entgegenging. Alle wiesen nach dem Himmel und zeigten einander die Wolken, welche jener herbeiziehe. Gerade als der Regenmacher von dem Hügel herabstieg, auf welchem er gewartet hatte, und nun der Stadt zuschritt, fingen die Blitze an zu zucken, furchtbarer Donner rollte, und einzelne schwere Tropfen fielen. Das Volk der Zulus geriet darüber in eine solche Freude und in solchen Jubel, daß durch ihr Schreien der Donner übertönt wurde. Sie tanzten, sie sangen, sie bliesen auf ihren Musikinstrumenten, schlugen Trommeln und spielten auf den Geigen. Das Volk war wie vom Wahnsinn ergriffen. Inmitten dieses Taumels schritt der Regenmacher mit stolz erhobenem Haupte und unbewegter Miene einher. Er war ein stattlicher Mann, der durch seinen Putz noch ansehnlicher wurde. Auf seinem Kopf erhob sich ein Gebäude von mehr als einem Fuß Höhe, aus künstlich aufgetürmtem Haar, Federn, Pelz, Perlenketten und Goldzierat gebildet. Von der Brust, von den Armen und Beinen hingen ihm kostbare Ketten und höchst wunderliche Zieraten aus Knochen und Elfenbein. Als ihn die Häuptlinge begrüßten, dankte er herablassend und sagte, man möge achtsam sein, in diesem Jahre die Gärten an den Hügeln anzulegen und das Vieh nicht in den Thälern zu lassen, damit die Fluten des Himmels nicht alles hinwegschwemmten. Während er so sprach und die Tropfen fielen, drängten sich einige der Doktoren, welche den berühmten Regenmacher umringten und sich in seinem Glanze spiegelten, da er doch aus ihrem Stande hervorgegangen war und zu ihnen gehörte, an den Missionar heran und verhöhnten ihn. »Wo ist denn nun dein Gott?« fragte ihn der eine mit höhnischem Lachen. »Hast du unsern Morimo gesehen?« fragte der andere. »Hast du wohl bemerkt, wie aus seinen Armen feurige Speere aufflogen und den Himmel spalteten? Hast du die Stimme in den Wolken gehört?« Und ein dritter sagte mit verächtlichem Tone: »Du schwatzest von Jehovah und von Jesus. Was können sie machen? Nichts können sie. Sie schaffen dir kein Fleisch in deine Töpfe und bringen keinen Regen auf das Feld, aber unser Morimo kann das, wie du mit deinen Augen siehst.« Der Missionar antwortete nicht, nur murmelten seine Lippen, so daß Pieter Maritz es hören konnte: »Sei stille in dem Herrn und wisse, daß ich dein Gott bin. Ich werde verhöhnt werden unter den Heiden.« Der Triumphzug des Regenmachers wandte sich nach dem Gehöft des berühmtesten Doktors von Ulundi, und die Doktoren sowie viele Vornehme traten in die Umzäunung ein, während das Volk ausgesperrt wurde. Doch gelang es auch den Weißen, mit hineinzukommen, da die Doktoren ihre Eitelkeit dadurch geschmeichelt fühlten, daß der weiße Zauberer, wie sie den Missionar unter sich nannten, dem Empfange ihres großen Kollegen beiwohnte. Ein großer, dicht gedrängter Kreis, in dessen Mitte der fremde Regenmacher stand, versammelte sich vor der Hütte. Erfrischungen wurden angeboten, und der Regenmacher antwortete auf die Fragen, welche ihm vorgelegt, zum größten Teile von den Doktoren gestellt wurden und zum Zweck hatten, die Weisheit des Fremden leuchten zu lassen. Doch hatten sich inzwischen die Wolken bereits wieder verzogen, und die wenigen Tropfen, die gefallen waren, hatten kaum den Boden obenhin angefeuchtet. »Die Kräfte des Himmels zu beherrschen ist nicht leicht,« sagte der Regenmacher, während die Häuptlinge um ihn her und alle Doktoren atemlos lauschten. »Es bedarf dazu großer Weisheit und genauer Einsicht in den Zusammenhang aller Dinge. Denn alles steht unter sich in Beziehung. Vom Himmel fällt der Regen auf die Erde nieder, die Sonne trocknet ihn weg, so daß er wieder zum Himmel aufsteigt, und nur wenige Männer kennen die Geheimnisse, welche das Wasser hierhin und dorthin lenken. Mich haben meine Untersuchungen dahin gebracht, daß ich alles gut verstehe und die Hebel kenne, welche angesetzt werden müssen, um das Wasser zu beherrschen. Ich sage euch, ihr werdet euch wundern. Blickt über das Land hin: alles ist gelb und trocken, alles verbrannt. Aber ihr sollt binnen kurzer Zeit wieder über das Land hin blicken, und dann werdet ihr sehen, wie der Wind die Ähren schaukelt. Soweit ihr blickt, ist alles grün, weite fruchtbare Äcker dehnen sich aus, und es fehlt an Händen, um das Korn heimzuschaffen. Seht die Wiesen an: die Ochsen und Kühe wandeln durch das Gras hin, und man sieht nur die Hörner. Sie sind fett und schwer und schreiten langsam, weil sie zu dick sind. Die Krüge sind voll von Milch, man schüttet sie aus, weil man sie nicht zu trinken vermag: es ist zu viel. Hört mich an! Im vorigen Jahre waren die Swazi beleidigt von den Bapedis, und sie rüsteten ein Heer, um die Feinde zu züchtigen. Aber die Indunas kamen zu mir und sagten: ‚Hilf uns, hier hast du hundert Ochsen und vier goldene Ketten.‛ Ich erwiderte ihnen: ‚Zählt auf mich, ich werde euch helfen.‛ Ich ging an die Grenze der Bapedis, ehe das Swaziheer gerüstet war. Ich streckte meine Hand aus und sprach zu den Beherrschern der Wolken. Da brach Feuer vom Himmel herab und fiel auf die Kraale der Bapedis. Alle Hütten brannten, und der Rauch zog über das Land hin. Die Bapedis wollten fliehen, da streckte ich noch einmal diese Hand aus, welche ihr hier seht, und ein Regenstrom fiel herab, so stark, daß alle Flüchtlinge ertranken. Hört mich weiter an: Ich war bei den Betschuanen, denn sie waren in großer Not und hatten mir zweihundert Ochsen, sechs Weiber und viel Elfenbein gegeben, damit ich auf ihr trocknes Land regnen ließe. Aber als ich dort war, gerieten sie in große Angst, weil der König der Hereró ihnen mit Krieg drohte. Er hatte ein Heer von vielen tausend Kriegern versammelt und marschierte gegen die Grenze. Aber die Betschuanen gaben mir noch zweihundert Ochsen und viele Schätze. Da warf ich meinen Stab dem König der Hereró entgegen. Wo der Stab lag, öffnete sich die Erde, und eine Wasserflut quoll hervor. Sie ward immer größer und breiter und ergriff die Füße der Hereró. Sie stieg ihnen bis zum Knie, bis zur Brust. Da half keine Flucht. Alle Hereró mußten ertrinken, kein Mann kehrte heim in sein Land.« Diese und andere ungeheuerliche Lügen trug der Regenmacher mit der größten Ruhe vor und entfaltete dabei eine wunderbare Beredsamkeit. Seine Stimme war bald sanft und einschmeichelnd, bald drohend und donnernd. Sein kluger Blick durchforschte die Versammlung und beobachtete sorgfältig die Wirkung seiner Worte. Seine Gebärden waren majestätisch, und er redete mit solcher Sicherheit und überlegener Ruhe, als könne gar kein Zweifel an der Wahrheit seiner Worte aufkommen. Und wirklich ward kein Zweifel laut. Die Häuptlinge waren begeistert. Sie sahen die geschilderten Felder und das fette Vieh bereits als ihr Eigentum vor sich, und sie machten die guten Nachrichten unter dem Volke bekannt, so daß sie sich wie Wildfeuer verbreiteten. Dem Regenmacher ward eine schöne Wohnung angewiesen, und es wurden ihm Frauen und Vieh reichlich gegeben. Ulundi war in einem Rausche des Entzückens. Nur auf den Weißen hatte der Blick des Regenmachers mit Argwohn geweilt, und er mußte sich später wohl nach der Stellung und Bedeutung des Missionars erkundigt haben, denn zwei Tage später kam er ganz allein in die Hütte des alten Mannes, um ihm einen Besuch zu machen. Er war von biegsamem, liebenswürdigem Benehmen, zeigte Bekanntschaft mit feineren Umgangsformen, lächelte und war äußerst höflich. Der Missionar bot ihm eine Pfeife mit Tabak an, und der Regenmacher sagte, indem er dieselbe dankend annahm: »Denke nicht, daß es nur Neugierde ist, welche mich veranlaßt, dich zu besuchen. Ich habe von dir als von einem sehr weisen Manne gehört, und ich möchte von dir lernen.« Der Missionar betrachtete ihn prüfend. Der Mann hatte etwas Ungewöhnliches und schien aus ganz anderm Stoffe gemacht zu sein als das übrige Volk. Er hatte seinen Putz abgelegt und trug einen Mantel von Tigerfell. Seine Augen waren sehr groß, vortretend und von schlauem Aussehen, seine Stirn viel höher, breiter und ausgewölbter als die anderer Schwarzer. »Du willst von mir lernen?« entgegnete der Missionar. »Ich denke, ein Mann, der die Kräfte des Himmels beherrscht, braucht nichts mehr zu lernen.« Der Regenmacher schwieg einen Augenblick und sagte dann: »Erlaube mir, dich zu fragen, warum du deine Heimat verlassen hast? Hast du einen Häuptling beleidigt, daß du fliehen mußtest? Oder sind die Leute in deinem Vaterlande geizig?« »Keines von beiden ist der Fall,« entgegnete der Missionar. »Ich habe ganz andere Gründe, hier bei euch zu leben.« »Was für Gründe sind das? Macht der König Tschetschwajo dich nicht reich? Wir beiden müssen offen miteinander reden. Wenn wir Freunde sind, können wir beide reich werden, sind wir aber Feinde, so schaden wir uns gegenseitig, und das dumme Volk spottet unser. Weise Männer sollten Freunde sein, denn sie stehen allein gegenüber dem Volke wie die Hirten in der Herde.« »Glaubst du denn wirklich, daß ich auch weise wäre?« fragte der Missionar. »Ich denke, du bist es allein.« Der Regenmacher lächelte. »Du versteckst dich,« sagte er. »Nur weise Männer können Zauberer sein, denn es ist große Weisheit nötig, so viele Menschen zu betrügen.« »Wenn ich nun dem Könige und dem Volke mitteilte, wie du sprichst?« sagte der Missionar. »Du kannst sagen, was du willst,« antwortete der Regenmacher, »kein Mensch wird dir glauben. Ich aber sage dir im Vertrauen: wenn du klug bist, so wirst du mein Freund und redest gut von mir. Ich werde dir einen Teil meiner Belohnung geben. Willst du aber mein Feind sein, so hüte dich!« »Du irrst dich völlig in mir,« versetzte der Missionar. »Ich suche keine Reichtümer. Ich will das Volk belehren. Ich will ihm sagen, daß es sein Herz nicht an Vieh und Korn und Sinnenlust und Eitelkeit hängen darf, sondern daß nur diejenigen Menschen glücklich sind, welche ein gutes Leben führen, einander lieben und Gutes thun und an Gott glauben, der sie nach dem Tode belohnen wird für ihre Tugend.« Der Regenmacher hörte aufmerksam zu und nickte dann mit dem Kopfe. »Du hast recht,« sagte er. »Ich stimme mit dir überein. Nur gute Menschen sind glücklich. Denn es macht das Herz weiß, Gutes zu thun. Aber welchen Nutzen hast du davon, dem Volke etwas zu sagen, was es nicht versteht?« »Ich will keinen Nutzen davon haben, sondern ich lehre das Wahre um des Wahren willen. Gott hat mir befohlen, zu lehren und keinen Lohn zu verlangen. Er sagt: ‚Umsonst habt ihr die Wahrheit empfangen und umsonst sollt ihr sie andern geben.‛« Der Regenmacher sah vor sich nieder und überlegte. Dann blickte er den Missionar mit seinen klugen Augen an und sagte, indem er aufstand: »Du bist so weise, daß ich dich nicht verstehe. Ich verlasse dich. Vielleicht kommt bald die Zeit, wo deine Ohren offen sein werden und wo du meine Freundschaft besser würdigst als heute.« Damit ging er. Aber die Unterhaltung mit dem Missionar mußte ihn wohl gestachelt haben. Vielleicht war er in seinem Selbstgefühl gekränkt, vielleicht war er wirklich begierig, Dinge zu hören, die ihm neu und unbekannt waren, vielleicht wollte er in den Augen der andern Doktoren das Ansehen des Weißen herabsetzen -- genug, er kam schon nach wenig Tagen, als es noch immer nicht geregnet hatte, wieder. Diesmal war er in Gesellschaft von mehreren Doktoren und Häuptlingen. Der Missionar empfing den Besuch auf dem freien Platze vor seiner Hütte, da die Hütte zu klein war, um alle Gäste aufnehmen zu können. Der Regenmacher fing eine Unterhaltung an, welche er zu einem Wortkampf über die Kunst der Zauberer zu machen strebte. »Dieser Mann behauptet, daß es einen Gott gebe,« sagte er laut, indem er auf den Missionar wies. »Was denkt er sich wohl unter einem Gott?« »Ich will dich zunächst nach etwas anderm fragen,« entgegnete der Missionar. »Was hältst du für das höchste Glück?« »Das kann dir ein jeder sagen,« antwortete der Regenmacher ausweichend. »Hier, frage diesen tapfern Häuptling.« Er zeigte bei diesen Worten auf einen der Indunas, einen kräftigen Krieger. Dieser dachte einen Augenblick nach und sagte: »Das größte Glück ist, von dem König gelobt zu werden und einen goldenen Ring von ihm zu erhalten.« »Nun wollen wir einen von den Doktoren fragen,« sagte der Missionar. »Sage du nur« -- er wandte sich an einen dicken Mann mit hohem Kopfputz und Zauberstücken auf der Brust -- »was das größte Glück ist.« »Das größte Glück,« sagte dieser, »ist ein Feld, das, soweit du sehen kannst, mit Feuern bedeckt ist, wenn über jedem Feuer ein Topf mit Fleisch kocht und alles Fleisch dir gehört.« »Siehst du,« sagte der Missionar zu dem Regenmacher, »nicht jeder weiß, was das Glück ist, denn ein jeder hält es für etwas anderes.« »Der weiße Zauberer ist sehr schlau,« entgegnete der Regenmacher. »Er gleicht der Antilope, welche Taucher genannt wird, denn er verschwindet, wenn man ihn fassen will, und taucht an einer fernen Stelle wieder auf. Sage mir doch, hast du nicht gelehrt, es gebe einen Gott, der alles geschaffen habe, Erde, Himmel, Menschen, Vieh und alle Dinge?« »Jawohl, das lehre ich,« entgegnete der Missionar. »Zu Anfang war alles finster und leer, Gott aber setzte Sonne und Mond an den Himmel, daß es hell wurde, und er schuf in sechs Tagen alles, was unsere Augen sehen und unsere Ohren hören. Am letzten Tage aber schuf er den Menschen als den Herrn der Erde und sagte ihm, daß er glücklich sein würde, wenn er Gottes Gebote erfülle. Deshalb ist das höchste Glück des Menschen die Erfüllung der Gebote Gottes. Ich aber bin nicht wie ein Taucher, sondern hier stehe ich und lehre immer dasselbe.« Der Regenmacher wandte sich an die Zuhörer. »Da seht ihr,« sagte er, »wie dieser weise Mann euch Märchen erzählt. Sage mir doch,« sagte er dann zu dem Missionar, »wie ist es möglich, daß ein Gott die Menschen erschaffen hat, während die Menschen doch so verschieden sind, daß man deutlich sieht, wie er sich bei der Arbeit verbessert haben müßte? Du mußt zugestehen, daß er sein Werk immer besser gemacht hat. Zuerst hat er sich an den Buschmännern versucht, aber sie gefielen ihm nicht, weil sie so häßlich waren und Stimmen hatten wie die Frösche. Dann machte er die Hottentotten, und diese fielen schon besser aus, aber machten ihm auch noch keine Freude. Dann übte er seine Kunst an den Betschuanen, und das war schon eine große Verbesserung. Dann machte er die Swazi und die Zulu, und diese gefielen ihm als schöne, tapfere und kluge Männer. Zuletzt aber,« -- hier lächelte der Regenmacher halb spöttisch, halb verbindlich und machte dem Missionar eine Verbeugung -- »zuletzt machte er wohl die Weißen. Diese sind so klug, daß sie alle Schwarzen an der Nase führen. Denn du hast doch gelehrt, Gott sei vollkommen, also kann er sich nicht in seiner Arbeit verbessert haben.« Die Doktoren fingen laut an zu lachen, und die Häuptlinge stimmten mit ein. Alle verhöhnten den Missionar und riefen dem Regenmacher Beifall zu. »So sage mir doch,« entgegnete der Missionar, als es wieder ruhig geworden war, »woher kommen denn die Menschen nach deiner Meinung, und wovon sind sie deiner Ansicht nach so verschieden?« »Ich weiß es nicht,« sagte der Regenmacher. »Die Doktoren haben es noch nicht ergründet. Aber es ist wahrscheinlich, daß die Menschen aus dem Wasser gestiegen sind. Alles, was lebt, ist wahrscheinlich aus dem Wasser gekommen, und weil die Gewässer sehr verschieden sind, müssen auch wohl die Menschen verschieden sein. Deshalb ist auch die Wissenschaft des Regenmachers die höchste. Sie beschäftigt sich mit dem Wasser, aus welchem alles Lebendige kommt, nicht allein die Menschen, sondern auch die Tiere.« »Du weißt es also nicht,« versetzte der Missionar, »sondern du vermutest es nur. Aber wie können die Menschen aus dem Wasser gekommen sein, da sie doch im Wasser ertrinken?« Der Regenmacher versuchte, seine Ansicht zu verteidigen, und die Gründe, welche er vorbrachte, genügten zwar nicht, den Missionar zu überzeugen, riefen aber den wiederholten Beifall der Doktoren hervor. Zuletzt, als der Missionar ernstlich und eindringlich hervorhob, daß der Mensch eine Seele habe und unsterblich sei, zeigte der Regenmacher auf seinen Hund, der neben ihm am Boden lag, und sagte: »Welcher Unterschied besteht zwischen mir und diesem Tiere? Du sagst, ich sei unsterblich. Warum ist dann nicht mein Hund oder mein Ochse unsterblich? Sie sterben, wie wir sterben. Siehst du unsere Seelen oder die Seelen der Tiere? Wenn du aber unsere Seele ebensowenig sehen kannst, wie die Seele der Tiere, wie kannst du denn darüber sprechen? Weißt du, was du nicht siehst? Welcher Unterschied ist zwischen den Menschen und den Tieren? Keiner, ausgenommen, daß der Mensch der größere Schuft von den beiden ist.« Der Missionar gab es auf, angesichts der höhnisch lachenden Versammlung seinen Wortkampf mit dem Regenmacher fortzusetzen, und hoffte darauf, daß die Ereignisse mit der Zeit das Ansehen des schlauen und redegewandten Mannes verringern würden. Und in der That gewann es im Laufe der nächsten Zeit ganz den Anschein, als ob die Hoffnung des Missionars in Erfüllung gehen sollte. Es kam kein Regen, der Himmel strahlte fast immer in wolkenloser Klarheit, und die Fluren versengten. Der Regenmacher stellte mannigfache Versuche an. Sobald sich irgendwo eine kleine Wolke am Himmel zeigte, mußten Boten durch die Straßen von Ulundi laufen, welche den Weibern untersagten, zu pflanzen oder zu säen, damit die Wolken nicht verscheucht würden. Dann schickte er wieder Hunderte von Leuten aus, um bestimmte Wurzeln und Kräuter zu sammeln. Mit diesen wollte er ein Feuer anzünden, welches von den Zulus das »Feuer des Geheimnisses« genannt wurde. Weiber und Männer schwärmten dann in freudiger Hoffnung aus und durchstrichen tagelang Hügel und Thäler, um die bezeichneten Gewächse zusammenzubringen. Mit frohen Gesängen kehrten sie heim und legten ihren Fund vor des Regenmachers Hütte nieder. Er aber ließ die Gewächse auf bestimmte Hügel bringen und zu großen Haufen auftürmen, welche er anzündete. Er hätte gern viel Wind durch seine Feuer erregt, da er wohl wußte, daß oft der Wind der Vorläufer des Regens ist. Auch zündete er diese Feuer beim Mondwechsel an, da er wußte, daß sich oft bei Neumond und Vollmond das Wetter ändert. Als aber alle seine Feuer vergeblich blieben, fing er an, von geheimen Schurken zu sprechen, welche in der Zauberei wohlerfahren seien und seine Künste vereitelten. Er merkte, daß der Missionar ihn beim Könige nicht unterstützte, ja sogar dem König Mißtrauen gegen ihn einzuflößen suchte, und er hätte gern den Weißen als die Ursache der langen Dürre hingestellt. Da ereignete es sich eines Tages, daß plötzlich ein starker Regenschauer fiel, der jedoch nur eine halbe Stunde anhielt. Nun liefen mehrere Doktoren und Häuptlinge in des Regenmachers Wohnung, um ihm Glück zu wünschen; als sie aber eintraten, fanden sie ihn zu ihrer Verwunderung schlafend, und als sie ihn weckten, da merkten sie, daß er gar nicht wußte, daß es regnete. »Hallo!« riefen sie, »wir dachten, du hättest den Regen gemacht!« Aber der kluge Mann faßte sich rasch. Er deutete mit dem Finger auf eine seiner Sklavinnen, welche auf dem Flur saß und einen Milchsack schüttelte, einen jener ledernen Säcke, in welchen die Schwarzen ihre Milch aufbewahren und welche sie schütteln, um Butter zu machen. »Seht ihr denn nicht,« rief der Schlaue, »daß dort mein Weib sitzt und, so stark sie kann, den Regen schürt?« Die Antwort befriedigte sie vollständig und sie liefen fort, um der ganzen Stadt zu erzählen, des Regenmachers Weib habe den Regen aus ihrem Milchsack geschüttelt. Als aber der Regen so bald aufhörte, kamen sie wieder und baten, das Weib möge noch länger schütteln. Da wies der Regenmacher sie fort, indem er sagte: »Ihr habt mir nur Schafe und Ziegen gegeben, dafür mache ich nur Ziegenregen; gebt mir fette Schlachtochsen, dann sollt ihr Ochsenregen sehen.« Aber die Verhältnisse gestalteten sich immer ungünstiger für den Regenmacher. Zuweilen stiegen Gewitter auf und man sah schwere Regen niedergehen, aber mehrere Meilen weit entfernt, was dann für die Regenmacher der schlimmste Ärger war. Einmal verfinsterte sich der Himmel über Ulundi, aber bei vielem Blitzen und Donnern fiel nicht ein einziger Tropfen. Der Boden war völlig ausgedörrt, der Samen lag in den bestellten Feldern, als sei er soeben erst aus der Hand geworfen, das Vieh starb scharenweise auf den verbrannten Wiesen, die armen Leute liefen mager wie Skelette herum, um die Zauberkräuter zu beschaffen, welche der Regenmacher verlangte, und manche Menschen auf dem Lande starben Hungers. Der Regenmacher geriet in die größte Verlegenheit und zerbrach sich den Kopf, um Gründe zu finden, denen er seinen Mißerfolg zuschreiben könnte. Eines Nachts zog eine Wolke über Ulundi hin, und ein einziger Donnerschlag ertönte. Der Blitz hatte in einen Baum am Rande des großen freien Platzes geschlagen. Nun versammelte der Regenmacher am folgenden Morgen viel Volk um den zerschmetterten Baum, von dem noch ein starker Stumpf aufrecht stand, und ließ ihn mit verzauberten Kräutern einwickeln und mit Wasser reichlich begießen. Hierauf ließ er ihn umhauen und zu Asche verbrennen. Die Asche schüttete er in große Kübel voll Wasser und ließ dann die Einwohnerschaft an sich vorüberziehen, wobei er alle Leute mittels eines Zebraschweifes bespritzte. Aber es half nichts. Eines Tages versammelte er eine große Volksmenge und sprach über die geheimnisvolle Natur der Paviane. »Wenn ich einen lebendigen Pavian hätte, in dessen Fell kein Haar fehlte,« sagte er, »dann könnte ich Regen mit ihm machen. Aber ohne einen solchen Pavian kann ich es nicht.« Er mochte wohl darauf rechnen, daß man ihm keinen lebenden Pavian bringen könnte, denn die klugen und behenden Tiere, welche in felsigen Bergen unweit Ulundis lebten, lassen sich nicht leicht fangen. Aber er kannte die Zulus schlecht, wenn er so rechnete. Augenblicklich machten sich vierhundert Krieger auf und zogen in die Felsengebirge. Die Paviane, welche gewohnt waren, von ihren hohen Sitzen behaglich zuzusehen, wie die Zulus das Quagga und die Antilope jagten, waren sehr erstaunt, als sie plötzlich selbst gejagt wurden, und als Hunderte von ausgesuchten Schnellläufern hinter ihnen waren. Mit Geschnatter und Geheul rannten sie davon, flüchteten in die steilsten Felsen und sprangen von Baum zu Baum, von Stein zu Stein. Aber es half ihnen nichts. Zwei Zulus stürzten sich zu Tode, drei brachen ein Bein, viele quetschten sich und stießen sich blutig, aber am Abend zog die Jägerschar triumphierend heim: sie brachten einen lebenden Pavian. Der Regenmacher konnte sich einer Miene größter Bestürzung beim Anblick des Tieres nicht enthalten. Erst schwieg er, dann aber fing er an, das Fell des Pavians zu untersuchen. »O, o!« rief er, »mein Herz ist in Stücken zerrissen, ich bin stumm vor Gram! Seht ihr denn nicht, daß der Pavian hier gekratzt worden ist und mehrere Haare verloren hat? Sagte ich euch denn nicht, daß ich nur mit einem solchen Pavian Regen machen könnte, dem kein Haar fehlt?« Nach dieser Scene ging der Missionar zum König und stellte ihm vor, wie unsinnig es sei, einem offenbaren Betrüger noch länger zu erlauben, das Volk zu täuschen und in Schaden zu bringen. Aber der König hörte ihn mit einer geheimen Furcht vor dem Regenmacher an. »Wir können das nicht beurteilen,« sagte er zögernd. »Es muß doch irgend ein Grund dafür sein, daß der Himmel so hart bleibt. Nur kann der Regenmacher den Grund noch nicht finden. Hat er ihn erst gefunden, so wird er ihn schon zu entfernen wissen. Geh, das sind Dinge, welche nur die Männer der Wissenschaft verstehen.« Es kam dem Missionar so vor, als sei der König durch den Regenmacher beeinflußt, denn dieser hatte mehrfach Andeutungen gemacht, es sei wohl möglich, daß der weiße Mann durch Zauberei ihm entgegenwirke. »Laß den Regenmacher zu dir kommen, und wir wollen vor Tschetschwajos Angesicht darüber streiten,« sagte der Missionar. »Ich will vor dir beweisen, daß seine Künste nur Betrug sind, denn ich bin auch ein Mann der Wissenschaft.« Der König stimmte zu, aber tags darauf schickte er zum Missionar und ließ sagen, der Wortstreit solle nicht stattfinden, denn der Gegenstand sei zu hoch für Krieger und könne nur von Regenmachern selbst erörtert werden. Und in der Folge wurden noch viele Dinge versucht, den Regen herbeizuziehen. Einmal verlangte der Regenmacher ein Löwenherz, und er machte daraus ein Getränk, welches die Häuptlinge trinken mußten, dann sagte er, die Begräbnisse wären falsch ausgeführt worden, ließ die Toten der letzten Monate ausgraben und in anderer Weise neu bestatten, aber schließlich, als alles nichts half und die Dürre anhielt, kam er mit niedergeschlagener Miene einmal spät abends heimlich zu dem Missionar und bat diesen um Rat. »Du bist Freund mit dem König,« sagte er, »und du bist gut und weise. Sage ihm, daß er mich retten möge.« »Wie?« fragte der Missionar, »bist du der Hilfe bedürftig?« »Es sind die Weiber!« rief der Regenmacher verzweiflungsvoll. »Die Weiber sind zu dumm, sie wiegeln ihre Männer gegen mich auf. Sage mir, mischen sich die Weiber in deiner Heimat auch in die öffentlichen Angelegenheiten?« Der Missionar konnte nur mit Mühe das Lachen unterdrücken. »Bei mir zu Hause,« sagte er, »sind die Weiber noch viel wichtiger als hier. Sie werden viel höher geachtet, und das Christentum lehrt, daß die Weiber den Männern gleich an Wert sind. Weißt du nicht, daß das große Reich der Engländer von einem Weibe beherrscht wird? In einigen christlichen Ländern sind die Weiber auch Doktoren.« Der Regenmacher sprang auf. »Das ist ein schrecklicher Gedanke!« rief er. »Möge das Christentum niemals zu uns kommen! Ich wünschte, alle Weiber wären Männer, denn mit Männern kann ich verkehren, aber die Weiber zu lenken, ist mir unmöglich.« »Ja,« sagte der Missionar, »die Weiber führen den Haushalt und empfinden es am meisten, wenn das Wasser fehlt. Warum hast du ihnen versprochen, was du doch nicht halten kannst?« »Sie werden mich umbringen,« rief der Regenmacher, »ich bin ein verlorener Mann. Sage mir, was ich thun kann, um sie zu beruhigen!« »Gestehe die Wahrheit!« riet ihm der Missionar. »Gestehe ein, daß du gar nicht Regen machen kannst! Wenn du das thun willst, so werde ich den König bitten, dich in seinen Schutz zu nehmen.« »Das ist unmöglich, das kann ich nicht,« sagte der arme Regenmacher. »Dann würden mich schon die andern Doktoren und Regenmacher umbringen.« »Es ist besser, du redest die Wahrheit, als du lügst,« entgegnete der Missionar. »Was daraus entstehen wird, mußt du Gott überlassen.« Der Regenmacher ging, aber war nicht getröstet. Der Missionar überlegte indessen, wie er dem Manne helfen könne, denn dieser that ihm leid, weil er klüger war als das gewöhnliche Volk. [Illustration] Sechzehntes Kapitel Der Abschied vom Zululand Während der Missionar noch überlegte, unter welchem Vorwande er sich dem König nähern könnte, um in erfolgreicher Weise für den Regenmacher ein gutes Wort einzulegen, kam ein Adjutant vom König zu ihm und forderte ihn auf, sogleich zu erscheinen. Es war am Tage nach dem abendlichen und geheimen Besuch des geängstigten Zauberers. Der Missionar machte sich auf und folgte dem Adjutanten. Die Hofleute, welche den Platz vor den königlichen Gebäuden und die inneren Räume erfüllten, waren schweigsam und unruhig. Sie flüsterten nur untereinander und grüßten den weißen Mann mit ehrfurchtsvollen Verbeugungen, als er durch ihre Reihen hindurchschritt. Der König war auf der Veranda seines Palastes allein mit dem Prinzen Sirajo. Er saß auf einem Stuhle von Elfenbein im Schatten des Daches, während Sirajo neben ihm stand. Auf einem Tischchen vor dem Könige stand ein flaches Kästchen von Holz, dessen Deckel aufgeschlagen war. »Mein Vater möge näher treten,« sagte Tschetschwajo, als der Missionar ihn begrüßte. »Ich bedarf der Wissenschaft meines Vaters. Die Engländer lieben es nicht, durch den Mund der Indunas zu reden, sondern sie senden ein Papier, welches dem Könige ihre Meinung ausdrücken soll.« Seine Stirn war finster, als er so sprach, und seine Augen funkelten düster. Der Missionar sah, daß die seit sechs Wochen erwartete Antwort der Engländer auf den Vorschlag Tschetschwajos eingetroffen war, daß aber schon die Art der Überbringung den König zum Zorn gereizt hatte. »Ich stehe dem Könige zu Diensten,« antwortete er. »Hat Humbati diesen Brief gebracht?« »Humbati!« rief der König. »Wo ist Humbati? Wo ist der Vogel, der über die Ebene hinflog? Humbati ist nicht wiedergekommen, und mit ihm ist die Schar seiner Krieger verschwunden. Er ist ein Verräter, er, der das Ohr des Königs besaß, er, der die Geheimnisse meiner Brust kannte, denn ich trug ihn nahe meinem Herzen als meinen Freund und Bruder -- Humbati ist zum Verräter an mir geworden.« Der Missionar erinnerte sich des Blickes, mit dem Humbati der Verurteilung seines Bruders zugesehen hatte, und er verstand. »Weiß der König gewiß, daß Humbati ein Verräter ist?« fragte er. »Wenn er es nicht wäre, so wäre er zurückgekehrt,« entgegnete der König. »Die Engländer haben ihn nicht getötet, wenigstens nicht mit den Waffen, obwohl sie vielleicht sein Herz mit ihrem Golde vergiftet haben. Doch lies mir diesen Brief, den mein Bruder Sirajo mir gebracht hat. Englische Reiter haben ihn im Krale Sirajos abgegeben.« Er nahm ein großes Schreiben aus dem Kästchen und reichte das Papier dem Missionar. Dieser las laut, indem er das Englische in die Zulusprache übersetzte: »Im Dienste Ihrer Majestät der Königin. Der Generalgouverneur des Kaplandes und Oberkommissar für die Angelegenheiten der Eingeborenen, Sir Bartle Frere, an den König Tschetschwajo. Die Regierung Ihrer Majestät zeigt dem König Tschetschwajo den Empfang seiner Botschaft an, welche er durch den Leutnant im Dienste Ihrer Majestät, Lord Adolphus Fitzherbert, übersandt hat, und sie dankt dem König für die gute und ehrenvolle Behandlung, welche er dem britischen Offizier hat zu teil werden lassen.« Die Stirn des Königs heiterte sich bei diesen Worten etwas auf, und er tauschte einen Blick der Befriedigung mit seinem Bruder aus. »Zugleich dankt Sir Bartle Frere für den Ausdruck der guten und freundschaftlichen Gesinnung des Königs gegenüber den britischen Besitzungen und spricht die Hoffnung aus, daß diese friedliche Gesinnung sich auch in der That bewähren möge, damit immer ein gutes nachbarliches Verhältnis zwischen dem Zululande und Natal bestehen könne. Dieser Beweis durch die That ermangelt bisher noch, denn gerade in der letzten Zeit sind mehrfache Grenzverletzungen von seiten der Unterthanen des Königs vorgekommen.« »Wie?« rief der König drohend. »Doch lies weiter!« »Zweimal sind bewaffnete Haufen durch den unteren Tugela und durch den Buffalo geschwommen und haben Vieh, welches diesseits weidete und den unter britischem Schutze stehenden Farmern gehörte, weggetrieben. Außerdem ist aber eine noch schwerere Grenzverletzung vorgekommen. Zwei Frauen aus dem Krale Sirajos .....« »Ha!« rief der König, den Missionar unterbrechend. »Doch lies weiter!« »Zwei Frauen aus dem Krale Sirajos hatten sich geflüchtet und auf britischem Boden Schutz gesucht. Darauf ist eine Kriegerschar in der Nacht bis auf zehn Meilen weit in britisches Gebiet hereingebrochen, hat sich der Frauen bemächtigt, sie zurückgeschleppt und vor dem Krale Sirajos mit Steinen totgeworfen, worin sich nicht nur eine Mißachtung der britischen Gesetze, sondern auch eine grausame und wilde Gesinnung gezeigt hat.« »Halt ein!« rief der König. »Wie ist die Sache mit den Frauen, Sirajo?« »Es ist so, wie der Engländer schreibt,« entgegnete der Prinz. »Zwei meiner Frauen zeigten sich widerspenstig, und als ich sie züchtigen wollte, flohen sie heimlich. Ich erfuhr jedoch durch meine Spione, wo sie waren, ließ sie wiederholen und tötete sie, wie sich das gehört.« »Du hast recht,« sagte der König. »Der Engländer ist unverschämt, sich darüber zu beklagen. Aber es wäre klüger gewesen, mein Bruder, du hättest nicht in dieser Zeit der friedlichen Verhandlungen den stolzen und übermütigen Engländern einen Vorwand zu Klagen gegeben. Das war eine Thorheit von dir, und wenn du künftig nicht klüger handelst, so kann ich dir den Oberbefehl an der Grenze nicht lassen.« Der Prinz blickte betroffen vor sich nieder. »Lies weiter,« sagte der König. »Ebenso scheint es mir eine bedauernswerte Unkenntnis der englischen Gesetze und der Verfassung in den englischen Besitzungen zu sein,« fuhr der Missionar fort, »wenn der König voraussetzt, daß die Regierung der Kapkolonie ein Bündnis zum Kriege gegen das Transvaalland mit ihm abschließen würde. Die Buern in Transvaal sind gute und getreue Unterthanen der Königin, und ihr Land wird von der britischen Regierung beschützt, aber nicht geschädigt werden. Der König Tschetschwajo hat schon seit längerer Zeit den Distrikt Utrecht für sich beansprucht, aber es kann ihm nicht deutlich genug ausgesprochen werden, daß jenes Land ihm nicht zukommt und daß er sich jeder Ansprüche darauf zu entschlagen hat.« »Ich bitte dich,« sagte der Missionar, indem er seine Lektüre unterbrach, »bedenke, daß ich nur lese. Laß deinen Zorn nicht auf den unschuldigen Mund fallen, der fremde Worte ausspricht, weil du es ihm befohlen hast.« Der Missionar hatte wohl Grund zu dieser Bitte, denn der König war so wütend, daß er nur mühsam atmen konnte, und seine rechte Faust packte das elfenbeinerne schwere Scepter, als wollte er den Überbringer der Botschaft zu Boden schlagen. »Lies!« rief der König. »Der Generalgouverneur,« so fuhr der Missionar fort, »hat den Wunsch, mit Tschetschwajo in Frieden zu leben, denn im Frieden gedeiht die Wohlfahrt beider Reiche, des britischen Reiches und des Zulureiches. Aber er möchte sichere Bürgschaft dafür haben, daß Tschetschwajo wirklich den Frieden liebt. Warum hat Tschetschwajo ein so großes Heer unter Waffen? Die britische Regierung fühlt sich dadurch beunruhigt, denn eine bewaffnete Macht von mehr als vierzigtausend Mann so nahe ihren Besitzungen ist für sie eine beständige Drohung. Sie macht dem König folgende Vorschläge: Der König möge sein Heer vermindern in einer Weise, welche mit dem Generalgouverneur verabredet werden soll. Der König möge die festen Krale längs des Tugela und des Buffalo aufgeben und seine Garnisonen weiter zurückziehen. Der König möge die Bai von Santa Lucia an die Engländer abtreten. Denn er bezieht Gewehre und Munition von fremden Schiffern durch diese Bai, und die britische Regierung besorgt, daß diese Waffen zum Kriege gegen die britischen Besitzungen dienen sollen. Der König möge endlich gestatten, daß ein britischer Resident in Ulundi wohne und an allen wichtigen Beratungen des Königs mit seinen Indunas teilnehme. Will der König auf diese Bedingungen eingehen, so wird die britische Regierung mit Sicherheit auf die friedlichen Absichten des Zulureiches rechnen können, und dann wird Frieden und Freundschaft zwischen beiden herrschen, und es wird von seiten des Generalgouverneurs alles geschehen, um den Wünschen Tschetschwajos entgegenzukommen. Denn es ist der aufrichtige Wunsch der britischen Regierung, Frieden zu halten und allen solchen Unternehmungen Tschetschwajos, welche das Wohl seines Landes und seiner Unterthanen zum Ziele haben, ihre Unterstützung zu leihen. Der König möge nicht fürchten, daß die britische Regierung Krieg gegen ihn vorbereite. Sie sichert sich nur aus Friedensliebe gegen die kriegerischen Gelüste der Zulus. Der Generalgouverneur grüßt den König Tschetschwajo.« Als der Missionar den Brief fertig gelesen hatte, blickte er den König an und sah, daß er in eine Aufregung geraten war, welche ihm den Atem beengte, so daß er kaum Worte hervorbringen konnte, als er nun seinem Zorne Luft machen wollte. Zuerst brachen nur einzelne Silben aus seinen Lippen hervor, während sein Gesicht von Blut anschwoll, die Adern auf der Stirn dick aufliefen und die Augen eine rote Färbung annahmen. »Ha!« rief er. »Ha! O! O! Sirajo! Laß meine ganze Armee sich versammeln! Dabulamanzi soll heranmarschieren! O, Humbati! Das ist Humbatis Hand! Der Verräter! Sirajo, hole mir den Verräter aus den Händen der Engländer hervor, daß ich ihm mit meinen Zähnen das Herz aus der Brust reiße!« Der König konnte nicht weitersprechen, die Erregung erstickte ihn, er griff mit den Händen nach der Brust, griff in die Perlenkette an seinem Halse und zerriß sie, als ob sie es sei, die ihm Beklemmungen verursache, und sank dann schwer keuchend zur Seite. Er würde zu Boden gestürzt sein, wenn nicht der Prinz zugesprungen wäre und ihn gehalten hätte. Der Missionar rief währenddessen Hilfe herbei, die Adjutanten und Kammerherren kamen gelaufen, legten den bewußtlosen Herrscher auf ein Lager von Tierfellen, welches sie eiligst in der Veranda bereiteten, und liefen nach dem Leibarzt. Der Missionar ließ währenddessen Wasser bringen und dem stöhnenden Manne Umschläge um den Kopf machen. Der Leibarzt war in der Nähe und kam schnell herbei. Er war ein sehr angesehener Doktor und zeichnete sich schon durch seinen Anzug als solcher aus. Er trug einen sehr hohen Kopfputz von Pelzwerk, welcher mit einem breiten Stirnband von Golddraht festgehalten wurde und einer Grenadiermütze glich, dazu eine rote Hose, die einzige Hose vielleicht, welche im ganzen Zululande zu finden war und ehedem wohl einem französischen Soldaten gehört haben mochte. Er war reich behängt mit Ketten und Tierzähnen sowie sonderbar geformten Zieraten und trug einen ledernen Beutel in der Hand. Aus diesem Beutel nahm er ein Messer und einen dünnen Riemen, mit welchem er den rechten Arm des Königs oberhalb des Pulses einschnürte. Dann schlitzte er die Pulsader auf und ließ reichlich Blut herauslaufen, schmierte, als nach seiner Meinung genug Blut geflossen war, die Wunde mit frischem Schöpsenfett ein und verband sie mit einem Brei aus Salbei und andern Kräutern. Der König hatte inzwischen die Augen wieder geöffnet und atmete ruhiger. Der Missionar entfernte sich während der Behandlung, da seine Anwesenheit nicht ferner erforderlich zu sein schien, und dachte, er könnte die Erkrankung des Königs vielleicht zum Vorteil des armen Regenmachers benutzen. Er hatte in seiner Hütte eine Hausapotheke, mit deren Inhalt er früher wohl kranken Leuten zu Hilfe gekommen war. Seit mehreren Jahren hatte er jedoch schon aufgehört, Medikamente zu verteilen, weil die Schwarzen ihn überlaufen und für einen Zauberer gehalten hatten. Nun nahm er einige der Heilmittel aus der Kiste hervor und bereitete aus Rhabarber und Sennesblättern einen Trank. Diesen Trank trug er in einer kleinen Flasche zu dem Regenmacher und erzählte ihm, daß der König aus Aufregung über eine unangenehme Nachricht krank geworden sei. »Ich habe hier aus europäischer Medizin ein Heilmittel gebraut,« fügte er hinzu, indem er dem Regenmacher die kleine Flasche gab. »Gehe damit zum Könige und kuriere ihn. Dann läßt er dich aus Dankbarkeit unter seinem Schutze in deine Heimat zurückkehren. Du bist ja wohl mit dem Leibarzt befreundet?« Des Regenmachers Gesicht, welches sehr trübe gewesen war, hellte sich auf, und er dankte dem Missionar. »Du bist sehr gut,« sagte er, »und ich bin angenehm überrascht, einen weisen Mann zu finden, der seine Tugendlehren selbst befolgt. Aber weißt du gewiß, daß dieser Trank helfen wird? Oft helfen die Medizinen, aber öfters noch schaden sie, weil der Arzt nicht weiß, wie es im Innern des Kranken aussieht. Auch sind die Körper verschieden, und in derselben Krankheit schadet dem einen, was dem andern nützt. Wenn der König kränker würde, so wäre ich verloren.« »Ich rechne bestimmt darauf, daß diese Medizin hilft,« sagte der Missionar. »Der König denkt, am Herzen zu leiden, und ist kurzatmig, aber wenn ich bedenke, wie gewaltig viel er zu essen pflegt, so sage ich mir, daß eine Erleichterung seines Magens ihm jedenfalls wohl thun wird. Du wirst mit deiner Schlauheit schon einen Weg finden, ihm den Trank so beizubringen, daß er deine Kunst bewundern muß. Wenn du ihm täglich dreimal einen kleinen Löffel voll giebst, wird es das Richtige sein.« Der Missionar hatte richtig gerechnet. Nach einigen Tagen kam ihm zu Ohren, daß der Regenmacher eine große Zauberkur vollbracht habe. Er sei vom Leibarzt des Königs zugezogen worden, weil die Krankheit des Königs für einen Doktor allein zu groß gewesen sei, und er habe mit Hilfe seiner zauberischen Kunst das Leiden überwunden. Bald darauf kam der Regenmacher auch selbst zu dem Missionar und dankte ihm mit Thränen in den Augen. Ja er zwang sogar dem Retter in der Not eine goldene Kette aus seinem eigenen Halsschmuck auf, und der Missionar konnte das Geschenk nicht zurückweisen, ohne den dankbaren Mann zu beleidigen. Tags darauf reiste der Regenmacher unter Bedeckung einer Abteilung der königlichen Garde ab, und die Verwünschungen des Volkes schallten zwar hinter ihm her, aber Steine konnten ihn nicht erreichen. Und als ob es der Himmel darauf abgesehen hätte, menschlicher Kunst zu spotten, -- kaum war der Regenmacher aus dem Gesichtskreis Ulundis verschwunden, da kam ein Landregen von Osten herauf und hüllte vierzehn Tage lang die Erde in Nebel, Dampf und nasse Fluten, so daß niemand in den Straßen der Residenz gehen konnte, ohne mit seinen Füßen bei jedem Schritte dicke Ballen aufgeweichter Erde emporzuheben. Tschetschwajo ließ indessen, sobald er genesen war, mit aller Kraft an der Rüstung und Schulung seiner Armee arbeiten. Er sah, daß der Krieg unvermeidlich oder die Selbständigkeit seiner Herrschaft verloren sei. Pieter Maritz, der ein offenes Auge für die Begebenheiten hatte, sah, daß nach und nach alle Regimenter mit Gewehren bewaffnet und fleißig im Schießen geübt wurden. Auch gewahrte er, daß die unbehilfliche Art der Bewegung der Truppen sich änderte. Die Regimenter von Ulundi übten sich in der Ebene, einen Teil der Leute vorzuschicken, welche einzeln fochten und als Schützen den dichten Haufen des Regimentes umgaben. Wenn diese Leute feuerten, so warfen sie den Schild auf den Rücken, und es waren Riemen am Schilde angebracht worden, woran sie ihn über der Schulter tragen konnten, so daß sie die Hände frei hatten. Nur behielten sie immer noch die Assagaien bei, wodurch sie beim Schießen außerordentlich belästigt wurden. Sie richteten ihren Angriff so ein, daß sie auf weite Entfernung mit ihren Gewehren zu schießen anfingen und dann vorliefen, bis sie auf Wurfweite von den Scheiben waren. Alsdann schleuderten sie auf Kommando zweimal den leichten Wurfspieß, nahmen dann den Stoßassagai in die rechte Faust, Gewehr und Schild in die linke Hand und gingen zum Handgemenge vor. Die geschlossenen Regimenter wurden nicht mehr so tief wie früher aufgestellt, sondern zählten beim Angriff nur noch acht Glieder hintereinander. Dabulamanzi war der Urheber aller dieser Neuerungen, und er kam häufig von Mainze-kanze herüber, um die Übungen der Armee von Ulundi zu überwachen. Nachdem die Regenzeit vorüber war, ward auch ein großes Manöver nördlich von Ulundi abgehalten, zu welchem die Armee von Mainze-kanze herbeikam. Gegen dreißigtausend Mann blieben in der Ebene am Schwarzen Umvolosi vier Wochen lang zusammen und führten große taktische Bewegungen aus. Vorzüglich übten sie ein bestimmtes Manöver: ein kleines Corps ward aufgestellt, und die übrige Armee griff dieses an. Dann bildete die große Masse eine lange Linie, welche gegen den Feind vormarschierte und allmählich in der Mitte anhielt, während die beiden Flügel herumschwenkten, so daß der Feind in einen Halbkreis eingeschlossen ward. Der Missionar und Pieter Maritz durften freilich an diesem Manöver nicht teilnehmen, denn ein gewisses Mißtrauen des Königs seit dem Verschwinden Humbatis machte ihn selbst gegen den Missionar, den er doch immer noch in Ehren hielt, argwöhnisch. So konnte Pieter Maritz nicht mit eigenen Augen sehen. Aber die Zulus, mit denen die Weißen in Berührung kamen, prahlten mit den kriegerischen Großthaten ihres Volkes, sagten, daß nun das Mittel gefunden sei, die Weißen zu schlagen, und schilderten dabei die große Kunst Dabulamanzis im Umklammern des Feindes. Der Missionar war in großer Besorgnis gewesen, daß Tschetschwajo im Zorne über die Forderungen des englischen Generalgouverneurs und über die Abweisung seines Bündnisantrags einen Teil seiner Rache auf ihn selbst und Pieter Maritz fallen lassen würde. Denn durch des Missionars Vermittelung war doch der Lord für die Botschaft gewonnen worden, und für einen Despoten wie Tschetschwajo lag die Vermutung nicht ferne, daß die Weißen in ihrer Verachtung der Schwarzen die Botschaft des Zulukönigs schlecht bestellt oder gar deren Vereitelung unter sich ausgemacht hätten. Als nichts erfolgte, was eine solche Besorgnis als begründet erscheinen ließ, ward der Missionar von hoher Achtung vor dem Charakter des Königs erfüllt, der seinen Grimm nicht an einem Unschuldigen ausließ, den er in seiner Macht hatte. Die Weißen wurden nach wie vor in ihrer Wohnung beschützt und mit Lebensmitteln versorgt, nur ward ihnen die Gelegenheit, mit den Zulus zu verkehren, beschränkt, und so fand sich für den Missionar kein Mittel, seinem Berufe und dem Ziele seines Lebens, nämlich der Lehre des Evangeliums, nachzugehen. So ward auch er mißmutig und ersehnte gleich dem Buernknaben den Augenblick der endlichen Abreise. Aber keine Aussicht zur Abreise zeigte sich, und der Missionar wagte nicht, den König um seine Entlassung zu bitten, um nicht in den Verdacht zu geraten, er wolle die Geheimnisse des Zululandes und der Pläne des Monarchen den Engländern verraten. Lange Monate saßen der alte Mann und der mehr und mehr heranwachsende Knabe in Verlassenheit und trüber Stimmung auf ihrem Gehöft vor den Hütten, verfolgten den Zug der Wolken und den Wandel der Gestirne und versuchten in belehrenden Gesprächen ihrer traurigen Gedanken Herr zu werden. Solche Gespräche verschafften dem nun zum Jüngling heranreifenden Buernsohn einen kostbaren Schatz: die Erkenntnis vieler wichtiger Dinge, die ihm daheim immer fern geblieben sein würden. Er ward vertraut mit der Beschaffenheit des Himmels und der Erde, mit der Lage fremder Länder und deren Gebirgen, Flüssen, Städten und Einwohnern. Er lernte die Geschichte der europäischen Nationen kennen. Er hatte Unterricht in der Mathematik und manchen andern Wissenschaften. So bildete sich sein Geist, während sein Körper an Größe und Kraft zunahm. Das Jahr 1878 neigte sich zu Ende, und der Missionar rüstete mit seinem jungen Freunde gemeinsam ein grünes Bäumchen, eine kleine Euphorbiacee, zu, um nach der Gewohnheit der Heimat ein christliches Weihnachtsfest zu feiern, als unerwarteterweise ein Bote vom König kam und den Missionar zu Hofe lud. Der Missionar dachte, es sei vielleicht wieder ein Brief gekommen, den er übersetzen solle, doch zeigte sich diese Annahme als irrig. Der König war allein und saß in nachdenklicher Haltung in einem seiner Gemächer auf der mit Löwenfellen bedeckten hölzernen Ruhebank. »Du warst mein Vater,« sagte er mit sanfter Stimme zu dem alten Manne, der ihn mit einer Verneigung begrüßte. »Tschetschwajos Herz hat nicht vergessen, was du ihm Gutes gethan. Ich sehe, daß dein Herz traurig ist und sich zurücksehnt nach dem Lande des Königs Wilhelm. Geh, ich lasse dir das Land offen, und wenn du in deine Heimat zurückgekehrt bist, so sage deinem König, daß Tschetschwajo gütig gegen dich war.« Der Missionar war freudig bewegt bei diesen Worten, die ihm das lang ersehnte Ziel der Rückkehr nahe rückten, und fühlte sich von Dankbarkeit durchdrungen. Dieser unumschränkte Herrscher über ein Volk, welchem jeder seiner Winke Befehl war, dieser Tyrann, der nicht sparsam war mit Menschenblut, hatte sich, durch eine unerklärliche Macht bewogen, gegen ihn, den allein stehenden Fremden, stets gut und milde gezeigt. Er hatte sich von dem fremden weißen Manne mehr verurteilende und vorwurfsvolle Reden gefallen lassen, als er sonst wohl im Laufe seiner ganzen Regierung zu hören bekommen hatte, und der Missionar wünschte, irgend etwas thun zu können, was dem Könige wahren Nutzen thäte. »Du schickst mich und meinen jungen Freund fort,« erwiderte er, »und ich danke dir für deine Güte. Aber denke nicht, daß ich gern von dir gehe, während ich mir doch sagen muß, daß ich dir keinen Vorteil gebracht und deine Freundlichkeit mit nichts vergolten habe. Glaube mir, König Tschetschwajo, ich würde glücklich sein, ferner an deinem Hofe weilen zu können, wenn ich hoffen dürfte, dir dasjenige geben zu dürfen, was meinen ganzen Reichtum ausmacht.« »Wovon redet mein Vater?« fragte Tschetschwajo. »Du weißt, daß das Gold sehr kostbar ist,« sagte der Missionar, »aber Gold habe ich nicht zu geben. Du weißt, daß das Vieh kostbarer ist als Gold, aber Tschetschwajo hat selbst unzählige Herden Vieh. Du weißt, daß das Eisen kostbarer ist als Gold und Vieh, denn mit dem Eisen sind Gold und Vieh zu erringen. Von alledem rede ich nicht, denn ich bin in diesen Dingen arm, du aber bist ein reicher und mächtiger König. Aber ich rede von etwas anderm, was noch kostbarer ist als das Eisen: es ist die Weisheit. Sie lenkt das Eisen, und sie lenkt alle Dinge. Denn ohne Weisheit schadet aller Reichtum und alle Macht, die Weisheit aber giebt uns alles.« »Du redest von dem Christentum,« sagte der König. »Du möchtest, daß ich und mein Volk die Waffen ablegten und den unsichtbaren Gott verehrten?« »Ich habe kaum noch den Mut, vom Christentum zu reden,« entgegnete der Missionar. »Denn ich weiß ja, daß der König keine Zeit dazu hat, an seine Seele zu denken. Aber ich möchte davon reden, daß du Krieg führen willst, und hinsichtlich dieser Angelegenheit möchte ich dir einen Rat geben.« »Ich wollte Krieg führen?« rief Tschetschwajo. »Du irrst dich. Die Engländer sind es, welche Krieg führen wollen. Sie haben mich mit Waffen umstellt, wie die Jäger den Elefanten umringen. An allen Punkten meiner Grenze haben sie feste Krale erbaut und große Schießgewehre hineingestellt, welche sie auf Rädern fahren. Sie haben nach dem Untergange der Sonne wie nach Mittag hin bewaffnete Krieger versammelt. Sie haben die Buern, die in ihren Besitzungen wohnen, zu Pferde steigen lassen, und viele Hüte zeigen sich zwischen den weißen Helmen. Sie haben unter meinen Nachbarn, den Swazis, Regimenter gebildet. Ja, sie haben mein eigenes Volk in Natal, das Volk, welches unter meinem Scepter stehen müßte -- denn es sind Zulus --, das haben sie gegen mich bewaffnet, und zehntausend Krieger von schwarzer Farbe stehen gegen mich unter dem Gewehre. Sage deshalb nicht, daß ich Krieg führen will, sondern sage, daß ich Krieg führen muß. Oder was soll ich thun?« »Du weißt,« sagte der Missionar, »daß der König groß ist, welcher es ertragen kann, daß seine Freunde ihm sagen, was er nicht gern hört. Denn ein König ist sehr stark, und er kann, wenn er will, die Männer töten, welche ihm etwas Unangenehmes sagen. Hört er sie deshalb ruhig an, so zeigt er, daß seine Weisheit noch größer ist als seine Kraft.« »Du hast recht,« sagte der König, »aber mein Vater hat schon erfahren, daß Tschetschwajo es ertragen kann, daß die Füße weiser Männer seinen Nacken treten.« »Nun denn, so will ich frei reden. Deine Armee ist groß und stark und tapfer, o König, aber ich sage dir, du kannst den Kampf mit den Engländern nicht aufnehmen.« »Oho!« rief der König und sprang von seinem Sitze auf. »Die Engländer sind zu stark für dich,« fuhr der Missionar unerschrocken fort. »Du kennst ihre Macht nicht. Sie umspannen die ganze Erde und alle Meere mit ihren Kriegern und Schiffen. Bedenke nur, daß sie jetzt, während sie gegen dich den Krieg rüsten, auch noch in einem andern Lande, viele hundert Meilen von hier, Krieg führen. Man nennt jenes Land Afghanistan, und die Menschen sind dort weder weiß noch schwarz, sondern bräunlich. Der englische Induna hat mir davon erzählt. Vielleicht kannst du sie zu Anfang besiegen, denn du bist ein mächtiger König, aber es wird dir das nichts helfen, denn für jeden Engländer, den du tötest, kommen zwei andere über das Meer. Du wirst zuletzt deine Herrschaft verlieren.« Der König blickte düster vor sich nieder. »Was soll ich thun nach deinem Rat?« fragte er. »Der Generalgouverneur hat dir geschrieben ....« »Ha!« rief der König, »rede mir nicht von jenem Briefe! Wenn ich daran denke, wird mein Herz rot wie Blut.« »Die Engländer haben zu viel verlangt,« fuhr der Missionar fort. »Du könntest ihnen die Hälfte von dem geben, was sie verlangen, und sie wären zufrieden.« »Was soll ich ihnen geben?« »Wenn der König einen seiner Brüder zu den Engländern senden wollte und mich in dessen Begleitung, damit ich die Reden mitteilte, so würde sich vielleicht der Friede aufrecht erhalten lassen. Der König möge versprechen, die Garnisonen von der Grenze zurückzuziehen und die Armee zu vermindern, dann würden die Engländer beruhigt sein. Für das Land aber wäre dies von Vorteil, denn das Waffentragen macht arm, der Ackerbau aber reich.« Der König lächelte bitter. »Du hast mir einmal gesagt, der Mensch habe eine Seele in sich, welche nach dem Tode weiterlebte,« sagte er. »Wenn ich nun tot bin und meine Seele lebt und sie begegnet der Seele Pandas, meines Vaters, was soll sie antworten, wenn Panda sie fragt, was aus dem Zulureiche geworden ist? Nein, es gilt jetzt zu kämpfen! Ich werde mit meinen Kriegern den Engländern entgegengehen, und dann will ich siegen und mächtig sein oder untergehen wie ein König. Geh, verlasse mich, nimm deinen Freund, deine Diener und deine Ochsen mit dir und ziehe heim, ehe die Waffen klirren. Versuche nicht länger, das Herz des Königs zu schmelzen.« »So lebe denn wohl, und der allmächtige Gott möge mit dir sein!« rief der Missionar, indem er feierlich seine Hände erhob. Noch einen Blick warf er auf die mächtige Gestalt des schwarzen Königs, den er im Geiste als dem Verderben geweiht erkannte, dann wandte er sich und ging. Als Pieter Maritz hörte, daß der König die Erlaubnis zur Abreise gegeben hatte, war er vor Freude wie berauscht. Nun endlich sollte er die Heimat und die Seinigen wiedersehen, welche nicht wußten, wo er war und ob er noch lebte. Seit fast einem Jahre war er von ihnen getrennt. Wie mochte es ihnen ergehen? Waren die Brüder und Schwestern wohl und gesund? Waren sie gewachsen? Wie mochten sie aussehen? War die Mutter gesund? Wie mochte es der Gemeinde gehen? Er malte sich im Geiste alles lebhaft so aus, wie er wünschte, daß es sein möchte, und die weite Entfernung, die Mühen der Reise, die Gefahren des Marsches erschienen ihm in dieser Freude ganz unbedeutend. Er holte das kleine Bäumchen herbei, welches am Abend brennen sollte, besteckte es mit Kerzen, die er selbst aus Talg gemacht hatte, und zündete diese an, obwohl es Vormittag war. Denn es galt keinen Verzug, heute noch sollte aufgebrochen werden. Der Missionar hielt ein Dankgebet, und dann gingen beide daran, den Wagen zu bepacken und die Ochsen anschirren zu lassen. Währenddessen erschien ein Adjutant Tschetschwajos und überbrachte den Befehl des Königs, in nordwestlicher Richtung nach dem Transvaallande zu reisen. Eine bewaffnete Abteilung sollte den Zug bis zur Grenze begleiten. Der Missionar ließ durch den Adjutanten den König bitten, auch die Missionsbrüder auf dem Lande und den bei jenen weilenden Titus Afrikaner nebst dessen Gefolge mitnehmen zu dürfen, damit auch diese Leute vor den Schrecken des drohenden Krieges bewahrt blieben. Der König erlaubte es, und der Missionar beschloß, einen Umweg zu machen, um die Missionsstation zu berühren. Bald nachher traf eine Abteilung von zwölf Kriegern vor dem Gehöft des Missionars ein, dieser entließ die Beamten und Diener vom Hofe, nachdem er sie beschenkt hatte, und bald nach Mittag klatschte Kobus mit der langen Peitsche, und der Wagen rollte ächzend und knarrend durch die Straßen Ulundis, hinaus ins freie Feld. Jubelnd ritt Pieter Maritz auf Jagers Rücken voraus. Die Missionsstation, zu welcher Titus Afrikaner auf Tschetschwajos Befehl geschickt worden war, lag vier deutsche Meilen westlich von Ulundi und ward am ersten Weihnachtsfesttage von der Reisegesellschaft erreicht. Drei Gebäude von Fachwerk, nach Art der Häuser in Transvaal gebaut, standen im Thale an einem Flüßchen, von etwa fünfzig Hütten umgeben, bestellte Felder und bebaute Gärten lagen rings um die Gebäude. Zwei deutsche Familien bewohnten die in der Abgelegenheit, fern vom Tumult der Militärkrale erbauten Häuser. Die Brüder waren einfache und wenig bedeutende Naturen, obwohl ihrem Berufe in echter Frömmigkeit ergeben, und sie hatten niemals Einfluß auf Tschetschwajo zu erringen gewußt gleich dem durch die Gewalt seiner Persönlichkeit hervorragenden alten Manne, der jetzt kam, um sie vor dem Kriegssturm zu retten. Sie waren sehr erfreut über dessen Ankunft und Nachrichten. Denn das Gerücht von nahe bevorstehenden Kämpfen war auch zu ihnen gedrungen, obwohl sie nur undeutliche und schwankende Vorstellungen von der Art der Gefahr hatten. Sie sagten, daß sie schon an Flucht gedacht hätten, daß aber die Befürchtung, an der Grenze von den Außenposten der Zulus zurückgewiesen zu werden, sie zurückgehalten hätte. Auch Titus Afrikaner kam herbei, um seinen Bekehrer zu begrüßen. Er hatte sich in seinem Äußern jetzt ebenso verändert wie in seinem Innern. Sein Haar war mit weißen Streifen durchsetzt, sein Gesicht war faltig, die schwellenden Muskeln seiner Glieder waren eingefallen. Er war sehr gealtert, trotz der kurzen Zeit, denn die Entbehrung kriegerischer Übung, die anhaltende Beschäftigung mit geistlichen Dingen und vielleicht auch der Gram über den Verlust alles dessen, was er besessen, hatten ihm den Stempel des Greisentums vor der Zeit aufgedrückt. Doch war sein Blick ruhig und heiter, und es sprach aus seinem Gesicht das Bewußtsein von etwas, was besser ist als kriegerischer Stolz, Ehre unter den Stammesgenossen und reicher Besitz. Von seinen zwanzig Anhängern war noch ein einziger bei ihm. »Wo sind die andern neunzehn deiner Freunde?« fragte der alte Mann. Titus Afrikaner zuckte die Achseln und lächelte schwermütig. »Sie sind alle fortgelaufen, einer nach dem andern,« sagte der eine der Missionsbrüder. »Sie konnten, wie sie sagten, das Beten nicht mehr aushalten. Ach, es hält schwer, die Bekehrten im Glauben aufrecht zu erhalten.« »Danken wir Gott für diese beiden Seelen!« sagte der alte Mann. »Vorzüglich aber für Titus Afrikaner, der ein Gewaltiger unter den Heiden war. Ich wäre sehr traurig, wenn ihr auch ihn verloren hättet.« »Wir können wahrhaftig nichts dazu, daß die andern fortgelaufen sind,« entgegneten die Brüder. »Wir haben es an Ermahnungen und täglichen Bitten nicht fehlen lassen.« Mit Frauen und Kindern, mit Kisten und Kasten in einem zweiten Ochsenwagen zogen am folgenden Tage die Missionare davon, der Grenze zu. Titus Afrikaner ging neben seinem ehrwürdigen Freunde, und sein Antlitz strahlte vor Glück, den Mann wieder reden zu hören, der so viel Gewalt über seine Seele gewonnen hatte. »O mein Lehrer,« sagte er, »wie freue ich mich deiner! Ich entsinne mich der Sänger und Spielleute, die ehedem mein Ohr entzückten, wenn ich auf Kriegsthaten sann, und ich weiß, daß meine Brust schwoll bei ihren Melodien. Aber du bist ein viel mächtigerer Spielmann als jene. Denn ohne Instrumente, nur mit der Gewalt deines Mundes, mit dem Klange deiner Worte, erregst du mir das Herz viel mehr, als jene konnten, und ich lausche begieriger auf deine Stimme, als ich je auf Musik gelauscht habe. Ich sehne mich nach dem Himmel, um die Schönheit Gottes zu sehen, von der du mir erzählst, und ich wünschte, mein irdischer Leib läge schon begraben in der Erde, um die Seele hinauf zu lassen in den Glanz des Paradieses.« Der Zug gelangte nach acht Tagen, im Thale des Inlanganaflusses hinaufziehend, an die Grenze des Zululandes und näherte sich einem der äußersten Posten der Zulutruppe, welche die Transvaalgrenze überwachten. Hier kehrte die bewaffnete Begleitung um, und die beiden Wagen fuhren ohne Bedeckung weiter. Pieter Maritz ritt voran, die Büchse vor sich auf dem Sattel, um bei einem Angriff eines wilden Tieres oder eines Räubers an der unruhigen Grenze sofort bereit zu sein. Die Missionare wollten an diesem Tage noch Potgieters Farm erreichen, um die Nacht möglichst in Sicherheit zu verbringen. Aber es wurde Abend, und noch zeigte sich die Farm nicht. Ringsum war das Land unwirtlich und lud nicht zum Rasten ein; der Zug ging weiter, da man hoffte, doch noch beim Sternenschein den ersehnten Punkt zu erreichen. Jetzt ging es durch ein Thal mit sanft geneigten Hängen und einzelnen Baumgruppen, deren Schatten bei der bleichen Beleuchtung des Nachthimmels wie ungeheure schwarze Klumpen am Wege lagen. Die Wagen rollten ziemlich bequem, da hier eine Straße durch das Land führte, die durch viele Räder und Hufe fest geworden war. Mit einem Male hielt Pieter Maritz, der dem Zuge etwa hundert Schritte voranritt, sein Pferd an und spähte in die Nacht hinein. Er glaubte, etwas wie Stimmen vernommen zu haben. Gespannt lauschte er, und in der That hatte er sich nicht getäuscht: Stimmen und ein leises Klirren klangen aus der Ferne von seitwärts herüber. Er wandte sein Pferd und ritt zu den Wagen zurück, um sie halten zu lassen, aber schon während er unterwegs war, erschien eine Anzahl von dunklen Gestalten seitwärts des Weges, und Schüsse knallten. Gleich darauf liefen wohl ein Dutzend schwarzer Krieger zu den Wagen, hielten die Ochsen an und fragten die Reisenden, wer sie wären und wohin sie wollten. Die jüngeren Missionare waren in großer Bestürzung, zumal da sie Frauen und Kinder bei sich hatten, und nur der alte Mann, der schon so vielen Gefahren ins Auge gesehen hatte, behielt seine Ruhe. Doch konnte auch er sich nicht auf Auseinandersetzungen mit den Schwarzen einlassen, weil er ganz durch die Sorge um Titus Afrikaner in Anspruch genommen war. Von den Kugeln, die aufs Geratewohl abgefeuert und zum größten Teil über den Wagenzug hingepfiffen waren, hatte eine getroffen: Titus Afrikaner, welcher an der Seite des alten Missionars dahinschritt, war in die Brust geschossen worden und lag in seinem Blute. Die Schwarzen benutzten die Verwirrung, welche ihr unerwarteter Angriff hervorgerufen hatte, und machten sich trotz des kläglichen Geschreis der erschrockenen Kinder und des Hilferufens der Frauen und Missionare daran, die Wagen zu plündern, obwohl Pieter Maritz sich bemühte, sie zurückzuhalten, als plötzlich neue Gestalten auftauchten und eine Stimme zu hören war, welche auf englisch in der gotteslästerlichsten Weise fluchte. Trotz dieser Flüche, welche von einem Manne ausgestoßen wurden, der große Übung in dem Gebrauche rollender und roher Ausdrücke zu haben schien, kam die englische Sprache den Reisenden in ihrer Not wie eine Erlösung vor, und sie bemerkten zu ihrer großen Freude einen Scharlachrock unter den schwarzen Gestalten, die den Zug umringten. Es war ein englischer Unteroffizier, der in der Negerschar auftauchte. »Zehntausend Schock Millionen Granaten sollen euch in Grund und Boden schlagen, ihr gottverdammten Spitzbuben von Niggers ehe ihr nur die leiseste Ahnung vom Dienste eines Piketts bekommt!« rief der Unteroffizier, indem er mit dem Kolben seiner Büchse völlig unbekümmert um die Knochen seiner Untergebenen, zwischen die Menge der Schwarzen stieß, um sich einen Weg zu bahnen. »Habe ich euch Halunken gesagt, daß ihr schießen sollt? Steht ihr auf Vorposten, um zu stehlen?« Dann wandte er sich an die Missionare und sagte: »Die Herren mögen entschuldigen, aber diese Niggers sind wie das liebe Vieh. Eher wollte ich ja eine Herde Rindvieh abrichten, ~God save the Queen~ zu singen, als diese verfluchten Swazi zu anständigen und honetten Soldaten machen. Die Kerls schössen wahrhaftig auf die Kutsche Ihrer Majestät der Königin -- Gott erhalte sie! wenn es der gnädigsten Monarchin einfallen sollte, hier spazieren zu fahren. Aber was ist das? Da liegt ja einer am Boden! Na, Gottlob, 's ist nur ein Nigger.« »Ja, es ist nur ein Schwarzer,« sagte der alte Missionar mit bewegtem Tone. »Aber ich sage Euch, in diesem Manne stirbt ein besserer Christ, als viele Tausende mit weißer Haut Christen sind. Titus Afrikaner, mein Freund, mein Bruder, sieh mich an! Wie geht es dir?« [Illustration: Titus Afrikaners Tod.] Die eindrucksvolle Stimme des Missionars und der Anblick des tödlich Verwundeten hatten Ruhe hervorgerufen, und ein weiter Kreis von schwarzen und weißen Menschen bildete sich um den am Boden liegenden Häuptling und den über ihn geneigten alten Mann. Titus Afrikaner schlug die Augen auf und sah dem Missionar mit einem glücklichen Lächeln ins Gesicht. »Du hast mich einen Christen genannt, mein Vater,« sagte er. »Nun werde ich den Mann auf dem Berge sehen, der mir seine Hand entgegenstreckte. Ich gehe der Erscheinung Jesu Christi entgegen.« »Ja, du wirst ihn sehen, den Heiland,« sagte der Missionar, »seine erlösende Hand wird dich aus der Angst der Sünde befreien und wird dir die Krone reichen, die dem bestimmt ist, der sich selbst besiegte. Aber sprich, mein Freund, können wir nichts thun, dein Leben zu retten? Wir wollen deine Wunde verbinden, und du wirst genesen.« Titus Afrikaner schüttelte langsam den Kopf. »Hier sitzt der Tod,« sagte er, auf seine Brust zeigend. »Laßt mich ruhig liegen. Ich sterbe gern in deinem Arm, mein Vater. Du rettetest meine Seele vom Verderben. Ehe ich dich kannte, war ich nur ein wildes Tier, du hast mich zu einem Christen gemacht.« Der Missionar sah, daß der Häuptling die Wahrheit sprach, als er seinen Tod als nahe bezeichnete, denn die Wunde saß nahe der Herzgrube, und das Blut quoll nur in einzelnen Tropfen hervor. Das Gesicht des Verwundeten verlor nach und nach die Farbe des Lebens, und die Augen bekamen einen überirdischen Ausdruck. »Gott ist sehr gütig, daß er mich sterben läßt,« sagte der sterbende Häuptling mit leiser Stimme. »Nun wird mich keiner der Krieger mehr verspotten, und ich werde in ein Land kommen, wo nur Christen sind.« Dann blickte er sich suchend um, und als er den einzigen seiner Anhänger, der ihm treu geblieben war, im Kreise der Umgebenden stehen sah, winkte er ihm mit den Augen, näher zu kommen. Der treue Basuto ging auf ihn zu und benetzte seine Hand mit Thränen. »Ich danke dir, mein Bruder, daß du bei mir geblieben bist,« sagte Titus Afrikaner. »Lebe wohl und bleibe Christo so treu, wie du deinem Häuptling geblieben bist. Dann werden wir uns im himmlischen Jerusalem wiedersehen.« Damit faltete er die Hände, die ehemals so tapfer und geschickt die Büchse zu handhaben verstanden hatten, über der Brust und betete in Gemeinschaft mit dem Missionar, bis sein Atem zu schwach wurde, um noch Worte hervorzubringen. Nur die Lippen bewegten sich noch ein wenig, und endlich ruhten auch diese, die Augen brachen, ein Zucken durchschauerte den Körper, und mit einem Seufzer endete er sein Leben. Der Missionar richtete sich auf, und seine Augen liefen von Thränen über. »Seht hier das Ende eines Christen,« sagte er laut und eindringlich, »und betet mit mir zu Gott für das Heil seiner Seele.« Die Missionare mit ihren Frauen falteten die Hände, Pieter Maritz stieg vom Pferde und zog den Hut, auch der englische Unteroffizier nahm den Helm ab, und die Swazikrieger standen verdutzt, aber ehrfurchtsvoll schweigend umher. Der Missionar betete das Vaterunser in deutscher Sprache, und feierlich klangen die Worte in der stillen Nacht im einsamen Thale an der kriegbedrohten Grenze. »Und nun macht den Weg frei und laßt uns in Frieden weiterziehen,« sagte der alte Missionar, nachdem er das Gebet beendigt hatte. »Ich bedaure, das ist nicht möglich,« entgegnete der Unteroffizier. »Es ist Befehl, alle Reisenden aus dem Zululande zum Kommandierenden zu führen. Ihr müßt mir alle folgen.« »Wohin?« fragte der Missionar. »Zum Kommandanten La Trobe Lonsdale, in dessen Quartier zu Potgieters Farm.« [Illustration] [Illustration] Siebzehntes Kapitel Utrecht Als die Reisenden vernahmen, daß sie nach eben dem Orte gebracht werden sollten, wohin sie schon selbst zu reisen beabsichtigten, wurde ihr Gemüt ruhig, und sie bereiteten sich, dankbar für diese Wendung, welche der Überfall nahm, zum Weitergehen. Die von den Swazis aus den Wagen gerissenen Gepäckstücke wurden wieder aufgepackt, Frauen und Kinder kletterten nach, und die Männer bestiegen ihre Pferde. Der Leichnam des erschossenen Häuptlings wurde auf des alten Missionars Verlangen von zwei Schwarzen aufgehoben und mitgenommen, denn es sollte dem christlich Gestorbenen ein christliches, feierliches Begräbnis zu teil werden. Noch eine halbe Stunde lang ging es beim Sternenlicht weiter, dann glänzte der rote Schein von Lagerfeuern, und die Reisenden sahen sich an einer großen Lagerstätte von schwarzen Kriegern angelangt. Mehr als tausend Swazis schliefen in ihren Mänteln von Tierfell am Boden, und nach europäischer Weise waren Posten ausgestellt, welche den Zug durchließen, nachdem der englische Unteroffizier das Feldgeschrei gegeben hatte. Durch die Posten und Schlafplätze hindurch rollten die Wagen vor das Gehöft, wo der englische Kommandant sein Quartier aufgeschlagen hatte. La Trobe Lonsdale lag schon im Schlafe, doch wurde er geweckt, um die Ankömmlinge sprechen zu können, und die Missionare sowie Pieter Maritz wurden in ein Zimmer geführt, wo der Offizier sie beim Scheine einer Lampe empfing und nach dem Ziel ihrer Reise und dem Orte ihrer Herkunft befragte. Er schien verwundert zu sein, als er hörte, daß der alte Mann und Pieter Maritz aus der Hauptstadt Tschetschwajos kamen, da er wohl nicht erwartet hatte, daß der Zulukönig unter den jetzigen Zeitverhältnissen das Blut von Weißen verschonen würde, die in seiner Macht waren. Doch war er erfreut, nun Leute vor sich zu sehen, die ihm über die Zustände im Zululande Auskunft geben könnten. Aber sowohl der alte Mann wie Pieter Maritz verweigerten jede Auskunft, und die beiden jüngeren Missionare erklärten mit gutem Gewissen, daß sie nichts von den Zuständen beim Heere Tschetschwajos wüßten. »Wir haben seit fast einem Jahre Tschetschwajos Brot gegessen, und er ist großmütig gegen uns gewesen,« sagte der alte Mann. »Deshalb wäre es Verräterei, wenn wir etwas über sein Heer und seine Pläne sagen wollten.« Der englische Offizier war unzufrieden mit dieser Antwort, denn er hätte sehr gewünscht, über den Feind Nachricht zu erhalten; doch konnte er sich nicht der Einsicht verschließen, daß eine ehrenwerte Gesinnung die Weigerung der ehemaligen Gäste Tschetschwajos hervorrief. Er sann einen Augenblick nach und sagte dann, er wolle in Rücksicht auf das Alter und den Beruf des Missionars der ferneren Reise der drei Missionare mit den Familien kein Hindernis in den Weg legen. Der junge Mensch dagegen, welcher ein Buer zu sein scheine, müsse in das Hauptquartier nach Utrecht gebracht werden, um vor dem Obersten Wood zu erscheinen. »Ich lasse Euch Pferd und Waffen,« sagte der Kommandant zu Pieter Maritz, »weil ich darauf vertraue, daß Ihr keinen Fluchtversuch machen werdet. Ihr werdet Euch darauf besinnen, was der Patriotismus jedem englischen Unterthan vorschreibt.« Damit entließ er die Reisenden, ordnete an, daß Pieter Maritz bewacht und am folgenden Morgen unter Bedeckung nach Utrecht gebracht würde, und kehrte in seinen Schlafraum zurück. Die Reisenden schlugen ihr Nachtquartier in einem Gehöft von Potgieters Farm auf, und der alte Missionar und Pieter Maritz unterhielten sich über die neuen Ereignisse, welche sie betroffen hatten. Die Erlebnisse, welche sie gemeinsam gehabt, ließen ihnen beiden das Jahr, welches sie zusammen gewesen waren, als eine fast unabsehbar lange Zeit erscheinen. Besonders für Pieter Maritz, dem die Zeit noch langsam verstrich, weil er jung war, schien der Rückblick auf die Vergangenheit, auf die Reise vom Buernlager im Norden Transvaals bis zu den Garnisonen der Zulus im Südosten von Afrika fast wie eine Ewigkeit, und er konnte sich nicht an den Gedanken gewöhnen, den alten Mann verlassen zu müssen. Dieser erklärte, daß er es für seine Pflicht halte, bei den jüngeren Missionaren zu bleiben und mit ihnen zusammen eine Station zu gründen, entweder in Transvaal oder im Zululande, sobald der Krieg beendigt sei. »Was dich anbetrifft, Pieter Maritz,« sagte er, »so hoffe ich, daß du bald zu den Deinigen zurückgekehrt sein wirst. Der englische Kommandant in Utrecht wird dich hoffentlich bald entlassen, und dann kannst du dich nach deiner Gemeinde erkundigen und sie aufsuchen. Deine Furcht, wegen der Entweichung der beiden Zulus bestraft zu werden, wird ja nun wohl verschwunden sein. Du bist ein großer Mensch geworden, und ich werde Gott bitten, daß du immer ein guter, ein christlicher Mensch bleibst. In allen Fährlichkeiten, der Seele wie des Leibes, muß ja Gott unsere Stütze sein, denn unsere eigene Kraft ist gar schwach gegenüber den Anfechtungen der Welt.« Pieter Maritz war in einer eigentümlichen Gemütsbewegung und vermochte lange Stunden nicht einzuschlafen. Trauer und Freude mischten sich seltsam. Er war betrübt, den alten Mann verlassen zu müssen, der sein Freund und Berater war und an den er durch die engsten Bande, durch gemeinsam überstandene Gefahr und durch Unterricht in den höchsten Gegenständen des Wissens, gekettet war. Doch beherrschte ihn die Trauer nicht völlig, da er vor seinem inneren Auge das Bild seiner Lieben daheim erblickte und da ihn das freudige Gefühl belebte, auf der Reise vom Zululande weg nach Hause zu sein. Schon das Bewußtsein, in Bewegung zu sein, den treuen Jager zur Hand zu haben und von Ort zu Ort zu kommen, hatte etwas Ermunterndes, Erfrischendes. Um sein Erscheinen vor dem Kommandanten von Utrecht grämte er sich wenig. Er war entschlossen, nichts über die Zulus zu verraten, und er glaubte, daß er dann die Erlaubnis erhalten würde, sich nach Hause zu begeben. In der Frühe des andern Morgens erklangen die Hörner, und die Swazis erhoben sich vom Schlafe. Nach dem Vorbilde der Zuluregimenter waren aus dem Stamme der Swazis, die den Zulus immer feindlich gegenüberstanden, Regimenter gebildet worden, die unter dem Befehl La Trobe Lonsdales und einiger jüngeren englischen Offiziere sowie mehrerer englischen Unteroffiziere standen. Dieses schwarze Heer unter englischer Führung streifte von der Grenze Natals bis nach Neuschottland hin dem Zululande zunächst und bildete die äußersten Posten an der Grenze zwischen Transvaal und dem Zululande. Weiter zurück, in Utrecht und an andern Plätzen, formierten sich englische Angriffskolonnen unter Befehl des Obersten Wood. Pieter Maritz frühstückte mit seinem alten Freunde, während die Familien der andern Missionare noch unter dem Zeltdache der Wagen schliefen. Doch es schmeckte beiden nicht. Sie waren zu sehr betrübt über die bevorstehende Trennung. Nun kam der englische Unteroffizier, der sie in der vergangenen Nacht gefangen genommen hatte, und befahl Pieter Maritz, sich fertig zu machen. Es mußte Abschied genommen werden. Mit nassen Augen sattelte Pieter Maritz sein Pferd, band einen Mantelsack auf, den ihm der Missionar geschenkt hatte und worin er Lebensmittel und einige Bücher verwahrte, dann umarmte er den alten Mann und schwang sich in den Sattel. Zwei mit Gewehren bewaffnete Swazis gingen mit ihm, und so zog er weiter. Der Marsch ging schnell vor sich, denn die schlanken nackten Swazis hatten wenig Mühe, mit dem Pferde gleichen Schritt zu halten. Sie schwatzten fröhlich, nahmen dankbar den Tabak an, den Pieter Maritz ihnen gab, rauchten aus ihren kleinen Pfeifen und ließen sie sogar dann nicht ausgehen, wenn es im Trabe ging. Meile nach Meile legten sie ohne Ermüdung neben dem Pferde zurück. Pieter Maritz dachte einigemal daran, sich seiner Begleiter zu entledigen. Er war überzeugt, daß sie ihn laufen lassen würden, wenn er ihnen ein Geschenk machte. Aber er hielt es nicht für recht, die Leute von ihrer Pflicht abwendig zu machen, und der Gedanke, Gewalt zu gebrauchen und sich auf sein Pferd und sein Gewehr zu verlassen, um die Freiheit zu erlangen, lag ihm ferne. Er wollte dem Vertrauen des englischen Kommandanten, der ihm Pferd und Waffen gelassen hatte, keine Schande machen. Der Marsch ging weit schneller, als er in Begleitung der Wagen bis jetzt gegangen war. Es kam Pieter Maritz so vor, als seien ihm Flügel gewachsen. Munteren Schrittes bewegte sich Jager, der erfreut zu sein schien, nicht mehr an den schweren Gang der Ochsen gebunden zu sein, und leicht wie Antilopen liefen die beiden Schwarzen nebenher. Das Land zeigte die Unruhe eines Grenzgebietes bei hereinbrechendem Kriege. Pieter Maritz überholte mehrere Wagenzüge, die landeinwärts gingen, und in denen sich Buernfamilien mit ihren Viehherden vor dem gefürchteten Anmarsch der Zulus retteten. Wie freute er sich, Landsleute wiederzusehen und die holländische Sprache zu vernehmen! Er aß bei einer dieser Familien zu Mittag und erkundigte sich, ob sie etwas von seiner Gemeinde wüßten. Aber die Leute wußten nichts davon, ein zu weiter Raum trennte die Bewohner des Utrechter Distrikts von denen der Ebenen im Norden. Gegen Abend zeigten sich die dunklen Ketten des Belebasberges, und als die Sonne sank, kam Pieter Maritz durch ein Thal, vor dessen Ausgange die Stadt Utrecht lag. Jager war ermüdet, er ging langsam und senkte den Kopf; auch die Swazis schritten jetzt langsam dahin, und ihr Geschwätz war verstummt. Sie hatten zehn deutsche Meilen zurückgelegt. Jetzt zeigten sich viele rote Feuerscheine, und dann blinkten Lichter auf, welche weit verbreitet lagen und die einzeln liegenden Häuser von Utrecht anzeigten. Dann tönten Hornsignale, und der Lärm eines Lagers ließ sich vernehmen. Die Nacht war klar und rein. Vom tiefblauen Himmel glänzten die Sterne herab, und ein warmer Wind zog aus der Ebene nach dem Gebirge hin und blies Pieter Maritz entgegen. Ein Trupp von bewaffneten Reitern erschien seitwärts des Weges und rief die Ankömmlinge an. Pieter Maritz hielt, und die Reiter kamen näher. Es waren Buern, die Büchsen über dem Rücken, den Patronengurt über der Brust, das Gesicht vom Hutrand beschattet. Sie umringten den Landsmann und die beiden Schwarzen, und einer von ihnen führte alle drei nach Utrecht hinein. In den ausgedehnten Straßen, welche zwischen Feldern und Gärten sowie vereinzelt stehenden Häusern sich hinzogen, trieb sich ein sehr verschiedenartiges Volk herum. Englische Infanteristen in ihren roten Röcken, dazwischen Buern aus Natal, die als Freiwillige im englischen Heere dienten, auch schwarze Krieger waren zu sehen, und viele Weiber, hauptsächlich Kaffernfrauen, liefen umher und trugen Körbe mit Lebensmitteln oder Krüge auf dem Kopfe, um die Truppen zu versorgen. Seitwärts der Straßen, außerhalb der Stadt, schimmerten lange Reihen der spitzen weißen Zelte, in welchen die englischen Truppen lagerten. Vor dem ansehnlichsten Hause von Utrecht, einem zweistöckigen Gebäude, hielt der kleine Zug. Pieter Maritz sah das Haus voll Bewunderung an. Er hatte in seinem Leben noch kein so schönes Haus gesehen. Es war glänzend weiß, hatte sechs Fenster Front, alle Fenster waren von innen hell erleuchtet und hatten Glasscheiben. Pieter Maritz war noch nie in einer Stadt gewesen, welche aus Häusern europäischer Bauart bestanden hatte, und glaubte sich in ein Zauberland versetzt. Vor der Hausthür ging ein Soldat in rotem Rocke und mit weißem Helm auf und ab, und mehrere Offiziere und Unteroffiziere standen auf dem Platze davor. Der berittene Buer teilte einem dieser Offiziere mit, daß zwei Mann von der Truppe des Kommandanten Lonsdale einen Gefangenen brächten, und nun ließ der Offizier Pieter Maritz absteigen und führte ihn in das Haus. Zugleich nahm er ein Schreiben mit, welches ihm einer der Swazis überreichte, und worin Kommandant Lonsdale wohl dem Obersten Wood Meldung über den Stand der Dinge an der Grenze abstatten mochte. Als Pieter Maritz sich der offenstehenden Hausthür näherte, sah er den Flur mit Männern angefüllt. Rote Röcke und die Blusen der Buern mischten sich, und verwundert sah Pieter Maritz mehrere Zulus an der einen Seite dicht an der Wand hocken. Er konnte sich über die besondere Art des Kopfputzes und der Waffen dieser Leute nicht täuschen, es waren wirklich Zulus. Sie hockten am Boden, das Kinn auf den Knieen, die Hände vor den Schienbeinen verschlungen. Er mußte eine Zeitlang auf dem Flur warten und ward sich hier, wo es hell war und wo die Blicke der Engländer und Buern sich auf ihn richteten, eines Umstandes bewußt, der ihm bis jetzt nicht zur Erinnerung gekommen war: es fiel ihm ein, wie sonderbar und schlecht er gekleidet sei. Nun er die hübschen, glänzenden Anzüge der Engländer und die sauberen ordentlichen Röcke, Beinkleider und Stiefel seiner Landsleute sah, erschien ihm seine eigene Tracht, an welche er lange gar nicht gedacht hatte, in einem neuen Lichte, und er fühlte sich so beschämt, daß er nicht recht wußte, wohin er sich stellen sollte, um möglichst verborgen zu sein. Im Zululande gab es keine Schneider, die ihn mit Kleidungsstücken europäischer Mode hätten versorgen können, und Schuster gab es dort gar nicht. Die Zulus gingen barfuß, und ihre Gewänder waren zwar kunstvoll gearbeitet, aber nicht modern für die Stadt Utrecht. Da Pieter Maritz sich nicht an die Mode von Ulundi, ein schön gegerbtes Fell und einen perlenbesetzten Lendengurt, hatte gewöhnen wollen, hatte er sich damit begnügen müssen, seinen alten Anzug mit neuen Lappen zu flicken. Seine Stiefel hatten so viele neue Stücke bekommen, daß von dem ursprünglichen Leder fast nichts mehr vorhanden war. Sie waren nicht unbequem. Die Schäfte, mit Antilopenleder geflickt, schlossen sich gut an und gingen bis über die Kniee. Es waren vorzügliche Reitstiefel; aber sie waren ziemlich bunt. Ähnlich ging es mit den übrigen Stücken seines Anzugs. Der Missionar, welcher für lange Aufenthalte in wilden Gegenden vorbereitet war und in seinem Wagen allerhand Nützliches mit sich führte, hatte ihm ausgeholfen, aber buntscheckig genug waren Rock und Beinkleid und Hut. Jetzt kam der Offizier, welcher den Brief des Kommandanten Lonsdale fortgetragen hatte, wieder zum Vorschein und winkte Pieter Maritz, ihm zu folgen. Es ging in ein großes Zimmer neben dem Flur, welches von mehreren Lampen erleuchtet war, und hier bot sich ein Anblick, der die Überraschung Pieter Maritz' vollständig machte. Sein Blick fiel zunächst auf zwei bekannte Gestalten: der Prinz Sirajo und der Induna Molihabantschi saßen auf Stühlen in der Mitte des Zimmers, in ihre vornehmste Tracht gekleidet: goldene Ringe auf dem Kopfe, Hals und Brust mit Ketten geziert, Mäntel von Tigerfell auf dem Rücken, in der Hand lange Elfenbeinstäbe mit zierlich geschnitzten Knäufen. Vor ihnen saß an einem langen Tische, der mit Karten und Schriften bedeckt war, ein hoher Offizier, die Brust mit mehreren Orden geziert, und neben ihm saßen fünf andere, jüngere Offiziere. Ein Zulu, dessen schwarzes Gesicht sonderbar aus einem weißen Hemdskragen hervorsah und der die Bluse und das Beinkleid des Buern trug, stand zwischen dem Tische und den vornehmen Gesandten Tschetschwajos. »Treten Sie näher!« rief der hohe Offizier Pieter Maritz zu. »Kommandant Lonsdale schreibt mir, daß Sie aus Ulundi kommen. Verstehen Sie genug von der Zulusprache und genug Englisch, um als Dolmetscher nützlich zu sein?« »O ja, ich glaube wohl,« entgegnete Pieter Maritz. »Ich habe fast ein Jahr in Ulundi gelebt und habe die Zulusprache ziemlich gut gelernt.« »Wenn Sie sie ebenso gut verstehen, wie die englische Sprache, so sind Sie ein Meister,« sagte Oberst Wood. »Wer zum Henker ist Ihr englischer Sprachlehrer gewesen?« »Lord Adolphus Fitzherbert,« entgegnete Pieter Maritz. »Sind Sie toll?« fragte der Oberst. »Aber freilich -- ich hörte davon, daß der Lord gefangen bei den Zulus gewesen ist.« Pieter Maritz erzählte von seinem langen Beisammensein mit dem Lord, und daß er dadurch seine Kenntnis des Englischen verbessert habe. »Es ist gut,« sagte der Oberst. »So werden Sie imstande sein, zwischen mir und den Gesandten zu vermitteln, denn ich verstehe nicht genau, was sie sagen, und glaube, daß unser schwarzer Dolmetscher nicht ganz zuverlässig ist. Lassen Sie sich genau sagen, was diese Leute wollen, und teilen Sie es mir mit. Wenn ich recht verstanden habe, ist einer von ihnen ein Bruder Tschetschwajos.« Pieter Maritz wandte sich zu den Zulus und begrüßte den Prinzen Sirajo mit einer Verbeugung, welche dieser würdevoll mit Kopfnicken erwiderte. Molihabantschi hatte schon den Auftrag des Obersten Wood vernommen, und nachdem er sich mit dem Prinzen besprochen hatte, teilte er Pieter Maritz in seinem gebrochenen Englisch und mit dazwischen gestreuten Zuluworten die Botschaft Tschetschwajos mit. Dann wandte sich Pieter Maritz an den englischen Obersten. »Diese Männer sind der Prinz Sirajo, Bruder des Königs, und einer seiner vornehmsten Räte, Namens Molihabantschi,« sagte er. »Ich kenne sie beide, da ich sie oft gesehen habe. Sie sagen, daß König Tschetschwajo sehr bedauert, in Streit mit der englischen Regierung gekommen zu sein. Er wünscht den Frieden. Er ist unzufrieden damit, daß seine Unterthanen die Grenze verletzt haben, und will diejenigen streng bestrafen, welche Vieh aus Natal gestohlen und Flüchtlinge zurückgeholt haben. Auch verspricht er, daß derartiges Unrecht nicht wieder geschehen solle. Zugleich aber spricht er seine Verwunderung darüber aus, daß die englischen Truppen sich an seiner Grenze in so großen Massen versammeln, und er bittet um Auskunft, welchen Zweck diese Truppen haben. Besonders ist er beunruhigt, daß die Festung Lüneburg errichtet worden ist, und erblickt darin eine Bedrohung seines Landes und seiner Verbindungen mit dem Norden. Er bittet um eine genügende Erklärung der kriegerischen Vorbereitungen Englands, da er sich sonst genötigt sehen würde, auch seinerseits auf Krieg bedacht zu sein.« Oberst Wood zuckte ein wenig die Achseln und unterdrückte ein Lächeln, welches um seinen Mund zuckte. »So fragen Sie die Gesandten,« antwortete er, »ob Tschetschwajo nicht die Forderungen des Generalgouverneurs kennt: Verminderung seiner Armee, Zurückziehung der Garnisonen an der Grenze, Aufnahme eines britischen Residenten in Ulundi und Abtretung der Bai von Santa Lucia?« Pieter Maritz teilte die Gegenfrage des Obersten in der Zulusprache dem Prinzen Sirajo mit. Dessen Augen blitzten zornig. »Der König hat auf diese Forderungen nicht geantwortet,« sagte er, »weil sie seiner königlichen Würde nicht angemessen sind.« »Nun denn,« versetzte Oberst Wood, als Pieter Maritz dies übersetzt hatte, »die Bedingungen des Generalgouverneurs sind klar und deutlich. Wenn Tschetschwajo darauf nicht eingehen will, so werden die englischen Truppen den Krieg eröffnen. Das mögen die Gesandten zu Hause bestellen.« Pieter Maritz übersetzte diese Worte, und die Zulus standen mit stolzer Gebärde von ihren Sitzen auf. »So sei es denn Krieg!« rief Sirajo mit drohender Miene. Er wandte sich um und schritt mit Molihabantschi hinaus. Die englischen Offiziere aber sprachen miteinander und schienen durch das Auftreten und die Drohung der Zulus mehr belustigt als erschreckt zu sein. Pieter Maritz hörte ihrem Gespräch mit dem Gedanken zu, daß sie sich von der Kriegsmacht Tschetschwajos keine deutliche Vorstellung machten. Da sich niemand um ihn bekümmerte und auch der Zuludolmetscher in europäischer Tracht, offenbar ein Einwohner von Natal, sich entfernt hatte, wollte auch er fortgehen, als ihn Oberst Wood anrief. »Nun, mein junger Freund,« sagte er, »setzen Sie sich einmal hierher an den Tisch und erzählen Sie uns genau, was Sie von den Zulus wissen. Wieviel Truppen hat denn Tschetschwajo? Wo stehen seine Banden? Wie sind sie bewaffnet? Welche Fechtweise haben sie? Erzählen Sie uns das alles recht deutlich und ausführlich.« »Entschuldigen Sie mich, Mynheer,« antwortete Pieter Maritz. »Ich darf Ihnen das nicht erzählen. Ich weiß es zwar ganz genau, aber ich habe es als Gast des Königs erfahren, und es wäre Verräterei, wenn ich es sagen wollte.« »Was?« rief der Oberst. »Was ist das für eine Antwort? Hier werden keine Scherze getrieben. Wir sind im Kriege.« »Eben deshalb,« sagte Pieter Maritz. »Ich will nicht zum Danke für die großmütige Behandlung Tschetschwajos seinen Feinden verraten, wie sie ihn angreifen können.« »Was fällt dem jungen Menschen ein?« rief der Oberst, indem er die andern Offiziere ansah, als wollte er sie zu Zeugen einer unerhörten Handlung anrufen. »Der Aufenthalt bei den Niggers hat ihm den Kopf verdreht. Aber wir wollen ihn wieder zurechtsetzen. Besinnen Sie sich, vor wem Sie stehen, Sie hartköpfiger Buer. Sie sind ein Unterthan der Königin von England und stehen vor einem ihrer Vertreter.« »Ich bin nicht der Unterthan der Königin,« entgegnete Pieter Maritz trotzig, »und Sie haben mir nichts zu befehlen. Ich bin kein Einwohner von Natal, sondern aus dem Gebiete der Südafrikanischen Republik gebürtig.« »Ein toller Bursche!« rief der Oberst. »O über diese Buern! Sie sind so dickköpfig wie ihre Ochsen. Nun, wir wollen euch schon kriegen. Sie sind mir sehr verdächtig, mein Freund. -- Mein lieber Thomson,« sagte er dann, zu dem jüngsten der Offiziere gewandt, »seien Sie so gut, diesen Burschen einstecken zu lassen. Er soll hinter Schloß und Riegel sitzen, bis er weiß, wer sein Souverän ist.« Pieter Maritz stand wie versteinert. So schlecht hatten ihn ja die Zulus und die Räuber in den Drakensbergen nicht behandelt. Er sollte eingesteckt werden? Einen langen vorwurfsvollen Blick heftete er auf den Obersten, der sein Urteil gesprochen hatte, und lähmende Müdigkeit legte sich auf ihn. Jetzt erst fühlte er, wie steif seine Beine und wie zerschlagen sein ganzer Körper von dem langen Ritte waren. Aber der Oberst bekümmerte sich ferner nicht um ihn, sondern sah auf die vor ihm liegende Karte und besprach sich mit den andern Offizieren. Es schien ihm gar nichts auszumachen, daß er einen freien Buernsohn zum Gefängnis verurteilt hatte. Währenddessen war der Offizier hinausgegangen, und gleich darauf trat er wieder mit einem Unteroffizier herein. »Hier, dieser junge Mensch ist es,« sagte er, auf Pieter Maritz deutend. Der Unteroffizier faßte Pieter Maritz hart am Arm und griff nach der Büchse, welche dieser auf dem Rücken trug. Diese Berührung erweckte Pieter Maritz aus seinem starren Dastehen. Er wollte sich losmachen und rief laut: »Laßt mich frei! das Gewehr ist mein!« Der Oberst runzelte die Brauen. »Machen Sie, daß Sie den Burschen hinausbringen,« sagte er zu dem Unteroffizier. Dieser griff fester zu, und indem er den Knaben mit sich zog, verschob sich der Lederriemen, an welchem der Ring Tschetschwajos hing, und das glänzende Schmuckstück kam aus der Bluse hervor, unter welcher es gesteckt hatte. »Was ist denn das für ein sonderbares Ding?« fragte Leutnant Thomson, der in der Nähe stand, indem er nach dem Ringe griff. Auch die andern Offiziere wurden aufmerksam, und der Unteroffizier nahm dem Knaben den Riemen ab und zeigte den Ring umher. »Was bedeutet dieser seltsame Ring?« fragte Oberst Wood. »Es ist ein Ring König Tschetschwajos,« sagte Pieter Maritz. »Er hat ihn mir als Preis im Wettschießen gegeben. Er war freundlicher gegen mich, als Ihr es seid.« Die Offiziere ließen den Ring von Hand zu Hand gehen, während sie über des Knaben Antwort lachten. »Ein merkwürdiges Stück,« sagte Oberst Wood. »Hier, gebt ihn dem jungen Menschen wieder. Übrigens ist dies ein Beweis für sein freundschaftliches Verhältnis zu den Niggers, und ich wundere mich nicht mehr, daß er keine Auskunft geben will. Gehen Sie mit, Leutnant Thomson, und schärfen Sie dem Gefängniswärter Wachsamkeit ein. Hinter dem Burschen steckt vielleicht mehr, als wir denken.« »Und was soll aus meinem Pferde werden, wenn ich eingesperrt werde?« rief Pieter Maritz. »Genug der Widerworte!« rief der Oberst ungeduldig. »Fort mit dem Burschen!« Der Unteroffizier zog Pieter Maritz hinaus, und Leutnant Thomson folgte. Der Leutnant schien Mitleid mit dem Knaben zu empfinden, denn er sagte ihm draußen, er möge sich nicht ängstigen, weder seine Waffen noch sein Pferd würden ihm genommen werden, und er selber würde wahrscheinlich die Freiheit wiedererlangen, sobald er den Obersten um Entschuldigung bäte und ordentliche Auskunft über seinen Aufenthalt im Zululande gäbe. Pieter Maritz antwortete auf diese Worte nicht, denn er war so empört und zugleich so niedergeschlagen, weil er ins Gefängnis sollte, daß er alle seine Gedanken in die Brust verschloß. Er ging stumm neben dem Unteroffizier her, der sich seiner Büchse bemächtigt hatte, und bemerkte fast teilnahmslos, daß auf den Befehl des Leutnants ein Soldat Jagers Zügel ergriffen hatte und das Pferd hinter ihm her führte. Es ging eine Strecke weit durch die belebten Straßen hin, in welchen der kleine Zug nur geringes Aufsehen erregte, und dann kamen sie vor ein ziemlich großes Haus, vor dem eine rotröckige Schildwache auf und nieder ging. Es war ein gewöhnliches Buernhaus, doch zweistöckig und mit Gittern vor den Fenstern. Als der Leutnant an der Schelle zog, ward die Hausthür geöffnet, und ein alter Buer kam heraus, der ein Schlüsselbund in der Hand trug. »Hier, Koopman,« sagte der Leutnant, »bringe ich einen neuen Gefangenen. Haben Sie wohl acht auf ihn, denn er ist ein Staatsgefangener, ein gefährlicher junger Mensch, obwohl er Ihr Landsmann ist. Behandeln Sie ihn gut, aber lassen Sie ihn nicht entwischen. Sein Pferd stellen Sie in Ihren Stall, und seine Waffen heben Sie auf.« »Schon gut, schon gut,« sagte der alte Buer, indem er Pieter Maritz prüfend betrachtete. Dann rief er einen Knecht herbei, welcher Jager nach einem der Hintergebäude führte, nahm die Büchse in Empfang und ließ Pieter Maritz in das Haus gehen. »Ich werde morgen nachfragen, ob Ihr bessere Antwort geben wollt als heute,« rief der Leutnant zum Abschiede, und dann schlug die Thür hinter dem Gefangenen zu, und Pieter Maritz war mit dem alten Buer allein. »Komm mal mit, mein Neffe,« sagte dieser zu ihm, indem er eine Laterne ergriff und mit seinem Schlüsselbunde klappernd voran- und die Treppe hinaufschritt. Pieter Maritz folgte gehorsam. Er war wie im Traume und ließ alles ruhig mit sich geschehen. Der Gefangenwärter schloß eine Thür im oberen Stock auf, ließ ihn eintreten, stellte dann seine Laterne auf den Tisch, der das hauptsächlichste Möbel in dem kahlen Raume war, setzte sich selbst auf einen Schemel, stützte die Arme in die Seiten und fragte: »Nun sag mal, mein Neffe, wieso und woher kommst du denn?« Pieter Maritz taute bei dem gutmütigen Klange dieser in seiner Muttersprache gesprochenen Frage etwas auf und erzählte in der Kürze seine Abenteuer der letzten Zeit, und daß der Kommandant ihn habe einsperren lassen, weil er von der Südafrikanischen Republik gesprochen habe. Der alte Buer schüttelte den Kopf. »Ja, mein Junge,« sagte er, »da hast du freilich dem Ochsen ins Auge geschlagen, und das war eine große Dummheit.« »Aber sagt doch, Oheim,« rief Pieter Maritz, »habe ich denn nicht recht? Sind wir denn nicht freie Bürger der Südafrikanischen Republik?« »Pst, pst!« sagte der alte Buer, »halt das Maul, mein Junge; es könnte es jemand hören. Freilich hast du recht, aber es ist nicht immer klug, die Wahrheit zu sagen.« »Aber nun sagt mir doch, wie kommt Ihr denn dazu, Gefangenwärter bei den Engländern zu sein?« fragte Pieter Maritz. »Seid Ihr denn nicht auch ein freier Buer?« Der Alte kratzte sich verlegen hinter dem Ohr. »Ja, siehst du, mein Junge,« sagte er, »bar Geld lacht. Meine Alte und ich, wir wohnen hier allein in dem großen Hause, und die Jungens sind alle draußen und haben ihre eigenen Farmen. Da habe ich mit den Engländern einen Kontrakt abgeschlossen, daß ich ihnen mein Haus als Gefängnis leihe und die Gefangenen verköstige und bewache. Sie zahlen mir ein schönes Stück Geld dafür, und in jetzigen schweren Zeiten schlägt ein vorsichtiger Mann das nicht aus. Aber gewiß bist du hungrig, mein Junge. Wart ein bißchen, ich hole dir zu essen.« Der Alte erhob sich und ging mit seiner Laterne hinaus, schloß auch die Thür von außen zu. Pieter Maritz ging ans Fenster und blickte durch die Vierecke zwischen den eisernen Stäben hinaus auf die Straße. Noch immer zog dort, obwohl es schon spät am Abend war, eine große Menge Menschen umher, die sich der kühleren Luft und des Geplauders beim Sternenschein erfreuten. Pieter Maritz sah halb bewußtlos auf die bunt gemischte Menge hinab; er war so sehr bedrückt durch das Bewußtsein seiner Gefangenschaft, daß er an allen äußeren Dingen nur geringen Anteil nahm. Er dachte nach Hause zurück. Wie schön hatte er sich das baldige Wiedersehen ausgemalt! Nun sollte alles, alles anders werden, alles war ins Ungewisse gerückt. Jetzt rasselten die Schlüssel wieder, die Thür öffnete sich, und der alte Buer kam mit einem Korbe. Er stellte Brot und Butter, gebratenes Ochsenfleisch und einen Krug Bier auf den Tisch. Pieter Maritz besann sich darauf, daß er seit Mittag nichts genossen hatte, und fing an zu essen. Zu Anfang schmeckte es ihm in seinem Kummer nicht, aber nach und nach bekam er Appetit und aß und trank, während der alte Buer ihm gegenüber saß und in seiner langsamen Sprache über Politik redete und einen langen Vortrag hielt. Er mochte froh sein, einen Gefangenen zu haben, mit dem er vertraulich reden konnte, aber der Ton seiner Stimme wirkte einschläfernd auf den Zuhörer. Pieter Maritz bemühte sich, die Augen offen zu erhalten, aber es war endlich nicht mehr möglich. Als er aufgehört hatte zu essen und dann noch einen tüchtigen Schluck Bier genommen hatte, sank plötzlich sein Kopf auf die eine Schulter, und er fing, noch auf dem Schemel sitzend, zu schnarchen an. Da stützte ihn der alte Gefangenwärter, schob ihn nach der Ecke des Zimmers, wo eine Matratze am Boden lag, ließ ihn sich niederlegen und deckte ihn mit einer wollenen Decke zu. Dann ging er hinaus, wackelte mit dem Kopfe und murmelte etwas von jungen Leuten und langen Ritten in den Bart. Als Pieter Maritz am andern Morgen erwachte, war es schon heller Tag. Er hörte an die Thür pochen, dann den Schlüssel drehen, und dann sah er einen Knecht des Buern eintreten, der ihm Maisbrei und Kaffee zum Frühstück brachte. Er sprang von seinem Lager auf und verlangte Wasser zum Waschen. Der Knecht führte ihn in den Hof und zeigte ihm einen laufenden Brunnen, wo er sich waschen konnte. Der Hof war von einem hohen Zaun eingefaßt und draußen war der Schritt der Schildwache zu vernehmen. Nach der Wäsche ward Pieter Maritz wieder eingeschlossen, und nun nahm er sein Frühstück ein. Er hatte sich ein wenig an den Gedanken gewöhnt, Gefangener zu sein, war aber nicht darüber getröstet. Wenn es ihm auch nicht mehr unerhört und neu erschien, hinter Schloß und Riegel zu sitzen, so war es ihm doch heute noch schmerzlicher als gestern. Denn er dachte heute klarer darüber nach und sah alles Unangenehme und Schmerzliche seiner Lage in hellerer Beleuchtung als am Abend vorher, wo die Überraschung ihn betäubt hatte. Die Erinnerung an seinen Vater, der ihm sterbend gesagt hatte, die Engländer seien die einzigen und wahren Feinde der Buern, stand lebhafter als je wieder vor ihm. Nach einigen Stunden hörte er den alten Buern an den Schlössern rappeln und wurde hinausgelassen, um im Hofe frische Luft zu schöpfen. Es war die Stunde, wo auch die andern Gefangenen hinausgelassen wurden. Zehn Gefangene, darunter sechs englische Soldaten und drei Männer in Buerntracht, kamen auf den Hof, doch durften sie nicht miteinander sprechen, sondern mußten schweigend nebeneinander hergehen. Die Schildwache, welche außerhalb stand, wurde zur Überwachung in den Hof selbst gestellt, solange die Gefangenen dort waren. Pieter Maritz betrachtete die Gesichter seiner Genossen. Keines war sehr einladend zu näherem Verkehr, sondern es waren rohe Züge, die sich ihm zeigten. Er ging mit trüben Gedanken unter den Leuten umher und freute sich fast, als die Zeit der Erholung vorüber war und er wieder eingeschlossen wurde. Um Mittag erschien der Leutnant Thomson, der die Zimmer inspizierte und ihn fragte, ob er nun wisse, wer sein Souverän sei, und ob er nun Auskunft über die Zuluarmee geben wolle. Aber Pieter Maritz kreuzte die Arme über der Brust und antwortete nur mit einem Blick der Verachtung. Der Offizier ging, und Pieter Maritz war wieder allein hinter den vergitterten Fenstern. So ging es auch am folgenden Tage und fernerhin. Ein Tag reihte sich an den andern, und Pieter Maritz saß noch immer im Gefängnis. Die übrigen Gefangenen wechselten. Einige wurden entlassen, und andere kamen wieder hinzu, die Gesellschaft auf dem Hofe bei der Promenade wechselte, und nur Pieter Maritz blieb. Es kam ihm so vor, als ob hauptsächlich Trunkenbolde unter den englischen Soldaten eingesperrt würden, denn oft wurde gerade des Abends ein Mann mit vielem Gepolter und Geschrei von Patrouillen gebracht, und Pieter Maritz wunderte sich, wie stark der Geruch von Rum im Gefängnis war. Er war in einer stillen, grimmigen Laune über die lange Dauer seiner Gefangenschaft, aber fest entschlossen, nicht nachzugeben, wenn er auch für immer dort sitzen sollte. Sein Trost war, daß es Jager gut ging. Der alte Buer, welcher Mitleid mit ihm hatte und auch gern schwatzte, besuchte ihn fast jeden Abend und erzählte ihm, was in der Welt vorging. Er sagte dem Knaben, daß einer seiner Knechte das Pferd täglich an die Luft brächte, und er hatte es so eingerichtet, daß dieser Knecht an des Knaben Fenstern vorüberritt. Pieter Maritz nickte Jager von oben zu und fühlte sich beruhigt, wenn er sah, daß das Tier munter dahinschritt. Der alte Buer erzählte ihm, daß er täglich für jeden Gefangenen fünf Schillinge Kostgeld bekäme, wenn aber einer entspränge, müsse er fünf Pfund Strafe kontraktmäßig bezahlen, deshalb passe er sorgfältig auf, daß keiner entwische, und noch habe er keine Strafe zu bezahlen gehabt. Er erzählte auch von den kriegerischen Vorgängen. Von drei Seiten, so sagte er, wollten die englischen Truppen in das Zululand einrücken. Der Oberst Wood von Transvaal aus, der Oberst Glyn von Helpmakaar in Natal aus und der Oberst Pearson von Greytown in Natal aus. Alle drei Kolonnen wollten geradeswegs auf Ulundi marschieren. Am Ufer des Tugelaflusses habe Sir Bartle Frere in Gegenwart britischer Behörden und vielen Volkes ein Ultimatum verlesen lassen, eine Forderung an Tschetschwajo, die gestellten Bedingungen anzunehmen oder aber britische Truppen als Feinde in seinem Lande zu sehen. Dies Ultimatum sei dem Könige übersandt worden, und da er es nicht angenommen habe, würde der Krieg beginnen. Am 14. Januar erschien der alte Buer sehr eilfertg bei Pieter Maritz und erzählte ihm, es habe ein Kampf stattgefunden. Britische Truppen wären auf Flößen und Booten über den Buffalofluß gegangen und hätten vor zwei Tagen Sirajos Kral erstürmt. Zu dieser Zeit kam große Bewegung in die bei Utrecht lagernden Truppen, wie Pieter Maritz von seinen Fenstern aus bemerken konnte. Viele Wagen fuhren durch die Straße, Truppenabteilungen marschierten, und alles machte den Eindruck, als ob etwas Wichtiges bevorstände. Die Soldaten, welche noch im Gefängnis waren, wurden herausgeholt. Am 20. Januar, als Pieter Maritz bereits über zwei Wochen gefangen gesessen hatte, ward er in der Frühe des Morgens durch kriegerische Musik geweckt. Er eilte ans Fenster und sah, daß die Truppen sich in Marsch gesetzt hatten. Der Zug ging nach Osten hin und bewegte sich durch die Straße, in welcher das Gefängnis lag. Zuerst erschienen die Schwadronen der englischen ~Light Horse~, Reiter mit langen, an der Spitze etwas gebogenen Schwertern und Karabinern bewaffnet, dann stampften im Gleichschritt die Züge der englischen Infanterie heran, in roten Röcken mit weißen Korkhelmen, die Beinkleider in langschäftige Stiefel gesteckt, Tornister mit weißen Lederstreifen auf dem Rücken, das Gewehr auf der Schulter, Patrontaschen vor dem Leibe, Brotbeutel und Feldflasche an der Seite, das Bajonett am weißen Ledergurt an der linken Hüfte. Sie trugen die Nummer 80 auf den Achselklappen. Die Unteroffiziere hatten weiße Querstreifen auf dem linken Oberarm, die Offiziere, deren ein großer Teil zu Pferde war, trugen nur Säbel und Revolver. Auf das 80. Infanterieregiment folgte ein Zug, wie Pieter Maritz ihn noch nie gesehen hatte, so daß bei dessen Anblick ihm das Herz höher schlug. Schon von weitem war ein tiefes Klirren und erschütterndes Rollen und Dröhnen zu vernehmen. Die Artillerie kam heran. Je sechs Pferde zogen einen zweirädrigen Karren, die Protze, auf welcher Artilleristen saßen, und an diese Protze war das Geschütz gehängt. Der Anblick der dunklen glänzenden Kanonenrohre erregte in des Knaben Gemüt einen großen Sturm, denn er hatte noch keine Kanone erblickt. »O ihr armen Zulus,« dachte er, »wie wird es euch ergehen?« Geschütz auf Geschütz rollte mit unheimlicher Schwere dahin, und hinter den Geschützen gingen und ritten viele englische Krieger. Die Offiziere hatten schwarze Sammetaufschläge und Sammetkragen auf den Scharlachröcken, und diese Aufschläge und Kragen waren prachtvoll mit goldener Stickerei eingefaßt und besetzt. Sie trugen breite schwarze Bandeliere mit Patrontaschen, Säbel und Revolver, ihre weißen Helme hatten vergoldete Spitzen und Beschlag und wurden mit vergoldeten Schuppenketten unter dem Kinn befestigt. Sie ritten wunderschöne Pferde mit reichem Geschirr. Hinter den Geschützen zog eine Reihe schwarzer Wagen her, die mit Munition beladen waren. Dann folgte wieder ein Zug Infanterie, zwei Kompanien vom 80. Regiment. Hierauf kamen mehrere hundert Mounted Volunteers, berittene Buern aus Natal, sowie englische Unterthanen aus Natal, welche freiwillig am Kampfe teilnahmen. Sie trugen den weißen Korkhelm und kreuzweise gehängtes weißes Lederzeug mit Büchse und Patrontasche. Dann kam wieder ein langer Zug Infanterie, das 90. Regiment, und hieran schloß sich wieder englische Kavallerie. Endlich kam eine unendliche Reihe von Wagen, die von Buern und Kaffern gelenkt und von reitenden Buern und englischer Infanterie begleitet wurden. Mehr als zweihundert Wagen zählte der Zug, und es währte mehrere Stunden, bis er vorüber war. Ein jeder Wagen war mit zehn oder zwölf Ochsen bespannt und mit Kisten und Kasten, Paketen und Tonnen beladen. An die Zeltdächer waren die Nummern der Truppenabteilungen mit schwarzer Farbe geschrieben. Hier stand: ~Frontier Light Horse~, dort ~13th Regiment~, dort ~Royal Artillery~, und so war überall bezeichnet, welcher Truppe die mitgeschleppten Vorräte an Munition, Lebensmitteln, Uniformstücken und sonstigem Gepäck gehörten. Pieter Maritz sah im Geiste noch den Marsch der Zulutruppen vor sich, und so erschien ihm das kleine englische Heer, welches kaum dreitausend Mann stark war, ganz fremdartig. Wie schwer, breitschulterig, wuchtig und stampfend waren diese Soldaten der Königin von England im Vergleich mit den langen schmalen leichten Zulus, die gleichsam über den Boden hinschwebten. Und welch ein Gepäck! Welche Masse von Fleisch, welche Tonnen voll Branntwein! Welche Menge von Uniformstücken, von Mänteln und Stiefeln! Die Zulus aßen im Manöver nur einmal in vierundzwanzig Stunden oder auch wohl gar nicht und schnürten dafür ihren Gürtel etwas fester. Für jeden Wagen der Engländer ein behender nackter Träger mit einem Korbe auf dem Kopfe, und zehntausend Zulus waren für mehrere Tage mit Kafferkorn versehen. Ihr Getränk aber lieferten die Bäche und Flüsse. Pieter Maritz hatte dem langen Zuge fast atemlos in höchster Spannung zugeschaut, denn das kriegerische Schauspiel nahm seine Sinne ganz gefangen. Als aber der letzte Wagen im gewaltigen Staube der Straße verschwand, da seufzte er tief. Sollte er nun allein zurückbleiben und für immer im Gefängnis sitzen? Er besann sich darauf, daß er ja nichts mit dem Kriege der Engländer zu schaffen habe, gleichwohl hatte er ein Gefühl, als sei sein halbes Herz mit fortgenommen. Er hätte es natürlich gefunden, mitzureiten. Der Anblick der vielen Buern bei der Kolonne des Obersten Wood bewegte ihm das Gemüt. Zwar waren unter den Kämpfern keine von den Transvaalbuern, sondern nur unter den Wagenführern, wie ihm der alte Gefangenwärter erzählt hatte, aber die Buern aus Natal waren doch auch Landsleute, wenigstens von verwandtem Blute, wenn auch nicht freie Bürger. Tief betrübt und mit seltsam geteilter Empfindung saß Pieter Maritz auf seiner Matratze. Doch jetzt rasselte das Schlüsselbund. Der alte Gefangenwärter trat herein. »Du kommst los, Neffe,« sagte er. »Oberst Wood hat befohlen, daß du zum Oberbefehlshaber, General Lord Chelmsford, gebracht werden sollst. Eine Patrouille geht zum General nach Helpmakaar, um ihm zu melden, daß der Oberst nach Lüneburg abmarschiert ist; und diese Patrouille soll dich mitnehmen. Mach rasch, dein Pferd wird gesattelt, deine Büchse kannst du auch mitnehmen. Hier hast du noch ein gut Stuck Brot und Fleisch für den Weg.« Pieter Maritz sprang voll Entzücken auf. War er auch seines Schicksals nicht gewiß, so kam er doch wenigstens aus dem engen Gefängnis heraus. Kräftig schüttelte er dem Alten die Hand. »Ich danke auch, Oheim,« sagte er, »und ich wünsche Euch gute Gesundheit.« [Illustration] Achtzehntes Kapitel Die Schlacht von Isandula Mit großer Wonne sah Pieter Maritz sein Pferd gesattelt vor der Thür stehen und ergriff er die Büchse. Ein Unteroffizier von der englischen leichten Kavallerie mit vier Mann erschien, und diese Leute nahmen ihn in ihre Mitte. Einer von den Reitern trug eine Ledertasche umgehängt, in welcher sich wohl Briefe und Meldungen aus dem Hauptquartier des Obersten Wood für den Oberbefehlshaber und das Lager von Helpmakaar befinden mochten. »Das Gewehr wollen wir Ihnen doch lieber abnehmen, es möchte Ihnen bei dem warmen Wetter auf der Schulter drücken,« sagte der Unteroffizier zu Pieter Maritz, als er ihn in Empfang nahm. Er schien eine Neigung für Scherz zu haben, und sein rotes Gesicht hatte viele Runzeln um die Augen, welche aussahen, als kämen sie vom Lachen. Pieter Maritz gab die Büchse ab, und einer der Kavalleristen hing sie über die Schulter. Dann ging es fort nach Süden, auf der guten Straße, die von Utrecht in das britische Gebiet von Natal führte. Es war für Pieter Maritz ein vergnügter Ritt, denn obwohl er Arrestant war und sich einige Sorgen machte, sobald er sich überlegte, daß der Oberbefehlshaber ihn wohl auch wieder ausfragen und einstecken würde, so war es doch ein seliges Gefühl, aus dem Gefängnis entlassen zu sein und unter dem blauen Himmel dahinzureiten. Pieter Maritz dachte, daß es in der ganzen weiten Welt nichts Schöneres geben könnte, als das Gefühl, einen Sattel zwischen den Knieen zu haben. Einigemal überlegte er, daß er den englischen Kavalleristen schon einmal einen Streich gespielt habe, und daß es vielleicht nicht unmöglich sei, auch diesen Leuten, welche ihn jetzt bewachten, zu entwischen. Er guckte nach rechts und nach links und berechnete die Breite der Straßengräben und die Länge des Weges über die Grasflächen hin. Unter den englischen Pferden neben Jager war keines, das sich mit ihm messen konnte. Aber er gab den Gedanken an Flucht wieder auf, denn heute lagen die Verhältnisse anders als damals, wo er den Lord hinter sich her lockte. Zunächst hatte er seine Büchse nicht, und ohne Waffe wollte er nicht fort. Dann war rechts ein breiter schneller Fluß mit steilen Ufern, der Buffalo, und er würde schwerlich haben hinüberkommen können. Der Buffalo floß in starken Krümmungen, bald war er wohl eine Stunde weit entfernt, bald kam er der Straße näher, jedenfalls wäre er ein Hindernis auf der rechten Seite geworden, wo die Verfolger ihn vermutlich eingeholt hätten. Auf der linken Seite aber wäre er hinter der Kolonne des Obersten Wood hergeritten. Dort lagen Lüneburg und Potgieters Farm, und das Land ward von Reitern und schwarzen Irregulären durchstreift. Aber selbst wenn er durchschlüpfte, so sagte sich Pieter Maritz, würden die Engländer nach ihm suchen lassen, und er würde sich nirgends, auch nicht in seiner Gemeinde, blicken lassen dürfen. Er beschloß, ruhig seines Weges zu reiten und abzuwarten, was die Zukunft ihm bringen würde. Inzwischen knüpfte der Unteroffizier, dem die Zeit lang werden mochte, ein Gespräch mit ihm an und fragte ihn, warum er Arrest habe. Pieter Maritz erzählte, daß der Oberst Wood böse auf ihn geworden sei, weil er nichts über die Zulus habe erzählen wollen und von der Südafrikanischen Republik gesprochen habe. Der Unteroffizier lachte laut und bot ihm seine Rumflasche an, die Pieter Maritz jedoch zurückwies. Der Unteroffizier trank darauf selber und sagte: »Nun, junger Herr Buer, da sind Sie ja ganz im Rechte. Ganz Afrika müßte der Südafrikanischen Republik gehören, und die Königin müßte Herrn Krüger, den Buernpräsidenten, heiraten. Dann könnte Tschetschwajo auf der Hochzeit tanzen.« Über diesen Witz lachte der Unteroffizier selber, aber er lachte auch allein, denn Pieter Maritz war nicht geneigt, über die Südafrikanische Republik zu scherzen und machte sein ernstestes Gesicht. »Den Buern geht es zu gut, deshalb mucken sie auf,« sagte der Unteroffizier nun, da es ihn verdroß, daß Pieter Maritz nichts antwortete. »Da sollte ich einmal Gouverneur sein, nur vier Wochen lang -- dann sollte das Ding anders aussehen. Aber wartet nur, laßt uns erst den Niggerkönig eingefangen haben, dann geht's an die Buern. Tschetschwajo werden wir in einen eisernen Käfig sperren und nach England bringen, wo er zum Besten des Pensionsfonds der Armee für Sixpence Eintrittsgeld gezeigt wird. Nachher spielen wir der republikanischen Regierung in Pretoria ein Tänzchen auf.« Pieter Maritz ritt schweigend seines Weges und achtete nicht auf solche Reden, die ihn ärgern sollten. Er unterhielt sich mit Betrachtung des Weges, der sehr belebt war. Viele Wagen und Reiter und Fußgänger begegneten der Patrouille, einige wurden auch von ihr überholt. Fast alle Leute zogen nordwärts. Denn dieser Weg war der Grenze des Zululandes sehr nahe und führte durch das Gebiet, welches Tschetschwajo schon mehrmals als ihm gehörig beansprucht hatte. Die Einwohner fürchteten einen Einfall der raschen schwarzen Banden und suchten sich, soweit sie sich von ihren Besitzungen zu trennen vermochten, in dem rückwärts liegenden Gebiet in Sicherheit zu bringen. Am Abend wurde ein Übergang über den Buffalo erreicht, und hier lag eine Fähre, aber es war schon zu spät, um überzusetzen; etwa vier deutsche Meilen waren zurückgelegt worden, und so bestimmte der Unteroffizier, es sollte Halt gemacht werden. Die Patrouille übernachtete in einem der Häuser, welche nahe der Fährstelle lagen, und brach am andern Morgen wieder auf. Die Reiter führten ihre Pferde am Zügel auf das flache Schiff, welches außerdem noch eine Anzahl Schlachtochsen aufnehmen mußte, die für die Garnison von Helpmakaar bestimmt waren, und dann ging es hinüber auf das rechte Ufer. Immer nach Süden ging es darauf in flottem Gange weiter, mittags ward Fort Agnew erreicht und unter englischen Soldaten, der Besatzung des kleinen Forts, gegessen, und dann traf die Patrouille abends um sechs Uhr in Helpmakaar ein. Aber der Oberbefehlshaber, General Lord Chelmsford, war nicht dort. Nur eine kleine Besatzung war im Orte geblieben, die Kolonne des Obersten Glyn aber, welche dort gelagert hatte, war nach Nordwesten aufgebrochen, und Lord Chelmsford hatte sie begleitet. Dem Berichte der Garnison nach war die Kolonne bei Rorkes Drift über den Buffalo gegangen und mußte jetzt im Zululande sein. Der Kommandant von Helpmakaar befahl dem Unteroffizier, die Nacht im Orte zu verbringen und am andern Morgen früh mit der Patrouille und dem Arrestanten dem Oberbefehlshaber gemäß dem Befehl des Obersten Wood zu folgen. Pieter Maritz schlief neben seinem Pferde im Biwak bei dem Orte, inmitten von schwarzen Truppen und berittenen Freiwilligen aus der Buernschaft von Natal. Der folgende Tag, der 22. Januar, war hell und warm, und als die Patrouille früh um fünf Uhr fortritt, war die Sonne schon drückend. Der Unteroffizier ließ Pieter Maritz seine Büchse wiedernehmen, da sie dem Kavalleristen, der sie bis jetzt getragen hatte, lästig war und da Pieter Maritz immerfort so gutwillig mitgeritten war, daß der Patrouillenführer nicht befürchtete, er würde einen Fluchtversuch machen. Nach zweistündigem Ritt erreichten sie den Buffalofluß und gingen durch die Furt, welche Rorkes Drift genannt wird. Am andern Ufer, auf der Zuluseite, sahen sie, zehn Minuten zu gehen vom Flusse, zwei große, niedrige Häuser, vor welchen mehrere Ochsenwagen standen. Ein englischer Arzt war im Gespräche mit einem Manne in schwarzer Kleidung neben den Wagen, und schwarze Leute luden unter Aufsicht von englischen Lazarettgehilfen die Wagen ab. Auch englische Soldaten, welche die Wache an der Furt haben mochten, waren zu sehen. Die Patrouille näherte sich den Häusern, und der Unteroffizier erkundigte sich nach der Kolonne des Obersten Glyn und nach dem Lord Chelmsford. Es hieß, die Kolonne sei nicht weit, sie habe etwa drei englische Meilen weiter nach Nordwesten ein Lager aufgeschlagen. Der Unteroffizier ließ absteigen, und es wurde ein Frühstück eingenommen, wozu sich hier gute Gelegenheit bot. Hier war ein Kommissariat und ein Lazarett, so daß sie viele Vorräte aller Art fanden. Pieter Maritz hörte, daß der Herr in schwarzer Kleidung der Reverend Witt sei, Vorstand der Missionsstation Oscarsburg. Die Hütten seiner Gemeinde lagen auf der andern Seite des Flusses, auf der Natalseite, hier lagen seine Kirche und sein Wohnhaus; beide Gebäude waren von den Militärbehörden zu kriegerischen Zwecken hergerichtet. Während Pieter nun ruhig neben seinem Pferde stand, ein Stück Pastete aß und sich über die vorsichtige Verpflegungsart der Engländer freute, welche eingemachte Pasteten in Blechbüchsen mit in den Krieg nahmen, blieb ihm mit einem Male der Bissen im Halse stecken vor Überraschung. Er sah in der Ferne zwischen zwei Kaktusbüschen einen schwarzen Kopf mit einem Haarbusch auftauchen, der ihm bekannt vorkam. Das Ufer war gebirgig, zerklüftet, voller Felsen und Felsschluchten. Leicht konnten findige Späher sich hier verstecken und unbemerkt heranschleichen. Der schwarze Kopf mit dem Haarbusch war gleich darauf wieder verschwunden, aber Pieter Maritz hätte darauf schwören wollen, daß es ein Haarbusch von einem der Regimenter des Prinzen Dabulamanzi gewesen sei. Der Busch war hoch und schwarz, mit einem weißen Stirnbande umwunden, er mußte dem Regiment der schwarzen Schilde angehören. Pieter Maritz aß sein Frühstück schnell auf und sah nach den Gurten seines Pferdes. Er sattelte nach, prüfte Jagers Hufe und untersuchte seine Büchse. »Es wird gut sein, sich ordentlich umzuschauen,« sagte er zu dem Unteroffizier. »Die Zulus sind flink auf den Beinen, und wir sind jetzt auf ihrem Boden.« »Haha!« lachte der Unteroffizier. »Na,« sagte er dann, »ich bin noch da. Nur nicht ängstlich!« Die Patrouille saß wieder auf, und die sechs Reiter setzten ihren Weg in der ihnen auf der Station bezeichneten Richtung fort. Sie ritten gemütlich in einem Haufen, und die Engländer unterhielten sich, während sie Cigarren rauchten, welche ihnen der Militärarzt gegeben hatte. Nur Pieter Maritz hatte die Augen offen. Sorgfältig durchspähte er jeden Schlupfwinkel, den das unebene, hügelige Land bot, und das Herz klopfte ihm an die Rippen. Er war voll Spannung, denn er sagte sich, es sei sehr möglich, daß Zulutruppen in der Nähe seien. Etwa eine Viertelstunde waren sie in langsamem Schritt geritten, da zog Pieter Maritz unwillkürlich die Zügel an. Er hatte drei Gestalten in der Ferne auftauchen sehen. Sie waren einen Gang hinabgelaufen und schnell verschwunden, aber deutlich hatte Pieter Maritz rote Federn auf den Köpfen und rote Schilde gesehen: es waren Krieger aus einem zweiten Regimente Dabulamanzis. »Was haben Sie?« fragte der Unteroffizier, als Pieter Maritz sein Pferd anhielt. »Mynheer, ich sehe Zulus in unserer linken Flanke,« entgegnete er. »Zulus?« fragte der Unteroffizier. »Sie sehen wohl Gespenster. Ich sehe nichts. Die Zulus werden sich hüten, hier herumzulaufen. Aber Sie fangen wohl an, das Kanonenfieber zu bekommen.« Pieter Maritz antwortete nicht, obwohl er sich ärgerte, und ritt weiter. Wieder war eine Viertelstunde verflossen, da entdeckten seine durch die Jagd geübten und des afrikanischen Landes kundigen Augen eine neue Spur der nahen Gefahr. Aus dem Grase, welches ein kleines Thal zur linken Hand mit grünem Teppich überkleidete, sahen mehrere dunkle Punkte empor, und Pieter Maritz erkannte die eigentümliche Form dieser Punkte. Es waren die Mützen, welche vom Regiment des Königs getragen wurden. Dies war nun schon das dritte Regiment, welches zur Armee Dabulamanzis gehörte, und Pieter Maritz war von jetzt an überzeugt, daß eine große Zulumacht in der Nähe sei. Doch sagte er nichts mehr, um nicht von neuem verhöhnt zu werden. »Gefunden!« rief jetzt der Unteroffizier. Er zeigte nach rechts hin, wo sich in einiger Entfernung eine Menge von hellen Flecken sehen ließen. Die weißen, spitzen Leinwandzelte der englischen Truppen hoben sich von der grünen Fläche eines Thales ab und zeigten den Lagerplatz an. Ein sehr hoher, einzelner, felsenartiger Berg stieg dunkel unweit des englischen Lagers empor. Sein Hang war auf der einen Seite jählings abfallend, und seine schroffe Gestalt mußte ihn auf viele Meilen in der Runde kenntlich machen. Es sah von dem Punkte aus, wo die Patrouille war, ganz so aus, als befinde sich das englische Lager am Fuße dieses Berges, als sie aber nun die bisherige Richtung verließ und nach rechts, nach Osten hin ritt, trennte sich nach und nach der Lagerplatz mit den Zelten von dem Berge ab, und es ward ersichtlich, daß der Berg wohl eine halbe deutsche Meile weit nördlich vom Lager seine hohe Spitze emporstreckte. Das Land war hügelig, und die Engländer hatten an der tiefsten Stelle ihre Zelte aufgeschlagen, doch nicht etwa in einem engen Thalkessel, sondern inmitten einer Menge von sanften Höhen, welche wohl zu übersehen waren. Das Land glich einer Ebene, in welcher sich viele Bergwellen erhoben. Beim Näherkommen erkannte Pieter Maritz neben den Zeltreihen auch Wagenreihen. Es mochten mehr als hundert Wagen sein, welche in langen Linien aufgestellt waren, während die Zugochsen dicht daneben angebunden waren. Viele kleine Feuer brannten, und die Truppen schienen zu kochen. Der Unteroffizier sah nach seiner Uhr, als die Patrouille das Lager erreichte, und sagte: »Es ist um acht. Wer schon gefrühstückt hat, kann nun annehmen, er käme zum Mittagessen.« Dann ritt er auf eine Gruppe von Offizieren zu, welche inmitten des Lagers zusammenstanden, und machte seine Meldung. Pieter Maritz sah sich indessen um. Er bemerkte englische Truppen, Buerntruppen und außerdem viele Schwarze. Diese waren zum Teil Zulus, wie er an der dunklen Hautfarbe und der Haartracht sah. Sie mußten wohl zu den Zulus von Natal gehören, welche unter englischer Herrschaft standen. Sie waren nackt, aber mit Gewehren und Patronengürteln ausgestattet. Die andern Afrikaner waren Basutos, kaffeebraun, und trugen lange Reitstiefel und Blusen mit kreuzweise gehängtem Lederzeug, dazu Hüte wie die Buern. Im ganzen waren nicht viel Truppen zur Stelle, Pieter Maritz schätzte sie auf etwa sechzehnhundert Mann, von denen die Hälfte Afrikaner waren. Mehrere hundert davon waren Reiter, und deren Pferde waren an Kampierleinen seitwärts von den Zelten angebunden. Auch zwei Geschütze sah Pieter Maritz und daneben zwei sonderbare Gestelle, welche ihm fremd waren. Er fragte einen der Leute von der Patrouille, was das für Dinger seien, und erfuhr, es seien Raketengeschütze, aus denen brennende Cylinder abgefeuert würden; in den Cylindern von Eisenblech sei Pulver und eine Kugel. Jetzt kam der Unteroffizier zurück und befahl Pieter Maritz, zum Kommandanten des Lagers, Oberstleutnant Pulleine, zu kommen. Pieter Maritz stieg vom Pferde, gab Jager einem der Kavalleristen zu halten und ging auf den Kreis der Offiziere zu. Neben zwei älteren Offizieren standen mehrere jüngere, in verschiedenen Uniformen, von der Kavallerie, Infanterie, der Artillerie und den Ingenieuren. »Sie sollten zum General geführt werden,« sagte Oberstleutnant Pulleine zu Pieter Maritz, als dieser vor ihn trat und seinen Hut abnahm, »aber der General ist nicht hier. Sie sind wegen aufrührerischen Benehmens verhaftet worden, wie mir der Patrouillenführer meldet.« »Ich weiß nicht genau, was aufrührerisches Benehmen ist,« entgegnete Pieter Maritz, »aber ich glaube nicht, etwas gethan zu haben, was Strafe verdient.« Die Offiziere sahen des Knaben offenes, freundliches Gesicht mit Wohlwollen an und mochten wohl denken, daß die Meldung schlimmer laute, als der Gegenstand der Meldung es verdiene. Sie konnten sich, nach ihrer lächelnden Miene zu urteilen, nicht recht denken, daß dieser junge Mensch mit den unschuldigen frommen Augen ein Aufrührer sein sollte. »Über Ihre Schuld oder Unschuld wird der General entscheiden,« sagte Oberstleutnant Pulleine, »aber der Unteroffizier meldete mir auch, daß Sie lange in Ulundi bei Tschetschwajo gelebt hätten. Sagen Sie uns doch, was Sie von der Zuluarmee wissen. Haben die Zulus sämtlich Gewehre? Sind es gute Gewehre? Hinterlader? Gewehre, die in gutem, brauchbarem Zustande sind?« »Über die Zulus kann ich Ihnen nur das sagen, Herr Oberstleutnant,« erwiderte Pieter Maritz, »daß sie sehr schnell marschieren und daß sie hier ganz in der Nähe sind.« Unter den Offizieren machte sich eine Bewegung bemerklich. »Woher wissen Sie das, daß sie in der Nähe sind?« fragte der Kommandant mit strengem Tone. »Ich habe dort im Westen, als wir hierher ritten, dreimal Späher von der Zuluarmee gesehen, und zwar von drei verschiedenen Regimentern der Armee Dabulamanzis.« »Wer ist Dabulamanzi?« »Es ist der Bruder des Königs, und er befehligt die besten Truppen, sämtlich mit Hinterladern bewaffnet.« »Pah!« sagte der Kommandant. »Unsere Vedetten haben nichts gemeldet und müßten doch die Zulus gesehen haben, wenn diese in der Nähe wären.« Damit wandte er sich zu dem andern älteren Offizier, zeigte nach einigen rotröckigen Reitern, die in der Ferne hielten, und besprach sich mit ihm. »Haben Sie wirklich Zulus gesehen?« fragte er den Knaben. »Ganz gewiß.« »Nun, lieber Durnford,« sagte Oberstleutnant Pulleine zu dem Kameraden neben ihm, den seine Uniform ebenfalls als einen Offizier vom Range eines Oberstleutnants kenntlich machte, »Sie könnten ja der Sicherheit wegen einmal nach der Seite hin vorgehen, wo der junge Buer die Niggers gesehen haben will. Und wenn wirklich dort welche umherlaufen, bringen Sie ein paar von ihnen mit, daß wir sie ausfragen können. Ich kann mir freilich kaum denken, daß Zulus dort sein sollten. Ist doch Lord Chelmsford selbst mit Oberst Glyn voraus und hat er doch das ganze Land absuchen lassen! Ist doch Lonsdale mit seinen Swaziniggern, der das Land hier wie seine Tasche kennen muß, vorausgezogen. Es wäre ein schlechter Spaß, wenn uns die Zulus hier überfielen, während der größere Teil unserer Macht Stunden weit weg ist. Aber ich denke nicht, daß mehr als ein paar vereinzelte Kerls sich dort umhertreiben. Nun, damit wir nichts versäumen, reiten Sie einmal aus!« Oberstleutnant Durnford ließ den Trompeter blasen, und die Basutos gingen an ihre Pferde. Der Oberstleutnant selber stieg zu Pferde und zog dann mit seiner schwarzen Schar, zweihundertfünfzig Reitern, nach Westen. »Also die Zulus marschieren sehr schnell?« fragte Oberstleutnant Pulleine dann wieder. »Sehr schnell,« sagte Pieter Maritz, und dann setzte er zögernd hinzu: »Sie werden mich vielleicht unbescheiden nennen, Herr Oberstleutnant, aber ich muß sagen, daß ich mich über Ihr Lager wundere.« »Wie so?« fragte der Kommandant. »Wenn wir Buern im Kriege mit den Kaffern sind, lagern wir anders,« sagte Pieter Maritz. »Wie denn?« fragte der Kommandant, während die andern Offiziere, belustigt durch die Dreistigkeit des Knaben, näher traten. »Wir bilden einen Kreis von den Wagen,« sagte Pieter Maritz, »und schieben die Deichsel des einen Wagens zwischen die Räder des andern, so daß sie dicht hintereinander stehen. Dann stopfen wir alle Lücken mit Dornengestrüpp zu und bringen die Zugochsen in die Mitte des Lagers. Kommen die Kaffern, so stehen wir wie in einer Festung und schießen von den Wagen aus. Die Frauen und Knaben aber haben Äxte in der Hand und schlagen die einzelnen Kaffern tot, welche etwa unter den Wagen durchkriechen. Euch aber können die Wagen nichts nützen, denn sie stehen seitwärts.« Die Offiziere lachten. »Die Buernmanier ist nicht schlecht,« sagte Oberstleutnant Pulleine, »aber englische Soldaten haben es nicht nötig, sich hinter Wagen zu verkriechen. Wir gehen dem Feinde entgegen.« »Herr Oberstleutnant,« sagte Pieter Maritz treuherzig, »wenn Sie noch Zeit dazu haben, so lassen Sie doch ja Ihre Wagen so zusammenfahren, wie ich Ihnen beschrieben habe. Die Gegend ist nicht sicher, und Dabulamanzi greift heftig an.« Die Offiziere lachten wieder, und Pieter Maritz ward rot vor Scham. Er ging zur Seite, näherte sich seinem Pferde und blickte dorthin, wo er die Zulus gesehen hatte. Es war dort alles ruhig, kein Kopfputz war zu entdecken, nur die Truppe des Oberstleutnants Durnford breitete sich aus, und die Reiter bildeten eine lange Kette kleiner Figuren in der Ferne. Aber jetzt mit einem Male tönte ein schwacher Knall, und gleich darauf waren noch mehrere Schüsse von weitem zu hören. Die Basutos mußten auf den Feind gestoßen sein. Nun kam ein Reiter von drüben in vollem Galopp zurück nach dem Lager. Es war ein englischer Unteroffizier, wie bald zu erkennen war. Er jagte eiligst heran, ritt auf den Kommandanten zu und meldete, Oberstleutnant Durnford habe feindliche Truppen bemerkt und bäte, daß zwei Kompanien des 24. Regiments nachrückten, mit denen er die Zulus vertreiben wolle. Oberstleutnant Pulleine erwiderte dem Unteroffizier, er möge zurückmelden, die zwei erbetenen Kompanien könnten nicht kommen. Er, der Kommandant, habe Befehl, das Lager zu halten, und dürfe die Infanterie nicht daraus entfernen. Der Unteroffizier ritt davon, aber während er noch unterwegs war, um zu Durnfords Reitern zurückzukehren, war deutlich zu erkennen, daß die Basutos wichen. Sie feuerten ihre Gewehre vom Pferde herunter ab und gingen Schritt vor Schritt zurück. Doch war noch nichts vom Feinde zu sehen. Die Soldaten im Lager saßen währenddessen noch ruhig um ihre Feuer herum und verzehrten ihr Essen. Sie hatten blecherne Feldkessel mit Fleischbrühe, aßen dazu ihr Brot und tranken aus ihren Feldflaschen Rum. Manche machten sich auch in und bei den Zelten zu thun, putzten ihre Gewehre und ihr Lederzeug, gaben den Pferden zu trinken und waren in guter Ruhe. Nur Oberstleutnant Pulleine hatte sich jetzt, von seinem Adjutanten, seinem Hornisten und einigen jüngeren Offizieren begleitet, vor den Lagerplatz begeben, und blickte durch ein Fernrohr nach der Stelle, wo die Schüsse knallten. Währenddessen ließ Pieter Maritz seine hellen Augen ringsum schweifen und es war ihm plötzlich so, als erblicke er schwarze Punkte auf einer andern Stelle, im Norden des Lagers. Er konnte sich nicht getäuscht haben: es tauchten Zulus dort hinter den Hügeln auf. Gleich nachdem der Knabe sie gesehen hatte, mußten auch die Vedetten auf jener Seite sie gesehen haben, denn ein Schuß fiel dort, und ein Reiter jagte zum Lager zurück. Nun aber erschienen auch im Westen, den Basutos gegenüber, Zulukrieger. Eine lange dünne Schützenkette ließ sich sehen und trieb die braunen Reiter zurück. Oberstleutnant Pulleine wandte sich um und ließ Alarm blasen. Die Soldaten setzten ihre Kessel nieder, steckten ihr Brot in die Tasche, sprangen auf und liefen an die Gewehre, die Reiter gingen zu ihren Pferden, die Artilleristen zu ihren Geschützen. Pieter Maritz schwang sich in den Sattel und hielt sich bereit, zu thun, was der Verlauf der Ereignisse ihm vorschreiben würde. Mit der höchsten Spannung verfolgte er die Erscheinung der Zulus und das Verfahren der Engländer. Vom 24. Infanterieregiment waren das 1. Bataillon und zwei Kompanien vom 2. Bataillon im Lager. Diese formierte Oberstleutnant Pulleine zu einer Kolonne nordwestlich vom Lagerplatz und sandte einen Zug Schützen vor, um die Zulus zurückzutreiben. Aber der Zulus gegenüber wurden immer mehr, und sie kamen immer näher. Es war, als wüchsen sie aus dem Boden hervor. Jetzt kamen sie auch aus Osten, und nun umgab eine ganze Wolke von schwarzen Schützen das Lager im Halbkreise. Die Vedetten waren zurückgetrieben, jetzt kehrte Oberstleutnant Durnford in Eile zurück. Schon pfiffen einzelne Kugeln über das Lager hin, obwohl die Zulus noch fern waren. Niemand achtete mehr auf Pieter Maritz, aller Augen waren nach dem Feinde gerichtet, und eine eigentümliche Spannung beherrschte das Lager. Pieter Maritz hatte die Büchse vor sich auf dem Sattel, und es zog ihn vorwärts. Sein Instinkt zum Kampfe trieb ihn, vorzureiten und mit den englischen Schützen zusammen auf die Zulus zu schießen. Aber ein anderes Gefühl hielt ihn zurück. Hatten die Zulus das um ihn verdient, daß er sich ihren Feinden anschloß? Wohl war er ein Weißer, und gegenüber waren Schwarze, aber sollte er, den die Engländer als Gefangenen behandelten, auf die Truppen König Tschetschwajos schießen, der ihn bewirtet und beschenkt und mit seinem eigenen Fingerringe ausgezeichnet hatte? Er warf die Büchse wieder auf den Rücken. Unser Feind ist England, hatte ihm sein sterbender Vater gesagt. Er wollte sich nicht in den Kampf mischen, sondern der Schnelligkeit seines Pferdes vertrauen, um der Gefangenschaft und dem Tode zu entrinnen. Aber obwohl er jetzt die Gelegenheit hätte benutzen können, um davonzureiten, bannte ihn doch die Begierde zu sehen an die Stelle. Er war ganz Auge, er konnte sich von dem Schauspiel, das sich jetzt bot, nicht losreißen, so gefährlich es auch war, noch länger in dem von drei Seiten bedrohten Lager zu bleiben, und so klar er auch einsah, was die andern alle nicht wußten, daß ein großes Heer unter Dabulamanzi zum Angriff heranrücke. Aber bald wurde dies auch den Engländern klar, und lautlose erwartungsvolle Stille lastete auf dem ganzen Lager. Denn nun erschienen hinter den zerstreut kämpfenden Schützenschwärmen der Zulus lange schwarze Reihen auf den gegenüberliegenden Höhen. Es war ein drohender Anblick. Soweit sich der Halbkreis der Schützen erstreckt hatte, so weit stand es jetzt gleich einer dunkeln Mauer von geschlossenen Abteilungen. Nur war die Mauer in Bewegung. Regiment neben Regiment stieg die Höhen herab nach dem Lager zu, und schon konnten die verschiedenen Farben erkannt werden. Pieter Maritz sah in der Mitte der Angriffslinie das Regiment des Königs und unterschied die roten, die weißen und die schwarzen Schilde in der langen Schlachtlinie. Jetzt erkannte er auch den Prinzen Dabulamanzi selbst, der zu Pferde durch die Reihen jagte. Ein Sonnenstrahl ließ den Goldreif auf seinem Kopfe leuchten. Als nun die englischen Truppen sahen, wer ihnen gegenüberstand, und als es keinem in der kleinen Schaar mehr verborgen bleiben konnte, welche Übermacht herankam und in welcher kriegerischen Ordnung die Zulus vorrückten, da ging es wie Todesahnung durch die Reihen. Viele Gesichter wurden bleich, die Freunde und Kameraden sahen einander an, aber nur noch enger schlossen sich die Kämpfer aneinander, und grimmige Entschlossenheit sprach aus der Haltung wie aus den Mienen der Europäer. Aber auch die schwarzen Truppen zeigten sich wacker. Wenn auch einige der Zulus im Lager voll Schrecken den Rücken wandten und davonliefen, so ließ sich doch die Hauptmasse von den englischen Offizieren in Reihe und Glied stellen, und die berittenen Basutos schwärmten umher und schossen auf die vordringenden Schützen der feindlichen Armee. Die Zuluregimenter waren jetzt so nahe gekommen, daß die Geschütze wirksam auf sie schießen konnten, und nun feuerten die englischen Artilleristen, so rasch sie konnten, Shrapnels und Raketen. Der Donner der Kanonen war für Pieter Maritz etwas Neues, und er sah gespannt auf die Wirkung dieser Schüsse. Der erste Shrapnel zersprang über dem Regiment des Königs, wie ein leichtes weißes Wölkchen über der dichten schwarzen Masse anzeigte. Der zweite schlug in das vorderste Glied desselben Regiments ein und riß eine Lücke durch die ganze Tiefe hindurch. Aber der Vormarsch der Zulus stockte keinen Augenblick, die Lücke schloß sich wieder. Shrapnels wie Raketen, die nun Schlag auf Schlag in die völlig frei herankommenden Massen fuhren, waren nicht imstande, deren Ordnung zu stören, und wenn auch zahlreiche schwarze Flecke hinter den vordringenden Linien erschienen, die Leiber der Toten und Verwundeten, so trat doch keine Stockung im Angriff ein. Mit Bewunderung sah Pieter Maritz die Ausführung dieses Angriffs an. Er hatte unwillkürlich sein Pferd vorgehen lassen und hielt dicht hinter dem Oberstleutnant Pulleine, der nebst mehreren andern Offizieren zu Pferde neben der Artillerie hielt. Auch die Engländer waren voll Verwunderung über die Ordnung beim Feinde und sprachen sich, obwohl sie ihren nahen Tod vor Augen sahen, wie Kenner bei einem gleichgültigen Anblick aus. Hinter den langen Linien der geschlossenen Regimenter, welche sich anfänglich gezeigt hatten und nun im Feuer der Artillerie und der Infanterie herankamen, zeigte sich jetzt eine andere dunkle Masse, welche der vorderen Linie als Unterstützung zu dienen schien. Sie hielt sich einen Büchsenschuß weit hinter der vorderen Linie in sehr tiefer massenhafter Aufstellung und mochte eine Abteilung von fünftausend Mann sein, während wohl fünfzehntausend Mann vorn in lang entfalteter Linie waren. Diese führten nun in größter Ordnung das Manöver aus, von welchem Pieter Maritz hatte berichten hören. Das Regiment des Königs, welches in der Mitte war, marschierte im Schritt gerade auf die englische Artillerie los, die beiden Flügel aber waren im Lauf, und so krümmte sich der Bogen der schwarzen Armee immer mehr, um das englische Lager zu umfassen. Da die Zuluregimenter ganz ohne Deckung von den Höhen herab in das Thal liefen und dicht geschlossen, acht Reihen hintereinander, formiert waren, hatten sie sehr starke Verluste. Nicht allein traf jeder Shrapnel und riß die Leute haufenweise nieder, sondern auch die englische Infanterie richtete große Verheerungen unter dem Feinde an. Sie stand in Linie, so daß jedes Gewehr feuern konnte, und die Leute schossen in kaltem Ingrimm ausgezeichnet, so daß die Reihen der Angreifer immer wieder sich erneuern und zusammenschließen mußten. Die vorgehaltenen Schilde nützten nichts, die Kugeln der Gewehre schlugen hindurch, und unzählige Zulus stürzten nieder. Doch auch das kleine Heer der Engländer hatte Verluste. Nachdem schon mehrere Leute von den Kugeln der feindlichen Schützen getroffen worden waren, fingen auch die Salven der geschlossenen Regimenter zu wirken an. Denn die Zulus feuerten stark und heftig während ihres Vormarsches. Die Indunas ließen die Regimenter halten, die vorderen Glieder feuern und dann die ganze Masse weiterstürmen. Die Kugeln flogen dicht, und mehr als eine war schon nahe an Pieter Maritz' Ohren vorbeigepfiffen. Doch war das Feuer der Zulus an Wirksamkeit nicht mit dem der Engländer zu vergleichen, und das Blut der Weißen zeigte seine Überlegenheit im Gefecht sehr deutlich. Pieter Maritz glaubte es dem Feinde anzusehen, daß er sich sehnte, mit Schießen aufhören und zur Nationalwaffe, zum Assagai, greifen zu können. Mehr als einmal zuckten seine Hände nach der Büchse, aber das Gefühl, daß er weder die Pflicht noch das Recht habe, am Kampfe teilzunehmen, hielt ihn zurück. Der nahe Feind, dessen donnernder Schlachtgesang nun beinahe das Knattern des Gewehrfeuers und selbst den Donner der Geschütze übertönte, übte indessen jetzt durch seinen Anblick einen starken Druck auf die schwarzen Truppen unter dem englischen Heere aus. Die Basutos hatten sich zerstreut und waren nicht mehr zu erblicken, die Zulus konnten kaum durch Säbelhiebe und Revolverschüsse der englischen Offiziere und Unteroffiziere zusammengehalten werden, und ein Teil von ihnen war in voller Flucht nach der einzigen Seite hin, welche noch offen war. Pieter Maritz sagte sich, daß auch für ihn die Zeit gekommen sei, wo er an seine Rettung denken müsse. Bald mußten die Zulus das Lager völlig umklammert haben, und dann war er mit den anderen verloren. Der Augenblick war nicht mehr ferne, wo die Zulus anfangen würden, ihre Assagaien zu werfen, und wenn sie erst so nahe heran wären, sagte er sich, dann würde es zu spät sein, noch zu fliehen. Indem Pieter Maritz so überlegte und doch halb und halb Lust hatte, mit den Europäern zu kämpfen und zu fallen, weil der Pulverdampf und das Getöse des Kampfes seine Sinne mit der Trunkenheit der Kampflust zu umnebeln anfingen, sah er neben sich eine Scene, die ihn entschied. Ein englischer Offizier, dessen Gesicht und Uniform ihm bekannt waren und den er sich erinnerte, bei La Trobe Lonsdales Truppe gesehen zu haben, hatte auf einem der Wagen gelegen, weil er verwundet war. Sein linker Arm war verbunden. Beim Beginn des Kampfes war er vom Wagen gestiegen, hatte das Gewehr eines erschossenen Infanteristen ergriffen, sein Pferd am Zügel genommen, und, das Pferd an seiner Seite, auf den Feind geschossen. Jetzt aber legte er das Gewehr nieder, bestieg sein Pferd und ritt eiligst davon. Als Pieter Maritz dies sah und zugleich erkannte, daß der einzige Rückzugsweg, welcher noch offen war, mit jedem Augenblick schmaler wurde, wandte er Jager, drückte die Kniee an den Sattel und flog im schnellsten Galopp davon. Schrecklich dröhnte hinter ihm das Feuer vieler tausend Gewehre, das Krachen der Kanonen und das wilde Rufen der angreifenden Zulus. Pieter Maritz ritt einige Minuten und blickte sich dann um. Er befand sich auf einer Höhe, von wo aus er das Schlachtfeld übersehen konnte, und war dem Kampfe so nahe, daß er deutlich die einzelnen Personen unterschied. Unwiderstehlich zog der schreckliche Anblick ihn an, so daß er halten blieb und unverwandten starren Auges zusah, obwohl die Gefahr in so bedrohlicher Nähe war. Die Zulus waren jetzt auf hundert Schritte von der unbeweglichen Linie der englischen Infanterie angekommen und warfen zweimal ihre Assagaien. Dann ergriffen sie ihre Lieblingswaffe, den Stoßassagai und rannten mit dämonisch wildem Rufe, mit jenen entsetzlich gellenden Tönen, die Pieter Maritz von den Manövern her kannte, zum Handgemenge mit den Weißen vor. Die Engländer wichen keinen Schritt. Sicher, daß sie sterben mußten, wollten sie ihr Leben teuer verkaufen. Bis zur letzten Sekunde setzten sie ihr schnelles, sicheres Feuern fort, so daß die Zulus reihenweise stürzten, und dann hielten sie dem wilden schwarzen Feinde das Bajonett vor. Aber die Zulus waren durch nichts aufzuhalten. Wie die Teufel sprangen sie heran, ihre Federbüsche flatterten im Pulverrauch, die grellen Farben ihrer Haut und ihrer Waffenstücke schienen durch den Dampf hindurch, und ihre rauhen Kehlen stießen die unheimlichsten Töne aus. Sie waren in solcher Kampfeswut, daß sie die Gefallenen vom Boden in die Höhe rissen und als Schilde vor sich hertrugen, ja daß sie die Körper der eigenen getöteten und verwundeten Brüder aufhoben und in die Bajonette schleuderten, um sich einen Weg zu bahnen. Nun bildeten die schwarzen Leiber und die roten Röcke nur noch ein wirres Durcheinander, und furchtbar arbeitete der Stoßassagai. Mann für Mann fielen die Engländer auf der Stelle, wo sie standen, durchstochen nieder. Jetzt schlug der Offizier, der die Artillerie kommandierte, lange Nägel in die Zündlöcher der Kanonen, um sie unbrauchbar zu machen, und in der Sekunde, wo er das zweite Geschütz vernagelte, stieß ihm ein Induna, kenntlich am kostbaren Putz, den Speer durch die Brust. Jetzt fiel der Unteroffizier, der so viel gelacht hatte, durchbohrt zu Boden, jetzt sank Oberstleutnant Pulleine, samt seinem Pferde von vielen scharfen Spitzen getroffen, nun stürzte Oberstleutnant Durnford, wütend mit seinem Säbel um sich hauend, unter den Assagaien nieder. Jeder Mann fiel wie ein Held. Die Offiziere schossen mit ihren Revolvern, bis sie keinen Raum mehr zum Schießen hatten. Sie schwangen den Säbel in der Rechten, während sie mit der Linken feuerten, und ein jeder verkaufte sein Leben um den Preis mehrerer Feinde. Aber die Zulus sprangen mit weiten Sätzen gleich Panthern daher und scheuten keine Gefahr, keinen Schuß, keinen Hieb. Ihre nackten schwarzen Gestalten stürzten sich, den Tod verachtend, im Siegestaumel auf die weißen Männer, und ihre Speere verbreiteten überall den Tod. Die Pferde, selbst die Ochsen wurden erstochen, und nur den äußersten Anstrengungen der Indunas gelang es, einen Teil der Tiere als erwünschte Beute vor den tötenden Assagaien zu retten. Dabulamanzis finstere Erscheinung auf dem schwarzen Pferde mit der Tigerdecke war jetzt inmitten der Scharen, und seine ausgestreckte Hand lenkte die mordtrunkenen Haufen und scheuchte sie von der Beute zurück. Schaudernd sah Pieter Maritz die Verwüstung. Es war ein Greuel zu sehen. Gleich der Flut des empörten Flusses, den Gewitterregen geschwellt, ergossen sich die schwarzen Scharen mit ihrem Mark und Bein durchdringenden Siegesgeheul über die Stätte dahin, wo das kleine englische Heer gestanden hatte. Nun war kein roter Rock mehr zwischen den Schildern und schwarzen Leibern zu entdecken, das Ächzen, Stöhnen und Schreien der Verwundeten war verstummt, alle lagen danieder. Die Scharlachröcke und weißen Helme lagen am Boden, in einer Flut von Blut, und die nackten Füße der wilden schwarzen Krieger stampften über die Leichen dahin und traten alles, was lag, tote Körper von Menschen und Tieren, Waffen, Helme, Vorräte an Munition, Kochgeschirr, Speisen, den ganzen Inhalt des Lagers in eine wüste wirre Masse zusammen. Ja der furchtbare Andrang der stürmenden Regimenter stürzte viele Wagen um, und zerrissene Leinwanddächer, zertrümmerte Räder, umgeworfene und zerschlagene Kisten, Fässer und Ballen bedeckten im Verein mit zerfetzten Leichen die vordem grüne Erde. Pieter Maritz blickte immer noch mit weit geöffneten entsetzten Augen auf die schreckliche Scene, da bemerkte er, daß die Zulus, als sie nichts Lebendes mehr vor ihren Speeren fanden, sich zur Verfolgung der Flüchtigen wandten. Hunderte von schnellen Läufern kamen auf die Stelle zu, wo er hielt. Da wandte er das Pferd. »Heda, alter Freund,« rief er Jager zu, »jetzt zeige, was du kannst!« Er ließ dem Gaul die Zügel, neigte sich vor, und rasch wie ein Pfeil vom Bogen flog Jager davon. Pieter Maritz gedachte, nach Rorkes Drift zurückzureiten, und er hatte mit seinem Instinkt des jagdgewohnten Buern unter allen Schrecken der letzten halben Stunde immer die Lage der umliegenden Höhen in der Erinnerung behalten, um den Rückweg nicht zu verfehlen. Aber nun sah er, daß starke Abteilungen vom rechten Flügel des Zuluheeres abgebogen waren, in vollem Laufe in der Richtung auf Rorkes Drift waren und ihm schon den Weg dorthin abgeschnitten hatten. Er mußte es aufgeben, dorthin zu reiten, und geraden Wegs nach dem Buffalofluß eilen und auf gutes Glück vertrauen, um hindurchzukommen. Vor sich sah er Reiter und Fußgänger eben die Richtung verfolgen, welche er selbst zu nehmen gezwungen war. Er wußte nicht, wie lange sein Ritt dauerte, die Minuten dehnten sich zu Stunden, während er die gellenden Rufe der schnellen Verfolger hinter sich hörte. Doch überholte er viele Flüchtlinge, und wenn er über die Schulter zurückblickte, sah er die geschwungenen Assagaien, wie sie in die Brust der überholten und von Furcht gelähmten Fliehenden drangen. Der Todesschrei der Getroffenen folgte den Hufschlägen seines Pferdes. Jetzt zog das Gefilde sich bergan, das Land ward felsig und durchklüftet: er hatte das Ufer des Buffalo erreicht. Nun war er auf der Höhe in einem schmalen Paß und sah tief unter sich den Spiegel des Flusses. Er erschien dunkel, und nur einzelne weiße Streifen zogen sich hindurch, denn die hohen Felsen beschatteten das Wasser, und nur wo die Wellen an Klippen schäumten, zeigten sich helle Stellen. Der Weg führte steil hinab, und es war kein gebahnter Weg, sondern nur eine Senkung inmitten unzugänglicher Abhänge. Vor sich sah Pieter Maritz wohl an fünfzig schwarze Männer und einige wenige Reiter. Diese kletterten mühsam den steilen Weg hinab, da die Pferde nur mit Schwierigkeit gingen; die Fußgänger, in eine lange Reihe hintereinander verstreut, kamen besser fort. Einige schwammen schon unten im Wasser, ihre schwarzen Köpfe ragten aus der Flut. Auch den englischen Kavallerieoffizier sah Pieter Maritz. Er war mitten im Flusse, den Helm auf dem Kopfe, den Revolver am Kolbenringe mit den Zähnen haltend. Sein Pferd streckte den reich gezäumten Kopf aus den Fluten empor und arbeitete mühsam gegen den Strom. Pieter Maritz ritt langsam hinab und hielt Jagers Kopf hoch, um das Tier vor dem Straucheln zu bewahren. Schon sah er hinter sich, als er halbwegs hinunter war, die roten Schilde der Verfolger leuchten. Es ging nur Schritt für Schritt weiter und Pieter Maritz biß die Zähne zusammen. Jetzt kam ein Assagai von hinten geflogen, sauste dicht an Jagers Kopfe vorbei und schlug zerspringend an die Felswand an. Pieter Maritz sah sich um und nahm die Büchse zur Hand. Er erblickte mehrere Zulus vom roten Regiment in guter Schußweite. Doch er drohte ihnen nur mit der Büchse und rief ihnen in der Zulusprache zu: »Hütet euch!« Vielleicht erkannten sie ihn, denn sie hörten auf den Ruf und folgten nur langsam. Glücklich erreichte Pieter Maritz das Ufer. Es fiel jäh ab, so daß wohl zehn Fuß Höhe zu springen waren, aber hier galt kein Besinnen. War der englische Offizier durchgekommen, so konnte auch der Buernsohn hindurch. Er drückte Jager vor, gehorsam sprang das Tier, und einen Augenblick schlug das Wasser Roß und Reiter über dem Kopfe zusammen. Dann aber tauchten sie auf, und kraftvoll ruderte Jager durch die reißende breite Flut. Um ihn her, vor ihm und hinter ihm schwammen Flüchtlinge, und auch einzelne Verfolger warfen sich ins Wasser. [Illustration: Auf der Flucht von Isandula.] Aber Pieter Maritz kam durch, Jager ließ ihn nicht im Stiche. Jetzt war das jenseitige Ufer nahe, und es war flach, so daß das Pferd heraus konnte. Auch der englische Offizier war drüben gelandet. Pieter Maritz hörte einen Hilferuf neben sich und sah einen schwarzen Kopf, dem Versinken nahe. Er streckte seine Hand aus, die der Versinkende ergriff, und zog ihn glücklich mit sich. Gleich darauf setzte Jager einen Huf auf festen Boden. Triefend von Wasser, doch glücklich gerettet kam Pieter Maritz auf dem rechten Ufer des Buffalo an. [Illustration] [Illustration] Neunzehntes Kapitel In Pretoria Als Pieter Maritz sich in Sicherheit auf dem festen Boden der Natalseite sah, schickte er ein Dankgebet gen Himmel für seine Errettung, und dann lenkte er sein Pferd nach rechts, um am Buffalo aufwärts zu reiten. Seine Gedanken standen nach seiner Heimat, er wollte nach dem Lande Transvaal. Die heiße Sonne dieses Vormittags trocknete sehr bald seine Kleidung, während er in schlankem Trabe dahineilte. Er fand einen gebahnten Weg etwas abseits vom Ufer, der landeinwärts von der felsigen Einfassung des Flusses mit diesem in gleicher Richtung führte. Nach halbstündigem Ritte hörte er das entfernte Knattern von Gewehrfeuer und erreichte bald darauf die Hütten der Kaffern von Oscarsburg neben Rorkes Drift und sah hier den Missionar Witt, welcher von einem Hügel herabkam und ihn anhielt. »Um Gottes Willen, mein junger Freund,« sagte der Reverend, »sind Sie der schrecklichen Schlacht entronnen? Ich habe dem furchtbaren Kampfe von der Höhe jenes Berges zugesehen, und mein Herz blutet. Ich habe der weiten Entfernung wegen nur undeutlich sehen können, doch habe ich so viel gesehen, daß ich erstaunt bin, irgend jemand, der dort war, lebend zu erblicken.« Pieter Maritz erzählte in fliegenden Worten von dem Kampfe, und der tief bewegte und erschütterte Mann hörte mit thränenden Augen zu. »Ich war herübergekommen, um meine Gemeinde zu besuchen,« sagte er, »da hörte ich den Donner des Geschützes vom Isandulaberge her, jenem steilen Gipfel, unter dem Oberst Glyn lagerte. Da stieg ich auf jene Höhe und blickte durch mein Fernrohr. O hätte ich niemals einen solchen Anblick haben dürfen! Und nun sind die Zulus, wie ich bemerkt habe, auch über meine Kirche und mein Wohnhaus hergefallen. Hören Sie nur die Schüsse von drüben!« In der That hörte Pieter Maritz jetzt deutlich den Lärm eines scharfen Gefechtes aus der Richtung der Gebäude, wo er vor etwa zwei Stunden mit der Patrouille gefrühstückt hatte. Die Haufen, welche er vom rechten Flügel der Zulus hatte abbiegen und nach Rorkes Drift laufen sehen, kämpften augenscheinlich um den Besitz jener Gebäude. Der Missionar erzählte ihm, daß zwei Leutnants, Bromhead vom 24. Infanterieregiment und Chard von den Ingenieuren, mit einer Truppenabteilung drüben bei den Gebäuden seien und sie wahrscheinlich verteidigten. Pieter Maritz hielt sich nicht lange auf, sondern setzte seinen Weg fort. Er sehnte sich, so bald als möglich in die Heimat zu gelangen, und hoffte, nun keinen Aufenthalt mehr unterwegs zu finden. Auch die Engländer würden ihn, so hoffte er, nun nicht wieder gefangen nehmen, da er doch auf englischem Gebiete war und gewiß niemand sich mehr seiner Begegnung mit dem Obersten Wood erinnerte. Er nahm den ihm bekannten Weg nach Utrecht und ritt so scharf, wie er glaubte, es Jagers Kräften zutrauen zu können. Auf dem Wege begegnete er manchen Leuten und auch englischen Militärs, aber er war nun schon so weit vom Schauplatz des Kampfes entfernt, daß er niemand traf, der von der Niederlage gewußt hätte, und er war so klug, niemand davon zu erzählen. Denn er sagte sich, daß man ihn als Zuschauer eines so interessanten und schrecklichen Ereignisses nur aufhalten und vielleicht gar verhören würde. So ritt er den ganzen Tag eilig und schweigend. Er übernachtete in einer Farm bei einer gastfreien Buernfamilie, einige Meilen vor Utrecht, und hier erst erzählte er von der Schlacht bei Isandula. Der Buer wußte ihm großen Dank für eine so wichtige Neuigkeit und machte kein Hehl daraus, daß es ihm lieb sei, daß die Engländer eine Schlappe erlitten hätten, obwohl er nun besorgt ward, daß die Zulus sich über den Utrechter Distrikt ergießen könnten. Pieter Maritz schlief lange und fest, die Ereignisse des Tages hatten ihn sehr ermüdet, doch rüstig setzte er am folgenden Morgen seinen Ritt fort. Als er Utrecht erreichte, fand er die Stadt in großer Aufregung, die Nachricht von der Niederlage war von Helpmakaar aus schon dorthin gelangt. Doch setzte er seine Reise nach kurzem Aufenthalte fort und ließ sich nichts davon merken, daß er Augenzeuge gewesen war. Dann ritt er über Wesselstroom und Heidelberg und erreichte am vierten Tage Pretoria. Hier in der Hauptstadt gedachte er erfahren zu können, wo seine Gemeinde sich aufhalte, und dann wollte er diese aufsuchen. Er war immerfort auf der großen Straße geblieben, hatte viele kleinere und größere Ortschaften durchzogen und freute sich, er, der Buernsohn aus den dünn bevölkerten nördlichen Gegenden, über den Reichtum und die Größe seines Vaterlandes, dessen schönsten Teil er nun zum erstenmal sah. Es war gegen Abend, als er sich Pretoria näherte, und indem er über die Höhenzüge ritt, welche südlich das weite Thal umsäumen, sah er die weit ausgedehnte Stadt vor sich zu seinen Füßen liegen. Die hellen Häuser schimmerten weithin aus dunklem Grün hervor, sie lagen zum größten Teil zerstreut zwischen Gärten, und nur in der Mitte schlossen sie sich zu Straßen zusammen. Die niedrig stehende Sonne vergoldete viele hundert Fenster, so daß sie hell blinkten. Seitwärts der Stadt zogen sich regelmäßige Zeltreihen hin, und Pieter Maritz erkannte, daß hier ein englisches Lager war. Je näher er der Stadt kam, desto belebter ward die Straße. Viele schwarze Frauen begegneten ihm, die vom Markte kamen und zu ihren Dörfern zurückkehrten. Sie trugen kurze weiße Mäntel über eine Achsel geschlagen und um die Hüften gewunden, so daß Arme und Beine frei blieben, oder auch nur weiße oder bunte Lendengürtel, dazu Ketten von Glasperlen vielfach gewunden um den Hals und Ringe von Messingdraht um die Arme. Ihre Köpfe waren bis auf eine kleine Haarkrone rasiert, und darauf trugen sie Körbe oder Schalen, in welchen sie Früchte und Korn nach der Stadt gebracht haben mochten. Auch schwarze Männer waren zu sehen, doch mußte Pieter Maritz über viele von diesen lachen, weil sie possierlich aussahen. Die Stadt hatte verfeinernd auf sie gewirkt, sie gingen in Hemden, Beinkleidern und Blusen oder Röcken, hatten zerdrückte alte Hüte auf dem Kopfe, und zwischen ihren Wulstlippen steckten Cigarren. Mehrere trugen gewaltig große Krawatten aus roter oder gelber dünner Seide, und da all das europäische Zeug schlotterig, schlecht passend und alt war, sahen diese Kaffern, welche ihre nationale Sitte verlassen hatten, wie rechte Lumpen aus. Mehrere Buern, zu Fuß und zu Pferde, waren ebenfalls auf der Straße zu sehen, welche allein oder mit ihren Familien den schönen Abend genossen. Kurz bevor Pieter Maritz die ersten Häuser erreichte, ward er von einer kleinen Reiterschar überholt, welche im Trabe ritt. Es waren Buern, nach dem Schnitt ihres Anzugs zu schließen, doch waren sie unbewaffnet, und ihre Kleidung kam Pieter Maritz sehr fein und vornehm vor. Im Vorbeitraben warf der eine von ihnen, ein älterer Mann mit dunklem Vollbart, einen forschenden Blick auf Pieter Maritz, hielt dann sein Pferd an und fragte auf holländisch, wer er sei und woher er komme. Pieter Maritz merkte, daß er mit einem angesehenen Manne zu thun habe, er zog den Hut und sagte der Wahrheit gemäß seinen Namen und dann, daß er von Isandula komme. Dies Wort verursachte Erregung unter dem kleinen Trupp, die Reiter umringten ihn und sahen ihn voll Neugierde an. Auf ihr Befragen erzählte er von seinen Erlebnissen des letzten Jahres und daß er von einer Gemeinde der Treckbuern im Norden komme. Baas van der Goot sei der Älteste seiner Gemeinde, und er wolle sich nun in Pretoria erkundigen, wie er seine Gemeinde wiederfinden könne. Jetzt mischte sich ein zweiter der Reiter in das Gespräch, ein grimmig aussehender Mann mit funkelnden schwarzen Augen. »Baas van der Goot,« sagte er, »der ist mir bekannt. Ein echter Buer, ein frommer und respektabler Mann und ausgezeichneter Büchsenschütze. Ich sah ihn vor zwei Jahren zuletzt, als ich ein Kommando an unserer nördlichen Grenze führte. Er hatte damals seine Schußliste auf 2700 Kaffern gebracht, die er mit eigener Hand getötet hatte.« »Wer ist dieser Herr?« fragte Pieter Maritz beiseite einen dritten der Reiter. Dieser lächelte. »Es ist der Feldkorporal Joubert,« erwiderte er. Pieter Maritz sah nun den grimmigen Mann näher an. Das also war der gefürchtete Joubert, von dem er so oft die Männer seiner Gemeinde beim Lagerfeuer mit Bewunderung hatte reden hören. »Sind Sie etwa der Sohn von Andries oder von Klaas Buurman?« fragte ihn dieser. »Ich bin der Sohn von Andries,« antwortete Pieter Maritz. »Mein Vater fiel im Januar vorigen Jahres in einem Gefecht mit Betschuanen am Nylflusse.« »Also Andries tot!« sagte der Feldkorporal. »Der war auch ein wackerer Mann, und sein Tod ist ein harter Verlust für die Republik. Ich hoffe, sein Sohn füllt dereinst seine Stelle aus.« Er betrachtete bei diesen Worten mit Wohlgefallen die schlanke und kräftige Gestalt des jugendlichen Reiters. Der Trupp war unter diesem Gespräch mit hinein in die Stadt gekommen, und Pieter Maritz bemerkte, daß alle Leute auf der Straße, mit Ausnahme der englischen Soldaten, die ihnen von Zeit zu Zeit begegneten, mit großer Ehrfurcht grüßten. Die stämmigen trotzigen Buern am Wege zogen ihre breiten Hüte tief ab, und Pieter Maritz erkannte die hohe Stellung, welche seine Begleiter einnehmen mußten. Der Herr, welcher ihn zuerst angeredet hatte, ließ sich immer mehr von dem Kampfe der Engländer und vom Hofe Tschetschwajos erzählen, ward nicht müde, nach vielen Einzelheiten zu fragen, und tauschte mehrmals ein Lächeln oder ein kurzes Wort mit seinen Genossen aus. Die Geschichte von der Niederlage bei Isandula schien allen ein heimliches Vergnügen zu bereiten. »Dieser junge Mensch hat interessante Erlebnisse gehabt,« sagte er endlich, sein Pferd auf einem freien Platze vor einem schönen großen Hause anhaltend. »Ich hoffe, Sie wiederzusehen, Mynheer Buurman.« Pieter Maritz zog seinen Hut, da er merkte, daß er entlassen war, als ein anderer der Herren ihn anredete. »Sie haben gewiß noch viel zu erzählen,« sagte er, »und ich wünschte, daß meine Freunde Ihre interessante Geschichte noch heute hörten. Wollen Sie heute abend zu mir kommen? Ein kleiner Kreis von Freunden wird zum Abendessen bei mir sein.« Pieter Maritz errötete vor Vergnügen über die Ehre, welche ihm widerfuhr, aber er blickte unwillkürlich an sich hinunter. Er hatte das Gefühl, daß er unmöglich in seinem staubigen, fleckigen, buntscheckigen, ärmlichen Anzuge zu einem solchen Herrn gehen könne. »Sie sind sehr gütig, Mynheer,« sagt er offenherzig, »aber gewiß sind Sie ein vornehmer Herr und haben ein Haus, das für mich zu schön ist. Ich würde gern kommen, denn ich bin hungrig geworden, aber ich will lieber versuchen, bei einem armen Manne Unterkunft zu finden.« Die Herren lachten laut. »Dieser junge Mensch hat einen guten Instinkt,« sagte der erste der Reiter. »Scheint er doch mit feiner Nase den Schatzmeister gerochen zu haben. Gewiß fehlt es Ihnen auch an barem Gelde, mein Freund.« Er sprach so freundlich, daß Pieter Maritz sich nicht beleidigt fühlte, sondern offen sagte, daß er allerdings keinen Penny besäße und überhaupt noch kein Geld besessen hätte. »Sie sind gerade an die richtige Quelle gekommen,« sagte der bärtige Herr, immer mehr lachend. »Es ist Mynheer Swart, der Staatssekretär des Schatzes, der Sie zum Abendessen geladen hat. Sagen Sie ihm nur, daß er für Ihre Börse sorgt. Ich denke, die Republik ist diesem jungen Manne verpflichtet und kann ihm eine Entschädigung für seine im Kriegsdienst erlittene Not zahlen.« »Gewiß, das wird sie,« sagte der Schatzsekretär, indem er in die Brusttasche griff. »Sie wird auf der Stelle zahlen.« »Hier, mein junger Freund,« fuhr er fort, »hier überreiche ich Ihnen fünfzig Pfund Sterling. Kaufen Sie sich neue Kleider, und ich rechne darauf, Sie heute abend um acht Uhr bei mir zu sehen.« »Dieser junge Mensch weiß hier nicht Bescheid,« sagte der Feldkorporal, während Pieter Maritz dankend die Banknoten in die Tasche steckte. »Er wird auch kaum ein Quartier finden, denn die Stadt ist so voll wie ein Ei. Die Engländer liegen überall umher, eine Menge von Abenteurern und Spitzbuben, die immer im Gefolge der Engländer sind, füllen alle Gasthäuser an. Aber warten Sie, Sohn von Andries Buurman, ich werde Sie begleiten, und es müßte sonderbar zugehen, wenn ich nicht doch noch ein Kämmerchen für Sie auftriebe.« Die Gruppe der Reiter trennte sich, und Pieter Maritz ritt mit dem Feldkorporal allein weiter. Noch schien die Sonne und erleuchtete Pretoria. Es war dem Knaben, als wandle er in einem Traume. Seine Tasche, in welcher er sonst wohl ein Stück getrocknetes Fleisch oder ein Stück Bindfaden oder einen ledernen Riemen zu tragen pflegte, kam ihm so schwer und dick vor, als trüge er dort einen Berg von Gold. Die paar dünnen Papierfetzen, welche für ihn eine Summe Geldes von fabelhafter Größe bedeuteten, schienen ihm von gewaltigem Gewicht zu sein. Er ritt neben dem berühmten Joubert und durch eine Stadt, wie er sie so schön und groß noch nie gesehen hatte. Was war Utrecht dagegen? Nur ein Dorf. Die Straßen waren breit und lang, und stellenweise waren sie in einem für Pieter Maritz sehr merkwürdigen Zustande, indem sie nämlich mit Steinen gepflastert waren. Als er das Klappern der Hufe unter sich hörte, zerbrach er sich den Kopf darüber, warum die Leute wohl den Weg so hart gemacht hätten. Die Häuser waren schön und fest, zwar zumeist nicht höher als ein Stockwerk, aber aus Stein erbaut und mit hellen Glasfenstern. Mehrere Kirchen waren zu sehen, die außerordentlich prächtig im Vergleich mit denen von Botschabelo waren. Durch die etwas bergauf und bergab laufenden Straßen zogen sich kleine Bäche mit hellem Wasser, auf denen Enten und Gänse schwammen. Schöne Gärten lagen neben den Häusern, und manche kleine Gebäude hatten große Fenster, in welchen allerhand schöne Dinge ausgestellt waren: Waffen und Reitzeug, Pfeifen und Cigarrenspitzen, bunte Stoffe, Kleider und Stiefel und tausend andere nützliche und angenehme Sachen. An einem freien Platze, der mit Trauerweiden bepflanzt war, hielt der Feldkorporal sein Pferd vor einem großen, zweistöckigen Gebäude an. Es war ein Haus von besonderer Art, eine Veranda mit Leinendach sprang auf der einen Seite vor, und hier saßen viele Männer und Frauen an kleinen Tischen und tranken aus Gläsern und Tassen, die ihnen nicht nur von Schwarzen, sondern auch von eleganten jungen Herren mit weißen Westen und schwarzen, hinten spitz zulaufenden Röcken gebracht wurden. Englische Offiziere waren unter der Gesellschaft, manche fremdartige Gestalten und Anzüge, und die Frauen waren von einer für Pieter Maritz neuen Art: sie trugen leichte, wunderbar schöne Kleider und nicht etwa weiße Mützen wie die Bauernfrauen im Norden, sondern seltsame Deckel mit Federn, Blumen oder ausgestopften Vögeln auf dem Kopfe. Eine große Inschrift in goldenen Buchstaben und in einer für Pieter Maritz fremden Sprache stand an dem Hause: ~Café de l'Europe~. Der Feldkorporal winkte einen jener eleganten jungen Herren heran, die, wie Pieter Maritz nun zu seinem Erstaunen bemerkte, Diener waren, und fragte, ob noch ein Zimmer frei sei. Der junge Mann zuckte die Schultern, verbeugte sich, drehte den Kopf und sagte endlich, es sei kein einziges Zimmer frei. »Zum Henker!« rief der Feldkorporal mit rauhem Tone, »es muß eins frei sein! Schaffen Sie Platz für meinen jungen Freund hier. Ich erwarte bestimmt, daß Sie ihm ein Zimmer schaffen.« Der Kellner verbeugte sich sehr demütig von neuem und sagte, er wolle zusehen, ob es möglich sei; er hoffe, den General zufrieden stellen zu können. »Nun,« sagte Herr Joubert, »Sie werden es einrichten, ich verlasse mich darauf. Auf Wiedersehen, Pieter Maritz!« Er ritt davon, und Pieter Maritz stieg ab. Der Kellner rief einen Knecht herbei und trug diesem auf, das Pferd in den Stall zu führen, während er den Buernsohn bat, ihm in das Haus zu folgen. Aber Pieter Maritz nahm Jager am Zügel und sagte, er pflege das Pferd selbst abzusatteln. In Wahrheit traute er dem schönen Hause nicht recht. Es ging hier so ganz anders zu, als er es kannte, daß er nicht gewiß war, ob hier die Pferde auch wohl einen richtigen Stall und richtigen Hafer bekämen. So sorgte er denn selbst für Jager. Außerordentlich schön kam ihm seine Kammer mit dem sauberen Bett, dem Teppich, dem Schrank und der übrigen Einrichtung vor. Nur machte ihm jetzt seine Neukleidung Sorge, und er wandte sich deshalb um Rat an den Kellner. Der Kellner gab ihm Auskunft und machte sich, als er die Unerfahrenheit des jugendlichen Gastes bemerkte, selbst mit auf den Weg. Zunächst führte er Pieter Maritz zu einem Friseur. Dieser beschnitt die langen blonden Locken, so daß sie nur noch bis auf den Kragen fielen, denn vorher waren sie bis auf die Schultern herabgewallt, und kämmte und bürstete sie, so daß sie wie Gold glänzten. Auch wusch er das Haar mit wohlriechendem Wasser so daß Pieter Maritz nicht wußte, ob er über solche Späße lachen oder böse werden sollte. Hier wechselte er eine seiner Banknoten, indem er bezahlte. Dann führte ihn der Kellner zum Kleidermagazin und riet ihm, sich einen Frack, schwarze Beinkleider, weiße Weste und weißes Halstuch zu kaufen. Aber Pieter Maritz ließ sich, obwohl ihm die Klugheit des Kellners und das städtische Wesen von Pretoria sehr imponierten, doch auf solche Dinge nicht ein. Als echter Buernsohn konnte er sich von dem althergebrachten Kostüm des Buern nicht befreien. Er wählte eine dunkelblaue Bluse mit vielen Taschen, ein schwarzes seidenes Halstuch und ein Beinkleid von Wildleder, welches in die Stiefeln zu stecken war. Dazu kaufte er in einem Wäschegeschäft zwei starke leinene Hemden mit breiten Umklappkragen und mehrere Paar Strümpfe. Hierauf ging es in ein Schuhmagazin, und er suchte sich ein Paar Reiterstiefeln mit weichen Schäften aus, die bis über die Kniee gingen. Endlich kaufte er in einem Hutladen einen braunen Filzhut mit handbreiter Krempe. Alles Gekaufte lud er selber auf den Arm und kehrte damit in das Hotel zurück. Dort spülte er in einem warmen Bade den Staub der Reise ab und kleidete sich dann neu. In seiner Kammer hing ein Spiegel, der wiederum ein für ihn ganz neuer Gegenstand war, und als er sich nun, frisch gewaschen und frisiert, mit dem reinen Hemdkragen im Spiegel sah, errötete er und war verlegen über das Seltsame dieses Anblicks. Mittlerweile war es gegen acht Uhr geworden, wie sein an den Anblick des Himmels und die Beleuchtung der Erde gewöhnter Blick ihm sagte, er gürtete den Hirschfänger und den Patronengurt um und ergriff die Büchse, um zum Schatzsekretär zu gehen. Der freundliche Kellner, dem er zum Lohne für seine Hilfe zwei Schilling geschenkt hatte, wollte ihn hinführen. Das Haus des Schatzsekretärs lag nur etwa zehn Minuten zu gehen vom Hotel entfernt, und der Kellner kehrte an der Hausthür um. In demselben Augenblick fuhr ein Wagen vor dem hell erleuchteten Hause vor, einer jener Wagen, wie sie Pieter Maritz nur in diesem südlichen Teile Transvaals in den Städten gesehen hatte: nicht von Ochsen gezogen, sondern von zwei Pferden, nicht mit Leinenverdeck, sondern von lackiertem Leder und mit Glasfenstern, ein zierliches schnelles Gefährt. Aus diesem Wagen stieg, als ein prachtvoll in Braun und Silber gekleideter Mann aus des Schatzsekretärs Hause den Schlag geöffnet hatte, ein Herr, der so gekleidet war wie die Kellner in dem Hotel, und hob ein junges Frauenzimmer heraus, welches ein langes blauseidenes Schleppkleid trug, ein schwarzes Mäntelchen und Blumen in dem braunen Haar. Erschrocken flüchtete Pieter Maritz in das Haus und ward hier von zwei andern in Braun und Silber gekleideten Männern empfangen, die ihn höflich fragten, was er wünsche. Er sagte, daß er zum Abendessen geladen sei, aber die schön gekleideten Männer sahen ihn zweifelhaft an, schüttelten den Kopf, und einer von ihnen ging davon. Während Pieter Maritz aber nun betroffen auf dem Flur stand und sich in dem glänzenden Raum verlegen umsah, kam der ihm bekannte Herr aus einer Thür und begrüßte ihn lachend. »Meine Diener fürchten sich vor Ihren Waffen,« sagte er zu Pieter Maritz. »Bitte, legen Sie ab und treten Sie näher.« Die Diener nahmen ihm nun Büchse und Hirschfänger, sowie den schweren Patronengurt ab, und der Herr führte ihn am Arme in das Zimmer. Pieter Maritz ging stumm und starr neben seinem Führer. Das Zimmer war blendend hell erleuchtet, und Spiegel von Mannshöhe warfen das Licht zurück. Aber es ging noch weiter, durch das Zimmer hindurch in ein großes Gemach. Pieter Maritz drängte sich hier beim Eintreten ängstlich an seinen Führer an. Er sah vor sich eine Gesellschaft von wohl zwanzig Personen, Männern und Frauen. Die Männer waren alle wie die Kellner im Hotel gekleidet und hatten seltsame schwarze Scheiben in den Händen oder unter dem Arm. Die Frauen aber sahen so aus, daß Pieter Maritz, der gewohnt war, den Löwen und den Zulus unerschrocken ins Antlitz zu sehen, den Boden unter seinen Füßen wanken fühlte. Sie waren in langen, hellen, seidenen Gewändern gleich dem jungen Mädchen aus dem Wagen, und diese Gewänder erschienen ihm wunderbar schön. Sie hatten funkelnde Steine und Ketten gleich den vornehmsten Indunas in Ulundi um den Hals und um die Arme und zum Teil auch Blumen in ihrem Haar, das fast so künstlich frisiert wie bei den Zulus, aber an Farbe viel schöner war. Dazu hatten sie, was Pieter Maritz' Verwirrung vollendete, nackte Schultern und nackten Hals, und der Schimmer der weißen Haut war ihm, der nur glänzende schwarze Haut zu sehen gewohnt war, höchst seltsam und erschreckend. Hätte ihn sein Wirt nicht am Arme gehalten, so wäre er jetzt sachte davongeschlichen. Aber er war der Mittelpunkt aller Blicke und ward festgehalten. »Meine Herrschaften,« sagte der Staatssekretär mit lauter Stimme, »ich habe die Ehre, Ihnen hier einen der interessantesten Leute in Südafrika vorzustellen, Herrn Pieter Maritz Buurman, aus unserm nördlichen Gebiet stammend, der ein Jahr lang am Hofe des Zulukönigs gelebt hat und soeben vom Schlachtfelde von Isandula kommt.« Ein allgemeiner Ruf der Verwunderung ging durch das große schöne Gemach, und Herren und Damen schritten mit freundlichen Grüßen und Worten auf ihn zu. Pieter Maritz wünschte, daß die Erde sich unter ihm öffnen und ihn verschlingen möge. Er biß die Zähne zusammen, ward blutrot und starrte auf den bunten Teppich zu seinen Füßen. Seine Hände zuckten, und er wußte nicht, wo er damit bleiben sollte, weil er die Büchse nicht fühlte. Es fiel ihm ein, als er an aller Händen weiße oder hellfarbige Handschuhe sah, daß seine Hände braun und rauh wie die eines Basuto waren. »Ein wunderhübscher Junge,« hörte er eine der Damen flüstern. Jetzt traten auch der Herr und die junge Dame herein, welche er schon vor der Hausthür gesehen hatte. Die junge Dame hatte ihr schwarzes Mäntelchen abgelegt und glich nun im Anzuge völlig den andern. Sie hatte Haar von der Farbe der Kastanien, und es ringelte sich bis zum Halse herab, ein paar rote Rosenknospen steckten über dem linken Ohre, und eine feine goldene Kette mit blauem Herzen schlang sich ihr um den weißen Hals. Die Begrüßung dieser neuen Gäste zerstreute die Menge etwas, und es gelang Pieter Maritz, hinter ein künstliches Gebüsch von blühenden Oleandern zu schlüpfen, von wo aus er die Gesellschaft und das Gemach betrachtete. Von der Mitte der Decke hing ein vergoldetes, kunstvolles Gestell herab, an welchem viele Kerzen steckten, so daß es taghell war. Die Stühle waren mit roter Seide überzogen, die Vorhänge vor den Fenstern waren aus zartem Spitzengewebe. Doch nicht lange sollte er Ruhe haben. Kaum eine halbe Minute lang blieb er unentdeckt. Eine große Dame, die etwa so alt wie seine Mutter sein konnte und die einen prachtvollen Schmuck von gelben und violetten Steinen trug, kam in Begleitung eines älteren Herrn auf ihn zu, faßte ihn an der Hand und zog ihn wieder vor. Sie schleppte ihn in die Mitte der Gesellschaft unter den Kronleuchter und fragte ihn in einem Atem nach wohl zwanzig Dingen. Vor allem sollte er erzählen, wie viele Frauen der König Tschetschwajo habe. Pieter Maritz sagte, es möchten alles in allem wohl sechshundert sein. »Sechshundert Frauen!« rief die Dame laut. »Meine Herren, welch ein Mann!« Pieter Maritz mußte viel von Tschetschwajo erzählen. Der schwarze König schien durch seinen Sieg über die Engländer eine gefeierte Persönlichkeit in Pretoria geworden zu sein. Pieter Maritz überwand nach und nach seine Schüchternheit, stand inmitten des ganzen Kreises, der sich um ihn drängte und der durch die Ankunft neuer Gäste immer größer wurde, und erzählte, wobei er ganz vergaß, daß er nicht mehr im Felde und im Biwak, sondern in einer ihn ängstigenden Versammlung war. Er hatte dankbare Zuhörer, sie nahmen ihm die Worte vom Munde und unterbrachen ihn oft durch Ausrufe der Verwunderung. Besonderen Eindruck machte Tschetschwajos Ring. Pieter Maritz trug ihn noch an dem Riemen um den Hals, und nun nahm er ihn ab, und der Ring ging von Hand zu Hand. »O welch ein Ring!« riefen die Damen. »Welche Finger muß der König haben. Er ist also ein Riese!« Jetzt kam eine neue Verlegenheit für Pieter Maritz. Ein Diener kündigte an, daß das Abendessen aufgetragen sei, und öffnete die Flügelthüren zu einem andern Gemach. Die Herren boten den Damen den Arm, um sie hinüberzuführen, und Pieter Maritz fühlte plötzlich wieder die frühere Angst. Wie sollte er sich jetzt benehmen? »Bitte, führen Sie meine Nichte,« sagte ihm der Schatzsekretär, indem er ihn sanft der jungen Dame mit den Rosenknospen zuschob. Er sah die junge Dame verzweiflungsvoll an, aber diese lächelte freundlich und war ihm behilflich bei seinem Ungeschick. Sie legte ihre schmale Hand auf seinen Arm und führte ihn in das Eßzimmer. Dort setzte er sich neben ihr an die lange glänzende Tafel. Er starrte hinauf und hinunter. Die Tafel war schneeweiß gedeckt und funkelte von silbernem Geschirr, Krystall und Porzellan. Helle geschliffene Karaffen mit dunkelrotem und gelbem Wein standen neben den Tellern. Messer und Gabel und Löffel, alles glänzte von Silber im Lichte vieler Lampen und Kerzen, künstliche Aufbaue inmitten des Tisches trugen Früchte und Konfekt. »O diese braunen Hände!« seufzte Pieter Maritz für sich, als er sah, wie die Gesellschaft, unter der sich auch der grimmige Joubert und noch zwei der ihm bekannten Reiter befanden, die Handschuhe auszog und die Servietten auseinander faltete. Weiße Arme und zarte Hände bewegten sich links und rechts und überall, und er wagte nicht, sein Brot zu brechen, so hungrig er auch war. Da fielen plötzlich seine Augen auf eine männliche Gestalt am Tische, ihm schräg gegenüber zur Linken der Frau vom Hause, der Gattin des Schatzsekretärs, und der Anblick dieser Gestalt, welche er im Gedränge bis jetzt noch nicht bemerkt hatte, beruhigte ihn, während sie ihn zugleich sehr interessierte. Es war ein Mann von kleiner zarter Figur, mit gelblichem, blassem Gesicht und langem, schwarzem Haar und Bart. Dieser hatte Hände, die ebenso braun waren wie die seinigen, und er war ebensowenig im Gesellschaftsanzuge. Er trug eine Bluse mit vielen Taschen, und diese Bluse war so schlecht wie die, welche Pieter Maritz ausgezogen hatte. Sie war fleckig und abgeschabt, an den kahlen Nähten mit Tinte überstrichen und an vielen Stellen geflickt. »Wer ist der Mann?« fragte er seine jugendliche Nachbarin. »Das ist der zweite Löwe, Sie sind der erste,« antwortete sie mit schelmischem Lächeln. Verwundert sah Pieter Maritz sie an. Sie begriff, daß er sich über den Ausdruck wunderte, und setzte hinzu: »Löwen nennen wir die interessanten Leute, welche Mittelpunkte der Gesellschaft sind. Der Herr kommt aus dem Innern Afrikas, er hat den ganzen Kontinent durchstreift, es ist der portugiesische Major Serpa Pinto.« Währenddessen wurden die Speisen angeboten, und Pieter Maritz wußte nicht, was er aß. Obwohl an die königliche Tafel von Ulundi und an sehr zahlreiche Schüsseln gewöhnt, war er überrascht, hier oft nicht erkennen zu können, was die zierlichen Schalen und Näpfe enthielten. In Ulundi brachte man die Gerichte in Massen und ohne Verkleidung: die Brust eines Ochsen am Spieße, Ziegen und Antilopen in ganzer Gestalt, allerhand Gebäcke, denen anzusehen war, woraus sie bestanden. Aber hier gab es außer den erkennbaren Speisen so viele maskierte. »Was sind das für Dinger?« fragte er seine Nachbarin, deren Freundlichkeit ihm Zutrauen eingeflößt hatte. »Hier können Sie alles lesen,« antwortete sie, ihm einen schmalen Zettel reichend, der neben seinem Teller lag. Der Zettel war mit Gold bedruckt und enthielt die Namen der Speisen. »Das hier ist Gänseleberpastete,« sagte die junge Dame. »Vorher hatten wir Lammfrikassee; der durchsichtige gelbe Turm dort ist ein Pudding.« Pieter Maritz aß und überwand bald mit Hilfe seiner freundlichen Nachbarin alle Scheu. Sie that nicht so, als ob seine Fragen den wilden Bewohner des Dorfes verrieten, sondern war ganz natürlich und mitteilsam. Nur machte es ihn noch verlegen, daß er alle Anwesenden zierlich mit Messer und Gabel in beiden Händen essen sah, während er selbst dieser Instrumente nicht Herr werden konnte. Er bemühte sich, den anderen nachzuahmen, aber immer wieder fuhren seine Finger auf den Teller und zweimal ließ er seine Gabel klirrend zu Boden fallen. Auch mußte er mehr sprechen, als ihm bei seinem Hunger lieb war, und mehreremal schluckte er einen Bissen hinab auf die Gefahr hin zu ersticken, um nur antworten zu können. In dieser Unterhaltung kam es heraus, daß der Oberst Wood ihn vierzehn Tage lang in Utrecht hatte ins Gefängnis sperren lassen, und er mußte dies Erlebnis ausführlich erzählen. Als er nun berichtete, er habe sich einen Bürger der Südafrikanischen Republik genannt, riefen mehrere Herren am Tische laut Beifall, der Herr mit dem Vollbart aber, der ihn auf der Straße zuerst angeredet hatte, klopfte mit dem Messer an sein Glas und hielt eine kleine Rede, welche er damit schloß, daß er auf das Wohl der Südafrikanischen Republik trank. Da riefen alle Herren und Damen, indem sie von ihren Sitzen aufstanden, mit lauter Stimme: Hoch! und tranken ihre Gläser aus. »Wer ist der Herr, der so schön redete?« fragte Pieter Maritz leise seine Nachbarin. »Das ist Herr Paul Krüger, der Präsident der Republik,« erwiderte sie, wiederum lächelnd. Und dann setzte sie hinzu: »Sie kennen wohl alle diese Leute nicht; ich will Ihnen einige nennen. Der dort am oberen Ende der Tafel ist Herr Friedrich Jeppe, ein gelehrter Herr, der Astronomie und Geographie und viele andere schwierige Dinge versteht. Der Herr dort weiter nach der Seite hin, neben der Dame im lila Kleide, ist der Doktor Risseck. Er wird in einigen Tagen einen Ball geben und Sie hoffentlich auch einladen. Tanzen Sie denn gern, Herr Buurman?« Pieter Maritz sah sie erstaunt an. »Tanzen weiße Menschen denn auch?« fragte er. Die junge Dame lachte jetzt laut und herzlich. »Ich möchte dagegen fragen,« sagte sie, »wer denn außer den weißen Menschen tanzt?« »Ich habe König Tschetschwajos Frauen tanzen sehen,« entgegnete er, »und auch die Krieger bei den Zulus tanzen einen Kriegstanz.« »Hier ist das anders,« sagte sie. »Bei uns tanzen nicht die Frauen allein und die Männer allein, sondern sie tanzen paarweise.« Pieter Maritz schüttelte den Kopf. Das waren sonderbare Dinge, welche er da erfuhr. Doch war er jetzt sehr mutig geworden. Er hatte zwei Gläser von dem roten Wein -- seine Nachbarin sagte ihm, es sei Burgunder -- und dann noch ein Glas Champagner getrunken. Der Wein lief ihm wie Feuer durch die Adern, denn er war an Wasser gewöhnt und hatte außerdem nur einigemal in seinem Leben etwas leichtes Bier genossen. »Wenn wir eingeladen werden,« sagte er, »so wollen wir beide zusammen tanzen.« »Gut, das soll ein Wort sein,« sagte die junge Dame. Das Abendessen war beendigt, als Pieter Maritz noch nicht halb satt war. Er hatte einen tüchtigen Appetit von seinem viertägigen Reisemarsch mitgebracht und war gar zu sehr beim Essen gestört worden, denn immer wieder fragte man ihn von rechts und von links, und er hatte den Kampf von Isandula wohl schon sechsmal erzählt. Die Gesellschaft begab sich jetzt wieder in das große Gemach mit dem Kronleuchter, wo alle Fenster offen standen und eine erfrischende Luft vom Nachthimmel hereinwehte. Und jetzt stand Pieter Maritz eine neue Überraschung bevor. Seine Tischnachbarin setzte sich vor einen großen polierten Kasten, der auf drei Beinen ruhte, und machte Musik. Er stand wie verzaubert. Wohl hatte er auf den Dörfern die Kalabaßviol gehört, auch in seiner Gemeinde gab es einen jungen Menschen, der die Mundharmonika gar lieblich zu blasen verstand, und in Ulundi hatte er den Gesang des Harems und den Schlachtgesang der Krieger oft gehört, aber diese Musik war etwas ganz anderes. Er glaubte, die Engel im Himmel, von denen ihm seine Großmutter erzählt, auf ihren schönsten Harfen und Geigen musizieren zu hören. Die Thränen kamen ihm in die Augen, und er stand in wahrer Verzückung von ferne und sah dem Spiel der zarten weißen Finger zu. Es war ihm daher eine sehr unerfreuliche Störung, als sich plötzlich eine schwere Hand auf seine Schulter legte, und er den Feldkorporal Joubert neben sich stehen sah, der ihm sagte, er möge ihm in ein anderes Zimmer folgen, da er ihm etwas zu sagen habe. Ungern ging er mit dem gebieterischen Manne davon. Sie gingen in ein kleineres Zimmer, wo ein großer Schreibtisch stand und wohin der Klang des Flügels nur verschwommen drang. Hier setzte sich der Feldkorporal auf das Sofa, ließ Pieter Maritz ebenfalls Platz nehmen und sagte: »Junger Mann, Sie verstehen, wie ich glaube, vollständig englisch?« »Jawohl, Mynheer,« sagte Pieter Maritz. »Nun denn,« sagte Joubert, »Sie können der Republik einen Dienst erweisen. Sie wissen, daß die englische Regierung entgegen allem Recht und allen Verträgen das Gebiet der Republik besetzt und für britischen Kolonialbesitz erklärt hat, obwohl die Regierung von Transvaal energisch dagegen protestierte. Unter diesen Umständen kann es möglicherweise mit der Zeit einmal zu blutigen Zwistigkeiten zwischen uns und den Engländern kommen. Dem patriotischen Sinne des Sohnes von Andries Buurman ist dies doch einleuchtend?« »Als mein Vater starb, sagte er mir, England sei unser einziger Feind, dies möge ich nie vergessen; und ich werde es nie vergessen,« erwiderte Pieter Maritz. »Das war gesprochen, wie es sich für einen echten Buern geziemt,« sagte der Feldkorporal. »Nun hören Sie weiter, junger Mann. Es liegt mir daran, eine möglichst genaue Kenntnis der englischen Armee zu haben, welche jetzt in Südafrika steht. Ich möchte wissen, wo die einzelnen Abteilungen liegen, wie stark sie sind, wie viele Offiziere bei der Truppe sind, wie viele Pferde die Kavallerie und Artillerie haben, und noch viele andere Umstände möchte ich kennen, welche auf die Kriegstüchtigkeit von Einfluß sind. So möchte ich auch wissen, wie alt die englischen Mannschaften sind, ob sie stark oder schwach sind, wie sie schießen, welche Fechtart sie haben und ob die Leute den Offizieren gut gehorchen. Jetzt führen die Engländer Krieg gegen die Zulus, und da müssen sie zeigen, was sie können. Nun denke ich, daß Sie die geeignete Persönlichkeit sind, mir diese Nachrichten zu verschaffen. Machen Sie den Feldzug im Zululande mit, aber hüten Sie sich, daß Sie nicht im Kampfe getötet werden. Es kommt für Sie nicht aufs Fechten, sondern aufs Sehen an. Auf Ihre Klugheit kommt es an, den passenden Weg dazu zu finden. Schließen Sie sich den Freiwilligen aus Natal an, oder gehen Sie mit einem englischen Regimente. Das muß Ihrer Findigkeit überlassen bleiben. Geld und Empfehlungsbriefe für den Aufenthalt in Natal und bei den Buern der englischen Armee kann ich Ihnen geben, die Schlauheit müssen Sie selber hinzuthun. Über alles, was Sie sehen, erstatten Sie mir ausführlichen Bericht, aber nicht schriftlich, denn das werden Sie nicht können und wäre auch gefährlich, sondern mündlich. Wie ist es? Wollen Sie diesen Auftrag übernehmen?« Pieter Maritz besann sich nicht lange. Dieser Auftrag des ersten Heerführers seines Volkes erschien ihm nur ehrenvoll. »Ich werde es sehr gern thun,« sagte er, »und ich werde mich bemühen, alles gut zu machen. Aber zunächst muß ich meine Gemeinde aufsuchen, denn meine Mutter weiß nicht, ob ich noch lebe.« »Gut,« sagte der Feldkorporal. »Suchen Sie Ihre Familie auf. Dazu ist Zeit. Dann aber kommen Sie wieder hierher und empfangen meine ferneren Weisungen. Es kommt mir darauf an, daß ... -- aber was ist das für ein Lärm?« fragte er, sich unterbrechend. Ein Schreien und Tosen drang von der Straße her, und beide erhoben sich, um ans Fenster zu treten. Es war dunkel draußen, denn Pretoria hatte keine nächtliche Beleuchtung außer der, die vom Himmel kam. Eilig liefen Männer durch die Straße, jetzt kamen Reiter daher gesprengt, und viele riefen und schrieen. Englische Soldaten ohne Gewehr rannten vorbei, schwarze Männer und Frauen sprangen umher und schrieen, ein gewaltiger Schrecken schien die Bevölkerung erfaßt zu haben. »Was giebt es?« rief der Feldkorporal den Leuten zu. Niemand antwortete. »Feuer kann es nicht sein,« sagte Pieter Maritz, »ich sehe keinen roten Schein.« Jetzt wurde es im Hause lebendig, das Spiel im Salon hörte auf, und die Gesellschaft lief suchend umher. Joubert und Pieter Maritz kehrten zu den andern zurück und fragten, was es gebe. Da kam einer der Diener schreckensbleich herein und rief: »Die Zulus kommen!« »Unsinn!« brüllte der Feldkorporal mit donnernder Stimme. »Bleiben Sie ruhig, meine Damen, es ist unmöglich.« Laute Schreie von weiblichen Stimmen antworteten, und die Männer sahen sich einander betroffen an. Pieter Maritz eilte hinaus, ergriff seine Büchse und kam wieder zurück. Er hielt es nicht für unmöglich, daß die Zulus kämen, da er ihre Schnelligkeit kannte, obwohl er nicht glaubte, daß sie wirklich so weit vorgedrungen wären. Er wollte nur für alle Fälle gerüstet sein. »Es ist ganz unmöglich, daß die Zulus hier sind,« versicherte Joubert. »Meine Posten hätten es mir gemeldet. Beruhigen Sie sich, meine Herrschaften, es ist ein blinder Lärm. Ich will mich erkundigen, was er bedeutet.« Die Festigkeit seines Wesens beruhigte die Gesellschaft in der That, obgleich das Lärmen draußen fortdauerte. »Zulu! Zulu!« schrie es auf den Straßen in vielerlei Ausdrucksweisen und aus dem Munde von Engländern, Holländern, Franzosen, Portugiesen und Kaffern. Trommeln und Hörner klangen aus dem englischen Lager herüber, und mehrere Schüsse krachten in der Ferne. Der Feldkorporal, der Major Serpa Pinto und Pieter Maritz gingen jetzt hinaus und in der Richtung auf das englische Lager zu, während ihnen viele Soldaten in roten Röcken entgegenkamen. Vergeblich waren alle Fragen. Die Antwort lautete immer, die Zulus kämen. Endlich erschienen englische Offiziere mit gezogenen Säbeln, welche schalten und fluchten und die Soldaten nach dem Lager zurücktrieben, und es gewann mehr und mehr den Anschein, daß es so war, wie die drei vermuteten: daß nämlich nur ein panischer Schrecken über das Lager und die Stadt gekommen war. Die Niederlage von Isandula spukte in den Köpfen. Einen der englischen Offiziere zu Pferde glaubte Pieter Maritz trotz der schwachen Beleuchtung zu erkennen. Das war die befehlshaberische Stimme, welche einen so hochmütigen Ton annehmen konnte, das war die schlanke Figur des Lord Adolphus Fitzherbert. »Mylord Fitzherbert!« rief Pieter Maritz mit heller Stimme. Der Offizier hielt sein Pferd an. »Hurra!« rief er, »das muß mein holländischer Freund sein.« Pieter Maritz trat an das Pferd. »Ja, ich bin's,« sagte er. Der Lord sprang aus dem Sattel und schüttelte fröhlich lachend dem Buernsohn die Hand. »Hurra! Altholland hoch!« rief er. »Das ist ja herrlich. Also Sie sind hier, mein teurer Freund! Wir müssen uns noch sehen, nur muß ich dies feige Volk erst heimtreiben helfen. Schon der Name Zulu treibt die Kerls in die Flucht. Es ist keine Spur von Zulus zu sehen.« Noch einmal schüttelte er Pieter Maritz die Hand und dann schwang er sich wieder aufs Pferd. Pieter Maritz aber kehrte mit den beiden Herren zu der Gesellschaft zurück. [Illustration] Zwanzigstes Kapitel Die Anwerbung Pieter Maritz erwachte am Morgen nach der Gesellschaft beim Schatzsekretär mit dem Gefühle, er habe einen schönen, wunderbaren Traum geträumt, und mußte sich erst recht darauf besinnen, daß er in Wahrheit mit den angesehensten Männern des Staates zu Nacht gegessen habe und nun im Besitze einer ungeheuren Summe Geldes und eines neuen Anzuges sei. Was war das für ein reizendes Gefühl, sich heute morgen im Bette zu dehnen und dabei zu denken, wie gut es ihm ging und welche Freude er seiner Mutter und seinen Geschwistern machen wollte. Er hatte gestern in den Magazinen und Läden eine Menge von Dingen gesehen, die daheim unter der Familie bei den Treckbuern großes Aufsehen erregen mußten, wenn er sie mitbrachte. Und er war ja reich genug, um fünf bis sechs Pfund springen zu lassen; den Rest freilich wollte er seiner Mutter in barem Gelde geben. Er lachte mit dem ganzen Gesicht vor Vergnügen, indem er sich ausmalte, wie die kleinen Geschwister sich wundern und wie sie herumtanzen würden, wenn er mit den Geschenken ankäme. Er stand auf, besuchte Jager im Stalle und ließ sich dann Frühstück geben. Ein Mann von sonderbarer Erscheinung brachte ihm eine silberplattierte Schüssel voll Maisbrei mit Butter. Pieter Maritz hatte die verschiedenartigsten Hautfärbungen, von Gelbbraun durch die Farbe des dunklen Kaffers hindurch bis zum Ebenholzschwarz gesehen, aber dieser Mann erschien ihm doch wunderbar. Hier war die Haut bronzefarben, und dazu das schwarze Haar lang und fein, nicht rauh und lockig wie bei den Kaffern. Augen vom tiefsten Schwarz, groß und schwermütig, blickten aus dem goldgelben Gesicht, und die Nase war fein, mit schmalem Rücken, der Mund klein und fein, nicht mit wulstigen Lippen, wie dies bei den Farbigen in Südafrika die Regel ist. Pieter Maritz fragte ihn, woher er stamme, und er erwiderte, er sei ein Kuli aus Indien, der als Diener eines Engländers herübergekommen sei und nun in der Küche des Gasthauses helfe. Nach dem Frühstück machte Pieter Maritz sich auf, um den Feldkorporal zu besuchen und sich wegen der Reise nach dem Norden zu erkundigen. Er fand Joubert in einem Gemache, dessen grüne Fenstergitter geöffnet waren, um die frische Morgenluft hereinzulassen, mit Karten auf dem Tische vor sich ausgebreitet. Der Feldkorporal trug eine leichte blauleinene Bluse mit einem weit offenen Hemdkragen; Pieter Maritz sah heute noch deutlicher wie am Tage vorher, welche Ähnlichkeit mit einem Löwen der berühmte Krieger mit seiner breiten hohen Stirn, dem dicken sträubenden Kopfhaar und dem wallenden Barte hatte. »Sagen Sie mir doch, mein Junge,« sagte Joubert, sobald Pieter Maritz eingetreten war, »können denn die Engländer schießen?« »Nein, Mynheer, sie können nicht schießen,« antwortete er. »Besser als die Zulus verstehen sie mit dem Gewehr umzugehen, aber richtig schießen können sie nicht.« »Das habe ich mir wohl gedacht,« sagte der Feldkorporal. »Beschreiben Sie mir das Gefecht doch noch einmal recht deutlich. Wie kam es denn nur, daß Oberstleutnant Pulleine die schwarzen Teufel nicht früher bemerkte?« Pieter Maritz gab eine genaue Darstellung alles dessen, was er am Tage von Isandula gesehen und gehört hatte, und der Feldkorporal hörte mit großer Aufmerksamkeit und sichtlichem Vergnügen zu. Er lachte auf und strich sich den Bart, als Pieter Maritz berichtete, daß er die Zulus schon lange vor ihrem Angriff hätte am Wege lauern sehen, während die Engländer nichts gemerkt hätten, und als er berichtete, wie der Kommandant des Lagers seinen Rat, die Wagen ineinander zu schieben, mißachtet hätte. Endlich, nachdem er alles erzählt hatte, fragte Pieter Maritz, wie er denn nun wohl seine Gemeinde fände? Er wollte so bald als möglich seine Familie aufsuchen und dann nach seiner Rückkehr sich dem englischen Heere anschließen. »Ja, mein Junge, genau läßt sich das nicht sagen,« entgegnete der Feldkorporal. »Die Treckbuern sind ja sehr beweglich. Doch habe ich gehört, daß mehrere Gemeinden, unter denen auch die von Baas van der Goot, sich neuerdings nach der Gegend von Lydenburg gewandt hätten. Sie handeln dort mit Goldgräbern und Diamantwäschern und verdienen wahrscheinlich mehr als jene. Also reiten Sie einmal dorthin. Übermorgen geht eine Gesellschaft von hier nach Lydenburg ab, welcher Sie sich anschließen können.« Pieter Maritz entfernte sich, nachdem der Feldkorporal ihn verabschiedet hatte, und ging nach dem Gasthause zurück, als er ein starkes Treiben von Menschen, Pferden und Wagen in den Straßen bemerkte. Er fragte einen Landsmann, was es zu bedeuten habe, daß so viele Leute nach einer und derselben Richtung zögen, und erfuhr von diesem, daß ein neues englisches Regiment in das Lager einrücken werde. Die Leute zögen dem Regiment aus Neugierde entgegen. Pieter Maritz ging weiter und sah aus dem Hofe eines hübschen freundlichen Hauses zwei Herren und zwei Damen herausreiten. Sie bogen in derselben Richtung um die Ecke, in welcher alle andern Leute zogen, und wollten wohl auch das fremde Regiment sehen. Pieter Maritz glaubte in dem einen der Herren den Vater der jungen Dame von gestern abend wiedererkannt zu haben, und seine Vermutung ward zur Gewißheit, als er jetzt die junge Dame selbst am Fenster des Hauses erscheinen und den Fortreitenden nachblicken sah. Sie hatte kein so vergnügtes Gesicht wie gestern abend. Pieter Maritz war jetzt vor dem Hause angelangt. Er zog höflich seinen Hut und wünschte dem Fräulein einen guten Morgen. »Sie sehen aber recht betrübt aus,« sagte er erschrocken. Die junge Dame lächelte und nickte ihm zu. »Ja, Herr Buurman, immer kann man nicht vergnügt sein,« sagte sie. »Zuweilen hat man auch Ärger. Oder haben Sie das noch nicht erlebt?« »O doch,« sagte Pieter Maritz treuherzig, »und wenn ich sehe, daß Sie nicht vergnügt sind, da bin ich es auch nicht mehr.« »Es ist sehr hübsch, daß Sie ein so mitleidiges Herz haben,« sagte die junge Dame, indem sie ihn mit ihren braunen Augen so lebhaft ansah, daß er errötete. »Aber welchen Ärger haben Sie denn?« fragte er. »Ja, sehen Sie, Herr Buurman, es ist gerade nichts Wichtiges, aber wenn ich mich auf etwas gefreut habe und dann kommt es anders, so ärgere ich mich auch bei Kleinigkeiten.« »So geht es mir auch,« sagte Pieter Maritz. »Ich wollte nämlich mit hinausreiten,« fuhr sie fort. »Aber mein Vater hat mein Pferd aus Höflichkeit meiner Tante gegeben. Es ist sehr hübsch, höflich zu sein, aber nun habe ich kein Pferd und sitze hier allein, während alle Welt draußen ist.« »Ja,« sagte Pieter Maritz, »das ist freilich ärgerlich. Aber haben Sie denn noch einen Damensattel?« »O, einen Sattel habe ich wohl, aber ich kann doch nicht auf dem Sattel reiten, wenn ich kein Pferd habe.« »Wenn Sie nur den Sattel haben,« sagte Pieter Maritz, »so bringe ich Ihnen das Pferd dazu.« Die junge Dame wurde rot vor Vergnügen. »O, Herr Buurman,« rief sie, »das wäre ja herrlich. Sie sind sehr liebenswürdig.« »Ich will das Pferd holen, ich komme gleich zurück,« sagte Pieter Maritz. »Und ich ziehe währenddessen mein Reitkleid an,« versetzte sie. Pieter Maritz ging im eiligsten Schritt nach Hause, holte Jager aus dem Stall hervor, bürstete und rieb geschwind noch an dem braunen glänzenden Fell und führte das Tier am Zügel zu der Wohnung der jungen Dame. Sie stand schon im Hofe, die Schleppe ihres Reitkleides über dem Arm und den schwarzen Reithut auf dem Kopfe. Ihre Augen funkelten vor Freude, als sie Jager erblickte. »Das schöne Tier!« rief sie jubelnd. »Wie freundlich Sie sind, Herr Buurman.« Ein schwarzer Stallknecht brachte den Sattel, Pieter Maritz schnallte selber die Gurten, und dann schwang sich die junge Dame mit großer Gewandtheit auf Jagers Rücken. »Ein wunderhübsches Pferd! Ich bin Ihnen sehr dankbar,« sagte sie, als sie im Sattel saß. -- »Aber wie rücksichtslos ich bin!« fuhr sie fort. »Nun können Sie wohl nicht hinausreiten?« »Ich hatte gar nicht die Absicht,« entgegnete er. »Nun dann -- schönsten Dank!« rief sie fröhlich nickend, und damit sprengte sie davon. Pieter Maritz stand in der Hofthür und blickte ihr nachdenklich nach. Sein Gesicht war jetzt ebenso trübe, wie vorhin das ihrige. Er hatte wirklich vorher nicht die Absicht gehabt, hinauszureiten, aber nun bekam er doch große Lust, dabei zu sein. Er ging langsam nach dem Café de l'Europe zurück, und es kam ihm der Gedanke, er könne vielleicht ein anderes Pferd bekommen. Als er Jager geholt, hatte er freilich bemerkt, daß die Ställe sich sehr geleert hatten, doch waren noch drei Pferde dort gewesen. Er ging schneller und blickte, als er das Hotel erreicht hatte, gleich in den Stall. Nun war nur noch ein Pferd darin. »Ich möchte ein Pferd haben, um hinauszureiten,« sagte er zu dem Stallknecht, der an der Thüre lehnte. »Alles weg, Mynheer, nichts mehr da,« sagte der Mann. »Ich sehe dort noch einen Gaul,« entgegnete Pieter Maritz. Der Stallknecht, ein breitschulteriger Irländer, grinste. »Auf dem Vieh mag keiner reiten,« sagte er. »Warum denn nicht?« »Ja, Mynheer, mancher Mensch ist froh, wenn er seine Knochen säuberlich bei einander hat, und mag sich nicht auf eine Bestie setzen, wo er nachher die Mühe hat, seine Knochen erst aus den Chausseegräben zusammenzulesen.« »Ei, ist der Gaul so schwierig?« »Er ist gerade nicht so schwierig,« sagte der Stallknecht. »Sein Futter frißt er regelmäßig auf, und mit dem Putzen geht's auch noch. Nur hat er's nicht gern, wenn sich jemand auf seinen Rücken setzt. Sie glauben gar nicht, wieviel Beine er dann auf einmal kriegt. Er ist noch nicht zugeritten, will ich Ihnen sagen, und ich meinesteils wüßte auch niemand, der sich damit abgeben möchte, ihn zuzureiten. Denn es giebt ja gottlob hier zu Lande viele Gelegenheiten, sich den Hals zu brechen, und es hat keiner nötig, sich extra auf solche verteufelte Bestie zu setzen.« Pieter Maritz ging in den Stand des Pferdes, streichelte ihm den Hals und sah sich das Tier an. Es war dunkelbraun und von kräftiger Figur. Es war noch jung und sah nicht bösartig aus, nur schien es viel Feuer zu haben. Seine Augen rollten sehr, als ob es begierig wäre, alles zu sehen. »Na, hören Sie,« sagte er zu dem Stallknecht. »Ich will es mal probieren. Ich sähe gern die Engländer einziehen.« »Ja, Mynheer, wenn Sie's wünschen, da kann's mir ja auch recht sein,« erwiderte jener, indem er bedächtig heranschlurfte. »Nur meine ich, Sie dürfen sich unterwegs über nichts wundern. 's kann sein, daß er auf den Beinen geht, 's kann aber auch sein, daß er auf dem Kopfe geht; und wenn das ist, so werden Sie die Engländer vielleicht verkehrt sehen.« Pieter Maritz holte seinen eigenen Sattel herbei und legte ihn dem Tiere unter freundlichen Worten auf den Rücken. Es ließ sich das Satteln gefallen. »Und nun will ich Ihnen sagen,« bemerkte der Stallknecht, indem er das Pferd im Stande aufzäumte, »nun wollen wir den Gaul rückwärts rausschieben, damit er nicht gleich merkt, wohin es geht. Er hat seine eigenen Ideen, wissen Sie.« Er ließ das Pferd rückwärts bis in den Hof hinaustreten, und dann sprang Pieter Maritz schnell hinauf, während der Stallknecht den Kopf losließ und sich flüchtete. Er hatte klug daran gethan, sich aus dem Bereich der Hufe zu bringen, denn kaum fühlte das Tier, welches bis jetzt nur mit einer gewissen Spannung, langsam schnaufend, den Lauf der Dinge beobachtet hatte, das Gewicht des Reiters, als es mit allen vier Füßen zugleich in die Höhe sprang und dann, wieder auf dem Boden angelangt, sich wie ein Kreisel drehte und aus allen Kräften hinten ausschlug. Pieter Maritz merkte, daß es keine Kleinigkeit sein werde, das Tier dahin zu bringen, wohin es sollte, oder auch nur im Sattel zu bleiben. Aber er war ein zu tüchtiger Reiter, um an dieser Aufgabe zu verzweifeln. Nachdem er dem Tier zunächst einige Freiheit gelassen hatte, sich herumzuwerfen, wobei es einmal die Stallthür, einmal die Küchenfenster des Hotels zu zertrümmern drohte, gab er ihm plötzlich, als sein Kopf gerade nach der Hofthür stand, ganz unerwartet und kräftig die Sporen. Mit einem ungeheuren Satze war das Tier auf der Straße. Dann warf es den Kopf in die Höhe und ging, indem es alle vier Füße zugleich niederstieß, mit prellenden Sätzen der Straße entlang. Es merkte, wen es trug, und es blieb in der ungefähren Richtung zwischen den Häusern, nur war die Richtung nicht sehr genau. Zweimal sprang es in den rasch fließenden Bach, und nur mit genauer Not entging ein Kaffernweib, das mit Körben voll Früchten am Wege saß, seinen Hufen. Pieter Maritz setzte mit kühnem Sprunge über die Körbe hinweg, als er sie nicht zu umgehen vermochte. Das Pferd kam hauptsächlich halb von der Seite, in langen Sätzen, vorwärts, aber es kam doch vorwärts, und als Pieter Maritz es erst einmal draußen im Freien hatte, ging es besser als in den Straßen. Wenn das Pferd auch nicht genau den Weg einhielt, sondern zuweilen auf dem Acker oder dem Felde nebenher ging, so folgte es doch ungefähr der Richtung, welche Pieter Maritz einschlagen wollte, und er führte es so geschickt und drückte es so kräftig mit den Schenkeln zusammen, daß es aussah, als ob es sich wirklich an den Reiter gewöhnen und dem Zügel gehorchen wollte. Nun sah Pieter Maritz auch von weitem einen großen Staub aufsteigen, und er schloß daraus, daß er sich der Menge von Reitern und Wagen aus der Stadt und dem einziehenden Regimente nähere. Rasch kam er auf dem flüchtigen und ungebärdigen Tiere heran und bemerkte bald eine gedrängte Masse von Menschen aus der Stadt, Buern zu Pferde, Wagen mit zwei und vier Pferden bespannt, Herren und Damen, welche sich gleich einer breiten Flutwelle auf und neben dem Wege ihm entgegenbewegten. Doch konnte er von dem Regimente selbst in dem Staub und Gewühl noch nichts wahrnehmen. Mit einem Male erhoben sich die Klänge eines militärischen Marsches; helle durchdringende Töne kamen aus der Staubsäule hervor. Dies Geräusch vollendete die Verwirrung des wilden Pferdes, welches schon beim Anblick der gedrängten Menge die Ohren bedenklich gespitzt und seine mühsam erlangte Fassung wieder verloren hatte. Es begann eine Reihe von Sprüngen in die Höhe und zur Seite, bäumte sich so mächtig und schlug so gewaltsam nach allen Richtungen hin aus, daß Pieter Maritz nicht wünschte, hier zu bleiben. Denn bald tanzte das Tier auf den Hinterbeinen und hieb mit den Vorderhufen, bald stand es auf den Vorderbeinen und schmetterte seine Hinterhufe von sich. Er durfte mit dem Tiere nicht unter die Gesellschaft kommen. In der Ferne erblickte er das englische Lager. Die weißen Zelte standen gleich einer zweiten Stadt neben der Stadt Pretoria. Dorthin lenkte sich der Zug des Regiments und der bürgerlichen Begleitung, dorthin wollte Pieter Maritz voranreiten, indem er hoffte, das Pferd unterwegs und fern von der Musik wieder zu beruhigen und dann doch noch etwas vom Einzuge zu sehen. Er warf das Tier in die Richtung des Lagers, ließ ihm die Zügel und gab ihm die Sporen. Wie ein Sturmwind fegte der Gaul, die Nase nach den Wolken gerichtet, davon, aber er machte dabei solche Sätze und stieß so hart mit den Füßen auf, daß Pieter Maritz merkte, er sei in seinem Leben noch nicht so durchgerüttelt worden. Bei einem dieser langen, jähen und harten Sätze flog sein Hut davon, der neue schöne Hut, der sich noch nicht so an die Kopfform angeschmiegt hatte, wie der alte schäbige, der nun weggeworfen war. Mit Bedauern sah Pieter Maritz zurück nach der Stelle, wo der Hut im Staube lag, aber anhalten konnte er nicht. Der Hut war verloren. Aber was erblickte er jetzt? Er traute seinen Augen nicht, und im Sattel umgewandt sah er rückwärts, während es im tollen Laufe vorwärts ging. Die junge Dame kam auf Jagers Rücken hinter ihm her, mit wunderbarer Gewandtheit beugte sich die Buerntochter in vollster Karriere bis zur Erde nieder, hob den Hut auf und verfolgte dessen Eigentümer. So schnell auch der wilde Renner dahinstob -- Jager holte ihn ein, kurz bevor das englische Lager erreicht war, und mit lachendem Gesicht übergab das Fräulein, neben Pieter Maritz einherjagend, den Hut. Dann winkte sie grüßend, rief ein freundliches Wort und ritt zurück. Pieter Maritz hatte jetzt mehr Augen für die Reiterin als für seine sonstige Umgebung und sah hinter dem flatternden Schleier her, während sein Gaul weiter tobte. Da entdeckte er aber plötzlich, daß er den Zelten zu nahe gekommen war. Sein Pferd fand Widerstand, während es ausschlug und zugleich hörte er lautes Fluchen hinter sich. Der Dunkelbraune bearbeitete ein Zelt mit den Hufen, und dessen Insassen retteten sich erschrocken ins Freie. »~Sacré nom d'une pipe! Tonnerre de dieu! Que le diable vous emballe!~« rief eine halb ärgerliche, halb lachende Stimme, und Pieter Maritz bemerkte einen kleinen breitschulterigen Mann in der Uniform eines Unterleutnants, mit grauem Schnurr- und Kinnbart und einer mächtigen Narbe im Gesicht, der aus dem Zelt hervorgesprungen war und nun mit dem Revolver drohte, während er sich zugleich vorsichtig außer dem Bereich des wütend schlagenden Pferdes hielt. Das Zelt war halb zerstört, hing an einer Seite schlaff herab, und der Braune schien es für eine persönliche Beleidigung zu halten, daß das Zelt überhaupt noch stand, denn er guckte es mit gespitzten Ohren von der Seite an und schlug danach. Ein ganzer Haufe von Soldaten hatte sich versammelt und sah dem Kampfe zu, den Pieter Maritz mit dem Tiere und das Tier mit dem Zelte führten. Einige lachten und erregten das Pferd noch mehr durch Zurufe und Pfeifen, andere fluchten, und der Leutnant rief Pieter Maritz zu, er werde ihm mit Pistolenkugeln die Rippen kitzeln, wenn er nicht vom Zelte fortritte. Alle aber bewunderten doch den jugendlichen Reiter, der sich im Sattel hielt und so fest saß, als wäre er angewachsen, während das Pferd in seiner Wildheit Sätze machte, bei denen ein jeder fühlte, daß er selbst schwerlich den Sattel behauptet haben würde. Diese Scene ward aber, ehe noch Pieter Maritz den Braunen durch Sporenstöße vom Flecke bringen konnte, durch die Ankunft eines Trupps von Kavallerieoffizieren unterbrochen, welche aus dem Innern des Lagers kamen und dem einziehenden Regimente entgegenreiten wollten. Es waren wohl ein Dutzend Reiter, zum überwiegenden Teile in der glänzenden Dragoneruniform, goldschimmernde Helme auf dem Kopfe, welche herankamen, und eine Stimme rief: »Seht doch Dubois in voller Wut! Was haben Sie, Dubois? Ah, der tolle Gaul hat ihn aus dem Zelt geworfen!« »Wahrhaftig, das ist mein holländischer Freund!« rief eine andere Stimme, und Pieter Maritz erkannte Lord Adolphus Fitzherbert auf einem wunderschönen Goldfuchs. »Aber was zum Henker haben Sie da für einen Gaul?« fragte der Lord von weitem. »Wo ist denn Jager?« »Ich habe Jager verborgt,« erwiderte Pieter Maritz, »und nun habe ich hier ein junges Pferd aus dem Café de l'Europe, das ein bißchen unruhig ist.« »Es scheint wirklich so, als ob das Pferd etwas unruhig wäre,« sagte Lord Fitzherbert lachend. »Ich möchte nicht gern neben dem Tiere reiten. Steigen Sie doch ab! Ich will Ihnen eines von meinen Pferden geben, und dieses schicken wir nach Hause.« »Sehr gern,« sagte Pieter Maritz, indem er sich zur Erde schwang. Der Lord winkte einem der Soldaten und ließ den Braunen am Zügel wegführen. Das Tier ging jetzt, nachdem es keinen Reiter mehr fühlte, ziemlich ruhig. Lord Fitzherbert stieg dann selbst ab, rief seinen Kameraden: »Auf Wiedersehen!« zu und kehrte, indem er sich sein Pferd nachbringen ließ, Arm in Arm mit Pieter Maritz nach den Zelten seines Regiments zurück. »Sie müssen heute mittag bei mir essen, lieber Freund,« sagte er. »Ich muß allen meinen Kameraden den guten Genossen zeigen, der mit mir bei den Niggers Freundschaft hielt, nachdem er mich elend in den Sand gestreckt hatte.« Der Lord war sehr vergnügt und freute sich ungemein, Pieter Maritz wiederzusehen, mit dem er so viel Not geteilt und den er schätzen und lieben gelernt hatte. Und auch Pieter Maritz war hoch erfreut, den vornehmen jungen Mann wiedergefunden zu haben, der ihn anfänglich so hochmütig behandelt hatte, mit dem ihn nun aber die Erinnerung gemeinsamer Schicksale verband. Der Lord zeigte ihm seine Pferde. Er hatte deren drei und der Rappe war auch darunter. Pieter Maritz nahm, als ihm Lord Fitzherbert die Wahl ließ, aus alter Anhänglichkeit den schönen schwarzen Gaul, mit dem er einst um die Wette gejagt hatte. Das Tier wurde mit der prächtigen Ausrüstung der Dragoonguards versehen, und dann stiegen beide jungen Leute auf. »Ein verfluchter Kerl sind Sie doch,« sagte der Lord, nachdem die ersten Grüße und Erzählungen ausgetauscht waren. »Kaum sind Sie an unserem Lager angekommen, so binden Sie mit dem allergefährlichsten Mann in der ganzen Armee an, mit dem Leutnant Dubois. Mich wundert, daß er Sie nicht erschossen oder aufgespießt hat.« Er erzählte, daß der englische Unterleutnant, dessen Zelt Pieter Maritz umgeritten hatte, ein Franzose sei, der seit dreißig Jahren alle Feldzüge Frankreichs in Mexiko, in Algier, in Italien, in der Krim und in China mitgemacht habe und zuletzt nach dem Kriege mit Deutschland aus Verdruß über die französischen Niederlagen in englische Dienste getreten sei. »Wir wollen ihn zu versöhnen suchen,« sagte der Lord. »Ich will ihn auch einladen, heute mittag mit mir zu essen. Dann stoßt ihr beiden mit den Gläsern an und vertragt euch. Er ist ein amüsanter Kerl, steckt voll von Geschichten aus aller Herren Ländern, spricht viele Sprachen und kann fechten wie der Teufel.« Auf ihren schnellen Pferden hatten die beiden jungen Leute bald die übrigen Offiziere wieder eingeholt, und nun sahen sie auch das neu hinzukommende Regiment nahe dem Lager. Die Gesellschaft aus Pretoria bog hier von dem Regimente ab, da sie nicht in das Lager hineinziehen wollte. Viele prächtige Pferde und hübsche schnelle Equipagen waren zu sehen, und dieser ganze Zug der Bürgerschaft lenkte auf der Hauptstraße in die Stadt zurück. Jetzt war auch die junge Dame wieder zu sehen, und Lord Fitzherbert, der mehr nach den Familien aus Pretoria als nach dem Regimente sah, entdeckte sie. »Alle Wetter!« rief er, »ist denn das nicht Jager? dort, unter der reizenden jungen Dame, die wie eine Amazone reitet?« »Ja,« sagte Pieter Maritz errötend, »ich habe Jager der jungen Dame geliehen, weil sie so betrübt war, nicht hinausreiten zu können. Ich habe sie gestern abend kennen gelernt, und sie war sehr freundlich gegen mich.« Lord Fitzherbert sah ihn an und lachte so heftig, daß Pieter Maritz blutrot wurde. »Ein verfluchter Kerl!« sagte der Lord. »Kommen Sie doch, liebster Freund, stellen Sie mich der Dame vor! Freilich wollen die Herren Buern nichts von uns wissen, und wenn sie jetzt herausgekommen sind, so brauchen wir uns nicht einzubilden, daß sie das zur Ehre unserer Truppen gethan haben. Sie wollen ihre Pferde und Wagen zeigen, das ist der Grund. Wahrhaftig, diese junge Dame ist ganz ~chic~, ein reizendes Geschöpf.« Pieter Maritz verstand die Ausdrücke des Lord wieder einmal nicht recht. »Die junge Dame reitet prachtvoll,« sagte er mit seinem unschuldigen Gesicht. »Sie hat sich vorhin in der Karriere vom Sattel niedergebogen und etwas vom Boden aufgenommen, nämlich meinen Hut, der mir vom Kopfe geflogen war.« »Das wird ja immer interessanter. Ich gratuliere Ihnen, Pieter Maritz,« sagte der Lord, seinen jüngeren Freund mit erstauntem Blicke messend. Sie waren indessen der jungen Dame näher gekommen, grüßten sie, und Pieter Maritz stellte den Lord vor, indem er ihn seinen Freund nannte und als den jungen Offizier bezeichnete, von dem er schon erzählt habe. Die junge Dame grüßte den englischen Offizier in einer Weise, über welche Pieter Maritz sich wunderte. Denn sie machte gar nicht das lächelnde Gesicht, welches er an ihr kannte, sondern war sehr kalt und förmlich. »Hat der Herr ~Dr.~ Risseck Sie schon zu seinem Balle eingeladen, Fräulein?« fragte er. »Nein, das hat er noch nicht gethan, aber er wird es noch thun. Der Ball ist erst in etwa acht Tagen.« »Mich hat er auch noch nicht eingeladen,« sagte Pieter Maritz, »aber ich würde nicht kommen können, selbst wenn er mich einlüde, und ich bitte Sie deshalb, mich entschuldigen zu wollen. Ich werde übermorgen abreisen, um meine Mutter und meine Geschwister aufzusuchen, welche ich seit einem Jahre nicht gesehen habe.« »Das ist freilich ein triftiger Grund, und da muß ich mich wohl entschließen, Sie zu entschuldigen,« entgegnete sie. »Leben Sie wohl, Herr Buurman, ich werde Ihr Pferd nach Ihrem Hotel zurückschicken. Wie ich sehe, haben Sie ja vollständigen Ersatz für Ihren Jager gefunden.« Es kam Pieter Maritz so vor, als werfe die junge Dame einen feindseligen Blick auf das schöne Hauptgestell und den Dragonersattel des Rappen und als sei sie überhaupt nicht mehr so freundlich wie früher. »Ich wünsche Ihnen glückliche Reise, und ich danke Ihnen recht sehr für das schöne Pferd,« setzte sie hinzu; dann reichte sie Pieter Maritz die Hand, grüßte den Lord sehr ceremoniös und ritt zu ihrer Begleitung, ihrem Vater und den Damen, zurück. »Da sehen Sie es, die Buern wollen nichts von uns wissen,« sagte der Lord. »Wir haben in keiner guten Familie in Pretoria Zutritt. Das ist die holländische Dickköpfigkeit.« »Von dieser Dickköpfigkeit, lieber Adolphus, sollt ihr Herren Engländer noch viel mehr zu sehen bekommen,« sagte Pieter Maritz, dem die Unterhaltung mit dem Feldkorporal noch sehr frisch im Gedächtnis war. »Oho!« rief Lord Fitzherbert. »Soll es so schlimm werden? Nun, wir beiden wenigstens wollen immer gute Freunde bleiben.« Die jungen Leute ritten in Gesellschaft der englischen Offiziere weiter und sahen sich den Einzug der frischen Truppen an; dann kehrten sie in das Lager zurück. Pieter Maritz sah, daß an einer Seite des Lagers ein Fort gebaut worden war, mit Erdwällen, Gräben, vorspringenden Ecken und unterirdischem Pulvermagazin. Hinter den Wällen standen Geschütze, und als Pieter Maritz über das glänzende braune Rohr von zweien der Kanonen hinwegsah, erblickte er vor dem Korn den Marktplatz von Pretoria. Mit gutem Bedacht hatten die Engländer dieses Fort so angelegt, daß dessen Geschütze nicht nur die Zugänge zum Lager, sondern auch die Hauptstadt von Transvaal beherrschten. Im Zelte des Lord Fitzherbert sah es sehr reich und bequem aus. Der junge Offizier hatte eine eiserne Bettstelle, welche zwar auf der bloßen Erde stand, aber mit prächtigen warmen Fellen bedeckt war, so daß er auch in den kalten Nächten, welche häufig auf sehr warme Tage folgten, hinreichenden Schutz fand. Seine Koffer waren groß und stark und reichlich ausgestattet. Pieter Maritz betrachtete mit verwundertem Lächeln einen ledernen Kasten, der voll von Krystallbüchsen mit goldenen Deckeln war. In diesen Büchsen befanden sich Dinge, die für den Buernsohn neu und fremd waren: wohlriechende Seifen, Puder, Parfüms, Waschessig und allerhand Pomaden und Öle; daneben lagen mehrere Bürsten mit Elfenbeingriffen, Kämme und allerhand kleine Instrumente für die Nägel, lauter Dinge, über welche er gelacht haben würde, wenn er nicht selbst am Tage vorher schon dergleichen bei dem Haarkünstler in Pretoria gesehen hätte. Es hatte ihm, dessen Kamm und Bürste seine zehn Finger waren und der sich am Bache zu waschen pflegte, doch sehr wohl gethan, als der Friseur sein Haar so schön bearbeitet hatte. Jetzt nahm Lord Fitzherbert von dem Mittelpfosten seines Zeltes, der mit Waffen behangen war, ein langes Schwert von fremdartiger Arbeit. Der Griff war ein Kreuz von grauem Stahl, mit goldenen Zieraten eingelegt, die Scheide war von schwarzem Leder mit goldglänzendem Ortband und hing an einem schwarzen Ledergurt. Er zog die Klinge heraus, eine zweischneidige spitze Klinge, und sagte: »Dies ist ein dauerhafter, feiner Stahl, eine alte Arbeit von einem Waffenschmied aus Toledo, und ich glaube, man könnte einen Zuluschild leicht damit durchbohren. Wenn Ihre eigentliche Waffe auch die Büchse ist, lieber Freund, so könnten Sie doch solch ein Ding gut daneben gebrauchen. Kein Gefühl in der ganzen Welt ist so schön wie das, mit einer guten Klinge in der Hand auf einem edlen Pferd zu reiten. Nehmen Sie diesen alten spanischen Degen als Gastgeschenk von mir an, Pieter Maritz!« Pieter Maritz errötete vor Freude. Dann zog er seinen Ring hervor, den er von Tschetschwajo erhalten hatte, und überreichte ihn dem Lord. »Ich nehme den Degen mit Dank an,« sagte er, »und gebe Ihnen diesen Ring als Gegengeschenk.« »O nein,« sagte Lord Fitzherbert, »das hieße, einen schönen Vorteil von Ihnen nehmen. Dieser Ring ist ein Schatz, und wenn Sie ihn in London verkaufen wollten, könnten Sie sehr viele Degen dafür bekommen. Aber damit Sie nicht denken, ich verschmähte ein Geschenk von Ihnen, so bitte ich um Ihren Hirschfänger. Er wird mir immer ein wertes Andenken an den treuen Kameraden unter den Zulus und den braven Räubern des alten wackeren Titus Afrikaner sein.« Pieter Maritz gürtete den Hirschfänger ab, überreichte ihn dem Lord und nahm voll Entzücken den spanischen Degen. Dann gingen beide zusammen zu dem Zelte, wo die Dragoneroffiziere speisten. Es war ein langes Zelt mit gedieltem Fußboden, und die Leinenwände waren inwendig mit weißen und roten Zeugstreifen gedoppelt, so daß der lange breite Raum ein sehr freundliches Ansehen hatte. Eine lange Tafel für etwa vierzig Personen war gedeckt und sah noch glänzender aus als die Abendtafel beim Schatzsekretär in Pretoria. Sie war mit Silbergeschirr, feinem Porzellan und Krystall überaus reich besetzt. Glänzend war auch die Gesellschaft, lauter Offiziere in reichen Uniformen, teils von dem Dragonerregiment, teils von andern Truppengattungen, da auch die Kameraden des Lord Fitzherbert Gäste eingeladen hatten. Lord Fitzherbert stellte den Buernsohn, der in seinem einfachen Anzuge sehr gegen die mit Gold, Silber, Sammet und prächtigen Farben bedeckten Uniformen abstach, den übrigen Offizieren vor, indem er sagte, dies sei der Jüngling, von dem er ihnen so oft erzählt habe, ein unvergleichlicher Reiter und das wackerste Herz. Sie schüttelten ihm darauf alle die Hand, und es war Pieter Maritz ganz wunderbar zu Mute, sich unter den strahlenden Offizieren, diesen vornehmen Leuten, so freundlich empfangen zu sehen. Auch der Franzose, der Leutnant Dubois, war zugegen. Er hatte die Einladung des Lord angenommen und schüttelte ebenfalls Pieter Maritz freundschaftlich die Hand, indem er sagte, es sei ein Glück, daß Lord Fitzherbert vorhin dazugekommen sei, denn er würde in der nächsten Minute wirklich geschossen haben. Dann setzten sich alle zu Tisch, und Pieter Maritz zur Rechten seines Freundes. Eine bunte Gesellschaft von Dienern, teils Engländer, teils Schwarze und teils Indier mit Turbanen auf dem Kopfe, trug ausgesuchte Speisen auf, und es ward fröhlich getafelt. Allerhand Nachrichten über die Zulus schwirrten hin und her. Einer der Offiziere erzählte, daß das Zuluheer bei Isandula den fünften Teil seiner Mannschaften verloren habe und daß Tschetschwajo im Schrecken über so große Verluste sich an den Bischof Schröder von der norwegischen Mission gewandt habe, damit dieser den Frieden vermittele. Er wolle die Bedingungen des Gouvernements annehmen und habe bereits zum Zeichen seiner friedlichen Gesinnung tausend Ochsen an die Grenze gesandt, welche er dem Lord Chelmsford als Geschenk anbiete. Ein anderer Offizier sagte, man werde nach der Niederlage von Isandula keinen Frieden schließen, sondern die ganze Zulumacht zur Strafe in die Pfanne hauen. Lord Fitzherbert aber rief laut: »Ich habe Tschetschwajo und seine Armee kennen gelernt. Ihr kennt ihn schlecht, wenn ihr meint, er bäte um Frieden. Wie? Er hat uns jetzt beinahe ganz im Sacke, und ihr denkt, er kröche zu Kreuz? Er hat den dritten Teil von der Kolonne des Obersten Glyn aufgerieben; Oberst Wood muß sich ganz still bei Lüneburg halten und denkt nicht daran, über die Grenze zu gehen. Endlich die dritte Kolonne unter Oberst Pearson ist in Ekowe völlig eingeschlossen, so daß nicht eine Ratte aus dem Fort heraus kann, ohne von Assagaien aufgespießt zu werden. Wenn Tschetschwajo wüßte, wie es bei uns steht, so ginge er mit seiner Armee über den Buffalo, und er könnte durch ganz Natal marschieren, ohne daß wir ihn daran verhindern könnten.« »Lord Fitzherbert hat recht,« sagte ein älterer Offizier. »Bis die Verstärkungen aus England kommen, müssen wir uns ganz still halten.« Pieter Maritz hörte zu und ließ es sich gut schmecken. Aber er mußte viel dazu trinken, die englischen Offiziere hatten eine eigentümliche Sitte. Jeder der Anwesenden schickte der Reihe nach einen Diener an Lord Fitzherbert und ließ um die Ehre bitten, mit ihm und seinen Gästen ein Glas Wein zu trinken. Dann füllte Lord Fitzherbert dem Buernsohn, dem Franzosen und sich selbst das Glas, sie erhoben die Gläser, nickten dem Herrn zu, der geschickt hatte, und tranken mit jenem zusammen aus. Da dies die Reihe um ging, so war Pieter Maritz schon beim dritten Gange sehr vergnügt. Der Champagner, der ihm zu Anfang sehr stark vorgekommen war, floß jetzt wie Wasser durch seine Kehle. Doch verlor er dabei seine Überlegung nicht. Er dachte an die Aufgabe, welche ihm der Feldkorporal gestellt hatte, und hörte aufmerksam einem Gespräche zu, welches Lord Fitzherbert mit dem Franzosen führte. Dieser Franzose gefiel ihm gut. Etwas Kriegerisches und Abenteuerlustiges sprach aus den schwarzen Augen und dem runden braunen Gesicht. Die riesige Schmarre stand diesen Zügen gut; denn wenn sie auch nicht deren Schönheit erhöhte, so lieferte sie doch einen beständig sichtbaren Beleg für die Kriegserfahrung dieses alten Soldaten. Dubois erzählte, daß er den Auftrag erhalten habe, eine Abteilung leichter Reiter zu bilden. Im Kriege mit den Zulus zeige es sich als eine große Schwäche der englischen Armee, daß sie nicht genug Kavallerie habe. »Ah, ihr Engländer!« rief der lebhafte Franzose, indem er mit den Händen gestikulierte, »ihr seid ein sonderbares Volk. Ihr schlagt euch famos. Alle Achtung! Aber ihr wißt nicht Krieg zu führen. Bei jedem neuen Kriege fangt ihr von vorn an zu lernen. Ihr geht in den Krieg wie zu einem Feste, und erst wenn der Feind eure ersten Truppen niedergemacht hat, fangt ihr an, Ernst zu zeigen. Ihr kennt gar keinen Sicherungsdienst, ihr legt euch in Feindesland ganz bequem ins Gras und eßt euer Beefsteak.« Er sagte, daß mehrere Abteilungen leichter Kavallerie für den Vorpostendienst gebildet werden sollten, zu denen man Buern aus Transvaal, aus dem Oranjefreistaat und Natal anzuwerben denke. Mehrere Offiziere seien beauftragt worden, solche Truppen zu bilden, die dann unter höheren Offizieren zu Schwadronen vereinigt werden sollten. »Können Sie mich gebrauchen?« fragte Pieter Maritz. Der Lord sah ihn erstaunt an, und der Franzose machte ein erfreutes Gesicht. »Ah, vortrefflich, vortrefflich!« sagte Leutnant Dubois, ihm die Hand entgegenstreckend. »Ich nehme Sie an, und Sie sollen mir einen Zug Reiter führen, vorausgesetzt, daß wir erst einen haben. Wie alt sind Sie? Ich denke, Sie müssen achtzehn Jahre sein.« »Ich bin so ungefähr sechzehn,« entgegnete Pieter Maritz. Der Gedanke, einen Reiterzug zu führen, machte ihn schwindeln. »Sechzehn!« sagte der Franzose. »Na, thut nichts. Es kommt auf die Fähigkeiten, nicht auf die Jahre an.« Lord Fitzherbert gratulierte dem Franzosen. »Da haben Sie einen ausgezeichneten Fang gethan, Dubois,« sagte er. »Das ist ein verwetterter Kerl. Aber ist denn das Ihr Ernst, Pieter Maritz? Wollen Sie wirklich in den Krieg ziehen, oder haben Sie nur in fröhlicher Weinlaune so gesprochen? Wenn das ist, so läßt Leutnant Dubois Sie wieder frei.« »Nein, nein,« sagte Pieter Maritz, »es ist mein Ernst. Ich möchte gern unter einem so ausgezeichneten und kriegserfahrenen Offizier wie Herr Leutnant Dubois den Krieg kennen lernen.« »Meiner Treu,« rief der Franzose geschmeichelt, »Sie kennen ihn schon, denn wer bei Isandula war, hat Pulver gerochen. Ich bin es, der sich glücklich schätzt.« Es ward nun verabredet, daß Pieter Maritz zunächst nach dem Norden gehen solle, um seine Gemeinde zu besuchen, daß er aber so bald als möglich in das Lager zurückkehren und dann unter das Kommando des Leutnants Dubois treten solle. Lord Fitzherbert ließ eine frische Flasche bringen, und alle drei stießen auf einen glücklichen Feldzug der leichten Reiter an. Inzwischen ward es an der Tafel immer lebhafter und lustiger. Das Musikcorps der Dragoner saß draußen vor dem großen Zelte und machte Tafelmusik, das Zutrinken folgte sich immer häufiger, und die Köpfe wurden rot. Pieter Maritz war in einer seltsamen Stimmung, wie nie vorher. Er war unbeschreiblich froh und kam sich selbst so leicht vor, als könnte er fliegen. Er sah sich im Geiste mit dem spanischen Schwerte in der Hand vor einer Reiterschar zum Angriff jagen und dachte, er würde die Zulus wie eine Herde Ziegen vor sich hertreiben können. Dubois erzählte Geschichten aus der Krim und aus Mexiko und machte dazu ein so köstliches Gesicht, ließ seine Augen so furchtbar blitzen und rollen, daß Pieter Maritz vor Lachen fast vom Stuhle gefallen wäre. Als das Essen beendigt war, wurde das weiße Tischtuch abgenommen, und eine grüne Decke kam darunter zum Vorschein. Nun wurden frische Gläser auf den Tisch gesetzt, und silberne Krüge voll Portwein gebracht. Mehrere Offiziere ließen Würfel bringen und spielten um Haufen von Goldstücken, die sie auf dem grünen Tuche ausstreuten. Aber Pieter Maritz spielte nicht mit. Er wollte sein Geld seiner Mutter mitbringen und war noch kaltblütig genug, um zu denken, daß das Würfeln ein gefährliches Vergnügen sei. Er wurde jetzt nachdenklich und wünschte, das Trinken möge aufhören. Der Wein schmeckte ihm nicht mehr. So war es ihm sehr angenehm, daß Lord Fitzherbert und der Franzose, welche ebenfalls nicht spielten, ihm den Vorschlag machten, spazieren zu fahren. Er erhob sich und ging mit ihnen hinaus. Doch kam ihm die Welt sehr sonderbar vor. Die Zelte ringsum schienen tanzen zu wollen, so daß er von neuem lachen mußte. Sie gingen zusammen nach den Ställen des Regiments, zu welchem der Franzose gehörte, und dieser ließ einen kleinen leichten Wagen anspannen. Vier junge Pferde aus Transvaal, kleine, aber kräftige Tiere wurden vorgespannt, und dann ergriff Dubois selber die Zügel, während der Lord und Pieter Maritz sich auf die Bank hinter dem Bocke setzten. Daß auf dieser Fahrt kein Unglück geschah, war merkwürdig. Zwar verstand der Franzose zu fahren, aber der Weg, den er wählte, machte auch seine Fahrkunst sehr notwendig. Es ging im sausenden Galopp über Stock und Stein, und oft lag der Wagen so auf der Seite, daß er nur auf zwei Rädern rollte, während die auf der andern Seite in der Luft schwebten. Sie besuchten den »Wunderboom«, fünf Kilometer von Pretoria entfernt, einen höchst bemerkenswerten riesigen Baum, dessen Zweige zum Boden zurückkehren und dort neu wurzeln, so daß dieser einzige Baum ein ganzes Gehölz bildet. Auf der Rückkehr kamen sie über eine steile Höhe an einem jähen Abgrunde vorbeigesaust, und Pieter Maritz blickte mit dem Gefühl hinab, daß es sehr wahrscheinlich sei, Wagen und Pferde und Menschen würden im nächsten Augenblick dort unten liegen. Aber dies war für heute sein letzter Gedanke. Er wußte nichts mehr von dem, was nun noch geschah, bis er, in seinem Bette liegend, aufwachte und vergnügt, obwohl etwas erstaunt, die Morgensonne in das Café de l'Europe scheinen sah. [Illustration] [Illustration] Einundzwanzigstes Kapitel Daheim und in englischen Diensten Pieter Maritz dachte darüber nach, wie er wohl nach Hause und in sein Bett gekommen sein möge, konnte aber zu seiner Beschämung keine Spur von Erinnerung in seinem Kopfe entdecken. Vermutlich hatte der Franzose ihn nach dem Hotel gefahren und hatten ihn die beiden Offiziere ins Bett gebracht. Wein trinken ist doch eine dumme Sache, sagte sich Pieter Maritz. Man nimmt einen Feind in sich auf, der einem die Besinnung raubt. Erst wird man vergnügt, und nachher weiß man nicht mehr, was man thut. Wenn der alte gute Missionar hier wäre, so würde er mir wohl sagen, es sei am sichersten, gar keinen Wein zu trinken; denn er meinte immer, man dürfe dem Teufel nicht den kleinen Finger geben. Es ist doch gut, daß er mich gestern abend nicht gesehen hat. Er stand auf und fühlte sich etwas schwer im Kopfe und sehr durstig. Ein sonderbares Getränk ist doch der Wein, dachte er. Es scheint so, als ob er immer durstiger mache, je mehr man davon trinkt. Nun fiel ihm ein, was er wohl bemerkt, aber nicht weiter beachtet hatte: daß der Präsident, Herr Paul Krüger, in der Gesellschaft beim Schatzsekretär nur Wasser getrunken und auch beim Ausbringen des Wohls der Republik ein Glas Wasser in die Höhe gehoben hatte. Pieter Maritz ging in den Hof und ließ sich an dem Brunnen vor dem Stalle das Wasser über Kopf und Hals laufen. Dann ging er, sehr erfrischt, zu Jager und sattelte ihn. Umgürtet mit seinem schönen neuen Degen, den er auf dem Tische in seinem Zimmer gefunden hatte, ritt er hinaus ins Feld, und die Kühlung seiner nassen Locken im Winde sowie die Bewegung ließen bald jedes Unbehagen verschwinden. Dann ritt er fröhlich in das englische Lager und besuchte Lord Fitzherbert. Der junge Offizier sah blaß aus und trank Sodawasser mit Kognak in seinem Zelte. Als er des Buernsohnes rote Backen und glänzende Augen sah, seufzte er. »Pieter Maritz, ihr Buern seid ein verwettertes Völkchen,« sagte er. »Wie können Sie sich unterstehen, heute morgen so frisch wie eine blühende Rose auszusehen?« Pieter Maritz lachte. »Ich komme, um Ihnen Lebewohl zu sagen, Adolphus,« sagte er. »Aber es thut mir leid, daß Sie krank sind.« »Krank? Der Teufel ist krank!« sagte der Lord. »Ich habe nur etwas Kopfschmerzen. Das kommt von der Musik; ich kann es nicht leiden, wenn einem ins Essen hineingeblasen wird.« »Ach, es war die Musik?« fragte Pieter Maritz ganz unschuldig. »Ich dachte, Sie hätten zu viel Wein getrunken, so wie ich.« »Ei, bewahre, ich trinke nie zu viel,« sagte der Lord. »Aber kommen Sie, wir wollen etwas frühstücken.« Er stand auf und vertauschte seinen leinenen Rock mit der Uniform, als Leutnant Dubois vor dem offenen Zelte erschien. »Wißt ihr das neueste?« fragte er. »Die Zulus kommen. Man hat die Meldung erhalten, daß sie, zwanzigtausend Mann stark, nur noch fünfzig Kilometer weit entfernt von Pretoria stehen.« »Fünfzig Kilometer?« fragte der Lord. »Da können die Kerle vor heute abend nicht hier sein, und wir haben Zeit, zu frühstücken.« »Fünfzig Kilometer!« rief der Franzose, »da können sie auch morgen noch nicht hier sein.« »Sie kennen die Zulubeine nicht, mein lieber Dubois,« sagte der Lord. »Diese Kerle haben vier Beine. Wenn sie auf zweien müde sind, laufen sie auf den beiden andern. Doch laßt uns frühstücken, man lebt nur einmal!« »Das ist auch mein Gedanke,« entgegnete der Franzose lachend. »Kommt mit zu mir.« Alle drei gingen zu dem Zelte, wo das Regiment des Franzosen zu speisen pflegte. Dort waren wohl ein Dutzend Offiziere beisammen, welche aßen und sich über die Wahrscheinlichkeit des Angriffs der Zulus unterhielten. Einige glaubten die Nachricht, andere zogen sie in Zweifel. »Pah, die Niggers werden uns rein zum Schreckgespenst,« sagte ein älterer Offizier. »Jeden Tag kommt man mit der Meldung, sie rückten an. Ich glaube das nicht, bevor ich sie nicht sehe.« Dubois bereitete eigenhändig ein Gericht, von welchem er behauptete, es sei gesund nach einem Trinkgelage. Er ließ gebratene Hammelnieren bringen, schnitt sie ganz klein und bestreute sie mit dem gelben Pulver des Curry und mit Champignons. Dies Gericht ließ er in Bouillon schmoren und empfahl es Pieter Maritz als sehr wohlthätig. Pieter Maritz versuchte es, aber konnte es nicht essen. Ebensowenig mochte er trinken, was die beiden Offiziere tranken: Kognak und Absinth gemischt, sowie ein Getränk, welches sie »~brandy-pawnee~« nannten. Er hatte genug von den verfeinerten Speisen Pretorias und des englischen Lagers und ließ sich sein heimisches Gericht, eine Schüssel Maisbrei, bringen. Dazu trank er ein Glas Ale. Dann sagte er den beiden Offizieren Lebewohl, versprach, sobald als möglich zurückzukehren, und ritt davon. Er überlegte sich seine neue Stellung in der Welt. Die gestrige Verabredung mit dem Leutnant Dubois hatte er heute morgen erneuert, und nun würde er bald, so sagte er sich, in englischem Solde gegen die Zulus zu Felde ziehen. Die Engländer bezahlten vortrefflich. Er hatte im Lager erfahren, daß die Buern für jeden zwölfspännigen Ochsenwagen bei der Armee monatlich achtzig Pfund Sterling erhielten. Er selbst sollte monatlich dreißig Pfund Gage haben. Da konnte er seiner Mutter, wenn Gott ihn lebendig aus dem Kriege zurückkehren ließ, eine schöne Summe mit nach Hause bringen. Dazu vollführte er, wenn er als leichter Reiter den Feldzug mitmachte, in vortrefflicher Weise den Auftrag Jouberts, sich die englische Armee genau anzusehen, und er würde nachher dem Feldkorporal die genauesten Berichte über sie machen können. Er ritt zu seinem Hotel zurück, brachte Jager in den Stall und ging aus, um Geschenke für seine Mutter und seine Geschwister zu kaufen. Er besuchte mehrere Magazine und sah so viele schöne Sachen, daß ihm die Auswahl schwer wurde. Endlich entschloß er sich zu einem großen roten Tuche für seine Mutter. Das Tuch war so groß, daß sie sich ganz darein hüllen konnte und daß es ebensowohl geeignet war, vor der Kälte zu schützen als die Bewunderung aller andern Buernfrauen der Gemeinde zu erregen. Für seinen ältesten Bruder, der nun nahe an fünfzehn Jahre alt sein mußte, kaufte er einen Matrosenrevolver, für den darauf folgenden, der dreizehn Jahre zählte, ein starkes, breites Messer, das im Griff feststehen konnte, und so wählte er für jedes der Geschwister einen Gegenstand aus, der ihm Vergnügen machen mußte. Die Geschenke steckte er in einen schönen neuen Mantelsack, der hinter Jagers Sattel gebunden werden sollte, und das Herz hüpfte ihm vor Freude bei dem Gedanken an die glücklichen Gesichter daheim, wenn er auspacken würde. In der Frühe des Morgens am andern Tage brach die Gesellschaft auf, welche sich nach dem Norden begeben wollte, und Pieter Maritz schloß sich ihr an. Es waren etwa zwanzig Leute, lauter Männer und alle beritten. Nur ein einziger Wagen war dabei, aber kein Ochsenwagen, sondern ein zweiräderiger Karren, der mit zwei Pferden bespannt war. So konnte die Reise rasch von statten gehen. Mehrere Buern waren dabei, aber zumeist waren es Fremde, Abenteurer aus verschiedenen europäischen Ländern, welche die Gesellschaft bildeten, und sie zogen aus, um im Lande der Matebele Gold zu suchen. Wilde Gesichter und rauhe Hände, viele Waffen und eine buntscheckige Bekleidung zeichneten die Erscheinung dieser Leute aus, und sehr verschiedene Sprachen, spanisch, deutsch, italienisch, englisch, französisch und holländisch, erklangen aus ihrem Munde. Niemals hatte Pieter Maritz eine solche Menge verschiedenartiger Flüche für möglich gehalten, wie sie an diesem Morgen auf dem Marktplatze zu hören waren, wo die Gesellschaft sich versammelte. Besonders thaten sich im Fluchen zwei Spanier hervor. Der eine war ein großer vierschrötiger Bursche in einer mit vielen Knöpfen besetzten Jacke, mit zwei Revolvern und einem Dolche in dem roten Shawl, der ihn umgürtete, der andere eine zierliche dunkelfarbige Gestalt mit unheimlich funkelnden schwarzen Augen und nach Buernsitte gekleidet und bewaffnet. Unter den übrigen Erscheinungen fiel Pieter Maritz besonders ein riesenmäßiger Deutscher mit rötlichem langem Haar und blauen Augen auf, der von der Nordseeküste stammte. Er hatte ein kindlich freundliches Lachen und bewegte ein Remingtongewehr so leicht in seinen Händen, als ob es ein Spielzeug gewesen wäre. Diese Leute hatten die Absicht, zunächst nach Lydenburg zu reisen und sich dort mit Werkzeug für die Goldgräberei weiter im Norden zu versehen. Es war keine Gesellschaft, die Pieter Maritz besonders zugesagt und gut gefallen hätte, denn die Leute fluchten in einer entsetzlichen und gottlosen Weise, so daß es ihm oft einen Stich ins Herz gab, wenn er den Namen Gottes dem Gebote der Heiligen Schrift zuwider unnütz und frevelhaft geführt hörte. Dazu hatten diese Leute einen rohen und niedrigen Sinn, der sich auch in ihrem übrigen Benehmen offenbarte. Sie dachten nur an Gewinn, nur an Gold, und mit Ausnahme des riesigen Deutschen aus dem Friesenlande waren sie alle finster und schienen übler Laune zu sein. Doch hatte Pieter Maritz wenigstens den Vorteil von ihrer Begleitung, daß er sicher vor Räubern und wilden Tieren seine Reise machen konnte. Die Gegenwart so vieler Büchsen hielt beide fern, und ohne Unfall kam die ganze Gesellschaft in Lydenburg an. In dieser Stadt, welche gleich den andern Städten des Transvaallandes zerstreut, mit breiten langen Straßen und vielen Gärten lag, herrschte ein reges Gewimmel abenteuerlicher Gestalten, die teils durch den Krieg, teils durch die Goldgruben im Norden herbeigelockt worden waren. Die Gesellschaft von Pretoria verteilte sich, und ein jeder ging seinen Weg, der eine um Gerät, der andere um einen Ochsenwagen zu kaufen, und alle suchten eine enge Genossenschaft von zweien oder dreien zu bilden, um unter gegenseitiger Hilfsleistung in kleiner Gesellschaft das geliebte Gold zu suchen und dabei möglichst vor Verrat, Raub und Mord von seiten der Nachbarn und eigenen Genossen gesichert zu sein. Pieter Maritz aber erkundigte sich nur nach seiner Gemeinde, und er erfuhr auch wirklich, daß diese nur etwa vier Meilen weit entfernt im Norden weile. Er machte sich an einem der ersten Februartage allein von Lydenburg auf und ritt in der ihm bezeichneten Richtung nach Norden. Nun war er dem Ziele seiner Sehnsucht nahe, und er konnte es in freudiger Ungeduld kaum erwarten, es zu erreichen. Er hatte die Geschenke in seinem Mantelsacke und über demselben, und immer wieder mußte er daran denken, welchen Eindruck sie auf seine Mutter und seine Geschwister machen würden. Er lachte mit dem ganzen Gesichte, wenn er sich vorstellte, wie die ganze Reihe der Kinder dastehen und Mund und Augen aufsperren würde. Ob die Geschwister wohl sehr gewachsen waren? Er selbst war in dem letzten Jahre um einen halben Kopf gewachsen und so breit und stark geworden, daß nur immer wiederholtes Flicken seinen alten Anzug hatte zusammenhalten können, bis er ihn glücklich wegwerfen und das schöne Kostüm kaufen konnte, das er jetzt trug. Er trug die Bügelriemen jetzt fast so lang wie einst sein Vater, nur noch zwei Löcher fehlten. War er doch nunmehr auch Reiter in englischem Dienst, ja mehr als gewöhnlicher Reiter, ein Mann von der Stellung und Würde eines Unteroffiziers, da er einen Zug führen sollte. Was würde man daheim in der Gemeinde zu solchen Dingen sagen? Sicherlich würden alle staunen, besonders aber die Altersgenossen, die er als Knabe verlassen hatte und als Jüngling, als Mann wiedersehen sollte. Jager mußte unter solchen Gedanken und Hoffnungen seines Reiters einen flotten Schritt gehen, und so waren die vier Meilen in kurzer Zeit zurückgelegt. Als die Sonne im Mittag stand, erblickte Pieter Maritz in einem sanften grünen Thale vor sich den Rauch von mehreren Hütten und Lagerfeuern aufsteigen, viele Wagen im Kreise stehen und die dunklen Massen großer Herden. Jubelnd schwenkte er den Hut in der Luft und rief laut seine Freude zum Himmel empor: das mußte seine Gemeinde sein. Er hatte richtig gesehen. Noch ein Galopp von wenigen Minuten, und er erblickte bekannte Gesichter. Ehrwürdige Männer mit grauen Bärten saßen im Schatten eines Seidenwollbaumes am Feuer und ließen sich von schwarzen Dienern Maisbrei und gekochtes Ziegenfleisch auftragen. Baas van der Goot war in ihrer Mitte, und der Oheim Klaas saß neben ihm. Pieter Maritz trieb sein Pferd nahe an den Kreis hinan, der verwundert auf den Ankömmling blickte, sprang ab und trat auf die Männer zu, indem er seinen Hut abzog und mit glückstrahlendem Gesicht ehrerbietig grüßte. Im ersten Augenblick schienen sie ihn kaum zu erkennen, sein neuer Anzug und sein entwickeltes Aussehen machten sie betroffen; aber alsbald überzeugten sie sich, daß dies der für verloren gehaltene Pieter Maritz und der treue Jager des im Kampfe gefallenen Andries sein müßten, und sehr verwundert, aber auch sehr erfreut, schüttelten sie ihm die Hände. Baas van der Goot erinnerte sich kaum noch der Angelegenheit mit den beiden Zulus, die er der Hut des Knaben anvertraut hatte; und als er vernahm, daß der berühmte Feldkorporal Joubert ihn grüßen lasse, fühlte er sich so sehr geschmeichelt und wuchs in seinen eigenen Augen zu solcher Höhe und Bedeutung an, daß er den Überbringer der guten Botschaft mit den freundlichsten Augen ansah. Klaas Buurman berichtete, daß es seiner Schwägerin und ihren Kindern wohl gehe und daß sie drüben in der zweiten Hütte wohnten. Pieter Maritz ließ sich nun trotz der zahlreichen Fragen, die an ihn gerichtet wurden, nicht länger im Kreise der Ältesten festhalten, sondern schwang sich von neuem in den Sattel und jagte die wenigen hundert Schritte hinüber zu der bezeichneten Hütte, deren Dach über den Kreis der Wagen hinausragte. Schon als er in diesen Kreis hineinritt, ward er mehrere seiner Geschwister gewahr, die in der Nähe der Hütte spielten und miteinander Ringkämpfe anstellten, wobei sie sich tüchtig in das dicke blonde Haar packten und krebsrot vor Zorn im Gesicht wurden. »Ihr Taugenichtse! Wollt ihr wohl!« rief Pieter Maritz lachend und zugleich vor Freude weinend, indem er Jager dicht neben ihnen anhielt. Die Knaben ließen sich los, starrten empor und waren ganz verdutzt und verlegen. Pieter Maritz sprang ab, gab dem ältesten von ihnen, der acht Jahre zählte, das Pferd zu halten und lief in die Hütte. Hier saß in dem vordersten der beiden Räume, welche das nach Kaffernart errichtete Gebäude enthielt, seine Mutter mit zwei Töchtern bei einer häuslichen Arbeit. Sie blickte erstaunt empor, als sie den Schritt und den Ruf des Eintretenden vernahm, und für einen Augenblick erbleichten ihre Wangen. Aber in der nächsten Sekunde lag Pieter Maritz zu ihren Füßen und umfaßte ihren Leib mit beiden Armen, ergriff ihre Hände und küßte sie -- und die Mutter neigte ihren Kopf auf den des lange vermißten Sohnes hinab und weinte vor Freude mit ihm zusammen. Sie hatte eine Zeit schwerer Arbeit und vielen Kummers hinter sich. Nach dem Tode ihres Mannes hatte sie allein dem Haushalte vorstehen müssen, und sie wäre der Sache wohl kaum Herr geworden, wenn sie nicht so stark und gesund gewesen wäre und nicht in der Vollkraft ihrer Jahre gestanden hätte. Sie hatte den Zug des Ochsenwagens geleitet und oft im Sattel gesessen, um die Herde zu überwachen. Nun hatte sie hier ihre eigene Hütte gegründet und führte Handel mit Vieh, wodurch sie ihrer Familie ein ausreichendes Einkommen verschaffte. Die ganze Gemeinde trieb jetzt lebhaften Handel mit Vieh, sowie mit Korn und Viehfutter nach den nördlichen Distrikten hin, wo die Goldgräber waren, und sie hatte sich dieses vorteilhaften Handels wegen hier angesiedelt. Voll von Erstaunen und mütterlichem Stolze betrachtete Frau Buurman ihren ältesten Sohn vom Kopf bis zu den Füßen und konnte nicht satt werden, den schon für tot Gehaltenen und verloren Gegebenen zu küssen und nach seinen Erlebnissen zu fragen. Als er nun aber aus der inneren Tasche seines schönen blauen Rockes einen Beutel mit Goldstücken zog und ihr schenkte, als er dazu aus dem Mantelsack den roten Shawl nahm und ihr überreichte, da war sie sprachlos vor Freude und Glück. Denselben Erfolg hatte Pieter Maritz mit seinen Geschenken bei den Schwestern und Brüdern. Zwar waren die beiden ältesten Jungen mit den Knechten draußen beim Vieh auf der Weide, und so konnte er den Matrosenrevolver und das Stoßmesser noch nicht überreichen, aber auch schon mit den kleineren Geschwistern gab es so viel Jubel und Entzücken, daß das Herz kaum groß genug zu sein schien, alles Gute zu fassen. Die Familie hatte schon zu Mittag gegessen, aber da Pieter Maritz noch nicht gespeist hatte, wurde schnell von neuem gekocht, und sie aßen alle gern noch einmal mit und tranken dazu eine gewaltige Kanne Kaffee. Gegen Abend kamen auch die ältesten Brüder vom Felde und von der Weide herein, und die Freude nahm einen neuen Anfang. Sie waren alle tüchtig gewachsen, die Geschwister; und eine stattliche, schöne, gesunde und starke Schar Blondköpfe und Blauaugen war es, die Mutter Buurmans Kniee umschwärmte. Auch Jager hatte es heute gut. Sie rechneten ihn alle zur Familie, küßten und streichelten ihn, gaben ihm die weichste Streu am besten Platze neben dem Wagen und hätten ihn sicherlich krank gefüttert, wenn er nicht als ein verständiges Tier seine ihm dienliche Futtermenge genau zu berechnen gewußt hätte. Am Abend widerfuhr Pieter Maritz die Ehre, daß Baas van der Goot in Begleitung des Oheims Klaas persönlich in der Hütte der Frau Buurman vorsprach, um ihn zu besuchen und zum gemeinsamen Trunk der Ältesten einzuladen und abzuholen. Er ging mit ihnen und setzte sich in den Kreis der Würdigen am Lagerfeuer, wo der Bierkrug herumging und die Pfeifen dampften. Hier mußte Pieter Maritz der Reihe nach seine Erlebnisse erzählen, und es kam ihm nun schon selbst so vor, als ob sich diese in der Erinnerung nach so vielfältigem Bericht wunderbar schön zu runden, zu glätten und zu völlig imposanten Thaten zu gestalten anfingen. Nur die eine Thatsache, daß er jetzt als Reiter im englischen Solde stand, wollte den alten Herren nicht recht gefallen. »Ich denke, Neffe,« sagte Baas van der Goot, »daß allerdings die Engländer Christen sind und daß sie ein gutes Werk unternehmen, indem sie die Schepsels drüben vertilgen wollen; aber daß du ihnen dabei hilfst, während wir Buern doch von ihnen mit Ungerechtigkeit bedrückt werden, das will mir nicht als etwas Schickliches für den Sohn von Andries Buurman einleuchten.« »Oheim,« sagte Pieter Maritz nach einigem Überlegen, »ich habe über diese Sache mit dem Feldkorporal Joubert gesprochen, und er hat es gutgeheißen.« Baas van der Goot that mehrere Züge bedächtig aus seiner Pfeife und erwog den Sinn dieser Worte. »Wenn Joubert es gutgeheißen hat,« sagte er dann, »so muß es allerdings gut sein. Ich hoffe nur, daß du wieder bei uns sein wirst, wenn wir den Transvaalschen Vierklör[*] aufpflanzen und die Engländer aus unserm Lande hinauswerfen.« [*] Viercouleur, die vier Farben der Transvaalrepublik: rot, weiß, blau und grün. »Dann werde ich wieder bei euch sein, so Gott will,« antwortete Pieter Maritz, indem er angesichts des Sternenhimmels, über welchem der Allmächtige thront, den Hut in frommer Betrachtung zukünftigen Schicksals von den Locken nahm. Pieter Maritz besichtigte am folgenden Tage die Herde und den ganzen väterlichen Besitz, der nun auf die Familie gekommen war, und er fühlte sich wohl und heimisch in den altgewohnten Beschäftigungen. Auch brachte er Glück in das Lager der Treckbuern. Es war eine lange Dürre gewesen, der Erdboden war wie Asche und das Gras gelb. Aber am Tage nach seiner Ankunft kam ein herrlicher Regen herab, so daß es wunderbar war, zu sehen, wie die Erde auflebte. Über Nacht ward der graue, staubige Boden mit frischem Grün bekleidet, duftende Blumen, besonders eine rote Lilienart, sproßten hervor, Millionen von Käfern, Würmern, Ameisen und Fröschen krabbelten plötzlich an die Oberfläche, und viele Schlangen kamen aus ihren Schlupfwinkeln hervor. Die Schafe und Ziegen standen mit erhobenen Köpfen da und ließen sich auf die Nasenspitzen regnen, Hornvieh und Pferde wälzten sich im nassen Grase, das Federvieh tanzte mit ausgebreiteten Flügeln stundenlang gegen den Wind an, die Buern badeten im anschwellenden Bache, und die Kaffern standen mit abgezogenen Wollhemden unter den Traufen der Hütten und den triefenden Wagenecken, ließen sich den warmen Strom über Kopf und Rücken rieseln und grunzten vergnügt: ~Lekker, Baas, mooi lekker~. Nachdem Pieter Maritz aber eine Woche lang daheim gewesen war, stachelten ihn das Gefühl der Pflicht und die Gewohnheit bewegten Lebens aus seiner behaglichen Ruhe auf, und er beschloß, das englische Lager bei Pretoria wieder aufzusuchen und sich dem Leutnant Dubois zur Verfügung zu stellen. Die Mutter fügte sich seinem Wunsche in dem Gefühl, daß der nun groß gewordene Sohn selbst seine Pflicht und seine Aufgaben kennen müsse, und sie entließ ihn mit ihrem Segen. Auch packte sie ihm Wäsche und gestricktes Unterzeug, von ihrer eigenen Hand verfertigt, in den Mantelsack, gab ihm den Mantel ihres verstorbenen Mannes, ein schweres altes Stück von unverwüstlichem Stoff, und schenkte ihm dazu noch ein besonderes Andenken, das er um den Hals hängen sollte. Sie bewahrte in ihrem Schranke eine uralte gelb gewordene Schrift auf, ein Traktätchen in englischer Sprache mit dem Bilde Christi auf der ersten Seite. Sie traute diesem Schriftchen eine besondere Heiligkeit um so mehr zu, als sie es nicht lesen konnte, und sie war überzeugt, daß es ihrem Sohne in der Gefahr gute Dienste leisten würde. So faltete sie es denn zusammen, steckte es in einen leinenen Beutel, nähte ein Kreuz darauf und gab es Pieter Maritz, um es als Amulett und Talisman beständig zu tragen. Dann umarmte sie ihn, er küßte alle seine Geschwister, stieg auf Jagers Rücken und wandte sich von neuem der Welt zu. Nachdem er den Weg über Lydenburg und Pretoria, der ihm nun vollständig bekannt war, glücklich zurückgelegt hatte, traf er am Nachmittage des 15. Februar wieder im Café de l'Europe ein, fand dort Unterkommen und begab sich zum Feldkorporal Joubert. Er traf dort mehrere angesehene Männer der Regierung, auch einen andern bedeutenden Heerführer der Buern, Namens Smit, und er wollte sich bescheiden zurückziehen, um ein anderes Mal wiederzukommen. Aber Joubert ließ ihn eintreten, begrüßte ihn freundlich und übergab ihm die versprochenen Papiere, Empfehlungsschreiben und dazu eine Summe von fünfzig Pfund Sterling. Pieter Maritz gewahrte in den Mienen der anwesenden Männer großen Ernst und den Ausdruck stolzer Entschlossenheit. Er vernahm, da sie in seiner Gegenwart ihre Unterhaltung fortsetzten, daß die Regierung der Kapländer die Buern um Hilfe gegen Tschetschwajo gebeten habe, daß die Regierung von Transvaal aber jede Unterstützung entschieden verweigert habe. »Nur, wenn England unsere Unabhängigkeit anerkennen will und nicht mehr den geringsten Anspruch auf Oberherrschaft über das Gebiet der Republik erhebt, wollen wir ihm zu Hilfe kommen,« sagte Herr Smit. »Jetzt sind sie klein, die stolzen Engländer, und wissen sich in ihrer Furcht vor den Zulus nicht selbst zu helfen. Deshalb sind sie freundlich und machen uns Versprechungen. Wollten wir aber so thöricht sein, ihnen zu helfen, ohne sichere Bürgschaft zu haben, so würden wir nach dem Siege bald einsehen, was dieser Sieg für uns zu bedeuten hätte. Nein, die Unabhängigkeit unseres Landes muß unser höchstes Ziel sein, daran wollen wir Gut und Blut setzen; aber es muß eine reine Sache sein zwischen uns und England, und die Gerechtigkeit muß durch kluge Politik unterstützt werden.« Pieter Maritz ritt am andern Morgen nach dem Lager hinaus und fand den Leutnant Dubois in voller Thätigkeit. Der lebhafte Franzose war ganz Feuer und Flamme für seinen neuen Dienst und hatte gegen fünfzig Männer verschiedenen Alters, viele jung, viele bereits graubärtig, sämtlich aus dem Buernstamme, um sich versammelt. Alle trugen den breitkrempigen Hut und die Ausrüstung der Buern, und sie ritten meistens kleine, aber abgehärtete, starke und schnelle Pferde. Leutnant Dubois selbst, in englischer Uniform, saß auf einem vortrefflichen Tiere afrikanischer Zucht und redete mit großer Zungenfertigkeit in einer Sprache, welche niemand verstand, da sie aus französisch, englisch, holländisch und den verschiedenartigsten Ausdrücken anderer Sprachen zusammengeflickt war. Er freute sich sehr, als er Pieter Maritz erblickte, und trug ihm sofort auf, den Leuten zu erklären, um was es sich handle, da er selber es ihnen nicht deutlich machen könne. Pieter Maritz fragte ihn, was das sei, was er ihnen sagen solle, und der Leutnant teilte ihm nun auf englisch mit, daß die Freiwilligen am folgenden Tage von Pretoria aufbrechen und nach Durban marschieren sollten, wo sie mit andern Freiwilligen zu einem größeren Corps formiert werden würden. Diesen Befehl übersetzte Pieter Maritz seinen Landsleuten und trat damit eine Art von Adjutantenstelle beim Leutnant Dubois an. Denn dieser war sehr befriedigt von der Art und Weise, wie der Buernsohn sich benahm und seiner Aufgabe erledigte, hatte auch vom Lord Fitzherbert so viel Gutes über ihn gehört, daß er großes Vertrauen in ihn setzte. Lord Fitzherbert selbst, den Pieter Maritz aufsuchen wollte, nachdem er seine dienstlichen Geschäfte erledigt hatte, war nicht mehr im Lager. Die Dragoner waren abmarschiert, um zu der Hauptmacht unter Lord Chelmsford zu stoßen. Überhaupt hatte sich das Lager sehr verkleinert. Der eine Teil der Truppen war zum Obersten Evelyn Wood gestoßen, der andere zum Lord Chelmsford marschiert. Zwei starke Kolonnen wurden gebildet, die eine an der Grenze von Transvaal, die andere am Tugelafluß. So war nur wenig Mannschaft als Besatzung des Forts von Pretoria zurückgeblieben. Am Tage darauf brach die kleine Schar der freiwilligen leichten Reiter von Pretoria auf und trat den Marsch nach Süden an. Leutnant Dubois ritt an der Spitze, neben ihm ritt Pieter Maritz, und des Leutnants Vierspänner, mit einigem Gepäck beladen und von den Dienern geleitet, folgte dem Reitertrupp. Der Marsch ging schnell, denn es war kein Ochsenwagen beim Zuge, und die Transvaalpferde gingen einen wackeren Schritt. Dennoch ward das Ziel des Marsches erst nach sehr langer Zeit erreicht. Das lag daran, daß Leutnant Dubois den Auftrag hatte, unterwegs so viel Freiwillige als möglich anzuwerben. Er machte daher in allen bedeutenderen Plätzen auf der Route Halt, quartierte seine Mannschaft ein und erließ eine Bekanntmachung, daß er Reiter für den Feldzug ins Zululand suche. Jeder Mann sollte jeden Tag fünf Schilling Lohn und außerdem freie Verpflegung für Reiter und Roß haben. Es war jedoch nicht leicht, Mannschaft zusammenzubringen. Die seßhaften Buern fanden sich nicht zum Kriegsdienst, denn es ging ihnen zu wohl und sie haßten England. Nur Leute von zweifelhafter Stellung und ohne Vermögen, unruhige Geister, abenteuerlustiges Volk stellte sich ein, und dergleichen Leute gab es nicht viel in diesen Ländern, wo Raum genug für lohnenden Ackerbau und Viehzucht und nur eine dünne Bevölkerung war. Auch hatten die Engländer schon seit langen Monaten alles Menschenmaterial, dessen sie habhaft werden konnten, zusammengesucht, um ihre Regimenter und ihre Trains damit zu füllen. So stieg die Schar der leichten Reiter nur langsam an. Pieter Maritz aber war bei diesen Werbungen von großer Brauchbarkeit, da er Land und Leute kannte und verstand, auch von freundlichem Wesen und gewandt im Umgange war. Er hatte dabei einen offenen Blick für alle Begebenheiten in der englischen Armee, indem er sich seiner patriotischen Aufgabe immer bewußt blieb. Mit Erstaunen und oft mit Lächeln bemerkte er, welchen Respekt die Engländer vor den Zulus bekommen hatten. Wo er auf englische Truppenkörper stieß, welche lagerten, da waren sie immer verschanzt. Der Zug der leichten Reiter ging längs der englischen Front hin, über Helpmakaar, Greytown und Pietermaritzburg nach Durban, so daß Pieter Maritz im lebhaftesten Gewühle der Kriegsrüstungen und inmitten der Begebenheiten war. In der Stadt Pietermaritzburg sah er zum erstenmale eine Eisenbahn, jene Bahnlinie, die von dort nach Port Natal führt. Helpmakaar hatte sich gewaltig verändert, seitdem er es zuletzt gesehen hatte. Damals, vor der Niederlage von Isandula, war es ein offener, lustiger Platz gewesen, nun war es in eine Festung verwandelt worden, und die Kolonne des Obersten Glyn, welche mehr als ein Drittel ihres Bestandes eingebüßt hatte, lag darin. Diese Truppen hatten mit dem Lager bei Isandula zugleich ihr ganzes Gepäck verloren und arbeiteten in den Gräben und an den Wällen in oft wunderlichem Kostüm. Für ihre zum Teil abgetragenen und noch nicht wieder ersetzten Uniformen hatten sie Buernkleidung angeschafft und waren halb Soldaten, halb Buern; manche hatten sogar von den Kaffern Kleidungsstücke genommen und trugen Decken und Felle anstatt der Röcke und Mäntel. Man war in Helpmakaar jeden Augenblick auf einen Angriff der Zulus gefaßt, denn es lag dem Feinde am bequemsten und dem Schauplatz der Schlacht zunächst. Beständig guckten die englischen Offiziere mit Fernrohren über die Brüstung der Schanzen nach dem Feinde aus, und die Truppen wurden durch Dienst in den Befestigungen ermüdet. Erst nach fünf Wochen traf die Reiterabteilung unter Führung des Leutnants Dubois, welche jetzt auf etwa hundertfünfzig Mann gestiegen war, in Durban ein, der Stadt an dem berühmten Hafen von Natal. In Port Natal war der Ausschiffungsplatz für die englischen Verstärkungen, und hier herrschte ein gewaltiges Treiben. Mit Bewunderung und mit hochschlagendem Herzen sah Pieter Maritz zum erstenmale das Meer, die blauen Fluten des gewaltigen Indischen Oceans. Er stand auf einem Hügel am Hafen und sah die gekrümmte, tief in das grüne Land einschneidende Bucht blau-goldig erglänzen, von schneeweißem Saume eingefaßt, wo die Wogen an hochragende, steil vom Wasser anstrebende Höhen schlugen. Auf den gekräuselten Wellen wiegten sich viele Schiffe, und am Landungsplatz legte jetzt ein schwarzer Koloß an. In riesigen weißen Buchstaben stand an der schwarzen Schiffswand der Name Pretoria. Es war ein englischer Transportdampfer, aus dem heraus sich bald darauf eine Flut seltsam kostümierter Krieger ergoß. Pieter Maritz lief neugierig dahin, wo die Truppen sich ordneten. Die Soldaten trugen karrierte bunte Beinkleider, welche in lange Stiefel gesteckt waren, und die Offiziere hatten karrierte bunte Shawls über die Brust gebunden, welche auf der linken Achsel zusammengeheftet waren und von dort bis zum Knie herabhingen. Sonst trugen sie den Scharlachrock und weißen Helm. Die Musikbande jedoch, welche zum Regimente gehörte, war in Schuhen und hellen Gamaschen mit breitem bunten Rande unterhalb des Kniees, mit nackten Knieen, karrierten Frauenröcken und bunt beränderten Mützen, von denen Schleifen in den Nacken hingen. Sie bliesen auf höchst wunderlichen Instrumenten, Dudelsäcken, deren lange, mit karrierten Bändern verzierte Röhren weit über die Schulter hinausragten. Es waren, wie Pieter Maritz erfuhr, die Hochländer der Prinzessin Luise, ein schottisches Regiment, welches die Nummer 91 führte. Pieter Maritz merkte, daß der alte Missionar die Wahrheit gesagt hatte, als er Tschetschwajo warnte. Die Engländer ließen für jeden Mann, den sie verloren hatten, zwei andere über die See kommen. Ja mehr als zwei. Pieter Maritz hatte vernommen, daß Schiff nach Schiff in Port Natal einlief und daß zahlreiche Mannschaften, viel mehr Truppen, als bis jetzt in Südafrika gestanden hatten, herankamen, um die Scharte von Isandula auszuwetzen und die Ehre Englands wiederherzustellen. Doch hatte er auch wohl gemerkt, daß so große Verstärkungen notwendig waren. Auf dem Marsche von Pretoria bis Port Natal waren mehreremal Nachrichten von neuen Niederlagen der Engländer gekommen. Die Zulus hatten einen Teil des 80. Regiments unter Kapitän Moriarty, von der Kolonne des Obersten Wood, überfallen und vernichtet, wobei sie tollkühn durch einen Fluß hindurch angegriffen hatten, und noch andere kleine Überfälle hatten sie glücklich vollbracht. Sie hielten die Engländer völlig in Schach, und Lord Chelmsford hatte für jetzt nicht etwa einen Angriff im Auge, sondern wollte die Truppen unter seinem Befehle samt allen Verstärkungen nur dazu benutzen, den Obersten Pearson zu befreien. Denn der Oberst Pearson mit seiner Kolonne war im Fort Ekowe eingeschlossen, ward von den Zulus belagert und harrte sehnsüchtig seit länger als sechs Wochen auf Entsatz. Pieter Maritz erhielt, als er vom Hafen zurückkam, Befehl vom Leutnant Dubois, sich zum Major Walker in Durban zu begeben und dessen fernere Weisungen zu empfangen. Major Walker, von den bengalischen Ulanen, sollte das Kommando über die Reiter des Leutnants Dubois und noch einige andere Scharen Freiwilliger in seiner Hand vereinigen. Die Stadt Durban bot Pieter Maritz, als er durch die Straßen hinwandelte, um das Quartier des Majors zu suchen, die interessantesten Anblicke. Am belebten Hafen gelegen, war es voll von verschiedenartigen Menschen, und schon die Straßen selbst waren dem Buernsohn merkwürdig, weil sie Haus an Haus erbaut waren, unähnlich den Städten von Transvaal. Besonders fielen ihm die gelbfarbigen Malaien auf. Hier kamen Männer dieser Rasse auf prächtigen Pferden geritten, einen bunten Shawl über die Brust gekreuzt, einen bunten Turban oder einen leichten trichterförmigen Schilfhut auf dem Kopfe. Dort gingen Frauen mit edlem Gesicht in weiten, luftigen weißen Kleidern, die glänzenden, blauschwarzen Haare in einen großen Knopf gewunden, durch den ein silberner Pfeil gesteckt war. Auch von den Frauen trugen viele den bunten seidenen Turban, der zu dem dunklen Haar und dem schönen Gesichtsschnitt sehr gut stand. Sechsspännige Wagen fuhren im fliegenden Galopp dahin, englische Kavalleristen, Dragoner, Ulanen und ~light horse~ (leichte Kavallerie) ritten durch das Gewühl der Straßen, und viele Kaffern, an langen, schwankenden Bambusstäben Milcheimer oder Körbe mit Seefischen tragend, boten mit eintönigem Rufe ihre Ware feil. Es war ein so buntes Gewühl der verschiedensten Erscheinungen, Gesichter und Trachten, wie Pieter Maritz es noch an keinem andern Orte erblickt hatte. Pieter Maritz fand nach einigem Suchen das Quartier des Majors Walker und wurde von der Ordonnanz in dessen Zimmer geführt. Der Major bewohnte drei Zimmer zu ebener Erde, die in einer Reihe lagen und durch geöffnete Flügelthüren miteinander in Verbindung standen. Die Fenster waren durch Jalousien und Markisen vor der Sonnenglut geschützt, und es war für Pieter Maritz' Gefühl recht hübsch kühl in den Zimmern. Aber der Major schien sehr von der Hitze zu leiden. Er war ein gewaltig großer Mann, gut sechs Fuß hoch, wohlbeleibt, mit einem mächtigen roten Bart, der ein rotbraunes Gesicht umrahmte, und mit einer vollen Baßstimme. Er hieß Pieter Maritz sich an den Tisch im mittelsten Zimmer setzen, wo ein Offizier und zwei Unteroffiziere schrieben, und fuhr dann in der Beschäftigung fort, die Pieter Maritz einen Augenblick unterbrochen hatte, nämlich in den drei Zimmern hin und her zu gehen und dabei zu schelten. Seine Uniform war aufgeknöpft und er fächelte sich mit einem riesigen ostindischen Seidentuche, während er zugleich eine gewaltig große ostindische Cigarre rauchte. In dem Zimmer rechts stand eine Flasche Sherry und in dem Zimmer links eine Flasche Portwein auf dem Tische, und jedesmal wenn der Major auf seiner Wanderung bis zu einem der Tische gekommen war, schenkte er sich ein Glas voll ein und trank es aus. War er aber im Mittelzimmer, so klingelte er heftig mit einer kleinen Handschelle und ließ seinen Diener, einen sammetäugigen Inder, zur Abkühlung einen »~brandy-pawnee~« bringen. Der Major schalt auf die Ingenieure. Was diese verbrochen hatten, um seinen Zorn zu erregen, war aus seinen Äußerungen für Pieter Maritz nicht recht verständlich, aber er sprach viel von Gelehrten und Tüftlern, von Leuten, die alle Sätze aus dem Euklid am Finger herzählen, aber keine feldmäßige Schanze und keine haltbare Pontonbrücke zu bauen verständen. Mit einem Male blieb der Major betroffen stehen, und das Wort stockte ihm im Munde. Er war gerade in dem Zimmer, wo der Portwein stand, und hatte schon die Hand ausgestreckt, um sich ein Glas einzuschenken, als er innehielt und auf den Teppich starrte, der unter dem Tische auf den Dielen lag. Pieter Maritz blickte ebenfalls dorthin und sah, daß der Teppich eine große Falte schlug und sich wellenförmig bewegte, gleich als sei er lebendig geworden. Im nächsten Augenblick sprang der Major voll Entsetzen zurück in das mittlere Zimmer, und die hier Sitzenden fuhren von ihren Stühlen auf. »Eine Schlange!« schrie der Major, indem er nach seinem Säbel griff, und gleich darauf zeigte sich, daß er das Ding richtig erkannt hatte. Der Teppich hob sich in die Höhe, und eine Schlange von etwa fünf Fuß Länge, von gelber Farbe, eine Cobra, kam hervor. Sie erhob sich, blies die Nackenhaut auf, wiegte den Kopf hin und her und zischte wie ein Gänserich, während sie mit der Zunge in schnellster Bewegung vor- und zurückfuhr. Es kostete Mühe und bedurfte großer Schnelligkeit und Gewandtheit, das gefährliche Tier zu töten. Das ganze Haus geriet in Aufregung und Unordnung. Doch endlich erhielt Pieter Maritz seine Instruktionen für die fernere Führung der freiwilligen Reiter und begab sich mit dem Papier, welches diese enthielt, in das Lager bei Durban, zu den Zelten des Leutnants Dubois und seiner Reiter. Es hieß, daß Lord Chelmsford in wenig Tagen von seiner Stellung am unteren Tugela aufbrechen und mit sechstausend Mann vorrücken wolle, um Oberst Pearson zu entsetzen. Als Pieter Maritz nun durch das ausgedehnte Lager bei Durban hinschlenderte und sich am Anblick der verschiedenartigen Uniformen und Kleidungen der bunt zusammengesetzten englischen Armee ergötzte, kam er zuletzt an einen abgesonderten Teil, wo keine Zelte mehr standen, sondern die runden Formen der ihm wohlbekannten Kaffernhütten auftauchten. Hier hörte der Geruch von Rum und andern Spirituosen, sowie von Seefischen, die im Zeltlager reichlich gegessen wurden, auf, und es war dem Buernsohn, als käme er in eine andere, doch ihm gleichfalls wohlbekannte Welt. Die Klänge der Harmonika und der Kalabaßviol, eintöniger, schwermütiger Gesang tönten ihm entgegen, und im roten Licht der Abendsonne schimmerte die schwarze Haut vieler hundert Kaffernkrieger. Die Zulus von Natal hatten ein starkes Kontingent zum Kampfe gegen ihre Stammesgenossen unter Englands Fahne gestellt, und Pieter Maritz erblickte die Ochsenschilde und Assagaien, den wilden drohenden Haarputz und die glänzenden weißen Zähne des Volkes, welches bekämpft werden sollte, hier in unmittelbarer Nähe der weißen Männer bei Bundesgenossen. Er ging langsam durch die Hüttenstraße, welche nach Kaffernart ringförmig angeordnet war, da fiel ihm eine Gestalt auf, welche ihm bekannt zu sein schien. Auf den Speer gelehnt, stand inmitten eines auf ihn lauschenden Kreises ein schwarzer Mann von vornehmer stolzer Haltung, den Kopf vorgeneigt und den linken Fuß vor den rechten gesetzt, wie dies die Art Humbatis war, wenn er sich unterredete. Pieter Maritz trat näher, und beim Geräusch seiner Schritte drehte sich der Mann um. Es war Humbati. Sein Gesicht verfinsterte sich, als er den Buernsohn erblickte, und er wandte sich ab, als wollte er sagen, die Freundschaft gehöre vergangenen Zeiten an. [Illustration] Zweiundzwanzigstes Kapitel Die Schlacht bei Gingilowo Lord Chelmsford marschierte gegen den Feind. Er hatte seine feste Stellung am Tugela bei den Forts Tenedos, Pearson und Williamson verlassen und zog nordwärts. Seine Regimenter und Wagenzüge bedeckten in breiter Flut das Hügelland und wälzten sich langsam bergauf und bergab. Die Engländer waren vorsichtig geworden. Sie verteilten jetzt ihre Truppen und Wagen so, daß sie sich einander unterstützen konnten, daß bei einem unerwarteten Angriff des schnellen schlauen Feindes rasch eine Wagenburg hergestellt werden konnte. Deshalb marschierten sie in vielen Kolonnen nebeneinander und hatten die Wagen an den äußeren Linien, starke Infanterieabteilungen aber neben und zwischen den Fahrzeugen. Auch hatten sie Vorhut und Nachhut, sowie Seitendeckungen gebildet, die das Herankommen des Feindes frühzeitig entdecken konnten, damit der Hauptmasse Zeit blieb, sich zum Kampfe zu ordnen. Bei diesem Dienst waren die leichten Reiter vom größten Nutzen, und besonders die freiwilligen Buern erwarben sich große Verdienste. Ihre Augen waren weit besser an das Land und seine Besonderheiten gewöhnt, auch schärfer als die der Engländer, und ihre abgehärteten Pferde konnten viel mehr vertragen. Zehn bis fünfzehn deutsche Meilen legten die Buernreiter an einem Tage zurück, immer im langen Schritt oder im Jagdgalopp, und sie umschwärmten wachsamen Blickes die englischen Heerhaufen von allen Seiten. Bei Nacht aber, wenn die englische Armee sich zu einem dichten Klumpen zusammenschloß, ringsum Verschanzungen anlegte und die Wagen dahinter reihenweise aneinander schob, dann zogen draußen die Buernreiter eine lange Kette von Doppelposten, lauschten, die Büchse vor sich auf dem Sattel und das Ohr gespannt, auf jedes Rascheln in dem langen Grase und spähten mit gesenktem Kopfe unter dem Hutrand hervor nach jedem Schatten, der über die Ebene zog oder aus dem Busch hervorkam. Pieter Maritz erwarb sich in diesem angestrengten Dienst die höchste Zufriedenheit seiner Vorgesetzten. Leutnant Dubois mit hundert Reitern war der Vorhut unter Oberst Law zugeteilt, und er war mit Pieter Maritz immer voran. Zuweilen gesellte sich auch Major Walker auf seinem riesigen Braunen zu ihnen, und dann tauschten die beiden Offiziere Geschichten aus ihrer früheren Dienstzeit miteinander aus, die Pieter Maritz höchlichst ergötzten. Beide waren in China gewesen und hatten an den Plünderungszügen des Grafen von Palikao teilgenommen. Besonders gefiel dem Buernsohn eine Geschichte, die der Major eines Nachts am Wachtfeuer erzählte: die Schilderung seiner Gefangenschaft in China. Die Chinesen hätten ihn einmal bei einer Rekognoszierung mit gewaltiger Übermacht überfallen und vom Pferde gerissen, dann aber in einen Käfig von Bambus gesteckt, von Stadt zu Stadt getragen und in den Tempeln als Sehenswürdigkeit ausgestellt, so daß Mandarinen und Volk zusammengelaufen wären, um den »großen rothaarigen Barbaren« zu sehen und mit toten Ratten, faulen Eiern und Katzenköpfen zu bewerfen. Pieter Maritz mußte laut lachen, als er sich vorstellte, welchen Anblick die mächtige Gestalt in dem engen Käfig geboten haben mußte, und der Major sparte nicht mit anschaulichen Bildern bei seiner Erzählung und rollte dazu die Augen und fluchte. Am 29. März machte das Heer beim Kral Inyoni Halt und übernachtete im befestigten Lager, am 30. kam es bis zum Kral Amatikulo am Amatikuloflusse und schlug dort die Zelte auf. Die Krale waren verlassen und keine Spur von Bewohnern war mehr zu erblicken, doch zeigten sich während des Marsches hier und dort einzelne bewaffnete Zulus, die, im Grase versteckt, das feindliche Lager beobachteten, dann aber, wenn die leichten Reiter sie fangen wollten, mit der Schnelligkeit von Antilopen verschwanden. Am 1. April ward von Amatikulo aufgebrochen, durch den Fluß marschiert und der Weg nach Osten fortgesetzt. Es war ein heller, heißer Tag, doch zeigten sich gegen Mittag Wolken am fernen Horizont, die für Gewitterwolken gehalten wurden. Aber es waren Wolken anderer Art. Bald kam es nahe heran, erfüllte die Luft mit unheimlichem Schwirren und senkte sich gleich Schneeflocken herab. Es waren Heuschrecken, die von leichtem Nordwinde gen Süden getrieben wurden. Ihre weißen, bläulich durchscheinenden Flügel trugen sie sanft wie Fallschirme herunter auf die Erde, und sie bedeckten bald alles, das Land, das Gras, die Büsche und Bäume, die Wagen und Geschütze, die Tiere und Menschen mit einer dicken Schicht. Die Räder gingen über die zerstampften Massen hinweg, als ob sie in schlüpfrigem Schlamme führen. Dieser Regen dauerte fast eine Stunde lang. Am Nachmittage ward unweit des Krals Gingilowo Halt gemacht und ein festes Lager aufgeschlagen. Lord Chelmsford ritt zur Vorhut, um nach dem Feinde auszuschauen. Die Vorhut war heute von der Seebrigade gebildet worden und bestand aus der Mannschaft der Kriegsschiffe Schah, Tenedos und Boadicea mit zwei Neunpfündern und drei Gatlingmitrailleusen, sowie leichter Kavallerie. Pieter Maritz begleitete mit fünfundzwanzig Reitern den Oberbefehlshaber und dessen Stab, als diese hohen Offiziere über die Vorhut hinausritten, und außerdem waren mehrere Zulus, unter denen der Buernsohn die düstere Gestalt Humbatis bemerkte, im Gefolge des kommandierenden Generals. Die Armee war dem Fort Ekowe bis auf fünf deutsche Meilen nahe gekommen, und Lord Chelmsford wollte versuchen, sich durch Lichtsignale mit dem Obersten Pearson in Verbindung zu setzen. Er suchte einen Hügel unweit des Lagers auf, von dem aus Fort Ekowe durch das Fernrohr erblickt werden konnte, und ließ auf der Höhe einen Heliographen aufstellen. Pieter Maritz begab sich in die Nähe des Kreises der Offiziere, welche um den General versammelt waren. Er sah Lord Chelmsford heute zum erstenmale auf nur wenige Schritte Entfernung. Der General hatte ein ziemlich schmales Gesicht, welches nicht sehr energisch aussah. Die dunklen beschatteten Augen hatten einen schwermütigen Ausdruck. Ein Offizier vom Stabe stellte ein dreibeiniges Stativ auf, welches einen beweglichen Spiegel trug, und nun wurden Sonnenblitze aufgefangen und durch Neigungen des Spiegels in der Richtung nach Ekowe entsandt, während ein anderer Offizier durch ein Fernrohr beobachtete. Pieter Maritz erkannte das Fort Ekowe mit bloßen Augen als ein dunkles Fleckchen am Horizont, und nach einiger Zeit schien es ihm so, als ob auch drüben etwas Blitzendes wahrzunehmen sei. In der That war es gelungen, die Aufmerksamkeit der belagerten Besatzung zu erregen und sich mit ihr zu unterhalten. Einer der Adjutanten des Generals schrieb die Anzahl der beobachteten Blitze von drüben und die Art ihrer Reihenfolge und Dauer auf und übersetzte die Zeichensprache in verständliches Englisch. Pieter Maritz beobachtete den ganzen Vorgang mit hoher Achtung vor den Erfindungen der militärischen Wissenschaft, die Zulus aber standen voll Entsetzen dabei, da sie Zauberei der stärksten Art zu sehen wähnten, und selbst Humbatis Gesicht drückte das Gefühl geheimen Schauders aus. Als Lord Chelmsford die Botschaft aus Ekowe erfahren hatte, winkte er Humbati und unterhielt sich längere Zeit mit ihm. Der stolze Induna verleugnete auch in seinem Verkehr mit diesem mächtigen Gebieter nicht die angeborene Würde und sprach in einer Weise und mit einer hofmännischen und dabei vornehmen Haltung, die nicht nur Pieter Maritz, sondern auch den englischen Offizieren auffiel. »Sehen Sie diesen Kaffer an,« sagte einer der Adjutanten zum andern. »Unsere Schauspieler in London sollten hierher kommen und diese nackten Niggers studieren, ehe sie auf der Bühne als Könige auftreten.« Als Lord Chelmsford seine Unterredung mit Humbati beendigt hatte, wandte er sich zu dem ältesten der Offiziere in seiner Begleitung. Pieter Maritz konnte verstehen, was er sagte. »Oberst Pearson ist der Meinung,« sprach der Lord, »daß mindestens fünfunddreißigtausend Zulus in der Nähe sind, und er rät mir, auf der Hut zu sein. Auch dieser Induna, welcher, wie Sie wissen, in der höchsten Stellung bei Tschetschwajo war, glaubt, daß diese Zahl nicht zu hoch gegriffen sei und daß die schwarze Armee im ganzen trotz ihrer bisherigen Verluste noch mehr als vierzigtausend Mann zählen werde.« Der Lord seufzte. »Eine schöne Suppe hat Sir Bartle Frere uns eingebrockt,« fuhr er fort. »Mit dem zehnten Teil der Kosten an Geld, die wir jetzt opfern müssen, hätten wir auf friedlichem Wege, ohne Blut binnen wenigen Jahren weit mehr erreicht. Fünfzehn Millionen Pfund Sterling kostet der Krieg, jeder besiegte Zulu kommt England auf dreihundert Pfund zu stehen, und das Schlimmste ist, daß das unglückliche Land, wenn wir unser Ziel wirklich erreichen, nach unserm Siege schlimmer daran sein wird als vorher.« Der andere Offizier zuckte die Achseln und antwortete in so leisem Tone, daß Pieter Maritz nicht recht hören konnte, was er sagte. Lord Chelmsford aber rief dann laut: »Zu Pferde, meine Herren! Wir müssen einem Angriffe entgegensehen und uns zum Empfange der Zulus rüsten!« Indem er einer Ordonnanz winkte, ihm sein Pferd zu bringen, und während der zahlreiche Stab im Begriff war, sich in den Sattel zu schwingen, war ein Reiter zu bemerken, der in vollstem Rosseslauf vom Lager herkam. Alles stockte und sah ihm voll Erwartung entgegen. Er war an dem Scharlachrocke und den Ärmelzeichen als ein Unteroffizier von den Dragonern zu erkennen, und bald ritt er den Hügel heran und näherte sich dem Oberbefehlshaber, der neben seinem Pferde stand. Er überreichte eine Depesche und meldete dabei mündlich, daß sie vom Obersten Wood komme, der nach Fort Tenedos telegraphiert habe. Der General zerriß den Umschlag. »Oberst Wood hat heftige Gefechte am 28. und 29. März gehabt, aber er ist Sieger geblieben,« sagte er dann laut. »Doch hat er am ersten Tage zwölf Offiziere und sechsundachtzig Mann allein an Toten verloren, am zweiten noch viel mehr. Ah, diese Zulus!« Pieter Maritz sah, als der General so sprach, Humbati in der Nähe stehen und bemerkte, daß dessen schlanke Gestalt zu wachsen schien, während ein unsäglicher Stolz aus dem dunklen Antlitz sprach. Er konnte den Blick nicht abwenden von dem Induna, so sehr sprach dessen Miene zu seinem Herzen. Denn es war zugleich mit hohem Stolze eine tiefe Trauer darin zu lesen, und Pieter Maritz glaubte etwas von der Qual zu verstehen, die das Herz des Verräters zerriß, der den Tod seines Bruders an dem Tyrannen rächen wollte, doch das Vaterlandsgefühl nicht in sich ertöten konnte. Der General kehrte mit dem ganzen Gefolge zum Lager zurück, und es wurde eifrig gearbeitet, um es in guten Verteidigungsstand zu setzen. Das Lager bildete ein ungeheures Viereck, groß genug für die Truppen und die Tausende von Ochsen, welche Wagen und Geschütze hierher gezogen hatten. Die vier Seiten wurden aus Gräben und Wällen gebildet. An manchen Stellen wurden auch Mauern anstatt des Walles errichtet, indem die Soldaten Steine aus der Nähe zusammenschleppten und nach Art der Cyklopenmauern übereinander schichteten. Dazu wurden die Wagen ringsum in langer Linie aufgestellt, um innerhalb der Umwallung eine zweite feste Stellung zu bilden, und Dornengestrüpp wurde herbeigebracht, um alle Lücken damit auszufüllen und die Wälle zu bekleiden und ungangbar zu machen. Nur für die Geschütze wurden Öffnungen gelassen. Nicht allein Kanonen und Raketengeschütze, sondern auch die furchtbaren Mitrailleusen wurden herangefahren und mit den Mündungen durch die Scharten gesteckt. Diese Mitrailleusen, vom Gatlingsystem, hatten je fünfundzwanzig Läufe, welche bündelförmig vereinigt waren. Außerdem wurde auf der vom Feinde abgekehrten Seite eine Stelle freigehalten, durch welche die Kavallerie vorbrechen konnte. Hier wurden nicht Wall und Graben gezogen, sondern nur schwere Wagen aufgestellt. In der Mitte des Vierecks war ein großer freier Platz, und hier wurden die Zelte für den General und seinen Stab, für die Kavallerie und den Teil der Infanterie und Artillerie aufgeschlagen, welche nicht die Umwallung zu besetzen hatten. In der Front, nach Norden zu, hielt das 60. Regiment, Scharfschützen, die Verschanzung besetzt; in der rechten Flanke stand die Seebrigade, Matrosen in blauen Jacken, weiten blauen Beinkleidern, Leinwandschuhen und Strohhüten, denen die Namen ihrer Schiffe, Schah und Tenedos, auf die Hutbänder und in die Kragen gestickt waren. Es waren stämmige, wettererprobte, feste Männer. Das 57. Infanterieregiment unter Oberst Clarke schloß sich an die Matrosen an und stand ebenfalls in der rechten Flanke. Die Ecken waren mit Neunpfündern und Gatlings besetzt. In der rückwärtigen Linie standen die Hochländer hinter dem Walle, und die linke Flanke ward vom 3. Regiment, Buffs genannt, und dem 99. Infanterieregiment besetzt gehalten. Auch hier standen Feldgeschütze und Gatlings in den Winkeln der Verschanzung und nahe dem Walle die Raketenbatterie unter Leutnant Cane vom Kriegsschiff Schah. Zwei Bataillone Zulus, jedes achthundert Mann stark, unter Humbatis Führung, verstärkten die europäischen Truppen, und im ganzen waren 3400 Weiße und 2300 Schwarze unter Waffen im Lager von Gingilowo. Pieter Maritz traf, indem er quer durch den inneren Raum des großen Vierecks ritt, Lord Fitzherbert inmitten seiner Schwadron. Die Dragoner banden ihre Pferde in gleichmäßigen Reihen mit Kampierleinen an, und ein reges Treiben kriegerischer Art, das Klirren der Säbel und Sporen, das Stampfen und Wiehern der Rosse, erfüllte die Linien des stolzen Regimentes. Die Freunde hatten sich bis jetzt nur einigemal flüchtig auf dem Marsche gesehen, da ein jeder vollauf mit seinem Dienste beschäftigt gewesen war, und sie freuten sich, nun ein Stündchen der Lagerruhe gemeinsam genießen zu können. Pieter Maritz stieg ab und band Jager neben den Dragonerpferden an. Die Sonne ging unter, und in der Dunkelheit der Nacht loderten nun die Wachtfeuer innerhalb der Umwallung empor. Lord Fitzherbert mit mehreren andern Offizieren und Pieter Maritz ließen sich neben einem der Feuer nieder und besprachen sich über die Ereignisse des Feldzugs, während ihre Burschen ein Abendessen bereiteten. Die Dragoner hatten eine Menge von Blechbüchsen mit eingemachtem Fleisch aus England und Flaschen mit Getränken in ihren Schwadronswagen mitgebracht, und bald zischten die Kessel und Töpfe, an eisernen Gabeln und Ketten über der Flamme aufgehangen, und der Geruch von Fleischbrühe, Pasteten und Punsch verbreitete sich, während weißlicher Dampf zum afrikanischen Nachthimmel aufstieg. So lagen die Kriegskameraden auf ihren Mänteln am Feuer, schwatzten, aßen, tranken und rauchten und vergaßen im Genuß der flüchtigen Stunde die Mühen des Marsches und des Krieges. Als es aber spät wurde und die Mitternacht herankam, stand Pieter Maritz auf. Er hatte Befehl, um Mitternacht mit vierundzwanzig Reitern aufzubrechen und einen bestimmten Platz vor der Front des Lagers, nahe dem Inyezanefluß, einzunehmen, der im weiten Bogen nördlich und östlich das englische Heer umgab und zwei Meilen von hier sich in den Ocean ergoß. Die Buernreiter lagerten nahe den Dragonern und schliefen gleich diesen bei ihren Pferden am Feuer. Pieter Maritz weckte die bestimmten Leute, und bald war sein Trupp beritten, und die kleine Schar zog durch eine offen gelassene Stelle aus der Befestigung hinaus in die stille Nacht des Hügellandes. Nur Sternenglanz beleuchtete ihren Pfad. Sie begegneten unweit des Lagers dem Leutnant Dubois, der mit einer kleinen Patrouille die Kette seiner Vedetten abgeritten hatte und nun zurückkehrte. Er teilte Pieter Maritz mit, daß sich bis jetzt nichts Verdächtiges sehen lasse und daß die Posten am Flusse noch in der früheren Stellung wären. Pieter Maritz zog weiter und erreichte nach einer Viertelstunde das Ufer, löste eine lang ausgedehnte Reihe von Posten ab, schickte die Leute zum Lager zurück und stellte je zwei seiner Reiter an den Plätzen auf, wo jene gestanden hatten. Er selbst blieb bei einem der Posten gerade in der Mitte der Reihe und vor der Front des Lagers, dessen Wachtfeuer in der Ferne mit ihrem roten Schein ihm die Stellung des Heeres bezeichneten. Es war ganz still, nur der leise Ruf der Posten, die sich einander benachrichtigten, indem sie hin und wider ritten und eine zusammenhängende Kette bildeten, war zu vernehmen. Selbst der Schritt der Pferde erstarb in dem hohen Grase. Fast lautlos spülten die Wellen des Inyezane am Ufer hin; der Fluß war niedrig und schmal. Ein blaugrauer Schimmer lag auf dem Wasser. Aber bald nach Mitternacht verdunkelte sich der Himmel, und der Donner grollte in der Ferne. Mit großer Schnelligkeit zogen gewaltige Wolken herauf und ein Sturmwind peitschte das Land. Blitz auf Blitz fuhr herab und fast ohne Unterbrechung krachten die Donnerschläge. Strömender Regen ergoß sich. Es war unmöglich, in diesem heftigen Gewitter irgend etwas anderes zu beobachten als das helle Licht der elektrischen Flammen, und die Posten hatten genug damit zu thun, ihre Pferde zu beruhigen und sich miteinander in Verbindung zu halten. Man konnte nicht zehn Schritte weit sehen, wenn nicht gerade der Blitz die Landschaft und die Gestalten der Nebenposten beleuchtete, und der heftige Regen machte Sehen und Hören fast unmöglich, während er zugleich Mantel, Rock und Hemd durchdrang und Roß und Reiter wie in einem Bade hielt. Dieses Unwetter hielt, bald schwächer, bald stärker in seinem Wüten, gegen drei Stunden an, dann zogen die schwarzen Wolken vorüber, und die Sterne blickten wieder vom dunkelblauen Himmel herab. Aber die Landschaft hatte sich in ihrem Aussehen verändert. Die Erde war durchnäßt, und das Gras lag danieder, der Inyezane brauste und schäumte und hatte seine Strömung erweitert, so daß er nicht mehr unten im sandigen Bette floß, sondern bis an den mit Schilf bewachsenen obersten Rand hinanspülte und mit trüben Wellen hinüberleckte in die Ebene, wo die Buern auf und nieder ritten. Der Morgen war nahe, und Pieter Maritz spähte mit Auge und Ohr sorgsam in die Ferne, ob nicht etwa der Feind, der die nächtlichen Angriffe liebte, zu spüren sei. Aber alles war still. Währenddessen trieben neue, leichte Wolken herauf und hüllten den Himmel in Schatten, nur im Osten war jetzt dicht über dem Horizont eine Klarheit zu entdecken, und der helle Streifen unterhalb des Wolkenschleiers warf sein Licht über die Erde hin und beleuchtete den grau schimmernden Fluß. Der Morgenwind blies über das triefende Gras hin und ließ Pieter Maritz in seiner durchnäßten Kleidung frösteln. Da schien es ihm plötzlich, während er vornüber gebeugt nach dem jenseitigen Ufer blickte, als treibe ein dunkler Gegenstand im Wasser. Doch spülte manches Stück losgerissenen Buschwerks im Flusse, so daß er nicht sicher war, ob dies wirklich ein Zulukopf oder etwa nur irgend ein Strunk, ein faules Holz, ein Klumpen Wurzelwerk sei. Er drückte Jager vor und ließ ihn durch das harte Schilf und Riedgras bis an den Saum der Wellen gehen, so daß das Wasser dem Pferde die Hufen bespülte. Durchdringenden Blickes, mit gesenktem Kopfe, erforschte er die im Zwielicht fast verschwimmenden Gegenstände. Plötzlich zuckte er zusammen, seine Augen erweiterten sich, und er legte die Büchse auf den linken Arm, der die Zügel hielt, während er die Mündung senkte und nach unten zielte. Vor ihm lag, noch halb im Wasser, die Ellbogen auf das flache Ufer gestützt, eine schwarze Gestalt, das krause Haar mit schmalem Stirnband umwunden, einen weißen Busch über dem linken Ohre, eine Kette von weißen Zähnen um den Hals, den Assagai in der Rechten, den Schild in der Linken. Aus dem wilden Gesicht blickten Augen gleich denen eines Raubtiers auf die Reiterfigur, die sich drohend vor ihnen erhob. Der Zulukrieger schien überrascht zu sein, er hatte wohl nicht erwartet, geradezu auf einen wachsamen Feind zu stoßen, und nun lag er bewegungslos da und starrte die auf ihn gerichtete Büchse an, indem er den tödlichen Schuß erwartete. Das Leben des Zulu lag in des Buernsohnes Hand, der Finger war am Drücker, und das Korn auf die schwarze niedrige Stirn gerichtet. [Illustration: Auf Vorposten am Inyezane.] Aber in diesem Augenblicke fühlte Pieter Maritz ein inneres Widerstreben, zu schießen. Er hatte noch niemals Menschenblut vergossen, und ihm schauderte bei dem Gedanken, den schwarzen Krieger gleich einem Wild zu töten. Jager bog den Hals und streckte seinen Kopf dem Zulu entgegen, schwellte die Nüstern auf und schnob, indem er den Geruch des Fremden witterte. Noch eine Sekunde zauderte Pieter Maritz, indem verschiedene Empfindungen ihm durchs Herz gingen, dann rief er leise in der Zulusprache: »Geh zurück, Zulu!« Ein freudiges Licht blitzte in den Augen des Kaffern auf, und perlenweiße Zähne wurden zwischen den dicken Lippen sichtbar. Dann glitt die geschmeidige Gestalt in die Flut zurück und schwamm einem Aale gleich zum jenseitigen Ufer. Pieter Maritz aber wandte sein Pferd und jagte die Reihe der Posten entlang. »Paßt auf,« rief er ihnen zu, »die Zulus kommen!« Die Reiter horchten auf, ritten nahe an den Fluß heran, und als jetzt die Sonne über dem Horizont auftauchte und mit einem Schlage strahlende Helligkeit über das Land ergoß, wurden die Gestalten vieler schwarzer Männer sichtbar, die am Boden niedergeduckt jenseits des Flusses heranschlichen oder schon im Wasser lagen, mit einer Hand rudernd, mit der andern die Waffen emporhaltend. Jetzt begannen einzelne Schüsse zu krachen, Pulverwölkchen stiegen diesseits und jenseits des Flusses auf, und an mehreren Stellen färbte das Wasser sich rot, während der Todesschrei der getroffenen Schwimmer die Morgenluft durchzitterte. Pieter Maritz schickte eine der Vedetten nach dem Lager zurück, um zu melden, der Feind rücke an, und ritt selber am Flusse hin, um zu beobachten, an welchen Punkten und in welcher Menge die Armee der Zulus herankommen werde. Es kam ihm so vor, als seien, weiter stromabwärts, dort, wo die englischen Reiter sich an die Buernposten anschlossen, mehr schwarze Gestalten zu sehen als hier, wo er war, und er eilte dorthin. In der That erblickte er jetzt, indem er den Vedetten auf dem rechten Flügel zujagte, in weiter Ferne dunkle Massen, die dem Flusse näher kamen. Das Ufer war hier von felsigen Erhöhungen eingefaßt, und mehrere Thalsenkungen zogen sich von jenseits herüber, auch im Wasser selbst lagen große Felsen, und an einem Punkte ergoß sich der vom Gewitterregen geschwellte Fluß in einem brausenden Wasserfall nach unten. Das Land war nicht recht übersichtlich, Buschwerk und Bäume bekleideten die felsige Einfassung und die Hügel drüben am Inyezane; aber Pieter Maritz täuschte sich nicht: eine starke Heeresmasse wälzte sich heran und richtete ihre Spitze gegen die rechte Seite des Lagervierecks. Noch war sie weit entfernt, aber die Zulus marschierten schnell. Inzwischen hatte sich das Feuern auf der Postenlinie verstärkt, mehrere einzelne Schützen waren schon diesseits des Flusses und kauerten, aus dem Versteck feuernd, in dem schilfigen Uferrand. Die Buern waren zum größern Teil zurück nach dem Lager geritten, auch die englischen Vedetten hatten sich zurückgezogen, und nur noch wenige Reiter hielten stand und schossen sich mit den an Zahl immerfort zunehmenden Zulus herum. Pieter Maritz harrte aus, der Anblick des Kampfes fesselte ihn, und er hielt hinter einem Gebüsch verborgen unweit des Wasserfalles, um so lange als möglich beobachten zu können. Er sollte sich gar bald überzeugen, daß ein ernster Angriff beabsichtigt war. Jetzt erschienen drüben in einem engen Thale geschlossene Reihen zwischen den Felsen, kamen in schnellem Schritt heran und stürzten sich ohne Besinnen ins Wasser, kaum fünfhundert Schritte unterhalb des Wasserfalles. Ihre Front war nur zehn Mann breit, aber Reihe folgte auf Reihe, so daß sie sich gleich einem Nebenflusse zwischen den Felsen hervor in den Inyezane ergossen. Sie kamen Schulter an Schulter, Schild an Schild gedrängt, und zwischen den Schilden blitzten die Speerspitzen und Gewehrläufe in der Morgensonne. Pieter Maritz erkannte das Regiment; es waren die Blauschilde, mit denen er einst auf die Jagd gezogen war, und er erkannte auch den Induna, der vor ihnen herzog und sich allen voran in den Fluß warf. Es war ein schöner, schlanker Mann, und sein blauer Federschmuck war von einem goldenen Stirnreif umwunden. Mit eng geschlossenen Gliedern, ein Damm, der sich durch die Strömung schob, schwammen sie hindurch; die schwarzen Fäuste griffen in das weiß schäumende, spritzende Wasser, die wilden Gesichter mit dem blauen Haarschmuck blickten trotzig über die Flut hinweg. Wohl gingen einige Leute verloren, die an der äußeren Ecke der Kolonne von der starken Strömung fortgespült und hinuntergerissen wurden, so daß Pieter Maritz mit Entsetzen das Verschwinden dieser tapferen Leute sah; aber stetig ging die Masse vorwärts, und nun stieg schon der Kommandant mit dem Goldring ans Land. Pieter Maritz trieb sein Pferd an und ritt seitwärts, halb nach dem Lager zurück, halb zum Flusse gewandt. Er konnte seinen Blick noch nicht völlig von dem kühnen Übergange der Feinde abwenden. Denn er sah nun oberhalb der Stelle, wo die Blauschilde kamen, ein anderes Regiment in breiterer Front heraneilen. Sie trugen Streifen von Leopardenfell um den schwarzen Federschmuck des Kopfes gewunden, und Pieter Maritz erkannte eines der alten Regimenter von Mainze-kanze. Doch nun galt es für ihn kein Säumen mehr, er war der letzte Reiter außerhalb des Lagers, und im Galopp kehrte er zurück und schlüpfte durch die letzte Öffnung hinein, welche noch nicht verbarrikadiert war. Ernst und still war es im englischen Lager, alle wußten, daß es einen heißen Kampf geben würde. Viele Offiziere, auch Lord Chelmsford selbst, standen auf den höchsten Punkten der Umwallung und blickten durch Fernrohre und Doppelgläser nach dem Feinde aus. Pieter Maritz stieg ab und kletterte die Brüstung hinan, um Meldung über das zu machen, was er gesehen hatte. Lord Chelmsford hörte ihm aufmerksam zu, als er berichtete, daß der Kern der Zuluarmee im Anmarsch sei, und daß zum Teil dieselben Truppen heranrückten, welche bei Isandula unter Dabulamanzi gefochten hatten. Der General vernahm mit lebhaftem Interesse, was der Buernsohn ihm über die Art des Angriffs in jener Schlacht erzählte, und ein Strahl von Kampfeslust erleuchtete seine dunklen melancholischen Augen. Doch nur kurze Zeit dauerte diese Unterhaltung, denn gar bald erschien die Zuluarmee selbst, um durch den Augenschein zu zeigen, welche Kampfart sie hatte. Wie ein großer Bogen spannte sich dort eine schwarze Masse über dem vom Regen erfrischten, herrlich grünen und bunten, wellenförmigen Lande aus und schien das Lager in der Front und von zwei Seiten umspannen zu wollen. Lord Chelmsford zog seine Uhr. »Vier und ein halb Uhr,« sagte er zu einem seiner Adjutanten. »Die Entfernung beträgt jetzt etwa dreitausend Schritt. Lassen Sie mit Shrapnels beginnen.« Der Adjutant legte die Hand an den Helm, wandte sich zu dem Kommandanten der Artillerie, welcher erwartungsvoll sein Auge auf den Oberbefehlshaber gerichtet hielt, und winkte mit dem Taschentuch. Fünf Sekunden, nachdem der General gesprochen hatte, erschütterte die brüllende Stimme eines Neunpfünders die Luft, und unmittelbar darauf erschien ein weißes Wölkchen über der Mitte der dunklen Heereslinie in der Ferne. Schlag auf Schlag folgten sich jetzt die Donnerschläge aus der Verschanzung, ein Geschoß nach dem andern sauste den Zulus entgegen, und der blaue Rauch des Pulvers erfüllte das todsprühende Viereck. Es war von der Brüstung aus deutlich zu sehen, daß die englische Artillerie ihrem stolzen Ansehen in der Armee Ehre machte; Shrapnel nach Shrapnel explodierte in und über den Reihen der nackten Krieger, und eine Lücke nach der andern wurde in die dichten Haufen gerissen. Aber immer wieder schlossen sich die Lücken, und ohne Aufenthalt, mit erstaunlicher Schnelligkeit und Ordnung kam die Zuluarmee heran. Ihre Massen bedeckten jetzt alle die Hügel diesseits des Flusses, und wie ein schwarzer See wogte es von den Hängen herab. Jetzt war die Entfernung bis auf zweitausend Schritte vermindert, und das knatternde Geräusch der Mitrailleusen mischte sich in den Donner der Kanonen. Inmitten des furchtbaren Feuers und ganz ohne Deckung frei einherlaufend, vollzogen die Zulus jetzt eine Bewegung, welche von ihrer früheren Taktik abwich. Sie mochten das Manöver des Umklammerns bei einem befestigten Lager für unthunlich halten. Denn sie zogen sich nach links hin, so daß ihr rechter Flügel der englischen Front gegenüberstand, und machten einen Angriff allein gegen die Front, während sie den linken Flügel zurückhielten. Die englischen Soldaten hinter der Umwallung standen still und erwartungsvoll. Es war ihnen anzusehen, daß ihnen das Herz an die Rippen schlug. Sie hatten genug von den Zulus gehört, um zu wissen, daß es sich um Tod und Leben für sie handelte. Lautlos lehnten sie gegen den Wall, den Blick auf den Feind gerichtet, das Gewehr auf die Schanze gestützt und die Fäuste fest am Schaft. Erst wenige Kugeln der Feinde hatten getroffen, die Entfernung war noch weit, und die Schützen, welche den stürmenden Heeresmassen vorausliefen, hatten kein günstiges Ziel. Ihre Geschosse schlugen in den Wall oder in die Dächer der Wagen, und erst drei oder vier der Verteidiger waren verwundet worden. Doch flogen die feindlichen Kugeln mit jedem Augenblick dichter, Lord Chelmsford und sein Stab verließen den freien Stand auf dem Walle und stiegen zu Pferde, um vom inneren Raum des Vierecks aus mit ihren Feldstechern die Bewegung der Zulus zu überwachen. Auch Pieter Maritz stieg wieder zu Pferde und hielt neben dem Leutnant Dubois vor der Schar der Buern, die neben den Pferden am Boden saßen. Er war ganz in der Nähe des Oberbefehlshabers, der in der Mitte des Lagers hielt. Jetzt kamen die Kugeln der Zulus häufiger und häufiger. Eine Bewegung gab sich in der Front kund; Oberst Northey, der Kommandant des 60. Regiments, welches diese Seite verteidigte, war schwer verwundet niedergesunken. Er hatte über die Brüstung weg nach dem Feinde ausgespäht, da riß ihm die Kugel eines gut zielenden Zulu das Doppelglas aus der Hand und traf ihn am Kopfe, daß er zusammensank. Die geschlossenen Regimenter des Feindes waren jetzt bis auf tausend Schritt Entfernung herangekommen, und die Scharfschützen, deren Kommando an Oberst Northeys Stelle der nächstälteste Offizier übernommen hatte, begannen ein Schnellfeuer aus ihren Remingtons, welches mit unaufhörlichem Knattern die Front entlanglief und nun die Grundmelodie zu den Donnerschlägen der Neunpfünder und dem Rasseln der Gatlings bildete. Ein Rauch entwickelte sich, der gleich dichtem Nebel den Saum des Lagers einhüllte und nichts mehr vom Feinde erkennen ließ, doch bemerkte man nun seine Nähe an einem furchtbaren Schlachtgesang, der mit seinem mächtigen Schall und wildem Klang selbst das starke Feuer der Engländer übertönte. Bei diesem Gesang ging ein Beben der Aufregung durch das große Viereck, und Pieter Maritz sah, wie die dunklen Massen der Zulubataillone hinter den roten Linien der abgesessenen Dragoner gleichsam erzitterten, wie die Köpfe sich drehten und senkten und die Schilde unruhig wurden. Nur Humbati stand gelassen vor seiner Schar, die Arme über der Brust gekreuzt und stetig vor sich hin blickend. Indem der Gesang näher kam, erhob sich plötzlich ein Wind von Nordwesten her, der den Nebel nach dem Meere zu trieb, und die Reiter erblickten von ihren Pferden aus wieder die Regimenter der Zulus. »Ah, seht doch, seht doch!« rief Lord Chelmsford mit dem Tone der Bewunderung, indem er den Arm nach der Front hinausstreckte. Pieter Maritz sah das Gesicht des Generals erbleichen und seine Augen in kriegerischer Erregung funkeln. »Seht doch!« rief Lord Chelmsford von neuem, »sie tanzen in die Schlacht. Ah, die tapferen Leute!« Pieter Maritz folgte mit dem Blick der Richtung, welche die Hand des Generals bezeichnete, und sah den Angriff der Zulus mit derselben staunenden Bewunderung, wie der englische Heerführer, der die russischen Kolonnen bei Sebastopol, den Angriff der fanatischen Inder im Sepoyaufstande und die wilden Scharen des Kaisers Theodor von Abessinien gesehen hatte. Er erblickte eine Angriffsmasse der Zulus, die so breit war, wie die englische Front. In der Mitte war das »Regiment des Königs«, ihm zur Rechten das Regiment der weißen, links das Regiment der roten Schilde. Wie eine Mauer kamen sie fest geschlossen heran, den Schild vor der Brust, den Stoßassagai in der Rechten, die Federn des Kopfputzes und die weißen Ochsenschwänze auf der Brust und vor den Schienbeinen im Winde wehend, und deutlich waren die gefleckten und farbigen Stirnbänder über den wilden Gesichtern zu erkennen. Das Schießen hatte aufgehört, die vor den Regimentern einherlaufenden Schützen waren verschwunden, und aus den geschlossenen Massen wurde kein Schuß abgefeuert. Sie kamen im Laufschritt heran, ganz frei und ohne Deckung, die vornehmsten Indunas mit den Goldringen voraus, und in der That glich die Art ihres Laufens einem Tanzen, wie Lord Chelmsford es bezeichnet hatte. Denn ihr schneller Schritt war hüpfend und springend, wie wenn sie im stolzen, freudigen Bewußtsein ihrer früheren Siege zu einem Feste eilten. Nichts vermochte sie aufzuhalten. Die Shrapnels fuhren in ihre Reihen hinein, und krachend explodierten inmitten ihrer dicht aufeinander folgenden Glieder die gefährlichen, mit Kugeln gefüllten Hohlgeschosse. Sie sprangen über die Toten und Verwundeten hinweg und schlossen sich wieder zusammen. Die Raketen sausten zischend und flammend in die Massen hinein, aber vermochten nicht, sie zu erschrecken. Die Stellen, auf welche die Gatlings gerichtet waren, wurden wieder und wieder gelichtet und zerrissen unter dem stürmenden Hagel der kleinen bleiernen Bolzen, aber unaufhörlich sprangen die Hintermänner vor, um die gefallenen Vordermänner zu ersetzen. Schuß nach Schuß aus den Remingtons durchbohrte Schild und Brust, Stirnband und Stirn, aber das wütende Jauchzen und der schnelle Takt des Kriegsgesanges hörten nicht auf. Jetzt waren sie nur noch zweihundert Schritte entfernt, jetzt waren die weißen Zähne und die rollenden Augen deutlich zu sehen, und in den nächsten Minuten füllte sich das Terrain dicht vor Graben und Wall mit nackten, schwarzen Gestalten. Aber kein Mann wich in der Front von der bedrohten Umwallung. Mit zusammengebissenen Zähnen standen die Engländer hinter der Brüstung, Büchse reihte sich an Büchse, und das hintere Glied steckte die Mündungen durch die Lücken des vorderen. Was weder Shrapnels noch Raketen noch die Kugeln der Gatlings vermocht hatten, das vollbrachte jetzt das tödliche Feuer der Hinterlader. Kein Schuß ging fehl in dieser Nähe, und das grüne Gras vor dem Graben färbte sich mit Blut und verschwand unter Leichen. Wohl erschienen einige Köpfe mit drohend nickendem Kopfputz über dem Rande des Walles, aber sie sanken wieder zurück, und die Masse kam nicht herauf. Unter so furchtbaren Verlusten wankten selbst die Zulukolonnen; das gellende Jauchzen, welches nahe dem Lager an Stelle des donnernden Gesanges getreten war, verstummte, rückwärts flutete die schwarze Menge, und erleichtert atmete die Brust der tapferen Verteidiger auf. »Hurra für Altengland!« hörte Pieter Maritz eine Stimme halblaut sagen. Er blickte nach Lord Chelmsford und sah, wie der General das Glas von den Augen nahm und mit unwillkürlicher Handbewegung den Hals seines Pferdes streichelte. »Hurra für Altengland!« tönte es im Stabe wieder, und »Hurra für Altengland!« rollte es im Triumphschrei durch das Lager. Da bemerkte Pieter Maritz hinter den zurückfliehenden Trümmern des Königsregiments eine Reiterfigur auftauchen. Dabulamanzi flog heran, den Speer in der Rechten schwingend, und suchte den Lauf der Flüchtigen zu hemmen. Er ritt einen Fuchs, und Pieter Maritz erkannte das Leopardenfell auf dem Rücken des Pferdes. Ohne Sattel und Bügel saß der Bruder des Königs auf dem feurigen Tier und ließ es sich bäumen inmitten des flüchtigen Haufens, während er mit dem Speer in die Menge hieb. Hinter ihm aber wälzten sich neue Haufen heran, die Reserve, welche der kriegskundige Prinz zurückgehalten hatte und nun heranführte, um die weichende Schlachtlinie aufzunehmen und neu zu stärken. Drei frische Regimenter stürmten heran, hemmten die zurückstürmende Flut und schwemmten sie im eigenen Anlauf wieder vorwärts. Kaum war noch der Jubelruf im Lager verhallt, da nahte mit derselben Wucht und Schnelligkeit des ersten Angriffs der zweite. Ein warnendes Kommando lief durch die Reihen der Engländer hin, aus den Munitionswagen des 60. Regiments wurden neue Patronen in den Gliedern verteilt und mit gesammelter Kraft, in düsterm Schweigen erwarteten die Weißen den erneuerten Sturm ihrer schwarzen Feinde. Er kam heran wie eine Gewitterwolke, düster, drohend und mit dem alten erschütternden Gesange. Doch flogen jetzt auch zugleich die Kugeln von Feindesseite. Dabulamanzi ließ die zerstreuten Haufen der geschlagenen Regimenter vor und neben seiner zweiten Schlachtlinie herlaufen und mit kluger Berechnung von den Seiten her das Lager mit Schüssen beunruhigen. Dies Feuer blieb nicht ohne Wirkung, manche Kugel fand ihren Weg durch die Geschützscharten hindurch und über den Wall und die Wagen weg in das Innere. Oberst Crealock, vom Stabe des Oberbefehlshabers und neben ihm haltend, ward verwundet, Major Barrow vom 10. Husarenregiment und Leutnant Johnson vom 99. Regiment sanken getroffen zu Boden. »Major Walker!« rief Lord Chelmsford, »lassen Sie die Buern zur Verstärkung des 60. Regiments vorrücken.« Der riesige Major drehte seinen Gaul und ritt näher an die Reiter heran, welche neben ihren Pferden standen, und befahl ihnen, die Tiere zurückzulassen und sich zur Front zu begeben. Nur ein kleiner Teil blieb zurück, um nach Buernsitte die Pferde zu halten, die Hauptmasse ging vorwärts und kletterte auf die Verschanzung. Auch Pieter Maritz stieg ab und gesellte sich, die Büchse auf der Schulter, zu seinen Landsleuten. Die Buern mischten sich zwischen die Rotröcke, und neben den weißen Helmen blickten jetzt Hunderte von dunklen Hüten über die Brüstung hinweg, und Hunderte von Repetiergewehren verstärkten die Linie der Remingtons. Kopf stand an Kopf gedrängt, und Mündung neben Mündung starrte den Zulus entgegen, die im vollen Feuer der Geschütze mit der alten Tapferkeit unerschütterlich herankamen. Nun waren sie so nahe, daß das Infanteriefeuer wirken konnte, und die Buern zugleich mit den Schützen des 60. Regiments eröffneten ein mörderisches Feuer. Mann nach Mann stürzten in den Reihen der Zulus, Assagaien und Schilde entsanken den Händen der Getroffenen, der Todesschrei vieler Krieger mischte sich in den Schlachtgesang, und der Weg, den die stürmenden Massen zurücklegten, ward durch Haufen von schwarzen Gestalten bezeichnet, die sich am Boden wälzten. Pieter Maritz bemerkte den Unterschied, der sich zwischen dem Feuer der englischen Scharfschützen und dem der Buern zeigte. Während er selber feuerte, streifte sein Blick die Linie der Männer neben ihm, und er sah, daß die Engländer ihre Gewehre nur auf die Masse richteten und unaufhörlich feuerten und luden, daß die Buern aber bedächtig zielten und nach Art geübter Jäger immer einen bestimmten Feind aufs Korn nahmen. Auch ersparte ihnen das Magazin ihrer Büchsen das häufige Laden, und sie vereinigten bei ihrem Schießen die Genauigkeit mit der Schnelligkeit. Sie setzten die Waffe nur selten von der Backe ab, eine Kugel folgte der andern mit tödlicher Sicherheit. Der Wind trieb noch immer den Rauch nach rechts und ließ die Kolonnen der Zulus, indem er das Schußfeld frei erhielt, deutlich erkennen. Pieter Maritz hatte im gemeinsamen Kampf und in der Notwendigkeit der Gegenwehr die frühere Scheu vor dem Töten verloren, und während die Kampfeswut, die alle Herzen entflammte, auch sein Gemüt immer mehr berauschte, schickte er manche treffsichere Kugel in die schwarzen Reihen. Es galt jetzt zu siegen oder unterzugehen. Wenn nur an einer einzigen Stelle die verzweiflungsvoll anstürmenden nackten Krieger die Verschanzung überstiegen oder durchbrachen, so lebte nach einer halben Stunde kein Mann mehr im weiten Umkreise des Lagers. Keiner von allen Verteidigern erblickte das Licht eines neuen Tages, wenn ihre Linie sich auch nur in einem einzigen Punkte schwach erwies. Das wußten sie alle, die auf dem Walle standen, und regelmäßig wie Maschinen, doch mit flammenden Augen, Gesicht und Hände vom Pulver geschwärzt, glühend von Hitze und ganz in Schweiß, arbeiteten sie an dem Werke des vielfältigen Todes. Da schien es Pieter Maritz, obwohl die Zulus dicht vor ihm seine Aufmerksamkeit gleich der aller andern Männer in der Front in Anspruch nahmen, als ob sich hinter dem wallenden Rauch, der nach rechts wehte, eine Bewegung vollziehe. Das Terrain war nur schwer übersichtlich, da nicht allein der Pulverdampf aus den Gewehren, sondern namentlich die dichten Wolken der auf den Ecken stehenden Gatlings und Neunpfünder es immer von neuem verhüllten; aber der Buernsohn glaubte doch ein Blitzen von Speeren dahinter bemerkt zu haben, und er erinnerte sich jetzt des eigentümlichen Manövers, welches die Zulus zu Anfang der Schlacht ausgeführt hatten. Während sie sonst den Feind zu umklammern suchten und eine Schlachtlinie ähnlich dem Stierhaupt mit gebogenen Hörnern bildeten, hatten sie ihren linken Flügel heute zurückgehalten. Sollten sie auf den Rauch und Wind gerechnet und einen überraschenden Angriff gegen die rechte Flanke des Lagers geplant haben? Pieter Maritz sah sich um und blickte nach Lord Chelmsford, indem er sich zugleich duckte, um den Kopf nicht preiszugeben. Der General hielt auf seinem Platze in der Mitte und überwachte den Kampf in der Front, aber jetzt nahm Pieter Maritz die Gestalt Humbatis wahr, der mit einem leichten pantherähnlichen Satze von einem Wagen der rechten Lagerflanke heruntersprang und sich dem Oberbefehlshaber näherte. Lord Chelmsford neigte sich zu ihm vom Pferde hinunter, um seine Stimme im Lärm des Kampfes vernehmen zu können, und richtete dann sein Glas auf jenen Punkt in der rechten Flanke, den auch Pieter Maritz bemerkt hatte. Dann schickte er einen der Adjutanten zu den Matrosen und dem 57. Regiment. Dieser ritt die Linie entlang und benachrichtigte die Offiziere, die Augen der Verteidiger auf dieser Seite wandten sich einer neuen Gefahr entgegen. Und nicht lange währte es, da zeigte sie sich in naher Gestalt. Während noch die Front bestürmt wurde und die Zulus trotz ihrer schrecklichen Verluste nicht abließen, immer von neuem heranzulaufen, ertönte der dröhnende Schlachtgesang auch von rechts her, und aus dem dichten Pulverrauch tauchten die frischen Regimenter des linken Flügels auf. Sie kamen, ohne zu feuern, im schnellen Laufe heran und umgaben mit weiter Schwenkung nicht allein die rechte Flanke, sondern auch die rückwärtige Linie, welche von den Schotten besetzt war. Ihr Angriffsschrei belebte den wankenden Mut des rechten Flügels, und nun stürmten dichte schwarze Haufen von drei Seiten auf das Lager ein. Es glich einem Krater, der Feuer speit, und das Getöse so vieler Feuerwaffen und rufender Männer war betäubend. Auf allen vier Ecken waren jetzt die Kanonen und Mitrailleusen in Thätigkeit, die Raketenbatterie feuerte unaufhörlich, und Tausende von Gewehren mischten ihre Stimme in das Krachen der Geschütze. Dazu umtobte wie ein Gesang aus der Hölle das Brüllen und gellende Jauchzen der Zulus die kugelspeienden Wälle, und gleich dem Meere, das an dunkle Felsen brandet, schlugen Menschenwellen gegen den festen Wall an. Mehreremal schienen die Zulus ihr Ziel zu erreichen. Über die Leiber der Gefallenen hinweg, die den Graben füllten, stiegen sie reihenweise bis zur Brüstung empor und blickten mit ihren Tigeraugen in das Innere des englischen Lagers. Mehrfach krochen sie unter den Geschützen weg und neben den Lafetten zu den Artilleristen heran. Aber keiner kam lebend davon. Die Matrosen hatten die Hirschfänger auf ihre Martini-Henrys gesteckt und stachen Mann für Mann nieder, wie sie über den Wall guckten. Die stämmigen Hochländer schlugen mit den Kolben auf die schwarzen Köpfe; als sich aber die Schädel zu hart und der Haarputz zu zähe erwies für eine gute Wirkung des Schlages, da stachen sie gleich den übrigen. Die Artilleristen schossen mit Karabinern und die Offiziere mit Revolvern die einzelnen Leute nieder, welche durch die Geschützscharten kamen. Es war ein wildes Gemetzel. Endlich ließ der Ansturm nach, und das gellende Jauchzen verstummte. Das Schnellfeuer der Europäer hinter den Wällen war zu mörderisch für den Feind, die Taktik der Weißen war dem schwarzen Manne zu mächtig. Die Zuluregimenter, kläglich zusammengeschmolzen, schwankten und wankten, strömten rückwärts und lösten sich auf. Da winkte Lord Chelmsford. Die Wagen auf der Ausfallsseite wurden beiseite geschoben, und Humbati mit seinen schwarzen Bataillonen stürzte aus der Lücke hervor. Dann erschollen die Trompeten, und die Dragoner schwangen sich in den Sattel. Major Walker zog sein Schwert und befehligte die Buern zu ihren Pferden. Es galt den weichenden Feind völlig zu verjagen. Nach rechts hin, auf den linken Flügel der Zulus, warfen sich Humbatis wilde Krieger, nach links hin trabten die Dragoner. Ihnen folgten die Buern. Pieter Maritz ritt neben dem Leutnant Dubois vor den Reihen der Buern, und Major Walkers mächtige Reiterfigur wies ihnen den Weg. Er wandte sein rotes Gesicht, sich im Sattel drehend, den Reitern zu, schwang den Pallasch und rief, indem er nach den Dragonern zeigte, die etwas voraus waren: »Vorwärts, ihr braven holländischen Dickköpfe! In eine Linie mit den Dragonern! Ihr sollt mir eine Frikassee aus den Niggern machen!« Aber den Buern gefiel der Reiterangriff nicht. Sie trabten zwar eine Strecke weit vor, als sie aber merkten, daß die Zulus sich wieder setzten und dicke Haufen bildeten, als Kugeln ihnen entgegenflogen, da siegte bei ihnen die alte Gewohnheit. Sie hielten an, ohne auf den drohenden Ruf des Majors und des Leutnants Dubois zu achten, stiegen von den Pferden, warfen sich in das Gras und begannen zu feuern. Pieter Maritz allein blieb bei den Offizieren, und indem er Jager vorwärts trieb, sah er sich in wenigen Minuten neben der vordersten Schwadron der Dragoner, an deren Flügel Lord Fitzherbert ritt. Gleich darauf schloß sich Leutnant Dubois an, und dann erschien fluchend und tobend Major Walker auf seinem großen Schlachtroß. Die Zulus waren auf der Flucht, aber ein Teil von ihnen hatte sich doch in Klumpen zusammengeballt und wandte dem verfolgenden Feinde das Gesicht zu. Ihre Kriegskunst war nur auf den Angriff berechnet und sie verstanden wenig von der Verteidigung. Der Mut mußte bei ihnen die Kunst ersetzen. Doch hatte Dabulamanzi mit dem glücklichen Blick des geschickten Heerführers während des Rückzuges einen Platz ausersehen, der durch Busch und Schilf nahe dem Flusse einen Vorteil für die Gegenwehr bot, und dorthin einige Tausende aus den besten Regimentern geleitet. Pieter Maritz sah, als er mit den Dragonern gegen die dunkle Masse dieses letzten geschlossenen Restes der Zuluarmee anritt, des Prinzen Gestalt zu Pferde über das Fußvolk hinwegragen und zeigte sie seinem englischen Freunde. Ein wildes, jubelndes Gefühl der Kriegslust erfüllte seine Brust, als er den Feind vor sich sah und das Stampfen der Rosse, das Klirren der Waffen um sich her vernahm. Er warf die Büchse auf den Rücken und riß laut jauchzend die spanische Klinge aus der Scheide. »Adolphus!« rief er dem Lord zu, »dort Dabulamanzis goldener Stirnreif! Um die Wette, wer ihn erobert!« »Drauf los, es gilt!« antwortete der Engländer. Er ritt heute den prächtigen Rappen, mit dem er einst den Wettritt mit dem Buernsohn gemacht hatte, und wieder lief Jager mit dem schönen Tiere um den Preis des Sieges. Die Zulus steckten in Schilf und Gebüsch und zeigten eine drohende Miene. Sie glichen dem Raubtier, das in die Enge getrieben ist und die Zähne zeigt. Sie waren still und ingrimmig, sie schlossen sich um ihre Indunas und des Königs Bruder zusammen, sie bildeten einen Zaun aus ihren Schilden und streckten die Stoßassagaien als Dornhecke vor. Dazu schossen sie aus den Gewehren, und manche Kugel flog in die Dragonerschwadronen, so daß hier und da Mann und Pferd rasselnd zusammenstürzten. Doch in voller Karriere stürmten die Reiter heran, die Pallasche hoch geschwungen, und jetzt waren sie so nahe am Feinde, daß sie deren düstere Gesichter erkennen konnten. Ein Schauer von Assagaien sauste ihnen entgegen, und er war gut gezielt. Major Walker ward von einer scharfen Spitze in den Hals getroffen, die ihm für immer den Geschmack an schweren Getränken verdarb. Wie ein gefällter Baum stürzte er krachend zu Boden. Viele Pferde bäumten sich auf und sanken in die Kniee. Im nächsten Augenblick aber waren die Reiter im Dickicht und zwischen den nackten Gestalten; ein wildes Handgemenge entbrannte. Den Zulus war der Kampf mit Kavallerie ungewohnt, und da sie nur ihre vornehmsten Indunas zu Pferde kannten, hatten die Tiere etwas Schreckenerregendes für sie. Doch fanden sie sich in ihrem verzweiflungsvollen Mut sehr bald in die neue Lage. Während die Dragoner in vollem Rosseslauf auf sie einsprengten und mit ihren schweren Pallaschen von oben herab hieben, versuchten die Zulus teils mit vorgehaltenen Speeren die Attacke aufzuhalten, teils an die Zügel zu springen und mit ihren Kirris die Reiter herunterzuschlagen. Als die Dragoner inmitten des hohen Schilfes und der Büsche, inmitten der schwarzen Haufen von Männern waren, kam es auf die Kraft und Geschicklichkeit der einzelnen an, und während die berittenen Soldaten der Königin ihre Pferde ringsum tummelten und hieben und stachen, entspann sich mancher Zweikampf zwischen einem Rotrock und einem nackten Schwarzen. Die Zulus glitten gleich Schlangen zwischen die Reiter, nestelten sich, geschmeidig dem Schwert und den Hufen ausweichend, an Sattelzeug und Zügel an, und stachen mit den Assagaien oder hieben mit dem Kirri. Mancher Ochsenschild ward von den englischen Klingen durchhauen und mancher künstliche Kopfputz von scharfen Hieben durchschnitten. Pieter Maritz ritt mitten im Getümmel, und links von ihm war Lord Fitzherbert, rechts der Leutnant Dubois, der sich die Ehre des Einhauens in der ersten Linie nicht wollte nehmen lassen, obwohl seine Buernreiter weit dort hinten waren und, klug im Grase vorwärts gehend, Schuß auf Schuß hinter den Fliehenden hersandten. Alle drei strebten um die Wette vorwärts und hatten den Mittelpunkt der starken Zuluschar, den Prinzen Dabulamanzi, ins Auge gefaßt. Wilder Taumel hatte sich der Empfindungen des Buernsohnes bemächtigt, und er dachte mitten im Blutvergießen nur noch an Kampf. Dennoch leitete kühle Besonnenheit seine Handlungen, soweit sie sich auf sein Ziel bezogen, und gleichsam ein neuer Sinn, die Geistesgegenwart im Handgemenge, lenkte ihm Auge und Arm. Wie in einem instinktmäßigen Ahnen, ohne darüber nachzudenken, vermied er die Assagaien und parierte die Schläge der Kirris. Ein riesiger Zulu sprang ihm entgegen und streckte seine Hand nach Jagers Zügel aus. Aber Pieter Maritz warf das Pferd zur Seite und hieb blitzschnell zu, so daß die gute Klinge, Lord Fitzherberts Gastgeschenk, den Streifen von Leopardenfell und die schwarzen Federn auf des Zulu Stirn durchschnitt und der nackte Krieger in die Kniee fiel, während Schild und Speer seiner Faust entsanken. Ein Induna vom »Regiment des Königs« zielte auf ihn mit dem Wurfassagai, aber indem der leichte Speer heranflog, duckte sich der Buernsohn, und die scharfe Spitze streifte nur den Hutrand. Vorwärts trieb er Jager in das dickste Getümmel hinein, denn neben ihm brachen sich auch der Lord und der Franzose mit schweren Hieben eine Bahn, und trotzig hielt noch immer inmitten einer auserwählten Truppe Prinz Dabulamanzi im Hintergrunde. Das Schilf ward von Rosseshufen und den Füßen vieler Männer niedergetreten und schwarze Gestalten lagen zwischen den harten scharfen Halmen neben den Körpern von Dragonern und Pferden. Rücksichtslos traten die Hufe der nachdringenden Reiter auf die Leiber der Toten und Verwundeten. Allen voran kamen die drei um die Wette kämpfenden Streiter. Jetzt war Leutnant Dubois am weitesten vor. Der zähe, kriegsgewohnte Mann hatte sich einen blutigen Pfad gebahnt. In der Linken hielt er den Revolver, in der Rechten einen langen Stoßdegen, den er schon in manchem Kampfe geführt hatte, und den Zügel hielt er mit den Zähnen. Aber zu seiner Verwunderung erblickte er den Buernsohn ganz in seiner Nähe im Gewühl. Zwanzig Schritte weiter links hieb Lord Fitzherbert, weit ausholend, nach beiden Seiten von seinem großen Rappen herunter. Nun war die letzte Reihe der Zulus durchbrochen, und die Reiter sahen Dabulamanzi selbst, von wenigen Kriegern umgeben vor sich. Als Pieter Maritz gegen ihn ansprengte, begegnete sein Blick dem kriegerischen Auge des schwarzen Prinzen, und ein Blitz des Wiedererkennens flog zu ihm herüber. In stolzer Haltung hielt Dabulamanzi den Speer empor, und mit vornehmer Anmut saß die schlanke, glänzend schwarze Gestalt auf dem bunt gefleckten Fell, welches den Rücken des Fuchses bedeckte. Trotzig standen die treuen Begleiter um ihn her, und während die Trauer über ihre Niederlage und die Ahnung vom Untergange des Zulureiches sich in ihren düsteren Gesichtern malte, zeigte ihre Stellung an, daß sie zugleich mit dem Siege auch ihr Leben aufgaben. Ein Assagai, von einem der Fußgänger geschleudert, sauste dem Buernsohne entgegen und fuhr ihm zwischen Brust und linkem Arm hindurch. Pieter Maritz fühlte einen schneidenden Schmerz an der Innenseite des Arms, doch ließ er die Zügel nicht los. Jetzt kamen Lord Fitzherbert und der Franzose zu beiden Seiten an ihn heran und griffen alsbald neben ihm die finstere Gruppe der letzten Verteidiger des Schlachtfeldes an. Pieter Maritz rief Jager eine Ermunterung zu und schwang sein Schwert, ohne auf die Streiter zu Fuß zu achten, allein gegen Dabulamanzi. [Illustration: Der Sieg von Gingilowo.] Der Prinz holte zum Stoße aus und schwang den Speer gerade gegen die Brust des Buernsohnes. Aber Pieter Maritz traf den Assagai mit einem schnellen Hiebe hinter der Spitze, und die vortreffliche Klinge zerschnitt den starken Rohrschaft, so daß das spitzige Eisen zu Boden fiel. Nun war Jager mit einem Satze neben dem Fuchs, und in demselben Augenblick traf des Buernsohnes Degenstoß den schwarzen Heerführer in die nackte Brust. Dabulamanzi breitete die Arme aus und sank rückwärts, ein Wehgeheul drang von den Lippen der umgebenden Zulus empor. Pieter Maritz aber griff mit starker schneller Hand, während er den Degen mit den Zähnen hielt, nach dem Goldreif auf dem sinkenden Haupte, riß ihn ab und schwang ihn triumphierend in die Höhe. [Illustration] [Illustration] Dreiundzwanzigstes Kapitel Prinz Ludwig Napoleon Der Anblick des Schlachtfeldes hatte sich verändert. Nicht mehr der wilde Angriff der todesmutigen Zulus, nicht mehr der donnernde Gesang und das gellende Rufen der schwarzen Krieger erfüllten das wellenförmige Land, und aus den drohenden Wällen des englischen Lagers sprühte nicht mehr der bleierne Tod. Als die Dragoner den letzten Widerstand des weichenden Heeres niedergeworfen hatten, da waren nur noch flüchtige Scharen, traurige Überreste der stolzen Regimenter Tschetschwajos zu sehen. Sie flüchteten dem Flusse zu, viele waren schon hindurchgeschwommen, andere waren im Wasser, die letzten eilten, sich in die Wogen zu stürzen. Hinter ihnen ritten die Dragoner, und mancher Schwerthieb, von oben auf nackte Schultern und schön geputzte Köpfe niedersausend, warf noch Flüchtige nieder. Hinter ihnen ritten und liefen die Buern und sandten aus sicherer Ferne ihre unfehlbaren Schüsse. Am schrecklichsten aber hinter den fliehenden Massen waren Humbatis schwarze Bataillone. Sie streiften die Walstatt ab, soweit sie mit den Körpern der Gefallenen bedeckt war, und stießen allen, in denen noch Leben war, den Assagai durchs Herz. Kein Verwundeter kam davon. Engländer und Buern kannten die Schonung, und wo sie einen Mann am Boden sahen, da eilten sie vorbei und strebten, die noch Rüstigen zu erreichen; aber das schwarze Volk in seinem Blutdurste kannte nicht Mitleid, nicht Edelmut. Alle, alle wurden ermordet, die, von Kugeln getroffen, sich noch winden konnten, und den Toten wurden Waffen und Schmuck, die zierlichen Ketten und Ringe, schöne Federn und Amulette vom Leibe gerissen. So zeigten sich die eigenen Brüder grausamer gegen die Unterlegenen als der weiße europäische Feind. Pieter Maritz ritt mit den Dragonern zurück, trug Dabulamanzis Kopfring in der rechten Hand und blickte von Zeit zu Zeit nach dem Blut, das ihm in seinem zerrissenen linken Ärmel herunterlief. Der schöne neue Rock dauerte den Buernsohn. Es war ihm fast wie in einem Traume. Der betäubende Wirbel des Kampfes hatte aufgehört und seine Erlebnisse zogen ihm schattenhaft durch die Erinnerung. Neben ihm ritten außer Lord Fitzherbert und dem Franzosen noch mehrere andere Offiziere und beglückwünschten ihn zu seinem Erfolge. So kamen sie bis nahe dem Lager zurück, wo Lord Chelmsford inmitten seines Stabes hielt und die Truppen aus dem Lager aufmarschierten. Der Kommandant der Dragoner führte Pieter Maritz gerade auf den Oberbefehlshaber zu und stellte ihn vor, indem er Meldung über die ausgeführte Verfolgung machte. »Ich empfehle Eurer Excellenz Beachtung insbesondere diesen jungen Mann,« sagte er, »der sich in hervorragender Weise tapfer und geschickt gezeigt hat. Durch seine Hand fiel der feindliche Heerführer, und der Ring hier ward von ihm im Handgemenge von des schwarzen Prinzen Kopf genommen.« Lord Chelmsford heftete seinen Blick auf das errötende Gesicht des Buernsohnes und erkannte ihn wieder. »Ist das nicht der junge Mensch, der Zeuge des Kampfes von Isandula war?« fragte er. Pieter Maritz zog seinen Hut und verneigte sich. »Aber Sie sind verwundet, ich sehe Ihren Rock voll Blut,« sagte der Lord. Dann wandte er sich um. »Doktor Johnson,« rief er, »haben Sie die Güte, diesen jungen Mann zu verbinden.« Ein Herr in der Uniform der englischen Stabsärzte kam herangeritten. »Vorläufig will ich selbst ein Pflaster auf die Wunde legen,« sagte Lord Chelmsford dann. Mit diesen Worten nahm er von seiner mit Orden bedeckten Brust das Viktoriakreuz ab und heftete es auf Pieter Maritz' Bluse. »Im Namen Ihrer Majestät der Königin,« sagte er, »überreiche ich Ihnen hier dieses Ehrenzeichen für militärische Auszeichnung. Den goldenen Ring bitte ich Sie, mir auszuliefern, damit ich ihn den Trophäen hinzufügen kann. Das dreifache Gewicht des Ringes soll Ihnen in Gold ausgezahlt werden.« Pieter Maritz murmelte einige Worte des Dankes und war fast bewußtlos unter der Last der Ehre und Freude, die sich auf sein Haupt häufte. Alle Offiziere drängten sich um ihn, wünschten ihm Glück und schüttelten ihm die Hand. Dabulamanzis Ring ward von einem zum andern gereicht und neugierig betrachtet. »Danken wir Gott,« sagte Lord Chelmsford, »daß der Mann, der ihn trug, am Boden liegt. Er war ein ausgezeichneter Feldherr, und niemals sah ich einen kühneren Krieger.« Dann ritt er vorwärts und gab Befehle für die ferneren Maßregeln des Heeres. Die Zulus sollten die Leichen der Feinde in einiger Entfernung vom Lager zusammentragen und begraben. Die Armee sollte auf der Stelle bleiben, wo sie stand, und nach dem heißen Kampfe der Ruhe pflegen. Lord Chelmsford sah nach seiner Uhr, sie zeigte auf acht. Die Schlacht hatte drei Stunden gedauert. Der Morgen des 2. April war blutig gewesen im Zululande. Pieter Maritz ließ seinen Arm von dem Arzt untersuchen. Es zeigte sich eine starke Fleischwunde im Oberarm, doch als sie ausgewaschen und verbunden worden war, folgte der abgehärtete Buernsohn dem Zahlmeister der Armee auf dessen Einladung zu dem Wagen im Lager, wo die Kriegskasse aufbewahrt wurde. Dort legte der Zahlmeister Dabulamanzis Ring auf eine Schale einer Goldwage und häufte Sovereigns in der andern Schale an. Der Ring war massiv und wog schwer, hundertundsechzig Sovereigns mußten übereinander gelegt werden, um sein Gewicht zu erreichen. Dann zahlte der Beamte dem glücklichen Knaben vierhundertundachtzig Pfund Sterling aus, und schwer mit Gold beladen ging Pieter Maritz davon. Er that den Beutel in den Mantelsack, und dann setzte er sich mit gutem Appetit bei den Dragonern zum Frühstück nieder und verzehrte gemeinsam mit Lord Fitzherbert eine Wildpastete, die in London eingemacht war, und ein großes Stück Schiffszwieback, das in Kapwein getunkt wurde. Hierauf schlief er im Schatten eines Zeltes ein und that einen festen Schlaf bis zum Anbruch des folgenden Morgens. Die Trompeten weckten ihn, die Dragoner sattelten, Lord Chelmsford ließ eine fliegende Kolonne aufmarschieren, die Ekowe aufsuchen sollte. Pieter Maritz fühlte sich frisch und stark, er ließ sich neu verbinden, zog den vom Assagai gerade an der rechten Stelle ausgeschnittenen Ärmel über den Verband und stieg zu Pferde. Hundert Buern unter Befehl des Leutnants Dubois sollten die Kolonne begleiten, die aus den Hochländern, dem 60. und dem 57. Regiment und dem größten Teil der Kavallerie nebst vier Geschützen bestand. Die Seebrigade, das 99. Regiment und die Zulubataillone blieben mit der Hauptmasse der Artillerie zurück, um das feste Lager besetzt zu halten. Nach der Berechnung des Lord Chelmsford war der Angriff am vergangenen Tage nicht von der ganzen Macht der Zulus, sondern nur von zwölftausend Mann ausgeführt worden. Da Oberst Pearson die Nähe eines viel größeren Heeres signalisiert hatte, war es nicht unwahrscheinlich, daß noch fernere Kämpfe in der Nähe von Ekowe zu bestehen sein würden. Aber diese Erwartung erfüllte sich nicht. Ohne Störung ging der Marsch vor sich. Der Inyezane ward in einer Furt durchschritten, und der Übergang machte keine Schwierigkeit, da der Fluß, nachdem die Gewitterflut sich verlaufen hatte, wieder niedrig in seinem Bette floß, und die durch Wagen nicht gehemmte Kolonne kam am Nachmittage vor dem Fort an, ohne mehr als vereinzelte Zulutrupps gesehen zu haben. Der Schrecken der Niederlage und des Falles ihres Führers hatte die Zulus verscheucht, sie mochten sich nach Norden zurückgezogen haben, und nur die Spuren ihres Lagers rings um Ekowe waren noch zu bemerken. Oberst Pearson kam mit einer kleinen Schar dem Lord Chelmsford entgegen, als dieser nahe dem Fort war. Die Freude unter den Belagerten war groß. Seit dem 22. Januar waren sie, ringsum von Feinden umgeben, in dem festen Platze eingeschlossen gewesen und nun waren sie beinahe verhungert. An jenem 22. Januar, der die Niederlage von Isandula gebracht hatte, war ein starkes Zuluheer auch auf Oberst Pearson gefallen, hatte heftig mit ihm gekämpft, seine Truppen völlig in das Fort zurückgeworfen und ihn dann bis heute belagert. Schrecklicher Jammer hatte in Ekowe geherrscht. Fleisch und Brot waren zu Ende gegangen, die elendesten Nahrungsmittel waren nur in geringen Mengen noch zu haben gewesen, und nur noch der Sieg bei Gingilowo rettete die ganze Kolonne des Obersten Pearson vom Tode. Etwa zwölfhundert Mann waren in dem hochgelegenen, mit festen Wällen umgebenen Platze. Die Engländer, an reichliche Kost gewöhnt, glichen wandelnden Leichen und waren zum großen Teil so krank, daß sie kaum noch gehen konnten. Blaß und hohläugig lagen sie umher. Nur die Schwarzen waren noch einigermaßen munter. Sie hatten gegessen, was die Europäer weder beißen noch verdauen konnten, hatten zuletzt die großen Reiterstiefel ihrer weißen Befehlshaber in Öl gesotten und verzehrt und dazu ihren Gürtel enger geschnallt. So waren sie ziemlich frisch geblieben und tanzten vor Lust, als die Mannschaften des Lord Chelmsford ihre Brotbeutel öffneten und ihre Flaschen umherreichten. Fort Ekowe, ehedem Missionsstation mit einer Kirche und mehreren Häusern, lag auf einem hochragenden Hügel, und von hier aus konnte das Land weithin überblickt werden. So war es dem Obersten Pearson auch möglich geworden, sich auf die Entfernung von fünf deutschen Meilen hin, bis zu den festen Plätzen am Tugela durch den Heliographen mit dem Oberbefehlshaber in Verbindung zu setzen. Ringsum war hier die Landschaft von wildem Charakter, stark durchschnitten, voller Hügel und Thäler und dicht bewachsen. Pieter Maritz sah den Oberbefehlshaber mit dem Oberst Pearson und mehreren andern hohen Offizieren auf dem Walle stehen und bemerkte, daß Lord Chelmsford lange Zeit schweigend durch sein Fernrohr blickte und dann sich mit den andern Offizieren beriet. Der General erblickte den Buernsohn, winkte ihm und gab ihm den Auftrag, Leutnant Dubois herbeizuholen. »Ich gewahrte dort im Norden einen starken Rauch,« sagte Lord Chelmsford zu dem Franzosen, als dieser, von Pieter Maritz begleitet, herangekommen war. »Reiten Sie doch mit einer starken Patrouille aus, um zu sehen, was dieser Rauch bedeutet. Die Buern sind mir von dem größten Nutzen,« fügte er, zu Oberst Pearson gewandt, hinzu, »und ich wüßte nicht, was ich ohne sie anfangen sollte. Weder Roß und Reiter sind jemals müde, sie thun den Vorpostendienst fast allein.« Leutnant Dubois entfernte sich, um den Befehl auszuführen, und mit ihm stiegen Pieter Maritz und fünfzig Buern zu Pferde. Sie ritten gerade nach Norden. »Ich weiß wohl, was der Rauch bedeutet,« sagte Pieter Maritz zu dem Leutnant, als sie sich von dem Fort entfernten. »Sehen Sie, wie trocken das Gras ist. Die Zulus stecken es an, um uns den Vormarsch zu erschweren. Ich kenne ihre Manier. Sie brennen das Land ringsum ab, so daß die Pferde und Ochsen des Feindes kein Futter finden.« Leutnant Dubois ritt weiter, um sich zu überzeugen, und sie fanden den Rauch, je mehr sie nach Norden kamen, dichter und dichter. Der Wind trieb ihnen den Geruch und feine Asche verbrannter Gräser und Sträucher entgegen. Sie kamen an einen Kral, der verlassen war und in Flammen stand, und endlich kehrte die Patrouille um. Lord Chelmsford stand, als sie zurückkehrten, wieder auf dem Walle, umgeben von Offizieren. Es war Nacht geworden, und ein Flammenmeer breitete sich in der Ferne aus. »Ich dachte es mir,« sagte der General, als Leutnant Dubois seine Meldung abgestattet hatte. »Ah, diese Zulus! Wir können Ekowe nicht halten, es ist ein verlorener Posten. Wir können nicht weitermarschieren, denn wir sind zu schwach, um auf Ulundi vorzurücken. Ich bedarf noch großer Verstärkungen, ehe ich den Krieg zu Ende führen kann. Ich muß fünfundzwanzigtausend Mann haben. Im Lager von Gingilowo habe ich nur noch für eine Woche Lebensmittel, wie kann ich dort bleiben? Dies ist ein schrecklicher Krieg! Wir haben schon mehr als hundert Offiziere verloren. Um mit einer Armee vorzugehen, die den Zulus im freien Felde überlegen ist, bedarf ich eines ungeheuren Trains, und wie komme ich mit einem solchen Train durch dies Land? Oberst Pearson,« schloß der General, »lassen Sie alle Vorkehrungen treffen, um morgen früh abmarschieren zu können. Die Ingenieure sollen die Wälle sprengen. Wir gehen morgen auf Gingilowo zurück.« Der Marsch ging zum Lager auf dem siegreich behaupteten Schlachtfelde zurück, dort wurde zwei Tage gerastet, um der früheren Besatzung von Ekowe Ruhe zu gönnen, und dann ging es weiter zurück in die festen Stellungen am Tugela, aus denen Lord Chelmsford aufgebrochen war, um Oberst Pearson zu entsetzen. Woche nach Woche verging, und keine neue Unternehmung ward gewagt. Doch auch die Zulus hielten sich still, kein Angriff erfolgte, nichts war von ihnen zu sehen. In dieser Zeit der Ruhe, während Lord Chelmsford sich nach dem andern Flügel begab und den Oberst Wood besuchte, der sein Hauptquartier wieder nach Utrecht verlegt hatte, kamen immer neue Truppen von Port Natal und brachten viele Pferde und noch mehr Maultiere mit, die aus den fernsten Ecken der Erde zusammengeholt und auf Dampfern übers Meer gebracht worden waren. Pieter Maritz sah mit Erstaunen die großen Vorbereitungen des reichen Englands. Wunderschöne Regimenter kamen an und blieben teils in dem Lager am unteren Tugela, teils zogen sie nach dem linken Flügel in Transvaal. Ein prächtiges Regiment, die 17. Ulanen, erregte Pieter Maritz' Interesse. Sie trugen lange Lanzen, unter deren Spitzen kleine Fähnchen im Winde flatterten. Mit den Dragonern zusammen marschierten sie nach dem Norden, nach Transvaal, und es hieß, daß die Buern sich schwierig zeigten, so daß die englische Regierung es für gut halte, zahlreiche Kavallerie in deren Lande zu lassen. Mehrere Batterien Artillerie und zahlreiches Fußvolk verstärkten die Heeresabteilungen an den Grenzen des Zululandes. Oberst Wood wurde inzwischen zum Brigadiergeneral ernannt, seine an Kavallerie sehr starke Kolonne ward auf mehr als dreitausend Mann gebracht und eine fliegende Kolonne genannt, da sie zu weiten schnellen Unternehmungen bestimmt war. Eine andere Kolonne, unter Befehl des Generals Newdigate, deren Hauptquartier in Doornfontein war und welche die stark zusammengeschmolzene Abteilung des Obersten Glyn in sich aufnahm, erreichte eine Stärke von über zehntausend Mann, und die Kolonne am unteren Tugela, bei welcher Pieter Maritz sich befand und welche vom General Crealock befehligt wurde, zählte über neuntausend Mann. Lord Chelmsford weilte im Transvaallande, und es hieß, er wolle von dort aus in das Zululand einzudringen versuchen. Doch verbreitete sich Mitte Mai im Lager am Tugela die Nachricht, die Königin sei unzufrieden mit der Regierung des Generalgouverneurs Sir Bartle Frere und der Kriegsführung des Lord Chelmsford, da er noch immer den König Tschetschwajo nicht zur Unterwerfung gebracht habe, und sie habe den glücklichsten General ihrer Armee, Sir Garnet Wolseley, abgesandt, um an höchster Stelle sowohl die Civilregierung als auch den Krieg in Südafrika zu leiten. Zu dieser Zeit erhielten auch die Buernreiter Befehl, aufzubrechen und der Grenze von Natal entlang nach Transvaal zu marschieren. Sie waren in unablässigem Vorpostendienst gewesen, indem sie der Front entlang auf Meilen weit Patrouillen ausgeschickt und vor den festen Plätzen Fort Tenedos, Fort Pearson, Fort Williamson und Fort Chelmsford auf Posten gestanden hatten. Manchen Tag und manche Nacht hatte Pieter Maritz im Sattel gesessen und seine Wunde war inzwischen vollständig geheilt. Sein vieles Geld hatte er bei einem der Buern in Durban niedergelegt, an welche ihn Joubert empfohlen hatte. Die englische Armee war in beständiger Sorge eines Angriffs der Zulus und in Verwunderung darüber, daß der schnelle Feind, den kein Gepäck, kein Train in seinen Märschen hinderte, nicht längst schon auf irgend einem Punkte der langen Grenze in englisches oder Buerngebiet hereingebrochen sei. Am 20. Mai traf die Reiterschar des Leutnants Dubois bei Rorkes Drift ein, wo das Land dem Buernsohn von früheren Ritten her wohlbekannt war, und hier vereinigten sich die Buern mit einer starken Abteilung, die unter dem Befehl des Generals Marshall eine Rekognoszierung in das Zululand hinein machen sollte. Hauptsächlich Kavallerie und reitende Artillerie bildeten diese Abteilung, und die Geschütze waren mit Pferden bespannt, um behende bewegt werden zu können. Es war das Dragonerregiment, die Hälfte des 17. Ulanenregiments, die reitenden Buern und dazu vier Kompanien vom 24. Regiment, welches bei Isandula so schwer gelitten hatte. General Marshall sollte erkunden, was die Zuluabteilungen im Schilde führten, welche sich in der Gegend gezeigt hatten, wo die schreckliche Niederlage am 22. Januar stattgefunden. Als Pieter Maritz am Morgen des 21. Mai an der Seite des Leutnants Dubois vor der Buernschar ritt, während links die Fähnchen der Ulanen glänzten und hinten die rote Masse der Dragoner folgte, sah er den General, welcher von rückwärts herangesprengt kam, von mehreren Offizieren begleitet und bemerkte neben ihm eine Reitergestalt, welche seine Aufmerksamkeit fesselte. Es war ein junger Mann in der prächtigen Uniform der englischen Artillerie, auf einem Fuchs von der edelsten Rasse. Sein Gesicht war zart und blaß, und ein kleiner dunkler Schnurrbart beschattete die Oberlippe. Er trug den weißen Korkhelm mit einem weißen Schleier umwunden, wie die englischen Offiziere wohl zu thun pflegten, um die Glut der Sonnenstrahlen zu mildern. Zugleich mit dem Buernsohn hatte auch Leutnant Dubois diesen Reiter erblickt, und in dem wettergebräunten Gesicht des alten Soldaten zeigte sich tiefe Bewegung. Als General Marshall mit seinem jugendlichen Begleiter an der Buernschar vorübertrabte, warf der Franzose sein Pferd zur Seite, um Front gegen die Vorbeikommenden zu machen, und nahm nach Art der Franzosen und entgegen der englischen Sitte zum Gruße den Helm vom Kopfe. Ein freundliches Lächeln erschien auf dem Gesicht des jungen Mannes, welcher fröhlich mit dem General plauderte, und er tauschte einige Worte mit seinem Begleiter aus. General Marshall benahm sich gegen den jugendlichen Artillerieoffizier mit ehrerbietiger Höflichkeit. Dann kam der Fremde auf Leutnant Dubois zugeritten. »Ein Landsmann, wie ich höre,« sagte er mit vornehmer Liebenswürdigkeit zu dem Leutnant. »Ich habe es mir gedacht, als ich Sie sah, daß dies Gesicht aus unserm alten lieben Frankreich stamme.« Leutnant Dubois verneigte sich bis auf den Hals des Pferdes. »Ein alter Soldat, Kaiserliche Hoheit,« entgegnete er. »Ich diente fünfunddreißig Jahre lang unter der dreifarbigen Fahne.« Der junge Mann streckte seine rechte Hand aus, welche der Leutnant ehrfurchtsvoll ergriff, und sagte mit bewegtem Tone: »Ich bin sehr erfreut, einen Landsmann getroffen zu haben. So begegnen sich Frankreichs Söhne während des Unglücks ihres Vaterlandes auf fremder Erde. Ich bin im Lager Englands, um den Krieg kennen zu lernen. Wie glücklich würde ich sein, wenn Gott in seiner Gnade es fügen wollte, daß treue verdiente französische Offiziere wieder unter dem einzigen Namen vereinigt wären, der ihnen die wahre Anerkennung verschaffen kann.« Er grüßte mit einer leichten, höflichen Handbewegung und kehrte zu dem General zurück, während Leutnant Dubois mit strahlendem Gesicht, leise Flüche vor sich hinmurmelnd, hinter ihm hersah. Pieter Maritz getraute sich nicht, den Leutnant zu stören, obwohl er gern gefragt hätte, wer jener Fremde sei. Aber während er schweigend neben dem Franzosen hinritt und beide die Buernschar, hinter welcher sie etwas zurückgeblieben waren, wieder einzuholen trachteten, brach jener das Schweigen von selbst, entlastete sein Herz zuerst durch einige schwere Verwünschungen und sagte dann: »Es ist der kaiserliche Prinz von Frankreich, der Sohn Napoleons ~III.~ So tief ist Frankreich gefallen, daß der Erbe seines Thrones nach Afrika gehen muß, um den kriegerischen Ruhm seines Namens aufrecht zu erhalten.« Der Marsch führte nach kurzer Zeit zu einer Stelle, welche Pieter Maritz lebhaft jenen Morgen ins Gedächtnis zurückrief, wo er als Gefangener von dem Unteroffizier, der so gern lachte, geführt worden war. Die auffallende, hochragende Gestalt des Isandulaberges lag vor seinen Blicken, und dort unten war der Platz, wo das Lager gestanden hatte. Alles war grün, von der mächtigen Pflanzenwelt Südafrikas überkleidet, doch beim Näherkommen sah Pieter Maritz die Spuren jenes Kampfes, dem er zugeschaut hatte. Er zeigte dem Leutnant Dubois die Stellungen, welche die englischen Truppen gehabt, und indem dieser es dem General mitteilte, wandte sich die Aufmerksamkeit der Engländer auf den Platz. Kein Fuß eines Europäers hatte seit jenem blutigen Tage das Schlachtfeld betreten, und auch die Kaffern hatten in ihrer Scheu vor den Toten die Stelle gemieden. Hier lagen tote Körper, Engländer, fast ganz entkleidet, von Raubtieren und Insekten des Fleisches beraubt, in den Stellungen, welche sie sterbend eingenommen hatten. Reihenweise lagen die Gerippe, hier die Knochenhand zur Faust geballt und emporgestreckt, dort noch die Waffe umschließend. So lagen auch die Überreste der Pferde, Maultiere und Ochsen umher, wie sie unter den Kugeln und Speeren der Zulus gefallen waren. Sonderbar sah es bei den zertrümmerten Wagen aus. Das Getreide war aus den Säcken und Kisten herausgefallen und hatte Wurzel geschlagen. Kleine Saatfelder mit schwankenden Halmen, die Ähren im Winde schaukelnd, lagen unter und neben den Wagen, und zwischen dem grünen Mais und Weizen blickten kahle Schädel mit leeren Augenlöchern hervor. Waffen wurden nur wenig gefunden. Alle Gewehre waren samt der Munition von den Zulus mitgenommen und bei ihren späteren Angriffen verwendet worden. General Marshall ordnete an, daß die Leichen beerdigt würden, und nachdem dies traurige Geschäft beendigt worden war, wurde der Marsch noch über eine Meile weit fortgesetzt, bis dahin, wo Oberst Glyns Kolonne unter Lord Chelmsfords Führung gewesen war, während das Lager in ihrem Rücken von den Zulus überrascht wurde. Kein Feind war zu sehen, alles war still, und die Rekognoszierungsabteilung kehrte zurück. Aber die Zeit des allgemeinen Vormarsches gegen Ulundi, die feindliche Hauptstadt, ward nun bestimmt, Generalleutnant Sir Garnet Wolseley war am 24. Mai in Port Natal angekommen, große Vorräte an Getreide, Mehl, Schlachtvieh und andern Lebensmitteln, sowie an Getränken, waren herbei geschleppt worden, und an einem der ersten Tage des Monats Juni sollte der Zug beginnen. Pieter Maritz hielt am Morgen des 1. Juni mit einigen Buern im Felde. Er gehörte zu einem Pikett, das vom Lager des Generals Wood aus vorgeschoben war, nicht weit von dem Krale Itelesi an der Grenze zwischen Transvaal und dem Zululande. Er konnte eine weite Landschaft übersehen, die wellenförmig gestaltet und in der Ferne von Hügeln umgeben war. Auch erblickte er mehrere weiß schimmernde Vierecke, die eine halbe Meile weit entfernt waren: das Lager des Generals Newdigate, in welchem die verschiedenen Regimenter ihre Zelte als hohle Vierecke geordnet und mit Befestigungen umgeben hatten. Einzelne dunkle Flecke lagen in dem Grün und Braun der Landschaft: kleine Krale der Zulus, die von den Bewohnern verlassen waren, und von denen kein Rauch mehr aufstieg. Die Morgensonne überstrahlte die weite Fläche, und das hügelreiche Land mit den Zelten der englischen Truppen bot einen lieblichen Anblick. Pieter Maritz sah einen kleinen Reitertrupp vom Lager des Generals Newdigate herankommen und in einiger Entfernung vorbeiziehen. Er konnte die Personen deutlich unterscheiden. Voran ritt eine Gestalt, welche er wiedererkannte, es war der Prinz Ludwig Napoleon. Dicht hinter dem Prinzen und ihm zur Seite ritt ein englischer Offizier, und darauf folgten sechs Kavalleristen und ein Zulu, der ebenfalls zu Pferde saß und wohl der Führer war. Der Prinz hielt auf einem Hügel an, betrachtete die Gegend durch sein Fernrohr und schrieb oder zeichnete dann auf ein weißes Blatt, das er vor sich auf dem Sattel hielt. Dann ritt der kleine Zug wieder weiter und verschwand nach und nach in dem tiefer liegenden Lande. Pieter Maritz blieb auf seinem Posten, und es vergingen einige Stunden, als sich andere Reiter, vom Lager des Generals Newdigate herkommend, zeigten. Diese Reiter waren General Wood und Oberst Buller mit drei Mann von Bullers Kavallerie. General Wood hielt sein Pferd vor dem Buernposten an und blickte Pieter Maritz scharf ins Gesicht, gleich als erinnerte er sich seiner. Der Buernsohn trug das Viktoriakreuz auf der linken Brust, und der General betrachtete es einen Augenblick, war aber mit etwas anderm so lebhaft beschäftigt, daß er sich nicht auf Fragen hinsichtlich der Persönlichkeit des jungen Buern einließ. »Haben Sie den Kaiserlichen Prinzen gesehen?« fragte er. »Jawohl,« entgegnete Pieter Maritz. »Der Prinz ritt mit seiner Begleitung hier vorbei, in der Richtung nach dem Feinde zu.« »Wie lange ist das her?« »Es mögen jetzt etwa drei Stunden sein.« »Drei Stunden!« rief der General. Dann wandte er sich zu Oberst Buller und sagte: »Ich mache mir Sorge wegen des Prinzen. Man sollte den löblichen Eifer des jungen Herrn mehr in Schranken halten. Er kennt das Land nicht und kennt nicht den Feind. Wie leicht kann in diesem Terrain eine Überraschung vorfallen! Sehen Sie die tief eingeschnittenen Bäche, das Buschwerk, das hohe Gras. Die schwarzen Kerle gleiten wie die Eidechsen durch das Gras hin, und wenn dem Prinzen etwas passierte, so wäre es eine unauslöschliche Schande für die britische Fahne.« »Ich werde eine Abteilung meiner Reiter aussenden, um den Prinzen suchen zu lassen,« entgegnete Oberst Buller. »Doch ist ja Leutnant Carey, ein zuverlässiger Offizier, bei ihm. Es ist schwer, auf den Prinzen zu achten. Ich weiß nicht, ist er dem Stabe des Lord Chelmsford oder dem Stabe des Generals Newdigate zugeteilt. Seiner Begierde, sich auszuzeichnen, kommt eine große Freiheit zu Hilfe.« General Wood hob sein Doppelglas an die Augen und spähte hinaus. »Sehen Sie doch,« sagte er nach einigen Augenblicken, »kommt dort nicht ein Reiter?« Oberst Buller blickte ebenfalls durch seinen Feldstecher und bestätigte die Wahrnehmung des Generals. »Das ist der Offizier, welcher neben dem Prinzen ritt, ich erkenne ihn an den Bewegungen seines Pferdes,« sagte Pieter Maritz. »Wie? Leutnant Carey allein?« fragte der General mit dem Tone der Besorgnis. Jetzt kam der Reiter näher. Er war in vollem Galopp, und hinter ihm erschienen in weiten Zwischenräumen vier andere Reiter. »Es ist Leutnant Carey, bei Gott!« rief Oberst Buller. Der Leutnant kam heran, gerade auf die Stelle zu, wo die Offiziere und der Buernposten hielten. Er war in Hast und Verwirrung, sein Gesicht glühte, das Pferd triefte von Schweiß. Er hielt es vor General Wood an und konnte zuerst vor Aufregung nicht sprechen. Die Flanken des Pferdes schlugen von der großen Anstrengung eines weiten eiligen Rittes. »Der Prinz! Um Gottes willen, wo ist der Prinz?« rief General Wood. Der Leutnant legte die Hand an den Helm. »Der Prinz ist nicht da,« entgegnete er. »Das sehe ich. Aber wo ist der Prinz?« fragte der General. »Wir haben ihn verloren.« »Verloren? Was soll das heißen? Was ist mit dem Prinzen geschehen?« Während dessen kamen, einer nach dem andern, vier Kavalleristen heran und hielten mit bestürzten Mienen hinter dem Leutnant. »Was ist aus dem Prinzen geworden?« fragte General Wood. »Warum haben Sie ihn verlassen? Was ist mit dem Prinzen geschehen?« »Ich weiß es nicht,« antwortete Leutnant Carey. »Wir ritten zusammen dort hinunter« -- er zeigte mit der Hand nach der Richtung, woher er kam -- »und der Prinz machte topographische Skizzen. Dann kamen wir in die Nähe eines Krales, der verlassen war, und der Prinz besichtigte die Kaffernhütten. Sie waren alle leer. Dann setzten wir uns nieder, um zu frühstücken ....« »Wie? In dem Krale selbst?« fragte der General. »Jawohl, der Prinz wünschte es. Wir sattelten ab und ....« »Sie sattelten ab? Im Krale? In der Nähe des Feindes?« »Jawohl, wir sattelten ab, da der Prinz seinem Pferde bei der großen Hitze eine Erleichterung verschaffen wollte, und wir frühstückten neben einer Mauer unweit der Pferde, welche von zwei Leuten gehalten wurden. Plötzlich sah ich ein schwarzes Gesicht zwischen den Dornenhecken bei den Hütten hervorblicken und zeigte es dem Prinzen. ‚Ich sehe es auch,‛ antwortete er, und dann liefen wir sofort zu unsern Pferden. Ich schwang mich in den Sattel, den ich so schnell als möglich aufgelegt hatte, und während wir sattelten, fielen mehrere Schüsse und zwei von den Leuten stürzten. Die Zulus waren mit dem Assagai in der Hand so dicht hinter uns her und liefen so schnell, daß ich nur durch den schärfsten Galopp mich retten konnte. Ich kam an einen Bach in einer Schlucht, und hier sah ich mich um, erblickte aber nur diese vier Leute hier hinter mir. Vom Prinzen sah ich nichts und weiß nicht, was aus ihm geworden ist.« Während dieses Berichtes zeigte sich in den Mienen der hohen Offiziere die größte Bestürzung. »Was ist zu thun?« rief General Wood. »Der Prinz ist gefangen oder tot! Was sollen wir machen? O schrecklich, schrecklich!« »Reiten wir dorthin, wo Leutnant Carey den Prinzen verlor!« sagte Oberst Buller. »Wie können wir das?« sagte General Wood. »Die Zulus sind vielleicht in großen Massen dort. Wir können nur mit einer starken Abteilung dorthin marschieren. Außerdem ist nun alles zu spät. Sie, Leutnant Carey, hätten besser achtgeben, Ihrer Pflicht besser nachkommen sollen! Sie sind Arrestant, man wird Sie vor ein Kriegsgericht stellen. Geben Sie Ihren Säbel ab!« Leutnant Carey senkte den Kopf, überreichte seine Waffe dem Oberst Buller, der sie einem der Kavalleristen gab, und dann kehrten die Engländer zum Lager des Generals Newdigate zurück. Erst am folgenden Morgen rückte eine Abteilung aus, um den Prinzen zu suchen. Sechs Schwadronen Ulanen und Dragoner marschierten um vier Uhr in der Frühe unter Kommando des Generals Marshall aus, und Leutnant Dubois mit einer Abteilung der Buernreiter ritt voran. Als der Franzose von Pieter Maritz den Bericht des Leutnants Carey vernommen hatte, geriet er in eine stille Wut, eine lautlose Aufregung, welche schlimmer war als all' sein sonstiger geräuschvoller Zorn. Mit zusammengebissenen Zähnen und grimmig gefurchter Stirn ritt er diesen Morgen vor seinen Reitern her und war immer mehrere hundert Schritte voraus. Pieter Maritz blieb neben ihm und führte den Weg, den er gestern den Leutnant Carey hatte nehmen sehen. Sie sahen den Kral in der Entfernung auftauchen, wo nach Careys Beschreibung Halt gemacht worden war, und näherten sich ihm, als von der Seite her ein reiterloses Pferd herangetrabt kam, das im Kaffernkorn geweidet hatte. Wiehernd näherte es sich den andern Pferden. »Das ist der Fuchs des Prinzen!« rief Pieter Maritz, indem er es am Zügel ergriff. Leutnant Dubois betrachtete das Pferd. Es war gesattelt, in den Pistolenhalftern steckten ein Revolver, Karten und Papier, sowie ein Schreibzeug. Die Bügel hingen herunter, doch bemerkte Dubois, daß ein lederner Riemen, mit welchem der Mantelsack am hinteren Ende des Sattels befestigt wurde, zerrissen war und der Mantelsack fehlte. Das zerrissene Ende hing vom Sattelringe herab. Dubois zeigte auf dies Ende. »Sieht es nicht aus,« fragte er, »als ob der Prinz beim Aufsteigen sich an dem Riemen gehalten hätte und als ob der Riemen dabei gerissen wäre?« Sie ritten weiter und Pieter Maritz führte das Pferd am Zügel. Nun kamen sie an eine Schlucht, in welcher ein wenig Wasser floß, und ein trauriger Anblick zeigte sich ihren Blicken. Ganz nackt lag ein weißer Leichnam in der Schlucht, und obwohl er von Blut bedeckt und auch das Gesicht schwer verletzt war, indem anstatt des rechten Auges nur eine fürchterliche Wunde sich zeigte, erkannten beide die blassen Züge des Kaiserlichen Prinzen. Er war von achtzehn Assagaiwunden durchlöchert. Zwei Stöße waren ihm von der Brust bis zum Rücken durch und durch gegangen, zwei Stöße hatten die Rippen von einer Seite bis zur andern durchbohrt. Alle Kleidung sowie das Schuhwerk war ihm genommen worden, nur ein schmales goldenes Kettchen hing ihm um den Hals, woran ein Medaillon und ein Skapulier mit dem Bildnis der Jungfrau Maria hingen. Die Zulus mußten vor diesen Gegenständen als vor Amuletten Scheu empfunden haben. Leutnant Dubois öffnete das Medaillon und fand darin die Bildnisse des Kaisers Napoleon ~III.~ und der Kaiserin Eugenie, sowie eine Locke von dem grauen Haar des Kaisers. »O jammervolles Ende eines berühmten Geschlechts!« rief der Franzose in tiefster Bewegung, während Thränen, die seine Augen nie gekannt, über das kriegerische Gesicht hinliefen. »O du Hoffnung Frankreichs, mußtest du so kläglich sterben? In einem Winkel ermordet, von schwarzen Wilden mit Speeren abgeschlachtet, du Erbe des stolzesten Thrones der Welt! In deinen Adern floß das Blut des größten Siegers, dein Ahn erschütterte die Erde mit dem Nicken seines Hauptes, und du, armer Prinz, liegst hier nackt und bloß auf afrikanischer Erde, im Busche gefallen, in einem ruhmlosen Kriege!« Während er in seinem Schmerze so rief und jammernd die Hände rang, erschienen die Lanzenspitzen der englischen Kavallerie über dem Rande der Schlucht, und General Marshall mit einigen Offizieren ritt heran. »Durch eure Schuld ist er gefallen,« rief der Franzose den Engländern entgegen. »Konntet ihr ihn nicht besser beschützen? Er erwies euern Waffen eine Ehre, indem er sich zu ihnen gesellte, und ihr hättet wissen sollen, wie ihr einen Napoleoniden beschützen mußtet, der seine Jugend eurer Führung anvertraute. Uns trifft das Unglück, aber euch trifft der Tadel!« Die englischen Offiziere stiegen von den Pferden und kamen betroffen zu der Stelle herab, wo die Leiche lag. Sie antworteten nichts auf die Anklage des französischen Kriegers und verziehen seinem Schmerze. Stumm und traurig, in tiefer Beschämung standen sie neben dem blutigen Körper. Leutnant Dubois kniete nieder und küßte die Hand des toten Jünglings. »Wie wird deine Mutter um dich klagen, unglücklicher Prinz!« rief er. »Nun hat sie alles verloren, was die Erde ihr noch Gutes bot. Der Kaiser ist dahin, mit ihm die Herrschaft und der Thron. Der Ruhm Frankreichs ist verloren! Du allein, armer Prinz, warest ihr und unser Trost, du schlossest in deiner Brust die Hoffnung und das Glück des kaiserlichen Frankreich, allen Stolz der Mutter ein. O welch ein klägliches Ende, welch ein Leid!« Die englischen Offiziere nahmen einen Schild von einem der Zulus, welche die Kavallerie begleitet hatten, und legten die Leiche hinein. Dann deckten sie sie mit einem Mantel zu und trugen sie aus der Schlucht empor. Darauf ließen sie eiligst Botschaft nach dem Lager zurückgelangen und einen Ambulanzwagen kommen. Sie umhüllten die Leiche mit weißen Tüchern, legten sie auf dem Schilde in den Wagen und fuhren sie zurück. Die Nachricht vom Tode des Kaiserlichen Prinzen hatte große Bestürzung verbreitet, und alle hohen Offiziere kamen dem Zuge entgegen. Als der Wagen sich dem Lager bei Landmans Drift näherte, traten die Truppen unters Gewehr, und zwischen langen Reihen von Säbeln und Bajonetten bewegte sich der Trauerzug unter militärischen Ehren durch die Zeltstraßen. Inmitten des Lagers hielt der Wagen, und der Schild ward herabgehoben. Generale trugen ihn, und Leutnant Dubois nahm seinen Platz zwischen ihnen ein. Das Pferd des Prinzen ward am Zügel hinter dem Schilde hergeführt. So ging es nach des Prinzen Zelte. Stille und das Gefühl der Beschämung lasteten auf dem englischen Heere. Der Fall des Prinzen Ludwig Napoleon fügte den schon erlittenen Niederlagen und Verlusten den herbsten Schlag hinzu, denn er verband sich mit dem Bewußtsein, daß alle Völker der Erde ihren Blick auf den Tod des Prinzen richten und die Kriegsführung Englands mit Erstaunen betrachten würden. [Illustration] Vierundzwanzigstes Kapitel Die Schlacht von Ulundi Lord Chelmsford rückte vor. Er wollte einen Sieg erringen, ehe noch Wolseley die Armee erreicht hätte. Nach halbjähriger Kriegsdauer, nach langen Vorbereitungen, nachdem eine ungeheure Menge von Lebensmitteln in Hunderten von schweren Ochsenwagen aufgestapelt worden war, nachdem noch mehrfach kleine Gefechte mit angreifenden Zulus stattgefunden hatten, wagte er es, die Armee mitten in das Land der Feinde, gerade auf Ulundi zu führen. Von Transvaal aus brachen General Newdigate und General Wood auf, zahlreiche Reitermassen vor der Front, und von Natal, von der Mündung des Tugela aus marschierte General Crealock auf Ulundi. Die starken Kolonnen trafen sich im Zululande, und die ganze Armee wälzte sich mit ihrem gewaltigen Train gleich einem breiten Strome durch das Hügelland. Doch bald veranlaßte vorsichtige Überlegung den englischen Oberbefehlshaber, eine neue Teilung einzuführen. Da er über den Aufenthalt der Zuluarmee im ungewissen war, und auch ihre große Beweglichkeit kannte, ließ er General Crealock zurück, um die Verbindung nach rückwärts zu sichern und einem etwaigen Einbruch der Zulus in Natal zu begegnen. Er selbst ging mit den Divisionen Newdigate und Wood südlich vom Weißen Umvolosi vorwärts. Pieter Maritz war immer unter den vordersten Reitern der Vorhut, die behenden Buern suchten das Land ab, bevor die schweren schönen Regimenter der englischen Kavallerie und Infanterie es durchfurchten. Mehreremal sah Pieter Maritz die düstere Gestalt Humbatis in seiner Nähe auftauchen. An der Spitze mehrerer tausend Zulus von Natal that er Späher- und Vorpostendienste, und eine schwarze Wolke von Zulukriegern umgab schützend den festen Kern des Heeres, welches zum Entscheidungskampfe heranrückte. Auf beiden Seiten wütete das Feuer. Die weichenden Zulus zündeten überall, wo die Dürre es gestattete, das Gras an und flüchteten mit ihren Rinderherden. Die Engländer aber schossen mit Raketen und Shrapnels in jeden Kral, den sie am Wege trafen. Flammen und Rauchsäulen bezeichneten den Weg nach Ulundi. Eines Tages sah Pieter Maritz, als er über einen Hügel ritt, von fern einen Zug von schwarzen Männern dem Heere entgegenkommen. Schon wollte er Meldung zurückschicken, daß der Feind nahe, als er wahrnahm, daß mehrere der herankommenden Zulus in lange weiße Gewänder gehüllt waren, gleich als wollten sie ihren friedlichen Sinn und eine Botschaft ankündigen. Er ritt zurück und meldete dem Führer der Vorhut, daß eine Gesandtschaft komme. Die Zulus kamen langsam näher und wurden, von Ulanen auf beiden Seiten umgeben, zu der Hauptmacht des Heeres geführt, bei der Lord Chelmsford sich befand. Pieter Maritz blieb auf Befehl des Kommandanten der Vorhut bei ihnen, um mit einer Übersetzung ihrer Reden aushelfen zu können. Voran schritten Prinz Sirajo und der Induna Molihabantschi, in wallende weiße Gewänder gehüllt, goldene Ringe auf dem Kopfe, ohne Waffen, Elfenbeinstäbe mit verzierten Knäufen in der Hand. Ihnen folgten zwei andere Indunas vom Hofe Tschetschwajos in Mänteln von Leopardenfell, ebenfalls ohne Waffen und mit Elfenbeinstäben. Hinter diesen ging eine Reihe von geringeren Männern, die nackt waren und auf ihren Schultern riesige Elefantenzähne und flache Körbe mit goldenen und anderen Kostbarkeiten des Zululandes trugen. Alle gingen schweigend und ernst, auf ihren Gesichtern war zu lesen, daß sie von traurigen Gefühlen erfüllt waren. Doch gingen sie mit dem vornehmen Anstande, den Pieter Maritz an den Zulus kannte und den die Europäer so oft bei den nackten schwarzen Männern bewunderten. Königen gleich schritten Sirajo und Molihabantschi an der Spitze des Zuges, blickten nicht rechts und nicht links, zeigten weder Furcht noch Trotz. Als sie inmitten der prächtigen Ulanen daherkamen, die zu Pferde und mit ihren langen bewimpelten Lanzen hoch über sie hinwegragten, da glichen sie doch nicht etwa einer Schar armer Schächer, sondern vornehmen Fremdlingen, die ehrenhalber von Kavallerie begleitet wurden. Es war am Nachmittage, und die englischen Truppen hatten ihre Zelte aufgeschlagen. Das Heer hatte seit Beginn des Krieges schon Tausende von Kranken zurücklassen müssen, und keiner der Engländer wagte im Freien zu übernachten. Der Wechsel von Hitze und Kälte, von Trockenheit und Gewitterregen war den Bewohnern der fernen britischen Inseln gefährlich, ihre reichlich genährten und mit Spirituosen erhitzten Körper waren nicht hart genug. So ging der Angriff auf Ulundi nur sehr langsam vorwärts, und immer entstand eine Stadt von Zelten, wenn der tägliche Marsch vollbracht war. Lord Chelmsford kam, von mehreren hohen Offizieren begleitet, auf den Alarmplatz seines Lagers und empfing die Gesandtschaft inmitten eines weiten, von Waffen starrenden Kreises. Ihm gegenüber stellten sich die Zulus auf, und würdevoll begann Sirajo seine Rede: »Der König Tschetschwajo grüßt den englischen Induna, und er spricht durch den Mund seines Bruders folgende Worte: Warum krönst du mich am Morgen und tötest mich am Abend? Du warst mein Freund und stütztest meine Herrschaft, als ich jung war und das Zululand zu regieren anfing. Du liebtest mich, als ich dir gegen deine Feinde half. Warum willst du mich jetzt töten? Ich habe den Krieg nicht begonnen; ich sandte dir eine Friedensbotschaft über die andere. Nicht ich kam in das Land der Königin von England, sondern die englischen Krieger kamen in mein Land, und so begann der Krieg. Das Blut vieler Männer netzt das Gras, von dem die Rinder sich nähren sollten, und der Frieden hat seine helle Farbe im roten Schein der Feuer und des Blutes verloren. Aber die englischen Krieger vergossen das erste Blut, steckten die Dörfer meiner Unterthanen in Brand und trieben meine Ochsen zu ihren Feuern. Als meine Regimenter zum Kampfe gegen die Deinen anstürmten, da lagen schon viele schwarze Männer am Boden. Aber ich will nicht klagen über die mächtige Königin, denn sie ist stark, und ich bin schwach. Sie ist sehr groß, und ihr Schatten hüllt das Zululand in Nacht. Ich will ihren Induna um Frieden bitten. Eine englische Botschaft kam zu mir, welche verlangte, daß ich mein Heer verringerte, die Bai von Santa Lucia abträte und einen Gesandten der Königin in meiner Hauptstadt wohnen ließe. Ich wies es zurück, weil ich nicht wußte, wie stark das englische Heer ist. Aber jetzt will ich diese Bedingungen annehmen, und ich bitte, daß man mir Gehör gebe. Tschetschwajo will ein guter Sohn seines weißen Vaters in Natal sein. Er schickt Geschenke, um das Herz des englischen Indunas zu bewegen und legt sie zu seinen Füßen nieder als ein Zeichen seiner Friedensliebe und seiner Unterwerfung.« Sirajo winkte, und sein Gefolge näherte sich dem Lord Chelmsford und legte die langen Stoßzähne der Elefanten und den Schmuck vor ihm auf den Boden nieder. Dann erwarteten die Zulus schweigend die Antwort des weißen Heerführers. Pieter Maritz hatte die Worte Sirajos übersetzt und blickte dem Lord gespannt ins Gesicht. Er hatte schon genug vom Lauf der Welt und von der Politik Englands kennen gelernt, um vorher zu wissen, daß Tschetschwajo vergeblich bitte. Zu viel Blut war geflossen und zu viel Anstrengungen hatte England gemacht, als daß ein halber Erfolg und schneller Friede seinen Plänen hätte genügen können. Die Ehre Englands stand auf dem Spiele, englische Truppen waren besiegt worden, der kaiserliche Prinz war gefallen. Nur eine völlige Niederlage Tschetschwajos konnte in den Augen Europas und der ganzen Erde diese Scharten auswetzen. »Nehmt die Geschenke wieder,« entgegnete Lord Chelmsford, »und tragt sie eurem Könige zurück. Tschetschwajo bittet zu spät um Frieden, und England traut ihm nicht. Er sieht die feindlichen Waffen nahe vor seiner Hauptstadt, darum nimmt er die Maske der Friedensliebe vor. Aber wenn das Heer sich zurückzöge, so würden die Zulus mit dem früheren Stolze und in alter Kriegslust sich erheben. Die Königin will bessere Sicherheit haben als das Wort Tschetschwajos, und folgendes ist meine Bedingung: Tschetschwajo soll sich als mein Gefangener stellen. Er soll sich allen Maßregeln unterwerfen, die ich treffe. Ich will in seinem Lande gebieten, als wäre ich dessen König. Ohne Bedingungen soll sich Tschetschwajo mir völlig unterwerfen. Will er das thun, so werde ich Frieden halten. Als Zeichen, daß Tschetschwajo gesonnen ist, sich zu unterwerfen, soll er zunächst die Geschütze und Gewehre, welche seine Armee erbeutet hat, ausliefern. Er soll eines seiner Regimenter schicken, welches diese Waffen bringt, und selbst die eigenen Waffen vor mir niederlegen. Ich werde bis zum 3. Juli darauf warten und nicht vor diesem Tage Ulundi angreifen, auch den Umvolosi nicht überschreiten. Ist dieser Tag aber vorübergegangen, ohne daß ich meine Waffen wieder habe, so gehe ich über den Fluß und erzwinge mit Gewalt, was ich hier mit Worten fordere.« Sirajo streckte wie abwehrend die Hand aus und sagte: »Der König der Zulus wird nicht dein Knecht werden. Willst du nicht den Frieden nehmen, wie Tschetschwajo ihn bietet, so hast du den Krieg.« Stolz wandte er sich ab und schritt davon, sein Gefolge raffte die verschmähten Geschenke wieder auf, und dann ging die schwarze Gesandtschaft mit derselben Würde von dannen, mit der sie gekommen war. Pieter Maritz blieb nachdenklich auf der Stelle stehen, wo er der Verhandlung als Dolmetscher gedient hatte. Er zweifelte nicht daran, daß das englische Heer auch in dem verzweiflungsvollen Kampfe, der nun noch bevorstand, siegen werde. An Zahl den Zulus beinahe gleich, mußten die englischen Krieger mit ihrer überlegenen Kriegskunst und Bewaffnung über ihre Feinde siegen. Sie hatten Infanterie, Kavallerie und die schreckliche Artillerie, sie hatten dazu Ingenieure, um die Wege zu bahnen, Brücken über die Flüsse zu schlagen und Verschanzungen anzulegen. Was wollten die nackten Schwarzen gegen sie ausrichten? Sie hatten nur Fußvolk, und ihr Mut und ihre Schnelligkeit, ihre Ausdauer und Bedürfnislosigkeit mußten ihnen alle Kunst ersetzen. Pieter Maritz sah im Geiste die Zulus unterworfen und Englands Macht über ganz Südafrika neugestärkt. Er hatte jetzt lange unter den Engländern gelebt und kannte ihre Art zu denken und zu handeln. Sie betrachteten Afrika als ihr Eigentum und blickten mit Verachtung auf die andern Völker. Sie wollten in den eisernen Ring ihrer Herrschaft alle Länder zwingen, welche in Südafrika lagen. Zum Kapland und Natal fügten sie den Oranjefreistaat, Transvaal und nun das Zululand, und mit ihrem Golde machten sie sich die Einwohner gefügig, so daß diese ihnen einer gegen den andern halfen. So hatten sie jetzt viele Buern mit ihren Pferden, Waffen und Ochsenwagen in ihrem Solde, aber sie hatten zugleich ihre Truppen im Transvaalland liegen, und nach Beendigung des Zulukrieges würden sie gebieterischer als je gegen die Buern auftreten. Würde es je gelingen, die Südafrikanische Republik aus dem Ringe zu befreien, den England um alle südafrikanischen Länder gemeinsam schlang? Der Marsch ging weiter. Die Buernreiter, dazu La Trobe Lonsdales Swazitruppen, Cooks leichte Kavallerie, die berittenen Basutos und Humbatis Zulutruppen waren immer voraus. Eine bunt zusammengesetzte Armee war es, die gegen Ulundi vorrückte. Die Swazis, Basutos und Zulus waren in ihrem Stolz auf die europäische Kameradschaft zum Teil in europäischem Kostüm. Viele marschierten in abgelegten Uniformen von Ulanen, Dragonern, Husaren und Infanteristen, aber mit nackten Beinen und Füßen, da Beinkleider und Schuhwerk sie zu sehr belästigten. Auf den schwarzen Köpfen saßen Helme, Tschakos und Feldmützen, auch wohl Bauernhüte oder schwarze Cylinderhüte mit Schleiern. Schilde und Speere zeigten sich neben Gewehren und Patrontaschen. Das Gebrüll vieler tausend Ochsen, das Klatschen der langen Peitschen mischten sich in den melancholischen Gesang der Hochländer und der schottischen Gardefüsiliere, deren Uniformen seltsam zu der afrikanischen Landschaft paßten. Maultiere aus Südamerika und Pferde aus Deutschland, Ungarn und Rußland weideten unter Palmen und Euphorbien. Der Lärm der Kolonnen scheuchte Löwen, Leoparden und Hyänen gleich den Antilopen aus der Nähe des Lagers hinweg. Pieter Maritz war immer unter den vordersten Reitern, er erblickte Ulundi und die Krale in der Nähe der Hauptstadt zuerst. Es war am 2. Juli. Er kam einen Fußpfad daher geritten, zwei Buern hinter sich und ein Dutzend Zulus zu beiden Seiten, welche den dichten Wald durchspähten. Sie vermuteten die Nähe von Truppen Tschetschwajos. Vorsichtig untersuchten sie den Boden nach Fußspuren, und oft legten sie sich nieder und horchten, das Ohr ins Gras gedrückt, auf Erschütterungen, die sich etwa in der Ferne hören ließen. Es war Abend, und der Wald bot einen phantastischen Anblick. Die mächtigen Wurzeln der Bäume, hoch über die Erde emporragend, wirrten sich zu wunderlichen Gebilden ineinander, die afrikanische Eiche, der Seidenwollenbaum und ~lignum vitae~ bildeten ein schattiges Dach und eine nur schwer zu durchdringende Wildnis. Jetzt stieg Jager bergab, und ein helles Wasser schimmerte im Thale. Es fiel über Felsen herab und plätscherte, während weißer Schaum erquickend glänzte. Mit Wonne stürzten sich die schwarzen Krieger in das Wasser, und auch Pieter Maritz empfand die Kälte des Flüßchens mit Vergnügen, als er hindurchritt. Dann stieg der Pfad wieder an, und nach kurzer Zeit lichtete sich der Wald. Pieter Maritz hielt auf der Höhe sein Pferd an und blieb zwischen den Bäumen verborgen, gleich ihm blieben die begleitenden Zulus im Schatten zurück. Sie spähten in die Ebene hinaus. Pieter Maritz sah die Landschaft wieder, welche er vor einem Jahre in Begleitung des Missionars gesehen hatte, die weite, von Höhen eingefaßte Thalsenkung, in der die schwarzen Ringe der Militärkrale und der Hauptstadt Ulundi gleich Kränzen auf grünem Teppich lagen. Nur bot sich ihm der Anblick heute etwas anders, da er auf einer andern Stelle, nahe dem Umvolosi, herangekommen war. Und auch in anderer Weise hatte sich das Bild verändert. Heute waren am Flusse hin und weiter zurück in der Ebene eine Menge von Zuluposten aufgestellt, und sie erschienen, von hier oben gesehen, wie kleine schwarze Flecken und in der Größe von Ameisen. Es wurde Pieter Maritz klar, daß der Zulukönig dicht vor seiner Hauptstadt und vor den Kralen, welche seine Vorfahren bewohnt hatten, eine entscheidende Schlacht schlagen wollte. Nachdem er sich das Bild deutlich eingeprägt hatte, wandte er Jager und ritt zur Vorhut zurück, um zu melden, was er gesehen hatte, und von der Vorhut ging die Meldung an das rückwärtige Hauptcorps. Die Engländer schlugen ihr Lager auf, um erst am folgenden Morgen bis an den Höhenzug diesseits des Umvolosi vorzurücken und dort zu erwarten, ob etwa, dem Verlangen des Lord Chelmsford gemäß, die vom Feinde erbeuteten Geschütze und Gewehre als Zeichen der Unterwerfung abgeliefert werden würden. Als die Armee in der Frühe des 3. Juli heranmarschierte, zeigte sich schon diesseits des Flusses, daß die Zulus schwerlich an Unterwerfung dachten. In den Wäldern und Schluchten steckten zahlreiche kleine Abteilungen, und den ganzen Morgen hindurch knatterten die Gewehrschüsse um die Vorhut herum, indem die Buern, die reitenden Basutos und die Leute Humbatis sich mit einzelnen kecken Zuluschützen herumschossen. Gegen Mittag erreichte die Vorhut den letzten Höhenrücken vor dem Flusse und konnte den Fluß und die jenseitige Ebene übersehen. Starke Haufen standen jenseits auf den Höhen und feuerten aus ihren Büchsen herüber. Lord Chelmsford selbst war an der Spitze der Vorhut, ließ sie außer Schußweite halten und ein Lager aufschlagen, befahl aber dem Oberst Buller, mit seinen Reitern vorzugehen. Zugleich ließ er eine Batterie auf günstigem Platze auffahren und die Höhen, auf denen sich Feinde zeigten, mit Shrapnels beschießen. Oberst Buller ging mit seiner starken Reiterabteilung, bei der sich auch außer den Engländern zweihundert Buern, und unter diesen Pieter Maritz, befanden, vorwärts, wandte sich nach der linken Seite, wo eine Furt im Flusse erkundet worden war, und ging durch den Umvolosi, während das Artilleriefeuer die Reiter schützte. Dann gingen die Reiter, rechts Dragoner, links Buern, von der Seite gegen die Höhen vor, auf denen die Zulus sich noch hielten. Die Zulus schossen, einige Leute stürzten von den Pferden, auch die Buern schossen, indem sie absprangen und dann wieder in den Sattel stiegen, und bald waren die Zulus verschwunden. Oberst Buller folgte. Es war zu sehen, daß die Zulus in einen nahen Kral geflohen waren und von den Hütten und Dornenhecken aus feuerten. Oberst Buller ließ die Hälfte der Buern zurück, um den Übergang des Flusses zu sichern, und schwenkte mit seiner übrigen Kavallerie links, um den Kral anzugreifen. Hier bewährte sich die Fechtart der Buern. Sie warfen sich in das Gras, während ihre Pferde zurückblieben, und ihre sicheren wohlgezielten Schüsse machten den feindlichen Zulus den Aufenthalt in dem Kral und das Feuergefecht bald unleidlich. Sie verließen die Hütten und flüchteten von neuem, während nun die Dragoner hinter ihnen her jagten. Pieter Maritz, der unter den Schützen war, schwang sich gleichfalls in den Sattel und folgte neben dem Leutnant Dubois den Dragonern. Schon glaubte Oberst Buller einen leichten Sieg erfochten zu haben, denn Ulundi selbst tauchte vor seinen Blicken auf, als die verfolgende Kavallerie vor eine lange tiefe Schlucht kam und plötzlich wohl zweitausend Zulus, die darin versteckt gelegen hatten, zum Angriff hervorbrachen. Die kleine Abteilung, welche geflohen war, zeigte sich nun als eine schwache Vorhut, welche die Bestimmung gehabt hatte, die Kavallerie in eine Falle zu locken. Aber das heiße Blut und die Gewohnheit des Angriffs ließen die Zulus den eigenen Plan nicht recht durchführen, und sie vereitelten selbst den Erfolg ihrer Kriegslist. Anstatt in der Schlucht liegen zu bleiben und zu feuern, warfen sie die Büchsen auf den Rücken und griffen mit Schild und Assagai an. Ein heftiges Handgemenge entspann sich. Assagaien flogen dicht wie Hagel durch die Luft und Speer und Säbel klirrten aneinander. Pieter Maritz war mitten zwischen den Dragonern. Er hatte die Büchse über die Schulter gehängt und focht mit dem zweischneidigen Schwerte. Mit kluger Besonnenheit hielt er die offenen Augen ringsum auf der Wacht und vermied die fliegenden leichten Speere. Jetzt ward er von zwei Kriegern zugleich angegriffen. Der eine sprang nach dem Zügel, der andere kam mit dem Stoßassagai von der Seite. Aber Jager bäumte sich hoch empor, so daß der Griff des Zulu den Zügel verfehlte, und Pieter Maritz, zur Seite gewandt, hieb aus voller Kraft nach dem Manne, der ihn durchbohren wollte. Der Zulu hielt den Schild empor, aber die gute Klinge des alten Waffenschmiedes von Toledo schnitt tief in den Rand ein, spaltete die Ochsenhaut und fuhr mit der Spitze dem Zulu in die Stirn, so daß er niederstürzte. Dann warf sich der gewandte Buernsohn mit einem schnellen Sprunge seines Pferdes gegen den andern Mann, und Jagers Hufe warfen den Feind zu Boden. Ein kühner Offizier fand sich an Pieter Maritz' Seite und rief ihm in diesem Augenblicke Beifall zu. Es war Lord William Beresford, der mit seinem Säbel Bahn brach in dem schwarzen Haufen. Ein Zulu stand ihm gegenüber, ein riesiger Schwarzer mit weißem Schilde, der dem Angriff des Engländers trotzen wollte. Lord Beresford stieß ihm den Säbel mitten durch den Schild, so daß die Brust des Mannes mit durchbohrt wurde. Jetzt sah Pieter Maritz seinen Freund Lord Adolphus Fitzherbert in großer Bedrängnis. Er war von vier Zulus umringt, und er schien sich ihrer kaum erwehren zu können. Blut lief dem Rappen vom Halse herab, und der Helm war dem Reiter vom Kopfe gefallen. Pieter Maritz vergaß des eigenen Heils und sprengte dem Freunde zu Hilfe. Er ritt einen der Schwarzen um, der gerade nach dem Zügel griff und hieb mit schnellen Schlägen unter die geschmeidigen behenden Feinde, so daß er dem jungen Offizier Luft verschaffte. »Ich danke, mein Freund!« rief Lord Fitzherbert, »ich sehe, ich habe die alte Klinge dem rechten Mann gegeben.« Aber die Zulus wurden zu mächtig, die Kavallerie mußte weichen. Jetzt sah Pieter Maritz auch von der Seite her dichte Massen heranlaufen, eine ganze Armee, welche gleichsam aus der Erde aufgetaucht zu sein schien und den englischen Reitern den Rückzug abschneiden wollte. Auch Oberst Buller hatte die neue Gefahr entdeckt, und die Trompeten mahnten zum Rückzug. Fast hätte nun aber Pieter Maritz vergessen, daß es Zeit war zu fliehen, denn er erblickte an der Spitze der von fern her kommenden schwarzen Massen eine Reitergestalt, die ihm wie eine Erscheinung aus einer andern Welt vorkam. Er konnte sich nicht täuschen. Das war die gebieterische Haltung, das war die winkende Armbewegung Dabulamanzis. War denn der tapfere Heerführer nicht von seiner Hand bei Gingilowo gefallen? Pieter Maritz zog die Zügel an und starrte wie versteinert auf den goldenen Ring auf dem Haupte des schwarzen Reiters. Doch die Trompeten mahnten und die Reiter flohen. Auch Pieter Maritz warf Jager herum und floh im schnellsten Galopp. Es galt die größte Eile, denn fast so schnell wie die Pferde kamen die Zulus hinter ihnen her, und Dabulamanzi führte einen starken Haufen quer über das Feld, um früher als die Kavallerie an den Fluß zu kommen. Es war ein Glück für die Fliehenden, daß die Buern in großer Anzahl zurückgeblieben waren. Sie lagen jetzt seitwärts in guten Deckungen, und ihre unfehlbaren Büchsen verbreiteten den Tod in den Reihen der Verfolger und hemmten deren Eile. Auch Lord Chelmsford hatte die Not des Obersten Buller bemerkt, und die Geschosse seiner Batterien auf der jenseitigen Höhe krachten in rascher Folge in den Massen der Zulus auseinander und sprühten Eisensplitter und Kartätschenkugeln ringsum. Unter dem Schutze dieses Feuers kamen die Reiter glücklich über die Furt zurück. Lord William Beresford trug einen verwundeten Sergeanten auf dem Sattel mit sich hinüber. Doch blieb mancher Mann drüben auf dem Felde liegen, und zwischen den schwarzen Leibern lagen Rotröcke in dem langen Grase. Dies war der Tag, an welchem Lord Chelmsford noch auf Tschetschwajos Unterwerfung hatte warten wollen. Der König der Zulus hatte durch die That bewiesen, daß er kein Knecht sein wollte. Lord Chelmsford befahl den allgemeinen Vormarsch für den folgenden Morgen. In der Frühe des 4. Juli fuhren englische Geschütze an zwei Punkten am hohen Ufer des Weißen Umvolosi auf, um den Flußübergang durch ihr Feuer zu sichern, und das englische Heer brach zum Angriff auf. Als die Kolonnen heranmarschierten und zum seichten Wasser der Furt hinabstiegen, zeigte sich aber zur Verwunderung der Europäer kein Feind, der den Übergang hätte stören wollen. Zuerst gingen die Buern hinüber und setzten sich zu beiden Seiten jenseits, unterhalb der Artillerie, im Ufergebüsch fest, um mit ihren Büchsen zur Hand zu sein, wenn etwa ein unerwarteter Ansturm erfolgen sollte. Doch zeigte sich kein Zulu. Dann kamen die langen Züge der Infanterie, dann folgte Artillerie und nahm jenseits Stellung, dann wieder Infanterie, dann Kavallerie und nach und nach das ganze bunte und in Waffen blitzende Heer. Drüben formierte Lord Chelmsford die gesamte Masse in einer besonderen Art. Er hatte ohne Verschanzungen im freien Felde zu kämpfen und vorzurücken, er wußte, daß ein Angriff kommen mußte, und er wollte vorsichtig sein. Nicht in Kolonnen wollte er vorrücken, sondern im Viereck, um jeden Augenblick gerüstet zu sein. Das 80. Infanterieregiment und eine Batterie Gatlinggeschütze bildeten die Front, das 90. und ein Teil des 93. Infanterieregiments die linke Flanke, das 13. und das 58. Infanterieregiment die rechte Flanke, das 21., Teile des 24. und der Rest des 94. bildeten die Rückseite. In jedem Winkel des großen, hohlen Parallelogramms fuhren Geschütze auf, wie sich das bei Gingilowo nützlich und gut gezeigt hatte. Die Infanterie stand vier Glieder tief. Im Innern des Karrees waren die schwarzen Bataillone, die Kavallerie ward vorläufig draußen gelassen. Vom Train wurden nur die Munitionswagen mitgenommen und ebenfalls im Karree eingeschlossen, die Hauptmasse blieb im Lager auf dem andern Ufer unter starker Bedeckung zurück. Nur etwa sechstausend Mann brachte Lord Chelmsford zur Entscheidungsschlacht. Die Bewegung des gewaltigen Vierecks war schwierig, und der Oberbefehlshaber wählte deshalb den ebensten Boden, das offenste Terrain. In der Front und auf der Rückseite marschierte die Infanterie in Linie, in den Flanken aber in einer Kolonne von schmaler Front. Die Artillerie paßte ihre Bewegung dem Marschschritt der Infanterie an. Um nicht unversehens auf eine Schlucht, einen Bach oder sonst ein Hindernis zu stoßen, welches den Marsch hätte aufhalten und Unordnung hervorrufen können, ließ Lord Chelmsford das Terrain auf eine weite Strecke hin von der Kavallerie untersuchen. Wiederum schwärmten die Buern vorauf. Pieter Maritz wunderte sich, daß nichts vom Feinde zu sehen war. Wo steckten die Zuluregimenter? Wo war der Prinz Dabulamanzi geblieben? Er brannte vor Begierde, zu erfahren, ob der tapfere Heerführer, den er doch mit dem Degen getroffen hatte und der vom Pferde gesunken war, wirklich wieder an der Spitze der Armee sei oder ob nur eine Ähnlichkeit seine Augen getäuscht habe. Bekannt mit der Umgegend von Ulundi, wagte er sich weit vor und streifte ganz allein wohl tausend Schritte weiter als die andern Buern an Ulundi hinan. Als er so durch die Ebene hinjagte, schien es ihm, als ob er eine Bewegung in der Ferne bemerke, nahe dem Krale Lickasi, wo, wie er wußte, ein Hügel sich erhob, der eine weite Umsicht gestattete. Der kleine Kral Lickasi war ein Lieblingsplatz Tschetschwajos, und dorthin zog sich der König wohl bei großer Hitze zurück, um die frischere Luft der Höhen zu genießen. Pieter Maritz sah sich um. Das englische Viereck war nicht mehr zu sehen, die Reiter hinter ihm waren ganz kleine Figuren. Sollte er noch weiter gehen? Er vertraute auf Jager und sprengte vor. Da sah er nach wenigen Minuten, was er vermutet hatte: er sah den König Tschetschwajo. Eine Masse von Zulus, wohl zweitausend Mann, war am Fuße des Hügels von Lickasi aufgestellt, und er erkannte den Schmuck und die Waffen der Garde. Die Männer standen unbeweglich, den Schild am Arme, in einer langen Reihe, mehrere Glieder tief, als Wache da, oben auf dem Hügel aber war ein dichter Haufe versammelt, der am Glanz der Ringe als der königliche Hofstaat zu erkennen war. Eine einzelne Gestalt stand vorn, auf einen hellen Stab gestützt, und Pieter Maritz erkannte die mächtige Figur des Königs. Aber kaum hatte der Buernsohn diesen Anblick gewonnen, so pfiffen auch schon Kugeln ihm um den Kopf, und er sah eine kleine Abteilung der Garde schnellfüßig heranlaufen. Eilig wandte er sein Pferd und jagte davon. Als er nun zurückkam und den Platz erreichte, wo er die Seinigen verlassen hatte, da hatte sich das Bild der Landschaft verändert. Er hielt Jager an und blickte sich voll Spannung nach allen Seiten um. Die Leute, welche ihn verfolgt hatten, waren nicht mehr zu sehen, und auch der Lickasikral war völlig verschwunden. Die Kavallerie des englischen Heeres zog sich auf das Karree zurück. Das Karree selbst kam langsam heran. Eine sonderbare Erscheinung aber fesselte vor allem seinen Blick: parallel mit dem englischen Heere, in einer Entfernung von kaum zweitausend Schritten, marschierte ein Zuluheer auf der rechten Flanke des Karrees. Es war in einem dichten viereckigen Haufen und glich fast dem Schatten der englischen Armee. Still und finster zog es daher, mit derselben Langsamkeit wie diese. Die Sonne stand schon ziemlich hoch am Himmel, es war zwischen acht und neun Uhr morgens. Das afrikanische Land lag in der vollen Pracht seiner Farben da. Der Himmel war strahlend blau, die Erde grün, und die Ferne war mit duftigem Violett umzogen. Die klare Luft ließ alles sehr deutlich erkennen. Pieter Maritz sah die roten Linien und blitzenden Waffen der englischen Infanterie, die prächtigen, mit vielem Weiß besetzten Uniformen der Ulanen, sah die buntgestickten, seidenen Fahnen der verschiedenen Regimenter über den Helmen flattern und hörte den Klang des »~Rule Britannia~« aus dem Karree herüberschallen. Lord Chelmsford ließ zur Ermutigung seiner Truppen die Musikcorps spielen. Dagegen zogen neben den Engländern die Zulus schweigend und drohend einher, auf den Augenblick wartend, wo sie sich mit Vorteil auf den Feind stürzen könnten. Da erblickte Pieter Maritz, indem er sich umsah, ein zweites Zuluheer. Es kam plötzlich hinter einem lang gestreckten niedrigen Gehölz hervor und marschierte neben der linken Flanke der Engländer, doch in weiter Entfernung. Und nun endlich erschien ein dritter schwarzer Schlachthaufen von Ulundi her, der gegen die englische Front heranrückte. So war das heranmarschierende Viereck von drei Seiten umgeben, König Tschetschwajo aber sah aus der Ferne der Schlacht zu, welche über das Schicksal seines Reiches entscheiden sollte, und mochte wohl hoffen, daß die Engländer im offenen Felde dem Ansturm seiner Regimenter nicht würden standhalten können. Pieter Maritz setzte jetzt sein Pferd in Galopp und folgte den übrigen Reitern, die noch in der Ebene verteilt gewesen waren, in das hohle Viereck hinein. Die Zulus kamen näher und näher heran und konnten, wie Pieter Maritz bemerkte, ihre drei Heerhaufen zu ihrer alten Angriffsfront, der Linie mit vorgebogenen Flügeln, vereinigen, sobald es ihnen günstig erschien. Sie bewegten sich mit erstaunlichem Geschick, und da sie mit zwei Heerhaufen schon zu beiden Seiten des Feindes waren, hatten sie dessen Umklammerung schon vollzogen, ehe sie noch eine zusammenhängende Linie gebildet hatten. Pieter Maritz bemerkte, daß Lord Chelmsford und sein Stab voll Bewunderung des kunstvollen Manövers der Zulus waren. Der Oberbefehlshaber ließ einigemal halten, um den gelockerten Zusammenhang seiner Truppen wieder zu festigen, dann ließ er wieder vorwärts gehen. Er erriet den Plan der Zulus, das Viereck im Marsche immer zu bedrohen und sich darauf zu stürzen, sobald es sich etwa irgendwo öffnete. Endlich aber beschloß Lord Chelmsford, Halt zu machen und den Angriff der Zulus auf sich zu ziehen. Die Signale ertönten, die Front hielt, die Flanken und die Rückseite schlossen an, und die Artilleristen richteten ihre Geschütze auf den Feind. Lord Chelmsford hatte einen vorteilhaften Platz ausgewählt. Die Armee befand sich gerade auf einem sanft abfallenden Höhenrücken, so daß der Anlauf der Zulus bergan gehen mußte, was für den Speerangriff nachteilig war. Kaum war der erste Kanonenschuß gefallen und das erste Hohlgeschoß über der Zulumasse vor der rechten Flanke zersprungen, so stürmten die Feinde heran. Zunächst nur der starke Haufen, der zuerst sichtbar geworden war. Er entfaltete sich zu einer langen Linie und lief vor. Die beiden vorderen Glieder der Engländer knieten nieder, die beiden hinteren Glieder streckten die Gewehre über die Köpfe der knieenden vor, und ein furchtbares Schnellfeuer begann. Ohne Wall, auf freiem Felde mußte heute gefochten werden und Standhaftigkeit die fehlende Brustwehr ersetzen. Trotz des Hagels aus den Gewehren und trotz der Artilleriegeschosse kamen die Zulus mit der alten Tapferkeit heran, leichtfüßig springend, in ihrem hüpfenden Sturmschritt laufend. Aber nicht wie sonst ertönte ihr Schlachtgesang, sie kamen in finsterem Schweigen heran, ganz lautlos, und da auch ihre Schritte und das Klirren ihrer Waffen im Lärm des englischen Feuers nicht zu vernehmen waren, glichen sie einem Heere stürmender schwarzer Schatten. Manchem unter den Europäern, der schon mit den Zulus gefochten hatte, erschien diese Stille schrecklicher als der donnernde Kampfruf. Sie verkündete die Verzweiflung der tapferen Männer, welche zum letzten Kampfe unter den Augen ihres Königs vorgingen. Bis auf siebzig Schritte vom Karree kamen die schwarzen Linien heran, dann machten sie Halt und fingen an zu feuern, indem sie sich niederwarfen. Deutlich erkannte Pieter Maritz jetzt, wie sehr die alten Regimenter zusammengeschmolzen waren. Die Regimenter der roten, der blauen und der schwarzen Schilde besonders hatten gelitten und bildeten nur noch kleine Haufen von vierhundert oder fünfhundert Mann. Viele ganz junge Leute waren zwischen den älteren Männern. Deutlich erkannte er auch in dieser Nähe den Prinzen Dabulamanzi, der inmitten des Kugelhagels auf einem schwarzen Pferde hinter seiner Schlachtreihe emporragte. Er allein war aufrecht, und er kümmerte sich nicht um die Shrapnels und Büchsenkugeln, die unter seinen Leuten aufräumten und ihn selber umpfiffen. Er winkte nach rückwärts und ließ seine Reserve heranlaufen, um das vordere Treffen zum neuen Angriff vorwärts zu tragen. Zu gleicher Zeit brachen jetzt die feindliche Mitte und der feindliche rechte Flügel, der von Sirajo geführt wurde, zum Angriff vor, und das Feuer ward allgemein, indem die beiden äußersten Enden der Flügel zusammenschlossen und auch die rückwärtige Front angriffen. Manche Kugel schlug in das Viereck ein, und mancher Mann stürzte zusammen. Pieter Maritz hielt seinen Blick hauptsächlich auf Dabulamanzi gerichtet, der ihm der Beachtung am meisten würdig erschien. Er sprengte mit hoch geschwungenem Speere die Linie entlang und trieb seinen Flügel und die Mitte zum Angriff. Und die Zulus gehorchten. Sie verachteten den tödlichen Bleihagel, der Mann nach Mann in ihren Reihen niederriß, und stürmten vor. Bis auf dreißig Schritte kamen viele an das todsprühende Viereck heran. Die englischen Soldaten sahen die drohenden schwarzen Gesichter mit dem hochragenden Kopfputz deutlich vor sich. Aber nur wenige, nur die glücklichsten unter den Tapferen, kamen näher. Das Feuer war noch stärker als bei Gingilowo, denn die Artillerie war zahlreicher, auch schossen heute vier Glieder zugleich mit Martini-Henry-Gewehren, und unablässig versorgten Soldaten, die zwischen den feuernden Gliedern und den Munitionswagen hin und her liefen, die Patrontaschen und Magazine mit neuen Patronen. Keine Tapferkeit konnte den nackt und ohne Schutz bergan laufenden Zulus helfen, sie stürzten in Massen zu Boden. Nur Dabulamanzi, obwohl beständig dem Feuer ausgesetzt, blieb wie durch ein Wunder am Leben. Er war überall zu sehen, wo die Gefahr am größten war, während Sirajo sich mehr zurückhielt. Er rief den Weichenden zu, er führte wieder und wieder zusammengeraffte Haufen vorwärts, und rund um ihn her fielen die Männer. Aber er blieb auf seinem Pferde. Mehr als einmal griff Pieter Maritz nach seiner Büchse, und er traute es sich wohl zu, den Prinzen herabzuschießen. Die Engländer zielten wenig, sie schossen in die Masse hinein, kein Buer stand in der äußeren Linie. Aber ein Gefühl der Scheu hielt den Buernsohn zurück. Er mochte den tapferen Mann nicht fällen. War er dem Degenstoß bei Gingilowo nicht erlegen, so wollte ihn eine höhere Bestimmung wohl nicht durch die Hand fallen lassen, die damals das Schwert gegen ihn führte. Pieter Maritz getraute sich nicht, auf Dabulamanzi zu schießen. Jetzt trat unter den ungeheuren Verlusten, welche die Zulus erlitten, ein Stocken in ihrem Angriff ein, ein Schwanken ward in ihren Schlachthaufen bemerklich, die Regimenter schienen sich aufzulösen. Sirajos Flügel strömte bald darauf rückwärts, das Centrum wich langsam unter den unaufhörlich einschlagenden Shrapnels und Gatlinggeschossen. Ein lautes Hurra ertönte in den von Pulverdampf umwallten Gliedern der Engländer. Da ritt Lord Chelmsford vor die Reihen der Ulanen und zeigte mit der Hand auf Dabulamanzis Flügel, der noch immer standhielt. Hatten in der letzten Schlacht die Dragoner Lorbeeren errungen, so sollten heute die Ulanen den Sieg vollenden. Das Viereck öffnete sich, das stolze Regiment trabte hinaus, das Feuer verstummte auf der rechten Flanke, und die Schwadronen ritten zu staffelförmiger Attacke auf. Dann legte die vorderste Schwadron die Lanzen ein und jagte, die blinkenden Spitzen mit den flatternden Fähnchen gesenkt, gerade auf die Zulus los. Aber die Zulus hatten von ihren Feinden gelernt, und Dabulamanzi war in ihrer Mitte. Sie schlossen sich eng zu einem Knäuel zusammen, streckten die Schilde vor und feuerten. Viele der Reiter mußten den Sattel räumen. Eine zweite Schwadron stürmte heran und griff über den Flügel der ersten hinaus mit der Lanze an, die dritte und vierte folgten, immer die vorderen überflügelnd, und ritten in die Feinde ein. Die Zulus erlagen unter dem wilden Ansturm. Vergeblich waren ihre Speere und Schilde, die langen Lanzen der Engländer, mit der Wucht von Roß und Mann vorwärts getrieben, durchbohrten Schild und Brust, und einer der tapferen Verteidiger nach dem andern sank zu Boden. Verzweiflungsvoll flüchtete Dabulamanzi mit einer kleinen Schar. Doch nahe an hundert Mann ließ das Ulanenregiment auf dem Platze zurück. Jetzt brachen auch die Buern auf des Oberbefehlshabers Wink aus dem Karree hervor, und Humbatis Truppen wurden auf die Fliehenden losgelassen. Weithin bedeckte sich die Ebene mit flüchtigen Scharen, hinter denen die Kavallerie herjagte, und Schwerthieb und Lanzenstich räumten unter den Zulus und den Amatongas auf, welche heute das Zuluheer verstärkt hatten. Langsam rückte das schwere Viereck vor, das Hurrarufen der Sieger donnerte über das Schlachtfeld hin, und die Klänge des »~Rule Britannia~« spielten dazwischen. Pieter Maritz ritt an der Spitze der Buern einher, das Schwert in der Rechten, doch brauchte er es nicht mehr, denn die Feinde leisteten keinen Widerstand. Er lenkte nach dem Lickasikrale hin, aber der Hügel war leer, der König war verschwunden. Er ritt nach Ulundi zu und sah, daß die englischen Reiter schon in der Hauptstadt waren. Er kam an die äußersten Hütten hinan, sie waren leer. Als er aber bis zur Wohnung des Königs kam, da sah er den schönen Rasenplatz, auf dem einst die Frauen getanzt hatten, von den Ulanen angefüllt, und aus der Veranda leckten die Flammen empor. Er ritt langsam zurück, Traurigkeit beschlich sein Herz beim Anblick der Verwüstung und des Todes auf den Stätten, wo er einst ein fröhliches Volk gesehen hatte. Noch einmal blickte er sich um: Ulundi brannte an allen Ecken und Enden, die leichten Hütten flackerten wie Fackeln auf, düsterer schwarzer Rauch stieg zum Himmel empor. Tschetschwajos Macht war gebrochen, und zum Falle seines Reiches, zum Brande seiner Hauptstadt spielte die englische Musik das »~Rule Britannia~«. [Illustration] [Illustration] Fünfundzwanzigstes Kapitel König Tschetschwajos Gefangennahme Rauch und Hitze machten den Aufenthalt in Ulundi bald unerträglich, und die Truppen versammelten sich wieder in der freien Ebene, wo Lord Chelmsford den entscheidenden Sieg erfochten hatte. Pieter Maritz sah, wie die Flammen sich ringsum in Ulundi verbreiteten, bis der ganze weite Ring von Hütten, der den großen Platz einschloß, einem riesigen brennenden Pechkranz glich. Der Himmel verfinsterte sich durch den ungeheuren Qualm, der von so vielen leicht brennbaren Hütten emporstieg. Währenddessen richtete die Artillerie ihre Geschosse auf die benachbarten Krale, welche ehedem Residenzen der Zulukönige und Zeugen manches Triumphes der siegreichen Eroberer über schwächere Nachbarn gewesen waren. Diese Krale konnten noch Feinde bergen, und die Engländer hielten es für sicherer, sie zu zerstören, oder gaben vielleicht auch nur dem Triebe der Vernichtung nach, der im Kriege in den Herzen der Menschen riesengroß anwächst. Raketen und Shrapnels sausten in die Hüttenringe hinein, und bald schlugen aus allen ringsum sichtbaren Kralen die Rauchwolken und Flammen ebenso wie aus Ulundi empor. Der ganze nördliche und östliche Horizont hüllte sich in schwarzen Dunst, so daß die vorher hell schimmernden fernen Höhenzüge und der klare durchsichtige Äther gleichsam in Trauer gekleidet erschienen. Lord Chelmsford führte seine Armee in das befestigte Lager zurück, aus welchem er heute morgen aufgebrochen war, und gab Befehl, daß nur eine geringe Macht, hauptsächlich Kavallerie und Artillerie, die Verfolgung der geschlagenen Feinde fortsetzen solle. Die Masse des Heeres sollte zurückmarschieren. Schon im Laufe des Tages der Schlacht, mehr aber noch an den folgenden Tagen zeigte sich die große Bedeutung des englischen Sieges in dem Erscheinen von Zulufürsten, welche ihre Unterwerfung ankündigten. Alle jene Vornehmen, welche nur durch Waffengewalt zum Gehorsam gezwungen worden waren, dazu die Ehrgeizigen, welche hofften, nach der Besiegung Tschetschwajos selbständige Herrscher in ihrem Gebiete zu werden, kamen mit ihren Anhängern in das Lager des mächtigen Siegers und huldigten ihm. Tschetschwajos Macht bröckelte auseinander. Die Indunas berichteten, der König habe nur noch sechstausend Mann um sich, und mit diesen habe er sich nach Nordosten gewandt, um in die fernsten, wildesten Gegenden seines Reiches zu fliehen. Lord Chelmsford nahm alle Indunas freundlich auf, lobte sie wegen ihrer Gefügigkeit und versprach ihnen die Unterstützung der englischen Macht bei ihren Plänen auf Selbständigkeit. Seine Truppen folgten indessen den Spuren des Königs. Die Ulanen und Dragoner, die Scharfschützen des 60. Regiments, vor allem aber die Buern und Humbatis schwarze Truppen, waren mit der Artillerie vereint im schnellen Marsche hinter der letzten kleinen Armee der Zulus. Es ging zunächst auf Mainze-kanze, wo der König Halt gemacht hatte, wie seine verräterischen Indunas aussagten. Noch auf dem Wege dorthin, und mehrere Meilen südlich vom Zusammenflusse des Schwarzen und des Weißen Umvolosi, ritt Pieter Maritz eines Abends mit dem Leutnant Dubois zusammen an der Spitze einer Buernschar durch das gebirgige Land, als er Humbati bemerkte, der in Eile vorwärts drängte und einen der englischen Befehlshaber, den Obersten Barrow, führte. Humbati war, nachdem der Sieg bei Ulundi erfochten worden war und während so viele Indunas sich einem neuen Glücke zuwandten, eine sehr angesehene und geachtete Persönlichkeit unter seinen Landsleuten geworden, und viele Indunas bewarben sich wie ehedem, als er noch des Königs Günstling war, um seine Freundschaft. Sie erblickten in ihm einen der zukünftigen Herrscher im Zululande. Er aber behielt das finstere Wesen, das Pieter Maritz schon im Lager am Tugela bei ihm bemerkt hatte, und es schien dem Buernsohn, als sei er mehr von dem Durst nach Rache als von Ehrgeiz getrieben. Der Abend war vom Glanze des Mondes erhellt, und es war fast so hell wie am Tage, nur gab das silberweiße Licht allen Gegenständen ein geheimnisvolles Aussehen, und die Felsen und Bäume in diesen zerklüfteten Landschaften der Flußufer nahmen oft wunderbare Gestaltungen durch die tiefen Schatten ihrer vom Monde abgewandten Flächen an. Oberst Barrow hatte einen Zug Dragoner hinter sich, und er winkte dem Leutnant Dubois, ihm mit den Buern ebenfalls zu folgen. Humbati schritt leichtfüßig voran, und die Offiziere und Mannschaften folgten ihm in ein Seitenthal. Der Weg wurde schwierig und schwieriger, nur mit Mühe folgten die Reiter dem eilig vorangehenden Zulu. Das Thal war eng und düster, nur oberhalb der Baumwipfel zeigte sich der Streif des hellen Nachthimmels, und die Sterne funkelten hell, indem sie aus dem Dunkel heraus gesehen wurden. Endlich endete das Thal, und ein offener Platz, ringsum von sanften Höhenrücken begrenzt, zeigte sich. Hier standen nur einzelne kleinere Bäume, eine Palmenart, und viele gewaltig große Felsblöcke lagen umher, die zum Teil von Gras und Schlinggewächsen überwuchert waren. Es war ein Platz, der ungemein einsam und versteckt aussah. Humbati machte Halt und sprach einige leise Worte mit dem Obersten, worauf dieser mehrere Soldaten absteigen ließ. Mit diesen näherte sich Humbati einem der Haufen von Felsblöcken und fing an, die Steine wegzuräumen. Pieter Maritz sah nun, daß alsbald unter den von der Natur ohne Ordnung zusammengewürfelten Steinen ein regelrecht geformter Felsenbau, ähnlich einem ungeheuer großen Kasten, erschien. Die Steine waren lang und platt, schichtenweise gelagert. Humbati schob nun an einem dieser langen Steine, der auf der Kante stand, und brachte ihn mit Hilfe der Soldaten in eine Drehung und zum Falle. Polternd stürzte er von seiner Unterlage herab in das Gras, und nun zeigte sich hinter ihm ein hohler Raum, den er wie eine Thür verschlossen gehalten hatte. Die Offiziere und auch Pieter Maritz näherten sich dem Gewölbe und sahen, daß es mit glänzenden Gegenständen angefüllt war. Goldene Ringe und metallene Gefäße, zusammengeschnürte Ballen, in denen Stoffe und Straußenfedern sein mochten, sowie alle solche Dinge, welche Pieter Maritz wohl als Kostbarkeiten an Tschetschwajos Hofe gesehen hatte, waren in diesem Steingewölbe angehäuft. Humbati hatte den Weißen die Schatzkammer des Königs verraten. Aber in diesem Augenblicke, als aller Augen sich voller Neugierde auf die dunkle Höhlung richteten und Humbati einen der glänzenden Gegenstände hervorholte, auf welchem nun das Mondlicht spielte, war ein wilder, gellender Schrei zu vernehmen, und in der nächsten Sekunde erschien eine hohe schwarze Gestalt jenseits des Felsenbaues und stürzte zum Angriff heran. Gleich darauf war ein Schar Zulus zu erblicken, welche den gegenüberliegenden Hang herabgelaufen kam. Es war ein Augenblick der höchsten Gefahr, das fühlte Pieter Maritz. Er sprang alsbald vom Pferde herab und nahm die Büchse zur Hand. Gleich ihm waren die übrigen Buern schnell im Grase und kampfbereit, und die Engländer folgten dem Beispiel und gaben ihre Kampfweise zu Pferde auf, um es den landeskundigen Buern nachzumachen. Schüsse krachten durch die Nacht, und der geheimnisvolle stille Platz, wo König Tschetschwajo seine Schätze verborgen hatte, verwandelte sich in einen lärmerfüllten Kampfplatz. Pieter Maritz konnte, so sehr er mit der Sorge für sich selbst und für Jager beschäftigt war, den Blick nicht abwenden von der zuerst erschienenen Gestalt. Er hatte Dabulamanzi erkannt, der mit Büchse, Schild und Speer herangestürmt war. Pieter Maritz sah, daß des Königs Bruder keinen andern Feind zu kennen schien, als allein den Verräter, Humbati. Er sprang gerade auf diesen los, und ein wilder Zweikampf entspann sich, denn Humbati dachte nicht an Flucht. Keinen Fußbreit wich er zurück, sondern, wo er gestanden hatte, vor dem Eingang der Schatzkammer, da blieb er stehen und erwartete seinen Feind. Er hatte eine Büchse auf der Schulter, wie auch Dabulamanzi eine Büchse trug, aber in diesem Kampfe, der den persönlichen Haß der beiden Indunas gegeneinander zum Austrag bringen sollte, verschmähten sie beide die fremde Feuerwaffe, warfen die Büchsen hin und griffen zum Assagai. In gewaltigem Satze, dem Löwen gleich, sprang der tapfere Prinz mit hoch geschwungenem Speere auf seinen Feind los, und Humbati duckte sich, wie der schwarze Panther sich zusammenbiegt, wenn er seine Zähne und Tatzen gebrauchen will. Pieter Maritz vergaß zu schießen, indem der Anblick dieser beiden nackten, herrlich gebildeten schlanken Gestalten, dieser geübten und vornehmen Krieger ihn gänzlich fesselte. In Dabulamanzis Blick und Gebärde las er den Stolz und den Zorn des Herrschers und des Besiegten, die unbezähmbare Kampflust eines wilden Sinnes, den brennenden Wunsch, das erlittene Leid zu rächen und die Wut über die Niederlage des Zulureiches an diesem einen Manne auszulassen, der als Verräter dem königlichen Hause verhaßter war als die siegreichen Engländer. Nun hatte der Prinz ihn auf der That ertappt, sah mit eigenen Augen, wie die königlichen Schätze dem Feinde überliefert wurden, und wollte ihn mit eigener Hand strafen. In Humbatis trotzigem Antlitz dagegen glaubte Pieter Maritz den finsteren Blick wiederzuerkennen, den er damals auf den König gerichtet hatte, als dieser ihm den jüngeren Bruder raubte und zum Tode sandte. Mit schmeichelnden Worten hatte der schlaue Induna den Racheplan überkleidet, den er damals im Herzen trug, aber er hatte niemals die Beleidigung und den Schmerz vergessen, die ihm, dem verdienten Freunde des Königs, dadurch zugefügt wurden, daß sein Lieblingsbruder vor den Augen des ganzen Hofes seiner Ehren und Würden beraubt ward wegen eines Fehlers, der ebensowohl Dabulamanzis Schuld als die seinige war. An dem Bruder des Königs selbst hätte jetzt Humbati gern seine Rache vollzogen und Blut gegen Blut genommen. Dabulamanzi stieß mit dem Assagai zu und richtete die Wucht seines Sprunges und Stoßes gegen des Feindes Brust. Aber schnell und geschmeidig wandte sich Humbati im entscheidenden Augenblick und schlug mit der Hand die Speerspitze zur Seite, so daß sie an seinem linken Oberarm vorbeifuhr. Dann stieß er selber zu, indem er blitzschnell vorwärts sprang. Dabulamanzi trug den Schild am linken Arme, während Humbatis Linke unbewehrt war. Er parierte den Stoß mit dem Schilde, aber die Spitze fuhr in schräger Richtung durch das Ochsenfell hindurch und streifte die Haut. Beide Kämpfer waren so nahe aneinander, daß sie die Speere nicht mehr gebrauchen konnten. Dabulamanzi ließ den Schild fallen, in welchem die Assagaispitze feststeckte, warf den Speer aus der Rechten und griff seinen Gegner mit den Händen an. Humbatis Speer sank mit dem Schilde zu Boden, und auch er warf sich unbewaffnet dem Feinde entgegen. Die beiden nackten nervigen Gestalten umschlangen sich mit den Armen und rangen Brust an Brust. Sie waren fast gleich an Wuchs, Dabulamanzi überragte seinen Gegner nur um zwei Fingerbreiten. Beiden schwollen in der gewaltigen Anstrengung die Muskeln der Arme und der Schenkel, indem sie sich ringend umschnürten und mit den Füßen in den Boden stemmten. Die schwarze Haut der starken Ringer glänzte im silbernen Lichte des Mondes. Jetzt schien Dabulamanzis eiserner Griff die Oberhand zu gewinnen, und die Sehnen Humbatis schienen sich zu erweichen. Ein kräftiger Ruck des Prinzen, und Humbati stürzte zu Boden, Dabulamanzi über ihn her. Aber indem sie das Gras berührten, kam eine neue Bewegung in die aalglatten geschmeidigen Glieder, der Ringkampf ward am Boden fortgesetzt, denn Humbati hatte sich im Fallen zur Seite geworfen. Für eine Zeitlang schien es jetzt, als ob ineinander verwickelte Schlangen in dem hohen Grase kämpften. Die schwarzen schimmernden Glieder waren so ineinander verflochten und in solchem Wirbel schneller Windungen, daß Pieter Maritz nicht mehr zu unterscheiden vermochte, ob er des Prinzen oder Humbatis Arme und Beine aus dem Grase hervorblicken sehe. Sie rollten von der Seite fort, indem ein jeder sich bestrebte, den andern nach unten zu drücken, und zwischen den Felsblöcken hin bewegte sich das kämpfende Paar wie ein einziges seltsames Tier in verwirrender Eile. Nur für Sekunden war ein Gesicht zu erkennen, dann tauchte es wieder unter, und die Gestalten schwebten so schnell und in so unbestimmten Umrissen vorüber, daß der Buernsohn sie nicht voneinander zu unterscheiden vermochte. Nun glaubte er Dabulamanzis kurzes Haar und stolze Augen zu sehen, aber schon war dies Gesicht verschwunden, und der düstere Blick Humbatis funkelte gleich dem des gereizten Tigers, und seine weißen Zähne, in der Kampfwut zusammengebissen, glänzten aus dem schwarzen wilden Gesicht hervor. So entfernte sich der Zweikampf von der Stelle, wo er begonnen hatte, und die Ringenden wälzten sich nahe an die Steine heran, die von der Schatzkammer hinweggeräumt worden waren. Mit einem Male sah Pieter Maritz eine Veränderung in der Scene. Eine Gestalt löste sich von der andern los, Dabulamanzi sprang empor, und Humbati blieb liegen. Er mußte mit dem Kopfe, wie es Pieter Maritz vorkam, an eine scharfe Ecke eines Steines geschlagen sein und das Bewußtsein verloren haben. In den nächsten Sekunden schon hatte Dabulamanzi den Speer vom Boden aufgerafft, den er vorhin von sich geworfen, nun kehrte er mit einem langen Satze zu der Stelle zurück, wo Humbati lag, und mit einem gellenden Triumphruf bohrte er den Assagai dem Besiegten durch die Brust. Der Kampf hatte kaum eine Minute gedauert, und zwischen den Weißen und Dabulamanzis Schar waren währenddessen Kugeln gewechselt worden. Die Zulus blickten auf ihren Führer und warteten den Ausgang seines Einzelkampfes ab, bevor sie sich mit dem Assagai auf die Engländer stürzten. Aber Dabulamanzi mochte ihre Anzahl für ungenügend halten, um den Angriff fortzusetzen. Als er Humbati tot zu seinen Füßen sah, rief und winkte er seiner Schar und verschwand mit ihr so schnell, wie er gekommen war, ohne nur einen Versuch zu machen, den Schatz des Königs zu hüten. Kugeln pfiffen hinter den Zulus her, aber ohne Erfolg, denn die schwarzen Krieger duckten sich in das Gras und tauchten sehr bald wieder hinter dem deckenden Höhenrücken unter. Oberst Barrow aber fürchtete, daß sie in größerer Zahl wiederkehren möchten, und da er nur etwa fünfzig Mann bei sich hatte, wünschte er ein Gefecht in dieser abgelegenen Gegend zu vermeiden. Er ließ in Eile die wertvollsten Gegenstände aus der Felsenhöhle zusammenraffen und dann wieder die Pferde besteigen. Auf demselben Wege, den sie gekommen waren, zogen die Weißen zurück und erreichten glücklich wieder die Straße, auf welcher die Hauptmasse der Truppen marschierte. Am Tage darauf bekamen sie Mainze-kanze zu Gesicht und betraten das hoch gelegene Ufer, von dem aus sie die hellen Ströme sich vereinigen sahen. Mainze-kanze war besetzt, die Offiziere erkannten durch ihre Gläser das Blitzen der Waffen in Dabulamanzis festen Plätzen. Schon fuhr die Artillerie auf, um die Krale zu beschießen, da zeigte sich eine weiße Fahne auf dem hohen Schornstein der Fabrik inmitten des größten Hüttenringes. Die Engländer warteten mit der Beschießung, und nach einiger Zeit kam ein Zug von Männern von unten herauf, an deren Spitze ein Induna in weißem Mantel schritt. Dabulamanzi selbst kam in Friedenstracht, um seine Unterwerfung anzuzeigen. Der ehrgeizige Mann setzte keine Hoffnung mehr auf das Glück seines königlichen Bruders und hoffte, wenn er Frieden schlösse, in seiner Herrschaft über Mainze-kanze und das umliegende Land anerkannt zu werden. Der englische Befehlshaber, Lord Gifford, nahm die Unterwerfung an, und nun ergab sich der letzte Rest der Zuluarmee auf Gnade und Ungnade. In langen Zügen marschierten die Regimenter heran und legten die bei Isandula erbeuteten Gewehre, soweit sie noch vorhanden waren, vor den Zelten der Engländer nieder, fuhren auch mit vorgespannten Ochsen die Geschütze heran, welche sie damals erobert hatten und deren Gebrauch ihnen fremd geblieben war. Auch der Degen des kaiserlichen Prinzen kam jetzt zum Vorschein und wurde mit großer Freude von den Engländern in Empfang genommen. Er sollte nach England gesandt werden, wohin die Leiche des Prinzen schon zur feierlichen Bestattung unterwegs war. Lord Gifford sandte Meldung von seinem Erfolge nach Ulundi zurück, wo inzwischen Sir Garnet Wolseley eingetroffen war, und erhielt den Befehl, mit einer geringen Macht die Verfolgung Tschetschwajos fortzusetzen, die übrigen Truppen unter Oberst Barrow aber zurückzusenden. Das englische Heer war wieder im Rückmarsch nach Port Natal und sollte zu Schiffe in die Heimat befördert werden. Nur mit sechshundert Mann Truppen: Dragonern, reitenden Schützen und Buern, dazu noch einigen hundert Schwarzen, setzte Lord Gifford den Marsch nach Nordosten fort. Es war gegen Ende des Monats Juli. Aber noch gab es manchen heißen und schwierigen Marsch. Das Land wurde immer wilder und gebirgiger, je weiter die Truppen vordrangen. Die Krale lagen hier sehr vereinzelt, die Bevölkerung war sehr dünn, und wilde Tiere fanden sich hier noch in großer Menge. Nicht allein gegen Überraschungen von seiten der Zulus, sondern auch zum Schutze gegen Löwen und Leoparden mußten allnächtlich Wachen ausgestellt und Wachtfeuer unterhalten werden. Wochenlang streiften die Reiter im Gebirge hin und her, bald hierhin, bald dorthin durch wechselnde Nachrichten über den Aufenthalt des Königs gelockt. Vielfach kamen Zulus zu den Weißen, welche, um ihre Hütten und Herden zu retten, ihnen mitteilten, wo der gefürchtete Tyrann sich verborgen halte, aber wenn die Verfolger den bezeichneten Punkt erreichten, zeigte sich, daß Tschetschwajo schon wieder fort war. Das einsame, wüste, zerklüftete Land kam seiner Flucht sehr zu statten. Pieter Maritz ritt oft mit Lord Fitzherbert zusammen, und sie erneuerten in dieser Zeit ihre alte Freundschaft. Manche Nacht lagen sie zusammen unter dem Sternenhimmel am Feuer, manche Jagd führten sie zusammen aus. Denn die Jagd vereinigte sich mit dem Kriege auf dieser langen Suche nach dem flüchtigen schwarzen Fürsten. Mehreremal fielen Löwen trotz aller Wachsamkeit in das Lager ein und raubten Pferde und Schlachtochsen. Major Marter allein, der die Dragoner kommandierte, verlor drei Pferde nacheinander durch Löwen, teils im Lager, teils auf der Jagd. Auf diesem Marsche bekamen Pieter Maritz und Lord Fitzherbert auch zum erstenmal in ihrem Leben Giraffen zu sehen. Sie waren an einen Fluß gekommen, den die Zulus Umlanluwe nannten und der an der Stelle, wo sie ihn erreichten, breit und glänzend in einem weiten Thale strömte. Es war früh am Morgen, nur vier Dragoner und vier Buern befanden sich bei der Patrouille, welche bei Sonnenaufgang vom Lager ausgesandt worden war. Als die Reiter aus dem Walde herauskamen, sah Pieter Maritz in weiter Entfernung am jenseitigen Ufer eine Herde von zwölf der riesenhohen Tiere, zum Teil im Wasser stehend, zum Teil am sonnigen Ufer. Er zeigte sie dem Lord, und beide berieten, voll Jagdbegierde, wie sie an die scheuen Tiere herankommen könnten. Der Wind blies den Reitern entgegen, und dies war günstig, da er die Witterung des Menschen den Tieren nicht zutragen konnte. Sie ließen ihre Reiter zurück in das Versteck des Waldes treten und versuchten, den Fluß zu überschreiten. Der Engländer trug gleich dem Buernsohn eine Martini-Henry-Büchse. Glücklich fanden sie eine Stelle, wo das Wasser seicht war, so daß die Pferde hindurchgehen konnten, und sie gelangten an das jenseitige Ufer, ohne daß sie von den Giraffen bemerkt wurden. Dann ritten sie durch hohes Mimosengebüsch langsam und vorsichtig der Herde näher. Der Wind hatte sich ganz gelegt. So kamen sie bis auf etwa zweihundert Schritte an die Herde heran, hier aber mußten sie halten, denn das Gebüsch hörte auf, und die stachligen Sträucher, an denen die Giraffen weideten, standen nur noch vereinzelt. Sie sahen die Tiere deutlich vor sich. Einige grasten, andere rupften mit ihren harten Lippen und schwarzen Zungen an den Mimosen. Sie wedelten mit den Schweifen nach den Sirutfliegen, die sie belästigten, und verschiedene Vögel flatterten um ihre Köpfe, setzten sich sogar auf die kurzen Hörner oder auf die Nase der Tiere, um die Insekten wegzufangen, die den riesigen bunten Gestalten in die Nüstern stechen wollten. Es war ein prächtiges Schauspiel. Das orangefarbene, schwarzgefleckte Fell der Tiere glänzte im Sonnenschein und schillerte bei jeder Bewegung, bald glich es dem Atlas, bald der Goldbronze. Die großen schwarzen Augen waren von wunderbarer Schönheit, sanft wie die Augen der Antilopen, aber noch viel tiefer und glänzender, wie sie auch viel größer waren. »Ich habe nie gewußt, was Giraffen sind,« flüsterte der Lord seinem Freunde zu. »Ich habe sie in den zoologischen Gärten in Paris und London gesehen, aber sie haben dort in dem kalten Klima und in der Gefangenschaft gar keine Ähnlichkeit mit diesen wunderschönen Tieren.« Pieter Maritz nickte ihm zu. Sein Herz klopfte. »Ich schieße nicht,« sagte er. »Die Tiere sind zu schön, und sie thun niemand etwas zuleide.« »Ich schieße,« entgegnete der Lord, »ich kann es nicht lassen.« In diesem Augenblicke und als der Engländer seine Büchse erhob, regte sich ein Lüftchen in den Zweigen, und dieser Lufthauch wehte von den Reitern nach den Giraffen hin. Sofort standen sie still, hörten zu weiden auf und richteten ihre wundervollen Augen nach der Stelle hin, wo die Jäger waren, während sie ihre Köpfe hoch in die Luft streckten. Lord Fitzherbert ward unruhig und schoß sehr schnell, weil er fürchtete, die Tiere möchten ihm entfliehen. Sein Schuß mochte wohl getroffen haben, denn eines der Tiere zuckte zusammen. Dann setzte sich die ganze Herde vom Ufer weg in Trab. »Hinter ihnen her!« rief der Engländer voll Eifer. Beide trieben ihre Pferde an, und im Reiten schoß der Lord noch zweimal. Aber er hatte ohne Erfolg geschossen, die Tiere liefen weiter. Sie liefen im Trabe, mit großer Gemächlichkeit, wie es schien; aber die Entfernung, welche sie von ihren Verfolgern schied, wurde doch immer größer. Die Jäger ritten den stärksten Galopp, aber sie kamen den Giraffen nicht näher, denn jeder Schritt der langtrabenden hohen Tiere war mindestens zwölf Fuß weit, und es war klar, daß die Pferde mit solchen Beinen nicht wettlaufen konnten. Die Reiter erinnerten sich ihrer militärischen Aufgabe und kehrten um, nachdem sie eine halbe Meile weit in das Land hineingeritten waren. War die Jagd auch erfolglos gewesen, so sollten sie doch auf dem Heimwege Glück haben. Pieter Maritz erblickte mehrere Zulus, die sich in heimlicher Weise durch das Buschwerk schlichen, und es kam ihm so vor, als ob ihm einer davon bekannt sei. Zwar hatte er ihn nur eine Sekunde lang zu Gesicht bekommen, als der Mann quer über einen Pfad sprang, den das Wild gebahnt hatte, aber die hohe und absonderliche Frisur, besonders aber die auffallende Beinbekleidung ließen keinen Zweifel, wer dieser Zulu sei. Nur der Leibarzt König Tschetschwajos trug eine rote Hose. Pieter Maritz sprengte alsbald hinter den Zulus her, und Lord Fitzherbert folgte ihm durch das Gestrüpp. Die Zulus schienen es nicht sehr eilig mit der Flucht zu haben, denn sonst hätten sie wohl in dem dichten Busch den Reitern entgehen können. Aber sie machten es, wie jetzt im Unglück Tschetschwajos die meisten Zulus es machten: sie fügten sich dem Sieger, um nicht ihr Besitztum oder gar das Leben zu verlieren. Kaum hatte Pieter Maritz die Flüchtigen angerufen und ihnen gedroht, er werde schießen, wenn sie nicht stehen blieben, als auch schon der Mann mit der roten Hose still stand und seine Begleiter aufforderte, es ihm nachzumachen. Pieter Maritz und der Lord erkannten mehrere Leute vom Hofstaat Tschetschwajos, die den Leibarzt begleiteten, und sie nötigten sie, als Gefangene mit zum Lord Gifford zu gehen. Schon unterwegs erzählte der Leibarzt, daß Tschetschwajo in der letzten Zeit häufige Anfälle von Schwermut zugleich mit Atemnot gehabt habe, so daß ihm die Flucht sehr schwer und lästig falle, und als ihm dann im Lager Lord Gifford eine Belohnung zusicherte, verriet er, daß der König sich im Negowewalde, im Krale Molihabantschis, befinde. Molihabantschi habe seine Besitzung im Norden verlassen, um als Minister des Königs an dessen Hofe zu leben; nun aber habe er den König, in dessen Begleitung von Vornehmen nur noch Prinz Sirajo sei, in den versteckt liegenden Kral seiner Heimat geführt. Lord Gifford versprach dem Leibarzt eine Herde Ochsen, wenn er den König seinen Händen überliefere, und dieser erklärte sich bereit dazu. Dann befahl Lord Gifford dem Oberst Clarke, sich mit dreihundert Mann und einer Schar Zulus aufzumachen, um unter Führung des Leibarztes Molihabantschis Kral aufzusuchen und den König lebend zu fangen. Oberst Clarke brach mit Untergang der Sonne auf und teilte seine Schar in vier kleine Abteilungen, die den Kral von allen Seiten umringen sollten. Die stärkste dieser Abteilungen, welche von Süden kommen sollte, ward von Major Marter kommandiert, und bei dieser, welche aus sechzig Dragonern, vierzig Buern und etwa fünfzig Zulus bestand, waren auch Pieter Maritz und Lord Adolphus Fitzherbert. Die ganze Nacht hindurch ward marschiert, und das Land ward immer schwieriger zu durchschreiten. Berg und Thal wechselten beständig, tiefe Schluchten, dichtes stachliges Gebüsch und kleine Wasserläufe machten den Ritt sehr beschwerlich. Das Gebrüll der wilden Tiere und das Schreien der Paviane begleitete den Zug unaufhörlich. Bei Tagesanbruch endlich, als sie an den Saum eines Waldes kamen, gab der verräterische Leibarzt ein Zeichen, zu halten, damit die blitzenden Waffen beim Heraustreten aus dem Schatten der Bäume nicht gesehen würden. Major Marter stieg ab und schritt mit dem Leibarzt vor. Nur Pieter Maritz war dabei, um als Dolmetscher zu dienen. Die Sonne schien hell und beleuchtete eine wildgebirgige Landschaft. Eine einzelne kahle Höhe lag inmitten eines Bergkessels und war ringsum von tiefen Schluchten umgeben. Hohe Bergketten schlossen von allen Seiten in engeren und weiteren Linien den Thalkessel ein, und schwarze Schatten wechselten mit den von der Sonne beschienenen, violett und grün glänzenden Bergseiten ab. Jene Höhe, welche vom Standort der Verfolger etwa eine halbe Meile entfernt sein mochte, ward wie von einem Kranze durch kreisförmig gebaute Hütten gekrönt, den Kral Molihabantschis, wie der Leibarzt sagte. Die Hütten lagen schwarz auf dem gelbgrünen Gipfel des Hügels. Major Marter beschloß, da ein Hinankommen auf geradem Wege unthunlich erschien, die Höhe zu umgehen. Nach halbstündigem Marsche traten sie wieder an den Waldsaum vor und spähten nach dem Krale. Der Hügel zeigte sich jetzt in etwas anderer Form, und es war zu sehen, daß nördlich von dem Krale ein Waldstreifen bis auf wenig hundert Schritte an die Hütten heranreichte. Es war zu fürchten, daß Tschetschwajo, wenn er etwa den Feind bemerkte, sich in diesen Waldstreifen retten und dann ferner fliehen könnte. Das Terrain war äußerst günstig zu versteckter Flucht und fast gänzlich unzugänglich für Reiter. Auf die Zulus aber, welche am besten dem Flüchtling hätten folgen können, wollte sich Major Marter nicht verlassen. Sie hätten sich vielleicht einschüchtern lassen oder hätten den König wohl auch ermordet. Major Marter wollte den König lebend gefangen nehmen und wollte ihn mit eigener Hand und mit Hilfe zuverlässiger Leute greifen. So ward denn beschlossen, diesen Tag überhaupt keinen Versuch zu machen, dem Krale näher zu kommen, sondern, wenn nicht etwa die andern Abteilungen anlangten, die Nacht zu erwarten und im Schleier der Dunkelheit den König zu überraschen. Posten wurden im Waldsaum aufgestellt und das ganze Land ward von verschiedenen Punkten aus beobachtet. Aber Major Marter ward ungeduldig. Er konnte es nicht ertragen, den ganzen Tag unthätig zu liegen. Nach einigen Stunden Wartens ließ er von neuem aufbrechen und weiter nach Nordosten marschieren, um wo möglich den Waldstreifen hinter Molihabantschis Kral zu erreichen. Auf diesem Marsche näherte sich der Trupp allmählich dem Hügel, so daß Pieter Maritz nun vom Walde aus die Hütten deutlich unterscheiden konnte. Endlich aber mußte die Abteilung eine Strecke weit über offenes Land ziehen, und nun bemerkte Pieter Maritz, daß sie vom Krale aus gesehen worden seien. Mehrere schwarze Gestalten zeigten sich, und er glaubte sogar den König selbst an der großen starken Figur zu erkennen. Eilig zogen die Truppen weiter und erreichten den unteren Teil des Waldstreifens, der sich die Höhe hinaufzog. Major Marter ließ halten. Durch offenen Angriff und Schnelligkeit den König zu überrumpeln, war nicht gut möglich, da die Reiter bergan und über den sehr durchschnittenen Boden hin von keiner Seite schnell genug vorwärts kommen konnten. Es war nur möglich, wie es schien, durch Heimlichkeit und Stille den geplanten Angriff auszuführen. Major Marter ließ die Sättel abschnallen und die Säbel abgürten, damit nicht das Klirren der Bügel und eisernen Scheiden gehört würde. Die Reiter mußten auf nackten Pferden und allein mit der Klinge in der Hand weiter vordringen. Zulus eilten vorauf. So stieg der Zug von Nordosten her den Hügel hinan. Unter den ersten von den Reitern, welche aus dem Waldstreifen hervorbrachen und nun auf den nahen Kral zuritten, war Pieter Maritz. Er erblickte den König, der vor den Hütten stand und von einer kleinen Schar seiner Getreuen umgeben war. Die Zulus, welche den Weißen vorauf waren, sprangen auf den König los und schrieen laut: »Der weiße Mann kommt! du bist gefangen!« Tschetschwajo beachtete diese Leute so wenig, als ob sie eine Koppel Hunde gewesen wären, die ihn angekläfft hätten. Er blieb unbeweglich stehen, und mit ihm standen Sirajo und Molihabantschi, wie die andern Begleiter ruhig und schweigend da. Dann, als die Weißen näher kamen, drehte Tschetschwajo sich um und ging mit dem Gefolge in den Kreis der Hütten, wo er dem Blicke Pieter Maritz' entschwand. Aber die Zulus folgten ihm, und als jetzt die Schar der Reiter versammelt und Major Marter selbst zugegen war, ging es in den Kral hinein. Die Zulus zeigten auf die größte der Hütten und bedeuteten die Verfolger, daß der König darin sei. Major Marter stieg ab, mit ihm sprangen mehrere Dragoner vom Pferde, und dann trat der Major vor die Hütte und rief dem König zu, er möge herauskommen und sich ergeben. Pieter Maritz übersetzte diese Aufforderung in die Zulusprache. Da ertönte aus dem Innern der Ruf des Königs: »Nein! kommt ihr herein!« Aber Major Marter bestand auf seinem Verlangen, und nach mehrmaliger Weigerung entschloß sich endlich Tschetschwajo, Gehorsam zu leisten. Er kam hervor. Als er aus der niedrigen Thür kam, mußte er auf Händen und Füßen kriechen, dann aber richtete er sich auf und stand in würdiger, stolzer Haltung und mit ruhiger Fassung da. Er trug einen roten Mantel, ein einfach viereckiges Stück Zeug, welches auf der linken Schulter mit einer Spange zusammengehalten wurde und der römischen Toga ähnlich den riesigen Körper umgab. Sein Blick weilte ruhig auf den Gestalten der englischen Krieger. [Illustration: König Tschetschwajos Ergebung.] Einer der Dragoner trat auf ihn zu und wollte ihn am Arme fassen, aber der König warf den Kopf empor, maß den Mann mit verachtungsvollem Blick, machte mit der linken Hand eine abwehrende Bewegung und sagte: »Weißer Krieger, rühre mich nicht an!« Alsdann wandte er sich zu Pieter Maritz und sagte mit völlig ruhigem Tone: »Sage den Kriegern der Königin von England, sie möchten mich erschießen.« Pieter Maritz übersetzte dies dem Major Marter, und dieser ließ dem König antworten, daß die Engländer nicht daran dächten, ihm ein Leid zu thun, vielmehr nur verlangten, daß der König ihnen folge. »Ist dieser Mann ein Induna? Welchen Rang hat der Befehlshaber dieser Truppen?« fragte der König. Pieter Maritz gab ihm Auskunft. Währenddessen waren nicht nur Major Marters Leute, sondern auch die andern englischen Abteilungen herangekommen, und Lord Gifford selbst erschien. Der Kral und der Hügel füllten sich mit Pferden und Soldaten. Der König ward aufgefordert, den Kral zu verlassen und sich in das englische Lager zu begeben. Sein Benehmen war so stolz, daß die Offiziere voll Verwunderung waren und daß sich gleichsam von selbst Ehrenbezeugungen für ihn bildeten. Als er mit seinem kleinen Gefolge von Indunas und Weibern den Kral verließ, standen die reitenden Schützen und Dragoner zu beiden Seiten in Linie aufmarschiert, und er ging mit sehr langsamem Schritte, den Kopf hoch, durch ihre Reihen hindurch, mit hartem, forschendem Blick die englischen Soldaten betrachtend, als ob er seine eigenen Krieger mustere. Er ragte mit seinem nackten, ganz schmucklosen Kopfe über alle hinweg und schritt an seinem elfenbeinernen Stabe mit der gelassenen Vornehmheit eines Herrschers dahin, dem von seinen Unterthanen die schuldigen Ehren erwiesen werden. Seine ruhige Würde behielt er auf dem ganzen Wege. Er wurde nach Lord Giffords Lager geführt und von dort nach Ulundi. Am 31. August ward die ehemalige Hauptstadt des schwarzen Königs erreicht. Pieter Maritz war in der Begleitung, um als Dolmetscher zu dienen. Vor Ulundi war ein großes englisches Lager, und dort erblickte Pieter Maritz das kluge Gesicht des Oberbefehlshabers Sir Garnet Wolseley. Lord Chelmsford war nach England zurückgekehrt. General Wolseley war begleitet von seinem Stabschef, Sir George Pomeroy Colley, und ordnete mit diesem die Angelegenheiten des Zululandes. Er nahm die Huldigungen der Indunas entgegen und ließ alle Waffen europäischer Art im Lager abliefern. Er ging damit um, das Land in mehrere kleine Fürstentümer zu teilen. Auf General Wolseleys Befehl ward Tschetschwajo in Begleitung eines Dutzends seiner Lieblingsfrauen und einiger Diener nach Port Durnford in Natal geschafft, um von dort zur See nach der Kapstadt gebracht zu werden. Die Indunas seiner Umgebung, auch Sirajo und Molihabantschi, blieben im Lande zurück. Ein Wagen mit acht Maultieren ward zur Verfügung des Königs gestellt, dem lange Märsche zu Fuß zu beschwerlich waren und der auch nicht zu reiten liebte. Eine Eskorte von Dragonern begleitete diesen und zwei andere Wagen, auf welchen die Frauen und Diener fuhren. Pieter Maritz auf Jagers Rücken blieb bei dem Reisezuge bis Port Durnford. Dort, als die schwarze Figur des Königs das schwankende Brett betrat, welches vom Ufer in das Boot führte, sah er den einst so mächtigen Tyrannen zum letztenmal. [Illustration] Sechsundzwanzigstes Kapitel Von Pretoria nach Kimberley Ein kleiner Reitertrupp zog den Weg entlang, der unweit der Stadt Pretoria nordwärts über die Höhenzüge führt. Die Männer waren als Buern zu erkennen, sie trugen den breitkrempigen Hut, die Bluse, die hohen Reiterstiefel und die Büchse nebst Patronengurt. Pieter Maritz befand sich unter ihnen, nun als schlanker, kräftiger Jüngling, denn seit der Beendigung des Zulukrieges waren ein Jahr und zwei Monate vergangen, und der Buernsohn stand in seinem achtzehnten Lebensjahre. Es war ein afrikanischer Dezembermorgen, die Luft klar und warm. Als die Reiter die Höhe erreichten, hielt der vorderste von ihnen sein braunes Pferd an und blickte sich nach allen Seiten um, während auch seine Begleiter Halt machten. Hinter ihnen lag die Stadt mit ihren hellen Gebäuden inmitten tiefdunkler Baumschatten, daneben dehnten sich unübersehbare grüne Weiden aus, welche mit großen Herden bedeckt waren. Im klaren Sonnenschein erschien das Bild ungemein lebhaft und farbreich und es war ein Bild tiefen Friedens. Gemächlich lag das schwere Vieh auf dem saftig grünen Teppich, freundlich sah die Stadt aus, und im herrlichsten Blau spannte sich die weite Himmelsdecke über die Erde aus. Der Reiter, welcher zuerst sein Pferd angehalten hatte, betrachtete schweigend und gedankenvoll die Landschaft und wies dann mit der Hand seitwärts nach einem länglichen Viereck von Zelten, die weiß schimmernd dalagen, sowie nach einem regelmäßig geschnittenen dunklen Stern, der neben dem Zeltlager zu sehen war. Diese Sternfigur, aus deren Mitte eine Fahne an hoher Stange wehte, die in solcher Entfernung nicht größer als eine Briefmarke zu sein schien, zeigte nebst den Zelten die Gegenwart von etwas Fremdem an, das mit dem friedlichen Anblick des schönen Landes nicht in Einklang stand. »Seht dort,« sagte der Reiter mit finsterem Gesicht, »seht das Fort und die Zelte! Ist nicht ihre Gegenwart eine fortdauernde Beleidigung und Drohung für die Republik? Sie mißachten unsere Vorstellungen, sie verhöhnen unsere gerechten Ansprüche. Laßt uns nicht uns selbst täuschen: der Bitte wird das harte englische Herz sich stets verschließen. Wir müssen Gewalt der Gewalt entgegensetzen, erst dann wird man Achtung vor der Gerechtigkeit unserer Sache bekommen.« Beifallsgemurmel war zu vernehmen, und dann antwortete ein anderer der Reiter: »Alle Bürger stimmen Ihnen zu, Herr Krüger, und wir sehen alle ein, daß die Zeit der Verhandlungen vorüber und die Zeit der Thaten gekommen ist. Die Engländer werden mit jedem Tage übermütiger, und seitdem sie die Zulus besiegt haben, betrachten sie ganz Südafrika als ihr Kolonialgebiet. Der Augenblick ist da, wo wir ihnen zeigen müssen, daß wir freie Männer sind. Jetzt haben sie nur eine kleine Truppenzahl im Lande, und wenn sie sich nun unseren Forderungen nicht fügen wollen, so treiben wir sie hinaus.« Der Reitertrupp setzte seinen Weg fort und traf nach einstündigem Ritte auf zwei Männer, die zu Pferde in einem Engpasse hielten. Sie ritten Pferde von kleiner kräftiger Figur und waren in voller kriegerischer Ausrüstung, hatten die Büchse vor sich auf dem Sattel und überwachten, wie es schien, das Land, welches sich vor ihnen ausdehnte. Sie begrüßten ehrfurchtsvoll den kleinen Reitertrupp, der sich ihnen näherte, tauschten einige Worte mit dem Präsidenten Krüger aus und blieben dann auf ihrem Posten, während dieser mit seiner Begleitung weiterritt. Nicht lange nachher öffnete sich ein Thal vor den Blicken der Reiter, und der Schauplatz eines bewegten kriegerischen Treibens lag vor ihnen. Vor allem zeigten sich die hellen Zeltdächer der Buernwagen auf dem grünen Untergrunde der Thalsohle, doch waren die Wagen nicht im Kreise zusammengeschoben, sondern standen reihenweise an verschiedenen Punkten. Zwischen ihnen brannten Feuer, und blauer Rauch kräuselte sich empor, während schwarze Männer und Weiber, mit Zubereitung von Speisen beschäftigt, mit Töpfen und Tiegeln um die Feuer herum hantierten. Viele Pferde waren weidend und mit Leinen an Pflöcke gefesselt zu sehen, und überall gingen oder saßen die Gestalten von Buern umher. Die Erscheinung des Präsidenten Krüger und seiner Begleiter brachte Bewegung in die Ruhe des Lagers, und viele Männer gingen den Ankömmlingen entgegen. Händedruck und grüßende Worte wurden ausgetauscht, und nach und nach versammelten sich alle Buern in einem weiten Kreise um den Präsidenten, der zu Pferde über aller Köpfe hinwegragte. Gegen sechshundert Männer mochten es sein, die im Lager waren. Sie waren von sehr verschiedenem Alter und Aussehen. Viele waren braun oder blond und zeigten im Schnitt ihres Gesichts den Charakter der germanischen Rasse, andere waren dunkelfarbig von Haut und von schwarzen blitzenden Augen. Viele waren schon graubärtig und trugen Haar und Vollbart ungebändigt durch Schere und Kamm, manche aber waren jung und schlank und hatten offenbar Sorgfalt auf die Pflege ihres Äußern verwandt. Alle aber waren von sehr hohem, stattlichem Wuchse, breitschulterig und mit langen starken Gliedern, standen und gingen mit der der Kraft eigentümlichen nachlässigen Ruhe und drückten in ihrer männlichen Erscheinung Selbstvertrauen und Festigkeit aus. Prachtvolle Gestalten gab es unter ihnen, Männer von herkulischem Bau mit stolzen, tapferen Gesichtern, während wenige überhaupt unter sechs Fuß hoch waren; und im ganzen war es eine Schar, wie sie wohl in keinem andern Lande so eigenartig durch kraftvolles, trotzig-kühnes Wesen gesehen werden konnte. Der Anzug war sehr gleichförmig, obwohl immerhin kleinere Verschiedenheiten zu bemerken waren. Alle trugen den breitkrempigen Hut, doch war er hier von anderer Form als dort und zuweilen mit einem Federstutz verziert, auch von verschiedener Güte und Neuheit des Stoffes. Der eine hatte die Krempe niederhangend über einem düsteren Antlitz, der andere hatte sie keck auf der Seite oder vorn aufgeschlagen und auch wohl mit einer Spange befestigt, um das mit zierlich gestutztem Bart geschmückte, scharf geschnittene Gesicht frei zu zeigen. Eine dunkle Bluse oder auch wohl ein ledernes Koller oder eine derbe Tuchjacke, aus welcher der Hemdkragen und ein Halstuch hervorblickten, umschloß die breite Brust, ein lederner Gürtel die Hüften, und die langen starken Beine steckten ausnahmslos in ledernen Hosen und langen Reiterstiefeln, deren Schäfte zuweilen mit Riemen und Schnallen, den Gamaschen gleich, versehen waren. In dem Kreise der Buern war auch der alte Baas van der Goot zu erkennen, und neben ihm standen mehrere andere Männer aus der nördlichen Gemeinde, zu der Pieter Maritz gehörte. Sie hatten ihre Familien, Herden und Häuser verlassen, um dem Rufe des Präsidenten Folge zu leisten. Dieser winkte jetzt mit der Hand, zum Zeichen, daß er reden wollte, und sprach, als Stille entstanden war, mit tiefer voller Stimme: »Meine Freunde, aus euerm Erscheinen ersehe ich eure Bereitwilligkeit, die Politik zu unterstützen, welche mir durch die Lage der Republik geboten erscheint, und ich danke euch im Namen des Staates für euern Eifer. Ich weiß, welche Opfer ihr bringt, indem ihr friedliche lohnende Beschäftigungen verlassen habt, um zu den Waffen zu greifen, aber ich vertraue darauf, daß mit Hilfe des allmächtigen Gottes dies Opfer zu einem Gewinne führen wird, der reichlich für alles entschädigt. Nicht als glaubte ich, daß der Krieg durchaus unvermeidlich wäre. Der Krieg ist ein schreckliches Ding, und namentlich ist der Krieg gegen andere Christen nicht wohlgefällig vor den Augen des Höchsten, wenn er nicht durchaus notwendig ist. Deshalb wird von seiten der Regierung bis zum letzten Augenblicke alles geschehen, um den Frieden zu erhalten. Die Erhaltung des Friedens ist der heißeste Wunsch in meiner und unser aller Brust; sollte aber die Regierung der Königin bis zuletzt für unsere gerechten Forderungen kein Verständnis zeigen, so wollen wir den Krieg mit jener Energie führen, welche die beste Bürgschaft des Erfolgs ist, und wollen dem Feinde zeigen, daß die alte Tapferkeit der Buern, die sich in so manchem Kampfe bewährt und unter der glorreichen Führung des großen Andreas Pretorius zur Errichtung der Südafrikanischen Republik geführt hat, in unseren Herzen nicht erloschen ist.« Der Präsident blickte im Kreise umher, und ein tiefes dröhnendes Beifallsrufen aus den Reihen der starken Männer zeigte ihm, daß er den empfindlichen Nerv der Zuhörerschaft getroffen hatte. »Ihr wißt, meine Freunde,« fuhr er fort, »daß nichts unversucht geblieben ist, die Räte der Königin über die wahre Lage der Dinge aufzuklären und ihnen unsern guten Willen und unsere Friedensliebe zu zeigen. Ich selbst war vor drei Jahren zum erstenmal mit unserem gelehrten und tapferen Freunde und Mitbürger Doktor Jorissen in London und legte persönlich dem Kolonialsekretär Lord Carnarvon unsere Petition vor, in welcher wir gegen den eigenmächtigen und ungesetzlichen Schritt des Sir Theophilus Shepstone protestierten. Aber der Lord erklärte uns, das Ansehen der britischen Krone gestatte nicht, daß die Annexion widerrufen werde. Auch die Adressen und Petitionen aus unseren Mutterländern in Europa, zumal dem Königreich der Niederlande, auch aus dem Oranjefreistaat und der Kapkolonie, hatten keinen Erfolg bei dem stolzen Minister der Königin. Wir kehrten heim und fanden, daß in den treuen edlen Herzen der Bürger von Transvaal wohl der Schmerz über den Mißerfolg unserer Sendung, aber auch der kühne Entschluß zu Thaten lebendig war. Im Jahre 1878 sah sich die britische Regierung in den Kapländern genötigt, strenge Maßregeln gegen die Kundgebungen unseres gerechten Unwillens anzuordnen, und sie legte Garnisonen britischer Truppen in unser freies Land. Noch einmal machten wir uns auf nach England. Im Juli 1878 hatte ich, begleitet von dem ehrenwerten Herrn Jakobus Petrus Joubert, eine Unterredung mit Sir Michael Hicks-Beach, welcher dem Lord Carnarvon im Amte gefolgt war. Wir überreichten einen Protest gegen die Annexion, der von 6591 Unterschriften bedeckt war, Namen von ehrenhaften, wackeren, frommen Männern, die ihr Vaterland liebten und den Frieden zu erhalten wünschten.« Wiederum erscholl der Beifallsruf aus den rauhen Buernkehlen. »Was antwortete der Kolonialsekretär?« fuhr der Präsident fort. »Sir Michael Hicks-Beach erging sich in den leeren Ausflüchten und hochmütigen Phrasen, welche immer dem Unterdrücker zu Gebote stehen, der die hell leuchtende gerechte Sache dessen, den er für schwach hält, nicht sehen mag. Ihr wißt alle, meine Freunde, welcher Schmerz jedes treue Bürgerherz ergriff, als uns diese höhnische Abfertigung wurde. Schon damals griffen die Fäuste tapferer Männer zu den Waffen, und leise scholl der Ruf durch das Land: Laßt uns die frechen Eindringlinge hinauswerfen! Aber die Klugheit und der recht verstandene Patriotismus geboten Geduld. Denn gerade zu jener Zeit war Schiff nach Schiff auf dem Meere, um englische Truppen zum Kriege gegen Tschetschwajo herüberzubringen, und die Übermacht der Söldner hätte vielleicht den Heldenmut der für ihr Vaterland kämpfenden Patrioten im Blute erstickt. Aber jetzt ist jene Truppenmacht wieder heimgekehrt, und nur eine geringe militärische Macht steht dem Befehlshaber in Natal und dem Gouverneur Lanyon bei Pretoria zu Gebote. Jetzt ist es Zeit, unsere Ansprüche zu erneuern. Vielleicht ist jetzt die englische Regierung bereit, der Gerechtigkeit Gehör zu geben, und dann wird unter Gottes Gnade Frieden bleiben; aber wenn wir wiederum zurückgewiesen werden, müssen die Waffen entscheiden. Euch, meine Freunde, habe ich hierher berufen, um für den Fall der Not zur Hand zu sein. Es wäre nicht klug, den Engländern zu drohen, ohne sofort der Drohung den Schlag folgen lassen zu können. Ihr sollt in der Nähe von Pretoria im geheimen bereit stehen und sofort mit starker Hand auf die englische Garnison bei unserer Hauptstadt schlagen, wenn unser letzter Vorschlag zurückgewiesen werden sollte. Tausende unserer Mitbürger werden euch folgen, sobald der Krieg entbrannt sein wird.« Die Buern riefen laut und schwenkten ihre Hüte in der Luft. »Mit eurer Zustimmung, meine teueren Mitbürger,« fuhr der Präsident von neuem fort, »ist eine Regierung ins Leben getreten, welche in dieser schwierigen Lage des Vaterlandes energisch handeln soll. Sie besteht, außer mir als Präsidenten, aus den Herren Pretorius und Joubert. Diese Regierung wird am morgigen Tage offen als Regierung der Südafrikanischen Republik hervortreten und an die englische Regierung die Forderung richten, die Konvention von 1852, welche mit England abgeschlossen wurde, wiederherzustellen. Transvaal soll ein freies Land sein, welches sich selbst regiert, und kein Fremder soll sich in seine Angelegenheiten, namentlich nicht in das Verhältnis zwischen Buern und Kaffern, hineinmischen. Die große Friedensliebe jedoch, welche uns alle beseelt, veranlaßt uns, der englischen Regierung die Annahme unserer Bedingungen dadurch zu erleichtern, daß wir alle während der Annexion vorgenommenen öffentlichen Akte gutheißen und einem britischen Konsul die Residenz in unserem Lande gestatten. Wir wollen keinen Bruch mit England, wir wünschen vielmehr ein Bündnis mit diesem christlichen mächtigen Staate. Nur nicht Englands Sklaven wollen wir sein; eher bis zum letzten Manne kämpfen!« Der Präsident rief diese letzten Worte mit lauterer Stimme und hoch erhobener Hand, und brausender Beifallsruf folgte dem Schluß seiner Rede. Die Buern umdrängten ihn und seine Begleiter, und die Versicherungen ihres vollen Vertrauens in seine Leitung der Angelegenheiten mischten sich mit den Beteuerungen, im Kampfe ausharren zu wollen, bis das von allen ersehnte Ziel der Befreiung des Vaterlandes erreicht worden sei. Nachdem diese Scene stürmischer Begeisterung vorüber war, trat der Präsident mit den angesehensten Führern in eine Beratung der etwa notwendig werdenden kriegerischen Maßregeln ein und rief alsdann Pieter Maritz zu sich, der unter den Ältesten seiner Gemeinde stand. »Pieter Maritz,« sagte er zu dem jungen Mann, der alsbald vor ihn trat, »Sie haben der Republik gute Dienste geleistet, und ich spreche Ihnen für den Eifer und die Geschicklichkeit, die Sie bewiesen haben, meine volle Anerkennung aus. Ich höre von verschiedenen Seiten Ihren Namen lobend erwähnen, und es ist Ihren Bemühungen mit zu verdanken, daß überall im Lande die Politik der Regierung bekannt ist und alle Bürger der Republik sich rüsten, beim ersten Aufbruch bewaffnet herbeizueilen. Monatelang haben Sie das Gebiet des Transvaallandes durchritten und die Gemeinden auf den entscheidenden Schritt vorbereitet, den wir thun wollen. Aber noch ist das Werk nicht vollendet, und ich muß Ihre Thätigkeit in derselben Weise wie bisher in Anspruch nehmen. Es ist, wie Sie wissen, wichtig für Transvaal, daß auch die Landsleute in den andern Gebieten Südafrikas, namentlich im Oranjefreistaat, Partei nehmen. Unsere Bemühungen, den Präsidenten Brand zu einem Bündnis zu bewegen, sind freilich gescheitert, denn der Oranjefreistaat ist nicht gleich uns dem Drucke unterworfen, und der Präsident mag hoffen, auch in Zukunft seine Selbständigkeit behaupten zu können. Sicherlich sind die Sympathien der Buern im Oranjefreistaat für uns. Dies müssen wir benutzen. Wir müssen versuchen, die Bürger zu thätiger Teilnahme am Kriege zu bewegen. Schon sind mehrere Abgesandte von uns auf der Reise, um die Buern südlich des Vaalflusses über die Bedeutung des bevorstehenden Krieges zu belehren, und Sie, Pieter Maritz, sollen dieselbe Aufgabe vollführen. Der Weg, den Sie zu nehmen und die Gemeinden und Ortschaften, welche Sie zu besuchen haben, soll Ihnen schriftlich vorgezeichnet werden, und Sie werden eine Anzahl von Druckschriften erhalten, welche Sie verteilen sollen. Dieselben enthalten eine Darlegung der politischen Lage und der Ziele der Buern. Außerdem aber muß Ihre persönliche Überredung wirken. Sagen Sie den Buern im Oranjefreistaat, daß die Buern in Transvaal ihre Brüder sind und für die Freiheit des ganzen Stammes kämpfen. Sagen Sie ihnen, daß bei uns schon die bewaffneten Corps völlig bereit stehen, um zuzuschlagen. Sagen Sie ihnen, daß jeder Mann, der seine Büchse ergreift, um an unserer Seite zu stehen, für die Zukunft des eigenen Herdes kämpft. Denn die Engländer unterdrücken nach und nach jedes Volk, und sie kennen selbst nicht die Dankbarkeit gegen Bundesgenossen. So haben sie jetzt ihre Truppen im Basutolande liegen und führen einen schändlichen, ungerechten Krieg gegen die Basutos, welche ihnen im Zulukriege geholfen haben. Machen Sie unsere Landsleute drüben auf diesen Punkt besonders aufmerksam. Wo aber die Leute Bedenken haben und Ihnen etwa entgegnen, daß wir viel zu schwach wären, um gegen England Krieg zu führen, da seien Sie klug, mein junger Freund. Antworten Sie, daß England freilich ungeheuer mächtig ist, daß ihm der Preis des Sieges aber zu hoch ist, um ihn dafür zu erkaufen, und daß wir in unseren Bedingungen den Engländern schon die goldene Brücke des Rückzugs gebaut haben. Sollte aber diese Klugheit vergeblich sein -- nun, so wisse der Buer für die Freiheit zu sterben!« Pieter Maritz übernahm gehorsam den Auftrag, den ihm der Präsident gegeben, und tags darauf ritt er von Pretoria aus nach Süden, um in das Gebiet des Oranjefreistaats zu gelangen. Er ritt auf dem ihm wohlbekannten Wege nach Heidelberg, und er war voll Stolz auf das Vertrauen, welches die besten Männer seines Vaterlandes auf ihn setzten, und voll freudiger Hoffnung für die Zukunft seines Volkes. Er war noch etwa eine Meile von Heidelberg entfernt, als er auf der Straße vor sich das Glänzen von Waffen bemerkte und bald darauf die Uniform der Dragoner erkannte. Einen Augenblick dachte er, es sei ratsam, der Patrouille nicht zu begegnen, sondern seitwärts die Flucht zu ergreifen. Denn er war sich bewußt, mit einer Sendung betraut zu sein, die den Engländern feindlich war. Aber dann sagte er sich, daß noch Frieden herrsche und daß er keinen Grund habe, seine Reise durch einen Umweg zu verzögern, auch wohl nicht klug handle, durch Flucht sich verdächtig zu machen und etwa eine Verfolgung hinter sich her zu locken. So ritt er denn ruhig weiter und ward, als er nahe an die Dragonerschar herankam, angenehm überrascht, indem er seinen Freund, Lord Adolphus Fitzherbert, erkannte, den er seit einem Jahre nicht gesehen hatte. Aber der englische Offizier machte kein erfreutes Gesicht, als er Pieter Maritz sah und auf seinen Wink ritt sogleich ein Sergeant an Jagers Seite und ergriff die Zügel des Pferdes. »Sie sind mein Gefangener!« rief der Lord. »Sergeant, lassen Sie sich die Waffen des Gefangenen geben!« Pieter Maritz ward durch diese unerwartete Begrüßung sehr bestürzt, und im ersten Augenblick zog er unwillkürlich den Zügel an, um Jager herumzuwerfen, und wollte die Schenkel andrücken, um davonzujagen. Aber er sah, daß es schon zu spät war und wandte sich, während er Büchse und Schwert dem Unteroffizier überreichte, mit stolzer Gebärde an den englischen Offizier und fragte ihn, was dieser Überfall zu bedeuten habe. »Wollen Sie mir Ihr Ehrenwort geben, keinen Fluchtversuch zu machen?« fragte der Lord. »Ich sage Ihnen vorher, daß ich Ihnen Ihr Pferd nehmen lassen muß, wenn Sie es verweigern.« »Ich werde keinen Fluchtversuch machen, so lange ich bei Ihnen bin,« entgegnete Pieter Maritz, der eine besondere Bewegung in den Zügen seines Freundes las. »Nun denn,« sagte dieser, »Sergeant, lassen Sie den Zügel los!« Der Unteroffizier gehorchte, und Pieter Maritz ritt waffenlos neben dem Lord dem Dragonertrupp voran, welcher kehrt gemacht hatte, um nach Heidelberg zurückzukehren. »Ach, Pieter Maritz, mein lieber Freund,« sagte der Lord jetzt, als er mit dem Buernsohne voraus war, so daß die Dragoner ihr Gespräch nicht hören konnten, »ach, wie unglücklich fügt es sich, daß ich dir begegnen mußte!« Pieter Maritz war so betroffen durch die Plötzlichkeit des Ereignisses, daß er seinen Freund nur fragend ansehen konnte. Seine Gefangennahme und Entwaffnung hatten sich so schnell vollzogen und waren ihm so überraschend, der Umsturz aller Verhältnisse vom Guten in das Böse waren so jäh, daß ihm alles wie ein Traum vorkam. »Hätte ich nur gewußt, daß du dieses Weges kommen würdest,« fuhr der Lord in seinen Klagen fort, »so hätte ich eine andere Richtung genommen. Aber du rittest mir geradeswegs entgegen, so daß gar keine Möglichkeit war, diese Sache zu umgehen. Ach, Pieter Maritz, so lange sind wir Freunde gewesen, Seite an Seite haben wir manchen Tag geritten und gekämpft, und nun muß ich das Werkzeug deines Unglücks werden!« »Aber warum,« fragte Pieter Maritz, »warum mußtest du mich gefangen nehmen? Sind wir nicht im Frieden? Ist die Straße nicht frei für jedermann?« Lord Adolphus schüttelte den Kopf. »Unglückselige Ereignisse sind im Werke,« sagte er, »und du weißt das so gut wie ich. Die englische Regierung hat Nachricht erhalten, daß die Buern einen Aufstand vorbereiten, und ...« »Einen Aufstand!« rief Pieter Maritz. »Wie kann man von einem Aufstande bei einem freien Volke sprechen!« »Nenne es, wie du willst, genug, wir wissen, daß die Transvaalbuern im Begriff sind, sich gegen unsere Herrschaft zu erheben. Wir haben gewisse Kenntnis davon erhalten, daß das Land nach allen Richtungen hin von Boten durchstreift wird, welche die Bevölkerung zu den Waffen rufen. Seit gestern haben wir Befehl, überall nach diesen Leuten zu suchen, um sie aufzugreifen. Mehrere Namen sind uns mitgeteilt worden, und unter diesen ist der deinige, Pieter Maritz, einer der ersten.« Pieter Maritz biß die Zähne zusammen und blickte finster vor sich hin. »Nun will ich nur hoffen, daß du nicht aufrührerische Schriften bei dir hast,« sagte der Offizier. »Denn sonst kann es dir an Kopf und Kragen gehen.« »Ich weiß nicht, was die Engländer aufrührerische Schriften nennen,« entgegnete Pieter Maritz. »Ich habe eine Anzahl von gedruckten Proklamationen bei mir, welche das Volk über die gerechten Forderungen der Südafrikanischen Republik aufklären. Hat unsere Regierung nicht das Recht, den Buern solche Aufklärungen zu geben? Wir verlangen nichts als die Anerkennung unseres mit England vor dreißig Jahren abgeschlossenen Vertrages.« »Liefere du mir diese Schriften aus,« sagte der Offizier. »Es ist besser, du giebst sie mir, als daß du im Hauptquartier untersucht wirst.« Pieter Maritz öffnete den Mantelsack und übergab dem Lord das Paket der Druckschriften, die er im Oranjefreistaat hatte verteilen sollen. Der Lord nahm es mit einem Seufzer in Empfang und sah den Freund mit traurigem, mitleidigem Blicke an. »Ach, warum mußtest du so etwas thun?« sagte er vorwurfsvoll. »Hast du nicht unter britischer Fahne gefochten und das Viktoriakreuz erhalten? Und ein so kühner Kämpfer ließ sich auf eine Bauernrevolte ein! O, daß der Dienst mich zwingt, meinen Freund ins Unglück zu stürzen!« »Ich kenne den Dienst und weiß, daß du gezwungen bist, mich gefangen zu nehmen,« entgegnete Pieter Maritz. »Aber ich bin stolz darauf, für die Sache meines Vaterlandes zu leiden. Ich bin darauf viel stolzer als auf das Viktoriakreuz. Denn das sollst du nur wissen, Adolphus, ich kämpfte in den Reihen der Engländer nicht für England, das uns unterdrückt, sondern nur, um den Krieg kennen zu lernen und zu sehen, wie englische Soldaten fechten. Was ich bei euch gelernt habe, das will ich im Dienste meines Vaterlandes anwenden. Als mein Vater in meinen Armen starb, da sagte er mir, daß England unser einziger Feind sei, und er hinterließ mir als sein Vermächtnis den Haß auf unsere Unterdrücker. Wir wollen ein freies Volk sein und bleiben, und wir wollen das englische Joch abschütteln. Du nennst das eine Bauernrevolte, aber du sollst sehen, Adolphus, daß es etwas ganz anderes ist, und ich beklage nur das eine, daß ich als Gefangener nicht teilnehmen kann an dem Kampfe, den wir gegen euch führen werden.« »Welch eine Verblendung!« rief der Offizier. »Arme Buern, wie könnt ihr gegen uns kämpfen? Es thut mir leid um dich, Pieter Maritz, und es thut mir leid um das Buernland. Aber hat man denn in Pretoria nur gar kein Verständnis für die wahre Sachlage? Denkt ihr, weil jetzt nur wenige kleine Garnisonen im Lande liegen, unsere Macht wäre erschöpft, wenn ihr diese vielleicht besiegen solltet? Ich sage dir, Pieter Maritz, dies Unternehmen ist ein reiner Wahnsinn.« »Du hast eine geringe Meinung von den Buern,« entgegnete Pieter Maritz. »Ich bin jetzt fast drei Jahre in Südafrika,« sagte der Offizier, »und glaube manches gelernt zu haben. Als wir uns zuerst trafen, Pieter Maritz, da wußte ich noch nichts vom Lande und hatte wirklich eine sehr geringe Meinung von den Buern. Jetzt habe ich gesehen, was es für Leute sind, und ich müßte sehr wenig Nutzen aus der Freundschaft mit dir gezogen haben, wenn ich noch nicht wüßte, welche ausgezeichnete Reiter und Schützen sie sind. Habe ich doch im Feldzuge gegen die Zulus gesehen, welche vortreffliche Soldaten als Vorposten und in allem Sicherungsdienst die Buernreiter sind. Aber um Krieg gegen uns zu führen, dazu gehört denn doch noch mehr. Mache dir keine falschen Hoffnungen, mein bester Freund! Die Buern haben ja nicht einmal Artillerie. Ihr werdet anfangen, unsere Garnisonen zu belagern, aber könnt nicht einmal ein einziges Fort erobern. Währenddessen kommt General Colley heran und zieht mit seiner kleinen Armee quer durch euer Land, wo er nur will, und je tapferer ihr euch schlagt, desto größer sind eure Verluste. Aber selbst wenn ihr euch gegen ihn verteidigen könntet -- was wollt ihr machen, wenn Verstärkungen von England kommen? Es ist ja ganz unmöglich, daß ein kleines Land mit vereinzelt wohnenden Farmern gegen England mit Erfolg Krieg führen könnte. Ich kann gar nicht beschreiben, wie leid mir das thut, daß es so hat kommen müssen, und daß ich dir, lieber Freund, die Waffen habe abfordern und dich gefangen nehmen müssen!« Pieter Maritz reichte dem Engländer die Hand, welche dieser ergriff und herzlich drückte. »Ich danke dir für deine freundliche Gesinnung, lieber Adolphus,« sagte er. »Über das Schicksal des Krieges wird Gott entscheiden. Und ich bitte dich nun noch um eine Gefälligkeit.« »Jeden Dienst, den die Pflicht mir nicht verbietet, werde ich dir erweisen,« sagte der Lord. »Wenn ich als Gefangener behandelt werde,« bat Pieter Maritz, »so schicke mein Pferd, meine Büchse und den Degen, den du mir einst geschenkt hast, nach Pretoria an die Adresse, welche ich dir aufschreiben werde.« Der Lord versprach es, und dann ritten die beiden Freunde lange schweigend nebeneinander her, denn sie waren ein jeder mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt, und die Ereignisse hatten eine Scheidewand zwischen ihnen aufgerichtet, welche den früheren unbefangenen Ton nicht wieder in der Unterhaltung aufkommen ließ. Als sie Heidelberg erreichten, wo eine Schwadron Dragoner und eine Kompanie nebst zwei Geschützen das Fort besetzt hielten, ward Pieter Maritz alsbald vor den ältesten Offizier geführt, und Lord Adolphus Fitzherbert stattete seine Meldung ab. Pieter Maritz hatte es der Fürsprache seines Freundes zu verdanken, daß er gut behandelt wurde, aber die Schriften, welche er bei sich geführt hatte, und die Nachrichten, welche bei den englischen Behörden über seine Thätigkeit eingelaufen waren, hatten doch zur Folge, daß er als Gefangener festgehalten wurde. Er sollte am Tage darauf mit noch einem andern Buern, der von einer Patrouille aufgegriffen worden war, nach Potschefstroom gebracht werden, wo Oberst Winslow befehligte. Traurig empfahl er nun Jager und seine Waffen dem Freunde und nahm Abschied von ihm. Dann wurde er in einem steinernen Hause, vor dem eine Schildwache stand, mit dem Landsmann eingeschlossen. Für Pieter Maritz war es ein großer Trost, in seinen traurigen Betrachtungen jetzt nicht allein zu sein, sondern seine Gedanken mit einem Genossen seines Schicksals austauschen zu können. Wie sehr hatte die frohe Begeisterung, welche er im Gedanken an einen Befreiungskrieg geknüpft hatte, einer niederdrückenden Stimmung Platz gemacht! Er hatte sich schon im Geiste inmitten des Heeres seiner Landsleute den Engländern siegreich gegenüber gesehen, und nun war er Gefangener in einem englischen Gefängnis, und welche Aussicht bot die Zukunft! Auch machte er sich Vorwürfe über seine eigene Unvorsichtigkeit. Hätte er doch gleich beim ersten Anblick der Dragoner die Flucht ergriffen! Er sprach über alle diese Dinge mit seinem Schicksalsgefährten, einem älteren Manne, der sein Los mit trotziger Ruhe ertrug. Dieser Buer hatte Weib und Kind, Haus und Herde verlassen, um dem Vaterlande zu dienen, und in seinem markigen Antlitz und der Haltung seines mächtigen Körpers lag der Entschluß ausgeprägt, Glück oder Unglück mit derselben Fassung zu ertragen. Er saß, mit der Pfeife im Munde, am Tische, den Kopf auf die Hand gestützt, und antwortete nur mit spärlichen Worten oder einem Kopfnicken auf die Klagen seines lebhafteren jüngeren Genossen. Am folgenden Morgen fuhr ein kleiner offener, mit vier Pferden bespannter Wagen vor dem Hause vor, und die Gefangenen wurden aufgefordert, sich hineinzusetzen. Zwei Polizeileute, mit Seitengewehr und Revolver bewaffnet, setzten sich zu ihnen und fesselten den Gefangenen die Handgelenke mit Handschellen. Dann stieg ein Buer von englischer Abstammung auf den Bock und trieb die Pferde an. Mit großer Schnelligkeit ging die Fahrt nach Westen, auf der Landstraße nach Potschefstroom. Die Polizeileute hielten strenge Aufsicht über ihre Gefangenen. Sie zeigten ihnen die Revolver und erklärten ihnen, daß sie beim ersten Fluchtversuch Gebrauch davon machen würden. Wenn unterwegs an Wirtshäusern Halt gemacht wurde, um den Pferden Ruhe zu gönnen und sie zu füttern und zu tränken, so wurden den Gefangenen zwar die Fesseln abgenommen, damit sie essen und trinken konnten, aber dann blieb doch immer ein Polizeimann, den Revolver in der Hand, bei ihnen. Pieter Maritz dachte an seine Reise mit dem lachlustigen Unteroffizier zu Anfang des Zulukrieges zurück, wo er ebenfalls Gefangener gewesen war. Wie schlimm unterschied sich diese Reise von der früheren! Wieviel hübscher war es damals gewesen, auf Jagers Rücken, wie lustig im Vergleich zu heute! Er fühlte sich schrecklich gedemütigt durch die Fesseln, und die ganze Welt erschien ihm schwarz. Drei Tage lang waren sie unterwegs, und bergauf, bergab rollte der Wagen durch das hügelreiche Land im Süden des Transvaalstaates. Sehnsüchtig schweifte der Blick der Gefangenen umher, ob nicht etwa eine Hilfe komme. Sie wußten, daß die Buern vielerorts im Lande sich versammelten, um in bewaffneten Haufen nach der Hauptstadt und der südöstlichen Grenze zu ziehen. Wenn doch nur eine dieser Scharen ihnen hätte begegnen und sie befreien wollen! Aber es war nichts von Waffen zu sehen, das Land schien ganz friedlich zu sein, und die Buern, welche sie auf dem Wege trafen, fuhren ruhig mit ihren Ochsenwagen und achteten wenig auf den Gefangenentransport. Die Polizeileute hielten abends in kleinen Ortschaften an, wo sie bekannt waren, und übernachteten bei Farmern, welche es mit der englischen Herrschaft hielten. Denn manche Buern, namentlich im Süden, waren von englischem Blute und standen den Wünschen und Bestrebungen der Masse des Volkes gleichgültig oder feindlich gegenüber, so daß die Engländer eine Partei für sich hatten und eine Kette von Verbindungen an den wichtigsten Straßen besaßen. Beständig dachte Pieter Maritz an Flucht, aber keine Gelegenheit dazu wollte sich zeigen. Potschefstroom, die frühere Hauptstadt von Transvaal, hatte ebenfalls ein Fort und eine kleine militärische Besatzung, und die Gefangenen wurden sogleich nach ihrer Ankunft vor den Kommandierenden, Oberst Winslow, geführt. Es machte Pieter Maritz den Eindruck, als ob die englischen Militärs in Potschefstroom sich in großer Aufregung befänden. Im Fort war ein eifriges Kommen und Gehen von Boten und Patrouillen, und ernste, besorgte Mienen zeigten sich. Die Erhebung der Buern übte ihren Druck auf die auf einsamen Posten in dem ausgedehnten Lande stehenden Truppen aus, obwohl noch immer Friede war und nur von Ansammlungen der Buern gesprochen wurde. So wenigstens ergab es sich aus dem Verhör, welches von Oberst Winslow im Beisein anderer Offiziere mit den Gefangenen angestellt wurde. Der Oberst war sehr heftig und fuhr sie hart an. »Wißt ihr nicht, daß ihr Aufrührer seid?« rief er. »Was wollt ihr Buern? Gesteht die Pläne ein, die ihr verfolgt, legt ein offenes Geständnis ab, oder ich lasse euch morgen erschießen.« Der ältere Buer schwieg und stand in seiner trotzigen Haltung unbeweglich da, Pieter Maritz aber verteidigte sich voller Empörung. »Wir haben nichts gethan, was unsere Gefangennahme verdiente,« rief er. »Wir haben mitten im Frieden eine friedliche Proklamation des Präsidenten ...« »Des Präsidenten!« rief der Oberst, ihn unterbrechend. »Es giebt keinen Präsidenten von Transvaal, und schon die Nennung dieses Namens ist Empörung. Es giebt einen Gouverneur von Transvaal, und das ist Sir Robert Lanyon in Pretoria. Über ihm steht der Generalgouverneur der Kapländer, der in der Kapstadt residiert, als Vertreter Ihrer Majestät der Königin. Aber wer von einem Präsidenten von Transvaal spricht, der ist ein Aufrührer. Ich wiederhole euch: es giebt für euch nur ein einziges Mittel, Verzeihung zu erlangen und euer Leben zu behalten, das ist ein offenes Geständnis. Gebt offen an, welche Pläne die sogenannte Regierung der Republik verfolgt, gesteht ein, ob sie Truppen versammelt hat und wo sich diese befinden, dann soll euch verziehen werden. Sonst lasse ich euch erschießen. Und bedenkt, daß ihr eurem Vaterlande selbst den größten Dienst damit erweist, daß ihr gesteht. Denn wenn diese Empörung im Keime erstickt werden kann, so wird viel Unglück verhütet.« »Sie können uns erschießen lassen, Herr Oberst, aber dann wird es ein Mord sein,« entgegnete Pieter Maritz. »Die Regierung von Transvaal besteht zu Recht, denn sie ist von den Bürgern des Landes erwählt und einer Verfassung gemäß, die von England selbst vor dreißig Jahren anerkannt wurde. England hat die Verträge gebrochen, die es mit der Republik abgeschlossen hat, und die militärische Besetzung und Annexion des Gebietes der Südafrikanischen Republik ist ein Akt der Gewalt. Wir fürchten nicht, erschossen zu werden, unser Blut wird von unsern Landsleuten gerächt werden.« Diese kühne Entgegnung verfehlte ihren Eindruck auf die englischen Offiziere nicht, die Furchtlosigkeit, mit welcher beide Buern auftraten, imponierte ihnen. Sie wußten recht wohl, daß sie mit ihrer schwachen Mannschaft für den Augenblick einem allgemeinen Aufstande der Buern gegenüber machtlos und inmitten der Buernbevölkerung von Potschefstroom so gut wie gefangen waren. Die Drohung des Obersten, seine Gefangenen erschießen zu lassen, war nur darauf berechnet gewesen, sie einzuschüchtern, denn eine solche Handlung hätte leicht das Zeichen zur Erhebung des Volkes geben können. Der Oberst besprach sich leise mit den übrigen Offizieren und dann erklärte er den Gefangenen, sie sollten zum Generalgouverneur selbst nach der Kapstadt gebracht werden. Hierauf wurden beide abgeführt und in einem der Gebäude, die der Garnison des Forts gehörten, eingeschlossen und bewacht. In der Frühe des folgenden Morgens, ehe noch die Sonne aufgegangen war, wurden sie von neuem in den Wagen gebracht und von den Polizeileuten weggeführt. Der Weg ging längs der Grenze des Oranjefreistaats auf dem Gebiete von Transvaal nach Südwesten. Acht Tage lang waren sie unterwegs, dann überschritten sie die Grenze und kamen nach Griqualand-West. Sie erreichten die Stadt Kimberley. Die Stadt erschien Pieter Maritz unähnlich allen übrigen Städten, die er bisher gesehen hatte. Sie war sehr viel größer als Potschefstroom und Pretoria und machte einen eigentümlich düsteren Eindruck, da fast sämtliche Häuser aus galvanisiertem Eisenblech erbaut waren. Nur sehr wenig steinerne Häuser standen dazwischen. Nichts als Sand und Eisenblech, wohin das Auge auch sah. Der Wagen rollte durch viele Straßen hin, und einige derselben waren sehr eng und krumm, andere dagegen ungeheuer breit. Die Häuser waren meistens nur ein Stockwerk hoch und sahen alle sehr traurig aus, da sie nicht angestrichen waren, sondern überall das bloße Eisenblech zu sehen war. Doch gab es sehr viele Läden und Magazine, und diese waren aufgestapelt voll von Vorräten, namentlich von Spirituosen. Viel Volk trieb sich umher, weiße Arbeiter und noch viel mehr Kaffern; alle sahen elend, schleichend, widerwärtig aus. Mit einem Male ward Pieter Maritz durch einen sonderbaren Anblick überrascht. Der Wagen kam auf einen freien Platz, wandte links zur Seite an den Häusern hin, und nun zeigte sich rechts, inmitten der Stadt, ein ungeheurer Abgrund. Pieter Maritz sah einen Schlund, der wohl sechshundert Meter im Umfang hatte und so tief war, daß die Menschen, die er dort unten erblickte, kaum so groß wie die kleinsten Ameisen erschienen. Von den Rändern der Grube führten viele Eisendrähte nach unten, wurden auf halbem Wege von hohen Strebepfeilern gestützt und liefen dann weiter bis auf die Sohle des Abgrunds. Sie sahen einem schräg liegenden Spinngewebe ähnlich. Viele eiserne Kasten liefen auf Rädern die Drähte hinab und hinauf und kreischten und rasselten. Sie trugen Erde und Steine von unten empor und fuhren dann leer wieder hinab: dies Loch war eine der Minen von Kimberley, eine Diamantengrube. »Ich habe hier früher gewohnt,« sagte jetzt der schweigsame Buer, der neben Pieter Maritz saß. »Als aber die Engländer kamen und ihre Polizei einführten, da bin ich getreckt. Sie nahmen uns alles weg, denn wo es etwas zu verdienen giebt, da sind sofort die Engländer da. Es hat sich sehr verändert, seit ich hier wohnte.« »Wie lange ist das her?« fragte Pieter Maritz. »Die Engländer annektierten das Land im Jahre 1868,« erzählte der Buer, »und 1869 zog ich weg. Damals wurde hier ein Wort üblich, das viele wegtrieb. Das Wort hieß ‚Eidibi‛, von den Anfangsbuchstaben des ‚~Illicit diamond buying~‛, das heißt: ‚Unerlaubter Diamantenkauf.‛ Eidibi klang vielen schrecklich in den Ohren, denn die Engländer verurteilten die Leute, bei denen Diamanten gefunden wurden, die nicht in den Regierungsbüchern standen, zu fünf bis zehn Jahren Zwangsarbeit oder Zuchthaus. Was mich betrifft, so hatte ich damit freilich nichts zu thun, denn ich bewirtschaftete meine Farm und treckte nur deshalb, weil ich das Polizeiwesen nicht vertragen konnte und weil das Land doch freies Buernland gewesen war.« »Wie konnten denn aber alle Diamanten in den Regierungsbüchern stehen?« fragte Pieter Maritz. »Das ist so: Die Regierung teilte das Land, wo es ‚blauen Grund‛ gab, -- und Diamanten giebt es nur im blauen Grunde, -- in kleine Claims, das waren Grundstücke von dreißig Fuß im Geviert, und der Besitzer hatte nun mit Schaufel und Picke da hineinzuarbeiten. Es ist eine böse Arbeit. Der blaue Grund muß herausgegraben und dann so oft gewaschen und gesiebt werden, bis nur der tausendste Teil davon noch übrig ist. In diesem kleinen Rest sind die Diamanten, und der Besitzer muß sie alle der Behörde zeigen, wo sie notiert und genau beschrieben werden. So bekommt jeder Diamant seinen Stammbaum. Aber die Kaffern, die in den Claims arbeiten, stehlen wie die Raben. Sie werden zwar, wenn sie aus den Gruben kommen, nackt ausgezogen, und ihre Kleider, ihr Haar, ihre Ohren und ihre Mäuler werden genau untersucht, aber die Spitzbuben schlucken manchen Stein hinunter. Auf diese gestohlenen Steine sind nun viele Leute sehr erpicht, denn sie sind billiger zu haben als die, welche mit einem Stammbaum in den Handel kommen, und mancher denkt, er könnte durchschlüpfen und reich werden. Da war einer, der war schon mit sieben Pfund Diamanten an Bord des Schiffes in der Kapstadt, als ihn die Polizei noch abfaßte. Deshalb war Eidibi ein Schreckenswort in Kimberley. Die Engländer konnten die Diebe selten fassen, und sie bestraften den unerlaubten Diamantenkauf.« Währenddessen war der Wagen vor einem zweistöckigen Backsteinhause mit vergitterten Fenstern angekommen und die Polizeibeamten ließen halten. Die Gefangenen mußten aussteigen. Sie waren vor einem richtigen Gefängnis angelangt, das nach englischer Art eingerichtet und verwahrt war. Denn Kimberley verlangte mit seiner Menge von geldgierigen, verbrecherischen Leuten, von Dieben und Hehlern und allerhand Gaunern ein ordentliches Gefängnis und eine starke Polizei. Trüben Sinnes trat Pieter Maritz in das große steinerne Gebäude ein und hörte die schwere eisenbeschlagene Thür hinter sich zuschlagen. [Illustration] [Illustration] Siebenundzwanzigstes Kapitel Von Kimberley nach Bloemfontein Pieter Maritz wurde mit seinem Schicksalsgenossen zusammen in ein und dasselbe Zimmer gesperrt, sie erhielten zu essen und wurden eingeschlossen. Die Einrichtung dieses Gemaches und Hauses machte einen trüben Eindruck auf den an die Freiheit und die lebendige Natur gewöhnten Buernsohn. Alles trug den Stempel wirklicher Gefangenschaft. Denn vorher schon war er freilich gefangen gewesen, und er hatte schon einmal den Druck englischer Behandlung in Utrecht verspürt, aber bis jetzt war er doch immer in Häusern gewesen, die Ähnlichkeit mit den Farmhäusern seiner Heimat hatten, und die Luft der Wiesen und Berge hatte ihn umweht. Aber hier war alles Stein und Eisen. Der Fußboden bestand aus Tafeln von Eisenblech, die schuppenförmig übereinander genagelt waren, ebenso war die Decke beschaffen, die Wände aber waren von Ziegelsteinen und mit Kalk beworfen. Starke Eisengitter waren vor dem Fenster, und draußen schallte der Schritt einer hin und her gehenden Schildwache. Das Mobiliar bestand aus einem Tische, zwei Bänken, die an der Wand befestigt und zum Niederklappen eingerichtet waren, und zwei Schemeln. Ein Trost lag für die Gefangenen noch darin, daß sie zusammen waren und sich unterhalten konnten; aber auch dieser Trost sollte ihnen genommen werden. Gegen Abend kam ein Gefängniswärter herein, der eine Matratze trug. Er klappte die eine Bank herunter, legte die Matratze darauf, um in dieser Weise ein Nachtlager herzustellen, und befahl dem älteren Buer, ihm zu folgen. Auf dessen Bitte, ihn dort zu lassen, entgegnete der Mann, daß ein Raum frei geworden sei und daß nur ausnahmsweise zwei Gefangene bei einander gelassen würden; übrigens würden sie sich am folgenden Tage wiedersehen, denn dann sollten sie weitergeschafft werden. Pieter Maritz blieb allein, stützte traurig den Kopf auf die Fensterbank und sah zum Himmel hinauf. Wohin war es mit seinen Hoffnungen und seinem Streben gekommen? Nun sollte er nach der Kapstadt geschleppt werden, und was würde ihm wohl dort begegnen? Er war gut bekannt mit den Plänen der Regierung von Transvaal. Zu dieser Stunde waren gewiß die Buernheere schon losgebrochen. Denn sicherlich hatten die Engländer die Bedingungen Transvaals nicht angenommen. Die stolzen, übermütigen Engländer wollten ganz Südafrika zu einem gemeinsamen riesigen Kolonialgebiet zusammenschmieden, in welchem nur noch englische Gesetze gelten sollten. Sie hatten sich um die Forderungen des Buernstaates sicherlich nicht gekümmert. Hatten sie die Zulumacht gebrochen, weil sie überhaupt niemand in Südafrika eigene Bedeutung zuerkennen wollten, so würden sie auch den Transvaalstaat brechen wollen. Wenn aber die Buern losgeschlagen hatten, so war also der Krieg da, und dann würde es den Sendboten, die zum Aufstande gerufen hatten, übel ergehen. Oberst Winslow hatte nicht gewagt, sie erschießen zu lassen, weil er inmitten von Buern war, aber das Kriegsgericht in der Kapstadt würde sie wohl zum Tode verurteilen. Das war ein schrecklicher Gedanke für Pieter Maritz, dessen sonst so frohe Stimmung durch die lange Gefangenschaft getrübt worden war. Auf dem Schlachtfelde fallen, mitten im Kampfe, umweht von Pulverrauch, für das Vaterland kämpfend niedersinken, das war gewiß schön, aber so -- --? Sein Blick wurde trüber und trüber, und fast ganz mutlos sah er zu dem grauen, von Nebel verschleierten Himmel empor, der noch der einzige helle Fleck ringsum war. Er dachte daran, daß heute Weihnachtsabend sei, und am heiligen Abend im Gefängnis zu sein, war ihm sehr traurig. In diesem Sinnen und schwermütigen Nachdenken ward Pieter Maritz endlich auf ein eigentümliches Geräusch aufmerksam, welches er bereits seit geraumer Zeit gehört, aber noch nicht beachtet hatte. Es klang bald wie ein Kreischen verrosteten Eisens, bald wie ein dumpfes Pochen und ward immer vernehmlicher. Pieter Maritz stand auf, ging vom Fenster weg und lauschte. Das Geräusch kam von oben, von der Decke her. Was konnte das sein? Das Zimmer, in welchem er war, lag im oberen Stockwerk, und er hatte gesehen, daß das Gefängnis nur zwei Stockwerke hoch war. Allerdings war ein Dach darüber, und dies Dach mochte wohl ausgebaut sein und noch Gefangenenräume bergen. Die leise, behutsame Art des Pochens und Scharrens da oben brachte ihn auf die Vermutung, daß ein Gefangener über ihm wohne, der durchzubrechen versuche. Pieter Maritz selbst hatte, solange er gefangen war, beständig über die Möglichkeit der Flucht nachgedacht und diese häufig insgeheim mit seinem Landsmann besprochen, aber die schnelle Reise von Ort zu Ort und die Wachsamkeit der Polizeibeamten hatten bis jetzt keine günstige Gelegenheit entstehen lassen. Nun nahm das Geräusch seine Gedanken lebhaft in Anspruch, und er hielt sich ganz still, um denjenigen, der dort oben arbeiten mochte, nicht zu stören. Mit einem Male klirrte es, und ein eiserner Nagel rollte auf dem Boden hin. Kein Zweifel, daß jemand dort oben die Eisenbleche, welche die Decke bildeten, wegnahm. Doch Pieter Maritz bewegte sich nicht, um den Arbeiter nicht etwa zu erschrecken und zu verscheuchen. Inzwischen ward es Nacht, und nur ein schwacher Schein fiel durch das Fenster herein, der von den Sternen und der schmalen Mondsichel her leuchtete. Zuzeiten war es ganz finster, denn der Nebel hatte sich zu Wolken zusammengeballt, die am Himmel hinzogen und Mond und Sterne minutenlang ganz verhüllten. Pieter Maritz lauschte gespannt und nahm wahr, daß das Geräusch verstummte. Eine Zeitlang war es ganz still, dann aber machte sich ein anderer Ton bemerklich, der sehr nahe zu sein schien und dem Schieben eines schweren Körpers auf der Erde ähnlich war. Gleich darauf erschien eine Gestalt im Zimmer, die gleichsam vom Himmel herabschwebte, denn sie baumelte mit den Füßen in der Luft und hielt sich an der Decke fest, sprang dann aber leicht und elastisch auf den Boden. Zu seinem Erstaunen erkannte Pieter Maritz, indem es in diesem Augenblick wieder etwas heller im Zimmer wurde, eine nackte schwarze Figur und das schlaue Gesicht des Swazi-Regenmachers. Der Mann trug eine Art von Meißel mit den Zähnen und hatte ein Bündel über einer Schulter baumeln. Auch der Regenmacher mußte ihn erkannt haben, denn seine zu Anfang betroffene Miene veränderte sich zu einem Lächeln, und er stieß einen leisen Ruf der Verwunderung aus. Dann nahm er den Meißel aus dem Munde und schnürte sein Bündel auf. Es enthielt seine Kleidungsstücke: ein wollenes Hemd und eine Hose und war von einem Strick umwickelt gewesen, der aus zusammengeknoteten leinenen Streifen bestand. Er kleidete sich an und sagte, er habe dort oben lange Zeit gefangen gesessen und wolle durch das Fenster entfliehen. Die Erinnerung an frühere Zeiten, an den alten Missionar, an den Aufenthalt am Hofe Tschetschwajos stieg lebhaft wieder vor Pieter Maritz auf, und die Erscheinung dieser wohlbekannten Gestalt regte die fast erstorbene Hoffnung wieder zu neuem Leben in ihm an. Wenn der Regenmacher durch die Decke gebrochen war, so sollte dies Gefängnis ihn selbst doch wohl auch irgendwo durchlassen. Er ging sofort mit dem Regenmacher an das Fenster, und sie prüften die Eisenstangen. Sie waren stark, und man hatte sie sehr fest in die steinerne Umfassung eingelassen, aber mit dem Instrument des Regenmachers wären sie doch wohl loszubrechen gewesen. Nur zeigte sich ein schlimmes Hindernis: drunten ging die Schildwache. Der Regenmacher war sehr niedergeschlagen. Er kauerte sich am Boden nieder und seufzte. »Wie kommst du hierher? Machst du nicht mehr Regen?« fragte Pieter Maritz ihn in der Zulusprache. »Wegen Eidibi bin ich gefangen,« antwortete er in gebrochenem Englisch. »Ich habe viele Diamanten, und wenn du mir helfen willst, davonzukommen, so will ich dich reich belohnen.« »Es wäre mir die beste Belohnung, selbst frei zu werden,« sagte Pieter Maritz, »aber ich weiß nicht, wie wir es machen sollen, um hinauszukommen. Wie hast du denn durch die Decke durchbrechen können?« Der Regenmacher zeigte sein eisernes Instrument. Dieses war ursprünglich wohl ein Riegel gewesen, aber es war nun an einem Ende spitz und scharf geschliffen. Der Regenmacher sagte, er habe das Ding an der steinernen Fensterbank spitz gemacht. Er habe damit die Tafeln von Eisenblech losgebrochen, den Sand darunter weggeräumt und endlich auch die Tafeln losgemacht, welche die Decke von Pieter Maritz' Zimmer bildeten. Er habe gehofft, aus diesem Zimmer am Strick hinunter in die Straße gleiten zu können. Den Strick habe er aus dem Überzuge seiner Matratze gemacht, indem er ihn in Streifen geschnitten und die Streifen aneinander gebunden habe. Pieter Maritz sann nach. »Können wir von deinem Zimmer nicht irgendwohin gelangen?« fragte er. »Wenn wir hier hinausklettern, kommen wir auf die Schildwache, und sie wird auf uns schießen oder doch Lärm machen.« »Wir können von meinem Zimmer aus nur auf das Dach kommen,« sagte der Regenmacher, »und das Dach ist zu hoch, um hinunterzuklettern. Der Strick ist nicht lang genug.« »Laß uns sehen, wie es oben ist!« sagte Pieter Maritz. Er schob den Tisch unter die Öffnung in der Decke, stieg hinauf und konnte nun mit den Händen den Rand des Loches erreichen. Er zog sich hinauf, und der Regenmacher folgte ihm nach. Der obere Raum war viel kleiner als der untere, nur ein Dachkämmerchen, und in dem schrägen Dache war ein vergittertes Fensterchen, das jedoch groß genug war, um hindurchzuschlüpfen. Pieter Maritz ergriff das eiserne Instrument und ließ sich von dem Regenmacher auf die Schultern heben, um oben arbeiten zu können. Mobiliar gab es hier oben gar nicht, nur der Inhalt der zerschnittenen Matratze lag auf dem Boden. Mit starker Hand hob Pieter Maritz das ganze Gitter, welches aus einem zusammenhängenden Drahtgewebe bestand, aus seiner Einfassung heraus. Dann schwang er sich empor und setzte sich auf den Rand des Fensters, mit dem Oberkörper über das Dach hinausragend. Er blickte um sich. Das Dach war nicht sehr steil, aber glatt, und der Nebel hatte es mit einer glänzenden nassen Schicht überzogen. Es war aus Platten von Eisenblech gebildet, gleich den Fußböden, und hatte verschiedene Fenster, die wohl gleichfalls zu Gefangenenräumen führten. Einige der Fenster lagen in der Dachfläche selbst, andere befanden sich in vorspringenden kleinen Erkern. Pieter Maritz sah überall auf Dächer, welche niedriger lagen, aber kein einziges stieß nahe genug an das Gefängnis heran, um darauf springen zu können, sondern überall umgab ein freier Raum das einzeln stehende große Backsteingebäude. Der Himmel war abwechselnd hell und dunkel, je nachdem die Wolken zogen. Höchst merkwürdig aber sah von hier oben das große Loch aus, welches Pieter Maritz im Vorbeifahren gesehen hatte. Denn unten darin und an den Hängen brannten Hunderte von Lampen oder Fackeln, und der schwarze Schlund sah wunderbar aus, indem die gewaltige Weite und Tiefe des Abgrundes durch diese Lichter recht deutlich wurden und die Bewegung der vielen hellen Punkte ihm etwas Unirdisches gaben. Pieter Maritz mußte unwillkürlich an die Hölle denken und konnte trotz der Gefahr, worin er schwebte, und trotz seines Eifers, einen Fluchtweg zu entdecken, seine Augen mehrere Minuten lang nicht von diesem Einblick in die Eingeweide der Erde abwenden. Dann beugte er sich nieder und flüsterte dem Regenmacher zu, er möge heraufkommen, damit sie sich beide überlegen könnten, was zu thun sei. Zugleich ließ er ein Ende des Strickes hinunter, den er mit hinaufgenommen hatte, der Regenmacher band sich den Strick unter den Armen fest, und dann zog ihn Pieter Maritz empor, bis er selbst den Fensterrand ergreifen und sich heraufschwingen konnte. Nun saßen sie beide auf dem Rande der Öffnung und spähten umher. »Wir wollen das Dach untersuchen,« sagte Pieter Maritz. Auf Händen und Knieen kroch er vom Fenster aus hinan, bis er den Kamm des Daches erreichte, der Regenmacher folgte ihm nach, und dann setzten sie sich rittlings und blickten nach beiden Seiten hinunter. Aber es zeigte sich keine Möglichkeit, hinabzugelangen. Links und rechts neigte sich das Dach in derselben Weise, und der Rand war viel zu hoch über dem Erdboden, um an dem Stricke hinabkommen zu können, selbst wenn sie eine Stelle gefunden hätten, wo der Strick sicher zu befestigen gewesen wäre. »Wir müssen suchen, in eines der Fenster hineinzuklettern,« sagte Pieter Maritz, der, seinem unternehmenden Charakter gemäß, die Führung übernommen hatte. »Vielleicht finden wir ein Fenster, welches nicht vergittert ist, und wir kämen dann wohl in einen Raum, der nicht Kerker wäre.« Der Regenmacher nickte und fing alsbald an, nach rechts hin auf dem Dache umherzukriechen und in die Fenster zu sehen, während Pieter Maritz es ebenso auf der linken Seite machte. In der That fand Pieter Maritz eines der Fenster, welches in einem Erker lag, ohne Gitter. Eine schwarze Öffnung blickte ihm entgegen. Aber er konnte nicht sehen, was darin war, denn es war ganz dunkel hinter dem Fenster. Vorsichtig kroch er wieder hinauf und pfiff leise, um den Regenmacher herbeizurufen. Dieser kam heran, und beide beratschlagten vor der schwarzen Öffnung, was sie thun sollten. Endlich beschlossen sie, der Regenmacher solle am Stricke hinabklettern. Wiederum ward ihm der Strick unter den Armen durchgebunden, und dann stieg er hinein, während Pieter Maritz oben hielt. Er hatte die ganze Last des Mannes zu tragen, denn dieser fand durchaus keine Stütze, sobald er innerhalb des Fensters war, und es zeigte sich, daß hier ein Bodenraum von beträchtlicher Höhe war. Als der Regenmacher glücklich auf den Füßen war, stand er so niedrig, daß Pieter Maritz nicht hätte hinabspringen können, ohne Gefahr zu laufen, sich zu beschädigen. Der Regenmacher machte sich inzwischen von dem Stricke los und suchte umher. Dann kehrte er zurück und teilte mit, er habe eine Thür gefunden, welche leicht zu erbrechen sei. Aber wie wollte Pieter Maritz hinunterkommen? Er suchte den Strick zu befestigen, um daran hinabzuklettern, aber er bemühte sich vergeblich. Endlich stieß er mit aller Gewalt das spitze Eisen zwischen zwei Eisenbleche, um daran den Strick festzubinden. Aber indem er so kräftig bohrte, glitt plötzlich sein linker Fuß mit der Stiefelsohle auf dem von der Nässe schlüpfrig gemachten glatten Dache aus, und er fühlte sich zu seinem Schrecken abwärts gleiten. Er suchte sich mit Ellbogen und Knieen anzustemmen und gleichsam festzukleben, während er Eisen und Strick mit den Händen festhielt, aber ohne Erfolg. Er rutschte wohl zehn Fuß weit abwärts und fuhr über den Rand des Daches hinaus. In diesem Augenblick durchfuhr die Gewißheit des nahen Todes die Gedanken des Buernsohnes, und er sah sich im Geiste schon zerschmettert unten liegen. Mit der Schnelligkeit des Blitzes flog die Vergangenheit seines Lebens an ihm vorüber, und er sah seine weinende Mutter, die er nicht wiedersehen sollte, vor sich stehen. Aber indem er schon zu stürzen wähnte, gab es einen heftigen Ruck, und er fühlte sich mit den Ellbogen in der Dachrinne gestützt. Mit dem Oberkörper war er oberhalb des Dachrandes, mit den Beinen hing er nach unten, und nur die Arme hatten einen Haltepunkt. Instinktmäßig bog er sich vor und preßte sich mit aller Kraft an die Regenrinne an, und wie durch ein Wunder gelang es ihm, die Gewalt des Sturzes aufzuhalten. Meißel und Strick hielt er noch immer in den Händen. Er klammerte sich an und bemühte sich, ein Bein hinaufzubringen. Aber indem er das rechte Knie anzog und auf den Rand hinaufhob, ergriff ein heftig schmerzendes, krampfartiges Gefühl den ganzen Körper, so daß er wie gelähmt in der augenblicklichen Stellung hängen blieb. Erst allmählich verschwand dieser Krampf, und nun gelang es Pieter Maritz, während er in dieser Not voll Inbrunst ein Vaterunser betete, das rechte Bein hinaufzubringen und dann mit ganzem Leibe wieder auf das Dach zu kommen. Er schöpfte tief Atem und saß eine Zeitlang still, um neue Kraft zu gewinnen. Dann fiel ihm ein, daß es vielleicht möglich sein werde, an der Wasserröhre hinunterzugleiten. Er rutschte die Dachrinne entlang bis zur Ecke, aber obwohl er hier die Stelle fand, wo die Röhre nach unten ging, so ward er doch enttäuscht, denn das Dach sprang zu weit vor, und die Röhre machte einen zu weiten Knick nach unten, als daß er ihre senkrechte Fortsetzung hätte ergreifen können. Er kroch also wieder zurück und sprach durch das Fenster mit dem Regenmacher, der im Innern stand und ihn schon für verloren gehalten hatte, da er das Hinabgleiten gehört hatte. Nunmehr machte Pieter Maritz mit großer Vorsicht eine Eisenplatte am Rande des Fensters los, schlug den losgerissenen Nagel wieder fest und knüpfte das Ende des Strickes an diesen Nagel. Dann ließ er sich an dem Stricke in das Innere des Daches hinab und nahm den Meißel mit. Gemeinsam mit dem Regenmacher ging er dann zu der Thür, und es gelang ihnen, sie aufzusprengen, indem sie den Meißel zwischen Schloß und Pfosten stemmten und mit vereinigter Kraft das Schloß herausbrachen. Es that einen Krach, als die Thür aufging, und sie standen einige Minuten regungslos, um zu erwarten, ob etwa eine Wache durch den Lärm aufmerksam geworden wäre. Doch blieb alles ruhig, und nun gingen sie über einen Korridor an mehreren Thüren vorbei, fanden trotz der Dunkelheit, die im Innern des Gebäudes herrschte, die Treppe und stiegen hinab, bis sie den Flur im Erdgeschoß erreichten. Hier hörten sie Stimmen und sahen Licht durch einen schmalen Thürspalt dringen. Neben der Hausthür war das Wachtzimmer, und die darin befindlichen Wächter unterhielten sich. Leise schlichen sie an der Thür des Wachtzimmers vorbei und versuchten die Hausthür zu öffnen. Aber sie war verschlossen, auch steckte kein Schlüssel darin, und es war nicht daran zu denken, die schwere Thür, welche mit Eisen beschlagen war, etwa aufzubrechen. Selbst wenn ihre Kraft dazu ausgereicht hätte, würde der Lärm die Wächter herbeigerufen haben. Sie kehrten von der Hausthür zurück und suchten einen andern Ausweg, aber es war keiner zu finden. Überall waren feste Wände oder starke verschlossene Thüren. Ratlos standen sie im Flur und wußten nicht mehr, was sie thun sollten. »Wir wollen hier bleiben, bis die Schildwache abgelöst wird,« sagte Pieter Maritz. »Alsdann muß die Hausthür geöffnet werden. Wir benutzen den Augenblick, rennen die Leute, die uns dann etwa im Wege stehen, über den Haufen und suchen zu fliehen.« Aber der Regenmacher wollte darauf nicht eingehen. Er hatte nicht den Mut, sich in einen Kampf mit den bewaffneten Wächtern einzulassen, und Pieter Maritz gab ihm nach, da er selbst fühlte, daß dieser Plan ein verzweifelter sei. Sie kehrten wieder um, gingen die Treppe hinauf auf den Boden und setzten sich dort fast ganz mutlos nieder, indem sie sich den Kopf zerbrachen, einen Ausweg zu finden. Bald wurde Pieter Maritz aber die Dunkelheit in diesem Raume drückend, er ging zu dem Strick, den er am Fenster hatte baumeln lassen, kletterte hinauf und kauerte sich auf den Fensterrand nieder, um wenigstens freien Himmel und frische Luft um sich her zu haben. Da schien es ihm, indem er unwillkürlich nach der Mine blickte und das geheimnisvolle Wandern der Lichter beobachtete, als ob diese sich an einer bestimmten Stelle am Saume des Abgrunds vereinigten, und einen dicken feurigen Klumpen bildeten. Immer mehr helle Punkte kamen langsam aus dem Innern hervor und sammelten sich zu dem gemeinsamen Feuer. Es war, als ob viele Glühwürmer sich zu einem dichten Schwarme vereinigten. Pieter Maritz pfiff leise zum Zeichen für den Regenmacher, und alsbald kam die geschmeidige Gestalt des Kaffern an dem Stricke empor und zeigte sich das kluge Gesicht des vielgewandten Mannes über dem Dachrande. Er sah das sonderbare Leben in der Mine, und seine Augen nahmen den Ausdruck der Überraschung an. »Die Minenarbeiter versammeln sich,« sagte er. »Was wollen sie thun? Warum versammeln sie sich?« fragte Pieter Maritz. »Sie sind oft unzufrieden,« sagte der Regenmacher. »Sie bekommen nicht genug Lohn, und sie wollen sich nicht durchsuchen lassen, wenn sie aus der Mine kommen.« Währenddessen war ein dumpfes Geräusch wie von vielen Stimmen aus der Ferne zu vernehmen, und plötzlich zuckte ein Blitz am Rande der Grube auf, und der Knall eines Schusses zerriß die Luft. Offenbar gab es einen Kampf an der Mine und waren die Aufseher bemüht, die Arbeiter zur Ordnung zu bringen, während diese sich widersetzten. Mit gespannter Aufmerksamkeit sahen die beiden Gefangenen auf dem Dache der Scene zu. Der Lärm ward immer vernehmlicher, eine große Masse von Menschen wälzte sich beim Scheine vieler Fackeln von der Mine fort durch die Straßen, und schon konnte man deutlich sehen, d