Project Gutenberg's Kreuz und Quer, Zweiter Band, by Friedrich Gerstäcker This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and with almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included with this eBook or online at www.gutenberg.org/license Title: Kreuz und Quer, Zweiter Band Neue gesammelte Erzählungen Author: Friedrich Gerstäcker Release Date: June 9, 2017 [EBook #54875] Language: German Character set encoding: ISO-8859-1 *** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK KREUZ UND QUER, ZWEITER BAND *** Produced by the Online Distributed Proofreading Team at http://www.pgdp.net (This file was produced from images generously made available by The Internet Archive)
Neue gesammelte Erzählungen
von
Friedrich Gerstäcker.
Zweiter Band.
Leipzig,
Arnoldische Buchhandlung.
1869.
Seite | |
1. Das Wallfischboot | 1 |
2. Das Luftbad | 174 |
3. Der Dampfboot-Capitain | 224 |
4. Bilder aus Quito | 304 |
In der Nähe der Westküste Amerikas, aber noch weit aus Sicht von Land, kreuzte ein Wallfischfänger, um dort nach Fischen auszusehen.
Es war ein Nordamerikaner, die Martha's-vine-yard – ein Schiff, das nach der Insel gleiches Namens getauft worden, und von dort aus auch seine Bemannung hatte. So seetüchtig und gut gebaut die amerikanischen Schiffe aber auch sonst gewöhnlich sind, die Martha's-vine-yard machte davon eine Ausnahme, und der Rheder, der sie in New-York von einem Holländer alt gekauft und wohl frisch angemalt, aber sonst in einem desolaten Zustand gelassen hatte, hoffte das wenige dafür ausgelegte Geld gleich mit der ersten Wallfischfahrt herauszuschlagen, wenn es dann auch keine zweite machte. Die Hauptsache blieb nur, tüchtige Leute dafür zu gewinnen, und deßhalb taufte er auch das alte »Gretje van Rotterdam«, welchen Namen die Bark vielleicht schon dreißig Jahre geführt, nach der Insel Martha's-vine-yard, die ihrer Seeleute wegen berühmt ist, und erreichte dadurch seinen Zweck vollkommen.
Die Zeiten waren in Amerika nicht besonders. Der Krieg hatte gerade begonnen, und er fand Leute genug für die Bemannung, die denn auch mit dem alten Kasten getrost in See gingen und erst draußen, als es zu spät war, merkten, welchem Fahrzeug sie sich eigentlich anvertraut, um darauf eine mehrjährige Reise zu machen. Wallfischfänger müssen sich nämlich stets darauf gefaßt machen, drei Jahre auszubleiben, ehe sie ihr Schiff füllen können, und das ist eigentlich eine lange Zeit, wenn man noch dazu bedenkt, daß derartige Schiffe nur sehr selten einen Hafen anlaufen und meist immer draußen auf offener See herumkreuzen, um nach Fischen auszuschauen.
Anfangs wurde die Mannschaft auch noch eigentlich nicht so recht inne, wie es mit ihrem Fahrzeug stand, denn mit günstigem Wind liefen sie an der Ostküste Amerika's immer nach Süden hinab, und so vor dem Wind segelte es leidlich. Schwer enttäuscht sahen sie sich aber, als nach einer kurzen Windstille eine konträre Brise eintrat. Der Kapitän wollte allerdings laviren, aber du lieber Gott, das alte Schiff brauchte sieben Strich, um gegen den Wind aufzukreuzen, und machte dabei noch anderthalb Strich Abdrift, so daß sie nicht allein nicht von der Stelle kamen, sondern sogar noch zurückgetrieben wurden. Den Harpunieren war das auch gar nicht recht, sie wären am liebsten wieder umgekehrt, um ihren Kontrakt aufzukündigen, der Kapitän wollte jedoch Nichts davon wissen, und redete ihnen so lange zu, bis sie sich endlich zufrieden gaben.
Was lag auch daran, ob ein Wallfischfänger schnell segelt oder nicht – die Reise an Ort und Stelle dauerte etwas länger, ja; aber erst einmal auf ihrem Fischgrund angelangt, und sie durften mit demselben Recht erwarten, daß Fische an sie anlaufen würden, als daß sie dieselben durch rasches Fahren erreicht hätten – ja manchmal machte so ein Schiff an guten Stellen viel bessere Geschäfte, wenn es ruhig beilag, als ziellos auf dem Meer umherkreuzte.
Nur die Reise um Kap Horn war eine entsetzlich lange, jedoch konnten sie auch schon bei den Falklandsinseln auf Wallfische rechnen, und kurz und gut, sie behielten ihren Kurs bei, der sie auch mit jetzt wieder günstigerem Wind rascher gen Süden brachte, als sie selber anfangs geglaubt.
Bei den Falklandsinseln war aber Nichts zu machen. Sie trieben sich wohl vier Wochen in der Nähe herum, ohne einen einzigen Wal anzutreffen, und da gerade ein scharfer Ostwind einsetzte, hielt der Kapitän die Gelegenheit für günstig, das Kap zu doubliren und nach der Westküste Amerikas hinüber zu steuern. Dort lagen auch die besten Jagdgründe für Wallfische: in der heißen Zone für Cajelots und weiter nach Norden hinauf für den richtigen Wal, und da sie der Wind nicht im Stich ließ – denn mit Kreuzen wären sie nie um das Kap gekommen – erreichten sie nach ziemlich kurzer Fahrt das stille Meer.
Aber auch hier zeigte sich der Fang nicht so ergiebig. Sie bekamen allerdings in der Höhe der Maghellansstraße einen tüchtigen Fisch, mußten ihn aber, wie sie nur eben begonnen hatten einzuschneiden, wieder loswerfen, denn ein heftiger Wind setzte ein, dem sie kaum frei und allein die Stirn bieten konnten.
Es war das ein schwerer Schlag für die Mannschaft, die – wie Kapitän und Harpuniere – nur auf einen Antheil am Fange geworben werden, ließ sich aber nicht ändern, und der Kapitän vertröstete die Leute auf die nächste Zeit. Sie hatten ja nun einmal einen Beginn gemacht und die Boote erprobt, die sich als ganz vortrefflich bewährten. Die blieben ja doch immer die Hauptsache, und wenn sie nur Fische fanden, konnten sie auch reiche Beute machen.
Sie fanden aber keine. Langsam, entsetzlich langsam rückten sie weiter und weiter nach Norden hinauf, an Chile vorüber und an der chilenischen Küste hin, bis ziemlich zu vier Grad Süderbreite hin, wo sie die erste »shoal« oder den ersten Trupp Spermacetifische antrafen und augenblicklich Jagd darauf machten. Der erste Harpunier kam auch an einen tüchtigen Fisch fest, der alte Bursche verstand aber die Sache unrecht, drehte sich um, wandte sich gegen das Boot selber und gab ihm mit seinem breiten Kopfe einen solchen Stoß, daß es in Stücken auseinander ging und die Mannschaft desselben nur mit Mühe von den andern herbeieilenden Booten gerettet werden konnten.
Die übrigen Fische gingen gegen den Wind auf, und die Martha's-vine-yard, die zu erbärmlich am Wind lag, um ihnen dahin folgen zu können, mußte sie eben laufen lassen. Uebrigens hielt der Kapitän diesen Platz für gut und beschloß deßhalb, eine Weile dort beizulegen. Es war einestheils möglich, daß die Fische dorthin zurückkehrten, wo sie Nahrung gefunden hatten, und dann konnten sie hier auch eben so gut, als irgendwo anders, weiteren begegnen.
Drei Wochen kreuzten sie deßhalb auf der nämlichen Stelle, das heißt die Strömung setzte dabei allmälig immer weiter nach Norden hinauf, bis sie unmittelbar unter der Linie von Windstille befallen wurden.
Das Meer lag jetzt spiegelblank, wenn auch leise wogend da, und der Ausguck oben im Top konnte selbst den geringsten Gegenstand, der sich auf der blitzenden Fläche zeigte, mit leichter Mühe erkennen. Aber Nichts ließ sich sehen, als dann und wann einmal die spitze Flosse eines Hai, der faul und träge durch die Fluth schnitt, und wenn er zum Schiff kam, von einem der Bootssteuerer mit ausgeworfenem Speck an einem starken Haken gefangen wurde – es war doch wenigstens eine Unterhaltung, welche die entsetzliche Monotonie ihrer Tage unterbrach.
Endlich, am vierten Tage der Windstille, gerade wie sich im Süden die ersten Wolken wieder zeigten und das sich in jener Richtung dunkel färbende Meer die von dort heraufkommende Brise ankündigte, ertönte der so lang ersehnte Ruf des Mannes im Top oben:
»There she blows!« (Dort bläßt Einer) und selbst von Deck aus konnten sie bald darauf den ausgeworfenen einzelnen Wasserstrahl eines Spermfisches oder Cajelot, dem bald ein zweiter folgte, erkennen.
Jetzt kam Leben an Bord, und so faul und schläfrig die Offiziere den ganzen Tag herumgelegen, im Nu sprangen sie nun auf ihre Füße, um Jeder nach seinem Boot zu sehen und so rasch als möglich damit ab und hinaus zu kommen.
Jedes Boot hat seine bestimmte Mannschaft, seinen Harpunier, seinen Bootssteuerer und vier Mann zum Rudern, und hängt, zum augenblicklichen Gebrauch stets bereit, unter seinen Krahnen. Dicht daneben ist der schwere Bottich mit dem aufgekoilten Harpunentau befestigt, um rasch hineingehoben zu werden.
Die verschiedenen Leute haben dabei ihre verschiedenen Pflichten bei der Ausrüstung, damit im Moment des Einschiffens keine Verwirrung oder Zögerung entsteht. Der Bootssteuerer muß die Waffen: Lanzen, Harpunen, Beile und Messer, stets blank und haarscharf halten. Einer der Leute hat für Wasser zu sorgen, daß augenblicklich ein Fäßchen gefüllt und in's Boot geschafft wird – ein Anderer sorgt für Lebensmittel, da man nie wissen kann, wie lange die Boote gezwungen sind, auszubleiben. In einem kleinen verschlossenen Verschlag im Boot selber befinden sich dabei ein Kompaß, wo möglich eine Karte, und ist das Fahrzeug gut ausgestattet, auch einige konservirte Lebensmittel mit einer Flasche Rum, und von dem Moment an, wo der Befehl zum Niederlassen des Bootes gegeben wird, dauert es gewöhnlich nur wenige Minuten, bis es von Bord abschießt und nun, mit Rudern oder Segeln, je nachdem sich die Letzteren führen lassen, seinem Ziel entgegenstrebt.
Dabei wird fast kein Wort gesprochen, denn jede Bootsmannschaft hat natürlich ihren Ehrgeiz darin, die erste zu sein, die zur Verfolgung der auftauchenden Wallfische fertig ist, und vom Mast aus giebt dann der Mann im Top mit einem an der Stange befestigten und schwarzbemalten großen Leinwandball – der weithin leicht erkenntlich ist – die Richtung an, welche die Fische nehmen, damit ihnen die Boote folgen oder den Weg abschneiden können.
Die Martha's-vine-yard führte vier Boote, denn das zerstörte des ersten Harpuniers war schon wieder durch ein Reserveboot ersetzt worden, und noch hatte die aufkommende Brise das Schiff nicht erreicht, als sie schon hinausruderten in das Weite und der Richtung zu, in welcher sich die Spermfische kurz vorher gezeigt.
Es war das genau gen Osten, und die Leute legten sich wahrlich mit gutem Willen in die Ruder, daß sich die elastischen Eschenhölzer oder Riemen, wie man sie nennt, vor der Kraft der Arme bogen. Aber das dauerte nicht lange, denn jetzt kräuselte sich das Meer, ein frischer Südwind setzte ein, und im Nu wurde die kurze Segelstange aufgerichtet, und die Leinwand blähte aus, um den ersten Windzug zu fangen. Der brachte sie nicht allein leichter, nein auch rascher vorwärts, und die Hauptsache, sie konnten sich den Fischen viel geräuschloser nähern, als das mit Rudern möglich ist. Der Wind zeigte sich ihnen auch vollkommen günstig, denn er kam gerade von der Steuerbordseite, und schnell und lautlos schossen sie dahin.
Die Fische waren, wie sie das oft thun, eine ganze Weile nicht nach oben gekommen, und der Mann im Mast konnte den Leuten deßhalb auch kein Zeichen geben, welcher besondern Richtung sie zusteuern sollten; sie behielten deßhalb die bei, die sie bis dahin eingehalten, in der Voraussetzung, daß sich die Cajelots unter Wasser nicht so weit entfernen und vielleicht an der nämlichen Stelle noch einmal nach oben kommen würden – und das geschah denn auch wirklich. Kaum eine Viertelstunde mochten sie gesegelt sein, als der Matrose, der damit beauftragt war, den Mann im Top der Barke im Auge zu behalten, plötzlich des Harpuniers Auge durch seinen Ausruf dorthin lenkte. Jener Ausguck hob seinen schwarzen Ballon, der selbst von hier aus noch deutlich erkennbar war, hoch in die Höhe und ließ ihn dann wieder gerade nach vorn herunterfallen – ein sicheres Zeichen, daß ihr Kurs der richtige sei, und es dauerte denn auch nur wenige Sekunden, bis sie selber die schon lang ersehnten Strahlen gerade voraus erkannten und sich jetzt zum Gefecht fertig machten.
Nun ist die Eintheilung an Bord eines Wallfischbootes auf der Verfolgung die nachstehende: Der Bootssteuerer wird, sobald ein Wal in Sicht kommt, vorn in den Bug des Bootes mit der Harpune postirt, denn sein Amt ist es, an den Fisch fest zu kommen, während nachher der Harpunier oder erste Offizier mit der Lanze, an der sich keine Widerhaken befinden, dem Thier den Todesstoß gibt. Der Harpunier hat indessen hinten im Stern des Bootes den langen Steuerriemen (das Ruder, das zum Steuern benutzt wird und in einem eisernen Ring liegt) in der Hand und führt dasselbe so an den Fisch heran, daß der Bootssteuerer zum Wurf kommen kann. Wo dieser den Fisch dabei trifft, ist ziemlich gleichgültig, irgendwo auf dem Rücken, in der Seite, im Schwanz, es bleibt sich gleich, so daß die Harpune nur tief genug eindringt, um ordentlich festzukommen. Sobald er dies erreicht hat und das im Bottich aufgekoilte Tau abläuft – wobei er jedoch aufpassen muß, nicht in dieses verwickelt zu werden – springt er zurück, um jetzt das Steuer des Bootes zu übernehmen, während der Harpurnier nach vorn steigt und seine lange scharfe Lanze aufgreift, mit der er nun, des tödtlichen Wurfs gewärtig, aufgerichtet vorn im Boot stehen bleibt und nur darauf achtet, daß die rasend schnell ablaufende Leine, an welcher der Fisch hängt, nicht unklar wird.
Der geworfene Fisch schießt indessen mit ungeheurer Schnelle vorwärts, taucht auch wohl einmal unter und kommt wieder nach oben, und hat dabei das Boot fortwährend im Schlepptau. Sobald nämlich die Leine abgelaufen ist, hält sie, mit ihrem unteren Ende um einen festen Krahn befestigt, straff an, und der vorgespannte Fisch macht das Boot nur so durch das Wasser fliegen. Ginge er aber zu tief nach unten, so würde er es auch rettungslos in die Tiefe reißen, und für einen solchen Fall steckt ein scharfgeschliffenes Beil dicht daneben, mit dem die Leine im Nu gekappt oder abgehauen werden kann. Es versteht sich aber von selbst, daß man nur im äußersten Nothfall zu diesem verzweifelten Mittel greift, denn damit ist wohl das Boot befreit, aber zu derselben Zeit Fisch, Harpune und Leine ebenfalls verloren.
Jetzt noch stand der Bootssteuerer vorn im Bug, die Harpune, in welche nur leicht ein kurzer fester Eichenspaken gesteckt ist, in beiden Händen, und in der linken noch ein langes Ende leicht aufgekoilter Leine haltend, um mit dem Wurf gleich nachgeben zu können, damit die Harpune keine falsche Richtung bekommt. – Die Fische sind in Sicht – da und dort steigt der schräge nicht eben hohe Strahl über die Oberfläche der nur leicht gekräuselten See – es müssen zehn oder zwölf verschiedene Cajelots sein, die sich hier spielend in der warmen Fluth herumtreiben – vielleicht sogar noch mehr, und dann und wann kam wohl auch einmal der halbe Kopf einer der mächtigen Burschen zum Vorschein, wie er sich ein Stück aus der Fluth heraushob, das Wasser schnaubend ausblies und dann langsam wieder zurück in sein Element tauchte.
Der erste Harpunier, ein alter Wallfischfänger, der sich seit seiner frühesten Jugend in diesen Meeren herumgetrieben, hatte sein Boot mit dem größten Segel versehen und war den anderen auch wohl um mehrere hundert Schritte voraus. Jetzt flog die Harpune von dessen Bootssteuerer aus, und mit der gespanntesten Aufmerksamkeit beobachteten die anderen Boote den Erfolg. Zog er die Leine wieder ein? – war der Wurf mißlungen? – nein, er sprang in den hinteren Theil des Bootes zurück, er mußte festgekommen sein, und vor Erwartung zitternd standen die übrigen, ob ihnen nicht auch das Glück einen Fang bescheere.
Die Leute im ersten Boot hatten mit Rudern aufgehört und rasch das Segel niedergeworfen, damit es sie nicht, wenn der Fisch in den Wind hineinlief, gefährde – die übrigen Boote näherten sich rasch, denn noch lief die Leine ab, und das kleine Fahrzeug lag verhältnißmäßig still – da kam links ein neuer Fisch auf, dem der zweite und dritte Harpunier folgte, und der vierte, ein noch junger Bursch, wollte sich eben mit zu diesen halten, als plötzlich, unmittelbar vor seinem Boot, ein Wal mit solcher Gewalt an die Oberfläche schoß, daß er mit fast der Hälfte des riesigen Körpers aus dem Wasser herausschnellte, und wieder zurückschlagend die See wogengleich bei Seite drängte.
Aber ein tüchtiger Bootssteuerer stand vorn, mit der Harpune bereit, der sich durch die plötzliche Erscheinung des Ungethüms nicht einschüchtern ließ und auch mit keiner Faser seines Herzens der Gefahr dachte, der sie eben entgangen; denn hätte der Fisch mit dieser Gewalt das kaum verfehlte Boot getroffen, so wäre es in Splittern auseinander gebrochen.
Während die Matrosen erschreckt nach ihren Rudern griffen, um das Boot zurück und aus dem Bereich der Gefahr zu werfen, hob sich seine Harpune, und noch war der Leviathan der Tiefe nicht wieder verschwunden, als auch schon das Eisen ausflog und sich tief in dessen Weichen bohrte.
»Ruder ein! Segel nieder!« – wie eine Schlange glitt er zurück, während der junge Harpunier, der seine erste Reise in dieser Eigenschaft machte, vor Eifer zitternd nach vorn sprang und die schon bereit liegende Lanze aufgriff.
Vor ihnen her flog jetzt der erste Harpunier mit seinem Boot, denn der Fisch hatte die Leine und zog an, und ihr Gefangener schien die nämliche Richtung nehmen zu wollen – die Leine glitt mit Blitzesschnelle aus. Die Leute mußten die Ruder wieder aufnehmen, um ihm ein wenig zu folgen und das Boot in der Richtung zu halten – jetzt plötzlich that es einen Ruck – die Harpune hielt, und fort ging es, daß der Gischt hoch am Bug emporschäumte, hinter dem gefangenen Ungeheuer her – gerade dem andern Boot nach. – Liefen sie aber schneller als dieses? – rasch näherten sie sich ihm, und als sie vorüberflogen, wie von einer Dampfmaschine getrieben, hörten sie nur noch, daß der alte Harpunier darin fluchte und wetterte und seinen Leuten befahl, die Leine einzuholen – die Harpune mußte aus dem Speck gerissen sein, und der Fisch war jedenfalls freigekommen.
Sie aber hatten natürlich keine Zeit, sich damit aufzuhalten. Im Schlepptau des Wals flogen sie nur so über die wenig bewegte See, immer genau ein und dieselbe Richtung einhaltend, gen Osten zu. Uebrigens sahen sie, daß eines der Boote – es war das des zweiten Harpuniers – sich gewendet hatte und mit vollem Segel hinter ihnen drein kam, um ihnen vielleicht den Fisch sichern zu helfen, denn der erste Harpunier hatte noch eine ganze Weile damit zu thun, um seine Harpune wieder an Bord zu holen.
Und wie der Fisch lief! Ein sogenannter Finnbackwallfisch hat es allerdings in der Gewohnheit, mit der Harpune in solcher Art fortzulaufen, und deßhalb ist sein Fang so schwer und undankbar, und die Wallfischfänger wollen auch Nichts von ihm wissen; giebt er doch auch viel zu wenig Thran für die Mühe, die er kostet, so daß der Gewinn in keinem Verhältniß zu der Gefahr steht. Der Spermwal dagegen läuft gewöhnlich erst eine Strecke gerade aus, und hält dann ein und taucht in nicht zu große Tiefe unter, weil er bald zum Athemholen wieder an die Oberfläche zurückkehrt. Dadurch nun giebt er dem an ihm festgekommenen Boot Gelegenheit, ihm den Todeswurf mit der Lanze hinter eine der beiden Seitenflossen zu versetzen – der einzige Platz, und der nicht einmal sehr große, wo er tödtlich getroffen werden kann.
Die Matrosen des vierten Bootes kümmerten sich aber wenig um das Laufen, denn sie wußten, daß ihr Vorspann damit bald aufhören würde. Sie lachten und jubelten, und besonders war der junge Harpunier ganz außer sich vor Vergnügen, daß er einen Fisch bekommen hatte, während der erste Harpunier, der ihn bis jetzt immer über die Achsel angesehen, mit leerem Boot zum Schiff zurückkehren mußte. Er konnte auch die Zeit nicht erwarten, bis ihnen der Wal in Wurfnähe kommen würde. – Daß er ihn sicher und gut traf, sollte seine Sorge sein.
»Es ist übrigens Zeit,« sagte der eine der Matrosen, »daß wir einmal richtig an einen Fisch festkommen, denn zehn Monate sind wir jetzt aus, mit noch nicht einer einzigen Tonne Thran an Bord – die Butter ausgenommen, die der Holzkopf von Koch für uns eingelegt hat. Das Schiff war bis jetzt wie verbrannt, ordentlich als ob wir verhext gewesen wären. Wenn wir den nur erst wenigstens sicher langseit und eingeschnitten hätten.«
»Keine Noth, mein Bursche,« lachte der Harpunier – »der lockert die Leine schon; er wird müde – holt ein – je eher wir heimkommen, desto besser.«
Zwei der Matrosen sprangen nach vorn und nahmen Hand über Hand die Leine ein; der Fisch schien in der That müde geworden zu sein, denn er lag entweder ganz still, oder schwamm auch vielleicht, wie sie das manchmal thun, in anderer Richtung langsam weiter.
»There she blows,« rief der eine Matrose plötzlich, mit unterdrückter Stimme, als er dicht voraus den Strahl erkannte. Der Fisch war an die Oberfläche gekommen, um Athem zu holen, und sie konnten jetzt deutlich erkennen, daß er noch von ihnen abgewendet lag, also nur einfach im Laufen inne gehalten hatte. Jedenfalls mußten sie so viel wie möglich von der Leine bergen, um ihm das nächste Mal, wenn er wieder einhalten sollte, näher zu sein. Beide Matrosen zogen so rasch ein, als sie konnten, vermochten aber dadurch nicht, das eingenommene Tau auch eben so schnell und ordentlich wieder aufzukoilen.
»Habt Acht da vorn,« sagte der Bootssteuerer, der das bemerkte, »und verwickelt die Leine nicht – wenn er plötzlich wieder anreißt –«
»Da kommt er wieder nach oben!« rief der Harpunier und sprang vorn auf die kleine Bank des Bugs, um besser von da ab ausschauen zu können, aber unvorsichtig genug trat er dabei in ein paar Schlingen des eingeholten Taues, und in dem Moment fast schoß der Fisch nach vorn und in die Tiefe, wobei er die Leine hinter sich herriß.
»Habt Acht da vorn!« rief noch einmal der Bootssteuerer, aber seine Warnung kam für den Harpunier zu spät. Während er mit dem rechten Fuß hinaustreten wollte, schlang sich die auslaufende Leine um diesen, und wie ein Blitz warf es ihn hinaus über Bord. Zu gleicher Zeit hatte sich eine Schlinge um den in der Mitte befestigten Krahn oder Nagelbalken geschlagen, an dem die Leine überhaupt befestigt wird, wenn sie halten soll, und pfeilschnell riß der Wal das Boot hinter sich her.
»Kappt das Tau!« war der erste, unwillkürliche Ruf des Bootssteuerers, der in diesem Augenblick seinen Platz nicht verlassen konnte, wenn er nicht das Boot gefährden wollte, das natürlich umgeschlagen wäre oder sich gefüllt hätte, sobald es die furchtbare Kraft des Wals auf die Seite riß. Ehe aber nur Einer der Leute dem Befehl Folge leisten konnte, schrie er auch schon wieder »Halt! laßt sein!« – denn wie er den Blick zurückwarf, sah er, daß das Boot des zweiten Harpuniers, von der frischen Brise begünstigt, kaum fünfhundert Schritte entfernt hinter ihm drein kam. Außerdem wußte er, daß der Harpunier ein ausgezeichneter Schwimmer war. Jenes Boot mochte ihn deßhalb aufnehmen, und wenn der Wal wieder hielt, konnte es herankommen und den verlorenen Offizier seinem eigenen Boot zurückbringen. Sie durften den gefangenen Fisch nicht so leichtsinnig aufgeben – weshalb hatte auch der Harpunier nicht besser aufgepaßt?
Jetzt ging die Reise wieder fort, rascher als vorher und immer nach Osten zu, und die Matrosen waren dabei eifrig beschäftigt, die fast in Verwirrung gerathene Leine wieder zu ordnen, daß sie das Boot nicht in Gefahr bringe. Das gelang ihnen endlich, und sie sahen zu ihrer Beruhigung, daß das zweite Boot ihren Harpunier gefunden hatte und an Bord nahm. Dadurch wurde jenes freilich in seinem Fortgang sehr aufgehalten, und sie ließen es jetzt weit zurück.
»Die holen uns im Leben nicht wieder ein, Sir,« sagte der eine Matrose, indem er den Kopf zurückwandte.
»Wär' auch kein Unglück, Bob,« lachte dieser trotzig – »weßhalb hält der junge Herr seine Finnen nicht aus der Leine – aber im schlimmsten Fall kannst Du das Boot doch eben so gut an einen Wal hinansteuern als ich, Bob; wie?«
»Sollte denken, Sir,« schmunzelte dieser, »bin wenigstens lange genug dabei und einmal selber eine Jahreszeit Bootssteuerer gewesen, als wir eines unserer Boote mit der Mannschaft verloren.«
»Nun gut,« nickte der Offizier, »sobald der Fisch wieder aufkommt, Bob, nimmst Du das Steuer, und ich denke, ich kann ihm die Lanze eben so gut an der richtigen Stelle beibringen, wie Mister Broom – und vielleicht noch ein verdammt Theil besser,« brummte er leise vor sich hin in den Bart.
Es wurde jetzt kein Wort weiter gesprochen, und die Bootsmannschaft war dabei so mit ihrem Wal beschäftigt, daß sie gar nicht auf die Tageszeit achtete, und daß die Brise anfing einzuschlafen. Weiter und weiter flogen sie, von dem verwundeten Thier in wilder Hast vorwärts geschleppt, und doch jeden Augenblick erwartend, daß es wieder halten und sie hinanlassen sollte.
»Hol' mich Dieser und Jener,« brummte da einer der Matrosen plötzlich – »da hinten geht die Sonne unter, und wo ist denn eigentlich unsere Martha's-vine-yard?«
Der Bootssteuerer warf den Blick zurück, aber er konnte ebenfalls Nichts mehr von dem Schiff erkennen, da sich noch dazu ein leichter Duft auf den westlichen Horizont gelegt hatte.
»Alle Wetter!« rief er aus – »Kapitän Burker wird doch wahrlich nicht verlangen, daß wir den ganzen Weg mit dem Fisch zurückrudern sollen? Der kann uns gar nicht gefolgt sein.«
»Vielleicht ist noch eins der andern Boote festgekommen, Sir,« sagte Bob, »und er hat sich mit dem aufgehalten.«
»Und was machen wir jetzt?« rief der Bootssteuerer – »wir können doch wahrhaftig jetzt, im letzten entscheidenden Augenblick, den Fisch nicht aufgeben?«
Die Leute schwiegen. Sie wollten den Fisch natürlich auch nicht gern einbüßen, denn es war das Erste, was sie auf ihrer langen Fahrt verdient hatten; dann aber auch kannten sie recht gut selber das Gefährliche ihrer Lage, wenn sie auf offener See ihr Schiff verloren.
»Es ist eine ganz verfluchte Geschichte,« brummte Bob – »und wo steckt denn nur das zweite Boot? vorhin war es doch noch hinter uns!«
»Eben hab' ich es da drüben noch gesehen,« sagte Dick, ein Anderer der Leute – »jetzt müssen sie aber ihr Segel eingenommen haben, ich kann Nichts mehr erkennen.«
»Die Brise ist ganz eingeschlafen,« sagte der Bootssteuerer, indem er sein Gesicht nach Süden wandte – »die See fängt an wieder glatt zu werden.«
»Wenn der verdammte alte Thrankasten nur von der Stelle käme!« knurrte da Bob, »so hätten sie uns gar nicht im Stich lassen können, und jetzt dürfen wir nur ruhig die Leine kappen und uns selbst das Brod vom Munde wegschneiden.«
»Hol's der Teufel, Leute!« rief der Bootssteuerer, »wenn ihr denkt wie ich, so lassen wir unsern Vorspann noch eine Weile ziehen. Lange kann er es nicht mehr aushalten – er hat schon eine etwas andere Richtung genommen und sich ein wenig mehr nach Süden gewandt. Das ist immer ein sicheres Zeichen, daß sie müde werden. Kommen wir dann, bis völlig Nacht, nicht fest – nun denn in Gottes Namen, dann haben wir wenigstens unsere Schuldigkeit gethan, und sind dann auch nicht viel weiter vom Schiff als jetzt.«
Die Leute erwiederten Nichts, und in unverminderter Schnelle flog indessen der Wal mit ihnen durch die Fluth – aber er hielt nicht an. Die Sonne war im Meer verschwunden, und bleiern lagerte sich die Nacht auf den Ozean.
Der Bootssteuerer hatte Bob das Ruder gegeben und stand vorn an der Leine – plötzlich fühlte er, daß diese schlaffte.
»Beim Himmel, er hält!« rief er vergnügt aus – »so ist's vielleicht doch noch nicht zu spät.«
»There she blows!« rief der eine Matrose.
Der Wal war nach oben gekommen, verschwand aber im nächsten Augenblick wieder, und schon hatten die Leute ein tüchtiges Stück von der Leine eingeholt, als sie ihnen der Wal wieder aus der Hand riß, ohne daß sich ihr Boot aber von der Stelle bewegt hätte.
»Los mit Eurer Leine!« rief Bob, der Erfahrung genug mit diesen Burschen hatte – »nehmen Sie das Beil zur Hand, Mr. Sikes!«
Der Bootssteuerer folgte fast unwillkürlich der Warnung, und der alte Bob hatte nicht unrecht gehabt – der Wal tauchte mit rasender Schnelle. Die letzten Theile des losgeworfenen Taues flogen zischend über Bord, gerade nach unten zu, und mit der letzten Elle hatte der Bootssteuerer kaum noch Zeit, das haarscharfe Beil auf den Bootsrand niederzuhauen. Das Tau schlug ihm ordentlich das Beil fort, als auch im nächsten Moment der Bug ihres Bootes bis auf den Wasserrand niedergestaucht wurde und die salzige Fluth ihre Woge hineinwarf. Glücklicher Weise aber war das Tau schon so weit durchgehauen, um sie nicht ganz hinabzerren zu können – die letzten Fasern rissen, und während das von seiner ungeheuren Last befreite kleine Fahrzeug auf- und niedertanzte, war allerdings die unmittelbare Gefahr beseitigt, aber der Wal auch mit ihrer ganzen Leine verloren.
»Hell!« sagte Bob lakonisch, indem er sich auf die Bank niedersetzte und einen noch viel wilderen Fluch in seinen Tabak hineinkaute – »ob der alte verbrannte Kasten denn nicht Unglück mit Allem hat, was er anfängt. Da sitzen wir jetzt, den Harpunier nach der einen und den Wal nach der andern Seite, und außerdem noch das ganze Schiff und Leine und Harpune verloren, und keine Tonne Thran für irgend Etwas bekommen. Es ist zum Halsabschneiden.«
»Das nächste Mal mehr Glück, Bob,« sagte der Bootssteuerer, indem er aber selber in nicht viel besserer Laune der Richtung nachsah, in welcher der Spermfisch verschwunden war. »Es ist eine verfluchte Geschichte, ja, läßt sich aber nun doch einmal nicht mehr ändern, und wir haben wenigstens unsere Schuldigkeit gethan. Und nun an eure Ruder, meine Burschen, daß wir wenigstens das Schiff wiederfinden, denn in der Windstille wird es uns wohl nicht weggelaufen sein.«
»Weggelaufen, nein,« brummte Bob, »der alte Kasten läuft schon nicht fort, aber weggetrieben. Und wenn wir's nun nicht finden?«
»Ach was,« sagte der Bootssteuerer, »nicht finden – der Kapitän hat jedenfalls seine bunten Signallaternen aushängen, die man meilenweit leuchten sieht. Vorwärts, ihr Leute, laßt uns keine Zeit mehr versäumen.«
»Und sollten wir nicht erst ein wenig essen, Sir?« frug der alte Matrose – »wir haben eine lange Arbeit vor uns.«
»Ich traue dem Wetter gar nicht,« meinte der Offizier. »Da drüben im Osten lag es schon vor Sonnenuntergang wie eine feste Wolke auf dem Wasser.«
»Das war das Land, Sir,« sagte Bob, – »ich kenne die Küste, da drüben regnet's immer.«
»Na meinetwegen, dann können wir auch eben so gut erst unsere Mahlzeit halten – nachher aber scharf wieder an die Arbeit. Was kann's helfen, es ist ja doch einmal unser Geschäft.«
Die Leute erwiederten nichts. Sie waren ordentlich hungrig geworden, und der Schiffszwieback mit dem Salzfleisch mundete ihnen vortrefflich. Sehr mäßig tranken sie aber dazu von dem mitgenommenen Wasser, denn in einem Boot auf offener See kann man nie wissen, wie lange man gezwungen ist, auszuliegen, und je vorsichtiger man dabei mit dem Wasser umgeht, desto besser.
Der Bootssteuerer versuchte indessen das kleine Spintje zu öffnen, das sich im Boot befand, aber der Schlüssel stak nicht – den hatte der Harpunier in der Tasche. Eine Weile überlegte er es sich – den darin befindlichen Kompaß gebrauchten sie eigentlich noch nicht – aber die Flasche Rum – ein Schluck davon würde ihnen Allen wohlgethan haben. – Es war auch außerdem besser, wenn sie den Kompaß heraus hatten, – und zu der Ueberzeugung gekommen, nahm er ohne Weiteres das kleine Handbeil, schlug mit dem dicken Ende desselben auf das Schloß und sprengte es.
Dadurch brachte er auch die Leute in etwas bessere Laune; denn man glaubt nicht, welche wohlthätige Wirkung, mäßig genossen natürlich, ein Schluck Grog oder auch reiner Rum auf See und in der feuchten Luft ausübt. Wie aber Jeder sein Glas ausgetrunken hatte, mahnte der Bootssteuerer wieder zur Heimkehr an Bord, und die Leute griffen jetzt ihre Ruder auf.
»Merkwürdig, Mr. Sikes,« sagte da Bob, indem er seinen Riemen in die Dolle warf, »was für ein sonderbarer Schein auf dem Wasser liegt. Es sieht ordentlich aus, als ob es rauchte – wenn wir nur keinen Nebel bekommen – das wäre ein schöner Spaß.«
»Hm,« sagte der Angeredete, indem er den Blick nach rechts und links hinüberwarf, »'s ist mir auch schon so vorgekommen – wär' bös, Bob, aber wollen's nicht hoffen. Vorwärts, ihr Leute, wir dürfen keinesfalls mehr Zeit versäumen.«
Die Leute hatten die Ruder eingelegt und fingen an zu arbeiten – aber nicht willig. Die Vordersten flüsterten leise mit einander und ruderten dann wieder schweigend weiter. Was der alte Matrose gefürchtet, sollte sich aber nur zu rasch bewahrheiten, denn trotz der Dunkelheit wurde der über dem Meer lagernde Duft immer bemerkbarer und hob sich dabei höher und höher, so daß sie jetzt schon gar nicht mehr voraus, sondern nur noch einzelne Sterne sehen konnten.
»Mr. Sikes,« sagte Bob, »die Geschichte wird faul. Die Lichter an Bord sind wir nicht mehr im Stande zu erkennen, und wenn wir vorbeifahren, haben wir das blaue Weltmeer vor uns.«
»Aber Bob, wir sind noch lange nicht weit genug gefahren, um das zu ermöglichen,« sagte der Bootssteuerer. »Ein paar Stunden dürfen wir noch immer so fortrudern.«
Bob warf – während die Leute sämmtlich mit Rudern aufgehört hatten – den Blick nach oben. Der Nebel war indessen so hoch gestiegen, daß er schon wie ein Schleier über ihnen lag und nicht einmal die Sterne mehr deutlich erkennen ließ.
»Das thut's nicht, Sir,« sagte er – »wenn wir jetzt irre fahren, reiben wir unsere Kräfte auf und wissen nachher nicht einmal, nach welcher Richtung wir das Schiff suchen sollen.«
»Wenn man nur den Kompaß erkennen könnte,« sagte der Bootssteuerer, selber jetzt unsicher gemacht – »aber es ist ja stockdunkel und nicht einmal eine Laterne in der Spintje – die gehörte eigentlich hinein.«
Die Leute hatten, ohne einen weiteren Befehl abzuwarten, ihre Ruder aufgenommen und in das Boot gelegt. Der Bootssteuerer schaute eine Weile schweigend und unschlüssig vor sich nieder, aber er sah in der That selber keine Möglichkeit, mitten in Nacht und Nebel einen bestimmten Kurs zu halten. Ja wenn sie noch Wind gehabt hätten, so konnten sie eher auf- und absegeln, ohne die Leute zu erschöpfen, und wer wußte denn, ob sie nicht am nächsten Morgen ihre Kräfte nothwendig brauchen würden.
»Es wird nicht anders,« seufzte er endlich leise – »wir müssen jedenfalls den Nebel abwarten. So legt Euch denn schlafen, Leute, und ruht Euch aus – aber eine Wacht müssen wir halten – wir können ja einander ablösen, denn es wäre doch möglich, daß das Schiff in unsere Nähe käme oder einen Schuß feuerte, nach dem wir im Stande sind, die Richtung zu bestimmen.«
»Gut, Sir, dann will ich die erste Wacht nehmen,« sagte Bob, »ich bin doch noch nicht müde, und wenn wir alle zwei Stunden abwechseln, wird ja der Morgen auch da sein.«
»Aber sowie der Nebel sinkt und die Sterne wieder sichtbar werden,« sagte Mr. Sikes, »weckt Ihr augenblicklich.«
»Gewiß, Sir,« nickte der Alte, und zog die neben ihm liegende dicke Jacke an, die er sich in Vorsorge mitgenommen hatte, und um die ihn die Uebrigen jetzt nicht wenig beneideten. Der Nebel fiel recht kalt und naß, und es war eben kein angenehmer Aufenthalt in dem offenen Boot.
Mr. Sikes suchte sich jetzt ebenfalls so gut als möglich wegzustauen, um der Nacht ein paar Stunden Schlaf abzuringen; es war das aber nicht so leicht, und bequem konnte er es sich auch nicht machen. Von der Anstrengung und Aufregung der letzten Stunden erschöpft, schlief er aber doch endlich wirklich ein, und Grabesstille herrschte in dem kleinen Fahrzeug.
Und weshalb schliefen die Leute nicht? – müde hätten sie wohl auch sein können, aber andere Dinge gingen ihnen im Kopf herum, und als sie erst sicher wußten, daß der Bootssteuerer sie nicht mehr hörte, saßen sie vorn im Bug des Bootes gedrängt zusammen und flüsterten leise miteinander.
Bob schien anfangs nicht ganz ihrer Meinung zu sein, denn er schüttelte ein paarmal entschieden mit dem Kopf; endlich hörte er still und schweigend zu, und als sich die Anderen zuletzt zum Schlafen niederlegten, saß er noch lange regungslos auf seinem Bret und starrte in tiefen Gedanken in den Nebel hinaus.
Wie er zwei Stunden gesessen hatte – er konnte auf seiner alten silbernen Uhr den Zeiger fühlen – weckte er die nächste Wacht. Im Wetter hatte sich indessen noch nichts geändert, als daß der Nebel dichter zu werden schien. – Nicht der Schimmer eines Sternes ließ sich mehr erkennen, und ebensowenig regte sich ein Luftzug –
»Phh! – Phh!« hörte die Wacht da dicht neben dem Boot das Schnaufen von zwei Wallfischen, die langsam und behaglich ihre Bahn verfolgten, und so willkommen ihnen Allen gewiß der Ton an Bord ihres Schiffes oder mit ihren Waffen in Ordnung gewesen wäre, so ängstlich horchte der Mann jetzt dem zischenden Laut. Sie hatten nicht einmal mehr eine Leine an Bord, wenn sie wirklich daran denken konnten, einen der Fische zu harpuniren, und rannten die riesigen Thiere jetzt zufällig gegen ihr Boot an, so war es verloren.
»Hallo! hallo!« rief auch der Matrose, als das Schnaufen sich wiederholte, und jetzt zwar in kaum zwanzig Schritten vom Boot selber – »Wallfische! habt Acht! Bootssteuerer, Bob, Bill – auf mit Euch!«
Die Leute sprangen erschreckt empor, und in demselben Moment fast gingen die beiden schwerfälligen Geschöpfe, ohne das Boot zu sehen oder zu beachten, unmittelbar daran vorüber, und zwar das eine rechts, das andere links, daß man sie hätte mit einem Bootshaken erreichen können. Die Mannschaft griff auch in der That erschreckt nach ihren Rudern, obgleich ihnen die Nichts mehr hätten nützen können – aber die Gefahr war schon vorüber und das Boot schaukelte nur etwas stärker in dem aufgeregten Element.
»Das hätte noch gefehlt,« brummte der Bootssteuerer, als er bestürzt und noch halb im Schlaf hinter ihnen drein sah – »und den Nebel dazu – Wie viel Uhr ist's, Bob?«
»Geht auf Elf, Sir,« erwiederte dieser, nachdem er seine Uhr wieder befühlt.
»Elf erst – das wird eine lange Nacht,« seufzte der Seemann und rückte sich wieder auf seiner Bank zurecht.
Die Wachen wechselten, aber in der Witterung änderte sich Nichts. Der Nebel lag zäh und milchweiß auf dem spiegelglatten Meer, und als der Tag anbrach, war die Sonne nicht einmal im Stande durchzudringen. Der Bootssteuerer aber, mit der Verantwortlichkeit, die er für das Boot trug, schien auch nicht gesonnen, längere Zeit zu versäumen, und kaum war es hell genug genug geworden, um den Kompaß zu erkennen, als er sich in der See Gesicht und Hände badete, und dann von den Lebensmitteln unter die Leute vertheilte.
»So, meine Burschen,« sagte er dabei, »jetzt eßt, und dann an die Arbeit. Ihr habt nun ordentlich ausgeschlafen und wir müssen sehen, daß wir die Martha's-vine-yard wiederfinden, Nebel oder keiner. Jedenfalls läuten sie doch die Glocke an Bord und blasen oder schießen wohl auch ein paarmal, und wenn wir nur halbwegs in die Nähe kommen, müssen wir es ja hören.«
Die Leute verzehrten schweigend ihr frugales Frühstück, ohne ein Wort auf die Anrede zu erwiedern. Sie beeilten sich aber auch nicht damit und nahmen dann, als sie fertig waren und keine Entschuldigung mehr hatten, ihre Ruder langsam auf und legten sie in die Dollen. Der Bootssteuerer hatte indessen mit dem Steuerriemen, den kleinen Kompaß neben sich stehend, den Bug nach Westen herumgeworfen.
»Ein mit Euren Riemen, Ihr Leute,« rief er dabei. »Zögern hilft uns Nichts. Je länger wir hier warten, desto später kommen wir an Bord.«
Keiner der Matrosen rührte sich, um dem Befehl zu gehorchen; sie starrten schweigend und finster vor sich nieder, und augenscheinlich mochte Keiner von ihnen zuerst das Wort ergreifen.
»Nun? wird's bald?« sagte der Bootssteuerer, die Stirn runzelnd.
»Ich will Ihnen etwas sagen, Mr. Sikes,« übernahm der alte Bob die erste Eröffnung – »die Leute denken, daß wir in dem Nebel das Schiff verfehlen werden und nachher ohne Wasser und Lebensmittel da draußen verschmachten müssen!«
»Und wollt Ihr hier liegen bleiben?«
»Nein – aber das feste Land ist nicht so schrecklich weit. Wir haben gestern Abend schon die Wolken gesehen, die darüber liegen, wenn man auch die Berge noch nicht erkennen konnte, und je weiter wir wieder nach Westen fahren, desto weiter kommen wir vom Lande ab, und sind vielleicht nie mehr im Stande es zu erreichen.«
»Das feste Land?« rief der Bootssteuerer erstaunt aus, »und wißt Ihr nicht, daß Ihr zur Martha's-vine-yard gehört?«
»Das Schlimmste, was uns passiren konnte,« brummte der Eine der anderen Leute, Bill, der Segelmacher; »verdamm' den alten blutigen Kasten; ich wollte, ich hätte ihn mein Lebtag nicht gesehen, denn Alles, was er ergreift, hat Unglück.«
»Auf dem Schiff liegt ein Fluch,« sagte jetzt auch Tom. »An vier, fünf Fischen sind wir schon fest gewesen, aber den ersten Tropfen Thran sollen wir noch zu sehen kriegen. Zehn Monate sind wir jetzt aus und haben nicht einmal genug eingebracht, um uns die Stiefel damit zu schmieren.«
»Ja, und sitzen dabei in Schulden bis über die Ohren,« fiel Dick, der Vierte, ein. »Keinen Cent verdient und dann auch noch vierzig oder fünfzig Dollars der Mann für warme Kleider zu bezahlen, daß uns am Kap die Seele nicht aus dem Leib fror. Ich will von Heuschrecken zu Tode getreten werden, wenn ich wieder einen Fuß auf den verdammten Blubberkasten setze.«
»Also Meuterei?« rief der Bootssteuerer, sich emporrichtend und die vier mürrischen Burschen mit seinem Blick überfliegend – »und wißt Ihr, welche Strafe darauf steht?«
»Ach was, Sir,« sagte aber auch Bob jetzt, »das ist keine Meuterei, wo wir mit dem Boot, im Nebel verloren und Gott nur weiß wie weit vom Schiff entfernt, auf offener See sind. Nur unser Leben wollen wir retten, daß es uns nicht am Ende geht wie den Booten vom Essex, auf denen die Mannschaft zuletzt darum loosen mußte, welchen von ihnen sie fressen wollten, um nur nicht zu verhungern. Jetzt können wir noch an Land kommen, die See ist ruhig und die Küste nicht so weit – morgen vielleicht schon nicht mehr.«
»Aber heute auch nicht, meine Burschen,« schrie da der Bootssteuerer, den der Zorn übermannte, indem er das neben ihm liegende Beil aufgriff; »verdamm' meine Seele, wenn ich nicht dem Ersten, der jetzt noch zu murren wagt, den Schädel einschlage wie einer faulen Robbe! Ein mit Euren Rudern, sag' ich – Ihr wißt –«
»Damn your eyes,« fuhr der Bill empor, »werft oder schlagt und seid verdammt, aber Einen könnt Ihr nur treffen, und daß die Anderen dann die Haifische mit Euch füttern, darauf dürft Ihr Euch verlassen.«
»Wenn's darauf ausgeht,« rief da Tom, der Dritte, indem er sein Ruder einzog und eine der vornliegenden Lanzen aufgriff und wandte, »so spielen wir auch noch mit. Legen Sie Ihr Beil hin, Mr. Sikes, Sie sehen, daß Sie gegen vier Mann Nichts machen können. Wir wollen Ihnen auch kein Leides thun und haben nie daran gedacht, aber verdammt will ich werden, wenn ich Ihnen nicht das alte Eisen mitten in den Leib hineinwerfe, sowie Sie nur den Arm heben.«
Der Bootssteuerer hatte das scharfe Beil krampfhaft festgepackt, und es zuckte ihm im Arm, seine Drohung wahr zu machen – aber er sah die Unmöglichkeit ein, die vier kräftigen Seeleute zu ihrer Pflicht zu zwingen, wenn er sich nicht selber sicherem Verderben aussetzen wollte.
»Meuterei! bei Gott! helle, blanke Meuterei,« knirschte er zwischen den zusammengebissenen Zähnen hindurch; »und wißt Ihr denn, was Ihr an der fremden Küste findet, und ob Ihr da nicht erst recht von wilden Menschenfressern angefallen und todtgeschlagen werdet?«
»Hat keine Noth, Sir,« lachte aber der alte Bob; »an der Küste fressen sie Keinen, und verwünscht wenig Indianer, die wir da antreffen werden. Bill hat aber recht. Ich bin selber schon auf manchem Whaler mein Lebstag gewesen, so erbärmlich ist's mir aber noch auf keinem gegangen, und wenn wir Nichts fangen, wird uns nicht einmal für unsere ganze Arbeit etwas zu Gute gethan, und wir müssen die paar Lumpen etwa zu dem vierfachen Preis von dem, was sie in Edgarton gekostet hätten, aus unserer eigenen Tasche bezahlen.«
»Und habt Ihr das nicht etwa vorher gewußt, Sirrah?«
»Allerdings, Mr. Sikes,« erwiederte Bob ruhig, »aber was wir vorher nicht wußten, war, daß wir in einem solchen alten nichtsnutzigen Wrack auf eine solche Reise geschickt werden sollten. Angemalt hatten sie das alte Ding wieder hübsch genug, aber die Farbe hielt das Seewasser nur nicht heraus, und jeden Tag, ein paar Jahre lang zwei oder drei Stunden an den verdammten Pumpen hängen, ist auch eben kein Vergnügen.«
»Und trägt Euer Kapitän daran die Schuld?«
»Das weiß ich nicht,« sagte Bob vorsichtig; »wir haben es hier aber gar nicht mit dem Kapitän zu thun, wir wissen nicht einmal, wo er mit dem Schiffe steckt, und können ihn nicht suchen, ohne uns der größten Lebensgefahr auszusetzen. Den Nebel hat der liebe Gott geschickt – es ist ein Naturereigniß, gegen das wir nicht im Stande sind anzukämpfen, und wenn wir uns jetzt weigern, auf's Gerathewohl mitten in den Ozean hinauszufahren, um dort vielleicht elend zu Grunde zu gehen, so ist das keine Meuterei, sondern nur einfache Selbsterhaltung. Wüßten wir gewiß, nach welcher Richtung wir die Martha's-vine-yard suchen sollten, und läge der Nebel nicht so dick, es würde Keinem von uns einfallen, seiner Pflicht zuwider zu handeln.«
»Dann macht, was Ihr wollt,« rief der Bootssteuerer, das Beil, das er noch immer in den Händen hielt, ingrimmig auf den Boden des Bootes schleudernd; »ich habe dann aber mit der Führung des Fahrzeugs Nichts mehr zu thun, und betrachte mich als Gefangenen.«
»Das können Sie nun machen, wie Sie wollen,« lachte Bill. Bob aber schüttelte den Kopf und rief: »Nein, Mr. Sikes, Sie sind so wenig ein Gefangener als ich oder Einer der Anderen, aber daß Sie nicht mehr steuern wollen, kann ich Ihnen nicht verdenken. Als Offizier des Boots ist es vielleicht Ihre Pflicht, bis zum letzten Moment auszuhalten, und wenn es später einmal nöthig werden sollte, wollen wir Ihnen gern bezeugen, daß Sie Ihre Schuldigkeit gethan und sich nur gezwungen der Mehrzahl fügten. Wollen Sie mir das Steuer erlauben – wir wechseln nachher ab, Jungens, damit sich Jeder ein wenig ausruhen kann – und drei Riemen bringen uns ziemlich eben so rasch von der Stelle als vier – also vorwärts, meine Burschen. Bis nicht die Sonne so hoch kommt, daß wir sie sehen können, müssen wir uns nach dem Kompaß richten, und wo wir jetzt die Küste zuerst treffen, bleibt sich gleich. Wir rudern nachher so lange daran hinauf, bis wir am Ufer irgendwo eine Landung, oder einen bewohnten Platz finden können.«
Das Boot hatte sich indessen, und während der Verhandlung, langsam wieder gedreht und lag jetzt mit seinem Bug Südosten an. Bob brachte es mit einer einzigen Bewegung seines langen Ruders in den richtigen Kurs und die Matrosen legten sich jetzt aus Leibeskräften in die Riemen, um die Entfernung zwischen sich und dem Schiff nur so viel als möglich zu vergrößern, ehe der Nebel wich, und jeder Gefahr enthoben zu sein, wieder an Bord zurückkehren zu müssen. – An Land! es liegt für den Matrosen, wenn er sich lange Monate auf See herumgetrieben hat, ein eigener Zauber in dem Wort, und daß Keiner von ihnen auch nur einen Cent Geld bei sich trug, was kümmerte es sie, leichtsinniges Volk, das ja doch nur immer in den Tag hinein lebt, und jeden Einzelnen für sich selber sorgen läßt.
Jeder Seemann – überhaupt jeder Mensch, der viel in der freien Natur lebt, wie am Lande der Jäger, der Schäfer, der Hirt, ist abergläubisch. Er verkehrt zu unmittelbar mit den Elementen und ihren gewaltigen Wirkungen und Erscheinungen, und während er die Größe Gottes anstaunt, schleicht sich auch noch ein anderes Gefühl in sein Herz, – das Gefühl seiner eigenen Machtlosigkeit und Kleinheit, die ihn verhindert, gegen die ihn übervoll umgebenden geheimen Kräfte anzukämpfen. Er glaubt dabei an Vorbedeutungen und alle nur erdenkbaren Einflüsse feindlicher Mächte, und das ist schon so weit gegangen, daß in früheren Zeiten Matrosen ein unglückliches und vollkommen unschuldiges Menschenkind von ihrem Schiffe ausgestoßen und einem offenen Boot übergeben haben, weil sie den wahnsinnigen Gedanken gefaßt, daß dessen Anwesenheit an Bord allein verschiedene Unglücksfälle über sie heraufbeschworen habe und dem Schiff zuletzt verderblich werden müßte.
So hatte sich auch, schon vor Wochen, auf der Martha's-vine-yard der Glaube unter den Matrosen festgesetzt, daß ihr Schiff dem Unglück verfallen wäre, und keinen einzigen Fisch langseit bekommen würde – geschähe das aber wirklich, dann käme auch – wie schon damals – augenblicklich ein Sturm und zwänge sie, die schwer erkämpfte Beute wieder loszuwerfen und preiszugeben. Der gestrige Tag mit seinen Widerwärtigkeiten mußte sie denn noch mehr und fester in diesem Aberglauben bestärken, und tausendmal lieber wollten sie sich allen Gefahren aussetzen, die ihnen ein vollständig unbekanntes Land oder eine fremde Küste boten, als daß sie versucht hätten, ihr eigenes Schiff wieder zu finden.
Uebrigens rechtfertigte der nicht weichende Nebel wenigstens zum Theil ihre Flucht, denn so lange dieser anhielt, hatte sie in der That nur ein Zufall ihr Schiff treffen lassen, während sie, in der Irre umherfahrend, ohne Provisionen und Wasser, einer weit größeren Gefahr ausgesetzt waren, als ihnen das fremde Ufer bieten konnte.
Jetzt ruderten sie dem entgegen, und mürrisch, im Bug des Bootes, die Arme ineinander geschlagen und finster in den Nebel hinausstarrend saß der Bootssteuerer, ärgerlich mit sich und der ganzen Welt, und doch auch wieder vielleicht halb und halb zufrieden, daß er eben gezwungen wurde wegzulaufen, da er selber gut genug wußte, was sie erwartete, wenn sie ihr Fahrzeug wirklich in dem Nebel verfehlt hätten. Er konnte aber auch Nichts an der Sache ändern, denn gegen die vier kräftigen Seeleute vermochte er, als Einzelner, nichts auszurichten. Er mußte sie eben gewähren lassen, und Alles kam jetzt darauf an, welchen Punkt der Küste sie gerade erreichten.
Daß sie sich jetzt unter der Linie, oder wohl auch ein paar Grad nördlich davon befanden, wußte Mr. Sikes, weiter aber hatte er sich auch um die Beobachtung, die ihn an Bord des Wallfischfängers gar Nichts anging, nicht bekümmert, das war Sache des Kapitains und des für diesen Zweck angestellten Steuermanns gewesen, und wäre die Sonne wirklich herausgekommen, so führten sie nicht einmal einen Sextanten bei sich, um ihre Berechnung danach zu machen. Was kam auch darauf an! Die Küste lag jedenfalls im Osten, weit gestreckt von Süd nach Norden, und irgendwo mußten sie dieselbe treffen, wenn sie die eingeschlagene Richtung beibehielten. Uebrigens war auch noch eine Möglichkeit, daß sie unterwegs irgend ein anderes Schiff trafen, denn sie kreuzten ja hier eine der belebtesten Fahrstraßen des Ozeans, und das nahm sie entweder auf, oder sie erfuhren doch genau, wo sie sich befanden, und konnten wieder frisches Wasser und Provisionen von ihm bekommen – der Nebel blieb dann auch nicht ewig liegen.
Die Matrosen ruderten indessen ruhig und unverdrossen fort und wechselten nur dann und wann mit Steuern ab. Keiner von ihnen aber sprach ein Wort mit ihrem bisherigen Offizier, und nur, als sie die letzten Provisionen und die letzten Becher Wasser mit ihm theilten, thaten sie, als ob er noch bei ihnen an Bord wäre.
Aber der Nebel wich und wankte nicht, und während sie unausgesetzt fort an den Riemen lagen, hatten sie nicht einmal das Gefühl des Fortbewegens, denn es sah genau so aus, als ob sie in einem engbegrenzten Raum ruhig auf ein und derselben Stelle liegen blieben und keinen Fuß breit weiter rückten. Die Sonne stand, Bob's Uhr nach, im Mittag und über Kopf, aber selbst dann konnten sie keinen Schimmer derselben erkennen, und eben so wenig erhob sich ein Luftzug von irgend einer Seite. Die See sah aus wie geschmolzenes Blei, und schwül und drückend lag die Luft auf ihnen.
Und wie trocken ihnen die Zungen wurden!
»Ist kein Tropfen Wasser mehr im Faß, Bill?« frug Tom den Segelmacher, der gerade am Steuer saß. Bill schüttelte mit dem Kopf.
»Kein Tropfen mehr, Mate, – aber das Land kann ja auch nicht mehr so weit sein und dort giebt's Wasser genug.«
»Ich glaube wahrhaftig, wir sitzen irgendwo fest,« brummte Tom leise vor sich hin; »unser Boot muß rein verhext sein, denn es regt sich nicht vom Platz.«
Der Bootssteuerer, der sich fest vorgenommen hatte, mit der Führung des Bootes selber Nichts mehr zu thun zu haben, stand von seinem Sitz am Bug auf, stieg über die erste Ruderbank hin und ergriff den vierten Riemen, den er in die Dolle brachte und im Takt mit den übrigen einfiel.
Die Seeleute hatten es Alle bemerkt, aber Keiner von ihnen sprach ein Wort, nur schärfer legten sie sich in die Ruder, denn jede Bootslänge, die sie hinter sich ließen, mußte doch auch die Strecke vermindern, die sie noch vom Ufer trennte.
Und die Sonne sank – zu sehen war sie nicht, aber der Nebel nahm eine immer grauere und dunklere Färbung an, bis der am Steuer sitzende Bob nicht einmal mehr den Kompaß erkennen konnte. Was nun? – es blieb ihnen Nichts weiter übrig, als ihr Boot ruhig treiben zu lassen. Die Strömung setzte sie hier, wie sie recht gut wußten, keinenfalls vom Lande ab, sondern viel eher nach Norden zu, und das war weiter kein Schade oder Verlust. Und dabei befand sich kein Tropfen Wasser mehr im Boot – keine Krume Schiffszwieback – aber die präservirten Töpfe – von den Matrosen hatte noch Keiner daran gedacht, ja vielleicht gewußt, daß sie sich dort befanden. Der Bootssteuerer legte sein Ruder ein, ging zurück zum Spintje, holte die zwei ziemlich großen Blechbüchsen heraus, stellte sie neben das Steuerruder und nahm dann, ohne ein Wort zu sprechen, seinen Sitz wieder ein.
»God bless you Mate,« sagte der alte Bob, als er die neue unerwartete Hülfe sah, »das kam zur rechten Zeit, um unser Volk bei Kräften zu erhalten. So ein Spintje ist Geld werth – wenn wir nur auch eine Flasche Wasser darin gefunden hätten.«
»Es steht noch eine halbe Flasche Rum drinnen,« sagte der Bootssteuerer.
»Beim Himmel, an den Rum hatte ich gar nicht mehr gedacht,« rief Bob, »und nun kommt, Jungens – morgen früh speisen wir vielleicht Bananen und Kokosnüsse. – Wetter noch einmal, das Wasser läuft mir im Mund zusammen, wenn ich an so eine frischgepflückte Kokosnuß denke.«
Die eine Blechbüchse war bald geöffnet; sie enthielt eingekochten, frischen Hammelsbraten, der sich noch ausgezeichnet gehalten hatte, und wenn er auch für die fünf Männer keine volle Mahlzeit gab, so genügte der Inhalt doch wenigstens, ihren Hunger zu stillen. Ein Schluck Rum, dessen sparsame Vertheilung der alte Bob übernehmen mußte, half den Durst etwas löschen, und die vom langen Rudern ermatteten Seeleute streckten sich dann wieder, so gut es gehen wollte, im Boot aus, um ihre müden Glieder auszuruhen. Wache wurde indessen nicht gehalten, denn bei todter Windstille konnte auch kein größeres Schiff segeln, und es war deshalb unmöglich, daß sie mit einem solchen zusammentrafen. Sie brauchten keine Störung zu fürchten.
Es mochte etwas nach Mitternacht sein, als der Bootssteuerer erwachte. Der Durst peinigte ihn, und er bog sich über den Rand des Bootes und goß sich Wasser mit der Hand über den Kopf, um sich dadurch zu erfrischen und abzukühlen. Wie er noch so da lag und es wieder abtropfen ließ, kam es ihm vor, als ob er in der Ferne ein dumpfes Brausen höre. Was konnte das sein? Er hob den Kopf und horchte – ein Dampfboot vielleicht, das seine Fahrt die Küste entlang hatte? – Doch blieb das Geräusch an der nämlichen Stelle. – Aber er fühlte jetzt auch, daß sich der Wind erhoben hatte – leise zwar noch und kaum bemerkbar, aber es wehte doch ein schwacher Luftzug, dem jetzt auch sicher der Nebel weichen mußte.
»Bob!« rief er leise und schüttelte den neben ihm liegenden alten Mann.
»Ja wohl, Sir,« sagte dieser, noch voll im Schlaf; »halben Strich an Leebug.«
»Bob,« flüsterte der Bootssteuerer aber wieder, denn er wollte nicht gleich die ganze Mannschaft stören. »Der Wind erhebt sich – wir kriegen Brise ...«
»Das wär' recht!« rief der Seemann jetzt völlig munter und vergnügt aus. »Bei George, da ist schon eine Mütze voll, aber die Luft kann noch nicht durch den Nebel durch; sie streift nur darüber hin und drückt ihn immer fester auf die See nieder. Sehen Sie da oben, Mr. Sikes? – Da zuckt richtig schon ein Stern heraus.«
»Hört Ihr das Brausen, Bob?«
»Wo, Sir?«
»Gleich dort drüben hinter unserem Boot, aber ich weiß nicht in welcher Richtung, denn wir haben uns wer kann sagen wie oft herumgedreht.«
Bob horchte eine Weile, ohne ein Wort zu erwiedern, dann griff er in die Tasche und nahm eine alte Blechbüchse heraus, in der er sein Feuerzeug verwahrte. Den Kompaß trug er ebenfalls bei sich, und nachdem er diesen auf die Bank gestellt, schlug er mit Stahl und Schwamm Feuer und brannte dann eines der mitgenommenen Schwefelhölzer an. Im nächsten Moment aber auch, wie nur die Flamme so weit aufflackerte, daß er die Stellung der Nadel erkennen konnte, rief er jubelnd aus: »Die Brandung! Hurrah, Jungens! Auf mit euch, das Wetter klärt auf und Brandung voraus! Hurrah!«
Die Leute taumelten in die Höh' und hörten auch wohl, wie sie nur erst munter geworden, das dumpfe rollende Geräusch, aber es war doch noch zu unbestimmt, um es deutlich unterscheiden zu können; es klang wie aus weiter Ferne und doch wußten sie auch recht gut, wie leicht gerade dieser Laut, besonders bei schwerer, nebliger Luft täuschen kann und wie manches Schiff schon dadurch verloren gegangen ist, daß es die Warnung nicht früh genug beobachtete. Mit einem leichten Wallfischboot aber, das ja danach gebaut ist, um eben so rasch zurück wie vorwärts getrieben zu werden, hatten sie Nichts zu befürchten, und es wurde jetzt beschlossen, ohne Weiteres jener Richtung zuzufahren, damit man sich, wenn der Nebel endlich wich, doch auch sicher in unmittelbarer Nähe des Landes wußte. Im Nebel durften sie natürlich nicht anlaufen.
Die Leute griffen nach den Rudern, und Bob bat den Bootssteuerer, seinen alten Platz wieder einzunehmen – aber er weigerte sich. Er wollte nicht selber die Richtung von ihrem Schiff ab angeben, wenn es die Matrosen thaten, konnte er es nicht ändern – aber er half rudern.
Und die Brise wuchs – je weiter es gegen Morgen vorrückte, desto lebendiger wurde es auf dem Wasser. Deutlich schon kam ein großes Stück blauen Himmels zum Vorschein, und sie konnten sehen, wie die Nebelmassen anfingen nach links hinauf zu rücken. Jetzt endlich tauchte die Sonne aus dem Meer empor – die leichten Wolken, die sich hoch über ihnen erkennen ließen, waren von dem rosigen Licht übergossen, und nun plötzlich fingen die Wellen an sich zu kräuseln, und im Nu warfen die Matrosen mit einem Jubelruf ihre Ruder in's Boot und setzten die Segelstange ein. – Wer hätte noch einen Arm rühren mögen, wo ihnen der Wind jetzt selber vorwärts half!
Aber die Brandung? – Deutlicher und deutlicher unterschieden sie den dumpfen Laut – und wie das um sie her wogte und drängte. Manchmal war es, als ob die Bahn vor ihnen frei würde, und offene Gänge und Wölbungen bildeten sich in den dichten weißen Schwaden – dann plötzlich hüllte es sie wieder in dunkle Nacht, daß der am Steuer Sitzende nicht einmal den vorderen Theil des Bootes erkennen konnte. Die erwachende Brise hatte den Nebel zerrissen und schob ihn in aufgerollten Massen vor sich her, und jetzt plötzlich brach die Sonne hindurch – wie ein Schleier riß es von einander – und vor ihnen, dicht und unmittelbar vor ihnen, daß es aussah, als ob man mit einer Büchsenkugel hinüber schießen könnte, lag das grüne, bewaldete Land, während darunter die Brandung aber nur über niedere Sandbänke schäumte und zischte.
Unwillkürlich lenkte der am Steuer sitzende Bob den Bug des Bootes etwas vom Lande ab, wobei der Wind das Segel besser fassen konnte, und aller Blicke hafteten in gespannter Erwartung an dem Ufer – aber ein Landungsplatz ließ sich dort nicht erkennen, denn so weit das Auge reichte, schäumten die Brandungswellen über den Sand.
»Ja, Boys,« sagte da Bob, »in Amerika wären wir – oder wenigstens dicht bei, aber hier läßt sich auch nichts machen, so viel ist sicher, und da bleibt uns denn keine andere Wahl, als nach Norden aufzulaufen, bis wir die Möglichkeit sehen, irgendwo einzufahren. Nach Süden müßten wir dem Wind gerade in die Zähne laufen.«
»Wenn wir nur Wasser hätten,« stöhnte Bill.
»Da drüben ist genug,« brummte der alte Matrose, »wir können nur noch nicht dazu – aber da – theilt Euch unter den letzten Schluck Rum, ich brauche Nichts – ich halt's schon noch aus, und weit werden wir auch nicht mehr zu fahren haben.«
Die Leute fielen gierig über den Rum her, und das Boot verfolgte indessen, während auch die letzte Blechbüchse zum Frühstück geöffnet wurde, seine Bahn an der Küste hinauf. – Aber das Ufer blieb sich gleich – Wald, undurchdringlicher, unnahbarer Wald, so weit sie voraus schauen konnten; doch sie brauchten wenigstens nicht mehr zu rudern. Der Wind wehte scharf und frisch vom Süden herüber, und mit geblähtem Segel konnten sie rasch und ohne Arbeit ihre Bahn an der Küste hinauf verfolgen.
Ein paar von den Matrosen machten allerdings den Vorschlag, an einer Stelle, wo sich wenigstens keine Brandungswellen erkennen ließen, zu landen und in dem Wald nach Wasser zu suchen – nachher hielten sie es schon wieder eine Weile aus; Bob aber, der das Ufer besser kannte, schüttelte dazu den Kopf, denn er wußte, daß es aus Nichts als Manglaren- oder Mangrovesümpfen bestand, in deren Schlammboden sie nie einen Tropfen trinkbaren Wassers gefunden hätten. Es half Nichts; sie mußten eben aushalten, aber irgendwo im Lauf des Tages mußten sie ja doch eine Stelle höher gelegenen Landes, oder wenigstens eine kleine Flußmündung entdecken, in die sie dann einlaufen konnten. So lange das nicht geschah, waren sie genöthigt, die offene See zu halten.
Und in der Zeit litten sie Tantalusqualen, denn zu verlockend lag das grüne, schattige Ufer an ihrer Seite und es schien ihnen kaum denkbar, daß dort, wo Bäume wuchsen, nicht auch Quellen sprudeln müßten und der Fuß einen festen, trockenen Boden fände. Die Meisten von ihnen kannten freilich noch nicht die trügerischen Ufer tropischer Küsten, und erst als ihnen der Bootssteuerer Bob's Versicherung bestätigte, fügten sie sich seufzend in das Unvermeidliche.
Immer mehr senkte sich die Sonne dabei dem Horizont wieder zu, und noch nicht einmal ein Flußbett hatten sie in der weiten Baumöde entdeckt, das ihnen doch wenigstens verstattet hätte, die offene See zu verlassen, während es stromauf die Gewißheit menschlicher Wohnungen oder doch wenigstens hohen Landes bot. Da fuhr Bob plötzlich von seinem Sitz empor: »Was ist das da vorn?« rief er aus, mit dem Arm der Richtung zudeutend; »dort ist höherer Boden und dort läuft auch eine Bucht in das Land hinein.«
Die Blicke Aller hafteten an der bezeichneten Stelle, aber es ließ sich noch Nichts darüber entscheiden, bis sie näher kamen, und das dauerte noch eine gute Weile. Jetzt endlich öffneten sich die dicht mit Waldung bedeckten Arme der Bucht, und ließen eine Einfahrt wie eine Flußmündung erkennen, und lauter Jubel brach von den Lippen der Leute, als sie plötzlich in gelblich gefärbtes Wasser kamen.
Jetzt durften sie nicht mehr daran zweifeln daß sie sich nahe der Mündung eines Flusses befanden und mit der günstigen Brise hielten sie rasch rechts hinein.
Ueber eine Stunde fuhren sie aber noch, und wurden schon wieder zweifelhaft ob es nicht doch nur blos ein Seearm sei, der dort hinein führte.
»Was ist das da? jener helle Punkt?« rief plötzlich der Bootssteuerer aus, von seinem Sitz emporspringend und mit dem Arm nach vorn deutend.
»Ein Haus – ein Haus!« jubelten da die Leute, die jetzt ihre Leiden geendet sahen und sich wenig darum kümmerten, wer jenen Platz bewohnte, Wasser mußte er ihnen geben. Fast unwillkürlich griffen sie auch nach ihren Rudern, als ob sie mit diesen rascher ihr Ziel erreichen könnten, aber der Wind trieb sie schon schnell genug vorwärts, das Wasser kräuselte unter ihrem Bug und: »da ist noch ein Haus, da noch eines – das ist eine Stadt!« tönte es von Aller Lippen, als sie weiter nach Norden glitten und dadurch den Platz, den die am Ufer südwärts daran stehenden Manglaren bis jetzt verdeckt hatten, mehr in Sicht bekamen.
Jetzt war ihre Noth allerdings mit ihrer Seefahrt beendet, und als »schiffbrüchige Matrosen«, als welche sie sich betrachteten, da sie doch ihr Schiff im Nebel verloren, durften sie auch auf eine freundliche Aufnahme bei der Bevölkerung rechnen.
Indessen hatten sie den Hafen, oder vielmehr die offene Rhede des kleinen Ortes erreicht, und sahen, daß die Häuser, welche sie zuerst bemerkt, auf einer Art Landzunge standen, die sich weiter gegen die See hinaus erstreckte, während die Stadt selber mehr zurück lag und dicht gedrängt eine lange Reihe dunkelgrauer Schilfdächer zeigte. Aber nicht eine der stillen Tropenstädte schien es zu sein, in denen die Bewohner der heißen Zone den Tag verträumen und nur mit untergehender Sonne einen Spaziergang in der kühlen Abendluft suchen. Das wimmelte am Ufer ordentlich von geschäftigen Menschen, die herüber und hinüber liefen, und sonderbarer Weise bemerkten sie auch eine Menge Bewaffneter, deren Musketen in der Sonne blitzten, ja, als sie sich dem ersten Landungsplatz näherten, sahen sie, daß dieselbe fast ausschließlich von Soldaten besetzt sei, als ob ihnen diese die Landung streitig machen wollten.
»Was zum Teufel mag da los sein?« brummte Bob in den Bart, während er aber nichtsdestoweniger den Bug ihres Bootes in der nämlichen Richtung hielt; »ist die Bürgerwehr ausgerückt, oder sind die Indianer losgebrochen? Seh' ein Mensch die Soldaten an.«
»O, hol' sie der Henker,« brummte Bill, »zu trinken wollen wir haben, und wenn wir das Nest mit Sturm nehmen müßten – steht einmal ein Bischen bei den Lanzen vorn, Mates, daß sie uns auf die nicht springen, wenn sie entern wollten – Mitten hinein zwischen die Lumpe, Bob!«
»'S kann nichts helfen,« nickte Bob, »da sind wir einmal! Wenn nur Einer der blutigen Halunken Englisch spricht, daß man ihnen erklären kann, was man will. Hol' mich Dieser und Jener, da hinten kommt noch ein ganzes Bataillon angesetzt. Steht bei den Halyards, Mates, ich glaube wahrhaftig, die Kerls wollen uns zu Leibe,« und von seinem Sitz aufspringend ergriff er selber eine der Lanzen und stellte sich damit keck und unerschrocken vorn in's Boot neben Bill.
Bill hatte nicht ganz Unrecht gehabt. Das Boot war so nahe gekommen, daß man schon das Weiße im Auge der am Ufer Stehenden erkennen konnte, die sämmtlich in einer nichts weniger als friedlichen Bewegung schienen. Soldaten – ruppiges Volk, es ist wahr, mit bloßen Füßen und zerlumpten, schmutzigen Uniformen, aber doch mit Seitengewehren und Musketen, oder Lanzen und Messern bewaffnet, sprangen am Ufer hin und wieder, und an der Stelle, auf welche das fremde Boot zuhielt, sammelte sich ein Theil von ihnen und schien in der That, ihre Gewehre im Anschlag, eine Landung der Fremden auf das Entschiedenste verhindern zu wollen. Dazu schrie Alles durcheinander, Keiner hatte da, wie es den Matrosen vorkam, zu gehorchen, Alle nur irgend etwas zu befehlen, und dabei hielten sie die Mündungen der jedenfalls geladenen Gewehre den Seeleuten so drohend entgegen, daß diese, unter anderen Umständen, wahrscheinlich von einer Landung abgesehen und sich irgend einen anderen, friedlicheren Platz dazu ausgesucht hätten. Aber der Durst peinigte sie so furchtbar, daß sie sich eben durch nichts zurückschrecken ließen, und wie nur Bob mit dem Steuerruder Grund fühlte, rief er den Kameraden zu, das Segel niederzuwerfen, und ließ dann, unbekümmert um alle weiteren Folgen, den scharfen Bug ihres Wallfischbootes gerade auf den Sand hinauflaufen. Da waren sie, und eine ganze südamerikanische Armee hätte sie nicht wieder weggebracht, wenn man ihnen nicht vorher zu trinken gab.
Ein rasendes Geschrei entstand jetzt am Ufer, und einen Augenblick war es wirklich, als ob sich die dunkelhäutigen Bursche – von denen die Meisten aber viel mehr vom Neger als vom Indianer hatten – über sie herstürzen wollten, so wie toll geberdeten sie sich, und dabei schwenkten sie ihre Lanzen und Säbel und schossen sogar einige Gewehre in die Luft ab. Niemand wußte freilich, ob das nur geschah, um sich selber Muth zu machen, oder um die kecken Fremden einzuschüchtern. An das Boot wagte sich aber Keiner, denn die beiden Matrosen, die scharfgeschliffenen Wallfischlanzen in der Hand, standen noch immer regungslos, aber drohend genug im Bug desselben, während ihr finster dreinblickendes Gesicht der Waffe überdieß noch Nachdruck gab.
Endlich schüttelte Bill den Kopf und sich halb zur Seite wendend sagte er: »Hat nun schon Jemand im Leben einen solchen Haufen verrückter Kerle auf einem Platz beisammen gesehen? Verdammt will ich sein, wenn sie selber wissen, was sie wollen, und ich glaube, sie sind nur hier herunter gekommen, um sich einmal ordentlich schreien zu hören.«
Der Bootssteuerer hatte sich indessen aufgerichtet, um irgendwo zwischen den Versammelten einen Menschen zu entdecken, der so aussehe, als ob er ihre Sprache reden könnte, denn eine Verständigung mußte erst erfolgen, ehe sie das Land betreten durften. Da war aber auch nicht Einer von Allen, der eine anständig weiße Hautfarbe gehabt hätte, und Alle trugen krauses, rabenschwarzes Haar und entweder Panamahüte oder Soldatenmützen.
Das Hin- und Herlaufen der Leute am Ufer schien aber doch einen bestimmten Zweck gehabt zu haben, denn aus der inneren Stadt heraus – oder wenigstens die Straße herab, in die sie hinein sehen konnten, kamen ein paar Officiere in Begleitung eines kleinen, sehr geschäftigen Mannes, der wenigstens volle Mühe hatte, mit seinen kurzen Beinen ebenso rasch über den weichen Boden fortzukommen, als seine weit längeren und dazu besser eingerichteten Begleiter.
Jetzt endlich legte sich der Lärm etwas, und Bill, der wohl merkte, daß die Neuankommenden eine Entscheidung herbeiführen würden, hob seine Lanze, stellte sie neben sich in's Boot und stützte sich mit dem rechten Arm daran, während er die Nahenden erwartete.
Wie sich auch bald herausstellte, war jener kleine Mann gerade der Dolmetsch – ein geborner Neugranadienser zwar, aber auch der Einzige in der ganzen Stadt, der etwas Englisch sprach – sich wenigstens mit den Fremden verständigen konnte.
Bob wurde indessen von den Matrosen, da er schon einmal an dieser Küste gewesen und deßhalb auch vielleicht in etwas deren Sitten kannte, zum Sprecher gewählt, und nach einigem Hin- und Herschreien am Ufer, aus dem sie natürlich nicht klug wurden, schien man doch endlich wenigstens zu einem Resultat zu kommen.
Der Dolmetsch war eine kleine dicke, kugelrunde Gestalt, der schon seines Fettes wegen entsetzlich schwitzte, und auch wohl in der Aufregung ein wenig gelaufen war; er kam wenigstens wie gebadet am Ufer an und frug hier, während er sich fortwährend die Stirn, den Nacken und die Handknöchel abwischte, in etwas mürrischem Ton und einem schauderhaften Englisch die Matrosen, wo sie herkämen und was sie hier wollten.
»Wasser!« sagte da Bill lakonisch, »bless your old soul, mate, wir sind so verdurstet, daß uns die Zunge am Gaumen klebt.«
Bob nahm hier das Wort und erzählte dem kleinen Mann, während die Soldaten neugierig herbeidrängten, mit kurzen Worten ihre Leidensgeschichte – daß sie nämlich ihr Schiff im Nebel an der Küste verloren hätten und dann an das Ufer angelaufen wären, um nicht in See draußen zu verschmachten. Wo sie sich hier befänden, wüßten sie nicht einmal, eben so wenig wie der Platz hieße. Sie wären friedliche Seeleute und bäten nur um einen Trunk Wasser.
Der Kleine wandte sich jetzt gegen die Uebrigen und theilte ihnen das Gehörte mit, wobei eine lebhafte Unterhaltung entstand, denn augenscheinlich hatte man sie Anfangs für etwas ganz anderes gehalten als verschlagene Matrosen – ja man schien ihnen selbst jetzt noch nicht einmal recht zu glauben, und wieder frug sie der Dolmetscher, wie ihr Schiff hieß und wo es wäre. Jetzt aber riß Bill die Geduld und mit trotziger Stimme rief er aus: »Ei zum Wetter auch, Mate, wenn wir wüßten, wo es wäre, säßen wir nicht hier, und glaubt Ihr, daß Leute, die am Verschmachten sind, sich hier herstellen und eine Stunde lang Eure albernen Fragen beantworten sollen? Hat Keiner von Euch einen Schluck zu trinken bei der Hand?«
»Si, Si, Señor, Si!« sagte der kleine Dolmetscher jetzt geschäftig, »Caramba, daran habe ich gar nicht gedacht – arme Teufel haben Durst,« und er rief dabei etwas auf Spanisch den Umstehenden zu, von denen Einige geschäftig fortgingen, um Wasser und Früchte herbeizuholen. Bob übrigens, der wohl sah, daß sie jetzt nichts mehr für ihre Sicherheit zu fürchten hatten, da die Soldaten sich gar nicht weiter um sie bekümmerten, und nur die Frauen und Kinder herbeidrängten, um sie neugierig zu betrachten, rief Bill zu, seine Lanze in's Boot zu legen. Ein Paar sollten dann als Wache darin zurückbleiben und er selber wollte hinauf in die Stadt gehen, um zu sehen, was sich thun ließe und ob nicht doch irgend ein Landsmann, oder wenigstens ein Engländer aufzutreiben wäre, mit dem sie sich besser verständigen könnten.
»O, Señor,« redete da der Bootssteuerer den kleinen Dolmetscher an; »wie heißt denn der Ort hier eigentlich?«
»Die Stadt!« rief dieser erstaunt; »Caramba, Señor, wissen Sie nicht, daß Sie hier in Buenaventura sind?«
»Buenaventura, hm?« brummte Bill, »jetzt sind wir so gescheidt wie vorher, und wo liegt das?«
»Wo das liegt? – Hier,« sagte der Dicke.
»Holzkopf,« brummte Bill vor sich hin; der Bootssteuerer, der aber etwas mehr geographische Kenntnisse hatte und doch wenigstens die ungefähre Höhe wußte, in welcher sie sich auf der Knote befanden, frug noch einmal: »Und sind wir da auf Ecuadorischem oder Neugranadiensischem Gebiet?«
»Ecuador?« rief aber der Kleine mehr entrüstet als erstaunt. »Caracho, amigo, Ecuador wird bald in Neugranada liegen, aber nicht Neugranada in Ecuador. Sobald wir hier im Lande fertig sind, gehen wir hinüber und nehmen uns so viel von Ecuador, wie wir brauchen – aber da kommt Wasser. Nun trinkt, Ihr Leute, wenn Ihr so durstig seid.«
In der That kamen in dem Augenblick eine Anzahl von Frauen, Negerinnen und Indianerinnen, oder wenigstens Mischlingsrace – braune, nicht unschöne Frauen in sehr leichter Kleidung zum Ufer herunter, und während Einige Calebassen mit Trinkwasser trugen, brachten Andere kleine Körbe mit Früchten, Orangen, besonders Bananen, Papayas und sonstige Erzeugnisse des reichen Landes. Die Seeleute sprangen auch mit Jubelruf aus ihrem Boot hinaus und Bill, der eine der Calebassen erfaßt hatte, hob sie an die Lippen und leerte sie fast auf einen einzigen, mächtigen Zug.
Das schmeckte – wenn auch das Wasser eben nicht besonders war – aber nur der, der sich einmal tagelang auf offener See in einem Boot herumgetrieben, oder in dürrer Sandwüste fast verschmachtet ist, weiß, was so ein Trunk Wasser zu bedeuten hat, und wie das durch alle Adern rieselt und zuckt und ordentlich neues Leben in den Körper gießt. Bill hatte auch – während die Uebrigen just gierig über das gebotene Labsal herfielen – eben nur abgesetzt und sich den Mund mit dem Aermel gewischt, als plötzlich eine der Frauen, ein bildhübsches, junges Weib, lichtbraun von Farbe zwar, aber mit vollen und üppigen Gliederformen und doch dabei so zart gebaut, auf ihn zusprang, seine Schulter mit ihrer Hand erfaßte, ihn etwas zurückschob, und als er sie erstaunt ansah, mit zitternder aber lauter Stimme rief: »Guillelmo! o querido! war es recht, daß Du mich so lange verlassen hast?« – und ehe sich Bill von seinem Erstaunen erholen oder nur ein Wort sagen konnte, um das Mißverständniß aufzuklären, warf sie sich an seinen Hals, umschlang ihn stürmisch und küßte ihn wieder und wieder.
»I'll be damned,« sagte Bill ganz verdutzt, während Tom und die übrigen Matrosen laut herausplatzten vor Lachen. Eine Weile mußte er sich auch die Liebkosungen der noch jungen und ganz hübschen Frau gefallen lassen, weil er sie doch nicht mit Gewalt von sich stoßen wollte; endlich aber, wie er nur einigermaßen Luft bekam und fühlte, daß sie etwas in ihrer fast krampfhaften Umarmung nachließ, nahm er ihren einen Arm herunter und sagte, sich in aller Verzweiflung an den noch neben ihnen stehenden Dolmetsch wendend: »Now you Sir, kommen Sie einmal her und sagen Sie der Frau, daß sie unter einem ganz verkehrten Baume bellt.«
»Daß sie was?« sagte der kleine Neugranadienser erstaunt, da er die Redensart weder begriff noch verstand.
»Ich bin gar nicht ihr Mann,« schrie jetzt Bill, der vielleicht glaubte, er höre nur schwer; »ich kenne sie gar nicht, heiße auch nicht Jelmo oder wie sie sagt, und bin überhaupt in meinem Leben noch nicht in der Nachbarschaft hier gewesen. Nun komm', Schatz, und nimm sie mir einmal vom Halse.«
Die Frau hatte ihn noch immer nicht losgelassen, wie aber der Dolmetsch ihr den Sinn der Worte erklärte, die der Weiße gesprochen, fuhr sie erschreckt zurück, sah ihn mit wild verstörten Blicken an und rief: »Was sagt er? – er will mich nicht mehr kennen – dann verläugnet er wohl auch sein Kind? – O, Guillelmo, habe ich das um Dich verdient?«
Bill verstand die Worte nicht, aber die Bewegung der Frau verrieth nur zu deutlich den Sinn derselben – kaum aber hatte der Dolmetsch das Kind erwähnt, während in diesem Augenblick auch eine Negerfrau mit einem prächtigen, couleurten Jungen von vielleicht acht Monaten auf dem Arm herbeisprang, als die übrigen Matrosen in ein wahrhaft diabolisches Gelächter ausbrachen, und Tom, der gerade eine Apfelsine geschält hatte und in die saftige Frucht hineinbiß, daß ihm der Saft an beiden Seiten in den Bart lief, rief lachend aus: »Avast Bill, old fellow, glücklicher Familienvater, und was für eine hübsche gelbe Puppe. – Wer hätte das in ihm gesucht?«
»Ah picaro!« sagte da der kleine Dolmetsch, indem er Bill mit dem ausgestreckten Zeigefinger an die Schulter stieß, »thut so, als ob er kein Spanisch verstünde und will seine eigene Frau nicht einmal kennen. Schelm – aber ist nicht hübsch,« setzte er kopfschüttelnd hinzu, »gar nicht hübsch.«
»Aber ich bin ja in meinem ganzen Leben noch nicht an dieser Küste gewesen,« rief Bill in Verzweiflung, während die junge Frau das Kind seiner Wärterin abnahm und ihm mit einem bittenden Blick entgegen hielt; »verdammt noch einmal, wenn man doch nun gar nicht verheirathet ist und soll dann auf einen Zug eine braune Frau und ein gelbes Kind kriegen.«
»Picaro, Picaro!« schüttelte aber der kleine Neugranadienser noch einmal, nachdem er ein paar Worte mit der Frau gesprochen: »Wie heißt Ihr?«
»Bill,« sagte der Matrose trocken, »oder William, wenn das deutlicher ist.«
»Gut – gut!« nickte der Kleine, »stimmt! – William ist Guillelmo. – Wo kommt Ihr her?«
»Von einem Wallfischfänger, der noch irgendwo in See herumschwimmt – der Teufel weiß, oder kümmert sich darum, wo.«
»Stimmt auffallend,« wiederholte aber der Neugranadienser, »und ist vollkommen richtig – auch dieser Señora Mann stammt aus einem Wallfischfänger, und wir können natürlich nicht wissen, Señor, was Euch früher bewogen hat, auszukneifen, so viel aber ist sicher: das Meer hat Euch wieder zurück in die Arme Eurer Frau geworfen, und unsere Gesetze sind darin viel zu streng und gewissenhaft, um einen Mann nicht zu verpflichten, auch für Weib und Kind zu sorgen. Nehmt also Euer Weib an den Arm, Freund, und geht ruhig mit ihr nach Hause; es ist das Beste, was ich Euch rathen kann.«
»Verdammt will ich sein, wenn ich's thue,« rief aber auch Bill jetzt, der ebenfalls ärgerlich wurde; »was zum Henker schiert mich denn die Person? Ich habe mit dem braunen Frauenzimmer nichts zu thun und kann überhaupt gelbe Kinder nicht leiden.«
»Aber Bill,« sagte da Bob, dem die Sache ungeheuren Spaß zu machen schien, »das ist nicht hübsch von Dir, daß Du Deine Frau verläugnest – pfui, schäme Dich.«
»O, geh' zu Gras,« brummte Bill, der Neugranadienser aber rief: »Seht Ihr wohl? Eure eigenen Kameraden finden das schlecht, Señor. Wenn Ihr aber auch ein Fremder seid, sobald Ihr Euch in Neugranada verheirathet, steht Ihr unter unseren Gesetzen, und daß diese mit leichtfertigem Volk nicht spaßen, davon, dächte ich, hätten wir gestern ein Beispiel gehabt, wo hier in Buenaventura drei Mosqueraner erschossen wurden. Die Stadt ist in Belagerungszustand erklärt, und viel Umstände werden eben nicht gemacht.«
Noch während er sprach, hatte sich eine Menge Frauen jeder Farbe um das junge Weib gesammelt und mit Theilnahme ihren Bericht angehört, daß sie hier unter den Fremden ihren verloren gegangenen Mann wiedergefunden habe, der sie aber jetzt verleugne und nichts von ihr wissen wolle. Frauen nehmen unter solchen Umständen natürlich augenblicklich Partei, und es gibt Dinge, in welchen das schwache Geschlecht besonders stark ist.
»Was?« schrieen ein paar Negerfrauen, »so ein schlechter Kerl will nichts von seiner Frau wissen – und mit solch' einer Puppe von einem Kind, und thut auch noch, als ob er sie nicht einmal kennte? Ah, so ein Rabenvater! so ein Scheusal!«
Die Aufregung wuchs unter den Bewohnern; außerdem strömten immer mehr Soldaten hinzu, und das Ganze fing schon an den Charakter eines Volksaufstandes zu tragen, der für die Fremden die schlimmsten Folgen nach sich ziehen konnte. Der Bootssteuerer, der einmal in Panama ein paar Monate »becalmed«[1] gelegen und den hitzigen, jähzornigen Charakter des Volkes kannte, hatte bis jetzt kein Wort darein gesprochen. Nun aber schien es ihm doch Zeit, sich in's Mittel zu legen, und Bill's Arm ergreifend sagte er rasch und leise: »Kennt Ihr die Frau wirklich nicht, Mate?«
[1]: Becalmed, wenn ein Schiff wegen Windstille nicht segeln kann.
»Verdammt will ich sein, wenn ich sie je mit Augen gesehen habe!« rief der Matrose – »ich war ja in meinem ganzen Leben nicht in Südamerika, außer einmal acht Tage in Rio de Janeiro.«
»Dann ist es ein Mißverständniß, das sich lösen wird,« fuhr der Seemann fort, »jetzt aber macht keine Umstände – nehmt die Frau am Arm und geht mit ihr nach Hause; es wird sich Alles finden.«
»Na, das nehme mir aber Keiner übel,« rief Bill erstaunt aus. »Ich soll hier Familienvater spielen – und das mit dem gelben Balg –«
»Es hilft Euch nichts, Kamerad,« lachte aber der Bootssteuerer. »Wäret Ihr an Bord der Martha's-vine-yard geblieben, so hättet Ihr jetzt keine Frau.«
Die Bewegungen der Umstehenden wurden indeß immer drohender. Bill warf einen trotzigen Blick nach seinem Boot hinunter und schien nicht übel Lust zu haben, dort hinein zu springen und eine der Lanzen aufzugreifen; aber von denen waren sie schon abgeschnitten, denn eine Masse Volkes hatte sich zwischen sie und das Boot gedrängt, und wohin er auch den Blick warf, starrten ihm wilde, drohende Blicke entgegen. Den übrigen Matrosen wurde selber nicht wohl bei der Sache; was hätten sie auch, unbewaffnet wie sie waren, und außerdem erschöpft und abgemattet, gegen den Menschenschwarm ausrichten wollen! Selbst Bob redete jetzt dem Kameraden zu, sich in das Unvermeidliche zu fügen, und als sich die Frau, in der Angst, daß sie dem Mann etwas zu Leid thun könnten, jetzt noch einmal an seine Brust warf und ihn dringend bat, mit ihr zu kommen, rief er in komischer Verzweiflung aus:
»Well, ob das nicht zu toll ist – aber meinetwegen denn, Jungens, wenn's nicht anders sein kann. So komm', Alte, und vergiß auch den saffranfarbenen Jungen nicht – es ist nur wegen der Couleur, und eigentlich gefiele er mir noch besser, wenn er grün wäre –.« Damit nahm er den Arm der Frau in den seinen, und während ein Theil der Weiber noch über ihn schimpfte, ein anderer aber ihn lobte, daß er seinen Fehler eingesehen, zog Bill, von einer Schaar halb und ganz nackter Jungen gefolgt, seine neue Frau am Arm in die Stadt hinein.
»Hell!« sagte Tom, als er mit ihr wegging, und sein Gesicht verzog sich zu einem breiten Grinsen. »Das ist doch rein zum Todtschießen – und er kennt sie gar nicht?«
»I Gott bewahre!« lachte Bob – »das Kind ist höchstens acht oder neun Monat alt, und seit drei Jahren fahre ich jetzt mit Bill zusammen. Ehe wir auf die Martha's-vine-yard gingen, waren wir Beide auf einem Newyorker Packetschiff, das zwischen dort und Southampton fuhr, und ich weiß genau, daß dies seine erste Fahrt in die Südsee ist.«
»Wunderbar!« sagte Tom noch einmal, voller Erstaunen, »wie geschwind ein Mensch zu einer Frau kommen kann, und noch dazu gleich zu einer braunen.«
Es blieb ihnen aber nicht mehr viel Zeit zu weiteren Betrachtungen, denn sobald sich die Menschenmenge überzeugt hatte, daß der Frau ihr Recht geschehen war, bekümmerte man sich auch um die übrige Mannschaft, die hungrig und durstig an ihre Küste gekommen war. Das gutmüthige Volk wollte sie jetzt erquicken, und man forderte sie nun von allen Seiten auf, mit in die Stadt zu kommen und zu essen und zu trinken. Bob aber wie der Bootssteuerer wollten das nicht eher thun, als bis sie auch ihr Boot, oder wenigstens was darin lag, gesichert hatten, denn Ruder wie Segel sind immer verführerische Dinge zum Stehlen, die man nicht über Nacht frei durfte draußen liegen lassen. Oben an der Landspitze sahen sie aber ein Wachtlokal der Soldaten, und ohne weiter Jemanden um Erlaubniß zu fragen, stiegen sie in ihr Boot, nahmen Ruder, Dollen und Segel heraus, zogen das Boot dann hoch auf den Strand hinauf und trugen das Geräth nun mit dem Uebrigen die Uferbank hinauf und in die Wacht hinein. Dort stellten sie es ein und waren nun bereit, ihren gastlichen Wirthen zu folgen, wohin man sie eben führen würde.
Indessen hatte sich aber auch der Himmel dicht umwölkt und der »tägliche Regen« fing an einzusetzen, der in einem soliden Schauer – daß man gar keine Tropfen sah und nur feste Wasserschnüre zur Erde hingen – von oben niederschüttete. Die Straße selber bestand auch eigentlich nur aus weichem Schlamm, in dem sich die Eingebornen – wie die Krabben in ihren Manglarensümpfen – mit ihren bloßen Beinen ganz behaglich herumbewegten und darin zu Hause zu sein schienen; aber die Fremden bemerkten auch, daß selbst die Gebäude einem solchen Klima entsprechend aufgerichtet waren. Es sah aus, als ob die ganze Stadt in dem furchtbaren Morast auf Stelzen herumging, denn alle Häuser standen auf langen dünnen Pfählen und besaßen natürlich nur eine Etage, zu welcher dann eine schmale Leiter oder auch wohl nur ein rechts und links eingekerbter und angelehnter Baumstamm hinaufführte. Uebrigens wimmelte es in dem ganzen kleinen Ort von Soldaten oder wenigstens Bewaffneten, und da ihr Dolmetsch sie jetzt in seine eigene Wohnung führte, um sie dort, wenigstens für die erste Nacht, unterzubringen, erkundigte sich der Bootssteuerer nach der Ursache solch' kriegerischer Bewegung, die ihm auch mit wenigen Worten gegeben wurde.
Das Land war in Aufruhr – wie sich das eigentlich von selbst verstand, denn Neugranada, vor allen südamerikanischen Republiken, scheint die Revolution in Permanenz erklärt zu haben. Der Staat ist außerordentlich ausgedehnt, mit fast keinen Verbindungswegen im Innern, da die ewigen Regen den Boden stets aufgeweicht halten; dadurch scheiden sich die Interessen der Küstenstädte und des innern Landes auf das Schärfste ab, so daß der eine Theil stets Ursache zur Unzufriedenheit behält, sobald man sie unter ein Gesetz bringen will. Hat aber wirklich ein General oder Präsident einmal über die feindliche Partei gesiegt und das Land, wie er glaubt, erobert, und sich eben in einer großen Stadt festgesetzt, so bricht an einem andern Punkt sicher wieder eine neue Revolution los, und der Tanz beginnt von Frischem.
Dießmal hatte Mosquera, während er im Innern die Hauptstadt Bogota eroberte, durch ein paar kleine, zu Kriegsschiffen umgewandelte Küstenschooner die am Meeresstrand gelegenen Hauptplätze Neugranadas, Buenaventura und Tumaco besetzen lassen, und die Fahrzeuge waren dann wieder in See gegangen – angeblich um Panama zu nehmen; in Buenaventura wußte man wenigstens nichts Weiteres darüber. Sobald sich aber die Schiffe entfernt hatten, brachen die Godos oder Adlingen, die Gegenpartei Mosquera's, in einer starken Guerillabande aus dem Innern vor, besetzten Buenaventura, füsilirten eine Anzahl der obersten Beamten Mosquera's und brachten zugleich wieder einen Schwarm von Jesuiten in die Stadt, denen Mosquera das Land verboten hatte.
So standen die Sachen jetzt; die Godos waren Herren in Buenaventura, und als man heute das Boot anrudern sah, hatte sich das Gerücht verbreitet, Mosquera's Schiffe kehrten zurück. Man hielt es ja nur für einen Vorläufer der Flotte und fürchtete natürlich, in einen neuen Kampf verwickelt oder vielmehr zu einer neuen Uebergabe gezwungen zu werden, denn Kämpfe hatten eigentlich noch gar nicht stattgefunden, da die Bewohner von Buenaventura mit ihren schilfgedeckten Häusern weder eine Beschießung noch einen Sturm gegen solch' gefährliches Material abwarten durften.
Ueberhaupt herrschte eine große Unruhe in der Stadt, denn in diesen Zeiten, wo die Sieger oft in einem Monat zwei- oder dreimal wechselten, war Niemand seines Eigenthums, ja seines Lebens sicher, und gern hätten die friedlichen Bewohner der kleinen Stadt Mosquera oder Herran oder irgendwen – es blieb sich ja vollkommen gleich – zum Präsidenten angenommen, wenn damit nur Frieden und Ruhe gewesen wäre. Aber Gott bewahre – was half es ihnen, daß sie dem einrückenden Sieger freundlich entgegenkamen, und weiter nichts von ihm verlangten als Schonung der Stadt? Von der Gegenpartei wurde ihnen das als Verrath und Treubruch ausgelegt, und wenn sie sich wieder oben wußte, hielt sie sich auch in ihrem vollen Recht, Vergeltung zu üben, das heißt zu brandschatzen und zu plündern, ja sogar Einzelne erschießen zu lassen oder in's Gefängniß zu werfen.
Die Südamerikaner sind nun, was Revolutionen anbetrifft, ein außerordentlich langmüthiges Volk und eigentlich auch an Revolutionen so gewöhnt, daß sie dieselben als vollkommen natürliche Ereignisse betrachten. Diesmal aber wurde den Neu-Granadiensern die Sache doch zu arg, denn das Kriegsglück zwischen den beiden Parteien hatte zu oft herüber und hinüber geschwankt, und da Mosquera sich besonders ihre Sympathie gewonnen, so neigten sie schon im Innern weit mehr zu der sonst nicht eben sehr beliebten Militairherrschaft des alten tapfern Generals hinüber. Trotzdem mußten sie sich aber, wenigstens für die nächste Zeit, den Umständen beugen und gegen die gerade siegreichen Godos freundlich sein, wenn sie sich nicht deren Rache und Uebermuth aussetzen wollten.
Die Ankunft der fremden Matrosen war übrigens dem gerade bestehenden Regiment nicht unangenehm, denn fünf kräftige Fremde, die besonders gut mit Schießwaffen umzugehen wußten – wie man das von Europäern oder Amerikanern immer voraussetzt – konnten ihnen in einem vielleicht bald wieder bevorstehenden Kampf von größtem Nutzen sein, besonders wenn je wieder einer der kleinen Schooner ansegeln und die Stadt bedrohen sollte. Deshalb zeigten sich die Behörden auch freundlich gegen sie, und Don Manuel, wie ihr kleiner Dolmetsch genannt wurde, war angewiesen worden, ihnen reichlich Speise und Trank zu geben und ein Haus zum Schlafen anzuweisen. Daß sie bei den Godos Dienste nehmen würden, verstand sich von selbst. Was wollten auch verschlagene Matrosen, mit keinem Real Geld in der Tasche, ohne Kleidung und sonstigen Unterhalt anders machen? Sie mußten froh sein, wenn sie gleich einen Platz fanden, auf dem sie sich ihr Brod verdienen konnten.
In einer höchst wunderlichen Position fand sich indessen Bill, der Matrose, der, wie er glaubte, hier gewissermaßen als Opfer fiel, um die Uebrigen zu retten, und deßhalb seine Gatten- und Vaterschaft ruhig mußte über sich ergehen lassen.
Bill, ein baumstarker Bursche mit ein paar Fäusten, mit denen er einen Ochsen hätte können zu Boden schlagen, besaß übrigens bei einer großen Quantität Gutmüthigkeit, die allen starken Leuten eigen ist, auch eben genug Humor, um das Komische seiner Lage einzusehen, und schien selber neugierig zu sein, wie sich das Ganze entwickeln würde. Wie er vermuthete, so mußte er eine fabelhafte Aehnlichkeit mit jenem Andern haben, der hier seiner Frau davongelaufen war; das schien ihm wenigstens das einzig Wahrscheinliche, wenn es auch ein unendlich wunderlicher Zufall blieb, daß er dann gerade an diesen Punkt der Küste geworfen werden mußte, um der verlassenen Frau in den Weg zu rennen – und nicht einmal verständigen konnte er sich mit ihr.
Indessen sah er sich in einem Geleit von einigen zwanzig Frauen, die ihn alle zu seiner neuen Wohnung begleiten wollten; auch eine Menge Soldaten und andere Neugierige hatten sich dem Zug angeschlossen, und er fühlte dabei recht wohl, daß er gute Miene zum bösen Spiel machen mußte, wenn er sich nicht lächerlich machen wollte. Lange konnte das Mißverständniß ja doch überdies nicht dauern – aber seine neue Frau überraschte ihn noch mit einer frischen Zumuthung. Kaum waren sie nämlich die entsetzlich schlammige Straße etwa zweihundert Schritt hinabgegangen und zu einer Stelle gekommen, wo dieselbe um eine Art Hügel bog, als sie ihren Begleiterinnen einige Worte zurief und ihm dann ohne Weiteres das Kind in den Arm legte.
Dagegen wollte Bill nun allerdings auf das Entschiedenste protestiren, da war es ihm plötzlich, als ob ihm die Frau leise auf Englisch zuflüsterte: be silent (sei ruhig), und ehe er sich von seinem Erstaunen erholen konnte, hatte er richtig den kleinen gelben Jungen auf dem Arm, während die Eingeborne, ohne sich weiter um ihn zu bekümmern, seitab und in eines der Häuser hineinglitt.
»I'll be damned,« murmelte der Matrose wieder in den Bart und blieb verdutzt mitten im Schlamm mit seiner kleinen Last stehen. Er sah sich auch im Kreise um, weil er nicht anders glaubte, er würde jetzt von den Umstehenden auf das Schmählichste ausgelacht werden. Seine Kameraden aber, bei denen ihm das sicherlich geschehen wäre, befanden sich nicht in der Nähe, und die gegenwärtigen Damen schienen das Alles so in der Ordnung zu finden, daß keine von ihnen auch nur eine Miene verzog. Sie bedeuteten ihn, nur ruhig fortzugehen, und gaben ihm durch Zeichen zu verstehen, daß seine Frau augenblicklich wiederkommen und ihnen folgen würde.
»Be silent?« hatte denn die Frau wirklich die Worte gesagt, oder er nur einen ähnlichen Klang der fremden Sprache damit verwechselt? »Be silent?« die Warnung wollte ihm nicht aus dem Sinn, während er, fast ohne zu wissen, was er hielt, das fremde, ihn erstaunt ansehende Kind im Arm die Straße entlang ging. Jetzt stockte der Zug. Vier Geistliche in langen schwarzen Röcken, die sie aber in dem Schlamm hochaufgeschürzt trugen, waren ihnen begegnet und hatten sich jedenfalls erkundigt, was diese wunderliche Prozession bedeute. Die Frauen erzählten denn auch bereitwilligst das Geschehene, und die frommen Herren nickten dazu höchst bedeutungsvoll mit den Köpfen. Einer von ihnen richtete auch ein paar Worte an den Matrosen, fand aber hier wenig Aufmerksamkeit.
»Go to grass!« brummte Bill in den Bart, und ohne Notiz von dem schwarzen Trupp zu nehmen, verfolgte er seinen Weg, dessen Ziel er gar nicht kannte; die Frauen holten ihn aber bald wieder ein, und auch das junge Weib, seine Frau, kam ihnen nachgesprungen und hielt in dem einen Arme ein paar Flaschen, während sie in der andern Hand einen Korb mit allerlei Gegenständen trug, die Bill's Herz viel milder gegen sie stimmten. Er bemerkte da mit einem flüchtigen Blick eine Büchse Sardinen, Früchte, Chokolade mit einem großen Stück Käse, auch feinen Schiffszwieback und noch mehr andere, in Papier gewickelte Dinge, und da er gerade genug Hunger hatte, um einem jungen Wolf keine Schande zu machen, lief ihm schon das Wasser bei der voraussichtlichen guten Mahlzeit im Mund zusammen.
Jetzt schienen sie aber auch das eigentliche Ziel ihrer Wanderung erreicht zu haben, ein kleines ganz neues Haus am äußersten Ende der Stadt, das ebenso wie die übrigen auf neun Pfählen stand, mit eingekerbtem Baumstamm als Leiter, und oben so dünn und luftig gebaut wie nur irgend möglich.
Dort hinauf kletterte auch die junge Eingeborne gewandt hinan, während Bill bedenklich unten am Baumstamm stehen blieb, denn mit seiner kleinen Last und den vom Schlamm schlüpfrigen Schuhen getraute er sich, da der Baumstamm nicht einmal befestigt war, sondern nur locker an dem unteren Balken lehnte, nicht einmal hinauf. Eine der Frauen nahm ihm aber das Kind ab und trug es, und etwas langsamer als sie, folgte er ihr jetzt – immer noch kopfschüttelnd, denn er wußte nicht, wie dies Abenteuer enden würde, und kam sich auch höchst unbehaglich in dem Geleite all' der Weiber vor.
Uebrigens schien die ganze Gesellschaft, die sie hierher begleitet hatte, eingeladen zu sein, denn Eine nach der Andern – wenigstens alle weiblichen Individuen, folgten auf dem schwanken Steg, ja selbst ein paar von den Soldaten, neugierige Bursche, die sich da oben doch auch einmal umschauen wollten, stiegen mit hinan, bis der Raum endlich gedrängt voll Menschen stand, und Bill in der That schon befürchtete, der leichte Boden von gespaltenen jungen Palmen würde die übergroße Last kaum tragen können. Das elastische, wenn auch dünne Holz hielt aber vortrefflich, ob es sich auch unter dem Gewicht bog, und einige der Frauen beschäftigten sich jetzt damit, ein Feuer auf dem kleinen Herd anzumachen, während Andere das Kind in einer von den Dachbalken niederhängenden Hängematte unterbrachten.
Auch der männliche Besuch schien sich nützlich machen zu wollen, denn Einige von ihnen kletterten wieder nach unten und kamen bald darauf mit kleingespaltenem Holz zurück, das sie aber jedenfalls mußten irgendwo gestohlen haben, denn in der unmittelbaren Nähe der Stadt war alles derartige Brennmaterial schon lange verbraucht. Das Feuer loderte auch bald lustig empor und ein Topf, um Chokolade darin zu kochen, war angesetzt.
Und wie das schwatzte und schnatterte um ihn her, und Alles in der unglückseligen Sprache, von der Bill kein Wort verstand. Niemand bekümmerte sich dabei um ihn, und einmal kam ihm wohl der Gedanke, leise und vorsichtig die Leiter wieder hinabzusteigen und den ganzen Schwarm sich selber zu überlassen – aber was hätte es ihm geholfen, sie würden ihn bald wieder überholt und zurückgebracht haben, und Gewalt – wenn er auch die Kraft in sich fühlte, es mit einem oder ein paar Dutzend dieser ausgemergelten braunen Bursche aufzunehmen, gegen die ganze Stadt konnte er ja doch allein nicht ankämpfen, und ein solcher Versuch hätte seine Lage jedenfalls verschlimmert. – Abwarten – es blieb ihm nichts Anderes übrig, und mit Aussicht auf eine gute Mahlzeit beschloß er denn auch, dem Verhängniß ruhig die Stirn zu bieten.
Unbehaglich war es ihm freilich mit den vielen Menschen hier oben, von denen sich nicht einmal einer um ihn bekümmerte. Ja er schien sogar überall im Wege zu sein und wurde bald da- bald dorthin geschoben, ohne daß selbst »seine Frau« auf ihn geachtet oder ein weiteres Wort an ihn gerichtet hätte. Was würde ihm das auch freilich geholfen haben, er verstand sie ja doch nicht – und nicht einmal einen Platz zum Sitzen konnte er finden, denn in der Hängematte lag das kleine gelbe Ding, das sich übrigens in all' dem Lärm und Wirrwarr merkwürdig ruhig verhielt und mit den großen dunklen Augen nur erstaunt umherblickte. Manchmal wurde es auch gestoßen und schaukelte dann eine Weile hin und her, aber es schrie nicht und schien das Ende dieses Lärmens ebenso geduldig und resignirt abzuwarten wie der ihm kürzlich zugetheilte Vater Bill.
Endlich – endlich machte wenigstens ein Theil der zudringlichen Gäste Anstalt zum Gehen. Draußen ertönte ein Trompetensignal, und die Soldaten sprangen die Leiter hinab um zu sehen, was es da gebe. Auch die Mahlzeit war so weit vorgerückt, daß ein kleiner Tisch gedeckt werden konnte. Jetzt nahmen auch die Frauen Abschied, erst einzelne, dann mehrere zusammen – nur eine Negerin, ein großes stämmiges Frauenzimmer von Rabenschwärze, kauerte noch am Herd und machte keine Miene den Platz zu räumen.
Bill's Frau schien sich aber noch immer nicht um ihn zu kümmern und stand, während die Negerin auf den Herd Achtung gab, oben an ihrer »Treppe,« um sich noch mit den unten einen Augenblick verweilenden Damen zu unterhalten, bis ein plötzlich einsetzender Regenschauer jede solche Unterhaltung abbrach. Der Besuch mußte selber eilen, um unter Dach und Fach zu kommen.
Bill hatte indessen Zeit und Gelegenheit gehabt, die junge Frau näher zu betrachten, und mußte sich gestehen, daß es wirklich ein reizendes Wesen sei. Sie war allerdings braun und möglicher Weise eine reine Indianerin, obgleich auch Viele der Mischlingsrasse die nämliche Färbung tragen, aber von zartem und doch vollem Gliederbau, mit langem, weichem, gelocktem, vollkommen schwarzem Haar und großen dunklen Augen, gerade wie sie das Kind auch hatte, die von mächtig langen Wimpern überschattet wurden. Sie ging dabei sehr einfach, ja fast ärmlich in ein dunkles, an vielen Stellen schon zerrissenes Kattunröckchen gekleidet, und doch bewegte sie sich in demselben mit Anstand, und Bill selber war erstaunt über das fast würdevolle Benehmen, mit dem sie ihre zudringlichen Besuche verabschiedete.
Jetzt wandte sie sich zu ihm, und der sonst so kecke und zuversichtliche Matrose gerieth wirklich in Verlegenheit, wie er sich gegen die junge Frau benehmen solle, die er da drunten am Strand nichts weniger als freundlich angelassen hatte – und dann die zwei englischen Worte, die sie ihm zugeflüstert. Sie selber schien aber nicht zuversichtlicher als er, denn noch an der Schwelle blieb sie stehen und warf wie scheu den Blick zurück und umher in dem jetzt leeren Raum, als ob sie sich erst noch einmal überzeugen wolle, daß sie wirklich allein seien. Erst jetzt ging sie auf den Matrosen zu und ihm die Hand entgegenstreckend sagte sie mit vor innerer Bewegung gepreßter Stimme, aber in vollkommen gutem, reinem Englisch: »Was müßt Ihr von mir denken, Fremder, daß ich Euch auf solche Weise in mein Haus geführt?«
»I'll be« – Bill verschluckte das rauhe Wort, das ihm, alter Gewohnheit nach, unwillkürlich herausschlüpfte, denn er war wirklich überrascht. Erstlich erstaunte er über das fertige Englisch, das die braune Frau sprach, und dann wäre es ihm vielleicht nicht einmal so unangenehm gewesen, wenn sie ihn jetzt noch etwas länger als ihren Mann behandelt hätte. Fast ohne daß er es selber wußte, flog auch sein Blick nach der am Herd kauernden Negerin hinüber; die junge Frau aber, der das nicht entging, sagte rasch:
»Wir haben nichts zu fürchten – Sarah ist eine treue Freundin und versteht, was wir sprechen. Aber vor Allem bin ich Euch eine Erklärung über mein wunderliches Verhalten schuldig, und die will ich so kurz fassen, wie nur irgend möglich – Setzt Euch – Ihr werdet von Eurer langen Fahrt hungrig und ermattet sein, und darin wenigstens kann ich Euch helfen – Sarah, laß uns das Essen haben, wenn es fertig ist – Setzt Euch, Freund!«
Bill sah sich etwas verlegen in dem Haus um – es war keine Spur von irgend einem Stuhl zu entdecken, und der gedeckte Tisch, der mitten im Haus stand, höchstens einen Fuß hoch vom Boden. Die junge Frau aber ließ sich ohne Weiteres daneben auf einer kleinen Matte nieder, und der Seemann, mehr um nicht unhöflich zu sein, als weil es ihm etwa bequem gewesen wäre, folgte ihrem Beispiel.
»Aber, Madame,« sagte er dabei, indem er sie selber verlegen halb lächelnd von der Seite ansah, »haben Sie mich denn wirklich für Ihren Mann gehalten?«
Ueber die lieben Züge der jungen Frau flog ein leises, wehmüthiges Lächeln, als sie erwiederte: »Wenn Sie meinen Gatten kennten, würden Sie das nicht für möglich halten, denn er ist viel kleiner wie Sie und hat rabenschwarze Haare und dunkle Augen.«
»Ja, aber da – nehmen Sie es mir doch nicht übel –«
»Ah bitte, hören Sie mich erst an,« bat die Frau, »Sie sollen ja Alles wissen, Alles erfahren und werden mir dann gewiß nicht böse sein.«
»O,« sagte Bill gutmüthig schmunzelnd, »ich – ich bin gar nicht böse und – wenn es nicht anders sein könnte –«
»Ich weiß nicht,« unterbrach ihn aber die Frau, »ob Sie die traurigen Verhältnisse unseres Landes kennen. Der Bürgerkrieg wüthet auf das Furchtbarste darin, Revolution folgt auf Revolution, und während ehrgeizige Menschen unaufhörlich die Leidenschaft des Volkes aufstacheln, fließt unschuldiges Blut in Strömen, und brave, ruhige Menschen werden unglücklich und elend gemacht.«
»Eine schöne Wirthschaft scheint hier zu sein,« nickte Bill, die Erzählung interessirte ihn aber doch nicht so sehr, als daß er nicht auch zugleich einen verlangenden Blick nach dem Herd hinüber geworfen hätte, und die junge Frau, die es bemerkte, sagte rasch: »Wie ist es mit dem Essen, Sarah, unser Gast ist hungrig.«
»Es ist fertig,« erwiederte die Negerin, »wir können anfangen.«
»Wenn Sie denn nichts dagegen haben,« meinte Bill, indem er aufstand, »so darf ich mir wohl den Tisch ein Bischen an die Wand rücken, ich breche mir sonst hier das Kreuz mit Krummsitzen ab – so,« fuhr er fort, indem ihm die Frau rasch willfahrte und er den kleinen Tisch hinüberhob und sich wieder daneben niederließ, »jetzt geht es schon ein ganz Theil besser, wenn man sich anlehnen kann – die Wand wird sich doch nicht hinausdrücken?« – Die elastische Wand hielt aber, und da die Negerin jetzt auch das Essen: Reis mit darin gekochtem Wildpret, Sardinen, Brod, Früchte und Käse auf den Tisch setzte, und die Flasche Wein mit einem Glas dazu stellte, ließ sich Bill nicht lange nöthigen und griff wacker zu.
Die Frau indessen, die, wie es schien, nur aus Artigkeit ein paar Bissen verzehrte, was aber an dem Matrosen spurlos vorüberging, fuhr leise fort: »Wir sind in der That hier recht unglücklich in Neu-Granada, und nur die Hoffnung, daß Mosquera, der schon fast an allen Punkten siegreich gewesen ist, endlich diesem Treiben ein Ende machen würde, hatte uns bis jetzt noch aufrecht erhalten. Wir lebten auch in einem kleinen Städtchen, Karthago genannt, und oben in den Kordilleren so zurückgezogen und entfernt von dem eigentlichen Kriegsschauplatz, daß wir wenig von den steten Unruhen hörten. Mein Mann, ein geborner Venezuele, war Alkalde im Ort und mit der Mehrzahl der Bevölkerung Mosquera ergeben, der nur ein einziges Mal mit seinen Truppen durchzog und von uns auf das Freundlichste empfangen wurde. Da plötzlich, als er sich eben nach Bogota gewandt, um dort den Herd der Rebellion zu ersticken, brach eine starke Guerillabande der Godos aus den Bergen nieder, überfiel Karthago, plünderte und brandschatzte die Stadt, beging außerdem eine Menge Grausamkeiten und schleppte einen Theil der unglücklichen Beamten, unter ihnen meinen Gatten, mit sich fort und hier an der Küste hinunter, wo sie Buenaventura in gleicher Weise überfielen und besetzten.
»Zufällig war ich selber gerade an dem Tag, an welchem Karthago genommen wurde, bei Freunden auf dem Lande. Denken Sie sich mein Entsetzen, als ich zurückkehre und unsere Heimath verwüstet und Leichen überall umher gestreut finde. Es war ein schwacher Trost zu hören, daß mein Gatte nur gefangen sei, denn mit unmenschlicher Grausamkeit hatten sie die Gefangenen behandelt. In rohe Häute genäht – um den Zurückbleibenden Entsetzen einzuflößen – waren sie aus der Stadt hinausgeschleift worden. Ob sie noch lebten, wer konnte es sagen, und in Todesangst um den Geliebten folgte ich den Spuren der Mörder. Welche furchtbare Zeit ich damals durchlebt, ich könnte es nicht schildern, und will auch Ihre Geduld nicht ermüden, aber von Niemanden gekannt, erreichte ich Buenaventura und fand hier nur eine Freundin – meine alte Sarah dort, die früher in dem Haus meiner Eltern gewesen. Mit ihrer Hülfe erfuhr ich auch – während mein Name streng geheim gehalten wurde – daß mein Gatte noch lebe, aber fest im Kerker und geschlossen liege, und die Räuber unter sich nur noch nicht einig seien, ob sie ihn wie Andere, die man mit den Waffen in der Hand ergriffen, erschießen wollten, oder ob er langsam in seinem Kerker verderben solle.«
»Hm,« brummte Bill, dem die Erzählung höchst wunderbar vorkam, während er aber noch immer nicht begriff, was für eine Ursache die junge Frau gehabt haben konnte, ihn vor allen Andern als ihren Mann herauszugreifen und mitzuschleppen. »Das scheint ja recht hübsch hier zuzugehen. Und giebt es denn da gar keine Obrigkeit?«
»Du lieber Gott,« sagte die junge Frau, »die Behörden haben keinen eigenen Willen, und wo die Godos herrschen, setzen sie auch ihre eigenen Beamten ein. Es sind lauter Verräther an ihrem Vaterland, und welche Rücksicht würden sie auf ein armes, schwaches Weib nehmen!«
»Ja aber –« sagte Bill, der jetzt fertig gegessen und getrunken hatte und sich in einer viel wohlwollenderen Stimmung fühlte. Er empfand mit dem Unglück der bildhübschen jungen Frau ihm gegenüber wirkliches Mitleid, wenn er auch nicht recht begriff, wie und auf welche Art er ihr helfen könne – »das ist soweit recht gut – oder eigentlich wollte ich sagen recht niederträchtig, denn das muß ein schönes Gesindel sein, das mit Morden und Rauben im Lande herumzieht; aber was um Gotteswillen kann ich dabei thun? Ja, wenn wir ein amerikanisches Kriegsschiff hier hätten, so ließe sich noch eher ein Wort darüber reden, aber wir paar Matrosen, was wollen wir gegen die ganze, mit Musketen und Lanzen bewaffnete Bande anfangen? Hinausjagen können wir sie doch nicht, und sie schössen uns einfach vor den Kopf.«
»Und doch stehen den Fremden so viel Mittel zu Gebot, die uns vielleicht helfen können,« sagte die junge Frau mit angstbewegter Stimme. – »Ach, als ich Euch an unserer Küste landen sah und dabei wußte, wie ich hier, in meinem eigenen Vaterlande, keinen einzigen Freund, keinen Beschützer hatte, der es wagen würde, sich der Armen, Verlassenen anzunehmen, da war es mir, als ob Gott selber Euch zu meiner Hülfe gesandt, und nicht im Stande, den Fremden zu nahen, ohne Verdacht zu erregen, griff ich zu dem vielleicht unweiblich scheinenden, aber auch verzweifelten Mittel, Eure Hülfe zu erbitten. Darin wußte ich, daß mir die Neu-Granadienser beistehen würden, denn es ist schon oft vorgekommen, daß Fremde an dieser Küste ein Weib genommen und sie dann verlassen haben, um in ihre eigene Heimath zurückzukehren, und nur so konnte ich unverdächtigt mit Euch Verkehr unterhalten und die Mittel bereden, meinen Gatten und Alle, die noch halbverschmachtet in dem hiesigen Kerker ein elendes Dasein fristen, ja in steter Todesgefahr schweben, vielleicht zu befreien.«
»Aber, beste Frau,« sagte Bill jetzt wirklich verlegen, denn sein gutes Herz hätte ihr gern geholfen, wenn er auch nicht die Möglichkeit eines Gelingens sah – »wie in aller Welt sollen wir paar Menschen das erreichen, wenn wir die ganze Stadt dabei gegen uns haben?«
»Aber die ganze Stadt ist nicht gegen uns!« rief die junge Frau rasch – »hier meine treue Sarah hat mich wieder und wieder versichert, daß Buenaventura im Herzen Mosquera anhängt und mit Freuden das Joch der Godos abschütteln würde, sobald sie nur die geringste Aussicht auf Erfolg sähen. Wir sind auch nicht ohne Nachricht von draußen. Sarah's Neffe, ein braver tüchtiger Bursche und ein treuer Anhänger Mosquera's, war nach der Einnahme Buenaventuras zu den Freunden geflohen und hat Mosquera selber die Nachricht von dem feigen Ueberfall der Godos gebracht, wie auch von dem General die Versicherung erhalten, daß er ihm auf dem Fuße folgen würde, um die Stadt zu entsetzen und die Verräther zu züchtigen. Er ist gestern erst zurückgekehrt, um uns die frohe und hoffnungsreiche Kunde zu bringen.«
»Na,« sagte Bill vergnügt, »dann ist ja Alles in Ordnung und die Sache macht sich von selber.«
»Aber die Godos,« fuhr die Frau fort, »müssen durch ihre Spione wohl auch Verdacht geschöpft haben, daß sie in ihrer jetzigen Stellung bedroht werden könnten, denn sie arbeiten seit heute Morgen an festen Verschanzungen, um die Stadt von der Landseite her uneinnehmbar zu machen, und die ersten Opfer, die bei einer Belagerung fallen, sind jedenfalls die unglücklichen Gefangenen, damit diese nicht später als Ankläger gegen sie auftreten können.«
»Dann sind wir wieder so weit wie vorher,« seufzte Bill, »denn wenn uns die Mosquera-Bursche nicht helfen, können wir die verfluchten Kerle doch hier drinnen nicht allein beim Kopf nehmen.«
»So bin ich verloren,« stöhnte die arme junge Frau, und während ihr die großen hellen Thränen an den Wangen niederliefen, senkte sie das Haupt und faltete verzweifelnd die Hände im Schooß.
Bill hatte, wie schon bemerkt, ein gutes, weiches Herz, und er konnte besonders keinen Menschen weinen sehen – die Schiffsjungen vielleicht ausgenommen, die nur auf der Welt zu sein schienen, um schlecht behandelt zu werden – und selbst derer hatte er sich manchmal angenommen. Aber daß das arme junge Wesen da vor ihm Thränen vergießen sollte – Thränen, weil er ihr in ihrer Noth nicht beistehen wollte, schnürte ihm ordentlich die Brust zusammen. Er konnte es auch nicht lange mit ansehen, sondern seine breite, wetterharte Hand ihr über den Tisch hinüberreichend, sagte er gutmüthig: »Weinen Sie nicht, Madame – thun Sie's mir zu Liebe und weinen Sie nicht. Noch ist nicht Alles verdorben und ich weiß jetzt, wo's fehlt. Den Teufel auch – entschuldigen Sie, wenn mir manchmal so ein häßliches Wort herausfährt, an Bord lernt man nicht viel weiter – meine shipmates sind auch noch vier kräftige Bursche, und wer weiß, was sich noch Alles thun läßt. Außerdem haben wir das Boot und – für jetzt freilich kann man nichts versprechen, man muß eben sehen, was kommt. Aber wissen möcht' ich nur, wo das Gefängniß ist, damit man sich im rechten Augenblick nicht erst danach erkundigen muß.«
»Sarah soll Sie nachher, wenn Sie zu Ihren Kameraden zurückgehen, begleiten,« sagte die junge Frau, »und an dem Platz vorüberführen – aber Sie trinken ja gar nicht. Schmeckt Ihnen der Wein nicht?«
»Aufrichtig gesagt bin ich das saure Zeug nicht recht gewöhnt,« sagte Bill etwas verlegen. »Für den Durst ist es wohl gut, es schnürt Einem den Magen zusammen – ein Glas Grog wäre mir lieber.«
Die Frau rief der Negerin Etwas auf Spanisch zu, diese hatte aber schon die andere Flasche ergriffen und geöffnet, und reichte sie jetzt dem Matrosen. Bill roch auch nur daran, als er schon vergnügt ausrief: »Famoser Brandy, by Jingo! Das lass' ich mir gefallen!« und sich ein Glas mischend trank er es auf das Wohl der jungen Frau.
Indessen fing das Kind an zu schreien, mit dem sie sich beschäftigen mußte, und Bill war aufgestanden. Auch die Negerin warf sich ein Tuch um den Kopf, um ihn zu begleiten. Bill hatte aber noch etwas auf dem Herzen – er wollte irgend eine Frage stellen, die er sich jedenfalls scheute auszusprechen – ja er wurde ordentlich verlegen und räusperte sich ein paar Mal, sah auch nach der Frau hinüber und dann wieder nach der Treppe. Die junge Eingeborne merkte es endlich und sagte freundlich: »Sie wollen noch etwas von mir! o bitte, sprechen Sie es aus. Was ich für Sie thun kann, soll ja so gern geschehen.«
»Ja, Madame,« sagte Bill, dadurch nicht gebessert – »zuerst – möchte ich Sie um Ihren Namen bitten. Ich muß doch eigentlich wissen, wie – wie meine Frau heißt.«
»Candelaria,« lautete die Antwort, »mein Vorname, – der Name meines Mannes darf hier nicht genannt werden.«
»Hm, ja – und dann – merkwürdig, wo Sie das gute Englisch gelernt haben – es klingt ordentlich natürlich.«
»Mein Gatte hatte lange mit einer englischen Familie in Venezuela zusammengelebt, und als er später nach Neu-Granada kam und mich kennen lernte, lehrte er mich das Englische. Ja es wurde selbst in Karthago, wo wir einen Franzosen fanden, der ebenfalls desselben mächtig war, fast nur Englisch in unserem Hause gesprochen. Armer Robert – wer weiß, was aus ihm geworden ist, denn er hatte sich, wie ich hörte, den Godos mit den Waffen in der Hand widersetzt und war entweder getödtet oder gefangen genommen.«
»Ja, Madame,« sagte Bill, mit seinen Gedanken aber jedenfalls weit abschweifend, »ja wohl – aber – aber – wenn es nun Abend wird, so – so muß ich doch wieder hierher zurückkommen, denn – denn sonst –«
»Gewiß – gewiß,« sagte die junge Frau unter ihren Thränen lächelnd, während sich aber doch hohe Röthe über ihr liebes Antlitz ergoß – »Sie müssen nun schon mein Gast bleiben. Sarah wird Ihnen Ihr Lager dort in der Hängematte zurecht machen. Die Leute in Buenaventura dürfen keinen Verdacht schöpfen.«
»Gut,« nickte Bill vergnügt vor sich hin, denn es war ihm mit der Erledigung dieser Frage jedenfalls ein Stein vom Herzen genommen – »merkwürdig nur, woher Sie wußten, daß ich Bill hieß –«
»Ich hörte Sie von Ihren Kameraden bei Namen nennen,« lächelte die Frau, »und Ihr Gesicht hatte etwas so Offenes und Ehrliches –«
»Dank Ihnen, Madame, sollen sich auch nicht in mir geirrt haben,« nickte der Matrose, »und jetzt, mein schwarzer Schatz, wollen wir unsern Weg antreten, damit ich den Kameraden sagen kann, woher der Wind weht. Der alte Bob ist ein tüchtiger Kerl und kennt auch das Land hier – vielleicht bring' ich ihn mit, daß wir das Weitere noch mit dem besprechen können« – und ohne sich länger aufzuhalten, stieg er wieder auf die Straße hinab, wohin ihm die Negerin folgte, und schritt mit dieser dann gleich darauf durch die Stadt, um jetzt vor allen Dingen seine Bootsmannschaft wieder aufzusuchen.
Unterwegs sprach die Negerin kein Wort mit ihrem Begleiter, schien aber vollkommen gut zu wissen, was sie zu thun hatte, denn sie führte ihn außen an der Stadt herum, wo eine Menge von Negern und Eingebornen beschäftigt waren, theils Bäume zu fällen und damit Verschanzungen oder Verhaue zu bilden, theils Gräben aufzuwerfen, hinter deren Erdwällen sich die Vertheidiger der Stadt decken konnten. Sie frug auch dort, um keinen Verdacht zu erregen, mehrere Leute nach den Fremden – wohin man sie geführt, und schritt dann wieder durch eine enge Straße quer in die Stadt hinein. Erst als sie dort ein breites und düsteres, mit starken Balken aufgeführtes Gebäude passirten, das unähnlich den übrigen nicht auf Pfählen stand, und dessen Fensteröffnungen mit starken eisernen Gittern verwahrt waren, bog sie sich scheu und flüchtig zu ihm über und flüsterte: »das Gefängniß.« Dann schritt sie weiter, ohne auch nur einen Blick darauf zu werfen.
Desto aufmerksamer betrachtete sich aber Bill dafür den unheimlichen, dumpfen Bau, vor welchem vier Soldaten, mit ihren Gewehren im Arm, auf und ab schritten, und es war ihm gerade kein angenehmes Gefühl, wenn er sich dachte, daß er selber durch irgend ein unbedachtes Vorgehen gegen die nun einmal am Ruder befindliche Macht in diese Höhle hineingeworfen werden könnte. Aber was that's: der leichte Sinn des Matrosen half ihm rasch darüber hinweg, und wenn er sich die Soldaten betrachtete, denen er begegnete, mageres, ausgemergeltes, saftloses Volk, mit Knochen, die man zwischen zwei Fingern zerbrechen konnte, so zuckte ihm ein verächtliches Lächeln um die Lippen und er verfolgte um so viel trotziger seinen Weg.
Angenehm ging es freilich nicht, denn ein nichtswürdiger Schlamm lag in den Straßen, den Eingebornen jedoch nicht hinderlich, da sie mit ihren bloßen Füßen bequem hindurchlaufen konnten, während Bill unwillkürlich daran dachte, daß er sein einziges Paar Schuhe hier in sehr kurzer Zeit wohl auftragen würde. Das ließ sich aber nicht ändern; durch mußte er und begriff nur nicht, wo seine Kameraden hingekommen sein konnten, da die Negerin schon an drei, vier Plätzen vergebens nach ihnen gefragt. Da plötzlich, als er eben wieder vor einem großen Gebäude vorüber ging, an dessen Thüre ebenfalls Wachtposten standen, rief eine lachende Stimme von oben herunter: »O, Bill! Du triffst gerade zur rechten Zeit ein, komm' herauf, mein Junge, und lass' Dich mit anwerben; Handgeld haben wir schon gekriegt, und das wird ein fideles Leben.«
»Den Teufel auch,« brummte Bill zwischen den Zähnen durch, als er nach oben sah und auf einer Art von Holzgallerie Tom entdeckte, der ihm äußerst fidel mit der einen Hand zuwinkte und ihm eine Flasche zeigte, die er in der andern trug.
»La casa del gobierno,« sagte die Negerin in spanischer Sprache, indem sie auf das Haus deutete, und als ob sie ihr Amt jetzt erfüllt habe, wandte sie sich ab und schritt die Straße zurück, durch welche sie eben gekommen.
Bill wußte nicht gleich, was er thun sollte, aber allein konnte er doch nicht unten auf der Straße bleiben, und da jetzt auch noch Bob auf die Veranda kam und ihn anrief, und die Schildwachen ihn ebenfalls bedeuteten hinaufzugehen, zog er sich seinen Hosenbund etwas in die Höhe und brummte entschlossen vor sich hin: »Here goes then – fressen können sie Dich auch nicht –« und betrat das Haus, wo er bald eine schmale hölzerne Treppe fand, die in den oberen Stock hinaufführte.
Dort traf er allerdings die Kameraden, aber in einem etwas sehr munteren und aufgeregten Zustand, was vielleicht ein paar auf dem Tisch stehende geleerte Flaschen entschuldigten. Er wurde auch mit Jubel von ihnen empfangen und augenblicklich nach seiner Frau und dem »niedlichen Gelbling,« dem Kleinen, gefragt, zeigte indessen keine besondere Lust, auf den rohen Scherz einzugehen und empfand auch jenes unbehagliche Gefühl, was uns stets ergreift, wenn wir, vollkommen nüchtern, in eine etwas angetrunkene, oder wenigstens von Wein sehr erregte und bunte Gesellschaft kommen. Wir werden dann selber stumm oder müssen uns gewaltsam in die nämliche Aufregung mit hineintrinken.
Unter anderen Umständen würde Bill auch jedenfalls ohne weiteres Zögern das Letztere gethan haben, denn er verschmähte wahrlich kein Glas Grog, wo ihm das auch geboten wurde; aber eine merkwürdige Veränderung war mit ihm vorgegangen; er mußte immer und immer wieder an die junge unglückliche Frau denken, die all' ihre Hoffnung auf ihn gesetzt, und das schien ihm die Lust am Trinken vollständig verleitet zu haben.
Aber so leicht ließen ihn die Kameraden nicht frei, denn selbst der Bootssteuerer, sonst ein ruhiger, gesetzter Mann, der sich bisher noch immer zu den Leuten in einer reservirten Stellung gehalten, schien die Schranken niedergebrochen und sich mit ihrer Flucht vom eigenen Schiff ausgesöhnt zu haben. Ganz ohne zu trinken kam er auch nicht frei; Bob kredenzte ihm die Flasche, und er mußte wenigstens zum Schein einen langen Zug daraus thun, dann aber rückte ihm auch ihr kleiner Dolmetsch zu Leib und erzählte ihm jetzt – ohne die gefundene Frau weiter zu erwähnen, daß seine Kameraden in das tapfere Heer der Godos eingetreten wären, ihrem Präsidenten gehuldigt hätten und jetzt bereit seien, den schurkischen Mosquera mit aus dem Land hinaus zu jagen.
Bill wollte sich nun freilich mit seinen neuen Pflichten als Familienvater – mit der braunen Frau und dem gelben Kind entschuldigen, aber das half ihm nichts. Sie waren Alle Familienväter, wie der Kleine meinte – Manche mit sechs bis acht gelben Kindern, und gerade um ihr Vaterland und ihre Familien zu vertheidigen, zögen sie in den Krieg. Und was für Aussichten hatten die Fremden dabei! Major und General konnten sie werden, oder wenn sie sich zur See auszeichneten, Kapitän und Admiral – und außerdem, wie er hinzusetzte, befanden sie sich hier in einer vom Feind bedrohten, und in Belagerungszustand erklärten Stadt, wo ihnen schon gar nichts Anderes übrig blieb, als mit der Bevölkerung die Waffen zu ergreifen, um ihr eigenes Leben sicher zu stellen.
Bill wollte ihm schon erwiedern, daß ihn die neugranadiensischen Verhältnisse eigentlich gar nichts angingen, und sie mit ihrem Boot eben so gut wieder abfahren könnten, wie sie angekommen wären, als ihm noch zum Glück die gerade erst vorgeschobene »Familie« einfiel. Jetzt war auch nichts zu machen; die eigenen Kameraden mit dem Grog im Kopf redeten ihm zu, und der kleine dicke Werbeoffizier hatte einige Minuten später die Genugthuung, ihm zehn Neu-Granadische Dollars als Handgeld in die breite Faust drücken zu können.
Damit war er zum neugranadiensischen Soldaten geworben, und die nächste Zeit mußte nun entscheiden, ob er zu den Insurgenten oder Regierungstruppen gehörte, denn das hing allein von dem Erfolg der Waffen ab.
An dem heutigen Tag war übrigens mit den frischen Soldaten nichts mehr anzufangen, denn Bob hatte sich auf eine Bank gesetzt und sang eine der endlosen amerikanischen Balladen, die eine Waffenthat aus ihren Seekriegen feierte, während Tom, dessen musikalisches Talent ebenfalls dadurch angeregt sein mochte, neben ihm Platz genommen hatte und ihn durch den Yankee Doodle in anderer Tonart und anderem Takt begleitete. Keiner störte aber dadurch den Anderen, denn sie hörten sich nur selber, und eine Anzahl südamerikanischer Soldaten sammelten sich um sie und horchte dem wunderlichen Duett mit der gespanntesten Aufmerksamkeit.
Bill versuchte jetzt mit dem Bootsteuerer ein Gespräch anzuknüpfen, aber auch das mißlang. Mr. Sikes war in jenes Stadium gelangt, wo die Menschen gerührt werden; er fiel Bill um den Hals, sagte ihm, daß er ihm keinen Groll nachtrage, weil er im Boot Streit mit ihm gehabt, versicherte ihn, daß er ein seelenguter Kerl wäre, und fing dann bitterlich an zu weinen.
Bill setzte ihn auf die Bank neben die beiden Sänger und stieg dann langsam die Treppe wieder hinunter auf die Straße, ohne daß er von irgend Jemanden daran verhindert oder nur gefragt worden wäre, wohin er wolle. Er war jetzt Einer der Ihrigen, und da man die Fremden heute noch nicht brauchte und in ihrem Zustand auch nicht gut brauchen konnte, mochte er eben hingehen, wohin er wollte; fort lief er ihnen doch nicht mehr, so viel war sicher.
Bill dachte jetzt auch in der That an nichts weniger als an Fortlaufen, aber die Trunkenheit der Kameraden widerte ihn an, und außerdem war es auch Zeit geworden, seine jetzige Wohnung wieder aufzusuchen, die er nie im Leben im Dunkeln gefunden hätte – es machte ihm Mühe genug am hellen Tag. Dabei benutzte er aber gleich die Gelegenheit, sich die »Außenwerke« ein wenig näher zu betrachten und überhaupt das Terrain kennen zu lernen; man wußte nie, wie man das einmal gebrauchen konnte.
Merkwürdig, wie das auf den Straßen aussah – der Regen hatte nachgelassen, und der Platz schien ziemlich bewegt, aber von Zehn, die ihm unterwegs begegneten, waren doch Acht sicherlich entweder Soldaten oder katholische Geistliche, und von den Letzteren traf er oft Gruppen von zehn und zwölf zusammen an, die sich auf das Lebendigste in ihrer Sprache unterhielten und nur, wenn er an ihnen vorüber ging, stehen blieben und hinter ihm drein schauten. Er bemerkte auch, daß alle Uebrigen diese frommen Herren ehrfurchtsvoll grüßten, ja selbst die Soldaten zogen, gerade nicht recht militärisch, die Mützen vor ihnen ab, während ihnen sogar die etwa auf der Straße befindlichen Frauen die Hand oder den schwarzen Rock küßten, was sich die Herren auch, als etwas Selbstverständliches, ruhig gefallen ließen. Sonderbar nur, daß sich so viele blutjunge Herren darunter befanden, die gleichwohl alle diese Huldigungen mit dem größten Bewußtsein ihrer Würde hinnahmen. Bill kümmerte sich aber wenig um sie – es fiel ihm nicht einmal ein sie zu grüßen, denn was gingen ihn, als Protestant, die katholischen Geistlichen an; er verfolgte nur ruhig seinen Weg, bis er endlich glaubte, er müsse in der Nähe von Candelaria's Hause sein. Aber die Gegend kam ihm so fremd vor; hatte er sich vielleicht verirrt? Das wäre eine verwünschte Geschichte gewesen, denn er konnte nicht einmal irgend Jemanden nach dem Weg fragen.
Wie er aber noch so dastand und unschlüssig umherblickte, sah er an der anderen Seite der Straße seine Negerin wieder, die ihm zunickte, ihm winkte und dann ohne Weiteres in die nächste enge Gasse einbog. Sie mußte ihn jedenfalls erwartet haben oder ihm vielleicht die ganze Zeit gefolgt sein, wenn er sie auch nicht bemerkt oder auf sie geachtet hatte.
Bill war bisher ein ziemlich derber und eigentlich auch etwas roher Gesell gewesen, wie man denn überhaupt nicht erwarten darf, auf Wallfischfahrern irgendwie feine oder sehr rücksichtsvolle Gesellschaft anzutreffen, und doch überkam ihn ein ganz eigenes, merkwürdiges Gefühl, als er zum zweiten Mal die Leiter an dem kleinen neuen Haus hinanstieg und sich wieder der jungen bildhübschen und doch so unglücklichen Frau gegenüber fand. Schönheit und Unschuld üben aber oft im Leben einen ganz ähnlichen und mächtigen Einfluß aus, und gerade solche derbkräftige Naturen fühlen sich am Leichtesten davon befangen und eingeschüchtert.
Der kleine Bursche war wach, und die Mutter hatte ihn auf dem Schooß und herzte und küßte das Kind, als Bill zum zweiten Mal bei ihr erschien – er war eigentlich gar nicht gelb, wie sich der Matrose jetzt gestehen mußte, sondern hatte nur jenen lichtbronzefarbigen Teint, der den Eingebornen dieser Küstenstriche eigen ist und sie auch in ihrer etwas dunkleren Schattirung vortrefflich kleidet. Und was für ein lieber, herziger Bursche der kleine Kerl war, und wie lieb und madonnenartig die junge Frau aussah, als sie sich über ihn beugte und mit ihm lächelte.
Einem angeschossenen Wallfisch, und wenn er die See im Todeskampf zu Schaum peitschte, wäre Bill mit der größten Ruhe und Entschlossenheit zu Leib gerückt, ja wenn es sein mußte, hätte er den Hai selber mit einem Messer in der Faust in seinem eigenen Element bekämpft. Hier fühlte er sich wie ein Kind, scheu und furchtsam, und als er den oberen Theil des Hauses erreichte und die junge Frau ihm freundlich und unbefangen die Hand entgegenstreckte, wagte er es kaum sie zu fassen, und setzte sich dann in die entfernteste Ecke nieder, um ihr nur ja nicht lästig zu fallen. Und nun erzählte er, was er draußen gesehen, und wie er seine Kameraden getroffen habe, und das arme junge Weib zuckte ängstlich zusammen als sie hörte, daß ihn die Godos in ihre Dienste angeworben hätten.
»Hol' sie der – und jener,« flüsterte aber Bill vor sich hin, als er sah, welchen Eindruck das Geschehene auf die junge Frau machte; »solche Kontrakte gelten nicht, wo die eine Partei die andere erst betrunken machen muß, um sie dahin zu bringen, wohin sie sie haben will. Wenn man gezwungen wird, dient man auch einmal dem Bösen selber – aber nur so lange, als man nothgedrungen muß, und nachher – dreht man den Spieß um.«
»O Du gütiger Gott, wie soll das enden?« seufzte die junge Frau, »wann wirst Du meinem armen Vaterlande den Frieden wieder geben?«
»Machen Sie sich deshalb keine Sorgen, Madame,« sagte aber der Matrose treuherzig, »wenn wir nur Ihren Mann erst wieder aus dem dumpfen Loch heraus hätten, an dem ich heute vorübergegangen bin. Vor der Hand ist aber gar nichts dabei zu thun, denn erst muß ich mit meinen Kameraden Rücksprache nehmen, was keinesfalls vor morgen geschehen kann. Heute sind sie unzurechnungsfähig und wissen nicht einmal etwas von sich selber, viel weniger von der Welt da draußen. – Und jetzt – es fängt an dunkel zu werden.«
»Dort ist Ihre Hängematte,« sagte die Frau schüchtern, »eine Matte und Decke liegt darin – Sie werden gewiß gut schlafen, denn Mosquitos haben wir hier wenig oder gar keine.«
»Und Sie wollen dann mit dem Kind auf dem harten Boden liegen, nicht wahr?« sagte Bill leise und fast wie vorwurfsvoll; »nein, Madame, daraus kann nichts werden. Bis morgen werde ich schon meine eigene Schlafstelle bequem einrichten, dafür lassen Sie mich sorgen, heute aber leg' ich mich dort in die Ecke – bitte, bekümmern Sie sich gar nicht um mich, und seien Sie versichert, daß ich nicht zu Schaden komme. In die Hängematte legen, ja wohl, und Sie draußen auf den Rindendielen lassen? Weiter fehlte gar nichts. So – nun sorgen Sie nur nicht mehr um mich,« fuhr er fort, indem er sich ohne Weiteres in die Ecke warf, dann seine Jacke auszog, ein Stück Holz herbeischob, auf das er den Kopf legen konnte, und die Jacke dann über sich deckte; »jetzt liege ich vollkommen bequem, und wenn Sie mich nicht wieder wecken, schlaf ich in fünf Minuten wie eine Ratze, denn müde bin ich eigentlich geworden.«
»Aber wie kann ich das zugeben?«
»Zugeben? – Sie können's eben nicht verhindern,« lachte Bill, »und wenn's angegangen wäre, hätte ich Sie nicht einmal heut Abend mehr gestört, aber wie die Sache nun einmal steht, muß ich noch eine Weile unter falscher Flagge segeln – thut mir eben leid, daß es eine falsche ist,« brummte er vor sich in den Bart, legte sich dann auf die Seite, zog sich die Jacke über die Augen und war in wenigen Minuten sanft und fest eingeschlafen.
Wie lange er so gelegen, wußte er nicht, aber mitten in der Nacht – wenigstens noch bei vollkommener Dunkelheit, wachte er durch ein ungewohntes, fremdartiges Geräusch auf, und hörte gleich darauf, als er völlig munter wurde – im Hause etwas flüstern und zischeln.
»Hm,« dachte Bill, »ich will gehangen werden, wenn nicht eben Jemand die Leiter heraufgekrochen ist, und jetzt haben wir Besuch im Haus – so viel ist sicher.«
Er horchte wieder – es war kein Zweifel, daß gerade in der Gegend der Hängematte eine sehr belebte, wenn auch fast lautlose Unterhaltung geführt wurde – nur dann und wann konnte er ein leises Zischeln unterscheiden, und zu gleicher Zeit schlich die Negerin Sarah – er kannte sie an dem vorsichtigen Husten, an den Treppenaufgang, und blieb dort stehen, als ob sie sich gegen irgend eine Ueberraschung verwahren wolle.
»O Weiber! Weiber,« brummte der Matrose vor sich hin und zog sich die Jacke fester über den Kopf – aber es ließ ihn nicht. Wieder mußte er horchen und ein recht häßliches, quälendes Gefühl zuckte ihm dabei durch's Herz. War das Eifersucht? – Aber welches Recht hatte er an die Frau? – Und wenn kein Recht, welche Pflicht dann, sich für sie zu sorgen und zu ängstigen? »Ei zum Teufel,« dachte er weiter, »wenn sie dich so an der Nase herumführt, dann kannst Du die Sache auch nur eben gehen lassen, wie sie geht, und brauchst Deinen Finger wahrlich in keinen heißen Brei hineinzustecken. Hol' sie der Henker.« Und damit legte er sich auf die Seite und wollte wieder einschlafen, aber es ging nicht. War der rauhe Boden zu hart? Du lieber Gott, er hatte schon manchmal viel härter und schlechter gelegen – oder störte ihn das Flüstern? Es war so leise, daß er es kaum unterscheiden konnte und dazu aufhorchen mußte. Am Liebsten wäre er ohne Weiteres aufgestanden und fortgegangen, aber es goß draußen wieder in Strömen, und wohin sollte er in dem fremden Ort, in stockdunkler Nacht und in dem Regen und Schlamm? Unwillkürlich seufzte er tief auf – und dann war plötzlich Alles still und ruhig, und wenn er auch eine Weile lang horchte, konnte er keinen Laut mehr vernehmen.
Darüber mußte er zuletzt wieder eingeschlafen sein, denn tolle, wunderliche Traumbilder kreuzten sein Hirn, und als er die Augen endlich öffnete, schien die Sonne hell und warm durch die halb offenen Seitenwände des kleinen luftigen Hauses.
Bill fuhr wirklich etwas überrascht in die Höh', denn seine Träume hatten ihn wieder weit hinaus in See, an Bord der alten Martha's-vine-yard geführt, und im ersten Moment wußte er nicht gleich, wo er sich befand, wie uns ja das häufig nach festem Schlaf so geht. Uebrigens sah er auch in der That eine Menge Menschen um sich her, die hier gar nicht hergehörten, und war noch viel zu wenig mit den südamerikanischen Sitten bekannt, um das trotzdem natürlich zu finden.
Es war allerdings lichter Tag, aber doch noch sehr früh am Morgen, das schien jedoch verschiedene Herren und Damen aus der Nachbarschaft nicht verhindert zu haben, ihren Besuch zu machen, nur um zu hören – natürlich –, wie es dem neuvereinigten Paar ginge, und dann auch wo möglich etwas über die näheren Verhältnisse zu erfahren, denn mit der Negerin Sarah, der das kleine Haus gehörte, war nichts anzufangen, die erzählte fast nie, und nur das hatte sie ihnen bis jetzt gesagt, daß die junge Frau bis dahin in Tumaco gewohnt habe und von dort, nach der Flucht ihres Mannes, hierher gekommen sei.
Candelaria war schon auf und angezogen und wirthschaftete mit Sarah an dem kleinen Herd, um das Frühstück zu bereiten, während zwei von den Nachbarinnen mitten in dem Zimmer kauerten und eigentlich die Unterhaltung allein führten. Außerdem waren aber auch noch – ebenfalls aus Neugierde, ein paar junge Bursche mit heraufgestiegen, die an den Wänden herumlehnten. Der Eine von diesen rauchte auch seine Papier-Cigarre, während sich der Andere angelegentlich mit einem großen Stück Zuckerrohr beschäftigte, von dem er Streifen mit seinem Messer abhackte, dann in den Mund steckte und aussog und das ausgekaute Rohr ziemlich ungenirt mitten in die Stube warf.
Als sich Bill aufrichtete und erstaunt den Blick in dem belebten Raum umherwarf, nickten sie ihm auch freundlich zu, ohne aber ein Gespräch mit ihm anzuknüpfen, denn sie wußten ja doch, daß er sie nicht verstand – oder hatte er sich gestern nur verstellt? Die Damen nahmen übrigens nicht die geringste Notiz von ihm und schienen ihn eher mit Verachtung zu strafen. Pfui über einen Mann, der seiner Frau davon lief und erst mit Gewalt wieder eingefangen werden mußte; er sollte wenigstens fühlen, wie verächtlich er sich gemacht hatte.
Leider ging das Alles total an Bill verloren, denn im Anfang beschäftigte ihn die Tageszeit – er konnte doch nicht so lang geschlafen haben – aber nein, die Sonne war kaum aufgegangen und schien noch ganz schräg durch die Spalten der Hütte – es war jedenfalls nicht weit über sechs Uhr – und schon Besuch? – Sein Blick flog nach der jungen Frau hinüber und die Erinnerung an die letzte Nacht stieg in ihm auf und zuckte ihm wieder mit einem recht fatalen, unangenehmen Gefühl durch's Herz. Es war ihm – so fremd ihm die Frau auch immer sein und bleiben mochte – als ob er etwas Liebes auf der Welt verloren habe – und das hatte er auch – er hatte ein Stück Vertrauen eingebüßt und er nahm sich in Gedanken fest vor, sobald als nur irgend möglich das Haus zu verlassen, und dann nicht wieder hierher zurückzukehren – zwingen konnte sie ihn ja nicht, da er ihr Geheimniß wußte.
Und wie unruhig sie heut Morgen war – wie ängstlich sie umher sah und sich doch auch wieder jede nur erdenkliche Mühe gab, gleichgültig zu erscheinen. Oft sogar horchte sie scheu und erschreckt, als ob sie irgend Etwas zu hören glaubte, und sank dann wieder in sich zusammen.
Bill war aufgestanden und hatte seine Jacke angezogen, und die alte Negerin brachte ihm, mit einer ungewöhnlichen Aufmerksamkeit, ein aus einer Kalebasse geschnittenes Waschbecken und ein kleines, aber schneeweißes Handtuch, mit dem er die etwas schwanke Leiter hinabstieg und unter das Haus ging. Er konnte doch nicht dort oben vor den Damen Toilette machen; wäre auch jetzt gleich am Liebsten fortgegangen, aber das Handtuch mußte er jedenfalls erst wieder oben abliefern, daß es da unten nicht gestohlen würde. Weiter hatte er nichts mehr in dem Haus zu thun.
Als er hinauf kam, deckte eben Candelaria wieder den kleinen Tisch und setzte den eisernen Kocher darauf, in welchem sie die Chokolade bereitet hatte – und der Besuch schien nicht zu wanken und zu weichen. Jetzt aber mochte es Sarah auch satt bekommen, von neugierigem Volk belästigt zu werden, dessen Absicht sie noch dazu durchschaute. Daß es weiße Damen waren, machte dabei keinen Unterschied; seit Aufhebung der Sklaverei hatten die Neger dasselbe Recht – und nahmen sich manchmal noch ein wenig mehr heraus – und hier in ihrem eigenen Hause brauchte sie sich nicht ärgern zu lassen.
»Señoras,« sagte sie deshalb ohne weitere Umstände, »bitte, wenn Sie jetzt hinunter gehen, so machen Sie die kleine Thür an der Umzäunung unten zu, die Kühe laufen uns sonst immer unter das Haus und reiben sich an den Pfählen. – Señor, da liegt noch ein Stück von Ihrem Zuckerrohr – vergessen Sie es nicht.«
Das war deutlich genug, und die Angeredeten verstanden auch den Wink und verließen, wenn auch nicht in guter Laune über die Abfertigung, das Haus; und der junge Bursche mit seiner Papier-Cigarre blieb, da er nicht erwähnt worden, ruhig sitzen und begann sogar sich eine neue Cigarre zu drehen. Mit dem machte die alte Frau aber kurzen Prozeß.
»Höre, mein Bursche,« sagte sie, indem sie ihm auf die Schulter klopfte, »hast Du schon heut Morgen Deine Chokolade getrunken?«
»No, Señora,« schmunzelte der Halbindianer, indem er einen vergnügten Blick auf den Tisch warf, denn er folgerte aus der Frage eine Einladung für sich selber – hatte sich aber getäuscht.
»So?« sagte die Alte mit der größten Gemüthsruhe, »na, dann geh' hin und trinke sie, denn in der Stadt unten geht es heut Morgen bunt zu, und Du weißt nicht, ob Du nachher Zeit zum Frühstücken bekommst. Sei so gut und schieb mir einmal den Pfahl ein wenig von unten herauf – willst Du?«
»Gewiß,« nickte der Bursche ganz verdutzt, »gewiß, Señora – mit dem größten Vergnügen,« und die halbfertige Cigarre noch in der Hand, kletterte er an dem Baum hinunter und hob ihn dann auf, daß ihn Sarah bequem nach oben ziehen konnte, wodurch jede weitere Verbindung mit unten abgeschnitten wurde.
»Madame,« sagte da Bill, der diese Vorbereitung mit ansah, »wenn's Ihnen recht wäre, möchte ich Sie bitten, mich auch vorher hinunter zu lassen. Ich möchte gern ...«
»Nun?« sagte die Negerin erstaunt, »wollen Sie denn nicht frühstücken.«
»Lieber nicht,« meinte Bill, »ich habe – keinen rechten Appetit ...«
»O bleiben Sie,« bat da die junge Frau, die in ordentlich fieberhafter Ungeduld die Entfernung der lästigen Fremden erwartet hatte, »ich habe Ihnen so Wichtiges mitzutheilen.«
»Mir, Madame?« sagte Bill verwundert, »das ist wohl ein Irrthum.«
»Bitte, setzen Sie sich,« drängte aber die Frau, »dorthin, wo wir von den Seitenwänden verdeckt sind, daß die Nachbarn nicht sehen, wie wir uns unterhalten. Diese Häuser sind alle so offen.«
»Ja,« brummte Bill, »das stört manchmal, ist aber doch oft auch wieder bequem.« Dabei leistete er übrigens der Einladung Folge – er mußte doch hören, was ihm die Frau zu sagen hatte, und war außerdem auch wirklich hungrig geworden. Auf dem kleinen Tisch dampfte aber die Chokolade, und lockten so verführerisch frisches Brod und goldgelbe Bananen, daß er dem nicht widerstehen konnte.
Kaum aber hatte er sich neben den Tisch niedergelassen, als sich die junge Frau auf der andern Seite zur Erde kauerte und mit leiser, zitternder Stimme sagte: »O, Señor, der Augenblick, wo ich auf Ihre Hülfe zähle, naht rascher heran als ich geglaubt, und Gott selber hat Sie mir zur rechten Zeit hiehergeführt. Sie werden mich doch nicht verlassen ...«
»Madame,« sagte Bill, mit einer Banane und seiner Chokolade beschäftigt, »so viel ich weiß, war doch gestern Abend noch nichts Besonderes vorgefallen; da müssen Sie denn wohl über Nacht etwas Neues erfahren haben?«
»Allerdings – allerdings,« flüsterte ihm die Frau ängstlich zu, »jener Freund meines Mannes, von denen ich Ihnen gestern sagte – jener Franzose, Robert Beaugead aus Karthago, den ich todt oder gefangen glaubte – er war in dieser Nacht hier – in unserem Haus ...«
»Hier?« sagte Bill und vergaß in dem Augenblick Essen und Trinken.
»Hier,« bestätigte aber die junge Frau. »Sie schliefen und haben ihn nicht gehört, aber mit Lebensgefahr schlich er sich durch die Posten der Feinde, um hier Sarah aufzusuchen, von der er wußte, daß sie allein ihm Auskunft über uns und unser Schicksal geben könne.«
Bill erwiderte nichts, aber die Tasse stellte er hin und über den Tisch hinüber reichte er seine breite, harte Hand der Frau, die nicht wußte, wie sie sich die Bewegung deuten sollte. Aber vorsichtig drückte er nur ihre zarten Finger, und fiel dann mit einem wahren Feuereifer wieder über die Bananen und Chokolade her.
Candelaria sah ihn erstaunt an, da er aber in seiner Beschäftigung fortfuhr und nur aufmerksam zu ihr hinüber sah, erzählte sie weiter: »Er brachte uns gute und schlimme Nachricht: gute, daß Mosquera mit einer ziemlich bedeutenden Macht schon in unmittelbarer Nähe von Buenaventura steht – schlimme, als dadurch das Schicksal der Gefangenen auf das Furchtbarste gefährdet wird, denn bis jetzt haben es sich die Godos fast zur Regel gemacht, sobald ihre Lage verzweifelt erschien, die Gefangenen entweder in die Wildniß mit hineinzuschleppen oder, wenn das nicht anging, zu tödten.«
»Bestien,« brummte Bill zwischen den Zähnen durch.
»Das wird die Zeit sein,« bat Candelaria mit angstbewegter Stimme, »in der Sie und Ihre Freunde uns beistehen müssen, wenn wir nicht Alle verloren sein sollen.«
»Das ist eine verfluchte Geschichte,« sagte Bill, sich hinter dem Ohre kratzend; »Daß wir uns gestern Alle bei den Godos angeworben haben, wäre das Wenigste, und ich würde mir auch nicht das geringste Gewissen daraus machen, der blutigen Gesellschaft ein Schnippchen zu schlagen; aber wie soll ich es nur den Kameraden beibringen, daß sie eigentlich gar nicht auf diese, sondern auf die andere Seite gehören? Ja, wenn ich sie einmal hierher bringen könnte, daß sie mit Ihnen sprechen und sich Alles erzählen lassen könnten: aber das geht nicht, da merkten die barfüßigen Lumpen am Ende Lunte und die Sache wäre noch schlimmer als vorher.«
»Aber sie haben auch einen Amerikaner gefangen genommen,« sagte Candelaria rasch.
»Einen Amerikaner?« rief Bill verwundert, »wo denn?«
»Jener Franzose Beaugead brachte die Nachricht mit. Gar nicht weit von der Stadt entfernt, auf dem Wege in's Innere, hatte Jener eine Kakaopflanzung angelegt und baute dabei Zuckerrohr und brannte Agua ardiente, das er zum Verkauf nach Buenaventura sandte. Dort scheinen die Godos unterwegs, kurz vorher, ehe sie diese Stadt nahmen, bös gewirthschaftet zu haben, denn einige der Gebäude fand ich, als ich den Platz passirte, niedergebrannt, und die Zuckerrohrfelder, in die sie wahrscheinlich ihre Pferde getrieben hatten, arg verwüstet. Der Amerikaner, wie Beaugead berichtet, muß sich aber widersetzt haben, ja die Neger auf der Estancia erzählten sogar, er hätte einen der Offiziere niedergeschossen und einen Anderen schwer verwundet, dann wurde er übermannt, ebenso, wie sie es in Karthago gethan, in eine frische Kuhhaut gebunden und von den übermüthigen Godos hierherzu nach Buenaventura geschleift. Möglich ist, daß sie ihn sogar getödtet haben, aber nicht leicht thun sie das mit Fremden; lebt er übrigens noch, so schmachtet er auch jedenfalls in dem nämlichen Gefängniß mit meinem Gatten.«
»Ein Amerikaner?« sagte Bill erstaunt, »ein richtiger Yankee hier in dem Loch von einer Calebouse?[2] Na, wenn wir dahinter kommen könnten, ich glaube, dann hielt es eben nicht schwer, die Anderen auf unsere Seite zu bringen. Sie stürmten das Nest am hellen lichten Tag.«
[2]: Calabozo, spanisches Wort für Kerker, aber auch in Nordamerika, besonders unter den Seeleuten, sehr gebräuchlich, wo die trunkenen und streitsüchtigen Matrosen, besonders in New-Orleans, sehr häufig die Bekanntschaft dieses dort sogenannten Ortes machen.
»Und gewiß ist er dort gefangen, wenn er noch lebt,« sagte Candelaria.
»Wenn wir nur wüßten, wie wir's herausbekommen könnten,« nickte Bill vor sich hin, »aber lassen Sie mich nur machen,« fuhr er plötzlich empor, »ich weiß ein Mittel, ihn dazu zu bringen, daß er Antwort giebt, wenn er wirklich drinnen steckt, und davon müssen wir uns so bald als möglich überzeugen.«
»Sie wollen fort?«
»Ja,« sagte Bill entschlossen, indem er sich mit einiger Mühe von seinem niederen Sitz emporhob, »gewiß will ich fort, denn hier kann ich weiter nichts mehr nützen, und auch keinen Schaden mehr thun,«[3] setzte er mit einem Blick auf das Frühstück hinzu, »aber draußen muß ich jetzt die Kameraden sprechen und wenn,« – er horchte hoch auf, denn schrille Trompetensignale schallten in dem Augenblick von der Straße herauf und kündeten jedenfalls irgend etwas Außergewöhnliches.
[3]: I've done all the dammage I could (ich habe allen Schaden gethan, den ich thun konnte) sagen die Amerikaner im Westen sehr häufig, wenn sie noch zum Essen genöthigt werden und satt sind.
»Sie haben von der Annäherung des Feindes Kunde bekommen,« rief Candelaria, rasch emporfahrend.
»Aller Wahrscheinlichkeit nach,« nickte Bill, »und jetzt können wir bei den Fallen stehen, wie es an Bord heißt. Also good bye, Madame – leben Sie wohl,« setzte er, ihr die Hand hinüber reichend, hinzu, »machen Sie sich keine Sorge, so lange es nicht nöthig ist, und – wenn's nöthig werden sollte, na dann – dann thun Sie's noch immer nicht. Bring' ich die Anderen dazu, daß sie uns helfen, so haben Sie fünf tüchtige Kerle auf Ihrer Seite, und die können schon was zu Wege schaffen, wenn sie zusammenhalten, und geht's wirklich am Ende schief – hol's der Henker, wir können nur einmal sterben, und draußen, hinter den schmierigen Wallfischen her, riskiren wir unser Leben doch alle Tage. – Leben Sie wohl, Madame.« – Er hatte mit der Rechten ihre zarten Finger ergriffen und strich ihr mit der breiten linken Hand leise und weich, wie einem Kind, über die dunklen Locken – dann wandte er sich ab, zog sich, nach Matrosenart, den Hosenbund in die Höhe und kletterte, ohne sich noch einmal umzusehen, an dem eingekerbten Baumstamm auf die Straße hinunter.
Und dort schien allerdings etwas Außerordentliches vorzugehen, denn von allen Seiten sprangen Soldaten vorüber, ihrem Sammelplatz zu, während die Frauen auf der Straße standen und auf's Lebhafteste mit einander gestikulirten.
Die Amerikaner sagen freilich: »Bindet einem Franzosen die Hände auf den Rücken, und er kann kein Wort mehr reden.« Ebenso ist es aber mit den Südamerikanern, die ihre Hände auf das Nothwendigste zur Unterhaltung brauchen, während sie der Engländer gewöhnlich dazu in die Taschen steckt. Es ist ein lebendiges Volk, sobald nur einmal seine Leidenschaften erregt sind, und hier standen in der That sämmtliche Interessen der ganzen Stadt auf dem Spiel, da sie mit ihren leichten, luftigen und blättergedeckten Häusern bei einer wirklichen Beschießung der Stadt auch der fast sicheren Gefahr ausgesetzt waren, den ganzen Ort durch Feuer zu verlieren. Entstand nur irgendwo ein Brand, so war auch an Rettung kaum mehr zu denken, und ganz Buenaventura wäre vielleicht in einer halben Stunde von der Erde verschwunden.
Und für was? – Bloß damit ihr in Panama oder Bogota residirender Präsident einen andern Namen trug, denn einen weiteren Nutzen hatten sie doch nicht dabei. Ihre Steuern mußten sie der oder jener Regierung zahlen, wie sie auch hieß, und welche Versprechungen sie ihnen jetzt machte, das Resultat blieb immer und ewig dasselbe. Daß aber die Geistlichen jetzt den gegenwärtigen Besitzhaltern das Wort redeten und des Himmels Strafen auf sie herab prophezeiten, wenn sie die Godos im Stich ließen? Lieber Gott, die predigten auch nur für ihr eigenes Interesse, denn sie wußten, daß sie Mosquera des Landes verwiesen hatte, gerade ihrer ewigen, revolutionären Predigten wegen. Und welches Gute war ihnen je durch die Pfaffen geworden? Die eigentlichen Bewohner von Buenaventura neigten auch in der That viel mehr der Partei Mosquera's als seines Gegenkandidaten zu, aber was konnten sie machen, wo der Feind ihre Stadt besetzt und sie so gewissermaßen in Händen hielt? Sie mußten ruhig abwarten, wie sich des Krieges Glück gestalten würde, und nur der wirkliche Sieger durfte auf ihre Hülfe rechnen.
General Oran, der jetzige Befehlshaber der Stadt, kannte auch seine Leute recht gut und zeigte ihnen nicht mehr Vertrauen, als er nothgedrungen mußte. Waffen gab er ihnen deßhalb gar nicht, und nur draußen an den Schanzen mußten sie – sehr gegen ihre Neigung – unter der Aufsicht seiner Offiziere arbeiten und die Befestigungswerke verstärken helfen, die sie am Liebsten ganz wieder niedergerissen hätten, um es zu gar keinem Kampfe kommen zu lassen. Aber es half ihnen eben nichts, und wenn sie sonst fast zu lässig waren, ihre eigenen Papier-Cigarren selber zu drehen, so mußten sie jetzt mit Hacke und Schaufel im Schweiße ihres Angesichts den Grund durchwühlen, wenn sie nicht als »Vaterlandsverräther« angeklagt und in's Gefängniß geworfen werden wollten.
Bill kümmerte sich indessen wenig um die verschiedenen kleinen Trupps, die mit ihrem Werkzeug auf den Schultern hinaus zu den frisch aufgeworfenen Schanzen zogen. Er suchte das Gouvernementsgebäude, wo er seine Kameraden wußte, und brauchte sich nicht einmal lange danach umzusehen, denn schon unterwegs traf er Soldaten, die ausgeschickt waren ihn zu holen, und ihm mit Zeichen bedeuteten, daß er ihnen folgen solle.
Vor dem Gouvernementsgebäude wimmelte es auch wirklich von bewaffneten Menschen, die man aber eigentlich kaum Soldaten nennen konnte, da sie aus allen Ständen des Lebens zusammengewürfelt schienen und nur in ihrer großen Minderzahl Uniformen trugen – und was für Uniformen! – alte blaue Jacken, hier eine mit einem rothen Aufschlag, dort mit einem blauen, da mit gar keinem. Gewehre hatten allerdings die Meisten und auch Patrontaschen, oder wenigstens Beutel zu ihren Patronen anhängen. Viele trugen aber auch nur Lanzen von der verschiedensten Länge, oft bloße Bajonnete auf eine Gartenstange oder ein Bambusrohr gesteckt. Manche waren auch nur mit Kavalleriesäbeln und Pistolen bewehrt – aber zu Fuß; doch ein vollständiges Musikkorps mit großer Trommel, Cymbeln und Pauken spielte dazu einen lustigen Marsch und hatte besonders eine Menge von Frauen und Mädchen um sich her versammelt, die den schmetternden Tönen mit Wohlgefallen lauschten. Was kümmerte sie der Bürgerkrieg, waren sie doch von Jugend auf daran gewöhnt und fast nur auf solche Scenen zu ihrer Unterhaltung angewiesen.
Bill hielt sich nicht lange unten auf, sondern sprang die Treppe hinan, wo er denn auch richtig die Kameraden fand, an welche man ebenfalls Waffen austheilte. Bob besonders hatte schon einen großen Säbel umhängen und bekam jetzt noch eine Patrontasche nebst einer entsetzlich schweren Muskete, schien aber – wie auch die Uebrigen – nichts weniger als erbaut von der neuen südamerikanischen Beschäftigung.
Gestern, ja, von dem reichlich – und vielleicht zu reichlich genossenen Grog angeregt, hatte ihnen die Abwechslung im Leben und vielleicht auch der Gedanke, in Südamerika einmal Soldat zu spielen, Spaß gemacht; heute aber, wo sie nüchtern geworden waren und auch die Kehrseite des Bildes betrachteten, gefiel es ihnen gar nicht mehr so außerordentlich, und sie wären heute vielleicht viel lieber wieder in ihr Boot gesprungen und die Küste weiter hinauf gesegelt, als hier in der glühend heißen Sonne und durch den Schlamm eine alte Muskete herum zu schleppen – denn, daß es zu irgend einem Kampf kommen würde, glaubten sie nicht einmal.
»Well, Bill!« rief Bob diesem entgegen, als er ihn erblickte, »glücklich endlich unter den »Marines« angelangt. Hol's der Teufel, jetzt fehlte weiter gar nichts, als daß sie uns auch noch ein paar Stunden in der Sonne draußen einexerzirten.«
»Hallo, Jungens,« lachte Bill, »ihr seht wirklich ordentlich martialisch aus, aber – habt ein Bischen Acht auf Euch. Es geht los.«
»Das alte Ding von Muskete hier?« sagte Bob, »ich glaub's nicht.«
»Nein, draußen – die andere Partei rückt an.«
»Na, dann wünsch' ich nur, daß sie eine einzige Granate in das blutige Nest hier werfen,« brummte Dick, »und nachher ist die Geschichte gleich vorbei, denn wenn keine Stadt mehr da ist, brauchen wir sie auch nicht mehr zu vertheidigen.«
»Ja, wenn wir noch an Bill's Stelle wären,« sagte Tom, »und eine Familie hätten, aber so elende Junggesellen, daß die sich für ein ganz fremdes Volk vielleicht die Knochen sollen voll Blei schießen lassen, ist mir außer dem Spaß.«
»Na, Jungens,« meinte da der Bootsteuerer, der sich aber ein wenig gedrückt fühlte, denn er hatte vom gestrigen Tag furchtbare Kopfschmerzen, »wir schlagen uns immer für Republikaner.«
»Ja,« nickte Bill, ohne auf Tom's Spott zu antworten, »und gegen Republikaner auch, und ich denke, wenn wir das gewollt hätten, so konnten wir zu Hause bleiben, wo es gerade in dem Geschäft alle Hände voll zu thun giebt, aber wißt Ihr wohl,« er sah sich vorher um, und dicht hinter sich ihren kleinen Dolmetsch stehen, der ihnen vergnügt zunickte.
»Das ist recht, Señores,« rief dieser, »bewaffnen Sie sich für das Vaterland, aber suchen Sie sich um Gottes willen gute Musketen aus, denn es sind welche darunter, bei denen die vermaledeiten Mosqueraner Nägel in die Zündlöcher geschlagen haben, die kein Teufel wieder herausbringt. Die schnappen nachher bloß.«
»Ja, aber zum Henker,« rief Bob, »auf wen schießen wir denn? es ist ja gar kein Feind da: oder sollen wir auch noch in's Land hineinmarschiren?«
»Das nicht,« sagte der Kleine, »aber wir haben Kunde erhalten, daß ein Guerillatrupp der Mosqueraner, die Gott vernichten möge, gegen uns anrückt, um wahrscheinlich bei Nacht einen Ueberfall zu wagen und dann, wie sie es gewöhnlich thun, wieder in die Berge zu flüchten. Denen wollen wir diesmal die Zeche heimzahlen, amigos, daß sie das Wiederkommen vergessen. »Muera Mosquera!« ist unser Feldgeschrei, und wenn wir den Usurpator erwischten, ich glaube, die Republik zahlte den Fang mit seinem Gewicht in Gold.«
»Hm!« sagte Bill, der ihm aufmerksam zugehört hatte, denn man mußte aufpassen, wenn man Alles verstehen wollte, was der kleine eifrige Mann heraussprudelte, da er noch eine Menge von spanischen Wörtern hineinmischte; »ich dachte, Sie hätten ihn gefangen, und er säße mit in dem breiten Gefängniß da drüben hinter den Eisengittern.«
»O Gott nein,« sagte der Kleine, »das sind nur Einige von seinen Anhängern – traidores – Verräther am Vaterland, die wir mit den Waffen in der Hand ergriffen, und die ihrer gerechten Strafe nicht entgehen sollen.«
»Die haben Sie wohl mit aus dem innern Land gebracht?« frug Bill noch einmal.
»Ach, was kümmern uns die,« wich aber der Kleine der Frage, die ihm nicht angenehm zu sein schien, aus, indem er unter einem Haufen von dort liegenden Gewehren herumkramte; »he,« sagte er dann, »hier ist ein gutes Stück – nichts im Zündloch und vollständig mit Bajonnet versehen – hier, Don Guillelmo, das nehmen Sie – da liegt auch eine Tasche, versuchen Sie aber erst, ob die Patronen hineinpassen. – Und Sie, Señor,« wandte er sich dann noch einmal an Tom, »haben ja auch kein Gewehr – da ist noch eines.«
»Danke vielmals,« knurrte Tom, »ich kann mit den Dingern nicht umgehen und habe mir dort die Wallfischlanze heraufgeholt. Mit der weiß ich Bescheid, und wenn's zum Treffen kommt, richte ich mehr mit der, wie mit solch' einem nichtsnutzigen Schießeisen aus, von dem man überhaupt nie weiß, ob es los geht.«
»Nun, machen Sie das, wie Sie wollen,« rief der Kleine, indem er plötzlich auf die Veranda hinaussprang und auf die Straße hinab sah. Dort mußte er aber etwas bemerkt haben, was ihn interessirte, oder seine Gegenwart vielleicht nöthig machte, denn er eilte die hölzerne Treppe wieder in aller Hast hinunter, die Matrosen sich selber überlassend. Kaum aber war er fort, als Bill, der rings herum nur die schwarzbraunen Bursche bemerkte, die hier ebenfalls mit den Waffen zu thun hatten, den Kameraden auch mit kurzen bündigen Worten seine Erlebnisse erzählte und ihnen zugleich mittheilte, daß man sie hier auf eine ganz verkehrte Seite pressen wolle, und er wenigstens gesonnen sei, gegen diesen Mosquera keinen Schuß abzufeuern.
»Höre einmal, Mate,« sagte da Bob, »das ist ein wunderliches Ding mit der Politik dieser Länder, und der Henker mag sich hineinfinden; ich werde wenigstens nicht klug daraus und gedenke auch gar nicht, mir den Kopf darüber zu zerbrechen. So viel aber ist sicher, daß wir zu der Partei halten müssen, in die wir hineingeworfen sind. Ob sie nun recht oder unrecht hat – geht uns auch gar nichts an; das ist ihre Sache, und mögen sie mit ihren Landsleuten ausmachen.«
»So?« sagte Bill, »und wenn wir also noch mit dazu helfen sollen, einen Landsmann von uns, einen Amerikaner, im Kerker zu halten und vielleicht gar dabei zusehen, wenn er todt geschossen wird, dann geht uns das auch nichts an?«
»Einen Amerikaner?« riefen die Matrosen rasch, »wo?«
»Hier, in dem Loch von einem Gefängniß natürlich,« entgegnete Bill, »und wer weiß denn, wer es ist und wie sie ihn indessen behandelt haben? Das müßten wir doch jedenfalls vorher herausbekommen, ehe wir uns für die Gesellschaft todtschlagen lassen, und sitzt da wirklich ein richtiger Yankee fest, so will ich auch verbrannt werden, wenn ich nicht zusehe, wie ich ihn wieder herauseisen kann.«
»Ja, Mate,« meinte der Bootsteuerer, »und wir Alle ebenfalls; wie aber wollen wir es erfahren? denn wenn wir den kleinen, kurzbeinigen Kerl darum fragen, der hier allein englisch spricht, so sagt uns der im Leben nicht die Wahrheit.«
»Gut, dann giebts auch noch ein anderes Mittel, um es herauszubekommen,« nickte Bill vor sich hin, »zu thun haben wir doch jetzt noch nichts, denn sie scheinen gar nicht zu wissen, was sie vor der Hand mit uns anfangen sollen, und indessen wollen wir einmal einen Spaziergang durch die Stadt machen – mit unseren Gewehren müssen sie uns so überall durchlassen.«
»Können wir auch thun,« sagte der Bootsteuerer, »meine Schuh sind überdieß noch nicht ganz entzwei, und in dem Schlamm weichen sie desto besser von den Füßen herunter – aber wohin?«
»Am Gefängniß vorbei,« sagte Bill; »dort treiben wir uns dann eine kleine Weile umher, und es müßte mit dem Henker zugehen, wenn wir den da drin Sitzenden nicht bemerkbar machen könnten, daß Amerikaner draußen sind.«
»Aber dann auch fort,« rief Dick, »ehe der Kleine wieder kommt, denn der weiß jedesmal etwas zu bestellen. Hat denn Einer von Euch heute einmal nach unserem Boot gesehen, ob es noch im Stand und an der alten Stelle ist?«
»Ich war vorhin unten, als ich die Lanze holte,« nickte Tom, »Alles in Ordnung. Wer weiß auch, ob wir's nicht einmal nächstens brauchen werden? denn daß ich hier an Land gekommen wäre, um Soldaten zu spielen, ist blos ein Irrthum von den braunen Lumpen.«
»Und nun vorwärts,« sagte der Bootsteuerer, »da unten fangen sie schon wieder an, Signale zu blasen. Eine schöne Ordnung halten sie aber, das ist wahr; Keiner weiß, wer Koch oder Kellner ist, und die Waffen scheinen hier zu beliebigem Gebrauch aufgestellt zu sein – nicht einmal eine Schildwacht daneben und kein Offizier, der sich darum bekümmert. Kuriose Welt.«
Damit stiegen die neu »eingekleideten« Matrosen, ihre Gewehre oder sonstigen Waffen auf der Schulter, ruhig die Treppe hinunter und wieder auf die Straße, und Niemand kümmerte sich in der That um sie, wohin sie gingen oder was sie trieben.
Der Bootsteuerer hatte recht, es schien eine merkwürdige Unordnung unter der ganzen Mannschaft zu herrschen, wie denn auch der ganze Trupp nicht aus einexerzirten Soldaten, sondern nur aus zusammengelesenen Freiwilligen bestand, die unter dem Versprechen der Plünderung geworben waren und zusammengehalten wurden. Von einem Exercitium sahen dabei die Offiziere vollständig ab, denn in dem Sumpf- und Waldland wäre dasselbe auch gar nicht möglich gewesen; was brauchten die Guerillas auch ein solches, wenn sie nur einen Hinterhalt zu benutzen und einen Ueberfall rasch und kräftig auszuführen verstanden. Auch mit der Subordination sah es nicht besonders aus, und General Oran, der diese Bande befehligte, hatte schon ein paar Mal Exempel statuiren müssen, um das wilde Volk nur ein wenig im Zaum zu halten; oft genug schlugen sie aber trotzdem noch über die Stränge, und nur dringende Gefahr konnte sie zu einem einigermaßen festen Ganzen zusammenbringen.
Aber was kümmerte das die Seeleute, die jetzt von Bill geführt, die Straße hinabschlenderten, wo sie denn auch, ohne von irgend Jemandem befragt oder nur beachtet zu werden, links abbiegend das Gefängniß bald erreichten.
Hier standen allerdings Posten genug, und sie wußten recht gut, daß man ihnen nie erlaubt haben würde, das Haus selber zu betreten. Das lag aber auch noch gar nicht in ihrem Plan, und sie begnügten sich vor der Hand damit, es von Außen in Augenschein zu nehmen.
Unheimlich genug sah es aus, besonders im Vergleich zu den übrigen auf Pfählen gebauten, luftigen und verhältnißmäßig auch reinlichen Häusern, wie es da im Schlamm, niedrig und mit ziemlich flachem Dach – wie eingesunken und breitgedrückt lag. Steine hatte man aber nicht zu seinem Bau verwandt, nur mächtige Stämme jenes eisenfesten Biguarriholzes, das in diesen Wäldern in Masse wächst, die fest ineinander gefügt nicht einmal der Luft einen Durchzug gestatteten, während winzig kleine, dicht unter dem Dach angebrachte Fenster mit dicken, neben einander stehenden Eisenstäben eben so wenig den Gefangenen hinaus, wie einen Sonnenblick hinein in seinen dunklen Kerker ließen.
Es mußte ein entsetzlicher Aufenthalt dort im Innern sein, noch schrecklicher durch das feuchte heiße Klima für den daran nicht Gewöhnten, wenn er verdammt wurde, seine Tage da zu verbringen.
»Bless my soul,« sagte der Bootsteuerer schaudernd, als sie daran vorüberschritten; »in das Loch werden sie doch wahrhaftig keinen Amerikaner geworfen haben? Nur eines von unseren kleinsten Kriegsschiffen schösse ja das ganze Nest in Zeit von fünf Minuten in Grund und Boden zusammen.«
»Und wie wollen sie's erfahren und wo sind sie?« brummte Bill; »so viel weiß ich aber, ganz rein ist die Geschichte nicht, denn unser gelbbrauner Dolmetsch wollte gar nichts davon wissen, als ich auf das Gefängniß zu sprechen kam, und steuerte geschwind einen andern Kurs.«
»Und wie kommen wir dahinter?«
»Verdammt leicht,« sagte der Matrose mit einem trotzigen Lachen. »Hinein dürfen wir nicht, und wer da drinnen sitzt, wird uns auch nicht wohl sehen können, aber jedenfalls hören, und wer kann uns hindern, hier den Yankee Doodle zu singen?«
»Bei Gott!« rief Tom rasch, »das ist wahr, und wenn ein Amerikaner hinter den Stäben sitzt und das Lied hört, dann weiß er auch, daß Freunde in der Nähe sind und wird sich schon melden.«
»Denke so,« nickte Bill, »und nun fangt an – Du, Dick, hast ja eine so verwünscht gellende Stimme, daß Einem ordentlich die Ohren weh thun; jetzt lass' sie einmal los.«
Dick ließ sich auch in der That nicht lange bitten und begann plötzlich – sehr zum Erstaunen der Wachtposten – mit so kreischender scharfer Stimme die höchst eigenthümliche Melodie des Yankee Doodle zu singen, daß ein paar gerade dort vorbeikommende Frauen erschreckt umdrehten und in das nächste Haus flüchteten. Die Soldaten lachten aber, denn das Lied gefiel ihnen, wenn sie auch die Worte nicht verstanden, und die übrigen Matrosen stimmten jetzt mit ein:
Nach dem ersten Vers schwiegen sie – aber sie brauchten nicht lange auf Antwort zu warten.
»Hülfe!« tönte gleich darauf aus einem der Löcher eine hohle Stimme in englischer Sprache – »helft mir, Jungens, hier sitzt ein Amerikaner! – Helft mir –«
Aber die Wachtposten hatten die Zurufe ebenfalls gehört, und mit dem strengen Befehl, keine Unterhaltung der Gefangenen mit Außenstehenden zu gestatten, sprangen sie rasch zu und bedeuteten die Fremden, weiter zu gehen und da nicht stehen zu bleiben.
»I'll be« – wollte Bill schon zu fluchen anfangen, der Bootsteuerer aber, der das Nutzlose eines Widerstandes in diesem Augenblick recht gut voraussah, ergriff rasch seinen Arm und rief: »Ruhe, Bill, Ruhe! wir müssen unsere Zeit abwarten und wissen ja doch jetzt, was wir wissen wollen – komm' – da drüben marschirt eben ein ganzes Bataillon Soldaten die Straße herunter; wenn wir jetzt Lärm machen, haben wir im Nu die ganze Gesellschaft auf dem Hals. Wir müssen uns erst bereden, was wir thun wollen.«
»Gut,« sagte Bill, der ebenfalls die Soldaten bemerkte und das Nutzlose eines Widersetzens in diesem Augenblick einsah – »dann kommt; aber ein Zeichen soll er doch haben,« und sich gegen das Fenster drehend, rief er aus: »Freunde in der Näh'! hab' guten Muth!« und gleich darauf fielen die Anderen wieder jubelnd ein:
und damit zogen sie, ohne sich weiter um die Wachtposten zu bekümmern, die Straße hinab.
Weit kamen sie übrigens nicht, da schoß plötzlich aus einer Seitengasse, oder vielmehr zwischen ein paar Häusern hindurch, ihr kleiner Dolmetsch auf sie zu und rief, ganz außer Athem: »Aber Señores, wo stecken Sie denn? ich suche Sie wie ein Stück Geld in der ganzen Stadt – der General hat nach Ihnen gefragt und will Sie sprechen.«
»Der General?« frug der Bootsteuerer, der stillschweigend das Kommando über seine vier Matrosen wieder übernommen hatte – »na denn man zu, Jungens; wir müssen doch wenigstens hören, was der alte Herr zu sagen hat.«
»Alte Herr?« lachte der Kleine, »ist gerade einundzwanzig Jahre alt.«
»Bravo, dann kann er's noch zu was bringen – wenn er nicht früher gehangen wird,« lachte Bob; »aber kommt – Zwei und Zwei, wie es die Landsoldaten auch machen – Sie voran, Mr. Sikes, und Du, Tom, halt Deine Lanze ein Bischen hoch, daß Du Niemanden damit zu nahe kommst – vorwärts marsch!« und der kleine Trupp, dem das wilde Leben anfing Spaß zu machen, marschirte ernsthaft hinter ihrem Führer her.
Der General – in der That ein ganz junges Bürschchen, das nur die Guerillabande errichtet und sich den Titel dann, der ihm besser als »Capitano« klang, zugelegt, hatte sein Hauptquartier eigentlich in einem Privathaus genommen, war aber jetzt auf das Regierungsgebäude gekommen, um »sein Heer« zu mustern und eine Ansprache nicht allein an seine Truppen, sondern auch an die Einwohner von Buenaventura zu halten.
Natürlich verstand er kein Wort Englisch und der Dolmetsch mußte die Matrosen begleiten, die sich gleich darauf dem eigentlichen Herrn der Stadt gegenüber fanden.
Und was für ein grüner Bursche war es! Er sah genau so aus, als ob er eben hinter einem Ladentisch vorgesprungen wäre und sich nur geschwind einen Säbel umgeschnallt hätte, trug aber eine mit Goldstickereien fast bedeckte Uniform, und Epauletten, die sich durch ihr Gewicht ordentlich herunterbogen. Er machte ein sehr ernsthaftes und wichtiges Gesicht und schien den Fremden dadurch besonders imponiren zu wollen, erreichte seinen Zweck aber allerdings nicht, denn die Matrosen waren nicht so leicht eingeschüchtert, und als er mit solchem Pathos vor ihnen stand, flüsterte Tom seinem Nachbar Bill in's Ohr: »Nun sieh' Einer den jungen Truthahn an, wie er sich spreizt und schleift. Ich hätte verdammt Lust, ihm mit meinem Lanzenschaft eines auf den Schädel zu geben.«
Der Dolmetsch übersetzte ihnen jetzt den etwaigen Sinn der Rede, der ungefähr darauf hinauslief, daß der Feind anrücke und der Augenblick gekommen sei, wo sie die Freiheit einer großen Nation mit ihrem Blute sollten besiegeln helfen. Die Amerikaner wären auch ein freies Volk und Republikaner und deßhalb die Brüder der Neugranadienser.
»Well old fellow,« unterbrach ihn da Bill, »wenn das Alles wahr ist, weßhalb haltet Ihr denn da Einen von diesen Republikanern und Brüdern in Eurem nichtswürdigen Loch von Gefängniß hinter den Eisengittern, he?«
»Wat de debie!« rief der kleine Mann erstaunt und fast erschreckt aus, »was wißt Ihr denn von einem Amerikaner?«
»Was wir davon wissen?« sagte der Bootsteuerer – »wir wissen, daß er in dem Loch sitzt, und wollen ihn heraus haben – weiter nichts.«
»Was sagen sie?« frug der General erstaunt, und der Kleine übersetzte ihm mit lebhaften Gestikulationen das eben Gehörte. Der General blieb aber vollkommen ruhig und erwiederte nur, wie ihnen der Kleine zurückübersetzen mußte, daß das kein Amerikaner, sondern ein Engländer und ein Verräther sei, der sich heimlich gegen die rechtmäßige Regierung des Landes verschworen und dann mit den Waffen in der Hand versucht habe, die Truppen seiner Excellenz des Präsidenten zu überfallen und zu vernichten. Er werde aber seiner gerechten Strafe nicht entgehen, denn er solle mit dem nächsten hier landenden Regierungsschiff nach Panama gesandt und dort vor ein Kriegsgericht gestellt werden.
»So,« setzte dann der kleine Dolmetsch hinzu, »nun wißt Ihr die ganze Geschichte, und wenn ich Euch einen guten Rath geben soll, so haltet Ihr die Mäuler und mischt Euch nicht in Sachen, die Euch nichts angehen. Ihr seid jetzt neugranadiensische Soldaten, denn Ihr habt das Handgeld genommen, und der General spaßt nicht. Sowie Ihr Euch widersetzt, werdet Ihr einfach todtgeschossen. Das ist Kriegsrecht, bei Euch so gut wie bei uns – und nun vorwärts marsch!«
Die Matrosen waren selber unter sich noch zu keinem rechten Entschluß gekommen, sahen aber auch ein, daß sie vorläufig nichts ausrichten konnten, denn das Regierungsgebäude stak gedrängt voll bewaffneter Menschen. Sie folgten also dem Befehl. Wie sie aber unten auf die Straße kamen, sprengte ein mit Schlamm ordentlich bedeckter Reiter vor die Thür, warf sich vom Pferd und eilte die Treppe hinauf, während die Leute unten durcheinander stürzten und von den verschiedensten Zurufen allarmirt waren.
Etwas mußte im Werk sein, aber was? – Sie verstanden kein Wort von dem Aufruhr, und da sie zu gleicher Zeit ein Offizier bedeutete, in eine der dort formirten Kolonnen einzutreten, so blieb ihnen auch keine Zeit, selber nachzusehen. Wenige Minuten später marschirten sie die Straße hinauf in Reih und Glied, um – wie sie nicht anders vermutheten – irgendwo an den Schanzen postirt zu werden. Jedenfalls mußte der reitende Bote die Kunde gebracht haben, daß der Feind anrücke.
Da sah Bill die Negerin an der Seite stehen und forschend die Reihen betrachten. Wie sie aber die Fremden unter der Truppe entdeckte, schritt sie quer über die Straße hinüber, als ob sie an die andere Seite hinüber wollte, und blieb jetzt dicht neben den Vorderen stehen, um den Zug erst vorüber zu lassen. Jetzt kamen die Matrosen, und Bill, der erhaltenen Warnung eingedenk, that auch gar nicht, als ob er sie kenne – die Negerin sah ihn ebenfalls nicht an – wie er aber an ihr vorüberschritt, murmelte sie leise, aber doch so, daß er die Worte deutlich verstehen konnte: »Ship in sight« (Schiff in Sicht) und schritt dann langsam an der vorbeidefilirenden Reihe herunter und auf die andere Seite hinüber.
»Alle Teufel!« rief Bill leise vor sich hin, »hast Du gehört, Tom, was die Alte da eben sagte?«
»Versteh' ich Spanisch?« knurrte dieser – »verdamm' das Kauderwelsch!«
»Aber es war gutes Amerikanisch und hieß Ship in sight.«
»Hell!« rief Tom erstaunt aus – »jetzt fehlte weiter gar nichts, als daß der alte Blubberkasten, die Martha's-vine-yard, hinter uns hergekommen wäre und uns wieder an Bord haben wollte. Ha! das war ein Schuß!«
»Es geht los, Jungens,« sagte Bob, sich nach ihnen umdrehend, »das war gerade von der Schanze her, und wir wissen jetzt nicht einmal, für was wir uns sollen todtschießen lassen.«
»Du, Bob – ein Schiff in Sicht.«
»Ein Schiff! der Teufel auch – was für eines?«
»Ja weiß ich's – nur eben erst hab' ich's gehört.«
»Von dem Hügel da aus muß man das Wasser sehen können – da stehen auch Menschen oben.«
»Ja, aber wir dürfen nicht hinauf. Wetter noch einmal, wenn das unser Alter wäre – o Sikes – Schiff in Sicht – Martha's-vine-yard –«
»Den Teufel auch!« rief der Bootsteuerer – »dann geh' ich meiner Seel' wieder an Bord, denn den Morast hier hab' ich satt, und da fängt es auch schon wieder an zu regnen. Das ist ein vermaledeites Land.«
Die Aufmerksamkeit der Matrosen wurde aber doch jetzt ausschließlich auf ihre unmittelbare Umgebung gerichtet, denn wieder fielen drei, vier Schüsse dicht hintereinander, während der Offizier der Kolonne ein Kommando gab und die übrigen Soldaten jetzt im Sturmschritt weiter liefen – immer durch den Schlamm. Dabei fing es wirklich an zu regnen, und sie sahen sich im nächsten Augenblick vor den Schanzen, in deren Nähe der Boden durch die Erdarbeiten fast grundlos geworden war. Ein Feind ließ sich aber nicht blicken, und die Schüsse waren wohl auch nur von den tapferen Vaterlandsvertheidigern abgefeuert worden, um sich selber Muth zu machen – wenigstens hatte sich noch kein Gegenstand gezeigt, auf den sie wirklich zielen konnten – ein Schwarm von Papageien ausgenommen, der aber kreischend in den Wald abstrich.
Indessen regnete es »tropisch.« Wie mit Bindfaden kam es herunter; dabei wehte kein Luftzug, was es erdrückend schwül machte, und Ordonnanzen liefen herüber und hinüber, und brachten Meldungen und nahmen Befehle wieder mit, so daß sich die Seeleute, die kein Wort davon verstanden, wie verrathen und verkauft dazwischen vorkamen. Außerdem wurden sie in diesem Augenblick von dem einen Offizier hier hinübergeschickt, und dann kam im nächsten ein anderer und frug, was sie denn da um Gottes willen wollten, und dann mußten sie wieder den eben gemachten Weg zurückmarschiren.
»Das ist eine reine Heidenwirthschaft,« sagte der Bootsteuerer, der zuletzt ungeduldig wurde, »und kein Mensch scheint hier ein Oberkommando zu führen. So viel ist sicher, hat dieser Mosquera nur eine Idee von einem Angriff, so sind wir Alle miteinander verloren.«
Indessen befanden sich die »obersten Behörden« von Buenaventura in nicht geringer Aufregung, denn das ansegelnde Schiff beunruhigte sie im höchsten Grad, da sie nicht wußten, was sie daraus machen sollten. Jedenfalls war es ein größeres Fahrzeug, als sie hier gewöhnlich zu sehen bekamen, und wenn es zu Mosquera's Partei gehörte, so kamen sie dadurch zwischen zwei Feuer und sahen sich den Rückzug nach allen Seiten zu abgeschnitten.
Nun behaupteten allerdings einige Personen am Land, daß es ein vollkommen friedlicher Wallfischfänger sei, der hier zufällig anlaufe, und mit ihren Parteien nicht in der geringsten Verbindung stünde. Dicker Rauch stieg sogar vom Schiff auf, ein Beweis, daß es ganz ruhig seinen gewonnenen Speck auskoche – die schon jetzt deutlich bemerkbaren Schießlucken an Bord seien nur gemalt. Andere bestritten das aber wieder. Der Rauch an Bord würde, wie sie meinten, nur unterhalten, um sie über den Charakter des Schiffes irre zu führen, damit sie sich sicher fühlen sollten, bis es nahe heran wäre, dann würde es seinen wahren Charakter schon zeigen. Wenn es wirklich ein Wallfischfänger sei, weßhalb führe es denn nicht seine Flagge, wie es alle Schiffe thun, wenn sie sich einem Hafenplatz nähern?
Unter der Zeit waren die Matrosen bald hier- bald dorthin geschickt worden, als der General den Befehl gab, sie zum Ufer zurückzurufen, da man sie hier, falls sich das fremde Fahrzeug wirklich als ein feindliches zeigen sollte, besser zu verwenden hoffte, als draußen bei den Schanzen. Kaum erreichten sie aber den ersten offenen Platz, von dem aus sie einen Blick über See gewinnen konnten, als Bob überrascht ausrief: »I'll be damned – the Martha's-vine-yard! – Jetzt ist der Teufel zu zahlen und kein Pech heiß!«
»Und sie kocht aus!« rief der Bootsteuerer – »beim Himmel, sie haben Fische gefangen und mehr an Deck, als sie gleich unterbringen können. – Da drüben hängt noch ein langer Streifen Speck am Blubberhaken, was lange herunter wäre, wenn sie nicht den Raum voll hätten.«
»Und was will die hier in Buenaventura?«
»Nach uns aussehen, natürlich,« sagte der Bootsteuerer. »Der »Alte« kennt die Küste hier gut genug und wird wahrscheinlich wissen, daß wir nirgends anders stecken können, wenn wir an Land gerudert sind.«
»Was ist das für ein Schiff?« frug jetzt der eine Offizier die Fremden, indem er mit dem Arm hinausdeutete. Sie verstanden wenigstens, was er meinte, bei seiner Bewegung.
»Wenn wir klug sind, halten wir die Mäuler,« brummte Bob, der noch immer keine Lust verspürte, an Bord zurückzukehren, »was geht uns der alte Kasten an?«
»Wird uns nichts helfen, Mate,« meinte aber der Bootsteuerer, indem er gegen den Offizier nur als Antwort die Achseln zuckte: »denn sicher schicken sie ein Boot herüber, um sich zu erkundigen. Jedenfalls werden wir aber da hören, wie's drüben steht, und ich glaube nur nicht, daß uns das Volk hier wieder fort läßt, Dich nun einmal gar nicht, Bill, als Familienvater.«
»Unsinn!« brummte der Matrose – »aber da hinten geht's los – das wird Ernst. Jetzt knattern die Schüsse von allen Seiten.«
»Und da drüben geht auch schon ein Boot nieder,« rief der Bootsteuerer; »wenn die ihre Lanzen mitbrächten, könnten wir am Ende das Nest von Gefängniß stürmen und den Amerikaner herausholen. Der ganze Schwarm steckt jetzt an den Schanzen.«
»Es ist nur der Teufel,« brummte Bob, »daß ein an Land fahrendes Boot keine Lanzen und Harpunen mitnimmt. – Jungens, die müssen wahrhaftig schmählichen Thran an Bord haben.«
»He holla, amigos,« rief jetzt der kleine Dolmetsch, der von Schweiß und Regen triefend auf sie zusprang – »was für ein Schiff ist das da drüben? Wallfischfänger?«
»Ja wohl,« nickte Bob, denn er hielt es für unmöglich, das abzuleugnen – ein Kind konnte es ja von hier mit bloßen Augen erkennen.
»Nicht Mosquera, heh?« fuhr der Kleine fort.
»Mosquera? was hat Mosquera mit der Martha's-vine-yard zu thun,« brummte der Matrose.
Der Kleine wandte sich jetzt an den Offizier des Trupps und schien, seinen Bewegungen nach, diesen veranlassen zu wollen, die Leute wieder nach den Schanzen zu dirigiren, wo indessen das Feuer lebhafter wurde. Der aber zuckte die Achseln. Er hatte jedenfalls Befehl erhalten, hier zu warten, und schien selber keine übergroße Lust zu haben, an dem Gefecht Theil zu nehmen.
Da plötzlich brach es von allen Seiten los. Hier und dort knallten und knatterten die Schüsse, und wildes Geschrei tönte von dort herüber: ja einzelne Kugeln schlugen sogar über die Häuser hinweg bis hier herüber, und eine alte Frau wurde kaum zehn Schritt von den Seeleuten getroffen, als sie eben an diesen vorübereilte.
»Caramba, Señor!« schrie da ein herbeisprengender Adjutant den Führer des kleinen Trupps an, der noch immer an seiner Stelle hielt. – »Hören Sie denn nicht, daß wir von allen Seiten angegriffen werden? Vorwärts – gleich dort drüben am Gefängniß vorüber scheint der Platz, auf den sich der Feind besonders geworfen. Im Sturmschritt! marsch!«
Dem Befehl mußte gehorcht werden. Die Seeleute warfen wohl noch einen Blick nach dem immer näher kommenden Boot hinüber, aber die Kolonne setzte sich in Bewegung, und in der nächsten Minute schon verbarg ihnen die Biegung der Straße den Blick nach der See hinüber.
An den Schanzen ging es indessen wild genug her, denn ohne daß der Feind einen wirklichen Sturm mit der Lanze oder Bajonnet versucht hätte, beunruhigte er die Linie vollkommen, indem er, von dem dichten Unterholz dieser Wälder gedeckt, bald von da, bald von dort heraus ein plötzlich heftiges Feuer eröffnete, so daß die Belagerten glaubten, er würde mit jeder Minute dort herausbrechen, während dann plötzlich an einer andern Stelle das Spiel auf's Neue begann.
Jedenfalls erreichte er dadurch seinen wahrscheinlichen Zweck, die Godos zu ermüden, die unter einem mehr erfahrenen Führer ihre Kräfte auch sicher besser zusammengehalten und auf den eigentlichen Kampf verspart hätten. So aber wurden sie ganz unnöthiger Weise in Schlamm und Regen hin und her gehetzt, um ununterbrochen gegen einen versteckten Feind zu kämpfen, dem sie dabei nicht einmal einen sichtbaren Schaden zufügen konnten.
Ein junger feuriger Offizier schlug allerdings vor, einen Ausfall zu machen und die Guerillas zu Paaren zu treiben, denn er vermuthete ganz richtig, daß der Feind sich nicht stark genug fühle, sie schon anzugreifen, und jedenfalls weitere Zuzüge erwarte, oder auch vielleicht selber wieder abziehe. »General« Oran aber wollte nichts davon wissen, denn er fürchtete einen Theil seiner Leute in einen Hinterhalt zu bekommen, und fühlte sich der eigentlichen Bewohner von Buenaventura noch lange nicht sicher genug, um sich auf ihren späteren Beistand zu verlassen.
Da plötzlich hörte das Feuern auf. Hatte sich der Feind einen andern Platz zum Angriff ausersehen? – Kein Schuß fiel mehr, aber das jetzige Schweigen war noch viel unheimlicher als der frühere Lärm, denn nun quälte die Ungewißheit die Vertheidiger, wie lange es anhalten und wo und wann sie der Feind zuerst wieder angreifen würde.
General Oran war selber an Ort und Stelle, und mit richtigem Gefühl, daß er all' seine Soldaten nicht vorn lassen dürfe, sondern einen Theil in Reserve behalten müsse, um sie rasch dorthin senden zu können, wo sie nöthig werden sollten, beorderte er die Letztzugerückten an den Hang der Erderhöhung, in unmittelbare Nähe der Stelle, an welcher das Gefängniß stand. Dort konnten sie auch unter die nächsten Häuser treten, um wenigstens gegen den Regenguß geschützt zu sein – oder vielmehr um ihre Gewehre trocken zu halten, denn um die Soldaten selber würde er sich wenig gekümmert haben.
Indessen landete das Boot des Wallfischfängers, und die Leute erkannten augenblicklich das dort auf den Strand gezogene vierte Boot ihres Schiffes, das sie schon halb und halb verloren geglaubt und nun mit einem Hurrahruf begrüßten. Der kleine Dolmetsch, der oben an der Landung stand, um sie zu erwarten, hörte das Hurrahgeschrei, hatte aber keine Ahnung, daß es dem Boot gelten könne, denn seiner Meinung nach sah ein Boot wie das andere aus, und eine besondere Unterscheidung derselben war unmöglich.
Und jetzt kamen die Leute das Ufer herangestürmt und frugen den ihnen entgegen Tretenden in ihrer stürmischen Weise, wo ihre Kameraden wären.
»Kameraden?« sagte der Neugranadienser verwundert, »Kameraden? was weiß ich von Kameraden; wo kommt ihr her, amigos? – Was wollt ihr hier?«
»Wo sind die Leute,« rief aber der erste Harpunier, ohne sich weiter mit einer Beantwortung der an ihn gerichteten Fragen aufzuhalten – »die in das Boot da unten gehören?«
»Die Leute? – was für Leute?«
»Die Amerikaner! Höll' und Verdammniß! Ihr werdet doch wissen, was aus der ganzen Bootsmannschaft geworden ist?«
»Caramba, Señor!« sagte aber der Kleine, »was geht mich Eure Bootsmannschaft an? habe ich sie unter Aufsicht bekommen?«
»Du wärst ein Kerl dazu!« lachte der erste Bootsteuerer. »Seht einmal, Bawlins, dem Burschen wachsen die Waden gleich aus dem Sitztheil heraus.«
Die übrigen Matrosen lachten, der kleine Südamerikaner wurde aber böse, denn wenn er auch den Sinn der Worte nicht ganz vollkommen verstand, so begriff er doch recht gut, daß sich die Fremden über ihn lustig machten, und in seiner Stellung empörte ihn das auf's Tiefste.
»Señores,« rief er deßhalb – »was wollen Sie hier? Unser Land ist in Aufruhr, und wir haben deßhalb keine Zeit und keine Lust, uns mit müßigem fremden Volk abzugeben, das an unsern Küsten herumfährt und unsere Fische wegfängt.«
»Haha, Meister,« lachte aber der Harpunier, »Eure Fische? und weßhalb fangt ihr sie nicht selber? Aber wir wollen hier weiter nichts, als unsere im Nebel verschlagenen Leute wieder abholen, deren Boot wir da unten gefunden haben. Also, wo sind sie? Ausflüchte helfen Euch nichts, denn, verdamm' mich, gebt Ihr sie nicht gutwillig heraus, so lande ich mit unserer ganzen Mannschaft und nehme das blutige Nest mit Sturm.«
Der kleine Mann wollte gerade eine zornige Antwort darauf geben, als eine scharfe Salve von Links herüber knatterte und er sich erschreckt dorthin wandte. Zu gleicher Zeit wurde aber auch das Feuer von der rechten Seite her laut, und es war augenscheinlich, daß jetzt der Angriff auf beiden Seiten eröffnet sei, wo eine Entscheidung nicht lange auf sich warten lassen konnte. Ohne sich auch weiter mit den Fremden aufzuhalten, die, wie er doch jetzt wußte, wenigstens nicht zu Mosquera's Partei gehörten, lief er, so rasch ihn seine kurzen Beine trugen, in die Stadt hinein, es den Matrosen überlassend, selber zu sehen, wie sie ihren Auftrag ausführten.
Diese waren aber deßhalb nicht verlegen, denn wenn ihnen auch nicht entgehen konnte, daß wieder irgend eine der ewigen Revolutionen im Land ausgebrochen sei, so dachten sie doch, mit dem kecken und leichtsinnigen Muth derartiger Leute, viel weniger an die eigene Gefahr, welcher sie sich dabei aussetzten, als an den Spaß, ein solches Treiben einmal in der Nähe zu betrachten.
»Heda, Jungen, was meint ihr?« sagte der Harpunier, »wollen wir an Bord zurückkehren und dem Kapitän Bericht erstatten, oder uns lieber erst da oben die Geschichte einmal mit ansehen? Vielleicht finden wir dort auch unsere Leute, denn wo es was zu raufen gibt, fehlt Bill und Tom sicher nicht.«
»In die Stadt, Sir!« riefen aber die Leute wie aus einem Munde, »unter jeder Bedingung! Der Teufel weiß auch, ob sie unsere Kameraden nicht am Ende eingesperrt haben, und vielleicht können wir dann da oben Luft machen.«
»Na, vorwärts denn, meine Bursche,« sagte der alte Mann, der sein Lebensalter zwischen Wallfischen und wilden Indianern zugebracht. »Waffen haben wir freilich nicht, aber ich denke, wenn wir sie brauchen sollten, werden wir sie schon finden, denn da oben sehe ich einen solchen Haufen bewaffneter Landratten herumlaufen, daß wir ein paar von denen leicht »schälen« können. Vorwärts, damit wir nicht zu spät zum Tanz kommen« – und ohne ein Wort weiter zu sagen, lief er, von seinen Leuten dicht gefolgt, gerade in die Stadt hinein und der Richtung zu, von welcher das schärfste Gewehrfeuer herübertönte.
Die Seeleute brauchten übrigens nicht weit vorzudringen, um mit den »Vaterlandsvertheidigern« in Berührung zu kommen, denn lange vorher noch, ehe sie die Schanzen erreichten, begegneten ihnen Schwärme Bewaffneter, die sich von dem wahrscheinlich zu heiß werdenden Kampfplatz zurückgezogen hatten. Auch einige Verwundete sahen sie vorübertragen, die in die nächsten Häuser gebracht wurden. Ohne sich mit denen aber aufzuhalten, sprangen sie an ihnen vorüber und wollten eben in die nächste Straße einbiegen, als sie an einem großen Hause Getümmel und Stimmen hörten, aus denen deutlich ein englischer Fluch herausklang.
»Alle Wetter!« rief der alte Harpunier, indem er darauf zuflog – »da drüben sind unsere Jungen! Das war Bill's Stimme, und in voller Arbeit, wie ich sehe. Boys! greift euch ein paar Lanzen, oder was ihr sonst kriegen könnt, auf –«
Dem Wort die That folgen lassend, stellte er einem neben ihm vorbeilaufenden Neugranadienser ein Bein, daß dieser wie ein Pfeil nach vorn schoß. Im Nu hatte der Alte auch dessen Lanze aufgegriffen und ihm den Säbel aus der Scheide gerissen. Das Beispiel wirkte. Die übrigen Matrosen, lauter kräftige handfeste Burschen, faßten hier eine Muskete, da ein Seitengewehr, und mit einem wahren Jubelschrei stürmten sie nach vorn.
Hier hatte sich indessen, während draußen noch immer der Kampf wüthete, ein kleines Privatdrama entsponnen, das für einen Theil der Betreffenden recht schlimm ablaufen konnte.
General Oran nämlich, von den meisten aus der Stadt herbeigezogenen Kämpfern verlassen, sah bald, daß der Feind von Stunde zu Stunde durch neue und frische Zuzüge verstärkt wurde und er nicht darauf hoffen durfte, den Platz gegen die Uebermacht zu halten. Viele der Seinigen waren auch schon verwundet und getödtet, und nur ein einziger Ausweg blieb ihm, über den kleinen, dicht unterhalb der Stadt einmündenden Strom, über den er eine leichte Brücke geschlagen, zu entkommen. In den Wald hinein war er auch sicher, nicht verfolgt zu werden, und mit guten Führern versehen, die hier jeden fußbreit Boden kannten, hoffte er schon die Berge wieder zu erreichen und sich dort entweder einer andern Guerillatruppe anzuschließen, oder auch wieder in einem kleinen Binnenstädtchen für kurze Zeit sein Hauptquartier aufzuschlagen.
Aber seine Gefangenen sollten nicht den Triumph feiern können, von ihren Freunden befreit zu werden. Die wollte er mitschleppen und – wenn das nicht ging – dem Feind wenigstens nur die blutigen Leichen derselben zurücklassen.
Die Südamerikaner sind eigentlich kein entschieden grausames Volk, und besonders in diesen Theilen, in Ecuador und Peru, nichts weniger als blutdürstig. Aber mit allen Leidenschaften erregt, mit dem Gefühl, besiegt – geschlagen zu sein, kam zu der Gewißheit, wie die glücklicheren Gegner jetzt jubeln und jauchzen würden, auch das Bedürfniß, Rache und eine theilweise Vergeltung zu üben, und nur an den unglücklichen Gefangenen, an der armen Stadt konnte der Führer der Godos seine machtlose Wuth auslassen.
Sobald er also die Ueberzeugung gewann, daß er den Tag verloren, war sein Plan auch schon entworfen. Noch hielt er ziemlich tapfer mit den Seinen den immer stärker andrängenden Feinden Stand, aber ein Theil seiner Leute wurde rasch zurück zu dem Gefängniß beordert, mit dem Befehl, die Gefangenen über die Brücke zu schaffen und dann die letzten Häuser, von denen aus der Wind über die Stadt schlug, in Brand zu schießen. Das sollte das Signal für ihn selber sein, mit seinen Truppen zu folgen, und Widerstand in der Stadt selber brauchte er, wie er fest überzeugt war, nicht zu fürchten.
Der Plan, so teuflisch er sein mochte, war gut ausgedacht, denn schon das Feuer mußte seinen Rückzug decken, da die Truppen Mosquera's nicht daran denken durften, ihn zu verfolgen, wenn sie die ganze Stadt nicht in einen Aschenhaufen wollten verwandelt sehen – aber der Eifer seiner Leute verdarb ihn.
Während sich ein Theil derselben in das Gefängniß warf und den Unglücklichen darin die Hände auf den Rücken band, um eine mögliche Flucht derselben zu verhindern, sprang ein anderer Theil derselben in die letzten Häuser und feuerte von der Straße aus unter das trockene Schilf der inneren Dächer, bis sie in Brand geriethen. Wie ein Schrei des Entsetzens zuckte aber der Ruf dieser Unthat durch die bedrohte Stadt, und was noch Waffen trug, stürmte herbei, um sich dem Frevel zu widersetzen.
Indessen hatten sich die Matrosen, da ihnen ihr Offizier abhanden gekommen war, ebenfalls nach der Stadt zurückgezogen, denn gerade dort, wo sie standen, schien der Feind plötzlich seinen Angriff aufgegeben zu haben, um den Kern seiner Truppen weiter oben auf einen andern Punkt zu werfen. Unschlüssig standen sie hier und beriethen gerade, ob sie ebenfalls dorthin, woher das stärkste Gewehrfeuer drang, eilen oder hier ruhig einen neuen Befehl ihres »Generals« abwarten sollten, als hinter ihnen ein Getümmel laut wurde und eine Stimme deutlich in englischer Sprache rief: »Zu Hülfe! zu Hülfe, Landsleute!«
»Alle Teufel!« schrie Bill herumfahrend, »das sind die Gefangenen. Was haben sie mit denen vor?«
»Vorwärts, Jungen!« rief aber da der Bootsteuerer, »da müssen wir dabei sein« – und in gestrecktem Lauf flogen die fünf Seeleute, Bill vorne seine Muskete, die schon lange nicht mehr in dem Regen feuern wollte, wie eine Handspake in der Faust, auf den Menschenknäuel zu, um den sich indessen auch eine Menge Frauen gesammelt hatten.
»Amerikaner hierher!« schrie er dabei, »hier kommt Hülfe!«
»Hierher, hierher, Landsleute!« rief eine kräftige Stimme, und Bill hatte im Nu die Gestalt erkannt, die sich mit gebundenen Armen unter den Händen der Häscher wand.
Bill wußte aber recht gut, daß er seine Zeit nicht mit unnützen Fragen oder Auseinandersetzungen verlieren durfte, und vollkommen gleichgültig dagegen, ob er es mit Godos oder Mosqueranern zu thun habe, fuhr er mit seinem Kolben dermaßen unter die Bursche hinein, daß ein paar von ihnen betäubt oder todt – wer kümmerte sich darum – zu Boden stürzten. Der Kolben brach auch von dem Schlag, aber das eiserne Rohr blieb eine eben so gewichtige Waffe, und rechts und links mähte er damit hinein, während jetzt der Bootsteuerer mit den Uebrigen herbeisprang, um dem Angriff Nachdruck zu geben. Im Nu hatten sie auch den Amerikaner befreit und seine Bande durchschnitten, und scheu wollten sich die südamerikanischen Soldaten mit ihren übrigen Gefangen zurückziehen – aber Bill ließ sie nicht.
»Da sind noch Andere dabei, die auch frei werden müssen!« schrie er den Gefährten zu – »noch ein Engländer ist darunter – vorwärts Jungen! hämmert den braunen Halunken die Schädel ein, wenn sie nicht Vernunft annehmen wollen.«
Es sah fast wie Wahnsinn aus, daß die fünf nothdürftig bewaffneten Matrosen einen Angriff gegen einige zwanzig Soldaten machen wollten, aber sie zögerten auch nicht einen Moment. Ihr Blut war einmal warm geworden, und während der befreite Amerikaner von einem der Gefallenen eine Lanze aufgriff, warfen sie sich mit keckem Muth auf den Feind.
Da stürmte General Oran mit seinem Trupp die Straße herauf, denn die zu früh gefeuerten Allarmschüsse hatten ihn glauben machen, daß seine Befehle alle ausgeführt seien und die Bahn nun frei läge für seine Flucht. Am Gefängniß vorüberkommend, sah er aber seine eignen Leute noch im Kampf mit den Fremden, und augenblicklich das Ziel errathend, das diese im Auge hatten, warf er sich mit seiner ganzen Macht gegen sie an.
Ein Glück für die Seeleute war es, daß die Neugranadienser unten, ehe sie die Schanzen verließen, sämmtlich die Gewehre, die überhaupt nicht mehr losgehen wollten, auf den Feind abgefeuert hatten, und dann, ohne sich Zeit zu nehmen, wieder zu laden, den vorangegangenen Freunden gefolgt waren. So konnten sie wenigstens nicht in den kleinen Trupp hineinschießen, aber mit Säbeln und Lanzen fielen sie doch über sie her; was konnten auch die paar Menschen gegen ihren Schwarm ausrichten.
Bill erhielt den ersten Säbelhieb über den Kopf, aber der Bursch führte keinen zweiten, denn der Matrose, wenn auch verwundet, zerschmetterte mit seinem Büchsenlauf den Schädel des Unglücklichen. Jetzt aber war Bill's Zorn auch erwacht, und mit einem lästerlichen Fluch sprang er hinein in die Rotte, um sich bis zu dem eben erkannten General durchzuarbeiten.
Da tönte wildes Jubelgeschrei von der andern Seite herüber.
»Ho Bill! – ho Tom! lass' sie's haben. Drauf meine Jungen, hier kommt Hülfe! – Hurrah! Uncle Sam for ever!«
Die Neugranadienser stutzten, den frischen Feind gewahrend; aber eine noch dringendere Gefahr bedrohte sie von der andern Seite, denn die Einwohner von Buenaventura, wüthend über den frevelhaften Versuch, ihre Stadt in Brand zu stecken, und jetzt auch mit der Gewißheit, daß Mosquera doch den Platz besetzen würde, fielen plötzlich ebenfalls über sie her und vereinigten sich mit den Matrosen.
Die Straße herunter tönte wildes Geschrei, und schwarzer Rauch wälzte sich unheimlich drohend von den brennenden Gebäuden herüber, die Wuth der Männer noch zum Aeußersten anstachelnd. General Oran machte einen Versuch, sich durchzuhauen, und hätten er und die Seinen den ganzen Tag so gefochten, so wären sie wahrscheinlich Sieger geblieben. Jetzt kam der Muth der Verzweifelten zu spät. Mosquera's Truppen, keinen Widerstand mehr an den Schanzen findend, hatten die niederen Wälle übersprungen und stürmten jetzt von allen Seiten in die offene, unvertheidigte Stadt hinein.
Tom war vorgesprungen, wo er einen kleinen offenen Raum sah. Der General, der sich auf ein Pferd geworfen, wollte gerade an ihm vorüber, als der lange Matrose mit seiner Wallfischlanze zum Wurf ausholte. Der Offizier sah ihn und drückte seinen Revolver auf ihn ab – aber die Nässe hatte ihn unschädlich gemacht; zwei, drei Zündhütchen versagten, und im nächsten Moment sauste der haarscharfe Stahl gegen ihn vor und traf ihn in die Seite. – Unter ihm sprang das Pferd hinaus in's Freie, und die Godos, als sie ihren Führer fallen sahen, stoben in scheuer Flucht nach allen Seiten auseinander.
Von jetzt ab war an keinen Widerstand mehr zu denken; es gab nur noch Verfolger und Verfolgte, und Wenigen der Schaar gelang es, über die Brücke in den Wald zu entkommen, wo sie sich in den wilden Dickichten verstecken und doch für den Augenblick ihr Leben retten konnten.
Die Matrosen nahmen natürlich keinen Theil an der Verfolgung, der sich aber der befreite Amerikaner auf das Thätigste anschloß. Sowie sie nur die übrigen Gefangenen losgebunden, begrüßten sie mit wirklich herzlicher Freude die so zur rechten Zeit zum Sukkurs herbeigeeilten Kameraden. – Und doch mischte sich auch wieder etwas Verlegenheit hinein, denn eigentlich war es gar nicht ihre Absicht gewesen, an Bord zurückzukehren, wenn ihnen auch das feste Land bis jetzt wenig Verlockendes geboten. Bill hatte einen Säbelhieb über den Kopf, Dick einen Lanzenstich durch das Bein, der Bootsteuerer eine Kugel durch den Oberarm und Bob einen Kolbenschlag bekommen, der ihm die Hälfte des linken Ohres vom Kopfe getrennt und den linken Arm gelähmt. Auch von den Neugekommenen waren Einige verwundet worden, aber keiner von ihnen dachte jetzt an die »Schrammen«, und der Harpunier rief vergnügt aus: »Wetter noch einmal, Jungen, Ihr habt uns beinahe eine heiße Mahlzeit eingebrockt, aber all's well, that end's well, und jetzt müssen wir machen, daß wir an Bord kommen, denn der Alte kocht gewiß schon vor Ungeduld noch ärger als sein Kessel.«
»Ihr habt Fische gefangen?« sagte Bill zaudernd.
»Zwei Mordfische!« rief der Harpunier, »und einen noch draußen liegen, mit der Fahne eingesteckt. Das aber nicht allein, die See scheint da draußen von Spermfischen zu wimmeln, und wir sind nur hier – mit Auskochen beschäftigt und weil wir für den Augenblick nicht mehr bergen konnten – die Küste angelaufen, um nach Euch auszusehen, denn damals im Nebel konntet Ihr kaum anders als hier an Land gehen.«
»Und es gibt wirklich viele Fische draußen?« fragte der Bootsteuerer.
»Wenn wir noch einmal so dazwischen kommen, wie neulich,« versicherte der Harpunier, »und mit allen vier Booten arbeiten können, so kriegen wir das halbe Schiff voll, so viel ist sicher.«
»Hm ja,« sagte Bill, während er sich mit der linken Hand das Blut vom Kopf herunterwischte, den Blick aber forschend umherwarf, als ob er Jemanden suche – »ich – müßte aber doch eigentlich erst noch einmal nach Haus.«
»Nach Haus?« rief der Harpunier verwundert, »wo zum Teufel hast Du in den zwei Tagen ein Haus herbekommen?«
»Und eine Frau dazu,« rief Bob lachend.
»Eine Frau?« – aber Bill wurde die Antwort erspart. Aus dem Schwarm der umherdrängenden jubelnden Menschen stürzte ein junges blühendes Weib, und sich ohne Scheu an des Matrosen Hals werfend, drückte sie einen heißen Kuß auf seine Lippen.
»Madame!« sagte Bill ganz verdutzt, aber mit leuchtenden Augen den Arm des neben ihr stehenden geretteten Gatten ergreifend, rief das junge Weib: »Euch und Gott habe ich die Befreiung meines Mannes zu danken, o möge Euch einst der Himmel lohnen, was Ihr an uns gethan.«
»Wackere Bursche!« rief auch jetzt der Mann, »wie soll ich euch je Eure Hülfe danken, wo mir die Räuber auch das Letzte genommen haben.«
»War vollkommen gern geschehen, Sirrih,« nickte Bill, der bis hinter die Ohren roth geworden – »die junge Frau da ist ein braves Weib, und kein Amerikaner würde sie im Stich gelassen haben.«
»Und Ihr zürnt mir nicht mehr meines Ueberfalls – meiner Lüge wegen?« lächelte das junge Weib.
»Ich« – sagte Bill, noch viel röther werdend – »ich – ich wollte, es wäre wahr gewesen – aber was kann's helfen! Kommt, Jungen, die Zeit vergeht. Der Alte hat schon die Flagge aufgezogen.«
»Bei Gott!« rief der Harpunier emporfahrend – »dort geht sie auf und nieder! Fort an Bord – an Bord!«
»Und Ihr wollt wieder fort?«
»Matrosenleben,« sagte Bill achselzuckend, indem er ihr seine breite Hand reichte und die ihrige herzlich, aber vorsichtig drückte. »Lebt wohl und – und wenn es Euch wieder gut geht, denkt zuweilen an Euren – zweiten Mann – good bye –« und ohne eine weitere Antwort abzuwarten, sprang er, den Uebrigen voran, zum Boote hinab.
Die beiden Boote waren rasch flott gebracht, und aus dem jetzt vollständig verödeten Wachthaus wollten sie nun ihre Riemen und ihr Segel herunter holen. Zwei von den Riemen waren auch wirklich noch da – weiter nichts. Die drei anderen und das Segel, wie die eine Harpune und Lanze hatten irgendwo einen Liebhaber gefunden. Aber es blieb ihnen keine Zeit mehr, sich danach umzusehen, wäre auch wahrscheinlich nutzlose Arbeit gewesen.
In wenigen Minuten waren die Boote bemannt und stießen vom Lande, um ihrem Schiffe zuzurudern. Wie sie sich vom Ufer entfernten, kam jener Amerikaner, den sie aus den Händen der Godos befreit, und der sich indessen den Verfolgern angeschlossen und das ausgebrochene Feuer mit gedämpft hatte, zum Ufer herabgestürzt und rief ihnen nach.
Einen Moment blieben die Leute auf ihren Rudern liegen.
»Boys, country men!« rief der Landsmann, »fahrt nicht so fort, ich muß Euch erst danken und der General will Euch für Eure Hülfe belohnen.«
»Meine schönsten Grüße an den General!« rief der Harpunier zurück, »aber der Alte wetzt die Flaggenfall da drüben zu Schanden. Das Schiff ist schon wieder unterwegs! Good bye.«
»Good bye denn, God bless you!« rief ihnen der Amerikaner nach. Die Matrosen schwenkten ihre Mützen gegen ihn, und wieder griffen die Ruder ein, und ließen die Stadt bald weit, weit zurück.
Jetzt hatten sie das Schiff erreicht. Ein lauter donnernder Jubelruf begrüßte von dort die geretteten Kameraden – jetzt liefen sie langseit – im Nu lagen die Boote unter den Krahnen und wurden aufgeholt, und fünf Minuten später segelte die Martha's-vine-yard, schwerfällig wie immer, aber auch ihre Zeit dazu benutzend und den gewonnenen Thran auskochend, während eine schwarze Rauchsäule ihre Bahn bezeichnete – in die offene See hinaus.
Der Regierungsrath Braunfeld lebte in den besten und unabhängigsten Verhältnissen, denn er war wohlhabend, ja reich zu nennen, auch noch unverheirathet, und eigentlich nur in die Staatscarrière getreten, um eine Beschäftigung zu haben und einen Titel zu bekommen, denn als einfacher Herr Braunfeld das ganze Leben lang herumzulaufen, ging doch unmöglich an und hätte sich auch nicht geschickt.
Aber er bekam das auch zuletzt satt, denn wenn auch noch in den »besten Jahren,« fingen die regelmäßigen Bureaustunden an, ihm unbequem zu werden. Nachdem er also noch glücklich sein 25jähriges Dienst-Jubiläum gefeiert – war er doch schon mit zweiundzwanzig Jahren in den Staatsdienst getreten – kam er um seine Entlassung ein und erhielt sie auf die ehrenvollste Art bewilligt. Nicht allein wurde ihm zu seinem Regierungsrath noch das Prädicat »geheimer« beigegeben, was aber schon am nächsten Tag öffentlich in alten Zeitungen stand, sondern auch noch der blaue Finkenorden vierter Klasse verliehen, so daß man jetzt eigentlich hätte glauben sollen, der »Geheime« Regierungsrath Braunfeld müsse einer der glücklichsten Menschen auf der Erdkugel sein.
Es ist aber eine allbekannte Thatsache, daß Leute, die keine wirklichen Sorgen und dabei auch nichts zu thun haben, sich dieselben künstlich machen, und dabei nicht selten die größte Erfindungsgabe entwickeln. So setzte sich denn auch in dem Kopf des Geheimen Regierungsrathes nach und nach die fixe Idee fest, daß er an irgend einer unbekannten aber entsetzlichen Krankheit leide und dem Grabe in rasender Schnelle zugerissen würde.
Sein Hausarzt, der Doktor Asmus, war ein ganz vernünftiger Mann, der die Ursache seiner Krankheit bald erkannte, und sie einfach durch eine veränderte Lebensweise des Patienten zu heben suchte. Der geheime Regierungsrath hatte zu schweres Blut; er lebte dazu außerordentlich gut, aß sehr starke und fette Speisen, trank sehr schweren Wein und starken Kaffee und machte sich dazu nicht die geringste Bewegung, ja verschlief sogar noch seinen halben Nachmittag, so daß das Uebel immer hartnäckiger bei ihm auftrat. Verlangte aber der Arzt von ihm, daß er diese täglichen Sünden an seinem Körper unterlassen solle, so war die regelmäßige Antwort, das sei unmöglich und der Körper schon zu sehr daran gewöhnt. Der Geheime Regierungsrath meinte dann auch wohl resignirt: »wozu auch, ich habe doch nur noch eine so kurze Spanne Zeit zu leben, und will mir daher wenigstens nicht unnöthige Entbehrungen auferlegen.«
Der Doktor schlug nun ein anderes, unfehlbares Mittel vor, um ihn allen derartigen Phantasieen zu entziehen und auf andere Gedanken zu bringen – nämlich zu heirathen. Aber auch das wies der Patient entschieden von der Hand, obgleich er mit seinem Alter – er war erst 48 Jahre alt – noch immer Zeit dazu hatte. Erstlich wußte er Niemanden, wenigstens keine junge Dame, die er für würdig befunden hätte, sie auf einmal zur Geheimen Regierungsräthin zu machen und überdies behauptete er, sie würde den Titel »verwittwete« doch augenblicklich dazu bekommen.
Dr. Asmus verlor endlich die Geduld. Erstlich hatte er gerade in dieser Zeit außerordentlich viel zu thun, da ein hartnäckig auftretender Typhus in der Stadt grassirte, und es paßte ihm dabei gar nicht, jeden Augenblick zu einem Patienten gerufen zu werden, der seinem Rath doch nicht folgte, weil er sich über seinen wahren Zustand täuschte. Mit dem mußte er deßhalb ein anderes Mittel versuchen, und ihn dabei auch womöglich auf eine Zeit lang los werden. Aber wohin mit ihm? In irgend ein Bad? Der dortige Badearzt würde augenblicklich gemerkt haben, daß ihm gar Nichts fehle und er durfte sich vor einem Collegen, der die näheren Umstände nicht kannte, keinesfalls soweit blamiren, den Zustand seines Patienten falsch beurtheilt zu haben. Dabei wurde die Quälerei des Geheimen Regierungsraths immer unerträglicher, denn er hatte ihn in der letzten Woche sogar zweimal mitten in der Nacht herausklingeln lassen, weil er behauptete, keine Luft mehr zu bekommen. Dem mußte unter jeder Bedingung ein Ende gemacht werden.
»Regierungsrath!« sagte der Doktor eines Tages zu ihm, als er ihn wieder besuchte, denn er ließ den »Geheimen« immer hartnäckig weg, »Ihr Zustand fängt an, mir selber Besorgniß zu erregen.«
»Und Sie haben es mir immer nicht glauben wollen, Doktor,« wimmerte der Kranke erschreckt, »ach, ich fühlte den Wurm, der an mir fraß.«
»Ein Wurm?« sagte der Doktor ernsthaft, indem er ihn stier ansah – »Sie haben eine Million Würmer in sich. Sie stecken voll Trichinen.«
»So bin ich verloren,« stöhnte der Unglückliche und sank wie vernichtet auf seinen Stuhl zurück.
»Bah, deßhalb noch lange nicht,« erwiederte aber der Arzt, indem er ein chirurgisches Besteck aus der Tasche nahm – »jedenfalls muß ich Sie untersuchen, um vorher Gewißheit zu bekommen.«
»Aber, bester Doktor,« fuhr der Geheime Regierungsrath wieder in die Höhe, denn er hatte einen heiligen Respekt vor der Harpune, »das ist ja doch rein unmöglich, denn ich habe von dem Moment an, als das erste Mal das entsetzliche Wort Trichine in einer Zeitung stand, keinen Bissen Schweinefleisch mehr genossen.«
»Das ist gleichgültig,« sagte der Doktor ruhig, »Sie können sie auch in anderem Fleisch von einem nicht ordentlich gereinigten Hackklotz bekommen haben; das ist schon mehrfach vorgefallen. Kommen Sie nur her, es thut nicht weh; es hilft eben Nichts, wir müssen die Gewißheit haben, nachher kurire ich Sie rasch genug.«
»Sie mich kuriren?« sagte der Geheime Regierungsrath wehmüthig, »es gibt ja noch gar kein Mittel dagegen.«
»Wir hatten noch keines entdeckt,« nickte der Doktor »aber die Amerikaner, praktisches Volk wie immer, sind der Sache auf die Spur gekommen. Ich wette einen Korb Champagner mit Ihnen, daß ich Sie in vier Wochen, wenn Sie meinen Rath genau befolgen, vollständig wieder hergestellt habe. Verlangen Sie mehr? Aber ich kann mich hier nicht eine Stunde lang zu Ihnen hersetzen, denn meine andern Patienten warten. Ziehen Sie einmal den Rock aus und streifen Sie Ihren Hemdärmel in die Höhe.«
»Aber ist das wirklich unumgänglich nothwendig?«
»Machen Sie doch keine Umstände wegen einem solchen Quark,« sagte der Doktor und ließ dabei dem Patienten auch gar keine Zeit mehr, sich zu besinnen. Er half ihm selber den Rock ausziehen und hatte in wenigen Minuten ihm ein Stück Fleisch mit der Harpune aus dem Arm geholt, das er dann sorgfältig in ein Stück Papier wickelte und erst dann dem leise vor sich hin Wimmernden einen Verband umlegte.
»So,« sagte er dabei, »jetzt machen Sie sich keine Sorgen weiter. Sobald wir nur erst einmal Ihre Krankheit constatirt haben, wollen wir ihr schon auf den Leib rücken. Das Gefährliche an der Sache war, daß wir bis jetzt nicht wußten, wo wir sie angreifen sollten und glauben Sie mir, zahllose Menschen sind schon an dieser Ungewißheit zu Grunde gegangen.«
»Aber welch' ein Mittel halten Sie für –«
»Erst muß ich mich überzeugen, daß meine Vermuthung wirklich begründet war,« unterbrach ihn der Arzt, indem er seinen Hut ergriff; »heut' Nachmittag komme ich wieder her und bringe Ihnen Gewißheit. Trinken Sie gewöhnlich Wein bei Tisch?«
»Das ist noch das Einzige, womit ich mich bis jetzt am Leben erhalten habe,« seufzte der Kranke.
»Was für welchen?«
»Sie kennen ja meine Schwäche,« lächelte der Geheime Regierungsrath wehmüthig – »Bocksbeutel.«
»Ja, den schwersten, den es giebt – nun bis ich mich nicht überzeugt habe, will ich Nichts sagen, ist aber, was ich befürchte, wirklich der Fall, so müssen Sie dem entsagen oder Sie sind – ein verlorener Mann.«
»Aber Spirituosen sollten doch gerade –«
»Nachmittag komme ich wieder her,« brach der Doktor kurz ab, »und noch Eins – sprechen Sie mit keinem Menschen darüber. Ich möchte nicht gern, daß Sie das Gerede der Stadt würden und Ihr Fall nachher mit vollem Namen und Titel als Trichinenkranker durch alle Zeitungen liefe. Die Presse spannt jetzt so auf solche eklatante Beispiele, und Sie wären außerdem noch der Gefahr ausgesetzt, daß Aerzte von allen Seiten Deutschlands herbei kämen und Sie um ein Stück Fleisch bäten, um ihre Untersuchungen daran zu machen.«
»Na, weiter fehlte mir gar Nichts,« stöhnte der Arme, »diese verfluchten Harpunen, ich habe an dem einen Mal genug.«
»Ja, aber Sie könnten es nachher im Interesse der Wissenschaft doch nicht gut verweigern, denn man würde es für Feigheit auslegen.«
»Aber, ich soll mich doch wahrhaftig nicht von der ganzen Welt harpuniren lassen?«
»Gerade deßhalb rathe ich Ihnen mit Niemanden über Ihren Zustand zu sprechen,« sagte der Arzt, »und nun leben Sie wohl, lieber Regierungsrath – gleich nach Tisch komme ich wieder zu Ihnen und haben Sie nur Vertrauen zu mir; ich kurire Sie, darauf können Sie sich verlassen.«
»Leben Sie wohl,« hatte der entsetzliche Doktor gesagt, während er mit einem Stück Menschenfleisch in der Tasche von dem unglücklichen in Verzweiflung zurückbleibenden Patienten Abschied nahm.
»Trichinen!« Ja wohl, das war es auch; daß er nur selber noch nicht auf diesen furchtbaren, aber so nahe liegenden Gedanken gefallen sein sollte; fühlte er doch die gräßlichen Geschöpfe in all' seinen Gliedern. Und daher also die ewige Beängstigung, dieses Prickeln in allen Theilen seines Körpers. Das war die unheimliche Thätigkeit jener Myriaden von Geschöpfen, die sich durch seine Muskeln bohrten und darin Quartier nahmen? Und er, ein geheimer Regierungsrath, jetzt hatte er geheime Trichinen – sogar wirklich geheime, denn er durfte es noch nicht einmal Jemanden sagen, durfte sein Leid, seinen Jammer nicht in die Welt hinausschreien, wenn er nicht fürchten wollte, daß sie von allen Seiten blutgierig mit ihren Harpunen herbeiströmten und ihn um eine »Portion« bäten.
Er verbrachte ein paar entsetzliche Stunden, und nicht einmal der Wein, den ihm der Doktor heute noch erlaubt, oder den er vielmehr nur geduldet hatte, wollte ihm schmecken – Fleisch konnte er gar nicht sehen, denn es erinnerte ihn nur noch mehr an sein Elend, und er ließ sich in aller Verzweiflung ein paar Pfund Karpfen absieden, um nicht auch noch bei lebendigem Leibe zu verhungern.
Nach Tisch schlief er gewöhnlich zwei Stunden, um sich später den ganzen Abend matt und unbehaglich zu fühlen. Der Arzt hatte ihm das auch schon lange verboten, aber er behauptete immer, er dürfe seine gewohnte Lebensweise nicht unterbrechen, oder er ginge zu Grunde. Heute fand er keine Ruh; er lief die ganze Zeit im Zimmer auf und ab und blieb nur manchmal erschreckt stehen, wenn er die Bewegung der Thiere in seinem mißhandelten Körper zu fühlen glaubte.
Endlich – endlich kam der Doktor, nach welchem er indessen selber schon zweimal aber immer vergebens geschickt. Er war sehr ernst, wickelte aus einem Tuch, das er in der Hand hielt, ein Mikroscop heraus, stellte es, legte ein Präparat hinein und bat den Geheimen Regierungsrath dann feierlich einmal hindurch zu sehen.
Zitternd beobachtete ihn der Unglückliche, denn er wußte genau, was ihm bevorstand – was er da zu sehen bekam – seine Trichinen – die entsetzlichen Verwüster seines eigenen Körpers, die selbst in diesem Augenblick noch eifrig beschäftigt waren, ihn bei lebendigem Leibe zu verzehren. Er streckte auch abwehrend die Hand aus, aber der Doktor ließ nicht nach.
»Bitte, lieber Regierungsrath, Sie müssen sich selber mit eigenen Augen überzeugen, daß meine Vermuthung, daß der Verdacht, den ich geschöpft, nur zu gegründet gewesen. Sie stecken voll bis an die Haarwurzeln und es ist die höchste Zeit, daß wir eine ernste Maßregel dagegen ergreifen.«
»Und glauben Sie wirklich, daß da noch Hülfe möglich ist, Doktor?«
»Bah, möglich? Ich habe Ihnen nicht umsonst eine Wette angeboten. Wollen Sie meinem Rath folgen – aber sehen Sie sich nur erst einmal selber die Beester an – so stelle ich Sie in vier Wochen so vollständig her, daß Sie so gesund wie ein Fisch im Wasser – und auch ebenso frei von Trichinen sind – bitte, überzeugen Sie sich nur erst einmal.«
Der Geheime Regierungsrath folgte mit einem schweren Seufzer der Aufforderung und da waren sie richtig – nicht mehr geheim, sondern klar und offen in ihrer natürlichen Scheußlichkeit spiralförmig gewunden und zusammengerollt. Ein solches kleines Ungethüm hatte sich sogar in seiner ganzen Länge ausgestreckt.
»Es ist entsetzlich!« stöhnte der Unglückliche – »und die sind von mir?«
»Auf frischer That ertappt, ja,« schmunzelte der Doktor, denn er fühlte sich jetzt seines Opfers sicher, »und nun hören Sie aufmerksam zu und weichen Sie keinen Finger breit von meinen Vorschriften ab, oder Sie sind in vier Wochen, anstatt gesund und kräftig ein neues Leben zu beginnen, ein rettungslos verlorener Mann.«
»Und was soll ich um Gottes Willen thun? ich will Ihnen ja so gern folgen, wenn ich nur –«
»Sie reisen morgen früh« –
»In ein Bad?«
»Nein, das hilft Ihnen Nichts – in den Thüringer Wald müssen Sie, oder in irgend einen anderen, denn auf die besondere Gegend kommt Nichts an – der Thüringer ist uns aber der nächste und auch sonst vortrefflich geeignet. Dort stehen oben in den Bergen eine Menge Pirschhäuser, die aber nicht alle benutzt werden – ich bin dort bekannt; ich werde Ihnen einen Brief an den dortigen Forstmeister mitgeben. Unten im Thal im nächsten Wirthshaus quartieren Sie sich ein und bleiben dort vier Wochen. In der ganzen Zeit dürfen Sie keinen Tropfen Wein oder Bier trinken, hören Sie? Nichts als Wasser oder vielleicht einmal zur Abwechselung etwas verdünnte Milch. Fische können Sie essen, auch Fleisch, aber kein Brod – auch keine Kartoffeln und Gemüse und jeden Mittag ein weich gekochtes Ei – aber nur eins und jeden Mittag Wassersuppe.«
»Oh Du großer Gott,« stöhnte der Geheime Regierungsrath, »das wird gut werden.«
»Dabei,« fuhr der Doktor unerbittlich fort, »dürfen Sie den Trichinen keine Ruhe lassen – schlafen Sie Nachmittags, so sind Sie rettungslos verloren, denn in der Zeit gerade erholen sie sich wieder, wenn sie sonst angegriffen werden. Morgens mit Sonnenaufgang – nicht später, steigen Sie langsam zu dem Pirschhaus hinauf, was Sie sich so aussuchen müssen, um etwa zwei bis drei Stunden Entfernung dahin zu haben. Oben angekommen ruhen Sie sich zwei Stunden aus und kühlen sich ordentlich ab – Sie dürfen sich auch frische Wäsche mitnehmen.«
»Ich danke Ihnen,« sagte der Geheime Regierungsrath, dem sich Herz und Leber bei der Verordnung umdrehte.
»Und dann –,« fuhr der Doktor fort, »nehmen Sie dort oben ein Luftbad!«
»Ein was?« frug der Kranke rasch und erschreckt.
»Ein Luftbad,« wiederholte ruhig der Doktor, »es ist das Einzige was Sie wieder herstellen kann.«
»Aber, wie um Alles in der Welt soll ich denn das machen?« rief der Unglückliche – »Luftbad? Was ist denn das eigentlich?«
»Die Sache ist unendlich einfach,« erwiederte Doktor Asmus, »denn darauf beruht gerade jene amerikanische Entdeckung. Die Trichine ist nämlich ein Geschöpf, das Alles ertragen kann, bis zur ausgesprochenen Siedehitze, mäßiges Räuchern, Salzen, oberflächliches Kochen, unter Wasser setzen, kurz Alles, wodurch sie nicht in direkter Verbindung mit frischer Luft kommt – wird sie aber dieser ausgesetzt, so ist sie rettungslos verloren und muß sterben.«
»Aber ich begreife Sie noch immer nicht.«
»Sie sind furchtbar schwer von Begriffen, Regierungsrath,« sagte der Doktor mit dem Kopf schüttelnd. »Sie sollen sich oben im Wald – und bei der Hitze, die wir diesen Sommer haben, kann Ihnen das nur behaglich sein – vollkommen nackt ausziehen – eine sehr schmale Schwimmhose mögen Sie meinethalben anbehalten – und eine volle Stunde lang im Wald spazieren gehen. Nachher ziehen Sie sich wieder an und steigen langsam und ohne sich zu erhitzen, in Ihr Hotel hinab. Haben Sie mich jetzt verstanden?«
»Und das soll die Trichinen tödten – unbegreiflich.«
»Lieber Freund,« sagte der Doktor, »es liegen noch eine Menge von Geheimnissen in der Natur, die wir mit unsern groben Sinnen nicht gleich fassen können und oft bleibt es nur dem Zufall vorbehalten, solche geheimnißvolle Wirkungen zu erkennen und festzustellen. Uebrigens machen Sie, was Sie wollen; das sage ich Ihnen aber, es ist Ihre einzige und letzte Rettung, und wenn Sie nicht unverzüglich an die Kur gehen, stehe ich Ihnen selbst nicht einmal dafür, daß selbst das Ihnen etwas nützen kann.«
Der Geheime Regierungsrath sah wieder in das Mikroscop hinein, um sich noch einmal vor seinen zahllosen Quälgeistern zu entsetzen. Der Anblick war aber zu furchtbar, als daß er ihn hätte lange aushalten können.
»Wie Gott will,« stöhnte er endlich – »aber noch Eins, Doktor, schreiben Sie mir meine Verhaltungsregeln etwas auf, denn es sind deren so mancherlei, daß ich sie am Ende nicht im Gedächtniß behalten könnte.«
»Von Herzen gern.«
»Und wenn ich dort nun – wenn ich dort nun einen Arzt finden sollte – glauben Sie nicht, daß es gut wäre, ihn ebenfalls um Rath zu fragen?«
»Warum nicht?« sagte Doktor Asmus ruhig, »schaden kann es auf keinen Fall. Er wird Sie dann jedenfalls zuerst harpuniren –«
»Aber das ist ja doch schon geschehen!« rief der Regierungsrath schnell.
»Das bleibt sich gleich,« entgegnete ruhig der Doktor, »kein Arzt auf der Welt kann sich und darf sich auf die bloße Aussage eines Patienten verlassen. Er muß die Sache selber und gründlich untersuchen und wenn er und sein Hülfsarzt dann die feste Ueberzeugung Ihres Zustandes erhalten haben – werden sie Ihnen das Nämliche sagen, was Sie von mir gehört.«
»Und wohin also soll ich reisen?« stöhnte der Geheime Regierungsrath in Verzweiflung.
»Direkt nach Gotha und von da nach Reinhardtsbrunn. Dort sind Sie mitten im Wald, und für ein bequem gelegenes Pirschhaus werde ich selber Sorge tragen – ich gebe Ihnen einen Brief mit.«
Dabei blieb es; der Geheime Regierungsrath, das Herz zum Brechen voll und noch immer in peinlichster Ungewißheit, ob ihm die wunderliche Kur überhaupt etwas nützen werde und er nicht trotzdem ein »verlorner Mann« sei, packte noch an dem nämlichen Abend seine Sachen zusammen. Aber noch ein anderer Gedanke beunruhigte ihn. Er war nämlich nicht gewohnt baarfuß zu gehen – selbst im Sommer beim Baden, was er aber auch nur sehr spärlich betrieb, genirte es ihn immer ungemein, wenn er die wenigen Schritte in bloßen Füßen machen mußte, und jetzt sollte er eine ganze Stunde baarfuß im Wald und auf den scharfen Fichtennadeln herumlaufen; das ging unmöglich und er mußte deßhalb den Doktor fragen, ob er seine kurzen Stiefel anbehalten dürfe. Das gestand ihm dieser denn auch zu; auch seinen Strohhut durfte er aufbehalten.
Aber noch eins – er litt nicht selten an Halsschmerzen und war ebenso wenig gewohnt im bloßen Hals wie in bloßen Füßen zu gehen – wenn er nur noch wenigstens seine Cravatte –
Der Doktor bekam den Quälgeist, der ihm keinen Moment Ruhe ließ, satt:
»Meinetwegen behalten Sie auch die Cravatte um,« rief er endlich ärgerlich, »aber das ist das Aeußerste, was ich Ihnen erlauben kann, und nun machen Sie, daß Sie fortkommen, denn wenn Sie das schöne warme Wetter nicht benutzen, wird es zu spät in der Jahreszeit und Sie sind nicht mehr zu retten.«
Damit ging der Doktor, nachdem er dem Patienten noch vorher ein genaues Verzeichniß seiner nächsten Lebensweise eingehändigt, und der Geheime Regierungsrath blieb mit dem nagenden Wurm im Herzen zurück, um seine Angelegenheiten zu ordnen und den nächsten Morgenzug nicht zu versäumen.
Ein Luftbad! Es war ein schrecklicher Gedanke, eine volle Stunde in der Schöpfungstracht umher zu laufen, nur um seine Trichinen an die Luft zu setzen – und wo hatte er je gelesen, daß irgend ein ähnliches Mittel gegen diese unseligste aller Krankheiten erprobt oder gar nur erwähnt sei. Und wenn er nun noch vorher einen andern Arzt deßhalb zu Rathe zog? – aber die verfluchten Harpunen! Er hatte an der einen Operation vollständig genug und dachte nicht daran, sich einer zweiten auszusetzen. Ueberdies konnte er ja kaum noch mehr zweifeln; er war nicht allein durch das Mikroscop selber überzeugt worden, nein – er fühlte auch im eigenen Körper die furchtbare Wahrheit der Entdeckung, und es ließ ihm jetzt selber keine Ruhe mehr, nur so rasch als irgend möglich den Ort seiner Bestimmung zu erreichen und dort seine Kur zu beginnen.
Die Reise selber verlief ohne weitere Fährlichkeiten und wäre bei dem herrlichen Wetter wirklich ein Genuß gewesen, dem sich aber der unglückliche Patient nicht mit ganzer Seele hingeben konnte, da er nur immer und ununterbrochen an seinen trostlosen Zustand denken mußte. Er war reich und im Besitz aller Lebensgüter; er war sogar Geheimer Regierungsrath und hatte den blauen Finkenorden vierter Klasse: aber wie beneidete er selbst die armen Weichensteller, die niedrigsten Handlanger an der Bahn, die armen Menschen, die zerlumpt und schmutzig ihren verschiedenen Beschäftigungen nachgingen, nur um ihr dürftiges Brod zu verdienen, denn sie waren wenigstens gesund – sie hatten keine Trichinen und sahen nicht ein offenes Grab vor sich, wo sie gingen und standen.
Wie oft kam ihm dabei der Gedanke: oh, wenn Du diesen Menschen ihren gesunden Körper abkaufen könntest – wenn Du ihnen drei-, vier- – ja zehntausend Thaler dafür bötest, sicherlich gingen sie mit Freuden den Handel ein und Du – aber es war ja nicht möglich. Geld kann alle Genüsse des Lebens kaufen, aber nicht das Leben selber, wo gäbe es auch sonst einen kranken reichen Mann und einen gesunden Armen! nein, er war verdammt, sein Leiden selber zu ertragen und keine Schätze der Welt konnten ihn davon befreien – wenn auch die vorgeschriebene Kur Nichts nutzte. –
»Trichinen!« stöhnte er dabei vor sich hin – »es ist unglaublich – fabelhaft – Tausende von Jahren steht die Welt schon und wer hat je in seinem ganzen Leben oder in irgend einem anderen Jahrhundert etwas von solchen Bestien gehört und wie viel Millionen Schweine sind in der Zeit verzehrt worden. Moses war aber gescheidt; der hat seinen Juden das Fleisch gleich verboten, der muß auch gewußt haben weßhalb, ob der sie schon damals entdeckt hat! – aber anstatt nachher das Maul aufzuthun und zu sagen so und so – hütet Euch vor dem Fleisch, es sind kleine Beester darin, kommt er mit seinem verfluchten Geheimniß und seiner Wichtigthuerei – mit seinem: Gehorcht nur meinen Befehlen, Ihr braucht gar nicht zu wissen weßhalb. Daß Dich der –«
Der Geheime Regierungsrath war ganz im Geheimen, denn ihm gegenüber saß ebenfalls eine Geheime Commerzienräthin im Coupé erster Classe – wüthend auf sich, auf die ganze Welt und besonders auf Moses – gewiß der unschuldigste von Allen an seinem Leiden, und als sie endlich in Gotha anlangten und ein sehr hübsch frisirter Kellner ihm durch das Wagenfenster einen Teller mit Würstchen präsentirte, und die Geheime Commerzienräthin ihm entsetzt zurief: »Essen Sie um Gottes Willen keine davon; es sind Trichinen darin!« gab es ihm ordentlich einen Stich in's Herz.
Es sind Trichinen darin – Du lieber Gott, er hatte selber mehr als die kleine Wurst und wenn er sie auch im Stillen trug, in diesem Augenblick fühlte er jede einzelne sich bewegen und drängen und bohren.
Luft! er verging fast in dem engen Coupé und den Kellner mit seinem Teller, auf welchem ganz friedlich Würste, Malzbonbons und Apfelsinen lagen, bei Seite drängend, stürmte er an die Kasse, um sich ein Billet nach Fröttstett zu lösen und von da mit der Pferdebahn weiter zu gehen.
Abends spät langte er endlich in Reinhardtsbrunn an und wurde – nachdem er seinen Brief abgegeben hatte, weiter nach Tambach dirigirt und der Förster dort angewiesen, den Herrn am nächsten Tag zu einem bestimmten und nicht mehr benutzten Pirschhaus zu bringen, wozu er ihm auch den Schlüssel übergeben konnte.
Der Geheime Regierungsrath begann jetzt seine Kur zuerst mit einem entsetzlich dünnen Kaffee und trocknem Weißbrod, dann wanderte er in Begleitung eines Forstgehülfen, der aus dem wunderlichen Menschen gar nicht klug werden konnte, in die Berge hinein, bis sie das allerdings versteckt genug gelegene Pirschhaus erreichten. Der junge Forstmann, der selber im Wald zu thun hatte, versprach in etwa drei oder vier Stunden wieder vorzukommen und ihn abzuholen, damit er sich nicht am ersten Tag und in dem fremden Wald verirre, denn auf dem Rückweg sehe so ein Platz immer ganz anders aus, als auf dem Hinweg, und ließ ihn dann allein.
Eine bessere Gelegenheit, um eine ähnliche Procedur vorzunehmen, wie sie der Geheime Regierungsrath beabsichtigte, hätte sich freilich auf der ganzen Welt nicht finden können. Das kleine Bretterhäuschen war versteckt in den Wald hineingebaut, auf einer schmalen Lichtung, die, wenn das Auge derselben thalwärts folgte, einen ganz reizenden Fernblick über das weite, wie mit einem blauen Duft übergossene Land gewährte. Und der würzige Harzgeruch hier oben, das Zwitschern der Vögel, das zuweilen nur durch den heiseren Schrei eines Raubvogels unterbrochen wurde – und diese Einsamkeit. Hier allerdings hatte er keine Störung zu befürchten, denn ohne des jungen Forstmanns Führung würde er sich nie allein hier heraufgefunden haben. Auch der lange Marsch hatte ihn wohl erschöpft, aber that ihm doch gut und er ging jetzt vor allen Dingen daran, das Terrain selber ein wenig zu sondiren.
Das Pirschhaus bestand nur aus vier einfachen Bretterwänden, mit einem guten Dach und einem kleinen, eisernen Ofen darin, um an rauhen Tagen den Ort behaglicher zu machen. Gespaltenes Holz lag ebenfalls in Vorrath darin. Sonst stand noch dort eine Bettstelle aus weißem Holz mit einer reinlichen Seegrasmatratze und einer wollenen Decke darauf, auch ein Wasserkrug und ein Glas, wie ein paar irdene Töpfe, falls einmal einer der Forstbeamten genöthigt wäre, dort oben ein paar Tage zuzubringen.
Der Geheime Regierungsrath benutzte aber von alle dem Nichts als das Bett; er war müde geworden und streckte sich jetzt behaglich darauf aus, um ein wenig zu ruhen.
Sonderbar – zu Hause hatte er eine Stahlfeder- und darüber eine Roßhaarmatratze und die weichsten Kissen, und doch war ihm sein Lager immer zu hart gewesen und hier auf der festgestopften Seegrasmatratze lag sich's so merkwürdig bequem. Aber seine Gedanken ließen ihn nicht ruhen: Ein Luftbad – es war das Außerordentlichste, von dem er je gehört, und Trichinen, die kaum durch Siedehitze getödtet werden konnten – und selbst darüber war man noch in Zweifel – sollten umkommen, wenn er über Tag eine Stunde nackt im Wald herumlief? Er hätte doch noch eigentlich einen andern Arzt fragen sollen, denn er begriff die Möglichkeit nicht – aber die verfluchten Harpunen. Und wenn ihm das Alles nun Nichts half? Wenn er kränker nach Hause zurückkehrte als er gekommen und dann seinen Tod – den furchtbarsten Tod, den sich ein Mensch nur denken oder ausmalen kann, rettungslos vor Augen sah? Aber Doktor Asmus hatte mit solcher Zuversicht von seiner Kur gesprochen – von Amerika waren überhaupt schon so merkwürdige Entdeckungen herübergekommen – der Versuch mußte jedenfalls gemacht werden, es war ja auch seine letzte, verzweifelte Hoffnung.
Uebrigens befolgte er jetzt getreu die Anweisung des Doktors, dessen Zettel er in seiner Brieftasche immer bei sich trug. Er war, nach einer Rast von etwa anderthalb Stunden vollständig abgekühlt, entkleidete sich deßhalb, zog nur seine Schwimmhosen an, band sich die Cravatte wieder um, damit er seinen Hals nicht erkälte, setzte den Strohhut auf und stieg dann in seinen Halbstiefeln etwas verschämt in den grünen Wald hinaus, dessen Schatten er der brennenden Sonne wegen nothwendig brauchte. Es war dort aber Alles so offen – er konnte so weit zwischen die hohen schlanken Bäume hineinsehen – wenn da nun plötzlich Jemand heraufgekommen und ihm in diesem Zustand begegnet wäre – aber es kam Niemand. Der Wald lag hier öde und einsam und nur in der ersten Zeit überraschte und erschreckte ihn dann und wann einmal ein Eichhörnchen, das vielleicht von Stamm zu Stamm sprang, oder auch wohl ein, keine Gefahr ahnendes Reh, das über die Lichtung wechseln wollte und scheu der wunderlichen, hier oben sicher nicht vermutheten Gestalt entfloh.
Allerdings hörte er einmal einen Schuß fallen – aber weit weg, der Jäger kam nicht her zu ihm, und allmählich fing er an, sich sicherer zu fühlen. Auch die warme Luft that ihm wohl; er hatte mäßig gegessen und einen langen Spaziergang gemacht; er fühlte sogar, daß er wieder Hunger bekam, und wanderte behaglich seine ihm aufgegebene Zeit im Freien hin und her. Dann ging er in das Pirschhaus zurück, zog sich wieder an, packte, was er hier oben behalten wollte, zusammen und erwartete nachher, auf dem schwellenden Moos ausgestreckt und eine gute Cigarre rauchend – denn das hatte ihm der Doktor glücklicher Weise nicht verboten, den Forstgehilfen, der auch ziemlich genau zur versprochenen Zeit eintraf und mit ihm zu Thal stieg.
Von jetzt an besuchte er jeden Morgen regelmäßig das Pirschhaus, und da ihn auch das Wetter außerordentlich begünstigte – denn nur ein einziger Regentag unterbrach einmal für 24 Stunden die Kur – so durfte er sich selber wahrlich keine Vorwürfe machen, irgend etwas versäumt zu haben, was ihm aufgegeben war. Die Lage des alten Pirschhauses schien außerdem vortrefflich gewählt, daß sich Niemand in diese abgelegene Gegend, an der gar kein begangener Pfad vorüberführte, verstieg. Es war auch allerdings nur in früheren Jahren für die Auerhahn-Balz gebaut, da es damals, gerade an diesem Hang sehr viele Auerhähne gab. Wie das aber mit diesem wunderlichen Geflügel so häufig geht, daß sie Jahre lang irgend einen bestimmten Stand haben und Nacht um Nacht den nämlichen Baum zu ihrem Ruheplatz wählen, dann aber plötzlich die Gegend verlassen, um sich an irgend einen anderen entfernten Hang hinüberzuziehen, so war es auch hier geschehen. Die Forstung des Holzes hatte es nöthig gemacht, in der Nachbarschaft einen Schlag anzulegen und das mußten die Auerhähne übel genommen haben. Im nächsten Frühjahr balzte dort nicht ein Einziger mehr, und das Pirschhaus wurde von da ab nur noch zu Zeiten von Forstleuten benutzt, die dann und wann einmal jene Waldstrecke begehen und überwachen mußten, um etwaigem Wildfrevel zu begegnen.
Der geheime Regierungsrath zweifelte allerdings noch immer im Stillen an der Möglichkeit seiner Kur; es kam ihm zu merkwürdig vor, daß ein so einfaches, äußerliches Mittel den inneren Feind bezwingen solle, aber er konnte sich auch nicht verhehlen, daß sich sein Zustand in den wenigen Wochen wesentlich gebessert habe. Seine quälenden Beängstigungen hatten ihn vollständig verlassen; schlaflose Nächte kannte er gar nicht mehr, und wenn er sich Abends, allerdings ziemlich ermüdet, auf sein Lager warf, lag er im Nu in Morpheus' Armen, ja der Hausknecht hatte sogar jeden Morgen Mühe, ihn nur wieder wach zu bekommen. Und was für einen Appetit entwickelte er selbst gegen die sonst so verachtete Wassersuppe. Ebenso fühlten sich seine Glieder freier; er empfand kein Prickeln und Stechen mehr, kein Wühlen und Bohren, er war mit einem Wort ein anderer Mensch geworden, und wenn er sich jetzt die Möglichkeit dachte, daß er sogar von seinen geheimen Quälgeistern befreit sein könne, so hätte er laut aufjubeln mögen vor lauter Seligkeit.
Auch in seinen Bewegungen dort oben an dem Berghang war er freier geworden, denn er fühlte sich jetzt sicher, daß er nicht gestört werden könne. Einmal allerdings hatte er im Wald ein paar Kinder angetroffen, die nach Heidelbeeren suchten und sich ausnahmsweise dort hinauf verloren haben mochten. Diese aber erschracken so furchtbar bei seinem Anblick und stürzten sich in so wilder Flucht den ziemlich steilen Hang hinunter, daß er sie gar nicht über seine Ungefährlichkeit beruhigen konnte. Er bekam sie von da an auch nie wieder zu sehen.
Und wo war sein Bauch geblieben, wo sein Halsleiden? Den Hals hielt er sich allerdings noch immer warm und die Cravatte legte er nicht ab, aber er spürte nicht das Geringste mehr von seinen sonstigen Schmerzen und war selbst keinen Erkältungen mehr ausgesetzt.
Wo hätte er sonst es wagen dürfen, Abends nach Sonnenuntergang an irgend einem der Nachtluft zugänglichen Ort zu verweilen? Jetzt saß er regelmäßig jeden Abend bis zehn oder halb elf Uhr mit dem Förster in dessen Garten, wobei ihn nur das genirte, daß der Förster Bier trank und dieses noch bei ihm zu den verbotenen Genüssen zählte.
Aber Gott sei Dank nicht lange mehr – morgen war seine monatliche Kur um, dieselbe gewissenhaft zu dreißig Tagen gerechnet. Selbst den einen Regentag hatte er sich nicht geschenkt, sondern dafür eben diesen letzten zugegeben, sonst würde er sich schon heute als freier – als trichinenfreier Mensch haben betrachten können. Seine Gewissenhaftigkeit ließ das aber nicht zu; er hatte dem Doctor sein Wort gegeben und wollte es halten – nur heute noch, dann hatte er ja doch Alles überstanden.
Uebrigens wurde es auch Zeit, daß er hier fortkam, wenn er sein Incognito – denn er reiste unter dem unscheinbaren Namen Müller – hier noch länger bewahren wollte, da fast mit jedem Tage neue Fremde ankamen. Reinhardtsbrunn und Friedrichsroda waren nämlich schon so überfüllt von Gästen, daß dort kaum noch Einzelne untergebracht werden konnten, und die Folge davon die, daß sich die Fremden über die nächsten kleinen Orte in der Nachbarschaft und natürlich im Wald zerstreuten. Tambach hatte denn auch schon fünf oder sechs Berliner Familien als Einquartierung erhalten. Er verkehrte übrigens gar nicht mit ihnen. Es lag ihm Nichts daran, hier neue Bekanntschaften anzuknüpfen; trug er doch nicht einmal seinen Orden, denn er war als wirklicher Geheimer Regierungsrath hierher gekommen. Was kümmerten ihn auch die Berliner, die nur hierher gefahren schienen, um sich über Alles lustig zu machen. Auf heute Abend schon hatte er sich eine Extrapost nach Gotha zur nächsten Eisenbahnstation bestellt und mit diesem beruhigenden Gefühl trat er zum letzten Mal seine Wanderung in die Berge an.
Und jetzt that es ihm fast leid, daß er den schönen Wald wieder so bald verlassen sollte. Früher hatte er allerdings nicht begriffen, wie man an Bäumen ein solches Vergnügen haben könne, wenn sie nicht gemalt im Zimmer hingen oder als Coulissen auf dem Theater standen; er war bis jetzt ein reiner »Stadtmensch« gewesen, der nur eine Existenz in regelmäßigen Straßen und Alleen für möglich und erträglich hielt. Jetzt hatte sich das geändert und er sogar gelernt, Freude an dem geheimnißvollen Rauschen der Wipfel zu finden und dem Zwitschern der Vögel fast mit ebenso viel Vergnügen zu lauschen, als sonst irgend einer berühmten Sängerin oder einem Virtuosen. Auch das »Luftbad,« vor dem er sich früher gefürchtet, war ihm liebgeworden und dabei, mit dem Wald dort oben, ja mit jedem Baum in der langen Zeit bekannt geworden, hatte er den anfänglichen Kreislauf um das Haus, mit dem er begonnen, nach und nach zu einem wirklichen kleinen Spaziergang ausgedehnt. Besonders zog ihn dabei eine Stelle an, die tief versteckt im Dickicht lag und wo er, von einem vorspringenden Felsen aus eine dicht unter ihm liegende kleine, nicht sehr verwachsene Dickung, mit offenen Rasenflecken darin, übersehen konnte. Dort drinnen stand regelmäßig in dieser Tageszeit ein Rudel Rehwild, und da er sich wohl hütete, sie je zu stören, sondern immer vorsichtig hinter seinem Versteck, einem dichten Busch blieb, so konnte er sie von dort aus auch stets in ihren harmlosen Spielen beobachten und sich an ihnen freuen. Ja, er hatte sich dort sogar einen kleinen »Sperrsitz« hergerichtet, wie er es nannte, und zwar einen Platz mit weichem Moos so dick aufgepolstert, daß er wie in einem Lehnstuhl darin saß. Dabei strömte der glatte Felsen um ihn her eine wohlthuende Wärme aus und wenigstens eine Viertelstunde an jedem Tag besuchte er die Stelle und freute sich an dem Anblick des harmlosen Wildes.
Auch heute hatte er natürlich den Platz besucht, um Abschied von seinen Rehen zu nehmen – aber auch nur heimlichen, denn stören wollte er sie nicht oder gar erschrecken, und so saß er denn heute, nachdem er seinen gewöhnlichen, ärztlich befohlenen Spaziergang gemacht, auch wohl ein klein wenig länger als gewöhnlich, auf seinem Lieblingsplatz. Da scheuten die Rehe plötzlich – der Bock sicherte empor und dann verschwanden sie alle in der nächsten Dickung. Hatten sie ihn gewittert? Das war nicht gut möglich, denn er saß so vollkommen gedeckt, und der Luftzug schlug schräg über den Hang hinüber – aber es kam ihm jetzt fast selber so vor, als ob er Stimmen und Lachen in nicht zu großer Entfernung höre. Sollten wirklich Menschen in der Nähe sein?
Der Geheime Regierungsrath sprang etwas erschreckt von seinem bequemen Sitz auf, da er noch dazu nicht einmal Rücksicht mehr auf die schon entflohenen Rehe zu nehmen brauchte. Er horchte auch aufmerksam, ob er vielleicht eine genauere Richtung bestimmen könne, von welcher das Geräusch herüberschalle, aber jetzt war Alles wieder ruhig – irgend ein anderer Laut hatte ihn vielleicht getäuscht – aber weßhalb waren die Rehe da unten flüchtig geworden? Doch wer wußte, was die gewittert hatten; vielleicht einen Fuchs, vielleicht einen Holzhauer – vielleicht auch Kinder, die da unten Heidelbeeren suchten. Trotzdem wurde es Zeit, daß er sich auf den Rückweg machte; er durfte heute überdies nicht zu spät in seinem Wirthshaus eintreffen, da er noch mit der Post weiter wollte und immer noch außerdem einer kurzen Zeit bedurfte, seine Rechnung durchzusehen und zu zahlen und einen Abschiedsbesuch bei dem Förster zu machen. Ohne sich deßhalb länger aufzuhalten, warf er noch einen letzten Blick in das freundliche kleine Thal hinab und wandte sich dann direkt dem Pirschhaus wieder zu.
Dort hatte sich indessen Einiges verändert und der kleine abgeschiedene Platz lag heute nicht so still und einsam wie gewöhnlich, denn eine Berliner Picknick-Partie war an diesem Morgen auf Entdeckungsreisen in den Wald gezogen und zufällig in diesen reizenden Waldwinkel gefallen, wo denn auch augenblicklich beschlossen wurde, Halt zu machen und zu frühstücken.
Berliner sind aber nur in sehr seltenen Ausnahmsfällen blöde, und so kam es denn auch, daß sich die jungen Herren der Gesellschaft, als sie den Schlüssel der Pirschhütte im Schloß fanden, augenblicklich daran machten, das Innere derselben zu untersuchen. Einer von ihnen klopfte an, ein Anderer rief »Herein« und als so allen Formen genügt worden, betraten sie den kleinen Raum, wo ihnen dann vor allen Dingen des Geheimen Regierungsraths Garderobe auffallen mußte.
Dieser war nämlich – von Jugend auf an ein Junggesellenleben gewöhnt – sehr ordentlich und hatte also auch seine ausgezogenen Kleidungsstücke in schönster Reihe auf den Tisch gelegt; zuerst den Rock, dann die Weste, dann die Unaussprechlichen – ober und unter – und zuletzt sogar das Hemd, so daß es aussah, als ob sich da eben erst Jemand entkleidet habe, der nur in die Nebenstube in ein Bad gegangen sei. Aber das Pirschhaus hatte gar keine Nebenstube, ringsumher im Wald waren sie schon gewesen – wo um Gotteswillen befand sich also das Menschenkind, das sich hier ausgeschält und seine »irdische Hülle« dann zurückgelassen?
Die Damen zogen sich allerdings augenblicklich scheu zurück, als sie merkten, daß gar Nichts an der Garderobe fehle. Die Herren wurden aber dafür um so begieriger auf die Lösung des Räthsels und Einer stellte sogar die Vermuthung auf, daß hier ein Verbrechen vorliegen könne, und irgend ein unglückliches Menschenkind erschlagen und seiner Kleider beraubt worden sei, um nicht später durch sie erkannt zu werden, und seine Mörder dadurch in Gefahr zu bringen. Doch dem widersprachen die sorgfältig geordneten Gegenstände.
Eine Uhr fand sich freilich nicht, denn zu der hatte sich der Geheime Regierungsrath eine Tasche in seine Schwimmhose machen lassen, da er doch immer wissen mußte, wie lange er ausblieb – aber in der Westentasche stack Geld und auf dem Tisch lag neben den Sachen auch noch eine Brieftasche, eine silberne Schnupftabaksdose und eine Brille – jedenfalls also Gegenstände, die einem ältlichen Herrn gehören mußten – auch ein Regenschirm lehnte in der Ecke.
»Meine Herrschaften,« rief da der eine junge Mann, ein losgelassener Schnittwaarenhändler aus der Metropolis, »jedenfalls ist die Entdeckung, welche wir hier gemacht haben, außerordentlich und es dabei unsere verfluchte Pflicht und Schuldigkeit, jede mögliche Kunde und Aufklärung darüber zu gewinnen. Ich schlage also vor, daß wir die Brieftasche untersuchen, um darin vielleicht den Namen des Unglücklichen zu erfahren, der gewiß irgendwo draußen im Walde an einer Eiche hängt, oder unter einer Buche ermordet liegt. Assessor, Sie sind ein Theil des Gerichts – ein angehender Tribunalrath – kommen Sie einmal als Zeuge her, ob wir nicht eine Briefadresse oder Visitenkarte finden.«
Ohne Weiteres öffnete er auch die Brieftasche und schon im ersten Fache entdeckten sie drei oder vier Karten, die alle den Namen G. Braunfeld, Geheimer Regierungsrath, trugen.
»Das ist merkwürdig,« sagte der junge Schnittwaarenhändler, »ein Geheimer Regierungsrath, der hier aus der Schale gekrochen ist.«
»Zeichen in der Wäsche stimmt – G. B.,« berichtete der Assessor, der indessen das fragliche Stück untersucht hatte.
»Und was nun?«
»Ja, was nun? Anzeige müssen wir jedenfalls von dem Funde machen, aber ich weiß nicht, ob wir die Sachen an uns nehmen können, denn wenn der betreffende Herr doch am Ende zurückkehren sollte, so –«
»Aber er kann doch nicht in dem Zustand in den Wald gelaufen sein,« rief der junge Schnittwaarenhändler.
»Und wenn er nun in der Nähe ein Bad nähme?«
»In der Nähe?« rief ein junger Buchhändler aus der Metropolis, »hier oben auf dem hohen Berg? Der nächste Bach fließt wenigstens eine halbe Stunde weit, unten im Thal.«
»Stiefel und Hut fehlen,« sagte der Assessor, »jedenfalls, meine Herren, müssen wir zuerst frühstücken, denn das ist das Wichtigere der beiden Momente. Bis dahin behalten wir aber auch Zeit, uns die Sache reiflich zu überlegen und zu einem Entschluß zu kommen; außerdem erwarten uns die entflohenen Damen da draußen mit Schmerzen, um Nachricht über das Außerordentliche zu vernehmen. Spannen wir sie nicht länger auf die Folter.«
Darin hatte er in der That Recht, denn das Corps der Damen erwartete schon in peinlichster Ungeduld die Rückkehr der Herren. Leider konnten ihnen diese aber auch keine weitere Aufklärung bringen, da ein Unglücksfall kaum denkbar war. Keinenfalls lag eine Ermordung vor, denn weder an Wäsche noch Kleidern hatten sich die geringsten Blutspuren gezeigt, ja Alles sah frisch und neugewaschen aus und nicht einmal die Falten schienen zerknittert.
»Aber wo war der Eigenthümer?«
Ja, wer konnte das sagen; jedenfalls erklärten die Herren, daß sie – unmittelbar nach dem Frühstück – nähere Nachforschungen anstellen und den Wald nach allen Richtungen in der Nachbarschaft durchstreifen wollten – aber jedenfalls erst nach dem Frühstück, denn jetzt seien sie alle so ausgehungert, daß sie nicht daran denken könnten, eine derartige anstrengende Pflicht noch vorher zu übernehmen.
Dabei blieb es, und es galt nun, sich einen hübschen und passenden Platz dafür auszusuchen. Allerdings schlug der junge Schnittwaarenhändler vor, sich mitten in den Wald zu lagern, daß man Nichts sehen könne als Bäume, denn das sei so romantisch – aber er wurde überstimmt und zwar aus verschiedenen Gründen: Erstlich war die Sonne plötzlich verschwunden – leichtes Gewölk zog darüber hin, und dahinter her kam eine dicke schwarze Wolke. Plötzliche Gewitter sind auch in diesen Bergen gar nicht etwa so selten und treten dann mit nicht geringer Heftigkeit auf; deßhalb schon war es besser, sich in der Nähe der für diesen Fall sehr zweckmäßigen Hütte zu halten. Dann aber hatte man auch auf diesem Fleck und nicht mehr von der Sonne belästigt, eine ganz reizende Aussicht auf das weite Land; ringsumher standen herrliche Tannen mit einzelnen Buchen dazwischen, und vor der Hütte auf der kleinen Lichtung dehnte sich ein herrlicher, schwellender Grasteppich aus, den man sich nicht hätte besser und weicher wünschen können. Außerdem konnte man im Haus selber ein Feuer anzünden und die mitgebrachte Chocolade kochen, kurz der Platz schien wie gemacht zu einem Picknick und jubelnd und lachend ging man daran, sich vor dem kleinen Pirschhaus auszubreiten und zu lagern. Ein Paar der jungen Leute übernahm dabei das Geschäft, die Chocolade zu bereiten und kaum eine Viertelstunde später waren die mitgebrachten Lebensmittel, die der Träger in einem Korb mitführte, auf einem großen, weißen Tischtuch ausgebreitet und die kleine muntere Gesellschaft, die sich – Berlin gewohnt – hier im Walde wie im Himmel fühlte, lachte und schwatzte lustig durcheinander.
Dabei tauchte freilich immer wieder der Gedanke an den räthselhaften Fremden zwischen ihnen auf – was aus ihm geworden sei – was ihn bewogen haben könne, ohne Kleider den Platz zu verlassen und eine junge Dame warf sogar die entsetzliche Vermuthung auf, daß er am Ende gar wahnsinnig wäre und ihnen noch irgendwo im Walde begegnen könne.
Der Assessor hatte auch – späterer Beweismittel wegen – eine der Visitenkarten mitgenommen, und diese ging jetzt von Hand zu Hand. Ja den Namen des Unglücklichen besaßen sie, wo aber war dieser selber?
Gar nicht so weit – ganz in der Nähe, hinter einer kleinen Gruppe von Tannenbüschen kauerte er, und betrachtete sich in wahrer Verzweiflung die vor dem Haus gelagerte Gruppe von Herren und Damen, die ihm den Rückweg zu seinen Kleidern rettungslos abschnitten und noch keine Miene machten, den Platz in der nächsten Stunde wenigstens wieder zu verlassen.
Durch den Laut menschlicher Stimmen aufmerksam gemacht, hatte er sich beeilt, von seinem Lieblingsplätzchen aus das Pirschhaus wieder zu erreichen, ehe er etwa in seinem Zustand Fremden in den Weg liefe. Aber mit jedem Schritt, den er weiter vorwärts that, wuchs der gefaßte Verdacht, daß er heute, auf seinem letzten Spaziergang, gestört werden würde, und als er die Lichtung endlich vor sich sah, und leise vorwärts kroch, um das Terrain vorher zu sondiren, fand er seine schrecklichsten Befürchtungen noch weit, weit übertroffen und das Entsetzlichste, was ihm überhaupt begegnen konnte, eine Berliner Picknick-Gesellschaft unmittelbar vor der Thür gelagert, die ihn von seinen Kleidern trennte – und was nun?
So konnte er doch nicht vor ihnen erscheinen! schon der Gedanke war furchtbar, und durfte er hier länger in seinem Versteck bleiben, wo er die ihm gestellte Zeit seines Bades schon überschritten hatte? Außerdem fing es an kühl zu werden – die Sonne schien nicht mehr und der Wind begann über die Höhe zu ziehen; er konnte ihn schon oben in den Wipfeln rauschen hören; kam aber wirklich ein Gewitter – etwas keineswegs Unmögliches – so flüchtete natürlich die ganze Gesellschaft in das Pirschhaus und was wurde dann aus ihm? Ein paar Mal reifte allerdings in ihm ein verzweifelter Entschluß, aber er wagte nicht, ihn auszuführen – noch lag die Möglichkeit vor, daß diese entsetzlichen Berliner vielleicht einen Spaziergang machten – vielleicht nur etwas weiter nach vorn auf die Rasenkuppe traten, um sich von dort die Aussicht besser betrachten zu können, und dann wäre er, wie ein Wiesel, wie eine Erscheinung, in das Haus geschlüpft, – aber nein sie rührten sich und wankten nicht und es wurde immer später.
Er überlegte, um einen andern Ausweg zu finden. Wenn er nun das Haus umging und durch das Fenster kletterte? – aber gerade heute hatte er den Laden geschlossen gehalten, der inwendig eingehakt war und nur mit großem Geräusch würde er ihn haben losbrechen können – selbst angenommen, daß er das gedurft.
Jetzt wurde die Gesellschaft davorn auch noch lustig – sie sang. Der junge Schnittwaarenhändler machte den Vorsänger und der Assessor – an zweite Stimmen gewöhnt – setzte zu dieser ein; es schadete auch nicht, daß er ein klein wenig neben hinauskam – er verschwand im Chor. Aber der Wind wehte schärfer, wenn man ihn unten auch noch nicht so stark fühlte; den geheimen Regierungsrath begann es ganz in's Geheim zu frösteln. Lange konnte er diesen Zustand auch nicht mehr ertragen – und welche Leidenschaften bewegten dabei sein Herz! Er ballte insgeheim die Faust – er bekam eine geheime Wuth auf diese Berliner – ja auf alle, obgleich die Mehrzahl vollkommen unschuldig an dieser Situation war – er hätte ihnen den Wein vergiften können – wenn sie damit nur gleich beseitigt gewesen wären. Auch die Wolken waren schwärzer geworden und jetzt – wie ein Dolchstich traf es ihn in's Herz – fühlte er einen schweren, kalten Tropfen auf seiner nackten Schulter.
»Es fängt an zu regnen!« riefen ein paar Damen, die wahrscheinlich ebenfalls die ersten Vorboten gefühlt, und sprangen in die Höhe – »wir müssen in's Haus.«
Das Schreckliche sollte geschehen, der Geheime Regierungsrath von seinen Kleidungsstücken abgeschnitten und in dem Sturm in diesem Zustand hinausgesetzt werden. Das aber ging unmöglich an, und man kann wohl mit Recht behaupten, daß in diesem Moment sein Verstand zu arbeiten aufhörte, seine Ueberlegung und Besinnung, sein Gefühl für das, was er sich und der Welt und besonders seinem Stand schulde, schwand, daß aber dafür sein menschlicher Instinkt – das Gefühl der Selbsterhaltung um so stärker wurde und hervorbrach.
Hier galt rasches und entschiedenes Handeln oder er war verloren – der eine und einzige Grundgedanke erfüllte in diesem Augenblick seine Seele, und sich hinter seinem Busch emporschnellend, und ehe noch eine der jungen Damen im Stande gewesen war, nur einen Schritt gegen das Haus zu thun, sprang er mitten zwischen die laut aufkreischende Gesellschaft hinein.
Allerdings verließ ihn, selbst in diesem furchtbaren Augenblick seine ihm angeborene Höflichkeit nicht.
»Sie entschuldigen,« sagte er, während er artig den Hut abnahm und zu allem Anderen auch noch seine Glatze zeigte; dabei schoß er aber wie ein sich nach beiden Seiten neigender Pfeil auf die Thür des Pirschhauses zu, von der er, während er sie aufstieß, den Schlüssel abzog, sie hinter sich zuschlug, den Schlüssel wieder einsteckte und herumdrehte – und jetzt war er gerettet. Er hörte allerdings hinter sich das plötzlich aufschlagende Lachen der Männer und eine feine Stimme rief – es war der boshafte Schnittwaarenhändler: »Na, wenn das ein jeheimer Regierungsrath ist, so möchte ich einmal einen öffentlichen sehen« – aber die Töne schwammen ihm in einem wilden Chaos vor den Ohren und noch nie im Leben hatte er so rasch Toilette gemacht wie heute. Er fuhr nur so in seine Kleider hinein.
Allerdings versuchten einige Herren die Thür zu öffnen und riefen: »Herr machen Sie auf! es fängt an zu regnen.« Aber er lachte nur ingrimmig in sich hinein, steckte Brieftasche, Schnupftabaksdose und Brille in die Tasche, ergriff seinen Regenschirm, hakte jetzt vorsichtig inwendig die Klappe des Fensters auf, an das er schon vorher einen Stuhl gerückt – horchte hinaus – dort war Niemand von der Gesellschaft zu bemerken – sprang dann mit einem kühnen Satz in's Freie und war auch im nächsten Moment schon spurlos im Dickicht verschwunden.
Indessen fing es wirklich an stärker zu regnen; die Damen hatten sich unter die nächsten Bäume geflüchtet, denn sie würden das Haus ja doch nicht – ja nicht um eine Million – betreten haben, in dessen Thür eben erst dieser Regierungsrath verschwunden war. Die Herren dagegen, weniger scrupulös, klopften stärker und als Einer endlich auf den glücklichen Gedanken fiel, hinten herum und an das Fenster zu laufen, um von außen hineinzusehen, fanden sie dieses offen und den Vogel ausgeflogen.
Jetzt wurde mit Jubel Besitz von dem Haus ergriffen, und selbst die Damen folgten zuletzt der Einladung, dort unter ein vollkommen schützendes Dach zu treten – schon ihrer Toiletten wegen, denn dort konnte man ruhig den Regen abwarten, der allerdings sehr heftig auftrat, aber auch nur sehr kurze Zeit dauerte. Es war eben der äußerste Streifen einer Gewitterwolke gewesen, der über sie wegzog, und während es weiter in den Bergen drin noch dunkel und schwarz lagerte und ferner Donner rollte, zeigte sich bald darauf hier schon wieder blauer Himmel und die Sonne trat heraus.
Der Geheime Regierungsrath aber, hier oben seit dem letzten Monat mit jedem Pfad und Busch bekannt, fand sich rasch wieder zurecht, und ohne sich auch nur einen Moment aufzuhalten, verfolgte er seinen Weg bergab, um sein Wirthshaus zu erreichen – und auch wieder zu verlassen, ehe diese Gesellschaft dort eintreffen konnte. Sein Wagen war ja bestellt und alles Uebrige konnte er in kurzer Zeit abmachen.
Allerdings ließ ihn die Extrapost noch etwas warten, aber den Besuch beim Förster durfte er doch nicht versäumen; er mußte ihm ja auch überdies melden, daß er vergessen habe, den Schlüssel am Pirschhaus abzuziehen und den Laden zu schließen. Er ließ deßhalb dort ein reichliches Trinkgeld für einen der Kreiser zurück, den der Forstmann noch lieber heute Abend hinaufschicken konnte, um dort Alles wieder in Ordnung zu bringen, denn im Wald, wie er meinte, schwärme es von Berlinern und die Gegend sei vollständig unsicher.
Das abgemacht, ging er in das Gasthaus zurück, wo er zum letzten Male sein frugales Diner verzehrte und als Nachkur eine halbe Flasche Rothwein darauf setzte. Endlich kam auch der Wagen; es war indessen schon ziemlich spät geworden; der kleine Koffer wurde hinten aufgeschnallt und fort ging es, aus dem Dorf hinaus – aber er war noch nicht erlöst. Vor sich im Weg sah er plötzlich eine ganze Gesellschaft von Herren und Damen, die jedenfalls von einer Waldpartie zurückkamen – das waren heilig die unglückseligen Berliner, und er drückte sich scheu in seine Wagenecke zurück.
Der vielen Menschen wegen, die nicht so rasch auswichen, mußte aber der Wagen langsam fahren und der Schnittwaarenhändler hatte ein Auge wie ein Falke.
»Das ist der carrirte Rock,« rief er plötzlich aus, »und der Strohhut – guten Abend, Herr Geheimer Regierungsrath! Recht glückliche Reise!«
»Zufahren, Kutscher! Zufahren!« rief der Reisende, während er aber doch mit seiner alten Höflichkeit vor den Damen den Hut lüftete und jetzt auch diesen nicht den geringsten Zweifel über seine Persönlichkeit ließ. Aber der Postillon hieb in die Pferde und wenige Sekunden später rollte der leichte Wagen rasch das freundliche Thal hinab, den murmelnden Bach überholend und doch immer wieder verfolgend in das offene Land hinaus.
Am nächsten Tag gegen Abend erreichte er seine Heimath und hatte dem Doktor schon telegraphirt, mit welchem Zug er zurückkehre, damit er ihn gleich in seiner Behausung finden und über seinen Zustand befragen könne. Der Doktor hatte sich auch eingefunden und lachte mit dem ganzen Gesicht, als er ihn frisch und munter und mit rothen Backen aus seiner Droschke springen sah.
»Nun,« rief er ihm entgegen, »hat die Kur angeschlagen?«
»Wunderbar, Doktor!« rief der Geheime Regierungsrath, die Hand des Arztes schüttelnd – »ich bin wie ein neuer Mensch geworden, habe dabei einen Appetit wie ein Wolf, und schlafe Nachts wie ein Bär.«
»Bravo und haben Sie sich streng nach meiner Vorschrift gehalten?«
»Als ob es ein Evangelium gewesen wäre. Aber glauben Sie nicht, daß ich jetzt wieder eine – eine etwas andere Lebensweise führen darf?«
»Die Luftbäder setzen wir hier in der Stadt aus –«
»Nein, ich meine mit Essen und Trinken.«
»Ei versteht sich – Sie müssen jetzt erst wieder etwas zu Kräften kommen, denn ordentlich mager sind Sie in den vier Wochen geworden.«
»Ja aber, Doktor,« sagte der Geheime Regierungsrath scheu, denn ein angstvoller Gedanke schnürte ihm noch die Brust zusammen, »was – was glauben Sie denn über meinen – über meinen eigentlichen Zustand – über meine Krankheit?«
»Ueber Ihre Krankheit? Daß Sie ein gesunder Mensch sind.«
»Nein – ich – ich meine über die – Trichinen –«
Doktor Asmus lachte so laut und anhaltend, daß der Diener hereinstürzte, um zu sehen, ob vielleicht ein Unglück geschehen wäre, augenblicklich auch wieder erschreckt die Thüre schloß.
»Aber Sie lachen, Doktor – es ist doch bei Gott kein Spaß, wenn man –«
»Aber Sie, Geheimer Regierungsrath, Sie,« lachte der Doktor, »Sie haben ja so wenig Trichinen wie ich –«
»Doktor Asmus –«
»Oder auch je nur gehabt« – fuhr der Doktor fort.
»Je nur gehabt? – und das Mikroscop –« sagte der Geheime Regierungsrath, immer noch halb in Zweifel, halb in Hoffnung.
»Bah,« rief der Doktor – »das war ein Stück von einem confiscirten Schwein.«
»Und da haben Sie mich zu einer solchen Kur« – wollte der Patient auffahren.
»Bst!« sagte aber der Doktor ermahnend – »laut darf die Sache nicht werden, sonst würde man Sie schmählich auslachen und das müssen wir verhüten – aber waren Sie auf andere Weise dazu zu bringen, meinen Verordnungen Folge zu leisten? Gott bewahre – Ihre Constitution erlaubte das nicht – Ihre Lebensgewohnheit – Sie konnten Ihren Nachmittagsschlaf nicht entbehren und Ihren schweren Steinwein. Ihr starker Kaffee war Ihnen Lebensbedürfniß und eine Bewegung im Freien unbequem. Wo Sie sich deßhalb einmal draußen blicken ließen, hatten Sie auch richtig eine Erkältung weg und ruinirten Ihren Körper dabei muthwillig. Mit Vernunftgründen richtete ich auch Nichts mehr bei Ihnen aus, soviel sah ich ein, deßhalb mußte ein Parforcemittel angewendet werden. Um Ihnen aber einen heilsamen Schrecken einzujagen, dazu brauchte ich die Trichinen und ich denke, die haben Sie auf den Trab gebracht, wie?«
»Doktor, das war aber grausam,« sagte der Geheime Regierungsrath – »ich habe eine Heidenangst ausgestanden.«
»Geschieht Ihnen Recht,« lachte der Doktor, »aber gesund sind Sie dabei geworden, und das ist die Hauptsache, und wenn Sie jetzt einen Rückfall bekommen, harpunire ich Sie wieder und schicke Sie noch ein Mal in ein Luftbad, das merken Sie sich.«
Und damit schüttelte er seinem gewesenen Patienten die Hand und ließ ihn – noch keineswegs mit sich selber einig, ob er dem Doktor danken oder böse auf ihn sein sollte, mitten in der Stube stehen.
An dem nämlichen Abend noch bekam der Doktor aber einen großen Korb Champagner mit 25 Flaschen in's Haus geschickt, und auf demselben war ein Zettel mit den Worten befestigt: Mittel gegen Trichinen.
In das südliche Ufer des Arkansas mündet, noch im sogenannten »Indianischen Territorium,« aber unfern der westlichen Grenzen von Nordamerika's »Vereinigten Staaten,« ein kleiner Fluß oder »Creek,« die Red Fork. Ein Städtchen der Eingeborenen liegt auf der südlichen Landspitze, die der Zusammenfluß der beiden Wasser bildet, und das Ufer ragt hier, gleich geschützt gegen die Ueberschwemmung der südlichen wie westlichen Bergwasser, viele Fuß hoch über die rauschende Fluth empor.
Das Städtchen, wenigstens der Theil desselben, der in einem fast rechten Winkel nach Osten zu Front gegen den Arkansas, nach Norden hin gegen die Mündung des Creek bildete, glich den übrigen towns und villages der, von Weißen bewohnten, westlichen Staaten auf ein Haar; es bestand aus einfachen, meist einstöckigen Blockhäusern, hie und da mit bequemen hölzernen Verandas versehen, alle aber wieder für sich von verschiedenartigen Fenzen umzogen und abgeschlossen. Graue Schindeldächer, oft nur von den gewöhnlichen weight poles oder Lasthölzern gegen die Herbst- und Frühlingsstürme geschützt, deckten die Wohnungen, und die noch hie und da mitten auf dem Landungsplatz und in der ersten Straße stehengebliebenen Baumstümpfe verriethen deutlich genug, wie erst vor Kurzem der ganze Platz dem Walde abgerungen worden.
So etwa bot sich wenigstens die vordere Stadt in ihren Eigenthümlichkeiten den Augen des Landenden der entweder den Arkansas herauf, aus den civilisirten Staaten auf keuchendem Dampfboot anlangte, oder die Red Fork herab in roh ausgehauenem Canoe von einem Jagdzug im Innern zurückkehrte. Nur um eine Straße aber weiter zurück, und zwischen den dort einzelner stehenden Häusern, ragten nicht selten die spitzen phantastisch geschmückten Giebel indianischer Wigwams empor, und hellblauer Rauch kräuselte aus den cylinderförmig gelegten Fellen in die sonnige Luft hinauf.
Von dieser Seite her drängte sich auch noch der grünende Urwald voll und üppig zwischen die halb civilisirten, halb der alten Sitte treu gebliebenen Wohnungen hinein, als ob er jetzt selber gekommen sei, »die Stadtleute« zu besuchen, die ihm Alle, und so auf einmal, untreu und abhold geworden. Und hatte er das etwa um sie verdient? – war er ihnen nicht immer ein treuer liebender Vater gewesen, der seine Söhne geschirmt hatte, gegen Kälte und Sonnenbrand, gegen den schneidenden trockenen Nord, wie den niederfluthenden Regen; der ihnen süße Früchte und saftige Bärenrippen und Massen von Hirsch- und Truthahnfleisch geliefert? – aber das ist leider das alte Lied in der Welt, mag der Boden nun Amerika, Europa oder Australien heißen; mit Mühe und Noth ziehen die Eltern die Kinder heran, und sind sie erwachsen und im Stande, allein das Haupt in das Schaffen und Treiben ihrer Mitmenschen hineinzuheben, dann sagen sie dem väterlichen Dache Lebewohl und schreiten rüstig mit geschürzten Lenden, davon – die Eltern aber strecken ihnen wehmüthig die Arme nach und trauern über die Verlorenen.
Auch der alte treue Urwald streckte seinen bösen abtrünnigen Kindern liebend die laubigen Arme nach, über die Fenzen selbst lief er hin, mit seinen schönsten und blumigsten Lianen und Moosen, die wilden Weinbeeren und Früchte hing er ihnen lockend und schmeichelnd bis über das fremdartige Dach, und mit Wohlthaten sogar vergalt er die scharfen, sicher gezielten Axtschläge der Undankbaren. Blüthen und würzige Beeren ließ er zurück, wenn seine sichersten Stützen gefällt, und bis zum letzten vereinzelten Stamm gaben diese den Wohnungen der Abtrünnigen noch Schutz und Schatten gegen den heißen Mittagsstrahl, dämmten sie noch die rohe Kraft der nordischen Stürme.
Es war ein lieblicher Anblick, dieses kleine, von rauschendem Wald umschmiegte indianische Städtchen, mit seinen pittoresken Wohnungen, den Shantees und Wigwams, den mitten darin hin galoppirenden Pferden, den kläffenden Hunden und sich munter zwischen allen herumtummelnden rothhäutigen, halbnackten Kindern; es war ein lieblicher Anblick, wie sich dicht an der kiesigen abdachenden Uferbank hin der breite reißende Strom so friedlich vorbeischmiegte, während den Hintergrund mit seinen lianenüberwachsenen Stämmen der rauschende herrliche Urwald bildete.
So anziehend übrigens, besonders für den Europäer, die äußere Erscheinung des kleinen Ortes sein mochte, so interessant waren ebenfalls die bunten Gruppen der Bewohner, die gerade heute ein etwas außerordentlicher Gegenstand ungewöhnlich zahlreich am Landungsplatz versammelt hatte. Eine gemischte Schaar von Indianern, theils in europäischer, theils noch in ihrer ursprünglichen Tracht, mit Fellen oder Decken behangen, und mit Federn und andern Zierrathen besteckt, Neger und Mulatten, weiße Händler und Jäger, und hie und da eine neugierige dunkelfarbige Squaw standen an manchen Stellen ziemlich dicht gedrängt, an manchen mehr zerstreut, das Ufer entlang, und selbst die wilde jubelnde Schaar der halbnackten Knaben und Mädchen, die sich bis dahin einander jauchzend und schreiend gehetzt und Jagd, Krieg und Hochzeit gespielt, drängten schweigend um die Erwachsenen und blickten den spiegelglatten, im heiteren Licht der Nachmittagssonne blitzenden Strom erwartungsvoll hinunter.
Der so außergewöhnliche Gegenstand war aber auch wirklich nichts Geringeres, als eines der kleinen Dampfboote, die meistens nur den Arkansas bis Fort Smith, zur Grenze des indianischen Territoriums, oder höchstens, wenn sie noch ja weiter gehen wollten oder konnten, bis zu dem nicht mehr fern gelegenen Fort Gibson hinauffuhren. Sehr selten aber, und nur bei günstigem Wasserstand, besuchten sie die kleinen, noch höher aufwärts gelegenen indianischen Ansiedlungen, und zwar weniger um die Produkte der Eingeborenen dort abzuholen, als selbst mitgebrachte Waaren, besonders verbotenen Whiskey, den rothen Kindern amerikanischer Erde entweder für baares Geld, oder noch lieber gegen andere Tauschartikel, aus denen sie hoffen durften in den Städten und Ansiedlungen der Weißen doppelten Gewinn zu ziehen, zu verkaufen.
Das Dampfboot Fox lag in diesem Augenblick, wahrscheinlich um Holz einzunehmen, noch etwa eine englische Meile unterhalb, an der entgegengesetzten Seite des Flusses, und die Menschengruppen, die es in unserem kleinen Städtchen Redtown erwarteten, unterhielten sich indessen sowohl über das seltene Anlaufen von Dampfern, wie auch über die Ursachen, die den Capitain vermocht haben konnten, so weit über seinen gewöhnlichen Landungsplatz hinauszusteuern.
»Ursachen? was wird's da große Ursachen haben?« fiel hier dem letzten Sprecher ein stattlicher, kräftig gebauter Indianer in die Rede, der sich in dem blauwollenen europäischen Rock und den pfeffer- und salzfarbenen Beinkleidern keineswegs so wohl zu befinden schien, als das sonst Behäbige seiner Person hätte andeuten können, »'s ist eines von den speculirenden Blaßgesichtern, das, trotz Rossas Verbot, dennoch frech genug sein wird, seinen Whiskey hier keck und offen an's Land zu schaffen, ohne auch nur einer rothen Mutter Sohn deshalb um Erlaubniß anzugehen. Was nützt uns da jenes, sonst so treffliche Gesetz, das den Weißen verbietet, sich, ohne unser Verwandter zu sein, unter uns anzusiedeln? es giebt auch schlechtes Volk in unserem eigenen Stamm, unter den rothen Kindern des großen Geistes, das sich kein Gewissen daraus macht, selber das Gift in die Hütten der Seinen zu tragen, wenn es nur das schimmernde Metall, oder den Genuß des Feuerwassers dafür erhalten kann. Hol Nannabozho die Bande – Tomson verachtet sie von Grund seiner Seele aus.«
»Tomson,« wiederholte mit leisem Grunzen ein dicht neben ihm stehender Eingeborner, der aber, trotz seiner civilisirten Umgebung, keineswegs den neueren Sitten zu huldigen schien, denn noch deckte nur das ächt indianische Büffelfell seine braunen Schultern, noch schmückte die bunte Federzier sein Haupt, und die Kriegsfarben prangten auf dem edlen, fast römisch geschnittenen Gesicht des jungen Kriegers. Er war bis an den Gürtel hinab nackt, und nur um den Hals trug er eine einfache Schnur so wilder als eigenthümlicher Zierrathen; abwechselnd aufgereihte Klappern der Klapperschlange und Fänge des »grauen Bären,« die ihm tief bis auf die Brust herabhing. Um den Gürtel wand sich ihm ein aus gefärbtem Hirschleder wunderlich geflochtener und mit bunten Federn des Holzhahns und Kardinals, wie mit farbigen Wampumstücken geschmackvoll besetzter Gürtel. Seine Beine deckten weich gegerbte, reich mit Fransen besetzte Leggins, und den stolzen Zierrath erbeuteter Scalpe trug er sowohl in langen Streifen an diesen herunter, wie auch um die Bänder, die seine Leggins unter dem Knie fest zusammenhielten. Seine Moccasins waren schlicht gearbeitet, und mit der Rinde der schwarzen Wallnuß dunkelbraun gefärbt. Von den Schultern aber hing ihm in vollen seidenartigen Falten ein prachtvolles, an der nach außen hin gedrehten Fleischseite mit den künstlichsten Schildereien geschmücktes Büffelfell, dessen buschiger Schwanz weit und keck hinter ihm herschleifte.
An Waffen trug er sichtbar nur ein kleines Scalpirmesser, und zwar oben in seinem Haarschmuck auf der rechten Seite der Scalplocke, mit dem Griff nach unten, daß er es leicht und rasch ergreifen konnte, und im Arm die gewöhnliche aus hartem Holz verfertigte Kriegskeule, die ein hineingeschlagener scharfer und breiter Stahl zu einer fürchterlichen Angriffswehr machte. Wie die meisten seines Stammes ging er im bloßen Kopf, und von dem geschorenen Scheitel trotzte nur, von zwei großen Adlerfedern durchstochen und unten mit einem dünnen Streifen Wampum umwunden, die lange glatte Scalplocke, den Feind herausfordernd, der es wagen würde, nach ihr die kecke Linke auszustrecken.
»Tomson,« sagte der junge Krieger, »hat mein Vater schon ein Kind des großen Geistes gesehen, das seine Mutter Tomson rief? ist es nöthig, daß uns das Gift in hölzernen Kalebassen hergeschafft werde, tragen wir es nicht, unter der eigenen Farbe, im eigenen Herzen? – Weiße sollen nicht in unserer Mitte ihre Wigwams bauen, aber unsere eigene Haut bleicht unter den heißen Kleidern der blassen Männer. Schon-ka-ki-he-ga, den Roßhäuptling nannten Dich die Krieger Deines Stammes, und der Wampum, der früher in Deiner Hütte hing, kündete, wie Du diesen Namen verdient. War es eine Waffenthat, die dem stolzen Häuptling der Rosse den Namen Tomson verschaffte?«
»Der Tomahawk ist begraben, Pah-me-o-ne-qua,« erwiederte der Angeredete ruhig dem scharfen Spott des jungen Kriegers, »zwischen weißen und rothen Männern soll kein Krieg mehr sein – es sind Alles Kinder eines Gottes, und die Religion, die uns diesen Glauben lehrt, ist gewiß die richtige. Der weiße Priester nannte mich, als er mich in den Bund der Christen aufnahm, Tomson, und Schon-ka-ki-he-ga liegt mit dem Häuptlingsprunk im stillen Grab.«
»Und doch wünschte unser frommer Christ Tomson, daß Nannabozho die Strafbaren treffen möge« – lachte ein junger Weißer, der in halb europäischer, halb indianischer Tracht zu der Gruppe trat – »wie verträgt sich das mit dem Christenthum?«
Tomsons broncefarbigen Wangen nahmen eine noch viel dunklere Röthe an, und er warf einen halb verlegenen, halb unwilligen Blick auf den Spötter; dieser aber, der den ihm sonst befreundeten Indianer nicht kränken oder beleidigen wollte, streckte ihm freundlich die Hand entgegen und sagte:
»Kommt, Tomson, macht kein so finsteres Gesicht – es fuhr mir nur so heraus und war nicht bös gemeint. Aber – in einem habt Ihr Unrecht – Ihr meint, jener Dampfbootscapitain werde, trotz dem Verbot, frech genug sein, von Euch verbotenen Whiskey hier ans Ufer zu schaffen. Ei, Mann, wenn Ihr Alle so denkt, und das selbst aussprecht, dann hat jener Weiße ganz recht, und Ihr verdient es nicht besser; wozu habt Ihr aber die Gesetze, wenn Ihr sie nicht in Kraft erhalten wollt? wozu bildet Ihr eine »Indianische Nation«, wenn Ihr nicht einmal den Versuch macht, der Willkür Einzelner zu steuern? Gebt jenen Speculanten doch nur ein Beispiel – laßt sie nur einmal sehen, daß Ihr Ernst macht und, mein Wort zum Pfande, sie werden sich zum zweiten Mal bedenken, ehe sie wieder eine Ladung theueren Guts auf's Spiel setzen.«
»Was hülfe uns das,« entgegnete ihm Tomson etwas kleinmüthig, und mit dem Kopf schüttelnd, »wir haben es neulich gethan und demselben Dampfer fünf ganze Fässer voll zurückbehalten, drei Wochen später aber brachte er ein Schreiben von Little Rock, und wir mußten nicht allein den Whiskey wieder heraus, sondern ihn auch noch dem Gericht der Amerikaner, wie sich die Menschen keck genug nennen, übergeben.«
»Wer viel frägt, wird viel berichtet, lautet bei uns ein altes Sprichwort,« sagte der junge Europäer, »wäre ich hier Häuptling, und wollte ein Weißer gegen die Gesetze des Landes handeln, so sollte er das auch nur auf seine Verantwortung thun; aber entschieden würde ich auftreten, und weder ihm, noch seinen Gerichten Gelegenheit geben, vor der Ausführung ein Wort mit einzuwerfen.«
»Aber wie?« frug Tomson.
»Wie? – einfach genug;« erwiederte der Weiße, »Ihr mögt meinetwegen vorher erst noch einmal warnen, und die Ausschiffung von Whiskey, falls sie versucht würde, laut dem Gesetz verbieten – obgleich das nicht einmal nöthig ist; denn jeder Händler kennt dies Gesetz, wie viel mehr denn ein Dampfboot-Capitain, der des Jahres zehn, zwölf mal den Arkansas heraufkömmt. – Trotzt der Bursche aber auf frühere ungestrafte Landungen – ei dann schlüge ich den Fässern den Boden ein, und ließe den Whiskey sich selbst seinen Weg in den Fluß hinunter suchen. So leicht er nachher im Stande wäre, die mit Beschlag belegte Waare dem Arkansas wieder zu entziehen, ebenso leicht wird er auch einen amerikanischen Gerichtshof bewegen können, Schadenersatz für ihn zu beanspruchen. Wer sich sein Recht nimmt, hat's – doch Ihr wißt, Tomson, ein Blinzeln ist einem blinden Pferde gerade so nützlich wie ein Nicken, also good bye, Alter, ich muß noch heut Abend den Fluß ein Stück abwärts reiten; haltet die Augen offen und – vor allen Dingen – steht fest zusammen – Euere ewigen Kriege untereinander sind ja doch die einzige Ursache Euerer jetzigen Schwäche.«
Und mit einem freundlichen, Tomson zugewinkten Gruß schritt er rasch, ohne sich um die Uebrigen weiter zu bekümmern, dem kleinen Wirthshaus zu, das am Ende des freien Platzes durch ein Schild, auf dem sich zwei Friedenspfeifen kreuzten, bezeichnet war.
»Kennt mein Bruder das Bleichgesicht?« sagte da plötzlich ein ältlicher indianischer Krieger, der in seine Decke gehüllt, aber ohne – wenigstens sichtbare – Waffen, zu Tomson trat; denn Pa-me-o-ne-qua, der rothe Donner, hatte sich mit finsterem Blick entfernt, als einer der verhaßten Weißen keck genug gewesen war, die Rede aufzunehmen, die er, der tapfere Häuptling der Konzas, mit einem rothen Mann begonnen – »er sprach gut, und seine Worte klangen, als ob ihre Wurzeln im Herzen säßen.«
»Der »Wolf vom Berge« gehört nicht zu den Engländern,« erwiederte Tomson, und heftete erst jetzt sein Auge, das der davonschreitenden Gestalt des Fremden gefolgt war, auf den Neugekommenen. »Die Gräber seiner Väter liegen, wie er mir einst gesagt, weit, weit über den fernen Salzseen im Osten. Auch seine Sprache klingt anders, und er vielleicht vor Allen ist das einzige Bleichgesicht, dessen Herz seine Zunge nicht Lügen straft.«
»Er ist ein Händler,« sagte der Andere verächtlich.
»Ja, aber nicht in dem Sinn, wie wir die Elenden hier in Masse dulden müssen,« vertheidigte der alte Mann den Fremden – »wenn's überhaupt Einen unter den Bleichgesichtern gäbe, dem ich trauen möchte – der wär' es.«
»Mag sein jetzt noch – wie viele Winter die Ehrlichkeit der blassen Haut gedauert, kündet vielleicht der nächste Schnee – aber was hat mein Bruder beschlossen? – das große Canoe da unten ächzt schon wieder mit der Brust gegen den mächtigen Strom an – soll das Feuerwasser seinen Weg in die Wigwams unseres Stammes, oder zurück in das rauschende Bett des Arkansas finden?«
»Wir wollen die Häuptlinge zusammenrufen,« sagte Tomson nach kurzem Sinnen. – Der alte Mann hatte lange Zeit innerhalb der Vereinigten Staaten gelebt, auch einige der größeren Städte des Westens besucht, und dadurch einen gewaltigen Respekt vor der Macht der Weißen bekommen; deshalb konnte er die Scheu nicht sogleich überwinden, feindlich gegen sie aufzutreten, wenn er hier auch das vollkommenste und beste Recht auf seiner Seite hatte. Ueberdies war er der erste Häuptling des kleinen Ortes, und für jede derartige Handlung verantwortlich, kein Wunder, daß er das nicht so ohne alles Bedenken übernehmen mochte.
»Gut so!« sagte Tcha-to-ga, zog seine Büffeldecke fester um sich her, und schritt, ohne das jetzt rasch nahende Boot eines Blickes weiter zu würdigen, dem Berathungshause zu, das inmitten des kleinen Ortes, selbst eine der einfachsten und unansehnlichsten Blockhütten unter allen, lag.
Tcha-to-ga, der tolle Büffel, war ein reicher Häuptling der Osagen, der jedoch, in freundlicher Beziehung mit den Chocktaws und Cherokesen stehend, seinen eigenen Stamm verlassen hatte, und mit seiner einzigen Tochter, dicht unterhalb der Stadt, eine kleine, von Sclaven cultivirte Farm besaß, sich selbst aber noch keineswegs den Sitten civilisirter Nationen fügen mochte, und sogar die Tracht der Seinen, das Büffelfell und den bunt stattlichen Federschmuck beibehielt. Auch würde er es für tief unter der Würde eines tapferen Kriegers gehalten haben, Spaten oder Hacke in die Hand zu nehmen; aber am Berathungsfeuer der Cherokesen galt seine Stimme viel, und sein tapferer Arm hatte ihnen auch manchmal schon wirklich thätliche Hülfe gegen die diebischen »Creeks« geleistet, von denen sich ein nicht unbedeutender Trupp etwas weiter die Red Fork hinauf, aber an demselben südlichen Ufer derselben, niedergelassen.
Tcha-to-ga verschwand in der Thür der kleinen Halle, und ihm folgte bald darauf Tomson mit noch einigen andern, meistens wie er in europäische Tracht gekleideten Indianern. Die Masse der Bevölkerung schien übrigens viel zu sehr in dem Anblick des jetzt sich ziemlich rasch nähernden Bootes vertieft, um die Bewegung der Ihrigen viel zu beachten; Aller Augen hingen an den rauchenden Schornsteinen, an der puffenden 'scape pipe, an der schäumenden Fluth, die sich hoch aufbrausend unter dem runden Buge kräuselte.
Der Fox war nur eines der kleinsten und unbedeutendsten Boote des Arkansas, aber dennoch in dieser abgelegenen Gegend eine großartige Erscheinung, und als die Klingel endlich tönte, die Stangen der Deckhands, um den Bug vor dem Auflaufen zu bewahren, in den Kies stießen, und der schwimmende Vulkan, nur noch innerlich keuchend, als ob er von der gehabten Anstrengung nicht zu Athem kommen könne, durch die ausgeworfenen und befestigten Taue gehalten, still und ruhig lag, da drängte sich die Schaar der neugierigen Wilden rasch und ungestüm den Planken zu, und bald kletterten und sprangen wohl funfzig und mehr halbnackte, braunrothe Gestalten von Kindern und Erwachsenen an den Seiten des Fahrzeugs, an den Radkasten und die Kajütentreppen hinauf, und schwärmten oben über das Boiler- und Hurricanedeck und über die Gangwege hin, bis hinten zur Ladies Cabin, wo ihnen jedoch ein paar wohl frisirte und trotzige Mulattengesichter das weitere Vordringen auf das entschiedenste verwehrten.
Der Capitain, ein grießgrämiger kleiner ausgetrockneter bleicher Gesell, mit unstäten Blicken und einer ächten Galgenphysiognomie, duldete auch diesen etwas sehr ungenirten Besuch seines Fahrzeugs auf das nachsichtsvollste. Er hatte übrigens seine guten Gründe, weshalb er es gerade jetzt mit den Bewohnern des kleinen Ortes nicht verderben wollte; ja diejenigen der Eingeborenen, bei denen sich etwa die Vermuthung rechtfertigen ließ, daß sie irgend einen Rang bekleideten, oder gar Häuptlinge seien, nahm er sogar zum Büffet, traktirte sie dort mit Liqueur und Weinen, und unterhielt sich mit ihnen auf das freundlichste und leutseligste.
Indessen waren aber seine Leute unten auch nicht müßig gewesen; die Feuerleute öffneten rasch, sobald das Boot sich dem Lande näherte, die eisernen Thüren und gossen mehre Eimer Wasser über die wildaufzischenden sprühenden Kohlen, daß dicker schwarzer und glühender Rauch aus den dunkeln Schornsteinen wie aus einem zornigen Vulkan emporstieg. Die Deckhands, oder Matrosen des Dampfboots, wenn ein paar schmutzig freche abgerissene Burschen den Namen Matrosen überhaupt verdienten, rissen unter der Zeit die Vorderluke auf, die zwischen dem Gangspill und den auf Deck befindlichen Kesseln lag, und tauchten in den dumpfigen engen und dunklen Raum hinab.
Der Capitain stand noch oben vor seinem »bar room« oder Schenkstand, als ein ungewöhnlich hellfarbiger Eingeborener, Einer der sogenannten half breed, von indianischer Mutter und weißem Vater abstammend, zu ihm trat und ihm ein, von den Uebrigen nicht bemerktes Zeichen gab, ihm einen Augenblick zu folgen.
Es war eine starkknochige, breitschultrige Gestalt, dieser Halb-Indianer, und zeigte sowohl in seiner Tracht wie Hautfarbe das Gemischte seiner Abstammung. Er trug allerdings wie Tomson die europäische Kleidung, den blau gewebten und frackartig ausgeschnittenen Rock, wie ihn fast alle Hinterwäldler tragen, eben solche Beinkleider und einen schwarzen Hut, aber kein Hemd. Das rothseidene Halstuch war um seinen nackten Hals geknüpft und die Füße staken in hellgelben rohgearbeiteten Moccasins, die, anstatt von Lederriemen, wie das gewöhnlich der Fall ist, von starkem aufgedrehten Bindfaden zusammengehalten wurden. Auch den indianischen Schmuck hatte er noch nicht ganz abgelegt; in den Ohren hingen ihm lange klappernde Perlenglocken, und ein aus rothem Wollenzeug geschnittener, mit weißen Perlen gestickter Gürtel war ihm fest um die Hüften geknotet und trug ein einfaches kurzes Messer, mit einem aus Büffelhorn roh zugeschnitzten Hefte.
So gemischt und unbestimmt aber auch sein Anzug sein mochte, so entschieden unangenehm, ja widerlich war der Ausdruck seiner Züge, und man wußte beim ersten Anblick wirklich nicht, ob das schielende linke unstete Auge, die dünnen zusammengekniffenen Lippen oder die niedere, von den schwarzen Haaren wirr umstarrte Stirn mehr die Schuld des ersten Abscheus trug.
Capitain Burkner folgte übrigens dieser wunderlichen Erscheinung augenblicklich, und trat mit ihr hinaus auf den Starbord Gangweg, wo der Halb-Indianer mit rascher und unterdrückter Stimme zu ihm sagte:
»Habt Acht, Captain – sie wollen nicht Whiskey hier an Land nehmen, Santa Debbelo, wär' ein verfluchter Streich!«
»Unsinn, Dodge,« lachte der Capitain, »wenn es weiter Nichts ist; ich glaubte schon, es wäre wunder was vorgefallen. Wollen den Whiskey nicht an's Ufer nehmen? ei Mann, sie müssen, und ihr Wollen wird da gar nicht befragt. Glaubst Du, daß ich die funfzehn Fässer voll wieder mit nach Little Rock, oder auch nur nach Fort Gibson zurücknähme? fällt mir nicht ein, seit fünf Jahren nun, oder wie lange das kleine Nest hier besteht, schaff' ich meinen Whiskey hier her und an Land, und ich werde heute wahrhaftig keine Ausnahme machen sollen, wo es vielleicht irgend einem Thoren gerade eingefallen ist, sich auf alte vergessene oder veraltete Gesetze zu berufen.«
»Sprecht nicht so laut,« bat der Halb-Indianer und sah sich dabei scheu um – »Tomson ist sehr schwacher Mann, aber Tcha-to-ga ist schlimm. – Tcha-to-ga hat viel Macht auf die Häuptlinge – wenn Tcha-to-ga sagt nein – kein Häuptling in Redtown sagt ja!«
»Aber was können sie thun, wenn ich ihn trotzdem lande?« frug der Amerikaner, durch die erhaltene Warnung doch etwas unschlüssig gemacht. –
»Wegnehmen« – meinte Dodge.
»Bah, das haben sie neulich schon versucht und mußten ihn wieder herausgeben; das Nämliche wagen sie nicht zum zweiten Male,« lachte der Dampfbootscapitain – »hahaha, Dodge, ich habe damals, das heißt unter uns gesagt, einen verdammt klugen Streich ausgeführt. In Little-Rock wollten sie von meiner Klage Nichts wissen, und da sie hier von Papieren verdammt wenig verstehen, so – doch – das thut Nichts zur Sache, und ob Du das weißt oder nicht.«
Der Halbindianer begriff aber nicht so ganz schwer, als der Amerikaner vielleicht vermuthete; ein tückisches Grinsen verzog wenigstens für einen Moment, aber auch nur so lange, seine Züge, die Sorge für das gefährdete Gut wurde bald wieder überwiegend, und er fuhr mit leiser, ängstlicher Stimme fort:
»Dann werden sie die Waare zerstören.«
»Sie sollens wagen,« knurrte der Capitain mit finster zusammengezogenen Brauen, »meine Leute sind lauter gute Schützen und dann – hehehe – geh ich denn nicht auf die Thorheit wirklich ein? Diese halb civilisirten Burschen haben etwas ungemein Nützliches in hohem Grade gelernt, die Bedenklichkeit – sie wagen es nicht.«
»Wenn aber doch?« wiederholte der vorsichtige Halbwilde seine frühere Befürchtung – »will der Weiße sein Feuerwasser preis geben?«
»Capitain,« sagte in diesem Augenblicke der Lootse des Fox und öffnete die kleine Glasthüre, die hinaus auf den Gangweg führte, auf dem die beiden Männer standen – »oh ich störe wohl« – er wollte eben wieder zurück, Capitain Burkner streckte aber die Hand nach ihm aus –
»Bitte, Pilot, bleiben Sie doch einen Augenblick hier, ich muß Ihnen etwas mittheilen, bleiben Sie nur, ich habe hier nichts Geheimes mehr zu verhandeln und – prenez garde« – setzte er dann mit einem von Dodge nicht bemerkten Blick in französischer Sprache hinzu, von der er glauben konnte, daß sie der Halbindianer nicht verstehen würde.
Der Pilot kannte seinen Capitain zu gut, um nicht rasch zu begreifen, was Jener ungefähr beabsichtige und trat deshalb, einen Fuß auf den Schutz stemmend, der um den Gangweg herum lief, auf den Radkasten zu, von wo aus er, wie in Gedanken vertieft, nach dem Strom und dem jenseitigen Ufer hinausschaute.
»Wie sagtest Du vorher, Dodge?« frug jetzt Capitain Burkner, als ob er die Rede seines »Geschäftsfreundes« nicht verstanden habe.
Dodge hob den Kopf empor, obgleich ihn aber Burkner scharf fixirte, konnte er doch nicht genau bestimmen, auf wem, ob auf ihm oder dem Lootsen, sein Blick gerade ruhe; denn auf allen Beiden haftete eines der unheimlichen dunklen Augen des Wilden; endlich erwiederte dieser mit einem spöttischen Zucken um die Lippen:
»Will der Weiße Feuerwasser preis geben, wenn Tcha-to-ga es nimmt?«
»Ja« – lautete die mit einem Blick auf den Lootsen gegebene Antwort – »so lange ich es in Verwahrung habe – hast Du es aber erst einmal übernommen, dann gehört es Dein und geht mich Nichts weiter an.«
»Gut,« sagte Dodge – »wollen sehen.«
»Aber halt, noch eins, mein Bursche,« rief ihm der Capitain nach, als er schon die Starbord Cajütentreppe hinunter an Deck springen wollte. »Ging es denn gar nicht an, daß ich die Red Fork hinauf bis gleich zu Eurem Dorf, oder doch wenigstens ein Stück hinaufführe? nachher brauchten wir den ganzen Streit mit Denen in Redtown nicht und könnten sie noch hinterdrein auslachen.«
»Geht nicht,« sagte Dodge und stieg die letzten Stufen der kleinen Treppe hinunter – »nur vierzehn Zoll Wasser auf Sandbank, und Fox zieht zwanzig.«
»Ei so geh zum Teufel,« brummte Burkner leise vor sich hin, als er sich scharf auf seinem Absatz herumdrehte; »Du bist mir gut genug für funfzehn Fässer, und schützen mich die Vereinigten Staaten auch nicht in einer Klage auf Schadenersatz für, in das Indianische Territorium geführten Whiskey, so thun sie es jedenfalls bei einer Schuldforderung, die ich an einem der rothhäutigen Ansässigen darin halte. Ihr habt doch gehört, was wir mit einander abgemacht, Pilot?«
»Ja,« erwiederte dieser, »aber ich sehe nicht ein, was Ihnen das helfen soll – der Bursche ist schlau genug den Whiskey nicht eher wirklich zu übernehmen, als er sich vollkommen sicher weiß.«
»Haha,« lachte da Burkner, »er hat ihn aber übernommen, sobald ich ihn an's Ufer geschafft habe; unser schriftlich abgefaßter Contrakt, noch von früherer Zeit her, lautet dahin; im äußersten Fall also hätt' ich wenigstens einen Rückhalt, aber ich denke auch noch selber mein gutes Recht vertheidigen zu können – es ist überdieß die letzte Fahrt, die ich mit dem Fox, als dessen Capitain mache, und der nach mir Kommende mag später sehen, wie er mit den Eingeborenen selber fertig wird.«
»Capitain Burkner,« rief in dem Augenblick vom Deck aus die Stimme des Mate[6] – »Alles fertig – können wir anfangen?«
[6]: Der Mate oder Steuermann, der zweite im Befehl nach dem Capitain auf allen Fahrzeugen.
»Sind denn die Karren da, die Dodge schicken wollte?« frug der Angerufene zurück, indem er selbst nach dem Boilerdeck zuschritt.
»Da kommen sie eben aus der Straße heraus,« sagte der Mate, und kletterte vorne am Lastrad, das gerade über der Luke vor dem Boilerdeck angebracht war, zu diesem hinauf; »ich denke wir schaffen am besten das Mehl und den Whiskey gleich hinaus, und hielten uns dann nicht mehr überlang hier oben auf; erstlich fühlt man sich zwischen den rothen Hallunken nie ganz wohl, und dann hätt ich auch gern, daß wir vor Dunkelwerden über die letzte Sandbank zurückkommen; unser alter Fox hält nicht mehr viel Püffe aus und das Wasser fällt. Wird es aber nur noch drei Zoll niedriger, als es schon ist, so bleiben wir ohne Gnade und Barmherzigkeit sitzen, ich habe selbst das Senkblei ausgeworfen, und weiß, wieviel Raum wir haben müssen.«
»Nun dann bleibt mir ja nicht einmal mehr Zeit zum Ueberlegen,« sagte der Kapitain rasch, »gut denn, Mate, geht ans Werk und seht, wie bald Ihr Eure Arbeit beenden könnt.«
»Soll nicht lange dauern, Sir,« erwiederte dieser, augenscheinlich zufrieden mit der erhaltenen Antwort. »Holla da unten, Ihr Ben, Virginny, he Ned' – aus mit den Fässern; Ihr schafft sie an Deck und die Feuerleute schaffen sie ans Ufer – munter, rührt Euch, Donnerwetter, schlaft da unten nicht ein mit den Haken – dauert das eine Ewigkeit.«
»Ay Ay, Sir!« lautete die Antwort der geschäftigen Arbeiter – während ihr »A oy– i!« mit dem vollen Accent auf der letzten, hoch und scharf ausgestoßenen Silbe weit hin über das Ufer klang und die kleine fröhliche Schaar der indianischen Kinder, Knaben und Mädchen im Nu verlockte, auf einer dort ans Land gezogenen alten und halb verfaulten Pirogue[7] alle Bewegungen und Laute nachzuahmen, die sie als Muster von dem vor ihnen liegenden Dampfboot sehen und hören konnten.
[7]: Eine große Art von Canoe.
Mehlfaß an Mehlfaß stieg jetzt aus dem engen »Hold« des Dampfbootes auf und wurde von den rußigen Händen der Feuerleute eben so rasch über die schmale, schwankende Planke hin ans Ufer gerollt, wo die verschiedenen Käufer, die großentheils schon im Fort Gibson den Handel mit dem Capitain abgeschlossen hatten, das ihre entweder wieder in Canoes nehmen ließen, um es selber mit stromab oder auf zu nehmen, oder auch gleich, falls sie in der Stadt hier wohnten, die einzelnen Fässer selber durch ihre Squaws in die benachbarten Wohnungen wälzen ließen.
Indessen arbeitete die Mannschaft des Fox rüstig fort, und laut hin schallte der Chorgesang der Arkansas Boote:
Und dann der Chor, während sich die Heraufziehenden mit erneuten Kräften in die Seile hingen und nach dem Takt mit den Händen wechselten:
Während die Leute hiemit auf das emsigste beschäftigt waren und Mehl und Pökelfleisch, Salz, Blei, Pulver, wollene Decken und Stangen rohen Eisens – denn es gab unter den Cherokesen und Chocktaws schon recht wackere Schmiede, die das Letztere wohl zu jedem Gebrauch verarbeiten konnten – an's Ufer schafften, hatte sich oben unter den Neugierigen auch eine Gruppe von Männern gebildet, die das ganze Verfahren an Bord des Fox mit augenscheinlich weit größerem Interesse beobachteten. Es waren dieß die Häuptlinge Tomson, Tcha-to-ga und Ko-ha-tunk – die große Krähe, ein anderer »chief,« der zu den Angesehensten des Ortes gehörte, und bei den Berathungen ebenfalls eine ziemlich entscheidende Stimme abgab. Diese drei nun standen zusammen und schauten schweigend nach den Fässern hinüber, wie sie aus dem »Hold« emporstiegen, und noch hatte keiner von ihnen auch nur eine Silbe geäußert, als Tcha-to-ga plötzlich ein lautes und tief aus der Kehle heraufgeholtes Wah! ausstieß, und mit der Hand nach der Bootsluke deutete.
An der Kette, von den beiden kräftigen Haken gehalten, schwang eben ein starkes Faß empor, und der rothangestrichene[8] Boden desselben verrieth nur zu deutlich was es enthalte.
[8]: An den Whiskeyfässern in den ganzen Vereinigten Staaten ist stets der eine Boden zinnoberroth angestrichen.
»Wah!« sagte Tcha-to-ga und deutete hinab – »die Weißen bringen dem rothen Mann seine Farbe, aber die Kinder Manitos sind nicht blind; sie können einen Truthahn-Geier wohl von einem Truthahn unterscheiden – kommt! –« Und ohne weiter eine Antwort der anderen Beiden die noch unentschlossen zu sein schienen, abzuwarten, schritt er rasch die ziemlich steile Bank zum Boot hinab. Tomson und Ko-ha-tunk zögerten aber auch nur einen Moment, und noch war ihr kühnerer Gefährte nicht in Sprungslänge von ihnen entfernt, als sie ihm ebenfalls folgten und nun mit ihm zugleich, gerade in dem Augenblick die Planke erreichten, als Einer der Deckhands das vorhererwähnte Faß, dem schon ein anderes ähnliches in der Luke folgte, an's Ufer rollen wollte.
Der Capitain stand, seine Cigarre rauchend, oben vorn auf dem Hurricanedeck und schaute mit vorgebogenem Körper, während er sich mit der linken Hand an einen der starken Drähte hielt, die den großen eisernen Schornsteinen Festigkeit geben müssen, nach vorn herunter.
»Halt!« sagte da Tomson, der am besten von den Dreien Englisch sprach, und legte dabei seine große breite Hand auf das Faß. Der Deckhand blieb stehn, und sah erstaunt zu ihm auf – »rollt das Faß zurück.«
»Halloh da unten!« rief jetzt der Capitain, der etwas Aehnliches schon erwartet haben mochte, vom oberen Deck nieder – »was giebts da? he, Tomson, was solls?«
»Capitain Burkner« erwiederte Tomson, und trat einige Schritte zurück, um zu dem Capitain besser aufschauen zu können, »dürft keinen Whiskey hier an's Ufer schaffen – ist gegen das Gesetz!«
»O Unsinn, Tomson« lachte Burkner – »Ihr habt dieselbe Geschichte schon einmal gehabt – Ihr braucht ihn ja nicht zu trinken; das Gesetz ist gegen das Trinken, nicht gegen das in Fässern halten. Whiskey ist auch gute Medicin, zum Einreiben und Waschen. Mach fort, Virginny – roll' es zu den übrigen hinauf, aber etwas mehr links – es wird gleich abgeholt.«
Virginny, wie ihn der Capitain nannte, war eine wunderliche Gestalt, mit langem, sonst bei den Amerikanern höchst ungebräuchlichen Schnurrbart, dem ein um den Kopf geschlungener dünner Shawl dabei noch etwas Muselmännisches gab – er wollte auch seine Abstammung von jenen herleiten. Kaum hörte er des Capitains Befehl, als er sich niederbog, die breite Schulter gegen das Faß stemmte, und seine Arbeit auf's Neue begann.
»Halt!« sagte aber da Tomson, dessen Antlitz jetzt einen ihm sonst nicht so eigenen Ausdruck von finsterer Entschlossenheit angenommen hatte – »Ihr dürft nicht weiter gehen – zurück da, weißer Fremder, dieß Land gehört dem rothen Manne!«
»Rothen – Narren hätt' ich bald gesagt,« brummte Burkner, »wir wollen ja weder Euer Land, noch sonst etwas von Euch, Mann, im Gegentheil, wir wollen Euch etwas bringen, und Ihr macht einen Lärm als ob Euch das größte Unglück passiren sollte. Kommt einmal herauf, Tomson und laßt den Burschen seine Arbeit thun.«
»Das Gesetz,« sagte aber der Indianer ernst und seinen Platz behauptend, »das Gesetz verbietet weißem Mann Whiskey in indianisches Territorium zu schaffen – ja es verbietet ihm sogar, das Feuerwasser, selbst in dem kleinsten Maaß, an den rothen Mann zu verkaufen. Die Stämme haben Tomson, Tcha-to-ga und Ko-ha-tunk zu ihren Häuptlingen erwählt, und Tomson, Tcha-to-ga und Ko-ha-tunk sagen, kein Whiskey soll, so lange wir es hindern können, nach Redtown hineingeschafft werden.«
»Aber er kommt auch nicht nach Redtown hinein,« rief Burkner jetzt ärgerlich werdend, »Tod und Teufel, Mann, dort stehen schon die Karren, die ihn ins Land, in das Dorf der Creeks, oder wenigstens in die Nähe desselben führen; schreit deshalb nicht eher, ehe man Euch ein Leides gethan. Mach kurz, Virginny, damn it Bursche, bezahl ich Dich dafür, daß Du den ganzen Tag da halten bleibst, und die rothen Gesellen anstarrst, als ob Du in Deinem Leben keine kupferfarbene Haut gesehen hättest – hinauf mit dem Faß!«
»Fort da, my old fellow,« rief aber auch jetzt seinerseits Virginny, aufs Neue die Kraft an dem schweren Faß versuchend, »fort da vorn und gebt Raum – Wetter, Mann, glaubt Ihr ich könnte das Faß über Euch weg rollen? –
room boys, room, by the light of the moon
and it's: why shouldn't ev'ry man enjoy his own room.«
Virginny warf sich mit aller Kraft gegen das Faß, und wollte es augenscheinlich auf Tomsons Füße rollen, damit dieser ihm aus dem Wege mußte: kaum hatte er aber sein ganzes Gewicht dahinter gebracht, als er plötzlich Tcha-to-gas schwere Hand auf seiner Schulter fühlte, und im nächsten Moment fand er sich auch durch eiserne unwiderstehliche Gewalt von der Planke hinab in den, hier allerdings kaum zwei Fuß tiefen Strom geschleudert.
»Pest und Gift!« schrie Burkner vom Hurricanedeck aus, »das ist Gewalt, und das sollt Ihr mir theuer genug bezahlen. He Tom, Ben, Jim – vor, Ihr Burschen; die Pest über die rothen Hunde, nehmt Eure Büchsen, und – den ersten, der Hand an Euch legt, schießt über den Haufen – ich verantwort' es. Wenn etwas Ungesetzliches durch Weiße geschieht, so dürfen sie sich bei der Regierung der Vereinigten Staaten darüber beklagen, aber nie selber mit eigener Hand ihr Recht durch Gewalt erzwingen.«
Burkner konnte von da, wo er stand, das ganze Ufer leicht, bis in die Straßen hinein überschauen, und er sah recht gut und mit einem Blick, daß er von den versammelten Indianern, die fast alle unbewaffnet am Ufer standen, nichts zu fürchten hatte. Virginny kam auch in diesem Moment naß und wüthend die kiesige Bank herauf gesprungen und wollte sich im ersten Zorn rücksichtslos auf den Häuptling werfen; dieser aber behauptete ruhig seinen Platz, trat nur mit dem rechten Fuß einen Schritt zurück und hob seine, mit dem scharfen Stahl bewaffnete Keule, der Blick aber, den er dabei auf den Heranstürmenden schoß, war so fest und voll so tödtlichen Hasses, daß dieser trotzig wohl, aber doch eingeschüchtert anhielt, und endlich, mit einem bitteren Fluch auf den Lippen, über das Faß hinweg wieder auf die Planke sprang, die zum Boot hinüber führte.
Dort eilten aber auch jetzt die beiden Lootsen, der Mate, die Ingenieure und der Capitain, Alle bis an die Zähne bewaffnet, herbei, und Burkner selber, der die Cajütentreppe in aller Eile mehr herunterstürzte als sprang, erklärte jetzt dem ruhig dabei stehenden Tomson, sie selbst die Indianer, hätten den Frieden gebrochen und zuerst Hand an einen weißen Mann gelegt; auf ihre Gefahr also auch die Folgen, soviel aber versicherte er sie und schwöre es bei seinem Manito, einen Schwur, den er nie gebrochen – er log das, als er es sagte, aber er sah aus als ob er die Wahrheit rede, – daß er den ersten, der sich der Arbeit seiner Leute thätlich entgegenwerfen, und dadurch die »Bewegungen frei geborener Amerikaner« behindern würde, mit eigner Hand über den Haufen schießen wolle.
Nun hat der Indianer, was offenen Kampf betrifft, eine eigene Natur; er ist nicht feige, aber er hält es auch für eine sehr große Thorheit, und nicht Tapferkeit, sich auf freiem Plan einer gezogenen Büchse frei entgegen zu stellen. Wo er zum Handgemenge kommt, kämpft er mit ruhiger und verzweifelter Entschlossenheit, aber er benutzt auch jede Gelegenheit seinen Körper zu decken und hält es, seinen Kriegsgesetzen nach, keineswegs für unmännlich oder gar feige, aus dem Hinterhalt eine günstige Gelegenheit zu erwarten, seinen Feind unschädlich zu machen.
Hier also standen die drei Häuptlinge, fast unbewaffnet, denn was konnten sie mit ihren Kriegskeulen gegen die rasche und tödtliche Kugel ausrichten, den Amerikanern gegenüber, die, wenn es später vor den Gerichtshof der Vereinigten Staaten gekommen wäre, doch am Ende recht bekommen hätten, so lange sie nur der Gewalt ebenfalls wieder mit Gewalt entgegentraten.
Tcha-to-ga allerdings schien nicht übel Lust zu haben seinen Platz, auf jede Gefahr hin, zu behaupten, denn sein Blut war dadurch, daß er zuerst selbst Hand angelegt hatte, erregt worden, ein paar von Tomson in indianischer Sprache geflüsterte Worte aber bewogen ihn doch von solchem Vorhaben, wenn das überhaupt, in seinem Plan gelegen, abzustehen, und er und Ko-ha-tunk traten, den Weg frei lassend, von der Planke zurück und nur Ko-ha-tunk wandte sich gegen den Capitain, der diese Bewegung mit höhnischem triumphirenden Lächeln beobachtete.
»Es ist nicht gut, Blut zu vergießen,« sagte der Indianer, »das Feuerwasser hat schon zu viel Blut vergossen, und deshalb wollen wir es gerade von uns fern halten – wäre das erreicht, wenn jetzt die weißen Männer auf uns schössen? – nein, Tomson, Tcha-to-ga und Ko-ha-tunk würden fallen, aber keiner der Weißen würde seinen Wigwam wieder sehen. Der Geistervogel würde Nachts in den Zweigen über seinen Zeltstangen sitzen und über der rauchlosen Stätte sein Todtenlied singen, dem unten die schluchzenden Squaws horchten; Gras würde in dem Pfad wachsen und Waldblumen, den sonst der Jäger betrat, wenn er unter seinem Thierfelle vorschritt, dem Wild zu folgen. Und mit der Sonne würden viel Krieger kommen den Tod ihrer Brüder zu rächen – weh! – Ko-ha-tunk sieht die Erde roth mit dem Blut der Krieger wie das Ende jenes Fasses ist.«
»Es ist nur gut, daß Ihr Verstand genug habt das einzusehn!« lachte der Capitain.
»Gut so« – fuhr der Wilde ruhig fort. »Indianer ist friedlich – er hält seine Streitkeule ruhig im linken Arm, aber Indianer hat auch weißen Mann verboten das Feuerwasser in seine Jagdgründe zu bringen – Feuerwasser macht rothen Mann faul und träge – kann nicht jagen, legt sich unter einen Baum bis dunkel ist, und Squaws sitzen in Wigwam und kochen Wurzeln – kein Fleisch – Whiskey macht Indianer fechten – schießt seinen Bruder und seinen Vater – Whiskey ist nicht gut.«
»Das ist eine sehr schöne Rede,« erwiederte ihm Capitain Burkner, der den geschwätzigen Wilden sehr zum Aerger seines Mate ruhig und geduldig angehört – »ich will mich auch gar nicht darauf einlassen das darin Gesagte etwa zu bestreiten, aber jetzt, meine wackeren Burschen, gebt Raum da vorn. Denn, bei Gott, ich warte nun nicht länger mehr. Der Fluß fällt, und ehe eine Viertelstunde vergeht, muß der Whiskey am Ufer sein!«
»So thu' es denn auf Deine eigene Gefahr, Du hartnäckiger weißer Mann!« rief jetzt Tomson, wandte sich, und stieg raschen Schrittes die Uferbank hinauf – der Raum war nun frei, die beiden anderen Häuptlinge zogen sich ebenfalls langsam zurück, und unter dem jubelnden Ahoy der Leute, die zuerst, wie zum Hohn, dem »wackeren Magistrat von Redtown« drei schallende Hurrahs brachten, wurden die rothbestrichenen Fässer rasch, den übrigen nach, die Bank hinaufgerollt, und Capitain Burkner selbst ging mit hinauf, um sie dem dort ruhig bei seinem Karren haltenden Dodge zu übergeben.
Hier aber fand er sehr ungehofften Widerstand. Dodge nämlich, mit den Sitten und Gebräuchen der Indianer, unter denen er aufgezogen worden, auf das genaueste bekannt, sah bald, daß irgend etwas im Werke sei, und die Häuptlinge sich keineswegs auf solche Art, mitten unter den Ihren würden Trotz bieten lassen. Capitain Burkner war auch wirklich nur durch seine, bis jetzt oft ungestraft hingegangenen Umgehungen der Gesetze so kühn geworden, und glaubte jetzt um so kecker auftreten zu können, da es ja überhaupt das letzte Mal war, daß er diesen Handelsplatz zu berühren gedachte.
»Danke, Capitain,« sagte Dodge in seinem gebrochenen Dialect, als ihm Burkner die Facturen übergeben wollte und das Geld für den Betrag verlangte, – denn der Handel mit den Indianern, die unter keiner Bedingung selbst nicht die besten Banknoten nehmen, und das Gold ebenfalls nicht kannten, wurde einzig und allein in Silber geführt; »danke – kann Whiskey nicht übernehmen – Tcha-to-ga Ne sehon tie rehu und sein Arm ist lang – ich kaufe Whiskey by'm by[9] – von Fort Gibson – von Fox – aber nicht hier – – by'm by!«
[9]: By and by – nächstens, mit der Zeit, gelegentlich, ein Wort, das sich die halbcivilisirten Indianer aus der englischen Sprache sehr angeeignet haben, und das sie gern gebrauchen.
»By'm by? – Du rother Hallunke,« rief aber jetzt Burkner, durch den spöttischen Trotz in des Burschen Zügen nur noch mehr gereizt – »by'm by? – Du mußt den Whiskey nehmen, denn« –
Er hielt plötzlich inne – ein wirres Toben und Lärmen drang aus der nächsten, der innern Stadt zuführenden Straße heraus, und fast in demselben Augenblick schwärmte von Tcha-to-ga und Ko-ha-tunk angeführt, eine ganze Schaar halbnackter Indianer hervor, denen sich jedoch ein ernsterer Haufe von Männern, auch Eingeborene, aber wie Farmer, in die Tracht der Hinterwäldler gekleidet – anschlossen. Capitain Burkner wollte jetzt rasch an Bord zurück, weil er in der That, und im ersten Moment fürchtete, daß die Schaar einen Angriff auf sein Boot beabsichtige. Bald fand er freilich, daß er in der Hinsicht wohl Nichts zu fürchten habe, sollte aber doch Zeuge sein, wie die Indianer wenigstens soviel Muth und Einigkeit noch bewahrt hätten, da Volksjustiz zu üben, wo es ihre eigenen Gesetze und Rechte galt. Mit Beilen, Tomahawken und Keulen fielen sie nämlich über die ihnen aufgedrungenen Fässer her, und so gut gemeint und wohl angebracht waren die Schläge, daß die gelbe spirituöse Fluth bald in förmlichen Bächen aus ihren Häusern quoll und, eine der durch den Regen ausgewaschenen Rinnen zum Bett wählend, dem Flusse zusprudelte.
Hier aber geschah etwas, das Tomson schon lange vorausgesehen und gefürchtet hatte; das wirklich wilde Volk von Redtown, so gern es sich auch hatte dazu brauchen lassen, Eigenthum der Weißen, und zwar nur der guten Sache wegen, zu vernichten, sah kaum die Fluth, von der sie sich jeden einzelnen Becher voll nur mit so vieler Mühe und gegen so schweres Geld verschaffen konnten, einem Sturzbach gleich die Uferbank hinabtosen, als auch ein ganz anderer Geist in sie fuhr, wie der der Müßigkeit. Eine Squaw machte den Anfang, sie sprang rasch den Hügel hinab, und fing mit einer Kalebasse, die sie wahrscheinlich zufällig bei sich trug, die »liebe Gottesgabe« auf und kaum hatte sich dem Schwarm die Möglichkeit eines solchen Beginnens gezeigt, als zwanzig oder dreißig mit allem, was ihnen gerade unter die Hände fiel, und was sich nur irgend dazu eignete, eine Flüssigkeit, sei es auch blos auf wenige Secunden zu bewahren, hinabstürmte und auffangen und trinken wollte.
Es gab hiergegen nur ein Mittel, und das hatte der umsichtige Tomson vorher bedacht und vorbereitet. Es galt hier nämlich nicht allein sich vor schwerer Verantwortung zu schützen, wenn das Gesindel vielleicht den Whiskey auffing und der Dampfboot-Capitain dann später eine Klage bei dem Gerichte der Weißen anhängig machte, daß man seinen Whiskey, als verbotenes Getränk, nicht etwa blos vernichtet, sondern geplündert habe; nein, es galt auch der Gefahr zu begegnen, daß die, schon überdieß aufgeregten Gemüther, durch unmäßigen Genuß des süßen Giftes vollständig gereizt und zu Handlungen getrieben würden, die zwischen weißen und rothen Männern doch nur zu bösem Blutvergießen führen konnten. Es gab aber, wie schon gesagt, ein Mittel, das zu verhüten, und der plötzliche und vollständige Erfolg, den dieses hatte, gab zu den komischsten und groteskesten Scenen Veranlassung.
Tomson sah nämlich kaum, daß die Seinen dem also preisgegebenen Whiskey mit jubelndem Freudenschrei zustürmten – und kein Gott hätte sie, das wußte er recht gut, jetzt mehr davon zurückhalten können, als er sich rasch zu dem einen, gerade frisch ausquellenden Fasse niederbog; und die Wirkung, die sich gleich darauf herausstellte, war in der That fabelhaft. Irgend eine Veränderung des Whiskeystromes war nicht zu erkennen, die Sonne schien so freundlich und still darauf hernieder, und die schießende Fluth funkelte und blitzte in ihrem Glanz wie vorher, aber mit wildem Aufschrei fuhren plötzlich alle die, die sich eben noch so gierig darüber hergeworfen, zurück, die Gefäße, die sie in Händen hielten, schleuderten sie weit von sich, zwischen Andere hinein, daß diese wieder ihrerseits blitzesschnell auseinander stoben; die Kleider rissen sie sich ab und sprangen wie besessen umher, und zwanzig oder dreißig wohl, ohne recht zu begreifen, was mit ihnen vorgegangen und nur dem Schmerz gehorchend, der sie trieb, warfen sich ohne weiteres in den Strom, tauchten unter, und kamen nachher mit furchtsam entsetzten Gesichtern wieder zum Vorschein.
Und was war denn die Ursache? – der Whiskey brannte und die lichtblaue, im Sonnenstrahl vollkommen unsichtbare Flamme, die sich aber gleichwohl mit elektrischer Schnelle dem ganzen Spiritus mitgetheilt und Alles erfaßt hatte, was mit diesem in Berührung gekommen, wurde natürlich von der erschreckten Schaar nicht eher entdeckt, als sie die Haut brannte und die Kleider erfaßte.
Zu dem Schmerz der Flamme kam aber auch jetzt noch bei Vielen, welche die brennbare Eigenschaft des Whiskeys gar nicht kannten, der starre Aberglaube. Das war der böse Geist, der in dem Feuerwasser hauste und ihre Glieder sengte; das war der fürchterliche Manito, der sie strafte, daß sie der Verführung gelauscht und den Trank der weißen Fremden entwendet hätten. Mit wildem Geschrei wollten sie nach allen Seiten hinaus und ein solcher panischer Schrecken erfaßte auch jetzt die oben auf der Uferbank Stehenden, die ebenfalls gar keine Ursache solch plötzlichen Wehrufs erkennen konnten, daß sie, wie die Uebrigen rasch in die Stadt hineinsprangen und nun bald, natürlich nichts anderes vermuthend, als einen jähen und feindlichen Angriff der Weißen, mit allen nur in der Eile aufgegriffenen Waffen zum vermeintlichen Kampfe zurückkehrten.
Wunderbar gleichmüthig benahmen sich aber vor allen anderen die, die gerade am meisten bei dem Vorgange betheiligt schienen. Dodge saß in höchster Gemüthsruhe auf einem seiner Karren, und amüsirte sich, wie sich das gar nicht verkennen ließ, ungemein über die lebendige Scene wilder Verwirrung, und selbst Capitain Burkner, obgleich von dem Mate und seinen Leuten gedrängt, die mit gewaffneter Hand Vergeltung für das geopferte Gut haben wollten, hielt diese zurück und sagte lächelnd: »er hätte gar nicht gehofft, seinen Whiskey zu so vortheilhaften Bedingungen abzusetzen.«
Das Entzünden desselben zerstörte ihn übrigens auf das vollständigste – von den Indianern wagte sich keiner mehr, selbst auf hundert Schritt heran, und ehe zehn Minuten vergingen, war auch das letzte entweder in den Strom hinabgeflossen oder von der leckenden Gluth verzehrt worden.
»Nun, Dodge, Ihr ruht ja da gewaltig behaglich auf Eurem Karren, als ob gar Nichts in der Welt vorgegangen wäre, was Euch interessiren könnte,« sagte der Capitain endlich zu diesem, als sich die Indianer auf der Uferbank beruhigt hatten, und er selber die Kiesbank wieder langsam bis zu dem Karren hinaufgestiegen war.
»Ist auch Nichts vorgegangen,« sagte Dodge, zeigte zwei Reihen blendend weißer Zähne, und sah mit dem einen Auge den Capitain und mit dem andern das Pferd an, das schläfrig vor dem Karren stand und sich nicht im mindesten um all das rege es umtosende Treiben bekümmerte – »ist gar nichts vorgefallen – blos ein Bischen Whiskey verbrannt – noch mehr in Little Rock. – Capitain Burkner kann sich anderen holen!«
»Capitain Burkner?« wiederholte dieser verwundert, »Capitain Burkner hat mit dem Whiskey gar nichts mehr zu thun, mein Bursche; überlieferte und übernommene Waaren gehn den Dampfboot-Capitain, wie Ihr wohl recht gut wißt, nichts mehr an.«
»Dodge wird nicht so dumm sein und Whiskey annehmen, wenn Tcha-to-ga, der tolle Büffel, gesagt hat, Whiskey soll Berg hinunter laufen – Tcha-to-ga ist Hund – aber er lügt nie! Dodge ist sehr gleichgültig, ob Whiskey brennt oder ersäuft.«
»Hallo, mein Freund,« sagte aber jetzt, dem Halb-Indianer einen Schritt näher tretend, der Capitain – »pfeift der Wind aus der Richtung? gut, dann ist's besser, ich schenke Dir gleich reinen Wein ein, damit wir wissen, wie wir zu einander stehn. Kennst Du dieses Papier hier, he? – weißt Du, was hier – sieh wohl her – weißt Du, was hier steht? – »Ich betrachte die Waaren als von mir und auf meine Verantwortung übernommen, sobald sie das Dampfschiff verlassen haben und auf die Uferbank hinaufgerollt sind« – nun? – noch irgend etwas zu bemerken? – Die Schrift hier ist gültig – zwei Advokaten, und Deine Häuptlinge Tomson und Ko-ha-tunk haben sie unterzeichnet, und ich will jetzt nur sehen, ob Deine Farm beim Dorfe der Creeks nicht so viel werth ist, als sechzehn Fässer ächter Monongehela Whiskey.«
»Sechzehn?« lachte der Halb-Indianer, und der ganze Ausdruck seines Gesichts nahm, als er auf die brennenden Ueberreste der Fässer deutete, einen eigenthümlich wilden, boshaften und tückischen Charakter an – »sechzehn, so? und Dodge zählte nur – doch – nebber mind – by'm by kommt Alles – ist Capitain Burkner klug?«
»Bursche!« drohte dieser.
»Gut – wenn Capitain Burkner klug, wird er wissen, Indianer sehr gut eine Fährte folgen. Indianer weiß – sobald er in Schnee Bärenspuren findet – wenn er an einem Ende ist, muß Bär am andern sein – kann nicht fortfliegen von Spuren. Dodge ist Indianer – Dodge fand große Bärenspur und Dodge kann nachgehen, Schritt bei Schritt.«
»Und was soll das hier?«
»Weiße Mann hat ein Papier – Dodge hat seinen Namen drunter geschrieben – Dodge war ein großer Narr – Dodge weiß auch ein Papier – weißer Mann hat fremden Namen drunter geschrieben und weißer Mann war auch ein großer Narr –«
»Die Pest über Dich, Schuft, was soll das heißen?« rief der Capitain ärgerlich, aber augenscheinlich beunruhigt – »ich habe Deine Unterschrift, in der Du erklärst, jedes Stück Gut, was ich für Dich von meinem Boot aus oben auf die Uferbank geschafft habe, als übernommen anzusehn. Kannst Du das läugnen?«
»Gut, so weißt Du auch, daß ich den Schein nur dem Gericht der Weißen zu überliefern habe, und Dein Haus und Feld bürgt mir dann für die Bezahlung meines Whiskeys.«
Der Halb-Indianer stieß ein tiefes Grunzen aus, faßte dann den Karren, auf dem er saß, mit beiden Händen, und schlenkerte seine Beine aus Leibeskräften.
»Ugh – weiße Mann ist ein Thor,« sagte er nach einer Pause, in der ihn Burkner aufmerksam und mit verbissenem Zorn beobachtet hatte – »giebt Indianer ein gut Reifel in die Hand, und kommt dann mit kleine Scalpirmesser gegen ihn an – Dodge weiß besser!« und sein eines Auge schaute den einen Neger an, der dicht daneben mit seiner großen Karrenpeitsche knallte, während das andere die westwärts ziehenden Wolken zu betrachten schien.
»Verstehst Du Dich gutwillig dazu, mir den zerstörten Whiskey zu bezahlen oder nicht?« sagte der Capitain endlich, und sein Blick haftete in bitterem Ingrimm auf dem boshaft kalten Auge des Wilden – »gieb kurze Antwort, denn in wenigen Minuten bin ich unterwegs, und Du weißt, der Arm der Vereinigten Staaten ist lang – er reicht bis weit über die Felsengebirge hinaus zum stillen Meere, und erdrückt, was sich seinen Söhnen hier feindlich oder widerspenstig entgegen stellt. Willst Du, oder nicht?«
Dodge glitt von seinem Sitz herunter, trat bis dicht an den Capitain heran, legte diesem in kecker Vertraulichkeit die Hand auf die Schulter und sagte leise, aber bestimmt:
»Nein – und noch mehr, Capitain – Dodge ist schuldig zwei Fässer vom vorige Mal – zahlt auch nicht – und weshalb? – Dodge weiß prachtvolles Geheimniß vom weißen Mann – hat weißer Mann schon Strick um Hals gehabt? – Ugh – ist häßliches Gefühl, weißer Mann hat falsch Papier gemacht – soll Dodge nach Little Rock gehen und das vorlegen?«
»Schuft!« rief der Capitain durch die zusammengebissenen Zähne hindurch.
»Nebber mind – by'm by!« – lachte der Wilde, ohne sich an das Wort weiter zu kehren – »aber, Capitain –« und seine Stimme wurde zu einem leisen Flüstern, während er den Blick rasch umherwarf, und sich dicht zu dem Ohr des weißen Mannes hinüberbog – – »Dodge weiß ein Mittel für Euch, das Geld zu kriegen!«
Burkner sah ihn mißtrauisch an, es lag aber so viel boshafte teuflische List in diesem Augenblick in den Zügen des Gelben, daß er wenigstens nicht an dem ernsten Willen des Mannes zweifelte – als er schwieg, fuhr Dodge ebenso leise fort:
»Kennt der weiße Mann Tcha-to-ga – den tollen Büffel?«
»Das ist gerade der Schurke, der mir die ganze Verhandlung zu leiten schien!«
Dodge nickte mit freudigem Grinsen den Kopf und zischte weiter:
»Sein Wigwam ist letzter vom Dorf – zwei Meilen von hier, gerade wo kleine Arm von Red Fork in Arkansas kommt – Dampfboot-Holz an Ufer, große Stange und Scalpe dran – Tcha-to-ga, gewaltiger Häuptling – aber Hund – hat Dodge peitschen lassen – schadet nichts – by'm by –«
»Aber was soll's mit dem?« frug Burkner gespannt.
»Weißer Mann Thor – begreift schwer,« brummte der Halb-Wilde – »Tcha-to-ga hat Tochter – einzig Kind, und ist ein Indianer – zahlte lieber funfzig Faß, eh' er A-na-las-ka, die schwankende Birke, auf zwei Stunden in Gewalt von Weißen sähe – hah!«
»Schlange,« rief der Capitain, »Du willst mich auf falsche Fährten locken, daß ich Deine Spur verlieren soll und nachher keine Ansprüche mehr an Dich machen könnte. Mag Tcha-to-ga zum Teufel gehen, Du bist der Mann, an den ich mich halte.«
»Ah tiesch ti,« lachte höhnisch der Gelbe, »Papier gegen Papier – das gleiche Waffe ist – Blaßgesicht weiß best, ob Dodge Recht finden kann oder nicht – by'm by!«
Er wandte sich ab und wollte in die Stadt hinein, Burkner aber, der die finstere Entschlossenheit in des indianischen Händlers Zügen sah, und zu spät bereute, dem listigen Feind die Waffen gegen sich selber in die Hände gegeben zu haben, ergriff Dodge's Arm, während dieser lächelnd stehen blieb und über seine Schulter weg nach dem Fluß hinüber schaute.
»Tcha-to-ga ist Dein Feind?« frug lauernd der Weiße.
»Er ist ein Hund,« lautete die finstere Antwort.
»Und Dodge wird seine weißen Freunde führen und unterstützen?«
»Dodge geht nach Hause – er weiß nicht, bei was er das Blaßgesicht unterstützen soll,« knurrte der Wilde, und ohne eine weitere Erwiederung abzuwarten, machte er sich von der Hand des Capitains los, und verschwand bald darauf mit seinen Wagen in der Straße, die durch die Stadt hin dem Inneren des Landes zuführte. Die Bevölkerung des kleinen Ortes war, wie sich das gar nicht verkennen ließ, gegen den Weißen sowohl wie auch gegen ihn, da er doch mit die Ursache des ganzen Vorfalls gewesen, gereizt, und er mochte nicht, durch zu langes Zögern vielleicht, das Ziel werden, gegen das sich der Ausbruch ihres Zornes richten mochte.
In dumpfes zürnendes Brüten versenkt, blieb der Capitain, seinem eigenen Nachdenken überlassen, am Ufer zurück – und er stampfte in ohnmächtiger Wuth den Boden, wenn er daran dachte, wie machtlos er jetzt hier, der Weiße, Amerikaner, den grinsenden »rothen Hunden« von Indianern gegenüber stände. Sollte er, ein Spott und Gelächter dieser »kupferfarbenen Bande,« den Ort verlassen? und blieb ihm eine andere Möglichkeit, Genugthuung für den Schimpf sowohl als Ersatz für den Schaden zu bekommen? – An Gewalt hier durfte er nicht denken; er hätte wohl sein eigenes Boot selbst gegen eine Uebermacht vertheidigen können, aber an's Land durfte er sich nicht in feindlicher Absicht wagen; die verschiedenen Trupps, die kampfgerüstet und bewaffnet überall auf den einzelnen und höchsten Punkten der Uferbank zerstreut standen, würden seine kleine Schaar schon durch ihre Ueberzahl erdrückt haben – und die Gesetze – er hatte dagegen gehandelt, und es blieb ihm nur wenig Hoffnung, daß ihm der Staat da beistehen würde, wo er sich selbst im Unrecht fühlte.
»Zur Hölle mit dem Gesetz,« murmelte er leise vor sich hin – »hätt' ich nur zwanzig Hände mehr an Bord!«
»Capitain,« sagte da die Stimme des Mate, der an's Ufer gekommen war, den Zögernden aufmerksam zu machen, wie der Fluß wirklich noch im Fallen und die Gefahr also vorhanden sei, daß sie auf dem Sande könnten zurückgelassen werden – »wenn wir noch länger warten, steh' ich für nichts.«
»Soll ich den Whiskey hier im Stich lassen, und nicht meine Rache an den rothen Hunden nehmen können?« rief zürnend der Amerikaner.
»Ugh!« rief plötzlich ein tiefer Gaumenlaut dicht an seiner Seite, und als sich Burkner rasch wandte, stand Tcha-to-ga neben ihm und schaute finster und wild zu ihm nieder – »Ugh – das Bleichgesicht schreitet in den Fährten des rothen Mannes und tritt seinen Schatten mit Füßen – er speit auf die Gräber seiner Väter und nennt die Kinder Hunde. Tcha-to-ga sieht einen Wolf und die Kriegskeule regt sich in seiner Hand!«
Der Weiße warf einen Blick voll giftigen Hasses auf den alten Mann und der Gedanke an den gerathenen Raub zuckte ihm durch's Hirn.
»Tcha-to-ga ist ein Thor,« zischte er endlich durch die zusammengebissenen Zähne hindurch, »daß er den Wolf noch reizt, der seine rechte Hand doch zwischen den Fängen hält!«
Der Indianer stutzte – es lag ein eigner Ausdruck, ein zu sicheres Bewußtsein in den Worten, als daß sie der alte schlaue Krieger hätte mißachten sollen – aber was konnten die dunklen Worte bedeuten?
»Bah!« sagte er endlich verächtlich – »der weiße Mann hat die Zunge des Hehers – er äfft die Stimme des Raubvogels nach, und sucht Würmer auf den Zweigen. Tcha-to-ga ist reich – aber er gäbe Alles hin, was er besitzt, wenn seine Augen nicht mehr auf den bleichen Gesichtern der Fremden zu ruhen brauchten – ihr Anblick ekelt ihn an!«
Es lag ein bitteres Wort auf Burkners Lippen, die stahlbewehrte Keule ruhte aber so fest in des zürnenden Kriegers Hand, daß er dem Grimm, der in ihm kochte, nicht Worte zu geben wagte – desto gährender wuchs der aber auch mehr und mehr in ihm – desto heißer trieb und drängte die rachedürstende Seele nach Befriedigung ihrer Leidenschaft – nur die Furcht hielt ihn noch zurück. Wie dann, wenn er die Indianer hier in ihrem eigenen Lande thätlich beleidigte und – verlor? – Sein scheuer Blick schweifte fast unwillkürlich nach den Scalpstreifen nieder, die mit dem flatternden Haupthaar an Tcha-to-ga's Leggins hingen. Dem Häuptling entging aber der Blick nicht – ein höhnisches Lächeln umzuckte seine Lippen und er sagte:
»Der weiße Mann nennt die rothen Kinder Manitos Hunde, aber er sieht scheu nach den Spuren, die sie im Sande zurücklassen – geh! Tcha-to-ga's Arm hat den falschen Creek Indianer gestraft, weil er der rothen Frucht gleicht, die Labung verspricht und die Zunge brennt – Tcha-to-ga ist stark und der weiße Mann ein Thor!«
»Wenn ich dem Schuft nur eins zwischen die schwarzen Augen hineindrücken dürfte!« brummte der Mate halblaut vor sich hin – »hui, wie mir's in den Gelenken juckt!«
»Tcha-to-ga ist ein Dieb, der dem Weißen sein Gut raubt, weil er vielleicht selber heimlich damit handelt!« rief eben jetzt der Capitain, der zum Aeußersten gereizt und getrieben, seine Wuth nicht länger mäßigen konnte, und ihr wenigstens Worte geben mußte.
»Das lügt das Bleichgesicht!« zürnte der Krieger und richtete sich, die Falten des Büffelfells von seinem rechten Arm zurückwerfend, hoch auf.
Durch den Wortwechsel herbeigelockt, näherten sich von rechts und links her einige der bewaffneten und jetzt noch vereinzelten Trupps, und der Mate, nicht mit Unrecht bei einem so ungleichen Kampf für ihre Sicherheit besorgt, ergriff den Arm des Capitains und flüsterte ihm zu, an Bord zurückzukehren. Capitain Burkner sah auch selbst wohl ein, wie gefährdet er hier unter den wilden drohenden Gestalten sei, aber sich nicht versagen konnte er es, den Feind wenigstens die Waffe fühlen zu lassen, die er, gerade gegen ihn, in Händen halte:
»Es ist gut, Tcha-to-ga,« rief er boshaft lächelnd aus und wandte sich, im Gehen begriffen, noch einmal nach diesem um – »aber ehe die Sonne untergeht, die dort schon im Westen über den Wipfeln der Bäume hängt, zahlt mir der tolle Büffel den Preis für den Whiskey – und mehr noch, wenn ich es verlange oder – der weiße Mann macht sich selbst bezahlt!«
Und mit raschen Schritten eilten die beiden Männer an Bord ihres Bootes. Hier aber standen die Deckhands, auf des Mate's Befehl, schon zu augenblicklicher Abfahrt bereit, das eine Tau wurde rasch gelöst, die Planke eingezogen, der bis jetzt der Strömung zugekehrte Bug fuhr herum, und wenige Minuten später schoß das Boot mit der Strömung hinab, und so dicht am diesseitigen Ufer hin, als es das hier nicht übermäßig tiefe Fahrwasser nur irgend erlaubte.
Tcha-to-ga aber hatte mit der gespanntesten Aufmerksamkeit jede Bewegung des Bootes beobachtet, und jetzt war es auf einmal, als ob ihn zum ersten Mal der Gedanke an die Gefahr durchzuckte, der seine eigene Heimath preisgegeben sei, wenn die weißen Männer während seiner Abwesenheit dort landeten. Ein eigenthümlich ausgestoßener, scharf gellender Ton rief mit Blitzesschnelle eine Anzahl der jungen Leute an seine Seite – einige rasche Worte genügten – fort stob die Schaar, im Laufe noch Andere anfeuernd, aufmunternd, und als das Boot, das allerdings zu Wasser eine kürzere Bahn hatte, wie sie, die sie der vollen Biegung des Stromes am Ufer folgen mußten – kaum der jenseitigen Spitze gegenüber war, sprengte auch schon eine Anzahl ungesattelter Ponneys, die rothen kecken Reiter mit den wehenden Federn und Büffelhäuten auf ihren Rücken, in flüchtigen Sätzen am Ufer hin, der Wohnung ihres Häuptlings Tcha-to-ga zu.
Etwa zwei englische Meilen unterhalb Redtown, mündete ein kleiner Bach, oder eigentlich eine Art Bayo in den Arkansas, die nicht weit vom Creekdorf ab, aus der Red Fork selbst entsprang und nur bei hohem Wasserstande dessen Bett die rothlehmige Fluth entführte und dem größeren Strome zu leitete. Hier lag, ziemlich einsam und abgeschlossen, Tcha-to-ga's, des tollen Büffels, Hütte, wohl eine halbe Meile von den letzten Häusern, oder vielmehr Wigwams, des kleinen Städtchens entfernt, denn der untere Theil desselben war fast ganz indianisch und wurde sogar noch von Insassen bewohnt, die nicht selten, dem alten Nomadenleben treu, ihre Heimath gänzlich wechselten, die Zelte auf die Rücken ihrer Lastthiere warfen und dorthin zogen, wo die frischen Spuren der Büffel ihnen Nahrung und Jagdlust versprachen.
Tcha-to-ga dagegen hatte sich für einen nicht unbeträchtlichen Theil der Summe, welche die Vereinigten Staaten an alle Häuptlinge als Entschädigung der östlich vom Mississippi in Besitz genommenen Ländereien ausgezahlt, Neger-Sclaven gekauft und durch diese eine vortreffliche Farm, die sich eine volle englische Meile am Flußufer hinunterzog, anlegen lassen. Er selbst aber arbeitete natürlich nichts; als Häuptling lag ihm nur die Bekämpfung der Feinde und die Jagd ob, und am Berathungsfeuer lauschten die jungen Männer des Stammes mit athemlosem Schweigen seinen Worten.
Eigenthümlich war dabei die Mischung von Civilisation und alter ursprünglicher Lebensweise, die besonders auffallend in seiner eigenen Wohnung wurde. Mit Widerstreben nur hatte er nämlich alles das angenommen, was die »bleichen Männer« den rothen Kindern der Wälder von Sonnenaufgang gebracht. Lange hing er mit kaum zu besiegender Hartnäckigkeit an den alten Gebräuchen, Sitten und Geräthschaften seines Stammes, und wich nur Schritt für Schritt den wirklichen Verbesserungen menschlicher Zustände, die sein sonst gesunder und leicht empfänglicher Sinn doch recht gut zu würdigen wußte.
Zuerst war es die Schießwaffe der Weißen gewesen, deren Vorzug gegen den, tausend Zufällen unterworfenen, Bogenschuß er doch nicht ableugnen konnte; auch den Stahl hatte er zu gleicher Zeit vortrefflicher für Waffe und Werkzeug erkannt, als den schwer zu bearbeitenden Feuerstein, und manches fand solcher Art und ganz allmälig den Weg in seine Wohnung, was er im Anfang, als seinem Stamme feindlich, verschmäht und verachtet hatte.
In diesem Sinne schien er auch seine Hütte erbaut zu haben. Wohl den Vorzug erkennend, den das feste, solide, auf kräftigen Stämmen ruhende Dach gegen den schwanken, leicht beschädigten Wigwam haben mußte, errichtete er endlich für sich selbst ein solches Haus, aber nicht um darin zu wohnen, sondern um seinem eignen Wigwam, den er jetzt ganz nach der Sitte seiner Väter im Innern aufstellte, Schutz gegen Sturm und Wetter zu verleihen. Von außen glich also das Gebäude gänzlich einer der geräumigen westlichen Blockhütten, wie sie in den Ansiedlungen der Weißen von Baumwollen- und Maisfeldern umgeben liegen; kaum aber betrat der Fremde den, durch eine hölzerne Thür verwahrten niederen Eingang, als er sich plötzlich inmitten einer indianischen Fellhütte sah, in deren Mitte an schwankenden Stäben der große eiserne Kessel hing, und von wo aus der Rauch zu einem riesigen, mit wunderlichen Zierrathen behangenen und geschwärzten Büffelkopf emporstieg, diesen umkräuselte und durch die über ihm gelassene Oeffnung seinen Weg in's Freie suchte. Ueber dem Rauchfang aber, an langer, wohl dreißig Fuß hoher Stange, von Adlerfedern und anderem symbolischen Schmuck umweht, hingen und flatterten die Scalpe der von Tcha-to-ga's eigener Hand erschlagenen Krieger – eine fürchterliche Siegstrophäe über der friedlichen Heimat.
Die Sonne neigte sich ihrem Untergang – tief nach Westen sank sie hinab, und die Gipfel der stattlichen Baumwollenholzbäume, die sich dicht um die Lichtung herum dem Ufer wieder zudrängten, glühten und leuchteten in dem rosigen Licht. Aus dem niederen Sumpfland zogen leichte dunstige Schwaden heraus und strichen wie dünne Nebelwolken über die ruhig dahin strömende Fluth hin. Die Krähen und Blackbirds strebten schon gen Westen ihren altgewohnten Lagerplätzen zu und die langen Schatten der Waldriesen fielen, über Feld und Hofraum hinüber, bis weit in den blinkenden Strom.
Tcha-to-ga's Hütte lag ziemlich still und fast wie verlassen, nur weit hinten im Feld arbeiteten die Neger mit einigen indianischen Squaws, und dicht neben dem Haus flogen, in ziemlich regelmäßigen Zwischenräumen, Schaufeln voll Erde aus einem frisch gegrabenen Loche heraus und verriethen den Platz, wo der Häupling, nach Art der Weißen, einen Keller graben ließ, um über diesem später noch einen kleinen Nachbar-Wigwam zu bauen. Dicht vor der Thür des Hauses waren zwei Negermädchen mit der Zubereitung einer großen aufgespannten Büffelhaut beschäftigt, an der sie die Fleischseite mit scharfen Steinen abrieben, um sie dem Gerbestoff leichter zugänglich zu machen, und ein alter Neger zog eben, mit Anstrengung aller seiner Kräfte, ein leichtes Canoe aus dem Strome herauf an die höhere Uferbank, weil ein Dampfboot – dasselbe, was einige Zeit bei Redtown gelegen – gerade auf diese Seite des Ufers zukam und den kleinen Kahn leicht mit seinen Ruderschaufeln zerdrücken, oder wenigstens füllen und sinken machen konnte.
»Große Golly,« sagte der greise Afrikaner, als er von seiner Arbeit ausruhte und sich den Schweiß von der Stirne wischte, »piff – piff – piff – piff – piff – hui – wie geschwind großes Canoe stromab kommt, und – law de Mercy – wie dicht am Ufer hier – kann doch kein Holz haben wollen, hat rechts und links noch ganze Menge. – Buckra schlauer Kopf – kommt Geld zu verdienen zu Guinea und Indian – bis weit hier in Wildniß ein und bringt guten Whiskey und Pfannkuchenmehl – großer Mann Buckra – Gäbe was d'rum, wenn Sip sein Krug aus Küche hätte, ohne daß Missus was 'von merkt –«
Der Neger sah sich mit komischer Verzweiflung nach dem Haus um; denn er ließ nur höchst ungern eine so gute Gelegenheit vorüber gehen, ohne seinen sorgfältig versteckten Krug mit Whiskey zu füllen. Das Verbot seines Meisters lautet nämlich auf das Bestimmteste, auch keinen Tropfen des »giftigen Feuerwassers« im Hause zu dulden; das Boot näherte sich aber zu reißend schnell, und schon winkte ihm, während der Fox im Fluß mit dem Bug herumkam, um gegen die Strömung anzulanden, der vorn an der Larbordseite stehende Matrose zu, das Tau, was er zum Wurf bereit in der Hand trug, sobald es das Ufer berühre, zu erfassen, und dort um Stamm oder Wurzel zu schlagen und fest zu machen.
Vorn auf dem Boot, und zwar auf dem unteren Deck, standen der Capitain, der Mate, der Ingenieur und die vier Deckhands – die letzteren mit der Planke zwischen sich, die sie in dem nämlichen Augenblick an's Ufer hinauswerfen wollten, wo das Boot in erreichbare Nähe kam.
»Capitain,« rief jetzt der Lootse aus seinem kleinen Pilotenhaus herunter – »das ist doch ein Reiter, den wir hinter den Büschen am Ufer sahen.«
»Aus der Stadt schon?« rief dieser rasch zurück – »das ist nicht möglich – der Fluß macht hier den Bogen, da müßte er Flügel gehabt haben.«
»Nein, er reitet ganz langsam,« lautete die Antwort, »es scheint auch kein Indianer und trägt selbst keine Büchse.«
»Desto besser für ihn,« lachte Burkner – »sonst die Küste klar? wie weit sind die Reiter zurück?«
»Hahaha,« lachte der Lootse, sich nach der Stadt zu umdrehend, »wenn sie ihre Pferde todt rennen, können sie vielleicht gerade zur rechten Zeit kommen, uns sicher vor Anker und in der Mitte des Stromes liegen zu sehen – hui – wie der Alte sprudeln wird! – Sonst seh ich weiter Niemanden auf der Straße, wie hier vor'm Haus ein paar Frauen und einen alten Neger – da hinten im Feld scheinen die Arbeiter alle zu sein.«
»Gut denn – – an's Werk – steh bei dem Tau, Alter!« rief Burkner jetzt dem Afrikaner zu, dem, er wußte selbst nicht warum, das ganze Betragen des nahenden Bootes so wunderlich vorkam. Mechanisch aber und an Gehorsam gewöhnt, rief er sein »Ay, ay, Sir!« erfaßte mit dem linken Arm einen schlanken, stattlichen Baumwollenholzbaum, daß er mit dem schweren Tau und auf dem abschüssigen Boden nicht etwa ausglitt, fing dieses, als es ihm zugeworfen wurde, und schlang es im nächsten Moment rasch und geschickt um den Stamm. Zu gleicher Zeit schoß das Boot in dem hier tiefen Wasser dicht an die Uferbank an, die Planke wurde ausgeschoben und hinüber strömten, mit dem Capitain an der Spitze, die Männer, ihren schändlichen nichtswürdigen Raub auszuführen. Der eine Lootse aber blieb indessen oben auf dem Hurricanedeck stehen, um bei nahender Gefahr das Zeichen zu geben und die Dampfbootleute zu warnen.
Die Mannschaft hatte sich auch mit rücksichtsloser Lust dem Unternehmen hingegeben, und würde vielleicht mit eben der Bereitwilligkeit sich erboten haben, die Wohnung des indianischen Farmers zu plündern und in Brand zu stecken, wenn es der Capitain gerade verlangt hätte; es war ja nur ein Indianer, und durften die Weißen es leiden, daß diese heidnischen Rothhäute in keckem Uebermuth sich gegen ihre Obergewalt auflehnten? nein, wahrlich nicht, und der Plan, wie er ihnen von ihrem Capitain auf der raschen Fahrt bis hier herunter mitgetheilt worden, war ihrer Ansicht nach vortrefflich, den kecken unerträglichen Stolz der Rothhäute in etwas zu demüthigen. Es hätte kaum der Dollars bedurft, die jedem der Mannschaft nach glücklichem Gelingen versprochen worden, sie zu solchem Eifer anzuspornen.
Kein wilderes, trotzigeres und roheres Volk giebt es überhaupt in der weiten Welt, wie diese Bootsleute der westlichen Ströme, mögen sie nun zu Dampf-, Kiel-, Flatbooten oder Flößen gehören – die Hefe sämmtlicher Staaten ist in ihnen concentrirt, und ein ruhiges Geschäft verschmähend, treiben sie sich, heute verspielend und vertrinkend, was sie gestern mit saurem Schweiß verdient, Monate lang auf dem Strom herum, und jede Gelegenheit ist ihnen willkommen, die in Kampf oder rauher That irgend eine Abwechselung in das monotone Flußleben bringt. Nicht ein böses, sondern ein total vernachlässigtes Herz trägt dabei öfters die Schuld ihres wüsten Treibens, und an keine gute Macht glaubend, keine böse fürchtend, werfen sie sich mit toller Todesverachtung jeder Gefahr keck und rücksichtslos entgegen.
Ein solcher Menschenschlag war es, der jetzt, von dem gewissenlosen Capitain geführt, ans Land sprang, um sich, wie sie lachend meinten, »ihr Recht zu holen;« rohe Späße ertönten dabei von den durch Tabackssaft vergilbten Lippen, und flüchtigen Laufs flogen sie, mit keinen anderen Waffen als ihren Messern im Gürtel, die Uferbank hinauf, an dem Neger vorbei, dem Hause zu.
»God allmighty!« schrie der alte Afrikaner entsetzt, als er die wilde Schaar in solcher Art, und sicherlich in keiner guten Absicht an den Holzstößen vorbei nach der Thüre zu rennen sah, »was giebt's – wo brennt's?«
Die Negermädchen, die vor dem Hause arbeiteten, warfen erschreckt ihre Steine nieder und flohen der Thüre zu, und aus der frisch begonnenen Erdgrube tauchte ein rother Kopf und ein noch viel rötheres Gesicht darunter auf, das dem fröhlichen irischen Kellergräber Mc. Karthy gehörte.
»Hallo, meine Jungen – macht rasch, daß sie Euch nicht die Thür vor der Nase zuwerfen!« schrie der Capitain, dessen dürre Gliedmaßen ihn nicht so schnell vorwärts trugen, als er es wohl wünschen mochte – »Die Pest über die Wettermädchen!«
Und er hatte Ursache, zu schimpfen – wie Gazellen huschten die leichten Dinger über die Erde hin, und wenn sie auch nicht begriffen, was sie, mitten im Frieden, von weißen Männern zu fürchten brauchten, hatten die Dampfbootleute doch auch wieder einen viel zu bösen Ruf an allen Flußufern, um ihr Nahen ruhig abzuwarten, wenn sie besonders auf solch außergewöhnliche Art das Land betraten. Gerade vor dem Mate fiel auch die ziemlich starke Thür zu, und die inwendig rasch vorgeschobenen Riegel standen dem ersten Anprall des starken Mannes vortrefflich.
Kaum aber dröhnte dies erste Zeichen von Gewalt in den innern Raum, als auch von da aus der gellende Hülferuf geängstigter Frauenstimmen hervorschallte; der Ire sprang in demselben Moment aus seinem begonnenen Keller, und der Reiter der nur noch wenige hundert Schritt vom Hause entfernt, die dicht am Strom hinführende Straße herabkam, zügelte, erstaunt den Tönen horchend, sein Pferd ein.
»Hallo!« rief da der Lootse vom Deck herunter, »macht rasch – da oben kommen, beim Teufel, schon die rothen Hunde angesprengt – Donnerwetter, müssen die geritten sein!«
»Auf mit der Thür – auf, meine Burschen!« schrie ermunternd der Capitain – »Dem noch einen Dollar besonders, der zuerst in der Hütte ist!«
Der zweite Ingenieur – der erste stand an der Maschine auf seinem Posten – war links um das Gebäude gesprungen, und der Capitain selber wandte sich jetzt rechts, um jede mögliche Flucht der im Inneren Befindlichen aus einer, vielleicht hinten angebrachten Thür abzuschneiden. Der Mate warf sich aber mit kräftigem Fluch und noch viel kräftigerem Anprall, so tüchtig von den Seinen dabei unterstützt, gegen die hölzerne Thür, daß er die obere Angel aus ihrem Haspen riß und mit der ersten, polternd über sie weg zu Boden stürzte.
Ein zweiter gellender Hülfeschrei, von den Negressen ausgestoßen, folgte diesem Einbruch; der Mate, der augenblicklich wieder auf die Füße sprang, wußte jedoch viel zu gut, wie werthvoll seine Zeit sei, und kaum hatte ihn ein flüchtig umhergeworfener Blick belehrt, wo er das Mädchen, um das sie gelandet, zu suchen habe, als er sich mit lautem Triumph auf seine Beute warf.
A-na-las-ka, das arme zitternde Kind, war bei dem ersten Lärm der Mägde erschreckt zusammengezuckt, und der Gedanke, der sich ihr unwillkürlich von dem früheren, ja kaum verlassenen Leben der Wildniß aufdrängte, mußte natürlich der sein, daß ihre Wohnung von einem feindlichen Stamm überfallen wäre. Bebend und entsetzt fuhr sie von dem weichen, mit Büffelhaut überdeckten Lager, auf dem sie geruht, empor, und fast unwillkürlich entfloh der Name des Vaters ihren Lippen, als sie erstaunt weiße Männer, mit denen sie in Friede und Eintracht lebten, so wild und feindlich in ihre stille Heimat einbrechen sah.
»Was wollt Ihr?« rief sie und trat bis an das entfernteste Ende des Wigwams zurück, wo die Waffen ihres Vaters an einem dort fest in den Boden gestoßenen Pfosten hingen – »wen sucht Ihr?« und fast unwillkürlich griff die Hand nach der nächsten, mit scharfen Feuersteinen bewehrten Kriegskeule, die tief unter dem weißen mit Scalpen geschmückten Büffelschilde hing.
»Dich mein Täubchen,« rief ihr aber der Mate lachend entgegen – »sträube Dich nicht, mein Kind, Du bist unser.«
»Zurück!« schrie die Jungfrau, und die rasch gehobene Keule fuhr mit gut gemeintem Ziel nach dem Haupte des Räubers nieder. Der Arm aber, der die gewichtige Waffe führen wollte, war zu schwach – der gewandte und kräftige Bootsmann unterlief ihn leicht, und ehe die Waffe ihn treffen konnte, hatte er die sich machtlos in seinen Armen Sträubende erfaßt, emporgehoben und floh raschen Laufs mit seiner leichten Last, und von den übrigen Leuten gefolgt, dem Ausgang wieder zu.
»Bei Jäsus!« rief aber da der in seinen Weg springende Ire, der, rücksichtslos um all die drohenden, ihn umgebenden Gestalten, auf den Mate zusprang und diesen mit der einen Hand ergriff, während er ihm mit der anderen das Mädchen zu entreißen suchte – »Arrah, mein Schatz, was für ein Spalpeen Ihr sein müßt, gleich so mit der Thür ins Haus zu fallen, wenn Ihr mit der Tochter was zu sprechen habt!«
»Zurück da, Pat!« schrie ihn aber der Mate mit wildem Zorne an – »zurück da, oder –«
»Oder? mein Herz,« rief der unerschrockene Ire und stieß mit der Faust, ehe nur einer der Uebrigen es verwehren konnte, dem Mate so kunst- und boxergerecht zwischen die beiden Augen hinein, daß dieser halb betäubt zurücktaumelte und das Mädchen den Händen des Sohnes der »grünen Insel« überlassen mußte; der arme Teufel feierte diesen Triumph aber nur ungemein kurze Zeit. Fünf oder sechs kräftige Fäuste trafen in gleichem Augenblick seinen Schädel, daß er bewußtlos zusammenknickte, und zwei der Männer faßten schon im nächsten Moment die Jungfrau, während die Anderen den Mate unterstützten und zum Ufer schleppten.
»Macht fort – die Pest über das Zögern!« mahnte der Lootse vom Deck aus, und seine Klingel gab dem Ingenieur schon das Zeichen bereit zu sein – »bei Gott, Ihr werdet sonst abgeschnitten!«
»An Bord, an Bord!« trieb auch der Capitain, der jetzt hinter der Hütte vor der nahen Fenz zueilte, die er vorher überklettert hatte; denn hinten vom Felde her sah er die Arbeiter herbeistürmen, und auf der hart getretenen Straße hörte er das rasend schnelle Stampfen der heransprengenden Reiter – »hurrah, meine Jungen, an Bord!«
Er sprang von der obersten Stange herunter, über einen dort quervorliegenden, zum Feuerholz bestimmten Stamm weg, blieb im nächsten Moment mit dem Fuß an dem regungslos da ausgestreckten Körper des Iren hängen und stürzte, sich das Gesicht im Sand blutig scheuernd, zu Boden. Mit Blitzesschnelle aber, und die Gefahr recht wohl begreifend, in der er sich befand, raffte er sich wieder empor und sah eben, wie das arme zum Tod entsetzte Kind des Häuptlings von seinen Helfershelfern, die sich alle so rasch als möglich in ihr Fahrzeug drängten, an Bord geschleppt wurde.
»Halt – halt!« hörte er eine Stimme dicht hinter sich, aber er war der Letzte, nicht einmal umsehen konnte er sich mehr, wer ihn anrufe, und mit einem Triumphschrei flog er die Uferbank hinab, um die Planke zu erreichen, die zwanzig Hände in peinlicher Erwartung hielten, auf daß sie, sobald der Letzte nur an Bord gezogen sei, rasch hineingerissen werden konnte. Schon bewegte sich das Dampfboot langsam vom Ufer ab, und die Räder schlugen langsam und wie ungeduldig auf die unter ihnen vorbeischäumende Fluth.
Fast berührte sein Fuß das rettende Bret, da hörte er dicht hinter sich ein Prasseln und Brechen – scheu und unwillkürlich wandte er den Kopf, und – grad' neben ihm nieder – durch die Weiden und Sycamorenschößlinge, die gerade dort das Ufer umgürteten, mit tollkühnem, wildem Sprung, flog ein braunes prachtvolles Roß mit todesmuthigem Reiter die wohl sechzehn Fuß hohe Bank nieder auf den harten Kies der Landung. Das Roß brach auch zusammen unter dem ungeheuren Gewicht des Sturzes, der Reiter aber ergriff, ehe der entsetzt zurückprallende Amerikaner seinem Arm entgehen konnte, den laut Aufschreienden und riß ihn zu sich hin.
»Hülfe! – Hülfe!« stöhnte Capitain Burkner – und suchte dem rächenden Arm sich zu entwinden– wenige Schritte noch und er war gerettet – und hier – »Hülfe!« kreischte er – »um Gottes Willen, Hülfe!«
»Alle Wetter!« schrie da der Steward, der kaum zwei Secunden vorher die Planke erreicht hatte, und sich nun wieder wandte, seinem Capitain beizuspringen – des Kochs Arm hielt ihn aber zurück, und in dem nämlichen Moment glitt auch das andere Ende der Planke von der Kiesbank ab in's Wasser, das Boot bewegte sich vom Ufer ab, und Hülfe war von diesem aus nicht mehr möglich; denn jetzt donnerten auch schon oben auf der Uferbank die Hufe der verfolgenden indianischen Poneys heran, und die wilden Reiter warfen sich mit ihren Waffen in den Händen aus den Sätteln.
»Teufel!« schrie da der Capitain und riß ein bis dahin verborgen gehaltenes Bowiemesser aus seiner Weste vor – »so nimm denn das!« und mit kräftigem von Verzweiflung gestähltem Arm führte er einen grimmen Streich nach dem wehrlosen, aber nichtsdestoweniger hartnäckigen Gegner; glücklicher Weise hielt die Fellmütze diesen in etwas ab, doch der schwere Stahl glitt nieder, streifte aber nur den Arm.
»Raum hier!« rief da die Stimme des einen Ingenieurs vom Boot aus – »meine Kugel soll den Schuft da drüben bald loslassen machen – springt in's Wasser, Capitain!«
»Euer Körper deckt mich!« zischte der Fremde in des entsetzten Capitains Ohr, während er dessen Arme so fest umschlang, daß er keinen Streich weiter mit dem Messer führen konnte. »Die Kugel findet erst durch Euch zu mir die Bahn!«
»Schießt nicht!« rief der Erschreckte in Todesfurcht.
Ein wilder gellender Schrei, der dem zitternden Verbrecher das Blut in den Adern stocken machte, erdröhnte in diesem Augenblick dicht über ihm von der Uferbank aus, und ehe nur irgend Jemand an Bord des Fox einen festen Entschluß fassen konnte, umgaben zehn oder zwölf wilde kriegerische Gestalten den gefangenen Capitain, während wohl noch zwanzig Andere, die Büchsen auf den Schultern, die Kriegskeulen am Handgelenk, und die schäumenden Ponneys zu immer tollerer Eile anspornend, heranstürmten. An Widerstand war gar nicht mehr zu denken; der todtenbleiche Capitain sah sich in fast wunderbarer Schnelle gebunden und von der geschäftigen Schaar rasch auf die Uferbank gehoben, und hier erst fand er sich Antlitz zu Antlitz mit dem wie rasend aus seinem Wigwam stürzenden Vater der Geraubten.
»Mein Kind – mein Kind – wo ist A-na-las-ka – die schwankende Birke des Arkansas – A-na-las-ka! – Ha – bleichhäutiger Hund – das Dein Werk – Wo ist mein Kind?«
Und in der Rechten die Keule schwingend, fuhr seine Linke dem Elenden mit solcher Kraft nach der Kehle, daß sein Antlitz in wenigen Secunden eine fast dunklere Farbe annahm, als die Hand trug, die ihn umspannt hielt. Nicht ein Wort vermochte er, ob es sein Leben galt, über die Lippen zu bringen, und der nächste Moment hätte vielleicht sein Schicksal entschieden. Da war es der Fremde, der sein Leben rettete, und zwar eben derselbe Mann, der an dem nämlichen Nachmittag den Häuptlingen in Redtown den Rath gegeben hatte, die aufgedrungenen Whiskeyfässer zu zerstören.
»Halt, Tcha-to-ga!« rief der aus und hemmte mit emporgehobenem Arm die drohende Waffe – »Dein Kind ist auf jenem Boot – tödte diesen Mann und es ist für Dich verloren, – nur durch seine Freigabe kannst Du es rasch wieder in Deine Arme ziehen!«
»Führt mich an die Uferbank,« flehte mit zitternder Stimme der Elende, während er neue Hoffnung für das schon fast aufgegebene Leben schöpfte – »laßt mich frei, und in wenigen Minuten ist Eure Tochter hier am Lande.«
»Und geschieht das nicht,« zischte in kaum bezähmbarer Wuth der Indianer, »dann wird Tcha-to-ga des weißen Hundes Fleisch zerhacken, daß sich die Aasgeier mit Ekel von ihm wenden sollen – ugh! Tcha-to-ga ist ein Mann!«
Er ergriff den, nicht den mindesten Widerstand leistenden Weißen im Nacken und schleppte ihn bis dicht an die steile Uferbank; der Fremde aber, dessen kühner Sprung und rasche Entschlossenheit die Geisel gesichert hatte, schwenkte sein Tuch, nach dem, jetzt wohl an dreihundert Schritt von der Strömung hinabgeführten Boote zu.
»Pest, Gift, Tod und Bowiemesser!« rief ingrimmig mit dem Fuß stampfend, der Mate, der sich indeß von dem durch den Iren empfangenen Schlag erholt hatte, und vorn, nach dem Ufer hinüberschauend, auf dem Boot stand – »bei Gott erwischt, und der ganze schöne Spaß verdorben, des weißen Schuftes wegen – ob das nicht zum Verrücktwerden ist.«
»Sie winken mit dem Tuch herüber,« sagte einer der Feuerleute, der auf den seitwegs neben den Kesseln liegenden Holzhaufen geklettert war.
»Der Lump ist's, der mit dem Pferd von der Bank heruntersprang,« rief der eine Ingenieur – »daß er den Hals gebrochen hätte – die Canaille hielt sich auch so dicht hinter Burkner, daß ich keine Handbreit Raum für meine Kugel finden konnte.«
»Hallo da unten!« rief der Lootse vom Deck nieder, »wie wird's nun? – den Capitain haben sie weiß Gott beim Schopf gekriegt – ohne den dürfen wir doch nicht abfahren!«
»Give her a turn a head!«[10] lautete die lakonische Antwort des Mate – und vor sich hin murmelte er, »wenn sie ihm doch gleich eins über den Kopf gegeben hätten, dem hirnlosen Holzkopf – sich auf solche Art übertölpeln zu lassen.«
[10]: Laßt das Boot ein Bischen vorgehen.
Wenige Minuten später kämpfte das Boot wieder gegen die Strömung an und hielt, nur noch langsam die Räder gebrauchend, gerade der Stelle gegenüber, wo die Indianer, mit dem Gefangenen in ihrer Mitte, standen.
»Hallo, das Boot!« rief der Fremde.
»Hallo, das Ufer!« lautete die trotzige Antwort zurück; – hinter den Bäumen am Land, und an der ganzen einen Seite des Fox lagen die Büchsenschützen gedeckt und im Anschlag, um einen irgend versuchten Angriff leicht abwehren zu können.
»Setzt Eure Yolle aus und schickt die Indianerin an's Land,« sagte der Fremde, aber seine Stimme drang nicht bis zum Bord des Fox hinüber.
»Was giebt's?« frug der Mate zurück.
»A-na-las-ka, die schwankende Birke, sendet herüber!« schrie da Tcha-to-ga, mit vor innerer Aufregung fast erstickter Stimme – »zögert und Euer Häuptling stirbt jede Handbreit den entsetzlichsten Tod.«
»Setzt das Boot aus, guter Tom,« bat in fieberhafter Angst auch jetzt der Gefangene, »macht rasch – macht um aller Heiligen Willen rasch, ich bitte Euch – ich befehle es Euch!«
»Feige Memme,« knurrte der alte Matrose leise vor sich hin, »hallo da, Jim, Ben, Virginny,« setzte er dann leise hinzu, »rasch in die Yolle, und Ihr da, Ned und Dick, holt die Dirne wieder herunter. Aber – es ist doch ein ehrlicher Tausch,« rief er dann noch einmal vorsichtig nach den am Ufer Stehenden hinüber – »die Dirne gegen den Capitain!«
Der Fremde winkte mit dem Tuch, zum Zeichen der Einwilligung.
»Ich hört' es lieber erst von der Rothhaut selber,« brummte der Mate – »wie ist's, Gentlemen, Ihr gebt den Capitain da frei, wenn Ihr die Dirne habt? – bei Gott, betritt er nicht in demselben Augenblick die Yolle, wo die Squaw heraussteigt, so fliegt ihr diese Kugel nach, und Ben Martin verfehlt verdammt selten sein Ziel.«
»Der bleiche Schuft mag gehen!« rief der Häuptling, sich stolz emporrichtend – »und hat er seinen Scalp lieb, so zeigt er sein blasses Antlitz nie wieder in Tcha-to-gas Jagdgrund.«
Es wurden keine Worte weiter gewechselt; denn das kleine Boot stieß in diesem Augenblick vom Dampfer ab, und in seinem Spiegel kauerte die zitternde, regungslose Gestalt der Jungfrau, die dunklen großen Augen fest und thränenleer auf das Ufer gerichtet. Obgleich sie die Ursache des Fürchterlichen gar nicht begriff, was mit ihr vorgegangen, hatte sie doch, als sie sich an Bord unter den rauhen Männern fand, kaum noch mehr auf Rettung gehofft, und jetzt, jetzt, wo sie am Ufer die Gestalt des theueren Vaters erkannte, die befreundeten Männer sah, die ihn umstanden, und den freudigen Zuruf hörte, der sie begrüßte, da hielt sie die Hände fest auf das pochende Herz gepreßt und fürchtete fast, daß diese ihr wie übernatürlich erscheinende Rettung nur ein süßer Traum sei, der ihr beim Erwachen zerrinnen und sie wieder elend, unendlich elend machen müßte.
Kaum berührte das Boot den Kies, als die Jungfrau auch mit einem Freudenschrei an's Ufer und in die Arme ihres Vaters flog – die Indianer, nie dem Feinde das gegebene Wort brechend, lösten die Bande des Weißen, und der Elende glitt in scheuer furchtsamer Hast die steile Bank hinab in den Kahn – wenige Secunden und das Boot schoß, durch die elastischen Ruder reißend schnell vorwärts getrieben, wie ein Pfeil durch die Fluth, dem Dampfer zu – die Männer kletterten dort an Bord – der Bug des Fox wandte sich dem andern Ufer zu, dann stromab, und schnitt nun, unter dem höhnenden Jubelgeschrei der Indianer und ohne weitere Feindseligkeit gegen die dunkelen Gestalten am Ufer, den Arkansas hinunter.
Wer hat wohl nicht schon von dem hoch in die Cordilleren hineingebauten Quito, der Haupt- und Residenzstadt Ecuadors gehört, wie dort ein »ewiger Frühling herrsche und eine wahrhaft paradiesische Scenerie das Auge des Beschauers entzücke.«
Derlei Berichte mögen nun wohl oft übertrieben sein, denn Quito liegt weit ab von allen Verkehrswegen, und man hat einen langen, mühseligen Ritt von der Küste aus, um es zu erreichen, so daß es verhältnißmäßig nur selten von Fremden besucht wird. Aber nichtsdestoweniger lohnt es doch alle die Mühe, die man darauf verwendet, denn es bietet allerdings manches wunderbar Schöne, und außerdem haben wir Europäer noch alle Ursache, uns für die Nachbarschaft zu interessiren, denn gerade aus den Seitenthälern Quito's erhielten wir die Kartoffel, die noch jetzt dort im wilden Zustande, aber dann mit viel kleineren Knollen, vorkommt, außerdem aber auch in allen kälter oder höher gelegenen Distrikten Ecuadors auf das Fleißigste cultivirt wird.
Die Stadt liegt etwa 9500 Fuß (nach Anderen 8800 Fuß) über der Meeresfläche und fast unmittelbar unter der Linie oder dem Aequator, nur etwa 2½ deutsche Meilen südlich, aber gerade durch ihre Höhe nicht in einem tropischen, sondern vollkommen gemäßigten Clima. Die dort gezogenen Produkte gehören ganz der gemäßigten Zone an, und in den Gärten kommt jede deutsche Blume fort, ja ganze Beeteinfassungen von unsern lieben Kornblumen und Vergißmeinnicht sah ich dort, freilich aber auch daneben fremdartige Lilienpflanzen mit weißen phantastischen Blüthen, und andere, dieser Gegend eigenthümliche Gewächse. In den benachbarten Thälern gedeiht dabei die Kartoffel, Gerste, Hafer, Waizen, Kohl, Rübe und Hülsenfrucht genau so trefflich, wie bei uns, und ist mit der billigen Arbeitskraft zahlreicher indianischer Stämme noch bedeutend wohlfeiler herzustellen, als in Deutschland.
Steigt man aber dagegen nur einige tausend Fuß hinab, so wachsen dort schon Ananas und Bananen, Zuckerrohr und andere tropische Früchte, und der Markt von Quito bietet die wunderlichste Mischung aller Produkte der Erde, die man sich nur denken kann. Doch davon nachher; zuerst wollen wir uns die Stadt selber einmal ansehen.
Quito liegt trotz seiner Höhe in einem von mächtigen Gebirgen und zwei Cordillerenzügen eingeschlossenen Thale und in der fast unmittelbaren Nähe eines jener mit ewigem Schnee bedeckten Bergriesen, dem aus Porphyr und Basalt-Massen aufgebauten und mit Lava überschütteten Pichincha, dem selbst die Sonne des Aequators nicht die weiße kalte Decke rauben kann.
Wirft man, vom Süden kommend, einen Blick auf Quito, so bietet die Stadt mit ihren niederen, ineinander gedrängten Häusermassen und rothbraunen Ziegeln, aus denen nur eine Unzahl von Kirchen und kurzen Thürmen oder Kuppeln hervorragt, einen ganz eigenthümlichen, aber freundlichen Anblick, und besonders trägt der links im Hintergrunde aufsteigende spitze Kegel des oben erwähnten Vulkans viel dazu bei, das Bild zu heben. Der Pichincha gereicht der Stadt aber nicht allein zur Zierde, sondern auch zum Nutzen, denn erstens wird von ihm auf Maulthieren, Llamas und Eseln Schnee und Eis zum Verbrauch herabgeschafft, und dann hat auch die Stadt eines seiner wilden Bergwasser aufgefangen und durch die verschiedenen Straßen solcher Art geleitet, daß es in gewöhnlicher Zeit nur die Rinnen füllt, wenn aber eine Schleuse geöffnet wird, eine wahre Sturzfluth hindurchsendet und den Ort dann gründlich reinigt. Demnach müßte man also denken, daß Quito jedenfalls die reinlichste und reingehaltenste Stadt der Welt wäre; trotzdem giebt es freilich kein schmutzigeres Nest auf dem ganzen Erdboden, als eben diese Stadt.
Die vornehme Welt von Quito lebt allerdings abgeschlossen für sich selbst und hält sich in dem Inneren ihrer, mit europäischem Luxus ausgestatteten reinlichen Gebäude so viel als irgend möglich von ihrer Umgebung abgeschlossen; das eigentliche Volk aber lebt wirklich schlimmer als das Vieh, und von der Unreinlichkeit desselben – die man nicht einmal wagen darf zu beschreiben – kann man sich keinen Begriff machen, wenn man sie nicht selbst gesehen und darunter gelitten hat.
Die Wohnungen der Arbeiter und Handwerker gleichen Höhlen, in die man sich fürchtet nur den Fuß zu setzen, und Alles, wohin man sieht, wimmelt so von Ungeziefer, daß ich es selbst in frischgewaschenem Leinen zugeschickt bekam. Zu den Alltäglichkeiten, auf die Niemand mehr achtet, – ja nicht einmal nur bei der ärmeren, sondern auch oft der besseren Klasse – gehört es dabei, das Ungeziefer von den Köpfen ihrer Mitmenschen zu verzehren, und dem Europäer dreht sich, wenn er zuerst die Stadt betritt und Zeuge solcher Scheußlichkeiten ist, Herz und Magen um.
Auch die Wasser eines Pichincha selber vermögen nicht diese Stadt rein zu halten. Für den Augenblick ja, aber kaum lassen sie nach zu fließen, so sind die Straßen schon wieder mit Unrath gefüllt. Ja während sie selbst allen nur erdenklichen Schmutz zusammenschwemmen, kommen die Bewohner mit ihren Kochgeschirren aus den Häusern, um sie darin auszuspülen.
Die Stadt selber ist natürlich im altspanischen Styl erbaut, mit niederen, meist einstockigen Häusern, schon der häufigen Erdbeben wegen, und die Pfosten der Gebäude werden auch mit den darüber gelegten Balken noch besonders mit starken Bastseilen (einem Handelsartikel der Indianer) fest zusammengeschnürt, um bei einem etwaigen Schwanken des Gebäudes nicht so leicht nachzugeben. Auf Schönheit – ihre äußere Lage abgerechnet – macht sie aber wohl kaum einen Anspruch, und selbst die Plaza oder der große Markt, an dem die Kathedrale und der Palast des Bischofs liegt, zeichnet sich durch nichts weniger als besondere Architektur aus.
Nichtsdestoweniger ist dieser Platz für den Ausländer der interessanteste Theil der Stadt, denn hier sammeln sich täglich die bunten Nationalitäten des Landes, und der ganze lebendige Verkehr Quito's findet da seinen Mittelpunkt.
Schon mit dem frühesten Morgen treffen die verschiedenen Arrieros oder Maulthiertreiber ein, die Produkte in die Stadt schaffen – ganze Züge langen da an, die nichts als Orangen aus dem tiefergelegenen Lande bringen, andere mit Anis, mit Zucker, mit Branntwein. Da aber kein Fuhrwerk im Stande ist, die stets vom Regen ausgewaschenen entsetzlichen Straßen zu befahren, so wird das Alles nur auf den Rücken von Lastthieren herbeigeschafft.
»Lastthier« scheint aber hier ein außerordentlich elastischer Begriff; denn Lastthier heißt eigentlich Alles, was auf vier Beinen geht und getrieben werden kann – Schweine und Schafe vielleicht ausgenommen.
Vor allen Dingen fällt dem Fremden das Llama auf, das meistens von Indianern oder auch Indianerinnen in kleinen Trupps zu Markt getrieben wird und geringe Lasten (man sagt, daß es sich weigert, über achtzig Pfund zu nehmen) in die Stadt bringt. Es trägt kleine Zeugsäcke mit Anis oder Mais – auch wohl Futter für den Bedarf, und wirft den schönen langen Hals, wenn es in das ungewohnte Getreibe der Menschen kommt, scheu und unwirsch nach allen Seiten hinüber. Folgsam aber gehorcht es dem leisesten Rufe des Treibers, und die ihm zur Seite gehende Indianerin behält deßhalb auch vollständig Zeit, sich mit ihrer Spindel zu befassen.
Die Frauen der Indianer sind überhaupt die geplagtesten Wesen der Erde, die recht gut ebenfalls mit zu den Lastthieren Ecuadors gezählt werden dürfen, denn selten oder nie sieht man sie ohne eine Bürde, und meistens noch immer mit einem Kind als Zugabe. Ja ich bin ihnen draußen in der Straße begegnet, wo sie eine schwere Ladung Feuerholz, das sie zum Verkauf in die Stadt trugen, auf dem Rücken hatten, den Esel mit gleichem Stoff beladen vor sich her trieben, in einem um den Nacken geschlagenen Tuch den Säugling schleppten, und zugleich, da ihnen dadurch die Hände frei blieben, mit Rocken und Spindel arbeiteten. Also vierfach beschäftigt legen sie lange, mühsame Tagereisen zurück, und ihre ganze Nahrung ist indessen eine Handvoll trockener Puff- oder Saubohnen, ein paar Kartoffeln, oder ein Pfund gerösteter Mais, und wenn es hoch kommt, vielleicht einmal ein Schluck Maistschitscha unterwegs – doch gilt selbst dies entsetzliche Getränk, das aus gekautem und gegohrenem Mais besteht, schon als ein Extragenuß für diese armen geknechteten Wesen. Nur wenn sich ihr Herr und Gatte mit dem durch sie verdienten kargen Lohn in solcher Tschitscha um sein Bischen Verstand trinkt, wird auch ihnen manchmal gestattet, an dem Gelage Theil zu nehmen, damit sie später auf den vollständig Betrunkenen Acht geben können.
Das Llama selber ist ein allerliebstes, fast rehartiges Thier mit langem Hals und seidenweicher Wolle. Es wird allerdings vollständig zahm, behält aber trotzdem noch immer etwas Scheues, Wildartiges, und läßt sich besonders nicht gern von einem Fremden berühren oder streicheln. Dabei gehört es keineswegs den Tropen an, sondern weit eher einer kälteren Zone, wie ja auch schon sein warmer Pelz beweist, und deßhalb sind diese Thiere, die sich draußen von dem spärlichsten Futter nähren und fast gar keine Pflege verlangen, ein solcher Segen für die Bewohner der hohen Anden. In Cerro de Pasco z. B., jener höchstgelegenen Stadt der Welt, mit ihren reichen Silberminen, die aber schon so hoch in die peruanische Schneeregion hineingebaut ist, daß dort kein Grashalm über Tag emporschießt, der nicht das ganze Jahr hindurch, Nachts erfriert oder einschneit, tragen sie Futter für die übrigen Lastthiere aus den niederer gelegenen und warmen Thälern hinauf, und man begegnet da oft Trupps von zwei- bis dreihundert Stück.
Das Llama hat dabei, wie die meisten gezähmten Thiere, keine bestimmte Farbe, sondern man findet sie von fast jeder Schattirung, braun erstlich, wie das wilde Guanako im Süden (ein ganz ähnliches, aber noch nicht gezähmtes Thier), schwarz, weiß, gelb, vollständig getigert – nur nicht gestreift, und es giebt nichts Bunteres auf der Welt, als eine Heerde dieser hübschen Thiere. Ganz reizend sehen die kleinen jungen Llamas aus, mit ihrer seideweichen, dichten Wolle und dem prächtigen kleinen, dicken, gutmüthigen Gesicht, das aber doch schon den klugen, scheuen Ausdruck des Wildes trägt.
Allerdings werden diese Thiere, besonders in Peru, oft in die heiße Niederung und an das trockene Küstenland getrieben, um Produkte dorthin zu schaffen und Waaren dafür mit zurückzunehmen. Aber man läßt sie nie lange dort, denn jenes Clima sagt ihnen nicht zu und sie gedeihen nur in den kalten Höhen der Berge. Dort suchen sie sich auch genügsamer Weise das Futter an den feuchtesten, ja sumpfigsten Stellen, wo selbst kein Schaf weiden mag und kann. Das Llama aber mit seinen breiten Schalen sinkt nicht so leicht ein und ist dabei, weil es keine weiten Züge unternimmt, immer wieder leicht aufzufinden, wenn man seiner bedarf.
Der Ecuadorianer benutzt aber, wie schon gesagt, Alles fast zu Lastthieren, was laufen kann, indianische Frauen voran, dann Pferde, Esel, Maulthiere, ja selbst Ochsen, die man oft mit schweren Päcken beladen in die Berge steigen sieht. Das Llama ist aber vorzugsweise der ärmeren Klasse nützlich, da es die wenigste Unterhaltung und Pflege kostet. Ein Llama kann sich fast Jeder anschaffen und der Indianer thut dann keine weitere Arbeit damit, als daß er es vielleicht von der Weide nach Hause treibt, ihm die nöthige Ladung auflegt und seine Frau damit zu Markte schickt. Oft keucht dann die arme Frau – mit dem kleinen Kinde noch auf ihrer Last von Futterkräutern sitzend – hinterdrein und lenkt das Thier nur mit ihrer Stimme, – oft muß sie auch, wenn nicht so viel vorräthig ist, allein mit ihrer Ladung fort, während der Mann vielleicht leer hinter ihr drein schlendert und das von ihr gelöste Geld nachher in der Stadt vertrinkt.
Die Ecuadorianer, Männer wie Frauen, tragen fast Alles mit dem Kopf, und zwar nicht oben darauf, wie bei uns am Rhein, sondern die Last auf dem Rücken hängend und nur mit der Stirn stützend und haltend. So bringen sie Alles zu Markt, was das reiche Land bietet, und ihre Kleidung ist dabei selbstgesponnenes und gewobenes Zeug, das sie vom Uranfang an fertigen.
In den Thälern sind die kleinen Baumwollen-Anpflanzungen, und die Staude erreicht dort oft eine imposante Höhe, wie selbst nicht in den besten Distrikten Nordamerika's. Die Baumwolle, wenn gereift, pflücken sie aus den Kapseln und reinigen sie mit den Fingern von dem Samen, dann wird sie mit Spindel und Rocken gesponnen und nachher auf selbstgefertigten und oft rasch genug zugehauenen Webstühlen, die aber ihren Zweck vollständig erfüllen, gewebt.
Quito selber hat übrigens auch große Fabriken, in welchen diese billigen Stoffe sowohl, wie auch recht gute Zeuge, besonders Tuche, hergestellt werden. Was aber die Indianer brauchen, fertigen sie sich auch selber an, denn so billig es in der Fabrik sein mag, ihr Produkt ist noch billiger und erfüllt dabei denselben Zweck.
Das gewöhnliche Zeug, welches die ärmeren Klassen tragen, besteht dabei aus starkem weißen Stoff, mit braungefärbten Fäden in einfachen Mustern, meistens nur gestreift, durchzogen. Die Männer tragen dazu weiße Hosen, die Frauen einen kurzen Rock und ein Schultertuch, Beide aber auch den sogenannten Poncho – jenes große Tuch mit einem Loch in der Mitte, um entweder den Kopf durch dasselbe zu stecken, daß es, bei kaltem Wetter oder bei Regen, rings um sie niederfällt, oder um es blos um die Schultern zu schlagen.
Fließendes Wasser giebt es allerdings, wie vorher erwähnt, in der Stadt genug, aber so voller Schmutz und Unrath, daß es nur von den ärmeren Klassen, aber von diesen auch ohne die geringste Scheu, zum Waschen und Aufspülen, ja sogar vielleicht zu Küchenzwecken benutzt wird. Die besseren Stände lassen sich dagegen ihr Wasser von oberhalb der Stadt in die Häuser tragen, und zwar durch Menschen, in einem großen irdenen Gefäß, das diese hinten auf die Hüften setzen und es durch ein, um die Brust laufendes Tragband stützen. Erst wenn es zum großen Theil geleert ist, hebt er sich das Band vor die Stirn, weil ihm das jedenfalls bequemer scheint.
Diese Leute tragen solcher Art eine enorme Last, und was verdienen sie den ganzen Tag? – ein paar Medios, mit denen sie sich am Leben erhalten können. Nur wenn es gut geht, bleibt ihnen vielleicht noch genug zu einem Schluck Tschitscha übrig.
In ähnlicher Weise, nur das Tuch um den Kopf, nicht über die Brust geschlagen, bringen die indianischen Frauen Milch und Butter zu Markt. In der einen Hand tragen sie dabei ein irdenes Gefäß als Maß für die zu verkaufende Milch, in der andern einen irdenen Teller mit Butter, mit Maisblättern überdeckt, um sie kühl und frisch zu halten.
So wandern sie mit ihrer mühseligen Last über die Plaza oder klopfen an die Häuser der Vornehmen, in welche sie – als Zeichen, daß Jemand draußen sei, der Einlaß begehrt – ihr schüchternes »Ave Maria« rufen.
Auf dem Markt selber stehen aber fast nur die Getreideverkäufer mit ihren kleinen Karawanen von Eseln oder Llamas, dann die Händler mit Hülsenfrüchten und Kartoffeln. Von Hülsenfrüchten wird besonders die bei uns unter dem Namen Puff- oder Saubohne bekannte große Bohne gezogen, und die Kartoffel ist der unsrigen vollkommen ähnlich. Aber es giebt von dieser Knollenfrucht drei hauptsächliche Arten in Ecuador, welche Melloca, Oca und Ticama genannt werden. In der Nähe von Ibarra, also in etwas tieferem Lande als Quito liegt, hörte ich aber noch von einer ganz besonderen Art, die nur in einem jener Thäler wachsen soll und noch nirgends anders hin verpflanzt ist. Der Beschreibung nach, denn ich bekam leider keine davon zu sehen, soll es eine nicht sehr große, aber vortrefflich mehlige Gattung sein, die dabei, wenn gekocht und auf dem Tisch, wie mit Brillanten übersäet erscheint. Wahrscheinlich ist sie mit kleinen Theilen krystallisirten Stärkemehls überdeckt.
Biegen wir nun in eine der oberen Seitenstraßen ein, so finden wir dort ein freundlicheres Bild als die schmutzigen Indianer, die neben ihren Säcken kauern und sich in Ermangelung einer besseren Beschäftigung gegenseitig das Ungeziefer absuchen. Da sind die Stände der Obstverkäuferinnen, und nur ein Blick auf ihre Waare überzeugt uns, in welchem Lande wir uns eigentlich befinden.
Kaum zehn Schritte davon befindet sich noch ein Stand, wo Kohl, Kartoffeln, Rüben und Kraut feilgeboten werden, – durch die Straßen zieht eben ein Trupp von Eseln, der Eis, rohes, hartes Eis aus dem benachbarten Pichincha heruntergebracht hat, – und hier plötzlich sehen wir uns allen Produkten der heißen Zone unmittelbar gegenüber.
Alle diese Verkäuferinnen sitzen unter selber hergestellten, sehr kunstlosen Sonnenschirmen, die aber vollkommen zu einem Schutzdach gegen die heißen Strahlen des Taggestirnes ausreichen. Eine Stange mit einem quer darüber genagelten Holzkreuz und ein Tuch an den vier Ecken festgebunden, ist der ganze Apparat, und nur gegen plötzlich einsetzende Regen bietet er ungenügende Deckung, da sich das Wasser in den Falten rasch ansammelt und durchläuft.
Die Fruchtverkäuferinnen sind auch meist Señores oder Sennoritas von weißer Abstammung – lassen sich wenigstens gern so nennen – tragen auch nicht das ordinäre Baumwollenzeug der niederen Klassen, sondern weiße, buntgesteppte Oberhemden wie Röcke von den verschiedensten Farben und Stoffen, und Glaskorallen um Arme, Hals und in den Ohren. Schmuck lieben überhaupt alle ecuadorianischen Frauen und sind dabei seiner Aechtheit wegen lange nicht so eigen wie die Peruanerinnen, die nur wirkliches Gold und Diamanten haben wollen.
Betrachten wir uns aber ihren Stand und die wundervollen saftigen Früchte, die er bietet. Da finden wir vor allen Dingen Orangen, die schon wenige Leguas von Quito entfernt in ungeheuren Massen gezogen werden, dann süße Limonen – eigentlich ein etwas fades Essen; aber auch die tropische Banane oder der Pisang (hier Plátano genannt) fehlt nicht mit ihrer goldgelben Schale, und daneben liegt die Königin der amerikanischen Früchte, die riesige Cherimoya (custard apple, buwa nonja) mit ihrem fast zu süßen, crêmeartigen Fleisch.
Das ist aber noch nicht Alles; dicht daneben bietet sich ein Stand, der fast nur Ananas in aus Bambus geflochtenen Körben aufgeschichtet enthält; daneben wieder sitzt ein Verkäufer von Zuckerrohr, das in kleine Streifen gehackt und ausgekaut wird; daneben wieder ein anderer mit Cactusfeigen, Aprikosen, Aepfeln, Birnen, auch die kostbare Aguacalta (alligator pear, buwa avocat) ist vertreten, mit der Papaya aus den Platanaren des niederen Landes – kurz eine Mischung von allen nur erdenklichen Früchten beider Zonen, die sich auch in der That an keinem Orte so vereinigt finden, wie gerade in Quito.
Freilich begünstigt die Lage des Landes dies auch ungemein; denn so rasch fallen die Thäler in das tiefe tropische Land hinein ab, daß man oft nur wenige Leguas zu reiten braucht, um in eine vollkommen tropische Vegetation oder bergauf in die Eisregion zu kommen. So hat man auch im Lande drinnen große Estancias oder Güter, deren Besitzer da, wo ihre Wohnhäuser stehen, alle Früchte unserer Zone ziehen und Weizen und Mais, Kartoffeln und Kohl bauen. Weiter unten dagegen haben sie ihre Baumwollen- und Zuckerrohrfelder, ihre Bananen- und Ananas-Gärten, und hoch über sich sehen sie zu ihrer Meierei hinauf, wo das Vieh auf den fetten Triften der Höhen weidet und ihre dazu angestellten Leute ihnen die Milch zum täglichen Bedarf oder zum Verkauf liefern, und dazu Butter und Käse machen.
Käse ißt der Ecuadorianer nämlich leidenschaftlich gern, und die verschiedenen Arten desselben werden zu allen Speisen und sogar zu manchen Getränken gebraucht. Ja selbst in seine Chokolade benutzt er eine Art davon.
In dieser Fruchtstraße dürfen wir aber nicht zu weit vorgehen, denn eben haben wir noch den aromatischen Duft der Ananas mit Wohlbehagen eingesogen, als schon etwas Anderes unsere Geruchsnerven trifft, und zwar der nichts weniger als süße Brodem einer Anzahl von Eßbuden, die dort aufgestellt sind, um den Marktgängern ein rasches und billiges Mittagsmahl zu bieten. Da werden alle Arten von Fleisch geschmort und Mehlspeisen zubereitet, da wird gesotten und gebraten und ein Qualm erzeugt, der, wenn der Wind hineinfährt, die ganze Straße mit seinem erstickenden, heißen Dunst erfüllt. Um aber dort auch wirklich zu essen, muß man ein geborener Ecuadorianer, ja ein geborener Quitener oder mit einem Wort ein geborener Schweinigel sein, denn von dieser Unsauberkeit der Zubereitung kann sich Niemand einen Begriff machen, ohne sich auf wenigstens acht Tage den Appetit zu verderben. Ich darf nicht einmal wagen es zu beschreiben, und es war ein wirklicher Glückszufall, daß ich erst wenige Tage vor meiner Abreise von Quito einen längeren Besuch bei diesen Ständen machte und das Verfahren ihrer Insassen beobachtete. Von dem Augenblick an war ich nicht mehr im Stande, etwas Anderes in Quito zu genießen, als weichgekochte Eier und Früchte. Ich brachte nichts mehr in den Mund, was eine Ecuadorianerin mit ihren Händen auch nur berührt haben konnte.
Wie stechen dagegen die Napo-Indianer ab, die von den Wassern des Amazonenstroms, aus dem heißen Lande ihrer Niederungen, bis hier heraufsteigen, um weniger ihre Producte als ihre Fabrikate, besonders Hanfzwirn und gedrehten Bast zu verkaufen. Sie treffen immer in kleinen Trupps ein und tragen dann Männer wie Frauen einen aus Bambusstreifen leicht geflochtenen und mit Bananenblättern ausgefütterten und überdeckten Korb, in welchen sie nicht allein, was sie zu Markte bringen, sondern auch ihre Provisionen für unterwegs packen.
Es sind schlanke, edle Gestalten, um eine Schattirung dunkler vielleicht als die Indianer Ecuadors, aber noch lange nicht braun, und dabei reinlich bis zum Aeußersten. Sie gehen in blaues, selbstgefertigtes Zeug gekleidet: kurze Hosen und Jacke die Männer, in der Stadt mit einem Poncho übergeworfen; die Frauen dagegen in einem nicht zu langen, kleidsamen und tunikaähnlichen Gewand, mit einer Unzahl sehr kleiner zierlicher Perlschnüre geschmückt. Das Gesicht bemalen sie allerdings etwas, aber nur wenig, und nicht genug um es zu entstellen, mit feinen rothen Strichen, besonders um Auge und Mundwinkel herum.
Bezahlung für ihre Waaren nehmen sie ausschließlich nur in Silber-Viertel-Dollar-Stücken, die sie genau kennen; auf andere Münzsorten lassen sie sich nicht ein, und ebensowenig vertrinken die Männer das Erhaltene, sondern sie leben außerordentlich mäßig und kehren, wenn ihr Handel abgeschlossen ist, ungesäumt in ihre Thäler zurück, verkehren auch dabei so wenig wie nur irgend möglich mit den weißen Ecuadorianern, mit den Indianern gar nicht.
Die Körbe, die sie tragen, sind genau so in ganz Ecuador zum Lasttragen gebräuchlich, nur daß die Indianer am Stillen Meer auch noch Achselbänder von Bast daran schnüren. Besonders die Neger tragen damit enorme Lasten und mit anscheinender Leichtigkeit.
Wunderlich sieht es aus, wenn ein Trupp dieser »Napos,« eben aus seinen wilden Thälern heraufsteigend, beim Betreten der Stadt einer Schaar geputzter Damen begegnet, die mit ihren Toiletten auch nicht um eines Zolles Breite von der neuest zu erlangenden Pariser Mode abweichen. Mit blumengeschmückten Hüten, riesigen Crinolinen, mit Spitzen und Bändern behangen und von Juwelen funkelnd, rauschen sie daher, und staunend bleiben die Indianer, besonders die jungen Frauen, ob der nie geahnten Herrlichkeit, stehen und schauen ihnen nach, so lange sie ihnen mit den Augen folgen können. Manches junge Indianermädchen wünscht sich dann auch wohl im Herzen thörichterweise einen ebensolchen Staat und ist doch in ihrer einfachen blauen Tunika viel schöner als die aufgetakelte Dame. Aber es geht das so in der Welt, und Aehnliches finden wir ja wohl auch sogar im alten Vaterlande. Wir brauchen deßhalb nicht nach Ecuador zu gehen.
Uebrigens kann ich hier noch gleich erwähnen, daß die Kleidung der vornehmen Ecuadorianer genau der unsrigen entspricht. Selbst den sonst stets getragenen südamerikanischen Poncho haben die Männer abgelegt und benutzen ihn höchstens noch dann und wann beim Reiten, und die Damen behielten beim Kirchgang in ihren schwarzen Gewändern die Mantilla bei. Sonst kommen die europäischen Moden so rasch hinüber, als sie der Dampfer nach Guajaquil und ein Maulthier dann in die Berge tragen kann, und die neueste Façon eines Hutes oder der Schnitt eines Kleides wird dort so eifrig besprochen wie bei uns.
Nur eine Klasse von Leuten ist es, die ihre Moden nicht wechselt, und das sind die Priester, von denen es eine wahre Unzahl in Quito giebt. Man kann versichert sein, daß, wenn man hundert Menschen auf der Straße trifft, dreißig davon Priester der verschiedensten Orden sind, die oft in den wunderlichsten Aufzügen die Straßen durchziehen. Besonders auffallend unter ihnen erscheinen die in weiße Kutten gekleideten padres de la Merced und bei der oberen Geistlichkeit mag die Tracht gehen. Entsetzlich aber sehen die untergeordneten Padres solcher Orden aus, und es gehört wirklich viel – sehr viel Andacht dazu, beim Anblick derselben an etwas Anderes zu denken, als an ihren schmutzigen Rock.
Noch muß ich erwähnen, daß Quito der Sitz der Intelligenz des ganzen nördlichen Theils von Südamerika ist und nur San Jago in Chile, was seine Schulen und Universitäten betrifft, mit ihm wetteifern kann. Außerdem leben in Quito eine wahre Unzahl von Malern und Bildhauern, die aber ihre Kunst zu viel gewerbsmäßig treiben. Die zahllosen Kirchen sind mit Holzschnitzereien, Verzierungen und Bildern überladen und müssen dadurch die Andacht des Betenden vollkommen ablenken, denn dessen Auge findet nirgends einen Ruhepunkt. Besonders ist die Malerei zu einer Art von Handwerk herabgewürdigt, und es giebt eine Menge von Malern, die lange Streifen von Leinwand in ihrem Atelier aufspannen, dieselbe in Gefache abtheilen und nun z. B. einen heiligen Antonius (der besonders dort verehrt wird) oder einen Anderen, genau in der nämlichen Stellung, so viele Male darauf malen, als er eben Raum findet. Solche Streifen werden dann auch nicht etwa zerschnitten und in Rahmen gefaßt, sondern aufgerollt und die Bilder beim Dutzend und nach der Elle verkauft. Herumziehende Händler kaufen die Bilder auf, und man kann mit gutem Gewissen behaupten, daß diese kleine Gebirgsstadt – mit Ausnahme einzelner, von Europa eingeführter Gemälde – die Kirchen von ganz Mittel- und Südamerika mit Heiligenbilder versorgt, die auch nicht nach dem Kunstwerth derselben, sondern nach dem Quadratfuß ihren Preis bestimmt bekommen. Uebrigens ist derselbe so billig, daß ich wirklich nicht begreife, wie nur Oelfarbe und Leinwand damit bezahlt werden.
Das muß man überhaupt den Quitenern lassen, es liegt ein Drang in ihnen, etwas zu thun und zu leisten, den man im niedern heißen Lande nirgends findet, und trotzdem thut die Lage ihrer eigenen, weit in die Berge hineingebauten Stadt dabei Alles, um sie daran zu verhindern oder es ihnen zu erschweren. Der einzige Hafen, durch welchen Quito bis jetzt mit der übrigen Welt in Verbindung stand, war Guajaquil (berühmt seiner Cacao-Ausfuhr und seiner Panamahüte wegen). Um Quito aber von dieser Seite her zu Maulthier zu erreichen, denn ein Maulthierpfad ist der einzige Verbindungsweg, braucht man gut fünf Tage, und Lastthiere gehen gewöhnlich fünfzehn bis siebzehn – ja in der Regenzeit ist der Weg gar nicht zu passiren und die Verbindung mit der See vollständig abgeschnitten.
Welchen Nachtheil das für eine betriebsame Stadt und die dichtgedrängte Bevölkerung des inneren Landes haben muß, läßt sich denken, und ganz wird diese Schwierigkeit nie zu heben sein. Dagegen läßt sich ein großer Theil derselben beseitigen, indem man eine andere und nähere Richtung zur Küste einschlägt und einen Weg dahin baut. Einen ziemlich guten Hafen besitzt Ecuador zu diesem Zweck noch im Pailon.
Der Ort liegt unmittelbar an der neugranadiensischen Grenze, und eine englische Compagnie, »die Ecuador land company,« hat dort bedeutende Landstrecken erworben und beabsichtigt einen Weg dorthin zu bauen. Gelingt das, und es liegt kein Grund vor weßhalb nicht, so wird sich nicht allein der quitenische Handel bedeutend heben, sondern Alles, was jene reichen, im Innern gelegenen Distrikte produciren, kann auch auf den Markt gebracht und verwerthet werden, und Pailon muß dann ein viel bedeutenderer Handelsplatz werden, als es jetzt Guajaquil ist.
Furchtbaren Schaden hat freilich der werthvollste und fruchtbarste Distrikt des ganzen Staates: die Provinz Imbaburru mit der Hauptstadt Ibarra durch das letzte Erdbeben erlitten. Ibarra selbst ist vollständig zerstört. 40,000 Menschen kamen dabei um und große Strecken cultivirten Landes wurden von heißem Wasser und Schlamm sowie Steingeröll überdeckt. Das Land wird Jahre gebrauchen um sich von diesem Unglück zu erholen.
Quito selber wurde nicht so schwer davon betroffen. An den neuesten Kirchen stürzten allerdings die Thürme ein und zahllose Häuser wurden beschädigt, aber trotzdem hat die große Stadt nur den Verlust von 15 Menschenleben dabei zu beklagen und ist reich genug um den Schaden bald wieder vergessen zu machen.
Leipzig, Druck von Giesecke & Devrient.
Das Originalbuch ist in Frakturschrift gedruckt. In dieser Transkription werden gesperrt gesetzte Schrift sowie Textanteile in Antiqua-Schrift hervorgehoben.
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mit folgenden Ausnahmen,
Seite 1:
"tüchtig" geändert in "tüchtige"
(tüchtige Leute dafür zu gewinnen)
Seite 2:
"anf" geändert in "auf"
(draußen auf offener See herumkreuzen)
Seite 21:
";" eingefügt
(was sie auf ihrer langen Fahrt verdient hatten;)
Seite 21:
"brummt" geändert in "brummte"
(»Es ist eine ganz verfluchte Geschichte,« brummte Bob)
Seite 21:
"sagt" geändert in "sagte"
(»Eben hab' ich es da drüben noch gesehen,« sagte Dick)
Seite 23:
"Bootssteurer" geändert in "Bootssteuerer"
(der Bootssteuerer kaum noch Zeit)
Seite 35:
"mürrische" geändert in "mürrischen"
(die vier mürrischen Burschen mit seinem Blick überfliegend)
Seite 46:
"," eingefügt
(er fühlte jetzt auch, daß sich der Wind erhoben hatte)
Seite 65:
"«" hinter "fellow," entfernt
(»Avast Bill, old fellow, glücklicher Familienvater)
Seite 87:
"," eingefügt
(unterbrach ihn aber die Frau, »ob Sie)
Seite 96:
"»" eingefügt
(»Mein Gatte hatte lange mit einer englischen Familie)
Seite 104:
"des" geändert in "den"
(er fiel Bill um den Hals)
Seite 108:
"uud" geändert in "und"
(den oberen Theil des Hauses erreichte und die junge Frau)
Seite 111:
"Minnten" geändert in "Minuten"
(war in wenigen Minuten sanft und fest eingeschlafen)
Seite 122:
"." eingefügt
(arg verwüstet. Der Amerikaner, wie Beaugead berichtet)
Seite 132:
"aufpaßen" geändert in "aufpassen"
(denn man mußte aufpassen, wenn man Alles verstehen wollte)
Seite 140:
"tailors ops" geändert in "tailorshops"
(There were so many tailorshops)
Seite 140:
"Unterhalung" geändert in "Unterhaltung"
(mit dem strengen Befehl, keine Unterhaltung der Gefangenen)
Seite 144:
"er" geändert in "der"
(wie ihnen der Kleine zurückübersetzen mußte)
Seite 144:
"keine" geändert in "kein"
(daß das kein Amerikaner, sondern ein Engländer)
Seite 147:
"ni" geändert in "in"
(»Ship in sight«)
Seite 150:
"seinen" geändert in "seien"
(Schießlucken an Bord seien nur gemalt)
Seite 161:
"ein" geändert in "eine"
(faßten hier eine Muskete, da ein Seitengewehr)
Seite 179:
"sie" geändert in "Sie"
(Verlangen Sie mehr?)
Seite 180:
"?" geändert in ","
(bis jetzt am Leben erhalten habe,« seufzte der Kranke)
Seite 182:
"hehauptete" geändert in "behauptete"
(aber er behauptete immer)
Seite 189:
"baarfnß" geändert in "baarfuß"
(jetzt sollte er eine ganze Stunde baarfuß im Wald)
Seite 193:
"ein" geändert in "eine"
(ihm gegenüber saß ebenfalls eine Geheime Commerzienräthin)
Seite 203:
"ein" geändert in "eine"
(Besonders zog ihn dabei eine Stelle an)
Seite 205:
"wnrde" geändert in "wurde"
(Trotzdem wurde es Zeit, daß er sich)
Seite 217/218:
"," hinter "oben" entfernt und hinter "aber" eingefügt
(Der Geheime Regierungsrath aber, hier oben seit dem letzten Monat)
Seite 233:
"Wozu" geändert in "wozu"
(Ihr verdient es nicht besser; wozu habt Ihr aber)
Seite 251:
"ein" geändert in "eine"
(ist stets der eine Boden zinnoberroth angestrichen)
Seite 253:
"herleiden" geändert in "herleiten"
(er wollte auch seine Abstammung von jenen herleiten)
Seite 258:
"ubel" geändert in "übel"
(schien nicht übel Lust zu haben)
Seite 259:
"Vater s Whkie– y ist" geändert in "Vater – Whiskey ist"
(seinen Bruder und seinen Vater – Whiskey ist nicht gut)
Seite 260:
"den" geändert in "dem"
(um sie dem dort ruhig bei seinem Karren haltenden)
Seite 262:
"Tcho-to-ga" geändert in "Tcha-to-ga"
(fast in demselben Augenblick schwärmte von Tcha-to-ga)
Seite 263:
"zn" geändert in "zu"
(blos auf wenige Secunden zu bewahren)
Seite 269:
"erklärt" geändert in "erklärst"
(in der Du erklärst, jedes Stück Gut)
Seite 270:
"kaltem" geändert in "kalten"
(auf dem boshaft kalten Auge des Wilden)
Seite 281:
"." eingefügt
(anlegen lassen. Er selbst aber arbeitete)
Seite 286:
"!" eingefügt
(wie der Alte sprudeln wird! – Sonst seh ich weiter)
Seite 292:
"weißem" geändert in "weißen"
(tief unter dem weißen mit Scalpen geschmückten)
Seite 300:
"?" eingefügt
(»Was giebt's?« frug der Mate zurück.)
Seite 308:
"auszupülen" geändert in "auszuspülen"
(um sie darin auszuspülen)
End of the Project Gutenberg EBook of Kreuz und Quer, Zweiter Band, by Friedrich Gerstäcker *** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK KREUZ UND QUER, ZWEITER BAND *** ***** This file should be named 54875-h.htm or 54875-h.zip ***** This and all associated files of various formats will be found in: http://www.gutenberg.org/5/4/8/7/54875/ Produced by the Online Distributed Proofreading Team at http://www.pgdp.net (This file was produced from images generously made available by The Internet Archive) Updated editions will replace the previous one--the old editions will be renamed. Creating the works from public domain print editions means that no one owns a United States copyright in these works, so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United States without permission and without paying copyright royalties. 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It exists because of the efforts of hundreds of volunteers and donations from people in all walks of life. Volunteers and financial support to provide volunteers with the assistance they need, are critical to reaching Project Gutenberg-tm's goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will remain freely available for generations to come. In 2001, the Project Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure and permanent future for Project Gutenberg-tm and future generations. To learn more about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see Sections 3 and 4 and the Foundation web page at http://www.pglaf.org. Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit 501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal Revenue Service. The Foundation's EIN or federal tax identification number is 64-6221541. Its 501(c)(3) letter is posted at http://pglaf.org/fundraising. Contributions to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by U.S. federal laws and your state's laws. The Foundation's principal office is located at 4557 Melan Dr. S. Fairbanks, AK, 99712., but its volunteers and employees are scattered throughout numerous locations. Its business office is located at 809 North 1500 West, Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887, email [email protected]. Email contact links and up to date contact information can be found at the Foundation's web site and official page at http://pglaf.org For additional contact information: Dr. Gregory B. Newby Chief Executive and Director [email protected] Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide spread public support and donations to carry out its mission of increasing the number of public domain and licensed works that can be freely distributed in machine readable form accessible by the widest array of equipment including outdated equipment. Many small donations ($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt status with the IRS. The Foundation is committed to complying with the laws regulating charities and charitable donations in all 50 states of the United States. Compliance requirements are not uniform and it takes a considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up with these requirements. We do not solicit donations in locations where we have not received written confirmation of compliance. 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Hart is the originator of the Project Gutenberg-tm concept of a library of electronic works that could be freely shared with anyone. For thirty years, he produced and distributed Project Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of volunteer support. Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed editions, all of which are confirmed as Public Domain in the U.S. unless a copyright notice is included. Thus, we do not necessarily keep eBooks in compliance with any particular paper edition. Most people start at our Web site which has the main PG search facility: http://www.gutenberg.org This Web site includes information about Project Gutenberg-tm, including how to make donations to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to subscribe to our email newsletter to hear about new eBooks.