*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 54758 *** #################################################################### Anmerkungen zur Transkription Der vorliegende Text wurde anhand der 1849 erschienenen Buchausgabe so weit wie möglich originalgetreu wiedergegeben. Zeichensetzung und offensichtliche typographische Fehler wurden stillschweigend korrigiert. Altertümliche, ungewöhnliche und inkonsistente Schreibweisen (z.B. ‚eilf‘ und ‚elf‘) wurden nicht korrigiert bzw. vereinheitlicht. Fremdsprachige Passagen wurden nicht verändert; insbesondere wurden die Akzentsetzung sowie ältere Schreibweisen in französischen Anführungen dem Original gemäß beibehalten. Die Korrektur des angemerkten Druckfehlers (Original: S. 9, Z. 13: Hachis → Gachis (frz. ‚gâchis‘: Schlamassel, Durcheinander) wurde bereits in den Text eingearbeitet. Das Inhaltsverzeichnis wurde den im Text verwendeten Abschnittsüberschriften entsprechend korrigiert. Das Caret-Zeichen (^) wird einem hochgestellten Zeichen vorangestellt; mehrere Zeichen werden in geschweiften Klammern gruppiert. Die Buchversion wurde in Frakturschrift gedruckt. Die von der Normalschrift abweichenden Schriftschnitte wurden in der vorliegenden Fassung mit den folgenden Sonderzeichen gekennzeichnet: kursiv: _Unterstriche_ gesperrt: +Pluszeichen+ Antiqua: ~Tilden~ #################################################################### Briefe aus Frankfurt und Paris. Zweiter Theil. Briefe aus Frankfurt und Paris 1848-1849 von Friedrich von Raumer. Zweiter Theil. Leipzig: F. A. Brockhaus. 1849. Inhalt des zweiten Theils. Seite Zweiundsiebzigster Brief. Paris, den 13. October 1848. 1 Den 14. October. 2 Den 15. October. 9 Dreiundsiebzigster Brief. Paris, den 16. October. 15 Den 16. October Abends. 16 Den 17. October. 17 Den 18. October. 19 Den 20. October. 20 Den 22. October. 22 Den 23. October. 23 Vierundsiebzigster Brief. Paris, den 24. October. 26 Den 28. October. 27 Fünfundsiebzigster Brief. Paris, den 29. October. 30 Den 30. October. 34 Den 30. October Mittags. 37 Sechsundsiebzigster Brief. Paris, den 1. November. 39 Den 2. November. 42 Den 3. November. 47 Siebenundsiebzigster Brief. Paris, den 4. November. 48 Den 5. November. -- Den 6. November. 49 Den 7. November. 51 Achtundsiebzigster Brief. Paris, den 9. November. 53 Den 10. November. 57 Neunundsiebzigster Brief. Paris, den 11. November. 61 Den 11. November Nachmittags. 62 Den 12. November. 67 Achtzigster Brief. Paris, den 14. November. 69 Den 16. November. 71 Einundachtzigster Brief. Paris, den 17. November. 74 Den 18. November. 76 Den 19. November. 81 Zweiundachtzigster Brief. Paris, den 20. November. 82 Den 23. November. 85 Dreiundachtzigster Brief. Paris, den 23. November. 89 Den 24. November. 90 Vierundachtzigster Brief. Paris, den 25. November. 94 Den 26. November. 98 Fünfundachtzigster Brief. Paris, den 27. November. 100 Den 28. November. 102 Den 29. November. 103 Den 30. November. 104 Sechsundachtzigster Brief. Paris, den 1. December. 107 Den 2. December. 109 Den 2. December Mittags. 111 Siebenundachtzigster Brief. Paris, den 3. December. 112 Den 4. December. 115 Den 6. December. 117 Achtundachtzigster Brief. Paris, den 8. December. 121 Den 10. December. 122 Den 10. December Nachmittags. 123 Den 11. December. 125 Den 12. December. 126 Neunundachtzigster Brief. Paris, den 13. December. 130 Den 13. December Mittags. 131 Den 14. December. 133 Den 16. December. 136 Neunzigster Brief. Paris, den 17. December. 137 Den 18. December. 139 Den 18. December Nachmittags. 142 Den 19. December. 146 Den 20. December. 147 Einundneunzigster Brief. Paris, den 21. December. 148 Den 22. December. 151 Den 22. December Abends. 152 Zweiundneunzigster Brief. Frankfurt a. M., den 8. Januar 1849. 154 Den 9. Januar. 158 Dreiundneunzigster Brief. Frankfurt a. M., den 12. Januar. 162 Den 13. Januar. 165 Vierundneunzigster Brief. Frankfurt a. M., den 14. Januar. 169 Fünfundneunzigster Brief. Frankfurt a. M., den 16. Januar. 174 Sechsundneunzigster Brief. Frankfurt a. M., den 17. Januar. 176 Siebenundneunzigster Brief. Frankfurt a. M., den 19. Januar. 177 Den 19. Januar Nachmittags. 178 Achtundneunzigster Brief. Frankfurt a. M., den 20. Januar. 179 Neunundneunzigster Brief. Frankfurt a. M., den 22. Januar. 180 Den 23. Januar. 181 Den 24. Januar. 182 Hundertster Brief. Frankfurt a. M., den 24. Januar. 184 Hunderterster Brief. Frankfurt a. M., den 25. Januar. 186 Den 26. Januar. -- Hundertzweiter Brief. Frankfurt a. M., den 27. Januar. 189 Hundertdritter Brief. Frankfurt a. M., den 28. Januar. 194 Den 29. Januar. -- Den 30. Januar. 198 Hundertvierter Brief. Frankfurt a. M., den 31. Januar. 199 Hundertfünfter Brief. Frankfurt a. M., den 1. Februar. 201 Den 2. Februar. 204 Hundertsechster Brief. Frankfurt a. M., den 2. Februar. 206 Hundertsiebenter Brief. Frankfurt a. M., den 2. Februar. 209 Den 3. Februar. 210 Den 4. Februar. 213 Hundertachter Brief. Frankfurt a. M., den 5. Februar. 214 Den 6. Februar. 217 Hundertneunter Brief. Frankfurt a. M., den 7. Februar. 219 Hundertzehnter Brief. Frankfurt a. M., den 8. Februar. 225 Den 9. Februar. 227 Den 10. Februar. 228 Hundertelfter Brief. Frankfurt a. M., den 11. Februar. 231 Den 12. Februar. 235 Hundertzwölfter Brief. Frankfurt a. M., den 13. Februar. 238 Den 14. Februar. 240 Den 15. Februar. 242 Hundertdreizehnter Brief. Frankfurt a. M., den 16. Februar. 243 Den 17. Februar. 248 Den 17. Februar Nachmittags. 250 Hundertvierzehnter Brief. Frankfurt a. M., den 18. Februar. 264 Den 19. Februar. 266 Hundertfunfzehnter Brief. Frankfurt a. M., den 20. Februar. 266 Den 21. Februar. 267 Den 21. Februar Nachmittags. 271 Hundertsechzehnter Brief. Frankfurt a. M., den 22. Februar. 274 Den 23. Februar. 276 Den 24. Februar. -- Hundertsiebzehnter Brief. Frankfurt a. M., den 25. Februar. 278 Den 27. Februar. 280 Den 28. Februar. 282 Hundertachtzehnter Brief. Frankfurt a. M., den 4. März. 288 Den 4. März Nachmittags. 289 Hundertneunzehnter Brief. Frankfurt a. M., den 4. März. 296 Den 4. März Nachmittags. 298 Hundertzwanzigster Brief. Frankfurt a. M., den 5. März. 301 Den 6. März. 304 Hunderteinundzwanzigster Brief. Frankfurt a. M., den 7. März. 306 Den 7. März Nachmittags. 308 Den 8. März. 310 Hundertzweiundzwanzigster Brief. Frankfurt a. M., den 10. März. 314 Hundertdreiundzwanzigster Brief. Frankfurt a. M., den 11. März. 318 Hundertvierundzwanzigster Brief. Frankfurt a. M., den 12. März. 320 Den 12. März Mittags nach der Sitzung. 323 Hundertfünfundzwanzigster Brief. Frankfurt a. M., den 13. März. 325 Den 14. März. 327 Hundertsechsundzwanzigster Brief. Frankfurt a. M., den 15. März. 331 Den 15. März Mittags. 332 Den 15. März Nachmittags. 334 Hundertsiebenundzwanzigster Brief. Frankfurt a. M., den 16. März. 335 Hundertachtundzwanzigster Brief. Frankfurt a. M., den 17. März. 340 Am verhängnißvollen 18. März. 342 Hundertneunundzwanzigster Brief. Frankfurt a. M., den 19. März. 344 Hundertdreißigster Brief. Frankfurt a. M., den 20. März. 348 Hunderteinunddreißigster Brief. Frankfurt a. M., den 21. März. 351 Den 21. März Nachmittags. 354 Hundertzweiunddreißigster Brief. Frankfurt a. M., den 22. März. 355 Hundertdreiunddreißigster Brief. Frankfurt a. M., den 23. März. 358 Hundertvierunddreißigster Brief. Frankfurt a. M., den 24. März. 363 Den 24. März Nachmittags. 369 Hundertfünfunddreißigster Brief. Frankfurt a. M., den 25. März. -- Hundertsechsunddreißigster Brief. Frankfurt a. M., den 26. März. 373 Hundertsiebenunddreißigster Brief. Frankfurt a. M., den 9. April. 378 Den 9. April Nachmittags. 394 Hundertachtunddreißigster Brief. Frankfurt a. M., den 10. April. -- Hundertneununddreißigster Brief. Frankfurt a. M., den 10. April. 396 Hundertvierzigster Brief. Frankfurt a. M., den 16. April. 398 Hunderteinundvierzigster Brief. Frankfurt a. M., den 18. April. 401 Hundertzweiundvierzigster Brief. Frankfurt a. M., den 20. April. 404 Hundertdreiundvierzigster Brief. Frankfurt a. M., den 23. April. 406 Hundertvierundvierzigster Brief. Frankfurt a. M., den 28. April. 409 Hundertfünfundvierzigster Brief. Frankfurt a. M., den 29. April. 413 Hundertsechsundvierzigster Brief. Frankfurt a. M., den 6. Mai. 415 Hundertsiebenundvierzigster Brief. Frankfurt a. M., den 8. Mai. 422 Hundertachtundvierzigster Brief. Frankfurt a. M., den 9. Mai. 425 Hundertneunundvierzigster Brief. Frankfurt a. M., den 10. Mai. 427 Den 10. Mai Nachmittags. 430 Hundertfunfzigster Brief. Frankfurt a. M., den 11. Mai. 431 Den 11. Mai Nachmittags. 432 Hunderteinundfunfzigster Brief. Frankfurt a. M., den 12. Mai. 433 Anhang. Reden die in Frankfurt nicht gehalten wurden. I. Über die Verhältnisse Deutschlands zu fremden Mächten. 437 II. Die Polenfrage. 443 III. Über die Aufhebung des Cölibats. 447 IV. Über d. Abkürzung d. Reichstagsverhandlungen. 450 V. Die Abschaffung des Adels. 457 VI. Das deutsche Reich und Preußen. 462 Zweiundsiebzigster Brief. Paris, den 13. October 1848. Ich kann nicht beschreiben, welchen tiefen, erschrecklichen Eindruck die wiener Ereignisse nicht blos auf die Deutschen, sondern auch auf alle ordnungsliebenden Franzosen gemacht haben. Sie fürchten ähnliche Begebenheiten in dem unterwühlten, muthlosen Berlin, wo die elendesten Menschen das lauteste Wort führen; sie fürchten mit der Auflösung Deutschlands ein Wiedererstehen der rothen Republik in Frankreich. Während der traurigen Auflösung des Reichsministeriums wollte man hier kaum an die Möglichkeit und das Dasein einer Reichsgewalt glauben; jetzt blickt man nach Frankfurt wie nach einem Felsen im Meere und erwartet und fordert, daß es die einzelnen Staaten (selbst Preußen) auferwecke, stütze, rette. Den jetzigen Machthabern ist, wenn sie +unerschrocken+ und +offensiv+ gegen alle Verschwörer und Wühler (ohne Ausnahme) verfahren, in diesen Tagen und Wochen die letzte Gelegenheit dargeboten, ihr Vaterland zu erretten und ewigen Ruhm zu erwerben. Möchten sie, um der Menschen, Deutschlands, der Ehre willen, diese Gelegenheit nicht versäumen und, trotz alles dagegen erhobenen Geschreies, überzeugt bleiben, daß Mitwelt und Nachwelt sie für ihr edles Thun segnen wird. Ich kann hier noch eine Stelle aus Paturot anreihen: „Die Sekten, die Parteien haben jetzt nichts miteinander gemein, als die Wuth zu zerstören. Uneinig sind sie hingegen darüber, was an die Stelle des Zerstörten zu setzen sei, und der höchste Grad des Unsinns ist, diese Unwissenden und Wahnsinnigen götzendienerisch zu ehren.“ Den 14. October. Hr. Minister Bastide sagte mir soeben: daß er die Gesuche über die Auslieferung der in Straßburg verhafteten Personen unverzüglich in geschäftlicher Weise dem Minister der Justiz übergeben habe und eine baldige Antwort desselben zu erwarten sei. Ich machte nochmals darauf aufmerksam, daß ohne Auslieferung der Prozeß in Frankfurt gar nicht gebührend könne eingeleitet und ihre Verurtheilung herbeigeführt werden. Zu Folge soeben bekannt gemachter amtlicher Nachrichten befinden sich unter 3376 transportirten Junigefangenen nur 11 Preußen, 8 Baiern, 4 Österreicher, 4 sogenannte Deutsche. Man behauptet: sie würden so gut behandelt, daß sie meistens gar keine Sehnsucht fühlten, nach Deutschland ausgeliefert zu werden, und daß sie eben deshalb keine Gesuche einreichten. Der friedliebende, gemäßigte Hr. Minister Bastide bleibt wenigstens vorläufig noch im Amte. Ich erinnerte ihn, daß er mir gesagt: die gegenseitige Accreditirung +officieller+ Gesandten habe keine Schwierigkeit mehr, worauf er erwiderte: „unsere freundliche Gesinnung gegen Deutschland steht fest und wird sich nicht ändern.“ Seit jener Äußerung sind aber in Frankreich und Deutschland so viele Begebenheiten und Veränderungen eingetreten, daß es Bedenken unterliegt, sachliche oder persönliche Neuerungen vorzunehmen. Man muß gegenseitig Geduld haben, sich orientiren, die jetzigen Zustände (welche ganz angenehmen, gefälligen Verkehr erlauben) noch etwas fortdauern lassen, bis sich in +Frankreich+ und +Deutschland+ die Dinge so gestalten, daß sie Dauer versprechen und man dafür die Verantwortlichkeit übernehmen kann. -- Ich wiederholte nicht allein die früheren Gründe, sondern hob auch die Nothwendigkeit hervor, die diplomatischen Verhältnisse zur Reichsgewalt um so schneller zu ordnen, da bereits mehre deutsche Staaten ihre Gesandten abriefen und die öffentliche Meinung in Deutschland eine baldige, erwünschte Entscheidung fordere. Hr. Bastide ließ diese Bemerkung gelten, kam aber doch wieder darauf zurück: man möge vor der Hand (in der allseitigen Verwirrung) die Verhältnisse noch einige Zeit ungerügt fortdauern lassen. Als sich das Gespräch auf die österreichischen Angelegenheiten wandte, bemerkte ich: es scheine mir der +rechten+ Politik Frankreichs gemäß, daß es jene Macht +nicht+ sinken und zerstückeln lasse; und Hr. Bastide erwiderte: ich entwerfe soeben ein Schreiben ganz in diesem Sinne. Denn wenn er auch den Gang nicht billigen könne, den Österreich in einigen Beziehungen neuerlichst eingeschlagen habe, würde sein Fall doch ein großes Unglück für Europa, also auch für Frankreich sein. Gestern war die hiesige Ministerkrisis noch nicht zu Ende, und Cavaignac würde sich bei der neuen Wahl wohl noch mehr der Rechten nähern, wenn nicht die eifrigen Republikaner laut widersprächen. Jene Hinneigung zur jetzigen Rechten dürfte den Sachen wohl vortheilhaft sein; daß aber die Legitimisten sich dadurch sollten abhalten lassen, Louis Bonaparte auszuspielen (um zunächst wie die Republik, so das Kaiserthum zu parodiren), steht noch gar nicht fest. Vor der Präsidentenwahl (so scheint es) wird Cavaignac seine Gewalt nicht niederlegen und auch der friedliche Bastide sich wohl halten, bis mein Tagesfliegengesandtenleben zu Ende geht. Doch sagte er gestern spät seine Abendgesellschaft ab, was Sorgen hervorruft und die Geschäfte im Stillstand erhält. In dem jetzigen Augenblicke blutiger Umwälzungen ist überhaupt mit Worten und Schreibfedern nichts auszurichten, und auch mein Bemühen bleibt nur ein ~labor improbus~. -- -- Der Tadel, welchen Thiers gegen die meisten (unpraktischen) staatswirthschaftlichen Bücher aussprach, ist leider gerecht; er ging aber doch in Verurtheilung +aller+ Theorie gar zu weit, und ebensowenig konnte ich in der neueren englischen Korngesetzgebung den Untergang der englischen Grundbesitzer, und in ihrem früheren Monopole ein ewiges Anrecht erblicken. Einem anderen Herrn widersprach ich, der da weissagte: in den Vereinigten Staaten von Nordamerika werde man bald das Königthum einführen. -- Eher in Frankreich! -- Nach Österreichs Unglück (rief ein Anderer) werden die Italiener unabhängig werden; -- ich fügte hinzu: aber nicht einig! +Nach+ diesen Boutaden sagte ich mir selbst: sprich nicht zu viel, sondern höre mehr, das wird dir bringen Ruhm und Ehr. -- Beim Weggehen fragte ich T--s: ob ich Lamartine’s Rede bewundern +müsse+. -- Ich habe, antwortete er, nie eine seiner Reden bewundert. Guizot sagte von Lamartine: wenn er dichten will, macht er Politik, und wenn er politisiren will, phantasirt er. In einem Briefe Tissot’s an Guizot (der in der ~Revue rétrospective~ abgedruckt ist) heißt es: ~est ce qu’il peut être loisible à Mr. Lamartine d’aller faire de l’agitation politique et de la démagogie en plein vent, en présence de 2-5000 curieux plus ou moins avinés, et d’avancer les propositions les plus niaises et les plus subversives de la tranquillité publique, sans que le pouvoir puisse s’opposer aux effets de sa phraséologie redondante?~ Es ist ein lehrreiches Verzeichniß der Leute erschienen, welche in Folge der Juniereignisse fortgeschafft wurden. Ich gebe einige Auszüge: ~hommes de lettres~ 7, ~avocats~ 2, ~étudiants en médecine~ 3, ~en droits~ 1, ~peintres~ 36, ~graveurs~ 30, ~sculpteurs~ 29, ~musiciens~ 11, ~gardes mobiles~ 38, ~soldats des armées regulières~ 4, ~orfèvres~ 54, ~imprimeurs~ 46, ~boulangers~ 35, ~tailleurs~ 77, ~cordonniers~ 107, ~menuisiers~ 182, ~serruriers~ 112, ~maçons~ 161, ~propriétaires et rentiers~ 7 ~etc.~ Man kann aus den Zahlen auf die sittliche Entartung, und noch mehr auf die äußere Noth schließen. Unter 3423 Verbannten waren gegen ⅓ Pariser, 11 Preußen, 8 Baiern, 4 Österreicher, 4 andere Deutsche, -- welche Bastide gern auslieferte (und die Franzosen obenein) um sie los zu werden. Die ~Revue rétrospective~ (deren ich erwähnte) enthält lehrreiche Sachen. Zuvörderst theile ich zwei Äußerungen aus Briefen von Louis Philipp mit: ~Ce qui gâte toutes nos affaires, c’est qu’en général nos hommes politiques ont une surabondance de courage et d’audace quand ils sont dans l’opposition, tandis que dans le ministère ils sont _feigherzig_ et toujours prêts à tout lâcher.~ -- ~L’état actuel de toutes les têtes humaines ne s’accommodera de rien et bouleversera tout. The world shall be unkinged, l’angleterre ruinée prendra pour son type le gouvernement modèle des Etats-Unis, et le continent prendra pour le sien l’Amérique espagnole! (6 Nov. 1840).~ -- Weissagungen!! Besonders anziehend sind die dort enthaltenen Nachrichten über die spanischen Heirathen, welche ich (im Widerspruch mit Vielen) von Anfang an als ungebührlich und für alle Mitwirkende als unheilbringend bezeichnete. Es ergiebt sich aus jenem Briefwechsel: 1) daß man französischerseits auf die Königin Isabella gar keine Rücksicht nahm und sie wie eine Null behandelte. 2) Daß ihre Mutter sich als arge Stiefmutter benahm. 3) Daß sie erst den Grafen von Trapani als Heirathsbewerber vorschob, und dann fallen ließ, indem sie die Schuld auf Frankreich zu schieben suchte. 4) Daß sie nun einen Koburg zu ködern suchte, ohne alle Theilnahme, ja gegen den Wunsch Englands. 5) Daß Louis Philipp anfangs gar nicht auf die +Gleichzeitigkeit+ der Verheirathung beider Prinzessinnen eingehen, und die mit England getroffene Verabredung halten wollte. Guizot, und vor Allen Bresson, trieben aber vorwärts, und daß Palmerston Koburg, sehr natürlich nicht als Candidaten +streichen+ wollte (da die Königin Christine und viele Spanier ihn nannten), gab den Vorwand. 6) Selbst Aberdeen vertheidigt Palmerston und sagt: Frankreich übe ~a doubtful policy, which may lead ultimately to very serious consequences~. Palmerston äußert: dieser Gemahl werde das Land und die Königin nicht beglücken. 7) Bresson kannte die Gesinnungen Isabellens über den Bräutigam, welchen man ihr aufdringen wollte. Er schreibt: sie habe ~préventions d’une vivacité et d’une énergie qui semble ne faire qu’augmenter~. Man müsse ~habituer la reine à sa voix et à ses hanches~. Dennoch beharrte er bei dem Plane, ihr den geistig und leiblich unfähigen Mann aufzuzwingen, bei Nacht und Nebel, trotz Weinen und Wehklagen! -- Louis Philipp und Guizot büßen in England, die Königin Isabella geht ungezügelt ihre eigene Bahn, und Bresson hat sich den Hals abgeschnitten! ~Discite justitiam moniti, et non temnere divos!~ -- Den 15. October. O Gott! Wie ändern sich die Zeiten! Ich denke heute an den Geburtstag Friedrich’s II., wo der König erklärte -- -- -- Und jetzt wird öffentlich in den Zeitungen verhandelt: ob man seinen eigenen Geburtstag feiern solle; es wird in vielen Kreisen beschlossen, es sei nicht an der Zeit; und wohlgesinnte Feiglinge unterwerfen sich dem Beschlusse, aus Furcht vor eintretenden Ungebührlichkeiten! -- -- -- -- Ja wohl hat Bastide Recht wenn er (ohne die Übel in Frankreich zu läugnen) sagte: „welch ein Gachis habt ihr in Deutschland. Sonst so gemäßigt und verständig; wenn aber einmal aufgeregt, wie schwer zu beruhigen.“ -- Das hat der Dreißigjährige Krieg gezeigt, und ähnlicher Wahnsinn wird schon lobgepriesen. Weit die große Mehrheit denkt, fühlt, spricht für Wahrheit und Recht, aber im Handeln läßt sie sich von einer kleinen, nichtsnutzigen Minderzahl überflügeln. Dort (mit den Mechanikern zu reden) große Massen und geringe Geschwindigkeit, hier geringe Massen aber große Geschwindigkeit. Die herausgeschossene Flintenkugel ist gefährlicher als die mit Händen fortgerollte Kanonenkugel. -- Ich denke jetzt (auf mein hiesiges Leben zurückblickend) oft an das Wort: ~multa agendo, nil agimus~; vielthuend, thun wir nichts. Den 15. October. ~A son Excellence~ ~Monsieur Bastide, Min. des aff. étrangères.~ ~Monsieur le Ministre!~ ~Vous avez bien voulu à diverses reprises, me permettre de m’entretenir familièrement avec vous, en dehors des rapports de service, et il m’est aujourd’hui d’autant plus agréable d’user de cet avantage, que je n’ai reçu encore ni pu recevoir depuis notre dernier entretien de nouveaux ordres de Francfort. Les motifs importants qu’a fait valoir auprès de vous le Ministère de l’Empire pour nouer des rapports diplomatiques plus intimes avec la France, l’entière approbation donnée par vous a la ligne de conduite suivie dans l’affaire du Danemarc et à l’occasion des troubles de Francfort et enfin -- tout ce que j’ai pu ajouter moi-même à ce sujet, vous avait engagé, Monsieur le Ministre, à vous prononcer affirmativement en faveur de l’établissement immédiat de rapports officiels entre la France et le pouvoir central Allemand. Ayant transmis sans retard à Francfort les paroles que j’avais été heureux de recueillir sur ce point de votre bouche, l’on y a envisagé avec raison l’objet de ma négociation comme étant vidé à la satisfaction réciproque et l’on s’y est attendu à y voir accrédité prochainement un envoyé de la France.~ ~Par contre dans le cours de l’entretien que j’ai eu l’honneur d’avoir hier avec vous, vous avez exprimé le désir que rien ne fût changé provisoirement encore aux rapports tels qu’ils ont existé jusqu’ici et vous avez motivé ce désir en alléguant que depuis la déclaration que vous m’aviez faite d’abord à ce sujet maints événements avaient surgi tant en France qu’en Allemagne, de nature à modifier le point de vue de la question et à nécessiter de nouvelles réflexions. Je ne conteste nullement la gravité de ces événements, mais après mûr examen j’arrive, Monsieur le Ministre, à une conclusion qui diffère de la vôtre et je pense que c’est surtout en y ayant égard, que l’Allemagne plus que jamais est fondée à émettre le voeu de voir le Gouvernement français témoigner la participation amicale et les bonnes intentions --, auxquelles Elle attache un grand prix, non seulement dans nos entretiens confidentiels, mais en face de l’Allemagne et de l’Europe entière par des actes qui soient de nature à exercer l’heureuse influence que l’on doit en attendre.~ ~L’on comprend que l’on n’ait rien voulu précipiter d’abord à l’égard du pouvoir central de l’Empire, que l’on ait cherché à le connaître par ses oeuvres; -- mais aujourd’hui qu’il a déployé pas moins de sagesse que de force, aujourd’hui qu’il se trouve dans l’entente la plus cordiale avec les divers états d’Allemagne, dont il est le rempart, les doutes dont il aurait pu être l’objet à son origine sont levés de la manière la plus satisfaisante et les vrais amis de l’ordre ont les yeux dirigés sur Francfort comme sur un port de salut pour tous. Les partisans de l’anarchie, ceux de la République rouge, les communistes, les fauteurs du pillage et de l’assassinat sont les seuls en Allemagne qui osent insulter encore au pouvoir central de l’Empire et essayer de criminels attentats contre l’Assemblée. Dans leur aveuglement ils sont assez téméraires pour commenter les hésitations de la France, en faveur de menées coupables qu’elle a énergiquement répoussées dans son propre sein, ce dont l’Europe entière lui a su gré. C’est pourquoi, Monsieur le Ministre, je ne doute nullement qu’en ce moment surtout la France n’ait sincèrement à coeur de témoigner hautement qu’elle désire non moins pour l’Allemagne que pour elle-même, voir consolider le règne de l’ordre social et du droit, garantis par le pouvoir central de Francfort, et prouver en même temps aux plus obstinés que les coupables fauteurs d’anarchie en Europe n’ont rien à éspérer d’elle.~ ~Le Gouvernement français ne saurait vouloir opposer des considérations secondaires aux bienfaits qui doivent ressortir de l’amitié de deux grandes nations dont l’union seule peut sauver aujourd’hui l’Europe et la civilisation d’une ruine générale. -- En partant d’un point de vue aussi élevé j’ose me flatter, Monsieur le Ministre, de vous voir revenir sans peine à la résolution que vous m’aviez exprimée d’abord. L’opinion publique généralement acquise à la modération qui jusqu’ici a fait la règle de votre politique extérieure vous sera par là également assurée en Allemagne et en établissant sans retards ultérieurs des rapports officiels entre la France et le pouvoir central de l’Empire, tels qu’ils conviennent à des nations voisines et amies, vous prêterez force à vous même, en secondant un pouvoir qui tend avec courage et à travers tant de difficultés aux mêmes fins de progrès et d’ordre que vous poursuivez en France.~ ~Je ne voudrais pas mêler une petite question d’amour-propre personnel à la question si élevée dont je suis l’organe, mais n’ayant reçu, Monsieur le Ministre, depuis deux mois que je suis ici aucune réponse vraiment satisfaisante aux diverses communications que j’ai en l’honneur de vous adresser, il m’est pénible de penser que l’on peut attribuer à Francfort et en Allemagne à l’insuffisance du négociateur les retards qu’a soufferts jusqu’ici l’objet de sa mission. Cette pensée me préoccupe d’autant plus vivement que j’ai la conviction intime que la France, suivant avec sagesse le développement irrésistible de l’histoire du monde, accordera bientôt à un successeur plus heureux que moi, ce quelle aurait refusé si longtemps à mes instances.~ ~Je serai heureux si pour prix de mes efforts je parvenais à consolider de plus en plus les bons rapports existants entre mon pays et la France, en ayant égard de part et d’autre aux voeux et aux espérances de deux grands peuples pour le libre développement de leurs nationalités.~ ~Veuillez agréer, Monsieur le Ministre, la nouvelle assurance de ma haute considération etc.~ Dreiundsiebzigster Brief. Paris, den 16. October 1848. ~Réponse de Monsieur Bastide.~ ~Monsieur! J’ai eu l’honneur de Vous exposer de vive voix et à plusieurs reprises les raisons, qui pour le moment présent me paraissent s’opposer à ce qu’il soit donné un caractère plus officiel aux relations officieuses, et, j’ose le dire, aux relations de bonne amitié, établis entre nous. Ces raisons subsistent encore et ne me permettent pas de Vous donner une réponse qu’il me serait agréable d’adresser particulièrement à Vous, Monsieur, plus encore qu’à tout autre. Ne croyez donc pas, je Vous prie, qu’il entre dans la réserve dont je me vois obligé d’user, rien qui Vous accuse et encore moins, s’il est possible, rien qui puisse faire douter de nos vives sympathies pour la noble et généreuse nation allemande. La république française sent que, quels que soient les formes de gouvernement qu’il Vous convienne d’adopter, la France et l’Allemagne sont deux soeurs que les mêmes principes de liberté, d’ordre, d’indépendance doivent unir chaque jour davantage pour le bonheur du monde; et si les qualités personnelles d’un homme pouvaient rendre ce lien plus étroit, soyez sûr que cet homme serait Monsieur de Raumer.~ ~Permettez que je me félicite de l’occasion qui m’a été donnée d’entrer en relation avec Vous, et recevez, je Vous prie, la nouvelle assurance de la haute considération avec laquelle j’ai l’honneur d’être, Monsieur, Votre très humble et obéissant serviteur, Jules Bastide.~ Abends. Gestern hat Cavaignac, dem lauten Wunsche gemäß, drei Minister entlassen, und drei neue ernannt. Diese Männer, welche man früher lobte, werden heute schon in vielen Blättern heftig angegriffen, und der Sturz der Republik geweissagt, weil sie dem Berge nicht behagen. Selbst unter der Monarchie (rufen Einige) standen tüchtigere Männer an der Spitze? Woher soll man (erwidern Andere) die Tüchtigen nehmen, da ihr sie in Verruf gethan habt, und unter Euch keine Brauchbaren zu finden sind. -- Hat Paturot nicht Recht wenn er sagt: „die Wilden ehren wenigstens Das, was sie gemacht haben. Sie wechseln ihre Götzenbilder nicht mit jedem Tage: sie geben sich kein Oberhaupt um sich das Vergnügen zu machen es zu entehren!“ Wie theuer gewaltsame Umwälzungen sind, zeigt der heute veröffentlichte Finanzbericht über die Einnahmen in 9 Monaten 1848, verglichen mit 1846 und 1847. Es stellt sich nämlich ein Ausfall dar von 102 bis 104 Millionen Franken; und das letzte Vierteljahr wird gewiß kein besseres Ergebniß liefern. Es fehlen beim Salze über 3 Mill., bei den Getränken 7½ Mill., beim Tabak 500,000 Fr., beim Zucker 12-16 Mill.; beim Stempel 7¾ Mill.; bei verschiedenen Zöllen an 20 Mill.; beim enregistrement 37,807,000 Fr. Welche Schlüsse lassen sich aus diesen Ziffern ziehen über Zustände, Noth, Mißtrauen, Unzufriedenheit u. s. w.! -- Karl Blanc, der Direktor ~des beaux arts~, jammert über den Wegfall von 500,000 Fr., welche sonst jährlich den Künstlern aus der Civilliste zugeflossen, und fügt hinzu: „die Revolution des Februar hat (wie alle Revolutionen) die Künstler schrecklich getroffen, und bedroht selbst ihr Dasein. Die Meisten halten jetzt schöne Künste für überflüssig; nur die Regierung kauft Einiges, oder ein jetzt +verschuldeter+! Mäcen u. s. w. u. s. w.“ Den 17. October. Madame Sand ist eine so hochgerühmte, vielbesprochene Frau, daß ich pflichtmäßig ihrer wohl einmal gedenken muß. Niemand wird ihr ein ausgezeichnetes Talent absprechen; gewiß hat sie es aber überschätzt und mißbraucht. Sie wollte erschaffen und begründen, eine neue Familie, neue Religion, neue Philosophie, neuen Staat, und hat Phantastisches und Verkehrtes glänzend aufgestutzt, aber nichts zu Stande gebracht; sondern Besseres schwankend gemacht, Schwache verführt und in Wahrheit sich selbst zu Grunde gerichtet. Daß sie (wie man mir sehr umständlich erzählt) in jedem ihrer vielen Romane eine ihrer unzähligen Liebschaften dargestellt und verhandelt hat, will ich ihr nicht einmal vorwerfen; desto bitterer tadelt man, daß sie durch ihre neueren Schriften den Massen wahnsinnige Dinge vorgespiegelt, unerfüllbare Hoffnungen erregt und den ärgsten Aufruhr befördert habe. Sie verließ endlich Paris, wo sie nicht mehr bleiben konnte und durfte. Reybaud widmet ihr im Paturot ein ganzes Kapitel, und sagt unter Anderem: ~le monde lui échappait: il ne lui resta plus que les tressaillements de la place publique. Elle s’y réfugia. Sa plume ardente réchauffa dans les âmes ce qu’elles renfermaient de colères sourdes et de ressentimens profonds. Plus d’une fois elle convia le peuple à ne compter que sur lui même, et à faire justice de intermédiaires conjurés à le tromper. Ces appels étaient empreints du fiel âcre que distillent les coeurs déçus. Notre Muse y exhalait tous les mécomptes, toutes les ardeurs de sa vie. C’était couronner dignement ce poëme où elle avait jeté la pudeur au vent et pris la morale au rebours avec une audace sans pareille Triste et dernière chute, après tant de chutes! -- Rien ne manquait à cette déchéance, si ce n’est le geôlier et la prison battue par les flots de l’Ocean!!~ Den 18. October. Gestern aß ich beim Baron v. Rothschild. Die ganze Familie ist angenehm, natürlich, verständig, und (wie ich wohl schon schrieb) so entfernt von scheinbarem Hochmuth, als von falscher Demuth. Leider ist Frau v. R., diese sehr liebenswürdige Frau, von einer ernsten Krankheit noch nicht so hergestellt, daß sie an der Gesellschaft Theil nehmen konnte. Am südlichen Himmel giebt es rabenschwarze Stellen; solcher Stellen kann man viele jetzt am politischen Himmel nachweisen. Desto ängstlicher sucht man umher, wo sich etwa eine Spur neuen, oder erhaltenen Lichtes zeige. Die gestrige Mehrheit von 415 Stimmen für die Regierung Cavaignac’s giebt eine Art gesetzlicher Bürgschaft bis zur Präsidentenwahl; die Erklärung der französischen Regierung gegen Erneuerung der Feindseligkeiten in Italien ermäßigt die ungeordneten Gelüste der Italiener und stützt Österreich, der Gedanke an Krieg ist höchst unbeliebt in England und wird die Behandlung Deutschlands wohl berichtigen. -- Ob des Bedürfnisses einer festen Verfassung für Deutschland, wird man ungerecht gegen Behandlung und Feststellung der Grundrechte. Denn so unnütz und verkehrt auch dabei gesprochen ward, so gewiß auch einzelne Bestimmungen nichts taugen, oder unausführbar sein dürften, enthalten doch viele Hauptvorschriften außerordentliche Fortschritte, im Vergleiche mit vielen Mißbräuchen und Hemmungen der früheren Zeit. Hoffen wir also, daß der Unsinn und die Wuth sich schnell abnutze und vorübergehe, während das Gute feste Wurzel faßt und Dauer gewinnt. Den 20. October. Wenn es ganzen Völkern geht, wie mir, so verengt sich ihr Gesichtskreis immer mehr und sie werden täglich dümmer. Sonst sagte man: alle Wege führen nach Rom, um das Inhaltreichste, Bewundernswertheste zu bezeichnen; jetzt führen alle Wege und Gedanken in die Politik. Aber nicht in die lehrreiche, großartige, welche das ächte Leben und die Entwickelung der Völker nachweiset und regelt, sondern in das willkürliche, sittenlose Treiben der Einzelnen und der Massen, in eine widrige Mischung von Aberglauben und Unglauben, in die Lehre daß zu jedem Zwecke, jedes (selbst das schändlichste) Mittel erlaubt sei, in das nürnberger Tandspiel mit leeren Formen, oder in den rasch wechselnden Götzendienst mit nichtsnutzigen Personen. Welche Beispielsammlung giebt unsere Zeit, wie man es +nicht+ machen müsse. Leider nur nicht so unschuldig und einfach, wie die in der Schule zusammengestellten irrigen Beispiele um die Fehler zu verbessern! Woher kommt die unsittliche Cholera unserer Tage? An vielen Stellen (aber nicht überall) lassen sich die Ursachen nachweisen, und daß ungeheure Ausbrüche schlecht behandelter Krankheiten selten ausbleiben. Die Übel wachsen dann in geometrischer Progression, und schneiden und brennen ist besser, denn verfaulen. Man wird hier bald mit Entwerfung der Verfassungsurkunde fertig sein: natürlich wieder für eine neu beginnende Ewigkeit! Louis Bonaparte soll der (nichtsthuende) Brama werden; es will sich aber noch kein erhaltender Vischnu mit ihm einlassen, und da möchte es nicht an zerstörenden Schismas fehlen, die jenen auf den Altentheil setzen. -- Eine sehr praktische Frage beschäftigt jetzt die Nationalversammlung: über das Maß des Centralisirens oder nicht Centralisirens. Lob und Tadel wird über beide Richtungen in scharfer Weise ausgesprochen: möchte man die richtige Mitte, oder die lebendige Diagonale der beiden bewegenden Kräfte finden! Gewiß giebt es ein +Zuviel+, und ein +Zuwenig+, und eine napoleonische Verwaltung, welche den Städten und Landschaften gar keine Freiheit läßt, leidet an dem ersten Mangel. Umgekehrt fürchtet man, beim Nachlassen der strengen Oberleitung, ein völliges Aufhören des Gehorsams und eine anarchische Zerstückelung. Auch hier Scylla und Charybdis. Um dem Geschrei über den Belagerungszustand von Paris ein Ende zu machen, hat man ihn aufgehoben, ist aber keineswegs gesonnen ungestört die rothe Anarchie oder wiener Gräuel einbrechen zu lassen. Die berliner Zeitungen sind gestern ausgeblieben und daher die Furcht nicht unnatürlich, man werde daselbst in ähnliche Scheußlichkeiten hineingerathen. Den 22. October. Gestern hatte ich ein langes Gespräch mit Hrn. C. Nach Beseitigung eigentlicher Geschäfte, sagte er: was halten Sie von der Lage Frankreichs? -- Ein Fremder kann darüber schwer urtheilen. -- Ihre Meinung zu hören ist mir lieber, als die vieler befangener Franzosen. -- Ich kenne die Stimmung der Landschaften zu wenig. -- Ich kenne sie auch nicht. Glauben Sie, daß man L. Bonaparte zum Präsidenten erwählen wird? -- Es heißt die Landleute und Legitimisten wollen für ihn stimmen. Wer wird aber für ihn regieren? -- Das weiß Niemand, wir gehen einer durchaus ungewissen und unbekannten Zukunft entgegen. -- Hr. Lamartine sagte: ~jacta est alea!~ und Gott wird helfen! -- Lamartine ist und war nie ein Staatsmann. In solchen Lagen die Vorsehung anrufen, heißt nichts thun oder Verkehrtes thun. Die Franzosen sind monarchisch durch Herkommen, Sitten, Neigungen; republikanisch nur ~par l’esprit~ u. s. w. u. s. w. Baron R. äußerte letzthin: die Eisenbahnen beförderten Revolutionen. Gewiß; man kann mit ihrer Hülfe aber auch (wenn man thätig ist und es recht anfängt) Revolutionen verhindern. Auch giebt es in Portugal, Spanien, Italien, Ungarn, Polen keine Eisenbahnen, und doch Revolutionen. Den 23. October. Besuche abstatten (oder doch abstatten wollen) gehört recht eigentlich zu meinem Geschäfte; -- ohne daß man es jedoch dadurch bis zu einem wahrhaften Geschäfte bringt. Man klatscht, man klagt, man vertraut sich Dinge unter dem Siegel der Verschwiegenheit, welche eine halbe Stunde später die ganze Welt weiß; man setzt Kleinigkeiten unter das Vergrößerungsglas, und geht von großen Dingen rückwärts und rückwärts, bis sie klein erscheinen; man spaltet Haare, läßt aber große Steine des Anstoßes als ein ~noli me tangere~ unangetastet im Wege liegen. Dies und Ähnliches gehört zur höheren Diplomatie; die verständige geht nicht über den gesunden Menschenverstand hinaus, bezweckt nicht das Unmögliche, und sucht sich mit dem Unabänderlichen zu vertragen und zu verständigen. In den letzten Gränzen hielt sich ein langes Gespräch, welches ich gestern mit Drouyn de l’Huys, dem Vorsteher des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten, hatte. So über die Nothwendigkeit und Heilsamkeit eines aufrichtigen Einverständnisses zwischen Deutschland und Frankreich, die Verkehrtheit der alten Eroberungspolitik, die thörichte Vernachlässigung der Gefahren im Osten Europas, die Unentbehrlichkeit einer Schutzmacht gegen Rußland u. s. w. Es ist erfreulich, daß sich, nach langer Thorheit, die Wahrheit wieder Bahn macht, daß Preußen der Hauptbestandtheil Deutschlands sei. Noch einmal zeigt sich, in nicht allzugroßer Ferne, die Gelegenheit, dies geltend zu machen. Wird man endlich sie kühn zu ergreifen willig und fähig sein? Dazu gehört aber freilich mehr, als daß in Berlin, nach blutigem Kampfe und ohne Bestrafung der Schuldigen, die rothen Republikaner und die Bürgerwehrmänner (oder Weiber) sich in die Arme fallen und Brüderschaft trinken. Dies würde zuletzt nur wiener Ereignisse herbeiführen. Zu meinen kurzen Mittheilungen über die peinliche Rechtspflege in Frankreich füge ich heute Einiges über die bürgerliche Rechtspflege hinzu. Bei 361 höheren Civilgerichten wurden 176,000 Prozesse angebracht (im Jahre 1846) und davon abgeurteilt 131,080. Die Zahl derselben ist für die verschiedenen Theile des Landes sehr verschieden: am höchsten im Departement der Seine: nämlich auf 124 Menschen und 734 Fr. Grundsteuer ein Prozeß. Unter 1128 Scheidungsklagen sind 1048 von den Frauen und nur 80 von den Männern angebracht worden. Man könnte dies allerdings betrachten als einen Beweis der Ungeduld und Unbeständigkeit der Frauen; in Wahrheit aber dürfte sich die Erscheinung zu ihrem Vortheil gestalten, wenn man die Scheidungs+gründe+ ins Auge faßt. Nämlich 1015 Scheidungsklagen erfolgten wegen Ausschweifungen, Gewaltthaten und grober Beleidigungen (~excès, sévices, ou injures graves~), 62 wegen Ehebruch des Mannes, und 21 wegen peinlicher Strafen. Von 86 Gegenklagen der Männer bezogen sich 61 auf Ehebruch der Frauen, 1 auf eine entehrende Strafe, 25 auf ~excès, sévices et injures graves~. Obgleich also, wie es scheint, auch die Frauen bisweilen grob sind und drein schlagen, gehen doch Scheidungsgründe dieser Art natürlich meist von den Männern aus und sind +weit die zahlreichsten+. Ehebruch kommt seltener zur Sprache, als man vermuthen sollte, versteckt sich aber wohl auch nicht selten hinter Grobheiten und Schläge. Weit die meisten Scheidungsklagen fallen auf das Departement der Seine, und viel mehr auf den Norden Frankreichs, als auf den Süden. Noch ist zu bemerken, daß die große Mehrzahl der Geschiedenen Katholiken sind, welche sich nicht wieder verheirathen dürfen, also der Welt keineswegs ein Schauspiel geben wie bisweilen bei uns, wo ein schlechter Tauschhandel und eine Art von Kämmerchenvermiethen stattfindet. Vierundsiebzigster Brief. Paris, den 24. October 1848. Die neue Verfassung Frankreichs ist im Wesentlichen fertig und angenommen. Mit Ausnahme der zunächst praktischen Frage über die Präsidentenwahl, erweckt sie kaum Theilnahme und noch weniger Begeisterung; so sehr ist man an die Verfassungsmacherei gewöhnt, und so wenig Vertrauen hat man zu der Lebensdauer des neugebornen Kindes: ~transeat cum caeteris~. Noch immer hat L. Bonaparte die meiste Aussicht auf Stimmenmehrheit: die Bauern (sagt man) werden ihn wählen, damit er (gleichwie sein Oheim) der Republik den Garaus mache. Noch wollen die einflußreichsten Männer aber sein Schiff nicht besteigen und für ihn das Steuer ergreifen; sie glauben nicht an die Möglichkeit, daß er lange an der Spitze bleibe. Man war im Begriff, die Präsidentenwahl auf den 3. December anzusetzen; weil dies aber der Jahrestag der Schlacht von Austerlitz ist, brachte man den 10. in Vorschlag. Marquis Brignoles erhielt vom turiner Hofe ein Schreiben: seinem dringenden Wunsche gemäß, werde er von Paris abberufen und Hr. Ricci (ein kriegslustiger Mann) an seine Stelle kommen. -- Hr. v. Brignoles schickte das Schreiben zurück: denn da er jenen Wunsch nie gehegt, könne er ihn, der französischen Regierung gegenüber, nicht anerkennen. Gleichzeitig erklärt diese: sie wünsche, daß Hr. v. Br. bleibe und Hr. Ricci nicht komme. Ohne diese Erklärung zu berücksichtigen, wird Br. dennoch abberufen, wodurch Carlo Alberto (oder seine Minister) hier noch mehr als bisher an Credit verlieren. Den 28. October. Das Rad dreht sich hier so schnell, daß das heute wichtig Erscheinende, morgen schon verschwunden ist und Anderem Platz gemacht hat. Doch hängt allerdings Alles zusammen, und Eins folgt aus dem Anderen, z. B. allgemeines Wahlrecht, +eine+ Kammer, Wahl des Präsidenten +nicht+ durch die Nationalversammlung, Lamartine’s Würfelspiel, Beschleunigung der Wahl des Präsidenten, L. Bonaparte’s Bewerbung u. s. w. Cavaignac’s bestimmtes Auftreten hat für den nahen Wahltag, den 10. December entschieden. Man fürchtet ein längeres Provisorium, Intriguen, Banketts und Emeuten während desselben; Cavaignac will sich nicht aufdringen, oder aller Orten über Zögerungen anklagen lassen. Wenn L. Bonaparte gewählt wird, sagte ein angesehener Mann, so drängen sich Intriguanten und Nichtsnutzige aus allen Ländern an ihn, und Frankreich geht einer elenden Zeit entgegen. Des leeren Namens wird man bald überdrüßig werden; -- und was dann? -- Möglich daß, unter +vielen+ bitteren Kelchen, dieser +eine+ vorübergehe. Auf meine Verhältnisse haben jene Beschlüsse und diese Zustände den bestimmtesten Einfluß. Cavaignac und Bastide werden bis zur Präsidentenwahl in Bezug auf Deutschland keine weiteren Maßregeln ergreifen; sondern (gleichwie England) eine Entwickelung der deutschen Verfassung abwarten. Welche Ansichten ihre etwanigen, unbekannten Nachfolger haben dürften, weiß Niemand; vor dem Januar 1849 rückt mithin +nichts von der Stelle+. Bei diesen Verhältnissen habe ich heute dem Ministerium in Frankfurt vier Möglichkeiten vorgelegt und mich jeder Auswahl unterworfen: 1) mich abzuberufen; 2) meine Sendung niederzulegen, um meinen Pflichten als Abgeordneter in Frankfurt zu genügen; 3) in Form gegebenen Urlaubs auf kürzere oder längere Zeit von hier wegzugehen; 4) hier geduldig abzuwarten und auszuharren. -- Es war gleich unpassend ganz zu schweigen, oder auf Weggehen, oder auf Hierbleiben zu bestehen. Ich zeige meine Bereitwilligkeit zu Jeglichem, was man als heilsam anerkennt für die Sachen, und mit Rücksicht auf meine Persönlichkeit. Das sogenannte Schicksal mag entscheiden. Übrigens muß eine Art von ~public character~, wie ich jetzt bin, allerhand gewohnt werden. So erzählt der Minister der auswärtigen Angelegenheiten in der -- Kammer: +ich+ hätte an die deutschen Regierungen geschrieben, ihre Gesandten müßten noch hier bleiben; und während es dem deutschen Reichsgesandten nicht gelungen sei, deutsche Junigefangene ausgeliefert zu erhalten, wäre dies dem -- Gesandten gelungen. An dem Allem ist auch nicht ein wahres Wort: ich habe an +keine+ Regierung geschrieben, der Gesandte hat sich um +keine+ Gefangenen bekümmert; mir aber hat Bastide lachend gesagt: all das Gesindel stehe zu Diensten, wenn man sich in Deutschland danach sehne! Fünfundsiebzigster Brief. Paris, den 29. October 1848. Ich weiß nicht, ob unter Bekannten und Unbekannten die Täuschung noch fortdauert: ich lebe hier herrlich und in Freuden, unter interessanten Personen, üppigen Festen, heiteren Zerstreuungen u. s. w. Umgekehrt, nichts von dem Allem! Da ich zu meinen hiesigen Ausgaben keine +bestimmten+ Summen erhalte, sondern im Ganzen das Verbrauchte angeben soll; so gebe ich bei natürlicher Ängstlichkeit und pflichtmäßiger Gewissenhaftigkeit nur das durchaus Nothwendige aus, um dem (so leicht eintretenden) Vorwurfe zu entgehen, ich hätte auf öffentliche Unkosten geschwelgt. Und dennoch muß ich mir gestehen, mein hiesiges Thun sei so viel Geld nicht werth, als ich verbrauche. Unterrichtete Personen, so B--e, sagen mir: wenn auch die Verhältnisse es unmöglich machen, daß Sie +positiv+ viel ausrichten, so ist doch Ihr Einfluß und Ihre Persönlichkeit +negativ+ von großem Nutzen. Sie halten Übeles ab, berichtigen Mißverständnisse und Irrthümer, fördern die Wahrheit, stehen mit Allen in gutem Vernehmen, während viele Andere leicht Alles verdorben hätten u. s. w. -- Mit derlei Trost lasse ich mich denn von einem Tage zum anderen hinpäppeln. Bei meinem öfteren, früheren Aufenthalte in Paris bin ich als Professor in unzähligen Gesellschaften gewesen; jetzt ißt und trinkt der Quasireichsgesandte beim ~Restaurant~ oder auf seiner Stube; denn Niemand giebt Gesellschaften, und die wenigen sogenannten Soiréen sind entweder so überfüllt, daß man sich nicht rühren kann und an Unterhaltung nicht zu denken ist; oder leer und bisweilen sogar langweilig. Ganze Tage lang läuft man umher nach sogenannten interessanten Leuten, findet sie aber nicht zu Hause; oder wenn dies ausnahmsweise einmal der Fall ist, so haben Alle denselben politischen Butterfrauentrab eingeschlagen. Von anderen Dingen (Kunst, Wissenschaft, Geschichte) ist nicht die Rede, sondern lediglich von den vielen Leiden der Gegenwart und den geringen Hoffnungen für die Zukunft. So summt und brummt man hin und her, wie eine Tagesfliege, stößt mit dem Kopfe gegen helle Fenster oder dunkle Wände, findet aber nirgends einen wahren, beruhigenden Ausgang, nirgends Vertrauen, Heiterkeit und Zufriedenheit. -- So in dem großen Normalbabel, welches aber doch original ist; während Berlin und Wien sich als schlechte, verzerrte Copien darstellen, und nur die Belgier (früher als Affen der Franzosen verspottet) jetzt auf ihren eigenen Beinen, gesund, frisch und muthig einherschreiten. Welch ein Unterschied zwischen Frankreich und den Vereinigten Staaten von Nordamerika. In beiden Ländern steht eine Präsidentenwahl bevor; hier ist aber eigentlich nur von zwei ausgezeichneten Bewerbern die Rede, welche (wer auch obsiege) in allen wesentlichen Dingen die gleiche, bestimmte, nicht zu verfehlende Bahn einschlagen. Nirgends Umwälzungen, Gefahren, oder große Gegensätze; mittelmäßige, gefährliche Bewerber unmöglich, der große Bau fest und gesichert, und die Fahne, welche man auf die Kuppel pflanzt, keine unsichere Wind- und Wetterfahne. -- Wie ganz anders in Frankreich: Alles nochmals in Frage gestellt, Republik oder Monarchie, Krieg oder Frieden, Papiergeld, Bankerott, Recht auf Arbeit u. s. w. Viele Bewerber mit den verschiedensten Richtungen: darunter (so spricht man) ein Unfähiger, ein Hauptconfusionarius, ein rother Republikaner, ein weißer Republikaner, drei, vier Monarchisten oder Legitimisten. Jeder stellt dem Anderen ein Bein, wartet auf des Anderen Sturz und Verbrauchtheit; Jeder beginnt den Bau der bürgerlichen Gesellschaft von Neuem und nach wesentlich verschiedenen Grundsätzen. Niemand weiß wer zunächst obenauf kommen wird; Niemand glaubt, daß der und das Obsiegende auch nur ein Jahr lang sich erhalten und obenauf bleiben werde. -- Das wirbelnde, kreisende Chaos; Jeder wünscht: es werde Licht; aber Der fehlt, der aus eigener Kraft sagen könnte: und es ward Licht. -- Die Formel, „von Gottes Gnaden“, wie sie unser König auslegt, reicht dazu nicht hin. -- +Jedes Recht+ ist von Gottes Gnaden, das meinige, wie das des Königs; aber eben deshalb und weil es von Gottes +Gnaden+ kommt, ist keins unbedingt und unumschränkt. Zu den obigen, für Frankreich stattfindenden Gefahren, treten noch andere hinzu: Erstens, daß die Massen und Parteien geneigt und gewöhnt sind, die Ergebnisse gesetzlicher Entwickelung zu verschmähen, sobald sie ihnen nicht behagen, um auf revolutionairem Wege ihre eigenen Ansichten durchzusetzen. -- Und so, ohne Grazie, ~in infinitum~! -- Zweitens reichen die +förmlichen+ Bestimmungen der Verfassung nicht aus, die Rechte und die Macht des Präsidenten und der Nationalversammlung zu regeln; man wird darüber hinausgehen, und andererseits dahinter zurückbleiben, das Gesetze Geben und Gesetze Anwenden nicht genau scheiden wollen und scheiden können, mithin zwischen Übermacht und Ohnmacht hin und herschwanken und sich darob vielfach zanken. -- L. Bon. Bewerbung wird von sehr Vielen begünstigt, damit er die Republik stürze; ob aber die Minderzahl der entschlossenen Republikaner sich dem geduldig fügen wird, ist noch immer die Frage. Erhält er nicht zwei Millionen Stimmen, so treten vier Bewerber neben ihn hin, und schwerlich wird dann die Versammlung für ihn entscheiden. So wissen mächtige Regierungen und große Völker nicht, was ihnen bevorsteht und sehen hinaus in eine finstere Nacht der Zukunft; wie kann ich verlangen, daß mein Schicksal (so weit es von Außen kommt) bereits feststehe. Den 30. October. Sie sind jünger wie ich und nehmen vielleicht deshalb die Dinge heiterer und leichter. Sonst stehen wir Beide auf derselben Stelle, das heißt: wir haben in Wahrheit -- +nichts+ ausgerichtet. Denn die Anerkennung der Thatsache: daß in Frankfurt ein Reichsverweser und eine Reichsversammlung ist, hat gar keine Bedeutung, so lange man in London und Paris auf alle anderen Wünsche, Hoffnungen und Forderungen gar keine Rücksicht nimmt; z. B. hinsichtlich Italiens, Holsteins u. s. w. +Die Hauptschuld dieser Geringschätzung oder Nichtachtung tragen die Deutschen selbst.+ Der Straßenunfug in München, die Anarchie in Wien, die muthlose Erbärmlichkeit in Berlin, die Frechheit der äußersten Linken u. s. w. Das sind Übel so großer Art, daß sie mit aller diplomatischen Gewandtheit nicht wegzuräumen sind. Um jedoch nicht offen (und leider mit Recht) anzuklagen, versteckt man sich in London und Paris hinter kleinliche Formen und Sylbenstechereien, und wir trösten uns mit der sprachlichen Deutung: +officiös+ und +officiell+ sei dasselbe. Dem ist aber in Wahrheit nicht so. Mißtrauen in das Gelingen der deutschen Bestrebungen, ja der Wunsch dieses Mißlingens leuchtet bei Vielen durch jenen diplomatischen Vorhang und Vorwand hindurch; alle Freunde der Unordnung deuten das Zögern der großen Mächte zu ihrem Vortheile und benutzen dasselbe; dem tüchtigen Ministerium in Frankfurt wird seine Bahn dadurch wesentlich erschwert und 45 Millionen Deutsche müssen (ich wiederhole: leider hauptsächlich durch eigene Schuld) leiden, was sich Engländer und Franzosen schwerlich bieten ließen. Beide nehmen z. B. ein Monopol der Einmischung in die italienischen Angelegenheiten in Anspruch, während sie uns auf bescheiden vorgetragene Wünsche keiner Antwort würdigen. Was würde England sagen, wenn sich Österreich ähnlicher Weise in die irländischen Angelegenheiten mischen wollte. Ich halte Englands Politik in Bezug auf Deutschland für irrig; die diplomatischen Vieillerien -- würde ein Mann von Lord Palmerston’s Energie leicht unter den Tisch werfen, wenn nicht andere als die angegebenen Gründe (bloße Quisquilien) im Hintergrunde lägen. Hat ihn das Provisorium in Palermo etwa von sehr deutlicher Mitwirkung zurückgehalten? Die Unsicherheit der französischen Regierung und der alte Aberglaube: Deutschlands Schwäche gereiche Frankreich zum Vortheil, -- entschuldigt das Benehmen dieser Macht weit eher, als sich (bei wesentlich anderen Verhältnissen) das Benehmen Englands erklären und rechtfertigen läßt. Und doch: lassen sich nicht alle die offen dargelegten, ostensibeln Gegengründe Frankreichs widerlegen! -- Die deutsche Verfassung (sagt man) ist noch nicht fertig; Niemand kennt die Zukunft und dergleichen.. Ist denn aber die französische Verfassung fertig? Weiß denn Jemand, +wer+ binnen vier Wochen in Frankreich und +wie+ er, mit oder ohne Verfassung, regieren wird? Alle Leute sagen: „L. B. wird zum Präsidenten erwählt, damit er der Republik den Garaus mache und die neue Verfassung ins Feuer werfe.“ -- Mit solchem Glauben oder Unglauben geht man, Gottlob, bis jetzt doch nicht in Frankfurt zu Werke. -- Das deutsche Volk hat die frankfurter Versammlung erwählt, alle Staaten und Fürsten haben sie anerkannt und finden jetzt in ihr eine Stütze. England und Frankreich ziehen es aber vor, Gesandte von Baden, Hessen, Anhalt u. s. w. als sakrosankt anzuerkennen, und dem zerstückelten, ohnmächtigen Deutschland Complimente zu machen, während man den Reichsgesandten als ein ~hors d’oeuvre~ nebenher laufen laßt. Ich gelte seit meiner Jugend für einen Optimisten und mein Wahlspruch ist immer gewesen: ~nil desperandum~; -- aber ich kann die Sonne nicht sehen, wenn Wolken davor stehen, obwohl ich fortdauernd an sie glaube. Glauben Sie nicht, daß verletzte Eitelkeit mich zu dieser ernst-wehmüthigen Betrachtung führt; +persönlich+ geht es mir außerordentlich gut und Hrn. Bastide’s Urtheile über mich sind günstiger als ich je erwarten konnte. Über meine unbedeutende Person kann ich aber Deutschland nicht vergessen. Mittags. Es ist nur +eine+ Stimme darüber, daß, trotz aller förmlichen Verfassungsmacherei, Niemand etwas über die Zukunft wissen könne. Der Präsident wird in derselben Weise gewählt wie die Nationalversammlung, weil aber +später+ als diese, wird er sich des +neuesten+ und +größten+ Vertrauens rühmen und danach handeln wollen. Treten etwa im Mai neue Wahlen für die Nationalversammlung ein, so kehrt sich die Zeitrechnung um und die Versammlung nimmt die größte Macht in Anspruch. Nach der Verfassung kommt ihr der größere, dem Präsidenten der kleinere Theil dieser Macht zu; der Buchstabe solcher Urkunden hat aber niemals in Frankreich entschieden. -- Der Geschichtschreiber soll das Band der Ursachen und Wirkungen nachweisen; wie ist dies aber da möglich, wo man Alles einem Glücksspiele, einer bloßen Lotterie preisgiebt? Höchstens kann man den Gründen nachspüren, welche veranlaßten, daß man so ~quitte à double~ spielt. -- Dennoch sind die Franzosen weiter in ihrer staatsrechtlichen Entwickelung, als die Deutschen; in so fern als sich die große und nicht unthätige Mehrzahl für Ordnung und Recht verwendet; während die deutschen Wühler sich für die rechten Erlöser ausgeben und die Massen noch immer verführen. Wie lange wird dieser Götzendienst dauern? -- Wird Gesetzlichkeit in Wien zurückkehren, oder Berlin in einen ähnlichen Abgrund der Anarchie versinken? Es klingt mir in den Ohren immer wieder: ~multa agendo, nil agimus~. Aber wenn man uns mißachtet, wer anders trägt die Hauptschuld, als wir selbst? Als ich vor zwei Monaten meine nicht gehaltenen Reden drucken ließ, wollte die Linke durch die Reichsgewalt alle einzelnen Staaten (angeblich zum Heile Deutschlands) vernichten; jetzt fordert sie die Herrschaft für die einzelnen Staaten und will (wieder zum angeblichen Heile Deutschlands) die frankfurter Versammlung auseinanderjagen. Und zahllose Dummköpfe stimmen in das erste, wie in das zweite Geschrei ein, ohne zu merken, worauf es beide Male abgesehen war und ist. -- Krisen dauern nicht lange, das zeigt der Februar, März, Mai, Juni u. s. w.; aber Krankheiten können 30 Jahre lang währen, für ein Jahrhundert abschwächen, oder mit dem völligen Tode des Einzelnen, oder der Völker endigen. -- Wie arm ist diese letzte Zeit an großen Männern und Charakteren; das Mittelmäßige macht sich überall breit und gilt für +groß+, so lange es +neu+ ist. Bald darauf wird es freilich verhöhnt und mit Füßen getreten. Und dennoch drängen sich Unfähige, Lahme, Schwindelige zu diesen Tempeln, um den ~Salto mortale~, durch das politische Faß hindurch zu wagen! ~Vanitas vanitatum, et omnia vanitas.~ Sechsundsiebzigster Brief. Paris, den 1. November 1848. Jede Revolution stört und unterbricht den Gang ruhiger Thätigkeit, mindert die Einnahmen und vermehrt die Ausgaben. Schon aus diesem finanziellen Gesichtspunkte sind alle Diejenigen verantwortlich und strafbar, welche ihre Nothwendigkeit herbeiführen, oder sie ohne genügenden Grund veranlassen. Das Deficit der Staatseinnahmen schlägt man in Frankreich für 1848 auf mindestens 300 Millionen Franken und ebenso hoch für 1849 an. Wie will man, wie kann man diesen Mangel decken? Steuererhöhungen sind unter den obwaltenden Umständen fast unmöglich, oder doch uneinträglich; Anleihen verstärken die ohnehin sehr große Schuldenlast und dürften nur unter den lästigsten Bedingungen zu Stande kommen; Papiergeld führt zu schlecht verdecktem Bankerott. Wenn also die +Einnahme+ sich nicht steigern läßt, muß man die +Ausgaben+ mindern. Abgesehen davon, daß jede Verminderung derselben auf Gewerbe und Geldumlauf nachtheilig wirkt, reicht das Streichen einiger Millionen, an diesem oder jenem Titel, kaum hin den funfzigsten Theil der vorhandenen Lücke auszufüllen; nur eine große Verminderung im Heerwesen könnte dazu hinreichen. Ob nun gleich Frankreich fast unangreifbar und nicht die geringste Gefahr eines fremden Angriffs vorhanden ist, wird es doch zu einer großen Ersparung bei den Kriegsausgaben nicht kommen. Denn die französischen Soldaten wollen nicht entlassen, nicht in ihre Heimat entsandt sein; sie betrachten meist ihre Stellung und Einübung nicht als etwas Vorübergehendes, sondern als Beruf und Erwerbszweig fürs ganze Leben. Daher behält man das System der Stellvertreter bei, und dringt auf eine lange Dienstzeit; während wir (bei allerdings sehr verschiedenen Verhältnissen) eine andere Richtung eingeschlagen haben. So wenig wie unsere Officiere in Masse eine Verabschiedung wünschen, ebensowenig die französischen Officiere und Soldaten. +Hier+ ist also Schwierigkeit, Widerspruch und Gefahr doppelt groß, und dem Finanzwesen dieser Rettungsweg so gut wie verschlossen. Doch klebt und kleckst jeder französische Finanzminister so viel glänzende Schönpflästerchen auf sein Budget als irgend möglich, und die Nationalversammlung freut sich des bunten Farbenspiels, bis der Anputz schmuzig wird, abfällt und nur Narben und Flecke zurückläßt. Beide Einstellungssysteme, +mit+ und +ohne+ Stellvertreter können angemessen sein: jenes, wo mehr Leute Soldaten werden wollen, als man jemals braucht; dieses, wo eine allgemeine kriegerische Vorbildung nöthig ist, um einen Staat in seiner politischen Höhe zu halten. Daneben, neben dem Heere und der Landwehr, läßt sich auch eine passende Stelle für eine Bürgerwehr finden. Wenn diese aber die eigentlichen Soldaten bei Seite schiebt, Wachen bezieht, Schildwach steht, sich eiteler Paraden freut u. dergl., das heißt faullenzt, statt zu arbeiten; so ist dies zugleich ein sittlicher und ein ökonomischer Verlust. Zwei Heere kosten noch einmal so viel als eins, und wenn nun gar die Bürgerwehr berathet, beschließt, sich über die Stadtbehörden hinaufsetzt, und anstatt wesentlich zu gehorchen, wesentlich ungehorsam wird; so ist dies (trotz aller Rederei, Anmaßung und Vornehmthuerei) ein verderblicher und verdammungswerther Zustand. Den 2. November. Der größte Theil der Journale spricht sich gegen L. Bon. aus, und Viele meinen: wenn die Präsidentenwahl noch einige Monate hinausgeschoben wäre, würde er schon vor derselben politisch gestorben sein. Nur die Presse, welche ihn früher aufs Härteste beurtheilte und heruntermachte, hält ihm jetzt eifrige Lobreden. Lob und Tadel ward vor drei Tagen auf einem großen Bogen nebeneinander gedruckt und an den Straßen angeschlagen. Diese Blamage für die Presse, welche den General Cavaignac täglich, bis zum Ekel, angreift und anklagt, hätte ihm willkommen sein müssen; höher stehend oder edler fühlend, ließ aber die Regierung jenen Anschlag abreißen, weil eine aufregende politische Straßen- und Mauerliteratur hier verboten ist. Ernsthaft gesprochen, wird mir mein hiesiges Leben täglich leerer, langweiliger und widerwärtiger. Denn es fehlt mir (leider oder Gottlob) an aller Eitelkeit, die sich etwas darauf zu Gute thun könnte, hier ~envoyé extraord.~ des deutschen Reiches zu sein. In Wahrheit bin ich nur ein ~flaneur~, und faullenze in einer Weise, wie ich es nie gethan habe. Man sagt mir von mehren Seiten: ich wirke sehr nützlich, ich sei beliebt, man wünsche mich hier zu behalten, man werde mich schwerlich ersetzen können u. s. w. -- Larifari, was ich hier thue, kann Jeder thun; ich aber könnte, wo nicht Besseres, doch etwas thun, was mir persönlich erfreulicher wäre. Aber wo, wie? „Denn zur Strafe meiner Sünden, kann ich keinen Ausgang finden.“ Für Werke der Wissenschaft bin ich zu alt, oder es fehlt doch die Gemüthsruhe, welche mir erlaubte, im vorigen Jahre über den römischen Senat und die großen Kirchenversammlungen zu schreiben; es fehlt die Heiterkeit, mich drei portugiesischen Frauen in die Arme zu werfen, welche ich dem wissenschaftlichen Vereine vorführen wollte, die aber jetzt in meinem Pulte eingesperrt liegen. -- Wäre nach tausend Jahren von allem Geschriebenen und Gedruckten nichts übrig, als meine Briefe aus Frankfurt und Paris, so würden sie viele Philologen, Editoren, Commentatoren, Kritiker, Setzer und Drucker beschäftigen; jetzt haben sie nicht so viel Gewicht und Bedeutung, alte Freunde zu einer Antwort zu bewegen. -- Vielleicht kommt bald eine Nachricht aus Frankfurt, welche mich -- dahin bringt, irgend ein Bund Heu muthig aufzuessen. Die jetzige Regierung Frankreichs, wenigstens zum Theil hervorgegangen aus dem Streite über die Festmahle (~banquets~), kann dieselben nicht füglich verbieten; auch hemmt die Furcht vor den drastischen Juniarzneien, lauten Skandal. -- Der Sinn Mancher offenbart sich indessen, wenn sie Blanc und Raspail als Märtyrer der Freiheit leben lassen, und d’Alton Shee vor Allem die Ausrottung schlechter Gewohnheiten verlangt. Die schlechteste von allen (fährt er fort), welche uns die Monarchie (!) hinterlassen hat, ~est la transmissions de l’hérédité et des noms~!! -- Dies zum Troste gegen den Ärger über Narrheiten in Deutschland. Viele gemäßigte Republikaner, welche sehen, welche Gefahren ihrem aus dem Stegreif erschaffenen Werke drohen, sagen: der National (die heftige Partei) hat die Republik zu Grunde gerichtet. Allerdings hat diese Partei ihren Sieg leidenschaftlich und eigennützig ausgebeutet (wie alle politischen Sieger in Frankreich); aber auch abgesehen davon, und von gerechtem Tadel, führt die Neigung und die Gewohnheit des Veränderns, selbst gesunde, natürliche Kinder hier zu raschem Tode. Als Rettungsmittel für die Republik ist vorgeschlagen worden, alle Bonapartiden in der Nacht gefangen zu nehmen und nach Cayenne zu schicken. Der Gedanke ward aber aus mehren Gründen abgelehnt. Wenn man die geheimsten Berathungen dieser Art ausplaudert, so ist dies ein Zeichen, daß man nicht mehr an die Festigkeit der bestehenden Regierung glaubt. -- Die Partei des National wünschte sich mit der alten Opposition, der dynastischen Linken, zu verbinden; diese erwidert jedoch: helft euch selber, wir haben mit Cav. und L. Bon. nichts zu schaffen. -- Wahr; allein hiedurch stimmt sie dem ~jacta est alea~ Lamartine’s bei, und wartet ab, wer da Licht in diese Nacht der Zukunft tragen werde. Täglich höre ich (hauptsächlich von Gesandten): Sie müssen lesen diese und diese Zeitungen, diese Artikel, diese Anklagen, diese Vertheidigungen, diese Glaubensbekenntnisse, diese Versprechungen, diese Warnungen u. s. w. u. s. w. -- ein Meer nicht auszuschöpfen, so viel Köpfe so viel Sinne, Staatsweise (oder Narren) in Unzahl! Ich kann und will mich nicht entschließen, bei Tage diese ungeheure Menge politischen Heues zu verzehren, bei Nacht es wiederzukäuen und am nächsten Morgen doppelt durch diesen politischen Katzenjammer zu leiden. Ich habe gar keine Anlage, ein solcher gesandtschaftlicher Vielfraß zu werden. Schon oft ist es in der Geschichte vorgekommen, daß das Schicksal eines Staates oder Volkes von einem Kriege, einer Schlacht abhing; es ist aber wohl noch nirgends geschehen, daß man sich durch lange Berathungen, zahlreiche Beschlüsse, staatsrechtliche Bestimmungen in eine so völlige Dunkelheit und Ungewißheit über alle geselligen Verhältnisse der nächsten Zukunft hineinverirrt, so Alles auf ein Spiel mit (falschen) Würfeln hinausgeführt hat. Es gehört eine mehr als eiserne Gesundheit dazu, Versuche, Experimente solcher Art zu überstehen. Zu etwas Anderem. Ein Hr. Deschamps hat den +Macbeth+ arrangirt, zurechtgeschnitten, ausgeflickt, zugesetzt, mit Tableauxs, Fackeln, Lampen u. s. w. u. s. w. versehen, -- zu großer Zufriedenheit der Pariser. Es heißt: ich habe mir erlaubt ~de retrancher des scènes parasites, des tirades exubérantes, des expressions affectées ou indécentes. Au 4^e acte je me suis permis des changemens fondamentaux. -- J’ai trouvé des vides à remplir par des paroles et des expressions shakspeariennes.~ -- So versteht, so mißhandelt man, so bewundert man hier den größten aller Dichter!! Da nicht jeder Freund oder jede Freundin, welche diese Briefe lesen, Paris (oder auch nur einen Wegweiser durch Paris) zu sehen bekommen, mögen einige auserwählte Kleinigkeiten über die angebliche ~Capitale du monde~ hier Platz finden. Sie liegt an 4 Grad südlicher wie Berlin, was sich in der Wärme, den Blumen und Früchten offenbart. Festungswerke und 14 Bastionen durchschneiden Besitzungen und Aussichtslinien, und schützen gegen Feinde, die (wenn Mäßigung in Frankreich herrscht) sich nirgends finden. Einen stets nahen Feind hat aber die Befestigung hervorgerufen und sehr verstärkt: nämlich die Schuldenlast! Unter Ludwig XI. betrug die Bevölkerung etwa 100,000, unter Ludwig XIV. 500,000, jetzt (innerhalb des Steuerbezirks) eine Million, welche jährlich verzehrt 77,000 Ochsen, 20,000 Kühe, 83,000 Kälber, 460,000 Hammel, 96,000 Schweine u. s. w. Die Verzehrungssteuer beträgt jährlich gegen 35 Millionen Franken. 1842 wurden geboren 15,369 Knaben, 14,844 Mädchen, darunter ¼ uneheliche. Die Stadt hat 55 Thore (~barrières~) und gegen 1100 Straßen. Die Polizei ist getrennt von der Präfektur und eigentlichen Stadtverwaltung. Jeder von den 12 Bezirken hat seinen Maire nebst Zubehör. Die Sparkasse (mit welcher man seit dem Februar sehr willkürlich umging) nimmt von einem Franken an, aber nicht über 500 Franken auf einmal und zahlt 3¾ Procent Zinsen. Jährlich werden im Durchschnitt 5,500 +Kinder+ ausgesetzt!!! welche verruchte Niederträchtigkeit noch immer Beförderer und Schutzredner findet. Den 3. November. Vorgestern, als wir sämmtlich ausgegangen waren, kommt ein wohlgekleideter, mit Orden geschmückter Mann zur Pförtnerin, giebt sich für einen Bruder, Schwager oder Onkel aus, ohne jedoch Namen und Wohnung anzuzeigen. Sein Gesuch: in unsere Stuben eingelassen zu werden, lehnt die Pförtnerin ein erstes, und als er dringend wiederkehrt, ein zweites Mal ab. Ein drittes Mal ist der ~Chevalier d’industrie~, oder Spitzbube, nicht wiedergekommen. Siebenundsiebzigster Brief. Paris, den 4. November 1848. Umlaufsschreiben der berliner Minister gehen in alle Welt: sie würden die Ordnung aufrecht halten, sobald es nöthig werde! Also, alle die widerwärtigen, ekelhaften, niederträchtigen Worte und Thaten, welche täglich vorfallen und als Fortschritte in der großartigen Entwickelung der Freiheit bezeichnet werden, müssen den Machthabern und Behörden doch als Fortschritte, oder als unschuldiger Scherz erscheinen, wenn man Abgeordneten Stricke zum Aufhängen unter die Nase hält, oder sie prügelt und mit Koth bewirft. Den 5. November. Gestern ist die neue Verfassung für Frankreich schließlich angenommen. Theilnahme und Begeisterung war nicht zu spüren; die Freudenschüsse hielt man erschreckt für Beweise eines neuen Aufruhrs. Vielleicht bringt das angeordnete Fest die Leute etwas mehr in Bewegung. Da die Feier der Julitage abgeschafft ist, muß eine neue ~doublure~ auftreten und spielen. Den 6. November. Schöne Nachrichten aus Berlin. R. und K. (~par nobile fratrum~) Arm in Arm an der Spitze des souverainen Pöbels. Der erste Minister, ein preußischer General, beschützt von den ärgsten Beförderern der Anarchie, gegen Prügel und Mord. -- Papierne Mittel dagegen, welche nur den Muth der Anarchisten verdoppeln und die Behörden verächtlich machen. -- -- -- Viele Gründe haben einen großen Theil Europas in die jetzigen Wirren gestürzt. Sie sind löblicher und verdammlicher Art. Zu jenen will ich gern das eifrige Bestreben zählen, alles Mangelhafte auf Erden zu verbessern, hieran reiht sich aber sogleich ein doppelter Aberglaube: erstens, daß sich Alles verbessern lasse; zweitens, daß Jeder das rechte Mittel kenne. Persönliche, unbegründete, unduldsame Meinungen werden ausgesprochen und geltend gemacht, wie ewige Wahrheiten: und in dieser dummen Tyrannei stimmt die alte und neue Schule überein. -- Da sich nun aber, in gewissen Verhältnissen, derlei Tyrannei +des+ Einzelnen nicht durchsetzen läßt, addirt man +die+ Einzelnen (unbenannte) Zahlen zusammen, und hofft auf Erlösung durch das allgemeine Stimmrecht. Ein halb, mehr eins (was quantitativ ohne Zweifel die Mehrheit ist), gilt auch für ein qualitativ unfehlbares Übergewicht. So bei der französischen Präsidentenwahl. -- Ein anderer, erst in neueren Zeiten mächtig hervortretender Grund von Umwälzungen ist die immer allgemeiner werdende Meinung: nur das sei das Rechte und beglücke den Menschen, was er selbst wolle und erschaffe. Alles von Natur oder durch Gesetz Gegebene, alle unabänderlichen Verhältnisse seien vom Übel und zu zerbrechen. Und doch ist ohne Achtung, Anerkenntniß und rechtes Verstehen der +gegebenen+ Verhältnisse, gar keine Ordnung und Zufriedenheit auf Erden möglich. Vaterland, Eltern, Geschwister, Zeit der Geburt, Geschlecht, Reichthum oder Armuth, Gesundheit oder Krankheit, Geistesgröße oder Beschränktheit; kurz, die wichtigsten Dinge sind +gegeben+, und wer mit dem Gegebenen nichts anzufangen weiß, oder gar es wegwirft, der wird gewiß nichts Anderes und Besseres erwerben. Hiemit finden wir die Lehre in genauem Zusammenhange: Leidenschaft stehe höher als Begeisterung, Willkür höher als Besonnenheit, und Jeder habe das Recht, sich eine eigene Rechts- und Sittenlehre zu erfinden. Mit Recht sagt ein französischer Schriftsteller: ~le dernier degré de l’abaissement, est la bonne foi dans l’infamie~. Den 7. November. Dieser Tage fragte mich ein Gesandter: wie oft melden Sie +Neuigkeiten+ nach Frankfurt? Diese Frage traf mich wie ein Vorwurf der Vernachlässigung meiner Pflichten, -- und doch habe ich, aufrichtig gestanden, die Überzeugung --, derlei Neuigkeitsberichte seien eher schädlich als nützlich, -- oder doch überflüssig. -- Aus dem Lesen, ich kann sagen vieler +Tausend+ von Gesandtschaftsberichten in verschiedenen europäischen Archiven, weiß ich, daß kaum ein Gesandter (aus Gründen, die ich hier nicht aufzählen will) dieser Neuigkeitsjägerei entgeht, daß fast Alle ein falsches Gewicht darauf legen. Sie quälen sich, um 3 Uhr zu erfahren, was um 5 Uhr die ganze Welt weiß und woran um 7 Uhr kaum irgend Einer noch glaubt. Dieses Abmühen mit Kleinigkeiten ist das Gegentheil staatsmännischer Übersicht und Voraussicht; es wirft ein falsches Licht auf die wahrhaft wichtigen Gegenstände, verrückt leicht den richtigen Gesichtspunkt und erschöpft die besser zu verwendenden Kräfte. Aus dem nur zu oft morastigen Boden der heutigen Politik steigen unzählige Blasen (~bubbles~) auf, wer kann sie festhalten, ihnen Dauer geben, sie zeichnen, beschreiben? Der Tag, ja der Augenblick ihrer Geburt, ist auch der Tag und Augenblick ihres Todes! -- Es ist unglaublich, mit welcher Bestimmtheit oft das Entgegengesetzteste erzählt und behauptet wird; z. B. Louis Bonaparte habe gesagt: er werde +niemals+ Krieg anfangen; -- er werde die Steuern vermindern und +sogleich+ Krieg beginnen. Und solcher Geschichtlein könnte ich hunderte auftischen! -- Wichtiger ist es, daß die Gesellschaft der angeblich Gemäßigten keinen Bewerber für die Präsidentenwürde aufstellen will. Das heißt (aus langen Reden in kurzes Deutsch übersetzt): sie wollen dadurch nicht die Stimmen zertheilen, wodurch die Entscheidung an die Nationalversammlung kommen und ohne Zweifel für Cavaignac und die Republik ausfallen würde. Sie betrachten L. Bonaparte als ein Mittel zum Sturze der letzten, und daß alsdann die Regierungsgewalt in irgend einer Weise an sie komme. Bei aller Wahrscheinlichkeit, daß Bonaparte obsiege, steht dadurch noch gar nicht fest, wer etwa mit ihm oder an seiner Stelle regieren werde. Mehr Friedensliebe, als Cavaignac und Bastide, dürfte schwerlich irgend ein anderer französischer Machthaber besitzen. Die lange Dienstzeit der Soldaten, welche Thiers vertheidigt, soll ein Heer erschaffen, das sich nach allen Weltrichtungen für Eroberungskriege gebrauchen läßt. Hr. Bastide und Hr. Cintrat sind überzeugt, daß ein mächtiges Österreich (besonders für den Osten Europa’s) nöthig ist, und der von Frankreich wohl aufgegebene Gedanke einer Abänderung der Landesgränzen in Italien, scheint nur in England noch Vertheidiger zu finden. Alle Leute behaupten hier: die französische Politik sei jetzt für Deutschland günstiger und milder, als die englische, und ich muß (so weit die Sachen zu meiner Kenntniß kommen) dieser Meinung beitreten. -- -- -- Achtundsiebzigster Brief. Paris, den 9. November. Die Franzosen sitzen vor dem Vorhange der Zukunft; und ob sie gleich die Coulissen, Versenkungen, Flugwerke u. s. w. selbst eingerichtet und aufgestellt haben, wissen sie doch nicht, welch ein Stück wird aufgeführt werden, und wer die Hauptrolle übernimmt! „Es giebt (sagte gestern Hr. Berryer bei Rothschild) keinen Zufall. Der Ausfall selbst jedes Glücksspiels (Pharao, Roulette) beruht auf gewissen Ursachen und Gesetzen, beruht auf Logik.“ -- Das weiß zuletzt Jeder; weiß aber damit doch nur, daß er eben nichts weiß, und diese Unwissenheit wird dann als Zufall oder Schickung bezeichnet. -- Daß ich Roulette spielend, weder durch wissenschaftliche Berechnung, noch durch Übung der Hand, ein bestimmtes Ergebniß voraussagen oder herbeiführen kann, stellt jenes Glücksspiel eben auf einen anderen Boden, als das Schachspiel, wo ich mit Sicherheit ein Ergebniß bezwecken und herbeiführen kann. Wer nicht über das Würfelspiel hinauskann und hinauskommt (~jacta est alea~), war und wird kein Staatsmann; auch ist Alles so verfahren, daß die Franzosen genöthigt sind, das dumme Wort nachzuschreien, und abzuwarten: ob ihnen eine gebratene Taube in den Mund oder ein Stein an den Kopf fliegen wird. Die neue Verfassung soll als ein Schild Rinald’s gegen Gefahren schützen, oder als Wünschelruthe unsichtbare Schätze finden lehren; -- ~credat Judaeus Apella!~ -- „Sie ist (sagte mir einer der ersten Staatsbeamten) ein todtgebornes Kind.“ Indessen soll sie nächsten Sonntag, vor unzähligen Zeugen, getauft werden; von denen wenigstens Neunzehntel hoffen und wünschen, daß der erstgeborne Sohn der Verfassung (der Präsident) seine Mutter kurzweg und ohne viele Umstände umbringen möge. -- Cavaignac wird gehaßt von den rothen Republikanern, weil er sie mit eiserner Hand zu Boden schlug, und die Erretteten finden, daß viermonatliche Herrschaft, als Dank, schon zu lange dauert. Alle Abstufungen von Monarchisten fürchten ihn, da er aufrichtig und ehrlich die Republik will, welche weit der Mehrzahl (aus sehr verschiedenen Gründen) in Frankreich zuwider ist. Während dieser Verhältnisse erhebt sich (den meisten Führern unerwartet) Ludwig Bonaparte. Die Massen, durch das allgemeine Stimmrecht gleichberechtigt, ziehen vor dem Namen den Hut ab, erwarten durch ihn Sturz der Republik, Erlaß von Steuern, Eroberungskriege, -- oder was Jedem sonst behagt. Die überraschten ~Meneurs~ sehen, daß sie Dessen, den sie für einen bloßen Popanz hielten, nicht mehr Herr werden können; sie beeilen sich deshalb ihm Komplimente zu machen, ihn zurechtzuschneidern und für ihre Zwecke auf den Trab zu bringen. -- Er ist (sagte mir gestern ein solcher legitimer Schneidergeselle) ~bien élevé, et pas sans intelligence~. -- Um Frankreich zu regieren? fügte ich in fragendem Tone hinzu. -- Er hat, fuhr Jener fort, eine sehr gute Eigenschaft, nämlich sich leiten zu lassen. -- Ich habe bisher geglaubt, der Präsident von Frankreich müsse Andere leiten und nicht des Hofmeisters mehr bedürfen u. s. w. u. s. w. In Wahrheit fördert man (besonders auf dem Lande) die Wahl Bonap., damit Cavaignac durchfalle und die Republik ein Ende nehme. Sobald dies geschehen, sei Bon. gar bald als verbraucht zur Seite zu schieben, und ein legitimer König auf den Thron zu setzen. So weit haspeln diese Parteien Alles gar einträchtiglich ab und zweifeln nicht an der Weisheit und Nothwendigkeit ihrer verwickelten Plane. Wem aber unter vielen Bewerbern der Thron einzuräumen sei: Louis Philippe, Joinville, Heinrich V, Orleans u. s. w. -- das sind ~curae posteriores~, spätere Sorgen! -- Neben all diesen höchst bedenklichen Zuständen wird jedoch in Frankreich das Bedürfniß von Ordnung und Recht täglich allgemeiner gefühlt, und die bitteren Erfahrungen scheinen nicht ungenutzt zu bleiben. In der deutschen Verwirrung ist mehr Unreife und Haltungslosigkeit; während sich Frankreich (wie ein Stehauf) immer wieder rasch auf seine Beine stellt und nach allen Seiten hin Front macht. Die Berathungen über das Budget gewähren einen sehr traurigen Eindruck. Von 1800 Mill. Ausgaben jüdelt man 5-6 Mill. hinweg, meist auf Kosten der Beamten, welche um so mehr auf ungerechten Erwerb hingewiesen werden. Hingegen bleibt die täglich erhöhte +Friedens+ausgabe für ein Heer von 500,000 Mann ein ~noli me tangere~. -- Erweiset man, daß Frankreich von Außen nicht bedroht ist, so wird geantwortet: wir brauchen solch Heer im Innern. -- Nach Widerlegung auch dieses Einwandes, gesteht man endlich ein: man müsse so viele Leute füttern, ihnen Brot geben und einige Zucht beibringen, weil sie sonst nicht zu bezähmen seien. Den 10. November. Beide Paturots sind von Louis Reybaud, und Malvina ein vortrefflich erfundener und durchgeführter Charakter. -- Mehre andere Romane enthielten so ordinaire, liederliche Geschichten, mit ~assa foetida~ gewürzt, daß ich mich durch einen Riesensprung in eine ganz andere Welt versetzte, das heißt: auf der Straße den Flavius Josephus kaufte, nach vielen Jahren diesen Schriftsteller nochmals lese, und den alten Glauben, oder das alte Vorurtheil bestätigt finde, daß die auserwählten Juden ungezogene Kinder waren und nicht viel taugten. -- Einseitiger Trost für die Mängel der Gegenwart. Ich habe Gelegenheit gesucht und gefunden, mit Schneidern, Schustern, Kaufleuten, Buchhändlern, Kutschern u. s. w. über die jetzigen Verhältnisse zu sprechen, aber auch +nicht einen+ Freund oder Bewunderer der Republik gefunden. Vielmehr suchen Alle den Grund +jedes+ Übels jetzt in der Revolution des Februars. Auch die Nationalversammlung, gewählt unter dem stärksten Einflusse der Sieger, hat Beschlüsse gefaßt, welche ihr eigenes Werk untergraben; ja, Viele glauben so wenig an dessen Dauer, als früher die Urheber an die Dauer der Verfassung von 1791. Gewiß hat Paris ungeheuer verloren: der Ausfall an Stadteinnahmen für 1848 wird auf 10 Millionen und für 48 und 49 auf 60 Procent angeschlagen. Schon jetzt (vor Eintritt des harten Winters) erhalten 265,000 Personen, eine für die Stadt sehr drückende und doch für die Empfänger sehr unzureichende Unterstützung. Nur +Arbeit+ könnte helfen; aber es fehlt noch mehr an Arbeitgebern, als an Arbeitslustigen. -- Die neue Verfassung macht der jetzigen Nationalversammlung ein Ende; wenn diese aber vorher noch die sogenannten organischen Gesetze entwerfen und annehmen will, so muß sie ihre Lebensdauer sehr verlängern; -- vorausgesetzt, daß das souveraine Volk, oder der emporwachsende Präsident, damit einverstanden sind. Übrigens beziehen sich jene geforderten, oder versprochenen organischen Gesetze, fast auf alle Theile des geselligen Lebens: Verantwortlichkeit der vollziehenden Gewalt, Staatsrath, Wahlgesetz, Organisation der Landschaften und Ortschaften, Rechtspflege, Unterricht, Heerwesen, Presse, Belagerungsstand. -- Bevor das Letzte festgestellt ist, wird der Grundbau des Anfangs vielleicht schon zusammenstürzen. Denn, wie gesagt, der Sturz der Republik ist offener oder geheimer Zweck der Meisten; wo sich dann weiter fragt: ob die Republikaner dies mit Gewalt verhindern werden, und ob man (sofern sie in Paris obsiegen sollten) in den Landschaften gehorchen will. Nimmt die französische Republik ein Ende, mit Spott oder Schrecken, so werden ähnliche thörichte Gelüste in Deutschland schneller absterben; dem Frieden aber sind Cavaignac und Bastide geneigter, als ihre wahrscheinlichen Nachfolger. Nehmen wir auch an, daß die neue Verfassung von gar keinen +äußeren+ Gefahren bedroht wird, werden doch +innere+ Gründe ihre Gesundheit und Wirksamkeit untergraben. So schön und wohlwollend zunächst auch die einleitenden Sätze lauten, weisen sie doch auf ernste Pflichten hin, von denen sich nur zu Viele gern entbinden, und erwecken Hoffnungen, welche man zu erfüllen außer Stande ist. So z. B. wenn es heißt: die Republik werde das Wohlbefinden (~l’aisance~) eines Jeden +vermehren+, durch +Verminderung+ der Steuern u. s. w. Auch der Satz: Jeder solle nach Maßgabe seines Vermögens zu den Abgaben beitragen, würde eine verderbliche Umgestaltung des ganzen Steuerwesens herbeiführen. +Eine+ Versammlung von 750 Abgeordneten, erwählt nach allgemeinem Stimmrechte, und ihr gegenüber +ein+ in ähnlicher Weise erwählter Präsident, ist gewiß nicht die rechte Form für lebendige, harmonische Bewegung und ewigen Frieden. Was Eide der Abgeordneten, Direktoren, Consuln, Präsidenten zur Erhaltung unbrauchbarer, oder gering geschätzter Formen helfen, hat die Erfahrung der letzten 60 Jahre hinreichend erwiesen; und doch hängt auch diesmal die ganze Verfassung an diesem Strohhalme! Wenn man gezwungen ist, hundertmal dasselbe zu denken, so ist es natürlich, daß man wenigstens zehnmal dasselbe schreibt. Habt also Nachsicht mit meinen Wiederholungen. Ich erzählte wohl schon, daß der Verein der Straße Poitiers keinen Candidaten für die Präsidentenwürde vorschlagen will. Dieser Beschluß richtet sich unmittelbar wider Cavaignac, und fördert mittelbar L. Bonaparte. Wenn nun Thiers hinzusetzt: er wolle nicht Minister eines Präsidenten sein; -- heißt das: Bon. solle sich darüber hinaus +erheben+, oder schon vorher +beseitigt+ werden? Das Benehmen dieser Männer mag pfiffig sein, oder aufgezwungen durch Verhältnisse; gewiß ist eine negative Stellung solcher Art untergeordnet, und nicht in kühnem Style patriotischer, des Herrschens fähiger und würdiger Staatsmänner. Ich habe darüber vielerlei Streit, weil künstliche, schlaue Bemühungen, besonders die Diplomaten mehr interessiren und imponiren, als die Einfachheit eines edelen und muthigen Benehmens. -- Man verdammt alle Erbfolge der Herrscher aus mancherlei Gründen, und will doch Bon. erheben, weil er der Neffe eines namhaften Mannes ist. Man schämt sich dieser Folgewidrigkeit, und weiß doch nicht, wie man ihr entgehen soll! Neunundsiebzigster Brief. Paris, den 11. November 1848. In einem Rundschreiben an alle Behörden, sagt Gen. Cavaignac: „das allgemeine Stimmrecht enthält die ganze Revolution; die des Februar ist eine unverletzliche Revolution durch das ganze Volk.“ -- Wie aber, wenn die Stimmen+mehrheit+, welche allein entscheiden soll, sich gegen die Republik erklärt? -- Er sagt ferner: „das politische Grundgesetz (die Verfassungsurkunde) stellt sich jetzt neben dem ewigen Gesetze der Ordnung und Festigkeit (~stabilité~), welche die nothwendige Bedingung aller menschlichen Gesellschaft ist. Beide sind +forthin+ unzertrennlich. Das Dasein der Republik ist unlösbar verbunden mit guter politischer und sittlicher Ordnung. Die Republik ohne gute Ordnung, gute Ordnung ohne Republik, sind von jetzt an zwei gleich unmögliche Thatsachen: wer sie trennen, oder eine der andern opfern wollte, ist ein gefährlicher Bürger, welchen die Vernunft verdammt und das Land zurückstößt.“ -- So das Glaubensbekenntniß eines gläubigen Republikaners am 10. November 1848. Wird es schon am Tage der Präsidentenwahl, den 10. December, oder bald nachher, Abänderungen erleiden?? An dem Budget für das Ministerium des öffentlichen Unterrichts hat man kleinlich geknausert, auf Kosten der Bibliotheken, Museen, Archive, Schulen u. s. w., und doch verhielt sich die ganze Ausgabe wie 5 Franken zu 1500 Franken der Staatsausgabe. Und in das Lobpreisen zahlloser Fortschritte ruft Victor Hugo hinein: ~l’ignorance est un plus grand péril que la misère; elle nous déborde, nous assiége, nous investit de toutes parts~ u. s. w. Nachmittags. Es fehlt hier nicht an ergötzlichen, zeitvertreibenden Planen, wie deren zwischen 1795 und 1815 so viele entworfen wurden: z. B. Henri V bekommt keine Kinder, adoptirt den Grafen von Paris, die älteren und jüngeren Bourboniden fallen sich in die Arme, und die letzten erhalten für geduldiges Abwarten, das Verdienst doppelten Edelmuths. So die Hofleute; was die Bürger von Paris oder auch nur die Gamins wollen, wird vor der Hand nicht berücksichtigt. -- Daß diese völlige Ungewißheit der Zukunft Frankreichs auch für Deutschland gefährlich und unheilbringend ist, brauche ich nicht umständlich zu beweisen. Die +deutschen Zustände+ haben den wesentlichsten Einfluß auf die Beurtheilungen und Maßregeln des Auslandes. Nach der Fehlgeburt des Dahlmann’schen Ministerii stiegen hier Frankfurts Aktien außerordentlich; seitdem hat indeß mancherlei wieder zum Schwanken und Sinken derselben und zu dem, leider richtigen, Glauben beigetragen: es stehe noch schwach mit der deutschen Einheit und deshalb auch mit der Reichsgewalt. Dahin rechnete man z. B. den Aberglauben, daß +Polen+ (welche in wiener Studentenröcke krochen) +die deutsche Freiheit gegen Slaven+ schützen wollten, ferner die Pöbelherrschaft in Berlin, den dortigen übereilten Beschluß, Posen betreffend u. s. w. Vor Allem aber fürchtet (oder hofft) man, daß die frankfurter Entscheidung über Österreich den allernachtheiligsten Einfluß auf die Einheit und Macht Deutschlands haben werde; man vergleicht diesen Beschluß mit dem ersten über den malmöer Waffenstillstand, und sieht darin einen neuen Beweis von Staatsweisheit -- oder Thorheit. Wie dem auch sei, ein Reichsgesandter hat eine schwere, ja unmögliche Aufgabe zu lösen, wenn er dies Alles lobpreisen und rechtfertigen soll; besser, er sagt den Franzosen: ~intra peccatur et extra Iliacos muros~. Nach diesen (+nur scheinbaren+) Umwegen komme ich auf die italienische Frage. In den letzten sechs, acht Wochen ist hinsichtlich derselben, aus mannigfachen +Gründen+, eigentlich gar nichts geschehen. Zu den wichtigeren gehört ohne Zweifel (obwohl man es nicht laut gestehen will), daß England und Frankreich die ganze Vermittelung herzlich satt haben, und insbesondere das Letztere gern der unbequemen Erbschaft entsagte, welche aus den Lamartine’schen Phrasen für die jetzige Regierung hervorgegangen ist. Weder von den Österreichern noch den Italienern ist der geringste Dank zu erwarten, vielmehr ertönen von allen Seiten der bitterste Tadel, die herbsten Vorwürfe, und +so wird es Jedem ergehen, der ohne die dringendste Noth sich in diese Handel mischt+ und einbildet: er könne mit einigen wohllautenden Hauptworten die erregten Leidenschaften bändigen, politische Mündigkeit einimpfen und Volkscharaktere umgestalten. Über den Ort, wo Berathungen, Italien betreffend, gehalten werden möchten, steht noch gar nichts fest. Innsbruck, Verona, Padua sind von den Vermittlern verworfen; Rom (seitwärts gelegen und in Zerwürfniß mit Österreich) erschien dieser Macht als unpassend. Nizza und Brüssel wird aus anderen Gründen ebenfalls zurückgewiesen; Baden-Baden (sagt Lord N.) ist im Winter zu kalt; was für alle deutsche Städte gilt und verdeckt nach Italien hinweist. Eine +Grundlage+, auf welche sich die Verhandlungen beziehen, an welche sie sich anschließen könnten, ist noch gar nicht vorgeschlagen, viel weniger angenommen worden. Die Meinung: Österreich werde sich nach seinen italienischen (und deutschen) Siegen die ihm zur Zeit seiner Ohnmacht gestellten Bedingungen gefallen lassen, ist völlig grundlos und thöricht. Ich kann nicht glauben, daß England (welches seinen alten Bundesgenossen bei Weitem am unfreundlichsten betrachtet und behandelt) vollendete Thatsachen von der höchsten Wichtigkeit, als nicht vorhanden darstellen oder wegsophistisiren will. Der österreichische Bevollmächtigte hat (schon +vor+ den wiener Siegen) die allerbestimmteste Anweisung erhalten: daß Österreich eher einen Krieg wagen, als in die geringste Landabtretung willigen werde. +Nach+ jenen Siegen wird es mit doppeltem Nachdrucke auf Erhaltung des Besitzstandes von 1815 dringen, und Rußland steht ihm gewiß mit aller Kraft zur Seite. Überdies ist es eine moralische Unmöglichkeit, es ist eine Ehrensache, von dem treuen, siegreichen, österreichischen Heere +nicht+ zu verlangen, daß es eine mit seinem Blute wiedergewonnene Landschaft räume, weil es einigen Diplomaten nach vielem Hin- und Herrechnen (das Keinen befriedigt) also behagt. Diese und ähnliche Betrachtungen, sowie die Besorgniß vor dem schrecklichen Unglücke eines allgemeinen Krieges, haben Hrn. Minister Bastide wahrscheinlich dahin gebracht, daß er (wenigstens gegen mich) +niemals+ die Forderung einer Abänderung der Landesgränzen oder des Herrscherhauses aufgestellt hat. Ja, das ausgefahrene Geleise einer veralteten Diplomatie verlassend, sagte er: wir wünschen, daß Österreich groß, einig und mächtig sei. Bei +diesen Verhältnissen+ wäre es meines Erachtens unzeitig, unwirksam und irrig, wenn irgend wie und irgend woher ein Vorschlag oder auch nur eine Bereitwilligkeit ausgesprochen würde, für Abänderung italienischer Landesgränzen zu wirken. Hingegen möge Deutschland ernstlich seine Stimme erheben für Nichterneuerung des Krieges und für die Gründung freisinniger Einrichtungen, so weit sie irgend möglich sind, ohne in die Anarchie von Paris, Wien und Berlin zu verfallen. Die vermittelnden Mächte haben gar keine Neigung, dem deutschen Reiche eine Mitwirkung auf die italienischen Angelegenheiten zuzugestehen; insbesondere hält Lord N. das Wort +officiös+ wie ein Medusenhaupt entgegen, um die Unmöglichkeit einer ebenbürtigen Theilnahme darzuthun, oder doch den Reichsgesandten eine ganz unwürdige, untergeordnete Stellung anzuweisen. Möge die Reichsgewalt sich nicht in Wege verlocken lassen, welche Deutschland schwächen, indem sie Österreich davon trennen. Es wäre ein großes, ein unermeßliches Unglück, wenn Österreich, statt in Frankfurt, in Petersburg Hülfe suchen müßte und fände! Dies läßt sich vermeiden, ohne die (politisch leider von jeher und noch jetzt uneinigen und unerzogenen) Italiener ihrer Nationalität zu berauben, und ohne ihnen wahrhaft freisinnige und heilsame Einrichtungen vorzuenthalten. Den 12. November. In den letzten Tagen hat man auf dem Platze de la Concorde (~per antiphrasin~ so genannt) Stangen oder Mastbäume in großer Zahl eingegraben, dreifarbige Fahnen daran aufgehangen, Dekorationen mancherlei Art von Holz, Leinwand und Papier aufgestellt, Emporbühnen und Altäre errichtet u. s. w. -- Alles zum Geburts- oder Tauftage der republikanischen Verfassung. Ich kann nicht finden, daß der außerordentlich schöne Platz, durch dies zum Theil kleinliche Brimborium gewinne; auch ist das Vorlesen der langen Urkunde (wovon man überdies nichts hört), eine ebenso lange Messe und stundenlanges Vorbeimarschiren der Bürgerwache nicht sehr anziehend. Doch hätte ich, als ein zum diplomatischen Körper gehöriger Leib, von einer Einladung vielleicht Gebrauch gemacht, wäre besagter Leib nicht noch in etwas preßhaftem Zustande, und könnte man mit Sicherheit (und ohne besondere Karte) zu den bezeichneten Sitzen vordringen. Hiezu kommt vor Allem: daß ein +gräuliches+ Wetter mit Regen und Schnee eingetreten ist, und ein stundenlanges Verweilen unter freiem Himmel der Gesundheit wahrhaft gefährlich werden könnte. So begnügen wir uns denn, viele +Tausende+ von Nationalgarden vor unserem Fenster vorbeiziehen zu sehen; wobei sich leider die Überzeugung aufdrängt, daß sie ohne Vergleich tüchtiger aussehen, und zur Aufrechthaltung der Ordnung weit mehr Muth gezeigt haben, als unsere berliner Bürgerwehr. -- Ob ich gegen Abend, bei etwa besserem Wetter, und doch mit +Pelz+ und Regenschirm bewaffnet, mich unter das Gewühl wahrer oder erheuchelter Republikaner begeben werde, weiß ich noch nicht. Zu einem Aufstande (den Manche fürchteten) wird es heute schon deshalb nicht kommen, weil das souveraine Volk eingeschneit und eingeregnet einherzieht, ~poules mouillées~ vergleichbar. Obwohl Alles Begeisterung, große Gedanken und Gefühle hervortreiben soll, stehen allzu viel erkältende Blitzableiter daneben, und mich hat überdies ein langer für Frankfurt bestimmter Bericht, besonders über die italienischen Angelegenheiten, in eine keineswegs sehr heitere Stimmung versetzt. In dies stete Auf und Ab politischer Weisheit und Thorheit ist mir J. Mohl’s Bericht über die Fortschritte asiatischer Studien, wie ein erfreulicher Trost erschienen, daß Liebe und Muth für die Wissenschaft noch nicht ausgestorben ist, sondern in der Tiefe fortwirkt und länger dauern wird, als die an der Oberfläche aufsteigenden, platzenden, stinkenden Blasen, oder ~bubbles~. Achtzigster Brief. Paris, den 14. November 1848. Abgesehen von politischen Nachwehen hat das beregnete und beschneite Geburtsfest der Republik, viele Menschen (so den Minister Bastide), krank gemacht. Die Verfassung (sagt ein ärztlicher Spötter) ist ein Achtmonatskind, muß also sterben. -- Napoleon’s Spruch über die Bourboniden: „sie haben nichts gelernt und nichts vergessen“, -- muß man jetzt dahin abändern: die Franzosen haben nichts gelernt und +sehr viel+ vergessen. Sie fangen an (als gebe es keine staatsrechtliche Erfahrung) wie im Jahre 1789, z. B. mit einer Kammer u. s. w. An dem rothsammtenen Zelte, dem Taufdeckel der Verfassung, stand viermal, nach vier Seiten hin: ~aimez Vous les uns les autres~. Christlich genug, wenn gleich die zweite Hälfte des Spruches fehlt. Auch sind 60,000 Prediger der Liebe zur Hand, welche innerlich raisonniren, oder wie Friedrich Wilhelm I. dreinschlagend sagen: ihr sollt mich nicht lieben, ihr sollt mich fürchten! Wenn in einer Erbmonarchie ein unfähiger Kronprinz den Thron besteigt, so ist dies nach dem Laufe der Natur nicht zu ändern, und wird durch andere Vortheile (z. B. des ruhigen, unzweifelhaften Übergangs) wenigstens zum Theil ausgeglichen. Aber ein Königshaus verjagen, die Verfassung von Grund aus umgestalten, um den Höchstbegabten an die Spitze zu bringen; und dann -- -- als einzig möglichen Gewinn selbst von den sogenannten Gemäßigten anempfehlen zu hören; -- das übersteigt alles Begreifliche, und zeigt die Schwäche der überklugen Berechnungen und Kunststücke. -- Nicht minder, wenn man sieht, daß ungeachtet der schlagendsten theoretischen Beweise und der bittersten praktischen Erfahrungen, der Aberwitz L. Blanc’s und Consorten noch immer Anhänger und Bewunderer findet, und man jene als Erlöser des menschlichen Geschlechts, bei den socialen Abfütterungen hoch leben läßt. Abends ½10 Uhr Soirée oder Rout bei --. Menschen aller Arten, Farben und Richtungen, viel Gedränge; keine Gespräche, keine Stühle für die Herren. In der Angst ihres Herzens sagte mir eine Dame: „finden Sie die Gesellschaft nicht schrecklich, nicht fürchterlich langweilig?“ Ich weiß nicht, ob noch Andere diesen deutschen Hülferuf, oder diese Wehklagen hörten und verstanden. -- Mehre Herren äußerten: ~avec de la mitraille~ stelle man überall leicht die Ordnung her. Freilich, wenn ich mir ein Bein abhauen lasse, thut es nicht mehr weh und bringt mir keine weitere Gefahr; besser jedoch auf zwei gesunden Beinen einhergehen. Den 16. November. Der wesentliche Inhalt der Äußerungen des Hrn. Thiers war in aller Kürze etwa folgender: Wenn Preußen, Österreich, Baiern seine Verfassung ändert, so ist dies für fremde Staaten von geringer Wirkung, sobald aber ganz Deutschland eine Vereinigung trifft, wodurch so viele Millionen in ein engeres Verhältniß treten, müssen sich seine Verhältnisse auch zum Auslande ändern, und wenngleich dies nicht feindlich oder abgünstig entgegentritt, ist es doch zu sorgsamer Aufmerksamkeit verpflichtet und zu manchen Bedenken aufgeregt. Daher ist nicht unnatürlich, wenn auch die diplomatischen Verhältnisse langsamer eine bestimmte Form annehmen, doch bleibt dies zum Theil Persönliche und Conventionelle von den wesentlicheren Gegenständen unterschieden. Wenn die französische Regierung sich über die Angelegenheiten nicht bestimmter ausspricht, nichts Näheres mittheilt, so hat dies seinen vollkommen zureichenden Grund, nämlich: daß sie selbst nichts weiß und nichts thut. Seit mehren Wochen war erst Hr. Vivien, dann Hr. Alexis von Tocqueville zum Beauftragten in den italienischen Angelegenheiten ernannt; es ist aber seitdem nichts geschehen, und kaum weiß man, ob und was noch geschehen wird. Beide Männer haben mich gefragt: ob sie den Auftrag annehmen sollten und ob ich sie unterstützen wolle? Ich antwortete: +Ja! sofern sie für den Frieden wirken.+ Eine Abtretung von Landschaften, eine Veränderung des Herrschergeschlechts ist nicht nothwendig, wohl aber muß man für eine italienische Verwaltung, italienisches Heer und italienische Finanzen wirken, unter einer höchsten österreichischen Leitung, z. B. der Minister und Generale. Doch würde ich sehr gern den Österreichern die Moldau, Walachei, Bulgarien und alles Land bis an den Balken zuweisen, wenn sie Italien (obwohl nicht ganz) abtreten wollten. Es ist im Interesse Frankreichs, daß Österreich (besonders im Osten) mächtig sei und bleibe; es ist unverständig, sich herumzuzanken, während 50,000 Russen (wie ich weiß) in die Moldau u. s. w. eingerückt sind, und 100,000 an der Gränze stehen; ich gebe zu, daß man die Österreicher nicht zwingen muß, allein in den Russen Freunde und Vertheidiger zu sehen und ihnen dafür Alles zu gestatten. Wir Gemäßigten haben keinen Geschmack (~goût~) für L. Bonaparte, keinen Gefallen an ihm; aber das Volk hat ihn oder seinen Namen ergriffen, und es fehlt ein Bewerber, der ihn verdrängen könnte. Die Gemäßigten hoffen unter seiner Firma zu herrschen. Ich selbst wollte kein Mitbewerber um die Präsidentur sein und trachte nach keinem Ministerium: in der Kammer aber werde ich (sowie mein ganzes Leben hindurch, so auch fernerhin) nach Kräften gegen die Anarchisten wirken. Ich gebe Ihnen +mein Ehrenwort+ (~ma parole d’honneur~), daß der höchste Zweck aller meiner Bestrebungen ist und sein wird: +den Frieden zu erhalten+. Von diesem Frieden, von der Einigkeit zwischen England, Frankreich und Deutschland hängt das Wohl Europa’s ab. Viele Dinge sind ungewiß und hängen von keinem Einzelnen ab; allein ich +darf+ und +kann+ versprechen: der Friede wird erhalten werden, sobald man uns nicht +angreift+ und nicht +zwingt+, gewisse Ehrensachen (z. B. in Hinsicht auf Holland und Schleswig) mit auszufechten. Mäßigung wird am besten zum Ziele führen. -- In dieser Beziehung ist es höchst wünschenswerth, daß bittere Klagen über österreichische Härte und Grausamkeit in Italien bald abgestellt werden; denn so viel auch übertrieben sein mag, scheint doch des Unläugbaren zu viel übrig zu bleiben. Der Name Bonaparte mag in Deutschland unangenehme Erinnerungen an Kriegs- und Eroberungslust hervorrufen; in der That ist aber davon nicht mehr die Rede, und immerdar würde ich, unterstützt von der großen Mehrheit der Franzosen, siegreich dagegen kämpfen. So der kurze, wesentliche Inhalt der Äußerungen des Hrn. Thiers, welche mitzutheilen mir derselbe verstattete. Einundachtzigster Brief. Paris, den 17. November 1848. Thiers hat drei seiner wichtigsten Reden berichtigt abdrucken lassen: über das Recht zur Arbeit, Papiergeld und Stellvertretung beim Heere. Da Ihr sie vielleicht gar nicht oder nur in kurzen Auszügen kennt, mögen hier einige Äußerungen Platz finden, die mir als die wichtigsten erschienen. In der +ersten+ Rede sagt Hr. Thiers: Wir sollen die Freiheit schützen gegen den doppelten Einfluß der Höfe und der Straßen. Ja, das Volk leidet; aber die angeblichen Ärzte haben noch kein einziges wahrhaftes Heilmittel zu Tage gefördert; die Communisten, Socialisten u. s. w. schmeicheln nur den Leidenschaften und greifen Das an, worauf, seit Anbeginn der Geschichte, die fortschreitende Bildung der Menschheit beruht: Eigenthum nämlich, Freiheit und Mitbewerbung oder Concurrenz. -- Im Ganzen hat sich der Zustand der Volksmassen, im Vergleiche mit früheren Zeiten, nicht verschlechtert, sondern verbessert, und viele Arbeiten geringer Art sind den Maschinen zugefallen, während die menschlichen Kräfte für höhere Zwecke verwendet werden. Privateigenthum und Vererbungsrecht treiben zu unendlicher Thätigkeit; jene neumodige Staatsweisheit führt hingegen zu Faulheit und Sklaverei, zur Anarchie in allen Gewerbszweigen, zu Papiergeld, zum Maximum oder willkürlicher Festsetzung der Preise, und zur schädlichen Unterstützung der Müßigen in großen Städten. Der Einzelne hat kein +Recht+, daß der +Staat+ ihn beschäftige und erhalte; alle vorgesetzten Zwecke werden auf diesem Wege verfehlt und eine Verschwendung herbeigeführt, die alles Maaß übersteigt, und nothwendig dem Volke zuletzt zur Last fällt. Die zweite Rede erklärt sich bestimmt gegen die Anfertigung von Papiergeld, und behauptet, daß dafür jetzt noch weniger Sicherheit, Nothwendigkeit und Nutzen spreche, als zur Zeit der Assignaten. Es ergiebt sich ferner, das Grundvermögen sei in Frankreich weniger verschuldet als bei uns, was für den +gesammten+ Nationalreichthum gleichgültig ist (denn was der Schuldner nicht besitzt, besitzt der Gläubiger); indeß verführt die Leichtigkeit Grundschulden zu machen, zu Unternehmungen über das Vermögen hinaus, also mittelbar zu Bankerotten. Im Durchschnitt bezieht man in Frankreich nur drei Procent vom Grundvermögen; hiezu kann die hohe Grundsteuer schwerlich viel beitragen, da sie schon so lange besteht und vom Kapitalwerthe abgezogen ist. Die Neigung kleine Grundbesitzungen zu erwerben, ist so groß und allgemein, daß sie oft zu theuer bezahlt werden. Der Gedanke, das Grundvermögen als Geld in Umlauf zu sehen, ist thöricht und Banken und Bankzettel erzeugen keine Kapitale. -- Über die dritte Rede, die Stellvertretung im Heere betreffend, habe ich wohl schon Einiges bemerkt; sie kann rathsam für Frankreich, unrathsam für Preußen sein. Den 18. November. Ich lese als Ableiter der politischen Schmerzen, Cousin’s Vorlesungen über Philosophie. So löblich und erfolgreich er sich bemüht deutlich zu sein, haben ihn doch schwerlich alle die pariser Piphähne verstanden, welche ihre Schnabel aufsperrten, um philosophische Weisheit bequem aufzuschnappen und zu verspeisen. Der Vorliebe für Dreitheilungen (welche sich vom Sprichworte: aller guten Dinge sind drei, bis zur Lehre von der Dreieinheit geltend macht) hat auch Cousin gehuldigt, und in dieser Weise die Nothwendigkeit drei großer Abtheilungen und Entwickelungsperioden in der Geschichte nachzuweisen versucht. In der ersten herrscht das Unendliche, in der zweiten das Endliche, in der dritten die Entwickelung des Verhältnisses zwischen beiden. Das Ergebniß des damit verbundenen Optimismus, ist dann natürlich, die freudige Zufriedenheit, wie wir es so herrlich weit, und weiter gebracht, als alle früheren Geschlechter. Und doch darf der Optimismus, wenn er sich auf Menschen bezieht, den Gegensatz von gut und böse, von Tugend und Laster, für keinen Zeitraum aufgeben; und umgekehrt, auf Gott bezogen nicht festhalten. Schematismus und Abstraktion dieser Art reicht nirgends aus. Die Geschichte trägt niemals ganz ausschließlich +eine+ Uniform: in Griechenland gab es zu gleicher Zeit Atomistiker und Eleaten; im Mittelalter Mystiker und Bewunderer von Mädchen und Blumen; im 18. Jahrhundert, Verehrer von Spinoza, Leibnitz, Hume, Condillac und Kant. Wirkungen und Gegenwirkungen liegen nicht immer um Jahrhunderte auseinander; im lebendigen Einzelnen sind alle physiologischen Abtheilungen und Systeme gleichzeitig in harmonischer Thätigkeit, und ebenso geschieht es bei +lebendigen+ Völkern; obgleich dadurch keineswegs ihre Individualität aufgehoben wird. Lappländer und Hottentotten haben weder ihre Periode der Unendlichkeit, noch der vermittelten Endlichkeit u. s. w. Will man ganze geschichtliche Zeiträume mit +einer Idee+ ausfüllen, geht man an allen Persönlichkeiten gleichgültig vorüber, betrachtet man das Einzelne, das Ereigniß, die Thatsachen als kleinlich und unbedeutend; so ist dies ungefähr ebenso, als wenn ich eine Riechflasche mit ~eau de mille fleurs~ höher achte und mehr bewundere als tausend Blumen. -- Den Gedanken: aus den natürlichen Verhältnissen der Länder, ~a priori~ die Geschichte der Völker nachzuweisen, oder vorherzubestimmen, treibt Cousin noch mehr auf die Spitze wie Montesquieu. Jene Verhältnisse beherrschen den Menschen keineswegs unbedingt: woher sonst der Verfall Griechenlands und Kleinasiens, und der preußische Staat einst erwachsend (Gott gebe auch fernerhin) aus Sand und Kienbäumen? Wenn Jemand: ~par la généralisation la plus laborieuse, me donne une _formule_ assez compréhensive pour embrasser à la fois l’industrie, les lois, les arts et la religion~ (z. B. der Griechen); so ist mir diese lederne Allweisheitsformel nicht so lieb, werth, lehrreich, begeisternd, als ein Gesang der Ilias, ein Chor des Sophokles oder eine Rede des Demosthenes. -- Die Metaphysik ist kein langes Stroh, aus dem man die Körner, als klein und unbedeutend, herausgedroschen und verächtlich zur Seite geworfen hat. Das in einer Periode gleichzeitig Hervortretende ist nicht immer ähnlich, harmonisch, analog; sondern oft auch schroff entgegengesetzt, und zwischen weit auseinanderliegenden Völkern, z. B. Griechen und Deutschen, ist mehr Verwandtschaft, als zwischen Griechen und Persern. -- Doch, Cousin sagt vielleicht, meine Einwürfe träfen ihn nicht, sobald ich ihn recht verstände und zwischen den Zeilen läse! -- Und doch wie trügerisch sind selbst die Hoffnungen und Aussprüche der Philosophen. Schelling hat es mit seinen Weltaltern erfahren, die immer in der Geburt erdrosselt wurden, und Cousin sagt von der (jetzt abgeschafften) französischen Charte: ~elle fixe tous les regards en Europe, fait battre tous les coeurs, rallie tous les voeux et toutes les espérances. -- C’est un fait incontestable que l’avenir de l’Europe lui appartient, et c’est un fait plus incontestable encore que le présent et l’avenir de la France lui appartiennent.~ -- Wenigstens möchte ich dies von der neuesten, republikanischen Verfassung nicht behaupten! -- Aber freilich nach dem dummen Optimismus, der die Weltentwickelung wie eine geradlinige Chaussee betrachtet, und wonach +heute+ unfehlbar weiser und schöner ist als +gestern+, und +gestern+ besser wie +vorgestern+, ist eine sogenannte Geschichte der Philosophie und der Menschheit leicht zusammengedrechselt und zusammengepappt. Rückwärts braucht selbst der Geschichtschreiber nicht zu sehen, und wenn er sich auch seitwärts Schauklappen anbindet, wird sein Überblick berichtigt und erweitert. Madame Birch-Pfeiffer steht so chronologisch höher als Sophokles, Hr. Waldeck höher als Demosthenes, und die +letzte+ französische Verfassung ist, unbesehen, die beste. Diese, mit großem Unrecht als religiös bezeichnete Weltbetrachtung, beruht nicht auf dem frommen Glauben an Gott und seine weise (wenn gleich oft unbegreifliche) Leitung; sondern läßt, bei allem oberflächlichen Hochmuth, den Kopf verdummen und das Herz absterben. Es wird zur Thorheit etwas Anderes als sich und seine Zeit zu ehren und zu bewundern; Sehnsucht, Wehmuth, sittlicher Zorn gelten dann für aberwitzig, und das kindische Feuerwerk, welches man zu eigener Ehre anzündet, soll die Sonne der Weltgeschichte verdunkeln, ja auslöschen. Ehe ich mich in eine solche Fortschrittskurierkutsche setze, will ich lieber mit Dacier und seiner Frau darüber weinen, daß Homer gestorben ist. -- Zuletzt ist aber Cousin wohl ganz einig mit mir; wenigstens sagt er: ~C’est chose admirable au 18. siècle, que l’ignorance et le dédain du passé, même dans les plus grands hommes.~ Den 19. November. Ihr verlangt Nachrichten aus Paris, und ich tische dagegen halbphilosophische Reden auf. Indessen bezogen sie sich doch auch auf eine französische Ansicht und Darstellung der Philosophie, auf welche ich (ihrer Eigenthümlichkeit halber) wohl noch einmal zurückkomme. -- Die hiesigen Zustände mag in Kürze das charakterisiren, was mir einer der tüchtigsten Abgeordneten, +nicht+ als +Witzwort+, sondern als +Wahrheit+ sagte: „Es giebt keinen Republikaner in Frankreich, der an die Möglichkeit einer Dauer der Republik glaubte, und keinen Royalisten, der an eine Möglichkeit baldiger Herstellung der Monarchie glaubte.“ -- Hienach ist (wie schon der Großcophta Lamartine sagte) Alles dem bloßen Zufalle preisgegeben. -- Stimmt nach Eurem Gewissen und Eurer Einsicht, sagen Abgeordnete, Erzbischöfe, Bischöfe, Behörden u. s. w. Aber die meisten Wähler sind ohne Einsicht und ohne Gewißheit, also rathlos in dem neuen Glücke und Präsidentenspiele. -- -- -- Man sagt (und sehr oft mit Recht) Zeit gewonnen, Alles gewonnen. So hoffe ich, wird der Ablauf der Zeit in Berlin die Gemüther abkühlen und beruhigen, alle Parteien von den gegenseitig begangenen Fehlern überzeugen und einen vermittelnden Ausweg zu allgemeinem Heile finden lassen. Zweiundachtzigster Brief. Paris, den 20. November 1848. Die Regierung hat gestern zur Nachfeier und Nachtfeier des Geburtstages der Republik, eine Erleuchtung der öffentlichen Gebäude und der elyseeischen Felder angeordnet, sowie drei Feuerwerke an drei Thoren der Stadt. Das Wetter war günstig und eine so unzählbare Menge Menschen auf den Beinen, daß es mir nie so deutlich geworden ist, wie mindestens 60,000 Soldaten dazu gehören, das unruhige, oder vielmehr widerspenstige Paris in Ordnung zu halten. Gestern war das Volk nicht blos ruhig, sondern eigentlich theilnahmlos: man sah die Lampen an, ohne Beziehung auf die Veranlassung des Festes, kein Privathaus war erleuchtet, und von den Feuerwerken (welche man Geldmangels halber minder prächtig eingerichtet hatte, als früher zu Ehren der Julitage) sagten Mehre: ~ce n’est qu’une cochonnerie!~ Die communistischen und socialen Fressereien (oder Hungerleidereien, mit Reden gepfeffert) dauern noch immer fort, und man vergißt niemals lobend zu bemerken, wenn es dabei nicht zu Schlägen gekommen ist. Heute heißt es jedoch: in einem Vereine zu Ehren L. Bonaparte’s, hätten Socialisten die lautesten Einreden erhoben. „Unordnung und Lärm stieg zu solcher Höhe, daß es unmöglich war die Ruhe herzustellen. Die Rednerbühne war förmlich belagert, und tausendfaches leidenschaftliches Geschrei kreuzte sich in der Luft gegen L. Bonaparte, Cavaignac, Ledru-Rollin und alle Bewerber um die Präsidentschaft.“ -- „Ein socialistischer Verein (erzählt man gleich darauf) ward gestört durch Scenen der beklagenswerthesten Art. Verschiedene Abgeordnete, welche man zur +Bergpartei+ zählt (also auch schon verbraucht!!) waren der Gegenstand von Angriffen der allerheftigsten Art u. s. w.“ -- Höflicher ging es doch zu in einem socialistischen +Weiber+klub, zu dem man jedoch, in ungefähr gleicher Zahl, Männer zugelassen hatte. Diese (sagt ein Berichterstatter) waren ohne Zweifel erschienen ~pour chercher des inspirations, ou des enseignemens~. Die Person zahlte 10½ Silbergroschen; Kinder unter zehn Jahren gingen jedoch +frei+ ein und betrugen wohl +deshalb+, etwa ein Sechstheil der ganzen Versammlung. Pierre Leroux bemerkte in einer Rede: wir haben keinen Präsidenten gewollt, sondern eine gemischte Behörde von drei Frauen und drei Männern; auch hat ja die Frau das Recht die Rednerbühne zu besteigen, -- ~_puisqu’elle_ a le droit de monter à l’échafaud~. Madame Gay sagte also: ihr könnt keine Republik gründen ohne die Frauen; auf die politische Vereinigung der Männer, der Frauen und der demokratisch socialen Partei! Gegen den Schluß krähte ein Piphüneken von etwa acht Jahren, den Toast: ~à la fraternité!~ und ein Commissarius erklärte, zur Zufriedenheit wenigstens eines Theiles der Versammlung: das nächste Mal zahle die Person nur sechs Silbergroschen. Es ist psychologisch merkwürdig, wie die Menschen in gleicher Weise leichtgläubig sind, in Hinsicht dessen, was sie +wünschen+, und was sie +fürchten+. Dies sehe ich jetzt recht deutlich bei der Frage über die Wahrscheinlichkeit der Wahl Cavaignac’s und L. Bonaparte’s. Gewiß bleiben beide die Hauptbewerber, und alle die übrigen erhalten eine weit geringere Zahl von Stimmen. Der Querkopf L. Blanc, dem andere Querköpfe jetzt die Präsidentenwürde angetragen haben, antwortet: die neue Verfassung müsse geändert, und der Abschnitt vom Präsidenten herausgeworfen werden. Auf dem Wege käme dann die vollziehende Gewalt wieder an die Straßenbummler, welche im Monate Junius zu Paaren getrieben wurden. Außer Denen, welche damals ums Leben kamen, hat man 4348 fortgeschickt; ein starkes Purgatorium, welches indeß mancher großen Stadt Noth thäte. -- L. Blanc und Consorten, welche sich so sentimental über Hunger und Kummer ihrer Mitbürger aussprachen, schwelgten (nach vielen Zeugnissen) auf die anstößigste und kostspieligste Weise im Luxemburg und ließen sich z. B. ~purée~ von Ananas und andere Gerichte bereiten, die an Lucullus und Vitellius erinnern könnten. -- Mögen diese Vorwürfe auch ungegründet oder übertrieben sein; so fand doch unter der provisorischen Regierung eine gräuliche, unverständige Verschwendung statt, worüber ich ein andermal vielleicht Einiges mittheile. Den 23. November. Ich denke bisweilen, ich habe gar nichts zu thun, weil es ganz unmöglich ist unter den jetzigen Verhältnissen Erwünschtes zu erreichen; und doch war ich während der letzten Tage in so zerstreuter Weise beschäftigt, daß ich nicht zum Briefschreiben kommen konnte. Ich will heute nicht mit Politik beginnen, weil sich sonst für andere Dinge niemals Zeit findet. Am 15. Nov. war ich Abends bei Alexis von Tocqueville, dem Verfasser des bekannten, verdienstlichen Buches über Amerika. Er ist ein so angenehmer und gefälliger, als gescheiter Mann, und auch seine Frau (eine geborne Engländerin) gewährte eine sehr erfreuliche Unterhaltung. Mit dem Sohne des Geschichtschreibers Preskott gab es ebenfalls mancherlei zu sprechen; doch stand ich, unter vielen fremden Leuten, bald allein, und sah eine Dame gleich verlassen am Kamine sitzen. Gegen allen Gebrauch nahm ich neben ihr Platz und führte mit ihr ein langes Gespräch. Beim Weggehen sagte mir Hr. v. Tocqueville: Lady Elphinstone habe sich theilnehmend nach meinem Namen erkundigt, und dies führte zu einer Einladung, wo ich über 20 Engländerinnen fand, und meine unsterbliche Handschrift für ein Album zurücklassen mußte. -- Eine Mittagsgesellschaft bei Frau von Clermont ward schon dadurch angenehm, daß sie +klein+ war, Mittheilungen also möglich blieben. Bei Rothschild fand ich Abends eine Gräfin Pototzka, die sehr geschickt und ausdrucksvoll sang. Über dem Hin- und Hervorschlagen, was sie (meist aus neueren Opern) singen solle, verging die Zeit, zehnerlei ward angefangen und (besonders durch Unterbrechungen eines Herrn, der sich für geistreich hielt) immer wieder gestört. Ich saß schweigend im Winkel bis sich bei einem Thema aus Figaro dasselbe wiederholte, worauf ich aufstehend bemerkte: bei solcher Musik dürfe man nicht störend dazwischenreden. Später sagte mir die Gräfin: es war heute ja doch nicht Ernst mit der Musik. Es fand sich nämlich sehr unerwartet ein, nicht politischer, sondern musikalischer Berührungspunkt, zwischen ihr und mir. Als Ableiter und Zwischenspiel zwischen dem Gerede, spielte sie sich, ohne daß einer hinhörte, ein Präludium von Sebastian Bach. Dies erweckte mich aus der Zerstreutheit und es kam zu wechselseitigen Bekenntnissen über unsere Verehrung für Händel und Bach. Da sie insbesondere die chromatische Phantasie dieses Meisters rühmte, habe ich ihr halb und halb versprochen mitzutheilen, wie Bach dieselbe vortrug, eine Kenntniß, die ich Forkel verdanke. Vorgestern mußte ich (an einem Tage) sechs verschiedene Noten an Hrn. Bastide richten, welche ich, mit Weglassung alles unendlich langen und langweiligen Gesandtenbrimboriums, höchst lakonisch nur auf die Sache richtete; schon weil ich +französisch+ schreiben mußte. Doch war ich etwas bange, Herr Bastide dürfte finden, ich sei doch etwas zu cavalierement mit den Formen umgesprungen. Statt dessen lobte er mich von freien Stücken als einen praktischen Mann, der ihm Zeit spare und die Sachen erleichtere u. s. w. Ich habe ein langes, merkwürdiges Gespräch mit -- über die europäischen Angelegenheiten gehabt, und will mir, zur Abwechslung, einmal aufreden, es sei nützlich gewesen. Während die europäischen abendländischen Völker sich zu Grunde richten, nehmen die Russen ganze Länder hinweg, und Nordamerika hebt sich mit Riesenschritten. Nach einem Briefe aus Neuyork ist in diesem Jahre die Zahl der Einwanderer weit größer, als je zuvor: Gemäldesammlungen, Bibliotheken, Kostbarkeiten, Silbergeräth u. s. w. werden (vorzugsweise aus +Deutschland+) und zwar nicht zum Verkauf eingeführt, sondern wegen der Unsicherheit im Vaterlande! Zufolge der aus den Landschaften Frankreichs eingehenden Nachrichten, ist die neue Verfassung daselbst mit ebenso großer Gleichgültigkeit wie in Paris aufgenommen worden, und an manchen Orten schrie der Maire ganz allein: ~vive la république, vive la constitution!~ -- In Rouen druckte man (vielleicht mit Vorsatz) in einem amtlichen Anschlage, statt ~cens~, Census: ~sont électeurs sans condition de _sens_ tous les Français~. -- In einem socialistischen Banket, für und gegen Ledru-Rollin, sagte ein Herr ~Madier de Monjau~: ~il faut toujours aller en avant, des Constituans aux Feuillans, des Feuillans aux Girondins, des Girondins à Danton, de Danton à Robespierre~. -- Mit den berliner Siebenmeilenstiefeln geht man noch schneller vorwärts, als Frankreich von 1789-1793. -- Genug für heute! Dreiundachtzigster Brief. Paris, den 23. November 1848. Es ist, sagte Hr. Bastide, bei der französischen Regierung der Antrag gemacht worden, gemeinschaftlich mit mehren Mächten +neue+ Bürgschaften hinsichtlich des Herzogthums Schleswig zu übernehmen. Wir haben jedoch diesen Antrag +abgelehnt+ und wollen uns nicht weiter in diese Angelegenheit mischen, als alte Verträge, unsere Ehre und ganz unabweisbare Verhältnisse es schlechterdings nothwendig machen. Wir hoffen aber auch, daß man sich deutscher Seits wird billig finden lassen. In dieser Lage habe ich meine +persönliche+ Ansicht dahin ausgesprochen, daß Recht oder Unrecht keineswegs unbedingt auf einer Seite liege, weshalb man eben unterhandeln, Frieden schließen und der Thorheit ein Ende machen wolle, daß zwei nahverwandte deutsche Stämme sich haßten und bekriegten. Der Anschluß Dänemarks an Deutschland sei natürlich und heilsam, was aber daraus folge, wenn man sich in leidenschaftlicher Aufregung oder kurzsichtiger Berechnung unter russischen Schutz stelle, das zeige die polnische Geschichte. Ja, Dänemark habe es schon im Laufe des 18. Jahrhunderts erfahren und nur mit Mühe einer schon eingetretenen Abhängigkeit und Aufsicht ein Ende gemacht. Den 24. November. ~A son Excellence Monsieur Bastide etc.~ ~Monsieur le Ministre!~ ~Étant persuadé que d’après Votre bonté connue, Vous communiquerez à Mr. le Général Cavaignac tout ce que j’ai eu l’honneur de Vous dire dans notre dernière conférence, je me range de Vôtre avis: qu’il n’est pas nécessaire et pas même convenable de troubler ou de distraire Mr. le Général, occupé de livrer un combat parlementaire de la plus haute importance.~ ~Permettez pourtant d’ajouter quelques mots par écrit, à ce que je Vous ai déjà exposé de vive voix.~ ~Oui, Monsieur le Ministre, les gouvernements et les peuples de l’Allemagne, ont commis beaucoup de fautes pendant les six derniers mois, et des individus ont même montré une dépravation affreuse; mais on ne doit pas oublier à quelles difficultés chaque régénération politique est exposée.~ ~Et plus qu’aucun peuple, les Français doivent être des juges bien indulgents, qui après 60 ans d’expériences sublimes et terribles ne sont pas encore arrivés à un port sûr et tranquille, mais se trouvent devant un avenir inconnu, exposés au hazard et à une loterie plus dangereuse que l’histoire en a vu jusqu’à présent. S’il était possible que les Allemands pourraient être utiles à la France pour sortir d’une telle position, ils le feraient au plutôt possible et avec le plus grand plaisir; ils croiraient que c’est pour eux un devoir et une gloire.~ ~Je ne veux, je ne peux pas croire qu’un autre sentiment règne en France, vis-à-vis de l’Allemagne.~ ~Francfort, sans armées, sans finances, sans une grande organisation administrative, a créé et s’est procuré tout cela par la force de l’opinion publique et de la verité. Depuis la papauté on n’a rien vu de pareil. Francfort défend avec un courage héroique la liberté et l’ordre; il s’oppose aux Absolutistes et aux Anarchistes, et devient (ce que personne n’aurait cru il y a trois mois) un médiateur utile, un soutien pour les Rois.~ ~Mais parcequ’il reste encore quelque incertitude sur l’avenir de l’Allemagne, parcequ’on a pris à Francfort (comme partout) quelques résolutions peut-être fausses; -- on lui oppose des vieilleries d’une école surannée de diplomatie, et des difficultés sur des syllabes. Certainement tout cela est juste d’après les règles qui sont utiles pour des temps paisibles et ordinaires; mais je ne conçois pas comment on peut y tenir ferme, dans un moment d’une telle grandeur et importance politique, que peut-être pendant des centaines d’années on ne verra de pareil.~ ~L’Allemagne certainement ne commencera pas une querelle sur des syllabes; mais si ce ne sont que des syllabes, pourquoi les défendre comme si elles étaient de la plus haute importance? L’Allemagne se fie au Gouvernement présent de la France, qui a défendu et conservé la paix, de la manière la plus salutaire et la plus glorieuse. La France a offert la fraternité à l’Allemagne et celle-ci a accepté cette offre; mais vis-à-vis de l’avenir inconnu de la France, nous désirons de recevoir des garanties si fortes d’union et d’amitié, qu’un autre gouvernement ne soit pas capable de les mettre arbitrairement de côté. Le Gouvernement présent a le pouvoir, et j’espère aussi la volonté, d’unir intimement la France et l’Allemagne: pourquoi pas en faire usage, pour mettre sans aucun retard son propre ouvrage et ses desseins honorables, hors de tout danger. Pourquoi suivre l’exemple malheureux d’autres nations et se soumettre (pardonnez le mot) à la remorque d’une politique qui désire, que la France et l’Allemagne ne soient jamais unies par une amitié sincère et une paix durable. Le Gouvernement présent de la France devrait se hâter de gagner par un service éclatant l’opinion publique de l’Allemagne, qui n’est pas loin de méfiance en entendant prononcer un nom, qui na apporté à elle ni paix, ni amitié, ni bonheur. On dit: tout cela a changé et ne revient pas; je l’espère, mais je crains en même temps, que les doutes et retards d’à présent se peuvent transformer en objections et refus.~ ~Quant à ma position personnelle, elle est vis-à-vis de Vous, comme Vous le savez Monsieur le Ministre, la plus agréable et la plus instructive; mais beaucoup de personnes m’accusent que tout ce qui se fait, ou plutôt ne se fait pas, vient de mon incapacité, et que je ne suis retenu à Paris que par vanité, égoïsme, ou intérêt sordide. Je suis prêt à sacrifier mon temps et mon repos, et de m’exposer à des calomnies, si je pourrais être vraiment utile à ma patrie; mais voyant que les résultats de tous mes efforts depuis trois mois sont absolument nuls, mon séjour à Paris me paraît tout à fait inutile.~ ~Pardonnez, Monsieur le Ministre, ces élans de confiance et de mélancolie à un homme, qui sent pour Vous la plus haute considération et qui a l’honneur de se nommer Monsieur le Ministre etc.~ Vierundachtzigster Brief. Paris, den 25. November 1848. Mit jedem Tage wächst, sehr natürlich, die Aufregung unter dem souverainen Volke (oder vielmehr unter den souverainen, auf und ab sich bewegenden Atomen) darüber, wen sie, nach Belieben, zu ihrem Quasiherrn erwählen wollen. So war gestern Abend ein ungeheurer Zusammenlauf an der Börse, wo man sich über die verschiedenen Bewerber laut in der rücksichtslosesten Weise aussprach, z. B. der ist ein Schuft, der ist ein Dummkopf u. s. w. Von Ehrfurcht, Glauben, Vertrauen, Liebe keine Spur; wohl aber Besorgniß die überstimmte Partei dürfte nicht geduldig gehorchen. Jene groben Bezeichnungen hört man übrigens nicht blos aus dem Munde geringer, sondern auch solcher Personen, welche hoffen, binnen sechs Wochen Frankreich mitzuregieren. Hat doch z. B. gestern Ledru-Rollin bei einem Banket deutlich gesagt: daß Jemand (Cavaignac) durch schlechte Ranke an die Spitze gekommen sei und sich durch schändliche Mittel erhalte. Zwei Männer, welche dieser Verläumdung widersprachen, wurden kurzweg zur Thür hinausgeworfen; recht eigentliche ~argumenta ad hominem~. -- Und sehr sonderbar wird neben solchen Thatsachen der Lehrsatz vertheidigt: daß Niemand sich für einen Bewerber aussprechen dürfe und Alles dem Zufalle müsse überlassen bleiben. Insgeheim aber gehen Boten in alle Lande, werben für L. Bo., versprechen Steuererlaß, Schuldenbezahlung u. s. w. Gestern ist es darüber in der Nationalversammlung zu merkwürdigen Erörterungen gekommen, und der Kriegsminister General Lamoricière hat sich bei dieser Gelegenheit nicht in der jetzt beliebten halben und zweideutigen Weise, sondern sehr bestimmt ausgesprochen. Mehre Diplomaten (welche oft nicht gewöhnt sind gerade aus zu sehen und zu hören, und Talleyrand’s Meinung hegen: die Sprache sei gegeben, um die Gedanken zu +verbergen+) waren über Lamoricière sehr bestürzt und erstaunt. Was war denn aber seiner kurzen Rede deutlicher Sinn? Nichts anders als: „wenn Jemand die soeben gemachte Verfassung umstürzen will, darf er auf meine und meiner Freunde Unterstützung in keiner Weise rechnen.“ Ist denn dies aber nicht ehrlicher und löblicher, als die Verfassung feierlich zu beschwören und die Republik (wie es heißt) ~franchement~ annehmen, während man insgeheim kein Mittel scheut, sie zu stürzen. Diese versteckte, halbe, Wahrheit und Heldenmuth verläugnende Handlungsweise führt aus einer Revolution in die andere und läßt oft Sieger, wie Besiegte, gleich verächtlich erscheinen. Freilich fühlt man, daß kräftige Republikaner (wie Lamoricière) nicht gesonnen sind, geduldig die Republik hinaus eskamotiren zu lassen, wie sie zum Theil hinein eskamotirt ward. Man sieht also, kühn oder verzweifelnd neuen Ereignissen entgegen, wobei Eid und Gesetz nicht gelten werden. Der große Phrasendrechsler Lamartine hat wieder eine Rede gehalten (nach Lichtenberg’s Ausdruck) „voll der tiefsten Geschwulst;“ Weisheit des letzten Tages hinaufgeschraubt in Propheten- und Offenbarungsstyl, den gleich verschrobene Leute bewundern, der jedem einfachen, christlichen Gemüthe aber widerwärtig sein muß. Gestern Abend war ich in der sogenannten Soiree bei Herrn Bastide. Er hat eine französische Note, die ich ihm kurz vorher übersandte, sehr freundlich aufgenommen, obwohl sie nicht im Gesandtenstyle abgefaßt war. Daß meine Worte irgend Erfolg haben werden, darf ich indeß bei den jetzigen Zuständen Frankreichs und Deutschlands, gar nicht hoffen. ~Dixi et salvavi animam!~ -- Unter den Damen bei Herrn Bastide war auch Madame Marrast, eine geborne Engländerin, ganz gekleidet wie zur Zeit Ludwigs XV. Als ich gestern meine Theilnahme über die unglücklichen Zustände in Toskana aussprach, fragte mich ein florentiner Diplomat, etwas de haut en bas, was ich daran auszusetzen hätte, es stehe daselbst sehr wohl. Ich ließ mich aber nicht verblüffen, sondern antwortete sehr deutlich, ~à la Lamoricière~. Auch hätte mich die Diplomatie noch nicht überzeugt, daß z. B. unsere berliner Zustände vortrefflich wären u. s. w. Hierauf wollte mich Hr. Ricci (der hier sehr schlecht angeschrieben ist) über die italienischen Angelegenheiten zugleich ausfragen und bekehren. Statt dessen ergriff ich die sokratische Methode und fragte: glauben Sie, daß ein fremdes Volk die Freiheit bringen kann? daß man durch Vermittelung den Dank der Österreicher und Italiener erlangen wird? daß sich die Italiener nicht mehr untereinander streiten und verfolgen werden u. s. w. u. s. w. So halfen meine Fragen wenigstens so viel, daß ich nicht zu antworten brauchte. Zur Abwechslung und Erholung von derlei diplomatischen Exercitien, lese ich Cousin’s Vorträge über Geschichte der Philosophie mit großer Theilnahme. Obwohl mir fast alle Werke über diesen Gegenstand sehr genau bekannt sind, finde ich doch hier manche eigenthümliche Zusammenstellung und den wissenschaftlichen Standpunkt eines Franzosen. Die deutschen Leute von Fach werden seinen Eklekticismus tadeln; zufolge meiner geschichtlichen Natur lasse ich es mir aber gern gefallen, daß er jedem philosophischen Systeme sein Recht widerfahren läßt: also der Philosophie der Sinnlichkeit, des Geistes, des Zweifels und der Mystik. Der Beweis, daß keine dieser Schulen allein ausreicht, sondern in jeder Bestandtheile der Wahrheit und des Irrthums liegen, ist vortrefflich durchgeführt. -- Eine, nach deutschen Quellen von Cousin entworfene Darstellung der letzten Lebensjahre und Lebenstage Kant’s, habe ich mit größter Theilnahme und Rührung gelesen. Welch ein ~avis à un vieux lecteur~! Den 26. November. General Cavaignac hat sich gestern meisterhaft gegen alle wider ihn erhobenen Anklagen vertheidigt, und für jeden unbefangenen Freund der Wahrheit einen vollen Sieg erfochten. Seine Beredtsamkeit war die eines rechtlichen Mannes, eines ehrenwerthen Charakters. Kein Wort zu viel, keine Phrasen, keine Zweideutigkeiten, keine schlecht verdeckten Widersprüche, keine schwülstigen oder heimtückischen Berufungen an die Leidenschaften, kein flitterhafter non sens; -- in Allem das vollständige Gegenstück zu der Beredtsamkeit Lamartine’s, und zu der Unfähigkeit -- zu sprechen und zu handeln. -- Kaum Einem in der Nationalversammlung ist es wohl zweifelhaft geblieben, daß Cavaignac mit Unrecht angeklagt ward; und die sich der Abstimmung enthielten, thaten es meist aus Feigheit oder Parteizwecke halber. Man mag den Sturz des Königthums bejammern, die Republik hassen oder verachten; läugnen aber kann man nicht, daß Cavaignac ein Mann ist, in größerem Style, als alle seine bisherigen Gegner. ~A Monsieur le Général Cavaignac.~ ~Permettez que je Vous adresse mes félicitations _les plus sincères_ de Votre admirable et éloquente défense, et de Votre victoire glorieuse! J’ai l’honneur etc.~ ~Monsieur Bastide à Monsieur de Raumer.~ ~Monsieur!~ ~Je viens de recevoir une dépêche de Francfort, dans laquelle se trouve textuellement la phrase suivante: Il n’est plus question de l’envoi de Monsieur de Rantzau non plus que de celui de Mons. de Nostiz comme réprésentant du pouvoir central à Paris, et provisoirement du moins, Monsieur de Raumer, y conservera son poste actuel.~ ~Permettez de me féliciter de cette nouvelle, qui me donne l’espérance de conserver avec vous les excellents rapports que je suis heureux d’entretenir!~ ~Votre tout devoué Jules Bastide.~ ~25. nov. 1848.~ Fünfundachtzigster Brief. Paris, den 27. November 1848. Allerdings hat jeder Tag seine eigene Sorge! Wer aber kann herzlos die Leiden voriger Tage ganz vergessen, oder die Augen gegen eine herandringende Zukunft verschließen, die man fördern oder bekämpfen soll? Wenn ich die Dinge aus der Vogelperspektive des Historikers betrachte, so sehe ich neben den durch Wolken verdunkelten Landschaften, auch die erleuchteten; der Abendstern wird zum Morgensterne und den fernab donnernden Gewittern folgt der versöhnende Regenbogen. Jetzt aber krieche ich gezwungen wie ein Wurm an der Erde, sehe Alles in größter Nähe, gleichsam durch ein Mikroskop, welches das Natürliche bis zum Entsetzen vergrößert. Wie kann und darf man dem entgehen? Selbst (abgesehen von Dem, was Pflicht und Beruf gebieterisch fordern) nähme man Flügel der Morgenröthe und flöhe zum äußersten Meere, so würden die Nachtvögel der Zeitungen folgen, und ihr betäubendes Mordgeschrei erheben. -- Wieder ein Mord mehr vollbracht durch die heutigen Assassinen, welche in der Praxis den alten gleich stehen, durch ihre nichtswürdig ausgebildeten, besonnenen Theorien aber noch verruchter erscheinen. Kaum ist der heilige Vater in Rom den Händen einer Bande entgangen, gegen welche gewöhnliche Straßenräuber fast unschuldig erscheinen. Wie kann man hoffen, solch eine sittliche Ausartung, durch weiße Salben und Constitutionsgichtpapier auszuheilen oder zu vertilgen? Wie kann man sich wundern, wenn Ärzte einer anderen Schule (wie Windischgrätz) versuchen, mit Schneiden und Brennen eine Besserung aufzuzwingen? So weit ist es gekommen, daß man sich fast des Verkehrten freut, in der (freilich oft täuschenden) Hoffnung, dies werde auf den Weg des Besseren zurückführen! So hat das Verweigern der Steuern in Berlin, das Verwerfen der Frankfurter Vermittelung, und das Übertriebene der von der Linken vorgeschlagenen Bedingungen, Vielen die Augen geöffnet, und der Regierung mehr genützt als geschadet. -- Es giebt in unseren Tagen leider viele Fälle, wo man kaum weiß, was man thun soll; gewiß aber hätte ich mich in Berlin, in jeder Weise, obigen Thorheiten, oder Verbrechen widersetzt, und mich in Paris bei der Abstimmung über Cavaignac, nicht durch Parteizwecke vom Abstimmen für Wahrheit und Recht abhalten lassen. Wie im Sprechen und Handeln wird auch im Schreiben nur zu oft die Wahrheit umgangen und entstellt, z. B. von den Geschichtschreibern der Revolution. Bei Mignet ist der König mit seinen Freunden für jede That zurechnungsfähig, die Jakobiner sind gerechtfertigt ~par la force des circonstances~; bei Thiers hat Napoleon überall Recht, und jeder widersprechende Unrecht; Blanc schreibt baaren Unsinn für unsinnige Zwecke, und Lamartine giebt Dekorationsmalereien auf Glanzpapier, mit Goldschaum aufgehöht. Den 28. November. Die römischen Frevel machen hier sehr großen Eindruck, und es kommt heute in der Nationalversammlung zur Sprache, was Frankreich für den Papst thun wolle. Ein Wahnsinn der ärgsten Sittenlosigkeit durchraset ganz Europa, fast ärger als der theologische früherer Zeiten; und so wie man sich damals durch Mißdeutung biblischer Stellen eine von allen Banden gelösete, angebliche höhere Moral bildete, stellen jetzt die Anarchisten die höchste Willkürlichkeit ihres hochmüthigen Beginnens hinauf über alle ewigen Gesetze menschlicher Würde. -- Als ich gestern Hrn. -- (einem Quasigesandten der Sicilianer) sagte: gründet man die Freiheit durch Mord? Wird dies die Theilnahme für Italien erhöhen? bemerkte er: aber Hr. Rossi hat viele Fehler begangen. -- Als wenn dies Recht zu, oder Entschuldigung für Verbrechen gäbe! 800 Schuster haben ein Bankett gehalten, wo ihnen einer der neuen Propheten (ein ehemaliger Arbeiter), Herr Peter Leroux sagte: viele Schuster denken und sprechen weit besser ~d’association~, als Mitglieder der Nationalversammlung. Ein Mitglied des Instituts, ein Dichter wie Lamartine, ein General wie Cavaignac, ein Napoleon, -- ist nicht mehr wie ein Schuster! -- ~Ces paroles ont été suivies de vives acclamations!~ -- Schwerlich würde es viel wirken, wenn man diesen Schustern die Geschichte erzählte, vom ~ne sutor ultra crepidam~. Den 29. November. Gestern Abend wollte ich mich dem Hrn. General Cavaignac in seiner sogenannten Soiree vorstellen, fand aber die Straße so mit Wagen überfüllt, daß ich ausstieg, um zu Fuße weiter vorzugehen. Bald aber zeigten sich auch hier unübersteigliche Hindernisse. Tausende nämlich von Nationalwache und Officieren rückten in geschlossenen Reihen vorwärts, und ob sie mich gleich mehre Male höflichst durchließen, gelangte ich doch nur bis in das erste Zimmer; wo diesmal keine Hitze, sondern bei offenstehenden großen Fenstern und Gartenthüren ein gewaltiger Zug war. Obgleich ich meinen runden Hut (mit Hülfe einer neuen Erfindung) zusammendrückte und mich vereinzelte schwarze Krähe so schmal machte wie möglich, blieb es doch unmöglich weiter vorzudringen. Kein ~plus ultra~, sondern Rückzug bis zur Hausthür; wo es mir mit Mühe gelang, meinen Namen in ein Buch einzuschreiben. Unterdeß hatte die Polizei die Überzahl von Wagen in andere Straßen gewiesen; der meine war nicht aufzufinden, und so mußte ich den weiten Weg nach Hause laufen. -- Noch nie war es so voll bei Cavaignac, vielleicht in Folge seiner siegreichen Vertheidigung am vorigen Sonnabend. Ludwig Bonaparte hat sich ein Manifest machen und es gestern verkündigen lassen. Im Vergleiche mit +seinen+ Wünschen, ist Heinrichs IV Wunsch, „eines Huhns im Topfe,“ -- nicht des Erwähnens werth; und gehen seine Versprechungen in Erfüllung, so bricht die goldene Zeit herein, der Himmel fällt auf die Erde, und Jeder steckt davon so viel in die Tasche als ihm beliebt. Aller Streit, alle Unordnung, alle Leidenschaft nimmt ein Ende, und die +entgegengesetztesten+ Personen arbeiten in milchbrüderlicher Einigkeit an dem neuen Paradiese. So sagte schon John Cade: ~I would by contraries execute all things.~ Den 30. November. Sonst kannte selbst die Fabel nur zwei Gefahren, von zweien Seiten, Scylla und Charybdis; jetzt sitzt man, wie ein indischen Büßer wenigstens zwischen vier Feuern und Sonnenbrand von oben. Welch eine klägliche Rundschau bietet Europa: Portugal, im Vergleiche mit den Zeiten Vasco di Gama’s und Albuquerque’s; Spanien, in dessen Landen die Sonne nie unterging; Frankreich, nach 60jährigen Bestrebungen, zum bloßen Lotteriespiele verdammt; Deutschland, wo Centralisation und Partikularismus, Reaktion und Radikalismus sich wechselseitig zu Grunde richten; Italien, Mordfeste feiernd und die Wiedergeburt im überbieten alter Frevel suchend. Möchte man zuletzt nicht in der Verzweiflung nach Rußland fliehen, weil dort doch noch Glauben an eine geordnete Regierung und Gehorsam im Gemüthe zu finden ist!? Meine gesandtschaftlichen Bestrebungen erinnern mich an Tantalus’ Geschick. Im Augenblicke des ersten Gelingens, die Verwerfung des malmöer Waffenstillstandes. Im Augenblicke des zweiten Gelingens, der wiener Aufstand. Im Augenblicke des dritten Gelingens, die Protestationen der österreichischen Landschaften gegen die Frankfurter, Österreich betreffenden Beschlüsse. Könnte man da nicht alle Geduld verlieren? Kann man sich wundern, wenn Feinde Deutschlands dies benutzen und geltend machen, Freunde aber zweifelhaft werden und zögern? An den Hrn. Rector der berliner Universität Hrn. Nitzsch. Soeben lese ich in dem preußischen Staatsanzeiger die Erklärung, welche sehr viele Professoren der Universität in Bezug auf die Verlegung der Reichsversammlung an Se. Majestät den König gerichtet haben. Ich halte es für meine Pflicht, nicht zu schweigen, sondern selbst aus der Ferne dieser Erklärung mit voller Überzeugung beizutreten. Denn abgesehen von allen Gründen, welche man aus der früheren Verfassung, aus Rechtsverhältnissen und Gesetzen, für das von der Krone in Anspruch genommene Recht herleiten kann; erweiset die Theorie durch sichere Schlüsse und die Geschichte durch nur zu zahlreiche Erfahrungen, daß eine Versammlung, deren Dauer und deren Weise zu sein allein von ihr oder doch von ihrer willkürlichen Bestimmung abhängt, allmälig alle Freiheiten untergräbt und Tyrannei begründet. Sie mag nämlich aus wohlwollendem Eifer und übertriebener Besorgniß, oder aus bewußtem Frevelmuth in dieses Streben nach Allmacht hineingerathen, so steht doch fest daß in dem Maaße, als sie dieses Ziel erreicht und alle heilsamen Gegengewichte zu Boden wirft, sie auch ihrem eigenen Untergange entgegengeht. Zu spät werden alsdann die Verführer gestraft, die Verführten von Gewissensbissen verfolgt, Alle aber (nach schnell vorübergegangener Lobpreisung) von der Mitwelt verläugnet und von der Nachwelt verdammt. Nur wenn die Versammlung zur rechten Einsicht und dem nothwendigen Gehorsam zurückkehrt, die Krone aber (woran nach den Versprechungen Sr. Majestät des Königs und Sr. königlichen Hoheit des Prinzen von Preußen nicht zu zweifeln ist) weder die Gesetze der Mäßigung überschreitet, noch die zugesagten Rechte verkürzt, wird unser theures Vaterland aus der entsetzlichsten Gefahr errettet werden und einer glücklichen Zukunft entgegengehen. Eure Magnificenz bitte ich, diese Erklärung der Öffentlichkeit zu übergehen. Sechsundachtzigster Brief. Paris, den 1. December 1848. Gestern kam mir die Erklärung der berliner Professoren an den König in die Hände. Ich habe es für meine Pflicht gehalten, ihr in einem Schreiben an den Rektor, Hrn. Nitzsch, beizutreten. Denn; obgleich ich meine Zweifel, ob die bloße Verlegung nach Brandenburg zum Ziele führen werde, noch immer nicht überwinden kann; so bleibt für mich doch keine +Rechts+frage, sondern nur eine +Klugheits+frage übrig, welche die Versammlung nicht zu entscheiden hatte. Noch weniger durfte sie durch die recht- und formlose Steuerverweigerung, ohne allen genügenden Grund, versuchen überall Anarchie und Bürgerkrieg hervorzurufen. Zu jener Erklärung habe ich mich auch deshalb entschlossen, weil es meiner Natur zuwider ist hinter dem Berge zu halten, und ich nicht den Schein erwecken will, als hege ich der miserabelen akademischen Geschichte halber, eine ~rancune~, oder als wolle ich mich deshalb den Anarchisten zugesellen. Aber, wie gesagt, der Streit über die Verlegung der Nationalversammlung wäre wohl besser vermieden worden. Geht die Mehrheit +nicht+ nach Br., so ist dies eine Niederlage für die Regierung, gehen +Alle+ hin, so werden die Steuerverweigerer auch außerhalb Berlins schwer zu lenken sein. Die Auflösung der Nationalversammlung läßt sich (da Viele sich gern das Vergnügen einer neuen Wahl machen wollen) wohl durchsetzen; wer aber kann dafür stehen, daß die bevorstehenden Wahlen in der jetzigen aufgeregten Zeit besser ausfallen werden? Wenigstens zeigt hier die englische und französische Geschichte warnende Beispiele. In einer langweiligen Abendgesellschaft, zischelte gestern ein Herr dem anderen zu: L. Bo. Manifest ist gemäßigt, beruhigend, gemüthlich, weise; -- während ein Dritter seinem Nachbar sagte: es ist die dummste und lächerlichste Posse (~niaiserie~), die mir je vorgekommen! -- In dem ersten Entwurfe hat gestanden: er werde nie interveniren und das Heer um 200,000 Mann vermindern. Dies ist aber ausgestrichen worden, weil man den Eindruck fürchtet, den eine solche Erklärung auf das Heer machen könnte; oder weil man noch Eroberungsgelüste hegt; -- oder aus beiden Gründen zusammengenommen. Den 2. December. Die Maßregeln, welche Hr. General Cavaignac für den schändlich behandelten Papst ergriffen hat, finden fast allgemeinen Beifall, wogegen die Theilnahme für die Italiener täglich abnimmt und ihre politische Fähigkeit und Mäßigung von allen Seiten geläugnet wird. Gestern sagte mir ein hochstehender Beamter: man wird ihrer bald so überdrüßig sein, als der Polen. -- Leider hat die Theilnahme für Deutschland in der letzten Zeit ebenfalls so abgenommen, daß man dessen kein Hehl hat. Und zwar aus folgenden Gründen: 1) weil die berliner Reichsversammlung Schlüsse der frankfurter aufgehoben hat, und umgekehrt; 2) weil die berliner Linie alle Einmischung der Reichsgewalt zurückweiset, sobald diese nicht unbedingt Das thun will, was jene verlangt; 3) weil die berliner Zerwürfnisse noch fortdauern und von Frankfurt aus nicht beseitigt sind; 4) weil die frankfurter Versammlung geduldet hat und noch duldet, daß einzelne ihrer Mitglieder willkürlich die Paulskirche verlassen, in verschiedenen Staaten Aufruhr predigen, und an ungebührlichen Kämpfen persönlichen Antheil nehmen. Es sei tadelnswerth, daß man in Frankfurt blos die +Form+ ins Auge fasse, ohne den +Inhalt+ zu berücksichtigen. Oder, wenn man diesen ausnahmsweise auch unterordnen wolle, so hätte man doch nicht Männer, mindestens höchst zweideutiger Wirksamkeit, als Märtyrer dichter Freiheit behandeln und ehren sollen; 5) während man verlange, daß Frankreich die Reichsgewalt und einen Reichsgesandten unbedingt anerkenne, sei man mit Österreich in so unnöthigen Streit gerathen, daß sich dasselbe von Frankfurt lossage und die daselbst gefaßten Beschlüsse weder ausführen wolle, noch ausführen könne. Bevor man sich also an fremde Mächte wende, möge man in der Heimat zur Mäßigung zurückkehren und Einigkeit begründen. Selbst Frankreich sehe ein, daß für Europa’s Wohl ein starkes Österreich nöthig sei, während man in Deutschland unbegreiflicher Weise dessen Zerstückelung und Auflösung wünsche oder anbahne. Österreich werde dazu so wenig die Hand bieten, als Frankreich, wenn man etwa für Elsaß, Bretagne oder Navarra derlei Beschlüsse fassen und aufdrängen wolle. So in aller Kürze die Urtheile, wobei ich mich noch freuen soll, daß sie mir nicht stärker vorgetragen werden! Einzelne Gesandte sind so mitleidig, mich zu meiner Stellung zu condoliren, und wenn ich mich wahre und vertheidige, machen sie (leider!) +meiner Person+ Komplimente, während sie die +sachlichen+ Darstellungen und Forderungen ablehnen. Einzelne, die in ihren eigensten Interessen verletzt werden, sprechen schon die Hoffnung aus: es werde Alles beim Alten bleiben! Mittags. Ich habe gestern, ich weiß nicht zum wievielsten Male, auf Auslieferung der Mörder des Fürsten Lichnowsky gedrungen, und zwar in einer ungeduldigen, fast barschen Weise. Die Schuld der Zögerung liegt aber nicht an dem Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten, sondern am Justizministerium, wie man in Frankfurt durch Hrn. Tallenay bereits wissen wird. Ein vieljähriger Beamter jenes Ministerii sagte mir: „Ihre Forderung ist klar und gerecht, aber man fürchtet sich vor den Journalen.“ Da entfuhr mir das Wort: „~c’est misérable~.“ -- Anstatt mich (wie ich fürchtete) deshalb zurechtzuweisen, erwiderte jener Beamte: „Sie haben vollkommen Recht!“ Siebenundachtzigster Brief. Paris, den 3. December 1848. Warum (sagte mir Baron R.) besuchen Sie uns Abends nicht öfter? -- Ich bin oft übler Laune, oder vielmehr so niedergeschlagen, daß ich für Gesellschaften dann nicht tauge. -- „Mir geht es ebenso; aber es hilft zu nichts. Auch erscheinen mir die Verhältnisse allmälig sehr viel besser zu werden. Welch wilde, ungemäßigte Leidenschaften im Februar und Junius. Jetzt dagegen müssen alle Parteien sich bezähmen und den Gemäßigten anschließen, Cavaignac wie Bonaparte; und Lamartine (der einst mit Ledru-Rollin fraternisirte) erklärt: er will die rothe Republik aufs Äußerste bekämpfen. Die Gemäßigten werden in Frankreich herrschen und (da Deutschland ja alles Französische nachäfft) auch in Deutschland die Oberhand behalten.“ -- Ich freute mich dieser heiteren Betrachtungsweise, obgleich mir der Weg zum Besseren noch nicht so gerade aus zu laufen scheint. ~Per tot ambages, per tot discrimina rerum, tendimus in Latium.~ In England dauerten die politischen Stürme, während des 17. Jahrhunderts, an 60 Jahre; Frankreich ist nach gleichem Zeitraume noch nicht am Ziele; Deutschland wüthete 30 Jahre wider sich selbst, und kommt (einmal aufgeregt) nicht leicht und schnell zur Ruhe. -- Und doch sehnt sich weit die Mehrzahl nach dieser Ruhe. Die Minderzahl, gewiß die thätigere, ist hingegen jetzt fanatisirt für politische Lehrsätze und Bekenntnisse, wie die Vorzeit für theologische Formeln. Von Besonnenheit, Sittlichkeit und liebevollem Christenthume ist dabei nicht mehr die Rede. Frevler, als Märtyrer ächter Freiheit dargestellt und erhoben, Unschuldige ermordet, und der Beförderer alles Guten, der wohlwollende Vater der Christenheit mit der niederträchtigsten Undankbarkeit behandelt und mit Mühe Mörderhänden entflohen. Wenn ein Hund auf der Straße schreit, stehe ich auf und suche den etwa Verfolgten zu schützen; statt dessen lesen sich diese neurömischen Senatoren, während Rossi’s Todesröcheln, ihre langweiligen Sitzungsprotokolle vor, und nennen diese bestiale Stumpfheit, stoische Größe. Kein römischer Bürger ergreift den siegesfrechen Mörder, kein römischer Edler reicht dem in Todesgefahr schwebenden Papste hülfreich die Hand, und durch Feste zu Ehren des Mörders schänden sich Städte und Landschaften. So sind die Zeugnisse für die Fähigkeit Italiens zu einer politischen und sittlichen Wiedergeburt. Schreibt doch selbst die ultraliberale Arkonati: die Demokraten haben Alles zu Grunde gerichtet! Brechen wir jedoch nicht voreilig und ohne Selbsterkenntniß den Stab über Andere. Oder sind denn die Anzeichen, ja die Thaten in Deutschland besser? Ich ward unterbrochen und so möge denn dies Klagelied unbeendet bleiben. L. Bonaparte und seine Partei benutzen alle Mittel für ihre Zwecke, werden aber nicht minder benutzt. Jemand der die Herabsetzung, oder Abschaffung der Salzsteuer wünschte, überredete jene Partei, daß Bonaparte viele Stimmen gewinnen werde, sofern er sich dafür erkläre. Ohne Rücksicht darauf, daß leichtsinnige Versprechungen zuletzt bittere Früchte tragen, gehen die Stimmenjäger auf jenen Vorschlag ein, lassen 300,000 Exemplare einer darauf bezüglichen Erklärung auf ihre Kosten drucken; -- und der Bittsteller hat +seinen+ Zweck erreicht, ohne daß es ihm einen Heller kostet. -- Ein angesehener Mann aus Südfrankreich sagte mir: wir lieben die Republik nicht, haben auch keinen besonderen Gefallen an Cavaignac; aber wir stimmen für diesen, weil wir keine neue Revolution wollen. Unsere Bauern dagegen, wenn ein +Schwein+ Bonaparte hieße, sie würden es zum Präsidenten erwählen. -- In einem vertraulichen Gespräch mit -- sagte ich ihm: ich bin hier in Paris völlig unnütz, verderbe meine Zeit, und treibe mich auf den Gassen umher, oder in langweiligen Soireen. Wäre nur mehr Trost in Frankfurt oder Berlin, ich ginge sogleich davon. -- Von hier war der Übergang leicht zur Beurtheilung der Gesandten und ihrer Wirksamkeit überhaupt, wobei ich den in meiner +Spreu+ angegebenen Ton wieder anschlug. Sogleich übernahm jener, seit 30 Jahren angestellte Beamte die Oberstimme, machte seinem Herzen Luft und schloß: „Glauben Sie, mein Herr, ich habe viele Gesandten gekannt, die bei ihrer Ankunft handlich verständig waren; allmälig aber wurden sie (anmaßlich mit Kleinigkeiten beschäftigt) -- ~des Sots~.“ -- Das spüre ich auch schon, fügte ich der Wahrheit gemäß hinzu! -- Nun, das Ende ist abzusehen, hoffentlich ehe ich ganz verdumme! Denn nachdem ich mich hier, ~pro patria~, abgemüht, gequält, und (ohne meine Schuld) nichts ausgerichtet habe, wird man (+sobald+ die Verhältnisse sich +günstiger+ gestalten) einen +Anderen+ herschicken, +ihm+ die bis dahin endlich gebratene Taube ins Maul stecken, mich aber (als unbrauchbar) zur Seite schieben. Ich bin so auf Alles gefaßt, daß derlei Erfahrungen meine Kreise nicht stören, sondern eher ergänzen werden. Den 4. December. Noch immer steigen und sinken die Leute hier mit ihren Hoffnungen; cartesianischen Täucherlein vergleichbar, oder dem Barometer zur Zeit der Äquinoctialstürme. So muß ich heute Bonaparte’s Aktien höher notiren als gestern, da der Marschall Bugeaud sich für ihn erklärt hat, und zwei aus den Landschaften kommende Männer die allgemeine Stimmung des Landvolkes für ihn bezeugen. Hingegen sind die, Erhaltung der Ruhe bezweckenden, Bürger meist für Cavaignac. Alle nehmen mit äußerlicher Höflichkeit noch immer den Hut ab vor dem allgemeinen Stimmrechte, während es Viele innerlich zum Teufel wünschen. Übrigens macht es einen höchst unangenehmen Eindruck, daß kaum irgend Jemand (und die Hochgestellten noch weniger, als die Geringen) die Wahrheit sagt, sondern daß sie Anderes denken, fühlen und bezwecken, als sie laut aussprechen. Daher der laute Ruf: ~nous acceptons franchement la république~, während man sie zu stürzen sucht; Lobpreisungen auf L. Bonaparte, während man alle Plane auf seine angebliche Nichtigkeit gründet; unermeßliche Versprechungen Bonaparte’s, von denen er selbst und seine Gehülfen ohne Zweifel wissen, daß er sie niemals erfüllen kann; Versagen der Abstimmung für Cavaignac in der Nationalversammlung, keineswegs weil die Sache unklar war (~non liquet~), sondern unter vielfachen Vorwänden, um ihm zu schaden: Zurückhalten der Äußerungen über die Bewerber zur Präsidentur, keineswegs aus Nichtwissen, oder Nichtwollen; sondern um Andere in die Grube fallen zu lassen, und diese nachher zuzudecken. Der über dieser Grube auferbaute Herrscherthron könnte aber leicht auch zusammenstürzen. Die Legitimisten hoffen, die Bonapartiden zu dupiren und umgekehrt; und jene vertreiben sich die Zeit mit einem Plane, der auf erhabener Grundlage ruht; nämlich daß Henry V kein Kind zeugen, seine Frau keins in die Welt setzen kann u. s. w. Zwischen all diesen Mummereien und tragikomischen Fastnachtsspielen, erheben allein die Blutrothen unverhohlen und rücksichtslos ihre Brandfackel, um alle jene Schauspielerbanden heimzuleuchten und die Coulissen, hinter denen sie sich verstecken, niederzubrennen. Mit Cavaignac und seinen Freunden (das wissen sie) ist nicht zu spaßen; wenn aber die Katzbalgereien über Bonaparte’s Beherrschung, oder Beseitigung losgehen, hoffen sie der uneinigen Gegner Herr zu werden. So hier die Zustände, die Aussichten; -- und doch siegt, durch Gottes mächtige Hülfe (welcher Menschenfreund wünschte es nicht) vielleicht die sehr große Mehrzahl Derer, welche aufrichtig Ruhe und Ordnung erflehen. Den 6. December. Die allgemeine augsburger Zeitung thut alles Mögliche, gute Briefschreiber zu werben, und doch sind deren Weissagungen, wenn auch nur auf 24 Stunden hinaus, in der letzten Zeit ganz zu Schanden worden. Obgleich ich mich also keineswegs auf diesen gefährlichen Weg begeben will, kann man es doch nicht unterlassen, an dem Vorabende großer Begebenheiten die +verschiedenen Möglichkeiten+ ins Auge zu fassen: wenn auch eine derselben vielleicht bereits zur +Wirklichkeit+ geworden ist, ehe der Brief ankommt. Also: 1) wenn +Cavaignac+ zum Präsidenten erwählt wird, so stehen ihm zur Seite, sein Verstand, seine Ehrlichkeit, seine Charakterkraft, die wirklichen Republikaner und alle Die, welche durchaus keine neue Umwälzung wollen, und denen jede vorhandene Einrichtung lieber ist, als alle künftigen. Wider ihn sind alle Legitimisten, alle Kriegslustigen, die Feinde des National, und die ungeheure Zahl Derer, welche wenigstens in dem +einen+ Punkte übereinstimmen, daß sie keine Republik wollen. Endlich hassen und fürchten ihn zugleich alle rothen Republikaner. -- 2) Wenn L. Bonaparte gewählt wird, so muß das (ohnehin schon laute) Geheimniß an den Tag kommen, daß sehr wenigen einflußreichen Personen etwas an seiner Person gelegen ist, sondern die Meisten sich seiner nur als Mittel für ihre eigenen Zwecke bedienen wollen. Diese Zwecke sind aber so verschieden, ja entgegengesetzt, daß schon die Bourboniden und Orleaniden sich darüber schwerlich vertragen werden, und Niemand voraussagen kann, wer in dem bevorstehenden Kampfe obsiegen wird. Die rothen Republikaner, welche in Bonaparte’s Erhebung einen ungeheuern Rückschritt sehen, reden laut davon, Gewalt wider ihn zu gebrauchen. Sie bringen Gesundheiten aus: „nieder mit den Rentiers und den Eigenthümern.“ Es gehört eine Leitung dazu, wie sie Cavaignac im Juni übte, um solcher Wüthigen Herr zu werden; ist Bonaparte mit seinen Freunden dieser drohenden Gefahr nicht gewachsen, so kann das größte Unglück nicht ausbleiben. Jedenfalls +hoffen+ die sogenannten Freunde Bonaparte’s +nach+ seiner Wahl auf +Veränderungen+ in +monarchischer+ Richtung; und ebenso +fürchten+ alle Republikaner einen Umsturz ihrer kaum gebornen und getauften Verfassung. Ich stimme gegen Cavaignac (sagte mir ein Bücherantiquar), weil ich die Republik +nicht+ will; ich stimme für Bonaparte nicht seinetwegen, sondern +weil+ ich die Herzogin von Orleans und die Regentschaft will. -- Kommt die Entscheidung über die Präsidentenwürde an die Nationalversammlung, so wird sie sich für Cavaignac aussprechen, theils aus persönlicher Achtung, theils weil viele Mitglieder (in jener ersten Aufregung erwählt) wirklich republikanisch denken. Hieraus folgt aber noch nicht, daß das, jetzt anders gesinnte Land sich ruhig dieser Entscheidung unterwirft. Neue Wahlen bringen neue Ansichten, und der letzte Abdruck dieser Volkssouverainetät hat ja nach französischer Theorie und Praxis immer Recht, bis die Presse, oder die Preßbengel einen noch neuern zur Welt bringen. Daß die Präsidentur und die neugebackne Verfassung wirklich den Franzosen auf vier Jahre willkommene und hinreichende Nahrung geben werde, ist, nach allen geschichtlichen Erfahrungen unwahrscheinlich. Die Wahl des nächsten Sonntags ist höchstens ~le commencement de la fin~. -- Ich sende Euch lauter Variationen +desselben+ Themas; kann es denn aber anders sein? Und wenn ganze Völker wie Thiere in der Mühle umhergehen, wie soll da der Einzelne im Stande sein einen geraden Weg, festen Schrittes zu verfolgen! -- Ich sprach von Möglichkeiten; deren werden so viele ersonnen und zusammengekünstelt, daß in dem Augenblicke, wo man die eine, aus Gründen, für die wahrscheinlichere erklären möchte, durch politische Taschenspielerei plötzlich das Gegentheil hervorgedreht wird. So scheint es ganz natürlich, daß Freunde der Republik für den Republikaner Cavaignac stimmen, während jetzt Mehre sagen: +Nein+, die +Gegner+ der Republik müssen ihn zum Präsidenten ernennen; denn wenn selbst unter +seiner+ Leitung die Republik sich nicht halten wird und nicht halten kann, so ist sie für immer abgethan und man kehrt zum rechten Königthume zurück. Bonaparte dagegen bringt lange untaugliche Mittelzustände, und der Einwand bleibt, daß, unter einem +tüchtigeren+ Führer, die Republik sich hätte halten können und sollen. Cavaignac führt also (besonders nach neuen, unzweifelhaft monarchisch ausfallenden Wahlen) zum völligen, raschen Tode der Republik; durch Bonaparte wird sie zwar erkranken, aber sich leicht wieder erholen zu neu versuchter Lebensverlängerung. Achtundachtzigster Brief. Paris, den 8. December 1848. Vor Bonaparte’s Wohnung faullenzen täglich mehre Hundert Bummler, nach den gebratenen Tauben das Maul aufsperrend, die er ihnen versprochen hat. -- Viele Engländer verlassen Paris; sie fürchten im Fall der Wahl Bonaparte’s große Unruhen, ja einen allgemeinen Krieg. Mit einem Cabrioletkutscher hatte ich soeben folgendes Gespräch: ~Pour qui voterez Vous? -- Certainement pour Bo. -- Croyez Vous qu’il est capable de gouverner la France? -- Point du tout, mais il sera usé plus vite qu’aucun autre!~ -- So denken nicht blos Kutscher, sondern auch die hochweisen Männer verschiedener namhafter Vereine. Später werden Alle sagen: wer hätte das gedacht! Aber: ~tu l’as voulu George Dandin!~ Den 9. December. Wichtige Begebenheiten drängen sich jetzt auf eine fast beispiellose Weise: der Papst verjagt, ein Kaiser und ein König abdankend, Frankreich morgen für und gegen einen unbekannten Herrscher stimmend, würfelnd, oder losend; in Preußen die Versammlung aufgelöset und eine neue Verfassung gegeben; -- so vieler anderen Dinge nicht zu erwähnen, welche in ruhigeren Zeiten die größte Aufmerksamkeit erweckt hätten. -- Die Italiener richten sich zu Grunde wie die Polen; Mäßigung und Besonnenheit fehlen fast überall, und Leidenschaft wird über Sittlichkeit und Tugend hinaufgesetzt. -- Österreich ersteht aus Todesgefahren, zu einem hoffentlich einigen und großartigen Völkerbunde. -- Für Frankreich wird Gott sein: „es werde Licht,“ doch nicht für immer zurückhalten. Gestern Abend war auf dem Vendomeplatze aber noch Tohu, Bohu; sechs Parteien eiferten für sechs Bewerber, und da L. Bonaparte keine gebratenen Tauben umherreichen ließ, kochten sich die ~citoyens actifs~ selbst einige Prügelsuppen. Den 10. December. Heute weissagt man den Sieg Bonaparte’s, weil in Paris (+also+ auch in ganz Frankreich) gutes +Wetter+ ist! Denn nunmehr würden sich die Bauern nicht abhalten lassen, nach den entfernten Wahlorten zu gehen und für ihn zu stimmen! -- Gestern ließ ich mir die Haare verschneiden. Es dauerte wohl eine Stunde; denn es entspann sich (von mir gefördert) ein Streit zwischen dem Haargesellen und einem eintretenden alten Officier. Jener war (obgleich aus der Vendée) ein Verehrer L. Bonaparte’s; der Officier (obwohl aus Napoleon’s Heeren) ein Bewunderer Cavaignac’s. Der Gesell ließ mich, halb geschoren, sitzen, um seinen politischen Zweikampf auszufechten, und ich hörte geduldig zu, um (als Professor des Staatsrechts) etwas zu lernen. -- Ich stimme (sagte heute ein Mann) für Bonaparte, denn er bringt uns Steuererlaß, stete Beschäftigung und Wohlstand. -- Gewiß wird Cavaignac (und das ist einstweilen ein Trost) mit seinen Freunden sich jeder Entscheidung der Wähler, oder der Nationalversammlung unterwerfen und keine Verletzung der Ordnung und der Gesetze dulden. Nachmittags. Die jetzige französische Regierung betrachtet Rußlands Fortschritte mit der größten Besorgniß, und wünscht in Ansichten, Beschäftigungen und Bestrebungen der Regierungen und der Völker eine solche Wendung und Übereinstimmung, daß man jenem Umsichgreifen mit größerem Nachdrucke könne entgegentreten. Insbesondere fragte Hr. Minister --, was man in dieser Beziehung wohl von Deutschland erwarten dürfe, denn auf Beantwortung dieser Frage komme vor dem Ergreifen bestimmter Beschlüsse sehr viel an. Ich antwortete (als Privatmann): Rußland hat den Deutschen gegen Napoleon’s Übermacht und Tyrannei treulich beigestanden, und ein Recht auf ihre Dankbarkeit erworben. Sollte daher irgend eine französische Regierung in die alten Gelüste der Eroberung und Unterjochung zurückfallen, so ist es höchst natürlich, daß man alsdann ein Bündniß mit Rußland nicht verschmähen wird. Andererseits giebt es zwischen Deutschen und Russen sehr wenige Punkte der Übereinstimmung, während sich jene gern aufrichtig mit Frankreich verbinden werden, sobald die dargebotene Freundschaft in Thaten übergeht und genugsame Bürgschaft gewährt. Österreich wird großentheils durch Frankreich und England gezwungen, sich an Rußland anzuschließen, und zu dessen Umsichgreifen zu schweigen; es ist zum mindesten eine sonderbare Zumuthung: es solle freiwillig seine italienischen Länder abtreten und durch einen großen Krieg mit Rußland, die Moldau und Walachei erobern. Nur wenn Frankreich, England, Deutschland (einschließlich Preußens und Österreichs) wahrhaft einig sind, werden ihre gerechten Vorstellungen bei dem Kaiser von Rußland Berücksichtigung finden; alle vereinzelten Einreden gegen seine anmaßlichen (aber klug berechneten und kräftig ausgeführten) Plane wird er hingegen für ganz unbedeutend halten und zur Seite legen. Während so viele europäische Regierungen und Völker sich unglücklicherweise streiten und schwächen, steigt Rußlands Macht. Denn so viel man auch gegen das russische Wesen mit Recht einwenden mag, so finden sich dort zwei Eigenschaften, die in so vielen westeuropäischen Ländern leider fehlen, nämlich: Vertrauen zur Regierung, und Gehorsam gegen die Regierung. Den 11. December. Der gestrige Tag ist ruhig vorübergegangen, obwohl, bei dem schönsten Wetter, Hunderttausende in Bewegung waren. Überhaupt ist für die Wahlzeit, und so lange noch Jeder obzusiegen hofft, nichts zu befürchten. Auch sind die mächtigsten Vorkehrungen für Erhaltung der Ordnung getroffen, und die Erfahrungen der Junitage haben selbst die kühnsten Empörer eingeschüchtert. Indeß zeigen die demokratischen Festmahle noch täglich Frechheit und Aberwitz in zugleich widerwärtiger und furchtbarer Mischung. So wenn Gesundheiten ausgebracht werden: ~le Christ~, und unmittelbar daneben: ~la méfiance~! Robert Blum, Raspail, Louis Blanc, Mazzini, Danton, Robespierre, u. s. w. Mit Recht sagt heute das ~Journal des débats~: sonst hätten die Völker ihre wichtigsten Handlungen durch Anrufung Gottes zu heiligen und zu reinigen gesucht; jetzt hingegen habe die französische Republik durch die Stimme ihres Propheten und Rhapsoden zu ihrem Schutzgott erwählt -- den Zufall! ~Jacta est alea! La France joue, elle veut jouer; les yeux bandés, elle tire le gâteau des Rois!~ -- Ich führe die eigenen Worte an, um sie nicht (scheinbar allzuhart) als Fremder auszusprechen. Den 12. December. Wenn sich hier der Wind ein Weniges dreht, drehen sich die Wetterfahnen noch weit mehr. Vor acht Tagen solcher Andrang beim General Cavaignac, daß Haus und Hof nicht zureichten und in den Nebenstraßen über 200 Wagen hielten; heute sagt der General aus zureichenden Gründen den Empfang ab, und gestern sah ich wie Haufen Gesindels mit Gebrüll nach seinem Hause eilten und aus vollem Halse schrien: ~à bas Cavaignac!~ -- Höher Gestellte, die vor kurzer Zeit ihm noch schmeichelten und bettelten, haben plötzlich die Entdeckung gemacht: es sei zweifelhaft, ob er und seine Freunde unfähiger, oder unsittlicher wären! Unter so vielen, sich drängenden großen Begebenheiten, welche der Geschichte reichen Stoff darbieten, sollte der Geschichtschreiber sich glücklich und wohl befinden! Woher kommt es nun, daß ich so verstimmt, so geistig und leiblich unwohl, so seekrank bin? Es kommt daher daß mir fehlt, was ich verehren und bewundern, woran ich mich erheben und stärken, wodurch ich neue Lebenslust und Lebenskraft gewinnen könnte. Statt ächter Weisheit höchstens Pfiffigkeit, statt edler Festigkeit schlangengewandte Fuchsschwänzerei, statt kühnen Verkündens der Wahrheit nur Heucheln, Schweigen, oder schlecht verdecktes Lügen, Götzendienst getrieben mit unsinniger Leidenschaft, Ehre geopfert dem gemeinsten Eigennutz und die Massen des ungebildeten Volkes als Fußschemel benutzt für Ehrgeizige und für die Brut ihrer gierigen Helfershelfer. -- So sieht das aus, was in Frankreich meist zu Tage kommt, und jeden Theilnehmenden doppelt betrübt. Ist es ein Wunder, wenn große Herrscher (wie Kaiser und König Friedrich II) am Ende ihres langen, thätigen Lebens, das bittere Ergebniß aussprachen: die Menschen seien eine schlechte Race! -- Man muß sich täglich zurufen: nil desperandum, und vertrauensvoll glauben, wo man mit schwachen Augen die göttliche Führung nicht deutlich erkennt. Die Berechnung aller Störungen der Planeten- und Kometenbahnen ist leicht und einfach im Vergleiche mit den Vorherbestimmungen politischer Ereignisse, in unserer aufgeregten und verwirrten Zeit. Und doch wird man immer wieder zu diesen erfolglosen Versuchen hingetrieben, sobald sich die Elemente der Bahnen irgend verändern. Also, wenn Cavaignac nicht Präsident wird, was wird er thun? Ich meine er wird sich der Entscheidung unterwerfen und sich niemals (was Einige thöricht, oder böswillig verbreiten) mit den rothen Republikanern verbinden. Ob er aber ruhig dem Versuche zusehen würde, die ganze Republik umzustürzen, das ist eine andere Frage. Gewiß wird er nach einigen Monaten billiger beurtheilt und höher gestellt werden, als in diesen Tagen der Leidenschaft. Daß er und Bastide ehrlich denken, sprechen und handeln, ist Vielen unbegreiflich und unglaublich, oder Beweis der bloßen Unfähigkeit. Trübe Aussichten nach allen Seiten; obwohl die Grundlage der Hoffnung unzweifelhaft bleibt, daß 99/100 des Volkes Ruhe und Ordnung wollen, obgleich sie über Mittel und Wege zu diesem Ziele meist im Dunkeln, oder im Irrthume sind. Möchten nur in unserem Vaterlande 99/100 für Ordnung und Gesetz mit Festigkeit auftreten. Freilich klagen die Demokraten laut, daß die Verfassung +oktroyirt+ sei: das heißt zu deutsch +gegeben+. Wenn aber das Gegebene gut ist, so nehme ich es dankbar an; auch ist ja der +zweiten+ Versammlung das Recht des Verbesserns und Bestätigens zugestanden. Unwahr ist es ferner, daß man Gegebenes in jedem Augenblicke nach Willkür zurücknehmen +könne+; oder daß Vertragsmäßiges, oder von unten herauf zu Stande Gebrachtes, immer sei heilig gehalten worden. Schon die französische Revolutionsgeschichte bietet viele Beweise des Gegentheils. Über die neue preußische Verfassung läßt sich viel hin und her streiten. Gewiß bedarf Einzelnes näherer Bestimmungen und Berichtigungen. So macht ein ganz unbeschränktes Vereinigungsrecht (einschließlich aller Klubs) jede Regierung unmöglich, oder sprengt sie auseinander. Selbst in Frankreich hat die Regierung das gesetzliche Recht sogleich beschränkend einzugreifen, wenn die öffentliche Sicherheit bedroht erscheint. Schon der Plan, durch ein Netz demokratischer Klubs den ganzen preußischen Staat zu umspinnen und die Wähler zu verführen, zeigt die höchsten Gefahren, sobald nicht die verständigsten und allgemeinsten Gegenmittel, wider dieses Gift, angewandt werden. Denn über das Bewilligte hinaus, noch mehr fordern und durchsetzen, hieße die Monarchie stürzen, und Das herbeiführen, was man hier erlebt. -- Politik, und nichts als Politik!! -- Gestern war ich bei der Gräfin Potocka, ihrer Einladung folgend. Sie hat mich verjüngt, indem sie nämlich Mozartsche Sonaten mit einer Geige (diesmal mit einem Violoncell) begleitet, spielte, die ich schon als Gymnasiast mit Hrn. Kaufmann, und nachher unzählige Male in Halle mit Kroker spielte. ~Tempi passati!~ -- Da sich in den Abendgesellschaften Niemand die Mühe giebt Einen vorzustellen, so bewegt sich Alles durcheinander wie die Atome Epikurs, oder (ohne ~Harmonia praestabilita~) wie Leibnitzens Monaden. Gestern fragte ich einen Herrn: wer ist der Mann? Zur Antwort: Ich sehe ihn seit Jahren in allen Gesellschaften, weiß aber nicht, wie er heißt. Er ist Legitimist, sehr langweilig und lacht immer. -- Das heißt nun Geselligkeit im höheren Style! Neunundachtzigster Brief. Paris, den 13. December 1848. Die Wahl Bonaparte’s zum Präsidenten Frankreichs ist so gut wie entschieden; nicht sowohl aus Vorliebe für seine Person, als in der Absicht durch ihn Zwecke verschiedener, ja +entgegengesetzter+ Art zu erreichen; vor Allem aber, weil man in Frankreich die +Republik nicht will+. Dies wird auch den +hoffnungsvollsten+ oder +verblendetsten+ Demokraten in Deutschland nicht verborgen bleiben. -- Möge für Frankreich ~vox populi~ wirklich ~vox dei~ sein und werden. Vor der Hand lauten die Äußerungen der künftigen Machthaber ganz friedlich, auch fühlen sie, daß ein Krieg dem freundschaftlichen Verhältnisse mit England ein Ende machen und Rußland (das man scheut) herbeiziehen würde. -- Die künftige Regierung wird dem deutschen Reichsgesandten einen officiellen Charakter gewiß +nicht+ zugestehen, bevor die Reichsverfassung entworfen und +allgemein angenommen+ ist. Vor Allem macht hier der unglückliche Streit mit Österreich den unangenehmsten Eindruck. Man spottet über diese neue Methode, eine größere deutsche Einheit herbeizuführen und über die bewundernswerthen Ergebnisse derselben; man nennt den ganzen Hergang ~une querelle d’Allemand~! -- Hoffentlich ist Alles in bessere Ordnung gebracht, bevor der neue Minister der auswärtigen Angelegenheiten mir hierüber Vorlesungen hält -- oder mich examinirt. Mittags. Gestern sahen wir: „die goldene Eier legende Henne.“ Dies Wunderwerk dauerte etwa 5 Stunden; ich war aber um 11 Uhr so augenmüde, daß ich nach Hause ging. A. wird umständlich berichten, von Himmel und Hölle, raschen Verwandlungen, glänzenden Erleuchtungen, prachtvollen Dekorationen, Tanzen aller Art, Mädchen in der Gestalt von Leiern und Guitarren, oder von Eseln, Schafen, Truthühnern und Gänsen u. s. w., Alles kostspielig, nie gesehen, erstaunenswürdig. -- Und doch, -- bei ernster Würdigung --, ein trauriger Beweis: daß Gedanken und Gefühle, Schönheit und Wahrheit, Maß, Harmonie und Zusammenhang, daß die ächte höhere Kunst verkannt und geopfert werden, und die oberflächlichste Sinnenlust darüber hinaufgestellt ist. Schon Aristoteles wußte, daß dies den Untergang ächter Tragödie und Komödie herbeiführe; die Römer erfuhren, daß bei dieser geistigen Faullenzerei auch Sittlichkeit und Charakter ausarten, und die Pariser sind, hinsichtlich dieser Dinge, auf dem geraden Wege in byzantinische Zustände zu gerathen. Ich habe allerdings den Muth gebilligt, den man in Berlin gegen Anarchisten und Pöbel gezeigt hat, und freue mich der bis zum März 1849 eintretenden Ruhe. Aber diese Ruhe ist nur ein Waffenstillstand, und kein Friede. Die Demokraten werden das Bewilligte annehmen, und von diesem +neuen+ Ausgangspunkte weiteren Boden zu gewinnen suchen. Die Rechte dagegen wird klagen, daß man sie und ihre (freilich erbärmlich schwach vertheidigten) Grundsätze, an die Linke preisgegeben und geopfert habe. Wollte man +so viel+ geben, glaubte man mit einer Verfassung, wie die neue, monarchisch fortregieren zu können, so hätte man nicht ~much ado, about nothing~ erheben sollen. Denn selbst die Linke verlangte (~reservationes mentales~ abgerechnet) wenigstens bis zum Anfange des Herbstes nicht mehr. -- Wird die Presse, werden die Klubs (ich wiederhole es) nicht, wenn Selbstbeherrschung fehlt, durch Gesetze in Zucht und Ordnung gehalten, welche zugleich ernst und freisinnig sind, so ist auf dem Festlande Europas keine ruhige, geordnete Regierung möglich. Man wird zwischen ~émeutes~ und ~coups d’état~ immer hin und her schwanken. Trotz dieser Wolken und Schwarke, hoffe ich doch, das Hauptungewitter ist vorüber, und wir gehen einer besseren Zeit entgegen. Den 14. December. Die ungeheure Zahl Derer, welche sich für L. Bonaparte erklärten, übersteigt alle und jede Erwartung, oder Vermuthung; +Niemand+ hat +diesen+ Ausgang vorhergesehen, und insbesondere sind die überklugen, allzupfiffigen, unaufrichtigen Parteiführer erstaunt, ja (wenn das Wort erlaubt ist) verblüfft. Lamartine, den die Eitelkeit noch vor 14 Tagen antrieb, als Bewerber um die Präsidentenwürde aufzutreten, ist trotz seiner prophetisch-asiatischen Phrasendrechselei so durchgefallen, daß er wenigstens Grund hat einzusehen, man halte ihn nicht für einen zum Herrschen gebornen Staatsmann. -- Ledru-Rollin und Raspail müssen sich ebenfalls überzeugen, bei welcher +kleinen Minderzahl+ ihre wilden, tollen Ansichten Beifall finden. Höher hinauf sehen sich die Legitimisten aller Farben und Abstufungen getäuscht; sie dachten mit L. Bonaparte zu spielen, ihm eine +nur geringe+ Überzahl von Stimmen zu verschaffen und ihn dann zur Seite zu werfen, um irgend einen ihrer vielen Plane durchzusetzen. Nun ist ihnen der Popanz oder Mannequin über den Kopf gewachsen, und steht auf einer beispiellos breiten Grundlage. Schwerlich hat er Lust, den General Monk zu spielen; wahrscheinlich begnügt er sich zunächst mit den großen Rechten, welche ihm die Verfassung giebt. Für diesen Fall ist General Cavaignac mit seinen Freunden fest entschlossen, ihn wider jeden etwanigen Angriff mit aller Kraft zu schützen; und sein jetziger Gegner verwandelt sich vielleicht in seinen tüchtigsten Vertheidiger. Gewiß darf er dem ehrlichen, versöhnten Republikaner mehr vertrauen, als den falschen Freunden, die ihn lediglich als Mittel gebrauchen wollten. Diese +ganz entschiedene+ Wendung ist ohne Zweifel für die +nächste+ Zukunft ein Glück für Frankreich; sie macht gewaltsame Veränderungen unmöglich und erweckt Vertrauen für die Dauer der Zustände. -- Das noch Spätere, -- wer kennt es? Drouyn de l’Huys, der bisherige Vorsteher des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten, soll dies Ministerium erhalten. Ich habe ihn als einen verständigen, gemäßigten Mann kennen lernen, dessen Ansichten über die europäischen Verhältnisse mit den meinigen übereinstimmten. Daraus folgt aber freilich nicht, daß man sich hier für das Deutsche und dessen weitere Entwickelung begeistere, so lange Uneinigkeit und Parteisucht in unserem Vaterlande fortdauern. Eine neue Karikatur zeigt Lamartine, wie er dem Louis Philipp einen Fußtritt giebt. Cavaignac wie er dem Lamartine einen Fußtritt giebt. Bonaparte wie er dem Cavaignac einen Fußtritt giebt. Morgen (heißt es dann) die Fortsetzung. Ich mache mir Vorwürfe (und Sie werden es noch mehr thun), daß es mir an aller Lust fehlt, auf die Jagd nach berühmten Leuten auszugehen, und daß mir das beneidete Glück sehr ~répandu~ zu sein, als die höchste und leerste Unbequemlichkeit erscheint. Komplimente schneiden und Phrasen drechseln, wovon Kopf und Herz nichts wissen, ist meiner Natur ganz zuwider, und das Wort erstirbt mir im Munde, wenn mir (nur zu oft) einfällt, was ich im ~Palais de la verité~ sagen würde! -- Deshalb kann ich mich nicht entschließen -- nochmals aufzusuchen, weil mir dies wie eine Art von Lüge und muthloser Schmeichelei erscheint; deshalb befinde ich mich nur halb bequem mit Thiers, weil ich (anderer, neuerer Dinge nicht zu gedenken), mich mit ihm über viele Stellen in seiner Geschichte der Revolution (die ich hier wieder lese) streiten möchte. So z. B. wenn er von den ~perfidies~ Pitt’s gegen den Convent spricht, und daß jener: ~par une logique machiavélique désenchantait les Anglais de la liberté française~; wenn er Burke blos als ~déclamateur véhément~ bezeichnet und seine ~violence absurde~ rügt; wenn er die Erzählung von der Hinrichtung Ludwigs XVI mit der Bemerkung schließt: „die Völker zeigen eine brutale und falsche Freude, bei der Geburt, der Thronbesteigung und dem Fall der Fürsten!“ -- Welch eine Zusammenstellung, oder Gleichstellung, an +dieser+ Stelle!!! -- Den 16. December. Ich war gestern bei Hrn. C., der auf mein Andringen nochmals über die Mörder Lichnowsky’s an den ungebührlich zögernden Justizminister geschrieben hat; nicht minder aber deshalb, weil am Thorschlusse die jetzige Regierung Das noch thun möchte, was die nächste (schon aus Geist des Widerspruchs) gewiß bewilligen wird. -- „Cavaignac (sagte Hr. C.) hat sich durch seine Umgebungen zu Grunde gerichtet.“ -- „Werden +die+ Bonaparte’s besser sein.“ -- „Keineswegs, dies Übel kehrt immer wieder. Warum wollen Sie nicht hier bleiben? Sie sind gern gesehen und Ihre Stellung ist der des Hrn. Tallenay in Frankfurt gleich.“ -- „Ich bin zu alt, verderbe meine Zeit, und finde Niemand, den ich aus vollem Herzen bewundern könnte.“ -- „Wo giebt es derlei Männer, etwa den Papst, vielleicht den König von Neapel, weil er sich selbst zu helfen wußte. Nach großen Zeiten folgt immer eine der Erschlaffung und Mittelmäßigkeit.“ -- -- -- Durch alle Reden des Hrn. -- leuchtete die Besorgniß hindurch, daß unser Vaterland einig und mächtig werde, sowie die Lehre der alten Diplomatie, Frankreich müsse es schwächen und seine Entwickelung stören! Nebenbei das Echo jedes kleinen deutschen Gesandten, der ohne Archimedes zu sein, doch schreit: ~noli turbare circulos meos~. -- Die Hauptaufgabe der Deutschen (sagte ein zum Minister bestimmter Mann) ist die Slawen zu befreien. -- Wollen Sie, erwiderte ich, mir sagen, wie dies anzufangen sei? -- Jetzt wandte sich das Gespräch auf die Polen, wobei +weit+ mehr Tadel als Lob zum Vorschein kam. Neunzigster Brief. Paris, den 17. December 1848. Gestern Abend ¾7 Uhr gingen wir ~le val d’Andorre~ von Halevy zu hören, und kamen um Mitternacht zurück. Eine angeblich veredelte, in Wahrheit verschlechterte, unmotivirte, langgedehnte, „+diebische Elster+.“ Unter allen französischen Operntexten, die ich kenne, der trivialste, und doch eine peinliche Marter durch ganze Akte hindurch. Musik aller Art, mit Erinnerungen an Bellini, Spontini und A., dieselben oberflächlichen Kunstmittel, ich weiß nicht wie oft angewandt: z. B. schnelles Plappern, Hinaufschreien in die höchste Oktave und dann ein Mundausspülgurgeltriller. Die leichtfertigste Tanzoper Auber’s wäre mir lieber gewesen, als diese sentimental-criminale Strapatze; -- größerer Meister nicht zu gedenken! -- Doch wozu kritisiren? Die Pariser füllen das Haus; es gehört zum guten Ton das Stück zu sehen und zu loben, und ich bin nur ~un barbare du Nord, qui a l’esprit désapprobateur~! -- ~Incidit in Scyllam, qui vult evitare Charybdin~; so gerieth ich, um der politischen Plage und Cholera zu entgehen, in eine nicht geringere der Kunstentwickelung des letzten Tages. Vielleicht ruft mir aber Jemand zu, es gehe mir wie Hobbes, von dem der ehrliche Jöcher sagt: „er ist so moros gewest, daß er jedermänniglich contradiciret.“ -- Auf Verlangen sende ich dann zur Widerlegung, oder zum Zeichen der Unparteilichkeit, eine Recension, wo Text und Musik jener Oper bis in den Himmel erhoben wird! -- Nun, mir auch recht, meinsgefallen, ~chacun a son goût etc., etc., etc.~ Den 18. December. Wenn ein Hirte täglich seine Schafe in den Stall hinein- und wieder herauszählt, so hat er es mit sicheren Wirklichkeiten zu thun, und über das Ergebniß hegt er keinen Zweifel. Ein Gesandter in Paris hingegen muß täglich die +Möglichkeiten+ zusammensuchen, und er weiß nie mit Gewißheit woran er ist, und welche sich in Wirklichkeit verwandeln wird. Also: die Wahl Bonaparte’s zum Präsidenten hat allerdings erwiesen: 1) daß die große Mehrzahl des Volkes eine ruhige, dauernde Regierung will; 2) aber zu gleicher Zeit, daß man die Republik +nicht+ mag. Das sieht nun allerdings sehr bestimmt und positiv aus; hebt sich denn aber eins und zwei, ~a~ und ~b~ nicht untereinander auf, und drängen sich nicht neue Möglichkeiten in den Vordergrund? Jede dieser Möglichkeiten hat eifrige Vertheidiger, welche die Nothwendigkeit ihrer Verwirklichung zu erweisen suchen. Ich gebe Beispiele: Dauer, Sicherheit, Vertrauen (sprechen Viele) ist der höchste Zweck, deshalb soll man an der vorhandenen, gegebenen, an der soeben beschworenen Verfassung +nichts+ ändern und eingedenk des Spruches sein: ~le meilleur est l’ennemi du bien!~ Hier allein ist und wird Bonaparte verpflichtet; er sichert sich und das Wohl des Landes, wenn er diese Pflicht gewissenhaft erfüllt. Hierauf erwidern Andere: Frankreich hat durch jene Wahl und auch sonst auf unzweideutige Weise erklärt, daß es die Stegreifsrepublik des Februar nicht will. Die neue, unausführbare Verfassung ist kein +Gut+, sondern ein +Übel+, das man, je eher desto lieber, beseitigen muß. Diese höhere Pflichterfüllung erwartet das Land von Bonaparte, er wird sich nicht erhalten, sobald er sich auf unhaltbare politische Grillen stützen will. Lamartine wie Cavaignac haben den Augenblick versäumt, das Rechte zu thun, deshalb wurden sie zur Seite geschoben. Bonaparte hingegen wird nicht in denselben Fehler verfallen, sondern die Gelegenheit rasch ergreifen und Das thun, worauf man gefaßt ist, und was Alle lauter oder stiller wünschen und erwarten. -- Wir sind (sprechen Legitimisten aller Art) allerdings auf einen solchen Schritt gefaßt; allein er soll keine Monarchie begründen, sondern nur vermitteln und für unsere rechtmäßigen Bewerber Bahn brechen. Die Stimme des Volkes (entgegnen Republikaner aller Art) hat für Bonaparte entschieden, und wir unterwerfen uns dieser höchsten Gesetzgebung, obgleich wir darin bereits einen traurigen Rückschritt erblicken; sollte aber Bonaparte, unbegnügt mit seinen, bereits allzu großen Rechten, pflicht- und verfassungswidrig vorschreiten, so werden wir (Gesetz und Verfassung vertheidigend) ihn daran nöthigenfalls mit Gewalt hindern und das (vielleicht verführte und verlockte) Volk auf den rechten Weg zu bringen wissen. -- So für jetzt die großen Parteien, welche jedoch aus sehr fremdartigen Bestandtheilen zusammengesetzt sind, die nach ihrem etwaigen Obsiegen sogleich einander feindlich entgegentreten würden. So Orleaniden und Bourboniden, rothe und weiße Republikaner u. s. w. Ein Straßenaufruhr könnte um so eher in Paris eintreten, wenn (wie Etliche behaupten) ein Theil der Linientruppen für communistische Ansichten gewonnen wäre; -- aber Paris und seine Emeuten entscheiden nicht mehr auf die Dauer. Das rechte Gewicht der Parteien wird sich erst durch die Wahlen für eine neue Reichsversammlung herausstellen, welche Wahlen (nach Maßgabe der Ansichten) die Einen so zu beschleunigen, wie die Anderen zu verzögern suchen. Zunächst ist die Bildung eines tüchtigen Ministeriums die Hauptsache, wobei viele Versuche bereits erwiesen haben, daß es (bei dem besten Willen) sehr schwer ist, es aus +einer+ Partei zusammenzubringen, oder Personen aus +verschiedenen+ Parteien für eine harmonische Wirksamkeit zu gewinnen. -- Gewiß sind die Franzosen durch die Wahl ihres Präsidenten den Deutschen um einen Schritt voraus. Möchten die Abgeordneten in Frankfurt nicht so viel Zeit unnütz vergeuden, die Verfassung rasch zur Zufriedenheit aller Staaten entwerfen und es dem Reichsministerium gelingen, die unseligen Mißverhältnisse zu Österreich bald für das Wohl beider Theile zu beseitigen. Nachmittags. Hr. Thiers hat sich (wie ich wohl schon meldete) mit großem Rechte der Fertigung einer ungeheueren Menge hypothekarischen Papiergeldes widersetzt, aber dabei weder die Einrichtungen fremder Creditsysteme hinreichend erörtert, noch die Mängel des französischen Hypothekenwesens nachgewiesen. Ein Aufsatz des Hrn. Laferrière verbreitet hierüber ein erfreuliches Licht. Nachdem in neuester Zeit fast alle Zweige der Industrie und der Gewerbe so sehr gelitten haben, wird Werth und Wichtigkeit des französischen Grundvermögens und Ackerbaues von Neuem hervorgehoben. Die französische Revolution, welche ungeheure Massen von Domainen, geistlichen und adligen Gütern auf den Markt brachte, veranlaßte zunächst ein Sinken der Verkaufspreise und eine Zertheilung der größeren Besitzungen. Das aristokratische Grundvermögen verwandelte sich in ein demokratisches. Man rechnet in Frankreich 5 Millionen Landstücke, deren jedes unter 5 Franken Grundsteuer zahlt; 5,250,000, die zwischen 5 und 100 Franken zahlen; 400,000 zwischen 100-500 Fr.; 47,000 über 500 Fr. Die Zahl der kleineren Besitzungen hat sich in neuerer Zeit nicht vermehrt, sondern Zertheilen und Zusammenschlagen hält sich ungefähr das Gleichgewicht. Hiebei zeigen sich zwei sehr merkwürdige Erscheinungen: erstens in Beziehung auf den Ertrag; zweitens in Beziehung auf die Verschuldung des Grundvermögens. Nämlich 1) Geld in Land angelegt, trägt im Durchschnitt ⅖ weniger Zinsen, als in anderen Gewerben oder Unternehmungen. Wenn dennoch die Verkaufspreise des Grundvermögens nicht sinken, so liegt dies in der gesuchten Annehmlichkeit seines Besitzes, und dem Glauben an größere Sicherheit und weniger Gefahr bringenden Wechsel. Diese Erscheinung würde aber 2) großentheils wegfallen, wenn es leicht wäre auf sichere Hypotheken Geld auszuleihen und anzuleihen. Es ist jetzt häufiger und gebräuchlicher zu kaufen und zu verkaufen, als Hypotheken zu suchen und aufzunehmen. So betrugen die Verkaufswerthe zwischen 1832-42 an 1500-1600 Millionen Franken, und die eingegangenen Hypotheken nur 400-500 Millionen. Es erscheint also als eine wichtige Aufgabe dahin zu wirken, daß der Ertrag vom Grundvermögen nicht so weit unter dem Ertrage des Geldvermögens bleibe, wodurch, anderer Übelstände nicht zu gedenken, die Verbesserungen des Bodens und Landbaues ungemein erschwert und vertheuert werden. Vor Allem treten hiebei die Mängel des französischen Credit- und Hypothekenwesens ans Licht. Vor der Revolution wurden Verbesserungen hauptsächlich dadurch verhindert, daß die großen Grundbesitzer auf alle Weise ihre finanzielle Lage zu verbergen suchten und eine Menge stillschweigender Hypotheken (z. B. für Frauen, Minderjährige) vorhanden waren; sodaß der Darleiher fast nie zu einer klaren und gesetzlichen Einsicht gelangen konnte. Trotz aller Besserungsversuche seit 1789 wird noch laut über die jetzigen Einrichtungen geklagt: das ganze Verfahren sei zu weitläufig, langsam und kostspielig, keine genügende Sicherheit über den Werth der Hypothek u. s. w. u. s. w. Öffentlichkeit, Einfachheit, Schnelligkeit, sind die unerläßlichen Bedingungen für die Reform des Hypothekenwesens, und erst wenn diese bewirkt ist, lassen sich nach Herstellung des Vertrauens, auch die Formen für den Credit, Verbindungen, Pfandbriefe, Leihbanken auffinden und anwenden. Ich breche ab, um nicht übermäßig zu langweilen, und gehe auf etwas Statistisches über, was vielleicht mehr anzieht. Binnen fünf Jahren (1839-44) sind in Frankreich von 5,820,129 Kindern 177,741 todt geboren, oder 1 von 33, und mehr in Paris als anderwärts. Bei 153,691 Geburten in Paris (1840-44) sind 263 Frauen in Wochen gestorben, oder eine von 585. Von 1839-44 starben in Frankreich 20,290 Personen an den natürlichen Pocken. Von 153,961 Kindern, die binnen fünf Jahren in Paris geboren wurden, starben 26,049 in den Hospitälern, oder eins von sechsen. Im Jahre 1815 waren 85,808 Kinder in den Findelhäusern; in 25 Jahren wurden 880,639 ausgesetzt, von denen 475,127 starben. In neuerer Zeit nahm die Sterblichkeit etwas ab, die Ausgabe aber zu. Im Verhältniß zur Bevölkerung hat die Zahl der Geburten seit 70 Jahren um 40 Procent abgenommen. Auf 17,000 Menschen kommt ein Wahnsinniger. Die Lebensdauer hat in neueren Zeiten aus vielen Gründen bedeutend zugenommen, ist aber am geringsten unter den ärmeren Volksklassen, besonders in Paris. Die Zahl der Heirathen hat in Frankreich seit 40 Jahren etwa um ⅖ abgenommen und die Zahl der Kinder um ⅙. Es werden um 1/32 mehr Knaben, als Mädchen geboren; dennoch giebt es in Frankreich mehr Frauen, als Männer. Die Zahl der unehelichen Kinder ist in den Städten und den gewerbtreibenden Landschaften größer als in den ackerbautreibenden. Es giebt noch einmal so viel Wittwen, als Wittwer. Die Zahl der Geistlichen (und Mönche) hat in Frankreich seit 67 Jahren um ⅘ abgenommen. -- Ziffern genug, um lange Betrachtungen daran zu reihen. Den 19. December. Ihr seht aus Vorstehendem, daß ich mir mit allerhand fremdartigen Beschäftigungen die politischen Grillen zu vertreiben suche. Sie kehren jedoch übermächtig immer wieder zurück. Zwar erkenne ich mit Freuden, daß sich die Zustände in den letzten sechs Wochen sehr gebessert haben; ob aber bald volle Gesundheit folgt, oder nach dem guten Tage des Wechselfiebers der +böse+, -- wer weiß es? In Frankreich treten Provinzialblätter offen für Heinrich V. in die Schranken, wogegen socialistische Zeitungen neue, +gewaltsame+ Umwälzungen für ihre Zwecke anpreisen. Eltern und Kinder, Geschwister, alte Freunde stehen sich feindselig gegenüber; das politische ~Credo~ trennt selbst die heiligsten Bande, und sucht die Erlösung, in und durch das Chaos und die Sünde. ~Discite justitiam moniti et non temnere divos~; -- aber trotz unzähliger Warnungen kümmert man sich nur wenig (oder höchstens aus Furcht) um Gott und Gerechtigkeit. -- -- Und das Alles schreibe ich des Morgens um 6 Uhr, wo man sonst den heitersten und größten Muth hat! Doch nicht um zu verzweifeln, oder gar Anderen diesen Seelenzustand anzupreisen, sondern um die Gefahren in ihrer ganzen Größe zu erkennen, und den zusammengeflickten Königsmantel Heuchlern und Frevlern von den Schultern zu reißen. Wenn +Jeder ohne Ausnahme+ thut was ihm zukommt, ist der Sieg für Ordnung und Mäßigung gewiß! Den 20. December. Gestern besuchten wir das ägyptische Museum. Alles höchst merkwürdig und eigenthümlich, wie Jegliches, was wir von diesem Volke wissen; aber wie selten geschmackvoll und erfreulich. Ihre Kunst erscheint als ein Werk des Zwanges und der unabänderlichen Vorschrift, nicht als ein Werk der Freiheit und Persönlichkeit. Den Sinn, die Begeisterung für diese wichtigsten aller menschlichen Richtungen haben die Hellenen gewiß nicht aus Ägypten geholt, und gar nicht holen können. Nächst dem Vatikan enthält der Louvre, im kleinsten Raume, die größten und bewundernswerthesten Kunstschätze. Wie arm, oder jung (leider, oder Gottlob) sind wir im Vergleiche mit diesen Schätzen. -- Gewiß ein Glück, daß das durch Napoleon’s Gewalt Zusammengehäufte wieder in alle Welt zerstreut ist, um Heiden und Christen zu erfreuen und zu belehren. Einundneunzigster Brief. Paris, den 21. December 1848. So wäre denn L. Bonaparte, nach dem Wunsche einer ungeheueren Mehrheit der Franzosen, zum Präsidenten der Republik erklärt. Er und sein Nebenbuhler (oder Mitbewerber) Cavaignac reichen sich freundschaftlich die Hand und versprechen gleichmäßig für das Wohl ihres Vaterlandes zu wirken! Wer freute sich nicht dieser Aussicht auf Ordnung und Dauer, dieses heiteren Tages unter so vielen trüben, fast hoffnungslosen! Doch könnten Deutungslustige als Weissagung bemerken: daß am Geburtstage der Republik, Regen, Sturm und Schneegestöber herrschten, und am Tage der Verkündigung Bonaparte’s das schöne Wetter in so bittere Kälte umsetzte, daß heute früh unsere Fenster dick zugefroren waren. Bedenklicher aber ist es allerdings, daß man aus jener Verkündigung das höchste Geheimniß machte und selbst die Abgeordneten nicht wußten, was in der Sitzung geschehen solle. Die am besten Unterrichteten hatten erklärt: mit jedem Tage wachse die Gefahr, und diese Furcht bezog sich weit mehr auf die Imperialisten, als auf die rothen Republikaner. Diese schelten bis jetzt ohne Erfolg, die Legitimisten zeigen sich einstweilen höflich; die Kammer wird täglich matter und wahrscheinlich sich selbst opfern und umbringen, bevor sie alle die versprochenen organischen Gesetze zu Stande bringt. Gewiß wird die neue Kammer (unter ganz anderen Einflüssen als denen Lamartine’s und Ledru-Rollin’s gewählt) sehr verschiedene Ansichten mitbringen und zu Tage fördern. Daß die Minister ausscheiden mußten, hat keinen Zweifel; dieser Wechsel wird sich aber auch auf viele Präfekten und andere Beamten erstrecken. So nachtheilig derlei Veränderungen in der Regel wirken, so sind sie diesmal doch wohl eher zu rechtfertigen als sonst. Wenigstens klagt man laut über die von der provisorischen Regierung verfügten Anstellungen. Die Minister (obwohl sie kaum das Licht der Welt erblickt haben) werden nach hiesiger Weise schon angegriffen: sie seien nur ~doublures~, ~remplaçants~, ~dii minorum gentium~ und dergleichen. Ihre durch Bonaparte ausgesprochene Erklärung lautet indeß verständig, und man sollte ihnen doch Zeit lassen zu handeln, ehe man sie ~a priori~ verdammt. Die Furcht vor einem Kriege scheint mir bei Vielen übertrieben, denn 1) fehlen zureichende Gründe, 2) Geld, 3) Credit, 4) Sicherheit des Obsiegens, 5) würde das gute Verhältniß zu England aufhören und Algier vielleicht verloren gehen, 6) ist Bonaparte kein Feldherr und darf (sofern er an der Verfassung festhält) das Heer nicht anführen und den Krieg nicht allein erklären. Nur die italienischen Angelegenheiten (für besonnene, vorsichtige Leute ein ~noli me tangere~) könnten zu größeren Zerwürfnissen führen. Doch nimmt die Theilnahme für die Italiener seit den neuen Ereignissen in Florenz, Rom und Turin hier täglich ab, und der neue sardinische Gesandte, Hr. Ricci, hat bis jetzt diese Stimmung keineswegs verbessert. Er nennt (wie mir heute Jemand sagte) die Verbindung von Mailand, Parma, Modena u. s. w. mit Sardinien ein ~fait accompli~; während selbst die englische Politik von der antiösterreichischen Richtung etwas abzulassen und ihre Blicke etwas weiter östlich zu richten scheint. Gebe der Himmel seinen Segen, daß eine neue Verständigung zwischen Österreich und Deutschland, und die Verfassung für beide Länder baldigst zu Stande kommt. So lange dies nicht geschieht, bleibt der Quasireichsgesandte bei den hiesigen Regierungen eine Null. Ja, während die vorige dem frankfurter Bestreben freundlich gesinnt war und eine engere Verbindung mit Deutschland wünschte, äußern sich Einige, welche sich der neuen Regierung zuwenden, auf eine so geringschätzige und spöttische Weise über Frankfurt, daß ich vor Kurzem in einer Gesellschaft einen solchen Zweikampf anzunehmen und die Ehre Deutschlands zu verfechten genöthigt war. Vergessen Sie, sagte der Wirth dem Haupttadler und Spötter, vergessen Sie nicht, mein Herr, daß die Deutschen zwei Mal in Paris waren! Den 22. December. An den Hrn. Präsidenten und Minister von Gagern. Alle Deutschen, hochverehrter Herr Präsident, blicken auf Sie mit Liebe und Vertrauen. Möchte Ihnen das schwere Werk gelingen, unser Vaterland zu einigen; denn bevor dies zur Zufriedenheit aller Staaten geschehen ist, fehlt uns daheim Glück und Wohlstand, und im Auslande diejenige Achtung, welche ein großes Volk nicht verscherzen kann, ohne sich selbst mittelbar zu Grunde zu richten. Mir fehlt es nicht an Muth, mein Vaterland hier zu vertheidigen, auch wohl den 60jährigen, so oft mißlungenen politischen Versuchen der Franzosen gegenüber, zu rechtfertigen. Allein jeder scheinbare Sieg, jede erneute Hoffnung wird zu Schanden, wenn aus Frankfurt Nachrichten hieher gelangen von der leidigen Zerwürfniß mit Österreich, dem leidenschaftlich einseitigen Bilden und Umstellen der Parteien u. s. w. Verhehlen ja Viele gar nicht ihre Freude, daß (wie sie laut versichern) das gesammte Bestreben Deutschlands für eine politische Stärkung und Wiedergeburt schwächlich, lächerlich und verächtlich, -- mit +nichts+ endigen, und Frankreich alsdann die Ohnmächtigen, Gebeugten, Blasirten ins Schlepptau nehmen und nach Belieben gängeln werde. Abends. Heute besuchte ich meinen persönlichen Gönner, Hrn. Bastide, welcher jetzt Rue Ferme des Mathurins in philosophischer Ruhe au 5^{me} wohnt und die Gesandtschaft in London abgelehnt hat. Er erzählt mir, daß General Cavaignac alle seine Minister zu sich berief, und daß er ihnen eine treffliche, tief ergreifende und rührende Rede hielt. Einstimmig gelobten sie, der neuen Regierung (sofern sie sich innerhalb der gesetzlichen Schranken bewege) kein Hinderniß in den Weg zu legen, an keinen Intriguen Theil zu nehmen, sondern sie mit allen Kräften ehrlich und redlich zu unterstützen. -- So die verschrienen Gegner Bonaparte’s. Ganz anders viele der angeblichen, für ihn stimmenden Freunde. Sie können den Verdruß und Ärger, daß ihre Intriguen zu nichts geführt haben und sie sich getäuscht sehen, gar nicht verhehlen. So greifen sie die, von ihm bei seiner Einführung gehaltene, sehr gemäßigte Rede aufs Heftigste an. Sie sei, sagen zuvörderst Akademiker, in schlechtem Französisch abgefaßt und die Worte ~réactionnaire~ und ~utopiste~ gebe es gar nicht in ihrer Sprache. Täglich aber werden diese Worte in Schriften und Zeitungen gebraucht und auch Becherelle zeugt dafür in seinem vortrefflichen Wörterbuche. Der laute Zorn entsteht nur daher, daß sich Bonaparte +gleichmäßig+ wider jene zwei Parteien und Richtungen erklärt hat. -- Verständig und fern von Eitelkeit ist seine, mir von guter Hand mitgetheilte Äußerung: „er täusche sich nicht über die Menge der auf ihn gefallenen Stimmen. Die meisten danke er seinem Namen, andere (aus bekannten Gründen) den Legitimisten und Socialisten, die wenigsten seiner Person.“ Die Gefahren, welche Bonaparte’s Einführung beschleunigten, waren sehr groß. Am 19. Abends (so wird erzählt) entdeckte man eine doppelte Verschwörung. Die eine Partei wollte ihn zum Kaiser erheben, -- und die andere wollte ihn umbringen! Krankheitsstoff in Menge; vor der Hand mit Ernst und Klugheit beseitigt; hoffentlich für lange Zeit zum Wohle Frankreichs! Zweiundneunzigster Brief. Frankfurt a. M., den 8. Januar 1849. Meine Abreise von Paris war für mich zwar keineswegs unerwartet, aber doch so eilig, daß es mir an Zeit fehlte über Einiges Bericht zu erstatten. Ich will versuchen dies einigermaßen nachzuholen. Schon Anfangs November entwickelte ich die Gründe, weshalb man mich abberufen, unbestimmten Urlaub ertheilen, oder auszuharren anweisen möge. Hierauf erhielt ich keine Antwort, wiederholte jedoch mehre Male weshalb (ungeachtet der höflichsten persönlichen Behandlung) meine Stellung eine falsche, keine Aussicht auf größeren Erfolg vorhanden sei, und mir die Fortdauer dieses Verhältnisses unerträglich werde. Dies Alles berücksichtigend ging Hr. von Gagern auf meine Gründe und Wünsche ein; was auch für die Sachen selbst ohne Zweifel das angemessenste war. Zugleich entging ich dadurch einer neu bevorstehenden Unannehmlichkeit, von der ich erst Kunde erhielt, nachdem ich glücklicherweise schon meine Abreise amtlich angemeldet hatte. Der etwas rauhe, aber kenntnißreiche, rechtliche C. suchte mich nämlich zu bewegen, in Paris zu bleiben: die französische Regierung wünsche es, und habe diesen Wunsch in Frankfurt wiederholt erklärt; mit allen Gesandten stehe ich auf dem besten Fuße, ich könne ruhig in Paris abwarten, daß die deutschen Wirren sich aufklärten. Wenn ich auch positiv nicht viel ausgerichtet, so hätte ich doch viel Schädliches verhindert, auf Verständigung hingewirkt, keinen unnützen Zank erhoben, richtige Ansichten verbreitet u. s. w. -- So schmeichelhaft dies Alles auch für mich war, fehlte es doch nicht an Gegengründen für einen Mann meines Alters, meiner sonstigen Stellung u. s. w. Auf Einzelnes eingehend fragte ich endlich: wird man, wenn das ~Corps diplomatique~ dem Präsidenten vorgestellt wird, mich vielleicht vergessen? -- Nach einigem verdrießlichen Zögern sagte Hr. C.: das ist möglich, Sie werden dann aber besonders vorgestellt werden. -- Sehr angenehm für meine Person, den Präsidenten so ~tête-à-tête~ zu sehen und zu sprechen; aber den Hrn. -- und -- als der dritte Mann zugesellt und gleich wie sie behandelt zu werden, das wäre meiner Stellung und meines Vaterlandes unwürdig, und ich würde mich zu einer solchen Audienz nicht einfinden, selbst wenn man es mir von Frankfurt aus beföhle. Meine schon +vorher+ fest angesetzte Abreise hat also der französischen und der deutschen Regierung, sowie mir, große Unannehmlichkeiten erspart. Daß meine Sorgen in Frankfurt zwar anderer Art, aber nicht geringer, sondern noch größer und bitterer sein würden, wußte ich vorher; und die erste ernste Sitzung (über die Auflösung der preußischen Reichsversammlung) bestätigte meine traurigen Befürchtungen nur zu sehr. Welch ein Mangel an Unbefangenheit, Mäßigung, Wahrheitsliebe; welche gehässige Leidenschaften, welches Verläugnen und Zurückweisen aller Liebe und Versöhnung! Und aus der Hexenküche solcher Bestandtheile soll Deutschlands neue und größere Freiheit hervorgehen!! -- Diesmal zerstörte das Ungemäßigte sich selbst, und es kam zu dem besten Ergebnisse und Beschlusse; -- nämlich zu gar keinem! Zeither hat man sich in Frankfurt meist mit bloßen Allgemeinheiten beschäftigt und, ich möchte sagen, mit unbenannten Zahlen gerechnet. Nun zu dem Abstracten das Concrete, zu der leeren Allgemeinheit der besondere Inhalt hinzukommen soll, und Alles sich in Fragen um bestimmte Landschaften und Personen verwandelt; -- da zeigt sich Mangel deutscher Ideologie, und praktische Ungeschicklichkeit. Tadeln ist indeß viel leichter als Bessermachen, und für die Lösung der schwierigsten aller politischen Aufgaben, die je einer Versammlung vorlagen, darf man mit Recht Geduld und Nachsicht in Anspruch nehmen. Rom ist nicht in einem Tage gebaut, und wenn die Franzosen nach 60 Jahren noch nicht beim Ziele angekommen sind, brauchen wir nach sechs Monaten noch nicht zu verzweifeln; wir dürfen nicht verlangen, daß der erste Versuch vollständig glücke, und Säen und Ernten auf denselben Tag falle. Wie viele Thürme haben keine Spitze; natürlich also, daß wir die ungeheueren Schwierigkeiten bitter fühlen, welche sich bei dem Unternehmen aufthürmen, unserem politischen Baue eine Spitze aufzusetzen. Wer weiß: ob und wie sie zu Stande kommen, ob sie Dauer gewinnen wird? Allein wir haben doch eine Grundlage, auf welcher sich immer fortbauen läßt. Was sich auch im Einzelnen gegen die beschlossenen Grundrechte der Deutschen sagen läßt, im Ganzen und Großen zeigen sie große und wesentliche Fortschritte, und versperren die Möglichkeit in viele alte Verkehrtheiten und Ungerechtigkeiten zurückzufallen. Sie sind wenigstens bestimmter gefaßt, greifen besser in wirkliche Verhältnisse hinein, und stellen das Erreichbare in einer nützlicheren Weise dar, als die ~droits de l’homme et du citoyen~ der französischen Verfassungen. Fragte man blos die Fürsten, so wäre ihnen gewiß die Herstellung eines in etwas veränderten Bundestages bei Weitem das liebste. Das Andenken an die Einseitigkeit und zugleich Richtigkeit der unselig verstorbenen Einrichtung, macht aber eine Auferstehung derselben völlig unmöglich. Sie würde bald ein zweites Mal in viel furchtbarerer Weise vernichtet werden. -- Das Höchste, was sich jetzt in dieser Richtung begründen läßt, ist ein Staatenhaus; das Volkshaus zu beseitigen wäre ganz unmöglich; ein Versuch der Art würde mit demokratischen Siegen und Verjagen der Fürsten endigen. Beide Häuser bedürfen eines lebendigen, gewichtigen, mächtigen Mittelpunktes. Dieser kann nicht am Umkreise liegen, nicht von den alten Fürsten und Regierungen repräsentirt oder ersetzt werden. Ziehen wir den Kreis enger, übergeben wir die vollziehende Gewalt etwa dreien, die in Wien, Berlin und München hausen, so ist schwer ein richtig eingreifendes Verhältniß zu dem an +einem+ Orte befindlichen Reichstage aufzufinden. Bei steigenden Schwierigkeiten, hat man gar viele Möglichkeiten ersonnen sie zu beseitigen: Vorschlag und Wahl, Abwechslung (Turnus) nach mehr oder weniger Jahren, Wahlkönig, Erbkaiser. Hätte man blos mit der Theorie zu thun, so fände man wohl was das Vorzüglichere sei; -- die Widersprüche liegen aber außerhalb der Theorie, und die ~ultima ratio~ kümmert sich nicht um dieselbe und ihre Weisheit. Den 9. Januar. Ich fahre fort mich selbst zu orientiren, was, nach so langer Abwesenheit, doppelt nöthig ist. -- Die Franzosen sagen: die frankfurter Versammlung wird nichts Gescheites zu Stande bringen, sie wird nur einen neuen Streit herbeiführen zwischen Österreich und Preußen, Katholiken und Protestanten, Nord- und Süddeutschland; und dann -- entscheiden und regieren +wir+! Dies ist möglich, aber trotz unermeßlicher Schwierigkeiten, doch nicht nothwendig. Wir sahen, daß traurige Erfahrungen über das Zerfallen Deutschlands und seine politische Richtigkeit, neue Begeisterung hervortrieben für größere Einheit und Centralisation. Diese kann und darf aber keine französische sein; sie muß Stämme und Staaten berücksichtigen und am Leben lassen. Solch einen Mittelweg für die kleineren Staaten aufzufinden, ist das Leichtere; die Hauptschwierigkeiten treten erst bei den beiden, oder den drei größten ans Licht. So lange man sich an +allgemeinen+ Bestimmungen ergötzte, fand sich die Zustimmung leicht; und Jeder wähnte sie würde +ihm+ zu Gute kommen. Als aber endlich die Hauptfrage nicht länger zu umgehen war: wer Kaiser werden solle, fuhr Alles auseinander, und aus dem Chaos entwickeln sich zwar neue Parteien, aber keine harmonische Ordnung, kein Kosmos! Scheidet Österreich aus dem Bunde aus, oder tritt es nur in ein loseres Verhältniß, so ist Einheit und Macht Deutschlands nicht vermehrt, sondern verringert, und die österreichischen Deutschen könnten allmälig ihrem Vaterlande so entfremdet werden, wie die französischen und russischen. Österreich will sich keinem preußischen, Preußen keinem österreichischen Kaiser unterwerfen (und Baiern liebäugelt mit Frankreich), wenn der Kaiser so große Rechte erhält, als man ihm hier zuweisen will. Ohne bedeutende Rechte bleibt aber das Kaiserthum ein leerer Name; und wenn es nicht Anklang und Gehorsam findet, so würde der Erwählte wenigstens Gehorsam und Anerkenntniß erst durch Krieg und Gewalt erzwingen müssen. In diesen Nöthen wollen Manche sich mit einem verengten, kräftigeren Bundestage begnügen (also gewissermaßen einen Rückschritt thun); Andere glauben das einzige Rettungsmittel sei: +Preußen+ an die Spitze zu stellen, und so den Gedanken, daß es in Deutschland aufgehen müsse, erst zu Verstande zu bringen. Noch weiß Niemand, wofür sich die Mehrheit in der Paulskirche aussprechen wird: allein solch ein Beschluß (vielleicht, beim Widerspruche der Österreicher, nur durch wenige überschießende Stimmen herbeigeführt) ist keineswegs von entscheidender Allmacht. Wie, wenn Die da draußen stehen, sich +nicht+ unterwerfen, oder der Erwählte aus romantischen oder politischen Gründen ablehnt? Gewiß ist für Preußen eine Erhöhung seiner Macht nur dadurch möglich, daß es +nicht+ den alten Partikularismus stützt und vertritt, sondern den Gedanken größerer +deutschen+ Einheit und Macht sich aneignet und dadurch neue Bahnen eröffnet. -- Allerdings mit Vorsicht und Weisheit; aber ohne Unentschlossenheit und Feigheit. Wäre das Ergebniß der frankfurter Bestrebungen gleich +Nichts+, so ist damit keineswegs dem Alten neue Lebenskraft gegeben, sondern wir gehen einer neuen schlimmeren Revolution entgegen, welche mit dem Wegjagen vieler Fürsten zwar nicht +endigen+, aber dies doch +zunächst+ herbeiführen könnte. -- Die nächste Woche wird +hier+ viel entscheiden; möge man in Berlin dann mit mehr Entschlossenheit vorgehen. Ich sehe ein daß, um Willkür und Zufall +hier+, wenigstens einigermaßen auszuschließen, gleichgesinnte Männer zusammentreten und sich einer gewissen Ordnung und Zucht unterwerfen müssen. Meine natürliche, wohlbegründete Abneigung gegen alle Klubs (diese Zeugnisse unreifer, leidenschaftlicher politischer Zustände) fand aber gestern, im sogenannten Casino, neue Bestätigung. Man forderte: daß jedes Mitglied so in der Hauptversammlung stimmen +müsse+, wie die Mehrheit des Klubs beschließe. Ich erklärte mich bestimmt gegen diese Tyrannei, welche alle Berathungen im Plenum überflüssig, und alle Berichtigungen einseitiger Ansichten und Beschlüsse unmöglich macht. -- Sie sind, sagte mir ein Eingeweihter, in Ihren Ansichten noch sehr jungfräulich. -- Die Jungfrau wird aber ihre politische Unschuld, oder Schuldlosigkeit und Selbstständigkeit zu vertheidigen wissen! Hr. Tallenay, mit dem ich eine lange Unterredung hatte, bestätigt mir, daß Hr. Bastide zweimal hieher geschrieben und den bestimmten Wunsch ausgedrückt habe, daß man mich in Paris lassen möge. Dreiundneunzigster Brief. Frankfurt a. M., den 12. Januar 1849. Gestern habe ich sechs Stunden lang Reden über das Verhältniß Österreichs zu Deutschland angehört, und heute und morgen steht mir ein gleiches Schicksal bevor. Die Sache steht so: Die Absätze 2 und 3 des Verfassungsentwurfes erlauben nur eine Personalunion deutscher und nichtdeutscher Staaten. Diese Bestimmung war offenbar ein für Österreich hingeworfener Fehdehandschuh, -- mindestens eine Unhöflichkeit, oder, wie die Studenten sagen: ein Tusch; -- und so hat Österreich sie betrachtet und aufgenommen. Es erklärte: in solcher Weise +nicht+ in den neu zu bildenden Bundesstaat eintreten zu können; es müsse vor einer Unterwerfung unter die frankfurter Beschlüsse eine +Vereinbarung+ vorhergehen. Diese Forderung, welche dem Glauben (oder Aberglauben) an die Allmacht der frankfurter Versammlung geradehin widersprach, ward hier um so bestimmter zurückgewiesen, da man fürchtete: jeder einzelne Fürst werde ähnliche Ansprüche machen, und dann gar nichts zu Stande kommen. Für die kleineren Staaten ist diese Besorgniß übertrieben; für die größeren reicht es nicht hin, sie von oben herab zu behandeln. Am wenigsten kam man hinsichtlich Österreichs durch jene Erklärung von der Stelle; man konnte nicht länger vornehm um die Sache herumgehen, man mußte darauf eingehen. Die üble Laune richtete sich nun zuerst gegen Hrn. v. Schmerling: er ward, als Österreicher, von allen Seiten mit Vorwürfen überhäuft, und zuletzt dahin gebracht sein Ministerium niederzulegen. Hr. v. Gagern, sein Nachfolger, mußte aber (wollend oder nichtwollend) die unvermeidliche Sache in die Hand nehmen, und dies um so mehr, da spätere Erklärungen Österreichs in der Hauptsache wenig änderten, die unbedingte Allmacht der frankfurter Versammlung nach wie vor läugneten, und deutlich genug aussprachen, daß man die gefaßten Beschlüsse ändern müsse, oder Österreich sich auf die ihm schlechthin nothwendige Weise abschließen und nur im engeren Bunde mit Deutschland bleiben werde. Hr. v. Gagern sprach sich in seiner, der Reichsversammlung übergebenen Erklärung (unter sehr allgemeinem Beifalle) gegen jede +Vereinbarung+ aus, verlangte aber Vollmacht zur +Unterhandlung+ mit Österreich. Weil indessen die Unterhandlung doch keine Scheidung, sondern eine Verständigung und Einigung bezweckt (wo Einer dem Anderen nichts befehlen, oder die Befehle nicht durchsetzen kann), so geht praktisch Begriff und Anwendung so ineinander über, daß es ein deutsches Professorenvergnügen ist, sie mit wichtiger Miene auseinanderhalten zu wollen. Bedeutender erscheint der Gegensatz in dem Majoritäts- und Minoritätsgutachten des vorberathenden Ausschusses, über Gegenstand und Umfang der Unterhandlung. Die Mehrzahl will, daß dieselbe sich lediglich erstrecke auf das Verhältniß der +nicht+deutschen Landschaften Österreichs zu Deutschland. Man setzt dabei voraus, daß die +deutschen+ Landschaften unbedingt zu Deutschland gehören und den frankfurter Beschlüssen unterworfen sind. Aber gerade diesen Punkt läugnet Österreich, und gewiß ist es praktisch unmöglich, bei einer diplomatischen Verhandlung über die Verhältnisse des österreichischen Staates, derlei Gränzbestimmungen für auszusprechende oder zu verschweigende Gründe und Gegengründe inne zu halten. Deshalb erklärt sich die Minderzahl des Ausschusses dafür, den Gagern’schen Antrag ohne eine Beschränkung zu genehmigen. Da große geschichtliche Ergebnisse niemals durch bloße Wünsche und Wortbestimmungen herbeigeführt und entschieden werden, so könnte man jenen Streit und Gegensatz für unbedeutend halten; er bekommt aber schon +jetzt+ dadurch eine erhebliche Wichtigkeit, weil Hr. v. Gagern erklärt: er könne unter obigen Beschränkungen die Angelegenheit und Unterhandlung nicht übernehmen. Die Annahme des Majoritätsgutachtens würde also einen verderblichen Ministerialwechsel herbeiführen; denn es fehlt dazu (wie schon zwei verunglückte Versuche beweisen) zwar nicht an ehrgeizigen Raisonneurs (besonders auf der Linken), wohl aber an wahren Geschäfts- und Staatsmännern. Den 13. Januar. Gehen wir näher auf die Sache selbst ein, so treten uns allerdings die größten Schwierigkeiten entgegen. Staaten von höchst verschiedener Größe, Macht, Neigungen, Gewohnheiten, Erinnerungen, Bildungshöhe u. s. w. sollen friedlich und freundlich zu einem harmonischen Ganzen vereinigt werden; man soll gleichmäßig die Macht der größeren, und das Recht und den Lebensanspruch der kleineren berücksichtigen, die Starke im Innern und nach Außen erhöhen durch kräftigere Einheit, und doch nicht in eine Centralisation verfallen, welche die Mannigfaltigkeit und das örtliche Leben ertödtet. Der unbedingte Haß gegen die Vergangenheit, die Verachtung alles Deutschen vor 1848, erzeugte hiebei zunächst eine schiefe Stellung; es war eine durchaus einseitige Betrachtungsweise. Und von hier aus geriethen manche der in Frankfurt gesetzgebernden Männer in den leidigen Butterfrauentrab deutscher Abstraktion und inhaltlosen Theoretisirens. So passen denn viele der ausgesprochenen, bewunderten und eigensinnig vertheidigten Bestimmungen ebenso gut (oder ebenso schlecht) für China, wie für Deutschland. Ich wiederhole es: man rechnete mit unbenannten Zahlen und Größen, und freute sich dieses scheinbar allgemein gültigen Verfahrens; jetzt aber, wo diese Größen sollen benannt und zu den Begriffen bestimmte Personen gefunden werden, zeigen sich erst, wie jeder Verständige vorhersehen konnte, die größten Schwierigkeiten. Sie können nur gehoben werden, sobald man jene Allgemeinheiten modificirt und berichtigt. Hiezu haben aber die eingebildeten Väter des neuen, angeblich unfehlbaren und unabänderlichen politischen Evangeliums, nicht die mindeste Lust. Am meisten traten die angedeuteten Mängel hervor, bei dem Abschnitte vom Kaiser, oder dem Reichsoberhaupte. Mit freigebiger Hand wies man ihm Rechte zu, und Viele stimmten in der Hoffnung bei, Demjenigen, dem sie das Kaiserthum zugedacht, werde es mit der reichen Ausstattung angeboten werden, und er müsse es natürlich mit großem Danke annehmen. So die Frühlingsträume, aus denen man aber jetzt sehr unangenehm aufgeweckt wird. Österreich will sich der +gesammten+ frankfurter Gesetzgebung entweder gar nicht, oder nur dann unterwerfen, wenn man die Fülle kaiserlicher Macht in seine Hand lege. Hiedurch, sagen Österreichs Gegner, wird der Schwerpunkt des Deutschthums aus Deutschland hinaus verlegt, und Preußen fügen mit Recht hinzu: sie könnten ihr Dasein (hervorgegangen aus so vielen Kämpfen) nicht selbstmörderisch einer lange feindlichen, zu drei Viertel undeutschen Macht opfern. Ja, Preußen selbst will sich durch eine, vielleicht sehr geringe, Mehrheit in der Paulskirche nicht eine Würde zuweisen lassen, im Falle es dieselbe erst gegen einen großen Theil Deutschlands erkämpfen müßte. Baiern und Hannover zeigen unverhohlen ihre Abneigung und blicken schon hin nach auswärtiger Unterstützung; Andere sagen höchstens: wir müssen ~bonne mine à mauvais jeu~ machen, -- und so wird das zur Einigung vorgeschlagene Kaiserthum schon jetzt ein Zankapfel der bedenklichsten und unangenehmsten Art. Was ist bei diesen traurigen und gefährlichen Verhältnissen zu thun? Es müssen 1) die Regierungen nicht (wie zur Zeit der Wahl des Reichsverwesers) die Hände in den Schoß legen, sondern sich +eiligst+ über ein Mittleres vereinigen und den besonneneren Männern in der Paulskirche zu Hülfe kommen. Gar nichts thun, oder eigensinnig widersprechen, hilft zu nichts, ja es erhöht die Gefahren. 2) Wenn Österreich, Preußen und Baiern sich unverständig und endlos streiten, so bricht Deutschland auseinander und Fremde entscheiden über unser Vaterland. 3) Bestehen die kleineren Fürsten auf ihrer napoleonischen Souverainetät, so sind ihre Tage gezählt. 4) Berichtigungen finden in Frankfurt am besten Eingang, wenn die Abgeordneten wissen, was ihre Regierungen wünschen und bezwecken. Wir Preußen leben aber in dieser Beziehung in +völliger Unwissenheit+. Hr. -- ist, wie Alle klagen, stumm wie ein Fisch; entweder weil er nichts weiß, oder zum Schweigen angewiesen, oder von Natur dazu geneigt ist. Ändert sich dies nicht binnen 8-14 Tagen, so „wie Schafe gehen, gehen wir zerstreut, ein Jeder seinen eigenen Weg.“ Gott bessere es! Vierundneunzigster Brief. Frankfurt a. M., den 14. Januar 1849. Gestern war ein sehr schwerer Tag. Die Sitzung dauerte von 9-2 Uhr und von 3-8 Uhr; -- bei schrecklicher Hitze. Denn die heiße, trockene Luft strömte durch Gitter aus der unterirdischen Heizung betäubend hervor, und hätte ich nicht das Gitter neben meinem Sitze durch gedruckte Reichstagsweisheit zugedeckt, wäre ich wohl in Ohnmacht gefallen. Wenigstens krönte der Sieg die lange Anstrengung: das Ministerium Gagern ist erhalten, und die Gefahr, ein Ministerium der Linken zu bekommen, diesmal vorübergegangen. Ja, der Erzherzog hätte schwerlich je ein solches ernannt, und die steigende Macht der einzelnen Regierungen hätte vielleicht den ganzen Reichstag auseinander zu sprengen versucht. Scheinbar für diese ein Gewinn, der aber nach kurzer Frist neue Revolutionen herbeiführen würde. Zur Sache ward nach dreitägiger Berathung beschlossen: das Ministerium solle mit Österreich über seine Stellung zu Deutschland verhandeln und sich verständigen. Man will, sagten die Gegner, Österreich hinausstoßen, man will Deutschland theilen. Sie nahmen keine Rücksicht darauf, daß unzählige Male erwidert ward: Niemand habe diese Absicht. Auch konnte man mit Recht behaupten und hoffen, freundliche Unterhandlungen, geleitet von verständigen, wohlgesinnten Männern, dürften eher zu einem erwünschten und erfreulichen Ziele führen, als Beschlüsse und Befehle der Paulskirche, auf welche Österreich zeither fast gar keine Rücksicht genommen hat, und in der That nicht füglich nehmen konnte. Es ist ein fast unlösbares politisches Räthsel: wie Österreich ein Gesammtstaat bleiben, oder werden könne, und doch der deutsche Antheil dem deutschen +Bundes+staate einzuverleiben und zu unterwerfen sei. Noch weniger können alle nichtdeutschen Bestandtheile des österreichischen Staates in den deutschen Reichstag aufgenommen und daselbst vertreten werden. Je schwieriger aber die Verhältnisse sind, je weniger sich jene nichtdeutschen Bestandtheile geneigt zeigen, eine Unterwerfung unter das Deutsche zu dulden; um so vorsichtiger und zarter muß man verfahren, um ein Band nicht ganz zu zerreißen, dessen Deutschland, ja ganz Europa bedarf. Nur das wird Lebenskraft und Bestand haben, worüber alle Theile sich freiwillig einigen und vertragen; Wünsche, oder in Befehle verwandelte Wünsche, reichen hier nicht aus. Morgen kommen wir an die, wo möglich, noch schwierigere Frage: über des Reiches Oberhaupt. Viele wollen, aus verschiedenen Gründen, eine mehrköpfige Spitze. Die Einen nämlich, weil alsdann mehre Fürsten berücksichtigt und für den Plan gewonnen werden; die Anderen, weil sie hoffen, durch eine republikanische Form der höchsten Gewalt, allmälig alle untergeordneten Formen zu beseitigen. Nur wenn wir einen minder mächtigen Fürsten an die Spitze stellen (sagen wiederum Andere) wird die Freiheit, ja das Dasein der Übrigen, erhalten; -- ein Mächtiger, mit Kaiserrechten, wird Alle unterjochen. Ohnmächtige Scheinkaiser (erwidert man) haben Deutschland nur zu viel Schaden gethan; der Mächtigste allein kann ordnen, schützen; ihm gebührt die Führung von Natur und von Rechts wegen. Wir haben zwei Übermächtige, der Vorzug aber gebührt Österreich, nach geschichtlichem Vorgange. Ja, wenn es seine außerdeutsche Macht in die deutsche Wagschale legt, so bringt dies doppelten Gewinn und verdoppelt auch den Anspruch. Die undeutschen Bestandtheile Österreichs verwickeln Deutschland in undeutsche Richtungen, Zwecke und Kriege. Es giebt nur eine wahrhafte, durch und durch deutsche Großmacht -- nämlich Preußen! Dies übergehen, zurückstellen zu wollen, wäre so einfältig, als ungerecht, als unmöglich. Stellt man Preußen an die Spitze, so zürnt Österreich, und Baiern schließt sich an dasselbe, oder an Frankreich an. Österreich wird seinen wahren Vortheil als abgeschlossenen Gesammtstaat einsehen lernen und sich aufs Engste mit Deutschland verbinden; Baiern aber nicht vergessen, wie schlecht ihm das Bündniß mit Frankreich im spanischen und österreichischen Erbfolgekriege bekommen ist. Auch würde der deutsche Volkssinn die baierische Regierung bald von derlei Irrwegen zurückbringen. Wenn das baierische Volk auch nicht französisch gesinnt ist, verwirft es doch einen norddeutschen, protestantischen Kaiser. Baiern wird und muß Folge leisten, sobald Preußen sich mit Österreich oder dem übrigen Deutschland verständigt hat. Man kann für Preußen nicht mit voller Sicherheit stimmen, so lange man nicht weiß, ob der König die Kaiserwürde annehmen und mit aller Kraft behaupten will. Der König kann hierüber nicht entscheiden, bevor er weiß, ob in Frankfurt wirklich eine große Mehrheit ihn erwählt, und ob die deutschen Fürsten beistimmen. Eine solche Mehrheit findet sich nur bei thätigem Mitwirken, und das deutsche Volk wird, heftiger als im vorigen Jahre, wider diejenigen Fürsten aufstehen, welche seiner Entwickelung entgegentreten und ihren Sondergelüsten nachhängen. Wer nicht wagt, gewinnt nicht. Handeln ist besser als verneinen, und wenn der große Kurfürst vor der Schlacht bei Fehrbellin, Friedrich II im Jahre 1740, Friedrich Wilhelm III im Jahre 1813, sich nicht rasch und kühn entschlossen hätten, -- Preußen hätte keine größere Geschichte, als der übrige Ameisenhaufen kleiner deutscher Staaten. So viel heute zur Probe, aus den Vorreden, den pourparlers; bald mehr, und hoffentlich Gescheites und Entscheidendes. Ihr macht mir vielleicht den Vorwurf, daß ich (gleichwie Buridans Esel) auch nicht wisse, was ich wolle. Ich folge aber dem Beispiele des großen Staatsmannes Lord Burleigh, der für sich und seine kluge Königin Gründe und Gegengründe immer aufs Unparteiischste und Vollständigste entwickelte, und dadurch eben zu der Gewißheit kam, was endlich zu thun, wo das größere Gute, wo das kleinere Übel sei. Fünfundneunzigster Brief. Frankfurt a. M., den 16. Januar 1849. Ich hatte gestern ein langes Zwiegespräch unter vier Augen mit dem Erzherzoge Johann. Er behauptete: erstens mit vollem Rechte, daß es ein sehr großes Unglück für Deutschland und für Preußen sei, wenn die hiesige Reichsversammlung nicht +vor+ dem Anfange der berliner Versammlung ihre Arbeiten beendigt habe. Zu dieser unglückseligen Verzögerung trügen aber zweitens nicht blos, die hiesigen Abgeordneten, sondern noch mehr die Regierungen der einzelnen deutschen Staaten bei, durch Unentschlossenheit und Unthätigkeit. Deshalb wäre es drittens, das wirksamste, imponirendste, gewinnendste Mittel, wenn alle Fürsten Deutschlands +eiligst selbst+ hieher kämen und einen großen Reichstag bildeten und vervollständigten. Oder sie sollten wenigstens sämmtlich gewiegte Männer mit ganz +unbeschränkten+ Vollmachten hieher senden, um die hochwichtigen Sachen endlich zu einem einigen, inhaltsreichen Ziele zu führen. Er selbst, der Erzherzog, wolle dann (ohne etwas für sich zu verlangen oder anzunehmen) gern in seine stille Heimat zurückkehren. In der hiesigen Versammlung wogen die verschiedensten, entgegengesetztesten Ansichten, Absichten und Zwecke dergestalt auf und ab, daß man gar nicht absehen kann, wofür sich eine, so lange die Österreicher mitstimmen (wahrscheinlich +geringe+), Mehrheit entscheiden wird. Eine solche geringe Mehrheit hat aber wenig Gewicht, und führt eher zu Widersprüchen und Unordnung, als zu Einheit und Ruhe. Nur die Fürsten und Regierungen können durch Erklärungen, welche zugleich gemäßigt und bestimmt sind, dem Schwanken ein Ende machen und eine löbliche, gemeinsame Richtung herbeiführen. Aber es ist die +allerhöchste+ Gefahr im Verzuge. +Vor+ den letzten Beschlüssen der hiesigen Versammlung erscheint eine heilsame Einwirkung, Verständigung und Abänderung noch möglich; +nachher+ ist die Versammlung, wenn nicht doppelt mächtig, doch doppelt ungefüge und eigensinnig. Läuft aber das ganze Bestreben auf diesem Wege auf +nichts+ hinaus, kommt es zu keinem Ergebniß, so wird eine zweite, ärgere Revolution, über kurz oder lang, nicht ausbleiben. Sechsundneunzigster Brief. Frankfurt a. M., den 17. Januar 1849. Da ich vorgestern ein langes Zwiegespräch mit dem Erzherzoge Johann gehabt, hielt ich mich für entschuldigt, gestern bei der gewöhnlichen Abendvorstellung auszubleiben. Sechsstündigem Redenhören sollte eine +bequeme+ Erholung in +Haustracht+ folgen. Zuvörderst aber strafte sich mein Mangel an vorsichtiger Aufmerksamkeit dadurch, daß ich eine gute halbe Stunde zu früh ins Schauspielhaus kam; denn es ging nicht um 6, sondern um halb 7 Uhr an. Graf Waldemar von Freitag gewährte aber keine heitere Erholung. Das Stück ist auferbaut auf dem Grunde des +Leichtsinnes+ und der +Sentimentalität+; und die Deutschen ziehen nur zu gern in derlei Gebäude, um jenen, durch das Dach der letzten, zu rechtfertigen, oder doch zu entschuldigen. Erbärmliche Mißverhältnisse und Lebensstörungen können allerdings aus kleinen Versehen hervorgehen und selbst viel zu hart bestraft werden; aus solcher Klemme, solcher Marterei erwächst aber kein wahres Kunstwerk. Es kann sich weder zu voller Heiterkeit erheben, noch die Theilnehmenden durch eine großartige tragische Wendung reinigen. Sie ziehen sich höchstens aus der Falle, wie der Fuchs, der den Schwanz zurückläßt; -- was aber weder recht komisch, noch tragisch ist. Die Darstellung war besser, als das Stück, konnte aber doch keine lebhafte Theilnahme erwecken. Siebenundneunzigster Brief. Frankfurt a. M., den 19. Januar 1849. Die Oberhauptsfrage schwebt noch immer, und die letzte Abstimmung wird gewiß zu keiner so entscheidenden Mehrzahl führen, daß man mit Sicherheit darauf weiter bauen kann. Gegen das preußische Erbkaiserthum stimmen die Österreicher, die Ultramontanen und die meisten Baiern. Deutschland bedarf Preußens noch mehr, als umgekehrt; und wenn nicht die große Sorge wäre, daß +wir uns selbst zu Grunde richten+, -- wäre ich fast sorgenfrei. Der Plan, über welchen sich +alle+ Regierungen einigten, wäre der +beste+, welchen Inhalts er auch sein möchte. Aber die Regierungen sind und bleiben stumm, und in der Paulskirche spielt man das Kinderspiel, alles Positive gegenseitig aufzuheben, bis nichts als das kahle bloße Nichts übrigbleibt. Es taugt (so heißt es) kein Präsident, kein Wahlkaiser, kein Wechsel, kein Direktorium, kein Erbrecht u. s. w. Ich wiederhole: ohne +große Majoritäten+ und festen Willen ist alles Beschließen erfolglos, und auf +jene+ ist bei den jetzigen Verhältnissen gar nicht zu rechnen. Dann verdoppelt die Linke ihr Geschrei über die Nichtigkeit der frankfurter Versammlung, und erweiset die Nothwendigkeit einer neuen Revolution. Aber alle diese Gefahren reichen bis jetzt nicht hin, sich bei Zeiten zu versöhnen: man ist fast immer nur conservativ, oder kühn, je nachdem es den Leidenschaften und Vorurtheilen zusagt. Nachmittags. Ich komme soeben aus der Paulskirche und melde in höchster Eile, daß mit großer Stimmenmehrheit verworfen wurden Turnus, Trias, Direktorium, Präsidentschaft, Wählbarkeit jedes Deutschen u. s. w. -- Hierauf kam der Satz zur Abstimmung: „Die Würde des Reichsoberhauptes wird einem der regierenden deutschen Fürsten übertragen!“ Hiergegen verbanden sich Österreicher, Baiern, Schutzzöllner, Ultramontanen u. s. w. aus den verschiedensten Gründen. Sie wollten lieber, daß gar nichts beschlossen werde, und die Versammlung ihren Bankerott an politischer Einsicht und Charakterkraft offen an den Tag lege, als daß sie um Deutschlands willen ihren Vorurtheilen und Leidenschaften entsagten. Dennoch blieb den Vernünftigeren der Sieg mit 48 Stimmen. -- Jetzt kommt zur Abstimmung: Dauer auf mehr oder weniger Jahre, Lebenszeit, Erblichkeit. Es ist sehr die Frage, ob das letzte durchgehe; jeden Falls zieht sich der Kreis, über welchen sich die Regierungen rasch erklären könnten und sollten, immer enger. Achtundneunzigster Brief. Frankfurt a. M., den 20. Januar 1849. Gestern sah ich zuerst die schöne Müllerin, Lustspiel in einem Akte, worin Hr. Meinhold (Thisbe im Sommernachtstraum) und die Hausmann sehr ergötzlich spielten. Hierauf die Ouverture zur Euryanthe, bei deren Anhören mir immer wieder der Zweifel aufsteigt: ob es rathsam sei, +verschiedene+ Motive aus der +nachfolgenden+ Oper aneinander zu reihen, um +eine+ Ouverture daraus zu bilden. Zuletzt: Häuslicher Zwist und Frieden, von H. v. Putlitz, worin die politische Heftigkeit, Eigensinn und Übertreibung in heiterer Weise verspottet werden. Ihr seht, daß ich es mit dem Abendbesuche der Klubs oder des Casino (aus den schon mitgetheilten Gründen) nicht übertreibe. Ich erinnere wiederholt an das übermäßige Tabackrauchen (was Augen, Nase und Lungen gleich wenig zusagt), an meine Abneigung, mich in der Politik zu übernehmen und meine Unabhängigkeit preiszugeben. Doch stehe ich auf freundschaftlichem Fuße, und nach dem Wunsche vieler Mitglieder hat mir Einer seine Sprechnummer in der Oberhauptsfrage abgetreten. Dies ist (da ich mich beim Mangel aller Aussicht, daran zu kommen, gar nicht gemeldet hatte) allerdings ein großes Avancement; -- dennoch wird die Verhandlung höchst wahrscheinlich geschlossen, ehe ich an die Reihe komme. -- Wenn ich sehe, wie wenige Redner (auch nur getheilten) Beifall erhalten, ist dies wohl für ein Glück zu achten. Jeden Falls wird Das, was ich sagen will, Vielen nicht gefallen. Neunundneunzigster Brief. Frankfurt a. M., den 22. Januar 1849. Mir ist zu Muthe, als könnte und würde ich von hier aus keine Briefe mehr schreiben, als wäre das Sondern meiner vielen Papiere und Druckschriften schon eine Vorbereitung zum Einpacken. Mit dieser Woche erreichen wir den Höhepunkt unserer Bestrebungen, mögen wir zuletzt auch zu Stande bringen: viel, wenig -- oder nichts. Gewiß sind wir erst beim Anfange, und trotz des etwanigen Kaiserschnittes werden wir dadurch noch keinen lebendigen, regierenden Kaiser bekommen. Kaum ist wohl ein Abgeordneter in der Lage eines deutschen Geschichtschreibers wie ich, der manches früher Geliebte zum Tode verurtheilen soll, damit neues Leben und eine frische Entwickelung möglich werde. Den 23. Januar. Ich könnte wiederholen, was alle Zeitungen über die Sitzungen in der Paulskirche berichten; auch wohl einzelne Erläuterungen und Zusätze geben. Mir fehlt aber dazu die frische Lust. Der Parteien sind so viele, die eigensinnig vertheidigten Standpunkte so mannigfaltig, die gescholtenen Sonderinteressen, auf wenig veränderte Weise, in den Klubs so vorherrschend, daß man zu allgemeinen, entscheidenden Schlüssen kaum kommen kann und vergißt, daß kleine Mehrzahlen die Welt nicht begeistern und fortreißen. Die Frage, ob Einer, Drei, Fünf u. s. w. in Deutschland an die Spitze treten sollen, wird mit 40 Stimmen in unseren Tagen schwerlich entschieden. Die gehaltenen Reden sind zum Theil vortrefflich, zum Theil verkehrt, inhaltsleer und schlecht. Den letzten muß ich eine beizählen, die -- in so stotternder, langweiliger, zerrissener Weise vortrug, daß die Geduld des Wohlwollendsten kaum ausreichte. Die Worte kamen so einzeln, daß mir das famose Wort Zelter’s über die Schaf-- einfiel, welches -- in zwei gereimte Verse übersetzte, womit ich zarte Leserinnen, welche jenen Dichter verehren, nicht entsetzen will. -- Der Mann, sagte mir Jemand, ist zu alt; ein Notabene für mich, der ich mindestens 10 Jahre älter bin. Doch will -- auf neuen Bahnen courbettiren; ich trabe dagegen in gewohnten Wegen. Über das Kaiserthum wollte ich erst +nicht+ reden, gab dann geäußerten Wünschen nach und übernahm eine mir abgetretene Stelle. Nachdem ich mir das im Kopfe zurechtgelegt, was ich wohl sagen wollte, wird mir zugemuthet, meine Stelle an Gagern abzutreten, dessen Worte allerdings hundertmal gewichtiger sind, als die meinigen. Den 24. Januar. Die Versammlung hat die Berathung abgeschnitten und sich zum Abstimmen gewandt. Während man über unbedeutende Dinge tagelang geschwatzt hat, will man über wichtige sich nicht unterrichten, weil die Meisten aus ihren Klubs (die nach Sonderinteressen gebildet und gespalten sind) schon eine fertige Meinung mitbringen, -- was denn freilich alles Reden und Berathen ganz unnütz macht. Von 9-5 Uhr habe ich gestern in der Paulskirche aushalten und sechs namentlichen Abstimmungen beiwohnen müssen; was die Neigung zu gesetzgebern sehr ermäßigen kann, das Heimweh, oder doch den Wunsch der Heimkehr, aber vermehrt. Abends war ich zu S. und zu B. eingeladen, mußte aber zum Erzherzoge gehen, wo ich allerlei Leute, insbesondere aber ihn selbst sprach. Er erzählte unter Anderem, wie er, von den Berathungen auf der Pfingstweide unterrichtet, einige treue Diener zum Zuhören hinausgesandt und auf deren Berichte (in Übereinstimmung mit Schmerling und Peuker) insgeheim Mannschaft nach Frankfurt berufen habe, ohne welche Alles drunter und drüber gegangen wäre. Blum, Zitz, Schlöffel und ähnliche Leute hätten ihn bestürmt, alle Soldaten zurückzuziehen; dann werde man +nachher+ die Barrikaden wieder abtragen; er habe aber (Gottlob) widerstanden und verlangt, daß +vorher+ die völlige Ordnung hergestellt werde. Wäre damals (wie man bezweckte) die frankfurter Versammlung auseinandergejagt worden, wir hätten in ganz Deutschland eine blutige Herrschaft fanatischer Terroristen. Hundertster Brief. Frankfurt a. M., den 24. Januar 1849. Herr Camphausen ist seit einigen Tagen wieder hier, und man munkelt (das Wort ist bezeichnend) von großen Beschlüssen der preußischen Regierung. Noch hat aber keiner von den vielen preußischen Abgeordneten etwas von ihm vernommen, und auch der Erzherzog Johann wußte gestern Abend noch keine Sylbe. So sind und bleiben wir denn ein Heer ohne Feldherrn, eine Schiffsmannschaft ohne Steuermann, eine Heerde ohne Hirten. Jeder saugt sich seine angebliche Begeisterung und Weisheit aus den Fingerspitzen, oder Nichtsthun und Abwarten sagt allen verneinenden, inhaltslosen Seelen so zu, daß sie sich dabei wohlbefinden, wie die stummen Fische im Wasser. Wahrlich das Wunder der Leibnitz’schen, vorherbestimmten Harmonie müßte eintreten, wenn wir Alle harmonisch berathen und beschließen sollten! Gestern ist dies Wunder ausgeblieben, wie folgende Abstimmungen über Art und Dauer der Kaisergewalt zeigen. Es erklärten sich in Bezug auf die Erblichkeit dafür 211 St., dagegen 263. Lebenslänglich „ 39 „ „ 413. Zwölfjährig „ 14 „ „ 264. Sechsjährig „ 196 „ „ 264. Dreijährig „ 120 „ „ 305. Der Vorschlag, den Kaiser auf ein Jahr zu wählen, ward zurückgenommen. So sind also +alle+ Vorschläge ohne Ausnahme verworfen worden, woraus man die politische Unfähigkeit der frankfurter Versammlung und Entgegengesetztes begründen wird. Die Republikaner wollen die Versammlung auflösen, um durch neue Wahlen obzusiegen und Revolutionen herbeizuführen; die Absolutisten behaupten, es müsse nunmehr alles Nöthige +allein+ durch die verschiedenen Regierungen geschehen. Beide Wege führen ins Verderben. So wunderlich jene Abstimmungen auch erscheinen, ist doch kein Grund deshalb zu verzweifeln. Sie beweisen nur Unklarheit und Unreife, und selbst bis zur zweiten Lesung des Gesetzentwurfs werden Überlegungen und eintretende Thatsachen hoffentlich einem inhaltsreichen Ziele näher führen. Merkwürdig ist es, daß die größte Minderzahl sich für die Erblichkeit aussprach; -- obgleich sich die verschiedenartigsten Gegner Preußens dawider vereinigt hatten. Überhaupt zeigen sich die +Sonderinteressen+ in der Paulskirche und den Klubs ebenso sehr wie +außerhalb+; und der unzählige Male verurtheilte Bundestag glaubt schon an eine fast unveränderte Auferstehung! Gott segne die Wahlen für den neuen preußischen Reichstag! Da liegt die größte Gefahr! Hunderterster Brief. Frankfurt a. M., den 25. Januar 1849. -- -- In alle diese Nichtigkeiten, oder Kleinlichkeiten, tönten indeß Nachrichten sehr ernsthaft hinein, über die vielen Verfolgungen angeblich politisch-schuldiger Personen in Preußen. Dies buchstäblich scheinbar gerechte, in Wahrheit leidenschaftliche Verfahren reizt zum Widerspruche, führt zu Lossprechungen und erhebt nicht blos in den Stand angeblicher Märtyrer, sondern auch in den Stand wirklicher Reichstagsabgeordneten. Den 26. Januar. Leider lauten die Nachrichten über die berliner Versammlungen und Wahlen so traurig, wie ich vorher gesehen und gesagt. Welch ein Unterschied, wenn ich die vorjährigen Versammlungen damit vergleiche. Alle Leidenschaften gesteigert, Klugheit und Mäßigung hingegen vermindert! Aber nicht ohne Schuld der Regierung, welche den Sieg in eine Niederlage verwandelt. -- -- -- Wie lange die hiesige Versammlung noch beisammen bleibt und ich ihr beiwohnen werde, weiß ich noch nicht; gewiß wünschen weit die Meisten den Schluß, und sehnen sich nach der Heimat. So haben wir gestern 14 Sätze über das Reichsoberhaupt angenommen, und nur einer über den Titel: +Kaiser+, führte zu Berathungen und zu namentlicher Abstimmung. Die Österreicher und die Baiern sind gegen eine so vornehme Benennung und noch mehr die Republikaner; deshalb ward der Titel mit nur 214, gegen 205 Stimmen angenommen. Das Recht der Kriegserklärung wiesen ihm dagegen 282, wider 136 Stimmen zu. Wäre nicht anzunehmen, daß bei der zweiten Lesung der Verfassung erhebliche Berichtigungen eintreten und die stummen Regierungen endlich reden werden, so ginge ich schon jetzt davon. Überdies wird die Einheit Deutschlands immer schwächer vertreten, und fällt ganz dahin, wenn Preußen nicht mächtig bleibt und sich muthig dafür ausspricht. Ist doch die sächsische Kammer ganz den Radikalen preisgegeben. -- Äußerung: es sei +besser+, wenn die Wahlen überall +schlecht+ ausfielen, beruht auf dem unheilbringenden und unsittlichen Grundsatze: es muß erst +recht schlecht+ werden, ehe es +besser+ wird. Allerdings zeigt der Welt Lauf nur zu häufig, daß dies der Fall ist, und keine Macht hinreicht die unglückliche Richtung zu überwältigen. Dies rechtfertigt aber Diejenigen nicht, welche die Hände in den Schoß legen, oder sich nur hinter den Ohren kratzen, und gleich Unglücksvögeln sich und Anderen den Muth austreiben und Wehe schreien. Welch voller Gegensatz zu dem trunkenen Wahnsinn der --; und doch führen beide Richtungen gleichmäßig ins Verderben. Du hast sehr Recht, daß kein Mensch, der noch seine fünf Sinne hat, sich einbilden kann, er bewege die Welt; aber das Evangelium lehrt schon, daß man auch das allerkleinste anvertraute Pfund nicht soll unbenutzt lassen. Und wenn sich Leiden hinzugesellen, so darf man nicht blos jammern und bämmeln, sondern soll muthig ertragen lernen. Es ist eine bloße ~Escapade~ des Nichtwollens und Nichtthuns, zu sagen: die Franzosen und ihre Literatur sollen und werden uns erretten. Ich bin sehr begierig auf Goethe’s Briefe an Frau von Stein und danke für Deine lebendige und geistreiche Kritik. Mit Stilling’s Richtung und Wesen stimme ich in keiner Weise zusammen. Diese hochmüthige Demuth, diese aufgeputzte Keuschheit, dies Liebäugeln mit unserem Herr Gott (wofür er sich bedanken soll), dieses Heucheln vor sich selbst, oder diese Großthuerei mit einem Pfennig von Wahrheit, neben geistig verbuhltem Kartenlegen und Volteschlagen; -- ist mir durchaus zuwider. -- „Doch, richtet nicht;“ so breche ich ab, bis mir ein Vertheidiger Stilling’s gegenüber steht und meine voreiligen Urtheile berichtigt. Hundertzweiter Brief. Frankfurt a. M., den 27. Januar 1849. Ich sage mir täglich und schreibe es Anderen ins Stammbuch: „+Nicht verzweifeln+;“ zum Theil, weil ich Muth habe, zum Theil aber auch, weil ich dessen selbst bedarf. Denn, wahrlich, der Himmel ist keineswegs heiter, und der Sturm, welcher seit mehreren Tagen von der Mainbrücke her gegen meine Fenster tobt, tönt mir wie eine herbe Warnung, oder Weissagung für Deutschland. Ich will nicht zurückkommen auf den Mißbrauch, den das preußische Ministerium von seinem Siege gemacht und wie viel Boden es dadurch verloren. Ich will der Ungebühr der Demokraten diesmal nicht erwähnen: sind denn aber die Rückläufigen klüger, welche -- -- und ähnlich Gesinnte als Bewerber aufstellen, dadurch Gemäßigte zurückschrecken und ihren ungemäßigten Gegnern in die Hände arbeiten? Ist denn das wahre Heilmittel, die alten Thorheiten nochmals auszuspielen, und kann man Leuten vertrauen, die den Fuchspelz der Freisinnigkeit und Duldung nur übergeworfen haben? Die hiesigen Abgeordneten (von denen sehr viele nicht über die Spaziergänge Frankfurts hinausblicken) glauben noch immer an ihre Allmacht und freuen sich darüber. Auf jede Weise lehnten sie eine Vereinbarung mit den einzelnen Fürsten und Regierungen ab, und beschlossen Dinge, welche nothwendig zum Streite mit Österreich führen mußten. Weil (heißt es) unsere Paragraphen unveränderlich sind, muß Österreich sich unterwerfen, oder draußen bleiben. Umgekehrt will man aber auch Preußen nicht, weil es eine Großmacht ist, während Baiern sich aufbläset, um eine zu werden. Unterdeß suchen die Österreicher Alles in die Länge zu ziehen, aus natürlichen Gründen und unbekümmert um die übelen Folgen, welche daraus für das übrige Deutschland hervorgehen. Daß die beiden Hauptstaaten, Österreich und Preußen, so erkrankt sind, ist der Hauptgrund aller Verwirrung, und dem guten Willen einiger kleinen Staaten steht offene Fehde gegenüber, wie sie die sächsische radikale Kammer ankündigt. Es ist eine große Täuschung zu glauben: man könne mit Majoritäten von 10-20 Stimmen ganz Deutschland umgestalten und zu willigem Gehorsam vermögen. Es ist ferner ein großes Unglück, daß man die Vorzüge der Monarchie immer nur theoretisch und geschichtlich darthun kann, während die Massen allein durch Persönlichkeiten in Bewegung gesetzt und begeistert werden. In der Republik hält sich Jeder für die rechte und größte Person; und so gewinnt sie täglich mehr Boden, bis (wie in Frankreich) die Noth und die Gewalt zur Demuth zwingt. Mir sagte Jemand: ich habe durch mein Buch über Amerika wesentlich, und mehr als irgend Jemand, die demokratische Richtung gefördert. Soll ich die Wahrheit verhehlen, und habe ich nicht auf jeder Seite gewarnt: man solle, bei ganz anderen Verhältnissen, nicht in dumme Nachäfferei verfallen? Die Republik kann bei uns versucht werden, aber nicht Dauer gewinnen. Auch ist zwischen Voigt und Washington, Schlöffel und Jefferson einiger Unterschied. Die Besorgniß: es möchten die Fürsten und Regierungen gegen den frankfurter Verfassungsentwurf erhebliche Schwierigkeiten erheben, hat (wie gesagt) nicht zu einer offenen Mitberathung geführt; wohl aber hat man (meist um sie zu beschwichtigen) in den Verfassungsentwurf ein Kapitel aufgenommen, betitelt: der +Reichsrath+. Als ich gestern dagegen stimmte, haben Die, welche mich zu ihrer Partei zählen, theils mit Achselzucken ihren Unwillen zu erkennen gegeben, theils mit lauten Vorwürfen. Der Eine sagte: sie haben den Kaiser zu Grunde gerichtet; der Andere, es fehlt an aller Disciplin; der Dritte: was die Linke befürwortet, muß man jedesmal verwerfen u. s. w. -- Ich ließ mich nicht verblüffen und blieb die Antworten nicht schuldig. Jene machen Partei, welch unerlaubtes Beginnen! Aber unsre Partei, freilich versteht sich von selbst. Ähnlich sprachen vor 200 Jahren die Katholiken und Protestanten zu ihrem und des Vaterlandes Verderben; auch ihnen standen die Parteiansichten höher, die Wahrheit, Liebe und Versöhnung. Niemals werde ich mich einer solchen Knechtschaft unterwerfen. Und sollte ich (das ginge noch an) wenigstens ~jurare in verba magistri~; -- nein, ~discipulorum in Klubbo~! -- Gern lasse ich Anderen ihre Freiheit, behaupte aber auch die meine. Neben dem Kaiser, dem Volkshause und dem Staatenhause, soll der Reichsrath stehen, zusammengesetzt aus Männern, welche die einzelnen Staaten schicken, um von der Reichsregierung eingebrachte Gesetzentwürfe zu begutachten. Der Reichsrath ist also kein Staatsrath, keine Behörde von Beamten, keine Gesellschaft von Sachverständigen. Man will (sagt man mir) hiedurch die Fürsten gewinnen für den Verfassungsentwurf. Besser durch offene Mitberathung, als durch eine Einrichtung, welche in dieser Weise noch nie in der Welt da gewesen ist. Die beiden Kammern, die verantwortlichen Minister, die befragten Sachverständigen, sowie ~reports~ nach englischer Weise, reichen vollkommen hin alle Zwecke zu erreichen. Was würden die Nordamerikaner sagen, wenn man ihrer Verfassung solch ~hors d’oeuvre~, solchen Hemmschuh anlegen wollte? Einige hoffen in dieser Weise den alten Bundestag einzuschmuggeln; Andere stimmen dafür, weil es gar keine Bedeutung habe. -- Und in der That, wenn die Reichsregierung (was ihr jedesmal frei steht) den Gesetzesvorschlag von einem +Einzelnen+ einbringen läßt, findet gar keine Begutachtung statt. -- Diese Begutachter werden mit den im Hintergrunde stehenden Regierungen (und es ist ja der Zweck ihr Gewicht zu erhöhen) briefwechseln, Zeit verderben, widersprechende Ansichten entwickeln, und Kaiser und Reich das Leben sauer machen, bis die Kammern (nothwendig entscheidend) dazwischentreten, und die Gutachten nach Belieben berücksichtigen, oder -- zur Seite werfen. Mögen diese, nur angedeuteten, leicht zu mehrenden Gründe auch unzureichend sein, jedenfalls steht die Sache so, daß Jedem frei bleiben muß, seine Überzeugung auszusprechen. Ob wir etwas zu Stande bringen? Wer weiß es? -- Ich habe zwei meiner wenigen Lebensjahre (seit der Stadtverordnetenwürde) ganz den öffentlichen Angelegenheiten geweiht, und es wächst die Sehnsucht mich in mein Schneckenhaus zurückzuziehen. Hundertdritter Brief. Frankfurt a. M., den 28. Januar 1849. Des Menschen Wille ist sein Himmelreich. Ich las soeben eine Reise des Engländers Cochrane, welcher zu Fuße durch Sibirien nach Kamtschatka und zurück gewandert ist. Die Hauptgenüsse sind: rohe Fische, 43 Grad Kälte, ein wundes Gesicht, grobe Kosaken, stinkende Jakuten, nasse Kleider, Eiszapfen an den Haaren, und dergl. mehr!! Den 29. Januar. Solltet Ihr finden, daß ich (und Andere noch mehr) zu unzufrieden mit den sie umgebenden Verhältnissen sind und sich hinauswünschen, so hat es doch wohl noch Keiner so weit gebracht wie der oben erwähnte Cochrane, welcher, als er aus Sibirien zurückkehrend, Europa betritt, ausruft: „Ich wähnte (in Sibirien) den Sitz des Elends, Lasters und der Grausamkeit zu finden, und nun wußte ich daß ich den Sitz der Menschlichkeit, Gastfreiheit und Güte im Rücken gelassen habe. Ich fühlte den Wunsch umzukehren und meine Tage drüben zu beschließen. Ja, dies Verlangen ist noch jetzt so stark, daß es mir kein Opfer kosten würde, der Politik, dem Kriege und anderen Dingen, die das civilisirte Leben mit sich bringt, den Rücken zu wenden, um in Mittelsibirien, sicher vor Störungen von innen und außen, behaglich zu leben.“ -- Die eigenen Erzählungen Cochrane’s dürften aber schwerlich Jemand verführen, seine Bewunderung Sibiriens zu theilen und sich dahin zu wünschen. Ich habe den Lukan zur Hand genommen, den ich seit meiner Universitätszeit nicht angesehen. Ich bin zu alt Epopeen zu lesen (Homer und die Nibelungen ausgenommen) und so überspringe ich gar Vieles. Es läßt sich allerdings nachweisen, daß und wo der jugendliche Dichter sich Übertreibung und Schwulst zu Schulden kommen läßt; allein die immer dasselbe wiederholenden Kritiker scheinen mir ihn unbillig zu behandeln, und seine Persönlichkeit zu gering anzuschlagen. Dem maßhaltenden Virgil waren der ~pius Aeneas~ und die römischen Anfänge ein Gegenstand mäßiger Begeisterung, die sich mit Schmeicheleien gegen Augustus sehr wohl vertrug; Lukan’s Seele war ergriffen von dem furchtbaren Schicksale seines Vaterlandes, und Pompejus, Cäsar, Cato drängen ihn zu muthiger, großartiger Rede, und endlich zu einer Verschwörung gegen Nero und zum Tode für sein Dichten und Handeln. Die Aeneis ist ein gemachtes, erkünsteltes Werk; ihm fehlt die Natur Homer’s und der Zorn Lukan’s. Das ~arma virumque cano~ läßt mich ruhig abwarten, was der etwas mattherzige Held vielleicht vollbringen wird; Lukan’s erste Verse zwingen durch ihre Kraft und Wahrheit zu tieferer Theilnahme: ~Bella -- plus quam civilia, Jusque datum sceleri canimus, populumque potentem In sua victrici conversum viscera dextra Cognatasque acies, et rupto foedere regni Certatum totis concussi viribus orbis In commune nefas.~ Cäsar und Pompejus mit scharfen, treffenden Zügen meisterhaft geschildert: dieser geworden ~magni nominis umbra~; -- jener ~nescia virtus stare loco~, -- ~solusque pudor non vincere bello~, -- ~gaudensque viam fecisse ruina~. Über das Recht der Beiden die berühmten Verse: ~Quis justius induit arma, Scire nefas: magno se judice quisque tuetur: Victrix causa diis placuit, sed victa Catoni!~ Wie geschickt und ernst sind die entgegengesetzten Lehren von Vorherbestimmung und Zufall in höchster Kürze dargestellt, mit dem bedeutenden Schlußworte: ~liceat sperare timenti!~ -- Wie furchtbar die Beschreibung der Leiden und Folgen des Bürgerkrieges: ~Omnibus hostes Nos reddite populis; civile avertite bellum!!~ Wie überraschend und wahr das Wort: ~Nunc flere potestas Dum pendet fortuna ducum; quum vicerit alter, Gaudendum est!~ Wie schmerzlich die Worte: ~Non ante revellar, Exanimem quam te complectar Roma, tuumque Nomen libertas, et inanem prosequar umbram!~ Cato’s Grundsätze: ~Servare modum, finemque tenere, Naturamque sequi, patriaeque impendere vitam, Nec sibi, sed toto se genitum credere mundo.~ Eine Wahrheit und Weissagung zugleich: ~Libertas, inquit, populi, quem regna coercent, Libertate perit, cujus servaveris umbram, Si, quidquid jubeare, velis. -- Venia est haec sola pudoris, Degenerisque metus, -- nil jam potuisse negari!~ Ich breche ab aus Besorgniß, Ihr werdet über meine lateinischen Anführungen zu sehr schelten. Laßt sie Euch von einem der vielen schulgelehrten Freunde übersetzen, und Ihr werdet für ihren Werth stimmen. Den 30. Januar. Gestern hatte ich die redliche Absicht, im Casino den Vorberathungen über einen neuen Theil der Verfassung (die Gewähr) beizuwohnen; aber eine Unzahl dampfender Cigarren verdarben die Luft dergestalt, daß ich Kopfschmerzen und Augenschmerzen bekam, und meinem einfachen Abendbrote im Schwan nachging. Daheim las ich Jackson’s Landreise von Bassora bis Hermannstadt, und Degrandpré’s Reise nach Congo und Loango. Beide bestätigten mir (gleichwie Cochrane), daß es trotz aller Mängel bei uns (und überhaupt unter gebildeten Völkern) besser leben ist, als unter rohen, oder ausgearteten. Degrandpré erzählt, daß die Prinzessinnen in Loango einen Gemahl wählen nach Laune und Geiz, und daß sie ihn (sobald sie sein Vermögen durchgebracht) verstoßen und einen Anderen aussuchen. Ein solcher Mann (fährt Degrandpré fort) darf bei Lebensstrafe keine andere Frau haben; er darf sogar keine andere sehen, oder von ihr gesehen werden, und wenn er ausgeht, geht ein Neger mit einem Glöckchen vor ihm her und verkündigt, daß er erscheinen wird. Und auf dieses Zeichen kehren sich die Weiber um und halten die Hände vor die Augen, wenn sie nicht anders ausweichen können. Die Lage des Gemahls einer Negerprinzessin ist sehr traurig, zumal wenn sie alt und häßlich ist, und viel fordert. Heute wurden einige sehr quere Reden über die Gewähr der Reichsverfassung, aber auch einige gute, und eine vortreffliche von Bassermann gehalten. Hundertvierter Brief. Frankfurt a. M., den 31. Januar 1849. Seit langer Zeit endlich eine politische Freude! Darüber nämlich: daß Preußen endlich sein Schweigen gebrochen, und in einer Weise, wie es ihm unter den deutschen Staaten und Fürsten zukommt, die Initiative ergriffen hat. Die preußische Note findet nach Form und Inhalt den größten Beifall, und belebt von Neuem die fast aufgegebene Hoffnung, daß, in Friede und Freundschaft, eine neue wahrhaft heilsame Form der Verfassung für Deutschland aufgefunden und angenommen werde. Obwohl im Innern noch bedrängt, muß nun auch Österreich sich deutlicher und inhaltsreicher aussprechen. Es genügt nicht mehr höflich zu sagen: wir wollen im Bundesstaate bleiben; während man keinen Beschluß berücksichtigt, sondern allen (z. B. hinsichtlich der religiösen Duldung) zuwiderhandelt. Einige meinen: der König von Preußen hätte sich bestimmter +für+ das erbliche Kaiserthum aussprechen sollen. Ich kann, bei den obwaltenden Verhältnissen, dieser Meinung nicht beitreten. Hinsichtlich der Kaiserwürde konnte er die Initiative am wenigsten ergreifen, bevor Österreichs Stellung zu Deutschland bekannt und anerkannt ist. Die Demokraten, welche anfangs überlaut für die Allmacht der frankfurter Versammlung in der Hoffnung sprachen, durch ihre Mehrzahl Deutschland zu republikanisiren, haben (seitdem diese Aussicht völlig versperrt ward) bekanntlich, ähnlicher Hoffnungen halber, die Ansprüche und die Macht der einzelnen Staaten und Kammern zu erhöhen und anzupreisen gesucht. Gestern erlitten sie aber in der Paulskirche eine entscheidende Niederlage, indem der Antrag: in jedem einzelnen deutschen Staate könne die Verfassung (ohne Zustimmung der Reichsgewalt) nach Belieben verändert werden, mit großer Stimmenmehrheit verworfen ward. Der gar nicht verhehlte Zweck der Linken bei diesem Antrage ist, auf diese Weise einen Fürsten nach dem anderen zu beseitigen. Wenn ich lese: unter den preußischen Wahlmännern sind so viel Reactionaire und so viel Demokraten, möchte ich fragen: stehen denn gar keine vernünftigen Leute zwischen diesen beiden Äußersten? -- Das jetzige Ministerium verstand im letzten rechten Augenblicke zu siegen, nicht aber diesen Sieg in genügender und doch gemäßigter Weise zu benutzen. Daher neue Umstellungen der Parteien und Gesinnungen. Hundertfünfter Brief. Frankfurt a. M., den 1. Februar 1849. Ich melancholisire gar viel an allen Theilen meines Leibes und Geistes. Augen und Nase leiden durch Tabacksdampf, die Ohren durch Überschwall unreiner Beredtsamteit, die Zunge hat keine Lust am Schmecken, der Magen keinen Fleiß zum Verdauen, die Lungen klagen über verdorbene Luft in der Paulskirche, der H-- seufzt, daß er sechs Stunden auf einer Stelle still sitzen soll, die Beine weigern sich den ungeheuern Schmuz zu durchmessen, der ganze Leib sich dem Sturme und Schneegestöber auszusetzen u. s. w. u. s. w. Aber, spricht die eitele Eitelkeit: du bist sehr gemeinnützig! Wodurch? Daß ich im Laufe eines ganzen Monates einige Male +Ja+ und einige Male +Nein+ gesagt habe? Das hätte Jeder gekonnt. Zum Reden komme ich nicht, und wenn ich dazu käme, würde es so viel wirken, wie wenn der Hund den Mond anbellt. Gewisse Leute haben ihr bleibendes Nest auf der Rednerbühne gebaut, und da die Klubs (aus ihrer Parteiansicht heraus und +vor+ aller +allgemeinen+ Berathung) entscheiden, wie Jeder stimmen soll, so ist alle Rederei in der Paulskirche eigentlich unnütz, und man sollte nur die Stimmzettel aus den Klubs hinschicken. Die Gutgesinnten (ruft man mir zu) müssen aushalten. Allerdings, und ich meine, daß ich seit zwei Jahren viel ausgehalten, aber wenig ausgerichtet habe! Im Casino sind lauter Männer, die sich den Gutgesinnten beizählen, und doch können sie bei ihren gesetzgeberischen Bestrebungen nicht von dem Grundgedanken eines feindlichen Gegensatzes von Regierung und Volk loskommen, und drehen und drechseln an Inhalt und Fassung so lange, bis sie hoffen dürfen daß das Vorgeschlagene von der Mehrheit angenommen werde. Auf diesem Wege kommt man aber nicht zur rechten, lebendigen Mitte, sondern zu Halbheiten, die unpraktisch sind und Keinem genügen. Vorgestern hatte man im Casino einen Satz angenommen: daß in dem Falle aus zureichenden Gründen ein Ort, ein Bezirk in den Belagerungszustand (oder wie man die Maßregel nennen will) erklärt werde, dennoch die Preßfreiheit (oder Frechheit!) +ganz unbeschränkt+ bleiben müsse und binnen +vierzehn+ Tagen der +Reichstag+ zu berufen sei. Gestern trieb mich mein Gewissen in die Versammlung zu gehen, und ich versuchte, das Ungenügende und Unpraktische dieses Vorschlages umständlich darzuthun. In dem Augenblicke kam ein Abgeordneter eines anderen Klubs, und machte einen Antrag, welcher ganz mit dem meinigen übereinstimmte. Dennoch entschied die Versammlung mit 23 gegen 19 Stimmen ihren Beschluß aufrecht zu erhalten. Nun sollte noch berathen und abgestimmt werden: ob dies eine +Partei+frage sei: das heißt, ob die 19 so stimmen +müßten+, wie die 23 +befehlen+. Da ich mich nimmermehr dieser, angeblich weisen Disciplin unterwerfen werde, ging ich fort; -- und habe so wieder einen Abend verloren. Zu Hause wollte ich mich an Lockhart’s Leben Scott’s erholen. Das Buch ist aber so breit und langweilig, wie Byron’s Leben von Moore anziehend und unterhaltend. Den 2. Februar. Die Grobheiten der Linken, das Geschrei der Rechten und die jämmerliche Nichtigkeit der Leitung waren mir gestern so widerwärtig, daß ich die Sitzung vor dem Schlusse verließ. Zuletzt trägt das Alles zu der Selbsterkenntniß bei, daß ich nicht berufen bin zum Parteigliede. Ein solches soll die Fehler seiner Partei verkleinert, die der Gegner vergrößert sehen und darstellen. Ich bin lebenslang zu der Unparteilichkeit des Geschichtschreibers berufen, welche von der Leidenschaft des Tages verworfen und verachtet wird. Ihr ist die +Wahrheit+ das Untergeordnete, Hemmende, Zweckwidrige, Charakterlose; mir ist sie die erhabene Göttin, der ich das ganze Leben hindurch diente und opferte. So befinde ich mich in einer unangemessenen, falschen, höchst unbequemen Stellung. In Paris war ich nichts; hier bin ich 1/500 eines gesetzgebenden +Körpers+! so büße ich alle Persönlichkeit ein, und werde sie erst in der stillen Heimat meiner eigenen vier Pfähle zusammensuchen müssen. Ich weiß wohl wie stolz Viele auf das ~M. A.~, oder ~M. P.~ sind (~member of Acad.~, ~of Parliament~); wie Wenige aber aus diesem Rummel sind als Personen bekannt, oder einwirkend über den Tag des Abstimmens und Ablesens hinaus. Die Demuth und Bescheidenheit bietet sich mir so natürlich dar, daß ich sie gar nicht (aufrichtig oder lügenhaft) zu suchen brauche. Ich bin jetzt mit Tagespolitik überpäppelt, überfüttert, übernudelt; ists da zu verwundern, wenn ich mir einige Fasttage verschreiben will? Ihr könnt mit Recht sagen: dieser ganze Brief sei +parteiisch+, nicht +geschichtlich+; ich sei also aus der Rolle gefallen, die ich mir selbst zuschreibe. Nun, so will ich ein andermal zu diesem mir oft vorgeworfenen +Einerseits+ das +Andererseits+ zu liefern versuchen. Jedoch erst dann, wenn ich +muß+; um durch Pflichtgefühl dem einseitigen Raisonniren und Klagen ein Ende zu machen. Der Gräfin Hahn Reisebriefe (welche ich zufällig nur angeblättert hatte) lese ich mit Theilnahme und Vergnügen. Die Fremdwörter ließen sich sehr leicht durch einheimische ersetzen, und ihre Aristokratie hat mehr geschichtlichen Boden und regelrechtere Methode, als die jetzt modige demokratische Judenschule. Beide bedürfen einer Reinigung und Verklärung. Jedenfalls ist und bleibt die Hahn eine geistreiche Frau; mehr als ein halbes Schock aufgebauschter Schriftstellerinnen mit einer breiten Sittsamkeit auf breitester demokratischer Grundlage. Hundertsechster Brief. Frankfurt a. M., den 2. Februar 1849. Ich mache den Brief wieder auf, weil ich den Eurigen vom 29. v. M. soeben erhalte. Es thut mir leid, daß Ihr theilnehmend Euch über meine Abstimmung, den Reichsrath betreffend, ganz unnütze Sorge macht. Ob sie vielen Leuten mißfällt, ist mir ganz gleichgültig; ich stimme lediglich nach meiner wohlbegründeten Überzeugung, verstehe die Sachen so gut wie die meisten Anderen, oder (da es mein Fach ist) noch besser; lasse mich weder von -- noch von -- verblüffen oder ins Schlepptau nehmen, erkenne das Gute und Wahre an woher es auch komme, und stehe auf eigenen Beinen so ehrenwerth da, als Andere auf fremden Krücken. Für eine Schaar Halbwissender ist -- der Großkophta: soll ich auch niederfallen und anbeten; für Andere ist es Hr. --; soll ich ihm den Staub von den Füßen küssen? Ich bin willig, nachgiebig, ja (wie Ihr meint) bisweilen zu nachgiebig und schwach; aber der bloßen Gewaltforderung einer Partei, oder voreiligen Zwangsbeschlüssen, -- weiche ich keinen Finger breit. Sonderbar wenn die Linke dem Guten widerspricht, blos weil es von der Rechten kommt, erhebt man (mit Recht) ein großes Klaggeschrei: und doch muthet man mir zu, ich soll die Partei über Wahrheit und Einsicht stellen. Überdies ist es +ganz falsch+, daß blos die Linke dem Gesetzentwurfe widersprochen habe, und ich +allein+, aus Dummheit oder Eigensinn, unter ihre Reihen gerathen sei. Die Linke zählt höchstens ein Viertel der ganzen Versammlung (bei gewöhnlichen Abstimmungen bloßer Parteiung); diesmal stimmte fast die Hälfte der Versammlung wider den Entwurf. Also gehörte die Hälfte der Verneinenden +nicht+ zur Linken, und ich stehe gar nicht so verlassen, wie Ihr zu glauben scheint. In die Sache selbst mag ich heute nicht umständlich eingehen. Ich hoffe, auf dem von Preußen bezeichneten Wege soll etwas weit Besseres zu Stande kommen, als der begutachtende Reichsrath, zusammengesetzt aus Leuten, die unfähig sind zu begutachten. Den Hunden schmiert man Butter auf die Nase; dann (so sagt man) fressen sie geduldig trocken Brot. -- Daß die Fürsten ebenso dumm sein würden, darauf läuft das ganze Scheingeschäft mit dem Reichsrathe hinaus. Genug davon; laßt ab von Eueren Sorgen, wehrt Euch, wie ich mich wehre; und wo mein Name steht, soll er stehen bleiben und nicht gestrichen werden. Ich weiß weshalb und wozu. Soeben sagt mir Hr. Simson: er würde (wenn es ihm als Präsident erlaubt gewesen wäre) auch +dagegen+ gestimmt haben, und Andere entschuldigen sich mit +Klub+beschlüssen, die mich +nicht+ verpflichten. Die Sache kommt +nicht+ zu Stande, trotz der Mehrheit von 11 Stimmen, oder sie wird sich als zweckwidrig erzeigen. Morgen werde ich wahrscheinlich wider die Rechte und wider die Linke stimmen; denn wenn +alle+ Anträge höchst mangelhaft sind, muß man +alle+ zurückweisen, damit +bessere+ gemacht werden; nicht aber hin und her kapituliren und dummen Gesetzen beistimmen. Nicht aus der Selbstständigkeit entsteht das Schwanken, sondern aus dem Mangel an Selbstständigkeit; und ist es denn eine als weise anzunehmende Regel, daß 19 stimmen +müssen+, wie es 20 +beliebt+. -- Gar nicht stimmen, das heißt davongehen -- dazu bin ich nur zu geneigt; aber unterbuttern lasse ich mich nicht, und gewissenhafte Pflichterfüllung stempelt nicht (nach Belieben Leidenschaftlicher) zum Rebellen oder Apostaten. Hundertsiebenter Brief. Frankfurt a. M., den 2. Februar 1849. Nachdem ich heute meinen letzten Brief an Euch auf die Post gebracht, ging ich zum Hrn. Präsidenten Simson, fand daselbst den würtembergischen Minister Römer und andere zur Rechten gehörige Abgeordnete. Sie waren in Beziehung auf den Reichsrath +sämmtlich+ meiner Meinung, und hofften, er werde bei der zweiten Lesung in die +Minderzahl+ gerathen. Ja, Simson erzählte, daß ein Mann, der an dem Entwurfe mit arbeitete und +dafür+ stimmte, sich bei ihm nach dem Ausfalle der Abstimmung erkundigte, und dann sagte: so ist das +Beest+ dennoch durchgekommen!! -- Soll ich etwa diesem Beispiele folgen? -- Eßt, trinkt und schlaft +gut+, möget Ihr mich +rechts+ oder +links+ finden. Beschreibe ich auch nicht, ~à la Cesar~, wie ein Koloß die Paulskirche, so werde ich doch, trotz alles Blasens und Stoßens in Fr. und B., wie ein Stehauf, immer wieder auf die Beine kommen. Genug davon. -- hat Unrecht, einen Tadel gegen +Regierungs+maßregeln noch jetzt als einen Tadel gegen die +Person+ des Königs zu betrachten, oder gar bei mir eine dumme oder gehässige Rancune vorauszusetzen. Ich bin ein besserer Königsfreund, als Viele, die sich in Potsdam damit breit machen: und nie würden meine Rathschläge (obwohl ich die Weisheit nicht gepachtet habe) ihn in alle die über ihn hereingebrochenen Leiden geführt haben. Den 3. Februar. Ich habe wieder ein Stück in den Reisebriefen der Gräfin Hahn gelesen, und finde, daß sie in vielen (mir vorgeworfenen) Ketzereien mit mir übereinstimmt: z. B. in ihren Urtheilen über Rossini und Donizetti, über Petrarka’s weichliche und wabliche Sonette, über die ~Campagna di Roma~ („hat man bei der melancholischen Campagna den Muth, von einer anderen Pracht zu sprechen, als der der Vergangenheit“): über Südfrankreich und insbesondere die Provence (z. B. „die suche ich in meinem Leben nicht wieder auf. Wer in aller Welt hat diesem unschönen, dürren, von der Sonne versengten, von dem Mistral vertrockneten Lande, mit ruinirten Städten, mit wüsten Bourgaden, den Ruf der Schönheit beigelegt? u. s. w.“). -- Zwei sehr gute und seltene Eigenschaften hat die Hahn als Reisebeschreiberin: sie lügt nicht, und spornt sich nicht zur Bewunderung des Mittelmäßigen. Liebe --! Ich wollte Dir auf Deinen anziehenden, ernsten und scherzhaften Brief recht umständlich antworten; aber es fehlt an ruhiger Zeit, und die Sache hat auch an sich große Schwierigkeiten. Darum heute nur einige Worte: mündlich mehr. Die Alten (das heißt Griechen und Römer) betrachteten alle Geschlechtsverhältnisse viel einfacher als wir, und quälten sich damit nicht so viel auf und ab, hin und her. Waren sie herber, roher, plumper; so hätschelten sie anderntheils nicht das Mangelhafte und stellten krankhafte Zustände nicht (unter dem Titel von Poesie) über die einfache Gesundheit hinauf. Die Sittenlehre über die Geschlechtsverhältnisse ist überaus unvollständig und verwirrt; theils weil man von falschen Grundsätzen ausgeht, theils weil man bei der Behandlung dieses wichtigen Kapitels den erkünstelten Anstand über den natürlichen Verstand hinaufsetzt, und um die Sachen herumgeht, wie die Katze um den heißen Brei. Ich habe eine Abneigung gegen alle Liebesromane, welche ungesunde, widerwärtige Verhältnisse unter das Vergrößerungsglas setzen, anatomiren, chemisiren und das Präparat in ästhetischem Weingeiste aufbewahren. Daher kann ich mich an Rousseau’s Heloise nicht erbauen, für die Wahlverwandtschaften nicht begeistern; daher habe ich keine Freude an den Gegensätzen in Goethe’s Geschwistern. Ja, ich wage es, zu behaupten: daß in Romeo und Julie ein kranker Bestandtheil liegt, der zum Untergange führt: -- obgleich ich gern zugebe, daß ein seliger Tod besser ist, als ein todtes Leben. Untersuchungen, ob eine Frau keusch, ein Mädchen verliebt war, was Goethe mit seiner Friederike, oder mit Frau von Stein, oder -- und -- mit der L. vorgenommen haben, sind unnütz und meist vorwitzige und tadelsüchtige Neugier. Irrig aber ist es, zu behaupten: nur die Liederlichen setzten voraus, bei den Weibern sei keine Tugend zu finden. Im Gegentheil erfahren sie am häufigsten, daß Tugendhafte sie abweisen; während andere, minder kühne oder minder unverschämte, Männer nicht Gelegenheit haben, darüber Erfahrungen zu machen. Viel schlimmer als jene Bonvivants sind aber die prüden Fischnaturen, die scheinheiligen Frömmler, die verwelkten Sünder und Sünderinnen, welche sich eine Keuschheitstarnkappe überhängen. Man soll bei Beurtheilungen solcher Dinge nicht die Persönlichkeit und die ganz individuellen Verhältnisse übersehen, welche bald lossprechend, bald erschwerend sind. -- Und nun gar bei ganzen, bei polygamischen Völkern! Wäre ich der türkische Sultan, also im Muhamedanismus erzogen, hätte ich gewiß ein vortreffliches Serail; mir erscheint eine solche Sammlung schöner Frauen viel anziehender, als ein Stall voll Pferde und Hunde. Niemand braucht hier vor Schrecken drei Kreuze zu machen; mit drei Thaler Diäten kann man kein Serail anlegen. Nur Dichter und Künstler werden jetzt von Frauen und Mädchen gehätschelt; andere ehrliche Leute haben von derlei freiwilligen Liebschaften nichts zu fürchten; beim besten Willen kommen sie in keine Gefahr, -- kommen also auch natürlich nicht darin um. Die Legende, daß Goethe der Vater des Hrn. v. Stein sei, hörte ich schon vor vielen Jahren; zugleich aber L. Tieck’s Widerlegung: er sei geboren, +ehe+ seine Mutter Goethe gekannt. Zweifler werden freilich fragen: was nachher geschehen sei? Was kümmerts mich! Den 4. Februar. Die österreichische, wichtigste Frage ist noch immer nicht gelöset. Der Traum eines Reiches der Mitte von 70 Millionen findet nur wenige begeisterte Anhänger. Und diese vergessen, daß die anderen Staaten eine solche napoleonische Übermacht nicht wollen, und nicht wollen können. Wohl aber sollten die 70 Millionen sich über freundschaftliche Verhältnisse verständigen, und so viel Einheit und Centralisation eintreten, daß Deutschland, dem Auslande gegenüber, nicht eine Null bleibe. Der Feindesgabe unbedingter Souverainetät müssen die deutschen Fürsten entsagen, und sich (wie selbst nach der alten Reichsverfassung) nur als Glieder eines größeren Ganzen betrachten, sonst werden sie binnen wenigen Jahren fortgejagt, und die Republik siegt, wenigstens auf einige Zeit. Hundertachter Brief. Frankfurt a. M., den 5. Februar 1849. Ich lese in der Spiker’schen Zeitung vom 2. Febr. ein Lob meines Benehmens in Paris. Es ist dies, wie es scheint, von Einem ausgegangen, der die Verhältnisse kennt und Zeugnisse für mich wirklich gehört hat. Für solche Kenntniß spricht auch die sehr richtige Bemerkung, daß (wenn ich mich, wie man sagt, vergaloppirte) „meine Lage sehr leicht an das Lächerliche streifen konnte.“ Die Gräfin Hahn und Mad. Funk sprechen einstimmig so begeistert von den Murillos in Sevilla, daß ich meine ungläubigen Zweifel gern ihrem +Schauen+ unterordne. Unter den Werken, welche ich sah, waren die, welche geringere Gegenstände (z. B. Betteljungen) behandelten, allerdings scharf und bestimmt ausgeprägt; bei höheren Charakteren schien mir bisweilen Genauigkeit der Form, der Zeichnung, der Umrisse zu fehlen, und das Colorit zu verschwommen, fast wasserfarben zu sein. Wenn man, um die Köpfe zu rechtfertigen, mit tadelndem Seitenblick auf die Antike sagt: er habe das +Menschliche+ darstellen wollen, so muß ich berichtigend hinzufügen: die Antike ist ja keineswegs (wie man andeutet) das Conventionelle, Erkünstelte, Pedantische, Überspannte; sie ist vielmehr (recht verstanden) das Menschliche, Natürliche, Angemessene, von Unvollkommenheiten und Mängeln Gereinigte, Schöne, bis zum Göttlichen Erhabene und Verklärte. Auch entbehrte die alte Malerei (ja selbst die Bildhauerei) nicht des Komischen; aber ein Fechter sah nie aus wie Zeus, einer Athene gab man nicht den Kopf einer Köchin, einer Aphrodite nicht die Haltung einer liederlichen Person. Es ist bald gesagt: unsere Kunst stehe (vermöge einiger christlichen, früher ungekannten Gedanken) höher als die der Griechen; aber Gedanken geben noch keine darstellende Kunst (wie so viele christliche Völker erweisen), und viele Künstler haben zwar gedacht, aber nichts vollbracht. -- -- Die Eigenschaft leicht zu vergessen, wird oft nicht genug gerühmt. Ich besitze wohl in zu starkem Maße, habe aber dann beim Wiederlesen eines Buches, beim Wiederhören eines Schauspiels, das Vergnügen eines neuen Genusses, und zugleich das angenehme Aufdämmern einer früheren Anschauungsweise. Bei der steten Verschiedenheit der obwaltenden Umstände und des inneren Seelenzustandes, tritt Alt und Neu in eine eigenthümliche anziehende Verbindung. So geht mir es in diesem Augenblicke beim Wiederlesen der Erinnerungen der Gräfin Hahn aus Frankreich, und ich rathe Euch, sie, nach Euerem zweiten pariser Aufenthalte, ebenfalls wieder in die Hand zu nehmen. -- -- Es fällt mir ein, daß ich so lange nichts über die Sitzungen in der Paulskirche berichtet habe; Ihr erfahrt ja aber Alles aus den gedruckten Berichten. Heute haben wir nichts gethan, als drei Präsidenten für einen Monat gewählt, und dann beschlossen, die Sitzung zu schließen, weil der zu berathende Bericht nicht (wie die Geschäftsordnung vorschreibt) 24 Stunden in den Händen einiger Abgeordneten war, sondern erst 23 Stunden 25 Minuten. So streng gesetzlich ist die Linke, -- wenn es ihr bequem ist. Morgen erwarten uns Ströme und Lawinen aufgebauschter Worte, über Polen und Posen. ~Semper idem~! Jetzt ist der Nebenzweck (oder der Hauptzweck), für Preußen ein Verhältniß herbeizukünsteln, oder einzuschmuggeln, welches dasselbe hinsichtlich der Sätze 2 u. 3, über die Personalunion, mit Österreich gleichstellt. Ich hätte mich auch einmal wieder (ohne Erfolg) zum Reden melden können; die verständige Seite ist aber bereits gut vertreten, und ich fühle keine Begeisterung für die unangenehme, verfahrene Sache. Ich werde für das Überlassen der Festung Posen an die Polen und Russen stimmen, sobald die Franzosen Straßburg, die Österreicher Mantua, die Engländer Gibraltar, und die Russen ihre polnischen Festungen großmüthig Denen einräumen, welche darauf etwa Anspruch machen. Vorgestern sprach ich Bunsen, theils über die Gegenwart (Schleswig-Holstein, dumm verschlungen), theils über Ägypten. Die Vorarbeiten zum vierten Bande seines Werkes sind beendet, und das Haupträthsel über die Hyksos löset sich am besten, wenn man einfach einräumt und einsieht, daß die biblischen Quellen im allerhöchsten Grade lückenhaft und mangelhaft sind. Den 6. Februar. -- -- Ich wiederhole: die Anklage, Verweisung, Verhaftung gewisser politisch hervortretender Personen, mag nach alten Landesgesetzen zulässig oder geboten sein: war es aber klug, wenn das Ministerium das Verfahren anordnete oder beförderte? Ohne seine Verhaftung wäre Temme nicht erwählt und gestern von der Linken mit Triumph in der Paulskirche empfangen worden; und die Verweisung von Robertus (sagt man mir) würde in Berlin die Wahl von Waldeck und Behrens nach sich ziehen. Die Irrthümer und Thorheiten, welche sich beide Parteien seit Jahresfrist zu Schulden kommen ließen, sind unzählbar: und wenn einmal etwas Zweckmäßiges und Lobenswerthes dazwischen eintritt, gleich wird das Maß vergessen, und die Freude des Sieges, gleich wie der Verdruß über die Niederlage, verdoppeln gleichmäßig die eilig folgenden Mißgriffe. Ohne derlei Mißgriffe wären die besiegten und selbst gehaßten Demokraten gar nicht wieder auf die Beine gekommen, und ein neuer Umschwung in der öffentlichen Meinung möglich gewesen. Mit Belagerungszustand und Heer regiert man kein Volk von 16 Millionen auf die Dauer. In welcher Macht und Glorie stünde Preußen da, ohne diese unglücklichen Zerwürfnisse. Ein gleich günstiger Augenblick kehrt (wenn er durch die Schuld +beider+ Theile versäumt wird) niemals, niemals wieder! Hr. v. Vincke erzählt mir gestern Abend: welche Note Österreichs an Preußen heute in der Zeitung stehen werde. Ihr Inhalt ist mir (obwohl ich schon öfter davon hörte) so unglaublich, daß ich nicht eher darüber urtheilen will, bis sie anerkannt wird und ich sie gelesen habe. Ist sie wahr, so ist die nächste +kleine+ Folge, daß Hr. v. Schmerling zurücktreten muß und dafür nicht wirken kann; aber auch viel +größere+ Folgen können nicht ausbleiben. Hundertneunter Brief. Frankfurt a. M., den 7. Februar 1849. Gestern ist denn, hoffentlich zum letzten Male, der ganze Weichselzopf hundertmal wiederholter Redensarten über Polen, aufgetischt worden. Die Linke hat vortheilhafter und einseitiger für Polen, geringschätziger von Deutschland gesprochen, als selbst unbefangene polnische Schriftsteller, welche wissen, daß die Wiedergeburt eines gesunkenen Volkes nur aus reuiger Selbsterkenntniß und Besserung hervorgehen kann. Jetzt ist die Aufgabe nicht (wie niemals), die Weltgeschichte rückwärts zu schieben, sondern zu thun, was der gegenwärtige Tag verlangt und erlaubt. Er verlangt und erlaubt aber in keiner Weise, daß eine Herrschaft der Polen über Deutsche begründet, und die ganze Ostgränze Deutschlands und Preußens auf eine unverantwortliche Weise preisgegeben werde. Hieran festzuhalten, ist eine unerläßliche Pflicht, deren Erfüllung aber ganz natürlich den Polen mißfällt. Trotz ihres Lobredens polnischer Einrichtungen, zeigt sich doch ein fast allgemeines Streben, +nicht+ unter eine +polnische+ Verwaltung gestellt zu werden: die Güter sinken im Preise, die Juden kündigen ihre Kapitale, und die Beglückten gehen dem Bankerotte entgegen. Jede Demarkationslinie zwischen Deutsch und Polnisch hat außerordentliche Schwierigkeiten; daß man aber (wie die Linke wollte) hinter zehn Beauftragten den elften herschickt, und große Karten mit großen Kosten in Kupfer stechen läßt, hilft nicht weiter. Deshalb hat die Versammlung gestern, mit großer Stimmenmehrheit, das bestätigt, was sachverständige preußische und Reichscommissarien vorgeschlagen haben. Die Mangelhaftigkeit +jeder+ Demarkationslinie wird sich, ohne Zweifel, in der weiteren Anwendung herausstellen, und das künstlich Getrennte, in Folge der Natur und der Macht, vielleicht wieder zusammenfließen. Der Antrag eines Theiles der Linken: Unterhandlungen darüber zu eröffnen, daß das +ganze+ Herzogthum Posen mit Deutschland vereinigt werde, ward aber abgelehnt, weil man sich erstens der Gefahr nicht aussetzen soll, von den Polen schnöde zurückgewiesen zu werden, und weil sie zweitens bisher darauf beharren, ganz Posen sei polnisches Land, und ebenso Ostpreußen, Westpreußen, Pommern, Schlesien u. s. w. Bei dieser Weise zu schließen, giebt es keinen begründeten Besitz, und ich mache mich anheischig, zu beweisen: dem Papste gebührten alle, einst zum römischen Reiche gehörigen Länder. Ich habe dem Könige von Baiern Folgendes geschrieben: „Schon längst hätte ich Ew. Königl. Maj. schreiben und für das mir Übersandte meinen Dank abstatten sollen; aber ein König hat nicht Muße, die Herzensergießungen jedes Dankbaren und Anhänglichen anzuhören. Jetzt ist mir aber das Herz so voll, daß ich wage, wenigstens Einiges auszusprechen. Es muß eine neue Verfassung für Deutschland +baldigst+ zu Stande kommen, wenn wir unser Vaterland nicht im Inneren und von Außen den +größten Gefahren+ aussetzen wollen. Geht die hiesige Versammlung auseinander, ohne ein großes, würdiges, zufriedenstellendes Ergebniß, so bleibt eine neue Revolution nicht aus, gewaltsamer noch, als die des vorigen Jahres, und den meisten deutschen Fürsten Verderben bringend. Die Verfassung darf keinen Einheitsstaat bezwecken, auf Kosten der den Deutschen natürlichen Mannigfaltigkeit, und mit völliger Vernachlässigung alles Dessen, was die Stämme und die Regentenhäuser mit Recht fordern. Andererseits darf aber die zur Unthätigkeit und Nichtigkeit führende Zerstückelung Deutschlands nicht fortdauern; man darf sich nicht (im Widerspruche mit der ganzen, deutschen Geschichte) auf eine +unbedingte+ Souverainetät beziehen, welche Napoleon (~timeo Danaos dona ferentes~) höhnisch den deutschen Fürsten darbot, um ihre Knechtschaft (sehr ungenügend) zu verdecken. Wäre Deutschland ganz abgeschieden von der übrigen Welt, so könnte es vielleicht mit den alten Formen fortleben in aller Gottseligkeit und Ehrbarkeit; bei den jetzigen europäischen Staats- und Machtverhältnissen ist dies aber +unmöglich, ohne ganz zu Grunde zu gehen+. Ich habe Gelegenheit gehabt, hierüber in Paris die bittersten Beobachtungen und Betrachtungen anzustellen. Wenige edle und gescheite Männer (wie Cavaignac und Bastide) sahen ein, daß, für Frieden und Bildung Europas, ein einiges und starkes Deutschland nöthig sei; -- die meisten hingegen stehen noch (trotz der so wesentlich veränderten Verhältnisse) auf dem Standpunkte der feindlichen, betrügerischen Politik Ludwig’s XIV. Sie verspotten die frankfurter Bestrebungen als kindisch, aberwitzig, unsinnig, und ihre Hoffnungen und Weissagungen sind in aller Kürze die folgenden: »Österreich und Preußen trennen sich und gerathen in Eifersucht und Hader. Bei diesem Gleichgewichte liegt Übergewicht und Entscheidung in unserer Hand. Baiern (und hiemit Süddeutschland) ist und bleibt aber, nach wie vor, von uns abhängig. Baiern möchte gar zu gern eine Großmacht sein oder werden; es hat unseren Lockungen weder im spanischen, noch im österreichischen, noch in den Revolutionskriegen widerstanden; es wird auch jetzt von Deutschland, das ihm Entsagungen zumuthet, ablassen, und unseren Höflichkeiten und Versprechungen nicht widerstehen.« -- So und noch viel +ungebührlicher+ für Baiern, lautete Das, was ich täglich in Paris hören mußte; -- dem ich aber, im Vertrauen auf den deutschen Sinn Ew. Königl. Maj., nachdrücklichst widersprach. Es kann, es wird, es muß ein Ausweg gefunden werden, der ganz Deutschland +einigt+, und in der dadurch unermeßlich vermehrten Macht unseres gesammten Vaterlandes wird jeder einzelne Mensch, jeder einzelne Staat, jeder einzelne König zehnfachen Ersatz für etwanigen (meist nur scheinbaren) Verlust finden. Hier in Frankfurt lebt man fast allgemein der Überzeugung: es hänge jetzt wesentlich von Baiern ab, ein glückliches Ziel für Deutschland zu erreichen. Um der Sache, um Ew. Königl. Maj. Person willen, wünsche ich mit aller Kraft des Geistes und Herzens, daß dieser Glaube, diese Überzeugung die rechte sei, und in wenigen Tagen, von München aus, alle uns umringenden Sorgen verscheucht werden! Mit größter Verehrung und Anhänglichkeit u. s. w.“ -- -- Gestern wollte ich Rossini’s Barbier von Sevilla für 48 Kreuzer +ganz+ hören, hatte aber an der Hälfte genug. Die Agrémens, Solfeggien, Gurgeleien, Carillons sind in übermäßiger Weise aufgetischt; welch ein Unterschied, wenn ich diesen Figaro mit +dem+ Mozart’s vergleiche. Unglücklicherweise hatte ich Lablache, die Grisi &c., noch im Gedächtniß; sodaß die hiesige Aufführung natürlich sehr dahinter zurückblieb. In diesem Augenblicke komme ich von dem ersten erfreulichen Spaziergange beim schönsten Wetter zurück. Gingen wir doch so gewiß einem politischen Frühlinge, als einem natürlichen entgegen; wie gern wollte ich noch einigen Schnee und Eis ertragen! Die berliner Wahlen haben mich betrübt, aber nicht im Mindesten überrascht. Die irrigen Ansichten der Umwälzer, das verkehrte Wahlgesetz, der thörichte Eifer der Reaktionaire, die Zerfallenheit der Conservativen, die Thätigkeit und Einigkeit der Radikalen und die Mißgriffe des Ministeriums mußten in einer Stadt von 400,000 Einwohnern derlei Ergebnisse herbeiführen. Stellen die Landschaften das Gleichgewicht nicht wieder her, so gehen wir traurigen Ereignissen entgegen! Ich lese mit größtem Erstaunen, was Lord Palmerston im Parlamente über die Verhältnisse Englands zu Österreich gesagt hat. Danach sollte man glauben, es habe die größte Freundschaft gegen seinen ältesten Bundesgenossen gezeigt, ihn gegen ehrgeizige Nachbarn und empörte Unterthanen geschützt, für eilige Herstellung des Friedens gewirkt u. s. w. -- Und nun erinnere ich mich, in welcher Verzweiflung Hr. v. T. über Normanby und Palmerston war, und wie er sich Trost bei Bastide holte!! -- Bezweckt Palmerston nur, durch diese plötzliche Lobrede sich als Minister zu erhalten? Will er täuschen? Hat er sich von den Phantasien N--s und M--s frei gemacht? Ist er der Italiener überdrüssig? Hat er gründlich eingesehen, er müsse eine andere Richtung einschlagen? Oder sind die Berichte ungenau? -- Die Zeit wird Alles aufklären. -- Hundertzehnter Brief. Frankfurt a. M., den 8. Februar 1849. Ist es nicht ein Unglück, daß in der Hauptstadt eines Königreiches lauter Männer gewählt werden, die nach ihrer innersten, ja nicht einmal verhehlten Überzeugung den König wegjagen und eine Republik gründen möchten, welche ohne Bürgerkrieg nicht zu Stande kommen und niemals, in unseren Verhältnissen, Ordnung begründen und Dauer gewinnen kann? Und doch wird dieser furchtbare Versuch (womit auch Süddeutschland sehr bedroht ist) nicht ausbleiben, wenn die Regierungen abwechselnd klägliche Schwäche und übertriebene Härte zeigen. Freilich ists am leichtesten, scheinbar großartig und folgerecht immer zu loben oder immer zu tadeln, stets zu hoffen oder stets zu verzagen; in Wahrheit aber ist solch einziger Leisten für den Staatsmann unbrauchbar, und auch für den gewöhnlichen Beobachter nur eine oberflächliche Angewöhnung. Dadurch daß der, von Verblendung und Vorurtheilen gereinigte Spiegel des menschlichen Gemüthes das Verschiedene verschieden zurückspiegelt, wird er nicht zum Chamäleon; sondern hinter den Bildern und Eindrücken steht der ordnende Verstand und der handelnde Charakter! Freilich zeigen revolutionaire Zeiten am meisten, daß Verstand und Charakter nicht ausreichen, geselligen Krankheiten vorzubeugen und sie zu heilen. Das entbindet weder von pflichtmäßiger Thätigkeit, noch darf man den +Glauben+ an eine höhere Vorsehung aufgeben, weil man die Weisheit ihrer Führung nicht überall (mit beschränkten Gaben) sieht und begreift. Für menschliche Betrachtungsweise bleibt es indessen tragisch zu sehen, wie einzelne Menschen und ganze Völker sich leiblich und geistig zu Grunde richten und dem Tode, der Auflösung, entgegeneilen. So helfen krampfhafte Zuckungen den Polen nicht zu neuem Leben; so scheint die pyrenäische Halbinsel die Mittel einer Wiedergeburt nicht finden zu können. Wird Italien, Frankreich und selbst Deutschland einem ähnlichen Schicksale verfallen? Den 9. Februar. Gestern habe ich in der Paulskirche meist entsetzlich lange und langweilige Reden aushalten müssen, über Grundsätze und Plane, welche längst durch Wissenschaft und Erfahrung widerlegt sind. Man verdummt ganz auf diese Weise und kann die Frage nicht unterdrücken: ob dies nicht ein unverantwortliches Vergeuden seiner Zeit sei? Ich bin im abgelaufenen Jahre Reichstagsabgeordneter und Reichsgesandter gewesen, bin Excellenz gescholten worden, habe mich in ~routs~ und ~soirées~ umhergetrieben, Europas Wohl und Weh durch meine Hände gleiten lassen, Verfassungen und Grundrechte accouchiren helfen u. s. w. u. s. w., -- und doch in keinem Jahre meines Lebens so wenig gethan und zu Stande gebracht, als in diesem! Es wird auch nicht die geringste, nachweisbare Spur einer nützlichen Thätigkeit zurückbleiben; Alles verschwindet, sehr natürlich, in den großen Wogen der Zeit. -- Vor mir liegen meine (schön abgeschriebenen) Berichte aus Paris. Was steht denn drinnen? Eigentlich nichts! Zu dieser Jeremiade kann ich mir freilich (nur allzu leicht) den zweiten Theil machen. Allerdings habe ich einst auch im historischen Rohre gesessen (Bibliotheken und Archive) und Pfeifen daraus geschnitten; aber die Pfeifen trocknen zusammen, und jedes Jahr bringt neues Rohr und neue Rohrsperlinge, die das große Wort führen. Dann liegen meine geschichtlichen Arbeiten so gut (oder so schlecht) ~in praesepio~ und begraben, wie Gesandtschaftsberichte und Abstimmungen. Vielleicht schwimmt nur einige leichte +Spreu+ oben, während der schwere gelehrte Packwagen untergesunken ist. Zu etwas Anderem! Habt Ihr wohl gesehen, wie ein Teckel um einen großen Jagdhund herumspringt, ihn zwickt und anbellt? Der Große schaut ringsum, läßt sich in seiner Weltbetrachtung nicht stören, und verkündet endlich mit einem mächtigen +Wau!+ das Ergebniß derselben. Freudig und schwanzwedelnd denkt und sagt hierauf der kleine Teckel: er habe dem Großen zu Gedanken und Empfindungen geholfen; ein Geburtshelfer wie Sokrates! -- So der kleine Eckermann und der große Goethe; -- Alles (wie man höflichst hinzusetzt) ~sans comparaison~! -- Ich nahm gestern den dritten Theil der E. Gespräche in die Hand: Einzelnes von Goethe vortrefflich; Anderes so unbedeutend, daß es nur da ist Bogen zu füllen und Eckermann’sche weisheitsvolle Betrachtungen anzuhängen. Den 10. Februar. Ich tadele mich selbst, daß ich die außerordentlich günstigen Gelegenheiten, mich in einzelnen Tugenden zu üben, nicht sorgfältiger und dankbarer benutze. Sich stundenlang über Dinge belehren zu lassen, deren Erforschung man das ganze Leben gewidmet, und zwar von Leuten, die gar nichts davon verstehen, -- ist das nicht die größte und schönste Geduldsprobe, die man sich nur wünschen kann? Dennoch ergreift mich Ungeduld, vor Allem über die Zeitvergeudung. Gestern eilte ich deshalb mit meinem Nachbar hinaus: wir gingen in der Sonne spazieren, nahmen ein Mittagsfrühstück ein und nach der Rückkehr gab derselbe Redner noch immer seine Weisheit zum Besten. Die Schwierigkeit der Aufgaben steigt hier mit jedem Tage. Die preußische Note fand und findet Beifall als verständiges, gemäßigtes, +erstes+ Wort; dem aber nothwendig mehre folgen müssen, um irgend ein Ziel zu erreichen. Nicht blos die ganze Versammlung und die Regierungen bedürfen des Muthes, der Mäßigung und der Einsicht; sondern jeder Einzelne (der nicht willenlos irgend einer Strömung folgen will) geräth in schwierige, unangenehme Verhältnisse. Die schwierigste aller Fragen betrifft Österreich. Sehr natürlich wünscht dasselbe die Sachen in die Länge zu ziehen, damit es sich unterdessen ordnen und dann mit verdoppeltem Nachdrucke auftreten könne; aber ebenso natürlich und aus nicht minder wichtigen Gründen wünscht man hier +rasch+ zum Schlusse zu kommen. Österreich tadelt die vorgeschlagene Centralisation und die Hinneigung zum Einheitsstaate; Frankfurt tadelt, daß Österreich im Wesentlichen den alten Staatenbund beibehalten, oder dahin zurückkehren wolle. Soll der hier bezweckte Bundesstaat und die hier entworfene Verfassung zur Anwendung kommen, so kann und wird Österreich nicht beitreten; soll es hingegen beitreten, so muß man wesentliche, bereits angenommene Punkte abändern und verwerfen. Binnen kurzer Zeit kommen wir zur zweiten Lesung des Verfassungsentwurfes. Hat sich Österreich nebst den übrigen Staaten bis dahin +nicht+ bestimmt ausgesprochen, so wird man (darum unbekümmert) vorwärts gehen und das +zwei Mal+ Angenommene und Bestätigte schwerlich ohne großen Zank und Lärm einer neuen Prüfung und Abänderung unterworfen werden. Und doch sind nicht Wenige der Meinung: man solle hier erst Alles fertig machen lassen, ehe man sich ausspreche, oder Wünsche und Zwecke auch nur andeute. Dies ist ganz richtig, wenn zwei bestehende, geordnete, staatsrechtliche Körperschaften +nach+einander unter sich verkehren. Hier lauert im Hintergrunde der Anspruch der Reichsversammlung auf Allmacht, und der Regierungen auf ein unbedingtes Veto. Die kleineren Staaten, welche spüren daß es sich um ihr Sein oder Nichtsein handelt, haben sich meist freundlich und für Preußen ausgesprochen; Baiern benimmt sich am unbequemsten, und möchte am liebsten, mit Österreich und Preußen gleichberechtigt, als der dritte dastehen. Solch Triumvirat hat aber wenig Vertheidiger; die Trias ist fürs Innere zu wenig, fürs Äußere zu viel. Rußland und Frankreich gegenüber muß sich Deutschland so einigen und dadurch so stärken, daß diese Mächte Ehrfurcht davor bekommen +müssen+, sonst bleibt unser Vaterland der Spielball für fremde Interessen und Zwecke. -- Gut daß das Papier zu Ende ist und meinen politischen Kannegießereien ein Ende macht. Hunderteilfter Brief. Frankfurt a. M., den 11. Februar 1849. Gestern las ich den dritten, mir noch unbekannten, Theil von Huber’s Skizzen aus Spanien: ein lebendiges Bild der aufgelöseten Zustände des Landes und des herzzerreißenden Elends der Vertriebenen. Murillo und die Alhambra können darüber kein Licht verbreiten; die Nacht der Gegenwart wird hiedurch vielmehr doppelt finster. Mein Gott, mein Gott! wenn vielleicht Deutschland nach 30 Jahren ähnliche Erscheinungen darböte, und alle jetzt Mitwirkenden, wenn auch nicht als Verbrecher, doch als verblendete Mitschuldige erschienen!! Gestern begegnete ich einigen der verfassungmachenden Professoren, strahlend (~rayonnants~) vor Freude über die österreichische Note. Nun, riefen sie, haben wir Fahrwasser, nun segeln wir vorwärts mit vollen Segeln! Ist es bloße Beschränktheit, bloßer Eigensinn, wenn mir die Lage der Dinge nicht so heiter erscheint? Was zeigt die preußische und die österreichische Note? Erstens, daß Preußen und Österreich über wichtige Dinge uneinig sind, und das erste sich gegen Frankfurt nachgiebiger und freundlicher erweiset, als das letzte. -- Ist diese Uneinigkeit für ein +einiges+ Deutschland wirklich ein Gegenstand der Freude, und die despotische Klugheitsregel: ~divide et impera~, an der Zeit? Zweitens, Preußen kann sich um die Kaiserwürde nicht bewerben und der Gefahr des Zurückweisens aussetzen; es darf sich um einiger frankfurter Stimmen willen nicht ganz mit Österreich (ja vielleicht auch mit anderen Mächten) überwerfen, und der Ruf: „das preußische Volk wird den König +zwingen+“! will die Gesundheit starken, durch Einimpfen einer neuen Krankheit! Drittens, Österreich will weder freiwillig aus dem deutschen Bunde scheiden, noch sich gutwillig und gehorsam hinausweisen lassen. Wer soll, wer kann es zur Unterwerfung zwingen? Viertens, Österreich erklärt feierlich: es werde eine deutsche, +über+ dasselbe hingestellte, Reichsmacht nicht anerkennen. Fünftens, es verwirft wesentliche Punkte der hier vorläufig angenommenen Verfassung, insbesondere die Sätze 2 und 3. Die hiesigen Urheber der Verfassung wollen (so scheint es) aus dem Allem erweisen, daß Österreich aus Deutschland ausscheiden und die österreichischen Abgeordneten die Paulskirche verlassen +müßten+. Der Verfassungsentwurf sei +unverändert+ aufrecht zu halten und nunmehr rasch und mit Nachdruck durchzusetzen. Sie bleiben bei der allgemeinen Verehrung ihres abstrakten Werkes stehen, haben sich um die Möglichkeit seiner Verwirklichung, um den Inhalt der bis jetzt ganz leeren Form, gar nicht bekümmert und glauben mit Hülfe ihrer Paulskirchenallmacht jede Schwierigkeit, jeden Widerspruch leicht zu beseitigen. Ob aber Fürsten und Volksstämme dem Allem beistimmen, ob die (fast immer uneinige) öffentliche Meinung sich dafür erklären werde, ob man Hindernisse mit Gewalt wegräumen dürfe und könne; -- diese, und ähnliche praktische Fragen lassen sich nicht kurzweg und von oben herab zur Seite werfen. Wenn sich Österreich vom deutschen Bunde trennt, so ist zu befürchten daß die daselbst wohnenden Deutschen sich nach 100 Jahren zu ihrem Vaterlande so verhalten werden, wie die Elsasser, Kurländer und Liefländer; sie sind in Gefahr daß die zahlreicheren fremden Völkerstämme sie absorbiren und beherrschen. Andererseits erfordert die Unparteilichkeit zu gestehen: man widersetze sich mit Recht der Richtung, welche für Deutschland eine +neue+ Zeit, lediglich durch eine Art von Herstellung des +alten+ Bundestages herbeizuführen wähnt. Die einzige Rettung liegt in wechselseitiger Verständigung und Mäßigung; die erste darf sich aber nicht auf einseitige Befehle gründen, und die letzte nicht in ein schwächliches Verläugnen und Aufgeben aller Grundsätze hinabführen. +Diese+ Gefahr ist jedoch in unseren Tagen deshalb nicht gar groß, weil man alle Weisheit meist in dem Äußersten, den Extremen sucht, und angeblich auch daselbst findet. -- -- Gestern Abend ging ich noch einmal in den, schon oft mit Beifall gegebenen, Sommernachtstraum. Man kann mit der Aufführung sehr zufrieden sein; unter Anderen spielten die beiden Liebespaare viel frischer und lebendiger als gewöhnlich, die Handwerker ergötzlich und die Hausmann (Puck) keck, heiter und anmuthig, ohne in falsches Kokettiren, oder Übertreiben hineinzugerathen. Ich fand Lehre und Trost außerdem darin, daß es neben so vielen vergänglichen Wirklichkeiten, ewige, beseligende +Träume+ giebt! Den 12. Februar. Wäre ich ein Schinken oder eine Wurst, so würde ich mich gestern Abend in der Rauchkammer des Casino sehr wohl befunden haben, aber als unschuldsvoller Mensch!! Doch hielt ich lange genug aus, um mancherlei +schweigend+ anzuhören; denn fürs +Reden+ wäre ich gewiß in noch größere Gefahren gerathen. So vernahm ich also, daß das Triumphlied über die österreichische, freies Segeln herbeiführende Note, nicht ohne hineintönende Dissonanzen abgesungen werde. Es bildet sich ein neuer zahlreicher Klub, welcher verlangt, daß der Verfassungsentwurf so geändert und berichtigt werde, daß Österreich im deutschen Bunde bleiben könne. Insbesondere richtet sich der Angriff wider die bekannten Absätze 2 und 3 und die nur verstattete Personalunion. Gagern’s Vorschläge sich mit Österreich zu verständigen, wurden von Vielen angenommen, um härtere Beschlüsse zurückzuweisen; nun aber Österreich nicht darauf eingeht, so sind wir auf den Ausgangspunkt zurückgeworfen. Obgleich die Mitglieder des Casino die eifrigsten Vertheidiger des Verfassungsentwurfes sind, sprach sich doch die Besorgniß aus, ob man die Mehrzahl für sich haben werde; woran sich der Wunsch anreihte, daß die preußische Versammlung später eröffnet werde. Allerdings führt die gleichzeitige Thätigkeit zweier constituirenden Versammlungen zu den größten Unbequemlichkeiten und Unannehmlichkeiten; allein der zunächst für die Vertagung hervorgehobene Grund (10 für Berlin erwählte Abgeordnete hier festzuhalten, um die Mehrzahl nicht zu verlieren) offenbarte nur zu deutlich die schwache Seite des ganzen Baues. Wie kann man sich einbilden, daß die allerwichtigsten Fragen (z. B. über das Kaiserthum, die Aufnahme und Ausschließung Österreichs u. s. w.) durch ein Dutzend Stimmen in der Paulskirche sich auf lange Zeiten hinaus entscheiden und alle Widersprüche beseitigen lassen. Ob man diesem, oder jenem Urlaub verweigert, Einige aus den Speisehäusern vom Frühstück zum Abstimmen herbeiholt -- derlei Kleinigkeiten sollen eine feste Grundlage und Entscheidung herbeiführen, Österreich schrecken, Preußen zwingen, und allen Übrigen den Mund stopfen. Deutschland ist noch nicht einiger, als die hier sich nur zu oft und zu heftig widersprechenden Klubs, von denen keiner das opfern will, was man ein Princip nennt, während es meist nur eine bloße schwach begründete Meinung ist. Ein solcher sich jetzo breit machender und breitgetretener Satz des angeblich höheren Kosmopolitismus ist: „daß kein Volk jemals ein anderes beherrschen dürfe.“ Jeder kennt die Mißbräuche ungerechter Herrschaft; allein jener Satz unbedingt ~in abstracto~ hingestellt, streicht die ganze Weltgeschichte aus, oder treibt Götzendienst mit dem Mittelmäßigen, Unfähigen, Untergeordneten. Geherrscht haben alle wahrhaft tüchtigen, welthistorischen Völker: Juden, Griechen, Römer, Araber, Deutsche, Franzosen, Spanier, Engländer. Sie haben die Herrschaft mit Recht verloren, sobald sie ihren hohen Beruf mißbrauchten, oder die dazu gehörige Kraft und Seelenstärke einbüßten. So war es vor dem Jahre 1848, und wird auch nachher so bleiben. Sonderbar, daß man den kleinen, schwachen, ungebildeten Völkern eine völlige Unabhängigkeit vindicirt; sie aber keinem einzelnen Mitgliede eines Klubs verstattet, sondern Unterwerfung unter die bloße Mehrzahl verlangt. Regeln ohne Ausnahmen sind der Tod der lebendigen Mannigfaltigkeit, und finden sich wohl nur in der reinen Mathematik. In der physischen Astronomie herrscht die Sonne, und den Planeten ist nur verstattet sich untereinander ein Weniges zu turbiren. Man hofft hier in vier Wochen zu Ende zu kommen; doch dürfte es nur ~le commencement de la fin~ sein. Hundertzwölfter Brief. Frankfurt a. M., den 13. Februar 1849. Ich sage mir täglich: „Tadeln ist leichter, als besser machen!“ -- um nicht in bloßes Verneinen und Widersprechen zu gerathen. In Wahrheit verlange ich aber nur daß Männer, die sich für Staatsweise und Volksärzte ausgeben, die eintretenden Thatsachen ernst prüfen und verständig berücksichtigen sollen. Erklärungen, wie die preußische und österreichische, Erscheinungen wie die in der baierschen und sächsischen Kammer, sind von zu großer Wichtigkeit, als daß man dagegen die Augen verschließen darf. -- Spreche ich so, dann verlangt man von mir, daß ich eiligst eine Universalmedicin gegen alle Schwierigkeiten und Krankheiten aus der Tasche ziehe; in welche Quacksalberei zu verfallen, ich nicht thöricht genug bin. Nur so viel weiß ich: daß, wenn eine Krankheit eine ganz andere Wendung nimmt, wenn unvorhergesehene Krisen eintreten, ich nicht nach wie vor dieselbe Arznei eingebe. Und doch wollen Viele, hinsichtlich des Verfassungsentwurfes, jede Ermäßigung oder Abänderung zurückweisen. Sonderbar, bis zu der Zeit, wo ich nach Paris ging, ließen sich die Preußen schafsgeduldig in der Paulskirche schmähen, und behaupteten (mir widersprechend): jede Vertheidigung erhöhe den Haß und verstärke den Feind. Erst bei Brentano’s unwürdigem Angriff auf den Prinzen von Preußen ging ihnen endlich die Geduld aus. Jetzt finde ich hingegen die Preußen begeistert für kühnen Angriff, und selbst würdige Männer sprechen: wir müssen den preußischen Erbkaiser durchsetzen, und dafür sogar einen +Krieg+ nicht scheuen. So, die neuesten Zeichen der gewonnenen deutschen +Einheit+; und den scharf gesonderten Parteien in der Paulskirche und den Klubs, stehen draußen gleichgesinnte Eiferer zur Seite. Stimme ich nach den Forderungen der meisten Preußen, so muß ich in vielen Punkten meine Überzeugung unterordnen und preisgeben; stimme ich wider sie, so gelte ich für dumm, schwach und abtrünnig. Könnt Ihr Euch wundern, wenn ich, hin und her geworfen zwischen dieser Scylla und Charybdis, zwischen Grundsätzen wahrer oder falscher Wissenschaft, und der Gewalt herandrängender Thatsachen, mich nicht bequem befinde; wenn ich unfähig bin, den Sturm zu beschwören und wiederum zu selbstständig mich willenlos in das Schlepptau nehmen zu lassen? An Reden (das heißt im kleineren Kreise) lasse ich es nicht fehlen, wenigstens um mein Herz zu erleichtern; auch ist es ganz richtig, daß ich, von aller Theilnahme und Mitwirkung ausgeschlossen, keineswegs sorgenfrei leben würde. -- -- Werder’s „begeisterte“ Rede über die Eigenschaften, welche ein Mitglied der ersten Kammer haben solle, erinnert daran, daß eine Dame die andere schriftlich bat, ihr einen Hofmeister mit den und den vortrefflichen Eigenschaften auszuwählen. Diese antwortete: noch habe ich einen solchen nicht gefunden; sollte ich aber so glücklich sein, werde ich ihn -- heirathen! Den 14. Februar. In Devrient’s pariser Theaterbüchlein finde ich eine Stelle über Lamartine, die ganz mit meinen Urtheilen und Erfahrungen übereinstimmt. Er schreibt von ihm: „Alles, was er sagte, war schief und widersprach sich; aber es klang, und er selbst schien Freude daran zu haben. -- Seine Reden haben die Eigenheit, am Ende immer das Gegentheil von Dem zu sagen, was sie anfangs ausgesprochen haben.“ -- Wislicenus schickt mir aus St. Louis seine Reise nach Nordmexiko. Sie geht den Arkansas aufwärts nach Santa Fé, dann den Rio del Norte abwärts bis el Paso del Norte, Chihuahua, Saltillo, Monterei, Matamoros und über Neu-Orleans nach Hause. Obgleich geschrieben in der einfachen Form eines Tagebuchs, giebt sie doch sehr anziehende Aufschlüsse über Pflanzen, Gestein, Bergeshöhen, Thäler und Flüsse, Menschen und Thiere. Sie erweiset unter Anderem 1) daß große Landstrecken zum Anbau ganz ungeeignet, andere hingegen sehr brauchbar sind; 2) daß reiche Gold- und Silberminen vorhanden sind, ohne die Leute zu bereichern; 3) daß in einigen Gegenden guter Wein gebaut wird; 4) daß die Mexikaner den Nordamerikanern gar nicht widerstehen können, und selbst ein Spott der Indianer sind; 5) daß die Indianer, welche sich beharrlich aller bürgerlichen Ordnung und milden Erziehung widersetzen, und nichts thun als stehlen und rauben, -- ausgerottet werden, gleichwie die wilden Thiere, welche Gott auch geschaffen hat. -- -- Ein heftiger Angriff auf das Veto des künftigen Reichsoberhauptes ward gestern mit großer Mehrheit zurückgewiesen, die Berathung über das Wahlgesetz aber der zweiten Lesung des Verfassungsentwurfes vorangestellt. Zu den ausgesprochenen guten Gründen gesellt sich ein verschwiegener, als der wichtigste. Das Wahlgesetz schlägt nämlich vor: Dienstboten, Tagelöhnern, Handwerksgehülfen und Fabrikarbeitern das Wahlrecht zu versagen. Dagegen wird die Linke Sturm laufen; sie hofft eine solche Aufregung herbeizuführen und die für jene Bestimmung Auftretenden dergestalt verhaßt zu machen, daß nicht blos das Wahlrecht unbedingt allgemein ertheilt werde, sondern auch nächstdem die ihnen unbequemen Bestimmungen des Verfassungsentwurfes bei der neuen Berathung durchfallen. So gehen wir den lebhaftesten parlamentarischen Kämpfen entgegen, während man aller Orten neuen Aufruhr ankündigt. Auf letzteren ist man gefaßt, und entschlossen, mit den strengsten Mitteln dagegen einzuschreiten. Den 15. Februar. Gestern Abend war im Casino vorläufige Berathung über das Wahlgesetz. Man erklärte sich gegen das allgemeine Wahlrecht, und ebenso gegen die ausgesprochene Ausschließung ganzer Klassen von Personen. Jenes, weil die Besitzlosen sonst ganz allein entscheiden; dieses, weil es verletzt und in sich verschiedene Verhältnisse viel zu gleich behandelt. Deshalb will man, ohne die +ausgeschlossenen+ Personen zu bezeichnen, gewisse Bedingungen der +Zulassung+ aussprechen, z. B. fester Hausstand, Grundbesitz, Einnahme, Steuerzahlung. So kommt man auf Das hinaus, was jetzt als Census verrufen ist; doch waren die Anwesenden überzeugt, man dürfe in dieser höchst wichtigen Sache nicht um Beliebtheit beim niedrigen Volke buhlen (die wir ohnehin nicht besitzen, oder erlangen werden) und sich ebensowenig vor Widersprüchen und Anklagen fürchten, sondern Das befördern, was, nach bester Überzeugung, für unser Vaterland als das Heilsamste erscheint. Zur allgemeinen Besprechung über das Wahlgesetz haben sich 43 Redner einschreiben lassen. Was werden da für Redensarten und Phrasen ausgespielt werden. Heute kam ein Antrag zur Abstimmung: man solle, +abgesehen+ von allem über die Verfassung Beschlossenen, einen neuen Ausschuß erwählen und +ganz von Neuem+ beginnen. Soviel man auch gegen das Beschlossene einzuwenden, und vielleicht bei der zweiten Lesung zu ändern haben mag, erschien doch eine solche Unfähigkeitserklärung zu stark, und sie fiel mit 110 gegen 298 Stimmen durch. Hundertdreizehnter Brief. Frankfurt a. M., den 16. Februar 1849. Wenn man einer Sorge ledig wird, tritt eine andere ein. In den ersten Monaten nach Eröffnung des frankfurter Reichstages war dieser allzukühn und nahm volle Allmacht in Anspruch. Der Bundestag ward zur Seite geworfen, ein Reichsverweser aus eigener Macht ernannt; von Fürsten und Regierungen nahm man keine Kenntniß, und diese schwiegen und verkrochen sich, aus Furcht vor den gewaltsamen, revolutionairen Ausbrüchen. Jetzt hingegen steigen deren Ansprüche mit jedem Tage und es ist offenbar genug, daß sie die frankfurter verfassunggebende Versammlung in eine blos berathende Behörde verwandeln und den alten Staatenbund mit wenigen Abänderungen herstellen möchten. Wenn Österreich sein Gewicht in diese Wagschale legt und Preußen schwankt, so könnte leicht das letzte Ziel erreicht, Frankfurt ohne Ergebniß aufgelöset und (wie es schon in Paris und London geschieht) als thöricht und lächerlich bezeichnet werden. Ist man aber hiemit wirklich an einem löblichen, genügenden Ziele angelangt? Ich glaube keineswegs! Mag man den alten Bundestag übertrieben getadelt haben, und sein Übelthun, oder Nichtsthun, mehr durch die +Personen+, als durch die +Form+ herbeigeführt sein, gewiß genügt ein solcher vielköpfiger Fürstentag dem inneren Bedürfnisse Deutschlands nicht, und noch weniger seinem gefährlichen Verhältnisse zum Auslande. Die beschlossenen Grundrechte bedürfen einzelner Verbesserungen, aber sie sind viel zu sehr aus wirklichen Bedürfnissen hervorgegangen, als daß man sie, im Widerspruche mit fast allgemeinen Wünschen und Überzeugungen, verwerfen dürfte. Ebensowenig kann jetzt eine deutsche Verfassung ohne Volkshaus und Volksvertretung Boden gewinnen. Es ist möglich, daß wir an Mattigkeit, Uneinigkeit, oder durch Gewalt sterben; aber aus unseren Gebeinen würden Rächer erstehen, es dürfte sich ein neuer, größerer Sturm erheben, und zuerst die kleineren, dann die größeren Fürsten von der deutschen Erde hinwegfegen. Hierauf vielleicht eine wilde Republik, und dann der Sieg der Despotie, unter obligater, theuer bezahlter Mitwirkung fremder Mächte. Die kleineren Fürsten scheinen am ersten erkannt zu haben, um was es sich handelt und was auf dem Spiele steht; nicht so die neu geschaffenen Könige. Allerdings muß man Vieles begraben, was abgestorben ist, und woran Niemand mit größerer Zärtlichkeit hing, als ich; Wünsche aber beleben nicht, und jede Wiedergeburt erfordert eine andere und neue Gestaltung. Mit welcher Theilnahme betrachtete ich in meinen Kinderjahren die homannsche Karte des schwäbischen Kreises. Die unerbittliche Hand einer revolutionairen Zeit hat dies Alles weggewischt und mit +einer+ Farbe überstrichen, welche (jeder Mannigfaltigkeit entbehrend) an den Mangel aller Farbe in dunkler Nacht erinnert. Statt all der verschiedenen Eigenschaften, Organisationen, Qualitäten, nur gleichartige Quantitäten, Volksmenge und ein Divisionsexempel, welches man constitutionelle Repräsentation nennt! +So+, wenn ich theilnehmend rückwärts blicke; der Historiker soll aber ein zweiköpfiger Janus sein und auch vorwärts sehen und forschen. Man liebt und ehrt seine Voreltern, aber jedes Geschlecht muß seine eigenen Kinder zeugen. Alle europäischen Regierungen haben sich concentrirt und innerlich gestärkt; ihnen gegenüber ist ein zerstückeltes, vielköpfiges, vielerlei wollendes Deutschland immer im Nachtheile. Man muß sich +unterordnen+, um nicht +unterzugehen+! Ich habe es mir mit dem Nachlesen vieler stenographischen Berichte pflichtmäßig sauer werden lassen und die hiesigen Berathungen mit den pariser Erfahrungen zusammengestellt. Kommen +wir+ nicht in das gelobte Land, sollen wir doch Weg und Richtung andeuten; aber freilich kommt unendlich viel darauf an, +wer+ den Weg betritt: ob 1640 der große Kurfürst, 1740 Friedrich II., 1840 Friedrich Wilhelm IV. Schon mehre Male hat Glück und Gelegenheit diesem ihre Stirn zugewandt; ich ehre seine Zweifel, aber wer nicht wagt, gewinnt nicht. Gestern Abend wohnte ich im Casino wieder Berathungen über das Wahlgesetz bei. Man kann dafür leicht hundert Vorschläge machen; indem aber Jeder sein Lieblingskind in der Paulskirche zur Taufe präsentiren will, zersplittern sich Ansichten und Kräfte, Glaube und Vertrauen entweicht den Schwankenden, und die +einstimmig+ auf ganz allgemeines Wahlrecht dringende Linke wird über die vielen zwiespaltigen Weisen obsiegen. Wären wir Alle einig, so würden wir wohl einen mäßigen Census (an Einnahmen und Steuern) durchsetzen und Diejenigen ausschließen, welche man als Proletarier bezeichnen muß. In ruhigen Zeiten fallen diese in die Gewalt reicher Grundbesitzer und Fabrikherren; in unruhigen Zeiten schlagen sie hingegen diese todt, oder werden doch auf anarchischem Wege ihre Herren. Tadelt mich nicht, wenn ich gar viel rechts und links schaue: man hat einen steifen Hals noch nie für ein Glück gehalten, und Schauklappen will ich mir weder selbst vorbinden, noch vorbinden lassen. Freilich ist mein +Einerseits+ und +Andererseits+ sehr dürftig im Vergleiche zu der Mannigfaltigkeit der Ansichten und Wünsche, welche in zahlreichen Eingaben ausgesprochen werden. Zum Beispiele vom demokratischen Klub in Insterburg: die Nationalversammlung habe die Freiheit an die Camarilla geopfert, das Volk werde über sie zu Gericht sitzen und nur 89 Mitglieder der Linken anerkennen. -- Aus Lemgo: die Reichsversammlung solle das Vergangene wieder gut machen, oder ihr Mandat niederlegen. -- Aus Heinichen: die Rechte der Versammlung besitzt nicht das Vertrauen der Nation. -- Aus Weilburg: man solle den Mord des Freiheitshelden Blum rächen. -- Aus Künzelsau in Würtemberg: die deutschen Fürsten sollen im Römersaale +würfeln+. Wem Gott in seiner Allweisheit den höchsten Wurf verleiht, -- der soll in Deutschland regieren. -- Von Helmuth Riehn in Estebrüge: Fürst Metternich und seine Anhänger sind unter gewissen Bedingungen zu amnestiren und an die Spitze der Regierung des deutschen Reiches zu stellen, und auch den Jesuiten Theilnahme an allen Freiheiten einzuräumen! -- Den 17. Februar. Ihr werdet es unfolgerecht von mir finden, daß ich erst auf die Klubs schelte, und jetzt fast jeden Abend auf mehre Stunden ins Casino gehe, oft spreche und selbst auffordere im Kampfe nicht dadurch zu unterliegen, daß Jeder auf seiner Meinung besteht und die Stimmen zersplittert. Wie aber die Dinge liegen, muß man unter zwei Übeln das kleinere wählen, und da ich in der Paulskirche nicht zu Worte kommen kann, will ich wenigstens im kleineren Kreise versuchen meine Pflicht zu thun und nicht als bloße Null zu erscheinen. Auf die Prüfung des Wahlgesetzes wird hoffentlich die zweite Lesung des Verfassungsentwurfes folgen. Leider zögern aber viele Regierungen noch immer, bestimmte, inhaltsreiche Erklärungen abzugeben, und Partikularismus wie Centralisation wird in den Ständeversammlungen und der Paulskirche mit Leidenschaft verfochten. Was soll man anfangen mit Redensarten wie: es +schwebe+ der österreichischen Regierung die +Möglichkeit+ einer guten Verfassung vor; eine solche sei kein bloßer +Traum+, man könne sich ihr +allmälig+ nähern u. s. w. Solche diplomatische Blasen (~bubbles~) täuschen Niemand und helfen zu gar nichts. Deutlich ist nur was Österreich +nicht+ will; und wenn ich dies auch nicht tadele, so kommen wir doch nicht vorwärts, ehe es sagt, +was+ es will. -- Oder wir beschließen hier ohne Fingerzeig und Weisung; das führt dann nur zu Vorwänden das Mißfällige zu verwerfen, und nach Auflösung der hiesigen Versammlung zu dem Wahne: die alte Kabinets- und Bundespolitik könne sich wieder in dem alten Großvater- und Schlafstuhl niederlassen, ohne jemals gestört zu werden. Wenn die berliner Versammlung verständig und gemäßigt ist, wenn Preußen dadurch erstarkt, wenn es mit Frankfurt einig bleibt, die bereits ergangenen, günstigen Erklärungen der kleineren Regierungen dankbar und freundlich annimmt, die größeren beruhigt, so steht Deutschland (wie auch Österreich sich stelle) eine große und schöne Zukunft bevor; -- sonst geht und fällt Alles auseinander, wie die Kirchenversammlung von Basel 1448 vor 400 Jahren! Nachmittags. Viele wünschten, daß ich über das Wahlgesetz in der Paulskirche sprechen sollte, und so ist dies, weil mir Jemand seine Stelle abtrat, heute geschehen. Daß der Unparteiliche am wenigsten gefällt, ist natürlich; doch bin ich äußerlich gut davongekommen und Mehre haben mir ihren Beifall bezeigt. In den stenographischen Berichten werdet Ihr die Rede bald lesen. Es ist mir lieb, daß ich doch habe ein Lebenszeichen geben können! -- Raumer’s Rede vom 17. Februar 1849. Meine Herren! Herr Vogt hat vor einiger Zeit gesagt, daß die Reichsgewalt historische Gesandte abgeschickt habe. Ich weiß nicht, ob Herr Vogt bei dieser Gelegenheit auch an mich gedacht hat; im bejahenden Falle nehme ich seine Bezeichnung dankbar an und bitte um die Erlaubniß, auch heute diesen geschichtlichen Charakter nicht verläugnen zu dürfen. Worin besteht der Unterschied zwischen einem Redner und einem Geschichtsforscher? Darin, daß der Redner das Recht und die Pflicht und die Geschicklichkeit hat, +eine+ Ansicht mit aller Kraft des Kopfes und des Herzens zu vertheidigen, wodurch er in der Regel weit größeren Beifalls gewiß ist, als Derjenige, welchem es obliegt, die Ansichten von einer oder von mehren verschiedenen Parteien mit voller, wo möglich gleicher Unparteilichkeit zu entwickeln. Je mehr man aber auf diesem Wege fortschreitet, meine Herren, desto mehr überzeugt man sich, daß die Wahrheit und das Recht höchst selten allein auf +einer+ Seite -- auf der rechten oder der linken -- liege, sondern daß in jeder Ansicht ein Element des Rechts und der Wahrheit ist, und daß da, wo vielleicht das Unrecht allein vorzuwalten scheint, man doch den Glauben und die Überzeugung haben kann, daß eine höhere Fügung Alles zum Besten zu lenken wisse. Ich bitte also um die Erlaubniß, hier nicht mit schwächeren Kräften, weit größeren Talenten im Reden nachzustreben, sondern (ich möchte sagen, schon der Abwechslung halber) mir zu erlauben, einige historische Bemerkungen einzuflechten, die sich allerdings denn doch auf die Sache beziehen. Die Aufgabe, in welchem Maße die politischen Rechte ausgeübt werden sollen, ist im Ablaufe der Zeiten sehr verschieden gelöset, oder doch der Versuch gemacht worden, sie zu beantworten. Die erste Form der Lösung ist die: daß eine ausgezeichnete Persönlichkeit (ohne Rücksicht auf alle Anderen) mit Übermacht die Geschicke bestimmt. Diese Methode findet hier ganz mit Recht keinen Beifall; ich muß Sie jedoch darauf aufmerksam machen, daß sie keineswegs immer so schädlich gewesen ist, wie man bisweilen behauptet. Nicht allein Monarchen haben auf diesem Wege die Weltgeschichte in großem Style gefördert (wie Karl der Große, Peter der Große und Friedrich der Große), sondern vorzüglich in der alten Welt wußte man auch, daß einzelne Männer von hohem Geiste oft geschickter sind Sachen zum Ziele zu führen, als zahlreiche Versammlungen. Deshalb sind Moses, Lykurg, Solon, Numa Pompilius, Servius Tullius denkwürdig für alle Zeiten. Indessen ist hiemit die Aufgabe nicht für alle Zeiten gelöset. -- Die nächste Form war nun die, daß man sich verließ auf die +Geburt+, und mit ausschließlicher Rücksicht auf sie politische Rechte ertheilte; eine Ansicht, die jetzt ebenfalls höchst mangelhaft und thöricht erscheint. Sie ist aber auch nicht ohne Merkwürdigkeit; denn keine Ansicht hat sich in der Weltgeschichte länger erhalten als diese. Gebildete Völker, wie die Inder und Ägypter, haben sehr schroffe Kasteneintheilungen, welche, je widerstrebender sie für uns sind, um so mehr einer Erklärung bedürfen. Diese Erklärung lief nun wohl darauf hinaus, daß man sagte: wenn gewisse Verhältnisse in der bürgerlichen Gesellschaft betrachtet werden als +gegebene+, wenn sie keine Veranlassung darbieten zum Zweifeln, Wählen, Zaudern, so ist allem Streite ein Ende gemacht. Sobald der Eine weiß, er ist geboren als Krieger, sobald der Andere weiß, er ist geboren als Kaufmann u. s. w., so bleibt die bürgerliche Stellung unwandelbar geordnet und der Staat hat ebensowenig Noth mit Regelung dieser Verhältnisse, als damit, daß Jemand als Mädchen oder als Knabe, in diesem oder jenem Lande u. dgl. geboren ward. -- Erst mit den Griechen tritt Wesen und Begriff der Freiheit in die Welt, denn Alles, was vorher in dieser Beziehung versucht ward, blieb unvollkommen. Mit diesem Begriffe der Freiheit kommt aber noch ein anderes neues Element in die Anordnung der politischen Rechte, welches zuerst ausgesprochen ward von +Solon+. Zwar hat man ihn vorhin getadelt, ich glaube aber, er würde sich hinreichend vertheidigen können, wenn er gegenwärtig wäre!! Was war der Gedanke Solon’s? Daß allerdings die Person frei werden solle, daß aber zu der Person ein Besitz gehöre. So tritt die Frage nach dem Besitze zum ersten Male bei den Griechen in die politische Welt. Was that Solon? Er theilte seine Athener, mit ihrer Zustimmung, in vier Klassen nach den Einnahmen und gab den höheren Klassen größere Rechte, aber wohl gemerkt, auch größere Pflichten. So entstand eine billige Wechselseitigkeit. Wenn nämlich Jemand in eine höhere Klasse kommen wollte oder konnte, mußte er für das erweiterte Recht eine größere Last, eine größere Pflicht in Bezug auf Steuer und Kriegsdienst übernehmen. Nachdem sich jedoch +alle+ Athener in den Perserkriegen groß gezeigt hatten, waren die niederen Klassen nicht mehr geneigt, sich von gewissen Rechten ausschließen zu lassen. Es ward also durch Aristides, um eine größere Revolution zu vermeiden, eine allgemeine gleiche politische Berechtigung eingeführt. Später ging, ich möchte sagen unter dem constitutionellen Monarchen Perikles, die Sache noch gut und im großen Style; nachher aber reihte sich der Verfall Athens zur Zeit des Gerber Kleon und Anderer an dieses allgemeine Stimmrecht und diese unbedingte Gleichstellung. Ich gehe über auf Rom. Servius Tullius ergriff auch den Begriff des Besitzes, aber anders. Er stufte die politischen Rechte ab, nicht nach den Einnahmen, sondern nach dem Eigenthume. Es würde zu weit führen, wenn ich den Unterschied zwischen beiden Methoden umständlich darthun wollte; ich muß Sie aber darauf hinweisen, daß Servius Tullius sich nicht begnügte, wie Solon Klassen zu bilden, sondern daß er mit der Klasseneintheilung die Centurieneintheilung verband, das heißt, er gab den Reicheren außerordentlich viel größere Rechte und gründete dadurch eine lang dauernde Aristokratie, welche die niedrigste Klasse wie von den Rechten, so auch von den Lasten ausschloß. Dies Bevorzugungssystem der Reichen fand allmälig den stärksten Widerspruch und ward im Wesentlichen durch eine neue politische Form, durch die Tribus zerbrochen. In den Tribus fragte kein Mensch nach dem Gelde; aber es fand desungeachtet keineswegs ein allgemeines Stimmrecht statt, so wie es in unseren Tagen verstanden wird. Jede Tribus, -- durchschnittlich 35 --, bildete nämlich eine Corporation mit einer Stimme. Es waren aber nicht gleich viel Personen in jeder Tribus, sondern der zahlreiche Stadtpöbel Roms ward zusammen genommen in wenige städtische Tribus, und minder viel Personen bildeten eine ländliche Tribus. Später fand man nicht den Übergang, -- obgleich er so leicht schien, wie das Ei des Columbus --, aus der Stadtverfassung in eine Staatsverfassung; man kam nicht auf den Begriff der Repräsentation. Dieser findet sich erst im dreizehnten Jahrhunderte durch sehr verschiedene Personen fast gleichzeitig eingeführt, nämlich durch den Kaiser Friedrich II. und durch die Bettelmönche. In neuerer Zeit ist das allgemeine Stimmrecht, -- ich will nur von Republiken sprechen --, in Frankreich und Nordamerika versucht worden. In Frankreich ist eine Kammer daraus hervorgegangen, die eine Verfassung entwarf, an welche die Franzosen selbst nicht mehr glauben; sie hat ferner die Wahl eines Präsidenten zu Stande gebracht, von der mir mehre Franzosen gesagt haben: wenn in einer Erbmonarchie ein Kronprinz dieser Art wäre, so würde man das stärkste Argument gegen die Erbmonarchie daraus hernehmen können. (Heiterkeit.) -- Ich komme auf Amerika. Man hat gesagt, dort ist kein Census; dies kann ich jedoch nicht als richtig einräumen. Es ist nämlich dort kein Census, insofern man darunter lediglich die Nothwendigkeit versteht, ein größeres oder geringeres Vermögen nachzuweisen; wenigstens besteht ein solcher Census nur in einigen Staaten, oder insofern eigentlich gar nicht, als die Forderungen so gering sind, daß in der That kaum irgend Jemand dadurch ausgeschlossen wird. Hiemit ist aber der vollständige Begriff des amerikanischen Census keineswegs erschöpft; vielmehr ist in Amerika durch die Verfassung fast aller Staaten vorgeschrieben, daß der Wählende Steuern müsse bezahlt haben, und in +allen+ Verfassungen ist gesagt: er müsse ansässig sein, mit welcher Forderung immer die Pflicht des Steuerzahlens verbunden ist; sie ist die Bedingung, ohne welche Niemand zur Wahl kommt. Die Amerikaner meinen überhaupt, Gleichheit wäre nur da, wo gleiche Verhältnisse obwalten; wo aber verschiedene Verhältnisse sind, da liegt eben die höhere Gleichheit in der Verschiedenheit. (Zuruf: Sehr richtig!) Wenn also Geburt, Besitz und Persönlichkeit die Haupteigenschaften sind, nach welchen die politischen Rechte abgestuft wurden, so finden wir doch auch verschiedene Mischungen in den Verfassungen, wo sowohl auf die Personen, als auf den Besitz Rücksicht genommen wird, oder: +Sein+ und +Haben+ sind beide gleichmäßig berücksichtigt. Meine Herren, fragen Sie, wie wohl ein Amerikaner, wenn er hier in unserem Kreise säße, seine Abstimmung einrichten würde, so dürfen wir, um hiefür zeugen zu lassen, nicht den ersten besten Amerikaner nehmen. Ich will also Den sprechen lassen mit Ihrer Erlaubniß, der nach meinen genauen Untersuchungen, nach meiner festen Überzeugung, der allergrößte Republikaner und Demokrat ist, der jemals in der Weltgeschichte aufgetreten, an dessen Wirksamkeit sich eine ganze neue Welt anreiht, der den Vereinigten Staaten eine neue Bahn vorzeichnete, die sie am Anfange selbst nicht ahndeten, dessen Grundsätze die bewunderungswürdigsten Folgen gehabt, also ein Mann, vor dem Alle Ehrfurcht haben und haben müssen, -- das ist der Präsident +Jefferson+. Er selbst war im Anfange der Revolution als Gesandter in Paris, stellte sehr genaue Beobachtungen an, und erklärte sich darüber in Briefen und Memoiren. Aus diesen will ich mit Erlaubniß der Versammlung eine Stelle vorlesen. Es kommt darin ein starker Ausdruck vor, welchen ich mir nicht erlauben würde aus Besorgniß zur Ordnung gerufen zu werden, ich habe aber kein Recht, etwas zu ändern, wenn ich citire. Die Stelle ist folgende: „Vor der Gründung der amerikanischen Staaten kannte die Geschichte nur Menschen in der alten Welt, in schmale, übervölkerte Gränzen eingeengt und eingetaucht in die Laster, welche ein solcher Zustand hervorbringt. Für solche Menschen paßt eine, für unsere Staaten ganz verschiedene Regierung. Durch Arbeit, in Ackerbau oder Gewerben, gewinnt hier Jeder seinen Bedarf und Hülfsmittel für die Zeit des Alters. Jeder ist durch sein Eigenthum und seine ihm genügende Stellung, für die Aufrechthaltung von Gesetz und Ordnung wesentlich interessirt. Solcherlei Männer mögen sich mit Sicherheit und Vortheil eine angemessene Controle oder Aufsicht über die öffentlichen Angelegenheiten vorbehalten, welche in den Händen des Gesindels der europäischen Staaten sogleich würde mißbraucht werden, zum Niederreißen und Zerstören aller öffentlichen und bürgerlichen Rechte und Güter. Die französische Geschichte der letzten 25, die amerikanische der letzten 40, ja 200 Jahre, beweiset die Wahrheit beider Seiten dieser Beobachtung.“ Zu Dem, was hier Jefferson anführt, darf ich noch eins hinzusetzen: es herrscht in Amerika eine unbegränzte Achtung vor dem Gesetze; es würde kein Amerikaner jemals neben der gesetzlichen Verfassung, neben den gesetzlichen Behörden, wagen, einen noch so wohlwollenden politischen Gedanken durchsetzen zu wollen. Ich habe vorhin gesagt, daß der Historiker das +für+ und +wider+ ebenmäßig zu betrachten die Pflicht hat; da es aber hier der Gebrauch ist, sich +für+ oder +wider+ einen Antrag einschreiben zu lassen, so habe ich das +für+ gewählt, obgleich ich in keiner Weise mit allen gemachten Anträgen einverstanden bin. Zuvörderst bin ich der Meinung, daß der Vorschlag des Ausschusses, ganze Klassen auszuschließen, unbrauchbar ist. Ich erkläre mich gegen den Gedanken, durch Bezeichnung des Berufes Leute wegzuweisen oder einzulassen. Hiebei will ich aber noch etwas bemerken, was hier wenigstens mit weniger Nachdruck hervorgehoben worden ist. Man kann nämlich gegen das Zulassen der Bedienten, Tagelöhner und Fabrikarbeiter den Einwand oder die Besorgniß aussprechen, daß der Vorschlag der Zulassung nicht demokratisch genug sei, weil zwar in Zeiten der Unruhe, in denen wir uns leider noch befinden, diese Massen vielleicht über das rechte Maß hinausgehen und für die gewaltige Bewegung, in der man das Heil sucht, ihre Hand anlegen werden -- aber in Zeiten der Ruhe da werden die Bedienten leicht abhängig von ihren Herren, die Tagelöhner leicht abhängig von größeren Grundeigenthümern, der Fabrikarbeiter aber vom Fabrikherrn, und dann bekämen wir eine Aristokratie, die schlechter sein würde, als Das, was wir vermeiden wollen. -- Ich darf Sie, meine Herren, an ein Beispiel erinnern. Ich war zu der Zeit, als die Reformbill berathen wurde, in England, und viele ausgezeichnete Staatsmänner hegten die Meinung, man müsse den kleinen Pächtern das Stimmrecht zugestehen und nicht dazu ein Grundeigenthum verlangen, welches in England überhaupt nur in wenigen Händen ist. Es waren jene Staatsmänner der Überzeugung daß jeder kleine Pächter, welcher das Stimmrecht bekäme, unbedingt für die freisinnigen Whigs stimmen würde. Ich widersprach dem damals und behauptete, es sei das Entgegengesetzte zu besorgen. So kam es auch, denn nach der neuen Parlamentswahl hatte sich herausgestellt, daß vielen dieser mit dem Wahlrechte beglückten Personen die Pacht wäre gekündigt worden, wenn sie nicht eingewilligt, mit ihren Verpächtern zu stimmen. (Stimmen auf der Rechten: Hört!) Es läßt sich von den allgemeinen Bemerkungen, welche zu machen Sie mir erlaubt haben, nicht füglich die Frage trennen: ob eine direkte oder indirekte Wahl vorzuziehen sei. Jede zeigt eigenthümliche Vorzüge, doch stimme ich für die erste. Man hat in Frankreich den Versuch gemacht, in Abstufungen wählen zu lassen, indem man dem niedriger Besteuerten ein geringeres, dem höher Besteuerten ein größeres Recht einräumte. Dieser Versuch ist vollkommen mißglückt und hat die größte Unzufriedenheit hervorgerufen; denn er beruhte nicht blos auf einer Abstufungsnachweisung der Steuern, welche praktisch schwer durchzuführen ist, sondern er theilt gar leicht auch jede Kammer, ich möchte sagen, in zwei feindliche Lager, sodaß alle Vermittelungsversuche, sie auszusöhnen, vergeblich sein dürften. Wenn in England der Herzog von Southerland, welcher wohl hunderttausend Pfund jährliche Renten bezieht, im Verhältniß, oder doch bedeutend mehr Stimmrecht haben sollte, als ein anderer wahlfähiger Bürger, so würde man sich dagegen gewiß auflehnen. Ich wünsche also keine Stufen, keine Wahlmänner, keine Doppelwahlen. So kommen wir denn endlich auf den Census. Ich will hier der Merkwürdigkeit halber Jemand erwähnen, welcher in neuerer Zeit oft in einer ehrenvollen Weise angeführt worden ist, die er nicht verdient. Man schlug in Frankreich vor, daß die ärmeren Klassen von dem Steuerzahlen befreit werden sollten. Robespierre behauptete dagegen, es sei eine Ehre, Steuer zu zahlen, und wer sich dieser entschlagen wolle, der stehe nicht an der rechten Stelle. So betrachtet man diese Sache auch in Amerika. Dort sagt man: ich würde mich schämen, zu wählen, wenn ich nicht zum allgemeinen Besten meinen Steuerbeitrag entrichtet hätte. (Stimmen auf der Rechten: Sehr gut!) -- Meine Herren! Wir stehen auf einer bedenklichen Stelle; ich will nicht weit abschweifen, aber es hängt Alles zusammen, und deshalb gebe ich Ihnen Folgendes zu bedenken: Wenn wir jetzt in der Zeit der Bewegung abstimmen und für die wichtigsten Vorschläge nur eine kleine Majorität zusammenbringen, wenn wir glauben mit zehn Stimmen Mehrheit einen Reichsrath, mit einer Majorität von zwanzig Stimmen ein Wahlgesetz und mit einer Stimmenmehrheit von vielleicht fünfundzwanzig einen Kaiser machen und der Weltgeschichte eine neue große Wendung geben zu können, so irren wir uns; diese Meinung, diese Hoffnung ist auf Sand gebaut. Wenn wir uns nicht vereinigen und mit einer imposanten Mehrheit einen Beschluß zu Stande bringen, so wird dies Zwiespalt erzeugen: Jeder wird glauben, das Vaterland zu retten, aber Keiner wird es retten. (Stimmen auf der Rechten: Sehr gut! sehr wahr!) Ich möchte nochmals auf etwas zurückkommen, denn ich habe darüber Erfahrungen gemacht: ~experto crede Ruperto~! Zurückkommen also möchte ich auf das Wort des Herrn Vogt über die Abschickung historischer Gesandten. Es hat dieses Wort noch eine andere Bedeutung, als die oben erwähnte; es hat eine tiefsinnige, furchtbare Bedeutung. Es weissagt: Ihr werdet nicht blos im Jahre 1848, sondern auch in Zukunft +historische+ Gesandte abschicken. Was heißt das? Es heißt: diese Leute werden in zierlichem Style und auf dem feinsten Postpapiere berichten über die Art, wie andere Völker die Blätter der Weltgeschichte mit ihren Thaten erfüllen; von uns, von unseren Einwirkungen, Thaten und Entscheidungen, von unserem eigenen Volke wird aber nicht die Rede sein. Ich habe das bitter erfahren. Man hat mich mit der größten Höflichkeit und Achtung, ja mit ausgezeichnetem Vertrauen empfangen und behandelt, so weit es meine Person betraf. Aber konnte ich mich eitel hiemit trösten, wenn ich täglich sehen und hören mußte, wie man mein Vaterland, wie man die Reichsversammlung, die Centralgewalt betrachtete und gering achtete? (Stimmen: Hört! hört! -- Bewegung). -- Sie erlauben mir zum Schlusse nochmals einige Worte von Jefferson mitzutheilen. Er sagte zu einer Zeit, welche in gewissem Sinne der unseren ähnlich war: „Mögen Alle den heiligen Grundsatz im Herzen tragen, daß, weil der Wille der Mehrheit in allen Dingen entscheidet, dieser eben deshalb gerecht und vernünftig sein muß, und daß die Minderheit ihre gleichen Rechte besitzt, welche man durch gleiche Gesetze beschützen soll, und welche zu verletzen Unterdrückung sein würde. Laßt uns deshalb, ihr Mitbürger, uns vereinen zu einem Herzen und einem Sinne. Laßt uns im geselligen Umgange die Harmonie und Liebe herstellen, ohne welche die Freiheit, ja das Leben selbst nur traurige Dinge sind. Laßt uns bedenken, daß wir aus unserem Lande die religiöse Unduldsamkeit verbannt haben, durch welche die Menschen so lange litten und bluteten, daß wir aber nur wenig würden gewonnen haben, wenn wir eine politische Unduldsamkeit beförderten, welche ebenso gottlos und zu gleich bitteren und blutigen Verfolgungen fähig ist.“ (Im Centrum und auf der Rechten lebhafter Beifall.) Hundertvierzehnter Brief. Frankfurt a. M., den 18. Februar 1849. Hiebei erhaltet Ihr einige Exemplare meiner Rede über das Wahlgesetz zu beliebiger Vertheilung. Bei Beurtheilung dieser, mangelhaft und lückenhaft erscheinenden Rede, bitte ich zu beherzigen: 1) Daß mir erst eine halbe Stunde vor dem wirklichen Halten, unerwartet eine Redestelle abgetreten wurde. 2) Daß andere Redner bereits die Hauptpunkte umständlich und genügend beleuchtet hatten. Ich konnte also nicht dasselbe noch einmal sagen, sondern nur (von meinem Standpunkte aus) einige geschichtliche Bemerkungen beibringen. Ihr tadeltet mich wohl, ich sei „stumm wie ein Fisch“; jetzt werdet Ihr mir bald zurufen: „sprich nicht zu viel, sondern höre mehr.“ -- Ich habe nämlich nicht blos gestern Vormittag in der Paulskirche, sondern auch gestern Abend im Weidenbusche vor einer sehr zahlreichen Versammlung gesprochen, welche rathschlagte: wie man sich bei der neuen Stellung der Parteien und der zweiten Lesung des Verfassungsentwurfes benehmen, woran man festhalten müsse, und worin man nachgeben könne. In meiner Rede erinnerte ich an die frühere, übertrieben getadelte Mannigfaltigkeit Deutschlands, an die noch nicht ausgestorbene Vorliebe für dieselbe und wie schwer es mir geworden, immer mehr die nothwendige größere +Einheit+ anzuerkennen. Diese Einheit müsse, insbesondere dem +Auslande+ gegenüber gestärkt werden, wofür ich viele pariser Erfahrungen als Beweise anführte. In Paris hätten sich die Feinde Deutschlands über die §. 2 und 3 aus den und den Gründen sehr gefreut; wenn aber Österreich jetzt blos einige Änderungen des alten Bundestages bezwecke, so reiche dies nicht aus, und noch weniger sei Baiern zu seinen Widersprüchen hinreichend berechtigt u. s. w. u. s. w. Den 19. Februar. Gestern war ich auf einem großen Mittagsmahle beim Präsidenten Simson, zu welchem (sehr vernünftig) Abgeordnete aller Farben und Parteien eingeladen waren. Dies ist weit besser als das schroffe Absondern: man lernt sich kennen und verständigt sich besser im Gespräch, als durch lange Parteireden in der Paulskirche. Welch dürftiges Ende uns auch bevorstehe, die Gedanken von Grundrechten, einem Volkshause und der Einheit Deutschlands werden nicht wieder verschwinden, sondern durch Zank und Uneinigkeit hindurch immer wieder hervorbrechen. Ich mache Euch aufmerksam auf die vortreffliche Rede Bassermann’s (in No. 172 der Berichte) über das Wahlgesetz. Nach solchen Vorgängern hätte ich (selbst bei größerem Talent, als ich besitze) nur Ähren lesen können. Hundertfunfzehnter Brief. Frankfurt a. M., den 20. Februar 1849. Meine Weissagung ist eingetroffen: alle Vorschläge, das allgemeine Wahl- und Stimmrecht mehr oder weniger zu beschränken, sind durchgefallen; ja, man war nahe daran, es auch Bankerottirern und Bettelleuten zu verleihen! Den 21. Februar. In der Stunde, wo man gestern jede Beschränkung des Wahlrechts (selbst die Ansässigkeit und das Steuerzahlen) verwarf, erhob sich ein so furchtbarer Sturm mit solchen Regengüssen, wie ich es fast nie erlebt habe: -- möge dies kein Omen sein! Politische Sorgen hat jetzt fast jeder Mensch; gestern aber steigerten sich die meinigen darüber, was Pflicht und Gewissen gebiete? Man muß darüber ins Klare kommen, was man (bei täglich steigenden Gefahren, und so vielen wichtigen, neu eintretenden Thatsachen) thun, was man vertheidigen, aufgeben, wie man stimmen wolle. Die neue Gesellschaft des Weidenbusches (von der ich schon schrieb) will sich zu folgendem Programm bekennen: 1) Bildung eines Staaten- und Volkshauses; 2) Einheit der Reichsgewalt; 3) Annahme der Absätze 2 und 3 vom Reiche. Das Staatenhaus ist nothwendig um der Fürsten und Stämme willen; ohne ein Volkshaus bleiben die Deutschen wesentlich hinter der politischen Entwickelung anderer Völker zurück, und seit 1000 Jahren hatten sie +einen+ Kaiser; obgleich viele Leute jetzt schreien, als wäre dies eine funkelhagelneue Erfindung. Alles auf diese Punkte bezügliche +Einzelne+ bleibt (um nicht abzuschrecken, vor der Hand zur Seite gestellt. Kommt Zeit, kommt Rath. -- So weit konnte ich ohne Bedenken mitgehen; ernstere Zweifel hegte ich über die Absätze 2 und 3. Sie lauten: §. 2. „Kein Theil des deutschen Reiches darf mit nichtdeutschen Reichen zu einem Staate vereinigt sein -- §. 3. Hat ein deutsches Land mit einem nichtdeutschen Lande dasselbe Oberhaupt, so ist das Verhältniß zwischen beiden Ländern nach den Grundsätzen der reinen Personalunion zu ordnen.“ Ihr erinnert Euch, daß ich mich in Paris lebhaft wider diese Sätze erklärte, und darin einen Quell des Unglücks und der Zerwürfniß sah. Mir schien es zum mindesten unverständig, eine solche Herausforderung Österreichs an die Spitze zu stellen, und eine Hinausweisung anzudeuten. Seitdem habe ich hier im dritten Bande der stenographischen Berichte, alle Reden und Verhandlungen nachgelesen. Die für jene Sätze ausgesprochenen Gründe hoben keineswegs alle meine Zweifel, und die sehr große Mehrheit, welche sich dafür aussprach, war für mich auch noch nicht entscheidend. Wohl aber geben +neue Thatsachen den Dingen und den damit in unzertrennlicher Verbindung stehenden Beschlüssen eine andere Gestalt+. Zuerst nämlich erklärte Österreich: es wolle +nicht+ in den +Bundesstaat+ eintreten, sondern nur einen engeren Bund schließen; und diesen zu Stande zu bringen erhielt das Reichsministerium Auftrag von der Reichsversammlung. -- Nunmehr änderte aber Österreich seine Ansicht und erklärte: es wolle +keinen Bundesstaat+, +kein Oberhaupt+ (es sei denn ein Habsburger) und nur eine Art von Herstellung des alten Staatenbundes mit oligarchischem Vorherrschen der vier Könige. So viel in und zwischen den Zeilen. Reichstag und Reichsgewalt ist für Österreich gar nicht da, oder nur eine berathende Behörde, deren sämmtliche Beschlüsse zu verwerfen ihm frei stehe. Diesem Beispiele folgen die kleinen Königreiche gar gern; was uns zurückwirft, bis diesseits alles Anfanges. Will Österreich +staatsrechtlich+ aus +allen+ seinen Ländern +ein+ Reich bilden (anders denn zuvor), so bleiben seine Deutschen immer in der Minderzahl und können allerdings in diesem Sinne nicht +zweien+ Staaten angehören. Ist dies nicht der Fall, so hat Österreich schwerlich die Macht, aber gewiß nicht das Recht, von vorn herein eine neue und engere Einigung Deutschlands zu verwerfen, und ein Band vorzuziehen, das nicht bindet, sondern nur nach seinem Belieben gängelt. Waren also die Absätze 2 und 3 anfangs eine Art von Herausforderung, so sind sie jetzt vielmehr eine Art Abwehr, oder ein nothwendig gewordenes Mittel, die Dinge aus dem Schwebeln, Nebeln und Träumen heraus ins Klare zu bringen. Man kann, wie die Dinge jetzt stehen, die Zukunft Deutschlands nicht aufgeben, um der Zukunft Österreichs willen; das ganz deutsche Preußen nicht um alter Traditionen willen, zurückstellen gegen den bunt gemischten österreichischen Staat. Wenn sich Preußen (zufolge seiner neuesten Noten) nicht nochmals von wiedergebornen Metternichs will in das Schlepptau nehmen lassen, wenn es nicht (blos rückwärts sehend) zur Salzsäule werden will, so hat es ganz Recht. Es muß (wie im Zollvereine) im Wege freien Vereines vorwärts gehen. Schon stehen alle kleineren deutschen Staaten auf seiner Seite; verliert man den Muth nicht, vergißt man der Mäßigung nicht, stellt man die Bedingungen nicht zu hart, die Formen nicht zu verletzend, so dürften die Widersprechenden allmälig nachgiebiger werden. Haben wir nur erst einen Kern, so wird bald mehr daran anschließen. Thut der preußische Landtag in der nächsten Zeit seine Schuldigkeit, geht er mit Frankfurt Hand in Hand, so blühet Hoffnung und nahet Erfüllung. -- Wo nicht, so gehen wir verspottet von hier nach Hause, und eine bittere Reue und Strafe wird die Weigernden, Störenden, Zweideutigen treffen! -- -- Ich las Allerlei in Johnson’s Leben englischer +Dichter+. Man erwartet ein glänzendes, poetisches, glückseliges Leben! -- findet aber meist Unzufriedenheit, Neid, Armuth, Unordnung, Speichelleckerei, Grobheit u. s. w. u. s. w.!! -- schlechter, als die gewöhnlichste Prosa des täglichen Lebens. Doch giebt es Ausnahmen; oder man könnte auch sagen: unter allen Poeten zur Zeit der Königin Anna, gebe es keinen einzigen Dichter! Nachmittags. Die bekannte preußische Note hat großen Beifall gefunden; jedoch nur als ein +erstes+ Wort, dem mehre folgen müßten. Indeß hatte sie sogleich die günstige Wirkung, viele kleinere Fürsten zu überzeugen, daß ihr Dasein nur dadurch könne gerettet werden, wenn sie durch eine starke Reichsgewalt gegen das Ausland und die Demokraten geschützt würden. Minder willig sind die deutschen Könige, welche mit einer Souverainetät Götzendienst treiben, die sie zu Knechten machte, und welche das deutsche Reich niemals kannte oder anerkannte. Österreich kann und will sich nicht einer Reichsgewalt unterwerfen, wie man sie hier festsetzte, und Preußen muß dasselbe thun, im Fall man sie an Österreich überträgt. Mithin fragt sich: will man die Verfassung so herstellen, wie es Österreich verlangt; oder will man mit Österreich besondere Verträge abschließen? Diese gutentheils neuen Fragen und Zweifel führen zu einer Umstellung, Trennung oder Vereinigung der hiesigen Parteien. Vor ein Paar Tagen traten in der sogenannten Mainlust die +Gegner+ des bezweckten Bundesstaates zusammen, meist Österreicher und Baiern. Sie waren so ziemlich darüber einig, was sie +nicht+ wollten, konnten sich aber über keine positiven Gegenvorschläge einigen. Dies veranlaßte eine zweite Versammlung, welche im Weidenbusch zusammentrat und größtentheils aus Preußen bestand. Ich habe mich, da eine unbestimmte Neutralität jetzt nicht ausreicht, ihr angeschlossen und Gelegenheit genommen, meine Überzeugung auszusprechen. Man kam zu folgenden vorläufigen Beschlüssen: 1) An der Bildung eines Volkshauses und Staatenhauses festzuhalten. Beide werden die Mehrzahl der Stimmen für sich vereinigen. 2) Auf den Reichsrath kein Gewicht zu legen. Ich halte ihn nicht blos für unbrauchbar, sondern auch für schädlich. 3) Auf keine Trias, kein Direktorium u. dergl. einzugehen, sondern an der +Einheit+ der Reichsgewalt festzuhalten. 4) Wider jeden Plan zu stimmen, der blos auf eine Modifikation des alten Bundes- und Fürstentages hinausläuft. 5) Um des +Titels+ des Reichsoberhauptes willen das Gelingen der +Sache+ keiner Gefahr bloßzustellen. 6) Die Erblichkeit des Reichsoberhauptes als die beste Form, so lange als möglich, zu vertheidigen. 7) Das Kriegs-, Zoll- und Gesandtschaftswesen vorzugsweise in die Hände der Reichsgewalt niederzulegen. Bei der ungefähr gleichen Stärke der Parteien, liegt die Entscheidung in der Macht der Linken; auch sagt diese sehr offenherzig: sie werde diese Verhältnisse für sich ausbeuten und sich derjenigen Partei anschließen, welche ihr die meisten Concessionen mache. Das größte Gewicht hat jedoch Preußen, sobald der neue Reichstag seine heiligen Pflichten erfüllt. Tollkühnheit ist eben immer toll; wer aber nicht wagt, gewinnt nicht, und günstige Gelegenheiten kehren selten wieder, wenn sie versäumt werden. Viele wünschen und weissagen: der frankfurter Reichstag werde mit +nichts+ abschließen, und hierin liege die erfreuliche Rückkehr zum Alten und Bewährten. Ich halte diese Ansicht für grundfalsch. Nach kurzer, täuschender Ruhe und Freude würde bald eine Revolution hervorbrechen, schrecklicher noch als die des Jahres 1848. Hundertsechzehnter Brief. Frankfurt a. M., den 22. Februar 1849. Unsere Aussichten werden täglich trüber! Die Preußen gehen zum Theil fort, die Österreicher (deren eine große Zahl fehlte) wählen erst jetzt und eilen nach Frankfurt, die Erklärungen der Könige weisen Dinge bestimmt zurück, die ihnen unbequem erscheinen, bleiben aber nächstdem bei leeren, nichtssagenden, altdiplomatischen Redensarten stehen (z. B. sie wünschten Deutschlands Wohl und Einigkeit) und geben zu der gerechten Vermuthung Anlaß, im Hintergrunde stehe der Zweck, einen engeren Bundestag zu bilden, wo die Könige und ihre Abgeordneten vorherrschen, die kleineren Fürsten wenig sind, und das Volkshaus nicht zum Dasein kommt. Seit Monaten liegen die wichtigen Beschlüsse der Reichsversammlung vor Augen: war es nicht das Recht und die Pflicht der Fürsten und Regierungen sich darüber (+vor+ der zweiten Lesung) in wohlbegründetem Tadel und in tröstender Beistimmung auszusprechen? Gerathen jene nicht in das ausgefahrne Gleise früherer Jahre, in die Vornehmthuerei und Geheimnißkrämerei, in die jämmerlichen Kunststücke einer abgestorbenen Diplomatik? -- Wie können wir bei der zweiten Lesung Einwendungen berücksichtigen, die man über die eigentlichen Hauptpunkte fast nirgends ausspricht? Wie darf man freundliche Nachgiebigkeit von der Reichsversammlung verlangen, wenn man die natürliche Besorgniß erregt: man wünsche (nach der zweiten Lesung) ihre Auflösung, um dann zu thun, was Jedem behagt! Erst hatten die Regierungen (aus Angst vor Aufständen) nicht den Muth, +übertriebene+ Ansprüche der hiesigen Versammlung zurückzuweisen; jetzt (das zeigt sich täglich mehr) möchten jene ihr alle Rechte absprechen und sie als ein revolutionaires Ungeheuer betrachten und behandeln. Große, tief eingreifende Bewegungen, endigen aber niemals mit +nichts+, und fast alle Glieder der hiesigen Versammlung werden sich links wenden, wenn die Fürsten nichts gelernt haben und nichts bieten, als einen ausgeflickten, geschminkten Bundestag. In all den Noten der Kleinkönige spricht sich nichts aus, als der Götzendienst mit ihrer eigenen Majestät und die Furcht vor einem Kaiserthume, das Jeder gern annähme, aber Keiner dem Anderen gönnt. -- Für den Fall aber, daß man das Kaiserthum bei Seite stellte und auf ihre Besorgnisse Rücksicht nähme, bieten sie denn einen Ersatz? Sie bieten +nichts+; sie schweigen, und hoffen nach unserem Verstummen allein das große Wort zu führen. Gehen wir aber wirklich so jämmerlich zu Ende, wie 1448 die baseler Kirchenversammlung; so werden nicht 69 Jahre vergehen, ehe ein zermalmender Luther aufsteht, und ihm folgend das ganze Volk! Den 23. Februar. Gestern ward ich dafür gestraft, daß ich vorstehend auf die Könige und Regierungen gescholten; ich mußte nämlich in der Paulskirche zwei Reden anhören, welche Proudhon’s und Raspail’s Beifall würden erhalten haben. Diesmal war indeß die Versammlung nicht milder gegen Meuterer und Spitzbuben, als gegen Beamte und Minister, und ließ sich nicht aufreden: kein politisches Verbrechen dürfe den Verlust des Wahlrechtes nach sich ziehen. Gottlob, daß die aufsteigenden Gefahren den Muth der Abgeordneten (so scheint es) nicht schwächen, sondern stärken; daß sie dessen eingedenk bleiben, was sie sich, ihren Machtgebern, ihrem Vaterlande, ja, der Welt und Weltgeschichte schuldig sind. Schon haben über 200 Mitglieder die Euch mitgetheilten Beschlüsse für den Bundesstaat unterschrieben, und die sich eigenwillig Zerstreuenden sehen immer mehr ein, es sei nothwendig, sich über Hauptsachen zu vereinigen und zusammenzuhalten. Den 24. Februar. Heute feiern die deutschen und Reichsdemokraten in Mainz den Geburtstag der französischen, und reden und trinken auf das Gedeihen der künftigen deutschen Republik. Daß die erste mißglückt ist, können sie nicht mehr läugnen, und ebensowenig, daß sie gehaßt wird. Aus so gewaltigen, furchtbaren, mißlungenen Versuchen ist die rasche Rückkehr zu irgend einer dauernden, gemäßigten Herrschaft aber unendlich schwer; und wo ein anerkannter Schwerpunkt fehlt, um welchen man sich bewegt, kann eben diese Bewegung keine geregelte und beglückende sein. Deshalb werden die Franzosen ihren eigenen Mitbürgern noch oft zurufen: ~vae victis~, weh den Besiegten! und muthige Generale (wie Cavaignac, Changarnier und Bedeau) werden mit dem Schwerte den Takt dazu schlagen. Lügen die Zeitungen nicht (wie ich diesmal hoffe), welch eine neue Probe alter, schmachvoller Diplomatik gäben alsdann die baierschen Minister und Gesandten! Bevor sie einer, von ihnen selbst anerkannten, deutschen Reichsversammlung nur ein freundliches Wort der Verständigung gönnen, klagen sie dieselbe vor fremden Regierungen an, ja, fordern diese (weil es den Ehrgeizigen und Eigennützigen in ihren Bettelkram einer angeblichen Großmacht dient) deutlich genug auf, sich in deutsche Angelegenheiten zu mischen! Und der Königseid wird in einer Weise gedeutet, daß er jede großartige Verbesserung deutscher Zustände unmöglich machen würde! In ähnlicher Richtung bewegte sich -- schon früher und hielt mich für so dumm, daß ich nichts davon merke; weil ich unsere schwarze Wäsche nicht (wie Napoleon sagte) vor französischen Urtheilern waschen und Waschweibergezänk dazu führen mochte. Hundertsiebzehnter Brief. Frankfurt a. M., den 25. Februar 1849. Morgen (wird angekündigt) sollen uns die gemeinschaftlichen Erklärungen der deutschen Staaten (nur mit Ausnahme von Hannover und Österreich) über den Verfassungsentwurf mitgetheilt werden. Gebe Gott, daß sie genügen, um zum Ziele zu kommen! Gestern Abend war eine neue Versammlung im Weidenbusche; sie bildet, wenn keine Mehrzahl, doch eine sehr starke Minderzahl, und ist in sich einiger, als die Gegner, zu denen leider Absolutisten, Republikaner, Österreicher, Baiern, Ultramontanen u. s. w. mit ganz verschiedenen Ansichten und Absichten gehören. -- wünscht ein +gutes+ Wahlgesetz; worunter er gewiß ein so viel als möglich +aristokratisches+ versteht. Dadurch aber, daß die preußische Regierung (und einige andere) das allgemeine Stimmrecht bewilligten und im vorigen, wie in diesem Jahre, danach wählen ließen, hat sie es unmöglich gemacht, hier einen entgegengesetzten Grundsatz durchzubringen. Jetzt meinen Viele, das Verlorene wieder zu gewinnen, wenn sie gegen den Gesetzentwurf stimmen, welcher +direkte+ Wahlen beantragt. Viele sind +nicht+ dieser Meinung. Der einfache, ungebildete Menschenverstand der Urwähler ist ihnen lieber, als die falsche Bildung der so oft verschrobenen Wahlmänner; das Verhältniß der Wähler und Erwählten bleibt bei direkten Wahlen (wie es sich gebührt) ein unmittelbares, wo Zurechnung und Abänderung nicht künstlich beseitigt wird. In allen Ländern, wo man es mit derlei Abstufungen versucht hat, ist man davon zurückgekommen u. s. w. Mag ferner die geheime Abstimmung einzelne Vortheile, die offene einzelne Nachtheile haben, so ist Muth und Freiheit bei offener Abstimmung doch im Ganzen besser gewahrt und für Wahrheit und Charakter besser gesorgt, als wenn man ein Mittel vorschreibt, wobei die Feigen und die Lügner ihren Vortheil finden. Ein Hr. H. (der sich einen Dichter nennt und auf seine Schönheit viel einbilden soll) hielt letzthin eine Lobrede auf die Weisheit und Begeisterung der Jugend bei politischen Rechten. Später, sagte er, heirathen die Leute, und sind dann +abhängig+ und unglücklich: -- dies erregte große Heiterkeit. In Johnson’s Leben englischer Dichter finde ich folgende Stelle: ~Akenside certainly retained an unnecessary and outrageous zeal for what he called and thought liberty: a zeal which sometimes disguises from the world, and not rarely from the mind which it possesses, an envious desire of plundering or degrading greatness; and of which the immediate tendency is innovation and anarchy, an impetuous eagerness to subvert and confound, with very little care what shall be established.~ Den 27. Februar. Seit einigen Tagen ist das Wetter abscheulich und der Gang der Berathungen und Beschlüsse gleich melancholisch und niederdrückend. So war ich gestern von ¾9-¼5 in der Paulskirche und von 7-9 im Casino. Es entspann sich über die Mittheilungen der Regierungen an die Reichsgewalt eine Berathung, welche durch ganz unnütze namentliche Abstimmungen ermüdete, und in den Ergebnissen völlig nichtig war. Zudem fielen die Vorschläge, welche die sogenannten Gutgesinnten machten, zu Boden: erstens durch innere Mangelhaftigkeit, zweitens durch falsche Taktik; drittens durch Coalitionen der äußersten Rechten, der Linken, der Österreicher, Ultramontanen und Baiern. Gang und Ausgang versetzte Mehre in solche Verzweiflung, daß sie gestern Abend im Casino den Vorschlag machten, uns von unseren Gegnern und der Paulskirche +ganz+ zu trennen, eine +besondere+ Versammlung +in+ oder +außerhalb+ Frankfurt zu bilden u. s. w. u. s. w. Ich erklärte mich aufs Lebhafteste gegen diesen, im +jetzigen+ Augenblicke wahnsinnigen Vorschlag, und ganz in gleichem Sinne sprachen sehr gut die Herren Schubert, Waitz und Beckerath. Wir, angeblich Conservativen (sagte ich unter Anderem), sollen eine Maßregel ergreifen, die höchstens begreiflich wäre, wenn sie von der äußersten Linken ausginge; wir sollen im Widerspruche mit Recht, Gesetz, Mandat, Wählern, Regierungen, Absicht und Zweck, den revolutionairen Boden betreten, unsere Freunde auseinandersprengen, eine unausweichliche Niederlage für die von uns vertretene Partei herbeiziehen, und die Achtung der Mitwelt und Nachwelt verlieren. Und weshalb, wozu? Weil wir in einem sehr übereilt unternommenen Gefechte einmal besiegt wurden? Niemand kennt die Zukunft; aber jetzt ist es unsere Pflicht, auf unserem Posten auszuharren, nicht zu verzweifeln, sondern im Wege der Pflicht, der Ehre, des Rechtes weiter zu kämpfen, bis wir siegen, oder, selbst in der Niederlage, gerechten Ruhm erwerben! u. s. w. u. s. w. Zur Erläuterung obiger Parteistellung noch Folgendes: die äußerste Rechte will sich mit +allen+ Regierungen verständigen über die deutsche Verfassung, und ihnen so viel Entscheidungsgewalt zugestehen, als der Reichsversammlung. Die Centren halten es für unmöglich, +alle+ Regierungen für +eine+ Ansicht zu vereinigen, und fordern die +letzte+ Entscheidung für die Reichsversammlung. Die Österreicher hätscheln die Linke, um sie gegen Preußen zu benutzen, und die Baiern, um statt der Einheit eine Trias u. s. w. durchzusetzen. Die Linke bietet hier scheinbar die Hand, um die Mehrheit für ein unbedingt demokratisches Wahlgesetz zu erhalten. So die gegenseitigen Wünsche, Forderungen und Concessionen, und die anbrüchigen Grundlagen einstweiliger Bündnisse. In der anderen Woche kommen wir zur zweiten Lesung des Verfassungsentwurfes, und man erwartet die Erklärung der österreichischen Regierung über einen anderen Entwurf, welchen österreichisch Gesinnte hier entworfen haben und nach Olmütz überbringen. Ich zweifle, daß er die Beistimmung der österreichischen Regierung erhalten, und noch weit mehr, daß er in der Paulskirche durchgehen wird. Später mehr davon, sofern das Kind nicht in der Geburt stirbt. Den 28. Februar. Gestern war endlich schönes Wetter, daß man spazieren gehen, des Frühlings gedenken und sich erheitern konnte. Auch in der Paulskirche hörte ich einige treffliche Reden, so von Beseler und Riesser. Eine, welche ich hielt, kann ich nicht so gut bezeichnen; sie hat nur den Vorzug, daß ich des Spruches eingedenk war: „sperrs Maul auf, hör’ bald auf.“ -- Man wünschte im Casino, ich möge sprechen, und so habe ich dem freundlichen Wunsche nachgegeben. Man duldet meine Worte, weil ich nicht grob bin; doch nahm ich die Gelegenheit wahr, mich wenigstens gegen einen Vorwurf (des Breittretens bekannter Thatsachen) zu vertheidigen. Die Furcht, oder Hoffnung, daß sich die Massen vorzugsweise durch allgemeine Grundsätze und theoretische Principien leiten und beherrschen ließen, erscheint mir einseitig und übertrieben. Wenn Demagogen jetzt großen Eindruck machen, so beruht er weit weniger auf ihren Verfassungstheorien, als auf dem Andenken an frühere Mängel, und der Leichtgläubigkeit mit welcher man ihren Versprechungen traut. Gehen diese (es ist unmöglich) nicht in Erfüllung, so wird der übereilte Beifall sich in bittere Vorwürfe umsetzen. In der Regel bewundern und vertrauen die Massen bestimmten Personen. Ein großer Mann (Friedrich II, Napoleon, Blücher u. s. w.) setzt sie mehr in Bewegung, als alle abstrakten Lehrsätze. Ja, sie respektiren mehr die Tyrannei eines kräftigen Einzelnen, als das Gerede vieler kleinen Leute wider dieselbe. In letzter Stelle sind aber allerdings Grundsätze und Personen gleich wichtig und unentbehrlich. Raumer’s Rede vom 27. Februar 1849. Keine politische Frage ist wohl öfter, umständlicher und erschöpfender behandelt worden, als im englischen Parlamente die Frage über das öffentliche und geheime Abstimmen. Es würde sehr leicht sein, eine kurze Übersicht der Gründe und Gegengründe zu geben, wenn ich nicht an die Erinnerung dächte, daß diese Stelle nicht geeignet sei, Vorlesungen zu halten und Das zu wiederholen, was in allen Compendien stehe. Ich freue mich, meine Herren, wenn Jeder weiß, was in geschichtlichen Compendien steht; allein ich habe von der Rednerbühne herab Thatsachen und Aussprüche berühmter Männer anführen gehört, die ich bis jetzt in keinem Geschichtsbuche gefunden. Ich habe vermuthen müssen, sie wären durch die Kraft der Begeisterung und Phantasie aus den Wolken geholt, um hier eine schöne Wirkung hervorzubringen. Es sind äußerst wohlwollende und treffliche Männer im englischen Parlamente aufgetreten für die geheime Abstimmung; sie haben die Schattenseiten der öffentlichen Abstimmung lebhaft und tüchtig hervorgehoben; allein in einer langen Reihe von Parlamenten hat sich die Mehrheit der Stimmen immerdar für die öffentliche Abstimmung ausgesprochen. (Zuruf von der Linken: Aristokratie!) Keineswegs sind blos unfreisinnige Männer in ihrer Meinung für öffentliche Abstimmung festgeblieben, sondern Männer, welche an der Spitze standen, um die große Parlamentsreform durchzubringen, haben sich beharrlich dafür erklärt. Erlauben Sie, daß ich nun auch ein Beispiel anführe von der Ansicht niedrig gestellter Personen. Als ich mich einst in London aufhielt, und diese Frage an der Tagesordnung war, sagte ich einem Schneider: „Sind Sie nicht für geheime Abstimmung? Denn im Falle Sie nicht stimmen, wie Ihre Kunden verlangen, werden Sie sich der Gefahr aussetzen, diese Kunden zu verlieren, und Ihre Familie ins Elend zu stürzen.“ -- „Herr,“ sagte mir der Schneider, „wenn Sie nicht bei mir arbeiten lassen wollen und ich verliere Sie, so bekomme ich, als muthiger, ehrlicher Mann, für Sie zehn andere Kunden.“ Der Kern der Frage ist der: daß man die +Freiheit+ schützen will durch die +geheime+ Abstimmung. Ohne Zweifel ist dieses ein wohlgemeinter Zweck; ich kann mich aber nicht überzeugen, daß man diesen Zweck durch jenes Mittel erreicht. Denn sobald wir an die Stelle des „+Vorsagens+“ das „+Schreiben+“ setzen, so bleibt die Abhängigkeit dieselbe. Man sagt z. B., der katholische Geistliche wird seinen Pfarrkindern +sagen+, wie sie stimmen sollen. Ich weiß nicht, inwiefern dieses geschieht, und inwiefern es nützlich ist; denn bisweilen mag der Geistliche mehr von der Sache verstehen, als der Fragende. Jedenfalls kann der Geistliche besser schreiben, als viele Gemeindeglieder, und so kommt das Stimmzettelschreiben sehr leicht in seine Hände. Weil überhaupt in einigen Gegenden Deutschlands viele Leute gar nicht schreiben können, haben sie sich von den Wahlen ausgeschlossen, indem sie ihre Unwissenheit nicht gestehen wollten. Meine Herren! Wenn hier unter uns Keiner einen Zweifel hegt, daß bei namentlichen Abstimmungen Jeder sich so ausspricht, wie seine Überzeugung es gebietet, so sollen wir dieses von Anderen ebenso voraussetzen. Überhaupt sind jene Gefahren der Öffentlichkeit keineswegs so übergroß; vielmehr wird die Abhängigkeit gefährlicher, sobald man sich insgeheim bestechen lassen kann, und zu bestechen geneigt ist. Will man jedoch ferner wissen, wie Jemand gestimmt hat, so ist dieses keineswegs sehr schwer herauszubringen; denn daß ganz entgegengesetzte Parteien gleichartig stimmen, ist nicht die Regel, sondern nur die, bisweilen unbegreifliche, Ausnahme. Sie haben gesprochen und Beschlüsse gefaßt für öffentliches Gerichtsverfahren, für Preßfreiheit u. s. w.; Sie sind der Meinung gewesen, erwachsene Männer seien fähig und würdig zu wählen; auch habe ich mich früher selbst von dieser Stelle dagegen ausgesprochen, große Klassen von Menschen auszuschließen vom Wahlrechte. Bleiben wir nun aber auch jetzt auf demselben Boden und in derselben Richtung. Wir haben Zutrauen zum Volke gehabt, und nicht knechtische Abhängigkeit, nicht Schwäche des Geistes und Charakters vorausgesetzt, die man verdecken, der man zu Hülfe kommen müsse. Meine Herren! Wir sind hier, um das Volk zu erheben, und es wird sich erheben, wenn wir seiner Erziehung nicht selbst in den Weg treten. Die Gefahr, welche Herrschaften, Fabrikherren u. s. w. ausüben wollen, wird sich alsdann brechen an der Kraft der öffentlichen Meinung, oder berichtigen durch dieselbe. -- Meine Herren! Wenn eine öffentliche Abstimmung nothwendig ist bei einer direkten Wahl, so ist sie noch nothwendiger bei indirekten Wahlen. Denn der Urwähler, welcher eine Stimme einem Wahlmanne giebt, will erfahren, wie dieser gestimmt hat; der Wahlmann muß öffentlich stimmen, sonst ist aller Zusammenhang zwischen Urwähler und Wahlmann abgeschnitten. (Zuruf aus dem Centrum: Hört! Hört!) Ich halte weder das System der unmittelbaren, noch der mittelbaren Wahlen für vollkommen; aber Besorgnisse daß die, durch das Wahlgesetz gereinigten und organisirten, Massen falsch wählen werden, halte ich für die geringeren. Es geht die Gefahr weit mehr von Denen aus, die nicht blos, wie das Volk, einen gesunden Verstand besitzen, sondern in einer halben, falschen Bildung befangen sind. Ich fürchte mich mehr vor den Irrthümern, Nebenrücksichten und Einseitigkeiten der Wahlmänner, als vor denen der Massen. Meine Herren! Es ist hier von dieser Stelle vor einigen Tagen von einem verehrten Abgeordneten ein Wort angeführt worden, welches man mit Beifall aufnahm. „Geben Sie“, hatte ich gesagt, „kein Gesetz, das Pöbel schafft, und Sie werden keinen Pöbel haben.“ Meine Herren! Ich erlaube mir, mit einer geringen Veränderung dieses meines Wortes zu schließen: „Geben Sie keine Gesetze für die Schwachen, Feigen, Charakterlosen, und Sie werden diese Mängel und Übel ausrotten.“ (Bravo im Centrum.) Hundertachtzehnter Brief. Frankfurt a. M., den 4. März 1849. Ich habe L--’s Reise nach Rußland gelesen. Es ist merkwürdig, wie dem Hochtory das glänzende unbeschränkte Kaiserreich erscheint. Übrigens erinnerte mich das Buch an eine Gesellschaft, welche der Minister der auswärtigen Angelegenheiten in Dresden damals zu Ehren L-- gab. Alle Gesandten und vornehmen Leute waren eingeladen, und ich unbedeutende Person auch meines Englischsprechens halber. Sobald ich dem vornehmen Gaste vorgestellt war, nahm er mich in eine Ecke, stellte einen Stuhl vor mich hin und einen seiner Füße darauf. Dann sprach er lobend von Rußland, und ungeachtet seiner entgegengesetzten Ansichten, theilnehmend über mein England im Jahre 1835. Er freute sich herzlich, daß ich sein Vaterland nicht in so traurigem und finsterem Lichte sah, als er; vertiefte sich aber dergestalt bei diesem, ihm interessanten Gespräche, daß er (hiedurch großen Anstoß gebend) die ganze übrige Gesellschaft vernachlässigte, bis Lady L-- eine Gelegenheit suchte und fand, ihn in die große gesellige Bahn hineinzuschieben. Nachmittags. Heute ist in der Paulskirche (durch die oft erwähnte leidige Verbindung der Linken mit den Österreichern und Ultramontanen) 1) die +geheime+ Abstimmung bei den Wahlen mit einer Mehrheit von nur neun Stimmen, 2) die +direkte+ Wahl mit einer Mehrheit von 62 Stimmen, und 3) endlich die Nothwendigkeit einer +absoluten+ Stimmenmehrheit bei den Wahlen ebenfalls angenommen worden. Raumer’s Rede vom 2. März 1849. Meine Herren! Es sind über die Diäten zwei äußerste Ansichten ausgesprochen worden: einmal, sie zu erhöhen, und zweitens gar keine Diäten zu zahlen. Ich glaube, diese beiden Auswege sind irrig. Wenn man nämlich gar keine Diäten zahlt, so begründet man ein falsches Monopol des Reichthums (wogegen hier schon oft geeifert worden ist); und wenn man sie erhöht, so veranlaßt man unangenehme Berechnungen, ob nicht Jemand bedeutenden Vortheil dabei habe. Jedenfalls wird man mehr Zufriedenheit erwecken und davontragen, wenn man sich das Zeugniß geben kann, daß man nicht zu viel erhält. Meine Absicht geht nicht dahin, mich hierüber umständlicher zu verbreiten, weil, wie es scheint, in der Mehrheit kein großer Gegensatz der Ansichten hervortritt, der so oder anders zu bekämpfen wäre. Es ist jedoch ein anderer Antrag gestellt worden, in welchem es heißt: daß eine zahlreiche Klasse von Personen, nämlich die Beamten, ihren Sold +unverdient+ bezögen und daß sie +unnütze Knechte+ wären. Meine Herren! Es giebt gewisse stereotype Ausdrücke und Gegenstände, bei denen es sehr leicht ist, rhetorische Deklamationen anzubringen. Zu diesen Gegenständen gehört die Bureaukratie. Wäre es denn aber so schwer, entgegengesetzte Einrichtungen aufzufinden und dann Paroli zu bieten? Zeigt denn nicht die Geschichte, daß Parlamente, Kammern, gesetzgebende Versammlungen, Konvente und wie sie heißen mögen, ebenfalls in Verkehrtheiten gerathen sind, daß sie Schädliches vertheidigt und erzeugt haben? Will man sich einbilden, durch diese Einzelheiten, durch dieses Sammeln blos des Verkehrten nach der einen oder anderen Seite hin, komme man zur Wahrheit? Ich finde es natürlich, daß Männer, die durch den Mißbrauch der Beamtenmacht gelitten haben, darauf zornig sind. Ich bin selbst auch nicht ganz frei geblieben in meiner Lebensbahn von dergleichen Angriffen; aber ich glaube, je mehr Jemand gelitten hat, desto größer ist seine Verpflichtung mit unparteilichen Augen die Sache zu betrachten und nicht zu meinen, die Ausnahme sei die Regel. -- Wir bestreben uns so sehr, eine neue Verfassung, ein neues Staatsrecht zu bilden. Ich bin überzeugt, daß diese neuen Einrichtungen auch dazu dienen werden, die Beamtenwelt zu verbessern. Daher halte ich es für einen Irrthum, blos mit Rücksicht auf +vergangene+ Zustände in der Beamtenwelt, Gesetze für die +Zukunft+ zu geben und z. B. die Öffentlichkeit bei den Wahlen darum zu verwerfen, weil man glaubt, daß man auch künftig, nach Begründung freier Institutionen, sich vor einem Protokollführer zu fürchten habe! Meine Herren, ich bin 48 Jahre im Dienste. Manche von den Herren, die hier sitzen, waren noch nicht geboren, als ich in den Dienst trat. Daher ist es keine Anmaßung, wenn ich behaupte, die Licht- und Schattenseite unserer, namentlich der preußischen, Bureaukratie zu kennen. Vieles, was in dieser Beziehung gesagt worden ist, halte ich nicht für richtig. So hat im Ganzen der Wunsch nach Geld die einzelnen Personen nicht getrieben, in die Laufbahn des Staatsdienstes zu treten. Es sind allerdings, das ist nicht zu läugnen, einzelne hochgestellte Beamte zu gut bezahlt worden; allein man hat bereits angefangen, diesen Mißbrauch abzustellen, und Sie werden mir für die letzten funfzig Jahre nicht funfzig Beamte nennen können, welche in ihrem Dienste Geld erworben und Schätze gesammelt hätten. In der Regel ist nichts übrig geblieben, wenn der Betreffende nicht selbst Privatvermögen hatte. (Mehre Stimmen im Centrum: Ganz richtig!) Es giebt kaum ein Gewerbe, das für einen geschickten und thätigen Mann nicht einen größeren Erwerb in Aussicht stellt, als der Beruf des Beamten. Was blieb also dem Beamten, was befeuerte ihn? Nichts als die +Ehre+, und darum sind auch, Alles zu Allem gerechnet, die deutschen Beamten ehrenwerther, als die vieler anderen europäischen Staaten. (Eine Stimme auf der Linken: der Russen!) Aber kein zweckmäßigeres Mittel giebt es, die Beamten zu +verschlechtern+, als immer auf sie zu schmähen; ja, mancher glaubt darin vielleicht eine Entschuldigung seines tadelnswerthen Benehmens zu finden. Wenn ein einzelner Minister durch Häufung von Stellen zu viel Gehalt mag bezogen haben, so wird doch darum Niemand wollen, daß etwa alle übrigen Beamten so wenig erhalten sollen, daß sie unverehelicht bleiben müssen. Bedenken Sie, daß z. B. ein künftiger Rath viele Jahre auf dem Gymnasium und der Universität verweilen, daß er in der Regel sieben Jahre lang umsonst dienen muß, ehe er nur einen Groschen Gehalt bekommt, und also schon die Zinsen des Anlagekapitals hoch ansteigen. Was ist das letzte Ergebniß all der Sorgen und Entbehrungen? daß er vielleicht zuletzt jährlich 6-900 Thaler bekommt. Ich muß indessen noch etwas Kühneres behaupten! Die Behörden, die Beamten haben zu den Zeiten, wo es noch an aller Verfassung fehlte, die constitutionellen Formen gewissermaßen ersetzt. Meine Herren, wollen Sie es vergessen, oder haben Sie es vergessen, wie viel Gutes von Seiten der Beamten ausgegangen ist? Die Aufhebung der Leibeigenschaft, der Hörigkeit, Einführung der Städteordnung, Aufhebung des Vorspannes, der Kavallerieverpflegung, der Thoraccise, der Binnenzölle, der monopolistischen Zünfte, die Einführung des Zollvereines, der allgemeinen Kriegsverpflichtung u. s. w. u. s. w. Also Jedem das Seine, und wenn wir jetzt wirklich mehr zu Stande bringen sollten; -- nun desto besser! -- In welcher neuesten Weise hat man denn aber das Beamtenwesen verbessern wollen? Man hat Vorschläge gemacht, die an die ausgeartete Zeit des römischen Kaiserreiches erinnern, an die französische Kaisertyrannei, ja, an das türkische Sultanat! Präfekten und Paschas wollte man einführen, welche von Oben tyrannisirt werden und daher die Befugniß erhalten, nach Unten zu tyrannisiren. Diese Formen vertilgen das republikanische, demokratische Element, das nutzbar in unseren Behörden vorhanden war, und setzen an dessen Stelle die Allmacht einzelner Minister. Folgerecht durchgeführt verjagt alsdann ein Herrscher mit Recht die Parlamente, das Parlament die Minister, der Minister die Präfekten, diese die Stadtverordneten u. s. w. u. s. w. Darum lassen Sie uns die Lichtseiten der deutschen Verwaltungsweise anerkennen und die Mängel verbessern. Warum ist in dem Verbesserungsantrage des Hrn. Schlöffel nicht die Sache deutlich ausgesprochen, warum geht man, -- erlauben Sie mir ein gemeines Sprichwort anzuführen, -- warum geht man um den heißen Brei herum? Der Antrag schließt in Wahrheit alle Beamten von Reichsversammlungen aus. Wenn ich überzeugt wäre von der Güte des Zweckes, so würde ich mich bestimmt dafür aussprechen, ihn aber nicht, wie man sagt, durch eine Hinterthür einführen. Man hat sich gegen jeden Census ausgesprochen, man hat für Unrecht gehalten, nur zu fragen, ob Einer 100 Thaler Vermögen habe; und jetzt will man alle Beamten ihres politischen Rechtes berauben! Ich wundere mich, daß Anträge dieser Art, welche einzelne Klassen herausgreifen und sie nicht blos des Wahlrechtes berauben wollen, sondern ihnen sogar eine ~levis notae macula~ anhängen, von der Seite eingebracht werden, welche vorzugsweise Freiheit und Gleichheit vertreten will! Meine Herren! Es ist ferner ein großer Irrthum, daß man in gesetzgebenden Versammlungen, oder auch hier in dieser Versammlung, die Beamten entbehren könne. Es giebt allerdings gewisse Dinge, zu deren Beurtheilung eigentliche Sachverständige nothwendig sind; es giebt aber auch Gegenstände der allgemeinen Gesetzgebung und Verwaltung, für welche der bloße Techniker nicht ausreicht. Nur wenn Beamte und Nichtbeamte ihre Kenntnisse und Thätigkeit miteinander verbinden und austauschen, wird man Das erreichen, was man erreichen will und soll. Ich bin allerdings der Meinung, daß ein zu großes Übergewicht der Beamten in gesetzgebenden Versammlungen schädlich wirkt, aber das vorgeschlagene Gegenmittel ist gewiß nicht das richtige. In England bestehen Beschränkungen für den Eintritt gewisser Beamten in das Parlament, und ein noch eigenthümlicherer Fall ist in Norwegen vorgekommen; die Regierung schlug nämlich vor, daß kein Beamter mehr im Storthing sitzen dürfe; und der Storthing erklärte sich dagegen, weil er diese Ausschließung für nachtheilig hielt, weil er meinte, daß viele Kenntnisse, die man nicht entbehren könne, hiedurch außer Thätigkeit gesetzt würden. Ich trage daher darauf an, den Verbesserungsvorschlag, den ich für einen Verschlechterungsvorschlag halte, zu verwerfen. Üben Sie vor Allem und nach allen Seiten hin Gerechtigkeit; auf diesem ehrenwerthen Wege werden Sie am besten jeden ehrenwerthen Zweck erreichen! (Beifall.) Hundertneunzehnter Brief. Frankfurt a. M., den 4. März 1849. Die österreichischen Abgeordneten wünschen, hoffen, versprechen, daß ihre Regierung binnen kurzer Frist inhaltreiche, genügende Erklärungen abgeben werde. Um deswillen hat man die zweite Lesung des Verfassungsentwurfes auf 8-14 Tage hinausgeschoben. Fällt die Erklärung hinsichtlich der Grundrechte, des Staaten- und Volkshauses befriedigend aus, so wird man sich über die viel besprochenen Paragraphen 2 und 3 wohl einigen. Bleiben, dem gemäß, die österreichischen Abgeordneten in der Paulskirche, so ist an ein erbliches Kaiserthum nicht mehr zu denken. Entsagt Österreich dem +engeren+ Bunde, oder findet man hier dessen Anerbietungen ungenügend; so würde der Gedanke an einen Kaiser wieder in den Vordergrund, der irgend eines Direktoriums in den Hintergrund treten. Weil aber Baiern und viele Ultramontanen auch keinen (preußischen) Erbkaiser wollen, so muß man vielleicht die +Erblichkeit+ aufgeben, um die +Einheit+ durchzusetzen. Vielleicht erhält man die Mehrheit für eine vorläufige Ernennung auf sechs Jahr -- in unseren Zeiten eine halbe Ewigkeit! Die meisten der preußischen Abgeordneten und viele Beförderer des engeren Bundes fürchten: daß sich Preußen zu sehr werde von Österreich einschüchtern lassen. Es solle muthig mit Willigen in engere Verhältnisse treten; die Übrigen würden (wie beim Zollvereine) nachfolgen. -- Vor Allem sei zu verhüten, daß nicht die hiesige und die berliner Versammlung in Streit geriethen. Dadurch würde Preußen alle Sympathien in Deutschland einbüßen. Es ist sehr natürlich und verständig, daß sich die preußische Regierung über alle diese Dinge nicht vorlaut und übereilt aussprechen will: es ist aber ein Unglück, daß wohlgesinnte Abgeordnete keinen Fingerzeig, keine Andeutung darüber haben, was dem Könige lieb, erwünscht, zuwider ist. So sagt z. B. der Eine: nie würde er eine sechsjährige Oberleitung annehmen; während der Andere behauptet, sie würde ihm willkommen sein. Die Stellung der Parteien ist jetzt hier oft so, daß Wenige eine Entscheidung herbeiführen können; deshalb halte ich aus und bin (fast wider meine Neigung) thätig in Klubs und Vorversammlungen. Aber mir fehlt der Faden einer Ariadne! Nachmittags. Ich halte mir täglich Reden und Ermahnungen, daß ich hier geduldig und pflichtmäßig aushalten müsse; im Augenblicke aber, wo ich mich in meinen Beschlüssen befestigt habe, werden sie mir fast verleidet. Als ich gestern Abend im Weidenbusch ankam, fand ich die Mitglieder des neuen Vereines, statt in dem großen und hohen Saale, in einem kleinen und niedrigen versammelt. Da die Sitzplätze nicht ausreichten, standen sie Kopf an Kopf, die Luft war so verdorben, daß man kaum athmen, und vor Tabacksdampf kaum sehen konnte. Ich glaubte nicht unter deutschen, sondern unter indianischen Abgeordneten zu sein, welche ihre Friedenspfeifen miteinander rauchten. Die Herren Heckscher, Hermann und Somaruga sind nach Olmütz gereiset, um der österreichischen Regierung den Verfassungsentwurf ihres neuen Klubs vorzulegen und sie zu bestimmten Erklärungen zu vermögen. Es wäre gegen alle Formen, wenn die österreichischen Minister sich mit einzelnen Klubisten in Unterhandlung einließen und ihnen bestimmte Antworten ertheilten, während sie Schreiben des Reichsministerii noch nicht berücksichtigt, sich nicht über den Verfassungsentwurf der Reichsversammlung ausgesprochen haben. Doch will ich die Absicht jener Männer nicht tadeln, auf eine Beschleunigung und Verständigung hinzuwirken. Eine neue baierische Note (die ich noch nicht las) erregt hier viel Unzufriedenheit: sie soll wesentlich auf Form und Inhalt des alten Bundestages zurücksteuern. Nach allen Seiten befinden wir uns in der Klemme: das Ausscheiden Österreichs ist ein Unglück und sein hemmender Eintritt nicht minder. Österreich widerspricht einem preußischen Kaiserthume, und Preußen (dem große Nebenländer fehlen) kann sich noch weniger einem österreichischen unterwerfen. Eine schwache Reichsgewalt hilft nirgends ausreichend, eine starke ist den neugebackenen Souverainen unwillkommen. Die Duodezkönige möchten eine Oligarchie, Baiern eine Trias bilden; während alle übrigen Fürsten sich lieber an das mächtige Preußen anschließen, als den wenig hervorragenden unterordnen wollen. Aus sehr entgegengesetzten Gründen vereinigen sich Österreicher, Baiern und die Linke für -- Nichtsthun! Die ersten wollen Zeit gewinnen, und die letzte aus Anklagen der Unfähigkeit, neue Umwälzungen herbeiführen. Steigern die Königlein ihre Ansprüche weit über die der anderen Fürsten hinaus, so ist es mindestens zweifelhaft, ob sie in Volk und Kammern immer Unterstützung finden werden (wie sich z. B. schon die Neubaiern von den Altbaiern trennen); ergiebt sich, daß die hiesige Reichsversammlung durch oligarchische Einreden allzu sehr beschränkt wird, so werden selbst gemäßigte Männer die Geduld verlieren und sich immer mehr links wenden. Jetzt ist man noch entschlossen, alle (zum Theil sehr vernünftige) Bemerkungen der einzelnen Regierungen gewissenhaft zu prüfen, und alles Annehmbare anzunehmen. Was und wieviel dies sei, und wieviel Zeit dazu gehört, läßt sich aber noch nicht übersehen. Jeden Falles wird es nicht so schnell gehen, als man anfangs wünschte und hoffte. Diejenigen, welche sich einbilden: das deutsche Volk werde nach dem, wenig veränderten Singsang der Kinderwartefrauen (welche sich Bundestagsgesandten nennen), noch einmal 30 Jahre ruhig und geduldig verschlafen, irren sich sehr. Die Trompeten, welche zur Auferstehung aufrufen, werden keine Kindertrompeten, sondern die eines furchtbaren, entsetzlichen Gerichtes sein! Hundertzwanzigster Brief. Frankfurt a. M., den 5. März 1849. Es ist eine Ironie des Schicksals, daß ich mir gar oft die Worte des Händelschen Duetts in den Bart brumme: „~che vai pensando folle pensier?~“ -- und die beruhigende Antwort im Gedächtnisse nicht finden kann. -- Gestern ging ich bei schönem Wetter spazieren. Schon blüht der Crocus, grüne Blattspitzen wagen sich hervor, und von meiner Wohnung aus habe ich meine Freude am Strom und den Wolken, an Licht, Sonnenschein und Abendroth; dann weiter schreitend an Feld und Gebirge. Alles mannigfaltiger, näher und bequemer wie in Berlin. Auf ein Paar Monate würdet auch Ihr Freude am Frühlinge haben. So in sicherer Wiederkehr, geregelt, in ewiger Jugend, -- die Natur: -- und dagegen die, ihrer Weisheit sich erhebenden, und zugleich sie aufs Bitterste parodirenden Menschen! -- Gestern, am politischen Ruhetage, doch keine Ruhe; denn auf dem Spaziergange hörte ich von neu ausgebrochenen Unruhen und eingelaufenen anonymen Briefen: daß man alle Abgeordneten der Rechten todtschlagen wolle, und die Linke dann die Republik erklären werde! Bei der Heimkehr fand ich (gegen die Regel) meine jungen Freundinnen nicht ganz ~à leur aise~, weil sie Abends eine langweilige Gesellschaft besuchen sollten; -- was mir Veranlassung gab ihnen eine Vorlesung zu halten, über Hardenberg’s an mich gerichtetes Wort: „mein lieber Raumer, Sie müssen lernen sich mit Anstand ennuyiren!“ Abends ging ich in die Preziosa, welche die Hausmann sehr anmuthig darstellte. Mit der Preziosa des Cervantes würde es ihr indeß noch besser gelungen sein; denn ich komme immer wieder auf meine frühere Kritik zurück, daß Wolf sie zu sehr versentimentalisirt und zu eilig in eine gewöhnliche Liebschaft verwickelt hat. Etwas mehr Sprödigkeit und Keckheit hätte einen originelleren Charakter gegeben und mehr Licht und Schatten hineingebracht. Am +Puck+ kann eine Schauspielerin größere Anlagen entwickeln als an der Preziosa, obgleich ihr zugemuthet wird auch zu singen und zu tanzen. Die Preziosa ist Weber’s Frühling, sowie Belmonte und Constanze der Mozart’s. Doch geht dieser auf einer breiteren Grundlage, der Sonnenhöhe des Sommers und den Genüssen des Herbstes entgegen. Das „Vivat Bacchus, Bacchus lebe,“ fehlt der weicheren Natur Weber’s, und „Nero, der Kettenhund“ ist nur ein geringes, künstliches Surrogat. Ich saß gestern zwischen der ernsten und heiteren Seite des Lebens. Zur Rechten ein Vater, mit drei kleinen Töchtern, welche nie im Theater waren, die jüngste wohl erst fünf Jahr alt, alle voll der gespanntesten Erwartung. Als ich die kleinste anredete, machte sie (wahrscheinlich aus Furcht vor meinem häßlichen, bebrillten Angesichte) eine sehr klägliche Miene: -- ein Bonbon erwarb mir aber schnell ihr Zutrauen. Endlich ging der Vorhang in die Höhe, und ich habe nie glückseligere Gesichter gesehen als die dieser Kinder. Zu meiner Linken saß die Frau eines Fabrikanten aus --, für welchen der März nichts errungen hatte, als den Verlust seines Absatzes. Sie erzählte: man habe in diesen Tagen neue Volksversammlungen, und dabei Reden gehalten, des Inhaltes: es sei jetzt schlimmer als sonst; weshalb man den Ermahnungen zur +Ordnung+ nicht mehr Folge leisten dürfe, sondern durch verdoppelte +Unordnung+ zum Ziele kommen müsse. Das nächste Hauptziel und Besserungsmittel sei, -- alle Fürsten fortzujagen! O des gemäßigten, besonnenen, deutschen Volkes, unter dem es weder Thoren noch Pöbel giebt!! -- Dennoch bleibe ich dabei: die Massen sind besser als die Halbgebildeten; die Verführten minder schuldig als die Verführer, und ein reinigendes Fegefeuer eher möglich für jene als für diese. So von verschiedenen Seiten verschieden angeregt, hielt ich zuletzt fest an Weber’s Musik, die mich aber (verbunden mit dem Andenken an seine Person) in eine sehr sentimentale Stimmung versetzte. Mehre Male habe ich seine Preziosa wider ihn selbst in Schutz genommen und sie höher gestellt, als er wollte. Er nannte sie, halb mitleidig, einen Jugendversuch: -- warum muß die Jugend alt werden!? Den 6. März. Gestern ward der tüchtige Simson wieder zum Präsidenten erwählt. Er sprach mit Bestimmtheit davon, daß wir unser großes Werk (trotz aller Hindernisse) gewiß würden zu Stande bringen; und wie gern lasse ich mich überzeugen. Denn, obgleich ich gerade nicht veranlaßt bin auszurufen: Herr, hilf meinem +Un+glauben! so kann ich doch der Zweifel nicht +ganz+ Herr werden und fühle (wie man sagt) eine Art historischen Kalenders in meinen Gliedern. Sollten wir aber nach den Überschwemmungen von 1848, in diesem Jahre auf großer Dürre stehen bleiben und keine Ernte, keinen Herbst haben; so ist deshalb noch nicht aller Tage Abend und man muß Thätigkeit und Hoffnung auf 1850 übertragen. Gestern ging ich, bei schönstem Wetter, mit den Fräulein Jung, nach einer Anhöhe seitwärts von Sachsenhausen, wo man eine reiche Aussicht hat; heute hingegen deutet Alles wieder auf Regen! Ebenso geht das politische Barometer und Thermometer auf und ab: daher Erkältungen und Erhitzungen des Leibes und des Geistes. Der Umfang und die Frechheit der Wühlereien und aufrührischen Reden steigt mit der Jahreszeit, welche den Äquinoktialstürmen naht. Selbst Mitglieder der Reichsversammlung wirken in dieser Richtung. Mindern nun die Regierungen die Kraft der Gemäßigten, durch übertriebene Rücksicht auf örtliche Interessen und hülflose Souverainetätsgelüste; hoffen sie hiedurch den (wie sie glauben thörichten) Gedanken von einem einigeren Deutschlande, von einem +Bundes+staate zu vereiteln und auszurotten; so werden sie durch blutige, republikanische Versuche hindurch, einen despotischen +Einheits+staat herbeiführen. Für jetzt richten sich die Haupteinwendungen der königlichen Regierungen wider die Vorschläge vom Reichsoberhaupte; es fällt aber gar nicht schwer ebenso gewichtige Einreden gegen den Vorschlag zu erheben, eine apokalyptische (böse) +Sieben+ an die Spitze zu stellen. Es ist sehr natürlich, daß die Reichsversammlung (bei dieser Unentschiedenheit) mit den mannigfachsten Bittschriften und Verfassungsplanen überschüttet wird, welche einem Ausschusse zur Prüfung übergeben werden, in der Regel aber zu den Akten gehen. Nur einzelne werden gedruckt, oder sogleich gedruckt eingeschickt. Zur Probe lege ich eine bessere des Bürgervereins von Nürnberg bei. Täglich treten Mitglieder unserer Versammlung aus, oder nehmen Urlaub. So sehr dies einerseits die Neigung erhöht Ähnliches zu thun; so wächst andererseits die Nothwendigkeit zusammenzuhalten und die von allen Seiten angegriffene Feste nicht durch Zerstreuung der Besatzung preiszugeben. Hunderteinundzwanzigster Brief. Frankfurt a. M., den 7. März 1849. Seit zwei Tagen sind hier die Gemüther in so lebhafter Aufregung, und es bereitet sich eine solche Umstellung der Parteien vor, daß ich es für Pflicht halte, Sie darauf aufmerksam zu machen. Die Kündigung des malmöer Waffenstillstandes und der Einmarsch der Russen in Siebenbürgen weiset sehr viele Abgeordnete nicht blos auf das Ausland hin, sondern man fragt sich ängstlich: ob aus der Verbindung Österreichs mit Rußland nicht Gefahren für die innere Entwickelung Deutschlands hervorgehen dürften. Insbesondere, wenn Preußen sich (wie wohl sonst) von jenen Mächten ins Schlepptau nehmen lasse, und einem der Freiheit gehässigen Bunde beiträte. Der zweite Gegenstand lebhaftester Aufregung ist der bekannt gewordene Plan Österreichs für eine Verfassung Deutschlands; ein Plan so curios, daß er einer politischen 1001 Nacht entnommen zu sein scheint. 38 Staaten erwählen 7 nicht regierende Prinzen, mit 9 Stimmen, die ohne Instruktion (aber doch in Übereinstimmung mit ihren Wählern) +einen+ Kaiser vorstellen, u. s. w. u. s. w. Sieben Prinzen Hadschi Babas, sieben Leuchter aus der Offenbarung Johannis, sieben Hungerjahre Ägyptens, eine böse Sieben; -- so ruft Crethi und Plethi durcheinander. Gewiß haben alle diese Dinge die österreichische Partei wesentlich geschwächt. Ein geschickter Anführer der Linken sagte gestern in Gegenwart mehrer Zeugen: wenn der König von Preußen diese russisch-österreichische Richtung zurückweiset, so treten wir auf seine Seite, Deutschland fällt ihm zu. Man kann solch Bündniß mit einigen Leuten in der Paulskirche lächerlich und thöricht finden; in Wahrheit ist aber nicht von ihnen, sondern von gleichgesinnten Millionen außerhalb Frankfurt die Rede. Wechselt der König (so sprechen selbst Preußen) Richtung, Farbe und Ausdruck, so verliert er Glauben und Vertrauen; die, vielleicht letzte Gelegenheit kühnen Fortschrittes und deutsch-preußischer Einigung geht für ihn, für das königliche Haus, für unser ganzes großes, preußisches, deutsches Vaterland verloren, und wir fallen zurück in das +Sieben+schläfersystem des unselig dahin geschiedenen Bundestages. Nachmittags. Die Recension der Briefe Goethe’s an Frau v. Stein habe ich jetzt gelesen. Sie hat mich aber zu dem, mir sonst noch unbekannten Buche in eine Stimmung versetzt, die ich mindestens eine unbequeme nennen muß. -- Goethe und Frau v. Stein; -- und Frau v. Stein und Goethe! -- Wo bleibt, was ist, was glaubt, fühlt, denkt denn +Herr+ v. Stein? Von ihm ist, wie von einem völligen ~hors d’oeuvre~, von einer bloßen Null, gar nicht die Rede! Wenn eine Frau, die ihren Mann nicht liebt, während er ihr von ganzem Herzen zugethan ist, sich von einem sophistischen, oberflächlichen Menschen beschwatzen läßt, ihn zu ihrem Vertrauten macht, und es vom bloßen Zufall abhängt, daß es nicht zum Ärgsten kommt; so ist es für den Mann die allerbitterste Aufgabe zu überlegen und zu beschließen: ob er die Frau durch Milde erretten, ihren Ruf erhalten, den Kindern ihre Mutter bewahren kann. Reicht er die Hand der Versöhnung, so müßte die Frau ganz nichtswürdig sein, wenn sie ihrer Thorheit nicht Herr werden, und den großen Unterschied zwischen dem vernachlässigten, edeln Manne und dem frivolen Courmacher einsehen sollte. Ich habe aber keinen Begriff davon, wie eine Frau es Jahre lang aushalten kann, ihren Mann dem Liebhaber gegenüber als nichtig zu betrachten und zu behandeln; wie nicht jede offene Erklärung, jede Trennung ihr lieber sein müßte, als ein so erstorbenes, nichtiges Verhältniß, welches dem Rechte und der Sitte gleich sehr widerspricht. Derlei moderne Liebeskränkeleien gelten aber freilich oft für die höchste, parfümirte Gesundheit, und erhalten vornehme Titel, z. B. Wahlverwandtschaften! In der alten, für roh und unwürdig verschrieenen Heidenwelt, führte Penelope keinen Liebesbriefwechsel mit einem Freier, weil ihr Odysseus über Gebühr lange ausblieb; und dieser war ihr in den Armen der Circe noch im höchsten Sinne treu, weil er sich nach der edelsten der Frauen zurücksehnte, sie über alle anderen hinaufstellte; weil es ihm gar nicht einfiel, sie jemals in eine Reihe zu stellen. -- Selbst Phädra weiß, trotz ihrer gottverhängten, wilden Leidenschaft zu Hippolyt, daß Theseus, ihr Gemahl, ein großer würdiger Mann, ein Held ist, dessen sie nicht mehr würdig ist. Daß Frau v. Stein, im gewöhnlichen Sinne tugendhaft geblieben, will ich gern glauben; möchte aber wissen: ob Herr v. Stein unterdessen eine Schlafmütze oder eine Dornenkrone trug? So viel als ein zweiter (ketzerischer) Beitrag, zu Eueren Gesprächen mit Tieck. Ich sehe soeben nochmals in Euerem letzten Briefe, daß man in Berlin über das hier entworfene Wahlgesetz schilt. Ich erklärte schon die Art seiner Entstehung, füge aber noch hinzu: wie darf man verlangen oder erwarten, die Reichsversammlung könne weniger bewilligen und sich minder liberal zeigen als erst Camphausen und dann Brandenburg-Manteufel? Von Berlin aus ist dem allgemeinen Stimmrechte Thor und Thür geöffnet; es ist für jetzt in Deutschland unabwendbar, und erst Erfahrungen, böser oder guter Art, werden die Abänderung oder Beibehaltung herbeiführen. Den 8. März. Der Blinde soll nicht von der Farbe reden; -- deshalb habe ich mir Goethe’s Briefe an Frau v. Stein aus der Lesebibliothek geholt und das dicke Buch durchgelesen oder vielmehr durchgeblättert. Chronologisch ergab sich zuerst, daß Frau v. Stein bereits 33 Jahr alt war und sieben Kinder geboren hatte, als der jüngere Goethe sie kennen lernte. Schon hienach möchte Manches, was ich früher schrieb, näher zu bestimmen und zu berichtigen sein: -- es mag aber stehen bleiben; paßt es nicht ganz auf diesen Fall, so paßt es auf andere Fälle. Ohne Zweifel ist es dem sieggewohnten Goethe sehr heilsam gewesen, von Fr. v. St. bei seinem etwas plumpen Andringen zurückgewiesen oder doch gezähmt zu werden. Sie trieb (wie er selbst sagt, II, 35) „das Gesindel aus seinem Herzen,“ ward ihm zur keuschen Muse, und hätte ihn von Dem überzeugen können, was ich in meiner Spreu sage: „die sinnlichste Liebe hat immer die kürzeste Dauer.“ -- Ob in irgend einem späteren Augenblicke das Sinnliche (störend oder fördernd) hinzugetreten, mag ich nicht (allzuneugierig) untersuchen; will aber gestehen, daß mir das Bildniß der guten Frau, welches vor dem ersten Theile steht, gar nicht sehr reizend erscheint. Ich trete also sehr gern dem Allen bei, was Du (liebe --) gegen Tieck behauptet hast; kann aber diesem auch hinsichtlich seiner Einwendungen keineswegs überall Unrecht geben. Mag jedes Wort, jedes Zeichen, jeder Beweis des Andenkens (sei es auch noch so gering) liebenden Menschen von unschätzbarem Werthe sein, mag man den Unverliebten mit Recht vorwerfen, sie hätten für derlei Erscheinungen weder Sinn, noch das rechte Maß; -- hundertfache Wiederholungen von: guten Morgen und gute Nacht, Spargel und Rehbraten u. s. w. u. s. w., aber dem Publikum zum Durchlesen in die Hand geben, ist eine allzu starke Zumuthung des Herausgebers. Wären Neunzehntel ungedruckt geblieben, der Briefwechsel hätte, wie die sybillinischen Bücher, an Inhalt und Werth gewonnen; ja, sein Werth und der Werth wie die Bedeutung des ganzen Verhältnisses hätte sich eindringlicher herausgestellt. Ich kenne keinen gleich starken Briefwechsel eines ausgezeichneten Mannes, von so wenig bedeutendem Inhalte. Das ist kein Tadel für Goethe, da es ihm gar nicht auf Inhalt und Bedeutung ankam, oder diese für ihn an ganz anderer Stelle und in ganz anderer Richtung lagen. Was aber ihm und Fr. v. St. frische, duftende Blumen waren, trocknet für den fern stehenden Leser zu Heu zusammen. In Goethe’s Briefen an Jacobi, Lavater u. A. findet jener weit mehr, was er sich aneignen kann, und wodurch er zu Gedanken und Gefühlen angeregt wird. Einzelnes kann man freilich aus den Massen des Unbedeutenden heraussuchen (z. B. über Persönlichkeiten, Hofverhältnisse, klägliche Mißverhältnisse); wahrhaft wichtige Briefe (wie der über Lavater) sind aber kaum ein halbes Dutzend in den beiden dicken Bänden -- Doch genug des Betrachtens und Urtheilens, womit ihr beide (A. und T.) nicht zufrieden sein werdet. Indessen ließe sich aus dem Verschiedenen, auch wohl Gemeinsames und Übereinstimmendes zusammenstellen, und jenes gesondert Bleibende als ein ~Suum cuique~ betrachten. In meinen Briefen kommt noch +öfter+ dasselbe vor, als in denen Goethe’s an Fr. v. St. und Ihr leset sie dennoch geduldig! Also Politik, zu Anfang und zu Ende. Vom Standpunkte des alten Bundestages der 34 Fürsten, war ein Volkshaus etwas Ungedachtes, Unerhörtes, Unsinniges. Jetzt hat Keiner gewagt Einwendungen dagegen +laut+ auszusprechen. Der Gedanke eines Erbkaisers stand ebenfalls in höchster Entfernung, und kaum Einzelne deuteten darauf hin. Selbst die neue Gesellschaft im Weidenbusch sprach sich nur für die +Einheit+ aus, und schwieg vor der Hand über die +Erblichkeit+. Gestern hat sich, sehr unerwartet, die Mehrheit im Verfassungsausschusse +dafür+ erklärt. In Thesi ein wichtiger, merkwürdiger Schritt; ob er aber in die Praxis übergehen kann und wird, ist eine große, schwere Frage? Ein österreichisches Erbkaiserthum, mit dem Übergewichte +nicht+ deutscher Volksstämme, ist sehr Vielen ein Gräuel, und Preußen kann sich ihm in keiner Weise unterwerfen. Ein preußisches Erbkaiserthum wollen die kleineren Staaten (an sechs Millionen); nicht aber Österreich und die Könige. Ereignisse und Persönlichkeiten werden von Tag zu Tag weiter führen, und zuletzt entscheiden. Hundertzweiundzwanzigster Brief. Frankfurt a. M., den 10. März 1849. Die gestrige Sitzung war merkwürdig genug, um etwas darüber zu berichten. Ich schrieb bereits, daß die Gemäßigten durch irrige Taktik, Zersplittern der Stimmen und unnatürliche Verbindung der Gegner in die Minderzahl gekommen seien. Zunächst sind die beiden ersten Übelstände gehoben, und auch der dritte, schlimmste Umstand scheint einer bessernden Auflösung entgegenzugehen. In Folge dieser erwünschten Verhältnisse wurden gestern die noch rückständigen Absätze der Grundrechte nach unseren Ansichten und Vorschlägen angenommen, und alle Verbesserungsanträge der Linken fielen durch. Sie bezweckten im Wesentlichen, beiläufig und an ungehöriger Stelle, wichtige Grundsätze oder Maßregeln einzuschmuggeln. Ich gebe Beispiele: 1) Die Gemeine hat die Wahl ihrer Vorsteher und Vertreter, mit +Ausschluß+ des Bestätigungsrechtes der Staatsbehörde -- Verworfen mit 252, gegen 188 Stimmen. 2) Ihr steht organisirte Bewaffnung zu, als Theil der allgemeinen Volkswehr, und das Recht der freien Wahl der Führer. -- Verworfen mit 242, gegen 191. 3) Die Wahl der Volksvertreter erfolgt direkt, ohne Ausschluß einer Klasse von Einwohnern und unabhängig von einem Census. (Dies sollte für alle einzelnen Staaten gelten.) -- Verworfen mit 300, gegen 131. 4) Die Regierung des deutschen Einzelstaates hat nur ein aufschiebendes Veto gegen die Beschlüsse der Volksvertretung -- Verworfen mit 279, gegen 157. Hierauf erfolgte ein neuer großer Angriff der Linken. Sie fordert die zweite Lesung und schließliche Annahme des Wahlgesetzes, +vor+ der zweiten Lesung der Verfassung. Schon viermal war dieser Antrag vorgebracht und viermal aus genügenden Gründen verworfen worden. Ich will aus vielen nur zwei anführen: 1) Fand die erste Lesung des Wahlgesetzes erst vor wenigen Tagen, die der Verfassung bereits vor einigen Monaten statt. Ausschuß, Abgeordnete, Regierungen, Publikum, Presse sollen Zeit haben zu prüfen und sich auszusprechen. 2) Es ist ganz verkehrt schließlich ein Wahlgesetz anzunehmen, bevor man in der Verfassung festgestellt hat, ob und welche Kammern stattfinden und welche Abgeordneten gewählt werden sollen. In der Berathung wurden denn alle hochtönenden, demagogischen Phrasen nochmals zum Besten gegeben; und nebenbei kam deutlicher ans Tageslicht, was freilich dem schärfer Blickenden längst kein Geheimniß war. Die Linke weiß, daß sie ein rein demokratisches Wahlgesetz +nur+ mit Hülfe der Österreicher durchsetzen kann, und diese hiebei (um +andere+ Zwecke zu erreichen) +gegen+ ihre Überzeugung stimmen müssen. Die Sache hat also große Eile und muß zu Stande gebracht werden, bevor jener künstliche Bund auseinanderfällt. Gebt nach (sagt die Linke), bewilligt uns das Wahlgesetz, und dann werden wir wissen, -- was wir hinsichtlich der Einheit, Dreiheit, Fünfheit oder Siebenheit zu thun haben und für welche +nachgiebigere+ Partei wir uns aussprechen wollen! Vortrefflich antwortete Riesser und erwies: daß man Abstimmungen über große Gegenstände nicht um Nebenzwecke willen, so oder anders einrichten oder gleichsam verhandeln und verkaufen dürfe. Immerdar fordert die Linke Zugeständnisse bestimmter Art, und bietet dafür (scheinbar gutmüthig) allerlei glänzende Hoffnungen. Nicht wenige Österreicher schien die Besorgniß zu ergreifen, sie würden zuletzt getäuscht werden, und Etliche stimmten gestern mit uns; was einen gewaltigen Aufruhr unter der Linken erregte und Einzelne dahin brachte ihnen laut Freundschaft und Hülfe aufzukündigen. Nochmals ward mit Stimmenmehrheit (260 gegen 182) beschlossen: die Berathung über die Verfassung der über das Wahlgesetz vorangehen zu lassen. Gleichzeitig mindert sich die Zahl der Vertheidiger von sieben verwunschenen Prinzen, die (mit Köpfen oder Beinen) zu einem Kaiser zusammenwachsen sollen. Auch hat Das, was die erste berliner Kammer in ihre Adresse über Deutschland aufgenommen, hier großen Beifall gefunden, und Hoffnung und Muth erhöht. Wenn zu den entschlossenen Gliedern des Weidenbusches, nur noch Einige hinzutreten, so gewinnen sie die Mehrheit über die minder gleich gesinnten Gegner; und es hängt von den berliner Kammern und dem Könige ab, ob Preußen in kühner Weise an die Spitze treten will -- oder ins Schlepptau genommen wird! -- Wer nicht wagt, gewinnt nicht, und auf einen Hieb fällt kein Baum! Gestern las ich in dem Briefe eines Abgeordneten der ersten berliner Kammer, fast buchstäblich dasselbe über die --, was ich unzählige Male behauptet und ausgesprochen habe. Sie hat durch Unwissende und Böswillige viel gelitten; ihr wird aber auch ein seltenes, und noch seltener so wohlverdientes Glück zu Theil. Daß nämlich kein wahrhaft tüchtiger Mensch ihr nahe kommen kann, ohne die Güte ihres Herzens, die Überlegenheit ihres Geistes und den Adel ihres Charakters anzuerkennen und zu bewundern. -- Das ist denn doch auch ein Balsam auf schmerzliche Wunden! Hundertdreiundzwanzigster Brief. Frankfurt a. M., den 11. März 1849. Nach kläglichem Sinken sind (wie ich schon gestern schrieb) unsere Aktien in den letzten drei Tagen über alle Erwartung gestiegen, und die Aussichten bleiben noch immer günstig. So traf ich gestern beim Präsidenten Simson einen, neu angekommenen österreichischen Abgeordneten, welcher die Sendung von Heckscher, Hermann und Schuselka nach Olmütz ganz thöricht fand, und über die Verbindung vieler seiner Landsleute mit der Linken empört war. Dieser grundlose und grundsatzlose Bund löset sich täglich mehr auf, und jede Partei sieht abgekühlt ein, daß die andere sie nur als Mittel für ihre Zwecke benutzen will. Die Österreicher spüren: es sei nur darauf abgesehen, mit ihrer Hülfe ein Wahlgesetz durchzutreiben, das in ihrer Heimat am wenigsten anwendbar und nützlich sein würde; auch sagt ihnen die Linke gerade heraus: nachdem dieser Zweck erreicht worden, wolle sie sich für, oder gegen Österreich erklären, je nachdem es ihr bequemer erscheine. Nach vielem Reden +für+ die Einheit, liebäugelte die Linke (aus Haß gegen, und Furcht vor Preußen) mit der Vielheit, und den österreichischen, unklaren Vorschlägen. Jetzt scheint ihr Preußen doch annehmlicher, als Österreich im Bunde mit Rußland. Wenigstens möchten Manche sich der über 200 Mann starken entschlossenen Gesellschaft des Weidenbusches lieber nähern, als sich dem schwarzgelben Österreich, oder dem blauweißen Baiern hingeben. Ich wiederhole, daß es sehr irrig ist zu wähnen, mit der diesjährigen Vereitelung frankfurter Bestrebungen wären gewisse Grundgedanken von Einheit und Freiheit in Deutschland ausgetilgt. Ohne Annahme und Durchführung des +Wesentlichen+ in den Grundrechten, und ohne ein, das Ganze darstellendes und zusammenhaltendes +Volkshaus+ kann man in Deutschland nicht mehr auf die Dauer regieren: weder Einer, noch Drei, noch Fünf, noch Sieben, noch 34! Da man, so viel als irgend möglich (conservativerseits) die Bemerkungen der einzelnen Regierungen berücksichtigen will; so kommen wir auch in dieser Richtung einer friedlichen Lösung immer näher. -- Mit Recht sieht man ferner täglich mehr ein: das Zerspalten in viele Klubs, nach gewissen kleineren Verschiedenheiten der Ansichten, sei (wie ich stets behauptete) unrathsam, ja schädlich; es komme vielmehr darauf an, wenige große Grundsätze aufzustellen, dafür eine überlegene Zahl zu gewinnen, und dann wie eine Phalanx für das als recht Anerkannte einzustehen: -- uneingeschüchtert durch Drohungen, unverlockt durch Schmeicheleien! Hundertvierundzwanzigster Brief. Frankfurt a. M., den 12. März 1849. Unsere Berathungen werden täglich wichtiger und anziehender. Die neue österreichische Verfassung stimmt in der That mit der +ersten+ Erklärung der österreichischen Regierung, welche den Eintritt in einen deutschen Bundesstaat ablehnte, und woran sich der Auftrag an das Reichsministerium reihte, Verhandlungen über einen weiteren Bund oder eine zweite Einigung mit Österreich anzuknüpfen. Die neueste Erklärung: es gebe künftig nur ein österreichisches Reichsbürgerrecht und +einen+ staatsrechtlich vereinigten österreichischen Staat, muß die Folge haben: entweder daß wir uns hier mit einem Bundestage begnügen, der noch loser und bedeutungsloser ist als der alte; oder daß wir die Form des Bundesstaates für Alle feststellen, welche in ihn eintreten wollen, und die Verhandlungen über eine Einigung mit Österreich besonders fortführen. Allmälig wird der Bundesstaat (wie der Zollverein) sich erweitern. In dem Maße wie Österreich sich absondert, tritt Preußen in den Vordergrund. Es wäre unverantwortlich, wenn der berliner Reichstag, um untergeordneter Zänkereien willen, die unendlich wichtigere Frage über die Einigung und Beherrschung Deutschlands aus den Augen verlöre, und uns nicht kräftigst unterstützte. Es wäre bejammernswerth, wenn der König aus einer ursprünglich sehr edeln, aber falsch verstandenen Ritterlichkeit, vor dem entscheidenden Schritte zurückbebte, und statt als ordnender Steuermann an die Spitze zu treten, Deutschland einem unausbleiblichen Sturme und der Gefahr des Unterganges preisgäbe. In dem Maße, wie in den Reihen unserer Gegner Fragen, Zweifel und Uneinigkeit hervorbrechen, wird die Gesellschaft des Weidenbusches einiger und muthiger. Sie will fest auf ihrem Wege beharren, und wenn sie den Sieg 1849 nicht davonträgt, ihn für folgende Jahre anbahnen, und Zeugniß für künftig besser erkannte Wahrheiten ablegen. In der Sitzung, welche gestern Abend im Weidenbusche stattfand, ward mancherlei besonnen und verständig darüber verhandelt: in welcher Folge und Ordnung die zweite Berathung über die Verfassung in der Paulskirche stattfinden möge. Es wäre zu weitläufig, Gründe und Gegengründe aufzuzählen; deshalb bemerke ich nur: daß man sich allgemein gegen die jetzt doppelt schädliche Neigung aussprach, durch kleinliche, umständlich und eigensinnig vertheidigte Besserungsvorschläge, Zeit zu verlieren und Abstimmungen zu zersplittern. So nähern sich die getrennten Klubs und verwachsen zu einer großen, mächtigen Partei. Nach manchen Reden Anderer, sagte ich gestern nur einige nachdrückliche Worte über die Stellung Deutschlands und Frankfurts zum Auslande, und was nothwendig sei, um die (jetzt fehlende) Achtung zu gewinnen. Morgen wird die (wahrscheinlich ziemlich friedliche) Berathung über das Reichsgericht wohl beendet werden; dann folgt der große Kampf über das Reich und die Reichsgewalt. Ob heute die Frage: über Vereinbarung und letzte Entscheidung, als ein Schwärmer in den Gang der Tagesordnung, von der Linken wird hineingeworfen werden, weiß man noch nicht mit Bestimmtheit. Unsererseits will man das Reichsministerium fragen: ob und was Österreich auf die ihm amtlich schon vor langer Zeit gemachten Vorschläge geantwortet habe. Nämlich: +nichts+, oder so viel als +nichts+; dann ist aber die gegebene Verfassung als eine deutliche und verneinende Antwort zu betrachten. Mittags nach der Sitzung. Wir waren heute auf Plänkeleien, ja auf ein Gefecht gefaßt; statt dessen geschieht das Unerwartetste: ein Hauptanführer der Gegner, noch vor wenigen Tagen ein Saulus, geht als ein Paulus bekehrt in unser Lager über!! Ich schrieb Euch von der Verbindung fremdartiger, heterogener Parteien in der Maienlust, welche zur Folge hatte, daß wir in die Minderzahl hinabgeworfen wurden, und wenig Aussicht hatten bald die Mehrzahl wieder zu gewinnen. Insbesondere war Welcker ein Hauptgegner der Einheit, der preußischen Oberleitung, ein Anbeter des dreiköpfigen Cerberus, oder dreileibigen Geryon, der sieben verwunschenen Prinzen u. s. w. --; ein Vertheidiger des Zögerns, Abwartens, des österreichischen Benehmens u. s. w. Heute dagegen erklärt er: die letzte Frist sei abgelaufen und Deutschland nur zu retten, wenn man die ganze Verfassung eiligst annehme, und den König von +Preußen+ als +Erbkaiser+ an die Spitze stelle! Eine unbeschreibliche Aufregung ergriff die ganze Versammlung, und wenn Welcker nicht selbst den Druck und die reifliche Überlegung seiner Anträge gefordert hätte, -- in diesem Augenblicke wäre der König durch Mehrheit der Stimmen zum Kaiser erklärt worden. -- Da Niemand der Berathung über das Reichsgericht die geringste Aufmerksamkeit schenkte, mußte die Sitzung aufgehoben werden. Gewiß folgen nicht Alle Welcker’s Beispiele, und insbesondere dürften Baiern und Ultramontanen auf ihrem Widerspruche verharren; ohne Zweifel ist aber die Coalition aufgelöset, die Hemmungen stürzen zu Boden und die Mehrheit bleibt (wenn nicht Alles trügt) der Gesellschaft des Weidenbusches, -- welche sich heute zu neuen Beschlüssen über die ferneren Maßregeln versammelt. Wir werden gewiß unsere Schuldigkeit thun; wehe Dem, der da verzagt und Deutschland verräth! Es ist die heilige Pflicht des +Königs+, des +Thronfolgers+, der gesammten +königlichen Familie+, der berliner +Kammern+ und aller +Preußen+, sich der großen Aufgabe gewachsen, des entscheidenden Augenblickes würdig zu zeigen! Hundertfünfundzwanzigster Brief. Frankfurt a. M., den 13. März 1849. Gestern Abend wurden, in Folge des merkwürdigen Welckerschen Antrages, lange Berathungen im Weidenbusche gehalten und zunächst beschlossen: man wolle heute die Verhandlungen über das Reichsgericht aussetzen. Denn, sobald man, nach jenem Antrage, die vom Ausschusse mit Rücksicht auf die Bemerkungen der Regierungen, berichtigte Verfassung im +Ganzen+ (~en bloc~), ohne neue Erörterungen annehme; so könne dies auch füglich mit dem minder wichtigen Theile über das Reichsgericht geschehen. Ob dieser Antrag durchgehen wird, ist noch nicht mit Gewißheit vorauszusehen. Ich habe mich bestimmt dagegen erklärt. Viel entscheidender ist die Verhandlung über Welcker’s Antrag selbst, welche (nach erfolgter Berichterstattung des Ausschusses) Donnerstag, oder Freitag beginnen wird. Im Weidenbusche wünschte die Mehrheit, nach Entzweiung der Gegners, das letzte Ziel im raschen Sturme zu erobern; indessen blieb es doch unmöglich sich jetzt schon für Annahme des neuen Verfassungsentwurfes zu erklären, da er uns erst heute vorgelegt werden soll. Auch ergab sich, daß beim Heraustreten aus der Vertheidigung in den Angriff, nicht alle Mitglieder ganz eines Sinnes waren. Gewiß werden die Gegner neue Plane entwerfen, und wenn unsere Ansichten sich noch einmal zersplittern, könnten wir leicht noch einmal in die Minderzahl gerathen. Leider haben Viele, in gutem Glauben, oder aus Eigensinn und Eitelkeit, unzählige Verbesserungsvorschläge im Leibe, und halten ihre Leibes- und Geistesbeschwerden für Zeugnisse bevorstehender, außerordentlich glücklicher Geburten. Die Abneigung gegen alles Zögern und Schwadroniren, die Nothwendigkeit rascher und großer Beschlüsse, steigt indessen dergestalt mit jedem Tage, daß wir schneller zu irgend einem Ziele kommen werden, als sich vor acht Tagen voraussehen ließ. Gestern Mittag ward der wesentliche Inhalt der gestrigen Sitzung nach Berlin telegraphirt, und um 2 Uhr hatten wir Antwort von der glücklichen Ankunft des Berichtes. Hoffentlich wird er günstig auf die Adressen wirken; obwohl die Schwadronir- und Amendementsstaupe auch dort vorherrscht, wenn allein Hansemann deren zehn zur Adresse eingebracht hat. Die Österreicher bekamen gestern einen neuen Stoß, da Gagern auf eine Anfrage erklärte: ihre Regierung habe binnen zwei Monaten nicht einmal die Höflichkeit gehabt, auf die Schreiben des Reichsministerii und des Erzherzogs über die Anordnung des Verhältnisses zu Deutschland, irgend eine Antwort zu ertheilen. Den 14. März. Vorgestern Abend stellte ich im Weidenbusche vor: der Antrag, von der angekündigten Tagesordnung abzuweichen, werde von den Gegnern als Eingriff in die gesetzliche Ordnung dargestellt werden, uns gar nichts nützen, wohl aber eine Niederlage zuziehen. Meine Einreden fanden kein Gehör, ich blieb in der Minderzahl; meine Weissagung ist aber gestern leider eingetroffen. Zu spät sagte man mir: ich habe Recht gehabt! -- Ebenso wies man meinen Vorschlag zurück: da alles Andere noch +nicht+ hinreichend vorbereitet sei, möge man der dringenden Eile halber, morgen die Anträge über den Schutz der Auswanderer berathen; dennoch ward jener Vorschlag in der Paulskirche +angenommen+. Ich bin nicht eitel genug, mich +solcher+ Siege zu freuen. Während des Abstimmens entwickelte ich gestern Hrn. V. -- die Gründe für die Öffentlichkeit der Wahlen. Er beharrte auf seinem Widerspruche, weil die geheime Abstimmung seiner Partei freieres Spiel lasse, und fügte hinzu: die Regierungen können zu den Wahlen keine Beamten und noch weniger Soldaten hinsenden, und durch dieselben wirken; wir hingegen schicken ein Dutzend Kerle mit tüchtigen Knitteln, die werden schon Eindruck machen. Die Berathungen in dem zahlreichen, preußisch gesinnten Casino waren gestern Abend (wie jetzt alle Berathungen und Versammlungen) von Wichtigkeit und Interesse. Es blieb die Hauptfrage: ob man die Welckerschen Anträge (ich lege ein Exemplar derselben bei) sammt und sonders annehmen, und ob man einige Zugeständnisse machen solle, oder nicht. Die Meinungen gingen sehr auseinander, und während Einige fest auf gewissen Theorien beharrten, wollten Andere nachgiebiger sein, um mit Sicherheit ein erwünschtes Ziel zu erreichen. Die Hauptstreitpunkte sind folgende: 1) Das unbedingte, oder aufschiebende Veto. Für die Theoretiker beider Parteien eine Frage von unendlicher Wichtigkeit! In der Praxis (wie z. B. England seit 150 Jahren zeigt) fast gleichgültig. Man ändert das Ministerium, oder die Kammern, ohne zum schroffen +Nein+ seine Zuflucht zu nehmen. Ja, in Amerika hat der Präsident (trotz seines nur suspensiven Veto) jedesmal obgesiegt; weil er es nur auf vernünftige Weise einlegte. 2) Die Erblichkeit des einen Reichsoberhauptes. Sie ist ohne Zweifel besser als jede Mehrheit, Wechsel, Turnus u. s. w. Kann man sie aber nicht durchsetzen, so sind 6 Jahre jetzt schon eine halbe Ewigkeit; Preußen behält nach 6 Jahren dasselbe Gewicht, ja verstärkt dasselbe und; -- kommt Zeit, kommt Rath. 3) Das Wahlgesetz ist in seiner jetzigen Fassung allerdings +sehr mangelhaft+; in diesem Augenblicke bleibt es aber +unmöglich+ die Mehrheit in der Paulskirche für Ausschließung ganzer Klassen, oder einen hohen Census zu gewinnen; -- wohl aber muß man Alles daran setzen die Öffentlichkeit der Wahlen durchzubringen. Die ganz aristokratischen Wahlen in Polen waren nicht besser, als viele demokratische Wahlen u. s. w. Nachdem ich mich für Erlangung einer +großen+ Majorität (die uns nöthig ist) ausgesprochen, erzählte ein Mitglied, mit nur zu großer Bestimmtheit, was der König denke und fühle, thun oder nicht thun, annehmen oder zurückweisen werde u. s. w. Er warf neue Zweifel und Steine des Anstoßes in unsere, ohnehin schon mit übergroßen Hindernissen angefüllte Bahn. Die Folgen solcher Quasijeremiade fürchtend, nahm ich nochmals das Wort und sagte: Meine Herren! Wir selbst wissen noch nicht was wir annehmen, verwerfen, beschließen, durchsetzen werden, welche Mittel anzuwenden, welche Wege einzuschlagen sind; und wir sollen uns aufreden, oder aufreden lassen, der König habe sich schon jetzt, von vorn herein eigensinnig über Fragen entschieden, die ihm von der Reichsversammlung noch nicht einmal vorgelegt sind. So wenig eine Jungfrau erklärt, sie wolle Jemand heirathen oder nicht heirathen, der noch gar nicht um sie geworben hat; ebensowenig kann und wird der König sich schon in diesem Augenblicke scharf bejahend, oder verneinend aussprechen. Er wird nach Maßgabe der eintretenden Ereignisse in seiner Weisheit wissen und beschließen, was er sich, seinem Hause, Preußen, Deutschland, Europa und der Weltgeschichte schuldig ist. Uns liegt ob (ungestört durch heitere, oder finstere Vorspiegelungen) gleicherweise nach Pflicht und Gewissen vorzugehen, und nach langem Reden auch zu handeln. In diesem Augenblicke erhielten wir die +mündliche+ Kunde: der Ausschuß erkläre sich +für+ die Annahme der Welckerschen Anträge; vorausgesetzt daß man das Wahlgesetz in die Verfassung begreife, aber die Öffentlichkeit der Wahlen annehme. Nur auf diesem Wege könne man (vielleicht) die Mehrheit der Stimmen gewinnen; ohne Zugeständnisse beim Wahlgesetze (nur die Heimlichkeit der Wahlen beseitigend) würden wir bei den Fragen über Welcker, Veto, Einigkeit, Erblichkeit u. s. w. in der Minorität bleiben. Von weiteren Beschlüssen (nach Eingang des Ausschußberichtes) nächstens mehr. Alle Berathungen, Betrachtungen, Gründe erhielten eine neue Wendung durch die uns jetzt unerwartet vorgelegte, neueste Note der österreichischen Regierung und die Nachrichten, welche die nach Olmütz gegangenen Abgeordneten zurückgebracht haben. Österreich will kein Volkshaus (das einzig tüchtige Verbindungsmittel für Deutschland); 38 Stimmen und das Erbkaiserthum für sich, während Deutschland nur 32 Stimmen erhalten soll u. s. w. u. s. w. Ihr werdet alle diese unpolitischen Phantasmata in den Zeitungen lesen. Sie trennen die Österreicher ganz von der Linken, und treiben zu eiligen Beschlüssen, bevor man uns jenes Joch durch diplomatische Ängste und Kniffe, oder mit Gewalt über den Nacken wirft. Wenn die preußische Regierung irgend auf diese Fratzen eingeht, hat sie sich im übrigen Deutschland das Todesurtheil gesprochen. Auf entgegengesetztem Wege steigen täglich, ja stündlich die Siegeshoffnungen. Gott gebe daß keine unvorhergesehenen übel eintreten! Hundertsechsundzwanzigster Brief. Frankfurt a. M., den 15. März 1849. Ihr Brief vom 11. d. M. hat mir große Freude gemacht; zunächst weil ich daraus sehe, daß Sie meine zahlreichen Mittheilungen freundlich aufnehmen. Nur einer von Ihnen ausgesprochenen Besorgniß kann ich nicht beitreten: die österreichische Verfassung und die österreichischen Noten haben hier +Niemand+ verblendet; sie haben vielmehr auch den Geblendetsten den richtigen Blick wiedergegeben, und die Sache Preußens wesentlich gefördert und erleichtert. Alle kleineren Staaten +wollen+ folgen, andere werden müssen; die Neubaiern stimmen bereits mit uns, und selbst die Altbaiern fangen an einzusehen, daß eine Zolllinie, gezogen zwischen Nord- und Süddeutschland, sie ganz zu Grunde richten würde. Mittags. Der gestrige Tag verging in angestrengten Vorbereitungen und Berathungen zu den bevorstehenden Kämpfen, und Viele haben wohl (gleich wie ich) Nachts vor tiefer Aufregung nicht schlafen können. Wir hatten Vormittag, Nachmittag und Abend Sitzungen im Weidenbusche. Es ward mit Mäßigung und Verstand über alle in Betracht kommenden Punkte gesprochen, und auch ich habe zwei Mal das Wort genommen; was ich erzähle, um nur zu beweisen, daß ich bestrebt bin, meine Pflicht zu erfüllen. Das erste Mal gegen einen Antrag, heute wiederum Abänderung der Tagesordnung zu verlangen; er ward abgelehnt, um sich keine zweite Niederlage (wie vorgestern) zuzuziehen. Umständlicher sprach ich, in dem Euch bekannten Sinne, zur Beseitigung von Zweifeln und zur Berichtigung von Ansichten über Veto, Erblichkeit, Wahlberechtigung, unmittelbare und mittelbare Wahlen, Öffentlichkeit u. s. w. Hieran ging ich über zu einer Prüfung aller österreichischen Vorschläge, und suchte mit Schärfe und Bestimmtheit zu beweisen (es ist nicht schwer), daß sie anmaßend, ungerecht, thöricht und schädlich sind; von den sieben schwatzenden oder schlafenden Prinzen, bis zur Verwerfung des Volkshauses und dem Gebote: Deutschland solle in den alten, elenden Verhältnissen beharren, ja sie noch verschlechtern! Ich schloß mit einem Angriff gegen die Politik der Könige -- -- -- Meine Stimme war nur eine einzelne in einem großen harmonischen Chore! Sehr löblich brachte jeder Einzelne Meinungen zum Opfer, um Einigkeit zu erzeugen und Stärke zu gewinnen. 225 Abgeordnete gelobten einmüthig, für den (uns vorläufig schon bekannten und gestern Abend vorgelegten) Antrag des Ausschusses zu stimmen; wir haben gerechte Hoffnung, daß sich noch Mehre anschließen werden, und wenn wir dennoch (wie Blücher bei Ligny) unterliegen, werden wir bei Waterloo nicht fehlen! Man kann unzählige Gründe beibringen, warum wir nach zehn Monaten (mit der gerühmten deutschen Gründlichkeit) noch zehn Monate berathen müßten. Im Angesichte der dringenden Gefahren von Außen, der Volksungeduld, der Wühler, der wilden Feinde alles Gelingens, der dummen oder schlangenlistigen Diplomaten, der verblendeten Fürsten, -- ward es aber zur heiligen Pflicht, den kühnen Sprung zu wagen, der uns aus scheiterndem Fahrzeuge hoffentlich an ein sicheres oder doch minder gefährliches Ufer bringt. Um wie viel es sich handelt, zeigte Euch schon der Welckersche Antrag; der anliegende Ausschußbericht ist noch viel bestimmter, umfassender, entscheidender, muthiger. Zu diesem Muthe gesellt sich (wie selten ist dies) aber auch die Demuth: wir wollen unsere Macht +nicht verlängern+, wie das lange Parlament in England; das Volk +nicht zwingen+, uns in die zweite Reichsversammlung aufzunehmen, wie der Convent in Frankreich: -- sondern mit dem Bewußtsein vor Gott und Menschen recht bald in unsere Heimat zurückkehren, daß wir nach Pflicht und Gewissen bestrebt waren, unser Vaterland aus den Gefahren der Gegenwart zu erretten, und es einer größeren Zukunft entgegenzuführen. Gott gebe (in diesen gefährlichen Märztagen) seinen Segen!! Nachmittags. Ich komme soeben aus der Sitzung in der Paulskirche. Ein Gesetz über die Auswanderungen (welches selbst unsere Partei in leidenschaftlicher Hast zurücklegen wollte) ist friedlich angenommen, und wird allmälig beitragen, die Auswanderer gegen Betrügereien zu schützen. Morgen (16.) ist keine Sitzung; übermorgen aber beginnt der große Kampf über den beiliegenden Bericht des Ausschusses. Ich glaube +nicht+, daß er kurzweg in allen Theilen angenommen wird, kann aber darin keineswegs ein so entsetzliches Unglück sehen, wie viele meiner Kollegen. Sie fürchten: man werde uns eine Verfassung +geben+, oder uns gar auseinanderjagen. Ich bin (+sofern wir es nicht selbst verschulden+) davor nicht bange, und wenn wir bei der Abstimmung über die einzelnen Paragraphen der Verfassung (wie die Linke vorschlägt) auch einige Zeit verlieren und in einigen Punkten unterliegen; so werden wir praktisch doch vorwärts kommen, und nicht so viel einbüßen, als Theoretiker und ängstliche Gemüther glauben. Die Beweise ein andermal, sofern sie nöthig werden. Hundertsiebenundzwanzigster Brief. Frankfurt a. M., den 16. März 1849. Gestern Abend war die Gesellschaft des Weidenbusches versammelt, und der Vorstand legte die Grundsätze vor, nach welchen er Redner für den nächsten Kampf in Vorschlag bringe. Nämlich 1) keine im Allgemeinen schon mißliebige Personen. 2) Keine, die für eigensinnig und verbissen gelten. Dagegen 3) Personen aus allen Theilen der Versammlung und Deutschlands; 4) endlich, so wenig Preußen als möglich, damit nicht Parteilichkeit hervorzutreten scheine, und weil es besser sei, daß +Nicht+preußen und sogar +bekehrte Gegner+ Preußens für dessen Erhebung aufträten. Mit diesen Grundsätzen erklärte sich die ganze Versammlung einverstanden. Der alte Arndt ward mit Recht zum Sprechen aufgefordert, sowie von Sauken, damit er über die berliner Stellung und Stimmung Auskunft gebe. Daß Berathen und Beschließen in die verhängnißvollen Tage des März fällt, wird von Gegnern gewiß zu deklamatorischem Schimpfen gegen die preußische Regierung Veranlassung geben. Es hat aber keine Schwierigkeit, diese Anklagen für den heutigen Tag in das Gegentheil umzukehren, und die Einigkeit der berliner Kammern +und+ der Regierung für die deutsche Sache hervorzuheben. Nur muß die letzte nicht ängstlich zurückbleiben, sich nicht fürchten und durch österreichisch-russische Diplomatie einspinnen oder gar knebeln lassen. Österreich darf übrigens Frankreich nicht verletzen, und dies kann unmöglich mit Rußland gehen. Die statistische Übersicht unserer Kräfte ergab gestern Abend, daß wir durchaus nicht mit Bestimmtheit auf die Annahme der Vorschläge des Verfassungsausschusses rechnen können; ich habe aber schon angedeutet, daß ich dies nicht (wie manche Andere) für ein entsetzliches Unglück, für eine entscheidende Niederlage halte. Ich stelle nochmals die Gründe zusammen. So viel auch dafür spricht, die Verfassung +eiligst+ anzunehmen, ist doch die Verspätung um etwa eine Woche nicht von entscheidender Wichtigkeit; ja, der Schein von Übereilung und Überrumpelung wird vermieden, wenn man nicht unzählige Bestimmungen durch +eine einzige+ Abstimmung annimmt. Verlangte die Linke, daß über jeden +einzelnen+ Satz neue +Berathungen+ eröffnet würden, so könnten allerdings noch Monate vergehen, bevor wir ein Ziel erreichten. Sie dringt aber nur auf einzelne +Abstimmungen+, die rasch vor sich gehen, und wird selbst nichts dagegen haben viele unbedeutende oder unbezweifelte Sätze in +eine+ Abstimmung zusammenzufassen. Mithin kann der Zeitverlust nicht groß sein. Weit wichtiger ist ohne Zweifel die Frage: was (nach der Macht und Stellung der Parteien) für den Inhalt der Verfassung zu gewinnen und zu verlieren sei. Es ist im Allgemeinen anzunehmen: daß, wenn wir zu schwach sind, die Bestätigung des Verfassungsentwurfes durch +eine+ Abstimmung durchzusetzen, wir auch bei Abstimmungen über das Einzelne unterliegen werden. Doch ist diese Voraussetzung keineswegs unbedingt richtig: denn Mancher, der einen Anstoß an jener Annahme im Ganzen (~en bloc~) nimmt und deshalb dagegen stimmt, tritt vielleicht bei einzelnen Punkten auf unsere Seite. Mit Weglassung des Unbedeutenderen hebe ich nur das Wichtigste hervor, was die Linke bekämpft oder bezweckt. Sie will also +Erstens+: kein unbedingtes, sondern nur ein aufschiebendes Veto. Ich habe schon bemerkt, daß (nach der Theorie) dem unbedingten Veto der gesetzgebenden Seite ein gleich unbedingtes der vollziehenden Gewalt (schon des Gleichgewichtes halber) gegenüberstehen müsse. In der Praxis stellen sich aber (wo Vernunft nicht ganz fehlt) die Dinge anders: das Parlament macht von unbedingten Verweigerungsrechten so wenig Gebrauch, als der König vom unbedingten Veto. Es giebt andere Mittel, die oft besser zum Ziele führen (neue Kammern, neue Minister); und was +mehre Male+ mit großer Mehrheit gefordert wird, ist selten ganz verwerflich. Zudem schreien alle Halbgebildeten laut gegen ein unbedingtes Veto, während sie sich das suspensive gefallen lassen, obwohl dies in der Regel (z. B. in Amerika) ebenso viel wirkt. -- Ich will mit dem Allem nur darthun, daß diese Streitfrage in der That nicht so wichtig ist, als sie Vielen (bei oberflächlicher, oder ängstlicher Betrachtung) erscheint, und man irren würde, darauf großen Nachdruck zu legen. ~Le meilleur~ ist auch hier ~l’ennemi du bien~. +Zweitens+, glaube ich nicht, daß Direktorium, Trias, Turnus, die böse Sieben und der republikanisirende Präsident die Mehrzahl der Stimmen erhalten. Über den +Titel+ würde ich ferner keinen Streit erheben. So drängen sich Fragen und Stimmen dahin zusammen: ein sechsjähriges oder ein erbliches Oberhaupt? Wenn wir das Letzte nicht durchsetzen, die Baiern aber mit sechs Jahren zufrieden sind und so die Mehrheit für Preußen hervorgeht, so muß dies, meines Erachtens, hierüber keine Widersprüche erheben, oder ablehnen, sondern (wie es die Staatsklugheit verlangt) +zugreifen+. Sechs Jahre! Welch lange Zeit! Erfüllt Preußen seine Schuldigkeit, genügt es seinem natürlichen großen Berufe, -- so kann man sich für die Fortdauer seiner Oberleitung verbürgen. Jetzt sind die Gegner beschwichtigt; nach sechs Jahren werden sie nicht mächtiger sein u. s. w. +Drittens+, bei einzelner Abstimmung über das Wahlgesetz ist fast mehr Wahrscheinlichkeit, daß wir gewinnen, als daß wir verlieren. So fehlten uns bei der ersten Abstimmung für die Öffentlichkeit nur wenige Stimmen, die vielleicht zu uns übertreten. Mit dem Allen will ich nur beweisen: daß wir zu verzweifeln keinen Grund haben. Sollten aber die Regierungen (von Österreich verlockt) den betretenen Weg weiser Mäßigung verlassen, unsere Arbeiten, von Oben herab, zur Seite werfen, und ihre politischen Taschenspielereien aufdringen wollen, so würden sogleich die Parteien in der Paulskirche verschwinden, und die Meisten, selbst auf die Gefahr neuer Revolutionen, ihre (nun einmal anerkannte) Stellung behaupten und geltend machen wollen. Man hüte sich also, dies ~noli me tangere~ in verletzender Weise zu betasten und zu behandeln. Schon die vorläufige Nachricht, daß wir dem Ziele nahe sind, erregt in ganz Deutschland die freudigste Hoffnung, die nachdrücklichste Zustimmung. Also vorwärts: die Gelegenheit hat nur Haare auf der Stirne. Untergang im Kampfe auf fester Bahn ist besser, als untergehen und versinken im Zweifeln. Hundertachtundzwanzigster Brief. Frankfurt a. M., den 17. März 1849. Ich kann nicht mit Falstaff sagen: Sorgen und Zahnweh ~swell up a man like a bladder~; vielmehr werde ich danach mager und das Gegenstück zum Grafen G., dem man (seines gewaltigen Umfanges halber) den Titel „des Reichsschwerpunktes“ ertheilt hat. Ein Staatenbund auf bloße Fürstenmacht gegründet, kann und wird den Deutschen nicht genügen, sie würden (den kräftigeren europäischen Staaten gegenüber) zu Grunde gehen. Das Verwerfen eines, aus dem gesammten Deutschlande hervorgehenden, dasselbe vereinigenden Volkshauses hat die österreichische Regierung hier um allen und jeden Credit gebracht; wogegen die Erklärungen der berliner Kammern den günstigsten Eindruck machen, diese (Gottlob) von kleinlichen Zänkereien ablenken und auf die vorliegenden großen Aufgaben hinweisen. Gestern Abend ward im Weidenbusche bemerkt, daß wir wieder ein Paar Stimmen gewonnen hätten. Alles dies ist und bleibt jedoch unsicher und unentscheidend, da 1) nicht feststeht, wie viel Abgeordnete bei der Abstimmung gegenwärtig sein werden; 2) wie viel sich des Mitstimmens enthalten; 3) wohin eine bedeutende Anzahl von Schwankenden sich zuletzt wenden wird. Ferner ward gestern Abend gewarnt und beschlossen: man solle sich durch etwanige Grobheit und Ungebühr nicht zu Zorn und Lärm fortreißen lassen, sondern sich ruhig verhalten und der immer tüchtigen und unparteiischen Leitung des Präsidenten Simson vertrauen. Die österreichischen Abgeordneten befinden sich in einer sehr unangenehmen Lage. Eine Forderung ihres Austritts ist hier noch nicht ausgesprochen worden; doch wird sie schwerlich ausbleiben, sofern sie sich nicht von der letzten undeutschen Note ihrer Regierung lossagen. Thun sie aber dies, so stehen sie mit ihrem (selbst von Welcker aufgegebenen) Vermittelungsplane, einem Direktorium u. s. w. in einer unglücklichen, haltungslosen Mitte, welche weder den Parteien, noch den vorliegenden Verhältnissen genügt. Das Direktorium ist, dem +Scheine+ nach, sehr zweckmäßig, weil es Österreich und Baiern beruhigt; es verletzt aber alle Ausgeschlossenen, und wird, in sich uneinig, dem Auslande gegenüber, nie die nöthige Einheit und Kraft gewinnen. 23 Millionen, thätig in einer und derselben Richtung, sind mächtiger, als 33, die sich untereinander hemmen, verwirren und lahm legen. Alles Centralisiren hat seine Schattenseiten; aber das Zerfallen ist noch weit gefährlicher für ein Volk, das Nachbarn hat wie Franzosen und Russen. Am verhängnißvollen 18. März. Die gestrige Sitzung (die erste, welche der Berathung über die Verfassung gewidmet war) hatte eine solche Überzahl von Männern und Frauen herbeigelockt, daß noch ein Theil der sonst anderweit benutzten Galerien geöffnet wurde. Die Hitze stieg hiedurch bis zum Unerträglichen und die Luft blieb kaum athembar; -- doch mußte man aushalten. Ich schweige über die gehaltenen Reden, da die Zeitungen darüber umständlich berichten, und bemerke nur, daß die des aus Wien zurückgekehrten H. (derselbe, der im Sommer ein Ministerium bilden wollte, aber kläglich zurücktreten mußte) so „+fortlaufenden+“ Beifall fand, daß bei dem benachbarten Herrn Jouy kein Platz übrig war, um zu frühstücken! Der Gedanke, daß fremde Mächte sich behindernd einmischen möchten, erregt den allgemeinsten, höchsten Zorn, und ebenso Österreichs Widerspruch gegen einen engeren Bund, während es seinerseits ohne alle Rücksicht auf Deutschland vorschreitet. Obgleich die österreichischen Abgeordneten sich kurzsichtig dazu hergegeben haben, das Wahlgesetz nach den demokratischen Ansichten der Linken durchzutreiben, macht Hr. V. nebst Gleichgesinnten den Antrag: Österreich mit Krieg zu überziehen, und mancher Ultramontane möchte dies gegen Preußen versuchen! -- Man wird an Schiller’s Wort erinnert: wächst mir ein Kornfeld in der flachen Hand u. s. w. * * * * * Nach Barrow’s Spanien durchblättere ich mit Vergnügen Kingston’s Portugal, in dessen nördlichem Theile sich zufolge der (fast zu zahlreichen) Naturbeschreibungen schöne Gegenden finden. Im Ganzen ist auch dies romanische Volk hinter den germanischen zurückgeblieben. Hundertneunundzwanzigster Brief. Frankfurt a. M., den 19. März 1849. Wichtige Nachrichten kommen jetzt durch den Telegraphen so schnell nach Berlin, daß man durch Briefe eigentlich nichts Neues berichten, und nur Theilnahme für den Berichterstatter zu geduldigem Lesen antreiben kann. Da indeß kleine Einzelnheiten bisweilen die großen Züge des Bildes erhellen und erleuchten, so fahre ich in alter Weise fort, und suche meine Schneckenpost neben dem Telegraphen aufrecht zu erhalten. Aus der gestrigen Berathung im Weidenbusche also Folgendes: 1) Ein sächsischer Abgeordneter trug vor, daß Nachricht eingelaufen, der beauftragte Ausschuß werde sich gegen die Zahlung der Flottenbeiträge erklären, die Mehrheit der Kammern wahrscheinlich auf seine Seite bringen und von schlechtem Partikularismus aus, den Rechten und Pflichten der Reichsgewalt zu nahe treten. Er wolle hierüber eine Frage an das Reichsministerium richten. -- Einige meinten: dies sei voreilig, man müsse die Beschlüsse der Kammern abwarten. -- Ich entgegnete: dann sei die offene Fehde nicht zu vermeiden, die Rücknahme schwierig; vielleicht lasse man sich warnen u. s. w. -- Diese Ansicht gewann die Oberhand. 2) Bemerkte ich: die Behauptung, es werde durch ein erbliches Kaiserthum, die Zukunft des Vaterlandes in Gefahr gesetzt, ja preisgegeben, finde viel Anklang. Deshalb sei es nöthig, daß einer der erwählten, nichtpreußischen Redner erweise, wie die Erblichkeit (im Gegensatz der Wahlen und Wahlumtriebe [siehe Polen]) eben die Gefahr abhalte und die Zukunft sichere. 3) Ebenso müsse Lassaux’s Behauptung: der König von Preußen werde durch Annahme der Kaiserwürde wortbrüchig, widerlegt werden. Der König habe ein solches Wort nie gegeben, und selbst wenn dies jemals geschehen, sei es thöricht bei ganz neuen, früher ungeahnten Verhältnissen, an alten Ansichten festhalten zu wollen und darauf einseitige Schlußfolgen zu gründen. Beide Bemerkungen zu 2 und 3 werden einzelne Redner berücksichtigen. 4) Mehre Abgeordnete der Linken (darunter Max Simon, Temme und andere einflußreiche Personen) ließen +vorläufige+ Anträge machen, wonach sie mit uns stimmen wollten. Ohne Zweifel würden wir alsdann die Mehrheit auf unserer Seite haben; allein nur unter folgenden lästigen Bedingungen: ~a~) Die Fassung des ersten Absatzes über den Reichsumfang in einigen Bestimmungen zu ändern. ~b~) Das aufschiebende Veto anzunehmen. Desgleichen ~c~) Die heimliche Abstimmung bei den Wahlen. ~d~) Sollten sich wenigstens 140 Glieder der Gesellschaft des Weidenbusches verpflichten, jeder von Berlin aus beantragten Abänderung der angenommenen Verfassung zu widersprechen. Diese Vorschläge fanden im Weidenbusche keinen Anklang; doch beschloß man, sie erst nach der morgenden Sitzung, und überhaupt erst dann zu berathen, wenn sie +förmlich+ übergeben würden. In der Regel sind die Grundsätze des Weidenbusches besser, als die seiner Gegner; die Taktik aber ungeschickter und mangelhafter. Möchten wir nicht in frühere Fehler verfallen und dadurch besiegt werden. Bis jetzt hat man im Eifer für einen unbedingten Sieg wenig daran gedacht, was wir für den (leider) möglichen Fall thun wollen und thun können, wenn wir keinen +unbedingten+ Sieg davontragen, sondern (wenigstens theilweise) geschlagen werden. Welche Stellungen und Punkte muß man aufgeben? Welche bis zum Äußersten vertheidigen? Welche Bedingungen annehmen oder verwerfen? u. s. w. Wie ich persönlich über Veto und Wahlform denke, habe ich schon früher geschrieben: ich halte den zweiten Punkt für wichtiger als den ersten, und den vierten Antrag für zu unbestimmt. +Alle+ Mitglieder des Weidenbusches würden z. B. widersprechen, wenn man das Volkshaus verweigerte, oder die sieben Prinzen mit neun Stimmen empföhle; allein alle und jede Berichtigung und Modification zurückweisen, welche sich im Laufe der Zeit als nothwendig und nützlich herausstellen sollte, ist ~a priori~ nicht zu rechtfertigen und ~a posteriori~ noch tadelnswerther. Endlich 5) beschloß man: morgen nicht auf den Schluß der Berathung zu dringen, sondern auch den Dienstag dazu einzuräumen. Dies ist um so nöthiger, da über die +wichtige+ Fragestellung und Reihenfolge der Abstimmungen gewiß viel Zweifel entstehen und Einreden erhoben werden. Welche große Gefahren mit +jeder+ Art der Abstimmung über einen Hauptantrag und etwa 20 Verbesserungsvorschläge verbunden sind, ergiebt sich aus folgendem Beispiele. Stellt man den Hauptantrag (den wir vertheidigen) +voran+, so stimmen viele Liebhaber ihrer eigenen Verbesserungsvorschläge in der Hoffnung dagegen, für dieselben die Mehrheit zu gewinnen. Kommt jener +zuletzt+ an die Reihe, nachdem die Verbesserungsvorschläge sämmtlich verworfen sind, so zürnen die Urheber derselben und stimmen gegen den Hauptantrag, -- woraus folgt, daß gar nichts zu Stande kommt! Über diese Gefahren kann +keine+ Form, sondern nur ächte Vaterlandsliebe hinweghelfen, welche sich unterordnet, um das +Gute+ durchzubringen, wenn das +Beste+ (~le meilleur~) unerreichbar erscheint. Hundertdreißigster Brief. Frankfurt a. M., den 20. März 1849. Der von Simon, Temme und sieben Anderen unterschriebene und gestern im Weidenbusche vorgelegte Antrag (dessen wesentlichen Inhalt ich bereits mittheilte) ward ohne weitere Berathung abgelehnt, da das Aufgeben lang vertheidigter Grundsätze für den Gewinn so weniger Stimmen unpassend erschien, und für bedeutenden Verlust noch immer zu keiner großen Mehrzahl führte. Eine solche fehlt allerdings, da sie nach Schubert’s gestrigem (obenein noch zweifelhaftem) Berichte kaum +zehn+ übersteigen dürfte. Aber selbst die Mehrheit von +einer+ Stimme wäre von großer Wichtigkeit, weil dadurch Weitläufigkeiten, Zeitverlust, Ränke, wenn nicht abgeschnitten, doch gehemmt werden, das ausgestreute Samenkorn wachsen, der kleinere Kreis (wie beim Zollvereine) sich erweitern wird. Viele hegen nur große Furcht, daß Halbheit, Feigheit und Böswilligkeit der Diplomatie unser Beginnen schwächen und stören wird, statt es zu stärken; man hofft immer noch mehr von den berliner Kammern, als von der Camarilla. Mein alter Zorn gegen die Diplomaten (siehe meine Spreu) ward in Paris nicht vermindert, sondern erhöht: nur Bastide (obwohl ein ~homo novus~, ein Neuling) bewegte sich nicht in den alten gebannten Kreisen, sondern sah darüber hinaus und wußte, daß man durch bloßes Nergeln und Ärgern und Verneinen, der Welt Lauf nicht verstehen lernt und ihn noch weniger beherrscht. In der heutigen Sitzung wird die Berathung wahrscheinlich geschlossen; und wenn unsererseits zuletzt Gagern und Riesser sprechen, sind wir gewiß im +Rede+vortheil. Daß die Preußen die Vertheidigung ihres Vaterlandes +Nicht+preußen überließen, thut (was auch das letzte Ergebniß sei) eine gute und beruhigende Wirkung. Ein entgegengesetztes Verfahren wäre gewiß bitter als Anmaßung und Eigennutz bezeichnet und getadelt worden. Zur Sache ist dadurch, bei der Geschicklichkeit der erwählten Redner, nichts verloren. Trotz langem Reden und unzähligen Wiederholungen, bleibt doch Manches ungesagt, z. B. wider den Wahnsinn etlicher Thoren, Preußen zu schwächen, um Deutschland zu stärken; und umgekehrt: die kleinen Staaten zu mediatisiren, um die Duodezkönige bis zu einer Oktavausgabe auszudehnen! Dies erinnert an das Streckbett eines ähnlichen Politikers, des Prokrustes, den jedoch Theseus widerlegte, indem er ihn todt schlug und eine Centralgewalt in Athen gründete. Wenn Preußen sich nicht selbst mordet, steht es thatsächlich (mit oder ohne Kaisertitel) an der Spitze Deutschlands: beide aber machen erst das Ganze. Sich zu fürchten: daß die kleinen Fürsten Preußens Herr werden könnten, wenn es sie beschützt, ist eine kolossal confuse Ansicht. Österreich kann und will nicht über den alten Staatenbund hinausgehen, der uns nochmals einschläfern würde, bis die Kriegstrompeten in Osten und Westen uns zu spät weckten. Umgekehrt will Hr. S. aus D. den König von Preußen verpflichten: Krieg nach allen Seiten zu beginnen, Italiener, Polen, Ungarn, Türken zu befreien u. s. w. u. s. w. Der Wahnsinn eines Antidiplomaten; nur der Unterschied zwischen stiller Tollheit und lauter Raserei. -- Während unser höchstes Bestreben sein muß, die Einmischung fremder Staaten in unsere einheimischen Angelegenheiten abzuhalten, will uns solch ein eingebildeter H-- R-- mit aller Welt in Krieg verwickeln und seinen papiernen Antrag als Reichsfahne, ja als Reichsheer hinstellen. Hunderteinunddreißigster Brief. Frankfurt a. M., den 21. März 1849. Gestern Abend ward im Weidenbusche allerlei berichtet und hin und her gerechnet über unsere Stimmenzahl, ohne ein festes Ergebniß +für+ den Sieg aufzufinden. Hierüber zornig, erklärte ein Mitglied: wenn wir nicht siegten und die Österreicher (welche uns hinderten, eine große Mehrzahl zu erhalten) nicht hinausgewiesen würden, so werde er (und dies sollte uns zum Beispiel dienen) nicht mehr in der Verfassungsangelegenheit mitstimmen. -- Diese Erklärung erschien mir so gefährlich und zweckwidrig, daß ich die Rednerbühne bestieg und etwa sagte: Wenn wir morgen nicht obsiegen, so ist dies ein Verlust für den Augenblick; wenn wir aber dem Vorschlage des Hrn. -- folgen, so verwandelt er sich in eine völlige Niederlage für alle Zeiten. Wir müssen uns vielmehr fester vereinigen als je, standhafter ausharren und kämpfen denn zuvor. Alle großen Gedanken, alle umgestaltenden Zwecke in Staat und Kirche, sind anfangs in der Minderheit geblieben: so von dem Kampfe der Plebejer gegen die Patricier in Rom, bis zur englischen Reformbill, der Aufhebung der Sklaverei und der Emancipation der Katholiken. So wird auch die +bereits vorhandene, unabweisliche Thatsache+, von Preußens Oberleitung und Einigung mit Deutschland, täglich mehr Boden gewinnen. Wenn wir morgen nicht obsiegen, so müssen wir übermorgen den Kampf wieder aufnehmen. Bei Ligny ward der alte Blücher geschlagen, bei Waterloo war er mit seinen Preußen wieder da, und entschied. Diesem Vorbilde können und müssen wir nachfolgen. -- Meine Worte fanden, Gott Lob! allgemeine Beistimmung! Wenn Hr. -- sagt: er sei mein Wahlmann und habe mir keinen Auftrag (Mandat) gegeben, einen Kaiser anzunehmen, so antwortet ihm in meinem Namen: das Geschäft, das Mandat des Wahlmannes, ist lediglich zu wählen, nicht aber einzelne bestimmte Vorschriften und Aufträge zu ertheilen. Dies würde Begriff und Nutzen der Repräsentation aufheben und die Volkssouverainetät auf eine Weise geltend machen, welche selbst die Demokraten nicht wollen, und welche 1793 in Frankreich versucht, zu den unsinnigsten und entsetzlichsten Ergebnissen führte. Unser Beruf (Mandat) spricht sich schon im anerkannten Titel: „verfassunggebende Reichsversammlung“, -- deutlich und bestimmt genug aus, und ich habe keinen Begriff von einer +hauptlosen+, und +jetzt+ für Deutschland auch nicht von einer heilsamen dreiköpfigen oder siebenköpfigen Verfassung. -- -- Anstatt uns unsere unendlich schwere Aufgabe noch mehr zu erschweren und zu verbittern, sollten uns alle Einsichtigen von Berlin aus stützen und schützen; anstatt, in leichter Weise, zu tadeln, zu kritteln, zu spotten, zu verneinen, sollte sie das Vaterland für große Zwecke und für ein positives +Vorwärts+ begeistern; anstatt sich mit Fragen über Mandate u. s. f. pedantisch abzumühen, sollten sie die Verhältnisse als ächte Staatsmänner begreifen und beherrschen; anstatt (wie beim Spiele mit dem nürnberger Tand) Hinderndes und Förderndes gegen einander abzuwägen und aufzuheben, bis nichts übrig bleibt, nichts geschieht und der rechte Zeitpunkt verloren geht, sollten sie dem Beispiele des großen Kurfürsten (1640), Friedrich’s II (1740) und Friedrich Wilhelm’s III (1813) folgen. Wer das nicht will, nicht begreift, nicht wagt, -- der wende seine Sehnsucht nach der Zeit zurück, wo es nur einen Markgrafen von Brandenburg gab, und dieser sich mit den Quitzows und Putlitz herumschlagen mußte. Romane kann man über solche Zeiten schreiben, aber die Weltgeschichte nimmt davon keine Kenntniß. Preußen ist ein weltgeschichtlicher Staat und soll es in steigender Größe bleiben. Heißt das (der Diplomatie und dem neidischen Auslande gegenüber) revolutionair; nun, so bin ich ein Revolutionair, und thue hier mein Möglichstes, Andere für diese unvermeidliche, heilsame Revolution zu bekehren. Nachmittags. In diesem Augenblicke weiß man schon in Berlin durch den Telegraphen, daß der Antrag des Ausschusses mit 283 gegen 252 Stimmen verworfen ist. Ich verzweifle deshalb noch keineswegs; es ist noch nicht aller Tage Abend, und die Zögerung soll das Ziel nur noch bestimmter hinstellen, seine Natürlichkeit und Nothwendigkeit erweisen, die Frucht besser reifen lassen: -- oder endlich dahin führen, daß wir zur Belehrung späterer Zeiten, als wohlgesinnte Zeugen, als Märtyrer für die Sache, für die Wiedergeburt, die Dauer, die Macht und Größe des Vaterlandes, in das Buch der Sorgen und Leiden eingezeichnet werden. Aber mehr als je: nicht verzweifeln! Hundertzweiunddreißigster Brief. Frankfurt a. M., den 22. März 1849. Ihren Brief vom 19. d. M. erhielt ich gestern Abend, und es war mir sehr trostreich zu sehen, daß Sie, trotz Ihrer doppelt schweren Sorgen und Leiden, ausharren und den Muth nicht verlieren. Daß auch wir dessen bedürfen, wissen Sie bereits durch die telegraphischen Berichte; Sie erlauben aber auch wohl heute (wie zuvor), einige persönliche Bemerkungen über die großen Ereignisse auszusprechen. Ich bin dadurch weniger niedergebeugt worden, als viele meiner Kollegen, weil mir (trotz aller hoffnungsreichen Berechnungen) der eingetretene Ausfall der Abstimmung nicht unerwartet war, weil ich die Möglichkeiten bereits hin und her überlegt hatte, und was man, im Fall einer Niederlage, thun müsse, um die unglücklichen Erfolge derselben zu vermindern. Zwei Anträge kamen gestern Abend im Weidenbusche nicht blos zur Sprache, sondern sie wurden mit Leidenschaft vertheidigt. Ich habe beide mit Wort und Abstimmung bekämpft, und sie sind (wenigstens für diesen Augenblick) verworfen worden. +Erstens+ nämlich: durch eine heute in der Paulskirche abzugebende Erklärung, den Österreichern (durch deren Verein mit der Linken wir besiegt wurden) alles Recht des Mitstimmens abzusprechen und sie hinauszuweisen. So unnatürlich es auch erscheinen mag, daß sie nach den Erklärungen der österreichischen Regierung noch an unserem Werke mitarbeiten, oder vielmehr es stören wollen, würden wir mit einem solchen Antrage ohne Zweifel in der Minderzahl bleiben, und uns zugemuthet werden, auszuscheiden. Dieser Antrag ward nun: +Zweitens+ von mehren preußischen Abgeordneten auch gemacht; aber mit den nahe liegenden Gründen bekämpft: daß wir einen theilweisen Verlust dadurch in eine völlige Niederlage verwandeln, leichtsinnig und übereilt die Pflicht gegen Vaterland, Wähler und gegen uns selbst verletzen, die Reichsversammlung auseinandersprengen, und Alles dem Zufalle und der Willkür der Rückläufigen und der Anarchisten preisgeben. Auch wäre der Fall Frankfurts ein Unglück für Preußen; der gestrige Beschluß wird schon zur Entfremdung hinwirken. Er gewinnt dadurch ein doppeltes Gewicht, daß das ganze Ministerium veranlaßt ward, abzudanken. Weniger deswegen, weil es mit der +Minderzahl+ stimmte, als weil es (bei steigenden inneren und äußeren Gefahren) täglich in den einzelnen Staaten weniger Unterstützung und Gehorsam fand, und weil die Linke und die Österreicher durch stetes +Verneinen+ alle positiven Maßregeln hinderten oder lahm legten. Jetzt sollen die unnatürlich Verbündeten zeigen, ob sie auch gemeinsam +bejahen+ und handeln können. Wenn aber ein aus ihnen gebildetes Ministerium (wie im vorigen Sommer das von Dahlmann und Hermann) auch nicht +vor+ der Geburt stirbt, wird es sich doch auf keinen Fall lange halten können. Überdies stehen die heute in der Paulskirche zur Sprache kommenden Vorschläge Heckscher’s und der mit ihm verbundenen österreichischen Partei, in schroffem Widerspruche mit den Erklärungen der österreichischen Regierung. Ich glaube, daß sich die öffentliche Meinung in Deutschland nicht überwiegend für jene Coalition aussprechen, und uns nicht deshalb verdammen wird, daß wir ihrer überlegenen Kopfzahl erlagen; -- leider aber auch dem Abfalle preußischer Abgeordneten! Möge dies Ereigniß nur nicht die sogenannten „Stockpreußen“ zu einseitigen und übereilten Beschlüssen verleiten, oder der zugleich bornirten und neidischen Diplomatie das Übergewicht verschaffen. Ich wiederhole (ich weiß nicht zum wie vielsten Male): wenn in Frankfurt +gar nichts+ zu Stande kommt, so werden es +Völker+ und +Fürsten+ gleichmäßig bitter büßen!! Vor der Hand ist die Frage nach dem Annehmen oder Ablehnen Preußens beseitigt; sie wird aber in dieser oder in einer anderen Form gereifter wiederkehren. Neben der 1 wird sich die 3, die 5, die 7 u. s. w. geltend machen wollen. Alle kleineren Staaten sind für die +Eins+ und sehr unzufrieden mit dem Ausfalle der gestrigen Abstimmung. Verständige sich Preußen (wie zur Zeit der Gründung des Zollvereines) mit den ihm günstig Gesinnten; es wird, welche jener Ziffern auch obsiege, überall die Mehrheit der Stimmen in beiden Reichshäusern auf seiner Seite haben; -- sobald es die +Zeit begreift+, und nicht abwechselnd allzu liberal und allzu despotisch ist. Auf diesem Wege büßt man Haltung und Vertrauen und Macht ein, anstatt sie zu begründen und zu verstärken. Hundertdreiunddreißigster Brief. Frankfurt a. M., den 23. März 1849. Nach bedeutenden Ereignissen muß man umschauen, sich orientiren, Gang und Zusammenhang zu begreifen suchen, um nächstdem mit Verstande weiter zu handeln. Ich will dies (selbst auf die Gefahr mancher Wiederholungen) nochmals versuchen. Welcker stand an der Spitze Derer, welche sehnlich wünschten und glaubten, daß Österreich in den engen, nothwendigen Bundesstaat treten werde. Als ihn endlich amtliche Erklärungen vollständig enttäuschten und bekehrten, faßte er seinen bekannten Entschluß, buchstäblich über Nacht. Diejenigen, welche längst eingesehen hatten daß ein, möglichst eiliger, Abschluß der Verfassung dringend nothwendig sei, konnten (um einzelner Bedenken willen) den Antrag nicht zurückweisen. Er fiel aus mannigfaltigen Gründen durch, von denen ich nur einige erwähnen will. Ohne Zweifel ist der wichtigste, die Verbindung der Österreicher mit der Linken, wovon ich schon oft gesprochen habe. Bei Anderen trat hinzu: Furcht vor Übereilungen, Hoffnung, bei einzelnen Abstimmungen noch mehr zu gewinnen, Abneigung gegen einen Erbkaiser, Besorgniß vor den Einreden der Könige, Neid gegen Preußen u. s. w. Ich habe schon berichtet, welche Leidenschaftlichkeit und Muthlosigkeit sich nach jenem Mißlingen Vieler bemächtigte, und wie auch ich meinerseits aus allen Kräften für Ausharren, Zusammenhalten und festes Handeln kämpfte, und behauptete: es sei keineswegs Alles verloren! Was ist denn wahrhaft verloren, in welcher Hinsicht sind wir geschlagen? Wir sind es in Beziehung auf die Frage der +Form+, wonach (was Ängstlichen und selbst manchem Besonnenen mißfiel) Alles auf +eine+ Karte gesetzt und mit +einer+ Abstimmung sollte entschieden werden. Ich mache mich anheischig (ohne Sophistik) nachzuweisen, daß dieser scheinbare Verlust, von anderem Standpunkte aus, als ein Sieg kann betrachtet werden, welcher Stimmen der Ängstlichen für uns gewinnt und den Vorwurf, daß aus falscher Begeisterung nur Übereilungen hervorgingen, beseitigt. Es ist eine unbewiesene Voraussetzung, daß wir bei allen nachmaligen Abstimmungen über wichtige Punkte gewiß unterliegen würden; ich gebe aber selbst für diesen schlimmsten Fall nicht Alles verloren, oder der Verlust ist keineswegs so groß, wie er Vielen erscheint. Es sei mir erlaubt, in dieser Beziehung Folgendes zu wiederholen. 1) Die Absätze 2 und 3 über die Personalunion mit Österreich wurden im vorigen Sommer mit 340 gegen 76 Stimmen angenommen. Seitdem haben Viele (so ich selbst) sich überzeugen +müssen+, daß Worte und Handlungen der österreichischen Regierung, jetzt mehr als je den Gedanken aufzugeben +zwingen+: mit Einschluß Österreichs einen kräftigen +Bundesstaat+ zu gründen, und über den alten +Bundestag+ hinauszukommen. Ich kann (trotz aller neuen Coalitionen) nicht glauben, daß sich jene ungeheure Mehrheit in eine Minderheit verwandeln werde; und geschieht dies nicht, so ist für Frankfurt (wenn auch nicht für Diplomaten) der König von Preußen unvermeidlich. 2) Das unbedingte oder aufschiebende Veto? Eine (wie ich bereits schrieb) theoretisch unzweifelhafte, in einem constitutionellen Staate praktisch unbedeutende Frage. 3) Ein Zeit- oder Erbkaiser? Jenes, unbedenklich der weit schlechtere Ausweg. Die +sachliche+ Frage ist aber in diesem Augenblicke vorzugsweise eine +persönliche+. Wird ein Duodez-König den König von Preußen nach sechs Jahren aus dem Sattel heben können, wenn dieser zu reiten versteht? 4) Öffentliche oder geheime Wahl? Jene, meines Erachtens die weit bessere Form, welche (ich hoffe) durchgeht, da uns bei der ersten Lesung nur wenige Stimmen fehlten. In Zeiten, wo die öffentliche Meinung nach irgend einer großen Richtung ergriffen, oder beherrscht wird, verlieren aber +beide+ Formen an Gewicht, und der Strom drängt zu einer unvermeidlichen Entscheidung. 5) +Direktorium.+ Preußen entscheidet auch +da+, wenn es sich nicht selbst aufgiebt und von Österreich ins Schlepptau nehmen läßt. Meine Forderung, nicht den Muth aufzugeben, meine Behauptung, daß sich keineswegs immer so viel Stimmen gegen uns vereinigen würden, wie bei dem Welcker’schen und Ausschuß-Antrage, hat sich gestern bestätigt: alle, nicht unbedeutende, Vorschläge unserer Gegner sind mit großen Majoritäten verworfen worden. -- Ihre Taktik (um nicht härtere Ausdrücke zu gebrauchen) kam dabei wieder einmal recht ans Tageslicht. Die Österreicher wünschen Zögerungen, die Linke unbedingte Annahme des Wahlgesetzes. Deshalb schlug diese vor, über dasselbe zu allererst abzustimmen (was verworfen ward), und nahm einen Antrag zurück, welcher durch Abkürzung der Formen zu einer raschen Annahme der Verfassung führen sollte. Ihnen unerwartet nahmen aber wir den Antrag auf, und während Die, welche ihn gemacht und unterschrieben hatten, dagegen stimmten, erhielten wir eine Mehrheit von 101 Stimmen. Wir sind verloren! rufen die Kleingläubigen und Kleinmüthigen. Ich antworte: wir haben sehr viel gewonnen. Im Junius vorigen Jahres verging kein Tag ohne die ungebührlichsten Schmähungen wider Preußen, und wenn ich behauptete: man müsse, wo nicht zum Angriffe übergehen, doch Nothwehr üben, betrachteten Manche (z. B. der ermordete Auerswald) dies als Thorheit, ja fast als Verrath, welcher die Süddeutschen und Österreicher verletzen dürfte. Erst bei dem verdammlichen Angriffe Brentano’s auf den Prinzen von Preußen riß unseren Landsleuten der Faden ihrer Schafsgeduld, und sie hörten meine zornigen, den Prinzen und die Prinzessin vertheidigende Worte mit Beifall. Welch ein Unterschied von dem Tage, wo man Hecker über den Prinzen von Preußen stellte, bis zu der Frage: ob der König von Preußen Erbkaiser von Deutschland werden solle! Ich weiß, daß ich mich unzählige Male wiederhole: allein wenn ich heute mein Herz ausgeschüttet habe, ist es morgen derselben Dinge voll. Man kann aus diesen Variationen des einen politischen Themas nicht heraus, am wenigsten ein Abgeordneter in Frankfurt. Gäbe der Himmel nicht Stärke, die Sorgen und Anstrengungen des Geistes und Leibes müßten einen völlig zu Grunde richten. Es ist indessen auch eine ehrenvolle Aufgabe, im Frieden sein Leben dem Vaterlande zu opfern! Hundertvierunddreißigster Brief. Frankfurt a. M., den 24. März 1849. Der gestrige Tag war sehr mühselig, jedoch nicht ohne Interesse: wir hatten Sitzungen von 9-1 Uhr und von 4-7 Uhr in der Paulskirche, von 2-4 Uhr aber in dem Weidenbusche. Ich erwähne zuerst zwei unerwartete Zwischenfälle, welche großen Lärm herbeiführten. +Erstens+, sagte Hr. Venedey: er wisse von einem Manne (den er auf Verlangen +nennen+ könnte), daß Hr. v. Schmerling (er ward zwar nicht genannt, aber deutlich bezeichnet) gesagt habe: er wolle sehen, ob der Preuße (Camphausen) mürbe genug sei, um auf +Oktroyirung+ einer Verfassung für Deutschland einzugehen. Hr. v. Schmerling erklärte dies für eine Lüge. -- Mit großem Rechte beschloß die Versammlung, sich auf den unerfreulichen Streit nicht weiter einzulassen. +Zweitens+: protestirten drei Abgeordnete aus Welschtirol, daß ihr Land zum deutschen Bunde gerechnet werde; es gehöre in Wahrheit zu Italien. -- Sie waren hiezu weder beauftragt, noch hatten sie dazu ein eigenes Recht; weil aber der Wegfall ihrer drei Stimmen ein anderes Ergebniß der Abstimmung über Absatz eins herbeigeführt hatte, so machte Hr. R. den Antrag: daß sie nach Abgeben jenes Widerspruches nicht mehr als deutsche Abgeordnete könnten betrachtet werden, also fernerhin nicht mitstimmen dürften. -- So in der Paulskirche um ein Uhr. Um zwei Uhr erneute sich der Sturm im Weidenbusche. Die Mehrheit war der Meinung: jene Erklärung sei allerdings eine nichtige, auch wohl thörichte; gebe aber keinen genügenden Grund die Urheber ihrer Stimmrechte zu berauben. Ich fügte hinzu: wir würden ohne allen Zweifel mit einem Antrage auf Hinausweisen in der Minderheit bleiben und vielleicht den Gegenantrag hervorrufen, daß uns (der unzufriedenen Minderzahl) frei stehe, hinauszugehen. Selbst wenn jene drei Stimmen wegfielen, würden wir nur mit 265 Stimmen gegen 263 die Oberhand behalten; ein kläglicher Sieg, den man nirgends berücksichtigen werde. -- Hr. R. ließ sich aus diesen und anderen Gründen bewegen, seinen Antrag zurückzuziehen, und so fällt nun der erste (mit 266 gegen 265 Stimmen verworfene) Absatz ganz hinweg. Er lautete: „kein Theil des deutschen Reiches darf mit nichtdeutschen Ländern zu einem Staate vereinigt sein“, und war ohne Zweifel mit Rücksicht auf Österreich und Schleswig aufgestellt worden. Die Zurücknahme jenes Antrages erzürnte die Leidenschaftlichen (so St., K. u. A.), sie wollten sogleich +alle+ österreichischen Abgeordneten fortjagen. Hiezu fehlt uns in +diesem+ Augenblicke sowohl Macht, als vollkommen genügender Grund; obwohl der +rechte+ Zeitpunkt eintreten dürfte, sofern Österreich auf gewissen Erklärungen und Grundsätzen beharrt. Auf anderer Stelle als die Leidenschaftlichen stehen die Verzweifelnden (so S.), sie halten Alles für verloren und möchten deshalb keinen, jedenfalls nutzlosen Kampf mehr versuchen. Ich mußte beiden Standpunkten und Verfahrungsweisen widersprechen und erklärte: der Wegfall des ersten Absatzes sei unbedeutend, sobald der zweite durchgehe, welcher lautet: „Hat ein deutsches Land mit einem nicht deutschen Lande dasselbe Staatsoberhaupt, so ist das Verhältniß zwischen beiden Ländern nach den Grundsätzen der +reinen Personalunion+ zu ordnen.“ -- Weil aber die letzten Ausdrücke undeutsch, unbestimmt und zweideutig wären, weil der Absatz in dieser Fassung gewiß durchfalle; so solle man ihn zurücknehmen und sich, um eine +große Mehrzahl+ zu erhalten, dem Wigard’schen Verbesserungsvorschlage anschließen. Dieser, mein Antrag, ward zurückgewiesen, es geschah aber was ich geweissagt: jener Absatz 2 nach der Fassung des Ausschusses, erhielt +nicht+ die Mehrheit in der Paulskirche. Unterdeß hatte Hr. Wigard, auf Betrieb der Österreicher, seinen eigenen Vorschlag zurückgenommen; er ward aber, vor Thorschluß, noch von uns aufgenommen, und erhielt nun, wie ich vorhergesagt, eine +sehr große Mehrzahl+; auch ist er, meines Erachtens, nach Form und Inhalt vorzuziehen. Er lautet: „hat ein deutsches Land mit einem nicht deutschen Lande dasselbe Staatsoberhaupt, so soll das deutsche Land eine von dem nicht deutschen Lande getrennte, eigene Verfassung, Regierung und Verwaltung haben. In die Regierung und Verwaltung des deutschen Landes dürfen nur deutsche Staatsbürger berufen werden. Die Reichsverfassung und Gesetzgebung hat in einem solchen deutschen Lande dieselbe verbindliche Kraft, wie in den übrigen deutschen Ländern.“ Österreich muß jetzt (mit Hülfe kurzsichtiger Regierungen) diese durch eine große Überzahl gefaßten Beschlüsse gewaltsam umstoßen und auf dem alten Staatenbunde beharren; oder verstatten, daß Gleichgesinnte einen Bundesstaat bilden, mit welchem Österreich in möglichst enge, freundschaftliche Verbindung tritt. An diesen Sieg reihte sich ein zweiter. Die Coalition forderte: daß nach Annahme aller einzelnen Abschnitte und Absätze, zuletzt noch eine einzige Gesammtabstimmung über die ganze Verfassung stattfinde. Die offenbare, obwohl nicht ausgesprochene, Absicht war, Alles noch einmal in Frage zu stellen, und zum Vortheil der Republikaner und Österreicher zu verwerfen. Der Antrag ward aber verworfen. Jetzt folgte (um Boden wieder zu gewinnen und uns unbeliebt zu machen) von der Linken ein Vorschlag: in die Verfassung einen Absatz über die Volkssouverainetät aufzunehmen, der, so gestellt und gefaßt, zu den größten Mißdeutungen und Mißbräuchen Veranlassung gegeben und jede Empörung der formlosen Massen scheinbar gerechtfertigt hätte. -- Dies um so mehr da von Erläuterungen und vernünftigen Beschränkungen nicht die Rede war. In diesem Augenblicke zeigte sich aber, aus wie fremdartigen Bestandtheilen jene künstliche Coalition zusammengesetzt ist. Die Ultramontanen stimmten gegen den Antrag und ebenso mehre Baiern; nicht wenige Österreicher liefen zur Thür hinaus, und so siegten wir mit einer Mehrheit von 84 Stimmen; -- sehr viel für eine Versammlung, die doch gutentheils aus den sogenannten Märzerrungenschaften hervorgegangen ist. Als Gagern, Bassermann, Soiron u. A. (die früher sich auch zu schönen Phrasen über die Volkssouverainetät, ohne scharfe Bestimmung des Wahren und Falschen in diesem schwierigen Begriffe hatten verlocken lassen) jetzt +wider+ jenen Antrag stimmten, erhob die Linke einen ungeheuern Lärm des Spottes und Tadels! Von jetzt an werden täglich Vormittags- und Nachmittagssitzungen gehalten und wir dürften (da keine Berathungen und Reden erlaubt sind) hoffentlich rasch vorschreiten. Mögen nun die Regierungen der größeren Staaten so Maß halten, wie die der kleineren, und unsere Bestrebungen fördern und berichtigen, statt sie leidenschaftlich, oder übereilt zu verwerfen. Freilich: +wenn Preußen nicht den Reigen muthig führt, wird aus Allem gar nichts+; und +dann+ -- ~_après nous le déluge_~! -- Sie wird nicht ausbleiben, die Sündfluth, zur Strafe Aller, welche sündigten! Nachmittags. Ich komme soeben aus der Sitzung, wo eine ganze Reihe von Vorschlägen der Linken verworfen wurden, mit Ausnahme eines einzigen, der, wenn er von Preußen ausgegangen wäre, wahrscheinlich dasselbe Schicksal gehabt hätte; nämlich: „Küstenbefestigungen werden aus Reichskassen bestritten.“ -- Nun so mögen die Binnenstaaten fleißig bezahlen! Hundertfünfunddreißigster Brief. Frankfurt a. M., den 25. März 1849. Der Entwurf der Verfassung zählt 135 Absätze. Von diesen sind in zwei Vormittags- und Nachmittagssitzungen 53 angenommen worden; es bleiben also 82 noch übrig. Zwar befinden sich unter diesen bei Weitem die wichtigeren; weil aber nicht gesprochen, sondern nur abgestimmt wird, so wird man (selbst bei zahlreicheren namentlichen Abstimmungen) in wenigen Tagen die zweite Lesung beendet haben, und sich in irgend einer entschiedenen Weise aussprechen +müssen+. Die Verwerfung des Welcker’schen Ausschußantrages hat also diese Nothwendigkeit keineswegs so lange hinausgeschoben, als die Unentschlossenen, Charakterlosen wahrscheinlich wünschten und glaubten. Es ist noch gar nicht vorauszusehen, wie man die großen Fragen über Veto, Zeit- oder Erbkaiser, Direktorium u. s. w. hier entscheiden wird; -- und diese leidige Ungewißheit fällt der preußischen Regierung großentheils zur Last. Sie hat ihre treuen Freunde (trotz alles Bittens und Flehens) hier ohne Rath, Warnung und Fingerzeig gelassen; sie hat seit langer Zeit nicht einmal gesprochen, viel weniger gehandelt, und das Feuer edler Begeisterung eher ausgelöscht, als gefördert. Giebt es denn zwischen voreiligem Hervortreten und muthlosem Verstecken keinen Mittelweg? Soll man aus Angst vor Gegnern, die Freunde verletzen und verläugnen? Hätte man in Berlin zwischen Zuviel und Zuwenig, zwischen Verzagtheit und Tollkühnheit, den rechten Mittelweg gefunden, und die Gesellschaft des Weidenbusches ermuthigt, die Widersacher eingeschüchtert, und den befreundeten Regierungen und Volksstämmen offen die Hand gereicht; -- der Sieg wäre bereits erfochten! Die Besorgniß vor der Ansicht und Entscheidung der berliner Kammern, konnte allerdings hemmend einwirken; seitdem aber diese (hier einmal alle unnützen Streitigkeiten bei Seite legend) sich so kräftig für Deutschland erklärten, erwartete man mit Ungeduld andere bestimmtere Erklärungen auch von der Regierung, damit die alten Freunde in der Paulskirche gekräftigt und neue gewonnen würden. Doch was schelte ich? Hat nicht Hr. v. A. gesprochen und ein Meisterstück diplomatischer Kunst der Welt vorgelegt? Welche glatte Worte, welche Komplimente nach allen Seiten, welche Gewandtheit, Alles als bejaht und zugleich als verneint zu fassen, jede Deutung vorzubehalten und ihr Raum zu geben; für oder gegen Österreich, für oder gegen Frankfurt! O über diese Wiedergeburt der so lang verehrten alten Diplomatik! Es giebt Bücher mit Musterbriefen für alle Liebesangelegenheiten und für alle diplomatischen Verhältnisse. Hr. v. A. scheint eins der letzteren zu Hülfe genommen zu haben, und eine gleich zweideutige, überhöfliche Antwort zu erwarten, wie sie auf der nächsten Seite abgedruckt ist. O Gott! in diesem für Preußen und Deutschland allerwichtigsten Augenblicke hält man derlei Phrasendrechselei, derlei inhaltsloses Geschwätz für eine stärkende Lebensquelle; man verliert den letzten Augenblick, wo der Sieg noch möglich war, und bietet nun solch einen papiernen Wisch als eine Siegesfahne in der entscheidenden Schlacht! Alle unsere Gegner triumphiren schon jetzt, daß Preußen sich unterordne und mit 16 Millionen nicht so viel wage, als Friedrich II und Friedrich Wilhelm III mit 5 Millionen; daß Schwarzenberg sein hiesiges Heer befeure, ohne von der 6, 7, 9, 38 u. s. w. u. s. w. irgend etwas aufzugeben. -- Und wir!! -- 25 Regierungen und 10 Millionen Deutsche, die uns vertrauten und sich uns opfern wollten, wenden sich von uns ab, da keine andere als die A--sche Kindertrompete erklingt. Es liegt nicht am Mangel des Muthes, wenn wir besiegt werden und uns nach wenigen Tagen vielleicht nichts übrig bleibt, als unsere Kleider zu zerreißen, unsere Häupter mit Asche zu bestreuen und unter Spott und Hohn nach Hause zu gehen! Die Weltgeschichte wird uns billiger behandeln, kann aber das Geschehene nicht ungeschehen machen. Brächte doch der Telegraph im Augenblicke der Entscheidung eine erhebliche Hülfe. Österreich bleibt, ohne Einverleibung in Deutschland, eine europäische Großmacht; nicht so Preußen. Es gehört durchaus und ganz zu den Deutschen, es wird mit Deutschland, -- und Deutschland mit ihm stehen oder fallen. Hundertsechsunddreißigster Brief. Frankfurt a. M., den 26. März 1849. Unzählige Male (so auch gestern Abend im Weidenbusche) höre ich den Ruf: keine Verhandlungen, keine Concessionen! und insbesondere betrachten es die, in ihre Theorien verliebten, abstrakten Männer, als einen Verrath an Wissenschaft und Vaterland, wenn man eins ihrer sogenannten Principe (d. h., eine ihrer Lieblingsmeinungen) antastet. Dies erinnert leider nur zu bestimmt an die Zeiten des unseligen Dreißigjährigen Krieges, wo man jede dogmatische Nachgiebigkeit als Gotteslästerung bezeichnete, und erst durch die äußerste Noth zu Mäßigung und Vernunft gezwungen ward. Was hat denn Deutschland aus den leidenschaftlichen Streitigkeiten über Rechtfertigung, Abendmahl, Dreieinigkeit u. dergl. für Gewinn gezogen? Und jetzt wird es uns als Ehrensache dargestellt, um ähnlicher politischer Schulfragen und unpraktischer Spitzfindigkeiten willen, gar +nichts+ zu Stande zu bringen!! Gestern Abend stand also in Frage: 1) ob wir zu dem (von mir früher mitgetheilten sogenannten) Programm des Weidenbusches mehre Punkte hinzusetzen, und alle Mitglieder verpflichten sollten, dafür zu stimmen? 2) Ob wir auf einige Anerbieten der Gegner eingehen, und insbesondere (wie sie versprachen) ihre Stimmen für das +erbliche Kaiserthum+ gewinnen wollten, gegen Annahme eines blos +aufschiebenden Veto+. Ich erhielt zuerst das Wort und behauptete zu +eins+: ein neues Zwangsgesetz über mehre zeither offene Fragen beschränke viel zu sehr Freiheit und Gewissen der Abgeordneten; es werde die endlich organisirte Gesellschaft des Weidenbusches auseinander sprengen. -- Nach manchem Hin- und Herreden ward jener Vorschlag verworfen; nur an der Erblichkeit wollte man festhalten. Zu +zwei+ suchte ich darzuthun und durch Beispiele aus der Geschichte die geringe +praktische+ Wichtigkeit der ganzen Lehre vom Veto zu erweisen. Das aufschiebende reiche für die vorhandenen Zwecke vollkommen aus, und erwecke keinen Haß; sondern werde +allgemein+ für natürlich und nothwendig gehalten; während die (allerdings in abstracto richtigere) Theorie des +unbedingten+ Veto weder bei unseren weit zahlreicheren Gegnern, noch im Volke den geringsten Beifall finde. +Entscheidend+ wichtig aber sei es: daß wir, sobald keine Stimmen der Gegner zu uns übertreten, +ohne allen Zweifel in jeder wichtigen Frage unterliegen+, und geradehin zum größten Unglück für Deutschland, -- +nichts+, -- +gar nichts+ erreichen würden. Für Annahme des aufschiebenden Veto könnten wir dagegen vielleicht das weit Wichtigere, das Erbkaiserthum, durchsetzen. Alle alten Übel der deutschen Verfassung würden wiederkehren, wenn wir jede Annäherung und Verständigung der Parteien anmaßend und eigensinnig zurückwiesen u. s. w. u. s. w. Hierüber entstand ein gewaltiger Lärm: einige Redner bekämpften jene Ansichten mit größtem Eifer, andere wollten sie durch Hinausschieben vereiteln. Nachdem aber Welcker, Arndt, Mevissen in demselben Sinne gesprochen und beredt auf die großen Gefahren des Vaterlandes hingewiesen hatten, ward beschlossen, eine Verständigung mit den Gegnern zu versuchen und die Frage über das +Veto+ als eine +offene+ zu behandeln. Ich mache mir keine rosigen Täuschungen über die Zukunft. Selbst für den, noch zweifelhaften, Fall, daß wir in Frankfurt Beschlüsse fassen, sind sie deshalb noch +nicht in Berlin angenommen und in Deutschland noch nicht vollzogen+. Gewisse Grundgedanken und Ideen lassen sich aber durch Widerstehen und Verneinen nicht austilgen, und jedes erzeugte Kind muß zuletzt auch geboren werden! Man hat der Reichsgewalt allerdings große Rechte zugewiesen; sie sind aber (besonders dem Auslande gegenüber) nothwendig, und werden durch die Stellung des Staaten- und Volkshauses geregelt und ermäßigt. Preußen kann indeß jene Rechte durchaus nicht in die Hände eines Anderen legen lassen; es steht durch die Natur der Dinge und durch die gegebenen Verhältnisse an der Spitze Deutschlands. Warum dies für Österreich nicht mehr möglich ist, zeigt dessen Widerspruch gegen alle wesentlichen Bedingungen der neuen deutschen, sowie der Inhalt der österreichischen Verfassung. -- Die Partei für ein mehrköpfiges Direktorium ist jedoch noch stark; obgleich manche seiner Vertheidiger es nur als ein nothwendiges Übel, als ein ~pis aller~ bezeichnen. Die Baiern und Österreicher ausgenommen, ist aber den meisten Abgeordneten des übrigen Deutschlands die Einheit lieber als ein dreiköpfiger Cerberus, oder eine Fünfe nach Weise des französischen Direktoriums, oder eine Sieben aus der neuen österreichischen Tausend und eine Nacht. Die heutige Sitzung, aus welcher ich soeben zurückkehre, war insofern eine günstige, als drei Anträge unserer Gegner abgelehnt wurden: ~a~) An Österreich statt 38, im Staatenhause (gleichwie Preußen) 40 Stimmen zu geben. 289 gegen 232 Stimmen, Mehrheit für uns 57. ~b~) Ein Entwurf über Vertheilung der Stimmen im Staatenhause, für den Fall, daß Österreich nicht in den Bundesstaat trete, ward nicht verworfen, sondern mit 290 gegen 231 Stimmen angenommen; Mehrheit 59. ~c~) Der Vorschlag, die Mitglieder des Staatenhauses nicht zur Hälfte durch die Regierungen, sondern sämmtlich durch die Volksvertreter ernennen zu lassen; verworfen mit 325 gegen 188. Mehrheit 137. Diese Ergebnisse geben Aufschluß über das Verhältniß des Bundes der Österreicher und der Linken, und über die Macht der letzten; gewähren aber keineswegs Sicherheit über die Entscheidung der Hauptfragen, welche noch in +dieser Woche+ zur Abstimmung kommen. Alles drängt immer mehr zu dem Antrage: den Regierungen die entworfene Verfassung vorzulegen und zu verlangen, daß sie in ihren +wesentlichen+ Punkten angenommen werde. Eine Weigerung führt fast unausbleiblich zu dem weiteren Antrage auf Ausschließung aller Abgeordneten der +verneinenden+ Staaten, und endgültige Feststellung der Verfassung durch die +bejahenden+. Sonst geräth Deutschland zugleich in die Hände wilder Demokraten und verstockter Reaktionaire, bis man im Mai oder Juni unter ungünstigen Umständen Das wird thun müssen, was man im März oder April zurückweiset; -- man wird aus den Ruinen Das gezwungen hervorsuchen, was wir entwarfen und bezweckten! * * * * * Es folgte nun am 27. März der Beschluß für das Erbkaiserthum, den 28. die Kaiserwahl, über welche die brieflichen Berichte nicht aufzufinden sind. Hundertsiebenunddreißigster Brief. Frankfurt a. M., den 9. April, und folgende Tage.[A] Da ich von meiner Reise nach Berlin vielen Freunden nichts erzählen konnte, will ich versuchen Einiges darüber niederzuschreiben. Doch folgten die Eindrücke so rasch aufeinander, oder waren untereinander so ähnlich, daß sie sich im Gedächtniß verwirren, mein Bericht sich mithin, in aller Kürze, nur auf einige Hauptsachen beschränken wird. Am Morgen des 30. März (Freitags) fanden sich die Abgeordneten auf dem Bahnhofe ein, fuhren nach Biberich und bestiegen das vorher bestellte Dampfboot +Goethe+. Mainz lag außerhalb des näheren Weges, auch trug man Bedenken eine Stadt zu berühren, wo sich, neben der preußischen, eine österreichische Besatzung befindet. Manche, am Rheine gelegenen Orte, mochten von unserer Reise gar keine Kunde erhalten haben, andere (insbesondere Neuwied) begrüßten uns mit Schüssen, Fahnenschwenken und Beifallsruf. Die Besatzung von Coblenz hielt es für angemessen, keine Zeichen der Theilnahme zu geben. In Köln waren unzählige Menschen am Ufer versammelt, die in sehr guter Ordnung einen schmalen Gang eröffneten, durch welchen wir nach den auf uns wartenden Wagen gingen. Sonst tiefe Stille, kein Zeichen des Beifalls, oder Mißfallens; einige unwitzige Bemerkungen abgerechnet. Im Hotel Disch fand sich indeß eine glückwünschende Deputation von Bürgern und einigen Gesellschaften ein. Schon waren wir im Begriff vom Abendtisch aufzustehen und zu Bette zu gehen, als auf der Straße eine Katzenmusik begann, wie ich sie nie gehört habe. Noch jetzt begreife ich nicht mit welchen Mitteln man so unermeßliche Mißtöne hervorbringen konnte. Es klang als wenn alle Kannibalen und wilden Bestien sich zu einem Orchester vereinigt hätten. Ich gedachte der (zum Theil +gegen+ mich ausgesprochenen) Äußerung Venedey’s: daß es in Deutschland (und seinem Wohnorte Köln) keinen Pöbel gebe! Als ich um diesen näher zu beschauen, den Hausflur betrat und auf die Hausthür losging, zog man mich mit dem Bemerken zurück: man werde mich mit Steinen begrüßen! Auch wurden einige Fenster, zum Beweise der Volkssouverainetät, eingeworfen. Nachdem der Skandal nur zu lange gedauert hatte, erschienen einige Soldaten, welche man verhöhnte. Als sie aber Anstalten zum Laden machten, lief das Gesindel eiligst auseinander, soll indeß von den Gensd’armen mit Maulschellen bedient worden sein. Jeden Falls hat die (bisweilen allzueitle) Stadt Köln, Ursache sich zu schämen, daß rothe Republikaner und fanatische Katholiken so etwas unternehmen und vollführen konnten. Gewiß stand es im schroffsten Gegensatze zu Dem, was wir von jetzt an weiter erlebten. Als ich vor der Abfahrt aus Köln, einem Barbier mein Mißfallen über das Geschehene sehr deutlich zu erkennen gab, antwortete er: es ist das Todesgeschrei dieser Leute; sie fühlen daß es mit ihnen zu Ende geht. Schon in Düsseldorf (31. März) fanden wir eine glänzende Aufnahme und lebhafte Beweise der aufrichtigsten Theilnahme. Ebenso nach Maßgabe der Größe in den folgenden Städten. Fahnen, Bürgerwehr, Magistrat, Behörden zur Stelle, zweckmäßige Anreden und Antworten, Hurrahs, Hutschwenken u. s. w. Auch Preußisch-Minden zeichnete sich aus; alle Erwartungen überstieg aber die Aufnahme in Hannover. Man hatte anfangs gezweifelt: ob man nicht (aus bekannten Gründen) diese Stadt vermeiden und lieber in Bückeburg übernachten sollte. Mir schien es immer gerathen, kühn Hannover zu betreten, und die Mehrzahl der Abgeordneten entschied sich endlich für diese Ansicht. +Alle+ Parteien, +alle+ sonst so verschiedenen Klubs, Gesellschaften und Verbindungen hatten sich vereinigt uns ihre vollständige Zustimmung aufs Feierlichste zu erkennen zu geben. Das Volk theilte diese Ansicht, ein Fackelzug geleitete uns bis zum ~british Hotel~, und ein buchstäblich mehr als tausendstimmiges Lebehoch ertönte von der Kopf an Kopf versammelten Menge, auf das Wohl Deutschlands und unseres Werkes Gelingen. Wo möglich noch lebendiger war die Begeisterung in Braunschweig, wo man, am ersten April, für uns ein großes Mittagsmahl bereitet hatte. Es wurden von beiden Seiten gute Reden gehalten, und auch ich mußte es versuchen, da man (an die Zeit der Hohenstaufen erinnernd) meine Gesundheit ausbrachte. Ich antwortete etwa Folgendes. Schon als Kind hatte ich eine Vorliebe für die Karte des schwäbischen Kreises u. s. w. u. s. w. Diese romantische Mannigfaltigkeit ist den Stürmen der neueren Zeit erlegen; aber schon Kaiser Heinrich VI hatte den Plan einer größeren Einigkeit Deutschlands und eines Erbkaiserthums aufgestellt. Er kam hauptsächlich durch den Widerspruch des Papstes nicht zu Stande, welcher unsere Plane jetzt keineswegs behindern wird. Dem dichterischen Abendrothe einer vergangenen Zeit, auf welche wir mit Wehmuth und inniger Theilnahme zurückblicken, folgte eine lange Nacht. Jetzt erblicken wir das Morgenroth und ihm wird der volle Tag sich anreihen, wenn wir Alle thun, was uns obliegt. Ich habe noch mehr gesagt, kann mich aber nicht besinnen, was? Abgeordnete aus Berlin, Potsdam, Magdeburg, Halberstadt, Aschersleben u. s. w. brachten uns Einladungen und Glückwünsche. Überall derselbe Sinn, die gleichen Wünsche und Hoffnungen. In Magdeburg, dieselbe Aufnahme wie in Braunschweig. Fackelzug, Reden, Vivats, Musik u. s. w. Der Empfang in Potsdam, und besonders das auf dem Bahnhofe für uns veranstaltete Festmahl, hatte doppelte Bedeutung, weil es in der Residenzstadt des Königs dargeboten ward. Einige Abgeordnete hielten gute Reden, die des Bürgermeisters von Potsdam war aber natürlich (in Folge seiner Stellung) behutsam und abgemessen, sodaß ich (trotz meiner Abneigung mich öffentlich auf den Redemoquirstuhl zu setzen) den Hr. Bürgermeister bat, mir später das Wort zu geben. Ich sagte etwa Folgendes (das Genauere und Umständlichere ist meinem Gedächtnisse nicht mehr gegenwärtig): Vor vierzig Jahren bin ich mit der Regierung in Potsdam eingezogen und habe als Regierungsrath in dieser Stadt gelebt. Erlauben Sie deshalb einem ehemaligen Miteinwohner, einige Worte an Sie zu richten. -- Man sagt (und oft mit Recht) daß alte Personen vergangene Zeiten übermäßig loben, und die Gegenwart übermäßig tadeln; ich lasse mir diese Einseitigkeit nicht zu Schulden kommen. Damals mußten wir schwere Leistungen übernehmen für fremde Zwecke, Steuern ausschreiben und erheben für unsere Feinde, wir waren hingegeben in die Knechtschaft eines ausländischen despotischen Kaisers. Jetzt haben Deutsche einen deutschen Kaiser erwählt, und wir bieten diese freie Gabe dem ersten der deutschen Könige. Diese Wendung der Dinge ist aber so überraschend, dieser Schritt so überaus wichtig und folgenreich, daß unser König mit vollem Rechte und seiner Pflicht gemäß aufs Ernstlichste prüft, was ihm in diesem entscheidenden Augenblicke zu thun obliege? Aber nicht blos er, sondern wir Alle müssen uns die Verhältnisse klar vor’s Auge stellen, wir müssen zu einer festen Überzeugung kommen; denn des Königs Entschlüsse sind dereinst auch die unseren, und nach den unseren kann und wird auch er mit Sicherheit und im Vertrauen auf unseren festen Beistand, entscheiden, und jedes Bedenkens, jedes Widerspruches Herr werden. Erlauben Sie, daß ich an einige solcher Bedenken erinnere. Zuvörderst (spricht man) hat sich die Diplomatie gegen alle Neuerungen in Deutschland erklärt. Meine Herren! Diese Diplomatie welche eitel ist auf ihre Phrasendrechselei, welche es für ihr Meisterstück hält, inhaltslose, zweideutige, jede Auslegung erlaubende Noten zu entwerfen, hat niemals die Welt gelenkt und beherrscht. Sie wird am wenigsten in unseren Tagen beruhigen, begeistern, oder entscheiden; -- wir können sie füglich zur Seite lassen. Weit wichtiger ist der zweite Einwand: daß fremde Mächte unsere deutsche Wiedergeburt nicht zugeben würden. Meine Herren! Haben wir uns denn eingemischt, als in Rußland auf Kaiser Alexander nicht Konstantin, sondern Nikolaus folgte, als sich die Franzosen eine neue Verfassung gaben? Wollten aber fremde Mächte, gegen alles Recht, uns in unserer nothwendigen Entwickelung hemmen, so wird ein so großes Volk, wie das deutsche, wissen, was ihm zu thun obliegt. Ich komme auf Österreich. Wir haben es nicht zurückgestoßen, sondern es hat sich zurückgezogen, oder ganz unannehmbare Vorschläge gemacht. Es protestirt gegen Grundrechte, Volkshaus und Kaiser, es möchte durch ausländische Abgeordnete undeutscher Volksstämme im Staatenhause die Mehrheit gegen Deutschland gewinnen; es will Institutionen begründen, schlechter als der alte Bundestag; es will keinen Bundesstaat, und kann ihn nicht wollen. Die Mehrheit der deutschen Fürsten (welche Manche übereilt und eigennützig mediatisiren wollten) haben ihre Stellung richtig erkannt und zu nothwendigen Maßregeln bereits freundlich die Hand geboten. So bleiben nur die deutschen Könige übrig, welche ihre Widersprüche auf ihre Souverainetät gründen. Woher, meine Herren, stammt denn aber diese Souverainetät? Als der Kaiser Napoleon eine Fabrik von Königskronen anlegte, warf er einige deutschen Fürsten zu, und stempelte diese hiedurch, unter Spott und Hohn, zu seinen Knechten. Jene angebliche, früher unerhörte Souverainetät, dargeboten oder aufgezwungen von einem fremden Tyrannen, war eine Schmach für die Empfänger, und es ist ein Glück, es ist eine Ehre für sie, wenn sie sich jetzt davon reinigen, und als lebendige Glieder in das erneute, wiedergeborne, einige Deutschland eintreten! Ich komme auf einen anderen Punkt. Man sagt: die frankfurter Reichsversammlung ist zu alle Dem, was sie gethan hat, nicht berechtigt. Wie, meine Herren, unter allen Völkern sollte allein das deutsche unberechtigt sein sich als ein Ganzes zu fühlen, in Eintracht zu handeln und Das durchzuführen, was für das Innere heilsam und dem Auslande gegenüber schlechterdings nothwendig ist? Sind nicht die Wahlen für die Reichsversammlung mit Beistimmung und nach Anweisung der Regierungen erfolgt? Hat man nicht ausgesprochen, ihre Hauptaufgabe sei, eine neue Verfassung für Deutschland zu entwerfen? Hat man in Zeiten der Bedrängniß nicht gern ihre Aussprüche und ihre Hülfe dankbar anerkannt? Sie soll aber, ruft man, keinen Kaiser erwählen! Wer hat denn aber dazu ein größeres Recht? Wo sind denn die alten sieben Kurfürsten; woher denn 34 oder 38 neue Kurfürsten? Werden sich diese jemals einigen, wie es die Reichsversammlung gethan hat? Und wer soll entscheiden, wenn Widersprüche sich kundgeben? -- Warum (fährt man fort), warum einen Kaiser? Freilich sprechen Etliche, als sei das Kaiserthum eine funkelhagelneue Erfindung verschrobener Theoretiker und pedantischer Professoren. Sie wissen nicht, oder wollen nicht wissen, daß seit einem Jahrtausend Kaiser an der Spitze Deutschlands standen, und es am schlechtesten mit unserem Vaterlande bestellt war, wenn sie unwirksam blieben, oder ihr Stamm ausging. Ich komme zu der, für uns nächsten und wichtigsten Frage: welche Folgen werden aus den bevorstehenden Beschlüssen für Preußen entstehen? -- Sie werden, wer kann es läugnen, von der größten Bedeutung sein! Wir betreten eine Bahn, wo Muth, Ausdauer, Vaterlandsliebe, Aufopferung zur Erreichung eines unendlich erhabenen Zieles, zweifelsohne nöthig sind. Zu behaupten: daß diese Eigenschaften nicht vorhanden seien, und man ein bequemes, thatenloses Weiterleben vorziehen müsse, wäre der Preußen unwürdig. Hätte der große Kurfürst im Jahre 1640, Friedrich II. 1740, Friedrich Wilhelm III. 1813, nicht klug und kühn hineingegriffen in die großen Bewegungen der Zeit, hätten sie ängstlich berechnet und abgewogen, Preußen wäre niemals zu weltgeschichtlicher Bedeutung emporgestiegen, es wäre zu Grunde gegangen. Es wäre anmaßend und unpassend, über die künftigen Entschlüsse Sr. Maj. des Königs hier ein Urtheil auszusprechen; die frankfurter Abgeordneten (und die, wie es scheint, gleichgesinnte Versammlung) betrachten jedoch die Kaiserwahl als eine vollendete Thatsache. Es lebe deshalb hoch, Friedrich Wilhelm IV., König von Preußen, erwählter Kaiser der Deutschen! In dies Vivat stimmten Alle mit lautem Jubel ein. Hinter unseren Stühlen standen viele, zum Theil sehr hübsche, Frauen und Mädchen, welchen ich mich dadurch gefällig zu zeigen suchte, daß ich die ihnen unbekannten Abgeordneten nannte. Der Empfang in Berlin war feierlich, sofern Abgeordnete des Magistrates, der Stadtverordneten und beider Kammern unserer warteten und uns anredeten; für mich, der ich Berlin kannte, blieb aber nicht verborgen, wie der unglückliche Belagerungszustand die Äußerungen des Beifalls (oder auch des Mißfallens) hemmte, und eine kritische Betrachtungsweise der ganzen Sache hervortreiben mochte, zu welcher die Berliner ohnedies allzusehr geneigt sind. In vielen Wagen (jedesmal zwei Abgeordnete und ein Mitglied des Magistrats oder der Stadtverordneten) fuhren wir nach den Linden, wo Alles für die Aufnahme aufs Schönste vorbereitet war. Überhaupt muß ich schon hier bemerken, daß Magistrat und Stadtverordnete nicht allein alle Kosten unseres Aufenthaltes übernommen, sondern auch alles irgend Mögliche gethan hatten, um ihn bequem, lehrreich und angenehm zu machen. Auf die Notifikation unserer Ankunft ließ Herr Graf Brandenburg den Reichstagspräsidenten Simson einladen, zu ihm zu kommen. Will man über Lappalien der Etikette und des Ceremoniels streiten, so konnte man fragen, ob diese Form die angemessenste war. Niemand legte indeß ein Gewicht auf diese Dinge, und da Herr Simson überdies sehr unwohl war, so eilten die Herren Beseler und Riesser zum Grafen Brandenburg und legten ihm vor, was der Präsident Simson Namens der Reichsversammlung dem Könige sagen wollte. Er fand dagegen nichts zu erinnern; die mündliche (später auch schriftlich wiederholte) Bitte, uns Das mitzutheilen, was der König antworten wollte, ward hingegen nicht berücksichtigt; -- es sei, weil man sie unschicklich fand, oder spätere Änderungen des ersten Entwurfes eine solche Mittheilung unmöglich machten. Gewiß würde sie nützlich gewirkt und auch wohl zur Abänderung einzelner Ausdrücke geführt haben. Vorläufig beruhigte jedoch Das, was der Graf Brandenburg am 2. April in den Kammern über die deutsche Angelegenheit gesagt hatte. Die spät Abends eingehende Nachricht, daß uns der König den 3. April auf dem Schlosse empfangen wolle, und daß wir zum Mittagsmahl nach Charlottenburg eingeladen wurden, erfreute Viele als ein Zeichen raschen, günstigen Entschlusses. Ich erschrak darüber sehr, weil sie jede vorläufige Verständigung unmöglich machte, und ich befürchtete: man wolle uns jede Einwirkung abschneiden und eiligst mit einem ungenügenden Bescheide nach Hause schicken. Des Königs Absicht war gewiß gut und edel; er wollte sich nach allen Seiten hin (gegen die Reichsversammlung und die Regierungen) billig und gemäßigt zeigen, selbst den Schein der Anmaßung vermeiden, jeder Übereilung aus dem Wege gehen, und die Frucht erst pflücken, wenn sie ihm (unter allgemeinem Beifall) dargeboten werde. -- -- -- -- -- -- Jene Erklärung, welche +Alle+ befriedigen sollte, genügte indeß Niemand. Die eine Partei tadelte: daß der König die frankfurter Abgeordneten nicht als +unberechtigt+ verdamme, statt in ihnen Vertreter des Volkes zu erblicken und aus ihrer Kaiserwahl ein Recht abzuleiten. Die frankfurter Abgeordneten hingegen faßten die zweite Hälfte jener königlichen Erklärung dergestalt auf, daß sie ihr ganzes Verfassungswerk nochmals in Frage stelle; Annehmen, Ändern oder Verwerfen in die Hände der Fürsten lege, und sich mit der leeren Hoffnung schmeichele, daß 38 Regierungen den natürlichen und gerechten Wünschen Preußens einiger und williger entgegenkommen würden, als die Vorkämpfer in Frankfurt! -- -- -- -- -- -- Nach beendigter Rede sprach der König mit jedem Einzelnen. Es sind über diese Gespräche, leichtsinnig oder böswillig, die unwahrsten Nachrichten verbreitet worden, und ich selbst habe öffentlich den Erfindungen und Lügen widersprechen müssen. Ebenso erklärte Herr Beseler: die Zeitungsberichte hätten den Hergang ganz entstellt. Läugnen läßt sich jedoch nicht, daß der König wohl absichtlich vermied, den großen Gegenstand zu berühren, welcher die Köpfe und Herzen aller Abgeordneten erfüllte. -- -- -- Dennoch verletzten einzelne, trotz aller Vorsicht entschlüpfte Äußerungen noch mehr, als der König voraussehen konnte. -- -- -- In Erinnerung an den Jubel, die Begeisterung, die Reden, die Herzensergießungen, die glänzenden Hoffnungen, die Freudenthränen u. s. w., welche unsere Reisetage belebten und verherrlichten, -- erschien freilich das Hoffest in Charlottenburg peinlich und drückend, steif und kalt. -- -- Welch ein Tag! und doch kein Sonnenstäubchen von Begeisterung, Vertrauen, Liebe, Glaube, Hoffnung!! Ich will nicht (vielleicht unrichtig) Das erzählen, was der König Anderen sagte, sondern nur erwähnen, daß ich mir erlaubte, die vorliegende große Sache wenigstens in etwas zu berühren. Als mich Herr Simson auf dem Schlosse namentlich vorstellen wollte, sagte der König: „o, Raumern kenne ich; wie geht es!“ Ich antwortete: „ich rechne es mir zum Glück und zur Ehre, an dieser wichtigen Botschaft Theil zu nehmen, um den Marschall Vorwärts, welchen Deutschland braucht, an die Spitze zu stellen.“ -- Der +König+: „Nun, wenn man mich braucht, werde ich nicht fehlen.“ -- +Ich+: „Es ist Preußens Pflicht und unausweichbarer Beruf, die Oberleitung in Deutschland zu übernehmen u. s. w.“ In Charlottenburg sagte der König zu einem mir unbekannten Nachbar: „Raumer hat mir früher (Frühling 1813) Vorlesungen gehalten über Verfassungskunde.“ -- Ich erwiderte: „Ew. Majestät, das war sehr unbedeutend, eine Zeit des Bedenkens und Überlegens; bald aber kam die große Zeit des +Handelns+ und die Schlacht bei Leipzig.“ -- Auf meine Bemerkung: 20 Regierungen hätten sich ja bereits unsern Planen und Beschlüssen geneigt erklärt; -- antwortete der König: Nein, 26. Nach einigen unbedeutenden Zwischenreden, deren ich mich nicht genau erinnere, sagte ich dem Könige: „wir haben Sehnsucht nach Heimat, Frau und Kindern, und wünschen unserer frankfurter Macht ledig zu werden. Lassen Sie bald in Deutschland die neuen Wahlen für eine zweite Reichsversammlung vornehmen.“ -- Der +König+: „Nun, wenn die Noth am größten ist, ist die Hülfe oft am nächsten.“ -- +Ich+: „Ich nehme dankbar diese Erklärung an im Namen aller meiner Mitabgeordneten.“ -- Durch das Mittagsmahl in Charlottenburg hatte sich die Stimmung der Abgeordneten nicht gebessert. Sie erklärten fast einstimmig: man müsse die (vorläufig angenommene) Einladung des Magistrates und der Stadtverordneten, ins Theater zu gehen, nunmehr ablehnen. -- Da widersprach ich und sagte: Es kommt gar nicht darauf an, ob wir aus genügenden Gründen abgeneigt sind, ins Schauspiel zu gehen, sondern darauf daß diese Gründe allen Anderen unbekannt sind, Plätze für uns aufbewahrt, Anstalten zu unserem Empfange getroffen wurden, das ganze Publikum ungeduldig unser harrt, und Magistrat und Stadtverordnete (welche vor der Thür stehen) uns aus vielen Gründen dringend bitten, zu erscheinen. Es wäre unser Ausbleiben, nach so viel Beweisen des Wohlwollens, eine große, unverantwortliche Unhöflichkeit gegen Magistrat und Stadtverordneten, gegen Stadt und Land. -- Es kostete große Mühe, jener Abneigung Herr zu werden; die günstige Aufnahme im Theater bestätigte indeß meine Behauptungen und gab Zeugniß über die öffentliche Stimmung. Dem schweren, beängstigenden Tage folgte ein tröstlicher, beruhigender Abend. Viele Abgeordnete haben über denselben und die Gespräche, welche der Prinz und die Prinzessin von Preußen über Preußens und Deutschlands Wohl mit höchster Theilnahme führten, in Briefen und Druckschriften so umständlichen und begeisterten Bericht erstattet, daß ich mich veranlaßt sehe, nichts hinzuzufügen, sondern lediglich darauf zu verweisen. Ebenso wird es bald ein öffentliches Geheimniß sein, daß, warum und auf wessen Veranlassung ein für die frankfurter Beschlüsse viel günstigerer Entwurf der königlichen Antwort bei Seite gelegt und eine Bahn betreten wurde, auf der es gewiß an den größten Hindernissen nicht fehlen wird. Nachmittags. Sie kennen bereits die Gründe, wodurch die frankfurter Abgeordneten gezwungen wurden (ihres Auftrages eingedenk), ehrenvolle Einladungen abzulehnen und rasch von Berlin abzureisen. Ich will von mitwirkenden Kleinigkeiten in diesem großen tragischen Augenblicke nicht sprechen. -- „Ihr Abgeordneten,“ sagten Mehre, „seid eitle Thoren, seid Bummler, welche sich einbilden, einen Kaiser machen zu können.“ -- Nun, versucht es (ungestützt durch die Reichsversammlung) mit den Bruderkönigen, ob sie einen preußisch-deutschen Kaiser, ein mächtiges Oberhaupt aufrichtig wollen. Eine preußische Partei ist in diesem Augenblicke in Frankfurt vernichtet, bis zwingende Verhältnisse sie wieder ins Leben rufen und dem ~liberum veto~ der Fürsten ein Ende machen. [A] Vieles ist in diesem Briefe gestrichen worden, weil es sich jetzt für die Öffentlichkeit nicht eignet. Hundertachtunddreißigster Brief. Frankfurt a. M., den 10. April 1849. Die Erklärung, welche die Abgeordneten dem preußischen Ministerium übergaben, wird gewiß von Vielen als anmaßlich und unverständig bezeichnet werden; dennoch schien sie Allen, nach reiflicher Überlegung, als nothwendig, um nicht in Frankfurt allen Boden zu verlieren, und um übereilten, allzu heftigen Beschlüssen vorzubeugen. Auch kann die preußische Regierung uns der Mißverständnisse beschuldigen und diese Erklärung benutzen, um auf die höchste Beschleunigung einer letzten Entscheidung zu dringen. Wir hatten unsere Abreise fast verheimlicht, um nicht unterwegs (vielleicht unangenehme) Demonstrationen hervorzurufen; dennoch waren (binnen wenig Stunden) in Halle, Merseburg, Naumburg, Weimar, Erfurt u. s. w. Vorkehrungen zu sehr freundlichem Empfange getroffen. Insbesondere wurden wir in Weimar vom Bahnhofe mit einem Fackelzuge nach der, allgemein erleuchteten, Stadt geleitet. -- Der Inhalt aller an uns gehaltenen Reden ging darauf hinaus: daß wir unser löbliches Werk aufs Äußerste vertheidigen sollten, und es (eingetretener Zögerungen und Hindernisse halber) nicht aufgeben dürften. Die heitere Begeisterung, die poetische Farbe, das Vertrauen sind aber in einer beklagenswerthen Weise so gesunken, daß sie niemals in früherer Kraft wiederkehren werden. Dies ist um so bedauerlicher, da es Mittel gab, Frankfurt zufrieden zu stellen und gleichzeitig eine Verständigung mit den Fürsten anzubahnen. Ein Bruch mit der jetzigen Versammlung und eine +gänzliche+ Verwerfung ihrer Verfassung führt zur Anarchie oder Despotie. Blicke ich umher, ob (wenn nicht in größeren, doch in kleineren, persönlichen Kreisen) den frankfurter Sorgen irgend eine Freude, ein Trost gegenübersteht, so finde ich ihn darin, daß eine der seltensten, größten und edelsten Naturen mich nicht mißverstand, sondern mir ihr Vertrauen schenkte, -- und daß ich an Christel und Emilie Jung zwei wahrhafte Freundinnen gewann, deren Liebenswürdigkeit und unerschöpfliche Heiterkeit mich, aus bitteren Leiden und finsterer Nacht, oft in sonnenhelle Regionen versetzte, ermuthigte und verjüngte! Hundertneununddreißigster Brief. Frankfurt a. M., den 10. April 1849. Die äußerste Linke mochte, unter dem Vorwande, daß der König +unbedingt+ abgelehnt habe, eine Art Wohlfahrtsausschuß erwählen und auf die Republik lossteuern. Die Österreicher und Ultramontanen möchten jedes Ergebniß hindern, oder höchstens ein vielköpfiges Direktorium herbeiführen. Ich bin überzeugt, daß alle Anträge dieser und ähnlicher Art durchfallen. Hingegen findet die Erklärung der berliner Deputation: „daß Krone und Verfassung unzertrennlich seien,“ den allgemeinsten Beifall. Die Deutung (welche Etliche gern ausbeuten möchten), als habe jene Deputation erklärt: des Königs Worte enthielten eine +unbedingte+ Ablehnung, -- ist irrig. Ihre Erklärung besagt nur: daß für den Fall einer +völligen Trennung+ der Verfassung von der Krone, des Königs Antwort als eine ablehnende betrachtet werden +müsse+. Denn auf diese Bedingung konnte jene weder dargeboten, noch angenommen werden. In unserem Berichte wird man insbesondere hervorheben: daß die neueste Collektivnote und die Erklärung der Minister in den berliner Kammern hinreichend bewiesen: der König wolle nicht eine +völlige Umformung+ der Verfassung durch die +jetzige dazu untaugliche+ Reichsversammlung, und betrachte seine Erklärungen nicht als eine definitive, schließliche Ablehnung. -- Hiemit sind wir sehr zufrieden und lassen gern die früheren Besorgnisse fallen. Ich wiederhole: wenn man die Stimmen der Österreicher zurückstellt, so will eine +sehr große+ Mehrheit hier, nach wie vor, daß der König die Kaiserkrone annehme. -- -- -- Hätte der König gesprochen wie -- -- -- -- -- -- Es kostet die größte Mühe zu überzeugen: man habe in Berlin die Abgeordneten keineswegs vorsätzlich verspotten und herabsetzen wollen. Doch sind die Gemüther jetzt schon viel ruhiger als in Berlin; sie fassen das große Ziel mit Besonnenheit ins Auge. Gott gebe seinen Segen! Hundertvierzigster Brief. Frankfurt a. M., den 16. April 1849. Sehr mit Recht bemerken Sie, daß es darauf ankommt, das Werk der Verständigung möglichst zu erleichtern. Weil es aber den Schein hat, als thäten wir hier das Gegentheil, erlaube ich mir auf Ihren Brief vom 13. Einiges vorzutragen. Die Gründe, weshalb wir uns in Berlin bekannter Maßen erklärten, abreiseten, hier aber eine unbedingte Billigung unserer Erklärung zurückwiesen, habe ich bereits mitgetheilt. Unsere, -- immerhin schroffen und unhöflichen --, Worte haben den Ernst und die Eile der Sache augenfällig gezeigt und mehr gewirkt, als wenn wir auch zweideutige Phrasen gedrechselt und uns unentschlossen geäußert hätten. Vor Allem einigten wir hiedurch die Parteien der Paulskirche für etwas Positives und besiegten Diejenigen, welche +gewaltsame+ Vorschläge betrieben. Das möge man bedenken, ehe man uns verdammt. Allerdings scheint der Beschluß vom 11. d. M.: „daß +wir+ auf keine Abänderung der Verfassung eingehen können“, als ein übereilter, jede Unterhandlung zu Verständigung unmöglich machender. Dennoch ist dies nur ein Schein: er war nothwendig und wird (wie sich schon jetzt zeigt) nützlich wirken. Hätte man nämlich ein so entschiedenes Wort nicht gesprochen, so würden die jetzt +unbedingt+ beitretenden Regierungen eine Unzahl von Bedenken erhoben haben, und ein Endergebniß wäre ganz ins Unbestimmte hinausgeschoben worden. Ferner sah man voraus, daß jenes Benehmen in dem größten Theile von Deutschland Beifall finden, und für Preußen, trotz des entgegengesetzten Scheines, zuletzt wahrhaft nützlich sein würde. Endlich ist +durchaus nicht zu hoffen, daß neue Berathungen über die Verfassung in der jetzigen Versammlung einen irgend erwünschten Erfolg haben dürften+. Man würde ganz gewiß das (übermäßig angefeindete) aufschiebende Veto, sowie die Mängel des Wahlgesetzes +nicht+ hinwegschaffen, wohl aber die +Einheit+ und das +Erbkaiserthum+ der größten Gefahr aussetzen, von den alsdann neu vereinigten Gegnern verworfen zu werden. Die jetzige Versammlung hält ja (wie ich schon sagte) ihr Werk +keineswegs+ für +vollkommen+; sie weiset nur, +bescheiden+ und +verständig+, dessen Besserung der +zweiten+ Reichsversammlung zu. Deren +Berufung+ giebt schon eine Bürgschaft für Mäßigung, Ordnung und Anerkennung der Volks- und Fürstenrechte. Die erste Kammer, das Staatenhaus, legt ein jetzt fehlendes Gewicht in die erhaltende Schale, und Preußen hat alsdann natürlicherweise eine vorherrschende Bedeutung, welche wir uns erst künstlich durch die öffentliche Meinung verschaffen müssen. Dringend +nothwendig+ aber ist es, daß sich Preußen (nach beistimmender Erklärung so vieler Regierungen) +eiligst+ für die Verfassung (+vorbehaltlich der nöthigen Revision+) ausspreche und muthig das Steuer ergreife, anstatt abzuwarten und nachzutreten. Wird der rechte Augenblick in Berlin wieder versäumt, verharrt -- zugeknöpft auf seinem pythagoreischen Stillschweigen, ohne irgend einen Menschen zu begeistern, oder eine Stimme zu gewinnen; so werden bei der nahe bevorstehenden Berichterstattung des neuen Ausschusses gewaltsame Vorschläge und heftige Anklagen gewiß nicht ausbleiben. Österreich arbeitet uns (wenn Preußen Muth und Vertrauen zeigt) in die Hände. Die meisten österreichischen Abgeordneten werden wahrscheinlich davongehen; wodurch es überflüssig wird, mit ihrer Regierung Wortstreitigkeiten zu beginnen, da überdies aus allen übrigen deutschen Landschaften (selbst aus Baiern) Schreiben eingehen, welche das Verfahren der Reichsversammlung billigen. Es wäre sehr übel, wenn die jetzige Versammlung durch Zögerung und Weigerung veranlaßt würde, statt des Königs selbst die neuen Wahlen auszuschreiben, und dadurch ohne Zweifel großen Zwiespalt in Deutschland hervorzurufen. Hunderteinundvierzigster Brief. Frankfurt a. M., den 18. April 1849. Gestern war eine große Versammlung der preußischen Abgeordneten, um über mehre Anträge zu berathen und zu beschließen. Der erste ging dahin: „wir sollten, um unsere Handlungsweise zu rechtfertigen und grobe Irrthümer und Mißdeutungen zu widerlegen, -- eine öffentliche Ansprache an das preußische Volk erlassen.“ Das Dasein solcher Anklagen und Irrthümer läßt sich nicht läugnen, und selbst in den berliner Zeitungen finden sich Aufsätze, welche man böswillig und einfältig nennen darf. So z. B. wenn man behauptet: wir gingen darauf aus, Preußen um seine Geschichte und Macht, um seine Gegenwart und Zukunft zu betrügen, und es von Lippe oder Reuß, Schleiz u. dgl. ganz abhängig zu machen!! Trotz dieser und anderer Thatsachen schienen die Gründe gegen eine solche Erklärung an das preußische Volk so überwiegend, daß der Antrag mit großer Stimmenmehrheit abgelehnt wurde. Der zweite Vorschlag ging dahin: da Hr. C. -- nach wie vor eine stumme Rolle spiele, mit den preußischen Abgeordneten in gar keinen leitenden oder doch erläuternden Zusammenhang trete, den Eifer und die Begeisterung eher abkühle als befördere, und unsere wohlüberlegten Pläne gewiß nicht mit gehörigem Nachdrucke unterstütze, so solle eine Deputation an ihn abgeschickt werden, um -- u. s. w. u. s. w. Auch hier richteten sich die Zweifel nicht sowohl gegen die Wahrheit dieser Behauptungen und Ansichten, als dagegen: daß eine solche Deputation dem Hrn. C. irgend etwas sagen könne, was er nicht schon wisse, wenn er es wissen wolle; daß ein solches „auf die Stube und auf den Leib rücken“ leicht zu sehr unangenehmen Erörterungen führen und doch wirkungslos bleiben dürfte u. s. w. -- Genug, auch dieser Antrag ward zurückgewiesen. Die Ansichten in dem Dreißigerausschusse stimmen bis jetzt nicht überein, und werden sich schwerlich in einer ganz zufriedenstellenden Weise einigen, wenn die preußische Regierung nicht +vor+ der Berichterstattung mit einer entschlossenen Willenserklärung ans Licht tritt. Eine Partei (hoffentlich die stärkste im Ausschusse und in der Versammlung) will, im Vertrauen auf +baldige+ preußische Entscheidungen, nicht über den Beschluß vom 11. April, das Festhalten an der Verfassung betreffend, hinausgehen. Die zweite Partei will die Frage über das Oberhaupt bei Seite setzen, oder doch offen erhalten; -- d. h. allen Planen der Österreicher und Demokraten die Thür öffnen. Die dritte sucht die Nothwendigkeit zu erweisen, +sogleich+ einen Wohlfahrtsausschuß zu ernennen u. s. w. Nachdem alle kleineren deutschen Staaten sich unbedingt für die Annahme der Verfassung erklärt haben, Würtemberg, Hannover und Sachsen nicht ausbleiben können, Baiern sich bereits spaltet, und Österreich auf seinem alten Widerspruch beharrt, ist längere Halbheit und Unentschlossenheit nicht zu rechtfertigen. Wenn verstockte Seelen die neue Zeit und ihre großen Aufgaben nicht begreifen, wenn Unwissende sich in falsche Wege verlocken lassen, wenn man das Privatmannsgewissen über den staatsmännischen Beruf hinaufsetzt, und die +letzte+ Stunde, welche in diesen Tagen schlagen wird, versäumt: so wird in Deutschland Maß, Ordnung und Gehorsam noch weit schwächer werden, als es bereits ist. Warum will der König mit den +beiden+ Kammern und der +zweiten+ Reichsversammlung nicht versuchen, was er (daneben stehend) mit der +jetzigen nie+ zu Stande bringen wird? Warum die Wahlen nicht ausschreiben, statt sie von Anderen ausschreiben zu lassen; warum hier Gegner erzeugen und ihnen die Waffen in die Hände geben? Hundertzweiundvierzigster Brief. Frankfurt a. M., den 20. April 1849. Gestern ward in der Reichsversammlung das Ihnen bereits bekannte Schreiben des Hrn. Camphausen an Hrn. v. Gagern verlesen. Obgleich Einzelne noch immer verzweifeln wollen, daß man nicht mit +einem+ Sprunge zum Ziele kommt, machte es doch im Ganzen einen guten Eindruck, und Unbefangene konnten nicht verkennen, daß Preußen bereits auf ganz anderer Stelle steht, als am 3. April. Es hat sich in der uns erwünschten Richtung fortbewegt, und +muß binnen kurzer Frist zu noch viel entscheidenderen Beschlüssen kommen+. Nach der preußischen ward gestern die unhöfliche österreichische Note vorgelesen; man konnte für jene keine bessere Beleuchtung, keine günstigere Folie bestellen und auffinden. Die meisten österreichischen Deputirten sind abgereiset; die übrigen erklären: ihre Regierung habe kein Recht, sie (die vom Volke gewählt worden) willkürlich abzurufen. Wir halten es vor der Hand für unpassend, zu untersuchen: ob ihr ferneres Mitstimmen rechtlich und nützlich sei. Auch einige Baiern reden vom Fortgehen, während die Mehrzahl sehr über die Vertagung der Kammern in München zürnt. Nach ihrer unvermeidlichen Rückkehr werden sie hoffentlich deutscher gesinnt sein, als wenn man sie gar nicht nach Hause geschickt hätte. Das Gleiche gilt für Hannover. Montag (den 23.), spätestens Dienstag, kommt der, bis jetzt noch nicht vorgelegte Bericht des Ausschusses zur Berathung. Er wird durch Berücksichtigung der, oben erwähnten, preußischen und österreichischen Noten, eigenthümlich modificirt werden. Es wäre (um unnütze Anträge zu beseitigen und zu besiegen) sehr wünschenswerth, wenn bis zum 23. telegraphisch noch ein beruhigendes Wort aus Berlin ertönte. Nimmt Preußen vorläufig die Verfassung an, weiset es deren Verbesserung (gleich wie 28 Staaten) einer zweiten Reichsversammlung zu, so hat alle Fehde und Parteiung hier ein Ende. Die gemäßigte Linke hat sich von der geringeren Zahl wilder Revolutionaire getrennt, und steht mit und für uns auf dem Boden der Verfassung; sie wird uns verlassen, sobald man sich länger weigert, diesen Boden (unter Vorbehalt künftiger Verbesserungen) zu betreten. Ich habe zufällig erfahren, daß die Führer aller deutschen demokratischen Vereine berufen werden, sich (nach Ablauf einer gewissen Frist) in Frankfurt oder der Umgegend zu versammeln. Völlig harmlos, wenn Preußen rasch und mächtig die Leitung übernimmt; gefährlich für Preußen und noch mehr für Süddeutschland, wenn man den entscheidenden Augenblick versäumt. Dem gewöhnlichen Maßstabe sind die welthistorischen Bewegungen entwachsen; Gründe, welche für gewöhnliche Zustände unwiderleglich sind, verlieren alles Gewicht unter ganz außerordentlichen Verhältnissen; es fehlt ihnen der feste Punkt, von wo aus Archimedes die Welt bewegen wollte und konnte. Hundertdreiundvierzigster Brief. Frankfurt a. M., den 23. April 1849. Im Weidenbusche ward der Vorschlag gemacht: man solle, gegen die bereits angekündigte Tagesordnung, die Berathungen über den Ausschußbericht noch um einige Tage aussetzen, und hiedurch Zeit gewinnen. So nützlich der letzte Zweck auch erschien, ward der Antrag dennoch abgelehnt: 1) weil er der Geschäftsordnung zuwiderlaufe, und in der Paulskirche gewiß durchfalle; 2) weil wir statt vierzehn Tage bereits drei Wochen gewartet hätten; 3) weil das Volk im Nichtsthun neue Unentschlossenheit und Schwäche sehen würde. Ein zweiter Vorschlag ging dahin: man solle die Regierungen auffordern, sogleich, behufs der Entscheidung der wichtigen deutschen Angelegenheiten, ihre Kammern zusammenzuberufen; oder man solle doch wenigstens die Mißbilligung ihrer unzeitigen Vertagung aussprechen. Auch dieser Antrag ward (ungeachtet mancher dafür sprechenden Gründe) abgelehnt: denn er könne als ein Übergriff in die Landesrechte betrachtet werden, und es sei außerdem ungewiß, ob sich alle Kammern (z. B. die baiersche) in unserem Sinne erklären dürften. Besser man überlasse es den, ohnehin schon sehr eifrigen Einwohnern der einzelnen Staaten, diese Angelegenheit zu betreiben. Auch müsse man den Schein vermeiden, als bedürften Reichsbeschlüsse einer ständischen Prüfung und Bestätigung. In unserer Versammlung (welche die Partei der +Gemäßigten+ bildet oder vertreten soll) ward dennoch ausgesprochen: noch seien jene Maßregeln nicht an der Zeit, man werde und müsse aber viel stärkere ergreifen, wenn Unentschlossenheit, Eigennutz und Dummheit irgendwo zu dem Versuche bringe, Deutschland noch einmal um seine Einheit, Freiheit und Macht zu betrügen. Eine neue gewaltige Revolution müsse diesem Unwesen ein für allemal ein Ende machen! Von hier ist der Übergang zu der bittersten Kritik nur zu wahr und zu leicht. Ist es nicht (so sprechen Abgeneigte) ein Spott und Hohn für die Reichsversammlung und ganz Deutschland, daß der König von Würtemberg sagt: er werde sich erklären, sobald Preußen es gethan, und daß die preußische Regierung versichert: sie werde es thun, wenn Andere vorangegangen wären. Wie kann Preußen, statt die Siegesfahne voranzutragen, hinter der Fronte auf einem diplomatischen Packwagen abwarten, ob neidische Fürsten geneigt sind, ihn in einen Triumphwagen zu verwandeln! So stehen wir am Abgrunde; weil man am Tage der entscheidenden Schlacht juridisch-ethisch-philosophisch-christliche Abhandlungen oder Noten für sentimentale Vereinbarung und für den ewigen Frieden schreibt, Staatsrecht und Privatrecht verwechselt, und (wie Montesquieu sagt) welthistorische Ereignisse, wie den Prozeß um eine Dachtraufe betrachtet und behandelt. Hundertvierundvierzigster Brief. Frankfurt a. M., den 28. April 1849. Wenn ich nicht voraussetzen dürfte, daß die stenographischen Berichte über die letzten merkwürdigen Sitzungen der Reichsversammlung in Ihren Händen wären, so würde ich sie beilegen. Der lang zurückgehaltene Zorn hat sich (bei fortdauernder Unbestimmtheit der berliner Erklärungen) auf eine Weise Luft gemacht, die um so bedauerlicher ist, da es für die Klagen und Vorwürfe keineswegs an allen Gründen fehlt. Nur mit Mühe haben wir, der vereinigten äußersten Rechten und Linken gegenüber, gemäßigte Beschlüsse durchgesetzt. Jene wollte gar nichts thun; diese vertheidigte die heftigsten Maßregeln und beschuldigte uns der Dummheit und Feigheit. Die Demokraten haben gar kein Hehl, daß sie (insbesondere den zögernden und verneinenden Regierungen gegenüber) +ohne Scheu alle und jede Mittel anwenden werden, ihre Plane durchzusetzen+. Jedenfalls ist ihre Macht und die Zahl ihrer Anhänger seit dem 3. April ungeheuer gestiegen; und wenn der König von Preußen sich nicht eiligst handelnd an die Spitze stellt, +so werden regellose Bewegungen der gefährlichsten Art nicht ausbleiben, und zuerst die kleineren Staaten über den Haufen werfen+. Wir haben die Macht (sagt man), Alles mit dem Schwerte zu bändigen und zu strafen. Ist denn das aber ein staatsrechtliches Mittel, und hat man es in Würtemberg anwenden können, hat es in Österreich zum Ziele geführt? Die Ablehnung des Königs von Preußen hat uns (sagen die Demokraten) von der Pflicht entbunden, länger mit Euch zu gehen und in Euerem künstlich auferbauten, rasch zusammengestürzten Hause unsere Wohnung aufzuschlagen. -- Was kann man antworten, als: habt Geduld! -- Wir haben sie aber selbst nicht im Herzen, sondern nur auf den Lippen. Alles was in Berlin gegen Verfassung und Kaiserthum vom Standpunkte herkömmlicher Diplomatie und gemeinen Menschenverstandes eingewandt wird, ist vollkommen +unwiderleglich+; so unwiderleglich, als daß die Sonne um die Erde läuft und der Mond nicht größer ist wie eine Suppenschüssel. -- Preußen will lieber am Bundesschlepptau zahm und tadellos im Kreise mit anderen kleinen Planeten umherlaufen, als sich als Sonne in den Mittelpunkt stellen, und Ordnung für die Schwächeren durch eine heilsame Abhängigkeit begründen. Wer die Dinge immer durch das Mikroskop besieht, verliert den Blick für teleskopische Fernen. Wer zum ersten Male einen Floh 100,000 mal vergrößert betrachtet, der mag entschuldigt sein, wenn er sich vor der furchtbaren Kreatur fürchtet; Sachverständige machen nicht so viel Umstände. Die österreichische Note ist für diesen Augenblick nichts mehr als ein vergrößerter politischer Floh. Gestern Abend war eine fünfstündige Berathung bei Hrn. v. Gagern über die dringende und gefährliche Lage der Angelegenheiten unseres Vaterlandes. Etwa 20 der ausgezeichnetsten Abgeordneten waren dazu eingeladen. Ich will versuchen, in kurzen Sätzen und Gegensätzen den wesentlichsten Inhalt mitzutheilen. +Satz.+ Der Erzherzog Johann, welcher sich immer mehr zu Österreich hinneigt, wird die Hand nicht zur Ausführung der Verfassung bieten, und das Ministerium sich gezwungen sehen, vielleicht schon morgen zurückzutreten. +Gegensatz.+ Der Erzherzog ist außer Stande, ein anderes Ministerium zu bilden, welches die Mehrheit in der Reichsversammlung erhält. Er wird alsdann das alte wiedernehmen oder abdanken müssen. +Satz.+ Er wird auf den Grund der österreichischen Erklärung sich um die Versammlung nicht kümmern und auch nicht abdanken. +Gegensatz.+ Für diesen Fall fände er nirgends den geringsten Gehorsam. +Satz.+ Im Fall seines Rücktrittes muß eine Regentschaft oder ein vollziehender Ausschuß gebildet werden. +Gegensatz.+ Beides läuft gegen den Buchstaben der Verfassung und führt in revolutionaire Bahnen. +Satz.+ Nun, so muß man einen anderen Reichsverweser wählen, etwa den, jetzt nachgiebigen, König von Würtemberg. +Gegensatz.+ Dieser würde weder den Absolutisten, noch den Demokraten recht sein: nur der König von Preußen kann (wenn er vorläufig die Verfassung annimmt und neue Wahlen ausschreibt) die Sachen zu einem glücklichen Ziele führen. +Satz.+ Es ist zu bezweifeln, ob der König darauf eingeht. Nach einem glänzenden Lobe des Prinzen und der Prinzessin von Preußen (das ich aber weder aussprach, noch veranlaßt hatte) geschah der Vorschlag: +Satz.+ Der Prinz von Preußen muß zum Reichsverweser ernannt werden. +Gegensatz.+ Das Lob ist vollkommen verdient; der Prinz hat aber eine solche Pietät gegen seinen königlichen Bruder, und mit Recht die größte Abneigung selbst gegen den Schein einer Spaltung innerhalb der königlichen Familie, daß die volle Zustimmung des Königs die erste Vorbedingung sein würde. Wenn diese einträte und der Prinz sich nächstdem zur Annahme bereit erklärte, so wäre uns Allen freilich am besten geholfen. Nach vielen anderen Reden und Erörterungen kam man zu folgenden Beschlüssen: die Reichsversammlung wird sich weder selbst auflösen, noch auf längere Zeit vertagen (beides war vorgeschlagen worden); sie wird weder unthätig die Hände in den Schoß legen, noch sich zu revolutionairen Maßregeln fortreißen lassen; sie wird ein österreichisch-ultramontanes Ministerium bekämpfen, und ihre Maßregeln ergreifen, so wie es die sich drängenden Ereignisse jedes Tages erfordern. -- Gebe Gott daß uns die +Macht+ bleibt, auf der Bahn der Mäßigung zu beharren! Alle Reichsminister haben ihr Amt niedergelegt; wir gehen also auch hier neuen Stürmen entgegen! Hundertfünfundvierzigster Brief. Frankfurt a. M., den 29. April 1849. Es giebt der Verzweifelnden jetzt nur zu Viele. Sie theilen sich jedoch in zwei Klassen. Die eine giebt händeringend Alles auf, die andere sieht Hülfe lediglich in gewaltsamen oder unausführbaren Maßregeln. Diese sagen: welcher rechtliche Deutsche kann länger dulden, daß Preußen unentschlossen und muthlos Versteck spielt? Kann seine Regierung die neue Zeit und ihre großen unvermeidlichen Zwecke nicht begreifen, gestalten, beherrschen; so müssen wir ohne Preußen, ja am besten ohne alle diese hemmenden Fürsten und Dynastien, die Wiedergeburt Deutschlands begründen und ihm die gebührende Stelle in Europa verschaffen. Wenn Bitten, Ermahnen, verständiges und gesetzliches Andringen ganz vergeblich bleiben, so müssen wir uns zu der moralischen Kraft und durch diese auch die physische verschaffen und Kämpfe wagen, die (wie die Weltgeschichte zeigt) zuletzt immer siegreich waren u. s. w. -- -- Für eine schwankende Politik, für halbe Maßregeln kann sich Niemand begeistern und opfern. Wenneher ist in der Weltgeschichte so viel dargeboten und so viel verscherzt worden? Philister sind auf ihrem Boden immer unwiderleglich. Ihnen zu Folge hätten die Griechen Troja nicht angreifen, ihre Stammgenossen in Asien nicht unterstützen, Alexander die Perser nicht bekriegen und die Römer sich auf ihre Stadtfeldmark beschränken sollen. Luther mußte dem Papste gehorchen, Hampden die Steuer zahlen, Wilhelm III. ruhig in Holland bleiben, Friedrich II. keinen Krieg gegen solche Übermacht wagen, Friedrich Wilhelm III. Napoleon gehorchen; -- und Friedrich Wilhelm IV. also auch die Oberleitung Deutschlands ablehnen! So machen Schulmeister und alte Weiber männlichen Geschlechtes ihre eigene Weltgeschichte. Verliert die hiesige Reichsversammlung alles Gewicht und alle Bedeutung, bevor eine zweite einrückt, so bleibt nur Aufruhr von unten und das Schwert von oben! Hundertsechsundvierzigster Brief. Frankfurt a. M., den 6. Mai 1849. Da es unmöglich ist, meine Sorgen ganz allein für mich zu tragen, so bin ich für Eure freundliche wohlwollende Theilnahme sehr dankbar; wogegen ich widersprechen muß, wenn Ihr Euch +unnöthige+ Sorgen macht. Wären Bequemlichkeit, persönliche Wünsche, Befreiung von Vorwürfen, Vermeidung von Undankbarkeit und Gefahren, leibliche und geistige Ermüdung u. s. w., -- wären diese Gründe die höchsten und allein entscheidenden, so würde ich längst in die Heimat zurückgekehrt sein, und in ehemaligen, oder Altenmannsbeschäftigungen, Beruhigung und Genuß gesucht und gefunden haben. Alle jene Gründe treiben aber (von höherem Standpunkte betrachtet) zum Bleiben, Ausharren, Dulden und Handeln! Ich habe meine Stellung hier nicht aus Eitelkeit gesucht oder angenommen, und weder das Angenehme noch Unangenehme klar voraussehen und danach beschließen können. Vielleicht, ja +wahrscheinlich+, kommt sehr +bald+ eine Zeit, wo ich (nebst Anderen) werde fortgehen wollen oder fortgehen müssen; -- aber noch ist sie nicht da, und kein Soldat fordert seinen Abschied an den Tagen der Schlacht. Daher trete ich nicht Eueren ängstlichen Berechnungen und Weissagungen, sondern M-- bei, welcher in dem anliegenden Briefe schreibt: „Bleib ja so lange in Frankfurt, als die Versammlung selbst.“ Wäre unsere Aufgabe eine einfache, „Kampf gegen Anarchie +oder+ Despotismus“, so würde unsere Macht verdoppelt und der Sieg gewiß sein: in Wahrheit muß aber dieser +doppelte+ Kampf +zugleich+ gekämpft werden, und die Besiegung nur des +einen+ dieser Feinde ist kein Sieg, sondern führt durch übermäßigen Mißbrauch desselben ins Verderben. Ihr sagt: wir Gemäßigten seien schon in den Strudel der Linken fortgerissen. -- Wer hat diese denn gestärkt, als Diejenigen, welche lauter oder in der Stille die Hülfe, Entwickelung und Ordnung lediglich in unbedingter Herrschaft finden? +Wer jetzt die reactionairen Gelüste nicht sieht, ist so blind wie Der, welcher die anarchischen Wünsche und Bestrebungen läugnet.+ Es ist kinderleicht, über das Eine oder das Andere ein schreckliches Geschrei zu erheben; schwer, sie mit gleicher Unbefangenheit betrachten, würdigen und bekämpfen. Als Frankfurt (eher als das militairische Preußen) die Anarchisten im vorigen Jahre zu Paaren trieb, um Preußens willen den Waffenstillstand von Malmoe annahm, die Steuerverweigerung verdammte u. dgl., -- da waren wir gar liebe, vortreffliche Leute. Weil uns aber jetzt die drei, noch an ihrer französischen Souverainetät festhaltenden Könige nicht wie göttliche Propheten erscheinen, die wir besingen müßten; weil wir die Auflösung und Vertagung aller Kammern in ganz Deutschland nicht für einen glücklichen Zufall oder eine weise Maßregel halten; weil wir die scharfe Arznei des Belagerungszustandes nicht in das tägliche Brot verwandeln wollen; weil wir nicht Denen zustimmen, die noch über die äußerste Rechte hinausgehen: -- darum heißen wir jetzt (nachdem das Blatt sich gewendet) -- Dummköpfe und Rebellen! Thun wir denn nicht gleichzeitig alles Menschenmögliche gegen die übertriebenen Vorschläge der Linken? Haben wir diese nicht vorgestern (zu ihrem höchsten Verdrusse) ohne alle Ausnahme verworfen? -- Aber während wir hier bis zum Tode und bis zur Verzweiflung widerstehen und uns opfern, verläugnen uns Die, welche uns trösten und stützen sollten. Leute, welche die Größe der Aufgabe und des Zieles (die mächtige Einigung eines wiedergebornen Deutschlands) gar nicht begreifen, fallen über den trockenen Knochen einer abgelebten Schulfrage, vom absoluten Veto, her, und halten ihn sich so nahe vor das Auge, daß sie von Allem was um sie vorgeht, gar nichts erblicken. Dann das Wahlgesetz! War es denn unter den gegebenen Verhältnissen möglich, ein anderes zu machen? Auch hier ist mehr als die Hälfte der Einwendungen unpraktisches Geschwätz. Hätte der König von Preußen nach löblicher Besiegung der berliner Pöbelherrschaft +sogleich+ wählen lassen, er hätte eine vortreffliche Kammer bekommen. Aber der rechte Augenblick ward versäumt, und die günstige Stimmung durch gar viele, ich fürchte verkehrte, Maßregeln umgewandelt. Hätte der König von Preußen sich am 2. April +thätig+ an die Spitze Deutschlands gestellt, die Wahlen wären höchst günstig ausgefallen, und er hatte jede ihm beliebige Änderung ohne Mühe in der zweiten Reichsversammlung durchgesetzt. Aber jetzt!! +Das Benehmen Preußens hat in Deutschland mehr Republikaner erzeugt, als die Wühlereien aller Demagogen zusammengenommen.+ Wer darf behaupten, daß +wir+ den Bürgerkrieg hervorrufen, während unsere Bevollmächtigten bis jetzt aufs Äußerste in Berlin, München und Dresden für Maßregeln unermüdlich wirken, welche ihn abhalten sollen und können. Die, für andere Zeiten und Verhältnisse höchst löbliche Gewissenhaftigkeit, hat Unterhandlungen, Vereinbarungen gewollt, in dem letzten Augenblicke, wo Deutschland nur durch ein ganz entschiedenes +Handeln+ Preußens zu retten war. Vergeblich hat man dies aufs Dringendste vorgestellt! Freuen sich doch Viele auf eine neue Belebung Deutschlands durch Pulver und Blei! -- damit Das eintrete, was sie Ordnung nennen. In Rheinbaiern ist die schwache Regierung außer Stande, den Strom der übermäßigen Aufregung zu hemmen. Baden, Würtemberg und Sachsen leiden an derselben Aufregung. Also, sagen die Ultrastaatsweisen: drein schlagen und drein schießen. Allerdings ein Mittel gegen die Krankheit Derer, die dort erschlagen werden; aber es werden immer noch Lebendige übrig bleiben, die gegen derlei Ärzte ein ~Da capo~ versuchen. Merkwürdig, daß selbst Märzvereine und ein Theil der besonnenen Linken sich gegen alle Gewaltmaßregeln erklären. Möchten ihre äußersten Gegner dasselbe thun und so Deutschland vor dem entsetzlichsten Unglück bewahren. Ich bin nur ein ohnmächtiger Einzelner; daß ich aber hier und in Paris nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt -- und geduldet -- habe, dies Zeugniß kann ich mir nach ernster Prüfung selbst geben. Daher werden mich Urtheile von Leuten nicht aus der Fassung bringen, welche (ohne genügende Kenntniß) aus der Ferne (oder wie man in Berlin sagt, aus Nummer Sicher) das große Wort führen, und Rechte, Centra und Linke in einen Topf der Verdammniß werfen. Ich erhalte soeben Eueren zweiten Angstbrief vom 4. Mai. Vor 3-4 Monaten hätte ich fortgehen können: jetzt +darf+ und +will+ ich nicht; so lange Widerstand gegen die Linke noch möglich, und eine irgend zusammenhaltende Centralgewalt noch vorhanden ist. Käme die Linke +fortdauernd+ zur Majorität, so müßten alle Wohlgesinnte ihren Auftrag niederlegen; jetzt dürfen wir nicht verzweifeln, weil wir einige Posten verloren, andere gewonnen haben. Eine neue Berathung über die Verfassung in der +jetzigen+ Versammlung (+begreift das doch endlich+) würde mehr +verderben+, als +verbessern+; die 34 Fürsten, Könige und Kaiser werden sich (wie wir ja sehen) +niemals+ vereinbaren; ohne eine neue Reichsversammlung ist der Krieg zwischen Absolutisten und Republikanern +unvermeidlich+; +Preußen giebt, um ein Paar theoretische Schulbegriffe durchzusetzen, seinen weltgeschichtlichen Beruf auf, oder doch den weltgeschichtlich entscheidenden Augenblick preis+. Was Frankfurt auch verschuldet und gesündigt haben möge, was kann es Milderes, Bescheideneres thun, als sein Mandat in die Hände seiner Wähler und des Volkes niederlegen; jedoch nicht ohne eine Bürgschaft; daß der Todesschlaf fauler, feiger Ruhe, nicht statt gemäßigter Entwickelung eingeschmuggelt, oder aufgezwungen werde. Gehen wir ohne Bürgschaft, so wirkt die Linke für Republik, aus welcher Anarchie entspringt; und gegenüber wächst der Despotismus Rußlands, Österreichs und vielleicht auch Preußens. Beide Parteien sind maßlos für ihre Zwecke; ich rechne es mir zur Ehre, daß ich beide mißbillige und nach meinen geringen Kräften dawider wirke. Wie man auch über mich urtheile, ich habe gethan, was ich vor Gott und Menschen verantworten kann, und habe weder Lust, mich Hrn. Schlöffel, noch Hrn. v. -- unterzuordnen. Noch stehe ich so fest auf meinen Füßen, als jene Verdammenden. -- Doch ists möglich, daß ich (nach Maßgabe +weiterer+ Ereignisse) aus zureichenderen Gründen, freiwillig oder gezwungen, bald nach Berlin komme. Beruhigt Euch also. Hundertsiebenundvierzigster Brief. Frankfurt a. M., den 8. Mai 1849. Unser bitteres Märtyrerthum dauert ununterbrochen fort; daher wünschen und hoffen wir auf eine baldige Erlösung. Doch können viele Wohlgesinnte im Davongehen noch nicht die rechte Lösung erblicken, oder es muß dafür ein +auffallender, thatsächlicher Grund+ eintreten. Wenn Ihr Euch die Mühe nehmt, so werdet Ihr aus den stenographirten Berichten sehen, welche Menge leidenschaftlicher Anträge wir in jeder Sitzung durch unsere Mehrzahl verwerfen. Aber diese Mehrzahl nimmt täglich (besonders durch Austritte) ab, und ich fürchte: der Augenblick naht, wo wir ganz in der Minderzahl bleiben, und dann nicht einzeln, sondern in Masse davongehen müssen. Die Wendung, welche die Sachen in Sachsen genommen haben, bringt der guten Sache großen Schaden; denn während die anarchische Partei kurzweg und auch durch +ungesetzliche+ Mittel alle Fürsten wegjagen und alle Regierungen auflösen möchte, freuen sich die Absolutisten des Vorwandes, durch Gewalt auch die löbliche Entwickelung zu hemmen und die alte, formlos willkürliche, Regierungsweise herzustellen. Als Gagern gestern in der Sitzung von den entsetzlichen Gefahren und Leiden eines Bürgerkrieges sprach, lachten ihm Etliche höhnisch ins Gesicht. Da entfuhr ihm das Wort: „nur Buben lachen über solche Dinge.“ Hierauf furchtbarer Lärm, Ordnungsruf durch den Präsidenten, Entschuldigung, steigende Einmischung von den Galerien, Rechtfertigung dieser Einmischung durch einen Abgeordneten von der Linken, Schimpfen von oben herab, beim Weggehen vor der Kirche Verhöhnung Gagern’s und Gleichgesinnter, Lebehochs für die lautesten Schreier von der Linken u. s. w. Ihr seht aus dieser Mittheilung im Lapidarstyl, wie nahe wir dem Gesteinigtwerden sind, und daß die tägliche Wiederkehr solcher Leiden nicht Vorwürfe für die ausharrend Kämpfenden herbeiziehen sollte. Aber ungeachtet des Zornes, welcher deshalb wider die revolutionaire Partei hervorbrechen muß, kann der Unbefangene nicht läugnen, daß Könige, Fürsten, Minister ihr in die Hände arbeiten und die Hälfte der Schuld tragen. -- Wo ist Einer ganz schuldlos? Leider ist unser vortrefflicher Präsident Simson so krank, daß er nur in kurzen Absätzen die Versammlung leiten kann. Dieser Übelstand hat schlimmere Folgen als man denkt, und mit Anderen habe auch ich gestern Abend im Weidenbusche darauf aufmerksam gemacht. Insbesondere ward beschlossen, die Galerien durch die gesetzlich bereits feststehenden Mittel in strengerer Ordnung zu halten. Vielleicht entscheidet schon diese Woche über weiteres Handeln, Bleiben, Gehen u. s. w. Ich werde mich nicht übereilt zu dem Einen oder dem Anderen entschließen; sobald aber die kalten Maitage vorüber sind, werde ich (wenn Pflichten nicht bestimmt entgegenstehen) kaum der Neigung und der Gesundheitsforderung widerstehen, einen +kurzen+ Urlaub zu nehmen und wegzureisen, -- wohin es auch sei. In der ersten Hälfte der heutigen Sitzung erhoben einige fanatische Mitglieder der Linken wieder solch einen Lärm, daß die Sitzung auf zwei Stunden geschlossen werden mußte. Wir gingen zum Weidenbusche, wo Mitglieder der gemäßigten Linken erschienen und versprachen, fernerhin alles Mögliche zu thun, um Anstand und Ruhe in der Kirche und auf den Galerien zu erhalten. Heute Abend Berathung im Casino und Weidenbusche über Anträge der Linken, die Angelegenheiten in der Pfalz und Sachsen betreffend. Die morgende Sitzung wird über unsere nächste Zukunft entscheiden. Mir fehlt Zeit und Kraft, heute mehr zu berichten. Kämpfe vom Morgen bis in die Nacht, über welche sich von der Ruhe des Belagerungszustandes aus bequem kritisiren läßt. Hundertachtundvierzigster Brief. Frankfurt a. M., den 9. Mai 1849. Gestern war von 9-10 Uhr Sitzung, 10-12 Weidenbusch, 12-2 Sitzung, 7-9 Casino, 9-11 Weidenbusch; wahrlich keine Sinecure, auch war ich Abends an Leib und Seele so matt wie eine Fliege im Herbste. Gegenstand der Berathungen in allen Versammlungen war vor Allem der anliegende wichtige Antrag Simon’s von Trier: die Aufstände in der Pfalz und in Sachsen zu billigen und zu unterstützen. Ohne in die Sache selbst weitläufig einzugehen, will ich bei Dem stehen bleiben, was ich that oder sprach. Im Casino erklärte ich mich für die Nothwendigkeit, sich ganz +bestimmt wider+ jeden Versuch auszusprechen, durch +Gewalt+ die Verfassung einzuführen. Alle Zweideutigkeit und Nachgiebigkeit gegen derlei Bestrebungen müsse ein Ende nehmen, und wenn heute ein, diesen Grundsätzen nicht gemäßer, Beschluß gefaßt werde, so legte ich auf der Stelle mein Mandat nieder. Im Weidenbusche widersprach ich bestimmt dem Antrage: den Einmarsch der Preußen in Sachsen aus blos formellen Gründen zu verdammen, bevor uns über die sachlichen Verhältnisse genügende und glaubhafte Kunde zugekommen sei; -- und ebenso der wilden Lehre: durch Aufstellung einer provisorischen Regierung habe die des Königs von Sachsen eigentlich ein Ende genommen. Den im Casino geäußerten Wunsch: daß ich heute in der Paulskirche für ein Programm des Weidenbusches oder des Ministerii sprechen möge, mußte ich ablehnen, so lange ich dessen Inhalt nicht kenne, und man sich für dessen Unterstützung nicht geeinigt habe. Hinsichts der obigen, von mir vertheidigten Punkte, stimmte indeß die Mehrheit für den ersten, und verwarf die anfängliche Fassung des zweiten. Einzelne forderten mich auf, bei meiner +persönlichen Wichtigkeit+ noch lauter in den Vordergrund zu treten; da ich aber in Wahrheit persönlich +unbedeutend+ bin, muß ich mich innerhalb der Gränzen meiner Kraft und meines Rechtes halten. Mit jedem Tage, ja mit jeder Stunde ändern sich die Verhältnisse: Der jammervolle Kampf in Dresden, die Aussicht auf noch furchtbarere Fehden, der völlige Bruch des berliner Ministeriums mit Frankfurt, die Zuweisung aller Schuld auf +uns+ (wie einst auf den Prinzen von Preußen) erschöpfen alle Geduld, alle Hoffnung. -- Nicht für immer, aber auf so lange, als die Tyrannei oben und die Empörung unten herrscht. Wahrscheinlich ist morgen unser letzter Kampf. Dann folgt Überlegung und Beschluß, ob wir in Masse oder einzeln davongehen. Ich habe lebhaft auf Entschließung gedrungen, und erklärt, daß ich mich durch kein abgefordertes Gelübde des Bleibens binden lasse. Hundertneunundvierzigster Brief. Frankfurt a. M., den 10. Mai 1849. Schon wieder eine neue Krisis! Es ist ein Wunder, daß wir daran noch nicht gestorben sind. Gewiß wird der beiliegende Antrag gegen Urlaubsgesuche unser Leben nicht sehr verlängern. Dem Antrage von Simon und Vogt gegenüber hatte das Ministerium ein gemäßigtes Programm entworfen, welches bezweckte, Reactionaire und Anarchisten +gleichmäßig+ in Zaum zu halten. Der Erzherzog hat seine Mitwirkung dafür abgelehnt und die Abdankung des Ministeriums Gagern angenommen. Er bezweckt ein neues zu bilden, was jedoch sehr schwer, ja unmöglich sein dürfte. Eine äußerste Rechte ist eigentlich nicht mehr vorhanden, oder doch in der Versammlung ohnmächtig; die Centra stimmen für Gagern, und ein Ministerium aus der Linken müßte dem Reichsverweser noch viel unwillkommener sein, als das soeben entlassene. Sollte er sich den widersprechenden Regierungen anschließen, so verliert er hier allen Boden, und die heftigsten Anträge dürften nicht ausbleiben. Fallen heute Gagern’s Vorschläge in der Versammlung durch (welche nur +gesetzliche+ Mittel billigen), so müssen, meines Erachtens, die preußischen Abgeordneten binnen 24 Stunden einen entscheidenden Beschluß darüber fassen, was sie thun wollen. Unmöglich aber kann er eine Billigung +aller+ Maßregeln Preußens in sich schließen. Ihm war die Allmacht in Deutschland in die Hand gegeben, alle anarchischen Bestrebungen fielen zu Boden, wenn der König am 2. April kühn die Zügel ergriff. Man hat Schulstreitigkeiten, Zänkereien über buchstäbliches Recht u. dgl. pedantisch an die Spitze gestellt, und wird nun die mangelhafte Verfassung durch Kartätschen und Bürgerkrieg berichtigen müssen! +Es ist unglaublich, wie die Begeisterung für Preußen sich im ganzen übrigen Deutschland binnen 4 Wochen verwandelt hat.+ In Eurer Belagerungsatmosphäre glaubt Ihr dies nicht; sowie umgekehrt hier die Linke sich einbildet oder weiß machen läßt, ganz Preußen werde sich für ihre Fratzen oder Gewaltzwecke erheben. Daß die vernünftigen Leute der +einen+ Partei für Verräther, der +anderen+ für Feiglinge gelten, -- darüber darf man sich nicht wundern. Aber zu glauben, daß, wenn man Leib und Seele in steten Kämpfen für das als recht Erkannte opfert, nur erbärmliche Eitelkeit im Spiele, oder daß man ganz verdummt sei, wenn man sich dem oder jenem Machthaber nicht blind zu Füßen wirft, -- das geht freilich über das Maß Dessen hinaus, was man erwarten konnte und mußte! Immer ertönt das Geschrei: die Frankfurter, die Frankfurter! als wären Lassault, Vogt, Schlöffel, Gagern, Radowitz u. s. w., alle in einer Form gebacken und über einen Leisten geschlagen! +Am 2. April war die Möglichkeit gegeben, eine großartige Wiedergeburt glorreich zu Stande zu bringen; statt dessen führte das sogenannte Gewissen in staatsrechtliche Irrthümer+, gleichwie zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges das ebenfalls gepriesene Gewissen und der Blick nach Oben in die landverderblichen, Völker zerstörenden Fragen über Dreieinigkeit, Brotverwandlung, Gnadenwahl u. s. w. Das war das damalige theologische Narrenhaus, zu dem Freiwillige sich so vergnügt drängten, wie Görge in Tieck’s Reisenden. Jetzt geschieht, auf anderem Boden, ganz dasselbe von den Ultras der beiden Parteien. Nachmittags. Ich habe trotz Eurer Sorgen und Eures Andringens mich nicht übereilen, sondern bestimmte Ereignisse mit Recht abwarten wollen. Sie sind eingetreten. Die Nationalversammlung hat heute mit 188 gegen 147 Stimmen den anliegenden unverständigen und heillosen Antrag des Hrn. v. Reden angenommen, und unsere gemäßigten Vorschläge sind nicht einmal zur Abstimmung gekommen. An 100 Personen versammelten sich im Casino, um zu berathen, was nun zu thun sei. -- Sich beruhigen, abwarten, mit dem abgegangenen Ministerium berathen, eine für Alle passende Erklärung entwerfen u. s. w. u. s. w. Gründe aller Art für, gegen -- zu lang zur Entwickelung. Jeder Aufschub erschien mir unklug, unwürdig, rechtswidrig; deshalb habe ich eine einfache, bereits (vor weiteren thörichten Beschlüssen) an Hrn. Präsidenten Simson übergebene Austrittserklärung auch unterschrieben. So seid Ihr aller Sorge überhoben, und Euer Wille geschieht nunmehr zur +rechten+ Zeit. Hundertfunfzigster Brief. Frankfurt a. M., den 11. Mai 1849. Sie wissen bereits aus den Zeitungen, daß gestern ein Antrag des Hrn. v. Reden von der Reichsversammlung angenommen ward, welcher zu Gewaltschritten berechtigt oder doch verführt, und eine offene Fehde gegen Preußen ankündigt. Obgleich ich noch immer glaube, daß die scheinbar kluge und gerechte Politik der preußischen Regierung, in Wahrheit Preußen um den höchsten Ruhm gebracht und verhaßt gemacht hat, daß vermeidliche Übel dadurch über ganz Deutschland herbeigezogen wurden; -- widerstrebt es doch meinem Gefühle und meinem Gewissen, die Bahn der Gewalt zu betreten, und die Teufel auszutreiben durch Belzebub, den obersten der Teufel. Daher bin ich gestern aus der Reichsversammlung ausgetreten, und mehrere Abgeordnete faßten denselben Beschluß. Ich trete in diesen Tagen eine kleine Reise an, um mich körperlich und geistig von übergroßen Anstrengungen wo möglich zu erholen; später kehre ich nach Berlin zurück, in der Hoffnung, als ein treu Gläubiger von Ihnen empfangen, und schon dadurch für manches andere Leiden getröstet zu werden. Nachmittags. Die Abgeordneten (insbesondere die preußischen) berathen hin und her: ob, wenneher, mit welchen Erklärungen u. s. w. sie ausscheiden wollen. Sie können sich darüber nicht einigen, sondern warten, und warten auf entscheidende Ereignisse. Wir Ausgeschiedenen glauben noch immer, den +rechten+ Zeitpunkt ergriffen und getroffen zu haben; während Andersgesinnte uns feige, verrätherisch, treulos u. dgl. schelten. Ich will über Die, welche andere Wege als wir einschlagen, den Stab nicht brechen, nicht mit ähnlicher Leidenschaft Vorwürfe zurückgeben; kann mir aber auch Pflicht und Gewissen nicht von Anderen zuschneiden und mich zu Gelübden verführen lassen. Hunderteinundfunfzigster Brief. Frankfurt a. M., den 12. Mai 1849. Ich wollte Euch heute einen langen, verständigen Brief schreiben, kann aber dazu die Gemüthsruhe nicht finden. Der erfolglose Zug nach Berlin war für die Reichsversammlung die erste Hinweisung zum Tode; jetzt erneut sich die Krisis in verstärktem Maße; das letzte Hinscheiden wird nicht schmerzlicher, aber noch schmählicher sein. Erst der Kampf gegen die Feinde Preußens und für ein ganzes Deutschland. Dann, als dies mit der Wiedergeburt unseres Vaterlandes unvereinbar erschien, ein erneuter Kampf für Einigung alles Übrigen unter Preußens Leitung; -- gelungen, siegreich! -- Hierauf (nicht durch unsere Schuld) geschlagen in Berlin, wie in Frankfurt. Und jetzt, nach jahrelangen, für Leib und Seele fast ertödtenden Anstrengungen kein Erfolg, kein Trost; und Hoffnung nur nach dem vorherigen Überstehen gefährlicher Krankheiten, gewaltsamer Fehden und Bürgerkriege! Von Freunden getadelt und verkannt, von Unwissenden als Thor bezeichnet, von Leidenschaftlichen und Böswilligen als Verräther geschmäht, -- das ist das Schicksal eines frankfurter Abgeordneten! Erst die Nachwelt wird die Größe und Schwierigkeit der Aufgabe ganz erkennen, und wenigstens unserem redlichen Willen und unserer Aufopferung Gerechtigkeit widerfahren lassen. Ja, trotz aller Klagen und alles Schmerzes hege ich die Überzeugung, daß man (nach Beseitigung des Mangelhaften) auf dem in Frankfurt gelegten großen Grunde wird fortbauen können und fortbauen müssen, wenn Deutschland gekräftigt und erneut fortleben, und nicht Polens Schicksal erfahren soll. Anhang. Reden die in Frankfurt nicht gehalten wurden. Zuerst gedruckt im August 1848. I. Über die Verhältnisse Deutschlands zu fremden Mächten. Man kann über die Verhältnisse Deutschlands zum Auslande nicht gründlich sprechen und urtheilen, bevor man einige der wichtigsten inneren Zustände scharf ins Auge gefaßt hat. Dahin gehört zuvörderst die Kriegsmacht, worüber wir vor wenigen Tagen ernste Untersuchungen angestellt und wichtige Beschlüsse gefaßt haben. Jene ergeben, daß, neben manchen Mängeln und Vernachlässigungen, einzelne Staaten (vor allen Preußen) bereits mehr geleistet haben, als selbst nach dem +neuen+ Beschlusse, ihnen obliegt; und wir dürfen voraussetzen, daß die zeither Zurückbleibenden es für eine Ehrensache halten werden, rasch in die erste Reihe vorzurücken. Sind wir denn aber mit dieser neuen verstärkten Kriegsmacht wirklich bei einem rechten, letzten Ziele angelangt? -- Ich zweifle. -- Sachverständige haben uns gesagt: bei gleicher Tapferkeit und gleicher Kriegsübung, entscheidet die +Mehrzahl+. Um deswillen erhöhen wir die Zahl unserer Kriegsmannschaft, ich setze von 300 auf 500 Mann. Dies hören die Franzosen und Russen, stellen ähnliche Betrachtungen an und erhöhen nunmehr auch ihre Zahl von 500 auf 600 Mann. Rasch folgen wir dem neuen Beispiele, fürchten von Neuem doppelt die Gefahr der Überzahl, und so entsteht wechselseitiges Überbieten ohne Ende, und ohne Ziel und Sieg. -- Wahrlich, wenn die Völker Europas diesen Weg immer weiter verfolgen, so erscheinen die Besorgnisse, welche der Abgeordnete für Leipzig darlegte, viel zu gering; denn es werden alsdann +alle+ Richtungen menschlicher Thätigkeit einer einzigen völlig untergeordnet, alle Kräfte einem einseitigen Zwecke geopfert, und die gebildeten Völker lösen sich auf in Kriegsscharen wie zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges, oder in Horden saporoger Kosaken. Darum wird es eine Aufgabe des gerüsteten Deutschlands sein, seine fast unverwundbaren Nachbarn in Osten und Westen aufzufordern, nicht durch übermäßig zahlreiche Heere den Kriegszustand auch im Frieden zu verewigen. Zu friedlichen wie zu kriegerischen Zwecken muß aber Deutschland +eines+ Sinnes sein; es müssen die bitteren unbegründeten Angriffe ein Ende nehmen, welche nur zu oft (insbesondere gegen Preußen) ausgesprochen werden. Denn wenn auch die preußischen Abgeordneten, in der Überzeugung von der Heilsamkeit eines einigen Deutschlands, nie über die Gränzen der Nothwehr hinausgehen, und schon des Anstandes halber nicht in ähnlicher Weise mit Anklagen hervortreten: so findet sich doch das preußische Volk dadurch aufs Äußerste verletzt, und jene Ankläger vergessen daß sie selbst dadurch die, übermäßig gescholtenen, Sonderinteressen hervorrufen. Das große Räthsel: wie diese Sonderinteressen mit den Reichsinteressen zu versöhnen sind, ist in der Paulskirche noch nicht gelöset worden. Sehr natürlich hat man jedoch in der neuesten Zeit die übelen Folgen der deutschen Zerstückelung und Auflösung vorzugsweise hervorgehoben, und auf Einheit des Reiches hingearbeitet. Doch ist diese Betrachtung und Bemühung keine neue. Große Kaiser, wie Friedrich I, Karl V, Ferdinand II, haben in verschiedener Weise auf Stärkung der Reichsgewalt hingearbeitet, ihr Ziel aber nicht erreicht. Auch diesmal wird das Ziel verfehlt werden, wenn man irrig die französische Centralisation den Deutschen als nachahmungswürdig vorstellt. Gewiß ist der aufs Höchste lobgepriesene, und doch noch immer unklare Begriff der Volkssouverainetät da noch nicht verwirklicht, wo eine Hauptstadt allmächtig das Land beherrscht. Neben allen Mängeln in Deutschland, welch geistiges, reiches Leben, welche Schätze der Wissenschaft und Kunst in seinen einzelnen Landestheilen und Städten! Welche Armuth in Frankreich, außerhalb Paris! Die Reichsversammlung hat in Frankfurt erklärt: jeder einzelne deutsche Staat müsse sich ihren Beschlüssen unterwerfen. In solcher Allgemeinheit ausgesprochen, ruft er Widersprüche und Sonderinteressen hervor, statt sie mit Recht zu ermäßigen. Reichsrechte und Staatenrechte sind +gleich heilig+, +gleich unantastbar+; es kommt nur darauf an, ihre gegenseitigen Gränzen mit Weisheit und Mäßigung festzusetzen. Dies ist bis jetzo noch nicht geschehen, aber gewiß die Hauptaufgabe des neu zu bildenden deutschen Staatsrechtes. Nordamerika hat dieselbe vollständig zur allgemeinen Zufriedenheit gelöset, und dort ist für Deutschland mehr zu lernen, als in Paris. Erst wenn die hier angedeuteten großen Zwecke erreicht sind, stehen wir vollgewichtig den übrigen Staaten gegenüber. Man fragt +ob+, man klagt +daß Rußland+ sich gerüstet habe. Wie kann sich ein Unbefangener darüber wundern! Wenn wir uns gegen Frankreich so benommen, so gesprochen, so gedroht hätten, wie gegen Rußland; jenes hätte bei seiner großen Reizbarkeit wahrscheinlich schon den Krieg erklärt. Rußland findet einen Krieg an seinen westlichen Gränzen seinen Interessen nicht angemessen; es würde ihn beginnen, wenn der Wahnsinn gewisser Fanatiker einen Bürgerkrieg in Preußen hervorriefe. Die, unverantwortlich vernachlässigte, große Gefahr von Rußland her liegt an der unteren Donau und in seinem, während des Friedens ununterbrochen verfolgten Kriegssysteme wider die Entwickelung der fleißigen Landschaften an der Ostsee. Man hat hier gesagt: +Frankreich+ habe uns die +Freiheit geschenkt+. Ich will hier nicht erwähnen, wie theuer Deutschland ihm die +Tyrannei+ bezahlt hat, sondern nur bemerken: daß man einem Volke so wenig die Freiheit schenken kann, als einem Manne die Tapferkeit, oder einer Frau die Keuschheit. Unläugbar führt ein Krieg (und gewiß alsdann ein langer Krieg) mit Frankreich zum Untergang aller Bildung und geistigen Thätigkeit. Für Erhaltung des Friedens müssen deshalb alle ächten Deutschen und Franzosen mit allen Kräften wirken; und wenn ein edler Mann, Herr v. Circourt, der Abgesandte der französischen Republik in Berlin, erklärte: er wolle gern für diesen erhabenen Zweck sein Leben opfern, so werden wir nicht hinter ihm zurückbleiben. Gewiß gewinnt diese Ansicht auch in Frankreich kürzlich mehr Anhänger: allein Wünsche, Hoffnungen, Versprechungen, begeisterte Weissagungen, sind noch keine genügenden Bürgschaften, sie machen Besonnenheit, Vorsicht und Staatsklugheit nicht überflüssig. Wenn die ruhigeren Deutschen über den Begriff der Volkssouverainetät so in Bewegung gerathen sind, wird schwerlich der Begriff französischen +Ruhmes+ unter dem beweglichen tapferen Volke alle wirksame Kraft verloren haben; und ebensowenig geben Ansichten der augenblicklich herrschenden Personen hinreichende Bürgschaft für eine lange Zukunft. Auch kann man nicht so schnell vergessen, wie Heinrich II für seinen angeblichen Schutz deutscher Freiheit, Metz, Toul und Verdun behielt; der gemüthliche Heinrich IV bei seinem Friedensplane doch Deutschland zerstückeln wollte, und Richelieu und Mazarin den Dreißigjährigen Krieg förderten. Ludwig XIV erinnert an die Pfalz, die Reunionskammern und Straßburg; Ludwig XV redete von polnischer Freiheit, und nahm dafür Lothringen; darauf, die Revolutionskriege unter constitutioneller Monarchie, Republik, Consulat, Kaiserthum. Die einzige friedliche Regierung war die Louis Philipp’s; und sie ist vielleicht deshalb mit gestürzt worden, weil sie es war. Schutz- und Trutzbündnisse mit einem einzelnen Volke verletzen die übrigen und verwickeln gar leicht in fremde Verhältnisse. So lange Deutschland einig und thätig für materielle und geistige Zwecke (mithin für den Frieden) wirkt, wird es ihm an Verbündeten nicht fehlen. Es ist (wenn es sich nicht selbst verläßt und in sich zerfällt) fähig und berechtigt, in der Zukunft eine viel entschiedenere Rolle zu spielen, als bisher; -- ja, im höheren Sinne an die Spitze der welthistorischen Entwickelung zu treten. II. Die Polenfrage. Meine Herren! Vor vielen Jahren habe ich eine Schrift über das große Trauerspiel des Unterganges von Polen herausgegeben, wofür ich zur Untersuchung gezogen und empfindlich gestraft ward, weil man behauptete: ich habe ungebührlich +für+ jenes Land Partei genommen. Ich führe dies an, damit man mich nicht parteiisch gegen die Polen nenne, wenn ich heute nicht vergessen kann, nicht vergessen will, und nicht vergessen darf, daß ich ein +Deutscher+ bin. Ich nenne den Untergang Polens ein großes Trauerspiel, weil alle Theile, in gerechter Nemesis, für ihr Unrecht gebüßt haben und noch büßen. In unseren Tagen ist jedoch von Vielen die Schuld der Polen meist zur Seite gestellt, und insbesondere das Verfahren Friedrich’s II einseitig beurtheilt worden. Während er und die Preußen sieben Jahre lang gegen halb Europa kämpften, zeigten die Polen keine edelen Sympathien; sondern ihr großes Reich war und blieb ohne Anstrengungen, ohne Muth, ohne Einigkeit, eine verknechtete Landschaft Rußlands. Diese Macht bezog daher unzählige Kriegsmittel wider Preußen und Friedrich II mußte bei der Überzahl seiner Feinde dazu schweigen. Später sah er mit seinem gewöhnlichen Scharfsinne, daß nach Beendigung des Türkenkrieges ganz Polen in die Hände der Russen fallen werde, und für sein Reich die allergrößte Gefahr entstehen müsse. Daher verband er, zur Selbsterhaltung und als Nothwehr, ehemals wesentlich deutsche Landschaften mit seinem Reiche. Diese erste Theilung Polens war nichts Unvorhergesehenes, Unbegreifliches. In den Schriften edler Polen ward sie vorhergesehen, und ihr unausbleibliches Eintreten, über hundert Jahre früher von einem polnischen Könige buchstäblich ausgesprochen. Polens Verfassung, seine Verwaltung, seine Unduldsamkeit gegen Dissidenten, sein ~liberum veto~, seine Conföderationen, sein Steuerwesen, seine Adelstyrannei, seine Volksknechtschaft waren von der Art, daß ein solches Reich in der geschichtlichen Entwickelung Europas nicht länger bestehen konnte. Das erkannten, das gestanden alle ächten Freunde ihres Vaterlandes. Sie wurden die Urheber der Verfassung vom 3. Mai, welche nicht aus der Ordnung zur Anarchie, sondern aus der Anarchie zur Ordnung führte, jene riesengroßen Mängel kühn bekämpfte oder beseitigte, und unter so vielen neueren unbrauchbaren Verfassungen, das größte Lob verdiente. Sie ward leider durch fremde Gewalt und durch innere Parteiung zertrümmert; und diese zweite Hälfte des Trauerspieles erscheint deshalb noch weit bedauerlicher, als die erste. Die Zeit erlaubt nicht, in die weitere Geschichte Polens näher einzugehen; doch sei es mir verstattet, einige Irrthümer zu berühren und einige Zweifel auszusprechen. Man sagt: das hergestellte mächtige Polen wird Deutschland schützen: eine Weissagung, für welche die Beweise nicht blos fehlen, sondern die auch mit den jetzigen Forderungen der noch ohnmächtigen Polen in schroffem Widerspruche steht. Wenn Deutschland sich nicht selbst schützt und schützen kann, ist es den Gefahren ausgesetzt, welchen Polen erlag. Eine andere Behauptung: im Staats- und Völkerrechte gelte keine Verjährung, ist durchaus irrig, würde zahllose Ansprüche hervorrufen, allen und jeden Besitzstand für immer unsicher machen und zu ewigen Kriegen Veranlassung und Vorwand geben. Eine dritte Ansicht, welche den Boden der weltlichen Geschichte ganz verläßt, bleibe unerwähnt, da sie alles wahren Zusammenhanges mit der vorliegenden Frage entbehrt. Von Demokratie und Volkssouverainetät kann endlich in Polen (wo bis jetzo nur +ein+ Stand nach Bildung strebt und herrscht) gar nicht die Rede sein, und die Worte Nationalität und Organisation sind von Preußen nie in dem Sinne ausgesprochen worden, wie man sie auslegt. Zuerst und vor Allem ist es unser Recht und unsere Pflicht, diejenigen Deutschen zu schützen, welche mit Einwilligung ihres Königs und ihrer Regierung zu Deutschland treten +wollen+, ja, nach den Ereignissen der letzten Zeit, treten +müssen+. Diese Trennung der Deutschen von den Polen ist in Wahrheit ein Glück für die letzten, und trotz aller Schwierigkeiten läßt sich auch an Ort und Stelle eine Sonderung der gemischt bevölkerten Landestheile zu Stande bringen. Die Deutschen sind in der Masse höher gebildet und weiter vorgeschritten, als die Polen; es läuft gegen die höchste Gerechtigkeit und die Natur der Dinge, sie (halbwahrer Grundsätze und unbestimmter Sympathien halber) den Polen unterzuordnen. Auch hier stehen wir auf dem Boden der +Revolution+: d. h. es giebt eine Gewalt geschichtlicher Thatsachen, die man anerkennen +muß+. Nach fast trunkener Theilnahme für die Polen, ist dieselbe mit beispielloser Schnelligkeit in einen Haß verwandelt worden, der bis zum Bürgerkrieg führte. Es hilft zu gar nichts, die hiebei obwaltende Schuld genau abwägen zu wollen; es steht für die Unterrichteten unläugbar fest: daß, wenn diese hohe Versammlung die Anträge ihres Ausschusses wegen Aufnahme deutsch-posener Abgeordneten verwirft, oder Posen, das Hauptbollwerk Deutschlands gegen Osten, in übereilter Großmuth preisgiebt, der Krieg von Neuem ausbricht, und die dortigen Deutschen ihr unabhängiges Dasein, trotz aller frankfurter Beschlüsse, behaupten werden. III. Über die Aufhebung des Cölibats. Meine Herren! Mehre Abgeordnete haben den Antrag gestellt: „Die hohe Nationalversammlung wolle die provisorische Centralgewalt veranlassen, wegen Aufhebung des Cölibatgesetzes mit der römischen Curie in Verhandlung zu treten, und zu diesem Ende vorläufig, in Ansehung der Wichtigkeit und Eigenthümlichkeit des Gegenstandes, einen besonderen Ausschuß zur Berichterstattung bestellen.“ Ich bitte um die Erlaubniß, diesen Antrag in Bezug auf seinen Inhalt, sowie in Hinsicht auf Klugheit und Gerechtigkeit, kürzlich prüfen zu dürfen. Seit mehr denn tausend Jahren ist die Frage über den Werth oder Unwerth, die Zweckmäßigkeit und Sittlichkeit, oder die Unzweckmäßigkeit und Unsittlichkeit des Cölibats, in unzähligen Reden, Predigten, Flugschriften und dicken Büchern verhandelt und wieder verhandelt worden, ohne daß man zu einer gleichen Überzeugung, zu einem einstimmigen Beschlusse gekommen wäre. Noch immer steht Anklage und Vertheidigung, Lob und Tadel einander schroff gegenüber. Anstatt über diese Dauer und Festigkeit der Ansichten und Grundsätze in kriegerischen Zorn zu gerathen und auf gewaltsame Vertilgung der einen oder der anderen Partei hinzuarbeiten, sollte man zu dem bescheideneren und richtigeren Ergebnisse hingetrieben werden: daß die Wahrheit nicht ganz auf der einen, der Irrthum ganz auf der anderen Seite liege, und man sich (in gutem Glauben und friedlich gesinnt) mehr hierhin oder dorthin wenden könne. Wenn die Antragsteller sehr bitter reden: „von der Zerstörung des Lebensglückes von Tausenden, der Mißhandlung heiliger Menschenrechte und schleichender Verbreitung eines sittenverderbenden Giftes“, so erwidert die andere Partei: daß Niemand zu dem Berufe eines katholischen Geistlichen gezwungen werde, und in der Kraft der Selbstbeherrschung und Entsagung, in der geistigen Heiligung des Lebens, in der völligen Hingebung an den größten Beruf, das vollgewichtigste Zeugniß liege von höherer Sittlichkeit und von einer Erhebung über blos weltliche Freuden und Genüsse. Fürchten Sie nicht, meine Herren, daß ich, nach dieser kurzen, zu friedlicher Mäßigung hinweisenden Bemerkung, mich in endlose Erörterungen für und wider einlassen werde. Ich wende mich vielmehr sogleich zu der zweiten Frage: über die +Klugheit+ des gestellten Antrages. Ich vermisse die politische Klugheit; ich finde den Antrag weder zeitgemäß, noch zweckdienlich. Im siebzehnten Jahrhundert ward Deutschland (welch Unglück und welche Schande!) dreißig Jahre lang durch die Unduldsamkeit theologischer Glaubensbekenntnisse zerrüttet, und in unseren Tagen droht dieselbe Gefahr durch die Unduldsamkeit und Heftigkeit politischer Glaubensbekenntnisse und Parteiungen. Sollen wir wiederum den Glauben an die Vergangenheit, das Glück der Gegenwart und jede Aussicht auf die Zukunft preisgeben, untergraben, vernichten, um gewisser angeblich unfehlbarer Lehrsätze willen? Sollen wir uns dem thörichten Aberglauben ergeben: es sei Pflicht und Verdienst, das Vaterland in den Kessel der Medea zu werfen, um es durch ein diabolisches Fegefeuer zu verjüngen? Meine Herren! Während wir unsere übergroße, unerläßliche, unausweichbare staatsrechtliche Aufgabe kaum bewältigen können, stört jener Antrag den confessionellen Frieden auf unkluge Weise, sprengt die zeither Vereinten auseinander, führt zu unnatürlichen Bündnissen zwischen dem sonst Unverträglichen, und spielt den Sieg in die Hände Derer, welche zeither einträchtig bekämpft wurden. Wenn die Klugheit und der politische Takt (kann man einwenden) der einen Partei gefehlt hat, so handelte die andere desto schlauer. Fassen wir deshalb die dritte Frage ins Auge: über die +Gerechtigkeit+ des Antrages und die Berechtigung der Reichsversammlung. Und hier behaupte ich: daß die letzte gar kein Recht habe, sich in Angelegenheiten einzumischen, welche lediglich die katholische Kirche und ihre Bekenner betreffen. Oder wären die Katholiken nicht gleichberechtigt, zu fordern, daß die Reichsversammlung einen Ausschuß ernenne, um das Cölibat in der protestantischen Kirche einzuführen? Wie folgewidrig, in einem Augenblicke, wo man allgemeine Religionsfreiheit und die ausgedehnteste Toleranz gründen will, auf solch eine Vielregiererei zurückzukommen und Staat und Kirche in einen neuen Hader zu verwickeln! Was würde man in Washington sagen, wenn Jemand vom Congresse verlangte, er solle sich um das Heirathen oder Nichtheirathen der Geistlichen bekümmern? Weil also der Antrag dem Inhalte nach einseitig ist und der Klugheit sowie der Gerechtigkeit widerspricht, trage ich darauf an, zur Tagesordnung überzugehen, -- das heißt, ihn zu verwerfen! IV. Über die Abkürzung der Reichstagsverhandlungen. In Betracht der Langsamkeit, mit welcher die Verhandlungen über die Grundrechte des deutschen Volkes vorschreiten, hat der Abgeordnete Hr. Schoder aus Stuttgart den Antrag gestellt: alle darauf bezüglichen, oder spätestens binnen zehn Tagen noch einzureichenden Verbesserungsvorschläge den Ausschüssen für Verfassung und Volkswirthschaft zur Prüfung vorzulegen; den hienach berichtigten Entwurf des Gesetzes über jene Grundrechte aber durch Abstimmungen anzunehmen, ohne eine weitere Berathung oder Discussion in der vollen Versammlung zu gestatten. Es sei mir erlaubt zu prüfen: 1) Wie viel Zeit ist, nach der bisherigen Erfahrung und dem bisherigen Verfahren, für die Berathung und Annahme jenes wichtigen Gesetzes erforderlich? 2) Welches sind die Gründe der Langsamkeit und Verzögerung? 3) Taugt das vorgeschlagene Mittel zur Beseitigung der obwaltenden Mängel? Das Gesetz hat 48 Absätze, deren Wichtigkeit allerdings nicht gleich groß ist; wenn man indeß bisweilen zwei in einer Sitzung annehmen dürfte, so wird andererseits mancher einzelne schwierige Satz zwei Sitzungen ausfüllen oder erfordern. Rechnen wir deshalb auf jeden Satz im Durchschnitt 1½ Sitzung, so macht dies 72 Sitzungen, oder (je nachdem man wöchentlich 4 oder 3 Sitzungen verwendet) 18 oder 24 Wochen. -- Dies ist, nach den bisherigen Erfahrungen und bei dem bisherigen Verfahren, die kürzeste zur Lösung der Aufgabe erforderliche Zeit. Untersuchen wir jetzt, welche Mängel diese Langsamkeit des Fortschrittes herbeiführen? Sie liegen großentheils in der bisherigen Redeordnung und der bisherigen Redeweise. Ich will nicht erörtern, woher es kommt und ob es nützlich ist, daß gewisse Personen unzählige Male die Rednerbühne besteigen, andere dagegen (trotz ihrem Bemühen) nie zu Worte kommen; ich enthalte mich aller Vorschläge, wie dieser Übelstand beseitigt werden könnte. Hingegen muß ich auf einen anderen Punkt etwas genauer eingehen. Man klagt nämlich, unsere politischen Parteien seien noch nicht gehörig organisirt. Dieser Vorwurf ist in soweit vollkommen richtig, daß es oft an der politischen Klugheit fehlt, die Mißgriffe vermeidet, welche Gleichgesinnte trennen, und Gegnern den Sieg in die Hände spielen. Ein solcher Mißgriff war z. B. der Antrag wegen des Cölibates. Andererseits erscheint es nur von einem einseitigen, untergeordneten Standpunkte wünschenswerth, so scharf entgegengesetzte Parteiungen herbeizuwünschen, daß alle Vermittelung unmöglich wird. Dann ist allein von Siegen oder Niederlagen die Rede, nicht aber von einem versöhnenden Frieden; dann werden die Schwachen verknechtet auf das Glaubensbekenntniß einer Partei, unabhängige freie Geister aber nicht geduldet, sondern als gesinnungslos bezeichnet. Man erinnert mich daran: daß schon Solon gefordert habe, jeder Bürger solle Partei ergreifen. Allerdings, aber nicht in jenem Sinne: er wollte nur, und mit Recht, keine bürgerliche und politische Feigheit und Richtigkeit dulden. Nun gehört aber oft mehr Muth, sowie mehr Festigkeit der Gesinnung und Überzeugung dazu, sich auf eigene Füße zu stellen, als sich im Schlepptau einer politischen Partei fortschwemmen zu lassen. Ein Mann, der, wie der edle Wilberforce, seine Seele keiner Partei unbedingt verschreiben wollte, sondern (nach vollster Überzeugung) bald für, bald gegen Pitt stimmte, ist deshalb von Niemand getadelt, er ist vielmehr geachtet worden. Wenn nun unsere Verhältnisse die Deutschen und ihre Abgeordneten noch nicht in zwei unbedingt feindliche Lager getrennt haben, so sehe ich darin ein Glück. Ich sehe hingegen darin einen Irrthum, oder eine Übereilung, die Zahl und die Abwechslung der Reden, nach zwei, drei, vier oder mehr willkürlich abgegränzten Parteien zu bestimmen. Auch dürfte es nicht folgerecht sein, den Parteien, welche der Zahl nach sehr verschieden sind, gleich viel Reden zuzuweisen, einzeln stehenden Männern aber hiedurch mittelbar das Wort abzuschneiden und sie als schlechte Auswüchse unberücksichtigt zu lassen. Wenigstens stimmt dies nicht mit der Ansicht und dem Beschlusse, daß Fragestellungen (neudeutsch Interpellationen genannt) auch Einzelnen verstattet wurden. Wenn ich es also für unzeitig halte, die Deutschen durch künstliche Säuren und Salze chemisch-politisch zu trennen, soll sich doch ein Einzelner (er gehöre zu einer bestimmten Partei oder nicht) keineswegs mit Reden vordrängen, sondern da schweigen, wo er nichts wahrhaft Neues und Belehrendes zu sagen weiß. Oder wenn Kopf und Herz, wenn Rücksicht auf Wähler und Publikum, oder Eitelkeit auf die Rednerbühne treiben, so sollte doch Jeder sich der bloßen Phrasen, Redensarten und Stichwörter enthalten, nicht hiedurch nach geringhaltigem Beifall streben und einsehen lernen, daß kurz und zur Sache reden die einzige für uns heilsame Beredtsamkeit ist. Ein Abgeordneter verließ, nachdem ein Redner seine Rede begonnen hatte, die Paulskirche, badete im Main, aß zu Mittag, kehrte zurück in die Versammlung, und hörte dann noch 25 Minuten denselben Redner. Wenn diese nutzlose, langweilige Langrednerei nicht aufhört, brauchen wir für das Gesetz über die Grundrechte nicht 24, sondern 48 Wochen. In vielen Wahlversammlungen und im Repräsentantenhause zu Washington ist zur Minderung dieser Redekrankheit eine bestimmte Zeit vorgeschrieben worden, über welche hinaus kein Redner sprechen darf. Werden wir ähnliche Zwangsmittel ergreifen müssen? Oder soll man, da jedes gesprochene Wort (wie berechnet ward) dem edeln deutschen Volke 35 Kreuzer kostet, jeden Redner bezahlen lassen, was über einen bestimmten, erlaubten Kostenbetrag hinausgeht? Herr Schoder muß diese Redekrankheit für unheilbar halten, denn er schlägt hiegegen das Mittel vor: die Abgeordneten in Pythagoräer zu verwandeln, das heißt ihnen unbedingtes Schweigen aufzulegen und die Redefreiheit lediglich in die Ausschüsse zu verweisen. Ähnlicherweise war in der französischen, sogenannten Direktorialverfassung nur dem Rathe der 500 das Reden verstattet, der Rath der Alten aber zum Schweigen verurtheilt. Dies radikale Mittel (wie der Antragsteller es selbst nennt) ist schlimmer als das Übel, und erinnert daran, daß einseitige Übereilung ebenso verderblich wirkt, als ungebührliche Verzögerung. Die Zeit ist nicht das Maß von einem guten Werke, und es bleibt ein Irrthum daß wir eiligst alle, so höchst wichtige und mannigfaltige Grundrechte feststellen und bekannt machen müßten, um nicht das Vertrauen des Volkes zu verlieren. Meine Herren! Wir würden das Vertrauen noch weit mehr und sicherer einbüßen, Mißvergnügen und Ungehorsam hervorrufen, wenn sich ergeben sollte, daß unser Werk durch falsche Beschleunigung sehr mangelhaft geworden wäre. Die Engländer haben die Geduld nicht verloren, als ihre (nur +einen+ wichtigen Punkt behandelnde) Reformbill erst nach zwei Jahren zu Stande kam. Mit Recht erinnerte der Herr Antragsteller daran: man solle, um große Reformen zu Stande zu bringen, nicht die Zeit der Begeisterung ungenutzt verstreichen lassen; allein verständige Überlegungen stehen damit nicht im Widerspruche, sie sind nicht nothwendig „kalt und egoistisch“, und die gescholtene deutsche Gründlichkeit wird leichtsinniger Ungründlichkeit gegenüber immer ihren hohen Werth behalten und sich mit rascherem Fortschritte versöhnen lassen. Berathungen, Discussionen, pflegen allerdings nicht plötzlich die Gesammtrichtung eines Menschen umzuändern; allein wären sie so wenig belehrend, so unwirksam, wie Herr Schoder in wohlgemeinter, aber schädlicher Ungeduld behauptet, so sollten wir, nach Erwählung der Ausschüsse, sogleich nach Hause gehen und diesen alle Gewalt in die Hände geben. Wenn man den Verfassungsentwurf der Siebzehner unverändert angenommen hätte, welch Unglück wäre dadurch über Deutschland gekommen! Und da schon der vorläufige Entwurf des Verfassungsausschusses zu dem zweiten Abschnitte der neuen Verfassungsurkunde, in Millionen Preußen die höchste Entrüstung hervorgerufen hat; was würde geschehen sein, wenn er aus der Pandorabüchse des Ausschusses unverändert und bestätigt in die Welt wäre hinausgeschleudert worden? Der Antrag: man solle in der Paulskirche nur schweigen und abstimmen, widerspricht allen parlamentarischen Formen und verstößt gegen alle materiellen Interessen. Ich trage deshalb darauf an, ihn zurückzuweisen und der Hoffnung zu vertrauen: Jeder werde (ohne polizeilichen Zwang) fernerhin durch Mäßigung und Selbstbeherrschung den Gang der Verhandlungen beschleunigen und der herrschenden Redekrankheit ein Ende machen. V. Die Abschaffung des Adels. Man hat Ihnen, meine Herren, sehr umständlich erzählt, was sich der deutsche Adel (von Hochverrath bis zu eigenliebiger Stipendienvertheilung, Kleidern und Mittagsessen) hat zu Schulden kommen lassen. Es würde mir leicht sein, diesem Sündenverzeichnisse noch Unzähliges hinzuzufügen; dann aber auch einige Sitzungen mit Aufzählung wahrer Großthaten deutscher Edelleute anzufüllen. Dies Alles gehört jedoch in geschichtliche Vorlesungen und wäre, meines Erachtens, hier bloßer Zeitverlust. Mein Glaubensbekenntniß über diesen Gegenstand enthält nur zwei kurze Bestimmungen: gesetzliche Vorrechte des Adels sind (wo sie noch bestehen) nicht mehr aufrecht zu halten, und müssen schon deshalb abgeschafft werden; um alles Übrige hat sich Niemand, und auch diese hohe Versammlung gar nicht zu bekümmern. In Wahrheit begreife ich aber nicht, was, nach Abschaffung aller Adelsvorrechte, +ein Gesetzgeber+ sich noch unter Abschaffung des Adels denken kann? Ich habe die Ehre (oder, wie Andere sagen, die Schmach), aus einer alten, reichsadeligen Familie abzustammen, wüßte aber nicht, welche +Rechte+ mir deshalb im Preußischen zuständen, die man abschaffen, oder welche ich (sei es auch nur für ein Linsengericht) verkaufen könnte. -- Man entgegnet: „Du sollst dich nicht +von+ Raumer nennen, dein Wappen fortwerfen“ u. dgl. Wie könnten denn aber hierauf bezügliche Gesetze wohl vollzogen werden? Will man Geldstrafen, Gefängnißstrafen, öffentlichen Tadel, höhnische Rügen darauf setzen, und auch Diejenigen zur Untersuchung ziehen, welche etwa in Briefaufschriften oder Gesprächen jene verbotene Präposition +von+ gebrauchen? Gesetze der vorgeschlagenen Art machen mehr den Gesetzgeber lächerlich, der sich über Kleinigkeiten ereifert und Unausführbares befiehlt, als Den, welcher eitel Gewicht legt auf unbedeutende Dinge. Diese gewinnen aber in dem Augenblicke Bedeutung, wo man sie mit Gewalt nehmen oder verbieten will; und der Widerspruch, die Reaction (welche man thöricht und um nichts und wieder nichts hervorruft) richtet sich wider Diejenigen welche glauben, Andenken, Erinnerungen, Vorfahren und Geschichte mit einem Federstriche auslöschen zu können. Das ist so wenig möglich bei bürgerlichen wie bei adeligen Familien, wie die eifrigen, antiadeligen Gesetzgeber aus Tieck’s Novelle „die Adelsprobe“ lernen könnten. Diese wenigen Worte mögen genügen in Bezug auf die Adelsverhältnisse Deutschlands und Europas; da man jedoch auf Nordamerika hingewiesen hat, fühle ich mich veranlaßt (aus eigener Anschauung, und mit den Worten eines gleichgesinnten Reisegefährten) noch Einiges hinzuzufügen. Es giebt in den Vereinigten Staaten allerdings keinen Erbadel, und man hatte weder Grund, noch Veranlassung, ihn einzuführen. Es wäre indessen sehr irrig zu glauben, die den Menschen natürliche Neigung nach Auszeichnung komme dort gar nicht zum Vorschein. Abgesehen von der ärgsten Aristokratie, der des Freien gegen den Sklaven, und von der anscheinend noch schwerer zu vertilgenden des Weißen gegen den Farbigen und Schwarzen, hört man noch oft von Aristokratien anderer Art sprechen. In Virginien wurden in einem großen Turnier die Anwesenden mit der Anrede begrüßt, sie sollten sich erinnern daß die Väter ihrer Väter die Kreuzzüge unter Richard Löwenherz mitgemacht hätten; gar mancher Virginier ist stolz darauf, daß er von jenen ritterlichen Cavalieren abstammt, die zu Elisabeth’s Zeit und später ihr Glück in der neuen Welt versuchten, und er sieht mit Stolz auf die Hausirer und Kaufleute des Nordens herab. In Neuyork spricht man von einer doppelten Aristokratie: von einer, abstammend aus alten angesessenen Familien, zum großen Theil aus holländischem Geblüte, oft ohne viel Geld, und gleichwohl noch jetzt geachtet und geschätzt; und von einer anderen, der sogenannten Pilz- (~mushroom~) Aristokratie, durch neu erworbenen Reichthum emporgeschossen, ohne viel Erziehung, aber in allem Glanze des europäischen Luxus lebend. Wie man wohl bei uns von einer ~crême~ der ~haute volée~ hört, hieß es bei Gelegenheit eines Balles, den die jungen Schüler der Militairakademie in Westpoint gaben, in den Zeitungen: es hätte sich aus Neuyork die Elite der Aristokratie eingefunden. In Boston hinwiederum bildet sich die Aristokratie besonders viel auf ihre Bildung ein, indem sie gleichzeitig äußerlich in allen Formen des hohen englischen Adels lebt. Eine Dame in Boston äußerte, sie hätten so gut Standesunterschiede wie in Europa; und Dickens (auf den man damals wegen seiner amerikanischen Noten noch sehr böse war) hätte offenbar in die aristokratischen Zirkel, in die er in Folge seiner Empfehlungsbriefe zufällig gekommen, nicht gepaßt; man hätte ihm und besonders seiner Frau recht gut angemerkt, daß sie sich in England nur in niedriger Gesellschaft bewegt hätten. -- Die erste aller Aristokratien in Amerika bleibt aber die des Geldes. Einer der ersten Staatsmänner und jetzigen Minister, Buchanan aus Lancaster in Pennsylvanien, sagt einmal im Congreß: „Geld, Geld und wieder Geld verleiht die höchste Auszeichnung in der Gesellschaft; die größten Talente, vom reinsten Patriotismus geleitet, sittlicher Werth, literarischer Ruhm, kurz jede Eigenschaft welche Auszeichnung verleihen sollte, sinkt im Vergleiche mit Reichthum in nichts. In unseren großen Handelsorten ist Geld gleichbedeutend mit einem Adelstitel. Wir sind weit abgewichen von den mäßigen Gewohnheiten und einfachen Sitten unserer Vorväter, und doch sind diese die einzigen Grundsteine, auf denen unsere republikanischen Einrichtungen ruhen können. Die Begierde, eine prunkende Schaustellung des schnell erworbenen Reichthums zu machen, hat einen Glanz und einen gränzenlosen Aufwand hervorgebracht, wie er in früheren Zeiten unbekannt war. Mit Ausnahme des reichen mächtigen Adels von England, habe ich in keinem Theile der Welt solche Verschwendung und solchen Luxus gesehen, als in unseren großen Handelsstädten.“ In einem Ausschußberichte der Neuyorker gesetzgebenden Versammlung heißt es sogar: „Von allen Aristokratien knechtet keine ein Volk vollständiger, als die des Geldes.“ So viel zum Beweise, daß mit der Abschaffung des Erbadels und aller seiner Vorrechte, noch nicht die Möglichkeit aufgehoben ist Aristokratien anderer, ebenfalls schädlicher Art, emporkeimen zu sehen. Ja, deren Mißbräuche dürften durch Gesetze noch schwerer zu vertilgen sein, als die des ausgearteten oder ohnmächtig gewordenen Erbadels! VI. Das deutsche Reich und Preußen. Meine Herren! Ich bitte um die Erlaubniß, über einen Gegenstand sprechen zu dürfen, welcher zwar nicht auf der Tagesordnung steht, jedoch wenn er länger unbetrachtet und unentschieden bleibt, die größten Gefahren über unser Vaterland herbeizuführen droht. Ich rede von dem Verhältnisse des deutschen Reiches zu den einzelnen Staaten, und zunächst zu Preußen. Die hiesigen preußischen Abgeordneten werden von allen Seiten aufs Bitterste angeklagt, ja als Verräther bezeichnet, weil sie, um glänzender Truggestalten und Wolkengebilde willen, ihr eigenes Vaterland der Herabwürdigung, der Schmach, der Vernichtung preisgäben. Und in der That hat sich das alte Sprichwort an ihnen nicht bewährt: „Wenn das Herz voll ist, geht der Mund über.“ Sie haben ihren Schmerz, ihren Zorn überwunden, wenn sie die heftigsten, ungerechtesten Angriffe auf dieser Rednerbühne aussprechen hörten; sie haben es für unanständig gehalten, in ähnlichem Tone zu antworten; sie haben der allmälig siegreichen Kraft der Wahrheit vertraut. Diejenigen aber, welche kühn weiter vorschreiten wollten, sind nicht zu Worte gekommen; sie haben nur in kleineren Kreisen ihre Pflicht erfüllen können: -- wovon man jedoch in Berlin und in der preußischen Monarchie nichts vernahm. Aber die Macht der Ereignisse, die wachsende Gefahr, zwingt sie jetzo bestimmter und lauter hervorzutreten, damit alle ihre Mitbürger es erfahren. Deutschland (wer läugnet dies?) bedarf einer größeren, thätigeren Einheit. Es hat schmählich gelitten durch die Nichtigkeit des Bundestages, und durch die unbildsamen, versteinerten Grundsätze, welche von Wien aus zu herrschenden wurden. Doch war Preußen während einer, sehr irrigen, Unterordnung unter jene Grundsätze nicht unthätig: es hat mittlerweile für Befreiung des Landvolkes, für Organisation der Städte, für Gründung der Schulen und Universitäten, für Freiheit der Gewerbe, des Handels, des Zollwesens, der Ansiedlungen, für Heer und Landwehr, bereits gethan und vollführt, was großentheils erst jetzt als neues Grundgesetz für das deutsche Volk entworfen und angenommen wird. Haben einzelne Preußen deshalb in übertriebener Selbstliebe auf andere deutsche Staaten und Stämme zu sehr herabgesehen, so kann man diesen (bereits anerkannten und bereuten) Fehler nicht Allen zurechnen; und am wenigsten haben ihn sich preußische Abgeordnete in dieser Versammlung zu Schulden kommen lassen. Aber der sehnliche und an sich löbliche Wunsch +Alles+ zu verbessern und neu zu gestalten; das Gefühl, oder der Glaube an die +Allmacht+ dieser hohen Versammlung, läßt dieselbe bisweilen zu wenig seitwärts blicken, und die wirklichen Verhältnisse und Gefahren verkennen. Es ist so natürlich, daß die edelsten Gemüther sich am leichtesten zu schrankenloser Freude fortreißen lassen, wenn ihrem erhabenen Zwecke (das Gute aller Orten zu befördern, und das Beste zu erreichen) nirgends das geringste Hinderniß kann in den Weg gelegt werden. Aber, meine Herren, diese unbeschränkte Stellung, diese Freude, hat nicht blos Könige ins Verderben gelockt, sondern auch Stände, Parlamente, Nationalversammlungen, Volksversammlungen. Hiefür zeugt die Geschichte (von der athenischen Ekklesia bis auf den heutigen Tag) mit so zahlreichen Beispielen, daß es nicht nöthig ist sie im Einzelnen aufzuzählen, zur Lehre, Warnung und Besserung. Den Berathungen und Beschlüssen über den Antrag Raveaux’s fehlte (wie ich hier wiederholen muß) eine scharf und bestimmt ausgesprochene zweite Hälfte. Den unläugbaren, unantastbaren Berechtigungen des Reiches gegenüber, hätte man auch die der Staaten aussprechen und diese dadurch beruhigen sollen. Nur durch solch eine wechselseitige Anerkennung haben sich in den Vereinigten Staaten von Nordamerika die Bundesregierung und die Staatenregierungen in ihrer natürlichen Weise und in angemessenen Verhältnissen erhalten: sie sind niemals in verderblichen Hader gerathen, sondern in steter, ungetrübter Einigkeit rastlos fortgeschritten. Die Reichsversammlung ist allmächtig auf dem +ihr+ zukommenden Rechtsboden, gleichwie die Staaten auf dem ihnen zukommenden Rechtsboden. Wer dies vergißt, wer dies nicht sondert, wer anmaßlich hinübergreift in die fremden Kreise, begründet unseres Vaterlandes Zerwürfniß und Verderben. In den letzten Tagen hat der Ausdruck von einer „+zu leistenden Huldigung+“, in dem größten Theile der Preußen eine gränzenlose Aufregung hervorgerufen; und fast noch mehr ist man erbittert über den kundgewordenen Entwurf einer zweiten Abtheilung der Reichsverfassung. „Wie können (so wird zornig gesprochen), wie können einige unpraktische Männer, die von Preußen keine Kenntniß, für Preußen kein Gefühl haben, es wagen mit so unreifen, verletzenden Vorschlägen hervorzutreten, welche nothwendig ganz unnützen Hader erzeugen, während sie zur +wesentlichen+ Förderung der deutschen Einigkeit, in dieser Weise ganz und gar nicht nöthig sind.“ Einige entgegnen: „derlei Ansichten zerstören die Einheit und den Frieden Deutschlands; diese Einwendungen verdienen, gleichwie Rebellion und Hochverrath, bestraft zu werden.“ Meine Herren! Glauben Sie mir, mit Drohungen der Art schreckt oder gewinnt man die Preußen nicht; man weckt sie vielmehr aus dem Schlummer und der Verblendung, zu neuem Selbstgefühle und verdoppelter Thatkraft. Es wäre die größte Thorheit Preußen zu untergraben, zu spalten, zu Grunde zu richten, damit angeblich Deutschland gestärkt und gehoben werde. Aber welche Macht kann den Preußen ihre Geschichte, ihr Gedächtniß, das Gefühl ihres Rechtes und ihres Berufes rauben? Sie retteten vor 200 Jahren von der Übermacht der Schweden, welche ärger in Deutschland hauseten, als bis jetzt jemals die Russen; sie kämpften sieben Jahre lang mit dem halben Europa; sie wurden im Jahre 1813 die heldenmüthigen Vorkämpfer für unsere Freiheit; sie sind auch jetzt dem Rufe von Deutschlands Ehre am kühnsten und raschesten gefolgt. Und nun, während sie Gut und Blut einsetzen und opfern, um an den nördlichen Gränzen Deutschlands die Wünsche ihrer südlichen Brüder zu erfüllen, während Preußen, Pommern, Schlesien, die Marken, um eines ihnen fern liegenden Zweckes willen, in der allergrößten Gefahr schweben völlig zu verarmen, zahlten bis jetzt andere deutsche Stämme und Staaten mit bloßen Phrasen und Redensarten, ja Einzelne erfrechten sich zu erklären: die preußischen Waffen wären in dem ruhmvollen Kampfe befleckt worden! Die hohe Versammlung (ich weiß es) ist anderes Sinnes. Aber wahrlich, wenn die Preußen sich so mißhandeln, so mediatisiren ließen, wie Manche in ihrer Unkenntniß von dem Selbstgefühle eines edeln Volkes bezwecken: -- sie wären nicht würdig, in den deutschen Bund aufgenommen zu werden; -- sie können, ohne sich selbst zu entehren, ihr früheres, großartiges Dasein niemals aufgeben, und sich dadurch jeder Zukunft unwürdig zeigen. Darum, meine Herren, betreten wir nicht eine Bahn, auf welcher leere Abstraktionen, einseitige Vorurtheile und halbwahre Grundsätze mehr gelten, als Das, was Millionen wünschen, lieben, verehren und wofür sie Ehre und Leben einsetzen. Lassen sie uns daran festhalten: daß nicht die ertödtende Centralisation Frankreichs, mit einer despotisirenden Hauptstadt und erstorbenen Landschaften, das rechte Vorbild für unsere Entwickelung sei; sondern in Deutschland Einigkeit und Mannigfaltigkeit gleich unentbehrlich und gleich heilsam sind. Die Aufgabe ihrer Vereinigung ist in sich nicht widersprechend, dies Ziel nicht unerreichbar; -- wird es verfehlt, so darf, so muß die Nachwelt, ja schon die Mitwelt unerbittlich richten! Druckfehler. Seite 9 Zeile 14 v. unten lies: Gaschis Druck von +F. A. Brockhaus+ in Leipzig. End of the Project Gutenberg EBook of Briefe aus Frankfurt und Paris 1848-1849 (2/2), by Friedrich von Raumer *** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 54758 ***