The Project Gutenberg EBook of Aus zwei Welttheilen. Zweiter Band., by 
Friedrich Gerstäcker

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Title: Aus zwei Welttheilen. Zweiter Band.
       Gesammelte Erzählungen

Author: Friedrich Gerstäcker

Release Date: September 20, 2016 [EBook #53100]

Language: German

Character set encoding: ISO-8859-1

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Aus zwei Welttheilen.

Gesammelte Erzählungen
von
Friedrich Gerstäcker.

Zweiter Band.

Leipzig,
Arnoldische Buchhandlung.
1854.

Inhalt des zweiten Bandes.

Seite
Die Tochter der Riccarees 1
Herr Schultze 93
Der Deutsche und sein Kind 109
Schicksale einer Nacht 189
Civilisation und Wildniß 229
Aus dem Briefsacke des Paquetschiffes »Seeschlange«  299
Der Klöppeldistrikt des sächsischen Erzgebirges 369
Die Otterjagd 401

Die Tochter der Riccarees.
Lebensbild aus Louisiana.

Eine glühende Septembersonne schoß ihre fast senkrechten Strahlen auf die weiten Baumwollen- und Zuckerfelder und ausgedehnten Sümpfe und Prairien Louisianas herab. Die ganze Natur ruhte, oder schien vielmehr matt und kraftlos, verschmachtet und erschöpft zu liegen, und mit fieberheißen Poren den Nachtthau herbeizusehnen, der die lechzenden Lippen der Erde tränken und den Bäumen ihre Farbe, den Blumen ihren Duft wiedergeben sollte. Eine glühende Septembersonne trieb den weichlichen Pflanzer in das Innere seiner kühlen Wohnung zurück, und hinter verschlossenen Jalousien, den claretgefüllten Krystallbecher neben sich, lag er träumend in seinem geflochtenen Schaukelstuhl und vertrieb sich die Zeit dadurch, das in dem Wein rubinartig funkelnde Eis mit dem langen, silbernen Löffel auf- und niederzustoßen und zu zerschmelzen.

Draußen aber im Feld, der sengenden Glutenhitze ausgesetzt, die auf ihre nackten Schultern niederbrannte, standen in langer Reihe die Negersklaven, Männer, Frauen und Kinder mit großen leichten Spahnkörben und sammelten in diese die Baumwollenflocken aus den holzigen Kapseln, und im Schatten eines nicht fernen Pecanbaums, die große lederne Peitsche in der Hand, lehnte der Overseer[1] und überschaute gähnend die keuchende Schar, dann und wann nur einen flüchtigen Blick hinüberwerfend, nach der nicht fernen Piazza des Wohngebäudes, wo allerdings ein freundlicheres, lieblicheres Bild sein Auge fesseln konnte.

[1]: Overseer, die obersten Aufseher der Neger, meistens Weiße und zwar Amerikaner, auch oft Creolen. Die ihnen untergebenen Aufseher, gewöhnlich selbst Neger, werden nur nigger drivers genannt, wie überhaupt nigger der verächtliche und sehr oft angewandte Ausdruck für Neger ist.

Zehn Stufen führten zu der von hohen Chinabäumen und zwei duftigen Magnolien umschatteten Galerie des Herrenhauses empor, und rankende weiße Rosen schlängelten sich hier an den buntgeschnitzten Säulen hinauf, bis sie oben die wilden Reben erreichten, die, unter dem niederen Schutz- und Sonnendache hingezogen, ihre blauen vollen Trauben mitten zwischen den zarten Rosenknospen hineinsenkten, als ob sie den Duft aus diesen ziehen und ihnen dafür den kühlen Saft ihrer Beeren gewähren wollten. Seltene tropische und nordische Gewächse waren dabei rings im Inneren des laubigen Raumes aufgestellt und vermischten ihre Wohlgerüche mit denen der sie umwuchernden Schlingpflanzen.

Doch nicht nur Blum' und Blüte schmückten den Eingang des reichen Beaufort Haus, der als einer der wohlhabendsten Pflanzer am ganzen Fausse Rivière bekannt und geachtet war, nicht allein Blum' und Blüte schwankte und wehte in dem kaum bemerkbaren Westwind, der von der breiten Wasserfläche des »falschen Flusses« herüberzog, sondern noch, aufgehangen zwischen den knospen- und fruchtumdrängten Pfeilern schaukelte, durch die Hand eines kleinen Negerkindes in Bewegung gehalten, eine bunte, wunderlich geflochtene Hängmatte, und darin, das von rabenschwarzen Locken umwogte Köpfchen auf den vollen weißen Arm gelehnt, während das zierliche Füßchen eben unter dem weiten faltigen Kleide sichtbar wurde, lag des Pflanzers holdes Kind, die reizendste Creolin Louisianas, und schaute halb sinnend, halb träumend zu der Blütenpracht hinauf, die von buntfarbigen Schmetterlingen und diamantfunkelnden Kolibris umflattert und beraubt wurde.

Um sie lagen zerstreut theils frisch abgebrochene Blumen, theils große sammetne Magnolienblätter, auf deren schneeige Fläche sie mit der Nadel Figuren und Namen gezeichnet, und selbst einzelne französische Hefte und Journale deckten die Hängmatte und das danebenstehende kleine Tischchen; ein Zeichen, wie Mademoiselle Alles, selbst das Letzte versucht hatte, die Langeweile zu tödten.

Und sandte der sonngebräunte, finstere Aufseher der Schwarzen nach dieser holden Blume seine leidenschaftglühenden Blicke herüber? Wagte er es zu der schönsten und reichsten Erbin des Landes das Auge zu erheben? Nein – wohl wußte er, wie diese ihn haßte und verabscheute, wohl kannte er die Kluft, die zwischen ihm und der Jungfrau in jeder Hinsicht gähnte; nein; er wollte nicht girren und schmachten, er wollte genießen, und ein anderes Wesen als Gabriele Beaufort, hatte sich sein lüsterner Blick ersehen.

Neben der Gebieterin, den breitfaltigen Pfauenwedel in der Hand, mit dem sie dem schönen Mädchen nicht allein Kühlung zufächelte, sondern auch die umherschwärmenden Insekten verscheuchte, lehnte auf weichem Sitz ein fast ebenso liebliches, wenn auch von dem ersten gar sehr verschiedenes Kind. Es war eine Indianerin, die dunkle Bronzefarbe der Haut, das lebhaft funkelnde Auge, die schneeweißen Zähne und das ganze Wesen, die ganze Haltung des Mädchens kündete die Tochter der Wälder, nur das rabenschwarze, sonst lange und straffe Haar schien sich, leicht gekräuselt, jener bläulichen Färbung nähern zu wollen, die den schönen Quadroonenmädchen, den Mischlingen der Weißen und Mulatten, einen so eigenthümlichen Reiz verleiht.

Ihre schlanke Gestalt war in ein weites, luftiges Gewand, nach Art ihres Stammes angefertigt, gekleidet, ein buntgestickter Perlengürtel hielt es über der Hüfte zusammen und bildete mit zwei gleichen Korallenschnuren, eine um den sammetweichen Nacken, die andere um die Schläfe geschlungen, den einzigen Schmuck des holden Mädchens. Nur die aus zartgegerbten Fellen bereiteten Moccasins, in denen die kleinen zierlichen Füße staken, trugen noch die Zeichen der kunstfertigen Hand Nedaunis-Ais' (die kleine Tochter) oder Saisens, wie sie der Kürze wegen von Gabrielen genannt ward.

So wunderlieblich und reizend aber auch das Bild der beiden, von einer Blumenwelt umgebenen Jungfrauen war, so trübe, wehmüthige Gefühle schienen Saisens Busen zu heben und einmal – ach, sie wandte das Köpfchen ab, daß es die Gebieterin nicht bemerken sollte – streifte sie sogar mit dem zarten Finger einen perlenden Tropfen von den langen, seidenen Wimpern und ein leiser, leiser Seufzer entrang sich der Brust des armen Kindes.

Was war es aber, das ihr hier, von Pracht und Ueberfluß umgeben, das Herz beengte? Dachte sie an das Schicksal ihres Stammes? ihres ganzen Volkes, das, von dem Grund und Boden vertrieben der einst sein Eigenthum, durch den Stahl und das Feuerwasser der Weißen fast vernichtet, jetzt im weiten Westen, fern von den Gräbern der Lieben weilen mußte, während eine seiner Töchter dem Abkömmling jener stolzen, trotzigen Race diente, wo sie selbst doch eigentlich die Herrin dieses Landes nach Geburt und Recht war? Ach, sie hätte Ursache gehabt, darüber zu trauern, und die zwei holden Wesen lieferten ein treues, aber darum nur ein so wehmüthigeres Bild der beiden Nationen, der Sieger und Besiegten. Doch es war nicht das, auch nicht das Gefühl der Dienstbarkeit, denn Gabrielen behandelte sie nicht wie eine Dienerin, sondern wie eine Freundin, nein es war wohl die Trennung von den theuern Aeltern, denen sie durch teuflische List geraubt worden. Der Gedanke an die daheim um sie Trauernden füllte auf's Neue ihre Wimpern und diesmal tropfte die Thräne voll und schwer in ihren Schoos hernieder.

Gabriele bemerkte es.

»Saise, meine herzliebe Saise, was fehlt Dir? Warum bist Du immer so traurig und willst mich nicht zur Mitwisserin Deines Kummers machen?« frug theilnehmend die junge Creolin; »bin ich nicht Deine Freundin, und habe ich nicht auch Dir alle meine kleinen Sorgen und Pläne entdeckt und um Deinen Rath und Deine Hülfe gebeten?«

Saise drückte der Herrin Hand und schaute ihr wenige Secunden lang wehmüthig lächelnd in die klaren treuherzigen Augen, dann aber fiel ihr Blick auf das kleine, die Hängematte wiegende Negermädchen und Gabriele, den Wink verstehend, sagte:

»Geh hinunter, Piccaninny[2], und zähle die Küchelchen, die im Hof herumlaufen; komm aber nicht wieder, bis Du mir genau sagen kannst, wie viel es sind«.

[2]: Piccaninny, ein afrikanischer Ausdruck und gewöhnlich für alles das gebraucht, was klein und niedlich ist.

Das kleine runde Dingelchen zog den breiten Mund zu einem freundlichen Grinsen auseinander und sprang schnell durch den schmalen Eingang die Treppe hinab, den Befehl ihrer »Missus« auszuführen. Lächelnd sah ihr Gabriele einen Augenblick nach, dann aber, sich theilnehmend zur Gespielin wendend, sagte sie herzlich:

»Siehst Du – das Kind ist fort, nun erzähle mir aber auch offen, was Dich drückt – gewiß kann ich Dir helfen.«

»Du sollst Alles erfahren,« flüsterte Saise, »vielleicht ist es überdieß besser, daß Du es weißt, denn wenn« – sie schwieg plötzlich und barg schaudernd ihr Antlitz in den Händen.

»Aber was ist Dir, um aller Heiligen willen,« bat Gabriele, »so hab ich Dich nie gesehen.«

»So höre denn,« sagte, sich fassend, die Indianerin, »mit wenig Worten kann ich dir Alles vertrauen; ich habe, wenn auch noch jung, doch schon Entsetzliches erduldet. Ich bin die einzige Tochter eines Riccareehäuptlings, und ein kleiner Theil unseres Stammes – deine Brüder vertilgten fast unsere ganze Nation von der Erde – hatte sich dicht unter den Osagen, zwischen diesen und den Cherokesen niedergelassen. Mein Vater war ein Freund der Weißen – er sah, daß das Wild selten wurde, und fühlte, wie uns die bleichen Gesichter an Klugheit und Kunstfertigkeit überlegen waren; er glaubte aber auch die einzige Sicherheit für die schwachen Ueberreste der Seinigen nur darin finden zu können, daß sich diese den Sitten und Gebräuchen ihrer Sieger anschlössen, den Acker bebauten und ein Volk mit jenen machten. Deshalb war jeder Weiße in unserer Hütte willkommen, und er benahm sich freundlich gegen Alle. Nur einmal erwachte in ihm der alte, fast erstorbene Geist des Kriegers wieder, als einst ein Weißer, ein rauher, unfreundlicher Mann, herzlich von uns aufgenommen, frech und zudringlich gegen mich wurde und zuletzt behauptete, ich dürfe gar nicht so spröde thun, denn ich sei ja doch nur, wie mein Haar auch klar genug beweise ein kleiner – Nigger.«

»Hätte ein Pfeil meinen Vater getroffen, er wäre nicht schneller von seinem Sitze aufgesprungen. Er war Einer der ersten Krieger seines Stammes und meine Mutter die Tochter eines Sioux-Häuptlings gewesen, die er einst bei einem Ueberfall geraubt, liebgewonnen und zum Weibe genommen hatte; um so entsetzlicher traf daher dieses Wort seinen Stolz, und von Wuth und Ingrimm getrieben, riß er den Tomahawk von der Wand und schleuderte ihn nach dem Haupt des – Gastes

»Der weiße Mann stürzte besinnungslos nieder, aber in demselben Augenblick ergriff auch meinen Vater mit peinlichem Schmerz der Gedanke, das Gastrecht verletzt zu haben. Er sprang auf den Niedergestürzten zu, untersuchte die Wunde und wartete und pflegte ihn nun wie einen Sohn, bis er sich wieder erholt hatte und unsere Ansiedlung verlassen konnte.«

»Aber jener Mann war ein Teufel – der erhaltene Schlag erfüllte sein Herz mit Wuth und Rache. Während er noch bei uns seine Genesung abwartete, erforschte er lauernd des Hauses und der Nachbarschaft Gelegenheit, und schon nach drei Nächten kehrte er mit seinen Helfershelfern heimlich und verrätherisch zurück. – Sie überfielen still und geräuschlos unsere Hütte, schlugen meinen alten Vater, der sich den Räubern entgegenwerfen wollte, nieder, banden und knebelten mich, hoben mich auf ein Pferd und schleppten mich in wilder, unaufhaltsamer Eile dem großen Flusse[3] zu.«

[3]: Mississippi.

»Als ich aus einer langen Ohnmacht erwachte, umgab mich tiefe Nacht und ich fühlte nur, wie wir im vollen Galopp auf einem harten, schmalen Weg, unter niederen Bäumen und Büschen dahinsprengten, denn der Hufschlag schallte weithin durch die stille Wildniß, und dann und wann streiften kleine Zweige meine Wangen. Was aber auch meine Räuber mit mir im Sinn gehabt, wahrscheinlich fürchteten sie Verfolgung, oder wußten sich wirklich schon verfolgt, denn rastlos, unaufhaltsam eilten sie weiter, und ruhten nicht eher, bis sie einen, sicherlich schon vorher verabredeten Platz erreicht und hier ihre schändlichen Genossen gefunden hatten.«

»Gott allein weiß was später aus meinem alten Vater wurde, ich sah ihn nicht wieder, wohl aber einen fremden, finsteren Mann, der in meinem Beisein, während ich noch gebunden am Boden lag, einen Handel über mich abschloß, von meinem Räuber ein Schreiben – einen Kaufbrief, wie jener es nannte – ausgestellt bekam, und dann Deine arme Saise in ein Canoe trug und mit ihr davon ruderte.«

»Hülflos – verlassen – verloren lag ich auf dem Boden des schwankenden Canoes, aber Alles, was mich bedrohte, stieg in fürchterlichen Bildern vor meiner inneren Seele auf.«

»Ich fühlte, wie ich der Willkür dieses Mannes, der seine gierigen Blicke fest auf mich gerichtet hielt, gänzlich – wehrlos überlassen war, wußte, daß ich als Sklavin verkauft, kein Erbarmen bei den Weißen mehr zu hoffen hatte, und der Gedanke an Selbstmord zuckte da zum ersten Mal durch meine fieberhaft schlagenden Pulse.«

»Arme Saise,« sagte Gabriele.

»Das Canoe war einer der gewöhnlichen, aus Holz roh gehauenen Kähne, schmal und mit rundem Boden; wenn ich mich nur leise bewegte, fühlte ich wie es schwankte, und sah die ängstliche Bewegung des Rudernden, der es im Gleichgewicht zu halten strebte; – ein Ruck – ein plötzlicher Stoß von mir – es schlug um und ich – war frei.«

»Kaum hatt' ich diesen Entschluß gefaßt, als ein kalter Schauer mir fröstelnd durch die Adern rieselte – und starr und entsetzt blickte ich zu dem weißen Manne empor. Dieser aber, der den ängstlichen Ausdruck in meinen Zügen der Furcht zuschreiben mochte, lächelte höhnisch und sagte: »Gräme dich nicht, Püppchen; wenn du hübsch brav bist, sollst du meine kleine Squaw[4] werden,« und dann lachte er so laut und teuflisch, daß er mir in dem Augenblick wirklich wie ein böses, dem finsteren Abgrund entstiegenes Wesen vorkam. Das aber befestigte nur noch mehr meinen Entschluß – ich wollte sterben. Nur dann und wann, wenn das Canoe ein wenig zur rechten oder linken Seite hinüberschwankte, konnte ich das Ufer erkennen, und sah jetzt, daß wir uns unweit einer langen Insel befanden, die, wie es mir schien, gerade vor uns lag. Ich kann schwimmen wie ein Fisch, doch die Bande, die meine Hände zusammenschnürten, versagten mir jede Bewegung; auf keine andere Rettung durfte ich hoffen als die, die der Tod brachte.«

[4]: Der Indianische Name für »Frau«.

»Arme Saise.«

»Noch einmal sandte ich jetzt mein Gebet zu dem Manitou meines Volkes empor – noch einmal blickte ich auf zu dem freundlichen Sonnenlicht, das hell und strahlend, ach für mich zum letzten Male über die ferne Waldung herübergrüßte; noch ein Mal sog ich in langem, langem Athemzuge die balsamische Luft der schönen Welt ein – schloß dann die Augen und warf mich, mit plötzlichem Schwung, mit Anstrengung aller meiner Kräfte, gegen die Seitenwand des schmalen Fahrzeugs.«

»Halt an! wir sinken! schrie entsetzt der Räuber und versuchte auf der anderen Seite das Gleichgewicht wiederherzustellen, doch schnell folgte ich seiner Bewegung und im nächsten Augenblick fühlte ich die kühle Fluth über mir zusammenschlagen. Das Canoe war umgestürzt.«

»Ob jener Weiße schwimmen konnte, wußte ich nicht, auf jeden Fall wäre er in diesem Falle im Stande gewesen, mich, deren Hände noch immer gefesselt, zum nicht so fernen Ufer zu ziehn. Doch lebend sollte er mich nie mehr berühren, ich tauchte unter und zwar mit dem festen Entschluß, nimmer zur Oberfläche zurückzukehren.«

»Gott wollte es anders; von der quellenden Fluth emporgehoben, stieg ich wieder dem Licht entgegen, fühlte aber plötzlich, wie ich mit dem Kopf gegen einen festen Gegenstand anstieß. Im ersten Augenblick glaubte ich, es sei das Canoe, der nächste überzeugte mich aber, daß ich unter Treibholz gerathen wäre, und zwar gerade an einer Stelle, wo ich den Grund mit den Füßen berührte, und wild übereinandergepreßte Stämme eine kleine Höhlung gebildet hatten, in die ich den Kopf bringen und – athmen konnte. Ich war für den Augenblick gerettet; mußte aber nicht der gewaltige Andrang der Strömung, die sich rauschend und schäumend nur eine kurze Strecke von mir entfernt an den Stämmen und Aesten brach, diese schwache Schutzwehr zusammendrängen und mich Zoll für Zoll in die Tiefe wieder zurückdrücken und vernichten? Mit unverzagtem Muth hätt' ich dem raschen Tod ins Auge geschaut, hier aber langsam, langsam vielleicht zu sterben – o, es war fürchterlich.«

Saise barg wieder, von dem Gedanken ergriffen und zusammenschaudernd, ihr Antlitz in ihren Händen.

»Du unglückliches Kind,« flüsterte Gabriele, des schönen Mädchens Stirn an ihrem Busen bergend; »Du unglückliches – liebes – böses Kind, und warum hast Du denn das Alles mir so lang verschwiegen? war das recht von Dir? aber wie entgingst Du jener fürchterlichen Gefahr?«

»Stundenlang,« erzählte Saise weiter, »stundenlang harrte ich, denn noch schrecklicher als der Tod war mir der Gedanke, das Licht des Tages und mit ihm das Antlitz jenes finsteren Mannes wieder zu sehen, ehe ich einen Versuch zu meiner Rettung wagte. Selbst dann aber blieb noch immer die Ausführung schwer und gefährlich, denn im Wasser hatte ich natürlich die Richtung verloren und mußte fürchten, daß ich, unter Wasser fortschwimmend, gerade tiefer in das Treibholz hineingerathen würde, Gott da oben hatte mich aber bis jetzt geschützt, und ihm vertraute ich. Als ich es überdies nicht länger mehr im Wasser aushalten konnte und der Frost meine Glieder schüttelte, horchte ich noch einmal genau, von welcher Richtung das Anprallen der Strömung tönte, berechnete dann schnell, auf welcher Seite der Insel ich mich befinden müsse, und versuchte nun mich der Bande zu entledigen, die meine Hände noch immer gefesselt hielten. Und siehe da – es gelang. Es waren hirschlederne Riemen und die Nässe hatte sie ausgedehnt, meine Hände schlüpften hindurch und – ich fühlte mich frei.«

»Jetzt fürchtete ich Nichts mehr, jener Mann mußte mich lange ertrunken geglaubt und die Stelle verlassen haben – ich tauchte unter – strich kräftig aus und sah nach wenigen, dem Herzen den Schlag raubenden Secunden das liebe herrliche Tageslicht wieder. Doch noch lange wagte ich nicht mich zu erheben, denn ich wußte nicht, wie nahe jener Weiße sei; ich kroch nur leise und vorsichtig an der flachen, von der Sonne warm beschienenen Bank hin, und machte in einem brünstigen Gebet und einem lindernden Thränenstrom dem so arg bedrängten Herzen Luft.«

»Alles Uebrige weißt du. Dein Vater fand mich fünf Tage später im Walde – ich war heimathlos, – zu Hause durfte ich nicht wagen wieder zu erscheinen, meinen eigenen Vater hatten sie vor meinen Augen erschlagen, und wie konnten mich die ärmlichen Ueberreste meines Stammes vor den Verfolgungen der Weißen schützen? Du nahmst mich auf, Gabriele, und an Deinem Herzen habe ich Schutz und Hülfe gefunden.«

»Aber weshalb denn dieser stete Gram, Du liebes Kind?« sagte die Jungfrau schmeichelnd, »sei doch froh wie ich, Du bist ja bei Freunden, die Dir kein Leid geschehen lassen; oder drückt Dich noch ein Schmerz?«

»Hast Du heute gesehen?« frug Saise mit ängstlich umherschweifenden Blicken, »hast Du gesehen, wie sie das arme Wesen ihrem Herrn auslieferten, dem es – er sagte so – entflohen war?«

»Aber das war eine Sklavin und er ihr Herr, liebes Kind.«

»Und woher weißt Du, daß er ihr Herr war? schwur sie nicht, sie habe ihn ihr Lebtage nicht gesehen?«

»Er hatte ja den Kaufbrief, in dem ihre ganze Person beschrieben stand,« lächelte Gabriele; »Du närrisches Kind, was quälst Du Dich denn mit so trüben, ängstlichen Bildern ab; wie mag Dich das nur beunruhigen?«

»Er hatte den Kaufbrief, in dem ihre ganze Person beschrieben stand, und die Leute hier – großer Gott – sie lieferten sie ihm aus –« schrie die Indianerin, von ihrem Sitze emporspringend.

»Hilf Himmel – Saise!« rief Gabriele besorgt, denn sie fürchtete für den Verstand der Unglücklichen, »was fehlt Dir? was hast Du?«

»Gebunden führte er sie hinweg,« fuhr das Mädchen in entsetzlicher Aufregung fort – »gebunden! und auch über mich – auch über mich ist ein solcher Kaufbrief ausgestellt; auch meine Person, mein Aussehn – meine Haare – meine Augen – sogar das Maal auf meiner Schulter beschrieben. – O du allgütiger Gott!« – Sie brach schluchzend zusammen und barg ihr Antlitz in den Kissen des neben ihr stehenden Sessels.

Gabriele war erschreckt aus der Hängematte gesprungen und bog sich leise zu der Unglücklichen nieder; mit tröstenden Worten wollte sie dabei ihren Kummer stillen, aber ach, sie kannte selbst nur zu gut die Gefahr, die unter solchen Umständen, wenn sie von jenem Buben wirklich wiederentdeckt würde, der armen Verfolgten drohte.

»Komm,« sagte sie dann plötzlich zu der Indianerin, deren Angst sich in einer lindernden Thränenfluth gelöst hatte – »komm, fasse Muth, noch weiß ich Rath Dir zu helfen. Du kennst unseren Freund,« fuhr sie fort, als das Mädchen mit den großen dunkeln feuchten Augen zu ihr aufschaute, – »Du kennst den jungen Creolen St. Clyde – er ist uns freundlich gesinnt, – Beiden – Dir sowohl wie mir, und hat sogar selbst lange an den südwestlichen Grenzen Missouris, zwischen den Cherokesen wie Osagen gelebt – der muß Rath schaffen; entweder kann er dorthin eilen und Zeugen herbeiholen, oder er sendet einen Boten, um das zu bewerkstelligen. Auf jeden Fall mußt Du selbst klagbar gegen den Verbrecher auftreten, das ist der einzige Ausweg seinen Angriffen zu begegnen.« – »Cöleste – Cöleste,« rief sie dann ihrer kleinen Negerin, die noch immer eifrig unten beschäftigt war, die toll und bunt durcheinander laufenden Küchlein zu zählen – »Cöleste, komm schnell herauf und schicke mir vorher Endymion.«

Die Kleine gehorchte dem Befehl und erschien gleich darauf selbst oben an der Treppe; die großen dunkeln Augen standen aber voll Thränen, und das Gesicht verzog sie zu einer entsetzlich weinerlichen und ernstkomischen Miene.

»Was fehlt Dir, Cöleste?« frug Gabriele freundlich.

»O Missus« – schluchzte nun das Kind, dessen Schmerz sich bei diesen freundlichen Worten Bahn brach, »o Missus – ich – ich kann – ich kann nicht zählen – zählen – die Küchel – Küchelchen – sie laufen; – huhuhu – sie laufen so geschwinde.«

»Komisches Kind,« lachte Gabriele – »geh – ruf Endymion schnell, und laß die Hühner, Hühner sein.« Endymion brauchte aber nicht mehr gerufen zu werden, er tauchte eben hinter der Gespielin auf und sagte dann leise:

»Missus will 'Dymion – hier ist er.«

»Endymion,« rief Gabriele rasch – »Du weißt, wo Mr. St. Clyde wohnt – wie?«

»Massa Clyde – jes« – nickte der Schwarze – »aber, Missus – ein fremder Gentleman ist unten« –

»Schon gut – schick' ihn zum Vater,« fuhr die Creolin ungeduldig fort – »Zu dem reitest Du, und bittest ihn so schnell als möglich, wenn es angeht heute Abend noch – verstehst Du mich, Endymion? heute Abend noch – herüberzukommen, ich – wir – wir hätten etwas Wichtiges mit ihm zu reden.«

»Aber der Fremde, Missus,« unterbrach sie etwas ängstlich Endymion – »der Fremde – Massa schläft und arme 'Dymion kriegte viel Schläge, wenn ihn weckte –«

»So laß ihn unten in die Halle treten, dort liegen Bücher und er mag sich die Zeit vertreiben, so gut er kann. Du aber, Endymion, mach rasch und füttere zugleich mein Reitpferd, es könnte sein, daß wir es schnell und zu einem eiligen Ritt gebrauchten; mach fort, Endymion, und kehre recht bald zurück.«

Das volle runde Gesicht des Knaben verschwand plötzlich unter der steilen Treppe, und wenige Minuten später hörte man schon am Schallen der Hufe, wie er auf flüchtigem Renner, den Fausse Riviere entlang, dem Mississippi zuflog.

Saise hatte sich aber indessen durch die neue Hoffnung, bald jeder Furcht überhoben zu sein, getröstet; sie wußte – sie mußte es sich wenigstens mit leisem Erröthen gestehen – St. Clyde würde Alles thun was in seinen Kräften stand, sie von jeder Sorge und Gefahr zu befreien, und konnte sie selbst als Klägerin auftreten, dann hätte sich Jener erst, wäre er wirklich erschienen, vor allen Dingen von jedem auf ihm haftenden Verdachte reinigen müssen, und die Beweise ihrer reinen Abstammung konnte sie bis dahin bringen. Sie ergriff der Freundin Hand, hob sie leise an ihre Lippen und flüsterte:

»Du bist gut – Du bist engelgut und hast mir mit Deinen freundlichen Worten Trost und Ruhe in's Herz gegossen.«

Die Mädchen hatten sich eng umschlungen und Gabriele hielt erst lange das Antlitz der holden Tochter der Wälder zwischen den zarten Händen, schaute ihr herzlich und liebevoll in die großen dunkeln Augen und drückte dann einen heißen, innigen Kuß auf ihre Stirn.

Der Overseer bemerkte von seinem Baum aus die Ankunft des Fremden, und schlenderte langsam dem Hause zu.

»Was zum Teufel nur die beiden Mädchen heute so ernstlich zusammen zu schwatzen haben,« murmelte er dabei vor sich hin – »hol mich der Böse, wenn ich nicht wünsche, das kleine rothe Ding wäre mein – verdammt schade, daß man rothes Fell nicht ebenso leicht kaufen kann wie schwarzes. – Wer der Fremde nur sein mag? – Wahrscheinlich ein Baumwollenspekulant aus New-Orleans. – Nun Zeit wär's, daß er käme – hat wohl gewittert, daß unsere Baumwolle noch nicht verschifft ist – muß die Nachlese nun auch mitnehmen.«

Mit diesen leise vor sich hin gemurmelten Bemerkungen schritt er langsam an den, in regelmäßigen Reihen errichteten Negerhütten vorbei, dem Herrenhause zu, stieg die, zu diesem emporführenden hölzernen Stufen hinauf und stand im nächsten Augenblick neben dem eben Eingetroffenen.

»Alle Wetter!« rief er aber hier erstaunt aus – »Pitwell – wo zum Henker kommt Ihr her?«

»Duxon? – bei Allem was blau ist – hier in Louisiana?« entgegnete der also Angeredete, dem Overseer freundlich die Hand entgegenstreckend. – »Seht, so finden sich alte Freunde nach langen Jahren immer doch einmal wieder zusammen. Wo war's doch, daß wir uns zuletzt sahen?«

»Je weniger wir davon sagen desto besser,« lachte Duxon – »ich meines Theils habe wenigstens nie mit der Geschichte geprahlt.«

»Ach – jetzt erinnere ich mich« – lächelte Pitwell – »ja ja, hätte den Spaß bald vergessen; aber Unsinn, 's ist jetzt verjährt und der Mann längst –« er schwieg plötzlich still und warf seinem Gefährten einen schnellen, mißtrauischen Seitenblick zu. »Aber was macht Ihr jetzt?« lenkte er in ein anderes Gespräch ein, »haltet Ihr Euch etwa hier zu Euerm Vergnügen auf, wie die Loafer in der Kalebouse[5] sagen?«

[5]: Loafer ein Herumstreicher, und Kalebouse das Wachthaus in New-Orleans.

»Ich bin Overseer auf der Plantage.«

»Gutes Geschäft das?«

»So ziemlich – nährt seinen Mann.«

»Der Besitzer?«

»Mr. Beaufort.«

»Wie viel Ballen[6]

[6]: Eine gewöhnliche Frage in Louisiana, die sich stets auf die Baumwolle bezieht, da der Reichthum der Besitzer nach dieser geschätzt wird.

»Hundertachtzig.«

»Alle Wetter!« rief Pitwell erstaunt – »läßt sich mit dem Mann kein Geschäft machen? der muß ja Geld wie spanisch Moos haben –«

»Wenn Ihr Neger hättet – wir brauchen ein paar tüchtige Arbeiter und eine Dirne in's Haus; aber was Hübsches – der Alte kann die häßlichen Gesichter nicht leiden.«

»Neger? hm – die ließen sich vielleicht anschaffen; bis wann müßt Ihr sie haben?«

»Sobald als möglich!«

»Sind die Preise gut?«

»Das geht an; habt Ihr welche?«

»Hm – ja – aber apropos – wer waren die beiden Damen da oben auf der Gallerie? die Frau und Tochter vom Hause wahrscheinlich, eh?«

»Beiden Damen? 's ist nur eine Dame im Hause,« sagte der Overseer verächtlich – »das andere ist eine Indianerin, die sich auf Gott weiß welche Art hier eingeschlichen hat, und noch dazu merkwürdig stolz und spröde thut – das dumme Ding.«

»So? kann man denn diesen Mr. Beaufort gar nicht einmal zu sehen bekommen? ich möchte gern wissen, welche Art von Mann es ist, ehe ich ein Geschäft mit ihm mache – es handelt sich leichter.«

»Ihr könnt den Yankee nicht verleugnen,« lachte Duxon, »aber ich höre ihn die Treppe herunterkommen. Unter uns gesagt, geht ihm ein Bischen um den Bart mit seiner reizenden Plantage – mit den herrlichen Heerdeneinrichtungen und dergleichen. – Ihr versteht mich schon.«

»Danke – danke!« sagte der Fremde freundlich – »werde nicht ermangeln.«

Mr. Beaufort trat jetzt in's Zimmer, begrüßte den Gast und hieß ihn herzlich in seiner Wohnung willkommen. Bald hatte ihn dieser auch in ein sehr interessantes Gespräch verwickelt und er lud ihn ein, da überdies der Abend nahte, bei ihm zu übernachten, was von jenem bereitwillig angenommen wurde.

Beaufort, ein Mann in den Vierzigen und, wie schon erwähnt, der reichste Pflanzer am False River oder Fausse Riviere, gehörte mit zu jenen südlichen Geldaristokraten, welche das Menschengeschlecht nur in drei Gattungen eintheilen: in Pflanzer nämlich, in keine Pflanzer und in Neger. Die ersteren zerfielen dann freilich wieder in zwei Unterabtheilungen und zwar in solche, die über, und solche, die unter funfzig Ballen erbauten. Aus der ersten Klasse wählte er sich seinen Umgang. Die zweite Gattung – die Nicht-Pflanzer – betrachtete er nur als dazu erschaffen, dem Pflanzer seine verschiedenen Bedürfnisse zuzuführen, und die dritte, die Neger – verabscheute er wie ein ächter Creole. Selbst die fernsten Vermischungen, Mestizen und Quadroonen, waren ihm ein Gräuel, und er duldete sie nur in sofern um sich, als er sie zu seiner Bedienung bedurfte. Soweit ging dabei diese Verachtung der äthiopischen Race, daß er einst in New-Orleans sein Messer nach einem armen Teufel von Mestizen warf, den er in der Dunkelheit für einen ihm befreundeten Creolen angesehen hatte und mit ihm Arm in Arm durch mehre Straßen gegangen war. Die scharfe Klinge fuhr jedoch nur in den Schenkel des zum Tode Erschrockenen, ohne diesem weiteren Schaden zuzufügen.

Das zur Charakteristik Beaufort's. Sein Gast dagegen stach sowohl im Aeußern, wie in seinem ganzen Benehmen gar sehr und zwar keineswegs zu seinem Vortheil gegen den Pflanzer ab. Dieser war wohlbeleibt, von gesunder Gesichtsfarbe und hatte, den Stolz abgerechnet, ganz gutmüthige Züge; der Fremde dagegen sah bleich aus, mit grauen stechenden, aber lebhaften Augen, hoher Stirn und etwas gebogener Nase; doch that sein Blick nicht wohl – er streifte stets unruhig von einem Gegenstande zum andern, und sprang sicherlich im Nu ab, sobald er dem eines andern Auges begegnete. Ihre Unterhaltung war aber lebhaft; – Mr. Pitwell hatte viel gesehen, viel erlebt, verstand, wie es schien, den Baumwollenhandel aus dem Grunde und besaß selbst, seiner eigenen Aussage nach, am Alabama eine nicht unbedeutende Plantage.

So rückte die Zeit des Abendessens heran. Die Sonne war noch nicht untergegangen und der Tisch oben auf der Piazza, des kühlen Luftzugs und der freundlichen Aussicht über die Felder und benachbarten Plantagen wegen, gedeckt. Die Hängematte hing zurückgeschlagen an einem der Pfeiler, Gabriele aber lehnte sinnend daneben, und blickte auf die Straße hinaus, die dem Mississippi zuführte und auf welcher sie den Boten zurückerwartete. Saise saß zu ihren Füßen, hielt schmeichelnd ihre Hand gefaßt, an die sie die heiße Wange lehnte und – folgte den Blicken der Gebieterin und Freundin.

Die Schritte der Männer wurden jetzt auf der Treppe gehört.

»Er bleibt lange,« flüsterte Gabriele.

»Recht lange,« sagte Saise und sie fühlte plötzlich, wie der Freundin Augen auf ihr hafteten – aber sie begegnete ihnen nicht, sondern schmiegte sich nur inniger und fester an sie an.

»Saise – bist Du noch nicht beruhigt?« bat Gabriele – »fehlt Dir noch etwas? sieh nur wie feuerroth Du geworden.«

»Guten Abend, Ladies,« sagte die Stimme des Fremden.

»Um Gottes willen, Kind – was ist Dir? alles Blut flieht aus Deinen Wangen?« rief die Creolin erschrocken, die Veränderung in den Zügen der Freundin bemerkend.

»Guten Abend, Kinder,« wiederholte Mr. Beaufort – »Mr. Pitwell, meine Tochter und ihre Freundin, eine junge Indianerin. – Nun, Gabriele – ist Saise krank? was fehlt dem Mädchen?«

»Ich weiß in der That nicht, Vater – sie erblaßte eben; und zittert jetzt so heftig am ganzen Körper – Saise!«

»Ja,« flüsterte das schöne Mädchen, richtete sich empor, wandte sich gegen den Fremden um, blickte ihn einen Augenblick starr an und stürzte dann mit einem Mark und Bein zerschneidenden Schrei ohnmächtig zu Boden.

Gabriele, die wie ein Blitzesschlag die Wahrheit durchzuckte, warf ihr Tuch über das Antlitz der Freundin – aber es war zu spät – Pitwell, durch das sonderbare Benehmen aufmerksam gemacht, sprang, kaum wissend was er that, auf sie zu, riß das Tuch herunter und rief in höchstem Schreck und Staunen:

»Alle Wetter – meine ertrunkene Sklavin!«

»Eure was?« schrie Beaufort, mit wildem Satz herbeispringend – »Eure Sklavin? Mann, seid Ihr des Teufels? – das ist eine Indianerin, und die werden nicht verkauft.«

»Es ist falsch!« stöhnte Gabriele in entsetzlicher Seelenangst, den leblosen Körper der Unglücklichen unterstützend – »es ist eine teuflische Lüge – dies Mädchen ist den Ihrigen geraubt – ein niederträchtiges Bubenstück ist begangen – Saise ist so frei wie ich selbst – Ihr dürft Euch nicht an ihr vergreifen.«

»Ich fordere mein Eigenthum zurück,« sagte der Fremde finster, und griff zugleich in die Tasche, aus der er ein Paket zusammengebundener Papiere herausnahm. – »Hier ist ihr Kaufbrief,« fuhr er dann, sich gegen den Pflanzer wendend, fort – »ihr Vater war Indianer, ihre Mutter war Mulattin – seht nur ihr Haar an. Und daß es die rechte ist, dafür bürgt Euch, wenn nicht ihr jetziger Schreck, das hier verzeichnete Maal auf ihrer linken Schulter.«

Beaufort durchlief schweigend die Schrift und schritt dann auf Saise zu.

»Zurück, Vater – um Gottes willen zurück« – rief Gabriele in höchster Angst, »Du darfst den Worten jenes Mannes nicht glauben – sie sind falsch, bei dem ewigen Gott da oben.«

»Gabriele,« sagte der Vater freundlich, aber auch sehr ernst – »dies ist ein Geschäft, bei dem Du weiter keine Stimme hast; findet sich das Maal nicht, wie ich hoffen will, – denn den Galgen verdient das Ding, wenn es Niggerblut in den Adern hat und sich dabei untersteht, mit weißen Leuten an einem Tisch zu essen – so ist die Anklage überdies unbegründet; findet es sich aber, dann bleibt die Person keine fünf Minuten mehr unter meinem Dache, oder ich will nicht selig werden – Du weißt, daß ich mein Wort halte.«

»Vater – bei allen Heiligen beschwör' ich Dich – dieser Kaufbrief ist verfälscht – Saise hat mir Alles entdeckt – sie ist den Ihrigen schändlich geraubt – ihr Vater erschlagen, sie selbst fortgeschleppt. –«

»Märchen,« lächelte Pitwell kopfschüttelnd. »Haben Sie schon je einen weggelaufenen Nigger gesehen, mein Fräulein, der sich nicht irgend eine solche glaubwürdige Geschichte ausgedacht hätte?«

»Vater – Vater!« bat Gabriele, und versuchte ihn zurückzuhalten, er stieß sie aber jetzt unwillig bei Seite und rief:

»Nun wird's mir bald zu bunt – ich thue dem Ding ja Nichts; ist sie eine Indianerin, so ist sie so frei wie wir selbst, findet sich aber – ha – beim Teufel – das ist es – Mr. Pitwell –«

»Halt!« schrie Gabriele – deren Blick oft und ängstlich nach der nicht so fernen Straße hinübergeschweift war – »halt! dort kommt Mr. St. Clyde – warten Sie seine Ankunft ab, er kann, er darf das nicht zugeben.«

»Mr. St. Clyde soll zum Teufel gehen,« zürnte der alte Pflanzer – »hat sich der in die Rechte eines fremden Mannes zu mischen? Mr. Pitwell, das Mädchen ist die Ihrige, und meiner Tochter mag sie's danken, daß sie nicht noch vorher eine gehörige Anzahl Peitschenhiebe mitnimmt. Verdammt! ein Nigger, der so frech ist sein Fell zu verleugnen!«

»Wir können sie ja bis morgen früh in irgend eine der Negerhütten schaffen,« sagte Pitwell, auf sie zugehend und seine Hand nach der immer noch Bewußtlosen ausstreckend, »morgen früh« –

Die flüchtigen Schritte eines Mannes wurden auf der Treppe gehört.

»Mr. St. Clyde – zu Hülfe!« rief Gabriele in letzter Noth. In demselben Moment aber daß die Creolin diesen Namen ausstieß und der junge Mann in der Thüre erschien, schlug auch Saise die Augen wieder auf. Ein einziger Blick sagte ihr Alles – wenige Secunden lang barg sie ihr Antlitz an der Brust der Freundin, dann aber hob sie sich, von Gabriele gehalten, empor und schaute, die großen dunkeln Augen weit geöffnet, wild und leise zusammenschaudernd im Kreise umher.

»Um Gottes willen – was ist hier vorgefallen?« rief St. Clyde, indem er auf das zitternde Mädchen zusprang und es unterstützte – »was ist geschehen, Miß Beaufort?«

»Retten Sie Saise,« rief die Jungfrau – »retten Sie Saise vor jenem Buben.«

Der Fremde wurde leichenblaß und starrte wild umher.

»Gabriele!« rief aber der Vater, »jetzt hab' ich's satt – Mr. St. Clyde, überlassen Sie den Nigger sich selbst – es ziemt einem weißen Manne nicht –«

»Mr. Beaufort!«

»Allerdings – das Mädchen ist eine, diesem Gentleman entflohene Sklavin.«

»Das ist eine Lüge,« sagte Saise plötzlich, sich hoch und stolz emporrichtend; das Wort Nigger hatte ihr ihre ganze Kraft und Stärke wiedergegeben; sie fühlte, wie jetzt der Augenblick gekommen, vor dem sie so lange schon gebebt; aber gerade da er gekommen, hatte er auch all' sein Fürchterliches verloren. Ihre ganze Seelenstärke war zurückgekehrt und die Indianerin, die freie Tochter der Wälder in ihr erwacht. –

Aber vergebens erzählte sie jetzt mit klaren, überzeugenden Worten das ganze Bubenstück jenes Schurken, der lächelnd und achselzuckend daneben stand, vergebens rief sie Gott zu ihrem Zeugen an – sie war in Louisiana – ein weißer Mann hatte sie als seine ihm entflohene Sklavin reclamirt – das krause Haar sprach für seine Aussage, mehr aber noch und unantastbar fast der Kaufbrief und ihre darin genau verzeichnete Gestalt. War doch selbst vor nicht gar langer Zeit ein weißes Mädchen, mit blonden Haaren und blauen Augen, aber als die Tochter einer Mestize, hier öffentlich versteigert worden, und wenn diese selbst fast weiß sein mochte, blieb sie Sklavin; wie viel mehr nun eine Indianerin, deren braune Hautfarbe der Amerikaner überdies als der seinen untergeordnet hielt und nur wenig höher schätzte, als die äthiopische Race selbst.

Gabriele wollte, als alle Bitten nutzlos blieben, dem Fremden die Freundin abkaufen, dagegen aber protestirte St. Clyde und zwar mit einer Wärme, die, wenn sie nur aus reiner Menschlichkeit entsprang, ihm alle Ehre machte.

»Nein!« rief er, »nein – das hieße bekennen, sie gehöre zu jenem verachteten Stamm! rein und frei soll sie dastehen und wenn ich den Beweis dazu mit meinem Blute führen sollte. Mr. Pitwell, Sie werden diesen Parish nicht wieder verlassen, ehe Sie sich von der gegen Sie erhobenen Anklage gereinigt haben –«

»Wer klagt ihn an?« rief Beaufort auffahrend, »wer klagt ihn an, Sir? Ein Nigger – seine eigene Sklavin; sind Sie thöricht genug zu glauben, daß das Gericht auf solche Klage eingehen würde? Sie sollten die Gesetze des Staates besser kennen.«

»Ich selber klage diesen Mann an,« rief St. Clyde, »ich selber – nicht diese Unglückliche, die seinen Händen bis dahin nicht überliefert werden darf.«

»Das möchte Ihnen schwer werden durchzusetzen,« hohnlachte Pitwell, »glücklicherweise bin ich vertraut genug mit den hiesigen Gebräuchen. Sie können mich anklagen, aber mein Eigenthum dürfen Sie mir indessen nicht vorenthalten.«

»Herr, Sie müssen erst beweisen, daß Saise Ihr Eigenthum ist!« rief St. Clyde.

»Das ist bewiesen, Mr. St. Clyde!« entgegnete Beaufort kalt – »und jetzt würden Sie mich sehr verbinden, keine weitere Störung hier zu verursachen.«

»Mr. Duxon,« wandte er sich dann an den Overseer, der in diesem Augenblick in der Thür erschien, »haben Sie die Güte, diese entflohene Sklavin – und er deutete auf Saise – in einer der Negerhütten unterzubringen; Sie haften mir aber für ihre Sicherheit.«

»Saise?« rief Duxon erstaunt und wollte kaum seinen Ohren und Augen trauen – »Saise – ein Nigger? – Ei, da muß ja der Teu... –«

»Herr!« rief St. Clyde entrüstet.

»Um Gottes willen!« flehte Saise, seinen Arm ergreifend, »kämpfen Sie jetzt nicht gegen die Uebermacht an – wenden Sie sich an die Gerichte – die müssen mir helfen, ich stehe ja unter dem Schutz der Vereinigten Staaten. Mein Vater hat sein Land an diese abgetreten und sie haben versprochen, ihm beizustehen. Man soll mich nur so lange gefangen halten, bis ich einen Boten zu meinem Stamme schicken kann; Alle werden hierher kommen und Zeugniß für mich ablegen, daß ich die Tochter ihres Häuptlings bin. O, wenn mein Bruder nur wüßte –«

»Dazu braucht es keine Indianer,« lächelte Pitwell, »das kann ich selbst bezeugen; wer aber war Deine Mutter? Eine Mestize – steht es hier etwa anders geschrieben? Diese Mestize gehörte meinem Freund, von dem ich Dich gekauft, und wenn der Dich Deinem Vater so lange Jahre ließ, so geschah es bloß deshalb, daß er Dich erziehen sollte; seine Sklavin bist Du deshalb doch.«

»Meine Mutter war die Tochter eines Siouxhäuptlings,« rief Saise, sich stolz emporrichtend, »und wer das Gegentheil behauptet, lügt

Die Faust des alten Beaufort fällte die Unglückliche mit einem Schlage zu Boden.

»Was?« schrie er, »will das Niggerthier noch in meiner Gegenwart einen weißen Mann einen Lügner nennen? Ist's nicht genug, daß sie mich erst selber anlügen und zum Narren haben mußte?«

Er würde seine Worte kaum so unangefochten beendet haben, denn mit einem Racheschrei auf den Lippen sprang St. Clyde auf ihn zu, aber ihm entgegen warf sich Gabriele und beschwor ihn bei Allem, was ihm heilig sei, bei Allem, was er liebe, ihres Vaters zu schonen. Jetzt trat aber auch der Overseer dazwischen und rief dem jungen Manne trotzig zu:

»Herr St. Clyde, ich will Sie hiermit wohlmeinend gewarnt haben, keine überflüssigen Worte mehr zu reden. Die Mamsel steht von diesem Augenblick an unter meiner Wache und wer meine Nigger gegen mich in Schutz nehmen will, dem renne ich einen Fuß kalten Stahl in den Leib!« Und er zog, während er diese Worte sprach, sein schweres Bowiemesser unter der Weste vor.

Clyde war unbewaffnet, und wußte auch, wie die Gesetze einen Overseer oder Sklavenbesitzer schützen, wenn sich ein Fremder in ihre Angelegenheiten ungerufen mischt. Noch kürzlich war auf solche Art ein Abolitionist aus Ohio erschossen, ohne daß der Mörder mehr Ungelegenheiten als ein etwa viertelstündiges Verhör deshalb gehabt hätte; für jetzt mußte er also der rohen Gewalt weichen, aber retten wollte er Saisen, das schwur er sich, und wenn es sein eigenes Leben kosten solle.

»Mr. Beaufort,« rief er, sich noch einmal an den Pflanzer wendend, »Sie werden mir für die Mißhandlung dieser Unglücklichen Rede stehen; jetzt habe ich keine Macht, Ihrer Gewaltthat zu begegnen; thun Sie mit dem armen Mädchen, was Sie verantworten können, aber der ewige Gott da oben ist mein Zeuge, daß ich mich von jetzt an für Saisens Schützer erkläre, und die Gesetze des Staates müssen und werden mir beistehen. Leben Sie wohl, Fräulein Beaufort, und oh – verlassen Sie die Arme nicht – gönnen Sie ihr wenigstens den Trost, zu fühlen, daß sie nicht ganz allein auf der Welt steht.«

Der Overseer hatte indessen zwei Negern, die eben Handwerkszeug zum Hause schafften, heraufzukommen gewinkt und rief diesen nun zu: »Schafft das Mädchen da in Mutter Betty's Hütte hinunter, und Du, Ben, stehst Wache dabei, Dein schwarzes Fell bürgt mir für sie; ich zieh es Dir lebendig vom Leibe, wenn Du sie entwischen läßt.«

»Keine Furcht, Massa« – sagte der Neger grinsend, »aber welches Mädchen, De Lor' bleß you, ich sehe kein Mädchen zum mitnehmen, Missus Saise?«

St. Clyde sprang die Treppe hinab, schwang sich auf sein Pferd und sprengte mit verhängten Zügeln dem Mississippi zu; Gabriele bog sich schluchzend zu dem armen Kinde nieder und band ihr das eigene Tuch um die blutende Stirn, die beiden Neger aber starrten mit weit von einander gerissenen Lippen bald den Einen, bald den Andern an und konnten das Vorgefallene nicht begreifen, bis sie ihres Vorgesetzten erneuter Ruf und die drohend geschwungene Peitsche an die Erfüllung des gegebenen Befehls erinnerte. Sie hoben die Indianerin vom Boden auf und verschwanden mit ihr bald nachher in einer der niederen, gleichförmigen Negerhütten, die in langen, regelmäßigen Reihen, einer kleinen Stadt nicht unähnlich, das Herrenhaus umgaben. Gabriele zog sich auf ihr Zimmer zurück, die Männer aber – der Overseer wurde heute ebenfalls von seinem Prinzipal eingeladen zu Tisch zu bleiben – ließen sich an der Tafel nieder, und Beaufort schien mit dem eisigen Claret allen Aerger und Verdruß hinunterspülen zu wollen, bedankte sich aber, ehe er sein Lager suchte, noch einmal bei dem Fremden, daß er ihn und sein Haus von der Schande befreit habe, »verdammtes Niggerblut« neben Weißen zu beherbergen.

Mr. Pitwell hatte seine Schlafstelle angewiesen bekommen; da aber die Luft kühl war, wie er sagte, so zog er es vor, noch ein Viertelstündchen mit dem Overseer am Flusse auf- und abzugehen, stieg also mit diesem hinunter, und schritt zwischen einer Allee von China- und Tulpenbäumen hin, dem Eingang der Plantage zu, der durch eine dichte Feigen- und Orangenhecke beschattet wurde.

»Hört einmal, Pitwell« – sagte Duxon, hier stehen bleibend – »habt Ihr wieder einen von Euren alten Streichen ausgeübt, he? Ist das Mädchen ein Nigger oder ist's keiner?«

»Was geht's Euch an?« brummte Pitwell, sich ängstlich dabei umsehend – »es kann uns doch Niemand hier behorchen?«

»Keine Seele – aber kommt – Ihr müßt mir die Sache erzählen; verdammt will ich sein, wenn das mit rechten Dingen zugeht. Oh zum Henker, Mann, seid doch nicht so verschwiegen; von uns Beiden wird doch wahrhaftig keiner den Andern verrathen?«

»Nun gut, Ihr sollt Alles wissen, aber kommt fort von hier, ins Freie hinaus,« flüsterte Pitwell, »hier unter den Bäumen ist mir's so unheimlich und kommt mir immer vor, als ob mich Jemand behorchte.«

Die beiden würdigen Leute schritten mitsammen an das Ufer des Fausse Rivière und wanderten hier Arm in Arm herauf und herunter von der Plantage. Pitwell erzählte nun dem Freunde und Bundesgenossen aufrichtig den ganzen Hergang, erklärte ihm aber auch, daß er, trotz seiner Sicherheit, doch nicht abwarten wolle, bis der junge Laffe – St. Clyde – seine Drohungen wahr machen könne, sondern morgen mit dem Frühsten aufbrechen werde.

»Das trifft sich herrlich!« sagte der Overseer, »ich bin mit Beaufort ebenfalls in Abrechnung begriffen und kann Euch vielleicht, wenn Ihr nur noch ein oder zwei Tage bleibt, begleiten. Ueber die jetzige Nachlese läßt sich dann leicht ein ungefährer Ueberschlag machen. Mir gefällt's nicht mehr hier am Fluß, ich will nach Texas und eine eigene Plantage kaufen.«

»Wie? Schon so viel verdient? Das ist geschwind gegangen,« lachte der Fremde.

»Da müßte Einer ein gewaltiger Thor sein,« meinte der Overseer lächelnd, »wenn er auf einer solchen Pflanzung nicht in drei Jahren ein Capitälchen zurücklegen könnte.«

»Mir wär's recht, so lange zu warten,« sagte Pitwell, »aber ich kann nicht, ich muß machen, daß ich das Ding verkaufe; erstlich fühl ich mich hier nicht so recht sicher, und dann – hab ich sonst noch Arbeit. Das Wiederfinden hätte mir übrigens nicht gelegener kommen können; weiß nur der Teufel, wie das kleine Geschöpf dem Ersaufen entgangen ist; mit meinen eigenen Augen hab ich gesehen, wie es unterging, und noch dazu mit gebundenen Händen.«

»Die Indianer können schwimmen und tauchen wie die Fische;« lachte Duxon; »aber wißt Ihr was, Pitwell, ich kaufe Euch die Kleine ab?«

»Was – Ihr? – Aber jener Creole?«

»Mag zum Teufel gehen, ich übernehme jede weitere Verantwortung.«

»Und kauft Ihr sie so, wie ich sie verkaufen kann?« frug vorsichtig der Yankee, »wollt Ihr den Verlust tragen, wenn die Indianer kämen und sie als die Tochter ihres Häuptlings reclamirten?«

»Ja gewiß,« rief spöttisch der Overseer, »aber dafür muß ich sie auch billig haben – ich gebe Euch zweihundert Dollar.«

»Hallo – das ist zu wenig – bedenkt, das Mädchen ist achthundert werth.«

»Wenn ich Euch im Stiche lasse, keine funfzig Cent,« höhnte Duxon.

»Nein, Mann, zweihundert ist bei Gott zu wenig, da ließ ich es doch lieber selber darauf ankommen; gebt mir drei und sie ist Euer!«

»Topp – kommt mit in mein Haus, schreibt den Kaufbrief auf mich über und nehmt das Geld in Empfang.«

»Und glaubt Ihr, daß ich noch, ohne Gefahr zu laufen, ein paar Stunden hier verweilen kann?«

»Ein paar Jahre, wenn Ihr wollt; hab ich erst einmal das Mädchen, so soll sie mir ganz Louisiana nicht mehr entreißen können; die Gesetze müssen in allen Sklavenstaaten auf meiner Seite sein, und es giebt dann nichts Gefährlicheres auf der Welt, als ihnen, gerade in diesem Punkt, widerstreben zu wollen. Kommt, Pitwell, in zehn Minuten muß die schöne Indianerin mir gehören, und morgen schon mache ich meine Anrechte auf sie geltend; nachher kann ihr ganzer Stamm kommen und schwören – mir gleich.«

Die beiden Männer schritten eilig in das zwischen den Negerhütten stehende, und sich nur durch ein höheres Dach und eine Galerie von diesen unterscheidende Haus des Overseers zurück, und schlossen dort den beredeten Handel ab. Pitwell empfing das Geld und Saise wurde dem Overseer als alleiniges und rechtmäßiges Eigenthum überschrieben. Beaufort selbst sollte am nächsten Morgen seinen Namen als Zeuge daruntersetzen.


St. Clyde hatte indessen sein Pferd mit Sporen und Peitsche so angetrieben, daß es, als er vor des Richters Thür in Point-Coupee anhielt, ein paar Secunden lang hin und her schwankte und dann, matt und aufgerieben, wie es war, zusammenbrach; ohne es aber auch nur eines Blickes zu würdigen, flog er die Treppe hinauf, stürzte in des Richters Zimmer und rief diesen, ihm mit wenigen Worten die Frevelthat erzählend, um Beistand an.

Der Richter war ein wackerer Mann, streng rechtlich und in der Ausübung seiner Pflicht menschlich, aber gar bedenklich schüttelte er mit dem Kopfe, als er von dem nach Form Rechtens ausgestellten Kaufbriefe hörte. Er kannte die Gewalt, die ein solches Schreiben hatte.

»Junger Mann,« sagte er nach langer Pause, während er sinnend, den Kopf in die Hand gestützt, zu dem Creolen aufschaute, »das ist eine böse Sache. Erstlich scheint es mir freilich, als ob Sie das Ganze ein bischen zu romantisch ansähen, dann aber, wäre auch wirklich Alles so, wie Sie es schildern, so sehe ich doch nicht ein, auf welche Art es gehoben werden könnte; wir dürfen nicht gegen die Gesetze handeln und wenn wir wirklich den festen Glauben hätten, dem armen Mädchen geschähe Unrecht.«

»Aber Sie werden doch nicht zugeben, daß eine freie Indianerin aufgegriffen und verkauft wird?« rief St. Clyde erzürnt, »dasselbe könnte ja jedem Weißen begegnen, wenn sich zwei Buben vereinigten, einen Kaufbrief über ihn zu schreiben und zu schwören, daß seine Mutter eine Mestize gewesen sei.«

»Das nun wohl nicht,« lächelte der Richter; »ehe ein Weißer verkauft würde, müßten gewaltige Beweise vorliegen, daß er wirklich aus Negerblut abstamme; aber Sie dürfen auch nicht allen solchen Erzählungen weggelaufener Neger glauben; großer Gott, die lügen Ihnen manchmal das Blaue vom Himmel herunter.«

»Wär es denn nicht möglich, die Indianerin den Händen jenes Mannes zu entziehen, bis man Zeugen aus ihrem Stamm herbeischaffen könnte?«

»Bester Freund, der Stamm lebt an die sieben bis achthundert Meilen von hier entfernt, Mr. Beaufort selbst hat sie über vierhundert Meilen den Fluß heruntergebracht; nein, da könnten ja nur alle derartigen, Indianern ähnliche Personen, wie zum Beispiel Mulatten und Mestizen, behaupten, es flösse rein indianisches Blut in ihren Adern, und uns dann ersuchen, nach den Eskimos hinaufzuschicken und Zeugen herunter zu holen. Nein, das geht nicht. Hätten wir aber auch wirklich die Zeugen hier, so sind das immer nur – Indianer. Das Gescheidteste wäre, Sie kauften das Mädchen, wenn Ihnen wirklich so viel daran liegt, als mir vorkommt.«

»Kaufen?« rief St. Clyde mit schmerzdurchbebter Stimme, »kaufen? – und sie ist dann wirklich Sklavin? Ist denn kein Ausweg, die Unglückliche von dieser Schande zu retten?«

»Ich fürchte – nein – auf jeden Fall aber wäre dies das Sicherste, sie doch wenigstens für den Augenblick zurückzuhalten. Vielleicht läßt sich jener Fremde auch bewegen, vorher nur einen Theil der Zahlung zu nehmen, und man kann dann sehen, was weiter in der Sache zu thun ist; was sagen Sie dazu?«

»Ach, bester Richter,« seufzte der junge Creole wehmüthig, »Sie wissen recht gut, daß ich arm bin. Mein einziges Pferd ist mir eben gestürzt, und ich werde kaum Geld genug übrig behalten, mir ein neues zu kaufen. Wie sollte ich die Summe auftreiben, die jener Bube für Saise fordern wird?«

»Hören Sie, St. Clyde, ich will Ihnen einen Vorschlag machen, ich selbst will das Mädchen kaufen und bei mir behalten; haben Sie sich das Geld verdient – so – überlaß ich sie Ihnen.«

»Kaufen und immer nur kaufen!« stöhnte der Creole.

»Nehmen Sie meinen Vorschlag an,« sagte der Richter herzlich, »sie soll in meinem Hause wie eine Tochter behandelt werden.«

»Gut denn, es sei,« rief St. Clyde, »ich muß mich fügen; es rettet sie ja wenigstens für den Augenblick; dann aber schaffe ich die Zeugen ihrer freien Geburt und wenn ich sie aus den Eisregionen des Nordens herunterholen müßte.«

»Es wird Ihnen nicht viel helfen; wollen Sie übrigens schlechterdings nach jenem Stamme einen Boten haben, so kann ich Ihnen zufällig die Anweisung geben, den zu finden. Heute Morgen waren sieben oder acht Indianer aus dem Parish West-Feliciana, von drüben über dem Mississippi, hier in Point-Coupee; sie haben Hirschfleisch verkauft und dafür Pulver, Blei und Whisky mit hinüber genommen.«

»Von welchem Stamme waren sie?«

»Wahrscheinlich Chocktaws, von denen halten sich stets einige hier in der Nähe auf. Doch erst bringen Sie den Handel in Richtigkeit; denn ist dem wirklich so, wie Sie glauben, und hat der gute Mann kein recht reines Gewissen, so wird er sich schwerlich lange in der hiesigen Nachbarschaft aufhalten, sondern seine Beute in Sicherheit bringen wollen. – So – hier dieses Papier geben Sie nur an Mr. Beaufort, er mag den Kauf für mich abschließen; meine Frau ist doch jetzt ganz allein und kennt die Indianerin auch schon, die Beiden werden sich sicherlich recht gut vertragen.«

»Doch, bester Richter, ich muß ein anderes Pferd haben; können Sie mir ein's verkaufen?«

»Was wollen Sie d'ran wenden?« frug dieser; denn ein Amerikaner läßt nie eine Gelegenheit ungenutzt vorüber, wo er hoffen darf einen Pferdehandel zu machen.

»Vierzig Dollar bleiben mir, das Nothwendigste abgerechnet, über.«

»Gut – ich schaffe Ihnen ein Pferd, aber heute Abend können Sie unmöglich noch fort.«

»Gleich! –«

»Unsinn, verderben Sie sich jetzt ihr Spiel nicht selbst durch Ihre Hitze; Abends acht Uhr hat der alte Beaufort seine Ladung Claret und geht zu Bett; erstlich ist es nachher ein Ding der Unmöglichkeit, ihn munter zu bringen, und geläng es Ihnen wirklich, so möchte ich die Laune sehen, in der er sich befindet. Vor neun Uhr morgen früh ist er nicht zu sprechen, und reiten Sie um acht Uhr hier fort, so treffen Sie ihn gerade beim Frühstück – das ist die beste Zeit. Uebrigens habe ich Beaufort ersucht, die Zahlung drei Tage zu verzögern und Saise indessen an sich zu nehmen; vielleicht gelingt es mir doch noch, sie zu retten. Ich will morgen mit Beatty, einem unserer besten Advokaten hier, sprechen; giebt es eine Art und Weise, auf welche wir die Identität der Häuptlingstochter beweisen können, so wird der sie schon ausfinden.«

Von neuen Hoffnungen erfüllt, ließ sich St. Clyde endlich durch die Gründe des Richters bewegen, auf seine Vorschläge einzugehen und die Nacht bei ihm zuzubringen. Als er aber am nächsten Morgen mit dem Brief, der Saise aus den Klauen jenes Buben retten sollte, auf der breiten Straße dahinsprengte, da ward er es sich erst selbst so recht bewußt und klar, wie er jenes unglückliche Mädchen liebe und wie es für ihn auf dieser Welt keinen weitern Frieden gebe, als den, den er an ihrer Seite finden konnte. Wohl war er arm und hatte Nichts, als seine eigene Kraft und Ausdauer; die Tochter der Wälder aber, an Entbehrungen von Jugend auf gewöhnt, würde sich wohl schwerlich zu dem civilisirteren Leben der Ansiedlungen zurückgesehnt haben, wenn er ihr wirklich, wie er es hoffte und glaubte, nicht gleichgültig war; nur erst frei mußte sie sein, frei wieder, wie der Vogel der Luft und der Hirsch der Prairie, und diese Angst von ihr genommen werden.

Zu schnellerem Trab spornte er sein wackeres Thier an, als er des armen Mädchens gedachte, und unter den hohen, schattigen Magnolien flog er rasch und fröhlich dahin. Endlich erreichte er die Ansiedlungen des Fausse Riviere, durch das kleine Städtchen sprengte er mit verhängten Zügeln – an Plantage nach Plantage brauste er vorbei – schon war er am »Poydras-College« vorüber und dort – dort schimmerte ihm jetzt das hohe, glänzende Dach aus dem grünen, schwellenden Laub entgegen. Er hatte die Orangenhecke erreicht, sprang vom Pferd, hing den Zügel desselben über einen alten, halbverdorrten Feigenbaum und flog die Stufen hinauf, wo er wußte, daß Mr. Beaufort allmorgendlich sein Frühstück halte.

»Hallo, St. Clyde,« rief ihm dieser freundlich entgegen, »das ist hübsch von Euch, daß Ihr wiederkommt, ich war gestern Abend ein bischen brummig, aber der verdammte Nigger hatte mich so geärgert. Nun, kommen Sie her – dahinten steht noch ein Stuhl – Scipio, Canaille, kannst Du nicht aufpassen, wenn Gentleman einen Stuhl sucht,« unterbrach er sich dann selbst, um einem kleinen, bei Tisch aufwartenden Negerknaben vorher diese freundliche Ermahnung zukommen zu lassen.

St. Clyde blickte ängstlich in dem Raum umher, in dem sonst zu dieser Zeit Gabriele und Saise nie gefehlt hatten.

»Sie suchen meine Tochter?« frug Beaufort, den Blick bemerkend – »ist nicht recht wohl heute Morgen, läßt sich entschuldigen.«

»Und – und Saise!«

»Hören Sie, St. Clyde,« sagte der alte Beaufort, sein Messer niederlegend, »wenn wir gute Freunde bleiben sollen, so verderben Sie mir mein Frühstück nicht und lassen Sie die alte Geschichte ruhen. Die Sache ist abgemacht.«

»Abgemacht? Um Gottes willen, wie? Ist Saise fort?«

»Noch nicht, aber nun thun Sie mir den Gefallen und setzen Sie sich. Der Claret ist ausgezeichnet und das Beefsteak vortrefflich.«

»Mr. Beaufort, ich habe diesen Brief vom Richter an Sie abzugeben; er läßt Sie dringend bitten, seinem Wunsche zu willfahren!«

»Schön,« sagte Beaufort, das Schreiben, ohne es weiter anzusehen, unter den Teller schiebend, »wollen's nachher einmal untersuchen.«

»Es hat Eile, Mr. Beaufort, es hängt das Glück eines Lebens davon ab,« bat St. Clyde.

»Nun hab' ich's bald satt,« rief Beaufort halb lachend, halb ärgerlich; »glauben Sie denn, ich ließe der ganzen Welt zu Gefallen, mein Beefsteak kalt und den Claret warm werden? Was nicht bis nach dem Frühstück Zeit hat, bleibt ganz, das ist mein Sprichwort, und nun setzen Sie sich, sonst werd' ich ernstlich böse.«

St. Clyde sah wohl daß hier keine weiteren Vorstellungen halfen, er ließ sich also neben dem Pflanzer nieder, aber nicht möglich war es ihm einen Bissen über die Lippen zu bringen; ein paar Gläser Wein trank er, sein kochendes Blut abzukühlen, und ging dann unruhig in der von Blumen und Blüten durchdufteten Galerie auf und ab. Mr. Beaufort beendete indessen sein Frühstück in aller Behaglichkeit, schlürfte noch langsam den letzten Rest Wein hinunter, wischte sich dann den Mund ab, lehnte sich ein wenig im Stuhl zurück und sagte mit einem tiefen Athemzug:

»So – jetzt wollen wir ein bischen hinuntergehen und zusehen, wie –«

»Aber der Brief –«

»Ach ja so – den hätt' ich beinahe vergessen, nun, was schreibt denn der Richter – – Lieber Freund – interessire mich – da ich dringend bedarf – Frau allein – bitte Sie herzlich mir – Saise – beim Himmel wieder der verwünschte Nigger – anzukaufen – Unsinn, kommt zu spät – wichtige Ursachen – Auslieferung zu verschieben – Unsinn, kommt zu spät, sag ich – ungemein verbinden – vollkommenste Hochachtung und Freundschaft – ja, thut mir leid – kommt zu spät –«

»Aber Sie sagten ja erst vor wenigen Secunden, daß Saise noch nicht fort sei? Wie ist es da möglich?«

»Mein Overseer hat sie gekauft,« entgegnete ihm Beaufort, sich die Zähne stochernd; »jetzt wenden Sie sich an den und lassen Sie mich mit der Sache ungeschoren – ich hab' es satt, noch länger mit dem Geschöpf geplagt zu werden.«

»Aber, Mr. Beaufort, was um des Heilands willen hat Sie nur gegen die Unglückliche so hart machen können? Sie behandelten sie ja doch bis jetzt immer mehr wie ein Vater, als ein Fremder.«

»Das ist es eben, Herr!« rief der alte Pflanzer entrüstet – »das ist es eben; die Schande vor allen meinen Niggern erleben zu müssen; glauben Sie denn nicht, daß sich die Schufte halb todt lachen, weil ihr Herr mit einem von ihrer Race so lange an einem Tisch gegessen hat?«

»Wenn aber nun Saise wirklich aus rein indianischem Blute entsprossen wäre und Sie, ohne es zu wissen, ein Bubenstück unterstützt hätten?« frug St. Clyde, den alten Mann fest ins Auge fassend, »wenn nun jener Fremde mit schurkischen Genossen und der Hülfe eines Richters diesen Kaufbrief geschmiedet hätte und durch Sie eine Unglückliche, die Sie bis jetzt für ihren zweiten Vater hielt, in namenloses Elend gestoßen wäre?«

Beaufort sah den jungen Mann einen Augenblick starr an, dann aber schüttelte er ärgerlich mit dem Kopf und rief:

»Thorheit – Unsinn – kommen Sie da mit einem ganzen Packet voll wenn und aber und – zum Donnerwetter, Herr – lassen Sie mich jetzt mit ihren Lamentationen zufrieden, die Dirne ist verkauft – ich habe den Brief selbst unterzeichnet und damit basta. – Gehen Sie zum Overseer, wenn Ihnen so viel d'ran liegt, mit funfzig Dollar Profit wird er sie wieder ablassen – oder – gehen Sie lieber einmal ins Feld und schicken Sie ihn mir herauf, ich habe etwas mit ihm zu sprechen.«

Der alte Mann schritt ins nächste Zimmer und warf ärgerlich die Thüre hinter sich ins Schloß. Aber nicht mehr auf den jungen Creolen zürnte er, sondern auf sich selbst; zum ersten Mal wurde jetzt der Gedanke in ihm wach, daß er doch wohl zu voreilig gewesen und sich von seinem Jähzorn zu sehr habe hinreißen lassen. Das Geschehene ließ sich freilich nicht mehr ungeschehen machen, aber versuchen wollte er nun, ob er es nicht wenigstens verbessern könne. Er gedachte Saise zu kaufen und dann nachzuforschen, ob wirklich schwarzes Blut in ihren Adern rolle; bis dahin konnte sie ein kleines Haus für sich beziehen, und brauchte mit ihm und seiner Tochter nicht in Berührung zu kommen.

Eine Stunde später stand Duxon mit Pitwell wieder am Ufer des Flusses.

»Pitwell,« sagte der Erstere, »ich glaube doch, es ist besser, wir brechen schon morgen auf; den alten Beaufort scheint die Sache zu wurmen – er wird bedenklich.«

»Sollte er etwas merken?« frug Pitwell ängstlich.

»Ein Wunder wär's nicht,« knirschte Duxon zwischen den zusammengebissenen Zähnen durch, »der Laffe war ja wieder hier und hat ihm wahrscheinlich in den Ohren gelegen. Denkt nur, er wollte mir die Dirne wieder abkaufen.«

»Wer? Mr. Beaufort?«

»Ja – Beide – erst der Gelbschnabel und dann, wie ich zum Herrn kam, dieser selbst. – Er hatte, während ich mit ihm sprach, einen Brief in der Hand, und meinen Hals wollt ich verwetten, daß er vom Richter war. Da ich nun hier manche Kleinigkeit an der Kreide habe, so sehe ich gerade nicht ein, weshalb wir noch länger zögern sollten. Als ich ihm die Indianerin nicht verkaufen wollte, lief ihm wieder, wie gewöhnlich, die Galle über die Leber und er sagte, ich möchte in einer Stunde zu ihm kommen und mit ihm abrechnen, die Gelegenheit will ich benutzen; eine so schnelle Abrechnung erspart überhaupt manches Unangenehme. Meine übrigen Angelegenheiten kann ich alle bis morgen früh geordnet haben; bis dahin haltet Ihr Euch auch fertig; in vier Tagen müssen wir in Texas sein.«

»Gut!« sagte Pitwell nachsinnend, »aber, Duxon, wir gehen dann in Gesellschaft – ich – ich habe noch einige Freunde, die mich hinter Fischer's Landung erwarten – Ihr – Ihr macht Euch ja doch wohl nichts daraus, ein wenig schnell zu reisen?«

Duxon sah ihn scharf von der Seite an und frug nach kleiner Pause: »Darf ich dann aber auch wissen warum?«

»Und gebt Ihr mir Euer Ehrenwort, daß Ihr schweigen wollt?« flüsterte Pitwell, sich vorsichtig umschauend.

»Braucht Ihr mein Ehrenwort dafür?« lächelte der Overseer.

»Nun, ich sehe, Ihr versteht mich, Duxon,« fuhr der Yankee leise fort; »ich habe wieder ein kleines Geschäft im Gang, gerade so wie wir es damals betrieben. Ein reicher Pflanzer, vom andern Ufer des Mississippi, will seine Sklaven gern nach Texas schaffen, da sie in Louisiana zu vielen Werth für andere Leute haben, und er bezahlt mir hundert Dollar für den Kopf. Unterhalb Waterloo sind wir gestern morgen übergesetzt, und mit Hülfe zweier Gefährten habe ich sämmtliche Neger, hundert und funfzehn Mann, in den zwischen Fischer's Laden und dem Cutoff liegenden Sumpf gebracht – saht Ihr die drei, die heute Morgen hier vorbeizogen? Das waren die letzten. Sie haben sämmtlich falsche Pässe. Jetzt wißt Ihr Alles und seid Ihr gescheidt, so schließt Ihr Euch nicht allein an uns an, sondern nehmt Euch auch noch ein paar – Begleiter mit. Hat denn Beaufort gar keine Neger, denen das Leben in Louisiana nicht länger gefällt? Ihr könnt ihnen ja sagen, es ginge in ein besseres Klima.«

»Das wohl,« murmelte Duxon, in tiefem Sinnen vor sich hinstarrend; »aber Pitwell, die Sache hat einen andern und zwar sehr bösen Haken. Daß wir glücklich fortkommen, daran zweifle ich keinen Augenblick, für Waffen werdet Ihr auch schon gesorgt haben, doch – wenn sich Texas nun an die Vereinigten Staaten schließt, wie es überall heißt, wie dann? Dann liefert uns die Regierung aus.«

»Du lieber Gott,« lachte Pitwell, »wenn die Regierung darauf eingehen wollte, alle die auszuliefern, die irgend etwas verbrochen haben, wer sollte denn da das Land bebauen, Heerden ziehen oder gegen die Mexikaner und Cumanches fechten? Nein, Duxon, laßt Euch darüber keine grauen Haare wachsen, davor sind wir sicher. Das wissen die wackern Burschen auch recht gut, sonst hätten sie ja nie selbst für einen Anschluß an die Union gestimmt.«

»Ich glaube, Ihr habt Recht,« sagte Duxon, »auf keinen Fall dürfte es schwer halten, weiter westlich zu ziehen, wo uns weder Texas, noch Onkel Sam[7] etwas anhaben kann; beistehen wird uns, sollte es so weit kommen, Mancher.«

[7]: Uncle Sam, Scherzname der Vereinigten Staaten nach den Anfangsbuchstaben United States!

»Sieben Achtel von Texas,« lachte Pitwell.

»Nun gut denn, es sei; ist dem aber so, dann brechen wir morgen früh lieber vor Tagesgrauen auf, so daß wir etwa um zehn oder elf Uhr Alle beisammen sind. Verfolgung brauchen wir von hier aus nicht zu fürchten, denn Beaufort steht nicht so früh auf und ich werde schon dafür sorgen, daß er die Fehlenden irgendwo beschäftigt glauben soll. Wird aber Saise gutwillig mit uns gehen?«

»Ist das eine Frage von einem Overseer; habt Ihr keine Peitsche?«

Duxon lächelte und sagte höhnisch: »Ihr scheint nicht zu verstehen, wie man mit Damen umgeht; doch – ich habe ein anderes Mittel, ich nehme unsere kleine Gig und fahre. Als Entschuldigung mögen die Zurückbleibenden nachher dem Herrn sagen, natürlich nicht eher, als er darnach frägt, ich hätte meine Sachen an Fischer's Landung geschafft, wo stets Boote anlegen. Aber Pest und Gift, ich wollte doch heute bei meiner kleinen – Frau bleiben und werde nun bis morgen früh zu rennen und zu laufen haben, daß ich nicht weiß, wo mir der Kopf steht. Nun beim Teufel, in Texas kann ich's ja nachholen, hahaha, sie wird wohl nicht böse darüber werden.«

»Schwerlich!« sagte Pitwell trocken; »also jetzt an's Werk – habt Ihr Waffen?«

»Zwei Büchsen, ein Bowiemesser und drei paar Pistolen – Ihr wißt, ein Overseer muß immer eine kleine Burg aus seinem Haus machen können.«

»Gut, wenn Ihr einen Wagen nehmt, so mögt Ihr nur das Alles mitbringen – solche Sachen sind immer nützlich; aber dort kommt der junge Laffe die Allee herunter, der sich so gewaltig um die Indianerin anstellt. Die Dame vom Haus ist bei ihm; wie heißt sie?«

»Gabriele, ein prächtiges Mädchen, schade, daß Ihr keinen Kaufbrief auf die fabriciren könnt, die nähme ich auch.«

Der Yankee warf ihm einen warnenden Blick zu und ging, um nicht weiter mit dem Overseer zusammen gesehen zu werden, am Fluß hinauf, während jener sein Pferd satteln ließ und auf's Feld hinausritt, dort eine gewisse Anzahl Neger aussuchte und diesen befahl, ihre Aexte zu nehmen, um an einem etwas entfernteren Theil des Waldes, den er ihnen bezeichnen würde, Holz zu fällen. Bald darauf verschwand er mit ihnen in dem die Plantage begrenzenden Sumpfland.

St. Clyde und Gabriele schritten neben einander dem Flusse zu.

»Um Gottes willen, Sir!« sagte die Jungfrau, als sie sich der äußeren Einfriedigung näherten, »was ist Ihnen? Sie scheinen in fürchterlicher Aufregung, so habe ich Sie nie gesehen.«

»Ich muß fort,« flüsterte der junge Mann, die bleiche Hand fest gegen die heiße, fieberglühende Stirn gepreßt – »ich muß fort – muß Hülfe haben. Erst seit dieser unglückseligen Katastrophe fühle ich, wie ich –« er schwieg und wandte sich ab –

»Wie Sie Saisen lieben,« flüsterte Gabriele mit leiser, tonloser Stimme und blickte starr zu dem Creolen auf, »nicht wahr, St. Clyde – Sie – Sie lieben die Indianerin.«

»Ja, Miß Beaufort – ja – warum sollt ich es Ihnen auch verschweigen,« sagte da plötzlich St. Clyde, der stehen blieb und fest in die Augen der erbleichenden Jungfrau schaute, »warum sollt ich mich, Ihnen gegenüber, scheuen es zu gestehen. Sie waren der Unglücklichen Freundin, so lange sie unter Ihrem Schutze stand – Sie sind selbst gegen mich, den fremden, heimatlosen, armen Wanderer immer nur gütig und liebevoll gewesen – Ihnen will ich vertrauen und Sie werden mich auch, so weit es in Ihren Kräften steht, unterstützen.«

»Gewiß – gewiß,« sagte mit kaum hörbarer Stimme Gabriele – »aber – aber, wenn nun Saise – doch eine – eine Negerin wäre? Wenn nun – ach Gott – zürnen Sie mir nicht, ich weiß nicht, was ich rede; nein, nein – Saise ist frei – muß frei werden und – glücklich.«

Sie barg ihr Angesicht in den Händen und die hellen, klaren Thränentropfen quollen zwischen den zarten Fingern hindurch.

»O, Miß Beaufort!« rief St. Clyde gerührt, »Sie sind so gütig gegen die Unglückliche, wie werde ich Ihnen das je danken können?«

Gabriele sammelte sich gewaltsam. »Was wollen Sie thun – was ist Ihr Plan?« frug sie schnell; »wie glauben Sie Saise retten zu können, da Sie mir selber sagten, jener Bube habe sie an Duxon verkauft und dieser sich mit meinem Vater überworfen. Was können Sie gegen jene Elenden ausrichten, die die Gesetze auf ihrer Seite haben?«

»Nichts mehr durch die Gesetze,« sagte St. Clyde mit unterdrückter Stimme – »Alles ohne sie. Der Richter hat mir gestern gesagt, daß am Mississippi ein Trupp von Chocktawjägern lagere, die müssen mir beistehen; kann ich sie nicht dadurch gewinnen, daß sie eine Tochter ihrer eigenen Race von Sklaverei retten sollen, sind sie so verderbt, daß selbst das keinen Eindruck mehr auf sie macht, dann steht mir ein anderes, für sie kräftigeres Mittel zu Gebote – der Whiskey. Ein Grenzindianer ist ja durch Whiskey zu jeder Schlechtigkeit zu bewegen, warum nicht auch einmal zu einer guten That – es ist das letzte Mittel.«

»Aber die Gefahr, der Sie sich aussetzen?«

»Gefahr? Giebt es denn eine Gefahr, wo ich nur sterben kann? Nein, Miß Beaufort – ohne Saise, wenn ich sie glücklich wüßte, hätte ich vielleicht leben können; mit dem Gefühl aber, daß sie, dem entsetzlichsten Verderben preisgegeben, in schmachvollen Fesseln schmachten, die freie Tochter der Wälder eine Sklavin – nein – nein – Leben wäre da Wahnsinn. – Aber ich muß fort – die kostbare Zeit verfliegt – Duxon hat sich mit Ihrem Vater gezankt und will fort; die ganze Ansiedlung spricht davon, wie er ihn betrogen und sich in den wenigen Jahren, die er hier sei, ein Vermögen gewonnen, er wird deshalb nicht säumen, das in Sicherheit zu bringen, und geht er zu Schiffe, vielleicht nach New-Orleans, dann wäre es unmöglich, den Einzelnen in der ungeheueren Stadt wiederzufinden. Doch jetzt meine Bitte, wollen Sie sich Saisens annehmen?«

»Wie kann ich es?« erwiederte mit ängstlich gefalteten Händen Gabriele – »Sie ist Duxon's Eigenthum.«

»Ich weiß es, aber Sie haben vielen Einfluß auf Ihren Vater, selbst auf jenen Buben; es ist die Gewalt, die stets die Tugend über das Laster übt, die Scheu, die der Böse dem Guten gegenüber nicht überwinden kann. Dringen Sie darauf, daß Saise ihm heute noch nicht ausgeliefert werde, oder daß sie, wenn Sie das nicht verhindern können, diese Nacht noch bei Ihnen, oder wenigstens unter dem Schutze jener alten Negerin zubringe.«

»Sie wollen sie entführen?« frug Gabriele bestürzt.

»Nein,« sagte St. Clyde düster, »ihr Kaufbrief würde in den Händen jenes Buben, Saise aber in dem Gedanken daran stets elend bleiben; nein – ich muß den Brief in meine Gewalt bekommen; die Gesetze wollen mir nicht beistehen, so mag Gott es thun. Versprechen Sie Saisen so lange zu beschützen?«

»Ja,« flüsterte Gabriele und reichte ihm mit abgewandtem Antlitz ihre Hand – »und Sie wollen?«

»Saise retten oder – sterben,« erwiederte fest der junge Creole.

»Und dann – wenn Sie – wenn Saise die Ihrige ist? –«

»Such ich ein fernes Land, wo nicht Menschen wie Thiere verkauft und mißhandelt werden; ich stamme aus Frankreich – meine Familie soll zu den edelsten des Landes gehören; dorthin kehre ich zurück.«

»Mit Saise?«

»Mit meinem Weibe.«

»So leben Sie wohl, St. Clyde, leben Sie wohl; möge Gott Sie schützen und schirmen!«

Sie rief's und eilte schnellen Schrittes zum Hause zurück. Auf der Stelle aber, wo sie gestanden, lag die weiße Rose, die noch eben an ihrer Brust geruht. St. Clyde hob sie auf, küßte sie, barg sie an seinem Herzen, eilte dann zu seinem Pferd, schwang sich in den Sattel und sprengte in schnellem Galopp die Straße am Strom hinauf. Dort aber angelangt, hielt er sich nicht länger auf, als nöthig war die gewöhnliche Flatbootfähre in Stand zu setzen, um ihn und sein Roß ans andere Ufer zu bringen, und bald schwamm das kleine Boot, von vier rüstigen Armen getrieben, auf der breiten Fläche des gewaltigen Stromes dem östlichen Ufer zu.

»Sind gestern Indianer auf dieser Fähre übergesetzt?« frug er nach einer Weile den älteren der Beiden, der der Eigenthümer des Fahrzeugs zu sein schien.

Dieser sah ihn an und lachte.

»Nein,« sagte er, »habt Ihr schon einmal davon gehört, daß sich ein Indianer auf einer Fähre übersetzen läßt? ich nicht; das Geld können sie besser gebrauchen; dafür giebt's Whiskey, und wo das rothe Volk für den Zweck einen Cent ersparen kann, da quält es sich lieber tagelang auf seine eigene Art – das heißt nicht etwa mit Arbeit.«

»Also sie sind nicht hier herüber?« frug St. Clyde erschreckt.

»Doch, allerdings,« entgegnete ihm der Jüngere, »nur nicht auf der Fähre – sie saßen Alle in zwei kleinen Canoes, die sie mit von drüben herübergebracht, und ließen ihre Pferde am Zügel oder Stricken hinterherschwimmen.«

»Und glaubt Ihr, daß ich sie finden werde?«

»Ich sollte nicht denken, daß es schwer halten wird. Sie hatten, wie mir Ben sagte, der von oben herunterkam, eine große Menge Whiskeyflaschen bei sich, und da sind sie heute wahrhaftig nicht mehr auf die Jagd gegangen. Ein kleines Stückchen weiter oben landeten sie, und wenn Ihr Euch nur zu dem Haus dort, was Ihr da durch die Weiden und Baumwollenholzbäume schimmern seht, bemühen wollt, so denk ich, werden sie Euch da wohl auf die rechte Spur bringen.«

Das Boot legte sich in diesem Augenblick am Ufer an, St. Clyde führte sein, vorsichtig mit den Hufen nach festem Grund suchendes Pferd hinaus, drückte dem Jüngeren, der ebenfalls ans Land gesprungen war, um mit dem Tau die Fähre zu halten, das Ueberfahrtsgeld in die Hand, schwang sich in den Sattel und trabte rasch dem nicht fernen niederen Wohngebäude zu, das, dicht am Fluß errichtet, für den Augenblick noch von hohem üppigen Waldwuchs umgeben war, aus welchem aber der neue Ansiedler gerade die künftigen Mittel seiner Existenz – Klafterholz für Dampfboote heraushauen wollte.

Der Backwoodsman stand in der Thür.

»Guten Tag, Sir,« rief ihm St. Clyde entgegen, »habt Ihr Nichts von den Indianern gesehen, die gestern, unfern von hier, übersetzten?«

Jener horchte, ohne ein Wort auf die Frage zu erwiedern, in den Wald hinein und verharrte in dieser Stellung wohl mehre Minuten. St. Clyde jedoch, der glauben mochte, daß er seine Frage ganz überhört habe, wiederholte dieselbe und bat um Antwort. Wie aus Stein gehauen blieb aber der Amerikaner stehen, bis der junge Mann endlich ein ungeduldiges »aber Sir« nicht länger zu unterdrücken vermochte.

»Könnt Ihr einen Mann finden, wenn er im Walde sitzt und schreit, was aus der Kehle will?« kam jetzt die Gegenfrage, das ziemlich sichere Zeichen des Neuengländers.

»Wenn ich nahe genug bin, es zu hören, warum nicht?« rief der Creole unmuthig; »aber ich frug Euch, ob Ihr die Indianer –«

»Dort, drin im Walde schreien sie,« sagte der Amerikaner trocken und deutete mit seiner kurzen, aus Schilf geschnitzten Tabackspfeife einen schmalen Kuhpfad entlang, der gerade in das Dickicht hineinlief.

»Die Indianer?« frug St. Clyde erstaunt.

»Ahem!« nickte jener und fuhr dann, ohne des Fremden weiter zu achten, mit Rauchen fort. Der Creole aber, der jetzt einen Augenblick in den stillen Wald hineingelauscht hatte, glaubte ebenfalls wild verworrene Töne zu hören, rief dem Manne einen kurzen Dank zu und sprengte, so schnell es ihm das ziemlich dichte Unterholz gestattete, auf das Toben zu, das immer lauter und deutlicher zu ihm herüberschallte. Nach kurzem Ritt erreichte er eine Waldblöße, dicht am Rande eines kleinen seeartigen Sumpfes, der durch die Ueberschwemmung des Mississippi zurückgeblieben und noch nicht ganz wieder ausgetrocknet war, und sah hier ein so pittoreskes als eigenthümliches Schauspiel vor sich.

Auf dem üppigen Grasboden ausgestreckt, von einem Halbkreis glimmender, qualmender Feuer umgeben, deren Rauch über sie hinzog und dazu dienen sollte, die unzähligen auf sie einstürmenden Musquitos abzuhalten, Manche mit, Andere ohne ihre Jagdhemden, jeder aber eine ziemlich geleerte Whiskeyflasche in der Hand, lagen jubelnd und schreiend, alte Schlacht- und Kriegslieder und neu gelernte französische und englische Melodien mehr brüllend als singend, sieben rothhäutige Jäger unter den riesenhaften, himmelanstrebenden Baumwollenholzbäumen der Niederung und der Eine, der der Führer der Bande und noch am nüchternsten zu sein schien, hatte zum Tactstock sein spitzes Scalpirmesser genommen, und stach damit fortwährend in ziemlich regelmäßigen Zwischenräumen in den grünen Rasen, auf dem er, das Antlitz den luftigen Wipfeln zugekehrt, lag, während ihn die Uebrigen nicht allein mit ihren Stimmen, sondern auch, ziemlich Alle in derselben Stellung oder Lage, mit Hacken und Faust accompagnirten; jeder natürlich seiner eigenen ohrenzerreißenden Melodie dabei folgend.

Der Führer der Bande entdeckte, wie es schien, den Fremden zuerst; ohne sich aber weiter zu regen, als nöthig war, ihn mit einem flüchtigen Blick von oben bis unten zu messen, hielt er ihm, während ein mattes, trunkenes Lächeln seine Züge überflog, die Flasche entgegen und stammelte:

»Hier – Fremder – hier – trin – trinkt einmal!«

»Großer Gott!« stöhnte St. Clyde, erschüttert auf die halbbewußtlosen Gestalten der Wilden blickend, »großer allmächtiger Gott – sind das die Menschen, von denen ich mir Hülfe versprach? – Verloren – verloren – Alles – Alles verloren!«

Er bedeckte sein Gesicht mit den Händen und saß mehre Secunden lang in stillem, sprachlosem Schmerz versunken.

»Trinkt – dam it,« rief der Führer noch einmal – »denkt Euch zu gut mit Indian aus einer Flasche zu trinken, mit armen Indian, eh? Armer Indian ist großer Häuptlings Sohn – go to Hell!« Er sank wieder zurück an die Wurzel des Baumes und begann seinen Gesang von Neuem.

Der Creole sprang vom Pferde und schritt mit untergeschlagenen Armen und fest auf den Boden gehefteten Blicken neben den trunkenen Jägern auf und ab, während der wilde Führer mit gläsernen stieren Augen zu dem grünen Waldesdom emporblickte und die Verse eines indianischen Schlacht- oder Siegesliedes sang:

Ich erschlug den Häuptling der Muskokee;
Sein Weib – dort am Stamme verbrannt' ich sie,
Und bei den Hinterbeinen darauf
Hing ich den Lieblingshund ihm auf.
 Huh – huh – huh, vom Muskokee
 Wah, wah, wah, den Scalp hier sieh!

Bei dem Namen der Muskokee blieb St. Clyde lauschend stehen – er wußte, daß die Riccarees, selbst noch in letzterer Zeit, manche blutige Schlacht mit diesem Stamme geschlagen hatten; aber auch die Chocktaws und Muskokees bekämpften sich – das Kriegslied mußte von diesen sein; dennoch wandte er sich an den jungen Häuptling und sagte:

»Welchem Stamm gehörst Du an, bist Du ein Chocktaw?«

Der Indianer sang, ohne die Frage zu beachten, weiter –

Ich streift' ihm den Schädel ganz nackt und baar,
Und hier ist sein Scalp, mit der Scalplockehaar,
Sein Fleisch ist in des Panthers Magen,
Seine blutigen Knochen die Wölfe nagen,
 Huh, huh, huh, vom Muskokee,
 Wah, wah, wah, den Scalp hier sieh!

»Bist Du ein Chocktaw, Indianer?« frug der Creole jetzt dringender, indem er sich zu ihm niederbog und die Hand auf seine Schulter legte; »rede – bist Du ein Chocktaw?«

Der Wilde murmelte einen nur halbverständlichen Fluch und fuhr fort:

Seine Sehnen brauch ich zur Bogenschnur,
Wenn ich folge der einzelnen Feinde Spur,
Und es zittert der weibische Muskokee,
Wie ein Rohr im Orkan, vor dem Riccaree
 Huh, huh, huh, vom Musko –

»Was beim Teufel habt Ihr?« unterbrach er sich da plötzlich selbst, als St. Clyde, bei der Nennung jenes Stammes überrascht, mit dem Ausruf freudigen Erstaunens: »Ha! Riccaree! – Ihr seid ein Riccaree!« emporzuckte.

»Ihr seid ein Riccaree?« wiederholte er dann nach kurzer Pause noch einmal.

»Nun gut – was soll's?« war die kurze Antwort des Indianers, der sich indeß bestrebte, die durch die Unterbrechung verlorene Melodie wiederzufinden, während er gedankenlos dazu mit den Füßen auf dem Grasboden trommelte.

»So müßt Ihr mit mir kommen und ein Kind Eures Stammes retten, das sich in dringender Gefahr befindet.«

»Mein Stamm ist in Missouri,« murmelte der rothe Sohn der Wälder und summte dann wieder leise vor sich hin:

Seine Sehnen brauch ich zur Bogenschnur,
Wenn ich folge der flüchtigen Feinde Spur –

»Aber sie haben es geraubt!« rief St. Clyde in Verzweiflung. »Mensch, hat denn dieser teuflische Whiskey Deine ganzen Sinne verbrannt, daß Du kein Mitleiden, kein Gefühl mehr hast?«

»Keinen Whiskey mehr hast?« wiederholte mit lallender Zunge der Jäger – »nein – nichts mehr, nur ein bischen – gebt welchen.«

»Ha,« sagte der Creole, von einem glücklichen Gedanken ergriffen, »Du sollst Whiskey haben, ein ganzes Faß voll, aber komm jetzt mit mir und stehe mir bei.«

»Faß voll Whiskey?« murmelte der Indianer, sich halb aufrichtend - »ganz Faß voll?« Der Gedanke war zu großartig für ihn, er vermochte nicht ihn auf einmal zu fassen. Das Chor der Gefährten brach zuletzt wieder in einen so brüllenden Schlachtschrei aus, wobei sie mit den Armen wild in der Luft herumfochten, daß ein alter Alligator, der sich kaum hundert Schritte von ihnen entfernt auf einem im Wasser schwimmenden Stamme sonnte, erschreckt emporsah und dann geräuschlos in das ruhigere Element zurückglitt.

»Faß voll Whiskey?« wiederholte der Indianer nach langer Pause. »Viel Whiskey das – kommt!« und er versuchte sich, wenn auch vergebens, emporzurichten.

Der Creole unterstützte ihn nun zwar und brachte ihn mit genauer Noth dahin, daß er aufrecht stehen blieb; was aber half ihm das? Was sollte er mit dieser bewußtlosen Masse von Gier und roher Sinnlichkeit beginnen? War das der Mann, der ihm helfen konnte die Geliebte zu befreien? Er ließ ihn los und der junge Häuptling taumelte, mit auf die Brust gesenkter Unterkinnlade, an den nächsten Baum an.

»Arme Saise!« seufzte St. Clyde.

»Ais?« stammelte der Indianer mit schwerer Zunge – »Ais? Wer spricht von Nedaunis-Ais? Sie ist todt – Whiskey will ich – Whiskey!«

»Whiskey!« jubelte die Bande, die das letzte laut ausgestoßene Wort vernommen – »Whiskey, hupih!«

»Nedaunis-Ais? Du kennst sie?« rief der Creole und sprang auf den Taumelnden zu.

»Laßt mich oder ich stoße Euch Eisen in Leib,« knurrte der Wilde – »dam you

»Nedaunis-Ais lebt,« donnerte aber Jener, die Drohung nicht achtend, fort – »sie lebt und Du sollst mir helfen, sie zu retten –«

»Lebt? retten? wo?« rief der Trunkene, jetzt augenscheinlich bemüht, den klaren Sinn der Worte zu fassen, während seine starren Augen fest auf dem Fremden hafteten.

Mit kurzen Worten erzählte nun St. Clyde dem aufmerksam Lauschenden die Geschichte der Indianerin, während dieser mit fest gegen die Schläfe gepreßten Händen dastand und jede Sylbe von seinen Lippen sog. Endlich aber, als er anfing zu begreifen, um was es sich handele, und als das Schicksal der Unglücklichen in klareren, entschiedneren Farben vor ihm auftauchte, da faßte er, von Grimm und Wuth entbrannt, die Flasche, die, noch immer ein Drittheil gefüllt, neben ihm lag und schmetterte sie mit wildem Wurf gegen den nächsten Stamm.

»Gift – Gift – Gift!« schrie er dabei – »die Schwester verkauft und ich trunken – Gift – Gift, der Weißen Feuerwasser – Gift – Whiskey!«

»Whiskey! hupih!« jubelten die von der Schaar, die noch Besinnung genug übrig behalten hatten, die letzten Worte zu verstehen.

»Aber, halt – halt!« rief der junge Indianer plötzlich, indem er sich die langen, schwarzen Haare aus der Stirn strich, »noch ist nicht zu spät – noch ist Zeit« – und sein Jagdhemd und seine Leggins abwerfend, sprang er mit einem Satz von dem, an dieser Stelle mehre Fuß hohen Ufer in das Wasser hinab, tauchte mehrmals unter und kam dann ans Land geschwommen. Hier lief er, ohne sich die Mühe zu nehmen, seine Sachen erst wieder anzuziehen, in den Wald hinein, aus dem er nach kaum einer Viertelstunde auf dem Rücken eines kleinen schnaubenden Poneys zurückkehrte. Seine Kleider und Waffen waren bald zusammengerafft und fast eher noch, als der Creole sein Pferd besteigen konnte, winkte er ihm schon zu folgen.

»Aber Deine Kameraden,« sagte St. Clyde jetzt, »was können wir zwei allein ausrichten!«

»Komm,« sagte der Sohn der Wälder, »komm; willst Du bis morgen bleiben, um sie mit lallender Zunge sprechen zu hören – mehr Whiskeymehr Whiskey? Es sind Chocktaws – ich muß fort – Du kommst mit – wir zwei genug –«

Er wartete gar keine weitere Antwort seines Begleiters ab, sondern sprengte mit verhängten Zügeln dem Mississippi zu, warf sich hier noch einmal in die Flut, die Wirkung des Feuertranks zu vernichten, und holte dann, nachdem er seine wenigen Kleidungsstücke wiederangelegt, ein verborgen gehaltenes Canoe aus dem Gebüsch. St. Clyde mußte sich in die Mitte desselben setzen, und an beiden Seiten eines der Pferde mit dem Zügel unterstützen, während er selbst das Boot schnell und geschickt über den breiten reißenden Strom ruderte.

So lange aber war St. Clyde, zuerst von dem Indianer und dann durch das Ueberfahren aufgehalten worden, daß die Sonne schon unterging, als sie eben das westliche Ufer erreichten, und der Creole mußte nun die Leitung übernehmen, und führte den so zufällig gefundenen Bruder Saisens zu dem Richter. Unterwegs erzählte ihm dabei Wetako, der Name des Riccaree, daß er damals seine entführte Schwester verfolgt und den schändlichen Räuber auch eingeholt und erschlagen habe, vergebens aber war sein Monate langes Umherstreifen gewesen, eine Spur der Geraubten selbst zu finden, die durch die teuflische List jenes Buben seinem rettenden Arm entzogen worden. In Verzweiflung darüber hatte er sich endlich einer Schaar von Chocktaws angeschlossen, die in den Wäldern Louisianas jagten und das erlegte Wild in die benachbarten kleinen Städte schafften. Durch Lebensüberdruß und Schmerz aber gleichgültig gegen Alles gemacht, was er sonst hoch und theuer hielt, ergab er sich dem Trunk und folgte dabei nur dem Beispiel seines ganzen unglücklichen Stammes.

Das doppelte Bad und der jähe Schreck der theils freudigen, theils schlimmen Nachricht von dem Leben und der Noth seiner Schwester hatte aber jede Spur von Rausch verdrängt; der Indianer, der kalte, besonnene Wilde war wieder in ihm erwacht, und mit schnellem Blick übersah er die Gefahren, die das Wesen, das er auf Erden am meisten liebte, bedrohten. Zwar kannte er nicht die Gesetze der Weißen, aber er wußte, wie schwer, ja wie für einen Indianer fast unmöglich es sei, etwas zurückzuerhalten, auf das sie erst einmal ihre Hand gelegt, und schien auch von vorn herein gar keinen andern Gedanken gehabt zu haben, als Saise durch List oder Gewalt zu retten; beides galt ihm gleich, so es nur zum Ziele führte.

Dunkele Nacht war's, als sie das Haus des Richters endlich erreichten; wichtige Veränderungen schienen aber in den wenigen Stunden vorgegangen. Von den Grenzen des nördlich liegenden Mississippistaates herüber hatten sich einzelne Constabel eingefunden, die einen Pflanzer wie seinen Helfershelfer verfolgten. Bis nach Waterloo mußten die Flüchtigen auch zusammengeblieben sein, von da an schienen sie sich aber getrennt zu haben, und zwei der Nachgesandten jagten am Ufer des Flusses hinab, dort alle Anstalten zu treffen, ihre weitere Flucht aufzuhalten, während die Uebrigen der allerdings stärkeren Spur stromauf folgten, um die Entflohenen wo möglich daran zu verhindern, sich in das Innere des Landes zu wenden und die texanische Grenze zu erreichen.

Des Richters Verdacht aber, dem ebenfalls Meldung geworden, war augenblicklich auf den Fremden gefallen und er hatte noch spät am Nachmittag Boten an den Fausse Riviere gesandt, um diesen jetzt, nicht wegen der Indianerin, sondern als Ausrede auf den Verdacht hin mit jenen Negerdieben im Bunde zu stehen, verhaften zu lassen. Dadurch hoffte er zu gleicher Zeit der Wahrheit auf die Spur zu kommen, ob Saise Sklavin oder nur schändlich ihrem Stamme geraubt sei.

St. Clyde drang nun darauf, einen Aufschub der Auslieferung Saisens zu erhalten, wozu sich der Richter jetzt ebenfalls gern bereit zeigte, nur mußte dazu die Rückkunft des Deputysheriffs erwartet werden, da der Obersheriff stromauf, die beiden Constabel aber stromab beschäftigt waren, und der Creole sah sich zu seinem größten Verdruß gezwungen, dessen Ankunft zu erharren. Zwar erbot er sich, das Schreiben selber mit hinüber zu nehmen; das wäre aber nicht rechtskräftig gewesen und der Richter vertröstete ihn damit, wie die wenigen Stunden sicherlich keinen Unterschied machen würden, da er ja trotzdem noch mit Tagesanbruch an dem Fausse Riviere sein und das arme Mädchen vor dem Fortschleppen in die Gefangenschaft bewahren könne. Aber der Deputysheriff kam nicht – Stunde auf Stunde warteten sie und ängstigten sich, und der Richter rief endlich verdrießlich:

»Die Pest über den Burschen – ich werde mich noch gezwungen sehen darauf anzutragen, daß der Sheriff diesen liederlichen Fritz Haydt entläßt; es ist gar nichts mehr mit ihm anzufangen; er trinkt sich voll, läßt sich von den Mulattinnen an dem Fausse Riviere zum Narren haben und versäumt dann seine Pflicht.«

»Ich will ihm entgegengehen,« bat St. Clyde, »vielleicht zögert er unterwegs –«

»Das würde Ihnen wenig helfen,« meinte der Richter, »denn wenn er zögert, so finden Sie ihn nicht, seine Vergnügungsörter hält er ziemlich geheim. Kommt er aber nicht bis morgen früh, so reite ich selbst mit Ihnen hinüber und dann machen wir die Sache gleich zusammen ab.«

In Angst und peinlicher Erwartung verbrachten sie die Nacht, und nur der Riccaree konnte nicht begreifen, weshalb sie eigentlich zögerten, und wollte fortwährend aufbrechen, die Schwester zu befreien und zu rächen.

Da – es mochte zwei Uhr vorüber sein und das Schweigen der Frösche verkündete den nahenden Morgen – klopfte etwas mit heftigen Schlägen an die Thür der Wohnung; der wachthaltende Sklave öffnete, und die Treppe herauf stürmte nicht der Deputysheriff, sondern der Constabel, mit wenigen Worten jetzt meldend, daß, sicherer Kundschaft zufolge, jener Pitwell der besoldete Entführer der sämmtlichen Plantagenneger sei, und auch an dem Fausse Riviere nicht mehr gefunden werden könne. Aber Beaufort's Overseer müsse ebenfalls mit ihm unter einer Decke stecken, denn auch er sei, wahrscheinlich gewarnt, mitten in der Nacht nebst der erst angekauften Indianerin aufgebrochen, die ihm aber keineswegs gutwillig gefolgt, sondern in einer gewöhnlichen Negerkette forttransportirt wäre.

»Wah! –« rief Wetako, von der Erde emporspringend, auf der er niedergekauert bis jetzt gesessen hatte – »fort – fort – wir müssen fort.«

Auch St. Clyde griff nach seinem Hut und wollte ihm folgen; der Richter trat ihnen aber in den Weg und bat sie noch einen Augenblick zu verweilen. Dann stellte er ihnen vor, wie sie durch Gewalt wenig oder gar nichts ausrichten könnten, bis nicht eine hinlängliche Anzahl von Pflanzern versammelt sei, die ihnen dann gemeinschaftlich folgen müßten; das würde aber natürlich wenigstens bis morgen Mittag dauern, und er wolle sie deshalb zugleich bitten, ihre Kräfte mit denen seiner Constabels zu vereinen, um alle Pflanzungen so schnell wie möglich von dem Vorfall in Kenntniß zu setzen. Werde die Rettung auch dadurch um wenige Stunden verzögert, so sei sie aber auch mit so viel mehr Gewißheit vorauszusehen. – Davon wollte aber weder der Creole noch der Indianer hören.

»Nein,« rief der Letztere, »Nedaunis-Ais in Ketten, und Wetako mit Messer und Büchse auf der Spur – wir wollen fort!«

»Um Gottes willen – begeht keinen Mord!« rief der Richter ihnen erschrocken nach – »Ihr kennt unsere Gesetze nicht – lebenslange Kerkerstrafe wäre die Folge.«

Der Indianer lächelte grimmig vor sich hin, als er die Worte hörte.

»Warum sperrt Ihr denn den Panther nicht ein, der Nachts Eure jungen Pferde raubt?« höhnte er – »Wetako ist ein Mann und seine Fährten sind tief. Folgt ihm, wenn Ihr könnt!«

Er sprang rasch in den Sattel, der Creole ebenfalls, noch einen Gruß warf der Letztere zu dem dabei auch ihn ängstlich warnenden Richter hinauf, und fort flogen sie in gestrecktem Galopp die Straße entlang und dem Orte zu, von wo aus der Overseer aufgebrochen, um dort zuerst die Spur aufnehmen zu können.

Schon rötheten die ersten Sonnenstrahlen das dunkelgrüne Laub der rauschenden Cypressen, als die Reiter Beaufort's Plantage erreichten; hier war aber Alles in Aufruhr. Aus fast sämmtlichen benachbarten Ansiedlungen hatten sich die Pflanzer, mit Doppelflinten, Messern und Harpunen bewaffnet, eingefunden und eine Abtheilung sollte schon, wie St. Clyde hörte, vorausgesprengt sein, die Flüchtigen wenigstens aufzuhalten. Die beiden Männer verweilten aber kaum lang genug hier, nur das Nothwendigste zu erfahren, frugen schnell, welchen Weg die Gig des Overseers genommen, und stürmten dann wie dunkele Rachegötter hinterdrein.

Eben diese Gig war aber die Ursache gewesen, daß man auf der Plantage, früher als es Duxon gehofft, Verdacht schöpfte, da er seine Sachen noch an demselben Tage, unter der Adresse eines texanischen Handelshauses und mit einem gerade dort anlegenden Dampfboot, nach Houston gesandt hatte. Einzelne der Neger, die er sonst stets grausam und unmenschlich behandelt, meldeten dem Herrn ihre Vermuthungen, wie auch, daß eine gewisse Anzahl ihrer Mitsklaven, von denen die meisten des Overseers Spione gewesen, ebenfalls vermißt würden und allem Anschein nach entflohen wären.

Duxon war überdies noch am vorigen Tage genöthigt gewesen, seine neuangekaufte Sklavin in der Obhut der alten Negerin zu lassen, da Gabriele fest darauf bestanden, und er durch zu starres Weigern Verdacht zu erregen fürchtete. Dies hielt in der Nacht seine Flucht auf, die er, durch einen Boten Pitwell's gewarnt, beschleunigen mußte, und so kam es denn, daß er, noch mehre Meilen von dem Versammlungsort entfernt, die gut berittenen Verfolger in voller Hetze hinter sich hörte. Kaum vernahm er aber die nachdonnernden Hufe auf der hartgetretenen Straße, als er, schnell das Bett eines kleinen, ebenfalls trockenen Baches benutzend, von dem Wege abbog. Die Neger waren nämlich schon auf Pferden, die sie ihrem Herrn oder den Nachbarn geraubt, der ihnen bezeichneten Gegend zugesprengt, und Duxon hatte gehofft sie schnell genug einholen zu können. Für den Augenblick gelang ihm auch diese Kriegslist vollkommen, denn die Pflanzer, wenig damit vertraut einer Fährte zu folgen, bemerkten die Abweichung der Wagenspuren nicht eher, bis es zu spät war, und folgten dann der ihnen durch die Neger selbst verrathenen Richtung, weil sie nicht umkehren wollten, die Zeit zu versäumen. Am Versammlungsort mußten sie ja später doch Aller habhaft werden.

Duxon nun, mit jedem Fußbreit Landes in diesen Waldungen und Sümpfen vertraut, wußte, daß er, wenn er dem Rande eines kleinen Dickichts folge, eine ziemlich offene Holzung finden und nur mit den hindernden Wurzeln der Cypressen zu kämpfen haben würde. In kaum einer Viertelmeile von da durchschnitt aber eine andere, ebenfalls nach dem Cutoff[8] hinaufführende Straße den Sumpf, und sobald er diese erreichte, mußte ihn das aus der Spur aller Verfolger bringen.

[8]: Eine Biegung des Mississippi ist so genannt, wo sich dessen Strömung eine neue, nähere Bahn gebrochen hat.

Auf einen Widerstand aber hatte er nicht gerechnet, auf den Saisens. So lange er sich nämlich in der Straße hielt, gab die Unglückliche noch immer nicht die Hoffnung auf, von dem Geliebten, denn auch sie hing mit ganzer Seele an dem jungen Creolen, eingeholt zu werden; jetzt aber, als sie sich, nur von den rauschenden Bäumen des Waldes umgeben, ganz in der Gewalt des Menschen fand, den sie, seit sie ihn zum ersten Mal gesehen, auch gefürchtet und verabscheut hatte, da glaubte sie ihr Schicksal besiegelt, und versuchte nun mit verzweifelter Anstrengung ihre Ketten zu zerreißen und sich zu befreien.

»Sitz' still, zum Teufel!« brummte der Overseer, ohnedies nicht in der besten Laune, »oder ich klopfe Dir den Peitschenstiel auf den Schädel, daß Du Dich ruhig verhältst – hörst Du?«

Saise hielt einen Augenblick erschöpft inne, dann aber, auf's Neue ihre letzte Kraft versuchend, gelang es ihr, wenn auch nicht ihre Ketten, doch die Bande zu zerreißen, die ihre Hände niederhielt. In demselben Augenblick befreite sie sich auch von dem Knebel, den ihr der Bube der Vorsicht wegen angelegt hatte, und stieß nun, von Angst und Verzweiflung getrieben, einen Hülfeschrei aus, der so laut und plötzlich in die Ohren des vor die Gig gespannten Poneys dröhnte, daß dieses entsetzt zur Seite prallte und waldeinwärts rannte. Duxon aber, durch den Hülferuf Saisens ebenfalls erschreckt, konnte ihm nicht schnell genug in die Zügel fallen, ja diese entglitten sogar seiner Hand, und im nächsten Augenblick schnellte auch schon das leichte Fuhrwerk mit einem Rad an einer der Cypressenwurzeln hinauf und schlug, den Herrn wie seine Sklavin in ein benachbartes Dickicht schleudernd, um.

Zorn und Rache im Blick sprang der Bube empor, das Poney nahm aber zuerst seine ganze Aufmerksamkeit in Anspruch – die Gig enthielt Alles, was er an Vermögen besaß, und wenn ihm das Pferd entlief, war er verloren. Dem wild Stampfenden fiel er daher rasch in die Zügel, riß es auf die Hinterbeine zurück, daß sich der weiße Schaum mit dem Blut des wundgerissenen Maules vermischte, und richtete dann, während das erschreckte Pferd zitternd stille stand, mit riesiger Kraft die Gig wieder empor.

Nun aber wandte sich auch seine ganze Wuth gegen die Ursache dieses Unfalls, denn Saise, von dem Sturz erst fast betäubt, hatte sich jetzt wieder gesammelt und ließ auf's Neue den gellenden Hülferuf erschallen.

»Donner und Tod!« schrie er, flog auf die Zurückspringende zu und führte mit der umgekehrten und mit Blei gefüllten Peitsche einen Schlag nach ihrem Kopfe, der ihr denselben zerschmettert haben würde, wenn er sie traf; die gefesselten Arme aber emporhebend, fing sie den Streich auf, der an den Kettengliedern unschädlich niederstreifte.

Duxon wollte den Schlag wiederholen, da tönte, wohl noch in weiter Ferne, aber klar und deutlich ein scharf ausgestoßener, wilder Laut durch den stillen Wald – er hielt ein, um zu horchen, Saise aber schien in diesem Augenblick wie aus Stein gehauen, so starr und regungslos blickte sie nach jener Gegend hin, von woher der Ruf geklungen.

»Ha, da kommen ihrer mehr, aber sie sind auf der Straße,« murmelte der Overseer vor sich hin; »Pest und Gift, die Sache wird gefährlich; komm, mein Täubchen, und sei jetzt vernünftig, der erste Schrei, den Du wieder ausstößt, ist Dein Tod!« Und mit den Worten bückte er sich, ergriff das einer Statue ähnliche Mädchen und wollte sie in das wieder geordnete Fuhrwerk tragen; bei seiner Berührung erwachte aber auch in dieses das, durch jenen Ruf fast erstarrte Blut; mit aller Gewalt, deren sie fähig war, schwang sie die leichte Kette, die ihre Handgelenke gefesselt hielt, empor und schlug sie gegen den Kopf ihres Räubers nieder, daß dieser sie halbbetäubt losließ und zurücktaumelte. Wieder aber erschallte da lauter und dringender als zuvor der Hülferuf der Unglücklichen, und Duxon, jetzt, durch Schmerz und Wuth zum Aeußersten getrieben, hörte kaum das antwortende und näher kommende Signal, als er auch sein breites Messer aus der Scheide riß, auf die entsetzt Zurückzuckende lossprang und ihr mit fest auf einander gebissenen Zähnen den scharfen Stahl in die Brust stieß.

Zum Tode getroffen taumelte Saise nieder in das gelbe Laub, Duxon aber flog mit wilden Sätzen zum Wagen, riß eine große Brieftasche heraus, die er unter seiner Weste barg, schnitt die Stränge des Poneys durch, warf sich die Doppelflinte auf die Schulter, sprang auf das Pferd und verschwand im nächsten Augenblick im Dickicht.

Kaum hatten sich aber hinter ihm, auf der einen Seite des kleinen freien Platzes die Büsche geschlossen, als auch schon an der anderen zwei Reiter auf schäumenden Rossen hervorbrachen, doch hier, wie von einem Blitzstrahl getroffen, entsetzt in ihre Zügel griffen. Sie hielten mehre Secunden an. Während sich dann aber der Eine mit wildem Schmerzesschrei aus dem Sattel und neben dem blutenden Körper des holden unglücklichen Mädchens niederwarf, hob sich der Andere auf dem Rücken seines Thieres zu seiner vollen Höhe empor und lauschte mit wild stieren, glanzlosen Augen in den Wald. Plötzlich mußte ein fernes Geräusch sein Ohr getroffen haben, denn ohne die Ermordete weiter eines Blickes zu würdigen, stieß er dem ängstlich vor dem Geruch des Blutes zurückschaudernden Thier die Hacken in die Seite, setzte mit diesem über das im Wege stehende Gig hinweg und folgte, lautlos zwar, aber mit Tod und Verderben sprühenden Blicken dem flüchtigen Mörder.

Keine Sylbe kam über die zitternden Lippen, keinen Blick verwandte er von der Spur in der weichen Erde, rasch, mit dem Zügel des Pferdes in der einen, der Büchse in der andern Hand, flog er dahin durch den dichten Wald, und kaum konnte er fünfhundert Schritte gesprengt sein, als er den Feind ansichtig wurde, der eben damit beschäftigt war, einen der in dem Gebüsch hängen gebliebenen Stränge loszuhauen, was seine Flucht kurze Zeit aufgehalten.

Duxon schaute sich um und erkannte in der reißend schnell näherkommenden Gestalt einen Indianer, war aber im ersten Augenblick wirklich ungewiß, ob oder ob er nicht einen Feind in ihm zu fürchten habe, denn er selbst hatte nie mit Nachkommen jener wilden Stämme verkehrt und wußte, daß sie sich selten dazu hergeben, die Streitigkeiten der Weißen untereinander auszufechten. Als aber eben der Gedanke an die gemordete Jungfrau, die ja auch jenem unglücklichen Volke angehörte, sein Hirn durchzuckte, sah er, wie der junge Indianer seinen Zweifeln schon ein Ende machte, denn er hielt plötzlich sein Pferd an, hob die Büchse, und der rothe Feuerstrahl zuckte durch das geheimnißvolle Dunkel des Urwalds.

Der Overseer fühlte sich verwundet, aber ihm blieb keine Zeit zum Nachdenken, der Rächer brauste heran. Zwar hob er selbst jetzt das Doppelrohr, diesen niederzuschießen, der vorausgeschleuderte Tomahawk traf jedoch seinen linken Ellbogen, und wenn sein Schuß auch in demselben Augenblick dem Rohr entfuhr, so erhielt doch dies dadurch eine falsche Richtung; nur einzelne Schrote streiften Wetako's Schulter und ehe der sich seiner Schuld bewußte Mörder den zweiten Hahn spannen konnte, flog der Rächer herbei; der Schlachtruf des Riccarees schallte gellend durch den Wald, das Bowiemesser zischte nieder, und heulend brach der Elende zusammen.

Das bleiche Haupt der Geliebten an seiner Schulter, kniete indessen der junge Creole neben dem verblutenden Körper des schönen, unglücklichen Mädchens. Wohl hatte er schnell und vorsichtig die weite, klaffende Wunde verbunden, aber es war zu spät und der Todesstoß ihr ins innerste Leben gedrungen. Er hörte das Vorbeistürmen der Verfolger, die aus allen Theilen der Gegend herbeiströmten, den Negerraub zu verhindern, er hatte den Schlachtschrei des Riccaree vernommen, aber er achtete es nicht, sein Auge hing an dem rothen entquellenden Lebensstrom des heißgeliebten Mädchens und Nacht – finstere Nacht ward es endlich vor seinen Blicken.

Als er sich wieder erholte, stand der Riccaree an seiner Seite; er hatte den Leichnam der Schwester in seine Decke eingehüllt und hob ihn, da er das Erwachen des Weißen bemerkte, vor sich auf das Pferd.

»Wetako – was willst Du thun?« rief der Creole, erschrocken emporfahrend – »wo willst Du hin?«

»Will dem Stamme der Riccarees die Ueberreste von seines Häuptlings Tochter bringen,« sagte der junge Indianer mit düsterem Lächeln; »ich will sagen, es sei die Friedensgabe, die ihnen die Weißen senden. – Unser Land haben sie uns geraubt, hier ist Blut, das neue damit zu düngen – lebe wohl!«

»Und der Räuber?« frug St. Clyde, immer noch in halber Betäubung auf den blutigen Körper blickend, den jener im Arme hielt.

»Der Räuber?« höhnte der Riccaree, während er seinen hirschledernen Ueberwurf zurückschlug – »der gehört mein!« und der Creole erkannte mit Entsetzen, an dem Gürtel des Wilden, den blutigen Scalp des Erschlagenen. Ehe er aber noch ein weiteres Wort äußern konnte, schwang sich jener hinter der Leiche in den Sattel, stieß dem schnaubenden Thiere die Hacken in die Seite und war im nächsten Augenblick den Augen des Weißen entschwunden.

Die nachsetzenden Pflanzer hatten indessen den schurkigen Negerdieb, jenen Pitwell, eingeholt und mit der gewöhnlichen Schnelle, mit welcher alle dem ähnliche Verbrechen bestraft wurden, an den nächsten Baum gehangen. In seiner Brieftasche fanden sich übrigens hinlängliche Beweise, daß er diesen Tod zehnfach verdient, denn auch die reine Abstammung der Indianerin ward hier, durch einen Brief der Helfershelfer, außer allen Zweifel gesetzt. Als man aber später der Spur des Wagens folgte, um dem Overseer ebenfalls nachzusetzen, fand man die Zeichen des Kampfes, wie den kleinen Wagen selbst. Unfern von dort aber, bleich und starr an dem Stamm eines jungen Baumes gelehnt, lag, in der rechten Hand ein abgeschossenes Pistol, die Leiche des Creolen.

Herr Schultze.
Ein Märchen.

Die Zeit der Wunder ist vorüber und die Welt glaubt nicht mehr an das Ueberirdische, denn sie will Alles in nüchterner hausbackner Wirklichkeit haben, um es so recht aus Herzensgrund begreifen, das heißt betasten zu können. Kommt dann wirklich einmal etwas Geisterhaftes, zeigt sich einmal in stiller Mitternachtsstunde dem Einzelnen, dem Auserwählten, ein anständiges ordentliches Gespenst, so könnte dieser später bei allen Heiligen, und noch überdies Stein und Bein schwören, es glaubte ihm Niemand ein Wort davon. Entweder hieße es: »der gute Mann hat mit wachenden Augen geträumt,« oder die lieblose Bruder- und Schwesterschaar urtheilte vielleicht noch strenger und sagte am Ende gar: »Er ist ein Narr, daß er denken kann, vernünftige Leute sollten sich so etwas weiß machen lassen!«

Was um des Himmels Willen ist nun mit einer solchen Welt anzufangen? – Gar nichts.

In solch ähnlicher Verlegenheit befand sich vor noch nicht so langer Zeit der liebe Gott selbst. Auf der Erde, und besonders in den deutschen Bundesstaaten sah's in jeder Hinsicht windig und bös aus. Mit der Politik der Kammern waren allerdings die Kammerherrn und Kammerdiener, sonst aber auch Niemand zufrieden, die Religion drohte gleichfalls wieder eben aus Religion ganz irreligiös zu werden, denn selbst die Laien fühlten sich nicht mehr sicher als ganz gewöhnliche Menschen schlafen zu gehn und als Apostel wieder aufzustehen – und was die Ernten betraf, da hörte denn nun wirklich Alles auf. Einmal war es zu dürr, einmal zu naß, einmal fiel Mehlthau, ein anderes Mal Hagel, kurz es kam in jedem Jahr etwas Anderes, was die Getreidepreise hinauftrieb, Brot und Fleisch theuer machte und die Armen – i. e. solche, die nicht gewußt hatten reich zu werden – so bedrückte, daß des Betens und Bittstellens kein Ende mehr wurde und sich die Nothleidenden theils persönlich an ihn wandten, theils die armen Heiligen und Schutzpatrone bis auf's Blut plagten und peinigten.

Dazu kam nun noch, daß die Menschen wirklich anfingen ihm leid zu thun. Er hätte ihnen so gern geholfen! – Wie aber das anfangen? Die Gesetze der Natur konnte und wollte er deshalb nicht ändern, und das ungeheure Walten jener wirkenden und schaffenden Urkräfte zu stören, wäre, der Paar Erdenbewohner wegen, auch etwas viel verlangt gewesen. Aber es gab natürliche Mittel und die sollten hier helfen.

Nichts war einfacher als die Religion – er hatte das Ganze schon früher einmal dem Moses in einer Viertelstunde dictirt – in dieser Hinsicht hoffte er bald Frieden zu stiften; auch die Politik mußte in Ordnung gebracht werden – es waren ja Alles seine Kinder und wenn auch die Einen, wie das wohl die Geschwister häufig thun, die Anderen unterdrückt und sich die Sachen zugeeignet hatten, die gar nicht für sie allein bestimmt gewesen, so konnte das – und dazu hatte er ihnen ja eben die Vernunft gegeben, bald wieder geregelt werden.

Was denn endlich den vielen Mißwachs der Ernten betraf, so erzeugte die Erde selbst in ihrem Inneren Mittel gegen diese Uebelstände, denn sie trug und trägt ja in sich selbst den Keim, das Alles zu verbessern und zu seinem höchsten Grad der Vollkommenheit zu führen. Nun frug es sich nur, wie es möglich sei, dies den Menschen selbst bekannt zu machen, und auf welche Art es sich hoffen ließ von ihnen verstanden zu werden?

Durch eine feurige Schrift am Himmel? – Die Freigeister und Professoren hätten eine solche als etwas Natürliches erklärt und die Theologen ihr eine ganz andere Auslegung gegeben. Durch eine Stimme von oben? – Das war erstens schon dagewesen und dann würden auch die Leute höchstens gesagt haben: »Heute hat es doch einmal gedonnert daß man ordentlich Worte verstehen konnte.« – Es war zum Verzweifeln.

Da beschloß denn Gott Vater, aus unendlicher Liebe für das Menschengeschlecht, ein Buch über die zu verbessernden Verhältnisse, und besonders über Ackerbau und Viehzucht, für welche beiden Zweige er sich vorzugsweise interessirte, zu schreiben und damit selbst auf die Erde hinabzusteigen.

Zeit hatte er ja für den Augenblick: die Welt lief im Allgemeinen in ihren ewigen Kreisen ruhig fort, und wenn ihm nicht manchmal ein Komet durchbrannte und einen Schweif roher Gesellen auf den Hacken, mit offenen Laternen und Pechfakeln die stillen Straßen des Firmaments auf staatsgefährliche Weise durchtobte, so war keine Unordnung zu fürchten. Doch auch selbst hierüber hatten ihn die Berechnungen der besten Astronomen beruhigt, die ja die Erscheinung des nächsten noch bis auf x Jahre hinausgeschoben.

Sein Plan ward also, kaum gewollt, auch schon ausgeführt. Mit Gedankenschnelle flogen die Zeilen mit der Enthüllung jener göttlichen, uns noch unbekannten Urkräfte des Erdkörpers auf das Papier nieder, und wenn sich der liebe Gott auch, seit er damals die zehn Gebote entworfen, nicht mehr mit literarischen Arbeiten beschäftigt hatte, so ging die Sache doch verhältnißmäßig ungemein schnell.

Das geschehen, rauschte er, die Liebe für seine oft unfolgsamen Kinder im treuen Vaterherzen, auf unsere schöne Erde hernieder, um einen Verleger für sein Werk zu suchen und stieg, wie sich das von selbst versteht, in Leipzig und zwar im ersten Gasthof daselbst ab.

Um aber jedes Aufsehen zu vermeiden, mußte er natürlich die Gestalt des Menschen – die edle schöne Gestalt des Mannes, wie er ihn früher nach seinem eigenen Bilde erschaffen, annehmen, und kleidete sich zwar sehr einfach, aber doch nach der gerade bestehenden Mode. Vor dem Hotel hielten mehrere Droschken und eine derselben brachte ihn denn auch bald zu dem Buchhändler Schmerz, bei dem er ohne weitere Umstände eintrat und ihm, nach wenigen einleitenden Worten, sein fertiges Manuscript anbot.

Herr Schmerz – ein langer hagerer Mann, mit tiefliegenden, dunkeln Augen, nöthigte ihn sehr artig zum Sitzen, las dann den Titel des Manuscripts und frug, sich leicht gegen den Fremden verneigend:

»Mit wem hab' ich die Ehre?«

Das war nun allerdings eine sehr natürliche Frage; jeder Buchhändler wünscht doch zu wissen, mit wem er es zu thun bekommt. Dem lieben Gott kam sie aber nichts desto weniger unerwartet, denn er durfte dem Manne doch nicht sagen wer er sei; Herr Schmerz hätte ihm das auch im Leben nicht geglaubt. Er faßte sich also kurz und antwortete, indem er, um nicht unartig zu scheinen die Verbeugung erwiederte:

»Schultze!«

»Ah – Herr Schultze – mir sehr angenehm. Und Sie wünschen also dies hier drucken zu lassen?«

»Ich wünsche dadurch einem dringenden Bedürfniß abzuhelfen,« sagte der liebe Gott, und Herr Schmerz schlug das Manuscript schnell auf, denn er glaubte wahrscheinlich, es lauere der Antrag zu einem neuen Theatergeschäftsbüreau oder zu einer Illustrirten Zeitung im Innern; bald sah er jedoch daß er sich geirrt habe und frug – schon etwas beruhigt:

»Und über was handelt es? Der Titel ist etwas – etwas umfassend: »Enthüllungen der geheimsten und segensreichsten Urkräfte des Erdballs« –«

»Ueber Alles – Viehzucht und Ackerbau – Religion und Politik.«

»Sie sind Literat?«

»Nicht eigentlich; ich bin mehr Oekonom, habe aber dieses Werk aus reiner Liebe zur Sache geschrieben, denn ich liebe die Menschen und weiß welchen Dienst ich ihnen damit erzeigen werde.«

Herr Schmerz blätterte ein wenig im Manuscript herum, um einzelne Sätze daraus zu lesen und schüttelte dabei bedeutend mit dem Kopfe.

»Sehr flüchtig geschrieben das, sehr, Herr – Herr –«

»Schultze,« sagte der liebe Gott.

»Ach ja, Herr Schultze – sehr flüchtig – die Setzer beklagen sich so immer!«

»Ich sollte denken, es käme hier mehr auf den Inhalt als die Schrift an!« sagte der Fremde. »Wie unscheinbar sieht zum Beispiel eine Kartoffel aus, und was schließt sie nicht Alles in sich ein? In ihrem Innern lebt und wirkt eine kleine, für sich abgeschlossene, aber deßhalb nicht weniger kunstvolle Welt; dem Menschen unbekannte Kräfte und Lebenstriebe durchströmen sie, und athmende Wesen bewegen sich in dieser festen saftigen Fleischmasse mit derselben Leichtigkeit, mit der sich die Menschen durch die Luft bewegen, und wenn im Frühjahr die Keime –«

»Sie haben Phantasie, Herr Schultze« – unterbrach ihn etwas ungeduldig Herr Schmerz, – »aber dürfte ich Sie wohl bitten, mir den Inhalt dieser Schrift etwas näher anzugeben!«

»Recht gern. – Es ist – wie Ihnen auch der Titel sagt, eine Enthüllung geheimer, bis jetzt noch nicht gekannter, vielleicht nicht einmal geahnter Naturkräfte, zuerst dem Mißwachs und den Viehseuchen entgegenzuwirken und gleichzeitig das moralische Schaffen und Treiben der Menschen – von denen der große Haufe nun doch einmal in den Tag hinein lebt, zu ordnen und zu regeln. Was die ersten Kapitel – Mißwachs und Seuchen betrifft, so existirten in früheren Zeiten andere Verhältnisse; die Bevölkerung des Erdballs war zu schwach und die Erde erzeugte mehr, als ihre Bewohner consumiren konnten. Daher mußte ich diesem Uebelstand durch natürliche Mittel abzuhelfen suchen.«

»Wer? Sie?«

»Ich – meine die Natur. Jetzt aber hat jene Ursache aufgehört, und deshalb soll auch die Wirkung nachlassen. Das Menschengeschlecht ist an Zahl so gewachsen daß es, wenigstens in Europa, Alles braucht was es erzeugen kann, und ich wünschte nun dieses zum Nachtheil werdende Hinderniß gehoben zu sehen. Das können Sie aber nicht verlangen, daß ich deshalb die ewigen Naturgesetze ändern sollte, um –«

»Nein!« sagte Herr Schmerz.

Der liebe Gott sah ihn im ersten Augenblick erstaunt an, besann sich aber schnell und lenkte wieder ein: »Um solchen Uebelständen nämlich abzuhelfen, kann man also, wie ich sagen wollte, doch nicht verlangen daß die einmal bestehenden Gesetze der Natur geändert werden sollten. Dafür liegt aber auch in ihren eigenen Kräften, in ihren geheimsten, innersten Lebensfasern das Heilmittel gegen diese nicht mehr nöthigen Zuwachsminderungen und ich habe das Alles hier kurz und bündig, aber auch leicht faßlich niedergeschrieben. Drucken Sie es und geben Sie das dafür übliche Honorar in die hiesige Armenkasse. – Sie werden überdies Nutzen genug davon haben.«

Herr Schmerz, vielleicht durch dies keineswegs gewöhnliche Benehmen neugierig gemacht, oder auch, weil ihm das ganze Aeußere des Fremden eine gewisse Ehrfurcht einflößte, scheute sich augenblicklich eine bestimmte Antwort zu geben, und bat nur ihm das Manuscript bis morgen zu lassen, wo er sich dann darüber zu entscheiden versprach. –

Zur verabredeten Stunde am nächsten Tag stellte sich der Fremde wieder ein und bat um seine Antwort. Herr Schmerz machte indessen heute ein äußerst bedenkliches Gesicht und blickte kopfschüttelnd und mit emporgezogenen Augenbraunen auf das Manuscript herab, das er in der Hand hielt.

»Ich komme um Ihre Entscheidung über den Druck meines Werkes zu hören,« sagte der Fremde.

»Ja sehen Sie – bester Herr Schultze,« begann endlich der Buchhändler nach kurzer Pause, – »das ist so eine Sache mit dem Druck dieses Heftes. Einestheils glaube ich – aufrichtig gestanden – gar nicht daß das Buch etwas machen wird. Für ein rein wissenschaftliches Werk ist zu viel Phantasie, – für Phantasie zu viel Wissenschaftliches darin und dann – druckten wir es nicht äußerst splendid daß es über zwanzig Bogen gäbe, so striche uns der Censor die ganze Geschichte. Sie halten sich ja gar nicht ein Bischen an das Bestehende, werfen Alles über den Haufen, was nun doch einmal da ist und reden von Sachen die über menschliche Begriffe fast hinausgehen. Ich habe darin herumgeblättert – etwas altväterischer Styl – nun dergleichen ließe sich abändern – aber – das nehmen Sie mir nicht übel – ein Bischen zu prätentiös ist das Ganze auch noch geschrieben. Sie reden da in einem fort: das muß so sein und das so, hier thue dies und da thue das, die Wirkung wird dann im ersten Jahre so im zweiten so, und im dritten und den folgenden so sein; die Behandlungsart von A wirkt auf B und die Unterlassung würde sich für drei Jahre wieder so, und für andere zehn wieder so gestalten. Nein, das geht nicht, mein bester Herr Schultze, damit kommen wir nicht mehr durch. Ja, in alten Zeiten, da ließ man sich das gefallen, damals gehörte nur eine etwas dreiste Stirn dazu, der Welt glauben zu machen was man wollte; aber jetzt gehen wir der Sache tiefer auf den Grund.«

»Ueberdies erlauben Sie sich auch über Politik und besonders über Religion Aeußerungen, die ich selbst nicht einmal unter dem Namen Schultze vertreten möchte. Am Ende brauchten wir ja gar keine Priester und Prediger mehr; und dann die Beleuchtung Ihrer socialen Verhältnisse – nein, mein guter Herr Schultze: würde ich das Buch, das allerdings Geist verräth, wirklich drucken, so glaubte uns erstlich kein Mensch ein Wort von dem was drinnen steht; dann kämen wir wegen des einen Theils in die schönste Kriminaluntersuchung und über den andern Theil fielen nachher die Recensenten wie wahnsinnig her. Das Wenigste was sie sagten wäre, ich hätte einen neuen hundertjährigen Kalender verlegt. Und wenn sie's dann nur noch kauften – wenn es noch ginge! Ich käme aber wahrhaftig nicht einmal auf die Kosten, denn ein Leihbibliothekenbuch ist das nicht

»Nein, allerdings nicht,« sagte der Fremde – »aber verlegen Sie es nur; ich garantire Ihnen daß Sie gute Geschäfte damit machen.«

»Sie garantiren mir das? Welche Bürgschaft könnten Sie mir denn dafür geben?«

»Meinen Namen!«

»Bester Herr Schultze!« rief Herr Schmerz.

»Ja so!« sagte der liebe Gott – »Sie wollen es also nicht? Sie weisen es zurück?«

»Ich bin Ihnen wirklich für das Vertrauen das Sie in mich gesetzt, ungemein verpflichtet, aber ich habe jetzt in der That so viel Manuscript daliegen, – eins drängt so das andere; – mein Nachbar Beißig wird sich aber sicherlich ein Vergnügen daraus machen, – der hat überdies mehrere landwirthschaftliche und wissenschaftliche Werke gebracht.«

»Und Sie glauben daß Herr Beißig –«

»Oh, ich bin es fest überzeugt; versuchen Sie es nur! – Oh – keine Komplimente, bester Herr Schultze! – Jenes ist der Ausgang, wenn ich bitten darf; die Thüre hier führt in die Küche; – habe die Ehre mich gehorsam zu empfehlen!«

Der liebe Gott fand sich gleich darauf, mit seinem in Maculatur eingeschlagenen Manuskript, auf welchem mit großen Rothstiftbuchstaben »Hr. Schultze« geschrieben stand, auf der Straße und blieb im ersten Augenblick wirklich etwas überrascht stehen. Das hatte er nicht erwartet! – Er wollte die Menschen glücklich machen und trifft dafür auf solche Schwierigkeiten. Nun, Herr Beißig wird es auf jeden Fall nehmen!

Aber siehe da – auch hier schien es als ob er vergebens angeklopft habe; neue Schwierigkeiten, neue Entschuldigungen. Wieder wurde er zu einem Anderen geschickt und Nachmittags nahm er sich eine Droschke auf eine Stunde, um schneller aus einer Verlagshandlung in die andere kommen zu können.

Volle sechs Tage hatte er so mit immer gleichem Erfolg auf dem Pflaster gelegen, er beschloß also den siebenten zu ruhen und am nächsten Montag die noch übrigen fünfundfunfzig Buchhändler aufzusuchen, um sich später gar keine Vorwürfe machen zu dürfen. Da klopft es, als die Glocken eben zu läuten begannen, leise an seine Thür.

»Herein!« rief er, gerade nicht in der besten Laune.

»Ich habe das Vergnügen mit Herrn Schultze zu sprechen?«

»So nennt man mich hier!«

»Ihren Paß, wenn ich bitten darf!«

»Ich habe dem Wirth schon gesagt daß ich keinen bei mir führe.«

»Dann muß ich Sie freilich bitten mir zu folgen!«

»Aber, mein Herr –«

»Ich bedauere recht sehr, – aber Sie wissen – meine Pflicht –«

»Ich gehe auf keinen Fall mit Ihnen!«

»Sie werden sich doch der Obrigkeit nicht widersetzen wollen?«

Was wollte der liebe Gott jetzt machen? An dem ihm selbst geweihten Tage Skandal anfangen? Das ging unmöglich; welch ein Beispiel hätte er dadurch gegeben! Er setzte seinen Hut auf und folgte.

Im Polizeibureau wurde er freilich mit der größten Artigkeit behandelt, denn in seinem ganzen Wesen lag etwas so Edles, Ehrfurcht Einflößendes, das ihm überall Freundlichkeit und Zuvorkommenheit sicherte; gegen die einmal bestehenden Gesetze ließ sich aber, das wußte er ja aus eigener Erfahrung, nichts thun – einen Paß hatte er nicht – der von ihm angegebene Ort woher er stamme, »Himmelsburg in Engelland,« ließ sich auf keiner Karte Albions entdecken und somit mußte ihm denn, wie sich das vorhersehen ließ, die Weisung werden, binnen vierundzwanzig Stunden einen Paß zu schaffen oder – die Stadt zu verlassen.

Jetzt bekam der liebe Gott die Sache aber auch satt. Blos der Menschen wegen hatte er sich alle Diesem unterzogen und nun traten ihm aus jeder Ecke neue Hindernisse entgegen. Zwar hätte er sich im Augenblick selbst einen Paß herstellen können; durfte er aber das auf einen fremden Namen thun? – Das wäre wieder gegen seine eigenen Gesetze wie die der Menschen gewesen. – Nein, er sah jetzt ein daß es die Sterblichen gar nicht besser verdienten; sie wollten das Alles was sie drückte und quälte behalten –; sie wollten kein Licht haben, und wenn sie sich die Schädel an den Wänden einstießen. So beschloß er denn in den Himmel zurückzukehren und das von den Blinden verschmähte Werk im Feuer zu vernichten.

Sein Wille war That. In lodernder Gluth verzehrte sich das göttliche Manuscript, – dieser allein Millionen werthe Autograph – und jauchzend wirbelten die boshaften Luft- und Feuergeister die Aschenatome in das reine sonnige Blau des Firmaments, und spielten und tanzten damit im tollen wilden Uebermuth hoch, hoch auf zu der endlosen Höhe. Der liebe Gott aber schaute ihnen sinnend nach und murmelte endlich gutmüthig lächelnd vor sich hin:

»Das hätt' ich mir, wenn ich nicht allwissend wäre, allenfalls denken können!«

Dann in Licht zerfließend, stieg er wieder empor zu den reinen, göttlichen Räumen des Lichts, zu dem Urquell des strahlendurchflutheten Alls. Rosige Wolken drängten sich um ihn her, und hoben und trugen den Gott, Freude glühend und Frieden leuchtend hinan – hinan in das Aethermeer der Unendlichkeit, in die kreisenden Sonnenwelten des ewigen Seins.

Der Deutsche und sein Kind.
Aus dem Amerikanischen Leben.

Mit dem »gut gekupferten und schnellsegelnden Dreimaster Rose Bertram,« – wie die Anzeige im Hamburger Börsenblatt gelautet – das von dieser Stadt aus am 15. April 1839 nach New-Orleans in den Vereinigten Staaten von Nord-Amerika abging, war auch eine arme Familie, Vater, Mutter und zwei Kinder ausgewandert, um in dem Land ihrer Hoffnungen und Träume das zu finden, was ihnen die eigene Heimath nicht mehr im Stande war zu bieten – eine ruhige sorgenfreie Existenz, und eine gesicherte Zukunft.

Die Reise lief ziemlich glücklich ab, denn sobald sie nur erst einmal den englischen Canal hinter sich hatten und in ein südlicheres Klima kamen, zeigte auch der Himmel eine fast ununterbrochene Reine, so daß sie, mit einem ebenfalls ziemlich günstigen Wind, nach etwa achtwöchentlicher Fahrt, die sieben Mündungen des Mississippi im Golf von Mexiko erreichten und hier von dem Schleppboot Herkules, gegen die mächtige Strömung des Riesenflusses an, der »Königin des Südens« zugeführt wurden, wie die Republikaner ihre Hauptstadt New-Orleans nennen.

Unser Deutscher, Hermann Schwabe aus Baiern, staunte aber nicht wenig, als er in dem Amerika – das er sich bis dahin fast nur als eine einzige große Wildniß, mit Farmen, gedacht, eine Stadt fand, wie er sie in seinem ganzen Leben noch nicht gesehen. Häusermassen dehnten sich ohne erkennbares Ende am Ufer hin, das seinerseits wieder von einer ununterbrochenen Kette aller Arten Fahrzeuge eingefaßt und umschlossen wurde, während dort wieder Omnibus-Wägen und zahllose Güterkarren mit lebensgefährlicher Schnelle ein wildes geschäftiges Menschengedränge zu durchschneiden und zu theilen schienen.

Trotz dieser Menschenmasse aber, fühlte er sich recht verlassen und allein – kein einziges Gesicht war unter dem ganzen Schwarm der wogenden Menge, das er gekannt – keine Hand streckte sich ihm hier zum freundlichen Willkommen entgegen und Alle gingen kalt und theilnahmlos an ihm vorüber. Es machte einen recht wehmüthigen Eindruck auf ihn, einen Eindruck, der nicht beschrieben werden kann, der gefühlt sein will, und obgleich ihn das Drängen und Treiben der südlichen Stadt gar sehr ansprach, und Alles was ihn hier umgab, neu, fremdartig und deshalb interessant war, so eilte er doch soviel als möglich, wieder fortzukommen, und den Ort zu erreichen, wo er Freunde zu finden hoffte, ja wo er seine Verwandte wohnen hatte, auf deren Briefe er all sein kleines Eigenthum in Europa verkaufte, um mit dem daraus gelösten Geld einzig und allein die Ueberfahrt zu bezahlen.

Dieser Verwandte, ein weitläufiger Vetter von ihm, wohnte in Cincinnati am Ohio, und Schwabe mußte jetzt vor allen Dingen ein Dampfboot finden, das ihn, den Mississippi und Ohio hinauf, seinem neuen Ziele entgegen führte. Das war aber nicht schwer – in dieser Jahreszeit, vor dem Eintreffen des gelben Fiebers, laufen fast an jedem Tage fünf bis sechs Boote stromauf und zwei oder drei von diesen sind dabei gewiß für den Ohio bestimmt: bald hatte er denn auch – wenn gleich unter nicht geringen Schwierigkeiten, da er kein Wort Englisch verstand – seiner und der Seinigen Passage akkordirt und noch an dem nämlichen Nachmittag glitten die Auswanderer auf dem keuchenden mächtigen Boot stromauf, gegen die gelbe unheimliche rasch dahinströmende Fluth des »Vaters der Wasser« an.

Zwischen reizenden Plantagen schossen sie hin, deren graue Schindeldächer gar freundlich zwischen dichten, schattigen Orangenhainen und Granatbüschen hervorschimmerten, an breiten gewaltigen Zucker- und Baumwollenfeldern vorüber, wo unglückliche Sklavenschaaren den sengenden Strahlen der Sonne ausgesetzt und von Peitschenbewehrten Aufsehern überwacht, ihre lange Tagesarbeit verrichten.

Als sie weiter hinauf kamen, nahmen aber die offenen Plantagen mehr und mehr ab – der Wald, der bis dahin wohl mehre englische Meilen weit durch die urbar gemachten Felder zurückgedrängt wurde, näherte sich immer auffallender dem Ufer, und endlich, nach einzelnen waldigen Strecken besonders an der linken Seite, drängte er sich ganz dem Rande des Mississippi zu, und das graue wehende Moos hing in langen düstern Streifen von den weitgespreitzten Aesten herunter und schwankte und schaukelte in dem scharfen, stromaufstreichenden Luftzug. Aber auch dieses nahm nach und nach ab – flaches monotones Sumpfland, von riesigen Bäumen bestanden und nur hie und da von einem kleinen Städtchen oder einzeln liegenden Holzhaus unterbrochen, bildete die Scenerie beider Seiten des Flusses, bis endlich oben, von der Mündung des Ohio an, ihre Umgebung einen ganz anderen Charakter bekam und jetzt mit Hügeln und Bergen das klarere Wasser des »schönen Stroms« einschließend, die an Bord befindlichen Deutschen fast wieder in ihre Heimath, an die Gestade des vaterländischen Rheins zurückversetzten.

Schnell glitten sie an den reizenden Ufern vorüber; passirten vor Louisville – um die Stromschnellen zu umgehen, den durch Fels gehauenen Canal, und kamen am achten Tage nach ihrer Abfahrt, Nachmittags vier Uhr, in Cincinnati an.

Auch hier umgab sie wieder ein lebendiges, reges Treiben. Viele stattliche Dampfboote lagen an der Landung und schnelle Fährboote, mit kleinen rasch puffenden Maschinen glitten zwischen Newport und Covington an der Kentuckyseite und Cincinnati im Ohio hin und wieder. – Unmassen von Gütern lagen am Ufer aufgehäuft und die Mannschaften der verschiedenen Boote waren gar eifrig beschäftigt, die Fracht aus- oder einzuladen und ihre eigenen Fahrzeuge wieder in Stand zu setzen zu neuer Reise.

Der Deutsche konnte sich übrigens, so interessant ihm das auch zu jeder andern Zeit gewesen wäre, nicht lange bei der Betrachtung des ihn Umgebenden aufhalten, denn der Abend rückte heran und es mußte noch vorher für ein Obdach auf die Nacht gesorgt werden. Jetzt galt es daher vor allen Dingen, die Wohnung seines Verwandten zu finden, und dessen Adresse stand deutlich genug in dem erhaltenen Briefe angegeben.

»Fürchtegott Wagner, Kaffeehaus zur Stadt München, nordöstliche Ecke der siebenten und Sycamorestraße Nr. 41 Cincinnati Ohio.«

Das war nicht zu fehlen – der Brief hatte ihm überhaupt auf dem ganzen Weg zum Leitstern gedient, und er überflog auch jetzt noch einmal mit stiller Zufriedenheit die Zeilen.

»Komm nur nach Amerika,« stand darin, »Du glaubst gar nicht, wie schnell und geschwind es ein armer Teufel hier zu was bringen kann. Du weißt doch, daß ich fast mit gar Nichts von zu Hause wegging, und jetzt habe ich in Cincinnati, eine der größten Städte in ganz Amerika, ein Kaffeehaus, das sie hier coffeehouse nennen, alle Tage dreimal Fleisch, und bin mein eigener Herr. Und wie lange hat's gedauert, bis ich mir das Alles erarbeiten konnte – anderthalb Jahr – so lange hab' ich auf der Eisenbahn geschafft, mit 16 Dollar die Woche Lohn, und jetzt sitze ich ganz bequem in Cincinnati und thue gar nichts mehr.«

Wetter noch einmal, schon ein Kaffeehaus! dachte Schwabe, was muß der Mensch für ein Glück gehabt haben – wie lange müßte man sich da in Deutschland schinden und quälen, daß man nur erst eine Concession kriegt – Gott sei Dank, daß ich in Amerika bin, jetzt arbeite ich auch ein paar Jahre an der Eisenbahn, und dann mache ich's grade so. –

Mit dieser löblichen Ansicht war er vom Boot heruntergegangen, um einen Karrenführer zu finden, der ihm sein Gepäck an Ort und Stelle schaffen konnte; denn er beabsichtigte, bei seinem Vetter abzusteigen, da in einem Kaffeehause doch auch Raum für sie und ihre paar Kasten sein würde. Es bot sich ihm auch bald, und zwar ein Deutscher, an, der ihn leicht nach seiner ganzen Tracht und Manier für einen Landsmann erkannt hatte, lud seine Siebensachen auf, und während Schwabe mit seinem Jungen und seiner Frau, die das kleine Mädchen auf dem Arme trug, neben der sogenannten »Dray« hergingen, schlenderten sie langsam die berganlaufende Sycamorestraße, die neben der Mainstreet der Dampfbootlandung zumündete, hinauf. Schwabe, der sich natürlich nicht mit der als nordost bezeichneten Lage vertraut machen konnte, hatte auch schon von weitem, als sie nach und nach die vierte, fünfte und sechste Straße hinter sich gelassen, ein großes stattlich aussehendes Backsteinhaus im Auge, das ihm am ehesten dem Begriffe gleichzukommen schien, den er sich bis dahin im Geiste von einem amerikanischen Kaffeehause gemacht. Es konnte auch fast kein anderes Gebäude von den vier Eckhäusern sein, denn zwei von diesen waren Kaufläden und das dritte – Heiliger Gott – an dem kleinen, weißangestrichenen Breterverschlag klebte ein großes schwarzes Schild, auf dem mit weißen Buchstaben – wachte er denn oder träumte er? –

Coffeehouse zur Stadt München

stand. Die Buchstaben selber ließen gar keinen Zweifel – das halb Englische halb Deutsche gehörte einem Landsmann an und diese Breterbude war – das erwartete Asyl.

»Ist denn das hier das ganze Kaffeehaus?« – stammelte er fast unwillkürlich und ergriff den Arm des Karrenführers, als ob er durch das Aufhalten der Fracht auch sein Geschick verzögern könne. –

»Es trifft« – meinte der Andere trocken, und schien in dem Aeußeren des Gebäudes gar nichts Außerordentliches zu finden, – »hier ist der Ort – der Gentleman wird wohl zu Hause sein!« und mit dieser lakonischen Bemerkung ließ er die lange Peitsche um des Pferdes Ohren sausen, das, theils hierdurch, theils durch das gleich darauf ausgestoßene Tschü – Tschü – wo – ah! vor die fragliche Thüre einlenkte und mit einem plötzlichen Ruck dort Halt machte.

»Fremder Besuch!« rief der Draymann dann, und stieß die kleine niedere Pforte auf – »sollen die Sachen hier hereingeschafft werden?«

Schwabe stand noch immer, kaum eines Entschlusses fähig, auf der Straße und konnte die Augen nicht wegwenden von dem schwarzen Schild: Coffeehouse – das also war ein amerikanisches Kaffeehaus. Die Mutter drückte ihr Kind leise an sich, und es mochte ihr jetzt vielleicht zum ersten Mal eine Ahnung von dem dämmern, was aus ihren, bis dahin wild aufgebauten Plänen wohl etwa werden könne. In der Thür des Kaffeehauses erschien in diesem Augenblick Niemand anders, als der wirkliche Schreiber des so folgeschweren Briefes, und anstatt nun, – wie es Schwabe, seit er das wirkliche Kaffeehaus gesehen, gar nicht anders erwartet hatte – bestürzt und vernichtet dazustehn und vor Schaam jeden beliebigen Moment bereit zu sein in die Erde zu sinken, erkannte er kaum die Deutschen, als er ihnen froh erstaunt die Hände entgegenstreckte, dem Mann dann um den Hals fiel und ihn und seine Frau herzlich willkommen hieß. Schwaben blieb denn auch jetzt gar keine Zeit, weder seine Verwunderung noch seine Bestürzung auszudrücken, er sah sich nur gleich darauf mit Sack und Pack in das kleine enge Gemach hineingedrängt und hier auch noch so mit Fragen und Erkundigungen über die alte Heimath bestürmt, daß er endlich nur froh war, als er erst wieder einmal frei und ungehindert aufathmen konnte. Dann aber versäumte er auch weiter keine Zeit, in dem unansehnlichen Raum, der sie umgab, umher zu schauen, und die natürlichste Frage, die sich ihm jetzt aus vollster Seele auf die Lippe drängte war –

»Und das nennst Du ein Kaffeehaus?«

»Jawohl,« sagte der schon etwas amerikanisirte Vetter ganz unbefangen – »das ist hier so Sitte – wo der liebe Gott nur den Arm herausstreckt, da wird's gleich Kaffeehaus getauft, und wenn auch ein paar Gläser und Flaschen mit Doppelkümmel, Brandy und Whiskey hinter der Baar stehn – gerade wie's bei mir der Fall ist, denn ich habe auch nichts weiter. Das laßt Euch aber nicht kümmern, und daß Ihr große Rosinen im Topf gehabt, geht anderen Leuten auch nicht besser – damit kommen sie Alle von Deutschland herüber. Jetzt heißt's nun fleißig geschafft und gearbeitet, und die Hände gerührt, nachher macht sich das Uebrige von selbst.«

Wagner, der Kaffeewirth hatte ganz recht – es sieht Manches in Amerika, von Deutschland aus betrachtet, wie ein Kaffeehaus aus, und kommen wir nachher hin, so schreien wir – »Ach du lieber Gott – das sind ja lauter Lügen und Erfindungen – das waren Prahlereien und Märchen, das ist ja gar kein Kaffeehaus, das ist ja nur eine gewöhnliche Breterbude!« Für den Augenblick, und nach unseren Ansichten haben wir auch allerdings recht, sobald wir aber nur erst einmal dort eingerichtet sind, und den alten deutschen Staub aus den Augen geschüttelt haben, dann sehen wir die Sache von einer ganz anderen Seite an, und finden nun plötzlich, daß es doch wirklich ein Kaffeehaus ist, oder daß wir's wenigstens dazu machen dürfen und können, wenn wir nur den recht festen und kräftigen Willen haben, es auszuführen. Dann sehen wir ein, daß uns dort nicht, wie hier, die Hände gebunden sind zu freier That und lernen uns gern und freudig in das fügen, was uns im Anfang, als die Kruste und äußere Schale des Ganzen so herb und bitter, so hart und unverdaulich geschienen.

Es ist das aber nicht allein mit den Kaffeehäusern so, nein fast durchgängig mit all' den dortigen Verhältnissen und Einrichtungen; gewöhnlich werden übertriebene Berichte hierher geschickt, oder wenn auch nicht einmal übertriebene, doch wenigstens so gestellte, daß sie, wenn sie auch vielleicht buchstäblich wahr sind, der Einbildungskraft einen zu freien Spielraum, alles Gute und Vorzügliche ahnen lassen und die Fehler und Mängel dabei nicht andeuten. Der Deutsche und besonders der, in dessen Kopf die Auswanderung schon wirklich spukt, ist dann nur zu gern geneigt, sich Alles das was er hört, in den schönsten, buntesten Farben auszuschmücken und zu putzen und kommt er dann an Ort und Stelle und findet das Alles, was er sich vielleicht nur selbst hinzugedacht, nicht wirklich realisirt – was beiläufig gesagt, nie geschieht – so wird er muthlos und macht sich selbst und denen, die solche Berichte geschrieben, die bittersten Vorwürfe. Es ist schon gefährlich genug, wenn man die dort bevorstehenden Unannehmlichkeiten nur erwähnt, und nicht recht besonders heraushebt, denn in dem Falle springt der Lesende ebenfalls leicht darüber hin, und denkt – a bah, das sind Kleinigkeiten, die sich schon geben werden – sind auch vielleicht nicht einmal so schlimm wie man sich's hier denkt.

Deßhalb sollten es sich die, welche Berichte über Auswanderungen schreiben, zur besonderen Pflicht machen, Alles – auch das Kleinste und Unbedeutendste, was sie zum Nachtheil des sonst gepriesenen Landes wissen, nicht allein anzuführen, sondern sogar hervorzuheben, und lieber in dieser Hinsicht etwas übertreiben als zu wenig thun; die Phantasie der Auswanderungslustigen glättet doch die rauhen Kanten ab. Der Europäer wird dann nicht, oft gleich bei seinem ersten landen, zurückgeschreckt und gerade zu einer Zeit muthlos gemacht, wo er aller seiner Energie und Festigkeit am meisten bedarf. Das aber, weshalb Manche den Tadel verschweigen, weil sie wissen, daß alles dieß doch immer eigentlich nur Unannehmlichkeiten und keine wirklichen Fehler sind, sollte sie gerade im Gegentheil antreiben, ihn auszusprechen, denn Amerika bietet dem deutschen Auswanderer solche ungeheuere Vortheile, daß man getrost Alles das nennen und aufführen kann, was dem Land oder den Sitten jenes Welttheils zum Nachtheil gereicht, ohne befürchten zu müssen, den Ackerbauer, den eigentlichen Mann für Amerika, dadurch zu schrecken. – Bleiben nachher die geschniegelten und gebügelten Herrchen drüben in Europa, weil sie tausend Bequemlichkeiten nicht haben können, tausend Genüsse – was nämlich für sie Genüsse sind, entbehren, ei, so ist das auch nur wieder ein Vortheil für Amerika, denn derlei Gesellen, mit parfümirten Taschentüchern und wohlfrisirten Locken brauchen sie drüben nicht, die mögen hier ausharren, bis sie später einmal, mit dem alten Schlendrian selbst, zu Grunde gehn.

Doch ich komme ganz von meiner, dahin keineswegs hinauszielenden Erzählung ab und will lieber wieder so schnell als möglich in's »Kaffeehaus zur Stadt München« zurückkehren.

Hier saßen indessen die Deutschen ganz gemüthlich – nicht etwa bei einer Tasse Kaffee, denn der war nur Morgens zum Frühstück zu bekommen, sondern bei einem guten Glas Cincinnati-Bier zusammen und plauderten und besprachen ihre gegenseitigen Aussichten.

Wagner hatte allerdings in Allem, was er seinem Vetter geschrieben recht gehabt; durch eigener Hände Arbeit wußte er sich ein kleines Capital zu verdienen und that damit, was in allen Städten Amerikas, besonders aber in Cincinnati, die Deutschen nur zu oft thun, er errichtete einen Schenkstand – was dort nun einmal ohne seine Schuld Kaffeehaus genannt wird. Wohl war der Verdienst jetzt, der ungeheueren Concurrenz wegen, nicht mehr so besonders wie früher, er hatte aber doch zu leben, und konnte sogar, da er gerade auf seine eigene Bequemlichkeit sehr wenig verwandte, immer noch jährlich eine Kleinigkeit zurücklegen.

Was nun seine jetzige Wohnung betraf, die so beschränkt war, daß sie die ersten Nächte alle mit einander in einem Zimmer schlafen mußten, so dachte er gerade daran, ein größeres Lokal zu nehmen, wie auch sein Geschäft etwas mehr auszudehnen, und bot nun Schwaben und seiner Frau an, die erste Zeit bei ihm zu bleiben und ihm im Haus und im Geschäft bei allen vorkommenden Arbeiten mitzuhelfen. Dafür sollten sie Kost und Logis, und auch noch einen kleinen, freilich unbedeutenden Lohn erhalten. Wagner hatte darin aber auch ganz recht, daß sie nicht gleich hoffen dürften von vorn herein viel zu verdienen, denn sie begännen jetzt eine ganz neue Lauf- und Lebensbahn, und darin müsse nun Jeder einmal, es möge sein wer es wolle, sein Lehrgeld bezahlen.

Schwabe, der sich nach dem ersten traurigen Anblick des Hauses die Sache weit schlimmer gedacht, als sie sich wirklich jetzt herausstellte, war gern damit einverstanden und schon in den nächsten Tagen, wo ein Tischler kam und den Boden etwas mehr erweiterte, da Wagner seine Wohnung in dem dicht danebenliegenden Haus zu nehmen gedachte, begannen die verschiedenen, bei solchem Ausräumen nicht zu vermeidenden Arbeiten, denen sich auch beide Gatten mit gutem Willen unterzogen, und dadurch mit ihren Verwandten im besten Einverständniß blieben.


So vergingen wohl sechs Monate und nichts trübte die Freundschaft und das gute Vernehmen der Verwandten; das rege Schaffen und Treiben ließ ihnen keine Zeit, auf irgend etwas anderes als ihre Geschäfte zu denken; gar verschieden gestaltete sich die Sache aber, als der neue Schenkladen erst einmal ordentlich hergerichtet worden, und nun das gleichförmige ruhige Leben wieder begann, bei dem sich keineswegs soviel Arbeit herausstellte, Alle nun gleichmäßig beschäftigen zu können. Jetzt fielen zuerst, und zwar besonders zwischen den beiden Frauen kleine unangenehme Scenen vor und einzelne bittere Worte wurden gewechselt. Im Anfang ging man jedoch noch leicht darüber hin, eine Versöhnung ward entweder gar nicht für nöthig gehalten oder doch bald zu Stande gebracht, und der Gedanke auch, daß sie ihren Verwandten doch eigentlich manches verdankten, was sie suchen mußten wieder gut zu machen, hielt Schwaben's noch manche Woche in einer Stellung, die vielleicht weniger drückend für sie gewesen wäre, hätten sie sich nicht immer sagen müssen: »das sind Verwandte, und spielen jetzt die Herren, während wir die Knechte machen sollen.«

Schwabe bekleidete nämlich, während der, seinen Leichnam jetzt auf das Beste pflegende Wagner ruhig in den Ecken herumsaß und sein eigenes Bier trank, die Ausschenkerstelle, und war somit ein förmlicher »Barkeeber« geworden, die Frau aber, die auch noch nebenbei ihr zweijähriges Kind zu besorgen hatte, mußte waschen und bügeln, nähen und stricken, ausbessern und alle nur möglichen übrigen häuslichen Arbeiten verrichten, indeß Missis Wagner, wie sie sich nur zu gern nennen hörte, nur selten mit angriff und, was ihrer Base das peinlichste war, auch schon manchmal begann statt des früheren freundlichen Tones, das ganze Wesen einer Gebieterin anzunehmen.

Schwaben's wären schon lange fortgezogen und hätten ihr Glück allein, in dem weiten fremden Lande gesucht; es kommen ja so Viele glücklich durch, warum sollte es ihnen nicht ebenfalls gelingen? Eines nur hielt sie bis dahin noch immer von einem solchen Schritt zurück und bannte sie an die Stelle, wo sie anfingen, sich recht unbehaglich zu fühlen – ihr Kind – die kleine zweijährige Louise und die Zuneigung die Wagners Frau wirklich zu der Kleinen zu haben schien. Sie behandelte sie fast ganz wie ihr eigenes Kind, und die Mutter glaubte da schon manches ertragen zu müssen, wo es der armen Kleinen ja wieder zu Gute kam. Carl, ihr zehnjähriger Knabe machte ihnen weit weniger Sorge; der griff schon ordentlich mit zu, verdiente sich das Brod, das er aß, durch dausend kleine leichte Arbeiten die er verrichtete, oder Wege die er lief, und wäre ihnen auch, so sie wirklich selbstständig in das Leben hinaustraten, gewiß nicht zur Last geworden.

Auf solche Art waren sie etwa ein volles Jahr in dem Hause gewesen, das jetzt, da sich des Eigenthümers Geschäfte verbesserten, auch seinerseits einen etwas vornehmeren Titel annahm, und aus der einfachen »Stadt München« zu einem »city of München« avancirte. Aber gerade mit diesem zunehmenden Wohlstand wich auch der Friede immer mehr, der besonders in den letzten Monaten schon so schwankend und zweifelhaft geworden. Wagner's selbst mochten das fühlen und es konnte ihnen dabei auch nicht verborgen bleiben, was es eigentlich noch sei, das sie in der, ihnen peinlich werdenden Lage zurückhielt, und Missis Wagner hatte endlich wenig genug Takt, ihrer Base auf halbem Wege entgegenzukommen. Sie bot dieser nämlich eines Morgens an, ihr kleines Töchterchen, da sie selbst kinderlos sei, für sie aufzuziehn – heißt das natürlich, wenn Schwaben's überhaupt einmal fortziehen sollten – und so lange an Kindesstatt zu behalten, bis sie in bessere Umstände, und vielleicht zu eigener Selbstständigkeit gelangt, im Stande wären, sie wieder abzuholen.

Zwar konnte sich die Mutter nicht gleich dazu entschließen, das Kind, wenn auch wohl versorgt, doch gewissermaßen unter fremden Menschen zurückzulassen, endlich aber siegten die äußeren, keineswegs günstigen Umstände. Schwabe sprach mit seinem Vetter offen über das, was ihn drücke und hemme, dieser gab sich keine besondere Mühe ihn zurückzuhalten, und nach acht Tagen schon fuhren sie, vorher einen sehr wehmüthigen Abschied von dem Kinde nehmend, und dieses der Sorge seiner neuen Pflegeeltern auf das dringendste und wärmste an's Herz legend, auf dem Dampfboot »General Harrison«, den Ohio stromab, und dem Staate Louisiana zu, wo ihnen, von einem Deutschen, der sich kürzlich einige Zeit in Cincinnati aufgehalten, günstige Anerbieten gemacht waren.

Viele Jahre hindurch standen die Sachen, wie wir sie im letzten Abschnitt verließen. Schwabe fand in St. Francisville, einem kleinen Städtchen unfern vom Mississippi, der Ansiedlung von Pointe coupée gegenüber, gute und lohnende Arbeit; sein Sohn wuchs zu einem kräftigen Burschen heran, der ihn bald gar wacker unterstützen konnte, und durch die sparsame Sorglichkeit der Frau sah er, wie sich seine Lage mehr und mehr verbesserte und er zuletzt sogar darauf denken konnte, selber etwas anzufangen, um, ohne gerade immer zu arbeiten, durch die Welt zu kommen.

Seines Vetters Beispiel in Cincinnati mochte viel dazu beitragen ihn auf solche Gedanken zu bringen; die Zeiten schienen ebenfalls günstig, – Kaffeehäuser gab es in St. Francisville nur sehr wenige und so säumte er dann auch nicht lange und schaute bald darauf, wenn er auf der andern Seite der Straße an seinem eigenen kleinen Haus vorüber ging, mit ganz absonderlichem Vergnügen nach dem großen blauen Schild hinüber, das mit goldenen Buchstaben verkündete, wie Hermann Schwabe hier, nicht allein ein Kaffeehaus, sondern auch »kalte und warme Getränke, frische gebackene und marinirte Austern, Pfefferkuchen und Fleischpasteten,« und überdieß noch ein »Lager von ächten, in Boston verfertigten Schuhen und Stiefeln und Penitentiery Filzhüten« halte.

Was er mit eigener Hände Arbeit, und zwar mit harter, schwerer Arbeit begonnen, führte er mit Hülfe einer vorsichtigen aber richtigen Speculation weiter, und galt nach gar nicht so langer Zeit, für einen wenn auch nicht reichen, doch sicherlich wohlhabenden Bürger des kleinen Städtchens.

Jetzt erwachte aber auch in den Eltern der bis dahin oft gewaltsam unterdrückte Wunsch, ihr Kind, ihre kleine Louise wieder zu sich zu nehmen, von der sie nun schon eine entsetzlich lange Zeit nicht einmal etwas erfahren hatten.

Das Briefschreiben gehörte nämlich zu einer von Schwabes schwachen Seiten, er fällte lieber einen vier Fuß im Durchmesser haltenden Baum, als daß er eine einzige Seite bekritzelte; immer war es daher sein Entschluß gewesen, lieber gleich hinauf nach Cincinnati zu reisen und die Tochter dort selber abzuholen; dringende Geschäfte, wie eine plötzliche Krankheit seiner Frau, nöthigten ihn aber endlich, entweder seine beabsichtigte Reise noch aufzuschieben, oder wirklich zu schreiben. Wie aber war das Kind, unter lauter fremden Leuten glücklich nach St. Francisville zu bringen? – Durfte man wagen, es Einem der tollkühnen Dampfboots-Capitäne zu übergeben? Amerikanische Eltern hätten das augenblicklich gethan, aber die Deutschen waren zu ängstlich, und Schwabe fürchtete schon, er würde den so lange genährten Wunsch noch länger müssen unbefriedigt lassen, als sich ihm ganz unvermuthet ein treffliches Auskunftsmittel bot, das er und seine Frau auch mit dankbarer Freude ergriffen.

Ein junger Deutscher aus dem kaum eine Viertelstunde entfernten Bayou Sarah, reiste zufälliger Weise gerade in dieser Zeit nach Cincinnati, um dort indeß von Deutschland gekommene Verwandte zu treffen und nach Louisiana mit zu nehmen. Eine bessere Gelegenheit, Louise ihren Eltern wieder zuzuführen, ließ sich kaum denken; Schwabe setzte sich denn auch augenblicklich hin und brachte endlich mit vieler Noth und Mühe einen ziemlich ausführlichen Brief zu Stande, in welchem er seinen Vetter mit den eigenen, bis dahin erlebten Schicksalen bekannt machte, ihm für die treue Wahrung seines Kindes dankte, und ihn bat, dasselbe durch den Ueberbringer dieses, einen wackern, jungen Mann aus seiner Gegend und guten Freund von ihm selber, den sich herzlich nach ihm sehnenden Eltern zurückzuschicken.

Welbauer, wie der junge Mann hieß, ging mit dem nächsten, noch an demselben Abende in Bayou Sarah anlangenden Boot stromauf, und Schwabe erwartete nun in freudiger Ungeduld die Ankunft der, seit dreizehn Jahren von ihnen getrennten Tochter, denn so lange war es schon, daß sie Cincinnati verlassen und sich in Louisiana zuerst aufgehalten und später angesiedelt hatten. Vor dem Ablauf von wenigstens drei Wochen konnte Welbauer aber kaum wieder zurück sein, denn die Entfernung zu Wasser, zwischen Bayou Sarah und Cincinnati beträgt 1350 englische Meilen; die Eltern benutzten aber diese Zeit, ein kleines, freundliches Stübchen für das erwartete Kind herzurichten, damit es sich gleich vom Anfange an recht wohnlich und zufrieden im elterlichen Hause fühlen möge und schafften All und Jedes herbei, womit sie nur glauben durften, dem lieben, so lange elternlos gewesenen Kinde, eine Freude zu machen.

Die bestimmte Zeit war endlich verstrichen, Welbauer aber noch immer nicht zurückgekehrt; ja, noch eine vierte Woche verging sogar, ohne daß weder ein Brief noch eine andere Nachricht von dem so sehnlich Erwarteten eingetroffen wäre. Schwabe, der bis jetzt seine Frau immer nur gebeten hatte, Geduld zu haben, da man ja gar nicht wissen könne, was die Rückkehr des jungen Mannes vielleicht verzögert hätte, fing nun selber an, ängstlich zu werden, und lief des Tages zwei oder dreimal nach Bayou Sarah hinunter, um zu hören, was für Boote angekommen wären, und welche man, und woher man sie erwartete.

Endlich, in der fünften Woche traf der so heiß Ersehnte mit der »Diana« wieder ein, aber – Schwabe erschrack, als er ihn erblickte und wurde todtenbleich – allein war er – das Kind war nicht bei ihm und der zitternde Vater fürchtete schon das Schlimmste. Das, was ihm im Anfange das Herz mit so unendlichem Weh durchzuckt, erwies sich jedoch als unbegründet. Welbauer beruhigte ihn bald über das Befinden und Wohlergehen seiner Tochter – er hatte das junge Mädchen gesund und heiter angetroffen, sie war gar rasch in die Höhe geschossen, und sollte kräftig und blühend aussehen – das Uebrige aber verkündete ein Brief, den er – statt dem Kinde – als Antwort mitbrachte.

Schwabe ahnte jetzt fast, was das Schreiben enthielt – in letzter Zeit, als die Erwarteten immer und immer nicht kommen wollten, waren ihm so allerlei trübe und häßliche Gedanken durch den Sinn gefahren, die er sich ordentlich gefürchtet hatte seiner Frau mitzutheilen, weil er sie doch nicht mit nur bloßen vielleicht sogar unbegründeten Vermuthungen ängstigen wollte. Rasch erbrach er jetzt den Brief und sah hier seine schlimmen Besorgnisse bestätigt. Das Schreiben lautete also:

»Lieber Freund und Vetter« –

»Recht sehr hat es mich gefreut zu hören, daß es Dir wohl geht und Du Dir durch Arbeit und Sparsamkeit, wodurch man in Amerika nur allein zu etwas kommen kann, ein kleines Vermögen erworben hast. Uns geht es auch hier recht gut, und viel besser als damals, wo Du mich zuerst in dem kleinen Häuschen an der Ecke der Sykamore-Straße aufsuchtest. Ich bin jetzt auf dem Mittelmarkt – Du weißt ja schon, in der fünften Straße – gezogen, habe ein gutes Boardinghaus[9] errichtet, und mache sehr gute Geschäfte, habe aber auch sehr viel zu thun, und weiß kaum wie ich fertig werden soll.«

[9]: Ein Kosthaus, oder eine untergeordnete Art von Hotel.

»Was nun Deine Tochter Louise anbetrifft, so ist die recht gewachsen, und ein braves gutes Mädchen geworden, meine Frau hat sich aber so an sie gewöhnt, daß sie gar nicht daran denken kann, sich von ihr zu trennen. Seid deshalb auch nicht böse, daß ich Euch Euren Wunsch nicht erfülle und sie mitschicke. Eigentlich kannst Du es uns auch gar nicht verdenken. Sieh, wir haben bis jetzt blos die Noth und Sorge mit dem kleinen Kind gehabt und sollen es jetzt, da es groß geworden ist und anfängt, uns für alle die Mühe und Auslage zu belohnen, wieder herausgeben. Meine Frau hält es dabei wie ihre eigene Tochter. Wir lassen es noch immer in die Schule gehen und geben ihm eine ganz gute Erziehung. Was willst Du mehr? Aber trennen möchte sich meine Frau nicht wieder von dem Kinde und wir bitten Dich daher recht dringend es uns zu lassen.«

»Mit dem Wunsche, daß es Euch in St. Francisville Allen gut geht und Ihr manchmal unser gedenkt, unterschreibe ich mich als Dein

Dir treu ergebener Freund und Vetter

Fürchtegott Wagner

Mittelmarkt – nordwestliche Ecke von Walnut street.

Nachschrift. »Louise läßt schönstens grüßen und Euch Allen Glück und Gesundheit wünschen. Was kostet denn bei Euch die Butter – hier ist sie gestern auf zwei Bit gestiegen, das Schweinefleisch ist aber dafür noch billiger geworden als wie damals, wie Du hier warst.

Dein Vetter.«

Der Brief war verworren, der Inhalt desselben aber doch auch wieder einfach und deutlich genug, und Schwabe ging wohl eine halbe Stunde lang, wie vor dem Kopf geschlagen, an der Dampfbootlandung hin und her. – Sollte er das was hier mit klaren dürren Worten in dem Brief stand, seiner Frau mittheilen? – Aber wie konnte er es ihr auch verheimlichen, hätte sie am Ende nicht gar geglaubt es wäre ihrem Kinde irgend ein Unglück zugestoßen? Der Verdacht übrigens, den er gegen Wagner hegte, wurde von Welbauer noch bestätigt.

Dieser hatte sich nämlich, da er den Eltern doch versprochen, das Kind zu bringen und nun dort, wo er es am wenigsten vermuthete, so unverhofften Widerstand gefunden, nach den Verhältnissen und dem ganzen Leben und Treiben jener Leute genauer und näher erkundigt. Hier erfuhr er nun, daß sie allerdings die angenommene Tochter im Hause selbst sehr gut behandelten, aber keineswegs so viel in die Schule schickten, als Jener hier in dem Brief geschrieben; im Gegentheil mußte das arme Mädchen, wenn es auch keine schwere Arbeit zu thun hatte, von Morgens früh bis spät Abends auf dem Platze sein, während sich Missis Wagner fast ganz und gar von jeder Arbeit zurückgezogen habe, und nur allein die Dame spiele. Louise war ihnen dabei durch ihren unausgesetzten Fleiß von ungemeinem, ja unbezahlbarem Nutzen. Gaben sie das Mädchen heraus, so mußten sie jedenfalls eine fremde Haushälterin annehmen und diese nicht allein mit theuerem Gelde bezahlen, sondern ihr auch – etwas besonderes Gefährliches in Amerika, wo die Leute oft, Gott weiß woher, geschneit kommen – Alles und Jedes im Hause anvertrauen. Bei Louisen dagegen, die sich ihrer eigenen Mutter kaum noch erinnerte, ihren Pflegeeltern aber mit aller Liebe einer wirklichen Tochter anhing, hatten sie das Eine nicht nöthig, das Andere nicht zu fürchten, und es ließ sich daher voraussehen, wie sie unter diesen Umständen gewiß Alles thun würden, was in ihren Kräften stand, die Pflegetochter den vollen Ablauf der gesetzlichen Frist, also bis zu deren einundzwanzigstem Jahr bei sich zu behalten.

Gerichtlich konnte Schwabe, wie Wagner ebenfalls gut genug wußte, keine Schritte mit nur irgend einer Aussicht auf Erfolg thun, denn ein wirklicher Kontrakt war gar nicht abgeschlossen, und wenn es zur Klage kam, so wurde dem Verklagten entweder die vorerwähnte gesetzliche Frist zugestanden, oder der Kläger hätte eine Kostenberechnung zahlen müssen, die dieses eigene Mittel jedenfalls weit überstiegen haben würde. – – Der Frau übrigens ein Geheimniß daraus zu machen, ging nicht an, über kurz oder lang hätte sie es doch erfahren müssen, und gemeinschaftlich konnten sie auch besser berathen, welche Schritte jetzt am besten zu thun wären.

Er ging denn auch ohne weiters nach St. Francisville zurück, zeigte ihr erst den Brief und ließ sie dann später Alles das, was sie noch zu wissen wünschte, von Welbauer selber erfragen. Im Anfange war sie nun, als sie die Nachricht wie ein Schlag aus heiterem Himmel traf, außer sich, wollte ohne weiters »an die Gerichte gehen,« und meinte, kein Gesetz der Welt dürfe ihr solcher Art und widerrechtlich, das eigene Kind gewaltsam zurückhalten. Schwabe hatte durch einen dreizehnjährigen Aufenthalt in Amerika die Sitten und Gesetze des Landes aber so ziemlich kennen gelernt, und fürchtete nicht ohne Grund, durch eine Klage erstlich einmal sein gutes Geld einzubüßen, und dann nicht einmal etwas auszurichten.

»Selbst ist der Mann,« reifte endlich der Entschluß in ihm, »einen bloßen Brief können sie Dir leicht mit »Nein« beantworten, gehst Du aber als Vater, und forderst Dein eigenes Kind zurück, so werden sie es Dir, wenn sie es auch wirklich vor dem Gesetze dürften, doch nicht länger vorenthalten können.«

Jetzt hatte er gerade alle die Geschäfte, die ihm vor mehren Wochen noch eine Reise unmöglich gemacht, beendet, er entschloß sich also kurz, beruhigte seine Frau, der er fest versprach ihr Kind zu bringen, und wenn er es stehlen sollte, und rüstete sich fröhlich zur Fahrt nach Ohio.

»Sei gutes Muthes, Mutter,« lachte er dabei, als er sich zu der rasch beschlossenen Fahrt rüstete, »was ist's denn auch weiter! geben sie mir mein Kind nicht gutwillig, ei, so thue ich, als wenn ich mich in das Unabänderliche füge, verabrede mich aber heimlich mit Louisen, bringe sie auf ein Dampfboot und gehe förmlich mit ihr durch. Nachher mögen sie uns verfolgen oder gar verklagen, kein Gesetz wird einen Vater verdammen, daß er sein eigenes Kind gestohlen, wenn sie es ihm auch vorher nicht freiwillig zusprächen.«

Die wenigen Vorbereitungen waren bald getroffen, es galt ja hier auch nur eine kurze Fahrt und schnelle Rückkehr; nur etwas gab ihm die Mutter noch mit, das sie schon seit vielen Jahren für ihr Kind bestimmt, dessen Absendung sie aber bis jetzt noch immer verschoben hatte – ihr Bild. Ein junger deutscher Maler, der vor einigen Jahren mehre Monate lang bei ihnen gewohnt und dort krank geworden war, hatte aus Dankbarkeit für die treue Pflege der guten Leute, die Miniaturbilder der Beiden gemalt und ihnen zum Andenken zurückgelassen, und das ihre schickte jetzt die Mutter dem Kinde. Warum? wußte sie selber nicht, erwartete sie ja doch das Heißgeliebte in wenigen Tagen, dennoch trug sie dem Vater auf, die Ablieferung desselben ja nicht zu vergessen, und es war fast, als ob sie mit dem Bewußtsein, daß es bald in den Händen ihrer Louise sein werde, auch ruhiger würde, und der Zukunft gefaßter entgegensähe.

Schwabe schiffte sich auf dem nächsten, stromaufgehenden Dampfboote ein, ging mit diesem bis nach Kairo, der Mündung des Ohio, benutzte von hier aus ein anderes, das gerade Fracht für Pittsburg einnahm, und betrat neun Tage später die Stadt wieder, in der er vor vierzehn Jahren, ein armer heimathloser Auswanderer, gelandet war, und zuerst Schutz und Aufnahme gefunden hatte.

Sonderbarer Weise schlug und klopfte ihm aber jetzt das Herz so bang und ängstlich, als ob er irgend eine böse That begangen oder beabsichtige, und doch wollte er ja Nichts, gar Nichts auf der weiten Gotteswelt, als sein Kind, sein eigenes liebes Kind zurück in die Arme der Mutter führen. Das peinliche Gefühl wuchs sogar noch, als er den steilen Landungsplatz hinaufstieg, durch die Mainstraße ging und endlich links in den Mittelmarkt einbog – er mußte sogar ein paar Mal stehn bleiben und erst ordentlich wieder Athem holen.

Anders wurde es ihm freilich, als er die sonderbare Scheu endlich überwunden hatte, das, ihm durch den Brief und von Welbauer bezeichnete Haus betrat, und dort sein liebes, lang entbehrtes Kind sehen und in die Arme schließen konnte. Da kehrte der alte Muth zurück, frisch und frei schoß ihm das Blut wieder durch's Herz und ohne Rückhalt wollte er schon seinen Gefühlen, die ihm die Brust zu zersprengen drohten, Raum geben, als er merkte, wie ihm die Thränen in die Augen traten – sie liefen ihm hell und klar an den beiden braunen Wangen herunter und das – das brauchten die fremden Menschen nicht zu sehen, die von allen Seiten des Hauses herbeieilten und ihn jetzt umstanden. Er riß sich gewaltsam los, drückte seinen Hut, den er noch gar nicht abgelegt, fester in die Stirn und zog Wagner mit sich fort, in dessen Stube hinauf – er schämte sich, daß ihn die Leute sollten weinen sehn und hoffte sich später schon besser zusammen nehmen zu können.

Ein Gespräch mit Wagner allein, wie er es im Anfang gewünscht, sollte ihm aber nicht vergönnt werden, denn Missis Wagner, welche behauptete, dieß sei eine Sache, bei der sie selbst am meisten und innigsten betheiligt wäre, schloß sich ihnen gleich darauf an, und brach augenblicklich jede weitere und von Schwabe allerdings vorher beabsichtigte Einleitung dadurch ab, daß sie die Absicht seines Besuchs ohne Umstände beim Schopf erfaßte und an's Tageslicht zog.

Eines Theils war dieß nun gut, denn Schwabe hatte schon in aller Verlegenheit gar nicht gewußt, wie er am Besten beginnen solle, anderen Theils gab es ihm aber auch bald die keineswegs ermuthigende Ueberzeugung, daß hier, und dieser Frau gegenüber, ein gütlicher Vergleich unmöglich sein würde, denn Madame erklärte jetzt rund heraus, mit ihrer Bewilligung verließe das Mädchen ihr Haus nicht, und ohne ihre Bewilligung wäre noch weniger daran zu denken. Dabei gab sie dem armen Vater auch ohne die mindeste Schonung zu verstehn, wie freundlich er selbst und seine ganze Familie bei ihnen beherbergt worden, mit welcher Sorgfalt sie sich dann später selbst eines Kindes angenommen, von dem sie bis seit ganz kurzer Zeit, nur Sorge, Mühe und Auslagen, aber nicht den geringsten Nutzen gehabt. Jetzt dagegen, wo eben dieses Kind das Alter erreicht habe, in welchem sie hoffen durften, das zu erndten, was sie durch lange Zeit hinausgesäet, jetzt komme er, der Vater, der Jahre lang nicht einmal nach seinem Kinde gefragt, zurück und wolle es ohne weiteres abholen und mit sich fortnehmen. Daraus würde aber Nichts, so lange noch Recht und Gerechtigkeit im Lande existire, und so lange sie selber noch eine Zunge zum Reden und eine Hand es zu verhindern habe, sollte das nicht geschehen, dafür stehe sie; »Mister Schwabe müsse dann« wie sie mit beißendem Ton hinzufügte, »die Kleinigkeit von 3500 Dollar übrig haben, um aufgelaufenes Kost- und Schulgeld für seine Tochter zu bezahlen, dann möge er sie ihretwegen mitnehmen und wenn das Mädchen nachher wirklich ginge, wirklich die verließe, die ihr mehr als eine, wenigstens als ihre Mutter gewesen, so wolle sie denken, sie habe eben nur eine undankbare Natter an ihrem Busen genährt und müsse sich, ob ihr auch das Herz blute, darüber zufrieden geben.«

Was sagte aber die, um deren künftigen Aufenthalt, um deren glückliche oder unglückliche Zukunft vielleicht, es sich hier handelte, was sagte Louise zu alle dem? nach welcher Seite neigte sich ihr Herz und wie empfing sie den Vater, dessen Ankunft sie überraschte, ja erschreckte?

Was konnte das arme Mädchen sagen? – Von der Zeit an, wo sie ihre Mutter, ein kleines, keines Nachdenkens fähiges Kind zurückließ, war sie stets gewohnt gewesen, das Wagner'sche Haus als das elterliche – wenigstens als ihre Heimath – zu betrachten. Hier wurde sie auch heimisch, den wirklichen Eltern aber mehr und mehr entfremdet, je mehr die Erinnerung an frühere, einzelne Scenen in ihrem jugendlichen Herzen frischeren und lebendigeren Eindrücken Raum geben mußte. Selbst den Namen Mutter hatte sie vergessen, und nur manchmal, wenn sie ihn von andern Kindern hörte, zog es wie fernes liebliches Glockengeläute durch ihre Seele. – Das war die Erinnerung jener Zeit, wo sie den theuren Namen an dem Hals der eigenen Mutter selbst gelispelt, aber es war auch eben nur wie fernes Glockengeläut, und der Klang zu weich, zu unbestimmt, um ihm nähere, erkennbarere Formen geben zu können.

Wagner selbst hatte dabei in letzterer Zeit, und besonders seit Welbauers Besuch, nicht versäumt, das arme unwissende Kind, weniger mit klaren Worten wie mehr mit hingeworfenen und unbestimmten Aeußerungen ahnen zu lassen, daß dort, wohin man es holen wolle, eine keineswegs freudige Existenz seiner harre, denn nie würde es irgend ein Mensch wieder so lieb haben, wie man es hier, in seiner wirklichen und einzigen Heimath gehabt. Auch Missis Wagner schien seit der Zeit viel freundlicher und herzlicher mit Louisen zu werden, nannte sie oft Kind und Tochter, verbesserte die zwar einfache aber doch sonst reichliche und anständige Garderobe derselben und ließ ihr weit mehr Freiheit, als das bisher der Fall gewesen. Nichts destoweniger klopfte der Armen doch das Herz, als sie vernahm, ihr Vater wolle sie sehen – hatte sie denn nicht schon früher gehört, ihre Eltern verlangten sie zurück und war er denn nicht vielleicht gerade zu dem Zweck jetzt nach Cincinnati gekommen? Ihre Pulse flogen fieberhaft und eine Angst überkam sie, als ob irgend ein gewaltiges Unglück sie bedrohe, das sie nahen sehe, dem sie aber nicht entgehen könne.

Schwabe verließ indessen, nach seiner Zusammenkunft mit Wagners, sehr betrübt und niedergeschlagen ihr Haus, schlenderte langsam den Mittelmarkt hinauf, der katholischen Kirche zu, und dachte mit recht schwerem Herzen an die letzten Worte der gereitzten Frau Base – »daß sie Louisen wie eine Natter betrachten werde, die sie in ihrem Busen genährt –« Undankbar – der Vorwurf schnitt ihm tief, tief in die ehrliche Seele und langsam, die Augen fest auf die Trottoirs geheftet, wanderte er die breite, sonnige Straße entlang.

»Halloh, Schwabe – so wahr ich lebe – und in tiefen Gedanken?« rief ihn da plötzlich eine laute fröhliche Stimme an, »bist doch nicht etwa Bankdirector geworden, daß Du so grimmige Gesichter schneid'st, calculirst und Deine alten Freunde nicht mehr kennst?«

Schwabe sah rasch auf und erkannte, ebenfalls zu seinem freudigen Erstaunen einen alten Bekannten und Schiffsgefährten, der mit ihm von Deutschland ausgewandert und nach Cincinnati gefahren, dort aber, anstatt wie Schwabe nach Louisiana zurückzukehren, die ganze lange Zeit geblieben war, hier eine Brauerei errichtet hatte und sich nun gar wohl befand und glücklich fühlte. Er stand gerade in der Thür der Rehfußischen Apotheke und streckte dem überrascht vor ihm stehen Bleibenden mit herzlichen Worten die Hand entgegen.

»Aber nun sage nur einmal, Alterchen,« frug er den Niedergeschlagenen, als die ersten Begrüßungen gewechselt und er den Arm desselben in den seinigen gezogen. »Du siehst ja gerade so aus, als ob Dir die Petersilie verhagelt, oder sonst ein entsetzliches Unglück passirt wäre – was giebt's, was hast Du und wo willst Du jetzt hin?«

»Nirgends hin,« meinte Schwabe, »ich schlenderte nur hier in Gedanken fort – was es aber –«

»Dann kehren wir auch augenblicklich wieder um!« rief der Brauer, und schwenkte ohne weiters um. – »Da draußen haben wir Nichts zu suchen, und meine Brauerei und Bierstube liegt hier drinnen, dort mußt Du beichten, mein Bursche, und wenn das Uebel nicht gar so tief sitzt, so werden wir schon Rath schaffen.«

Schwabe, dem es überdieß lieb war, seinen trüben Gedanken sowohl auf kurze Zeit entrissen zu werden, wie auch Jemanden zu haben, gegen den er einmal unverholen sein Herz ausschütten konnte, lenkte willig mit ihm ein und erzählte nun dem neugefundenen Freunde, in dessen Haus sie endlich angelangt waren, umständlich seine ganze Geschichte, die Verbindlichkeiten, die er Wagnern schulde, dessen jetzige Meinung, und die Verzweiflung, in der seine Frau sein werde, wenn er ohne dem Kinde zurückkehre.

Der Brauer hörte ihm, den Kopf in beide, auf den Tisch gestemmte Arme gestützt, aufmerksam zu, unterbrach ihn nicht ein einziges Mal, und that nur manchmal lange, mächtige Züge aus dem vor ihm stehenden riesigen Blechmaaß, das an die alten deutschen Humpen erinnerte, dann aber, als Jener geendet und nur noch das erwähnte, wie ihn der Vorwurf, undankbar zu sein, so wehe thue und ihn ganz unschlüssig mache, was er thun oder lassen solle, da schlug der Brauer so kräftig auf den Tisch, daß die Fensterscheiben erschreckt zusammenklirrten und rief: der Wagner sei ein Lump, das wolle er ihm schriftlich geben, ihm aber werde er jetzt beweisen, daß, wenn Jemand wirklich dankbar zu sein hätte, es Niemand Anderer als in der That nur Wagner selbst sein müsse, der an dem Mädchen die langen Jahre hindurch einen wahren Schatz besessen.

Und nun theilte er dem mit der gespanntesten Aufmerksamkeit zuhörenden Vater mit, was das Kind seit seinem achten Jahre, also jetzt schon beinahe ein Zeitraum von wieder achten, gethan und gearbeitet, wie es seit dem eilften Jahre die Wirthschaft dort fast ganz allein geführt und bei dem Allen fast in keine Schule gekommen, sondern immer nur zu Haus behalten sei, um der sogenannten Missis Bequemlichkeit nicht zu stören und zu unterbrechen. Dabei habe sie, als diese vor drei Jahren am Tode mit dem wüthendsten Nervenfieber gelegen, wochen- und monatelang Tag und Nacht an ihrem Bette gewacht, erst im vorigen Jahre wieder eine gleich langwierige, wenn auch weniger gefährliche Krankheit bei ihr ausgehalten und überhaupt das, was Jene vielleicht an ihr gethan, als sie noch ein kleines Kind war und nicht arbeiten konnte, reichlich, ja im Uebermaße vergütet. Wenn also Jemand zur Dankbarkeit verpflichtet sein sollte, so wären es Wagner's selber, und daß sie damals das kleine Kind zu sich genommen, ei, das hätten sie auch eher aus Eigennutz, als aus Menschlichkeit gethan, denn selbst kinderlos freuten sie sich des kleinen, muntern Wesens, während es den Eltern wehe genug that, es zurückzulassen.

»Das Uebrige Alles bei Seite,« fuhr der Brauer plötzlich in seinen Trostworten fort, und etwas leiser redend, bog er sich, die Hände herunternehmend, näher zu dem Freund hinüber, »so giebt es doch noch einen Grund, über den wir hier in der Stadt, wenn's uns auch nichts anging, schon oft gesprochen, und der allein hinreichend wäre, es Euch, Schwabe, sogar zur Pflicht zu machen, Euer Kind mit fortzunehmen.«

Schwabe horchte hoch auf, Jener aber, die Stimme zu einem Flüstern herunterdrückend, sagte:

»Wenn ich Vater wäre, so nähme ich mein Kind, und besonders ein Mädchen, heute noch mit mir fort, das in dem Hause nichts Gutes lernen kann. Wovon ist Wagner so rasch und plötzlich ein wohlhabender Mann geworden? Von seinem Schenkstande etwa? – Das soll mir Keiner weiß machen; nein, von der heimlichen Spielhölle, die er in seinem Hause, klug genug, so versteckt hält, daß ihm die Gerichte, obgleich sie schon dreimal, und zwar ganz unerwartete Nachsuche gehalten, doch nicht auf die Spur kommen können. Das arme Mädchen nun, da er keinem fremden Barkeeper das Geheimniß anvertrauen kann, muß fast jede Nacht bis ein oder zwei Uhr bei diesen rohen Gesellen aufsitzen, und wenn auch Wagner ebenfalls im Zimmer bleibt, so hört sie doch dort – denn wie könnte sie's verhindern – all die gemeinen wüsten Reden einer Menschenklasse, die sich in der Leidenschaft des Spiels noch unter das Thier erniedrigen. Das arme Kind, seit langen Jahren daran gewöhnt, weiß das nun freilich nicht besser; wäre ich aber Vater, mir bliebe sie keine Stunde länger in dem Hause.«

»Aber lieber, bester Freund!« sagte Schwabe, hierdurch einestheils von der ersten Besorgniß erlöst, aber dann auch wieder mit einer neuen, fast noch schwereren auf der Seele – »wie will ich sie fortbekommen? Fordere ich sie dem Manne durch das Gesetz ab, so macht er mir nachher eine Kostenberechnung, die ich nach dem, was ich schon von der Frau gehört, gar nicht im Stande wäre zu bezahlen.«

»Nein, dahin darfs nicht kommen!« entgegnete rasch der Brauer, »wenigstens müßtet Ihr erst den Hauptvortheil vorne weg zu gewinnen suchen, und das ist – das Recht des Besitzes, in dem sich Wagner jetzt befindet. Wer eine Sache einmal wirklich hat, dem ist sie hier in Amerika verdammt schwer aus den Zähnen zu reißen, selbst wenn er noch weniger anscheinendes Recht darauf hätte, als Wagner hier in diesem Falle; verhielt sich aber die Sache umgekehrt, wäre die Tochter bei Euch, und wollte sie Wagner nun wieder haben, oder die Entschädigungssumme ausgezahlt bekommen, dann müßte er klagen und Ihr, in St. Francisville könntet nachher eine Gegenrechnung für geleistete Dienste aufsetzen, die sich gewaschen hat.« –

»Dann bleibt mir weiter Nichts übrig, als mein eigenes Kind zu stehlen!« rief Schwabe.

»Ganz meiner Meinung!« sagte der Brauer und leerte den letzten Rest des Blechmaaßes auf einen Zug – »ganz meiner Meinung,« wiederholte er, als er fertig war, und das Gefäß klappernd auf den Tisch zurückstellte – »und Nichts leichter als das! Ich bin heute Morgen mit dem Mailboot von Louisville gekommen, und habe unten an der Landung das Sternwheelboot[10] Raritan getroffen, das, wie mich der Capitän fest versicherte, morgen früh mit dem Schlage Acht, Cincinnati verläßt. Der Raritan geht allerdings nur bis zur Mündung des Arkansus, den Mississippi hinunter; das schadet aber Nichts, dort langen täglich wenigstens zwei oder drei stromabgehende Boote an, und Ihr Beide könnt in fünf bis sechs Tagen in Louisiana sein.«

[10]: Sternwheelboot ist ein Dampfboot, das, gewöhnlich mit zwei Maschinen, nur ein großes Rad hinten am sogenannten Stern hat, und von diesem also gänzlich vorwärts geschoben wird. Diese Art Boote scheinen aber nicht besonders praktisch, und es giebt deren nur sehr wenige auf den Amerikanischen Flüssen.

»Aber wie bekomme ich Louise aus Wagner's Händen, ohne daß dieser etwas davon merkt?«

»Louisen? Ei, Ihr geht einfach zusammen fort, denn Wagner läßt sich nie Morgens vor neun Uhr unten sehen – so lange schläft er, weil er die Nacht so spät aufbleibt, und das arme, junge Mädchen muß schon von sechs Uhr an Frühstück und Alles besorgen, dann auf dem Markt einkaufen, die Eier oder vielmehr die Bäkereien in Ordnung halten, und Gott weiß, was sonst noch für Sachen und Geschäfte verrichten. Du siehst also zu, daß Du heute Abend noch einmal Gelegenheit bekommst, mit Deiner Tochter zu sprechen, und das Uebrige überlasse mir – ich bin dort im Hause bekannt wie ein bunter Hund, und werde das Alles schon besorgen. Jetzt aber, damit Du keinen unnöthigen Verdacht erregst, oder einen vielleicht schon erregten wieder beschwichtigst, gehst Du zu Wagner's Haus zurück, und erklärst dorten, daß Du sie – Wagner's, bittest, Deinen Wunsch nochmals zu überlegen und zu prüfen, stelle ihnen dabei vor, wie sich die Mutter sonst grämen wird etc. – das hilft doch Alles nichts, aber es macht sie sicher – hiernach theile ihnen mit, daß Du gesonnen seist, drei Tage in Cincinnati zu bleiben und nach Ablauf dieser Frist wünschest, eine bestimmte Antwort von ihnen zu hören – das sagst Du ihnen übrigens nur, wenn Du allein mit ihnen bist, verstehst Du? Ihr braucht dazu gerade keine Zeugen. Apropos, haben sie Dich schon eingeladen, bei ihnen zu wohnen?«

»Nein – sie wissen ja gar nicht, wie lange ich hier bleiben wollte.«

»Gut, desto besser – thun sie es jetzt, so sagst Du, Du hättest es mir schon versprochen; morgen früh hast Du denn weiter nichts zu thun, als in dem Augenblick, wo ich das Zeichen von unten herauf bekomme, daß das Boot die Springkette losläßt, Dein Kind abzuholen, in Mainstreet soll dann ein Wagen für Euch stehn, und daß sie unten nicht eher abfahren bis Ihr an Bord seid, dafür will ich auch schon Sorge tragen.«

Alle weiteren Bedenklichkeiten des immer noch nicht recht fest Entschlossenen, machte übrigens der wackere Brauer zu Schanden, bewies ihm, daß er, wenn er nicht ein wahrer Rabenvater wäre, sein Kind mitnehmen müsse, und redete ihm so in's Herz hinein, daß sich Schwabe, dessen heißester Wunsch das Alles ja von Anfang an selbst gewesen, nur zu gern überreden ließ, in jeder Hinsicht dem Rath seines neugefundenen Freundes zu folgen, mit dem er auch jetzt die näheren Vorsichtsmaßregeln besprach und festsetzte.

Allerdings ging er nun von hier aus wieder nach Wagner's Haus zurück; so sehr er sich aber auch bemühte, seine Tochter, und sei es nur auf wenige Minuten, allein zu sprechen, so gelang ihm das doch keineswegs, denn eine direkte Unterredung mochte er nicht gern verlangen, weil er dadurch Verdacht zu erregen fürchtete; ja er hatte sogar schon, um seinen Vetter ganz sicher zu machen, diesem gesagt, daß er, da er sich doch jetzt einmal in Cincinnati befinde, einen guten Bekannten aufsuchen wolle, der mit ihm über See gekommen sei, und etwa zwei Stunden Wegs von der Stadt entfernt wohne, er würde daher auch wohl nicht vor morgen früh zehn Uhr zurückkehren können. Kaum vermochte er dabei mit dem fortwährend beschäftigten Kinde ein paar flüchtige Worte zu wechseln, doch hatten sie das vorausgesehn, und dafür schon Vorkehrungen getroffen. Der Brauer sollte nämlich, sobald ihm das nicht selbst gelang, den Abend bei Wagner's zubringen, und die Tochter bei der ersten sich ihm dort bietenden Gelegenheit auf die beabsichtigte morgende Flucht vorbereiten. Der Klugheit Louisens hofften sie dabei ebenfalls viel vertrauen zu können und glaubten jetzt die ganze Sache auf das vortrefflichste und zweckmäßigste eingeleitet und berathen zu haben.

So brav und ehrlich unser wackerer Brauer aber auch sein mochte, und so gut er's sicher in diesem Falle meinte, so war er doch – das ließ sich kaum läugnen – nichts weniger als ein Diplomat und kam fast nie zum Ziele, wo es einiger List und Scharfsinn galt, sondern meistens nur, wo er gerade ohne weitere Umstände hinein tappen durfte. So hatte er es denn auch in diesem Falle wohl eine volle Stunde lang umsonst versucht, Schwabes Tochter nur so viel merken zu lassen, daß er ein Paar Worte an sie allein zu richten wünsche. Vergebens blieb er mitten in der Schenkstube, allen Gästen im Wege stehen, um sie im Vorbeigehen anzureden, vergeblich verstopfte er über eine Viertelstunde durch seine breite, vierschrötige Gestalt die Hofthür, sie kam nicht einmal hinaus, und er wurde endlich durch die vereinten Bemühungen des Barkeepers und der schwarzen Köchin bei Seite geschoben, und bedeutet, daß dieser gerade der allerletzte Platz wäre, wo man ihn gern sähe. Er fing schon an, die Aufmerksamkeit der Gäste zu erregen, und beschloß nun einen andern, weniger gefährlichen aber gewiß sichern Plan zu verfolgen.

Zu diesem Zwecke ließ er sich in einer der am wenigsten beobachteten Ecken des Zimmers nieder, und drückte sich hier, seinen Blechkrug und das brennende Licht – denn es war indessen dunkel geworden – dicht vor sich geschoben, fast gewaltsam zwischen die scharfe Tischkante und die hier angebrachte, mit mächtigem Gehäus umschlossene Wanduhr. Dadurch gewann er den Vortheil, daß er, ohne den Kopf zu wenden, das ganze Zimmer übersehen konnte, und sobald er sich jetzt einen Augenblick selber unbeachtet sah, schlug er mit der Lichtschere gegen das Blech, was, wie er recht gut wußte, Louise im Nu an seine Seite brachte.

Das junge Mädchen sprang rasch auf ihn zu, und streckte die Hand nach dem Blechmaaß aus, um es wieder zu füllen; der Brauer hielt das aber mit der linken fest, während er mit der rechten ihren Arm ergriff, sie ein wenig zu sich hinüberzog und leise, aber schnell flüsterte:

»Erschrick nicht – er kommt morgen früh!«

Louise erschrak aber über das Plötzliche dieser Warnung und fast eben so über das sonderbare Gesicht, das der Brauer dabei machte, dermaßen, daß sie einen nur halbunterdrückten Schrei ausstieß.

Eigenthümlich war die Wirkung, die dieser Schrei auf den Brauer ausübte.

In demselben Momente fuhren die Gäste nach dem ziemlich hörbaren Ausruf herum und natürlich richteten sich dadurch ihre Blicke auf den in der Ecke Sitzenden, dieser aber riß mit einem plötzlichen Ruck beide Hände zurück, saß starr und steif da, zog die Backen ein, preßte dabei die Lippen fest aneinander, und schnitt ein so ungemein gleichgültiges und nichtsagendes Gesicht, daß Louise, die solch wunderbare Veränderung mit Blitzesschnelle vor sich gehen sah, in ein lautes Gelächter ausbrach, in das jetzt viele der Umstehenden mit einstimmten.

Der Brauer ließ sich nun allerdings nicht durch solche Kleinigkeiten außer Fassung bringen, damit war ihm aber auch für den Augenblick der ganze Anlauf verdorben, und er mußte wohl eine halbe Stunde vorübergehen lassen, ehe er einen neuen Versuch wagen durfte.

Als er zum zweiten Male an das Blech schlug, sah sich Louise allerdings wieder nach ihm um, blieb aber stehen, und des Brauers rasch und seltsam verzerrte Physiognomie, rief ihr eben so rasch die Grübchen in die Wangen zurück, denn sie konnte doch wahrlich nicht ahnen, daß dieses gräuliche Gesichterschneiden irgend einen bedeutsamen Zweck für sie haben sollte. Und dennoch war das so; der Brauer gab sich die nur erdenklichste Mühe, irgend einen mimischen Eindruck auf sie hervorzubringen, sobald er das nur irgendwie unbemerkt thun konnte, und die halb schlauen, halb ängstlichen Seitenblicke, die er dazwischen im Zimmer und besonders nach rechts und links hinüber warf, waren so unwiderstehlich komisch, daß die, zu deren Besten der sonst so ernste Mann all diese Muskelverzerrungen vortrug, endlich in allen Freuden und dem festen Glauben, »der Brauer habe heute einmal einen Schluck über den Durst gethan,« ihren Pflegevater darauf aufmerksam machte, und dadurch den ganzen, so schön und pfiffig ausgedachten Plan unseres Bierfabrikanten zerstörte. Wagner setzte sich bald darauf zu ihm, und der Brauer verließ eine Stunde später, höchst ärgerlich auf sich und die ganze Welt, die »City of München

Dadurch war es den Verbündeten freilich unmöglich geworden, die Tochter gehörig vorzubereiten, um am nächsten Morgen nicht zu viel Zeit zu verlieren. Nichtsdestoweniger trafen sie alle nöthigen Vorkehrungen, und kauften besonders mehre Kleidungsstücke ein, denn Louise sollte unter keiner Bedingung auch nur ein Stück der ihr von Wagner geschenkten Kleidungsstücke mitnehmen; selbst ein Bonnet und das Nöthigste, was sie für den Augenblick brauchte, konnten sie leicht in dem 150 Miles entfernten Louisville bekommen, wo sie genug Zeit behielten, Einkäufe zu machen, während das Dampfboot langsam durch die Schleusen des Canals gelassen wurde.

Der von Schwabe in ängstlicher Ungeduld so sehnlichst herbei gewünschte Morgen brach endlich an, und unten an der Landung waren die Feuerleute und Deckhands des Raritan schon emsig beschäftigt, die Kessel zu heizen und die Verdecke mit unzähligen heraufgeholten Eimern Flußwasser zu scheuern und abzuspühlen. Oben in der fünften Straße öffnete der Barkeeper des deutschen Kaffeehauses die Laden, fegte das Schenkzimmer aus und ging dann an seine gewöhnliche Morgenarbeit, das im Hinterhaus versteckt liegende Spielzimmer nach seinem nächtlichen Besuch zu reinigen und zu lüften und zum nächsten vielleicht schon sehr baldigen Besuch wieder herzurichten, mit welchem Geschäft er selten vor neun oder halb zehn Uhr fertig wurde.

Louise war indessen vorn in der Bar beschäftigt, staubte die Flaschen und Tische ab, spülte und wischte die Gläser aus, breitete neue Servietten auf die verschiedenen Kaffeebreter, füllte die kleinen Flacons mit Staunton Bittres und Pfeffermünzessenz, putzte die blind gewordenen Fensterscheiben und that überhaupt Alles, um die Schenkstube in ihrer gewöhnlichen Sauberkeit und Reinlichkeit zu halten und war so emsig dabei beschäftigt, daß sie gar nicht bemerkte, wie schon ein Mann mehre Minuten lang in der geöffneten Thüre stand und ihrem thätigen Schaffen und Treiben sinnend aber aufmerksam zuschaute.

Dem armen Mädchen gingen aber auch gar viele trübe und ernste Gedanken im Kopf herum – war nicht, wie ihr Mrs. Wagner gesagt, ihr Vater gekommen, und wollte er sie nicht ihrer jetzigen liebgewonnenen Heimath entreißen, um sie einer andern – wie ihre Pflegeeltern sagten – traurigen und freudlosen Existenz entgegen zu führen? war sie gezwungen ihm zu folgen, oder durfte sie bleiben, wenn sie ihm verweigert wurde? – Ja – durfte sie in dem Fall wirklich bleiben, oder zwang sie die kindliche Pflicht, dem zu folgen, der von der Natur das erste heiligste Recht auf sie erhalten hatte? Ach, wer half ihr aus diesen Zweifeln, welcher redliche Freund rieth ihr, was sie thun, was sie meiden sollte? –

»Louise!« sagte da eine leise – zärtliche Stimme – »mein Kind – meine Tochter.« –

Und Louise, als sie die bekannten Laute hörte, fuhr zusammen, daß ein Glas, an welchem sie gerade putzte, ihrer Hand entfiel und auf dem Boden klirrend zerbrach. Blitzesschnell fuhr sie herum, vor ihr aber stand, die Arme freundlich und liebend nach ihr ausgestreckt – ihr Vater. Das arme Kind wurde todtenbleich, zitterte an allen Gliedern und vermochte kein Wort über die Lippen zu bringen; Schwabe aber ergriff ihre Hand, zog die kaum Widerstrebende langsam an sich und flüsterte, indem er ihr liebkosend die Haare aus der Stirn strich:

»Mein Kind – mein liebes, gutes Kind, nicht wahr, jetzt läßt Du mich nicht wieder allein zu Deiner Mutter zurückkehren? der bräche das Herz darüber; nein, jetzt, jetzt verläßt Du mich nicht wieder, jetzt bleiben wir beisammen, und Du, nicht wahr, meine gute Louise, Du gehst mit mir zu Deiner Mutter nach Louisiana?«

»Aber wird mich Missis Wagner fortlassen?« murmelte in Angst und Unentschlossenheit das arme Mädchen – »wird sie –«

»Das sind böse Menschen, die Dich Deinen Eltern vorenthalten wollen,« drängte der Vater – »Du bist in dem Hause hier auch nicht gut aufgehoben, der Brauer hat mir Alles erzählt. Doch davon später. Jetzt drängt die Zeit, in wenigen Minuten geht das Dampfboot ab – die Ketten sind schon eingenommen, es hängt nur noch an einem einzigen Tau und wartet auf uns.«

»Jetzt?« rief Louise erschreckt, und suchte ihren Arm frei zu machen – »jetzt soll ich fort – heimlich fliehen?«

»In die Arme Deiner Eltern sollst Du, Louise – zu den Deinigen, die Dich auf den Händen tragen und für Dich sorgen werden, wie sie es sich schon so lange Jahre gewünscht.«

»Und ohne Abschied sollte ich fort von meinen Eltern, fort aus diesem Hause?« bat, immer ängstlicher werdend, die Arme – »Niemand ist hier im Laden – sie haben mich wie ihr Kind behandelt – sie haben mich lieb und ich – ich –«

Ein starkes Klopfen an den Fensterscheiben schreckte sie wieder empor und gleich darauf steckte ein kleiner Negerbursche den Wollkopf in die noch offene Thüre herein und rief mit seiner feinen, piepigen Stimme: »Raritan geht, Massa – haben schon steam 'nausgelassen, soviel – Wagen steht an der Ecke.«

»Siehst Du, mein Kind – es ist alles vorbereitet,« flüsterte der Vater und zog die Tochter der Thüre zu, »in wenigen Minuten können wir auf dem Dampfboote, in fünf Tagen kannst Du in den Armen und an dem Herzen Deiner Mutter sein – komm, komm, Louise!«

»Heiliger Gott! ich kann und darf ja doch nicht wie ein Dieb hier aus dem Hause entfliehen, das mir so lange Jahre Schutz und Nahrung gegeben, – ich möchte schon mit Ihnen gehen, Vater, aber – so – so nicht, so auf keinen Fall.«

»Louise – mein Kind!« bat noch einmal der Vater, und die Heftigkeit seiner Gefühle drohte ihm die Stimme zu ersticken – »Du wirst und darfst mich nicht allein zu Deiner Mutter zurückkehren lassen – Du mußt mit mir gehen – ich befehle es Dir als Dein Vater.«

»Um Gottes willen, Vater, Sie zerdrücken mir den Arm – ich darf wahrhaftig nicht fort.«

»Holla da, wer will Dich zwingen?« rief plötzlich eine rauhe, finstere Stimme, und Wagner, noch im Morgenkostüm, mit verschlafenen Augen und hoch aufsträubenden Haaren, trat in die Thüre, wo er – sobald er sah, daß Schwabe bei seinem Erscheinen den Arm der Tochter fast unwillkürlich losließ und sich rasch nach ihm umwandte, stehen blieb, und mit höhnischem Tone in seiner Rede fortfuhr. »So, Sir – also ordentlich Versteckens wird gespielt, um denen, die uns das eigene Kind lange und schwere Jahre hindurch gepflegt und erzogen, dieses, wenn man nachher anfängt seine Freude daran zu haben, förmlich zu rauben und zu stehlen? – da werde ich wohl am Besten thun, wenn ich gleich auf's Gericht gehe und die saubere Bescheerung anzeige – ich bin Bürger hier und will doch einmal sehen, ob mich das Gesetz nicht in meinem Eigenthum schützen wird.«

»Wagner,« murmelte Schwabe, und hielt noch immer den finsteren Blick auf sein Kind geheftet, das, keiner weiteren Bewegung fähig, jetzt, da sich sein Schicksal entschieden, an dem Schenktisch lehnte und weinte, als ob ihm das Herz brechen wollte – »Wagner, möge Gott Dir verzeihen, daß Du den Eltern das Kind verweigerst – die Summe, die Du verlangst, bin ich aber, das weißt Du recht gut, nicht im Stande zu bezahlen; Du weißt aber auch, daß Du die Summe nicht verdienst, daß mein Kind mehr für Dich gearbeitet, als das Wenige beträgt, was sie verzehrt und womit sie sich gekleidet. Gott nur sieht den Menschen in's Herz, ihm werden auch die Mittel bekannt sein, die Du angewandt, sein junges Blut gegen mich zu kehren. Daß ich mein Kind heimlich mit mir fortnehmen wollte, leugne ich nicht, und hättest Du es verhindert, so würde mich das arg geschmerzt haben, aber – es weigert sich selber mitzugehen – es will von seinen Eltern Nichts mehr wissen, und das ist hart, das hatte ich nicht erwartet, und das – thut auch recht weh, weher, als mir je ein Wort von Dir thun konnte, Wagner. So lebt denn hier Alle recht wohl – ich kehre nun wieder nach Cincinnati zurück, Dir aber, mein Kind, meine Louise« – und die herausquellenden Thränen machten seine Worte fast unverständlich – »Dir wünsch ich, daß Du nie fühlen, nie ahnen mögest, welchen Schmerz Du Deinen armen Eltern bereitet, die, Gott ist mein Zeuge, nur durch ihre Lage gezwungen waren, Dich so lange fremden Händen zu überlassen – lebe wohl, und möge Gott Dich segnen, ich kann nicht böse auf Dich sein. Aber halt, hier, das hat mir Deine Mutter für Dich gegeben, ich hatte einmal geglaubt, ich würde es nicht abzuliefern brauchen – gut so, es hat so sein sollen – Deine arme Mutter.«

Er ging auf die Tochter zu, legte ein kleines Paket neben sie auf den Schenktisch, drückte sie dann noch einmal rasch und heftig in die Arme, einen Kuß auf ihre Stirn und verließ, ehe Louise kaum wußte daß er sie losgelassen, das Schenkzimmer, vor dem eben wieder, jetzt aber mit breitem Erstaunen in den dunkeln Zügen, das Gesicht des Negerknaben aufgetaucht war.

Wie er nach Mainstreet und in den dort harrenden Wagen kam, wußte er nicht – in eine Ecke gedrückt, die Hände krampfhaft gegen das Gesicht gepreßt, fühlte er nur, wie die leichte Gig blitzesschnell mit ihm die steile Straße hinunterrasselte, und bald darauf vor dem wild schnaubenden und keuchenden Dampfboot hielt; dort aber kam er erst wieder zur Besinnung als der hier harrende Brauer den Kutschenschlag aufriß und ganz verblüfft stehen blieb, als er den Freund allein zurückkehren sah. Hier war aber nicht lange Zeit mehr zum Besinnen, der ungeduldige Ruf des Capitäns, der nun mit ganz außergewöhnlicher Gefälligkeit bis jetzt gewartet, trieb ihn an Bord –

»Sie wollte nicht mit!« rief der arme Vater nun trauernd dem Freunde zu, riß sich von diesem, der ihn noch zurückhalten wollte, los, sprang an Bord und keuchend und puffend drängte der Dampfer rückwärts in den Strom hinein, und warf die aufgerüttelten Wellen hinauf an das eben verlassene Ufer. In der Mitte des Stromes hielt die Maschine einen Augenblick und das Fahrzeug trieb eine kurze Strecke mit der Strömung hinunter, schwenkte dann nach der Seite hinüber, kehrte den Bug gen Westen und schoß blitzesschnell davon, während das eine mächtige Sternrad schäumende und zischende Wassermassen hinter sich hinaus schleuderte.

Und Louise? –

Das arme Mädchen war kaum im Stande, den Tag über ihre Geschäfte zu besorgen; das Hirn brannte ihr fieberhaft, und ihr war es, als ob sie fortwährend in einem Traume wandle, aus dem sie jeden Augenblick erwachen müsse. Ihr Vater? – das war ihr Vater gewesen, der sie hatte mitnehmen, zur Mutter mitnehmen wollen – ihr lebte eine Mutter, aber weit von hier, eine Mutter, die sie vielleicht lieb hatte, die ihrer harrte und sie? O wie dem armen Kind die Pulse flogen, wie seine Augen glühten und schmerzten. Sie konnte sich kaum noch aufrecht erhalten und Wagner, dem ihr verändertes Aussehen auffiel, schickte sie heute schon mit Dunkelwerden auf ihre Kammer.

Hier angelangt, wollte sie sich gleich aufs Bett werfen, da fiel ihr das kleine Paket in die Augen, das ihr der Vater heute beim Abschied gegeben. Sie zündete ihr Lämpchen an und bei dem matten Schein desselben öffnete sie den Faden, der es umschlossen hielt – Ha – ein kleines Bild blitzte ihr entgegen und ein dicht zusammengefaltetes Briefchen glitt heraus und vor ihre Füße nieder. Das Bild? – das, das mußte ihre Mutter sein – ihre Mutter die sie mit den treuen blauen Augen so freundlich anlächelte – und diese Augen – mußten die sich nicht mit Thränen, mit heißen, schmerzlichen Thränen füllen, wenn der Vater, ohne das Kind zurückkehrte, und der Mutter sagte – daß die Tochter – Nichts von ihr wissen wolle – daß sie sich geweigert habe, ihm zu folgen?

Sie stützte den Kopf in die Hand und betrachtete lange und sinnend die theueren Züge, zu denen sie als Kind liebend emporgeschaut und den Namen »Mutter« hinaufgelispelt hatte. Ihre Augen füllten sich mit Thränen – da fiel ihr Blick auf das zusammengefaltete Blatt, sie hob es auf und entfaltete es.

»Mein liebes Kind,« lauteten die Zeilen – »ich kann zwar nicht selber schreiben, denn erstens hab' ich's nie gelernt, und dann bin ich jetzt auch recht krank und schwach, aus Sehnsucht Dich zu sehn, unser Barkeeper hat mir aber den Gefallen gethan, und die paar Zeilen aufgesetzt. Hätte ich schreiben gekonnt, ach wie oft hätt' ich an Dich, Du liebes Kind, geschrieben. Doch nun schadet es Nichts mehr – nun kommst Du bald zu uns, und dann soll uns Nichts auf der weiten Welt mehr trennen. Ach Du glaubst gar nicht, wie ich mich nach Dir sehne; ich glaube ich stürbe, wenn ich Dich nicht bald in meine Arme schließen könnte. Ich habe Dich wohl recht lange ohne Nachricht von mir gelassen, aber nicht wahr – Du bist Deiner Mutter nicht böse darüber, ach ich will Dich ja jetzt so lieb dafür haben. Das dabei ist mein Bild – es ist recht ähnlich – ich habe ihm tausend Küsse für Dich gegeben – es mag sie Dir wieder geben, bis ich Dich selbst an's Herz drücken kann. Aber jetzt lebe recht wohl – recht wohl meine liebe Tochter und möge Dich Gott recht bald und recht gesund in meine Arme führen. Es grüßt und küßt Dich viel hundert tausendmal

Deine Mutter.«

Louise saß lange, lange auf ihrem Bett und starrte auf den Brief nieder; – wieder und wieder überflog sie die Zeilen, preßte sich die fieberheiße Stirn zwischen die kleinen kalten Hände und blieb dann auf's Neue in dem Inhalt dieser, mit bitterem Vorwurf an ihr Herz dringenden Worte verloren. Endlich brach sich der nicht länger dammbare Schmerz Bahn – sie ergriff das Bild, preßte es unter einem heißen Thränenstrom an die Lippen und sank dann, mit dem leise und schluchzend hervorgerufenen Wehelaut »zu spät – zu spät, – nun ist Alles vorbei und ich habe die Mutter für ewig verloren!« auf ihr Lager zurück.


Wir wollen einen Zeitraum von fünf Monaten überspringen, und wiederum bitte ich den Leser, mit mir den etwas steilen aber kurzen Berg hinaufzusteigen, der von der äußersten Grenze Bayou Sarahs aus, bis zu den ersten Häusern des kleinen Städtchens Francisville hinaufführt.

Dort, gleich linker Hand, wenn wir hinaufkommen, da, wo das breite starke Reck die hereinkommenden Pflanzer einladet, ihre Pferde zu befestigen und indessen einen kühlen Trunk zu thun, steht noch das freundliche, weiße Haus mit den Jalousien und der breiten Veranda, mit dem niederen Dach und der gastlichen Bank vor der Thür, aber das Schild – wo ist das Schild hin, das mit den großen goldenen Buchstaben den Namen unseres wackeren Landsmannes trug? Wo ist die lange schmale Tafel, die all die Leckerbissen und Delikatessen in güldenen Worten aufzählte? Ach lieber Leser, in dem Hause sieht's jetzt gar bunt und wild aus, die Schilder sind aus ihren eisernen Haken losgerissen, die Wände und Stuben leer und verlassen. Wo sonst das gemüthlich stille Stübchen war, da lag jetzt Stroh, einzelne Stückchen Packleinewand und kurze Bindfaden, während in der unteren Stube und in dem Schenklokale gescheuert und gewaschen wurde, als ob eben erst die eine Familie aus, eine andere eingezogen sei. Und das war auch so, denn traurige Veränderungen hatten in der selbstgegründeten Heimath unseres wackern Deutschen stattgefunden.

Als Schwabe damals ohne sein Kind zurückkehrte, und die arme Mutter nach und nach die ganze schreckliche Wahrheit erfuhr, ja erfahren mußte, da warf sie der Schmerz und Gram um das Verlorene auf das Krankenlager und ein schweres Nervenfieber bedrohte ihr Leben. Freilich siegte die sonst kräftige Natur der Frau endlich über den rüttelnden Tod, der frohe Muth war aber dahin, und bleich und abgezehrt wankte sie, einer Leiche ähnlicher als einem lebenden, fühlenden Wesen, im Haus herum. Auch Schwabe wurde immer trauriger, immer niedergeschlagener; er vernachläßigte seine Kunden und sein Geschäft, denn es machte ihm keine Freude mehr, und konnte dagegen stundenlang hinter dem Tisch sitzen, und in ein und dieselbe Ecke stieren.

Ein paar Monate hielt er das so aus; seiner Frau Krankheit beschäftigte ihn auch in der ersten Zeit viel zu sehr, um noch an sich zu denken, endlich aber sah er doch wohl ein, daß er so nicht länger fortbestehen könne.

Hier – ja hier hatte er ein hübsches Besitzthum, das ihn nährte, es ging ihm gut, und nichts fehlte ihm, was er zu körperlichem Wohlbefinden gebrauchte, was aber half ihm dies Alles, wenn trotzdem ein ewiger unvertilgbarer Wurm an seinem Herzen nagen sollte – wenn er die Frau in Sehnsucht nach ihrem Kinde hinsterben sah, und sich selbst am Ende noch Vorwürfe, und gegründete Vorwürfe machen mußte. Denn wie lange, wie viele Jahre hatten sie sich Beide nicht um die Tochter gekümmert, und konnte ihnen das jetzt in ihrem eigenen Gewissen zur Entschuldigung dienen, daß sie das Kind bei den wohlhabenden Leuten besser aufgehoben geglaubt, als es bei ihnen selbst der Fall gewesen? Nein, denn die Ueberzeugung, die Schwabe jetzt und besonders durch des Brauers Worte erhalten, sagte ihm, daß sich sein Mädchen dort vielleicht körperlich, aber keineswegs geistig wohlbefunden haben könne, wo sie blos als Mittel verwandt wurde, eine Haushälterin zu sparen und ihren Erziehern von so großem Nutzen zu sein wie möglich. Und darnach hatte er, der Vater, Jahre lang nicht gesehen, darauf mußten ihn jetzt erst fremde Menschen aufmerksam machen.

Doch, noch war nicht Alles verloren, noch gab es Gott sei Dank! ein Mittel, seinen Fehler zu verbessern und das Mittel, es war der erste freudige Gedanke, der ihn wieder durchzuckte, das Mittel hatte er sich selbst durch seinen eigenen Fleiß erworben und verschafft. Als er hier in Amerika zu arbeiten anfing, besaß er wenig oder gar nichts; selbst die Erfahrung fehlte ihm, die man in den Vereinigten Staaten gewöhnlich so theuer, so ungeheuer theuer erkaufen muß. Jetzt hatte er dagegen lange Jahre hindurch Erfahrung gesammelt, und kannte die Sitten und Gebräuche des Landes – mußte ihm nun nicht, und wenn er auch wirklich noch einmal von vornherein begann, der Anfang um so bedeutend leichter werden? – Gewiß! und sein Entschluß war gefaßt – es handelte sich hier nur um Geld, das er besaß, von dem er sich trennen konnte, und seine, seiner Frau Ruhe, seines Kindes Rückkehr war damit zu erkaufen. Was war es auch weiter, er entsagte ja nur einem errungenen Vortheil, einer nach und nach zum Bedürfniß gewordenen Bequemlichkeit und jetzt, da er sich überwunden, ja dem festen Willen sogar die That augenblicklich folgen ließ und all die hierzu nöthigen und erforderlichen Schritte that, da begriff er kaum noch, wie es möglich gewesen, daß er früher auch nur einen Augenblick gezaudert, und nicht schon lange, ja gleich damals als ihn der erste schmerzliche Schlag traf, Alles geopfert habe, was ja in diesem Falle nicht einmal ein Opfer genannt werden konnte, wo es das Glück seiner ganzen Familie, all der Seinigen betraf.

Er sollte sich auch nicht getäuscht haben, seine Frau schien mit diesem Entschluß des Vaters neue Lebenskraft zu gewinnen, – hier öffnete sich ihr auf einmal die Aussicht, ihr Kind – das schon als todt beweinte – wieder zu gewinnen und fast gewaltsam schüttelte sie von diesem Augenblick Alles ab, was ihren Geist noch niederdrücken, ihre Seele befangen und ängstigen konnte. Die Hoffnung war eingezogen in das treue Mutterherz, und mit ihr wuchs und gedieh auch wieder die Liebe zum Leben, das Vertrauen auf ihres Gottes Schutz und Güte, der sie in der letzten schweren Zeit ach! fast verlassen.

Hätte es übrigens noch eines Antriebes bedurft, den einmal gefaßten und beschlossenen Plan auch auszuführen, so kam der nach etwa vier Monaten in der Gestalt eines Briefes, von unserem alten Freund, dem Brauer, der Schwaben noch einmal ernsthaft aufforderte, einen zweiten Versuch zu machen, sein Kind wieder zu bekommen, wenn es nicht in seinen dortigen Verhältnissen an Seel und Leib verderben sollte. Die Spielhölle in Wagners Hause, hatte, seiner Aussage nach, einen so gefährlichen Charakter angenommen, daß er aus guter Hand wisse, der Magistrat warte jetzt nur noch auf eine Gelegenheit, ernsthaft einzuschreiten, und Louise müsse dabei über ihre Kräfte angestrengt werden, denn sie sähe bleich und elend aus und habe, so oft er nun auch hingekommen sei, immer trübe und verweinte Augen.

Es war hier – das sah Schwabe aus dem ganzen Brief – gar keine Zeit mehr zu verlieren, den Verkauf seines Grundstücks betrieb er also so viel als möglich, und sandte zu gleicher Zeit den, indessen zu einem wackeren, braven jungen Mann herangeschossenen Sohn nach dem Westen von Arkansas, wo er sich, als ehrlicher Farmer am Fuße der Ozark-Gebirge anzusiedeln gedachte. Carl sollte dort einen Platz aussuchen und vorher irgend eine kleine Hütte zu ihrem ersten Aufenthalt einrichten, daß sie, so lang die nöthigsten Arbeiten dauerten, doch wenigstens ein Obdach hatten. Das Andere fand sich später von selber, und dort, in einem Lande, wo man keine Ansprüche macht, unnütze Bequemlichkeiten nicht kennt, und sich deshalb gerade mit dem wenigen, was die Natur bietet, glücklich fühlt, wurde es ihnen auch leichter zu vergessen was sie einst besaßen, wenn sie nur das Wenige, was ihnen blieb mitsammen genießen konnten, und sich nicht immer sagen mußten, Eines fehle noch – eines von den Ihren, dessen Glück Gott dereinst von ihnen fordern könne und werde.

Manchmal zwar tauchte auch, selbst in diesen Vorbereitungen, noch das alte Gespenst der Angst und Ungewißheit auf – das Kind mag Nichts von den Eltern wissen – es liebt Die nicht, die es so lange vergessen und unter fremden Menschen gelassen haben – es hat ja nicht einmal mit dem Vater zu Hause gewollt, obgleich der Mutter fast das Herz darüber gebrochen; aber die Mutter selber beschwichtigte alle diese Zweifel.

»Daß sie zu Dir nicht gleich Vertrauen fassen konnte, ist natürlich,« sagte sie unter Thränen lächelnd, »komme ich aber selbst zu ihr hinauf, hat sie nur einmal am Herzen der Mutter gelegen, dann geht sie von Der auch nicht wieder fort, und wenn Du sie gleich dazu zwingen wolltest. Bring Du nur die Geldangelegenheit mit Wagner in Ordnung, befriedige dessen Forderungen, und ich stehe Dir dafür, wir verlassen Cincinnati so froh und glücklich, als ob wir dem Reichthum und Ueberfluß entgegen gingen.«

Man glaubt ja so gerne was man wünscht und Schwabe betrieb die Zurüstung mit allem nur möglichen Eifer; sein Haus hatte er auch bald verkauft, es lag vorzüglich, war noch neu und in gutem Zustand, da fehlte es nicht an Liebhabern. Ein Brief von seinem Sohne meldete ihm ebenfalls, daß in Arkansas, in einer reizenden Gegend und auf gutem trefflichen Lande Alles vorbereitet und des Pflugs gewärtig sei. Das was er an Gepäck mitzunehmen wünschte, stand bereit, und von dem, erst kürzlich eingetroffenen Mail- oder Postboot hatte er ebenfalls gehört, daß noch an diesem Tage der, nach Cincinnati bestimmte »Eagle of the West«, ein rasches wackeres Dampfboot, eintreffen würde. Dieses wollten sie benutzen, ihr Aufenthalt in Ohio sollte nicht lange dauern, und in gar kurzer Zeit konnten sie friedlich – glücklich mitsammen, in den freundlichen Thälern der herrlichen Ozarkgebirge ihre Heimath gegründet haben.

Schwabes Frau schien aber mit der neuen freudigen Hoffnung, ihr Kind nun bald, recht bald wieder zu sehen, auch ein neues und freudiges Leben eingesogen zu haben; ordentlich verjüngt arbeitete sie nach Herzenslust, die noch etwa nöthigen kleinen Geschäfte zu besorgen und solche Vorbereitungen zu treffen, die ihnen den Aufenthalt im Zwischendeck eines Dampfbootes erleichtern konnten. Da hörten sie plötzlich unten vom Mississippi aus, eine Glocke und erschraken nicht wenig. Wenn dieß schon der Eagle of the West war, wie kämen sie dann noch, mit allem dem was sie mitzunehmen wünschten, zeitig genug herunter und an seinen Bord, denn die Capitäne solcher Boote warten selten lange, selbst auf Cajütenpassagiere, vielweniger denn auf »People«, das im unteren Deck für wenige Dollar mitfahren will.

Schwabe faßte seinen Hut auf, gab rasch einem jungen Deutschen, einem Karrenführer, der mit seiner Dray gerade in der Nähe hielt, die nöthigen Anweisungen, Frau und Koffer, so schnell ihm das irgend möglich sei, nachzuschaffen und eilte dann selber mit flüchtigen Schritten voran, um, wenn er das irgend vermöge, das Boot aufzuhalten und noch mit fortzukommen. Kaum erreichte er aber den äußersten Stand des steilen Hügels, auf welchem St. Francisville steht, und von dem aus er das dicht am Mississippi liegende Bayou Sarah wie den ganzen Strom überschauen konnte, als er den weiß aufsteigenden Dampf des unten gelandeten Bootes bemerkte, der eben wieder durch die 'scape pipe auspuffte – gleich darauf wandte sich der Bug vom Lande ab, schwenkte nieder, und ging – den Strom hinunter.

»Gott sei Dank« murmelte Schwabe leise vor sich hin und wandte sich langsam gegen sein Haus zurück, »ich glaubte schon, wir hätten das rechte versäumt, und müßten noch ein paar Tage länger warten.«

Die Sachen schickte er übrigens ohne weiteres an die Landung, denn um keinen Tag mehr zu versäumen, wollte er gar nicht wieder nach Louisiana zurückkehren, sondern gleich von Cincinnati aus, ein für den Arkansas bestimmtes Boot benutzen.

Die Dray war um die Biegung der Straße und den Berg hinunter, verschwunden, Schwabes aber gingen noch einmal in's Haus zurück; theils um zu sehn, ob sie in dem ersten eiligen Aufbruch Nichts vergessen hätten, und dann auch, um ruhigeren Abschied von dem Ort zu nehmen, der bis jetzt ihre Heimath gewesen und den sie nun für immer, auf nimmer Wiederkehren, verlassen sollten. Den armen Leuten zuckte es dabei recht durchs Herz – erst beim Scheiden findet man ja nur zu oft, wie lieb man, bis dahin vielleicht nur gleichgültig betrachtete Räume und Gegenstände gehabt hat – der Gedanke aber an ihr Kind, das sie sich mit diesem Opfer zurückerkauften, nahm aber solchem Gefühl alles Bittere – sie sprachen kein Wort, sie standen nur lange und schweigend neben einander und drückten sich endlich, als Schwabe leise zum Aufbruch mahnte, still und herzlich die Hände.

»So komm denn, mein liebes Weib,« bat der Deutsche und zog sie sanft der Thüre zu, »komm und mache Dir nicht gar zum Abschied noch trüben Sinn; denke, daß wir das Alles ja nur zurücklassen, um mit unserem Kind wieder vereint zu leben.«

»Trüben Sinn,« lächelte die Frau unter Thränen, »glaube das ja nicht, Schwabe, kein trüber Sinn ist's, der mir das Wasser in die Augen treibt, nein, in der Seele wohl thut's mir, daß ich gerade so ruhig und freudig von dem Ort fortgehn kann, den ich schon bis an mein einstiges Ende zu behalten geglaubt, stolz bin ich darauf, wenn ich –« sie horchte einem Geräusch das unten im Hause laut wurde –

»Es ist Nichts – wahrscheinlich die Packer, die ihr Geräthe mitnehmen,« sagte Schwabe.

»Sie müssen oben sein« berichtete die Stimme eines Nachbars, die Schwabe kannte, irgend jemand Fremden, »ich habe sie erst vor kaum einer Viertelstunde hinaufgehn sehn, und sie sind noch nicht wieder herunter gekommen.«

Ein leiser Dank wurde erwiedert, und gleich darauf knarrte die hölzerne Stiege; Schwabe wandte sich der Thür zu, die sich in demselben Augenblick öffnete. Ein junges Mädchen trat herein. –

»Heiliger Gott!« schrie der Deutsche und fuhr erschreckt empor – »Louise!« –

»Louise?« stöhnte kaum hörbar die Frau – »unser Kind?«

»Mutter – Mutter« rief aber in diesem Augenblick die Tochter und flog in die ihr noch halb zweifelnd entgegengestreckten Arme – »Mutter – o mein Gott!«

Schmerz wie Freude wirken gleich stark, das Uebermaß der Gefühle macht das Blut stocken und lähmt die Thätigkeit der Nerven. Aber die Freude tödtet nicht so leicht, in ihr selbst liegt schon wieder die Heilung des ersten vielleicht zu mächtigen Schlages und der Augenblick des Erwachens ist auch der Augenblick der Rettung. Louisens Mutter war, von dem Uebermaß des Glückes ohnmächtig zu Boden gesunken, jetzt aber, unter den vereinten Bemühungen des Gatten und Kindes, die lachend und weinend die Schläfe der Bewußtlosen rieben und alle möglichen anderen Belebungsversuche anwandten, kam sie bald wieder zu sich und hielt nun, kaum im Stande ihr Glück zu begreifen, ja nur zu glauben, das lang entbehrte und ach, so geliebte Kind fest, fest umschlossen, als ob sie es nie im Leben wieder von sich thun und lassen wolle.

Doch welche Feder vermöchte die Gefühle der Mutter – die Empfindungen dieser drei Glücklichen zu beschreiben; lange Zeit fanden sie gar keine Worte und hielten sich nur still und selig umfaßt. Endlich aber, nach dem ersten Sturm der Grüße und Küsse frug Schwabe, was sie denn eigentlich hier herunter nach Louisiana gebracht, und wie es gekommen sei, daß sie Wagner überhaupt frei gegeben habe? Der Eltern Erstaunen läßt sich denken, als sie erfuhren, daß ihr Kind allein den ganzen weiten Weg die beiden mächtigen Ströme hinunter, allein auf dem großen Dampfboot, zwischen lauter fremden Leuten, zwischen dem rohen Volk des Zwischendecks hierher gekommen sei. Aber wir wollen sie selber reden und ihre Flucht erzählen lassen.

»Ach Vater« sagte sie, »wie weh mir um's Herz war, als Sie mich an jenem Morgen verließen –«

»Laß den Morgen Kind,« unterbrach sie hier lächelnd der Vater, »laß das Vergangene sein, wir haben Dich ja jetzt und alle Noth ist vorüber – aber noch eines – nicht mit dem kalten höflichen Sie mußt Du uns anreden, wie bei vornehmen Leuten Sitte sein mag, ich bin Dein Vater, das ist Deine Mutter und Du bist unser Kind; da gehört sich weiter Nichts als Du und Du, so haben wir's von je gehalten, und so soll's bleiben.« Die Tochter drückte den Eltern mit einem thränengefüllten Blick die Hand und fuhr leise fort:

»Ich muß doch wohl den Morgen noch einmal erwähnen, lieber Vater, denn in dem Augenblick, wo ich Dich so erschüttert davoneilen sah und Zeuge sein mußte, wie häßlich und unfreundlich Dich Herr Wagner behandelte, da war es, als ob ich zum ersten Male fühle, wie unrecht ich gethan hatte, nicht mit Dir, zu Euch, zur Mutter zu gehen. Und als ich nun endlich gar Dein Bild, liebe Mutter, und Deinen herzlichen Brief fand, und als ich mir sagen mußte, wie Du Dich grämen würdest, wenn ich nicht mit dem Vater heim käme, da habe ich die Nacht, und die folgende und alle Nächte geweint und geweint und wußte mir keines Rathes und hatte Niemand, mit dem ich mich aussprechen, gegen den ich mein ganzes Herz ausschütten konnte. Dabei mag ich wohl manchmal meine Pflicht versäumt haben, denn es war mir zu weh um's Herz und ich dachte an Nichts weiter als an Euch – und Missis Wagner schalt mich und Herr Wagner wurde auch unfreundlich, denn er meinte, die Gäste in der Hinterstube würden sich kein Glas mehr von mir einschenken lassen, wenn ich immer feuerrothe, verweinte Augen hätte. Unter jenen Gästen waren aber auch recht böse Menschen, die ein paar Mal sogar mit Messern nach einander stachen, ja einmal trugen sie sogar Einen todt fort, und Herr Wagner stieß fürchterliche Drohungen gegen mich aus, wenn ich auch nur eine Sylbe darüber redete.«

»Ich glaubte ich wäre verzweifelt, wenn ich länger hätte dort oben bleiben müssen, und dennoch wußte ich nicht was ich thun, was ich lassen sollte. Da kam zufällig, vor etwa acht Tagen eine Dame von Columbus zu uns, die am nächsten Morgen nach New-Orleans wollte und bei uns übernachtete. Das Dampfboot ging um 10 Uhr ab, und ich mußte ihr eine Hutschachtel und einen Reisesack hinunter tragen: sie hatte sich aber mit dem Anziehn ein wenig verspätet, wir kamen kaum noch zur rechten Zeit – die Planken sollten schon eingezogen werden – ich trug ihr die Sachen in die Cajüte hinauf, lief wieder zurück und wollte an's Land. Da, Mutter, da war es mir plötzlich, als ob eine Stimme, als ob Deine Stimme mich bittend anrief zu bleiben, der Gedanke an Dich, daß mich dieß Boot in wenigen Tagen in Deine Arme führen könne, zuckte mir durchs Herz und zaudernd, unschlüssig stand ich noch und wußte nicht, ob ich vor oder rückwärts sollte, als die Glocke des Bootes zum letzten Mal tönte. In dem nämlichen Moment rissen aber auch die Matrosen die Planken ein, die Maschine fing an zu arbeiten und wenige Secunden später befand ich mich, jetzt mit keinem freien Entschluß mehr von brausenden Wassern umgeben, von meiner bisherigen Heimath fortgerissen, auf dem breiten, gewaltigen Strom.«

»Erlaßt mir die Beschreibung dessen, was ich die ersten Tage unter den fremden Menschen litt und ausstand. Auf dem Boot waren sie unfreundlich mit mir, weil ich die Passage nicht gleich bezahlen konnte, glücklicherweise trug ich aber ein kleines goldenes Kreuz, das ich damals von Missis Wagner bekommen, als ich sie nach dem Nervenfieber so lange gepflegt. Dies verkaufte der Schiffsschreiber in Louisville für mich, bestritt davon meine Passage und gab mir auch noch einen Dollar heraus, wofür ich mir Brod kaufen konnte, unterwegs davon zu leben. – Ich mußte eine recht traurige Zeit verleben, und bin fast in Angst und Sorge vergangen, jetzt aber – jetzt ist Alles gut, ich habe Euch – Dich meine liebe Mutter, meinen Vater wieder und nun – nicht wahr, nun seid Ihr auch nicht mehr böse auf Euer Kind, daß es die fremden Menschen so lange lieber hatte als Euch, und nicht fort wollte von ihnen.«

Was braucht es weiterer Schilderung der glücklichen Familie, eine Stunde entfloh ihnen im Austausch ihrer Mittheilungen und Gefühle mit Zauberschnelle und erst die Meldung, daß der Eagle of the West bei Waterlow sichtbar wurde, mahnte Schwabe an die beabsichtigte Reise. Aber nicht in Cincinnati lag jetzt ihr Ziel, nein in Arkansas, in den fruchtbaren Thälern des noch wilden Staates; nicht bis zur Mündung des Licking, nur bis zu der des Arkansas hinauf wollten sie mit dem Boote gehn. Ohne weiteres Zögern trieb denn auch der Vater zum Aufbruch; ihr Gepäck lag schon am Ufer; nur noch die nöthigen Kleidungsstücke für Louise kauften sie rasch bei einem der deutschen Juden an der Landung ein, bestiegen das gleich darauf heranbrausende Boot, auf dem jetzt Schwabe in aller Freude seines Herzens keineswegs Zwischendeck-, sondern Cajütenpassage für sich und die Seinigen nahm, und erreichten eilf Tage später das kleine Städtchen Ozark, von dem aus sie in kaum vier und zwanzig Stunden ihre neue Heimath betreten konnten.


Nun wußte Schwabe, nach all dem Vorhergegangenen wohl gut genug, daß Wagner rechtlicher Weise keine Ansprüche mehr auf irgend eine Vergütung für seiner Tochter dortigen Aufenthalt machen konnte; er wollte es sich aber auch nicht einmal nachsagen lassen, undankbar für etwas gewesen zu sein, das ihm doch wenigstens im Anfang als Wohlthat erschienen. Er schrieb deshalb, und zwar so bald sie auf ihrer neuen Farm eingetroffen waren, einen Brief an Wagner, worin er ihn von seiner Tochter Ankunft in Kenntniß setzte und zugleich aufforderte, offen und ehrlich zu sagen, was er glaubte für die Erhaltung des Mädchens in den ersten Jahren beanspruchen zu können, (denn für die letzten dürfe er schon deßhalb nichts rechnen, weil er sie ja nicht einmal gutwillig habe wieder fortlassen wollen). Er versprach dabei den Forderungen zu genügen, soweit das in seinen Kräften stände und bat ihn auch dem Kinde nicht zu zürnen, das ihn ja nur deshalb verlassen habe, um in die Arme seiner Mutter zu eilen.

Auf diesen Brief erhielt er keine Antwort; ebenfalls nicht auf einen zweiten und dritten und erst im nächsten Jahre erfuhr er von einem neuen Ansiedler, der bis dahin in Cincinnati gelebt und Wagner recht gut gekannt hatte, die Ursache dieses räthselhaften Schweigens.

Die Geschichte der in seinem Hause verübten Mordthat, die auch Louise schon erwähnt, war ruchbar geworden, andere Klagen trafen noch mit dieser zusammen, das Halten einer heimlichen Spielhölle an und für sich unterwarf ihn schon der peinlichsten Strafe der Amerikanischen Gesetze und Wagner entging nur durch die freundliche Warnung eines Deputy Sheriffs, der ebenfalls mit zu dem Spielklubb gehörte, der Verhaftung und vielleicht – dem Zuchthaus. Er verschwand in derselben Nacht aus der Stadt und man hat nie wieder weder von ihm noch seiner Frau etwas gehört – sie blieben Beide spurlos verschwunden.

Am Fuß der Ozarkgebirge blüthe und gedieh aber indessen eine kleine wackere deutsche Colonie. Schwabe hatte sich in jenem herrlichen und noch so wenig gekannten Landstrich des fernen Westen niedergelassen, und üppige Maisfelder schmiegten sich an den Fuß, saftige Weingärten an die Hänge der Berge, zahlreiche Heerden weideten in den nicht fernen Prairien.

Aber ein ganz neuer Geist war auch über den jetzt glücklichen Vater gekommen, der mit unermüdlichem Eifer daran ging nicht mehr für sich allein, nein jetzt auch für sein Kind, für sein liebes, so lange verlorenes Kind eine neue und wohnliche Heimath zu gründen. Hier fand er dazu den vollen Spielraum für seine unermüdete Thätigkeit, für sein Schaffen und Wirken, und deutscher Fleiß, deutsche Mäßigkeit verwandelte bald das in ein Paradies, was noch vor wenigen Jahren öde trostlose Wildniß gewesen.

Schicksale einer Nacht.

»Nummero 15 – Schloßgasse!« rief ich dem am Schlage harrenden Kutscher zu, warf meinen Reisesack in die eine, mich selbst in die andere Ecke des kaum gepolsterten Wagens und fort ging's über das schauderhafte Pflaster der Residenz vom Bahnhofe aus in die innere Stadt, wo ich jetzt eigentlich im vollen Ballcostüme – o, der Gedanke allein schon machte mich rasend – beim rauschenden Chor jubelnder Melodien – sie – sie im Arme, in wirbelnder Seligkeit mich, Salon, Erde, Himmel und Weltall hätte vergessen sollen.

Aber nein, da rasselte ich noch in diesem Marterkasten zwischen düstern fremdglotzenden Häusermassen hin, denn gerade heute, als ob mir selbst die Locomotiven nicht einmal den Gefallen thun könnten schneller als Lohnkutscher zu fahren, waren wir erstlich wie die Schnecken über die glattbeeisten Schienen hingekrochen, an jeder Station ewig lange haltend, und zuletzt gar, um dem Ganzen noch die Krone aufzusetzen, in einer Schneewehe eine volle Glockenstunde lang stecken geblieben. Deshalb trafen wir denn aber auch anstatt um sieben, um halb neun Uhr an Ort und Stelle ein, und es ließ sich wohl entschuldigen, daß ich in peinlicher Ungeduld zehn Mal unterwegs an die Fenster klopfte und dem Kutscher bald Flüche in die Ohren donnerte, bald Trinkgelder bot, bis dieser endlich in voller Verzweiflung auf sein darüber zum Höchsten erstauntes Pferd loshieb und wir nun, wie ein böhmisches Ungewitter durch die Straßen rollend, »daß Kies und Funken stoben,« bald darauf vor dem bezeichneten Hause anhielten.

»Ich habe gar nicht mehr geglaubt, daß Du kämst!« rief mein Freund, der erst heute Morgen meinen Brief erhalten hatte und mich jetzt, als er die Droschke herantoben hörte, in der Thüre erwartete, »wo hast Du nur so lange gesteckt?«

Zu Erklärungen war es aber keine Zeit mehr, rasch faßte ich meinen Reisesack, drückte dem Kutscher das schon in Bereitschaft gehaltene Geld in die Hand und flog mehr als ich ging die Treppe hinauf und in das von Meier bezeichnete Zimmer. Hier warf ich meinen Hut ab und erzählte und klagte dem Freunde – während dem ich den kleinen Reisesackschlüssel in allen Taschen mit immer größerer Hast zwei Mal suchte und zuletzt in der, in welcher ich angefangen hatte, fand – wie mich das Unglück verfolgt, ja wie ich überhaupt ein solcher Unglücksvogel sei, daß ich die Welt förmlich als Pechreisender durchziehen und die glänzendsten Geschäfte machen könne.

Es stand ja aber auch heute gerade mein ganzes Lebensglück auf dem Spiele – heute sollte ich, nach zweijähriger Trennung die wieder sehen, ohne die ich mir die Welt nur als eine öde trostlose Wildniß denken konnte – heute Abend durfte ich ja hoffen von ihren Lippen das süße Geständniß ihrer Liebe zu hören oder wenigstens doch in ihren Augen Leben oder Tod für mich zu lesen. Mit ihr, Leben in seiner sonnigsten Lust, im Freudenrausche wonnetaumelnder Sphären, ohne sie –

»Was zum Teufel hast Du denn da eigentlich in Deinem Reisesacke?« rief Meier und ich, der ich, während Himmel und Hölle in meinem Herzen mit Hoffnung und banger Todesfurcht rangen, das kleine Schloß des messingenen Bügels geöffnet und eben hineingegriffen hatte meine »Unaussprechlichen« herauszuziehen – den Frack trug ich nämlich, um ihn vor dem Zerdrücken zu bewahren, schon unter dem Burnus – ich denke mich rührt der Schlag, als ich gleich obenauf einen Schnürleib, ein Paar Schachteln, ein Schminkbüchschen und in immer wachsender Verzweiflung und Wuth eine ganze Unmasse solchen Plunders herausziehe und um mich her auf Boden und Stühle streue.

Meiers dämonisches Lachen brachte mich erst wieder zur Besinnung.

»Hahahaha!« schrie er und die Thränen liefen ihm in ununterdrückbarem Jubel über das breite, rothgeschwollene Gesicht – ich hätte ihn erwürgen können, »hahaha – hast einen falschen Reisesack erwischt – das ist göttlich – das ist unbezahlbar.«

»Da!« rief ich und schleuderte den geleerten nichtswürdigen Reisebeutel mit wildem Wurfe hinter den Ofen, »da lieg und verdirb. – Was fang ich an? Ich kann doch wahrhaftig nicht in meinen blau- und graucarrirten den Ballsaal betreten? – Heilige Dreifaltigkeit, habe ich denn nicht recht, wenn ich mich für das unglückseligste Geschöpf halte, das zweibeinig zwischen Himmel und Erde herumläuft? Jetzt sitze ich hier; Emilie wartet indessen mit ihrer Engelsgeduld stundenlang auf mich, den Treulosgeglaubten, kann aber endlich den dringenden Bitten nicht länger widerstehen und muß sich zuletzt auf den ganzen Abend engagiren.«

»Aber wie war das nur möglich?« fragte Meier, nachdem er sich von seinem bestialischen Lachkrampf in etwas erholt. »Jedermann behält doch unterwegs seinen Reisesack bei sich und da begreife ich gar nicht –«

»Begreifen – begreifen,« knurrte ich ärgerlich und lief dabei händeringend in der Stube auf und ab, – ich war damals zwanzig Jahr alt und der Ball mir zur Lebensfrage geworden, – »ich begreife es recht gut. Auf der letzten Station, wo man im Wagen schon keine Hand mehr vor den Augen sehen konnte, stieg noch eine Dame in unser Coupée und drückte sich, da in der Ecke gegenüber ein dickbepelzter vermaledeiter polnischer Jude saß und gar nicht daran dachte der Neuhinzukommenden Raum zu machen, dicht neben mich. – Ich bin von diesem Augenblicke an mit Leib und Seele gegen die Emancipation. – Daß sie auch einen Reisesack bei sich hatte, wußte ich natürlich gar nicht und als der Zug hielt, sprang ich, in Eile wie ich war und jetzt auch noch in der Angst vielleicht nicht einmal eine Droschke zu bekommen, rasch und ohne mich weiter um die Dame und ihr Gepäck zu bekümmern, aus dem Coupée und dem Droschkenplatze zu. Ich muß dabei wahrscheinlich ihren Reisesack erfaßt haben und sie hat dafür den meinigen. Meier, es wird bei Gott zu spät. – Wo bekomme ich andere Ballhosen her? wenn ich noch länger zögere ist Emilie auf den ganzen Abend versagt und ich kann nachher ihre dicke Tante im Saale herumschleppen.«

»Nun, wenn es weiter nichts ist,« meinte Jener gutmüthig, »da kann vielleicht noch Rath werden –, hier mache nur schnell Toilette und ich will unterdessen hinausgehen und sehen ob ich Dir nicht aus meiner Garderobe ein Paar zur Aushülfe herausfinden kann – wir sind ja ungefähr von einer Größe.«

Guter Mensch, der Meier! ich drückte ihm herzlich die Hand und während er hinausging besorgte ich meinen übrigen Anzug, brachte meine etwas in Verwirrung gerathenen Haare in Ordnung und war wenige Minuten später bereit in jedes Paar Beinkleider hineinzufahren, das sich mir bieten würde. Meier kam aber nicht so schnell wieder und ich unterhielt mich indessen damit, die Thüre jede halbe Minute zwei Mal auf- und zuzumachen, oder die Schachteln und Büchsen zu untersuchen, die mir ein tückisches Schicksal in den Weg geschleudert.

Damenplunder, Schminke, Puder, ein Paar falsche Locken, getragene Handschuhe und Strümpfe.

»Bah!« rief ich und warf den Kram wieder von mir, »ist es denn möglich, daß es Esel auf der Welt giebt, die sich durch solche Mittel bethören lassen? Ich bin erst zwanzig Jahre, aber so viel weiß ich, würde –«

»Herr Gott, wie riecht das hier verbrannt!« rief Meier, der in diesem Augenblicke die Thüre aufriß und mit dem ersehnten Kleidungsstücke hereintrat. »Hier muß etwas versengt sein.«

Mir war der Geruch auch schon aufgefallen, doch hatte ich in all' meiner Ungeduld nicht darauf geachtet; Meier dagegen zog gleich darauf den verhängnißvollen Reisesack hinter dem Ofen vor. Die eine Seite desselben – weißer Grund mit rothen Rosen – ich kann mich noch so deutlich darauf besinnen als wenn es gestern gewesen wäre – war gelbbraun gesengt und zu meiner Schande muß ich's gestehen, daß ich eine ordentliche Schadenfreude darüber empfand. Was kümmerte mich aber jetzt der Reisesack, ich fuhr nur – während Meier alle die diversen umhergestreuten Gegenstände wieder ohne große Vorsicht und Ordnung in den Beutel zurückwarf, mit dem Knie, da nicht alles bequem hinein wollte, ein Bischen nachdrängte und dann das Ganze unter das Bett schob – mit wahrer Todesverachtung in die Unaussprechlichen. – Herr der Welt, wenn sie nicht gepaßt hätten – aber nein.

»Triumph!« rief ich und that mit beiden Füßen zugleich einen Luftsprung, »die Intelligenz siegt!«

Sie saßen wie angegossen – nur ein klein wenig zu eng, doch that das nichts – der Schnitt war vorzüglich und ich freute mich – auf mein Bein habe ich mir von jeher etwas eingebildet – wie ein Kind darüber. Kaum nahm ich mir jedoch nur zu einer flüchtigen Spiegelpromenade Zeit, denn unten knallte schon der von dem Dienstmädchen indeß herbeigeholte Droschkenkutscher, warf rasch den Burnus über, ergriff meine Handschuhe, drückte meinen Hut auf und wollte fort.

»Halt,« sagte da Meier und faßte meinen Arm, »wann wirst Du denn wohl wieder zu Hause sein?«

»Wer? ich? Nun nicht zu spät; wenn meine Dame nach Hause fährt, tanz' ich keinen Schritt mehr; auf jeden Fall bin ich um ein oder zwei Uhr spätestens wieder hier.«

»Gut, dann nimm den Hausschlüssel,« erwiederte mir Meier; »ich komme schwerlich so früh heim, denn wir spielen nachher immer noch ein Paar Rubber Whist. – Schläfst Du fest?«

»Nicht außergewöhnlich.«

»So werde ich gerade unter dem Fenster hier, wo Dein Bett steht, in die Hände klatschen – Du magst dann den Hausschlüssel in Dein Taschentuch binden, oder in den Tabaksbeutel dort stecken und herunterwerfen.«

»Habt Ihr denn keinen Hausmann, der auf die Klingel kommt?«

»Der Draht ist heute gerissen und noch nicht wieder gemacht – Du wirst mich schon hören.«

»Aber der verwünscht schwere Schlüssel –«

»Laß ihn im Burnus, da genirt er Dich nicht – und noch eins – merke Dir die Thüre hier. Wenn Du im Dunkeln die Treppe heraufkommst, so fühle Dich nur links gleich an der Wand hin, Du kannst gar nicht fehlen; die erste Thüre.«

»Genug – genug!« Wir sprangen die Treppe hinunter in den Wagen und fort ging's, dem Hôtel de Russie zu, wo uns schon von weitem die blendend erleuchteten Saalfenster das Fest als begonnen verkündigten.

Wie mir das Herz pochte, als ich die breite teppichbelegte Treppe hinaufstieg! war mir's nicht, als ob ich plötzlich Blei in den Füßen habe und die Glieder nicht mehr bewegen und heben könne – mit Gewalt mußte ich mich zusammenraffen und wurde erst durch einen der betreßten Lakaien, der mir ein Stück Pappe in die Hand drückte und im nächsten Augenblicke mit meinem Burnus verschwunden war, zu mir selbst gebracht.

Wir traten ein; aus der geöffneten Saalthüre tönten uns aber schon die wilden Töne eines Gallopps entgegen. Ich hatte es mir doch gedacht, drei Tänze waren schon vorüber, die Polonaise und zwei Walzer und Emilie mußte sich ja auf den ganzen Abend versagt haben – oder durfte ich etwa vernünftiger Weise etwas anderes erwarten?

»Siehst Du,« murmelte ich, die Hand krampfhaft auf dem Herzen geballt, in Meiers Ohr, »das ist mein Schicksal, das mich rettungslos verfolgt – vierundzwanzig Meilen habe ich jetzt in grimmigster Kälte zurückgelegt – riesengroße Schwierigkeiten überwunden und besiegt und jetzt? – zu spät – der Fluch, der mir mein ganzes Leben untergraben hat – Emilie ist für mich verloren und ich bin elend – elend auf ewig.«

»Adolph,« flüsterte mir Meier zu und bog sich zu mir herüber, »Du weißt was ich Dir schon tausend Mal gesagt habe, schlag Dir, wenn Du gescheidt bist, das Mädchen aus dem Kopfe, Emilie ist älter als Du selbst, über die besten Jahre hinaus.« –

»Geh zum Henker!« rief ich unwillig, »Mensch, willst Du mich denn jetzt auch noch, wo ich überdies dem Verzweifeln nahe bin, wahnsinnig machen? Du weißt, daß ich –«

»Schon gut, die alte Noth, Du willst nicht hören, so gehe denn ruhig Deinen Weg. Aber da drüben kommt Emiliens jüngerer Bruder gerade auf uns zu, von dem wirst Du augenblicklich erfahren können, wo Du die Göttliche zu suchen hast.«

Ich wandte mich unwillig von ihm ab, dem Bruder der Geliebten zu; wer aber beschreibt mein Erstaunen, ja mein Entzücken, als ich höre, daß Emilie, ebenfalls durch eigenthümliche Hindernisse aufgehalten, noch gar nicht erschienen ist, aber jeden Augenblick erwartet wird. Ich hätte dem liebenswürdigen jungen Manne, einem etwas hochaufgeschossenen Secundaner, auf offenem Ballsaale um den Hals fallen können. Daß ich mich jetzt dicht an der Saalthüre postirte versteht sich von selbst; allerdings begrüßte ich hier in meinem Eifer wohl zehn Mal fremde Damen, hatte mich mehrere Male zu entschuldigen und fand endlich, daß Emilie zu einer Nebenthüre eingetreten sei, doch was schadete das? durch ihren Bruder geführt, suchte sie selbst mich auf und ich vergaß in dem Augenblicke Fahrt, Reisesack, Täuschung und langes Harren – ich vergaß die Welt und lebte, athmete nur in ihr.

Eine Stunde entschwand mir so im Wonnetaumel; was ich getanzt, was ich mit ihr gesprochen, wie sollte ich es wissen, ich sah auch nicht, was uns im wirbelnden jubelnden Festesdrang umgab, nur in ihre Augen schaute ich und in diesen blühte ein Paradies für mich auf, Emilie war nie so freundlich mit mir gewesen und ich hätte in diesem Augenblicke mit keinem Gott getauscht.

Erst in einer der Pausen gewann ich Zeit mich etwas ruhiger mit ihr zu unterhalten; Arm in Arm wanderten wir im Saale auf und ab und ihre kleinen rosigen Lippen flüsterten und plapperten mir die süßesten Schmeichelworte in die Ohren.

Wir hatten indessen eine der kleinen, an den Seiten angebrachten rothgepolsterten Bänke erreicht und ließen uns nieder; Emilie aber entschuldigte sich jetzt, daß sie so bleich und angegriffen aussähe. Guter Gott, das hatte ich ja noch gar nicht bemerkt, sie sah wirklich bedeutend blässer aus als gewöhnlich – auch in der That etwas verändert – was war ihr geschehen?

»Ach bester Freund,« flüsterte sie auf meine theilnehmenden Fragen, »es war gerade nichts von Bedeutung und doch etwas, das mich bald gezwungen hätte, dem Vergnügen des Tanzes heute ganz zu entsagen.«

Das Blut strömte mir kalt zum Herzen, als ich nur an die Möglichkeit dachte. –

»Aber wie war das möglich? – Doch nicht etwa Krankheit? Ihre Wangen sind heute Abend wirklich auffallend bleich –.«

»Ich war ein Kind,« lächelte sie, »Angst und auch – Aerger, wenn ich denn aufrichtig sein will, sind die eigentlich thörichten Ursachen gewesen.«

»Aerger?«

»Um eine Kleinigkeit – ich habe jetzt einige Tage bei einer kranken Muhme im nächsten Städtchen zugebracht – mehrere Bekannte hatten dort ebenfalls einen kleinen Ball arrangirt; heute Abend kehrte ich erst von dort zurück und – Sie werden mich auslachen, verwechselte im Coupée meinen Reisesack. Nun, was erschrecken Sie denn? das ist doch nichts so Fürchterliches,« lachte sie, als ich an ihrem Arme zusammenfuhr.

»Nein, in der That nicht,« stotterte ich und sah mich dabei im Saale um, ob nicht etwa die Decke niederschlagen wollte, mich zu begraben, »verwechselten – verwechselten Ihren Reisesack – hahaha – das ist wirklich zu komisch, das ist göttlich – hahahaha – das ist kostbar.«

»Aber ich bitte Sie um Gotteswillen, Adolph!« rief Emilie erschreckt, »Sie lenken ja die Aufmerksamkeit der ganzen Gesellschaft auf uns, was fehlt Ihnen denn?«

»Bitte tausend Mal um Verzeihung!« stotterte ich ganz verstört, denn ich wußte in diesem Augenblick wahrhaftig nicht, stand ich auf dem Kopfe oder auf den Füßen. Schminke, Puder, Locken – heilige Mutter Gottes! Ich drehte mich schnell nach ihr um, sie trug beim ewigen Himmel ihre gewöhnlichen kastanienbraunen Locken nicht, von denen ich einst mit verrätherischer Scheere ein süßes, theures, tausend und tausend Mal geküßtes Andenken geraubt. Pest und Cholera – ich hatte jetzt die übrigen zu Hause in der Schachtel. Aber was nun thun? sollte ich ihr gestehen, daß gerade ich jener Unglückliche sei, der – nein das ging beim Himmel nicht, jetzt nicht. Und war denn auch der Reisesack nicht versengt, ruinirt, lag er nicht, ich durfte gar nicht daran denken, wo und neben wem; meine Sinne fingen überhaupt an sich zu verwirren und Brandflecken, Locken, schwarze Beinkleider, Schminke, Puder, das Alles drehte sich mir wie ein feuriges Räderwerk in tausend tollen bunten, immer neu gestalteten Bildern im Kopfe herum.

»Ich begreife Sie gar nicht,« flüsterte Emilie endlich und warf mir einen vorwurfsvollen aber doch zärtlichen Blick zu, »was haben Sie nur?«

»Ach, mein Fräulein,« erwiederte ich ihr in aller Verlegenheit und muß in dem Augenblicke so roth wie ein gesottener Krebs ausgesehen haben – »Sie glauben gar nicht, wie leid mir Ihr Unfall thut, wenn man nur – wenn man nur herausbekommen könnte wer der unglückselige Vertauscher –«

»Auf jeden Fall ein Herr!« sagte sie rasch, »ich fand gleich oben auf –« sie stockte plötzlich und biß sich auf die Lippen.

»Sie haben den fremden Reisesack geöffnet?«

»Ja, allerdings, aus Versehen natürlich, die kleinen Schlösser sind sich ja alle gleich und ich sah nicht eher, daß ich mich geirrt, bis ich – bis ich –«

Ich wußte was jetzt kam, was jetzt kommen mußte, sie hatten ja gleich obenauf gelegen. –

»Ein kleines Buch fand, einige geheftete Bogen heißt das, mit – Gedichten. Ach Adolph, wenn Sie die Gedichte gelesen hätten« –

Ueberrascht sah ich zu ihr auf; die verdammten Gedichte hatte ich ganz vergessen, doch sie gefielen ihr, Emilie schwärmte dafür.

»Todt hätten Sie sich gelacht über das Zeug,« fuhr die junge Dame, die sich wieder ganz gesammelt hatte, fort, »manches unsinnige Gedicht habe ich schon gelesen, aber solch übernächtigen Mondenschein und Liebesjammer, solche Selbstmordphantasie und überschwengliche Winselei noch nie im Leben. – Ich – wurde etwas aufgehalten und las einige davon, sie waren zu komisch.«

»Aber mein Fräulein,« stotterte ich und verbarg mein Gesicht für einen Augenblick in mein Taschentuch, mir war es als ob das aus dem Herzen herausschießende Blut die Stirnadern zersprengen müßte, »ich weiß doch nicht – fremde Schriften –«

»Eines Kaufmannslehrlings,« unterbrach sie mich lachend, »das hat keine Gefahr, die geschnörkelte Handschrift verräth den Dichter,« – es hatte mich einen Thaler fünfundzwanzig Neugroschen gekostet, sie sauber abschreiben zu lassen. – »Sie müssen uns morgen besuchen,« fuhr sie fort, »da können Sie den Unsinn selber lesen; ich will den Reisesack später zu einer Bekannten schicken, wohin ich die Zeitungsannonce zu richten gedenke.«

Das war zu viel, meine Pulse flogen fieberhaft, meine Stirn brannte, das Wort lag mir auf der Zunge, mit dem ich sie zu Boden schmettern wollte; mit solcher Heftigkeit ergriff ich dabei ihren Arm, daß sie einen leisen Schrei ausstieß und erschreckt zu mir aufsah. Da wirbelten die Pauken, da dröhnten die Trompeten ihre Jubelfanfare drein, der innere Kreis lichtete sich und die Paare flogen zum Antritt an ihre Plätze, ich sprang auf und starrte wild umher.

»Kommen Sie, Adolph,« flüsterte da Emilie und drückte leise meine Hand, »der Tanz beginnt wieder, wir fehlen sonst in der Française.«

Fast willenlos zog sie mich dem Kreise der jubelnden Schaar zu, mich, den Verzweifelnden, mit der Hölle im Herzen; da zuckte es auf in mir, in langverhaltenem Grimme; ich riß mich los von der Entsetzlichen, that einen Sprung zurück und rief: Nein, – kein Wort kam über meine Lippen, auch der kleinste Laut erstarb mir auf der Zunge, aber ein eiskalter Schauer lief mir den Rücken hinab. Heiliger Gott, ich hatte die fremden, engen Beinkleider vergessen, eine Naht war bei meiner allzufreien Bewegung geplatzt, soviel fühlte ich, und fürchtete jetzt das Entsetzlichste. Aller Augen richteten sich dabei, wie es mir wenigstens vorkam, auf mich und mir war es, als wenn ich vor Schaam hätte in die Erde sinken sollen.

Wenn sie es merkten, wenn ich unter dem höhnischen Lachen dieser Elenden den Saal verlassen mußte; doch nein, noch konnten sie den ganzen Umfang meines Jammers nicht begriffen haben, noch war es vielleicht möglich, mich unbeachtet zu entfernen. Das einzige Mittel blieb ein urplötzliches Nasenbluten; ich riß das Taschentuch heraus, hielt es mir vor das Gesicht und überflog mit einem schnellen Blicke das Terrain. Aber der ganze Platz zwischen uns und der Thüre war von Menschen frei – nur einzelne Damen standen hier und da und unzählige Lichter verliehen ihm Tageshelle; wagte ich mich jetzt darüber hin, so setzte ich mich tollkühn selbst einer Entdeckung aus; ich mußte einen günstigem Zeitpunkt abwarten.

Ein zweiter Blick überzeugte mich, daß der Platz, auf dem ich vor wenigen Minuten mit Emilien gesessen, noch frei sei und auch ziemlich von einer neben ihm herunterhängenden Gardine verdeckt und dadurch unbeachtet liege. War ich im Stande mich dorthin unerrathen zurückzuziehen, so konnte ich nachher meine Zeit abpassen und bei günstiger Gelegenheit die Thüre gewinnen.

Daß ich unter diesen Umständen nicht wagen durfte, der Gesellschaft den Rücken zu drehen, läßt sich denken; obgleich mir aber Emilie voll Erstaunen nachsah, da selbst das vorgehaltene Taschentuch eine solche retrograde Bewegung nicht vollkommen entschuldigte, so gelang es doch endlich durch äußerst geschicktes Manöveriren und die Deckung eines hochlehnigen Stuhles, den Sitz wieder zu erreichen, um von hieraus meine völlige Flucht bewerkstelligen zu können.

Zur dringenden Nothwendigkeit war es jetzt geworden die Größe des angerichteten Schadens zu ermitteln; wie es schien nahm in diesem Moment Niemand weiter Notiz von mir und ich bog, das Tuch jedoch noch immer vor der Nase, den Kopf ein klein wenig herunter. Herr des Himmels, ein ganzes Stück weißer, verrätherischer Leinwand hing neben mir an der Seite der rothgepolsterten Bank herunter; für so entsetzlich hatte ich mein Unglück gar nicht gehalten; aber es war nur zu gewiß, auch so ein kaltes Gefühl ..... Mein Herz schlug mir wie ein Hammer in der Brust, meine Glieder flogen in Fieberfrost. Doch die Nähe der Gefahr giebt ja auch den verzagtesten Menschen den Muth zurück; das Unglück war nicht mehr hinwegzuleugnen, es mußte verbessert werden. Wäre nur Meier einen Augenblick dagewesen, aber nein, der saß gewiß, kalter gefühlloser Mensch, ein solcher Jurist! hinter seinem Whisttische und zählte Tricks und Points, auf ihn durfte ich nicht rechnen, und eben wollte ich mich, um wenigstens das Schlimmste zu redressiren, langsam emporrichten, fast unwillkürlich hob ich dabei den Blick, knickte aber auch blitzschnell auf meinen Platz zurück, denn zehn Schritte von mir entfernt und gerade auf mich zukommend erkannte ich, wen anders als Emilien am Arme des dürren, bleichsüchtigen Secundaners, ihres liebenswürdigen Bruders.

Hätte sich die Sammetbank aufgethan und mich verschlungen, ich wäre mit dem größtmöglichsten Vergnügen eine unbestimmte Anzahl von Klaftern erdab in völlige Dunkelheit hineingefahren; die blieb aber stockstill und regungslos stehen und mir kaum Zeit meinen dünnen Frackzipfel über das Gräßliche zu breiten als auch schon mein Schicksal in der Gestalt dieser Sirene auf mich zutrat und mit leiser freundlich schmeichelnder Stimme fragte:

»Haben Sie Nasenbluten, Adolph?«

Ich machte nur einfach eine stumme bejahende Bewegung.

»Nun das wird bald vorübergehen,« tröstete sie mich, »aber – dürfte ich Sie wohl einmal auf einen Augenblick incommodiren?«

Ich sah überrascht und erschreckt zu ihr auf.

»Sie sitzen auf meinem Taschentuche,« fuhr sie bittend fort, »ich habe es vorhin hier liegen lassen.«

»Es – es liegt kein Taschentuch hier,« versicherte ich hinter meinem eigenen Tuche hervor auf das Bestimmteste, »ich habe eben erst nachgesehen.«

»Doch, doch, lieber Adolph,« lächelte die Entsetzliche, »Sie sitzen in der That darauf, ich – ich sehe dort sogar den Zipfel,« und ehe ich von dem was mir bevorstand auch nur eine entfernte Ahnung hatte, fuhr sie plötzlich auf den vermeintlichen Tuchzipfel zu, faßte es und suchte es vorzuziehen.

Wenn ich mir in meinem Leben etwas gewünscht habe, so war es in dem Augenblicke ein Gewicht von circa hunderttausend Pfund. Allerdings packte ich das sogenannte Tuch so schnell als möglich selbst und hielt es fest, meine erbarmungslose Quälerin aber legte sich mit ganzer Macht dagegen und da ich nur eine Hand gebrauchen konnte und überdies auf der weichgepolsterten Bank nichts weniger als fest saß, fühlte ich, wie sie mehr und mehr Raum gewann.

»Aber bester Herr Müller,« winselte da der unglückselige Secundaner und legte mit Hand an, »ich begreife wahrhaftig nicht, weshalb Sie das Tuch nicht,« er zog aus Leibeskräften, »nicht her – geben – wollen.«

Ich sah mein Verderben vor Augen; das Fürchterliche konnte nicht länger verborgen bleiben; nur es noch so lange als möglich zu verzögern, da – Heiland der Welt, da gab es nach, ich fühlte wie es unter mir vorrutschte, die Geschwister sprangen zurück und hielten – wachte ich denn oder träumte ich? – Emiliens wirkliches Taschentuch in der Hand, ein rascher verzweifelter Griff überzeugte mich sogar, daß meine eigene Furcht ganz ungegründet gewesen, ob es aber jene Beiden gemerkt, oder ob sie blos über das eroberte Tuch jubelten, ich weiß es nicht, unter dem mir teuflisch klingenden Hohngelächter schoß ich aus dem Saale, fuhr in toller Eile in zwei falsche Burnusse hinein, bekam endlich den rechten, nebst einem Hute, der mir bis über die Schläfe in's Gesicht sank, warf den in die Ecke, drückte mir das erste beste auf den Kopf was mir passend vorkam und stürmte die Treppe hinunter, aus dem Hause in die schneidend kalte, aber meine brennende Stirn wie Balsam kühlende Nachtluft hinaus.

Ich war frei und hoch hob sich mir die Brust, und eilenden Laufes floh ich, eine Hölle im Herzen, die dunkele zugige Straße hinunter der Schloßgasse zu.

Als ich diese endlich erreichte, konnte ich allerdings nicht gleich das rechte Haus erkennen; sie sahen sich alle ähnlich mit ihren grauen Erkern und düstern Fenstern, glücklicher Weise wußte ich aber die Nummer und fand endlich bei dem matten Scheine einer gegenüber düster flackernden Laterne die ersehnte 15.

»Morgen mit dem Frühzuge brech' ich wieder auf!« murmelte ich dabei, während ich den schweren Schlüssel aus der Tasche holte und in das Schlüsselloch zu stecken versuchte. »Ich bin geheilt – Meier hat recht – verrathen war ich, schändlich, niederträchtig, ver – na, nun schließt dieser vermaledeite Schlüssel auch nicht – weiter fehlte mir gar Nichts als jetzt auch noch eine Stunde hier auf der Straße zu stehen.« – Ich probirte, es ging nicht, ich blies den Schlüssel aus, weil ich glaubte es könnten sich Krumen hineingesetzt haben – es ging immer noch nicht.

»Meier!« rief ich, in der trostlosen Hoffnung, daß dieser schon vor mir den Ball verlassen haben könnte, bekam aber natürlich keine Antwort und versuchte den Schlüssel auf's Neue. Umsonst – vergebens drückte ich zehnmal an die Klinke, vergebens interessirten sich die Nachtwächter und ein Paar vorbeikommende Chaisenträger auf das Lebhafteste für mich; hinein in das Schlüsselloch brachte ich den Verräther, nachher aber blieb er nicht allein regungslos darin stecken, sondern wollte sogar nicht einmal wieder heraus. Ich weiß selbst nicht, wie lange ich frierend und fluchend an dem unglückseligen Schlosse probirte, endlich rieth mir ein Vorbeigehender – denn selbst der Nachtwächter hatte die Sache zuletzt als trost- und hoffnungslos aufgegeben – zu läuten, damit der Hausmann käme und öffne.

Läuten! – ja er hatte gut reden, war denn nicht der Draht gesprungen? doch folgte ich wirklich, eigentlich nur aus Verzweiflung und Grimm dem Rath und riß, als ob ich die Klingel hätte mit der Wurzel aus dem steinernen Gewände reißen wollen. Es that mir wohl irgend etwas Bewegliches zu haben, an dem ich meine Wuth auslassen konnte. Der Zug blieb aber keineswegs so erfolglos, als ich es erst geglaubt; drinn im Hause war plötzlich durch meine etwas gewaltige Kraftanstrengung eine Glocke in Bewegung gesetzt worden, die jetzt ganz urplötzlich nicht allein den merkwürdigsten und entsetzlichsten Spektakel auf eigene Hand vollführte, sondern allem Anscheine nach auch gar nicht beabsichtigte je wieder aufzuhören. Es dauerte denn auch nur kurze Zeit – und die Riesenglocke läutete dabei noch immer fort – bis ein Paar Pantoffeln in größtmöglichster Eile über den steinernen Vorsaal herangeschlappt kamen; der in den Pantoffeln Steckende hustete auf sehr bedenkliche Weise und durch das Schlüsselloch fiel plötzlich ein einzelner Hoffnung erweckender Lichtstrahl. Inwendig wurde ein Schlüssel eingedrückt und herumgedreht, zu meiner Verwunderung aber auch noch ein Riegel zurückgeschoben und die schwere Thüre knarrte in ihren Angeln.

»Herr du mein Gott!« rief dabei der Alte, der bis über die Ohren in einem weißen Schafpelze stak, »wer reißt denn da so fürchterlich an der Glocke?«

»Guten Abend, Alter,« unterbrach ich ihn aber, trat, während ich ihm ein Viergroschenstück in den Schlafrock drückte – denn die Aermel gingen ihm bis weit über die Hände – in's Haus und wollte ohne Weiteres die Treppe hinauf, da ich nach der früheren Hitze und durch das lange Stehen vor der Thüre bis in's innerste Mark hinein durchfroren war. Der Mann hielt mir aber erst seine Laterne unter's Gesicht und sagte, mit einem durch das indessen seitwärts besichtigte Viergroschenstück nur theilweise beruhigten Blicke:

»Wohnen Sie denn hier?«

»Jawohl, oben beim jungen Herrn.«

»Seit wann denn?«

»Seit heute Abend neun Uhr; wir sind zusammen zum Balle gefahren.«

»Ah so!« nickte der Alte, der damit seiner Hauspflicht genügt zu haben glaubte und wandte sich mit einem kurzen »gute Nacht« zum Gehen, mein Blick war aber dadurch und als ich mich nach ihm umdrehete, auf die Hausthüre gefallen und ich sah dort den Riegel, den er eben wieder vorgeschoben hatte.

»Wird denn hier das Haus von innen verriegelt?« fragte ich ihn erstaunt, »das habe ich ja gar nicht gewußt, – da hätte mir ja auch mein Schlüssel nichts geholfen.«

»Ja,« meinte der Alte und bekam wieder den bösen Husten, »seit sie hier – oho oho oho – in der Schloßgasse, die – oho oho oho – die Frau erschlagen haben, oho oho, ist mein Herr ängstlich geworden – oho oho oho.«

»Wie kommt da aber der junge Herr herein?«

»Der klingelt auch!« meinte sehr lakonisch der Brustkranke und zog sich, nicht ohne Grund die nachtheiligen Folgen der Zugluft für sich selbst fürchtend, mit einem wahren Anfalle von Keuchhusten durch die Hofthüre in seine eigenen Apartements zurück.

»Das also ist das Ende meines süßen Traumes!« seufzte ich, als ich die breite steinerne Treppe im Dunkeln hinaufstieg und dabei links das Geländer hielt, um nicht irgendwo anzulaufen; was kümmerte mich in diesem Augenblicke der Riegel? mir gingen andere fürchterlichere Gedanken im Kopfe herum. –

– »Das ist das Resultat meiner Reise –, das der Grundstein meines künftigen Glücks, auf dem ich Riesenbauten aufgeführt hätte. – Fort, fort, selbst mit der Erinnerung an mein Unglück – ich will schlafen und wäre es bis zum letzten Tage. Ach der Tod müßte jetzt eine Wohlthat sein.«

Wie dunkel das aber auf der Treppe war, nicht einmal die Stufen konnte ich erkennen, eine wirklich ägyptische Finsterniß, doch wußte ich ja meinen Weg und fühlte mich, als ich die erste Etage erreichte, links dicht an der Mauer hin. Da stieß meine Hand an irgend etwas und in demselben Moment, in dem ich mir das Knie an einer scharfen Ecke fast zerstieß, klirrte mit fürchterlichem Gepolter irgend ein irdenes Gefäß zu Boden und das plätschernde Geräusch verrieth mir, daß ich jedenfalls einen nicht unbeträchtlichen Wasserkrug heruntergestoßen haben müßte.

Das fehlte mir noch – ich watete jetzt förmlich; wie aber kam der Krug hierher und wo hatte er –? wahrhaftig da stand auch ein Tisch; der mußte dorthin gestellt sein seit wir fortgegangen und meine linke Kniescheibe trug jetzt die Folgen. Doch hier half weiter kein Besinnen, im Dunkeln konnte ich überdies nichts wieder gut machen und beschloß nur Meier, wenn ich ihn zu Hause kommen hörte, aus dem Fenster hinaus zu warnen, daß er nicht etwa über das indessen die Treppe hinabgeströmte und gefrorene Wasser stürze.

Ich tappte jetzt an der linken Wand hin. – Nun? – Da sollte doch die Thüre sein. – Ich konnte nichts fühlen als die nackte kalte Mauer; auf jeden Fall mußte ich sie gleich im Anfange übergangen haben und suchte meinen Weg noch einmal zurück bis zur Treppe, aber keine Thüre war zu sehen und ich wußte doch so genau, daß sie sich auf der Seite befand. Wieder begann ich meine Wanderung, und die Zähne klapperten mir vor Frost und wieder mit nicht besserem Erfolge als zuerst, nur kam ich, als ich mich immer weiter hinarbeitete, zu einem Fenster, das in irgend einen dunkeln Hof hinausführte. – Wo war ich jetzt? Was sollte ich thun, was beginnen? Ich konnte doch wahrlich nicht die ganze Nacht auf der Treppe bleiben, wäre ja auch in meinem dünnen Ballanzuge erfroren. Und sollte ich Lärm hier im fremden Hause machen? – mit was für einem Gesichte durfte ich mich dann morgen – ei zum Henker, Noth bricht Eisen, erfrieren konnte ich auch nicht. Uebrigens mußte ja doch auch irgendwo eine Thür sein, und traf ich nicht die rechte, so weckte ich wenigstens Menschen, die mir das richtige Zimmer öffneten.

Rasch entschlossen ging ich an's Werk und kam glücklicher Weise endlich an eine Klinke, die ich zu öffnen versuchte; doch umsonst, sie widerstand allen meinen Bemühungen und auf mein mehrmaliges Anpochen erhielt ich ebenfalls keine Antwort. Ich ging jetzt weiter, stolperte nochmals über einen Stuhl, stieß an einen kleinen Tisch, über dem ich einen Spiegel fühlte, und erreichte zuletzt eine zweite Thüre.

Obgleich auch diese mir den Eintritt versagte, so glaubte ich doch ein Geräusch wie das eines Schnarchenden zu vernehmen. Ich klopfte herzhaft an und horchte – da regte sich etwas – eine Bettstelle knarrte, als ob sich Jemand darin umdrehe, dann war alles wieder still. – Ich wiederholte mein Pochen, da rief plötzlich eine allem Anscheine nach auf's Aeußerste erstaunte Stimme:

»Was zum Henker giebt's denn da draußen? Wer klopft? Johann, bist Du das?«

»Ich bin's, Herr Meier!« erwiederte ich ihm mit schüchterner, aber nichts desto weniger lauter Stimme, denn ich mußte natürlich in ihm den Vater meines Freundes vermuthen. – »Adolph Müller ist's, der Freund Ihres Sohnes; ich kann meine oder vielmehr seine Stube nicht finden.«

»Donnerwetter, Herr, stören Sie die Menschen nicht im Schlafe!« rief aber der vermeintliche Vater mit keineswegs freundlicher Stimme, »ich habe gar keinen Sohn – gehen Sie zum Teufel und lassen Sie mich in Ruhe –«

»Aber bester Herr,« bat ich ihn, »ich stehe hier draußen in der grimmigsten Kälte und kann den Tod davon haben; wenn ich nur wenigstens ein Licht hätte, daß ich meine Stube finden könnte. In welchem Zimmer wohnt denn nur Herr Meier?«

»Ich kenne gar keinen Meier, Herr!« rief die Stimme mit einer fürchterlichen Bestimmtheit, »hier im ganzen Gebäude existirt kein Meier. – Gute Nacht, schlafen Sie wohl –«

Und ich hörte, wie sich der Unmensch mit aller Gewalt auf die andere Seite warf, seine Worte aber waren wie ein Donnerschlag für mich – kein Meier im ganzen Hause! Das konnte ja gar nicht sein – hatte ich denn nicht die Nummer mit eigenen Augen gelesen? – Doch das Innere des Hauses selbst, die ganze Einrichtung war mir in der That fremd – sollte er recht haben? Doch nein, auf jeden Fall wohnte mein Meier hier; der Droschkenkutscher hatte mich ja auch gleich vor die richtige Thüre gefahren, ein Beweis, daß ich doch damals die Nummer gewußt; an mir lag es daher einen zweiten Versuch zu machen um mein Bett zu finden.

Ich schritt, immer weiter rechts, langsam an der Wand hin und erreichte endlich einen von außen durch einen Wollbeschlag verwahrten Eingang, der auf jeden Fall zu einer Wohn- oder Schlafstube führte; hier mußte übrigens die Klinke auf der verkehrten Seite sein, denn ich fühlte erst vergebens ringsherum und fand sie endlich in der Mitte. Kaum hatte ich sie jedoch berührt und darauf gedrückt, als von innen heraus ein so fürchterlicher markdurchschneidender Schrei erscholl, daß ich entsetzt zurückfuhr.

»Herr Meier,« rief ich aber gleich darauf rasch gesammelt und klopfte dabei scharf an die Thüre; »mein guter Herr Meier!«

»Mörder – Diebe – Spitzbuben! Feuer! Feuer!« gellte als Antwort die Stimme und nach dem Hofe zu wurde eine Klingel, die auf jeden Fall mit dieser Stube in Verbindung stand, aus Leibeskräften gerissen.

»Aber bester Herr Meier,« bat ich und suchte dadurch den Sturm zu beschwichtigen.

»Hülfe – Hülfe – Feuer – Diebe!« tobte das Echo und überall im Hause klappten Thüren und wurden ängstliche Stimmen gehört. Wieder, aber dies Mal noch in viel ängstlicherer Hast, schlurrten die Pantoffeln des Hustenden herbei und ich wußte für den Augenblick wirklich nichts Besseres zu thun, als mich diesem auf Gnade und Ungnade zu ergeben.

Ich fühlte meinen Weg, so schnell das gehen wollte, an die Treppe zurück und das Geländer hinunter, wo ich mit Freuden das eben wieder in die Hofthüre hereinblitzende Licht des Hustenden begrüßte. Dieser aber gewahrte kaum meine, wie er nach allem dem Hülfeschreien wahrscheinlich glauben mochte, in höchst böswilliger Absicht auf ihn zueilende Gestalt, als er blitzschnell, wie die Figur in irgend einer künstlichen Uhr, zurückschnellte, die Thüre in's Schloß warf und den Zeter von einer Treppe hoch mit

»Faß ihn, Türk, halt ihn fest, Packan, hu hetz hetz, Nero, hu hetz hetz!« accompagnirte.

Wohl sprang ich jetzt an die Hausthüre und schob den Riegel zurück, denn es wurde mir nun doch klar, daß ich durch das unseligste Mißverständniß in ein falsches Gebäude gerathen sei, die verwünschte Thüre ließ mich gegenwärtig aber ebensowenig hinaus, als sie mich vorhin hereingelassen hatte und zu der Aufregung, in der ich mich überhaupt befand, kam auch noch die Furcht, daß der schwindsüchtige Barbar am Ende gar zu guter Letzt eine Meute Kettenhunde auf mich losließe, wo ich dann in der engen Hausflur eine Scene aus den altheidnischen Thiergefechten hätte aufführen können. Glücklicher Weise mußte aber kein Hund auf dem ganzen Hof sein und die drohenden Laute sollten wohl blos dazu dienen die vermeintlichen frechen Diebe zurückzuschrecken. Ehe ich jedoch im Stande war einen festen Entschluß zu fassen und einmal schon wirklich im Begriffe die jetzt ebenfalls verschlossene Hofthüre zu sprengen, um mir wenigstens Bahn in des Hausmanns warme Stube zu brechen, flog das Thor plötzlich auf und drei entsetzte Gestalten mit Heugabeln, Schaufeln und einem großen Küchenmesser bewehrt, rückten in verzweifelter Tapferkeit heran und forderten mich mit grimmer Stimme zum Niederlegen der Waffen auf.

Es dauerte nun allerdings geraume Zeit, ehe ich im Stande war ihnen meine gänzliche Harmlosigkeit darzuthun, noch dazu da die früher gehörte Stimme von oben herunter ununterbrochene Drohungen von Galgen, Rad, Zuchthaus und Galeeren niederrief, und dadurch das Trifolium natürlich in dem Glauben erhielt, es sei Fürchterliches geschehen. Endlich mochte sie mein Ballcostüm, in dem ich mich producirte, beruhigen; es war wenigstens nicht wahrscheinlich, daß irgend ein vernünftiger Mensch bei solcher Kälte in schwarzem Fracke, weißen Glacéhandschuhen und Schuh und Strümpfen versuchen solle einzubrechen. Mein Freund im Schafspelze erkannte mich auch wieder, wollte sich aber, obgleich ich mich endlich mit den Leuten in soweit verständigte, daß sie mich für keinen Raubmörder hielten, in keinerlei Weise weiter mit mir einlassen, versicherte, daß er keinen Menschen Namens Meier kenne und in seinem Leben gekannt habe, schloß, dabei immer noch mit mißtrauischem Seitenblicke, die Hausthüre so schnell als möglich wieder auf und ich fand mich wenige Secunden später – und noch froh nicht etwa gar als fremder Ruhestörer irgend einem freundlichen Nachtposten überliefert zu sein – gerade vor derselben Pforte, vor der ich kurze Zeit früher Gott weiß was darum gegeben hätte, um nur gleich und schnell hineinzukommen.

Allerdings suchte ich mich jetzt augenblicklich und während innen noch der unausbleibliche Riegel mit größter Sorgfalt wieder vorgeschoben wurde, von der Identität der Hausnummer zu überzeugen; die letzte Laterne war jedoch indeß verlöscht, die Straße menschenleer und der Schnee fiel in großen kältenden Flocken nieder; ich selbst aber zitterte vor Frost an allen Gliedern und fürchtete wohl nicht ohne Grund eine bösartige Erkältung, wenn ich, so leicht bekleidet, auch nur eine Minute länger auf freier Straße blieb, als ich nothgedrungen mußte. Unter diesen Umständen blieb mir denn also nichts weiter übrig als den Versuch, in solcher Dunkelheit und Kälte das rechte Haus zu finden, aufzugeben, und ich lief rasch die Straße hinab, das erste Hôtel oder Gasthaus zu benutzen, was sich mir bieten würde.

Glücklicher Weise brauchte ich nicht lange zu suchen; wenige hundert Schritte weiter unten erkannte ich die goldglänzenden Riesenbuchstaben eines Schildes, die Hausglocke saß an der richtigen Stelle und ich fand – wirklich kaum noch im Stande mich auf den Füßen zu erhalten – ein eiskaltes Zimmer, aber ein warmes Bett, in dem ich mich von dem Elend und Leid dieser Nacht erholen konnte. Zum Tode erschöpft schlief ich natürlich augenblicklich ein und erwachte erst wieder, als mir das helle Tageslicht in die Fenster schien und der Kellner mit dem um acht Uhr bestellten Kaffee in die Thüre trat.

Wie ein düsteres Traumgebilde lag die Erinnerung der vergangenen Nacht auf meinen Nerven, der Kaffee übte jedoch seinen wohlthätigen Einfluß auch auf mich aus; ich schüttelte alle bösen Gedanken ab und mit dem festen Entschlusse Emilien auf immer zu meiden – ich bin bis jetzt noch nicht recht mit mir im Klaren, ob mich damals die falschen Locken oder die bedauernswerthe Ansicht über meine Gedichte am meisten dazu bestimmte – zog ich meinen Burnus wieder über, setzte den Hut, den mir das tückische Spiel des gestrigen Abends bescheert, auf, bezahlte die kleine Rechnung und öffnete meine Thüre, die auf einen schmalen Gang hinausführte.

»Nun, da hätte ich mir allerdings bis heute Morgen die Hände vor meinem Fenster wund klatschen können,« sagte in diesem Augenblicke eine Stimme dicht neben mir und aus der benachbarten Thüre trat ebenfalls mit Hut und Mantel, wer anders als Meier selbst heraus.

»Meier!« rief ich und stand ganz verdutzt über solche wunderbare Begegnung, »jetzt bitte ich Dich um Gotteswillen –«

»Weshalb liefst Du denn auf einmal gestern vom Balle fort?« brummte aber dieser. »Emilie hat tausend Mal nach Dir gefragt.«

»Emilie!« – der Name gab mir meine ganze Kraft und Energie wieder. –

»Meier,« sagte ich, griff ihm unter den Arm und führte ihn mit mir die Treppe hinab. »Meier, glaubst Du an ein böses Geschick?«

»Ich fange an zu glauben, daß Du eine eigene Fertigkeit besitzest Alles, was Du angreifst, verkehrt zu machen,« lautete die mürrische Antwort. »Weshalb bist Du denn nicht wie ein anderer vernünftiger Mensch nach Hause gegangen, anstatt mit dem einzigen Hausschlüssel in der Tasche in's Wirthshaus zu laufen und mich selbst dabei auszuschließen, daß ich nicht einmal in mein eigenes Zimmer konnte?«

»Glaubst Du an ein böses Geschick, Meier?«

»Ach laß den Unsinn – wo hast Du denn eigentlich meinen Schlüssel, und – hahaha, wessen Hut trägst Du denn?«

Ich nahm den Hut ab und sah jetzt zum ersten Male, daß eine kleine Cocarde mit silbernen Schnüren an der Seite saß; ich hatte gestern Abend in aller Eile den Hut irgend eines Bedienten aufgegriffen.

»Meier,« sagte ich und blickte, dadurch nur noch mehr in meinem Entschlusse bestärkt, auf den Hut nieder, »weißt Du wem der fremde Reisesack gehört?«

»Einer Dame auf jeden Fall, die sich über die verbrannte Rosenguirlande ungemein freuen wird – wahrscheinlich einer Schauspielerin, weil sie Schminke und Perrücken bei sich führt.«

»Hm,« sagte ich und schritt, immer noch den Hut in der Hand, an seiner Seite die Straße hinauf seinem Hause zu; da erkannte ich plötzlich die Thüre, an der ich gestern Abend gestanden, die Klingel – ich hatte den dicken runden Knopf noch nicht vergessen – an der ich so fabelhaft geläutet und – Pest und Gift! – von dem weißen runden Schildchen lächelte mir höhnisch eine 13 entgegen, die ich in Nacht und Dunkelheit jeden Falls für meine 15 gehalten. Das Maaß meines Ingrimms war gefüllt.

»Meier,« sagte ich, und winkte einer gerade vorbeifahrenden Droschke zu, »es giebt Dinge in der Welt, die sich nicht gut mündlich verhandeln lassen, ich will Dir meine Geschichte lieber schreiben. Es ist jetzt aber gerade ein Viertel auf Zehn; um halb zehn geht der Frühzug ab, sei doch so gut und schicke mir mit nächster Gelegenheit mein Gepäck nach. Deine Beinkleider kannst Du mir so lange borgen, ich würde sonst, was ich um keinen Preis der Welt möchte, den nächsten Zug versäumen.«

»Was? Jetzt willst Du auf einmal wieder fort?« rief Meier nicht wenig erstaunt aus, »das geht ja gar nicht, was würde auch Emilie dazu sagen?«

»Die – grüße schönstens,« murmelte ich mit einem halbverbissenen boshaften Lächeln, »grüße sie und – bitte sie, mir doch gefälligst den Reisesack umzutauschen. Halt – noch eins – thue mir doch auch die Liebe und sieh zu, daß Du den Eigenthümer dieses Hutes wiederfindest, der dafür wahrscheinlich den meinigen zurückbehalten hat.«

»Wache ich denn oder träume ich,« rief Meier, »Emilien gehörten jene Apparate? – Aber Adolph, Du kannst doch wahrhaftig nicht im bloßen Kopfe reisen –«

»Nein,« erwiederte ich ihm, »auf keinen Fall – Kutscher – schlesischer Bahnhof – sind wir in zehn Minuten und noch vor der Abfahrt dort, so bekommst Du einen Thaler Trinkgeld – also adieu Meier – sei nicht böse, daß ich Dir so viele Umstände gemacht, übermorgen spätestens hast Du einen Brief von mir.« Damit drückte ich ihm einen herzlichen Kuß auf den Mund, nahm ihm den eigenen Hut vom Kopfe und schlug ihn mir selber in die Stirn, sprang in den Wagen und im nächsten Augenblicke rasselten wir, ehe Meier durch das Schnelle des auf ihn Einstürmenden vielleicht nur eine Ahnung dessen hatte, was ich beabsichtigte, in lebensgefährlicher Schnelle über das holperige Pflaster dem fernen Bahnhofe zu.

Wir kamen eben noch zur rechten Zeit – die letzte Glocke läutete als wir vor die Thüre des Bureaus klapperten; rasch löste ich mein Billet und wenige Secunden später setzte sich der Zug mit schrillem markdurchschneidendem Pfeifen in Bewegung. Dann aber erst, als ich in die Ecke des warmen Coupées gedrückt, den Schauplatz dieser Nacht mit flüchtiger Schnelle verließ, als Feld und Flur und Berg und Wald an mir vorbeischwirrten und Meile nach Meile den Raum vergrößerte, da erst fand ich mich selbst und meine Ruhe wieder.

An Emilien schrieb ich noch an demselben Abend und von zu Hause aus ein Paar Zeilen, gestand ihr meine Unwürdigkeit sie zu besitzen und bat um ihre Freundschaft. Meier aber machte ich ebenfalls und versprochener Maßen ausführlich mit dem ganzen Umfange meiner damaligen Abenteuer bekannt und erhielt drei Tage später durch seine Vermittlung meinen Reisesack mit all' meinen früher an Emilien geschriebenen Briefen zurück. –

Nur eines fehlte – meine Gedichte; ich hatte das Weib gereizt und sollte ihre Rache fühlen. – Drei Wochen später standen sie unter meinem eigenen Namen in der Didascalia.

Civilisation und Wildniß.
Skizze aus dem amerikanischen Leben.

Im westlichen Theile des Squatterstaates Missouri, unfern vom Flusse gleiches Namens, dem roaring river oder rauschenden Strom, und etwa nur zwanzig englische Meilen von der östlichen Gränze des »indianischen Territoriums« entfernt, wo nördlich die Kickapoos und südlich von ihnen die Delawaren durch die Regierung der Vereinigten Staaten ihre Wohnsitze angewiesen bekommen hatten, lag ein kleines, unscheinbares Waldstädtchen, in früherer Zeit wohl nur der ergiebigen Bleiminen wegen gegründet, jetzt aber, da vielleicht bessere Adern und besser gelegene entdeckt worden, auch wieder von einem großen Theile der ersten Ansiedler verlassen.

Das Städtchen selbst bestand eigentlich nur aus einer einzigen Straße und darin sich gegenüber liegenden zwölf oder vierzehn Häusern, von denen das umfangreichste das Meeting- oder Bethaus, das wohnlichst eingerichtete das des Händlers oder Krämers, und das kleinste, einfachste das einer armen Witwe, Mrß. Rowland, war, die hier mit ihrer Pflegetochter Rosy still und zurückgezogen, aber auch von allen Nachbarn geliebt und geachtet, lebte.

Da sich übrigens meine kleine Erzählung gerade um diese Personen wendet, so ist es vielleicht dem Leser lieb, gleich von vorn herein und mit so kurzen Worten als möglich das zu erfahren, was zur Verständigung des Ganzen nöthig ist und was er nun einmal überhaupt wissen muß.

Mrß. Rowland war die älteste Ansiedlerin im ganzen Orte, und zwar hatte ihr Mann hier die ersten Bleiminen auf einem Jagdzuge entdeckt und mitten unter, damals feindlichen, Indianern als kühner Pionier und Vorzügler der Civilisation die Arbeit begonnen. Aber nicht warnen ließ er sich durch das Schicksal tausend Anderer, die vor ihm den rothen Sohn der Wälder in seiner Heimath aufgesucht und durch Uebermuth gereizt; auf seine Kraft und geschickte Führung der Büchse vertrauend, trotzte er jeder Gefahr, die ihm vom Feinde oder Gegner drohen konnte, und – fiel. Ein Häuptling der Delawaren war von ihm beleidigt worden – wenige Tage später hörte er Morgens dicht bei seiner Hütte, den Lockton einer Truthenne, er nahm seine Büchse, die vermeintlich leichte Beute zu erlegen, und – kehrte nie mehr zurück. Der Ton mußte eine Schlinge der listigen Wilden gewesen sein – wenige Minuten später überfielen die dunkeln entsetzlichen Gestalten das jetzt unbeschützte Haus, und als die unglückliche Frau aus ihrer Ohnmacht, in die sie der erste Schreck geworfen, erwachte, lag sie vor den qualmenden Ueberresten ihrer Hütte unter einem Baume, und ihr Sohn, ihr einziges liebes Kind war verschwunden.

Umsonst durchwühlte sie den ganzen langen Tag mit blutenden verbrannten Fingern die qualmenden Trümmer ihrer friedlichen Heimath, nicht einmal die Gebeine fand sie, um den Ueberresten des Kindes ein Grab zu gewähren. Halb wahnsinnig floh sie damals, allein und schutzlos, durch den Wald der meilenweit entfernten nächsten Hütte zu, und zog später, in ihrem hoffnungslosen Schmerze, nach St. Louis zu einer da wohnenden Schwester. Hier lebte sie vierzehn lange Jahre in stiller Zurückgezogenheit; wenn aber auch die Zeit den Schmerz gelindert hatte, so vergaß sie doch nie und nimmer die theuren Lieben, die ihr durch Mörderhand entrissen worden, und das besonders ließ ihr weder Ruhe noch Rast, daß sie nie Gewißheit von des Kindes Tod erhalten. Wenn sie der Ueberzeugung auch Raum geben mußte, ihr Gatte sei ein Opfer indianischer Rache gefallen, so konnte sie sich weder wachend noch träumend des Gedankens erwehren, wie der Knabe, vielleicht nur geraubt, vielleicht entflohen, verirrt gewesen und von anderen Farmern – Reisenden möglicher Weise – aufgenommen sei.

Als sie daher von der Gründung des kleinen Städtchens Boonville hörte, das spätere Bleisucher kaum eine Viertelstunde von ihrem früheren Wohnorte ab angelegt, da beschloß sie, weil ihre Schwester indessen auch gestorben war und sie nun doch allein auf der Welt stand, mit deren hinterlassener Stieftochter, einem lieben, holden, damals zwölfjährigen Kinde, nach Boonville zu übersiedeln. Dort war sie wenigstens in der Nähe jener Stelle, auf der sie fast Alles verloren, was ihr auf Erden lieb und theuer gewesen, und dort, meinte sie, müsse auch, wenn je, ihre Hoffnung erfüllt werden. Sechs volle Jahre waren aber wieder verflossen, ohne daß sie auch nur eine Spur des Verlorenen gefunden, und wenngleich alle Bewohner des kleinen Ortes, mit dem Schicksale der armen Mutter bekannt, sich die größte Mühe gegeben hatten, ihre Nachforschungen zu unterstützen, so schien doch Alles Umsonst – der Verschwundene blieb verschwunden, und die arme alte Frau siechte endlich mit mehr und mehr abnehmenden Körperkräften dem Grabe zu, nach dem sie sich ja auch, besonders in den letzten Jahren, als dem einzigen Orte, die Ihren wieder zu finden, so heiß und brünstig gesehnt.


Es war ein freundlicher, sonniger Abend im August; von Nord-Osten her wehte ein kühler, labender Luftzug, und vor den Thüren der einzelnen Wohnungen, theils im Schatten fruchtbeladener Hickorys oder Chesnuts, nicht selten auch von Töpfen mit qualmendem Rauch umgeben, die etwas lästigen Mosquitos zu verscheuchen, saßen hier und da die Bewohner von Boonville – die Frauen mit irgend einer Nadelarbeit beschäftigt, von der sie nur manchmal aufstanden, nach dem innen am Kamin brodelnden Abendessen zu schauen, und die Männer im dolce far niente an Stücken Holz schnitzelnd, oder auch auf ein über freie Erde hingebreitetes Büffelfell müßig ausgestreckt.

Nur der Stuhl vor der Thür des Händlers war leer, denn Madame schaffte und arbeitete mit feuergeröthetem Angesichte vor dem geräumigen Kamine der Küche, während Zacharias Smith zwei fremde Indianer bediente, die vor kurzer Zeit mit ihren Fellbündeln und Wildpret in das Städtchen gekommen waren, um hier ihre nöthigsten Bedürfnisse, wie Pulver, Messer, Blechbecher und – Whiskey gegen das Erbeutete einzutauschen.

Es waren ein paar Krieger vom Stamme der Kickapoos, wenn der Name Krieger überhaupt noch einem Paar der miserabelst aussehenden Subjecte indianischer Race beigelegt werden konnte. Die schmutzigen wollenen und zerrissenen Decken, die sie um sich herumgeschlagen, verhüllten kaum nothdürftig ihre Blöße, und das Haar hing ihnen, nicht mehr bloß in der einzelnen stolzen Scalplocke prangend, nein, unbeschnitten, aber auch ungekämmt, wild und wirr, an manchen Stellen wie eine Pferdemähne, von Kletten zu festem Zopfe zusammen gehalten, um den braunen Nacken. Der Eine trug ein Hemd – aber ob das einst aus weißem Stoffe oder buntem Kattun bestanden, ließ sich wahrlich nicht mehr erkennen; das Blut des erlegten Wildes hatte eine Art Kruste darüber gelegt, die nur auf der Schulter durch das Tragen der ziemlich schweren, unbehülflichen Büchse unterbrochen schien – ihre Leggins waren mit Stücken roher Haut geflickt, und ihre Moccasins sahen aus, als ob sie jeden Augenblick auseinander fallen wollten. Ein Gürtel aus Hickory-Rinde gedreht, hielt ihre Leggins-Bünde, das kleine Scalpirmesser und eine kurze Schilfpfeife, und die ausdruckslosen trägen Züge der schmutzigen Gesichter heiterten sich erst wieder auf, als sie in des Händlers Laden die rothbestrichenen Whiskey-Fässer sahen.

Der Handel war sehr einfach und deshalb bald abgeschlossen – das, was sie an Pulver nothdürftig haben mußten, ließen sie sich geben und füllten es in ihre Hörner, den Rest aber verlangten sie natürlich in »Uiski«, und damit kauerten sie sich gleich an Ort und Stelle in eine Ecke des Ladens zwischen Salz- und Mehlfässer nieder und begannen, ohne weitere Vorbereitung, ihr Festmahl.

Sie hatten nur einen Becher mit, und der Eine schaute mit weit aufgerissenen, fast aus ihren Höhlen tretenden Augen zu, als der Andere das gelbe Feuerwasser aus der erhaltenen Flasche in diesen einsprudeln ließ – sein breiter Mund verzog sich zu einem noch breiteren Grinsen, und ein paar Reihen blendend weißer Zähne wurden sichtbar – die eine Hand streckte er dabei schon wie unwillkürlich nach dem Göttertrank aus, und ein leises, gurgelndes Lachen wurde laut, als sein Gefährte den Becher zuerst an die Lippen hob. Das Lächeln verlor sich aber, die Mundwinkel zogen sich wieder zusammen, wenn auch die Lippen getrennt blieben, und das Auge nahm einen mehr stieren, ängstlichen Ausdruck an, als der Freund, gar nicht mehr freundschaftlich, in nicht endendem Zuge mit dem Blechmaß zu verwachsen schien.

»Ugh!« sagte da endlich – nach langem, langem Genusse absetzend – der erste Trinker, und schaute, über das Gefäß hinüber, den Gefährten an – dessen Züge aber heiterten sich jetzt urplötzlich wieder auf – er streckte die Hand aus, ergriff den Becher, den er selbst nicht wieder losließ, als Jener ihn erst aufs Neue füllte, und schien nun seinerseits reichliche und volle Rache an dem nehmen zu wollen, der seine Erwartung vorher auf so peinliche Folter gespannt.

So tranken sie abwechselnd, Jeder bei dem Genusse des Anderen mit athemloser Angst das Abnehmen des verführerischen Giftes beobachtend, Jeder, wenn die Reihe an ihn kam, seine früheren Gefühle in dem einen, alles andere ausschließenden Bewußtsein seiner Seligkeit vergessend.

Und vor ihnen auf dem Ladentische, das rechte heraufgezogene Knie mit seinen beiden Händen gefaßt, den Körper, um das Gleichgewicht zu behaupten, etwas zurück gebeugt, und die vergnügt lächelnden Augen fest auf das zechende Paar geheftet, saß der Händler Zacharias Smith und hatte, allem Anscheine nach, seine herzliche Freude über dasselbe.

So schweigsam und verdrossen die beiden Wilden aber auch im Anfange gewesen waren, so munter wurden sie jetzt, als ihnen der Feuertrank erst durch die Adern rollte und in diesen mit seinem scharfen, zuerst allerdings belebenden Geist, in ihre Köpfe stieg. Sie fingen an kleine Bruchstücke von Kriegsliedern zu singen, lobten wahrscheinlich – denn Smith verstand ihre Sprache nur sehr unvollkommen – ihre eigenen vortrefflichen und unübertroffenen Eigenschaften, und es schien überhaupt, als ob ihre tolle Lustigkeit in dem Verhältnisse stiege, wie die Fluth in der zwischen ihnen stehenden oder vielmehr immer hin und her gehenden Flasche ebbte.

»Ugh!« rief endlich der Eine, als er eben wieder seinen Becher füllen wollte und nun zu seinem Entsetzen fand, daß die Flasche, die er gerade erst gegen das Licht gehoben und welche danach wohl noch anderthalb Becher halten mußte, kaum einen guten Schluck mehr her gab – »was das? Uiski drin und kommt nicht aus.«

Er drehte, während sich der Andere neugierig und bestürzt zu ihm hinüber bog, die Flasche um und entdeckte hier zu seiner, ihm nichts weniger als angenehmen Ueberraschung die eingedrückte Höhlung.

»Wah!« rief er erstaunt aus – »groß Loch hier – weißer Mann hat groß Loch in Flasche – ugh – schlecht – Indianer kriegt Flasche voll – in Loch nichts.«

»Ugh – schlecht!« stimmte der Andere bei und bezeugte durch ein den Gaumenlaut begleitendes Kopfnicken, daß er ganz vollkommen derselben Meinung und eben so mit der gethanen Aeußerung einverstanden sei.

Der Händler erwiederte: »Ei, Indianer, da sieh Dir nur all die anderen Flaschen an – das Loch ist in allen; sie halten nun einmal so ihr Maß und sind danach eingerichtet; wäre das Loch nicht, würde die ganze Flasche kleiner sein.«

»Ist nicht nöthig,« brummte der Sprecher wieder; »weißer Mann hat Felle gekriegt, ganz – blos Kugelloch drin – Kugelloch kann wieder gemacht werden – weißer Mann muß das Loch auch machen!« Und er hielt, in deutlicher Erklärung dessen, was er meinte, dem Händler die Flasche verkehrt hin, damit dieser solcher Art und gewissenhaft das Versäumte nachholen könne.

»Ha, ha, ha!« lachte der aber – »das ist eine verdammt komische Zumuthung – wie käm' ich denn dazu oben und unten einzuschenken – Ihr habt ohnedies beide gerade so viel in Euch hinein gegossen, wie Ihr bequemer Weise tragen könnt.«

»Schad nichts,« brummte der zweite Indianer und deutete dabei auf die Flasche – »Loch wieder machen!«

»Ei nun, wenn Ihr's nicht anders wollt,« lachte der Händler und sprang, nach der Flasche greifend, von dem Ladentische, »so kommt mir's auf die paar Tropfen auch nicht an – hier Kickapoo – halt denn einmal die Flasche – aber steh fest – Donnerwetter, Bursche, Dir ist ja der Trunk schon jetzt in den Kopf gestiegen, und willst noch immer mehr haben?«

»Schad nichts,« grins'te der Wilde; »sehr gut, mehr – viel besser Wort wie wenigerweniger schlechtes Wort.«

»Also auch nicht weniger heiß – weniger Hunger – weniger Durst?« lachte Smith, während er sich zum Fasse nieder bog.

»Nein, nein!« rief der Kickapoo, und seine Augen verschlangen schon jeden einzelnen Tropfen, der ihnen noch zugemessen wurde – »immer mehr Durst – Durst viel gut – sehr viel gut!«

Das »Loch« hatte freilich nicht so viel gegeben, als die Beiden erwartet haben mochten; denn sie hielten den Inhalt, nachdem sie ihn vorher in den Becher ausgeschüttet, lange Zeit zwischen sich und schwatzten viel und eifrig in ihrer eigenen Sprache mit einander; endlich aber leerten sie ihn doch, und als der Händler hiernach unerbittlich blieb, ihnen noch mehr auszufüllen, holte Einer von ihnen ein kleines zusammengerolltes Päcktchen aus seiner Decke vor, das er aufwickelte und ein fein gegerbtes Otterfell zum Vorscheine brachte. Es war augenscheinlich, sie hatten dieses im Anfange nicht um Whiskey hingeben, sondern vielleicht irgend andere Bedürfnisse, vielleicht für die Squaw[11] daheim, die derlei Arbeiten auch gewöhnlich verfertigen, eintauschen wollen; die furchtbare Gier aber, die der rothe Sohn der Wälder – einmal verführt – nach dem für ihn so verderblichen Genuß des Feuerwassers nährt und hegt, ließ den Kampf, den in ihrer Brust wahrscheinlich jetzt noch das bessere Gefühl kämpfte, einen sehr kurzen sein.

[11]: Squaw, indianische Frauen.

Der Indianer warf das Fell, das der Amerikaner sorgfältig prüfte, auf den Ladentisch und verlangte im Anfange »halbe Flasche Uiski – nachher anderes« – dafür – sie wollten nur einen Theil des anvertrauten Gutes vertrinken. Mit dem Genusse stieg aber auch die Gier danach, und Becher nach Becher voll ließen sie sich von dem kopfschüttelnden und keineswegs ganz damit einverstandenen Krämer nachgießen, bis auch der letzte Cent vertrunken worden und die unersättlichen Kehlen dennoch mehr verlangten.

»Mehr Uiski!« lallte jetzt der Eine mit stieren, glanzlosen Augen und streckte den einen Arm mit der Flasche dem Amerikaner entgegen, während er mit dem anderen den schwankenden Körper am Ladentische zu stützen suchte – »mehr Uiski – Fell ein Flasche mehr werth.«

»Ihr bekommt keinen Whiskey mehr!« sagte aber, und zwar auf das bestimmteste, der Händler; denn er fürchtete nicht mit Unrecht den wilden zügellosen Geist seiner Gäste, der sich, so friedlich sie auch im nüchternen Zustande sein mochten, im trunkenen nur zu oft die Bahn brach und dann zu allem Schlimmen, fähig war – »Ihr Zwei habt mehr getrunken, als Sechsen zuträglich gewesen wäre, und es ist besser jetzt, Ihr legt Euch ein paar Stunden aufs Ohr, Euren Rausch auszuschlafen.«

»Rausch? ausschlafen?« lallte der älteste der Beiden, indem er die Flasche am Halse ergriff und in die Ecke schleuderte, daß sie in tausend Scherben zerbrach – »hahahaha! weißer Mann – mehr, Po-co-mo-con nüchtern wie junges Waschbär – weißer Mann, trunken – wackelt hin und her wie junge Birke – hahaha – mehr Uiski – Blaßgesicht – mehr Uiski – bei Gott

»Ihr bekommt keinen Tropfen mehr,« sagte der Händler und deutete nach der zerschmetterten Flasche – »seid Ihr gute Indianer? thun das gute Indianer? thun das nüchterne Waschbären? Packt Eure Siebensachen zusammen, und ich will Euch nebenan in mein Waarenhaus bringen, da könnt Ihr bis zum Morgen ausschnarchen, und morgen früh sollt Ihr dann auch noch Jeder einen Becher voll auf den Weg haben – seid Ihr damit zufrieden?«

»Ja!« sagte der Aelteste, »ja, sehr gut, Becher voll, sehr gut – aber gleich trinken – dam morgen, morgen anderen.«

»Du bist gescheidt – nein, schlaft nur erst aus,« lautete die Antwort.

»Go to hell!« knurrte jetzt gereizt der Jüngere – »Bleichgesicht cheats – betrügt rothen Mann – Bleichgesicht thut nichts umsonst.«

»Würde schon Uiski geben,« lallte der Andere schluckend, »wenn wüßte – hick – wenn wüßte, was ich weiß – hick!«

»Möglich!« sagte Smith lakonisch.

»Nich möglich!« rief, durch die Ruhe des Weißen gereizt, der Indianer; »nich – hick – nich möglich, gewiß! Indian weiß großes Geheimniß für weißen Mann, dam you – hick – großes Geheimniß von Konzas – hick – aber Uiski, mehr Uiski.«

»No, you d'ont!« lachte der Händler, der nicht anders glaubte, als der Wilde mache ihm hier etwas weiß, um nur noch einen Becher voll Whiskey heraus zu pressen; »Du behältst Dein Geheimniß und ich meinen Whiskey, das wird das Gescheidteste sein.«

»Dam you!« brummte der Wilde; »Ihr gebt ganz Faß voll – hick – vor Geheimniß – weißer Mann – hick – ugh – ganz zwei Faß voll – hick – weißer Mann unter Indian – ugh – sieht gut – hick – sieht gut aus – hick – großer Krieger – hick – hahahaha – wohl auch Faß voll werth – hick?«

Der Jüngere, der doch nicht so ganz trunken sein mochte, als sein älterer Gefährte, und vielleicht eine Art Ahnung hatte, wie Jener durch sein Schwatzen sie beide in Unannehmlichkeiten verwickeln könne, ergriff seinen Arm und suchte ihn fort zu ziehen; der aber stieß ihn mit mürrischem Fluche von sich.

»Dam you! – mehr Uiskihaih!« Und sein gellender Schlachtschrei tönte die ganze Straße hinab, daß die Kinder im Spielen aufhörten und die Einzelnen, die in dem mehr und mehr anbrechenden Abend noch draußen vor den Thüren weilten, überrascht die Köpfe hoben, dem unheimlichen Tone, der vielleicht bei Manchem gar trübe Erinnerungen in's Gedächtniß zurück rief, zu lauschen.

Smith war aber auch aufmerksam geworden – ein Weißer unter den Indianern als Indianer – denn etwas Aehnliches schien unfehlbar die wirre Rede anzudeuten – er wußte selbst nicht, woher es kam, aber fast unwillkürlich zuckte ihm der Gedanke an Mrß. Rowland durch den Kopf, und er beschloß jetzt, jedenfalls dieser Spur so rasch als möglich zu folgen.

»Hallo Indian – ist das wahr, was Du da sprichst?« redete er diesen an und trat, um den Ladentisch herum, auf ihn zu.

»Aha« – grins'te die Rothhaut – »hat Po-co-mo-con Recht? – hick – Bleichgesicht gäb ganz Faß voll – hick – für – hick – für Geschichte – hier Becher.«

Smith füllte kopfschüttelnd den Becher aus einem auf dem Ladentische stehenden Krug und schaute dabei forschend und von der Seite den Indianer an – der aber hatte des Guten schon zu viel gethan – mit gläsernen Augen und mattem Lächeln hob er das Gefäß noch einmal an die Lippen – aber er vermochte schon nicht mehr zu schlucken.

»Hick!« lallte er, und der Whiskey strömte über seine braune Brust und das blutige Hemd – »hick – weißer Mann, gut – hick – Uiski besser – hick – sehr bess – er – hick!«

Und der Becher entfiel seiner Hand – Po-co-mo-con that einen Schritt vor, um sich im Gleichgewichte zu halten, glitt auf dem nassen Boden aus und wäre, hätte ihn der Händler nicht noch gefaßt, auf die Erde niedergeschlagen. Aber an Red'-und-Antwort-stehen durfte er an diesem Abend nicht mehr denken, selbst der Jüngere schien so trunken, oder stellte sich wenigstens so, um vielleicht den Fragen zu entgehen, daß auf eine vernünftige Antwort bei allen Beiden nicht mehr zu hoffen war. Smith also that das Einzige, was er unter diesen Umständen thun konnte – er schleppte die Bewußtlosen, da es unterdessen überhaupt fast dunkel geworden, ohne Weiteres in ein neben seiner Wohnung leer stehendes kleines Gebäude, das er zugleich mit als Waarenlager benutzte, warf sie hier auf eine Parthie Hirsch- und Bärenhäute, die in der einen Ecke ausgebreitet lagen, und verließ sie hier hinter vorsichtig verschlossener Thür, mit dem festen Entschlusse, sie am nächsten Morgen nicht eher ziehen zu lassen, bis sie auf das genaueste gebeichtet hätten, wie es mit dem Weißen unter den Indianern stand, und ob sich die Sache wirklich so verhielt, wie er jetzt noch glaubte.

Als aber der nächste Morgen kam und Smith mit dem Frühesten in der Absicht hinüberging, seine Gefangenen zu wecken, fand er zu seinem unbegrenzten Erstaunen das Nest schon leer und von den Indianern keine Spur; ja, bei näherer Untersuchung ergab sich sogar, daß sie durch eine Ecke des niederen Daches, wohin sie auf den rauhen Balken leicht gelangen konnten, ausgebrochen seien und ihm zwei vortrefflich geräucherte Hirschkeulen, für die er erst gestern per Stück einen silbernen Viertel-Dollar bezahlt, als Zehrung mitgenommen hatten. Der Verlust der Keulen schmerzte ihn aber am wenigsten; sie hatten getrunken, und er würde ihnen auch gern zu essen, ja, die Keulen vielleicht mit auf den Weg gegeben haben, wenn er nur gewußt hätte, wie es mit dem »Geheimniß« stand. Der Wunsch blieb aber Wunsch, und wenn er auch im ersten Augenblick an eine Verfolgung dachte, so gab er den Gedanken gleich wieder als unausführbar auf; denn daß die Wilden sich alle Mühe geben würden, keine Fährten, wenigstens keine sichtbaren zu hinterlassen, ließ sich denken.

Was aber nun thun? Smith zerschnitzte in allem Brüten und Nachdenken ein paar Stücke Holz, die ihm bei ruhigem Blut einen ganzen Tag gehalten hätten, und kam immer noch zu keinem Resultat; denn Mrß. Rowland etwas von der gefundenen Spur zu sagen, ohne ihr eine Gewißheit geben zu können, wäre grausam gegen die arme alte Frau gewesen, die nachher in, vielleicht nicht einmal befriedigter, Hoffnung vergangen wäre. Denn ließ es sich nicht denken, daß der lügnerische Wilde doch am Ende nur ein Märchen erfunden haben konnte, um noch einen Schluck Whiskey zu erpressen? Aber der Andere, sein jüngerer Gefährte, war augenscheinlich bestürzt geworden, als der Aeltere das Thema berührte – ha – da ging ein Mann vorüber, der ihm, gerade hierin, gar nicht erwünschter hätte kommen können.

»Heda, Tom – oh, Tom!« rief er, rasch in die Thür tretend.

»Hallo, Smith, was giebt's so früh?« nickte ihm der Angerufene freundlich hinüber; »guten Morgen! schon ausgeschlafen?«

Er ging zu dem Hause hinüber und blieb in der Thür, auf seine Büchse gestützt, stehen.

Tom Fairfield war eine kräftige, edle Gestalt, ein echter Hinterwäldler, Jäger mit Leib und Seele, und nie zufriedener, als wenn er draußen in seinem Walde einer Fährte folgen oder eine Falle stellen konnte. Er schien auch jetzt wieder unterwegs, trug die Büchse in der Hand, den leichten spanischen Packsattel und Zaum auf der Schulter, um sein Pferd draußen im Busche zu suchen und zu besteigen, und hatte die wollene Decke übergeschnallt, um da zu lagern, wo ihn die Nacht gerade überraschen würde.

»Hört, Tom,« sagte aber Smith mit einem weit ernsthafteren Gesicht, als das sonst seine Sache war, und zog dabei den jungen Mann in den Laden herein – »Ihr seid doch mit Rowland's gut bekannt – nun, braucht nicht roth zu werden, mein Junge – hier, nehmt einmal einen Schluck, es ist Dogwood und Cherry Bitteres und wird Euch in dem Thaue heute Morgen gut thun – das ganze Städtchen weiß ja doch, daß Ihr Rosy auf unmenschliche Art den Hof macht.«

»Unsinn, Smith!« sagte Tom Fairfield und leerte, seine Verlegenheit zu verbergen, das dargebotene Glas auf Einen Zug.

»Bah, Mann!« rief aber dieser, »was wollt Ihr da noch läugnen? Aus bloßer Freundschaft versorgt Ihr nicht die ganze Wirthschaft mit Feuerholz, Wild und Mühlereiten für die Leute, das sollt Ihr mir nicht weiß machen.«

»Und wen hätten denn die allein stehenden Frauen ...«

»Ach, papperlapap – das sind Redensarten und thun hier auch nichts zur Sache. Rosy ist ein liebes, gutes Mädchen, und Ihr seid ein hübscher junger Kerl, ein guter Jäger und – wenn es sein muß – auch ein guter Arbeiter; was sollte Euch also hindern, selber Wirthschaft anzufangen? Doch hier ist etwas, um das ich Euch fragen will – wollt Ihr Rowland's einen großen, einen sehr großen Dienst leisten?«

»Rowland's, was ist es, sprecht!« rief Tom, augenscheinlich bestürzt über die Feierlichkeit des Mannes: »steht es in meinen Kräften?«

»Das müßt Ihr selbst beurtheilen,« sagte Smith und machte ihn nun in kurzen Worten mit dem bekannt, was er sowohl gestern Abend von den Indianern gehört, wie auch, was er selber über die Sache denke. Fairfield hörte ihm schweigend und mit der gespanntesten Aufmerksamkeit zu, er schien jedes Wort von den Lippen des Redenden zu nehmen, und nickte nur manchmal, wenn der Händler irgend etwas äußerte, das seinen Ideen begegnete, leise mit dem Kopf.

»Und Ihr glaubt, daß Mrß. Rowland's Sohn unter den Konzas lebe?« sagte er endlich, als der Händler schwieg, und sah diesen fragend an.

»Lieber Gott,« meinte Smith, »man weiß wahrhaftig nicht, was man glauben soll; lebt aber wirklich Einer dort als Indianer, und die Rede des trunkenen Schufts läßt mich das in der That vermuthen, ei, warum sollte es denn nicht eben so gut der junge Rowland, wie irgend wer anders sein können? Es käme auf die Reise an; die ist aber allerdings keine Kleinigkeit, und ein Mann, wie Ihr gerade seid, gehört dazu, ein so kühnes Wagniß auszuführen. Wie weit glaubt Ihr, daß es bis zum Stamm der Konzas ist?«

»Auf die Entfernung kommt es da nicht so an,« sagte sinnend der junge Jäger, »aber der Stamm der Konzas ist groß und weit verbreitet; die Indianer werden dabei, wenn sie es wirklich wissen, nicht so gesprächig über einen Fall sein, der sie vielleicht in gefährliche Berührungen mit ihren weißen Nachbarn bringen könnte.«

»Wie alt wäre denn der Junge jetzt?« fragte Smith.

»Fünfundzwanzig Jahre; Mrß. Rowland sprach noch gestern von ihm und sagte, sein Geburtstag sei an dem Tage gewesen; aber,« setzte er leiser hinzu, »sie dürfte keine Sylbe davon erfahren, die Angst und Erwartung würde sie tödten.«

»Das ist's ja eben, was mir so im Kopf herumgegangen,« meinte Smith, »und deßhalb war mir Euer Anblick heute so willkommen; die Freude aber, wenn Ihr mit ihm zurückkehrtet. ...«

Auch vor Tom's innerem Geiste schien ein derartiges Bild vorüber zu schweben, er lächelte still vor sich hin und strich sich dann mit der Hand leicht über die Stirn.

»Smith,« sagte er und bog sich zu ihm hinüber, »Ihr scheint Euch für die Leute zu interessiren, und das freut mich von Euch. Ihr wißt aber nicht, Ihr könnt das nicht gut wissen, wie glücklich mich die Erfüllung dieses heißen Seelenwunsches der armen alten Frau machen würde, und schon deßhalb bin ich Euch zu unendlichem Danke verpflichtet, daß Ihr mir auch nur eine Aussicht auf die mögliche Verwirklichung dieser Hoffnung gebt. – Ich gehe zu den Konzas, und das noch in dieser Stunde!«

»Was! jetzt gleich?« rief Smith erstaunt, »das ist ja aber gar nicht möglich! Zu einer Reise von wenigstens 120 Meilen müßt Ihr Euch doch wahrhaftig mehr vorbereiten, als wenn Ihr bis an den nächsten Wasser-Cours einen Bären oder Hirsch schießen geht!«

»Weßhalb?« lachte Tom, »ob ich acht Tage hier in der Nähe oder irgend eine Strecke weiter entfernt auslagere, bleibt sich das nicht gleich? Im Walde bin ich doch, und was sollt' ich sonst zu meiner Bequemlichkeit noch mitnehmen?«

»Doch wenigstens Provisionen.«

»Die liefert mir der Wald selber, meine Decke habe ich auch bei mir und mein Kopfkissen« – er deutete dabei lachend auf den Sattel –, »und was braucht's da mehr.«

Kurz, trotz aller Vorstellungen des Händlers ließ sich Tom Fairfield nicht mehr von dem einmal beschlossenen Zug abbringen, und alles, wozu er bewogen werden konnte, war wenigstens ein Stück Speck und Maisbrod und etwas gemahlenen Kaffee mit in seine Decke zu wickeln, und zwar den Speck, um etwas Fettes zu dem sonst trockenen Hirsch- und Truthahnfleisch zu haben. Eine halbe Stunde später nahm er von dem Händler herzlichen Abschied, bat ihn noch einmal, nicht eine Sylbe über die Sache, selbst nicht gegen seine Frau zu erwähnen (bei welchem Gedanken, daß er nämlich seiner Frau ein Geheimniß anvertrauen werde, Zacharias Smith in ein lautes Gelächter ausbrach), und war zehn Minuten später, auf dem kleinen Waldpfad rüstig dahin schreitend, gerade da in dem Holze verschwunden, wo ein niederes Dickicht von Sassafras und Dogwood ihn rasch den Blicken des Nachschauenden entzog.

Smith stand noch eine ganze Weile dicht neben seinem Hause, von wo er den freien Platz nach dem Walde zu übersehen konnte, und erst dann, als der junge Mann schon lange, lange in den Büschen verschwunden war, und die freundlich, hinter ihm über dem Wald aufsteigende Morgensonne seinen eigenen Schatten weit und geisterhaft über den Hof und im Zickzack über die Lattenfenz warf, kehrte er plötzlich rasch in den Laden zurück, öffnete die hintere Thür und rief in die Küche hinaus:

»Mrß. Smith!«

»Sir!« lautete die Antwort.

»Wenn Jemand nach mir fragen sollte, ich bin hinüber nach Cowley's gegangen.«

Und Zacharias Smith schritt, die Hände nachdenkend auf dem Rücken gekreuzt, langsam die Straße hinunter, dem bezeichneten Hause zu.

»Hm!« sagte gleich darauf Mrß. Smith, und ihre scharfe, von der Kamingluth jetzt etwas echauffirte Nase wurde zwischen zwei ärgerlich blitzenden grauen Augen sichtbar. »Hm – bin zu Cowley's gegangen – das ist immer so die Art, wenn Jemand nach mir fragt, ich bin zu Cowley's gegangen, und die Frau geht nie zu Cowley's, die kann zu Hause sitzen und die Wirthschaft besorgen und alle Augenblicke, wenn Jemand kommt, in den Laden springen. Na, das Leben hätt' ich satt. Und was jetzt nun wieder im Wind ist – mein Mann heute Morgen vor Tagesanbruch aufgestanden – das ist vor seinem Ende – und diese Geheimnißkrämerei mit der Mrß. Rowland. – Oh, ich hab' es wohl gehört, mein guter Mr. Smith« – und sie wandte sich in triumphirendem Hohn der Himmelsgegend zu, in der sie ihren Ehegatten jetzt vermuthete – »Mrß. Smith hat keine Baumwolle in den Ohren, wenn sie etwas hören will –, Mrß. Rowland sprach von ihm und sagte – und der junge Rowland unter den Indianern – und Mr. Tom hingeschickt, ihn zu holen – oho, Mr. Smith, so ganz auf den Kopf sind wir denn doch nicht gefallen, daß wir uns da nicht unser Theil heraus studiren könnten. Also haben sie den Jungen endlich gefunden – ein schöner Strick wird das geworden sein – und mein Mann steckt mit in der Geschichte drin - giebt sich so jetzt immer mit den ekelhaften Indianern ab – heiliger Gott, war das gestern Abend wieder ein Scandal und Flaschenzerschmeißen! Der fromme Vater Billygoat wird schön mit dem Kopf schütteln, wenn ich ihm das erzähle. – Und ich erfahre kein Wort von der ganzen Geschichte – o Gott bewahr! seiner ihm ehelich angetrauten Frau sagt der saubere Herr kein Sterbenswörtchen, aber zu Cowley's geht er hinüber. Mr. Cowley und Mrß. Cowley, die müssen ihren Senf dazu geben, zu jeder Neuigkeit, und ihre Finger in jeden Kuchen stecken. Aber warten Sie nur, Mr. Smith, warten Sie nur, my dear Sir. Der Sache komme ich auf den Grund, und wenn ich zu Mrß. Rowland selber hingehen sollte, mich zu erkundigen – tausend Mal hab' ich mir's gefallen lassen, jetzt aber hat meine Geduld ein Ende, und nun will ich doch sehen, ob ich mit meinem Kopf nicht durch eine eben so dicke Wand durchdringen kann, wie Mr. Smith mit dem seinigen.«

Und mit diesem löblichen Vorsatz tauchte sie urplötzlich wieder in ihre Küche unter, und ließ die blechernen Kaffeekannen und eisernen Pfannen und Töpfe, die rings an den Wänden herum hingen und standen, in unbegränztem Erstaunen über die so schöne und mit solcher Lebhaftigkeit gehaltene Rede allein zurück.

Wenn aber auch Mrß. Smith in der ersten Aufregung gekränkter Wißbegierde einen so verzweifelten Entschluß gefaßt haben konnte, der Mrß. Rowland geradezu ins Haus zu rücken und eine Mittheilung von dem zu verlangen, ja, zu fordern, was sie mit ihrem ehelich verbundenen Gatten an Geheimnissen zu verhandeln habe, so schien sie doch bei kälterem Blute auch gemäßigteren Empfindungen Raum zu geben und versuchte erst einmal ihr Ueberredungs-Talent an dem Gatten selber. Der aber blieb zwölf volle Tage taub und stumm sowohl gegen die Plänkeleien versteckter Anspielungen, wie gegen das schwere Geschütz directer Fragen, und da auch in dieser ganzen Zeit Tom Fairfield sich nicht wieder in Boonville sehen ließ, ja, hier und da schon Besorgnisse laut wurden, ob ihm nicht gar etwas zugestoßen sein könne, kein Mensch aber Aufschluß über seine unerklärliche lange Abwesenheit zu geben wußte, so konnte sie ihre Neugierde nicht länger zähmen und beschloß nun wirklich, Mrß. Rowland – sie war ihr das ja doch aus nachbarlichen Rücksichten schuldig – einmal freundlich zu besuchen. Sie fühlte sich dabei fest überzeugt, es würde ihr, einmal im Geleise, nichts weniger als schwer werden, einen kleinen Ueberblick über die näheren, jedenfalls höchst interessanten und jetzt so geheim gehaltenen Verhältnisse zu bekommen.

Der vierzehnte Tag nach dem Aufenthalt der beiden Indianer in Boonville war es, und der erste im Monat September zugleich, der sich aber mit schwülen Gewitterwolken angekündigt hatte und die trüben, schweren Nebelmassen bald in zerrissenen grauen und schwarzen Streifen, bald in compacten, wetterschwangeren Schichten über die ächzende, schwankende Waldung von Ost nach West stürmisch hinüberjagte.

Mrß. Rowland saß in ihrem Stübchen, warm eingehüllt in Betten und Tücher, auf einem rohgearbeiteten, aber bequemen Sorgenstuhl, denn der Wind strich heute trotz der sonst eigentlich sehr warmen Jahreszeit frisch und erkältend über die Lichtung hin, und die alte Frau hatte sich gerade in den letzten Tagen wieder unwohler gefühlt, als seit langer Zeit. Zu ihren Füßen saß Rosy, das liebe, holde Kind, leise den linken Arm auf der Mutter Knie gestützt, und in der Rechten das kleine, zierlich gebundene Testament haltend, aus dem sie der mit geschlossenen Augen und gefalteten Händen aufmerksam lauschenden Frau die herrlichen Worte der Bergpredigt, die süßen Trost und heilige Zuversicht athmende Rede Christi las.

Sie hatte eben ein Capitel beendet, und eine Thräne glänzte in ihrem Auge, als sie das Buch senkte und zu dem bleichen, abgezehrten, kummerschweren Angesicht ihrer mehr als Mutter emporschaute – leise berührte sie ihre Hand und flüsterte:

»Soll ich weiter lesen, Mutter?«

»Laß es jetzt, liebes Kind,« sagte die Matrone und legte schmeichelnd die abgezehrten Finger auf das gescheitelte Haar der Jungfrau – »laß es, Du hast Dich schon zu viel angestrengt und auch noch andere Sachen zu thun, die ebenfalls gethan sein müssen – wie wär's denn, wenn Du einmal zu Cowley's hinüber gingest und ihn bätest, uns seinen Neger auf ein halb Stündchen zu schicken, daß er etwas Feuerholz zum Hause schaffte – nur ganz wenig – Tom kommt gewiß heute wieder.«

»Es ist Feuerholz in Menge da,« sagte Rosy schnell: »ich ging, weil wir doch gestern Abend das letzte hereingeschafft, heute Morgen recht früh in den Wald und holte einen Arm voll, um die Suppe für Dich zu kochen, und als ich wieder kam, hatte Mr. Cowley schon seinen Tim mit einer ganzen Wagenladung voll herübergesandt und ging eben daran, es in Kaminlänge zu hauen. Er hat mir auch ein großes Rückstück hereingetragen; Du schliefst nur noch, Mütterchen.«

»Cowley's sind brave Leute,« flüsterte die Matrone, »Gott vergelte es ihnen! Es ist doch bös, wenn man so ganz allein in der Welt steht – keinen Sohn – keinen Freund ....«

»Mutter!« bat mit vorwurfsvollem Tone Rosy.

»Du hast Recht, mein Kind, ich bin vielleicht ungerecht gegen Tom Fairfield gewesen und – doch wenn auch er nun nicht wiederkehrt – wenn auch er nun – –. Sei nicht böse, mein Kind,« unterbrach sie sich selber nach ziemlich langer Pause, »Du weißt selber, wie trüb und traurig mir gerade an dem heutigen Tage zu Muthe sein muß, dem Jahrestage jenes fürchterlichen Morgens – ich sehe da Alles schwärzer, als es vielleicht wirklich ist, und begreife dann manchmal fast selber nicht, wie es möglich war, daß ich – ich – alte schwache Frau sie, die Kräftigen alle, alle überleben mußte. O, es ist recht hart, nicht sterben zu können, weil man nicht weiß, ob man nicht doch noch das Liebste – das eigene Kind – allein zurückläßt in der Welt – es ist recht hart, nicht leben zu können, weil das arme Herz die Sehnsucht nach den Lieben, wenn sie wirklich schon vorangegangen, verzehrt.«

»Mutter!« bat die Tochter, stand auf, barg ihr Antlitz auf der Schulter der Kranken und flüsterte mit leiser, von Thränen fast erstickter Stimme: »Wenn ich Dir auch den Sohn nicht ersetzen kann, lieb habe ich Dich ja doch wie meine eigene Mutter.«

Mrß. Rowland antwortete nichts, aber fest und liebend schlang sie die Arme um das blühende Kind und hielt es lange und fest an ihrem Herzen.

Da klopfte es ziemlich lebhaft an ihre Thür, und froh erschreckt und mit freudestrahlenden Augen sprang Rosy empor und eilte, zu öffnen; auch Mrß. Rowland richtete sich etwas in ihrem Stuhle auf und schaute mit lebhafterem Blicke dorthin, denn das Klopfen war ganz so, wie Tom Fairfield bei ihnen anzupochen pflegte – und wie lange schmerzliche Tage hatte Rosy auf das Pochen umsonst und mit immer wachsender Angst und Sorge geharrt!

Rasch und mit vor Freude zitternder Hand zog sie den Pflock zurück, der, einfach von innen vorgesteckt, die Thür verschloß, und öffnete rasch – ein schmerzlich erstauntes »Ach« entfuhr aber ihren Lippen, und auch Mrß. Rowland wandte sich enttäuscht ab und sank wieder mit leisem Seufzer in ihre Kissen zurück, als das zwar gutmüthige, aber doch scharfe und gerade heut gewiß nicht willkommene Angesicht der Mrß. Smith auf der Schwelle sichtbar wurde. An ein Abweisen war aber gar nicht mehr zu denken – die Lady sah die Bresche kaum offen, als sie auch mit löblichem Eifer herein stürmte, sich augenblicklich einen Stuhl neben Mrß. Rowland rückte und dann zwischen tausend Entschuldigungen, daß sie hier so ohne alle Anmeldung hereinbreche, daß aber das Wetter sie gerade überrascht habe, weil es eben an zu regnen fange, und daß sie nach Cowley's eigentlich hinüber gewollt, sich aber die Freude unmöglich habe versagen können, diese Gelegenheit, wo sie gerade in der Nähe sei – sie wohnte überhaupt kaum fünfhundert Schritte von Mrß. Rowland entfernt –, einmal zu benutzen und zu sehen, wie es der »lieben, lieben Kranken« denn eigentlich gehe.

Mrß. Rowland antwortete auf alles das mit leiser Stimme und bündigster Kürze; sie hoffte vielleicht dadurch, daß sie Mrß. Smith keinen Anlaß zu einer Unterhaltung gab, den Besuch etwas abzukürzen. War das aber wirklich ihre Ansicht gewesen, so kannte sie Mrß. Smith ungemein schlecht, oder traute ihr wenigstens viel mehr Ungeselligkeit zu, als sie wirklich besaß. Die gute Dame fragte nur einmal, und zwar gleich im Anfange, ob sie genire, und als sie darauf ein höfliches, wenn auch etwas zögerndes Nein zur Antwort erhalten, säumte sie auch keinen Augenblick länger, es sich so bequem als möglich zu machen, legte ihre Haube und den großen baumwollenen Regenschirm ab, zog die Halbhandschuhe aus, nahm die kurze Schilfpfeife aus der Tasche, die sie schon gestopft – oder geladen, wie Mr. Smith manchmal sagte – bei sich trug, holte sich im Kamin eine glühende Kohle, und befand sich, wie sie selber sagte, als sie sich ganz behaglich auf dem Stuhle zurecht rückte, so wohl und vergnügt hier, wie zu Hause.

Mrß. Rowland griff dieses ununterbrochene Auf-sie-einreden, selbst wenn sie nur wenig oder gar keine Antwort zu geben brauchte, auf die Länge der Zeit so an, daß sie endlich bleich und erschöpft in ihren Stuhl zurück sank und die Augen schloß. Selbst Mrß. Smith fühlte, daß sie der Kranken erst einige Ruhe wieder gönnen müsse, gedachte aber dafür indessen mit dem jungen Mädchen zu beginnen, um damit desto sicherer ihrem Ziele entgegen zu rücken; denn gerade fragen mochte sie doch auch nicht.

»Es wird nun bald lebendiger hier im Hause werden,« sagte sie, als Rosy der Mutter die Kissen zurecht gerückt und ihren Platz wieder neben ihr, oder eigentlich zwischen ihr und der Kranken, um den Zungenschwall in etwas abzuwehren, eingenommen hatte: »ja, wo so ein Mann ist, geht die Sache gleich anders.«

Rosy, das arme Kind, erröthete bis tief in das Halstuch hinein, sah aber auch zu gleicher Zeit erstaunt zu der Geschwätzigen auf.

»I nun, Miß,« fuhr Madame – dadurch, daß sich das junge Mädchen ihrer Meinung nach gar so gleichgültig stellte, etwas gereizt – fort, »Sie brauchen nicht so erschrecklich unschuldig zu thun, ich weiß die ganze Geschichte – bei mir ist's aber auch aufgehoben, als ob's im Grabe ruhte – von mir erfährt wahrhaftig Niemand eine Sterbens-Sylbe.«

»Aber, beste Mrß. Smith ...«

»Aber, beste Rosy Baywood – wenn Sie denn einmal selbst nicht gegen mich davon sprechen wollen, so habe ich nichts dagegen. Wie lange ist er denn aber nun schon eigentlich verloren?«

»Verloren? also glauben auch Sie, daß er verloren ist?« rief jetzt Rosy in der Angst um den geliebten Mann – denn auf diesen mußte sie doch natürlich das Gesagte beziehen.

»Ist? gewesen ist, beste Miß,« sagte Mrß. Smith lächelnd: »und das war ja noch das Glücklichste, was Sie sich hätten denken können. Aber nach so langer Zeit einen Menschen unter den entsetzlichen rothen Wilden wieder zu finden, scheint mir doch wirklich etwas erschrecklich Merkwürdiges. Was ich doch sagen wollte: wie lange ist es also her, daß ihn Mrß. Rowland verloren hat?«

»Mrß. Rowland?« wiederholte, jetzt wieder ganz irre gemacht, das junge Mädchen, und die alte Frau, ob nun durch Nennung ihres Namens aus ihrem Halbschlaf geweckt, oder schon längst vielleicht den Worten mit geschlossenen Augen lauschend, wendete leise den Kopf nach der Redenden und schaute zu ihr auf. »Mrß. Rowland? ich weiß gar nicht ...«

»Nun, eine zwanzig Jahre muß es doch gewiß sein,« fuhr die unverwüstliche Mrß. Smith, der es jetzt nur darum zu thun schien, die beiden Frauen wissen zu lassen, sie kenne die ganzen Verhältnisse genau und sei vollkommen vertraut mit denselben, ruhig fort: »ich weiß mir's noch recht gut zu erinnern, wie mein Seliger, John Rosbeard von Connecticut, der auch damals hier eine Bleimine angelegt oder gefunden hatte, davon sprach. Aber wenn sie ihn nur vorher erst abwaschen, ehe sie ihn mit herein bringen – Jesus, meine Zuversicht! so ein gemalter Mensch ist doch was Fürchterliches, wenn er blaue Backen, eine gelbe Nase, rothe Ohren und grüne Lippen hat – und die Scalpe! Denken Sie sich, Miß Baywood, wie mir einmal mein Seliger das Scalpiren beschrieb und seinen Scalp, der ihm doch noch ganz fest und gesund auf dem Kopfe saß, mir zeigte, fiel ich Ihnen wahrhaftig um wie ein Stück Holz, so ohnmächtig wurde ich – wenn sie nur nicht scalpiren wollten! das Andere ließe man sich noch immer gefallen, aber das Scalpiren ist fürchterlich.«

»Mrß. Smith!« rief da plötzlich Mrß. Rowland, von ihrem Stuhle in Angst und peinlicher Ueberraschung emporfahrend, denn der Dame Reden, die so ganz zu dem stimmten, über das sie ja den ganzen thränenlangen Tag getrauert, trieben ihr das Blut in rasender Schnelle durch die Adern und machten ihr Herz fast hörbar klopfen.

»Mutter,« bat Rosy, die bestürzt der Leidenden erregten Zustand erkannte und rasch auf sie zusprang, sie zu beruhigen, »Mutter, es ist ja nur ein Mißverständniß!«

»Gott bewahre, Mrß. Rowland,« fiel da rasch die Dame ein, »ich glaubte ja gar nicht, daß Sie es hören würden; nein, an's Scalpiren wird er nicht mehr denken, wenn er das auch früher gethan hat, denn das lassen die erschrecklichen Menschen nun einmal nicht – es sind ihre Sieges-Trophäen, wie sie's nennen –; aber Mr. Billygoat wird ihn schon lehren, was guter und echter Christen Pflicht ist – nein, es ist doch ein herrlicher Mann, dieser Mr. Billygoat.«

»Mrß. Smith,« sagte die Kranke leise, und die Hand, die Rosy zurück schob, zitterte wie in Fieberfrost, »wer wird nicht mehr an's Scalpiren denken? wer trägt die Farben und Abzeichen der Wilden – wer – großer Gott, die ganze Stube dreht sich mit mir – wer war verloren – zwanzig Jahre – und ist – und ist wieder gefunden?«

»Aber, liebe Mrß. Rowland,« lächelte gutmüthig die würdige Kaufmannsfrau, »was thun Sie denn nur gegen mich so geheimnißvoll? ich weiß ja die ganze Geschichte – ist denn nicht jetzt eben Tom Fairfield fort geritten, ihn zu holen? Ich weiß nur noch nicht bei welchem Stamme er ist, denn den Namen konnte ich nicht recht verstehen; wenn Sie's aber nicht wollen, will ich ja auch wahrhaftig mit keinem Menschenkinde ein Wort darüber wechseln.«

»Tom Fairfield fort, ihn zu holen – bei welchem Stamme?« wiederholte die alte Frau mit zitternder, halblauter Stimme und preßte sich die Stirn zwischen die eisigen Hände – »heiliger Gott! träume ich denn, oder bin ich wahnsinnig geworden in Kummer und Gram?«

»Nein, ist mir so eine Frau schon vorgekommen!« sagte Mrß. Smith kopfschüttelnd, aber jetzt doch auch durch die Aufregung der Kranken etwas besorgt gemacht.

Rosy schrak empor – eine Ahnung dessen, was geschehen, was vielleicht im Werke sein konnte, zuckte ihr durch den Sinn, und einen Blick auf die unglückliche alte Frau werfend, winkte sie ängstlich Mrß. Smith zu und bat sie durch Zeichen, kein Wort weiter von dem Begonnenen, was es auch sei, zu erwähnen. Aber es war zu spät: ehe des Händlers Frau verstand, was sie sollte, oder ehe sich Rosy zu ihr überbiegen konnte, sie mit Worten darum zu bitten, hob Mrß. Rowland wieder den Kopf, und ihr Auge begegnete in demselben Moment dem ängstlich und bittend auf die Schwatzhafte gerichteten Blicke der Pflegetochter. Rasch begriff sie dessen Meinung und wurde dadurch nur noch mehr in der peinlichen Gewißheit dessen bestärkt, was sie nicht einmal auszusprechen wagte, weil sie selbst dadurch schon den Zauber zu zerstören fürchtete, der ihr jetzt wie in einem süßen, wenn auch ängstlichen Traume die Sinne förmlich gefesselt hielt. Wie aber der Wahnsinnige schlau die Wachsamkeit seines Wächters zu täuschen weiß, so benutzte auch die Kranke mit fast convulsivischer Hast die Gelegenheit, der geschwätzigen Frau das Geheimniß, das für sie Tod oder Leben enthielt, abzulocken.

»Sie haben Recht, Mrß. Smith,« sagte sie und versuchte dabei, mit der Qual im Herzen, zu lächeln; »wir brauchen Ihnen nichts, gar nichts mehr zu verheimlichen.«

»Sehen Sie, beste Mrß. Rowland,« rief die Dame jetzt völlig beruhigt, in triumphirender Freude aus, »das habe ich Ihnen ja auch gleich vom Anfange an gesagt; aber mein Mann ...«

»Und Tom Fairfield – ist ausgegangen – ihn – ihn zu holen – hierher nach Boonville zu holen.«

»Liebe, beste Mutter,« bat Rosy in ihrer Herzensangst, denn sie fürchtete nicht mit Unrecht die bösen Folgen, die solche Aufregung für die Kranke haben mußte.

»Laß nur, mein Kind – laß nur,« beruhigte sie aber die Leidende, »mir ist jetzt vollkommen wohl – recht wohl, Rosy – und Tom Fairfield, Madame ...«

»Nun der kann doch wahrhaftig nicht lange mehr bleiben; aber – nicht wahr – er soll ihn mitbringen?«

»Ihn? ja – ja wohl – nicht wahr – Sie – Sie meinen doch ...«

»Nun, Ihren Sohn!«

»Ha!« schrie die alte Frau mit einem Laut, der den Beiden durch Mark und Seele schnitt – Rosy warf sich augenblicklich über die zusammenbrechende Gestalt und rief nur noch mit vorwurfsvoller Stimme: »O, Mrß. Smith, was haben Sie gemacht, Sie haben sie getödtet!« Und diese würdige Dame stand im Anfange selbst zum Tode erschrocken, denn noch begriff sie den ganzen Zusammenhang nicht, und nur der Gedanke begann allmählich in ihr zu dämmern, daß sie doch wohl am Ende einen gewaltig dummen Streich gemacht und sich selbst in eine äußerst fatale Sache hinein gearbeitet habe.

Hierin wurde sie auch bald durch Rosy's Erklärung bestätigt, und als sie erfuhr, daß sie beide die Ursache von Tom Fairfield's Abwesenheit gar nicht gewußt und über den Zweck seiner Sendung keine Ahnung gehabt, war sie außer sich. Sonst von Herzen seelengut, und gewiß die Letzte, die irgend einer ihrer Nachbarinnen – und nun noch besonders der wackeren, unglücklichen, kranken alten Frau – mit Willen weh gethan hätte, wurde ihr der Gedanke unerträglich, durch ihre Schwatzhaftigkeit, die sie jetzt gar nicht genug verwünschen konnte, solches Unheil angerichtet zu haben. Sie wich nun auch nicht von Mrß. Rowland's Seite, that alles, was in ihren Kräften stand, Rosy die Pflege zu erleichtern, und beruhigte sich nicht eher, als bis sie sah, daß sich die Ohnmächtige wieder erholt hatte und, aus Erschöpfung wahrscheinlich, in einen tiefen, gesunden Schlaf gefallen war.

Wunderbar war die Veränderung, die, nachdem sie sich wieder erholt, mit ihr vorgegangen schien. Rosy hatte schon von der Erinnerung an das Gehörte das Schlimmste befürchtet und deshalb auch mit klopfendem Herzen der Mutter Erwachen beobachtet – dem aber gerade entgegengesetzt zeigte sich die Kranke vollkommen ruhig und hatte nicht etwa das Geschehene vergessen, sondern fing selbst wieder zuerst davon an, indem sie fragte, ob Tom mit ihm noch nicht zurück gekommen sei. Rosy wollte ihr jetzt das Ganze noch ausreden und meinte, es seien ja doch nur Vermuthungen der Frau – einzelne Worte, welche sie hinter der Thür erhorcht und die wahrscheinlich etwas ganz Anderes bedeutet hätten. Mrß. Rowland bat sie aber ruhig, ihr nicht durch solche freilich gut gemeinte Reden nur weh zu thun, indem sie ihr die einzige Hoffnung zu rauben suche, an der ihr Herz jetzt noch auf dieser Welt hange und mit deren Zerstörung es ebenfalls, wie sie das recht gut fühle, zu Grunde gehen müsse. Sie war dabei so gefaßt, sprach so vernünftig über das Selige und Schmerzliche des ersten Begegnens, daß es Rosy'n, dem armen Kinde, ordentlich unheimlich vorkam und sie den Gedanken nicht los werden konnte, der Zustand der Kranken sei ein übernatürlich erregter, und ihr Körper werde jetzt nur auf kurze Zeit von dem stärkeren Geiste aufrecht gehalten.

Wie dem aber auch war, Mrß. Rowland blieb den ganzen Tag so still und gefaßt, erkundigte sich mehrere Male, ob sie denn noch nicht gekommen seien, und ließ es sich von Rosy fest versprechen, ihr nun, da das doch nichts mehr helfen könne, auch die Ankunft der Beiden nicht zu verheimlichen – nur den Namen vermied sie zu nennen – das Wort Sohn war noch nicht über ihre Lippen gekommen.

So mochte es fünf Uhr Nachmittags geworden sein. Mrß. Smith hatte schon mehrere Male nachgefragt, wie es der Kranken gehe, und sich eben wieder, wohl zum zwanzigsten Mal, über ihr ungeschicktes Benehmen am Morgen entschuldigt, als es wieder an die Thür klopfte und Mrß. Rowland mit einem kaum unterdrückten Schrei in ihrem Stuhle emporfuhr, denn als sich die nur angelehnte Thür öffnete, trat Tom Fairfield herein, aber – allein.

Rosy erschrak ebenfalls; ehe aber sie oder Tom ein Wort sprechen konnte – streckte ihm Mrß. Rowland mit stierem, entsetztem Blick den Arm entgegen und rief mit vor innerer Bewegung kaum hörbarer Stimme: »Wo ist er

»Um Gott!« sagte Tom erschreckt und sah Rosy an, »woher weiß Ihre Mutter ...«

»Wo ist er? Tom, wenn Ihr mich tödten wollt, so zögert mit der Antwort.«

»Sie weiß Alles,« bestätigte Rosy unter Thränen, und Tom, der bald fand, daß es aller der von ihm für nöthig gehaltenen Vorbereitungen gar nicht mehr bedürfe, beruhigte, wenn er auch nicht begriff, durch wen sie es erfahren haben konnte, die Frau nun wenigstens vor allen Dingen in so weit, daß er ihr versicherte, er habe ihren Sohn gefunden und mitgebracht, und er sei wohl und gesund, sie aber solle sich heute Abend sammeln und vorbereiten, daß er ihr denselben morgen früh herüber bringen könne.

Davon wollte die Mutter aber nichts länger hören – »morgen? – weshalb nicht heute? – jetzt? War sie jetzt weniger gesammelt, als sie es morgen sein würde? sicherlich nicht – die lange Nacht der Erwartung würde ihre Kräfte nur abspannen, und jetzt, jetzt wollte sie den so lange Jahre beweinten Knaben sehen – nicht morgen.«

Vorstellungen halfen nichts, und da auch Tom selber fühlen mochte, wie Recht sie unter diesen Umständen habe, versprach er, ihr den Sohn in einer halben Stunde zu bringen, und bat sie nur, dann hübsch ruhig und gefaßt zu sein und sich nicht, damit ihr das nicht schade, zu sehr von ihrem mütterlichen Gefühle hinreißen zu lassen.

Indessen war Mr. Smith daheim schon emsig beschäftigt, aus dem bei ihm eingeführten Wilden, der sich nach mehreren, von Mrß. Rowland schon früher und oft bezeichneten Merkmalen wirklich als der verloren gegangene Sohn herausstellte, wieder einen anständigen weißen Menschen zu machen. Vor allen Dingen wurde ihm die bunte Farbe abgewaschen, mit der er sein Angesicht noch viel mehr als die Indianer selber bestrichen hatte, um die weißere Haut nicht durchschimmern zu lassen; dann mußte er zu seinem anscheinenden Leidwesen allen Schmuck ablegen, mit dem er sich behängt – besonders alles beseitigen, was an Scalpe und andere dem ähnliche Entsetzlichkeiten erinnerte, und zuletzt noch – und er stellte sich ungeschickt genug dabei an – in »menschliche Hosen,« wie sie Smith nannte, und nicht in solch oben abgeschnittene Dinger, die gerade da aufhörten, wo anständige Hosen erst recht anfangen sollten, hineinfahren. Auch Weste und Rock, Hemd und Schuhe bekam er nun. Wenn er aber auch mit Allem so ziemlich einverstanden schien, oder es wenigstens ohne Widerstand über sich ergehen ließ, so warf er doch die letzteren augenblicklich wieder ab, weil sie ihn drückten und er die Füße darin nicht vom Boden heben konnte, und verschmähte auch auf das hartnäckigste den schönen schwarzen Seidenhut, den ihm Smith schon mit wirklichem Behagen auf das zottig dunkelbraune Haar gedrückt hatte. Jeder Ueberredung hielt er standhafte Weigerung entgegen, und es blieb zuletzt nichts übrig, als ihn mit bloßem Kopf und barfuß seiner Mutter zuzuführen.

Das Wort Mutter war aber auch der einzige Zauberspruch, der ihn aus seinem wilden freien Leben hierher geführt hatte in das »Dorf der Weißen« – Mutter, der Klang tönte ihm wie eine in der Kindheit gehörte und lang' vergessene Harmonie leise, aber mit solcher süßen Gewalt durch die Seele, daß er alle seine Herzensfibern erbeben fühlte, und nicht zurückbleiben – dem Himmelslaute folgen mußte.

Und jetzt stand er vor der Thür, die ihm die weißen Männer an seiner Seite bezeichnet, und scheu wandte er nach rechts und links den Kopf, als ob er dem Augenblick, den er mit klopfendem Herzen herbeigesehnt, nun, da er endlich erschienen, rasch und ängstlich entfliehen wolle. Krampfhaft und wie Hülfe suchend, erfaßte er den Arm Tom's, der dicht an seiner Seite ging, und er schämte sich, daß ihn das »Bleichgesicht« in solcher Aufregung sehen sollte – »Ugh – wie mich friert,« flüsterte er leise und zog sich den Rock vorn, wie er das früher mit seiner Decke gewohnt gewesen, fest über der Brust zusammen.

Und drinnen im Hause saß, mit von innerer Aufregung frisch gerötheten Wangen und lebendigen, glänzenden Augen, die Matrone und hielt der Tochter Hand fest in der ihrigen, daß diese sie jetzt, nur jetzt nicht verlasse; denn draußen hörte sie Schritte – Stimmen, und in athemloser Spannung lauschte sie den Tönen, ob sie – heiliger Gott, wie ihr das Herz pochte! – die Stimme des Kindes – des Sohnes nicht zu unterscheiden vermöge.

Und jetzt – jetzt öffnete sich die Thür, in die mit höflicher, freundlicher Verbeugung der Händler trat, und hinter ihm – Mrß. Rowland sah die freie männliche Stirn Tom Fairfield's und – an seiner Seite – einen braunen, unbedeckten Kopf – sie richtete sich in ihrem Stuhl auf – alle Schwäche der Krankheit hatte sie verlassen, stark und allein stand sie, von Niemand gehalten, von Niemand unterstützt.

»Meine gute Mrß. Rowland,« sagte Smith; aber die Mutter sah nicht den Fremden, der sich zwischen sie und ihr Kind stellte.

»Mein Sohn – mein Sohn!« rief sie, die Arme streckte sie sehnend, bittend nach den Männern aus, und jetzt – jetzt vermochte auch der Halbwilde nicht länger zu schweigen – er riß sich von Tom, der ihn noch zurückhalten wollte, los, schob den Händler bei Seite und flog mit raschem Sprung und dem leise – jubelnd gerufenen Laut: »Mutter!« in die Arme der alten Frau. Fest, fest hielt ihn diese umklammert, fest, als ob sie ihn im Leben nicht wieder loslassen wollte; aber ihre Kräfte schwanden auch in der einen Empfindung seligen Entzückens, und nur noch durch die Arme des Sohnes fühlte sie sich gestützt, gehoben.

»Mein Sohn, mein Kind!« rief sie schmeichelnd, als er sie endlich leise auf den Stuhl zurückgleiten ließ und, halb unwillkürlich, halb von ihr gezogen, vor ihr auf die Kniee niedersank – »mein liebes, liebes Kind! Und doch endlich den Verlornen wieder gefunden – doch jahrelange Sorge und Schmerzen noch belohnt bekommen, ehe das flüchtige Leben den alten schwachen Körper verließ – mein theures, theures Kind!«

John blieb lange und schweigend in ihrer Umarmung, und es war fast, als ob er sich schäme, von den »weißen« Männern so schwach und weibisch gesehen zu werden – wenigstens warf er den Blick, als er endlich den Kopf erhob, scheu im Zimmer umher – aber er war allein mit der Mutter. Alle hatten das Zimmer verlassen, selbst Mrß. Smith, die jetzt, da ihre Voreiligkeit weiter keine bösen Folgen gehabt, wieder guten Muthes hergekommen war, dem Wiedersehen beizuwohnen; sie wurde aber, sehr wider ihren Wunsch und Willen, von Mr. Smith freundlicher als das sonst gewöhnlich geschah, unter den Arm gefaßt und zur Thür hinaus begleitet.

Mutter und Sohn blieben lange allein. Dieser hatte bald auch die letzte Scheu überwunden und saß jetzt neben der Mutter, streichelte ihre Hand und nannte sie in seinem gebrochenen Englisch mit den süßesten, sanftesten Namen, die er finden konnte.

Erst wohl nach Verlauf einer halben Stunde, und als sie sich beide vollkommen gesammelt hatten, traten die Uebrigen wieder ein, und Tom mußte jetzt vor allen Dingen erzählen, wie er den Verlorenen gefunden und ihn bewogen habe, mitzukommen. Er that das, wenn auch nur in sehr kurzen Worten und Umrissen.

Den Stamm der Konzas hatte er am vierten Tage nach seiner Abreise von Boonville schon erreicht und dort augenblicklich seine Nachforschungen begonnen, aber eine bestimmte Antwort konnte er weder von Krieger noch Häuptling erhalten – theils stellten sich alle, an die er sich wandte, als ob sie seine Sprache nicht verstehen könnten, theils läugneten sie, irgend etwas von einem Weißen in ihrer Nation zu wissen. Aber gerade dieses Läugnen bestärkte den Amerikaner nur mehr und mehr in dem Glauben, daß diese nicht die Wahrheit sprächen; denn Einige sahen ihn erstaunt an, als ob sie nicht begreifen könnten, wie er das erfahren hätte, Andere wurden verlegen und sagten, sie wüßten es nicht genau, sie glaubten, es sei einmal früher einer bei ihnen gewesen, – bis er endlich einen Halb-Indianer, einen canadischen Franzosen traf, der ihn rasch auf die richtige Spur brachte. Noch an dem nämlichen Abend führte er ihn in das Dorf, wo sich der »weiße Hirsch,« wie sie ihn nannten, aufhielt, und wenn dieser auch im Anfang gar keinen Verkehr mit dem »Bleichgesicht« haben wollte, ja, sich sogar hartnäckig weigerte, ein Wort Englisch mit ihm zu sprechen, so ließ er sich doch zuletzt wenigstens willig von dem Dorf der Weißen erzählen, und fing sogar an, aufmerksam den Worten des Fremden zu lauschen, als dieser ihm von der Mutter sagte, die daheim in Sorge und Kummer so lange Jahre sehnsüchtig seiner geharrt und auf das Wiedersehen ihres Kindes gehofft habe. Besonders und ordentlich auffällig erschütterte ihn aber Tom's Rede, als dieser – wie sich der Verwilderte immer noch nicht bewegen ließ, ihm zu folgen – endlich ausrief: »Und so will denn der weiße Hirsch, daß seine kranke alte Mutter daheim allein dem Grabe zusiecht und keinen Sohn hat, der ihren Wigwam deckt – ihr Wild jagt und das erlegte bereitet, sie zu stärken? Sollen Fremde ihr Grab graben, daß nicht Wolf und Aasgeier ihre Gebeine entheiligen?« – »Ugh!« hatte er da ausgerufen – »weißer Mann hat Recht – weißer Hirsch böser Sohn« – und in die Höhe sprang er, und eilte hinaus in den Wald.

Tom Fairfield war aber nicht wenig bestürzt, als der »weiße Hirsch« am nächsten Morgen verschwunden und auch nirgends aufzufinden war; Hütte bei Hütte durchforschte er nach ihm, und manch zorniges Wort, manche finstere Drohung ertrug er, wenn er vielleicht den Wigwam eines den Bleichgesichtern feindlich gesinnten Kriegers betreten hatte. Schon wollte er die Hoffnung, den Entflohenen für jetzt wieder zu finden, als ganz trostlos aufgeben und eben sein Pferd besteigen, um zu dem Nachbardorfe, wo der Canadier seinen Wigwam aufgeschlagen, zurück zu kehren, als plötzlich der Verschwundene völlig gerüstet wie zu Schlacht oder Kriegszug, auf seinem rauhhaarigen Poney angesprengt kam und sich erbot, ihn zu begleiten. Allerdings wollten sich dem jetzt Einige des Stammes widersetzen und nicht dulden, daß der, welcher einer der Ihrigen geworden, auf solche Art ihnen wieder entführt werde. Der »weiße Hirsch« schien aber nicht leicht durch irgend eine Drohung eingeschüchtert; mit kräftig trotzigen Worten wies er die Unzufriedenen zurück, und seine Kriegskeule in der Rechten, in der Linken die Büchse, und das Pferd nur mit den Schenkeln regierend, sprengte er unerschrocken durch die Schaar, die ihm auch wirklich Raum gab und keinen thätlichen Versuch machte, ihn oder seinen Begleiter zurück zu halten.

So kamen Sie nach Boonville, und John Rowland bog sich liebkosend über der Mutter Hand hinüber, als ihn diese bat und ihm das Versprechen abnahm, sie die wenigen Tage, die sie noch auf dieser Erde zu leben habe, nie – nie wieder zu verlassen.


Ein voller Monat verging so, ohne daß in Boonville irgend etwas Wichtiges vorgefallen wäre. Wenn aber auch die Matrone in dem Glück, ihr Kind wiedergefunden zu haben, die ersten Wochen wie neu geboren und Schwäche und Krankheit gänzlich zu vergessen schien, so kehrte doch bald die natürliche Erschöpfung zurück, die solcher Aufregung auch selbst bei gesundem Zustand hätte folgen müssen, und sie wurde von Tag zu Tag schwächer und hinfälliger.

Was John betraf (denn den Namen »der weiße Hirsch« hatte er gleich von Anfang an abgelegt), so fand sich der in das civilisirte Leben der »Städter« besser und leichter, als man es wohl hätte erwarten können; er trug wenigstens die Kleider, die man ihm angelegt – ja, nach einiger Zeit selbst Schuhe und einen Hut, aß mit am Tische und mit Gabel und Löffel und schien sich besonders bei seiner Mutter wohl zu fühlen, bei der er oft stundenlang, am liebsten, wenn sie schlief, neben dem Bette saß und ihr still und ernst in das bleiche Antlitz schaute. Sonst war aber kein ganz gutes Auskommen mit ihm; er war wild und herrisch, wie er das als Krieger seit seiner Mannbarkeit ja auch nicht anders gewohnt gewesen, und es jetzt nur schwer und ungern ablegen mochte.

Am besten kam noch Rosy mit ihm aus; das liebe sanfte Kind übte den größten Einfluß auf das rauhe Wesen des jungen Mannes, und wo er einmal in Kleidung, Sitte oder Sprache – wie das übrigens gar nicht selten geschah – in seine alten Gewohnheiten zurücksinken wollte, bedurfte es von Rosy nur eines Wortes, ja, oft nur eines Blickes, seinen Sinn, der in einzelnen Fällen selbst nicht unbedingt der Mutter nachgab, zu beugen.

Drei Personen lebten aber in Boonville, denen John auswich, wo er nur irgend konnte, und auf die er, im Laufe der Zeit, nach und nach selbst eine Art von Haß übertrug. Die erste war unsere gute, aber geschwätzige Mrß. Smith, die ihn von vorn herein so mit ihren Fragen und Erkundigungen gepeinigt hatte, daß er sie ordentlich fürchtete, und einmal sogar zum Entsetzen seiner Mutter, die gar nicht begriff, was ihn auf einmal anwandle, aus dem Fenster sprang, als jene zur Thür hereintrat.

Die zweite war der ehrwürdige Pastor Billygoat, der es in seinem heiligen Eifer für Pflicht und Schuldigkeit hielt, den »armen blinden Heiden« zu bekehren. Im Anfang, und besonders weil es seiner Mutter große Freude machte, lauschte John mit ziemlicher Aufmerksamkeit dessen Worten, und wenn er auch später nur durch Rosy's Bitten dahin gebracht werden konnte, still sitzen zu bleiben, sobald der Prediger – oder der »Medicin-Mann«[12], wie er ihn unerschütterlich nannte – seine Hand einmal auf ihn gelegt und seine Worte an ihn gerichtet hatte, so blieb er doch darin ganz der so schönen indianischen Sitte treu, daß er den Mann nie unterbrach, sondern ihn ruhig ausreden ließ und mit wenigstens äußerer Aufmerksamkeit ihm zuhörte. Pastor Billygoat täuschte sich aber gewaltig, wenn er das auch nur einen Augenblick für wirkliche Andacht hielt – John haßte den alten Mann wie die Sünde – und vielleicht noch mehr – und durch ihn auch die Religion, die er ihm predigen wollte. Trotzdem blieben beide im Anfang noch auf ziemlich friedlichem Fuß mit einander, und der Prediger schien zufrieden, wenn sein neu zu Bekehrender nur ruhig und ohne Widersetzlichkeit die gehörige Zeit aushielt.

[12]: Medicin-Männer heißen bei den indianischen Stämmen die Aerzte, Zauberer und Priester.

Die dritte Person aber war wunderbarer Weise gerade der Mann, der doch als die Hauptursache und das Werkzeug seines jetzigen Hierseins angesehen werden mußte – und zwar Niemand anders, als Tom Fairfield selber. Im Anfang schienen die beiden jungen Leute unzertrennlich. Tom gab sich jede nur erdenkliche Mühe, den verwilderten Weißen in alle Geheimnisse des civilisirten Lebens wieder einzuweihen, und John, wenn auch mit augenscheinlichem Widerwillen, fügte sich doch gern jeder Neuerung, die der Hinterwäldler, den er überdieß als vortrefflichen Jäger kennen lernte und deßhalb achtete, mit ihm vornahm. Je länger er aber in der Mutter Hause lebte, wo Tom Fairfield ein täglicher Gast war, desto mehr und mehr zog er sich von ihm zurück, antwortete einsilbig auf seine Anreden, mied seine Gesellschaft und wurde sogar, was sonst selbst nicht gegen den Prediger geschah, unfreundlich, wenn er ihm nicht mehr ausweichen konnte.

Das nahm, je weiter es in den Herbst hinein kam, mehr und mehr überhand, da sich besonders in letzter Zeit Mrß. Rowland's Zustand auch immer mehr verschlimmert hatte. Die Krankheit der alten Frau schien in den ersten Wochen von ihres Sohnes Rückkunft durch die Freude und Aufregung des Wiedersehens fast ganz gehoben; nach dieser unnatürlichen Erregung trat aber auch eine Erschlaffung ein, die bald das Schlimmste besorgen ließ, und Rosy, das arme liebe Kind, fast ausschließlich an die Seite der jetzt fortwährend bettlägerigen Kranken bannte. John verließ das Haus ebenfalls nur sehr selten und nie anders, als wenn er in den Wald ging, einen Hirsch oder Truthahn zu schießen; hatte er aber Fleischvorrath daheim, so schaute er oft stundenlang in stummem Brüten zu, wie Rosy die Mutter pflegte oder, wenn diese einmal eingeschlafen war, ihre sonstige Arbeit, das große surrende Baumwollen-Spinnrad sachte bei Seite schob und sich mit ihrer Näherei, die Augen der Kranken zugekehrt, zu Füßen des Bettes setzte.

Der November war indessen angebrochen, und wenn auch der wundervolle Herbst – in dieser seiner schönsten Zeit, dem sogenannten indianischen Sommer – noch freundliche und selbst warme Tage brachte, so braus'te doch auch schon manchmal ein recht ordentlicher Nord-West durch die Wipfel der sich in die buntesten Herbsttinten schmückenden Blätter. Und wie das Laub erstarb, wich auch die Kraft, das Leben aus dem Herzen der armen alten Frau. Lange Jahre hatte sie standhaft und still den Schmerz ertragen, dem Leiden die Stirn geboten – jetzt, mit der einkehrenden Freude, erlag das arme Herz Gefühlen, die zu mächtig für es waren und zu erschütternd. Wie der Saft aus dem Laub und dem Stamm der Bäume und Pflanzen schwand, so ebbte auch der Lebensstrom in ihren Adern, und von Tag zu Tag fühlte sie mehr das Herannahen ihrer Auflösung.

Und doch hätte sie gerade jetzt noch so gern gelebt, denn ihrem Scharfblick entging es keineswegs, wie der durch so treues Ausharren so theuer erkaufte Sohn sich nicht mehr wohl und glücklich in seiner neuen Umgebung fühle. An der Mutter hing er, ja – und mit all der Gewalt kindlicher Liebe, die stark genug gewesen war, ihn seinem wilden Leben zu entziehen, bannte es ihn an ihr Lager, und ließ ihm nicht Ruhe noch Frieden draußen im Wald, seiner sonstigen Heimath. Wie aber sollte das werden, wenn sie einst hinüber gegangen und damit auch das Band zerrissen war, das ihn jetzt noch an das civilisirte Leben hielt? Nur Eine Möglichkeit gab es, ihn auch später zu fesseln, und die sah die arme alte Frau einzig und allein in der Vereinigung ihrer Pflegetochter mit dem jungen Tom Fairfield, der sich in der letzten Woche in Boonville förmlich niedergelassen und jetzt ordentlich und ehrlich um Rosy's Hand angehalten hatte. Bei diesen Beiden konnte John bleiben – in ihnen fand er stets treue und liebende Geschwister, und ihnen gelang es auch gewiß, den Sohn von der Rückkehr zu jenem entsetzlichen Leben unter den heidnischen Wilden abzuhalten. Ja, selbst Rosy's wegen war es gut, vielleicht nöthig, daß sie versorgt ward und eine männliche Stütze hatte, ehe sie die Mutter verlor, und das alles ließ Mrß. Rowland wünschen, ihre Vereinigung so bald als möglich bewirkt zu sehen.

Eigenthümlich war der Eindruck, den diese Nachricht, die er aus der Mutter Mund erfuhr, auf John machte – keine Sylbe erwiederte er, nicht den Blick hob er von der Spitze seines groben Schuhes, den er gegen die leichten Moccasins hatte vertauschen müssen, und zwei Mal fragte ihn die Mutter, ob er sie gehört und ob er sich nicht freue, daß seine Pflegeschwester einen so wackeren Schützer bekäme, der sie gegen die Stürme des Schicksals schirmen und wahren könne.

»Und will Rosy weißen Jäger?« sagte er leise, und als ob er die Antwort schon eigentlich vorher wisse.

»Sie lieben sich schon seit langen Jahren, und Rosy glaubt glücklich mit ihm zu werden.«

»Gut – John freut sich,« sagte der junge Mann, stand auf und verließ das Zimmer – kehrte auch den ganzen Tag nicht mehr zurück, sondern blieb bis spät in die Nacht draußen im Wald, wo er nachher, sein Pony schwer mit Wild beladen, zurückkehrte und, ohne Jemanden an dem Abend weiter zu sprechen, von außen am Haus hinauf in sein Lager kletterte.

Von dem Tage an war John wie ausgewechselt – sonst still und friedlich, wurde er mürrisch und zanksüchtig, verkehrte, außer mit seiner Mutter und Rosy, mit Niemand mehr und ließ jetzt sogar nicht selten seinem wilden Muthwillen bei allen denen freien Lauf, die sich in seinen Weg stellten oder sonst durch irgend etwas seinen Haß auf sich gelenkt hatten. Gegen die würdige Mrß. Smith zeigten sich diese Launen gewöhnlich nur neckischer Art; hatte sie ihn einmal zu irgend einer Zeit wieder angeredet oder um etwas gefragt, so konnte sie sich fest darauf verlassen, es wurde ihr Abends, wenn sie ihr Essen kochte, irgend ein Stein oder Stück Holz durch den Kamin in den Topf geworfen, oder durch einen nie zu Ermittelnden, wenn sie nach Dunkelwerden auf ihrem gewöhnlichen Platz in der Stube saß, ein Gewehr dicht neben ihr abgefeuert, daß sie erschrak und gewöhnlich mit einem lauten Aufschrei in die Höhe fuhr – oder die Hühner flatterten Nachts gestört umher, und nicht selten fehlten sogar einzelne von Stellen, wo sie weder Eule, noch Opossum geholt haben konnte.

Schlimmer aber ging es dem armen Vater Billygoat, bei dem es jetzt, seiner Meinung nach, Ehrensache wurde, den hartnäckigen Heiden zu bekehren. War es ihm einmal gelungen, den »störrischen Wilden« so zu fassen, daß er ihm nicht mehr entrinnen konnte, und hatte er ihm dann eine recht eindringliche Ermahnungs- und Strafpredigt gehalten, dann fing John auf einmal an, grimmige und entsetzliche Gesichter zu schneiden, fletschte mit den Zähnen, rutschte und glitt dem mehr und mehr geängstigten Prediger immer näher und schrie ihm vielleicht zuletzt noch den gellenden Schlachtschrei der Konzas so nahe und scharf in die Ohren, daß der fromme Mann entsetzt aus dem Zimmer floh und noch weit hinter sich drein das Hohnlachen des Heiden hören mußte. Nach jeder solcher Zusammenkunft konnte er sich aber auch fest darauf verlassen, daß ihm in derselben Nacht irgend ein Schwein abhanden kam, oder seine Fence an irgend einer Seite eingerissen und die Heerde in die Felder getrieben wurde, oder auch, wie das sogar einmal geschah, eine heimliche Kugel seine beste Kuh traf und tödtete.

Stellten die Leidenden den wahrscheinlichen Thäter zu Rede, so machten sie die Sache dadurch nur noch schlimmer, und das ganze Städtchen begann schon den »bekehrten Wilden«, wie er im Anfang hieß, als eine Plage zu betrachten, die man sich herzlich freuen würde, so bald als möglich wieder los zu werden.

Merkwürdig war es dabei, daß John an Tom Fairfield, so feindlich gesinnt er ihm sonst auch immer sein mochte, nie einen ähnlichen Muthwillen versuchte; ja, im Gegentheil rettete er ihm sogar eines Tages, als er ihn zufällig auf der Jagd traf, oder auch vielleicht durch seinen Schuß herbeigelockt war, auf die aufopferndste Art das Leben.

Tom hatte nämlich nicht weit von Boonville einen alten Bären beim Lappen[13] getroffen, aber, durch eine rasche Bewegung desselben verleitet, einen übereilten Schuß gethan, was ihm das angeschossene und gereizte Thier mit Blitzesschnelle auf den Hals brachte. Sein Hund war zu schwach, ihm wirksamen Beistand zu leisten; sein Messer brach beim ersten, einen Knochen treffenden Stoß, und wer weiß, ob er nicht von der Bestie, wenn auch nicht getödtet, doch gar arg verwundet worden wäre, hätte sich nicht John in dem Augenblicke, da er aus Furcht, den Mann zu treffen, nicht wagen durfte, zu schießen, mit keckem Muth auf den zottigen Feind geworfen und diesem sein Messer so sicher ins Herz gestoßen, daß er sich wohl noch gegen seinen neuen Gegner wenden konnte, gleich darauf aber, auch vom früheren Blutverlust schon erschöpft, todt zusammenbrach.

[13]: Lappen der Bären heißt, wenn sie im Herbst nach den reifen Früchten und Beeren naschen gehen.

Tom wollte dem jungen Manne danken und streckte ihm mit herzlichen Worten die Rechte entgegen – der aber wandte sich knurrend ab und verschwand, sich nicht weiter mehr um Jäger und Beute kümmernd, rasch im nahen Dickicht. Zu Hause sprach er auch kein Wort davon, nur als Tom heimkam und den Hergang erzählte, und die Mutter ihm mit glänzenden Augen die Wangen streichelte, und Rosy unter Thränen seine Hand nahm und ihn ihren lieben, lieben Bruder nannte, da wurde er weich, wie er seit lange nicht gewesen, und an dem Tage wäre vielleicht selbst Vater Billygoat ungestraft bei einem neuen Angriff weggekommen, hätte sich dieser würdige Mann nicht schon seit längerer Zeit fest vorgenommen gehabt, den heidnischen Wilden, der eigenen Schweine wegen, seinem Schicksale zu überlassen.

So standen die Sachen, als sich die Kranke eines Tages recht schwach und unwohl fühlte – ihre Kinder wichen nicht mehr von ihrer Seite, und John besonders saß neben dem Lager und hielt der Mutter Hand fest, fest in der seinen. Aber der Sand war abgelaufen, welcher der Leidenden auf dieser Erde zugemessen – die Kräfte wichen, die bis dahin das mürbe Gebäu ihres Körpers zusammen gehalten.

»Rosy,« flüsterte sie, als die Abendsonne ihrem Lager gegenüber stand und der rothe schimmernde Glanz den todtenbleichen Zügen noch einmal ein, ach! trügerisches Leben zu verleihen schien – »Rosy – Tom – mir wird so wunderleicht und wohl – die Glieder fühle ich gar nicht mehr, die mich sonst so bleiern an mein Lager bannten – ich glaube, der Tod naht – ach! dann ist es schön, zu sterben – aber – Euch lasse ich noch unvereinigt hier zurück, und mein Kind – meinen John, in Eurem Schutze – versprecht mir – versprecht mir, ihn stets – als Euren Bruder zu lieben.«

»Mutter!« schluchzte Rosy und barg das Antlitz an der Schulter der Sterbenden.

»Er soll mir wie mein liebster Bruder sein,« sagte Tom mit tiefer Rührung – »ja, nicht theurer konnten ihn diese Worte meinem Herzen machen, als er es jetzt schon ist – John soll nie einen anderen Freund brauchen, so lange noch ein Tropfen Lebenssaft in diesen Adern quillt.«

»Und, John,« sagte mit leiser Stimme die Mutter, »wird Dir das Grab der Mutter so theuer sein, als es die Lebende war?«

John hatte augenscheinlich einen harten Kampf mit sich gekämpft – er schämte sich, in der Gegenwart eines anderen Mannes zu weinen oder irgend eine Schwäche zu zeigen, und saß starr und regungslos, die Blicke unverwandt in eine Zimmerecke gerichtet; jetzt aber, bei der directen Anrede an ihn, wo ihm, der so oft den Tod gesehen, sein Auge sagte, daß das theure Leben nur noch wenige Minuten in der alten lieben Hülle weilen werde – jetzt konnte er sich nicht länger halten – am Bett fiel er nieder auf die Kniee, den Kopf barg er in der überhangenden Decke, und sein ganzer Körper zitterte von der Allgewalt des Schmerzes, der in ihm tobte.

»Guter John,« flüsterte die Mutter, und ihre Hand ruhte segnend auf dem Haupte des Sohnes – »guter – lieber John!«

»Mutter!« rief Tom Fairfield plötzlich, denn ein eigenes Zucken im Gesichte der Kranken – ein eigenes Erstarren der Züge erschreckte ihn. John fuhr schnell empor und heftete seinen Blick nur secundenlang auf das liebe Antlitz.

»Meine Mutter!« schluchzte er, und die hellen Thränen netzten seine sonngebräunten Wangen: »meine liebe Mutter! und Du gehst?«

Die Sterbende antwortete nicht mehr – der letzte Druck der Hände galt noch dem Kinde – der Tochter – ihr brechendes Auge hing an dem sinkenden Tagesgestirn, und mit dessen Verschwinden hinter dem goldglänzenden Laubnetz des Waldes schlossen sich auch die treuen Augen auf immer.


Am anderen Tage, nach der Mutter Tod, grub John, an derselben Stelle, wo früher seines Vaters Hütte gestanden, das Grab für die Verblichene – sie hatte es gewünscht, dort zu ruhen, und fast alle Einwohner des kleinen Ortes begleiteten die Leiche zu ihrer letzten stillen Ruhestätte unter den rauschenden schwanken Bäumen des Waldes. John blieb dort draußen drei volle Tage und Nächte, und als er endlich zurückkehrte, war er ernst und traurig und schien sein früheres wildes Wesen ganz verloren zu haben. Sanft wie ein Kind zeigte er sich gegen Jedermann, selbst mit dem Prediger war er freundlich, so freundlich, daß er den armen Mann im Anfange mehr damit erschreckte, als früher mit seiner Wildheit, weil der schon nicht anders glaubte, als daß dies nur eine andere Maske sei, unter der er neue Streiche auszuführen gedenke. Aber darin hatte er sich geirrt – John blieb sich immer gleich und vermied jetzt nur von Allen gerade die, deren Nähe ihm früher so unendlich wohl gethan.

Obgleich er nämlich seine alte Schlafstelle, den oberen Theil von seiner Mutter Haus, noch beibehielt, bekam ihn das junge Mädchen fast gar nicht mehr zu sehen; nur Morgens vor Tag stand er auf, schaffte Holz herbei, zündete das Feuer an und verzehrte im Hause sein Frühstück; dann aber mied er Rosy's Nähe den ganzen Tag, und nur Abends hörte sie, wie er von außen in seine Kammer wieder hinauf stieg und sein Lager suchte. Wildpret genug schaffte er dabei zum Hause, und weiche Felle gerbte er ihr nach indianischer Art, und nähte Moccasins und färbte Decken für sie; aber nicht daheim that er das, sondern im Walde draußen, wie auch das Wetter war, und nur froh konnte sie ihn machen, wenn sie annahm, was er ihr, meist Morgens, brachte.

So rückte endlich der, von Tom Fairfield so lang' und heiß ersehnte Tag der Verbindung zwischen ihm und seiner holden Braut heran, und Tom hatte alle Bekannten und Freunde eingeladen, ihn feiern zu helfen. In festlicher Procession zogen die Glücklichen nach des Friedensrichters, Mr. Cowley's Haus, und heute schloß sich selbst John nicht aus von der fröhlichen Schaar.

An Tom's Seite, gegen den er in letzter Zeit wieder so freundlich gewesen war, wie in den ersten Wochen ihres Beisammenseins, betrat er das kleine wohnliche Gemach des Richters und war Zeuge der heiligen feierlichen Handlung; als aber die Braut das schüchterne und doch so herzfreudige Ja gesprochen – als der Gatte sie leise, leise an sich zog und sie das in holder Schaam übergossene Antlitz an seiner männlichen Brust barg – da glitt er unbemerkt und geräuschlos aus dem Zimmer – aus dem Hause und über die Straße hinüber in sein eigenes kleines Gemach.

Nacht war's, und aus Tom Fairfield's neuer Wohnung brachen lichte Strahlen, und muntere Violintöne schallten die stille Straße herab; in Hornpipes und Quadrillen, in Reels und Jigs und der anderen amerikanischen oder von England herüber gebrachten Tänzen schwangen sich die fröhlichen Paare; munter ging der Becher im Kreise, und herzlich übertönte das Lachen oft die schallenden Geigenklänge.

Draußen aber vorbei, durch den Herbststurm, der jetzt schon recht ingrimmig die laublosen Zweige schüttelte, schritt, die Büchse in der Hand, den Tomahawk im Gürtel und die Decke auf dem Rücken, ein Jäger, und wollte schon rasch vorüber ziehen an dem festlichen Hause, als der silberreine Ton einer lachenden Frauenstimme sein Ohr traf. Er blieb stehen, zögerte einen Augenblick und näherte sich dann dem Hause; an der Fenz schwang er sich hinauf und schaute viele Minuten lang still und ernst durch das kleine offene ausgeschnittene Fenster in den inneren hell erleuchteten Raum, auf die fröhlichen glücklichen Menschen hin, die in dem engen Gemach sich lachend und tanzend hin und herbewegten. Glück und Freude lag auf allen Gesichtern auf die sein düsterer Blick fiel, aber von allen ab schweifte er unbefriedigt, das eine von allen denen zu erkennen das –

Ha – da trat Rosy in den Kreis – die frohe junge Frau an des Gatten Hand, und das Licht der Lampen fiel hell und voll auf die lieben Züge des jungen Weibes.

Johns Blick haftete lang und ernst auf der holden Gestalt, aber kein Laut entfloh seinen Lippen, keine Bewegung, ein einzelnes fast krampfhaftes Zucken seiner Lippen vielleicht ausgenommen, verrieth die Bewegung die in ihm kämpfte.

Endlich nickte er, wie Abschied nehmend, aber auch fast seiner unbewußt, dort hinüber, wo er jetzt Alles zurückließ, was ihm noch lieb auf dieser Welt war, und ihn wohl hätte an ein ruhiges friedliches Leben fesseln können – dann stieg er langsam wieder nieder und warf die Büchse auf die Schulter.

Als er den Boden wieder betrat, hatte er ganz die alte Ruhe wieder gewonnen – die wollene Decke, die über seine Schultern hing, zog er fest um sich her, und den Pfad verfolgend, der an seiner Mutter Grab vorüber gen Westen führte, verschwamm seine dunkle Gestalt bald in den düsteren Schatten, mit den der Urwald die enge Lichtung fest und dicht umlagerte.

Und wohin führte sein Weg?

Man hat nie wieder von ihm gehört; aber zu den Konzas war er nicht zurückgekehrt, denn wenige Wochen später kam von dorther der canadische Franzose, der Tom Fairfield früher auf seine Spur gebracht, und wußte nichts von ihm. Ja, Tom besuchte im Frühjahr selbst noch einmal den Stamm – doch konnte ihm Niemand Kunde geben vom »weißen Hirsch« – er war und blieb spurlos verschwunden.

Aus dem Briefsacke des Paquetschiffes »Seeschlange.«

Erster Theil.

Erster Brief.

New York, den 12. März 1848.

Lieber Theodor!

Motto: Freiheit oder Tod.

Ich bin in Amerika – o wenn Du begreifen, wenn Du ahnen könntest, mit welcher wonneathmenden Seligkeit mich der Gedanke durchfluthet, wenn Dir aus dem inneren jauchzenden Jubelmeere meines Herzens nur ein Ton, nur ein Accord jener himmelrauschenden Symphonieen an die Seele donnern könnte, die mich dieser Erde fast entheben, die mich in sinnverwirrendem Freudenrausche nicht ein Mensch mehr, nein ein Engel, ein Gott sein lassen! – dann brauchte ich nicht die kalte Feder zu dem nutzlosen Versuche zu ergreifen, das schildern zu wollen, was sich nicht schildern läßt; das mittheilen zu wollen, was eben nicht mitgetheilt werden kann, was nur empfunden, gefühlt sein will –

»Nenn' es dann wie Du willst – nenn's Glück, Herz, Liebe, Gott –
Ich habe keinen Namen dafür, Gefühl ist Alles –
Nam' ist Schall und Rauch, umnebelnd Himmelsgluth.«

Ich athme amerikanische Luft! Begreifst Du das, kalter, theilnahmloser Aktenmensch – Bücherwurm – Leichenbeschauer Du, der von Haus zu Haus kriecht, scheußliche Verwesung und Moder zu besichtigen und rings um sich her Gottes freie, herrliche Natur unbeachtet, unbewundert läßt? – Hier komme her – hier in die Freiheit athmende Welt, hierher in das schöne, wundervolle Land, und wenn Dir dann das Herz nicht aufgeht, wenn sich dann nicht Dein Geist wie die Lerche in duftiger Frühlingsluft wirbelnd und siegestrunken zu Gottes reinen Aetherräumen emporhebt, dann fließt Dir Dinte statt rothen warmen Blutes in den Adern und Dein Herz ist nur eine Urne mit Aktenstaub und Trübsal angefüllt.

Doch nein, so schlimm steht es noch nicht mit Dir und mit kurzen Worten will ich Dir deßhalb das Land meiner Ideale schildern; mit kurzen Worten sag' ich, denn wollte ich mich auch nur auf eine einfache Beschreibung einlassen, so reichten Bände nicht aus und dazu gestattet mir jetzt weder Herz noch Geist die Zeit.

Jeder Schritt hier, so lang ich das Ufer betreten, zeigt deutlich, wie wir glücklichen Auswanderer dem Schlendrian und Despotismus des alten Vaterlandes endlich enthoben sind – rege Geschäftigkeit füllt die Straßen – der edle Stolz – »ich bin ein freier Mann« – spricht schon aus dem Blick des Knaben, wie aus dem des erwachsenen Jünglings; keine Zeichen von Krone und Tyrannei beleidigen das Auge, indem sie uns an unsere Schmach der Knechtschaft erinnern – kein Bettler kriecht in seinem nackten Elend auf offener Straße umher und fleht um ein Almosen, damit er in seinen Ketten nicht auch noch verhungere – keine »königliche Constitution« lügt uns von Freiheit vor, während sie uns nur noch, indem sie uns einschläfert, weiter und weiter vom wahren Ziel der Freiheit entfernt. »Das Volk ist nicht reif,« schreien in Deutschland die Fanatiker der Ruhe – »es gehören auch Republikaner zu einer Republik und die haben wir noch nicht, die müssen wir erst heranbilden.« – Ausflüchte sind's – feige Angst vor der Krisis, die der Umgestaltung vorausgehen muß. Werden etwa die Deutschen, die nach Amerika auswandern, plötzlich auf dem Schiffe zu Republikanern, daß sie auf einmal reif und ausgebildet hier das Land betreten? oder sind das etwa keine Republikaner, diese Millionen von Deutschen und Iren, die – der Whigparthei so fürchterlich – der demokratischen Sache im freudigen Sturmlauf den Sieg gewinnen? Zum Teufel mit den seelenlosen Drahtpuppen, die von fürstlichen Händen gezogen, marionettenartig und nach »allerhöchstem Verlangen« bald den Arm und bald den Fuß heben oder mit dem Kopfe nicken und schütteln.

Noch war ich keine drei Tage hier an's Land gestiegen, als schon ein Amerikaner (ein mir wildfremder Mensch, dem es egal sein konnte, ob ich existirte oder nicht), zu mir kam und mich in sein Haus aufnahm. Uneigennützig – denn daß ich wirklich Vermögen hatte, konnte er nicht wissen – bot er mir in allen Stücken seine Hülfe an und übergab mir, dem Fremden, die Verwaltung einer ganzen Plantage – sieh, das ist ein Republikaner, das ist kein Mann aus einem Polizeistaat, wo jeder Staatsbürger schon pflichtschuldigst für einen Spitzbuben und Schuft gehalten wird – weise Du ein solches Beispiel in Deutschland auf?

Hier herrscht auch wahre Religionsfreiheit, um die in Deutschland, trotz dessen gerühmten Aufklärung, noch immer gestritten wird – die Schule ist von der Kirche frei – kein Pfaffe darf in die Erziehung der Kinder hineingreifen, und das junge Geschlecht blüht und keimt heran, eine Freude der Eltern, ein Stolz ihres herrlichen Vaterlandes.

Doch soll ich jetzt auch nur Stunden verlieren, indem ich hier sitze und dem Zauberlande den Rücken kehre, während ich es beschreibe? – nein – selbst Deinetwegen nicht, Theodor, der Du mir sonst das liebste Herz auf Gottes Erdboden bist. Aber komm hier herüber, Du Guter, komm hierher und schüttle den Staub von Deinen Schuhen, wenn Du dem morschen Regierungswerk des »alten Landes,« wie Europa hier mit Recht genannt wird, den Rücken kehrst – komm bald und freudig und mit herzlichem Gruß wird Dir dann die Arme entgegenbreiten Dein treuer Bruder

Carl von Horneck,

früher – Gott sei gedankt, daß ich sagen kann
früher – Assessor von Gottes Gnaden.  

Zweiter Brief.

Aus dem Staat New York, am 10. März 1848.

Lieber Vetter!

Glücklich sind wir vor etwa drei Wochen hier in Amerika angekommen, und ich befinde mich jetzt in dem Welttheil, der mich so lange Jahre hat nicht ruhig schlafen lassen. Manchmal ist es mir auch sonderbarer Weise noch immer wie ein Traum und es geschieht gar nicht selten, daß ich mich selber ganz erstaunt frage: »bist Du denn wirklich jetzt in Amerika?« Die Antwort fällt aber immer bejahend aus.

Ich erinnere mich noch recht gut der Zeit wo ich die Aushängeschilder der »Agenturen für Amerika« und das gewöhnlich darauf gemalte Schiff mit einer wahren Ehrfurcht betrachtete, daß ich dann immer so eine Art von – ich weiß selber nicht wie ich es nennen soll – von tragischem Schauer mir über die Haut rieseln fühlte; – jetzt ist das vorbei – die Seefahrt hat mich vollkommen von der Bewunderung für die Schiffe selber geheilt – denn das Zwischendeck ist ein grausenvoller Aufenthalt und das stete Neue meiner Umgebung trägt viel dazu bei, mich zu zerstreuen und gegen starke Eindrücke abzustumpfen. Ich muß aber auch gestehen, daß ich Amerika keineswegs so gefunden, wie ich es erwartete, und ich bin in mancher Hinsicht sehr enttäuscht worden – gebe Gott, daß ich mich geirrt habe. Jene lockenden Beschreibungen, die ich vor meiner Abreise gelesen, sind vielleicht, wie ich gestehen will, mit die Hauptursache, daß meine Erwartungen zu hoch angespannt wurden, dennoch muß ich Dir aufrichtig sagen, daß ich mir Manches, auch bei den geringsten Ansprüchen, besser wünsche. Die idyllischen Farmerwohnungen schrumpfen z. B. größtentheils in erbärmliche Blockhütten zusammen, durch die an allen vier Wänden der Wind hindurch zieht, das Vieh läuft zwar wild im Wald umher, aber jeder Schuft, der es nur schlau genug anzufangen weiß, kann auch Kühe und Pferde nach Belieben stehlen, und was die Schweinezucht anbetrifft, so hat die ihre ganz besonderen Schwierigkeiten, denn wenn die Sauen im Walde werfen, und man läuft nicht ewig dahinter her und lockt die kleine Brut, wie die Alte, mit Händen voll Mais, so werden sie wild wie die Hirsche und der Böse mag sie dann haschen, wenn er sie haben will. Auch das Land ist, wenn auch gut, doch schwer zu bearbeiten – die Bäume sind gar so stark und stehn zu dicht und die Stümpfe so draußen im Feld zu lassen, daß man mit dem Pflug zwischen lauter Holz und Wurzeln herumackert und Vieh und Menschen halb zu Tode schindet, das ist eine Wirthschaft, wie sie einem ordentlichen Oekonomen nicht zusagt. Der Dünger wird ebenfalls nicht beachtet und die liebe Gottes-Gabe bleibt wild zerstreut im Walde herum.

Auch mit der Viehzucht ist's schlecht, man weiß nie wo sein Vieh steckt, alle Augenblick hat Wolf oder Panther ein Stück und die Schaafe – na die wünscht ich, daß Du die einmal sehn könntest, wenn sie, die ganze Wolle eine einzige Klettenmasse, aus dem Walde kommen.

Und nun das Ungeziefer; Holzböcke und Moskitos oder Mücken fressen Einen bald auf – die Fliegen sind, besonders in kleinen Waldwiesen oder Prairieen, in solcher Unmasse vorhanden, ein Pferd förmlich zur Verzweiflung zu bringen und Wanzen – nun die Wanze stammt ja aus Amerika, und es braucht uns also nicht zu wundern, wenn wir sie hier heimisch finden.

Eines ist es aber noch besonders, was mir das hiesige Bauer- oder Farmerleben zuwider macht – die gänzliche Ungeselligkeit und Abgeschiedenheit. Anstatt die Häuser in Dörfern beisammen zu haben, liegen sie alle meilenweit von einander entfernt, im Wald, und wenn Einem wirklich einmal etwas zustößt, so ist auf schleunige Hülfe gar nicht zu hoffen – mir graust es wirklich, wenn ich an irgend eine Krankheit, die mich oder die Meinigen betreffen könnte denke, denn der einzige Arzt wohnt sieben englische Meilen von mir entfernt, und das schlimmste dabei ist, daß ich wünschen muß, er wohnte lieber siebenzig, denn ehe ich mich einem solchen Quacksalber in die Hände gebe, der seine Patienten mit Calomel füttert und hinopfert, sterbe ich lieber sanft an Kamillenthee und Glaubersalz.

Und mit den Leuten ist es erst eine fürchterliche Noth; Knechte und Mägde, was wir darunter verstehn, und wie sie doch zu einer ordentlichen Wirthschaft unumgänglich nöthig sind, kann ich gar nicht bekommen – die Leute wollen Alle wie die Herren behandelt sein und gehn und kommen wie es ihnen am besten gefällt. Auch ihre Ansprüche sind unverschämt und übertrieben – erstlich unverhältnißmäßigen Lohn, dann dreimal Fleisch den Tag und Kaffee und Zucker zum Frühstück, wie Thee oder Milch zum Abendbrod; und das genügt ihnen nicht einmal, wollte ich es ihnen dabei an einem besondern Tische geben und für mich mit meiner Familie allein essen, – thäte ich das, ich glaube ich setzte mich den größten Unannehmlichkeiten aus.

Nein, lieber Vetter, wenn Du meinem Rath folgst, so giebst Du Deinen Pacht nicht auf, sondern bleibst ruhig in Deutschland – sind auch die Abgaben dort wie andere Scherereien ziemlich bedeutend, so schützen uns doch auch die Gesetze wieder vor tausend Unannehmlichkeiten, denen wir hier ausgesetzt sind, und das gesellige Leben wiegt wieder viele Mängel auf – kann ich meine Farm vortheilhaft verkaufen, so komme ich auf jeden Fall wieder zurück und bei einem Glase Bier – o wie ich mich nach einem ordentlichen guten Krug Lagerbier sehne, – erzähl ich Dir dann, was ich hier Alles erlebt, und wie ich so nach und nach und Schritt für Schritt, in all meinen schönen Hoffnungen und Plänen enttäuscht wurde.

Daß das recht bald geschehen möge wünscht, mit seinen herzlichen Grüßen an Dich und die lieben Deinigen

Dein alter Freund und Vetter

Christoph Roßberger.

Meine Frau, die Euch mit den Kindern, ebenfalls herzlich grüßen läßt, klagt eben über Frösteln und Kopfweh – die Nägel fangen ihr auch schon an blau zu werden – das sind die freundlichen Anzeigen des kalten Fiebers.

Dritter Brief.

Nujork nich sondern Kendukki wo ich jezd bin.

Lüber Ludewig!

Ich bin glicklich hir eingedroffen in Ameriga Dunnerwetter das is en Land 17 Dage in eine ford gereißt un noch keine Grenze un kein Schandarm un kein Bas verlangd un kein Schlachbaum gesen un kein Bolizeidiener worum ich Dich eigendlich bitten wolde weil mir das bei den Bolizeidienern die ich nich gesen habe einfelld so geh doch einmal zu Lowizki hin Du weist schon – und sage ihm hir soll er herkommen hir is des Land vor ihm. Woso aber Du glaubsd dass ich nich de Warheid rede die Kühe und Ferde laufen hir frei im Walde rum un es kann se jeder nehmen wer will un ich bin iberall die Nachd in die schenstden Betten geschlafen und ob sie mich eine 20 Daler Nothe wexeln kennten wenn ich se morgens fragde sagden se jedesmal nein was mir sehr leid tat Hurrjeh komm nach Ameriga un 3mal Fleisch un Speck un Kafeh un Milg und Zuker un saure Gurken un Herr nennen sie Misther wo sie mich immer Misther Bomeier nennen. Hür glaub ich aug von wegen Komunismuss is das regde Blatz glaub ich un ich un ein guder Freind wir haben uns den Mormonen angemagd wie ich sagen wollde wir haben Briderschafd mit sie gemagd un allens sollen mir teilen haben sie ferschprochen mir teilen un sie teilen un die anderen teilen un da kommen mir gans gut weg dabei aber mir missen sie schon mannigmal kleine Freindschafden duhn un Welschkorn holen in andere Felder und aus Fersehn eine Sau schlagden un kein Schandarm hat einen nichts zu sagen un is keiner zu sehn. Un vile Aeppel in die Obstgerten un viele Firsich das eine Bein tut mich noch sähr we von ein große Hund – gottvertamte Krete der Hund Aber ich muss nu schlüßen o Ludewig wenn Du wistest was se hir vor Gefengnisse haben lauter Holz und kein Boden drin ob se wol unser einem nu Du verstehest mir wol Aber ich muss nu schlüßen un die Bauern die nich teilen wollen haben ire Kornkrib als wo so ein Welschkornscheune heißt im Freien un keine Hunde dabei wie die vertamte Krete. Aber ich muss nu schlüßen un wenn Du hirherkomst un ich wone in das Bortinghaus von Samöel Schmit un Du kansd hir aug wohnen 1 un 3 4tel Dollar die Woche. Aber ich muss nu schlüßen un Du kansd lange gut leben denn Du komsd bald hürher von die Schorken die Dich schünden und kujjeniren wo es immer geschiht das winscht Dein getreier Bruder

Eregott Bomaier.

Wenn Du meine Frau siest sage ihr sie solte jo nich hirher kommen es were hir gar nigts vor die Frauen.

Vierter Brief.

New York the 20th of March 48.

Theuerer Scharffenstein!

Du wirst staunen, schon einen Brief von mir zu erhalten, denn Du am besten kennst wohl meine Schwäche in Allem was schreiben heißt – die Hand die gewöhnt ist den Degen zu führen, schreckt gewöhnlich vor der Feder zurück – doch ich fühle mich hier zu wohl, zu glücklich, um Dir nicht Theil an meiner Freude zu gönnen und jeder Tag deshalb, den ich an dieser Mittheilung verzögerte, schien mir ein Raub an Deiner Liebe.

Du weißt aus welchen Gründen ich Deutschland verließ – was half mir meine Stellung als Rittmeister – der Rittmeister verdiente nicht genug den Grafen standesgemäß leben zu lassen, und meine Lage wurde drückend. Ich muß Dir aber dennoch gestehn, daß ich mit nicht geringen Befürchtungen den Amerikanischen Boden betrat – es war eine Republik, und was konnte darin der arme Graf erwarten – hoffen? Schon der erste Blick, den ich in die ungeheuere Stadt New York that, bestärkte mich dabei in diesem Gefühl, und beengte mir Herz und Geist – kein Haus ohne ein Geschäft in den unteren Räumen, kein freier Raum zwischen Thüren und Fenstern, ohne Schilder, Anzeigen und riesige Namenszüge und Buchstaben. Hier – das ließ sich nicht verkennen – herrschte der Krämer, und der Graf konnte nur eine sehr untergeordnete Rolle spielen.

Oder sollte ich etwa als – Commis in eines dieser Geschäfte treten? – Dingen und feilschen, wiegen und messen, und mir mit »ehrlichem Fleiße« einen Platz in der menschlichen Gesellschaft mühsam erringen, daß ich endlich, nach Jahre langer Arbeit – auf gleicher Stufe mit den Krämerseelen stünde? – Bah, der Gedanke war demüthigend und odiös und trieb mir die Tropfen auf die Stirn.

Der erste Lichtblick, der mich in diesem Chaos meiner Gefühle traf, war eine vierspännige Kutsche mit galonnirtem Kutscher vorne und betreßten Bedienten – einen Weißen und einen Neger, hinten auf – ja auf dem Kutschenschlag sogar ein Wappen – leider konnte ich es nicht erkennen, denn sie rollte zu rasch an mir vorüber. Ich war wirklich erstaunt, das hier in einer der Hauptstädte der Republik zu finden, und Du wirst mein Erstaunen theilen, wenn ich Dir sage, daß ich in Zeit von einer Viertelstunde fünf oder sechs solche Wappenträger gesehn, doch mit lauter mir fremden Schilden.

Am nächsten Tag, als ich die Theile der Stadt durchzog, wohin meine Empfehlungen lauteten, betrat ich die Straßen die weniger kaufmännisch und schon mehr aristokratisch aussahen. Elegante Gebäude mit Marmortreppen, Mahagonithüren und vergoldeten Knöpfen – hie und da der Wollkopf eines schwarzen Portiers sichtbar. Dennoch betrat ich mit einer Art Beklemmung die erste Treppe – der Name John Broadfoot klang gar zu plebejisch und sein, wie seiner Gattin Anblick, strafte ihn leider nicht Lügen, obgleich sie Beide von Atlas und Gold strotzten – ich mußte wahrhaftig beim ersten Eintritt das Lachen verbeißen – Gott sei Dank, daß ich nicht herausplatzte.

Aber pompös eingerichtet waren die Leute, wahrhaft fürstlich, und Du weißt, meine Ansprüche in der Art sind nicht gering – nur etwas überladen, zu viel Gold und lichte Farben, zu wenig Schatten für die Masse blendender Strahlen. Von dem Augenblick an begann aber ein neues Leben für mich! ich flog aus einer Gesellschaft in die andere; Einladung folgte auf Einladung; ich wurde fetirt wie an keinem Orte Deutschlands oder Frankreichs und der deutsche Graf, der german count, scheint wirklich das Stadtgespräch geworden. Beim Himmel, Eugen, ich bin in dieser Republik eher wie ein Gott als ein Sterblicher behandelt worden, und wenn in Paris, wo, wie ich eben die Nachricht bekomme, das Königthum gestürzt sein soll, die Republikaner ebenfalls so rücksichtsvoll gegen Grafen sind, dann werd' ich künftig in Paris die Saison und in Amerika meinen Sommer verleben.

Doch lange mag ich nicht mehr der Mittelpunkt aller dieser Feste sein, ohne nicht bald selbst einmal etwas ähnliches zu veranstalten; dieser mir gezollte Weihrauch macht mich allerdings sehr stolz; ich bin aber auch wieder zu stolz, unerwiedert dergleichen fortwährend anzunehmen. Meine Casse befindet sich freilich in keinen übermäßig brillanten Umständen, soviel aber hält sie hoffentlich aus, denn ist mir wieder auf eine Zeitlang hier Bahn gebrochen und rückt der Sommer weiter hinein, nun so ziehe ich in die benachbarten Städte Philadelphia, Baltimore, Boston; ein Graf mit einem so wackeren Namen wie der meine, wird dort überall nicht allein willkommen geheißen, sondern wirklich ersehnt, da es, Gott sei Dank, mit zum guten Ton gehört, ihn unter seine »friends« zu zählen.

Also good bye, mein theuerer Scharffenstein, laß bald selbst einmal etwas von Dir hören und sei versichert, daß sich stets Deiner in alter Liebe und Freundschaft erinnern wird, Dein

Hugo,

Graf von Böllinghausen und Nistadt.

P. S. Solltest Du selber noch herüber kommen, so nimm auf dem Dampfschiff um Gotteswillen erste Cajüte. Man muß hier, in Amerika selber, allerdings mit manchem Plebs verkehren, weil sich das nicht gut vermeiden läßt, auf der See aber, und so frisch von der Heimath fort, ist es oft höchst fatal und widerwärtig.

Fünfter Brief.

Im Staat Ohio am 3ten März 1848.

Liebe Eltern und lieber Bruder!

Es freut mich Euch sagen zu können, daß es mir hier gesund und wohl geht. Ich habe nämlich die Seereise glücklich überstanden und wenn ich auch lange seekrank war, so bin ich doch jetzt wohl und gesund und es fehlt mir an meinem Körper gar Nichts. Was aber die Verhältnisse hier anbetrifft, so thut es mir leid, Euch gar nichts Bestimmtes und nichts Gutes über mich schreiben zu können, denn es geht mir bis jetzt noch hier herzlich schlecht – vielleicht wird's einmal später besser. Kommt aber ja nicht jetzt heraus, wie ihr es wolltet, liebe Eltern und lieber Bruder – es ist Alles nicht wahr, was uns Siebenhegers im vorigen Jahre geschrieben haben – und wenn es wahr ist, so ist es ganz anders, als wie es im Brief aussieht, und wie man es sich dennoch denken muß. Allerdings kann jeder gleich Meister werden wer will, und ich bin auch gar nicht faul gewesen wie ich hier nach Amerika kam. Ich nahm gleich mein Handwerkszeug, miethete mir einen Schop, wie sie's hier nennen und fing mit der Tischlerei an, aber lieber Gott, arbeiten hätt' ich schon gern gewollt, wenn ich nur was zu arbeiten gehabt hätte, und den theueren Miethzins mußt ich dabei bezahlen und das Borting, wie sie hier die Wirthshäuser nennen und da wurden die hundert Thaler, die ihr mir mitgegeben habt, liebe Eltern, immer weniger, bis ich zuletzt einsah, ich müßte endlich verhungern, wenn ich so sitzen bliebe und wartete auf Arbeit. Da gab ich mein Werkzeug an einen Freund zum Aufheben und ich selbst nahm den Rest von meinem Geld, 37 Dollar und 3 Schilling und ging nach Missuri.

Im Lande nun dacht ich könnt's mir gar nicht fehlen, denn in dem Brief stand ja, das Vieh liefe hier wild herum und koste beinah gar Nichts, und das Welschkorn brauchte man nur zu pflanzen, und Alles was man hätte könnte man gleich verkaufen an Butter, Milch, Mais und Wildhäute und das Haus helfen Einem die Nachbarn baun – das stand alles in dem Brief. Und wie ich nun hierherkam da hatt ich noch 20 Dollar und 75 Cent, denn das Reisen hier ist sehr billig, aber damit konnt ich doch keine Farm kaufen und Arbeit konnt ich auch nicht kriegen, denn hier brauchen sie lauter Leute, die recht gut mit der Axt umzugehn wissen, und daß wußte ich nicht, und mein Handwerkszeug hatt ich auch in Nujork gelassen und wie ich dorthin schrieb da sagte der Wirth in dem Bortinghaus dem ich es gegeben hatte, er wüßte nichts davon und ich war es los. Für 4 Dollar den Monat und die Kost boten sie mir in Anfang Arbeit an, aber ich wollte es nicht annehmen weil ich glaubte es wäre zu wenig, und ich verzehrte erst alle meine 20 Dollar und dann nahm ich Arbeit für 4 Dollar, weil ich doch nicht hungern wollte und ehrlich fortkommen wollte. Und ich bin auch ganz abgerissen an Kleider und ich fürchte mich neue zu kaufen, denn ich mochte nicht gerne Geld borgen. Ich bin bei Deutschen hier und muß fürchterlich arbeiten, aber ich thu es gern, denn ich verdiene doch wenigstens mein täglich Brod, aber sie sagen mir, Einer der kein Geld hat, der kann es zu gar nichts bringen und wenn ich fleißig bin, wollen sie mir in der Erndte 8 Dollar geben und ein neues Hemde. Ich muß auch viel Tischlerarbeit für sie machen und für andere Leute, wofür ich aber das Geld nicht kriege, meine Brodherrschaft verdient aber nichts dabei, denn die thut es auch sehr billig, mehr aus Gefälligkeit, weil sie auch wieder viel Gefälligkeit von den andern Leuten erhält.

Das sind nun die schönen Gedanken von 1 Dollar den Tag für Arbeit und immer mehr zu thun wie Einer thun könnte. Meine Brodherrschaft, die es sehr gut mit mir meint, sagt ich könnte mir gratuliren, daß ich bei ihnen wäre, denn viele Leute laufen brodlos rum. Und daß ist auch wahr, ich habe schon viele gesprochen, die gerade aus Deutschland kommen, und es geht ihnen sehr schlecht. Neulich war ein Mann bei mir aus Hessen Darmstadt – der hat geweint und gesagt seine Familie thäte in einer elenden Blockhütte am kalten Fieber liegen und er hätt keinen Groschen um Brod zu kaufen. Der Mann heißt Mülzer und ist auch ein Handwerker, aber ein Bäcker und die Leute backen sich hier alle selber ihr Brod und was anderes konnte er nicht werden, sagte er, weil er nichts anderes gelernt hat.

Doch adje liebe Eltern und lieber Bruder, vielleicht geht mir's noch einmal besser hier in Amerika und dann schreib ich Euch wieder, aber jetzt gehts noch nicht gut und darum grüßt Euch Euer getreuer Sohn und Bruder

Traugott Erdmann.

Sechster Brief.

New York den 9ten März 48.

Mein herzlieber Carl!

Versprochener Maßen erhältst Du, sobald ich nun hier in dem neuen herrlichen Lande einmal zu Athem gekommen, augenblicklich Nachricht von mir, und zwar Nachricht, nicht wie es hier im Lande selber steht, denn davon weiß ich noch zu wenig, sondern über das besonders, was ich hier thue und treibe.

Ich bin beinah alle Tage auf der Jagd gewesen, doch die Jagd um New York selbst herum, ist höchst unbedeutend – eine kleine Rohrdommel und zwei Moschusratten bilden den beträchtlichsten Theil meiner Beute, und das klingt Dir wahrscheinlich sonderbar, wenn Du Dich an unsere Gespräche über Bären, Büffel, Elens, Riesenhirsche und Panther erinnerst. Doch Du mußt bedenken, die Jagd ist hier frei, jedes Kind kann mit seiner Flinte hinausgehn und schießen, und daß da um eine Stadt wie New York, die, glaub' ich, 400,000 Einwohner hat, kein großes eßbares Wild mehr zu finden ist, liegt allenfalls auf der Hand.

Gestern traf ich aber glücklicher Weise einen alten Jäger aus Indiana, das viele hundert Meilen westlich von hier liegt; der erzählte mir, zufälliger Weise wie das Gespräch gerade kam, von dem Wild in seiner Gegend, das muß fabelhaft sein. Mir zugeschworen hat er's, daß er die Bären manchmal, besonders in kalten mondhellen Nächten, aus seinem Küchenfenster schießt, und Hirsche erlegt er nur, wenn er Fleisch für die Hunde braucht. Denke Dir wie sich das glücklich trifft, der Mann hatte zufällig, und ich merkte es gleich, er wollte im Anfang nicht mit der Sprache heraus, eine kleine Farm, ein sogenanntes improvement von ein paar Ackern urbargemachten Landes zu verkaufen, auf dem ein kleines Wohnhaus und eine Räucherkammer und Maisscheune steht. Und weißt Du was das ganze kosten soll? – Du riethst es wahrlich nicht und gingst Du noch so tief hinunter – denke Dir, 250 Dollar; – vier bis fünf Acker urbar gemachtes Land mit den dazu gehörigen Gebäuden für 250 Dollar! es ist fabelhaft.

Ich scheute mich wahrhaftig im Anfang ja zu sagen, denn es war augenscheinlich, der Mann kam gerade mitten aus dem Walde in die Stadt und kannte den Werth seines Besitzthums gar nicht, denn für 250 Dollar schieß ich ja allein in der Gegend an Wild heraus, Bärenfett, Honig und Wachs, was Alles hier in New York einen ganz guten Preis hat, gar nicht gerechnet. Leider sind keine Indianer mehr in der Gegend, doch versicherte mir mein Backwoodsman, das sei nur ein sehr großer Vortheil für den Wildstand, dem die Indianer, wenn sich viele in der Nachbarschaft aufhielten, gewaltigen Abbruch thäten.

Gestern Mittag wurden wir denn handelseinig; d. h. ich schloß den Handel nach seinen eigenen Bedingungen mit ihm ab, weil ich Furcht hatte es könnte mir sonst ein Andern zuvorkommen. Hol's der Henker, wenn der Mann etwas verkaufen will, so muß er auch wissen, was er dafür fordern kann – er ist alt genug und braucht keinen Vormund. Uebrigens habe ich ihm auch noch drei Kühe, die auf dem Platz sind, für den allerdings im Verhältniß jener wilden Gegend etwas hohen Preis von 12 Dollar per Stück abgenommen, auch eine Heerde Schweine von 19 Stück mit 3 Dollar per Kopf. So bin ich denn auf einmal ein Amerikanischer Farmer geworden und will in nächster Woche nach meinem neuen Besitzthum aufbrechen; wollte Gott Du wärst jetzt hier und wir könnten zusammen dorthin ziehn, ich kann Dir gar nicht sagen wie ich mich darauf freue.

Nur das eine ist mir unangenehm, daß der alte Jäger nicht mit mir zu seinem früheren Wohnort zurückkehren kann, um mich dort gewissermaßen einzuführen; er will aber von hier direkt nach Texas, um von dort aus nach New Mexico überzusiedeln und als Pionier den Kern jener Macht mit bilden zu helfen, die später als neuer Staat der Union von Nordamerika ein neues Glied jener herrlichen Kette werden wird, die in kaum einem halben Jahrhundert den ganzen Continent von Amerika umspannen muß. In Texas soll es auch viel Wild geben, lange aber nicht so viel, meines Backwoodsmans Aussage nach, als in Indiana.

Besonders malerisch hat er mir die Truthahnjagd und die Panterhetzen geschildert und das einzige was er gegen das Land dort einzuwenden hat, wäre – denn er sagte mir, er hielte es für seine Pflicht darin aufrichtig gegen mich zu sein – daß eben Panther, Bären und Wölfe einen ordentlichen Viehstand schwer aufkommen ließen; besonders bösartig sollten die Bären hinter den Schweinen her sein, ja nicht selten sogar in das Maisfeld selber brechen und darin beträchtlichen Schaden anrichten. – Und das sollte mich von dem Lande abschrecken, Carl – ich gebe Dir mein Wort, ich mußte ordentlich an mich halten, daß ich nicht laut aufjubelte vor lauter Freude. – Bären im eigenen Maisfeld; na wartet, meine schwarzen Burschen, ich will Euch das Mahl mit meiner treuen Büchse gesegnen – zwanzig Kugeln auf's Pfund, die machen ein Loch wo sie hinkommen.

Um übrigens den alten Jäger wenigstens in etwas dafür zu entschädigen, daß er so billig verkauft, und mir zugleich die Bahn zu dem Ziel meiner Wünsche gezeigt und geebnet hat, bin ich heute morgen, als ich ihm sein Geld ausgezahlt hatte, durch die Stadt gegangen und habe ihm dort noch eine prächtige lange Büchse, die ihm sehr in die Augen zu stechen schien und die allerdings 60 Dollar kostete, gekauft. Du hättest sehn sollen, wie mich der anschaute, erst griff er voller Eifer darnach, und dann besann er sich eine Weile, schüttelte mir die Hand, und wollte sie meiner Seele nicht annehmen, wie ich aber endlich ganz fest darauf bestand, ja zuletzt sogar schwur, ich würde sie, wenn er sie zurückweise, dem ersten besten Menschen geben, der uns auf der Straße begegnete, da warf er sie sich über die Schulter und pfiff vor Freude die ganze Straße hinunter. Es ist ein kostbarer Menschenschlag, der Amerikanische.

So lebe denn für jetzt wohl, mein Carl, denn die Vorbereitungen zu meiner Reise nehmen für den Augenblick meine ganze Zeit in Anspruch; ich will nämlich, wenn ich es noch möglich machen kann, schon morgen nach meinem kleinen Besitzthum aufbrechen, um gleich Jemanden zu besorgen, der es mir dieses Jahr noch ackern und mit Mais bepflanzen kann. Sowie ich dort eingerichtet bin, hörst Du sogleich wieder von mir, und des ersten Büffels Haut, den ich eigenhändig erlege, soll unter Deinem Schreibtisch als Fußdecke prangen.

Bis dahin aber grüßt und küßt Dich herzlich Dein

jetzt wahrhaft glücklicher

Fritz Sternberg.

Siebenter Brief.

Filadelphia de 10. März 1848.

Guter Edde und allerbeste Mämme.

Gottes Wunder was hob ich vor ane Raise gemocht hierher in de gewaltige Stadt von die Quäkers; lauter Wasser und immer Wasser – will ich nich gesund auf meine Fiße stehn, wenn ich nit glaub' grad dorum nenne se den graußen Ocean das Mehr, wails nimmer weniger werd. Und das Bischen Seekrankheit unterwegs – wai geschrien Mämme – s' wor schauerlich. Speck hawe mer esse dirfe, der Rabbiner hets uns über die See erlaubt, weil mer de Schiffskost nu emol net kauscher kriege konnt – aber Gottes Wunder was hots uns geholfe? wie hob ich mich uf den Speck gefrait und will ich nich gesund auf meine Fiße stehn, wenn ich en nachher auch nur ansehn kunnt – gleich wurde mer schlecht.

Ihr wollt wisse was Seekrankheit is? Gottes Wunder – wie heißt Seekrankheit – nehmt a gute' Handvoll Brechwainstein, und wenns Eich denn recht schlecht, recht eklich werd, main, dann setzt Eich in 'ne Schaukel un laßt den Itzig schaukle un immer schaukle un je schlechter Eich werd, je höher schaukle von den Itzig – dos is Seekrankheit, und wollt ers nachher noch ganz akkerat wisse, dann bleibt in de Schaukel sitze und trinkt ä Bissle worm Salzwasser mit Butter nein – Gott der Gerechte wer kann do an Speck denke.

Un das Land? – wai geschrien wos is des vor e Land – wie haißt Amerika? hätt ich doch mein Lebtag nicht gesehn Amerika – is dos auch ä Nome fir des Land? – Terkei sillts heiße oder Kosakeland aber nich Amerika. Was hob ich profitirt sait ich hier bin – frogt mich emol was ich profitirt habe? – gor nix hab ich profitirt un noch weniger. Quäker, haißts, wären lauter in Filadelphia – ich hob noch nix quäken gehört; will ich nich gesund auf meine Fiße stehn, wenn nich mehr Jüdden hier sin wie Quäker – un da soll a Jüdd was profitiren? – lächerlich.

Rumgelaufe bin ich mit en klainen Kerbche von Haus zu Haus und wos fir schaine Sachen hob ich Alles gehabt: Kemmcher, Stecknodeln, Hosenträger, Band, Litzen, Zwirn, Fingerhit, Saifen, Haaröl, Stohlfedern und was waiß ich Alles – es is ordentlich a Wunder gewese, wies Alles in dem klainen Kerbche hat Platz gehatt – und was fir Geschäftcher hab ich gemacht? – wie haißt Geschäftcher – in de klaine Haiser bin ich gewesen, sahen se alle meine Sachen – will ich nich gesund auf meine Fiße stehn, von vorn bis hinten an, un wenn se sulten kaufen, hatten sie kain Geld – un in de graußen Haiser? – geh der Edde mol in die graußen Haiser in Filadelphia – Gott der Gerechte, mit schwarze Mohren haben se mich 'naus geschmissen.

Das sin de Geschäftcher in der Stadt, un in's Land drauße? – geh der Edde wol in's Land drauße? im Wald wimmelts von wilde Katzen un Panthers un Bären, un Gott der Gerechte, was sin mit Bären für Geschäftcher ze machen? ich geh net in's Land werd ich mich fressen lassen. Un wer kennt Einen hier? – wer soll dem Veitel Credit geben? kan Mensch – der Veitel is hier gor nix – Gott der Gerechte, wär' ich in Bamberg gebliebe, un hätt' ichs Geld – will ich nich gesund auf meine Fiße stehn, wenn ich nich den Brief selber brächt.

Gott behits Mämme un Edde, wenn ich mit die zwai Ducatcher die ich noch aingenäht uffm Magen trag in vier Woche nich verhungert bin, schreib ich Eich noch e Mol wie mers geht – grißt mer de Rachel – soll se froh sein daß se is in Bamberg, un dasselbe winscht sich

Eier lieber Sohn Veitel.

Zweiter Theil.

Erster Brief.

Cincinnati, den 16. August 48.

Lieber Theodor!

Sei nicht böse, daß ich Dir so lange nicht geschrieben habe, aber, es ist hier ein gar so geschäftiges Leben, und ich selbst bin in so eigenthümliche Verhältnisse hineingerathen, daß ich selbst kaum weiß, wie ich Dir das Alles mit kurzen Worten schildern soll. Auch bei Euch daheim sind, wie ich höre, indessen große Veränderungen vorgegangen; nun, seid nur vorsichtig in der Gründung einer Republik und nehmt Euch Amerika zum Muster – d. h. wie Ihr Vieles nicht machen sollt.

Hätt' ich gewußt, daß sich Alles bei Euch so rasch gestalten würde, so wär' ich doch lieber noch in Deutschland geblieben – Amerika hat viel vortreffliche Seiten, aber – es ist doch die Heimath nicht. Die Gesetze sind allerdings ausgezeichnet – die Amerikanische Constitution könnte jedem Lande der Welt zum Vorbild dienen und sein Glück sichern – aber sie sollte auch in jeder Beziehung nicht dem Wortlaut, sondern dem Sinn nach ausgeführt werden, wie es sich jene edlen Männer bei dem Entwurf derselben gedacht haben. Die Gesetze allein können aber ein Land nicht glücklich machen, wenn die Regierung nicht auch die Macht hat sie auszuüben, und ihnen Achtung zu verschaffen. Das Lynchgesetz giebt davon ein trauriges Beispiel, wo das Volk mit den Personen, die seiner Rache einmal, ob gerecht oder ungerecht, verfallen sind, angiebt was es ihm beliebt.

Der Amerikaner mag aber noch angehn hier, er ist zwar kalt und theilnahmlos, eine schändliche Geldaristokratie läßt Einen manchmal wahrhaftig ordentlich den Adel des alten Landes herbeiwünschen, und ewig auf kaufmännische List – ja oft auf wirkliche Betrügereien sinnend, versteckt er das hinter der Maske ekelhafter Bigotterie; doch ist er wirklich mit Leib und Seele Republikaner, seine Constitution geht ihm über Alles, und er würde für ihre Vertheidigung und Aufrechthaltung Leib und Leben einsetzen. Aber widerlich wurden mir hier die Deutschen, und ich muß leider gestehn, ich begreife unter dem Namen die große Mehrzahl derselben, die hier in die Republik hineingeschneit sind, sie wissen selbst nicht wie, und jetzt, zur Schmach und Schande ihrer Nation, den Partheien zum Spielball dienen. Es ist wahr, die meisten sind Demokraten, aber frag' sie warum? – sie wissen es nicht; unklar mit sich über die einfachen politischen Fragen des Landes, in dem sie leben, gehen sie mit dem Strom, und werden nicht selten in Masse von ein oder der anderen Parthei förmlich übergekauft. An eine knechtische Existenz in Deutschland dabei gewöhnt, sind sie im Anfang kriechend höflich gegen besser gekleidete, und lernen sie erst erkennen, daß sich hier Alle Menschen gleich sein sollen, so werden sie gegen Alle, die sie sich an Geist oder Vermögen überlegen glauben, grob und ungezogen, um ihnen nur ja zu beweisen, daß sie ihr Recht kennen, sich in Amerika eben so viel zu dünken, wie jeder Andere.

Theodor, Theodor, mir bangt, wenn ich in hiesigen Blättern von Euerem Streben in Deutschland nach Republik lese, und dann Exemplare der Leute hier um mich sehe, mit denen Ihr dort, in der ungeheueren Mehrzahl eine Republik gründen müßtet – es sind Elemente, trefflich geeignet zum Zerstören, zum Ansturm gegen einen hartnäckigen feindlichen Widerstand, aber zum Aufbau untüchtig, ja gefährlich. Ich habe in Illinois einen Prairiebrand gesehen, der nicht allein das trockene Gras verzehrte, das er verzehren sollte, sondern auch noch in unzähmbarer Wuth Fenzen, Farmhäuser, Scheunen und ganze Waldstrecken zerstörte und in Asche legte, und der Strecke, der er nützen sollte, unendlichen Schaden brachte. Es war das in einer Zeit, wo ich noch keine Nachricht über Euere deutschen Bewegungen hatte, und doch zuckte mir, wunderbarer Weise bei dem Brande der Gedanke an eine »deutsche Republik« durch die Seele.

Willst Du übrigens wissen, was der Amerikaner von den »deutschen Republikanern« hält, die in ihren deutschen Blättern hier immer von Freiheit und Selbstständigkeit, von deutscher Treue und Hochherzigkeit prahlen? – er braucht ihren Namen als Schimpfwort, und besonders ist das hier in Cincinnati, wo es viele Tausende von ihnen giebt, der Fall. Das Wort »dutchman« was Deutscher heißen soll, obgleich es ursprünglich einen Holländer bezeichnet, dient zum wirklichen Schimpfwort – »you shall call me a dutchman« Du sollst mich einen Deutschen nennen – ist die empörende Versicherung, die ich hier nur zu oft hören mußte »he fights like a dutchman« wird von Einem gesagt, der bei einer Aussicht auf Kampf die Flucht ergreift, und sich nur schlägt, wenn er in einer Ecke eingeklemmt ist. Black dutch ist ein Schimpfwort, das den Deutschen mit der verachtetsten Race, mit dem Neger, in eine Kategorie wirft. Doch genug davon, wenn ich sehe, wie meine Landsleute in dem Lande der Freiheit verachtet sind, verachtet von Republikanern doch –

»wollt' ich sie alle zusammenschmeißen
ich könnt' sie doch nicht – Lügner heißen.«

Zürne mir nicht, wenn meine Worte vielleicht etwas bitter klingen; mir ist's nicht gut gegangen seit ich dies Land betreten, und ich habe in mancher Hinsicht Unglück gehabt. Gleich im Anfang betrog mich ein Amerikaner, der mich anscheinend ganz freundschaftlich und uneigennützig aufnahm, um Alles, was ich besaß, indem er mich zum Kauf eines ganz werthlosen Gutes verleitete, auf das er noch nicht einmal gegründete Ansprüche hatte; ich fiel einem Advokaten in die Hände und sah mich nach wenigen Monaten arm wie eine Kirchenmaus in dem fremden Lande. Der englischen Sprache vollkommen mächtig, wollte ich mich dann mit literarischen Arbeiten beschäftigen. – Deutsche wie Amerikanische Zeitungen erwiesen sich auch gleich bereitwillig, meine Artikel abzudrucken, aber – an Honorar war nicht zu denken.

Als Advokat aufzutreten, wagte ich nicht – bei der Oeffentlichkeit und Mündlichkeit des Gerichtsverfahrens glaubte ich nicht der Aussprache und Rede so mächtig zu sein, einigermaßen mein Glück zu machen – wohl rieth man mir dagegen nur dreist und geradezu in der Medicin zu prakticiren, doch dazu besaß ich, bei meinen mittelmäßigen Fähigkeiten nicht Frechheit genug – was blieb mir übrig? – Handarbeit. Aber auch darin zeigten sich anscheinend unüberwindliche Schwierigkeiten – die meiste Arbeit, die hier verlangt wird, ist mit der Axt – mein Arm war darin ungeübt – was anders sollte ich ergreifen? so wurde ich denn – Du lächelst sicherlich wenn Du die Zeilen liest – Feuermann oder Heizer auf einem der Mississippi-Dampfboote.

Erlaß mir die Beschreibung dessen, was ich darauf erlitten, mit schmutzigen Negern mußte ich fast unmittelbar Mahl und Lager theilen, der rauhen Behandlung der Ingenieure ausgesetzt, auf die Willkühr des Capitäns angewiesen, der uns in New Orleans, eine halbe Stunde vorher ehe er abfuhr in kaum halbwerthigen Banknoten den sauer verdienten Lohn auszahlte. –

Ich ging allerdings wieder auf ein anderes Boot, wurde aber krank und liege nun jetzt hier in Cincinnati in einem erbärmlichen deutschen Boardinghause. Komm ich wieder zu Kräften, seh ich mich nach neuer Arbeit um, jedenfalls aber schreib mir recht bald, mein theuerer Theodor – Du glaubst nicht, wie ich mich nach einem Brief aus der theueren Heimath sehne. Es grüßt und küßt Dich tausendmal Dein

Carl von Horneck.

P. S. Eben wie ich schreibe, entsteht unten auf der Straße ein Scandal – die liebe Jugend hatte in tollem Muthwillen Stroh und Heu mitten in Sycamore street aufgehäuft und angebrannt, so daß aus den entfernteren Theilen der Stadt schon die Spritzen herbeikamen. Nein, was diese Amerikanische Jugend für eine Brut ist, davon kann sich, weiß es Gott, kein Ausländer einen Begriff machen.

Zweiter Brief.

Aus dem Staat Wisconsin am 14. August 1848.

Lieber Vetter!

Als ich Dir vor so und so viel Monaten vom Staat New York aus schrieb, da war mir's recht häßlich und trüb zu Sinn – Alles ging contrair, Alles war anders wie ich es mir gedacht, Alles anders wie ich es bis dahin gewohnt gewesen, und die ganze Welt sah mir deshalb schwarz und düster aus. Es ist auch wirklich gar ein böses Ding um die lockenden Beschreibungen, die uns alles mit überbunten Farben ausmalen; die Einbildungskraft thut dann auch noch das ihrige, und findet man nachher nicht wirklich auch jede Kleinigkeit wie man sie sich gedacht, so wird man mürrisch und fängt ohne weiteres an, am hellen Tage Gespenster zu sehn.

So war ich z. B. in Deutschland bequeme warme Häuser gewöhnt, und fand hier, im Verhältniß zu denen elende Hütten, dachte aber nicht daran, daß das ja jedes eigne Schuld ist, wer sich sein Haus nicht so wohnlich und behaglich einrichtet wie es ihm gefällt. Auch die Viehzucht stand mir nicht an; ja, da war mir vorerzählt, man brauche eine Sau nur in den Wald zu lassen und nach der gehörigen Zeit käme sie mit zehn, elf Ferkeln wieder zu Hause und die Ferkel kriegten wieder Ferkel und so fort, bis unabsehbare Heerden daraus würden. Ja lieber Gott, so bequem ist die Viehzucht nicht, aber sie bietet im Verhältniß zu Deutschland doch ungeheuere Erleichterungen, und wer da nur mit einigermaßen gemäßigten Ansprüchen herkommt, muß sie befriedigt finden.

Auch der Ackerbau ist den hiesigen Bedürfnissen vollkommen entsprechend, und die Cultur steigt, wie diese sich vermehren. Mit den wilden Thieren ists dabei eben nicht so arg, der Schaden den die thun, kann man ertragen und die Insekten, nun ja, das ist verwünschtes Zeug, und ich wollte der Böse holte den Schwarm und verwendete sie vielleicht auf irgend eine zweckmäßige Art im Fegefeuer – aber – es läßt sich eben ertragen – vollkommen ist kein Land.

Doch, Du willst in Deinem letzten Briefe wissen wie es mir geht und scheinst schon das Schlimmste zu fürchten – ich habe Dir durch mein Schreiben vielleicht Ursache dazu gegeben – doch sei nicht ängstlich, es ist nicht so gefährlich. – Im Staat Wisconsin, in der Nähe von Milwaudie habe ich mir, für einen nach deutschem Maasstab ungemein billigen Preis, eine recht hübsche Farm gekauft; auch den Keim zu einer heranwachsenden Viehzucht hab' ich gelegt, und Ställe gebaut, in denen meine Heerden im Winter Schutz gegen die Kälte finden. Die wild im Wald herumlaufenden Schweine machen dem Farmer allerdings oft viel Noth, wenn er nicht einen großen Theil derselben einbüßen will, doch mit ein wenig Fleiß läßt sich das Alles beseitigen, und meine deutschen Nachbarn versichern mich, sie kämen recht gut damit zu Stande. Auch das Ackern, über das ich mich im Anfange der vielen Wurzeln und Stümpfe wegen, so ärgerte, geht jetzt recht gut – man muß sich nur erst hineinfinden und nachher sieht man stets, daß eines jeden Landes Geräthschaften, Sitten und Kleider auch den Bedürfnissen und Eigenthümlichkeiten desselben am besten angepaßt sind und entsprechen. Für die schwere Arbeit des Urbarmachens der Waldstrecken und des Bischens Unbequemlichkeit beim Pflügen, entschädigt reichlich das herrliche fruchtbare Land – – wahrhaftig es wäre Verschwendung, wenn man das düngen wollte, und ich werde mich nicht auslachen lassen.

Allerdings ist das Leben hier nicht so gesellig wie in Deutschland, doch habe ich vortreffliche Nachbarn, und da kommen wir mit unseren Familien oft zusammen und sind dann stets recht vergnügt; und selbst das Verhältniß der Dienstleute, was mir im Anfang gar nicht behagen wollte, leuchtet mir jetzt als ganz vortrefflich ein. Die Leute werden von ihren Arbeitsgebern (nicht Arbeitsherrn, denn das Wort Master wird in dem Sinn nur von Sklavenhaltern gebraucht) eben so behandelt, als ob sie mit zur Familie gehörten und müssen deßhalb auch ihren freien Willen haben, aber nur so ist es auch möglich eine wirklich freie Generation zu erziehn, Republikaner zu bilden.

Der Arbeitsgeber wird deßhalb nicht im mindesten von ihnen geknechtet, wie ich das im Anfang glaubte, sie verschwören sich nicht zu einem festen Preis um den sie arbeiten wollen und säen dadurch Haß und Zwietracht, Gott bewahre, unabhängig in all ihren Bewegungen und ihrer Freiheit sich bewußt, gönnen sie die auch jedem anderen und Zeit und Umständen überlassen sie Lohn und Verdienst. Haben sie sich dann ein kleines Capital verdient, so beginnen sie meistens selbst und die Leute die sie dann miethen, werden wieder ebenso behandelt, als ob sie noch zusammen in einer Arbeit stünden.

Sieh, Alterchen, ich will Dich nicht etwa überreden hierher zu kommen, wenn Du aber keine zu großen Ansprüche machst, und die Verhältnisse in Deutschland wirklich so fatal werden wie Du schreibst – ei dann glaub ich, kömmst Du auch hier durch, und würdest Dich am Ende recht wohl fühlen.

Es ist jetzt hier eine kleine Farm mit guten Steingebäuden, zehn Acker urbarem und 310 Acker Holz- und Prairieland, und einem recht hübschen Anfang zur Viehzucht, mit 3000 Dollar verkauft worden, und es sind billigere wie theuerere Farmen immer zu haben. Die Gebäude darfst Du Dir aber nicht etwa groß und prachtvoll denken; sie entsprechen nur einfachen Bedürfnissen, doch sind sie wohnlich errichtet. Wir haben jetzt auch eine Brauerei hier in der Nähe und stellen ein vortreffliches Bier her.

Meine kleine Familie läßt Euch alle in der Heimath herzlich grüßen – wir hatten und haben noch von Krankheit manches zu dulden, denn die Fieber, die in dem neu urbar gemachten Boden ihren Ursprung finden, müssen im Norden wie im Süden ertragen werden. Doch geht es jetzt, trotz der ziemlich starken Hitze etwas besser, und die Nachbarn, Amerikaner wie Deutsche, sind wirklich so theilnehmend, als man es nur wünschen kann. So wenig mir der Amerikaner in den Städten gefallen hat, so sehr hat mich sein Charakter mit ihm im Lande selber ausgesöhnt; die Backwoodsmen Amerikas sind wirklich eine prächtige Menschenrace.

Doch ich komme wieder in's Schwatzen und die Kinder quälen mich, ich soll mit ihnen in's Holz gehn und wilde Weintrauben holen. Also leb wohl, mein lieber guter Vetter – nimm nochmals die schönsten Grüße und behalte lieb

Deinen

getreuen Vetter

Christoph Roßberger.

Entschließt Du Dich noch dazu hier herüber zu kommen, so laß es mich nur recht bald wissen, und ich werde Dir und den Deinen schon ein freundliches Plätzchen herrichten.

Dritter Brief.

Lüber Ludewig

Sondern nach Teksas haben se mich jezt kujenirt un nich mehr in Kendukki Hurrjeh is das vor ein Land das Ameriga wenn ich nur erscht wieder raus were gesund Die Leite hengen se hür wie gar nix un se bigen man blos einen Baum krum und hengen se dran wie bei uns de Maulwirfe. Vor das eine Ferd konnt ich gar nix un wenn ich mir aus Fersehn drauf sezte un fort ritt so war es nur Unglick das ich den Eigendimer gleich in die Straße begegnen musste un die Haue, hurrjeh wenn man einmal fort is soll man aug fort sein die vertammten Intianer suchen einem Menschen seine Fußtappen nach wer weis wie weit un alles wegen lausiche 20 Dollars und ein baar Stiebeln. Un mit di Mormonen na di sollen mich wider kommen na aber hür kommen se nich her – was kans Du denn davor wenn se dir sagen das is mein Land hol mich einmal 1 Arm voll Korn un mach 1 Schwein dot? Un denn vor en 1 faches Fersehen will mann Einen nich gleich ufhengen wie en Maulwurf un wie ich here soll es bei eich in Deitschland jezt regd hibsch sein o wenn ich doch Geld hette un hiniber kennte hir felts keinen ein das teilen un doch sagen se alle Menschen weren gleich die sin aug grade so wie bei uns de Arisdograden hole si alle der Deibel. Was ich habe das gehert aug mein Nagbar dass is mein Grundsaz un danag handel ich aber hir lasse se kein Menschen seine Grundseze ungeschoren, wenn alles was ich habe mein Nagbar gehert so gehert alles was mein Nachbar gehert aug mein dass is doch klar aber gottbeware aufbacken bünden un vor Gerücht schleppen is hür eins un in Anfang wollte se kurtsen Brozess mit mür machen un alle fassden mit an. Was hülft mich denn dass das keine Bolizeidiner un Schandarmen nich da sin wenn jeder en Bolizeidiner spilen will es war ein Glick dass se mich noch den Scherif hir lißen – denn Scherif nennen se di Oberschandarmen wo ich nur erst geglaubt habe es weren keine da weil se nich 3eckige Hite aufhaben wi bei uns; nimand hatte mich nich gesehn un da lißen se mich schweren hurrjeh war das en Glick un aug freie Pasasche haben se mich auf en Damfbot gegeben nach Teksas – so, mich kriegen se nich wider nach Kendukki. Lüber Ludewig wenn Du in Deitschland wo es jezt regd hibsch sein soll was eribrigsd un wenn ihr ans teilen komd so thu mich doch den gefallen un schicke mein teil heriber das ich auch nach Deitschland kann wo es jezt so hibsch sein soll un meine Frau sage sie megde mir doch 5 Daler schicken oder noch mer wenn sie kennte denn es ginge mir hir söhr schlegd un ich hette sie söhr lieb must du ihr sagen aber ich muss nu schlüßen. so lebe regd wol un gesund un besser wie ich denn ich habe das Füber un das schitteld mich söhr un dieses winscht dein getreier Bruder

Eregott Bomaier

vergis ja nich mir mein teil zu schiken womit du mir ein großen gefallen duhn wirst es soll dein schaden nich sein wenn ich nach Deitschland wider komme un meine Frau die 5 Daler.

Vierter Brief.

Theuerer Scharffenstein.

Nur mit wenig Worten möchte ich eine Bitte an Dich richten. Du weißt, daß ich außer Dir in ganz Deutschland nur einen einzigen Menschen habe, von dem ich hoffen könnte, eine Gefälligkeit erzeigt zu erhalten – es ist dies mein Oheim in Sondershausen – gehe zu ihm und gieb ihm die einliegende Zeichnung – so sieht der Nachkomme jenes hochgräflichen Hauses, dessen Vorväter zu den stolzesten Geschlechtern des deutschen Kaiserreiches gehörten, aus – er wird mich nicht lange in dem Zustand lassen wollen.

Ich bin Feuermann auf einem Dampfboot – Du staunst? ja wahrlich, Du hast Ursache dazu, doch laß mich Dir nicht lange mein ganzes Elend vorerzählen – ich müßte es noch einmal durchleben und, Gott weiß es, ich habe keine Freude an der Erinnerung.

In meinem letzten Briefe schrieb ich Dir, daß ich selbst gesonnen sei ein großes Fest in New-York zu geben, um damit die vielen empfangenen Freundlichkeiten zu erwiedern. Ich besaß noch eine Summe die, wie ich Grund hatte zu hoffen, nicht allein vollkommen hierzu ausreichen, sondern mir auch noch ein kleines Capital zurücklassen würde, mit dem ich – aber was nützt es, Dir die Pläne zu erzählen die ich hatte. – Während dem Feste selbst brach irgend ein Schuft – wahrscheinlich Einer meiner sogenannten Freunde – bei mir ein, stahl mir Alles, selbst das letzte was ich an baarem Gelde in meiner Börse auf dem Tisch vergessen hatte, und als ich am nächsten Morgen – Tod und Pest, ich will den Gedanken nicht noch einmal zurückdenken, vielweniger schreiben.

Irgend ein boshafter Mensch, vielleicht der Dieb selber, hatte indessen das wahnsinnige Gerücht zu verbreiten gewußt, ich sei nicht allein gar nicht von Adel, sondern auch noch von unehrlicher Geburt, kurz es traf Alles zusammen mich förmlich in den Staub zu treten. Meine Erzählung des Raubes wurde mir jetzt nicht einmal geglaubt und Mr. Broadfoot, der reich gewordene Krämers- oder Schneiderssohn, kam am zweiten Morgen zu mir, that entsetzlich vornehm und bot mir zwanzig Dollar an, damit ich nur – ich wollte Du könntest die Zornesthräne sehn, die mir jetzt zwischen den Wimpern hängt – recht bald New-York verlassen könnte. Ich warf ihn die Treppe hinunter.

Ich überließ den Anordnern meines Festes meine sämmtliche Garderobe und Wäsche und Alles was ich mein nannte und behielt nur die vier goldenen Spielmarken, die ich zufällig an dem Morgen in meine Westentasche gesteckt.

Verlange nicht das demüthigende meiner Reise ins Innere zu hören – der Amerikaner des Westens staunt wohl, wenn er einen wirklichen lebendigen Grafen zu sehen bekommt, aber – er staunt eben nur und kümmert sich nicht weiter um ihn – das Volk ist selbst noch zu neu, zu erst erschaffen, um auch nur möglicher Weise Sinn für das Alterthum, und die Vorrechte desselben zu haben. Das wird später wohl auch kommen, aber was nützt das mir – ich erlebe es nicht.

Ich will Dich nicht mit den Einzelnheiten meines Geschicks oder besser gesagt meines Mißgeschicks langweilen, es trieb mich zuletzt auf ein Dampfschiff und drückte mir die Schürstange in die Hand – ja wäre noch Krieg gewesen – aber nein, ein ehrlicher Soldatentod wird mir versagt und ich muß jetzt hier, um wenigstens noch auf ehrliche Weise mein Brod zu verdienen, die elendesten Sklavendienste thun.

Mein Oheim wird Dir eine kleine Summe für mich einhändigen, die wenigstens ausreicht mich anständig zu equipiren und meine Reise nach Mexico zu bestreiten; ich will dort in mexicanische Dienste treten, möchte das aber nicht eher, als ich dort meinem Range angemessen erscheinen kann.

Wären Euere Verhältnisse jetzt nicht so traurig in Deutschland, so kehrte ich augenblicklich zurück, was aber ist gegenwärtig dort für einen Mann von meinem Stande zu hoffen? – nein, da lieber noch hier die Schürstange, wo mich Niemand kennt.

Schreibe mir recht bald, ich erwarte in heißer Sehnsucht die Rettung aus diesem traurigen Zustand.

Dein

Hugo.

P. S. Meine Adresse ist – Mr. Hugo – care of Bridle & Smith Nro. 8 Tchapitoulas street New Orleans. U. S.

Einen Leidensgefährten habe ich auf unserem Boot getroffen – ebenfalls einen deutschen Edelmann Namens v. Horneck, doch verschweige ich ihm meinen Namen und halte mich überhaupt von ihm entfernt – ich theile seine Ansichten nicht.

Fünfter Brief.

Staat Indiana am 1. August 1848.

Liebe Eltern und lieber Bruder.

Es freut mich recht herzlich Euch dießmal einen besseren Brief schreiben zu können, denn es geht mir lange nicht mehr so schlecht als damals, wie ich den letzten Brief an Euch schrieb. Soviel habe ich allerdings eingesehen, daß die vielen gewaltig schönen Beschreibungen von Amerika, die uns zu Hause das Maul wässrig gemacht haben nach all den guten Sachen, meistens nicht wahr, oder doch wenigstens so gestellt sind, daß man sich nicht recht hineinfindet, wenn man mit der Sache nicht recht vertraut ist, und sich nachher bei allem Schönen noch immer das Schönste dazu denkt. Und die Leute thun sehr Unrecht, die solche schönen Beschreibungen hinaus schreiben, aber ich weiß auch warum es geschieht, entweder schämen sie sich offen einzugestehn wie schlecht es ihnen geht, wo sie doch früher so geprahlt haben, oder sie sitzen auch, wie es mir hier die Leute gesagt haben, an so einsamen Plätzen und so in Noth, daß sie nur dadurch ihre Lage verbessern können, wenn sie noch recht viel andere Menschen auch dort hin ziehn.

Daß ich nun im Anfang um alles betrogen bin was ich hatte, das geht vielen Deutschen so und ich kann mich da mit vielen trösten, wer aber hier gesund ist und Lust hat zu schaffen, der kommt auch fort und wenn er eben so wenig hätte wie mir geblieben war. Aber zu keine Deutschen sollten die deutschen Handwerker gehn, wenn sie auswanderten, sondern immer zu Amerikaner. Die Deutschen sind erstlich auch nur herübergekommen um ihr Glück zu machen, und reich zu werden und die geben am wenigsten her, wenn sie's wirklich haben, und besonders an Deutsche, wo sie schon wissen daß die's zu Hause schlecht gewohnt sind. Und dann lernt man auch bei Deutschen nie im Leben die englische Sprache, die man doch als Handwerker so zu seinem Fortkommen braucht, und in deutsche Colonien muß man gewöhnlich was einzahlen, oder Land vorauskaufen wodurch man sich an die Stelle bindet, und nachher bleibt man gewöhnlich lieber sitzen, ehe man sein Bischen Eingezahltes im Stich läßt. Und die Deutschen sind auch nicht immer die besten; die bei denen ich arbeitete haben mich recht betrogen und sich viel Geld an mir verdient.

Endlich und nach und nach hab ichs aber gemerkt, und da bin ich zu Amerikanern gegangen und da hab ich viel besseren Lohn gekriegt und viel bessere Kost, und habe in kurzer Zeit englisch gelernt, so daß ich mich schon recht gut verständlich machen kann. Das klingt einmal komisch, liebe Eltern, das englisch, und im Anfang kams mir vor als ob die Leute die kauderwelschen Worte nur so Hals über Kopf heraussprudelten, daß kein Mensch einen Sinn hinein finden konnte, aber wie man sich ein Bischen dran gewöhnt, klingts ganz natürlich, und hat alles seinen Sinn, wie das Deutsche.

Was nun das betrifft, daß viele Menschen hier brodlos herumlaufen, und worüber Du Dich besonders in Deinem letzten Briefe wunderst lieber Vater, so hat das auch wohl seinen Grund. Es ist hier in Amerika gar keine Schande wenn einer umsattelt, und was anderes wird als was er draußen gelernt hat – hier arbeitet jeder was er gelernt hat, und wenn ein Schuster Kleider oder ein Schneider Schränke macht, so schadet das gar nichts, wenn er sie nur gut macht und Geld für seine Arbeit kriegen kann. Man muß sich auch nicht allein auf das setzen wozu man in Deutschland aufgezogen ist, und sonst gar nichts thun wollen, sonst kann man leicht brodlos werden. Ein armer Mann hat aber hier rechte Gelegenheit es zu was zu bringen und sein Auskommen zu haben, viel eher wie in Deutschland, denn wenn er nur ein klein Bischen fleißig ist, so kann er sich leicht was zurück legen, und wenn er nur einen ganz kleinen Anfang hat, so kann er es nachher leicht zu was bringen, denn die Amerikaner unterstützen recht gern arme Leute und die Nachbarn helfen ihnen wo das nur immer angeht. Und ein armer Mann, der in Deutschland recht viele Kinder hat, der kommt immer mehr in's Unglück, aber hier in Amerika, da ists gerade umgekehrt. Hier sind die Kinder ein Segen und helfen den Eltern auf, wenn sie alt und schwach werden. Ein armer Mann ist hier auch geachtet und es kommt nicht auf den Rock an den ich trage.

Das Land und Vieh ist hier alles sehr billig und gut und man kann mit ein weniges eine rechte hübsche Farm kaufen, denn Farm nennen sie hier ein Landgut, aber ein Deutscher, der hierherkommt, und der die Sitten und Gebräuche noch nicht kennt, der sollte sich doch ja nicht gleich ankaufen, denn dann muß er gewöhnlich aus eigener Tasche Lehrgeld zahlen und verliert vielleicht alles, was er mitgebracht hat. Am besten ists, er arbeitet erst eine ganze Zeit bei Amerikanern und lernt die Axt gebrauchen und den Amerikanischen Feldbau, denn der ist ganz verschieden von dem deutschen, und wenn er nachher ein oder zwei Jahre im Lande ist, dann kann er sich leicht ankaufen, und dann thun ihm 100 Dollar so gut, wie sonst vielleicht nicht 500, ehe er Lehrgeld bezahlt hatte. Ich arbeite noch immer bei den Amerikanern und ich befinde mich recht wohl, wenn ich aber erst ein kleines Gut habe, was gar nicht mehr so lange dauern kann, denn der Amerikaner hat mir versprochen, daß er mir helfen will, dann müßt ihr zu mir herüber kommen, liebe Eltern und lieber Bruder, und dann wollen wir hier recht vergnügt leben auf meinem eigenen Land.

Mit nächstem Jahr kann das vielleicht schon gehn aber ich will noch nichts vorher bestimmen, denn es thut einen nachher leid wenn so eine Freude zu Wasser wird. Und bis dahin grüßt Euch, liebe Eltern und lieber Bruder herzlich und von ganzer Seele

Euer Traugott Erdmann.

Den Brief für mich schickt nur nach der Stadt Vincennes in Indiana, da hol ich ihn mir schon ab, ihr müßt aber meinen Namen englisch darauf schreiben, liebe Eltern, wie sies hier machen. Der Amerikaner wird mirs hier drunter schreiben wie es sein soll.

Mr. Traugott Erdmann
to be left at Vincennes post office

I–a    U. S.

Sechster Brief.

Indiana den 15. August 1848.

Mein herzlieber Carl.

Ich hatte geglaubt Dir um diese Zeit, und wenn auch nur wenige Monat verflossen waren, schon einen Bogenlangen Brief, mit lauter Jagdabenteuern gefüllt, schreiben zu können, aber Du lieber Gott, wie hab' ich mich hier in der Amerikanischen Jagd geirrt. Fast schäm' ich mich auch, Dir in allen Stücken, besonders was meine eigenen Erlebnisse betrifft, die volle Wahrheit zu schreiben, aber – es kann doch nichts helfen, es muß heraus, am Ende kämst Du sonst selber, von meinen früheren Schilderungen verlockt, und mit den Hoffnungen müßtest Du Dich in einem Paradiese enttäuscht finden.

Um also das Fatalste gleich von vorn herein los zu werden, will ich auch ohne Weiteres mit dem beginnen. Denke Dir, dieser einfache ehrliche Farmer, den ich für so unschuldig hielt, daß ich mich fürchtete den Handel mit ihm abzuschließen, weil ich mich der Sünde scheute ihn zu übervortheilen – dieser gutmüthige Bursche, dem ich noch, um ihn ja in jeder Hinsicht zufriedenzustellen, eine wundervolle, – Esel ich – Büchse für 60 Dollar kaufte, war – ein abgefeimter Hallunke, ein ächter Yankee und Betrüger. Der Lump hat mich mit einem erbärmlichen Improvement für 250 Dollar angeschmiert, das ich hier mit größter Bequemlichkeit an jedem Tage für 50 Dollar kaufen könnte. Doch das ist das wenigste, das verzieh ich ihm gern, es wäre ein kleines Lehrgeld, wenn all seine sonstigen Aussagen nur auf Wahrheit begründet gewesen wären, aber beim Himmel, der Kerl hat kein wahres Wort über die Zunge gebracht, und ich glaube meiner Seele, er lügt sogar im Traume.

Daß er Bären aus seinem Küchenfenster schießt, ist aus zwei Gründen unmöglich – erstlich hat er in dem Haus gar keine Küche, denn das was die Leute hier Küche nennen, ist nur ein Schuppen und hat wieder gar kein Fenster, und dann – wenn wirklich Küche und Fenster da wären, – giebts keine Bären. Keine Bären? – rufst Du erstaunt, das ist aber noch nicht Alles – auch keine Hirsche, Panther, Truthühner und wie das Zeug sonst alles heißen sollte, was hier, des alten Jägers Aussage nach (soll mich der Böse holen wenn ich jetzt glaube, daß der Kerl überhaupt ein Jäger war) den Wald förmlich durchwimmelte. Opossums oder Beutelratzen schießen sie hier manchmal - ekelhaftes Zeug, das hauptsächlich vom Aas lebt, und das man auch oft mit dem Stocke todt schlagen kann, also gar kein jagdbares Wild. – Truthühner lassen sich in der That manchmal blicken, auch kommt zu Zeiten ein Hirsch in die Nähe der Farm, doch, Du lieber Gott, da kann sich Einer die Beine ablaufen, ehe er von denen nur etwas zu Gesicht bekommt.

Du kannst Dir übrigens einen Begriff machen wie die Jagd hier bestellt ist, wenn ich Dir einen kleinen Auszug aus meinem, wie Du sehn wirst, sehr hoffnungsvoll angelegten Beuteregister mittheile; ich thue das übrigens auch mehr mir zur eigenen Strafe, als Dir zur Erbauung, denn ich habe mich im vorigen Monat, trotz all der gemachten Erfahrung, doch einmal wieder nach Canada hinauf zur Bärenjagd sprengen lassen, und natürlich weder etwas geschossen, noch überhaupt gesehen:

Bären Panther Büffel Hirsche Füchse Truthühner Anderes Wild
1 1 17 Prairiehühner.
20 Rebhühner.
13 Kaninchen.

Den einen Hirsch schoß ich am Wabasch und den einen Truthahn Morgens dicht bei der Ansiedlung, wohin er sich, Gott weiß wie, verirrt hatte. In Illinois war ich einmal drüben und schoß eine hübsche Parthie Prairiehühner – Dinger so groß wie unsere Haushühner, aber an größeres Wild, wie Bären, Panther und Büffel ist gar nicht zu denken. Büffel sind nun vollends in die Möglichkeit weit gen Westen getrieben; ein alter Bär kommt dagegen manchmal hier durchgeschlendert, und ist auch im vorigen Jahr einer in der Gegend geschossen worden – das wird aber als Merkwürdigkeit erzählt.

In der Nachbarschaft des Ortes, wo ich auf der Farm des alten Mannes meinen Wohnsitz aufgeschlagen habe, ist die Jagd nur höchst mittelmäßig und was der Strick, der wahrscheinlich gewittert hatte ich sei ein leidenschaftlicher Jäger, von der Gefahr erzählte, in welcher der ganze Viehstand durch die Masse der wilden Thiere schwebe, ist eine nichtswürdige Fabel. Wölfe giebt es allerdings hier viel, und die Regierung hat eine Belohnung auf jeden Wolfsscalp gesetzt, so scheu aber sind sie und so schlau, daß ich, der ich in der ersten Zeit besonders den Wald von Morgens bis Abends nach allen Richtungen durchstreifte, noch nicht einen einzigen Wolf zu Gesicht bekommen, vielweniger erlegt habe.

»Hirsche für die Hunde erlegen,« ei so lüg du und der Teufel, und ich dankte jetzt Gott, wenn ich selbst ein Stück Wildpret hätte, aber Gott bewahre, trocknes Rindfleisch muß ich kauen oder Speck essen und will ich denn nun einmal Wild haben, so sind's Eichhörnchen, die man hier verzehrt, und die auch wirklich ausgezeichnet schmecken. Du lieber Gott, wer mir in New-York gesagt hätte, daß ich in Indiana, viele hundert Meilen im Westen drin, auf die Eichhörnchenjagd gehn würde. Muß der Schuft über mich gelacht haben, wie ich ihm die Büchse kaufte, – nun weiß ich auch weßhalb er gepfiffen hat.

Und das sogenannte Improvement ist keine 20 Dollar werth; das beste Improvement das ich auf dem ganzen Besitzthum machen könnte, wäre, wenn ich die beiden wahnsinnigen Blockhütten die darauf stehn, ansteckte – thu' ichs nicht, so stürzen sie mir doch nächstens einmal auf eigene Faust über dem Kopfe zusammen; und das Land – da könnt' ich wieder von vorn anfangen und urbar machen – Alles ist mit Büschen und Bäumen wieder bewachsen und kaum ein Platz von einem halben Acker frei, wo der Schuft Kartoffeln hat stehn gehabt. Von den Kühen sind bis jetzt auch erst zwei aufzufinden gewesen und mein einziges Vergnügen hab' ich noch an den Schweinen – die sind so wild, daß ich jedesmal förmlich auf die Jagd gehen muß, wenn ich eins haben will – selten komm ich dann in gute Schußnähe heran; muß jedoch jedesmal bei solcher Gelegenheit einen Farmer bitten, mich zu begleiten, weil ich mein Zeichen oder dem Lump sein Zeichen vielmehr nicht aus dem andern heraus erkennen kann. – Die Schweine sind nämlich mit Schlitzen und Löchern im Ohr »gemarkt«. Es hat mir neulich ein Nachbar hier für Land und Vieh, wie's daliegt 50 Dollar geboten; wenn der Thor genug ist das noch einmal zu thun, hat er's, und mög's ihm wohl bekommen.

Doch nun ein Wort zu Dir über Amerikanische Jagd, denn ich sehe Du verlangst darnach. Lieber Carl, die Sache habe ich mir ganz anders gedacht. Ja Du lieber Gott, in Deutschland hat man davon ganz falsche Begriffe. Die Jagd war das in den Vereinigten Staaten, was wir jetzt noch von ihr erwarten, aber seit langen Jahren ist ja auf das Wild förmlich hineingewüthet, und da muß es wohl einmal dünn werden. Ich habe hier vor einigen Tagen einen Jäger aus Arkansas – dem besten Jagdgrund der Union gesprochen, und der hat mir ganz aufrichtig das folgende mitgetheilt.

Es giebt noch Gegenden in Arkansas und überhaupt westlich vom Mississippi, wo ein guter Schütze, und besonders einer der mit dem Wald bekannt ist und sich nicht leicht verlaufen kann, seinen Hirsch und auch manchmal einen Bär schießt; auch Truthühner soll es dort noch an gewissen Plätzen in ziemlicher Anzahl geben, aber die Zeit, wo man die Bären aus den Fenstern schoß, ist für die Vereinigten Staaten vorbei. Auch von der Jagd leben, wie ich das früher fest geglaubt, kann kein Mensch mehr dort, er verstände denn wirklich weiter Nichts als leben darunter, aber was für eine Existenz wäre das; Jahraus und ein ununterbrochen im Walde zu liegen und weiter keine Abwechslung zu haben, als die, die sich ihm zwischen frischem und getrocknetem Fleische bietet.

Was den Verkauf des erlegten Wildes betrifft, so giebt es an den Stellen, wo Wildpret überhaupt einen verkäuflichen Werth hat, weder Hirsche noch Bären mehr, und wo die noch existiren, da ist man froh, wenn man einmal ausnahmsweise für einen ganzen Hirsch acht Groschen kriegt, oder die Keulen zum Verkauf trocknen kann. Zu verdienen ist aber mit der Jagd gar Nichts und nach alle dem, was ich jetzt darüber gehört – denn die Aussage des Arkansas-Mannes wurde mir von Mehreren bestätigt, bin ich überzeugt, man kann, wenn man in noch unbesiedeltem Lande sich niederläßt, dann und wann einmal seinen Hirsch oder Truthahn schießen und in sofern, wenn man die Jagd als Erholung betrachtet, Nutzen daran haben, indem man das selbst verzehrt, was man erlegt, sonst aber als Erwerbszweig ist diese Sache Essig.

Doch genug für jetzt, mein guter Carl, ich werde wahrscheinlich weiter westlich ziehen, und sobald ich meinen neuen Wohnsitz bestimmt habe, sollst Du mehr von mir hören. Bis dahin grüßt Dich herzlich Dein

Fritz Sternberg.

Siebenter Brief.

Guter Edde und allerbeste Mämme.

Gott der Gerechte was is das vor a Land, Edde? Nehmt de Mämme und den Schmul und den Moses und de Rachel, und bringt se so schnell ihr kennt nach Amerika. Wie haißt Amerika – Canaan sillts haiße – soll mer Gott helfe und will ich nich gesund auf meine Fiße stehn. Seekrankheit? – wie haißt Seekrankheit? – Cholera, s' böse Wesen und die Pocken – Alles wär net ze viel wenn mer nur kennt damit komme nach Amerika.

Was ich for Geschäftcher gemacht hab, sait ich in Amerika bin? – frog mich der Edde mol noch meine Geschäftcher – bin ich jetzt drei Monat in's Land gewese und was hab ich verdient in die drei Monat? – will ich nich gesund auf meine Fiße stehn – 700 baare Dollars klingende Münze hab ich verdient, un womit hab ich die Geschäftcher gemacht, mechte der Edde wissen? mit klaine winzig klaine Paket'ger hob ich se gemacht, un nur getauscht hab ich Silber mit Silber wie en ehrlicher Mann.

Nu die Geschicht is gar ainfach – hab ich mich doch geferchte in Anfang in 'en Wald ze gehn, aus Forcht vor die wilde Katzen und Bären. – Wie haißt wilde Katzen – will ich nich gesund auf meine Fiße stehn wenn ich nich schon drai Monat im Lande 'rim handle und noch nich gesehn habe an ainzige wilde Katz, vielweniger en Kater. Aber was sin das vor Menschen hier im Land, in Pensilvanien und Ohio und in Indiana und Kentukki? – Gott der Gerechte, Menschen sind's wie die Kinder, so unschuldig wie die Täubcher. Die Mämme hätt' ihre Fraid gehabt, wenn se's hette sehn kenne, wie se den Veitel getracktirt haben un in was ver schaine Betten er geschlofen hat. Und mit was hat der Veitel hauptsächlich gehandelt? – Fragt ämol den Veitel mit was er gehandelt hat? – mit Juwelen Bischutterie und silberne Leffeln hat er gehandelt, will ich nich gesund auf meine Fiße stehn, wenn er nich gehandelt hat mit Bischutterie und silberne Leffeln.

Aber den Edde muß ich vorher in's Gehaimniß lasse – das Englisch is nemlich a ganz firtreffliche Sprach – un 's drickt die Sach so gnau aus, wo's sie beschreibt, daß mer's im Dunklen erkennen kennt. In Daitschland haißt's Argentan oder Neisilber – wie haißt Neisilber – was thu ich demit ob's nei oder alt is? wos vor a verständiger Mann is devor der Amerikaner – der nennt's deitsches Silber, Dschermen Silwer wie se hier sagen, un wenn ich gekommen bin zu die Lait und hab ihne gebracht Leffeln von Dschermen Silwer so habe se mich gewehnlich gefragt – wie haißt Dschermen Silwer – is das was besonderes oder was anderes als Amerikanisches Silber? »Gott der Gerechte« hab ich denn aber gesagt – »muß doch Silber haißen wenn es in Dschermani is, Dschermen Silber und wenn es in Amerika is, Amerikanisches Silber, will ich nich gesund auf meine Fiße stehn, wenn da waiter en Unterschied is als der Prais – wir Deitsche nehmen mit wenig Verdienst vorlieb – aber mer sin reell.« Gott der Gerechte sill mer beistehn wann ich nich habe gehabt 700 Procentchen un die ainzige Unbequemlichkait in der waiten Gotteswelt, daß ich nich bin wieder gekommen ganz genau in die Gegend.

Un hab ich immer geglaubt, 's wär ä Unglick daß uns Kainer kennt hier und mer net Credit hättet – wo so Unglick g'rod des Gegenthail ist's – Gottes Wunder was wir Jüdden hier vor en Credit haben – 's geht ins Hebräische hinain und immer waiter, immer waiter. Im Anfang en klans bissel un nachher immer greßer und der Itzig Löwenhaupt hat schon 5 Städte, wie er sogt, wo er nich mehr hinkommen derf, bei mir fangts aber erst an un der Itzig is schon a angesehener raicher Mann.

Gott der Gerechte, wenn ich doch de Rachel hier hätte, was hat mer hier en Feld vor Geschäftcher, und den Edde und die Mämme aber se alle missen noch her kommen nach Amerika. – Wie haißt Bamberg? – was thu ich mit Bamberg –? net abgemolt mecht' ich sain in Bamberg.

Un frogt ämol den Veitel wo er sain klan Kerbche hindahn hot, mit dem er is schachere gange, un wo ihn die Lait haben uf die Stroß gesetzt, geschwinder als er is hinain gekomme? – Gottes Wunder, wie haißt Kerbche jetzt? un der Veitel hat ä klan's Wägelche un ä lebendiges Pfärd, un oben druff sitzt er mit seine Packjes und kutschirt im Lande herim wie ä Färscht – frogt ämol den Veitel wo er sain klan Kerbche hindahn hot.

Gott behit's Edde und Mämme – macht Eich kaine Sorg' um den Veitel, es geht Eirem Jingelche gut – so grißt mer de Rachel un der Simon soll riber kommen mit sain klain Handel und der Stern und der Rosengarten – aber sogt en nix von die Leffeln, Edde – wo ich gewese bin kenne se doch nix verdiene un setzen sich nur Unannehmlichkeiten aus – und wo ich nich gewesen bin – Gottes Wunder, was brauch ich do den Stern und den Simon und den Rosengarten? do geh ich selber hin.

Gott behits noch e mol, Edde und Mämme und es grißt Eich herzlich

Eier lieber Sohn

Veitel.

Der Klöppeldistrict des sächsischen Erzgebirges.

Es ist seit langen Jahren, und besonders seit der Zeit, wo ich die Vereinigten Staaten von Nordamerika kennen gelernt, immer ein Lieblingswunsch von mir gewesen, die unglücklichen Proletarier unseres so sehr übervölkerten Vaterlandes nach jenen fruchtbaren Gefilden der neuen Welt hinübergeschafft und sie so ihrem fürchterlichen Elende gewissermaßen mit einem Gewaltstreich entrissen zu sehen. Bis jetzt ist das freilich noch ein frommer Wunsch geblieben; die Idee einer solchen Auswanderung durchzuckte mir auch nur manchmal in form- und gestaltlosen Bildern das Hirn, ich hatte mir selbst noch keine Rechenschaft darüber gegeben oder das Für und Wider solcher That geprüft und erwogen. Als uns aber der wieder und immerwieder kehrende Jammer jener Gegend stets zu neuer Hülfe und Unterstützung rief, als ein Nothschrei nach dem andern aus den Bergen drang, da stieg der alte Wunsch in mir immer lebendiger und kräftiger auf und im Geiste sah ich schon die Schaaren fröhlicher Auswanderer auf wogender See einem neuen, glücklichen Leben entgegeneilen.

Wohl sprach ich mich jetzt gegen Freunde und Bekannte darüber aus und suchte zu erfahren, auf welche Art ein solcher Schritt möglicher Weise zu realisiren wäre; die Leute schüttelten aber fast Alle mit dem Kopf und sagten einfach: »Das geht nicht – das thut's in den Gebirgen nicht – der Bergbewohner klebt an der Scholle und ist nicht fortzubringen, ja kann nicht einmal in seiner nächsten Umgebung verwendet werden; überdies sind sie schwächlich und entnervt und würden unmöglich die schwere Arbeit des Landurbarmachens ertragen können.« – Und gleich danach kamen unzählige Beispiele von Dienstmädchen, die es wundergut bei ihren Herrschaften hatten und doch nicht aushielten, sondern wieder zurück in's alte Elend liefen, – von Knechten, die entweder ihrer Arbeit nicht gewachsen, oder aus anderen Gründen nicht zu bewegen gewesen waren außer dem Gebirge auszuhalten, und das Resultat blieb stets das nämliche: ein solcher Versuch wäre unnütz – die Leute hielten es nicht aus.

Dem konnte ich nicht mehr widersprechen, denn ich kannte die Menschen ja nicht, über die ich solches Urtheil hörte; der Gedanke ließ mir aber keine Ruhe und ich beschloß einmal selbst hinauf zu wandern und mich an Ort und Stelle von der Wahrheit des Gesagten zu überzeugen. Allerdings war es damals gerade Winter und das Erzgebirge wird in dieser Jahreszeit von den Bewohnern des flachen Landes gewöhnlich für eine Art von Sibirien gehalten. Das schien mir aber auch in sofern die passende Zeit, als ich die Familien mehr zusammenfand und mich eher davon überzeugen konnte, ob die »Stubenhocker« auch wirklich für jede andere Arbeit untüchtig und verloren wären. Angenehm war es mir, daß ich mit einem Spitzenhändler Hrn. H., die Reise wenigstens zum Theil gemeinschaftlich machen konnte; ich wurde dadurch gewissermaßen in jene Gegend eingeführt und brauchte meine Zeit nicht mit langem Suchen zu verlieren.

Am ersten Tag erreichten wir Eibenstock, eine aus lauter Eckhäusern bestehende Stadt, und ich fand mich hier, wenn auch noch nicht mitten unter ihnen, doch schon im Bereich der Unseligen, die den Titanenkampf gegen englische Fabrikate kämpfen.

In und um Eibenstock wohnen eigentlich mehr die Tambourirer als Klöppler, aber auch hier hat das Elend schon seine Vertreter; bleiche abgemagerte Gestalten, die von Morgens, bis Abends spät, über dem Stickrahmen beugen und mit geschäftigen Händen die Erhaltung ihres Lebens, wenige Neugroschen, zu erstreben suchen. Durch den freundlichen Eifer des Herrn Oberförster Thiersch ist erst jetzt ein Arbeitshaus errichtet, wo die Kinder ganz armer Eltern wenigstens in warmer Stube und bei freiem Lichte arbeiten können. Manches arme Kind, das bis dahin bettelte, verdient doch jetzt wenigstens etwas die Woche; aber die Preise sind heruntergedrückt, eine gute Arbeiterin kann mit aller Noth wirklich nur wenige Groschen verdienen, und Sorge und Mangel furcht die bleichen farblosen Wangen.

Auch eine Schwefelholzfabrick – von lauter Kindern – ist in Eibenstock. Hier werden Streichhölzchen fabricirt – die gewöhnlichen Streichhölzchen in Papierkapseln, unten mit Sand beklebt. – Die Kapsel, die vielleicht 60 bis 80 Stück enthält, zu – einem Pfennig. Und die Kinder leben und athmen die ganze Zeit in dem Phosphordampf – einzelne Eltern behielten sogar die Kleinen zu Hause, weil sie »den Geruch nicht aushalten konnten,« den jene mitbrachten; – die Noth zwang sie aber doch bald wieder dazu, sie an die Arbeit zu schicken und – sie gewöhnten sich endlich daran.

Von Eibenstock brachte uns am nächsten Tage ein vierstündiger Marsch, oder eigentlich mehr Spatziergang, durch prächtigen schneegefüllten Nadelwald und malerische Schluchten und Thäler, bergauf und ab nach Breitenbrunn. Aber schon unterwegs kamen wir durch einzelne Klöppeldörfer und die Fenster füllten sich überall, wie sie die fremden Männer vorbeigehen sahen, mit einer wahren Unmasse von kleinen Köpfen. Jedes einzelne Haus sah aus, als ob es eine Kinderbewahranstalt wäre.

Mir graute es im Anfang davor, eines derselben zu betreten; die niederen Stuben sahen von Außen alle so dumpfig und gedrückt aus; wie erstaunte ich aber, als ich mich endlich überwand, über die Reinlichkeit und Ordnung, die in diesen Räumen der Noth und des Elends herrschten. Das erste derartige Zimmer, was ich sah, war in Sosa, einem kleinen Dorfe zwischen Eibenstock und Breitenbrunn. Mehre Familien, wie das im Erzgebirge gewöhnlich der Fall ist, wohnten darin, und ein paar junge Mädchen waren noch mit ihren Tambourir- und Stickrahmen aus der Nachbarschaft zum Besuch gekommen – d. h. nicht etwa zum Kaffee und zum Plaudern, die Armen haben keine unnütze Zeit zu versäumen und keinen Kaffee zu trinken, sondern um gemeinschaftlich im warmen Zimmer die mühsame Arbeit zu fördern. Nur einige von diesen tambourirten, die übrigen klöppelten, und ich hörte hier zum ersten Male das monotone, unheimlich raschelnde Geräusch der hin und hergeworfenen Klöppel.

Es waren weiche, schwächliche Gestalten, aber ihre Gesichter sahen nur bleich, nicht kränklich aus – die Stubenluft und die sitzende Arbeit lähmte ihnen nur die Körper- und Geisteskraft, und hatte sie noch nicht ertödtet. – Die unheilvolle Ursache einmal beseitigt, und nicht ausbleiben würde die segensreichste Wirkung; nur das gutmüthige Lächeln, mit dem sie die Fremden empfingen, hatte etwas Leidendes. Das Ganze war mir aber noch zu neu – ich schämte mich zu fragen, ich hielt es für Sünde, diese Armen, Unglücklichen auch noch durch, wie sie doch jedenfalls glauben mußten, bloße Neugierde zu kränken; erst später verlor sich das, als ich Hütte nach Hütte betrat und an den Jammer gewöhnt, endlich auch Worte fand, seinen Grund zu erfahren, ohne mehr zu fürchten, den Gefragten wehe zu thun.

In Hütte nach Hütte aber fand ich dieselben Gestalten, fand ich dasselbe Leid – ein Dorf glich darin dem anderen, und nur manchmal, wo das Elend seinen höchsten Grad erreicht, wo die Unglücklichen nicht allein kein Bett, sondern nicht einmal einen Platz hatten ihr Stroh trocken hinzulegen, auf dem sie Nachts die erschöpften Glieder ausstrecken, so daß dieses also in den Stuben bleiben mußte, sahen dieselben unordentlich und dadurch unreinlich aus. Die natürliche Folge davon aber ist, daß der Staub und Schmutz ihre Arbeit unansehnlich macht, und sie nun auch noch mit den Preisen gedrückt werden.

Die Klöppelarbeit erfordert nämlich die größte und möglichste Reinlichkeit, da die Spitzen nicht mehr gewaschen werden, sondern gleich von den Kissen weg zum Verkauf kommen; die Klöppler und Klöpplerinnen haben denn auch feine weiße Hände, ihre wohl oft zerissene und tausendmal geflickte Wäsche ist schneeweiß, die Diele und das Hausgeräth auf das Sauberste gescheuert – keine Spinnenwebe in der Stube, kein Schmutz unter dem Ofen oder in den Ecken, auch das wenige irdene Geschirr – Gott weiß es, es ist wenig genug – reinlich aufgewaschen und an seinen gehörigem Ort.

Rührend ist es dabei, mit welcher Liebe der arme Erzgebirger an seiner Heimath hängt; Jeder, der mit ihm nur je in Verbindung kam, weiß Beispiele zu erzählen, wie die Söhne und Töchter der ärmsten und elendesten Familien doch nicht unter besseren Verhältnissen, aber von den Ihrigen getrennt, aushalten wollten, und lieber wieder in den alten Jammer zurück flohen, lieber das Leid zu Hause mit den Ihrigen theilten. Mir kommt das aber, was bei diesen Menschen Heimweh genannt wird, eher wie eine Krankheit, wie eine Angst vor, die sie in der ihnen fremden Umgebung erfaßt. Es ist das Alles wahr, daß die Erzgebirger nicht unter fremden Leuten ausharren wollen, daß Knechte wie Mägde guten Lohn und nahrhafte Kost verlassen und lieber an ihren Klöppelkissen oder bei der heimischen Arbeit, aber mit den Ihrigen doch zusammen, hungern und Noth leiden. Aber nicht Faulheit ist daran Schuld, wie es ihnen nur zu oft aufgebürdet wird, nicht Widerwillen ist die Schuld, den sie gegen härtere, als die gewohnte Arbeit, fühlen sollen, denn die Klöpplerin arbeitet auch von Morgens früh bis spät in die Nacht, und der Mann verrichtet im Sommer die gewiß nicht leichte Waldarbeit und bestellt sein Feld. Nein, es ist einestheils die Furcht, die das Mädchen wieder aus ihrem Dienst treibt, sich die weichen Hände zu verderben und dann zum Klöppeln nicht mehr tauglich, für immer aus ihrem Familienkreis ausgeschlossen zu bleiben; es ist das unbehagliche Gefühl, das den Knecht ergreift, wenn er sich seines linkischen ungeschickten Benehmens wegen verlacht und verachtet sieht oder auch nur glaubt, und dann in der That nicht im Stande ist, mit seinem, durch keine gesunde Nahrung gekräftigten Körper eben so viel und so gute Arbeit liefern zu können, als seine Kameraden. Ist dann auch der Herr nachsichtig mit ihm, will er ihn nach und nach gewöhnen und heranziehen, so fühlt der Erzgebirger nur zu gut, wie er indessen von seinen Mitarbeitern verachtet wird, und muß vielleicht auch noch rohe Reden darüber hören, daß er eben so viel ißt, eben so viel Lohn erhält als ein Anderer und nur halb so viel dafür leistet.

Woher kommt aber diese Weichlichkeit des Geschlechts? Woher kommt dieser abhängige, schüchterne Charakter eines Bergvolkes? Noth und Mangel hat es nach und nach entnervt. Die ewige vegetabilische Nahrung, und diese nicht einmal in einem gesunden und genießbaren Zustand, hat an seinem Mark und Leben gezehrt. Und haben diese Leute denn eigentlich wirklich gelebt? heißt das ein Leben führen? sind das mit Vernunft und Gefühl begabte Wesen, wie sie da bei dem monotonen Klappern der hölzernen Klöppel zusammenkauern und Woche aus und ein für wenige Groschen an einem vorgezeichneten Muster arbeiten, nur um zu existiren? Nein, es sind nur lebendige Maschinen, die blos da zu sein scheinen, eine gewisse Quantität Spitzen – so und so viele hundert Ellen – anzufertigen, um dann wieder zu denen, die sie zu Mangel und Jammer der Welt gegeben, in die steinige Erde gelegt zu werden.

Und könnten sie noch wirklich dabei existiren – – wären sie im Stande, wenigstens so viel zu verdienen, daß sie nicht allein das Leid, nein auch die Freude des Lebens genössen, so möchte es noch sein; aber so blieb ihnen selbst nicht einmal Zeit in ihrer Jugend mehr als die einfachsten Schulkenntnisse zu erwerben, denn sie müssen ja schon zu Hause, selbst als Kinder, mit an dem ganzen gemeinschaftlichen Tagewerke schaffen, um nicht gemeinschaftlich mit zu verhungern. Allerdings ist von der Regierung viel für Schulen gethan, so viel vielleicht, als es für einen so ausgebreiteten Strich des Elends möglich war; aber diesen Versuchen einer wohlthätigen Belehrung haben die Verhältnisse selbst, und leider mit nur zu vielem Erfolg, entgegengearbeitet.

Die Dörfer des Erzgebirges, besonders die ärmsten, wie Breitenbrunn und vorzüglich Rittersgrün, liegen über weite Bergflächen zerstreut und es ist z. B. in dem letzteren Dorfe den armen Kleinen dadurch förmlich unmöglich gemacht, bei tiefem Schnee die unten im Thal liegende Schule zu besuchen – selbst wenn sie, was leider nur zu oft nicht der Fall ist, Kleidung hätten, die sie vor Wind und Wetter schützte. Aber auch wirklich den Fall angenommen, daß sie im Stande wären, die Schule, und zwar regelmäßig zu besuchen, was haben die armen, durch ihre sonstige Umgebung in keiner Weise angeregten Kinder dann gelernt? nothdürftiger Weise etwas Lesen, Schreiben, Rechnen und – Bibel- und Katechismusverse. – Die letzteren sagten ihnen auch am meisten zu – das Hersagen solcher Verse und Lieder und das einförmige Geräusch der Klöppel paßte vortrefflich zu einander, aber dadurch zog sich der kaum entzündete Funke von Geist wieder mehr und mehr in sich zurück, und verlöschte endlich nach kurzer Zeit in dem weiten Meer des Elends, wo er mit dem Ringen nach einem Lebensunterhalte langsam aber sicher versank und keine Spur mehr in den bleichen ausdruckslosen Zügen zurück ließ.

Welchen Begriff hat ein solcher Unglücklicher von der Welt? keinen – er kennt nur den Jammer der ihn umgiebt, und nicht einmal die Hoffnung kann ihn trösten, denn was soll er hoffen? das Grab – nur im künftigen Leben, hat ihm sein Pfarrer gesagt, blüht der Lohn für sein Ausdauern und Harren und er harrt, – aber dauert nicht aus, denn er geht nach und nach physisch und moralisch zu Grunde.

In Breitenbrunn, wo wir bei dem dortigen Pastor Hrn. Uhlmann freundliche Aufnahme fanden, besuchte ich Abends die Klöppelschule. Am Tag arbeiten dort auch Erwachsene, so spät aber trafen wir nur noch Kinder; Kinder von sieben bis zwölf und vierzehn Jahren, meistens Mädchen. Je sechse saßen auf einer Art von Fußbänken um einen hölzernen Schämel herum, auf dem eine einfache Blechlampe brannte; sie hatten nicht das Gesicht dem Schämel zugedreht, sondern hockten von der Seite immer Eine hinter der Anderen im Kreis, während eben so viele mit Wasser gefüllte Glaskugeln, wie sie die Schuhmacher bei ihrer Nachtarbeit gebrauchen, den scharfen, blendenden, aber schmalen Lichtstrahl nur eben auf den Punkt ihrer Klöppelarbeit warfen, wo sie ihn gebrauchten. Und so sitzen diese Kinder Tag aus Tag ein; des Morgens haben sie einige Stunden Schulunterricht, der Nachmittag findet sie wieder im lauten Geklapper ihrer Arbeit. Spiel und Erholung kennen sie nicht – sie rasten nicht – und doch – doch rasten sie manchmal – der Klöppellehrer erzählte uns mit leiser Stimme, »die armen kleinen Dinger hätten schon mehr male mit Arbeiten aufgehört und gemeint: sie könnten nicht mehr – sie wären so hungrig.« Der arme Teufel konnte ihnen selbst nichts geben, er verdient mit seiner Frau auch nur 2½ Thlr. die Woche und hat fünf Kinder.

Und doch sind diese Klöppelschulen ein Segen für die Unglücklichen – sie haben doch wenigstens eine warme Stube und freies Licht und bekommen Geld für ihre Arbeit. Aber nicht in allen Klöppelschulen ist das der Fall – das teuflische Drucksystem fängt auch im Erzgebirge wieder an aufzublühn, und das fehlt jetzt nur noch, die Bewohner desselben ganz zur Verzweiflung zu bringen. Fast alle die Factoren oder Verleger von Spitzen legen dort oben noch neben ihrem Geschäft kleine Ausschnittläden an, und wenn auch Manche brave rechtliche Leute sind, die keinen Mißbrauch damit treiben, so giebt es doch auch wieder gewissenlose Menschen unter ihnen, welche die Noth der Armen benutzen, nicht allein die Preise herunter zu drücken, sondern ihnen auch noch werthlose Waare aufzudringen, mit der sie nachher Tagelang umherlaufen müssen, um sie nur, natürlich wieder mit Verlust, anzubringen.

Breitenbrunn wie Rittersgrün sind mit die ärmsten Dörfer des Erzgebirges; Hunderte von armen Familien leben dort, ja das letzte Dorf besteht fast einzig und allein, und mit nur sehr wenigen Ausnahmen, aus solchen Unglücklichen. Die Pastoren derselben sind denn auch in der That mehr Armenpfleger als Seelenhirten; sie müssen mehr Zeit darauf verwenden, die Körper als den Geist ihrer Beichtkinder zusammen zu halten, denn der Arme hat ja weiter Niemanden als gerade seinen Pastor, der ihm die ewige Barmherzigkeit Gottes predigt – dieser allein giebt ihm eine, wenn auch weit hinaus geschobene Hoffnung auf ein künftiges Leben – ach es ist die Einzige, die der Unglückliche kennt, und er blickt nun vertrauend zu dem Mann empor, der ihn zu trösten und aufzurichten sucht.

Die Pastoren könnten hier von vielem und großem Einfluß sein, und Manche sind es auch, andere aber wieder, und vielleicht in ganz guter Absicht, quälen ihre Pfarrkinder noch mit dem, was eigentlich freiwillig aus innerstem Herzen springen sollte, mit der Religion und dringen darauf, daß »Gottes Tempel« nicht allein in »gutem Zustande« sei, sondern auch »anständig aussehe.« In den ärmsten Dörfern, wo Hunderte von Einwohnern wie die Schafe zusammengepfercht und in elenden Hütten, oft ohne Betten liegen, wird das stets unter die »nothwendigsten Ausgaben« gerechnet, daß die Kirche restaurirt werde. Sogar in Rittersgrün, wo mir der Pastor selber sagte, daß sein ganzes Dorf wie ein einziges Armenhaus dastehe, verlangt er zwölf- oder vierzehnhundert Thaler für die Herstellung der etwas baufälligen Kirche, und wollte zu diesem Zweck eine Pfennigsteuer erheben. Die Menschen können auf faulem Stroh liegen, aber der liebe Gott darf nicht mit einem gewöhnlichen und billig hergestellten Bethaus, wie ich es vorschlug, abgespeist werden. – »Das Dorf kann doch nicht ohne Kirche sein?« rief er erstaunt. Und der Mann meint es sicherlich gut, denn er hat schon unendlich viel für die Armen gethan, wenn er auch die etwas bevorzugt, die am regelmäßigsten zur Communion gehen und die Kirche besuchen.

Die Erzgebirger sind arm, aber ehrlich, Diebstähle fallen nur höchst selten bei ihnen vor; selten, aber doch manchmal. So war ich in Rittersgrün in einer Hütte, wo auch Gott weiß wie viel Personen in einem engen Käfterchen zusammenstaken, die übrigens Alle zu einer Familie, wenigstens zu einer Verwandtschaft gehörten; unter diesen saß eine schwangere Frau, vielleicht acht und zwanzig Jahre alt – oder wohl auch jünger, denn die Noth altert vor der Zeit – der liefen aber die Thränen über die Backen, als der Pastor, der uns begleitete, ein paar Worte mit ihr sprach. Böse Menschen (in Rittersgrün meinten sie, die Diebe müßten von der nicht fernen böhmischen Grenze herübergekommen sein) hatten ihr vor einigen Tagen das einzige Bett gestohlen, was sie mit ihren Kindern bis dahin getheilt. – Schwanger – unausgesetzte Arbeit den Tag über, Hunger und Sorge um die Kinder – und nicht einmal ein Bett, auf dem sie Abends die müden Glieder ausstrecken konnte. Vor der Thür der Hütte lagen auf dem Schnee drei weißgewaschene Hemden zum Trocknen; weiß gewaschen waren sie wohl, aber nur mit Mühe hielten noch die unzähligen kleinen Lumpen zusammen.

Mit Sonnenuntergang verließen wir Rittersgrün und wanderten durch eine Gegend, die im Sommer paradiesisch sein muß, am Schwarzwasser entlang auf Raschau zu.

Am nächsten Morgen trennte ich mich von meinem bisherigen Reisegefährten und wanderte allein das Dorf entlang, der Straße nach Annaberg folgend. Ich weiß nicht, wie die Dörfer zu anderer Zeit dreinschauen mögen; aber jetzt, von dem weißen blendenden Schnee umgeben, sahen sie alle mit ihren blank gehaltenen Fensterscheiben reinlich und sauber aus; der hie und da vom Eis befreite Bach rauschte und murmelte dabei fröhlich durch's Dorf hin und neugierige Kindergesichter blickten hie und da aus den Fenstern zu mir herüber, immer jedoch augenblicklich wieder und blitzesschnell verschwindend, sobald ich nur den Kopf zu ihnen hinwandte. Raschau kam mir im Ganzen nicht so ärmlich vor, als die früheren Orte die ich gesehen, dennoch fehlte es wahrlich nicht an den Hütten der Noth und des Elends. In einer von diesen fand ich eine freundliche Familie beisammen – die Mutter mit zwei erwachsenen Töchtern und drei oder vier anderen kleineren Kindern.

Die Leute schienen wenigstens das Nothdürftigste zu haben, die Stube war hell und geräumig, ihr Anzug, wenn auch einfach, doch wenig geflickt und von größter Sauberkeit, und die Kinder sahen, wenn auch bleich, doch nicht gerade so hohläugig darein, wie ich das leider bei so vielen gefunden. Der Mann war Bergmann und stak jetzt irgendwo in der Erde, die Frauen aber saßen gar eifrig an ihren Klöppelkissen und förderten die klappernden Spuhlen. Und was verdienten sie mit dieser Arbeit? – Für drei Viertel Zoll breite, sauber geklöppelte Spitzen bekommen sie von dem Händler für zehn Ellen fünf gute Groschen vier Pfennige, für zehn Ellen, an denen eine erwachsene Person mehrere Tage arbeiten und auch noch das Leinengarn zugeben muß. Die Leute hielten mich für einen Spitzenhändler und boten mir ihre Waare, als ich sagte, daß ich eine Kleinigkeit zu kaufen wünsche, um diesen Preis an. Ich kaufte an demselben Tag noch schmalere Spitzen – etwas über ein Drittel Zoll breit, die mir die Frau für fünf Neugroschen für zwanzig Ellen anbot. Als sie hörte, daß ich kein Spitzenhändler sei und nur ein einzelnes Stück kaufen wollte, setzte sie dann schüchtern hinzu: »so dürfen Sie mir schon ein paar Pfennige mehr geben – es ist gar wenig.«

In Oberscheibe, links und rechts zwischen ärmlichen Gebäuden hin, sah ich einen bleichen, krank aussehenden Mann, der mit einer Axt auf der Schulter eben in eine niedere Thür eintreten wollte; er blieb, als er mich herankommen sah, stehen und es kam mir vor, als ob er mich anzureden beabsichtigte – wenn das aber wirklich der Fall gewesen, so müßte er sich anders besonnen haben, denn er grüßte nur und verschwand in der Thür. Der Mann sah recht leidend aus – er hinkte auch, wie mir vorkam – die Männer waren sonst alle größtentheils auswärts an irgend einer Arbeit – ich hatte noch wenige zu Hause getroffen und beschloß diesem zu folgen. Rasch trat ich nach ihm in einen engen dunkeln Gang, der in den hinteren Theil des Gebäudes führte; er blieb stehen und sah sich erstaunt nach mir um, als er mich kommen hörte.

»Darf ich einmal mit Euch eintreten, Freund, und einige Worte mit Euch sprechen?«

»Ach Gott ja,« sagte der Mann und sah mich verlegen an; »aber – es ist gar eng bei uns und – und sieht nicht besonders aus –.«

»Schadet nichts, will nur einen Augenblick bleiben – gehe gleich wieder fort.«

Er öffnete eine Thür dicht vor uns und ich fand mich gleich darauf in einem kleinen, kaum vier Schritt im Quadrat haltenden Zimmer. An dem Tisch saßen die Frau und zwei erwachsene Töchter von etwa sechzehn und siebzehn Jahren, rechts davon, nach dem Ofen zu noch ein paar kleinere Kinder und ein anderes, vielleicht zwölf oder vierzehn Monate altes, lag in einem Kasten, der ihm als Bettchen und Wiege diente. Die fürchterlichste Armuth herrschte in diesem Gemach, nicht einmal reinlich waren die Leute im Stande es zu halten, denn das Stroh, auf dem sie Nachts lagen, mußte in der Stube bleiben, sie hatten keinen andern Raum dafür. Die Frauen rückten schüchtern zusammen, als ich eintrat und der Mann schob mir einen der hölzernen Stühle hin, von denen zwei im Zimmer standen, sonst waren Bänke an den Wänden.

»Wie geht es Euch denn, Ihr Leute,« frug ich endlich, nachdem ich den Jammer, der mich umgab, wenige Secunden schweigend überblickt hatte; »wie geht es mit den Preisen, mit der Arbeit, mit den Lebensmitteln?«

»Ih nun,« sagte der Mann seufzend und schaute gar wehmüthig ernst vor sich nieder, »es geht recht schlecht – es kann nicht mehr viel schlechter werden.«

Die Frauen klöppelten eifrig fort und redeten keine Sylbe – sie waren so reinlich, wie das der enge Raum und das Zusammenleben mit den Kindern gestattete, angezogen, ihre Kleidung bestand aber aus fast lauter zusammengeflickten Lumpen. Es war ein peinliches Schweigen, das keiner brechen mochte.

»Sie sind wohl ein Spitzenhändler?« sagte die Frau endlich mit leiser Stimme und wandte sich halb nach mir um – ich verneinte es und der Mann fuhr fast mehr mit sich selber sprechend, als zu mir gewandt fort:

»Die Preise werden immer schlechter, die Kartoffeln sind verdorben und – aufgezehrt – ich wollte es wäre Sommer, aber damit hat's noch lange Zeit.«

»Und es ist keine Aussicht, daß die Preise wieder steigen.«

»Wenn sie nur einmal in England aufhörten Spitzen zu machen,« murmelte der Mann; »die Engländer haben doch viel auf dem Gewissen.«

»Aber Ihr wollt es ja auch nicht anders haben?« sagte ich jetzt; »warum hört Ihr nicht auf, warum klebt Ihr hier in den Bergen und zieht nicht fort, weit fort, wo es andere Arbeit und etwas zu verdienen giebt; lieber Gott, wenn Niemand Eure Spitzen mehr kaufen will, weshalb macht Ihr sie denn noch unausgesetzt und verhungert und verkommt dabei?«

»Fortziehn?« rief der Mann und sein Gesicht nahm eine etwas lebhaftere Farbe an; »fortziehn? ach Du guter Herr Gott, ja, wohin es ist und wenn's nach Amerika wäre – überall hin, wo wir nur nicht verhungern – aber wovon? fort betteln kann man sich doch nicht mit Weib und Kind, und das wäre die einzige Art, wie man daran denken könnte.«

»Aber warum gehn Eure Töchter nicht in irgend einen Dienst, sie kämen aus der Noth heraus und könnten etwas mehr verdienen.«

Die Mutter schüttelte mit dem Kopfe.

»Ja,« sagte sie, »aus der Noth kämen sie heraus, was aber kriegt so ein armes Ding, das weiter nichts gelernt hat als Klöppeln, für einen Lohn – es könnte selber nur nothdürftig davon leben, und hier zu Hause ging es nur noch schlimmer, wenn die großen Mädchen fort wären, die doch jetzt noch etwas verdienen – mein Mann ist krank, und wenn ich's auch von Herzen gern wollte, ich kann die übrigen Kinder nicht alle von den zehn oder zwölf Groschen erhalten, die ich die Woche verdiene. Und dann, wenn sie's nun nicht draußen aushielten, oder wenn ich auch krank würde und sie zurück müßten, dann haben sie sich ihre Hände zum Klöppeln verdorben und wovon dann leben? Aber ich sehe schon, es wird doch nichts anderes übrig bleiben, wenn nur der Winter erst vorbei ist, dann mögen sie hinaus gehen und sehen, wie's der liebe Gott mit ihnen fügen wird.«

»Ach ich ginge ja so gern,« flüsterte die Aelteste und sah mit stierem Blick auf ihr Klöppelkissen, »wenn ich nur einen Dienst wüßte, wo ich gut behandelt werde, – an mir sollt es nicht fehlen.«

»Sie sind gewiß ein Spitzenhändler?« sagte die Frau noch einmal und blickte mich dabei halb schüchtern an.

Ich sah mich in der Stube um – neben dem Ofen standen mehrere Töpfe, aber alle leer, – keine Spur von Lebensmitteln war im Zimmer und doch verrieth die ganze Umgebung, daß dieser eine Raum ihr Alles umschloß, was sie das Ihre nennen konnten.

»Habt Ihr kein Brod Ihr Leute?«

»Nein,« sagte er kopfschüttelnd; »wir haben bis jetzt von Kartoffeln gelebt.«

»Aber Brod ist dieß Jahr so billig.«

»Ach ja,« erwiederte der Mann, – »es ist viel billiger als voriges Jahr, – aber – wir sind hier gar viele Mägen.«

Das kleine Kind fing an zu schreien; die Mutter stand von ihrer Arbeit auf, nahm es in die Höhe und schaukelte es auf dem Arme, – in der Stube konnte sie nicht auf und ab mit ihm gehen, der Platz, wo sie stand, war der einzige freie Raum. Ich mochte den stillen Jammer nicht mehr länger ertragen, stand auf, legte etwas Geld auf den Tisch und wollte fort.

»Da – kauft Euch Brod,« sagte ich, – »es wird schon einmal eine bessere Zeit kommen.«

Der Mann sah überrascht das Geld an und griff nach meiner Hand; – bis dahin war keine Klage weiter, – keine Bitte um Unterstützung über seine Lippen gekommen, jetzt aber brach sich der gewaltsam zurückgehaltene Jammer Luft und die Thränen stürzten ihm aus den Augen.

»Wir haben seit gestern Mittag keinen Bissen gegessen,« flüsterte er, – »mein Bein ist offen und entzündet, aber ich war eben aus, Arbeit zu suchen um nur ein paar Groschen für Brod zu bekommen, vergebens –.«

Es war noch viel, viel, was er sagte und auch die Frauen fingen an zu weinen; – bis jetzt hatten sie sich vor dem Fremden gescheut, nun war das Eis gebrochen und ihr Schmerz ließ sich nicht länger zurückdämmen. Das Kind schrie auch mit hinein in diesen Jammer, aber die Mutter drückte es freudig an die Brust. –

»Sei ruhig mein Herzchen, Du bekommst jetzt Brod –.«

Ringsum steigen freundliche Berge empor, dunkelgrüne Waldesschatten schmiegen sich an die breitlehnigen Kuppen an, – weite, im sonnigen Lichte blitzende und funkelnde Schneeflächen decken die Halden und leichte durchsichtige Nebelwolken ziehen sich wie duftige Schleier am scharfen Abhang der Schluchten hin. Munter sprudelt der Bach dazwischen durch und das blaue ätherreine Firmament umschließt wie mit liebenden Armen das herrliche Land. Der Habicht streicht in langsam bedächtigen Kreisen über die Flur, – die Krähe sitzt gesättigt oben in den Zweigen des Apfelbaumes und wetzt an dem rauhen Aste den Schnabel – und der Mensch? –

Geht in die Hütten und seht wie sie zusammenkauern; hebt den Deckel von dem irdenen Topfe, der in der Röhre steht und einen widerlich dumpfigen Geruch verbreitet; – aus was besteht die Nahrung, die sich der Erzgebirger zusammengeknetet hat, sein und der Seinigen Leben zu fristen? Faule, kranke Kartoffeln zu Muß gedrückt und mit etwas schwarzem Mehl angerührt, – Salz hat er nur selten, – etwas Häringslauche muß dem Stoffe eine Art Geschmack geben, und will er verschwenderisch sein, so vertritt Lampenöl die Stelle des zu theuren Fettes. Und das sind Menschen, – denkende, fühlende Menschen, von Gott mit denselben Anrechten an dieses Leben ausgestattet, wie wir selbst, das sind Menschen, die hier rettungslos ihrem sicheren Verderben entgegengehen. Rettungslos, wenn nicht bald etwas geschieht, sie dem fürchterlichsten Elend zu entreißen.

Die Klöppelarbeit ist kaum noch im Stande ihr elendes Leben zu stiften, und in den englischen Spitzenmanufacturen ihnen ein Feind erstanden, mit dem sie den verzweifelten Kampf um die Existenz nur noch wenige Jahre werden bestehen können. Die Preise der Spitzen fallen wirklich jährlich, und es ist Thatsache, daß die Leute im Gebirge in diesem Jahr (1848), trotz des billigen Brodes, doch nicht mehr für ihre Arbeit bekamen, als das vorige. Die Leute vegetiren also dieses Jahr eben so wie das vorige; wie aber nun, wenn wiederum, was doch jeden Augenblick geschehen kann, eine neue Theuerung die Brodpreise hinauftreiben sollte? Die Arbeitspreise steigen nicht wieder, und die Klöppler sind dann einem Verderben nahe, dessen Ahnung schon jetzt ihr Herz mit Schrecken erfüllt.

»Wenn das Brod wieder theuer wird, müssen sie uns todtschlagen,« sagte ein junger bleicher Bursche, der in Scheibenberg auf einer Hobelbank saß und faule Kartoffeln kaute. – Es liegt eine fürchterliche Wahrheit in den Worten, man kann doch die Leute nicht langsam verhungern lassen.

»Aber warum verlassen sie das Gebirge nicht?« – rufen die Tausende – »warum gehn sie nicht in's flache Land – im Gebirge selbst und in der nächsten Nachbarschaft müssen die Bauern baierische Dienstboten nehmen, weil die Gebirger nicht aushalten, selbst an den Wegen, die der Staat hat fast nutzlos anlegen lassen, nur um den Unglücklichen zu helfen, haben sie nicht länger arbeiten mögen – sie wollen ja zu Grunde gehen – warum ergreifen sie nicht etwas Anderes, wenn das alte Geschäft nicht mehr geht?«

Dort ist Jemand in einen Fluß gefallen – er schlägt mit Armen und Füßen um sich – aber er sinkt – er hebt sich noch einige Mal – dreht sich eine Zeit lang auf derselben Stelle im Kreise herum und sinkt immer und immer wieder. »Warum schwimmt der Mensch nicht – er braucht ja nur mit Armen und Beinen gleichmäßig auszutreten, – nur gerade so, wie es ihm die Leute, die da in Herzensangst am Ufer stehen, vormachen – er braucht nur den Kopf dann zu heben und dem nächsten Ufer zuzuarbeiten, so kann er ja nicht untergehen.« – Ei ja wohl, wäre ihm das in seiner Jugend gelehrt, so könnte er das allerdings – wüßte er, wie er seine Kräfte gebrauchen soll, er würde auch nicht untergehen; aber die Leute am Ufer, die alle auf ihn einschreien und ihm zuwinken, kleine Stückchen Holz nach ihm werfen, auf denen er sich einen Augenblick ausruhen soll, machen ihn nur noch mehr irre und bringen ihn ganz außer Fassung. – Guter Rath und schwache That kommen hier zu spät, hier bedarf es eines kräftigen Mittels, das ihm die Hand reichen und vom Verderben zurückreißen muß, dem er sonst im nächsten Augenblick zu erliegen droht.

Der Erzgebirger ist entnervt und erschlafft, aber weniger noch an körperlichen, als an geistigen Kräften; jetzt geschieht allerdings was möglich ist, um nur in etwas seine Energie zu wecken; die Schulen werden überall vermehrt und verbessert, man sucht die Einzelnen ihrem Jammer zu entziehen und mit dem wirklichen Leben bekannt zu machen, bedeutende Summen werden vom Staat und von Privaten daran gewandt, der augenblicklichen Noth zu steuern – aber es ist auch nur die augenblickliche Noth, und solche Hülfe genügt nicht mehr allein. Die Wunde, die vielleicht in früherer Zeit mit leichten Umschlägen und Salben geheilt gewesen wäre, ist jetzt geeitert, der Brand ist hinzugetreten und jede Verzögerung einer ernstlichen Cur macht sie nur noch schmerzhafter und noch gefährlicher. Dem Erzgebirger sind seine Berge die Welt; kommt er in das flache Land, so stellt er sich linkisch und ungeschickt an, – aber das ist's nicht allein – durch eine Nahrung, wie sie bei uns kein Hund verzehren würde, ist er auch schwach und kraftlos geworden. Haben ihn auch nun wirklich Bauern als Knecht einmal angenommen und ihm denselben Lohn, wie ihren andern Arbeitern, gegeben, so vermochte er natürlich nicht von allem Anfang so auch zu arbeiten, das Alles zu leisten, was jene wirklich leisteten. War dann auch der Herr vernünftig und gutmüthig genug, das Alles nachzusehen, wollte er den Unglücklichen eher zurechtweisen als einschüchtern, so fand dieser dagegen bei seinem ihm fremden rohen Cameraden – denn unsere Arbeiter sind leider in der Mehrzahl roh – keine so freundliche Gesinnung. Wer das Verhältniß der Knechte und Dienstleute zu einander kennt, wird mir recht geben; erst verspotten sie den Fremdling, besonders wenn er sich etwas täppisch und unbeholfen zeigt, oder gar nach einem anderen Dialekt redet, und machen sich über ihn lustig, äffen ihm auch wohl die Worte nach; dann aber auch murren sie und werden gehässig, wenn ein Anderer, der mit ihnen auf gleicher Stufe steht und dieselben Pflichten hat wie sie, nicht auch alles das leisten kann oder wirklich leistet, was man von ihnen selbst fordert.

Der Erzgebirger aber, nur in seinem innersten Familienkreise aufgezogen und groß geworden, ist zu weichlich, zu schüchtern, dem Allen begegnen zu können, die geistige Energie fehlt ihm, jetzt einmal doch zu zeigen, daß er ein Mann ist und den Feind, der sich ihm zeigt, zu bekämpfen. Nein, das Heimweh faßt ihn nach seinen Bergen; dort mußte er wohl hungern und Noth leiden, aber dort lachte ihn auch keiner aus, dort war er nicht verspottet und verachtet. Der geringe Funke von Geist, der noch in ihm schlummerte, wurde dort nicht mit Füßen getreten, und zurück flieht er mit aller Hast und Angst zu den Seinen und theilt lieber Jammer und Elend mit ihnen. Ebenso, nur in einem fast noch stärkeren Grade, war es mit den Mädchen, die sich in's flache Land ausmiethen wollten. – Nichts auf der Gotteswelt haben sie daheim gelernt, als ihre Klöppel zu führen und höchstens einmal, und selbst das noch mangelhaft, ihre Kleider auszubessern und herzurichten – jetzt auf einmal verlangt man lauter fremde unbekannte Sachen von ihnen, und dieselbe Scheu treibt auch sie zu den Ihren zurück.

Wohl wäre es vielleicht auch jetzt noch Zeit, auf die Jugend mit allen nur zu Gebote stehenden Mitteln einzuwirken, daß wenigstens diese einer so fürchterlichen und gefährlichen Lethargie entrissen wird, – es muß sogar wirklich geschehen, wenn nicht der ganze Stamm doch verderben soll. – Die Unglücklichen haben sich aber gegenwärtig dem Abgrund, der sie verschlingen muß, so fürchterlich genähert, daß – und zwar rasch und ohne Zögern – etwas Gewaltiges, etwas Durchgreifendes geschehen muß, wenn nicht jede Hülfe zu spät kommen soll.

Jener fürchterlich übervölkerte Gebirgsdistrikt, dessen Bewohner mit einer Hartnäckigkeit an ihrer Beschäftigung hängen, die der der Schaafe gleicht, wenn sie, befreit, in den brennenden Stall zurückstürzen – jener Distrikt muß gelichtet und auf eine Art gelichtet werden, die den Zurückbleibenden Luft giebt und ihnen freier zu athmen gestattet. Durch keine bürgerliche Hülfe kann dies aber allein geschehen, und wäre sie auch zehnmal größer, als sie Sachsen zu bieten vermag. Der moralische Trieb dieser Menschen muß geweckt werden, und nur dann ist es möglich, an eine wirkliche Rettung derselben zu glauben.

Das ist aber wieder nur durch eine Auswanderung möglich, und nicht etwa durch die Auswanderung Einzelner, die immer nur auf ihren engen Familienkreis zurückwirken, nein, durch die vom Staate selbst geleitete Auswanderung von Tausenden, für die man in den Vereinigten Staaten von Nordamerika eine neue Heimath gründet. Zwanzigtausend Menschen müssen übersiedelt werden, oder Hunderttausende gehen rettungslos zu Grunde. Wie das geschehen könne, ist hier nicht Raum genug zu erörtern, aber dadurch wird nur die Möglichkeit hergestellt, erstlich für den Augenblick die zwanzig Tausend der Noth zu entreißen und den Zurückbleibenden in den ersten Jahren eine Concurrenz zu nehmen, die sie freier aufathmen läßt. Abgerechnet von all dem materiellen Nutzen, den eine solche That für Gehende und Bleibende haben muß, von dem Lande, was frei wird, von den gewonnenen Producten, die nicht mehr in die kleinsten Atome vertheilt werden müssen, von den gelieferten Arbeiten, die jetzt doch wenigstens regelmäßig ihre Käufer finden, wenn sie auch keinen höhern Preis erreichen – abgesehen von alle diesem ist es aber besonders der moralische Einfluß, den eine solche Auswanderung auf den übrigen Theil der Gebirge üben wird und muß. Bis jetzt erschien ihnen selbst das außer ihrer nächsten Umgebung Liegende wie eine fremde Welt – daß man ohne Klöppeln existiren konnte begriffen sie nicht – selbst die Einzelnen, die es tollkühn versucht hatten, in das »Ausland«, nach Leipzig, Dresden, ja selbst Chemnitz zu gehen, kamen fast sämmtlich wieder zurück und kauerten lieber an ihrem Klöppelkissen – da hatten sie den Beweis – es ging draußen für sie nicht an – sie gehörten nicht da hinaus und mit ängstlicher verderblicher Scheu hielten sie selbst ihre Kinder davon zurück. Dann aber wäre die Bahn gebrochen – Tausende sind plötzlich über tausend Meilen weit, über das Meer sogar, nach einem fremden Lande gezogen – der Gebirger hat auf das Aeußerste gespannt – in Angst und Sorge um die Tollkühnen, einer Nachricht von ihnen gelauscht – da plötzlich treffen Briefe auf Briefe ein – in alle Theile des Gebirges zweigen sie aus – solche Schreiben laufen von Hand zu Hand, jede Familie drängt sich herzu, wenn der Vater oder Schullehrer die ersehnte Kunde meldet, und eine neue Welt geht plötzlich vor ihren Augen auf, als sie das Jubelgeschrei der Ihren aus der Ferne hören – als sie mit Staunen und Verwunderung hören, daß Jene nicht mehr zu hungern und zu frieren brauchen, daß sie mit mäßiger Arbeit einen Ueberfluß von Nahrung und Kleidung verdienen können und jetzt zum ersten Male steigt der freiwillige und durch nichts anderes geweckte Wunsch in ihrer Brust auf – »könntest Du dorthin.«

Mit dem Wunsche aber denkt der Gebirger auch schon an die Möglichkeit der Ausführung, und jetzt, jetzt ist die Zeit gekommen, seinen verkümmerten Geist mit allen Waffen der gesunden Vernunft anzugreifen und aus seinem Traume mit aufrütteln zu helfen. Jetzt ist die Zeit gekommen, wo dem im alten Schlamme noch Versunkenen der Fortschritt der Welt gezeigt und er selbst zum thätigen Mitwirken daran aufgefordert werden muß. Aeußere Umstände kommen dann noch dazu, die Einwirkung zu vermehren; bis dahin wird das Klöppeln durch die sich immer mehr verbessernden englischen Spitzen fast ganz vernichtet und zu Grunde gerichtet sein; der Gebirger, aus seinem Stumpfsinn erwacht, sieht auf der einen Seite seinen alten Erwerbszweig, an den er wie an ein Evangelium geglaubt, zerstört, auf der anderen dagegen Sachen möglich gemacht, die er bis dahin nur für tolle Märchen gehalten, und er wird dann, wenn der alte Zauber erst einmal gebrochen, auch nicht allein ein Mensch werden, sondern was noch viel wichtiger und für ihn nothwendiger sein muß, fühlen, daß er wirklich ein Mensch ist.

Der dortigen fürchterlichen Noth kann auf keine andere Art möglicher Weise abgeholfen werden – eine Auswanderung ist meiner Meinung nach das Einzige. Mag aber da der Staat nicht durch eine scheinbare Verantwortlichkeit zurückschrecken, eine Verantwortlichkeit, die nur in der Idee existirt. Bei einer Auswanderung werden wohl Manche sterben, Manche dort, statt der gehofften Heimath, ein Grab finden; hier aber gehen die Leute gewiß, und wie die Aussicht jetzt ist, alle zu Grunde. Jenes sind dann auch nicht Folgen der Auswanderung, nein, es sind noch die Folgen des fürchterlichen Elends, das hier ihren Körper aufgerieben und vergiftet – der Keim des Todes ist es, der hier schon durch widernatürliche Nahrungsmittel und Lebensart gepflanzt und gepflegt wurde. Und was für ein Unterschied zwischen dem Tode eines Vaters dort und hier. Dort weiß er die Seinigen versorgt, oder die Hoffnung versüßt wenigstens seine letzten Stunden – ein gemeinsames Unternehmen hat sie in seinen Schutz genommen, er fühlt, daß sie nicht hülflos untergehen werden – und hier? – wenn er hier stirbt – wenn er noch einmal auf die bleichen elenden Gestalten sieht, die sein hartes Lager umstehn – wenn er weiß, wie er sein ganzes Leben verbracht hat, weiß, daß all die Seinen auch nur Aehnliches, vielleicht jetzt noch größeres Elend erwartet – muß ein solcher Augenblick nicht alle Qualen der Hölle in sich schließen, und kann da noch von einer Verantwortlichkeit die Rede sein? Nein, wahrlich nicht, die alte Generation wird freilich aussterben, ohne viel Heil und Segen von der Uebersiedelung gehabt, ohne die Vortheile alle genossen zu haben, die man für sie beabsichtigte; aber die Kinder, die hier nur dem sicheren Elend entgegen gingen, sind gerettet. Der Erzgebirger, der den Anwuchs seiner Familie bis dahin nur als einen Fluch betrachtete und betrachten mußte, sieht plötzlich, daß er ihm dort, in den freien Wäldern einer neuen Welt zum Segen wird. Die erzgebirgische Mutter, die bei dem Tode eines Kindes wohlhabender Eltern mit stierem Blicke sagte: »Mir stirbt keins!« findet Brod für die Kleinen, und die natürliche Liebe, die durch Noth und Elend gewaltsam erstickt worden, wacht wieder auf in ihrem fast erkalteten Herzen.

Auch der Einwand kann keine Geltung finden, daß die Armen zu schwach und entkräftet wären und die schweren Arbeiten des dortigen Ackerbaues nicht aushalten würden. Die Erzgebirger, wenigstens ein großer Theil derselben, arbeiten hier auch in Wald und Feld und würden mit Freuden noch mehr arbeiten, wenn sich ihnen nur die Gelegenheit böte. Ist er aber auch schwach und entkräftet, so sind das nur ganz natürliche Folgen seines elenden Lebens, die sich mit einer Aenderung desselben ebenfalls ändern werden. Und gehört denn nicht wirklich eine Riesennatur dazu, eine solche Noth so lange Jahre hindurch zu ertragen? Ueberdies sollen solche Uebersiedelten im Anfang, und ehe sie sich ganz erholt und gekräftigt hätten, aber auch gar keine so übermäßig anstrengenden Arbeiten verrichten, – sie sollen in den ersten Jahren nur so viel bauen, als sie zum einfachsten Leben, aber an gesunder nahrhafter Kost brauchen, und Gott weiß, sie brauchen wenig genug. Mit der Zeit mögen sie dann an Verbesserungen, an den Absatz ihrer Producte und an die Zukunft denken, dann werden sie auch im Stande sein, derartige Pläne nicht allein auszuführen, sondern auch fassen zu können – früher, wo ihnen die Kraft und Fähigkeit sowohl zum Einen wie zum Andern fehlt, haben sie das gar nicht nöthig.

Schafft sie nur erst hinüber, die Unglücklichen, gebt ihnen nur erst die Gelegenheit, sich emporzuraffen, wählt nur das rechte Mittel, sie zu Menschen zu machen, und sie werden Euch beweisen, was sie vermögen. – Heil und Segen wird dem Unternehmen folgen, aber mit Ernst muß es auch angegriffen werden, mit Lust und Liebe zur schönen That, und starke Opfer dürfen nicht gescheut werden, dann aber läßt sich auch wirkliche Hülfe, nicht eine bloße Galgenfrist bleichen Hungertodes erwarten, und der alte Krebsschaden, der jetzt an unserm schönen Sachsenlande zehrt und nagt, wird endlich einmal, so bald die kranken Theile herausgeschnitten sind, heilen und gesunden.

Mir war von all dem Elend so weh geworden, daß ich kaum weiß, wie ich diese Hütte verließ, und doch fand ich in vielen andern, die ich an diesem Morgen noch besuchte, immer nur dasselbe Leid, denselben Jammer, der wie ein düsteres Trauertuch das ganze Land bedeckte. Und doch leben diese Menschen noch – wo nur noch eine Aussicht auf Existenz blieb, da schien auch die Hoffnung nicht ganz erstorben zu sein – sie kannten den Umfang ihres Elendes selbst zu wenig, und eine Voraussicht auf die Zukunft haben diese Menschen nicht, sie sind wie unmündige Kinder und müssen auch wie solche geführt werden. – An den meisten Orten war aber der Jammer doch schon so groß und nachhaltig gewesen, daß sie auf meine Fragen, ob sie denn die Gebirge verlassen würden, wenn sich ihnen eine Aussicht böte, mit thränenden Augen und wie schon früher antworteten:

»Ja – ach Gott, ja – nur nicht verhungern!«

Und auch ich rufe das: – Fort mit den Unglücklichen – fort mit ihnen nach einem Orte, wo sie nicht verhungern. – Was nützen die Palliativmittel, mit denen wir uns vorlügen, wir hätten eine Noth gelindert, einen Schmerz gestillt? Der flüchtige Moment war es, den wir beschwichtigten, und der nicht einmal, denn in dem nämlichen Athemzug erwacht auch schon die Angst für die nächste Stunde. Ernste, durchgreifende That muß hier reifen und schnell reifen, wenn nicht die nächsten Jahre schon auf ein Elend herabsehen sollen, wie es uns aus den Bergen Oberschlesiens in scheußlichem Hohn entgegengrinste – mit dem Angstgeschrei der Sterbenden mischt sich dann ihr Fluch und die Verantwortung dann wäre fürchterlich.

Doch genug von all diesem entsetzlichen Jammer – mir schnürte er die Brust zusammen, und ich floh, so schnell ich konnte, zurück in's flache Land. –

Die Otter-Jagd.

Die Zeiten, die schönen Zeiten sind vorüber, wo der Mann noch auf männliche Art sein Vergnügen suchte; wo er mit Speer und Messer, mit Wurfgeschoß oder Büchse den Wald durchstreifte, den Bär im eigenen Lager angriff, und dem Eber auf schäumendem Rappen durch Dickicht und Unterholz folgte.

Die schönen Zeiten der edlen, männlichen Jagd sind vorbei; jetzt höchstens gehn die jungen Herren mit Jagdfrack nach neuestem Schnitt, und sauberen, eng anschließenden Kamaschen, die Hände in einem Muff, den Hals dicht und warm in wollene Shawls eingeschlagen, hinaus und stellen sich an (und Gott weiß es, wie sie sich manchmal dazu anstellen). Die Bauern müssen ihnen dann das arme, unglückliche, verrathene und verkaufte Wild herbeitreiben, und wenn kein Unglück passirt, das heißt, wenn der Hahn wirklich aufgezogen, oder die Sicherheit nicht vorgeschoben, oder die Flinte nicht verladen, oder das Zündhütchen nicht »schändlicher Weise« herabgefallen, oder die Brille verloren ist, der Gewehrriemen nicht »gerade als man zielen will« über dem Lauf liegt, oder der Schuß nicht nachbrennt, als man das Wild »so herrlich auf dem Korn hatte«, oder der Hase zu weit oder zu schnell läuft, oder wenn tausend andere Oder und unvorhergesehene Zufälle nicht dazwischen kommen und besonders das Haupt-Oder – ihnen keinen Strich durch die Rechnung macht, wenn sie nämlich nicht effectiv fehlen – dann schießen sie wohl ihr Häschen oder ihre unglückliche Ricke, die sie in der Eile, »weil sie nicht aus den Büschen heraus wollte«, für einen Bock angesehen haben.

Das nennen sie nachher Jagd.

Die Otterjagd ist vielleicht die einzige, der, in England wenigstens, bis auf unsre Tage viel Eigenthümliches und Kräftiges geblieben.

Noch halten sich manche Edelleute ihre Ottermeuten und verfolgen Tage lang mit einer, unsren Jägern gewiß unbegreiflichen Mißachtung jeder Feuchtigkeit das flüchtige Thier durch Bäche und kleine flache Ströme; ihre Blüthenzeit ist aber auch vorüber, und wirklich interessante Jagden werden mit jedem Jahre seltener.

Der Pomp und die Umständlichkeit der alten Jagden gaben an sich schon dem Ganzen einen eigenthümlichen Reiz, und die Otterjäger hatten nicht allein ihre verschiedenen Sitten und Gebräuche, sondern auch eine ganz besondere Tracht. Ihre kurzschößigen Jacken waren grün, mit Scharlach, ihre Pelzmützen mit Goldbändern besetzt, und mit Straußenfedern geziert. Stiefeln, ziemlich nach Art unsrer jetzigen hohen Wasserstiefeln, reichten bis zu ihren Hüften hinauf, und trugen oben goldene oder silberne Franzen. Ihre Speere zeichneten sich ebenfalls durch ihre reichen Verzierungen und ihre geschnitzte Arbeit aus, und der Anblick eines Zuges vollständig ausgerüsteter Otterjäger war zu gleicher Zeit so pittoresk als imposant. Mit der Verringerung der Ottern hat aber auch zu gleicher Zeit ihre Jagd sich vereinfacht, doch war selbst noch zu Ende des letzten Jahrhunderts die Otterjagd in England eine der betriebensten und volksthümlichsten. Regelmäßige Ottermeuten wurden gehalten, und die Landleute schienen damals von ihren Otterspeeren so unzertrennlich, wie jetzt von ihren Spazierstöcken.

Zu eben dieser Zeit war übrigens der Otterspeer einfacher als er jetzt ist, und er bestand nur aus einer gewöhnlichen, geraden Eschenstange mit einfachen oder doppelten Harpunen oder Pfeilspitzen. Jetzt hat eine neuere und wohl auch zweckmäßigere Erfindung den gewöhnlichen Widerhaken verdrängt, und die Stahlspitze ist so gearbeitet, daß sie erst dann, wenn in den Körper des Thieres getrieben, zwei Haken ausläßt, die es dem verwundeten Otter unmöglich machen, sich von der tödtlichen Waffe wieder zu befreien.

Ich will dem Leser eine solche Otterjagd beschreiben.

Es hatte sich eine Gesellschaft von sieben Jägern zusammengefunden, um in einem kleinen Flusse, Namens Tiesie, eine am vorigen Abend durch den Squire selbst aufgefundene Otterfährte zu verfolgen und wo möglich den schlauen Fischdieb zu erlegen. Der Tiesie läuft eine lange Strecke durch flaches, etwas sumpfiges Land, dort aber, wo er zuerst seinen Lauf in wenn auch niedere, aber dennoch seine Ufer steil begrenzende Hügel lenkte, hatte Mr. Halway die Spuren entdeckt, und als am nächsten Morgen die Gesellschaft mit ihren Speeren und einer tüchtigen Meute Hunde den Platz erreichte, bezeugten mehrere frische Gräten, die an der linken Uferbank unter einer kleinen Lindengruppe lagen, seine Nähe.

Die Hunde wurden, kaum den Platz erreicht, schon unruhig, und Nell und Boney, ein Paar ausgezeichnete Otterfänger, schienen es besonders auf ein kleines Schilfdickicht abgesehen zu haben, das sich der Lindengruppe gegenüber befand.

Halway stimmte dafür, daß ein Theil der Jäger hinüber an's andere Ufer waten, und dort die Hunde unterstützen solle, es war aber noch beim Beginn der Jagd und Alles – trocken, und da meinten denn Mehrere: »der Otter sei wahrscheinlich an dieser Seite«, wo ja auch die Gräten alle lagen und die meisten Spuren waren; der gegenüberliegende Platz blieb also von den Jägern unbesetzt, und am hohen Flußrande hingehend munterten sie durch Zurufe und den fröhlichen Jagdschrei die immer hitziger und eifriger werdenden Hunde auf, den Feind zu finden, damit sie ihn mit ihren Speeren verfolgen und erlegen könnten.

»S'ist nur ein Glück,« meinte Dickson, einer von Halway's Nachbarn, »daß sich der Otter nicht ein Paar hundert Schritte weiter oben aufhält, der kleine See dort würde alle unsre weiteren Versuche, seiner habhaft zu werden, unnütz gemacht haben, denn der Grund ist so schlammig, daß es wahrhaftig mit Lebensgefahr verknüpft ist, sich nur bis an die Knie hineinzuwagen.«

»Hahaha« lachte Merville, »davon weiß Dickson eine Geschichte zu erzählen. Als wir das letzte Mal hier waren, stak er in dem Sumpfe drinnen und unsrer Sechse haben mit Stricken und Seilen wohl eine Viertelstunde lang gezogen, bis wir ihn wieder heraus und auf's Trockene brachten.«

»Ha – was hat Nell dort?« rief Blower – ein anderer Gutsbesitzer aus der Gegend – »Wahrhaftig, Halway, ich glaube, Ihr habt Recht, der Otter sitzt da drüben, ich werde hinüber waten.«

Er war im Begriff, seinen Entschluß augenblicklich in's Werk zu setzen, aber zu spät. Der Otter hatte wirklich in jenem Schilfdickicht gelegen und wahrscheinlich die um ihn herumsuchenden Hunde vorbeilassen, und dann zurück zu dem schützenden See schwimmen wollen, wo jede weitere Verfolgung vergeblich gewesen wäre, das wurde aber durch die Aufmerksamkeit Boney's, der durch derartige Kunstgriffe schon mehrere Male getäuscht worden und nicht gesonnen schien, sich auf's Neue anführen zu lassen, vereitelt, denn er und Nell hielten sich fortwährend ziemlich hoch im Schilfe, und überließen es den anderen Hunden, den schlauen Feind aufzustöbern und flüchtig zu machen.

Dieser sah auch kaum, wie jeder Versuch, das tiefe Wasser zu erreichen, vergeblich war, als er das dichte Schilf verließ und, über den hier mehrere hundert Schritt breiten Wasserspiegel hinwegschwimmend, erst entschlossen schien, den Fluß mit aller nur möglichen Schnelle stromab zu gehen, dann aber wieder links einbog und in einem rechten Winkel eine seichte Stelle erreichte, wo das Wasser etwa drei Fuß tief, den Hunden nicht erlaubte Grund zu fassen, und der Otter selbst, unter dem dichten Wurzelwerk und Rohr verborgen, vor ihnen geschützt blieb und auch dann und wann, ohne fürchten zu müssen entdeckt zu werden, an die Oberfläche kommen und Luft schöpfen konnte.

»Hier hilft kein Zaudern mehr« schrie aber Halway jetzt, selbst bis unter die Arme in das Wasser springend – »von dort heraus bringen ihn die Hunde nicht, und wenn wir nicht mit unsren Speeren die Bestie heraustreiben, so können wir die Jagd nur aufgeben.«

Merville sprang dicht hinter ihm her, und auch Blower folgte, Dickson aber, als er die drei der Stelle zu waten sah, während die Hunde einen Heidenlärm vollführten und bellend und winselnd ihren Herren nachplätscherten, dachte bei sich, daß zum Vortreiben vollkommen genug Menschen im Wasser säßen, suchte sich daher eine seichte, kaum wenige Zoll tiefe Stelle aus, und schritt an das andere Ufer hinüber, wo er auf einem vorragenden, steilen Felsblock die Jagd übersehen und auch augenblicklich stromab das niedere Ufer wieder erreichen konnte, wenn das verfolgte Thier, wie es fast nicht anders konnte, die Flucht durch die weiter unterhalb liegende Stromschnelle und über einen kleinen Fall, versuchen sollte.

Halway hatte übrigens Recht gehabt, die Hunde vermochten nichts gegen ihren listigen Feind auszurichten, der nur dann und wann, in irgend einem ungangbaren Gebüsch, die bärtige Schnautze über die Oberfläche des Wassers hob, um die nöthige Luft zu schöpfen, und dann schnell und geräuschlos wieder untertauchte in sein sicheres Versteck.

Die drei Jäger fanden bald, daß auch sie hier ihre Hilfe leihen mußten, langsam also, und in gleicher Linie das schmale und kaum hundert achtzig Schritt lange Schilfdickicht durchwatend, stießen sie höchst aufmerksam in alle die Stellen mit den umgekehrten Speeren hinein, unter denen möglicher Weise der Fischdieb verborgen liegen konnte. Schon näherten sie sich indessen dem Ende des seichten Platzes und die Hunde fingen an wieder zurückzusuchen, während Halway selbst zu glauben begann sie hätten ihre Beute übergangen, als diese plötzlich, höchst unverhofft zum Vorschein kam.

Merville hatte nämlich eben mit der Stange in ein besonders dichtes Gewirr von Wurzelwerk und Wasserpflanzen hineingefühlt, als Nell, der seinen Standpunkt überhalb des Schilfbruches noch immer nicht verlassen, die Nase prüfend in die Höhe hob und im nächsten Augenblick auch schon, eifrig schnaubend auf die Stelle zuschwamm, wo Merville noch immer stand, und den Hund beobachtete. Da tauchten, nur wenige Schritte von ihm entfernt, einzelne kleine Luftblasen in die Höhe, und er wußte, dort müßte der Otter sein. Die Tiefe des Wassers, in dem er sich selbst befand, also schnell berechnend, schwang er den Speer hoch empor, und stieß ihn mit rascher, sicherer Hand nieder auf den Grund des Flusses, wo sich der listige Flüchtling verborgen hielt.

Aber wehe! in allem Eifer hatte er vergessen, den Speer, den er noch verkehrt in der Hand trug, umzudrehen, und als der mit ausgezeichneter Geschicklichkeit geführte Stoß, denn Merville war ein guter Otterjäger, niederfuhr, kam er in höchst unsanfte Berührung mit dem wirklich dort lauernden Thier, brachte aber demselben leider keinen weiteren Schaden, als daß er es bedeutend erschreckte, aus seiner bisherigen Sicherheit auf und zu dem höchst unbesonnenen Entschluß trieb, die Rettung in offener Flucht zu suchen.

Instinctmäßig wandte sich der Otter nun zwar stromauf, der sicheren Bahn zu, hier aber begegnete er den beiden offenen Rachen von Nell und Boney, die gierig nach ihm schnappend, ihre Beute schon gefaßt wähnten. So leicht sollte ihnen aber der Sieg nicht werden.

Jener, die Seichtheit des Wassers fürchtend, in welchem er, wenigstens an dieser Stelle, nicht wagen durfte zu tauchen, schien schnell entschlossen das andere Ufer des Flusses zu erreichen, und ehe Merville, der jetzt natürlich seine Waffe schnell genug wandte, wieder festen Fuß fassen, und sich von seinem Schreck erholen konnte, strich er schon wie ein Aal, die ganze Länge des Körpers außer dem Wasser zeigend, von der Schilfinsel fort, und schräg über den Fluß hinüber dem steilen Vorsprung zu, auf welchem Dickson, an seine Waffe gelehnt, dem Kampfe bis jetzt behaglich zugeschaut hatte.

Kaum merkte dieser aber, wie sich der Schauplatz der Hetze auf seine Seite verlegen würde, als er, so schnell ihn seine Füße trugen, von der Höhe heruntersprang, und das Ufer gerade in demselben Augenblicke erreichte, in welchem der Verfolgte das feste Land betreten und, argbedrängt von den Hunden, wahrscheinlich über die in den Fluß hinauslaufende Landspitze hinweg schlüpfen und das auf der unteren Seite befindliche ruhige und tiefere Wasser erreichen wollte. Durch den unvorsichtig auf ihn Einstürmenden aber geängstigt, änderte er seinen Plan und wandte sich wieder; da schallte ein Triumphruf von der gegenüber liegenden Seite und selbst Dickson hielt ihn für verloren, denn dicht, dicht hinter ihm, kaum wenige Zoll von seiner bärtigen Schnauze entfernt, schnappte Boney, schon im Vorgenuß der ihn erwartenden Seligkeit, gierig mit den Fängen und öffnete den weiten Rachen.

»Hurrah!« schrie Halway vom anderen Ufer aus – »Hurrah Hunde – faßt ihn – faßt ihn!«

Boney hörte den Zuruf seines Herrn und fuhr, schwerlich noch einer Anreizung bedürfend, mit wildem Biß nach dem Nacken des Thieres, doch war es nichts als Wasser, was ihm, im wahren Sinne des Wortes, im Maule zusammenlief, der Otter tauchte in demselben Moment, als ihn Dickson schon zwischen den Fängen des Hundes glaubte, blitzschnell nieder, glitt unter dem Bauche seines Feindes fort, und schoß nun, wieder zur Oberfläche emporkommend, mit aller ihm nur zu Gebote stehenden Schnelle stromab.

»Hinüber – hinüber noch Einer von Euch!« schrie Halway jetzt erregt – »die Bestie will über den Fall hinunter und in die tiefe Stelle, kaum hundert Schritte unterhalb. Fünf Ottern haben wir schon bis zu dem Platz verfolgt, und dann regelmäßig aufgeben müssen. Jetzt nur hinunter an die Fälle, so schnell wir können.«

Hawkins leistete dem Rufe Folge und watete schnell zu Dickson hinüber, die Uebrigen jedoch glaubten auf der Seite, auf welcher sie sich befanden, am Ersten zum Wurf kommen zu können und eilten Halway nach, der, so schnell es ihm der weiche, schlammige Boden gestattete, unter der Felswand fortlief, die hier das Flußthal überhing und sein Bestes versuchte, einen kleinen mit hohem Schilfgras bewachsenen Vorsprung zu erreichen, der sich, von mehreren Fichten überschattet, gerade über dem Fall befand, so daß der Otter, wollte er hier durch, dicht an ihm vorbeidefiliren mußte.

»Wie kam's, daß Ihr den Otter fehltet, Merville?« rief er diesem zu, als er ihn eben eingeholt hatte – »er lag Euch doch dicht vor den Füßen.«

»O zum Teufel – ich hielt den Speer verkehrt.«

»Unsinn« lachte Halway, »ein so alter Otterjäger, wie Ihr, wird mit dem verkehrten Speer stoßen.«

»Ich gebe Euch mein Wort darauf,« betheuerte Merville im vollen Laufen, um neben dem schnellfüßigern Halway zu bleiben, der ihn schon zurücklassen wollte – »ich fürchtete mit dem Widerhaken im Schilfe hängen zu bleiben und –«

»Dort ist er,« schrie Halway, und überflog mit einem Satze eine schmale sich hier hineindrängende Bucht, arbeitete sich mit verzweifelter Anstrengung durch das hohe Rohr, und stand im nächsten Augenblick auf der ersehnten Stelle. Es war aber auch die höchste Zeit, denn der Otter, durch das viele Tauchen ermüdet, hatte es aufgegeben, im Dickicht augenblickliche Zuflucht zu finden, und wußte nun, das in dem tiefen Wasser seine alleinige Rettung lag; den Fall also einmal passirt, trug ihn schon die Strömung des Flusses in wenigen Secunden dorthin, und eine am rechten Ufer liegende Schilfgrasecke nun dazu benutzend, die dicht folgenden Hunde irre zu führen oder aufzuhalten, schnitt er wieder hinüber, und näherte sich reißend schnell dem niedern Wassersturz.

Nell und Boney, mit der größeren Schwimmfertigkeit ihres Feindes wohl bekannt, sahen kaum, wie dieser in offener Flucht und den mit Speeren bewaffneten Jägern so weit voraus, sein Heil suchte, als sie auch schon, wie verabredet, dem ihnen am nächsten liegenden linken Ufer zuschwammen, dieses erreichten, und nun schnellen, flüchtigen Laufes darauf hinstürmten, dem Schwimmenden den Weg abzuschneiden. Dicht über dem Fall aber, von Dickson's wüthendem Schreien zum Aeußersten getrieben, sprangen sie wieder, jetzt dicht hinter dem Otter, in's Wasser, während die Anderen der Meute ebenfalls in nur wenigen Schritten Entfernung kleffend und winselnd folgten.

Wo der Otter zum letzten Male in's Schilf gekrochen war, hatte er mehrere junge Hunde verleitet, ihn immer noch dort zu glauben, und eifrig nach ihm das dichte Gestrüpp zu durchwühlen, was, Einem besonders, fast sehr schlecht bekommen wäre, da Hawkins, der im ersten Augenblick, als er sich Etwas bewegen sah, glaubte, es sei der Otter, schon zum tödtlichen Stoße ausholte, seinen Irrthum aber noch glücklicher Weise zeitig genug einsah.

Schlimmer erging es Dickson, der, jetzt Nässe und Feuchtigkeit verachtend, in das seichte Wasser sprang und mit der Linken den Hut um den Kopf schwenkte, die Meute durch immer grellere und ohrenzerreißendere Töne zu fast wahnsinniger Wuth antrieb, während er selbst der Jagd nachzukommen versuchte. Aber wehe – der nächste Schritt, den er that, brachte ihn mit dem Fuß in ein tiefes Senkloch – er verlor das Gleichgewicht, und verschwand im nächsten Moment unter der über ihn wieder friedlich zusammenschießenden Fluth, wenig von den Jägern, und noch weniger von den Hunden beachtet, die wild und theilnahmlos vorbeistürmten.

Jetzt hatte aber auch der Otter den Fall erreicht, und glitt mit Blitzesschnelle darüber hin – doch kaum zehn Schritt von ihm entfernt, stand Halway, den Speer hoch erhoben und ruhig und kaltblütig den Zeitpunkt abwartend, der ihm einen sichern Wurf gestatten würde, denn kaum durfte er hoffen, seine Waffe in diesem Augenblick mit Erfolg schleudern zu können. Er sollte auch nicht lange harren – in der nächsten Secunde verschwand der Otter in den schäumenden Sprudelwellen, die hier seit Jahrtausenden gegen den Fall ankämpften, und gleich darauf stieg er korkähnlich wieder daraus hervor.

Dies war aber das einzige Moment, in dem Halway hoffen durfte, seinen Wurf anzubringen; und er wußte das. – Schnell zuckte noch einmal der schon gehobene Arm zu kräftigerem Schwunge zurück, und dann, von der starken Hand gesandt, zischte er nieder in die schäumende Fluth, aus welcher eben das bärtige Gesicht des armen, gehetzten Thiers aufgetaucht war.

Wie mit Zauberschnelle verschwand Otter und Harpune unter Wasser, jetzt aber glitten auch, kühn und unerschrocken, die beiden Hunde über den Fall, und als der zum Tode Getroffene zuckend und sich sträubend wieder an die Oberfläche kam, erfaßten ihn die treuen Rüden, und zerrten ihn, winselnd und mit den Schwänzen wedelnd an's Ufer.

Dickson war indessen ebenfalls seinem nassen Bade entstiegen, und Merville, der jetzt, freilich etwas spät, auf dem Kampfplatz erschien, half die Beute auf's Trockene ziehen und wehrte die übrige Meute ab, die kleffend herbeistürmte und ihre Freude wenigstens durch einige wohlangebrachte Bisse kund zu thun wünschte.

Nach und nach versammelte sich nun die ganze Jägerschaar um das glücklich erlegte Thier, und nachdem es gemessen war – es maß vier Fuß fünf Zoll vom Kopf bis zum Schwanzende – zog sie jubelnd dem nicht weit entfernten Farmhof Halway's zu, um sich dort bei Speise und Trank von den gehabten Anstrengungen zu erholen.

Dickson aber und Merville waren an diesem Tage die beiden unglücklichen Schlachtopfer aller Jägerscherze.

Druck von Breitkopf und Härtel in Leipzig.

Hinweise zur Transkription

Das Originalbuch ist in Frakturschrift gedruckt. In dieser Transkription werden gesperrt gesetzte Schrift sowie Textanteile in Antiqua-Schrift hervorgehoben.

Der Halbtitel wurde entfernt.

Der Text des Originalbuches wurde grundsätzlich beibehalten, einschließlich absichtlich fehlender Satzzeichen in den beiden "Bomaier"-Auswandererbriefen, sowie uneinheitlicher Schreibweisen wie beispielsweise "Arkansas" – "Arkansus", "Barkeeber" – "Barkeeper", "dausend" – "tausend", "dies" – "dieß", "Riviere – "Rivière",

mit folgenden Ausnahmen,

im Inhaltsverzeichnis: "224" geändert in "229"
(Civilisation und Wildniß      229)

Seite 6:
"Gabrieln" geändert in "Gabrielen"
(denn Gabrielen behandelte sie nicht wie eine Dienerin)

Seite 8:
"«" und "»" eingefügt
(um aller Heiligen willen,« bat Gabriele, »so hab ich Dich)

Seite 16:
"«" eingefügt
(habe ich Schutz und Hülfe gefunden.«)

Seite 22:
"Schade" geändert in "schade"
(verdammt schade, daß man rothes Fell)

Seite 23:
"mistrauischen" geändert in "mißtrauischen"
(seinem Gefährten einen schnellen, mißtrauischen Seitenblick)

Seite 32:
"Gariele" geändert in "Gabriele"
(»Gabriele!« rief aber der Vater)

Seite 37:
"einem" geändert in "einen"
(wie die Gesetze einen Overseer)

Seite 37:
"Mishandlung" geändert in "Mißhandlung"
(für die Mißhandlung dieser Unglücklichen)

Seite 42:
"«" hinter "Duxon." entfernt und hinter "Cent," eingefügt
(keine funfzig Cent,« höhnte Duxon.)

Seite 45:
"machmal" geändert in "manchmal"
(lügen Ihnen manchmal das Blaue vom Himmel)

Seite 45:
"Gescheideste" geändert in "Gescheidteste"
(Das Gescheidteste wäre)

Seite 68:
"aufgetrocknet" geändert in "ausgetrocknet"
(noch nicht ganz wieder ausgetrocknet war)

Seite 69:
"«" hinter "St. Clyde," entfernt und hinter "Gott!" eingefügt
(»Großer Gott!« stöhnte St. Clyde, erschüttert auf die)

Seite 75:
"Cocktaws" geändert in "Chocktaws"
(Es sind Chocktaws – ich muß fort)

Seite 87:
"los ließ" geändert in "losließ"
(dieser sie halbbetäubt losließ)

Seite 90:
"den" geändert in "denn"
(ein Ende machte, denn er hielt plötzlich sein Pferd an)

Seite 93:
"Überirdische" geändert in "Ueberirdische"
(glaubt nicht mehr an das Ueberirdische)

Seite 93:
"»" vor "oder" entfernt und "«" hinter "geträumt," eingefügt
(mit wachenden Augen geträumt,« oder die lieblose)

Seite 98:
"laß" geändert in "las"
(nöthigte ihn sehr artig zum Sitzen, las dann den Titel)

Seite 108:
"ewigens" geändert in "ewigen"
(in die kreisenden Sonnenwelten des ewigen Seins)

Seite 110:
"ganzem" geändert in "ganzen"
(er sie in seinem ganzen Leben noch nicht)

Seite 113:
"Fahrboote" geändert in "Fährboote"
(schnelle Fährboote, mit kleinen rasch puffenden Maschinen)

Seite 113:
"Frucht" geändert in "Fracht"
(eifrig beschäftigt, die Fracht aus- oder einzuladen)

Seite 124:
"das" geändert in "daß"
(und der Gedanke auch, daß sie ihren Verwandten)

Seite 127:
"Umständen" geändert in "Umstände"
(siegten die äußeren, keineswegs günstigen Umstände)

Seite 130:
"ihn" geändert in "ihm"
(ihm für die treue Wahrung seines Kindes dankte)

Seite 135:
"." eingefügt
(an der Dampfbootlandung hin und her. – Sollte er)

Seite 136:
"abhing" geändert in "anhing"
(mit aller Liebe einer wirklichen Tochter anhing)

Seite 139:
"so gar" geändert in "sogar"
(mußte sogar ein paar Mal stehn bleiben)

Seite 143:
"das" geändert in "daß"
(ahnen zu lassen, daß dort, wohin man)

Seite 150:
"des" geändert in "das"
(habe unten an der Landung das Sternwheelboot)

Seite 152:
"fur" geändert in "für"
(in Mainstreet soll dann ein Wagen für Euch stehn)

Seite 152:
"«" eingefügt
(dafür will ich auch schon Sorge tragen.«)

Seite 157:
"halbschlauen" geändert in "halb schlauen"
(die halb schlauen, halb ängstlichen Seitenblicke)

Seite 166:
"den" geändert in "gen"
(Bug gen Westen und schoß blitzesschnell davon)

Seite 171:
"körperlichen" geändert in "körperlichem"
(was er zu körperlichem Wohlbefinden gebrauchte)

Seite 172:
"erungenen" geändert in "errungenen"
(er entsagte ja nur einem errungenen Vortheil)

Seite 176:
"-" eingefügt
(kürzlich eingetroffenen Mail- oder Postboot)

Seite 176:
"," eingefügt
Eagle of the West«, ein rasches wackeres Dampfboot)

Seite 187:
"unermüdlichen" geändert in "unermüdlichem"
(der mit unermüdlichem Eifer daran ging)

Seite 190:
"halten" geändert in "haltend"
(an jeder Station ewig lange haltend, und zuletzt gar)

Seite 203:
"«" hinter "Lippen." entfernt
(und biß sich auf die Lippen.)

Seite 217:
"wiederstand" geändert in "widerstand"
(sie widerstand allen meinen Bemühungen)

Seite 230:
"-" eingefügt
(das Meeting- oder Bethaus)

Seite 242:
"»" eingefügt
(»hahahaha! weißer Mann – mehr)

Seite 251:
"«" hinter "gewesen;" entfernt und hinter "aber," eingefügt
(an dem Tage gewesen; aber,« setzte er leiser hinzu)

Seite 258:
"«" hinter "lesen," entfernt und hinter "Mutter?" eingefügt
(»Soll ich weiter lesen, Mutter?«)

Seite 259:
"«" eingefügt
(keinen Sohn – keinen Freund ....«)

Seite 263:
"»" vor "denn" und "«" hinter "beziehen." entfernt
(denn auf diesen mußte sie doch natürlich das Gesagte beziehen.)

Seite 263:
"Sich" geändert in "sich"
(was Sie sich hätten denken können)

Seite 264:
"»" vor "fuhr" entfernt und "«" hinter "sein," eingefügt
(muß es doch gewiß sein,« fuhr die unverwüstliche)

Seite 264:
"Sich" geändert in "sich"
(Denken Sie sich, Miß Baywood)

Seite 267:
"demselbem" geändert in "demselben"
(ihr Auge begegnete in demselben Moment)

Seite 268:
"hieher" geändert in "hierher"
(hierher nach Boonville zu holen)

Seite 279:
"ihn" geändert in "ihm"
(Hütte bei Hütte durchforschte er nach ihm)

Seite 302:
"Drathpuppen" geändert in "Drahtpuppen"
(Zum Teufel mit den seelenlosen Drahtpuppen)

Seite 332:
"den" geändert in "der"
(Heizer auf einem der Mississippi-Dampfboote)

Seite 376:
"großen" geändert in "großem"
(von vielem und großem Einfluß sein)

Seite 366:
"Papierkabseln" geändert in "Papierkapseln"
(die gewöhnlichen Streichhölzchen in Papierkapseln)

Seite 379:
"freundlich" geändert in "freundliche"
(fand ich eine freundliche Familie beisammen)

Seite 410:
"Scherck" geändert in "Schreck"
(sich von seinem Schreck erholen konnte)

Seite 411:
"»" eingefügt
(vom anderen Ufer aus – »Hurrah Hunde – faßt ihn)

Seite 412:
"«" eingefügt
(»Wie kam's, daß Ihr den Otter fehltet, Merville?«)

Seite 412:
"»" eingefügt
(»er lag Euch doch dicht vor den Füßen.«)

Seite 413:
"»Nell und Boney«" geändert in "Nell und Boney,"
(Nell und Boney, mit der größeren Schwimmfertigkeit)

sowie jeweils "«," geändert in ",«"

auf Seite 405:
(»S'ist nur ein Glück,« meinte Dickson)

und Seite 412:
(»Ich gebe Euch mein Wort darauf,« betheuerte Merville)







End of the Project Gutenberg EBook of Aus zwei Welttheilen. Zweiter Band., by 
Friedrich Gerstäcker

*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK AUS ZWEI WELTTHEILEN. ***

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