Anmerkungen zur Transkription
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von
Theodor von Kobbe.
Erstes Bändchen.
Bremen,
Verlag von Wilhelm Kaiser.
1840.
Druck von F. W. Buschmann.
Meinen
Universitätsfreunden
voll unsterblicher
Erinnerung
gewidmet.
Vorwort. | I |
Erstes Kapitel. | 1 |
Zweites Kapitel. | 13 |
Drittes Kapitel. | 39 |
Viertes Kapitel. | 79 |
Fünftes Kapitel. | 105 |
Sechstes Kapitel. | 126 |
Siebentes Kapitel. | 145 |
Beglaubigte Abschrift der Protocolle, gehalten in der Abgeordneten-Versammlung zu Jena. | 187 |
Smollis Ihr Herren!
Während des Drucks der ersten acht Bogen brauchte ich die Wasserkur in Gräfenberg. In dieser Zeit ist mir auf dem grünen Felde der Erinnerung mancher ärgerlicher Druckfehler erwachsen und leider! keine Zeit zur totalen Vertilgung durch Umdruck, der nur partiell geschehen konnte, mehr vorhanden. Vor allen Dingen bitte ich Seite 19 Zeile 14 und Seite 34 Zeile 9, negierend statt regierend, S. 20. Z. 12, Hirschhorn für Hirschhern. S. 16. Z. 21, Choragen für Choragee. S. 151. Z. 21, Jena’s für Jonas zu lesen, und hie und da sogar ein Wort zu suppliren.
Ihr lieben Commilitonen werdet mir dies schon vergeben, und da Ihr wohl instruirte Leute seid, doch das Richtige heraus lesen. Aber auch von Euch, Ihr gestrengen Recensenten! und von Euch, Ihr griesgrämlichen Philister! und vor Allen vom wohlgesinnten Leser erbitte ich mir Amnestie, welches ja auch ein so schöner gesuchter Artikel unserer humanen Zeit ist. Ich wende mich vertraulich an Euch alle und es ist mir schon als ob meine Ohren die gewünschte Antwort vernehmen:
Fiducit!
Oldenburg
im Großherzogthum Oldenburg
im August 1840.
Theodor von Kobbe.
Weinheim. Graf M. — J. Der Hecht. Thibaut. Der badische Hof. Die Burschenschaft. Ms. Duell. — Js Rappierjunge.
»Wie heißt diese Station?«
»Weinheim. — Sie ist die letzte vor Heidelberg.«
»Nun dann ist das Ziel der Reise bald erreicht. Nicht wahr M. und J. darauf wollen wir eine Flaschen leeren?«
M. nickte bejahend. J. sagte burschikos: »Das ist klar, das ist Natur.« Ich: »Herr Postmeister! Wir bitten um eine Bouteille Wein.«
»Ich habe keine Schenke meine Herren! Ein Glas Wasser steht zu Dienst,« lautete die Antwort.
»Wasser das ist klar, das ist Natur!« bemerkte ich J. parodirend.
»Und denn will sich der Ort noch Weinheim 2 nennen. Die einzigste Station von Hamburg her, wo einen nicht einmal schlechter Wein gereicht wird. Wasserheim sollte es heißen.« rief J. verdrießlich.
»Sie können es in Heidelberg nachholen,« lächelte der Posthalter, als wir die mit Extrapostpferden bespannte Chaise bestiegen um zu dem Ort unserer Bestimmung zu gelangen.
»Der Philister will witzig sein und hat nicht einmal Wein, was der schlechteste Witz von der Welt ist,« brummte J. in sich hinein.
Graf M. und ich hatten die Hamburger Schule besucht. — Wir waren dort Freunde und Studiengenossen gewesen. Er hatte einigen Freunden und mir ein Collegium über den Homer, ich den Herrn eins über den Terenz gelesen. Gleichwol stand ich ihm an Schulkenntnissen weit nach. Unser dritter Reisegefährte war ein gewisser J. aus Westphalen, der auf der Altonaer Schule erzogen war und sich zu uns gesellt hatte.
Das erste was wir nach der Ueberfahrt über die Elbe außer Solavee, der Guirlande Haarburgs, sahen, waren drei Maulthiere, die ein alter Kerl vor sich her trieb.
»Maulthier,« so heißt ein Exprimaner der zur Universität geht, in der Burschensprache.
Wir beschlossen den Studententitel zu erfrühen. Nach langen Debatten war derselbe jedoch nur unserm Freunde J., welcher früher auf der Kieler Schule gewesen war, und seinem rothen mit Höllenstein gefärbten Backenbart, wie einem erst kürzlich überstandenen Nervenfieber sein älteres Aussehen verdankte, — und zwar dahin bewilligt, daß er behaupten dürfe, ein halbes Jahr bereits in Kiel studirt zu haben.
J. hatte dies oft auf der Reise zu der Bemerkung benutzt, daß wir junge Schüler seien, welche er auf die Universität führe. Dazu hatten wir schweigen müssen. Allein Nemesis rächte uns.
Als wir den Lutherberg hinter Hannoversch Münden, aus Mitleid gegen unsere Pferde zu Fuße erklommen, sahen wir einen kräftigen Mann von mittleren Jahren, der es, wie wir, mit seiner Chaise machte.
»Wenn ich nicht irre, sind die Herren Studenten,« rief er uns zu.
M. und ich schoben J. als solchen vor. Von uns selbst berichteten wir die Wahrheit, daß wir nur noch burschikose Embrionen seien.
»Lassen Sie uns die Reise gemeinschaftlich machen, wenigstens bis Marburg, wo ich meinen Vater besuchen will. Ich zahle für zwei Pferde 4 das Postgeld, wir lassen dann viere anspannen und fahren mit sechszehn Beinen,« beanfragte der Fremde.
Wir acceptirten diesen annehmlichen Vorschlag und fanden auch später keinen Grund dies zu bedauern. Unser Reisegefährte war der Professor Bucher aus Erlangen, ein Mann von Kopf und Herz, dem ich hier das Zeugniß geben muß, daß ich keinen seiner Collegen kennen gelernt habe, der mir so liebenswürdig vorgekommen ist wie er. — Ist es mir doch noch, wie gestern, daß er mir das Städchen vom Wagen uns zur Linken zeigte, in welchem er seine jetzige Frau zum ersten Male gesehen hatte. Seine Züge verklärten sich schon beim Anblick des Kirchthurms, jede Miene seines Gesichtes wurde zum Liede. Es ist ein herzerhebender Anblick, wenn ein kräftiger Mann in der Erinnerung an die göttliche Zeit der Ideale schwelgt.
Der an Menschenkenntniß reiche Professor hatte uns bald durchschaut. J. hatte er durch die lustigste Folter von der Welt, indem seine peinliche Frage hauptsächlich in einer Erkundigung nach den Collegien, die J. gehört haben wollte, bestand, — zum Geständniß seiner noch nicht geschehenen Immatriculation gebracht. Er hatte ihm darauf das Prognosticon eines armen Renommisten, der noch manche 5 Unannehmlichkeiten in der Welt bestehen würde, gestellt. Dem Graf M. sagte er eine hohe Stellung in der Welt voraus, die dieser auch jetzt einnimmt. —
Was er mir verkündete, ist erst theilweise eingetroffen. — Sobald es Alles in Erfüllung gegangen ist, will ich den Seher loben. — Aber das sagte ich ihm damals voraus, daß ich seiner Liebenswürdigkeit ewig gedenken, und daß, wenn ich einmal das Glück haben würde, ein Schriftsteller meiner Universitätsjahre zu werden, ich dieser unserer Reise mit Dankbarkeit gegen ihn öffentlich gedenken wollte.
Ich habe hiermit mein Versprechen erfüllt.
Wir fuhren die Bergstraße hinauf unter blühenden Bäumen. Die Natur hatte ihre reizendsten Gewänder angelegt. Wie pupperten unsre Primanerherzen vor Freude! Ich begreife noch zu dieser Stunde nicht, das mir das meine nicht vor Lust gebrochen ist.
Ich sang in Einem fort Studentenlieder bis ich vor Heiserkeit nicht weiter konnte. —
Da ertönte plötzlich ein Ha! aus jeder Kehle.
Wir waren um die Ecke bei Neuenheim gebogen. Wir hatten Heidelberg erblickt, an das Gebirg gelehnt, zu seinen Füßen den munter dahin fließenden Neckar, auf seinem Haupte die Schloßruine als 6 Krone, die Umgebungen, überall mit Weinbergsträußern geschmückt.
Der Eindruck war unbeschreiblich.
Der Postillon führte uns zum goldenen Hecht, auf ausdrückliches Verlangen unsers Freundes J., der sich aus Zarachias Renommisten der Stelle:
»Zum blauen Hecht trug ihn Kalmucks geschwinder Lauf.«
dabei erinnerte.
M. und ich kleideten uns an, um Thibaut aufzuwarten. J. ging seiner Wege, ich glaube er wollte sich nach den Befugnissen der Polizei in Heidelberg erkundigen.
Thibaut, ein genauer Freund von Ms. Vater empfing uns sehr freundlich in seinem Garten. Er selbst war Enthusiast für die Gegend und das Klima Heidelbergs.
»Fühlen Sie einmal die Luft.« das waren die Worte, womit er uns mit ausgestreckter Hand anredete.
Später ging er mit uns und zeigte M. die für ihn gemiethete Wohnung. Dann miethete er für mich bei dem alten Licentiaten B... in der Mittelbadgasse ein Logis. Noch denke ich mit Schauder an die drei bildhäßlichen Töchter des Hauses, 7 sie kommen mir wieder im Schlaf vor, wenn ich Unverdauliches gegessen habe.
»Sie bezahlen eigentlich eine Pistole zuviel,« lächelte der Geheimerath, »allein sie können die Häßlichkeit der Töchter auch wieder höher als eine Pistole anschlagen.«
Ich bin Thibaut wohl für seine Artigkeit und für seine väterliche Präventionstheorie, nicht aber für dies Quartier dankbar. — Ich habe viel Verdruß durch meine Leichtgläubigkeit gehabt, — doch weg mit allen Klatschereien, sie sind alle todt, requiescant in pace.
Von den ersten drei Tagen meines Burschenlebens in Heidelberg weiß ich fast nichts mehr zu referiren. Es flimmert mir sogleich vor den Augen, wenn ich daran denke. Ich lebte den Zustand eines opiumberauschten Türken.
Ich war den ganzen Tag über auf den Burschenkneipen, studirte jedes Gesicht und versuchte mit Jedem ein Gespräch anzuknüpfen, was gerade im Anfang jedes Semesters leicht wurde, besonders da alle Partheien einen Neuling an sich zu ziehen suchten. Ich war alle drei Abende nacheinander bei Thibaut eingeladen, ließ mich aber jedes Mal entschuldigen.
Graf M. sprach ich täglich nur einige Minuten. Er hatte sich in den ersten Tagen größtentheils bei Thibaut aufgehalten, dann aber die Kneipe seiner Landsleute, die damals zu den Westphalen gehörten, besucht, auch auf besondere Verwendung dieser, mit ihnen den Mittagstisch genommen.
Es war nämlich im Frühling 1817 eine halbe Hungersnoth in Heidelberg. Mancher arme Schelm wurde mit Gras im Munde, am Hungerstod gestorben, im Walde gefunden. Ein Laib fast ungenießbares Brod von vier Pfund, kostete 40½ Kreuzer, die Kreuzerwecke konnte mit unbewaffnetem Auge fast nicht wahrgenommen werden. Alle Studententische waren geschlossen, da die Wirthe, welche Schaden bei dem gewöhnlichen Pränumerationspreise hatten, zwar in Erwartung einer guten, später auch eintretenden Erndte, zwar diesen nicht erhöhen aber auch nicht mehr Abonnenten haben wollten.
Eine travestirte Laona irrte ich mit meinem Hunger von Table d’hote zu Table d’hote umher. Ich mußte zwei Monate in den Gasthäusern wie ein durchreisender Fremder täglich einen Gulden für mein Couvert bezahlen bis Herr Hellwerth, der Wirth des Badischen Hofes, mich als wirklichen 9 Stammgast um einen ermäßigten Preis, und wahrlich nicht zu seinen Schaden, annahm. —
Wenn ich mit M. zusammen kam, so lenkte sich das Gespräch natürlich bald auf die wichtige Frage, ob wir überall in eine und in welche Verbindung wir treten wollten. — Ich hatte von den Burschenschaftlern die Arndtschen Lieder:
»Was ist des Deutschen Vaterland?«
»Sind wird vereint zur frohen Stunde!«
so wie das Körnersche:
»Wie wir so treu beisammen stehn.«
gehört, jede Faser meines Leibes war von dieser Vaterlandsglut durchströmt, nur in der Burschenschaft glaubte ich mein Heil finden zu können. —
Ich eröffnete dies M.
Dieser aber erklärte, bei dem Glauben seiner Landsleute bleiben und das Grün-Schwarz-Weiß der Westphalen zu seiner Leibfarbe machen zu wollen.
Ich trat in die Burschenschaft.
Unser Umgang wurde dadurch seltener, jeder war für seine Verbindung zu sehr enragirt, indessen M. noch viel mehr als ich. —
Ein Jahr später sah ich auf der Hirschgasse meinen Freund M., mit einer klaffenden Wunde in der Brust. — Ein feindlicher Burschenschaftschläger, geführt von dem trefflichen S. aus N., war ihm 10 zwischen der dritten und vierten Rippe in die Seite gefahren. Er sah mich mit seinen sterbenden Blicken traurig aber mit Freundeszärtlichkeit an. Das Ganze war um einen nichtswürdigen Kerl hergekommen und Ms. Duell mit eine sogenannte Nachstürzerei, in welche auch ich verwickelt war.
Die Mißverhältnisse mit den Landsleuten, die nothwendige Vermeidung einer Rührung, machten es unmöglich zu ihm zu gehen.
In derselben Stunde verließ ich von Schmerz zerknirscht mit S. aus verschiedenen Thoren Heidelberg. Es war mir unmöglich mit dem tödtlich verwundeten Jugendfreunde in Einem Ort zu leben ohne ihn sehen zu können. Ich floh nach Rastadt, wo ich jeden Morgen durch meinen treuen Freund v. P. ein Gesundheitsbulletin über M. empfing.
Ich verlebte eine höchst qualvolle Zeit. Noch jetzt habe ich einen Brief von v. P., an einen andern in Rastadt Lebenden in Händen, der die Furcht ausspricht, ich würde vor Schmerz verrückt werden.
Sein Gegner S. lief bewußtlos nach Rheinbaiern. Er sank hier unter einem Apfelbaum und schlief ermüdet ein. Hier erschien ihm ein Engel im Traum und sprach zu ihm: »Dein Gebet wird erhört, M. wird genesen. Kehr zurück nach Heidelberg.«
S. that wie ihm der Engel geheißen.
Chelius aber hat ein Meisterstück an M. verübt. Nachdem er fast zwei Jahre an derselben hoffnungslos gelegen und seine Brust täglich eine Masse Eiter ergossen hatte, ist M. ein starker kräftiger Mann geworden.
Erst, als er gerettet war, durfte ich ihn wieder sehen.
Hol’ der Teufel Landsmannschaft und Burschenschaft wenn die solche Freunde kosten, dachte ich, und denke seitdem noch so. —
Unserm dritten Reisegefährten J. erging es wie Bucher vorhergesagt hatte. —
Er war kaum vierzehn Tage in Heidelberg, als er sich gegen einen alten Burschen einen unanständigen ledernen Witz über dessen Schwester, die er gar nicht kannte, erlaubt hatte.
R — bemerkte »Fuchs, solch ein schnöder Witz ist einen Rappierjungen werth.«
Unter dem Wort Rappierjunge versteht man ein Duell mit ungeschärften Rappieren.
»Ich wette«, versetzte J., welcher sich viel darauf zu Gute that, einigen Fechtunterricht von einem Dänischen Unterofficier in Altona erhalten zu haben, »daß ich Dir eher zwei Hiebe beibringe, als Du mir einen.«
»Du Fuchs!« lachte N.
N. war der beste Schläger in Heidelberg. Er dachte sich es doch ein wenig sicher nehmen zu müssen, damit der Fuchs ihn nicht blamire. Er nahm ihn daher sich »sûr« wie die Studenten es nennen.
Beide traten auf die Mensur. J. schlug eine Terz. N. parirte und schlug eine Quart nach. »Herr Jesus!« rief J.
N. hatte ihm fast alle Zähne, seine einzige physikalische Zierde, aus dem Munde geschlagen.
Die meisten Nerven lagen entblößt. Er hat, so lange er in Heidelberg war, entsetzlich am Zahnweh gelitten.
Wo J. geblieben ist, weiß ich nicht.
Göthe, Ludwig Robert, Carl Thorbecke, Massenbach, August Wilhelm Schlegel, Jean Paul, Martens, Heinrich Voß, Joh. Heinrich Voß, Wambold, Morstadt, Uexküll.
Zu den Fremden, welche gar oft Heidelberg besuchten, gehörte auch Göthe, den ich freilich nicht mehr dort gesehen, weil er, wenn ich nicht irre, zum letzten Male im Jahre 1815, das Neckar-Athen besucht hatte. — Göthe, daran gewöhnt von allen Dingen Nutzen zu ziehen, sowohl von der Natur als wie von der Kunst, hatte die Huldigungen, welche die Professoren seinem großen Genius brachten, sofort dazu benutzt, sich von jedem irgend ein Collegium lesen zu lassen. Der Mephisto, sit venia verbo, hatte die Gestalt des Schülers angenommen und sich, indem er nur lernte, nicht aber lehrte, fortwährend, so zu sagen, geistig tractiren lassen. Als ich dem Dichterfürsten im Jahre 1818 14 in der Tanne vor Jena aufwartete, schien er mit einiger Wärme nach dem Professor Schelver, dem damals renomirtesten Magnetiseur in Süddeutschland sich zu erkundigen, von dem ich noch später reden werde.
Was aber Göthe wol am Meisten nach Heidelberg gezogen hat, das mögen die Boißeréeschen Bilder gewesen sein, welche er stundenlang, mit dem innigsten Entzücken betrachtet, und oft in Bezug auf ihre Urheber ausgerufen haben soll: Das waren noch Dichter! Bei dieser Gelegenheit mag eine wenig, vielleicht nur durch meine Humoristischen Blätter bekannt gewordene Erzählung hier einen Platz finden, welche der geschwätzige Erklärer der Boißeréeschen Bilder, Herr Bertram, bei Vorzeigung eines Gemäldes, sicher mehr aus einer localen Erinnerung, als aus Causal-Zusammenhang, denn das Bild stellte den Tod der Maria vor, zum Besten zu geben pflegte:
»Zu der Zeit, als die verbündeten Heere in Frankreich auf ihren Lorbeeren ruhten, war Göthe, wie fast alljährig in jener Zeit, bei uns in Heidelberg zum Besuch. Eines Morgens, als der Alte noch im Bette lag, wurde ihm ein Preußischer Officier, einer seiner blindesten Enthusiasten, gemeldet. Er habe, ließ er den 15 Poeten sagen, einen Umweg von zwanzig Meilen gemacht, um seinen Lebenswunsch »Göthe von Angesicht zu Angesicht zu schauen,« erreichen zu können. Wolfgang erklärte aber rundweg, er wolle den Fremden nicht sehen. Der Officier wiederholte den achselzuckenden Kammerdiener seine Bitte mit dem Anfügen, daß seine Bewunderung des Dichterfürsten ihm die schwerste Strafe zuziehen könne, wenn sein Abweichen von der Marschroute an den Tag käme, er rührte durch seine Mienen den Kleinbotschafter sogar, der wiederholt für den envagé seines Herrn bei diesem interredirte, alle Versuche waren aber vergebens. Göthe blieb regierend im Bette liegen. Da verkehrte sich seines Verehrers Liebe in Zorn. Zur Seite stieß er den Kammerdiener, dann eilte er mit gezücktem Schwerdte an des Dichters Lager, indem er ausrief: »»Noch hab ich jede Schanze auf die ich losstürmte gewonnen, und das Bett eines eigensinnigen Poeten sollte mir verborgen bleiben.«« Was that der erstürmte Göthe? Kaum trat der Officier an sein Lager, als bald durch die heilige Nähe des Sehers, wie durch die Erreichung seines Wunsches calmirt, als der Herr Geheime Rath anfing, successive dermaßen Gesichter zu 16 schneiden, daß der Krieger, der ohnehin nicht lange warten konnte, nur die Züge eines Grimaciers, nichts aber von den Göttermienen des Verfassers der Iphigenia, des Tasso’s und des Faust’s erkennen konnte.«
Zu den interessantesten Literaten seiner Zeit ist Ludwig Robert gewiß mit Recht zu zählen. Von jüdischen Eltern geboren, der Bruder Rahels, hatte er eine sehr sorgfältige Erziehung genossen und war vor allen Dingen ein gründlicher Denker, wenn er gleich noch im Fichteschen »Ich« befangen war. Die Wärme des Christenthums hatte sein Herz durchdrungen, er war ein wohlwollender uneigennütziger Mensch. — Welch einen gewaltigen Einfluß aber die ersten Eindrücke der Jugend auf uns äußern, davon gab er mir einmal ein scherzhaftes Beispiel. »Mein Vater war sehr reich,« erzählte er mir eines Tages, »indessen war die Wohlthätigkeit meiner Mutter unverhältnißmäßig viel größer, als des Vaters Vermögen. Sie gab ohne sein Wissen, jährlich wol tausend, ja was will ich sagen, tausend, gewiß eilfhundert Thaler an die Armen« — Ein geborner Christ, nicht als ob die Wohlthätigkeit nicht mehr bei den Juden zu Hause wäre als bei uns, hätte unmöglich soviel arithmetische Reflexionen in 17 einen solchen Passus gebracht, sein Klimax wäre gewiß von tausend auf zweitausend, und wenn er selbst Mann vom Fach, Kaufmann gewesen wäre, doch wenigstens auf funfzehnhundert gestiegen. —
Als Robert Heidelberg verließ, bat ich ihn um ein Stammblatt, und zwar um einige Verse. Er antwortete mir: »Einen schlechten Spruch in Versen für Sie zu schreiben, geziemt uns nicht.«
»Zur Nutzanwendung mögte der 38jährige gern dem 19jahrigen etwas aufzeichnen, aber das, was er ihm am Liebsten in der Art sagte, darf er ihm nicht sagen; daher wird Robert, weil er Kobbe sehr lieb gewonnen hat ihm zuweilen schreiben und sich nach seinem Thun und Treiben freundlich und herzlich erkundigen. Glauben Sie mich nie unwahr.
Ihr Robert«
Heidelberg, den 31. Decbr. 1817.
Robert war meinen poetischen Bestrebungen sehr gewogen. — Freilich demüthigte er mich auch oft, indessen hat er mich dadurch von jedem schriftstellerischen Hochmuth bewahrt. So besinne ich mich unter Anderm, daß er mir zwei Akte eines von mir geschriebenen Trauerspiels mit der niederschlagenden Ermunterung zurück gab! »Schreiben Sie frisch darauf los, noch sechs solche Trauerspiele, verbrennen Sie aber ja alle, dann werden Sie Glück 18 mit dem siebenten haben. Wenn nur alle jungen Dichter diese Sybillenweisheit beherzigten.«
Es ist mir allezeit auffallend gewesen, warum die Schriften Ludwig Roberts so wenig Epoche gemacht haben, und selbst jetzt selten genannt werden. Das Erste läßt sich am leichtesten begreifen. — Denn in der Zeit seiner meisten Productionen war das Publicum nur ganz Jahnisch und Arendtsch; ein Poet durfte nur Körnersche Lieder vor die Augen der Leser bringen. Roberts »Kämpfe der Zeit« erregten einen rauschenden aber bald verklingenden Beifall. Von seinen dramatischen Sachen hat sich »die Macht der Verhältnisse« fortwährend auf der Bühne erhalten. Obgleich unsere chinesischen Vorurtheile keineswegs sich verringert haben, vielmehr in trägen Frieden sich tagtäglich vergrößern, das Stück mithin nur zu sehr die Interessen des Tages anregt, woher auch seine fortwährende Geltung rühren mag, so ist in demselben doch kein tragisches Element zu finden. Die Miserabilitäten der Standesvorurtheile zu bekämpfen, dafür haben wir das Lustspiel, dessen Haupttypus immer der sich aufblähende, einem Ochsen gleichen wollende, und endlich zerspringende Frosch bleibt. — Wenig bekannt ist Roberts Drama »die Gleichgültigen oder die Nichtigen,« ein kostbares Lustspiel, 19 was wahrscheinlich nur um seiner treffenden Wahrheit willen, und weil es alle Stände unerbittlich züchtigt, sich nicht ein Beifall zollendes Publikum erworben hat.
An der Wirthstafel des Badischen Hofes zu Heidelberg lernte Robert in demselben Jahre seine künftige Gattin kennen, das schönste Weib, das meine Augen je erblickt haben. Die Ironie des Schicksals hatte diese Dame, ein würdiges Modell zu einer Madonna, in traurige unwürdige eheliche Verhältnisse gebracht, von denen Robert sie nicht ohne große pecuniäre Opfer erlößte. — Die schöne Frau wurde dadurch zum dankbaren Clärchen gegen ihren Erretter. Noch später hat mir die liebenswürdige Haizinger, ihre getreue Freundin, von der schwärmerischen Liebe erzählt, womit die Gattin Roberts an ihn hing. — Ihr Herz brach mit seinen Augen, wenige Tage nachher wurde auch sie zur Erde bestattet. Von freudigen Gedanken an das Wiedersehn des liebenswürdigen Ehepaars erfüllt, vergesse ich nie die Erschütterung, welche die Antwort einer weinenden Frau in mir hervorbrachte die ich bei der Annäherung des Leichenzugs um den Namen des Todten befragte. »Es ischt halt ä Engel die Wittwe von de Herr Dichter Robert.«
Unvergeßlich bleibt mir ein Doctor Carl Thor 20 becke aus Osnabrück, welcher damals in Heidelberg privatisirte. Unglück, vielleicht auch eigne Schuld haben ihn später in das Verderben gestürtzt und ich zweifle, ob er noch unter den Lebenden wandelt. Nie hab ich einen Sterblichen gekannt welcher eine solche Macht auf die Stimmung der Menschen übte, die er mit einer fast elementarischen neidischen Koboldskraft fast immer dazu anwandte, den Heitern mit Traurigkeit, den Betrübten mit Frohsinn zu erfüllen. Einem Studenten, welcher unter Bürgschaft eines Professors eine Summe Geldes von dem Banquier Hirschhern zu leihen hoffen konnte, aber im Begriff war, diesen Termin zu versäumen schrieb er folgende jocose Verse:
Ein andermal dichtete er folgendes schöne Lied, das zum Beleg seiner wunderbaren Kühleborn-Natur dienen mag.
Noch ein anderes Gedicht Thorbeckens, welches der Vergessenheit entrissen zu werden verdient, möge hier seinen Platz finden:
Die Politik war Thorbecke durchaus verhaßt, er empfand eine förmliche Idiosynkrasie dagegen und bildete darin einen schreienden Contrast mit dem unglücklichen Obersten Massenbach, welcher sich vor seiner Vertreibung aus dem Badischen und vor seiner Gefangennehmung in Frankfurt eine Zeitlang in Heidelberg aufhielt. — »Mein Gott, wie kann man so wenig Interesse an dem öffentlichen Wohl nehmen,« rief einst Massenbach mit seinen blitzenden, achtzehnjährigen Augen, als Thorbecke die vom Kellner ihm präsentirten neuen Zeitungen auf einen Nebentisch warf, welches der Poet kalt mit der Bemerkung beantwortete: »Herr Oberst! wie muß man innerlich zerfallen sein, wenn man sich mit dem 24 Tranke eitler Politik erlaben und erfreuen will.«
Im Jahre 1818 vollzog August Wilhelm Schlegel, unter den Studenten gewiß mit Recht spottweise »Fräulein Schlegel« genannt, sein Beylager mit der Tochter des Kirchenraths Paulus, seine Flitterhochzeit ohne Flitterwochen.
möchte ich bei der Erinnerung an diesen gepriesenen Schriftsteller ausrufen, über den ich weiter kein Urtheil fällen will, wider den ich aber die stärkste Abneigung fühle, die ich gegen einen Menschen empfunden habe.
Die Bonner Studenten haben mir im Jahre 1838 folgende sehr glaubliche Thatsache von August Wilhelm Schlegel mitgetheilt, daß er dann und wann Damengesellschaften gebe, vorher aber seine eignen Büsten, die allein seinen Salon zieren solle, bekränzen lasse; dann aber wenn alle versammelt seien, eintrete, beim Anblick der Büsten stutze, und sich bei den Damen, als die Bekränzung von ihnen herrührend, mit versuchten Erröthen, bedanke. —
Jean Paul schien meine Idiosynkrasie zu theilen; er hatte eine Scheidung von Tisch — wie Schlegel mit seiner Frau vom Bett, mit dem Kammerherrn und Kammerdiener der Frau von Staël stillschwei 25 gend mit ihm verabredet. Beide logirten in Karlsberg, alternirten aber jeden Tag an der Wirthstafel, und zwangen die neugierigen Studenten, welche gerne die beiden »Haupthähne« der Literatur kennen lernen wollten, zwei Mittagsessen zu bezahlen, weil Jeder der Poeten der Anderswoseiende des Gegenwärtigen war.
Die Burschenschaft hatte gar bald die Idee gefaßt, dem großen Jean Paul Richter, dem Dichter der Unschuld und der Armen, wie ihn der geistreiche Börne in seiner unübertrefflichen Lobrede nennt, ein würdiges Lebehoch zu bringen. Sie hatten sich sogar deshalb den Landsmannschaften genähert. Allein das ungerechte Verlangen dieser, die etwa aus hundert und funfzig bestehende Burschenschaft, solle nur als ein einziges Corps, also equal der aus einem Schweizer bestehenden Landsmannschaft sein, und hienach das Contingent der Marschälle, Festordner, Adjudanten und Chapeaux d’honneur bilden, wurde von der Burschenschaft verworfen, die billig genug, nach physischen Köpfen, die verhältnißmäßige Vertheilung der Ehrenstellen verlangt hatte. Die desfalsigen Verhandlungen erregten indessen bei den Vätern der Universität gerechte Unruhe. Es wurde ein Placat erlassen und die Feierlichkeit verboten, weil sich die Herren Stu 26 diosen über die Ausführung derselben nicht vereinigen könnten.
Die Landsmanschaften lachten, denn Wenigen lag in der That daran, dem edelsten Herzblut, das auf der Erde schlug, zu huldigen. — Andere Gefühle erweckte diese Verordnung bei der Burschenschaft, die sich noch an demselben Abende in der Hirschgasse versammelte, und nach einer ergreifenden Rede des Sprechers, sich sofort zu einem Fackelzuge vereinigte und denselben in Bewegung setzte. Wie es nicht ungewöhnlich ist, daß man bei einer ungesetzlichen Handlung alle übrigen Formen genau beachtet, so ward auch diesmal der Sperrkreuzer am Neckarthore gewissenhafter als je, zur kopfschüttelnden Verwundrung des ergrauten Thorwärters bezahlt, und das Licht der Liebe zog in Gestalt von Pechfackeln vor den Hecht, unausgeblasen von dem Pedellen und von dem an dem andern Tage Schiffer schreckenden Gott der Winde. Es ertönten die Worte: Es lebe Jean Paul[1], der große Dichter, der deutsche Mann! dann ein Gesang gedichtet von Carové, in Ermanglung eigner Melodie auf die Töne des »God save the king« gepfropft. Jean 27 Paul erschien beim ersten gehörten Ausruf. — Die breite Stirn, das nur vom Anblick der Götter erblindete blaue göttliche Auge, die kräftige wenn gleich nicht große Gestalt, das deutsche, auf den Nacken hinabwallende Haar ergriff die Troßbuben und Knappen des poetischen Lebens und nicht wenige vergossen seit ihrem Abschied aus dem Vaterhaus die ersten Thränen. Aber auch Jean Paul entfielen Perlen aus den Wogen eines unsterblichen Gefühls. Kaum hatten die letzten Töne die mit des Dichters Locken spielenden Lüfte durchzittert, als er ausrief: »Mit dem großen Dichter irrt Ihr Euch meine Kinder, aber nicht mit dem Deutschen Mann. Diese Ehre konnte mir nur die Heidelberger Burschenschaft anthun, dafür habe ich während Eures Liedes Gott gebeten, daß er Euch Alle segne. Ich wollte, ich wäre Briareus der Hundertarmige, um Euch mit reichlichen Händedruck Eure Liebe zu vergelten.«
Nachdem Jean Paul diese Worte geredet hatte, ging er in dem ihn immer enger umziehenden Kreise umher, jedem die Hände reichend aus denen schon so viele Segnungen auf die Menschheit geströmt waren. Es war als ob ihnen magnetische Funken entsprühten, deshalb konnte ich nicht umhin, meinen Platz im Kreise zu verlassen, um noch einige 28 Mal den Humoristen zu berühren. Als ich ihm aber das dritte Mal die Hand reichte fiel mir mein Unrecht ein, die subjective Freiheit nicht mehr zum Wohl Aller beschränkt zu haben, und fast kleinlaut rief ich dem großen Dichter zu: »Vergeben Sie, ich habe Sie schon zwei Mal um einen Händedruck betrogen.« »Thut nichts junger Freund,« lächelte Jean Paul, »hier ist noch der vierte und fünfte Händedruck.«
Man bildete jetzt ein Spalier. »Auf die Hirschgasse,« riefen einige Musensöhne, »da ist ein gutes Bier,« wohl wissend wie sehr der alte Dichter ein solches Getränk zu würdigen verstand. »Ich gehe mit Euch,« rief Jean Paul und schritt mit unbedecktem Haupte vorwärts. Allein Carrové und Ferdinand Walter wußten wol wie schwierig es sei, den alten Barden mit ziemlicher Rede zu bewirthen und welchen tollen Begeisterungen er ausgesetzt werde. Sie beredeten ihn daher zur Rückkehr. — Am andern Morgen ließ uns Jean Paul durch seinen Freund, den liebenswürdigen Professor Heinrich Voß sagen: Er habe in der vorigen Nacht vor Freude nicht geschlafen, er hoffe in der nächsten übrigens den Fackelzug noch einmal im Traume zu erleben.
In jener Zeit war ein Clair-voyant in Hei 29 delberg, welcher ein sehr großes Aufsehen und namentlich Jean Pauls Aufmerksamkeit erregte. Der Mann hieß wenn ich nicht irre »Auth,« war der Sohn eines Quacksalbers und mochte in seiner Jugend von allerhand Medicamenten, namentlich aus dem Reiche der Vegetabilien gehört haben, welche er in seinem magnetischen Schlafe gar häufig verschrieb. Er saß alsdann auf einem etwas erhöheten Platze, in einem großen Kreise zu dem Grafen und Fürstinnen sich eingefunden hatten. Jean Paul, Carrové und mehrere Andere verzeichneten als Schnellschreiber seine Orakelsprüche, welche der Professor Schelver, sein Magnetiseur, ihm abfragte. Mir waren fortwährend seine vielen barbarischen gramatikalischen Fehler anstößig, und gerieth ich schon damals zu der festen Überzeugung, daß der Zustand des Hellsehens zwar alles Erlernte, scheinbar Vergessene wieder beleben und dem Geiste vorführen kann, daß er aber nicht im Stande ist, ein noch nicht angeeignetes Wissen plötzlich in den Clairvoyant zu verpflanzen, wodurch man denn zu dem Schluß kommt, daß man nur Ärzte, als Männer von Fach in der höchsten Potenz magnetisiren sollte.
Man trug sich damals allgemein mit folgender Historie herum. Das Collegium medicum und namentlich der Professor Tiedemann sei beauftragt 30 worden den Zustand des Clairvoyants Auth zu untersuchen und sich zu vergewissern, daß derselbe kein Betrüger sei. Einer der Commissionsherren, selbst ein Dilettant im Magnetisiren, habe sich mit Auth auch wirklich in Rapport gesetzt und in den magnetischen Schlaf gebracht. Als man nun aber Fragen an den Patienten gerichtet habe, sei dieser in Zuckungen verfallen und habe sich ein so großes Gewächs am Halse, jede Minute mehr anschwellend erhoben, daß man Schelver haben rufen müßen, der mit zwei Strichen, Krämpfe und Gewächs habe verschwinden lassen.
Jean Paul setzte die Möglichkeit sich in magnetischen Rapport mit einem Andern zu versetzen, lediglich in den Willen des Anderen, des Stärkern. Ich erlaubte mir ihm dagegen zu bemerken, daß wenn dies in Wahrheit gegründet sei, der Wille manches Menschen gewiß seinen Regenten schon in magnetischen Schlaf versetzt hätte, worüber der Dichter lächelte und in die beste Laune gerieth.
Ein andermal ging ich in seiner und einer größern Gesellschaft in den Ruinen des Heidelberger Schlosses umher. Plötzlich blieb er gedankenvoll bei einer Blume stehen, die eine Spinne mit ihrem schnellgefertigten Netze umspann. Als die Geschäftige die Blumenfinsterniß vollendet hatte, und gleich 31 darauf einige Fliegen fing, rief der große Humorist mir lächelnd zu: »Das ist das leibhaftige Bild des Recensenten.« Am andern Tage ging ich, über diese geistreiche Bemerkung nachsinnend, allein zu der recensirten Blume Wohnung. Ein Regenstrom hatte das Gewebe getrennt und die erquickte Rose strahlte schöner als gestern. Freilich war die Spinne ein Recensent, guter Jean Paul! aber der Regen war auch der Strom der Zeit und der andere Tag bildete die Nachwelt.
In demselben Hause worin Jean Paul wohnte, wohnte auch ein Student, den ich Meier nennen will, und der immer mit den größten Männern seiner Zeit zusammengewürfelt wurde. Meier hatte auch einmal Göthe besucht und den Platz neben dem Dichter im Sopha eingenommen. Plötzlich ging die Thür auf. Göthe, der alte Geheimerath von Göthe ging dem Freunde entgegen; der Bursch, welcher den Ankommling wie er sich nachher ausdrückte für einen Jenaer Philister gehalten hatte, blieb ruhig gegen alle Regeln der Lebensart auf dem Sopha sitzen. Der Fremde nahm Göthe’s Platz neben dem künftigen Doctor ein. Der Vater Faust’s und Mephistopheles aber sagte freundlich: »Ich muß die Herren doch mit einander bekannt machen: 32 Der Herr Studiosus Meier, Seine königliche Hoheit der Großherzog von Sachsen-Weimar.«
»Jean Paul besucht mich alle Tage,« pflegte Meier wol zu renommiren, »ich weiß selbst nicht was er an mir findet, aber ich muß ihm immer erzählen. Nur von Poesie und namentlich von seinen Schriften darf ich bei Strafe seines höchsten Zornes nicht mit ihm reden. Ich mag den Kerl, wo man sich so viel ausmacht, nicht erzürnen.«
Es wäre interessant, die Studien, welche Jean Paul damals an Meier gemacht hat in seinen späteren Werken aufzusuchen. Ich behalte mir dieses Privatvergnügen vor und will den guten Meier je anpaulianisirt schon auffinden.
Jean Pauls intimster Freund in Heidelberg war der Professor Heinrich Voß, Sohn des alten Dichters »Johann Heinrich,« der in seiner reichlich vergeltenden Gegenfreundschaft so weit ging, daß er gewöhnlich als Jean Paulscher Agent kleine Zettelchen bei sich trug, auf welche er gute Einfälle, die er aussprechen hörte, verzeichnete, und dabei bemerkte, das ist etwas für meinen Jean Paul. Wirklich soll dieser eine Menge solcher Witzfunken auf einzelnen Blättchen gehabt, und wie bei jenem chinesischen Brettspiel die einzelnen Pflöcke, die einzelnen Witze zu einem Ganzen vereint 33 haben. Das ist freilich denn oft auch in des Dichters Schriften zu bemerken, dessen Gedankenfügung nicht immer Mosaik-Arbeit, sondern oft durch lange ermüdende Brücken vereinigt ist. — Interessant sollen die Unterredungen zwischen Hegel und Jean Paul gewesen sein. Dieser, immer überwunden von dem Feldherrn der Gedanken, soll zur großen Ergötzlichkeit des Philosophen sehr geschickt in die Höhlen der Vorstellung geflohen sein.
Heinrich Voß war ein köstliches Gemüth, schade für ihn, daß es bei ihm nie zum Durchbruch aus dem Familienleben, zur Emancipation aus der väterlichen Gewalt, zur Selbstständigkeit und zu dem sittlichen Moment der Ehe kam. Er war und blieb, wie Wolf ihn, freilich in einem andern Sinne nannte, das puer heidelbergensis. Von sechs bis zwölf arbeitete er, damals größtentheils an der Shakespearschen Übersetzung, dann ging er zum Vater und las dem seine pensa vor. Sein ganzes Leben war den ganzen Tag über das Thun und Treiben eines unter der strengsten väterlichen Gewalt stehenden, kaum confirmirten Knaben. Er kannte bloß den Willen seiner Eltern. Nur am späten Abend liebte er eine heitere Gesellschaft, in der er, ohne Vorwissen seiner Eltern, stets der Letzte verweilte, und die er durch köstlichen Humor, vor Allen 34 zu würzen verstand. Nichts desto weniger, obgleich er oft erst mit dem Mond zu Bette ging, begrüßte er stets die Sonne beim Lever. Solche Anstrengungen so wie der Mangel an Bewegung mußten den Tod des corpulenten Mannes erfrühen. — Einer der Genossen seiner Abendtafel war der jetzt gleichfalls verstorbene an der Heidelberger Schule angestellte Professor Martens, ein wohldenkender aber stets regierender Mann, welcher positiv nur seinen Lehrer, den alten Voß, noch mehr aber den dänischen Dichter Holberg anerkannte, den er, wie ein guter Theolog die Bibel, in jedem Lebensverhältniß zu citiren und zum Schiedsrichter zu machen verstand. Sein höchstwitziges Spottgedicht in Hexametern, auf die Manheimer Schneider, welche dem Kaiser Alexander die Krenk’ wünschen, weil dieser bei einem Heidelberger Kleidermacher einen Frack hatte machen lassen, ist mir leider abhanden gekommen.
Unter mehreren Briefen, welche ich von ihm besessen, finde ich nur noch einen einzigen, der freilich von nicht großem allgemeinen Interesse ist, aber doch von der bodenlosen Gutmüthigkeit zeugen mag, womit derselbe zu helfen bereit war.
Heidelberg, den 18. October 1817.
»Unser Freund M. hat mir gesagt, daß Sie 35 wegen der Ferne Ihres Wohnortes und der gegenwärtigen Abwesenheit des Herrn von H. nicht sogleich die Summe von zweihundert Gulden aufzubringen wüßten, und mich gebeten, Ihnen solche vorstrecken. Wie gerne ich dies auf der Stelle gethan hätte, wissen Sie, aber gerade jetzt kann ich es nicht. Ich bitte Sie also die Summe von einem Andern aufzunehmen, verbürge mich hiermit, daß Sie solche am ersten Januar 1818 sammt der üblichen Vergütung wieder bezahlen werden, und leiste die Bürgschaft mit derselben Freude, wie ich sie meinem eignen Bruder würde geleistet haben. Sollten Ihre Gläubiger meine Handschrift nicht kennen, so bin ich jede Stunde bereit mich zu stellen, wenn Sie es fodern und mich als der Schreiber dieser Zeilen zu legitimiren. Auch bin ich erbötig, den von Ihnen zu schreibenden Schein über die Empfangssumme mit meiner Namensunterschrift zu unterzeichnen.«
Dr. Heinrich Voß,
Professor der Philosophie auf der
hiesigen Universität.
Zu den interessantesten Tischgästen, welche damals im Badischen Hofe dinirten, ist ein Domherr v. Wambold zu rechnen, ein Epikuräer, im edelsten Sinne des Worts, der seinen Stand schon im 36 Heidenthum gegründet hätte; dann — Morstadt mein alter Freund, dieses Universalgenie, dessen Gehirn gewiß eben so viel Brei wie Cüvier, und wenigstens esprit pour quatre, hat, und ein origineller Liefländischer Baron Uexküll, der seinen 3jährigen Urlaub als Adelicher im Auslande schon seit zwanzig Jahren in Deutschland zu benutzen schien. Ich habe mit diesen Herrn die interessantesten Diners und Soupers meines Lebens verlebt.
Heinrich Voß hatte mich lieb gewonnen. Jeden wärmsten Momenten seiner Freundschaft pflegte der gute Sohn, mir wie einen Knaben von einer Weihnachtsbescheerung von dem Glück zu erzählen, seinem Vater vorgestellt zu werden. Schon um des Sohnes willen, aber auch von dem abgesehen, war mir die Bekanntschaft des berühmten und in so vieler Hinsicht verdienten Mannes erwünscht, welche mir noch dadurch erleichtert wurde, daß der alte Herr sich über eine Idylle, welche ich auf Geßners Leier schon auf der Hamburger Schule gedichtet, und die sich in meiner »Leier des Meisters in den Händen des Jüngers« befindet, günstig geäußert hatte.
Der alte Voß empfing mich in seinem mit einer hohen steinernen Mauer umgebenen Garten, in dessen Mitte seine Wohnung lag. Ich kann 37 nicht sagen, daß sein Anblick auf mich einen günstigen Eindruck machte, ich fühlte mich um vier Jahre verjüngt von einem fremden Schulmonarchen stehend, der mir Horazens Kochsatiren erklärte. Denn nur Speisen, und wie man in Heidelberg die Zubereitung derselben nicht gehörig verstehe, waren der Inhalt seiner Anrede. Namentlich wurde Hegels Kohl als sehr blähend getadelt. — Dann ging der alte Herr auf seine Werke über und klagte, wie ihn sein Verleger von der Übersetzung irgend eines Autors, rücksichtlich der Zahl der gedruckten Exemplare betrogen, und im vorigen Jahre zu einer Reise in den Norden bewogen habe. — »Ich wußte es wohl,« redete er, »daß eine Schelmerei dahinter stecken mußte. Denn ich habe es noch nie erlebt, daß meine Bücher Ladenhüter geworden sind.« Zum Schluß erzählte Voß von Zacharias Werner, der katholisch geworden sei, obgleich er ihm, Voß, dem dieser Übertritt geahnet, so fest das Gegentheil versprochen habe. — Er zog jetzt mit allen Gründen gegen Werner zu Felde und endete dann mit dem mir unvergeßlichen Gevatterschnack: »Aber was sollte man auch von ihm erwarten? Als er das letzte Mal in meinem Hause war, hatte er, wie ich mit Bestimmtheit erfahren, im rothen Ochsen, wo er logirte, eine bedeutende Quantität Wein getrunken. 38 Nichts desto weniger trank er so viel Wein bei mir, daß meine Ernestina, welche sonst nicht daran gewöhnt ist, ihren Gästen den Wem nachzuzählen, trippelnd zu mir kam, sprechend: Väterchen, Väterchen! sieh einmal wie der Mann trinkt.« — Diese Worte, denen Voß nicht die Thatsache hinzuzufügen vermochte, daß Werner berauscht mithin seiner Aufnahme unwürdig geworden sei, machten einen üblen Eindruck auf mich und veranlaßten mich der schließlichen Einladung des alten gewiß in so mancher Hinsicht verdienten und respectabeln Herrn, sein Hausfreund zu werden, nicht zu folgen. Ich habe ihm nie wieder gesehen, und hatte alle meine List nöthig um den Sohn, der jetzt Einladung auf Einladung zu seinen Eltern folgen ließ ausweichend zu bescheiden.
Die Burschenschaft. Das Ehrengericht. Die Landsmannschaft. Die Cerevisia. Die Kurländer. Die Holsteiner und Schleswiger. Die Meklenburger. Die Schwedisch-Pommeraner. Die Schweizer. Die Hansestädter. Das Hazardspiel. Die Hanoveraner. Die Westphalen. Peter Fix. Die Würtemberger. Ruhs.
Die Burschenschaft war in Heidelberg kurz nach den Feldzügen entstanden. Der größte Theil derselben hatte den Freiheitskrieg mitgemacht. Die Verehrung womit Körner das Haus Habsburg besungen hatte, durchzitterte noch die Brust aller Burschen; Liedern zur Verherrlichung Scharnhorst’s und Blücher’s, folgte ein Toast zu Ehren des Preußischen Königs. Es war allen bundestagsmäßig zu Muthe, wie die Auszüge aus den Protocollen der 40 burschenschaftlichen Verhandlungen in Jena auch ergeben werden, man wollte das Gefühl Deutscher Nationalität so lange als möglich erhalten, und fast Jeder glaubte, die Burschenschaft sei auf Universitäten das einzige Vehikel hiezu. — Eine strafbare Tendenz hat die Heidelberger Burschenschaft bis zum Jahre 1819 nicht im Entferntesten gehabt. Die Emissaire der Schwarzen aus Giessen und einzelne politische Schwärmer aus allen Ständen fanden in der Burschenschaft keinen Anklang. Wäre man meinem Rathe gefolgt, den ich zu Hundert Malen öffentlich ausgesprochen habe, alle Verhandlungen dem academischen Senate vorzulegen, die Burschenschaft würde bis auf den heutigen Tag eine tolerirte Verbindung sein. Denn welche Regierung könne es verantworten ein Institut zu zerstören, welches Sittlichkeit den Studenten zur Bedingung machte, die Scheidemauern unvernünftiger und unsittlicher Landsmannschaften stürtzte, Liebe und Versöhnung predigte, jeden Zweikampf erst vor ein Ehrengericht zur Sühne brachte und sich gegenseitig den Zweck, weshalb man auf Universitäten ist, »das Lernen,« stets in das Gedächtniß rief. — Hier sind übrigens die großen Verdienste nicht zu übersehen, welche Hegel sich um die jungen Gemüther erwarb. Seine phylosophische Rechtswissenschaft, seine Lehre von Staat 41 als der wirklichen sittlichen Idee, trat zwar nur vor das Bewußtsein weniger, aber doch größtentheils der besten Köpfe, denn diese fühlten wie Verrina sagt, etwas von dem alten Meister, »was man Respect nennt,« und übertrugen ihre Empfindung unwillkührlich auf die Übrigen, indem sie sie überzeugten, daß man erst gar Vieles lernen müsse, bis man die Welt verbessern könne.
Durch das Ehrengericht sind zu meiner Zeit viele Duelle verhütet worden. Der Zufall will, daß ich ein von mir selbst aufgenommenes Protocoll noch besitze, dessen Aufnahme freilich höchst mangelhaft ist, welches aber doch hier seinen Platz finden mag.
Sitzung des Ehrengerichts den 19. März 1818.
In der heutigen Abendsitzung wobei N... fehlte, war Sch... als Substitut eingetreten. R... war für den abwesenden Sprecher N... als Sprecher gewählt.
von L... erschien und erklärte:
»Als er heute auf der Gutmannei Whist mit N... aus Schwaben und Z. gespielt habe, sei ihm N... 1 fl 30 Xr. schuldig geworden. Fr. von L... habe darauf gesagt, ich will dir morgen das Geld zahlen, da ihm aber eingefallen sei, daß N... ihm noch acht Köpfe oder 2 fl 12 Xr. schuldig sei 42 habe er zu N... gesagt: da du mir noch Geld schuldig bist, so will ich das davon abrechnen. Hierauf habe N... dies geleugnet und als Z. von v. L... als Zeuge dieser Schuld angerufen, diese bestätigt habe, zum N... gesagt, daß er diese Schuld abrechnen müsse. Darauf habe N... gesagt: »»Du sollst mir das Geld auf der Stelle geben.«« v. L... habe darauf erwiedert: »»Jetzt gerade thu ich es nicht«« sei aufgestanden und weggegangen. Darauf, habe N... gesagt, dies sei eine »Büberei.« Da v. L... diese Worte nicht genau verstanden, habe er den Z. zum N... geschickt und ihn deshalb constituiren und in den Fall, daß N... das Wort »Büberei« gesagt, ihn auf Pistolen fordern lassen. — N... habe das Gesagte gegen Z. bestätigt und ihn morgen halb drei Uhr, auf die Hirschgasse bestimmt.«
von L... erklärte dabei, daß er den N... deshalb auf Pistolen gefodert habe, weil er sich wohl erinnere wie sehr er gegen N... im Kampfe mit dem Schläger im Nachtheil sei.
N... leugnet, daß v. L... gesagt habe er wolle morgen das Geld geben, derselbe sei vielmehr mitten im Spiel aufgestanden. Das Wort »Büberei« habe er im Unmuth aber nicht im beleidigenden Sinne ausgesprochen.
Das Ehrengericht berieth sich über diesen Punct und erkannte:
Daß v. L... zu seiner Pistolenforderung einen unzulässigen Grund, nämlich den, daß N... ihm als Schläger überlegen sei, gehabt habe. Das Ehrengericht finde daher für keinen Fall gut, das Pistolenduell als von ihm bewilligt zuzulassen, und ertheile dem v. L... daher hiemit die Weisung diese Foderung zurückzunehmen. — Da das Ehrengericht aber dafür halte, daß N... keineswegs einen Grund zu dem Worte Büberei, welchem übrigens in diesem Lande auch nicht der beleidigende Sinn wie in Norddeutschland, da es hier nur Kinderei bedeute, beizulegen sei, so erwarte es, daß sobald v. L... die Pistolenforderung, auch N... das Wort »Büberei« als in der Hitze ausgestoßen, zurücknehme.
V. L... nahm hierauf die Pistolenforderung, N... das Wort »Büberei« zurück.
Es folgen die Unterschriften der Ehrenrichter.
Wenn nun gleich das Ehrengericht nur vermittelnd eintrat, so sind doch während meines fast zweijährigen Aufenthaltes in Heidelberg nur zwei Duelle in der Burschenschaft consumirt worden, während mit den Corpsburschen täglich zwei Kämpfe vorfielen.
Die Contrerevolution äußerte auch unter den Studenten ihre unausbleiblichen Wirkungen, sie paralisirte die Burschenschaft zum Corps und vereinigte umgekehrt die Landsmannschaft zu einer burschenschaftlichen Verbindung. Früher war dies anders, da trieb die Göttin Eris ihren Apfelhandel unter den Landsmanschaften selbst, die ohne Gegenwirkung nur sich vereinigten, wenn es galt, einem Professor die Fenster einzuwerfen oder einen Philister in Verruf zu bringen. Zwar gehörte ihnen die ganze Welt, und hatte früher auf der Seniorenconvent die ganze Erde so getheilt, daß Nassau Amerika, Westphalen Asien, Kurland Afrika und jedes Corps nach Verhältniß seiner Größe einen bedeutenden Placken aus der Gemeinheit der Erde erhalten hatte. Ein Senior hatte sogar vorgeschlagen die Sterne zu vertheilen, das war aber noch bisher unterblieben. — Aber ein unglücklicher Neuseeländer, den die Diplomatik der Studiosen zum Schweizer bestimmt hatten, war kaum ohne Erlaubniß unter die Nassauer gegangen, als er sich mit einem Schweizer, der gerade damals allein gegen den Grundsatz tres faciunt collegium seine Landsmannschaft repräsentirte, auf Tod und Leben schlagen mußte. Den Helvetier traf ein Hieb in die allzukühne linke Hand, die Nassauer wurden 45 stolz auf ihren neuen Landsmann, und der Überwundene trank »smollis« mit dem Neuseeländer, indem er ausrief: Welch ein Verlust für die Schweiz, daß du Neuseeländer ein Nassauer geworden bist.
Das Biersaufen war damals zu einer grauenerregenden Höhe gestiegen. Es gab sogenannte »Staats-Bierschwaben,« welche es bei einem Commersch bis auf zwei und siebenzig Schoppen, also bis auf sechs und dreißig Bouteillen brachten. Dabei war das Bier wie noch jetzt, im Durchschnitt schlecht, und wenn gleich berauschend, geistlos. Vergebens ließen die Professoren der Medizin fast in allen Stücken ihr »Wehe« über ein solches unmäßiges Trinken ertönen, umsonst wollten sie gewissermaßen accordiren, indem sie eine Quantität als höchstes Maaß bewilligten, daß schon jede Grenze überschritt, die Schüler des Hypokrates selbst, hielten sich keinesweges selbst, viel weniger ihre Commilitonen in Schranken. Ja, es passirte sogar einmal das Unglaubliche, daß sieben, freilich größtentheils verkommene Studenten, die ich alle namhaft machen könnte, sich das Ehrenwort gaben, sich zu Tode zu trinken, oder wenigstens beim Pereat, (auch Lustig meine Sieben; besonders in Jena, genannt,) einem Kartenspiel, wobei stets gesungen und gezecht wird, die Ewigkeit zu belauern. Sie begaben sich 46 Alle nach Neuenheim zu den Gastwirth Freund, wo sie ihre Parthie, die mit Vieren gespielt wird, abwechselnd, vier Tage und fünf Nächte uno tenore durchhielten, während die drei Unbeschäftigten, bis sie wieder berufen wurden, auf Stroh ruhten. Die academische Polizei kam endlich hinter den Skandal, zu welcher Kenntniß ich beigetragen zu haben, mir schmeicheln darf und zersprengte die Bierherren, von denen sie sogar einige consilirte.
War auch in der Burschenschaft der Genuß des Bieres noch »Trinken« zu nennen, so überschritt er doch das Maaß. — Der Gedanke, den Biergenuß zu regeln, dabei die jungen Sprudelköpfe vor demagogische Umtriebe zu behüten, veranlaßte mich der ich eigentlich in jenen Jahren das Bier gar nicht liebte, der Stifter einer Cerevisia zu werden, die im humoristischen Gewande alle gefährliche Elemente des Burschenlebens unschädlich machen sollte. Ich erfand die Bier-Mythe, daß ich der Sohn der Biervernunft sei, die sich so zu sagen in mir verkörpert habe und legte mir den Titel »Eminenz« bei. Zu gleicher Zeit erließ ich ein Gesetz der Zwölf Tafeln, wovon das Erste; Eminentia errare nequit (die Eminenz kann nicht irren) schon auf die Tendenz der andern schließen läßt. Ich führte Orden ein, den »pour le merite,« den »Sanct 47 Kannen-Orden« und den »Orden des Biervließes,« welche durch Jasminen, Weinblätter und rothe Rosen repräsentirt, und noch auf der schon verwitternden Platte, welche bei der Hirschgasse in den Steinwall gesetzt worden ist, mit der Inschrift, Eminentibus, Eminentia (den Vortrefflichen die Eminenz) zu sehen sind. Die Grade waren »Junker, Ritter, Vicecommandeure, Commandeure und Großkreutze.« Da ein jeder Eintretende den Bieradel und einen Biernamen erhielt, so wurde dadurch das Fuchsprellen beseitigt, weil oft ein Fuchs, (Studenten im ersten Semester) einen höheren Grad als der alte Bursch bekleidete. — Jeder Rausch führte eine Degradation herbei, wurde daher sorgfältig vermieden. Einen armen Theologen, der sich nach erhaltenem ersten Graden diesen Fehler zu Schulden kommen lassen, weigerte ich die Wiederaufnahme, weil ich ihn für schwindsüchtig und alles Bier für ihn schädlich hielt. Ich hatte mich nicht geirrt, einige Tage nach meinem Scheiden von Heidelberg segnete er das Zeitliche, wie er mich in der Abschiedsstunde mit den schriftlichen Worten gebenedeit hatte:
»Sind wir auch vielleicht auf immer getrennt, so hält uns doch das Band der Biervernunft zusammen und gerne bleibe ich treu bis in den Tod der Biervernunft und Eminenzen.«
Die größere Hälfte der etwa aus 150 Mitgliedern bestehenden Burschenschaft schwor zur Bierfahne. Dadurch gewann natürlich mein Einfluß bei allen Beratungen. Denn es gab allerdings manche noch wirklich in Bier befangene unter meinen Getreuen, welche nur im Allgemeinen blindlings der Eminenz beitraten, als demjenigen der in allen Dingen das Biervernünftigste sage. Ja ich habe oft in mir lächeln müssen, wenn ich, was alle Jahre zwei Mal geschah, unter den Hopfenkranz im Cerevishäuschen trat, in welchem Moment die Biervernunft in mir verkörperte, und einige meiner Unterthanen mich mit Überzeugung von meiner Apotheosirung wie einen Dalei Lama ehrfurchtsvoll anstarrten, und den diese hohe Ceremonie begleitenden Vers:
mit wahrer Andacht, ja selbst unter hervorstürzenden Thränen sangen. Ein ächter Cerevisianer, trank, wenn ihm der Arzt das Bier durchaus untersagt 49 halte, nie sein Glas Wasser in meiner Gegenwart, ohne sich von mir den Cerevissegen: Sit aqua tua cerevisia (Dein Wasser sei Bier) geholt zu haben. Auch schlug sich selten einer ohne meine Benediction und kurios genug, der Zufall hat gewollt, daß niemals ein von mir Gesegneter eine Wunde bekommen hat. Als ich vor einigen Jahren in Heidelberg einige ehemalige Cerevisianer wieder in demselben Häuschen versammelte, hatte ich decretirt, es solle angenommen werden, daß alle Vergangenheit dahin aufgehoben sei, daß unsere Universitätsjahre vorgestern — unsere zwanzig Jahre der Trennung gestern, und endlich unsere Zusammenkunft das frohe Heute sein sollte. Man gehorchte mir mit Heiterkeit, und so begab es sich denn, daß Mancher nicht wußte, wohin sein Flaus, den er vorgestern getragen, gerathen, und daß er referirte, seine Frau habe ihm gestern zehn Kinder geboren.
Kurz nach Errichtung der Cerevisia versuchte man meine Souverainität zu stürzen, indem man eine bierständische Verfassung verlangte. Meine Lage war um so kritischer als einige meiner Großkreutze, die Rädelsführer der gottlosen Parthei waren. Ich versprach die Einführung, sobald die Cerevisianer dafür reif seien, stellte ihnen vor wie ich der Burschenschaft dafür verantwortlich sei, ein 50 gesittetes Ganzes zu erhalten, kurz ich temporisirte, ich hielt die Sache so lange hin, wie möglich. — Die Großkreutze gewann ich durch Freigebigkeit und einige neu ornirte Ehrenstellen, wie die eines Biervaters, Bierkanzlers und Adoption eines Königlichen Sohnes, und als ich endlich meiner Sache gewiß war, erklärte ich, daß es von nun an bei Strafe der Bieracht verboten werde, von bierständischer Verfassung zu reden. In diesem Sinne handelte ich sofort, ich führte eine geheime Bierpolizei ein, welches natürlich zu vielen humoristischen Denunciationen und Debatten Anlaß gab, unsere Zusammenkünfte würzte, und erlebte endlich das hohe Glück, mich als souverainer unumschränkter Bierfürst anerkannt zu sehen.
Im Wesentlichen aber war mein Zweck so erreicht. Ich gab meinen Bierstaat der Lächerlichkeit mit Selbstverspottung Preis, und bewahrte dadurch meine Freunde vor politischen Träumereien, welche in späteren Zeiten eine so grausame Nemesis erfahren haben. Noch jetzt strömen mir jährlich von ergrauenden Familienvätern die Danksagungen zu, daß ich sie durch meine humoristische Cerevisia vor bürgerlichem und geistigem Tode bewahrt habe.
Wenn es bei unsern Commerschen Mitternacht geworden war, durfte kein Tropfen Bier eine ganze 51 Stunde bis Ein Uhr getrunken werden. Die Mythe lehrte, dann habe die Cerevisia keine Eminenz. Diese sei wie einst Numa Pompilius bei der Nymphe Egeria im Hain, im Odenwald bei der Biervernunft. — Dies hatte die Folge, daß die Kopfwehbegabten nüchtern wurden, oder was noch besser war zu Hause gingen, eventualiter aber einen großen Hemmschuh beim Trinken anlegen mußten. — Bemerkenswerth ist, daß sich in der Cerevisia nie ein Streit unter den jungen Flammenköpfen entsponnen hat, der eine, unter den Studenten so leicht entstehende Foderung zur Folge gehabt hätte.
Bei den Schwaben befand sich dermalen ein gewisser X., der in den letzten beiden Semestern sich endlich entschloß, sich mit seiner Fachwissenschaft bekannt zu machen. Er fing nun zwar an bei verschlossenen Thüren zu studiren, aber bei seinem Höpfner Thibaut und corpus juris standen stets einige Bierkrüge, welche er zum Anderssein seiner Selbst gemacht hatte. Er trank sich regelmäßig alle Stunden mit folgenden Worten vor: »X. einen Schoppen vor — Gut war die Selbst-Antwort, einen Schoppen nach und wieder einen vor.« — Dies Vor- und Nachtrinken mußte nun bei Strafe des Bierverrufs innerhalb fünf Minuten geschehen. — Als nun X. einmal von Kameraden, die an der 52 Thür gehorcht und in das Zimmer gedrungen waren, zwischen dem Vor- und Nachtrinken gestört, und durch diese höhere Macht, so wie durch sein Schamgefühl in den unverdienten Bierverruf gekommen war, dachte der ehrwürdige Cerevisianer, nachdem ihn die Landsleute verlassen, edel genug, diesen Bierschimpf nicht ertragen zu wollen, und die Größe X. paukte die Nichtgröße X. mutterseelen allein, auf eigne Hand, mit einer ungeheuren Quantität Gèrevis aus dem Status der Schande.
Um den Freunden der Karten einen Genuß zu bereiten, hatte ich ein Spiel erfunden, das nur um Bier und Ehre gespielt, und wozu, wie bei dem »Pernat,« gesungen wurde. Die Idee war, daß des Careau König die Eminenz sei, die andern Könige »Großkreutze,« welche sich unter einander stachen und auch bedient werden mußten, wenn die Eminenz ausgespielt wurde. Careau König stach Alles, Careau Dame, (das Bierfräulein) den Careau Buben, (den Bierjunker) die übrigen Careaus Cerevisianer stachen sich wie im Whist, aus alle andern Farben. Die Coeurs als »Bierrenoncen,« stachen die schwarzen Farben. Im Uebrigen zählte Alles in Mariage. Hätte ich Zeit dazu, ich würde das Spiel weiter ausbilden, da diese mir aber gar sehr mangelt, so will ich diese Arbeit einem Tage- oder 53 Abend-Dieb überlassen. Das Spiel hatte übrigens viele Combinationen und Regeln, die ich zum Theil selbst schon vergessen hatte. Zwei und zwei spielten zusammen wie ein Whist. Diejenige Parthei, welche zuerst hundert zählen konnte, hatte gewonnen. Jedes bedeutende Ereigniß wurde mit Couplets begleitet. Sobald die Bierdame vom König gestochen wurde, sang man:
Das Kobbeschef (von jeu) wurde in dem Local der Hirschgasse zuweilen an zwanzig Tischen, also von achtzig Menschen gespielt.
Die Kurländer waren unter den Landsmanschaften die gefürchtesten, und eine gewisse Tüchtigkeit, ein persönlicher Muth und eine pecuniäre Aufopferung ihnen nicht abzusprechen. Die letzte war übrigens mehr angeeignet als angeboren; denn da die Väter, wegen der später weiten Entfernung den abreisenden Söhnen oft den Betrag der Studienkosten für mehrere Jahre mitgaben, so war ein solcher Neuling eine sehr willkommene Erscheinung. 54 Der arme Fuchs mußte aber gar bald sein Geld hergeben und war oft in einigen Tagen seines ganzen Vorraths beraubt. Dafür aber hatte er wieder seine Ansprüche an die nachfolgenden Füchse, denen die Freigebigkeit auch bald incoulirt wurde. — Schlimm für den, der einmal Schelmletzt spielen mußte, doch war dies nicht leicht zu fürchten, da die Curonen, wenn sie relegirt wurden, gleich den Ratzen ihren Wohnort in Compagnie zu verlassen pflegten. Übrigens mißfielen mir die Meisten, in deren Riesenkörper meistens perfide, grau grüne Augen steckten. Es waren zum Theil übermüthige Junkersöhne, die nur darauf ausgingen die Zahl der tollen Streiche, welche ihre Väter auf Universitäten begangen hatten, würdig zu vermehren. Gloriam quam pepere majores, digne studeat servare posteritas. Ein gewisser C. schoß sich, — eine feindliche Kugel bog seine Baarschaft, vier Sechsbögner und einen Kronthaler, die auf dem Herzen des Pauckanten lagen krumm, ohne den C. zu verwunden, der fast nur höflich gegen die Vorsehung die Worte ausstieß: Weiß der Teufel ich glaube es ist ein Gott!
Der verst. v. M. Senior der Holsteinschen Landsmanschaft in Göttingen glaubte, daß sein Corps nicht genug in Ansehen bei den deutschen Russen stehe. Nichts 55 desto weniger nahm er eine Einladung zu einer Spazierfahrt wie zu einem Commersch von ihnen an, genoß nach Herzenslust, bedankte sich aber nach Beendigung der Fête mit den Worten: »So nun erkläre ich Euch Alle für dumme Jungen.« Diese unerhörte Renommage brachte übrigens keinesweges eine Unzufriedenheit bei den Kurländern hervor, vielmehr nannten sie den v. M. »einen liebenswürdigen Menschen, einen kleinen fidelen Kerl, vor dem, wie vor seinem Corps, dessen Senior er sei, man die unbedingteste Hochachtung haben müsse.« Auf den Mensuren, bei den Duellen, sprachen sie gewöhnlich ihr Lettisch, dem wir Pomeraner, Mecklenburger und Holsteiner unser schwarzbrodmäßigstes Plattdeutsch zu ihrem großen Verdruß entgegen setzten. Verschieden von den Kurländern waren die Liefländer, meistens geborne Salonmenschen, von denen ich mit einigen befreundet war. Die Namen Gulefoky und Porten sind mir in das Herz gegraben. Doch habe ich zu vielen wegen ihres reservirten Wesens nie recht Muth fassen können.
Das originellste Völkchen bildeten, wie auf allen Hochschulen, die Schleswiger und Holsteiner. Die ersten, welche einen wunderbaren Dialect haben, einen didactischen, der an den eines Schulmeisters 56 oder Irrenarztes erinnert, stimmten mit den Holsteinern in ihrer humoristischen Selbstverspottung so wie auch darin überein, daß sie durchaus kein sogen. Genie unter sich aufkommen ließen, vielmehr wenn es emportauchen wollte, wie sie es nannten, gehörig duckten. Man konnte unter ihnen nur gehörig Posto fassen, wenn man sich fortwährend demüthigte und selbst die komischen Seiten des Landsmannes den man verhöhnen wollte, sich selber andichtete. Singulär war dabei das Heimweh dieser Hyperboräer im himmlischen Baden, wo die meisten einstimmten, wenn einer auf der Schloßterrasse ausrief: — »Aber! meine Seel, das ist hier doch nix, ich wollte ich wäre so Gott! (Schleswigsche Betheuerungsformel) in Düsternbrock bei Bruhe und äße rothe Grütze.« Wie die Holsteiner den grünen Schweizerkäse, (den Schabziager) den Glarnern täuschend nachmachen, so ist ihr Heimweh auch von dem eidgenössischen nicht zu unterscheiden.
Der Sinn für Deutschheit, welcher sich jetzt in den Herzogthümern so mächtig regt, war damals noch nicht in den Deutsch-Dänen zu einer Geltung gekommen, sie hingen alle mit bewundernswürdiger Pietät an ihrem durch politisches Unglück so hart heimgesuchten König Friedrich den Sechsten, wenn sie nebenbei auch keine große Sympathie für die einzeln in Heidelberg stu 57 direnden Dänen entwickelten. Diese waren auch größtentheils wunderliche Gesellen, welche behaupten, Göthe habe Plagiate an Oehlenschlägers Schriften begangen, Dänemark sei ein Normalstaat, Holberg das größte poetische ingenium der Schöpfung und nichts schwerer als paa (auf) Doctor und Poet in Copenhagen zu studiren. Wahr ist es, daß man in einem solchen Examen ein gewaltiger Petrus á memoria sein mußte, indessen ist Rath dazu da, ein solcher zu werden. Es giebt nämlich in Kopenhagen einige Leithammel in jeder Facultät, bei denen man so zu sagen, wie bei einem Schneider ein Kleid, sich einen Character, den ersten, zweiten oder dritten anmessen lassen kann, der auch höchst selten verpaßt wird. — Jetzt nimmt Einen der Magister in die Lehre, instruirt ihn sowohl vorwärts wie rückwärts, und schickt seinen Schüler nicht eher in die Examenschlacht, bis er ihn so gewappnet hat, um des bestellten Grades sicher zu sein. — Würde übrigens sein Schüler einen schlechten Grad bekommen, so wäre dies ein sehr großer Schade für den Lehrer selbst, der in diesem Falle seines ganzen Honorars verlustig geht.
In jener Zeit besuchten der geistreiche Dichter Ingemann aus Soron und ein alter ehrwürdiger Probst Schmidt aus Norwegen, Heidelberg auf ih 58 rer Reise nach Italien. Ich führte beide Herren in unseren Versammlungen, welchen dieselben mit der größten Theilnahme beiwohnten, ja den Skalden zu einem vortrefflichen dänischen Gedichte veranlaßte, daß ich verdeutsch geben werde, wenn es mir gelingt das zu ängstlich Verwahrte vor dem Drucke dieser Zeilen wieder aufzufinden.
Der Holsteinische Adel war zu meiner Zeit der respectabelste und zeigte sich als solcher auch in seinen Musensöhnen. Allenthalben Tüchtigkeit der Gesinnung, wie sich jetzt auch in den Vätern manifestirt, wissenschaftliches Streben und Urbanität. Die auguste Pferdeliebhaberei der neuern Zeit hat freilich Manches verdorben, die Götter und Menschen betreffende Conversation ist nur zu häufig eine vierbeinige, indessen ist der Typus stehen geblieben und thut die Adelszeitung in der That wohl daran ihre Beispiele »von edlen Handlungen illustrer Personen« unterm Schleswig-Holsteinischen Adel zu sammeln und sich zu diesem Zwecke dort einen Agenten zu halten. Merkwürdig ist, daß da wo ein Stolz, wie in der wohlbekannten Grafenfamilie doch sichtbar wird, er mehr als Familien- denn Adelsstolz hervortritt, sich mithin auch gegen seines Gleichen geltend macht.
Die Mecklenburger waren brave Leute, nur 59 zuweilen unangenehme Copien der Kurländer, geborne Gegner der Holsteiner, wozu die Schlacht bei Sahnstedt in dem Befreiungskriege viel beigetragen haben mochte, und mir zu sehr Pferdeliebhaber. Die Spaltung zwischen Adel und Bürger war auf der Universität schon fühlbar. Ihr Sinn ist schon in der Jugend auf das Practische gerichtet, ich habe keinen Schwachkopf aber auch kein poetisches Gemüth unter ihnen gefunden.
Ihre Nachbarn, die Schwedisch-Pommeraner bildeten den mir liebsten deutschen Volksstamm. Ich glaube nicht, daß sie ihrer längern Verbindung mit Schweden ihre Biederkeit verdanken, sie war aber zu meiner Zeit auf eine überraschende Weise in ihnen vorhanden. Sie hafteten Alle in solidum unter sich, war Einer schwer erkrankt, so schienen sie alle plurig, war Einer beleidigt, so schien die deutsche Blutrache aufzuleben, war Einer schuldig, so schossen die Andern für ihn zusammen, ja als Einer sich sogar einmal blamirte, schienen sie alle verwirrt und mit blamirt. Es war dies ein Fall wo der gute musikalische X. im, durch Weinlaune und Neckerei herbeigeführten Zorn, die Hand nach einem Freunde ausgestreckt, dieser aber die Realinjurie sehr geschickt mit den Worten abgelenkt hatte: »Solche Pöbelhaftigkeiten verbitte ich mir selbst im Spaß.« Die 60 Sache kam zur Untersuchung, es wurde auf den Verruf des Beleidigers angetragen, und ich von den Pommeranern zum Vertheidiger ihres Landsmannes gewählt. Meine Defension gelang mir so gut, daß X. der inzwischen mit seinem Gegner auf Schlägerei und ohne Binden, losgegangen war, zum großen Jubel seiner Landsleute, die mir so herzlich die Hand drückten, frei gesprochen wurde. —
Nie verließ den Pommer eine gewisse Ruhe, womit er Alles selbst das Begeisternde angriff. — Als Typus hiefür diene folgende Anekdote: Der ehrliche v. S., welcher sich einen derben Rausch geholt hatte, trug eine Leiter ins Freie indem er den ihn Fragenden wohin er wolle, ruhig antwortete: Ich will in den Himmel steigen.
Unter den Preußischen Pommeranern entsinne ich mich einen Hr. v. G., der mir gegenüber in dem Fahrbachschen Hause wohnte, wo die ungeheuren Pfeifenquäste eines relegirten Kurländers den Griff an dem Klingelzug des Zimmers bildeten. Als ich mich einmal in der Winterzeit zur Beschaffung einiger Arbeiten, eine Zeitlang um fünf Uhr Morgens wecken ließ, erregte dies einiges Aufsehen unter meinen Freunden, welche meine Nicodemus-Natur nur zu wohl kannten. Da ich indessen Beharrlichkeit zeigte machte ich bald einige Proseliten, 61 und namentlich bat mich G. ihm als meinem Übernachbar, — bei meinem Lever sofort seinen Namen zu rufen. — Das geschah denn auch regelmäßig, indessen nicht lange Zeit mit Effect für meinen Freund, der sich bald an mein Rufen gewöhnt hatte, wie ich früher an das Rauschen des Brunnens in der Mittelbadgasse.
Ich hatte bemerkt, daß kurz nach meinem Rufe, die Schallern (Fensterladen) der ganzen Kettengasse sich successive öffneten, indessen kein Arg weiter daraus gehabt. — Nun begab es sich, daß nicht gar lange nachher, zwei auf einander folgende Kommersche mich erst um Vier Uhr Morgens zu Hause führten. Meine Laune wollte es indeß, daß ich jedes Mal meinem Freunde G. noch vor dem Niederlegen seinen Namen zurief und dann mich auf mein Lager warf.
Als ich am zweiten Abend in die sogenannte Kolonie zu dem Bäcker und Weinwirth Schwarz etwa um 8 Uhr zum Nachtessen kam, fand ich denselben auf seinen Arm gestützt, schlafend. — »Ei was Herr Schwarz!« hub ich an, »erst zu Nacht gespeißt, und dann geschlafen. Wer schläft denn so früh?« »Sie haben gut spreche Herr Baron,« erwiederte der aus seinem Schlummer hervortauchende Weinwirth. »Sie habe uns zwei Tage gut 62 gehabt. Ich parire die ganze Kettegaß’ und die ganze Hauptstraß’ auf dieser Seit’ ist hundsmüd!«
»Aber wie kann ich daran Schuld sein?«
»Sehe Sie Herr Baron,« fuhr Schwarz fort, »Sie wohnen ins Silberschmidt Soise. Die Frau ischt ä akkerate Frau und die weckt Ihne meinetwege um fünf wann de Frankfurter Poschtkarre komme. Itzt sind Sie ufgestande und habe aus Ihne Ihr Fenschter den Herrn Baron v. G. gerufe. Das habe mir Nachbare bemerkt und allemal sein mir ufgestanden, wonn Sie G. gerufe habe. Itzt habe Sie uns Alle mit ihrem G. Rufen aber zwei Morge um drei Stunde früher aus dem Bett getrieben. Ischt des Recht, mir lasse uns holt aber nicht wieder anführe.«
»Ei Ihr verwünschten Philister!« entgegnete ich lachend aber voll Burschenstolz. »Wie könnt Ihr denn verlangen, daß ich euer Haushahn oder gar Euer Wecker sein soll.«
Meine Geschichte aber erregte einen entsetzlichen Trödel unter den Burschen.
Die Schweizer saßen bei einem Conditor in der Mittelbadgasse zusammen und tranken im Kaffeehause ihr Bier. — Mir fällt dabei ein, daß im Süden namentlich in Carlsruhe das Wort Kaffeehaus ein eben so unpassender Name ist, wie 63 die Ableitung des »lusus« a non lucendo. Wie in einigen Städten das Schauspielhaus oft das einzige Haus ist worin nicht geklatscht wird, trinkt der Fremde im ganzen Jahre vielleicht nicht eine einzige Tasse Kaffee, obgleich das Wirthshausschild den vorüber Gehenden zu einem solchen Tranke einladet.
Die meisten Schweizer waren in der Burschenschaft ohne sich im Ganzen lebhaft dafür zu interessiren. Sie stritten sich lieber unter einander beim Conditor, wo sie ihre Cantone durch politische Zwiste würdig repräsentirten. Der vorzüglichste unter ihnen, ein Mann von edlem Herzen und klarem Kopfe, der einzigste auf den die Hegelsche Disciplin schon damals sichtlich einwirkte, ist vielleicht jetzt der ausgezeichnetste Schweizer, der allbeliebte Landamman Schindler in Glarus. — Zwei unzertrennbaren Freunden, Rauschenbach und Stünze überkam kurz nach einander der Tod auf eine seltsame Weise. Dem ersten flog beim freundschaftlichen Rappiren[2] ein Stück der abspringenden 64 Klinge seines Gegners in den Schädel. Kein Trepan konnte ihn retten, er starb nach wenigen Stunden. Rauschenbach der Schinzmacher schnitt sich, obgleich er Mediciner war, ungeschickt einen Leichdorn. Die Wunde wurde gefährlich, der kalte Brand trat dazu und unser athlestischster Student mußte elendiglich umkommen, da er zu spät in eine Amputation des Beines gewilligt hatte.
Rauschenbach war der beste Schläger unserer Burschenschaft, während die Landsmanschaften in dem Kurländer W. ihren Haupthahn hatten. Ein jedes Mitglied der einen Parthei hätte seinen ganzen Wechsel für ihren Heros verwettet, und so mußte es am Ende denn ja kommen, daß sich die beiden Herren befehdeten. Sie contrahirten:
»Morgen gehen Rauschenbach und W. auf der Hirschgasse mit einander los,« so hieß es eines Tages, und zwar in den Ferien, wo zwar kaum die Hälfte der Musensöhne in Heidelberg war aber von diesen wiederum kein Einziger in der Kampfhalle fehlte. —
So standen sich wie einst die Horatier und Kuriatier entgegen, jeder Theil für den Ruhm seines Kämpfers zitternd.
Allein der vierte Gang entschied zum Nachtheil der Burschenschaft. Rauschenbach schien durch die klobigen Schläge seines Gegners verwirrt, seine schnell erwiederten Hiebe fielen nur flach, er selbst aber bekam eine Wunde in den Arm. Da er der Beleidiger war, so war das Duell durch seine Verwundung beendigt.
Die naive Bemerkung des Überwundenen gegen seinen Gegner: »Mit Schlägern können Sie mir wohl etwas beibringen, allein ich fodre Sie, wenn meine Wunde einmal geheilt ist, auf einen Rappierjungen,« versetzte mich in eine humoristische Stimmung, nicht aber alle Burschenschaftlern, welche glaubten, Rauschenbach habe sich ein Dementi dadurch gegeben, weil er die Ehre der Fechtkunst höher als die der Burschenschaft setze. —
Diese Äußerung wurde auch von den Corps sehr malitiös, als die eines Manschottarii gedeutet, man lachte, wir nahmen hingegen natürlich die Parthie unseres Besiegten. In zehn Minuten waren vierzig Duelle contrahirt, welche indessen später durch die academische Polizei annullirt wurden.
Spaßhaft war die Beschreibung der Trauer eines sehr vornehmen Baseler, worin seine und jede vornehme Familie in dieser Kaufmannsstadt versetzt wird, wenn ein Sprößling derselben auf die Idee kommt, zu studiren. Es wird kein Mittel unversucht gelassen, um den Schwärmer von seiner unglücklichen Idee abzubringen. Zuletzt verspricht man ihm baldige Aufnahme in die Firma und wenn es gar nicht anders ist eine reiche Cousine. Ist alles vergeblich, so wird in einer Art Familienrath der bürgerlich Todte bei einer Tasse Thee beweint und über den Verfall der guten alten Zeit geseufzt.
Unter den freien Städtern gefielen mir die Frankfurter am meisten. Wer erinnert sich nicht des lustigen Sängers vom Prinzen Eugenius? Wer nicht des kräftigen O., des biedern F.? — Der liebenswürdige Bremer Castendyck ist schon vor mehreren Jahren als Amtmann in Bremerhafen gestorben. Von den Hamburgern sind diejenigen, welche überall etwas vom Studentenleben durchmachten, die Chargen der zufriedenen Unzufriedenen geworden. Unter den Aristokraten war schon damals oft ein Hauptstreit, wie viel Mark der und oder habe, ob der Commerz-Deputation löblich oder wohllöblich gebühre, u. dergl. m. Von den Hamburger Juristen ist zu sagen, daß sie viel 67 für ihr Fach gelernt haben. Allein sie ergreifen auch größtentheils nur die practische Seite. Die lyrischen Anlagen im Menschen verlangen zu ihrer Entfaltung etwas Hunger und Unglück[3] sie weichen nur zu leicht von dem materiellen reichen Hamburger, bei dem nach der Börse ein glänzendes Abendessen einer reichbesetzten Mittagstafel folgt, welche nur durch einige Rubber Whist getrennt wird, etwa wie Hamburg und Altona nur durch die kurze Straße des Hamburger Berges geschieden sind. — Der geistvolle Bluhme mein alter Schulcamerad besuchte mich mit dem jetzt auch verstorbenen Siemsen in Heidelberg und verlebte frohe Tage bei uns, die ihn viel mehr anheimelten als sein Aufenthalt in Göttingen, wo man dermalen zwar sich nur selten nach neun Uhr in öffentlichen Wirthshäusern zeigte indessen desto mehr Verbotenes auf den einzelnen Kneipen trieb. —
Diese Sünden waren während meines ersten Semesters in Heidelberg unbekannt; erst der Göttinger Auszug, welcher im Herbst 1817 die Zahl der Studenten in Heidelberg verdoppelte, vergifteten das Burschenleben daselbst, das sich bis dahin in 68 der That in einem liebenswürdigen Zustande der Unschuld befunden hatte. Namentlich riß das Dreikartspiel (Zwicken mit Fiduz) das Landsknecht, (französisch lansquene) und vor allen Dingen das sogenannte L’hombré mit Ohren, das Pharospiel ein. — Ein einziger Student, welcher gewöhnlich eine Bank von einer Pistole auflegte die er stets erneuerte, wogegen er aber wenn er gesprengt wurde nicht für alle Sätze haftete, nahm den Studenten vielleicht in einem Jahre fünfzehnhundert Thaler ab. —
Man hätte ihn gewiß consilirt und er hätte es zehnmal verdient, wenn er nicht der Neveu eines hochansehnlichen Professors gewesen wäre. Der gute Mann führte übrigens ein wunderliches Leben. Er secondirte fast in jedem Duell, oft mit Lebensgefahr, also etwa eine Stunde, legte jeden Abend zwei Stunden Bank auf, war aber dabei der fleißigste Student in Heidelberg, da er sonst Tag und Nacht studirte. »Man muß sich für seine Freunde aufopfern,« pflegte er zu sagen, sowol wenn er die Karten zum Abschlag, so wie wenn er den sogenannten Secondirprügel, ein dazu bestimmtes Rappier, zum Abmessen der Mensur ergriff.
Der Churhesse G. war dazu bestimmt, uns an den Goliath der Kurländer, dem übermüthigen W. 69 zu rächen. Eine kräftige Quart trennte mit der Geschicklichkeit eines Friseurs die große Unschuldslocke, welche über der Wange des Gegners hing, vom bemoosten Burschenhaupt und fuhr dazu noch ziemlich tief in die fleischige Backe. Dies Ereigniß erregte allgemeinen Jubel und ist auch in der fünften Scene meines Burschenerdenwallens besungen worden. Ich ernannte G. der eigentlich kein Bier zu trinken gewohnt war, sofort auf dem Schlachtfelde zum Biergrafen von Schwernoth wie zum Großkrenz des Cerevisia.
Von den Hannoveranern ist wenig zu referiren. Außer den vortrefflichen Gebrüdern v. P., dem unglücklichen K. sind selbst meinem treuen Gedächtniß fast keine mehr erinnerlich. Ich gestehe, daß ich überhaupt wenig für diesen Volkstamm im Ganzen portirt bin. Ein alter hannoverscher Oberamtmann aus alter Zeit ist für mich immer, wenn auch ein Typus einer gewissen Diensttreue, doch auch der personificirten Langeweile und einer widerlichen Beamtenaristocratie gewesen. Es gedeihen dort keine Dichter, jede Genialität scheint verpönt, ich habe im ganzen Hannoverschen, wie oft ich dort gewesen bin, manches Belehrende aber nie eine einzige geistvolle Bemerkung gehört. Gegen zehn Uhr ist fast ein jeder Hannoveraner todt müde und es ihm fast 70 nicht möglich, die zwölfte Stunde heran zu wachen. Er erinnert dann oft an eine Geisenheiner Uhr die nur zwei und zwanzig Stunden geht.
Mein Urtheil ist gewiß im Ganzen nicht scharf zu nennen, wenigstens von den poetischen und von dem humoristischen Standpunct aus gerechtfertigt. — Daß das Hannoversche ein tüchtiges, kerniges, arbeitsames Volk, und den besten Regenten werth ist, ja daß meine Regel auch vor rühmlichen Ausnahmen verspottet wird, wer kann das leugnen? Allein es giebt für einen Fremden keinen langweiligeren Ort als die Residenz Hannover und ihre Bewohner, und von diesen will ich hier eigentlich nur geredet haben. Daß ich vor allen Dingen die jovialen Osnabrücker hier ausnehme, versteht sich von selbst.
Merkwürdig ist es, daß in Hannover das Familienglück der Mittelstände durch eine ganz singulaire, in allen andern Orten total unbekannte Leidenschaft untergraben wird. In München vertrinkt man den Verstand in Bier, in Hamburg verfrißt man ihn durch schwere Fleischmassen, in Baden Baden verspielt man ihn am Roulett, in Elberfeld verbetet man ihn, in Paris opfert man denselben der Wollust, aber in Hannover, ja in Hannover, — es ist schauderhaft es zu sagen, aber wahr, verschlickert man ihn, in Kuchen. — — — — —
Ein jeder Reisender kann sich von dieser tiefen unumstößlichen Wahrheit überzeugen, wenn er einige Stunden bei einem Conditor zubringen will. Es ist fabelhaft, wenn ich erzählen wollte, welche Menge süßer Sachen dort von einem Einzigen verzehrt werden. Ich habe es gesehen, daß ein junger Herr an einem einzigen Morgen, bloß für Süßigkeiten anderthalb Thaler preußisch Courant verzehrte und dabei bemerkte, daß er noch mehr Krollkuchen vertilgt haben würde wenn er nicht am Morgen zu viel Chocolade getrunken hätte. Ernste ältliche Männer verkneipen dort in »Sprößgebackenem, Windsortorten, spanischen Wind, Krollkuchen u. dergl. m.« ihre ganze Gage, während Frau und Kind kaum das trockene Brod zu Hause haben. Oft kämpft zwar ein solcher Familienvater sichtlich — wie Hercules am Scheidewege, aber nur selten erfaßt er eine Zeitung oder seinen Hut anstatt der Makrone, — er wird fast nie ein Märtyrer, gewöhnlich nimmt er noch für einen Matir. —
Solche wiederholte Kraftanstrengungen, solche geistige Kämpfe führen am Ende unausbleiblich zum Stumpfsinn, der im letzten Stadio keinen warnenden Genius, sondern nur Sprößgebackenes sieht. — Selbst Blumenhagen der Dichter, war nicht frei 72 von dieser eines Mannes unwürdigen Leidenschaft für Kuchen.
Ich habe diese Bemerkung vor einigen Wochen meinen Oldenburger Freunden an einer table d’hôte zum Besten gegeben. Während diese lächelten, rief ein zufällig anwesender Bewohner der Residenz Hannover ganz ernsthaft und mit einem andächtigen Gesicht — die Worte aus: »Jawohl Sie haben Recht mein Herr! Hannover wird untergehen durch alle seine Conditorläden.«
Man thut dem Hannoverschen Dialect eine zu große Ehre an, wenn man, wie sehr häufig geschieht behauptet, daß er der beste, und namentlich der Celler, der vorzüglichste in Deutschland sei. Es ist dies ein arger Irrthum und mag derselbe wol dadurch entstanden sein, daß jeder Buchstabe gleich betont wird, mithin das Hannoversche zuerst bescheiden und anspruchlos an das Ohr fluthet. — Die Worte erinnern dann an die Hofmänner von denen Jean Paul sagt, sie wollen sich nur gleich von Serenissimus, ohne daß Jemanden von ihnen der Vorzug gegeben wird, behandelt sehen, und sind zufrieden, wenn der Fürst auf sie, wie auf das Getäfel seines Vorzimmers nur gleichmäßig tritt. — Genießt man diese Conversation aber längere Zeit, so bekommt sie den Rang eines Wasserfalls, der 73 Klang überwältigt den Sinn der Rede — und man schläft ein, was die Hannoveraner auch in der That unter sich früher thun, als jeder andere Deutsche Volksstamm.
Hat man das wol gesehen? lautet im wohlklingendsten Hannoverschen wie:
»Hatten dos wohhl jesehn.«
Beiläufig mag hier gesagt werden, daß wenn man nicht den bei Weitem am Wohlkingendsten Allemannischen Dialect als den besten unseres Vaterlandes ansehen will, man dem gebildeten Oldenburger oder Holsteiner, und namentlich dem letzteren im Fürstenthum Eutin, ohne alle Frage den Preis in dieser Hinsicht zuerkennen muß.
Ein großes Lob, welches übrigens die Hannoveraner trifft, ist die Nüchternheit und Mäßigkeit, welche dieselben im Allgemeinen durch den Nichtgebrauch geistiger Getränke beweisen. Namentlich gilt dies par excellence von der Klasse der Staatsdiener, und überhaupt von den Residenzbewohnern Hannovers.
Unter den Landsmanschaften zeichneten sich vor allen Dingen die »schwarz grün weißen Brüder« die »Westphalen« aus, welche sich im Jahr 1818 von den Holsteinern trennten, mit denen sie bis dahin seit vielen Jahren ein gemeinschaftliches Corps 74 gebildet hatten. Ihr Chef war der gelehrte und herzensgute Holsteiner St., der durch den Tod seines Hundes »Peter Fix« in eine fast wahnsinnige Betrübniß gesetzt wurde. St. hatte Alles als Peripatheticker gelernt, hatte in der Schweiz, wo er sieben Male gewesen, zwei Male die Pandecten, drei Male das Criminalrecht, einmal das Lehnrecht, und so alle Wissenschaften durchgemacht. Dabei hatte Peter Fix seinen Herrn überall begleitet, sich wie dieser wacker durchgebissen. Ja im Nachtquartier hatte er sich sogar daran gewöhnt, mit seinem Herrn einige Töne zu heulen, welches St. mit großen Euphemismus, ein Duett nannte. Tief ergriff den Überlebenden daher der Tod des getreuen Vierfüßlers und nicht ohne Rührung ließ er sich ein Requiem vorsingen, das ich auf seinen Hund gedichtet hatte und wovon mir nur noch diese Strophen erinnerlich sind:
Nächst den Pommeranern haben mir übrigens die Würtemberger am meisten gefallen, wenn auch die Grazie ihnen zuweilen mangelt. Erscheinungen wie »Strauß« und »Justinus Kerner« sind Beweise, welch einen ungeheuren geistigen Umfang dies kleine Volk im Reich der Gedanken, wie in der Vorstellung hat. — Jeder Würtembergsche Pastor kann die meisten unserer norddeutschen Generalsuperintendenten in Grund und Boden examiniren, und auf gleiche Weise ist der Würtemberger in allen Disciplinen gründlich zu Hause. Unbegreiflich ist es dabei mir immer gewesen, daß sich in einer solchen Stadt wie Stuttgart, wo dazu ein Cotta neben mehreren anderen höchst ehrenwerthen Buchhandlungen residirt, eine solche Menge Buchhändlerischer Schwindeler eingefunden haben, die mir mit ihren abentheuerlichen unausführbaren Pfenningsideen immer wie uneheliche Söhne eines aufgehängten Nachdruckers und eines verhungerten Harfenmädchens 76 vorkommen. Sie schaden den Schriftstellern ungemein, indem sie vielen, ohnehin unmündigen Lesern mit ihren wohlfeilen, verstümmelten Groschenausgaben die wenigen Groschen ablocken, welche diese vielleicht für ein besseres oder wenigstens originales nicht gestohlenes Werk der neuen Literatur zu geben hätten.
Will man das Würtembergsche Volk in socialer Hinsicht lieb gewinnen, so muß man den Koppenhöfer besuchen der über Stuttgart liegt, und eine reizende Aussicht darbietet, welche noch um Vieles erhöht werden würde, wenn der Neckar einmal die Erlaubniß erhielte von dem nahe gelegenen Kannstadt aus die Residenz zu begrüßen. Hier sieht man im buntesten Gemisch alle Stände zusammen, oft an demselben Tisch, in der unverkümmersten anständigsten Unterhaltung, als wolle man die Conversation des tausendjährigen Reiches einstudiren, das nach der Prophezeiung des Tübinger Professors Bengel freilich schon 1836 hätte beginnen sollen, wozu aber wenigstens in Norddeutschland die Welt noch nicht völlig reif zu sein scheint.
Die Preußen waren schon damals von viel zu vielerlei Fleisch, als daß sie man generell characterisiren könnte. Sie scheinen ihre Aufgabe, die Repräsentanten der politischen und religiösen Freiheit und 77 somit des Protestantismus zu sein, noch nicht ganz gelöst zu haben. Ich glaube es fehlt ihnen auch ein allgemeiner Dialect, wozu ich wol einen, nur nicht den Berliner Nanteaccent, der wirklich den höchst gestellten Leuten durch einen etwas zu geselligen (das Wort ist von Gesell gemacht) Anstrich verleiht, vorschlagen möchte. Indessen giebt es am Ende keinen Ton, der als Generalnenner für die nachfolgenden höchst verschiedenen Mundarten dienen könnte, welche in dieser Geschichte zusammen gewürfelt sind. Einem sehr vornehmen Mann in Berlin wurden nach dieser Anecdote vier junge edelmännische Militairs aus den verschiedenen Preußischen Provinzen; aus Pommern, Sachsen, Westphalen und der Rheingegend vorgestellt:
»Wie heißen Sie?« lautete die Frage, worauf der Pommeraner:
»Ich nenne mir Lottum.«
Der Sachse:
»Ich heeße Musemeischel.«
Der Westphale:
»Ich schreibe mich Sgade (Schade) und bin von Mesgede.« (Meschede.)
Der Rheinländer:
»Ick sin ein sicherer von der Straß Cölle am Rhi« geantwortet haben soll.
Ein Holländer Ruhs, der schönste und kräftigste Student seiner Zeit, ein famöser Schläger, kam in seinem zwanzigsten Semester auch nach Heidelberg. Man betrachtete ihn mit großer Ehrfurcht. Er selbst meinte aber vom Burschenleben, in den ersten sechs bis sieben Jahren mache das Burschenleben viel Scherz, dann aber kriegt man es doch auch satt, dann macht es keinen rechten Trödel mehr. —
Die Heidelberger Professoren. Thibaut. Nägeli. Walch. Graf Sponek. Creuzer. Hegel. Paulus. Daub. Langsdorf. Schweins. Schlosser. Tiedemann. Gmelin. Munke. Konradi. Schelver. v. Leonhard. Die Pedelle, Krings und Ritter.
Thibaut ist ein Mann des Verstandes, zu dessen Ehre er oft die Empfindung zu demüthigen bestrebt ist. Die Art und Weise wie er über den damals empor lodernden Enthusiasmus der Jugend ironisirte, indem er vor allen Dingen die Lieblingsideen der Burschen lächerlich zu machen suchte, gaben ihn in unseren Augen das Ansehn eines kalten gefühllosen Mannes und vielleicht nicht ganz mit Unrecht. In Heidelberg selbst war die Petition der Bürger noch nicht vergessen, welche Martin mit unterzeichnet, Thibaut aber als strafbar desavouirt hatte. 80 Durch diesen Umstand ward Thibauts bedeutender Einfluß in Carlsruhe gegründet, Martin hingegen bewogen, Heidelberg zu verlassen und einem Rufe nach Jena zu folgen.
Wenn hingegen von Musik die Rede war, so zeigte sich Thibaut auch als Enthusiast. Er lobte aber nur die geistliche, und von dieser die Italienische Musik. Man sagte, er halte Agenten in Rom, welche ihm zu hohen Preisen aus den verschiedenen Kirchenregistraturen manches Requim der trägen Ruhe für das gottseelige Thibautsche Fortepiano entreißen mußten, nichts destoweniger war er in dieser Beziehung jedenfalls einseitig, da er alle neuere Musik total verwarf, und Paer den Kotzebue der Musik nannte. Auf den Letzten schien er es besonders nicht zu haben. Er erzählte mit großem Vergnügen eine Historie von Schiller und Kotzebue. Der letzte hatte bei dem großen Dichter ein von ihm verfertigtes Trauerspiel, ich glaube den Ubaldo einschmuggeln gewollt, und zu diesem Ende vorgegeben, er wünsche Schiller das Product eines jungen hoffnungsvollen Dichters, und zwar ein Trauerspiel vorzulesen. Schiller hatte eingewilligt, indessen hatte Kotzebue noch nicht den ersten Act beendigt, als Schiller nicht mehr seine krampfhaften Zuckungen beherrschen gekonnt und ausgerufen habe: »Das 81 Trauerspiel mag der Teufel auch von einem jungen Dichter sein, das ist das Machwerk eines alten keiffigen Theaterscriblers, der die Bühne durch und durch kennt, dem aber Phantasie und Gefühl mangelt.« —
Nachdem ich ein halbes Jahr studirt hatte, wurde ich von meinem Landsmann, dem gelehrten St. aufgefordert, ihm zu oponiren. Obgleich ich die Collegia nicht sehr fleißig besucht hatte, die rücksichtlich meines Fachs auch nur auf Institutionen und Rechtsgeschichte beschränkt gewesen waren, so nahm ich doch diese Einladung an. Ich hatte die Hamburger Schule frequentirt und sprach ziemlich gewandt Latein. Ich instruirte mich nach Collegien-Heften über die Personalservituten und ob ein Lehn nur durch dolus oder auch durch culpa verloren wird, hatte eine kleine lateinische Anrede formirt, und ging dann getrost in die Aula.
Aber wie erschrack ich, als ich nur einen einzigen, Thibaut auf den für die Professoren bestimmten Sitze gewahrte. Alle meine Vocativi Pluralis waren schon auf meiner Zunge, ich konnte ihnen keine Contreorden mehr ertheilen. Ich gab daher den neugierigen Musensöhnen allen Professorenrang und hub meine Rede etwa mit diesen Worten an:
[4]Cum primum abste rogarer ut verbis tecum altercandi munus susciperem periculosum, nolui primum iniquum certamen inire, et certe haud ausus essem nisi spectata tua amicitia ad hoc conandum me impulisset. Tu mihi es amicus et popularis, nil habeo quad vereas. Sed dicendum est coram tantis viris, quorum magna atque divina adeo doctrina, satis superque quam sim audax, mihi demonstrat. Detis egitur veniam viri doctissimi si aures vestras tam teneras in audiendis dissouis latinae linguae vocibus fatigem.
Die Disputation ging glücklich zu Ende, ich schloß mit einigen Sapphischen Versen, welche mir 83 doch zu schlecht scheinen, um sie wieder zu Papier zu geben und ging dann nicht ohne großes Lob meiner Commilitonen zu Hause. Selbst Thibaut, der mich auf der Straße sah, ging auf mich zu, drückte mir lächelnd die Hand und bemerkte beifällig: »Nun das muß ich sagen, für Einen der nichts gelernt hat, haben sie ihre Sache vortrefflich gemacht. Indessen bin ich mir doch vorgekommen, wie der Schweizer Winkelried, ich der Einzige, habe alle Ihre vocativi pluralis hineinschlucken müssen.«
Wie wenig übrigens oft auf den gesunden Menschenverstand der auf Universitäten promovirten Doctoren zu geben ist, mag folgende Erzählung lehren:
In Heidelberg war ein Doctor juris insigni cum laude promovirt, welcher in der Heimath angekommen, sein Diplom als Visitenkarte abgab. »Aber Herr Doctor,«, fragte ihn der schlaue und humoristische Bürgermeister seines Geburtsortes. »Sie haben doch nichts für ihre Promotiva bezahlt?« »Freilich über vierzig Pistolen,« versetzte betreten der Doctor. »Aber da steht ja publice defendet in Ihren Diplom.« »Freilich das heißt ja, daß ich öffentlich einige Thesen vertheidigen werde.« — »Lieber Freund,« fuhr der Bürgermeister fort, »for 84 dern Sie ihr Geld zurück, »publice« heißt ja auf Kosten des Staates. Ich will Ihnen funfzig Beispiele aus dem Livius zeigen, daß publice institui jussit nichts anderes bedeutet, als: »Er ließ dies oder das auf Kosten des Staats errichten.« Verblüfft stand der insignicum laude geschmückte Doctor da und wähnte so lange sich um sein Geld gefoppt, bis das Lachen des Alten ihn belehrte, daß dieser ihn nur zum Besten gehabt habe. —
»Polizeiliche Maßregeln müssen schnell ausgeführt werden, sonst kommen sie gewöhnlich zu spät,« pflegte Thibaut zu sagen, indem er folgende Geschichte erzählte: »Als ich vor einigen Jahren einmal das Amt eines Prorectors verwaltet, wurde ich in der Nacht von einem Polen, der überhaupt damals fast alle Duelle der Studenten verrieth, obgleich er ein Senior war, und bei ihnen das höchste Vertrauen genoß, geweckt, der mir anzeigte, daß zwei in Heidelberg studirende norddeutsche Edelleute sich morgen früh zu duelliren gedächten. Ich ließ den Pedell kommen und noch in der Nacht beide auf den andern Morgen um sieben Uhr citiren. Sie erschienen, mit herzlicher Wärme stellte ich ihnen das Unvernünftige des Zweikampfs vor, und siehe! versöhnt sanken sie einander in die Arme, gaben 85 auch freiwillig das sonst als Urpfede erpreßte Ehrenwort, sich nicht zu duelliren.
»Ich freute mich nicht wenig über meine Eloquenz und über die Empfänglichkeit junger Gemüther für freundliche Belehrung, aber mit Schrecken erfuhr ich am andern Tage, daß sich beide Studenten schon gestern um 5 Uhr Morgens duellirt hatten.«
Thibaut blieb sich ziemlich gleich in seinen lebhaften geistvollen Vortrag. Nur wenn von den Sponsalien die Rede war, schien er jedesmal aufgeregter als sonst. Mit großem Lachen erzählte er, daß nach der Meinung aller Juristen die Phrase:
»Herzallerliebstes Schatze mein!«
kein bindendes Eheversprechen enthalte, wol aber der Satz:
»Ich will Dich nehmen, die Leute mögen sagen was sie wollen.«
Einer seiner Hauptfeinde war der Professor Schömann, welcher in der Materie über die culpa eine Abhandlung gegen ihn geschrieben und wovon er geäußert hatte, diese solle Thibaut unter die Erde bringen. Thibaut citirte diese Abhandlung oft mit einem nicht eben angenehmen Lächeln: »Todtschlagsdissertation von Schömann.«
Hospitanten litt er nicht, vor allen keine Zuhörer höheren Alters. Ich habe ihn einen ange 86 sehenen Mann, der ihn um die Erlaubniß seine Vorlesung zu besuchen um Gotteswillen bitten gesehen daß er ihm seine Unbefangenheit nicht total rauben möge. —
Auf Göttingen war Thibaut übel zu sprechen. Von einem Professor, der sehr viel auf Etiquette hielt, pflegte er zu erzählen, daß dieser einem Studenten der ihn nicht in Escarpins besucht, mit den Worten empfangen: Mit ihrer Kleidung pflegt man nicht honnette Leute zu besuchen, worauf der Studio geantwortet habe: »Das thue ich auch nicht.«
Der Geheimerath Nägeli war ein geistvoller jovialer Mann. Er ist berühmt geworden namentlich als Accoucheur, hat gezeigt und thut es noch, daß man ein sehr gelehrter Mann sein kann ohne die herrschenden Ansichten über das »mir« und »mich« zu theilen. Ich habe ihn nur einmal bei Thibaut gesehen und erinnre mich noch einer sehr feinen psychologischen Bemerkung, welche er damals zum Besten gab. — »Immer,« sagte er, »wenn ich zu armen Juden gerufen bin, erstaunte ich über die Menge des Silbergeschirrs, das in dem Vorzimmer, durch welches ich zu der Kammer in welcher das Krankenbett stand, geleitet wurde, aufgestellt war. Ich konnte dies anfangs nicht fassen, endlich kam ich auf den Grund. Man wollte mich 87 durch die Schätze nur dazu bestimmen, mich eben so thätig gegen den Patienten zu beweisen, als ob ich einen Rothschild zu behandeln habe.« —
Der Professor Walch war ein grundgelehrter Mann, dem aber alles fremd war was nicht im corpus juris stand. Als er einmal Ebbe und Fluth nicht begreifen konnte, verdeutlichte sie ihm einer meiner jovialen Freunde durch die juristische Formel: Wenn Cajus kommt so geht Sempronius, und wenn Sempronius kommt so geht Cajus. Aha nun verstehe ich Sie vollkommen mein Theurer, das Beispiel macht mir die Sache klar, versetzte der alte Rechtsgelehrte.
Bei den Forstwissenschaften war ein Graf S. angestellt, der beschuldigt wurde, in seine Vorlesungen zuviel von seinen häuslichen Verhältnissen zu mischen. Ich habe den alten Herrn nie gesehen, wol aber in einem von mir dictirten Heft geblättert wo mir dann die Stelle, als ein herrlicher Beitrag für die jetzige Adelszeitung ins Auge fiel:
»Forstmeistern siegeln mit ihren Wappen, Förster mit ihren Petschaften.«
Der Oberforstrath von Gatterer war ein sehr angenehmer geschwätziger Alter. — Immer habe ich in mir lächeln müssen, wenn er von seinem getreuen und klugen Pferde erzählte und dabei fast 88 Thränen der Dankbarkeit vergoß. Er war auf demselben Jahre lang durch den Neckar Abends zu Hause geritten, als es diesen Weg, trotz aller Ansporung zu nehmen verweigert hatte. Während Gatterer sich im Bette schlaflos über den Eigensinn seines sonst so folgsamen Rosses geärgert und eine strengere Züchtigung desselben für den folgenden Tag beschlossen hatte, war der von ihm verkannte Gaul crepirt. Der Oberforstrath meinte, dieser Characterzug des Pferdes, seinen Herrn im nahen Vorgefühl des Todes nicht dem Ertrinken im Neckar exponiren gewollt zu haben, übertreffe noch die rührendsten Beispiele von Hundetreue und anderer wohldenkender Vierfüßler.
In Bezug auf mehrere der Professoren sei es mir erlaubt, einige geistvolle Mittheilungen eines meiner Universitätsfreunde hieher zu setzen welche ich, da ich nie mit fremden Kalbe pflüge in unveränderten Gestalt hieher setzen will.
Meine Lehrer in Heidelberg 1817 1818.
Ich weiß nicht, was mich zurückhalten will, über meine Lehrer einige Worte zu sagen. Es waren lauter tüchtiger Männer, jeder in seiner Art und das Ganze was die Einzelnen bildeten ganz geeignet, in der Jugend einen wissenschaftlichen Geist zu entzünden. Die abstracte Identität wurde ver 89 bannt, Unterschied, Gegensatz und Widerspruch machte das Interesse aus und dieses trieb zur regsten Thätigkeit. Zunächst war ich an Creuzer gewiesen, der wie jeder Scholarch, denn er dachte gewiß an eine Creuzersche philologische Schule, den noch rathlosen Studenten ganz ausschließend in seinen Karren spannen wollte. Seine Symbolik machte Furore. Er trug sie mit dem Schein der höchsten Begeisterung vor, als wenn er selbst eine Incarnation des Wischnu oder Kneph, so nannten ihn auch die Seminaristen, wäre. Mit der höchsten Ehrfurcht wurde der nordasiatisch schmutzige Naturdienst behandelt und ob er gleich unter der rothhaarigen Perrücke die Augen schloß, so wurde er doch gewahr, wenn St. Paul lachte und ermangelte nicht eine Abmahnung profaner Auffassung einfließen zu lassen. Es benahm der Begeisterung nichts, daß das dritte Wort im Citat aus Jablonsky, Zoega, Porphyrius, Sylvester de Sacy etc. etc. war, auch nicht daß er in einer Hand die Kreide in der andern den Schwamm in die Höhe hob, viel Taback nahm und über die ars poetica sprach. Das Komischste war die Überfüllung des Locals, so daß kein Gang zwischen ihm und den Subsellien gelassen war, der letzt hereingetretene Zuhörer so saß, daß man die Thür nicht mehr öffnen konnte und einer sogar seinen Platz im 90 Katheder selber neben den Füßen des Meisters hatte. Aus allen Facultäten waren Zuhörer da und ließen sich das confuseste Gemisch von Wahrheit und Dichtung (oft schon Dichtung bei den Alten, die Creuzer für die Sache selbst nahm) ächt philologischen Wissens und der willkürlichsten Etymologie, ohne Plan und Zweck als etwa den, alles Höchste und Erleuchtetste des Geistes in der vorgeschichtlichen Zeit zu suchen, und das Dasein des Menschengeschlechts ins Unendliche der Vergangenheit auszudehnen, die Methode ohne Philosophie, die Begeisterung ohne Poesie, und doch beides zur Schau tragen wollend, vortragen, verloren sich seine romantischen Reflexionen doch nur in trocknen Adversarienkram. Hegel war gerufen durch Daub, aber wir Studenten wurden zu Paulus geschickt und durften noch bei Schwarz Exegese hören; der treffliche Sohn des Antisymbolikers Voß, war auch so gut wie verpönt, bei dem man aber die Fülle des Griechischen und Lateinischen hätte lernen können, wenn man angeleitet worden wäre, es zu benutzen. Paulus stand damals noch frisch in dem Rufe, in dem jetzt Strauß steht, etwa im Bund mit dem Teufel zu sein, der Christus versucht hatte; aber er meinte es treu wie dieser, und war der freundlichste und wohlwollendste würtembergische Magister. Die alten in Halle gebildeten rationalistischen Theologen 91 schickten ihre Söhne zu ihm und nicht zu Daub. Ich hörte die Exegese der Evangelien, also das Leben Jesu, bei ihm mit dem Vorsatze, sobald er auch nur ein Wunder nicht natürlich zu machen wüßte, meinen Glauben an die Wunder nicht aufzugeben. Diese Bedingung wurde denn auch bald erfüllt, als mir diese und jene Erklärung nicht genügend schien. Überall wurde Geist und Poesie ausgetrieben und an ihre Stelle der platte Verstand und die nackteste Prosa gesetzt. Der Widerspruch war zu grell, als daß er einem mystischen Gemüthe und einer sinnigen Reflexion, deren Bedürfniß er gar nicht erfüllte, hätte etwas anhaben können. Dieses Denken schien mir von Gott verlassen, trostlos und willkürlich, denn Alles was er hatte, selbst die Geschichte, war selbstgemachtes. So auch in der Kirchengeschichte, Pentateuch, Jesaias. Das Pabstthum und die Hierarchie wurde in allen Zeiten mit dem modernen Maßstab der Aufklärung gemessen; die mosaische Verfassung für das klügste Machwerk eines ägyptischen Priesterlehrlings ausgelegt. Überhaupt wurde alles nur getrieben, um es in seiner Nichtigkeit als Subjectives aufzuzeigen, denn Objectives gab es gar nicht, um zuletzt bei dem Subject und seiner Sichselbstgleichheit, abstracten Identität, Überzeugungstreue genannt stehen zu bleiben, wobei es natürlich auf 92 den Inhalt ankam, der wahr oder falsch, gut oder böse sein konnte. — Wenn Paulus für uns ideenlose und bildungsarme Studenten klar wie Wasser war und die Schnitte seines scharfen kritischen Messers zu ihrer Auffassung keiner Sonde bedurften, aber auch eben so schnell wieder heilten, so war es entgegengesetzt bei dem andern Würtemberger Hegel, der sich um unser Verständniß gar nicht bekümmern konnte, dessen kritisches Messer in die Tiefe ging ohne daß wir es fühlten, ja ohne daß wir es ahneten. Da war keine Polemik der Personen und Thaten, und die tiefste Polemik des Denkens gegen jene schlechten Weisen zu existiren war uns gänzlich verhüllt. Wir saßen im Trüben bis zum Schwindel und blieben leer. Nur wenige hatten eine Ahnung von dem, was vorging und ließen sich durch das Vertrauen zur Vernunft halten. Die Leerheit der zuhörenden Köpfe, welche auf der einen Seite hinderlich war, hatte auf der andern den Vortheil der tabula rasa, die nun sogleich mit dem rechten und gediegensten beschrieben werden konnte, Hegel hatte eine zu anspruchlose Persönlichkeit, als daß er sich an besondern Seiten, als der seines Vortrages hätte auffassen lassen. Die Synthesis allein in ihrer Geläufigkeit veranlaßte, daß er jeden dritten Theil eines Satzes oder jeden dritten Satz mit »also« begann, 93 so daß es Hohlköpfe in seinem Auditorio gab, welche sich damit unterhielten, bei jeden »also« einen Strich zu machen. Diese trugen dann immer ein artiges Sümmchen davon, wenn wir andern ganz leer ausgingen. Der Reiz dennoch so lange die Nacht auszuhalten bis der Tag anbrach, kann nur die Dämmrung gewesen sein, die uns doch vergönnt war zu bemerken; sonst wäre es bei dem gleichsam lungenkranken Vortrag, den unbeweglichen hängenden Zügen des Gesichts, den matten in sich gekehrten Augen und der einfachen Ruhe der Hände nicht möglich gewesen. Die nur des Nutzens wegen hingingen, denen es gar nicht dämmerte, gingen auch wieder davon.
Der interessanteste meiner Lehrer war Carl Daub, ein Kurhesse, also Landsmann von Creuzer. Ein Denker, streng und gewandt wie Hegel, der eigentlich für Philosophie nach Heidelberg berufen wurde, aber sogleich theologische Vorlesungen zu übernehmen durch die Umstände genöthigt wurde. Er hatte alle neuere philosophischen Systeme nicht nur studirt, sondern eines nach dem andern zu seinem Eigenthum gemacht und auf die Theologie angewendet, als Methode deren Wahrheit ihm die Theologie war. Bis auf Hegel ist er aus dem reflectirenden Denken nicht hinaus gekommen, und mußte 94 darum consequent die Philosophie für das Subordinirte jenes Philosophirens über den Inhalt der Religion oder des religiösen Bewußtseins, das er Theologie nannte, halten, und heftig gegen die Philosophie abwehrend polemisiren. Dies fiel noch in die Periode meiner ersten Studienjahre oder auch nur Curse, denn innerhalb derselben ließ Hegel seine Encyclopädie drucken, und machte dadurch das ganze System überschaulich, wodurch mithin auch die Stelle der Religion bestimmt wurde. Daub hatte den Ruf Hegels veranlaßt, trieb die Theologen in seinen Hörsaal, und studirte dies System eifrig. Den Zufall und das Böse hatte er bisher abstract als die einfache Negation festgehalten und in diesem dualistischen Sinne den ersten Theil seines Ischarioth drucken lassen. Den verwarf er jetzt zuerst als ein schlechtes Buch, und erklärte dem Buchhändler, den zweiten Theil nicht schreiben zu wollen. Es bedurfte nur geringe Aufklärung über seine Differenz mit Hegel, und er war durchaus versöhnt mit diesem System, in dessen Licht nun sein ganzes theologisches Wissen eine andere Gestalt gewinnen mußte. In diese trübe Gährung, dieses Ringen und Kämpfen mit dem Begriff, fielen nun gerade die Vorlesungen über Dogmatik, die ich drei Jahr lang bei ihm hörte, ohne nur den dritten Theil der 95 Lehre vom Geiste zu bekommen. Da er das Beste unmittelbar auf dem Katheder schuf in der objectiven Stimmung die er mitgebracht und in der subjectiven die ihm seine Zuhörer gaben, so waren diese Vorträge das interessanteste was man hören konnte. So lange ich sie besuchte fing Daub nicht eher an, als bis ich gekommen war, saß, und zum Schreiben gerüstet war. Nie vergesse ich die ernste hohe Gestalt dieses Priesters der Weisheit, mit den vorstrebenden Augen, das kahle Haupt mit den schwarzen Mützchen bedeckt unter dem die dünnen Locken herabwallten, wie er das Taschentuch zu knoten anfing und im tiefsten Basse murmelnd: meine Herren! seine dialektischen mäandrischen Entwickelungen begann, erhoben über alle Endlichkeit des Seins und Denkens, denn es giebt auch ein endliches Denken. Der freie Vortrag war demnach so feierlich und arbeitend, daß die fertige Feder auch jedes Wort nachschreiben konnte. Einer der Zuhörer erwies ihm wohl den Dienst die Vorlesung auch für ihn noch einmal abzuschreiben. Große Episoden in derselben waren der Darstellung der Kantischen, Schellingischen und Hegelschen Philosophie gewidmet. Löste er in der schärfsten Säure der Kritik den Rationalismus auf, dann hatte er immer seinen Collegen Paulus vor Augen. Von Hegel sprach er damals mit der höch 96 sten Achtung und Bewundrung. Und obgleich es außer Hegel gewiß damals keinen tieferen Denker als Daub mehr gab, so meinte er doch, wir jungen Schüler Hegels seien in der Dialektik gewandter als er, was freilich Ironie oder Irrthum war, aber doch Zeugniß gab, wie schwer es auch einem alten geübten Denker ankam, Hegels Schriften zu verstehen, von denen es damals nur Logik, Phänumenologie, Encyclopädie und Naturrecht gab. Manchmal löste eine Stelle aus meinen Hegelschen Heften einen Anstand, über den er nicht hinaus konnte. Außer kritischen Arbeiten ließ er nichts mehr drucken und lebte nicht mehr lange genug, um auf die gährende Theologie den klärenden Einfluß zu haben, den er als Lehrer durch das lebendige Wort gehabt hat. Was er sich gewünscht, geschah auch; er begann auf dem Katheder zu sterben, und mußte von seinen Schülern weggetragen werden. — Den Hofrath Langsdorff kannte ich nicht als Lehrer, denn er hat zu unserer Zeit nicht mehr gelesen. Als Mathematiker war sein Ruf größer als seine Leistungen, die schon verschollen sind. Schweins dagegen hat die Mathematik in einer ansprechenden Nimbus zerstreuenden Methode vorgetragen und lebt in einer Schule junger Mathematiker fort, mit denen er aber, sobald sie etwas drucken lassen, in öffentlichen Streit geräth 97 wegen vermeintlichen Plagiat’s. Es ist dies eine Schwachheit von ihm. Er stand in Heidelberg ganz allein, und hat sich hungernd herauf gearbeitet. Nach unserer Zeit heirathete er hülfsbedürftig seine gesetzte Köchin, und hat noch ein Mädchen gezeugt. Seine Kränklichkeit, Halsleiden, machten ihn sehr pedantisch, so daß er wohl keine Suppe aß, ohne vorher das Thermometer eingetaucht zu haben. Ließen ihn die Schmerzen nicht schlafen, so arbeitete er die ganze Nacht und ich hatte im Winter früh 7 Uhr bei Licht ein Collegium bei ihm, wo ich ihn antraf, als einen Übernächtigten. Mit seinen Collegen konnte er sich nie vertragen, desto besser machte er den Vater und Rather der jungen Leute unter denen er am besten mit den Burschenschaften harmonirte, und sich am liebsten der politisch Gravirten annahm. Angehende Schüler hing er immer mit älteren oder geübteren zusammen, so mußte ich der Lehrer von 3–4 sein, während zwei Jahren. Ohne einen Anfang in der Mathematik, brachte ich sie in 2 Jahren vollständig genug bei ihm durch, und in der schwersten Parthie gab er mir unentgeldlich Privatissima, die ich auf das fleißigste benutzte. Eine Sonderbarkeit in seinem Vortrag war, daß er so viel thunlich deutsche Termini gebrauchte. So sagte er: vervielfachen statt multipliciren, thei 98 len, messen (schöner Unterschied) statt dividiren, — Verbindungen statt Combinationen; die Trigonometrie heißt bei ihm: Kreisfunctionen, die Arithmetik nannte er: Größenlehre, und eine wissenschaftliche Begründung derselben: Theorie der Zahlen. Er ist ein Franzosenfeind und beweiset, daß ein Lacroix und Laplace ihr Bestes von Euler haben, nur hätten sie’s verdorben.
Und noch habe ich des Professors von Jever nicht erwähnt, des als Mensch und Gelehrten so ausgezeichneten Schlosser. Dieser, der so gern mit seinen Zuhörern verkehrte, und niemals von ihnen gelangweilt wurde, hatte mich besonders angezogen, so daß ich ihm seine wunderlichen Vorlesungen vergab. Auffallenderes als diese gab es nicht. Er sprach sehr schnell in einem fremdartigen Idiom, und mit einer Aussprache der Namen, daß auch die gewöhnlichsten unverständlich blieben; nahm einen Anlauf mit einem Satze, fand in der Mitte desselben zur Erläuterung eine kleine Abschweifung für nothwendig, begann darum einen neuen Satz, in welchem ihn wieder etwas zur Bildung eines neuen Satzes verleitete, und brachte so eine Stunde lang keinen Satz zu Ende, bald in die Vergangenheit, bald in die Zukunft, bald in die gleichzeitige Geschichte sich verlierend. Lehrer und Zuhörer befanden sich in einem wirbelnden Gewirre, 99 welches sinnbetäubend war. Bei der Gewissenhaftigkeit, mit welcher er übrigens seine Hefte schrieb war es kein Wunder, daß er eine ausführliche Weltgeschichte drucken lassen konnte, die übrigens eben so wenig ein Kunstwerk wurde, wie seine Vorlesung, aber mit ächt historischem Tacte die Data der Quellen auffaßt und in Reih und Glied stellt. Feind aller Declamation, jedes Nebenzweckes, jeder Willkürlichkeit, alles pragmatischen Geschwätzes, welches für alle Zeiten und Nationen nur einen Maßstab fertig hält, ist Schlosser doch nichts weniger, als objectiv, und hat für Alles seine eigene Meinung, was auf die Wahl des Materials, welches er zusammen reihen will, einen entschiedenen Einfluß übt. Er scheut die Philosophie, und erfreut sich der Virtuosität des Denkens eines Plato’s und Aristoteles, denn diese lassen ihm Spielraum für seine christlichen Meinungen, die natürlich auch von dem Inhalte des gläubigen Bewußtseins abweichen. Sein edles Gemüth, sein Erglühen für alles Gute, Große und Schöne und seine unverhüllte Verachtung und Ekel vor allem Schlechten und Gemeinen, sein ächt patriotischer Sinn und deutsche Männlichkeit machen ihn Schiller ähnlich; allein über die stille That der Häuslichkeit und über das vertrauliche Urtheil und die literarische Wirksamkeit geht es bei ihm nicht 100 hinaus, und mit weiblicher Weichheit vermeidet er Conflict und Schmerz des Lebens. Er versäumt nicht zu jedem Bande seiner Werke eine Vorrede zu schreiben, und in dieselbe seine Überzeugung und Selbstbekenntniß niederzulegen, die denn an Voß erinnern. In seiner freisinnigen Geschichte des achtzehnten Jahrhunderts wird er ein Spittler und Paulus gegen die Könige und Fürsten, wie jene gegen die Päbste, und sucht damit in die Bewegung der Zeit einzugreifen, die doch eines Heilmittels gegen den Königshaß bedurfte. Die Bank der Naturforscher in Heidelberg besetzt von Tiedemann, Gmelin, Munke, damals auch Konradi, Schelver und den Hofrath und Ritter v. Leonhard, ist ohne Zweifel in dem Empirismus sehr tüchtig und nur in dem Puncte sehr bornirt und für die Universität als Pflegerin aller Wissenschaften nachtheilig, weil sie die ärgsten Feinde der Philosophie sind, die sie freilich nicht kennen, die in ihren Köpfen eine nur vorgestellte Existenz hat. Die Schellingianer mit denen für diese Leute nun alle Philosophie indentificirt wird, haben mit ihren willkürlichen Constructionen einen zu üblen Eindruck auf die Naturwissenschaft gemacht, als daß sie nicht alles Denken als etwas die Natur meisterndes und verkehrendes sich vorstellen sollten. Auch haben sie von Hegel nichts verstanden, als seine 101 großen Ausfällen zu §. 320 der Encyclopädie und beurtheilen nun darnach die ganze Philosophie, die sie in feindseliger Tendenz gegen die Empirie begriffen wähnen. Munke wurde von einem Schweizer nur der Taschenspieler genannt, obgleich er keine Ähnlichkeit mit Döbler hat, denn es gelingt ihm keines seiner Experimente, und im Rechnen ist er auch kein Hexenmeister, da der Schweizer sein Exempel im Kopf ausrechnete und vor ihm das Resultat hatte, während das seinige falsch wurde. Darin war er aber einem Taschenspieler ähnlich, daß er seine Experimente wie Kunststücke behandelte, womit man die unkundigen jungen Leute in Erstaunen setzen müsse. Die größte Zeit brachte er mit der Einleitung zu, wo er lehrte, daß die Naturlehre die Lehre von der Natur sei. Auch Tiedemann begann seine Zoologie mit der Etymologie des Wortes Zoologie, dessen Theile er griechisch an die Tafel schrieb. Ein wahrer Hexenmeister ist Gmelin, der in einem halben Jahre 6 St. wöchentlich die dicken Bände seiner Chemie durcheilte, nichts Wesentliches überging und dabei beständig experimentirte. Wir Philosophen wünschten uns nur auch eine solche Anatomie, die aber Tiedemann nur für Mediciner, also zu breit gab, Leonhards Vortrag über Mineralogie, Vulkane, Geognosie ist unterstützt durch seine autoptische Virtu 102 osität im Erkennen der Mineralogie, durch eine köstliche, vollständige auch krystallographische Sammlung durch Modelle und Abbildungen. — Schelver, der Magnetiseur, war mehr im magnetischen Rapport mit der Geschichte (so nannte er die Entwicklung) der Pflanzen, als stark in der Kenntniß einzelner Pflanzen, von denen ihn hin und wieder die aus seinem eignen botanischen Garten in Verlegenheit setzten.
Soweit mein norddeutscher verstorbener Freund.
Der Pedell Krings war ein höchst merkwürdiger Gegensatz seines gutmüthigen Collegen Ritter, der fortwährend an den Don Juanschen Gerichtsdiener erinnerte und sein Amt auch bis zu einem recht hohen Alter in steter Unbesinnlichkeit verwaltet hat. Krings kannte die Studenten durch und durch, ihre Duelle, ihre Liebschaften, ihre Väter, ihre etwaigen Erblasser, und heimlich zusteckenden Oheime und Großmütter, so wie ihre Kenntnisse. Er verlieh viel Geld, nahm zwar eine ziemliche Provision, aber mäßige Zinsen, im Gegensatz zu dem Wucherer M. am Markte, der sich kaum mit zwanzig Procent begnügte und sich dabei das Ehrenwort zur Hypothek setzen ließ.
»Ich werde,« pflegte Krings z. B. von Diesem oder Jenem zu sagen, »vielleicht erst mein Geld in acht Jahren bekommen. Dann wird Herr v. F. mehrere gute Examina gemacht haben und durch 103 eine gute Anstellung in den Stand gesetzt sein, mir Alles mit Zinsen zu vergüten. Herr R. wird wol nicht sein Examen machen, aber den halten die Frauenzimmer über Wasser, Herr L. hat viel zu viel Verstand, um nicht einmal sein rüdes Leben aufzugeben und dann noch Kopf und Kraft genug, allen seinen Landsleuten im Lernen und Wissen zu vorzu kommen.« Von dem reichen unglücklichen v. W. sagte er schon damals die später über ihn verhängte Kuratel voraus. Ich werde mich im Himmel danach sofort erkundigen, was er von mir gesagt, wenn er sich darüber gegen keiner meiner damaligen Freunde ausgesprochen hat, der es mir vor meiner Sterbestunde offenbart. — Damals scheute ich mich vor seiner Prädestinationsgabe. —
Wenn Krings ein Duell witterte, so war er redlich bemüht, dasselbe zu vereiteln. Seine körperlichen Anstrengungen, um einen Zweikampf auf Pistolen bei Neckarsteinnach zu vereiteln, der aber doch später bei Speier vollzogen wurde, und ein dadurch sich fixirender Rheumatismus der sich später auf seine Lungen warf, sind die frühen Ursachen seines Todes geworden. Indessen war die Confiscation der Schläger zu seinem Benefiz auch sehr ermunternd für seine Menschenrettung. Es war oft sehr komisch, 104 wenn man einen Paukanten in voller Rüstung mit farbiger Binde, den Schläger in der Hand, bergauf in den Odenwald hinein vor dem ihm nachsetzenden Pedell wie einen Neger vor einem Bluthund fliehen sah. —
Bei einer Gelegenheit, wo er nur ein Duell vermuthete, aber sonst keine Indicien hatte, war er klug genug, von dreien, zur Hirschgasse wandelnden Musensöhnen den Mittelsten heraus zu nehmen und ihn auf gut Glück als den einen der Kämpfer in dem bevorstehenden Duell zu arretiren oder besser gesagt, zum Prorector zu entbieten. Krings hatte sich nicht geirrt. Ich dachte es mir gleich, sagte der große Psychologe, daß der Paukant in der Mitte gehe. Es liegt in der menschlichen Natur, daß die feurige Einbildungskraft der Herren Studenten einen Duellanten wie einen Abreisenden betrachtet. —
Der Lieutenant J. Die Familie Ditteney. Die Tänzer auf der Hirschgasse. Die blonde Lisette. Die Bäcker- und Schmiedetöchter. Fränzchen. Selmy. Eine Weinlese in Heidelberg. Die Eberbächer, Säckbrenner und Kukuksfresser. Adam. Müller. Drais.
Nicht ohne Frösteln denke ich an ein unheimliches Nachtstück unter den Heidelbergern Philistern, an den pensionirten Lieutnant J., welcher zuweilen, aber immer nur in der Mitternachtsstunde in unsern frohen Cirkel trat. Von athletischer Gestalt, mit einem durchschneidenden Blick, stets begleitet von einem ungeheuren Wolfshund und im halben Rausch, erschien er mir allezeit immer wie ein böser Dämon. In Spanien war ihm sein rechter Arm schwer verwundet und endlich amputirt. Er hatte dann das abgelös’te Glied nochmals geküßt und 106 ausgerufen: »Du bist eine brave Pfote, Du hast manchen Pfaffen erwürgt.« Auf seinem Leibe trug J. einen Strick, von dem er behauptete, daß er ein und zwanzig Spanische Pfaffen damit aufgeknüpft habe. Soldaten, welche unter ihm gedient hatten, bestätigten auf meine Anfrage die vollkommene Wahrheit der Anfuhr. — Wenn J. auf die Hirschgasse kam, wo ein gewaltiger Kettenhund lag, brachte er jedesmal einen nach seinem Dafürhalten stärkern Hund mit, und foderte den Sohn meines Wirthes auf, den großen »Türk« mit seiner Bestie kämpfen zu lassen. Das geschah denn gewöhnlich, aber Türk blieb fortwährend Sieger und J. zog jedesmal zähneknirschend und fluchend mit seinem halb todt gebissenen Vierfüßler von dannen, um ein noch kräftigeres Thier aufzusuchen. Es ist ihm, wie ich höre, späterhin auch gelungen, den armen Türk besiegen zu lassen. Wenn Alexanders Dumas und vornämlich Victor Hugo den J. gekannt hätten, er wäre ihnen eine vortreffliche Studie geworden. Vielleicht ist J. der Vorläufer des Hugoschen Johann von Island, jener Ausgeburt der Phantasie, welche Entsetzen erregend documentirt, auf welcher tiefen Stufe sich die am höchsten gestellten Französischen Dichter befinden.
Fast jeden Abend, bevor J. uns verließ, nach 107 dem er von Mord, Blut und Feuersbrunst erzählt, und unsere Träume gewissermaßen ausgesäet hatte, zog er ein Messer aus der Brusttasche, besah es und rief: »Dein Maaß ist halt noch nicht voll.« Wir erfuhren, daß J. damit schon in seiner zarten Jugend, nach einem Wortstreit fast von seinem Bruder erstochen sei. Dieser habe nach überstandener Strafe das Instrument zu sich genommen, übrigens vor einigen Jahren als seine Eltern nicht in die Verbindung mit einem etwas verrufenen Frauenzimmer haben willigen gewollt, sich in Gegenwart seiner ganzen Familie, mit demselben Messer, das der Überlebende auf dem Herzen trug, erstochen.
Aber wie komme ich zu so gräßlichen Schilderungen, die meiner Natur fremd sind. — Ich sehe mich im Zimmer umher, da fällt mir der Kalender in das Auge, es ist heute Schalttag, der 29. Febr. — Nun ist Alles klar.
Ich hatte mir eigentlich vorgenommen, Heidelberg schon Michaelis 1818 zu verlassen. Indessen verzögerte sich dieses Ereigniß bis Ausgangs Januar 1819 und hatte ich in dieser Zeit die Hirschgasse bezogen. Mein Wirth der alte Ditteney war nach meiner Wissenschaft von ihm, ein braver aber auch finsterer Mann von vielen Erfahrungen, an den alle Ereignisse des Lebens, nur nicht das Glück sich 108 versucht hatten. Er erzählte gern von den Kriegszügen, welche so oft sein Eigenthum verheert und beschädigt, von Schinderhannes, der auch bei Heidelberg mit einer Bande sein Unwesen getrieben und ihm nach dem Leben gestanden, weil Ditteney ein Depot gestohlener Waaren, das über seinem Hause auf der Engelwiese eingegraben war, gefunden und der Polizei verrathen hatte. Er hatte einen ganzen Winter hindurch wegen mehrerer in das Haus gefallener Schüsse sich so setzen gemußt, das man nicht von außen auf ihn zielen gekonnt hätte. Eine Base von Überrhein, wo das ganz ähnliche Bild des Räubers in jedem Hause zur Warnung hing, hatte den Schinderhannes eines Tages während seiner Anwesenheit in der Hirschgasse erkannt, und den Vettern veranlaßt, sich einige Nachbarn zum Schutz herbeiholen zu lassen.
Wenn die Familie Ditteney am Abend dem erzählenden Vater, oder dem Sohne, einen Metzger, der in Östreich condicionirt hatte, zuhorchte, schnitten die rüstigen Söhne Faßbänder in der Hoffnung einer glücklichen Weinlese. Dazwischen ertönten die schnurrenden Spinnräder der Hausfrau, Töchter und der beiden Dienstmädchen, von denen das eine die goldgelockte wunderschöne Maria E r. aus dem benachbarten Odenwalde mit ihrer silberhellen Stimme 109 begleitete. Nie vergesse ich den Eindruck, welchen eine Ballade, (im Sinne des Pfarrers Tochter zu Taubenhain) mit den langsam gezogenen Refrain, in mir erweckte:
Während dieser Zeit brannte der älteste Sohn Joseph, der kräftigste Mann, den ich in meinem Leben gesehen habe, den sogenannten Quetschen- (Zwetschen-) Branntwein in einem nahe gelegenen Stalle. Diese Arbeit verrichtete er, es klingt unglaublich, den ganzen Winter hindurch von Abends eilf bis Morgens sechs Uhr und ging dann wieder, ohne der Ruhe zu pflegen, an seine Arbeit. Nur die Nacht auf den Sonntag und zwei Stunde Schlummer im Lehnstuhl am Abend gönnte sich der 110 fleißige Haussohn. Das geht noch über die Vigilanz des Oldenburgischen Schauspiel-Directors Gerber, der bekanntlich sich nur drei von vier und zwanzig Stunden Ruhe gönnt.
Der alte Ditteney besaß das Geheimniß, fließendes Blut zu besprechen. Joseph hatte eine große Narbe auf dem Fuß und behauptete, der Hieb eines Beiles habe einst alle Adern zerschnitten. Auf den Zauberspruch seines Vaters sei der Lauf des Bluts indessen plötzlich gehemmt, dasselbe Experiment habe er übrigens mit gar vielen Leuten gemacht. Ich lachte, wie begreiflich über diese Thorheiten an die ich noch nicht glaube. — Aber das kann ich bezeugen, daß als die alte achtzigjährige Tante Philippine einst in der Abendsoirée vom Stuhl und sich ein Loch in den Kopf fiel, der alte Ditteney aber auf den Zuruf: »Vetter still er mir das Blut, er kann es ja,« herbei eilte, bei der Berührung des Zauberers die Blutströmung aufhielt und sich der letzte Tropfen mit den Haaren vercopulirte. Mich wollte er die Zauberformel nicht lehren, da er behauptete, ich müßte sie von einem Frauenzimmer erlernen, und den Umweg des Unterrichts durch seine Töchter nicht gestatten.
Nach sechszehn Jahren sah ich die Familie Ditteney wieder. Das Glück hatte sie damals noch 111 mehr verlassen, als während meiner Burschenzeit. Der Alte fiel mir um den Hals und schien vor Freude närrisch zu werden, die Mutter war zum Kretin geworden. Der Schlag hatte sie gerührt, ihre Tochter Babette hatte sie so eben, wie ein Stück Bettzeug in die Sonne gelegt, welche Alles, nur nicht die Empfindungslose ruhig vor sich Hinstarrende, belebte. — Und doch passirte bei meinem Anblick das Unglaubliche, daß die seit drei Jahren total Stumme, auf meine Anrede, mich mit den gespenstigsten Augen, welche ich je, sei es im Leben oder auf einem Bilde gesehen, anstarrte, meinen Namen wenn gleich schwer, doch deutlich aussprach, — dann aber mit grinsenden Lächeln wieder in ihren Stumpfsinn versank, aus der sie erst vor zwei Jahren der Todesengel erlöst hat. —Der alte Papa Ditteney ist ihr schon mehrere Jahre vorangeeilt, Joseph noch Besitzer der Hirschgasse, Vater vieler Kinder und durch die Abfindung seiner zahlreichen Geschwister nicht in den besten finanziellen Umständen. Mein Anerbieten, eine öffentliche Auffoderung zu seiner Unterstützung an unsere reichen Universitätsfreunde ergehen zu lassen, von denen man doch nicht annehmen könne, daß alle ihre Herzen verknöchert und dem Teufel verfallen seien, lehnte er bestimmt ab. »Ich habe schon alschfort Zutraue zu meine 112 Herre, wo fort seye, aber ich will lieber verhungern, als des mer sagen soll, der Joseph Ditteney habe bei seine alte Herre gebettelt.«
Außer den städtischen Cassinos, auf welchen es im Durchschnitt ziemlich langweilig zuging, wurde am Sonntag gewöhnlich vor allen Thoren getanzt, auf der Hirschgasse drehte sich aber der Burschenschaftler, in Neuenheim der Corpsbursche in dem damals beliebten Cotillon, zu welchem bei uns Babette Ditteney den zaghaften schwindeligen Fuchs einzutanzen pflegte. Kam ein Student von einer andern Parthei in das Tanzrevier des Andern, so hatte das gewöhnlich eine Herausfoderung zur Folge, es wurde wie man zu sagen pflegte, contrahirt. Der Bruch zwischen den Burschen aber wirkte begreiflicher Weise auch auf die Priesterinnen der Terpsichore. Wenn die Heidelberger Mädel Sonntags über die Neckarbrücke zogen, da ertönte es am Ende vor der sogenannten Clarina: »Kattel, kumm mit, wie machst Du mit de wüste Kurländer tanze?« Ei was frage ich darnach, sakramentsche, sodiramentische Altdeutsche, entgegnete die landsmanschaftlich Gesinnte, und Heidelbergs Töchter gingen jede nach ihrer Überzeugung, bald links, bald rechts. Nur die blonde dicke Lisette war neutraler, speculativer Natur, sie vereinigte Realität mit Begriff. 113 Sie ging bald zur Hirschgasse bald nach Neuenheim, nur nicht dorthin, wo nicht getanzt wurde. — »Ich tanze mit alle Herre Juriste mit alle Herre wo brav sein,« war ihr neutraler Ausspruch.
Nie, nie hätte ich mir gedacht, daß die blonde ruhige Lisette, je eines so hochfahrenden Selbstmordes fähig geworden wäre. Und doch ist es wahr, daß sie von demselben Thurme, von dem ihr Geliebter, ein Schieferdecker, durch einen Zufall sich den Tod gegeben, — aus Verzweiflung hierüber, ihr mit Kummergedanken erfülltes Gehirn zerschellt hat. —
Zu den Sonntagstänzen fand sich wie in Gräfenberg, wo Fürsten und Handschuhmachergesellen, kirchhofsmäßig gesellt mit einander diniren, außer den Studenten, Alles ein, was tanzen wollte, Bürgersöhne und Handwerksgesellen, Bürgertöchter und Dienstmädchen. Um die Gesellschaft ein wenig aristocratischer zu machen, recitificirten die beiden G.— (v. B. der bekannte Pharaobanquier und der Besieger der Kurländer) und ich diesen Tanzbesuch an einem Wochentage dahin, daß nur Bürgertöchter und Studenten zugelassen wurden, an welche das billige Verlangen gestellt wurde, ohne Hunde, ohne brennende Pfeife und wenn derselbe kein alibo behaupte, auch im Frack zu erscheinen.
Diese ungeheure Reform war nicht ohne bedeutende Folgen. — Jetzt fingen die Bürgertöchter an wieder Subdivisionen zu machen, denn die Schmiede- und Bäckertöchter, ob durch den Reichthum der Eltern, was wenigstens bei dem Reichthum der Letztern begreiflich war, da diese alle zugleich Weinhandel trieben, oder durch sonst einen mir unbekannten Umstand, alliirt, erklärten sich für die einzigen Cassino fähigen Damen, welche nur ausnahmsweise andern Handwerkstöchtern dann und wann ein Eingeladenwerden zugestehen wollten. Und kann man sich es denken? die Bäcker- und Schmiedetöchter standen oft geputzt in ihrer Kammer und harrten der Botschaft ihrer von der Hirschgasse zurückkehrenden Dienstmädchen, welche erst durch das Saalfenster hatten gucken und sich überzeugen müssen, ob auch eine Schneider- oder gar Schustertochter auf das neue Cassino gegangen sei. Erfuhren sie das, so legten sie lieber weinend ihren Ballstaat ab, als daß sie in die Schand’ und Bosheit gewilligt hätten, mit den Pariatöchtern des Handwerksstandes zu tanzen. — Damals schüttelte ich ärgerlich den Kopf über solche Standesvorurtheile, durch das Leben bin ich freilich anders belehrt. Ich habe gelernt, daß es nur gar wenige hochherzige Menschen giebt, welche aus der Sphäre ihrer indi 115 viduellen Aristokratie sich erheben können, daß dies gescheute Leute sind, welche aus Anerkennung fremden Verdienstes, vor jeder Selbstüberhebung zurückbeben und dabei vor Liebe nicht hassen und verachten können. — Ist es mir doch später einmal mit meinem eignen Stiefelwichser passirt, das er mir von seiner durch Trunksucht getödteten Frau erzählte und hinzusetzte: »Ich kann nicht begreifen, wie meine Frau so sehr an den Trunk gekommen ist. Sie ist von zu angesehener Familie. Ihr Großvater war der erste und einzigste Stiefelwichser seiner Zeit, der vier und dreißig Herren zu bedienen hatte.«
Heidelberg hatte gegen die Regel der Universitäten, wonach die Mädchen häufig nur zu frühe verblühen, viele hübsche Mädchen[5], welche übrigens die Vergänglichkeit der Studentenliebe wohl zu würdigen wußten und die zu heftigen Galanterien mit den Worten abzuweisen pflegten: »Ach des wissen wir schon, von denn Herrn Juriste nimmt unter zehen einer des Mädchen nit, wann er ihr die Eh’ auch versprochen hat.«
Ich hatte das Unglück in der Kettengasse zu wohnen, in welcher damals die beiden ersten Schönheiten des Stadtcassinos vis a vis residirten. Ich habe dermalen viel von Ständchen gelitten, wovon eins das andere mit Flötentönen und Gesang gebracht wurde. Oft rief ich ihm des Schlesiers D. auf mich gerichteten Witz zu: »Wenn du singst klingt es schön, wenn du aufhörst noch besser,« es giebt nichts unverbesserlicheres als einen verliebten Studenten.
Das rosige kindliche Fränzchen, die Jugendliebe meines theuersten Freundes St., hat den Lohn ausdauernder Treue gegeben und empfangen. Die himmlische Seligkeit der Erde war für sie zu groß. Die treue Gattin hat nach wenigen Jahren der reinsten ehelichen gegenseitigen Zärtlichkeit das Irdische gesegnet, nachdem sie ihm einen Sohn geboren, der mein lieber Pathe geworden ist.
Die anmuthige veilchengleiche S. R. ist an einen angesehenen Badischen Beamten verheirathet. Ich bin mehre Male Zeuge ihres häuslichen Glückes gewesen und habe über die Natur lächeln müssen, wie diese bemüht ist, die Züge der lieblichen Mutter trotz aller Variation in den Gesichtern der blühenden Kinder zu reproduciren.
Es mag mir hier vergönnt sein, eine kleine Episode einzuschalten, die vielleicht meinen Lesern 117 bereits zu Gesichte gekommen, da sie aus einer frühern Erzählung genommen und von den literarischen Raubblättern mit Telegraphenschnelle verbreitet ist. Sie gehört aber zum Ganzen und glaube ich doch auch mehr Recht als ein Anderer zu haben, meine eignen emancipirten Kinder in meinem neu erbauten Hause meinen Gästen vorzustellen.
Als ich vor etwa sieben Jahren Heidelberg zum ersten Male wiedergesehn, besuchte ich den Wolfsbrunnen, das Schloß und den heiligen Berg; ich fand die schöne Natur unverändert und warf mich voll süßer Erinnerung an ihren unsichtbaren Busen. Auf der Schloßterrasse stiegen mir Eure Bilder, Du trefflicher Ammon, Du Bruderpaar Papa, Du, in Griechenland gefallener unglücklicher Ditmar, Du ewig gleicher Knobel, vor meiner Seele auf. Die Zeit hat unsere Körper getrennt, manche hat sogar der unerbittliche Tod geraubt, aber mit unsterblicher Flammenschrift strahlt ihr in dem vielleicht auch bald unter der Lebenslast brechenden Herzen. Wie wenig ist von unsern Träumen wahr geworden!!! Da fielst auch Du mir ein, süße Selmy! Du schönes Mädchen aus N., Du meine erste meine schüchterne Liebe, die Du im väterlichen Posthause, unter den vielen schönen Worten, die aus den Lippen der Musensöhne zu Deinen Ohren 118 flutheten, wohl mein Herzenspochen überhört hast, aber mich doch, um meiner Bescheidenheit willen, den wilderen Gesellen vorzogst. Du warst damals schon Braut und konntest daher auf mich wirken wie eine Heilige. Ach! wärest Du in der Nähe, ich würde zu Dir eilen und Dich an die frohen Abende erinnern, die wir kurz vor der Abreise in Deinem väterlichen Hause zubrachten. Nie war ich so zufrieden mit meinen Versen, als wenn Deine Rosenlippen ihnen Beifall lächelten. Doch Du bist in der Schweiz, eine glückliche Hausfrau, die Gattin eines hoffentlich Deiner würdigen Mannes, die Mutter blühender Kinder. So weit geht mein Ziel nicht; meine Verse trogen, wenn ich Dir versprach, einst auf einer Schweizerreise an Deiner Pforte anzuklopfen. — —
Noch immer mich im Geiste auf dem Schloßberge wähnend, saß ich schon vor dem zweiten Gericht an der Abendtafel des Herrn Holwerth, als mich bei dem leise mir entquollenen Ausruf: »Selmy!« ein alter Süddeutscher Universitätsbekannter mit der Bemerkung aus meinen Träumen weckte: »Aha! Sie meinen die schöne Selmy aus N.? Nun die ist zu haben. Nach einer unglücklichen Ehe, die endlich der Tod ihres seit sechs Jahren vor seinem Ende schrecklich wahnsinnigen Mannes beschloß, ist 119 sie zurückgekehrt nach N., lebt dort still und eingezogen, aber entstellt durch Kummer und Noth keinem ihrer früheren Bekannten mehr kenntlich.« —
Ein heftiges Feuer durchbebte mein Inneres bei diesen Worten. Die träge Nacht schwand mir in süßen Wachen und in kurzen noch süßeren Träumen. Hormuths Schimmel hatten bald ihre Aufgabe gelös’t, und die zehnte Stunde des folgenden Tages führte mich an den Ort, wo mein Herz beim Gedanken an das Wiedersehen so süß erbebte. Ich verlangte kein jugendliches Wesen, nur die Seele, wenn ich mich so ausdrücken darf, meiner liebenswürdigen heitern Selmy wieder zu sehen. Nur ihr freundlicher Blick war es, der meinen Geiste vorlächelte.
»Wohnt hier die Räthin N. N.?« fragte ich eine übelgestaltete Magd, die mit grinsendem Lächeln die Thür mit den Worten öffnete, die Frau Räthin sey drinnen. Hastig folgte ich dem dürren Zeigefinger, aber nicht ohne Schmerz und Erstaunen trat ich zurück, als ich in der mir gezeigten Dame ein altes Mütterchen erblickte, an der nur noch die, selbst im Erlöschen noch strahlenden Augensterne an meine geliebte Selmy mich erinnerten. Und sie schien mich nicht einmal zu erkennen. »Sind Sie Selmy?« fragte ich, ihre Hand ergreifend. Sie aber verneigte sich bejahend, mich fremd, fast mit 120 Opheliablicken betrachtend. »Kennen Sie mich nicht mehr?« fragte ich fast ängstlich; »denken Sie sich einmal um siebenzehn Jahre zurück.« — »Sie haben vielleicht dermalen in Heidelberg studirt,« fuhr die Gefragte fort, »allein ich entsinne mich Ihrer nicht mehr.« — »Besinnen Sie sich einmal, ich bin ein Holsteiner,« fragte ich mit steigender Unruhe. — »Heißen Sie von Ahlefeldt?« - »Nein, das nicht.« Da fiel mir Geängstigtem Selmy’s Stammblatt ein, das ich seit sechszehn Jahren in meiner Brieftasche trug. Zitternd überreichte ich es, wie ein Jude einen Wechsel, dessen Abläugnung er fürchtet, »Haben Sie das geschrieben?« — »Ja!« versetzte die Frau mit starren Blicken, dann aber setzte sie bewegt hinzu: »Ach Sie haben gewiß viel von mir gehalten in der Zeit meiner Jugend und meines Glücks; ich habe durch entsetzliche Leiden alle meine Erinnerung daran verloren; diese beginnt erst in dem Momente, da der Priester meine Hand in die meines Mannes legte. Haben Sie mich darum nur lieb, wenn Sie es je gehabt haben; der schwere Schleier, der auf meinem Gedächtnisse ruht, wird dereinst schon fallen, und ich werde Sie erkennen.« — »Selmy!« rief ich und nannte ihr meinen Namen, »kennen Sie mich noch nicht? Sie müssen ein Stammblatt von mir besitzen.« — »Nein,« ent 121 gegnete sie, »Ihr Name ist mir nicht erinnerlich, allein ich besaß ein Blatt, daß mein Mann in einem Anfall von Wahnsinn zerriß; ich barg nur noch einige Reihen, Sie lauten:
Das war mir zu viel. Thränen entstürzten meinen Augen; ich enteilte dem Hause. Vergebens bat mich Selmy zu bleiben oder wieder zu kommen. Nicht ohne feuchten Blick rief sie: »Ich will mich besinnen auf Sie, seien Sie nicht böse!« Schweigend eilte ich ins Wirthshaus, ließ meinen Kutscher anspannen und mit den Worten, welche ich mir oft wiederholte: »Die Menschheit vergißt innerhalb fünf Minuten Freundschaft und Liebe und will unsterblich sein!« warf ich mich in den Wagen, der meine Laune sehr verändert, mich nach Heidelberg zurücktrug. — —
Ich habe nur eine Weinlese in Heidelberg und zwar im Jahre 1818 erlebt. Die Freude in der Pfalz und am ganzen Rhein war ungemein. Die Trauben wurden unter Gesang und Jubel geschnitten, jedem Fremden davon gereicht, derselbe aber, wenn er alle Beeren pflückte und nicht mindestens nach altem Herkommen drei am Stiel gelassen 122 hatte, wenn er denselben wegwarf, von den Winzerinnen mit einer hölzernen Pritsche unter dem lauten Zuruf »Herbschthau« gepritscht, und mußte sich durch ein Geschenk der ferneren Strafe entziehen. — Bald wurde der Übermuth in den Weinbergen allgemein, und da hatten die armen Schiffer, größtentheils Bewohner des Städtchens Eberbach, welche auf dem trägen Neckar sich langsam in den Kähnen fortbewegten, es am Schlimmsten, da sie stets von den lustigen Weinbergleuten mit den Spottnamen: »Eberbächer Kukuksfresser,« »Eberbächer Säckbrenner!« u. dgl. beehrt wurden. Zur Erklärung dieser Spitzworte muß ich bemerken, daß Eberbach ungefähr den Rang von Schöppenstedt, Schilda, Krähwinkel und Buxtehude hat und daß von seinem Magistrate erzählt wird, daß er einmal bei einem Spaßvogel, welcher ihm ein Gastgebot gegeben, im guten Glauben einen Kukuk für eine Schnepfe verspeist habe. Auch soll er bei einer andren Gelegenheit eine Menge neuer Rathssäcke zeichnen gewollt, sich dabei aber eines annoch zu glühenden Eisens bedient und so alle Säcke durchbrannt haben.
Sehr wenige ruhige Odenwäldische Schiffer fuhren wohl vorbei und thaten, als ob sie ihre Schande und das Gekicher der jungen Winzerinnen 123 nicht hörten, allein wir sind alle Menschen, die nur bis zu einem gewissen Grade zu reizen sind. Machte Windstille und das plauderhafte Echo von der andern Seite zu sehr Compagnie mit den Spöttern; so hielten die Schiffer an, formirten wie die Franzosen heutigen Tages eine colonne mobile, erstürmten die Weinberge, wo sie sich entweder noch Schläge überher oder, wenn die großmäuligen Winzer wegen zu kleiner Anzahl geflohen waren, gezwungen erpreßte Küsse und Weintrauben holten.
Sobald der Wein in Gährung gekommen ist, etwa nach einem halben Jahre, wird er trinkbar und unter den Namen »ä Schoppe neie« gefordert. Er sieht dann aus als ob Kupfer in ihm aufgelös’t sei, ist sehr berauschend, scharf und bildet ein Mittelding von Wein und Schnapps. — Er war bei den rechten Trinkern ungemein beliebt und besonders nach oft fehlgeschlagenen Weinlesen sehr gesucht. Daher war es auch ganz erklärlich, daß kurz vor der Erndte einmal die Ziegelhäuser auf der Hirschgasse überlegten, wer sich in den nächsten neuen Wein wohl todt saufen würde. Gieb Acht Herr Special! den verwirgt der neie Wein hieß es dann von dem Einen wie von dem Andern, wogegen denn zuweilen etwa das Bedenken gemacht 124 wurde: — »Eine Herbscht hält der Josep de neie wol aus, aber länger nit.«
Und es begab sich, daß, ein Jahr später, dieselben Leutchen wieder zusammen saßen. Jetzt recapitulirten sie ihre Reden, und wunderbar! alle die von ihnen dem Weintode Geweihten, selbst der Josep, hatten sich todt getrunken.
Adam Müller, jener bekannte Exprophet, lebte damals unfern Heidelberg, ich glaube, in Bretten. Wir, die Mitglieder der table d’hôte im Badischen Hofe, ließen ihn einmal kommen, um die Zukunft von ihm zu erfahren. Allein er verrieth nichts, indem er sich damit entschuldigte, daß er nur prophezeien könne, wenn der Geist es ihm eingebe. — Adam Müller affectirte zwar eine Jacob Böhmische Qualirung, einen gewissen Geistesdrang, kokettirte dabei aber noch mehr mit den Sechsbäznern, welche für ihn gesammelt wurden. — Der Pfarrer seiner Gemeinde, der einige Tage später mit uns zu Mittag speiste, bewahrheitete das Sprichwort, daß der Prophet nicht in seinem Vaterlande gelte, indem er den von Kaiser und Königen so hoch geschätzten Adam Müller für das faulste und unnützeste Mitglied seiner Gemeinde erklärte.
Zu jener Zeit kamen auch die Draisinen auf, deren Vater ein Herr von Drais aus Man 125 heim war. Die Franzosen nannten die Erfindung witzig: »maniere de faire un voyage de quatorze lieues en quinze jours«, indessen bewegte sich der Erfinder darauf selbst mit einer bewundrungswürdigen Schnelligkeit. Man schmeichelte seine Eitelkeit auf eine fast spöttische Weise, indem man ihn zu Thees einladete, wo er sich im Saal auf seiner Maschine producirte. Namentlich war dies in der Routs bei Herr v. B. der Fall, in jenem kleinen Hause, wo eine Menge Gäste die Grundsätze des Raumes verspottete. Herr v. B. suchte freilich diesen Übelstand durch Rangerhöhung seiner Gesellschaft auszumerzen. Denn ein jeder Gast ward wenigstens adelich, wie in meiner Cerevisia, der Herr von »Baron,« der Baron, Graf. Nur mit den Grafen kam er in Verlegenheit, wenn der Prinz von Hildburghausen zugegen war, der indessen zur Entschädigung für die abgetretene Durchlaucht in solcher Fülle eine Königliche Hoheit erhielt.
Der Odenwald. Erbach. Eilbach. Der Bäcker aus Nürnberg. Der Wolfsbrunnen. Neckargemünd. Neckarsteinnach. Weinheim. Manheim. Lieutnant L. Erinnerung an B. Suite in Manheim mit einem Officier. Metzger Eisengrein.
»O Du Wald, Du sollst mein Erbtheil sein!« soll die Kronprinzessin Emma ausgerufen haben, als sie mit ihrem Geliebten Eginhard, dem Geheimschreiber Karls des Großen, des Vaters Rache fürchtend, die dunkele Waldgegend durcheilte, welcher die spätere Zeit den Namen Odenwald gegeben hat, die aber von unsern Schulmeistern als Odins Wald dem Gedächtnisse der Jugend einverleibt wird. Mag immerhin diese Erklärung mehr historische Wahrscheinlichkeit haben als jene, ich war selbst im Oden 127 walde und zweifle nicht an der unumstößlichen Richtigkeit der ersten. Nur in jener menschenleeren, aber geisterreichen Gegend, wo der wilde Jäger sein Wesen treibt, und ein Adam Müller in der höchsten Potenz, im Jahre 1811, vielen Bauern den Russischen Feldzug durch ein Ohrenspiel deutlich verkündigte, welches von den Amtmann in Zwugenberg, nachher protocollirt, und von Napoleon, der Kälte, und den Kosacken bestätigt wurde, leben noch Dryaden, und die übrigen Gottheiten der jetzt nur den Dichter und seine Klienten beherrschenden, kümmerlich aus dem Schutt der Vergangenheit ihr Haupt erhebenden, südlichen und nördlichen Religionen. Aber die vertriebenen hohen Herrschaft regieren auch noch nach alter Weise, sie verlassen ihr Elba nicht, und leben hier in der Erinnerung einer mächtigen Vergangenheit eine heitere Gegenwart. Jeder Baum spricht mit dem vorübergehenden am Sonntag geborenen Wanderer, die Quellen plätschern geisterartige Lieder, die man erst recht versteht, wenn man an ihrer Seite, auf den bemoosten Felsstücken eingeschlafen ist, die Steine blicken in das Herz und selbst die alten Felsen nicken freundlich, wenn sie nicht gar anfangen in ihrem Meere um die Riesensäule umher zu schwimmen. Auch der wilde Jäger, welcher auf dem Schnellert wohnt, meint es gut 128 mit der armen Welt, welcher er die traurige Zukunft verkündet. Nur ist er ein Feind von vielen Komplimenten, und ich rathe Dir, lieber Wanderer! wenn Du ermüdet und erhitzt die steilen Anhöhen der wellenförmig, bergigten Gegend erklimmst, und in seine rauschende Nähe kommst nicht außer Respect gegen den Prinzen Hussa von Halloh dein Haupt zu lüften; der gestrenge Herr ist ein Schelm, er küßt Dir dann zwar vergeltend das Haupthaar, aber gar bald saust er als Zahnschmerz oder Ohrenpein in Deinem höflichen Kopfe.
Das Völkchen des Odenwaldes, das von drei mediatisirten Grafen von Erbach zunächst beherrscht wird, ist von besonderer Eigenthümlichkeit. Auferzogen mit den Gottheiten und Gespenstern, kennen die Bewohner das Buch der Bücher dennoch sehr wohl, wenigstens handeln sie darnach. Sie haben keine andere Spitzbuben unter sich, als die aus den Gefängnissen benachbarten Städte springen, die sie kleiden, ernähren, und mit maurischer Gastfreiheit schützen, bis der Arm der Gerechtigkeit ihren spendenden Händen wehrt, und die Gäste gefesselt entführt. —
Die Arbeit ist den Odenwaldern ein Sporn zur Fröhlichkeit, sie genießen wie wir die Freuden des Spiels und des Tanzes, wenngleich im ver 129 kleinertem Maaßstabe, nur mit dem Unterschiede, daß sie ihre Lust Spartanisch durch vorhergangene Arbeit würzen. Von ihren Kartenspielen weiß ich wenig zu sagen, nur daß der König der Schuldenmacher bei ihnen heißt, und daß sie ein Spiel haben, in welchem derselbe die geringste Karte ist. Merkwürdig aber sind ihre Kirchweihen. In dem oft nur aus vier von einander liegenden Häusern bestehenden Dorfe versammeln sich an einem solchen Tage die Bewohner der Umgegend. Es giebt dort keinen Thränenwinkel; denn alles tanzt, wenn auch die bunte Reihe zuweilen durch ein doppeltes Frauzimmer entstellt wird. Nicht an Erfrischungen fehlt es, die aus Bier, Kartoffeln- und Zwetschenbranntwein bestehen, wol aber an der ersten Requisite unserer Bälle, an Musikern. Auf vier Häuser darf man nur einen Fiedler rechnen, der auch nicht einmal immer der Bundesversammlung ihr gehöriges Seitencontingent zu stellen vermag. Nirgends aber erscheint das Sprichwort:
»Wer gern tanzt, dem ist auch leicht gepfiffen« — so wahr als hier. Denn kaum hat der Paganini des Odenwaldes die Geige ergriffen und an den Hals gelegt, — so beginnt das ganze Haus seinen Tanz. Er bestätigt eigentlich die Tanzenden nur in ihrem Beginnen; denn nach Verlauf einer 130 halben Minute eilt er schon zum Nachbarhause und prüft hier die Taktmäßigkeit der Tänzer, wie im ersten Salon. So geht er in seinem Sprengel umher, bis alle seine Tanzkinder mit Musik versorgt sind, Berg auf, Berg ab, als hätte er den Wahlspruch:
Seine fernere Arbeit besteht alsdann nur darin, das Tactfeuer anzuschüren, wenn es zu erlöschen droht.
Der Graf von Erbach war ein kurioser Antiquitätenkrämer. Zu den vielen Rüstungen, welche er in einem Saale aufgespeichert, hatte sich auch der Helm eines der vierzigtausend Römer gesellt, welche in der Schlacht bei Cannä, den Landsleuten der heutigen Kabylen unterlegen sind. Noch singulärer und höchst unpoetisch waren einige Knochen des unglücklichen Abälards und seiner geliebten Heloise, ich glaube die Fistula und die Tibia dieses renommirten Brautpaars, Theile, welche doch wol der Kirchhof pére la Chaise bei Paris, wo bekanntlich die anderen Überreste der unglücklichen Liebenden dem jüngsten Tage entgegenschlummern, nach den Grundsätzen der Pertinenzien und Accessionen requiriren könnte. —
In Eilbach, etwa eine Meile davon, besaß der Graf sein Lustschloß, welches von innen und außen mit Geweihen verziert war. Ein einziger Saal enthielt lauter Abnormitäten dieses thierischen Kopfputzes. Vor allem prangte aber ein Hirschgeweih, als das größte der jetzt entdeckten Welt, ich glaube es war ein Acht und sechszig- oder gar ein hundert acht und zwanzig Ender. Seine Erlaucht hatte dies Monstrum (nach genaueren Nachforschungen wahrscheinlich das Geweih der Actäoe) von einem Bäcker u. Weinwirth in Nürnberg erstanden, welcher aber bald diesen unseligen Kauf verwünscht hatte. Denn seine Kunden hatten den Verkauf des Achtundsechszigenders sehr übel genommen und ihm ihre Unzufriedenheit durch allgemeines Wegbleiben von seinem Weinschank bitter intimirt. —
Der Bäcker, ein nicht bemittelter Mann, hatte bald die Erbachschen Carolinen zugesetzt und riskirte am Ende gänzliche Verarmung.
Um dieser zuvor zu kommen, ergriff er das Symbol derselben, einen weißen Stab und pilgerte damit zum Grafen nach Erbach.
Allein wie Napoleon den Bitten der schönsten Frauen widerstand, wenn es darauf ankam, eine Festung abzugeben, so erklärte der Herr Graf sich gegen den Bäcker für moralisch unfähig, das gewis 132 sermaßen tief in seine Seele verzweigte Geweih wieder auszukehren. Er schenkte dem weinenden Bäcker aber ohne alle Renumeration sein Hirschgeweih accessit, das zweite, sein ci devant Bestes, dem nur zwei Zacken gemangelt haben sollen, um dem Nürnberger zu gleichen, und soll dadurch dem so restituirten Wirth auch bei der Nürnberger Bürgerschaft Verzeihung und eine volle Weinstube wieder verschafft haben.
Eine sehr gewöhnliche Ausflucht der Studenten bestand alljährlich in einer Tour nach Baden-Baden, den reizendsten Kurort, den meine Augen je sahen. Leider ging hier ein beträchtlicher Theil der Studienkosten alljährlich verloren, und die oft projectirten weitern Reisen durch den Schwarzwald und in die Schweiz fanden an dem Todtentische des Roulets oder des trente et quarante, welches mit seinem trügerischen Grün so viele Leute anlockt, ihre Grenze. Man sollte die Tische wenigstens mit schwarzem Tuch bedecken und Todtenköpfe auf seine Ecken heften. Es befanden sich in Baden-Baden allezeit einige Studenten, welche ohne alle Baarschaft waren, gegen Abend auf die Chaussee nach Rastadt hingingen, — und von den ankommenden Landleuten, die mit Hoffnungen und Kronthalern versehen ankamen, einige Gulden liehen, — um dieselben 133 noch an demselben Abend zu verlieren und wieder in ihr pauvres Nichts zurück zu sinken, bis sie nach mehreren Wiederholungen verschuldet, wortlos, erschöpft und mismuthig, physisch und moralisch verdorben in das Neckarathen zurückkehrten. — Ein ähnliches Spielinstitut hielten Sonntags zwei Darmstädter Juden in Auerbach, einem kleinen unbedeutenden Bade, etwa acht Stunden von Heidelberg. — Heut zu Tage findet sich die Verführung Heidelberg noch näher, in dem Schwefelbad Langenbrück, wo ein Bruchsaler Tabulettkrämer, mit einer solchen Satansschlinge die in großer Anzahl durchpassirenden oder dahin wallfahrenden Heidelberger Studenten die kostbarere Reise nach Baden zu ersparen, indem er sie auszuziehen pflegt, wie dies kaum auf einer Italienischen Reise die Wegelagerer thun. —
Ich wiederhole hier mein Catonisches »caeterum censeo« das wie ein rother Faden, durch alle meine Schriften laufen soll. Wann werden endlich einmal diese priveligirten Satanskünste, diese Garküchen der Hölle ausgerottet werden? — Man rechnet Louis Philipp manches, was sehr problematisch ist, zum Verdienst an; aber die Aufhebung der Spielhäuser in Paris sichert ihm allein einen ehrenvollen Platz im Pantheon.
Der Wolfsbrunnen, das Neckarthal überhaupt, ganz bis Heilbronn hin, tragen einen so merkwürdigen Character, daß man weder im Rheingau noch in den andern Thälern Badens etwas Ähnliches sieht. Die Fahrt nach Neckargemünd, Neckarsteinnach und seinen vier Schwesterburgen, wurde gewöhnlich einmal im Jahre zu Schiffe und Abends bei Fackelschein und Musik zurückgemacht, welches einen reizenden magischen Anblick, besonders von der Neckarbrücke aus, gewährte.
Indessen welch einen Abstecher man auch von Heidelberg machte, so mußte man, wenn man wieder heim gekommen war, doch gestehen, daß man auf den schönsten Punct zurück gekehrt sei. Unvergleichlich reizend ist auch das Birkenauer Thal bei Weinheim so wie die ganze Gegend um dieses Städtchen herum. Als ich vor einigen Jahren hier meinen Freund Bender und seine liebenswürdige Gattin in dem neu erbauten Hause unterhalb des Städtchens auf dem Hügel besuchte, wo ein besserer Wein reift, als ihn der ganze Rheingau aufzuweisen hat, — da bekam ich die Idee, daß hier einstens das Paradies gewesen, welches das liebenswürdige Ehepaar wieder aufgefunden habe. Hätte ich nicht so viel Anderes zu thun, ich würde mich längst bemüht haben, diese Ansicht historisch zu begründen.
Drei Male in der Woche war in Manheim Schauspiel, wohin man gewöhnlich nach dem Mittagsessen in einer Hormuthschen Kutsche fuhr. Das Personal war nur mittelmäßig, jedoch entsinne ich mich noch des alten Thürnagels als eines sehr wackern Schauspielers und mehrerer artistischen Rudera aus der Ifflandischen Zeit. In der Oper glänzten Nieser als Tenorist und die Discantstimme der Demoiselle Gollmann. — Nach der Vorstellung zog man gewöhnlich in die Restauration eines alten Ehepaars Namens »Sauerwein«, die keine andere Kinder als ihren Rebensaft der ihren Namen zu tragen verdiente, aber eine so schöne wie züchtige Pflegetochter als Kellnerin hatten, daß sich die Hälfte des eintretenden Dutzend Studenten auf der Stelle in sie verliebten. — Das gab denn komische Scenen, Einige wurden schüchtern, Andere gefällig, noch Andere tiefsinnig, die Weinstube bekam durch diese Affectionen, den ansäuerlichen Geschmack eines Irrenhauses, während die liebreizende Kellnerin mit ewig gleicher Freundlichkeit Keinem einen Vorzug gebend, allen Respect einflößend, das Verlangte credenzte. Für Dich lieber S., dem eine liebliche Gattin, umblüht von rosigten Kindern vielleicht diese Zeilen vorlies’t, der Du, wie L. und St. jeder besonders mir an einem und demselben Tage vertrau 136 test, daß Du kein größeres Erdenglück kanntest, als an Sauerweins Adoptivtochter Hand durch das Leben zu wallen, der Du schon im Begriff warst, die väterliche Einwilligung in die Verbindung zu suchen und es gethan haben würdest wenn Dich der blondköpfige L. nicht fortwährend so eifersüchtig gemacht hätte, und Dir L. und St. und K., und für Euch andern Verehrer der schönen Kellnerin, deren Namen ich nicht einmal verblümt angeben will, diene zur Nachricht, daß, als ich vor einigen Jahren einen alten Gegennachbar der Colonade nach den alten Sauerweins und nach der süßen Kellnerin fragte, welche in dem, jetzt einem Hutmacher eingeräumten Locale vor zwanzig Jahren gewohnt hatten, mir dieser erwiedert hat: »Die beide alte Sauerweins seien schon neunzehn Jahre todt, aber de schöne Madel wo sie gehabt, ischt sehr gut daran, sie hat ä brave reiche Mann und neun wackere Bube und wohnt im Elsaß.«
Das Badische Militair bestand aus sehr erfahrenen gescheuten Offizieren, man konnte aber von ihnen sagen, daß die Hälfte derselben in Rußland halb erfroren, die andere Hälfte in Spanien halb verbrannt war. Mancher der letzteren trug auch noch unverkennbare Spuren versuchter Vergiftung. — Die meisten lagen in Manheim wo sie einen Clubb hatten, in dem Einem Alles spanisch vorkam, da dort 137 wo möglich, spanisch gegessen, getrunken und geredet wurde. So erscheint die traurigste und mühseligste Vergangenheit rosigt. (Acti labores jacundae.)
Ein Lieutenant L. hatte den Feldzug in Rußland mit gemacht. Bei der Retirade war er mit ganz erfrornen Händen in das Hauptquartier nach Wilna gekommen, woselbst aus irgend einer Französischen Kasse den meisten Flüchtlingen Geld, das man wol nicht in die Hände der Russen fallen lassen wollte, gegen Schein ausbezahlt wurde. Auch L. hatte hier funfzig Silberrubel bekommen. Ein mitleidiger General, der die bejammernswerthen Hände des L. gesehen, hatte seinen Wundarzt gerufen, und dieser sofortige Amputation beider Hände als das einzige Rettungsmittel verordnet. — L. hatte geschwankt, endlich aber die Operation verweigert, weil ein alter ergrauter Kamerad ihm immer leise, aber eindringlich das Wort »Terpentin« in die Ohren geraunt hatte. Der Flüsterer hatte dieses nach ihrer Entfernung aus dem Hauptquartier auch sofort gekauft; dem L. die Haut der Finger zerschnitten, das Öl hineingegossen und es mit Lappen umwunden.
»Als wir vor Wilna kamen« fuhr L. fort, »sahen wir einen polnischen Juden, der von einem Wägelchen Bröde das Stück für Einen Silberrubel verkaufte. Leider entschloß ich mich erst zuletzt 138 zum Ankauf, nachdem schon Alle meine Kameraden verproviantirt des Weges gezogen waren. Im Zustande meiner Hülflosigkeit mußte ich den Juden bitten mir zwei Bröde in meinen Schnappsacke zu stecken, dann aber aus meiner Tasche sich mit zwei Silberrubeln bezahlt zu machen. — Und siehe der Bösewicht leerte mir meine ganze Tasche unbarmherzig. Aber dennoch segne ich ihn, denn er ließ mir die zwei Bröde, ohne welche ich gewiß verhungert wäre.«
Der liebenswürdige L. ist jetzt Hauptmann in Carlsruhe. Von seinen Fingern fehlen zwei, welche das Terpentinöl nicht restituirt, nicht wieder von ihrem Scheintode in das Leben gerufen hat. Der Gerettete ist sonst ohne Spur von der Russischen Campagne, ja, die unversehrt gebliebene Hand könnte Bildhauern und, Wachsboissirern als Muster dienen.
Das Betragen der Badischen Offiziere gegen die Studenten war durchaus freundlich und zuvorkommend. Wie gewöhnlich werden alle, wenn auch selten sich ereignende Zwistigkeiten mit den Musensöhnen, durch die Studenten veranlaßt, welche gewöhnlich zur großen Beschämung der letztern endeten. Der gute B. fragte im Rausch in Schwetzingen einen alten spanischen Offizier, wie er sich erlauben könne das Bild des Kaisers Napoleon auf 139 der Pfeife zu tragen, und erhielt dafür die demüthigende Antwort: »Ich trage den Großherzog von Baden im Herzen und Napoleon auf der Pfeife und wer etwas dagegen hat ist ein Hundsfott.« — Die Sache wurde zwar noch so gut als möglich ohne Pistolenduell vermittelt, indessen zur einigen Beschämung des sonst so gutmüthigen blonden B. aus A. Jetzt drückt sie ihn nicht mehr, er schläft schon seit zehn Jahren im Friedhofe. Er ist nach unsäglichen Leiden, an einem fürchterlichen Uebel, am Markschwamm im Kopfe 1826 gestorben. Ein langes körperliches Leiden hat den heitern Lebensmenschen zum Dichter gemacht. Für seine theilnehmenden Freunde setze ich die tief erschütternden, nach seinem Tode gefundenen Verse hierher, welche mir sein Bruder nach seinem Tode mitgetheilt hat.
Wunderbar, wie das Schicksal oft in anscheinend entgegengesetzten Charakteren, Poesie und Prosa weckt. —
Glücklicher war ich selbst in einer Differenz mit dem Badischen Militair. Es ist dies das einzige Mal in meinem Leben, daß ich in eine Art Conflict mit der Polizei oder einer ihr verwandten Behörde gerathen bin, das Ganze dazu eine Jugendsünde die mir eben keine Ehre aber doch auch wol keine Schande macht. »Als ich ein Bursch war handelte ich wie ein Bursch.« Zudem ist mein Buch für 141 meine alten Universitätsfreunde, die ewigen Burschen (juvenes perpetui), nicht für die Philister, die Prokrustes der Menschheit, geschrieben. — Also heraus damit:
Mein Freund v. P. und ich wollten den jetzt hochgestellten P.. aus Cöthen, der über Manheim zu Hause reis’te, zu Pferde comitiren. Vier Chaisen, jede mit vier Menschen erfüllt, gaben ihm ohnehin das Geleite. Unbegreiflicher Weise kamen von P.. und ich auf die Idee, die wir stets in gehöriger Civilkleidung, in einem blauen Frack, einhergingen, sogar einen runden Hut trugen, uns einen Säbel mit ledernen Riemen zuzugesellen, und, wie neu ernannte Polizeidiener, deren Uniform noch unter Schneiders Händen ist, mit gezogener Klinge an dem Kutschenschlage des scheidenden Freundes zu reiten.
Wir waren kaum in Manheim angelangt, als sich in unserm Hotel, dem Schaf, ein Officier als Deputirter des Generals v. V. des dermaligen Stadtcommandanten einfand, der uns zwar mit außerordentlicher Urbanität aber doch mit großer Wichtigkeit eröffnete, wie es gegen Alles Kriegsrecht sei, daß Bewaffnete in eine Garnison ohne Erlaubniß des Commandanten und namentlich mit gezogener Waffe einritten. Der Herr General lasse 142 uns mit dem Ersuchen bedeuten, heute Abend bei dem Zuhause ritt, ja unsern Säbel in der Scheide zu lassen, widrigenfalls die Besatzung angewiesen sei uns zu verhaften.
Die Antwort auf dieses Manifest, welches ich im Namen unseres bewaffneten Duals ertheilte, lautete durchaus friedlich und beruhigend. Ich fühlte mich auch von der Gerechtigkeit des Ansinnens überzeugt, wie durch die Wichtigkeit, welche man unsern Flambergen beilegte, geschmeichelt. Nachdem aber der Abschied von unserm P. einige Champagnerpröpfe gelößt, der edle Epercoy und der Trennungskuß von unserm scheidenden Freunde unserm Gemüth über die bürgerliche Ordnung gehoben unsere klappernden Damascener uns wieder an das Kriegsrecht erinnert hatten, bewog ich im kecken Übermuthe den mit mir zu Rosse steigenden v P., eine durchbrochene Bohnenstange, die gerade im Hof lag, zu theilen, mit welcher Hälfte wir Jeder bei mittelmäßiger Beleuchtung, als sei sie ein Sarras durch die schwach erleuchteten Straßen ritten. Aber wir waren kaum mit unsern spatbegabten Rossen bis vor die Hauptwache gelangt, als wir den Ruf eines donnernden Haltes vernahmen und eine große Menge Bayonette zu gleicher Zeit uns entgegen starrten.
Ich entsinne mich nie, selbst nicht von der 143 Hannoverschen reitenden Artillerie ein Mannöver mit solcher Schnelligkeit ausgeführt gesehen zu haben, als diese Umzingelung. Es ist schade, daß sie den Annalen der Kriegskunst zu entgehen droht.
»Meine Herren Sie sein Arestanten, weil Sie den Sabel gezogen« rief ein hervortretender Schwäbischer Officier. — »Um Vergebung unser Säbel schlummert schon in der Scheide wie wir innerhalb zwei Stunden ein Gleiches in Heidelberger Betten zu thun hoffen,« war meine Antwort. »Wir führen jeder bloß eine halbe Bohnenstange bei uns, um unsere Gäule zur Rückkehr noch mehr anzuspornen. Überzeugen Sie sich selbst Herr Lieutnant!« —
Bei diesen Worten übergeben wir die vermeintlichen Säbel zur Ocularinspection. Der Lieutnant war Humorist genug, den Scherz launig aufzunehmen und durch Nachsicht die rigoristische Ordre des Generals auszugleichen. Er lächelte, ließ einrücken und wünschte uns eine gute Reise. — Unser Abentheuer erregte aber doch noch lange furore unter den Burschen, zumal da es ohne nachfolgende Geldstrafe, Carcer oder gar Relegation vollbracht war. —
Ein wahrhaft boshafter Streich wurde von einem gewissen F. an einem Heidelberger Philister begangen. Dieser ein Metzger, wenn ich nicht irre 144 mit Namen »Eisengrein« sollte sich gegen den ersteren einer Grobheit schuldig gemacht haben, welche F. fürchterlich zu rächen verhieß. Er stiftete zu diesem Ende einen Trinkorden »die Ritterschaft« bei welchen das Biertrinken »Lanzenbrechen« hieß, das aber in ein so bestialisches Trinken ausartete, daß eben in der Ritterschaft später der intendirte Sauf-Selbstmord vorkam, dessen früher gedacht ist.
Jedes Mitglied der Ritterschaft mußte vor der Aufnahme dem Metzger Eisengrein einen Possen gespielt haben und dies wöchentlich wiederholen. Das Begangene wurde dann beim Gelag wiederholt, wozu der Refrain gelautet haben soll.
Der ganz beliebte Schlachtermeister Heidelbergs kam gar bald um seinen guten Ruf und wenn irgend etwas Übeles verübt worden war, da zischelten alsbald die verleiteten Mitbürger sich kopfschüttelnd in die Ohren: »Das hat gewiß wieder der malitiöse Schlachter Eisengrein verübt.«
Wenn Eisen greinen könnte, Eisengrein hätte es gewiß gethan.
Die Wartburgsfeier. Die Mißgriffe mehrerer academischen Senate. Rippel. Reise zum Burschencongreß nach Jena. Gotha. Weimar. Schillers Denkmal. Die Pfannkuchen in Kunitz. Der Halbmeister von Jena. Ankunft in Jena.
Im Jahre 1817 hatte die Jenaer Universität ein großes Ausschreiben an alle Deutsche Hochschulen erlassen und dieselben zur Feier des Wartburgfestes eingeladen. Schon damals war ich von der Heidelberger Burschenschafft zur Gesandschaft designirt. Der Gedanke aber, daß ich ein »Brandfuchs« (Student im zweiten Semester) mithin ein gar zu junger Botschafter sein würde, veränderte die mir günstige Majorität zu meinem Nachtheil. Mein Freund L. erhielt eine Stimme mehr als ich, und reißte fort nach Eisenach.
Diese Feier ist vielfach besprochen worden und hat wahrscheinlich zuerst die polizeilichen Augen der Regierungen auf die Deutschen Hochschulen gelenkt. Das übermüthige Verbrennen eines Hessischen Zopfes, einer Russischen Knute, der Schriften einiger hochgestellten Minister klang wie eine auf etwas Bestimmten basirte Herausforderung, war aber am Ende nichts als ein Hochverrath, den die Hunde am Firmament begehen, wenn sie den Mond anbellen. Hätte man sich dahin beschränkt, die Verbindungen jedes Studenten mit Leuten aus dem bürgerlichen Leben genau zu beachten, und ihn nur zur Verantwortung zu ziehen, wenn er auch im Philisterio sich nicht dem allgemeinen Staatswillen unterwerfen würde, man hätte einen ewigen polizeilichen Conductor gehabt und so manchen talentvollen Jüngling Deutschlands vor einem Unglück bewahrt, das eine furchtbare Nemesis ihnen noch in seinen bürgerlichen Verhältnissen auf den Hals geschickt hat, nachdem er in der Schule des Lebens ganz anderes Sinnes geworden ist. — Wahrlich! es giebt nichts Thörichteres als bei unsern Deutschen staatlichen Einrichtungen von den Sprudelköpfen unserer academischen Jugend das Mindeste zu fürchten. Die Reichen sind ohnehin die Conservativen, da aber der Mangel die Leibfarbe fast aller unserer Candidaten 147 ist, so tritt nach dem Abgange von der Universität, vielleicht die ersten vier Wochen nach der Rückkehr in das väterliche Haus abgerechnet, in welchen der Schneider einen neuen Anzug zur Cour bei den Examinatoren angefertigt und von dem Exburschen mit einigen seines Gleichen noch eine entsetzliche Menge Bier zur Erinnerung an das verlorne Paradies vertilgt wird, — ein solcher Katzenjammer, verbunden mit Examensangst, daß man veranlaßt werden könnte, den ehemaligen Freiheitshelden für seinen ehemaligen Hausphilister zu halten. Ja, ich glaube nicht, daß irgend eine homöopatische Verdünnung existirt, welche der gleicht, die ein Canzleidirector, Generalsuperintendent oder ein collegium medicum, an dem allerkräftigsten demagogischen fluidum eines sothanen Candidaten durch ihre erste Anrede beschaffen.
Allein in jener Zeit fing man die Sache verkehrt an. Entweder machte man das Treiben der Deutschen Studenten, welche aus der reinsten, edelsten Empfindung hervorging, lächerlich, oder man wandte zu spät eine barbarische Strenge an, und schuf so — Zeloten und Märtyrer. Von der Wahrheit meines ersten Satzes liefert der unglückliche Kotzebue ein Beispiel, von dem Zweiten die Geschichte fast aller Verurtheilten. Dabei ist aber 148 nicht zu übersehen, daß die Schuld nicht eigentlich an den Regierungen, sondern an dem zaghaften, eigennützigen und schwachen Benehmen der meisten academischen Senate lag. Denn wenn die Regierungen nicht das Treiben der Burschenschaft als eine unschädliche Kinderei ansehen wollten, so war es die Pflicht aller academischen Polizeibehörden, solches sofort auszurotten, was ihnen allerdings möglich gewesen wäre, da nichts leichter auszukundschaften ist, als die Verbindungen unter den Studenten. Anstatt dessen temporisirten viele der Herren Professoren, zum Theil selbst vom demagogischen Kitzel angesteckt, der aber nur so lange sie angenehm juckte, bis er auf das Terrain der Selbsterhaltung kam, zum Theil ließen sie aus Furcht ihre Zuhörer zu verlieren, fünf gerade sein, nahmen eidliche Versicherungen der Nichtexistenzen von Verbindungen entgegen, deren Mitglieder ihnen alle namentlich bekannt waren, und nur wenn ein mächtiger Erlaß von Oben kam, übernahm es einer der Professoren, und zwar dann gewöhnlich der rigoristischste, die von ihm selbst genährten und gesäugten Schlachtopfer der Hand der Gerechtigkeit zu überliefern.
Schon 1820 habe ich die Universität verlassen, nachdem ich das letzte Jahr, fern von aller Verbindung, in Kiel zugebracht hatte. — Daß aber, 149 (das Verbot einer Verbindung im Allgemeinen ausgenommen,) bis 1819, keine im Entferntesten strafbare oder gar hochverrätherische Tendenz in den Deutschen Burschenschaften gelegen hat, dies glaube ich später mit einer Abschrift der Protocolle, welche im Jahre 1818 zu Jena abgehalten wurden, evident belegen zu können.
Es ist ein komisches Ereigniß, das bei dem Wartburgsfest sich ereignete und gar wenig bekannt geworden, zu referiren. Ich muß indessen vorher bemerken, daß bei dem Vor- oder Nachtrinken, das Wort ein Gelehrter einen halben Schoppen, ein Doctor einen ganzen Schoppen, ein Rippel etwa zwei Drittheil Flaschen, bedeutete, welches Vortrinken sich bis zum Pabst hinauf, in einigen mir nicht mehr erinnerlichen Gradationen, steigerte. Rippel war aber auch ein Krug, welcher das angegebene Quantum faßte und insbesondere in der Weberei von den hübschen Töchtern credenzt wurde. Über den historischen Ursprung dieser Namen wußte Niemand, selbst nicht die weibliche Ganymede etwas anzugeben.
Als nun an dem Wartburgfeste die meisten Studenten dem Gottesdienst beigewohnt, zum Theil auch das heilige Abendmahl genossen, sich sodann unfern der Burg Luthers, in einen engen Kreis 150 zusammengescharrt hatten, um nach kurzem Gebet ihre Reden fortzusetzen, zertrennte auf einmal ein Mann, angethan mit einem ins Schwärzliche übergegangenen, ehemaligem weißen Flaus, in fliegendem Haar, gewaltig dicker Pfeife und Quästen, welche Ahasverus auf Universitäten getragen haben mochte, den engen Chor, indem er ausrief:
Mit einer Art Respect wichen die jungen Musensöhne dem sichtbaren cidevant studio. Dieser aber hatte kaum die Heidelberger gefunden, als er Stille gebot und mit Stentorstimme ausrief:
»Kinder! ich bin »Rippel,« ich bin ein Avantagewort, ich bin Rippel, nachdem die Heidelberger Bierkrüge Rippel genannt werden.«
Die Wirkung dieses Ausrufs soll zwar höchst originell gewesen sein, doch sollen nur die humoristischen Burschen über den ewigen Cerevisianer gelacht, viele ihn arg geschmäht haben.
Gegen Ostern 1818 erließ Jena abermals eine Einladung an alle Burschenschaften und Landsmannschaften, zu einer allgemeinen Burschenschaftsversammlung. Heidelberg wählte mich zu seinem Großbotschafter und ich folgte diesem Ruf. Von Frankfurt 151 bis Eisenach reis’te ich mit Carrové, gegen den ich in meiner Verblendung eine Menge Spottpfeile zur Vernichtung der Hegelschen Philosophie abschoß. Unsere Gespräche waren ohne Resultat. Wahrlich! mein Freund Stieffel in Carlsruhe hat Recht, wenn er sagt:
»Ein Lehrer der Philosophie kann seinen Schülern, welche so gern in der Vorstellung bleiben, die Sinnlichkeit nicht genug austreiben. Wenn man sich es am Wenigsten ersieht und meint sie in einem Luftballon der Erde entrückt zu haben, da sitzen sie im dichtesten Rohr und schneiden Pfeifen.« —
In Gotha fuhr ich mit einem Hauderer in das Thor. Ein Unterofficier trat an den Wagen, sah mich an und fragte dann nachlässig: »Doch kein Von?« Ich antwortete sehr prägnant »Zufällig ja,« weshalb ich nun eine Vernehmung ad personalia bestehen mußte. Als ich Gotha verließ, geschah dies zu Fuß, ohne daß man einen entfernten Versuch gemacht hätte, zu erfragen, ob ich ein Edelmann sei.
Als ich in Weimar angelangt war, fühlte ich das Verlangen, Schillers Grab zu sehen. Der Todtengräber verstand mich erst nicht als ich den Namen des größten Deutschen aussprach. Endlich aber faßte 152 ihn sein Ohr doch auf, und er entgegnete: »Ach Sie meinen den Herrn »»Hofrath von Schiller,«« Ja der liegt hier. Der Herr Hofrath muß sehr viele Verbindungen in der Welt gehabt, in Geschäftssachen alle seine Kunden sehr gut bedient und sehr viel Gutes gethan haben, denn alle Reisende fragen nach dem Herrn Hofrath mehr, als nach allen Geheimeräthen.« — Damals wunderte ich mich, nachher habe ich in vielen Orten mehrere solche Todtengräber kennen gelernt, welche ihre Schriftsteller nur nach der Classe und Ordnung kennen, in welche sie das Linne’sche System des Staats, die Rangordnung setzt. — Aber in Weimar mag dies Ignoriren der großen Geister überhaupt zu Hause sein. —
»Das Nächste liegt uns oft zu fern.« Erzählt man sich doch von der Gemahlin des großen Göthe, daß sie bei dem Anblick eines Gedichts ausgerufen haben soll: »Ach das sind Fehrsche (Verse) der Herr Keheimerath macht auch Fehrsche.«
Von Schillers Nicht-Denkmal zurückkehrend, ging ich in den Erbprinzen, wo ich zum ersten Male in den Sächsischen Herzogthümern und zwar durch Rebhühner meinen Hunger stillte. Damals kannte ich Jena noch nicht, und hatte noch keine Ahndung davon, daß ich mich erst in Göttingen 153 auf meiner Rückkehr nach Heidelberg wieder satt essen wurde. Zwar muß ich die Pfannkuchen des alten Tyks in Kunitz ausnehmen, von denen ich übrigens ein langer ausgehungerter Jüngling von Grenadiergröße, in der Zeit des Wachsthums so übermäßig viel genoß, daß ich noch Jahre lang nachher den Artikel omelette auf den Repertoirs der Restaurants mit der Hand bedecken mußte. — Jetzt bin ich, wie überhaupt mit dem ganzen Leben, auch wieder mit den Pfannkuchen versöhnt und rufe gar oft bei dem Anblicke leider aus: »quel bruit pour une omelette.«
Mein Dejeuner war beendigt, jetzt sollte ich zum Congreß. Bis jetzt war ich wegen körperlicher Schwäche gefahren. Es schien mir aber des Deputirten einer Deutschen Burschenschaft total unwürdig, zu Wagen in Jena anzukommen, ich machte mich also auf die Wanderung, überhaspelte, wie ich dies auch jetzt noch wol thue, aber besser vertragen kann, meine ohnehin flüchtigen Schritte, bei welche mich die in mich gesenkten Rebhühner nicht wenig incommodirten, und kam müde und athemlos zu Ketschau, etwa auf der Hälfte des Weges von Weimar nach Jena, an. Vorher aber hatte ich Sorge getragen mir das Ansehen eines weitgereis’ten Fußgängers zu geben, indem ich meine ohnehin un 154 deutsche Polonica mit Chauseestaub bepudert, die seidenen Schnüre verdeckt und ihnen eine gleiche Farbe, wie dem Tuche meines Habits verliehen hatte. —
Sehr willkommen war es mir daher, als ich vor dem Wirthshause ein Wägelchen mit einem Pferde bespannt fand, dessen Kopf nach dem Wege gerichtet war, der nach Jena führte. Ich fragte nach dem Eigenthümer und, als ich ihn ermittelt, was er verlange, wenn er mich mit nach Jena nehme. Auf seine Versicherung, daß er sich eine große Ehre daraus mache, wenn ich einen Platz auf seinem Wagen einnehmen wolle, besah ich mich im Spiegel, aus Furcht, noch zu aristokratisch philiströs auszusehen, folgte aber, in diesem Puncte vollkommen beruhigt, der Einladung. Ich lernte aber bald den Grund der Devotion des Fremden kennen, sein Chaischen konnte nicht als Triumpfwagen eines, wenn auch nur burschikosen Deutschen Bundesgesandten dienen, es gehörte dem Freiknechte Jonas. — Hilf Himmel! das war ein Moment. Stolz und Mitleid kämpften alsbald in mir. — Auf einem solchen Karren als Heidelberger Deputirter zu fahren, das wäre, sobald es ausgekommen, ein unauslöschbarer Schimpf für meine Burschenschaft gewesen, ich hatte ihr einen verächt 155 lichen characterum indelebilem angehängt, das Ereigniß wäre zudem eine ewige Fundgrube schlechter Witze für die Landsmannschaften in Heidelberg geworden. Denn damals war Jules Janins »todter Esel« noch nicht ins Leben gerufen und die Lieblingslecture aller Damen geworden. Auf der andern Seite habe ich immer das Vorurtheil gehabt keins zu haben, und stets die Ansicht gehegt, daß es für den nur »Teufel,« »Mandarinen« und »Parias« gebe, der daran glaubt. Ich wollte daher nach der gemachten Entdeckung nicht den Ganzmeister im Samariterwesen als Halbmeister demüthigen, und ihn nach der Erforschung seines Status nicht sofort verlassen. Habe ich es doch nie über das Herz bringen können, undankbar zu sein!
»Aber so hilf Dir doch, ein Deputirter, ein Diplomat, eine Eminenz,« raunte mir mein Genius, dann aber die Idee zu, die ich sofort ergriff und ausführte.
»Mein Bein ist mir eingeschlafen,« hub ich an »ich muß mich ein wenig vertreten und es Ihrem Pferde leichter machen. Doch will ich Ihnen zuvor noch ein Histörchen zum Besten geben. Sie gehören einem Stande an, in dem Liebe, Freundschaft und Ansehen weder durch Reichthum und Fürstenlaune einem Cours unterworfen sind. Die 156 Ehre, welche eigentlich nur in der Meinung der Andern besteht, also eigentlich wie ein Buckel keine Realität hat.«
»Wie ist das mit dem Buckel zu verstehen?« fragte der Wasenmeister, »Wie stehen die beiden Dinge in Verbindung?«
»In der allernächsten,« versetzte ich, »Beide bestehen in der Meinung Anderer. Denn da wir aus Erfahrung wissen, daß es keinen Bucklichten giebt, der sich seiner Deformität bewußt ist, so sind wir im Allgemeinen möglicher Weise auch dieser Selbsttäuschung unterworfen. Wer steht sich selbst dafür, daß er nicht einen Buckel hat, wer kann über die Ansicht eines Anderen gebieten, wer schafft sich eine Anerkennung bei einem verblendeten Volke, das einmal annimmt, daß man an Rückenüberfluß oder an Mangel an Ehre leidet? Hieraus ergiebt sich, daß Ehre und Buckel keine Wirklichkeit haben, vielmehr nur in der Meinung Anderer bestehen.«
Der Freiknecht lächelte. »Aber Ihre Geschichte wenn ich bitten darf.«
»Ja so! Sehen Sie, ich bin ein geborner Holsteiner. Bei mir zu Lande nähren die klugen Halbmeister das Vorurtheil der dummen Leute, daß sie nicht ehrlich seien. Sie riskiren nicht, daß 157 ihnen irgend ein Wollüstling ihre Tochter verführt und leben bei einem reichlichen Erwerb lustig und in Freuden. Sie heirathen unter einander wie die Fürsten und erhalten ihr Blut reichlich so rein wie diese. Als vor etwa sechszig Jahren die humane Dänische Regierung diese Anrührigkeit, welche dort auf ihrem Stande lastete, aufheben wollte, supplicirten die Freiknechte: »»Seine Majestät der König möge doch von dieser Intention abstehen, denn dann könne ja jeder Esel und Dummkopf Halbmeister werden.««
Ich habe niemals mit einer Erzählung so viel Glück gemacht als mit dieser. Freudenblitze schossen aus den Augen des Wagenlenkers, dann folgte ein herzliches Gelächter, und diesem die Versicherung, daß er nie eine so vortreffliche Historie gehört habe und zu Hause eilen wollen, um sie Weib und Kind mitzutheilen. Ich aber verließ meinen dankbaren Fuhrmann und pilgerte auf Jena zu. Endlich zeigte sich die Ölmühle und hinter einer Staubwolke ein Rudel Burschen. — Und hier mag es der Ort sein, eine freilich schon von mir, wenn auch bis jetzt nicht ganz getreu der Wahrheit gemäß, publicirte Anecdote unverschleiert zu erzählen, welche lehrt, daß so gefährlich, ja tödtlich es sein mag, viel Bier zu vertilgen, zuweilen doch Eine Flasche 158 Einem das Leben zu retten, wenigstens vor großen Unannehmlichkeiten bewahren vermag. —
Die Studenten sahen mir gleich das Congreßmäßige und die Burschenqualität an, und ich wurde sofort nach dem in Jena herrschenden Generalsmollis, mit einem »Lieber Kerl, wo kommst Du her?« empfangen; als man aber hörte, daß ich ein Deputirter sei, wurde ich unter Flötenton freudiger Lippen, halb als Arrestant, halb als Triumphator auf den Burg-Friedrich (Burgkeller) gebracht, mir der möglichst amphitheatralische Platz angewiesen, und zu meiner Labung eine köstliche Biersorte versprochen. Jeder wollte dabei seine Geliebte recommandiren. Bringt Wölnitzer — Pfui doch! Schwerstädter — nein, Lichtenhainer — warum nicht gar! — Oberweimarisches Bier wird ihm munden! Mit diesen und vielen andern ähnlichen Phrasen verwirrten die Gastlichen den alten Wirth, »Vetter« genannt, bis dieser auf den Rath seiner häßlichen Tochter sich beeilte, eine lebende Probekarte von allen Bieren auf den Tisch zu stellen.
Nun ging es an ein Untersuchen. Alle Krüge vergossen ihr Blut, und marschirten an meine Mundküste, um sich von mir köhren zu lassen. Begierig tranken die einzelnen Blicke der Anhänger der verschiedenen Sorten mit meinen Lippen, etwa wie 159 die mütterlichen Augen auf den Bällen mit den Füßchen ihrer Töchter tanzen.
Da fiel mein Blick auf ein Dintenmäßiges schwarzes Cerevis, das, in ein kleineres Glas geschenkt, verborgen, wie ein Bierveilchen blühte. Sein Name war mir nicht genannt; als ich dieses aber, nachdem ich es probirt, für das beste erklärte, schlugen meine Freunde die Hände über den Kopf zusammen, und zum Erstaunen erfuhr ich, daß dieser schwere starke Stoff nur den ärgsten Biersäufern zu munden pflege, daß mein Geschmack um so mehr auffalle, weil ich von einer Universität komme, wo derzeit immer Wein getrunken wurde.
Während ich mich als diplomatische Person wegen meines Geschmackes zu schämen anfing, erhielt ich plötzlich einen sanften Schlag auf die Schulter von einem ziemlich ältlichen Burschengesichte, das durch seine gelbe Farbe und Zusammengeschrumpftheit einem ledernen Schlauche nicht unähnlich sah. Bei meinem Eintreten saß dasselbe still in einer Ecke vor einem Kruge des dunkeln Biers, so daß durch die Fäden der Erinnerung vielleicht meine Wahl einer gleichen Sorte bestimmt worden war. »Du bist ein herrlicher Kerl,« scholl eine heisere, bald mit dem Sprechenden verschwindende Stimme, begleitet von einigen leuchtenden travestirten Blicken von Stolbergs altem 160 Ritter. »Wer war das?« fragte ich unheimlich ergriffen. Das ist der alte sogenannte »Peter General,« belehrte mich mein Nachbar.
»Nur seine abgöttische Verehrung des schwarzen Köstritzer Biers und Dein diesem gespendetes Lob wird ihn zu dieser Zärtlichkeit gegen Dich vermogt haben. Er kennt sonst keinen andern Beruf als Scandale (Duelle) und besonders gegen junge Burschenschaftler anzuzetteln, steht dafür aber auch bei allen Hallischen Teutonen und einigen blindschleichenden Landsmannschaftern in großem Ansehen, bei denen er grade wegen dieser moralischen Ansäuerlichkeit Alles vermag.«
Als wir unsere Sitzung aufgehoben, eilten wir auf den Markt, der, wie sein College der Neapolitanern, den meisten Jenaer Studenten als Wohnung und Kaffeehaus diente. Hier wurde geraucht, conversirt, rappirt und gesungen. Eine Kopfbedeckung war keine durchaus gewöhnliche Tracht, ich habe Jenaer Studenten gekannt, welche sich diese Ausgabe drei Jahre erspart, ja ganze Fußreisen durch das Fichtelgebirge in ihren lang herab wallenden Haaren gemacht haben. Der Cynecker Diogenes hätte überhaupt vielleicht hie und da Gelegenheit gehabt, seine Laterne auf dem Jenaer Markte auszulöschen.
Inzwischen hatten sich am Nachmittage wieder 161 einige Bundestagsgesandte ich glaube von Königsberg und Leipzig, eingefunden. Wir wurden von den Kümmeltürken (eingeborenen Studenten) angestaunt und umringt, etwa wie einst die Weißen von den Indianern, indessen dies doch größtentheils nur mit jener Freundlichkeit und Herzlichkeit, welche nur den academischen Jahren eigen ist, und die dem Menschen zu einem höheren verklärt.
Nur eine Ratte bewegte sich in Knäulform mit grinsendem und spöttischem Gesichte, dem man weder Gastlichkeit noch Wohlwollen ansah. Der General ihr geistiger Chef, war indessen nicht dabei. Es waren größtentheils ehemalige Anhänger der Jenaer und andere Landsmannschaften auf fremden Hochschulen, die burschikosen Titanen, welche der ihnen verhaßten, damals souverainen Burschenschaft, auf alle mögliche Weise ein Drangsal anzuthun suchten. Dazu bot sich nun die paßendste Gelegenheit, wenn man einen der Gäste und gar einen Deputirten beleidigte. Ihr Blick war auf mich, der ich, eine Hopfenstange über Allen hervorragte, gefallen, worauf die malcontenten Verschwornen mir unvorzüglich nahten.
»Ich kann vor der Heidelberger Burschenschaft keinen Respect haben,« bemerkte nach kurzer Anrede A., ein Gießener, ziemlich laut prahlend, »da 162 Ihr einen Kerl unter Euch gehabt, der eine Gans gestohlen hat.«
Und der wäre?
»Ein gewisser O. aus X., ich will es ihm beweisen, daß er eine Gans gestohlen hat.«
O. gehörte nicht zu meinen nähern Bekannten, ich konnte es ihm füglich selbst überlassen, diesen ihm angethanen Schimpf von sich abzuwaschen. Allein die levis notae macula, welche A. der Heidelberger Burschenschaft angethan, konnte ich nicht sitzen lassen. Ich foderte ihn daher auf, zu erklären, daß wenn sich die Wahrheit seiner Behauptung auch herausstelle, die Existenz eines räudigen Schafes in unserer Heerde unmöglich unserer Burschenschaft präjudiciren könne. Allein darauf wollte sich A. nicht einlassen. »Ich bleibe bei dem was ich gesagt habe,« wiederholte er, »und wenn Du dadurch die Heidelberger Burschenschaft touchirt glaubst, so kannst Du es nehmen wie Du willst.« —
»Du bist gefordert,« war meine nothgedrungene Antwort. Trotz meiner nicht eben angenehmen Situation, mußte ich in dem Augenblick laut lachen, was meinen mit seiner Suite scheidenden Gegner zu erbittern schien. Mir kam nemlich das Einlagerrecht, in den Sinn, ein im Westphäli 163 schen Frieden in Deutschland aufgehobenes und nur für die Holsteinischen Lande reservirtes Institut, auch Obstagium genannt. Man verstand darunter die Verpflichtung, wornach der Schuldner versprach, wenn er seine Zusage nicht erfüllen würde, auf erfolgte Einmahnung, sich mit einem bestimmten Gefolge an einem gewissen Orte einzufinden und denselben bei Strafe der Ehrlosigkeit nicht eher zu verlassen, als bis er alles Versprochene geleistet haben würde. Auch die Herzöge von Holstein konnten sich auf das Einlager verpflichten, wenn sie aber ihre Verbindlichkeit nicht pünctlich erfüllten, so durften sie sich remplaciren lassen und mußten alsdann Drei Räthe für sie in eine Herberge einreiten, wo immer das Einlager (das auch deshalb das Einreiten heißt,) gehalten wurde. Einer dieser Herrn Räthe schien ich mir in dem Augenblick zu sein.
Noch an demselben Tage erwählte ich meinen Sekundanten. Da ich aber nur den Hieber, mein Gegner den Stoßdegen zu führen gewohnt war, so wurde ein Pistolenduell unter ziemlich gefährlichen Auspicien beschlossen.
Die Jenaischen Burschenschaftler fühlten sich tief über diese Verletzung der Gastlichkeit an einem Deputirten gekränkt, um so mehr jubelten aber ihre 164 Feinde im Stillen, begeistert durch die Ermunterungen ihres despotischen Generals.
Eine Stunde vor dem Zweikampf ging ich über den Markt, woselbst mein Gegner sich im eifrigsten Gespräche mit seinem Gelichter befand, das auf mich, als auf einen Passagier nach Elisum zeigte. Aber siehe, plötzlich traf mich der Blick des dermal anwesenden Generals.
»Ist das Dein Gegner?« fragte er den bejahenden Nachbar. »Nun« sagte er, »denn wird aus Eurem Kampfe nichts. Diesse Kehrl hät bi de erste Pröv von twintig Sorten Beer dat schwarte Köstritzer för dat beste erklärt.« (Dieser Kerl hat bei der ersten Probe von zwanzig Sorten Bier das schwarze Köstritzer für das Beste erklärt.)
Der General hatte nie so gesprochen, mein erstaunter Gegner aber gehorchte mit jesuitischem Gehorsam. Er gab mir eine genügende Erklärung und der General trank mit uns eine Flasche Köstritzer Bier zur Versöhnung.
Die Jenaer Philister waren mir von Thibaut ganz anders geschildert, als ich sie fand. Dieser, welcher dort Professor gewesen, nannte sie die demüthigsten Menschen, welche ihm je vorgekommen seien. Er behauptete sogar, daß sie sich in der Anrede der Brieftitulaturen bedienten, und die lernenden und 165 lehrenden Mitglieder der Academie mit »Ew Wohlgeboren, Ew Hochwohlgeboren und Ew Hoch und Wohlgeboren« anredeten. Mir kamen sie keineswegs so demüthig vor, vielmehr wie enthusiastisch liebende Jungfrauen, welche alle Thorheiten ihres Liebhabers (hier der Studenten) vergöttern, oder besser gesagt, wie reine Sancho Pansa’s, welche sich ganz nach ihren Don Quichotischen Herren gemodelt haben. — Als ich den alten Kneipier Senfft, in dessen Hause die Burschenverhandlungen gehalten wurden, zum ersten Male mit zwei anderen Deputirten sah, bat uns dieser um die Erlaubniß Eine Frage an uns richten zu dürfen. Da ihm dies gewährt worden, erkundigte er sich, was für Landsleute wir seien. Als darauf die Antworten »ein Sachse, ein Kurhesse, ein Holsteiner«, ertheilt worden waren, versetzte er gravitätisch: »Falsch geantwortet meine Herren! Sie sind alle Deutsche und das sollen Sie hier erst recht kennen lernen.«
Der Jenaer Burgkeller bot insbesondere zur Zeit des Mittags- und des Abendessens einen besondern Anblick. — Wenn man in die Thüre des Saales trat, der von einem großen Pfeiler in der Mitte getragen wurde, sah man rechts an einem Tische einige Privatdocenten, welche unter sich das kümmerlichste Mahl verzehrten was einem geboten wer 166 den kann. Unter ihnen befand sich der Sohn Wielands. Dasselbe Diner wurde dem Bruder Studio vorgesetzt, welcher die Mitte und den Hintergrund des Saales einnahm, während die linke Seite von Bier und Branntwein zechenden Philistern, größtentheils von Frachtfuhrleuten, besetzt war, welche ungehindert ihren Kneller pafften, der sich mit den magern Speisedämpfen zu einem, den Göttern gewiß nicht gefälligen Rauchopfer vereinigte. —
Man speiste von zinnernem Geschirr, die Suppen erinnerten nicht, wie in Norddeutschland, an einen Pfauenschwanz, höchstens an einen Cyclopen, denn es war in derselben selten ein Fettauge zu bemerken. Die meisten Teller boten auf der Kehrseite ein Studium für Alterthumsforscher. Condordia res parvae erescunt — Gloria virtutis comes. — Vivat circulus fratrum Rhenanorum, Elise ist ein Engel, gekreuzte Schläger, Todtenköpfe. »Falsch ist Jena« »Vivat Jena!« »1763, 1785, 1800,« und manche mehr oder wenig verwischte Inscriptionen, waren es die den archäologischen Hunger viel mehr als den physischen befriedigten. Der räthselkundigste Hosteiner hätte als Oedip auf dem Rathskeller ohne Zuflüsterung nicht gerathen, daß das graue Zeug, welches man in Rüben verhüllt ihm auftischte, Rindfleisch sein sollte.
Nach Tisch zog eine große Menge der Burschenschaftler gewöhnlich nach Ziegenhain. — Der Wirth war sehr tolerant und verzapfte sein, nach meiner Meinung mit betäubenden Kräutern geschwängertes Bier fast Alles auf Credit, jedoch mußte man den ersten Krug mit einem Groschen baar bezahlen. Dieser Punct war ein präjudizieller. Daher riefen die oft alles baaren Geldes entblößten Musensöhne, bevor man von dem Markt zog: »Wer hat einen Spieß, daß ich mitgehen kann?« Und fast immer fand sich ein Freund in der Noth. —- Sobald aber alle gehörig mit einem Spieß bewaffnet waren, ging es im lauten Gesange auf das Dorf. Die Landsmannschaftler zogen nach Lichtenhain, wo eine Cerevisia, freilich sehr im Anderssein der meinigen haus’te und dermalen ein Bierkönig »Thus der achte« regierte. Ich bin nie dort gewesen. Abends zog der Schwarm brüllend heim, am andern Morgen aber erinnerten die blassen Gesichter der Bierhelden, welche nicht so frisch wie die Walhallahelden aufgestanden waren, an die Theriakisten, (Opiumesser) der Türken.
Die Jenaer Burschenschaft, so arm sie auch war, bewirthete die Deputirten auf eine höchst gastliche Weise. Jeder theilte sein Logis mit den Burschen, welche sich zum Congreß eingefunden hatten, 168 es wurde nicht allein den Deputirten während ihren ganzen Aufenthaltes freie Kost gereicht sondern demselben an den Sessionstagen sogar eine Flasche Würzburger vorgesetzt, eine so rührende Gastlichkeit, daß sie selbst die Säure des Weines überwand. Ja man ging soweit innerhalb des Umkreises von einer Meile jeden Deputiten zu signalisiren und jedem Wirth bei Strafe des Verrufs zu verbieten, von einem Deputirten Zahlung zu nehmen. —
Mir fiel oft das Sprichwort dort ein — »Ein Engel löffelt mit dem Andern.«
Unter den Deputirten waren Leute, die jetzt einen ausgezeichneten Namen und bedeutende Stellungen sich erworben haben. Obgleich ich es für ganz unpräjudicirlich für sie halte, dieselben namentlich aufzuführen, da, wie ich bereits erwähnt habe, die Acten ergeben, daß jene Versammlung nur das Gas entwickelte, welches alle Fürsten Deutschlands von Napoleonischem Drucke befreit, daß die Idee eines Deutschen Bundes in das Leben gerufen hat, und daß die Fürsten um Gotteswillen zu conserviren haben, so scheue ich doch jeden Vorwurf einer Indiscretion, und will mich daher begnügen hier nur zweier zu erwähnen, die jetzt schon in zweiter und letzter Instanz gerichtet sein werden. Es sind dies Loresen und Sand. Der Dänische Canzlei 169 rath Loresen war damals von Kiel deputirt. Ein blonder, breitschulteriger Insulaner imponirte er mehr durch seinen Körper, seine Gutmüthigkeit als durch seinen Geist. Man kam in Versuch diesen kräftiger zu halten als er war und es ist mir ohne allen Zweifel, daß alle seine nachherigen Schritte, von denen ich übrigens keinesweges unterrichtet bin, von ihm nur auf fremde Einflüsterungen gethan sind. — Überhaupt ist es nicht zu leugnen, daß die Deutschthümlei in jener Zeit sowohl im guten wie im bösen Sinne über die Maaßen einseitig und oft nur zu Werkzeugen Anderer machte. Gewiß paßte auf Viele damals der bekannte Satz:
Ein ähnlicher Character war der Sands. Die Ermordung Kotzebues war lächerlich und deutet hinlänglich auf die partiale Schwachköpfigkeit des unglücklichen Mörders. Und dennoch war viel Edles und Großes in ihm verborgen. Nicht ohne Rührung sind folgende Worte zu lesen, die er mir in das Stammbuch schrieb, als ich voll heiterer fast französischer Laune ihm das Epigramm beim Abschiede geweiht hatte:
Sand, dem alle Scherze fatal waren, und den ich wenigstens nie lächeln sah, antwortete darauf diese ernste Worte:
»Die Kraft, jegliche die Du hast, ist dem Vaterlande, damit du ihm selbst heimbezahlen die unerlösliche Schuld für Sprache, Sitte und Erziehung für den Boden, worauf Du groß geworden bist und auf welchem Du Deine Thaten üben willst, für Alles was Du von ihm hast. Dieses wollen wir wohl bedenken, — aber wollen wir dann noch Wohlgefallen haben an der bisherigen Kleinheit, oder suchen wir wieder die Größe und Erhabenheit der alten Zeit? Soll uns endlich das ganze deutsche Land zum Tummelplatze werden, und wollen wir uns eines Volkes erfreuen, daß nach altem Brauche den mächtigen Schiedsrichter in Europa zu machen, berufen ist?«
Wir haben Ja gesagt und wollen dem nachleben. —
Jena, am Burschentage vom 29. März
bis 14. April 1818.
Dein deutscher Bruder Carl Sand,
G. G. B. aus dem Fichtelgebirge.
Merkwürdig war es, daß, als ich Sand Lebewohl sagen wollte, ich denselben auf seinem Sopha liegend fand. Er schien eine Anwandlung von 171 Pleuresie zu haben, denn er griff mit der Hand krampfhaft in die Seite und rief mir zu: »Lebewohl! ich sterbe an diesem Stich in der Brust.« —
Als ich in Weimar den Postwagen bestieg um über Göttingen den Rückweg nach Heidelberg zu machen, war mein Mitpassagier der Sohn Kotzebue’s, den allerhand Spöttereien welche man aus Rache seinem Vater, ich glaube bei einer maskirten Schlittenfahrt, angethan hatte, von Jena vertrieben hatten und der Deutschland verließ, um seine Studien in Dorpat zu beendigen. Er war ein liebenswürdiger Mensch und ist eine der angenehmsten Bekanntschaften meines Lebens.
Während ich diese Memoiren schreibe und nach einem von mir entworfenen Schema die einzelnen Begebenheiten zu einer Schnur zusammen reihe, komme ich mir vor wie ein Fährmann der bereits vom Ufer abgestoßen ist, von demselben her aber noch immer ein »Heda! nimm mich doch auch mit!« vernimmt. Die Erinnerungen tauchen in mir zu Hunderten auf, ich muß alle Augenblick verneinen um nicht gar zu viel Überfracht zu bekommen. Mir wird dabei ängstlich, wie einem Reisenden, der auf der Schnellpost reiset und nur 30 l̶b an Bagage frei hat. Und was zeigt sich da meinen Blicken? Nichts weniger als ein Todter, ein Leichenhemd. 172 Eine Geistergeschichte, die, weil sie erlebt ist und wahrscheinlich noch von einem Lebenden außer mir documentirt werden kann, wohl berechtigt ist, noch als Passagier in das Schiff meiner Erzählung zu steigen. — Das ganze ist eine sogenannte Vorahnung worin ich überhaupt ziemlich stark bin, obgleich ich sonst nicht zu den Sonntagskindern gehöre. Das mag indessen in meinem Blute liegen. Träumte doch meinem ältesten Bruder, Peter von Kobbe, dem Historiker, einem dreizehnjährigen Knaben, in der folgenden Nacht, da sich das Ereigniß im mittelländischen Meere zugetragen hat, die Schlacht bei Trafalgar, (mit Ausnahme dieses Namens) der Tod Nelsons, die Zahl der von ihm eroberten Schiffe, das Datum der Schlacht, die Nummer des Hamburger Correspondenten worin diese gemeldet wurde, und der ganze Artikel, welcher den Sieg und die Himmelfahrt Nelson’s enthielt. Sah er doch in Itzehoe in dem Hause der Generalin Hedemann einen Tag vorher die Leiche eines Knaben in jedem Zimmer, der am andern Tage aufgefischt und in das Haus der Generalin gebracht wurde. Mein Bruder, ein Mann von seltener Gelehrsamkeit, der als rühmlichst bekannter Geschichtsforscher dem legitimen Princip ergeben ist, hat für seinen Kaßandratact die Undankbarkeit der Fürsten erfahren, welche 173 ihm ehren sollten, wie keinen seines Gleichen, und ihm ein Prytaneum bauen. Ich bin aus zu luftiger Construction, weder für Aristokraten noch für Democraten recht brauchbar, aus viel Respect gegen den Himmel und aus viel Verachtung gegen die Erde zusammengesetzt und daher ein Humorist geworden, oder besser gesagt, geblieben, habe übrigens meine Qualität als Geisterseher, wovon ich noch einige andere merkwürdige Beispiele erzählen könnte, wahrscheinlich für dieses Leben verscherzt. Erzogen von einem frommen Großvater im sogenannten Mysticismus, wofür ich übrigens Gott als Poet noch auf meinen Knieen danke, habe ich alle meine Sonntagskindseigenschaft durch eine ganz im Ernste gemeinte Bemerkung meines Freundes v. St. verloren, welcher kurzsichtig war und nach einer Relation mehrerer Geistergeschichten in einem Kreise von Freunden sich höchst naiv über seinen Mangel an Aperception von solchen Dingen mit den Worten darüber beklagte: »Ich kann leider! keine Geister sehen, weil ich einen Geist nicht von einem Bettlacken zu unterscheiden vermag.« Seit dem heftigen Gelächter, worin ich damals über diese crassa minerva ausbrach, bin ich kein Seher mehr, sondern nur noch höchstens ein Fühler geworden. Ich fordre den Buchhändler Herrn Berndt zu Oldenburg hiemit zum Zeugen 174 auf, ob ich ihm nicht im Jahre 1832 als eine Neuigkeit erzählt habe, daß ich innerhalb drei Tagen ein Bein brechen würde. Am zweiten Abend hatte ich durch ein bloßes Ausgleiten die tibia zersprengt. —
Vielleicht hätte ich übrigens Restitution als Geisterseher bekommen. Allein ich habe einen zu rationalistischen Weg eingeschlagen, der mich bald ganz um meine Swedenborgschen Eigenschaft bringen wird. Da nämlich der Zufall mich auf alle Weise chicanirt, habe ich mich entutirt, denselben zu besiegen. Ich habe ihn lieb gewonnen, wie Richard Savage seine grausame Mutter, ich lasse nicht von ihm, ich erscheine ihm bald als Berliner, bald als Braunschweiger, bald als Osnabrücker, d. h. ich spiele häufig in der Lotterie, und verwende alle meine Sehergaben dabei um einen großen Gewinn zu ergattern. Ja, mein Streben geht soweit, daß wenn ich in stiller Mitternacht zu meiner villa kehre, welche vor dem Heiligengeistthore unfern des Kirchhofes liegt, und den Todtenweg hinunter wandre, auf dem es bekanntlich in dieser Stunde nicht recht richtig ist, — — sobald mir irgend ein Geist begegnet, sei es ein edler Hingeschiedener im unversehrten Todtengewande oder nur so ein Lump in der Form des Bettlakens, ich sogleich rufe: »Bester! 175 oder Beste, welche Nummer in der Preußischen oder in der Braunschweigischen Lotterie wird das große Loos gewinnen?« Die Verstorbenen müssen allerhöchste Ordre haben, auf diese epinöse Frage, vielleicht aus Furcht, daß der souveraine Zufall sie doch nachher blamirt, nicht zu antworten; sogleich wenden sie sich. Wenn man darauf losgeht sind sie verschwunden und man muß sich Mund und Augen wischen, in denen sich dann höchstens von der ganzen Erscheinung, noch etwas alter Weibersommer befindet.
Doch zur Sache. — Ich logirte in Jena bei zwei Gebrüder B. aus Mecklenburg, welche in der Apotheke am Markt wohnten. Eines Tages ging ich mit Sand und einem Andern, dessen Name mir entfallen ist, ich glaube aber es war der jetzige Professor Leo in Halle über das forum vor das Thor, um einen Platz zu suchen, wo wir am 3. März zur Feier der Einnahme von Paris eine Eiche pflanzen wollten, welches auch an dem fraglichen Tage mit großer Feierlichkeit vollführt worden ist. Ich beklagte mich, daß der Taback schlecht sei und daß ich um mich Sächsisch-Weimarsch-Eisenachsch auszudrücken, den Lausewenzel nicht mehr bleffen möge. »Ei!« bemerkten meine Begleiter, »wenn Du sechs gute Groschen für das Viertelpfund 176 anwenden willst, so gehe nur in den Kramladen da, dicht neben der Sonne, da kannst Du Hamburger Justus bekommen.« »Hängt!« (das lateinische accipio) entgegnete ich burschikos und ging in das mir bezeichnete Kaufhaus, worin sich der Krämer mit seinem Lehrburschen befand. Die Anderen warteten meiner draußen. —
Ich foderte den mir bezeichneten Taback. Der Kaufherr erklärte mir, daß die fragliche Sorte auf dem Boden liege, daß er sie mir holen wolle. Aber in demselben Augenblicke sah ich diesen guten Mann als Leiche auf einem Paradebett. Die Vision schwand indessen sogleich und beängstigte mich eben auch nicht sehr, denn es war heller Mittag. —
Nichts desto weniger bemerkte ich dem Ladenjungen: »Geben Sie Acht Ihr Herr stirbt bald.« »Ei warum entgegnete dieser, er ist ja kerngesund.« »Er ist so corpulent,« versetzte ich, hiedurch Entscheidungsgründe für mein Gottes-Urtheil suchend.
»O das hat nichts zu bedeuten,« versetzte der Lehrling. »Ich kenne den Herrn schon seit vielen Jahren, er hat immer so ausgesehen.«
In dem Augenblicke kam der Kaufmann und überreichte mir das Paquet Taback. Ich zahlte, glotzte ihn noch einmal an und fühlte nun wohl daß ich mich total geirrt hatte. Er sah in der That kerngesund aus.
Wenn man im Norden einen Bauer fragt: »Freund! wie weit habe ich bis zu X.?« so hört man nicht selten die Antwort: »Eine Pfeife Taback.« Es wird von den Antwortenden darunter eine gewisse Zeit verstanden. In diesem Sinne kann ich von einem Viertelpfund Taback weiter referiren. Ich blies meine letzte Pfeife nach wenigen Tagen aus dem zweiten Stock der Jenaer Marktapotheke in die Luft, als ich vor dem bereits erwähnten Kramladen, dicht an der Sonne, einen Leichenzug halten sah.
Ich gestehe, nie in meinem Leben von einer solchen innern Angst ergriffen worden zu sein, als an dem fraglichen Nachmittage. »Seht Ihr,« rief ich aus, abermals eine Vision wähnend, mit dem Finger nach dem Kramladen zeigend, »seht Ihr was dort vorgeht?«
»Es ist ein Leichenzug,« war die, aus dem Munde der Gegenwärtigen einstimmig hervordringende Antwort.
In Bremen lebt ein geistreicher Schiffsmackler Namens Heineken, der erste und vielleicht der einzigste, welcher nach einem Compaß von Schwedisch nach Russisch Lappland gesteuert ist. Zehn Tage und zehn Nächte hat derselbe sich mit gefrorner Milch und Fleisch vom Rennthier und mit 178 Branntwein genährt, und schon die Hoffnung aufgegeben, je wieder menschliche Wohnungen in diesen Schnee- und Eisgefilden zu finden, als er endlich am eilften an einem Tannengehölz gekommen ist, aus dem ein Hundegebell ihm die Nähe von bald gefundenen Menschen verkündigt hat. »Nie,« pflegte er oft zu sagen, »hat mich eine menschliche Stimme, nie der Ton einer Sängerin so entzückt, wie dies Wau-Wau eines unvernünftigen Thieres.«
So war auch mir zu Muthe, als ich merkte, daß meine Erscheinung kein Spuck sei, sondern diesmal wirklich Realität hatte. Neugierde und Tabacksbedürfniß führten mich indessen noch an demselben Tage in das Haus des Krämers, dessen Tod mir die Nachbarn bestätigt hatten. Im Anfang gab der Bursch mir sorglos die verlangte herba nicotiana; als ich ihn aber an meinen prophetischen Spruch erinnerte, wurde er kreidebleich und rief aus: »I Herr Jesus es ist wahr, Sie haben den Tod meines Herrn vorausgesagt, er ist noch an demselben Abend, da Sie zuletzt hier waren am Schlagfluß gestorben.«
Ich überlasse die nähere Anatomie dieser Geschichte den Medizinern, Philosophen und selbst den, bald hiezu berechtigt werdenden Wassertrinkern, wahr ist sie auf Cerevis und Ehrenwort. Überhaupt 179 lüge ich nie, habe es auch nicht nöthig. Denn warum? Es wäre dies ein abscheulicher Luxus. Mir passirt Gott sei Dank! und Gott leider! vielmehr, als sich die tollste Fieberphantasie auszubrüten vermag, und vor allen auf Reisen; ich brauche oft nur das Erlebte zu schildern um zu riskiren, daß man mich für einen Münchhausen hält. Zwar gilt von mir auch der Göthische Vers:
Ich bin vigilant und Vigilantibus, »jura sunt scripta« sagen wir Juristen. Zudem versäume ich nicht leicht eine Gelegenheit, um meinen Abentheuerschatz zu bereichern. Wenn ich reise und es bricht in dem Orte wo ich mich befinde, sei es auch in der weit entferntesten Vorstadt, Feuer aus, so stehe ich auf und eile hin, wie ein guter Landesherr, weil ich mich für einen humoristischen Prinzen von Geblüt ansehe, dem zu Ehren das Feuerwerk gegeben wird.
Hiebei fällt mir wieder eine Erzählung aus dem Philisterio ein, die an das Unglaubliche gränzt und meinen Satz schlagend bewahrheitet. Also wieder ein Passagier der in mein Schiff springt.
Ich besitze das Talent, so ziemlich jeden Dialect zu copiren, und ein wie schlechtes musicalisches Ohr ich auch habe, so scharf und sicher höre ich doch aus jeder Rede des einzelnen Deutschen den Ort seiner Geburt oder besser gesagt, seiner Erziehung, und bin dabei im Stande die meisten gehörten Idiome zu reproduciren.
Hiebei will ich eine Historie zum Besten geben, welche der Vergangenheit entrissen zu werden verdient. —
Vor ungefähr 6 bis 8 Jahren saß ich in den Gasthof hôtel de Russie in Oldenburg an der table d’hôte, mir zur Rechten der noch lebende Agent Herr Jürgens, am Ende der Tafel ein Hannoverscher Officier Herr Major Magius, welcher mit seinem Nachbar sich über Paganini unterhielt.
»Können Sie nun wohl rathen, was der Officier für ein Landsmann ist? raunte mir mein Nachbar zu.« —
Ich besann mich, auf die Rede des Majors horchend, dann aber sage ich: »Der Herr spricht wie ein Lübecker.«
»Wollen Sie eine Flasche Wein darauf wetten?« lächelte Herr Jürgens scherzend.
»Die ist gehalten,« entgegnete ich.
Ich wartete nun bis Herr Magius einen Punct in der Rede hatte und bat ihn dann da wir eben eine Wette gemacht hätten, um Bescheid was er für ein Landsmann sei.
»Das werden Sie nun und nimmer rathen,« versetzte der Herr Major ablehnend, und gab dann eine Menge, mich freilich nicht von meiner Juryüberzeugung abbringende Gründe an, weshalb es unmöglich sei, daß ich seine Heimath errathe. Mir ist nur der, seines längern Aufenthaltes in Italien vor allen noch erinnerlich. —
Endlich schloß der Redner: »Ich will Ihnen nur sagen, daß ich ein geborner Lübecker bin.«
»Ich danke Herr Major! ich habe meine Wette gewonnen.«
Während mein Treffer dem Herrn Magius wol etwas magisch vorkommen mochte, ich hingegen mich des Triumphzuges meines Steckenpferdes freute, erhob sich ein jüdischer Kaufmann, welcher mir die viel kitzlichere Frage stellte ob ich wol merken könne woher er denn sei.
Das war eine sehr schwere Nuß. Man weiß, daß der Dialect der Juden eben so selten wie ihr Herz an einer Provinz gebunden ist, und wenn der Frager auch zu den Gebildeten seines Volkes gehörte, so war er doch nicht frei von der mosaischen 182 Pronunciation. — Indessen gab ein Gott mir doch folgende Antwort in die Seele:
»Ich kann aus Ihrem angebornen Dialect nicht recht klug werden. Bald reden Sie wie ein Nordhesse, bald wie ein Hamburger.«
»Wunderbar!« rief der besiegte Sphinx, »Ich bin in Bückeburg geboren und erzogen, allein seit zehn Jahren in Hamburg etablirt.«
Mit diesem Knalleffect ist meine Geschichte noch nicht aus.
Sie kam mir nämlich etwa anderthalb Jahre später, an einer Abendtafel in demselben Hause, als von Dialecten die Rede war, wieder in den Sinn. Ich erzählte sie den um mich her sitzenden Oldenburgern.
Der Obergerichtsanwald Herr Hahne bemerkte scherzend, daß man wol daran gewöhnt sei, nie eine Unwahrheit zu hören, daß diese Geschichte mit dem Bückeburger Juden doch zu sehr in das Gebiet des Unglaublichen gehe, und wenigstens auf einer Täuschung beruhen müsse.
Leider war Herr Jürgens nicht zugegen. —
Die Möglichkeit eines Zweifels an meiner Rede jagte mir das Blut in das Gesicht. —
Das Roth aber ist die Farbe der Schuld wie 183 der Unschuld. Es ist die Leibfarbe des Defensors wie des Anklägers.
Man schien dem meinigen eine böse Deutung zu geben.
Der Gedanke war höchst peinigend.
Da erhob sich ein deus ex machina im Hintergrunde an der Wirthstafel.
»Ich kann die Geschichte eidlich bezeugen,« rief es aus, »sie ist mir passirt.« — Und siehe! ich erkannte meinen bis dahin nicht beachteten Bückeburger-Hamburger, dessen Persönlichkeit bereits aus meinem Gedächtniß desertirt war.
Schon während der ersten Tage meiner Ankunft in Jena war Wit v. Dörring als Fuchs dort angelangt. Es waren schon unterweges Zeichen und Wunder mit ihm geschehen, man hatte ihm in Erfurt seinen ganzen Wechsel gestohlen.
Dieser rubricirte Exdemagoge, der in den neuern Zeiten eine so verschiedene Beurtheilung erfahren hat, verrieth schon in seiner Jugend seltene Anlagen. In seinem vierten Jahre hielt er vor seiner vortrefflichen, jetzt verstorbenen Mutter ganze Predigten aus dem Stegreife. Seine Mitschüler, zu denen ich auch gehörte, liebten ihn. Zu allen Aufopferungen bereit, zeigte er ein liebenswürdiges Herz. Sein Hang zum Mysticismus aber blieb in 184 seiner Seele und er redete oft wie ein Missionär. Das aber verdroß den alten Doctor Gurlitt, der damals Director des Johannei in Hamburg war, welches Wit von Altona aus frequentirte. Gurlitt sprach oft von orthodoxen Rindfleischseelen, und pflegte die Mystiker Hechte zu nennen.
Ein Tag in jedem Monat war zu öffentlichen Redeübungen in den verschiedenen Sprachen bestimmt. Wit hatte das Thema: »Wer die Gottheit fassen will, der ist verloren,« gewählt und sprach mit ergreifenden Worten, aber manche dunkle Deutung war in seine blumenreiche Rede gewirkt. Mit komischem Ernste betrachtete ihn der alte Schulmonarch. Zitternd ging er zu ihm als er geendet hatte, und eine große Thräne entperlte den Augen des gutmeinenden Greises. »Liebes Kind, ich fürchte am Ende, Sie glauben an den Teufel?« rief er bebend. »Ja, Herr Doctor,« versetzte Wit sich verbeugend: »den lasse ich mir nicht nehmen!« »Armer junger Mensch,« versetzte Gurlitt betrübt: »wie oft werden Sie noch die Alten vertiren und revertiren müssen, ehe Sie zur richtigen Ansicht in der Religion gelangen!«
Nach wenigen Tagen hatten sich sämmtliche Abgeordnete eingefunden. In dem Burschenhause, dessen Wirth der altdeutsch gewordene Senft war 185 und zu dem man durch ein enges Gäßchen vom Markt aus geht, wurden unsere Versammlungen vom 29. März bis zum 3. April 1818 gehalten. Wir saßen an einem Tisch der mit schwarzem Tuch behangen, welches mit goldenen und rothen Frangen, unsern Farben, verbrämt war. Die Sitzungen waren öffentlich, doch trennte eine Barriere die Deputirten von den Zuhörern, welchen zwar auch zu reden vergönnt war aber erst dann, wenn der Präsident ihnen das Wort bewilligt hatte. —
Vor zehn Jahren habe ich die Verhandlungen, welche ich der Heidelberger Burschenschaft übergeben, ohne daß ich eine Abschrift davon behalten hatte — in einem kleinen Hannoverschen Ort, bei einem jungen Staatsdiener zu meiner großen Freude wiedergefunden und zum Geschenk erhalten. Ich stehe nicht an dieselben mitzutheilen, theils um jene Gerüchte zu wiederlegen, als habe jener Burschencongreß die geringste revolutionäre Tendenz gehabt, theils um darzuthun, daß man im Anfang durch Mißgriffe die Studenten wie schon erwähnt zu Zeloten und Märtyrern gemacht hat.
Wahrlich! ich verpflichte mich unter Garantie meines Kopfs, eine ganze Universität von funfzehnhundert Studenten, in der besten Ordnung in der loyalsten Stimmung und ferne von jeder Aufregung 186 zu halten, ihre Phantasie zu beschäftigen ohne sie zu verbrennen und durch die Burschen fortwährend selbst von ihren geheimsten Gedanken in Kenntniß gesetzt zu werden. Aber man muß auch das Gemüth haben auf die Jugend zu wirken und sie ruhig gewähren lassen, wenn sie in die Sackgassen der Phantasie laufen. Sie kommen schon von selbst zurück und schlagen dann beschämt die Augen nieder.
»Pueri sunt pueri, pueri puerilia tractant.«
Protocoll,
gehalten in der Versammlung der Abgeordneten verschiedener Deutscher
Hochschulen, zu Jena am 29. März 1818.
1) Es wurden die Vollmachten der durch Abgeordnete an der Versammlung Theil nehmenden Hochschulen Berlin, Halle, Heidelberg, Jena, Kiel, Königsberg, Leipzig, Marburg und Rostock, mündlich oder schriftlich bekannt gemacht.
2) Veranlaßt durch die Abgeordneten des Berliner Burschenvereins und den erwählten Abgesandten derjenigen nicht verbündeten Berliner Burschen, welche auf ihrer Hochschule eine allgemeine Burschenschaft nach Zweck und Form gegründet sehn wünschen, entstand die Frage, ob der Abgeordnete des Letztern eine entscheidende Stimme haben könne, 188 welche Frage durch Stimmenmehrheit mit »nein« beantwortet wurde.
3) Wurde von den sämmtlichen stimmenfähigen Burschenabgeordneten, erstens R. aus Jena zum Sprecher, zweitens W. zum Schreiber in den Versammlungen gewählt.
4) Nach einer Ermahnung von R., den Zweck der Versammlung im Auge habend, Ruhe, Ordnung und Bestimmtheit zu zeigen, wurde beschlossen, alle Verhandlungen nach Stimmenmehrheit zu entscheiden, und vom Sprecher rechts abzustimmen, jedoch mit Vorbehalt, daß alle Beschlüsse nur dann gültig wären, für die Hochschulen, wenn sie sich mit den Vollmachten der Abgeordneten derselben vereinigen ließen.
5) Wurden die angekommenen abschlägigen Antworten von einigen Deutschen Hochschulen verlesen. Göttingen, Tübingen und Erlangen hatten entweder keine Abgeordnete stellen wollen oder können, und dieß schriftlich erklärt.
6) K. aus Heidelberg forderte auf Vergessen aller Selbst und Partheisucht, den großen Zweck der Versammlung zu erfassen und in reiner Liebe zum Wahren und Guten so zu reden und zu handeln, wie jeder es verantworten könne vor Gott und seinem Gewissen.
7) Wurden die Angelegenheiten der Halleschen Burschenschaft, an sich, und in Verhältniß und Gegensatz der sogen. Sulphuria verhandelt. Es wurde beschlossen, daß diejenigen, welche sich mit ihrem Ehrenworte verpflichtet hatten, wegen der Unterdrückung der dortigen Teutonia Halle zu verlassen, nachher aber diese Verbindlichkeit nicht erfüllten, weil manche Gründe zu ihrer Entschuldigung vorhanden waren, nicht streng nach den Buchstaben des Gesetzes gerichtet werden sollten, sondern alle die von ihnen als ehrliche und wehrliche Burschen anzuerkennen wären, deren Entschuldigungsgründe von der Halleschen Burschenschaft als triftig entweder schon anerkannt wären, oder noch würden, sie aber durch eine von der sämmtlichen Versammlung des Abgeordneten zu unterschreibende Urkunde ihrer Übereilung und ihres Leichtsinnes wegen eine Rüge erhalten sollten. Hierdurch wurde zugleich die Hallesche Burschenschaft, in welcher sich einige von den genannten Burschen befanden, als rechtmäßig anerkannt.
Anmerkung. K. aus Heidelberg bat zu bemerken, daß er deswegen vorzüglich auf Anerkennung und Verweis gestimmt habe, weil K. die Versicherung gegeben, daß ihm von einem ehemaligen Teutonen gesagt sei, er habe an dem bekannten Abende 190 einige Hallesche Burschen blos zu einer bedingten Unterschrift aufgefordert. K. meinte daher, daß dieses von einem jeden gehört sein könne, oder auch von denen, die es gehört hätten, verbreitet, also die Präsumtion für Straflosigkeit sei, und ein Verweis genüge.
Die Halleschen Sulpfuristen betreffend, wurde durch Stimmenmehrheit ausgemacht, daß, da die von ihnen am meisten Beleidigten um Milde für sie baten, ferner wohl zu wünschen stand, daß auch in Halle wiederum ein kräftiges und einiges Burschenleben sich gestalte und gedeihe, ihnen eine allgemeine Verzeihung und Erlösung vom Banne gewährt werde, wenn sie folgende Bedingungen eingehen würden:
Anmerkung a) K. von Heidelberg erklärte, daß er im Namen seiner Burschenschaft den Verruf nicht eigentlich aufheben könne, indem derselbe bisher von ihr noch nicht ausgesprochen sei, und zwar aus dem Grunde, weil Heidelberg noch nicht im Cartel mit Halle, beschlossen habe, die Sache selbst zu untersuchen. Er hebe aber im Namen Heidelbergs den Vorbehalt der näheren Untersuchung auf, und trete oben genannten Bestimmungen bei.
Anmerkung b) Marburg stimmte obiger Meinung aus dem besondern Grunde bei, daß diejenigen nicht namhaft gemacht werden könnten, durch welche die Teutonia bei der Regierung angeklagt sei.
Anmerkung c) In Königsberg war die Acht über die Sulpfuria nicht ausgesprochen, weil die Partheiungen in Halle dort nicht genug bekannt geworden waren.
R. — | Sprecher. | |
W. — | Schreiber. | |
Graf v. K. — | für Jena. | |
L. — | } | für Kiel. |
R. — | ||
F. D. — | } | für Königsberg. |
L. L. — | ||
C. F. L. — | } | für Leipzig. |
D. E. — | ||
E. B. — | 192 für Marburg. | |
A. B. — | } | für Berlin. |
A. v. B. — | ||
T. v. K. — | für Heidelberg. | |
F. S. — | } | für Halle. |
D. — | ||
W. W. — | für Rostock. | |
Folgen die Unterschriften. |
Protocoll,
gehalten in der Versammlung der Abgeordneten Morgens
den 30. März.
1) Zu den für die Theilnehmer der Hallischen Sulpfuria zu bestimmenden Puncten und Bedingungen wurde noch hinzu gefügt, daß sie selbst jeden von ihnen, der die abgefaßte Schrift nicht unterschreiben wolle, als Verrufenen anerkennen und gegen ihn verfahren wollten, wie der Burschenbrauch der Hallischen Burschenschaft bestimme.
2) Es erschienen die Bevollmächtigten der Hallischen Sulpfuria und unterschrieben die verlang 193 ten Puncte, und es war also für ihre Person der Bann aufgehoben.[6]
3) Ein aus Leipzig angekommener Brief wurde verlesen. Der Seniorenconvent erklärte darin, daß man zur Förderung aller guten Zwecke bereit sei, daß aber nach seiner Meinung eine allgemeine Burschenschaft in Leipzig nicht leicht errichtet werden könne.
4) Es wurden die mündlichen und schriftlichen Klagepuncte des ehemaligen Breslauer Burschen U. (jetzt in Berlin) gegen die Polen in Breslau gehört, und beschlossen, er solle den Thatbestand schriftlich aufsetzen, damit dann, nachdem auch jene gehört wären, in der Sache ein Weiteres bestimmt werden könne.[7]
5) Nachdem auf diese Weise die auf Brauchssachen Bezug habenden Angelegenheiten abgemacht waren, wurde zur Besprechung über die Grundidee einer allgemeinen Deutschen Burschenschaft geschritten. J., Abgeordneter von mehreren Burschenschaften aus Berlin, die eine solche wünschten, erkannte, auf Befragen den erwählten Sprecher und Schreiber an.
6) Es wurden von R. 19 Puncte als Grundlage zu einer allgemeinen Burschenschaft verlesen, und über dieselben einzeln abgestimmt. Leipzig begab sich seine Stimme, weil dort noch Landsmannschaften beständen.
Punct 1.[8] wurde von allen Deutschen Hochschulen anerkannt.
Punct 2. gleichfalls anerkannt. K. behielt sich nähere Erläuterung bei § 4. vor.
Anmerkung. Es wurde bestimmt, daß eine Deutsche Burschenschaft Ausländer unter sich aufnehmen könne, wenn sie nur von ihnen überzeugt sei, daß sie dem Zwecke einer allgemeinen Deutschen 195 Burschenschaft nicht schädlich, sondern eher förderlich sein würden, daß dieselben auch Ausländern eine eigene Verbindung neben sich gestatten könne, wenn nur diese ihr untergeordnet blieben, allein in Brauchssachen entscheidend stimmfähig sei, jedoch so, daß die Deutsche Burschenschaft wenigstens immer ⅔ der Stimmen erhalte.
K. für Heidelberg erklärte, daß die Burschenschaft sich, wegen der Zwistigkeiten und Vereine, die noch außer der Burschenschaft in Heidelberg beständen, aller Rechte auf Renoncen und Nicht-Burschenschaftsmitglieder enthalte, wenn sie nicht mit ihnen in Collision käme.
Die Kieler Abgeordneten behielten der Entscheidung ihrer Burschenschaft vor, ob der von ihr anerkannte Burschenbrauch in allen seinen Beziehungen auch für die nicht Verbündeten verpflichtend sein solle.
F. d. U.
Protocoll,
Abends am 30. gehalten.
§. 1. K. wurde auf Verlangen sein Freund L. aus Heidelberg als Rathgeber in schwierigen Fällen zugesellt.
§. 2. Weitere Berathung über die vorgeschlagenen Puncte:
§. 3. wurde allgemein anerkannt.
§. 4. wurde nach §. 2. eingeschränkt.
K. bezieht sich auf die gemachten Modificationen. V. B. und L. erkannten dies und das nachfolgende nur in so weit an, als es sich mit ihren Vollmachten vereinigen ließ.
§. 5. Hiebei wurde vor dem Worte öffentlich »wo möglich« eingeschaltet.
Das Wort unauflöslich wurde weggelassen. D. erklärte es dahin, daß er glaube, die Verbindung müsse geistig unauflöslich, auch fürs bürgerliche Leben fortbestehen.
§. 6. beschränkt sich auf §. 2. Ob Nichtchristen aufzunehmen seien, wurde der Entscheidung der einzelnen Burschenschaften überlassen.
§. 7. wurde mit der Bemerkung angenommen, daß es jeder Burschenschaft frei stehe zu bestimmen, ob nach der Exmatrikulation jemand von ihr noch als Bursch anzusehen sei, oder nicht. Die Königsberqer Abgeordneten behielten sich vor, daß die darüber in ihrem Brauch enthaltenen nähern Bestimmungen in Kraft bleiben sollten.
§. 8. 9. und 10. wurde angenommen.
§. 11. von den Meisten gebilligt.
Heidelberg stimmt in der Idee dem §. 11. alsdann bei, wenn jeder ehrenhafte Bursch aufnahms 197 fähig ist. Die Verhältnisse selbst haben die Realisirung dieser Idee dort noch nicht gestattet. — Kiel bezog sich auf seine Anmerkung nach §. 2.
§. 12. angenommen. — Kiel erklärte, da bis her dort keine Wilden gewesen seien, sei noch nicht bestimmt worden, in wie fern der Burschenbrauch auch für Nichtverbündete gelte.
§. 13. angenommen.
§. 14. Hiebei verwiesen nur die Kieler auf das oben in dieser Beziehung Gesagte.
F. d. U.
Protocoll,
gehalten den 31. März.
1) Wurden die von U. abgefaßten Klagepuncte verlesen und beschlossen, es solle in Breslau Aufhebung des Verrufes und Rechtfertigung wegen des Überfalls verlangt, U. aber so lange ganz schuldlos angesehen werden.
2) Wurde angezeigt, daß die Gießner geschrieben hätten, sie wären verhindert worden Abgeordnete nach Jena zu senden, indem der Senat allen solchen Relegationen angedroht habe.
3) Es wurde in der abgebrochenen Berathung wieder fortgeschritten.
§. 15. angenommen.
§. 16. wurde folgendermaßen abgeändert. Es bleibt der gesammten Deutschen Burschenschaft das Recht, die Verfassungen der einzelnen Hochschulen, wo Burschenschaften sind, einzusehn und zu beurtheilen, ob, und in wie fern sie der Grundidee entsprechen, und bei etwanigen anstößigen dieselbe um Abstellung derselben anzugehn.
§. 17. Hier wurde die Bestimmung hinzugefügt, daß wenn die Casse einer, oder mehrerer Burschenschaften zu den Kosten der Reise nicht hinreiche, eine allgemeine Casse nach Verhältniß des Einkommens der Burschenschaften eingerichtet, und dadurch die Reise erleichtert werden solle.
§. 18. Hier wurde Eisenach vorläufig als Versammlungsort bestimmt.
§. 19. Es wurde hinzugefügt, daß bei den genannten Berathungen ⅔ der Stimmen entscheiden sollten.
4) Der Vorschlag, alle Jahre am 18. Juni ein Fest zu feiern, wobei man sich vorzüglich der Brüder an andern Orten in traulicher Liebe erinnere, wurde gebilligt.
5) Die Abgeordneten der Leipziger Hochschule 199 behielten sich vor, daß, wenn bei ihnen gleichfalls eine allgemeine Burschenschaft zu Stande gekommen wäre, auch ihr das hier den einzelnen Hochschulen gegebenes Recht, den verlesenen Puncten Anmerkungen hinzuzufügen, aufgehoben bleiben solle, und es wurde dieß allgemein gebilligt.
F. d. U.
Protocoll,
vom 1. April 1818.
1) L. aus Königsberg zeigte an, daß, da sein Mitabgeordneter D. unwohl sei, er seine Stimme mit übernommen habe, D. sich aber etwanige Bemerkungen noch vorbehalte.
2) B. für Marburg dankte den Jenaern für die Abfassung der 19 Puncte, bemühte sich darauf, auseinanderzusetzen, wodurch wir etwa den darin aufgestellten Zweck erreichen möchten, wobei er vor allen zur Erlangung wahrer vaterländischer Bildung, Streben nach umfassender Kenntniß, Ehrenhaftigkeit, und Freiheit, aber was die Burschenschaften auszeichnend unterscheiden solle, rücksichtslosen Gemeingeist und möglichste Gleichheit der Rechte empfahl. Es wurde von R. antwortend auf den 10. Punct verwiesen, wo schon zum Theil darüber verhandelt 200 sei. Nur wurde noch in Betreff der Gleichheit vor dem Rechte folgendes Nähere verhandelt.
Es entstand:
Die übrigen Hochschulen bejahten die Frage; Jena, Kiel, Königsberg und Marburg aber, deren Bevollmächtigte noch nicht von ihrer Verfassung abgehen konnten, behielten sich Berathung mit ihren Burschenschaften vor. — Es wurde noch der Vorschlag gemacht, ob nicht diejenigen Burschenschaften, welche Füchse entweder nicht sogleich aufnehmen, oder denselben nach der Aufnahme keine Stimmfähigkeit zuerkennen würden, allen den Füchsen, welche einzutreten wünschten, Erlaubniß und Veranlassung geben wollten, vor der Aufnahme eine gewisse Anzahl von Versammlungen zu besuchen, damit auf der einen Seite dieselben Gelegenheit bekämen, die Eigenthümlichkeit des Lebens auf den Hochschulen 201 kennen zu lernen, auf der andern Seite aber das peinliche Gefühl bei ihnen vermieden werde, einem Ganzen anzugehören, über dessen Wohl ihnen keine entscheidende Stimme zustehe, und so das Gesetz der möglichsten Gleichheit der Rechte nicht gekränkt werde.
Anmerkung. K. für Heidelberg bemerkte, daß er um des Allgemeinen willen von der Wahlfähigkeit zum Vorsteheramte für sogen. Füchse abstehe, wenn die anderen Hochschulen sich zur Stimmfähigkeit für Alle verstehen wollten.
Und es geschehe dies besonders der Einheit des Gesetzes willen.
3) Wurde der Wunsch geäußert, daß bei der Aufnahme alle Abstimmung durch bloßes Ja oder Nein wegfallen möge, sondern laut und mit Anführung der etwanigen Gründe gegen den Aufzunehmenden gestimmt werde, wobei auf §. 9. und 10. verwiesen wurde. — Rostock behielt sich hiebei Berathung mit ihrer Burschenschaft vor.
4) Wurde als zum Wesen der Burschenschaft gehörig anerkannt, daß kein Zweikampf zwischen den einzelnen Burschenschaften, als solchen, statt finden dürfe, sondern jeder unter ihnen obwaltende Streit schiedsrichterlich ausgeglichen werden müsse.
5) Wurde festgesetzt, es solle in dieser Versamm 202 lung der Abgeordneten noch kein förmliches Cartel, oder eine Verfassungsurkunde der großen allgemeinen Deutschen Burschenschaft verfaßt, sondern blos einige Grundgesetze derselben vorläufig entworfen werden, damit die Abgeordneten sie zur Berathung ihrer Burschenschaft mitnehmen könnten. Die vollständige Ausarbeitung müsse bis zur Versammlung am 18. Oktober ausgesetzt bleiben.
6) Sollte auch an die Hochschulen, welche keine Abgeordnete hierher gesandt, der Entwurf dieser Gesetze, die 19 Puncte zugleich mit einer Schrift, welche die Ansichten der Abgeordneten von dem Wesen der Burschenschaft näher ausspräche, so wie auch eine Aufforderung, dem hier gebilligten Grundsätzen beizutreten, übersandt werden.
Anmerkung. Berlin behielt sich vor, zu dieser Aufforderung nur dann mitzuwirken, wenn ihr Verein als Burschenschaft anerkannt würde.
F. d. U.
Protocoll,
gehalten Nachmittags am 1. April.
1) Die Verfassungsurkunde des Berliner Burschenvereins wurde verlesen und nach mannigfachen 203 Verhandlungen, theils über seine innere Einrichtungen, theils über seine Verhältnisse zu den Nichtverbündeten, wurde das Urtheil der Abgeordneten gefordert, ob der Berliner Burschenverein nach Zweck und Form eine Burschenschaft zu nennen sei.
a) Jena erklärte sich dahin, dieser Verein entspreche nicht der Idee einer allgemeinen Burschenschaft, weil:
b) Die Kieler Abgeordneten stimmten im Ganzen der obigen Erklärung bei, glaubten aber, daß es nur geringer Veränderungen bedürfe, um die genannte Verfassung der Idee einer allgemeinen Burschenschaft entsprechend zu machen.
c) Königsberg meinte, daß gegen diesen Verein noch besonders zu erinnern sein möchte, daß der Entschluß, für eigne volksthümliche Bildung zu 204 wirken, in der vorgelesenen Urkunde nicht genug hervorgehoben sei.
d) Marburg bezog sich auf die von Jena gemachte Bemerkung in Hinsicht auf das Abstimmen nach einzelnen Landsmannschaften, und führte gegen diese Eintheilung überhaupt die Erfahrung an, daß solche stehende Abtheilungen der allgemein zu fördernden Eintracht durch unvorherzusehende Vorfälle nur zu leicht gefährlich würden.
e) Halle erklärte sich dahin, es stimme im Allgemeinen mit der vorigen Bemerkung überein und fürchte besonders Hervortreten von Eifersucht bei dieser landsmannschaftlichen Eintheilung.
f) Heidelberg urtheilt, daß nach provisorischer Annahme der bekannten 19 Puncte der Geist des Berliner Burschenvereins als Deutscher Burschenschaftsgeist anzuerkennen sei, daß diese Idee aber vernichtet werden müsse:
g) Rostock erklärte, es glaube, daß die Verfassung der Berliner Verbindung aus der Grundidee einer allgemeinen Deutschen Burschenschaft hervorgegangen sei, bei Einrichtung der Form aber einiges dieser Form nicht genau Entsprechende vielleicht aus etwas zu ängstlicher Berücksichtigung der Schwierigkeiten, welche örtliche Verhältnisse ergaben, entsprungen sei, und deßhalb gewiß leicht abgestellt werden könne.
h) J. meinte, daß zur Ausführung der Grundidee einer allgemeinen Deutschen Burschenschaft auch allgemeine Versammlungen unerläßlich seien.
2) Die Abgeordneten faßten den Beschluß, es solle von ihnen der Berliner Burschenverein freundlich gebeten werden, nach den 19 Puncten und den darüber im Protocoll bei Gelegenheit der Verhandlungen über Wesen und Form des Berliner Burschenvereins eingeschalteten Bestimmungen und Erläuterungen ihre Verfassung umzuändern und so sich den übrigen Deutschen Burschenschaften näher anzuschließen. Zugleich solle diesem Vereine der Vorschlag gemacht werden, ob sie nicht, wenn sie auf obige Bitte eingehen würden, bei Berathungen über diese Sache einen Abgeordneten von denen zulassen wollten, welche außer ihrer Verbindung 206 eine allgemeine Burschenschaft begründet zu sehen wünschten.
3) Wurde ausgemacht, daß alle Deutschen Hochschulen aufgefordert werden sollten, so lange die Regierungen eine ordentliche Burschenzeitung noch nicht gestatteten, Aufsätze über Burschenangelegenheiten nach Jena einzusenden, damit sie dort, wo es am leichtesten ausführbar sei, unter erlaubtem Namen und erlaubter Form zum Druck gefördert würden.[10]
F. d. U.
Protocoll den 2. April.
1) Verlas R. den an die Breslauer abgefaßten Brief. Er wurde gebilligt und es wurde bestimmt, daß die Breslauer Burschenschaft ersucht werden solle, die Antwort an diejenigen Hochschulen gelangen zu lassen, welche für das laufende Jahr zu Geschäftsführenden würden erwählt werden.
2) Es wurde hierauf zugleich jene Wahl vorgenommen und der Burschenschaft zu Jena zuerst 207 das Amt der Geschäftsführung in allgemeinen Burschenangelegenheiten übertragen.
3) K. verlas einen vorläufigen Entwurf des sogen. Cartels und gab dieses Veranlaßung zur näheren Berathung über einige Gesetze für die Verfassungsurkunde der allgemeinen Deutschen Burschenschaft. Folgende Bestimmungen, die sich aus den Vorschlägen der Einzelnen ergaben, wurden als zweckmäßig anerkannt.
4) Kiel machte in Hinsicht des Burschenbrauchs Vorschläge zur allgemeinen Annahme, als z. B. Gleichheit der Waffen auf allen Hochschulen; Vermeidung des Ehrenwortes bei Spielschulden,[11] worüber aber der Beschluß bis zur Bundessitzung verschoben werden mußte, so wie auch der Antrag von derselben Hochschule, das für alle 3 Jahre ein Wartburgsfest beschlossen werde.
5) Den letzten Vorschlag, so wie den zur Gleichheit der Waffen hatte auch Königsberg und fügte noch den Wunsch hinzu, daß für eine allgemeine Volkstracht, so weit es im Wirkungskreise der Hochschulen läge, etwas geschehen möge.
6) Marburg schlug gleichfalls Deutsche Tracht und Waffengleichheit vor und erhielt, so wie auch Königsberg gleiche Antwort mit Kiel.
7) Halle schlug gemeinschaftliche Farbe und Wahlspruch vor. Über das erstere sollte der Bundestag sich erklären. Zum Wahlspruch wurde vorläufig: »Gott, Freiheit, Vaterland« vorgeschlagen.
8) Heidelberg hält für die Aufrechthaltung der 210 wahren Burschenehre und Gerechtigkeit für nothwendig, daß sich auf jeder Deutschen Hochschule ein Schiedsgericht befinde, welches unmöglich mache, daß die Beleidigung, welche offenbar ganz auf der einen Seite sei, durch den Zweikampf ausgemacht werde, sondern daß dagegen eine Renomageerklärung Statt finde. Auch sollte dieses Schiedsgericht den Zweck haben, wo möglich Streitigkeiten zu vermitteln, und erst nach geschehenem Versuche den Zweikampf zulassen. — Es wurde dies zu weit ausgedehnt gefunden und dafür vorgeschlagen, es solle auf jeder Hochschule eine Behörde sein, welche, so viel möglich, unzulässige Zweikämpfe verhindere; der muthwillige Beleidiger solle gezwungen werden, die Beleidigung wenigstens zurückzunehmen, dem Beleidigten aber überlassen bleiben, ob er noch weitere Genugthuung fordern wolle, oder nicht.
9) Es wurde vorgeschlagen, daß der immerwährende Verruf und die Strafe der Hetzpeitsche gänzlich aufgehoben werde.
10) Folgte der Antrag, daß die Versammlung des Bundestages schon den 10. October 1818 beginnen möge, welcher allgemein angenommen wurde.
11) Wurde der Beschluß gefaßt, daß an alle Hochschulen, wo Verbindungen sind, theils Abschrif 211 ten des Protocolls und der 19 Puncte, theils der Aufsatz über Wesen und Form der Burschenschaften nebst freundlicher Aufforderung zur Einrichtung einer solchen übersandt werden solle. In Betreff Gießens vereinte man sich dahin, daß man beide daselbst bestehende Partheien zur Vereinigung auffordern und ihnen gleichfalls das oben Genannte übersenden wolle.
Es waren also zusammen Briefe zu senden nach Berlin, Breslau, Erlangen, Freiburg, Gießen, Greifswalde, Göttingen, Landshut, Leipzig, Würzburg und Tübingen. Für Heidelberg wurde bestimmt, daß die Burschenschaft den Landsmannschaften daselbst oben erwähnte Schriften überreichen möchte.
F. d. U.
Protocoll,
gehalten am 3. April.
1) Wurde die Disposition der Schrift verlesen, welche an einige Hochschulen gesandt werden sollte, um dort die Ansicht der Abgeordneten vom Zweck und Form der Burschenschaften darzustellen. Sie wurde gebilligt und zur weitern Ausarbeitung übergeben.
2) Ein Brief vom Vorsteher H. aus Breslau wurde bekannt gemacht. H. bemühte sich darin, 212 nähere Aufklärung über U.’s Sache zu geben. Dieser Brief konnte aber als nicht von der Verbindung ausgehend nicht als Ausspruch ihrer Meinung angesehen werden. Das Schreiben an die Breslauer Burschenschaft wurde daher demnach nöthig gefunden, und war dabei jetzt nur noch die erforderliche Rücksicht auf den Brief von H. zu nehmen. U. suchte sich gegen die in dem Briefe enthaltenen Beschuldigungen zu rechtfertigen und verlangte, daß H. zu näherer Erklärung besonders über den ihm von demselben Schuld gegebenen Bruch des Ehrenwortes veranlaßt werden möge. — Endlicher Beschluß in dieser Sache war, es solle die Breslauer Burschenschaft nicht nur um ihre Bestätigung und Widerlegung der in dem Briefe von S. enthaltenen Klagepuncte ersucht, sondern sie noch ferner gebeten werden, abgesehn von ihrer jetzigen Meinung, den ganzen Thatbestand auszumitteln, und hieher mitzutheilen.
3) Trugen die Hallischen Abgeordneten auf einen Beschluß der Versammlung darüber an, ob die von mehreren Hochschulen für Halle erkannte Strafe, daß die Zeit, wo kein eigentlicher Burschenbrauch einer Verbindung daselbst bestanden habe, rücksichtlich des Burschenalters der in Halle damals Studirenden nicht gerechnet werden solle, jetzt durch 213 die über die dortigen Angelegenheiten gemachten Bestimmungen aufgehoben sei, oder nicht. Die Versammlung beschloß einstimmig Aufhebung jenes Ausspruches.
4) Wurde beschlossen, daß wenn von irgend einem Gerichte wegen dieser Versammlung eine Untersuchung verhängt werden sollte, erst dann, allein wenn die Sache nicht mehr zu verheimlichen sei,[12] eingestanden werden dürfe, es wären hier einige Burschen zusammengekommen, um auf einzelnen Hochschulen bestehende Streitigkeiten gütlich zu vermitteln; wobei aber weder die Namen der Abgeordneten anderer Hochschulen genannt, noch überhaupt von einem geführten Protocolle geredet werden sollte, und zwar dieß alles, weil es sich neuerdings vielfach bestätigt habe, wie sehr manche Regierungen allen Verbindungen auf Hochschulen entgegen wären.
Göthe, welcher damals seinen procès monstre mit dem Großherzog von Weimar gehabt hatte, hielt sich in Jena auf. Ich konnte nicht umhin dem großen Dichterfürsten aufzuwarten. Er wohnte jenseits der Saale vor der Stadt, in der sogenannten Tanne, welche neben dem Geleitshause liegt.
»Wollen Sie den Staatsminister sprechen?« fragte mich den Eintretenden ein kleiner altkluger Knabe, in dem breitesten Sächsischen Dialect, welchen mein Ohr je vernommen hat. Ich nickte bejahend, indessen nicht ohne einige unheimliche Empfindung, da mir der kleine Bursch von hinten etwas zwergmäßig vorkam. Er mag auch wol nur ein Luftgebild aus Göthes Hirn gewesen sein und überall keine Realität gehabt haben. Denn er war in der That auf eine bewundrungswürdig schnelle Weise meinen Blicken entschwunden. Verdutzt sahe ich mich auf der Diele umher, der Zwerg wurde nicht wieder sichtbar. Ich kuckte in alle Ritzen und Spalten, Alles war vergebens. Da hörte ich ein Geräusch, Trepp ab. Es nahte ein Bedienter, der nach meinem Begehren und Namen fragte, und nach erhaltener Antwort mich sodann bei Göthe anzumelden versprach. »Es soll dem Herrn Geheimerath sehr angenehm sein,« berichtete er, und ich folgte. — Ich habe mein ganz Leben hindurch in Gegenwart 215 großer Menschen sehr lebendig das Gefühl gehabt, was Verrina »Respekt« nennt, eine Empfindung welche dem Geist wohlthut, wie der Frost der Erde zur Winterszeit. Sie tödtet das Unkraut der Eitelkeit auf die probateste Weise.
Aber Göthe’s Antlitz zu sehen, — ich fühlte das meine schon im voraus verbrannt, wie das der armen Fräulein Semele bei Jupiters Anblick. — Und siehe! schon auf dem Corridor begegnete mir der große Mann. Ich kreutzte meine Arme, verbeugte mich tief, blieb aber dann, ein travestirter Paganini, noch lange auf der G Saite der Conversation, indem ich nur sehr mühsam und stotternd, »mein Herr Ge- Ge- Ge- heimerath« heraus brachte.
Excellenz oder besser: »Ecce Lenz« wäre überhaupt passender gewesen, denn der Angeredete schob an mir vorbei und sagte fast mürrisch: »Ich bin nicht der Geheimerath.« —
Ich hatte mich geirrt, es war der Mineraloge Lenz.
Der lächelnde Bediente öffnete eine Thür. Ich trat ein und sah Göthe am Ende des Zimmers am Fenster stehend.
Ich weiß nicht recht woher es kam, aber drei Vergleiche drängten sich bei seinem Anblick solidarisch in meine Vorstellung. — Bald glaubte ich den 216 Apoll von Belvedere, bald einen Pfau, bald die Ruinen des Heidelberger Schlosses vor mir zu sehen. Das schöne Auge schien mir etwas gebrochen. — Daher mag der letzte Vergleich der paßendste sein. »Treten Sie an dieses Fenster,« commandirte fast der Dichter, »Sehen Sie sich hier ringsumher. Wie gefällt ihnen die Gegend? Sie ist die schönste, welche ich auf die Dauer gekannt habe.« —
Ich stimmte bei, obgleich den Bergen wol eine grüne Grasatzel zu wünschen gewesen wäre. Sie sind entsetzlich kahl. — Dann brachte ich das Gespräch auf die See und erzählte, daß mein Vater zur Zeit meiner Geburt die Stelle eines Landsvogts auf der dänischen Insel Föhr in der Nordsee bekleidet habe. Ich schilderte den Anblick des Weltmeers, als den erhabensten, den die Natur darbietet, und bediente mich, da Göthe Beifall zu schmunzeln schien, wenn ich nicht irre, sogar mehrerer poetischen Floskeln dabei. Ich wollte, nachdem ich den ersten Schock der eingebildeten und wahren Bekanntschaft Göthe’s überwunden hatte, ihm zu verstehen geben, daß ich auch ein Jünger der Musen sei und wenigstens dadurch die Dreistigkeit meines Besuches entschuldigen. Aber auf einmal thaten der Herr Geheimerath eine fatale Frage an mich. Sie geruhten sich zu erkundigen, wie groß Föhr sei.
Obgleich Gaspari, als er 1804 in Wandsbeck lebte, trotz seiner Menschenscheu mich als kleinen Knaben fortwährend auf den Arm getragen hat, obgleich ich wohl weiß, daß Fabris Geographie mit dem humoristischen Grundsatz: »Ohne Geographie ist der Mensch ein Maulwurf,« beginnt, so muß ich doch gestehen, daß diese Wissenschaft diejenige ist, die sich mir von jeher am fernsten gehalten hat.
Ich sah den alten Herrn etwas verblüfft an, dann aber antwortete ich, wie ein Geschworner ohne Rechtskenntniß in Rechtssachen, — in dieser geographischen Klemme, nach meiner moralischen Überzeugung: »Eine Quadratmeile.«
Göthe schien sich dabei erst nicht beruhigen und an einige Bücher auf dem Repositorio appelliren zu wollen, was mich in der That verlegen machte. — Das Gespräch tournirte sich indessen auf Heidelberg. Mit Wärme schien der Dichter von dem bereits erwähnten Schelver zu reden. Im Uebrigen sprach er ziemlich vornehm über die andern Professoren. Von Thibaut sagte er: »Er ist ein guter Freund von« — verwandelte aber als ob er schon zu viel gethan habe, das schon hervorquillende mir in uns; Jetzt schien mir Göthe der wieder auf die Insel Föhr zurück kam, mit der Durchsicht einiger 218 geographischen Compendien doch Ernst machen zu wollen. — Ich empfahl mich daher.
Dieser Act schien Göthe am Meisten zu gefallen. Uebrigens mußte ich dem alten Herrn zu meiner allergrößten Verwunderung versprechen ihn bald wieder zu besuchen.
Er verlangte das in einem durchaus herzlichen Tone, was ich mir übrigens noch bis auf diese Stunde auf keine Art und Weise erklären kann. —
Indessen war es mir unter den Burschen eine große Satisfaction bei Göthe gewesen zu sein. Man beneidete mich um diese Ehre wie Mädchen sich einander um einen neuen Hut scheel ansehen.
Zu dieser Zeit passirte Göthe auch eine, wenig bekannte, höchst ergötzliche Anecdote.
Eine Dame ließ sich bei ihm melden. Göthe, der den Besuch des schönen Geschlechts nur sehr bedingt liebte, ließ seiner Bewunderin, aller Bitten ungeachtet, drei Male die Audienz durch seinen Bedienten verweigern. Allein die Dame wollte sich nicht abweisen lassen, folgte dem Bedienten, dem sie noch eine Bestellung an seinen Herrn aufgetragen hatte, in den Garten, wo sie Göthe erblickte, dem sie sogleich zu Füßen stürzte, indem sie seine ergriffene Hand mit Küssen bedeckte.
»Aber Madam! so stehen Sie doch auf,« rief 219 Göthe von dieser hündischen Verzweiflung zwar geschmeichelt aber doch auch verwirrt.
»Nein großer Dichter!« rief die in den Staub gesunkene Verehrerin. »Wie glücklich bin ich, daß meine Augen Dich erblicken. Ich komme mir vor wie die Glocke, wovon es in Deinem schönen Liede heißt:
Göthe hat noch oft in späten Jahren herzlich über diese seine Verwechslung mit Schiller gelacht.
Das Rednertalent, welches außer in England so wenig cultivirt wird, wurde in Jena wenigstens oft in Uebung gesetzt. Wenn die Bruder Studios rudelweise Abends durch die Gassen schlenderten und einen ihrer Freunde noch in seinem erleuchteten Zimmer zu Hause fanden, so wurde demselben gar häufig ein Vivat gebracht, dem das Verlangen einer »Standrede« folgte.
Der Gefeierte mußte nun sein Fenster öffnen den Raum mit einigen Lichtern erhellen und in der häufigen Ermanglung dieser, die schwerfällige Studierlampe auf die Fensterbank postiren, dann aber eine Rede halten, welche oft an die Neapolitanischen Improvisatoren erinnerte. — Vorzüglich stark war in solchem aus dem Steggreifreden der Meklenburger W. — Seinem Nachbar, einem Professor, waren vierzehn Tage vorher die Fenster eingeworfen. Während er sich nun für die ihm wiederfahrene Ehre auf das Allerwärmste bedankte, beklagte er seinen gelehrten Nachbar, der nicht das Glück habe in einer so guten Meinung bei den Herrn Studenten zu stehen wie er, und ermahnte die Herren Akade 220 miker, sich künftig nie wieder solche Excesse gegen Professoren zu Schulden kommen zu lassen. Die Art und Weise wie er abwechselnd den lustigen Schalk, dann wieder den ehrenwerthen Philister sprechen ließ, war in der That ungemein humoristisch.
Die Collegien in Heidelberg fingen in wenigen Tagen wieder an. Mit dem Bewußtsein meine Burschenpflicht erfüllt zu haben, trat ich meine Rückreise über Erfurt und Göttingen an, wo ich in einer Nacht ein Paar Studenten, welche im Rausch »Bursch heraus« gerufen hatten, dadurch der Arrestation entriß und vor öffentlicher Relegation schützte, daß ich (vielleicht die einzige Lüge meines Lebens) mich für den Sohn eines Hannoverschen Ministers ausgab, und den nachgiebigen Pedellen meine hohe Protection versprach.
In Göttingen war ich verdammt, den Tod meines liebsten Jugendfreundes, Christian Kirchhof aus Uetersen zu erfahren, welcher zu Charkow in Südrußland, einige Tage vor seiner Rückkehr in die Heimath, nachdem er als Hauslehrer sich bei einem Grafen d’Olonne die erforderlichen Studienkosten verdient hatte, durch ein Nervenfieber weggerafft war. Sein Tod ergriff mich fürchterlich. Schlaflos und weinend langte ich nach einigen Tagen wieder in Heidelberg an. — Christian hat das Versprechen, mir nach dem Tode zu erscheinen, nicht gehalten.
Ende des ersten Bändchens.
Fußnoten:
[1] Ich glaube man rief aus Deutschthümelei: »Johann« anstatt »Jean!«
[2] Es ist ein großes Wunder, daß mit dem Abspringen der Rappierklinge nicht größeres Unheil angerichtet, als bisher geschehen ist. — Die Fechtmeister, welche bei dem Debit derselben verdienen, sind gewöhnlich eigennützig genug, das beste Präservativ dagegen nicht anzurathen, welches darin besteht, daß man vor dem Fechten die Klingen wärmt. Im Sommer zerspringt nicht der sechste Theil von denen, die im Winter entzwei gehen.
[4] »Als ich zuerst von dir gebeten wurde, das gefährliche Geschäft einer Disputation mit Dir zu unternehmen, wollte ich mich zuerst nicht auf den ungleichen Kampf einlassen, und hätte es gewißlich nicht gewagt, wenn mich nicht Deine erprobte Freundschaft gegen mich zu diesem Unternehmen angetrieben hätte. Du bist mein Freund mein Landsmann, ich fürchte daher nichts. Aber reden muß ich vor bedeutenden Männern, deren große und göttliche Gelehrsamkeit mir zeigt, wie kühn ich bin. Vergebt daher gelehrte Männer! wenn ich Euren Ohren, die so zart sind, hier bei Anhörung von übel klingenden lateinischen Phrasen, Zwang anthue.«
[5] In Jena waren im Jahre 1818 nur zwei hübsche Mädchen, von denen die Eine zu stark, die Andere zu mager war.
[6] Es waren dies drei Studenten, welche den Feldzug mitgemacht hatten, und mit dem Erinnerungszeichen daran geschmückt, vor die Barriere traten, wo sie als ehrliche und wahrhafte Burschen rehabilitirt wurden. Unser Präsident trug aber auch das eiserne Kreutz. —
[7] Die Polen hatten diesen Schlesier durch schändliche Mißhandlungen so erbittert, daß er nur den Namen »furioso« trug. Er sprach immer nur von einem Polen vergleichend. »Ein Pole oder ein Schurke« u. dgl. m. Bei einer solchen Phrase erhob sich dann allemal der sanfte Deputirte L. und foderte eine Ehrenerklärung für die Polinnen, da seine Mutter eine solche sei, welche Furioso allemal wenn auch ungern ertheilte.
[8] Diese neunzehn Punkte sind leider nicht mehr in meinem Besitz — Um das Sitzungsprotocoll in seiner ganzen Vollkommenheit zu geben, habe ich die Verhandlungen über jene Puncte hier indessen nicht auslassen zu dürfen geglaubt.
[9] In der Heidelberger Burschenschaft war das Fuchswesen ganz aufgehoben, der Student im ersten Halbjahre hatte gleiche Rechte mit den älteren Burschen.
[10] Wie wenig Verstecktes wie so gar nichts Revolutionäres lag damals in den Deutschen Burschenschaften! Wie hätte sich der junge Deutsche Pegasus zügeln und reiten lassen, wenn einige unvorsichtige Stallknechte ihn nicht durch Verketzerungen zu hartmaulig gemacht hätten.
[11] Ein löblicher Vorschlag, nicht wahr?
[12] Das war freilich ein sehr einfältiger Beschluß, gegen den ich vor allen Dingen protestirte. Ich rief stets, »wir haben ja nichts zu verheimlichen, laßt uns die Protocolle sogleich allen Regierungen vorlegen. Ein Geheimniß für 100 ist ohnehin ein Unsinn.« Allein ich wurde nicht gehört und ich bedauere es nur, daß meine Protestation damals nicht mit zu Protocoll genommen ist. Ich könnte indessen den Beweis durch Zeugen führen, wenn dies überall der Mühe werth wäre.