The Project Gutenberg EBook of Neues Altes, by Peter Altenberg This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and most other parts of the world at no cost and with almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included with this eBook or online at www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you'll have to check the laws of the country where you are located before using this ebook. Title: Neues Altes Author: Peter Altenberg Release Date: June 30, 2016 [EBook #52463] Language: German Character set encoding: UTF-8 *** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK NEUES ALTES *** Produced by Elizabeth Oscanyan and the Online Distributed Proofreading Team at http://www.pgdp.net
Peter Altenberg
Motto:
»Solche Männer und ihresgleichen sind einfach geniale Naturen, mit denen es eine eigene Bewandtnis hat; sie erleben nämlich eine wiederholte Pubertät, während andere Leute nur einmal jung sind.«
PA: Aber wie glücklich zu preisen sind die, die nur einmal jung zu sein brauchen, und dann ruhig absterben dürfen, während jene anderen Unseligen von ewigen inneren Räuschen gefoltert werden — — —.
»J’ai de mes tourments multiplié les causes — — — d’innombrables liens vont de mon âme aux choses!«
Seite | |
Widmungen in meine Bücher | 13 |
Wesen der Freundschaft | 17 |
Was ist ein Dichter? | 19 |
Bekenntnis | 20 |
Entwicklung | 21 |
Sankt-Martins-Insel | 23 |
Konzert | 25 |
Buchbesprechung | 26 |
Ideale | 30 |
Ein Brief | 31 |
Variété | 33 |
Die abgelehnte Einladung | 35 |
Hypokrisie | 37 |
Strandbad »Gänsehäufel« | 38 |
Rückkehr vom Lande | 39 |
Krankenlager | 41 |
Hunde | 43 |
H. N. | 45 |
Helga | 46 |
Das Telephon | 47 |
Die Lüge | 48 |
Plauderei | 49 |
Lebensbild | 52 |
Lebensbilder aus der Tierwelt | 54 |
Brief an Mitzi von der »Lamingson-Truppe« | 57 |
Aphorismen | 59 |
Texte auf Ansichtskarten | 60 |
Heilmittel | 67 |
Der Nebenmensch | 68 |
Schutz | 70 |
10Brangäne | 72 |
Der Affe Peter | 73 |
Ungeziefer | 75 |
Mutter und Tochter | 76 |
Der Dichter | 77 |
Hysterie | 78 |
Weihnachten | 80 |
Der Tag des Reichtums | 81 |
So sollte es immer sein | 83 |
Inschrift | 85 |
Tope | 86 |
Bekanntschaft | 87 |
Eifersucht | 89 |
Goethe | 90 |
Die Pflegeschwester Rosa Schweda | 91 |
Geschwister | 92 |
Der Besuch | 94 |
Sommerabend in Gmunden | 95 |
Ästheten | 97 |
Erinnerung | 99 |
Vöslau | 101 |
Ein Brief | 103 |
Der Fortschritt | 105 |
Über Lebensenergien | 107 |
Strandbad | 109 |
Wesen der Religion | 110 |
Wie sie es glauben wollen, so ist es | 111 |
»Prodromos« | 112 |
Restaurant Prodromos | 115 |
Der Brand | 117 |
Rücksicht | 118 |
Myosa | 119 |
11Im Stadtpark | 121 |
Ehebruch | 123 |
Hamsun-Menschen | 125 |
Memoiren | 129 |
Widmung an Anna Konrad | 130 |
Der Tod | 131 |
Eine ganz wahrhaftige Beziehung | 133 |
Im Volksgarten | 135 |
Ansprüche einer Romantikerin | 137 |
Lebensweg | 139 |
Dienste | 140 |
Wie ich gesundet bin | 141 |
Gottesgnadentum | 143 |
An einen unmodernen Arzt | 145 |
Zynismus | 147 |
Nacht-Café | 149 |
Die Nerven | 151 |
Britische Tänzerinnen | 152 |
Der Trattnerhof | 155 |
Artistische Rundschau, Wien | 157 |
Parfüm | 159 |
Übers Schreiben | 161 |
Angstschrei | 163 |
Juli-Sonntag | 165 |
Der Jagdherr | 166 |
Episode | 169 |
Josef Kainz | 170 |
Bettlerfrechheit | 171 |
Von meinem Krankenlager aus | 172 |
Krankheit | 174 |
An eine Elfjährige | 177 |
Krankenbesuch | 179 |
12Notiz | 181 |
Rückkehr vom Lande | 183 |
Nichts Neues | 185 |
Das Dorf | 187 |
Gerichtsverhandlung in Wien | 189 |
Semmering Ende September 1911 | 190 |
Peter Altenberg als Sammler | 191 |
Yvette Guilbert | 193 |
Krankenpflege | 195 |
Herbst am Semmering | 197 |
Herbstanfang | 198 |
Eine Begebenheit | 201 |
Beschäftigung | 203 |
Besuch im einsamen Park | 205 |
Tanz | 209 |
Peter Altenberg | 213 |
Fräulein H. M., immer und ewig werden die Dichter an dem fast absichtlichen »Unverständnis« geliebter, vergötterter Frauen zugrunde geh’n — — —. Du allein brachtest mir die volle Sicherheit, daß mein sonst so oft mißverstandenes Dasein von dir erkannt wurde, in Weisheit und in Milde, wie von Gott selbst — — —! Heißt man das Liebe?! Gleichviel. Es ist die »Erlösung«, die eben keine andere bringen kann!
An Frau D. M., in unzerstörbarer Freundschaft.
Freundschaft, du immer und ewig mißbrauchtes, geschändetes Wort! Du bist »Erkenntniskraft des Gehirnes«, gemildert durch »des Herzens Wohlwollen«!
An Maria Maraviglia, spanische Tänzerin.
Leben, flüchtigstes, zerrinnendstes, kann ich dich nicht festhalten?! Ja! Durch Erinnerung, Melancholie und Ergebung ins Schicksal — — —.
Frau M. B. in Aachen.
Aus Fernen kam ein begeisterter Gruß — — —. Wie selig war ich — — — zwischen Aachen und Wien ist genügend Raum für die Enttäuschungslosigkeit zusammengehöriger Seelen geschaffen — — —!
An die Gemahlin des Herrn J. S.
Wie eine Aristokratin sehen Sie aus des 18. Jahrhunderts — — —. Augen voll ernster Ruhe und Noblesse, und dennoch wieder Augen der Sphinx und 14der Rheinnixen! Die Nase wie von urältesten Adelsgeschlechtern herstammend, sanft gebogen und dennoch stumpf abbrechend. Adlernase und Stumpfnase zugleich! So aus einer Zeit von vergangener Würde und Größe. Man sitzt neben Ihnen, betrachtet Sie, spricht ehrfurchtsvoll, wie mit keiner anderen. Man ist unter einem unerklärlichen Banne. Wie wenn man vorgestellt würde der »Kaiserin Marie Antoinette«. Man möchte zu Ihnen sagen: »Votre Altesse Royale — — —«. Aber man muß über die kleinen Ereignisse des Tages sprechen — — —. Und dabei blickst du wie eine traurige Fürstin — — —!
Für P. H., die »Romantikerin«.
Sie erwünschen es sich, daß ich Ihnen von meiner einsamen Landpartie im Vorfrühling Blätter ins Haus sende, in die enge Gasse der Vorstadt?! Nun, ich befestigte alles einzeln vorsichtig an silbernen Drähten, zarte, gelbgrüne Blättchen. Wie gleicht Ihr Herz doch der Vorfrühlingslandschaft — — —! Man bedauert direkt, daß es bald zu greifbarer Blüte und Frucht ausreifen werde im Sonnenbrande des Lebens!
Für Gertrude Barrison, Tänzerin.
Kalt und hart scheinbar sind Sie im Leben, das alle zu leben, alle zu erleiden, alle zu ertragen haben! Aber hinter diesem »gewaltsamen Sein« schlummert den ewigen Schlaf, besiegt und längst abgestorben, die »vergrämte Idealistin«! Geschreckt von der Heimtücke des Daseins, traut sie sich nie mehr zum Vorschein — — —. Und nur des Dichters Auge 15blickt noch in Welten, über die der Sargschleier, alles verbergend, liegt — — —.
An Miß Bessie.
Ich hatte dich irrsinnig lieb und vergeblich — — — man hat immer nur irrsinnig lieb, wenn es vergeblich ist!
An Frau E. R.
Eine Welt von zärtlichster Zärtlichkeit mußte in mir ersterben, auf dein Geheiß! Auf deinen strengen unerbittlichen Wunsch! In späteren Tagen warst du sanftmütig und gütig zu mir; in späteren Tagen! Aber den »süßen Wahnsinn« hast du mir gemordet, wolltest durchaus meiner Seele endlose Welten auf ein erfaßbares Maß zurückführen; vergeblich! Stört euch »unser Wahnsinn«, so enttäuscht euch schließlich noch mehr die »normale Liebe« der anderen! Sind wir auch »übertrieben« in unserer Verehrung, sind die anderen allzu nüchtern in ihrer gesunden Gerechtigkeit!
An Else Wiesenthal.
Immer und überall im Leben vermißt man »Hoheit und Würde« und »edle Kindlichkeiten« zugleich! Aber in Ihrem Tanzen findet man es. Deshalb ist man so beglückt und erlöst und erleichtert. Was man an seiner geliebtesten Geliebten schmerzlich-melancholisch vermißt, findet man, erstaunt, gerührt, bei Ihnen! Unerbittlich und starr wird immer naturgemäß sogleich die Seele des Mannes, falls ein wertvolleres Bild vor seine Seele 16tritt! Ehebruch, Treuebruch, was seid ihr für nichtssagende Namen! Das »Zulänglichere« löscht einfach stets das »Unzulängliche« aus! Soll man weiter verehren, was der Verehrung nicht mehr wert ist?! Gehet von hinnen, Schwerfällige, wenn die »idealere Tänzerin« naht! Die »Gleitende« besiegt die »Schleichende«!
Ich kenne nur zwei Menschen, die mir freundschaftlich gesinnt sind, mein Bruder und A. R. Sie verstehen alles, was ich denke, empfinde, sage, geben allen Dingen die wohlwollendste Auslegung. Sie sind ganz ohne »Fallen-stellen-wollen«. Sie vernehmen nur das Wertvolle, überhören eventuelle Mißtöne, ohne zu zucken. Sie schöpfen vom geliebten Menschen den Rahm ab, beklagen sich nicht über die wässerige Milch, die darunter liegt, sondern erfassen es als ein Naturgesetz, daß der Rahm nicht bis zuunterst reichen kann — — —. Sie erläutern uns nach unseren in uns verborgen liegenden Idealen, nicht nach unseren allen augenfälligen alltäglichen Schwächen! Sie lauern auf unsere seltenen Höhepunkte, beachten nicht unsere Verkommenheiten. Sie sind noble Ausleger, Ausdeuter unseres wirklichen Wesens. Sie begreifen unsere Schwächen, sie achten unsere Stärke! Sie sind mit uns, wie man mit edelrassigen Kanarienvögeln, Papageien, Staren, Hunden, Affen ist. Man achtet ihre Eigenart, fordert von ihnen nichts Unmögliches. Man hält sich an ihre »besonderen« exzeptionellen Eigenschaften. Diese wohlwollend-sentimentale Art von Nervengutmütigkeit heißt: Freundschaft. Jede andere ist tief verlogen. Diese edle »ewige Gutmütigkeit« ist von Gottes Gnaden! Man hat sie zumeist erst mit Verstorbenen. Da kommt man erst zur Besinnung über besondere Werte, dringt tiefer ein in das Wesen desjenigen, dessen Lebendigsein uns nicht mehr stört. So lange er lebte, 18beging er die störende Ungeschicklichkeit, ein anderer zu sein an Denken und Empfinden als wir selbst!
Er sah am »Gänsehäufel« ein fremdes junges Mädchen, ganz lang und schlank, goldbraune wehende Haare, lange, schmale Hände und Füße, ein ockergelbes seidenes Trikot an dem mulattenbraunen Leibe.
Er konnte sie nie, nie, nie mehr vergessen.
Er sah in einer japanischen Akrobatentruppe ein fünfjähriges Mäderl, gelber Teint, Stumpfnäschen, schwarze Haare wie eine Perücke. Lebendig gewordenes Kinderspielzeug!
Er konnte sie nie, nie, nie mehr vergessen.
Er las von einer wunderschönen Preisfechterin in Venedig, aus reicher, geachteter Familie, die ohne Grund, neunzehnjährig, sich aus ihrem Zimmer, drei Stockwerke hoch, aufs Pflaster stürzte und starb.
Er konnte sie nie, nie, nie mehr vergessen.
Er hatte neben sich eine, ganz, ganz neben sich, hart neben sich, bei Tag und bei Nacht.
Die konnte er aber vergessen, vergessen, vergessen!
Es gibt zwei Arten von Genies. Die, die eine neue naturgemäße Sache entdecken, und die, die es gläubig erfassen und verwerten. Der Glaube an die Genialität des anderen ist die nächstfolgende Genialität. Glaube an neue Erkenntnisse ist bisher unterschätzt worden. Es ist ein zweiter Grad von Genialität. Die anderen sind Skeptiker, also ungenial. Dann gibt es noch die Mitläufer mit den Schwindlern und Hochstaplern. Das sind die ganz Ungenialen, die einem ebenso Ungenialen wie sie selbst sind, feige Kärrnerdienste leisten. Sie leben von der Hoffnung, man werde sie ernst nehmen, weil sie einem nicht ernst zu Nehmenden ernstlich Gefolgschaft leisten! Aber in Gottes Buche ist alles verzeichnet, und dieser riesigen unerbittlichen Buchführung über Reelles und Unreelles unterliegt schließlich alles! Alles wird aufgedeckt, die reellen und die gefälschten Ziffern, und man sollte eben deshalb schicksalsergeben sein. Entwicklungskonjunkturen ausnützen ist jedoch eine der feigsten Gemeinheiten. Wenn man für die »Frauenseele« zum Beispiel kämpft, muß man zeit seines langen schrecklichen Lebens in jeder Beziehung daran auch elend verblutet sein. Die jungen Gänseriche haben aber noch einfach ihre verfluchte Pflicht und Schuldigkeit, ohne psychologische Mätzchen das Ihrige wie eh und je zu leisten. Der Entdecker leidet, und der Gläubige an ihn leidet. Aber der geschickte Ausnützer von Konjunkturen macht dabei seinen Rebbach.
22Dasselbe findet in der Kunst statt. Gottes Pläne sind niemandem heilig, sondern man erstrebt es einfach, seiner eigenen verfehlten Organisation zum Durchbruche zu verhelfen! Freaks sind noch lange keine Genies, obzwar Genies oft Freaks waren. Sie waren es eben doch nur scheinbar. Denn hinter ihnen thronte Gott und die Natur, wenn auch ein wenig in allzu grotesken Formen. Es gibt Räusche, in denen man Symphonien dichtet; und es gibt Räusche, in denen man sich erbricht. Beides sind Räusche, Ekstasen, übertriebene Zustände. Aber Rausch und Rausch sind nicht gleich; und nicht jeder torkelnde Betrunkene schreibt dann in seinem einsamen Zimmer Schubert-Lieder!
Als der Arzt ihr mitteilte, daß sie vor den dunklen Toren der Tuberkulose stehe, sagte sie: »Na, na, dös tun mer net, mit achtzehn Jahren?!«
Und sie eilte nach Gravosa, und lag auf der Sankt-Martins-Insel mutterseelenallein, mit ihren Proviantvorräten, von sieben morgens bis sieben abends, und breitete splitternackt die Arme aus, um die Heilkraft der Natur zu empfangen.
Sie ließ sich mit Mentholfranzbranntwein täglich zweimal eine halbe Stunde lang einreiben und nahm einen halben Liter Kakao mit sechs eingesprudelten rohen Eidottern. Ferner Bouillons mit eingesprudelten rohen Eidottern und Seefischfilets in großen Mengen.
Als sie gesund wurde, kam der Ehrgeiz und die Lebenslust über sie, und sie fand ein Engagement in einem ganz kleinen Theater. Ihre erste Rolle war die französische Gräfin Laborde-Vallais. Sie wußte durchaus nichts damit anzufangen, aber ein junger Herr schickte ihr in die Garderobe seine Visitenkarte.
Sie hatte sich mutig dem Tode entzogen, und bemerkte nun bald, daß das Leben es nicht wert sei, sich so sehr darum bemüht zu haben. Sie war dieser Gefahr »Tod« entronnen — nun kam diese größere Gefahr »Leben«! Dem konnte man nicht mit Sonnenbädern, Kakao, gesprudelten Eidottern, Mentholfranzbranntwein entrinnen!
Später lernte sie zufällig den Dichter kennen. Sie verstand nicht, worin das bestehe, ein Dichter zu sein. Man schreibt Bücher, und man ist ein Dichter. Aber was stellt es vor, und wozu ist es?!?
24Aber eines Tages sagte er zu ihr: »Wie war es auf der Sankt-Martins-Insel?!? Sie lagen da, gottergeben, und erwarteten von Wiese, Wald und Sonne Ihre Heilung — — —.«
Und jemand sagte zu ihr: »Hören Sie mir schon auf mit Ihrer faden Sankt-Martins-Insel! Jetzt sind wir Gott sei Dank hier!«
Da blickte sie hilfeflehend zu dem Dichter, und sie fand einen hilfsbereiten Blick — — —.
Da wußte sie, was ein Dichter sei und wozu er da sei — — —.
Du kamst aus dem Konzert, erfüllt von Liedern und den Liedertexten, die von Dichtern waren wie Stefan George, Richard Dehmel, Jacobsen, dem verstorbenen Dänen, der Musik in Worten machte.
Du warst schön und prächtig, gelb und gold war dein Gewand, und deine geliebten Augen blickten noch in Fernen, aus denen sie eben kamen. Ein Zwerg, ein Wurm, ein gekrümmtes armseliges Reptil erschien ich dir, ans Irdische dich feig gemahnend, die du aus hehren Fernen kamst, und meiner Liebe allzu gewohnte Seufzer verhallten in den Tönen deiner neuen Musikwelten.
Ich starb dahin vor Eifersucht auf das Konzert, und auf alles, was drum herum und dran hängt an Ablenkungen selbstverständlicher Art einer fanatisch geliebten Seele —. Ich starb dahin.
Du aber blicktest, gelb und goldig war dein romantisches Gewand, in Fernen, aus denen du soeben kamst, gleichsam von einer langen, langen, langen Reise —. Wo warst du, Frau?!?
Da senkte ich den Blick, der zuerst böse starrte, und ich ergab mich in das Schicksal — — —.
Du sagtest schlicht: »Es war sehr schön; man hat sehr viel gelernt; man blickte jedenfalls in Welten, die bisher verschlossen waren —.«
Da saß ich denn da und getraute mich nicht mehr, deine geliebten Hände zu berühren wie eh und je —.
Und du sagtest: »Was haben Sie?!?« Und ich sagte: »Nichts — — —.«
Er hatte zu ihr gesagt: »Nun habe ich dich, über allen Kitsch der Künstler hinaus, den Kunstwerken der Natur und des Lebens selbst allmählich näher gebracht, habe dich mühselig gelehrt, die Romantik des Daseins aus erster Hand zu genießen! Nun gebe ich dir einen allerbesten, spannendsten, aufregendsten, ergreifendsten, lehrreichsten Roman zu lesen: »Der Volkskrieg in Tirol 1809« von Oberleutnant Rudolf Bartsch.«
Und sie las es in einigen Stunden einer schlaflosen Nacht. Alle Menschen darin standen ihr nahe, und sie zitterte um eines jeden Schicksal! Erzherzog Johann, die Offiziere, die Diplomaten, die Bauernführer wurden ihr zu vertrauten Freunden. Sie begann das Getriebe der Welt zu erkennen und Freunde und Feinde in gleicher Weise zu verstehen! Sie sah die Schlachten zwischen Intelligenz und Herz im Menschen, zwischen Vorurteil und Urteil, zwischen Fernsicht und Nahsicht!
Sie gewann eine tiefe, tiefe Liebe zu Peter Mayr und Andreas Hofer, zu den reinsten der Reinen, den eigentlichen Idealisten in dem Buche.
Sie weinte bitterlich und stundenlang über ihre edle Art. Sie schrieb sich folgende Stelle auf ein Pergamentblatt heraus und ließ es einrahmen unter dem Titel: »So sind alle, die für die Kommenden von Wert sind!«
Diese Stelle lautete: Der geniale Hormayr verscherzte sich das Zutrauen vieler, namentlich der Bauern. Als er nach dem Bankrott der österreichischen 27Invasion aus dem Lande floh, schob so recht das ganze Volk von Tirol den gegen Hormayr einfältigen, aber sittenreinen Sandwirt an die höchste Stelle — ohne dessen Zutun.
Schob: dieses Wort bezeichnet viel in Hofers Wesen und Laufbahn! Der bedächtige Sandwirt war keine aggressive, ideenwälzende Natur wie Haspinger, kein genial tollkühner Unfried wie Speckbacher. Viele seiner Führer hatten weit größere Begabung als der bloß mit einem schlichten, gesunden Hausverstand ohne weiten Blick ausgerüstete Hofer. Gedrängt, unwiderstehlich gedrängt wurde Hofer zu allem, was er tat. Eine äußere, aber geheime Macht, deren Walten er wohl ahnte, der er nie zu widerstehen suchte und die er verehrte, trieb ihn: der Volksgeist von Tirol!
Diese Macht erhob ihn hoch — er blieb demütig und schlicht; diese Macht entriß ihm all seine Entschlüsse. Durch sie gedrängt, siegte er bei Sterzing, am Isel und bei Leonhard. Durch sie gehalten, vermochte er nicht zu fliehen, als die Besten des Landes das sinkende Schiff verließen — und geschoben, ja ganz verwirrt von dem Einfluß der Verzweifeltsten des ganzen Landes, brach er im Spätherbst 1809 zum erstenmal in seinem Leben das Wort, verleugnete seine Unterwerfung, erhob von neuem den Ruf zum Aufruhr, und erst als sein Körperliches gefangen und dem Tode geweiht war, da befreite sich seine Seele, eine tiefe Erkenntnis seines ganzen Lebenslaufes durchzuckte ihn, und da wuchs er ins Übermenschliche. Dieser weichherzige Mann, der so leicht die gutmütigen Augen voll Wasser bekam, 28nahm trockenen Auges Abschied von einer Welt, die sich schlechter erwiesen hatte als er.
Daß man Hofer so oft verkannt und in ihm den Führer und Kommandanten des Aufstandes gesehen hatte! Er war weniger und doch mehr. Er war seinem Volke, was dem Soldaten seine Fahne ist: Das Panier von Tirol!
Selbst unbeweglich, aber von den Kühnsten und Besten getragen, allen voran. Unbefleckt, rein, verehrenswürdig, ja wahrhaft geheiligt! Von der Religion geweiht, vom Paten Johann mit einem Wahlspruch belebt, vom Kaiser ausgezeichnet und geschmückt. In der höchsten Not entfaltet, als alle Kommandanten versagten, siegt diese menschliche vorausgetragene Fahne Andreas Hofer, dann sinkt sie — — und mit ihr das Land Tirol. Er war eben der einfache, Mensch gewordene Idealismus, der embryonal in tausend Herzen, in tausend Gehirnen, in tausend Willenskräften verborgen lag!
Die edle Leserin machte die Hinrichtung Andreas Hofers mit, aber sie konnte nicht, wie er von sich selbst es sagte, sagen: »So leicht kommt mir sein Sterben an, daß mir die Augen davon nicht naß werden — — —.«
Sie aß wenig, sie sprach wenig durch viele Tage. Nur dem Freunde, der ihr diesen »Roman des wirklichen Lebens« anempfohlen hatte, blickte sie dankbarst in die Augen. Da sagte er denn zu ihr: »Dieser Oberleutnant Rudolf Bartsch ist vielleicht ein größerer Dichter als viele protokollierte Firmen dieser Branche. Denn er hat die in den Archiven des Lebens begrabene Poesie und Romantik 29der Menschheit zu lebendigem wirkendem Leben gebracht durch sein einfaches tiefes Buch!« Und die Dame reihte es ein in ihrer kleinen Bibliothek neben ihre Götter: Hamsun, Strindberg, Maeterlinck, Ibsen, diese Vermehrer des Bestandes der allgemeinen menschlichen Seele!
Ein fünfzehnjähriges wunderschönes Stubenmädchen stahl ihrer Herrin zwanzig Kronen.
Die Herrin schickte zur Polizei und machte die Anzeige von dem Diebstahl. Da nahm die Fünfzehnjährige, die ihrer Mutter zum Namenstag ein Geschenk hatte machen wollen, eine Flasche mit Spiritus, trank die Hälfte aus, übergoß ihre Kleider mit der anderen Hälfte, zündete sie an. Nach elf qualvollen Stunden verstarb sie im Wasserbett.
Einfache künftige Polizeivorschrift:
Anzeigen gegen Untergebene unter zwanzig Jahren wegen Diebstahls unter 100 Kronen werden zwar angenommen, aber sobald es sich um einen ersten Fall handelt, in den Papierkorb geworfen!
Man vertröste die anzeigende »Canaille«, daß sich der Fall leider »verzögert« habe — — —.
Liebes Fräulein Marion Kaulitz, ich habe gestern in der Wiener Werkstätte, erster Bezirk, Graben 15, die Puppenausstellung besichtigt. Ich war ganz gerührt. Wie schrecklich sind doch diese Puppengespenster gewesen aus der Kindheit unsrer geliebten Schwestern und Cousinen! Wie starrten sie uns blöde herzlos an, erwiderten alle Liebe und Sorge mit einem nichtssagenden kretinartigen Grinsen, das unsre kleinen Herzen hätte lieblos machen müssen, wenn wir damals nicht so viel an selbstloser Liebe aufgespeichert hätten zu adeliger Verschwendung!
Aber nun schufen Sie, Fräulein, Puppen, die wie edle, zarte Menschenkinder blicken, träumerisch lächelnde, und solche, die sich anschicken zu weinen und es dennoch unterdrücken! Kleine, zarte Kindchen schufen Sie, nicht Puppen!
»Das Beste ist für unsre Kinder gerade noch gut genug«, sei der Wahlspruch von verständnisvollen Eltern. Eine meiner kleinen zartfühlenden Freundinnen, zwölfjährig, hat am Lande im Garten einen Zentralkäfig aus spinnwebdünnem Stacheldraht. Innerhalb ein kleiner ovaler Teich von Quellwasser, und blühende kleine Gesträuche. Dieser Käfig ist bewohnt von siebzig herrlichen Vogelarten. Hier genießt sie die Märchen der mysteriösen Natur aus allererster Hand, hat einen kleinen bequemen Fauteuil davor gerückt, sitzt stundenlang, beglückt und entrückt — — —.
Geradeso könnte man mit Ihren Püppchen sitzen, stundenlang, Fräulein Marion Kaulitz! Ich denke mir 32kinderlose zarte Damen, die dieselben sanft an ihr Herz drückten. Im Schlafzimmer sollten sie in Sofaecken kauern, wie kleine zarte Lebewesen! Es gibt einige darunter, die man direkt lieb gewinnt. Ich kann es mir vorstellen, daß eine alte Jungfer solche fünfzig ankaufte und so in ihrem Zimmer eine Welt erblühen ließe, die ihr im realen Leben versagt geblieben ist. Eine Welt von Poesie und ohne die Enttäuschungen. Eine ist darunter, dreißig Kronen, von der man es sich vorstellen muß, daß sie unbedingt eine weltentrückte Dichterin werden würde. Ich sagte zu der wunderbar schönen bleichen Verkäuferin mit den aschblonden Haaren und der sanftmütigen Stimme: »Melden Sie es mir seinerzeit, welche Dame diese scheinbar unscheinbare Puppe erstanden habe! Es wird jedenfalls eine ›innerlich Adelige‹ sein — — —.« Die bleiche Verkäuferin errötete und sagte: »Ein fremder Herr hat sie heute bereits von selbst für mich erstanden — — —.«
»Sechs riesenstarke Männer und eine Sechzehnjährige, wunderbaren verklärten Antlitzes, und gewachsen wie ein edler Knabe. Man warf sie wie einen Gummiball, fing sie nach zahllosen Umdrehungen auf herkulischen Schultern geschickt auf. Dennoch zitterte man jedesmal für ihre edelzarten, unbeschreiblich rührenden, gebrechlichen Glieder. Sie blickte ekstatisch, ließ sich in die Luft wirbeln und auffangen und hätte, zufällig auf den Boden geschleudert und ermordet, zerbrochen, zerquetscht, keinen Laut von sich gegeben! Ekstatisch blickend wäre sie gestorben. Da dachte ein Graf: »Ich werde sie ihren Peinigern entziehen und ihrem Selbstmorde. Ich werde sie schützen, pflegen und behüten!« Aber das wunderbar verklärte Antlitz hätte sie dann sogleich verloren, und den edlen süßen Heldenblick wie in einer Schlacht, in der man gern vor dem Tode steht! Denn »leben ohne Ehre« ist da überflüssig geworden! O, Fräulein, gedenken Sie eines armseligen Zeitungsreferenten, der es nicht drucken lassen darf, daß er vor Ihnen hätte hinknien mögen! Sondern er mußte schreiben: »Einen wirklichen Rekord in der Parterreakrobatik bot die jugendliche Tochter des Truppendirektors. Eine Vereinigung von Kraft und Anmut — — —. Stürmischer Beifall belohnte aber auch ihre Leistung!« O, Menschheit, pfui über dich, die du noch immer die »spanische Stiergefechtsseele« hast, ohne Erbarmen und ohne Liebe, pfui! Fräulein M., Ihre edelzarten Glieder sind mehr wert als das begeisterte Gejohle einer herzlosen 34Menge. Gott beschütze Sie, Allerzarteste, in Ihrem gefahrvollen Berufe! Möge dennoch ein Graf Sie zuletzt erretten!«
»Sie luden ihn ein auf ihre Besitzung. Er könne dort tun und lassen, was er wolle, niemand würde Ansprüche an ihn stellen. Er habe seine Freiheit garantiert. Er kam nicht. Er hatte zu tiefe Achtung vor dem Fernverkehr zwischen Menschen, die sich wenigstens teilweise verstehen, zu viel Verachtung für den Nahverkehr, der unter allen Umständen Abgründe öffnet, in denen die Seelen zerschellen. Welche Freiheit konnte man ihm garantieren, nachdem er als Gast von selbst infolge seiner inneren Kultur unwillkürlich den Gastgeber ununterbrochen berücksichtigt hätte? Die großen Abgründe sind leicht mit Freundschaft zu überbrücken, unüberbrückbar sind die allerkleinsten; was ist es, wenn der fanatisch geliebte Hund des Gastgebers dem Gaste als ein verwöhntes, ekelhaftes Beest erscheint? Genügt das nicht, alle Werte umzuwerten und Verzweiflung in den Nerven zu erzeugen, wo früher edler Friede war? Ich will von Speisen und Getränken gar nicht reden, von Tageseinteilungen. Der Gast wird zum »hysterisch-empfindsamsten« Menschen, weil er eben der »Gast« ist, der Gastgeber ebenfalls, weil er eben der »Gastgeber« ist! Es entsteht eine Beziehung von Verantwortlichkeit für das Glück des anderen. Man bemüht sich, ein anständiges aber ungeschicktes Kompromiß zu schließen zwischen zwei Nervensystemen. Nun gibt es aber auch noch tragischere Verwicklungen. Zum Beispiel »Lieblingsspaziergänge«, oder »Lieblingsplätze im Garten«, ja sogar »Lieblingsbäume und -blumen«. »Gekränkt 36sein« ist eine von unserem guten, ja von unserem besten Willen unabhängige Emotion der Seele. Wodurch könnte man es besiegen!? Durch Entfernung! Napoleon kann bei seinem Kammerdiener zu Gaste sein, aber nicht bei einem Napoleon! Außerdem kann man sich auch noch zu allem anderen vielleicht in das Stubenmädchen der Hausfrau verlieben. »Distanzen lassen« in jeglichem Verkehr ist die »Genialität der Bescheidenen«, »Distanzen nicht einhalten« ist die »Stupidität der Größenwahnsinnigen«! Es gibt daher für einen »bescheidenen« Gast eine einzige Form der Einladung an ihn: »Liebster Freund, wir reisen heute abends ab, unsere Villa steht Ihnen daher zur Verfügung. Die Köchin wird kochen, was Sie anbefehlen; außerdem bekommen Sie Tagesdiäten von zehn Kronen. Gedenken Sie unser in Liebe!«
Ich möchte ein einziges Mal im Leben ein Liebespaar, ein junges Ehepaar antreffen, bei dem der Mann nicht in überquellender sorgsamer Zärtlichkeit das Zigarettenrauchen der Geliebten bespräche! »Anna, du weißt, dein Pensum ist bereits überschritten, ich habe drei Zigaretten täglich gestattet, eine nach dem Frühstück, eine nach dem Mittagessen, eine nach dem Nachtmahl. Ich glaube, ich bin jedenfalls ein nachsichtiger Gatte — — —.« Nein, das bist du nicht, du Hund! Gerade hierin also willst du ihr helfen, hast nicht die geringste Ahnung, du Esel, wieviel Narkotika sie braucht, um deine Langweiligkeiten zu ertragen, oder sich zu betäuben einmal auf anständige Art! Keine Frau raucht mehr Zigaretten, als sie unbedingt braucht, denn in der Kontrolle ihrer Genußfähigkeiten sind die Frauen begabter als die Männer, da sie den Gesetzen der unbewußten Natur näher stehen, sie daher besser erlauschen! Ich hasse die Männer, die ihre hypokrite zärtliche Fürsorge gleichsam auf das scheinbar übertriebene Zigarettenrauchen ihrer geliebten Frauen konzentrieren. Sie haben überhaupt nicht die geringste Ahnung von der minutiösen Hygiene des Frauenleibes, der Frauenseele! Aber vor der unschuldig-betäubenden, ja oft erlösenden Zigarette wollen sie sie zärtlichst behüten! Der Anfang aller Ungezogenheiten einer Frau, die sich dann allmählich und unscheinbar entwickeln, ist, ihr ihre unschuldigen Freuden zu mißgönnen!
Wie alt du wirst, Peter — —. Läßt dich deinen Idealen nicht mal mehr vorstellen?!
Ich sah zwei Schwestern, sechzehn und fünfzehn, mit braunem Teint und dunklen Haaren, stumpfnasig, edelhändig, edelfüßig.
Wie von den Inseln Ceylon, Sumatra, waren sie.
Die Sonne brannte auf den grauen mehligen Donausand des Strombades »Gänsehäufel«.
Ein buntes Treiben; und ich sah nur euch!
Wie flügge Vögelchen im Neste, sah ich euch, von eurem Vater zart behütet — —.
Finger, Zehen, zart zum Abbrechen.
Und eure Augen schienen noch nie ängstlich geblickt zu haben — — —.
Ein buntes Treiben auf dem Strand, im Wasser!
Familienglück mit plätschernden Babys, und Paare, denen man es ansah: »Ihr gehört zusammen!«
Von Weidenbüschen kamen Duft und Kühle — —.
Und als die beiden braunen Schwestern ihre weißen Strandkörbe verließen, um zu baden, hätte ich mich gern als Leibwache hinpostiert und zu jedem gesagt: »Die Körbe sind besetzt, ich hüte meiner geliebten Herrschaft ihre Ruheplätze — — —!«
Nun ist es wieder Herbst geworden, und die Grabenkioske füllen sich zur Abendzeit mit wohlgepflegten und gebräunten Damen.
Man hätte so viel zu erzählen, und man schweigt!
Man ist wieder in diesem Gefängnis »Großstadt«.
Man träumt von Licht und Luft und Wasser.
Man war ein anderer, besser, menschlicher.
Nun geht man seinen Trab wie eh und je.
Man fühlt sich altern, schwerfällig werden, klammert sich an dieses unglückselige Wort: »Verpflichtungen«!
Die Wohnung will nicht in Ordnung kommen, und die Dienstboten kündigen.
»Die gnädige Frau war am Land viel netter zu uns — — —.«
Ja, das war sie.
Die Kellner in den Kiosken begrüßen alle Gäste wie Weltreisende, die vielfache Gefahren überstanden haben — — —.
Nun nehmen sie Soda-Himbeer im sicheren Port!
Die Deklassierten, die nicht fort waren, mischen sich in die Menge der Zurückgekehrten, als ob nichts vorgefallen wäre — — —.
Ja, sie haben sogar die naive Frechheit, zu behaupten, Wien wäre am angenehmsten, wenn alles »auf den Ländern« weile — — —.
Damen, mit den veredelten gebräunten Antlitzen, lasset euch nicht betrügen von dem Prunk der Großstadt! Erschauet in den Spiegeln eurer Gemächer einen Zug auf eurem Antlitz, den Licht 40und Luft und Wasser und Freiheit modelliert haben, und der nicht da war ehedem, und der verschwinden wird im Wintertrubel!
Komödie hier, Komödie dort vielleicht — — —.
Doch unter freiem Himmel ist das Theater schöner!
Ich lag wieder einmal im Sterben. Einer sandte mir daher Kalbsfußgelee in Glasdose, statt mir seine junge, schöne Geliebte zu senden, die mich unbedingt eher hätte erretten können als Kalbshaxen! Das Kalbsfußgelee hatte einen geheimnisvollen, uneröffenbaren Verschluß. Daher war es auch ganz gleichgültig, daß es vor dem Eröffnen zwei Stunden lang in Eis liegen sollte. Einer kam sehr teilnahmsvoll und besprach es mit mir ziemlich eingehend, ob er seiner Mitzi den Laufpaß geben solle oder nicht, nachdem doch, wie ich wisse —. Wir berieten hin und her, und er meinte schließlich, er sehe, ich sei nicht ganz bei der Sache. Zum Schlusse sagte er: »Hast du große Schmerzen?! Merkwürdig, daß diese Anfälle in letzter Zeit so häufig wiederkommen. Vielleicht sieht man dich übrigens morgen im Gasthaus. Da können wir es weiter besprechen.« Eine Dame kam, und ich teilte ihr mit, daß sie die schönsten Ohren, Hände von der Welt habe. Sie meinte, ich bliebe noch in der Sterbestunde ein Dichter, ein wirklicher Künstler. Einer kam und legte seine Zigarettenasche auf mein Nachtkästchen aus Bambus, neben die große, tiefe Aschenschale. Einer trug mir ein Buch weg, unter dem Vorwande, ich könne in meinem jetzigen Zustande ohnedies nicht die Sammlung finden, es zu lesen. Einer sagte mir, man dürfe sich nicht so sehr nachgeben, sondern müsse die Krankheit durch Energie überwinden. Gott, wo käme er selbst hin, wenn er sich immer gleich ins Bett legen wollte und sich pflegte!? Eine junge 42Dame schrieb: »Verehrter Meister, ich höre, daß Sie schwerkrank sind. Darf ich um ein Autogramm bitten?!« Als ich wieder genesen war, sagte man zu mir: »Nun, Peter, du ewig Unzufriedener, hast du es nicht jetzt wieder einmal erlebt, von wieviel Sympathie und echter Freundschaft du in schweren Zeiten dennoch umgeben bist?!« Ich blickte gerührt vor mich hin — das heißt, ich dachte: Verbrecher und Schafsköpfe!
Ich hasse die Frauen nicht nur wegen der falschen Krawatten, die sie anhaben, wegen der falschen Schirmgriffe, der falschen Hüte, der falschen Manschettenknöpfe und so weiter — ich hasse sie in neuerer Zeit wegen der »Pflanzhunde«, die sie sich mit teuerm Gelde zulegen, um eine Art von verlogener Tierromantik mit ihnen aufzuführen.
Meine wunderbar schöne Schwester fand in ihrem fünfzehnten Lebensjahre ein schreckliches verhungertes Tier auf der Bergstraße nach Kaiserbrunn, direkt ein Scheusal. Aber sie betreute es fanatisch; und als sie es eines Sommermorgens im Bottich des kleinen duftenden Gemüsegartens ertränkt fand, legte sie sich ins Bett und verweigerte acht Tage lang die Nahrung.
Heutzutage aber kaufen sie sich für schwere Tausende prämierte Russische Windhunde, Springer erster Klasse, die zwar unerhört hohe Barrieren überspringen, aber nicht einmal den Seelengeruch aufbringen, die Wohnung ihrer scheinbar geliebten Herrin allein wieder aufzufinden!
Herzlose Idioten von äußerlich schönen Tieren favorisieren sie, schändliche Masken von Idealen, einen Abglanz ihrer eigenen leeren Persönlichkeiten, drapiert mit modernen Gewandungen! Wie sie selbst!
Seinerzeit war der getreueste Freund des Menschen favorisiert, der aufopferungsfähige weiße oder schwarze Pudel.
Heute aber liebt man den infam perfid treulosen Dackel, den grotesken Clown Foxterrier, und den 44stupiden herzlosen und gleichgültigen Russischen Windhund.
Heute geht man auf Farbe und Form. Aber das melancholisch-treuherzige Auge ist euch gleichgültig geworden! Es wird sich natürlich an euch rächen! Auch die »Ästhetik« kann nur aus den mysteriösen Tiefen des Herzens kommen; sonst ist es eine Blüte, die an ihrer eigenen schamlosen Kälte verkommt, verdorrt! Nur das Herz hat ewig belebende tropische Wärme. Schönheit allein mordet!
In deinen Augen lese ich dein Leben — — — mehr brauch ich nicht zu wissen, es ist alles. Und deine Stimme ersetzt mir die Musik der Welt! Deine Hände zu schauen, macht dankbar gegen das Schicksal — — und sie berühren, macht mich tief erschauern! Wie eine geknickte Blume prangst du in der Welt, die trotzig starrt von harten Pflanzen! Nur du erzeugst mir Sehnsucht, Gottes edle Qual! Die anderen genießt man, wenn sie da sind, und die Entfernung legt sie zu den Toten! Von dir aus strömt des Dichters Leid und Not, an diesem Stoffe brennen seine Flammen! Wenn du von Lieblingsliedern sprichst, hör ich sie tönen; Wenn du von Lieblingsbüchern sprichst, so hab ich sie gelesen! Wenn du von schönen Frauen sprichst, so seh ich sie, wenn du von Männern sprichst, so sterb ich vor Verzweiflung!
Und die Welt erdunkelt mir — — —. Der Bann, der Bann, Bannsegen ohne Fluch! So bannst du mich! Du bist verstört, von tausend geheimnisvollen Kräften hin und her getrieben, die aber mir zu Tau und Sonne werden, indem ich sie gerührt betrachte und begreife, wie eine Mutter ihres geliebten Kindes Rätsel — — —. Entfern dich nicht! Denn wenn du mich verläßt, erlischt für Dich dein eigener Zauber — — und eine Welt ersteht, die dich brutal genießen will!
Helga, mein Leitstern, bist du mir erloschen?!?
Leuchtest du mir nicht mehr in meinen Dunkelheiten?! Willst du meinen Verdüsterungen nicht mehr Klärung bringen?! Die Nebel zerstreuen, die sich über meiner Seele lagern, wie die Sonnenkraft auf Bergesgipfeln beim Nebelreißen?!? Wie ein Kindchen strecke ich die Arme nach dir aus. Hilf mir! Du gabst mir Kraft, du gabst mir Frieden! Sei ewig bedankt — — —! Nun kommen die Liebelosen und rauben mir alles! Düstere Nebel umwölken mein ehemals klares Gehirn — — —. Sei wieder die Sonne, die Klarheit bringt und Licht und Wärme! Hilf mir, Helga — — —! Alle andern Frauen nehmen und plündern, die Seele, den Leib, die Kraft des Gehirnes — — —! Du allein spendest und spendest und spendest! Kaum bist du fort, umdüstert sich alles — — —. Die bösen Geister nehmen mich in Besitz — — — Guter Geist, Helga, ich entbehre dich, wie ein krankes Kind seine Baba — — —. Gütige Kinderfrau, Helga, ich gebe dir diesen Ehrentitel, Statt dieses schnöden, inhaltslosen Titels: Geliebte!
»Hier Peter Altenberg — — —.«
— »Oh, Peter, guten Abend. Denken Sie, ich kann heute abend nicht an Ihren lieben Stammtisch im ›Löwenbräu‹ kommen. Ich habe mir erst vor einer Stunde die Haare gewaschen und sie brauchen mindestens drei Stunden, um zu trocknen.«
»Schluß«, rief er und läutete rasend ab. —
Das war eine Art von Genugtuung. — Aber sehr bald darauf überkam ihn eine trübe Stimmung und er dachte: »Was, oh Fraue, was wirst du mir also noch alles antun, nachdem du dir nicht einmal rechtzeitig die Haare waschen konntest — — —.«
Eine der schrecklichsten Verlogenheiten des kleinen Lebens ist es, daß so viele in liebenswürdig-korrekter Art fragen: »Ist es gestattet, an Ihrem Tische Platz zu nehmen? Stört man nicht!?«
Welche verlogene Gemeinheit, eine solche perfid-jesuitische Frage zu stellen, nachdem man es doch sicher weiß, daß niemand daraufhin den Mut hat, zu antworten: »Nein!«
Möge doch jeder in seiner Vereinsamung bleiben, bis man ihn »liebevoll« ruft! Wie viele Feindselige drängen sich scheinbar freundschaftlichst heran, weil man mit einer Dame sitzt, auf die sie »fliegen!« Eine horrende feige Gemeinheit. Schändliche Wölfe im Schafspelze. Wenn sie ihre Beute »gerissen« haben, verschwinden sie! Niemand weiß, edle Distanz zu halten, weder im Gespräch, noch in Handlungen. Eine falsche, feige Gutmütigkeit beherrscht alles, vom liebenswürdigen, scheinbar erfreuten Lächeln der Begrüßung an, bis in die ernsteren Komplikationen hinein, wo die Maske fällt! »Wie geht es Ihnen?!« Jeder denkt dabei: Hoffentlich schlecht! Das Herz traut sich nirgends hervor; es keucht, erstickt unter Lügebergen! Niemand kann »er selbst sein«, schaut sich daher ängstlich um, nach dem Sukkurs der andern!
Heldentum: »Ist es erlaubt, an Ihrem Tische Platz zu nehmen?!«
»Nein!«
Dann geht der feige, geprügelte Hund aber hin und rächt sich!
Früher hat es naturgemäß Religionsstifter gegeben für die Seelen. Der Körper war urkräftig, und die Seelen waren schwächlich. Da bedurfte es der Ärzte für die Seelen. Nun aber ist es umgekehrt: die Seelen sind erstarkt, und die Körper sind schwächlich geworden. Da bedarf es der Religionsstifter für die Körper!
Keuschheit zum Beispiel war früher eine »psychologische« Forderung, heute wird es zu einer »physiologischen«! Einfachheit der Lebensweise war früher eine »psychologische Forderung«, heute ist es eine »physiologische« geworden!
Früher beschenkte man Arme aus »psychologischen« Gründen. Heute könnte man fast bereits sagen: »Ich gab einem Armen 50 Heller, denn ich fühlte es, daß mir mein Nachtmahl dann besser munden würde und ich es leichter verdauen könnte —.«
»Seelische Angelegenheiten« beginnen zugleich »physiologisch« aufgefaßt zu werden, also eine organische Verbindung von Selbstlosigkeit und Ichismus. Je mehr ich meinen Körper entwickle und schone, desto mehr kann ich seelisch für andere leisten! Ich bin von mir befreit! Für andere! Liebenswürdigkeit, Menschenfreundlichkeit ist Sache des Verdauungsapparats.
Mörder müssen Blähungen haben. Man kann nämlich auch unscheinbar morden; es muß nicht immer Messer und Kugel sein. Auch Worte können morden und jegliche Ungezogenheit! Frauen müßten daher besonders vorsichtig sein in bezug auf ihren 50gesamten Verdauungsapparat. Sie können leicht »seelisch morden«, wenn sie unverdauliches Zeug essen, das sie belästigt und beschwert. Ich will von einer der wichtigsten Sphären im »physiologischen Organismus« gar nichts auch nur andeuten, in der man entweder zum »Übermenschen« oder zum »Mandrill« wird! Aber der kommende Religionsstifter wird die Verbrechen, die »Höllen«, ausschließlich in der »physiologischen« Sphäre erkennen, wenn auch der »Alkoholgenuß« nur selbstverständlich den Prügelknaben vorstellt, der blöderweise für alle anderen Sünden herhalten soll! »Falscher Ehrgeiz« zum Beispiel ist ein »physiologischer« Mörder in uns, ein Krebs der Seele, eigentlich aber des Leibes! Die Würmer werden mich fressen, früher aber muß ich noch Baron werden! Sie sollen einen Baron also annagen! Man verlästert immer die Dekadenz. Aber wann werden die Menschen endlich nicht mehr essen, als sie benötigen, nicht mehr trinken, als sie benötigen?!? Bis sie es nicht mehr vertragen vor Schwäche! Dadurch aber werden sie dann allmählich wieder ganz stark werden!
Das ist der Werdegang! Zuerst völlern, auf seine überschüssigen Kräfte hin! Dann sparsam leben, wegen seiner unterschüssigen Lebenskräfte. Und dann infolgedessen gesunden, reich werden und es bleiben! Dekadenz ist der organische Übergang zur Aszendenz! Zuerst vergeuden die Menschen ihre Kräfte, weil sie zu viel davon haben. Dann sparen sie damit, weil sie zu wenig haben. Und schließlich haben 51sie wieder angesammelt und sparen wegen schlimmer Erfahrungen! Es gibt keinen anderen Weg!
Es wäre denn, daß ein »physiologischer« Religionsstifter die persönliche Macht ausübte, daß die Verschwender an Lebenskräften zu sparen begännen, ehe es unbedingt notwendig wäre! Dann könnte er »gottähnliche Menschen« züchten auf Erden! »Erkenntnisse aus Not« sind eigentlich dennoch lächerlich, sie haben keine »Verführungskraft«. »Erkenntnisse« aus »Erkenntnis« allein haben Triebkraft. Sie zeitigen Blüten und Früchte am Baume der Erkenntnis! Der ganze mögliche Fortschritt also: Erkenntnisse haben und sie durchsetzen, ohne »physiologisch« dazu bereits genötigt zu sein! Zum Beispiel also, Krankenkost essen, ohne es nötig zu haben, keusch leben, ohne es nötig zu haben, zehn Stunden schlafen, ohne es nötig zu haben! Mit diesem gewonnenen Überschuß an Lebenskräften es versuchen, ein »höherer, besserer Mensch« zu werden!
Die fünfjährige Marie Ch. mußte um 6 Uhr morgens, bei 10 Grad Kälte, nur mit einem Hemd bekleidet, den Fußboden des Vorhauses reiben. Ein Adeliger, ein Geschäftsmann wollte ich sagen, der zufällig in das Haus trat, machte die polizeiliche Anzeige. Alle ärmlichen Bewohner des weiten alten Hauses atmeten auf. Sie selbst hätten sich vor der Furie von Mutter nicht getraut, es zu tun.
Der Richter zu der Mutter: »— — — und was ist es mit den blutigen Striemen auf dem Leibe dieses schwächlichen todbleichen Geschöpfes?!«
»Dös Menscherl hat eh zu viel Blut — — —.«
Der Richter war empört und verurteilte sie zu 8 Tagen. Nach diesen acht Tagen wird sie also jedenfalls das »vollblütige Menscherl« nicht mehr den Boden des Vorhauses reiben lassen, da dort »Adelige« vorbeigehen und die Anzeige machen könnten. Im trauten Gemache, einen Knebel im Munde, gibt es verschwiegenere Martern für irgend etwas. Nun hat aber höchstwahrscheinlich diese »Mutter« eine Entschuldigung. Denn sie nahm das Mäderl von Bauersleuten weg am Lande, die es zwar sehr fürsorglich behandelten, aber immerhin 6 bis 10 Kronen monatlich erhielten. Grund genug, ein Kind als »unerträgliche Last« zu empfinden für durch Armut in einem ununterbrochenen Zustande von »reizbarer Schwäche« befindliche Nervensysteme. Grauen befällt den Allweisen erst in dem gar nicht seltenen Falle, wo Pflegeeltern ein abgöttisch geliebtes, edel gehegtes Kindchen ohne einen Kreuzer 53Entschädigung à tout prix behalten wollen, und die »Eltern« es nicht gestatten, sondern es nach Hause nehmen, um es der gerechten Strafe, geboren worden zu sein, unter unermeßlichen Qualen zu unterziehen, bis der Frevel seiner Geburt mit dem Tode gesühnt ist!
Richter: »Ihr Kind hat es doch dort so gut gehabt, und Sie selbst haben in zwei engen Stuben acht Kinder zu ernähren?!«
»Wo acht hungern, kann das neunte auch mithungern, soll sie’s besser haben als mir, warum?!«
Richter: »Der Bauer, der Ziehvater, hat erklärt, er setze es zur Erbin ein — — —.«
»Nix, dös Kind g’hört zu seine Eltern, zu seine Geschwister — — —.«
Das Kind wurde später zu Tode gemartert.
Ich stelle einen einfachen logischen Gesetzesantrag: »Kinder, die nachweislich es bei Zieheltern, die keinerlei Entschädigung dafür verlangen, gut haben, dürfen den Eltern, falls sie in bedrängten Verhältnissen leben, unter keiner Bedingung wieder ausgefolgt werden!«
Ich habe mit Begeisterung diese Hefte angesehen, gelesen. Es ist endlich die Natur »aus erster Hand«, unverfälscht durch den Künstler, der sich seit Jahrhunderten verbrecherischerweise zwischen Gott und die Urromantik des Seins drängt, ein zwar notwendiger, aber für unsereinen überflüssiger Vermittler und Erklärer der Schätze des Daseins! Wir sind selbst »Künstlermenschen« geworden!
Dieser »Hochzeitstag« z. B. der Eber im dunklen alten Forste; ja, weshalb hat bis heute keiner von den protokollierten »Landschaftern« so etwas gemalt?!? Diese schwarzen Ungetüme, in Liebe aufgelöst, einer auf den anderen getürmt; die anderen schauen dumm zu, und der Forst ist voll riesiger schwarzer Stämme. Solche Dinge bringt heutzutage die »Kamera« fertig und beschämt den Maler, der den Eber »mit seinem Auge«, also falsch sieht! Der Japaner allein bemühte sich, der Natur mit unsäglichem Fleiße nahezukommen, beizukommen. Aber bei uns steht immer der Größenwahn des »Menschen« der einfachen schönen Wahrheit heimtückisch hinderlich im Wege! Der Maler bringt überall »seine Seele« hinein, für diejenigen, die nicht einmal »ihre eigene dumme Seele« besitzen! Aber Gottes Seele, die aus jeglichem ausstrahlt, muß endlich ohne Vermittlung dieses Hofmeisters »Künstler« erfaßt werden können! Wer eine Frau erst als wertvoll, als mysteriös, als Verhängnis empfinden, sehen, erfassen könnte, bis der geniale Maler ihre Werte gemalt, der Dichter ihre Werte besungen hätte, dem, dem 55wird sie ihr Leben lang nur ein »unenträtselbares Sexualtierchen« bleiben! Der Künstler ist ein Lehrer und Vermittler, und solange man seiner bedarf und er als wertvoll erscheint, ist man nur ein »Schüler des Lebens«, ein nicht schauen und hören Könnender, in Gottes All hinein, ein Menschlein, fern dem Herzen und Gehirne, das in der Natur überall geheimnisvoll verborgen liegt, auf daß erst der zum wirklichen Leben »Ausgereifte« es genießen dürfe auf seinem Weg zum Heile, zur Gottähnlichkeit! Den anderen ist es wohlweislich verschlossen, und man schickt diese »Babies« in die »Lebensschule« zum Herrn Lehrer »Künstler«, der ihnen primitiverweise die Anfangsgründe beibringen soll, mit leichtfaßlichen Beispielen, »Kunstwerke« genannt!
Wir aber entnehmen diesen mit der einfachen »Kamera« aufgenommenen »Lebensbildern aus der Tierwelt«, R. Voigtländers Verlag, Leipzig, und diesen Texten, die nur klar und einfach berichten von den Ereignissen des Tierlebens bei Tag und Nacht und zu jeder Stunde, und von den »Homerischen Kämpfen« unter Grashalmen und Gebüschen verborgen, wir entnehmen ihnen alle Poesien, alle Romantik, alle Tragödien, alle Rätsel, die es hienieden gibt! Unsere Lehrer sind Gott und Natur!
Man müßte eigentlich einer geliebten Frau diese in Lieferungen erscheinenden, »Lebensbilder aus der Tierwelt«, R. Voigtländers Verlag, Leipzig, als Geschenk senden. Denn es ist ein absoluter Prüfstein für ihre »inneren Werte«; wie sie darauf nämlich reagierte!?
Nun, ich habe das mit einer unbeschreiblich verehrten Dame getan.
56Sie schrieb mir zurück: »Lieber Freund, sein’s mir nicht bös, aber dös interessiert mich leider gar nicht ...«
Nun, hat es meine Anhänglichkeit an sie aber zum Schwinden gebracht?!? Keine Spur!
Ich weiß es nicht, wie lange Sie noch in Wien und hier im »Casino de Paris« bleiben werden, und eines Tages können Sie fort sein, fort auf Nimmerwiedersehen, irgendwohin in die lustige oder traurige Welt der Künstler, der Artisten, tausend und tausend merkwürdigen Schicksalen und Begebenheiten ausgesetzt!
Mögen Sie es daher wissen, daß ein alter armer glatzköpfiger uneleganter Dichter Ihnen nachweinen wird und Ihre herrliche liebliche wundervolle Persönlichkeit gleichsam im Innern seiner Augen aufbewahren wird, lange lange lange Zeit — — —.
Man vergleicht oft junge Mädchen mit schlanken Rehen im Walde; aber niemals, niemals hat ein Vergleich so sehr gestimmt! Sie sind das schlanke rührende edelbeinige Reh, nicht ahnend, woher der Schuß eines grausamen Jägers kommen wird im Waldesfrieden — — —.
Ihre lieben lieben, beim Lächeln zusammengezwickten Augen, werde ich nie nie vergessen, nie Ihre blondbraunen Haare, Ihre aristokratisch-noblen Glieder, Ihre edelgebogene und dennoch rechtzeitig abstumpfende Nase, Ihren süßen Mund!
Wenn Sie fort sind, Mitzi, Fräulein Mitzi, wird es mir sein, wie wenn mir jemand ungeheuer Liebes gestorben wäre, und ich werde Ihnen nachtrauern und um Sie besorgt sein!
58Ihre außergewöhnliche Schönheit, Ihr Leib, der wie das zarte Gedicht eines Dichters ist, haben mich tief, tief gerührt; und ich möchte, daß junge, reiche elegante Männer mit derselben Ehrfurcht vor Ihrer lieblichen Herrlichkeit sich innerlich verneigen könnten wie ich alter Mann.
Man müßte Sie betreuen und beschützen wie einen kostbaren lebendigen Gegenstand, man müßte für Sie sorgen bei Tag und bei Nacht. — — — Mit liebevollster Fürsorge!
Lächeln Sie nicht, wenn Sie diese Zeilen lesen, Ihre Härte könnte mich nicht verwunden, nicht verletzen — — —.
Ich bete zu Gott, daß Sie glücklich werden, Sie Allerlieblichste!!!
Ich verstehe unter »Kultur einer Frauenseele«, einen Mann, dem man sich einmal gewidmet hat, nicht zu kränken, bevor man nicht aufrichtig-traurig zu ihm gesprochen hat: »Es ist Schluß!«
Eine Frau kann ihr Schlachtopfer »Mannesseele« grausam umbringen, wie Krebse in siedendem Wasser, oder in milder Form, mit einem Schnitt wie Kälber. Weshalb es ihnen also verzeihen, wenn sie es grausam tun?!
Grausam bereits ist der »kokette Blick«!!!
Sage also, Kanaille, lieber vorher: »Es ist Schluß!«
In dieser Zeit lebten Menschen, die vom Leben nicht wußten, wie es wirklich und einfach ist!
Sie lebten in einem »falschen Märchenlande« — —.
Denn das »echte Märchenland« ist die Romantik des Kartoffelfeldes in einer wirklichen Mondnacht! Solange die menschlich-kindischen Herzen noch nicht reif sind für die ernste »Romantik der Natur selbst«, schaffen sie sich »kindische Spielereien«! Aber diese »Verirrten« waren wenigstens »Wege-Sucher«, die sich nur kindisch verirrten! Das wollen wir ihnen also zugute halten!
»Nichts ist gekommen, nichts wird kommen für meine Seele — — —.
Ich habe gewartet, gewartet, oh, gewartet —.
Die Tage werden dahinschleichen —.
61Und umsonst wehen meine aschblonden seidenen Haare um mein bleiches Antlitz — — —.«
Über die Grenzen des All blicktest du sinnend hinaus;
Hattest nie Sorge um Hof und Haus!
Leben und Traum vom Leben — — — — plötzlich ist alles aus — — —.
Über die Grenzen des All blickst du noch sinnend hinaus — — —!
Nach Jahren kommt eine unaussprechliche Dankbarkeit in uns für die Frau, die wir »unglücklich liebten« — — —. Aus Bürgern des strengen Tages machte sie uns nämlich zu weltentrückten Poeten, erschloß uns unseres eigenen Herzens Tiefen, erhöhte uns zu »inneren tragischen Helden«! Unsere Tränen gab sie uns, bannte das leere Lächeln! Sie sei also bedankt und gepriesen!
Seele, wie bist du schöner, tiefer, nach Schneestürmen — — —.
Auch du hast sie, gleich der Natur — — —.
Und über beiden liegt noch ein trüber Hauch, wenn das Gewölk sich schon verzog!
62Gräber von berühmten Toten sollen uns streng ermahnen, den Tag und die Stunde wertvoll zu gestalten, da wir noch sind — — —!
Helle Wolken und schwarze Bäume!
Für Kinder zum Schrecken, Gespenster!
Für Dichter zum Weinen!
Und der gewöhnliche Mensch geht dran gelassen vorüber, sagt: »Das wäre etwas für Kinder zum Schrecken, und für Dichter zum Weinen!«
Ein kleines Mäderl sagte: »Onkel, aber, nicht wahr, hinten ist die böse Hexe, die die Kinder stiehlt?!« — Ich sagte: »Natürlich«; und bat den friedevollen Wald um Entschuldigung — — —. Gewisse Menschen wollen eben keinen Frieden — — —. Sie suchen selbst im Walde die böse Hexe, die die Kinder stiehlt — — —. Sonst hat er für sie gar keinen Reiz!
Geliebter verträumter verschneiter Weg! Ging ich hier mit Anita?!? Oder träumte ich nur, daß ich hier mit ihr gehen möchte?! Fußspuren im Schnee, ihr paßt nicht zu Anitas geliebten Schuhen —.
Hie und da rauschen Schneeklumpen zur Erde. Wie wenn der Frühling es versuchte, den Winter bereits abzuschütteln!
63»Das Betreten der Kulturen ist strengstens untersagt« — — —; man wird es dennoch ewig tun! Betreten, zertreten! —
Zaun, wie machst du die Landschaft melancholisch! Im Grenzenlosen etwas Abgegrenztes!
Hier ist Friede — — —. Hier weine ich mich aus über alles. Hier löst sich mein unermeßliches unfaßbares Leid, das meine Seele verbrennt. Siehe, hier sind keine Menschen, keine Ansiedlungen. Hier tropft Schnee leise in Wasserlachen — — —.
Hier suchte sie die ersten Blüten, und fand nichts. Und ich sagte zu ihr: »Diese gelbgrünen feuchten Rasenflecke, die der zerrinnende Schnee bloßlegt, sind schöner als Blumen — — —.« Da sah sie hin und erkannte!
Hier bleibe stehen mit deiner geliebtesten Freundin, und belausche ihr Antlitz — — —! Fühlt sie dasselbe wie du, dann kannst du beruhigt mit ihr weiterschreiten, in die Gelände des Lebens!
Ich suchte eine Frau, die den Schnee wirklich liebte; und ich fand keine! Sie benützten nur den Schnee, für ihre Sheerns! —
Junge Ochsen auf der Weide. Einst im Sonnenbrande, ziehend am allzu schweren Gespanne, könnt ihr euch nicht mehr der kühlen Weide erinnern. Aber in eurem traurig-dummen Auge spiegelt sich alles, und kein Gram geht verloren in der gramvollen Welt — — —.
64Margeritten im hohen Grase. Alles blüht und atmet Frieden! Auf dem Boden leben aber und sterben lautlos hunderttausend Insekten. Nur der Mensch erhebt seine Stimme und beklagt sein Schicksal. Kann er es ändern?! Ja. Er kann wenigstens weinen und schreien. Und falls er es nicht kann, tun es für ihn liebevoll die Dichter!
Manche Frauen würden nicht elende »Treuebrecherinnen«, »Ehebrecherinnen« werden, wenn sie stets imstande wären, an den Schätzen der friedevollen mysteriösen Natur ihre zerfahrenen Seelen wieder und immer wieder aufzurichten!
Natur und Frau sollten in gleicher Weise wirken, uns zu adeligen, all-verstehenden, sanftmütigen Weltgeschöpfen zu transformieren! Einer Frau diese geniale Aufgabe als süße Pflicht beibringen, heißt: sie glücklich machen!
Sahst du nach dem Gewitterregen den Wald?!?
Alles rastet, blinkt und ist schöner als zuvor — —.
Siehe, Fraue, auch du brauchst Gewitterregen!
»Je suis venue pour donner — — — prenez, prenez, prenez!!«
Unzerstörbares Antlitz; Zeit und Erlebnis versuchen 65es vergebens, in deinem edlen Erz sich einzugraben — — —!
»Und dein Antlitz ist die ›Materie gewordene‹ Seele selbst!!«
Geboren, einem Kaiser Kinder zu gebären und zu Fürstlichkeiten zu erziehen im Leben! Aber der Dichter erschaut in dir dennoch nur die einfache Vollkommenheit ohne Zweck und Ziel!
Umringt bist du von deinen Lieblingsblumen, hehre Fraue! Aber du blickst und stehst nicht in Frühlingsfroheit, sondern ermüdet und enttäuscht. Vier allerherrlichsten Kindern gabst du das Leben, deine eigenen Kräfte, behieltest dennoch deine heilige Mädchengestalt bei! Das Altern hat dich nicht verändern können; deshalb blickst du erstaunt und wehmütig!!! Du gabst und gabst und kannst noch immer geben und um Dich herum altert die alltägliche Welt — — —!
Wohin, träumerische Fraue, wandertest du, rastlos?!?
Gott erschuf dich in Seiner tiefsten künstlerischen Liebe: zuerst, in der Jugend, wie man sich auszudrücken pflegt, ein wildes Füllen in Berg und Tal, mit wirren Locken; und späterhin alle Leiden tragend von enttäuschten Dichtern; das innere ewige Klagen, und das Erschauen, daß Gottes Reich noch nicht gekommen sei für Seinesgleichen.
Ich hätte dich umringt mit dunklen Legföhren, Rhododendronbüschen, Edelweiß, Speik, und allen Blüten der Bergalmen!
Ich hätte die Tiere der freien Berglüfte in silbernen Käfigen um dich herum gestellt — — —. Bergdohle und Murmeltier.
Aber man stellte dich in einen Garten, gepflegt und gehegt, und wider die freie heilige Natur!!!
»Fern von der Schlacht, und dennoch mitten drinnen! So wie die Dichter!«
»Nie über einen Graben springen, eine Hürde, wenn man nicht ganz gesichert ist, hinüberzugelangen mit leichter Anmut!«
Ich habe in einer Blumenhandlung in einer Kristallglaswanne zwei goldene japanische Zwergfische gesehen, mit riesigen durchsichtigen Flossen und dunklen hervortretenden Augen, mit der Anmut von modernen Tänzerinnen sich bewegend, und dabei doch reserviert gelassen ihrem Wärter, Pfleger an die Glaswand zuschwimmend. Ich begreife es absolut nicht, wieso reiche Damen sich diesen Schatz der Natur entgehen lassen können und sich nicht eine kleine Herde dieser allerentzückendsten Tiere anschaffen. Einer kostet allerdings 16 Kronen. Der Boden muß aus kleinen Kieseln bestehen, die jeden zweiten Tag herausgenommen und in warmem Wasser gereinigt werden müssen. Die Nahrung ist ausschließlich das Pulver »Piscidin«, das auf die Wasseroberfläche hingestreut wird. Man kann stundenlang vor dieser goldenen Anmutpracht verweilen. Die Tiere lernen uns baldigst kennen und lieben. Viele Frauen würden dadurch vor ihren bösen Gedanken, bösen Instinkten, und vor allem vor ihrer gefährlichen inneren Leere und vor Gelangweiltsein gerettet werden können. Gehet hin, Damen, und kaufet daher japanische Goldfische!
Neunzig Prozent unsrer Lebensenergien raubt uns die Ungezogenheit, die Taktlosigkeit unseres Nebenmenschen. Jedes falsch angebrachte Wort zerstört unser zart empfindliches Nervensystem. Nicht Distanzhalten von der Welt des andern, die man ja doch nicht begreifen kann, mordet die Nerven. Die unverständliche Welt des andern nicht achtungsvoll und scheu behandeln, ist eine bodenlose Feigheit. Es ist, wie wenn man jemandem, der unsäglich an Migräne litte, sagte, er bilde sich diese Leiden nur ein! Gläubig sein, ist aristokratisch; bezweifeln, ironisieren, ist plebejisch! Durch Gläubigkeit erweitert man seinen Horizont um den des andern, durch Skeptizismus bleibt man ewig in seine eigenen engen Grenzen eingebannt.
Niemandem wehe tun, falls es nicht unbedingt notwendig wäre, ist die natürliche Wirkung geistiger Kultur. Jedermann werde erfrischt, ja erlöst durch deine Gesellschaft, ja, er suche sie auf, wie das bedrückte Menschenkind den Beichtstuhl. — — —
Aber unsre Nebenmenschen sind noch Satan, Jago, Mephistopheles, Franz Moor; selbst zu ewiger innerer Unruhe verdammt, drängt es sie, auch in uns nur böse Unruhe zu erzeugen, damit wir ja nicht besser, nicht vornehmer werden als sie selbst es sein können. Sie gönnen uns nicht höhere innere Entwicklungen, wollen uns absichtlich degradieren auf ihr eigenes erreichbares Niveau! Nur der Dichter erlebt träumend künftige Entwicklungen gläubigen Herzens, und die, die sich ihm anschließen, 69tragen jedenfalls diese idealen Möglichkeiten kommender besserer Welten schweigend-demütig bereits in ihrem Herzen! Der Nebenmensch ist ein Gegenmensch. Er will nicht helfen, sondern schädigen. Wäre er selbst ein Zufriedener, wünschte er nur Zufriedenheit zu verbreiten; als Unzufriedener wünscht er uns ebenfalls nur Friedlosigkeit!
Unter Yellowstone-Park versteht man bei uns bereits irgendeine wertvolle urwaldartige, mit allen ihren geheimnisvollen Schätzen an Pflanzen, Tieren, Steinen und Quellen erfüllte Gegend, die unter den Schutz des Staates gestellt wird, gegen die zerstörende unnachsichtige Barbarei der Menschheit. Eine Art von idealer Menagerie der Natur selbst! Solch einen Yellowstone-Park wird man nun in der Schweiz im Scarltal und seinen Nebentälern errichten, um die kostbaren Alpenpflanzen, um Bär, Luchs, Wildkatze zu erhalten. Und alles, was da blüht, kreucht und fleucht. Solche Yellowstone-Parke sollte man nun auch endlich für Menschenerhaltung errichten, für exzeptionell herrliche Frauen, für exzeptionell herrliche Männergehirne, die sonst verloren gingen in den zahlreichen Gefahren! Oasen für Denker und Träumer, in der Wüste des Lebens, die versengt, und verdorren macht. Oasen für wunderbar schöne Frauen, zu denen man pilgern dürfte, ihre schmalen schneeweißen langen Finger an die Lippen zu drücken und daran zu genesen, mehr als an Guber-Quelle, Virchow-Quelle, Hofbrunnen und Königsbrunnen, mehr als an den Mysterien Gasteins, Kissingens, Franzensbads, Karlsbads. Männergehirne, die man für die Menschheit schützen müßte vor dem Zugrundegehen, Frauenkörper, Frauenseelen, die man für die Menschheit schützen müßte vor dem Vernichtetwerden in zügellosen Orgien und Egoismen, in Treibjagden auf Seele und Leib! Yellowstone-Parke müßten geschaffen werden, Reviere, in denen wertvolle Gehirne, 71wertvolle Seelen, wertvolle Leiber, geschützt vor feigen Verfolgungen, die Ideale der Natur repräsentieren könnten für die verkommende Milliarde der Unzulänglichen!
Ein Mädchen zum Beispiel, zu dem man spräche: Pflege die Pracht deiner zarten, gebrechlichen, adeligen Glieder, deinen Milchteint und deine Beweglichkeiten! Du sollst in einem Tempelchen hausen und keinerlei Sorge haben! Auf daß die andern hinpilgerten und, schamvoll in sich gekehrt, es versuchten, dir nachzugeraten ein wenig!
Aber bisher schützt man nur Edelexemplare unter den Pflanzen und Tieren, ja sogar heiße Springquellen mit Marmorbecken. Aber Menschen, Menschen schützt man noch nicht — — —.
Ich kenne eine Sache im Leben, die mich am tiefsten ergreift von allen, die ich erlebt habe. Es ist in der Stille des nächtlichen Liebesgartens der Gesang der edlen Wächterin Brangäne. Es ist die tönend gewordene Selbstlosigkeit, inmitten der nächtlichen Liebesgefahren. Es ist die Warnung an die Allzuirdischen, die in der Melodie des Herzens zugleich eigentlich von selbst ertönt; es ist die Klage der tiefsten, echtesten Freundschaft, hineingesungen in den dunklen Garten. In jedem Menschen sind solche Gefühle aufgespeichert, besonders in den alten Kinderfrauen, die man entläßt von ihren Lieblingen, wenn man sie nicht mehr braucht. Aber sie weinen sich im stillen aus, alle diese Herzvollen, während bei Brangäne das Leid und die edle Sorge um einen geliebten Menschen helltönend wird, und in die dunkle, harte, grausame Welt hinaus stöhnt! Auch unsre alte Bedienerin Luise sang uns ein unvergeßliches Lied, als sie beim Abschiede mir und meinem Bruder schrieb: »Die sieben Jahre in Ihren Diensten, meine Herren, waren das Glück und der Segen meines ganzen Lebens — — —.« Alle diese versteckten, edel-tragischen Dinge der dienenden Menschenherzen ertönen in Brangänens Gesang. Alle in der Menschheit bisher leider vergeblich aufgestapelten Selbstlosigkeiten und Ergebenheiten werden da zu singender Klage; aber die Menschen der leidenschaftlich irrigen Stunden vernehmen nichts davon als ihre eigenen, zum Abgrund führenden Sündhaftigkeiten, deren Brausen alles übertönt — — —.
Der große Affe Peter ist wirklich ein Wunder der Natur. Denn ich bemerkte sogleich zu meinen Freunden in meiner Loge, daß dieser Affe unmöglich zum Radfahren abgerichtet sein könne, sondern daß es eine Naturanlage sein müsse, und es dem Tiere ein leidenschaftliches Vergnügen bereite, wie einem Kind eine geliebte Spielerei, Hutschpferd oder Schaukel. Direktor Brill bestätigte mir auch diese meine Ansicht. Die Freudigkeit und Geschicklichkeit des Tieres, ein junges wunderliebes Mädchen mit dem Fahrrad zu verfolgen, erregt im Publikum Enthusiasmus. Man wird jedenfalls viele brave Kinder hinführen müssen. Dieser Affe könnte unbedingt die allerschwierigsten Radfahrtricks spielend erlernen. Nur sollte von seiten des vorführenden Herrn eine menschlich-freundschaftlichere Beziehung vorhanden sein, wie sie bisher stets zwischen den Besitzern berühmter Schimpansen, Orangs stattgefunden hat, ja direkt rührend zärtliche Anhänglichkeiten, wie zu edlen Pferden, edlen Hunden. Man braucht natürlich nicht die verlogene Komödie einer exaltierten Freundschaft zu dem Tiere dem Publikum vorzumachen, aber man muß Zuneigung spüren beiderseits. Ein berühmter Affendresseur machte sich seinerzeit durch seine harte Nervosität, den Tieren gegenüber, fast unbeliebt, trotz der wunderbaren Kunststücke. Nicht was er dem Tiere einlernt, sondern was er sonst noch übrig hat an Liebe und Verständnis, das macht einem den Tierdresseur sympathisch. Wie war die Beziehung des 74aristokratischen Severus Schäffer zu seinen Hunden! Wie ein jagender Landedelmann mit seiner Lieblingsmeute! Alle Dresseure müssen etwas von einem dilettierenden Aristokraten an sich haben. So ritt Direktor Schumann seine Pferde, nonchalant-vornehm-liebenswürdig. Ich glaube, daß er seine Pferde nie schlagen konnte. Oder wenigstens sah er danach aus. Mit einem der Menschenaffen wie Peter aber muß ein tiefes freundschaftliches echtes Verhältnis entstehen. Er speist nach der Vorstellung im Restaurant wie ein wohlerzogener Mensch. Er gab mir die Hand, wollte sie sogar zart an seine Lippen drücken. Bei solchen Tieren spürt man es, daß man sie nur mit äußerster Zärtlichkeit und selten angewandter gerechter Strenge zu ihren eigenen erreichbaren Höhen bringen könne. Die wunderbare Schimpansin Maja im Tiergarten, 1896, haßte jede Dame, die in meiner Gesellschaft oder gar in mich eingehängt ihr Zimmerchen betrat, und drängte sie weg, umarmte mich absichtlich stürmisch und liebevoll. Ich glaube, es war das einzige weibliche Wesen, das an mir ernstlich Gefallen fand. Für edle Tiere gehört vielleicht ein Philosoph mit einem tiefen Herzen! Frauen geben es billiger und machen sich nichts daraus. Und Die, die sich wirklich etwas daraus machen, sind eben ganz so wie edle gutmütige Tiere, siehe A. R.
Alle hatten sie gern, sie amüsierte, und war anders wie die meisten. Daher nützte man sie aus.
Von Tag zu Tag sah sie schlechter aus, wie eine Besiegte in der Schlacht des Lebens, die sich verwundet wegschleicht, hinter einem Busche zu krepieren — — —.
Da sagte der Dichter: »Nun, können Sie es mir nicht klagen?!«
»Ich wohne, bitte, in einem Zimmer, wo Wanzen sind. Man erträgt alles tagsüber von den Menschen, und nachts benehmen sich die Wanzen ebenso schamlos-feig und stören uns — — —. Da bricht man halt zusammen.«
Der Dichter machte eine Kollekte, steuerte aber selbst vorsichtig ein Paket Insektenpulver bei.
Er sagte: »Für diese Tiere gibt es Mittel; aber für die Menschenwanzen gibt es keine. Ihre Nachtruhe ist nunmehr gesichert, Fräulein; aber Tagesruhe gibt es nicht. Da sind die Menschenwanzen unausrottbar an der Arbeit!«
Ich sah eine Mutter tief verzweifelt, daß ihr geliebtes Töchterchen keine »gute Partie« machen wollte — — —.
Sie zankte mit ihr, aber in ihrem Innersten hatte sie dennoch Rührung und Anerkennung.
Sie sagte zu ihr: »Das Leben ist nun einmal so, ich habe es auch einst auf mich nehmen müssen, meine Liebe, — — —.«
Die Tochter blickte die Mutter schief und bitterböse an.
Dann heiratete sie aber doch endlich einen reichen Mann, der sie betreute und beschützte.
Da sagte sie zu der Mutter: »Ich hatte einst falsche Vorstellungen, Ideale. Ich bin nun ganz glücklich und zufrieden — — —.«
Da blickte die Mutter ihre Tochter schief und bitterböse an — — —.
Du sagst mir, ich hätte so viele ewige Quellen der Begeisterung. Überall, auf allen Wegen blühe es doch auf, für mich Gesalbten — — —!?!
Und gerade du sagst mir das kalt, die mir eben alle diese Wege verstellt, verrammelt hat?!?
Gerade du, die sich fast heimtückisch an Stelle setzte aller Weltenprächte?! Durch deine eigene Pracht?!?
Du schlossest mir, Geliebteste, die Pforten; und nun verlangst du, ich solle wieder hingehn in das weite Land, woraus dein Zauber mich gerade verstoßen und vertrieben hat?!? Die Welt besingen, die für mich gestorben ist durch dich?! Auf deiner edlen Stirne prangt nun die Weltenpracht,
von deiner Stimme tönen die Weltenmelodien,
du selbst vertriebst mich aus dem Paradies der Weltenschönheit durch deine eigene!
Um mich nun aufzufordern, dahin zurückzukehren, woher ich stammte, fingst du mich also schnöde ein, jetzt, da ich Pfad und Mut und Kraft verloren hab’ zum Wandern — — —!? Teufeline!
So nehm’ ich Abschied denn von dem und jenem Wege,
da du die Flügel mir beschnitten hast zu dem und jenem Pfad — — —.
Leb’ wohl, geliebte Frau,
du botest mir statt Weltenpracht die eigene — — —
ich zürn’ dir nicht, daß du mich nun entläßt in eine Welt, die erst durch dich, und nur durch dich, mir leer geworden ist — — —!
Sie stand hoch über allen anderen Frauen, die »wie in düsteren Nebeln dahintorkeln, schicksalstrunken und irre!« Sie aber, die Neunzehnjährige, ging dahin bereits im Lichte der Wahrhaftigkeiten und hatte es gelernt, an ihren bittersten Tränen mehr zu lernen, als an den flachen Freudigkeiten! Ihr Arzt hatte ihr die »Eitelkeit« exstirpiert, diesen »Krebs der Frauenseele«, der alles, alles Bessere ihr wegfrißt. Bescheidenheit ist Göttlichkeit. Er hatte sie gelehrt, ein getreuer edler Hund zu sein! Sie hätte bei einer berühmten englischen »Schau«, um den berühmten »cup«, unbedingt den ersten Preis erhalten für »getreueste Hundeseele«! Sie konnte blicken wie ein »Leonberger«, abstammend vom ersten »Bary«, so ganz tieftraurig. Ihre Intelligenz war licht, tief und einfach. Sie war weder häßlich noch hübsch, aber manchesmal sah sie verklärt aus, entrückt, und ein Dichter würde in solchen Momenten über ihren rotgoldenen Haaren einen Heiligenschein erblickt haben! Jedenfalls fehlte wenig dazu.
Aber die Damen der Gesellschaft sagten über sie: »Schade um das junge Geschöpf, sie hat gute Anlagen, aber sie gehört in eine ›feste Hand‹, sie stellt sich das Leben noch anders vor, als es ist; wir leben nicht in ›Wolkenkuckucksheim‹, sondern, bitte, auf der Erde!«
Über ihrem Bette, an einer wunderbaren japanischen Matte hingen in schweren Mahagonirahmen die Photographien von Beethoven, Wagner, Maeterlinck, 79Bismarck, diesem Deutschland gründenden Realidealisten. Da blickte sie denn oft vor dem Einschlafen hinauf zu ihren Helden und dankte ihnen herzinnigst für alles, was sie ihr mitgegeben hatten in die strengen Tage des Lebens. Und daß sie gekämpft und gelitten hatten eigentlich für sie!
Eines Tages erhielt sie Besuch von einer Dame. »Sind das Ihre Götter?!?« sagte die Dame.
»Es sind meine Erzieher! Ich befinde mich hier in ›fester Hand‹, man läßt mir nichts durchpassieren, was nicht menschlich ist!«
Die Dame dachte beim Weggehen: »Es ist schade um das junge Geschöpf, ich wollte für meinen geliebten Sohn um ihre Hand anhalten, aber es gäbe unter solchen Umständen nur ein Unglück — — —.«
So blieb sie denn allein! Allein?!? Mit allen Getreuen, den Denkern und Idealisten, lebte sie in »Gemeinschaft«, und niemals, niemals während ihres ganzen wahrheitsvollen Lebens beneidete sie die, die doch nur angeblich »glücklich und zufrieden« waren — — —.
Er versenkte sich ganz in ihr Wunschleben, in diese Träumereien von unerfüllten kleinen Realitäten. Nie äußert man es, außer durch ein unaufhaltsames Verweilen vor Schaufenstern oder in Geschäftsläden, durch einen fast hysterisch-melancholischen Blick auf den geliebten Gegenstand, oder durch die schüchterne beklommene Frage, was er koste?! So erstand er denn für sie eine japanische Bettwandmatte, strohgelbes Geflecht mit braunen und rostroten eingewebten Flecken. Ferner einen bosnischen handgewebten Blusenstoff, kornblumenblau mit malachitgrünen Fäden. Ferner einen großen französischen Parfümzerstäuber aus Nickel, für Menthol-Franzbranntwein; ein kaltes Bad, ohne zu baden, wenn man den ganzen Leib damit anstäubt! Ferner eine Zigarettenschachtel aus sibirischer Birke, viereckiges Format, für fünfundzwanzig Zigaretten Inhalt. Ferner eine Schachtel Schreibfedern und zehn riesig dicke chinesische Rohrfederstiele dazu, federleichte. Und viele andere erfüllbare Träume ihres Daseins. Er schuf einen Einklang seiner eigenen Welt und der ihren. Er schenkte ihr nur das, was in gleicher Weise sie erfreute, es zu bekommen, ihn erfreute, es zu geben! Es war also ein Akkord verdoppelten Genießens! Und dann schrieb er: »In Deinem Namen zwanzig Kronen gespendet der Kinderschutz- und Rettungsgesellschaft für die mißhandelte zwölfjährige Maria B.« Da fühlte sie: »Siehe, wir haben einen vollständigen Familienweihnachtsabend —.«
Ich wollte einmal einen halben Tag lang das Leben eines Reichen erleben. Ich ließ mich von einer reizenden Frau und ihrem Gatten in ihrem Mercédès vom Hause aus abholen. Ich fuhr zu meinem Raseur, Teinfaltstraße, mich verjüngen zu lassen, besonders mit der Menthol-Franzbranntwein-Spritze auf den Kopf. Ein Ersatz für jedes kalte Bad! Dann fuhren wir nach Baden. Dort badeten wir in den Kurhauswannenbädern, vierundzwanzig Grad Celsius. Dann ließen wir uns kühle Hotelzimmer aufsperren und schliefen eine halbe Stunde lang. Dann aßen wir Solospargel, Hirn en fricassé. Dann fuhren wir weiter, nach Heiligenkreuz. In kühler Halle tranken wir duftenden Tee mit Zitrone. Abends zurück, in eiliger Fahrt.
Die Wiesen dufteten, und die Wälder standen schwarz und unbeweglich-melancholisch unter dem Abendhimmel, der leise leuchtete.
In Wien verabschiedete ich mich.
Im Café Ritz fand ich jene junge Dame, die schon lange meine Augen beglückte. Braunes Haar, blauer Strohhut, Stumpfnase. Ich wollte den Tag feierlich beschließen. Ich sandte ihr drei wunderbare ganz dunkle Rosen und einen Eierpunsch, dieses Lieblingsgetränk der meisten solchen Damen. Sie nahm es huldvollst an, ausnahmsweise.
Sie kam an meinen Tisch und sagte:
»Macht es Ihnen wirklich eine so große Freude, mir Aufmerksamkeiten zu erweisen?!?«
»Ja, gewiß, sonst täte ich es ja nicht!«
82»Also, dann brauche ich ja nicht dankbar dafür zu sein — — —!?«
»Nein, keineswegs. Sondern ich Ihnen!«
Das war der Tag des Reichtums — — —.
Ein Herr trat auf mich zu im Café und sagte: »Ich bin ein fanatischer Verehrer von Ihnen.«
»Bitte sehr«, sagte ich. »Da werden Sie vielleicht gern einen edlen Champagner zahlen?!?«
»Mit allergrößter Freude.«
Wir tranken drei Flaschen G. und H. Mumm, extra dry, süß.
Es wurde sieben Uhr morgens. Ich ging ins Zentralbad, 27 Grad, Porzellanwanne. In der Kassa saß eine junge Dame mit edelzarten Händen. Ich sagte ihr mit meinen Augen: »Süßeste Kassierin —« Und: »Man sollte dich miterstehen dürfen — — —.«
Dann frühstückte ich in einer Charcüterie: kalten geräucherten Stör aus der Wolga, das Deka 12 Heller. Crevettes aus Ostende. Grüne große Oliven aus Spanien, zehn Stück 60 Heller. Prager Schinken, das Deka 6 Heller, 90 Heller. Zwei Bananen, goldgelb-schwarz gefleckt, aus Afrika, das Stück 30 Heller, 60 Heller.
Dann kaufte ich mir eine blaue phototypierte Ansichtskarte: »Weg, am See entlang.« In einer Winterlandschaft.
Ich dachte sie mir eingerahmt in einem fünf Zentimeter breiten Eschenholzrahmen.
Ich kam infolge dieser Träumereien um halb zehn Uhr morgens nach Hause. Da sagte das junge Hausmeistermädchen, die mich zum Aufzuge führte, zu mir: »Herr Altenberg haben gewiß wieder heute nacht umgeschmissen — — —.«
84»Jawohl,« sagte ich, »die Weltordnung der Philister!«
Sie dachte: »Nun, er hat 40 Heller bezahlt für den Aufzug, obzwar es im Zins bereits schon miteingerechnet ist — — —.«
Adelige schmale Hände hast du, adelige Füße und Zehen, müde edle Anmut ist in deinem Gehen und Sitzen und Kauern, und deines biegsamen Leibes eidechsenschlanke Linien sind wunderbar, Yolanthe Maria!
Aber zum Zu-Grunde-gehen, zum langsamen, armseligen, bist du bestimmt! Zum Verfaulen bei lebendigem Leibe!
Denn sicher willst du gehen, Unsichere!
Auf geebnetem Pfade willst du Gipfel erklimmen?!?
Schamlose, Feige! Willst du Lord Byrons edlen Feueratem spüren, mußt du bereit sein, eventuell dich zu versengen!
Willst du finden können, so mußt du suchen können, gleiten und stürzen können!
Auf geebnetem Pfade kommt nur Herr Kohn daher, reicht dir die Hand, daß du nicht »fallest«!
Ich dichte hie und da auch Toiletten. Immer nur für eine einzige Dame. Sie ist natürlich lang und ganz schlank, wie ein Marathonsieger, hat eine Stumpfnase, Gott sei Dank großen Mund und starke Lippen, hechtgraue Augen, rotbraune Haare und anliegende papierdünne, edelgemuschelte Ohren. Hände und Füße sind lang-schmal. Sie sieht aus wie eine junge slowakische Bäuerin, an der der adelige Gutsherr mitgearbeitet hat.
Ich entwarf die Toilette Tope (Der Maulwurf): Ein seidendünner maulwurfgrauer Samt (Pan), die Bluse ohne Naht, nur wie ein zusammengelegtes Tuch, aber lang. Ein Gürtel, riesig breit, aus dunkelgrauen und weißen Glasperlen, riesige Schließe aus oxydiertem grauen Silber. Riesige kugelige graue Perlmutterknöpfe. Der Rock vollkommen bis hinab zum Zuknöpfen, mit denselben Riesenknöpfen. Grauer Sombrero mit grauem breiten Lederband und weißer, an der rechten Seite herabwallender Straußfeder. Grauer Seidenschirm mit grauem dicken Perlmuttergriff. Grauseidene Strümpfe, graue Antilopenhandschuhe, graue Schuhe aus mattem dünnem Leder.
Ich sagte zu der Dame: »Machen wir zusammen ein Gedicht —.«
»?!?«
»Ich komponiere eine Toilette, und Sie tragen sie. Das ist das schönste Gedicht!«
Er sah sie zum erstenmal. Sie sah aus wie eine riesig hohe, schlanke, aschblonde russische Studentin, nur sehr müde von ungekämpften Kämpfen. Ein Königgrätz ohne Schlachtendonner. Tief verwundet ohne Bleigeschoß. Das Sein an und für sich besiegte sie. Das bloße Sein des Tages und der Stunde. Was sich jeweilig ergab, ereignete, verletzte, kränkte sie. Sahst du Fische aus dem Gebirgswasser in Wasserbottichen?! In ihrem starren Gesichtsausdruck, wie eh und je, sucht man ihr Leiden zu erspähen, und findet nichts und findet dennoch alles! Er sagte: »Gehen Sie nicht in wohlgepflegte Gärten, gehen Sie in offene Felder, wo niemand etwas Besonderes findet; fern dem Getriebe. Gehen Sie spazieren, wo niemand spazieren geht, so zwischen brauner Erd’ und blauem Himmel!«
Und sie sagte: »Man verwehrt es mir!«
»Kaufen Sie sich einen getreuen schwarzen Pudel, dem Sie manches Opfer bringen können an Zeit und Güte — — —.«
»Man verwehrt es mir — — —.«
Er schwieg.
Und sie: »Weshalb raten Sie mir nicht, ich solle mich an einen Menschen klammern, anklammern?!«
»An einen Menschen! Ja. Aber ich kenne keinen! Die Tiefe der Natur, die Treue des Pudels, die kenne ich! Aber einen Menschen für Sie, den kenn’ ich nicht — — —.«
Und später sagte sie: »Sie haben sich geirrt! Denn ich fand einen, der mich einsam meine Wege 88wandern ließ, zwischen brauner Erd’ und blauem Himmel, und der mir einen schwarzen Pudel kaufte und getreulich stets beiseite stand — — —.«
Er blickte sie tief freundschaftlich an — — —.
Da sagte sie: »Vielleicht verdanke ich es Ihnen, daß ich mir einen suchte, der so war — — —!?«
Dann neigte sie sich tief zu seiner Hand und küßte sie — — —.
Und dann kam der edle Jüngling, den sie erwählt hatte, und küßte sie auf ihre melancholische Stirn —.
Und er sagte zu dem Dichter:
»Ich folgte nur Ihrem Rate, Ihrer Weisung, danke — — —. Es hat mir eine Seele gewonnen!«
Da wandte sich der Dichter entrüstet und tief verzweifelt ab.
Denn von Gott müssen solche Erkenntnisse direkt in unsere Herzen kommen, da die Wirkung sonst nicht von Dauer ist und unheilig — — —!
Sie war sehr, sehr krank. — Der Arzt verordnete einen halben Liter heiße Zitronenlimonade, ein wollenes Tuch um den Kopf und stundenlang schwitzen.
Sie war aber arm, und die Quartiersfrau, bei der sie wohnte, konnte ihr nur eine dünne Bettdecke geben. Da sandte ihr der Dichter seine grünrote Flanelldecke, die er selbst benötigte, und sein Freund, der Baron, sandte eine Pelzdecke aus selbstgeschossenen Wildkatzenfellen, die er gar nicht gebrauchte.
Als nun der Dichter sie besuchte, fand er die Pelzdecke direkt auf ihrem heißen, glühenden Leibe liegen, die Flanelldecke dagegen zuoberst. Er sagte es ihr sogleich ziemlich brutal, daß er dieses für einen »Treubruch« halte, wenn auch in den ersten Anfangsstadien.
Sie erwiderte: »Ich wollte deine Decke streicheln können, immer und immer mit meinen zärtlichen Fingern. Deshalb gab ich sie zuoberst.« »Du Falsche! — — —« sagte der Dichter und ging zürnend weg.
Später kam der Arzt und sagte: »Ich würde Ihnen vorschlagen, Fräulein, die schwere Pelzdecke zuunterst zu legen, und die leichtere Flanelldecke oben darauf; es ist zweckmäßiger!«
»Nein,« sagte sie, »das tue ich nicht.« Als sie endlich gesund war, sagte der Arzt von ihr: »Die Hysterie solcher Patientinnen erschwert den Heilungsprozeß ganz besonders. Selbst in nichtigen Kleinigkeiten müssen sie ihren lächerlichen eigensinnigen Willen durchsetzen. —«
Ein ungeheuer wichtiger und daher ganz unbekannter Ausspruch Goethes:
Dieser Satz allein ersetzt in der Entwicklungslehre ganze Bände und Studien. Deshalb erwünschen sich auch die meisten ungezogenen, eigenwilligen, herzlosen, dumm lebenslustigen Frauen unbewußt keine Kinder. Sie haben wenigstens davor Achtung, diesen unglückseligen Nachkommen nicht ihre eigenen Ungezogenheiten und Lebenshärten mitvererben zu wollen auf dem schon ohnedies genug schweren Lebenswege —.
Ich habe viel erlebt und erlitten, natürlich, in meinem Pflegerinnenberufe. Aber die Nacht des 5. März als Pflegerin des Peter Altenberg war die schrecklichste und merkwürdigste. Am Tage vorher hatte ich sein Buch »Bilderbogen des kleinen Lebens« gekauft und gelesen.
Nun sah ich ihn da liegen, ganz verwahrlost, von Leiden zerfressen. Ich fühlte es, daß er über seinen eigenen Untergang tief verzweifelt sei. Sein Idealismus war untergegangen, und es blieb die Ruine übrig. — Ich bemitleidete ihn nicht, sondern die vielen, vielen, denen so die Früchte seines Geistes, seines großen Herzens entgehen sollten. —
Ich hatte die Empfindung: »Hund, du darfst noch nicht verrecken, du hast uns Ärmsten noch manches zu spenden, du hast uns noch aufzuklären, hast uns sogar besser zu machen! Was schleichst du dich fort, Sünder, ehe du alles für uns ausgesprochen hast?!«
So schändlich egoistisch dachte ich über diesen sich windenden Wurm in diesen schrecklichen bangen Nachtstunden. Ich richtete ihm die Polster, wischte ihm den Angstschweiß ab, aber es geschah in einer verbissenen Bitterkeit gegen ihn! Den Helfer!
Wer, wer hätte sich denn gesund und ewig lebendig erhalten müssen als er? Und indem ich an die Werke dachte, die er uns vorenthielt, pflegte ich mit Widerwillen einen unglückseligen Kranken, der zum vorzeitigen Sichfortschleichen aus der Welt gar nicht das Recht hatte uns gegenüber — — —.
Meine Schwester, Sektionsrätin M., besuchte mich, und sagte an meinem Krankenlager: »Du, diese so überaus wirksame Schlammbadkur in Bad X. wurde vollkommen um den Effekt gebracht durch einen merkwürdigen und schrecklichen Umstand, der meine Nerven einfach ermordete. Denke dir, dort stopft man noch die Gänse, diese allerunglücklichsten Geschöpfe einer ohnedies schon genug furchtbaren und unerbittlichen Welt! In dunklen Kellern, in den glühheißen Augustnächten, hocken diese Unglückseligen in absichtlich zu eng gemachten Holzkäfigen, werden Tag und Nacht gewaltsam gefüttert, und es wird ihnen durch all diese grausigen Wochen hindurch das Trinken von Wasser verwehrt! Das entsetzliche Schicksal dieser Unglückseligen in den unterirdischen Folterzellen hat mich den Ort zu fliehen gezwungen. Mein Töchterchen Hilde, die die ganze Sache entdeckt hatte, ging täglich oftmals insgeheim mit einer Kindergießkanne in die Folterkammer, und goß den gemarterten Gefangenen Wasser in die weit aufgesperrten Schnäbel. Die wunderschöne junge Slowakin Viktora aber lachte dazu aus vollem Halse, als sie das Samariterwerk sah, und sagte: »Fräulein Hilde, wird sie auch eingesperrt werden so, wenn Frau sie erwischt — — —?« Aber unsere französische Gouvernante Hélène sagte: »Madame, en Suisse cela ne se fait pas, on ne connait pas ces martyrs infames —.«
Ich erwiderte meiner Schwester: »Ich bin ganz, ganz erstaunt über deinen Bericht. Gerade von dir, 93meiner Schwester, die ich jahrelang nicht sehe und spreche! Welcher merkwürdige Zusammenhang der Nerven! Gerade vor einem Jahre schrieb ich nämlich folgende Skizze:
Man führte die edle Zwölfjährige nach Berlin, um ihr alles zu zeigen, was es dort Herrliches gebe. Automobilfahrten zu allen Seen, Variété, Theater; man ließ ihr das Paradies »Berlin« erstehen, soweit es für eine Zwölfjährige seine Tore überhaupt öffnen konnte. Als sie wieder nach Wien zurückkehrte, fragte sie eine Dame: Nun, Lilly, wo ist es besser zu leben, in Deutschland oder in Österreich?! Und Lilly H. erwiderte: Nur in Deutschland kann man existieren! Da habe ich bemerkt, daß die armen Pferde an den Lastwagen viel geschickter und rücksichtsvoller angebrachtes Riemenzeug tragen als bei uns, das ihnen die Arbeit erleichtert und Torturen erspart. Und dann habe ich auch noch erfahren, daß es in ganz Deutschland bei strengster Strafe verboten ist, Tiere künstlich zu mästen, und daß geheime Agenten, in der Verkleidung von reichen Viehkäufern, sämtliche Bauerndörfer Jahr für Jahr daraufhin kontrollieren und für jeden entdeckten Fall hohe Belohnungen erhalten!«
Meine Schwester nahm meine Hand und sagte ruhig: »Nun, was ist dabei, wir sind eben Geschwister — — —!«
Eine junge Frau, die ich seit lange als eine fast Heilige an Demut und Sanftmütigkeiten verehre, kam an mein Krankenbett, bleich und verstört.
Sie erzählte mir, daß ihr Mann, der sich für sie aufopfere, Gesichtsneurose habe und sich, mit ihrer Einwilligung, der Operation auf Tod und Leben unterziehen wolle. Sie wisse nicht, ob sie es gestatten solle. »Soll ich, soll ich nicht, soll ich?! Ich werde es also an meinen Knöpfen abzählen —.«
Ich lag da, von meinen Leiden zerfressen, und sie stützte den Kopf in die Hand.
Da sagte sie: »Nicht, Peter, das Leben ist eigentlich komisch —.«
Und ich sah eine Träne, vielleicht die heißeste, verzweifeltste, die je geweint wurde.
Drei Tage später saß sie an meinem Krankenbette: »Peter, ich habe es ihm gestattet, und er ist daran gestorben. Peter, nicht wahr, die Welt ist komisch —.«
Ich lag da, von meinen Leiden zerfressen — — —.
Ich zählte es an den Knöpfen ab, was, weiß ich nicht. Aber immerhin, an den Knöpfen —. Soll man, soll man nicht, soll man?!
Wir, die nicht genug haben an den Taten des Alltages, wir Ungenügsamen der Seele, wir wollen unseren rastlosen, enttäuschten und irrenden Blick richten auf die Wellensymphonien des Sees, auf den Frieden überhängender Weidenbäume und die aus düsterem Grunde steil stehenden Wasserpflanzen!
Auf die Menschen wollen wir unsern impassiblen Blick richten, mit ihren winzigen Tragödien und ihren riesigen Lächerlichkeiten; mit düsterer Verachtung wollen wir nichts zu tun haben, und mildes Lächeln soll der Panzer sein gegen ihre Armseligkeiten!
Dem Gehen edler anmutiger Menschen wollen wir nachblicken, dem Spiele adeliger Gebärden und der Noblesse ihrer Ruhe! Ein Arm auf einer Sessellehne, eine Hand an einem Schirmgriff, das Halten des Kleides bei Regenwetter, süßes kindliches Bacchantentum bei einem Quadrillefinale, wortloses Erbleichen und wortloses Erröten, stummer Haß und stummes Lieben, und alles Auf und Ab der eingeschüchterten und zagen Menschenseele — — das, das alles wollen wir Stunde um Stunde in uns hineintrinken und daran wachsen!
Rastlos aber, vom Satan Gejagten gleich, stürmen die Anderen enttäuschungsschwangeren Zwecken entgegen, und ihre Seele bleibt ungenützt, verdirbt, schrumpft ein, stirbt ab!
Jeder Tag bringt einen Abend, und in der Bucht beim Toscana-Garten steht Schilf, und Weiden, und 96Haselstauden hängen über, ein Vogel flüchtet, und alte Steinstufen führen zu weiten Wiesen. Nebel zieht herüber, du lässest die Ruder sinken, und niemand, niemand stört dich!
Ich habe zwei Ästheten erster Güte kennen gelernt, einen jungen Mann und seine junge Gattin. Sie schaut aus, wie man sich den siebzehnjährigen Dante vorstellt. Sie trägt arabischen und indischen Schmuck. Sie leben im Tessin, am Lago Maggiore, in einem alten Steinhaus inmitten eines Edelkastanienurwäldchens. Jeder Satz, den sie äußert, ist ganz tief aus dem Geiste der Menschheit herausgeschöpft. Was sind eigentlich Ästheten, die uns brutaleren, zynischeren Naturen doch gänzlich ferne liegen?! Es sind Organisationen, bei denen sich die Urinstinkte völlig in Betrachtung und Genießen der zahllosen wertvollen Dinge der Welt aufgelöst, ja verflüchtigt haben. Alle Gemeinheiten, denen wir noch wie böse Tiere hie und da unterworfen sind, sind nicht mehr in ihnen. Der Friede ist in sie eingezogen, durch den ewigen Anblick von Gottes Weltenschönheiten, Weltenmerkwürdigkeiten. Solche Frauen blicken verklärter als alle anderen, denn ihr Reich ist, trotz allen Anscheins, nicht hienieden. Sie werden erlöst von der Sünde in jeglicher Beziehung; deshalb blicken sie mystisch, in kommende Welten hinein — — —. Jeder Mensch kann sich aus eigener Macht zu einem geistig-seelischen Organismus hinaufgestalten; und er und seine Umgebung hätten den Vorteil davon. Aber nur wenige unternehmen es. Ästheten sind, für brutale Organisationen betrachtet, wie gebrechliche Spielzeuge des Lebens, in linden Lüften und linden Düften dahinschaukelnd, tödlich verwundet von jedem rauhen Wort sogar. Es gibt 98Dinge, die man in ihrer Gegenwart nie auszusprechen wagte. Man muß durch sie von selbst ein feinfühligerer Mensch werden im Augenblick, obzwar man sich natürlich dadurch beengt fühlt. Aber mit Jeanne d’Arc hätte man ja auch nicht ungezogen oder sexuell sein können. Um gewisse Organisationen lagert eben die Atmosphäre Gottes, und da erlischt dann allmählich in den Augen des Lebenszynikers sein satanisch-ironisches Lächeln! Heil ihnen! Sie haben mehr gesegneten Frieden als wir anderen, wir Barbarischen — — —. Sie sind »Naturmenschen« einer erhöhteren, erst anbrechenden Kultur, die dann nach langer Zeit zu einer zweiten Natur werden wird! Ästheten sind übertriebene Vorläufer einer gottgefälligeren Seelenentwicklung!
Der Rathauspark duftet nun von edlen Bäumen und edlen Sträuchern. Es ist kühl und schattig. Aber damals war es eine endlose graue Wiese mit eingetretenen staubigen oder kotigen schmalen Fußwegen. Eines Tages stand eine grüne Bretterbude da, das erste Wandelpanorama in Wien, genannt »Der Rigi«. Es roch nach Öllämpchen, und mein Hofmeister und ich saßen in der ersten Reihe auf Strohsesselchen. Der Rigi und alle Seen und Bergesketten zogen an uns vorüber, zu den Klängen eines italienischen Werkels. Dann wurde es allmählich finster, und die Berghotelfenster beleuchteten sich, denn sie waren ausgeschnitten und dahinter Licht. Das gefiel mir. Später machten wir eines Tages die erste Pferdetramwayversuchsfahrt mit, vom Schottenring bis Dornbach. Es fiel mir auf, daß es fortwährend klingelte, was bisher bei den Fuhrwerken nicht zu beobachten war. Man hielt das Ganze für gefährlich und unsicher und glaubte nicht recht daran, daß es sich einbürgern werde.
Die Sonntage wurden in Hietzing bei »Domayer« verbracht. Es fiel uns angenehm auf, daß unser Vater dem Fiaker, der uns führte, du sagte und sich in leutselige Gespräche mit ihm einließ. Er kam uns vor wie ein milder Potentat. Die Trinkgelder waren enorm, gleichsam die Entschädigung für das vertrauliche du. Die Rückfahrten vom Lande abends sind das Schönste; da schläft man wie ein Toter. Man verflucht den Moment der Ankunft, der Wagen ist das wunderbarste Bett gewesen. Aber jetzt kommt 100Stiegensteigen, Ausziehen, eine unsäglich beschwerliche Arbeit.
Gebratene Äpfel spielten bei uns eine große Rolle. Alles duftete in den Zimmern danach. Das ist ganz abgekommen. Auch gedünstete Kastanien, goldigglänzend, auf schwarzgrünem Kohlpüree, waren eine Festspeise, die jetzt im Absterben begriffen ist. Die neue Generation macht sich nichts daraus.
Wir vergötterten unsere Hofmeister und Gouvernanten, und sie uns. Die Eltern spielten nur eine zweite diskretere Rolle, traten erst in Aktion bei außergewöhnlichen Ereignissen. Sie waren einfach der »Oberste Gerichtshof«. Wir lebten »romantische Idyllen«, deshalb fiel es uns später so schwer, dem realen Leben Genüge zu leisten — — —.
Vöslau, eigentümlicher Ort, einzige wirkliche Sentimentalität, die ich habe. Deine grünbefranste Station ist geblieben wie eh und je. Nur meine wunderschöne Mama, die mich im Damenbade sorgsam auf ihren Armen wiegte, ist längst nicht mehr. Die Lindenblüten rochen wunderbar, und das sonnengedörrte Holz der Kabinen und die Wäsche der triefenden Schwimmanzüge. Der Kies brannte die zarten Kinder- und Frauensohlen. Vom Wald kam Tannenharzduft, und von den Hausgärten kamen Millefleursgerüche. Meine Mama hielt mich zärtlichst mitten im Teiche, der für mich ein Ozean war! Sie verschwendete ihre romantische Zärtlichkeit an ein egoistisches, verständnisloses Kindchen, das ihren Hals in Angst umklammerte. Wunderbar ist der eingedämmte Bach, von der Station aus bis zum Bade. Links ungeheure üppige Wiesen, die zu nichts zu dienen scheinen und herrliches, dichtes Unkraut produzieren, für nichts und wieder nichts. Der Wind rauscht eigentümlich in den Tannen. Man hält es für einen mysteriösen Aufenthalt für Rekonvaleszenten, für kleine zarte Mäderln. Es ist so ein Sanatorium für müde Menschen. Die graublaue Ursprungsquelle von vierundzwanzig Grad Celsius ist wie lebenspendend. Sie spricht nicht viel, sie murmelt und gewährt! Viele Hausgärten sind voll von Frieden und Pracht. Im Cafégarten hart beim Bade ist es kühl vor Baumschatten wie in einem Keller. Daneben ein unbekannter Park wie ein Urwald. Niemand hat ihn vielleicht je betreten, ihn gestört 102in seinen überschüssigen Kräftespendungen! Wozu braucht man Brasilien und Lianenverstrickungen und Blütendunst und Geranke?!? Dieser Park ist Urwald. Vöslau, immer noch, seit fünfundvierzig Jahren, ist deine Station grünbefranst, und in dem Bache plätschern lustig die Enten, die unmittelbar darauf abgestochen werden, denn der murmelnde Bach ist nur ein letztes Reinigungsbad, gleichsam eine Vorleichenwaschung. Beim Bade duftet es nach Lindenblüten. Nichts hat sich verändert. Nur meine Mama ist nicht mehr.
Lieber Stefan Großmann,
in meinen entsetzlichen Qualen habe ich heute soeben Ihren herrlichen Essay über und für Frau Tolstoi gelesen. Es ist großartig. Nur eines: Das männliche Genie geht eben in seinen langsamen Weltentwicklungen zuerst vom gewöhnlichen allgemeinen irdischen Leben aus, völlert, bekehrt sich sodann, gründet Familiensegen, sucht Frieden wie ein jeder gewöhnliche Sterbliche. Dann, im Alter aber erschaut es die idealeren Welten, ist jedoch von seinen vorherigen Entwicklungsstufen gebunden, ja geknebelt, kann und darf sie nicht los werden, und lebt doch bereits zugleich in Welten, die das bisherige althergebrachte irdische Sein überflügelt haben. — — — Wie wenn einem Heranwachsenden noch immer die getreueste Mutterbrust ihre Milch anböte, während er längst über diese Periode seiner irdischen schwächlichen Kleinlichkeit hinausgewachsen ist!?! Der Träumer, der Denker, der Prophet, der Vorherseher, der Menschen-Erhöher schwingt sich von selbst, ohne es zu wissen, in Regionen einer anderen künftigen Konstellation, während er historisch-atavistisch noch mit den ehernen Klammern alltäglicher und gewohnter Notdurften am bisherigen gebräuchlichen Dasein festverankert ist! Das ist seine Tragik! Daher seine organische Undankbarkeit gegen jene, die einem Stoffe in ihm dienen, den zu überwinden und immaterieller zu machen, er die ersten genialen Versuche unternimmt. — — — Man degradiert 104ihn also in allerbester Intention, zu einer bereits geistig überwundenen Entwicklungsstufe seiner selbst. Preisen wir seine adeligen Betreuerinnen, aber vergessen wir dabei zugleich nie, daß es in genialen Prophetengehirnen Entwicklungsembryos gibt, denen Frauen und Freunde ratlos, ja unbewußt feindselig, sich entgegenstemmen! Die Henne brütet ein Entlein aus, betreut es, sucht es vor allem vor der Gefahr »Bächlein« zu bewahren. Aber das Entlein strebt nach dem fließenden klaren Wasser, und die mütterliche Henne blickt in Todesangst den Schwimmkünsten des Entleins in seinem ihm organischen Elemente nach! Henne, bescheide dich, Entlein, schwimme, tauche! Genie, du bist zwar undankbar, aber es ist eine organische, von Gott gesegnete Undankbarkeit, die den kommenden Menschen zugute kommen muß. Die Frauen betreuen die Genies, aber die Genies betreuen die Menschheit! Beide gehen zugrunde in ihrem merkwürdigen unentrinnbaren Lebenswerke, das in der Weltentwicklung vorgesehen, vorbedacht und wohlerwogen wurde vom göttlichen, meist noch gänzlich unfaßbaren Willen!
Frau Tolstoi, du bist nicht minderwertig; Herr Tolstoi, du bist nicht mehrwertig; in allen lebt und webt die göttliche Seele, unerforschlich, und dennoch geahnt und gespürt von einigen wenigen — — —.
Es ist tragisch genug, daß die meisten Verbesserungen in jeglicher Sphäre des Lebens wie von einer heimtückischen bösen Macht, vor allem vom bösen Zauberer »Gewohnheit« hintertrieben, aufgehalten, zerstört werden. Bei vielen Dingen kann man Gründe dafür finden, und sich daher wenigstens teilweise historisch-philosophisch über das Beharrungsvermögen des menschlichen Geistes beruhigen. Es gibt jedoch eine ganze Anzahl herrlicher Neuerungen, deren Nichtpopulärwerden man absolut nicht begreift. Dazu gehört die amerikanische Schuhputzmaschine. Ich kenne eine einzige in ganz Wien, im Hausflur des Cafés am Mehlmarkt. Man wirft zehn Heller in den Spalt, und dein Fuß wird dir sanft hineingezogen in die Maschine, und der Schuh dabei von Staub und Kot gereinigt. Dann wird er ebenso sanft wieder herausgeschoben und dabei gewichst und glänzend gebürstet! Man muß nur die Hose ein bißchen hochheben, da diese weder gewichst noch auch glänzend gemacht zu werden wünscht. Auch muß dein Fuß der Maschine völlig nachgeben, denn sie allein weiß, was für deinen Schuh zweckmäßig ist, und sie entläßt ihn erst zur rechten Zeit. Weshalb sind solche herrlichen und gutmütigen Maschinen nicht schon längst in den Vestibülen von Hotels, Cafés, Theatern aufgestellt?! Es ist fast eine Tragödie, es zu erleben, wie selbst in den allereinfachsten Dingen niemand das Herz und den Sinn dafür hat, seinen Nebenmenschen das Leben ein bißchen zu erleichtern. Dabei wäre es noch ein Geschäft, natürlich 106für beide Teile. Wie muß man da im vorhinein verzichten, in noch schwierigeren Lagen, unterstützt, betreut zu werden!?
Jemand sagte zu mir: »Es paßt mir nicht, daß diese Maschine mir meine zarten Chevreauschuhe mit einer minderwertigen Creme putzt!« Ich erwiderte ihm, daß die Maschine nur Staub und Kot entferne und dann glänzend bürste, also eigentlich mit jener Creme, die ein jeder Schuh schon von selbst habe. »Ach so,« sagte er tief enttäuscht darüber, daß er der neuen Schuhputzmaschine, die bescheiden ihre Pflicht erfüllt, kein Klampfl anhängen konnte, ihr kein Bein stellen konnte, über das sie schmählich stürzen müßte!
Die allerwenigsten Menschen haben auch nur die geringste Ahnung von dem Inhalt des Wortes »Lebensenergien«. Es ist ein mysteriöses und ganz simples Wort zugleich: es bedeutet alle Kraft, die unser Nervensystem enthält, zur Betätigung unsers Lebens. Diese Kraft erhalten, vermehren, heißt eigentlich: ein Kultivierter sein; sie schwächen, verringern, heißt: ein Unkultivierter sein. Wir verlieren täglich, stündlich Tausende wertvollster Lebensenergien durch irrige Lebensführung jeglicher Art, und dann noch durch den Mangel an Rücksicht der Nebenmenschen auf unser Nervensystem. Tausend Ungezogenheiten und Taktlosigkeiten der Menschen zerstören unsre angesammelten Lebensenergien. Ferner Sorge, Kummer, Eifersucht, Alkohol, schlechtes Essen, ungezogene Kellner, ungezogene Friseure, ungezogene Freunde, alles, alles das frißt uns täglich, stündlich unsre angesammelten Lebensenergien weg, und zwar auf eine merkwürdig schwächende, lähmende, Zuckerkrankheit vorbereitende Art! Frauen besonders sind genial geschickte Zerstörerinnen unsrer aufgestapelten Lebensenergien, durch Erzeugung von Eifersucht, diesem Krebsbazillus der Seele! Man wird plötzlich grün und gelb, und die Lebenselastizität läßt nach. Jeder Mensch ist eigentlich ein feiger heimtückischer Mörder eines jeden, den er in Unruhe setzt ohne zwingendsten Grund! Einem Menschen seine Lebensenergien erhalten wollen, sie schützen, ja, sie vermehren wollen, heißt allein: ihn wirklich lieb haben! Alles andre ist Seelenmumpitz! 108Wer mich in irgendeiner Sphäre meiner Lebensbetätigungen schwächt, stört, lähmt, statt mich zu fördern, ist mir feindselig gesinnt, wie er sich auch sonst stellen möge! Die Erhaltung der Lebensenergien meines Organismus sei die Sehnsucht einer jeden ernstlich freundschaftlichen Seele. »In meiner Gegenwart hatte sie einen unbeschreiblich elastischen Gang, alles an ihr schien leichter und von Erdenschwere befreiter zu werden — — —«; das wäre das ehrendste Zeugnis für eine wirklich liebevolle Mannesseele. Seine Verluste an Lebensenergien rechtzeitig spüren, seine Gewinne freudig buchen im Lebenskonto, würde viele der angenehmen Fähigkeit näherbringen, das hundertste Jahr, das Pfeifchen schmauchend, zu überschreiten. Ich bin einmal unerbittlich gegen den göttlichen Leichtsinn, ich bin für die erdenschwere Bedenklichkeit. Ich glaube, wenn Franz Schubert mein Intimus gewesen wäre, ich hätte ihm noch weitere zweitausend Lieder entlockt, indem ich ihn beschworen hätte, sich der seiner bedürfenden Menschheit zu erhalten durch allersorgfältigste Schonung seiner Lebensenergien. »Ja, pardon, aber ein Typhus raffte ihn hinweg — — —.« Aufgestapelte Lebensenergien nehmen hie und da sogar den erfolgreichen Kampf mit solchen Feinden wie Typhus, mit einer solchen Hunneninvasion, auf! »Ja, aber, mein Herr Schreiber dieser Zeilen, weshalb nehmen Sie selbst so wenig Rücksicht auf diese immerhin beherzigenswerten Lehren, in Ihrem eigenen werten Dasein?!?« Weil ich dann vielleicht Lebensenergien entwickelte, um noch einige solcher Bücher wie bisher zu schreiben, und das muß unbedingt hintertrieben werden durch ungeordnete Lebensführung.
Nun sah ich dich, Unbekannte, mit deiner bräunlichen Haut und dem krebsroten nassen seidenen Schwimmtrikot, am »Gänsehäufel«, und bin an dir vor Sehnsucht erkrankt. Immer, immer seh ich dich mit deinen unbeschreiblich edlen Gliedern an Wassers Rand entlanggehen mit weiten Schritten —.
O, weshalb durft’ ich dir nicht sagen: »Kaiserin des Strandbads!« Dir hätte es nichts geschadet, und mich hätt’ es erlöst, wie es müde enttäuschte Menschen erlöst, wenn sie in stillen Kirchen vor einer heiligen Frau niederknien —. So aber wandle ich, krank an meiner fanatischen Zärtlichkeit, dahin —. Kaiserin des Strandbads — — —.
An Unzulänglichem werden wir vorzeitig alt und müde, verlieren den Glauben an die Realisierbarkeit von Gottes Träumen. Da seh ich dich, Edelstgegliederte, und fange wieder an zu glauben —!
In Kleidern, geschützt durch Seide und Batist, oder im Bett, wo des Mannes Leidenschaft sein Auge trübt, wohlan! Da nehmen wir vorlieb, begnügen uns!
Jedoch, aufrechten Ganges, in Licht und Luft getaucht, in nassem Schwimmtrikot, da besteht keine außer dir diese zärtliche Prüfung! Nun sah ich dich und wurde krank an dir, weil ich nicht wenigstens flüstern durfte: »Kaiserin!«
Der Pastor zu einer armen Frau, die bis dahin ziemlich ungläubig war, den Satzungen der Religion gegenüber:
»Nun, liebe Frau, sind Sie durch meine Worte jetzt endlich gläubigern Sinnes geworden?!?«
»Herr Pastor,« erwiderte die Frau, »seitdem ich weiß, daß Gott alles sieht, wische ich in dem Hause, in dem ich bedienstet bin, den Staub auch unter den Teppichen auf — — —.«
Vielleicht ist auch dies gerade das tiefste Wesen der Liebe, einer Art von Realreligion: die Frau hält ihre Seele rein, sogar dort, wo niemand es mehr sieht und bemerken kann!
P. A. erhob sich von seinem Schmerzenslager, ging auf den Blumenmarkt, kaufte purpurrote Buchenzweige, schneeweiße Tazetten, zitronengelbe Nelken, dunkle Veilchen und riesig viele goldgelbe Mimosen mit graugrünen gefiederten Blättchen.
Und das ihre Dame vergötternde Stubenmädchen rief ihn an telephonisch: »Meine Gnädige schläft noch. Sie wird sich freuen beim Erwachen. Sie hat ein wunderschönes Bukett bekommen.«
Und er: »Von wem kann es denn sein?!?«
»Hoffentlich von Herrn L. Das würde sie am meisten beglücken.«
»Ja, es ist richtig von Herrn L.! Aber bitte, sagen Sie nicht, daß Sie es durch mich erfahren haben, sondern nur als Ihre eigene Vermutung.«
Und am nächsten Tage sagte die Dame beglückt zu Herrn L.: »Ich habe wunderbare Blumen erhalten gestern ...«
Und Herr L. erfuhr durch das süße Stubenmädchen, wie die Sache sich eigentlich wahrscheinlich verhalten habe ...
Sie fühlte es als ihre Pflicht, es ihm zu sagen.
Da sandte er denn am nächsten Tage die herrlichsten Blumen, unter dem Namen P. A.
Und die Dame sagte zu ihrem Stubenmädchen: »Sieh, auch P. A. hat mir Blumen gesandt, sehr nett von ihm, man hätte es ihm nicht zugetraut. Nun, aber die von Herrn L. am Vortage waren schöner, so wirklich mit Geschmack und Zärtlichkeit ausgesucht ...«
Ich habe den Menschen, die im Tagesgeschäfte festgerannt waren, nie viel geben können, trotz meiner sogenannten Freiheit, die mir Gelegenheit gab, über die Dinge des Daseins rücksichtslos nachdenken zu dürfen — — —. Aber es gibt dennoch wertvolle und höchst wichtige Dinge; vor allem:
Sorge Tag und Nacht für die Edelfunktion deines Darmes! Das »Bauchherz« ist wichtiger wie das, was wir verhältnismäßig unnötigerweise unter der linken Brustwarze tragen. Von der Funktion des Darmes hängt unser ganzes Denken, Fühlen und Sein ab, unsere Größe, unsere Güte, unsere Menschlichkeit und unsere Weisheit! Wehe dem, der 24 Stunden lang, also als Sünder und Verbrecher, unpurgiert dahinwandelt! Er wird millionenmal mehr Schaden anrichten als ein Raubmörder und Kinderschänder! Er wird in den kleinsten Dingen sein Menschentum verleugnen, das ihm Gott in seiner Gnade mitgegeben hat. Nur der äußerlich und innerlich purgierte Mensch kann auch geistig und seelisch purgiert sein! Existieren können, ohne Darmfunktion wie die Taube, die es im Fluge von sich läßt, ohne sich in ihren edlen Schwingungen auch nur 1/100 Sekunde dadurch stören zu lassen, ist ein schändliches Verbrechen an sich und vor allem seinen Nebenmenschen, an denen man seinen Unmut, den man sich selbst gezüchtet hat, in heimtückischer Weise dann Tag und Nacht ausläßt.
Abführmittel sind theosophische Geheimmittel, 113die imstande sind, den Menschen zu einer höheren Art hinaufzuentwickeln! Im Moment, wo das Genie seine heiligen Darmfunktionen geschwächt fühlt, fühlt es sich degradiert zur »Herde der Gewöhnlichen«! Seine Schwingen sind ihm — wenn auch in anderer Weise — beschnitten und gelähmt.
Bauchherz, nervus sympathicus, plexus solaris, unbekanntestes Phänomen unter den mysteriösen Phänomenen dieser Welt, möge dir die Forschung und die Arbeit der künftigen Genies geweiht sein! Unten frei, oben frei! Unten gebunden, oben gebunden! So ist es!
Es gibt fast keine Schädlichkeit, die wir unserem Organismus antun, die nicht durch eine absolut vollkommene Verdauungskraft besiegt werden könnte! Unsere Darmnerven sind wichtiger wie unsere Gesamttätigkeiten unseres Organismus, als alle andern Organe zusammen! Mit einem absolut leichten Stuhlgang müßte man sich theoretisch eine »ewige Jugend« verschaffen können. Der obstipierte Mensch ist kein menschliches Wesen! Seine Heiligkeit, seine Gottähnlichkeit beginnt erst, wenn die Darmfunktionen eine fast ideale Leistungsfähigkeit erreicht haben. Die tiefste Genialität eines Organismus ist, mehr Rücksicht auf seine Darmnerven zu nehmen, als auf alle andern zusammen! Man schont damit vor allem Herz und Gehirn.
Ewige Rache, die Gott, Schicksal und Natur am Philister nehmen: Sie verhindern ihn, Tag und Nacht Tonika zu suchen, Belebungs- und Erregungsmittel 114dieser Stoffwechselmaschine »Mensch«! Sie wollen immer glatt und beruhigt überall durchkommen; daher verlieren sie die einzige Kraft, die es für die menschliche Maschine gibt: den Stoff-wechsel!
Das geniale Gehirn hat nie die kleinliche Todesangst des Philisters, sondern die absolute eines Bismarck, der wußte, daß bei einer verlorenen Schlacht von Königgrätz ihm nur mehr die Revolverkugel übrig bliebe. — Selbst Goethe hatte ein Jahr lang den geladenen Revolver auf seinem Nachtkastel liegen. Sich schützen?!? Vor dem Altwerden, vor dem Sterben?!? Wozu also?! Das Genie bringt sich rechtzeitig um, wenn es seine Mission erfüllt hat, oder sie nicht erfüllen konnte! Aber diese andern paktieren mit dem Leben, das dann doch keines ist und keinen Pakt zuläßt!
Ein Restaurant ersten Ranges, von einem modernen Architekten unerhört einfach-primitiv, aber zugleich aristokratisch-apart eingerichtet. Es wirken in der Küche in idealer Gemeinschaft ein französischer Koch und ein junger Arzt, Diätetiker, Hygieniker, und der Dichter. Jede Speise ein unerhört leichtverdauliches Gedicht für den Verdauungsapparat! Lauter Speisen, die in drei bis fünf Stunden verdaut sind ohne Rückstände! Reiche Stoffwechselkranke, Nervenkranke, Magenkranke, Darmkranke würden hier ein absolut sicheres Asyl finden! Die internationale Püreemaschine würde auf jedem Tische stehen. Einige Umdrehungen, und jede Speise hat die Konsistenz erhalten von Erdäpfelpüree, Erbsenpüree! Schöne Zähne sind eine ästhetische Angelegenheit, aber man soll sie nicht gebrauchen! Den Speisen ihre Seele ausziehen, ihr Wertvollstes, und das Unverdauliche den Hunden, den Schweinen! Kein Essig, sondern Zitrone! Ganz, ganz neue Zusammenstellungen. Zum Beispiel durchpassiertes Kalbfleisch in Eiersauce. Pürees und Saucen in noch nie dagewesenen neuen Verbindungen! Man kann sich krank essen und bleibt dennoch gesund! Die Diätetik eine reale Romantik geworden! Erfüllbare Ideale! Die Zähne haben ihre miserable dilettantische Zerkleinerungstätigkeit einzustellen, sobald die internationale Püreemaschine ihre Dienste ideal ersetzt. Man putze sie und halte sie als Kunstwerkchen in Ehren! Der Edelmaschine darf man nicht Lasten aufbürden, sondern muß sie ihr zu ersparen suchen! 116Das Kindchen saugt an der Mutterbrust, und die müde und nervös gewordene Menschheit will desgleichen! Jeder komplizierten Maschine sucht man die Widerstände so viel als möglich zu ersparen; nur dieser unglückseligen und allerherrlichsten Maschine: »menschlicher Verdauungsapparat« nicht! Weshalb?! Gründet das Restaurant Prodromos! Es soll eine Oase werden. Nach jeder Mahlzeit kann man sich hinlegen auf ideale Ruhestühle, was riesig wichtig ist! Es gibt Zimmerchen, in denen man, wenn auch nur für zehn Minuten schlafen kann! Eine Regenerationsanstalt, als Restaurant geführt. Ein Gasthaussanatorium! Teuer, aber fast kostspielige Kuren ersetzend! Weshalb warten mit der Ausführung?! Gibt es denn keine Idealisten, die dennoch verdienen möchten?! Sind denn das Gegensätze, um Gotteswillen?! Was sollte denn reellerweise eigentlich belohnt werden auf Erden als der wohlverstandene Idealismus?!? Gründet das Restaurant Prodromos! Und gedenket meiner, des Urhebers!
Um zwei Uhr morgens kam die Nachricht in die American Bar, daß ein Palais nächst dem Stadtpark in Flammen stehe. Wir ließen unsre wunderbaren Mischungen sofort stehen, fuhren im Fiaker rasend hin.
Auf dem Dache des fünfstöckigen Palastes leuchteten die weißen Magnesiumfackeln der Feuerwehr, und goldgelbe und rote Funken fielen zur Erde. Unten im Finstern der Straßen leuchteten die Lampen der Feuerwehrautomobile wie getreue Wächterhundeaugen! So besorgt-gutmütig!
Der Stadtpark war schwarz und einsam. Auf einer Bank saßen Zwei, Hand in Hand. Sie betrachteten den Brand des Palais, hörten die Feuerwehrsignale: »Wasser! Wasser! Wasser!«, und sie waren und sie blieben versunken in ihrem eigenen unentrinnbaren Schicksal, Hand in Hand.
Das Palais brannte, und man erließ für die obern Parteien bereits die Nachricht, sie möchten delogieren und herabkommen — — —.
Der Stadtpark war einsam und im Dunkeln — —.
Sie trug ein wunderbares, stark dekolletiertes schulterfreies Kleid. Ihre Freunde bewunderten ihre herrlich modellierten Schultern. Da stand sie auf, ging in ihre Garderobe zurück und zog ein viel dezenteres Kleid an, das nur Hals und Arme frei ließ.
Einige Augenblicke später kam ihr Bräutigam.
»Natürlich,« sagte er, »man muß sich für die fremden Männer dekolletieren!«
»Herr Bräutigam,« sagte ein Baron, »das ist doch gerade das Schöne an Ihrer Freundin, daß sie immer so einfach und dezent gekleidet ist und gar nichts aus sich macht. Schließlich und endlich muß es doch auch Ihnen schmeicheln, wenn andere Sie darum beneiden und sie bewundern!«
»Anita,« sagte der Bräutigam, »gehe doch in die Garderobe und ziehe dir mal das neue schulterfreie Kleid an, das ich für dich entworfen habe. Du bist ja nicht mehr im Sacré Coeur — — —.«
Die Dame stand auf und ging in die Garderobe, das noch körperwarme schulterfreie Kleid wieder anzulegen — — —.
Die Freunde sagten hypokrit: »Das ist wirklich etwas gewagt und auffallend — — — Aber wenn es Ihnen recht ist, Herr Bräutigam — — —?!?«
Mademoiselle Myosa, das Original mit dem tiefen wunderbaren Blick, in dem direkt eine Art von fanatischer Tanzmission glüht und fiebert, ist von unbeschreiblicher Anmut. Die übrigen Tänzerinnen tanzen, aber sie ist der Tanz selbst, sie versinkt, ertrinkt im Tanzen. Sie existiert nicht mehr. Sie kann sich, auch im Leben, in nichts anderm äußern. Man hat die Empfindung: sie ißt nicht, sie trinkt nicht, sie schläft nicht, sie will kein Geld und keine sonstigen scheinbar unentrinnbaren Leidenschaften — — — sie will tanzen, tanzen, tanzen! Der Fisch will Wasser, nur Wasser; und sie will den Tanz, nur den Tanz! Sie ist das erste Tanzgenie, das ich je erblickt habe, wegen ihrer fast pathologischen Konzentration. Sie rührt und macht erstaunen. Hat Gott die Welt nur erschaffen, damit Myosa sich darin austanze?! »Ja!« sagen ihre düstern Blicke. Sie hat Bewegungen, die man noch nie bei einer Tänzerin gesehen hat, wie wenn oft ihr wunderbarer kindlicher Leib von einer inneren Macht gezwungen würde. Dabei ist sie ununterbrochen verzweifelt, daß es in diesem Vergnügungsetablissement nicht still und feierlich ist während ihres heiligen Tanzens wie in einer Kirche; sprechen, lachen, verletzt sie tödlich; ein Zug unaussprechlichen ergreifenden Leidens ist da mitten im Tanzen auf ihrem herrlichen Antlitz. Da haßt sie die Menschen und die Welt! Sie ist eine tragische Persönlichkeit, feindselig und abhold dem leichten Dasein der Stunde. Sie ist ein Phänomen, eine Einzige, eine in sich Gekehrte, starre Unerbittliche 120des Tanzes! Und das alles dort, wo man sich bei uns amüsieren, zerstreuen will!? Arme, arme Myosa — — —!
Als Kinder saßen wir Abend für Abend mit unsern geliebten Eltern im Stadtpark, im Kursalon. Wir bekamen Eis und Hohlhippen und hatten keinerlei Sorgen. Der Vater geht nun seit Jahren nicht aus seinem bequemen Zimmer mehr heraus, und die Mutter nicht aus dem bequemen Totenschrein. Ich, glatzköpfig und sorgenvoll, komme nun in den Stadtpark, Kursalon, auf die Terrasse, an denselben Tisch, an welchem wir einst sorgenlos mit den geliebten Eltern saßen. Ich bestelle dasselbe Eis, Himbeerschokolade, wie als Kind, mit recht vielen und knisternden, also frischen Hohlhippen. Vor mir die Gartenbeete wie einst, ein bißchen bunter, origineller. Ich sehe Eltern mit ihren Kindern. Sie zanken und schelten. Unsre Eltern zankten und schalten nie, nie. Vielleicht war es schlecht, daß sie es nie taten, aber sie hatten Achtung vor ihren eigenen Erzeugnissen, und Zuversicht! Wir haben sie enttäuscht; aber sie haben es hingenommen als Schicksal und Verhängnis. Wir haben ihre Tränen, die sie um uns weinten, nie gespürt — — —. Nun sitze ich, Glatzköpfiger, Sorgenvoller, wieder im Stadtpark, im Kursalon, auf der Terrasse, an demselben Tisch wie einst mit den geliebten Eltern, esse dieselbe Portion Himbeerschokolade wie einst, mit vielen knisternden, also frischen Hohlhippen — — —. Die Gartenbeete, auf die ich herabblicke, sind ein wenig bunter, origineller. Aber sonst hat sich nichts verändert, in den Zeiten vom dummen Kind zum müden Mann! Ich sehe Eltern, die ihre 122Kinder im Park schelten; unsre Eltern schalten uns nie; sie erhofften es, daß wir sie einst belohnen würden für ihre Güte; aber wir taten es nicht. Wir hatten eine schöne Kinderzeit; so tauchen wir denn hinab in Erinnerungen, da wir vom seienden Tage nicht leben können. Wir hatten allzu sanftmütige, hoffnungsfreudige, schicksalergebene Eltern. Es war ein Fluch und ein Segen! Man kann nun an Zeiten zurückdenken, die paradiesisch waren — —. Nicht jeder, der vor sich das Dunkel sieht, kann liebevollen Herzens der lichten Zeiten dankbar sich erinnern — — —.
Ich verzeihe dir! Vier Tage und vier Nächte habe ich mich durchgerungen. Die Nächte besonders waren voll von Qual. Wenn du gewußt hättest, was du mir angetan hast an Leid, du hättest es wahrscheinlich nicht getan. Aber ihr wißt es eben nicht, wollt, könnt es nicht wissen! Unser verstörtes Antlitz sagt euch nichts. Prügel sind der Ausbruch für euch unserer verletzten Eigenliebe. Und sogar Mord ist doch in Eueren Augen nur Rachgier! Unsere Zärtlichkeit könnt ihr nicht ahnen, die wir für euer Leben haben, wie jedes Muttertier für seine Jungen, oder wie der Storch, der sich auf dem brennenden Dache niederläßt, um mit den Jungen, die er nicht mehr erretten kann vor Qualm und Hitze, selbst zu verbrennen! So sind wir mit euch! Mit euch verbrennen, wenns keine Rettung gibt — — —. Das zarte Nest ist in Gefahr, das wir euch errichtet mit allen Mühen unseres armen Lebens; das Nest ist in Gefahr — — —. Ich will dich retten, doch der Qualm betäubt mich. Anita, oh Anita — — —! Vier Tage und vier Nächte hab’ ich mich durchgerungen. Die Nächte besonders waren voll von Qual. Ich will dich retten vor dir und vor den anderen! Ich liebe dich, es bleibt mir keine Wahl — — —. In mir sind Gottes Zärtlichkeiten für jedes Geschöpf, konzentriert auf dich! Bis du es aber spürst, vergehen Jahre, Jahre. Mir ist die Kraft verliehen, an deiner Bahre, in deinem toten Antlitz noch verständnisvollen Dank mir endlich zu erspähen! Vier Tage und vier Nächte hab ich mich durchgerungen. Die Nächte besonders waren voll 124von Qual. Ich liebe dich, es bleibt mir keine Wahl. Wir wollen den Schmerz begraben, der uns begrub — — —. Nimm also dein neues Kleid, wir wollen zu fremden Menschen gehen, die fröhlich sind, Geliebte!
Ich habe irgendwo einen geistreichen Essay gelesen — leider geist-reich, aber wahrheits-arm — über das Wesen der sogenannten Hamsun-Menschen, das heißt: jener Menschen, die Hamsun in seinen Romanen beschreibt.
Es sind nämlich ganz einfach Menschen, die die Lächerlichkeit des menschlichen Geistes und der menschlichen Seele durchschaut haben und dahinter gekommen sind, daß alles öder Mumpitz ist! Ich bin überzeugt, daß Shakespeare die Eifersucht des Othello, den Ehrgeiz des Macbeth, die Liebe des Romeo für ebenso lächerliche und wertlose Dinge, für übertriebene Irrsinne, für groteske Stupiditäten von Monomanen oder Paralytikern gehalten habe; nur hatte er damals noch die sogenannte gesunde Kraft, aus diesen Irrsinnen scheinbar menschliche Dramen zu fabrizieren! Hamsun hingegen hält Markensammler, Münzensammler und Liebesleute für lächerliche Persönlichkeiten, und nichts in der Welt kann ihm ein Interesse abgewinnen als die schändliche und infame Lächerlichkeit, mit der alle Menschen die ihnen wichtig erscheinenden Dinge auch ernstlich für wichtig halten! Diejenigen Unglückseligen, die in der Mitte schwanken zwischen der Bejahung und Negierung des Daseins, machen sich ein Geschäft daraus, Hamsun-Menschen fälschlich erklären zu wollen, indem sie selbst weder den Mut haben, bejahende Normalmenschen noch negierende Perverse zu sein. Der sogenannte gesunde Mittelweg ist die Straße des feigen Idioten. Er allein ist der ungerechte 126und ewig mißtrauische Nichtsversteher! Sie wollen in den Abgründen des Daseins sich ein Pfädchen herausschinden, auf dem sie scheinbar noch sicher dahin schreiten könnten! Aber vergeblich! Es handelt sich nur um einige Jahre, und auch sie werden zur Browningpistole innerlich greifen müssen. Hamsun erkannte die Nichtigkeit, die Lächerlichkeit, die Bösartigkeit, die Gemeinheit des Lebens in jeder Minute, in jeder Stunde, an jedem Tage; aber die, die noch nicht die Kraft haben, das ganz zu erfassen, klammern sich an irgend einen Popanz fest, der sie hoffentlich irgend einmal zugrunde richten wird.
Hamsun-Menschen haben ganz einfach einen milliardenmal tiefem Einblick in die Lächerlichkeit und Wesenlosigkeit des Daseins, als die andern Menschen, und derjenige, der sich aus diesen unentrinnbaren Wahrheiten herausretten will, beweist damit nur die Feigheit, daß er mit einem wertlosen Leben den wertlosen Kampf noch immer vergeblich aufnimmt. Alle Menschen sind Münzen- und Markensammler, und wer ihre absolut wertlosen Irrsinne nicht erkennt, ist ein ebensolcher Idiot, wenn er auch in seelischer und geistiger Beziehung andre, aber ebenso wertlose Sammlungen anlegt! Sich über die letzten Erkenntnisse eines Hamsun-Gehirns hinüberschwingen zu wollen, ist die infamste Feigheit eines Menschen, der nicht imstande ist, eine Stunde lang ein wahrheitsvolles Leben zu führen.
Das Leben ist eine feige Lächerlichkeit, mit frechen Ambitionen, und es gehören alle Verlogenheiten der menschlichen Seele und des menschlichen Geistes dazu, um es auch nur eine Minute lang ernst 127zu nehmen! Strindberg wußte, was er von Frauen zu halten hatte, die, statt ihn zu schützen und zu schonen, ihm seine göttlichen Kräfte auf allen Wegen und Stegen zu rauben suchten. Er hatte die Genialität, an die Anständigkeiten der Frau zu glauben, fand aber nur herzlose Tyranninnen, die die Schwächen selbst der genialen Organisation auf perfideste und heimtückischste Weise ausnutzten! Was August Strindberg dichtete und dachte, war ihnen eine nebensächliche Erscheinung, aber sein persönliches Liebesleben kontrollierten sie mit ihren unfähigen und niedrigen Sinnen! Alle Männer sollten wie Strindberg es erhoffen, daß man ihre edelsten Kräfte schonen und schützen werde, und sie nicht ausnutzen werde zur gemeinen Bequemlichkeit des Tages- und Nachtlebens. Eine Frau, die auch nur eine Stunde lang einen August Strindberg quälte, wäre wert, von der ganzen Menschheit boykottiert und gefoltert zu werden, denn für ihre Glückseligkeit würde der Kommis einer Seidenfirma bessere Dienste leisten! Sie rächt sich in ihrem ewigen Vier-Wochen-Turnus an den ewigen Entwicklungsfähigkeiten des Mannes, und das Genie Strindbergs bäumte sich für hunderttausend gequälte andre Genies auf gegen den Mangel an Respekt einer geliebten Frau vor der Geistigkeit des Mannes!
Hamsun nahm die Sache nicht so tragisch, sondern mehr von der ironischen Seite, und selbst Shakespeare war ein Strindberg und ein Hamsun im Grunde seiner Seele, aber er hatte leider noch die gesunde Kraft, es in fünfaktige Dramen umzusetzen, deren eigentliche tiefe Ironie der Welt nie verständlich wurde!
128Der Ansichtskartensammler ist kein größerer Narr als alle andern, die sich an angeblich wichtigere Objekte Tag und Nacht anklammern, um ihr Leben damit auszufüllen und in kümmerlicher, armseliger, schamlos-feiger Weise zu fristen. Je weniger Spesen sie dabei haben, desto normaler sind sie. Es gibt Schriftsteller, die die Geschicklichkeit haben, einem Hamsun und Strindberg sogar ihre Irrsinne nachzuweisen! Ich selbst begnüge mich mit der Ansicht, daß sich außerhalb des Lebens zu bewegen und mit ihm keine anderen Zusammenhänge zu haben wie die eines satanischen Lächelns, die einzige Sache und Aufgabe eines genialen Menschen sei!
Wer die Kraft hat, dem Leben mit aufgezogenem Visier ins Auge zu blicken, der wird das große Mauer-Oehling und Steinhof der Menschheit in Ernst und Ruhe erkennen, und seine Stunde, die ihn von dem Stumpfsinn und der Stupidität endgiltig befreit, mit Freude erwarten —.
Ich lese die Geschichte vom Grafen von Lavalette, und sie interessiert mich gar nicht. Er war ein Getreuester Napoleons des Ersten.
Aber ich habe bisher es nicht eingesehen, wodurch dieser »geniale Feuergeist«, dieses »Ungetüm an Lebensenergien«, der Gesamtmenschheit irgendwie geholfen habe!?! Die Geschichte seiner »Getreuen« interessiert mich daher um so weniger. Aber als Lavalette, dieser »Tatendurstige« (ein schreckliches Wort für den Lebenskundigen) eingesperrt und hingerichtet werden sollte, gab ihm seine Frau ihre Kleider, und er entfloh. Sie selbst wurde im Kerker derart mißhandelt, daß sie irrsinnig wurde.
Da begann ich mich für die Gräfin von Lavalette zu interessieren, die in den Memoiren gar nicht erwähnt ist.
Ehre ihrer Seele!
O Fraue,
Nicht was du bist, bist du!
Das, was wir von dir träumen, das bist du!
Was in der dunklen Wehmut unseres begeisterten Blicks erschimmert, das bist du!
Der Duft deines Atems, der uns den Duft der ganzen blühenden geheimnisvollen Welt bringt, das bist du!
Deine nicht erfüllten Sehnsuchten, die auf deinem lieblichen Antlitz kauern, und die wir mehr miterleben, miterleiden als du selber,
Das bist du!
Die Träne, die aus unsern Augen langsam herabrieselt (wir selber wissen nicht, aus welchem Leid sie ihre Quellen hat) das, das bist du!
Und unser Lächeln bist du, wenn du kommst — — —!
Und unsere ernste Stille, wenn du von uns gehst — — —!
Wenn du uns kränkst und wenn du uns verwundest,
Nimmst du dir selbst die Pracht des eigenen Lebens,
Denn was wir von dir fühlen, das bist du! Bleib darum milde — — —.
Dreh’ nicht der Nachtigall den Hals um, wenn sie in die lichte Mondnacht schmettert,
Denn ihr Lied macht erst die Mondnacht zu dem, was sie ist!
O Fraue, laß uns singen, sagen, klagen — — —.
Was du von uns vernimmst, das erst bist du!
Wann soll ich sterben, mich umbringen?! Es ist an der Zeit.
Es ist fünf Uhr morgens. Man sieht noch nicht die großen braunroten Dächer der alten Wallnerstraßenpaläste. Man hört die Uhren von fünf Kirchtürmen. Sie folgen einander so merkwürdig, wie um sich nicht gegenseitig zu stören, lauschendes Menschenohr nicht zu verwirren, das Ohr von Kranken, die dem heimlichern Tage bang entgegenlauschen — — —.
Wann soll es sein?!
Sie darf nicht geweckt werden aus ihrem mir heiligen Schlaf, durch eine Nachricht, die jedenfalls erregt und schadet — — —. Wenns ihr auch schmeichelt, daß es ihretwegen ist — — —.
Ich muß also warten, bis die völlig Ausgerastete die merkwürdige Botschaft hört,
daß ihr fanatisch getreuester Ritter sie dennoch verlassen mußte, mitten im Seelendienste, der ihn brach und sie nur störte, die einsam kranke Frau — — —.
Nach Hamburg wird die Kunde später dringen, und H. M. ist gewappnet mit Ergebenheiten!
In ihrer Religion sind Kreuzigungen vorhergesehen, und sie wird leben aus innern Kräften, durch Leid erhöht, betaut, befruchtet!
Bessie wird in Leysin, im Paradies des Wintersports am Genfersee, die Nachricht hören, und in meinen Briefen vielleicht kramen, die sie besitzt.
Die Hauptsach’ ist, daß meine vergötterte Frau 132in Wien nicht durch die Nachricht aus dem Schlafe kommt, den sie so nötig hat.
Man muß sichs also einzuteilen wissen. Tag, brich an!
Lebet wohl — — —!
Der grelle Tag macht freilich den Abschied schwerer als des Wintermorgens düstre Dämmerungen!
Jedoch die Frau darf’s erst vernehmen, wenn sie ausgerastet ist von langem Schlafe — — —.
Sie saß an einem riesigen Parterrefenster, das fast den Boden der staubigen grauen elenden Dorfstraße berührte, und nähte an einer schönen blinkenden Nähmaschine. Blusen, von morgens bis abends. Ihre Augen hatten einen Ausdruck von Verzweiflung. Aber sie selbst wußte nichts davon. Sie nähte, nähte und nähte. Sie war ganz mager, ungeeignet für den Sturm des Daseins, der Seelen und Körper schüttelt und hinwegfegt. Abends aß sie das kalte Gemüse vom Mittagstisch. Das sah ich alles durch das riesige Parterrefenster hindurch, und sie sah, daß ich alles sah.
Eines Abends stand sie vor dem Haustor so angelehnt. Da sagte sie: »Ich habe eine Stellung angenommen in Mariahilf in einer Blusenfabrik, ich werde nicht mehr privat arbeiten müssen in diesem einsamen Zimmer.«
Da dachte ich: »Dorfstraße, Dorfstraße, du hast deinen Glanz, du hast deinen Reichtum eingebüßt!«
»Man muß sich seine Lage verbessern, nicht wahr!?« sagte sie, »ich habe Sie übrigens immer an meinem Fenster vorübergehen sehen, dreimal des Tages. Dreimal des Tages sind Sie freilich vorübergegangen. Aber in Mariahilf werden vierzig Mädchen sein, und man wird plaudern können, und arbeiten wie in einem Ameisenhaufen — — —.«
»Sie, Fräulein, ich werde auch dreimal noch täglich an Ihrem Fenster vorübergehen, wenn Sie nicht mehr dasitzen — — —.«
134»Ja, werden Sie das?!? Da werde ich also doch auch zugleich zu Hause sein wie früher in meiner Heimat — — —.«
»Lassen Sie vielleicht Ihre blinkende kleine Nähmaschine am Fenster stehen, und dabei eine ihrer angefangenen Blusen — — —.«
»Ja, bitte, das werde ich — — —.«
Das war die einzige wahrhaftige Beziehung mit einer Frauenseele während meines ganzen ereignisreichen Lebens — — —.
Dorfstraße, graue staubige Dorfstraße, du hast nun deinen Glanz, du hast deinen Reichtum eingebüßt — — —. Sie, sie geht nun in die Arbeit, in die Welt — — —!
Juli im Volksgarten. Die holde Frische der Gewächse ist vorüber. Nur Rosa Crimson Rampler blühen als dunkelrotes Gebüsch. Auf dem Teich vor dem Elisabethdenkmal sind die Seerosen verblüht. Nur die Blätter liegen papierflach auf grünschillerndem Wasser. In den riesigen hellgrauen Tonkübeln blühen hellrosa Hortensien. Die marmornen Kindergesichter an den Brunnen strahlen Lieblichkeit aus sondergleichen. Es sollen die Kinder des Bildhauers selbst sein. Heil ihm! Ein Mäderl von neun Jahren zeigt uns alle ihre herrlichen Künste. Sie hat nur ein weißes Hemd an mit einer dicken roten seidenen Schnur. Sie läuft Springschnur wie ein griechischer Marathonläufer. Sie spielt Diabolo wie ein Champion. Sie spielt zugleich mit zwei Raketts und zwei roten Gummibällen. Ich rufe: »Bravo, bravo!« als säße ich in einem Variété. Sie hat nackte Gazellenbeine. Sie macht alles von nun an infolge des Applauses für mich und meine edle Freundin. Einmal heben wir ihr einen Ball auf. Sie weiß, sie befindet sich in unsrer Gunst. Sie hat fremde Menschen für sich gewonnen, sie hat die enge Sphäre von Papa, Mama, Onkel, Tante überflogen, sie ist in das Land eingedrungen objektiver Anerkennungen.
Und da sagte ihre Mama: »Spiele doch zu mir zu, ich will dich auch sehen, nicht immer nur deinen Rücken.«
Da wandte sich das Kind von uns ab und spielte gegen die Mama zu. Nur hie und da blickte sie sich um nach ihren fremden Verehrern.
136Später kam der Papa, ermüdet vom Geschäfte.
»Amüsierst du dich, Anna?!?« sagte er zu seinem Töchterchen.
»Amüsieren, amüsieren —« dachte Anna, »man bewundert mich, man staunt mich an —.«
Wenn dir, Du angeblich Liebender, jeder Atemhauch meines Mundes ebenso berauschend wäre wie meinem Peter,
wenn dich mein Gehen, Stehen, Sitzen, und jede Linie meines Leibes ebenso entzücken könnte,
wenn der dunkle Klang meiner Stimme, wie Peter sagt, aus dem Gaumen-Resonanzboden,
dir ebenso lieblich tönen könnte,
und ebenso berauschend das Rauschen meiner seidenen Unterkleider wie ihm,
wenn du in das Waschwasser meines Lavoirs, in dem ich badete, ebenso liebevoll deinen Kopf untertauchen könntest wie er,
gleichsam um zu ertrinken in heiliger Flut;
wenn du mich ebenso nähmest als überirdisches Wesen, das ich natürlich nicht bin und nicht sein kann, bei Tag und Nacht,
wenn du also gleich ihm aus meinen Armseligkeiten eine verklärte Dichtung machen könntest, die dich beglückte und Leben spendete wie Tau und Sonne den zarten Pflanzen — — —
wer weiß, ob ich mich dann nicht verführen ließe, dir zu dienen gleich ihm — — —.
Aber du kannst, du wirst es nicht zusammenbringen!
Es sind Mysterien, aufbewahrt von Gott den wirklich liebevollen Herzen!!!
Das zu erkennen, ist unser einziger, unser bester Schutz!
Es gibt nur immer einen, dem wir ein Verhängnis 138werden! Den anderen sind wir Zitronen, die man auspreßt, und deren Schale man in die Latrine wirft!
Der Ältere und der Jüngere waren anfänglich kolossal eifersüchtig aufeinander. Bis der Ältere ihr einen geläuterten Brief schrieb. Darin stand unter anderm: »Der Jüngere ist der Jüngere. Daher hat er den momentanen Sieg. Aber der Ältere ist der Ältere. Daher hat er einen Vorsprung, welcher Art immer. Es wird sich schon zeigen —.« Sie verstand kein Wort davon. Infolgedessen versöhnten sich die beiden Rivalen.
Dem Jüngeren ward sie aber zu einfach, zu ruhig mit der Zeit. Der Ältere ruhte bei ihr aus, von den Strapazen seiner Seelenweltreisen. Der Jüngere hatte sie lieb, solange sie nicht da war, der Ältere erst, wenn sie neben ihm dahinging wie ein verlorenes Kindchen. Er dachte dabei an die »Ludern«, denen er unnützerweise sein Denken, sein Dichten, sein Träumen geweiht hatte durch Jahre, und die doch nur sich-überhebende freche Püppchen gewesen waren zeitlebens.
Aber auch er hatte bald genug von ihr, obzwar er sie brüderlich zärtlich lieb hatte und sie ganz verstand und achtete. Der Jüngere feierte hie und da dennoch immer wieder Orgien mit ihr und behauptete dann, sie sei doch die einzige von allen. Der Ältere brachte sie zum Chor der Operette. Es begann ihr sehr gut zu gehen. Aber immer wieder kam sie zu dem Jüngeren zurück ohne Grund, und zu dem Älteren sagte sie sanft: »Wissen Sie noch, wie Sie mir die Pfirsiche geschenkt haben?!« Später fuhr sie im eigenen Automobil. Sie vergaß ganz des Jüngeren. Aber so oft sie den Älteren erblickte, sagte sie sanft: »Servus, Pfirsich-Herr!«
Man kann vielen Menschen riesige Dienste in den geringsten Kleinigkeiten leisten. Aber niemand tut es. Zum Beispiel einer Dame zu sagen: »Wenn Sie sich abends mit einem trockenen englischen Reibhandschuh, fleshglove, den ganzen Leib leicht rosig reiben lassen werden, ganz, ganz zart, ohne Reibeisengefühl, so werden sie gegen Zugluft vollständig immun werden!«
Ich trat einst auf eine wunderbar schöne Frau zu und sagte zu ihr: »Gnädige Frau, ich könnte Ihnen einen wesentlichen Lebensdienst leisten, den Ihnen wahrscheinlich sonst niemand leisten würde —.« »Nun, worin besteht er?!« »Sie haben in Ihrem wunderbar modellierten Ohr einen schwarzen Mitesser, den ich auf die zarteste Weise mit einem geschickten Druck meiner zwei Finger entfernen könnte. Mancher Mann könnte daran enttäuscht werden, und es könnte Ihren edlen Lebensweg erschweren —.«
Die Dame erbleichte, stand auf, ging mit mir hinaus. Ich entfernte ihr den schwarzen Mitesser aus dem rosigen Ohr.
Dann sagte sie: »Sie, Herr, wie kommen Sie eigentlich zu solchen Unverschämtheiten?! Was gehen Sie denn meine Ohren an?!«
»Nichts«, erwiderte ich und entfernte mich befriedigt.
Ich bin nämlich gar nicht gesundet, sondern aus dem Grabe, wie ein Gespenst meiner selbst auferstanden. Aber ich habe in Inzersdorf bei Wien einen schönen stillen Park gehabt mit Naturwiesen, einen allerbesten Direktor Emil Fries, einen Gentleman vom Kopf bis zu den Sohlen, seine edle französische Frau zu meiner idealen Gesellschaft, taktvoll und herzlich vom Kopf bis zu den Sohlen; Fräulein Herta, die in sich Gekehrte ... Und die Gouvernante der Kinder war eine edle Melancholikerin, die die Bürde des Lebens tragisch auf sich nahm. Der Park hatte eine Allee mit großen holzgeschnittenen Löwen, die Wappen trugen, und in den riesigen runden dunklen Gebüschen nisteten Vögel.
In diesem Milieu, wo nichts mich marterte, lugte ich noch einmal aus dem Grabe heraus, so ein letzter Blick auf wahre Werte der arg verworrenen Menschheit.
In einem dunklen Gartenparterrezimmer sitzen seit Jahren Graf C. und Herr von D. hart nebeneinander in alten Lederfauteuils, wortlos, ohne sich zu rühren, stunden- und stundenlang wie Wachsfiguren, bis jemand kommt und sie zu Bette legt. Nie, nie, nie sprechen sie einen Wunsch aus, rauchen nicht, langweilen sich nie, warten auf die Tage, die Monate, die Jahre, wie alte Bäume im Frieden der Natur.
Ich bin nicht gesundet; meine Qualen haben sich ins Maßlose gesteigert, ich ringe um Tag und Stunde und um irgendeinen Lichtblick, wie es die englische 142Tänzerin Esther war, die am ersten Abend zu mir gesagt hat: »I have been in the whole world, but I have learned only one important thing: To hate the man! Was will er ewig von uns, während unsere Seelen noch kalt sind, und wir ihm doch schon unser Bestes, ja unser Liebstes, unser Tanzen spenden?!?« Esther, Esther, o Esther — Sie sagte: »Du, ich werde dich besuchen, aber nur wenn du ganz krank bist, ganz, und mit geschlossenen Augen daliegst, denn da brauchst du nicht mit mir zu sprechen.«
Ich bin nicht gesundet und werde es nie, nie mehr wieder. Ich ringe mir noch irgendeinen Lichtblick ab, und dann adieu. —
Gott, der in der Natur geheimnisvoll thront, um Ideale abzuwarten, die sich endlich realisieren sollen, will für alle, alle, alle, leidenschaftlichst ihre Entwicklung zu ihrer Vollkommenheit, zur Glückseligkeit, zu ihrem eigenen inneren und äußeren Frieden! Er überträgt daher vorerst den Herrschern diese zarte und schwierige Mission, solange das Volk noch unmündig ist. Aber später fühlt es leider der Herrscher nicht, daß seine Milliarde von Schützlingen aus eigener Kraft Gottes Wege zu wandeln bereits erstarkt sind! Wie wenn ein Achtzigjähriger noch immer von seinem fünfzigjährigen Sprößling sagte: »Karlchen hat sich verkühlt — er muß einige Tage das Bettchen hüten — — —«. So behandeln die Monarchen ihr geliebtes Volk, haben keine Ahnung, daß es längst mündig geworden ist, sie selbst aber unterdessen greisenhaft.
Gottes Gnade kann einem einzelnen verliehen sein, der für alle zugleich sorgt; sie kann aber später allen verliehen sein, die einzeln für sich selbst sorgen! Vom einzelnen und von der Gesamtheit jedoch kann Gottes Gnadentum in gleicher Weise mißbraucht werden! Es kann einer für alle das Glück verschaffen oder verhindern; es können alle es für sich selbst ebenso!
Gottes Gnade strömt aus Gottes Geist, aus Gottes Herzen; und ein kleiner zarter Knabe kann sie ausüben, wenn er tausend Erwachsene vor einer Gefahr bewahrt, die sie selbst nicht ahnen in ihrer rastlosen Geschäftigkeit. Wenn der Herrscher die wirkliche 144Gnade Gottes repräsentiert in bezug auf ein ganzes Volk, so hat er das Recht, von seinem Gottesgnadentum zu sprechen!
In diesem Falle aber wird selbstverständlich das ganze Volk diese Repräsentation auch unbedingt bis in die innersten Nerven hinein spüren, und daher aufjubeln und Dankgebete für ihn verrichten! Wenn das aber nicht geschieht, sondern Murren und bange Verzweiflung in den Landen losbrechen, dann ist es an der Zeit, für die Weisen der Nation, Einkehr zu halten, Ausschau, und dem Bedenken ihre geistigen Tore weit zu öffnen!
Es gibt kein Zurück, nach Gottes Ratschluß! Es gibt nur ein Vorwärts, Vorwärts, Vorwärts, in jeglicher Sphäre menschlicher Betätigungen! Wer das unternimmt, ein einzelner oder alle, steht unter Gottes Gnadentum!
Werde gläubig! Gehe doch endlich von deinen eingewurzelten Prinzipien ab, die für niemanden passen als eventuell für dich selbst, und siehe, für dich sogar vielleicht auch nicht! Denn du sogar bist besser als dein eigenes Wissen!
Wolle neue, dir unbekannte, dir noch unverständliche Welten kennen lernen, öffne deine Augen und Ohren den neuen merkwürdigen Ereignissen!
Was du selbst weißt und erfahren hast, ist alt, vermodernd und tot!
Was andere dir bringen aus anderen Welten, kann dich erneuern!
Schaue mit ihren Augen, horche mit ihren Ohren, fühle mit ihren Seelen, denke mit ihrem Geiste!
Wehe dir, wehe, wehe, der du deine eigene Welt den anderen aufoktroyieren willst!
Solches durfte nur der Heiland — — —. Denn er wußte es, wofür er sich kreuzigen ließ — — —.
Aber du hast dich ewig zu bescheiden und den Welten der anderen zu lauschen, von denen du Töne vernehmen kannst, die dir bisher leider fremd waren!
Nicht was du bisher wußtest, kann dich bereichern, sondern das, was du bisher nicht wußtest!
Aus der Weltenwurzel ewig neuartige Säfte, Kräfte ziehen, heißt, ein feiner, nobler, kultivierter Mensch sein!
Sein eigenes armseliges Weltchen den ungeheuren Komplikationen des Weltenalls entgegenstemmen wollen, ist eine feige Gemeinheit!
146Ergib dich den neuen, dir noch unverständlichen Wundern, und erhoffe es dir, durch neue Erfahrungen dich selbst endlich desavouieren zu dürfen!
Ein neunzehnjähriger Gymnasiast tötet eine Fünfzehnjährige mit fünf Revolverschüssen. Er verteidigt sich in keiner Weise. Was liegt also vor?!? Es liegt vor das unbewußte Bewußtsein aller Höllenqualen, die einem liebenden Manne noch Zeit seines verdammten Daseins bevorstehen und die eine dumme, verwöhnt werdende fünfzehnjährige Schöne den Männern bis zu ihrem 35. Lebensjahre unbedingtest allmählich noch bereiten wird! Rettung gibt es da nicht in diesem Höllenpfuhle. Die mörderische Schlacht ist vorzeitig, ist also rechtzeitig entbrannt, und muß zu Ende gekämpft werden, von dem unbewußt voraussichtigen Desperado, mit fünf heimtückischen Todesschüssen, weil die 15jährige Geliebteste, Allergeliebteste, von einem Nachbar in »kindlicher Freude« fünf Rosen annahm, einen Don Juan von Kellner daran liebenswürdig-holder Weise riechen ließ, und dieselbe Gnade dem unglückselig Liebenden dann ironisch versagte! Seine Voraussicht kommender grauenvoller Leiden war seine verbrecherische Genialität! Das Fräulein beginnt bereits, ganz geheimnisvoll, sich zu fühlen als Beherrscherin und Zerstörerin dieser unglückseligen zarten Welt »männliche Zuneigung«, und der neunzehnjährige Rüpel weiß nicht anders die schreckliche Gefahr zu bannen, als indem er fünf tödliche Schüsse auf die Schuldig-Unschuldige abgibt! Die Frau, die zartfühlende, menschenfreundlich-adelige hat eine Verpflichtung gegen an ihr erkrankte Männerseelen! Nicht gerade die Verpflichtung, endgültige Erlösungen ihnen 148zu spenden, jedesfalls aber nicht mutwillig in eiternden Wunden herumzustochern — — —. Es ist keine große Kunst und keine Lebensaufgabe, Männer irrsinnig und seelenkrank zu machen; aber ihnen wenigstens wie ein milder, menschenfreundlicher Arzt die äußersten und unnötigen Qualen zu ersparen, das wäre beginnendes, zartes, strahlendes, sich selbst vor allem belohnendes Menschentum!
Was ist ein Nachtcafé?! Etwas Unverlogenes. Die Mädchen wollen leben und nicht Frondienste leisten, nicht Schaffel reiben und Nachttöpfe fremder Menschen reinigen, solange sie noch entzückende Leiber haben. Sie wollen sich andererseits betrinken, um zu vergessen, daß das alles nicht so weiter geht, in infinitum. Sie stehen vor stündlichen Gefahren, müssen sich berauschen an irgend etwas, um sich Mut zu machen für die Schlacht des Lebens! Niemand behandelt sie nach ihres jungen Herzens Wunsche! Infolgedessen rächen sie sich, wie sie es können, bald so, bald anders! Heimtückische, feige Marodeure sind nur die Männer! Eine, der ich in Briefen meine tiefste Sympathie, mein gerechtestes Verständnis bewiesen hatte, sagte dennoch: »Du mußt mir die zwanzig Kronen im vorhinein bezahlen — —! Wir haben es leider gelernt, selbst romantisch veranlagten Dichtern nicht mehr zu trauen — — —!«
Die Damenkapelle ist eine Oase. Sie sind verheiratet, Bräute, oder sonst treu irgend jemandem. Sie haben ein konsolidierteres Schicksal. Sie haben irgend etwas gelernt, wodurch man sich weiterbringt. Sie haben sich der Lebensordnung eingefügt. Ob sie glücklicher sind, nicht andern Enttäuschungen, Gefahren ausgeliefert?!? Zwei Welten, hart aneinander, einander gleich in ihren schweren Kämpfen. Keine Damenkapelle ohne diese Hetären, keine Hetären ohne diese Damenkapelle! Nur die Männer sind das perfide Element. Sie möchten alle zusammen unglücklich machen, ihre ewig hungrigen Eitelkeiten 150mästen mit den unglückseligen Blicken verliebter Frauen! Damenkapelle oder Hetäre gilt ihnen gleich, ihre innere rohe Leere mit einem liebevollen dummen Frauenherzen auszufüllen — — —! Nachtcafé, du kleine miserable Welt, du Abbild der großen, noch viel miserableren!
Ich hatte einen Freund, einen höchst intelligenten Menschen. Aber seine Nerven, oh, die waren gar nicht intelligent ...
Eines Abends im Café sagte er zu mir: »Du, Peter, du könntest mir einen riesigen Freundschaftsdienst erweisen! Ich fühle mich heute wieder so greisenhaft, so ausgelöscht ... Bitte sage mir nach fünf Minuten, daß ich heute besonders frisch und jugendlich aussehe ...«
Ich nahm die Uhr, legte sie auf den Tisch, und sagte nach fünf Minuten: »Du, sage mir, was ist heute los mit dir? So jugendlich frisch hast du wirklich schon lange nicht ausgesehen ...!«
Er wurde ganz rot vor Freude, ganz begeistert, und erwiderte: »Wirklich? Das freut mich! Solche angenehme Sachen sagt einem halt niemand auf der Welt wie du!«
Im Wiener Moulin Rouge ist jetzt eine Truppe von acht jungen Engländerinnen, die angeblich nicht viel tanzen können. Das ist aber grundfalsch und eine echt dilettantische Auffassung. Die Art, wie eine Frau ihre Persönlichkeit in Bewegung, in Tanz wiedergibt, ist das Wertvolle an ihr und an ihrer Darbietung! Das allein! Das Schreckliche an unsern frühern Tänzerinnen war eben, daß die Schulung und die Künstlichkeit ihre persönliche Grazie, ihre individuelle Bewegungsart auslöschen, vernichten mußten! In der modernen Welt wird aber die Persönlichkeit frei, und man verzichtet gerne auf die sogenannte hohe Schule! Diese jungen acht Engländerinnen, die angeblich nicht viel können, wie die Tanzmeister an den Tanzschulen behaupten, diese jungen acht Engländerinnen repräsentieren in Art und Gebärde dennoch die keusche, kindliche, merkwürdige Anmut aller englischen Mädchen und Frauen, die von Natur aus und ganz von selbst mit unbeschreiblichem Geschmack und Takt begabt sind und niemals mehr vorstellen wollen im Leben, als ihnen von Natur und Schicksal beschieden ist! Sie bleiben kindlich-herzig unter allen Umständen, in jeder Situation, in jeder Lebenslage; sie akkomodieren sich nicht feigerweise, wünschen lieber zu langweilen, als mit übertriebener Lustigkeit aufzuwarten! Sie tanzen, wie Kinder im Volksgarten, im Stadtpark tanzen würden; oder im Hofe bei einem Werkel, oder sonstwo für sich allein — — —. Sie rühren, ergreifen, und ihre Tanznatürlichkeit besiegt 153die entsetzliche Tanzkunst, die sich eine jede fast in emsigem Bemühen erwerben kann! Möchten wir uns doch endlich, in jeder Hinsicht, von der schrecklichen historischen Überlieferung emanzipieren, dieser Arterienverkalkung der menschlichen Seele! Es gibt heutzutage bereits einige Tänzerinnen, die nur ihr eigenes Wesen in Bewegung umsetzen, ihre persönliche Grazie allein wirken lassen! Mögen sie bei den Tanzmeistern durchfallen, bei den Meistern des lebendigen Lebens werden sie reüssieren. Diese acht jungen Engländerinnen tanzen wie die allerherzigsten Kindchen, sie rühren und ergreifen, sie geben sogar eine Idee von Englands Frauen überhaupt! Seien wir ihnen vor allem dankbar, daß sie uns die manierierten, affektierten, berechnenden Frauen noch unausstehlicher machen durch den Kontrast!
»Ich hole mir eine arme englische Tänzerin zur Frau«, sagte einmal ein genialer welterfahrener Mann zu mir.
»Bravo,« erwiderte ich, »aber wissen Sie auch, weshalb Sie das tun?!?«
»Es sind kindliche und dankbare Geschöpfe, die es einem nie vergessen, daß man sie errettet hat vor dem und jenem, was immerhin passieren könnte. Außerdem ist ihnen der sichere Ehrentitel »Missis so und so« wertvoller als die flüchtigen Triumphe, denen Enttäuschung auf dem Fuße folgt!«
Ich glaube, die anständige, angeblich temperamentlose Engländerin macht das bessere Geschäft auf Erden, als die leichtsinnigen, lebensunkundigen andern. Anständigkeit ist Willenssache. Aber diesen Willen eben haben wollen, in allem und 154jedem, ist Kultur und Adel. Die Engländerin will eben anständig sein! Möge sie daher Frieden, Achtung und Sorglosigkeit einheimsen! Man gönne es ihr ...
Also dieser aristokratisch-einfache, zweckmäßig gegliederte alte Bau soll nun auch verschwinden!
Statt dessen werden schreckliche Unnötigkeiten erstehen, Türmchen mit Kupferplatten versehen, oder eiserne schwarze, oder vergoldete; riesige Emailplatten in allen Farben; kleine Balkone, auf die niemand hinaustreten kann, mit Geländern wie irrsinnig gewordene Schlänglein! Ein Tohuwabohu von Unzulänglichkeiten! Ein architektonischer Hexensabbat alles Unnötigen, Unzweckmäßigen, blöd Verschwendeten auf Erden! In unseren geliebten Spielereischachteln einstens waren Häuser mit glatten edlen Wänden, breiten Fenstern, hohen Dächern, großen Haustoren. Da konnten wir uns weite, stille, abgeschiedene Zimmer hineindenken, in denen man ein Refugium fand vor den Stürmen des äußeren Lebens! Aber heutzutage ist man ehrlich; an der Schnickschnackfassade sollst du es nämlich sogleich zu spüren bekommen, daß du auch in deinem eigenen, von dir selbst bezahlten Zimmer, keinerlei klösterlichen Frieden, Ruhe, Sicherheit, Vereinsamung, Abgeschlossenheit mehr finden könntest — — —! Die Menschen suchen Ornamente, Verschnörkelungen, Zieraten (ein ekelerregendes Wort), weil sie zu ihren eigenen, in sie von Gott gelegten Paradieseseinfachheiten noch nicht vorgedrungen sind!
Der alte, einfache, edle Trattnerhof hat durch Jahrzehnte niemanden gestört, belästigt. Ich sehe nun schon alle Künsteleien ihre schändlichen Orgien feiern. Häuser werden zum Bewohntwerden errichtet, 156meine Herren Architekten; architektonische Knockabouts gehören in den Wurstelprater!
Djellah. Über diese Künstlerin wollen wir einem berufenen Fachmann und zwar dem Altmeister Peter Altenberg das Wort lassen, welcher folgendes schreibt:
Es ist sehr schwer für mich, über den »Clou« des Etablissements »Tabarin« zu schreiben. Denn es ist geradeso, wie wenn man sein eigenes Kindchen zu loben hätte öffentlich. Und stets betrachtete ich diesen speziellen Typus von adeliger, schlankster brauner Frauenschönheit als meine geliebten vergötterten Kindchen. Ich meine in diesem Falle die malayische Tänzerin Djellah. Nicht was sie kann, was sie ist, ist ihr Besonderes! Ihr Sein, die Form ihrer Glieder, der Ausdruck ihrer Augen, die Modellierung von Stirn und Nase, die Farbe ihrer Haut, die Zartheit ihres Wesens ist ihr Besonderes. Man würde sie ebenso verehren, wenn sie langsam durch Lianenwälder schritte, oder in einem kleinen Rindenboote säße, oder in einem Dorfe vor einer niederen Hütte kauerte — — — Sie repräsentiert eine andere Welt, eine schlanke, biegsame braune Welt, erfüllt mit natürlicher Anmut und sanfter Bewegungsfreudigkeit. Die unbeschreibliche Schönheit ihrer gelbbraunen Beine zu schildern, wäre geschmacklos. Vor Idealen verstummt man, falls man nicht ein ganzes Feuilleton darüber zu schreiben den ehrenden Auftrag erhalten hätte. Da freilich muß man loslegen, coute que coute. Djellah ist in der Richtung der herrlichen Ruth St. Denis; nur leidenschaftsloser, weniger prunkvoll, selbstverständlich, ohne Cobragiftdekoration. 158Um so edler und wertvoller. Bei uns kümmert man sich leider noch immer viel zu viel um das »Können« von Menschen, als ausschließlich um ihr »Sein«. Das Erlernbare ist »erlernbar«, aber vor dem »Unerlernbaren«, in jeglicher Richtung, da müssen wir »Habt Acht« stehen und ehrfurchtsvoll salutieren. Heil Djellah — — —! Können, erlernen, ist gar nichts; aber es von Schicksals Gnaden mitbekommen haben, Glieder, Hände, Füße, Gelenke, Teint usw. usw., das ist das wirklich Besondere auf Erden — — —! Da beginnt nämlich die physiologische Aristokratie!
Als Kind fand ich in dem Schreibtisch meiner geliebten wunderbar schönen Mama, der aus Mahagoni war und geschliffenem Glase, in einer Lade einen leeren Flacon, der aber noch immer intensiv nach einem bestimmten, mir unbekannten Parfüm duftete.
Oft schlich ich mich hin und roch dann.
Ich verband dieses Parfüm mit aller Liebe, Zärtlichkeit, Freundschaft, Sehnsucht, Traurigkeit, die es überhaupt gibt.
Aber alles bezog sich auf meine Mama. Später überfiel uns das Schicksal wie eine unvorhergesehene Hunnenhorde und bereitete uns allenthalben schwere Niederlagen.
Und eines Tages zog ich denn von Parfümeriehandlung zu Parfümeriehandlung, um in kleinen Probefläschchen vielleicht das Parfüm zu entdecken aus der Mahagonischreibtischlade meiner geliebten verstorbenen Mama. Und endlich, endlich entdeckte ich es: Peau d’Espagne, Pinaud, Paris.
Da gedachte ich der Zeiten, da Mama das einzige weibliche Wesen war, das mir Freude und Schmerz, Sehnsucht und Verzweiflung bereiten konnte, das mir immer, immer wieder aber alles verzieh, und das um mich sich sorgte, und vielleicht sogar insgeheim abends vor dem Einschlafen für mein künftiges Glück gebetet hatte ...
Viele junge Damen sandten mir in kindlich-süßen Begeisterungen später ihre Lieblingsparfüme, dankten mir herzlichst für ein von mir erfundenes 160Rezept, jedes Parfüm nämlich unmittelbar nach dem Bade direkt auf die nackte Haut des ganzen Leibes einzureiben, so daß es wie echte eigene Hautausdünstung wirke! Aber alle diese Parfüme waren wie die Gerüche von wunderschönen, aber eher giftigen exotischen Blumen. Nur Essence Peau d’Espagne, Pinaud, Paris, brachte mir melancholischen Frieden, obzwar meine Mama nicht mehr vorhanden war und mir nichts mehr verzeihen konnte von meinen Sünden!
Ich bin durch einen Brief meines wirklichen Freundes und freundschaftlichsten (er schreibt unerhört flink auf einer allerbesten Schreibmaschine) Fr. W. erst zur Erkenntnis gekommen, zur plötzlichen einbrechenden einfachsten Erkenntnis, daß gut Briefe schreiben nur bedeuten könne, so zu schreiben, als höre der Briefempfänger während des Lesens unmittelbar den neben ihm sitzenden Schreiber des Briefes laut und eindringlich mit ihm sprechen! Diesen Unterschied des schweigend Schreibenden und des tönend Sprechenden ausgleichen können, vollständig, in einem Briefe, heißt Brief schreiben können! Alles andere ist literarischer Mumpitz mit Lorbeeren gekrönt à la Schweinskopf. Temperament, Ungezogenheiten, Eigenheiten, Frechheiten, Dummheiten, alles muß herausgellen, gellen, gellen; sonst ist es eine gemachte, verlogene und daher ennuyante Sache! Briefmomentphotographie!
Zu mir kam einmal einer meiner Freunde, der Uhrmacher Josef T. Er hatte seine wunderbare 23jährige Geliebte zu Grabe geleitet.
»Peter, Sie kennen mich, helfen S’ mir! Eine Grabschrift von Ihnen für meinen marmornen Gedenkstein! Wann darf ich hoffen, daß Ihnen was Passendes einfallen dürfte?!?«
»Sofort,« erwiderte ich mitten auf der Straße, »oder nie!«
Er riß sein Notizbuch heraus.
Ich schrieb:
So rasch, so prompt muß man seine Menschlichkeiten ausschütten; denn später wird es eine fade Sauce! Daher die vielen faden Saucen — — —.
Es gibt nur einen einzigen, einen allereinzigsten Beweis einer Frau, ihrer echten, menschlichen, aufrichtigen, anständigen Beziehung zu uns: das ist, uns mit Absicht und heiligem Willen jegliche Eifersuchtsqual zu ersparen, ja sie in jedem Augenblick einfach unmöglich zu machen! Dieser gütige Wille allein beweist uns ihre wirkliche Zusammengehörigkeit mit uns! Diesen gütigen Willen kann sie sich zulegen! Sonst bekommt unser Edelgehirn den Verfolgungswahn, gleich diesem adeligsten Gehirn Strindbergs!
Eine geliebte Frau muß uns schützen wollen zu jeglicher Stunde, da wir einmal in bezug auf ihren geliebten, vergötterten Leib in einer Art von mysteriöser Hypnose uns befinden! Diese unsre schreckliche, durch sie allein erzeugte Krankheit muß sie behandeln wie ein Arzt einen unglückseligen schwer Erkrankten, der seiner Obhut sich gläubig überläßt! Wehe, wenn sie diesen ohnedies schwer Leidenden auch noch absichtlich schwächen wollte, statt ihm Heilung zu bringen, da es doch nur von ihrem edlen anständigen Willen abhängt, es zu erreichen!
Diese Heimtücke, uns absichtlich unglückselig zu machen, ist die Schlange in ihr. Denn jede anständige Persönlichkeit hat den natürlichen Wunsch, ihren armen Nebenmenschen zu helfen und zu dienen, soweit es nämlich möglich ist! Die Zerstörungselemente sind eine gottlose infame Gemeinheit, die nur in teuflischen Organisationen liegt. Jede andre sucht zu schützen und zu helfen, soweit es möglich ist!
164Eifersucht ist eine schwere Erkrankung des Gehirns, die von jeder menschenfreundlich gesinnten Frau gebannt, geheilt werden kann. Wenn sie es absichtlich unterläßt, so ist sie eine Teufeline, eine, die sich an der Zerstörung unsrer heiligen Lebenskräfte weidet, weil sie nur Böses überhaupt leisten kann und Zerstörendes, nicht aber Leben, Freudiges und Gedeihendes!
Mögen die wertvollen, kultivierten Männer ein wenig genauer zusehen, wodurch ihnen der größte Teil ihrer wertvollsten Lebensenergien eigentlich vollkommen grundlos täglich geraubt und vernichtet wird, und mögen sie endlich anfangen, sich ernstlich zu schützen vor dieser tiefsten Gefahr: Ungezogenes, eitles, freches und sich überhebendes Weib! Teufeline statt Schutzengel!
Fünf Uhr morgens. Alles ist gebadet in gelbem Sonnenlicht. Noch ist es frisch und kühl. Viele Touristen erheben sich aus dem Schlaf, unausgeschlafen, der Sonne entgegen. Leicht wird es ihnen, mit kaltem Wasser das Schlafbedürfnis zu bannen. Noch ist es kühl, und man schreitet dem heißen Tag entgegen, wie in die heiße Schlacht!
Viel zu wenig bieten der Tag und die Stunde den meisten. Und auch das genügsamste Herz lechzt nach Außergewöhnlichem. Da kommt der Juli-Sonntag in grellem gelbem Licht! Juli-Sonntag, du sollst es bringen!
Überallhin echappiert die unzufriedene Menschheit. Müde gelaufen fällt sie dann zurück in die Pflicht! Montag, wie wärest du sauer, wärest du nicht die Quelle und Ursache sonntäglich kommenden süßen Glücks! Sonntags siehst du die Müden in Wiesen und Wäldern gelagert, rein gebadet vom Schmutz der vergangenen Woche, kommender Woche gefaßter entgegenharrend.
»Herr Baron, weshalb sehen Sie heute so gedrückt und verstimmt aus?! Wenn Sie nicht froh und sorglos aussehen sollten, wer könnte es dann noch überhaupt?!?«
»Sie scheinen es nicht zu wissen, daß jetzt der Herbst ist und die ›Hirschbrunft‹ anfängt. Nein, wie mir mein Oberförster gemeldet hat, daß die Hirsche bereits ›röhren‹, da begann meine Verzweiflung. Ich hörte schon die stundenlangen, endlosen Gespräche meiner geehrten Jagdgäste darüber, weshalb und aus welchen komplizierten Gründen sie den Vierzehnender nicht getötet haben. Ich sage zu meinen Jagdgästen immer absichtlich ›getötet‹, denn da giften sie sich am meisten; denn eigentlich müßte man sagen —, aber das stupide technische Wort kann ich mir, oder will ich mir vor allem, nicht merken. Meine Gäste wären so nette Menschen, wenn sie nicht jagen würden! Ich verstehe absolut nicht, weshalb ein Hirsch, der vierzehn Enden hat, interessanter sein sollte als einer, der überhaupt kein Ende hat. Jedenfalls, so viel Enden kann kein Hirsch haben, daß er für mich an Interesse gewänne! Ich esse nicht einmal sein Fleisch, da es schwarz, saftlos und meistens zäh ist. Einmal sagte mir ein Weiser:
›Wissen Sie, Herr Baron, weshalb ich so gern Hirschbraten esse?!?‹
›Nein,‹ erwiderte ich, ›das kann ich mir gar nicht denken — — —.‹
›Wegen der Sauce Cumberland, die so gut 167dazu paßt, aus Hetschepetschfrüchten, Rosenfrucht, bereitet!‹
›Aber, lieber Freund, da essen Sie doch die Hetschepetschsauce für sich alleine!?‹
›Ja, Herr Baron, wenn man das könnte; aber das kann man nicht — — —! Sie gehört zum Hirschbraten‹.
Ein Jagdgut ist sehr angenehm natürlich, aber nur wegen der Mühlen, Kalkbrennereien und so weiter, die dazu gehören. Die vielen Hirsche stören mich, sie lenken mich ab von einer anständigen, fruchtbringenden und sinnvollen Tätigkeit. Besonders die Vierzehnender hasse ich; über die wird nämlich am meisten und wichtigsten Blödsinn geredet. Am tragischsten aber ist es für mich, wenn dieses Tier nicht getötet, sondern nur angeschossen wird. Da erreicht die Aufregung meiner Jagdgäste den Höhepunkt. Man glaubt jedesmal, sie hätten die Schlacht von Sedan verloren oder wären plötzlich entthront worden. ›Man wird es schon finden, das arme Tier,‹ sage ich da jedesmal, um sie zu giften. ›Es wird in einem Gebüsch gestorben sein, etsch!‹ Beim Wort ›gestorben‹ möchten sie mich alle ohrfeigen — — —.
Aber lieber ist es mir, das arme Vieh werde sogleich ins Herz geschossen, damit es die Leiden erspare und ich meine Ruhe haben könne beim Souper. Nun werden Sie mich natürlich fragen, weshalb ich überhaupt eine Jagd habe und Jagdgäste dazu einlade. Da kann ich Ihnen nur mit dem mysteriös-philosophischen Satze, den noch kein Kultivierter je ergründet hat, antworten: ›Mein lieber Herr, das verstehen Sie nicht, es gehört einmal dazu!‹«
168Der Baron schwieg; dann sagte er:
»Einer meiner geehrten Herren Hirschgeweihjagdgäste lud mich aus Dankbarkeit wieder zu seiner ›Wildschweinjagd‹ ein. Ich war gezwungen, irgendwo auf einem Balkon, der mit Reisig eingefriedet war, auf das gutmütige und häßliche Vieh zu warten. Endlich erschien es und knabberte schnauzend an einem Hügelchen von Kukuruz, das als Lockspeise eigens listig errichtet war. Da schoß ich es, pumps, ins Herz, und bekam als Trophäe die Stoßzähne, die ich in den Abort warf — — —.«
Zwei elegante junge Leute stellen sich verlegen vor:
»Wir sind seit langem begeisterte Verehrer Ihrer Dichtungen und bitten Sie um die Ehre, an unserm Tische mit uns Champagner zu trinken — — —.«
»Meine Herren, ich bin sehr, sehr krank, und bitte Sie daher, mir vorher alle Garantien zu bieten, daß man sich in vollster Korrektheit benehmen werde!«
»Aber Herr Altenberg, würden wir sonst um die Ehre Ihrer Gesellschaft zu bitten überhaupt wagen?!?«
Zwei Stunden später: »Sie, Peterl, mir san ganz gewöhnliche naive Menschenkinder, aber Sie haben doch das Raffinement, Sie verstehen doch diese Sachen aus dem ff. Sie, bitt’ Sie, mir beide fliegen so kolossal auf dös Menscherl dort am dritten Tisch. Gehn’s, kobern’s es uns zu — spielen Sie den Vermittler!«
Ich stand auf, sagte: »Meine Herren, Sie vergessen Ihre zugesagten Garantien! Ich muß Sie ernstlich daran erinnern — — —.«
»Was Garantien — wir wollen uns für unser Geld amüsieren.«
Darauf stand ich brüsk auf, ging zu der Dame hin und brachte sie an den Tisch. Eine Pause entstand beklommener Verlegenheit. Dann sagte ich: »Sie haben nun für Ihr Geld Ihr Vergnügen! Apropos, es gebühren mir aber noch für die Vermittlung zwei Flaschen Schampus! Also her damit! Ich werde sie aber allein an einem anderen Tische trinken!«
Es ist doch selbstverständlich, daß ein Bettler, der in einem palastartigen Zinshause im ersten Stocke schüchtern-bescheiden anklopft oder vielmehr auf den elektrischen Knopf kurz drückt und in äußerster Zerknirschung um ein Stückchen Brot bittet, es erwartet, daß man ihm ein Beefsteak mit Spiegelei und extra eine Krone bar hinausreiche.
Sollte aber jemand naiverweise den Wunsch nach einem Stückchen Brot à la lettre erfüllen, so darf er sich über die vollständig korrekte Antwort nicht wundern: »Dös können’s selber fressen!«
Daher zeugt die Art, ohne demütig zerknirscht anzuklopfen, sondern ernst und in gerader Haltung 1000 Kronen geborgt zu verlangen, von tieferer Menschenkenntnis; denn hier klammert sich das Opfer der »ungerecht verteilten Lebensgüter im Dasein« wenigstens an diese letzte Hoffnung: »Er wird zurückzahlen, falls er kann — — —.« Nein, Esel, falls er will! Aber er will nie, nie, nie. Denn wenn er die Kraft mitbekommen hätte von seines Gehirnes Gnaden, zurückzuzahlen, so hätte er auch vor allem die Kraft mitbekommen, so sparsam zu leben, daß er nie in eine so verzwickte, also bereits der Unanständigkeit und dem Betruge nahe Lage gebracht worden wäre!
Ich lese so viel wertlose Bücher annonciert, besonders die, deren Illustrationen ebenso unverständlich blöd wie die »Sand in die Augen streuenden« pathologisch-aufgeblasenen Texte dazu sind. Ich gelte selbst als unverständlich und verworren. Das ist aber ein großer Irrtum. Ich bin nämlich ganz einfach zu verstehen für Leute, die eine Seele haben und sogenannte »Hyperästhesien«, wie wir Griechen uns auszudrücken belieben, damit das Volk uns nicht sogleich verstehe. Auf Deutsch heißt es: Überempfindlichkeiten. Und daran krankt oder, wie tiefer Denkende es auffassen, daran gesundet allmählich unser, bisher ein bißchen zu brutales Zeitalter. Aber, um auf das Thema dieses Aufsatzes zu kommen, dessen Einleitung bisher ziemlich verschroben und unnötig gewesen ist — — —, ich fühle mich eben in diesen verworrenen Zeitläuften, wo schlecht von gut deshalb schwer zu unterscheiden ist, weil so viele talentlose Idioten die Konjunktur »Richard Wagner war auch einst verkannt und mißverstanden« frecher- und tölpelhafterweise ausnützen, ich fühle mich eben in diesen verworrenen Zeitläuften verpflichtet, ein unbeschreiblich einfaches, Kindern verständliches, herrliches, rührendes Buch öffentlich zu erwähnen: Philippe Monnier: Blaise, der Gymnasiast, übersetzt von Dr. Rudolf Engl und Marie Döderlein, Verlag Albert Langen. Ich glaube, viele unserer Literatursnobs werden sich schämen, wenn sie die Wirkung dieses unerhört einfachen Buches verspüren werden in ihren, zu gordischen 173Knötchen verschlungenen Gehirnchen! Es ist keine sonderliche Kunst, sich, indem man andere, Contemporains, bewundert, den Erfolg eines adelig denkenden Unabhängigen, Vorurteilslosen zu ergattern! Aber solche Manöver wird man dem todeskranken, bereits in lichteren Sphären befindlichen Autor der ausgezeichneten Bücher »Wie ich es sehe« und »Was der Tag mir zuträgt« keineswegs zumuten können. Blaise, der Gymnasiast, versetzt feinfühlige Menschen in alle poetisch-romantisch-alltäglichen Vorkommnisse ihrer Jugend, deren Erlebnisse niemand vor dem 40. Lebensjahr zu genießen oder literarisch zu verwerten weiß! Jugendzeit, du goldene Zeit — — —, aber mit welchen tiefen Niaiserien ist sie in diesem Buche vorgeführt! Man erholt sich von sogenannten talmimodernen Malern, Dichtern, Bildhauern und Frauen. Wenn ich einfach sein will, so muß ich es vor allem auch wirklich sein können. Nicht ein jeder darf nämlich als »härener Pilger« uns belästigen! Etsch!
Wenn sogenannte Freunde einen Schwerkranken besuchen, haben sie ausschließlich die Absicht, alles schön zu färben. Niemals hat er blühender ausgesehen, ja direkt verjüngt. Man möchte es nicht glauben, in dieser kurzen Zeit! Die Hoffnung, mit dem billigsten, was es auf Erden gibt, dem schönen liebenswürdigen Wort, sich aus der Affäre zu ziehen, ist größer als der Zwang der Anständigkeit, den die schlichte Wahrheit erfordert. Man findet sein Zimmer ganz einfach süperb, viel gemütlicher als sein einstiges Heim, obzwar man genau weiß, daß er mit allen Fasern seines Herzens an jedem Winkel seines geliebten Heimatzimmerchens hing. Man vermeidet es geschickt, zu fragen, wer denn alles bezahle, und fragt diskret an, ob die drei Kronen, die man einmal rekommandiert geschickt habe, auch wirklich angekommen seien. Bei bejahender Antwort verklärt sich das Antlitz des Spenders, und er sagt: »No, siehst du, Peter, wie man dich nicht verläßt in deinen schweren Zeiten!?«
Der Kranke wird plötzlich zu einem Verfemten, mit dem man geschickt lavieren muß. Den Gesunden konnte man auf verschiedene und eigentümliche Art ausnützen und verwerten: War er gescheiter, so konnte man seine eigene Stupidität hinter ihm bequem verbergen; war er liebenswürdiger, so konnte man die eigene Roheit durch ihn geschickt kaschieren. Aber der Kranke ist zu nichts Rechtem mehr zu gebrauchen. Ihn den Würmern noch für längere Zeit vorzuenthalten, ist scheinbar eine schlechte Spekulation; 175aber ein gewisses Schamgefühl verhindert sie dennoch, den Unterschied zwischen der Beziehung zu dem Gesunden und zu dem Schwerkranken allzu augenfällig zu machen. Außerdem könnte es ja doch unter der Million von Idioten einen geben, der die ganzen Manöver durchschaute.
Man liebte den Gesunden selbstverständlich ebensowenig wie den Kranken, aber man hatte damals wenigstens keine Gelegenheit, ihn als eine direkte Last zu empfinden, und infolgedessen hielt man die natürlichen Grausamkeiten ihm gegenüber in gewissen Schranken der sogenannten Wohlerzogenheit. Trotzdem gönnte ihm niemand Zeit seines Lebens Freude und Glück, und wenn er es sich trotzdem errang, so geschah es unter merkwürdig schwierigen, belastenden Umständen, die aus dem Neid der sogenannten besten Freunde entsprangen. Dem Gesunden gönnte man nicht eine Stunde lang seine Kraft, zu leben, begeistert zu sein, zu lieben und aufwärts zu kommen, und erst der Schwerkranke befreit die Freunde von der stündlichen Gefahr, daß er ihnen über den Kopf wachse. Wenn die Erfahrungen, die der Kranke macht, dem Gesunden zugute gekommen wären, wäre er fast ein Genie geworden an Lebenskunst; so aber wurde er das selbstverständliche Opfer der heimtückischen Lüge des Lebens.
Oscar Wilde starb, wie keiner von der Million der Enterbten je dahingestorben ist; aber viele Jahre nach seinem Tode setzte ihm eine Pariser Dame einen Grabstein, der vierzigtausend Franken kostete. Könnte der Tote seine geniale Hand emporrecken, 176so würde er die wertlosen steinernen und bronzenen Dekorationen zertrümmern, die eine Gans seinen vermoderten wertlosen Gebeinen gesetzt hat. Gebt dem Lebendigen die Kraft, alle Genialitäten seines Hirns, seines Herzens für euch Stumpfsinnige, Keuchende, Kriechende zu verwerten und ausleben zu lassen, und überlasset die Sorge um die sechs Rappen, die den Leichenwagen des zu Tode Gemarterten ziehen werden, der Entreprise des pompes funèbres!
Hilde, Elfjährige, ich wußte nichts bis dahin über dich — — —.
Nun aber habe ich deine Stimme vernommen, deine wunderbar klare tönende Stimme,
wie Seelenglocken so hinaustönend in die dumpfe stumpfe Welt!
Und diese Stimme wird alles viel deutlicher, viel tiefer, viel erhabener, viel verzweifelter einst sprechen, was das Leben des Tages und der Stunde uns zu sagen zwingt!
Wie wird diese Stimme einst sagen: »Bleibe bei mir!?«
Wie wird sie es sagen: »Du liebst mich nicht mehr!?« Und: »Adieu, adieu — — —.«!?
Diese Stimme ist so klar und rein wie Gottes Träume über das Leben der Menschen!
Aber das Leben der Menschen selbst ist unklar und schmutzig-trübe! Diese Stimme wird hineintönen wie eine Seelenglocke, ernst, erhaben, liebevoll, feierlich, rührend, in das dumpfe Gebrause der Menschheit, sie wird verklingen, übertönt werden und ausgelöscht — — —. Sie wird ihren tönenden Glockenklang verlieren und dumpf werden wie die Umwelt — — —.
Aber ein alter Dichter auf dem Sterbebett hat sie noch vernommen und nimmt den Klang mit aus einer dumpfen stumpfen Welt, tief gerührt und ergriffen — — —.
Stimme der elfjährigen Hilde, klare tönende 178Seelenglocke, läute, töne, solange, solange es irgendwie geht — — —.
Und wenn sie dumpf wird im Brausen des Lebensgetriebes, dann gedenke, Hilde, des unglückseligen Dichters, der noch die Seelenglocke deines edlen elfjährigen Herzens im Ohre mit hinübernahm — —.
Die Freunde wollten dem todkranken Dichter eine nach ihrer Ansicht ganz exzeptionelle vollkommene Schönheit, eine Künstlerin aus München, vorführen. Sie nahmen daher ein Auto und fuhren hinaus zu ihm in das Sanatorium.
Die Dame war ganz einfach angekleidet, ganz in Schwarz. Sie hatte ungefähr die Gestalt der Kaiserin Elisabeth, ein bleiches Gesicht, aschblonde, fast hellgraue Haare.
Die freiwillige Pflegerin des Dichters begrüßte vor der Zimmertür die Ankommenden und warf einen flüchtigen, merkwürdigen Blick auf das unbeschreiblich schöne Perlenkollier an dem nackten Hals der fremden jungen Dame.
Darauf sagte einer der Freunde des Dichters: »Sie, Fräulein, der Dichter befindet sich immer in schweren ökonomischen Krisen. Wenn er dies herrliche Kollier an Ihnen sieht, wird es ihn bei seinen sowieso zerrütteten Nerven aufregen, daß es Künstler gibt, die anders bezahlt werden als er.«
»Oh,« sagte sie, »glauben Sie wirklich, daß ihn das aufregen wird? Dann will ich es ablegen.« Sie nestelte an der Goldschließe, nahm das Kollier in die hohle rechte Hand — — —.
»Sie sind eine liebe, feine Person!« sagte einer der Freunde. »So etwas Takt- und Geschmackvolles, diesen halb irrsinnigen Dichter so zu schonen! Ich muß wirklich sagen, ich könnte Ihnen die Hand dafür küssen.«
Die Dame trat als erste ruhig in das Krankenzimmer 180an das Bett des Dichters, nannte ihren Namen, gab ihm ihre wunderschöne rechte Hand und ließ ihm das darin befindliche Perlenkollier in der seinen.
Beim Abschied sagten die Freunde: »Jetzt ist keine Gefahr mehr. Jetzt können Sie Ihr herrliches Perlenkollier schon wieder anlegen.«
»Ich will es lieber in der Tasche behalten«, erwiderte ruhig die Dame — — —.
Die Polizei hat die Vorführung einer Reihe von Filmen in den Kinematographentheatern, diesen modernsten, theoretisch wenigstens einzig möglichen Bildungsstätten für das Volk, verboten, weil sie Tiermißhandlungen (Ausreißen der Straußenfedern auf Farmen, Stopfen, Mästen der Gänse in Pistyan usw. usw.) selbstverständlich in derselben schamlos krassen Art zur Darstellung gebracht haben, in der sie aber tatsächlich ausgeübt werden. Die Entrüstungsrufe des Publikums sollen zu dieser polizeilichen Verordnung den Anstoß gegeben haben. Die Menschen sollen es also nicht erfahren, welche Schändlichkeiten aus Erwerbszwecken begangen werden. Das erinnert allzu sehr an die alte Anekdote, in der ein Millionär seinen Kammerdienern befahl: »Werft’s mir diesen alten unglücklichen Hausierer hinaus, er zerbrecht mir das Herz!«
Nur ein unerbittlicher Einblick in das Unglück, das so viele Wesen schuldlos trifft, kann die stumpfen, trägen Herzen der Menschen aufrütteln, zu Verbesserungen und wahrhaftiger Menschlichkeit! Ich füge ein Erlebnis hinzu, das zwar nicht daher paßt, aber immerhin einen Einblick gewährt in die in Vertiertheiten schlummernde Seele der heutigen Menschen. Einer meiner Bekannten, ein fanatisches Mitglied des Tierschutzvereines, stellte einmal einen brutalen Kutscher zur Rede, und als dies nur nachteilige Folgen für die armen Pferde hatte, machte er die Anzeige gegen den Kutscher. 182Vor der Verhandlung sagte der edle Rechtsanwalt Dr. Kr. meines Bekannten zu ihm: »Sagen Sie nicht allzu schroff ungünstig gegen den Kutscher aus, und verlangen Sie besonders nicht seine Bestrafung, weil er drohend gegen Sie den Peitschenstiel erhob. Es geht nur an den armen Pferden aus! ›Wart’s, Ludern, dös sollt’s mir büßen‹ — — —!«
In Deutschland ist das künstliche Stopfen, Mästen von Geflügel strengstens bei hoher Strafe verboten. »Friß, so lang’ du fressen kannst und magst!« ist ein humaneres Prinzip als: »Friß, ob du magst oder nicht — — —!«
Ein bisserl Anständigkeit, meine Herrschaften, man verlangt ja eh nicht viel! Die Gansleber wird auch schmackhaft nach sechs Monaten, laßt’s doch dem armen Vieh Zeit, seine Leber dem niederträchtigen, wollüstig-feigen Gaumen der Menschen zuliebe maßlos zu vergrößern! Man muß ja nicht mit den verbrecherischen Fingern und Federkielen nachhelfen; Tiere wie Menschen fressen sich ja eh zu Tode, wenn man sie nur laßt!
Nun ist es wieder Herbst geworden, und die Graben-Kioske füllen sich zur Abendzeit mit wohlgepflegten und gebräunten Damen.
Man hat sich so viel zu erzählen, und man schweigt!
Man ist wieder in diesem Gefängnis »Großstadt«.
Man träumt von Licht und Luft und Wasser.
Man war ein anderer, besser, menschlicher, mit einem Wort »beweglicher«.
Nun geht man seinen Trab wie eh und je.
Man fühlt sich altern, schwerfällig werden, klammert sich an dieses unglückselige Wort: Verpflichtungen!
Die Wohnung will nicht in Ordnung kommen, und die Dienstboten kündigen.
»Die gnädige Frau war am Lande viel netter zu uns — — —.«
Ja, das war sie.
Die Kellner in den Kiosken begrüßen alle Gäste wie Weltreisende, die vielfache Gefahren überstanden haben — — —.
Nun nehmen sie Soda-Himbeer im sichern Port!
Die Deklassierten, die nicht fort waren, mischen sich in die Menge der Zurückgekehrten, als ob nichts vorgefallen wäre — — —.
Ja, sie haben sogar die naive Frechheit, zu behaupten, Wien wäre am angenehmsten, wenn alles »auf den Ländern« weile — — —.
Damen, mit den veredelten gebräunten Antlitzen, lasset euch nicht betrügen von dem Prunk der 184Großstadt! Erschauet in den Spiegeln eurer Gemächer einen Zug auf eurem Antlitz, den Licht und Luft und Wasser und Freiheit modelliert haben, und der nicht da war ehedem, und der verschwinden wird im Wintertrubel!
Komödie hier, Komödie dort vielleicht — — —.
Doch unter freiem Himmel ist das Theater schöner!
So viele Menschen, man könnte sie Strindberg-Organisationen nennen, nach ihrer Art, physiologisch-psychologisch zu reagieren, erwarten immer und immer von der geliebten Frau etwas ganz Besonderes, als ob sie die Verpflichtung hätte, plötzlich die Seele eines indischen Theosophen zu bekommen, der Gott um Milliarden Kilometer näher steht als alle anderen nur sogenannten Menschen!
Da erinnere ich mich immer und immer wieder dieses Franz Schubert, Liederdichters, zu dem seine vierzehnjährige Schülerin Komtesse Esterhazy einmal bei der Klavierlektion gesagt hat: »Das ist aber gar nicht schön, Herr Schubert, daß Sie mir nie eines Ihrer Lieder widmen — — —!«
Da erwiderte der gottbegnadete Mann: »Aber sie sind ja eh alle nur für Sie geschrieben — — —.«
Ja, ist das nicht das Höchste, einem Franz Schubert mitgeholfen zu haben zu seinen Liedern, wie Sonne, Tau und Regen mithelfen zum Wachsen von Pflanzen!?
Was braucht sie also an und für sich zu sein, diese Vierzehnjährige, unter dem öden Mikroskop herzloser verständnisarmer Menschen?!? Sie verhalf ihm zu seinen Liedern, und ohne sie wären sie nicht entstanden — — —!
Ich formulierte das später in die Verse:
»Oh Fraue, nicht was du bist, bist du!
Das bist du, was wir von dir träumen!
Unsere durchweinten Nächte um deinetwillen, das bist du!
186Gelassen nimmst du unsere Huldigung und unseren Schmerz entgegen — — —
Denn nimmer weißt du, wie es kam, weshalb, woher, wozu, zu welchem Ende!?!«
Ich hatte eine unglückliche Liebe zu einer Dreizehnjährigen, deren Blick allein aus den hechtgrauen Augen mit den schwarzen Wimpern, allen Blicken gleichkam der Heiligen in den Kirchen. Sie hatte keine rechte Freude am Leben, als ob sie die Wirrnisse des irdischen Jammertales vorausahnte, die eigentlich allen so schwermütig Blickenden in Aussicht stehen. — Ich machte ihre Tragödien mit, die noch nicht vorhanden waren, und vor dem Leben beschützen konnte ich sie dennoch nicht. Sie war die Tochter eines Schuhmachers in dem kleinen, armseligen, felderumrankten Orte J.. Er hatte 11 Kinder. Die, die schon verdienten, verdienten. Aber die Kleinen mußten von meiner Dreizehnjährigen betreut werden. Wie liebevoll wurden sie betreut! Darüber kann man gar nichts schreiben. Sie mußte die 15 Enten hüten, die Schweine füttern, und die kleinen Kinder brauchten dies und jenes. Ich liebte Anna, aber selten kam sie in meine Nähe, und auch dann glitt mein Blick von freundschaftlichster Zärtlichkeit an ihren Augen ab, wie Öl über Wasser.
Eines Abends saß ich allein auf der Bank, in der alten verstaubten Lindenallee und wartete auf Anna vergebens. Da kam ihre siebenjährige Schwester Josefa, die für mich immer und immer einen Blick von tiefer Menschenfreundlichkeit hatte, aus ihren zwei verschieden blickenden Nachtfalteraugen, so reell-gutmütig, so leichtverständlich, so wie das a-b-c des Menschenherzens — — —. Sie hatte mich lieb!
Ich führte sie in die nahegelegene Meierei, ließ ihr 188Schlagsahne geben und Biskuits. Immer lächelte sie mich an, wie von edler Liebenswürdigkeit getrieben. Da küßte ich sie auf Stirne, Haare, Augen. Sie rührte sich nicht, empfand es als Pflicht der Dankbarkeit, sich küssen zu lassen — — —.
Da vergaß ich meiner Leiden um Anna, die mein gequältes Herz stets ruhig aus ihren geliebten hechtgrauen schwarzbewimperten Augen betrachtet hatte. Da sagte Josefa: »Schenkens mir noch zwei Biskuits, ich trag’ sie nach Haus für die Annerl. Sie darf net kommen mit Ihnen, weil sie schon zu groß ist. Was kann sie dafür, daß sie schon zu groß ist?!?« Da gab ich ihr 20 Biskuits mit für ihre Schwester, die wirklich nichts dafür konnte, daß sie dem Blicke eines unermeßlich liebevollen Menschenherzens mit mißtrauischer Gleichgültigkeit bereits begegnen mußte, wie im vorhinein gepanzert gegen die hinterlistige Männerwelt — — —!
Fräulein Str., eine arme Klavierlehrerin, kannte alle Schandtaten ihres Herrn Bruders. Aber sie schickte Geld und Geld, wenn er darum schrieb. Und Geld und wieder Geld. Immer galt es ihr, ein wertvolles Leben noch zu retten, das aber wertlos war. Und übrigens, wer könnte das entscheiden?!
Der Richter sagte: »Ihr Vorgehen, Fräulein, ist strafbar, aber es macht Ihrem Herzen alle Ehre — —.«
Das Fräulein erwiderte: »Für irgend etwas muß man sich doch abplagen. Nur seinen armseligen Hunger stillen?!? Wenn er nicht wär’, no, so wärs halt was anders, die Kirche oder eine Leidenschaft — — —. Für irgend etwas muß man sich doch abplagen.«
Man verurteilte sie wegen Vorschubleistung.
Als die Blicke der beiden verurteilten Geschwister sich begegneten, begannen einige Menschen im Auditorium zu weinen — — —.
Immer noch dieses Nachtgebrause im Göstritzwalde, immer noch um 7 morgens diese silbergrauen Nebelschleier. Aber meine Seele ist krank, weil Du nicht da bist, Anna Konrad! Du gehst, unausgeschlafen, müde, in die Schule, lernst mechanisch, daß Hannibal den Giftbecher trinken mußte aus irgendeinem Dir unverständlichen Grunde. Du kannst nicht mehr abends beim Abschiede zu mir sprechen: »Also schicken Sie mir bestimmt heute noch ›halb und halb‹; das hieß: Für 20 Heller Extrawurst, und für 20 Heller Zuckerln als Dessert!« Ich kam mir da jedesmal vor wie Kaiser Josef in den Volksstücken, der Leute beglückte, indem er einfach sagte: »Was braucht Ihr zu Eurem Glücke?! 10000 Gulden? Da habt Ihr sie!« Nun bist Du ferne, Anna Konrad! Immer noch dieses herrliche Nachtgebrause im Göstritzwalde, immer noch um 7 morgens die dichten silbergrauen Nebelschleier um Berg und Wald — — —.
Anna, Anna, Anna Konrad, ich liebe Dich!
Die »Internationale Sammlerzeitung« veröffentlicht in ihrer eben erschienenen Nr. 13 eine interessante Rundfrage über den Wert des Sammelns. Die Zeitschrift bringt unter anderem Beiträge vom Unterrichtsminister Grafen Stürgkh, Alfred Lichtwark, Alma Tadema, Harden, Paul Heyse, Max Kalbeck, Eduard Pötzl, Felix Salten, Balduin Groller, Ginzkey. Peter Altenberg gab auf die Frage nach seiner Sammelliebhaberei die folgende interessante Antwort: »Es ist ganz merkwürdig, daß Sie sich gerade an mich wenden in dieser Angelegenheit. Denn Sie können es absolut nicht wissen, daß ich, ein ganz Armer, seit vielen Jahren ein einfach fanatischer Sammler bin, und mir, gleich den Milliardären, eine heißgeliebte, gehegte und mit vielen Opfern zustande gebrachte herrlichste Bildergalerie verschafft habe: 1500 Ansichtskarten, 20 Heller das Stück, in zwei herrlichen japanischen Kästchen mit je sechs Fächern. Es sind ausschließlich photographische Aufnahmen von Landschaften, Frauen, Kindern, Tieren. Ich fand vor einigen Wochen, daß der wirklich Ausgebildete des Lebens sich seiner Schätze entäußern müsse, um das tiefste einzige Glück des »Gebens«, des »Spendens« auch noch bei seinen Lebzeiten miterleben zu können an seinen »Beschenkten«. Daher sandte ich beide japanische Kästchen mit den seit 1897 gesammelten 1500 Ansichtskarten nach Hamburg an die junge Dame, die allein von allen Frauen dieses Geschenk zu werten weiß. Seitdem sammle ich desto 192eifriger, desto leidenschaftlicher, um nun die Sammlung meiner Freundin zu komplettieren. — — Hier also sind gleich zwei heilsamste Ablenkungen von dem gefährlichen Bleigewicht des eigenen Ich: erstens das Glück des Sammelns selbst, zweitens das Glück, es für einen anderen, ebenso Verständnisvollen tun zu können! »Sammeln« heißt, sich auf etwas außerhalb der eigenen Persönlichkeit Liegendes konzentrieren können, das aber nicht so gefahrvoll und undankbar ist wie eine geliebte Frau — — —.«
Sie ist das Wunder des Chansons, das, an und für sich nichtig, farblos, leblos, durch sie eine Fülle von Tragik, grotesken Dingen, Lieblichkeit, Koketterie erhält. Ihre Augen bereits drücken alles aus, was es an seelischen Dingen überhaupt gibt, aber auch ihre Arme und Hände sprechen überaus eindringlich. Ihre Wirkungen grenzen an das Wunder. Und diese nur andeutende Art, diese wechselnden Nuancen, der clin d’œuil, der alles sagt, was zu sagen ist. Sie allein von allen hat die Macht, ein Lied auszuschöpfen, ja, es erst in seiner Fülle zu dichten! Ganze Schicksale bringt sie in einen sinnlosen Refrain, und man staunt über das Außerordentliche, das sich da ereignet. Aus einem Nichts ein Alles machen, darin könnten alle von ihr lernen, wenn es erlernbar wäre. Le minimum d’effort et le maximum d’effet ist auch ihre Devise. Den Höhepunkt ihrer Chansons bildet unbedingt »Les cloches de Nantes«. Wie ein düsteres Schicksal erdröhnen von allen Seiten die großen Glocken in den alten Kirchentürmen. Da gibt sie sich ganz aus, bricht los, bewirkt Enthusiasmus! Die Guilbert gehört zu den wenigen Erscheinungen, die einen als etwas nie wieder in die Welt Kommendes ergreifen. Man darf es nie versäumen, sie wieder und wieder zu sehen, zu studieren, so oft sich die Gelegenheit bietet. Für mich gehören zu solchen Erscheinungen Mitterwurzer, Girardi, Hermann Winkelmann. Es sind Menschen, die nicht ersetzt werden! Ihre Macht ist nicht zu definieren, da sie irgend etwas Rätselhaftes 194hat. Man befürchtet stets, daß sie einmal sterben werden, und geschieht es, ist man untröstlich, hat ein persönliches Leid erfahren. Man möchte in Trauer gehen um sie. So eine Organisation ist auch Yvette Guilbert. Diseusen, ach, lernet doch von ihr das leider Unerlernbare!
Eine Frau, die, während ihr Geliebter im Sterben liegt, sich ebenso pflegt, wäscht, mit hundert Salben salbt, wie eh’ und je, und keinerlei Bedenken hat, sich ebenso zu pflegen und zu hegen, wie sie es gewohnt war, hat ihn nie, nie wirklich lieb gehabt! Sie müßte plötzlich alles aufgeben, sich schmutzig werden lassen, sich verkommen lassen, auf ihre adelige Körperpflege vollkommen verzichten können, sich Hände und Gesicht nicht mehr waschen wollen, ja sogar die schönen Haare nicht mehr pflegen, sich in einen Abgrund stürzen lassen, wo das reale Leben zerschellt und aufhört — — —.
Es müßte alle ihre weibliche Eitelkeit plötzlich ersterben, nicht mehr sein — — —. Sie müßte zu einem Aschenbrödel werden, ganz in sich zurückgezogen und unbeachtet, nur in der edlen Pflege aufgehend und unscheinbar werdend vor Aufmerksamkeiten! Sie müßte unwillkürlich aus einer Dame zu einer »Pflegerin« werden, sich degradieren, um sich zu erhöhen!
Ihre Fingernägel müßten ihre Edelpolitur verlieren, ihre Strümpfe müßten Löcher bekommen und Knöpfe müßten ihr an der Bluse fehlen. Ihre werdende Ungepflegtheit müßte ihre Ehre sein! Ihre Freundinnen müßten zu ihr sprechen: »Du siehst gealtert aus, meine Liebe, schließlich muß man doch auch ein bißchen auf sich schauen, solange man jung und hübsch ist — — —.«
»Dazu habe ich jetzt, Gott sei Dank, keine Zeit mehr übrig — — —.«
196»Gott sei Dank?!« sagten die Freundinnen und kicherten: »Sie muß immer apart sein — — —.«
Müde schleichen die Stunden dahin. Noch einmal ist es mir Zähestem vergönnt, die herbstliche Pracht meines Kindheitsparadieses (damals gab es nur Gasthof »Nedwall«) zu erschauen! Brennesselgebüsche und dunkelbraune vertrocknete Sträucher. Ein kleines Mäderl in Lederhöschen, mit dicken, rostbraunen Zöpfen, in die grellrote Seidenbänder eingeflochten sind, repräsentiert mir die »Schönheit der ganzen Welt«. Die Eltern nennen sie, tief entzückt, schlimm und übermütig. Wie wenn die Saharet, Ruth St. Denis, Grete Wiesenthal, schlimm und übermütig sein könnten! Der Schneeberg trieft von zerrinnendem Schnee, und das Elisabethkirchlein ragt in graue Wolken. Ein Direktor reitet, kranke Frauen fahren langsam durch den Fichtenwald. Lila Enzian, kurzstengelig, und Löwenzahn. Aber meine »heilige Stunde« ist von 3 bis 4. Da spielt nach dem Essen die Amerikanerin mit ihrem großen schlanken Freunde im Café Karambol. Er belehrt sie natürlich väterlich, die doch alles bereits mitbekommen hat vom Schicksal, Anmut und Beweglichkeit und Gazellenglieder und Feenhände. Jede ihrer Bewegungen ist vollkommen. Das ist meine »heilige Stunde«, da ich menschliche Vollkommenheit erblicke. Da vergesse ich, daß Gottes Träume sich noch nicht realisiert haben — —.
Freitag nachts, Marien-Feiertag, 8. September. Eine verzweifelte Stimmung ist in mir, ich fühle es, ich spüre es, alles geht zu Ende. Die dunklen Herbstabende kommen, Deine Schule, A. K., fängt an, und böse, heimtückische, neidische, lieblose Menschen zerstören mir mein Paradies, das ich in meiner alten, kranken, dem Untergange geweihten Dichterseele für Dich, einzig und fast irrsinnig geliebtes Geschöpf, errichtet habe unter Tränen. Du, Du allein bist auf dieser traurigen Erde in meinem gefolterten Herzen, und Du weißt nichts davon, kannst, wirst davon, willst davon nichts wissen — — —. Nie wirst Du meine Anhänglichkeit ahnen. Dein Blick, Deine Stimme, alles, alles an Dir ist der Balsam meines todeswunden, todesmüden Herzens. Ich habe Dich lieb, lieb, wie niemand Dich je lieb haben wird — — —. Und nun spüre ich das Ende heranschleichen, sonst könnte ich nicht so traurig, so lebensmüde sein, und beim Erwachen am Morgen so bitter weinen und weinen, obzwar mir eigentlich nichts Böses geschehen ist — — —. Ich verlange nichts von Deiner kindlichen dreizehnjährigen Seele, Anna K., als daß Du es mir glaubst in Deinem tiefsten Herzen, daß schon im Anfang Deines ins ungewisse gefahrvolle Leben hinein aufblühenden Lebens, ein Mann in unbeschreiblicher Zärtlichkeit an Deiner geliebten, merkwürdigen, kindlichen und dennoch bereits tief melancholischen Persönlichkeit, mit ergebenster liebevollster Seele gehangen ist, und viel, viel um Dich 199getrauert hat, weil die anderen Menschen alles mißverstehen und böswillig, heimtückisch deuten!
Ich wollte Dir mit der kleinen Uhr eine besondere Freude bereiten, Dir meine vollkommen selbstlose Anhänglichkeit zu verstehen geben, aber auch das haben die hartherzigen, mißtrauischen Menschen nicht Dir, nicht mir gegönnt!
Bleibe mir gütig gesinnt, Anna, lasse Dich von niemandem auf falsche Gedanken bringen! Ein Atemzug Deines Mundes, ein Blick Deiner Augen, ein Schritt Deines müden kranken Fußes bedeuten mir die Schönheit, die Traurigkeiten der ganzen Welt!
»Annerl, hast du den Brief heute Samstag erhalten, den ich noch gestern Freitag nachts an dich geschrieben habe?!? Und hast du ihn verstanden?!«
»Selbstverständlich. Was soll ich daran nicht verstehen?! Ich kenn’ Ihnen doch auswendig und inwendig — — —.«
Pause.
»Sie, nächste Woche fangen die Schulen an. Da brauch’ ich schöne Schulrequisiten. Also zwei solche schöne dicke Tonking-Bambus-Federstiele, wie Sie sie immer benützen, dann 20 von Ihnere Stahlfedern, Kuhn 201, aber wirklich 20, oder wissen S’ was, 25, daß es eine gerade Zahl gibt. Und dann ein schönes Zeichenheft. Und dann einen Radiergummi. Und dann, no, Sie werden doch wissen, was ich sonst noch in der Schule brauche. Ja, richtig, einen Bleistiftspitzer, 200wie Sie einen haben, in einem kleinen Schachterl. Gott, die Schul’, na wenigstens is ma in der Schul’. Was haben S’ denn, Sie, Herr Peter?!?«
»Nichts — — —«, erwiderte ich.
Ich lernte eine junge, sehr, sehr empfindsame Frau kennen, die Martyrien durchmachte wegen der Ruhe und Gleichgültigkeit ihres entzückenden Gatten. Sie sah Gespenster von fünfzehnjährigen, sechzehnjährigen Mädchen, lebte in unglückseliger innerer Hast dahin, verzehrte sich selbst. In dieser schweren Krankheit ihrer süßen kindlichen Seele entwickelte sich in ihr der Plan, für dieses endlose Martyrium Strafe, eventuell Erlösung zu haben. Sie begann daher, einem netten gutmütigen Manne Avancen zu machen. Der Gatte rührte sich nicht. Das machte sie noch kranker. Sie trieb sich kopfüber hinein. Der Gatte rührte sich nicht. Als ich diese gefährliche Situation überblickte, las ich eines Abends nach dem Nachtmahle den beiden mein Gedicht »Das Bangen« vor.
Das Gedicht lautet:
Ich las es langsam und eindringlich vor.
Pause.
Der Mann erhob sich, trat langsam auf mich zu, nahm meine Hand in seine beiden Hände, sah mich lange, lange, lange an — — —. Die Frau starrte hin, starrte hin, schrie auf: »Er liebt mich, er leidet, oh, er liebt mich! Ich Unglückliche — —!« und fiel hin.
Ich hatte das Gedicht um vierundzwanzig Stunden zu spät vorgelesen.
»It’s inside in the human nature, to hate all those, who are better speaking, better dancing, better thinking, better feeling as we self!«
»Schneeglöckchen, immer sangen die Dichter von dir, du läutest den Frühling ein — — —.
Für mich begräbst du den herrlichen Winter!«
Ich erfinde nichts, daher bin ich kein Schriftsteller und kein Dichter. Das Leben trägt mir alles zu, ich habe nichts dabei zu verrichten, als das Zugetragene nicht zu verfälschen oder den anderen absichtlich plausibler machen zu wollen, denn man hilft ihnen ja doch nicht dadurch.
Ich kannte vor vielen Jahren die Frau eines Literaturprofessors an der Universität W. Eines Tages sagte sie zu ihm: »Ich liebe diesen jungen Schauspieler, den wir vor vier Tagen (so lange brauchen nämlich die Reizungen des Nervus sympaticus, um dringend zu werden in der Seele) gemeinsam im Theater genossen haben — —«
»Lade ihn aber vorerst zu uns zu einem Souper ein, damit man sehen könne, ob er dieselbe Wirkung auf dich ausübt außerhalb seines Idealterrains — —«
Nach dem Souper sagte sie zu ihrem Gatten:
»Es ist nichts mit diesem Manne. Oh, du, du, du einziger — — —.«
Als ihr Mann in jungen Jahren gestorben war, sprach sie einst einen fremden Herrn vormittags, Ecke Kärntnerstraße und Graben an: »Ich ersuche um Ihren Namen und Ihre Adresse — — —.«
Seitdem arbeitete sie tagelang an Dingen der sogenannten Nadelmalerei, wobei man mit verschiedenfarbiger Seide die zarten Nuancen von Gegenständen nachzuahmen versucht. Alle diese Dinge schickte sie dem fremden Manne und war glücklich dabei und vor allem friedvoll, seelisch beschäftigt. Später unterrichtete sie Dorfkinder umsonst im 204Französischen, ihrer Muttersprache. Und dann hörte ich nichts mehr über sie 35 Jahre lang. Aber stets gedenke ich ihrer, besonders wenn ich an die modernen Tennisspielerinnen denke! Die suchen sich auch »die Zeit zu vertreiben«!?!
Wie wenn die müde Seele noch einmal auf längst gesprungenen Saiten ihre begeisterten Klagen singen dürfte, so ist es, wenn du zu mir kommst, Helene N.!
Der Alltag weicht da wie ein böser Zauber, der uns gefangen hielt, in einem Leben, das nicht die Stunde wert ist, die es bringt! Man lebte dem Tode entgegen!
Das alte Zauberreich von melancholischen Zärtlichkeiten erblüht durch dich, und der fade Park wird zum mysteriösen Urwald, wenn dein geliebter Schritt die alten öden Wege wandelt — — —.
Dein Sprechen wird wieder zu Musik, der Hauch des Atems wird wieder zum Wehen von Frühlings-Gebirgsalmen mit Kohlröschen und Seidelbast und Knieholz.
Dein Sitzen beglückt und dein Stehen und dein Wandeln — — —.
Alles, was dich unglücklich macht, wird zugleich mein Unglück, und deine Klage trifft ein exaltiertes Bruderherz; indem ich leide und dir die Last abnehme unverstandenen Kummers, jauchzt meine Seele, daß sie mit dir leiden darf!
Ich möchte dich ins Zauberreich entführen,
wo du mein Kindchen wirst, gewiegt, getragen, beschützt, in überzärtlichen Armen, an einem für dich bebenden Herzen — — —,
weg von den Ungetümen »Menschen«, die dich mit ihrem feigen Unverständnis morden!
Bist du denn ein Distelstrauch am Wege, ein Unkraut oder Brennesselgebüsch?! Bist du dem Tritt des schweren frechen Fußes ausgesetzt?!
206Bist du nicht eine zarte Blüte Gottes, die behütet werden muß vor jedem rohen Hauche?!
Bist du nicht die, die unser totes Herz zum Leben wieder zaubert?!?
und deren zarte, edle Gliederpracht aus unseren glitzernden, stieren Fischaugen ein gerührtes Künstlerauge wiederzaubert?!?
In welche Welt bin ich geraten, pfui!?! Wo alles sich in schnöder Ordnung abhaspelt!? Du bist die andere! Anders wie die andern! Wie Ambrosia anders war als Rumpsteak mit Salat! Göttliche Kräfte bringst du, ohne es zu wissen! Und pflichtlos sinken wir zu deinen Füßen hin! Nur eine Pflicht erkennend, vor dir hinzuknien!
Das zugeschnittene Maß, das alle fördert, ist uns verächtlich und vergiftet uns! Der ekle Friede sorgenlosen Daseins macht unsere Kräfte stocken und vertrocknen. Wir müssen brennen, glühen und vergehen!
Und unsere innere Träne, wenn du beim Scheiden uns ruhig die Hand reichst,
macht uns erst wieder leben, leiden und verzweifeln, und auf eine Stunde hoffen, da du, Gebenedeite, wiederkehrst! Für diese Stunde leben wir in Not!
Die da sind, morden uns;
doch die da kommen, um von uns zu scheiden, bringen uns das Glück des abgrundtiefen Seelenschmerzes wieder!
Wir wollen rauschen, brausen und zerschäumen!
Des Lebens eingedämmte Ordnung ist unser 207heimtückischer Feind, für dumpfes Erdenleben ganz geeignet, das uns, unter der feigen Maske der Rettung, nur lahmlegt und vernichtet und vorzeitigem Tod entgegentreibt.
Helene N., komme, auf daß ich hundert Stunden lang in Fieberzehrung dich erwarten könne — — —. In Fieber mich verzehren, ist mein Leben!
Und scheide von mir, auf daß ich tausend Stunden dir nachtrauern könne — — —.
Mein Geist lebt nicht vom Sein, das lahm macht und gebrechlich — — —;
mein Geist lebt nur vom Hoffen und Verzweifeln!
Du kamst, Helene N., und alles ward belebt und blühte auf — — — —.
Du gingst, und Trauerflore hingen über der dunklen ausgestorbenen Welt — — —.
Die Welt der Pflichten ist vielleicht gesünder und fordert manches Wertvolle in kleinerem Kreise — —.
Wir aber wollen lieber an unseren inneren Symphonien elend scheitern; des Alltags Werkelton mordet uns ebenso, nur langsamer und qualvoller — — —. Wie stumpfe Messer gegen scharfe Klingen!
Der Folter wollen wir entgeh’n des leeren Lebens, das unseren Organen ihre Kraft entzieht;
und in der Schlacht trifft rücksichtsvoller uns der Tod, und herrlich plötzlicher,
als vorbereitet zu jeder Stunde eines Lebens, das weniger als nichts für uns bedeutet!
Helene N., komm’ wieder in den Park,
wo Irre ihre irren Träume träumen — — —.
Du wirst hier doch vielleicht mehr Menschlichkeiten finden,
208als in der Welt, die sich frech fälschlich für die normale hält!!!
Elsa Wiesenthal, schlichte, rätselhafte Naturkraft, wie Rittner, Mitterwurzer, Girardi, bringst du uns nun wieder den Geist, der geheimnisvoll, diskret verborgen in den Dingen lebt?! Bringst du uns wieder Hoheit, Ruhe und Würde in deinem adeligen Tanzen?! Oder hast du dich vom »Geist« verführen lassen wie alle, die der geistvollen, geistleeren Herde sich verständlich machen wollen?!? Gib uns nicht mehr, als was du kannst und deine Kunst! Sei eine schweigende Fürstin des Lebens, die lieber unverstanden dahingleitet, als scheinbar verständlich Leidenschaft markiert! Sei du mit deiner süßen merkwürdigen Schwester Berta, wie einst ein edles Beispiel, wie man aus einem Nichts ein Alles macht!
Es gibt viele, die seiner lachen.
Und wir, denen er mit wenigen inhaltsschweren Worten die Märchen des Lebens gedeutet, die »Bilderbogen des kleinen Lebens« koloriert, die er die Erlebnisse des Tages anders sehen gelehrt hat, wir können ihnen nichts dawider sagen. Müssen ihnen Recht geben, müssen zugestehen: Was ihr in Händen habt, was ihr seht, sind Lächerlichkeiten. Es ist, wie ihr es seht! Ihr!
Es ist, wie die Spötter sagen. Aber es ist zugleich anders. Die Kunst Altenbergs kann, wie das vielfarbige Leben, wie die widerspruchsvolle Natur — nach Fr. Th. Vischers Wort — an einem Ende gemein, am andern seelisch fein, nicht mit einem so oder so umgrenzt werden, sondern nur mit einem so und so.
Sie ist voller Lächerlichkeiten und Schönheiten, voller Gequältheiten und Feinheiten, voller Leerheiten und Vollheiten, voller nichtssagender Gewolltheiten und vielsprechender Gekonntheiten.
Sie ist — um wieder Vischers Wort von der Natur aufzunehmen — ein seltsam Ding.
Für die Formung der tausendfältigen kleinen und kleinsten Gaben, die so ein Buch Peter Altenbergs birgt, wurde der bewußte Gegensatz zu der Kunst der vielen klingenden Worte maßgebend. Die Wortkünstler sind dem Dichter Lügner und Charlatane. Sind ihm gewöhnliche Menschen, die ihre Geistesblöße mit dem wallenden Wortmantel zuzudecken suchen, die ihre Empfindungsarmut 212durch einen bloßen Wortreichtum auszugleichen glauben. »Ich hasse und verachte sie — ruft Peter Altenberg in seinen Märchen des Lebens — Wortreichtum ist Seelen- und Geistesarmut! Man verkriecht sich, versteckt sich dahinter, wie wenn man verzweifelt wäre, daß man nichts Wichtiges mitzuteilen hätte! Zwei und drei ist fünf kann nicht wortreich gesagt werden! Und dennoch verläßt man sich darauf, daß es eine Herde von Idioten gibt, die an dem »Wortklang« sich berauschen. — — Wehe, wehe denjenigen, die die Fähigkeiten dazu hätten, und nur ihrem Geisteswahne, ihrer Eitelkeit dienen! Auf einer Stradivariusgeige spielen sie, aber keine einfachen Adagios, die zu Tränen rühren, sondern verblüffende Passagen, die kalt lassen!«
Altenberg ist der Virtuose der Wortskizze. Ist es, weil er dem Reichtum des Lebens dienen will. Einem kleinen Ausschnitt sich willenlos hinzugeben und in unendlichem geduldigem Mühen nach höchster vollkommener Bildwirkung sich vor dem übrigen zu verschließen, daran hindert ihn die drängende Fülle, die ihm nicht Ruhe läßt. So springt er von einem zum andern, immer auf der Spur des schnellfliehenden Lebens. Zur Beschaulichkeit ist keine Zeit. Nicht zum Schwelgen. Es gilt zu erjagen, zu erraffen, gilt, flüchtiger als das fliehende Geschehen zu sein.
Daß diese Eigenart Altenbergs ihren Wert und Unwert in Einem hat, daß ihre Stärke die Mutter ihrer Schwäche ist, versteht sich. Es zu beweisen, wird man mir erlassen.
Dem Leben gilt Altenbergs Kunst.
213Diesem Wunder aller Wunder, mit dem wir täppisch, wie wir sind, auf Du und Du stehen. Das wir hinnehmen mit großen, blöden, dummdreisten Augen. Das wir zu kennen wähnen, und das doch von tausend Schleiern bedeckt ist. Das Wunder, das uns zum kahlen Alltag wurde, wird hier wieder ein blühendes Märchen, dem wir mit gläubigen Kinderaugen aus der Ferne zuschauen. Wunder des Alltags. Um sie geht es. Oder wie es der schönste unter allen Buchtiteln Altenbergs faßt, um die »Märchen des Lebens«. Unermüdlich trachtet der Dichter, die kleinen Dinge des Alltags besonders zu sehen, die Perlen am flachen Strand zu finden. Hundertmal mag er wertlose Kiesel auflesen und bei den kalten Besserwissern höhnisches Lächeln dafür ernten: plötzlich funkelt ein winziges Ding in seinen Händen und läßt uns die Augen übergehen.
Mitten hinein in die zarten Wortskizzen drängt sich plötzlich eine breite, schwerwiegende Untersuchung mit einer Überzahl unterstrichener Worte. Der Dichter wandelt sich in einen Propheten. Der Mann der zarten Worte in einen glaubensstarken Prediger, der lauthallende Straf- und Mahnreden auf die sündige Menschheit herabschleudert. Der eben noch ein ganz Besonderer, ein starker Einzelner, ein Außenseiter war, wird plötzlich zum Bruder Schultze-Naumburgs, des Kunstwartmannes, des Vaters des Reformkleides und der Reformstiefel.
Mit eindringlichen, treffsicheren Worten predigt er von seinem Ideale: der naturgemäßen Körperkultur. Anbetend neigt er sein Haupt vor dem großen Gotte Gesundheit. Worte fallen, die der Unnatur 214die gleißnerischen Kleider vom Leibe reißen und doch nichts bessern werden. Wann hätte diese Dame und ihr lästerliches Töchterlein Mode, je die Scham gekannt? Sie kann noch stärkeres ertragen als Altenbergs fanatische Predigten und seine gutgemeinten Insultierungen.
Darum ist es, schauen wir zurück auf die leidenschaftlichen Bekenntnisse zur Göttin Gesundheit, letzten Endes nicht das Gegenständliche, der Inhalt der Rede, der uns in den Bann der Worte zwingt, sondern die Persönlichkeit, die ungehinderter als in den formgewordenen Dichtungen, innerstes Sein und Meinen offenbart. Auch hier steht Altenberg im Dienste des großen, göttlichen, uneingezwängten Lebens. Auch hier will er jedem Pulsschlag freie Bahn schaffen. Auch hier erlösen von dem Drucke, den Steifheit und Gutmeinen, Enge und Schwerfälligkeit dem Wunder aller Wunder zufügten und bis in die Undenkbarkeit zufügen werden.
So geht auch diese Besonderheit mit dem Allgemeinen zusammen. In das Werk des Schöpfers der »Märchen des Lebens«, des Suchers im Alltag, des eigenwilligen Sehers fügt sich das Prodromosbuch ein, das Glied einer Kette. Der Unmittelbarkeit des unverfälschten Lebens trachtet der Dichter so gut wie der Prediger nach. Und die sprunghafte, das Wortemachen hassende Form eint beides auch nach außen hin.
Im Original gesperrte Schrift wird kursiv wiedergegeben.
Offensichtliche Satzfehler wurden stillschweigend korrigiert.
S. 15: »Deshalb ist man o beglückt ...« wurde korrigiert zu »Deshalb ist man so beglückt ...«.
S. 177: Der Titel enthält das Symbol † für »verstorben«.
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On page 177 the title contains “(†)”. Its meaning is “deceased”.
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