The Project Gutenberg EBook of Dada, by Adolf Knoblauch

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Title: Dada
       Mit einem Holzschnitt von Lyonel Feininger

Author: Adolf Knoblauch

Illustrator: Lyonel Feininger

Release Date: June 19, 2016 [EBook #52370]

Language: German

Character set encoding: ISO-8859-1

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Holzschnitt von Lyonel Feininger

DADA

VON
ADOLF KNOBLAUCH

KURT WOLFF VERLAG · LEIPZIG

BÜCHEREI „DER JÜNGSTE TAG“ BAND 73/74

GEDRUCKT BEI POESCHEL & TREPTE IN LEIPZIG

MIT EINEM HOLZSCHNITT VON LYONEL FEININGER

COPYRIGHT BY KURT WOLFF VERLAG, LEIPZIG, 1919

LEO FEININGER
waffenbrüderlich
zugeeignet

„Menschen, wie wir beide, verkennen möglicherweise unsere besten, echtesten Fähigkeiten und Kunstgaben, wenn wir den für uns beide erprobten Hang zum Satirischen immer nur unterdrücken. Sie, wie ich, befassen sich mit den mystischsten Dingen; wir leben in einer Thränenwelt (mit „Th...“) und unsere Gedanken sind vollgesättigt von dem gottverlassenen Treiben dieser Jahre; und tief in uns drin steckt doch auch die explosivste, rabiateste Bosheit und verlangt nach Betätigung und Befreiung. Wer weiß, ob sie nicht gerade die Kraft ist, die uns zur sieghaften Gestaltung prädestinierte.“

Feininger.

„Denn wir haben Mondungen für die Erde mitgebracht.

Wer zur Welt kommt, sammelt Abfälle seiner fehlgeschlagenen Schaffung des Mondes.“

Theodor Däubler.

ERSTER TEIL

DER KARST.

Das sonnergraute Rund des Karst steigt über Dada empor, seine Stirn trägt vier Säulen roten Abendlichts, seine Hände ruhen blau: Die Linke mit dem Schlüssel Polas, die Rechte mit der goldenen Schale von Triest.

Pola im Klirren der Arsenale, Rauch der Stahlfabriken, der Hafen voll grauer Stahlboote. Die zierliche Schnur der zum Hafen einbiegenden Panzerkreuzer ist vom Karst ins adriatische Blau herabgerollt.

Triest das goldene Halbrund fraulichen Entzückens, Venezias ärmere Schwester, aber gleich hold von Adria geliebt.

Das sind die Götter! und in Dadas schwingenden Nerven dichten seine Städte aus der in den kargen Fels geschnittenen und gesprengten Fülle eine graue und goldene Hymne, zu den Göttern singen die Städte ihr in ihm geborenes Lob, auf daß Er Europas Hauptstädte vor ihrem Bilde beuge.

Dadas dichtender Leib ist auf kargem Karst ein lohender Abendnebel, ein Moos auf erhabenem Steine Ostlatiums, ein blauer, dann blasser Pilz. Ein etrurischer Silen, ohne Zentaurenzierde der Vorfahren, und von weißer Leinfarbe der Haut, hat den Leib im Karst geborgen, ihn werden nie die leichtgebogenen Läufe des Hirsches davontragen. Unter dem beschattenden Stirnhaar blicken Dadas blaß durchsichtige Augen auf das Meer gegen Abend.

In Dadas Blut braut Polas Rauch, duftet die Zärtlichkeit der triestinischen Schale. Möge endlich die lateinische Mutter Adrias blaue Meerflut zerteilen, mögen das königliche Venedig und das väterliche Rom ihre Wimpel senden und das verlorene Istrien befreien und belohnen!

Dadas weiche Hände sind zwei blaue Quallen, die in der Tiefe saugend mit den Fluten rollen und wiegen. Zu seinen Häupten stehen die vier roten Säulen im feinen telegraphischen Tönen der Arsenale von Pola. Diesem Tönen ist Dadas dichtendes Großhirn hingegeben.

In der zehnten Stunde bebt der Karst von großer Woge, tagjung steht eine Wolke im Lohgelben gebaut. Adria ruht hochgewölbt, und ein blankes junges Weib springt von Adrias Rücken auf die Wolke, die sich bläht und nach Osten wandelt. Dada eilt strahlend zur Felswand und breitet die Arme nach der Göttin Italia, nach der mächtigen, fruchtbaren Frau, die kommt, um den Karst zu segnen!

Die Wolke steigt gen Triest. Italia streckt den vollen weißen Arm aus dem wallenden Blau des Kleides und spendet über die glückliche Stadt goldene Jubelmünzen. Danach wird die Wolke finster zusammengedrückt und rollt überm Karst nach Pola. Dada späht scharf aus dem Eck der haarverhangenen Stirn zum Zenith des weltenvollen Himmels, bis er das blaue Kleid seiner Träume erschaut. Aber das Kleid rollt auf den grauen Berg hernieder, denn die Götter sind nackt, wenn sie einen Sterblichen liebenden Glanzes erfreuen. Italia schreitet herab, und der Silen starrt zu ihrem holden Jungreiz empor, zu den hohen Beinen, der gewölbten Hüfte, auf der d’Annunzio die Harfe schlug, und dem stolz wallenden Busen.

Dada kniet trunken weich vor der Gebieterin, mit schwerem, sehr quälend schwerem Bauch, zu den Füßen von Rosamilch und bietet den Schlüssel Pola und die Schale Triest huldigend der Lateinerin. Die Geliebte uralter Waldgötter, der sich einst Stier, Eber, Hirsch brünstig gewälzt hatten, die Umworbene teutonischer Könige, sie neigt sich gnädig in Dadas Augen. Aus seinen Händen lischt das Blau, die Lichtsäulen verstummen und wenden sich ab, den entgöttert Dämmernden küßt die hohe Frau, freigebig gelaunt, mit der Koketterie der prächtigen, volkstümlichen Dame. Sie spricht: „Dada, werde durch mich berühmt, wandle als mein Bote durch die Städte Europas und sage, daß ich ihnen aus meinem Schoße die Freiheit schenken will.

Wenn du aufstehst unter ihnen, gebiete als mein Marschall, wenn du sitzest und ruhst, laste mit Italias vollen weiblichen Gliedern, massig, dick, Leib meiner Demokratie und erlösten Republik.

Dein schöner Silenskopf sei feurig gebräunt, es sei die Blässe vom Zeitungspapier aus den lateinischen Zügen getilgt. Dein Haarbusch ruhe schmachtend auf der goldenem Mittelmaß nicht entfliehenden Stirn, denn die schöneren Hälften künftiger Republiken werden auf deine Locken mit Küssen sinken. Deine blassen, durchsichtigen Augen, die meine Brüste umspannen mit der zart saugenden Nähe des Neugeborenen, bewahre mein Lieber, denn sie künden deinen Charakter.“

Eh sich Dada ermannt, Italias Hüfte ergreift und die Schöne an sich reißt, hat die Wolke sich gesenkt. Unter neckenden Glockentönen entweicht die Gestalt und schwebt gen Abend.

Triest zählt das Gold im Schlafe, Pola schlägt tolle Hämmer, als wolle es in seinen Essen das Meer zu Stahl schmieden. Dada verneigt sich morgenländisch und spricht zärtlich das Zauberwort: „Freiheit!“

DEROBEA.

Dada hat ein wunderbares Wort, um vor niederbeugenden Hemmnissen sich selbst wiederzufinden: elastisch sein! Dieser Zauber hilft ihm durch die unwirtlichsten Zeiten.

Nachdem er Frau Italia geschaut, hat er Istriens Karst umkreist, sein karges Vaterland, das einst die heimatlichen Wälder rodete, um auf ihren Pfählen Venedig zu errichten. In dieser Einöde lebt er von der Ekstase jenes Zauberrufes, den die Göttin von den vollen zärtlichen Formen Tiepolos ihm schenkte. Aber nur unvollkommen die Bedeutung des Zauberrufes in der Wüste ermessend, hat Dada ihn treulich nach Pola und Triest getragen, in jene Schenken armseliger Vorstädte und in winzige Arbeiterhütten, aus denen der im Reichtum geborene strenge Hauch der Freiheit zum schreckensvollen Orkane verwandelt hervorrast.

Eines Nachts, beim Heimgange von der Druckerei des Polaer Generalanzeigers wird Dada überfallen, seine ungewöhnliche Körperfülle wird in einen Sack gepreßt, er wird auf ein Maultier gebunden, und so auf den Karst gebracht. Dort wird er seinem Schicksal überlassen, nicht ohne ihm eine Anzahl gut österreichischer Schläge mit dem Knüttel auf die weichsten Teile seines Leibes zu zählen, die von der Schwere seines Leibes ganz besonders hart geprüft wurden.

Der Morgen erscheint in Adrias erhabenem Glanze und Adria hört aus dem Sacke den leisen Seufzer: elastisch sein! Dada trennt die fesselnde Leinwand, barhäuptig, gelenkig, schnellfüßig tritt er mit Zorn den grauen Schiefer des Felsens. Dann bückt er sich und faßt das nächstbeste Stück Glimmerschiefer, zerdrückt es in beiden hohlen Händen zu Staub, speit dreimal kräftig drauf und bäckt aus dem Ganzen einen Kloß. Diesen Kloß nun schleudert er mit Spottworten Pola zu, das drunten mit seinen Türmen und Dächern den Schlaf der Provinz hält. Der Kloß rollt zufällig auf das weiße Hemd eines Mädchens, das Wäsche auf dem flachen Dache ihres Hauses zum Trocknen aufhängt. Sie ist entsetzt, denn sie glaubt, daß ein Stier vom Karst mit seinem Mist ihr Hemd verunreinigt habe. Und aus solcher Höhe!

Dada lacht. Er ist frei. Er läuft am Rand der Felsen entlang und schreit fünfmal seinen Namen. Diese eine Silbe fünffach gedoppelt wiederholt, stellen das erstaunte Aufmerken und Fingerweisen eines Säuglings dar. Das fünffach gedoppelte Da! rollt aus Dada zauberhaft lieb und mit der Perligkeit eines Säuglingsmundes ö-artig rund und mit den Häkchen des zartesten Hammellautes zu Adrias blauen Wohnungen, so daß selbst die Göttin erwacht, die von fürstlichen Räubern und Mördern abstammt.

Über die gläsernen Kuppeln ihres Palastes fährt ein schneeweißer riesiger Kreuzer und hoch auf allen seinen Stricken, Masten, Stangen und Spieren flattern Italias Wimpel.

Dada rast zum Strande. Das mächtige Schiff hat draußen ein schmales Boot niedergelassen. Mit zehn Ruderschlägen saust es an Land, während die Hymne Emanueles hoch über der Adria zum Gruße Istriens rauscht. Dada wird an Bord des Kreuzers geholt.

Ein toskanischer Herzog soll dies Schiff zum Nordpol führen und jene Länder der Antarktis entdecken, von denen der Italiener im Namen der lateinischen Rassen Besitz ergreifen wird. Dada, dem Sack und den Knütteln entronnen, der Patriot, der letzte Italiener Ostlatiums, der Redakteur des istrianischen Proletariats, ist auserkoren zum Berichterstatter für jenes umworbene Polarland, das seinen silbernen Gipfel über dem erstaunten Europa mit der italienischen Flagge schmücken wird. Anstelle seiner verlorenen Mütze wird Dada ein mit langen Truthahnfedern geschmückter Bersaglieri-Hut auf die starke Stirnlocke gedrückt.

* * *

Eine gelehrte Aristokratie ist im Saale des Schiffes versammelt, als der Istrianer vorgestellt wird. Professoren, Literaten, Politiker und vereinzelte Damen gehören dem Unternehmen an, das in Schwung gebracht worden ist, um ein Ereignis von ebenso wissenschaftlichem wie weltpolitischem Charakter heraufzubeschwören.

Der kühne Dada hat sich nach einer allgemeinen Verbeugung, und nachdem die schönsten, ausgezeichnetsten Namen von Rom an ihm vorübergebeugt sind, sogleich in den nächsten Ledersessel sinken lassen, danach rutscht er ein wenig nach vorn, streckt die Beine lang von sich und spreizt die Knie, aber keineswegs, um die Zierde der Stiere unter seinem Kleide der Zivilisation zu zeigen, sondern um jenes Wort Frau Italias zu erfüllen: „Wenn du sitzt und ruhst, laste mit Italias vollen weiblichen Gliedern, massig, dick, Leib meiner Demokratie!“

Dada blinzelt aus dem Eck seiner lockenverhangenen Stirn zu den glänzenden Uniformen und den prächtigen Damen. An der Seite des Herzogs ruht eine ungewöhnliche korpulente, busengefildete Frau von hochrotem Angesichte, die Dada mit Lorgnon in Augenschein nimmt. Einen Augenblick lang will Dada sich beleidigt fühlen, er fährt von der Tiefe des Sessels auf, und indem er mit seiner gewaltigen Leibesmasse gebieterisch aufrecht steht, zieht er die Blicke des ganzen Publikums auf sich.

Er tritt frei vor das herzogliche Paar und bittet ihre gnädige Laune, zu gestatten, daß er eine seiner Hymnen auf die nationalen Aspirationen zum besten geben dürfe. Die Lorgnons senken sich langsam, wie die Fittiche des Albatros, um den Schaum der Welle zu berühren, und Dada rezitiert seine istrianischen Hymnen.

Im Mahagonirahmen des mit Gold bedeckten Salons ist dieser eintönig leiernde Lateiner eine Wohltat, eine Sanftheit und Trägheit langen Verdösens. Die Professoren sind eingenickt und die Damen in tiefste Korbsessel geflüchtet zum Schlummer. Nur die unermüdliche Begleiterin des Herzogs bleibt wach und bewundert Dada. Sie steht plötzlich auf, tritt zum Lesenden und legt den Arm in den seinen. Erst jetzt bemerkt der ganz in die Darstellung seiner urgefügten Laute gespannte Dichter die überaus vollblütige, starke Weibesgestalt, die ihn mit lustigem Zwinkern aus dem Saale und an Deck schiebt. Indem sie auf die rings um die herzogliche Hoheit Schlummernden deutet, sagt sie: „Dada, Sie sind schon jetzt ein berühmter Mann, der Herzog ist unterrichtet von Ihrer politischen Kühnheit und den gegen Sie geplanten Anschlägen. Aber die von ihren wissenschaftlichen Vorbereitungen zur Reise überanstrengten Häupter dürfen Sie nicht im Sturm für Ihre tiefsymbolischen Dichtungen zu gewinnen hoffen. Lieber Freund —! so darf ich Sie wohl schon jetzt nennen, denn Sie sind doch auch ein wenig Österreicher, und ich bin eine Deutsche — ich will für Sie werben, junge Dichter sind so außerordentlich unbeholfen. Geben Sie sich nur ganz in meine Hände, in Freundeshände —!“

Sie lächelt verliebt und ihr hochrotes Angesicht flammt vor ihm auf. Mit einem Blick umfaßt der feurige hübsche Silen den mächtigen Leib, den wuchtigen Busen dieser germanischen Fruchtbarkeit, und sie, von der Karstglut seiner Hymnen versengt, streicht über seine Stirnlocken. Und Dada erinnert sich des Augenblicks, in dem die Göttin Italia ihm ihren Segen und ihre Sendung gab. Er hat noch kein Weib gefunden, das so sehr der Vollendung Italias gemäß gebildet ist, als diese Deutsche neben ihm. Ein glühendes Hinneigen zu diesem Weibe bemächtigt sich des Dichters, er preßt den vollsten und stärksten aller Weibesarme an seine heroische Hüfte, die nicht zu den Beinen flach entflieht, sondern rund auf dem Gewölbe seines Bauches ruht. Sein braunes Silensgesicht wird noch dunkler von einer stolzen Erobererfreude, und er senkt den unverhüllten Blick in das Auge der vollblütigen Aphrodite, die fest an seiner Hüfte ruht, denn sie ruhen beide an die Reeling gelehnt, und sie flüstert träumend: „Mein Herr von Casanova!“ Ihren Augen entschwindet die Küste Italiens.

Es ist Dada nicht möglich, den mächtigen Rücken neben sich mit dem Arm zu umfangen, schließlich biegt sie langsam seinen Kopf zu dem ihrigen und sie geben sich gründlich einen Kuß. Dann lassen sie einander los. Die Professoren erscheinen, die Hoheit hat ausgeschlafen, und die beiden dicken neuen Freunde bilden den Mittelpunkt für alle Liebenswürdigkeiten und Schmeicheleien. Jetzt erfährt Dada auch den Namen seiner Göttin: sie wird Derobea genannt und ist die Frau eines königlich sächsischen Kommerzienrats, der Konsul in Rom ist. Als Freundin des Herzogs hat sie die Erlaubnis, die Nordpolfahrt zu seiner Linken mitzureisen.

* * *

Das Schiff verläßt England und steuert zur skandinavischen Küste. Dada führt das Tagebuch des Herzogs und hat sich vorgenommen, den Walfischen und Seerössern der Polarzone ihre Urlaute abzulauschen und ein Epos von den Pinguinen zu verfassen. Er ist begeistert von seiner ersten Weltfahrt, die ihn zwar Italias Sendung, Europa die Freiheit aus ihrem Schoße zu bringen, abwegig macht, ihn als Freiheitsboten aber jenen düsteren Horden der Eskimos zuführt, die in ihren Erdhöhlen die holdesten Kulturreize Italiens fühlen sollen. Dada hat Derobea für die nationalen Aspirationen in Niemandsland geworben. Wie die Jordaenssche Lebensfülle beider die Plötzlichkeit, Offenherzigkeit ihres Liebesverständnisses simultan durchsprüht, so sind sie auch für ihre künftigen Eroberungen eine Hand, eine Seele.

Sie nähern sich nördlicheren Breitengraden, Bergen, Trondhjem, als Dada jene Taktlosigkeit begeht, derzufolge die Hoheit glaubt, Derobea von ihrem neuen Freunde befreien zu müssen. Seinem eigenen feurigen Ungestüm ist die schuldige Entdeckung zuzuschreiben, die die Hoheit macht, als sie zufällig Dada beim Verlassen von Derobeas Schlafzimmer betrifft.

Dada wird bedeutet, sich an einem Küstenorte Norwegens ausschiffen zu lassen, und trotz Derobeas entrüsteten Thränen, die für ihren dicken Schützling mehr fürchtet als für das Wohl und Wehe der ganzen hoheitlichen Expedition, muß sie sich in die ernsten Vorhaltungen der Professoren fügen, die nur das Ärgernis entfernt wissen wollen.

Ohne Gepäck, mittellos, wie er vom Karst gekommen, nur mit einigem Reisegeld, dem Reisepaß und den hoheitlichen Empfehlungsschreiben ausgerüstet, steigt Dada in Hammerfest ans Land. Vom Nordkap schwenkt der Verlassene seinen wallenden Bersaglierihut, während Derobea vom weißen Schiffe ein zartes Tüchlein weht, und es immer wieder an die Augen führt. Das einzige, teure Wort, das ihm geblieben, murmelt Dada immerfort vor sich hin: Derobea! „Dada! wo hast du deine Derobea?!“

DAS NORDLICHT.

Ewige Feuchtigkeit, graue Wolken, jäh vorbrechende Stürme. Die Meereswüste wird nur selten von einigen die kimerische Dämmerung durchbrechenden Sonnenstrahlen gefärbt. Den Tagen folgen wunderliche Nächte von gleicher Helligkeit.

Eines Abends sitzt Dada wie gewöhnlich am Meere, das ihm Derobea genommen hat und erwägt einen Satz aus dem Buche, das seiner Hand entglitten ist: „Die Überwindung der unsozialen, richtungslosen Ekstase durch die soziale Ziel-Ekstase, das himmlische Jerusalem aus irdischen Bausteinen.“ Es ist ihm, als unterhielte er sich mit Derobea über den Sinn dieses Satzes.

Der Wind schläft ein, die Wolken stehen reglos, und das Meer verändert fern hinaus seine Düsternis zur tiefsten Schwärze. Nur der Schall der gegen die Blöcke des tiefen Strandes vorbrechenden Flut donnert im Gleichmaß fort. Unheimliche Finsternis der Antarktis steht undurchdringlich vor Dada. Nur das Land bleibt schattenhaft in seinem gespenstigen Eigenlicht sichtbar. In Höhe des Meeres beginnen einzelne gelbe Streifen ein zuckendes Spiel hinter einem unermeßlichen Vorhang finstrer Geschiebewinde, einzelne ferne Fanfarentöne, dann tiefste Stille. Dicht überm Meere wird es in endloser Ausdehnung vom Licht lebendig, der Horizont glüht an von geisterhaftem ruhigem Blau und Grün und strahlt auf, während ungeheure Fächer, Gardinen, schwere Vorhänge sich hell färben und aus durchsichtigem Kristall werden, um ein unerhörtes lohgelbes Flammen mit tiefstem Schweigen auszustrahlen. Endlich erhebt sich hinter den starren Falten der purpurne Riesenfächer eines ungeheuer starken Kernfeuers, das mit blutigem Licht durch die flammenden Kristalle hinaus aufs Meer in breiten Strömen rieselt. Ein unermeßliches Blutergießen überflutet den geheimnisvollen Polarkreis. Die wilde Schönheit purpurner Grotten und Eismeere, ungeheurer Pflanzen und Wale und Berge von Eis, vom zartesten Splitter bis zu den Kristall-Stalaktiten antarktischer Riesendome in düsteren Gluten errötend und elektrisch funkelnd schauert tief in Dadas Herz und tötet mit Geisterhänden sein Liebesleid. Das Miramar des Nordpols steht vor seiner Seele, und von seinen Zinnen spricht Gott in tiefster Stille das Wort des neuen Jahrtausends aus.

Es graut Dada vor dem erhabenen Nordlicht, von schrecklicherer Kälte als alle grausamen Kulte Mexikos, Indiens und Karthagos. Das kälteste und feurigste Wunder des Erdballs hat der Italiener geschaut. Das grausigste der Schöpfungswerke, das der äußersten Finsternis die blendendste Pracht des Lichtes beigesellte.

* * *

Das blutige Nordlicht, gewaltiger als je eins seit Menschengedenken, ist von vielen Lappländern beobachtet worden.

Dada hat das Fieber seit jener Nacht gepackt und liegt im Gasthofe zu Bett, wo er von einer Lappländerin gepflegt wird. Und diese erzählt ihm eines Tages vom Nordlicht und seiner Prophetie. Es kündigt einen Krieg an, in dessen weißglühenden Ring alle Völker der Erde nacheinander ihre Söhne hineinschmieden müssen, um sie in seiner unerlöschlichen Glut für ewig versinken zu sehen. Ein herrlicher Vorhang flammensprühend verbirgt wohltätig die Greuel denen, die warten, aber wenn ein Vorhang verzehrt ist, so stellt ein neuer noch herrlicher sich dar. Niemand vermag hineinzuspringen, die abscheulichen Gluten auszutreten oder die Geopferten ihnen zu entreißen. Hier wird Retter, Henker und Opfer eines und gleich. Diese Schrecken verkünden die prophetischen Falten des Nordlichts.

DIE URLAUTE.

Dada lernt die Sprache der Lappländer, um Zunge und Gehör in der Urform des Menschenwortes kindlicher Rassen zu binden.

In den Nächten des nassen, sturmumtobten Hammerfest sieht Dada die Grundlage einer Zukunftsdichtung, indem er die Sprachen alter Rassen nach Urworten und Lauten durchforscht, die Töne tausendjähriger Kindheit blumenhaft öffnen. Wie vordem die Urlaute der Kinder, versucht er jetzt die Urklänge der menschlichen Rassen in seinem System von Rhythmen zum schwingenden Rausche zu dichten, wie jener Ekstatiker in Là-bas die substilsten Sorten des Kognaks zu einer Symphonie des Kognak-Rausches. Vom wilden Lappen, Eskimo, Tschungusen nimmt Dada den Urlaut, und läßt ihn neu tönen in Dadas Wildheit, Trauer, Glück und Schmerz. Dada hebt die logische Sukzession der Worte in den Ursprachen der Fetischanbeter auf und sammelt ihre einzelnen Silben oder Laute, sperrt ihren beziehungsreichen Sinn in das Gefängnis seines nervös eilenden Rhythmus und senkt in ihre traurig gerupften Kelche die bleichen Leidenschaften des Urwalddurstigen verkrüppelten Europäers. Der Chinese, der Ägypter, der Druide sprachen durch Zeichen, die sie auf Seide, Stein oder Holz eingruben. Dada nimmt die gottgeweihten Zeichen, wiederholt sie auf mehreren Reihen des nervös fiebernden Rhythmus, um die Empfindung des Urlaute-denkenden Dada flüchtig schillernd auszudrücken.

In einem lappländischen Dorfe nahe der russischen Grenze findet Dada einen Dorfgötzen, vor dem er sich niederwirft, dann wieder aufrichtet, um von neuem niederzufallen. Mit schäumendem Munde betet Dada in den drei Urlauten einer Hymne, die zum Gegenstande die komplizierte Idee der sozialen Zielekstase hat. Das Dorf um ihn ist nichts weiter als die materielle Gestalt seiner Idee, der er in der Hymne den Ausdruck des Urlautes verleiht.

* * *

Dada spricht: „Ich bin der Orient.“

Er reist durch Finnmarken nach St. Petersburg; er geht durch das Geschlinge aller Rassen und Sprachen und er bildet das Gehör zur äußersten Feinheit der Wahrnehmung, um die allertiefsten und allerfernsten Urklänge der lebenden Völker zu verstehen und zu besitzen.

Er betritt vom ersten Augenblick an jene Bahn, die jedermann wählt, wenn er weder Geld noch Beschützer besitzt, um zum Erfolge zu gelangen. Dada tritt in die berühmte Organisation der russischen Geheimpolizei. Er wird beauftragt, einer Reihe revolutionärer Klubs als ordentliches Mitglied anzugehören. Auf Grund gefälschter Zertifikate erlangt er Zutritt zu einer Reihe politischer Versammlungen, erwirbt sich Vertrauen und wird schnell berühmt auf Grund seiner persönlichen herkulischen Erscheinung, die an die Leibesfülle des Begründers russischen Terrors erinnert: Michail Bakunin. Dadas Vorname, bei dem ihn jetzt das Proletariat kennt, ist: Michail.

Auf einer Werbereise zu den Muschiks eines westlichen Gouvernements kommt der erfolgreiche Istrianer in einem Provinzstädtchen mit zwei Männern zusammen, die Bauern und Arbeiterschaft ihrer Bezirke in Bewegung gesetzt haben, ohne eine Kopeke von den Geldern des Zentralkomitees zu brauchen. Der eine ist Klavierlehrer, der andere Angestellter der Stadtdruckerei. Mit diesen beiden Männern gerät er in ein Gespräch über ein Ereignis, das ganz Rußland erschüttert. Ein junges Mädchen aus guter Familie, gut erzogen und von der Jugend der Charlotte Corday, hat einen General mit der Bombe getötet, weil er ein grausamer Gouverneur war. Dies Mädchen wird in der Untersuchungshaft von den überwachenden Offizieren vergewaltigt und am nackten Leibe gemartert. Sie löschten z. B. die Zigaretten auf ihrer Haut. Als sie vor ihren Richtern steht, erklärt sie, daß sie aus dem Leben wolle.

Eine düstere Tragödie folgt der anderen, diese glühenden Verfinsterungen einer Nation, in der die mechanische Cinéma-Kultur Europas sich mit den asiatischen Triebkräften zur ungeheuren Selbstzerstörung vermischen.

Dada sieht sich durch die Ochrana unheimlich verstrickt und weiter als je von Italias Freiheitssendung entfernt. Er schließt sich gequält den beiden Männern an, die eine für ihre Schicht ungewöhnliche politische Vernunft und kühne Rücksichtslosigkeit in der Verfolgung ihrer Ziele besitzen, außerdem lernt Dada in ihnen zwei Freunde jener Terroristin kennen. Mit ihnen geht der Istrianer auf die Straße, sie halten die Vorübergehenden an und erklären jedem einzeln ihre Ideen. Sie flüstern, versprechen geheimnisvoll, drohen, spotten — sie werben mit unbezwinglicher Überzeugungskraft. Die Polizei ist machtlos gegen sie.

Auch Dada glaubt an die Revolution, die Demokratie und Kindlichkeit der Völker. Er glaubt an das Werk der Freiheit. Er bittet seine Freunde, das erste große Werk sozial zielvoller Ekstase den Muschiks und Proletariern vortragen zu dürfen: „Das Nordlicht!“ und begründet: „Die Kindlichkeit neuer Demokratien erfordert eine ihr gemäße neue Urform des Ausdrucks und des Stils. Erst der kindliche Mensch ist der wahrhaft Freie! ein ausgelassener unbändiger Junge ist das Urbild der Freiheit!“

Seine Sätze brauche man nicht durch Kommas und Punkte eingeschachtelt zu hören, jedes seiner Worte sei ein Hauptwort, auf dem die Sonne der Urlandschaft sprieße. Jede seiner Empfindungen habe nur einen Ausdruck: Den o- oder aj-Ausruf, den Schmerz oder die Freude. Sein Wille kenne nur eine Wortform von substanziellstem Wert.

Vor dem gleichgültig rauchenden und trinkenden Publikum einer Arbeiterversammlung trägt Dada die Hymne des Nordlichts vor. Die Völker beider Welthälften erzählen selbst im eintönigen Chore von den Grausamkeiten, den Kriegen und den Kulten ihrer kindlichen Zeiten. Die Idole der Osterinsel, Perus und der grausamen Mexikaner erzählen ihre paradiesischen Feste und ihre schändlichsten Greuel, Madagaskar, Indien, und endlich jene untergegangene Atlantis, von der die lateinischen Neu-Republiken nur blasse Revenants sind, blühen urwaldblumenhaft in ihren wenigen gewaltigen Urlauten aus Dadas Rhythmen auf. Tänze, Prozessionen, Orgien, Fratzen, Götzen der alten Naturkulte leben magnetisch in einigen gelallten Silben Dadas, obgleich hier bereits die Grenzen des im Worte Darstellbaren erreicht werden. Diese Silben gleichen Kakteen oder Orchideen, die märchenhafte Systeme von Stacheln oder farbigen Blättern entfalten und mit ihren künstlichen Gebilden das Entzücken der Sammler oder ästhetischer Salons sind.

Dadas sozial zielvolle Dichtung ist ein archäologisches Museum der Seltsamkeiten des Völkerlebens, ein Erotikon und Folklore aller Geschlechtskulte. Die Menschheit eilt mit dem eintönigen Summen eines vielgeschäftigen Bienenstockes vorbei, ohne sich umzublicken, den Blick auf ihre erhabenen Idole geheftet. Immer auf dem Marsche nach Norden, immer von neuem ungeheuren Zuchtmitteln unterworfen, die aus Einöden entsprangen und die Erschlafften geißeln — durch die Kriege, Opfer, Brände, Seuchen, Untergänge wandeln die gleichmütig gereimten Hymnen Dadas, um endlich das Nordlicht anzubeten und aus seinen glühenden Falten die kalte Prophetie Europas zu empfangen. Dada verkündet die Zertrümmerung dieses Erdteils, und nach Niederlegung all seines Menschen- und Pflanzenwuchses den Triumph der Polarwüste über die verworfenen Reiche, den Sieg des Nordlichts!

Seine Vorlesung schließt Dada mit dem Ausruf: „Betragt euch kindlich, so fühlt ihr euch frei und ihr seid es auch!“

Eine drückende Stille liegt auf den Zuhörern. Die beiden Freunde fassen Dada an den Armen und zwingen den bequemen herkulischen Italiener aufzustehen und mit ihnen die Versammlung zu verlassen.

Seit einiger Zeit ist Dada verdächtig des Einverständnisses mit der Polizei, und bei seiner ungewöhnlichen Vorlesung, die mit sämtlichen Perversitäten der bürgerlichen Gesellschaft aller Völker spielte, haben die Freunde das stärkste Mißtrauen der Versammlung bemerkt. Selbst die Freunde haben Dadas Werk nicht verstanden, das auf das Erscheinen irgendeines neuen bürgerlichen Ssanin hinaus zu gehen schien, der auf Kosten der Arbeiter einem Geschlechtskulte im Zeichen des Nordlichts sich hingeben wird. Ein Jahr hat Dada in Rußland verbracht, ohne seine Aufgabe, die Freiheit auch diesem gequälten Lande zu bringen, erfüllt zu haben, diesem mißtrauischen, bis auf die Wurzeln verdorbenen Volke, das in dem Bewußtsein ständiger Gefahr von Umsturz und Empörung sich dem Rausche ergeben hat, erregt von einer tief fressenden, stets sprungbereiten tierischen Sexualität. Ihre Freiheitsideen verdammt Dada im selben Maße wie ihren Fortschritt vom Stumpfsinn des Mir zum Cinéma und zum Alkohol.

Die Macht der Idee selbst bei den armen russischen Bauern und Arbeitern ist das Wunder, das Dada rührt, und er wünscht ihnen dazu die Vernunft des — Nordlichts!

Dada ahnt nicht, daß er jene beiden Russen kennen gelernt hat, die nach dem Sturze des Zaren, nach Ausbruch unerhörtester Ereignisse, die günstige Stunde des Weltkrieges benutzten und das Schicksal der russischen Republik in ihre Hände nahmen, jene selben Männer, die noch eine Zeitspanne weiter dieselbe Terroristin und Freundin füsilieren ließen, als sie sich ihnen entgegen stellte.

Der unglückliche Weltreisende muß sich von neuem entschließen zu wandern. Dada soll ebenso sanft wie nachdrücklich nach Deutschland abgeschoben werden, dem Zion aller Juden und Emporkömmlinge Rußlands und Polens.

Mit Hilfe seiner herzoglichen Freibriefe entrinnt er rechtzeitig der russischen Polizei und gelangt nach Deutschland.

DRESDEN.

Dada wendet sich sogleich nach Dresden, um Derobeas Aufenthalt zu erkunden. Siehe da: auch sie ist nach einjähriger Abwesenheit in den Polarländern zurückgekehrt, um von Dresden aus zum Gemahl nach Rom weiterzureisen. Sie hat die Expedition des Herzogs auf der Heimreise in Hamburg verlassen. Es ist ein köstliches Wiedersehen von Taubenzärtlichkeit, und sie beschließen, ganz der Kunst und der intimsten Gesellschaft geweihte Wochen gemeinsam zu verleben. Die reiche, in Künstlerkreisen sehr wohltätige Dame veranstaltet eine Reihe großer Empfangsabende und Feste, um die Künstler Dresdens und Berlins einzuladen. Die glückliche Derobea versammelt Sänger, Komponisten, Dichter, Rezitatoren, Maler, sie ruft Kunstausstellungen hervor, wirbt Zeitungen für den Dienst der neuen Kunst, der sie ihre Salons zur Verfügung stellt. Zusammen sind Derobea mit Dada die berühmten Protektoren. Derobea und ihr Kreis bewundern die Hymnen des großen Istrianers aus Lappland und dem Reiche der Sarmaten und Tartaren: „Das Nordlicht“ sowie die Hymnen und die Philosophie von den Urlauten der kindlichen Rassen. Sämtliche Werke Dadas erscheinen im Druck, an ihrer Spitze die Hymnen an Derobea, der das Ganze in kindlicher Dankbarkeit zu Füßen gelegt wird. Derobea ist glücklich. Dadas Genie ist in Deutschland entdeckt, er wird gemalt, wertvolle Liebhaberausgaben seiner Dichtungen werden subskribiert, seine Philosophie wird die Grundlage einer neuen Richtung der Ausdruckskunst. In kühnen Vorträgen bemächtigen sich Doktoren der Kunstwissenschaft der Dadaschen Dichtung. Gestammelte, gelallte, gestöhnte, gestaunte und geseufzte Empfindungsurlaute des Eskimos in Dadas Rhythmik haben die bisherigen Sprachgrenzen des Kulturmenschen überwunden, kein Verbum, kein Objekt fesselt den Strom der Dichtung, die wohlanständig logische Frisur des Satzbaus ist zerstört, das Subjekt allein bleibt im ewigen Einerlei seiner Abwandlungen bestehen: wunderbar entfesselt, ausgebreitet in einer Welt freier Leidenschaften, freien Liebens, Tötens und Getötetwerdens. Aus den Greueln Europas schreitet Dadas neues Subjekt hervor, um durch die Eisstürze des Polarkreises und die kalte Herrlichkeit des Nordlichts das Absolutum der Kunst zu finden, die letzte demantharte Kristallisierung, die Reinigung der kulturbefleckten Menschheit.

* * *

In ihren Salons hat Derobea eine Reihe Spielzeuge für Kinder aufgestellt: einen Garten mit Arche Noah aus Pappe und bemalten Hölzchen, Postkutschen, Lokomotiven, Müllerwagen, Puppen und Dreiertieren mit mechanischem Antrieb. Alle Spielzeuge sind mit den Urlauten Dadas versehen. Man drückt auf einen rosa Gummipfropfen und die Figur stößt den ihrem Charakter angepaßten Urlaut aus, den Dada einem Lappländer, Samojeden oder Tartaren abgelauscht hat. Mit diesen Spielzeugen erheitert Derobea ihren Kreis, nachdem Dada eine seiner leiernden Hymnen vorgetragen hat. Da erschallen die Säle Derobeas von wunderlichem Geplärr und Geschrei, die Gäste versuchen selbst die Urlaute nachzuahmen, es ist, als ob eine ganze Mädchenschule eingesperrt ist und in allen Stimmlagen ihre Lehrer äfft. Durch Passanten aufmerksam gemacht, erscheint eines Tages die Polizei in Derobeas Hause, um dem revolutionären Lärm nachzuforschen. Alles lacht und der errötende Dada verschwindet hinter Derobeas mütterlicher Statue. Denn ein Plastiker hat Derobea und Dada in Jordaenscher Fülle aus Marmor gehauen.

* * *

Eine neue furchtbare Stimme hat sich aus Berlin erhoben und droht wie einer der sagenhaften Gaskogner der Iliade dem Istrianer mit Herausforderung auf Urlaute. Ein Kreis von tyrtäischen Künstlern hat sich unter Führung von drei auserwählten Männern auf den Marsch begeben: mit dem Programm eines organisierten Orkans der erneuerten Künste und einer löffelartigen Fortbildung ihrer Sprechwerkzeuge. Vor ihnen her geht die neue furchtbare Dichterstimme Hackhacks aus dem Schall einer verstärkten Kindertrompete, neben ihm „denkt“ der Philosoph mit Augen von Tetraëdern, geschliffen aus gewöhnlichem Kiesel und lacht erotisch über den eigenen und Hackhacks Bombast. Der Direktor des Ganzen springt über sie, rührt besessen die Hacken und tanzt in dünnster Luft. An jedes seiner langen langen Haare ist ein Heft des tyrtäischen „Orkans“ geknüpft und fliegt rund mit solchem Babygrinsen, solcher Dummdreistigkeit, als wäre sein Dasein wichtiger als das der restlichen Schöpfungswerke.

Diese drei starken Männer haben die Kunst ethisch gedrillt und unter Polizeiaufsicht genommen. Gelenkt von einer Mänade von internationalem Blondschein, genügt Berlin keineswegs ihrem teutonischen Eroberungsdrange. Sie ziehen eines Abends in Dresden ein und Hackhack veranstaltet eine Orgie seiner Dichtungen in Derobeas Salon. Unter Chagalls „Bild des Gehörnten“ lernt Dada Hackhack kennen. Der Vortragende, ein Märtyrer der Kunst Hackhacks, donnert in ununterbrochener Ekstase die Berliner Dichtungen, mit der Eintönung der heraufgestemmten Urlaute, die seltsam von fern an die Leier Dadas erinnert. Es sind Dichtungen in mediumistischem Trance und spiegeln den zerwühlten Zustand hindämmernden Weltlebens, zersetzter, geschwächter und zur schöpferischen Ohnmacht verdammter Völker.

Gleich Dada hat Hackhack das Objekt und Prädikat ausgerodet. Das Subjekt strömt hartnäckig seine unaufhörlichen Interjektionen in einem Niagara von Verben, die weder Logik noch Satzgefüge hemmen, und sich in eine furchtbare Öde stürzen, die nur einige trübe Berlinismen erquicken. Dada würde gern den neuen Mann aus Preußen als seinen Doppelgänger von der nördlichen Hälfte Europas begrüßt haben, wenn ihn nicht eine furchtbare Anomalie gegen Hackhack eingenommen hätte: das sind die seltsam zerhackten Wortreste der deutschen Sprache zum höheren Ruhme des neuen Gottes, der Kunst!

Ausgerodeten, bleichenden Wurzelknorren oder Brocken von großen Stämmen gleichen diese armseligen sinnberaubten Wortreste, die in einer unermüdlich quellenden, gurgelnden, schubbsenden, zappelnden Flutung eines furchtbar stöhnenden, schwer Atem ringenden Subjekts kreisen, dem Gesetz der Beharrung unterworfen gleich ihrem Schöpfer. Dada ergreift eines dieser vergewaltigten Worte, die aktivische Vorsilbe ist ihm abgesägt, und der bloße Schwanz als leidenschaftslose Urerscheinung aus der Kindheit germanischer Rasse zeigt die Hoheit des Dichters. Der in den Urlauten völkischer Säuglingstage tiefbohrende Dada steht entsetzt vor diesen Urformen berliner Hackhacks.

Wird Dada auf seine sinnlichen Urlaute verzichten, und jene Lautempfindungen aus ihnen hacken, die Dadas teuerstes Gut sind? Wird er dies Verbrechen seinen Wörtlein antun, damit sie schnell an der Oberfläche mitschwimmen können?

Oder wird Hackhack sich seiner Dichtersiege und seiner unzähligen Krüppel von Worten freiwillig begeben, die seinen fürchterlichen Berserkeranfällen von pedantischer Wortschrauberei und Klügelei entsprossen sind? Die Hexerei, Taschenspiegelei aus Berlin und ihre dekadente Wüstheit betrübt Dadas katholische Seele und italienisch formgebildeten Kunstgeist. Auch er ist begehrlich nach den wildesten Urgenüssen, dafür ist er moderner Silen. Aber Hackhack ist auch Hackhack in der Seele und das taugt Dada nicht.

Am Morgen nach dieser Berliner Gassenjugend begibt er sich mit Derobea zum ersten Male seit Jahren zu einer Messe in die Liebfrauenkirche. Er besprengt sich mit geweihtem Wasser, beugt das Knie und betet aufrichtig für die Reinheit seiner Seele und seiner der menschlichen Befreiung geweihten Kunst.

* * *

Im selben Sommer, der Derobeas und Dadas Märchenglück sieht, bricht der Krieg aus, der allen Aspirationen des Istrianers ein Ziel setzt und den Konsul aus Rom in die Arme seiner Gattin zurückführt.

Dada wird nach Österreich zum Heere eingezogen, macht einige Märsche mit und bleibt dann als Badewärter in einem Lausoleum Galiziens hängen.

ZWEITER TEIL

DIE SERBIN.

Dada trägt Tschako, Bluse und Habsburgs Doppeladler. Sein Blick steht schräg, und auf die bewaffneten Horden, die gen Osten ziehen, fällt sein Schatten dumpfer Härte, mürrischer Unlust; verstaubt, verdorrt, verwest in den Wirbeln der Menschenöde, die bis ins ferne Morgenland schäumen. Der jüngst weltweite Horizont, den Dada zu erobern ausgezogen war, hat sich verkrochen, liegt in der Kriegswildnis im Hinterhalt, bestückt mit zehntausend Drohungen. Das Standbild der Freiheit, in den verzehrenden Flugsand irgendeiner Wüste Gobi gestürzt, wonneglänzt ihm nimmer zu den Mondungen seiner Seele, und das hellste der irdischen Festländer ist finster geworden.

Zu einem runden Silbervollmond der Steppe steigt Dada auf dem Damm der Bahnlinie, die Wien mit dem goldenen Kiew bindet. Hell, zart leuchtend ist die nächtliche Ebene. Dada steht lauschend und sinnt gen Osten.

Auf den im Monde bläulichen Schienen schreitet hoch und anmutsvoll ein Weib, den Rock geschürzt, und bleibt vor Dada still, die entblößten Arme über dem starken Busen gekreuzt. Das stattliche Weib ist von Angesicht und Haltung frei der knechtigen Plumpheit träger Halbslawen. Sie spricht leise im Wind der Sommernacht im Sieden der Erde: „Mich trug Istriens armer Karst, durch das tote Europa bin ich in alle Länder bis zu den letzten aller Slawen gewandert, um sie den Klauen des Doppeladlers zu entreißen. Du bist müde und schwer geworden, seit dich Italia zu ihrem Geliebten machte und sie dich zu den kraftvollen Spannungen der Freiheit erkor. Gib acht, ob du noch taugst zu der Sendung, die dich in die Freiheit pflanzte. Du warst geschmückt mit dem Adel Etruriens und gebotest mit dem Lockklang Pans über die Horden. Aus Galiziens Kriegswildnis schmachtest du nach dem Orient und verhüllst Abtrünnigkeit und weibische Zagheit mit dem Lack Chinas und Krischnas Liebesblumen. Weil beflissene Knechte die Völker in Kriegsgerät, Panzer und Flugzeug schnürten, glaubst du, daß die Freiheit verliegt und fault?

Einst gefürstet von Cäsaren empfing ich Legionen in der Kraft meiner kimerischen und dacischen Völker. Ungebeugt, roh, von Bärenkraft und Pantheranmut, genoß ich die römische Freiheit und senkte sie meinen Jungbürtigen in Hirn und Herz. Gründer neuer Reiche und Pflüger neuer Grenzen zogen ihre düstren ergebenen Fahnen nach Norden und zeugten das neue Europa.

Dada, ich weiß, dir fehlt Garibaldis Feuerblick, Magnet der Freischar, wahrer Gott der armen ruhmbelohnten Kämpfer. Du hast viele Geliebte nötig gehabt, und schließlich hat eine Köchin, die einem Deutschen gehört, dich um dein entartet lateinisch Blut betrogen. Mit einer braven Zweischichtigen, Zweischläfrigen wurdest du bettgewöhnt und hast die Freiheit verschlafen. Als es dann zu spät war, als alle um dich aus dem Rausch erwachten, und Männerblut und Weibertränen ihnen bis an den Hals in roter Sintflut stand, fürchtetest du dich und du verhülltest die Seelennot mit deines furchtsamen Verstandes bunter Wortkunst.

Aber es ist keine Schonzeit für die Furchtsamen.

Nimm die Schiene, löse ihre Schrauben und trage die starken Stahlglieder beiseite, damit das Gleis zerbrochen sei. Und an das Ende des westlichen Schienenkörpers befestige diesen eisernen Topf mit hohen Explosiven.“

Das Weib löst vom Gürtel ein kleines schwarzes Gefäß und Dada nimmt es schweigend. Ein Balken starken weißen Lichtes quert den Bauch der Geheimnisvollen. Sie lächelt. Dada kniet und birgt den treuen Zentaurenkopf in den groben Falten des Bauernrocks. Ein Bäumchen mit dicken, grünen Blättern und drei dunklen Granatäpfeln sprießt aus der Erde und wölbt um Dadas am Bauch der Serbin ruhendes Haupt betäubende Wollust.

Das Weib entfernt sich unmerklich, auf bleichen Schienen entwandelnd. Dada liegt quer über die Schienen gestreckt und küßt in blinder Inbrunst den schrecklichen Stahl. Dada biegt die Schrauben, lockert sie mit Steinschlägen, trägt die Schienen auf dem Rücken beiseite und befestigt, gehorsam der Slawin, das Hochexplosiv.

Danach macht er sich fertig und wandert gen Osten in der Tracht kroatischer Bauern.

KIEW.

Durch die Serbin zu süßerer Qual entzündet als von allen Derobeas eilt Dada Rußland zu. Als ukrainischer Bauer kommt er nach Kiew. Entsandt von der neuen Einheitsrasse, die Europas blutgedüngter Erde entsproß, seinem erstickenden Völkergefängnis entsprungen, entkettet, entbunden, entrollt zu Wirrsalen des Staatenumsturzes, fernster Völkersicht, zu Stürmen, Himmeln, Bindungen erneuerten Festlandes.

Im Dom zu Kiew kniet Dada vor den Bildern des Weltgerichts. Nachtdunkle Augenmale der weltverschlingenden Propheten starren auf das Meer Europas, in dessen Abgrunde brünstige Ungeheuer rollen. Jo, die Sklavin roher verderblicher Götter, nimmt gepeitscht durch kimerische Länder ihren qualvollen Lauf zu den Zinnen des Kaukasus. Über prometheischer Zwiesprache zürnt das feurige Antlitz des Stiergottes durch die Wolken und beschattet das junge Europa mit endloser Zwietracht und Krieg, gleich Blitzen unter Wolken gestreut.

Die furchtbaren Tiere regen sich markzehrend in Europas Tiefen: Plage, Seuche, Hunger, Aufruhr, Gewalttat, Verfolgung, Mord. Die Heiligen des Pantokrators, erhöht über Verbrechen und Schwächen, gewaffnet mit Jovis Blitzen und dem Bannfluch, um jede Seele botmäßig zu machen, starren glühend in den unermeßlichen Abgrund, über dem sie ihre Macht errichtet haben. Heulende Gewalten werfen sich in den Staub, Zerknirschte tun Buße, das Schwert zerschellt, seine Schrecken enden am gläsernen Meere, das unwandelbar von Gottes Stuhl über Europa fließt.

Die Gottesmutter nimmt die Gestalt der Serbin an. Sie stiehlt das goldene Vlies des Orients. Dada wird in Kolchis seinen Bock den alten Göttern schlachten und er wehrt es nicht den neuen, ihr Mahl am frischen Lamme zu halten und das Opferblut zu trinken. Dada sieht den Transportzug in der hellhörigen, zartleuchtenden Nacht, die Explosion und den Zusammenstoß: die Raserei der Verwundeten, die Schreie der Getöteten, die Schande des Mordes haben seine Seele erreicht. Das Lamm ist zerrissen, das Blut dampft um Rache im strengen Licht von Patmos — das die Stufen beglänzt, auf denen die schwarzen Väter thronen.

KAUKASUS.

Brücken, Stahlschienen, Wagen tragen den Leib des glücklich dem wolhynischen Gemetzel Entronnenen. Bäche, Ströme, Hügel beugen ihre breiten Rücken, Wälder setzen ihren schwarzen Fuß zögernd in die endlose Steppe und nehmen endlich Abschied von Dada. Russische Dome heben ihre Türme mit Zimbeln der goldenen Kuppeln und zärtlichen Kreuzen. Rosa-Lämmer mit Glöckchen um den Hals springen auf zum Silbermond in grüner Abendaue, und ein Lächeln betaut Dadas Angesicht. Eines der Rosalämmer hüpft auf die gewölbte Mondsichel, und Dada faßt hinauf in dem zärtlichen Bedürfnis, als der gute Hirte das Tier auf den Arm und an seine Brust zu nehmen. Da schwillt die zarte Rosagestalt ungeheuer an zum blutroten Mastodon, dessen Wanst langsam über den kleinen Mond sinkt und ihn mit blauen Riesenschatten verhüllt.

Die himmlischen Eisdiamanten des Kaukasus erscheinen am Himmelsgewölbe, königlich über den Reichen des Lebens. Keine Absolution durch Handauflegen, keine Gnade durch Messe und Rosenkranz — erdwurzelnder Glaube, strenge Ordnung, Riesenkreis säulenstarker Offenbarung. Die feierlichen Stimmen der Berge dulden keine versteckten Winkel voller Trägheit und keine Schlammfelder voll anarchischer Mordtaten.

Die Berge wandeln erhaben, senken sich, ruhen, steigen an und neigen schwarze Riesentafeln über Dada. Eisige Windströme stoßen von nächtlichen Hängen, reißen und kälten ins Mark. Düster geduckt harrt Dada zwischen Bauern gekauert, auf den Ausbruch des roten Wahnsinns, wenn vom Riegel des Orients die Trompete schallt und die Nie-Entsühnten zum Weltgerichte ladet.

* * *

Durch die Städte des Hafis gelangt Dada zum Indischen Ozean. Mit englischen Khakis, die zur Front nach Görz eingeschifft werden, geht Dada an Bord eines mit Rauten und Rechtecken übermalten Kreuzers. Anders als er in Pola über die Adria emporflog zur Eroberung des Poles, belastet, verdumpft, zugeschüttet, kehrt er endlich heim von seiner Europareise zu Italia: zu ihr, die ihn als ihren Marschall aussandte, kehrt er müde und ohne sein schimmerndes Schild heroischer Taten zurück und keine Hymne Emanueles rauscht heimatskündend dem vielbewanderten Dada.

Krank, zerrüttet verbringt der Flüchtling die Reise im Bette. Im Fiebertraum steigt der Kaukasus immer drohender, in schrecklicher Schönheit empor. Dada klimmt an düstren Hängen auf und hämmert hilflos einsam riesige kubische Glastafeln an die Felswände. Aber sie lockern sich schnell und stürzen in die Tiefe, aus der furchtbare Windströme die Kräfte seiner Arme saugen. Qualgeblendet steigt Dada zu den prometheischen Firnen auf, um ihnen seine antiseptischen Glastafeln aufzuhämmern, aber die mächtigen Berge spotten seiner kindischen Anstrengungen.

Als das Fieber von Dada weicht, bemächtigt sich des Dichters ein dämonischer Glaswahn: mit riesigen Glastafeln will er Berge, Küsten und Hochflächen bedecken und sie schützen vor der Fäulnis und Verderbnis des kriegführenden Europas durch eine Erdarchitektur des Glases.

* * *

In Brindisi betritt Dada das gelobte Land unter den Huldigungen der weiblichen Bevölkerung, die einen Helden vermutet. Die gewaltige Gestalt, gehüllt in einen schweren Mantel von Kardinalsrot, zieht aller Blicke an. Während Dada die Terrassen vom Meere heraufschreitet, wird er mit Blumen überschüttet, Körbe mit Früchten Siziliens werden ihm nachgetragen.

Dada wölbt die athletische Brust und spricht zu den italienischen Frauen: „Der Held träumte unter den Blumen des Orients vom armen Karst im Norden, den die lateinische Flagge seit Jahrhunderten nicht mehr küßte. Der Held fährt zu der schaurigen Hölle zu Füßen der Alpen, die eure lebendigen Söhne frißt.“

Dadas Ruhm beginnt. In Neapel und Rom wird er interviewt und gefilmt, Barzini schildert seine antarktische Reise. Jenes dunkle Attentat auf die ukrainische Eisenbahnlinie, das vielen Tschakos den Garaus gemacht, und das der Dichter der Urlaute in einem molligen Interview zum besten gegeben hat, wird in der ganzen Kriegspresse abgedruckt zur Förderung einer gesunden Akzentuierung der Heeresberichte. Seine Hymnen werden als patriotische Kundgebung für den Sieg Italiens über den Nordpol verherrlicht, und die um Bissolati träumen von seinem Denkmal auf dem Karst. Nur der Avanti erklärt sich gegen eine öffentliche Geldsammlung für die Statue Dadas.

Der Gefeierte im roten Kardinalsmantel aber träumt von höheren Ehren und von einem andern Ruhm, der ihm nicht von seinem Nebenbuhler d’Annunzio und der Rache der Anarchisten streitig gemacht werden kann.

VENEDIG.

Aus dem kriegsrasenden Rom flüchtet Dada nach Toskana und kommt eines Nachts in Venedig an. Er legt seinen roten Mantel ab, und in Arbeitsbluse, unter angenommenen Namen tritt er in einer der alten Glasfabriken von Murano ein.

Er lernt die erste Stufe der Erzeugung reiner Glas- und Kristallflüsse, das Schmelzen, Brennen und Schleifen untadliger Gläser, köstlicher Spiegel und Sichtgläser, die den Weltraum zu zarten funkelnden Brennpunkten verdichten.

Dada träumt davon, ein Glas von Dauer und Härte der Steine herzustellen, das gegen alle Erschütterungen gefestigt ist, ohne jedoch den natürlichen Verwitterungen ausgesetzt zu sein wie jene. In riesigen kubischen Platten soll es geschnitten werden, und es soll lodern von feurigen Flüssen oder Bändern in den Spektralfarben. Sonnen, Wolkenschlachten und Liebesmahle sollen zum leuchtenden Schmuck der Erdringe werden. Er will die Erde panzern mit antiseptischem Glas, indem er den Drohungen des Kaukasus trotzt.

Die düstren Kalkhalden und vegetationslosen Hochflächen des istrischen Karst sollen geschnitten, geteilt, und durch Glätten und Schleifen in drei- und rechteckigen Formen gegeneinander gesetzt werden und die Berge als polygonale, pyramidale und kubische Felskörper eine ungeheure Raumgestalt in den Himmel türmen. Auf dem geschliffenen Gebirge sollen Italiens Arbeiter die Flächen auslegen und vernieten mit den dauerhaften und farbigen Glaspanzerplatten seines kaukasischen Traums. Hoch über der Adria soll das neue Kap Sunium, das glasgepanzerte Vorgebirge Istriens funkeln als der Diamant Europas und die Lateiner in Ravenna und Rimini an heiteren Tagen brüderlich grüßen: Denkmal der Freiheit und Verkündung und Triumph der Lateiner über den rohen Weltkrieg.

An beweglichen Stahlgestellen sollen riesige Refraktoren bis über die letzte terrestrische Luftschichtung hinaufstoßen und mit einsamen, stillen Augen das Leben des Himmels, des Festlandes und des Meeres beobachten. Von riesigen, sehr schlanken, witterungsbeständigen Glastürmen sollen leuchtende Explosionen von Radium über die magnetische Sphäre der Erdrinde hinausfahren, und sich zur Selbstbewegung nach glänzenderen Brennpunkten des Alls entfalten, um sich zu ergießen oder stürmisch mitzureißen und zum Karst zurückzukehren und aus kosmischer Vermischung den durch Jahrhunderte zur Dürre verdammten Fels mit brennender Erde zu befruchten.

Das aus dieser Befruchtung neu erstehende Vaterland soll mit Venedig durch eine Brücke aus sturmhartem Kristall in ungeheuren schneeweißen Bögen über die Adria verbunden werden, und die Brücke wird die Statuen der Dogen tragen, die durch den Ring der Adria vermählt waren. Dada sucht den Kristall zu gewinnen, durch den die kosmische Schönheit der Erde verwirklicht wird: Er bereitet eine Metallbindung mit Email vor, um die Glassteine zu mörteln. Auf istrischem Karst soll der Klotz von Glas wachsen, der die Last der weißen Glasbögen auf ihren hohen Feuertürmen übers Meer hebt und ihre letzte sanfte Wölbung vor Venedigs Markusturm entladet zur unlöslichen Vereinigung Istriens mit Italien.

Der kristallspannende Blick des Erdarchitekten erhebt sich über Europa und mißt das lateinische Reich, von Venedig bis zur Kreidewand von Dover, und vom Libanon bis zum schwarzen Felsenhaupte Gibraltars und über die Südsee zum lateinischen Amerika.

ENGADIN.

In der Fabrik erhält der Arbeiter Dada den Befehl, sich zum italienischen Heere zu stellen. Der unglücklich die Freiheit Istriens liebende Glaspionier wird unter Emanueles Fahnen gerufen. Er meldet sich zum Flugdienst und wird in der Führung eines Äroplanes ausgebildet. Eines Tages darf er emporsteigen und in den Wolken gen Triest fahren. Er jubelt Miramar zu und der ganzen Küste und wirft tausende Drucke seiner Hymnen über die Städte bis Abbazia. In einer späteren Nacht wagt er den ersten Flug mit Bombenabwurf auf die Arsenale von Pola. Aus Todesschauern der schütteren Erde und Feuerwirbeln, die das Festeste zerstören, nimmt Dada das Steuer zum Mittelmeer, und Italia fliegt brausend neben ihm als sein göttlicher Albatros.

Dada unternimmt einen Bergflug vom Gardasee über die Tiroler Alpen bis ins Herz Bayerns. Er wandert ganz einsam in die blaue Luft gehängt, mit unbeflecktem Fuß über Schründe, Spalten, Grate, Zinnen, Firne, Gletscher auf der Sonnenbahn nach Norden. Die Firne glänzen: blau, grün, scharlach, ocker. Bergtäler öffnen sich zu ungeheuren Blüten des Enzian. Klüfte, Spalten, Schründe mit Gletscherstürzen entfalten schmale, nie gelesene Buchrollen der Tiefe aus ewigem Kristall. Berggrate sind überwölkt von Silberrosen, Edelweiß auf Mammuthrücken.

Heftige Windströme saugen um die Klippen, und der Flieger wehrt sich um sein Leben. Schüsse prallen rings, von schlagenden Granaten bebt Trafoi. Dada biegt nach Westen, um nicht vom Tiroler Feuerringe gefaßt zu werden. An der Schweizer Grenze wird er durch erdstürzenden Windstrom herabgezwungen. Er landet auf einer Halde über dem Tale von Pontresina, sprengt das Flugzeug und flüchtet in die Klüfte des Corwatsch, denn die Täler sind voll Soldaten. Von Hirten bekommt er Nahrung und Bauernkleider und endlich wagt er sich als deutscher Flüchtling aus Zürich in das Engadin.

* * *

Das obere Engadin mit breiten tiefgrünen Bergseen zu Füßen wohlgeformter Schneegebirge ist eine ungeheure Enzianblüte. Im Anblick der himmlischen Eisdiamanten sucht Dada die Einsamkeit, ewige Frische und Reinheit der Luft von Chasté auf. Das ist kein Karst. Gewaltige Lärchen, Bergfichten, Eichen steigen bis zur Geröllzone in mächtigen Waldungen auf. So war einst Attika von den Hainen des Zeus bedeckt. Nebel und Wolken schweben mit Riesenschatten wandernder Legionen feierlich um die Bergzinnen, und diese tauchen schneeblitzender in der tiefsten Bläue auf.

Dada mietet ein Gehöft am Ufer des grünen Bergsees. „Einsame Zärtlichkeit“ schreibt er über die Tür seines Hauses. Kein Zaun umschränkt es, kein Hofhund stört, und das Gezwitscher der roten Schweizer Wäschermädels tief am grünen See erquickt sein Geborgensein. Der hölzerne Oberbau mit dem giebeligen Dach ist fortgenommen und auf den viereckigen Granitunterbau ein hoher, flächig polygonaler Glasbau gesetzt worden. Das ist der Hauswohnraum Dadas zu ebener Erde, und drüber die gläserne Allwarte in Gestalt eines spitzen Hutes.

Von den Urlauten der Kinder und der Primitiven wendet sich der Dichter dem terrestrischen Magnetismus zu. Er arbeitet an der Herstellung eines absoluten Kristalls, das Feuer, Sprengung und Wasser widersteht. Er schmilzt ein Glas von äußerster Empfindlichkeit für Farben und Schatten der Luft. An heiteren Tagen steigt aus dem Glaspilz am stählernen Gelenk der große Luftspiegel in die Höhe, mit dem Dada bildtelegraphisch Himmel und Firn beobachtet in ihren unerhörten Wandlungen.

Glücklich das kleine Stück Felsland, das vor der unreinen Überschwemmung des europäischen Reisepublikums durch die schützende Lohe des Weltkriegs noch eine Weile bewahrt blieb. Zahnradbahn und Massenwanderungen zum Gletscher verfinstern nicht das Eis der Gipfel, das Schweigen und die herbe Glut der Felsen. Der mächtige Sturzklang der Quellbäche am Granit der Hochwände wird nicht von den Brüllaffen der Mode, des Sports und Flirts zertreten. Der Anblick der Gestirne, elektrisch zitternder Nachtglanz des Alls, Belauschung des stillen Streits kosmischer Todeskräfte, werden nicht roh unterbrochen durch Sprechwerkzeuge, die leider nicht die der Grille und Nachtigall sind.

Dadas Zärtlichkeit: Das Sausen des Windes, des mitternachtgeborenen, in den Seewellen am Hain von Chasté, die heißen Felswände in wechselnden Schatten und der Firn. Den mondrunden Spiegel hat Dada über den kaiserlichen Firn gehängt, um das hohl geschwollene, weggreifende Ich fortzuätzen und die Erde von unreiner tierischer Kruste der fäulenden Ichs zu befreien.

Dadas Freuden: Versenkung, Innendienst mit Herz und Hirn, Beobachtung, freie göttliche Bewegung der schaffenden, messenden, wägenden Hand. Diese Freuden dauern, ohne schal zu werden.

Das neue Vaterland der Idee ist erschienen, das Engadin der Alliebe, die Bergheimat zärtlicher Innquellen, bereit zum Schmuck der Erdrinde mit geschliffenem Kristall. Europas Arbeiter sollen nicht mehr Europas Kriege führen, sondern Europas Berge meißeln und die rauhsten Werke mit Juwelen gottbeseelter Erdheimat schmücken.

In den Gerölleinöden des roten Corvatsch läßt Dada durch Arbeiter einen Stuhl in die Felsen meißeln. Den obersten Teil des Gipfels mit seinem Zinnenriff läßt er in mächtigen kubischen Flächen arbeiten zu einem unregelmäßig polygonalen Riesenblock. Und seine Flächen läßt er mit Platten geflammten Glases bedecken, so hart und dauerhaft, wie die Schweizer Glasfabrik sie nach seiner Vorschrift hat machen können.

Den Sitz seines Felsenstuhles läßt Dada aus Glas in der Form einer gewölbten Schildkrötenschale befestigen, und die hohe Lehne ist ein Mantel starr gefalteten Glases von tiefer Blaustrahlung. Über dem Mantel steht der mondrunde Spiegel. Habicht, Falke, Steinadler umkreisen das hohe Auge, und vor dem blauen Mantel sinken in die Tiefe mitbürgerlicher Argwohn und tödlicher Haß gegen den Eindringling auf uralten Heimatfels.

Reiner, tiefer, prächtiger sind die Farben der Erdtiefe. Das mächtige Weltherz pulst in den Bildern des Spiegels. Massensterben in Gräben, qualenbedecktes Getrümmer, blutiger Tierjammer wutzerrissener Millionengesichter, Todesfratzen mit schrecklichem Wundtod. Die Katharsis nimmt den bedingten tragischen Lauf ihrer Greuel.

Aber wer vermag zu ertragen, wie auch nur ein menschliches Herz bricht — und muß ohnmächtig daneben stehen! Dada lenkt seinen Spiegel über den Firn, machtlos, die Wut der Menschenschlächterei anzuhalten, und diejenigen zur Freiheit zu lenken, die noch immer nur das Opfer vor den Göttern des Blutes kennen. Dieselben, die Flugzeuge lenken, Bomben werfen und Menschen töten.

DER SPIEGEL EUROPAS.

Dem Monde ist eine magnetische Kraft zu eigen, deren Strahlung die Meere der Erde folgen. Ein Flutberg steigt zu gemessener Zeit empor und überrollt den Ozean auf seinem zum Horizont hinangewölbten Rücken.

Ein Flutberg menschlicher Seelenkraft erscheint über dem Meer der Völker: die Idee für die Omnes ruft die Seelen zur unlöslichen Verschmelzung. Der verbindende sanfte Mond der Völker erscheint und wandelt hin im Strahlenkleid der menschlichen Ekstasen. Mit seinem allgegenwärtigen Licht umfaßt er die Landschaft der Kräfte und Bezauberungen. Leidenschaftlich empfunden, stark erlebt ist die Idee nur wenigen geistig sichtbar. Ein Haupt denkt diese Idee: der zornige rote Christus betritt die Wolken zum Gerichte und stürzt die Gäste der Welt in die Tiefe. Auf der Flut von Morgen gen Mitternacht drückt sie ihre leuchtende Spur in die Millionen Geistigen. Und aus der Flut erhebt sich die Tat, die den Erdball in ungewisse Zukunft schleudert und die Freiheit in ihrem blutigen Wirbel beschwört.

Ein unsichtbarer Flutberg bricht aus den feindseligen Fronten empor, aus Krampf und Leid von Millionen Todbedrohter und Verdammter. Er rollt von Osten heran und pflanzt seine schwarzen Wimpel auf Deutschland und Frankreich, und bedeckt die Götzenbilder der zerbrochenen Völker mit seiner stillen, mächtigen Woge: den russischen Pantokrator, die Kriegsgötter Germaniens und den Gladiatorenhelm Frankreichs. Vergeblich haben die Götter schrankenlosen Wahnes Kriegsmaschinen in die Finsternis eingebaut: Die Idee des einen Hauptes, die Idee im mächtigen Schweigen, in dem unauflöslichen Licht von Millionen Geistigen lebt fruchtbar und wirkt.

Ewige Blutnacht Bartholomäi über Europa! Die Idee steht reinster Sonne in dem einen Herzen auf, im gemeinsamen Herzen der tödlich Gelockerten und Opfergekrümmten. Weihnacht des künftigen Europa, du beschwörst die Schande der Völker, du wehklagst und tötest.

Ruhelosigkeit, geheime Furcht, fieberige Schrecken bewältigen die Mächtigen. Sie wechseln die nächtliche Schlafstätte, sie verlieren den ursprünglichen Stolz der Überzeugung, sie fürchten gewaltsamen Tod, sie haben die persönliche Ehre verloren, sie gleichen dem gehetzten Napoleon, der den Giftbecher nimmt, ihn aber fortstößt und sich ergibt, um Ruhe zu haben. Auch sie, die jetzt Furcht haben, ergeben sich den Giftmischern, um Kirchhofsruhe zu haben, um den Qualen zu entrinnen. Der Gladiator Frankreichs, der Dilettant des Thrones, der sich selbst als Friedensfürst bezeichnete, samt seinen Teutonen, Emanuele, der König der heiligen National-Selbstsucht — vor ihnen erscheint der makellose Spiegel Dadas und zeigt ihnen im weißen Rund das Bild des armen Zaren, der unter einer Salve von Narren „glücklich“ verscheidet.

Mit kundiger Macht sendet Dada die Strahlung in die Nächte der Machthaber und Ehrsüchtigen. Auf Tribünen, im Auto, inmitten öffentlicher Ansprachen, bei der Fahrt durch die Städte, bei militärischen Schaustellungen, bei städtischen Prunkaufzügen, inmitten von Banketten, Militärs und Deputierten: erscheint die Grimasse des glücklich Verschiedenen. Das Scharren eines Stuhles im Saale, das Knirschen eines Schuhes oder seidenen Kleides, ein elektrischer Schlag, schauernd vom Ganglion des Großhirns bis in die Eingeweide — das Gottesauge schaut auf den Gladiator. Das Fieber des Tigers wird weiß und kalt. Die Teutonen tauschen im starren Krampf Puppenbewegung der steifen quadratischen Häupter. Allen, die Feinde sind, Feinde sich, dem All, allen, allen Soldaten, die dem Schlamm des Krieges entronnen sind, selbst den Kindern des neuen Raubtiers aus Atlantis erscheint die schreckliche Idee im Spiegel: die Drohung der Selbstzerstörung.

Der Flutberg naht. Er überrollt den Ozean, er hat seine Breite, niemand ist ausgenommen, wo ist Gang und Richtung zu erkennen! Vor dem Kristall am Corvatsch steht der Beschwörer und betrachtet den Gang eines Käfers auf seiner Hand. Und der die Tiere in Menschen sieht und die Götter in den Tieren, sinkt in die Kniee und betet.

DER FIRNDOM.

Dada hat kein Vaterland.

Er meidet und fürchtet, das trunken und satt vom Blut ist: Patriotismus, Nationalniedertracht, Irredenta, Pöbelwahn, Heroismus des stumpfen, irrsinnigen Maschinentodes. Schutz und Höhe der Felsen, leichte stille Lüfte und reines Blau der Idee Europa — in ihrer Hut bildet sich das Wunder der Freiheit.

Die Eisbärenflanken des Berninafirns erglühen im zartesten Gold- und Weinrot, und zu seinen Füßen ruhen die Felsen in scharlachner Tiefe: eisig rot, lila, blau. Auf diesen Alpenbergen will Dada die erste Schöpfung eines erneuerten Europa der Arbeit und wiedergeborener Künste errichten. Noch ruhen die Gletscher und Firne in mondlicher Sanftheit der Hänge, in Stille von dünnster Klarheit, in der das Herz scharf dröhnt, als höbe es sich selbst aus der Brust, um in ungeheurer Höhe zu kreisen und sein Blut zu vergießen. Die Erdrinde erhebt die rauhste und erhabenste Sprache zur Feier und zum Triumph der Menschheit. Dada sieht beglückt seinen höchsten Traum.

Er erhält das Recht, auf dem Bernina einen Dom der Schönheit aus Glas zu errichten zu Ehren der freien Demokratien Europas. Er wirbt eine Arbeiterarmee an. Glasschmelzen und Schleifereien werden gegründet, elektrische Motore arbeiten und treiben Bohrmaschinen, um die Fundamente des Glasdoms in den Felsgrund zu senken. Gewaltige Stahlhämmer klopfen und plätten die Felswände zu geschrägten kubischen oder dreieckigen Flächen, die in kühnen Falzen und Winkeln aneinanderstoßen. Das ganze Massiv bis zur Schneegrenze wird von Geröll gesäubert, und in einen kolossalen, vielflächigen Kunstblock verwandelt, von dem jede Vegetation entfernt bleibt. Unwegsame Schluchten werden flächig ausgemeißelt und als Hohlwege bis zur Firngrenze ausgebaut. Drahtseilbahnen senden ihre Förderwagen zum Firn hinauf. Das Gebirge dröhnt vom Lärm der elektrischen Schleifarbeit, dem Hämmern der Arbeitermassen und den Sprengungen mit Dynamit.

Noch ruhen die sanft gewölbten Hügel des ewigen Firns im makellosen Urlicht und im nächtlichen Schmuck der schimmernden, augengroßen Sterngehänge. Aber Dadas Heer dringt rastlos aufwärts, baut den Firnschnee mit Hilfe der Förderwagen ab, überbrückt die schneetiefen Klüfte mit Glasgewölben, bis der Gipfel in eisiger Herrlichkeit erreicht ist. Das grüne Firneis wird in riesigen Blöcken abgelöst und talab geseilt, und mit ihm werden unten die Dampfkessel gespeist. Die Abplattung des gesamten Gipfels ist rasch im Gange und die Zerstörung des alpinen Urriesen ist in wenigen Monaten geschehen. Eine ungeheure, nackte Hochfläche bleibt als Grundlagerung des vormaligen Firns.

Nichts an dem nackten Riesenkegel soll unbewußt bleiben, das Ganze soll in Form, Fläche und Farbe gegliedert werden. Dada klettert in jede Felsritze, in die engen Betten schäumender Gebirgsbäche, die bald versiegen müssen, da ihnen das mütterliche Firn fehlt. Er läßt all diese kleinen Schönheitsfehler der Natur mit Glas überwölben und in den Klüften sanft ansteigende, überwölbte Treppen anlegen, die wie Tunnels elektrisch erleuchtet werden. Dada kämpft unter unerhörten Schwierigkeiten vorwärts. Seine Leute stürzen in Abgründe oder gehen an raschen Krankheiten zugrunde. Die Bergnebel verdunkeln tagelang jeden Schritt seiner Maultiere und Arbeiter. Der Föhn, furchtbare Unwetter, gegen die es auf den geplätteten Felswänden keinen Schutz gibt, vernichten die Arbeiterhütten, Menschen und Werkzeuge. Der ganze Bernina gleicht nur noch einer unermeßlichen Baustelle von Kriegsgewinnlern, ein Kegel armseligen Graus inmitten der Eiswildnis.

Die erste farbige Platte von dauerhaftem, sturmhartem Glas wird feierlich unter Dadas Händen an den Fels genietet. Überall wird der Berg geplättet, poliert, gekantet, heroisiert, um schließlich ganz bekleidet zu werden mit grünen, schwefelgelben, scharlachnen, azurnen und irisierenden Glasplatten. Die Kunstnatur in Email geistert wunderlich ins Gebirge.

Auf der platten Hochfläche läßt Dada einen Wald von riesigen, goldroten Säulen errichten und ihre Spitzen durch Glasbögen zur Gestalt einer kristallenen Rose verbinden. Das ist der Rosendom, von dem Dada geträumt hat. Das ist die Krönung des ungeheuren Werkes, des unerbittlichen Glasfirnes, der den Schweiß von Arbeiterheeren und das Vermögen Dadas gekostet hat. Als der Dom in kindlichem Geglitzer und in der Konfektarchitektur eines Ausstellungspalastes förmlich strahlt, ist Dada ärmer als der bronzene Hammelhirt am Roseggletscher.

Er hat die Genugtuung, unter den Schwibbögen des Rosendomes die große weiße Glastafel aufgehängt zu sehen, auf der Dadas Aufruf an die künftige Brüderschaft freier Architekten Europas geprägt ist. Kein Gerät befindet sich in der weiten Halle aus rosenfarbigem Glas, das Licht dämmert sanft durch die Wände, und das Blau des Himmels dringt allein durch die klaren Glasflächen im Zenith des Domes. In den Wänden sind die Glaszeichnungen Dadas eingelassen, er, der sich selbst in diesem Dome als Präsidenten der Menschheit bezeichnet, hat hier seinen wunderlichen kaukasischen Glastraum niedergelegt. Das ist der Traum von Pyramiden, Domen, Olympias und hängenden Gärten aus Glas, vom Schliff des Matterhornes, des Monte Cristallo. Alle Bergwände sind geplättet, jede Kante ist stilisiert, jeder sanfte Abhang zur Terrasse ausgespreizt, Klüfte, Schründe, Höhlen, Abgründe werden von Glasbögen mit Windharfen überspannt, darauf der Föhn Urlaute spielt. Die Täler werden zu geöffneten Enzian- oder Oleanderblüten oder gespaltenen Granatäpfeln aus Glas. Die heroischen Hochalpen zieren Versailler Rosenlauben mit Rokokogärten aus Glas, die nachts von elektrischem Innenlicht zu feenhaften Girlanden aufstrahlen.

Auf die Blöcke und Zacken uralter Wildgletscher sind Glasfelsendome gebaut. Über die Seen des Engadins und des Kantons Luzern sind Feststädte und Tempel auf Glassäulen bis zu den Berggipfeln erhöht, über den Bodensee bis zum Säntis hängende Gärten und Festterrassen mit türmenden Söllern und Sälen für Zusammenkünfte ganzer Städte und Provinzen. In diesen Tempeln und Festpalästen wird die Musik Mozarts von verborgenen mechanischen Instrumenten jederzeit tönen: alles ist leicht, spielend, heiter, still. Es gibt nur die Pflicht, zu schweigen und das Glas zu verehren.

Dada ruft die Architekten zu den Entzückungen des Glases und Europas Arbeiterheere zu dem männlichen, rauhen Werke der Erdbezwingung. Gemeinsame Opfer, Qualen, Kämpfe, Arbeiten, gemeinsame Werke, Frucht, Belohnung, Genuß in den Glasdomen der Alpen.

Danach dehnt Dada den Zauberkreis aus. Die Erdrinde erscheint, die Südsee, das farbige aber dunkle Asien. Die Nächte dieser kosmischen Meere sind durchglüht von riesigen Lingams oder Hörnern. Otaheiti, Neuseeland, Guinea sind durch Glasbögen auf Feuertürmen im Meere verbunden. Im Meere schweben Glastürme, denen Äroplane sich nähern.

Über den Erdball von Nord nach Süd sind gestaltete, farbige Weltnebel gewölkt, um nächtlich diejenigen zu erfreuen, die der Plakate von Liebigs Fleischextrakt und Zuntz’ Kaffee müde geworden sind. Aufschießende Sternkristalle, rote Diskusse, grüne Saturne, gelbe Oktoëder aus sphärischem Quarz bindet Dada magnetisch zwischen Pol und dem Gleicher und furcht den Tageshimmel mit dem Fluge kubischer Projektile, anderer, als die der Zerstörung! Sie streuen aus den Lüften farbige Flugblätter zur Verherrlichung gemeinsamer Arbeit, gemeinsamen Genusses im Park Europa.

Dada verheißt Wunder dem armen Menschenwurm des Erdsternes, ihm, der von härtester Fabrikfron erschöpft ist und sich in Kriegen zerfleischt, die seinen Fabriken entspringen. Der Präsident der Menschheit ist an den Rand des schäumenden Wahnes gelangt, die Menschen durch Glas zu erlösen. Verarmt, unfähig, das Glaswerk fortzusetzen, ohnmächtig vor der gepanzerten Gleichgültigkeit demokratischer Regierungen, die schließlich nur der abgesonderten vaterländischen Selbstsucht zu leben verstehen.

Dada muß den Firndom dem Verfall überlassen. Langsam, aber unbezwinglich ist die Rache des kastrierten Bernina. Die Schnee- und Eisgeschiebe erneuern sich, die Verankerungen lockern sich, Eisbäche sprengen die Glastunnels, der Sturm bricht die Glasbögen, und die Glasplatten werden vom Eis bedeckt und stürzen in die Tiefe ab.

Neugierige Fremde aus St. Moritz kommen und starren auf die unermeßliche Narrheit aus finstrer Kriegszeit und spotten ihrer. Eines Tages steigen Bewohner des Engadin zum Corvatsch auf und verjagen Dada mit Steinwürfen von seinem Felsensitz wie einen räudigen Hund und zertrümmern seinen Spiegel.

GRAUBÜNDEN.

Selbst die republikanische Schweiz mit ihrer zwieschlächtigen Seele und ihren innerpolitischen Fehden ist nicht die Stätte jener Freiheit, die Dada vergebens sucht. Er hat Hymnen auf ein Vaterland gedichtet, das Slowaken und ähnliche Halbslawen unter sich teilen. Er hat Glasdome für ein Europa bauen wollen, von dessen Rumpf köstliche Glieder abgeschnitten wurden, und dem der Jugendsaft verluderte und giftig wurde. Sein Ruf nach einer antiseptischen Glasarchitektur der Alpen verhallt ohnmächtig vor dem Empörergeschrei der von Kriegsknechtschaft befreiten Völker. Wo wird Dada eine Nation finden, die seine magnetische Erleuchtung und Erwärmung der Erdrinde zur Reife bringen würde! Wo soll er Helfer werben, um den Plan der Ausgleichung der kosmischen Klimate und der Vermondung des Erdkörpers zu verwirklichen.

Aus den wilden Eitelkeiten des Rosendomes mußte er zurückweichen und zu spät einsehen, daß für die Erhabenheit eines Gebäudes seine Höhenlage unwichtig ist. Der Azursaal des Rosendomes hätte dasselbe Blau des Himmels gezeigt, wenn er auf einer geringen Anhöhe am Vierwaldstättersee oder am Rhein bei Basel gebaut worden wäre. Das Parthenon brauchte keinen alpinen Sockel, und für Paestum genügte das Mittelmeer. Nachdem Dada den Bernina zerstört hat mit der Gedankenlosigkeit, die kein Bewußtsein hat von dem innigen Zusammenhange des ganzen Naturlebens, machte er es sich von neuem bequem auf einer Geröllhalde des Steinreichs, inmitten der verkarsteten Riesenalpen Graubündens. Eine Herde von Ziegen, Hammeln und Rindern, sowie allerlei nützliches Kleinvieh und Hunde nennt er sein eigen, er hütet selbst seine Arche und nährt sich von ihr. Er hat eine Almenmatte und ein Felsenhaus aus Geröllsteinen, für Hirten hergerichtet, gepachtet und betreibt Viehzucht und Milchhandel. Inmitten seiner Tiere führt er täglich das genüßlich phallische Dasein eines „Ketzers von Soana“, das ein modischer Dichter erotisch-geistlich seiner großstädtischen Lesewelt dargestellt hat.

Dada liegt den ganzen Tag ausgestreckt herkulischen Leibes im saftigen Würzgras der Alm. In den Alpenkräutern blüht der tiefäugige Enzian, und starke Felsen über ihm halten dichte Kissen von Sonnenglut um die regungslose Halde, auf der die Hammel fressen. Der istrische Apoll im blauen Leinenkittel liegt träg auf dem Bauche und bestaunt seine eigenen vom Sonnenlicht goldgefärbten Beine und Arme. Die Schwingung des tiefen Tals ründet sich sanft empor gleich dem Bauch seiner guten sattgefressenen Rinder, die nach ihm brüllen, um ihm die Lasten anzukündigen, die sie im Leibe für ihn tragen. Dada liebt dankbar und zärtlich seine ernährenden Freunde, und stärker als je von Italias und Derobeas Gnaden hüllt seine Glieder schwelgerisch mästende Fülle in der Sommerfrische Graubündens.

Dada bewundert die Tiere, und ihr Leben wandelt als ein endloses Schauspiel an seinem müßigen Gaffen vorbei: Sie fressen, darum müssen sie sich regen, spielen, sich vertragen oder sich bekämpfen. Sie lagern sich, flüchten, begatten sich, sind grausam und leidenschaftlich, ungestüm und feurig boshaft. Dada liebt besonders das unverschämte Glück und die sachliche Einfachheit der Begattung seiner Tiere. Er hört das schwere Ruhegebrüll der Rinder, die den Schatten in der Mittagsglut und das klare Bächlein lieben.

Dada spricht mit den Tieren, gemäß dem verschiedenen Charakter ihrer Laute, und folgt mit seiner Erkenntnis den Bahnen ihrer instinktiven Bewegungen, um die Rätsel ihrer Sprechzeichen und vielgestaltigen Stimmen zu entziffern. Er hat einmal jeder großen Sprache des europäischen Menschen wahlverwandt angehört, und er meidet fortan die Menschenworte und was ihresgleichen, um in den Tierlauten gleichen Sinn und Trieb zu erkennen, nur mütterlich traulicher und treuer. Dada lebt entzückt in den hymnisch-orphischen Kräften der Tiere, in der strahlenden Energie ihres natürlich Bösen, in der furchtbaren Schöpferkraft, die frißt, tötet, zeugt und schweigt. Er lebt ihren Alltag, ihre Feiern, ihre herdenhaften Beziehungen, die er mit denen des antiken Menschen vergleicht. An kalten oder regnerischen Tagen schließt er sich mit den Tieren in dem gemeinsamen großen Wohnraum des Felsenhauses ein, und diese in Jahrtausenden familienhafter Hausgenossenschaft erzogenen Tiere sind Tag und Nacht sein Trost, mitleidsvoll und sorgend lebt er in ihren Augen, ihren Freuden, ihrem Kranksein und Sterben.

Über die Laute der Felsen und Bäume und Erdtiere werfen Habicht, Geier, Adler und Falke ihre Mordschreie empor in die Lüfte bis zum Bereich, wo die tierischen Laute verlöschen vor dem freien Genius des Schweigens, der im stillsten Glanze der feinsten Bindung ferner Erdkräfte schwebt. Die magnetische Rinde hält wohltätig die Sonnenstrahlung in ihrem Bereich gesammelt, hüllt sich mit ihr, und läßt sich durchdringen und wärmen von ihr zu immer erneuerter Fruchtbarkeit, um das Traulich-Wohlbewohnte zu begründen.

Erde und Gebirge haben lange auf den Menschen gewartet. Das Tier, das zärtlich geliebt wird, hat die Felsen mit warmen Vliesen bedeckt, um sich in der Sonne liebkosen zu lassen. Die Felsen träumen gern von den guten glücklichen Tieren und beschwören Gemse und Steinbock, Albatros und Adler zu ihren Wächtern und Spähern. Vor der Frühe bedecken sie sich mit Tau und sie fürchten die eisige Vernichtung und den Haß der Menschheit. Dada ist unter den letzten einer sterbenden Erdrasse, die Tiere genannt werden, weil die Menschen ihren Haß auf sie abgeladen haben.

Die Gipfel Graubündens nehmen die Formen riesig ruhender Tierhäupter an. Übertierische Gestalten von Kranich, Hund und Widder stehen hochaufgerichtet in die Felsen gemeißelt. Über den Felsen erheben sich die Göttergestalten der großen Tierrassen, sitzend über dem Erdkreis gegründet: Löwe und Stier. Das brummende Moo der Stiere, das erzene Geschmetter der Böcke, die Urstimmen aller Geschöpfe, die von den Seen bis zu den Schneezinnen Graubündens schweifen, dichtet Dada, und bildet in ihren Lauten die Veden und die ägyptischen Gebete, die Stier und Widder als Götter anriefen. In die milden Hammellaute übersetzt Dada die Brünste, Ängste, Untergänge der Tiere in Urwut und Urklang.

DER ROTE WIDDER.

Der feurige Widder, der trotzende Liebling der Herde, der Gott seiner Rasse wird in Dadas Felsenhaus geboren. Zur Kraft erwachsen, tritt er eines Morgens rot und stark auf die letzte Felsenstufe und geht auf über Dadas Felsgipfel: Sonne der Tierheit, die nicht mit Blut gemästet und nicht von den düstren Flecken der Verwesung angefaßt ist. Sein Gehörn ist edel geschweift, der Bart feurig und züngelnd, die feinen, bergharten Gelenke sind zum Sprung gestrafft.

Sorglich schreitet Dada mit der gewölbten Brust und den milden Armen des Vaters der Tiere auf dem Grate und tritt dicht zum Widder. Er legt beide breiten Hände auf das honigglänzende Geweih und spricht ruhig und stark in den wenigen Urlauten, in denen er das Geheimnis der Tiersprachen gefunden hat. Dada bringt langgezogene, wohltönende, weibliche Laute hervor, denen der Bock mit gemessen kriegerischem Geschmetter antwortet. Die harte Trompete des Bockes beherrscht den Gipfel, marschiert, befiehlt, hält Ordnung, während Dada hineinzutönen versucht und mit verschämtem Verlangen um Gleichberechtigung wirbt, nicht etwa für den Bock, sondern für sein Menschen-Ich. Hier folgt das Gespräch übersetzungsweise, das Dada kunstgemäß mit wenigen, aber immer verschieden gefalteten Tierlauten durchgeführt hat.

„Lieber Sohn, ich will dir die schöne weiße Zuckerkante schenken, die drüben auf den Bergen hängt, und die feinen rosa Wolkenlämmer, die im tiefen Blau grasen, verlocken feurige Hammelbeine zu Galopp und Sprung. Willst du zu ihnen, mein Widder?“

Der Widder erwidert in Urlauten, feurige Blitze seiner Bosheit fahren zum Talgrund:

„Ich sehe viel weiter und will viel weiter, als du willst, lieber Herr. Deinen Zuckerkant lecke ich bald mit roter Zunge, und auf die rosa Wolkenlämmer setze ich meinen Bockstritt. Versuch mal diesen Galopp.“

Der Bock zieht zehn scharfe Bogen hart um Dada auf dem gefährlichen Felsgrat, aber schließlich gesellt er sich wieder neben seinen Gebieter und Dada legt von neuem die Hand auf das honigglänzende Gehörn.

„Über hundert Gipfel im Norden setzest du mit harten Läufen und dann gelangst du in das tiefe Land, das der Krieg beschattete mit Zerstörung und Verwesung. In diesem Lande wurde täglich und jahrelang das unzählbare Menschenfleisch von köstlichen Nationen der ganzen Erde mit Feuer und Stahl gemahlen, und die eklen Sümpfe wurden mit Blut gedüngt. Der Ätna, der Sudan, die Kalahari, keine Wüste der Erde droht vergiftet von Greueln wie dies Land. Auch dein armer Vater Dada war in diesem Lande gefangen, bis ich entwich!“

Der Widder mit honigglänzendem Gehörn schüttelt Dadas Hände fort, springt im Ruck vor Dada und senkt drohend das Horn zum Angriff, seine Augen brechen Feuer aus, seine Stimme donnert von Urlauten:

„Du dicker Butterschlegel, hochtrabendes Faß voll Regen, Säusler von Zuckerkant, kamst zu Anfang mit deinem Zweifel an dir selbst. Und als alles vorbei war, schlugst du an deine stumpfe Brust und schriest „Meine Schuld“. Wohlan, Dada, der Widder aus dem Sternenbild, nicht der Nachtmahr deiner Verbrechen im Kaukasus, die ewige Jugend der Welt empört sich und stößt dich fort, weil du dick, erstickend träg von Worten schwillst, weil die Freiheit auf gewölbter Sonnenbahn erglänzt und dich verwirft.

Du hast geduldet, daß jene sich zerfleischten, die du trösten und vereinigen solltest. Du mitsamt der Helena, um derentwillen du getötet hast, habt die Würfel geworfen um des Lebens willen, du bist der antiken Hure nachgelaufen, dem lateinischen Popanz und einer dacischen Mänade. Mit Mummenschanz von Urlauten, Glasbergen und Ziegensprache hast du genüßlich das Leben beklebt und deinen Bastardsinn verraten.

Wenn ich dich mit den Hörnern hinabstieße, was würde es den bösen Tälern schaden, denen du entlaufen bist! „Unsere Schuld!“ ruft ihr. Ein Chor der Unmündigen zeugt von sich selbst. Die sich selbst nicht zu befehlen vermögen, treten unter die ratlosen Besserwisser der Völker und verwirren die geringe Vernunft, die nach ihren Verbrechen und Bluträuschen erwachen will. Hohle Raketen der Wortkunst schleudert ihr unter sie und ihr schämt euch nicht und gebt euch preis, die ihr unfähig zu einer Welt ohne Blut und Tränen seid. Unschuld, Unverwelklichkeit der edlen Seelen habt ihr nicht gekannt!“

Im heftigen Sprung schlägt der Bock mit dem Gehörn den Istrier zu Boden und entweicht nach Norden. Dada erhebt sich vom jähen Sturz, zerschunden, bleich, gepeitscht von kreisenden Schwänzen der aufgerufenen Schrecken. Er erhebt die dicken Arme, um sie auf den eigenen Schädel niederwirbeln zu lassen. Stierlaute quälen seine Kehle. Die hundert Tschakos seines ukrainischen Attentats zertrümmern seinen Verstand. Er bricht in Klagen menschlicher Worte aus.

„Meine Schuld! Wann wird uns Zuchtlose, Gehorsam Entwöhnte die Liebe binden. Wann werden wir fähig zur sittlichen Erlösung sein, wir Betrüger und Mörder. Wann werden wir im engsten frei sein, im Schaffen beständig!

Du Widder hast mich aus der Schmach meines genüßlichen Zuschauertums aufgerissen. Du hast mich schaudern gemacht vor der baren Trägheit und der mörderischen Leere. Denn durch die Leere mordete ich das Leben. Ich habe noch nie ein Volk geführt, ich habe mich noch nie im Ätna gebadet, ich habe noch nie einen Sohn gezeugt, wahnsinnig vor Entzücken und Schmerz. Ich habe mich im Abgrund des Todes an den ärmsten aller Gedanken geklammert und ich habe gezagt. Ich habe des Menschenwurms letzte Furcht und schmählichste Ohnmacht erlitten und ich habe nur nach neuen Unterpfändern meines liebelosen, armseligen Daseins gespäht.

Du Widder hast mich niedergeschlagen in dem bescheidenen Stolze meiner Tierfreundschaft, darum grolle ich dir nicht. Denn ich will mich umwenden zu der niederen Behausung und mich aufrichten zu schaffender Arbeit, die mich zu der glücklichen Pforte des Ausganges leiten wird. Glücklicher Ausgang, zu dir steige ich empor und ich feiere dich, indem ich lebe.

Flüchtig und ruhelos war ich von Europa krank. Von jetzt ab werde ich glücklich an dir, Europa, neues Vaterland, das ich gegrüßt habe mit früher, heiliger Liebe. Ich werde arbeiten für dein Glück, lichtes Europa, mit dem schaffenden Werk, das die Völker versöhnt.“

INHALTSÜBERSICHT

Erster Teil
Der Karst 11
Derobea 15
Das Nordlicht 22
Die Urlaute 25
Dresden 32
Zweiter Teil
Die Serbin 41
Kiew 44
Kaukasus 46
Venedig 50
Engadin 53
Der Spiegel Europas 58
Der Firndom 61
Graubünden 67
Der rote Widder 72

Anmerkungen zur Transkription

Offensichtliche Druckfehler wurden korrigiert wie hier aufgeführt (vorher/nachher):






End of the Project Gutenberg EBook of Dada, by Adolf Knoblauch

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Section 2. Information about the Mission of Project Gutenberg-tm

Project Gutenberg-tm is synonymous with the free distribution of
electronic works in formats readable by the widest variety of
computers including obsolete, old, middle-aged and new computers. It
exists because of the efforts of hundreds of volunteers and donations
from people in all walks of life.

Volunteers and financial support to provide volunteers with the
assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg-tm's
goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will
remain freely available for generations to come. In 2001, the Project
Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure
and permanent future for Project Gutenberg-tm and future
generations. To learn more about the Project Gutenberg Literary
Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see
Sections 3 and 4 and the Foundation information page at
www.gutenberg.org Section 3. Information about the Project Gutenberg
Literary Archive Foundation

The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit
501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
Revenue Service. The Foundation's EIN or federal tax identification
number is 64-6221541. Contributions to the Project Gutenberg Literary
Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by
U.S. federal laws and your state's laws.

The Foundation's principal office is in Fairbanks, Alaska, with the
mailing address: PO Box 750175, Fairbanks, AK 99775, but its
volunteers and employees are scattered throughout numerous
locations. Its business office is located at 809 North 1500 West, Salt
Lake City, UT 84116, (801) 596-1887. Email contact links and up to
date contact information can be found at the Foundation's web site and
official page at www.gutenberg.org/contact

For additional contact information:

    Dr. Gregory B. Newby
    Chief Executive and Director
    [email protected]

Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg
Literary Archive Foundation

Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide
spread public support and donations to carry out its mission of
increasing the number of public domain and licensed works that can be
freely distributed in machine readable form accessible by the widest
array of equipment including outdated equipment. Many small donations
($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt
status with the IRS.

The Foundation is committed to complying with the laws regulating
charities and charitable donations in all 50 states of the United
States. Compliance requirements are not uniform and it takes a
considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up
with these requirements. We do not solicit donations in locations
where we have not received written confirmation of compliance. To SEND
DONATIONS or determine the status of compliance for any particular
state visit www.gutenberg.org/donate

While we cannot and do not solicit contributions from states where we
have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition
against accepting unsolicited donations from donors in such states who
approach us with offers to donate.

International donations are gratefully accepted, but we cannot make
any statements concerning tax treatment of donations received from
outside the United States. U.S. laws alone swamp our small staff.

Please check the Project Gutenberg Web pages for current donation
methods and addresses. Donations are accepted in a number of other
ways including checks, online payments and credit card donations. To
donate, please visit: www.gutenberg.org/donate

Section 5. General Information About Project Gutenberg-tm electronic works.

Professor Michael S. Hart was the originator of the Project
Gutenberg-tm concept of a library of electronic works that could be
freely shared with anyone. For forty years, he produced and
distributed Project Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of
volunteer support.

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