The Project Gutenberg EBook of Der Vampyr, oder: Die Todtenbraut. Zweiter Theil., by Theodor Hildebrand This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and most other parts of the world at no cost and with almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included with this eBook or online at www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you'll have to check the laws of the country where you are located before using this ebook. Title: Der Vampyr, oder: Die Todtenbraut. Zweiter Theil. Ein Roman nach neugriechischen Volkssagen Author: Theodor Hildebrand Release Date: April 8, 2016 [EBook #51695] Language: German Character set encoding: ISO-8859-1 *** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DER VAMPYR: ZWEITER THEIL *** Produced by the Online Distributed Proofreading Team at http://www.pgdp.net. This book was produced from scanned images of public domain material from the Google Books project.
Ein Roman
nach neugriechischen Volkssagen.
Von
Theodor Hildebrand.
Zweiter Theil.
Leipzig, 1828.
bei Christian Ernst Kollmann.
Der Knall der beiden Pistolenschüsse hallte durch das ganze Schloß wider, und verbreitete darin sogleich einen unbeschreiblichen Schrecken. Die Knechte auf der Meierei, von denen einige im Schlosse schliefen, waren nicht zu Bett gegangen, weil sie am andern Morgen Getraide nach Prag fahren sollten, und mit den dazu nöthigen Vorbereitungen beschäftigt waren. Sie verbreiteten sich schnell durch mehrere Zimmer, während eines der Mädchen die Hausthür öffnete und aus der Nachbarschaft Hülfe herbeirief.
Die Oberstin, welche vor Mattigkeit eingeschlafen war, fuhr schon bei dem ersten Pistolenschusse empor, hielt ihn aber für ein gewöhnliches Geräusch, das ihr nur im Traume stärker vorgekommen sei. Als jedoch bald darauf der zweite Schuß erschallte, glaubte sie, daß Räuber im Schlosse wären, und daß der brave Werner im Kampfe mit ihnen begriffen sei. Nach diesem ersten Gedanken war der zweite ihr Sohn. Sie hatte so viel Muth, schnell aufzustehen, und ohne ihre eigene Gefahr zu beachten, eilte sie in das Zimmer, wo der Gegenstand ihrer zärtlichen Sorgfalt ruhte.
Welches schreckliche Schauspiel bot sich ihren Augen dar, als sie, beim Schein des Mondes und einer spärlich brennenden Nachtlampe, zwei blutende Körper auf dem Fußboden ausgestreckt sahe, und in ihnen Werner und die Fremde erkannte. Mit einem Schrei des Entsetzens eilte sie dann nach dem Bette des Kindes, das sie in ihre Arme nahm; aber vergebens suchte sie den kleinen Wilhelm aus dem Schlafe zu wecken, in den er versunken zu sein schien: sein Leben war entflohen. Diese schmerzliche Gewißheit vollendete Helenens Verzweiflung, und ohnmächtig fiel sie neben den beiden Leichnamen auf den Fußboden nieder.
Kurze Zeit darauf kamen die Knechte und Dienstmädchen ebenfalls in dieses Zimmer des Schreckens. Sie sahen ein Fenster offen stehen, und an demselben eine seidene Strickleiter befestigt; sie fanden Werner und Lodoiska in ihrem Blute gebadet und ohne ein Zeichen des Lebens; weiter hin erblickten sie die Oberstin, welche noch athmete, neben dem Leichnam ihres Kindes. Dieser fürchterliche Anblick mußte alle Anwesenden natürlich mit Schauder erfüllen. Die Mörder konnten nicht weit sein; aber vielleicht hatten sie schon mit Hülfe der Strickleiter die Flucht ergriffen; man beeilte sich eines Theils, der Oberstin beizustehen, andern Theils, die schon angefangenen Nachsuchungen im Schlosse fortzusetzen. —
Die Anzahl der zur Hülfe herbeieilenden Nachbarn wurde immer größer; aber auch die strengsten Nachforschungen blieben fruchtlos. Im Schlosse selbst fand man keine Spur von den Räubern, und bei der Durchsuchung der ganzen Gegend war man nicht glücklicher.
Gegen Morgen kam Helene wieder zu sich, und der erste Laut, den sie von sich gab, war der Name ihres theuren Kindes. Ach, der arme Wilhelm hörte sie nicht, auch er war ein Opfer dieser schrecklichen Nacht geworden; gerade da seine Genesung sicher zu sein schien, mußte er seiner Krankheit erliegen.
Unter diesen Umständen langten noch zwei neue Personen im Schlosse an: nämlich ein Arzt, den man zur Untersuchung der Leichname herbeigerufen hatte, und der Oberst Lobenthal, dem es endlich gelungen war, seinen Schwager mit seiner Schwester auszusöhnen, und der darauf keine Zeit mehr verloren hatte, um in den Armen seiner Familie den Lohn für diese gute That einzuernten. Wie weit war er entfernt, einen solchen Anblick zu erwarten, wie ihm hier bevorstand. Er hoffte, seine Wiederkehr würde allgemeine Freude im Schlosse verursachen; statt dessen ward er wie vom Blitze getroffen, als ihn der Schulze des Dorfes bei Seite nahm, und ihm die Ereignisse der Nacht auseinandersetzte.
Lobenthal war ein zärtlicher Vater, und er schämte sich nicht, seinem tiefen Schmerze freien Lauf zu lassen; dann verlangte er, seine Frau zu sehen, um seine Thränen mit den ihrigen zu vereinigen. Wir unternehmen es nicht, die Szene ihres schmerzlichen Wiedersehens zu schildern; man hatte Mühe, sie beide von dem Leichnam ihres Kindes loszureißen, den sie durchaus nicht von sich lassen wollten. Der Anblick Juliens, weit entfernt sie zu trösten und zu beruhigen, vermehrte nur noch ihren gerechten Schmerz, und man glaubte daher nichts Besseres thun zu können, als sie sich selbst zu überlassen, und von der Zeit die Milderung ihres Kummers zu erwarten.
Mitten in dem Schmerze, den ihm der Verlust seines Sohnes Wilhelm verursachte, vergaß der Oberst dennoch nicht den Verlust seines treuen Werner. So viel zusammen verlebte Jahre und mit einander bestandene Gefahren, gegenseitig erwiesene Dienstleistungen mußten ein höchst trauriges Andenken im Herzen Alfreds zurücklassen. Er bat den herbeigekommenen Wundarzt, nichts zu vernachlässigen, wodurch der brave Unteroffizier wieder in’s Leben zurückgerufen werden könnte; aber es war durchaus keine Hoffnung vorhanden, denn das mörderische Eisen war mitten durch das Herz gegangen. Bei der jungen Dame fand man zwei Wunden, eine im Herzen, durch einen Dolchstoß verursacht, und eine andere in der Brust, wo eine Pistolenkugel hinein und aus dem Rücken wieder herausgefahren war; auch sie konnte nicht wieder leben, und es blieb nichts übrig, als sie und den unglücklichen Werner zu beerdigen.
Lobenthal, in der höchsten Betrübniß, verlangte nicht danach, die Leichname zu sehen. Er kehrte in das Zimmer seiner Gattin zurück, und wünschte bloß, daß Wilhelms Leichnam, der keines gewaltsamen Todes gestorben zu sein schien, bis zum folgenden Tage erhalten würde. Die beiden andern sollten Nachmittags um 4 Uhr begraben werden, weßhalb Werner in seinem Zimmer, Lodoiska aber in einem Saale des untern Geschosses auf eine Bahre gelegt wurde.
Schon war der Prediger des Dorfes in seinem Ornate, und die Glocken der Kirche stimmten das Grabgeläute an, als plötzlich finstere Gewitterwolken den Himmel überzogen. Ein Donnerschlag folgte auf den andern, in Strömen floß der Regen herab, und fürchterlich kämpften zwei Sturmwinde in entgegengesetzter Richtung mit einander; ganze Säulen von Blättern, Korngarben, Staub und selbst von schwereren Gegenständen wurden durch die Luft mit fortgeführt; ja es schien, als wenn der Untergang der Welt ganz nahe bevorstände.
Mitten unter dem Heulen und Brüllen der Elemente glaubten mehrere Einwohner des Dorfes fürchterlich rauhe Stimmen zu vernehmen, und es schien ihnen, als wenn die ganze Atmosphäre mit bösen Geistern erfüllt wäre. Erst spät in der Nacht stillte sich der Aufruhr, in welchem sich die ganze Natur befand. Bis dahin war es unmöglich gewesen, an die Bestattung der beiden Leichen zu denken; man mußte dieses Geschäft also bis auf den folgenden Tag verschieben, und dieß war für die Bewohner des Schlosses kein geringer Gegenstand der Angst. Nur die Oberstin bekümmerte sich nicht darum; sie dachte nichts, als ihren Sohn, den sie nun nicht mehr sehen sollte, und sie schien nur deßhalb noch zu leben, weil sie hoffte, bald mit dem armen Wilhelm wieder vereinigt zu werden. Alfred war gezwungen, seinen eigenen Kummer zu vergessen, um zu versuchen, ob er den ihrigen nicht lindern könne; aber vergebens: sie hörte ihn, und verstand ihn nicht, vor ihrer Seele stand nur ihr Sohn, der ihr auf ewig entrissen war.
Schon seit langer Zeit deckte tiefe, finstere Nacht den Erdball. Mehrere Bauern aus dem Dorfe, welche bei den Todten wachen sollten, hatten sich in der Küche des Schlosses versammelt, wo sie bei gutem Essen und Trinken lustig und guter Dinge waren; Branntwein und Bier ging in Flaschen und Krügen der Reihe nach herum, und man trank fleißig auf das Wohl der ehrenwerthen Gesellschaft. Die fröhliche Unterhaltung stockte niemals; jedoch kam man mehrmals auf die Ereignisse der vergangenen Nacht zurück.
„Da sieht man, sagte Lisette, wie leicht es um uns Menschen geschehen ist! Wie gesund war der arme Werner noch gestern, und heute liegt er todt im Sarge.“
— Und von seiner Seele sprichst du nicht? sagte ein altes Weib, dessen verdächtiger Blick die Knaben und Mädchen des Dorfes in Schrecken setzte, wenn er auf ihnen ruhte; denkst du denn, daß seine Seele jetzt in Ruhe ist? Ist er nicht ohne Abendmahl gestorben, und wird uns sein Geist in Ruhe lassen? —
„Daß doch die Mutter Rieben, sagte ein Bauerknecht, keine Gelegenheit vorbeigehen lassen kann, unsere Fröhlichkeit zu stören, und uns in Angst zu setzen. Warum sollte der brave Werner, der uns im Leben nichts als Gutes gethan hat, uns jetzt, nach seinem Tode, quälen?“
— Hat er seine Sünden bereut? —
„Wißt ihr es? Hat er euch das Gegentheil anvertraut? Uebrigens hat er alle seine Pflichten erfüllt, und er war jeden Sonntag in der Kirche.“
— Aber die junge Dame, Niklas, wie mag es mit der gewesen sein? Haben wir sie je in der Kirche gesehen? Diese ist gewiß mitten in ihren Sünden gestorben, gerade als sie vielleicht noch auf ein langes Leben hoffte. —
„Wir wollen auf ihre Gesundheit trinken! sagte ein Müllerbursche, dessen riesenmäßige Größe und außerordentliche Stärke allgemein bewundert wurden. — Möge es ihr im Grabe gefallen, damit sie nicht wieder daraus hervorkomme.“
Bei diesen Worten hörte Jedermann einen halb erstickten Seufzer. Ueberrascht stand fast die ganze Gesellschaft auf, und auf den meisten Gesichtern sahe man alle Zeichen des Schreckens. Auch der Müllerbursche war eben nicht der Muthigste. Jetzt schlug es zwölf Uhr, und schweigend hörte man dem Schall der Glocke zu.
„Wer mag so geseufzt haben?“ fragte endlich einer aus der Gesellschaft.
— Vielleicht die junge Dame, erwiederte die Alte; sie hat dem Mehlwurm dort ihren Dank für seinen Wunsch abstatten wollen. —
„Laßt Eure dummen Scherze, Mutter Rieben, sagte der Müllerbursche. Wir wollen uns weiter um das, was geschehen ist, nicht bekümmern.“
Ein zweiter lauterer Seufzer schallte jetzt in die Ohren der ganzen Gesellschaft, die verwirrt und mit Ausrufungen des Schreckens durcheinanderstürzte.
„Heiliger Gott! sagte Lisette, das kommt aus dem Zimmer, wo die junge Dame liegt. Wer hat nun Muth genug, sich davon zu überzeugen?“
Keiner der Anwesenden gab eine Antwort, als sich die Stimme zum dritten Male hören ließ, und zwar so deutlich, daß gar kein Zweifel daran mehr Statt finden konnte. Jetzt jagte die Furcht die ganze Gesellschaft auseinander, und Mehrere eilten zum Schlosse hinaus, während Andere den Wundarzt weckten, der die Oberstin nicht eher hatte verlassen wollen, bevor sie nicht ruhiger geworden wäre. Als dieser hörte, wovon die Rede sei, schob er anfangs die Schuld des allgemeinen Schreckens auf ihre furchtsame Einbildungskraft; bei den wiederholten Versicherungen, daß man sich nicht getäuscht habe, zögerte er jedoch nicht, in das Zimmer hinunterzugehen, aus welchem die Stimme hergekommen sein sollte. Der Oberst, welcher noch nicht schlief und den ungewöhnlichen Lärmen im Schlosse hörte, kam ebenfalls herbei; er begegnete auf der Treppe dem Arzt, der ihm unterweges die Ursache des allgemeinen Schreckens mittheilte. —
Beide zweifelten nicht, daß das Pfeifen und Sausen des Windes von den abergläubischen Dorfleuten für die angeblichen Todtenseufzer gehalten worden wäre; sie setzten jedoch ihren Weg fort, und von der Menge gefolgt, gelangten sie in das von mehreren Lampen erleuchtete Zimmer, wo der Leichnam der Fremden niedergesetzt worden war.
Indem sie durch die Thür traten, wurde abermals ein Seufzer hörbar, und man konnte nun nicht mehr zweifeln, daß er von dem Sarge herkäme. Ein Theil des Gefolges nahm die Flucht, und nur die Muthigsten blieben zurück, als sie den Obersten und den Arzt zu gleicher Zeit ausrufen hörten: „Sie lebt noch, die Unglückliche! Ach, retten wir sie aus ihrer schrecklichen Lage!“
Sie eilten nun auf den Sarg zu, in welchem Lodoiska ruhte, hoben Letztere sanft in die Höhe, und trugen sie in das Zimmer, welches sie früher bewohnt hatte. Als der Arzt seine Hand auf ihr Herz legte, fühlte er, daß es wieder angefangen hatte, obgleich noch sehr schwach, zu schlagen, und voll Erstaunen über dieses außerordentliche Wunder, nahm er sich vor, Alles anzuwenden, um diese von den Todten Auferstandene wieder völlig herzustellen. Er bat den Obersten, den Theil des Leichentuches, womit der Kopf der jungen Schönheit verhüllt war, zurückzuschieben. Lobenthal that es, und betrachtete neugierig die Züge der Fremden; aber wie erstaunte er, als dieses reizende Gesicht ihn überzeugte, daß er die unglückliche, leidenschaftlich liebende Lodoiska in seinen Armen hielt. Ein lauter Schrei entfuhr seinen Lippen. Einem ruhigen Zuschauer würde dadurch ohne Zweifel die Wahrheit offenbar geworden sein; aber der Arzt, ganz in seine Gedanken über diese außerordentliche Wiederbelebung vertieft, merkte kaum darauf, und von nun an suchte der Oberst seine inneren Gefühle sorgfältig zu unterdrücken.
Der Arzt forderte nun die bis hierher gefolgten Landleute auf, das Zimmer zu verlassen, und wollte mit dem weiblichen Personale, das allmählich wieder muthiger geworden war, allein bei der jungen Dame bleiben. Auch der Oberst entfernte sich, forderte aber vorher den Arzt auf, seine ganze Kunst zur Genesung der Unglücklichen anzuwenden.
„Fürchten Sie nichts, Herr Oberst, erwiederte der Arzt; mir ist selbst daran gelegen, diese wunderbare Kur zum gewünschten Ziele zu führen. Vielleicht kann die Kunst etwas dabei thun; aber glauben Sie mir, das Meiste dabei wird die Natur thun müssen; nur sie allein kann eine so wunderbare Wiederbelebung bewirken. Ich würde einen Eid darauf abgelegt haben, daß die Pistolenkugel diese junge Dame augenblicklich getödtet hat, und sollte sie wirklich völlig wieder zum Leben zurückkehren, so muß unsere Kunst verzweifeln, je eine gründliche Ursache dieser Auferstehung angeben zu können.“
Langsamen Schritts entfernte sich nun der Oberst, ohne selbst zu wissen, womit seine Gedanken beschäftigt waren. Er kehrte zu seiner Frau zurück, die in einen mehr ermattenden als erquickenden Schlummer gefallen war. Wie schmerzlich sollte ihr Erwachen sein! Welche neue Trauer mußte die Nachricht von der Wiederbelebung der Fremden in ihrem Herzen verursachen, da für ihren geliebten Wilhelm nicht ein ähnliches Wunderwerk geschehen war.
Unter allen Begebenheiten, welche je das Leben des Obersten Lobenthal beunruhigt haben mochten, war ohne Zweifel die Erscheinung der jungen Lodoiska in Deutschland diejenige, welche ihn am meisten überraschen mußte. Ihr energischer Charakter, den er so schlecht beurtheilt hatte, ihre leidenschaftliche Liebe, wovon sie ihm durch ihre Gegenwart den auffallendsten Beweis gab, mußten in seinem Herzen Gefühle erregen, von denen er sich selbst noch nicht Rechenschaft zu geben wagte. Nicht allein, um ihm seine Treulosigkeit vorzuwerfen, konnte sie einen so weiten Weg aus ihrem Vaterlande her zurückgelegt haben; ohne Zweifel mußte sie mehr haben wollen, und er zitterte, wenn er an die bevorstehenden Auftritte dachte. Von der andern Seite, durch einen seltsamen, aber so gewöhnlichen Widerspruch in dem menschlichen Herzen, fürchtete er, dem es sehr lieb gewesen sein würde, dieses Mädchen nie wieder zu sehen, daß er sie jetzt auf immer verlieren könnte, und er hätte einen großen Theil seines Vermögens hingegeben, wenn er dadurch die Gewißheit ihrer Wiederherstellung erhalten konnte. Er wünschte, wenigstens nur ein einziges Mal mit ihr zu sprechen, sagte er zu sich selbst; er wollte aus ihrem eigenen Munde hören, wie sie es angefangen habe, um bis nach R.... zu gelangen. So verbarg der Oberst vor sich selbst das Wiedererwachen einer höchst gefährlichen Empfindung unter dem Namen einer bloßen Neugierde; aber während er sich mit allen diesen Dingen beschäftigte, nahm er sich vor, sie tief in seinen Busen zu begraben, und nie den geringsten Anlaß zu geben, wodurch Helene zur Eifersucht verleitet werden könnte. Er beschloß, sich gegen Lodoiska wie gegen eine ihm völlig Unbekannte zu benehmen, wenn sie selbst ihn nicht durch eine Unvorsichtigkeit zur Entdeckung seines Geheimnisses zwingen würde.
Durch die Sorgfalt eines dienstfertigen Nachbars und des gefühlvollen Pfarrers war die Veranstaltung getroffen worden, daß am andern Morgen schon ganz frühe, ohne alles Geräusch, die Leichname des jungen Wilhelm und Werners aus dem Schlosse entfernt und zur Erde bestattet wurden. Als daher Helene ihren Sohn noch einmal sehen wollte, gerieth sie in neue Verzweiflung, daß ihr nun von ihrem Wilhelm nichts mehr übrig geblieben sei, als eine herzzerreißende Erinnerung. Beschäftigt, diesen heftigen Schmerz seiner Gattin, den er selbst theilte, durch Trostgründe zu mildern, vergaß der Oberst fast, wie nahe ihm jetzt Lodoiska sei, und erst gegen Mittag, als Wildenau, der Arzt, zu ihm kam, dachte er daran, sich nach ihrem Zustande zu erkundigen.
„Ich habe Ihnen schon gesagt, antwortete Wildenau, daß bei dieser jungen Person etwas Unerklärliches obwaltet, was ich vergebens zu ergründen suche. Noch nie war die Rückkehr in’s Leben so unverhofft, als bei ihr; doch kann ich noch nicht versichern, ob sie am Leben bleiben wird, oder nicht. Ihre Wunde war ohne Zweifel tödtlich, und schon vorher mußte eine andere, die bis in’s Herz gegangen zu sein scheint, ihrem Dasein ein Ende gemacht haben.“
— Eine andere Wunde, sagen Sie? Lieber Doktor, Sie setzen mich in Erstaunen, denn mich dünkt, als hörte ich gestern bei meiner Ankunft nur von einer einzigen, durch einen Pistolenschuß verursachten Wunde sprechen. —
„Ganz richtig, weil nur diese Wunde frisch war, und die andere schon vor langer Zeit durch ein schneidendes Werkzeug gemacht worden ist. Weit entfernt, völlig vernarbt zu sein, blutet sie vielmehr noch, und hat eine ganz eigenthümliche Beschaffenheit, die meine bisherigen Kenntnisse völlig zu Schanden macht. Bei jedem andern Menschen müßte sie unmittelbar den Tod nach sich ziehen, und dennoch scheint es, daß diese Dame schon lange Zeit damit gelebt hat, ohne davon gehindert worden zu sein. Wahrlich! sie hat sich über die wunderbare Lebenskraft, die ihr von der Natur zugetheilt ist, nicht zu beklagen. Außerdem habe ich noch eine andere Sonderbarkeit bei ihr gefunden: ihre linke Hand ist nämlich mit einem Handschuh bedeckt, der aus einer sehr dicken Haut besteht. Ich wollte ihn aufschneiden, um der Kranken völlige Freiheit der Bewegung zu verschaffen; aber als ich ihren Arm berührte, gerieth er in ein beispielloses krampfhaftes Zittern, und die anfangs offene Hand schloß sich mit solcher Kraft, daß ich nicht im Stande war, mein Vorhaben auszuführen.“
— Wunderbar! Erstaunenswürdig! Aber lassen Sie nicht ab, lieber Doktor, ich bitte Sie: die Menschlichkeit befiehlt uns, dieser Unglücklichen uns nach Kräften anzunehmen. Uebrigens kann sie allein uns die Begebenheiten der gestrigen Schreckensnacht erklären, und vielleicht ertheilt sie uns Aufschlüsse, die uns in den Stand setzen, jene Bösewichter zu entdecken, deren Versuch ohne Nutzen für sie, für uns so unglücklich ausgefallen ist. —
„Ihre Ermahnungen sind ganz überflüssig, Herr Oberst. Meiner Pflicht nicht zu erwähnen, deren Erfüllung mir mein Stand vorschreibt, so kann ich Ihnen nicht verbergen, daß diese junge Dame mir die lebhafteste Theilnahme eingeflößt hat. Die seltene Vollkommenheit in allen Theilen ihres Körpers, die Schönheit ihres Gesichts haben, ich gestehe es Ihnen erröthend, auf meine Sinne einen außerordentlichen Eindruck gemacht. Wenn ich sie dem Leben wiedergeben könnte, wünschte ich mehr von ihr zu erlangen, als bloße Dankbarkeit ..... Aber warum erstaunen Sie so über dieses Geständniß? Sollte es Ihnen verdammungswürdig erscheinen?“
— Wem? Mir? Ei, lieber Doktor, mit welchem Rechte könnte ich es tadeln? Es scheint mir nur, daß Alles, was jetzt hier um uns vorgeht, außerordentlich ist. Sie, zum Beispiel, lieben heute eine Person, die Sie gestern noch nicht kannten, und zwar hat sie Ihr Herz in dem Augenblick erobert, wo sie noch mehr dem Tode als dem Leben angehört. Wie wird es erst werden, wenn sie mit ihren körperlichen Vorzügen noch die weit hinreißenderen des Geistes verbindet, die ihr ohne Zweifel nicht mangeln! —
„Verzeihen Sie, Herr Oberst, wenn ich Ihnen gerade heraus sage, daß Sie ziemlich leicht über einen solchen Punkt sprechen. Ich kannte diese Lustigkeit an Ihnen noch nicht.“
— Ach, nehmen Sie es nicht übel, lieber Herr Doktor; in meiner jetzigen Stimmung weiß ich kaum, was ich thue; so sehr hat mich der Schmerz übermannt, daß meine Worte der Zerrüttung meines Verstandes entsprechen. In meiner Lage, deren ganze Qual Sie nicht zu würdigen im Stande sind, mag es wohl erlaubt sein, gegen die Regeln der Höflichkeit zu fehlen, wie es wohl sonst bei mir nicht der Fall ist. —
Diese Antwort gab dem Arzt die Ueberzeugung, daß der Oberst in der That durch den Schmerz etwas an dem freien Gebrauch seiner Verstandeskräfte verloren habe, und er fiel deßhalb nicht auf den Verdacht, daß eine geheime Ursache, ein Anfall von Eifersucht, großen Theil an des Obersten Worten gehabt habe. Der Letztere, voller Scham, einen Augenblick lang seinen Entschluß vergessen, und dem Arzt beinahe ein Recht gegeben zu haben, in seinem Herzen zu lesen, zog es vor, ihn in der Meinung zu lassen, daß das Uebermaß des Schmerzes ihm Abbruch in dem folgerechten Gange seiner Gedanken thue; und erst, als er in den Augen des Doktors las, daß derselbe wirklich dieser Meinung sei, war er vollkommen beruhigt. Er suchte darauf dem Gespräch eine andere Wendung zu geben, und bat den Arzt, eine Wohnung im Schlosse anzunehmen, so lange der Zustand der verwundeten Dame sowohl als seiner Gattin seine Gegenwart nöthig machen würde.
„Ja, erwiederte Wildenau, ich will dieses Schloß vor der Hand zu meinem Hauptquartiere machen, und es nur dann auf kurze Zeit verlassen, wenn meine Gegenwart an andern Orten nicht entbehrt werden kann. Sein Sie daher in dieser Hinsicht ganz ruhig.“
Lobenthal fragte nun, ob er nicht Zutritt zu der Fremden erhalten könne, um ihr dem Anstande gemäß einen Besuch abzustatten.
„Es hängt ganz von Ihnen ab, Herr Oberst, es zu thun; aber noch lange Zeit hindurch werden Sie Ihre Komplimente an einen fast leblosen Körper richten. Die junge Dame wird wenigstens noch vierzehn Tage lang in völliger Bewußtlosigkeit verharren, wovon ihr starker Blutverlust die Ursache ist; und wir können uns glücklich schätzen, wenn sie in Zeit von vier Wochen unsere Fragen beantworten kann.“
— So müssen wir uns bis dahin gedulden, sagte der Oberst in einem Tone, dem er den Anschein der Gleichgültigkeit zu geben strebte. —
In diesem Augenblicke trat Lisette in’s Zimmer, und meldete voller Angst, daß Helene ohnmächtig geworden sei. Beide Herren eilten nun, wohin ihre Pflichten und Gefühle sie riefen. Die Oberstin blieb noch mehrere Tage lang in diesem Zustande der Schwäche, die aus dem Uebermaße ihres Schmerzes entstand, und nichts konnte sie zerstreuen; nur ein einziger Gedanke beschäftigte ihre Einbildungskraft.
Lodoiska schien unterdessen bestimmt zu sein, alle Behauptungen und Voraussetzungen des Arztes zu widerlegen; ihre Gesundheit war in weit kürzerer Zeit wieder hergestellt, als es nach seiner Meinung möglich war, und er genoß nicht einmal das Glück, die schöne Fremde zuerst sprechen zu hören. Einige Tage nach jener Schreckensnacht trat Alfred, der schon öfter in das Zimmer der Kranken gekommen war, um sich nach ihrem Befinden zu erkundigen, abermals hinein, und hörte von der Wächterin, daß man vergessen habe, ihr das Frühstück zu bringen; er erlaubte ihr daher, es selbst zu holen, während er bei der Kranken zu bleiben und ihre Rückkehr abzuwarten versprach. Die Wächterin, voll Dankbarkeit über diese Gefälligkeit, und vielleicht in der Furcht, daß es nicht des Obersten Ernst sein möchte, nahm ihn beim Worte, und entfernte sich augenblicklich.
In den ersten Minuten blieb Alfred fast unbeweglich vor dem Bett, in welchem Lodoiska, der Gegenstand seiner ersten Liebe, ruhte; beim Anblick dieser fest geschlossenen Augen, dieser magern und leichenblassen Gesichtszüge, verfiel er in ein höchst schmerzliches, träumerisches Nachdenken. Die Kranke lag völlig unbeweglich, und kaum merkte man an ihrem schwachen Athemzuge, daß noch Leben in ihr sei.
„Armes Mädchen! sagte Alfred halb laut; so sollte ich dich also wiedersehen, nachdem dich deine unglückliche Liebe bis hierher geführt hat?“
Ein Seufzer, der von Lodoiska’s Lippen erschallte, machte den Obersten aufmerksam, und er näherte sich dem Bette noch mehr. Bald sahe er, wie sich die Augenlieder der Kranken fast unmerklich bewegten; endlich schlug sie die Augen auf, und blickte ihn an, worauf eine plötzliche Röthe ihr Gesicht überzog, und ihr Mund den Namen Alfred aussprach.
„Lodoiska, hast du mich erkannt? fragte der Oberst, der Heftigkeit seiner Gefühle fast unterliegend. Ach, wie sehr mußt du mich verabscheuen!“
— Alfred! liebst du mich? —
Bei dieser unerwarteten Frage, die nicht leicht zu beantworten war, fühlte sich der Oberst fast wie versteinert. Seine Zunge war im Begriff ein zufriedenstellendes Wort auszusprechen; aber seine Vernunft hielt dasselbe zurück; er konnte nur sein Gesicht mit beiden Händen bedecken, und schweigen.
„Alfred, grausamer Geliebter meines Herzens! willst du mir den Tod geben, dem ich jetzt entrinne?“
O, wie schrecklich war es für Alfred, die Unglückliche nicht beruhigen zu dürfen! Sie schien nur in’s Leben zurückzukehren, um vom ersten Augenblicke an allen den Kummer von Neuem mit verdoppelter Heftigkeit zu fühlen, der schon seit so langer Zeit an ihrem Herzen nagte. Aber konnte der Oberst einer unglücklichen Leidenschaft noch neue Nahrung geben? War er nicht Helenens Gatte? Konnte er sie so hintergehen? Die verschiedensten Gefühle und Gedanken kämpften in seinem Innern mit einander, und er war noch unentschlossen, als ein abermaliger Seufzer Lodoiska’s seine Aufmerksamkeit auf sich zog, und er mit Schrecken erkannte, daß sie in tiefe Ohnmacht zurückgesunken sei.
Da der Oberst fürchtete, der armen Kranken den letzten Stoß gegeben zu haben, so stürzte er aus dem Zimmer, und rief mit lauter Stimme den Arzt und die Bedienung herbei. Er erzählte ihnen, daß die Fremde anfangs zu sich selbst gekommen sei, und einige Worte gesprochen habe, worauf sie wieder in eine höchst gefährliche Ohnmacht zurückgefallen sei.
„Sie hat gesprochen, sagen Sie? rief der Arzt. Sind Sie auch Ihrer Sache ganz gewiß? denn es scheint mir ganz unmöglich. Wenn es aber dennoch wahr ist, so weiß ich nicht mehr, was ich von diesem unerklärbaren Wesen denken soll!“
Der Oberst versicherte, daß die Kranke gesprochen habe, und daß ihre Worte: Wo bin ich? wer ist bei mir? ganz vernehmlich gewesen seien. Freilich hatte sie so nicht gesagt, aber Alfred hütete sich wohl, die Wahrheit zu entdecken. Wildenau fand, daß Lodoiska ein heftiges Fieber hatte, und verhehlte nicht, daß sie sich in großer Gefahr befände, weil sie eine große Erschütterung in ihrem Innern erlitten haben müsse. Bei dieser Erklärung war der Oberst wie vom Blitze getroffen, und aus Furcht, sich zu verrathen, entfernte er sich. Ueber eine Stunde lang ging er in dem großen Saale auf und nieder, ohne zu wagen, sich zu seiner Gattin zurück zu begeben, noch in Lodoiska’s Zimmer zurückzukehren, wo dieselbe vielleicht im Begriff war, ihren letzten Seufzer auszuhauchen. O, welche Vorwürfe machte er sich jetzt über seinen vormaligen jugendlichen Leichtsinn, über seinen unverzeihlichen Fehler, in dem unschuldigen und gefühlvollen Herzen Lodoiska’s eine Flamme entzündet zu haben, deren Folgen so schrecklich waren! Er sahe jetzt ein, daß die Liebe, welche gewöhnlich so vergänglich ist, bei gewissen Charakteren ewig währen kann; denn Lodoiska’s Beständigkeit gab ihm den Beweis, weil Nichts ihre Zärtlichkeit zu vermindern im Stande gewesen war. Die Entfernung und lange Trennung, selbst die schlechte Behandlung waren an ihrem Herzen vorübergegangen, ohne es zu erkälten, und er selbst empfand jetzt das ganze Entzücken der Liebe, das ihn ehemals trunken machte. Welche Qualen, welche Kämpfe hatte der Oberst nun zu überstehen! Er sahe seine Zukunft wie hinter einer finstern Wolke, und voller Schrecken ergab er sich seinem Schicksale. Quälte ihn nicht auch die Art von Nebenbuhlerschaft, die zwischen ihm und dem Arzte entstehen zu wollen schien? Der Letztere, der noch jung und von sehr liebenswürdigem Aeußeren war, hatte alle Ansprüche, eine zärtliche Neigung einzuflößen. Ohne Zweifel würde er jetzt anfangen, Lodoiska mit seiner Leidenschaft zu verfolgen, ja vielleicht den Obersten selbst zur Mittelsperson machen wollen, wozu sich Alfred völlig unfähig fühlte! —
Wie wir schon gesagt haben, Lodoiska ging, wider alle Wahrscheinlichkeit, ihrer Genesung mit raschen Schritten entgegen. Kaum waren vierzehn Tage verflossen, so konnte sie schon aufrecht in ihrem Bette sitzen, und die an sie gerichteten Fragen beantworten. Helene entschloß sich nur schwer, ihr einen Besuch abzustatten, weil ihr Anblick ihr Wilhelms Tod so lebhaft in’s Gedächtniß zurückrief, daß sie beim ersten Besuche ohnmächtig wurde. Jedoch mangelte es der kranken Lodoiska nicht an Gesellschaft, weil der Arzt, so viel es seine Geschäfte zuließen, sich bei ihr aufhielt. Auch der Oberst, durch ein unwiderstehliches Gefühl dazu fortgerissen, wiederholte seinen Besuch täglich, obgleich er täglich schwur, seine Besuche seltener zu machen. Indessen suchte er es so einzurichten, daß er nie mit Lodoiska allein war, weil er eine zweite Erklärung von ihrer Seite fürchtete.
Vergebens suchte Lodoiska öfters, die lästigen Zeugen zu entfernen, wenn sich der Oberst bei ihr befand; aber Alfred war so sehr auf seiner Hut, daß er sich stets entfernte, wenn der Zufall es hätte herbeiführen können, sich mit dem Opfer einer unglücklichen Liebe allein zu befinden. In solchen Augenblicken sah man denn in den sonst gleichgültigen Gesichtszügen Lodoiska’s den heftigsten Verdruß vorherrschen, der sich oft gegen ihre Wärterin, selbst gegen den Arzt, äußerte. Der Letztere, der sich immer mehr gefesselt fühlte, ertrug mit seltener Geduld eine Leidenschaftlichkeit, von welcher er die wahre Ursache durchaus nicht ahnete, sondern die er nur ihrem körperlichen Uebelbefinden zuschrieb.
Bald darauf erklärte Lodoiska, daß sie aufstehen wolle, wobei der Arzt fast in Verzweiflung gerieth. Er versicherte, daß sie noch zu schwach sei, um ihren Wunsch befriedigen zu können, und daß sie sich wenigstens noch vier Wochen gedulden müsse, weil er sonst nicht dafür stehen könne, daß sie in die größte Gefahr geriethe, wenn sie ihr Bett verlassen wollte. Lodoiska antwortete nicht, wie sie es stets gewohnt war, wenn man ihr einen Vorschlag machte, der ihr nicht gefiel. Aber sobald Wildenau sich entfernt hatte, bat sie ihre Wächterin, ihr eine Frucht herbeizuholen, nach deren Genuß sie großes Verlangen fühle, und kaum war sie allein, so eilte sie, sich anzukleiden.
Das Erstaunen der Wächterin, als sie in’s Zimmer zurückkehrte, war unbeschreiblich; sie eiferte gegen die Dreistigkeit, mit welcher Lodoiska alle Vorschriften des Arztes bei Seite setzte, und drohte ihr mit dem höchsten Zorn des Letzteren, wenn derselbe sie bei seiner Rückkehr nicht im Bette finden würde. Aber diese Drohung machte nicht den geringsten Eindruck, und nachdem Lodoiska einige Zeit lang im Zimmer auf und nieder gegangen war, ließ sie die Oberstin fragen, ob dieselbe ihren Besuch annehmen könne.
Die Oberstin, und noch mehr ihr Gemahl, war weit entfernt von dem Gedanken, die Fremde vor sich erscheinen zu sehen. Beide fürchteten, daß sie ihrer Gesundheit Schaden zufügen könnte, und anstatt sie bei sich zu erwarten, begaben sie sich zu ihr.
„Mein Gott! sagte Helene eintretend, was beginnen Sie? So wenig beobachten Sie die Vorschriften unseres Arztes? Er hatte Ihnen doch empfohlen, sich noch länger im Bette zu halten, und nun sind Sie ohne seine Erlaubniß aufgestanden!“
— Ich hege die größte Meinung von den Kenntnissen des Herrn Wildenau, antwortete Lodoiska; aber ich glaube, daß die Arzneiwissenschaft gewisse Grenzen hat, über die sie nicht hinausgehen kann. Unser Freund beurtheilt meinen Zustand nach den ihm sonst vorgekommenen ähnlichen Fällen; aber bei mir muß er sich in allen seinen Voraussetzungen getäuscht sehen, weil ich eines außerordentlichen Daseins genieße: ich kann nicht völlig sterben, und Sie haben schon den Beweis davon. Da ich mich nun stark genug fühle, warum sollte ich mich noch nach Vorschriften richten, die meine Genesung nur verzögern würden? —
Seitdem Helene die Fremde bei sich aufgenommen, hatte sie schon die Erfahrung gemacht, daß es vergeblich sei, sich ihrem Willen zu widersetzen. Sie begnügte sich daher, ihr zu antworten, daß sie besser als jeder Andere wissen müsse, was sie zu thun habe, und daß sie dabei ohne Zweifel die Vorsicht nicht aus den Augen setzen würde. Der Oberst schwieg völlig. Erst heute sahe er eigentlich Lodoiska’n zum ersten Male wieder, und betrachtete mit stiller Rührung die Zerstörungen, welche Zeit, Unglücksfälle und Leiden in diesem schönen Körper angerichtet hatten. Sie besaß nicht mehr die lebhafte Gesichtsfarbe, welche sonst ihre Reize so sehr erhöheten, und ihre Augen schienen fast erstorben zu sein; aber dennoch mußte sie Aller Blicke auf sich ziehen, und den Männern Liebe einflößen. Ihr prächtiger Wuchs, ihre regelmäßigen Züge, ihr einnehmendes Wesen waren ihr noch geblieben.
Lodoiska behandelte den Obersten mit jener kalten Höflichkeit, die man gewöhnlich gegen Unbekannte ausübt, und sie wußte die Gefühle ihres Innern auf das Strengste zu verbergen. Wenn sie aber gewiß war, von keinem Zeugen belauscht zu werden, so belebte sich ihr Blick und machte dem Obersten die bittersten Vorwürfe, oder schien öfters zu sagen: Kehre zu mir zurück, und Alles ist verziehen. Alfred verstand diese Blicke nur allzugut, doch glaubte er, ihnen trotzen zu können; er vergaß, daß man, um Gefahren dieser Art zu überwinden, sie fliehen, nicht aber ihnen die Spitze bieten muß. Zwei Herzen, die sich einst liebten, und die nach langer Trennung sich einander wieder finden, vereinigen sich fast immer.
Während sich unter diesen drei Personen eine Unterhaltung entspann, kam der Arzt von seinen Geschäften, die er in der Umgegend gehabt hatte, zurück. Schon bei seinem Eintritte in’s Schloß erfuhr er, wie wenig die Fremde seine Vorschriften befolgt habe; er nahm sich daher vor, ihr deßhalb Vorwürfe zu machen; allein sein ganzer Zorn verschwand, als er in’s Zimmer trat, und sie in einem Zustande sahe, der ihre völlige Wiederherstellung bewies.
„Ich sehe, redete er sie an, daß sie meiner Hülfe nicht mehr bedürfen, und Sie haben daher vollkommen Recht, sich meiner Autorität zu entziehen; ich wünsche nur, daß sie es nie bereuen möchten.“
— Ihren seltenen Kenntnissen, antwortete Lodoiska, habe ich viel zu verdanken; das Uebrige hat die Natur gethan. Glauben Sie mir, daß ich mich jetzt vollkommen wohl befinde; aber je freier ich nun athme, desto mehr ist auch mein Herz von Dankbarkeit gegen Sie erfüllt. Erlauben Sie mir, Ihnen einen kleinen Beweis davon zu geben, was Sie mir hoffentlich nicht abschlagen werden. —
Mit diesen Worten nahm Lodoiska einen prächtigen Brillantring von sehr bedeutendem Werthe, von dem Tische, und überreichte ihn dem Arzte, der vor Ueberraschung nicht wußte, was er thun sollte. Gern hätte er ein Geschenk von sich gewiesen, das er für zu kostbar für seine Bemühungen hielt; wie gern hätte er es gesehen, wenn ihm die junge Schönheit ihre Dankbarkeit auf eine andere Art bewiesen hätte. Aber Lodoiska trat mit solcher Zuversichtlichkeit auf ihn zu, daß er das ihm dargebotene Geschenk nicht ausschlagen konnte, und nach einigem schwachen Widerstande nahm er den Ring seufzend an, steckte ihn an seinen Finger, und gab dem Obersten durch einen Blick zu erkennen, daß er gewünscht hätte, Lodoiska möchte ihm auf eine andere Art ihre Dankbarkeit zu erkennen gegeben haben.
Die Oberstin brannte vor Ungeduld, zu erfahren, was sich eigentlich in jener Schreckensnacht zugetragen hatte, deren Andenken nur mit ihr selbst in ihr untergehen konnte; aber sie fühlte auch zu gleicher Zeit, daß sie noch nicht stark genug sei, diese Erzählung ruhig mit anzuhören. Daher stand sie von ihrem Stuhle auf, wiederholte ihre Glückwünsche zur Wiedergenesung der Fremden, und überließ es dem Obersten und dem Arzte, die Enthüllung der Geheimnisse jener Nacht von Lodoiska’n entgegen zu nehmen.
Diese erbebte unwillkührlich, als man sie über diesen Gegenstand befragte; man konnte es auf ihrem Gesichte lesen, wie ungern sie es sehe, daß man sie daran erinnerte; daher schwieg sie auch einige Augenblicke, sei es nun, um sich zu sammeln, oder um abzuwarten, ob man die Frage erneuern würde. Allein der Oberst wiederholte dieselbe, und Lodoiska erzählte nun Folgendes:
„Die Frau Oberstin war von dem unausgesetzten Nachtwachen schon so sehr erschöpft, daß sie mich bat, an ihrer Stelle bei dem unglücklichen Kinde zu wachen, das sie verloren hat.“
Bei diesen Worten stieß der Oberst einen tiefen Seufzer aus. Verwirrt hielt Lodoiska inne, und ein krampfhafter Schmerz verzog ihre Gesichtszüge. Sie zögerte fortzufahren, that dieß aber doch endlich folgendermaßen.
„Ich konnte es dieser großmüthigen Dame nicht abschlagen, und ungeachtet meines Widerwillens, wovon ich mir damals noch keine Rechenschaft geben konnte, der sich aber durch die Folge gerechtfertigt hat, willigte ich ein, die Nacht bei dem armen Wilhelm zuzubringen. Gegen Mitternacht überwältigte mich der Schlaf, der seit mehreren Jahren nur selten meine Augen schließt, mit solcher Kraft, daß ich ihm vergebens zu widerstehen suchte; ich legte meinen Kopf gegen den Rücken des Lehnstuhls, in welchem ich saß, und in wenigen Augenblicken war ich eingeschlummert. Was von diesem Zeitpunkte an geschehen ist, weiß ich nicht, bis ich plötzlich durch ein starkes Geräusch geweckt wurde. Kaum schlug ich die Augen auf, so erblickte ich beim Schein des Mondes vier bewaffnete Männer, welche auf mich zukamen. Mein Schrecken war so groß, daß ich nicht im Stande war, zu schreien, um Hülfe herbeizurufen. Der eine von den Männern faßte mich beim Arme, ein anderer näherte sich dem Bette. In diesem Augenblicke wurde die Thür mit Ungestüm aufgerissen, und Werner erschien. Ich hörte zwei Pistolenschüsse fallen, fühlte mich von einer Kugel getroffen, und stürzte zur Erde. Meine Besinnung verließ mich. Ohne Zweifel waren die Räuber durch’s Fenster eingestiegen; denn ich hörte nachher von meiner Wächterin, daß man eine Strickleiter am Fenster gefunden habe. Ich kann diesen Umstand nicht bestätigen, weil ich nichts gesehen habe, als die Mörder und den Tod, den sie mir ohne Zweifel bestimmten. Auch weiß ich keine bestimmte Ursache für den Tod Ihres Kindes anzuführen. War dieß gerade der Augenblick seines Sterbens, oder wäre es durch die Furcht schneller herbeigeführt worden? Ach, er kann es Ihnen nicht sagen, und kein Sterblicher wird je von den Geheimnissen des Todes unterrichtet werden.“ —
So erzählte Lodoiska ihre Geschichte, und Niemand konnte die Wahrheit derselben bezeugen oder ihr widersprechen. Sie allein hatte die Begebenheit überlebt; diejenigen, welche die wahren Umstände derselben hätten bekannt machen können, waren auf ewig von dieser Erde verbannt, wo das Verbrechen und die Lüge nur allzuoft über Unschuld und Tugend den Sieg davon tragen. Eine so unvollständige Erzählung konnte übrigens nicht die geringste Aufklärung geben. Man hatte ungeachtet der eifrigsten Nachforschungen nicht die geringste Spur von den Mördern finden können, und dennoch waren sie da gewesen. Lobenthal und Wildenau verloren sich in ihren Vermuthungen, während Lodoiska in ihrer gewöhnlichen Gleichgültigkeit verharrte, und endlich den Wunsch äußerte, auf einige Zeit allein zu sein, um, wie sie sagte, sich von der Abspannung zu erholen, in welche ihre Erzählung ihre moralischen Kräfte gesetzt habe.
Dieser Wunsch war sowohl für den Obersten als für den Arzt ein Befehl. Sie entfernten sich augenblicklich, und begaben sich zu Helenen, der sie die eben angehörte Erzählung mittheilten, die aber davon wenig gerührt wurde, weil sie keinen Aufschluß über den geheimnißvollen und unerwarteten Tod ihres Sohns dadurch erhielt. Das Uebrige kümmerte sie wenig, und sie sah darin nichts weiter, als einen gewöhnlichen Angriff von Räubern, der für dieselben ohne Erfolg gewesen war, aber blutige Spuren hinterlassen hatte.
Lodoiska fing jetzt ihr früheres gewöhnliches Leben wieder an. Fast immer in ihrem Zimmer eingeschlossen, zeigte sie sich nur zur Zeit der Mahlzeit, und nur selten willigte sie darein, den Nachmittag mit der Familie zuzubringen. Ihre Unterhaltung war dann ernsthaft und schwermüthig; sie schien ihre Leidenschaft für den Obersten völlig vergessen zu haben, sowohl als die Worte, die sie bei ihrem ersten Wiedersehen ausgesprochen hatte. Dadurch ward Lobenthal so sicher gemacht, daß er täglich weniger Vorsicht anwendete, einer Unterredung unter vier Augen auszuweichen, die Lodoiska nicht mehr zu wünschen schien. —
Man befand sich jetzt mitten im Winter. Bald machte der Regen alle Wege ungangbar, bald verwandelte der eisige Hauch des Nordwindes die Erde in Stein, und machte es unmöglich spazieren zu gehen. Bei solchem Wetter befiel den Obersten seine alte Jagdlust wieder, und oft kehrte er mit reicher Beute beladen nach Hause zurück. So war er auch eines Morgens in den Wald gegangen, wo ihm sogleich anfangs ein Reh in den Schuß kam; allein das arme Thier stürzte nicht sogleich todt zur Erde nieder, sondern lief mit Anstrengung aller Kräfte pfeilschnell durch das dickste Gebüsch, von dem bellenden Jagdhunde des Obersten verfolgt. Auch Lobenthal folgte der blutigen Spur, bis er das Thier verendet fand, aber sich dabei so weit vom Schlosse entfernt sahe, daß er kaum mehr hoffen konnte, es zur Mittagszeit wieder zu erreichen.
Nachdem er seine Beute in Stücke getheilt hatte, um sie desto besser fortzubringen, machte er sich auf den Rückweg, der ihn so ermüdete, daß er sich, nicht weit mehr vom Schlosse entfernt, auf einer in einen Felsen gehauenen Bank, auf einige Augenblicke auszuruhen beschloß. Tausend verschiedene Gedanken bestürmten seine Einbildungskraft, die ihn bald in seine Jugendjahre zurückführte; er glaubte, noch in den Gebirgen der Wallachei zu sein, wo er oft in Gesellschaft eines Mädchens, das ihm damals ein Engel zu sein schien, die schneebedeckten Gipfel der Felsen erkletterte. Plötzlich fiel ihm ein Gedicht ein, das er einst in jener glücklichen Zeit für Lodoiska verfertigt hatte; es konnte nach einer in ihrem Vaterlande sehr beliebten Weise gesungen werden, und nachdem er die ersten Verse für sich hergesagt hatte, ging er unvermerklich in jene Melodie über, bis er, ohne es selbst zu wissen, das Lied mit lauter Stimme sang.
Der Gesang war geendigt, und noch befand er sich in seinem träumerischen Zustande, als er daraus plötzlich durch das Herabfallen einiger Steine von der neben ihm befindlichen Höhe geweckt wurde. Er richtete den Kopf nach oben, um die Ursache zu entdecken; aber wie erstaunte er, als er Lodoiska, die ihn so eben noch so sehr beschäftigt hatte, von der Höhe herabkommen sahe. Er konnte ihr nicht anders ausweichen, als wenn er gerade querfeldein lief, was nach den Regeln des Anstandes durchaus nicht thunlich war; aber er gerieth in die größte Unruhe über die Unterredung, die nun ohne Zweifel Statt haben mußte. In seiner Ueberraschung sprang er von seinem Sitze auf, während die junge Schönheit, vielleicht von ähnlichen Gefühlen, wie die seinigen, bestürmt, stehen blieb, und sich an die Felsenwand stützte, als wenn sie fürchtete, ihr Bewußtsein zu verlieren.
So standen beide einige Zeit lang einander gegenüber, ungewiß, was sie thun sollten; endlich setzte aber Lodoiska ihren Weg fort, und befand sich nach einigen Augenblicken dicht bei dem Obersten.
„Sollte ich Ihnen, redete sie ihn mit halb erstickter Stimme an, durch meine Gegenwart lästig werden? Können Sie mich nicht anders mehr als mit Furcht erblicken? Muß ich zu dem Zufall meine Zuflucht nehmen, um mit Ihnen zusammen zu treffen?“
Alfred fühlte die Nothwendigkeit, hierauf etwas zu erwidern; aber er fürchtete auch, in seinen Worten nicht die richtige Mittelstraße beobachten zu können, und das Unangenehme seiner Lage setzte ihn in die größte Verlegenheit.
„Ach! antwortete er, ist es gut für uns beide, daß wir uns wiedergefunden haben? Hatte uns nicht das Schicksal auf immer von einander getrennt? Konnte ich erwarten, Lodoiska, Sie hier in Deutschland zu sehen, nachdem die Bande, die uns an einander knüpften, längst aufgelöset sind?“
— Und wer hat sie zerrissen, Alfred, diese Bande? Verdiene ich oder Sie diesen Vorwurf? Nur die Zeit war zwischen uns; ich konnte meine schwachen Reize verlieren, aber mein Herz hat sich nicht geändert, und Sie sehen den Beweis davon vor sich! —
„Ich bedarf Ihrer Gegenwart nicht, Lodoiska, um mir Vorwürfe zu machen, die ich mir schon seit langer Zeit gemacht habe. Die Verirrungen meiner Jugend haben sich meinen Blicken schon längst unter den schwärzesten Farben dargestellt. Aber was kann jetzt noch geschehen? Unsere Lage ist kummervoll; aber es bleibt uns nichts übrig, als sie mit Fassung und Muth zu ertragen: so will es das Schicksal.“
— Sie drücken sich ziemlich dunkel aus, Alfred. Reden Sie offen zu mir, sagen Sie mir Alles, was Sie denken, und ich werde aufrichtig Ihrem Beispiele folgen. —
„Wie wäre es möglich, selbst zu enträthseln, was jetzt in meinem Herzen vorgeht? Und dürfte ich es thun, wenn ich es könnte? Bin ich nicht durch unauflösliche Bande gefesselt? Sein Sie großmüthiger als ich, Lodoiska, und bringen Sie freiwillig ein nothwendiges Opfer. Vergessen Sie mich, wenn Sie können ....“
— Sie haben Recht, wenn Sie daran zweifeln. Ich bin Ihnen völlig ähnlich, Alfred; auch ich habe meine Schwächen, mein Unrecht vielleicht. Sie haben nicht gefürchtet, mich zu verlassen, und einer Andern die Treue zu widmen, die Sie mir gelobt hatten; ich dagegen kann meine Empfindungen nicht unterdrücken, obgleich ich einsehe, daß sie vergeblich sind. Ich weiß, daß meine Gegenwart Sie belästigt, und dennoch fühle ich mich glücklich, daß ich mich mit einer eiteln Hoffnung täuschen kann. Warum wollen Sie, daß ich Sie an Geistesstärke übertreffen soll? Sie haben mir Ihr Herz nicht erhalten können, und ich fühle mich unfähig, Ihnen das meinige zu entreißen. —
„Ihre Worte, Lodoiska, verdoppeln noch meine Verzweiflung. Ich würde mein Leben dafür geben, das Geschehene ungeschehen zu machen, damit Sie ruhig und glücklich Ihr Leben genießen könnten.“
— Es giebt Wünsche, antwortete Lodoiska mit einem schauerlichen Tone, deren Erfüllung nicht mehr möglich ist. Für mich giebt es kein Glück und keine Ruhe mehr auf der Erde; auch werde ich beides im Grabe nicht finden, und Sie allein muß ich als die Ursache dieses Unglücks betrachten. Sie wollen Ihr Leben für mich hingeben, sagen Sie? Dieses Opfer steht nicht in Ihrer Gewalt. Gehörten Sie mir nicht schon früher an? Habe ich nicht das heiligste Versprechen darüber, mit Ihrem eigenen Blute geschrieben? —
„Ich läugne es nicht, daß ich Ihnen dieses Andenken meiner Liebe zurückgelassen habe. Aber wozu kann es Ihnen jetzt noch dienen? Es ist ein nichtiges Papier, das unsere Gesetze nicht anerkennen.“
— Ihre Gesetze! Was gehen mich die Förmlichkeiten an, die die Willkühr der Menschen geheiligt hat? Aber ich werde mich keinesweges so herabwürdigen, Sie wegen Ihres Meineids vor den Gerichten Ihres Landes zu belangen, sondern besser thun, mich bei dem unbestechlichen Wesen zu beklagen, das nicht über Worte richtet, sondern über Thaten. Zittern Sie, Unglücklicher, vor der Strafe, die Sie erwartet. Kennen Sie alle Mittel, deren sich der Allmächtige bedienen kann, um Sie in Ihrem Innersten zu verwunden? —
„Unglückliche Lodoiska, sein Sie ruhiger, ereifern Sie sich nicht! Da ich Ihnen jetzt nicht mehr meine Hand anbieten kann, so erlauben Sie, daß die reinste Freundschaft eine heftige Leidenschaft ersetze.“
— Die Freundschaft! nichts als die kalte Freundschaft bietet mir also Alfred an, für so viele Jahre voll Zärtlichkeit und Schmerz! Ich soll mich also entweder von ihm entfernen, um von Zeit zu Zeit einen Brief zu erhalten, dessen Kälte mich zur Verzweiflung bringen würde; oder mit ihm unter einem Dache bleiben, und dort Zeugin von dem Glücke einer Andern sein, mich einer beständigen Marter überliefern! Ach, wie unverständig war ich noch vor wenigen Augenblicken, als ich dort hinter jenen Bäumen Worte hörte, die mir in’s Innerste drangen, und die ich noch nicht vergessen habe! —
„Sie mußten Ihnen einen Beweis geben, daß Sie mir oft im Herzen gegenwärtig sind, und daß ich mich mit Kummer jener Zeiten erinnere, die für mich so glücklich waren. Aber ich beschwöre Sie, Lodoiska, retten Sie mich und sich vor der Verzweiflung; suchen Sie sich zu beherrschen, und sich nicht zu rächen, wie Sie es mich in Ihrem letzten heftigen Briefe fürchten ließen.“
— Sein Sie ruhig Alfred; seit jener Zeit haben meine Gedanken eine andere Richtung erhalten. Nicht durch menschliche Mittel will ich mich zu rächen suchen, sondern durch eine höhere Macht, die mich wider meinen Willen zum Ziele treibt. Gerne wünschte ich den mir vorgeschriebenen Gang zu ändern, aber es ist unmöglich! —
Der feierliche Ton, mit welchem das junge Mädchen diese Worte aussprach, flößte dem Obersten eine Art von Schrecken ein; doch faßte er sich bald, und sagte, Lodoiska’n die Hand reichend:
„Ich hoffe, daß unser Schöpfer mir mein begangenes Unrecht verzeihen wird, wenn Sie großmüthig genug sind, es zuerst zu vergessen. Weisen Sie meine Hand nicht so verächtlich von sich. Schließen wir einen Friedensvertrag, und versprechen Sie mir, daß Sie die Ruhe meiner Frau nicht stören wollen.“
— Warum sollte ich großmüthiger sein als Sie? Was geht mich die Ruhe Ihrer Frau an? Haben Sie nicht die meinige unwiederbringlich aufgeopfert? Doch ich will suchen, Sie in allen Dingen zu übertreffen; nur Sie will ich quälen, und wenn ich mich nicht selbst beherrschen kann, so werde ich ohne Mitleid gegen Sie sein, wie Sie es gegen mich gewesen sind. —
Die Bitterkeit dieser Antwort schlug den Obersten völlig zu Boden. Er dachte in seiner Verzweiflung nicht daran, daß es Zeit sei, sich zum Mittagsessen nach Hause zu begeben; aber Lodoiska war vorsichtiger.
„Es ist Mittagszeit, sagte sie, und Sie können Ihre Jagd nicht noch länger fortsetzen, ohne diejenige in die größte Angst zu setzen, deren Ruhe Ihnen so theuer ist. Schlagen Sie jenen Weg dort ein, er führt Sie gerade nach dem Schlosse; ich werde über diese Anhöhe hier zurückgehen. Weiter habe ich Ihnen nichts zu sagen, Alfred, aber ich fürchte für Sie den Zorn des Himmels.“
Mit diesen Worten wendete sich Lodoiska rasch um, erstieg den Hügel, und verschwand vor den Augen des Obersten, der noch lange Zeit brauchte, ehe er sich erholte und auf den Weg begab. Als er in’s Schloß zurückkam, sahe er, wie Lodoiska neben seiner Frau saß, so ruhig, als wenn durchaus nichts vorgefallen wäre.
Der Nachmittag verstrich fast unter stetem Schweigen. Die Zeit hatte noch nichts über den Schmerz der Oberstin vermocht; fast beständig saß sie unbeweglich, ein aufgeschlagenes Buch in der Hand, in welchem sie nicht las, oder an einem Stickrahmen, den sie mit ihren Thränen benetzte. Eine tiefe Schwermuth hatte sich ihrer bemächtigt, und nur in seltenen Augenblicken, wo ihr Geist etwas heiterer war, zeigte sie ihrem Gatten, daß sie ihn noch liebe. Ihrer Tochter erlaubte sie niemals, sich von ihr zu entfernen, und wenn öfters Julie, durch ihre Lebhaftigkeit hingerissen, den Befehl ihrer Mutter vergaß, sprang Letztere fast außer sich aus dem Zimmer, rief sie mit lauter Stimme, und war nicht eher ruhig, als bis das Kind wieder bei ihr war. Stundenlang betrachtete sie Juliens lächelndes Gesicht; es schien ihr, als wenn das kleine Mädchen schon ebenfalls von der Krankheit befallen wäre, die ihren Bruder in’s Grab gebracht hatte; dann kannte ihre Verzweiflung keine Grenzen. Vergebens versicherte der Arzt, daß ihre Tochter völlig gesund sei; sie konnte nur unvollkommen ihre Angst unterdrücken, die sich bei der geringsten Veranlassung erneuerte.
Als Alfred diese beständige Traurigkeit sahe, welche die seinige noch verdoppelte, fürchtete er, seine Frau einen Augenblick lang allein zu lassen. Er bemerkte, daß Helene ihre eigene Gesundheit untergrub, indem sie so eifrig über die Gesundheit der kleinen Julie wachte; schon waren ihre Wangen blaß und eingefallen, ihre Augen wurden hohl, und aus ihrer Brust kamen oft rauhe Töne hervor, als wenn sie von der abzehrenden Krankheit befallen wäre.
Am folgenden Tage stattete der alte Herr von Krauthof einen Besuch im Schlosse ab. Fast mit ihm zugleich kam Wildenau. Der Erstere hatte schon lange mit großer Ungeduld den Augenblick erwartet, wo er die geheimnißvolle Fremde zu Gesicht bekommen würde. Oft war er deßhalb schon vergebens im Schlosse gewesen; aber heute war er glücklicher, und mit welcher Freude sahe er Lodoiska’n, welche die kleine Julie auf dem Schooße hatte, am Fenster sitzen. Durch seinen feinen Anstand zeichnete sich Herr von Krauthof eben nicht aus; an das Leben auf dem Lande gewöhnt, wo er größtentheils nur mit Bauern zusammenkam, über die er sich hoch erhaben glaubte, legte er sich in Gesellschaften eben keinen Zwang an. Sobald er sich daher gesetzt und der Oberstin die gewöhnlichen Komplimente gemacht hatte, wendete er sich an die junge Lodoiska:
„Madame, vielleicht kommt Ihnen dieser Titel nicht zu; denn es ist möglich, daß Sie noch nicht verheirathet sind; aber glauben Sie mir, es ist nicht meine Schuld, wenn ich Ihnen nicht schon früher meine Aufwartung gemacht habe. Vor einiger Zeit fand ich mich an Ihrer Thüre ein; allein Ihr Kammerdiener weigerte sich mit außerordentlicher Grobheit, der Himmel mag sie ihm verzeihen, mich bei Ihnen vorzulassen. Wahrhaftig, ich möchte mich beinahe über die Feuersbrunst freuen, die Ihr Häuschen in Asche gelegt hat, weil ich dieser Begebenheit die Ehre verdanke, Ihnen meine Aufwartung zu machen.“
Diese seltsame Art sich auszudrücken mißfiel der ganzen Gesellschaft. Lodoiska, welche darin nicht geradezu eine Frage sahe, schwieg, während der Arzt, der sie aus einer Verlegenheit zu ziehen glaubte, sich nach dem Zustande ihrer Gesundheit erkundigte. Hierauf antwortete sie mit wenigen Worten. Herr von Krauthof, der sich durch die Unzufriedenheit, die er auf allen Gesichtern lesen konnte, wenn er gewollt hätte, nicht irre machen ließ, wendete sich nun an den Arzt.
„Zum Teufel, mein gelehrter Herr Doktor, Sie sind mit einem Vorrechte begabt, das ich nicht besitze, nämlich diese schöne Dame zum Sprechen zu bringen.“
— Allerdings hat sie mir geantwortet, Herr Ober-Land-Jägermeister; aber dieß verdanke ich meiner Frage, der einzigen, welche wohlerzogene Leute an Jemanden richten können, den sie nicht kennen. —
„Aha! ich höre es, mein Lieber, wie man mir schon früher gesagt hat, daß Sie auch zu der Klasse der jetzigen Aufgeklärten gehören. Was können denn das für wohlerzogene Leute sein, wenn ich nicht dazu gehöre?“
Ungeachtet der ernsten über Lodoiska’s Gesicht verbreiteten Kälte und ihrer gewöhnlichen Gleichgültigkeit, konnte sie doch nicht ein Lächeln über diese Worte unterdrücken, während die Oberstin die Achseln zuckte und Lobenthal aus Klugheit die Antwort unterdrückte, die ihm schon auf den Lippen schwebte. Indessen suchte er die Unterhaltung auf einen andern Gegenstand zu bringen, und fragte, ob es wahr sei, daß endlich das Kirchspiel einen eigenen Pfarrer erhalten würde?
„Ja, Herr Oberst, so viel ich weiß, ist es wahr, und mir dauert schon die Zeit lang, ehe wir ihn hier haben; denn ich hoffe, daß er durch seine Predigten dem Bauervolk mehr Gehorsam und Unterwürfigkeit gegen uns beibringen, und ihnen beweisen wird, wie sehr unser Einer über sie erhaben ist. Vorzüglich aber muß er suchen, den Aberglauben zu verbannen, der unter dem Volke immer mehr Wurzel schlägt, je mehr auf der anderen Seite seine Ungläubigkeit zunimmt.“
— Ich erstaune! sagte der Arzt. Wie können Sie so sprechen! Sie, ein Feind des Aberglaubens! Ich hielt diesen sehr nahe verwandt mit der großen Masse der Vorurtheile. —
„Ich weiß nicht, was Sie damit sagen wollen, mein Lieber; aber ich liebe den Aberglauben nicht, weil er die Bauern von ihrer Pflicht abhält. Seitdem diese Elenden sich in den Kopf gesetzt haben, daß es Vampyre im Kirchspiele gebe, wollen sie keinen Schritt mehr aus dem Hause gehen, sobald es finster ist.“
— Vampyre! Hier sollen Vampyre sein? rief der Oberst. Wer kann die scheußlichen Mährchen Ungarns und Griechenlands hierher verbreitet haben? —
Bei diesen Worten konnte der Oberst sich nicht enthalten, seinen Blick auf Lodoiska zu richten. Er sahe, daß sie außer aller Fassung war. Ihre Gesichtszüge drückten den höchsten Schrecken aus, ihr Mund stand halb geöffnet, ihre Augen waren unbeweglich, und mit einer schnellen Bewegung, die sie aber wieder unterdrückte, schien sie im Begriff gewesen zu sein, sich zu entfernen.
Der Oberst erklärte sich mit Leichtigkeit diesen Schrecken Lodoiska’s. Es war fast unmöglich, daß ein Mädchen aus der Wallachei nicht an die Vampyre glaubte, und sehr häufig hatte sie mit ihm darüber gesprochen, ihm die seltsamsten Geschichten über diesen Gegenstand erzählt. Konnte er sich also wundern, daß sie außer sich gerieth, als so unerwartet die Rede auf die fürchterlichen Vampyre kam? Aus Rücksicht für sie hätte er gern dem Gespräche abermals eine andere Wendung gegeben; aber es war zu spät. Herr von Krauthof beantwortete die an ihn gerichtete Frage.
„Einem Unglücklichen, der nicht mehr am Leben ist, verdanken wir den in dieser Gegend verbreiteten Schrecken. Ihr Bedienter Werner erzählte seinen Freunden die Geschichte von diesen Unholden, welche nach dem menschlichen Blute dürsten, bei Gelegenheit des sonderbaren Todes einer jungen Bäuerin aus dem Dorfe. Aber mein Gott, fuhr er fort, sich an Lodoiska wendend, Madame, fürchten Sie sich denn auch vor solchen Narrheiten? Sie haben ohne Zweifel zu viel Verstand, als daß Sie an diese Unholde, diese Vampyre glauben könnten, die ohne Zweifel nur in dem Gehirn desjenigen ihr Dasein hatten, der zuerst von ihnen sprach.“
Hier warf die Fremde einen so finsteren Blick auf den Herrn von Krauthof, von einem so scheußlichen Lächeln begleitet, daß er ungeachtet seiner Zuversichtlichkeit ganz erschrocken in seiner Rede inne hielt, und mit der Sprache zugleich die Lust zum Plaudern verlor, die ihn sonst nie verließ.
Der Arzt glaubte nun gleichfalls über diesen Gegenstand sprechen zu müssen, und scherzte über diese abscheulichen Mährchen. Er forderte die Vampyre heraus, den Schlaf eines muthigen Mannes zu stören, und hätte noch lange so fortgefahren, wenn ihn nicht die wiederholten Winke des Obersten davon abgehalten hätten. Hierauf folgte ein Augenblick des Stillschweigens, als plötzlich auch Helene das Wort nahm:
„Warum, sagte sie, wollen wir so hartnäckig diese Geheimnisse bestreiten? Wie abscheulich sie auch sein mögen, kennen wir alle Mittel der Vorsehung, wodurch sie uns zu betrüben im Stande ist? Ich glaube an die Möglichkeit, daß es Vampyre geben kann, und vielleicht habe ich gar einem Ungeheuer dieser Art den unerwarteten Tod meines Sohns zu verdanken .....“
Die Fremde stößt bei diesen Worten einen lauten durchdringenden Schrei aus. Sie steht mit Heftigkeit auf, will einen Schritt vorwärts thun, und fällt ohne Bewußtsein auf den Fußboden nieder. —
Während der gefühllose Herr von Krauthof sich vergebens in allerhand Vermuthungen verlor, durch welche Ursache die Ohnmacht der schönen Fremden hervorgebracht sein könnte, waren Helene, ihr Mann und der Arzt eifrig beschäftigt, Lodoiska’n in’s Leben zurückzurufen. Aber ihre Bemühungen waren fruchtlos, und der Oberst benutzte diese Augenblicke, den lächerlichen Edelmann zurechtzuweisen.
„Ich habe mit den russischen Heeren, sagte er, einen großen Theil von Europa durchzogen, und dabei Gegenden gesehen, welche sonst von unsern Reisenden nur selten besucht werden. Ich müßte mich sehr irren, wenn diese fremde Dame, nach ihrer Aussprache und ihrem ganzen Wesen zu urtheilen, nicht im östlichen Ungarn oder in der Wallachei geboren ist; in diesem Falle muß auch sie von den in ihrem Vaterlande herrschenden abergläubischen Meinungen durchdrungen sein, und da die Unterhaltung auf einen für ihre Landsleute so furchtbaren Gegenstand kam, so wird dieß, verbunden mit ihrer noch schwachen Gesundheit, ihren jetzigen Zustand hervorgebracht haben, dem wir sie mit aller Mühe noch nicht entreißen können.“
Diese Erklärung schien allen Anwesenden hinreichend zu sein. Der Herr von Krauthof bemerkte, daß die Fremde, wenn sie in Ungarn geboren wäre, gewiß mit der Art bekannt sei, wie man den Tokaier Wein behandeln müsse, und er nahm sich vor, sie über diesen Gegenstand um Auskunft zu bitten, da er mehrere Weinstöcke aus jener Gegend in seinem Garten habe. Niemand antwortete auf diese Lächerlichkeit. Da Lodoiska nicht wieder zu sich kam, so machte Wildenau den Vorschlag, sie in ihr Zimmer zu tragen, was auch geschahe; aber sie lag noch lange Zeit auf ihrem Bette völlig kalt und unbeweglich. Endlich stieß sie einen tiefen Seufzer aus, schlug die Augen auf, und die Umstehenden der Reihe nach ansehend, fragte sie mit leiser Stimme, warum sie sich in diesem Zustand befände?
„Der außerordentliche Blutverlust, welchen Sie erlitten haben, antwortete Wildenau, wird Ihnen noch häufig dergleichen Zufälle zuziehen. Sie nehmen Ihre Gesundheit nicht genug in Acht, und rechnen zu sehr auf Ihre gute Natur, ohne auf meine Warnungen zu hören.“
— Ist dieß wirklich die Ursache meiner Ohnmacht? Hat man nicht von Vampyren gesprochen? Wer hat es gewagt, den geheimnißvollen Schleier zu lüften, mit welchem der Himmel die Erfüllung seines schrecklichen Willens bedeckt? —
„O, denken Sie nicht mehr an diesen traurigen Gegenstand, sagte der Oberst; das Gespräch kam nur aus Unvorsichtigkeit darauf, und es soll nicht wieder geschehen. Aber vergessen Sie wo möglich jene Schrecknisse, vor welchen Sie hier in Deutschland sicher sind.“
Lodoiska antwortete nicht hierauf, sondern bat nur um Erlaubniß, allein bleiben zu dürfen, um sich auszuruhen. Man verließ sie also, und begab sich in das Gesellschaftszimmer zurück, wo der Herr von Krauthof noch wartete, und eine Menge Fragen that, die man kaum beantwortete. Endlich entfernte er sich, zufrieden, endlich das Vaterland der Fremden erfahren zu haben, und mit dem Vorsatze, diese wichtige Entdeckung in der möglichst kürzesten Zeit allen Nachbarn mitzutheilen.
Als er fort war, nahm Wildenau das Wort, und machte dem Obersten und seiner Gemahlin folgende Erklärung: „Ich weiß nicht recht, fing er an, wie ich es machen soll, Ihnen die Gefühle mitzutheilen, die meine ganze Seele beherrschen. Aber die Güte, die Sie bisher für mich gezeigt haben, giebt mir Muth, und ich schmeichele mir mit Ihrer Unterstützung zur Erreichung meiner Wünsche. Ich bin vier und dreißig Jahre alt, besitze ein anständiges Vermögen, und habe eine Praxis, die meine Wohlhabenheit noch vermehrt. Die Ehelosigkeit ist mir noch weit lästiger geworden, seitdem ich die reizende Person gesehen, der Sie einen Zufluchtsort gewährt haben. Sie ist eine Fremde; große Unglücksfälle, vielleicht ein Fehler, den sie durch freiwillige Verbannung büßt, haben sie hierher geführt. Ich wünschte ihr Schicksal zu verbessern, indem ich ihr meine Hand anbiete, wenn sie sie annehmen wollte; ehe ich aber das Geringste zur Erreichung meiner Absicht unternehmen wollte, glaubte ich, mich Ihnen freimüthig entdecken zu müssen, in der Hoffnung, daß die Frau Oberstin, um mir einen Korb zu ersparen, die Güte haben würde, die Gesinnungen dieser schönen Person auszuforschen.“
Lobenthal war zu sehr bewegt durch das, was er jetzt hörte, als daß er hätte darauf antworten können, und er überließ daher diese Sorge seiner Frau. Diese billigte Wildenau’s Wahl, nur rieth sie ihm, sich nicht früher bestimmt zu erklären, ehe er nicht die Geschichte der Fremden genau erfahren habe, damit späterhin ihm nicht die Reue sein Leben verbittere.
„Glauben Sie mir, Frau Oberstin, entgegnete der Arzt, daß ich dieß ebenfalls schon überlegt habe. Durch den ehemaligen Eigenthümer des abgebrannten Hauses bin ich unterrichtet worden, daß er dasselbe mit den dazu gehörigen Ländereien für funfzehntausend Thaler an die Fremde verkauft hat, welche ihm sogleich ausgezahlt worden sind. Das Haus ist verloren; aber die Ländereien sind noch da, und Sie wissen, daß man bei den Güterkäufen hier zu Lande die letzteren für Alles, die Gebäude fast für nichts rechnet. Sie selbst haben mir auch gesagt, daß diese Dame reiche Kleinodien besitzt, und man hat eine bedeutende Summe in baarem Golde aus der Feuersbrunst gerettet, welche Sie einige Zeit lang in Verwahrung hatten. Diese Reichthümer, die Talente, welche die Fremde besitzt, ihr edler Anstand, obgleich damit einige Sonderbarkeiten verknüpft sind, scheinen mir zu beweisen, daß sie nicht zu jener verworfenen Klasse von Frauenzimmern gehört, die mit ihren Reizen Wucher treiben. Seitdem sie hier ist, hat sie stets in der größten Zurückgezogenheit gelebt, was sie gewiß nicht gethan haben würde, wenn sie auf Abentheuer ausginge. Unsern Vermuthungen bleibt also nur noch übrig, daß sie vielleicht das Opfer einer unvorsichtigen Leidenschaft ist, oder vielleicht weit von ihrem Vaterlande einen Jugendfehler in Vergessenheit bringen will. Dieß kann ich nicht geradezu bestreiten. Aber die ohne Zweifel seitdem verstrichene Zeit, ihr jetziges Betragen müssen ihr zur Entschuldigung dienen. Ich will mich durchaus nicht darauf einlassen, was geschehen ist, und wenn sie Ihnen darüber ein offenes Geständniß macht, so will ich noch weiter gehen: ich will nicht ein Wort davon wissen; sobald Sie mich versichern, Frau Oberstin, daß sie meiner nicht unwürdig ist, so führe ich sie zum Altare.“
Helene, von Wildenau’s Freimüthigkeit und Vertrauen gerührt, versprach ihm, nichts zu vernachlässigen, um seinen Wünschen nachzukommen. Da der Oberst die Nothwendigkeit fühlte, daß auch er ein Wort hierzu sagen müsse, so brachte er mit Mühe einige unzusammenhängende Redensarten hervor, und schwieg dann wieder. Es war schon ziemlich spät, als diese Unterhaltung endete, und da der Arzt am andern Morgen in ziemlicher Entfernung einen Kranken zu besuchen hatte, so trennte man sich.
Der Oberst war weit entfernt, in dieser Nacht zu schlafen; seine innere Bewegung war zu heftig. Er glaubte fast gewiß zu sein, daß Lodoiska den Heirathsantrag von sich weisen würde; aber er fürchtete, daß dieses junge Mädchen ihrer Heftigkeit freien Lauf lassen, und einige Worte sagen möchte, die die Ruhe des Hauses stören könnten.
Während er sich diesen Gedanken überließ, glaubte er in dem Zimmer seiner Frau, das sich dicht neben dem seinigen befand, ein leises Geräusch zu hören. Er horchte genau auf, um gewiß zu sein, daß er sich nicht täuschte; da aber das Geräusch anhielt, so fürchtete er, daß Helene unwohl sein möchte. Daher stand er rasch auf, und ging leise auf die Thür des Nebengemaches zu. Er war im Begriff sie zu öffnen, als er plötzlich von einer Hand, die er nicht sahe, einen so heftigen Schlag in’s Gesicht erhielt, daß er auf sein Bett zurückfiel, und einige Minuten fast ohne Besinnung darauf liegen blieb.
Sobald er sich erholt hatte, eilte er zu seinem Degen, zündete mit einem chemischen Feuerzeuge ein Licht an, und untersuchte nun sorgfältig das ganze Zimmer, in der Hoffnung, den kühnen Urheber des höchst unsanften Schlags zu entdecken. Aber alle seine Nachsuchungen waren vergebens. Die äußere Zimmerthür war sorgfältig von innen verschlossen, eben so befanden sich alle Riegel vor den unversehrten Fenstern, und als er in das Zimmer seiner Gattin kam, sahe er, daß sie in einen festen, obgleich ängstlichen Schlaf versunken lag. Auch hier suchte er Alles genau durch, und da er nichts entdeckte, so sahe er sich gezwungen zu glauben, daß seine Phantasie oder die Unruhe seines Blutes ihn getäuscht habe.
Er kehrte in sein Zimmer zurück, wo die anbrechende Morgenröthe ihn noch wachend fand. Der Tag schien vortrefflich zu werden, und um nicht Zeuge der Unterhaltung seiner Frau mit Lodoiska zu sein, entschloß er sich auf die Jagd zu gehen, ehe noch Jemand im Hause aufgestanden war.
Erst zur Frühstückszeit erfuhr Helene, daß ihr Gatte nicht erscheinen würde, und dieß war ihr gewissermaßen lieb, weil sie neugierig war, die Gesinnungen der Fremden über den ihr zu machenden Antrag zu erfahren.
Lodoiska trat in’s Zimmer, sobald die Frühstücksglocke ertönte. Ueber ihr Gesicht war finstere Schwermuth verbreitet; allein sie war nicht so blaß als gewöhnlich; sehr bewegt bedankte sie sich für die Sorgfalt, die man ihr am vorigen Tage erwiesen hatte.
Da Helene das beabsichtigte Gespräch nicht in Juliens Gegenwart anfangen wollte, so wartete sie das Ende der Mahlzeit ab, und befahl dann Lisetten, die Kleine mit sich zu nehmen, und nicht eher wieder hereinzukommen, bis sie gerufen würde. Lodoiska setzte sich gleich darauf an ihren Stickrahmen, und Helene, um nicht in Verlegenheit zu gerathen, nahm ein Buch, in welchem sie aufmerksam zu lesen schien. Nach langem Zögern fing sie endlich das Gespräch folgendermaßen an. —
„Nun, liebe Lodoiska, werden Sie denn immer das beste, aber auch das geheimnißvollste Wesen auf der Welt bleiben? Sollen wir denn nie erfahren, durch welche wichtige Ursachen Sie aus Ihrem Vaterlande entfernt worden sind? Sie sehen mich voll Erstaunen an; sollten meine Fragen Sie beleidigen? Glauben Sie mir, nur meine Theilnahme für Sie hat sie mir eingegeben.“
— Ich glaube es, Frau Oberstin, und ich entschuldige Sie, weil ich Sie kenne; da Sie mir aber bis jetzt Ihr Wohlwollen geschenkt haben, ohne nach meinen näheren Verhältnissen zu forschen, warum sollte ich dieses Vertrauen von Ihrer Seite nicht noch länger verdienen? Habe ich mich seit Kurzem vielleicht in einem unvortheilhafteren Lichte gezeigt? Sollte ich der Verläumdung preisgegeben sein? —
„Von allem Diesem ist durchaus nicht die Rede; aber glauben Sie denn, daß Sie ungestraft so hübsch sein dürfen? Niemand wird sich um die Verhältnisse eines gewöhnlichen Frauenzimmers bekümmern. Man geht an ihr vorüber, ohne sie zu bemerken; aber Sie, Lodoiska, fallen zu sehr in die Augen, als daß man Sie mit Gleichgültigkeit ansehen könnte. Sie setzen ohne Zweifel mehr als ein Herz in Bewegung, von denen einige sich Ihnen nähern möchten, um auch das Ihrige zu rühren; und diese haben einiges Interesse dabei, zu wissen, wer Sie sind, ob Sie noch frei sind, ob keine frühere Verbindung Ihnen im Wege ist; kurz, ob Sie über Ihre Hand verfügen können?“
Ein melancholisches Lächeln ging der Antwort voraus, die Lodoiska hierauf zu geben im Begriff stand. Sie schien einen Augenblick darüber nachzudenken, richtete dann ihren Kopf, den sie über den Stickrahmen gebeugt hatte, in die Höhe, und sagte, Helenen mit einem Blick der vollkommensten Gleichgültigkeit ansehend:
„Wenn es bei der Kenntniß meines Schicksals bloß auf meine jetzige Lage ankommt, so kann ich mich über diese erklären, ohne zu erzählen, was mir früher begegnete. Ich bin frei, völlig frei, und dennoch gehöre ich mir selbst nicht an. Ich habe mein Herz verschenkt, und nicht das Recht, es wieder zurückzufordern; durch ein ganzes Leben bin ich von demjenigen getrennt, den ich bis zum Uebermaß liebe; meine Seele steht unter der Abhängigkeit einer höheren Macht, und ich habe kein Vaterland mehr, ich gehöre der ganzen Erde an. Fragen Sie mich nicht weiter; Sie haben jetzt Alles gehört, was ich Ihnen sagen kann .... suchen Sie es zu vergessen.“
— Ich würde mich ohne Zweifel mit einer solchen Erklärung begnügen, so dunkel sie mir auch ist, aber ich kann Sie versichern, daß Andere nicht damit zufrieden sein werden. Und nun erlauben Sie, daß ich mit Ihnen ein Wort der Vernunft spreche. Sie sind hier weit von Ihrem Vaterlande entfernt, allein und unabhängig; Sie können nicht hoffen, sagen Sie, demjenigen jemals anzugehören, den Ihr Herz ausgewählt hat: was wollen Sie aber dann in einem fremden Lande machen? Wird nicht eine Zeit kommen, wo Sie, unter der Last des Alters gebeugt, das Bedürfniß eines Freundes fühlen werden? Wollen Sie denn vielleicht in Ihr Vaterland zurückkehren? Das Schicksal könnte Ihnen unübersteigliche Hindernisse in den Weg legen. Kurz, Sie werden es dann bereuen, etwas ausgeschlagen zu haben, was Sie jetzt vielleicht verschmähen. —
„Ich fühle es, Frau Oberstin, wie schrecklich meine jetzige Lage für jedes andere Frauenzimmer sein würde, das sich in einem der gewöhnlichen Verhältnisse des menschlichen Lebens befindet. Aber meine Verhältnisse sind ganz besonderer Art! Ich scheine Ihnen verlassen zu sein? Wohl! so glauben Sie, daß ich nicht Ursach habe, mich über meine Zukunft zu beunruhigen; sie ist schon seit mehreren Jahren fest bestimmt, und kann sich nicht mehr ändern. Ich drehe mich um einen Kreis, den ein allmächtiges Wesen mir vorgeschrieben hat, und von dem ich mich nicht entfernen kann. Sie glauben, daß mir eine Stütze, ein Freund nöthig werden möchte? Enttäuschen Sie sich; ich werde nie darein willigen, eine solche Stütze anzunehmen. Sagen Sie demjenigen, der Ihnen aufgetragen hat, mit mir hierüber zu sprechen, er möge alle Hoffnung aufgeben, vorzüglich aber eine Liebe zu unterdrücken suchen, die für ihn gefährlich werden könnte. Der Unverständige! Er weiß nicht, daß Jeder, welcher mich liebt, dem Tode verfallen ist! .... Sie erbeben, Frau Oberstin! Ach, warum ist es mir nicht erlaubt, Ihnen meine traurige Geschichte zu erzählen! Meine Lage würde Ihnen dann den schrecklichsten Abscheu einflößen .... und dennoch — ich nehme Gott zum Zeugen, den ich fürchte — habe ich über keine meiner Handlungen zu erröthen. Sie waren stets übereinstimmend mit der Tugend, und wenn ich mir selbst Böses anthat, so ist mir wenigstens bis dahin kein Vorwurf zu machen. Hören Sie auf, ich beschwöre Sie, weiter in mich zu dringen, und lassen Sie mich in der Hülle meiner Geheimnisse. Ich verlange nichts von den Menschen; gern wünschte ich mir auf der Erde die Ruhe des Grabes, aber sie ist mir versagt!“
Bei diesen Worten drückte Lodoiska ihre ganze Verzweiflung durch einen sonderbaren, fürchterlichen Blick aus, stand von ihrem Stuhle auf, beurlaubte sich bei Helenen, und begab sich in ihr Zimmer.
„Außerordentliches Geschöpf! sagte Helene zu sich selbst, als sie sie fortgehen sahe; unbegreifliches Wesen! Wer ist sie? Was hat sie gethan? Warum kam sie hierher? Ihre Geschichte muß äußerst anziehend sein, und gewiß hat sie den Becher des Unglücks mit vollen Zügen geleert.“
Sie blieb bis zur Rückkehr des Obersten und des Arztes, welche beide zugleich kamen, in das tiefste Nachdenken versunken. „Armer Freund! rief sie dem Letztern entgegen; man giebt Ihnen den Korb, ohne Ihnen die geringste Hoffnung zu lassen. Erlassen Sie mir aber, ich bitte, die weitere Auseinandersetzung meiner Unterhaltung mit der Fremden, und begnügen Sie sich damit, zu wissen, daß sie mir nichts von ihren Schicksalen erzählt hat, und daß Sie nicht glücklich sind.“
Weit entfernt, sich mit diesen Worten zu befriedigen, verlangte Wildenau eine ausführlichere Erklärung, und Helene sträubte sich vergebens: sie mußte Alles genau wieder erzählen, was gesprochen worden war. Es läßt sich denken, mit welcher geheimen Theilnahme der Oberst zuhörte.
„Meine Eigenliebe, sagte endlich der Arzt, ist bei dieser Gelegenheit durchaus unverletzt geblieben; ich sehe ein, daß die Grausame eine Liebe fühlt, welcher nicht Genüge geleistet werden kann. Ohne Zweifel hat sie ihr Vaterland aus beleidigter Liebe verlassen; dieß ist eine zu heftige Maßregel, die ich nicht nachahmen will, und da sie sich weigert, meine Frau zu werden, so bleibe ich wenigstens ihr treuer Freund.“
— Das heißt vernünftig gesprochen! sagte der Oberst, sein langes Stillschweigen brechend. Nur keine Seufzer, glauben Sie mir; stellen Sie sich völlig gleichgültig, und vielleicht gerade, wenn Sie am wenigsten daran denken, werden Sie dieses stolze Herz sich geöffnet sehen. —
Obgleich Wildenau innerlich tief bekümmert war, so wußte er doch sehr gut seinen wahren Zustand zu verbergen; aber er gab seine Liebe noch nicht auf, denn auch er kannte den Werth und Einfluß der Zeit, welche allen Dingen nach und nach eine veränderte Gestalt giebt.
Lodoiska erschien heute nicht zum Mittagessen, indem sie sagen ließ, daß sie unpäßlich sei, und in ihrem Zimmer essen würde. Man glaubte anfangs, daß sie bloß nicht mit dem Arzte zusammentreffen wolle; aber Lisette berichtete, daß sie außerordentlich blaß sei, und in der heftigsten Unruhe zu sein scheine.
Am folgenden Tage, wo Lodoiska sich wieder blicken ließ, schien sie gar nicht mehr an die mit der Oberstin gehabte Unterhaltung zu denken. Wildenau befand sich noch im Schlosse. Sie behandelte ihn wie gewöhnlich, und war vollkommen gleichgültig gegen ihn; allein gegen den Obersten hatte sich ihr Betragen völlig geändert. Sie richtete häufig ihre Blicke auf ihn, mit einem Ausdruck von Unzufriedenheit und selbst Zorn, der ihn beinahe in Schrecken setzte; sie war gegen ihn so trotzend und zu gleicher Zeit vertraulich, daß man leicht ihre frühere Bekanntschaft mit einander errathen haben würde, wenn man nicht überzeugt gewesen wäre, daß der Verstand der Fremden in manchen Augenblicken völlig zerrüttet sei.
Der Oberst, dem die Wahrheit wohl bekannt war, bebte über die Folgen, welche diese üble Laune Lodoiska’s haben könnte. Jemehr sie ihm nach und nach wieder theuer wurde, je lieber hätte er es gesehen, daß man es nicht bemerkte, und vorzüglich fürchtete er, daß eine Unvorsichtigkeit die Eifersucht seiner Frau wecken möchte. Er suchte sich Lodoiska’n verständlich zu machen, indem er sie durch Blicke bat, ihn zu schonen, und ihres Versprechens eingedenk zu sein; aber seine Bemühungen waren vergeblich, und sie fuhr in ihrem Betragen fort. Unterdessen kam ein Eilbote, der den Arzt zu einem Nachbar holte, welchen ein Schlagfluß befallen hatte; zu gleicher Zeit wollte Helene ein Geschäft in ihrem Zimmer besorgen, und die beiden Feinde befanden sich nun allein einander gegenüber.
„Sie erinnern sich also nicht mehr an Ihr mir gegebenes Versprechen?“ sagte Alfred schnell.
— Sie haben ja auch vergessen, daß Sie mir Ihr Herz versprochen hatten! Noch einmal sage ich es Ihnen, betrügerischer Mann, können Sie mir vorwerfen, daß ich meine Schwüre gebrochen? Ich betrage mich gegen Sie, wie es mich gut dünkt; aber dieß ist hier nicht der Ort, uns einander Vorwürfe zu machen. Ich muß Sie sprechen, durchaus allein sprechen. —
„Wann?“
— Heute um Mitternacht. —
„Wo?“
— Im großen Saale; dort wird uns Niemand stören. —
„Was wollen Sie von mir?“
— Sie werden es erfahren. —
„Aber wenn man uns überrascht?“
— Sein Sie ohne Sorgen. —
„Es wird einen üblen Ausgang nehmen.“
— Werden Sie kommen? —
„Ich fürchte ....“
— Zittern Sie, wenn ich vergebens auf Sie warten muß. —
Helenens Rückkehr in’s Zimmer machte dieser Unterhaltung ein Ende, die nur halb laut geführt worden war. Sie kam so plötzlich, daß ihr Gatte in Verlegenheit gerieth, und sie überraschte ihn bei einer Bewegung, die ihr so manche Dinge hätte erklären können, wenn sie nicht in vollkommener Sicherheit gewesen wäre. Lodoiska war seit der Zeit ihres Aufenthalts im Schlosse noch nie so guter Laune gewesen, als heute. Sie vergaß ihre gewöhnliche Schwermuth, ja sie wurde sogar lustig, und es gelang ihr, Helenen ein Lächeln abzugewinnen, das erste seit dem Verluste ihres Sohnes.
Alfred, weit entfernt, Lodoiska’s Frohsinn zu theilen, wurde immer tiefsinniger und trauriger, jemehr sich der Abend näherte. Kaum öffnete er den Mund zum Sprechen; eine ihm unerklärbare Unruhe bewegte sein Inneres, und er wagte es nicht, weder Lodoiska’n noch seine Frau anzublicken. Vorzüglich fürchtete er, bei der bevorstehenden Zusammenkunft mit der Erstern, mitten in der Nacht überrascht zu werden, da hiervon seine ganze häusliche Ruhe abhing.
Endlich begab sich ein Jeder in sein Zimmer. Die Oberstin, die sich seit einiger Zeit über eine allgemeine Schwäche in allen Gliedern beklagte, legte sich zuerst zu Bett, und schickte bald darauf auch Lisetten fort. Der Oberst setzte sich in seinem Zimmer auf einen Lehnstuhl, und erwartete so, völlig angezogen, aber ohne Ungeduld, sondern zitternd, die Mitternachtszeit. Als endlich der letzte Schlag der zwölften Stunde erschallte, stand er seufzend auf, und ging mit leisen Tritten nach dem großen Saale, ohne ein Licht mit sich zu nehmen.
Die undurchdringliche Finsterniß in diesem weiten Saale, die schneidende Kälte, welche durch die schlecht geschlossenen Fensterscheiben eindrang, die Furcht, überrascht zu werden: alles dieß vereinigte sich, um dem Obersten ein solches Beben zu verursachen, wie er noch nie empfunden hatte, selbst als er früher, hundert Feuerschlünden gegenüber, den Tod in der ihm angewiesenen Position erwarten mußte. Aber damals lebte er mit seinem Herzen in Frieden, und sein Gewissen war ruhig; jetzt befand er sich mit sich selbst im Widerspruch. Er war auf den Befehl eines Frauenzimmers hierhergekommen, das zu seinem Glücke nichts mehr beitragen, wohl aber es zerstören konnte. Aber konnte er ihr ungehorsam sein? Mußte er nicht fürchten, daß sie, bei ihrem heftigen Charakter, seine ehemaligen Verhältnisse zu ihr öffentlich bekannt machte? Alfred glaubte, Alles thun zu müssen, um eine fast wahnsinnige Liebende in Schranken zu halten.
Sie ließ nicht lange auf sich warten. Sie trat durch die Thür ein, welche von der Haupttreppe in den Saal führte, mit einem weißen Kleide angethan, und halb in einen großen schwarzen Schleier verhüllt, der ihr das furchtbare Ansehen eines Gespenstes gab, das sie auch durch ihren leblosen Blick, durch die Leichenblässe ihres Gesichts nicht verläugnete. In der Hand trug sie ein Licht, das sie schnell auf den Fußboden setzte, als sie den Obersten erblickte; dann trat sie auf ihn zu, und gab ihm ihre Zufriedenheit über sein pünktliches Erscheinen zu erkennen.
„Ich werde stets gern erscheinen, wenn Lodoiska mich sehen will, vorzüglich seitdem sie mich versichert hat ....“
— Alfred, ich bitte Sie, rufen Sie mir ein Versprechen nicht mehr in’s Gedächtniß zurück, dessen Erfüllung mir zu viel kostet. Wie! soll ich mich denn unaufhörlich verstellen? Soll ich es ruhig mit ansehen, daß Sie alle Mittel aufsuchen, mich von hier zu entfernen, und daß Sie dergleichen Anträge unterstützen, wie man mir gestern mitgetheilt hat? —
„Glauben Sie mir, Lodoiska, daß ich dabei so viel gelitten habe, als Sie selbst, sobald man mich davon in Kenntniß setzte? Ja, es war mir schon unerträglich, es nur zu vermuthen; aber was konnte ich dagegen thun? Schweigen und das Weitere Ihnen überlassen. Ich hoffte .... ich wußte, wollte ich sagen, daß Ihre Antwort verneinend sei, und daß man Sie dann nicht weiter verfolgen würde.“
Ein Strahl von Freude blitzte bei diesen Worten in Lodoiska’s Augen auf.
„Sie hofften, sagen Sie. Ach, warum kann ich meinerseits nicht mehr hoffen! Ich bin die Zeugin eines Glücks, das mir über Alles verhaßt ist, und das ich niemals selbst schmecken werde. Jetzt muß ich mich einem Orte entreißen, der mir unerträglich wird. Ich habe Sie wiedergesehen; mein Unglück ist vollendet, und es bleibt mir nichts mehr übrig, als mich zu entfernen.“
— Sie wollen fort? Lodoiska, bedenken Sie unsere Freundschaft! —
„Unsere Freundschaft! Alfred, ich mache mir nichts daraus, und wenn Sie mir dieselbe auch ganz aufrichtig anbieten, ich nehme sie nicht an. Mein Loos ist gefallen, und ich weiß mich dabei zu erhalten! setzte sie mit einem boshaften Lächeln hinzu. Indem ich Sie durch meine Abreise von meiner Gegenwart befreie, gebe ich Ihnen zugleich Ihre Ruhe zurück. Sie werden nicht mehr zittern, wenn ich mich Ihnen zeige oder mit Ihnen spreche, und von der Liebe zu derjenigen, die Sie mir vorziehen, nicht mehr zerstreut werden.“
— Es steht Ihnen frei, zu bleiben oder abzureisen; ja ich weiß nicht, ob ich selbst Sie nicht zum Letzteren auffordern sollte. Aber sein Sie überzeugt, daß mein Herz Ihre Entfernung nicht wünscht; es würde zufrieden in Ihrer Nähe sein, wenn es Sie nicht mehr zu fürchten hätte, und es fühlt mehr als je, wie verführerisch Sie sind. —
„Nun? Und welchen Platz wollten Sie mir denn neben sich anweisen? Sie antworten nicht; was soll ich daraus schließen?“
— Daß ich höchst verlegen bin; denn was soll ich Ihnen antworten, um Sie zu befriedigen? Die Bande, welche mich an Helenen fesseln sind unauflöslich. —
„Ja unauflöslich, wie alles Uebrige bei den Menschen, bis zum Tode .....“
In dem Tone, mit welchem diese Worte ausgesprochen wurden, lag ein so geheimnißvoller Sinn und ein so boshafter Ausdruck, daß der Oberst schaudernd einen Schritt zurücktrat, und Lodoiska’n erstaunt ansah; allein er bemerkte, daß ihre Augen von der gewöhnlichen außerordentlichen Gleichgültigkeit erfüllt waren, und ihr unbefangenes Wesen stand so sehr in Widerspruch mit dem, was schon der bloße Ton ihrer Stimme ausgedrückt hatte, daß Alfred glauben mußte, er habe sich geirrt. Es folgte ein langes Stillschweigen, wobei der Oberst in’s tiefste Nachdenken versunken war, bis endlich Lodoiska wieder das Wort nahm.
„Sie denken sehr ernsthaft nach, Alfred; beschäftigen Sie sich mit der Vergangenheit oder mit der Zukunft?“
— Nein, nur mit der Gegenwart, die mich in die unbeschreiblichste Verwirrung setzt. —
„Sein Sie nicht böse, wenn ich Ihnen sage, daß ich Ihre Schwäche kenne. Sie sind nicht im Stande, einen bestimmten Entschluß zu fassen, und Sie wissen selbst kaum, was Sie wollen.“
— Ach, Lodoiska, könnten Sie in mein Herz sehen! Aber ich möchte wohl wissen, wie Sie sich benehmen würden, wenn Sie sich in meiner Lage befänden. —
„Nach reiflicher Ueberlegung aller Gründe würde mein Entschluß sehr bald gefaßt sein, und den einmal eingeschlagenen Weg würde ich dann mit Muth und Dreistigkeit betreten.“
— Wenn aber dieser Weg Sie zum Irrthume, oder gar zum Verbrechen führte? —
„Auch dann würde ich ihn verfolgen, denn von allen Uebeln ist das schlimmste die Unschlüssigkeit. Aber haben Sie sich auch recht davon überzeugt, worin eigentlich die Verlegenheit in Ihrer Lage besteht? Wissen Sie denn bestimmt, wo das Böse und wo das Gute anzutreffen ist? Und seit wann ist es Sitte, daß neuere Rechte die ältern verdrängen können?“
— Lodoiska, was würden Sie also von mir fordern? —
„Alles oder Nichts, Alfred! Sie schaudern? O, dann sind Sie nicht würdig mich weiter anzuhören.“
— Wie könnte ich eine Gattin verlassen, der ich durchaus keinen Vorwurf zu machen habe! mich von einem Kinde trennen ..... —
„Alles oder Nichts, ich wiederhole es Ihnen. Worüber können Sie sich beklagen, da Sie völlig freie Wahl haben, und ich Ihnen deutlich zwei Wege zeige, aus Ihrer Verlegenheit zu kommen?“
— Wohl, Lodoiska! Aber so groß auch meine Anhänglichkeit an meine erste Liebe sein mag, so werde ich doch nie meinen Ruf so beflecken, eine tugendhafte Gattin, die ich freiwillig gewählt habe, wieder zu verlassen. —
„Allerdings! das können Sie auch nicht, ohne Ihrem Rufe, Ihrer Ehre zu schaden, die mir theuer sind. Aber wenn man Sie sprechen hört, sollte man glauben, daß diese Gattin unsterblich ist, oder einen Bund mit der Ewigkeit geschlossen hat.“
— Sie flößen mir Entsetzen ein, Lodoiska, und ich will Sie nicht verstanden haben; ja vielleicht verstehen Sie sich selbst nicht. —
Ein schauerliches Lächeln war die Antwort der Fremden, und in ihren Augen las der Oberst völlig klar ihre Gedanken, so daß ihm kein Zweifel mehr übrig bleiben konnte.
„Nein, nein, tausend Mal nein! Nie werde ich mich mit einem Verbrechen besudeln! Grausames Weib, ich verabscheue Sie!“
— Ja, ich weiß es, Sie waren ein geringerer Verbrecher, als Sie mein Herz zerfleischten, als Ihr Betragen, Ihre Briefe meinem Dolche den Weg zeigten. — Bei diesen Worten schlug sie ihren Schleier zurück, und zeigte dem erstarrenden Alfred die offene, noch blutende Wunde, welche mitten in’s Herz ging. — Auch mein Vater, meine Mutter, fuhr sie fort, fanden ihre letzte Zuflucht nur durch den Tod! Nein, damals war Alfred kein Verbrecher, und noch jetzt ist er der unschuldigste, der tugendhafteste der Männer! —
„O, Lodoiska! welche Verzweiflung! Welche schreckliche That haben Sie vollbracht! Wie, Ihr Blut ist geflossen, und Sie legten Hand an sich selbst? Und dadurch haben Sie auch Ihren ehrwürdigen Aeltern das Leben geraubt?“
— Nicht ich, Alfred! Nicht ich, sondern Sie, Sie allein sind an Allem Schuld. Ich war nur das Werkzeug, dessen Sie sich bedienten, eine ganze Familie von der Erde zu vertilgen. Und dennoch werden Sie ruhig schlafen, oder Ihr Schlaf wird bloß durch den Schrecken beunruhigt werden, den ich Ihnen verursache. Auf Wiedersehen! Urheber alles meines Elendes, der Sie meine ewige Verbannung aus dem Himmel verursacht haben! —
„Sie vernichten mich durch Ihre Vorwürfe! Aber wozu wollen Sie verzweifeln? Mein Vergehen war groß; doch ich hoffe Gnade vor Gott zu finden, und Sie, glauben Sie mir, daß Sie noch durch aufrichtige Reue .....“
— Reue! rief die Fremde mit einem lauten schrecklichen Lachen, daß der Saal davon erschallte; Reue giebt es nicht mehr für mich; ich habe sie sammt meinen übrigen menschlichen Empfindungen in meiner Hütte zurückgelassen. Mein Weg ist mir vorgeschrieben, ich kann nichts mehr thun, als ihn genau befolgen! —
Der Oberst erstarrte über diese Worte; aber als er bedachte, welche Vorurtheile Lodoiska in ihrem Vaterlande seit ihrer frühen Jugend eingesogen haben müsse, und daß ihr Unglück ohne Zweifel einen nachtheiligen Einfluß auf ihren Verstand gehabt habe, ward er von zärtlichem Mitleiden ergriffen; er suchte sie zu trösten und zu beruhigen, indem er sich ihr näherte, um die Hand Lodoiska’s zu ergreifen, über welche sie stets einen Handschuh trug. Allein sie errieth den Zweck seiner Bewegung, und trat erschrocken einen Schritt zurück.
„Nein, nein, Alfred! Geben Sie Ihre Versuche auf, mich anderes Sinnes zu machen. Ich wiederhole Ihnen nochmals, daß ich nicht länger hier bleiben kann, und das Schloß mit dem morgenden Tage verlassen muß. Ich habe mein abgebranntes Haus wieder aufbauen lassen, und vorgestern die Nachricht erhalten, daß es zu meiner Aufnahme bereit ist. Fürchten Sie nun nicht mehr, daß ich Ihnen durch meinen Anblick lästig fallen werde.“
— Ich kann die Ausführung Ihres Entschlusses nicht zugeben, Lodoiska. Warten Sie noch einige Zeit, ehe Sie uns verlassen; denn wie können Sie mitten im Winter in ein neu erbautes Haus einziehen? Wissen Sie nicht, wie schädlich die Feuchtigkeit der Mauern auf die Gesundheit wirkt? —
„O, mir schadet sie nichts; denn in einer andern Wohnung fand ich eine weit größere Feuchtigkeit, und doch sehen Sie mich noch hier. Mein Entschluß ist unabänderlich, und Niemand wird mehr an mich denken, wenn ich mich entfernt habe.“
Nach diesen Worten eilte Lodoiska auf ihr Licht zu, nahm es in die Höhe, und ging fort, ohne auf Alfred’s wiederholte und dringende Bitten zu hören. Da er sie verschwunden sahe, kehrte er in sein Zimmer zurück, wo er die Nacht unter den peinlichsten Gedanken schlaflos zubrachte.
Zur Frühstückszeit erschien Lodoiska am folgenden Tage wie gewöhnlich. Ihre ruhige Haltung und die Gleichgültigkeit in ihren Blicken verriethen Helenen im Geringsten nicht, welchen Entschluß sie gefaßt habe, und selbst der Oberst wurde einigermaßen irre an ihr. Nach dem Frühstück setzte sie sich an ihren Stickrahmen, wie sie es immer gethan hatte, und arbeitete mit ungetheilter Aufmerksamkeit. Als der Oberst sich aber aus dem Zimmer entfernte, weil ein Bauer ihn einiger Geschäfte halber zu sprechen verlangte, stand Lodoiska auf, und ging zur Thür hinaus, als wenn sie sich bloß in ihr Zimmer begeben wollte. Da Helene wußte, wie sehr ihr oft die geringsten Fragen lästig waren, so fragte sie auch nicht nach der Ursache ihrer plötzlichen Entfernung, die überdieß nur auf einige Minuten zu geschehen schien.
Eine Stunde ging vorüber, und die Fremde ließ sich noch nicht blicken. Der Oberst bemerkte bei seiner Rückkehr sogleich ihre Abwesenheit, und fragte seine Frau nach ihr.
„Sie hat sich, kurz nachdem du das Zimmer verlassen hast, entfernt, und ich glaubte bloß, daß sie sich Wolle zum Sticken holen wollte; allein jetzt sehe ich ein, daß sie wohl eine andere Absicht haben mußte.“
Der Oberst vermuthete sogleich die Wahrheit, suchte jedoch seine innere Bewegung zu verbergen, und stellte sich völlig gleichgültig. Bald darauf trat der neue Bediente ein, welcher Werners Stelle ersetzte, und übergab der Oberstin einen Brief von Lodoiska.
„Ich muß mich, schrieb dieses unglückliche Mädchen, bei Ihnen über die Art entschuldigen, wie ich mich von ihnen trenne. Ich bin in meine frühere Wohnung zurückgekehrt, und bedaure, Ihnen so viel Last verursacht zu haben; aber die innigste Dankbarkeit erfüllt mich für Ihre mir erwiesene Güte. Warum darf ich Ihnen keinen Beweis von dieser Gesinnung geben! Ein schreckliches Schicksal zwingt mich, stets gegen meinen eigenen Willen zu handeln! Ich habe bei Ihnen die größte Zuvorkommenheit gefunden, und dennoch werde ich ... Verzeihen Sie meinen Wahnsinn .... Ich weiß selbst nicht, was ich will, aber ich traure darüber, daß ich weiß, was ich kann. Gern wäre ich in Ihrem Schlosse geblieben; aber dann hätte ich mich entschließen müssen, öfters einen Mann zu sehen, dessen Zuneigung zu mir mich zwingt, ihn zu meiden. Sie seiner Besuche zu berauben, wäre ungerecht gewesen, und es war also nothwendig, daß ich mich entfernte. Ich befinde mich jetzt wieder in meinem Hause, und habe meinen ganzen Geschmack für die ungestörteste Einsamkeit dahin zurückgebracht; diese werde ich nur dann auf einige Augenblicke verlassen, wenn ich Ihnen, ohne Furcht vor einem unangenehmen Zusammentreffen, persönlich Alles das versichern kann, was ich jetzt nur mit schwachen Worten ausdrücke.“
Unter der Unterschrift, welche bloß aus dem Namen Lodoiska bestand, befanden sich noch einige Höflichkeitsformeln für den Obersten.
„Wahrhaftig, sagte Helene, nachdem sie den Brief mit lauter Stimme vorgelesen, eine sonderbare Art uns zu verlassen. Und wie ist es möglich, daß sie mitten im Winter in ein neu erbautes Haus einziehen kann, bloß um einen Mann zu fliehen, den ein einziges Wort von ihr zurückgehalten haben würde! Wir wollen ihr aber sogleich ihre Sachen schicken, von denen sie ohne Zweifel nichts mitgenommen hat.“
Der Oberst suchte eine Antwort hervorzubringen, welche gleichgültig sein sollte; zu seinem Glücke achtete aber Helene nicht auf ihn, sondern ging, um Lisetten zu klingeln, welche mit der Nachricht eintrat, daß zugleich mit dem Briefe auch ein Wagen angekommen sei, der die Sachen der Fremden abholen sollte. Dadurch fand der Oberst einen Vorwand, sich aus dem Zimmer zu entfernen, um Befehl zum Aufladen dieser Sachen zu geben, in der That aber, um wieder freien Athem zu schöpfen; und während sein Körper sich im Schlosse befand, irrten seine Gedanken in ungeheuren Räumen umher.
Das plötzliche Verschwinden Lodoiska’s aus dem Schlosse gab der Neugierde der Nachbarn neue Nahrung. Herr von Krauthof, der diesem schönen Frauenzimmer nicht gewogen war, verbreitete zuerst die boshaftesten Gerüchte über die Nothwendigkeit dieser schnellen Veränderung der Wohnung, und bald erzählte man sich allgemein in der Umgegend, daß die Eifersucht der Oberstin sie verursacht habe. Glücklicherweise kamen diese Gerüchte den betheiligten Personen nicht selbst zu Ohren; aber der Arzt erfuhr sie ebenfalls, und nahm sie nicht mit völliger Gleichgültigkeit auf. Er erinnerte sich einer Menge Umstände, die er in dem Augenblicke selbst nicht beachtet hatte, die ihm aber jetzt als ein Lichtstrahl zu sein schienen; doch hütete er sich, von seinen Entdeckungen irgend Jemanden etwas mitzutheilen, und zog es vor, sich mit dem Obersten selbst darüber freimüthig zu erklären, sobald er die Gelegenheit dazu finden würde.
Zu dieser Zeit wurden Helenens Gesundheitsumstände immer bedenklicher. Vorzüglich empfand sie eine große Schwierigkeit, Athem zu holen; sie verlor ihre Kräfte, und verfiel allmählich in eine Abzehrung, die sie zum Grabe führen konnte.
Wildenau, der wirklich ein Arzt von großen Verdiensten war, studirte mit der größten Genauigkeit alle Symptome dieser Krankheit, welche dieselbe zu sein schien, wodurch der kleine Wilhelm dem Leben entrissen worden war. Eine außerordentliche Abspannung und Schwäche, ein beständiges Bedürfniß zu essen, ein anhaltender Schweiß; alle Zeichen waren dieselben. Helene ward still und schwermüthig, ohne die Gefahr zu kennen, die ihr drohte; ihren Gatten schien sie mehr als je zu lieben, und dieser war weit entfernt, an ihren nahen Tod zu glauben.
Seit der Flucht Lodoiska’s bemerkte der Oberst mit Schrecken, daß dieses junge Mädchen immer mehr die Oberhand in seinem Herzen gewann, und aus Furcht vor den Folgen dieser zunehmenden Neigung hätte er vor sich selbst fliehen mögen. Bald war er froh darüber, daß Lodoiska sich aus dem Schlosse entfernt hatte, indem er sich schmeichelte, daß dadurch die Ruhe seines Lebens gesichert worden sei; bald seufzte er nach der Rückkehr der Fremden, und es schien ihm, daß das Schloß jetzt nichts als eine große Einöde sei. Oft ging er in das Zimmer, welches sie bewohnt hatte, und bildete sich ein, sie dort wiederzusehen; er setzte sich in ihren Lehnstuhl, oder auf ihr Bett, und wer ihm zugesehen hätte, würde geglaubt haben, daß er wahnsinnig geworden sei.
Oefters führte ihn ein edles Gefühl zu seiner Pflicht zurück, und voller Scham über seine Schwäche, über den ihn entehrenden Wahnsinn, suchte er in Gesellschaft seiner Frau, seiner Tochter, reinere Gedanken zu sammeln. In diesen Augenblicken verschwand das Bild Lodoiska’s allmählich aus seinem Herzen, und die tugendhafte Helene nahm alle ihre Rechte wieder ein; aber leider dauerten diese Augenblicke nicht lange: Lodoiska, mit dem mächtigen Reiz eines Gegenstandes, in dessen Besitz man noch nicht gewesen ist, kehrte siegreich in sein Herz zurück.
Mehrere Tage vergingen, während der Oberst fast beständig unter diesen Kämpfen mit seinem Innern zubrachte, seine Gattin aber immer schwächer wurde. Sie war nicht im Stande, wie sie es wünschte, Lodoiska’n in ihrer neuen Wohnung einen Besuch abzustatten, und diese ließ sich vor Niemandem blicken. Sie begnügte sich damit, sich von Zeit zu Zeit durch einen Bauer nach dem Gesundheitszustande Helenens erkundigen zu lassen.
Wildenau fand sich täglich im Schlosse ein, um der Oberstin seine ganze Kunst zu widmen. Er vervielfältigte seine Fragen, um die erste Ursache ihrer Krankheit kennen zu lernen, aber die Antworten, die er erhielt, waren weit entfernt, ihn zu befriedigen.
„Ich erinnere mich durchaus keines Umstandes, sagte sie, der meinen jetzigen Zustand verursacht haben könnte, und Sie werden sehen, daß ich eben so wie mein Sohn, unter gleichen Umständen, sterben werde.“
— Um Gottes willen! unterbrach sie der Arzt, glauben Sie so etwas nicht! Schon dieser Gedanke allein ist im Stande, Ihren Zustand zu verschlimmern, und überdieß sind Sie weit entfernt von der Krankheit ihres Kindes. —
Helene erwiederte mit einem schwermüthigen Lächeln: „Ich weiß, daß man mich in dieser Hinsicht täuschen will; wenn ich alle meine Gedanken offenbaren wollte, so würde man mich für kindisch halten; allein ich bin überzeugt, daß ich mich nicht irre, und ich weiß am besten, welches Uebel mich peinigt.“
— Diese Worte, erwiederte Wildenau, beweisen, daß Sie uns irgend Etwas verschweigen wollen. Aber das ist nicht gut, es könnte die gefährlichsten Folgen haben. Scheuen Sie sich nicht, uns Ihr Geheimniß zu entdecken, was es auch sei; Sie leiten mich dadurch vielleicht auf die richtige Spur, Ihnen Ihre Gesundheit wiederzugeben. —
Helene weigerte sich lange hartnäckig, die Meinung, welche sie von ihrem Zustande hatte, zu entdecken, bis sich der Oberst mit dem Arzte vereinigte, und sie so dringend bat, daß sie endlich erklärte: sie wolle ihr Geheimniß ihrem Manne mittheilen, aber unter der ausdrücklichen Bedingung, daß dieser es gänzlich für sich behalten wolle. Dieß war zwar nicht das, was Wildenau wünschte, allein er mußte sich darein fügen, und entfernte sich augenblicklich, mit dem Versprechen, morgen wiederzukommen.
Als Helene sich mit ihrem Manne allein befand, verbarg sie ihr Gesicht in ihren Händen, gleichsam aus Furcht, befragt zu werden. Auch Alfred fürchtete, sie zu fragen, weil er glaubte, daß seine Frau vielleicht von seinen früheren Verhältnissen zu Lodoiska Kenntniß erhalten habe, und daß der Kummer darüber die Ursache ihres langsamen Dahinschmachtens sei. Indessen mußte er sich doch endlich entschließen, das Wort zu nehmen, und er fragte daher Helenen, ob sie ihm nun ihr Geheimniß anvertrauen wolle.
„Ach Alfred! wie kann ich mich entschließen, dir meine Gedanken mitzutheilen? Was wirst du von mir denken, wenn du erst meinen Wahnsinn kennst?“
— Wie so, liebe Helene? Ich hoffe doch nicht, daß du an meiner Liebe zu dir zweifelst? —
„Nein, Alfred, warum sollte ich dieß thun? Es ist keinesweges bei meinen Träumereien von ähnlichen Gegenständen die Rede, sondern ich werde von einer schrecklichen Erscheinung verfolgt ..... O, wie lächerlich werde ich dir vorkommen!“
— Nein, nein, Helene! fürchte nichts, sagte der Oberst mit der äußersten Zufriedenheit, da er gewiß war, daß sie gegen ihn keinen Verdacht geschöpft habe. —
„Nun wohlan! Sei es nun Schwäche, oder Aberglauben, oder irgend eine andere Ursache, genug, es scheint mir, als wenn ich alle Nächte von einem schrecklichen Ungeheuer verfolgt werde, das sich über mich hinlegt, mit seinem häßlichen stinkenden Munde den meinigen berührt, und mir so das Blut aus den Adern saugt. Kurz, ich werde von einem Vampyre gequält. Glaube es mir sicher, derselbe Dämon hat schon den Tod unseres Sohnes, so wie einer jungen Bäuerin aus dem Dorfe verursacht, obgleich bei der letztern auf eine plötzliche und gewaltsame Weise.“
— Sprichst du wirklich im Ernst, Helene? Suchst du nicht vielleicht mit mir durch eine solche Entdeckung zu scherzen? —
„Ich wußte es wohl, daß du über mich spotten würdest; allein dem sei, wie ihm wolle, ich habe die schreckliche Gewißheit von meinen nächtlichen Qualen. Es ist nicht eben ein bloßer Traum, der alle Nächte wiederkehrt; nein, der Schmerz, den ich empfinde, das Gewicht des Wesens, das mich fast erdrückt, entreißt mich meinem Schlafe. Aber eine höhere Macht hemmt alle meine Bewegungen, schließt mir die Augenlieder, und überwältigt meine Anstrengungen, mich von meinem Verfolger loszumachen. Vergebens suche ich zu schreien, die Töne ersterben in meiner Brust; ich fühle die auf mir liegende Last und das Verschwinden meines Blutes aus den Adern.“
— Du setzest mich in Erstaunen, Helene, und ich weiß nicht mehr, was ich dir antworten soll. Fühlst du nicht, daß du bloß das Spiel einer traurigen Täuschung bist, die nur durch deine Krankheit verursacht wird, die sie verschlimmert, aber nicht hervorbringt? Ich will nicht versuchen, dir die Unmöglichkeit zu beweisen, daß ein solches Wesen, wie du es fürchtest, existiren kann; nie wird die Vorsehung erlauben, daß die Gesetze der Natur auf eine so schreckliche Weise verletzt werden. Aber du hast Zerstreuung nöthig; unser jetziger Aufenthalt taugt nicht mehr für uns, und mit dem morgenden Tage wollen wir nach Prag reisen, um dort deine völlige Genesung abzuwarten. —
„Nein, Alfred, ich kann nicht einwilligen, dieses Schloß zu verlassen. Ich bitte dich, hier zu bleiben, weil eine allzutheure Ursache mich hier fesselt.“
— Diese Ursache kann dir nur traurige Erinnerungen bringen. Wenn du willst, so wollen wir nach Dresden, deiner Vaterstadt, reisen, oder wohin du sonst wünschest. Aber der Anblick neuer Gegenstände muß dich diejenigen vergessen machen, die deine Schwermuth verursacht haben. —
„Ich will mich nicht von hier entfernen, weil ich sonst nicht neben dem Grabe meines armen Wilhelm würde ruhen können.“
Diese rührende Antwort, mit einem Strom von Thränen begleitet, drohte Alfreds Herz zu brechen. Er vermischte seine Thränen mit denen seiner Frau, aber gab dessenungeachtet ihren Wünschen nicht nach, sondern stellte ihr die wichtigsten Gründe vor, um sie zur Veränderung ihres Aufenthalts zu überreden. Nach vielen Bitten mußte sie endlich nachgeben, und sie ertheilte ihre Einwilligung zu einem vierzehntägigen Aufenthalte in Prag.
Als Helene am andern Morgen die Anstalten zur Abreise sahe, schien ihr Versprechen ihr wieder leid zu werden, und sie bat ihren Mann, seinen Entschluß aufzugeben. Allein ihre Bitten waren vergebens; der Oberst blieb fest bei seinem Willen. Vor der Abreise schrieb Helene noch einige Zeilen an Lodoiska, um sie zu benachrichtigen, daß sie auf vierzehn Tage mit ihrem Gatten und ihrer Tochter nach Prag reisen würde; zugleich sprach sie den Wunsch aus, wie angenehm es ihr sein würde, einen Besuch von ihr in dieser Stadt zu erhalten, weßhalb auch ein Zimmer für sie in der Wohnung, die man wählen würde, bereit gehalten werden sollte.
Wildenau, der durch einen Boten herbeigeholt worden war, kam in dem Augenblicke an, wo die Familie sich in den Wagen setzen wollte. Kaum hatte der Oberst, ihn bei Seite nehmend, noch Zeit genug, ihm im Allgemeinen zu sagen, daß die Einbildungskraft seiner Frau durch schreckliche Vorstellungen angegriffen werde, weßhalb er es für nöthig gehalten habe, sie zu zerstreuen, und sie zu diesem Zwecke mitten in den Tumult einer großen Stadt zu führen. Der Arzt konnte diesen Plan nur billigen, und er versprach, die Familie in der Stadt öfters zu besuchen.
Der Wagen, mit vier raschen Pferden bespannt, eilte pfeilschnell auf der Landstraße, die nach der Stadt führte, fort, und nach zwei Stunden befand sich die Familie bereits in Prag, im Gasthofe zum Kaiser. Sie trat hier so lange ab, bis gegen Abend der Oberst, welcher die ganze Stadt durchlaufen hatte, zurückkehrte, mit der Nachricht, eine sehr bequeme Wohnung, ganz wie er sie wünschte, gefunden zu haben. Noch in dieser Nacht schlief die Familie in ihrer neuen Behausung, wo der Oberst sein Bett in das Schlafzimmer seiner Frau hatte setzen lassen.
„Du siehst nun, sagte er lächelnd zu ihr, was ich für Anstalten zu deiner Beschützung gemacht habe; ich bin hier mit Degen und Pistolen, um den Dämon mit Vortheil zu bekämpfen. Doch hoffe ich, nicht wirklich mit ihm ins Handgemenge zu gerathen, weil er uns wahrscheinlich nicht bis hierher folgen wird; denn die Gespenster und bösen Geister haben nur selten Erlaubniß in großen Städten umherzuwandeln; nur in den alten Schlössern vermögen sie zu spuken.“
Es war Alles vergebens, Helenen aufzuheitern; sie blieb stets schweigend und tiefsinnig, denn das Uebel, von welchem sie befallen war, hatte schon zu große Fortschritte gemacht. Sie legte sich zeitig schlafen, während ihr Mann noch lange wachte; aber als auch er endlich das Bett suchte, erstaunte er über die außerordentliche Müdigkeit, die ihn befiel, und kaum hatte er sich niedergelegt, so schloß der Schlummer seine Augen. Mit anbrechendem Tage erwachte er wieder, und da er hörte, daß seine Frau sich im Bette umwendete, um eine andere Lage zu suchen, fragte er sie, wie sie die Nacht zugebracht habe?
„Ganz so wie gewöhnlich, antwortete sie; meinen Aufenthalt habe ich verändert, aber meine Marter ist geblieben. Fahre immer fort zu lächeln; der Vampyr hat mich dessen ungeachtet nicht verlassen, ja er hat sich heute schrecklicher und blutgieriger als sonst gezeigt.“
Diese Antwort war für Alfred äußerst niederschlagend; denn da er an die Wirklichkeit ihrer Träume nicht glauben konnte, so mußte er annehmen, daß wohl gar ihr Verstand angefangen habe zu leiden. Er beschloß daher, sie auf alle Weise zu zerstreuen, sie in Gesellschaften, in’s Theater zu führen, und noch an demselben Morgen beredete er sie, sich mit ihm in den Wagen zu setzen, um in der Stadt umher zu fahren, und die Merkwürdigkeiten derselben zu besehen.
Helene ward wider ihren Willen durch die Menge und Verschiedenheit der Dinge, die sie zu sehen bekam, belustigt, und schien beim Mittagessen, wo sie mit vielem Appetit aß, sich sehr wohl zu befinden. Der Oberst sah sogar auf ihren blassen Wangen einen Anschein von Farbe, und fühlte sich von neuer Hoffnung erfüllt. Ganz seiner Pflicht lebend, entfernte er jeden Gedanken von sich, der ihm verbrecherisch scheinen konnte, und suchte die Erinnerung an Lodoiska völlig aus seinem Herzen zu verbannen.
Die Nacht kam heran. Um einen Versuch zu machen, ob seine Frau dadurch mehr ermuthigt werden könnte, bat er sie um Erlaubniß, sich neben ihr ins Bett zu legen, und Helene willigte ein. Er versprach ihr, so lange als möglich wach zu bleiben, um durch seine Gegenwart das gefürchtete Ungeheuer abzuhalten; aber er hatte sein Wort allzuverwegen gegeben. Es dauerte nicht lange, so befiel ihn der Schlaf mit solcher Gewalt, daß er vergebens dagegen kämpfte, und wider seinen Willen die Augen schloß.
Als er wieder erwachte, fühlte er auf der Stelle seines Herzens einen lebhaften Schmerz, und als er mit der Hand dahin tastete, wurde derselbe noch stärker. Er wendete sich gegen die neben dem Bett stehende Nachtlampe, und sein Erstaunen übertraf jede Vorstellung, als er auf seiner Haut den Abdruck von fünf Fingern, in gelben und schwärzlichen Flecken, erblickte! Er urtheilte sogleich, daß Helenens Hand diesen Druck hervorgebracht habe, aber schloß auch daraus, daß sein Schlaf außerordentlich fest gewesen sein müsse, weil er nichts davon gefühlt hatte.
Helene erwachte bald darauf ebenfalls; ihr Stillschweigen sagte hinreichend, daß ihr Zustand in dieser Nacht nicht besser gewesen sei, als sonst, und es war also dringender als je, ernstlich an ihrer Genesung zu arbeiten. Der Oberst fuhr heute wieder vor Tische mit Helenen spazieren, und benutzte diese Gelegenheit, zugleich dem berühmtesten Arzte in der Stadt seine Aufwartung zu machen. Er bat denselben dringend, Alles zur Herstellung seiner Frau anzuwenden, was der Arzt auch versprach; aber indem er diesen Trost gab, hatte er schon gesehen, daß Helenens Lebenskräfte auf dem Punkt waren, zu erlöschen.
Am folgenden Morgen war die Oberstin so schwach, daß sie nicht im Stande war, das Zimmer zu verlassen; sie empfing den Besuch Wildenau’s, der bloß nach Prag gekommen war, um einen Tag mit der Familie zu verleben; aber der erste Blick überzeugte ihn schon, daß die Kranke von einem Augenblicke zum andern in ein anderes Leben hinüberschlummern könne.
Bald darauf trat sein geschickter Amtsbruder ein, und beide beobachteten nun lange Zeit die Symptome des Uebels, das mit so fürchterlicher Schnelle wuchs; ihr Urtheil fiel völlig gleich aus. Sie sahen, daß die Oberstin höchstens noch eine Woche lang leben konnte, und hielten es für angemessen, ihren Gatten von dem ihm bevorstehenden Verluste in Kenntniß zu setzen.
Dieser unangenehme Auftrag mußte natürlich auf Wildenau fallen, weil derselbe mit dem Obersten schon länger in freundschaftlichen Verhältnissen stand; er bat ihn also einige Augenblicke mit ihm allein sein zu dürfen, und machte ihn nun mit der schrecklichen Wahrheit bekannt. Der Oberst überließ sich seinem aufrichtigen Schmerze; er wollte anfangs an der Wahrscheinlichkeit der ärztlichen Behauptung zweifeln, und auf dem Punkt, von seiner Gattin getrennt zu werden, fühlte er seine frühere Liebe zu ihr sich in ihrer ganzen Kraft erneuen. Es schien ihm grausam, Helenen von ihrem bevorstehenden Ende in Kenntniß zu setzen, und da er nicht wußte, wozu er sich entschließen sollte, kehrte er mit dem Arzte in Helenens Zimmer zurück, wo er sich dergestalt setzte, daß seine Frau ihn und seinen Kummer nicht sehen konnte.
Die Oberstin fragte den Arzt mit schwacher Stimme, ob er Lodoiska gesehen, oder Nachricht von ihr habe?
„Sie zu sehen, Frau Oberstin, antwortete Wildenau, ist unmöglich, denn sie kommt nie aus ihrem Hause, das beständig verschlossen ist. Können Sie wohl glauben, daß Herr von Krauthof den Muth gehabt hat, sich abermals bei ihr zu zeigen, ungeachtet der früher gemachten üblen Erfahrung?“
— Er ist also bei seinem zweiten Versuche nicht glücklicher gewesen? —
„Der Ausgang war ganz derselbe, wie das erste Mal, und er ist nun so entmuthigt, daß er geschworen hat, nie wieder einen Fuß in die Nähe des Hauses zu setzen.“
— So sind wir doch glücklicher gewesen, fuhr Helene fort, denn sie hat sich öfters sehr artig nach uns erkundigt. Das sonderbare Wesen! Was führt sie bei ihrer Jugend und Schönheit für eine Lebensart! Dabei bleibt sie stets kalt und gleichgültig, und erscheint mehr als eine Maschine, deren Räderwerk in Bewegung gesetzt worden ist, als wie ein menschliches Geschöpf. Indessen kann ich mir nicht erklären, welche Gewalt sie über mich erlangt hat. Seitdem wir von einander getrennt sind, vermisse ich sie beständig, und es scheint mir, als wenn ich sie in den letzten Stunden meines Lebens bei mir haben müßte; auch wünschte ich ihr nach meinem Tode die Aufsicht über meine Tochter anzuvertrauen. —
Diese mit schwacher Stimme ausgesprochenen Worte setzten die beiden Zuhörer in Schrecken. Der Oberst sprang heftig vom Stuhle auf, ergriff Helenens Hand, und stammelte einige Worte des Trostes und der Hoffnung. Wildenau, der mehr an dergleichen Szenen gewöhnt war, benutzte diese Gelegenheit, um die Oberstin aufzufordern, einen Geistlichen kommen zu lassen.
„Sie thun sich großen Schaden, Frau Oberstin, sagte er, daß Sie sich mit so düsteren Gedanken quälen. Ich wünschte, daß Sie Zutrauen genug in mich setzten, um mir die Mittel zu erleichtern, Ihren Gesundheitszustand zu verbessern; da Sie mir dieß aber verweigern, warum fragen Sie nicht einen jener frommen Geistlichen um Rath, die gewohnt sind, an dem Bette der Leidenden Trost zu ertheilen? Vielleicht würde dieß Ihrem Zustande am zuträglichsten sein.“
Ein schmerzliches Lächeln ging der Antwort Helenens vorher. „Sie kommen meinen Wünschen zuvor, sagte sie; ich war schon im Begriff, meinen Mann zu bitten, daß er einen Geistlichen kommen ließe. Zugleich komme ich aber auf meinen vorher erwähnten Wunsch zurück: ich sehne mich, die junge Fremde wiederzusehen, und sie einige Zeit bei mir zu haben.“
Der Ton, womit dieser Wunsch ausgedrückt wurde, bewies, wie sehr Helene an dessen Erfüllung hing, und die beiden Zuhörer wurden davon überrascht, am meisten aber der Oberst, der die Gefahr fühlte, welche für ihn aus Lodoiska’s Gegenwart entstehen mußte. Allein er wußte nicht, wie er diesem Wunsche seiner sterbenden Frau ausweichen sollte, und seine Verlegenheit hinderte ihn anfangs, eine Antwort zu geben. Helene, über sein Stillschweigen verwundert, fragte ihn daher, ob ihr Verlangen tadelnswürdig sei, und ob der Erfüllung desselben große Hindernisse entgegenständen?
Diese Frage weckte den Obersten aus seinen Träumereien, und er antwortete, daß er sich nur deßhalb nicht gleich erklärt habe, weil er fürchtete, daß die seltsame Fremde die Bitte abschlagen würde. „Da du aber auf ihrer Gegenwart bestehst, fuhr er fort, so versuche, ihr einige Zeilen zu schreiben, denen ich meine Bitten noch hinzufügen werde, und unser Bediente soll augenblicklich mit unserm Wagen nach R**** fahren. Ich hoffe dann, daß er sie mitbringen wird.“
Helene versuchte, den verlangten Brief zu schreiben, wozu sie fast eine Stunde gebrauchte. Der Oberst setzte dann folgende Worte hinzu:
„Ja, Madame, wir bitten Sie um die gütige Erfüllung unserer Wünsche. Wie strenge auch Ihre früheren Entschlüsse sein mögen, Sie dürfen sich jetzt dem Verlangen meiner Frau nicht weigern, die Ihre Gegenwart so sehnlich wünscht. Kehren Sie daher in unsere Gesellschaft zurück, ich wiederhole Ihnen nochmals meine Bitte; geben Sie uns diesen Beweis Ihres Wohlwollens.“
Während der Oberst schrieb, war Wildenau, der Prag genau kannte, fortgegangen, um einen Geistlichen herbeizuholen, der die Oberstin auf dem ihr noch übrigen kurzen Lebenswege geleiten und trösten möchte. Es gelang ihm, einen der würdigsten ausfindig zu machen, der ihm versprach, am folgenden Morgen sich einzufinden, worauf der Arzt zu seinen Freunden zurückkehrte. Da seine Geschäfte ihn auf das Land zurückriefen, so nahm er bald darauf von dem Obersten und dessen Frau den rührendsten Abschied.
Es war acht Uhr des Abends, als der Wagen, welcher um Mittag abgefahren war, vor dem Hause still hielt. Bei dem dadurch verursachten Geräusch erbebte der Oberst; er nahm rasch ein Licht, und eilte die Treppe hinab, weniger um der Fremden entgegenzugehen, wenn sie wirklich angekommen wäre, als um seine innere heftige Bewegung vor seiner Frau zu verbergen.
Als er auf den Hausflur gelangte, sahe er eine weibliche Gestalt, in einen großen schwarzen Shawl verhüllt, ernsten, langsamen Schrittes auf sich zukommen, so daß er sich über ihren Anblick überrascht fühlte, als wenn er eine übernatürliche Erscheinung gesehen hätte. Aber wie sehr vermehrte sich seine Verwirrung, sobald er beim Scheine des Lichts die Leichenblässe auf Lodoiska’s Gesichte wahrnahm. Sie schien ein Gespenst zu sein, so stier waren ihre Augen, so eingefallen ihre Wangen; man mußte glauben, daß sie dem Grabe hundert Mal näher sei, als die Oberstin, welche stündlich ihrem Ende entgegen sahe.
Der Oberst, voll Entsetzen über diesen Anblick, konnte kein Wort hervorbringen, um die Forderungen, welche Höflichkeit und Anstand an ihn machten, zu erfüllen. Unbeweglich stand er da, und betrachtete die Zerstörungen, welche ein so kurzer Zeitraum in den Gesichtszügen Lodoiska’s hervorgebracht hatte. Diese bemerkte sein Erstaunen, und mit einem wilden Lachen hob sie an:
„Hier bin ich! Sie haben mich gerufen. Schmeicheln Sie sich aber nicht, mich nun wieder zur Entfernung zu zwingen, wenn Sie es wünschen werden.“
Glücklicherweise wurden diese lebhaft ausgesprochenen Worte von Niemanden weiter gehört. Er erschrak über den Sinn derselben, suchte sich jedoch zu fassen, und antwortete ihr mit einem Anschein von Galanterie, wofür sie ihm einen fürchterlichen Blick zuwarf. —
Als Beide in das Zimmer der Oberstin traten, brach diese beim Anblick der Fremden, die so krank zu sein schien, wie sie selbst, in Thränen aus, und reichte ihr freundschaftlich die Hand entgegen.
„Ach, wie gut sind Sie, meine Bitte erfüllt zu haben! Aber Sie selbst scheinen der Hülfe eines Arztes zu bedürfen. Warum kamen Sie nicht früher nach der Stadt?“
— Mein äußeres Ansehen, erwiederte die Fremde, setzt Sie in Irrthum. Meine Gesundheitsumstände sind dieselben, wie vor einem oder zwei Monaten, und es ist schwer, mich besser oder schlechter zu befinden. Wenn Ihnen meine Züge entstellt erscheinen, die Blässe meines Gesichts Sie erschreckt, so setzen Sie dieß auf Rechnung der Verwirrung, in die ich durch Ihren Brief und den darin enthaltenen Befehl gerathen bin. Sie wissen, wie nothwendig mir die Einsamkeit ist, und ich habe mich nur schwer ihr entreißen können; aber, wenn man mich auf eine gewisse Art bittet, so habe ich nicht das Recht, mich zu weigern. Sie wollen mich haben, und ich bin hier; glauben Sie, durch mich den nöthigen Beistand zu finden? —
Diese eben nicht höfliche Rede machte einen unangenehmen Eindruck auf Helenen, die den wahren Sinn derselben nicht errathen konnte. Nach einigem Nachdenken fiel ihr indessen der seltsame Charakter der Fremden ein, und daß man bei ihr nichts beleidigend finden müsse, weil ihr Betragen ganz abweichend von allen übrigen Menschen war. Helene bedurfte der Gesellschaft, und hatte sich an Lodoiska gewöhnt; konnte sie sich also über deren Sonderbarkeit beklagen?
Ungeachtet ihrer anscheinend übeln Laune liebkosete Lodoiska doch die kleine Julie, welche kam, um ihr gute Nacht zu wünschen. Sie nahm das Kind mit so vieler Zärtlichkeit in ihre Arme, daß sie sich dadurch die Gewogenheit der Mutter in einem Augenblicke wieder erwarb. Der Oberst stand dabei, in Träumereien versunken, unfähig ein Wort hervorzubringen; er wagte es nicht, weder seine Frau noch Lodoiska anzusehen, und die Zukunft stellte sich ihm in einem schauerlichen Dunkel dar.
Am andern Morgen erklärte die Oberstin, daß sie heute eine schrecklichere Nacht als je gehabt habe. Dieß war auch leicht an dem matten und schmerzhaften Ausdrucke ihres abgemagerten Gesichts zu sehen; es war augenscheinlich, daß ihre Schwäche mit jeder Minute zunahm, und daß ihr Leben vielleicht bald entfliehen würde. Da der erwartete Geistliche sich noch immer nicht blicken ließ, obgleich es schon nach neun Uhr des Morgens war, so gerieth Helene darüber in Unruhe; bald darauf meldete indessen Lisette seine Ankunft an. Der Oberst ging ins Nebenzimmer, um ihn zu empfangen; aber Lodoiska stieß einen Schrei des Entsetzens aus, und floh eilig in das ihr angewiesene Zimmer.
Die tröstende Ueberredungskraft des würdigen Geistlichen, der Helenen neben der Aussicht auf ein künftiges, besseres Leben auch die Hoffnung zu ihrer Genesung zeigte, machte einen so guten Eindruck auf sie, daß sie sich ruhiger fühlte, als der Prediger sie verließ; er versprach ihr, am Abend und, wenn sie es wünsche, auch am folgenden Morgen wiederzukommen.
Nach seiner Entfernung kehrte der Oberst ins Zimmer seiner Frau zurück, wo auch bald darauf der Arzt erschien, welchen man in Prag angenommen hatte. Dieser fand sie nicht schwächer, als bei seinem letzten Besuche, und verschrieb ihr einen stärkenden Trank, wovon er sich die beste Wirkung versprach. Da der Oberst bemerkte, daß Lodoiska noch nicht wieder gegenwärtig war, begab er sich nach ihrem Zimmer, und klopfte leise an die Thür.
„Wer ist da? sagte Lodoiska; was soll ich?“
— Ich wollte Sie bitten, zu meiner Frau zurückzukehren. —
„Ist sie allein? Ist er nicht mehr da, der furchtbare Mann, dessen Anblick ich nicht mehr ertragen kann?“
Mit diesen Worten öffnete sie die Thür.
„Aber von wem sprechen Sie denn?“ fragte der Oberst.
— Von wem ich spreche? Von dem Geistlichen! Seitdem ich mein Vaterland verlassen habe, ist es mir unmöglich, in der Gegenwart von seines Gleichen auszuhalten; denn ich bin auf ewig von ihnen geschieden. —
Gerührt von dem Aberglauben dieser Unglücklichen, den er ihrem Versuche zuschrieb, sich das Leben zu nehmen, setzte der Oberst dieses Gespräch nicht fort, und sagte nur noch, daß kein Fremder im Zimmer sei.
„Dann will ich Ihnen folgen, fuhr Lodoiska fort; aber versprechen Sie mir, Alfred, wenn Sie nicht Zeuge des schrecklichsten Auftritts sein wollen, mich vor jedem Zusammentreffen mit einem Geistlichen zu bewahren. Ach, dieß ist wahrlich das Geringste, was Sie für mich thun können!“
Voller Mitleiden versprach der Oberst, was sie wünschte, und kehrte dann mit ihr zu Helenen zurück, die schon nach ihrem Anblick verlangte.
„Der Arzt, sagte sie, hat mir so eben neue Hoffnung zu meiner Genesung gemacht, und ich würde mich selbst über meinen Zustand täuschen, so lange es Tag ist; aber die schreckliche Nacht ist die gewisse Ursache meines Todes. (Lodoiska bebte unwillkührlich zusammen). Ich weiß am besten, daß es mit meinem Leben bald zu Ende sein wird; vorher aber habe ich noch einige Bitten, deren Erfüllung allein mich mit Ruhe sterben lassen kann.“
— Ach, theure Helene! rief der Oberst lebhaft, ohne sich durch Lodoiska’s Gegenwart stören zu lassen; gieb dich doch nicht so schwarzen Gedanken hin. Du wirst noch lange zum Glück deiner Familie leben, und deine Wünsche selbst erfüllen können. —
„Der eine meiner Wünsche, lieber Alfred, kann nicht durch mich selbst erfüllt werden, weil er mein Begräbniß betrifft. Ich will nach meinem Tode neben meinem Sohne, auf dem Kirchhofe zu R...., ruhen; jede andere Erde würde mir fremd sein, und nur dort soll man mich begraben.“
Seufzer und aufrichtige Thränen verhinderten den Obersten, zu antworten; aber er drückte die Hand seiner Frau in die seinigen, und gab ihr durch dieses stumme Zeugniß die Versicherung, daß er sich in ihren Willen füge. Sie bestand also nicht weiter darauf, und wandte sich nun an Lodoiska, die leichenblaß und mit stierem Blicke schweigend da saß.
— Was Sie betrifft, meine Freundin, fuhr die Oberstin fort, so bitte ich Sie, auf einige Zeit die Obhut über meine Tochter zu übernehmen. Sie haben sie bisher immer mit Zuneigung behandelt, und ich nehme daher die süße Ueberzeugung mit ins Grab, daß Sie ihr eine zweite Mutter sein werden, bis Ihre Angelegenheiten Sie aus dieser Gegend abrufen. —
Lodoiska stieß bei diesen Worten ein lautes, unbeschreibliches Angstgeschrei aus. Ihr Gesicht mit beiden Händen bedeckend, sank sie in den Lehnstuhl zurück, auf welchem sie saß, und schien einem lebhaften Schmerze zu erliegen, ohne eine Antwort ertheilen zu können. Auch der Oberst erstarrte, als er hörte, daß seine Frau ihrer heimlichen Nebenbuhlerin empfahl, ihre Stelle zu vertreten; und er wagte es nicht, Lodoiska’n zu Hülfe zu eilen, aus Furcht, seine Gefühle zu verrathen.
Da die Fremde immer noch schwieg, so glaubte Helene, ihre Bitte wiederholen zu müssen. Jetzt stand Lodoiska schnell auf, richtete ihre dunkelflammenden Augen gen Himmel, und rief: „Du willst es, allmächtige Vorsehung! Wie könnte ich mich gegen deinen Willen sträuben! Ja, ich nehme es an, was du mir durch diese Unglückliche befiehlst; ja, ich will die Wärterin ihrer Tochter sein bis an ihren Tod!“
Der bittere Ton, mit welchem Lodoiska diese Worte aussprach, war für die arme Helene gleichsam ein Dolchstoß in’s Herz; doch wagte sie nicht, ihre Gefühle zu erkennen zu geben, und sagte nur: „Verlassen Sie wenigstens meine Tochter nicht eher, als bis Sie sie dem Gatten überliefern können, den ihr Vater für sie wählen wird.“
Ein verächtliches Lächeln war der Fremden ganze Antwort, und bald darauf entfernte sie sich aus dem Zimmer.
Fünf oder sechs Tage vergingen, während welcher Helene immer schwächer wurde. Vergebens verschwendete man an ihr alle Mittel der Arzneikunst: sie vermochten nichts gegen die fürchterliche, geheime Ursache, welche allmählich ihren Tod herbeiführte. Jede Nacht wachte der Oberst bei ihr in Gesellschaft einer an dergleichen Dienst gewöhnten Frau; aber durch ein seltsames Zusammentreffen verfielen Beide in jeder Nacht zu derselben Zeit in einen festen, todtenähnlichen Schlaf. Jeden Morgen beklagte sich Helene über ihre außerordentliche Erschöpfung, und im Geheimen bei ihrem Gatten über den unersättlichen Dämon, der ihr das Blut tropfenweis aussaugte. Alfred wußte am Ende hierauf nichts zu antworten, weil er glaubte, daß ihr Verstand immer mehr durch nächtliche Phantasien zerrüttet würde.
Während dieser ganzen Zeit gab Lodoiska ihrem ehemaligen Liebhaber weder durch ein Wort noch durch einen Blick ihre geheimen Empfindungen zu erkennen; sie betrug sich gegen ihn, als wenn sie ihn nie gekannt hätte. Für Helenen zeigte sie jetzt während des Tages die größte Sorgfalt; aber mit Anbruch der Nacht begab sie sich in ihr Zimmer, das sie des Morgens erst spät wieder verließ.
Wildenau, der Freund der Familie, kam von Zeit zu Zeit nach Prag; er belästigte die spröde Lodoiska durchaus nicht mit seinen Seufzern, sondern schenkte seine ganze Aufmerksamkeit der Krankheit Helenens, deren Tod er bei seinem Besuche in der nächsten Nacht vorhersagte. Wirklich wurde auch sein Urtheil bestätigt; denn mit dem Anbruch des Tages war der letzte Hauch ihres Lebens aus ihrem Körper entflohen.
Wir versuchen es nicht, den Schmerz zu beschreiben, welchem der Oberst sich ergab; zu verschiedenen Malen mußte ihn Wildenau mit Gewalt von dem Leichname Helenens fortführen. Lodoiska ließ sich den ganzen Tag über nirgends blicken, so daß endlich der Arzt das Recht zu haben glaubte, sich gegen Abend nach ihrem Zimmer zu begeben, weil er fürchtete, daß auch sie der Hülfe bedürftig sein könnte. Nachdem er an die Thür geklopft hatte, erhielt er die Einladung einzutreten.
Lodoiska, den Kopf auf einen Tisch gestützt, saß in ihrem Lehnstuhle, ganz in ihren schwarzen Schleier verhüllt. Sie hörte den Worten Wildenau’s zu, ohne ihn anzusehen, und antwortete ihm mit schwachem, aber ruhigem Tone, daß sie keiner Hülfe bedürfe, daß sie aber nach dem Tode ihrer Freundin ihre Einsamkeit nicht verlassen wolle. Uebrigens würde sie ihr gegebenes Versprechen erfüllen, und sich daher morgen ganz allein nach dem Schlosse R.... begeben, wo sie die Ankunft des ihrer Obhut anvertrauten Kindes erwarte.
Wildenau, der auf eine ganz andere Antwort gefaßt war, indem er glaubte, daß Lodoiska doch wenigstens dem Leichenbegängniß der Oberstin beiwohnen werde, behielt seine Gedanken hierüber bei sich, und fragte nur, ob man ihr einen Wagen zur Reise bestellen solle?
„Ich danke Ihnen, erwiederte Lodoiska, immer noch ohne ihn anzusehen; ich selbst habe schon deßhalb die nöthigen Maßregeln getroffen. Ich werde ganz früh abreisen, weil es mir unmöglich ist, dem traurigen Leichenbegängniß beizuwohnen.“
Sie schwieg. Ihre fortwährende Unbeweglichkeit veranlaßte endlich den Arzt, sich voll Verwunderung über die Seltsamkeit dieser jungen Person zu entfernen. Er benachrichtigte den Obersten von ihrem Entschlusse, und dieser war insgeheim entzückt, daß Lodoiska ihn durch ihre Gegenwart nicht in der vollkommenen Erfüllung seiner Pflichten stören würde. Am folgenden Tage brachte man den Leichnam Helenens nach dem Schlosse R...., wo diese unglückliche Mutter neben dem Grabe ihres Sohnes ihre Ruhestätte fand.
Ein Monat war verflossen, und Lodoiska beobachtete immer noch im Schlosse die völlige Zurückgezogenheit, wie sie es schon früher gewohnt gewesen war, als sie sich in ihrem Hause im Walde aufhielt. Ihr Zimmer war jedem Andern als ihrer Bedienung unzugänglich, und nur Julie hatte darin Zutritt, obgleich dieses Kind weit lieber im Garten unter Lisettens Aufsicht umherlief.
Der Oberst, welcher anfangs den Augenblick gefürchtet hatte, wo er nach dem Tode seiner Gattin zum ersten Male wieder mit seiner ehemaligen Geliebten zusammentreffen würde, fing jetzt nach und nach an, sich über Lodoiska’s hartnäckige Einsamkeit insgeheim zu ärgern, und jemehr sie ihn zu vermeiden schien, desto ungeduldiger wurde er am Ende, sie zu sehen. Doch wagte er noch nicht, seinen Wunsch laut werden zu lassen; er verlebte seine Tage traurig und einförmig, theils sich mit Lesen beschäftigend, theils Wald und Feld in der Umgegend durchstreichend.
Wildenau, der Arzt, war ebenfalls ungeduldig, daß er die Fremde nicht mehr zu sehen bekam, und nahm sich nun fest vor, sich freimüthig mit dem Obersten zu erklären, dessen Empfindungen für den Gegenstand seiner Zärtlichkeit er schon seit längerer Zeit in Verdacht hatte. Er wollte sich von den Verhältnissen beider zu einander genau überzeugen, um danach sein Betragen für die Zukunft einzurichten. Aber verschiedene Male ward er durch besondere Umstände von der Ausführung seines Entschlusses abgehalten, indem er theils nicht nach dem Schlosse kommen konnte, wenn er es sich vorgenommen hatte, theils daselbst mit besuchenden Nachbarn zusammentraf, in deren Gegenwart er die beabsichtigte Unterredung mit dem Obersten nicht anfangen konnte.
Lobenthal, ohne diesen Entschluß des Arztes zu ahnen, fand sich dennoch in dem Umgange mit seinem Freunde nicht mehr so ungezwungen, seitdem sein Verhältniß zu Lodoiska durch den Tod seiner Gattin verändert worden war. Wildenau war nun sein Nebenbuhler — — was er selbst sich nur erröthend gestanden haben würde; und dennoch beschäftigte sich sein Herz wider seinen Willen mit diesem Gedanken. Sehr häufig floh ihn der Schlaf bis spät in die Nacht hinein, und wenn die übrigen Bewohner des Schlosses schon längst sich der süßen Ruhe überlassen hatten, war Alfred noch in seinem Zimmer wach, wo er durch Lesen seine mancherlei ihn peinigenden Gedanken zu verscheuchen suchte. Aber dieses Mittel blieb gewöhnlich vergeblich; Lodoiska’s Bild, das Andenken an Helenen zogen seine Aufmerksamkeit von dem Buche ab, und maschinenmäßig überflogen seine Augen die Buchstaben, ohne ihren Sinn zu erfassen.
In einer Nacht, als der Oberst sich unruhiger fühlte als je, wollte er durch Auf- und Niedergehen in dem großen Saale des Schlosses seinen Unmuth zu verscheuchen suchen; er nahm daher sein Licht, und ging mit demselben durch mehrere Zimmer, bis er in den erwähnten Saal gelangte. Hier setzte er das Licht auf das Gesimse eines alterthümlichen Kamins, und bei dem schwachen Scheine, der nicht im Stande war, den weiten Raum zu erleuchten, ging er mit großen Schritten durch die wenig geminderte Finsterniß.
Ungefähr seit einer Viertelstunde setzte er diese Bewegung fort, als er die Flügelthür, welche nach der Haupttreppe des Schlosses führte, knarren hörte .... der Oberst stand still .... die Thür öffnete sich, und Lodoiska trat herein ..... Kaum konnte er sie erkennen, so sehr verschwand sie durch die Einhüllung in ihren schwarzen Shawl in der Finsterniß, die das Licht nicht verscheuchen konnte; doch bemerkte er bei dem schwachen Schimmer desto besser die Leichenblässe ihres Gesichts. Sie schien kein menschliches Wesen zu sein, und gleich einer überirdischen Erscheinung durch den dunkeln Raum einherzuschweben; ja die Einbildungskraft Alfred’s stellte sie ihm auf einen Augenblick beflügelt und von Blute triefend vor; aber dieser Anblick ging mit der Schnelligkeit des Blitzes vorüber, obgleich der Oberst darüber fast erstarrte. Lodoiska, ohne das geringste Erstaunen über den Anblick ihres Geliebten zu zeigen, den sie sogleich erkannte, stand still, und stützte sich auf einen alten Lehnstuhl, als wenn sie sich von einer langen Anstrengung einen Augenblick lang hätte erholen wollen.
Jetzt näherte sich Alfred, obgleich nicht ohne heftige innere Bewegung, der jungen Fremden.
„Endlich, sagte er, sehe ich Sie wieder, und zwar an demselben Orte, und in derselben Stunde, wo Sie mir vor einiger Zeit Ihre Entfernung von hier ankündigten. Wie seltsam ist dieses Zusammentreffen! Ich mußte es also dem bloßen Zufalle verdanken?“
— Es ist möglich, antwortete Lodoiska mit ihrem gewöhnlichen schwermüthigen Tone, daß in Absicht auf Sie der Zufall hier sein Spiel treibt; was aber mich betrifft, da ich in jeder Nacht mich in diesem Saale zu erholen pflege, so sehe ich in diesem Zusammentreffen nur Etwas, das auf jeden Fall früher oder später Statt finden mußte. —
„Wie! Lodoiska, in jeder Nacht, sagen Sie, kommen Sie hier her? Welchen Reiz kann dieser weite und verfallene Saal für Sie haben, wo man nur unangenehmen Vorstellungen ausgesetzt ist, sobald das Licht des Tages nicht mehr leuchtet?“
— Ich mache mir wenig aus dem Glanz der Sonne oder aus dem schauerlichen Anblick der Finsterniß. Ich lache über Alles, was Andere meines Geschlechts in Furcht setzt; ich verspotte das Schrecklichste, und durch ein trauriges Schicksal gefalle ich mir am besten in der Mitte des Fürchterlichsten und Verabscheuungswürdigsten für alle übrige Menschen. —
„Ach, werden Sie denn nie Ihre Gesinnungen ändern? Werden Sie nie zu fröhlichen Vorstellungen zurückkehren? Die Vergangenheit, deren Andenken anfangs so peinlich ist, verliert durch die Länge der Zeit den unangenehmen Eindruck auf uns, ja öfters verwandelt der Lauf der Dinge das heftigste Leid in Freude. Sollte Ihr Herz dieser Wirkungen nicht empfänglich sein?“
— Nein! sie gleiten eindruckslos an mir vorüber. Sie sprechen von der Vergangenheit; ich kenne sie nicht mehr; für mich ist die Gegenwart Alles, da ich weder rückwärts noch vorwärts gehen kann. Ich bin nur an einen festen Punkt gebannt, und die Hoffnung, welche selbst der Elendeste der Menschen noch in seinem Herzen nährt, sie ist mir völlig fremd. Was wollen Sie dagegen thun, Alfred? Sie selbst haben Lodoiska’s Schicksal bestimmt; wundern Sie sich also nicht, wenn es unveränderlich bleibt. —
„Je mehr ich Sie reden höre, grausame Freundin, desto mehr zerreißen mir Ihre unerklärbaren Worte das Herz. Was ist es für eine grenzenlose Verzweiflung, der Sie sich überlassen? Sind Sie die Einzige, die nicht mehr auf die Zukunft hoffen darf? Ach, kehren Sie zu sich selbst zurück, überzeugen Sie sich, daß Ihre Lage sich noch ändern kann; das Glück wird Ihnen nicht stets entgegen sein.“
— Kann es machen, Alfred, erwiederte Lodoiska lebhaft, daß Ihr Versprechen wieder aus dem Grabe ersteht, wo ich es auf ewig verborgen habe? —
„Mein Versprechen, sagen Sie?“
— Ja, Ihr Versprechen, das Sie mit Ihrem Blute unterzeichneten, und das Sie unwiderruflich an mich fesselt. —
„Ist dieß der Augenblick, mich daran zu erinnern? Und wie auch meine geheimen Empfindungen sein mögen, sehen Sie nicht, daß ich Trauerkleider trage? Denken Sie nicht an die schmerzliche Begebenheit, die vor Kurzem Statt fand?“
— Ich weiß, daß Sie, obgleich Sie behaupten, nichts als mein Glück zu wünschen, noch nie angestanden haben, meinem Herzen eine neue Wunde zu schlagen. Ich weiß, daß Sie mich schändlich betrogen haben; dieß ist der einzige Umstand aus der Vergangenheit, dessen ich mich noch erinnere, der Sie vernichten muß, und über den Sie auf ewig seufzen werden! —
„Ich wünschte, Sie wieder zu sehen, Lodoiska; aber ich wußte nicht vorher, daß dieß nur geschehen würde, um Ihre Vorwürfe anzuhören. Wie ungerecht sind Sie, und wie wenig kennen Sie mich!“
Ein Strahl von Freude glänzte in den Augen der Fremden, und ihre Lippen verschlangen einige Worte, die sie auszusprechen im Begriff war. Es folgte ein Augenblick des Schweigens, der nicht ohne Süßigkeit für sie war, und schon erschien eine gewisse Heiterkeit auf ihrer Stirn, die seit langer Zeit davon verscheucht gewesen war, als ein bitterer Gedanke Alles wieder zerstörte. Lodoiska’s Blick wurde wilder, und sie legte ihre Hand auf ihr Herz, gleichsam um dessen schmerzliches Klopfen zu unterdrücken.
„Auch ich wünschte Sie wiederzusehen, Alfred, sagte sie, weil es mir schien, als wenn Sie noch derselbe sein könnten, wie früher; aber ich besitze jetzt keinen von den Reizen mehr, die Sie vormals entzückten.“
— Ich liebte damals die vortrefflichen Eigenschaften Ihres Herzens eben so sehr, als Ihre Reize. Die Zeit konnte Ihnen einen kleinen Theil der letzteren rauben; aber vermochte sie etwas gegen die inneren Vorzüge Ihrer Seele? —
„Ich kann Ihnen nichts darauf antworten, Alfred. Unsere Unterhaltung, die uns nur Kummer verursacht, hat schon viel zu lange gedauert. Leben Sie wohl, ich muß mich entfernen. Erwarten Sie, was die Vorsehung entscheiden wird. Ach, wie schrecklich ist das Schicksal, womit mich ihr Zorn belastet hat!“
— Ja, lassen wir die Zeit ruhig verstreichen; wir werden uns einst wieder vereinigen, und dann .... —
„Und dann gehen wir beide gerade dem Grabe zu, das uns als Hochzeitbett dienen wird!“
— Welche schreckliche Vorhersagung! Lodoiska, wie können Sie so grausam sein? Sehen Sie denn nichts als einen Sarg in der Zukunft? —
Lodoiska antwortete nicht, sondern entfernte sich mit größter Eile. Als sie sich auf der Treppe befand, ließ sie ein lautes Gelächter erschallen, welches einen so schrecklichen Eindruck auf den Obersten machte, daß er wie erstarrt dastand, und das Hohngelächter eines höllischen Wesens gehört zu haben glaubte.
„Armes Mädchen, sagte er endlich, dein Unglück hat dich eines Theils deiner Verstandeskräfte beraubt und deinen liebenswürdigen Charakter völlig entartet. Aber dennoch bleibt sie immer höchst interessant, und vielleicht kehrt sie zu andern Vorstellungen zurück, wenn die Ursache ihres Unglücks aufgehört hat.“
Während er diese Worte ziemlich lebhaft und laut aussprach, glaubte er hinter sich einen tiefen Seufzer zu hören. Er drehte sich schnell um, und erblickte nun in dem finsteren Theile des Saales eine weiße Gestalt, die ein Kind an der Hand führte, und mit ihm aus dem Saale in das anstoßende Zimmer ging. Ungeachtet seines Muthes erbebte der Oberst bei diesem Anblicke. Seine Einbildungskraft gab der Gestalt Gesichtszüge, die ihm ein theures Andenken hervorriefen. Anfangs wußte er nicht, was er thun sollte; dann aber ergriff er das Licht, und folgte den Erscheinungen in’s anstoßende Zimmer. Er fand es einsam und leer; nur seine eigenen Schritte unterbrachen das tiefe Schweigen der Nacht .... und doch hatte er mit eigenen Augen gesehen. Von Angst gefoltert und mit großen Schweißtropfen bedeckt, kehrte er endlich in sein Schlafzimmer zurück.
Der Oberst fand in dieser Nacht keine Ruhe. In angstvollen Gedanken versunken ging er mit heftigen Schritten auf und nieder, bis endlich die Morgenröthe anbrach, und mit ihr die Ruhe in seine stürmisch bewegten Adern zurückkehrte.
Die kleine Julie pflegte jeden Morgen in das Zimmer ihres Vaters zu kommen, um ihm einen Kuß zu bringen; auch heute erschien sie zur gewöhnlichen Zeit, aber ihre sonst immer lachende Physiognomie war traurig, und man bemerkte eine auffallende Blässe in ihren Gesichtszügen.
„Bist du krank, mein Kind?“ fragte ihr Vater sie beunruhigt.
— Nein, lieber Vater; aber ich habe schlecht geschlafen.
„Wer hat dich denn daran verhindert? Lisette sagt ja, daß du sonst ganz vortrefflich schläfst.“
— O, lieber Vater, ich wollte es dir wohl sagen, wenn es mir Lisette nicht verboten hätte. —
„So muß ich wohl alle weitere Fragen einstellen? Dennoch bin ich sehr neugierig, die Ursache deiner Schlaflosigkeit zu wissen; sie muß sehr böse sein, da du plötzlich deine frische Gesichtsfarbe dadurch verloren hast.“
— Weinst du auch nicht, Väterchen, wenn ich dir die Wahrheit sage? —
„Ich hoffe so viel Gewalt über mich zu besitzen, daß ich meine ersten Gefühle überwinde, wenn deine Erzählung traurig ist.“ Der Oberst sagte dieß, sich zum Lächeln zwingend, obgleich eine böse Ahnung sein Inneres schon mit Schrecken erfüllte.
— Nun, so will ich dir Alles erzählen. Wilhelm und meine gute Mutter haben mich heute Nacht besucht. Sie blieben fast die ganze Nacht zu beiden Seiten meines Bettes sitzen, um, wie sie sagten, mich gegen den Dämon zu vertheidigen, der ihnen den Tod gegeben hat, und der sich auch an meinem Blute sättigen will. Anfangs fürchtete ich mich sehr, ward aber nachher vollkommen beruhigt. Wilhelm sahe so glücklich und selig aus! Meine Mutter blickte mich mit so großer Zärtlichkeit an! Sie haben mir versprochen, mich nicht mehr aus den Augen zu verlieren, und mit Anbruch des Morgens verließen sie mich erst, indem sie versicherten, daß ich bei Tage nichts zu fürchten hätte. Sie sprachen mit mir von vielen Dingen; aber glaubst du wohl, lieber Vater, daß sie dich mit keiner Silbe erwähnten? Ich sagte ihnen, wie sehr du über ihren Verlust weintest; aber sie schüttelten den Kopf, und lächelten, ohne mir zu antworten. —
Das Kind hätte noch lange in seiner Erzählung fortfahren können, ohne daß sein Vater daran dachte, es zu unterbrechen. Stumm vor Verwirrung, durch Schrecken und Verzweiflung im Innersten seines Herzens ergriffen, saß er unbeweglich in seinem Lehnstuhle da. Die unbegreifliche Uebereinstimmung zwischen dem, was er selbst gesehen hatte und was seine Tochter ihm jetzt erzählte, versetzte ihn in einen Wirrwarr von Gedanken, aus welchem er sich nicht wieder herausfinden konnte. Zum ersten Male unterlag er einem abergläubischen Schrecken. Indessen stand Julie noch immer vor ihm, seine Antwort erwartend, und er brach endlich das Stillschweigen, indem er mit bewegter Stimme ihr für die Mittheilung der nächtlichen Scene dankte.
„Du mußt, sagte er, diesen Traum als eine Wohlthat Gottes betrachten. Er hat dich dadurch belehren wollen, daß deine Mutter und dein Bruder vom Himmel herab dich vor dem Dämon beschützen werden, das heißt, vor der Sünde; dieß ist der Sinn der Worte, die du gehört hast.“
— O, lieber Vater, ich schlief nicht, als sie in mein Zimmer kamen. Von der Sünde haben sie mir nichts gesagt, sondern bloß von einem abscheulichen Wesen, das uns alle verderben will, und das sie einen Vampyr nannten. Ich weiß recht gut, was dieß ist; denn der arme Werner hat uns von diesen bösen Geistern erzählt. Ich habe noch jedes Wort behalten, denn die Vampyre ... —
„Mein Kind, ich kenne ihre Geschichte besser als du; aber man hätte sie dir ersparen sollen, weil dadurch deine Einbildungskraft erhitzt wurde, und dieß vielleicht die Ursache deines Traumes ist. Glaube mir, Julchen, vergiß ihn gänzlich; denn man würde dich auslachen, wenn du davon erzähltest; man würde dich für ein kleines furchtsames Mädchen halten, oder dich wohl gar der Lüge beschuldigen, wenn du behauptest, nicht geschlafen zu haben. Was mich betrifft, so zweifle ich nicht an deiner Wahrheitsliebe; du glaubtest wirklich zu sehen, was doch nur Täuschung war; vor allen Dingen aber bitte ich, gegen Lodoiska darüber das tiefste Stillschweigen zu beobachten.“
— O, sei unbesorgt, lieber Vater, ich weiß es schon, daß ich ihr nichts davon sagen darf. Wilhelm hat es mir sehr dringend anempfohlen; denn er behauptet, sie sei meine ärgste Todfeindin. —
Dieser neue Schlag verwundete den Obersten mitten im Herzen. Er sprang heftig auf und entließ seine Tochter, um sich wieder zu sammeln. Unerklärlich war es ihm, wie so viel Seltsames so genau übereinstimmen, wie es möglich sei, daß ein Traum eines Kindes so viel Wahres enthalten könne. Ach, er selbst hatte die Erfahrung gemacht, daß eine Stiefmutter fast immer die Feindin der Kinder ist, die sie nicht selbst geboren hat. Sein eigener Vater hatte sich zum zweiten Male verheirathet, und seine ganze Jugend wurde deßhalb durch täglichen Zank, ungerechte Beschuldigungen, und Versuche, ihn mit seinem Vater zu entzweien oder ihm den größten Theil seines Vermögens zu entziehen, vergiftet. Zum ersten Male dachte er jetzt an das Unrecht, was er seiner Tochter zufügen würde, wenn er sich jemals wieder vermählte, und die väterliche Zärtlichkeit erhob einen neuen Kampf in seinem Herzen.
Nicht ohne das größte Erstaunen sahe er zur Frühstückszeit Lodoiska in’s Speisezimmer treten. Sie schien zeigen zu wollen, daß sie jetzt völlig zufrieden sei, aber dennoch blickte ein tiefer Verdruß durch ihre verstellte Freude. Die kleine Julie sahe sie mit dem finsteren Ausdruck des heftigsten Zornes an, aber nur, wenn Alfred’s Blicke nicht auf sie gerichtet waren. Sie scherzte über ihre lange Zurückgezogenheit, und sagte, daß sie von nun an ihren Schmerz zwar nicht vergessen, aber doch zerstreuen wolle. Sie ließ ihren Verstand mit so vielem Vortheile glänzen, und betrug sich so liebenswürdig, daß der Oberst, anfangs auf seiner Hut, dennoch bald dem Einflusse nachgab, den sie über ihn ausüben wollte. Die Vergangenheit stellte sich gänzlich in den Hintergrund. Alfred sah in Lodoiska nur das Mädchen seiner ersten heftigsten Liebe, und sein Entzücken stieg auf’s Höchste, als sie ihre Harfe nahm, und durch ihre hinreißende Stimme ihn gleichsam aus den Grenzen des irdischen Daseins hinauszauberte.
In diesem Augenblicke war Wildenau, den man übrigens gar nicht erwartete, im Schlosse angekommen. Voll Erstaunen, harmonische Töne an einem Orte zu hören, wo die äußern Zeichen der Trauer noch nicht verschwunden waren, stand er in dem Vorzimmer still, und ein der offenen Thür gegenüberhängender Spiegel zeigte ihm, was vorging. Der Arzt kam in der Absicht, sich mit dem Obersten in Betreff Lodoiska’s eine Erklärung zu verschaffen; was er aber jetzt sahe, überhob ihn jeder weiteren Unterhaltung über diesen Gegenstand. Das Entzücken des Obersten, die Blicke Lodoiska’s, die so leicht zu erkennende Uebereinstimmung zweier gleichfühlenden Herzen, Alles gab ihm den Beweis, daß beide schon durch eine frühere Liebe vereinigt gewesen. Bei diesem Gedanken entstand der fürchterlichste Verdacht in seinem Herzen; doch unterdrückte er ihn wieder voller Scham vor sich selbst. An der Rechtschaffenheit des Obersten konnte er nicht zweifeln; aber die finstere, wilde Lodoiska flößte ihm nicht ein gleiches Vertrauen ein, und mancherlei Geheimnisse erklärten sich ihm jetzt so deutlich, daß er davor schauderte.
Lodoiska hörte jetzt auf zu singen, und nun hielt es Wildenau für passend, sich zu zeigen. Seine Gegenwart schien der Fremden höchst ungelegen zu sein, daher sie bald darauf die Gesellschaft verließ, und der Oberst, dadurch gewissermaßen dem Arzte Preis gegeben, fühlte sich in großer Verlegenheit, so daß er sogleich wünschte, ein neuer Besuch möchte ihm zu Hülfe kommen. Aber es geschah nicht, und der Arzt, der seinen Zustand sehr genau beobachtete, fühlte Mitleiden mit ihm, so daß er seiner Verwirrung ein Ende machen wollte, und ohne weitere Umschweife seinen Angriff begann:
„Sie sind ein Mann von Ehre, Herr Oberst, und ich glaube einiges Recht auf Ihre Achtung zu haben. Haben Sie daher die Güte, mir nur eine einzige Frage zu beantworten; sie enthält nichts Feindseliges, sondern soll nur dazu dienen, mein künftiges Betragen zu bestimmen. Haben Sie die schöne Fremde schon gekannt, ehe sie zum ersten Male in dieser Gegend erschien?“
— Herr Doktor, antwortete der Oberst sehr bewegt, wenn jeder Andere mich so fragte, so würde ich gegen ihn ein vollkommenes Stillschweigen beobachten. Aber ich weiß, wie sehr ich mich gegen Sie vergangen habe, und ich kann mein Unrecht nur durch meine Aufrichtigkeit wieder gut machen. Lodoiska war das erste weibliche Wesen, das mir Liebe einflößte. Ich befand mich damals in ihrem Vaterlande; ich konnte über ihre Tugend nicht siegen, und dennoch vergaß ich sie, nachdem ich ihr das feierlichste Versprechen gegeben hatte, sie zur Gattin zu nehmen. Aber sie leistete nicht auf mich Verzicht, sondern hat mich bis hierher nach Deutschland verfolgt; so lange indessen meine unglückliche Frau gelebt hat, ermuthigte ich ihre Leidenschaft auf keine Weise. Dieß, schwöre ich Ihnen, ist reine Wahrheit. —
„Es ist genug, Herr Oberst, mehr verlange ich nicht; nur hätten Sie vielleicht mit diesem Geständniß gegen mich nicht so lange zögern sollen.“
— Konnte ich anders? Ist das Geheimniß anderer Menschen auch das unsrige, und konnte ich daher das Geheimniß Lodoiska’s wider ihren Willen entdecken? Jetzt habe ich es nur für Sie allein entschleiert, und ich hoffe, Sie werden es Niemanden anvertrauen. —
„Leben Sie wohl, Herr Oberst; möchten Sie glücklich sein! Möge die Zukunft Sie die Vergangenheit nicht vermissen lassen.“
Nach diesen Worten entfernte sich Wildenau, ungeachtet der dringenden Bitten des Obersten, zum Mittagsessen da zu bleiben.
„Nein! sagte er; erlauben Sie, daß ich mich entferne; denn ich darf durch meine Gegenwart der Fremden keine unangenehmen Empfindungen verursachen. Sie würde in meiner Gesellschaft nur verlegen, ich aber keinesweges bei ihr in guter Laune sein. Nochmals, leben Sie wohl! Empfangen Sie meine aufrichtigsten Wünsche für Ihr Glück.“
Diese Worte des Arztes waren ohne Zweifel sehr natürlich und der Sache völlig angemessen; aber dennoch glaubte der Oberst darin eine Art von Vorwurf zu erblicken, der ihn in Unmuth setzte. Er unterdrückte ihn indessen, indem er das vermeintliche Bittere in dem Betragen seines Freundes auf Rechnung seiner verschmäheten Liebe verzeihen zu müssen glaubte.
Mehrere Wochen vergingen nach dieser Unterhaltung, und Lobenthal, der sich immer mehr seiner Neigung hingab, machte die jungfräuliche Lodoiska zum zweiten Male zur Gebieterin seines Herzens. Diese schien bald überaus glücklich zu sein, bald sich wieder ihrer wilden Schwermuth zu überlassen; je mehr Gewalt sie über ihren alten Liebhaber erhielt, desto mehr überließ sie sich den eigensinnigsten Launen. Vorzüglich zeigte sie eine außerordentliche Abneigung gegen die kleine Julie, so daß schon ihr bloßer Anblick ihr einen geheimen Unmuth verursachte, den sie vergebens zu verbergen oder zu unterdrücken suchte. Dem Obersten konnte dieser Haß nicht lange unbekannt bleiben, und er machte ihr darüber sein Erstaunen, selbst sein Mißvergnügen bemerklich.
„Ach Alfred, antwortete die Fremde, ich mache mir selbst mehr Vorwürfe darüber, als du dir vorstellen kannst; ich fühle, wie ungerecht mein Haß gegen dieses liebenswürdige Geschöpf ist; aber kann man den Empfindungen seines Herzens befehlen? Ich will allein in dem deinigen herrschen, und Alles, was dich an eine Andere erinnert, ist mir daher unerträglich. Mit der Zeit werde ich ohne Zweifel vernünftiger werden, aber jetzt kann ich den Sieg über mich selbst noch nicht erringen. Indem ich dich mehr liebe als je, habe ich alle menschliche Schwachheiten wieder angenommen. Habe Mitleiden mit mir und mit meinem Kummer, der mich schon seit so langer Zeit, seitdem du mich verlassen, gequält hat.“
Diese Worte und die dazu reichlich vergossenen Thränen beruhigten den Obersten; er glaubte den Augen der Gebieterin seines Herzens einen Gegenstand unwillkührlichen Widerwillens entziehen zu müssen, und ohne Lodoiska vorher davon zu benachrichtigen, fuhr er eines Morgens mit Julien nach Prag, wo er sie in eine der besten Erziehungsanstalten that.
Die unerklärbare Lodoiska zeigte den größten Kummer, als sie Juliens Abreise erfuhr. „Wenn Sie Ihre Tochter aus dem Hause schaffen, sagte sie zum Obersten, so zwingen Sie mich dadurch, mich ebenfalls daraus zu entfernen. Ihretwegen allein war ich hier: sie ist fort, unter welchem Titel kann ich nun noch hier verweilen?“
— Unter dem Titel, der mir der theuerste sein würde, liebe Lodoiska, erwiederte Alfred voller Zärtlichkeit, und den ich Ihnen schon angeboten hätte, wenn der äußere Anstand mich nicht abhielte. Es hat der Vorsehung gefallen, die früheren Hindernisse unserer Vereinigung hinwegzuräumen; werden Sie mir jetzt abschlagen, was Sie früher vielleicht glücklich gemacht hätte? —
Lodoiska mußte ohne Zweifel schon lange auf eine solche Erklärung gefaßt sein; aber dennoch stand sie wie erstarrt, als Lobenthal so zu ihr sprach. Ihr Inneres ward von verschiedenen Empfindungen bewegt, und sie fühlte zu gleicher Zeit die höchste Glückseligkeit und die tiefste Verzweiflung. Sie sahe den entscheidenden Augenblick sich nähern; sie wußte, welche Grausamkeit ihr noch auszuüben oblag; sie hätte eigentlich nichts als Rache in ihrem Busen tragen sollen; aber die Alles besiegende Liebe hatte auch sie unterjocht. Durch ihre Sinne gehörte sie noch der Erde an, und sie kämpfte daher hartnäckig, obgleich vergebens, gegen die höhere Macht, die ihre Handlungen gebieterisch leitete. Endlich faßte sie sich, und rief:
„Nein, Alfred, nein! Reden Sie mir nicht mehr von einer Feierlichkeit, an welcher ehemals meine ganze Glückseligkeit hing! Kann ich Ihnen jetzt noch angehören, da ich mir selbst nicht mehr angehöre? Und habe ich Ihnen nicht schon gesagt, daß ich durch einen fürchterlichen Fluch von den Tempeln und Dienern des Herrn entfernt bin? Sie lieben mich, sagen Sie? Wohl, so geben Sie mir den Beweis davon, indem Sie mich nicht länger mit ihren Wünschen bestürmen.“
— Grausame! hören Sie doch endlich auf, sich und mich durch nichtige Truggestalten Ihrer Einbildungskraft zu quälen. Zwar ist schon der Versuch zum Selbstmorde ohne Zweifel vor dem Angesichte Gottes ein Verbrechen; aber es giebt ja keine Sünde, welche nicht durch die Reue getilgt wird, und warum sollten Sie allein mit so unerbittlicher Strenge verfolgt werden? —
„Armer Sterblicher! Sie wissen nicht, was Sie wünschen! Wenn nun der Augenblick, wo Sie unsere Glückseligkeit zu befestigen glauben, gerade der unserer ewigen Trennung würde? Hier können wir noch beisammen bleiben .... aber dort unten (fuhr sie mit leiser Stimme fort) gehen wir beide unseren eigenen Gang. Und was würde der Geistliche sagen, dem ich mich zur Trauung vorstellen wollte!“
— Kann er allwissend sein? Kann er hier von dem Vergehen wissen, zu welchem Ihre Liebe Sie in Ihrem entfernten Vaterlande trieb? —
„Alfred! Gott zeichnete die Stirn des Brudermörders Kain mit einem fürchterlichen Zeichen; auch ich trage ein solches auf der meinigen; obgleich Sie es nicht sehen, so würde es doch der Geistliche sogleich erblicken.“
— Armes Mädchen! Wie sehr muß ich Sie beklagen! So weit können die Vorurtheile Ihrer Erziehung Sie irre führen! Doch ich will für jetzt nicht weiter in Sie dringen, und ich hoffe, daß Sie später meinen Wünschen nachgeben werden. —
Ein schwermüthiges Lächeln, ein leichtes Kopfschütteln waren die ganze Antwort der Fremden; Alfred schien nicht darauf zu achten, er hoffte Alles von der Zeit und von der Macht seiner Zärtlichkeit.
Mehrere Monate vergingen, ehe der Oberst weitere Schritte zur Erreichung seiner Wünsche that, bis er endlich beschloß, Lodoiska’n durch Ueberraschung dahin zu vermögen, daß sie seine Gattin würde. Ohne ihr also das Geringste zu sagen, besprach er sich mit dem Pfarrer darüber, und vertraute ihm freimüthig alle Umstände an, welche seiner Braut eine so große Furcht vor dem Anblick eines Geistlichen verursachten. Der Pfarrer war ein vernünftiger Mann, und bedachte, daß er sich leicht von der strenge vorgeschriebenen Ordnung ein wenig entfernen könne, wenn dadurch ein unangenehmer Auftritt vermieden würde. Er versprach also, um Mitternacht, in Gegenwart dreier Zeugen, in der Schloßkapelle, die Ehe des Obersten mit Lodoiska einzusegnen.
Zufrieden, so weit mit seinen Vorbereitungen gekommen zu sein, sandte er eiligst seinen Bedienten nach der Stadt, um sogleich einen Notarius nebst einigen Zeugen mitzubringen. Hierauf begab er sich zu seiner Geliebten, und sagte ihr, daß er den heutigen Abend dazu festgesetzt habe, vorläufig einen Ehevertrag mit ihr abzuschließen, und daß schon alle nöthigen Anstalten dazu getroffen seien.
Eine plötzliche Röthe überflog bei dieser unvermutheten Ankündigung die Wangen der schönen Fremden; zu gleicher Zeit verbreitete sich aber auch in ihren Augen eine düstere Traurigkeit; sie zitterte am ganzen Körper, und war gezwungen, sich an dem neben ihr stehenden Tische zu stützen.
„Schon heute, Alfred? sagte sie; warum eilen Sie so? Können Sie es nicht länger mit ansehen, daß unser Glück noch einige Zeit dauert?“
— Zerstören wir es denn, wenn wir es auf immer an uns fesseln? Kann unsere Vereinigung dadurch an ihrer Süßigkeit verlieren, wenn sie unauflöslich wird? —
„Sie glauben es, weil Sie nur an die Gegenwart denken, und nicht an die Zukunft.“
— O gewiß denke ich an die Zukunft, und male sie mir mit den freundlichsten Farben aus. Aber warum wollen Sie noch immer bei Ihrer Schwermuth beharren? Was führte Sie denn anders hierher, als die Hoffnung, sich mit mir zu vereinigen? Forderten Sie nicht meine Person als Ihr Eigenthum zurück, und jetzt, da ich Ihre Rechte anerkenne, wollen Sie mich von sich stoßen? —
„Daß Sie mir angehören, kann mir nicht bestritten werden, denn Ihr mit Ihrem Blut geschriebenes Versprechen ist mir ein sichreres Unterpfand, als alle diese Ceremonien, die mir gleichgültig sind. Aber ich bin zufrieden, Sie nur zu sehen, und ich fürchte den Augenblick, der mir ein schreckliches Recht über Sie geben wird. Ach, Alfred, glaube mir, ändere deinen Entschluß, denn du ahnest nicht, welches Unglück dir bevorsteht, wenn du dich unwiderruflich an mich fesselst.“
Nach diesen Worten eilte sie pfeilschnell aus dem Zimmer, und begab sich in das ihrige, wo der Oberst sie nicht zu stören wagte. Er erstaunte über ihre Rede, schob aber Alles auf ihre abergläubische Furcht vor der Gegenwart eines Geistlichen, und beharrte bei seinem Entschlusse, diese Furcht mit Gewalt zu überwinden. Zu Zeugen bei der Trauung hatte er seinen Bedienten und den Verwalter der zum Schlosse gehörigen Ländereien gewählt, weil ihm beide zu jeder Zeit zu Gebote standen; unmittelbar nach dieser Ceremonie wollte er sich mit seiner neuen Gemahlin in einen Wagen setzen, und sich erst nach Prag, dann aber nach Berlin begeben, um daselbst seinen festen Wohnsitz wieder aufzuschlagen. Der Aufenthalt im Schlosse R.... schien ihm jetzt unerträglich zu sein, weil er in ihm zu traurige Erinnerungen hervorrief.
Endlich wurde es Abend. Lodoiska, die noch immer in ihrem Zimmer blieb, äußerte den Wunsch, dasselbe nicht eher, als bis im letzten Augenblick zu verlassen. Während dieser Zeit irrte der Oberst in der größten Unruhe hier und dort umher, und fand nirgends seines Bleibens. Es hatte sich ein fürchterlicher Sturmwind erhoben, der bis in das Innere des Schlosses drang, und durch sein Pfeifen bald die Klagen eines Leidenden, bald ein höllisches Gelächter nachzuahmen schien. Er setzte die Fensterscheiben in Bewegung, daß sie klirrten, erschütterte selbst die inneren Thüren in ihren Angeln; kurz, die Wuth dieses Sturmes war so groß, daß der Oberst sich eines unwillkührlichen Schreckens nicht erwehren konnte.
Bei seinem Umherirren im Schlosse kam Lobenthal auch zufällig in die Nähe der Gesindestube, wo die Knechte und Mägde von der Meierei beim Abendessen versammelt waren. Sie sprachen unter einander von dem Befehle, den er gegeben hatte, den Reisewagen um Mitternacht fertig zu halten, und suchten die Absicht dieser plötzlichen Reise zu errathen.
„Ich wundere mich gar nicht darüber, sagte einer der Knechte; denn wir wissen ja schon seit langer Zeit, daß der Oberst keine ruhigen Nächte haben kann, und es muß ihm daher angenehmer sein, um diese Zeit zu reisen, als in seinem Bette den schrecklichen Besuch abzuwarten, den er dort empfängt.“
— Was sagst du da, Peter? rief eins der Mädchen mit einer Stimme, die schon ihr Entsetzen bezeichnete; von was für Besuchen sprichst du denn? —
„Nun, von den Besuchen, die ihm die verstorbene Oberstin alle Nächte abstattet! Der Schulze, der Küster und auch die alte Mutter Rieben, die eben kein Geheimniß daraus macht, haben es ja schon öfters gesehen, wie unsere verstorbene gnädige Frau aus ihrem Grabe emporsteigt, ihren kleinen Sohn beim Namen ruft, der dann ebenfalls aufsteht, und mit ihm nach dem Schlosse geht.“
„Das ist eine abscheuliche Lüge,“ sagte Johann, der Bediente des Obersten, der in einer großen Stadt erzogen war, und daher weniger Aberglauben besaß.
— Nun, sei nur nicht böse, Johann, es könnte dir Schaden thun, erwiderte Peter. Auch du wirst noch zu sehen bekommen, was Andere schon gesehen haben, und es scheint mir, als wenn das Wunder heute Nacht noch etwas früher als sonst geschehen werde. Als ich vom Felde hereinkam, begegnete ich der alten Mutter Rieben. „Höre, Peter, sagte sie zu mir, du gehst nach dem Schlosse; aber bete vorher ein Vaterunser, wenn du mir glauben willst; denn es werden sich heute dort seltsame Dinge zutragen. Die nächtlichen Geister haben sich heute früher als sonst aus ihren Gräbern erhoben, woran wahrscheinlich der wüthende Sturmwind Schuld ist, der sie gerufen hat, und ich habe sie so eben vorbeigehen sehen.“
Als der Oberst diese außerordentliche Erzählung mit anhörte, schauderte er unwillkührlich, und um nicht noch mehr zu erfahren, entfernte er sich mit langsamen Schritten, und stieg die Treppe hinauf. Eben befand er sich an der Thür des großen Saales, als er hinter sich ein Geräusch hörte. Er stand still und blickte sich um .... zwei weiße Gestalten schwebten schnell bei ihm vorüber und verloren sich dann in der Finsterniß. Er glaubte, sie zu erkennen .... seine Kniee wankten unter ihm; es war ihm unmöglich, seines Schreckens Herr zu werden, und an einen Wandpfeiler hinsinkend, blieb er lange Zeit in einem fast sinnlosen Zustande.
Mehrere Stimmen, die er unten an der Treppe hörte, weckten ihn aus seiner Betäubung. Er raffte sich schnell empor, und sahe nun den Notarius und dessen Zeugen, die von seinem Bedienten mit einem Lichte begleitet, die Treppe heraufkamen. Kaum hatte er noch so viel Zeit, sich einigermaßen wieder zu sammeln. Die erste Frage, die der Notarius an ihn that, war nach seinem Gesundheitszustande, so sehr zerstört sahen seine Gesichtszüge noch aus. Der Oberst antwortete ihm ausweichend, und führte ihn in das Gesellschaftszimmer, wo er ihn auf einige Augenblicke verließ, um Lodoiska’n seine Ankunft anzukündigen.
Lodoiska fuhr zusammen, als sie ihn eintreten sahe, und erbebte, sobald er sich erklärt hatte. Sie warf einen Blick auf ihn, in welchem sich so viel verschiedene Empfindungen malten, daß es unmöglich gewesen wäre, sie zu beschreiben. Ihre Trauerkleidung hatte sie abgelegt; ein weißes, einfaches Gewand umhüllte ihren prächtigen Wuchs; ein Halsband von Perlen und ein Kranz in ihrem Haar war der ganze Schmuck, den sie sich erlaubt hatte.
Der Oberst mußte seine Bitte mehrere Male wiederholen, ehe sie sich entschloß, ihm zu folgen; man sahe, wie gern sie den Augenblick noch verzögern wollte, den er so sehnlich herbeiwünschte. Endlich schien sie alle ihre Kräfte zusammenzunehmen, erhob ihre Arme und Augen gen Himmel, und schien ihn als Zeugen anzurufen, daß sie gezwungen würde, oder ihn um Gnade zu bitten, die sie gleichwohl nicht zu erhalten hoffte.
Beim Eintritt in das Gesellschaftszimmer und beim Anblick des Notarius und der Zeugen gerieth Lodoiska einigermaßen in Verwirrung; doch erholte sie sich bald wieder, und antwortete mit Bescheidenheit auf die Komplimente, die der Notarius an sie richtete. Sein Geschäft war bald abgemacht, worauf er sich wieder entfernte, ungeachtet der Oberst ihn dringend bat, bis zum andern Tage auf dem Schlosse zu bleiben.
Unterdessen beschäftigte sich Johann, der Bediente des Obersten, mit den nöthigen Vorbereitungen zu der feierlichen Ceremonie, die nun noch Statt finden sollte. Er hatte den Auftrag, den Pfarrer in die Schloßkapelle zu führen, den Verwalter herbeizuholen, und sich dann zu dem Obersten zu verfügen, unter dem Vorwande, seine etwanigen Befehle zu vernehmen, ehe er sich niederlegte, in der That aber, um ihm durch seine Gegenwart anzukündigen, daß Alles bereit sei.
Lodoiska, die nun mit Alfred allein geblieben war, zeigte immer noch die größte Unruhe. Ihr Busen wogte mit Ungestüm, ihre Blicke irrten unstät umher, und jedes Mal, wenn ihr Bräutigam sich ihr näherte, ergriff sie ein krampfartiges Zittern, und sie streckte die Hände vor sich hin, gleichsam um ihn von sich abzuhalten. Alfred bemerkte den außerordentlichen Kampf, der in ihrem Innern vorging, und versuchte sie zu beruhigen; aber vergebens. Sie sprach nichts, als unzusammenhängende Worte, welche bald die Heftigkeit ihrer Liebe ausdrückten, bald eine schauerliche Zukunft vorhersagten; sie riefen den Himmel um Mitleiden an gegen die bevorstehenden Qualen der Hölle.
Es schlug zwölf Uhr, und Johann erschien im Zimmer. Bei seinem Anblick wandte sich der Oberst an Lodoiska:
„Nur noch ein wenig Muth, Geliebte, sagte er; in einigen Augenblicken wird Alles vorbei sein. Folge mir jetzt; in Zeit von einer Stunde sitzen wir schon im Wagen; vorher haben wir aber noch eine Pflicht zu erfüllen, und wir müssen uns jetzt in ein anderes Zimmer begeben.“
— Giebt es einen Ort, antwortete Lodoiska mit dumpfem Tone, wo ich Ruhe finden kann, wo ich von der rachsüchtigen Frau nicht verfolgt werde? —
„Von welcher Frau?“ fragte Alfred lebhaft.
— Wissen Sie es denn nicht? Haben Sie sie denn nicht gesehen, wie sie mit ihrem Kinde umherstreicht? Es ist nicht meine Schuld, wenn sie nicht ihrer drei sind; warum hat sie mich verhindert, mein Geschäft gänzlich zu vollenden! —
„Lodoiska, ich beschwöre Sie bei meiner Liebe, erholen Sie sich; Sie machen mich zum unglücklichsten aller Männer. Was fehlt Ihnen? Was wollen Sie?“
— Ich habe Durst, großen Durst! —
„Er ist ja leicht zu befriedigen.“
— Oh, nicht so leicht! Blut muß ich haben! Blut! und zwar das deinige, Alfred! —
„Ach, Unglückliche, wie kann Ihr Verstand Sie so gänzlich verlassen! Beruhigen Sie sich; vergessen Sie, was geschehen ist, und bedenken Sie, daß wir für einander bestimmt sind.“
— Ja, ja! im kühlen Grabe, wo ich schon einmal geruht habe. —
„Ich höre nicht weiter auf Sie; kommen Sie jetzt, um das Letzte zu erfüllen.“
Mit diesen Worten schlang er seinen Arm um Lodoiska, und zog sie schnell zur Kapelle hin, während sie ein lautes Geschrei ausstieß, das sich in das Heulen des Sturmwindes mischte.
„Alfred! mein Alfred! so bald willst du sterben? .... Ja, ja, du gehörst mir an, und mein schreckliches Geschäft wird nun erfüllt werden!“
Unter so unerklärbaren Ausrufungen der halb bewußtlosen Lodoiska gelangte der Oberst endlich in die Kapelle, sie mehr tragend als führend. Ein fürchterliches Angstgeschrei war die erste Wirkung, die der Anblick des erleuchteten Altars und des Geistlichen auf sie machte.
„O, grausames Schicksal! rief sie aus; so ist es denn wahr, daß du erfüllt werden mußt?“
Fast mit Gewalt zog Alfred sie bis vor den Altar. Jetzt leistete sie keinen Widerstand mehr, sondern schluchzte nur und zerfloß in Thränen; dann schienen ihre Gesichtszüge sich zu verzerren, und der Kreislauf ihres Blutes sich zu hemmen. Nur an einem dünnen Faden schien das Leben Lodoiska’s noch zu hängen, während der Pfarrer die Trauungsceremonie anfing. Jetzt sollten die Ringe gewechselt werden; aber Lodoiska’s Hand war mit dem Handschuh versehen, dessen wir schon mehrmals erwähnten. Voll heftiger Ungeduld riß der Oberst diesen Handschuh herunter, ehe es Lodoiska verhindern konnte .... und die Abscheu erregenden knöchernen Gebeine eines Skelets fielen ihm und dem erstaunten Geistlichen in die Augen! —
Ein Schrei des Entsetzens entfuhr allen Zeugen dieses schrecklichen Schauspiels. Lodoiska fiel leblos auf den Fußboden nieder, und aus drei geöffneten Wunden quoll ein unreines, stinkendes Blut hervor. —
Am dritten Tage ward der Leichnam der Fremden zur Erde bestattet. Aber mit den ersten Strahlen des Mondes, die ihr Grab beschienen, erhob sie sich abermals aus ihrer Ruhestätte, und .... am andern Morgen fand man den Obersten todt in seinem Bette ..... An drei verschiedenen Orten waren ihm die Adern geöffnet, und in seinem ganzen Körper war auch kein Blutstropfen mehr vorhanden, der von seinem ehemaligen Dasein zeugte. —
Ende.
Anmerkungen zur Transkription
Der Originaltext ist in Fraktur gesetzt. Im Original g e s p e r r t hervorgehobener Text wurde in einem anderen Schriftstil markiert.
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End of the Project Gutenberg EBook of Der Vampyr, oder: Die Todtenbraut. Zweiter Theil., by Theodor Hildebrand *** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DER VAMPYR: ZWEITER THEIL *** ***** This file should be named 51695-h.htm or 51695-h.zip ***** This and all associated files of various formats will be found in: http://www.gutenberg.org/5/1/6/9/51695/ Produced by the Online Distributed Proofreading Team at http://www.pgdp.net. This book was produced from scanned images of public domain material from the Google Books project. Updated editions will replace the previous one--the old editions will be renamed. Creating the works from print editions not protected by U.S. copyright law means that no one owns a United States copyright in these works, so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United States without permission and without paying copyright royalties. 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