Ludwig Tieck’s
Schriften.
Dreiundzwanzigster Band.
Berlin,
Druck und Verlag von Georg Reimer.
1853.
Ludwig Tieck’s
gesammelte Novellen.
Vollständige auf’s Neue durchgesehene Ausgabe.
Siebenter Band.
Berlin,
Druck und Verlag von Georg Reimer.
1853.
Ludwig Tieck’s
gesammelte Novellen.
Siebenter Band.
Unter abwechselnden Vorfällen und Erfahrungen, die sich mir im Lauf meines Lebens auf Reisen oder beim längeren Aufenthalt in fremden Städten aufdrängten, ist mir die Erinnerung so mancher Bekanntschaften erfreulich, so manche Beobachtung lehrreich und ich kann es nicht unterlassen, Einiges davon mitzutheilen, welches vielleicht manche befreundete Gemüther auf anmuthige Weise anregt.
Schon manches Jahr ist verflossen, seit mir einige interessante Tagebücher und Briefe in die Hände geriethen, die mir um so bedeutender wurden, als ich die Verfasser derselben späterhin im Verlauf der Zeiten in ganz veränderten Verhältnissen und mit umgewandelten Gesinnungen wiedersah. Jetzt sind die Theilnehmer an nachfolgender kleinen Begebenheit gestorben oder nach fernen Gegenden gezogen, so daß es harmlos erscheint, Dasjenige mitzutheilen, was ich früher schon für vertraute Freunde aus jenen Tagebüchern und Briefen ausgezogen habe. Die Erzählung ist aus Schriften der drei Hauptpersonen verarbeitet und wird, der Deutlichkeit wegen, mehr wie einmal durch die eigenen Worte der erscheinenden Personen unterbrochen werden.
Von Deiner schönen Cousine, die ich damals leider nur einmal sah, habe ich bisher noch nichts in Erfahrung bringen mögen. Und sehr begreiflich, da ich erst in Franken, oder gar in der Nähe des Rheins, wie ich es ja weiß, Kundige finde, die mir von ihren Schicksalen und ihrer seltsamen Flucht etwas mittheilen können. Sollte ich das schöne Bild selbst irgendwo wiedersehn? Wenn ich nur wenigstens ihn finde, der sie zu dieser Uebereilung verleitet hat, welche sie Dir entriß, um an ihm die Rache zu nehmen, die ich Dir versprach, so wenig Du sie auch gefordert hast. Ich weiß es, daß ich zu hitzig bin; indessen Du bist beschäftigt, im Dienst des Staates, gehörst Deiner kranken Mutter, und ich bin müßig und frei genug, um diesen Sommer mich umzutreiben, zu sehn oder zu gaffen, zu lernen oder zu vergessen, und mir dabei einzubilden, ich thue Dir und der Menschheit einen großen Dienst, indem ich einen andern Müßiggänger aufsuche, um ihn zur Rechenschaft zu ziehn.
Bis jetzt hat das Wetter mich sehr begünstigt. Und eine interessante Bekanntschaft habe ich auch schon gemacht. Ich war queer durch das traurige Land gereiset, zwischen den Städten Frankfurt an der Oder und Crossen hindurch, weil ich in Balkow, einem Dorfe, meine Freundschaft mit der Familie Tauenzien erneuen wollte, die Du auch kennst, weil die vortreffliche Frau aus Warschau gebürtig ist. Hier herum ist eine seltsame Landesart und fast wilde Einsamkeit, beinah so wie in Polen. So kommt man denn durch abgelegene Wege, immer durch Wald bis an die Oder, wo den Reisenden, an sumpfiger Stelle, die Kretschem genannt, eine Fähre übersetzt. Hier fand ich zu meinem Erstaunen einen eleganten Wagen und einen jungen höflichen Mann, welcher ebenfalls die Fähre erwartete, welche auf wiederholtes Rufen auch schon herübersteuerte. Der junge Mann hatte jenen dunkeln, tiefsinnigen Blick, den ich an Männern wie an Frauen liebe, und so kam ich seiner Freundlichkeit mit Wohlwollen entgegen, und wir behandelten uns nach einigen Minuten, als wenn wir alte Bekannte wären. Er sagte mir, diese sumpfige Stelle wäre im Frühling und Herbst ziemlich gefährlich, weil die Fähre nicht ganz nahe kommen könne und der Wagen alsdann tief im Wasser fahre. Ich lernte daraus, daß er hier herum bekannt seyn müsse. Und so erfuhr ich es denn auch, als wir auf der Fähre neben einander standen: er ist lange in Ziebingen und Madlitz gewesen, zweien Gütern, die der Finkenstein’schen Familie gehören. Von dieser Familie, den Töchtern wie den Eltern, spricht er wie ein Begeisterter. Der Vater, der Präsident Graf Finkenstein, ist der Sohn des berühmten Staatsministers und der Präsident selbst ist in der Geschichte, durch jenen vielbesprochenen Arnold’schen Proceß, nicht unbekannt, in welchem er sich als einen wackern und höchst rechtlichen wie unerschrockenen Mann zeigte. „Wer in dieser Familie, rief mein neuer Bekannter aus, eine Weile gelebt hat, der kann sich rühmen, die echte Humanität und Urbanität, das Leben in seiner schönsten Erscheinung kennen gelernt zu haben. Die Mutter, eine würdige Matrone, ist die Freundlichkeit selbst, in ihrer Nähe muß jedem wohl werden, der ein echter Mensch ist. Begeisternd, aber freilich weniger sicher ist die Gesellschaft der drei schönen und edeln Töchter. Die zweite ernst, die dritte muthwillig und froh und die älteste graziös und lieblich, erscheinen sie, im Gesange vereinigt, wie das Chor der Himmlischen. Vorzüglich die Stimme dieser älteren Schwester ist der reinste, vollste und auch höchste Sopran, den ich jemals vernommen habe. Wäre sie nicht als Gräfin geboren, so würde sie den Namen auch der berühmtesten Sängerinnen verdunkeln. Hört man diese Henriette die großen leidenschaftlichen Arien unsers musikalischen Sophokles, des einzigen Gluck, vortragen, so hat man das Höchste erlebt und genossen. Oft verherrlicht noch ein großer Musikkenner, der Minister Voß, die Gesellschaft, und durch seine Vermittlung und aus der Sammlung dieses vortrefflichen Mannes haben die Töchter große Sachen von Jomelli, ältere von Durante, Leo, Lotti und Allegri, einige höchst seltene vom alten Palestrina und dessen Zeitgenossen erhalten, und diese erhabenen Kirchengesänge werden in dieser Familie so vorgetragen, wie man es vielleicht kaum in Rom so rein und großartig vernimmt. Der Vater, nachdem er seine Geschäfte und juristische Laufbahn aufgegeben hat, bewirthschaftet seine Güter und hat mit malerischem Sinn für Natur in Madlitz einen der schönsten Gärten angelegt und ausgeführt, der uns einfach und ohne Prätension die Herrlichkeit der Bäume und Pflanzen zeigt und an hundert anmuthigen Plätzen zum poetischen Sinnen und phantasiereichen Träumen einladet. Dieser Mann studirt und übersetzt den Theokrit und Virgil’s Eklogen, so wie einige Gedichte Pindar’s. Er kennt, was noch so vielen Poesiefreunden eine geheimnißvolle Gegend ist, viele alt-deutsche Gesänge und weiß das erhabene Epos der Nibelungen fast auswendig. So oft ich in diesem Kreise war, bin ich besser und unterrichteter aus ihm geschieden.“
Aus dieser begeisternden Rede schloß ich, daß mein neuer Bekannter der Liebe sehr zugeneigt, in diesem selben Augenblick wohl schon ein Verliebter sei, daß er wohl auch Anlage zum Dichter besitze. Er heißt Ferdinand von Erlenbach und reiset mit noch weniger Absicht als ich in die weite Welt hinein. Wir werden wenigstens bis Dresden beisammenbleiben, er sendet auch von hier, von Guben, seinen Wagen zurück, und wir haben in diesem Städtchen eine Chaise bis Dresden gemiethet.
Nach vielfachen Gesprächen, in welchen sich der enthusiastische Charakter meines neuen Freundes noch mehr entwickelte, kamen wir, nachdem unsre Kutscher sich ohne Noth im Fichtenwalde verirrt hatten, gegen Abend in dem Städtchen Guben an, welches für die hiesige Landesart eine ganz leidliche Lage hat. Er, der Aufgeregte, ist bei dem schönen Wetter noch nach dem Vogelschießen, auf der Wiese draußen, zu dieser Bürgerlustbarkeit hinausgegangen. Ich habe keinen Sinn für dergleichen poetische Prosa. Das Knallen der Büchsen, diese Gespräche beim Bier, der Pfahlwitz dieser Schützen, Alles dies kann weder meine Neugierde noch mein Behagen erregen. Er reizt sich aber auf, um dergleichen aus Willkür interessant zu finden; will wohl auch die Menschen studiren. Auch denkt er einen Jugendfreund aufzusuchen, den er seit vielen Jahren nicht gesehn, der sich hier angekauft und verheirathet hat. Ich zog vor zu essen, zu trinken und Dir diesen flüchtigen Brief zu schreiben. Gedenke Deines treuen Walthers.
Guben, den 15. Junius 1803.
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Ferdinand war in der That bis zum Abend beim Scheibenschießen. Er liebte dergleichen Volksfeste fast übermäßig und seine Phantasie, wenn er gleich nicht mehr in der ersten Jugend war, überzog die Gegenwart, die Andern dürr und finster erschien, mit einem glänzenden Firniß. Trotz seinem Nachforschen wollte es ihm aber nicht gelingen, seinen Schulfreund Wachtel anzutreffen. Die Schützen bedeuteten ihm auch, daß dieser nicht zu ihrer Gilde gehöre. In der Vorstadt, wo das ziemlich große Haus seines Freundes gelegen war, traf er ihn ebenfalls nicht. Er spazierte also halb verdrossen in der Gegend umher und vernahm aus der Ferne die Schüsse, die nach der Scheibe zielten, dann begab er sich wieder in das zerstreuende Geräusch, hörte hier und dort den Gesprächen zu und wünschte so wie die Andern über ungesalzene Geschichten oder Familienspäße lachen zu können. So ward es Abend und finster und er war immer noch zu verdrossen, um nach dem Gasthofe in der Stadt zurückzugehen, und sein Lager aufzusuchen.
Schon entfernten sich nach und nach die Schützen mit ihren Frauen und Kindern, ein anmuthig erfrischender Wind strich beruhigend über das Gefilde und die Sterne traten heller und bestimmter aus der dunkelblauen Wölbung; Ferdinand, der gern in der Nacht umherwandelte, war fast entschlossen, im Freien zu bleiben. Da hörte er im nahen Gebüsch wie ein Klagen, Seufzen und Schelten durch die Stille des Abends, und als er näher trat, bot sich ihm eine Scene wie von Teniers und Ostade dar, die zu seinen süßen Träumen gar nicht passen wollte. Ein trunkener Mann lag auf dem grünen Rasen und eine Frau, die bald ermahnte, bald wehklagte, bestrebte sich, ihn, indem sie ihn am Arme hielt, emporzurichten. Sie freute sich, als ein anderer Mann ihr nahte, weil sie in ihrer Angst dessen Hülfe sogleich in Anspruch nahm, um den Besinnungslosen nach Hause schaffen zu können. Indem Ferdinand den Betäubten aufzurichten suchte, erzählte die Frau, wie der Gatte auf einem Kindtaufschmause beim Amtmann des nahen Dorfes immerdar gelacht und getrunken, so christlich sie ihn auch ermahnt habe; mehr vom Gelächter noch als Wein berauscht, sei er auf dem Rückwege zur Stadt, indem auf dieser Stelle erst seine Krankheit sich vollständig gezeigt habe, hier schlafend und wie todt niedergesunken. Lachend und weinend stemmte sich die Frau, durch Ferdinand’s kraftvolle Unterstützung sichrer gemacht, bis Beide durch richtig angewendete Hebelkraft den Ehemann aufrecht gestellt hatten. Beschämt und gerührt fühlte sich Ferdinand, der schon seit einiger Zeit im Lallenden und Ohnmächtigen seinen humoristischen Freund Wachtel wieder erkannt hatte. Er war nur darüber froh, daß jener Walther, der neue Bekannte, bei dieser Nichterkennungsscene nicht zugegen war, da er ihm von diesem Herrlichen so viel Gutes und Schönes erzählt hatte, das ihm selber jetzt als Unwahrheit erschien. Die beiden Hülfreichen führten nicht ohne Mühe und Anstrengung den Unbeholfenen in sein Haus, und Ferdinand entfernte sich in der höchsten Verstimmung. Er durchstreifte wieder die Landschaft und erfreute sich der lieblichen Sommernacht, die warm und doch erfrischend, labend und milde nach dem heißen Tage auf den Feldern und Wäldern webte. Die Lichter des Städtchens erloschen nach und nach, und seinen Lebenslauf übersinnend, kam der Träumende nach einer Stunde zurück, um seinen Gasthof aufzusuchen. Er mußte vor dem Hause des trunkenen Freundes vorüber, und als er in die Nähe desselben kam, vernahm er deutlich Wachtel’s Stimme. Er war unten in einer großen Stube zur ebenen Erde und alle Fenster standen, der Sommerwärme wegen, offen. Ferdinand kam leise näher und unterschied in der Dämmerung seinen Freund, der ruhig neben seiner Frau saß und so in seiner gemessenen Rede fortfuhr: — denn alle Weisheit ist nur Stückwerk, und alle Tugend nichts als Flickwerk. Ich betheure Dir, ich war nicht betrunken, wie Du Dir einzubilden scheinst, sondern nur etwas anders, als gewöhnlich, gestimmt; auch war ich nicht abwesend oder gar besinnungslos, wie Du behaupten möchtest, sondern mein Geist schwärmte nur in andern Regionen und war eben mit der Lösung der tiefsinnigsten Probleme beschäftigt. So geht es mir ja oft, daß auf meinem Zimmer sich beim Buch oder im Nachdenken mein Geist in hohen Genüssen ergeht, und ich Dich ebenfalls alsdann nicht oder meinen Gevatter Wendling bemerke. Was nun die Behauptung betrifft, Du selbst habest mich nebst einem ganz fremden Manne, unwissend meiner selbst, hieher in mein Häuslein geschleppt, — so ist das nichts weiter, als was mir und Dir alle Tage geschieht, wenn wir im Wagen sitzen, über dieses und jenes anmuthig genug discurriren und weder wissen noch bedenken mögen, ob weiße oder schwarze Pferde uns von der Stelle bewegen. Contrair zeigt es nur von einem geringen Sinne, sich um diese Nebendinge allzuängstlich zu kümmern; und wie würdest Du selbst mich verachten, wenn ich in einer schönen Landschaft, an welcher sich Dein Auge ergötzte, Dich immer wieder auf die Schimmel und den rothnasigen Fuhrmann aufmerksam machen wollte. Also, nicht einseitig abgeurtheilt, liebe Gattin. Wären wir nicht so schnell stillgestanden, was Du selbst verlangtest, um zu verschnaufen, wie Du Dich ausdrücktest, so wäre ich dort am Abhang nicht in die Knie und alsbald mit dem ganzen Leichnam hinab gesunken oder geschurrt; denn Beine und Schenkel und alle jene Muskeln, welche zum Wandeln in Bewegung gesetzt werden müssen, thaten ihre Schuldigkeit ganz leidlich, Wille und Vollstreckung immerdar im Takt, Eins zwei, Eins zwei; — nun aber die plötzliche Hemmung — das war den Sehnen, Muskeln, Gebeinen, und wie sie Namen haben mögen, ganz unerwartet wie ein Blitzschlag; — die Geister, die schon Reißaus genommen hatten und in Indien und Calekut schwärmten, vergaßen von ihrer interessanten Pilgerschaft zurückzukommen, der Wille lauerte vergeblich auf Befehl, und die Sehnen und Muskeln, die schon lange des langweiligen Takttretens müde waren, fielen ohne von Willen und Geistbefehl und jenem hartherzigen Bewußtsein tyrannisirt zu werden, zusammen und blieben liegen. Sieh, Schatz, dies ist die pragmatische Geschichte jenes von Dir mißverstandenen Vorfalls.
Ganz gut, sagte die Frau, aber ich weiß, was ich weiß, Du kannst mir meine Sinne nicht abdisputiren. Vor acht Tagen sagtest Du wieder, wenn ich Dich unterwegs nur eine einzige Minute hätte ausruhen lassen, so wärst Du hier in der Stube nicht so hingeschlagen, daß es Dir zwei Tage im Kopfe brummte.
Richtig, mein Kind, erwiederte der Gatte, mein Genius brummte und knurrte damals lange aus Verdruß, daß man auf seine Weisung nicht gemerkt hatte. Denn ich war mit Bewußtsein dazumal überfüllt, es waren zu viele Lebensgeister gegenwärtig und ein Ueberschwang von Gedanken, philosophischen Begriffen und tiefsinniger Nüchternheit quälte mich; so war denn nicht Ein Wille bloß meinem Gehn und den Beinen zu Gebot, sondern wohl zehn Willenskräfte hantirten in mir und zankten gleichsam mit den Lebensgeistern und der obersten Hauptseele oder dem wahren Ich. Du sahst auch, wie die Beine zu schnell liefen, wie ich mit den Händen haspelte und gestikulirte, die in Wandelsbegeisterung auch Beine zu seyn strebten. Hätte ich nun etwas im Freien geruht, so konnte die Hauptseele so ein Dutzend Lebensgeister nach allen Richtungen fortsenden, mein zu starkes Bewußtsein wurde vernünftig und gemäßigt, und ich fiel nachher aus pur übertriebener Nüchternheit nicht hier auf den Fußboden hin. — Aber noch schlimmer, daß Du mich bei der fremden Dame, die seit gestern bei uns logirt und morgen, oder vielmehr heut, oder vielmehrest übermorgen, das heißt, da jetzt Mitternacht vorüber ist, eigentlich morgen früh abreisen will, in so schlechten Ruf gebracht hast, als wenn ich ein Trunkenbold wäre. Sieh, mein Engel, das fremde gutherzige Frauenzimmer reiset nun in alle Welt und hängt mir in den allerentferntesten Ländern einen Schandfleck an, und macht mir so in Gegenden einen bösen Namen, wo ich noch nicht einmal einen guten oder gleichgültigen Ruf errungen habe; es ist sogar möglich, ich werde da schon im voraus lächerlich, wo man mich noch gar nicht kennt; denn Verleumdung findet weit leichter als Verehrung eine Herberge und Wohnung in der Brust der mannichfach redenden Menschen.
Er ist also auch in der Ehe unverbesserlich geblieben, dachte der erzürnte Ferdinand und ging in die Stadt. Es war ihm in seiner Verstimmung unmöglich, sich jetzt seinem ehemaligen Freunde zu erkennen zu geben.
In einem nicht gar bequemen Fuhrwerke verließen die Reisenden Guben und zogen langsam durch die Steppen und Fichtenwälder jener Gegend der wendischen Lausitz. Sie übernachteten in Wermsdorf und waren erfreut, bei Königsbrück eine grünere und freundlichere Natur zu finden. Ein schöner, voller und dichter Tannenhain, mit vielen alten Bäumen, von schönen Buchen und Birken erhellt, empfing sie nachher, und gegen Abend sahen sie von einer Waldhöhe herab in seiner ganzen Schönheit am anmuthig gewundenen Strom das liebliche Dresden vor sich liegen.
Ich war schon oft in dieser Stadt, sagte Ferdinand, und doch bleibt mir der Anblick dieser Gegend immer neu. Die Hügel, die sanften Thäler umher, der schöne Strom, das Grün und die Waldpartien, Alles ist zierlich und ergötzlich zu nennen. Erhaben, ernst, feierlich ist diese Natur nicht und wir hören hier keine jener Stimmen, die das Ohr unsers Geistes wohl in Gebirgen vernimmt. Darum hat diese Gegend so recht eigentlich etwas Wohnliches, Behagliches, daß Jedem hier wohl wird, der eines Umganges mit der Natur fähig ist.
Sollten das nicht alle Menschen seyn? fragte Walther.
Ich zweifle sehr, erwiederte jener: suchen so viele nicht und vermissen in freundlichen Ebenen den Reiz der Gebirge? Entbehren nicht viele schmerzlich in schöner Abgelegenheit den Wirrwarr der großen Städte?
Das gehört auch, erwiederte Walther, zu den Erfreulichkeiten Sachsens und dieser Residenz, daß man sich frei fühlt, nicht von Mauth und deren Dienern grob und stürmisch angefahren und genirt wird; daß keine Habgier die Bestechung wie einen Tribut erwartet. Das bildet einen starken Abstich gegen das große benachbarte Land, in welchem in dieser Hinsicht so vieles zu verbessern ist.
Schon in der Nähe des freundlichen Thorschreibers fielen diese Reden vor und die Reisenden stiegen müde vor dem Gasthause, der goldene Engel, ab, in welchem sie Erquickung und gute Bewirthung fanden.
Dresden, den 19. Juni 1803.
Man sagt mir hier, die Familie Ensen sei in Karlsbad, und dahin werde ich also vorerst mit meinem Schwärmer meinen Zug richten, weil ich hoffen kann, von diesen Leuten, welche alle Verhältnisse so genau kannten, von der schönen Maschinka, oder ihrem Entführer etwas zu erfahren. Ferdinand, wie ich ihn der Abkürzung wegen nennen will, führte mich sogleich zu einem wackern Schwaben, einem Maler Hartmann hin, so wie zu einem sehr poetischen eigenthümlichen Landschaftmaler, Friedrich, aus Schwedisch-Pommern gebürtig. Diese wahrhaft wunderbare Natur hat mich heftig ergriffen, wenn mir gleich Vieles in seinem Wesen dunkel geblieben ist. Jene religiöse Stimmung und Aufreizung, die seit kurzem unsre deutsche Welt wieder auf eigenthümliche Weise zu beleben scheint, eine feierliche Wehmuth sucht er feinsinnig in landschaftlichen Vorwürfen auszudrücken und anzudeuten. Dieses Bestreben findet viele Freunde und Bewunderer, und, was noch mehr zu begreifen ist, viele Gegner. Historie, und noch mehr viele Kirchenbilder haben sich wie oft ganz in Symbolik oder Allegorie aufgelöset, und die Landschaft scheint mehr dazu gemacht, ein sinnendes Träumen, ein Wohlbehagen, oder Freude an der nachgeahmten Wirklichkeit, an die sich von selbst ein anmuthiges Sehnen und Phantasiren knüpft, hervorzurufen. Friedrich strebt dagegen mehr, ein bestimmtes Gefühl, eine wirkliche Anschauung, und in dieser festgestellte Gedanken und Begriffe zu erzeugen, die mit jener Wehmuth und Feierlichkeit aufgehn und eins werden. So versucht er also in Licht und Schatten belebte und erstorbene Natur, Schnee und Wasser, und eben so in der Staffage Allegorie und Symbolik einzuführen, ja gewissermaßen die Landschaft, die uns immer als ein so unbestimmter Vorwurf, als Traum und Willkür erschien, über Geschichte und Legende durch die bestimmte Deutlichkeit der Begriffe und der Absichtlichkeit in der Phantasie zu erheben. Dies Streben ist neu, und es ist zu verwundern, wie viel er mehr wie einmal mit wenigen Mitteln erreicht hat. So meldet sich bei uns in Poesie und Kunst, wie in der Philosophie und Geschichte, ein neues Frühlingsleben. Ganz ähnlich, und vielleicht noch tiefsinniger, strebte ein Freund, der erst seit kurzem von hier in sein Vaterland, Pommern (auch das schwedische), zurückgekehrt ist, die phantastisch spielende Arabeske zu einem philosophischen, religiösen Kunstausdruck zu erziehn. Dieser lebenskräftige Runge hat in seinen Tageszeiten, die bald in Kupferstichen erscheinen werden, etwas so Originelles und Neues hervorgebracht, daß es leichter ist, über diese vier merkwürdigen Blätter ein Buch zu schreiben, als über sie in Kürze etwas Genügendes zu sagen. Es war eine Freude, diesen gesunden Menschen diese Zeichnungen selbst erklären zu hören, und zu vernehmen, was er Alles dabei gedacht. Ich suchte ihn im vorigen Jahr, als ich mich auch hier befand, darauf aufmerksam zu machen, daß er, besonders in den Randzeichnungen, die die Hauptgestalten umgeben, mehr wie einmal aus dem Symbol und der Allegorie in die zu willkürliche Bezeichnung, in die Hieroglyphe gefallen sei. Der bittre Saft, der aus der Aloe trieft, die Rittersporn, die im Deutschen durch Zufall so heißen, können nicht im Bilde an sich Leiden, Reue oder Tapferkeit und Muth andeuten. So ist in diesen Bildern manches, was Runge wohl nur allein versteht, und es ist zu fürchten, daß bei seiner verbindenden reichen Phantasie er noch tiefer in das Gebiet der Willkür geräth und er die Erscheinung selbst als solche zu sehr vernachlässigen möchte. In derselben Gefahr befindet sich auch wohl Friedrich. Ist es nicht sonderbar, daß gerade die Zeit, die mehr Phantasie entwickelt, als die vorigen Menschenalter, zugleich im Phantastischen und Wunder mehr Bedeutung, Vernunft und äußere und innere Beziehung finden will, als früher die Menschen von jenen Productionen der Künste verlangten, die doch gewissermaßen ganz aus der Verständigkeit hervorgegangen waren? Man sieht aber wieder, wie Ein Geist immerdar sich im Zeitalter in vielen Gegenden und Gemüthern meldet. Die Novalis auch nicht kennen oder verstehn, sind doch mit ihm verwandt. War es denn auch so zur Zeit des Dante? So weit ich jene Jahre kenne, entdecke ich dort diese Verwandtschaft nicht. Dieser große Prophet hat in seinem Geheimniß dieses Streben, Sache und Deutung, Wirklichkeit und Allegorie immerdar in Eins zu wandeln, auf das mächtigste aufgefaßt. Ihn verstehn und fühlen setzt voraus und fordert eine große poetische Schöpferkraft; mit dem gewöhnlichen Auffassen ist hier nichts gewonnen. Soll man sich aber selbst so loben? Im Briefe vielleicht. Und doch gemahnt es mich, als sei dies kein Lob. Nur Geweihte sollen Dante’s Gedicht lesen. Es ist ja keine Bürger- und Menschenpflicht.
Sonderbar, daß viele Menschen, die mit Recht sich etwas darauf einbilden, daß sie Runge’s und Friedrich’s Bemühungen nicht abweisen, weil ihr Poesiesinn den Schöpfungen entgegenkommt, doch die tiefsinnige und ebenso liebliche Symbolik und Allegorie in Correggio’s einzigen Werken nicht fühlen und anerkennen. Wer nichts als den Maler in ihm sieht, der mit Lichteffekten spielt, mag nicht gescholten werden, wenn er mehr als einen Niederländer höher stellt. Runge selbst war immer von diesem großen Dichter auf das tiefste ergriffen, und es ließ sich mit diesem hochbegabten deutschen Jünglinge über diese Gegenstände sehr anmuthig sprechen und schwärmen. Freilich merke ich wohl, daß ich, gegen meinen Begleiter Ferdinand gehalten, mich noch sehr prosaisch ausnehme.
Wir standen vor Rafael’s sogenannter Sixtinischen Madonna. Es ist schwer, von einem so ewigen, ganz vollendeten Werke etwas Bedeutendes zu sagen, und um so schwerer, je öfter und weitläuftiger schon begeisterte Bewunderer oder forschende Kenner sich darüber haben vernehmen lassen.
Kein Werk, darin kommen alle überein, ist von Rafael so leicht, mit so weniger Farbe, so weniger Ausführung gemalt. Es hat darüber, weil es wohl rasch gefördert ist, fast den Charakter eines Freskobildes; in Hinsicht der Einfachheit, Erhabenheit, steht es vielleicht, wenn man einmal unterordnen will, allen Arbeiten dieses größten Malers voran. Es kommt mir vor, als wenn diese sublime Erscheinung jene Ausführlichkeit so vieler anderer Meisterwerke nicht zuließe. Denn wie eine Erscheinung wirkt dieses Kunstwerk. Es ist sehr zu tadeln, daß man es so nachlässig eingerahmt hat; denn oben ist vielleicht eine Handbreit oder mehr umwickelt, wodurch die grünen Vorhänge und der obere lichte Raum verkürzt sind. Denkt man sich dieses jetzt Mangelnde hinzu, so schwebt die Gestalt der Maria, sowie des Sixtus und der Barbara noch deutlicher, noch mehr und lebendiger herab. Die Vision der drei Heiligen steigt in die Kirche selbst hernieder, sie erscheint über dem Altar, und Maria bewegt sich im Niederschweben mit dem ernsten Kinde in den Armen zugleich vor. Diese doppelte Bewegung erklärt den Flug des Schleiers, sowie das Zurückstreben des blauen Gewandes; der verklärte Papst, im brünstigen Gebet, ist gleich in dieser knieenden Anbetung und Stellung gewesen. Die heilige Barbara stand der Mutter Gottes nahe, doch geblendet von der Majestät und fast erschreckt von den tiefsinnigen Augen des Kindes ist sie so eben in die Knie gesunken und wendet das Antlitz. Diese Verbindung der früheren und späteren Bewegung liebte Rafael, fast alle seine Bilder zeigen sie, und keiner hat ihn in dieser Kunst, auf diese Weise wahres Leben, Seele in die Stellungen und Gruppen zu bringen, jemals erreicht. Die Engel, als Herolde, sind schon früher angelangt, und stützen sich unten ruhend auf dem Altar selbst. Getrost, kindlich unbefangen erwarten sie die Heiligen, und der Tiefsinn der Kindheit contrastirt mit dem Angesicht Christi und dem strengen Ernst seiner Augen gar schön. Mir unbegreiflich, wie manche seyn wollende Kenner dieser Barbara etwas Weltliches oder gar Coquettes haben andichten wollen. Andre meinen, das Bild sei noch edler, wenn die Figur der Maria ohne alle Begleitung erschiene. Für wie Viele, und die doch gern mitsprechen, ist das Vollendete doch immerdar ein fest versiegeltes Buch, und eben darum, weil es vollendet ist. Die Mehrzahl der Menschen kann sich nur am Einzelnen entzücken. Ihr Streben, sowie sich ihnen in Kunst oder Poesie etwas Mächtiges und Schönes anbietet, ist, sogleich das Werk zu vereinzeln, um sich dieses und jenes, entweder mit Kälte oder Hitze anzueignen. Die Kalten sind die sogenannten Kenner, die oft mit solcher Wegwerfung diese oder jene Zufälligkeit oder eine Nebensache bewundern, daß man, ihren Reden nach, auf den Argwohn kommen müßte, es sei besser, wenn gar keine Kunst oder Poesie die Welt verwirre. Die Hitzigen versetzen sich zuweilen bis zu Thränen in eine ängstliche Leidenschaftlichkeit, um ja nur recht bestimmt etwas zu isoliren, irgend ein Schönes, das freilich sich wohl auch im Kunstwerke findet. Nur verdient dieses Einzelne erst das Lob, und kann nur verständig seyn, wenn es aus dem Innern des Werkes und seiner Totalität verstanden wird. Aber von dieser innern, nothwendigen Vollendung, wodurch erst ein Kunstwerk diesen Namen verdient, von dieser Ueberzeugung wollen die Eifernden wie die Besonnenen in der Regel nichts wissen; diesen Glauben erklären sie geradezu für Aberglauben. Sie können ein Werk nur bewundern, wenn sie es für eine Annäherung, aber freilich mangelhafte, zu jenem unsichtbaren, unfühlbaren und unbezeichneten Ideal halten, welches ihnen im chaotischen Nebel vorschwebt.
Es ist merkwürdig, wie sich so oft die Extreme berühren. Diese Rafael’sche Maria hätte vielleicht niemals copirt werden sollen und kein anderes Bild ist von Stümpern und geschickten Zeichnern so oft wiederholt worden. Den besten aber fehlt das geistige Auge, die wahre Gestalt der Maria wieder zu finden. Vielleicht wäre dem schaffenden Meister selbst keine Copie ganz gelungen. Am schlimmsten sind einige Oelbilder, bloß die ganze Figur der Maria, ausgefallen. Ich kenne welche, die aus dieser erhabenen Gestalt etwas Freches und Gemeines gemacht haben.
Unser Entzücken vor dem Gemälde wurde auf eine sonderbare Art gestört und unterbrochen. Ein Mann in mittleren Jahren, mit einem scharfen Gesicht und einer etwas rothen Nase, kam mit stolperndem Gang und einem schreienden Ton auf uns zu, und schloß meinen verzückten Ferdinand, ob sich dieser gleich etwas sträubte, fast zu heftig in seine Arme. Er nannte sich Wachtel, kam von Guben herüber und hatte unsre Namen im Thorzettel gelesen. „Ihr steht hier“, rief er unmittelbar nach der Begrüßung, „vor dem allercuriosesten Tableau, das der Mensch nur ersinnen kann. Es ist ohne Inhalt und stellt eigentlich gar nichts dar. Man kann sich aus den Abendwolken bessere Geschichten zusammensetzen. Wo kommen diese Creaturen her? Wo wollen sie hin? Warum blieben sie nicht, wo sie waren? Das kommt mir vor wie manche Menschen, die immer eine wichtige Miene machen und hinter diesem nachdenklichen Gesichte doch gar nichts denken. Der Zuschauer muß sich nun zwingen, noch weniger zu denken, und das nennt er dann eine erhabene Stimmung. Wie man beim Feuer, wenn es mächtig um sich greift, oft klug thut, zwei oder drei Häuser einzureißen, damit nicht hundert zu Grunde gehn, so sollte ein durchgreifender Menschenfreund, wie der Kalif Omar, einmal so ein tausend gepriesene Meisterwerke in den Ofen stecken, damit eine Kluft, ein leerer Raum entstünde, und diese Krankheit von unnützer Bewundrung, die immer weiter um sich greift, in sich erstickte, daß die armen Menschen einmal wieder frische Luft holten und zur Besinnung kämen. Was seht ihr z. B. auch dort an dem Tizianschen Christus mit der Münze? Ich habe einen Schacherjuden gekannt, der ganz wie dieser angebliche Heiland aussah. Diese Maler sind lustige, boshafte Kerle gewesen, und es ist zu verwundern, daß ihnen die Geistlichkeit nicht mehr auf die Finger klopfte. Die Satire, wie der Jude hier die Münze und den Versucher ansieht, wie die langen Finger so gern mit dem Geldstück eins werden möchten, ist doch allzusehr in die Augen fallend.“
Ferdinand, der mir vor einigen Tagen soviel Wunder und Schönes von diesem Jugendfreunde erzählt hatte, hätte aus der Haut fahren mögen und durfte doch den täppischen Gesellen nicht verleugnen. Er war aber dunkelroth vor Scham, denn noch kurz zuvor hatte er mir und den Umstehenden bewiesen, wie in diesem Bilde, „Christus mit der Münze,“ sich Tizian, der nur selten erhaben sei, selber übertroffen habe. So sehr er sich wehrte, mußte er sich doch von seinem Freunde zu den Teniers und einigen andern niederländischen Bauernscenen schleppen lassen, wo dieser Wachtel sich unter lautem Lachen ganz glücklich und behaglich fühlte. —
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Nachdem Walther diesen Brief abgesendet hatte, kehrte er zu seinem Freunde Ferdinand zurück, den er im heftigen Wortwechsel mit Wachtel antraf. Was giebt es, fragte er, worüber man so laut streiten könnte? Wachtel nahm sogleich das Wort und erzählte mit großer Lebhaftigkeit: die Sache, werthgeschätzter Unbekannter, betrifft, kürzlich zu sagen, das Herz und die Liebe. Ich bin des Undankbaren ältester Freund, und er will es mir verwehren, hier mit ihm zu seyn und ihn nach Teplitz und Karlsbad zu begleiten. Ist das nicht reelle Undankbarkeit? Ich komme her, sehe ihn nach Jahren wieder, und will mein verdumpftes Herz in lichtender, frischer Liebe auslüften und durch heilsame Erschütterungen von Motten und allem unnützen Gespinste reinigen, und er will es mir verwehren, ihn zu begleiten, weil ich ihn, wie er vorgiebt, in seiner verstimmten Erhebung nur störe. Auch hat er, wie immer, allerhand von Geheimnissen, die ich ihm allzuroh und derb betasten, oder vielleicht gar erdrücken möchte, denn er liebt es, sich selbst zu verhätscheln, und doch hat der arme Schelm seine ganze Schwärmerei nur einzig und allein von mir gelernt, was er freilich jetzt, nach so manchen Jahren, nicht mehr Wort haben will.
Ferdinand mußte lachen und sagte: nun, so begleite mich denn, Freund Wunderlich, wenn jener Herr, mit welchem ich mich schon für einige Zeit versprochen habe, nichts gegen die Vermehrung der Gesellschaft hat. Walther schien über die neue Bekanntschaft erfreut, die ihm manche Aufheiterung versprach, und man nahm sogleich die Abrede, vorerst nach Teplitz zu reisen, um zu erfahren, wie man sich untereinander vertrüge.
An einem trüben Tage reisete die Gesellschaft von Dresden ab, ziemlich spät, so sehr auch Ferdinand getrieben hatte, damit man noch zeitig in Teplitz anlangen könne. Der bequeme Walther aber, der es nicht in der Art hatte, Zeit und Stunde sehr zu beachten, hatte die Stunde versäumt. Die schöne Gegend bei Pirna, die anmuthige bei Gießhübel, die Waldpartien, die wechselnden Aussichten ergötzten alle. Auf der Grenze wurden die Reisenden, die nicht viel Gepäck mit sich führten, nur wenig aufgehalten. Der Weg bis zum Nollendorfer Berg hinauf war ermüdend und langweilig, denn schon in Peterswalde hatte sich ein dichter Nebel herabgesenkt, der jede Aussicht verdeckte. Oben auf dem höchsten Punkte des Berges von Nollendorf steht eine kleine Kirche. Hier stiegen die Reisenden aus, um, wo möglich, etwas von der Schönheit der Natur zu genießen.
Der Wagen fuhr indessen das Thal hinunter, als die Naturbeobachter noch oben im dichten Nebel standen und kaum die nächsten Sträucher am Wege unterscheiden konnten. Wachtel sagte: Eigentlich, meine Freunde, ist dies, was wir hier nicht sehn, und indem wir nichts sehn, der erhabenste Anblick der Natur. Dies ist ein Bild vom alten uranfänglichen Chaos, welches der wundersame Großvater aller Formen und Gestaltungen war. Wir übereilen uns, wenn wir uns das Nichts als nichts denken wollen: was sich weder denken noch vorstellen läßt. Nein, so wie wir es hier vor uns sehen, ist das Nichts beschaffen. Alles, so weit man sieht und denkt, ein unreifer Brei, eine angehende Milch, ein blöder Lehrling für ein Sein. Wie Silhouetten-Gespenster dort die Bäume und Sträucher, eben nur zu errathen, Finsterniß in diesem bleichen Dunkel, dort ebenso die Wand der Kirche. Alles nur Räthsel: steht da, wie Aberglauben im Meere der Unvernunft. Wenden wir nun einmal dieses eingebräute Gleichniß vor uns auf unsre eignen Köpfe an, so — —
Hier versagte dem Schwatzenden das Wort im Munde, denn einem Wunder gleich riß sich eine große breite Spalte in dem dichtgewundenen Nebel, und grünes Land, sonnenbeglänzter Wald lag unten, gegenüber funkelnde Berge im wachsenden Lichte. Kaum entdeckt, brachen links und rechts neue Klüfte im weißen Nebelmeer auf, und wie selige Inseln zeigten sich von allen Seiten Gebirg und Flur im spielenden Glanz des fluthenden Sonnenscheines, indessen noch dazwischen wie Wände oder Säulen die ineinandergeflochtenen Wolken alle Aussicht deckten. Nun entstand ein Kampf zwischen Licht und Dunkel: Alles wallte und zog hin und wieder. Die Wolken löseten sich in Streifen, die leichter und wolliger zerflossen und sich endlich in den Glanz verloren und untertauchten. So wurden von unsichtbarer Hand allgemach die Vorhänge weggehoben und das ganze Gebirge mit seinen schönen Formen lag weit ausgebreitet in allen Abstufungen des vollen und gemilderten Lichtes vor den Augen der entzückten Beschauer.
Diese Landschaft, rief endlich Ferdinand aus, muß eine der schönsten in Deutschland seyn.
Wie oft ich auch die Reise machte, sagte Walther, so habe ich doch niemals dieses überraschende Entzücken genossen, welches mich heut ergriffen hat. Wie herrlich wäre es, wenn der Elbstrom durch dieses Thal flösse, denn nur Wasser fehlt dieser lieblichen Natur.
Sprechen wir nur nicht so, rief Wachtel aus, wie ich dergleichen schon so oft habe hören müssen. Ihr waret ja eben noch entzückt, Freunde, und schon fangt ihr an, Mangel zu empfinden, zu kritteln und zu kritisiren. Wie schön der Anblick eines gewundenen Stromes auch sei, wenn er wie ein belebender Geist hin durch die Landschaft glänzt, so paßt er doch nicht in jede Naturscene hinein. Hier, wo Alles lieblich, so einklingend ist, würde er mich nur stören: er höbe das Gefühl dieser behaglichen Einsamkeit gewissermaßen auf. Rhein, Neckar, Mosel und der schöne Theil der Elbe beherrschen die Gegend, durch welche sie strömen, prägen ihr den Flußcharakter auf; hier aber führen die schönen Gebirge unmittelbar selbst das Wort. Stören kann oft eine kahle, unbedeutend schroffe Wand, wenn sie zwischen den schönen Linien der Gebirge sich eindrängt, ein nackter Hügel, dem man die Waldung geraubt hat, eine wüste Sandfläche, die sich todtenbleich und krank zwischen lustiges, lebensvolles Grün der Fluren wirft, aber hier, Freunde, ist Alles so ganz und voll, daß euch nichts mangeln sollte.
Sie stiegen jetzt beim schönsten Wetter den Berg hinab. Ein Fußpfad führte sie durch den Wald, aus welchem sie bald hier, bald dort wieder den freien Ausblick zu den Gebirgen hatten. Die Frühlingsvögel sangen nicht mehr, aber durch die feierliche Einsamkeit schrillten und zirpten die kleinen Vögelchen ihre einfachen kindischen Melodien.
Sie trafen im Thale ihren Wagen wieder, aber die Abendsonne beschien die Kapelle oberhalb Culm und den Weingarten, auf welchem sie schimmerte, so einladend, daß die Uebrigen Walther’s Vorschlage gerne folgten, noch zum Hügel hinaufzuklimmen, um den Untergang der Sonne von dort zu genießen. Die Freude an der Natur erzeugt oft, indem man in der Aufregung keine Ermüdung fühlt, eine Art von Rausch, welcher dann Mattigkeit und Ernüchterung herbeiführt, wenn man, wie beim Wein, die Sättigung zu lange hinausschiebt. So erging es den Reisenden. Die Sonne war untergesunken, sie stiegen in der Dämmerung hinab und hatten noch bis zum Nachtquartier einen ziemlich weiten Weg vor sich. Der Fuhrmann schmollte über die unnütze Verzögerung, um so mehr, da die Finsterniß, schnell wachsend, hereinbrach. Jetzt fühlten die Abentheurer obenein, daß sie, aus Freude an der Reise und weil sie spät von Dresden ausgefahren, das Mittagmahl versäumt hatten, und mit der zunehmenden Ermüdung und Dunkelheit wuchs in ihnen Hunger und verdrüßliche Stimmung. Es wurde völlig finster, so daß man die nächsten Gegenstände, selbst den Weg nicht mehr unterscheiden konnte, und der Fuhrmann, der der Gegend unkundig war, erklärte auf das Bestimmteste, daß er in dieser pechrabenschwarzen Nacht unmöglich schneller fahren könne, wenn er nicht sich und seine verehrten Herren der wahrscheinlichsten Lebensgefahr aussetzen wolle.
Mühselig, verdrossen, langsam ging die Reise fort. Immer noch erschien Teplitz nicht, und Mitternacht war schon längst vorüber. Endlich ersahen die Verstimmten eine dunkle Masse, in welcher nur wenige Lichtpunkte flimmerten, vor sich. Der Kutscher fuhr seitwärts, wie es schien, um das Thor zu finden. Keine Antwort auf wiederholtes Rufen und Klopfen. Endlich hörte man von innen, daß dies die Wohnung des Küsters und der Eingang zum Kirchhof sei. Der Kutscher tastete herum und fand ein großes Gatterthor. Noch weniger ward hier auf das laute Klopfen und Schreien Rücksicht genommen. Es war vom Felde her der Eingang zum sogenannten Fürstenhause. Mühselig fand man sich in der trüben Finsterniß zum Thore und zur Töpferschenke hin. Hier schlief aber längst Alles. Ein Kellner und eine Küchenmagd erschienen endlich, nur halb erwacht. Der Wagen ward untergeschoben, die Zimmer schloß man auf. Die Aufwartenden verwunderten sich übermäßig, daß die Ankommenden noch zu speisen begehrten. Butter, Schinken und ein kaltes Huhn wurden, nach vielem Widerspruch, nebst einer Flasche Wein noch herbeigeschafft. Die Betten waren in Ordnung. Aus Mitleid ließ man die Aufwärter wieder schlafen gehen. Doch Walther bildete sich ein, er fröre und habe sich erkältet. Ein großes Kamin war im Zimmer, und Wachtel, der allenthalben die Augen hatte, entdeckte auf dem Gange einige Scheite Holz. Man versuchte ein Feuer zu machen, das anfangs hell brannte, bald aber das Zimmer mit Rauch anfüllte. Es ward entdeckt, daß das Kamin oben zugemauert, also nicht zu gebrauchen war. Die Uebermüden hatten viele Noth, bis sie den Rauch wieder durch die Fenster hinausgetrieben hatten. So, ungesättigt, matt, verdrossen und überreizt begaben sie sich auf ihr Lager, indem Wachtel noch behauptete, es sei nichts so mit Pein versalzen, als die Vergnügungen des Lebens.
———
— Viel lieber durch Leiden
Möcht’ ich mich schlagen,
Als so viel Freuden
Des Lebens ertragen. —
So sang am Morgen Wachtel mit lauter Stimme und erweckte die beiden schlafenden Freunde. Als Alle munter und angekleidet waren, erschien das Frühstück und mit ihm die Wirthin, die es entschuldigte, daß die Reisenden in der Nacht eine so schlechte Aufnahme gefunden hätten. In der Entschuldigung wegen des Rauches war ein gelinder Vorwurf eingehüllt, daß man sich ohne Anfrage zu willkührlich des Feuers bemächtigt habe. Bei der neuen Einrichtung, schloß die Frau, sollten diese Zimmer nur für den Sommer benutzt werden, und ich will diesen ungeschickten Kamin auch noch fortschaffen lassen, damit er nicht öfter Irrungen veranlaßt.
Der Spaziergang nach Dorna ergötzte die Freunde, sie wandelten dann nach der Liebemay, einem anmuthigen Walde. Allenthalben erfreute der Anblick der Gebirge.
Am folgenden Tage sollte ihr Kutscher sie nach Dux bringen, sie geriethen aber, da er des Weges unkundig war, nach Kloster Ossek. Auf dem Rückwege besahen sie Dux und die Andenken an den berühmten und berüchtigten Wallenstein, der seit einigen Jahren durch des edlen Schillers Gedicht für die deutsche Nation ein neues Interesse bekommen hatte.
Die Bergstadt Graupen und ihre alte Kirche, die Ruine oben und die schöne Gegend nahmen den folgenden Tag in Anspruch. In der Kirche traf Walther zwei Damen aus Berlin, Mutter und Tochter, und sie beschlossen, die Spaziergänge in Gemeinschaft zu besuchen. Wir werden noch den jungen Herrn von Bärwalde hier sehen, den wir gestern in Bilin fanden, sagte die Mutter, einen jungen Mann, den wir im vorigen Winter kennen lernten. Ein bescheidenes, stilles Wesen, setzte die Tochter die Beschreibung fort, ich habe in meiner Vaterstadt, in Berlin, mit ihm getanzt: er war fast zu ernst und verschlossen und tanzte auch mit einer gewissen feierlichen Miene. Alles dies wurde still und fast ängstlich während des Gottesdienstes in der Kirche verhandelt, und so leise sie sprachen, sahen die andächtigen Böhmen doch mehr wie einmal drohend nach den Ketzern sich um. Plötzlich sprangen zwei junge, wohlgekleidete Leute durch die Thür der Kirche, stellten sich laut sprechend in die Mitte, den Rücken gegen den Altar und Priester gekehrt, und kritisirten die Gruppen der hölzernen Figuren, die gegenüber auf dem Chore einen Theil der Leidensgeschichte, kräftig und wild ausgearbeitet, darstellten, so wie man unten an der Seite durch gelbgefärbtes Glas in das Fegefeuer und die Qual der Sünder hineinsah; Alles auch ganze Figuren. Waren diese Gegenstände auch nicht der Kunst, vielleicht selbst der Kirche nicht ganz geziemend, so war das überlaute Gespräch und Lachen der Jünglinge ungezogen und so anstößig, daß die Damen, von den drei Reisenden begleitet, in großer Angst aus der Kirche flüchteten.
Um des Himmels Willen! rief das junge Mädchen, indem sie die Höhe hinanstiegen, kennen Sie, liebe Mutter, den sanften, trocknen, zu bescheidenen Tänzer in diesem übermüthigen, affektirten Don Juan wieder?
Ist Ihnen denn, werthes Fräulein, sagte Walther, dieser Ton der sogenannten feinern Welt noch unbekannt geblieben? Diese neumodischen ungezogenen Herren, die in Gesellschaften, im Schauspiel und in der Kirche sich lärmend und schreiend betragen, sind beim Tanze so steif und ehrbar, daß sie um Alles nicht lachen oder lächeln und ihre Tänzerin kaum noch mit einem finstern, halb abgekehrten Blicke ansehen. Auf dem Balle darf sich keine Spur von Fröhlichkeit zeigen, sie tanzen, als wenn sie zur Frohn arbeiteten, oder wie die Baugefangenen mit Schellen und Klötzen an den Beinen.
Die Frauen hatten solche Furcht vor jenen beiden Jünglingen, daß sie in der Gesellschaft der Reisenden über Maria-Schein schnell nach Teplitz zurückkehrten. Nach dem Mittagsessen traf man sich auf dem Schloßberge wieder, von wo man am schönsten das ganze Thal von Teplitz übersieht, und Abends begab man sich in das kleine Theater.
Ein ächt deutsches Stück wurde gegeben: „Der seltne Prozeß.“ Ein verarmter, rechtlicher, frommer und bibelfester Weber weiß seiner Noth kein Ende, um so weniger, da seine Frau ihn seit Kurzem mit Zwillingen beschenkt hat. Der Segen des Himmels, den beide dankbar anerkennen, drückt sie aber so zu Boden, daß nach langem Kampfe und vielem Schmerz sie sich entschließen, das eine Kind in der Nacht einem reichen Manne heimlich zu übergeben. Dieser aber hat in derselben Nacht schon ein Wickelkind erhalten, er läßt Acht geben, und als der Arme jetzt mit schwerem Herzen seinen Sohn dem Zufall und der Menschenliebe übergeben will, wird er ergriffen, gescholten und ihm, der nicht zu Worte kommt, das dritte Kind mit Gewalt in die Arme gelegt. Mit diesem Segen und Jammer befrachtet, muß er nach Hause gehen, und die Klagelieder der Frau kann sich Jeder denken. Indessen ist schon die unerwartete Hülfe nah. Eine Summe Geldes bringt der neue Ankömmling mit und ein Schreiben, daß für die Ernährung des Kindes reichlich soll gezahlt werden. Nun wird große Freude aus der Trauer. Aber der Reiche erfährt diese Entwickelung, er will das Kind sammt dem Gelde und der Verköstigung zurück haben, und so wird der seltne Prozeß vor Gericht geführt. Ein edler Advokat, der die Sache des armen Webers führt, weist sich endlich als der Vater des Findlings aus, und Alle werden am Schluß zufriedengestellt. Ein komischer Richter erheitert die Verhandlung.
Es waren noch nicht viele Brunnengäste in Teplitz und darum, besonders bei dem schönen Wetter, das Theater sehr menschenleer. Eine hohe, edle Gestalt gab sich die Mühe, den Schauspielern und dem schlechten Stücke oft zu klatschen und sie durch lauten Beifall zu ermuntern. Walther erkannte, als sie nach dem Stücke noch den Garten besuchten, in ihm den berühmten witzigen Prinzen de Ligne, der hier meist den Sommer zubrachte. Als Walther ihm seine Begleiter vorgestellt hatte, erklärte der geistreiche Prinz, daß es ihm nicht darum zu thun sei, die gespielte Armseligkeit für etwas Gutes auszugeben, sondern es komme ihm nur darauf an, die armen Schauspieler etwas zu ermuthigen.
Ist es nicht, fügte Walther hinzu, um diese ernsthaften Deutschen etwas Sonderbares! Wenn der heutige Schwank theatralisch gelten sollte, so müßte er eben als Schwank, als Posse vorgetragen werden. In diesem Sinne sah ich die Geschichte vor einigen Jahren in Rom spielen. Ein eigensinniger Misogyn jagt seinen Bedienten, Truffaldin, aus dem Dienst, weil er gehört hat, er sei verheirathet. In komischer Verzweiflung kommt der Spaßmacher nach Hause und findet die Zwillinge. Possierlicher Jammer der Aeltern, was anzufangen sei. Der Entschluß wird gefaßt, das Kind dem Findelhaus zu übergeben. Aber welches? Beide Kinder machen auf gleiche Liebe Anspruch. Man streitet, zankt, weint und lacht: der Zufall soll es entscheiden, und die Kinder werden wie Loose übereinandergerollt und Truffaldin greift blindlings hinein. Beim Findelhaus wird ihm aber der dritte Säugling nach einigen Schlägen, die er mitnehmen muß, aufgezwungen, und in dieser burlesken Art entwickelt sich, ohne Prozeß, so viel ich mich erinnern kann, das tolle Lustspiel. Die Italiener, die gerne lachen, hatten große Freude an dieser lustigen Parodie der Väterlichkeit und des menschlichen Elends, viele gesetzte Deutsche aber, die sich alle zu den guten und besten Köpfen rechneten, meistens Vornehme, die sich sonst nicht von der Moral geniren ließen, fanden den Spaß äußerst unsittlich und folgerten aus dem Lachen des unbefangenen Volks, das durch halbe Cultur noch nicht verdreht war, die tiefe Versunkenheit der Italiener, weil sie beim mindesten edeln Gefühl dergleichen Abscheulichkeit nicht würden dulden können.
Das Albern-Sentimentale, fuhr Wachtel im Gespräch fort, diese Krankheit, die dem wahren Gefühle ganz entgegengesetzt ist, hat von je bei den Deutschen gütige Aufnahme gefunden. Doch sind die Franzosen in vielen ihrer Dramen und Romane auch nicht frei von dieser nervösen Hautkrankheit. Den schlimmsten Ausschlag hat wohl unser Kotzebue gehabt und gegeben. Hiob rieb sich in seinem Elend mit Scherben: wir gehn in die Komödie, um uns zu erleichtern. „Der kratze sich, den es juckt,“ sagt Hamlet: das thun wir denn redlich.
Der Fürst lachte und nach einigen Wechselreden trennte man sich, weil es schon spät geworden war. Von Karlsbad schrieb Walther folgenden Brief an seinen Freund nach Warschau.
Karlsbad, den 28. Junius 1803.
Die Familie Essen habe ich aufgesucht, so wie ich nur hieher kam. Aber ich weiß nichts Bestimmteres, da diese Leute, die etwas träge scheinen, selber keine nähern Nachrichten haben. Nur so viel scheint aus Allem hervorzugehen, daß der Entführer oder Verführer sich unter verschiedenen Namen herumgetrieben hat, und daß es deswegen um so schwieriger ist, ihm auf die Spur zu kommen. Nach Franken deuten die etwanigen unbestimmten Anzeigen. Ich muß es also fast dem Zufalle überlassen, ob ich ihn oder sie auf meiner seltsamen Pilgerfahrt antreffen werde. Man wird selber saumselig, wenn man sieht, wie wenig die Menschen sich ereifern, die die Sache doch auch, der Verwandtschaft wegen, interessirt.
Mein wunderbarer Reisegefährte Ferdinand wird mir um so lieber, je öfter ich mit ihm zanke, je weniger ich in eine von seinen seltsamen Meinungen eingehen kann. So wie man von Sachsen aus die böhmische Grenze betritt, ist Natur und Menschenstamm anders. Am auffallendsten aber ist das katholische Wesen, die Heiligenbilder und Crucifixe auf Wegen und Stegen, in Dörfern und Städten, abseits auf dem Felde, wo man nur hinsieht, begegnen dem Auge diese hölzernen und aus Stein gemeißelten Figuren, die meisten, wie sich von selbst versteht, widerwärtig, schroff, und die Gemälde und angestrichenen Passionsfiguren blutig und unannehmlich. Engel, die in Kelchen das Blut des Heilandes auffangen, das Antlitz des Erlösers beregnet von rothen Tropfen, Maria meist mit nußgroßen Thränen, und Alles, wie in der Kirche zu Graupen, darauf hingearbeitet, um Schauder und Grauen zu erregen.
Als ich nun einmal darüber klagte, wie so Vieles in unserm Vaterlande, welches öffentlich aufgestellt wird, mehr dazu dient, die Barbarei zu befördern und das Auge zu verderben, anstatt den Sinn für Schönheit zu nähren und zu erhöhen, gerieth er in einen erhabenen Zorn und rief nach manchen Aeußerungen: Wüßten wir doch nur erst, was Schönheit ist und was wir so nennen sollen! Ist sie denn nicht so oft nur eine Verlarvung des Lebens und der Wahrheit? Auch die alten Griechen, uns Musterbilder im Schönfühlen, hegten vor jenen Klötzen und Unformen, die ihnen aus uralter, fast vorgeschichtlicher Zeit überkommen waren, eine heilige Ehrfurcht und Scheu, und die Frommen fühlten vor diesen Fratzenbildern in Ahndung und Erinnerung mehr, als vor jenen neuen, schöngeschnitzten Götterbildern. Die Süßlichkeit mancher neuen Maler oder Bildner, wenn sie den Heiland als einen Siegwart, oder empfindsamen verliebten Landprediger, oder im Akt des Brodbrechens als einen idealisirten Bäckergesellen darstellen, ist mir das Verhaßteste in allen Verirrungen unserer gefühlvollen Zeit. Das Leiden des Gottmenschen, die Geheimnisse unserer Religion, die Wehmuth, der Schreck unseres Innern, die uns von dieser dunkeln, zu nahen Erde in die himmlischen Regionen des Glaubens und Anschauens hinaufrücken sollen, können und dürfen anderer Natur seyn, als jene Bewegungen, die uns das Schöne erregt. Wo der Landmann seine Aecker überschaut, der wilde Jäger aus seinem Forst tritt, der fremde Wandersmann in den Bezirk kommt, sehen sie die Hinweisung auf Erlösung, Erbarmen, Mitleid und das Wunder des Ueberirdischen. Wird durch Fleiß und Thätigkeit, durch Tugend und Kraftanstrengung nicht immerdar etwas Geistig-Göttliches von der Qual und vom Tode erlöst? Geschieht nicht auch dieses in Arbeit und Mühe durch Schmerz und Aufopferung? Der Bettler empfängt in jedem Brodschnitt nicht nur die Milde des Gebers, sondern auch dessen Kampf und Schweiß. So weit diese Bilder hier in den frommen Gauen stehen, werfen sie ihre leuchtenden Strahlen segnend über die Aehren und die Früchte, über den jungen Wald, Bäche und Wege dahin, und Alles, so weit das Auge reicht, ist wie gesegnet und über den Tod und Fluch des Irdischen erhaben.
Wir fuhren über Dux, Brixen und Saatz, wo wir Mittag machten. Der Abend und der schönste Sonnenuntergang traf uns auf der Höhe vor Engelhaus. Ich erinnere mich kaum, in meinem Leben etwas so Wundervolles in der Natur gesehen zu haben. Ferdinand, bei dem alle Gefühle leicht in Rührung übergehen, hatte Thränen in den Augen. Sie standen seinem hübschen blühenden Gesichte sehr gut, was mit daher rührt, weil der liebe Mensch von aller Affectation völlig frei ist. Was er nun sprach, war wirklich wie in Entzückung, und als wenn er eben einer Vision theilhaftig wäre.
Kann man nicht diese Glut, diesen Purpurbrand und alle diese Röthen in ihren Abstufungen bis zum lichten Rosenschmelz, als Blut des Heilandes, vom Haupte strömend, aus der Seite, den Füßen und Händen fließend, anschauen? Sein Haupt, die Sonne, sinkt tiefer und tiefer hinab, der Nacht und dem Tode entgegen; nun ist die göttliche Scheibe verschwunden, und die Röthe gleitet ihr dunkler und farbloser nach. Er ist scheinbar todt, der göttliche Tag, und sein Alles erleuchtendes Licht erloschen. Ueber uns thürmen sich Wolken und kreisen umher, vom letzten Licht getroffen und schwach gefärbt. Sie bäumen sich auf und ergreifen flockend, anwachsend, sich lösend, diese und jene Gestalt. Es sind die alten Fabelgötter, die ein Traum- und Scheinleben erringen. Da sitzt der alte Jupiter, ungeheuer und in sich schwankend, auf seinem bebenden Dunstthrone, Bacchus erhebt trotzig und jubelnd den Pokal, und so wie er trinken will, zerfließt und schwindet der große Arm und die Figur des Trunkenen wandelt sich unvermerkt in den springenden Pardel, der jetzt den leeren Wagen zieht. Von dort schreitet der Juno erhabene große Gestalt durch das dunkle Blau, sie sucht ihren Gemahl und schrickt zusammen, weil dort schon ein goldner Stern durch den Aether blinkt. Haupt und Locken lösen sich, die gewölbte Brust schmilzt wie Silber im Ofen, die zerbrochenen Formen leuchten noch einmal auf und tauchen dort in den finstern Streif, in welchen sich alle rollenden Bildnisse versenken. Der Traum ist ausgeträumt und die dunkle Nacht tritt herauf. Ein Sternbild nach dem andern bricht aus dem finstern Dome glänzend hervor; oben die unvergänglichen festen Lichter, unten auf Erden Dunkelheit, Nacht, Tod; kein Fels, kein Wald mehr zu unterscheiden, Alles unkenntlich in eine schwarze Masse zerronnen, die ohne Anfang, die ohne Ende ist. Beides ein Bild der stummen Ewigkeit. So steht die Nacht fest, unerschütterlich, wie es scheint. Abend- und Morgenroth sind Wahn; die erhabne Unendlichkeit der Gestirne, die unzählbaren Lichter und Welten in unermeßlichen Fernen wandeln dem rückgekehrten Blick die Erde in nichtig Spielwerk und den Glauben an Gnade und Erlösung in Fieberphantasie. Der Zweifel und das Dahingeben in das Unbegrenzte, Schrankenlose, giebt sich für Wahrheit und Religion. Da erzittert die ewige Nacht in sich selbst, die finstern Wälder schütteln sich im Morgenhauch, die ergrauende Dämmerung wächst wie weissagend am Horizont empor. Plötzlich tritt die liebliche Morgenröthe hervor, mit ihren Wundern über die Berge klimmend; Farbe, Licht, Wonne, Gestalt vertreiben siegreich den Unglauben der formlosen Nacht, und der Glaube tritt wieder in die jauchzende Natur. Sie trägt, die trostreiche, freundliche Mutter, den glänzenden, auferstandenen Sohn als leuchtendes Kind in ihren Armen, und Wälder und Gebirge sind im blauen und grünen Schimmer der letzte Saum des fließenden Gewandes, wie sie aufgerichtet steht, hoch in die Himmel ragend. Und die Ströme jauchzen und schluchzen in Freude, und die Blumen lachen und duften, und die Felsen erklingen, und die Waldung rauscht Lobgesang.
Wir konnten seine begeisterten Augen nicht mehr sehen, denn es war ganz finstere Nacht geworden. Wundersam leuchteten von unten die zerstreuten Lichter aus Karlsbad, und nach vielem Rütteln und Stoßen unseres Wagens, indem einmal der große hölzerne Hemmschuh brach, der hier dem Rade untergelegt wird, gelangten wir spät und nicht ohne Gefahr in dem Städtchen an.
Am andern Morgen — wen traf ich? Unsern theuern Carl von Hardenberg, den jüngern Bruder unsers vielgeliebten nur kürzlich und leider für die ganze Welt zu früh gestorbenen Novalis. Er ist mit seiner jungen, angenehmen Frau hier, um die Bäder zu gebrauchen. Er sieht wohl aus und ist stärker geworden. An männlicher Schönheit ist er mit Novalis nicht zu vergleichen. Der schwärmende Ferdinand hat sogleich sein ganzes Herz erobert und mich, den ältern Freund, in den Hintergrund gestellt. Aber sehr begreiflich, weil sie sich in Stimmung und Ansicht begegnen. Carl Hardenberg hat uns seine Schrift: „Die Pilgerschaft nach Eleusis,“ vorgelesen, die mein Freund sehr billigte, wenn er gleich nicht Alles loben mochte. Dieser jüngere Bruder nennt sich in seinen schriftstellerischen Arbeiten Rostorf, nach einem Gute in Sachsen, nach welchem die eine Linie Hardenberg diesen unterscheidenden Namen führt. — Eben so ist Novalis ein Gut, nach welchem die ältere Linie sich unterscheidet, und welchen Namen unser Freund annahm, bloß deshalb, um sich nicht Hardenberg zu unterschreiben. Wie viel Unnützes haben schlechte Köpfe, die sich immerdar dem Bessern widersetzen, über diesen Namen Novalis gefabelt und gewitzelt.
Solltest Du nun nach Allem, was ich erzählt habe, nicht glauben, mein Reisegefährte Ferdinand sei katholisch geboren und erzogen? Allein nichts weniger, er ist Protestant und aus einem protestantischen Lande. Der wunderliche Wachtel, der sich die Miene giebt, ihn ganz genau zu kennen, ihn aber doch vielleicht nicht immer begreift, behauptet mit seiner gewöhnlichen Kälte und Sicherheit: wenn Ferdinand in einem katholischen Lande erzogen wäre, oder wenn es nur schon Ton und Mode wäre, wie es vielleicht dahin käme, sich katholisch zu dünken, so würde unser Schwärmer eben so extravagant ein Protestant seyn. Ich lasse das dahingestellt seyn. Denn wer mag dergleichen behaupten oder widerlegen?
Wir sind mit Hardenberg und seiner liebenswürdigen Frau nach dem sogenannten Heilingsfelsen gefahren. Eine von jenen Sagen, mit denen die Phantasie nicht viel anzufangen weiß, knüpft sich an diese Gegend. Die Spitzen der Felsen sind grotesk und gleichen in der Ferne gewissermaßen menschlichen Gestalten. Nun fabelt man, es sei eine Hochzeit, die plötzlich, mit allem Gefolge, in früher Vorzeit sei versteinert worden. — Mich dünkt, der Vielschreiber Spieß hat einen Geisterroman daraus gemacht. Diese gelesenen, beliebten Autoren lösen in Deutschland einander nach gewissen Zeiträumen ab, und selten, daß der neue Liebling besser als der abgesetzte Vorfahr ist. Dieselben Leser aber, die den neuen Demagogen bewundern, können alsdann nicht fassen, wie der frühere ihnen nur irgend etwas habe seyn können.
Man erlebt immer noch unerwartete, möchte man doch sagen wunderbare Dinge. In einer geistreichen, vornehmen Gesellschaft, in welche wir ebenfalls eintraten, als wir oben vom Hirschsprung zurückgekehrt waren, erhob sich zwischen zwei Baronen, schon bejahrten Leuten, ein unerwarteter und lebhafter Streit. Der ältere meinte und behauptete, das Thal von Karlsbad übertreffe nicht nur das Teplitzer bei weitem, sondern sei auch außerdem eine der schönsten Gegenden in Deutschland. Ich habe wohl erlebt, daß man Bücher, Autoren, Musiker und Schauspieler protegirt, und daß der Protektor seine Meinung, wenn er ein Vornehmer ist, so zur Ehrensache macht, daß ihm keiner, höchstens etwa ein Gleichgestellter, doch immer nur milde, widerspricht. Daß man aber in demselben Sinne auch die Natur protegiren könne, war mir eine ganz neue Erscheinung. Der Baron B. focht nun aber mit allen Waffen gegen Herrn A. für sein geliebtes Teplitz, und behauptete, dieses sei ohne Bedenken durch seine Heiterkeit, schöne Fernen, milde Luft und Bergfiguren dem elenden, bedrängten und drückenden Karlsbad vorzuziehen, wo die nahen Berge wie die Mauern eines Gefängnisses jedes Gemüth, das noch irgend Sinn für Natur habe, beängstigten. Als die beiden Gegner immer empfindlicher wurden und sich mit jeder Gegenrede schärferer Ausdrücke bedienten, wollte unser Wachtel den Streit durch gutgemeinte Uebertreibung schlichten oder lächerlich machen, indem er rief: „Meine Herren! Karlsbad, so wie Teplitz in Ehren! Aber, abgesehn von aller partiellen Vorliebe, wo immer eine gewisse Einseitigkeit sich meldet, auf die ein universeller Naturfreund, der ich zu seyn glaube, keine Rücksicht zu nehmen hat, so glaube und behaupte ich gegen sie Beide: daß der Hirschsprung dort oben schöner sei, wie irgend etwas in dieser Gegend oder bei Teplitz, ja in ganz Deutschland wenigstens, um nicht Europa zu sagen. Aber zugegeben selbst, Karlsbad sei ausbündig schön, wie schön dann der Hirschsprung, der hier unbedingt und ohne Frage das Schönste ist. Von tausend und aber tausend Malern ist nur Ein Rafael, der das Höchste und Vollkommenste erreicht hat; unter seinen vielen Bildern muß Eins das vorzüglichste seyn; auf diesem vorzüglichsten Tableau wird ohne Zweifel Eine Figur die beste seyn und — um ganz vollständig das Argument zu endigen — auf und an dieser Figur wird die Nase, der rechte Arm oder das linke Bein, oder wohl ein verkürzter Finger das allerkunstreichste darstellen — und, Vortrefflichste, diesen Finger, oder die Nase, oder was es nun sei, weise man mir nach, und ich bin in meiner Ueberzeugung glücklich, und fühle mich im Mittelpunkt der Kunst und scheere mich um den ganzen Rafael nichts mehr, die übrigen Sudler, Stümper oder vollendete große Meister gar nicht zu erwähnen. Und so ist mir mein Hirschsprung mein Delphi, mein Nabel der Erde.
Dieser Scherz aber, statt die Stimmung der Kriegführenden zu mildern, erbitterte sie nur noch mehr, und er endigte, wie ich gleich fürchtete, mit einer Ausforderung. Zum Glück ist die Sache gut abgelaufen, die Kugeln sind ganz nahe dem Ziele vorbei gegangen, ohne zu verletzen, und der Teplitzer Fanatiker ist nach seinem Lieblingsorte unmittelbar nach dem Kampfe abgereist, indem er in das Fremdenbuch seine Verachtung der hiesigen Gegend mit starken Ausdrücken eingezeichnet hat. —
Kann ein Gebildeter, so hat Baron A. diese Schmähung im Gastbuche zu widerlegen gesucht, so unbillig seyn, die Natur entgelten zu lassen, was bloß seine eigne Verstimmung, oder sein Mangel an Sinn verschuldet hat? Die Engherzigkeit kann kein Urtheil fällen, am wenigsten über ein Geheimniß, und ein solches ist und bleibt die Schönheit der Natur. Der Krittler wird immer mit ihr über den Fuß gespannt seyn.
O wie wahr! sagte Wachtel zum Schreibenden, denn nun verstehe ich erst, warum ich diesen meinen lieben Hirschsprung allen Dingen in der Welt vorziehe. Meine Vorliebe ist eigentlich das Herz und der Kern der Ihrigen, Herr Baron, wie dieser Felsen nur ein Theil des Ganzen; darum kann meine Liebe aber auch um so inniger seyn, weil sie sich durch nichts zerstreuen läßt. —
Doch genug von diesen Thorheiten; der gute Wachtel, so habe ich entdeckt, liebt den Wein noch mehr, wie irgend eine Schönheit in Kunst oder Natur. Er absentirt sich oft und huldigt im Geheim seiner Leidenschaft. Besonders ist es die sogenannte Mennische Essenz, ein vortrefflicher rother und süßer Ungarwein, der sein Herz ganz gewonnen hat. Ferdinand sieht ihn nachher oft mit seinen großen braunen Augen an, und kann aus den Faseleien und wilden Reden nicht klug werden, die Wachtel dann ohne Kritik und Aengstlichkeit von sich giebt. In diesem halben oder ganzen Rausch scheint sich dieser wunderliche Mensch am meisten zu gefallen. —
Nächstens mehr, und hoffentlich eine bestimmte Nachweisung.
———
Die drei Reisenden, welche man jetzt schon die drei Freunde nennen konnte, nahmen von dem trefflichen Hardenberg Abschied und reiseten den folgenden Tag bis nach Eger. Hier fällt der große stämmige Menschenschlag auf, sowie die dürre, kalte und unfreundliche Gegend. Man besuchte, aus Verehrung gegen den großen Dichter noch am Abend das Haus, in welchem Wallenstein war ermordet worden. Am folgenden Tage fuhr man über Thiersheim nach Wunsiedel und Sichersreuth, dem Bade, welches Alexanderbrunnen genannt wird. Hier ruhten die Freunde bei stechender Mittagshitze aus und erfreuten sich an der sonderbaren Gegend und Aussicht. Die Natur zeigt sich hier wild, man möchte den Ausdruck einen trotzigen nennen; dazwischen erfreuen Wald und grüne Wiesenstellen, und wunderbar zeigt sich die nahe Luxburg und der Burgstein. In diesem wundersamen Geklipp und durcheinander und übereinander geworfenen und kühn geschleuderten Felsenmassen erhebt sich das Gemüth in der Einsamkeit der unabsehbaren Tannenwälder zu den kühnsten Träumen. Ein poetisches Grauen weht in diesen Klüften und auf den steilen Höhen.
Diese Seltsamkeiten des Fichtelgebirges, die Nähe von Wunsiedel, die barocke Gestalt der Natur, die doch nicht ohne Lieblichkeit ist, führte das Angedenken der Freunde von selbst auf ihren geliebten Jean Paul Richter. Man sprach viel über diese echt deutsche Natur und über seine wundersamen Werke, deren Ruhm sich mit jedem Jahre mehr in Deutschland verbreitet hatte. Mehr noch traten und glänzender die Gestalten der hohen Reisenden hervor, die kürzlich hier gewandelt hatten. Der Name des Königs von Preußen und seiner schönen Gemahlin war in Aller Munde. Alt und Jung rühmten die Milde und Herablassung, die Holdseligkeit der edeln Frau, und wo man nur einen merkwürdigen Fleck des Gebirges betrat, waren Spuren, Namen, Denksprüche der Einwohner, um den Regierern die Verehrung und Liebe der gerührten Herzen zu wiederholen. Wie hatte sich seit zehn Jahren die Stimmung hier und allenthalben im Baireuthschen geändert. Denn damals ging das Volk nur ungern zur preußischen Herrschaft über. Jetzt fand man sich beglückt und Alle sahn mit Vertrauen und fester Liebe zu ihren Herrschern hin; und die Reise des Königs und der Königin hierher hatte die Gemüther aller Einwohner noch mehr erhoben.
Als man sich am andern Morgen auf dem Wege nach Baireuth befand, sagte Ferdinand: sonderbar ist es, Freunde, daß man immer, wenn man die Stätte selbst betritt, wo eine merkwürdige Geschichte vorgefallen ist, wo ein großer Mann wandelte, sich in der Regel abgekühlt und ernüchtert fühlt. Es ist, als wenn die Phantasie ohne Nachhülfe der Wirklichkeit die Sachen viel besser und passender verarbeitet. So hat mir in Eger das Haus des Bürgermeisters, in welchem der Feldherr ermordet wurde, nur einen trüben Eindruck gemacht. Schiller’s tönende Reden und ergreifenden Scenen wollen sich nicht recht in diese Localität fügen; man wird durch diese Umgebung herabgestimmt und das tragische Gefühl sinkt dort zur peinlichen Empfindung eines widerwärtigen Meuchelmordes herab.
Ja freilich, antwortete Wachtel, ist es fast immer so und kann auch nicht anders seyn. Die meisten Menschen prickeln und kneifen dann an ihrem lamentirenden Herzen, um sich hinaufzuschrauben. Ein Anderes ist es freilich, in dem schönen Sanssouci zu wandeln und an Friedrich den zweiten zu denken; die Wiesen zu betreten, die sich am Avon bei Stratford hinziehn und sich dort Shakspeare als Knabe und Mann vorzustellen. Hier läßt uns die Natur frei dichten. Kirchen, wie der Strasburger Münster, Schlösser wie das zu Warwick, erheben, indem sie große Kunstwerke sind, das Gemüth auch, wenn es sich dort Geschichte und Sage vergegenwärtigt; aber so ordinaire Fleckchen, Häuser, dunkle Zimmer, Kirchhöfe, stimmen herab. Unser lieber wunderlicher Jean Paul hat mir oft erklärt, er schildere die Gegenden am liebsten, die er niemals gesehn, würde auch den Anblick derselben vermeiden, weil ihn die Wirklichkeit nur stören möchte.
Ferdinand hatte eine große Vorliebe für Berneck und die Uebrigen erstiegen mit ihm die Ruine. Hinter Berneck tritt man in die Ebene und hatte nur zuweilen den Rückblick auf das Fichtelgebirge. Als man in Baireuth zu Mittag gegessen hatte, begab man sich nach dem Garten, der Eremitage. Hier war Ferdinand sehr unzufrieden, weil man Vieles geändert hatte, um in dieser sonderbaren Composition, die aber nicht ohne poetischen Sinn entstanden war, einige sogenannte englische Partien hineinzubringen, die den gut geführten französischen Anlagen ganz unharmonisch widersprachen. Es war aber noch so viel des Schönen übrig geblieben, daß die Freunde in dem warmen Sommerwetter sich sehr behaglich in diesen grünen Laubengewölben ergingen.
Bald wandelte man, bald setzte man sich nieder, und da der Garten von Menschen nicht besucht war, so konnten sie ungestört von den Werken ihres Freundes, Jean Paul, sich unterhalten. So sehr sie ihn bewunderten und lobten, so kamen doch Alle darin überein, daß man der Kunst und Poesie Unrecht thue, wenn man seine wundersamen Bücher Romane nennen wolle. Ein Roman sei ohne besonnene Kunstanlage unmöglich, und die Plane Richter’s seien so willkürlich, unzusammenhängend und von Laune und Eigensinn gesponnen, daß gerade die scheinbare Einheit, der precaire Zusammenhang um so mehr verletze, um so mehr er oft mit falscher Künstlichkeit berechnet sei. So, fuhr Walther fort, haben wir wohl nur einen wahren Roman in deutscher Sprache, unsern Wilhelm Meister, den man nie genug studiren kann.
Wachtel sagte: dieser Wilhelm verdient gewiß alle Achtung, wenn man ihn nur nicht gegen den einzigen Don Quixote messen will. Dieses große Kunstwerk steht nun jetzt seit zwei Jahrhunderten als ein unerreichtes und als ein Musterbild da. Nicht als Muster insofern, daß andre Romane diesem ähnlich seyn sollten, sondern als Vorbild, wie jeder in seiner Welt, die er darstellt, in seinem Zweck, den er verfolgt, so durchaus ein Ganzes und Befriedigendes seyn könne und müsse.
Man hat an diesem herrlichen Buche, fiel Walther ein, ohne Noth so viel getadelt, was der weise Autor doch gerade mit vielem Bedacht seiner sinnreichen Geschichte eingewebt hat. Zum Beispiel kommen nicht die meisten Kritiker darin überein, die musterhafte Novelle des Neugierigen sei überflüssig und störend? Unser lieber Manchaner selbst, so treu, edel und herzhaft er ist, nimmt sich etwas vor, das, obgleich es schön und herrlich ist, es auszuführen er keine Mittel besitzt. Dieses Kämpfen für Recht und Unschuld, dieses Ritterthum und Kriegführen, wie er es sich vormalt, war aber auch zweitens niemals so in der Welt und konnte niemals so da seyn. Auch ein Herkules oder ein Amadis, mit allen Kräften und Tugenden ausgestattet, müßte einer solchen wahnsinnigen Aufgabe des Lebens erliegen. Nur hie und da, in verschiedenen Zeiten und Ländern, that sich etwas, mehr oder minder, von dieser poetischen Ritterwelt in der wirklichen Geschichte hervor. Die Phantasie des ebenso braven als poetischen Manchaners ist durch jene Bücher verschoben, die schon längst der Poesie ebenso sehr wie der Wahrheit abgesagt hatten. Das, was noch in ihnen poetisch war, oder jenes Phantastische, was das Unmögliche erstrebte, sowie die schönen Sitten der Ritterzeit, alles Dies durfte der ehrsame Herr Quixada wohl in einem feinen Sinne bewahren, ja sich zu jener adligen Tugend seines eingebildeten Ritters hinan erziehn; — wenn er nicht darauf ausgegangen wäre, diese Fabelwelt in der wirklichen aufzusuchen und in diesem von Sonne und Mond zugleich beschienenen Gemälde den Mittelpunkt und die Hauptfigur selbst zu formiren. Er war aber im Recht, wenn er, manchen seiner Zeitgenossen entgegen, die Lichtseite und die Poesie jener entschwundenen Zeit und Sitte würdigte, wenn er sich selbst als Dichterfreund an dem ganz Thörichten und Phantastischen seiner Bücher ergötzte. Nun aber zog er aus, alles Das, was ihm begeisternd vorschwebte, selbst zu erleben; jenes unsichtbare Wunder, welches ihn reizte, wollte er mit seinen körperlichen Händen erfassen und als einen Besitz sich aneignen.
Sehr richtig, erwiederte Ferdinand, und deshalb ist die getadelte Novelle des Neugierigen nur ein tiefsinniges Gegenbild, welches von einer andern Seite die Thorheit des Manchaners erläutert. Auch Anselm will das Unsichtbare, welches wir nur im edlen Glauben besitzen, sichtbar, körperlich in der Hand haben; das Richtige, Irdische soll ein Himmlisches vertreten und ihm die Gewähr der Treue und Liebe seyn. So zerstört er durch Aberweisheit, durch impertinente curiosidad, was wir nicht übersetzen können, die Keuschheit und den Adel seines Weibes, die ohne diese Anfechtung wohl nie jene List und schreckliche Kunstfertigkeit, die widerwärtigen Feinde der reinen Unschuld, in sich entwickelt hätte. Zweifel also auf der einen Seite, und ein thörichtes Bestreben, das Unsichtbare sichtbar zu machen, zerstören so einen geistigen Schatz, jene Treue, die der Zweifler eben so mit Recht Aberwitz schilt, wie der edle Glaube sie für felsenfest ansieht und durch eigene Kraft ihr die Unerschütterlichkeit mittheilt.
Wir sind hierüber einverstanden, antwortete Walther, geht es Ihnen aber, theurer Ferdinand, nicht vielleicht eben so? Ihre aufgeregte Phantasie würdigt die schöne und bildreiche Seite des katholischen Cultus, Sie sind in unsern späten Tagen von jener Rührung durchdrungen, die einst kräftige Jahrhunderte begeisterten. Seit kurzem ist ein religiöser Sinn bei jungen Gemüthern in Deutschland wiedererwacht, Novalis und dessen Freunde sprechen, reimen und dichten, um das verkannte Heilige in seine Rechte wieder einzusetzen; aber diese Anerkennung, diese süße Poesie des stillen Gemüthes in der Wirklichkeit suchen oder erschaffen wollen, scheint mir ganz derselbe Mißverstand zu seyn, den wir eben charakterisirt haben.
Sehr wahr, warf sich Wachtel eifernd dazwischen, — wie schön ist es, wie uns Herder einmal auf den tiefen und rührenden Sinn mancher Heiligenlegenden hingewiesen hat; nachher hat der romanhafte Kosegarten einige mit mehr oder minder Glück vorgetragen. Im vorigen Jahre sah ich den Verfasser der Genovefa und des Oktavian wieder und er erzählte mir von einem Buch und zeigte mir einige Blätter davon, welches denselben Gegenstand behandeln sollte. Die Einleitung und Form war nicht unglücklich. In einem schönen Gebirgslande verirrt sich ein edler Jüngling, der ganz in der zweifelnden Aufgeklärtheit seiner Zeit erzogen, aber dabei schwärmerisch verliebt ist, in der Einsamkeit des Waldgebirges. Unvermuthet trifft er auf einen einsiedelnden Greis, der den Ermüdeten in seine Zelle aufnimmt und ihn erquickt. Des Alten Freundlichkeit gewinnt das Herz des jungen Mannes und sie werden ganz vertraut mit einander. Ueber den Beruf der Einsiedler, über die Wunder der Kirche, über die Legende und Alles, was sich in diesem Kreise bewegt, verwundert sich der Jüngling und kann es nicht unterlassen, auf seine Weise zu spotten und mit Witz des Zweiflers zu verhöhnen. „Wie? ruft der Greis dann aus, Du bist in Liebe entzündet, Du schwärmst für Deine Sophie und kannst doch kein Wunder fassen? Ist die Blume, das Band, welches Dein Mädchen berührt, die Locke, die sie Dir geschenkt hat, nicht Reliquie, empfindest, siehst Du an ihnen nicht Licht und Weihe, die kein andrer Gegenstand Dir bietet? Wo Du mit ihr wandelst, ist heiliger Boden, wenn sie Dir die Hand oder die Lippen zur Berührung reicht, bist Du verzückt, — und doch verkennst Du in der Geschichte der Vorzeit den Ausdruck dieser Liebe, in den seltsamen Entwicklungen begeisterter Gemüther, bloß weil sie diese Sehnsucht und Herzenstrunkenheit nicht auf ein Weib hingelenkt haben?“ — Der Jüngling wird nachdenkend und besucht den Alten nun, so oft er die Stunde erübrigen kann. In diesen Zeiträumen erzählt ihm der Greis jene wundersamen Legenden von Einsiedlern, Jungfrauen, Männern und Kirchenältesten, die ihr ganzes Gemüth der Beschauung des Himmlischen, der Entfaltung jener geheimnißvollen Liebe widmeten. Diese Kämpfe des Zweifels, diese Erscheinungen aus fremder Welt, diese uns unbegreiflichen Aufopferungen werden nach und nach vorgeführt, wo sich aus dem Erzählten selbst die Erklärung und das Verständniß ergiebt. Nach einigen Monaten kommt der junge Liebende wieder zum Greise und dankt ihm, wie einem Vater, der ihm den Geist geweckt und ihm ein neues Leben erschaffen habe; er sei darum auch entschlossen, in den Schooß der alten Kirche zurückzukehren. „Nein, ruft der Greis bei dieser Erklärung, verwechsele nicht diese unsichtbare Liebe, mein Sohn, mit den Zufällen der Wirklichkeit. Du würdest, anstatt des Göttlichen, nur die Schwachheit unserer Priester kennen lernen. Wozu, daß Du Deine innern Entzückungen, die im Geheimniß Deiner Brust Wahrheit und Bedeutung haben, in die kalte Wirklichkeit verpflanzen willst, an welcher sie erstarren und verwelken müssen?“ So rieth ihm derselbe Greis ab, der ihn erst in die Liebe und Bedeutung jener Visionen eingeweiht hatte. — Und ich wende das Resultat jenes noch nicht erschienenen Buches wieder auf Dich an, mein Ferdinand. Das erste Wahrnehmen, der Blick der Begeisterung, die Aufregung der Liebe findet immer und trinkt den reinen Brunnquell des Lebens; — aber nun will der Mensch im Schauen das Wahre noch wahrer machen, der Eigensinn der Consequenz bemächtigt sich des Gefühls und spinnt aus dem Wahren eine Fabel heraus, die dann oft mit den Wahngeburten der Irrenhäusler in ziemlich naher Verbindung steht.
Somit wäre also, rief Ferdinand aus, der Indifferentismus, der nur Alles gesehn und erfahren hat, nichts aber seinem Gemüthe sich einbürgern läßt, die höchste Weisheit und Menschenwürde! Es kann aber die Zeit kommen, in welcher edle Geister sich wieder öffentlich zu dieser Kirche, dem alten, echten Christenthum bekennen.
Möglich, sagte Walther, wüßte man nur bestimmt und klar, welches das älteste Christenthum sei. Jeder deutet sich die Sache in seiner Weise aus. Auch möglich, daß die jetzt vergessenen Pietisten durch diese religiöse Anregung und Begeisterung wieder erwachen; vielleicht giebt es in einigen Jahren deutsche Puritaner und Methodisten. Die geistige feine Linie, auf welcher hier das Wahre und Schöne schwebt, kann so leicht hüben und drüben überschritten werden; — und bemächtigt sich erst die Menge, die Leidenschaft, die Turba dieser Vision — welche Religions-Manieristen mögen da noch zum Vorschein kommen, wenn nicht sogar Verfinsterung und Verfolgung, Inquisition und Haß von katholischen Priestern und vermeintlich orthodoxen Protestanten wieder gepredigt wird. — Das scheint aber wohl, daß Verliebte in ihrer erhöhten Stimmung mehr der katholischen, als einer andern Kirche zugeneigt seien, und daß Sie, lieber Ferdinand, ein Verliebter sind, habe ich Ihnen angefühlt, seit wir uns dort hinten auf der Oder zuerst kennen lernten.
Ferdinand ward blutroth, und verleugnete schwach und stotternd die Anklage. Er ist eigentlich kein Jüngling mehr, sagte Wachtel, aber seit ich ihn kenne, ist er immerdar verliebt gewesen. Doch so tief, wie er jetzt seyn mag, ist es ihm wohl noch niemals ins Herz gegangen, denn er ist bedenklich und viel tiefsinniger und launenhafter als in ältern Zeiten.
In einer schönen Mondnacht fuhren die Freunde von Baireuth ab und kamen früh, schon vor Sonnenaufgang, in Streitberg an. Sie bestiegen die Berge und besuchten die merkwürdigen Höhlen. Ferdinand, der, wie die Uebrigen, die Gegend schon kannte, war wie trunken von der schönen Natur. Ueber Ebermannstadt näherte man sich dann der Ebene; hinter diesem Orte sind die Wege so schlecht, daß man einen Vorspann von Ochsen herbeiholen mußte, um aus der versumpften Stelle den nicht schweren Wagen fortbringen zu können.
Hinter Bayersdorf streckt sich die sandige Ebene aus und man sieht ein großes, wüstes Schloß, welches in neuem Styl errichtet, aber nicht ausgebaut ist und als wunderliche Ruine dasteht.
Sehr begierig bin ich, so erzählte Ferdinand, hier einen ehemaligen Bekannten wieder aufzusuchen. Ich war ihm vor geraumer Zeit begegnet, und so kam er vor einigen Jahren wieder zu mir; er ist gelehrt und ein Enthusiast für die Dichtkunst; er läßt aber nur einzig und allein die Griechen aus der großen Zeit für Dichter gelten, und unter diesen stellt er wieder seinen Liebling Sophokles allen voran. Es ist nicht übertrieben, wenn ich sage, daß er diesen auswendig weiß. Er kennt alle Commentatoren seines Freundes genau, er ist unermüdet, ihn zu studiren und die schwierigen Stellen zu erklären, so daß wir von diesem Eifer gewiß schöne Früchte erwarten dürfen. Dieser wackre Termheim, denn so heißt er, hat aber gar keinen Sinn für die Schönheiten der Neueren; oder vielmehr, er behauptet, sie, von seinem Standpunkte aus, zu verstehn und von dort ihre Nüchternheit und Verwerflichkeit einzusehn. Er belächelt mitleidig Diejenigen, welche den Shakspeare bewundern; er behauptet, die Barbarei dieses Naturkindes sei höchstens für den Psychologen interessant, der von seiner Stelle diese Waldnatur allenthalben zurecht weisen könne. Die Leidenschaften fast pathologisch richtig zu schildern, sei noch lange nicht hinreichend, um sich der Schönheit auch nur von fern zu nähern. Die Großheit der Alten habe recht geflissentlich alles das verschmäht, worauf die Neuern ihren Stolz gründen wollten. Unsern Göthe nennt er nur eine Ausgeburt neuester Kränklichkeit, der, zu schwach, das Große und Starke zu erfassen, und zu vornehm, um die eigentliche Gestalt des Lebens zu verstehn, in einer unsichern, schwankenden Mitte nur der Verzärtelung fröhne. Das klare Aetherlicht, der Hinüberblick über die Natur und Welt, jene gesunde Freiheit des Menschen, der Alles sieht und fühlt und sich nur dem Besten befreundet, sei nur in Homer, Pindar, Aeschylus und Sophokles zu finden, in Herodot, Thucydides, Plato und Aristoteles; mit Euripides und Xenophon melde sich schon das Krank- und Schlaffwerden der edeln Lebenskräfte. Unter den Neueren kann fast einzig und allein unser Winkelmann bei ihm Anerkennung finden.
Wenn dieser gelehrte Mann, sagte Wachtel, kein Pedant ist, so ist er ein Narr, der auch mehr vor das Forum der Pathologie, als der Kritik gehört.
Sein wir nicht so unbillig, erwiederte Walther, es kann wohl seyn, daß ein innigstes Durchdringen, ein tiefsinniges Anerkennen der echten Schönheit den Blick für die nah verwandte, wie vielmehr für die entfernte, abstumpft.
Das leugne ich eben, sagte Wachtel, die neue Zeit muß uns die alte, und umgekehrt die alte die neue erklären. Es sind zwei Hälften, die sich, um ein echtes Erkenntniß zu gewinnen, nicht trennen lassen. Solche absprechende, hochmüthige Einseitigkeit kann nur so sicher und stolz in sich selber ruhn, wenn ein völliger Mangel an Kunstsinn jeden Zweifel, wie jede tiefsinnigere Untersuchung unmöglich macht.
Spät nur kamen sie in Erlangen an. Dieser fränkische Kreis, sagte Wachtel im Gasthofe, bildet eigentlich das ganze Deutschland recht hübsch im Kleinen ab. Hier sind wir nun wieder in der sandigen Mark Brandenburg; Tyrol im Kleinen ist nicht fern, der Rhein und die Donau werden von dem artigen Mainstrom recht hübsch gespielt, und Schwaben und Baiern liegen in den fruchtbaren und heiteren Landesarten dieses anmuthigen Kreises, in welchem die Physiognomie der Natur immer so schnell wechselt. Ich habe immer den Instinkt oder die Einsicht unsers alten Maximilian bewundern müssen. Wie er sich zur Martinswand hinauf verirrt hatte, stand er ziemlich hoch, vielleicht ist ihm in der Todesangst die Eingebung gekommen, sein deutsches Reich so richtig in zehn Kreise einzutheilen, wo in jedem Natur und Menschenstamm sich so bestimmt von benachbarten absondern; oder die dortige Vogelperspektive gab ihm den richtigen Ein- und Ueberblick.
Am folgenden Morgen machte ein jeder der Reisenden seine Besuche. Walther erhielt einen Brief, indem er allein war, und sowie er ihn öffnete, rief er: ha! in Bamberg also! Endlich doch eine bestimmte Hinweisung. Ferdinand hatte seinen älteren Freund, den Professor Mehmel, besucht, wo er die Bekanntschaft des reformirten Pfarrers Le Pique machte, zu dessen warmer Herzlichkeit er sich sogleich hingezogen fühlte.
Nachmittags gingen die Freunde zu dem griechischen Gelehrten Termheim. Er freute sich sehr, Ferdinand wiederzusehen, indem er sich, ganz erhitzt, aus einem Schwall von Büchern und Papieren erhob. Jetzt werden wir einig seyn, rief er dem Freunde zu, wie sehr hatten Sie Recht, Verehrtester, mich wegen meiner einseitigen Bestrebungen zu tadeln. Jetzt begreife ich erst Ihre Natur, Freundlichster der Menschen, denn gewiß müssen wir uns unter dem Nächsten umsehn, um uns mit dem Fernen zu verständigen.
Erlauben Sie, unbekannter Herr, fiel Wachtel ein, ich will gewiß keine Blasphemie sagen, aber Sie verstehn mich wohl, wenn ich den Spruch hierauf anwende: wer seinen Nächsten nicht liebt, den er sieht, wie kann er Gott lieben, den er nicht sieht? — Die Neueren, von Dante an, Ariost, dann Shakspeare und besonders unser Göthe, alle Diese sind unsre Brüder und Gespielen, mit uns aufgewachsen, und wenn ich von Denen nichts begreife, die doch in demselben Elemente mit mir hantiren, — wie soll ich jene fassen, die mir durch Jahrtausende entrückt sind?
Sehr wahr, rief der Begeisterte aus, und so freuen Sie sich denn mit mir, Sie fremder oder längstgekannter Freund, daß unser Werth mir endlich aufgegangen ist; ich habe ihn, den Deutschen, nun endlich ausgefunden, der die Griechen überwiegt und übersieht.
So haben Sie, rief Ferdinand, Göthe’s schöne Natur endlich verstanden? Wenn Sie auch sein Lob übertreiben (und kann man wohl einen so großen Mann überschätzen?), so freue ich mich doch, daß wir jetzt, nach Jahren, endlich derselben Ueberzeugung geworden sind.
Göthe! rief der Gelehrte mit einem sonderbaren Ausdruck des Unwillens aus, — dieser verstimmte, kranke Geist! Nein, so sehr werde ich mich nie vergessen, diesen über meine angebeteten Griechen zu erheben.
Nun, fragte Ferdinand sehr gespannt, wer ist es denn also von unsern Deutschen, der Ihnen das Verständniß eröffnet hat?
Und Sie zweifeln noch? rief jener; kann man so verblendet seyn? Sehen Sie denn nicht hier die vielen Bände seiner unvergleichlichen Werke? Wer als der einzige, unvergleichliche Kotzebue kann mit den Heroen der Welt um die Krone ringen? Unablässig, tief in die Nächte hinein, studire ich jetzt die begeisternden Productionen dieses Genius. Seine Schalkheit, sein Witz, seine Darstellung der Leidenschaften, seine Charakterzeichnung der Menschen aus allen Ständen und Ländern, die Malerei seiner naiven Mädchen, das tiefe Gefühl der Liebe, die Scenen der Armuth und des Erbarmens, diese lächerlichen Personagen, die doch nicht übertrieben sind, die Mutter-, die Kindesliebe, die Kenntniß der Vorzeit, Alles, Alles, was man nur als rühmlich erwähnen kann, vereinigt dieser Geist in seinen Werken und überflügelt durch seine Vielseitigkeit Sophokles und alle Griechen.
Gewiß! rief Wachtel, der sich zuerst von seinem Erstaunen erholt hatte, diese Griecherei ist nur eine Kriecherei und Kotzebue kann künftig als Fluch oder Betheuerung dienen, wie man wohl mißbräuchlich Kotzsapperment! oder Kotzelement statt Gottes Element auf ungezogene Weise sagt.
Mehr als verwundert über diese neue Lehre gingen die Reisenden in ihren Gasthof zurück.
———
In Erlangen war am Johannistage ein Student beim Baden ertrunken. Die besten Schwimmer hatten ihn nicht retten, die künstlichen Mittel den Jüngling nicht ins Leben zurückrufen können. Man war einem alten, angesehenen Manne böse, welcher Alles für unnütz erklärt hatte, weil jeder Fluß an diesem bedenklichen Tage sein Opfer fordere. Die jüngern Leute vorzüglich schalten mit Heftigkeit auf solchen Aberglauben, der in manchen Gegenden den gemeinen Mann wohl selbst hindere, rettend beizuspringen. Wachtel bemerkte, daß es in Deutschland noch immer Provinzen und Städte gebe, wo der Bürgersmann des festen Glaubens sei, daß am Johannistage einer aus dem Orden der Freimaurer vom Teufel geholt werde. Als man bei Le Pique, dem verständigen Pfarrer versammelt war, wo sich der scharfsinnige Naturforscher Serbeck, sowie der Professor Mehmel eingefunden hatten, hielt, nachdem viel über die Fortschritte in jener Kunst gesprochen war, durch welche Scheintodte wieder zum Leben gefördert werden können, Wachtel folgende Rede:
Verehrte Gesellschaft und präsumtive Zuhörer!
Ich will gewiß nicht zurückbleiben, die Größe unserer Zeit anzuerkennen, blicken wir aber rückwärts, um nicht zu einseitig zu werden, so gebe ich mich für den Geschichtschreiber, oder Bemerker, oder Würdiger einer nicht ganz neuen, aber noch eben nicht besprochenen Kunst — der Kunst nehmlich, die Scheinlebendigen zu tödten.
Es sei mir erlaubt, von unsern Vorfahren anzuheben. Ehe die Welt, nehmlich unsere Erde und ihre atmosphärischen Pertinenzien zur Schöpfung, wie der Rahm, zusammengeronnen war, gab es, dem Sein gegenüber, ein Nichtsein. Von diesem Nichtdaseienden wurde lange Zeit keine Notiz genommen, denn es machte sich nicht merkbar. Leiber und Geister trieben ihr Wesen hand- und fußgerecht, und man lebte so recht frisch auf Gottes Güte und in den alten Kaiser hinein, als wenn diese Zeitlichkeit schon die reelle künftige Ewigkeit wäre. Neben kräftiger Tugend und vielfachen Thaten nahmen sich Uebermuth und Laster denn freilich auch Vieles heraus, und wie rüstige Kupferschmiede hämmerten Gute und Böse mit leidenschaftlichem Treiben auf das Leben los, daß Propheten und fromme Menschen oft dachten und weissagten, die ganze Schöpfung müsse zusammenbrechen. Jahre kamen, Jahre gingen. Schwermuth, Empfindsamkeit, Sentimentalität, Ohnmacht und Unkraft zu Tugend oder Laster gingen im Schwange: — es war nehmlich die Zeit gekommen, wo sich das uralte Nichts allgemach in das Dasein eingeschustert und eingeschlichen hatte. Ich konnte aus der Welt und meinen sonst löblichen Nebenmenschen nicht klug werden, bis mir denn ein Seherblick einmal in einem merkwürdigen Traume aufging. Im Orbis Pictus hatte ich in meiner Kindheit mir wohl die Umrisse in feinen Punkten eingeprägt, welche in jenem Buche die Formen der Seelen ausdrücken sollten. Wie ich also im Traume meinen Guide, einen weisen Geist, nach dem Zustande der Dinge fragte, that mir dieser mein inneres Auge auf, und — o Jupiter! o Gemini! wie sah ich Alles anders! Viele Menschen waren robust, voll, kurz angebunden, von sich und ihrer Meinung überzeugt. Andere thätig im Gewerk und Landbau, — aber Unzählige liefen, von allen Ständen und Altern, so als fein gepunktete Schaaren herum, nichts wissend, wollend, denkend, aber sich vieler Dinge anmaßend. Wundre dich nicht, sagte mein Engel oder was mein Führer seyn mochte, über diese Entdeckung, welche du jetzt machst. Es ist nicht ohne, daß die Welt allgemach wieder ihrem Untergange entgegenwandelt. Die Nichtigkeit hat sich in alle Räder und Schwungtriebe der großen Maschine eingeschlichen. Der Mensch war als der Mittelpunkt mit seiner Kraft hingestellt, um den Körper der Welt, damit er niemals ein Leichnam werde, frisch zu erhalten. Jetzt werden es, ich weiß nicht wie viele Jahre seyn, daß die Menschheit auch mit Nullitäten angefüllt ist. Alles das Punktirte, was du wahrnimmst, sind Leiber ohne alle Seelen. Diese Körper stellen sich nur lebendig an und führen ein Scheinleben.
Abscheulich! rief ich aus: ich sehe fast mehr Tättowirte, als wirkliche Menschen. Kann die Vorsehung denn dergleichen zugeben oder gestatten?
Die Vorsehung, erwiederte mein geistlicher Präceptor, bedient sich in allen Dingen mittelbarer Mittel, und greift niemals persönlich in ihr geschaffenes, vielseitiges Getriebe. So hat sie denn, damit diese Scheinlebendigen nicht am Ende alles wirkliche Leben verdrängen und allein von der Erde Besitz nehmen, Gesetzgeber, Fürsten und echte Volkslehrer inspirirt, die sich, so viel es möglich ist, diesem Unwesen widersetzen und das Reich der Nichtigkeit auf verschiedene Weise zu zerstören suchen.
Recht! Recht! sprach ich eifernd: o groß ist Allah! würde der Muselmann hier ausrufen. — Da war eine sehr weise Cantoneinrichtung, wo die Punktirten, Nichtigen, die Eindringlinge so von Lieutenants, Fähndrichen und Unteroffizieren tribulirt, gehänselt, geplagt und ganz simpel geprügelt wurden, daß wirklich viele von diesen Scheinlebenden die Geduld verloren und sich wieder aus dem Staube machten. Ob ein Knopf so oder so saß, die Binde um den Hals um das Sechzigtheil eines Zolles zu niedrig oder zu hoch war, war ein Capitalverbrechen. Was man nur an dem Volke zwicken und kneifen konnte, geschah redlich, und ich mußte nur mit innigem Bedauern sehen, daß auch wirkliche lebendige Menschen von der übrigens weisen Anstalt molestirt wurden. Liefen die Kerle etwa davon und wurden wiedererhascht, so war ihnen eigentlich das Leben abgesprochen; die Gnade erhielten, wurden so mit Ruthen gestrichen, daß sie auch oft die Verstellung aufgaben, die Maske fallen ließen und wirklich starben. O wie trefflich fand ich die Schulen und Universitäten versorgt! Eine so fürchterliche Langeweile wurde mit Kunst da vertrieben, daß eine eiserne Geduld dazu gehörte, um sich nicht in diesen sogenannten Wissenschaften sterben zu lassen. Half Alles nichts, so wurden die Scheinseelen nachher noch examinirt, und von neuem ins Examen genommen, und wieder geprüft, daß Viele wirklich sich während dieses Examinirens davon machten. War aber Alles umsonst, so hatte man eine wundersame Art von Bündel erfunden, die man Akten nannte und die sich unsterblich immer vermehrten und vermehrten, diese wurden den Gequälten ins Haus geschickt, um wieder neue Akten daraus zu machen, so daß sehr viele zu sterben sich entschlossen. Nun gab es außerdem noch Trinkstuben, wo man mit Verstand schlechten Wein und noch schlechteres Bier fabricirte, um das elende Volk zu vergiften. Von dem Branntwein, der noch schneller wirkte, brauche ich gar nicht einmal zu sprechen. Hübsch war es auch, daß das Spazierengehen und die Freude an der Natur war erfunden worden, um das unnütze Volk aus dem Wege zu räumen: denn schon in den Schulen wurde es den Kindern beigebracht, daß sie sich ja regelmäßig erkälten müßten, weil es so möglich war, daß sie doch irgend einmal am Naturgenuß erstarben. Oft blitzte es in den punktirten Nichtseienden: es kam wie ein Bewußtsein über sie, daß sie leere Särge wären, es schien, als wollten sie sich zu Tausenden ermannen, um wie die Fliegen hinzufallen, damit das nüchterne Spiel nur aus sei. Es wäre auch wohl geschehen, und die Staatstabellen würden über die ungeheure plötzliche Sterblichkeit gewinselt haben, — aber da gab es eine höllische Erfindung, die ihnen trotz Prügel, Akten, Examen, Naturgenuß, Bier und Branntwein dennoch dies lumpige nicht lebendige Leben wieder annehmlich machte — sie rauchten nehmlich Tabak, um sich von dem entsetzlichen Gedanken, der sie befallen hatte, daß es ein wirkliches Leben gebe, wieder zu erholen und zu zerstreuen. — Ich sah nun ein, daß diese Tödtungsanstalten in jeder Hinsicht als Wohlthat für die wirklich Lebenden zu betrachten seien, und daß viele Menschenfeinde und der Verfasser „des menschlichen Elendes“ wohl anders würden geschrieben haben, wenn ihnen, wie mir, das Auge wäre eröffnet worden. Freilich möchte sich bei Untersuchung finden, daß die meisten dieser Autoren auch nur Scheinmenschen sind. —
Die Gesellschaft begab sich am andern Tage nach Nürnberg, um die Merkwürdigkeiten dieser guten alten Stadt in Augenschein zu nehmen und den lebenden Panzer und Dürers Grab auf dem Johanniskirchhof zu besuchen. Die schönen Kirchen und das Rathhaus wurden mit Aufmerksamkeit betrachtet, und im rothen Rosse, dem besten Gasthofe, erzählte Walther, wie vor zehn Jahren in diesem Hause sich etwas Seltenes zugetragen habe. Freysing, ein Student von Kopf, aber leichten Sitten, hatte in Erlangen weit mehr verbraucht, als ihm sein wohlhabender Vater bewilligt hatte. Eine große Schuldenlast drückte ihn, der letzte Wechsel, der ihm, um abzugehen, gesendet wurde, reichte bei weitem nicht aus. Er bezahlte daher nur die ärmsten seiner Gläubiger und verjubelte mit seinen Trinkbrüdern auf Spazierritten und in frohen Gelagen die ganze Summe. Am letzten Tage besaß er nur noch sechs Louisd’or, die kaum hinreichten, um auf dem gewöhnlichen Postwagen und mit Entbehrungen aller Art in seine Heimath zu gelangen. Ob mein Alter, rief er im Uebermuthe aus, jetzt mehr oder weniger schilt, kommt auf eins hinaus, denn mit dieser Lumperei reise ich auf keinen Fall zurück. Er ging nach Nürnberg und wagte die wenigen Goldstücke im Pharo. Das launische Glück war ihm so wunderbar günstig, daß er in einer Nacht so viel gewann, daß er allen seinen Gläubigern bis auf den letzten Heller zahlen konnte, welches mit Wucherzins eine sehr ansehnliche Summe ausmachte, und noch tausend und mehr Thaler von seinem Gewinne übrig behielt.
Beim Kunsthändler Frauenholz sahen die Freunde ein wundersames Bild von einem unbekannten Meister. Es ist die Mutter mit dem Kinde, ein gewöhnlicher Gegenstand, aber hier mit einer Innigkeit behandelt, die die Beschauenden entzückte. Sie küßt das Kind, und der Ausdruck in Mund und Augen ist so herzlich und ergreifend, daß man, obgleich die Gestalten nicht eigentlich durchaus schön sind, nichts Süßeres und Lieblicheres finden kann. Das Antlitz der Mutter ist so zart und fein gemalt, daß es wie aus aufknospenden Rosen gebildet ist. Die Nebensachen, Blumen und Verzierungen sind mit einem liebevollen Fleiß behandelt. Der Besitzer schrieb es unverständig dem Lucas von Leyden zu. Der Preis von zweitausend Gulden, den er forderte, war für einen Reichen nur eine mäßige Summe, um mit dieser Wunderblume sein Gemach auszuschmücken.
Als sie nach Erlangen zurückgekommen waren, reiseten sie am folgenden Morgen nach Pommersfelden. Man war verdrüßlich über den schlechten Weg, und Wachtel suchte sie mit Scherzen zu erheitern. Unter anderm sagte er, als sie von der Gemäldegallerie in Pommersfelden sprachen: Es ist sehr verdrüßlich, daß sich die Kunstgeschichte immerdar erweitert. Unzufrieden mit dem Besitz, entdeckt man neue Zeiten, Manieren, Unterschiede und Künstlernamen, von denen unsre guten Vorfahren nichts wußten. Wer sonst ein steifes Bild sah, nannte es zu seiner und Aller Befriedigung einen Albrecht Dürer, wie sie es in Italien noch machen. Konnte man bei einer etwas abweichenden Manier den Namen Lucas von Leyden einsetzen, so galt man schon für einen Gelehrten. Dergleichen Abkürzungen und Anhäufungen vieler auf Einen Namen ist immerdar in Geschichte wie Mythologie sehr ersprießlich gewesen; man kann mit Einem Herkules, Sesostris und Pharao zufrieden seyn, diese behalten sich, und man muß es der Abbreviatur der Vorzeit danken, daß sie uns das Studium bequemer eingerichtet hat. Die Aufstöberer von Unterschieden und neuen Personen sind als Aufrührer zu betrachten, die die legitimen, wohlerworbenen Rechte jener Gesammtmenschen umstoßen wollen. So war vor zehn Jahren eine vortreffliche ältliche Castellanin in Pommersfelden, welche den Fremden die Zimmer des Schlosses und die Gemälde zeigte und erklärte. Es giebt einen berühmten Correggio, von welchem jede Gallerie wenigstens ein Stück besitzen will, drei Caracci, Ludwig, Augustin und Hannibal, zwei Caravaggio, den frühern und spätern, dazu glaube ich noch einen Cagnacci, zwei Carpaccio ungerechnet, diese Herren sämmtlich, nebst allen, die nur irgend mit ihrem Namen sich dem acci näherten, hatte die unvergleichliche Frau mit weiser Umsicht in den einzigen berühmten Maler Karbatsch zusammengearbeitet. Auf diesen großen Meister wälzte sie zugleich alle jene Bilder, auf deren Urheber sie sich nicht besinnen konnte.
In der Gallerie befindet sich ein schönes Bild, welches dort Rafael genannt wird: eine Mutter mit dem Kinde. Es hat einen wundersamen Ausdruck und den Anschein wie aus der ältern lombardischen Schule. In dem großartigen Styl ist zugleich wie etwas moderne Sentimentalität. Das Bild hat an einigen Stellen gelitten und es scheint fast, als ob es durch die hinzugefügte Urne irgend eine persönliche Beziehung habe.
Mit großer Freude sahen die Reisenden das alte Bamberg wieder. Von Würzburg schrieb Walther an seinen Freund nach Warschau:
Würzburg, den 10. Julius 1803.
Ich verzweifle jetzt fast, eine Spur zu finden, da meine Hinweisung auf Bamberg nur eine trügende war. Ein Doctor Marx, der aus dem Polnischen hieher gezogen ist und seit wenigen Monaten hier lebt, sollte mir Nachrichten geben, wo sie, Maschinka, sich verborgen habe, oder wo derjenige hier in der Gegend sei, dem sie zu folgen sich hat bereden lassen. Wir lernten einen Narren in Erlangen kennen, der den Kotzebue höher als alle Autoren stellt, und meine neuen Freunde spannen über diese Erscheinung, die mir nicht so wichtig schien, vielfältige Betrachtungen aus. Wachtel behauptete, in jedem Menschen stecke irgendwo etwas, das, gepflegt oder durch Leidenschaft aus seinem Winkel zu sehr hervorgezogen, zur bestimmten Narrheit werden könne. Auch erscheine wohl ein jeder Mensch andern aberwitzig und verrückt, wenn diese ihn mit der Ueberzeugung, er sei unklug, anhörten und betrachteten. Ich bekämpfte diese Meinung. Nachdem wir den alten Dom in Bamberg besehen hatten, über welchen Ferdinand in übertriebene, thränenweiche Entzückung gerieth, machten wir dem berühmten Doctor Marcus einen Besuch. Er zeigte uns die unvergleichlichen Krankenanstalten und erzählte uns von der Art der Behandlung, so wie von manchen sehr merkwürdigen Leidenden. Ich konnte nicht begreifen, warum er mich so besonders ins Auge faßte. Als wir in der Abtheilung waren, in welcher die Geistesverwirrten verpflegt wurden, waren, indem ich mich umsah, meine Gefährten verschwunden. Es kam mir vor, als hätte früher Wachtel mich noch einigemal mit einem seltsamen Blick von der Seite betrachtet. Verstimmt wie ich war, gefielen mir des Doctors Mienen, den ich jetzt beobachtete, ebenfalls nicht. Mit einemmale überraschte es mich, daß dieser Mann jener Doctor sei, der mir Nachricht von der Entflohenen geben könne. Ich erkundigte mich mit leidenschaftlicher Heftigkeit, erzählte, fragte, beschrieb und wurde immer ungeduldiger, je weniger er auf meine Reden eingehen oder mich verstehen wollte. Als ich Abschied nahm, sagte der Mann mit der größten Freundlichkeit: Sie bleiben fürs Erste bei uns, und es wird Ihnen schon bei uns gefallen. Ich habe schon seit acht Tagen die Nachricht empfangen, daß Sie eintreffen würden, und so wie Sie nur mein Haus betraten, erkannte ich sogleich in den ersten Reden Ihr Uebel. Ihr Zustand ist noch nicht der schlimmste; nur müssen Sie fürs Erste jene Geschichte, die Sie mir da erzählt haben, sich ganz aus dem Sinne schlagen, und ich werde schon für Unterhaltung und Zerstreuung sorgen. Es ergab sich nun, daß er mich für einen Geisteszerrütteten hielt, welchen er erwartete, und ebenfalls, daß er nicht jener Marx sei, mit welchem ich ihn in leidenschaftlicher Uebereilung verwechselt hatte. Indessen mußte ich bis in die späte Nacht dort bleiben, weil er sich von meinem richtig eingefügten Verstande durchaus nicht überzeugen konnte. Endlich waren meine Reisegefährten in unserm Gasthofe wieder angelangt, sie kamen und brachten meine Brieftasche und meinen Paß mit, nach dessen Besichtigung und ihrem Zeugniß wurde ich dann als ein Kluger entlassen, nachdem der ironische Medicus mir noch viele Entschuldigungen machte, und ebenfalls behauptete, daß man jeden Menschen, auch seinen besten Reden nach, für einen Irren halten würde, wenn man das Vorurtheil einmal gegen ihn gefaßt habe. Am folgenden Morgen suchte ich den einfältigen Doctor Marx auf, der von gar nichts wußte und von mir zuerst die Begebenheit erfuhr.
Wir besuchten Bambergs schöne Umgebungen und begaben uns vorgestern nach dem Schlosse Glich, einer merkwürdigen, gut erhaltenen Ruine. Noch viele Zimmer sind im Stande und zeigen uns die Wohnung der Vorfahren deutlich. Eine herrliche Aussicht ist von oben auf Bamberg hinab. Ein alter Förster wohnt oben, der nicht zugegen war, und seine Tochter, ein wunderschönes Mädchen, der die einfache bürgerliche Kleidung sehr gut stand, führte uns herum. Unser Ferdinand, der schon seit einigen Tagen noch schwärmerischer ist, als sonst, war über Alles entzückt. Er schwatzte so viel und war dann wieder so verlegen, daß ich glauben mußte, er habe sich urplötzlich in das Mädchen verliebt. Als wir Alles betrachtet und unsern Dank zugleich mit einem Geschenke ausgesprochen hatten, und sie sich entfernt hatte, rannte der Schwärmer noch einmal zurück und dem Mädchen nach, unter dem Vorwande, daß er seine Brieftasche in einem der Säle habe liegen lassen. Wir wandelten indessen draußen umher und mußten ziemlich lange auf ihn warten. Sehr erhitzt und verlegen, wie es schien, kam er endlich zu uns zurück. Er ward aber zornig, wie ich ihn noch nie gesehen habe, als sich Wachtel einige unfeine Scherze und Anspielungen erlauben wollte. Oben liegt auf einem steilen Felsen eine Kapelle, sie war offen, von hier zeigt sich Alles umher reizend und lieblich. Ein uralter Greis schlich mit langsamen Schritten an seinem Stabe aus der Kapelle die Stufen der Treppe hinab: ein rührender Anblick. Ferdinand ging in die Kapelle, und als er sich nicht mehr von uns beobachtet glaubte, nahm er vom Weihbrunnen und bekreuzte sich mit andächtiger Miene, dann kniete er vor dem Altare nieder. So sind die Menschen. Er trat wieder zu uns, und Keiner mochte von Dem sprechen, was wir gesehen hatten, weder im Scherz noch Ernst.
Schon in Bamberg hatte er im Dom vor einem wunderlichen alten Marienbilde mit der tiefsten Rührung gestanden. Die Madonna ist hier in einem Charakter dargestellt, der völlig von dem gewöhnlichen und hergebrachten abweicht. Das Bild ist auf Goldgrund, goldne Strahlen umgeben es wie Flammen von allen Seiten. Es ist eine Copie nach einem alten florentinischen, welches schon seit lange mit Tüchern verhängt und dem Anblick unzugänglich gemacht ist, weil es dort in Italien auf die gläubigen Beschauer die ungeheuersten Wirkungen soll ausgeübt haben. Ferdinand scheint mir gar nicht ungeneigt, alle dergleichen Wunder zu glauben und für wahr zu nehmen. Wohin verirrt sich der Mensch, wenn Leidenschaft und Phantasie seine einzigen Führer sind!
Wir aßen wieder in Bamberg, gingen dann Nachmittags nach dem reizend gelegenen Buch und fuhren in lieblicher Abendkühle auf dem Wasser nach der Stadt zurück.
In der Stadt hat Ferdinand allerhand alte katholische Sagen und Legenden zusammengekauft. In Glich war er entzückt, dem dortigen Küster ein bambergisches Gesangbuch, wonach er in der Stadt vergebens gesucht hatte, abschwatzen und abkaufen zu können. Dieses hält er für einen großen Schatz und er las uns sogleich viele der Gedichte vor, die allerdings einen lieblichen frommen Sinn athmen, wenn man sich einmal diesen träumerischen Gefühlen, diesem Anklang wiederkehrender Wunder, diesem vertraulichen, kosenden und zärtlich glühenden Verhältniß zu Gott, dem Heiland und dessen Mutter hingeben kann. Dann erscheinen die Heiligen, die Schutzgeister, Christus, wie oft, in Kindergestalt, so auch die Abgestorbenheit so vieler Mönche und Einsiedler. Auch mit der Natur tritt ein geheimnißvolles Liebesverhältniß ein, wie es in den zart duftenden Liedern des Spee uns so innig rührt, die der Schwärmer hier auch aufgetrieben und uns Abends aus dem Büchelchen mit großer Bewegung vorgelesen hat. Und dann muß ich wieder an die Begebenheit mit der Försterstochter denken. Vielleicht ist es die Pflicht des Freundes, einmal ernsthaft mit ihm darüber zu sprechen.
Seine Stimmung ist übrigens im schreiendsten Contrast mit dem, was die neue bairische Regierung hier thut und wie manche ihrer Beamten sich hier betragen. Du weißt, daß die Stifter Bamberg und Würzburg, diese alten geistlichen Fürstenthümer, unlängst dem Churfürsten von Baiern zugesprochen worden sind. Eiligst hat man, um mit Rom und dessen Hierarchie ganz und auf immer zu brechen, alle Klöster aufgehoben, die Mönche zum Theil vertrieben, theils auf sehr schmale Pension gesetzt. Alles hat den Charakter angenommen, daß der gemeine Mann es wie eine Sache nimmt, die den ehemaligen Christenverfolgungen ähnlich sieht. Es ist unklug und unschicklich, wie im Dom, während am Nebenaltar eine stille Messe gefeiert wurde, die silbernen Kirchengefäße und sauber gearbeiteten Crucifixe in Kisten mit dem größten Geräusch und Lärmen gepackt und geworfen wurden. Die Käufer der Sachen waren zugegen und man zerbrach einige Kreuze mit großem Geräusch, die sich dem Kasten nicht fügen wollten. Den frommen abgesetzten Fürstbischof, so erzählt man, hat man in den Gemächern der Residenz gestört und gequält, indem man von allen Seiten Bauanstalten traf, einriß und verbesserte, ohne von ihm die mindeste Notiz zu nehmen. Viele Geistliche wandeln im stillen Grimm umher, den Küster im Dom sah ich in verbissener Wuth bei jenem Getöse Thränen vergießen. Viele gemeine Leute (das Volk ist hier religiös, selbst bigott) werden irre an sich und ihren Vorgesetzten.
Alles, was so unziemlich geschieht, ist denn wohl ein Rückschlag von vielen, welche jetzt regieren, da sie lange die Geißel und Verfolgung der Priester und Pfaffen erdulden mußten. Die Hauptumwälzung, die sich hier zugetragen hat, ist von der Zeit selbst herbeigeführt worden, sie ist vielleicht zu entschuldigen, kann seyn, daß sie nothwendig war; aber mit Anstand und Schonung konnte alles Unvermeidliche und Festbeschlossene geschehen, die politische Begebenheit brauchte nicht den Charakter einer verhöhnenden Rache anzunehmen.
Ueber diese Gegenstände ist Ferdinand empört und ergrimmt, und er zügelt seine Worte nicht, wenn er mit den Freunden dieser Neuerung spricht. Er behauptet, daß wir es Alle noch erleben würden, wie man neue Klöster stiftet, und er verachtet das spottende Lächeln seiner Gegner.
Vieles Schöne ist in dieser Reform schon zu Grunde gegangen, noch mehr wird verschwinden, aber meine trüben Blicke werden nicht bloß durch Das, was wir jetzt sehen, was dicht vor uns liegt, so tief bekümmert; — was soll aus allem Besitzstand werden, da dies so schnell ohne Widerspruch hat eintreten können? Wo ist eine Sicherheit für irgend eine Regierung? Welche Folgerungen wird die Zeit, ein fremder Sieger, die Politik aus diesen Vorgängen ziehn?
Wie hat sich seit zehn Jahren die Welt verändert! und es scheint, als würden alle Verwandlungen immer rascher und rascher auf einander folgen.
Du siehst, ich fange an, Deine Cousine, die Strafe des Liebhabers, Deine und meine Angelegenheit über dergleichen Gedanken und Befürchtungen zu vergessen.
Würzburg, den 11. Julius 1803.
Ich schreibe Dir sogleich noch einmal nach meinem kaum abgegangenen Briefe, denn das ist das Mittel, mich zu zerstreuen und zugleich zu sammeln. Ich kann mit meiner Umgebung nicht Das sprechen, was mich am meisten interessirt, und so unterhalte ich mich mit Dir.
Hier in der Stadt ist unser Ferdinand in seinem Element. Es ist wahr, ich habe noch niemals eine so feierliche Messe erlebt, als die war, die gestern im Dom uns Alle bewegte; an neun Altären war zugleich Gottesdienst, eine Prozession der Domherren, die in schöner malerischer Tracht waren, ergötzte das Auge.
Die Stadt wimmelt von Fremden, Alles drängt sich, denn es ist zugleich der größte Jahrmarkt. Das Schloß in der Stadt ist prächtig und wohl eins der größten in Europa. Ein wunderliches, knitterndes Echo ist unten vor der Treppe, an dem wir uns Alle wie die Kinder erlustigten. Heut Nachmittag trieben wir uns wieder im Jahrmarktsgedränge um, welches vorzüglich in einer fremden Stadt etwas Bezauberndes hat. Vor dem Thore ging ein uralter Capuziner von sehr ehrwürdiger Gestalt, dem kleine Mädchen im Vorübergehen mit Ehrerbietung die Hand küßten. Diese seltene Ruine einer ehemaligen Zeit verfolgte unser Ferdinand lange mit seinen sehnsüchtigen Blicken, und es schien der Wunsch in seinen gerührten Augen zu liegen, daß er gern an die Stelle der unmündigen Mädchen getreten wäre.
In einer frohen Jahrmarktstimmung traten wir in eine hohe hölzerne Bude, in welcher eine Art von Caroussel mit einer russischen Schaukel vereinigt war. Indem die schwebenden Sitze auf und nieder gingen, stach ein Jeder der Sitzenden mit einer Lanze nach einem Ringe. Der Besitzer und Erfinder dieser schwebenden Kunstanstalt erklärte uns mit vieler Genügsamkeit die Herrlichkeit seiner neuen Erfindung. Steigen Sie ein, rief er, und wenn Sie gleich nur Dreie sind, so werden Sie doch das Kunstwerk genießen können, denn darauf bilde ich mir am meisten ein, daß ich es so eingerichtet habe, daß der angefüllte schwere Sitz niemals den leichten, ihm gegenüberstehenden durch seine Last niederzieht, wie dies an den ordinairen einfältigen russischen Schaukeln der Fall ist, wo die unwissenden Menschen sich alsdann mit eingelegten Steinen zu helfen suchen, wenn ein Sitz ledig bleibt. Wie die Kinder ließen wir uns bereden hineinzusteigen. Die Maschine ging sehr hoch und ein Nervenschwacher hätte wohl Schwindel empfinden können. So stiegen wir auf und ab und stachen mit mehr oder minder Glück die Ringe ab.
Plötzlich entsteht draußen ein lautes Geschrei. Die Thür der Bude wird aufgerissen, und ein wunderschöner Lockenkopf, das Antlitz eines himmlischen Mädchens blickt wie ein Blitz auf einen Augenblick in die Narrenbude. Sie schreit auf, so wie sie uns da schweben sieht, und Maschinka kreischt einer; ob Ferdinand, ob Wachtel, ob der Herr des Kunststückes, das konnte ich nicht unterscheiden, der Maschinendreher war es nicht, denn dieser orgelte noch einen Augenblick an seinen Kunsträdern. Das Mädchen ist verschwunden und Ferdinand, der unten schwebt, springt aus seinem Käfig, der Eigenthümer des Kunstwerkes ihm schreiend nach, dies erschreckt den subalternen Drehkünstler, er rennt auch hinaus, und Wachtel kann eben noch vom Einfluß der Bewegung so viel genießen, daß er im Herabschweben seinen Sitz verläßt, ebenfalls hinausläuft und die Thür der Bude hinter sich zuschlägt.
Aber ich — ich nun oben, auf dem höchsten Punkte, in meiner Schwebekutsche sitzend, hatte nun Zeit und Gelegenheit, das Schicksal und die zu künstliche Einrichtung der verfluchten Maschine zu verwünschen! O wie sehr hätte ich sie gelobt und verehrt, wenn ich durch eigne Schwere jetzt herabgesunken wäre, um auch das Freie zu suchen und jenem Mädchen nachzulaufen. Ich sah mich in meiner obern Sternregion um, ob ich nicht aussteigen und die vierzig oder funfzig Fuß hinunterklettern könne. Aber es war ganz unmöglich. Durch die eine Ritze konnte ich etwas von Stadt und Feld erblicken, aber in der entgegengesetzten Richtung, in welcher sich jene Erscheinung gezeigt hatte.
Endlich, es mochte wenigstens eine halbe Stunde verflossen seyn, zeigte sich der Besitzer des Kunstwerkes wieder; er schien mich vergessen zu haben und war sehr erfreut, mich dort oben noch, wie den Sokrates in seinem Studienkorbe, wiederzufinden. Er schrob und orgelte mich durch seinen Kunstorganismus herab und ging auf meine Fragen über die Erscheinung jenes Mädchens gar nicht ein. Er hatte sie nicht gesehn und war in der Meinung, es sei ein großer Volksaufruhr, hinausgelaufen.
Wichtiger war ihm die Verhandlung um die Bezahlung. In der Einsamkeit, und da er meine Eil sah, machte er eine ungeheure Rechnung. Ich begriff sie zwar nicht, wollte mich aber zur Zahlung bequemen. Da wir die gemeinsame Casse an diesem Tage unsern Wachtel führen ließen, fehlte es mir an baarem Gelde. Ich mußte meine goldne Uhr zum Pfande lassen, die ich erst am späten Abend wieder einlöste.
So wie die kleinen Schulknaben hatte ich ein Abentheuer bestanden und wollte bei meinen Reisegefährten Rath und Trost suchen. Ferdinand behauptete, das Schaukeln habe ihm Schwindel erregt und so sei er entsprungen, um zugleich den Volksauflauf zu sehn. Dieser sei schnell geendigt gewesen und er habe die Uebelkeit seitdem im Bett verschlafen. Wachtel meinte, ein großes Spektakel sei hinter einem Kapuziner heraufgekommen; dieses Schauspiel habe er genießen wollen. — Ich erfuhr nichts und so stehn unsre Angelegenheiten.
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Walther hatte jetzt seine Pläne aufgegeben und überließ sich nun ganz dem Zufalle, ob er durch diesen auf die Spur seines Feindes oder jenes schönen Mädchens gerathen würde. Ferdinand und Wachtel waren ihm in der kurzen Zeit ihrer Bekanntschaft schon unentbehrlich geworden, und so lud sie die schöne Jahreszeit, die Muße, die Lust umherzuschwärmen, ein, noch einige schöne Gegenden Deutschlands zu besuchen. Ferdinand war seit einiger Zeit viel sinnender und finsterer geworden; Walther hatte bemerkt, daß er Briefe erhielt, die er sorgfältig verbarg und die ihn verstimmten. Zuweilen fiel es Walther ein, er könne mit Ferdinand über seine Trauer sprechen, er dürfe es wohl mit Empfindlichkeit rügen, daß er daraus, was ihn so betrübe, dem Freunde ein Geheimniß mache; doch bedachte er dann, daß er selbst ja eben so gegen Ferdinand verfahre und von der Absicht seines Ritterzuges gegen diesen nichts verlauten lasse.
Die Freunde nahmen von Würzburg aus den Weg nach dem Spessart und erfreuten sich dieses Waldgebirges und der herrlichen Aussichten, die sich ihnen links und rechts in die Unermeßlichkeit der frischen Wälder darboten. In Aschaffenburg hielten sie sich nicht auf, sondern begaben sich nach Darmstadt, um über die schöne und altberühmte Bergstraße nach Heidelberg zu gehn. Die Nacht, welche sie überraschte, verweilten sie in Heppenheim, und Walther und Ferdinand stiegen zur Ruine, der Starkenburg, hinauf, und erfreuten sich in der anbrechenden Dämmerung der Aussicht auf den Rhein, an welchem sie Worms, Speyer und das ferne Manheim sahen. Die Aussicht in den Odenwald auf der andern Seite war noch schöner, die wundervolle Einsamkeit, die schönen Formen der Berge, welche alle dicht mit Wäldern bewachsen sind, erhoben das Gemüth der Freunde zu edeln Gefühlen.
Wachtel, der den steilen Aufgang zur Ruine fürchtete, war im Gasthofe zurückgeblieben, und schrieb indessen seiner Frau nach Guben folgenden Brief:
Heppenheim, den 13. Julius 1803.
Liebes Weib, ich muß Dir doch auch einmal schreiben, damit Du nicht auf die Meinung geräthst, ich sei gar verloren gegangen oder, wie der Ausrufer in Teplitz sich ausdrückt, in den Verlust gerathen, was im Grunde besser ist, als jener hochdeutsche Ausdruck.
Du kennst aber schon meine Art und Weise, daß ich gern praktisch, deutlich, einfach schreibe und mich nicht mit Gefühl und Schwärmerei befasse. Des Handelns, Schaffens ist so viel in der Welt, daß ein rechtlicher Mann zum Schwärmen, zur Mystik oder dem übertrieben feinen Denken keine Zeit behält.
Wie nüchtern und gefaßt ich aus Guben mit dem frühesten ausreisete, wird Dir wohl noch erinnerlich seyn. Meinen Ferdinand traf ich nebst einem gewissen Walther, einem halb polnischen Menschen, im unmittelbaren Himmelreich einer Rafaelischen Entzückung. Ich war eben nicht zum Umgang mit Engeln aufgelegt, denn ich hatte noch den Reisestaub an den Füßen. Wenn man überhaupt gewohnt ist, in der großen Welt zu leben, wie wir in Guben es sind, so wird einem jegliche Kleinstädterei verhaßt. Ich versichere Dich, die ganze Bergstadt hier, von der soviel gesprochen wird, ist im Wesentlichen in Nichts von unserm gewöhnlichen Spaziergang bei Guben verschieden, außer daß hier die ziemlich hohen Berge sind, wo wir dort den hölzernen Zaun haben und auf der andern Seite die Fichtenschonung. Was ist denn nun die Dresdner Brücke so Großes? Ich habe immer an unsre hölzerne denken müssen. Diese ist nicht so lang, aber man sieht doch auch rechts und links recht hübsche Kiefern in der Ferne, und Brombeerngesträuch und etwas Sand. So ein Badaud oder Plat pied aus irgend einer großen Stadt spricht immer, wenn er unser Guben nicht gesehn hat, vom Pariser Louvre, oder dem Straßburger Münster, wohl gar von der London-Brücke oder dem Wasserfall von Niagara. Sollen sich da deutsche Herzen nicht empören? Als wenn unsre romantische Tümpel, die Haideflecke bei Lübben und Luckau, unsre Sandpartien nach der Oder zu, der hübsche Sumpf eine Viertelmeile von uns, so gar nichts wären!
So kamen wir denn also auf den Nollendorfer Berg. Es war so dicker Nebel, daß ich mich gleich von meinen Kameraden verlor und in eine Wolke, wie in einen großen Wollsack gerieth. Ich trat mit meinen Reisestiefeln auf die Flocken und ging hübsch darauf spazieren; und es geht sich schnell, sodaß, ich weiß nicht wie weit, ich schon in die böhmischen Dörfer hineingerieth, ohne allen Weg und ohne Straße. Herrliche Anstalt, gleich diesen dicken Nebel, wie die Wolke der Bundeslade, zwischen Sachsen und Böhmen oder zwischen Deutschland und Oestreich zu stellen. Tausend, wie marschirte ich nun fort! Statistisch-ökonomisch-politisch-historische Bemerkung für meine hydraulisch-aphoristische künftige Reisebeschreibung der spanischen Schlösser und böhmischen Dörfer: — Ich fand nehmlich, daß Angestellte (Beamte, die oft durchfallend sind, aber selbst niemals umfallen) auf eine auffallende Weise die besten und kräftigsten Stücke des Nebels auf Flaschen zogen, wie es wohl auch bei den Gesundbrunnen geschieht. Schäumt die unnütze Kraft ab, so wird ein hübsches Getränk und magenstärkender Saft aus dem leichten Dinge, welches dann Professoren und Schüler, Geistliche und Denker, feinfühlende Autoren, die gern scherzando schreiben, und billige Staatsmänner wie altherkömmliche Gesetzkünstler und Fabrikanten gern genießen und sich einander mittheilen. Trifft es nicht richtig ein, daß Nebel rückwärts gelesen Leben heißt, und Leben Nebel? Eins ist die Quadratwurzel vom andern. Darauf sollten unsre Denker mehr lossteuern. Siehe, mein Kind: — wenn ich zu Einem sage, der noch nicht reif ist und es gern werden möchte: Lese! so sieht das wie ein guter, verständiger Rath aus. Hat er aber tiefern Sinn und buchstabirt rückwärts, so merkt er im stillen Gemüthe wohl, daß ich ihn nur einen Esel gescholten habe. O es ist ein unergründlicher Tiefsinn in diesen Betrachtungen. Nicht wahr, es giebt Mülleresel, wilde Esel, Esel zu Spazierritten u. s. w. — aber der völlig unvertilgbare, von vorn wie hinten sich immer gleich bleibende ist der von mir entdeckte Lese-Esel. Auch wenn ich imperativisch oder imperatorisch sage: Esel, lese! bleibt er sich gleich, doch gefällt obige Thierart in der Bezeichnung besser, denn es stempelt sich darin jenes ewig unermüdliche Geschöpf, jene unverwüstbare Creatur, die wir hinter Ladentischen, auf Caffeehäusern, unter den lieben Zeitungen und allerliebsten Journalen, Tagesblättern, Broschüren, Libellen (nicht den Insekten), Romanen und dergleichen sitzen sehn und schlingen — mit einem Wort, den in unserm Jahrhundert ausgebildeten Leseesel. Die vergleichende Anatomie sollte sich nur seiner bemächtigen und Gall seinen Schädel untersuchen. Wie in Afrika oder Indien jene wandernden Ameisenheere oft unsäglichen Schaden anrichten und Verderben verbreiten, so fürchte ich für Europa und noch mehr für unser Deutschland die traurigsten Verheerungen von der Vermehrung und dem Ueberhandnehmen dieses Lese-Esels. Wie er denn nun von vorn oder hinten immerdar ein Leseesel bleibt, so sprach ich neulich schon mit einem denkenden Medicus über den Fall, ob das Thier nicht wirklich die Qualität noch erhalten könne und würde, auch von hinten, mit dem Sitztheile, sowie vorne mit seinen Augen zu lesen. Der Philosoph approbirte sehr meine Hypothese und meinte, das Monstrose sei immerdar nicht den gewöhnlichen Naturgesetzen unterworfen. Und wirklich, wie ich wieder die sogenannte Ressource besuchte, wo ich die beste Sorte und die qualificirtesten dieser Leseesel zu finden gewohnt war, bemerkte ich zu meinem Erstaunen, daß diejenigen, die in der Entwicklung am meisten vorgeschritten waren, unruhig auf ihren gepolsterten Bänken beim aufmerksamen Lesen hin und wieder ruschten, sich bald stärker auf das Polster drückten, bald lüfteten, bald sich rechts, bald links hin bewegten, als wenn sie ein besseres Licht erstrebten. Ich sah aber deutlich, daß ihnen oben nichts fehlte, ihr Fundament aber einen Mangel verspürte. Der Vorsteher dieser Ressourcen-Anstalt oder dieses Casino-Wesens ist ein denkender Mann; ich nahm ihn beiseit in ein Nebenzimmer, von wo man durch Glasthüren Alles im Saal beobachten kann, und machte ihn auf jenes bedenkliche Hin- und Herrutschen aufmerksam. „Wollen Sie denn nicht, suchte ich ihn zu persuadiren, vielleicht morgen den Versuch machen und einige gute lesbare Journale, oder einige scharfe Schriften gegen die Regierung über jene Polster spannen lassen, um zu sehn, ob meine Vermuthung sich bestätigt?“ „Wie, Herr, fuhr mich der Mann an, indem er mich mit seinen großen Augen betrachtete: was fabeln Sie mir da von einer neuentdeckten Thierart? Es sind lauter würdige Herren und ausgezeichnete Männer, die das Beste des Landes und der Welt im Auge behalten. Sie rutschen heute übermäßig, das ist wahr, das kann aber auch vom Denken oder vom bewegten Gemüthe herrühren. Auf keinen Fall aber dürfte ich es gestatten, wenn Sie auch wirklich Recht hätten, daß alle diese Mitglieder in Naturalibus da säßen, um zwei Zeitungen zu gleicher Zeit lesen zu können.“ „O Sie kurzsichtiger Mann! rief ich aus; brauchen Sie denn nicht selbst Brillengläser? Sieht man nicht durch einen Flor und Sieb? Und so würden sich die Beingewande gestalten; Fabrikherren würden mit scharfem Blick die Zeuge entdecken und verfertigen, durch welche sich am besten lesen ließe; neuer Flor des Gewerbes, frische Aufmunterung zur Arbeit und Speculation.“
So stand die Sache vor meiner Abreise, ehe ich in das Nebelleben oder den Leben-Nebel gerieth. Wie ich zu meinen Reisengefährten wieder zurück kam, weiß ich selbst nicht, wie aber in der Nacht der Camin so gar gewaltig rauchte, war ich wieder bei ihnen und bei mir. Aus dem soliden Nebel gerieth ich aber in eine noch wolligere und flockenreichere Väterlichkeit und Mutterempfindung mit Zwillingen und Drillingen u. s. w. Was aber merkwürdiger ist, als solche Lappalien, ist, daß man unter feierlichem Schießen Carlsbad noch höher als Teplitz gestellt hat, es noch drüber hinauf gesetzt; so kommt die Meeresfläche immer tiefer, und da das Meer außerdem schon abnimmt, so wird es kein Wunder seyn, wenn wir ganz auf das Trockne gerathen. Bei den Heiling-Felsen sind Braut und Bräutigam, Priester und Brautjungfern in Stein verwandelt, ich habe sie selber stehn sehn. Daß die Leute nach der Hochzeit recht ledern und hölzern werden, erleben wir alle Tage, es ist kein großes Wunder, daß diese damals, in einem noch unaufgeklärten Jahrhundert, das Prävenire gespielt haben, um in jenem beliebten Stein der Hölzernheit zu entgehen.
Aber in den herrlichen Gegenden habe ich etwas sehr Wichtiges, und wovon ich noch keine Erfahrung hatte, kennen gelernt. Immer habe ich es geglaubt und Dir gepredigt, daß Adam und Eva vor ihrem Falle nicht so körperliche grobe Speisen genossen, wie wir jetzt mit den thierischen Zähnen sie zerbeißen und zermalmen, sondern daß sie die geistigen Essenzen, die unsichtbare Kraft der schönsten Gewächse und der himmlischen Kräfte einsogen. Wie einem denkenden Forscher nun wohl wird, wenn sich ihm eine solche mystische Ueberzeugung durch unumstößlichen Beweis vergegenwärtigt, ist mit Worten nicht auszusprechen. Sie nennen’s in ihrer sterblichen Unbeholfenheit einen rothen Ungarwein, und mit anmaßendem Kunstausdruck die Mennische Essenz. Wer aber die wahre Sprache kennt und den Urtext versteht, sieht durch den grob ersonnenen philologischen Kniff, und erkennt aus der echten Etymologie, daß Adam es damals auf seinem höhern kritischen Standpunkt die Menschen-Essenz nannte; und das ist sie denn auch, und mein Forschen und Ergründen dieser Materie gereut mich so wenig, daß binnen kurzem mehrere Flaschen von diesem Liquor, dieser Essenz, bei Dir in Guben eintreffen werden, die ich wohl aufzubewahren Dich bitte. Wie sehr es Sünde war, vom Baum der Erkenntniß zu naschen, darin, wie in allen meinen religiösen Ueberzeugungen, hat mich diese Wunder-Essenz von neuem gekräftigt. Denn wie man sie nur ein Weilchen genossen hat, und sie wieder schmeckt, und von neuem versucht, führt sie uns bald in jenes selige Land, wo alle Kenntniß aufhört und verschwindet, wo das trockne, kümmerliche Bewußtsein immer mehr verdämmert und verdunstet, um, wenigstens auf einige Zeit, den sündhaften Zustand der Erkenntniß des Guten und Bösen abzuschütteln. Nein, dieser Gegensatz hört dann auf, und man lebt einzig und allein im Guten, in dieser Menschen-Essenz. O wie neidisch meine Freunde waren, daß ich diese Entdeckung gemacht hatte, die unsrer ganzen Weltgeschichte eine andre Richtung geben kann. Uebrigens liegen im Hochheimer und Johannisberger auch ganz respektable Richtungen verborgen, und eben jetzt steht eine Flasche vom letzteren neben mir, aus welcher ich Deine Gesundheit trinke.
Unser Weg muß sonderbarer Weise vor Prag vorbeigegangen seyn, denn die Straße führt nicht durch, und doch soll Prag die Hauptstadt von ganz Böhmen seyn. Wir sind wenigstens durch Franken gekommen. Endlich aber ist doch unser Kotzebue anerkannt, und es hat sich erwiesen, daß er alle Alten und Neuen übertrifft; man sollte ihn aber zum Patentdichter machen, daß kein andrer, so lange er lebte, Theaterstücke schreiben dürfte.
In Würzburg in der würzhaften Landschaft haben wir im Wirthshause mit vieler Anmuth gewohnt, denn in Bamberg hatten sie einen ambulanten Gottesdienst und cassirten mit vielem Spektakel die silbernen Sachen von Werth ein, weshalb es uns dort nicht gefiel, so alt auch der Dom seyn mag. Wir haben auch auf der Stelle gestanden, wo Otto von Wittelsbach den Kaiser Philipp ermordet hat. Die Ruine gehört einem berühmten jüdischen Arzt, welcher mit aller Gewalt unsern Freund Walther trepaniren wollte. Er ist aber bis dato noch nicht rasend, und erhielt eine Ehrenerklärung. Nur kaufen will dieser neugierige Mann vielerlei, und er kann es, weil er reich genug zu seyn scheint. Bei der Treppe im fürstlichen Schloß zu Würzburg ist ein kurioses vielfaches Echo, das hat er richtig erstanden, um es bei sich zu Hause, in seinem Garten anzubringen. Man war dabei, es sehr vorsichtig einzupacken. Das Auspacken an Ort und Stelle aber muß mit noch größerer Circumspection geschehen. Denn die Sache ist fast, nur im Großen, wie mit einer Champagnerflasche. Das Ding darf nicht in alle Lüfte verflattern, wo es keinem Menschen zum Gewinn ist. Im Garten muß es an der rechten Wand sehr künstlich eingefugt und eingeleimt werden, damit es richtig antwortet und nicht auf Schwarz Weiß, auf Ja ein Nein spricht. Herr Walther will sich dann einen tüchtigen Mann vom Amt kommen lassen, der mit Echos umzugehen weiß, und selbst nur ein Widerhall seines gnädigen Herrn ist, der soll ihm das Ding pfropfen oder inokuliren, damit es noch öfter und lauter jede Anrede nachspricht. Ein in Ruhestand versetzter Geheimer Rath braucht sein Echo nicht mehr in der Sitzung abzugeben, und dieser, hofft Walther, wird ihm dieses für ein Billiges ablassen. Denn das ist auch zu observiren, daß das Echo, wenn es nun wieder gelüftet wird, nicht dem Freunde Walther oder einem andern würdigen Manne in den Hals fährt. Davon hat man schon merkwürdige und traurige Beispiele. Der Minister in — (ja da um die Ecke, rechts oder links von uns, Du brauchst es eben nicht so genau zu wissen) war der beste Kopf im Lande, nur widersprach er dem regierenden Herrn immerdar. Plötzlich (und die gewöhnlichen Menschen meinen, es sei durch eine Gehaltsverdopplung bewirkt, was aber die Erscheinung weder psychologisch noch physiologisch erklären würde) spricht er wörtlich und buchstäblich Alles so, wie sein Landesvater. Zur Erheiterung war dieser große Kopf in ein Bad gereiset, in dessen Nähe sich ein ganz vorzügliches Echo aufhielt. Der Minister spielt mit dem Dinge, wie mit einem jungen Kätzchen, frägt, läßt antworten, schreit und singt, um das Wesen recht von allen Seiten kennen zu lernen; darüber wird er müde, er gähnt, ohne die Hand vor den Mund zu halten, und die boshafte Creatur benutzt den Moment und springt ihm in den Hals hinein. Nun kann er es nicht loswerden, so sehr er Medicin braucht. Im Bade ist das Echo seitdem fort. Die Dummen behaupten, weil die Bergleute eine vorlaufende Felsenwand weggesprengt haben. Nein, auf eben beschriebene Art sind sehr viele dieser Echoisten entstanden, die der gemeine Mann zu oft mit den Egoisten verwechselt, die freilich auch manchmal nahe an einander grenzen, wie die Buchstaben g und h.
Unser Walther hat neulich etwas gethan, wovon alle Philosophen und Denker immerdar ausgesagt haben, es sei unmöglich. Er schwang sich nehmlich auf dem Rade der Fortuna um, und es gelang ihm, oben auf dem Gipfel wenigstens eine halbe Stunde lang ungestört zu verharren. Er hätte also den Nagel oben einschlagen können, wenn er nicht selbst vernagelt gewesen wäre, denn er fluchte und wetterte, um nur wieder hinabzugelangen. Ein wunderliches Frauenzimmer, vielleicht die Fortuna selbst, sah ihn dort oben thronen und lachte, wie es mir schien. Ich konnte sie aber nicht erhaschen. Man schrie ihr Maschinka nach. Hieß nicht die geheimnißvolle Unbekannte so, die bei uns logirte? Mir schien auch, aber ungewisser Schein nur, als sähe sie jener Flüchtigen ähnlich. Aber mein Studium und der Genuß der himmlischen Essenzen macht, daß ich mich solcher irdischen Dinge nur sehr dunkel erinnere und keine Rechenschaft davon geben kann. Wenn sie es war, ist sie mir und den Uebrigen wieder entlaufen, ob wir gleich alle hinter ihr drein waren. Walther, der Herabgestiegene, auch. Fortuna aber oder Maschinka war verschwunden.
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Die Beiden kamen spät von der Starkenburg zurück, und indem sie in das Zimmer traten, hörten sie, wie Wachtel sich selber den letzten Theil und Beschluß seines Briefes vorlas. Walther fuhr auf ihn zu und fragte: was war das für eine Dame, die jener in Würzburg ähnlich war? Auch Ferdinand setzte ihm leidenschaftlich mit Reden zu; doch Wachtel, der jetzt seine Flasche Johannisberger völlig geleert hatte, sagte: Meine Herren und Freunde, ich habe da einen häuslichen vertraulichen Brief an meine Gattin geschrieben, welcher nichts, als Familienverhältnisse und Versicherungen meiner Liebe enthält, diesen kann ich Euch also unmöglich mittheilen; die letzte Anspielung, die Ihr zufällig vernommen habt, ist nichts weiter als die Beziehung auf eine Sache, die ich selber nicht verstehe und das Wenige, was ich davon wußte, seitdem völlig vergessen habe. Ich war, als jenes Frauenzimmer schnell in unser Zimmer dort in Guben trat, eben in Gedanken und Studien versenkt; kurzum, sie hatte einen Brief an meine Frau, den ich damals nicht lesen konnte oder wollte, und ein alter Mann begleitete sie, von dem es unentwickelt vor mir liegt, ob er ein Herr oder ein Bedienter war. Kurz, mit einem Wort, sie bewohnte ein Zimmer, als ich schon schlief. Sie kam mir hübsch vor, und nachher, als ich sie wiedersah, konnte ich mich nicht bestimmt erinnern, ob es noch dieselbe oder eine andre war. Diese zweite war aber noch schöner. Vielleicht hatte sie aber die Frische des Morgens so gefärbt. Nun fragte ich wieder nach ihr, und sie war schon abgereist, und da es mich nichts anging, schlug ich es mir aus dem Sinn, und so vergaß ich es, und so reiste ich nach Dresden ab, und so sind wir nun hieher gerathen, und das Briefschreiben hat mich angegriffen, und der Johannisberger hat mich gestärkt, und das ist Alles, was ich von der Sache weiß.
Daß mich die Sache interessirt, sagte Walther, darüber könnte ich meine Gründe angeben; aber warum Sie, Ferdinand, so neugierig sind, begreife ich nicht.
Ich weiß selbst nicht, antwortete dieser, weshalb ich mich darnach erkundige; man macht seinen Freunden in der Regel Alles nach, weil sie nach einiger Zeit ein gemeinsames Interesse verknüpft. Und, gestehe ich es nur, in jener Nacht, als wir in Guben waren, hörte ich durch die offenstehenden Fenster der untern Zimmer meinen Freund Wachtel schon mit seiner Frau von dieser Dame reden, ich war schon damals neugierig, aber mein Freund Wachtel war in einem so bedenklichen Zustande, daß ich mich ihm nicht zu erkennen geben mochte; auch rückte schon der erste Morgen herauf und unsre Abreise drängte.
Sieh! sieh! sagte Wachtel gähnend, meine confuse Frau hat mir damals eine noch confusere Geschichte vorgetragen, von einem sehr hübschen Menschen, den sie hundertmal einen Engel nannte. Sie schien zu meinen, ohne des Engels Beihülfe, der sich so edel betragen, hätte ich die ganze Nacht draußen im Grase liegen müssen. Sie machte ein Mährchen draus, wie das von der Martinswand ist. Und nun entwickelt es sich also, daß Du dieser Engel warst. So verschwinden bei nur mäßiger Forschung alle Wunder aus der Geschichte.
Nach einer kurzen Ruhe fuhren die Freunde am schönen Morgen weiter, aber nur langsam, um die Gegend zu genießen. Sie kamen schon früh in Heidelberg an.
Der Pfarrer Le Pique hatte dem jungen Ferdinand einige Briefe an Freunde mitgegeben, und so lernte dieser einen rüstigen, geistreichen Mann, Keyser, welcher Lehrer an der Schule war, kennen. Sie besuchten gemeinschaftlich den biedern Daub, sowie den herrlichen Creuzer, und in der schönen Umgebung, unter wissenschaftlichen und heitern Mittheilungen verflossen ihnen die Stunden und Tage im lieblichsten Wohlbehagen. Auch den trefflichen Pfarrer Abegg lernten sie in Lohmen kennen, und die muntern Freunde, die Alle noch jugendlich kräftig waren, durchstreiften das Gebirge und die blühenden Kastanienwälder, die vielen Bergen hier einen ganz südlichen Charakter geben, und erkletterten alle irgend zugänglichen Theile des großen Heidelberger Schlosses.
Mit Keyser ging Ferdinand in einer Nacht nach Zweibrücken hinüber, und Walther verwunderte sich, daß der Freund ihm aus dieser Wanderschaft ein Geheimniß gemacht hatte.
Walther, der noch wenig mit Gelehrten und mehr mit dem Adel gelebt hatte, war höchlich erfreut, in dem Professor Daub die schöne Biederkeit echter deutscher Natur, und in Creuzer diese Gewandtheit des Geistes, sowie diese edle Urbanität kennen zu lernen; Abegg’s Milde wirkte wohlthätig und fein auf den witzigen Streit, der sich manchmal zur Heftigkeit erhob und den besonders der lebhafte Keyser gern veranlaßte. Wenn wahre Gelehrte, die zugleich als echte und edle Menschen den Ton des Umganges haben, in freundlicher Hingebung scherzend und ernst durch alle Gänge des Wissens und Forschens wandeln, so findet sich in dieser Umgebung eine Unterhaltung, die der Menschenkenner und Weltmann vergebens in den andern Zirkeln der Gesellschaft suchen wird.
Ein schöner Friede schien alle Gelehrte in Heidelberg zu vereinigen und Ferdinand erzählte viel von einer schönen Zeit, in welcher er vor wenigen Jahren in Jena in dem Kreise lebte, den Wilhelm und Friedrich Schlegel, Novalis und Schelling bildeten. Er schilderte diese Wochen als das reichste und üppigste Geistesbankett, das er jemals schwelgend genossen habe.
Nach einigen Tagen schrieb Ferdinand an eine Freundin, Charlotte von Birken, nach Berlin.
Heilbronn, den 18. Julius 1803.
Meine theilnehmende Freundin, ich benutze die Nacht, indem meine Reisegefährten schlafen, um endlich mein Versprechen zu erfüllen und Ihnen einige Nachrichten von mir mitzutheilen.
Die Spannung, in welcher mich diese unfreiwillige Reise erhält, muß oft der Entzückung und der Begeisterung weichen, in welche mich die abwechselnden großen und lieblichen Naturscenen versetzen, an welchen unser schönes Deutschland so reich ist und die unsre Landsleute immer noch nicht gehörig zu würdigen wissen.
Von meinen Aussichten, Plänen, meinem künftigen Glück weiß ich Ihnen noch nichts zu sagen. Alles zieht sich in die Länge, Alles wird fast ungewisser, als es war. Ein junger Mann in Heidelberg, Keyser, der mein ganzes Herz gewonnen hat, führte mich nach Zweibrücken zu seiner reizenden und liebenswürdigen Braut, und hier fand ich denn endlich einen Brief vom Onkel, der etwas Bestimmteres aussagte, und der, sonderbar genug, mich wahrscheinlich bald wieder in Ihre Nähe führen wird, da ich bis jetzt glauben mußte, Basel sei die Richtung, die ich nur nehmen könne, und die Schweiz sei mein künftiger Aufenthalt. Indessen ist schon viel gewonnen, daß der einflußreiche angesehene Mann sich zum Vermittler anbietet. Ich mag Ihnen von manchen Dingen, die mir zugestoßen sind, nichts Näheres mittheilen, weil ich Alles einem mündlichen Gespräche vorbehalte, man auch nicht wissen kann, wie ein Brief verunglückt, oder, bei der größten Vorsicht, in die unrechten Hände geräth.
Von dem schönen Heidelberg aus haben wir eine kleine Fußreise gemacht, um Neckar-Steinach und die drei Ruinen zu sehen, die dort dicht neben einander liegen. Das eine wüste Schloß war der Aufenthalt des berüchtigten Lindenschmidt. Ein runder, steiler Hügel, der Dielsberg, macht dort einen sonderbaren Anblick; hier verließ uns Keyser, der uns begleitet hatte, um nach Heidelberg zurückzukehren. Wir hatten jetzt einen schönen Weg nach Hirschhorn, welches am Neckar liegt. Ein altes Schloß und Kloster sind hier, die uns durch ihre Alterthümlichkeit große Freude machten. Wir nahmen ein Schiff, und fuhren, von einem Pferde gezogen, den Neckar stromaufwärts. Die Gegend ist reizend, viele alte Schlösser, die noch ganz in ihrem ehemaligen Zustande sind, werden bewohnt. In Eberbach war viel Getümmel und ein Aufzug der Bürger. Nach einigen Stunden jenseits dieses Städtchens verließen wir das Schiff wieder, um zu Fuß zu wandern. Minneberg und zwei Hügel dort bilden eine reizende Gegend. Bei Neckar-Els öffnet sich das Thal. Vor der Stadt nahm uns ein schlechtes Wirthshaus auf und Walther miethete aus Eigensinn ein sonderbares Fuhrwerk, um sich nur mit keinem Hauderer, der vielleicht auch nicht vorzüglich gewesen wäre, einzulassen. In den meisten Menschen, selbst vernünftigen, offenbart sich zuweilen eine falsche Poesie, die sie im Leben selbst suchen oder unmittelbar in dieses hineintragen wollen. Bei den ganz dummen Wirthsleuten hatte er auf Erkundigung erfahren, sie hätten einen leichten Einspänner, der auf zwei Rädern laufe. Vielleicht fielen ihm die italienischen Sedien oder ein flüchtiges Cabriolet ein; genug, er miethet das Ding, um so mit uns am folgenden Mittag in Heilbronn anzukommen. Ich entsetzte mich nicht wenig, als am Morgen das elende Gespann vorfuhr. Was war es? Ein viereckter, grob geflochtener Korb, der auf zwei hohen Rädern unmittelbar auf der Axe lag. Man hatte Säcke und Stroh hineingelegt. Ich schlug vor, lieber zu Fuß zu wandern, aber der boshafte Wachtel hatte seine Freude an diesem Skandal, und Walther wollte sich kein Dementi geben. Wir klemmten uns, so gut es gehn wollte, in den verwünschten Korb hinein, und ein blödsinniger Knecht unternahm es, uns mit einem steifen Gaul so in Heilbronn im Triumph aufzuführen. Zwei Stunden von dort liegt der Hornberg, welchen Götz von Berlichingen von Conrad Schott kaufte und wo er den größten Theil seines Lebens hauste. Der steile Berg ist auf zwei Seiten mit Wein bebaut, von oben hat man die Aussicht über das offene Neckarthal und über die gegenüber liegenden niedrigern Felsen. Auf der Hinterseite des Berges ist ein enges Thal und ein herrlicher Wald, der sich bis dicht an die Burg erstreckt. Alles ist oben, auf dem Wege zur eigentlichen Festung, mit wüstem, verwachsnem Gestrüpp bedeckt. Aus den Zimmern und Sälen des Schlosses genießt man einer vortrefflichen Aussicht. Vor kurzem hätte das ganze Haus noch mit wenigen Kosten zum Bewohnen erhalten werden können, jetzt ist es verfallen und wird nach einigen Jahren wohl ganz zerstört seyn.
Wir fuhren dann durch ein Städtchen Gudelsheim, das den deutschen Herrn gehört, und ließen uns nach Wimpfen übersetzen. Vor Heilbronn verließen wir doch, trotz unsrer Aufklärung, unsern Karrn und zogen zu Fuß in die Stadt ein. Alles wurde hier zur Huldigung des neuen Herrn eingerichtet, der Altar in der protestantischen Kirche war abgetragen, recht gut scheinende Gemälde waren, ihm zu Ehren, neu übermalt und verdorben. Kirche und Thurm gehören zu den merkwürdigen Gebäuden. Der berühmte wasserreiche Brunnen der Stadt hat durch eine neue schlechte Balustrade, um die man die alte Einfassung, die besser war, wegreißen mußte, viel an seinem Wasser verloren. Am Rathhause wurde eben ein schönes steinernes Geländer weggebrochen, um Latten besser anbringen zu können, an welchen die Lampen zur Illumination befestigt werden. Wir besuchten die Orte, die uns von früher Jugend auf durch den Berlichingen und Göthe’s Werk so merkwürdig sind. Auch den gewundenen Thurm kletterten wir hinauf und standen oben, neben dem Ritter, wie mich dünkt, dem heiligen Kilian.
Hätten wir es unterlassen können, nach Weinsberg hinauszufahren? Durch Bürger’s Romanze ist dieser Ort und die That der Weinsberger Frauen im Munde alles deutschen Volkes. So manches die Kritik gegen Bürger’s Balladen und Romanzen mit Recht ausstellen kann, so vorsätzlich er so oft den alten einfachen Ton, jenes Geheimniß, im Wenigen und im Verschweigen viel zu sagen, worin Göthe der größte Meister ist, vermied und nicht finden konnte, so bin ich doch überzeugt, Bürger’s Balladen werden bei uns länger, als die von Schiller leben, der (in wenigen ausgenommen) noch mehr jene stille Einfachheit verletzt hat.
Um Heilbronn ist eine schöne grüne Natur und wir waren alle mit unserm Tagewerk zufrieden. Wie schön ist es, in einem Lande zu leben, wo Städte, Bildwerke, Felsen und Berge auf alte Geschichte, auf große Kaiser und merkwürdige Begebenheiten hinweisen. Wie herrlich ist in dieser Hinsicht Deutschland ausgestattet! Mir kommt es fürchterlich vor, in Amerika leben zu müssen. Und die verschiedenen Epochen der Kaiserherrschaft, des Aufblühens der Familien, des stets wechselnden Verhältnisses, der großen wie kleinen Fehden und die mannigfaltigen Gestaltungen und Umwandlungen des Ritterthums, von der höchsten Bildung und der schwärmenden, poetisch-fanatischen Verehrung der Frauen bis zum niedrigen, rohen Räuberhandwerk hinab, alles Dies, glaube ich, hat sich nirgends so wundersam, vielseitig, grell abstechend gewiesen, als in unserm Deutschland. Unsere unwissenden Autoren, die diese Gegenstände behandeln, haben sich aber eine gewisse rohe Manier gebildet, die immer in Zank, Großsprecherei und leeren Worten wiedertönt, ohne uns auch nur im mindesten ein Bild und anschauliches Gemälde jener Zeiten zu geben. Andre sehen nur Greuel, Verwilderung und Mord in jenen Tagen der merkwürdigsten Entwicklung, und bedenken nicht, daß, wenn die Welt so beschaffen gewesen wäre, wie sie sie verlästern, in kurzem weder Gute noch Böse, Freie und Knechte würden übrig geblieben seyn.
Wie aber Gefühle absterben, wie der Sinn für das Schönste sich verlieren kann, muß ich täglich mehr erfahren. Rührt uns schon in Stadt und Feld die Hinweisung auf Geschichte und belebt und weiht den todten Stein und den Wald, wie viel mehr jenes Mahnen an die Wunder und die Süßigkeit unserer Religion. Und diese forttönende Poesie, dieses Erklingen der feierlichen Harfensaiten, diesen still lebenden und stumm beredten Gottesdienst in der Einsamkeit der Natur, im Gewühl des Marktes, in Felsgrotten und Wäldern, im Verherrlichen der Brücken und Ströme finde ich nur noch in den katholischen Provinzen. An Zoll und Polizei, an Argwohn und Paß, an Aufsicht und Visitation werden wir im Protestantischen genug erinnert, an die Bedeutung des Christenthums fast niemals. Ja, jene Wundersagen, jene Bildwerke, Hymnen, Klöster, Mönche, heilige Jungfrauen, Vorbitten und Schutzheilige sind Gegenstände des Spottes und Hasses. Und die besten Menschen können sich oft von diesem Aberglauben gegen den Aberglauben, von dieser Gespensterfurcht, daß der Glaube an Gespenster wieder kommen könnte, nicht frei erhalten. So konnte es mein neu erworbener Freund, Keyser, nicht begreifen, wenn ich behauptete, die Reformation sei zwar eine nothwendige gewesen, sie habe der Welt und namentlich Deutschland unendliches Heil gebracht; aber viel Schönes, Großes und Heiliges sei mit Zerstörung des Schlechten zugleich vernichtet worden, und dies sei es, was der eifrige Protestant nie anerkennen wolle und was die Katholiken selbst nicht zu würdigen wissen. Auch ein schlechtes Bild an der Landstraße rührt mich, weil es auf jene Geheimnisse hindeutet, die wir nie vergessen sollen, wenn wir sie gleich auf dem gewöhnlichen Wege niemals begreifen können. Die Fratzen in manchen Kirchen stören mich so wenig wie die oft ungelenken Priester; denn auch im unansehnlichen Dornbusch blüht der Frühling heraus und bewegt mich, als ein Zeichen der allgemeinen Auferstehung des Lebendigen.
Dies Gefühl des Mitleidens in der höchsten Liebe, daß wir durch Selbstaufopferung das Opfer der Liebe vergüten möchten, diese schönsten Gefühle sind es gerade, die die meisten Menschen von sich abweisen oder die Härteren als unrecht verdammen. So heben sie sich für den Sonntag, für Orgel und Predigt die feierlichen Empfindungen auf, oder sie schließen einen verständigen Contrakt mit dem unbegreiflichen Wesen, welches sie Gott nennen, um gegenseitige Pflichten und Verbindlichkeiten klar im Auge zu behalten. Der Vers eines Liedes aber, Abends unter einem Crucifix still und andächtig gesungen, der Blick des betenden Greises auf einsamem Waldplatz zum leidenden Heiland hinauf, der Kuß, den das Kind auf seinen Rosenkranz drückt, die Thräne der Mutter, welche auch den Sohn verlor, vor der Mater dolorosa, sagen mehr, als alle jene kalte Weisheit verkündigen und lehren kann.
Sie kennen ja aber, theure Freundin, meine Gesinnungen über diese Gegenstände und stimmen mir bei. Ich hoffe Sie bald zu sehn; im Herbst gewiß.
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Walther war aus andrer Ursache nachdenklich von Weinsberg zurückgekommen. Er hatte an der Wand der Kapelle, auf welcher die Geschichte der treuen Weinsberger Weiber gemalt ist, mit Bleifeder frisch angeschrieben deutlich die Worte gelesen: „Romeo, in der Höhle zu Liebenstein findest Du den 24. Juli M — Julia.“ — Seine Gefährten hatten die Schrift nicht bemerkt, ihm aber flüsterte sein Genius zu, diese Hinweisung rühre von jener vielgesuchten Maschinka her, die den Mann, welchen er verfolgte, in Liebenstein erwarte. Sein Entschluß war daher gefaßt, nach Liebenstein zu gehn und gewiß am 24. Julius in dieser Höhle zu seyn, in welcher er diesen Romeo zu entdecken hoffte. Er konnte sich selber keine Rechenschaft davon geben, warum er sich die wenigen Worte so erklärte, warum er der Meinung war, sie müßten von jener entflohenen Maschinka herrühren, deren Handschrift er niemals gesehn hatte. Aber dieser blinde Trieb, dieser Instinkt schien ihm gerade ein Beweis dafür, daß er auf der richtigen Spur seyn müsse.
Am folgenden Morgen trug er, ohne seine Gründe anzugeben, darauf an, daß man noch einiges Merkwürdige in der Nähe betrachten, dann aber nach Liebenstein reisen möge. Mein theurer Freund, sagte Ferdinand, mit einiger Heftigkeit: wie kommen Sie auf diesen Entschluß? Warum nach Liebenstein? Ich hoffte, wir würden von hier aus uns mehr südlich und nach dem Schwarzwald, vielleicht sogar nach der Schweiz wenden, um einen Theil des Herbstes in den schönen Alpengegenden und an den erfrischenden Seen zuzubringen. Und nun schon, noch so zeitig im Jahre, uns wieder nach Norden wenden? das sieht schon wie Rückkehr aus, die ich in diesem wahrhaft schönen Sommer, der uns vielleicht noch lange begünstigt, weit hinausschieben möchte.
Schon umkehren? rief Wachtel aus: wie? Ich habe auf den Rhein und die schönen Weinplätze Bacharach, Rüdesheim, Nierenstein gehofft — und nun wieder in das kalte Bierland hineinreisen? Ei, welch ein böser Geist hat Ihnen, verehrter Freund, den bösen Gedanken zugeraunt?
Sie wissen, fuhr Ferdinand fort, mir ist nur in den Gegenden, wenn ich in der Fremde bin, recht wohl, wo ich die alten Münster, den katholischen Cultus, die Bilder und Feierlichkeiten, so wie Alles, was damit zusammenhängt, sehe und mein Gemüth erhebe. Haben wir doch oft genug darüber gestritten. Es ist fast, als wenn ich eine Geliebte verlassen, indem ich diesen schönen Provinzen wieder den Rücken wenden soll.
Geliebte! sehr wahr! rief Wachtel, fast schluchzend. Ich kenne das schon, um wie viel theurer und schlechter der Wein in den Gegenden dort oben ist. Nun habe ich mein Herz hier so weit hinweg spazieren geführt und es so recht gemüthlich im Sonnenschein der Andacht ausgelabt und eingesommert. Ich kann schwören, mit jeder Meile, die mich von meiner Frau um eine mehr entfernt, fühle ich meine Liebe zu der vortrefflichen Person inniger und brünstiger. Welchen schönen Liebesträumen hing ich nun nach, daß noch wenigstens hundert Meilen sich zwischen uns legen sollten, um mich so recht und voll in die erste Jugendliebe hinein reisen und rasen zu lassen. Das hätte vielleicht eine so ausbündige Verliebtheit zu Stande gebracht, wie nur jemals zwischen Abälard und Heloisa stattgefunden hat, — und nun soll ich plötzlich ernüchtert werden, denn das weiß ich im voraus, mit jeder Meile, die ich jetzt schon, um so vieles zu früh, der Theuern näher komme, wird mein Herz kälter, und Sie haben es zu verantworten, Baron, wenn ich als ein rechter Gimpel, als kalter Frosch, als miserabler Philister meiner Alten ganz herzlos und krüppelmatt an den Hals falle.
Walther sagte lachend: liebe Freunde, es kann nicht meine Absicht seyn, Sie irgend in Ihrer Reiselust hemmen oder auf falsche Wege verlocken zu wollen. Unsre Trennung, wenn sie jetzt so viel früher eintritt, wird mich schmerzen; aber wir finden uns wohl später wieder. Was mich jetzt nach Liebenstein zieht, ist ein kleines Geschäft. Sie wissen, wir Alle hatten bei unsrer Abreise von Dresden keinen festen Plan, wir wollten uns leichtsinnig dem Zufall und unsrer Laune ganz überlassen. Vergessen haben Sie aber ganz, daß wir beim Abschiede in Karlsbad unserm Freunde Carl Hardenberg fest versprachen, ihn in Liebenstein wiederzusehn. Diese Zeit ist jetzt, und versäumen wir sie, so treffen wir ihn dort nicht mehr an und er hat uns vergeblich erwartet.
Es ist wahr, sagte Ferdinand, wie aus tiefem Nachsinnen erwachend; dieses Versprechen, welches fast ein feierliches war, ist mir seitdem ganz entschwunden. Und so begleite ich Sie denn, lieber Walther, theils um meiner Pflicht gegen jenen Freund zu genügen, andrerseits aber, um länger in Ihrer Gesellschaft zu seyn und mit Ihnen die Schönheiten unsrer Reise zu genießen.
Sei’s drauf gewagt, rief Wachtel, sollte ich auch mit ganz eiskaltem und erfrornem Herzen zu meiner vielgeliebten Gattin zurückkommen. Ich weiß nicht, ob es Heilige giebt, denen sich ein kalt werdender Liebhaber und Gatte empfehlen kann, oder ob Protektoren der zärtlichen Ehe angestellt sind, die die Flammen so anfachen, wie der heilige Kilian sie auslöscht; wenn Du mir, Ferdinand, keinen zu nennen weißt, so ist das eine große Lücke in Deinem vielgepriesenen, bilderreichen und wundervollen katholischen Cultus. Der Abälard, der dazu passen könnte, war außerdem schon ein Ketzer; und seine Heloisa gilt auch für eine fromme Sünderin; und so hat die Kirche die beste Gelegenheit versäumt, durch zeitgemäßes Canonisiren diesem Bedürfniß abzuhelfen.
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Die Freunde reiseten nach diesem Entschlusse queer durch das Kocherthal und besuchten Neustadt an der Linde. Von einer außerordentlich großen Linde hat dieses Städtchen seinen Beinamen. Nach dieser anmuthigen Gegend kamen sie durch den Harthäuser Wald. Das Thal der Jaxt ist zerrissen, die Weinberge schroff, kahl und weiß, und das Land ist hier weniger fruchtbar, als das Thal der Kocher. Eine sehr große und schöngebaute Brücke führt über den Jaxtfluß, der jetzt so klein war, daß er fast gar kein Wasser enthielt.
Aus Verehrung für Göthe betraten sie das alte Haus, die Burg Jaxthausen, in einer feierlichen Stimmung. Der berühmte Gottfried, oder Götz, hat hier nur in seiner Kindheit und frühen Jugend gelebt. Ein älterer Bruder, Philipp, erbte diesen Stammsitz der Familie, und lebte, wie es scheint, ruhig und glücklich auf diesem seinem Schlosse.
Alles ist hier alterthümlich, fest und mannhaft, wenn auch nicht großartig. Das Archiv ist in einem großen, runden Thurm. Die Wandschränke, viele Sessel und Stühle schienen noch aus der Ritterzeit. Die Wendeltreppe ist vortrefflich gebaut. Fest kann, ungeachtet der Gräben, das Haus doch nicht gewesen seyn; es liegt niedrig, auf ebenem Boden und hat das Ansehn eines reichen Adelhofes.
Ein neues, anmuthiges Schloß von mäßigem Umfang, welches eine Familie Gemmingen bewohnt, liegt nahe bei Jaxthausen, und nicht weit davon, an der Jaxt die Ruine der alten Burg Berlichingen, die alle Leute in der Gegend dort Berlinchen nennen.
Eine Meile von Jaxthausen findet man in anmuthiger Waldgegend das Kloster Schönthal. Hier ist das Erbbegräbniß der Berlichingen; Götz ist als der letzte hier begraben worden, weil nachher die Familie protestantisch war. Die Kirche ist schön, und Ferdinand hörte die Erzählung mit Ingrimm, daß man nicht nur alle goldne und silberne Gefäße, sondern selbst zwei heilige Leiber bei der Aufhebung des Klosters den Juden verkauft habe.
Ein Mönch verzeichnete die Bücher der Bibliothek, weil diese abgeliefert werden sollte. Der Mann schien unwissend und sich mit den alten Drucken oder Handschriften, bei denen er die Titel nicht finden konnte, sehr zu quälen. Ferdinand machte sich an ihn und half ihm bei einigen. Im Verlauf des Gespräches jammerte der Mönch über die Aufhebung des Klosters. Ferdinand stimmte mit ein und sprach von den Vortheilen und Reizen der Einsamkeit, und wie schön die Einrichtung gewesen, daß vielen Geistern, die den Beruf gefühlt, Freistätten seien gestiftet worden, in welchen sie sich ganz und völlig von der Welt unabhängig, den Betrachtungen der höchsten Gegenstände hätte widmen können. Seit lange aber, fuhr er fort, ist die Einsamkeit verrufen, Alle, so hört man immerdar, sollen und müssen in die vielfachen Wirbel und in die Verwirrung der Welt hineingetrieben werden; praktisch, so ruft man schon dem Kinde zu, mußt Du werden, um die Geschäfte, die Aufgaben des Lebens verwalten und lösen zu können. Die Namen eines Stubengelehrten, einsamen Denkers, stillen Forschers sind wie die Benennungen Einsiedler, Klostermönch, abergläubischer Priester, zu Schimpfnamen geworden. Und dennoch — wenn man diese Weltmenschen kennt und beobachtet, die in den Rädern der großen Weltmaschine hanthiren und immerdar mit dem Gewühle der verwirrten Masse umtreiben — wie ist ihr Gemüth abgestumpft und keiner großen Eindrücke und Entschließungen fähig. Ungewohnt, einen wahren, echten Gedanken zu fassen, eine belebende Idee zu ergreifen und sie dann anwendbar zu machen, ist ihr ganzes praktisches Treiben nur wie das des Maulthieres in der Drehmühle, thätig ohne Geschäft, im Mechanismus als Maschine arbeitend. Lehrt uns denn nicht die Geschichte, daß so oft jene stillen Menschen, die sich der Einsamkeit ergaben, in Zeiten der Noth hervortraten, um Das zu ordnen und zu beschwichtigen, was allen Weltregierenden und in der Welt Erzogenen zu mächtig geworden war? Einige der edelsten Päpste nicht nur waren in der Stille des Klosters gebildet und herrschten im großen Sinne, als sie berufen wurden, auch außer so manchen Bischöfen und Aebten waren es oft einfache Mönche, die in Zeiten der Drangsal auftraten, um mit dem Seherblick, den gerade die Einsamkeit geschärft hatte, Kräfte zu entdecken, die die verderblichste Verwirrung in lichte Ordnung umwandelten.
Darum, sagte der Mönch, der von Zeit zu Zeit von seinem Cataloge aufsah, ist es Unrecht, wie man jetzt mit uns umgeht. Nicht anders, als wenn wir Mordbrenner und Landesverräther wären. Und grausam ist es obenein. Denn unser eins hat nun von Jugend auf nichts anders gelernt, wir können uns auf keine andre Weise ernähren, und doch stößt man uns in die Welt ohne alle Versorgung, denn die armselige Pension, die man uns auswirft, kann kaum gerechnet werden.
Ferdinand wendete sich mit dem Ausdruck der tiefsten Verachtung von dem Manne ab. Als sie draußen waren, fragte ihn Wachtel: was ist Dir nur, daß Du plötzlich so sehr verstimmt bist? — Wenn mir, rief Ferdinand aus, der ich ein Laie, ein Protestant bin, das Herz brechen möchte, weil ich in einem Zeitalter geboren bin, in welchem eine ganze Welt von Herrlichkeit, Poesie und Kunst in ein großes Grab höhnend geschüttet wird, eine Welt, in welcher so Großes erwuchs und geschaffen wurde, die für Bildung, Gelehrsamkeit und echte Freiheit so viel that, die durch so viele geistliche Helden und Märtyrer verherrlicht ist, — und ich sehe einen Mönch, der diesem zerstörten Tempel angehört, um nichts als sein tägliches Brot seufzen, den nur die Küche dauert, die zugleich mit dem Wunderdom zerfällt, so möchte ich verzweifeln. Er fühlt sich nicht gekränkt und im tiefsten und heiligsten Ehrgefühl seines hohen Standes verletzt, nein, er wäre zufrieden, wenn er nur in irgend einem Pallast seiner Verfolger wieder Küchenjunge werden könnte. Giebt es freilich viele dieser Art, haben manche Regierende wohl selber so gedacht, so ist diese große Kirchenanstalt in sich selbst, auch ohne äußern Anstoß und ohne die weltliche Habsucht, zusammengebrochen.
Sei nicht unbillig, rief Wachtel aus, wie soll ein gewöhnlicher Mönch, von frühster Jugend zum unbedingten Gehorsam gewöhnt, dessen größte Tugend es seyn mußte, den eignen Willen zu brechen, Deinen Enthusiasmus theilen oder verstehn? der bei Dir auch nur um so feuriger ist, weil Du, in einer ganz anders gestalteten Fremde erzogen, als Fremdling in diese zerstörte Welt hineinschaust. Du bist noch ziemlich jung, wohlhabend, hast niemals Mangel empfunden, kannst es also in Deinem übermüthigen Blute nicht wissen, wie bitter die Nahrungssorgen sind. Außerdem bist Du so erzogen und unterrichtet, daß Du im äußersten Fall zu hundert Geschäften greifen könntest, um Dich zu ernähren; hast auch, durch den Weltumgang, Dreistigkeit gewonnen, mit Menschen umzugehn und Dir Beschützer zu suchen. So ein Armer aber, wie dieser, von frühester Kindheit verschüchtert, erniedrigt und eingezwängt, wenn dem die Maschine zerbrochen wird, an der er arbeitet, und er gar nichts gelernt hat, als an dieser einen Stift einzufugen, der ist unendlich zu bedauern.
An diesem Tage kamen die Reisenden noch bis Mergentheim und setzten am folgenden Morgen ihren Weg fort, längs der Tauber. Die Gegend bis Bischofsheim ist nicht schön, das Thal der Tauber ziemlich kahl. Von Bischofsheim bis Würzburg war die Gegend auch nicht interessant und Ferdinand sagte: ich glaube fast, daß wir gestern den letzten eigentlich poetischen Tag unserer Reise genossen haben.
Sie sind nur, antwortete Walther, gegen das Zurückkehren und scheinen mir eine zu große Vorliebe für das unbestimmte Herumschwärmen zu verrathen.
So ist es, rief Wachtel aus, das war von früher Jugend an seine Passion. Er ist ein schlechter Staatsbürger und Patriot.
Das Reisen selbst, erwiederte Ferdinand, ist für Den, welcher es versteht, eine so poetische Kunst, daß ich mich in diesem Sinne gern als gebornen Vagabunden bekenne. Mich dünkt, der merkwürdige Theophrastus Paracelsus sagt schon, das Reisen sei das Lesen eines herrlichen Buches, in welchem man die Blätter mit den Füßen umschlage. Die Natur und jede ihrer Launen kennen zu lernen, sich ihr ganz zu eigen zu geben, Heiterkeit und Genuß wie Regen und Sturm mit Dank empfangen, dies verstehn nur wenige, und die es vermögen, sind schon Eingeweihte. Dann die Kunst, zu lernen, wie man mit dem Volke leben kann, daß man aus allen Gesinnungen etwas Neues hört, daß man die Spur findet, wo auch in anscheinender Einfalt die Weisheit unbewußt spricht, wie die Wahrheit immer hinter allen Masken der Lüge hervorblitzt, alles Dies dient, unsern Geist zu erheben und reif zu machen. Dazu die Wunder, das Staunenswürdige, das uns Kunst, Natur, das Firmament und die Elemente bieten, oft auch die unscheinbare Gesellschaft und der zufällige Spaziergang. Schon in Teplitz sah ich dergleichen, und ihr Alle, die ihr doch gern staunen mögt, habt es ebenfalls angeschaut, doch ohne es zu beachten. Dorthin kommen alle Sommer aus dem innersten Ungarn Menschen, welche die deutsche Sprache nicht verstehen. Sie verkaufen Draht, Mäusefallen und andere geringfügige Sachen, dabei bessern sie kupfernes Geschirr aus und umflechten Töpfe und Schüsseln. Sie gehen in braunen, langen und weiten Jacken, und nur in dem Einen Aermel steckt in der Regel der eine Arm, sie haben keine Schuhe und Strümpfe nach unserer Art, sondern tragen eine Art von Sandalen, und mit Tuch oder Leinwand ist das Bein umwickelt, so wie es vor der Erfindung der Strickerei und Weberei gebräuchlich war. Ihr Gang hat nichts von unserer Dressur, sondern ist so frei und leicht, wie ihn kein Tanzmeister erreichen oder nur nachahmen könnte; dabei ist in ihren Schritten aber nichts von dem festen Springegang, den man an den Tyrolern beobachten kann. Eben so hat ihr Auge nichts von dem kühnen Umblick jener Bergjäger, sondern es sieht ruhig und in stiller Schwermuth geradeaus und nieder, ist aber niemals forschend oder neugierig. Diese Armen, weil ihr Gesicht von ihrem Geschäft in der Regel schwarz und ungewaschen und von der Sonne und dem langen Wege gebräunt ist, werden von manchem Badegast wie Banditen und Bösewichter angesehen. Ich bin ihnen stundenlang nachgegangen, um sie zu beobachten, ich habe mich mit ihnen zu verständigen gesucht und ihnen manche Gabe zukommen lassen, weil mir ihr Wesen so edel und echt menschlich schien. Sie sammeln, was sie an kleiner Kupfermünze einnehmen, und schütten es in einen Aermel ihrer Kutte, den sie unten zubinden, um mit dem geringen Erwerb mühsam in ihr fernes Vaterland zurückzukehren. Der Ausdruck ihres Gesichtes ist so schwermüthig, daß man sich angezogen fühlt, und was das Merkwürdigste ist, ich habe niemals einen von ihnen lachen, oder auch nur lächeln sehn, sei es ein junger Mensch oder ältlicher Mann, selbst wenn ich ihnen eine Gabe mittheilte, die ihre Erwartung übertraf. Ein milder, dankender Blick hat mich gerührt, und sie waren augenblicks so ruhig, wie immer. Wer sind diese Menschen, die mir als ein Wunder in unsrer Welt erschienen? Sind sie eine Art Paria? Mit den Zigeunern haben sie keine Aehnlichkeit. Ich konnte sie nicht ausfragen, weil sie mich nicht verstanden, die übrigen Menschen gingen gleichgültig an ihnen vorüber, und ich würde einen Otaheiten oder Chinesen nicht mehr als diese umherwandernden Kesselflicker anstaunen.
Du magst nicht Unrecht haben, sagte Wachtel, es thut mir leid, daß ich diese Slawaken, oder Croaten und Wallachen nicht besser beachtet habe. Kommt mir einmal wieder einer in den Wurf, so will ich ihn gewiß unter mein Mikroskop nehmen.
Nach Tische verließ die Gesellschaft Würzburg und begab sich nach dem Lustschlosse Werneck. Im Garten dieses ehemals fürstbischöflichen Schlosses sind noch einige schöngeflochtene Berceaus, nach alter französischer Art, und Ferdinand ergoß sich in Lobpreisungen dieser jetzt verschmähten Gartenkunst, für welche er eine fast übertriebene Vorliebe zeigte. Nichts so Entzückendes, rief er aus, als ein solches dichtgeflochtenes hohes Gewölbe von glänzendem, jungem Buchenlaub. Die Sonnenhitze kann nicht durchdringen, und man wandelt wie in einem lebendigen Saale oder dem Schiff einer Kirche, dessen Wölbung das glänzende Licht in Smaragden verwandelt. Die erfrischende Kühle spielt durch den weiten, langen Raum; im Sturm und Regen ist der Gartenfreund hier wie im Schlosse selbst gesichert. Um zu lesen oder ein vertrautes Gespräch zu führen, ist ein solcher Gang vorzüglich geeignet, ja er erzeugt durch das Offene, Heitere und zugleich Abgeschlossene Vertrauen, und das auffallend Künstliche dieser Bogenwölbung, so innigst mit der Baumschönheit verbunden, ist so lieblich und phantastisch, daß es wie von selbst Poesie und zarte Wunderträume erregt. Preise man nur nicht so unmäßig jene monotonen, melancholischen englischen Gärten, die weit eher ein Rückschritt zur Barbarei zu nennen sind, als daß sie die echte, höhere Gartenkunst sich rühmen, oder gar für die einzig wahre ausgeben dürften.
Sie blieben die Nacht in Schweinfurt, einem wohlhabenden, behaglichen Städtchen. Am folgenden Morgen verließen sie die Chaussee, um auf schlechten Wegen nach dem Badeort Kissingen zu gehen; der Ort ist nur klein und es waren nur wenige Trinkgäste zugegen. Eine Meile entfernt ist das Dorf und Bad Bocklet. Hier ist eine schöne grüne Natur, waldbewachsene Hügel, frische Thalwiesen und eine anmuthige, feierliche Einsamkeit. Nach einem ziemlich langen Spaziergang kamen sie in den Speisesaal zur versammelten Gesellschaft. Ferdinand traf einige Damen und Fräulein, die er wohl sonst in Berlin gesehen hatte. Es überraschte ihn seltsam, in diesem einsamen kleinen Orte Figuren wiederzufinden, die er sich bis dahin nur in den großen erleuchteten Salons hatte denken können.
Hören Sie, sagte Walther zu Wachtel, den er bei Seite nahm, mit welchem Enthusiasmus unser Freund wiederum von seinen berlinischen Freundinnen, vorzüglich aber von der Familie aus Madlitz spricht. Er ist übermäßig glücklich, daß er einige Dämchen getroffen hat, die doch einigermaßen, wenn auch ungern, in das Lob seiner Schönheiten einstimmen; denn es ist mehr als ungalant, man kann es unartig nennen, gegen junge Damen andere abwesende in so hohen Tonarten zu loben. Bemerken Sie nur, wie alle diese Badeschönheiten die zierlichen Lippen aufwerfen und die Näschen rümpfen, wie sie so leicht und schonend diesen und jenen Tadel der gefeierten Grazien einschlüpfen lassen, um der zu schmetternden Trompete unsers Freundes einen kleinen Dämpfer aufzusetzen. Er ist nicht zu entschuldigen, wenn er nicht dort, wie ich zu glauben Ursach habe, schon versprochen ist.
Bei Tische war man heiter, und nur Ferdinand, der es wohl fühlte, daß die anwesenden Schönen nicht mit ihm zufrieden waren, verließ mit einem kleinen Mißmuth den Saal. Er ging mit Wachtel und Walther auf den Kirchhof des Ortes, um das Grab der Auguste Böhmer, der Stieftochter Wilhelm Schlegels, aufzusuchen. Nicht ohne Thränen konnte er ihrer gedenken, und sagte endlich: Wie schwach sind doch die Menschen, daß sie nur selten das Lob eines vorzüglich begabten Menschen, sei er durch Schönheit, sei er durch Geist ausgezeichnet, mit edler, wahrer Theilnahme anhören können. Gleich glauben sie, es würde ihnen etwas entzogen, oder man setze sie gar herab, und so eilen sie denn, sich in Reihe und Glied zu stellen, was im Grunde lächerlich ist, weil sie voraussetzen, man müsse sie ebenfalls zu jenen Hochbegabten rechnen. Von den Verstorbenen ertragen sie schon eher die rühmliche Nachrede. Wie traurig, daß das Andenken eines so schönen Wesens, wie diese Auguste war, so schnell erlöschen muß. Diese natürliche Heiterkeit, der Frohsinn dieses Mädchens, ihr unschuldiger Witz und sanfte Schalkheit, gepaart mit Verstand und Geschmack, war in ihrer schönen Jugend eine zauberhafte Erscheinung. Schlegel hat ihrem Andenken einige vorzüglich schöne Trauergedichte gewidmet. Diese liebliche Erscheinung gehörte ebenfalls zu der frohen, geistreichen Gesellschaft, von der ich neulich in so starken Ausdrücken sprach, so wie die feine, geistreiche Mutter dieser Auguste, eine höchst gebildete Frau, die jetzt die Gattin Schellings ist. Diese Frau hatte ein so feines, geübtes Ohr, daß Schlegel sie bei seinen Gedichten und Uebersetzungen zu Rathe zog, und sie entschied fast immer, wenn er zwischen drei oder vier verschiedenen Lesearten ungewiß war, welche er als die wohllautendste oder passendste wählen sollte. Diese Frau, so wie die Gattin Hubers und noch wenige, gehörten ohne Zweifel zu den frühesten und entschiedensten Bewunderern unsers Göthe; viele der künftigen Literatoren werden es vielleicht nicht glauben wollen, wie sehr edle und geistreiche Frauen in unserer deutschen Literatur den Ausschlag gegeben haben. Als ich vor ungefähr zehn Jahren Berlin wiedersah, war unter den vorzüglichsten der dortigen Frauen Das längst ausgemacht, was Recensenten, Dichter und Gelehrte nicht begreifen wollten, daß Göthe unser größter Nationaldichter sei, ein Poet in wahrster und höchster Bedeutung, und daß die großen Talente, die mitunter selbst im Einzelnen etwas Größeres als er leisten möchten, sich doch mit der Großheit und Vollendung seines Wesens nicht messen dürften. Die Mutter Auguste’s reisete vor drei Jahren hieher, um die Bäder zu brauchen, und mußte ihre schöne, liebenswürdige Tochter hier begraben sehen.
Am Abend gelangten sie noch bis Neustadt an der Sale. Die Formen der Berge waren hart und rauh, Alles schien nördlich und unfreundlich. Die Freunde waren zu verdrossen, um die Ruine, eine der ältesten, in der Nähe der Stadt zu besteigen.
Bei der Fortsetzung der Reise schalten sie am folgenden kalten Morgen über die finstern, widerwärtigen Gestalten der Berge. Kurz vor Meiningen liegt die Ruine Henneberg zwischen schönen Tannen. In Meiningen fragten sie nach Jean Paul, der aber schon nach Franken gezogen. Durch schöne Gegenden und Thäler fuhren sie nach Bad Liebenstein, dessen romantische Lage sie wieder erfreute, und fanden hier ihren Freund Carl von Hardenberg wieder, den ein jüngerer Bruder, Anton, begleitet hatte.
Die schöne Gegend wurde am folgenden Tage durchstreift, die alte Burg, die kräftigen Wälder, die grottenartigen Felsen besucht. Man speisete im Freien unter schönen großen Bäumen, durch den Berg gegen Winde geschützt. Am Nachmittage fuhr ein prächtiger Postzug mit vier schönen Rappen vor, und die Freunde glaubten irgend einen Prinzen ankommen zu sehen, als zu Walther’s Erstaunen jener Freysing, den er vor zehn Jahren in Erlangen gekannt hatte, aus dem Wagen springt, von seinen Bedienten unterstützt. Sind Sie’s wirklich? fragte Walther, und der Fremde eilte, den lange nicht Gesehenen zu umarmen.
Nachdem man sich begrüßt hatte, gingen Walther und Freysing zu einer einsamen Stelle, ziemlich weit vom Bade entfernt. Es freut mich, fing Walther an, Sie so wohlhabend und reich wiederzufinden; Sie müssen in glücklichen Umständen leben.
Glücklich? rief Freysing aus: Sie sehen den unglücklichsten Kerl auf Erden vor sich! Reich? o ja, insofern ein Spieler sich so nennen kann. Sie wissen um den sonderbaren Zufall, daß ich damals in Nürnberg jene große Summe gewann, durch welche ich alle meine Gläubiger befriedigen konnte. Statt nach meiner Heimath zurückzukehren und eine Bestimmung zu suchen, ging ich mit den dreihundert Goldstücken, die mir noch übrig waren, nach einem großen Badeorte, Wo hoch gespielt wurde, und gewann wieder auf seltsame, unerhörte Weise. Ich war in dem Zaubernetz gefangen, daß ich nur Karten dachte und träumte. War die Nacht schon weit vorgerückt und ich übermüdet und demnach fieberhaft aufgereizt, so war es, als wenn ein Dämon meine Finger in meiner Betäubung regiere, und ich, so stumpf ich war, bestimmt wisse, welche Karte gewinnen müsse. Wer es nicht selbst erlebt und diese quälende Lust an sich erfahren hat, hat keinen Begriff davon, wie teuflisch wild, wie gräßlich heiter das Leben eines Spielers ist. Ich war bald reich genug, selbst Bank zu halten. So ist der grüne Tisch, Gold und Karten meine Heimath, mein Ein und Alles, mir Frau und Kind und Religion und Natur. Ich habe keinen Sinn für irgend was. Wenn meine Gehülfen schon in der Nacht kaum noch die Augen aufzwingen können, fluche ich über mein verdammtes Geschäft, lege mich betäubt und krank nieder, wandle umher, esse, und kann die Zeit nicht erwarten, bis das Geklirr und Rauschen des Goldes auf dem grünen Tische wieder anhebt. Ich stehe auf, um fünf- oder sechstausend reicher, und es macht mir keine Freude; ich verliere ebensoviel, und es ist mir ganz gleichgültig, und doch ist der verfluchte Gewinn der Sporn, welcher mich stachelt. Wenn ich reise, so kommt oft, wie ferne Erinnerung aus Wald und Fels, ein edles Gefühl auf mich zu, eine Wehmuth ergreift mich über mein zerstörtes Leben, und ich entlaufe dem Gefühl im Pharo; oft schon dachte ich, ein schönes, liebes Mädchen könne an meiner Seite mit mir meines Reichthums genießen; aber plötzlich fallen mir die Fratzenbilder der Kartendamen ein, und welche mir schon große Summen gewonnen, und Leben und Schönheit erblaßt vor diesen Gespenstern. Meine Eltern sind gestorben und ich habe sie nicht wiedergesehen. Wenn ich einmal Alles verlieren sollte, so werde ich mir mit der größten Kaltblütigkeit eine Kugel durch mein zerrüttetes Hirn jagen.
Walther würde vielleicht von dem Wahnsinn und Elend seines ehemaligen Freundes noch tiefer erschüttert worden seyn, wenn er nicht stets nach der großen, wunderbaren Höhle geblickt hätte, in deren Nähe sie wandelten, die jetzt verschlossen war, und die morgen, am Sonntage, magisch erleuchtet werden sollte, zu welcher Festlichkeit sich viele Menschen aus der Umgegend, sowie aus Meiningen versammelten. In dieser Menschenmasse hoffte er denn morgen auch seinen Feind, den er so lange schon vergeblich verfolgt hatte, sowie die schöne Maschinka, anzutreffen.
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Der Sonntag, der 24. Julius, war erschienen. Ferdinand begriff nicht, weshalb Walther so feierlich sei; dieser, indem er jede Art von Unterhaltung vermied, schien auf etwas gespannt, das sich im nächsten Augenblicke erklären müsse.
Ferdinand schien ebenso bewegt, und Wachtel beobachtete die beiden Freunde, indem er zu sich selber sagte: Narren sind beide, das ist gewiß, aber jeder nimmt einen aparten Anlauf, um vollständig thöricht zu seyn. Der Ferdinand bereitet sich auf die Höhlenerleuchtung vor, wie auf das Einweihungsfest eines Rosenkreuzers, und der Walther, der weit mehr Baron ist, wird, so bärbeißig er auch jetzt thut, die Sache nachher als Lappalie behandeln. Kürzlich soll der Pfarrer einmal in der Höhle gepredigt haben, kann seyn, daß man nächstens ein Melodram, ein Banditenstück, oder ein allegorisches, mit Erdgeistern drin spielt.
Beim heitern Sonnenlicht ging man eine Stunde vor Mittag in die große und von vielfachen Gängen durchschnittene Höhle, welche man erst seit einigen Jahren entdeckt hatte. Schwebende Lampen erhellten von oben das Gewölbe, versteckte Lichter, die unten und ungesehen brannten, erleuchteten seltsam die Gänge, die bald höher, bald niedriger, bald breiter oder enger sich durch die Räume zogen. Ferdinand war bezaubert, Walther erstaunt und Wachtel geblendet. Unglaublich viele Menschen waren in diesen unterirdischen Räumen versammelt und wogten hin und her, redend, flüsternd, lachend, allerhand Dinge erzählend, und andere wieder lallend bewundernd, oder bei jeder Beugung des Ganges staunende Ausrufungen ausstoßend. Wahrlich, sagte Wachtel, wer sich hier ein Liebchen herbestellen könnte, Oheim, oder Vater, oder Vormund zum Trotz, der hätte ein Rendezvous, um nicht das dumme Stelldichein zu brauchen, allhier, wie sonst in Europa kein zweites. Läuft nicht Alles wie Feen und Geister so zwitschernd und flüsternd durcheinander? Und bei der Geistercompagnie hört man nichts Bestimmtes, man vernimmt nur wie unterirdische Chöre. Man sieht nicht deutlich, sondern ist nur geblendet, bald ist es finster, bald zu hell, und der Widerschein von den dunkeln Felsengruppen mischt sich wie ein Traum in jedes Verständniß. Meine alte Muhme, sowie meine häusliche liebe Gattin könnten mir hier zur Helena oder einem thessalischen Zauberbilde werden. Stoßen Sie mich nicht so sehr mit dem Ellenbogen, mein Herr von Spuk; zwar in der Unterwelt vergessen sich alle Höflichkeiten.
Was der Freund hier im Gebiet der Phantasterei schwadronirt, sagte Walther, doch horch — still — was ist das? —
Wundersame Musik von Waldhörnern klang herüber. Ein Chor von blasenden Musikanten war oberhalb, ohne daß man sie sehen konnte, in einer Felsennische aufgestellt. Immer wunderbarer! rief Walther aus. Mich schwindelt! Und es war nicht unbegreiflich, da surrend, brummend, flüsternd und halb leise sprechend so viele Gestalten vorübergingen, sich begegnend, grüßend, andere geblendet und sich nicht kennend. —
Jetzt standen sie vor einem kleinen See. Ein Nachen fuhr von jenseit herüber, und Ferdinand stieg hinein. Ein anderer Fremder drängte sich hinzu, und Walther vernahm von einer weiblichen Stimme den leisen Ausruf: Romeo!
Walther machte die Bewegung, in den Kahn nachzusteigen, als dieser schon abfuhr und sich in der Dämmerung entfernte. Bei dem ungewissen Licht konnte er die Gestalten nicht mehr unterscheiden; ja, er war selber ungewiß, ob sich Ferdinand auch unter jenen Gestalten befunden, die im Dunkel schon ganz verschwunden waren. Er wendete sich rückwärts, um Wachtel wieder aufzusuchen, der sich ihm im Getümmel verloren hatte, aber er konnte, so sehr er sich bestrebte, Niemand genau erkennen, so blendeten die vielfach zerstreuten und sich kreuzenden Lichter. Sinnverwirrend war das Geflüster, und die hin und wieder fliehenden Worte und Reden der Wandernden, die sich begegneten, kreuzten, suchten und sich wieder verloren. Endlich sah er Wachteln und bat diesen, bei ihm zu bleiben. Wachtel stellte sich neben ihn, und da die Musik der Hörner jetzt wieder begann, so kehrten sie um, um die wunderbare Harmonie näher zu hören. Können Sie es begreifen, sagte Wachtel, daß unser Ferdinand die Höhle und dieses magische Schauspiel, welches doch recht eigentlich für ihn eingerichtet zu seyn scheint, schon wieder verlassen hat?
Wie? rief Walther, ich hätte schwören wollen, ich habe ihn da hinten den finstern Kahn besteigen sehn, um die stygische Flut zu überschiffen.
Nein, sagte Wachtel, er ist unlängst mir vorbeigelaufen, um, wie er sagte, zur alten Burg hinaufzusteigen, weil ihn dies Getümmel hier zu sehr betäube.
Man wird thöricht und verwirrt, erwiederte Walther, so wunderlich und romantisch das Ganze auch angeordnet ist.
Jetzt ließen sich einige polnische Reden in der Nähe vernehmen, und da Walther der Sprache kundig war, so verstand er, daß zwei Männer ein Frauenzimmer suchten, die mit einem Hauptmann in der Höhle spazieren wandle. Jetzt war Walther überzeugt, diese wären Mitwissende und könnten nur von der verlorenen Maschinka reden. Er hielt sich in der Nähe dieser Fremden und verlor darüber seinen Freund Wachtel wieder aus dem Gesichte.
Die Polen wurden immer eifriger im Suchen, endlich sagte der eine in seiner Sprache: ich fürchte nur, bei ihrer großen Reizbarkeit und Nervenschwäche wird sie nach diesem sonderbaren Tage wieder auf lange krank seyn.
Doch, antwortete der Andere, übersteht sie oft Alles besser, als man es fürchten muß, wenn sie ihre Imagination nur beschäftigen kann, und diese findet doch hier des Spieles genug. Nur ruhen muß sie nachher.
Ein lauter Ausruf entstand, indem man sich vorwärts bewegte, denn ein Kind war gefallen, welches einige Damen liebkosend und tröstend aufhoben. Indem glaubte Walther in der gedrängten Gruppe die Gestalt Ferdinands wieder wahrzunehmen. Als er sich aus dem Gedränge freigemacht hatte, waren, indem er umherblickte, die Polen seinem Auge wieder entschwunden. Er eilte verwirrt nach einer andern Richtung und jetzt glaubte er deutlich wahrzunehmen, daß Ferdinand in einiger Entfernung vor ihm hergehe und ein schön gewachsenes, reich gekleidetes Frauenzimmer am Arme führe. Er suchte in ihre Nähe zu kommen, und indem er schon seinen Arm ausstreckte, um seinen Freund zu berühren, rief die Stimme des Polen dicht hinter ihm: Maschinka! Jetzt sah er, daß Derjenige, welcher die Dame führte, nicht Ferdinand sei, aber seine Ahndung, hier Maschinka und ihren Entführer endlich zu treffen, war doch in Erfüllung gegangen. Er packte also den Fremden ziemlich unsanft am Arm und rief: Hier habe ich Sie also doch, nach vielen Mühungen, mit Ihrer Maschinka entdeckt! Indem war der Pole mit einem Ausruf der Verwunderung ebenfalls näher gekommen, und wie erstaunt und beschämt war Walther, als er in dem Festgehaltenen seinen Reisegefährten Wachtel erkannte und sich jetzt die Dame, eine hochbejahrte Frau, herumwendete. Wie? mein Herr! fragte der Pole: Sie wagen es, meine Schwester zu beleidigen?
Keine Beleidigung, mein Herr, rief Walther, ich hielt die Dame und diesen meinen Freund für ganz andere Wesen, und bitte, mir meinen Irrthum und die Uebereilung zu verzeihen.
Die alte Dame faßte jetzt den Arm des Bruders, indem sie sagte: Als ich Dich verloren hatte und ziemlich ängstlich umherirrte, war dieser Herr so gütig, sich meiner anzunehmen. Der Pole dankte Wachteln mit artigen Worten und dieser erwiederte lachend: Es ist Nichts natürlicher, als daß man in diesem unterirdischen Reiche der Phantasterei etwas confuse wird.
Das Gedränge von Menschen, welches sich in dem engen Raume aus Neugier versammelt hatte, lösete sich wieder auf, und Walther eilte jetzt verdrossen und verstimmt aus der Höhle und Wachtel folgte ihm, um ihm im Freien seine Klagen vorzutragen.
Mein Theuerster, fing er, als sie im Felde standen, an, Sie haben mitunter sonderbare Launen, die man nicht begreift. Was haben Sie mit dem Namen Maschinka, daß er Sie immer so außer sich versetzt? Sie haben mich so stark in meinen Arm gezwickt, als wenn Sie ihn mir zerbrechen wollten, und in Ihrem Tone, mit dem Sie sprachen, lag etwas so Drohendes und Beleidigendes, daß ich vorher recht böse auf Sie hätte werden mögen.
Sie haben ja gehört, rief Walther unmuthig aus, daß ich mich geirrt, daß ich Sie für wen ganz Andern nahm. Eine gewisse Maschinka ist eine Bekannte von mir, eine junge Dame, ein Frauenzimmer, das ich kenne, eine weitläufige Anverwandte, die ich gerne wiedersehen möchte, und die sich wahrscheinlich im Auslande befindet, ein wohlgebildetes Fräulein, die wohl vielleicht schon verheirathet ist, — mit einem Worte, eine Dame, die ich gerne wiedersehen möchte.
Wachtel lachte laut auf und sagte dann: Ich danke für dieses herzliche Vertrauen und diese offene Mittheilung. Er lachte wieder, und Walther, dessen Verlegenheit sichtbar war, bat ihn, wieder ernsthaft zu seyn und ihm zu vergeben, daß er ihm nicht mehr sagen könne. Haben Sie die Gefälligkeit für mich, fügte er dann hinzu, unserm Ferdinand von dieser lächerlichen Scene nichts zu erzählen. Genug, daß ich vor Ihnen und jenen Fremden beschämt und verlegen gestanden habe, und daß Sie mich so von Herzen auslachten, scheint mir Strafe genug. Versprechen Sie mir das, denn ich bin in diesem Punkt vielleicht etwas zu empfindlich.
Ich gebe Ihnen mein Wort, ihm kein Wort davon mitzutheilen, antwortete Wachtel; aber auch gegen meinen Ferdinand sind Sie seit einiger Zeit nicht mehr so herzlich, als Sie es im Anfange unserer Pilgerschaft schienen. Wenn Sie auch in den meisten Dingen anderer Meinung sind, so sollten Sie doch sein Gutes und seine Freundschaft für Sie anerkennen.
Daß wir die meisten Dinge der Welt aus einem verschiedenen Standpunkte ansehen, erwiederte Walther, macht mir ihn nur lieber, seine Schwärmerei und sein Hang zum Aberglauben ist mir an ihm interessant; aber — um ganz aufrichtig zu seyn — seit wir da oben auf dem Schlosse bei Bamberg waren, in Glich, bin ich mißtrauisch gegen seinen Charakter geworden. Wenn ich seine frommen Reden bedenke, wenn ich höre, wie sentimental er von der Liebe spricht, wie verschämt er in Gesellschaft roher Menschen thut, für einen Mann fast tadelnswürdig jungfrauenhaft, und denke dann daran, wie er uns entlief und wieder zu dem schönen Mädchen nach dem einsamen Saale hinaufeilte, so halte ich ihn für einen Lüstling, der zugleich heuchelt und den Tugendhaften spielt. Mich wundert nur, daß jenes schöne Kind, die Tochter des Försters, ihn sogleich erhören konnte, wie es doch schien. Er erhält Briefe, die er verheimlicht, er weicht uns oft aus und entfernt sich unter den nichtigsten Vorwänden; hat er etwas Wichtiges zu verschweigen, so sollte er mir dies wenigstens eingestehn; sind aber seine Heimlichkeiten immer kleine unerlaubte Liebeshändel, so ist sein Charakter nicht so beschaffen, daß ich ihn zum Freunde behalten möchte.
Mein Herr, sagte Wachtel mit einiger Feierlichkeit, sind Sie etwa damals in Glich auf unsern Freund gar nicht eifersüchtig gewesen? denn das schöne Mädchen schien Ihnen auch zu gefallen. Was er liebt, wie er liebt, wie orthodox oder heterodox, sentimental oder liberal er die Sache betreibt, ob sein Herz nur Raum für einen Gegenstand hat, ob es vielen zugleich Quartier geben kann, ob die eine seine Göttin ist und andere nur Dienerinnen, oder Zerstreuerinnen seiner Melancholie, über alles Dieses erlaube ich mir kein Urtheil und keinen Richterspruch, wenn er mich nicht selbst in seine Geheimnisse einweiht. Aber er ist gut und edel, darauf kenne ich ihn von Jugend auf. Geheimnißkrämerei ist immer seine Liebhaberei gewesen. Und Sie sind ebenfalls geheimnißvoll gegen ihn. Mir scheint, keiner weiß vom Andern etwas Bedeutendes, Zufall und Laune haben Sie vereinigt, aber das Leben, die Verhältnisse eines Jeden sind dem Andern verborgen. Ich kenne Ferdinand seit lange und bin vertraut mit seinem früheren Leben, aber was seit zehn Jahren mit ihm geworden ist, liegt für mich auch ganz im Dunkel.
Walther reichte ihm die Hand und sagte: Sie haben nicht Unrecht; ich hoffe, im Verlauf der Reise wird sich noch die Gelegenheit finden, daß wir unsere Verhältnisse näher kennen, dann sollen Sie erfahren, warum ich jetzt Ihnen so wenig als Ferdinand von meinen Verbindungen und Absichten etwas vertrauen kann.
Beim Badehause fanden Sie Ferdinand lesend unter den Bäumen, unter welchen die lange Mittagstafel schon bereitet war. Ich konnte es in der Höhle, sagte er, nicht aushalten, so beängstigte mich der Schimmer und der Dunst der Lampen. Jetzt kamen die Gebrüder Hardenberg und nach und nach versammelte sich die Tischgesellschaft. Der Herzog von Meiningen speisete auch an der Table d’hote, und der Anblick der Landleute, die sich versammelt hatten, und neugierig oben vom Hügel zwischen den grünen Bäumen auf ihren Fürsten und die Fremden herniederschauten, alle diese fröhlichen Gesichter von Alt und Jung machten einen sehr erfreulichen Anblick.
Nach Tische ließ sich der Fürst durch Hardenberg, den er schon längst persönlich kannte, dessen Freunde vorstellen. Er sprach lange und freundlich mit ihnen, indem er ungesucht vielfache Kenntnisse und eine echte Bildung zeigte. Er war schlank, hatte blondes, fast graues Haar, ein gealtertes Gesicht, in welchem der Ausdruck des Ernstes und der Melancholie vorherrschte, das sich aber schnell in Freundlichkeit und schalkhaften Ausdruck verwandeln konnte.
Es war eine mittelmäßige Schauspielertruppe, die zuweilen in einem kleinen Saale ihre Vorstellungen gab. Heut aber wurde in einem andern Local ein Puppenspiel mit großen Marionetten aufgeführt; die übrigen Freunde interessirten sich für diese Kinderei nicht, aber Ferdinand, der dergleichen Seltsamkeit leidenschaftlich liebte, freute sich auf den Genuß dieses Abends.
Walther ging mit Hardenberg spazieren, Wachtel blieb im Badehause und Ferdinand eilte dem Marionettentheater zu. Er zahlte für den ersten Platz und drängte sich in den übervollen Saal. Bauern, Bauermädchen, Bürger, Soldaten, Offiziere, Alles war so fest ineinandergeschoben, daß sich weder Hand noch Fuß regen konnte. Ferdinand wollte seinen ersten Platz gewinnen und bat, ihm Raum dahin zu gönnen, weil er meinte, er befände sich noch auf der letzten und wohlfeilsten Stelle. Was ihm am empfindlichsten auffiel, war, daß Tabaksdampf, der ihm verhaßt war, den ganzen Saal anfüllte, denn Alles, bis auf die Bauernknechte, rauchte aus größeren oder kleineren Pfeifenköpfen. Er hoffte, da hier Alles noch stand, vorn zum Sitzen zu gelangen und sich aus den stinkenden Wolken zu entfernen; vor ihm war ein Mann im grünen Ueberrock, welchen er anstieß und höflich sagte: Machen Sie mir gefälligst etwas Raum, denn ich habe für den Ersten Platz bezahlt. — Ja, erwiederte der Mann, der aus einem ungeheuern Meerschaumkopfe rauchte, das, mein guter Freund, haben wir Alle, hier sind wir Alle gleich, wie im Paradiese. Indem Ferdinand etwas näher gekommen war, erkannte er in diesem Sprechenden den Fürsten. Gewiß war er also auf dem ersten und vornehmsten Platze und genoß der Ehre, den Fürsten zu drängen und von ihm geklemmt zu werden. Von der früheren Vorstellung und dem feinen Hof- und wissenschaftlichen Gespräch war in dieser Atmosphäre nicht mehr die Rede, ja es wäre lächerlich gewesen, sich darauf zu beziehen, denn der Herr erschien hier ganz verwandelt. Ihn störten nicht die plumpsten und ungezogensten Späße seiner Umgebung, manche Militairs trieben die Ausgelassenheit und den Scherz mit einigen Bauerdirnen über jede Grenze, und diese Armen hatten Mühe, aus dem Gedränge zu entkommen und das freie Feld wieder zu gewinnen. Als schon manche von den Honoratioren sich entfernt, der Fürst selbst nach einiger Zeit die Bude verließ, so zögerte auch Ferdinand nicht länger, im Wald und auf dem Berge wieder eine reinere Luft zu athmen.
Im Saale war Ball, in welchem Alle, die Theil nehmen wollten, ohne Gene tanzten: Edelleute, Damen und Handlungsdiener; auch die Herzogin von Hildburghausen war unter den Tanzenden und gütig und herablassend mit Jedermann. In einem andern Saale wurde gespielt, und hier traf Walther seinen Freund Freysing in seinem glänzenden Beruf. Die Bank, die dieser aufgelegt hatte, war sehr ansehnlich. Walther sah nur zu, ohne mitzuspielen. Er fand wieder, was ihn so oft entsetzt hatte, wenn er in den Spielsälen stand, diese verzerrten Gesichter, die Habgier oder Wuth und Verzweiflung ausdrückten, einige, die kalt und gleichgültig scheinen wollten, waren todtenblaß, sie zwängten den Zorn und die Angst in sich zurück. Freysing betrug sich wie ein König, nur etwas zu stolz, weil bei seinen aufgethürmten Goldhaufen ihm der Satz der Pointirenden wohl zu unbedeutend scheinen mochte.
Walther hatte seit lange einen Mann beobachtet, welcher schon viele Goldstücke verloren hatte und dem der kalte Todesschweiß über das bleiche Antlitz in großen Tropfen rann. Er verließ oft ingrimmig und wie verzweifelnd den Saal, ging draußen mit sich ringend auf und ab und kam dann nach einiger Zeit zurück, nachdem er von Neuem Geld von seinem Zimmer geholt hatte, welches er dann eben so schnell, wie die vorigen Friedrichsd’or verlor. Er spielte so leidenschaftlich und wild, daß er durchaus nicht die gehörige Aufmerksamkeit auf sein Spiel haben konnte. Freysing beobachtete ihn sehr aufmerksam von seinem Sitze und schien nur ungern die Goldstücke des Armen einzuziehen. Im Nebenzimmer erkundigte sich Walther bei einem freundlichen Manne, wer dieser tollkühne Spieler sei, und erfuhr, er sei ein Geschäftsmann aus Meiningen, der mit Frau und einigen Kindern von einem mäßigen Gehalt leben müsse. Er habe sich wohl verleiten lassen, seine Umstände verbessern zu wollen, der Verlust setze ihn in Angst, und er suche, was er verloren wie mit Gewalt wiederzugewinnen. Diese Leidenschaft, sagte der Erzählende, in welche die Pointeurs immerdar gerathen, ist eigentlich das sicherste Capital der Bank. Der arme Mann, der ansehnlich verloren hat, wird nun Schulden machen müssen, er verliert seinen Namen, seine Familie darbt und er endet vielleicht in Verzweiflung.
Als Walther in den Spielsaal zurückging, kam ihm dieser Herr Anders mit verzerrten Mienen der Todesverzweiflung entgegen. Er lief eilig aus dem Hause und schien keinen der Anwesenden zu bemerken, die ihm mitleidig oder auch wohl mit Hohn und Schadenfreude nachsahen.
Er kam nicht wieder, und Walther war überzeugt, er habe Alles verloren. So verging eine geraume Zeit, neue Spieler kamen, geplünderte entfernten sich, doch vermehrte sich die Anzahl um den Spieltisch. Da trat jener Anders wieder taumelnd herein, er schwankte umher und sein bleiches Angesicht schaute den Spielenden mit gläsernen Augen über die Schultern. Er biß sich auf die Lippen, als er einige Pointeurs bedeutende Summen gewinnen sah. Plötzlich machte er sich Platz und schob den einen Zuschauer mit Ungestüm zurück, indem er sich neben den erschreckten Walther eilig hinstellte. Er griff hastig nach einer Karte und, ohne sie fast zu betrachten, besetzte er sie mit einigen Goldstücken. Die bleichen Lippen zitterten ihm, und sowie die Karte verlor, zuckte es wie ein Blitz über sein Antlitz hin. Er schob mit krampfhaftem Zittern die Goldstücke dem Bankier hin, und dieser, ihm einen scharfen Blick zuwerfend, schleuderte sie wieder nach des Spielers Platz, indem er kalt sagte: Führen Sie so die Nymphen auf der Gasse mit solchem Golde ab. Es war eine Todtenstille im Saale, Walther fühlte sich einer Ohnmacht nahe. Der Hausvater, der Geschäftsmann, die unauslöschliche Beschimpfung des Aermsten, seine wahrscheinliche Verzweiflung, Alles dies ergriff ihn mit ungeheurer Gewalt. Ein Moment, in welchem er vernichtet war, aber schnell ermannte er sich und rief mit festem Tone dem Bankier zu: Herr Bankier, Sie thun meinem Freunde, dem Herrn neben mir, sehr Unrecht; ich habe ihm aus Versehen die Spielmarken statt der Goldstücke eingehändigt, weil ich sie bei mir trug, ich bin mit ihm Moitié, und so zahle ich den Verlust. Sie werden nicht glauben, daß ein solcher Irrthum ein vorsätzlicher war, da Sie mich persönlich kennen.
Freysing erhob sich von seinem Sitze, bückte sich sehr tief und sagte, da er die Absicht seines Bekannten sogleich durchschaute: Mein Herr Baron, ich bitte Sie und den Herrn, mit welchem Sie gemeinschaftlich spielen, hiemit um Vergebung. Ich war im Unrecht, die geehrten Herren mögen von der Güte seyn, meine Uebereilung, die ungeziemlich war, zu vergessen.
Walther hatte mit einem stummen Druck den beängstigten Anders neben sich auf einen Stuhl niedergezogen. Er spielte jetzt und gewann binnen Kurzem eine ansehnliche Summe, der Haufen Goldes, welcher vor ihm lag, wuchs mit jeder Minute. Als dreihundert oder mehr Goldstücke gewonnen waren, stand er auf und sagte höflich: Jetzt, Herr Anders, haben Sie die Güte, mir zu folgen, daß wir uns berechnen können.
Er führte den Zitternden und Erstaunten auf sein Zimmer und händigte ihm hier die ganze Summe ein, indem er sagte: Hier, Sie Armer, Bethörter, empfangen Sie, was ich in Ihrem Namen gewann, es ist, so viel ich habe beobachten können, um ein Beträchtliches mehr, als Ihr Verlust. Richten Sie sich ein, spielen Sie nicht wieder, Sie sehen, wie unglücklich man werden kann.
Mein Wohlthäter, sagte der Zerknirschte stammelnd, was Sie mir geben, ist mehr als das Vierfache meines Verlustes. Es giebt Thaten, für die jeder Dank zu klein ist. Sie retten meine Familie, meine Ehre, mein Leben, denn ich mußte mich nach dieser Beschimpfung ermorden, wie ich auch beschlossen hatte, wenn ich verlor.
Mit Thränen entfernte sich der Beglückte und Walther begleitete ihn vor das Haus. Wachtel, der im Alkoven Alles angehört hatte, sagte für sich: Das ist bei alle dem ein kreuzbraver Kerl, dieser Walther!
Walther ging in den Spielsaal und sagte in einer Pause heimlich zu Freysing: Ich hätte Sie für großmüthiger gehalten, warum einen solchen Elenden vernichten?
Ich sollte es wohl seyn, erwiederte Jener, der Aerger übereilte mich. Sie haben mir aber eine hübsche Lection gegeben, an welche ich bei einem ähnlichen Falle denken werde.
———
In Gesellschaft Hardenberg’s und dessen Bruders, sowie der Verwandten, die sich in Liebenstein zusammengefunden hatten, oder die in der Nähe wohnten, ging die Zeit gar anmuthig hin. Man erzählte viel charakteristische Züge von den sonderbaren Launen des trefflichen Fürsten; dabei aber verkannte man nicht, was er für die gute Einrichtung dieses Bades, vorzüglich aber für die Wohlfahrt seines Ländchens gethan hatte.
An der heitern Mittagstafel, als die Freunde unter sich und keine Damen zugegen waren, sagte Wachtel: Ich bin Euch noch schuldig, meine Freunde, wie ich gestern Nachmittag meine Zeit hingebracht habe, zu berichten. Ich mochte das Puppentheater so wenig wie den glänzenden Ball besuchen, aber ich hatte erfahren, daß der berühmte Oberforstmeister Cramer von Meiningen hieher in das Bad, aber nur für diesen Sonntag gekommen sei. Wie Ferrara seinen Ariost und Tasso, Florenz seinen Dante, Leipzig seinen Gottsched, Anspach seinen Utz und Weimar seinen Göthe hat, so besitzt seit lange schon Meiningen seinen Cramer. Ich sah den Mann, er ist groß, ziemlich corpulent, und sein Gesicht eins von denen, die das Glück und die Auszeichnung haben, gar keinen Ausdruck zu besitzen. Diese sogenannte Gutmüthigkeit oder Bonhommie, wie man dergleichen nennt, welche nur die trivialste Alltäglichkeit ist, lockt jeden noch so simpeln Dummkopf herbei, um sich ohne Aengstlichkeit in der Gegenwart eines solchen harmlosen Autors ganz seiner Einfalt zu überlassen und den berüchtigten Vetter Michel für den Vorsteher der Grazien zu halten. Glücklicher Weise habe ich in früheren Jahren, weil ich ein unnützer Bengel war, die meisten Romane dieses Cramer, vom Erasmus Schleicher bis zum Paul Ysop, gelesen. Ich sah neben ihm einen Halbbekannten und benutzte dies, um mich dem genialen Deutschen vorstellen zu lassen. Wir setzten uns dann dorthin, vor dem Badehause, dem Geländer nahe, den Blick auf die Landstraße gerichtet. Der große Mann hatte kein Arg daraus, ob ich ihn auch für den Autor erkannte, für den ihn die Abonnenten der Leihbibliotheken eine Zeitlang hielten. Ein schmaler, schwindsüchtiger Medicus sagte: O Bruder Cramer, erinnerst Du Dich noch unseres verewigten Freundes auf der Universität, des seligen Lange, mit dem wir so manchen seligen Abend durchschwärmt haben?
Wohl, sagte Cramer, indem er sein Glas erhob und der große Mund lächelnd durch die Nähte der Pockennarben brach: das war ein großer Mensch! Himmel, wie idealisch konnte er beim Sonnenaufgang oder in den Frühlingsmonaten gestimmt seyn! Es war eine Wonne, mit der kräftigen Menschheit des Kerls zu harmoniren. Viele von Klopstocks Oden wußte er ganz auswendig; wenn er sie deklamirte, zitterte er vor Entzücken, wie ein eingefangenes Rothkehlchen. Wir nannten ihn nur Selmar, — und das arme Vieh hat nachher so miserabel crepiren müssen!
Wie so? fragten die Freunde, indem sie die Weingläser niedersetzten.
Weil der Schwernothshund, sagte der Autor mit edelm Ingrimm, es nicht lassen konnte, sich trotz seines Aufschwungs mit liederlichen Menschern einzulassen. Das war nun einmal seine schwache Seite. Petrarch und Laukhard, oder ein Anderer der Zunft, Bahrdt, oder wer es sei, war er in demselben Augenblick. O seine zarte, himmlische Jenny! was das hohe Wesen über diese zu weit getriebene Vielseitigkeit des hochgestimmten Schwärmers gelitten hat! Die Creatur war doch wirklich so, als wenn ein himmlischer Engel in dieses Erdenleben herabgestiegen wäre, um uns eine Darstellung der hohen Flüge eines Plato im sterblichen Abbild zu geben. Mehr als Sophronia und Clorinde des Tasso, höher als Werthers Lotte, oder die Sophie des Fielding war sie so einzig, daß die Brutalität selbst in ihrer Nähe zur Tugend wurde. Tausendschwernoth noch einmal! Wenn sie so mit ihrem Inamorato dahinwalzte! Als den nun, wie Ihr wißt, Freunde, an der schlechten Krankheit der Teufel so rein weggeholt hatte, so gab sie endlich den Bitten des dünnbeinigen Assessors Gehör und verheirathete sich mit der verfluchten Massette. Sie hatte aber schon von ihrer ersten Liebe ein Kind gehabt, das sie heimlich erziehen ließ. Der Junge bekam nachher das böse Wesen und verreckte im Hospital. Die himmlische Laura ergab sich dem Branntwein und es war, wegen des Athems, in den letzten Jahren nicht mehr bei ihr auszuhalten. So verwelken die edelsten Blüten des Lebens.
Und Alfonso, fragte der Schmächtige, jener aufgeklärte Theologe, er hieß eigentlich Wackelbein, — was ist aus dem geworden?
Im Narrenhause, sagte Cramer, hat er an der Kette verendet. Er war zu genialisch, und wollte immer Werther und Guelfo in den Zwillingen von Klinger zugleich seyn. Als er in der Stadt lebte und der Superintendent ihn zum Adjunctus in sein Haus nahm, hatte er seine höchste genialische Zeit. Was er damals schrieb oder sagte, war classisch. Er selbst aber immer besoffen. Das Schwärmen hätte ihn aber doch nicht so sehr daran gehindert, daß der große Geist wäre in eine gute Stelle gesetzt worden; — aber, wie nun sein schönstes Buch sollte gedruckt werden (eine Nachahmung meines Erasmus, wo er zugleich den Bambino Klingers hineingebracht hatte), kam es heraus, daß die Köchin im Hause von ihm schwanger und die Kirchenkasse bestohlen, ja eigentlich ganz weggeraubt sei. Von beiden war er der Thäter, und er konnte es nicht leugnen; schon täglich besoffen, wurde er vom Kummer verrückt und fuhr so dahin. — So habe ich so manche echte Genies, die die Zierde unseres Vaterlandes werden konnten, zum Teufel fahren sehen. Ich habe mich gehalten, so viel ich auch erlebt, so viel ich auch erduldet habe. Der Dienst der Musen ist kein leichter. Mit dem Teufel ist nicht zu spaßen.
Ferdinand erzählte, wie schlimm es ihm in dem Marionettenspiel gegangen sei, worauf Walther sagte: Sie haben also, meine Freunde, einmal recht die deutscheste Deutschheit verkostet. Sonderbar, daß es noch immer viele Gegenden und Gesellschaften giebt, wo ein solcher Ton für das Herzliche und Biedere gilt. Bei diesen steht dann Grazie und Urbanität als Heuchelei und Affektation im schlimmsten Verruf. Aus den Büchern, in welchen der hiesige Ariost die Sitten edler und treuherziger Männer geschildert hat, bildeten sich früherhin manche Studenten auf der Universität, und aus diesen Reminiscenzen schrieben Manche wieder in späteren Jahren Bücher in demselben Ton. Diese rohe Manier verliert sich jetzt mehr und mehr bei unsern Landsleuten.
Ich zweifle, fuhr Ferdinand fort, daß der Gebildete in irgend einem andern Lande an dieser vorgeblichen Herzlichkeit, Biedertreue und Ungeschlachtheit zu leiden hat. Dies Marionettenspiel selbst war eben so schlecht, daß, wer nach diesem meine Vorliebe für diese groteske Unterhaltung beurtheilen wollte, mir sehr Unrecht thäte. Es werden jetzt ungefähr zehn Jahre seyn, als ich auf einer Reise durch den Harz in Quedlinburg dieses wunderliche Drama zuerst entdeckte. Ich kann es wohl eine Entdeckung nennen, denn es wich völlig von jenem Zeitvertreib der gebräuchlichen Puppenspiele ab, und dieses, wie jene gewöhnlichen dienten nur dem Volke zur Aufheiterung, und der Gebildete wendete sich mit Verhöhnung ab. Diese Figuren, die ich jetzt kennen lernte, waren ziemlich groß und wurden sehr geschickt durch eine künstliche Wage und Gewichte regiert, die die Glieder in Bewegung setzten, indem die Fäden an den Fingern der Dirigirenden hingen. Am künstlichsten aber war die Figur des Lustigmachers oder des Casperle, wie er hier genannt wurde. Nach einiger Zeit glaubte man ein wirkliches lebendes Wesen zu sehn; man zweifelte nicht mehr an dem Mienenspiel und er machte mich so lachen, wie ich es nur selten im Leben vermocht habe. Ich erkannte hieraus, wie die Maske, wenn ein gutes Gedicht nur übrigens gut gespielt würde, gewiß nicht die Täuschung stören oder aufheben könne. Am meisten aber überraschten und interessirten mich die wunderbaren Stücke, die gespielt wurden. Sie waren so originell, so großartig erfunden und so kühn durchgeführt, daß ich sie mit keinen andern bekannten vergleichen konnte. Der Don Juan z. B., den sie darstellten, wich sehr von jenem ab, der nach dem Moliere und den Italienern gearbeitet ist. Nach einigen Jahren sah ich mit Erstaunen, daß er nach dem eigentlichen Original des Spaniers Tirso de Molina umgewandelt war. Von einem andern Stücke entdeckte ich später, daß es ganz, aber so, wie dieses Marionettentheater es brauchen konnte, nach einem höchst wunderbaren und religiösen Schauspiel des Mira de Mescua gearbeitet sei. Eine „heilige Dorothea“ folgte ziemlich genau der Tragödie, welche die Engländer Massinger und Decker über diesen Gegenstand gedichtet haben. Ich wollte die Directoren der hölzernen Truppe schon damals bereden, in Berlin ihre Künste zu zeigen, was sie aber jetzt noch nicht wagten, sondern erst sieben oder acht Jahre nachher den Versuch machten und großen Beifall fanden, vorzüglich bei den Freunden der ältern Poesie. Die Herren Dreher und Schütz (diese waren die Dirigenten) erzählten mir, daß alle ihre Manuscripte alt seien, daß sie noch viele besäßen, die sie aber niemals darstellten, unter andern einen König Lear, der aber mit dem weltbekannten Gedichte kaum eine Aehnlichkeit habe. Ich wollte sie überreden, mir diese Gedichte zur Ansicht zu vertrauen, was sie aber standhaft verweigerten, so wie sie auch von dem Rath nichts wissen wollten, diese Sachen durch den Druck bekannt zu machen. Sie glaubten, daß sie sich ihre Aufführungen dadurch verderben möchten. Ich wußte, daß zu Shakspeare’s Zeiten von einsichtigen Mechanikern eine neue Art war erfunden worden, ziemlich große Marionetten künstlich in Bewegung zu setzen. Die Spiele dieser Puppen machten Aufsehen und fanden großen Beifall. Ben Jonson spottet selbst einmal darüber, daß dieses hölzerne Theaterspiel Mode sei und von Manchem dem der Komödien vorgezogen werde. Man gab die Schauspiele, die die populärsten waren, und gute Köpfe, die gerade nichts Besseres zu thun hatten, arbeiteten für diese Bühne und nahmen die besten Komödien berühmter Dichter, um sie für die Marionetten abzukürzen und mit mehr Spaß und Tollheit auszustatten. Die Marionetten zogen hierauf nach den Niederlanden, und in Brüssel und Antwerpen, wo damals viele spanische Komödien gespielt wurden, nahmen sie von diesen die beliebtesten und wunderbarsten in ihr Repertoir auf. Manchen, die ich damals und später in Berlin sah, habe ich noch nicht auf die Spur kommen können; sehr merkwürdig war die Geschichte eines Königssohnes, der sich wahnsinnig stellte, aber nichts mit Hamlet gemein hatte. Der verlorne Sohn ist nach einem alten englischen Schauspiel, und jener landkundige Faust, der unserm großen Dichter in seiner Jugend wohl zuerst den Anstoß zum wunderbarsten seiner Werke gab, ist im Wesentlichen dem Faust des Marlow nachgebildet. Man kann dem Barocken und toll Poetischen nur mit einer gewissen Leidenschaft sich hingeben, eine ruhige kritische Billigung ist unpassend und dem Gegenstande nicht angemessen; und so gestehe ich gern, daß ich damals diese mir noch neuen Spiele vielleicht überschätzte, aber auch jene Menschen, die sich ganz davon abwendeten, nicht tadeln konnte. — Hier aber war von jenem Poetischen, was mich damals so sehr erfreute, auch keine Spur mehr. Die Marionetten waren schlecht und spielten ungeschickt, der Text war ganz modern, aus Kotzebue und einigen beliebten Opern zusammengestoppelt, so daß mich weder Publikum noch Theater auf lange fesseln konnte. Große, wunderbare Verhältnisse, das Tolle, Phantastische und ganz Tragische paßt nur für diese Volksbühne.
Die Freunde genossen noch die schöne Gegend um Liebenstein, alle diese reizenden Naturscenen, und nahmen dann von Wald und Berg und den freundlichen Menschen, die sie hatten kennen lernen, Abschied. Carl von Hardenberg begleitete sie noch bis Eisenach. Der Weg geht queer durch den Thüringer Wald, und reizend liegt das Jagdschloß Wilhelmsthal mitten in einem schönen Walde. Die Buchen hier und in der Umgegend sind von herrlichem Wuchs.
In Eisenach besuchte man die Wartburg und erinnerte sich des Gedichtes von Friedrich Schlegel. Der Deutsche, bemerkte Ferdinand, hat immer noch seine eigenthümliche Freude an der Herrlichkeit der Wälder; vor diesen Ausblicken, die uns entzücken, graut dem Italiäner und die übrigen Nationen empfinden doch schwerlich jenes heilige Grauen oder jene feierlich andächtige Stimmung, die uns in Waldgebirgen oder im einsamen dunkeln Forst ergreift.
Hardenberg kehrte nach Liebenstein zurück, und von Altenburg schrieb Ferdinand an seine Freundin Charlotte nach Berlin:
Altenburg, den 1. August 1803.
Kann man sich so ungewiß im Kreise drehen, wie ich es nun seit mehreren Wochen gethan habe? Menschen betrachte ich und lerne sie kennen, Frauen und Mädchen, Naturscenen gehn an mir vorüber, und nichts ergreift und durchdringt mich so, wie es sollte, weil eine Leidenschaft, eine Unruhe, eine unselige Melancholie mich allenthalben verfolgt. Ich habe die feste Hoffnung, möchte ich doch fast sagen die sichere Aussicht, daß sich in wenigen Tagen dieser Zustand ändern wird. Sie kennen mein Schicksal nicht, und können es also auch nicht fassen, in welchem seltsamen Räthsel ich mich umtreibe.
Ich müßte mich sehr irren, oder mein Reisegefährte Walther wird von einer ähnlichen Leidenschaft gequält, die er mir verheimlicht, geflissentlich Alles umgeht, was auf eine Spur führen oder eine vertrauliche Herzensergießung veranlassen könnte. Dieser Mann, der anfangs so kalt und ruhig schien, verliert immer mehr jene sichere Haltung, die den Gleichgültigen nur sich anzueignen möglich ist.
Zuweilen erscheint mir das Leben grauenvoll, wenn es mir jene kalte, gleichgültige Seite aufdeckt, die die Herzlosen für das wahre Antlitz, und Jugend, Empfindung und Liebe nur für eine schöne Larve erklären. Als wir in Würzburg waren, erinnerte ich mich einer Begebenheit, die mich schon vor Jahren manche Thräne gekostet hat. Ein junger Edelmann lebte hier, reich, gesund und schön, und mit dem schönsten Mädchen in der Stadt versprochen. Die Vermählung war nahe, das Glück der Liebenden beneidenswerth, als der Geliebte mit einem andern Offizier um eine unbedeutende Kleinigkeit in Streit geräth und von dem rohen jungen Mann so beschimpft und beleidigt wird, daß sich die Ehre des Gekränkten, nach unsern Begriffen, nur durch ein Duell wiederherstellen läßt.
Sie treffen sich im Walde und der Liebende hat das Unglück, seinen Gegner zu erstechen. Die Flucht ist unvermeidlich, und die Anverwandten des Erschlagenen, angesehene Familien, treiben es dahin, daß er mit gerichtlicher Strenge verfolgt wird und in sein Vaterland nicht zurückkommen darf. Er wagt es selbst nicht, unter seinem wahren Namen im Auslande zu leben, er kann nur selten und auf Umwegen schreiben und noch seltener kann er von seiner Familie oder seiner Braut etwas erfahren. So vergehn einige Jahre. Seine schlimmsten Feinde sterben indeß, die andern lassen sich versöhnen, und mit vieler Mühe wird ihm die Gnade des Fürstbischofs ausgewirkt, nachdem dieser überzeugt ist, daß er zu jenem unseligen Duell ist gezwungen worden. Er wirft sich, von frischer Jugend beseelt, in den Wagen, einige Meilen vor Würzburg besteigt er ein rasches Pferd, um noch früher in den Armen seiner Braut zu liegen. Schon sieht er die altbekannte Stadt und begrüßt jubelnd ihre Tempel und Paläste; sein Weg führt vor dem Kirchhofe vorbei, ein großer Zug, Alt und Jung, bewegt sich aus der Stadt dahin. Er fragt einen Vorübergehenden, wer die Leiche sei, und erfährt, seine Braut wird beerdigt. Der lange Gram, dann die Freude habe sie so geschwächt, daß ihr ermüdeter Körper dem Anfall eines Fiebers keine Lebenskraft mehr entgegenstellen konnte. Betäubt, entsetzt, lebensüberdrüssig kehrt er um, ohne seine Familie wiederzusehn. Er verläßt die Landstraße, irrt in Wäldern umher und begiebt sich endlich nach Erfurt, um hier im Orden der schweigsamen Karthäuser das Ordenskleid zu nehmen. Nun arbeitet er im Garten und an seinem Grabe, spricht mit Niemand und antwortet seinen Brüdern wie den Fremden nur mit dem trübseligen: Memento mori! — Wie oft war ich in Erfurt in diesem einsam liegenden Kloster, sah die wandernden Brüder an, oder in der Kirche bei ihrem stillen Gottesdienste, und gedachte dieser Geschichte. Jetzt komme ich mit meinen Reisegefährten wieder nach Erfurt. Die Klöster sind alle aufgehoben und Mönche und Nonnen von ihren Gelübden befreit. Ich finde den jungen Prinzen W. wieder, der hier als preußischer Major in Garnison steht, und er bittet uns bei sich zu Tische. Er spricht mir von diesem Mönch, den er kennt, und sagt uns, er würde unser Tischgenosse seyn. Als wir uns versammelt haben, tritt ein ältlicher Mann in bürgerlicher Kleidung herein, der stattlich aussieht, dessen Embonpoint aber schon an das Komische grenzt. Sein Gesicht ist nicht unedel, aber ganz gewöhnlich, selbst unbedeutend, und der Ausdruck seiner Physiognomie ist mehr jovial, als ernst, oder tiefsinnig. Ich konnte mich bei diesem Anblick einer gewissen Verstimmung nicht erwehren. Er erzählte viel und mit großer Redseligkeit; es schien, als wollte er für sein vieljähriges Schweigen sich nun endlich wieder an mannichfaltigen und selbst überflüssigen Worten eine Güte thun. Von seiner melancholischen Jugendgeschichte redete er nicht, das wäre auch zu unangenehm gewesen; aber wohl setzte er auseinander, wie die Diät des Klosters, selbst die strenge, bei dem Mangel an Bewegung, den Körper anschwelle. Das Reiten, besonders das schnelle, wollte ihm noch nicht recht zusagen, aber dennoch sprach er mit wahrem Entzücken von den Exercitien der preußischen Cavallerie, die er zu Pferde angesehn und gewissermaßen mitgemacht habe; der Soldat, so fügte er hinzu, sei wieder mit allen Kräften in ihm aufgewacht, und wenn er nicht zu alt geworden sei, würde er sich mit Enthusiasmus diesem Stande widmen. Jetzt sei er entschlossen, die wenigen Jahre seines Lebens hier in Erfurt, mit seinen militärischen Freunden, deren er manche habe, zu verbringen und von seiner kleinen Pension zu leben. Seine Familie sei ausgestorben, Verwandte habe oder kenne er nicht, und die etwanigen Erben seines kleinen väterlichen Vermögens wolle er nicht in Verlegenheit setzen, daß sie den Argwohn faßten, er könne auf irgend etwas Ansprüche machen. —
Es ist verdrüßlich, wenn die mächtigsten Leidenschaften und wahrhaft tragische Begebenheiten nicht mehr Spur im Menschen zurücklassen. Und doch erscheine ich mir wieder in diesen Gefühlen unbillig und lieblos, weil ich nicht wissen kann, was der Arme gelitten hat, und mit welcher Scheu und Vorsicht er wohl immerdar vor dem Grabe seiner Jugend vorübergeht. Sollte er seinen Schmerz und seine Erfahrung einer gewöhnlichen frohen Tischgesellschaft mittheilen und das Edelste seines Lebens entweihen?
In Weimar war mir der Park, Göthe’s Haus, alle Umgebung, wie heilig. Im Garten, der allenthalben so lieblich und edel die dort dürftige Natur verschönert und verdeckt, muß man bei jedem Schritte unsers Dichters gedenken. Er war nicht zugegen, aber den Herzog trafen wir, als wir das Schloß besichtigten. Der edle, geistreiche Fürst sprach lange mit uns über verschiedenartige Gegenstände. Das Schloß ist von dem Baumeister Genz, dem Bruder des politischen Schriftstellers, vortrefflich eingerichtet; Alles hier ist mit Sinn angeordnet, und der große Saal, für Feierlichkeiten bestimmt, erfreut besonders. Es war nicht leicht, aus Dem, was der große Brand von dem Gebäude hatte stehn lassen, diese zierliche und großartige Einrichtung herauszubringen. Von Friedrich Tieck sieht man schöne Basreliefs und Figuren, zwar nur in Gips, aber so gut ersonnen und ausgeführt, daß sie dem edeln Hause zum Schmuck gereichen.
Von Weimar begleitete uns ein junger Dichter, Thorbeck, dessen sich Göthe und Schiller freundlichst angenommen hatten. Er rezitirte uns im Wagen einige seiner Gedichte, in welchen ich nur zu sehr die Manier unsers Schiller wiederfand. Die Verse schienen mir für einen Anfänger fast zu gut.
In Jena führte uns Wachtel zur Fromann’schen Familie, die ich früher schon gekannt hatte. Den geistreichen Naturforscher Ritter fand ich hier, so wie Clemens Brentano. Von Beiden, die ohne Zweifel große Talente entwickeln können, muß man wünschen, daß sie sich nicht von einer falschen Genialität blenden lassen. Eine bewußtvolle Originalität ist keine; auch kann man dem jungen Dichter wohl allenthalben in seinen Versuchen, wo er recht neu und seltsam zu seyn glaubt, die Stellen nachweisen, die er nur nachgeahmt hat. —
Wann werde ich Sie wiedersehn? Unter welchen Umständen? Wo?
———
Von Altenburg begaben sich die Freunde nach Chemnitz. Walther schien völlig verstimmt, und als sie im Gasthofe abgestiegen waren, verschloß er sich in seinem Zimmer und ließ sich mit einer Unpäßlichkeit entschuldigen, die ihn verhindere, zum Abendessen zu kommen. Wachtel, der wohlgemuth war, ließ ihn gewähren und sagte nur zu Ferdinand: unser Moralist fängt an, etwas langweilig zu werden, und weil es ihm nicht so recht gelingen will, so wirft er sich in das verdrüßliche Fach; denn glaube mir, Freund, wer was Rechtes in der Langeweile leisten will, der muß schon früh, in der Jugend dazu thun, die Erziehung kann eigentlich nur den besten Grund dazu legen, und wenn das Genie freilich angeboren ist, so thun doch Ausbildung, Kunst, Uebung und tüchtige Vorbilder auch das Ihrige. Auf dem halben Wege stehen bleiben, wie es unserm lieben Walther begegnen kann, ist das Kläglichste. Ich habe Männer in dem Fache gekannt, die eigentlich von der Natur die herrlichste Anlage hatten, unausstehlich langweilig zu seyn; aber sie hatten das Unglück gehabt, eine Zeitlang unter die Geistreichen zu gerathen, und der Zunftgeist dieser Menschen hatte sich ihnen einigermaßen mitgetheilt, um sie zu ruiniren. Sie hatten die Gabe, Anekdoten ohne Salz und ohne Spitze breit, mit Parenthesen, sich wiederholend und sich widersprechend mit der größten Verwirrung vorzutragen, und zwar solche Geschichten, die jedes Kind schon weiß; aber demungeachtet waren ihnen, wie Fliegen in alten Spinnweben, einige gute Einfälle und Gedanken hängen geblieben, die demnach, wenn auch schlecht vorgetragen, das Kunstwerk ihres miserablen Vortrages hinderten, ein Vollendetes zu werden. Der rechte Virtuose müßte es dahin bringen können, einen heftigen, ungeduldigen und dabei verständigen Menschen geradezu umzubringen. Kann das durch Schreck geschehn, sind Menschen am Lachen oder an der Freude verschieden, so wäre es wohl der Mühe werth, einmal einen Künstler heranzubilden, den ein eifersüchtiger Fürst oder Minister nur auf diesen und jenen Verdächtigen oder Verhaßten loszulassen brauchte, um dem guten Kopf, welcher sich dem Wohl des Vaterlandes nicht fügen will, den Garaus zu machen. Was unsre löblichen Kanzelredner leisten, was Theater- oder religiöse und moralische Dichter thun, die Familiengemälde, viele Romanciers, das ist alles nur Bagatell. Bis zum Uebelwerden, selbst Erbrechen können es Gutmeinende bringen; was ist das aber gegen die Wirkung der Leidenschaften, der Elemente oder des Krieges? Wie oft hat man Gefangene, denen man übel wollte, molestirt und torquirt, Grausamkeiten mit spitzfindigem Grübeln ersonnen, — bildeten Staaten und Schulen aber mehr jene wahrhaften Langweiligen aus, von denen das Ideal meiner regen Phantasie vorschwebt, so könnte das Unerhörte geleistet werden.
Hüte Dich nur, sagte Ferdinand lächelnd, nicht selbst ein Pfuscher in diesem Handwerke zu werden. Es steht keinem an der Stirne geschrieben, wie er einst im Alter endigen werde.
Am folgenden Morgen trat Walther mit einer gewissen Feierlichkeit bei den Freunden zum Frühstück ein. Ich habe eine schlechte Nacht gehabt, begann er dann, weil ich mich schäme, Euch etwas vorzutragen, das ich Euch doch mittheilen muß. Wir sind hier in einer kleinen Stadt, die nicht ohne Anmuth ist, aber wir würden doch nicht eben Ursach haben, lange hier zu verweilen, da wir so mancher viel merkwürdigern nur einige Stunden geschenkt haben, — und doch begreife ich noch nicht, wie wir sobald von hier wegkommen wollen.
Wie käme denn das? rief Wachtel aus. Welcher Zauber sollte uns denn hier bannen können?
Der die ganze Welt bannt und fesselt, antwortete Walther. Ich habe die Reisekasse geführt und mich mit Euch berechnet, in Meiningen gabt Ihr mir, was Ihr noch bei Euch trugt, und es war mehr als reichlich, um nach Dresden, Berlin, Hamburg oder wohin wir noch streben mochten, zu gelangen. In Liebenstein spielte ich und gewann für einen Unglücklichen, der ohne meine Dazwischenkunft verloren war —
Sie haben sich herrlich gegen ihn benommen, rief Wachtel aus, und ich hörte auch noch die vortrefflichen Ermahnungen, die Sie dem Spieler gaben.
Ich hätte sie selber nur zu gut brauchen können, antwortete Walther. Seit vielen Jahren hatte ich nicht gespielt, nun ging es mir wie dem gezähmten Löwen, wenn er wieder einmal Blut kostet. Unmittelbar nach jenen moralischen Reden begab ich mich wieder an den Spieltisch und verlor, bis auf eine Kleinigkeit, Alles, was mir gehörte, und auch Euer Eigenthum. Ihr werdet bemerkt haben, wie knapp und ängstlich ich seitdem auf der Reise war, weil ich hoffte, mindestens bis Dresden auszureichen; gestern Abend gab ich unserm Fuhrmann als Trinkgeld das Letzte. Wir Alle führen keine Creditbriefe mit uns, weil die baare Summe übergenug war; so stehe ich denn hier, beschämt wie ein Schulknabe, vor Euch, und begreife jetzt selbst nicht, wie der Aberwitz mich ergriff, unser Vermögen zu verschleudern. In Dresden, so hoffe ich, können wir uns wieder helfen; aber wie die wenigen Meilen dahin zurücklegen? Sollten wir uns so beschimpfen, Uhren oder Ringe hier zu versetzen? Freysing hat mich in Liebenstein tüchtig ausgelacht, daß ich ihm solche Summe noch zugewendet habe.
Am klügsten und kürzesten ist es, rief Wachtel aus, daß ich mich so schnell als möglich nach Dresden hinstümpere, dort habe ich Bekanntschaft und Credit, ich schicke alsbald das Nöthige her, Ihr unterhaltet Euch indessen hier, so gut Ihr könnt, und wir treffen uns in Dresden wieder, wo Sie dann, Freund Walther, sich wieder in Baarschaft setzen können, um mir und Ferdinand Das wieder zu geben, was Sie uns schuldig geworden sind.
Als Walther das beschämende Geständniß überstanden hatte, lachte er mit den Uebrigen recht herzlich über seine Unbesonnenheit. Man ließ sogleich einen Fuhrmann der Stadt kommen, und Wachtel bat sich aus, das Geschäft mit diesem allein abzumachen. Der Mann kam und Wachtel fragte ihn: ob er im Stande sei, ihn noch an diesem Tage nach Dresden zu schaffen, ihn allein mit einem kleinen Gepäck. Der Fuhrmann sah dem Fragenden ins Gesicht, schaute dann an die Decke, hierauf zum Boden nieder, als wenn die Beantwortung dieser Frage viel Nachdenken und Grübeln erforderte. Es ginge zur Noth wohl, sagte er mit langer Verzögerung, wir haben noch lange Tage, meine Pferde sind gut, die Last nicht schwer. — Und wie viel verlangt Ihr, Mann? — Ja, sagte jener, wenn nur die Ernte nicht wäre, und das Vieh ist jetzt auch nicht so, wie späterhin, und das Futter ist jetzt theuer; unter sechs Speciesthalern kann ich es nicht thun. — Aber ich kann sogleich abfahren? — Gefressen haben die Pferde, erwiederte der Kutscher, also hat es keinen Anstand. — So macht Euch fertig, Freund, ich setze mich gleich ein, Eure Forderung ist nicht unbillig, auch verlange ich Euern Schaden nicht, und verspreche Euch, wenn Ihr mich zeitig nach Dresden hinschafft, sieben Species, außer Euerm Trinkgelde. So kann ich Ihre Geschäfte, Herr Baron und Herr Graf (indem er sich mit der höflichsten Verbeugung an seine Reisegefährten wendete), gleich morgen früh besorgen, und wenn Sie mir in einem oder zweien Tagen nachfolgen, so treffen Sie Ihren ergebensten Diener im goldenen Engel. Nur eins noch, mein guter Fuhrmann, bedinge ich mir aus, daß Ihr Chaussee und dergleichen Alles, auch was ich im Gasthofe bedürfen möchte, auslegt, weil es mir unerträglich ist, mich mit Zoll und Geleit und Kellnern und Wirthschaft einzulassen, und daß Ihr mir morgen in Dresden Alles genau und gewissenhaft berechnet. Und so geht denn, Freund, und spannt an.
Der Fuhrmann entfernte sich in Demuth und zufrieden, und Wachtel sagte lachend: ich habe Dich, lieber Ferdinand, zum Grafen erhöht, um seine Auslagen leichter zu erlangen. Zum Glück geht die Reise nicht weit, es bedarf keiner großen Summe, und ich bin in Dresden meiner Bekanntschaft gewiß.
So reisete Wachtel ab, indem er sich noch einmal, beim Einsteigen, der Gewogenheit des Herrn Grafen und Barons empfahl. Wir können nun rechnen, sagte Walther, wenigstens noch zwei Tage in dieser kleinen Stadt bleiben zu müssen; heut Abend kommt unser Wachtel in Dresden an, ein Tag geht wenigstens hin, bis das Geld hieher kommt und vielleicht, wenn er es nicht durch den Fuhrmann senden will, währt es noch länger. Wir müssen also sehn, wie wir uns hier ergötzen.
Sie gingen aus, um die Stadt und Gegend näher kennen zu lernen. Nach ihrem Spaziergange trafen sie auf ein Haus, in welchem Bücher verliehen wurden, und Ferdinand nahm einige, deren Titel ihn anlockten, mit nach dem Gasthof. Sie blätterten in den Erzählungen, lasen abwechselnd einiges laut, und warfen sie dann verdrüßlich hin. Ist es nicht sonderbar, daß die Deutschen, welche so viel schreiben, immer noch nicht lernen (wenige Autoren abgerechnet), wie man eine Erzählung vortragen kann und soll? Gelingt es auch hie und da Diesem und Jenem, uns ein Interesse abzugewinnen, so trägt er uns gleich darauf Dinge vor, die nicht zur Sache gehören, die uns nichts angehn, und verschweigt im Gegentheil, worauf wir neugierig sind. So lernen es die wenigsten, sich der Form, selbst der leichtesten, zu bemächtigen, und schwanken ungewiß und unsicher hin und her, nirgend festen Fuß fassend, weitschweifig zur Ermüdung, und doch, wie Cervantes sagt, das Beste im Dintenfasse lassend.
Wir können bemerken, erwiederte Ferdinand, daß das Beste, was bei uns erscheint, indem es Mode wird, alsbald zur Nachahmung dient und sich tausendfältig schwächer und immer schwächer wiederholt; aber diese Scribenten, die ihr Vorbild verwässern, studiren nicht dessen Tugenden, oder machen sich klar, wodurch es vortrefflich ist, sondern sie bemächtigen sich nur obenhin der Manier und hängen an den Zufälligkeiten. Andre Modeschriftsteller ergreifen den rohen Stoff, sprechen Gesinnungen aus, die gerade an der Tagesordnung sind, heute Frivolität, morgen Pietismus, bald Patriotismus, bald Rebellion, Haß gegen die Obrigkeit oder süß frömmelnde Liebe, dann wieder Rohheit gemeiner Wachstuben, die sie uns für Rittersinn verkaufen, oder Gespenstergrauen, wenn nicht Familien der Landprediger sammt Liebe und Sehnsucht, die sich schon in den Kindern entwickeln. Es haftet und dauert von allen diesen schlechten Manieren keine, aber eine jede läßt ihre schlimmen Folgen zurück. So ist die Masse des Volkes, welches sich jetzt gern das gebildetste in Europa nennen hört, in Ansehung seiner Modelectüre ohne Zweifel das roheste von allen.
Wie entzückt Denjenigen, welcher zu lesen versteht, fuhr Walther fort, jede, auch die kleinste Novelle des Boccaz, des feinen Cervantes gar nicht einmal zu erwähnen. Aber auch die ruhige Klarheit eines Sacchetti erfreut, und fast jeder Italiener der früheren Zeit weiß die Sache, die er mittheilen will, geschickt vorzutragen. Und so können uns leicht und heiter aufgefaßte Geschichten ergötzen, die sonst gar keinen Inhalt haben, und manches in dieser Art haben die Franzosen auch sehr glücklich geleistet.
Man sollte vielleicht aus unsrer komischen Geldnoth, sagte Ferdinand, die uns hier zu bleiben zwingt, eine heitere Novelle bilden können. Zwei Reisende treffen zum Beispiel in einem Gasthofe von verschiedenen Gegenden her zusammen, sie beleidigen sich, und doch zwingt sie die Noth, daß einer sich dem andern eröffnet, um Hülfe von ihm zu begehren; nun erfährt jeder vom andern, warum sie sich nicht beistehn können, und wie jeder von ihnen in diese lächerliche Verlegenheit gerathen ist.
Recht, rief Walther aus, der eine kann, zum Beispiel, ein Mädchen entführt haben, sie wartet auf ihn in einer gewissen Entfernung, wohin sie ihn bestellt hat, und er kann nun durchaus nicht zu ihr, weil es ihm am Gelde mangelt.
Nicht übel, sagte Ferdinand, doch geriethen wir da vielleicht zu sehr in das Sentimentale. Könnten die beiden Fremden nicht Verwandte seyn, aus verschiedenen Ländern, die sich gegenseitig aufgesucht haben, und die jetzt ein läppischer Zwist daran hindert, sich einander zu erkennen, da sie unter erborgten Namen reisen? Es könnte so weit kommen, daß sie sich forderten, daß man alle Mühe anwenden müßte, um Diejenigen, die sich liebend seit lange suchen, vom mörderischen Kampfe abzuhalten.
Das würde mir darum nicht gefallen, sagte Walther mit verdrüßlicher Miene, weil es an die Komödie der Irrungen und an andre Geschichten, die auf ähnliche Art verwickelt sind, erinnert. Aber, fuhr er heitrer fort, bearbeiten wir jeder auf unserm Zimmer heute und morgen, da wir doch nichts anders zu thun haben, diesen Gegenstand und lesen wir uns morgen Abend unsre Productionen vor.
Es sei! rief Ferdinand mit Lebhaftigkeit aus, nur Schade, daß wir keinen Schiedsrichter haben, der einem von uns den Preis ertheilen möchte.
Jeder begab sich auf sein Zimmer, und Ferdinand, um sich zu zerstreuen, schrieb mit Laune und Heiterkeit, obgleich er nicht unterlassen konnte, einige Umstände aus seiner eigenen Geschichte einzuflechten. Die Aufgabe interessirte ihn dadurch so sehr, daß er unvermerkt dieses und jenes der Erzählung hinzufügte, was er um keinen Preis seinem Freunde erzählt haben würde. Er meinte aber, so vermischt mit der Erdichtung würde sich die Wahrheit als eine solche nicht verkündigen. Walther gab seiner Erzählung einen ernsteren Inhalt; aber sowie er fortfuhr, kam ungesucht die Aufgabe in die Geschichte, die ihn selbst auf die Reise getrieben hatte, nehmlich der Wunsch, einen Gegner, der, nach seiner Meinung, Strafe verdiene, aufzufinden; nur machte er aus diesem Gegner einen Nebenbuhler, damit sich die Fabel mehr runden möchte.
So waren die Freunde zwei Tage beschäftiget und kamen sehr heiter und mit sich selbst zufrieden zum Abendessen zusammen. Nachdem sie gesättigt waren, holten sie ihre Manuscripte und Walther sagte: Sie, von welchem der Gedanke unsrer Schriftstellerei ausging, müssen Ihre Novelle auch zuerst vortragen, damit die meinige alsdann beschließen könne, und morgen, nachdem wir geschlafen haben, soll jeder des andern Versuch kritisch prüfen und scharf untersuchen.
Ferdinand zog den Tisch, nachdem Alles entfernt war, an sich und fing an: Der Taube von Benevent, Novelle. — Wie? rief Walther; ich muß mich sogleich als Rezensent melden und Einspruch thun, denn dieser Titel schon scheint mir gegen unsre Abrede zu seyn. Ich bildete mir ein, die Scene müsse nach Deutschland verlegt werden, und darum habe ich meine Erzählung genannt: Der Weltentdecker in Verlegenheit.
Auch sonderbar genug, sagte Ferdinand, hinter dem Titel sollte kein Mensch die verabredete Aufgabe suchen.
Doch, sagte Walther, ein Reisender, der schon die halbe Welt durchstrichen ist, der immer etwas Neues sieht und sucht, und sich nicht wenig damit weiß, für Alles Rath zu schaffen und die Menschen zu kennen, muß, wie Sie sehn werden, in dem elenden Wirthshause eines kleinen Städtchens lange kleben bleiben, und verliert so die wichtigsten Vortheile seiner Reise, ja gewissermaßen das Glück seines Lebens. Doch ich störe Sie und halte Sie auf.
Ferdinand begann: Es war nicht lange nach jenem berühmten Erdbeben in Calabrien, welches so viele Orte zerstört hatte, daß — —
Hier entstand ein lautes Sprechen draußen, und ein Klopfen an der Thür, und der Genius des Verfassers, oder der Zufall wollte nicht, daß Ferdinand jetzt seine Erzählung weiter vortragen sollte. Der Fuhrmann kam nehmlich zurück und händigte den Freunden ein großes Paket ein. Der Herr, sagte er, der gestern mit mir fortreisete, hat mir gleich heut Morgen dieses vielfach versiegelte Schreiben eingehändigt und mir auf meine Seele befohlen, gleich, gleich zurückzueilen, und es ja noch heut Abend, wenn ich auch spät ankommen sollte, in Ihre Hände zu überliefern. Und da mich der wackre Herr sehr gut und über meine Erwartung belohnt hat, so schien es mir eine Gewissenssache, seine Befehle prompt und schnell auszurichten. Ich habe daher auch auf keine Retourgesellschaft gewartet, sondern mich eilig aufgemacht, um nicht zu spät anzukommen.
Walther beschied ihn auf morgen, wenn auch nicht sehr zeitig, damit die Pferde ausruhen könnten, überzählte, als sie allein waren, die Summe, welche Wachtel in Gold überschickt hatte, und las alsdann den Brief des Freundes vor:
Hiebei das Nöthige, gleich durch den Kutscher, weil die Post es sechsunddreißig Stunden später würde abgeliefert haben. Aber zugleich muß ich Euch melden, daß Ihr mich in Dresden nicht mehr treffen werdet, denn sowie ich diesen Brief geendigt habe, springe ich mit gleichen Beinen in eine schon bestellte Kalesche, und fahre nach Guben, um meinen umirrenden Ritterzug zu endigen. Glaubt Ihr denn, Ihr von mir leidenschaftlich Geliebteste, daß Ihr niemals langweilig seid? Anzi, pur troppo, wie wir Italianisirten zu sagen pflegen. Sapperment noch einmal! Ihr vergeßt es ja immerdar, daß ich, wenn ich mich recht besinne, ein zärtlicher Gatte bin. Soll ich meine Liebe denn ganz vernachlässigen und so in der öden, weiten Welt herumrasen? Wer freilich so ledern ist, wie Ihr Beide, so ganz ohne Liebessehnsucht, wessen Herz niemals im Enthusiasmus überschwillt, kurz, wer so nur der Gegenwart und dem flüchtigen Augenblick lebt, wie Ihr, Nächte am Spieltische vergeudet, jungen hübschen Mädchen in allen Ruinen nachläuft, oder wie ein Deserteur auf dem hölzernen Esel stundenlang in der russischen Drehmaschine unverwandt und stieren Blicks die dürren Bretter einer hölzernen Bude anschauen kann, — solche Leute sind für Schwärmer, wie ich einer bin, eine zu trockne Gesellschaft. Mein pochendes Herz treibt mich zu meiner Gattin, die gewiß bei jedem Kloß, den sie einrührt, dieses meines Herzens gedenkt. Und dann, — hat das Vaterland, — meine Vaterstadt — keine Rechte, keine Forderungen an mich? Man verliert in dieser Kosmopoliterei allen Sinn für das Einheimische, selbst Heimische und Heimelnde; und wenn Ihr auch heimlich gegen mich wart, und Jeder von Euch seine Heimlichkeiten vor dem Andern hat, so ist mein heimelndes Heimathgefühl, mein Heimweh, viel edlerer Natur. Wenn ich so bei den Sägemühlen die frischgeschnittenen Kienbretter roch, — ha, alle Reize meines Guben standen vor mir. Wenn ich den Streusand über ein beschriebenes Blatt spritzte, so war mir Das, was der Kuhreigen dem biedern Schweizer ist. Kleinstädtisch, voll armseliger Rücksichten wurde ich auch in Eurer Gesellschaft; wenn ich mich einmal aufschwingen wollte auf den Adlersfittigen meiner Begeisterung, — was habe ich von den kleinartigen, niemals nach vollen Zügen durstigen Seelen aushalten müssen! Von der Hippokrene, oder dem musenberauschenden Quell des Parnassus soll der Mensch gar nicht, oder recht tief, voll, in den mächtigsten Wogen trinken; so sprechen die weisen Alten. Man sei völlig nüchtern, — oder — nun ja, was? Ihr würdet als Plebejer vielleicht von knüppel- oder hageldick, oder was die guten Deutschen sonst noch kümmeltürkenartig an den schändlichen Ausdruck „besoffen“ anknüpfen, sprechen: Sieben ist die böse, aber auch die heilige Zahl, und ein alter Jäger hier sagt von einem so Begeisterten: er sei halb Sieben. — Herr Walther kann mir also das Geld, welches er mir noch schuldig ist, nach meiner geliebten Vaterstadt senden. Vielleicht besucht mich derselbe hohe Mann, sowie der Crucifix- und Nepomuksjäger, der zarte katholisirende Ferdinand dort. Wenn derselbe einmal mit christlichem Legendencostüm als ein Wegweiser ausgehauen und mit Grün und Gold angemalt an die Landstraße gestellt würde, hätte er seine Harmodius- und Aristogiton-Statue und Vergötterung verdient und erreicht. Seh ich Euch, Freunde, in diesem sterbenden Leben oder in dieser lebenden Sterblichkeit noch einmal wieder, so wird es mir immer, so viel ich auch höher strebe, einige, wenn auch nicht die größte Freude gewähren.
Wachtel.
Dresden, den 9. August 1803.
Nachdem dieser Brief gelesen war, fragte Ferdinand, ob er jetzt in seinem Manuscripte fortfahren solle; doch Walther, der noch mit dem Briefe beschäftigt schien, war sehr zerstreut und verstimmt, sodaß er kurz aufbrach, ein Licht nahm und seinem Gefährten eine gute Nacht wünschte. Als Walther allein war, las er für sich das Postscript noch einmal aufmerksam, welches so lautete: — Indem ich hier im Engel alles Dies abfertige, drängt sich ein junger Herr in mein Zimmer, derselbe Herr von Bärwald, den wir in der Kirche zu Graupen zu bewundern Gelegenheit hatten, und zwingt mir noch diesen versiegelten Zettel für den Herrn Walther auf. Er meint, der Inhalt sei für Sie von der allergrößten Wichtigkeit.
„In Dresden werde ich die Ehre haben, Sie zu sehn, und Sie werden auch Denjenigen kennen lernen, welcher Ihnen einliegendes Blatt sendet.“
Das versiegelte Blatt enthielt folgende Worte: „Den Entführer, welchen Sie suchen, können Sie nur den vierzehnten August bei, oder in Guben treffen, wenn Sie ihn im Hause des Herrn Wachtel erfragen wollen, wo alsdann die sichere Nachricht, wo sich dieser Herr von Linden aufhält, Sie erreichen soll.“
Sonderbar! sagte Walther zu sich selbst, also dort soll ich den Elenden nun antreffen, von wo gewissermaßen mein Umstreifen in diesen deutschen Provinzen begann? Und — kann ich es mir verleugnen? — jetzt, nach Monaten erscheint mir die Ahndung seiner That und die Bestrafung dieses Mannes nicht mehr so nothwendig, wie damals, als ich mich zu diesem Geschäfte drängte. Scheint es doch auch, daß mein Vetter in Warschau sich längst getröstet hat; indessen habe ich mich einmal damit eingelassen und mich dazu verpflichtet, sodaß die kühlere Ueberlegung zu spät kommt. Und ist die schöne Maschinka am Ende mit diesem Entführer glücklich, so möchte ich mich jetzt fragen, was diese Leiden und Freuden mich eigentlich angehn, da die Verwandten des Mädchens, wenn doch einmal etwas geschehn sollte, Jenen verfolgen und zur Rechenschaft ziehn konnten. Sie haben nicht weniger Muße dazu, als ich. Nun wird also doch zum Beschluß meiner Reise eintreffen, was nach meiner Meinung am Anfange geschehn sollte.
Nachdem man am andern Morgen mit dem Gastwirth die Rechnung berichtigt hatte, fuhr man, als die Hitze schon eingetreten war, nach Freiberg ab. Dort verweilten die Freunde nur, um einige Merkwürdigkeiten in Augenschein zu nehmen, und kamen, nachdem es schon Nacht geworden war, in Tharand an.
Walther freute sich darauf, am folgenden Morgen die Schönheit dieser Thäler, des Buchenwaldes und der Aussicht von der Ruine zu genießen, als Ferdinand ihm plötzlich ankündigte, er würde noch in dieser schönen kühlen Nacht zu Fuß nach Dresden gehn. Die Einwendungen Walther’s wurden nicht angehört, sondern, obgleich es dunkel war, Ferdinand wanderte sogleich wohlgemuth weiter, nachdem er nur eben aus dem Wagen gestiegen war. Walther glaubte bemerkt zu haben, daß ein Unbekannter ihm beim Ankommen einen Brief überreicht habe, den Ferdinand in größter Hast, beim ungewissen Schein eines flackernden Lichtes angesehn habe und durch ihn in diese Unruhe gerathen sei.
Zum Argwohn aufgereizt, konnte es Walther nicht unterlassen, dem Gefährten, nachdem dieser in der Dunkelheit manchen Schritt voraushatte, eilig und ohne Geräusch nachzugehn. Als er das Städtchen verlassen hatte, glaubte er in der stillen Einsamkeit Stimmen, ganz nahe vor sich, zu vernehmen. Als er weiter schritt, mußte er vermuthen, daß es nur das Rauschen des Gebirgstromes sei, welches ihn so getäuscht habe. An der waldbewachsnen Bergwand hinwandelnd, glaubte er im Dunkeln eine weiße weibliche Gestalt neben einer dunkeln männlichen zu unterscheiden; bald überzeugte er sich auch von der Wahrheit, aber es waren Menschen, die ihm entgegenkamen und wohl zur Mühle des Ortes zurückwandern mochten. Noch mehr wie einmal glaubte er in der Entfernung Klagen, Zank oder Gelächter zu vernehmen, und immer wieder mußte er sich überzeugen, daß es das Geräusch des kleinen Stromes sei, das ihn in der stillen Nacht so getäuscht habe. Beschämt ging er endlich zurück, verdrüßlich über sich selbst, daß er sich, ohne etwas erfahren zu haben, zum Horchen und Belauschen herabgewürdigt habe.
Am klaren frischen Morgen durchstreifte er die reizenden Gegenden bei Tharand, die dem Naturfreunde immer neu und anmuthig bleiben, wenn er auch aus der Schweiz oder Tyrol eben zurückkehrt. Diese Thäler, die so einsam von der lärmenden Straße entfernt sind, vom köstlichen Waldstrom durchrauscht, von schönen Hügeln und Buchen und Tannen bekränzt, sind so lieblich, daß man hier gern die weiten Blicke über den schönen Elbfluß vergißt. Von der Natur geläutert, Alles, was er in Guben wollte, oder gestern Abend ihn bewegt hatte, vergessend, fuhr er dann bei schönem Wetter nach Dresden und stieg bald nach der Tischzeit vor dem goldnen Engel von seinem Wagen.
Als er sein Geschäft mit seinem Bankier berichtigt hatte, fiel es ihm erst auf, daß er seinen Reisegefährten Ferdinand noch nicht war ansichtig geworden. Er forschte im Gasthofe nach ihm, aber er hatte sich hier nicht, wie die Freunde doch abgeredet hatten, gemeldet. Sonderbar! sagte Walther zu sich selbst, ich bin ihm noch eine bedeutende Summe schuldig, er hatte, so viel ich weiß, gar kein Geld bei sich, und so entschwindet er nun plötzlich, ohne Abschied, ohne Nachweisung, ob und wo wir uns treffen können.
Jetzt suchte ihn der junge Baron von Bärwald in seinem Zimmer auf. Was mir das leid gethan hat, rief der junge Mensch, daß wir uns vor einigen Wochen in Graupen und Teplitz verfehlt haben; ich hätte wahrscheinlich die ganze Reise mit Ihnen machen können, und mein Freund, der mit mir war, ebenfalls.
Doch wie, fragte Walther, sind Sie auf die sichre Spur jenes Linden gekommen?
Eben jener junge Freund, der auch mit mir in Graupen und Teplitz war, antwortete der Baron, hat mir umständlich die ganze Geschichte erzählt. Er ist mit beiderseitigen Familien, sowohl der des Herrn von Linden, als der schönen Maschinka, befreundet. Er steht mit jenen Bekannten in Warschau in ununterbrochenem Briefwechsel, und von dort, ich weiß nicht, wie, hat er erfahren, daß an jenem Tage, den ich Ihnen meldete, die schöne Maschinka sowie der Herr von Linden in Guben seyn werden. Was sie dort, oder wohin sie von dort wollen, ist mir freilich unbekannt.
Der bestimmte Tag war ganz nahe. Walther, um nicht mit dem jungen ungestümen Baron zu reisen, der sich ihm schon angeboten hatte, schützte Geschäfte vor, die er auf einigen Gütern abzumachen hatte, und begab sich auf die Straße nach Guben. Die öde Gegend, durch welche er reisete, vermehrte seinen Mißmuth.
Am zweiten Tage, als es schon spät am Abend war, erreichte er Guben. Im Dunkeln fragte er sich nach Wachtel’s Hause hin, aber dieser sowohl, als seine Gattin war nicht zugegen, und man wußte, so sagte der Dienstbote, nicht, wann sie zurückkommen würden. — So wollte Walther nach dem Innern der Stadt zurückkehren, verfehlte aber, weil er die entgegengesetzte Richtung nahm, den Weg und gerieth in die freie Landschaft. Es kam ihm nicht darauf an, sich nicht noch etwas zu ergehn und abzukühlen. Er gerieth auf eine Wiese und glaubte hinter einigen Gebüschen Klagelaute zu vernehmen. Er suchte sich mit Behutsamkeit, um im Finstern nicht zu fallen, der Stelle zu nähern, und als er die Worte unterscheiden konnte, hörte er deutlich folgendes Gespräch: So raffe Dich nur auf. — Was, raffen! das ist ein dummes Wort! Was kann man an sich selber raffen? Hier liegt sich’s gut, und ich will wenigstens bis zur Regenzeit hier wohnen bleiben. — Was für ein Kreuz mit solchem Mann! Kannst Du denn wirklich gar nicht stehn? — Als wenn das eine nothwendige Sache wäre, wenn man so angenehm liegt, wie ich hier. — Wenn nur ein Mensch zur Hülfe in der Nähe wäre! — Ja, keiner, weil sie Alle in meiner Position, wenn auch nicht derselben Situation, in ihren Betten liegen.
Walther hatte gleich im Anfang Wachtel’s Stimme erkannt, und halb gerührt über die Wehklage der Frau, halb lachend über den so ganz unverbesserlichen Reisegefährten, ging er näher, um seine Hülfe anzubieten, damit der Trunkene so nach Hause geschafft werden könne.
Ach Gott! seufzte die Frau, immer muß so ein fremder Herr als ein Engel vom Himmel mir zur Hülfe herbeikommen. — Mit gemeinsamer Anstrengung richteten sie den Taumelnden endlich auf, der in seinem Rausch den Reisegefährten nicht wiedererkannte. Walther und die Frau faßten ihn unter die Arme und richteten ihre künstliche Wanderung nach der Stadt, die aber, so sehr sie den Zögernden auch schoben oder zogen, dennoch nur sehr langsam vor sich gehen konnte. Ja, gnädigster Herr, klagte die Gattin, er hat sich da, so wunderlich er nun ist, einen höllischen Trank verschrieben und kommen lassen, den er die Menschenessenz nennt, und behauptet, Abraham und Isaak hätten den Soff schon im Paradiese gehabt. So rennt er nun heut so heraus, wie er es treibt, um die Nachtwelt aufzusuchen und ihr vorzupredigen, und da denkt er, die dumme Nachtwelt antwortet ihm, wenn es die Frösche sind, die im Sumpfe quaken.
Frösche, Sumpf, quaken! rief Wachtel im Zorn: schlechte Worte! Quaken, was das ein Mißlaut ist! Und dann, wie einfältig, die ordinäre Nachtwelt, zu welcher freilich Frösche, Eulen und Fledermäuse gehören, mit meiner Nachtwelt, die ich heut aufgesucht und gefunden habe, zu verwechseln! — Er hielt an, stemmte sich mit aller Kraft an Walther und bestrebte sich, ihm in das Gesicht zu sehn. — Erlauben Sie mir, unbekannter Herr Menschen-, aber nicht Wortführer, Ihnen eine authentische Nachricht von jener Begebenheit zu geben, welche diese Person, die eine Frau und zugleich meine Frau ist, ziemlich confuse vorzutragen sich bemüht, als ob sie keine Frau, sondern ein Narr wäre. — Jetzt ging er wieder weiter, mit seiner ganzen Schwere auf Walther gestützt, der schon, von der Anstrengung erhitzt, häufigen Schweiß vergoß. — Sie werden es oft empfunden haben, fuhr Wachtel, etwas lallend fort, daß der denkende Mann mit seiner Gegenwart und der ganzen Zeit unzufrieden ist. Alles, was wir denken, wissen, wollen, die edelsten Bestrebungen unsers bessern Menschen, auch wenn wir nicht soeben die echte Menschenessenz genossen haben, legen wir sauber hin auf den großen Ladentisch dieser alten Krämermadam, der Zeit. Sie sitzt nun immer da, mit der Brille auf der spitzen Nase und die blöde gewordenen Augen aufreißend und zukneifend, und sucht aus und wählt, hebt auf und registrirt, schreibt ein und streicht aus, und weiß vor vielem Thun und Wissen nicht, was sie thut, und vergißt immer wieder, was sie sich merkt. Die Kunden stehn vor dem Tisch übelgelaunt da und fordern und fragen, und erhalten nichts oder nur schlechtes Zeug. Der will vom feinsten Battist und kriegt alten, abgelegenen Cattun in die Hände, der will eine schöne politische Blondengarnitur, und die dumme Alte schiebt ihm ein verwittertes, längst aus der Mode gekommenes legitimes Haubenmuster hin, mit erstickter Stickerei und ausgewaschenen Knötchen. Treffliches Westenzeug möchte der recht blank und glänzend sich aneignen, und alten Hosencamelot aus Osten steckt sie ihm zu. Die beste reformirte Religionskräuselei und Krause fordert der, und sie will ihn mit schlechtem steifgestärkten moralischen Pietismus abspeisen. Schreit der nach der einfachen Kunst ohne Form und Gesetz, ein Bildwerk für des Herzlichsten Herz, so fährt sie ihm mit einer alten Mosaik entgegen, lauter zusammengesetzte schroffe Einzelheit; der will das Platonische, sie giebt ihm das Platte oder höchstens Plattirte: Lucretius und Lucretiensaft, Archangel und Erzengel, Peter Madsen und Matthison, Shakspeare und Käsebier, Racine und Ratzen, Alles verwechselt die dumme Creatur. Die Käufer laufen fort, die besten Arbeiter wollen ihr nichts mehr liefern, denn sie verzettelt die schönsten und edelsten Zeuge, daß sie unter den großen Ladentisch fallen, wo nachher sich Hunde und Katzen ihre Nester drin bauen. Und die Nachwelt — nun, die steht in der Ferne, sperrt das Maul auf, und wünscht doch etwas aus unsrer Zeit zu überkommen. Den Unfug hatte ich nun lange geduldig mitangesehn, und hatte mich überzeugen müssen, daß die gute Nachwelt nur Schund und Schofel, Spreu und Asche, Sägespäne (die auch vielleicht für Shakspeare ausgeschrien werden) und Kohlenstaub in Magen, Herz und Gehirn kriegen wird. So, gestärkt durch einen starken Zug aus dem Quell der Begeisterung, machte ich mich heut an diesem heißen Tage, an welchem das Thermometer hoch auf Zukunft steht, auf, um mit der Nachwelt selbst zu sprechen und ihr im voraus die Lehren, Gedanken und Winke zu überliefern, die ich für die besten unsrer Tage halte. Dort in der Einsamkeit des Waldes fand ich sie denn auch, sie hatte sich’s bei der großen Hitze bequem gemacht, und war fast ohne Hülle, sie war so aufgelöst und auseinander gequollen, daß sie in der That in unsre Gegenwart, die sich auch hatte gehn lassen, hineinreichte. Sie nahm alles von mir gütig auf und sagte freundlich zu Allem Ja; sodaß unsrer Enkel Enkel durch meine redliche Bemühung doch etwas von den guten Fabrikationen unsrer Zeit ungefälscht erhalten haben. Und dies, mein geehrter Herr Lieutenant, der Sie im Gehn gewissermaßen meine Stelle vertreten und mein Treten wieder übergehn müssen, ist Das, was der vorige einfältige Berichterstatter als Nachtwelt, als Sumpf, als Frosch und Quaken charakterisiren wollte. Sie aber, erleuchteter Mann, sehn jetzt genau ein, wie Alles zusammenhängt. — Sollten wir nicht aber schon in der Stadt und vor meinem derzeitigen Hause seyn?
Und so war es in der That. Der Trunkene dankte für die Ehre der Begleitung, die ihm ein fremder Mann in so später Nacht erwiesen hatte, und ging mit der Frau in seine Thür, wo ihn ein Diener und die Magd schon erwarteten.
Am andern Morgen war Wachtel ganz ernüchtert, als Walther zu ihm eintrat; er konnte ihm über Alles Rede und Antwort geben, was dieser nur zu wissen begehrte. Es ist wirklich wahr, erzählte er, das junge, schöne Frauenzimmer, welches schon einmal bei uns gewohnt hat, ist wieder hier durchgekommen und hat wieder eine Nacht oben geschlafen; ein alter Diener und eine Magd, welche mit ihr waren, nannten sie Maschinka. Sie war wieder ebenso eilig, wie damals, sodaß ich sie fast gar nicht gesehn habe, und ist dann über die Oder gegangen. Aber ein junger Mann hat sich auch gemeldet und nach Ihnen gefragt, Sie möchten nur an Herrn von Linden ein Billet schreiben, so würde dieser sich gewiß in den nächsten Stunden stellen, im Fall Sie ihn nur an der Oder erwarten möchten.
Wachtel schrieb also einige Zeilen, welche binnen kurzem auch wirklich abgeholt wurden. Der Herr von Bärwald stellte sich ebenfalls ein und bot sich zum Sekundanten Walther’s an, und Wachtel, der ängstlich um seinen Reisegefährten war, ließ es sich nicht ausreden, diesen ebenfalls zu begleiten.
Sie hatten sich einen Platz an der Oder zur Ruhestätte erwählt, nachdem sie den Wagen verlassen hatten, von wo sie einen großen Theil des Flusses übersehn konnten und gegenüber die sogenannte Kretschem vor sich hatten. Als es etwas kühler wurde, sahen sie, wie die Fähre herüberruderte. Sie bemerkten, daß eine elegante herrschaftliche Kutsche darauf stand, und wie das Fahrzeug näher kam, unterschieden sie, wie zwei Männer, Arm in Arm, da standen und nach dem Ufer hinüberschauten. Der ältere und größere glänzte in einer reichen Uniform.
Man war nicht wenig verwundert, als Walther und Wachtel beim Anlanden der Fähre in dem jüngeren Manne ihren Freund Ferdinand erkannten. Man umarmte sich und Ferdinand sagte eilig: ich kann hier bei Ihnen nicht verweilen, denn mich erwartet ein dringendes Geschäft, welches ich erst abthun muß, dann wollen wir uns sprechen.
Mit mir ist es eben so beschaffen, erwiederte Walther; aber wir sehn uns hoffentlich bald wieder und verbringen in der Stadt den Abend fröhlich mit einander.
Der General, denn dies war der angesehene Fremde, mischte sich in das Gespräch und der junge Herr von Bärwald, der nicht Zeit und Umstände gern berücksichtigte, brach mit der Nachricht heraus, daß Walther auf einen Herr von Linden wartete, um mit diesem ein Duell auszufechten.
Ferdinand trat mit Erstaunen von Walther zurück, und der General rief aus: Wie? Sie sind jener Herr von Hellbusch, der meinen Neffen gefordert hat?
So ist es, erwiederte Walther, dieses ist auch mein wahrer Name, ich reisete unter einem erborgten, um, wie ich mir einbildete, besser beobachten und, selbst weniger bemerkt, Nachrichten einziehn zu können.
Sonderbar! höchst sonderbar! rief jetzt Ferdinand aus: ich nahm drüben und in Warschau den Namen Linden an, um mich nachher in Deutschland leichter den Nachforschungen meiner Gegner und den Verwandten meiner Frau entziehn zu können.
Frau? fragte Walther jetzt mit der größten Lebhaftigkeit. Allerdings, sagte der General lächelnd, vor drei Tagen ist meine Nichte Maschinka meinem guten Neffen Ferdinand drüben im Preußischen in meiner Gegenwart und auf mein Wort und meine Bürgschaft, als seine rechtmäßige Gemahlin angetraut worden. Und Sie, Herr von Hellbusch (indem er sich an Walther wendete), können mit dem besten Gewissen Kampf und Krieg aufgeben, denn Brüder und Verwandte sind durch meine Vermittlung mit dem neuen Gatten ausgesöhnt, und Ihr Vetter, welcher Ansprüche auf Maschinka zu haben glaubte, hat sich ebenfalls verheirathet.
Da Alles sich so gefügt hat, sagte Walther, so bin ich der glücklichste aller Menschen; denn ich darf den Mann als Freund umarmen, den zu lieben und hochzuschätzen mir schon längst auf meiner Reise zum Bedürfniß geworden war.
Indem öffnete ein Jäger den Schlag der Kutsche und eine schöne Dame stieg aus derselben, um Walther höflich zu begrüßen. Wachtel, der sie mit Verwundrung angesehn hatte, rief aus: Ei, wie kann man denn so reizend seyn! das heißt mit dem Schönsein kein Maß halten! Das versteht meine Frau viel besser, die sich wohl hütet, die häßlichste auf der Welt zu seyn. Aber eigen ist es zugegangen, daß zwei Menschen, die sich als Todfeinde verfolgen, ein paar hundert Meilen in ein und demselben Wagen so gelassen und schläfrig neben einander sitzen.
Jetzt nahm Ferdinand das Wort und erzählte, wie Maschinka seinetwegen ihre Familie verlassen und in Angst nach Deutschland herübergekommen sei. Sie fürchtete, zu einer Verbindung gezwungen zu werden, und da der Oheim abwesend war, so wußte sie keinen andern Rath, als sich den Ihrigen, welche sie tyrannisirten, zu entziehen. Ferdinand war vorangegangen, um einen sichern Aufenthalt zu suchen. So kam sie über die Oder, und von einem Briefe einer Freundin gelenkt, suchte sie sich, wenn auch nur auf kurze Zeit, bei der Gattin Wachtel’s zu verbergen, der die Freundin sie empfohlen hatte, ohne von ihren Schicksalen etwas Näheres zu melden. Hier erfuhr sie, daß man ihr nachstelle, daß ein Vetter des Mannes, dem sie hatte vermählt werden sollen, von Warschau ihr nachgereiset sei, und daß die Brüder dieses aufdringlichen Bräutigams sie ebenfalls suchten. Sie war also, nachdem sie ihrem Geliebten eine kurze Nachricht nach Madlitz gesendet hatte, schon wieder entschwunden, als dieser nach Guben kam.
Ich habe die gnädige Erscheinung damals, wie jetzt, sagte Wachtel, nach meinen besten Kräften beherbergt.
Meine Braut und jetzige Gattin, erzählte Ferdinand, wußte von meiner Irrfahrt, sie war mir immer um einige Stationen voraus, und so trafen wir uns, um Abrede zu nehmen, in dem alten Schlosse Glich, oberhalb Bamberg, wo sie in der Maske eines Förstermädchens erschien. Hier hatte ich Gelegenheit, das Nähere mit ihr zu besprechen, und wir nahmen die Abrede, in Würzburg oder Heidelberg uns zu verbinden.
Sieh! sieh! rief Wachtel aus, drum! drum! Ei ja freilich, es ist auch dasselbe hübsche Gesichtchen. — Er sah hiebei Walther mit einem bedeutenden Blicke an, und dieser lächelte halb verlegen.
In Würzburg aber, erzählte Ferdinand, kam ein junger Pole, der Begleiter eines Herrn von Bärwald, meiner Geliebten auf die Spur. Er machte Anstalt, sich ihrer zu bemächtigen, und sie, benachrichtigt davon, rief mich auf zur Hülfe, da sie mich in jene Bude hatte eingehn sehn, wo wir uns, kindisch genug, mit einer russischen Schaukel ergötzten. In der Bude aber stand, ohne daß ich es wissen konnte, neben dem Herrn des Kunststückes, eben dieser junge Pole, der meine Braut persönlich kannte, und ihren Namen laut ausrief, als sie in die Bude hineinblickte. Alles stürzte ihr nach, ich aber, als der Schnellste, fand Mittel, sie im Getümmel des Jahrmarktes zu verbergen und vor den Nachstellungen zu retten.
Ei! rief Wachtel aus, unser Freund Walther, welcher den Jungfrauenraub zu bestrafen ausgereiset war, saß indessen mit eingelegter Lanze hoch oben wie ein rächender Gott in der einsamen Bude.
In Heidelberg, fuhr Ferdinand fort, erfuhr ich endlich aus ihren Briefen, daß unser gütiger Onkel sich unser annehmen und Alles schlichten wolle, nur machte er es zur Bedingung, daß wir umkehrten, um nicht als Abentheurer in fremden Regionen den Ruf meiner Geliebten unnöthig auf das Spiel zu setzen. In eines jungen Gelehrten, Keyser’s, Gesellschaft, welcher seine Braut besuchte, sprach ich die geliebte Maschinka, und wir beredeten unsre Rückreise. Aber wir durften uns noch nicht vereinigen, um uns nicht dem Ungestüm der Verwandten, welche uns verfolgten, auszusetzen. Ich hatte in Briefen und aus dem Munde meiner Braut von einem wüthenden und rachsüchtigen Hellbusch gehört, und konnte mir nicht träumen lassen, daß dieser derselbe freundliche Mann sei, an dessen Seite ich die schöne Reise durch Deutschland machte. So kehrten wir denn um, und schrieben hie und da Merkworte ein, die der Andre fand und die kein Fremder verstehen konnte. In der Höhle von Liebenstein trafen wir uns an jenem schönen Sonntage, und dort, als ich mich hatte von der Barke auf dem unterirdischen Gewässer übersetzen lassen, sprach ich im Dunkel, und von der ganzen Welt abgesondert, meine Geliebte. Bei Tharand bestellte sie mich und ich traf sie in der Nacht dort im schönen Thal. Sie reisete sogleich hieher nach Guben, ihrem gütigsten Oheim entgegen, und der großmüthige Mann hat auch mich seinen Neffen genannt und durch seine Güte alle die Irrsale geschlichtet. —
So fuhren sie nach Guben zurück und ergötzten sich an den kleinen Begebenheiten ihrer Reise. Von dort begaben sie sich mit dem Oheim nach der Schweiz, und Walther, welcher seinen Reisegefährten Ferdinand herzlich liebgewonnen hatte, bat sich die Erlaubniß aus, mit ihnen reisen zu dürfen, um in ihrer Gesellschaft einige Zeit in dem schönen Lande dort zu leben.
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Es waren zehn Jahre verflossen, als dem Erzähler dieser Geschichte Walther und Ferdinand wieder begegneten. Die seltsamen Begebenheiten des Befreiungskrieges hatten uns in Prag im Sommer des Jahrs 1813 vereinigt. Ferdinand war mit seiner Frau, die noch immer schön zu nennen war, glücklich, er hatte einige allerliebste Kinder, mit denen er gern spielte. Auch Walther war verheirathet, und wir erfreuten uns Alle des Wiedersehns und der erneuten Vertraulichkeit. Nur war es mir merkwürdig, daß der schwärmende Ferdinand jetzt ein eifriger, möcht’ ich doch sagen, einseitiger Verfechter der protestantischen Lehre war, und Walther im Gegentheil war zur katholischen Kirche übergetreten und mit vollem Ernst und ganzem Herzen ein Bekenner ihrer Glaubens-Artikel.
Wie dieses sich zugetragen hatte, läßt sich vielleicht in Zukunft mittheilen, da es für denkende Leser, die selbst etwas erlebt haben, nicht ohne Interesse seyn dürfte. Auch läßt sich um so unparteiischer diese Seelengeschichte erzählen, da beide Freunde, sowie der dritte, der humoristische Wachtel, vor Jahren nach Italien gereiset sind, und dort froh und glücklich leben. Als heitre Beilage und Episode dürften alsdann auch die beiden Novellen, welche die freundlichen Feinde, die sich als solche nicht kannten, im Gasthofe zu Chemnitz ausarbeiteten, nicht unwillkommen seyn.
Der Geheimerath von Seebach lebte in seinem großen, wohleingerichteten Hause glücklich in der Residenz. Da er reich war und eine angesehene Stelle bekleidete, viele Verbindungen hatte, und eine große Correspondenz führte, so war bei ihm oft der Sammelplatz angesehener und merkwürdiger Fremden und Reisenden. Häufig aber waren unter diesen Besuchenden auch solche Gestalten, die von seiner Familie weniger gern, oder nur mit Mißtrauen gesehen wurden, weil der Rath früher ein Mitglied mancher Gesellschaften gewesen war, die sich höherer Kenntnisse oder wunderbarer Geheimnisse rühmten, und obgleich der thätige Geschäftsmann schon seit Jahren alle diese Verhältnisse aufgelöset, und sich von diesen Verbindungen zurückgezogen hatte, so sorgte die Tochter, die den Vater genau kannte, doch immer, daß irgendwo ein Faden wieder aufgenommen werden möchte, der nicht zerrissen war, um Verwicklung, Zeitverlust, oder auch wohl Kummer zu veranlassen. Der lebhafte, heitre Sohn war gegen viele Wanderer mehr deswegen eingenommen, weil ihr Einsprechen dem Rathe manches Geldstück kostete, denn so wie er die Geheimnisse und Wunder verlachte, war er doch neugierig genug, immer wieder auf die Erzählung von seltsamen Entdeckungen oder unbegreiflichen Begebenheiten mit Eifer hinzuhören.
In alten Papieren kramend, saß der Rath an seinem Schreibepulte, und neben ihm Anton, sein Sohn, ihm gegenüber sein Schwiegervater, der Obrist von Dorneck, der schon seit lange seinen Abschied genommen hatte.
Ich kann das Dokument nicht finden, sagte der Rath endlich unwillig, und begreife nicht, wie, oder wohin es kann verloren seyn. In diesem fatalen Prozeß, der mich nun schon seit zwei Jahren beunruhigt, gilt es mir die volle Summe von zwanzigtausend Thalern, wenn ich diesen wichtigsten Beweis nicht herbei schaffen kann.
Der Obrist erwiederte: Lieber Sohn, ich bin überzeugt, daß Sie es irgendwo recht sorgsam hingelegt haben, weil es Ihnen eben so wichtig war, und daß Ihre Geschäfte Sie nur den Ort haben vergessen machen. Geben Sie sich Ruhe, und es fällt Ihnen wohl am ersten bei, indem Sie gar nicht darüber denken, wie es mit Namen von Menschen so oft geht, die wir durchaus nicht wieder finden, indem wir es von uns erzwingen wollen, und die uns dann plötzlich, ungesucht, indem wir zerstreut, oder unterhalten sind, wieder beifallen.
Sie mögen Recht haben, antwortete der Rath; soll sich aber ein Geschäftsmann solcher Vergeßlichkeit nicht schämen? Ich habe niemals die zerstreuten Menschen leiden mögen, und nun muß mir selbst dergleichen begegnen.
Anton warf ein: wenn wir jetzt nur den berühmten Grafen Feliciano hier hätten, von dem so viele Wunderdinge erzählt werden, so könnte er mit einer einzigen Geisterbeschwörung die Sache aufhellen und in Ordnung bringen.
Gewiß, sagte der Obrist, wenn er sich zu uns herablassen wollte, denn Bücher, Zeitungen und Briefe seiner Freunde erzählen ja Dinge von ihm, die noch viel wundervoller sind, als dies kleine Mirakel, das er auf unser inständiges Bitten vielleicht verrichten möchte.
Der Rath schwieg, indem er wieder eifrig suchte. Was sind das für Figuren da? fragte der Sohn, indem er nach einem Blatte langte.
Du bist zwar kein Eingeweihter, erwiederte der Vater, indessen ist das Papier auch nicht von denen, durch welche ich eine Indiscretion begehe, wenn Du es betrachtest. Vor vielen Jahren hat ein Freund, ich weiß nicht aus welchem astrologisch-magischen Zauber-Manuscript, mir diesen Unsinn als denkwürdig abgeschrieben.
Bin ich auch kein Geweihter, erwiederte der Sohn, so habe ich doch, wie Sie wissen, so Manches über diese Verbrüderung gelesen, so manche kabbalistischen Manuscripte durchblättert, daß mir gerade der Unsinn mancher Leute nicht ganz fremd ist, wenn er mir auch immer unverständlich bleibt.
Die Figur war eigentlich eine vieleckige, in Gestalt eines Sternes. Die meisten Linien waren Zeilen, theils Sprüche der Bibel, theils Gebete, manche auch wundersame Namen, die, wie man sah, Geister bezeichnen sollten, nach allen Richtungen begegnete sich das Wort Abracadabra, bald in einzelnen Sylben und Buchstaben, bald vor-, bald rückwärts geschrieben, bald von Sternzeichen, Hieroglyphen und andern seltsamen Figuren unterbrochen. In der Mitte las man Adonai, gegenüber Jehovah, mit lateinischen und auch mit hebräischen Lettern geschrieben. Auf der Rückseite war bemerkt, daß dieses heilige Amulet von vielfältigem Gebrauche sei, im Kriege wie gegen Krankheit, vor Einwirkung der bösen Geister schütze, und Demjenigen, der die Kunst inne habe, Geister herbeizurufen, unentbehrlich sei.
Der Rath und der Obrist lachten, als der junge, stets heitre Anton das aberwitzige Blatt mit so ernsthafter, tiefsinniger Miene betrachtete. Ich will ein andermal auch über diesen Unsinn spotten, unterbrach sie Anton, aber gestehen Sie mir nur ein, daß das Ding auch eine ernsthafte Seite habe, die man wohl in Betrachtung ziehen dürfe. Nicht wahr, derselbe Menschengeist, der fähig ist, Philosophie und Kunst zu umfassen, der die Bahn der Sterne berechnet und die Unermeßlichkeit des Himmels mißt, der in Liebe und Andacht sich dem Ewigen nähert, — derselbe hat auch dieses Blatt so umrissen, bekritzelt und durchfurcht mit einer thörichten Lüge, die doch irgendwo im Anfang mit der Wahrheit zusammen hängt, in dieser nur wurzelt, und aus dem Guten als stachlichtes Unkraut empor gewachsen ist.
Das mag seyn, nahm der Obrist das Wort, denn alles Schlechte und Nichtige keimt wohl aus dem Guten; nur möchte es schwer zu entdecken seyn, wo und wie es Lüge und Thorheit wird.
Der Rath war ebenfalls plötzlich ernsthaft geworden, und fügte hinzu: das ist eben die große Frage, ob das Böse ein zeitliches, oder ewig sei. Ein Nichts ist es, und wird, vom Menschengeist erweckt, ein Ungeheures, nimmt von diesem Kraft und Thätigkeit, und wandelt als Schicksal und Unglück umher, das Länder verwüstet und Tausende opfert. Wahrlich, hier möchte das Auge das Herbeirufen von Geistern aus dem Abgrunde, das Beleben eines Todtenreiches wahrnehmen können, viel größer und wundersamer als Alles, was man von alten oder neuen Thaumaturgen erzählt.
Sie meinen, wenn ich Sie recht verstehe, antwortete Anton, daß durch die Leidenschaften der Menschen, die sich in das Unwahre oder dem Nichts ergeben, die Weltgeschichte großentheils durch Gespenster regiert und fortgetrieben wird, die, wenn sie nicht im wilden Kampf der Verwirrung aufgeweckt werden, unsichtbar bleiben, oder höchstens nur Erscheinungen sind, über welche der Spekulant oder Witzige gutmüthig lächeln möchte. Wenn mir dies auch wahr scheint, so ist es mit diesem Blatte hier denn doch etwas anders.
Eigentlich nicht, sagte der Vater: denn dasselbe, was hier nur Spiel ist, hat auch schon zum Feldgeschrei und Panier der Schlachten gedient. Es wäre zu wünschen, daß der böse Geist mit allen seinen Wirkungen sich immerdar in solchen Galimathias hinein zaubern ließe. Aber er wird auch von dergleichen Kinderei irgend einmal wieder erweckt, und so fluthet und ebbet die Masse der Erscheinungen hin und her, und das eigentliche Fortschreiten, das wahre Besserwerden der Welt ist nur aus einer weiten Ferne wahrzunehmen.
Ich werde mir dieses künstlich verzauberte Blatt in geweihter Stunde an meinen Hals hängen, sagte Anton, so durch alle Gemächer des Hauses um Mitternacht schreiten, und so hoffe ich jenes Dokument zu entdecken, das uns Allen so wichtig seyn muß.
Nein, sagte der Obrist, gieb es mir, lieber Enkel: von alten Zeiten bin ich noch mit den Leuten in Verbindung, die jetzt in der Residenz des Nachbar-Landes wieder anfangen, sich auszubreiten. Ich meine jene, die sich für die rechtgläubigen Brüder halten, und die vernünftigen verlästern und verfolgen. Immer erhalte ich noch Briefe und Anmahnungen, mich ihnen wieder anzuschließen. Diesen kann ich vielleicht mit dieser sinnverwirrten Schrift ein angenehmes Geschenk machen.
Nehmen Sie es, sagte der Rath, so ist in meinem Hause eine Thorheit weniger. Man erzählt, daß sich diese abergläubischen Menschen aus leicht zu errathenden Absichten an den Erbprinzen dort drängen, um sich ihm angenehm und unentbehrlich zu machen. Wer weiß, was uns die Zukunft noch für Erscheinungen zeigt, welcher Aberglaube sich von Neuem entwickelt, so sicher wir jetzt zu seyn glauben, und, wenn ich meiner Aengstlichkeit folgte, so möchte ich darum das Papier nicht aus meiner Hand geben. Es kann auch Schaden stiften, so kindisch es ist.
Lassen Sie, lieber Sohn, sagte der Alte, beunruhigen Sie Ihren Geist nicht, wenn dergleichen auch geschehn könnte, so ist es doch nur wie ein Steinwurf ins Wasser. Der Kreis wird immer größer, aber verliert sich, wenn er sich am weitesten ausgebreitet hat. So lange noch solche Geister in Deutschland regieren, wie hier uns nahe Friedrich der Zweite, und dort Joseph der Zweite, so lange noch ein Mann wie Lessing schreibt und wirkt, haben wir Nichts zu fürchten. Und warum sollen denn unsre Nachkommen eben wieder ausarten?
Er schlug lächelnd das Papier zusammen, und freute sich schon im Voraus, welche Erquickung Viele in jener Brüderschaft aus ihm ziehen würden, die sich für Rosenkreuzer und Adepten hielten, und so ernsthaft nach dem Stein der Weisen forschten, wenn, wie der Obrist zu verstehen gab, auch wohl Einige unter ihnen seyn mochten, die das Spiel nur mitmachten, um andere, irdischere Zwecke durchzusetzen.
Friedrich der Zweite, fing der Rath wieder an, ist alt, vielleicht auf der Neige, und es ist möglich, daß er bald abgerufen wird. Wissen wir denn auch, wie jene Gesellschaften, über die wir jetzt nur lächeln, verbreitet sind, wie sie in Zukunft ihre Netze weit hinausspinnen mögen? Daß andre Brüderschaften gegen sie kämpfen, mag an der Zeit und nothwendig seyn. Wie glücklich, daß ich alle diese Dinge, die mich früherhin interessirten, und mein Leben in Bewegung setzten, hinter mir habe, und auf alle diese Strömungen mit klarem gleichgültigen Auge hinab sehn kann.
Der Bediente gab einen Brief ab, der eben von der Post gekommen war. Das Siegel war wunderlich, und als der Geheimerath den Brief durchgesehn hatte, sagte er: nun wahrlich, sonderbar genug! Nicht gerade der berühmte Wunderthäter Graf Feliciano wird zu uns kommen, aber doch ein andrer seltsamer Mann, von dem auch schon oft die Rede gewesen ist: jener Sangerheim, der sich ebenfalls berühmt, große Geheimnisse zu besitzen, der auch Geister erscheinen läßt, Todte und Abwesende befragt, und einen neuen Orden gründet.
Anton freute sich, da er vernahm, daß dieser Wundermann ihr Haus zuerst besuchen würde, aber der alte Obrist Dorneck wünschte, daß man sich mit dem Abentheurer nicht einlassen möge. Sie wissen, lieber Sohn, beschloß er, wie ängstlich Ihre Frau und Ihre Tochter bei solchen Gelegenheiten sind, und es ist wahr, man kann niemals wissen, welches Unheil uns mit solchen wirren Geistern über die Schwelle schreitet. Sie haben ihre Bestimmung darin gesetzt, die Menschen zu täuschen, und es ist nicht zu berechnen, auf welche Art sie hintergehn, welche Schwächen, die wir selbst nicht kennen, sie benutzen und erwecken, und wie weit wir in ihren Wandel verflochten werden.
Seien Sie ganz ruhig, lieber Vater, sagte der Rath heiter; dieser Brief macht es mir unmöglich, den wunderlichen Mann ganz abzuweisen, um so weniger, da ich so vielen Andern mein Haus schon eröffnet habe; diese Bekannten, die ich achten und schonen muß, und die mir diesen Mann so dringend empfehlen, würden mein Betragen unbegreiflich und sich beleidigt finden.
Und, gestehn Sie nur, lieber Vater, rief Anton im frohen Muthe aus, daß Sie eben so neugierig sind, wie ich. Nein, er komme nur, der große Wundermann, er prophezeie uns, er zeige uns Geister, er grabe Schätze, was und so viel er will, wir wollen Alles dankbar von ihm annehmen. Ist doch außerdem schon lange nichts Neues vorgefallen, ist doch im ganzen Europa Friede. Wollen sich die Lebendigen nicht rühren, so müssen die Todten in Bewegung gesetzt werden.
Als die Mutter und Tochter bei Tische diese Neuigkeit erfuhren, nahmen diese die Sache weniger heiter und leicht auf, als die Männer. In ihrem stillen Rath war vorzüglich Clara verdrüßlich und verstimmt. Wohin, sagte sie fast weinend zur Mutter, soll es nur führen, daß wir unser Leben so gar nicht für uns selbst einrichten und ableben sollen? Der Vater hat nun, wie er sagt, alle diese Verbindungen aufgegeben, und ist doch seitdem neugieriger und gespannter auf Alles, was in dieser Art vorgeht, als ehemals, — und mein Verlobter, dieser gute Schmaling, die Leichtgläubigkeit selbst. Ist es wohl recht, den Wunderglauben dieses Jünglings immer von Neuem aufzuregen? Wissen wir denn, wie weit diese Sucht gehn kann, oder vermögen wir es, ihr Schranken zu setzen? Wenn ich nachher unglücklich bin, Schmaling verwirrt, und leidenschaftlich aufgeregt, mit den geheimnißvollen Menschen verflochten: wird mir denn ein Trost meines Vaters, oder ein Spaß meines leichtsinnigen Bruders ersetzen können, was ich verloren habe?
Der Obrist trat zu ihrer kummervollen Berathung und sagte, nachdem er die Klagen gehört hatte: Uebertreibt nicht die Sache, Kinder, hier meine verständige Tochter, Deine Mutter, kennt ja Deinen Vater, liebe Clara. Und Schmaling wird Vernunft und guten Rath annehmen, er ist kein Kind. Glaube mir, meine liebe Tochter, es ist nicht gut, wenn man immerdar dem Menschen alle Steine, an die er sich stoßen könnte, aus dem Wege zu räumen sucht. Jede Leidenschaft in uns, die es wirklich ist, muß wachsen, reifen, und sich selber erkennen lernen. Der Mensch muß sie dann aus eigner Kraft, nicht bloß durch fremde Hülfe zu überwinden vermögen. Dann wird das, was wohl als Thorheit erscheinen mochte, oft Kraft und Charakter, und der Mann gewinnt in dieser Schule gerade seinen edelsten Besitz. Wird er aber in der Jugend gehindert, ganz sich in seinen Gelüsten kennen zu lernen, erfährt er gar nicht, wohin sie ihn führen können, so bleibt er Zeitlebens ein Näscher, der immer wieder von Neuem der Verführung ausgesetzt ist.
So muß, sagte die Mutter, dies die Geschichte meines Mannes seyn. Denn glauben Sie mir nur, Vater, stelle er sich, wie er will, hätte er nicht die vielen Geschäfte, die ihm sein Amt auferlegt, und die ihm oft die Nächte rauben, so würde er mit Heftigkeit Alles, was sich ihm aus dieser sonderbaren Gegend des Geheimnisses anbietet, ergreifen. Er meint, diesen Wunderglauben, die Geheimnißkrämerei, ganz überwunden zu haben, aber ich habe ihn seit so vielen Jahren beobachtet, und kenne ihn besser, als er sich selbst: Alles reizt, Alles beschäftigt ihn. Er spräche vielleicht nicht so oft, und mit solcher Bestimmtheit über diese Gegenstände, wenn er seiner selbst ganz sicher wäre. Sie haben sich oft verwundert, warum ich mit Ihnen und andern Freunden nicht in den Wunsch einstimme, daß er seine Stelle niederlegen und auf dem Gute leben möchte: ich kann es nicht, aus Furcht, er könne sich in andre Geschäfte und Arbeiten dann leidenschaftlich verwickeln, die weder so nützlich seyn dürften, noch seinem Geist die Kraft und den Adel zuführen würden, mit denen wir ihn jetzt so freudig seinen Beruf erfüllen sehn.
Am folgenden Tage schon erschien Sangerheim, der sonderbare Freund, als Gast im Hause des Geheimenrathes. Er war ein schöner, großer und schlanker Mann, der eben nicht viel älter als dreißig Jahr seyn konnte: sein Auge war feurig, der Ton seiner Stimme wohllautend, und der Accent des Ausländers, eine Fremdheit in seinen Manieren stand ihm gut. Sein Wesen und seine heitre Gesprächigkeit gewannen ihm auch bald das Wohlwollen, selbst das Vertrauen des Rathes, indessen ihn der alte Obrist schärfer und mißtrauisch beobachtete. Am meisten aber war ihm Clara aufsässig, denn der junge Rath Schmaling war völlig in Rede und Gespräch des merkwürdigen Fremden verloren. Ein Gelehrter, Ferner, nahm Antheil an der Gesellschaft, so wie der Arzt des Hauses, Huber, und Jeder beobachtete von seinem Standpunkt aus den Reisenden, der sich Jedem mit ungezwungener Offenheit mittheilte. Darum war auch Anton heiter und gesprächig und die Mutter ließ bald ihren Widerwillen fahren, mit dem sie zuerst sich am Tische an der Seite des verdächtigen Mannes niedergelassen hatte.
Als die Mahlzeit geendigt war, begaben sich die Männer in ein andres Zimmer, und die Frauen verließen die Gesellschaft. Nach einigen unbedeutenden Reden kam man auf den Gegenstand, der Alle interessirte, da Jeder wünschte, daß der Fremde von sich und seinem Treiben etwas Bestimmteres aussagen möge. Schmaling machte sich vorzüglich an den vorgeblichen Wunderthäter und nahm jedes Wort, was dieser sprach, begierig auf; doch der Obrist, der mit Clara Mitleid hatte, und ihre Aengstlichkeit gewissermaßen theilte, suchte diese Gespräche zu stören. Ob es denn niemals, fing er an, um die Unterredung zu lenken, irgend mit Sicherheit wird ausgemacht werden, wie alt diese weltbekannte Gesellschaft der Freimaurer eigentlich sei.
Vielleicht, antwortete der Rath, ist der ganze Streit mehr um Worte und Buchstaben, als um die Sache geführt worden. Mögen wir annehmen, daß dieses geheim öffentliche Institut, wie es in unsern Tagen besteht, schon uralt sei, daß es in frühern Jahrhunderten, unter ganz andern Bedingungen, als andre Bedürfnisse waren und man die jetzigen nicht kannte, habe daseyn können: behaupten wir dies alles, und geben nur zu, wie wir es müssen, daß diese Vereinigung, im Fall sie alt ist, sich völlig verwandelt und nach den verschiedenen Zeiten auch verschiedene Zwecke beabsichtigt habe, so ist mit dieser Einräumung auch der Streit, wenn nicht völlig geschlichtet, doch beseitigt.
Um so mehr, sagte Ferner, der Gelehrte, da wir es selbst erlebt haben, wie in kurzen Zeiträumen sich viele Zwecke der Brüder verändern, sie mit einander streiten, jede Sekte die richtige und älteste Constitution zu haben vorgiebt, eine Verfassung die andre verdammt, und immerdar neue Einrichtungen die vorigen ablösen.
Freilich, sagte der Rath, und so ist es nur Geheimnißkrämerei und Sucht zum Wunderbaren, die Entstehung der Gesellschaft hoch hinauf zu setzen, sie in andern Verbindungen wieder erkennen zu wollen, und anzunehmen, daß Tradition aus den ältesten Zeiten uns in dieser Einrichtung, die oft sich so geheimnißvoll stellt, mit dunkeln Geschichten und Sagen in unmittelbare Verknüpfung setzen könne.
Und doch, sagte Schmaling, handelt es sich hierum einzig und allein, oder die ganze Sache verliert ihr Interesse.
Das Wunderbare, fuhr der Geheimerath fort, aber das Interesse wohl nicht. Oder wir können es auch so ausdrücken: daß unsre Bildung eben dahin sich ausarbeiten soll, um zu erfahren, was wir mit Recht wunderbar nennen. Es fragt sich, ob dann nicht ein ganz umgekehrtes Verhältniß erscheinen wird, daß alles jenes Wunder, welches unsre unerfahrne Jugend reizte, uns gleichgültig oder lächerlich wird, und wir das ächte Wunder da wahrnehmen, wo das blöde Auge gar Nichts, oder das Gleichgültige erschaut.
Sehr wahr, fuhr der Gelehrte fort, die Natur, das Erkennen derselben, Kunst und Wissenschaft, das einfache, edle Leben unschuldiger Menschen, die Gegenwart unverdorbner Kinder, der Liebreiz des Frühlings, das Verständniß der Poesie und die Fähigkeit, ihn, den Ewigen allenthalben wahrzunehmen, hier findet der ächte Schüler das Wunder und dessen Verständniß. Verwandelt der Schwärmer dagegen Wissenschaft, Natur, ja seinen Glauben an den Höchsten in ein Gespenst, sieht er mit seltsamen Grauen in die Natur und den Geist des Menschen hinein, kitzelt er sich mit dem Gefühl, durch Zahlen, Zeichen, willkührliche Worte und Geberden Annäherung zu fremdartigen Geistern, ja Herrschaft über sie zu erlangen, so ist er schon für das Verständniß der Dinge und jene Freiheit des Geistes verloren, die den gesunden klaren Menschen so liebenswerth und so ehrwürdig macht.
Gut gesagt, erwiederte Schmaling; aber er wird auch hier an Worten und Zeichen sich zerstoßen, sein Geist wird dürsten und verschmachten, und wenn er recht in das Innre dieser scheinbaren Erkenntnisse eindringen will, so wird er sich verirren, und wenn er erwacht, sich in einer tauben, leeren Wüste wieder finden. Ist denn nicht eben jene Glaubensfähigkeit, die sie Wunderglauben oder Wundersucht taufen und schelten, die innerste Federkraft unsrer Seele? In ihr schlummert der Funke, der zu Licht und Flamme sich ausbreitet und erhellt. —
Mag es seyn, erwiederte der Rath, daß wir ohne diese Fähigkeit des Glaubens, ohne dies Gefühl der Liebe und eines unbedingten Vertrauens weder glücklich seyn könnten, noch die Stufe der Menschheit erreichen, zu der wir bestimmt sind. Diese einfache Liebe und Hingebung aber, die zur Glaubenskraft erstarken soll, ist völlig von jenem Vorwitz unterschieden, der ergründen, fassen und beherrschen will, was dem Menschen versagt ist, und der sich, weil er Nichts erobern kann, nun in das Gebiet der Nichtigkeit stürzt, sich mit dem Schein und der Lüge verbindet, und so den Geist des Menschen, seine Seele bis an die Selbstvernichtung führt. Denn so kann man doch wohl das nennen, wenn der Mensch für die nächste und unentbehrlichste Wahrheit Träume und Hirngespinnste eintauscht.
Jetzt nahm Sangerheim das Wort und sagte: Hier aber ist es, wo der Streit ein wirklicher wird, denn es läßt sich doch auch fragen: wer denn die Wahrheit zu solcher stempeln soll? Demjenigen, der nüchtern und einfach fort lebt, der sich niemals erhebt, dem dürfen die Wahrheiten der Religion, wie die Ahndungen der Geisterwelt als leere Träume erscheinen. Wer es aber erlebt und erfahren hat, wie jedes Wort und jede Gestalt nur dadurch wahres Sein erhält, daß sie vieldeutig sind, daß das Alltägliche und Aeußere auf ein Inneres und Geheimnißvolles deutet, der kann unmöglich alle höhere Forschung und Erkenntniß als unzulässig abweisen, weil sich ihm das, was in früherer Entfernung Traum und Aberwitz schien, nun näher gerückt, deutlich in nahe Wahrheit, in die unerläßliche Bedingung aller ächten Erkenntniß verwandelt.
Schmaling gab dem Fremden die Hand, von diesem Worte hoch erfreut. Der Fremde fuhr fort: Ist es wahr, daß diese ächten Geheimnisse, wie alles Große und Geistige, schlecht bewahrt und mit falschem Sinne erkannt, verwahrloset und durch Mißbrauch bis zur Sünde herabgewürdigt werden können, so ist es gut und nothwendig, wenn sie sich in dunkeln, tiefsinnigen Schriften dem Verständniß der blöden Menge entziehn, wenn eine beschlossene Gesellschaft edler Menschen sie als etwas Frommes und Heiliges bewahrt. Es ist löblich und nothwendig, daß, da der Zutritt nicht eigensinnig versagt werden kann, Prüfung und Läuterung voran geht, und nur Auserwählte, die in verschiedenen untern Graden bewiesen haben, daß sie der Erleuchtung fähig und würdig sind, zum Lichte vordringen dürfen. So war es seit uralten Zeiten, und diese Ueberlieferung bewahrt unser Bund, und dies ist es, was wir versprechen können. Darum werden jene andern nüchternen Sekten der Brüderschaft, die alle nicht wissen, was sie wollen, von selbst verschwinden und sich vernichten.
Dieser Gesang, antwortete der geheime Rath, ist nicht neu, er läßt sich von Zeit zu Zeit immer wieder vernehmen. Die wahre ächte Maurerei, die ich für solche erkenne, ist aber diesem Glauben und dieser Absicht völlig entgegen gesetzt.
Und diese ächte Maurerei? fragte der Fremde. Anton trat hinzu und sagte: Darf ich, als der einzige Ungeweihte hier, auch zugegen bleiben? — Der Vater erwiederte lächelnd: Ich werde nichts verrathen, was nicht Jeder hören dürfte. — Wie sich die Menschheit in Gesellschaft und Staat gebildet hat, und diese nicht entbehren kann, so fühlte der Einsichtsvollere doch auch zu allen Zeiten, daß mit diesem unendlichen Gewinnst gegenüber ein Verlust verbunden sei, und seyn müsse, der wohl eben so schmerzlich falle, als der Gewinn gegenüber erfreuen dürfe. Die Gesetze ordnen und zerstören, die Religion erhebt und verfolgt, die Moral veredelt und verdammt, und Alles in so großen Verhältnissen, so durchgreifend und nach allen Seiten, daß es unmöglich scheint, die Ausgleichung und Versöhnung dieser Wohlthaten und Uebel zu finden. Religiöse, wie dichterische Sagen setzen diesen unerläßlichen Zwiespalt schon vor alle Schöpfung hinaus; Mystiker suchen aus ihm die Entstehung der Welt zu erklären. Der Inhalt unsrer Religion ist die Lehre der Versöhnung, um durch ein neues Räthsel das ältere zu lösen. Schon die alte Mythologie und Dichtung der Griechen wollte ebenfalls manche Schuld, grause Verbrechen, die jedes Gesetz verdammt, zur Tugend, zur Aufgabe eines Gottes machen, und Orest ist eine wundersame Frage an den innern Geist, wie Timoleon in spätern Zeiten. Durch alle Adern des Daseins dringt der Tod des nothwendigen Buchstaben, und jeder Edle, sei er Fürst, Staatsmann, Krieger oder Handwerker und Bauer, findet in seinem Leben tausendfältige Gelegenheit, hülfreich zu seyn, wo Staat, Religion, Gesetz und Lehre nicht ausreichen, um zu vermitteln, wenn er seinen Sinn frei genug erhalten hat, und so das Geistigste, das, was unantastbar seyn sollte, und was doch immerdar verletzt werden muß, still und behutsam zu schützen. Nur in den allerneuesten Zeiten war es möglich, daß verschiedene Freigesinnte, edle Menschen darauf fielen, in einen geheim öffentlichen Bund zusammenzutreten, um dieses Unsichtbare, Unaussprechliche zu wirken, dieses ächte, große Geheimniß zu bewahren, welches sich freilich niemals verrathen läßt, weil es ganz geistiger Natur ist, das schon verschwindet, indem man es nur in bestimmte Worte fassen will.
Anton sagte lebhaft: Ja freilich, so angesehn, ist eine solche Vereinigung verständiger Männer das Edelste, was man sich denken kann: die ächte Aufklärung, um ein so oft gemißbrauchtes Wort einmal in seinem wahren Sinne zu brauchen.
Der Vater winkte ihm freundlich, und fuhr fort: Wenn Menschen, so gestimmt, sich zusammenfanden, so durften sie hoffen, daß die Vereinigung ihre Gesinnungen stärken, ihnen das Gute, was sie ausrichten wollten, erleichtern würde. Der Unterschied der Sekten, der Glaubensmeinungen und Stände hörte in dieser geistigen Gemeinschaft auf. Sie konnten nicht darauf fallen, Etwas gegen den Staat zu unternehmen, so sehr sie dessen Gebrechen fühlten, denn sie hätten sich ja dadurch dem todten Buchstaben wieder hingegeben, dem sie entfliehen wollten. Es genügte, klar zu sehn, fein zu fühlen, den Leidenschaften und Vorurtheilen nicht zu huldigen. Um so mehr Patrioten, um so weniger legten sie Hand an, Räder auszuheben, oder die Maschine anders einzurichten. Es genügte, daß sie ohne That und Kampf das Gute wieder vorbereiteten; der Fromme mußte frei genug seyn, um in und durch die Gesellschaft seine Sekte nicht verbreiten zu wollen; noch weniger aber konnte es dem Aufgeklärten beikommen, die Religion des Landes untergraben zu wollen, nüchterne Freigeisterei zu befördern, oder feindselige Gesinnungen zu verbreiten, er fühlte, daß Liebe, Milde, Sanftmuth und Duldung genügten. Je frommer der Fromme war, so weniger konnte er aber auch, als Mitglied solcher Gesellschaft, den Satzungen eigensinniger Priester huldigen, oder eine geschichtliche Form der Religion für etwas Anders als Form und Buchstaben halten. In dieser ächten Loge meines Sinnes, wie konnte es in ihr mehr als einen Grad geben? Was hätten die Eingeweihten denn noch finden und entdecken sollen? Genügte irgend einem dieses hohe, unsichtbare und unaussprechliche Geheimniß nicht, so stand er ja in dieser Ungenügsamkeit wieder außen, und hatte Weihe und Erkenntniß verloren.
Und wo, wo, rief Anton lebhaft aus, wo sind diese ächten, wahren Maurer zu finden, daß auch ich mich ihnen mit allen meinen Kräften anschließe?
Wo? antwortete der Vater; nirgend in aller weiten Welt sind sie zu finden, nirgend und allenthalben; denn jeder wahre Mensch ist dieses Salz der Erde, und ist ohne Gesellschaft, Eid und Verbindniß dieser ächte Freimaurer. — Als nun Christoph Wren in London die neue Loge stiftete, oder nur neu belebte, ging von hier aus wohl eine Gesinnung, oder eine ihr ähnliche aus, wie ich eben geschildert habe. Unter jenen Freimaurern ist Ashmole der erste, der davon spricht, und wenn er die Gesellschaft und Verbrüderung eine sehr alte nennt, so mögen meinethalben die Baukorporationen schon längst ihre Constitutionen und Symbole gehabt haben, doch war dieser erlaubte und edle Kosmopolitismus in dieser Gestaltung den früheren Jahrhunderten unbekannt und unmöglich.
Und wie selten, wie wenig mag er auch in England, wie in Deutschland, zum Bewußtsein gekommen seyn, fiel der Obrist Dorneck ein. In meiner Jugend schloß ich mich, aus einem unbestimmten Wissenstriebe, Menschen an, die sich für erleuchtet ausgaben. Die Gesellschaft war aber damals nicht so ausgebreitet, wie jetzt, noch war sie in so viele Sekten und Constitutionen getheilt. Schon die Menge der Lehrlinge, die Kassen, die der Aufzunehmenden bedürfen, die weltlichen Absichten, die sich mehr oder minder eingeschlichen haben, machen jene Vereinigung, von der Sie, theurer Sohn, sprechen, völlig unmöglich. Und es ist zu fürchten, wie es denn auch schon begonnen hat, daß sich kluge Köpfe dieser Verbindungen bemeistern werden, um völlig das Gegentheil aus ihnen zu machen, wozu sie bestimmt waren. Bemächtigt sich erst ein solcher Schwindel der Zeit, so steht wohl zu besorgen, daß ein viel schlimmerer Buchstabe mit tödtender Kraft herrschen wird, als vormals in der äußern Welt, und ihren Gesetzen, Gewöhnungen und Rechten.
Wie gesagt, erwiederte der Rath, die Zeit erklärt und erzeugt Alles. Manche Völker, vorzüglich Deutschland, waren nach dem Frieden von 1648 in sich selbst matt zurück gesunken, bei uns war alles öffentliche Leben dahin, das Interesse für den Staat völlig abgeschwächt. Hier in Deutschland konnte sich allgemach der Gedanke erzeugen, statt des öffentlichen Geistes einen unsichtbaren still wohlthätig walten zu lassen. Vielleicht, daß hie und da, auf kurze Zeit, die ächte Maurerei, nach meinem Sinne, ausgeübt wurde. Entstellungen zeigten sich früh, Mißbräuche schlichen ein, und Alle ängstigten sich, geheim oder eingestehend, daß sie kein sprechendes, faßliches Mysterium den wißbegierigen Lehrlingen zu verrathen hatten, worin doch eben, daß sie dessen ermangelten, ihr Wesen und ihr Stolz hätte bestehen müssen.
Dieses Geheimniß, fiel der Obrist ein, hat mich schon in meiner Jugend herumgejagt. Ich ließ mich früh aufnehmen, und unser Meister vom Stuhl war denn auch ein Wunderthäter. Bald war die Stadt, es war im Anfange des Krieges, nicht sicher genug. Ein Schloß im Gebirge, das einsam lag, ward zu den Versammlungen der Geweihten auserlesen. Der geheimnißvolle Meister setzte uns junge Leute immerdar in ängstliche Thätigkeit. Jetzt kam diese geheime Botschaft, und nun jene, dieser große Monarch, dann jener benachbarte Fürst waren dem Magus auf die Spur. Nachtwachen, gerüstete Freunde, Waffen und Schwur sollten den seiner Weisheit wegen Verfolgten beschützen. Eine berittene Garde umgab bei Tag und Nacht das Castell, und streifte in der Gegend umher, um Kundschaft einzusammeln. Je mehr wir uns ängstigten, je größer und erhabener erschien uns unser Meister. Freilich waren auch einige prosaische Zweifler unter uns, und diese folgten eben so unermüdet der Spur des Betruges, wie wir der der Verfolgung, und ermittelten endlich mehr als wir. Unser hohe Magus war am Ende nichts, als der gemeinste Betrüger, vom niedrigsten Stande, der sich schon früh vieler verächtlichen Schelmereien schuldig gemacht hatte, und nicht einmal Maurer war. Ein strenger, rechtlicher Mann nahm sich nun unsrer an, und eine Zeitlang wollten und fühlten wir Alle etwas Aehnliches, als Sie, Herr Sohn, uns vorher geschildert haben.
Die Sage, fing der Rath wieder an, ward nun beliebt, daß die Freimaurerei eine Fortsetzung und neue Belebung des alten Ordens der Tempelherren sei, der so willkührlich und mit so vieler Grausamkeit aufgehoben wurde. Wie ich schon aussprach, ich will über Dergleichen nicht streiten. Mögen die Einsichtigen des Templerordens die Freimaurer ihrer Zeit gewesen seyn, möglich, daß ihr Bund sich der fast allmächtigen Hierarchie und dem weltlichen Despotismus widersetzte; daß aber die neue Brüderschaft eine Fortsetzung des vertilgten Ordens, unmittelbar von entflohenen Brüdern gestiftet, sei, wird man niemals befriedigend nachweisen können. Andre können mit demselben Recht die Wiklefiten zu Maurern machen. Wohin wir sehen, giebt es Verbindungen in der Geschichte, die sich der herrschenden Kraft mit Glück oder Unglück, mit Gewalt oder heimlich widersetzen. Oft ist die Weisheit und das Bessere beim Widerspruch; oft aber wird dies auch früh vom Schlechten, Frevelhaften vertilgt. Warum sollen, so verstanden, die ersten Albigenser nicht ebenfalls Freimaurer gewesen seyn? Daß sie Rebellen wurden, dazu zwang sie vielleicht die zu rasche Maßregel der Kirche und die Grausamkeit der Priester. Ich kann Nichts dagegen haben, will man den Orden in den uralten Culdeern auf den schottischen Inseln wiedererkennen, die sich schon in den frühesten Jahrhunderten dem anwachsenden Papstthum widersetzten, und eine reinere Lehre, ein ursprünglich ächtes Christenthum zu besitzen glaubten. Warum will man die Gnostiker ausschließen? Ja die jüdische Sekte der Essäer? Auch hindert uns Nichts, die Pythagoräer dafür zu nehmen. Oder die besseren der ägyptischen Priester: eben so Diejenigen, die die ächte Lehre der Perser bewahrten. Man kann sich das früheste Judenthum, oder selbst das religiöse Geheimniß der Patriarchen so denken. Wie aber Abrahams Judenthum (wenn man es so nennen will) ein ganz andres war, als das der Pharisäer zu Josephus Zeiten, oder als jene jüdischen Sekten, die die Kabbala und alle wunderlichen sinnreichen Träume der Rabbinen annehmen und aus diesen erst rückwärts die Propheten und Moses verstehn, so ist auch jene willkührlich so genannte Freimaurerei von der neuesten noch weit mehr unterschieden, und ihr völlig unähnlich. Denn so können wir die Bundeslade, das verlorne Feuer, die wiedergefundenen Bücher, und was wir nur wollen, willkührlich deuten, und es geschieht der Sache nicht zu viel, wenn wir Noahs Arche zu einer Loge machen, und den Gründer der Brüderschaft in Seth, oder selbst Abel suchen. Ist man mit Typen und Vorbildern zufrieden, so ist es keine so gar schwere Kunst, aus Allem Alles zu machen, und es sollte mich nicht großes Studium kosten, die Brüderschaft, ihre Geschichte und Symbole aus der Comödie des Dante, oder aus der wilden Prosa des Rabelais heraus zu deuteln.
Scherzen Sie nicht, sagte der Gelehrte, es ist noch nicht aller Tage Abend, und wir können nicht wissen, welche Aufgaben sich der Scharfsinn und die Combinations-Gabe unserer Tage noch setzen werden. Es ist sonderbar genug, daß die Säule Boaz noch niemals auf den vielbesprochenen Baffomet ist gedeutet worden.
Oder beide Säulen J und B, Jachin und Boaz, auf Jacob Böhme, der doch gewiß bei den Parazelsisten und Adepten der Brüderschaft eine große Rolle gespielt hat.
Vielleicht, sagte Schmaling, da ich noch nicht durch viele Grade gedrungen bin, erfahre ich künftig dies und noch mehr. Könnte aber ein wissender Meister nicht neue Deutungen in die Symbole legen?
Dergleichen, erwiederte der Rath, ist vielfach geschehen; und so sind durch Erklärungen Geheimnisse, und aus diesen wieder neue Erklärungen entstanden, um eine Sache zu verwirren, die nur in schlichter Einfalt wohlthätig und segensreich seyn konnte.
Wie kommt es nur, sagte Ferner, der Gelehrte, daß man noch niemals die Schulen der Magie und Zauberei, oder Nekromantik, Nekromancie, wie die Dichter des Mittelalters sie nennen, für Logen gehalten hat? Nach Toledo in Spanien, als dem Centrum und der wahren Universität oder großen Mutterloge, weisen alte Gedichte hin. Kunststücke, Zauberei, Verwandlung, Beherrschung der bösen und guten Geister wurde dort gelehrt. Auf dem Vatikan liegt ein Gedicht von den Heymonskindern und dem Zauberer Malegys. Dieser lernt aus den Büchern eines andern Magus, Balderus, die hohe Kunst, er besiegt nachher diesen und einen andern berühmten Künstler Iwert; und so hätten wir denn vielleicht hier wieder das I und B, was in der Maurerei eine so bedeutende Rolle spielt.
Halten Sie ein, Professor! rief Anton aus, sonst machen Sie noch alle unsre reisenden Taschenspieler zu Meistern vom Stuhl, oder unbekannten Obern.
Doch ohne allen Scherz gesprochen, erwiederte Ferner, ich wundre mich, daß unter den vielen Maurern und Freunden der Maurerei, von denen doch so viele Bücher gelesen und für die Sache geschrieben sind, noch keiner sich die Mühe gegeben hat, ein höchst merkwürdiges Gedicht aus dem Mittel-Alter zu studiren, das, wenn irgend eins, eine Geheimlehre enthält, ein Christenthum, Mythe und Symbolik, die gewiß nicht mit den herkömmlichen und angenommenen der katholischen Kirche übereinstimmen. Dieses Gedicht heißt „die Pfleger des Graal,“ und besteht aus zwei Theilen, wovon der erste Parzifal, und der zweite Titurell genannt wird. Dieser heilige Graal ist ein Geheimniß, das nur Eingeweihten zugänglich und verständlich ist, eine Erfüllung aller Wünsche, eine Heiligung alles Menschlichen und Irdischen, er giebt Gesundheit, Leben, Freude und Glück. Durch Forschen, Fragen, wenn der Ritter zufällig in den Saal tritt und aufgenommen wird, macht er sich des Mysteriums würdig, und der junge Parzifal, weil er zu bescheiden ist, verscherzt in früher Jugend auf lange durch sein Stillschweigen diesen Besitz. Die Heidenschaft und der Calif der Muselmänner erscheinen nicht so feindlich und gehässig, wie in den übrigen Gedichten des Zeitalters. Eine kirchliche christliche Gemeinschaft der Frommen und Edlen, eine mystische Lehre wird vorgetragen, die selten mit dem allgemein Gültigen jener herrschenden Kirche überein zu stimmen scheint. Auch der Tempel und die Baukunst sind mystisch behandelt und sind dem Werke höchst wichtig, wenn gleich die heilige Masseney, die Tempelherren oder Tempeleise ganz in Art und Weise der Ritterwelt dargestellt sind. Auch der Priester Johannes spielt eine große Rolle, und Alles bezieht sich in verschiedenen Richtungen auf Johannes den Evangelisten. Wie sehr der Täufer bei den Maurern gilt und geehrt wird, ist bekannt, und, wenn sie wirklich älteren Ursprunges seyn sollten, so ist wohl noch zu untersuchen, ob nicht ursprünglich der Evangelist gemeint sei. Die Forschungen über dieses tiefsinnige Gedicht des Mittelalters sind auch in anderer Hinsicht noch lange nicht abgeschlossen, und der Maurer, der die Geschichte der Poesie kennt, dürfte hier auf manche Entdeckung gerathen, die seinem gläubigen Vorurtheil mehr und stärkere Waffen gäbe, als jener Sanct Albanus, der die Bauleute in England zuerst beschützte, oder der Prinz Edwin, oder die Culdeer, Wiklefiten, oder was man nur sonst in die Untersuchung gezogen hat.
Mir fällt eine Frage ein, sagte Anton: hat man noch nie den sinnigen Shakspeare zum Maurer gemacht? Viele seiner Sprüche, z. B. „es giebt viele Dinge im Himmel und auf Erden, von denen sich eure Schulweisheit nichts träumen läßt“ hat man oft genug gebraucht und gemißbraucht. Es ist aber bekannt, daß der edle Philipp Sidney ein Freund und Beschützer des berühmten und berüchtigten Jordanus Bruno war, den man nachher als Ketzer in Italien verbrannte. Wie, wenn diese beiden Männer ächte Maurer gewesen wären, und in jener merkwürdigen Zeit eine Loge gestiftet hätten, in welcher unser Shakspeare später wäre aufgenommen worden? In dem kleinen London und in einem kurzen Zeitraum von dreißig Jahren waren so viele große und herrliche Männer, wie sich nur selten auf Erden so enge zusammen drängen.
Jetzt stand Huber, der Arzt, auf und sagte: ich habe bis jetzt geschwiegen, weil ich nicht andern Meinungen voreilen wollte. Dieses Geheimniß eines Nicht-Geheimnisses, wie es unser Freund Seebach ausgeführt hat, will mir keinesweges gefallen. Es sei, daß die Maurerei Nichts gegen Staat und Religion unternehmen soll, und daß wir deshalb jene frühen englischen Logen tadeln mögen, von denen die Sage berichtet, daß sie unter Cromwell bedeutend zur Wiedereinsetzung der Stuarts mitgewirkt haben. Aber eben dadurch, daß der Maçon von Politik und Kirche sich zurückhält, um nicht zu stören, ist ihm ein so größerer und schönerer Wirkungskreis in der Natur eröffnet. Weisen wir die früheren Sagen von Adepten ab, so ist eben jener Elias Ashmole, der einer der frühesten authentischen Maurer der neuen Zeit ist, zugleich als ein Freund der Astrologie und der Verwandlungskunst bekannt genug. Beschäftigen sich also die Universitäten, um die Jugend nicht irre zu führen, mit der Naturwissenschaft in dem gewöhnlichen Sinne des Wortes, so ist es um so erfreulicher, wenn ein Kreis erfahrner Männer, zum Geheimniß durch Wort und That verbunden, jenen Geist aufsucht und herbeiziehn will, jene Kraft, Wunder zu wirken, die wohl schon sonst auserwählten Sterblichen beigewohnt hat, kurz, sich in dem zu üben und zu vervollkommnen, was gemeinhin Magie genannt wird. Diese Wissenschaft, die Natur aufzuschließen und sie zu verwandeln, ist des Strebens der Edelsten nicht unwürdig. Es ist leichter, sie zu verlachen, als die Meister dieser Kunst und die Anschauungen, die uns entgegen kommen, abzuweisen und zu widerlegen; und namentlich die Kunst des Adepten, Gold zu machen, den Stein der Weisen hervor zu bringen. Die nüchterne Welt kennt nur einen Weg, indem sie die Erzählung von Flamel als Lüge verschreit, was Paracelsus erzählt und ein Mann wie Helmont betheuert, Mährchen nennt, den tiefsinnigsten der Philosophen, Jacob Böhme, nicht anhört und versteht, und Alles, was in unsern Tagen ein erleuchteter Saint Martin begeistert predigt, nur mit mitleidigem Achselzucken beantwortet. Aber ist es denn nun schon unwidersprechlich dargethan, daß uns Saint Germain belog und betrog? Die Kunst, Gold aus andern Metallen zu machen, scheint so nahe zu liegen, da wir so viele Verwandlungen hervor bringen können. Sie soll ja nur den Meister beurkunden, ihm seinen Meisterbrief schreiben, als einen Beweis, daß er die Natur bezwungen hat, und sie beherrscht. Die moralische Besserung und Vergeistigung des Menschen ist die höhere Kunst des Adepten. Aber Wunder zu glauben, in der Vorzeit, um Religionen und Heilige zu bekräftigen und ihrem Wirken Glauben zu verschaffen, und anzunehmen, daß diese Kraft erlöschen müsse, und in unsern Tagen und niemals wieder erweckt werden könne und dürfe, heißt, um mich gelinde auszudrücken, auf das Mindeste sehr inkonsequent glauben und lehren. Mein Freund Seebach kennt meine Ueberzeugung, die ich hiemit wiederhole. —
Jetzt nahm Sangerheim, der Reisende, wieder das Wort: Wie die Kunst der Verwandlung das eine Unterpfand des Maurers und Meisters ist, so ist die Macht über die Geister die zweite Beglaubigung, daß er Bahn gewonnen, und den Sieg im Laufe errungen hat. Diese Hoheit ist dem ächten Schüler der Weisheit seit uralten Zeiten überkommen, von alten Meistern und Obern, und jeder Lehrling, der sich in der Prüfung würdig erweiset, kann dies Siegel der Vollendung erringen. Wenn die Rosenkreuzer diesem hohen Berufe nachstreben, so ist es löblich, erringen sie ihn, dann ist ihre Kunst und ihr Weg der wahre. Er ist aber nicht der meinige. Doch werde ich den würdigsten Brüdern, die schon erfahren sind, gern, wenn sie Glauben und Vertrauen haben, die Weihe nach Graden der Prüfung zukommen lassen. Doch bin ich hierin ganz der entgegengesetzten Ueberzeugung des Herrn von Seebach. Ein einziger Grad ist keiner; was diese Freimaurerei will und soll, kann Jeder am besten isolirt und ohne alle Verbindung erlangen.
Schmaling sah begeistert aus und drängte sich an den Fremden, auch der Arzt Huber gab ihm die Hand. Auf der Seite des Rathes blieben der Obrist, der Gelehrte und Anton. So war in dieser kleinen Gesellschaft ein Gegensatz von Meinungen, die sich auf keine Weise vermitteln ließen.
Man trennte sich, und beim Abschiednehmen bat der geheime Rath den Fremden, der so große Dinge ankündigte, noch etwas zu verweilen. Er trug ihm seine Verlegenheit vor in Ansehung des verlornen Dokumentes und schloß dann: Getrauen Sie sich wohl, durch Ihre übernatürliche Wissenschaft, deren Sie sich rühmen, mir diesen Bogen, an dem mir so viel gelegen ist, wieder zu verschaffen?
Sangerheim, der bisher in der Gesellschaft bescheiden in Wort und Haltung gewesen war, richtete sich jetzt stolz auf und sah den Rath mit einem kühnen Blick von oben herab mit seinen feurigen Augen an und sagte: Ist dies nur eine leere Erfindung, um mich zu prüfen, so dürfte es schlimm für Sie ausgehn, wenn ich jene Kräfte für diese Unwahrheit in Thätigkeit setzte; ist es Wahrheit, was Sie mir sagten, so verspreche ich Ihnen meine Hülfe.
Seebach erzählte ihm umständlicher die Sache, den Inhalt des Dokumentes, wie lange er es besessen, und daß es jetzt zur günstigen Entscheidung des Prozesses unentbehrlich sei. Ich glaube Ihnen, sagte Sangerheim, und spreche Sie morgen Nachmittag in der vierten Stunde.
———
Am folgenden Abend war der Rath im Kreise seiner Familie, kein Fremder war zugegen, auch Schmaling fehlte. Es war sichtbar, daß er nachdenkend war und an den Gesprächen der Uebrigen nur wenigen Antheil nahm. Der Obrist sagte endlich, als er in die Fröhlichkeit der Uebrigen nicht einstimmte: Was ist Ihnen, Lieber? Wir fangen uns an zu ängstigen; theilen Sie uns Ihren Kummer oder Ihre Leiden mit.
Es ist nichts dergleichen, erwiederte der Vater, ich sinne nur darüber nach, wie man so nach und nach alt wird, und doch niemals ausgelernt hat. Ich glaubte über Alles, was man Wunderglauben nennt, hinaus zu seyn, und war selbst in meiner Jugend dieser Schwachheit nicht ausgesetzt: und nun berührt mich Etwas so stark, daß ich mich vor mir selber fürchte, wenn der Ausgang sich so ergeben sollte, wie er mir ist versprochen worden.
Die Mutter und Tochter sahen sich mit bedeutenden Blicken an, Anton war gespannt und der Obrist sagte: Nun, Werthester, was ist Ihnen versprochen? Dürfen Sie es uns mittheilen?
Es ist mir nicht verboten worden, erwiederte der Vater. Gestern, als wir uns trennten, erzählte ich dem Fremden von dem verlornen Dokument. Er schien erst unwillig, weil er die Sache für Erfindung hielt, ihn auf die Probe zu stellen. Wie er meinen Ernst sah, versprach er mir heut Nachmittag Antwort zu geben. Er erschien, und seine erste Frage war, ob ich nicht in der Stadt noch ein andres Haus besäße. Ich bejahte, wir gingen hin und er betrachtete die Zimmer und den Saal, welche leer stehen, da ich immer noch unentschlossen bin, ob wir hinüber ziehn. Er ließ sich ein drittes Zimmer aufschließen, eilte hinein, und indessen ich noch draußen verweilte, und die Gemälde betrachtete, hörte ich drinnen Geräusch, wie von verschiedenen Menschen, auch Stimmen durch einander. Ich eilte durch die offenstehende Thüre, und fand meinen Fremden allein in der Mitte des Zimmers, tief sinnend. Er bemerkte mich erst nicht, dann sagte er: Gehn wir morgen in der Mittagsstunde, zwischen Zwölf und Eins, wieder hieher, und ich hoffe Ihnen etwas Bestimmteres sagen zu können. Wir verließen das Haus, und ich fragte ihn, ob er es erlaube, daß uns noch Jemand begleite. Sehr gern, erwiederte er, nur bitte ich, dem jungen Herrn Schmaling vorerst nicht die Sache mitzutheilen, oder ihn zum Begleiter zu wählen, er ist zu heftig, er schwärmt und würde mich stören; vielleicht geht Ihr zweifelnder Sohn mit uns. — Seht, Freunde, das ist mir heut begegnet, und Ihr müßt gestehn, daß, wenn dieser Mensch ein Betrüger ist, er einen neuen und originellen Weg erwählt.
Aber wie ein Betrüger? sagte der Obrist: wenn er Ihnen wohl morgen schon das Dokument schafft, oder Ihnen eine bestimmte Antwort giebt.
Das wird er eben nicht thun, antwortete der Rath, er wird morgen mit einer neuen Zweideutigkeit mich abfertigen, mich wieder auf einen andern Tag vertrösten, und, wenn er meine Leichtgläubigkeit, oder meinen Charakter bei dieser Spannung beobachtet und kennen gelernt hat, mich mit diesen oder jenen Mährchen abspeisen, von denen er glaubt, daß sie mir zusagen. Alles das sage ich mir und wiederhole es mir, und doch kann ich es mir nicht leugnen, daß ich ungeduldig die Stunde des Wiedersehens erwarte, daß ich mir jenes seltsame, unbegreifliche Geräusch in der Erinnerung wiederhole, und darüber sinne. Es war, wie von vielen Menschen, wie Zank und Streit, ja Thätlichkeit, verschiedene Stimmen antworteten sich heftig, so daß ich erstaunt die halb angelehnte Thür öffne, in der sonderbaren Erwartung, viele fremde, heftige Menschen in Gezänk in meinem verschlossenen Zimmer zu finden, und ihn doch nur allein still in der Mitte des Raumes stehen fand. Es war Tag, nicht Mitternacht, keine Vorbereitung war vorangegangen, ich kenne das Haus und er nicht, — wie soll man darüber denken?
Lassen wir es, sagte Anton, bis morgen; die Stunde ist nicht so gar entfernt, und erlauben Sie mir, Sie zu begleiten.
Keine Kreise gezogen? fiel der Obrist ein: kein Zauber-Apparat? keine Citation? Sonderbar genug. Jenes habe ich auch einmal in meinem Leben gesehn und mitgemacht, und es wies sich nachher als Betrügerei aus, aber man hatte uns, die wir zugelassen wurden, durch Geheimniß, Rauchwerk, Gebet, Fasten und Kasteiung so exaltirt und betäubt, daß unsere Imagination dem Magus schon auf drei Viertheil seines Weges entgegen ging.
Als die Mutter in der Nacht mit der Tochter bei einer häuslichen Arbeit verweilte, sagte sie: Ich kann Dir nicht beschreiben, wie widerwärtig mir diese Geschichte ist, die sich da anspinnt. Wir waren einige Jahre so ruhig, und nun wird Dein Vater wieder in solche Verwicklungen und Gedanken hinein gezogen, die ich auf immer für abgethan hielt. Er meint, er hat Alles überwunden, und läßt sich immer wieder von Neuem anlocken. Was ist es nur im Menschen, das der Vernunft zum Trotz, auf die sich die Meisten doch so viel einbilden, immer Herz und Phantasie in das Seltsame und Unbegreifliche hinüberzieht. Ich habe noch keinen Menschen gekannt, der nicht abergläubig gewesen wäre.
Möchten sie es doch, antwortete Clara, denn ich bin es auch; und wie kann man sich gewissen Wahrnehmungen oder Eindrücken mancher Träume, den Vorahndungen und dergleichen entziehn; wenn sie nur nicht mit ihrer scheinbaren Philosophie so bedeutende Schlüsse aus Kindereien zögen, und so schwerfällige Systeme darauf erbauten. So Vieles im Leben hat nur dadurch einen Sinn, daß es eben mit nichts Anderm zusammenhängt, daß es Nichts bedeutet. Sie wären aber im Stande, in einem Seufzer oder Kuß das ganze Universum zu lesen, und die Ewigkeit der Höllenstrafen daraus zu beweisen. Nun, meinen Schmaling werden mir die Geisterseher schön zurichten. Wären die Menschen doch nur damit zufrieden, ihren eignen Geist kennen zu lernen. Weil es aber da eben hapert, so sind sie freilich gezwungen, so viele fremde herbei zu zitiren, um den eignen zu verstärken.
Am Morgen waren Alle beim Frühstück sehr einsylbig. Selbst Anton konnte sich nicht verbergen, daß er in einer Spannung sei, die seinem Wesen sonst ganz fremd war. Gegen zwölf Uhr erschien Sangerheim. Unterwegs sagte er: Ich bitte Sie, von dem, was Sie vielleicht sehn werden, nicht zu laut und gegen Jedermann zu sprechen. Was geht die Menge und das unwissende Volk unser Wesen an?
Das große Haus des Rathes lag in der Vorstadt. Es stand leer, weil die Familie Willens war, hieher zu ziehn. Dies hatte freilich sein Beschwerliches, wenn Seebach sein Amt nicht aufgab. So war es geschehn, daß man es in dieser schwankenden Unentschlossenheit seit Jahren nur selten besucht hatte. Der Rath öffnete und verschloß hinter sich die Thüren wieder. Im Saale angelangt, ging Sangerheim wieder in jenes Zimmer, in welchem er gestern schon gewesen war. Er ließ die Thüre hinter sich halb offen, Anton und der Vater blieben im Saal. Plötzlich hörten beide ein verwirrtes Getöse, wie Schlagen an den Tapeten und Degenklirren, dann Gespräch, Gezänk, Hin- und Widerreden verschiedener Stimmen; auf verschiedene Fragen, die der Magus that, hörte man ein bestimmtes: Nein! nein! Es geschieht nicht! näher und ferner ertönen. Endlich erfolgte ein Knall, wie von einer Pistole; Beide stürzten in das Zimmer und der Magus stand in der Mitte, in heftiger Bewegung und erhitzt. Er faßte die Hand der Eintretenden und sagte: Nur bis heut Abend lassen Sie mir Zeit und ich sage Ihnen Gewißheit. Noch widerspricht man mir, man will nicht nachgeben, aber es wird sich ändern, wenn ich in meiner Wohnung noch eine Operation vorgenommen habe. Sie trennten sich und Anton wie der Rath kamen nachdenklich zu ihrer Familie zurück, die sie mit Aengstlichkeit erwartete.
Anton sagte: Der Mann ist ein recht künstlicher Taschenspieler, der einige neue Stücke gelernt hat, die die Uebrigen noch nicht wissen. Man schwört darauf, daß man verschiedene Menschen oder Geister vernimmt, man hört ein Rauschen und Schwirren, Rasseln und Prasseln, wie ein Handgemenge, endlich sogar einen bestimmten Pistolenschuß, aber es ist kein Dampf oder Geruch vom Pulver zu spüren. Das Unkluge bei dieser Geschicklichkeit scheint mir nur darin zu bestehn, daß er sich immer so kurze Termine setzt, so daß sich seine Vertröstungen schnell wiederholen und bald ermüden müssen. Mit den beiden Kunststücken von heut und gestern hätte er uns wenigstens einige Wochen hinhalten können.
Es kann nicht so seyn, wie Du es Dir denkst, sagte der Vater. Er muß auf Etwas fußen, das ihn so sicher macht. Wäre die Sache, wie Du sie schilderst, so müßte er übermorgen oder in einigen Tagen beschämt abziehn, denn ich habe mich wohl gehütet, irgend großes Erstaunen oder entgegenkommende Leichtgläubigkeit merken zu lassen. Gab er sich doch auch nicht einmal die Mühe, uns auszufragen, so beschäftigt war er mit sich selber. Ihm selbst ist es Ernst, und seine Aufmerksamkeit ist ganz auf die Sache, nicht auf uns hingerichtet.
Du bist schon bekehrt und gläubig, sagte die Mutter.
Unmöglich, Liebe, antwortete der Rath, denn ich glaube noch gar Nichts, auch giebt es noch Nichts zu glauben, sondern ich bin nur erstaunt, und kann in dieser verwirrenden Verwunderung meine Seelenkräfte noch gar nicht wiederfinden.
Das ist vielleicht, bemerkte Clara, die beste Stimmung, um Wunder zu glauben.
Kinder, sagte der Vater mit einiger Empfindlichkeit, tragt ihr nicht auch dazu bei, meine Unruhe zu vermehren. Mein ganzes Leben hindurch habe ich gegen den Aberglauben gekämpft, und es soll der Thorheit wenigstens mich zu besiegen nicht so leicht werden, als ihr es für möglich zu halten scheint. Gelingt es dem vorgeblichen Magus, uns diese große Summe zu retten, so sind wir ihm ohne Zweifel Dank schuldig: kann er es nicht möglich machen, was er, fast mit sicherm Versprechen, unternahm, so will ich denn auch nicht weiter grübeln, wie er die sonderbaren Stimmen und das seltsame Geräusch hervorbrachte.
Alle waren scheinbar beruhigt, als der Rath, indem sich eben jeder in sein Schlafzimmer begeben wollte, folgenden Brief noch in dieser nächtlichen Stunde erhielt, der der ganzen Familie Ermüdung und Ruhe nahm:
Da es nicht bloß eine Aufgabe fürwitziger Neugier war, was meine Kräfte und Kenntnisse in Anspruch genommen hat, da die Wohlfahrt einer hochachtungswürdigen Familie gewissermaßen an die Erfüllung meines etwas voreiligen Versprechens geknüpft ist, so hat der Widerspruch und Starrsinn Derer nachgelassen, von denen Sie heut, wenn Jene auch nicht sichtbar wurden, einige Kunde empfingen. Nicht unmittelbar, aber nach einigen kleineren Zimmern, die verschlossen blieben, muß sich in jenem Hause, zu dem Sie mich heut führten, noch ein Kabinet befinden, dessen Fenster auf den Garten gehn. In diesem Kabinete ist ein Wandschrank, dem Auge nicht sichtbar, der sich durch den Druck einer Feder öffnet. Nimmt man hier einen gewöhnlichen Kasten heraus, so zeigt sich unten ein Schieber, unter welchem sich dieses Papier, nebst einigen andern Schriften, wohl finden wird.
Bei den letzten Worten, indem der Rath den Brief laut vorlas, schlug er sich mit der flachen Hand heftig vor den Kopf, ward glühend roth und plötzlich wieder todtenbleich, und rief mit lauter Stimme: O ich Dummkopf! Und daß ich es vergessen konnte! Und daß mir ein ganz fremder Mensch, von dem ich niemals in meinem Leben Etwas gehört habe, mir so auf meine Erinnerungen helfen muß.
Die Frauen, so wie Anton und der Obrist, waren um so mehr erstaunt und erschrocken, da sie niemals, obgleich sie das Kabinet kannten, von diesem heimlichen Wandschrank Etwas erfahren hatten. Vergebt mir dies Verschweigen, sagte der Vater, es ist mir eigen und eine Gewohnheit, die ich von Jugend auf hatte, auch vor meinen Nächsten und Vertrautesten noch Etwas geheim zu halten. So habe ich mir in jenem Hause diesen Versteck, um den kein Mensch wußte, angelegt. Er ist so künstlich gemacht, daß, wenn man die Sache nicht weiß, ich auch das schärfste Auge auffordern will, die Feder nur zu entdecken, die die Wand eröffnet und verschließt. Vor vier Jahren, wißt ihr, wohnten wir Alle drüben, weil dies Haus hier ausgebaut und anders eingerichtet wurde. Indem wir wieder herüber zogen, fiel jene Reise vor, die ich eiligst in Angelegenheit meines Fürsten machen mußte. Ich arbeitete die ganze Nacht, ohne fast Nahrung zu mir zu nehmen. Auch meine eigenen Sachen ordnete ich, und jenes Dokument war mir wichtig genug. Ich nahm es, so war ich fest überzeugt, mit mir hier herüber, verschloß es in das geheime Schubfach meines Schreibepultes, reisete ab, und kam erst nach drei verdrüßlichen, arbeitsreichen Monaten zurück. Ich fand, so glaubte ich, alle meine wichtigen Papiere in Ordnung, und, sei es die Reise, mag es von den Kränkungen herrühren, die ich erlitten hatte, ihr wißt, daß ich in ein tödtliches Nervenfieber verfiel, von dem ich nur schwer und langsam wieder genas. In dieser schlimmen Zeit hatte ich mein Gedächtniß ganz verloren. Als ich wieder zum Leben erwachte, war es mir die bestimmteste Ueberzeugung, daß ich das Dokument hier aufgehoben, und seit meiner Rückkehr schon mehr wie einmal gesehn hatte. Darum wurde ich eben ganz verwirrt, als es nun, nach Jahren, die wichtige Sache entscheiden sollte, und sich nirgend antreffen ließ. — Doch laßt schnell anspannen, so spät es ist, ich will noch in der Nacht jenen Wandschrank untersuchen.
Es wurde dem Kutscher eiligst der Befehl gegeben. — Wie kam es nur, fragte der Obrist, daß Sie, auch nur aus müßiger Neugier, jene Stelle drüben im Hause nicht untersuchten, und so zufällig das Papier fanden?
Sie wissen ja, antwortete der Rath, wie der Mensch ist. Hier diesen Schrank, die Zimmer des Hauses hier kehrte ich mehr als einmal um, ich suchte mit Heftigkeit an allen unmöglichen Orten, war aber so fest und unwidersprechlich überzeugt, daß ich das Heft von dort nach der Stadt genommen hatte, daß ich mich selbst über die Frage als wahnsinnig verlacht haben würde, ob der Schrank es noch bewahren könne. Und außerdem — — der Rath zögerte, und als der Obrist in ihn drang, fuhr er fort: Lieber Vater, jene Wand enthält außerdem alle Beweise und Erinnerungen meiner jugendlichen Schwärmereien und Thorheiten, viele Arbeiten, die ich als Schüler dieses und jenes geheimen Ordens entwarf, Abschriften aus seltenen Büchern, kabbalistische Rechnungen, Recepte zur Tinktur, und was weiß ich Alles. Eins jener tollen Blätter hatte sich zufällig hieher verirrt, das ich jetzt an eine andre Behörde geschickt habe, wo man es vielleicht mehr achten wird, als hier geschah. Diesen Wust habe ich seit Jahren nicht angesehn, weil mir davor graut. Denn, gestehe ich’s doch, ich weiß nicht, ob ich stark genug bin, daß ich nicht hie und da lesen und wieder lesen sollte, wenn ich mich einmal der Truhe nähere. Und bezwingt mich auch das Material des verwirrenden Inhalts nicht, so ängstige ich mich doch mit Recht, mich wieder in alle jene Stimmungen und Zustände zu versetzen, in welchen ich jenes Zeug zusammengeschrieben habe.
Der Wagen fuhr vor, und der Rath, Anton und der Obrist stiegen ein. Als sie allein waren, warf sich Clara der Mutter, heftig weinend, an die Brust. Wie ist Dir, mein Kind? fragte die Mutter. Ach, Liebste! erwiederte Clara, Sie werden mich vielleicht schelten, daß ich bei diesen Sonderbarkeiten, bei diesen Dingen, die uns Alle so gewaltsam aufregen, etwas recht Albernes sage. Ich kann Alles das nicht leiden. Sie sehn, wie gemein es klingt, aber ich kann keinen andern Ausdruck finden, mag ich auch suchen, wie ich will. Wenn das Alles ist (und es ist ja vor unsern Augen da, wir können es nicht mehr ableugnen), so ist mir das Leben selbst widerwärtig. Mir entgeht alle Sicherheit, alle Lust zu denken und zu handeln, denn meine Freude war es eben, daß Alles so unbewußt sich bewegt und genießt, daß jedes Gefühl, jeder Gedanke um sein selbst willen da ist. Nun soll Alles Zusammenhang haben, sich geistig auf einander beziehn. Es ist mir unerträglich, so mit Gespenstern in innige Verbindung zu treten. Gespenst! Ist denn so was nicht der ächte Gegensatz, der völligste Widerspruch mit Geist? Sehn Sie, Liebste, das Alles handthiert nun so gewaltsam in meinem Innern, daß ich lieber gleich im Fieber selbst phantasiren möchte, als von diesen Sachen hören: und nun gar sie erleben müssen!
Tröste Dich, beruhige Dich, mein Kind, sagte die sorgende Mutter, Du sprichst schon, wie im Fieber. Ich glaube Dich zu verstehn, und doch scheinen mir Deine Ausdrücke zu herbe. Alles, was Du so schmähst, macht ja für viele verständige Männer den Reiz des Lebens aus. Wie Vieles würde mancher der Besten darum geben, wenn er sich durch dergleichen Wunder überzeugen könnte, die uns geboten worden, und die wir so wenig suchten, daß man sie uns aufdrängen muß.
Das ist es eben, sagte Clara: ich kann mir keine Vorstellung davon machen, wie steppendürre, wie öde es im Geist und Herzen solcher Menschen aussehen muß, die sich dergleichen wünschen, die ihm nachjagen können. Ein heitrer Blick aus dem lieben, unschuldigen Auge des Kindes, seine Kartenhäuserchen, die es mühsam erbaut und lachend wieder umwirft, jedes Geschäft des Hauses, Backen und Nähen und Stricken, der Handlanger, der mit dem Schweiß seiner Arbeit seine Familie ernährt, o nennen Sie, was Sie wollen, auch das Allergeringste, es ist ja ehrwürdiger und edler, als es diese Raritäten sind, die sich so vornehm anstellen. Möchten doch lieber diese zwanzigtausend Thaler verloren gegangen seyn, als daß sie wiederkommen, und uns dieses Irrsal mit in das Haus schleppen.
Ich kann Dir nicht ganz Recht geben, Tochter, sagte die Mutter: mir graut auch vor der Sache, aber dankbar müssen wir dem Manne doch seyn, wenn wir durch ihn um so viel reicher werden.
Nein! rief Clara, wenn ich es nur hindern könnte. Ich habe immer über unsern Consistorialrath gelacht, zu dessen Christenthum der Teufel eigentlich die nothwendigste und unentbehrlichste Person ist, aber jetzt bin ich der Meinung des heftigen frommen Priesters. Nur der Satan bringt diese Künste hervor, und Jeder, der sich damit einläßt, ergiebt sich ihm. Die Langeweile plagt natürlich den alten verdammten bösen Geist, und da weiß er sich nun keinen bessern Zeitvertreib, als die Menschen durch allerhand Blendwerk dumm und konfus zu machen. Es wird schon so seyn. Diese fatalen Beschwörer glauben ihn zu beherrschen, er spielt mit ihnen, wie die Katze mit der Maus, und nachher sehen sie denn mit Entsetzen, daß sie immerdar in seinen Stricken und seine leibeignen Knechte waren. — Ach! und mein Schmaling! der ist nun auch so ein kleiner goldner Fisch, den sich die Unbarmherzigen mit ihren eisernen Haken herauf angeln und über sein Bluten nur lachen. Welch hartes, sonderbares Schicksal, daß mich eine Leidenschaft zu einem Manne ergriffen hat, den ich eigentlich nicht ganz achten kann. Ich liebe ihn und gebe ihm mein ganzes Herz, ich fühle es, ich kann ohne ihn nicht seyn und leben, — und doch widerstrebt mir so Vieles in seinem Wesen: Sie werden sehn, dieser Blutsauger, der Sangerheim, macht mir mein Liebchen, meinen Auserwählten noch ganz verrückt. — Ich muß wider Willen lachen. Vergeben Sie mir, Mutter.
Sie lachte laut, um nachher um so heftiger zu weinen. Die Mutter, die zwar die sonderbare Gemüthsart ihrer Tochter kannte, wurde doch besorgt, daß sie krank werden möchte, und wollte sie bereden, sich nieder zu legen: Clara wollte aber durchaus die Rückkunft des Vaters erwarten, und erfahren, wie das seltsame Abentheuer geendigt habe. —
Man war in der Vorstadt abgestiegen, um mit einer Laterne in das finstre Haus zu gehn. Die Stimmung der drei Männer war feierlich und der Geheimerath Seebach zitterte, indem er die breiten und widerhallenden Stufen hinauf stieg. Im Saale standen sie still, ruhten und zündeten einige Kerzen an. Sie eröffneten die übrigen Zimmer, gingen hindurch und gelangten endlich vor jenes Kabinet. Ehe der Rath aufschloß, sagte er zu seinen Begleitern: Ich muß Euch bitten, Theure, wenn ich den Wandschrank eröffnet habe, und nach jenen Blättern suche, daß Ihr mich ganz allein gewähren lasset, weil ich nicht wünsche, daß Sie, lieber Vater, und noch weniger mein Sohn, Etwas in jenen Skripturen lesen mögen, die so Vieles enthalten, das ich jetzt selbst ganz vergessen habe. Der Rath schloß auf. In dem kleinen Zimmer, das, wie alle übrigen, lange nicht geöffnet war, war ein seltsamer Dunst. Der beklemmte Rath öffnete das Fenster, ein frischer Luftstrom zog herein, und man vernahm das Flüstern der Linde und das Rauschen des Holunderbaumes, die dicht vor dem Fenster standen. Ist es Euch so seltsam, wie mir, zu Muthe? fing der Rath wieder an. Mir dünkt, es kommt mir jetzt schon viel weniger darauf an, diesen bedeutenden Theil meines Vermögens zu retten, als nur die Wahrhaftigkeit jenes wunderbaren Mannes bestätigt zu finden: ob ich gleich von ihr schon überzeugt bin.
Er drückte an die ganz glatte Wand und sie eröffnete sich. Oben in der Mauer standen einige Geräthe und Gefäße, die auch eine magische Bedeutung haben mochten. Seebach bückte sich und holte einen schweren Kasten aus dem Behältniß, der Briefe, Bücher, Maurer-Symbole und dergleichen enthielt. Er ließ, indem er in den Verschlag trat, den Sohn hinein leuchten. Man sah Nichts, und nur der Vater konnte den künstlichen Schieber finden, der zurückgedrängt wieder eine andere geräumige Oeffnung entdeckte. Gleich oben lag das vermißte Dokument und ein großer Zettel daneben, auf welchem mit großen Buchstaben stand: Das Dokument über die zwanzigtausend Thaler findet sich in meinem geheimen Wandschrank, unten, im Hause der Vorstadt. — Es war auch hinzugefügt: Sollte ich auf der Reise sterben, so suche man — und hier war genau für den Fremden beschrieben, wo man die Feder und den Schieber entdecken könne.
Seht, Freunde, rief der Rath, dieses Blatt wollte ich aus Vorsorge in mein Schreibpult legen, um das Dokument ja nicht zu vergessen. Aber die eilige Arbeit, die Wichtigkeit der Geschäfte, die nahe Abreise machten, daß das Vergessen den Sieg, wie es so oft geschieht, über die Vorsicht davon trug. Für meine Familie, im Fall ich von der Reise nicht zurückkommen sollte, war noch diese genaue Bezeichnung hinzugefügt.
Er übergab das Dokument seinem Sohne, der es sorgfältig in die Brieftasche legte. Hierauf bückte sich der Vater wieder und nahm alle übrigen Papiere aus jenem tiefen Raume, die in mehreren verschlossenen Mappen und sorgfältig zugeschnürten großen Heften enthalten waren. — Was machen Sie da? fragte der Obrist. — Da das Geheimniß des Schrankes, sagte der Rath, jetzt ein öffentliches ist, so will ich alle diese Papiere mit mir nehmen, um sie in meinem Stadthause sicher zu verwahren. — Er trug sie selbst mit Anstrengung die Treppen hinunter und in den Wagen, und wollte sich weder vom Obristen, noch seinem Sohne helfen lassen.
Als sie wieder im Wagen saßen, fing der Rath an: Was soll man nun, meine Lieben, von dieser ganzen Sache denken? — Denken? erwiederte der Sohn, fürs Erste wohl gar Nichts, denn wir haben noch lange an unserm Erstaunen zu genießen. Dann wollen wir uns des Geldes und des gewonnenen Prozesses freuen, und Clara vorzüglich mag dem Magus danken, weil ohne ihn ihre Aussteuer wäre verkürzt worden. Mit dem Zauberer müssen wir auch Freundschaft halten, der unserm Hause geholfen hat. Mit allen diesen Dingen können wir uns eine Weile die Zeit so leidlich vertreiben, denn es scheint mir gefährlich und bedenklich, zu früh über diese Sache denken zu wollen. Haben wir doch genug daran zu thun, sie zu glauben. Und ableugnen läßt sie sich nun einmal nicht.
Ich begreife Deinen Leichtsinn nicht, erwiederte der Vater. Kannte dieser Sangerheim mich und meine Familie? und wenn dies war, konnte er von diesem Papiere wissen? und wenn er davon erfahren hätte, konnte er diesen geheimen Schrank entdecken? Setzen wir auch den noch wunderbarsten und seltensten Zufall, er habe nach mehr als zwanzig Jahren den Tischler gefunden, der ihm diesen Schlupfwinkel verrathen hätte: wie viel Unerklärliches bleibt noch zu erklären? Und wie viel Unnatürliches, Unmögliches muß man schon gewaltthätig zusammen raffen, um nur das Leugnen des Wunderbaren und Unbegreiflichen bis zu dieser Spitze zu treiben?
Darum eben, mein lieber Vater, antwortete Anton, ist diese Entfernung von allem Grübeln, sich aller Gedanken zu entschlagen, was Sie, um mir einen Vorwurf zu machen, Leichtsinn nennen, hier recht an der Stelle. Helfen wir uns doch mit nichts Besserm, als diesem Leichtsinn, der aber auch edler Natur seyn kann, bei den allerwichtigsten, heiligsten und höchsten Dingen, wenn wir uns nicht geradehin der Verzweiflung oder dem Wahnsinn ergeben wollen. Wenn unsre Gedanken vor dem Bilde der Ewigkeit scheu umkehren, oder an der Gottheit und Allmacht des Schöpfers ermatten müssen: — was können wir anders thun, als uns in diesen Leichtsinn retten, der uns so kindlich, so tröstend entgegen kommt? Mag es nicht eben so Pflicht und Weisheit seyn, zu Zeiten gewissen Gedanken auszuweichen, wie es ein andermal unerläßlich ist, sie aufzusuchen, und bis in das Innerste hinein zu ergründen? Nicht jeder Stunde geziemt Alles.
Weisheit! sagte der Alte unwillig; wenn die Unerfahrenheit sie lehren will! — Sie waren angelangt und stiegen zum Wohnzimmer hinauf, in welchem Clara und die Mutter sie erwarteten. Man sprach, erzählte noch, und der Vater sorgte vorzüglich, seine Skripturen in Sicherheit zu bringen. — Der frühe Morgen überraschte sie noch im Gespräch, sie legten sich nieder, um noch einige Stunden zu schlafen, aber Keinem von Allen ward mehr als ein unruhiger Schlummer zu Theil, der sie nicht erquickte.
———
Diese Begebenheit, obgleich sich Alle vorgenommen hatten, nur zu den Vertrautesten von ihr zu sprechen, war bald in der Stadt bekannt, und machte großes Aufsehn. Und, wie es zu geschehen pflegt, erzählte man sich den seltsamen Vorfall bald mit den wunderlichsten Zusätzen, indem Jeder glaubte, am Besten von dem Wunder unterrichtet zu seyn. Sangerheim, der dieses gerade hatte vermeiden wollen, war hiedurch sehr verstimmt, und wurde es noch mehr, als er erfuhr, daß der regierende Fürst selbst sich von seinem Rathe Seebach die denkwürdige Sache hatte vortragen lassen. So kam es denn, daß Sangerheim nicht nur zu allen Versammlungen und Gesellschaften sehr gesucht wurde, sondern daß auch am Hofe Nachfrage nach ihm geschah. Alles dies schien ihm sehr gleichgültig, denn er bekannte selbst, nur einen Zweck im Auge zu haben, nehmlich die gewöhnliche Freimaurerei verächtlich zu machen und zu stürzen, zu welcher sich in dieser Provinz die angesehensten Männer bekannten, und die zugleich die größte Achtung genossen. Es gelang ihm auch, die Logen zu stören und verdächtig zu machen, und viele der eifrigsten Brüder zu sich hinüber zu ziehn.
Indem er mit diesen arbeitete, ihnen den Irrthum deutlich machte, in welchem sie bisher gewandelt waren, verschiedene Grade einrichtete und geheimnißvolle Weihungen vornahm, mysteriöse Zeichen, Amulete und Gehänge austheilte, deren Deutung er sich vorbehielt, saß der geheime Rath Seebach in seinem Zimmer und vertiefte sich in jenen Schriften, die ihm seine leidenschaftliche, sonderbare Jugend wieder vergegenwärtigten. Er hatte mit Recht die zauberhafte Wirkung dieser Papiere gefürchtet, denn er verlor sich so in Erinnerungen, daß die Gegenwart fast gar keine Gewalt über ihn ausübte. Vieles hatte er ganz vergessen, über Manches dachte er jetzt anders, aber doch erschien ihm Alles in einem andern Lichte, als er erwartet hatte, denn er fand zu seinem Leidwesen, daß die großen Fragen keinesweges so abgeschlossen waren, als er es neuerdings, ohne wiederholte Untersuchung, zu seiner Beruhigung angenommen hatte.
Diejenigen, die den alten Logen treu geblieben waren, sprachen über Sangerheim sehr erbittert, und behandelten ihn, ohne daß sie es beweisen konnten, wie einen Betrüger. Schmaling, so wie der Arzt Huber, die gleich seine eifrigsten Anhänger geworden waren, kämpften mit aufgeregter Leidenschaft diesen Verleumdern entgegen, und die ganze Stadt, die viele Jahre hindurch ruhig gewesen war, nahm heftig Parthei für und gegen den Fremden. Dieser und seine Freunde bemühten sich, den elenden Zustand der neueren Maurerei und das Unwesen der Logen in das grellste Licht zu stellen. Man berechnete, wie viel die Lehrlinge, deren keiner abgewiesen wurde, jährlich einbrächten, wie die älteren Brüder nur dahin strebten, Vorsteher, Redner und Meister vom Stuhl zu werden, um durch diese und andre Würden freien Theil am Schmause zu erhalten. Man zeigte, wie verdächtig die Wohlthätigkeit dieser Maurer sei, und erzählte und wiederholte ärgerliche Geschichten, die allgemeinen Anstoß gaben. Man machte sich lustig darüber, wie sehnsüchtig sie irgend einem Geheimniß entgegen sähen, wenn sich nur irgendwo eins wolle auftreiben lassen; wie gern man es sich, behutsam verpackt, aus England oder Schottland verschreiben möchte, und keine Kosten spare, damit man den sehnsüchtigen Forschern doch nur irgend Etwas zu verheißen hätte. Jene Logen der strikten Observanz hatten aber auch Manches mitzutheilen, was der Wißbegierige und Schadenfrohe gerne anhörte. Man erzählte: dieser Sangerheim sei nichts anders als ein Spion, von einer großen Macht des südlichen Deutschlands ausgesendet, um in den nördlichen Provinzen Zwiespalt auszusäen, und Mißtrauen zwischen Volk und Regierung zu erregen. Der verhaßte Name der Jesuiten wurde nicht geschont, um ihn und seine Freunde zu bezeichnen und verdächtig zu machen. Man wollte in seiner Wohnung eine weiße Frau, oder vielmehr ein entsetzliches Gespenst gesehn haben, und der neuerungssüchtige Pöbel fügte hinzu, daß Kobolde und Teufel in seiner Wohnung freien Aus- und Eingang hätten. Man scheute sich nicht, zu behaupten, er stelle dem Leben des regierenden Herrn und seiner Familie nach, und es gab keine so abgeschmackte Lüge, die nicht in irgend einem Kreise einen Schwachkopf fand, der sie geglaubt hätte. So sehr diese ältern, aufgeklärten Logen den eindringenden Neuling aber auch haßten, so sehr beneideten sie seine Kenntnisse und Geheimnisse, und wären ihm gern freundlich entgegen gekommen, wenn er ihnen nicht so unverhohlen den Krieg angekündigt hätte.
So war die freundliche Stadt, die sich bis dahin einer schönen Geselligkeit erfreut hatte, von Zwiespalt zerrissen, der sogar viele Familien ergriffen, und die nächsten Freunde und Verwandte einander entfremdet hatte. Wie man stritt und verleumdete, bewies und zankte, die Meinungen hin und her schob, so merkte von Allem Derjenige, der eigentlich die Veranlassung dazu gegeben hatte, der geheime Rath Seebach, am wenigsten von dieser Verwirrung, weil er bei Tage wie in der Nacht fast immer über jenen Papieren sann und brütete, die er aus seinem Schranke gleichsam von Neuem erbeutet hatte. Alle Träume und Wünsche seiner Jugend wurden nun lebendig in ihm, er konnte nicht begreifen, wie er bis dahin alle diese Gedanken und Erfahrungen als Kindereien so unbedingt hatte abweisen können. Er war seitdem gegen seine Familie weit zurückhaltender, und ihn gereute selbst das Wenige, was er seinem Sohne vertraut hatte. Die Mutter klagte, die Tochter trauerte, und der Obrist war verdrüßlich, aber ohne Erfolg. Nur Anton blieb in seiner heitern Laune und sagte: Was wollt Ihr? Mein Vater verjüngt sich wieder; ist denn das nicht ein Glück, welches wir gern unsern Geliebten gönnen, und es ihnen immerdar wünschen? Warum sollen wir denn unsre Erfahrungen auch nicht einmal von rückwärts erneuern? Zum Kindischwerden hat es mit meinem lieben Alten noch Zeit, aber die Kindlichkeit ist ja fromme Tugend und ein Glück der Erde.
Er ging dem verdächtigen Sangerheim aus dem Wege, so oft er diesem begegnete. Und dazu fand er oft Gelegenheit, denn so wenig der Magier auch zur Familie gehörte, so besuchte er sie doch täglich, und oft kam er zweimal am Tage, um den Herrn des Hauses zu sehn, und sich mit diesem einzuschließen. Sie arbeiteten dann, lasen, schrieben, und man wollte in der Familie sagen, daß sie gemeinschaftlich magische Operationen vorgenommen hätten.
Als unmittelbar nach jener Nacht der geheime Rath sich dem Unbekannten hatte dankbar erzeigen wollen, sagte dieser: Demüthigen Sie mich nicht, verehrter Bruder, durch ein solches Anerbieten. Ich habe, was ich brauche, und es wird mir nicht leicht fehlen. Sollten sich irgend einmal die Verhältnisse anders gestalten, so werde ich mich mit Vertrauen zuerst an Sie wenden, und Sie werden mir dann meine Bitte nicht abschlagen.
Als der Rath ihm von Neuem seine Dankbarkeit ausdrückte und zugleich den Wunsch aussprach, ihn näher kennen zu lernen, erwiederte der Fremde: Was ich von mir weiß, oder Ihnen sagen darf, will ich Ihnen, geliebter Bruder, gern mittheilen, denn wir verstehn den Freund um so besser, wenn wir seine äußere Geschichte, die Umrisse seines Lebens ebenfalls vor uns sehn. So wissen Sie also, daß ich im Jahr 1745 geboren bin, und zwar in Paris. Mein Vater war nichts Geringeres, als ein Prinz von königlichem Geblüt, aber meine Mutter war eine Bürgerliche, die sich durch schöne Worte, Versprechungen, vorzüglich aber durch die einnehmende Gestalt meines Vaters hatte täuschen lassen. Ich wurde gut erzogen, und der theuerste Lehrmeister für jede Kunst und Wissenschaft mir gehalten. Mein Vater hatte große Freude an mir, und verzog und verzärtelte mich. Das ist das größte Unglück, das einem Kinde meiner Art widerfahren kann, denn in spätern Jahren wird es doch wieder in die Bahn zurückgewiesen, in die es nach den Einrichtungen der Welt gehört. An einem sittenlosen Hofe war meine Abstammung eines jener öffentlichen Geheimnisse, das alle Welt kennt und belacht, und eben so Jeder, wenn es ein ernstes Wort gilt, verleugnet. Ich hatte oft das Glück, den König zu sehn, der zuweilen so mit mir spielte, als wenn er selbst ein Kind gewesen wäre. So lange man als Kind hübsch und artig ist, wird man über die Gebühr von Weibern und Mädchen bewundert; treten die Jahre ein, in denen sich der Knabe streckt und auswächst, so wird er von verwöhnten Menschen um so mehr übersehn, wohl gar verfolgt, und das Beste im Kinde wird verhöhnt, wie früherhin das Gleichgültigste vergöttert ward. Auch diese Erfahrung mußte ich machen, so wie späterhin die noch schlimmere, daß mein Vater, der sich mit einer jungen tugendhaften Dame vermählte, nachdem er einige Jahre als Wittwer gelebt hatte, mich aus Engherzigkeit und mißverstandener Moral verleugnete. Damals bemächtigte sich eine tödtende Bitterkeit meines jungen Herzens. Nachher ging mein Haß in Verachtung über, und ich vermied, wie ich nur irgend konnte, den Anblick des Prinzen. Ich erhielt eine Stelle beim Regiment, ward Lieutenant, Hauptmann, Obrist, und man ersparte mir sogar den Dank für diese Wohlthaten und Auszeichnungen.
Die Maurerei war in Frankreich etwas so Gewöhnliches, daß jeder junge Mann von Welt und Erziehung zur Brüderschaft gehören mußte. Es war fast nicht mehr, als wie man eine Loge im Theater nimmt. Der Krieg brachte mich nach Deutschland und ich lernte hier einige ernstere Brüder und ein tieferes Forschen kennen. Als aber mein Wissenstrieb erwachte, konnte mir Keiner eigentlichen Bescheid geben. Jeder hoffte vom Andern das zu erfahren, was er so schmerzlich entbehrte, und was Jeder nur ungern, und endlich mit Scham gestand, nicht zu besitzen. Ich ging durch alle Grade, durch alle Sekten, hatte viele hochklingende Namen, vielerlei Kreuze und Kleidungen erworben und als aufmunternde Amulete erhalten, aber eigentlich Nichts erfahren. Das Sonderbarste war, wenn ich mich erforschte, daß ich eigentlich selbst nicht wußte, was ich denn nun wissen wollte. Jenes leere Ideal, jener nüchterne Cosmopolitismus, den Sie uns neulich schilderten, war mir freilich auch von Einigen gepredigt worden, aber er konnte meiner brennenden Wißbegier am wenigsten genügen. Wenn wir sehn, wie uns durch mechanische Kunst die Thiere gehorchen, wie der Wind das Segel schwellt und dem Schiffer dient, wie das Feuer uns die Berge und ihre Metalle zu leibeignen Vasallen macht, und eine arme Mischung von Kohlenstaub, Salpeter und Schwefel uns Mauern und Thürme niederwirft, so meinte ich, der so vorgeschrittne Mensch dürfe auch in das Geisterreich seine gebietende Hand hineinstrecken, und auch die Kräfte müßten ihm gehorchen, die man nur gemeinhin die unsichtbaren und unbekannten nennt, weil Keiner das Auge dreist erhebt.
Aber nirgend fand ich Rath und Hülfe. Auch in England nicht; gewissermaßen hier am wenigsten. Ich kam auf die Vermuthung, die sich mir späterhin als Wahrheit bestätigt hat, daß alle diese Menschen von Klügeren mit Spielwerk und nüchternen Reflexionen, oder Symbolen der ehemaligen Tempelherrn nur hingehalten werden, damit sie ja nicht erwachen und das wahre Licht erkennen. Nach dem Frieden verließ ich den Dienst und Soldatenstand, und nur meine Sehnsucht, so wie die Verehrung der Kunst trieb mich nach Italien.
Hier nun war es, vorzüglich in Florenz und Rom, wo mein Leben in eine so andre, bis dahin nie geahndete Bahn gerieth, daß ich Ihnen, geliebter Bruder, wenigstens für jetzt, von den Erfahrungen, die ich machte, von den Erkenntnissen, die mir mitgetheilt wurden, Nichts offenbaren darf. Aber die Zeit wird kommen, ich sehe sie schon vor mir dämmern, wo ich Ihnen Nichts mehr zu verschweigen brauche. Als ich nach Frankreich zurück kam, bemerkte ich, wie Saint Martin und seine Schüler Manches in der Ferne gesehn haben, wie Fludd und die deutschen Rosenkreuzer nicht zu verwerfen sind, und wie vorzüglich ihr großer Jacob Böhme oft fast unmittelbar an das Centrum des heiligen Geheimnisses geräth, von dem auch Paracelsus und der tiefsinnige van Helmont schon einen Anblick, wie durch einen fliehenden Nebel hatten. Diesen großen Männern fehlte Nichts, als Bekanntschaften in Italien, wie sie mir ein günstiger Zufall verschaffte, um schon in der Kunst die höchste Stufe zu ersteigen. Ich bin auch überzeugt, daß hie und da ein Deutscher, weil diese Nation vielleicht das größte Talent zum Tiefsinn besitzt, wohl das Mysterium gefunden hat. Es Unwürdigen mittheilen, ist die größte Sünde, und deshalb sind Prüfungen verschiedener Art und mancherlei Grade nothwendig.
Der Rath Seebach schien im Wesentlichen mit diesen Ansichten übereinzustimmen. Er theilte dem neugewonnenen Freunde viele jener jugendlichen Schriften, Auszüge und Bemerkungen mit, und Sangerheim sagte nach einigen Tagen: es ist, verehrter Bruder, wie ein Wunder, daß Sie in Ihrer Jugend schon so sicher auf dem richtigen Wege gingen, sich aber doch zu bald durch Schwierigkeiten und einige Blendwerke, die ihnen die Meister wohl absichtlich entgegen schickten, zurück schrecken ließen. Wer so früh so vorgearbeitet hat, dem muß es im reifen Alter ein Leichtes seyn, auch das Allerhöchste zu erringen.
Der Obrist, der sich zurückgesetzt fand, war mürrisch und verdrüßlich, und es gelang dem wunderbaren Gaste nur schwer, ihn wieder zu gewinnen. Als dies geschehn war, arbeitete der Greis, um auch Vorschritte zu machen, um so eifriger. Schmaling, der dem Magier ganz ergeben war, fühlte sich in Gegenwart seiner Geliebten nicht mehr so heiter und froh, als ehemals, und der Arzt Huber war glücklich, daß er endlich einen Bruder gefunden hatte, der Talent und Einsicht genug besaß, sein System, dessen Anhänger er schon lange war, dem Geheimenrathe gegenüber so geltend zu machen, daß dieser selbst sich dazu schon halb bekannte.
Der weibliche Theil der Familie war in tiefer Trauer, denn Clara’s scharfes Auge bemerkte sehr gut die Veränderung, die mit ihrem Geliebten vorgegangen war. Er sah sie selten, und wenn er in ihre Nähe kam, war er tiefsinnig oder zerstreut. Ihn ergötzte kein Spaziergang mehr, kein Gespräch konnte ihn aufheitern, so sehr war er seinen seltsamen Forschungen hingegeben. Die Gesellschaft Antons vermied er mit auffallender Aengstlichkeit, weil dessen Scherz ihn einigemal verwundet hatte. Welche reizbaren Geister, sagte dieser zur Schwester, müssen es seyn, die durchaus gar keinen Spaß verstehn? Könnte man sich dergleichen Unsterbliche wohl zu seinem Umgange wünschen? Ich wenigstens gewiß nicht. Aber unser Schmaling muß, ich weiß nicht welchem trübsinnigen Elfenkönig, den feierlichen Eid abgelegt haben, niemals wieder zu lachen. Und wenn der junge Mann doch nur einsehn wollte, wie schlecht ihm diese Feierlichkeit zu Gesichte steht. Er ist, wenn er lacht und heiter blickt, zehnmal so liebenswürdig. Fährt er aber so fort, so bekommt er Runzeln und Falten, wie ein Rhinozeros. Solche Stirnrunzel sieht aus, als wenn ein ganzer Acker fruchtbarer Erde aus dem Kopfe genommen wäre. Es sind die wahren Lückenbüßer, die andeuten, wie alle Gedanken entflogen sind. Die Stirn hat immer, so wie sie es merkte, nachgeschnappt, um festzuhalten; so sind diese Gruben geworden.
Mir ist Dein Scherz zuwider, sagte Clara, denn ich sehe das Glück meines Lebens gestört. Dieser unglückliche Besuch hat Alles geändert und der aufgereizte Schmaling bedurfte nur einer solchen Veranlassung, um sein ganzes Wesen umzuwandeln.
Sei über ihn beruhigt, antwortete der Bruder, ich habe schon dafür gesorgt, daß er wieder curirt werden soll. Mir ist ein Mittel beigefallen, das ich für untrüglich halte.
Wenn es nur, erwiederte die Schwester, durch diese Cur nicht noch schlimmer wird, wie es wohl zuweilen der Fall ist. Wer kann überhaupt wissen, was noch aus Arzt und Kranken wird.
Um mich darfst Du unbesorgt seyn, sagte Anton, laut lachend, denn mein Wesen ist zu prosaisch, um sich umstimmen zu lassen.
Wir erleben, antwortete die Schwester, so Manches, was wir nicht erwarteten. Bist Du Deiner so gewiß?
———
Die Gegenwart Sangerheims hatte in allen Gemüthern Empfindungen, Ansichten und Neugier aufgeweckt, alte Erzählungen wieder neu in Umlauf gebracht, die man schon vergessen hatte, und es war kein Haus, in welchem nicht Meinungen behauptet und bestritten wurden. Die Maurer der vorigen Tage waren in das größte Gedränge gekommen und viele, und zum Theil die angesehensten, hatten den Fremden für ihren Meister anerkannt. Als der Gelehrte sah, mit welchem Eifer man für und wider kämpfte, vorzüglich aber als er bemerkte, wie die Familie seines alten Freundes in Verwirrung gerathe, nahm er sich vor, Etwas zu thun, um die vorige Ruhe und Behaglichkeit wieder her zu stellen. Man hatte ihm erzählt, wie sehr der Rath sich an den verdächtigen Fremden schließe, und wie dies nicht allein Frau und Tochter betrübe, sondern ihm vom Minister und dem Fürsten selber nicht gut ausgelegt werde. Ferner sagte eines Tages zu Anton: dieser Trieb in uns, ohne welchen wir kein Interesse an Wissenschaft und Geschichte nehmen könnten, muß sorgsam bewacht und gehütet werden, wenn er den Geist nicht in Gegenden verlocken soll, in denen aller ächte Trieb zum Wissen erlischt. Alle Kräfte in uns sollen im Gleichgewichte stehn und nur dann ist der Mensch gebildet und verständig; darum kann ihn, wie es so oft geschieht, ein überwiegendes Talent unglücklich machen. Die Lust am Geheimniß und Wunder darf auch nur verstärkt werden, wenn Witz und Scharfsinn, Vernunft und Verstand ebenfalls sich beleben. Diese Harmonie des Menschen fällt aber nicht ins Auge, und darum dünkt sie auch oft den Aufgeregten etwas Geringes und selbst Verächtliches.
Anton hatte dem Professor einen Plan mitgetheilt, um Schmaling, der sich am unbedingtesten der Schwärmerei ergab, auf gelinde Weise durch Beschämung wieder zur Vernunft zurück zu führen. Er hatte die Bekanntschaft eines Mannes gemacht, und ihn auch in das Haus seines Freundes, des Professors, geführt, der sich in kurzer Zeit das ganze Vertrauen des Jünglings erworben hatte. Es schien in der That, als wenn dieser Freund, der sich Anderson nannte, Jeden gewinnen müsse, dem er sich nähere; so konnte er durch Scherz und Ernst, Witz und Tiefsinn, Laune und Munterkeit in das Wesen der verschiedensten Charaktere eingehn, indem er bald in jedem Menschen eine Seite auffand, für die er sich interessirte, und so im geistreichen Gespräch den Mitsprechenden klüger und einsichtsvoller machte, als dieser sich sonst erschienen war. Wer dieses Talent besitzt, gewinnt die Menschen am sichersten. In den meisten ist irgend eine Gegend des Geistes fruchtbar, und bringt eigenthümliche Gewächse hervor. Die Natur hatte wohl die Absicht, daß von hieraus die Originalität des Wesens hervorgehn, und das Individuelle desselben sich geistreich ausbilden sollte. Aber unsre Erziehung, einförmige und conventionelle Cultur, Geschäfte und Vielwisserei ersticken bei den Meisten schon früh diesen Keim. Die meisten Gespräche werden nur geführt, damit Jeder sich selbst hört, und den Andern so wenig äußerlich wie innerlich zu Worte kommen läßt. Geräth aber ein Menschenkünstler, ein ächter Virtuos, über diese verwahrlosten Instrumente, so weiß er auch den baufälligsten wundersame Töne zu entlocken.
So war Jedermann in der Gesellschaft dieses Anderson klüger und witziger, als für sich selbst, oder im Umgang mit Andern. Er war daher in allen Gesellschaften gern gesehn, die er auch nicht vermied und allenthalben Unterhaltung fand. Sein Aeußeres war eben nicht sehr empfehlend, er war klein und stark, von breiten Schultern, und sein Kopf stand zwischen diesen etwas eingepreßt auf einem dicken Halse.
Durch Sangerheim waren alle früheren Nachrichten von dem großen Wunderthäter, dem Grafen Feliciano, neu belebt worden. Briefe bestätigten von Neuem seine unbegreiflichen und schnellen Heilungen der schwierigsten und tödtlichsten Krankheiten, die die größten Aerzte schon verzweifelnd aufgegeben hatten. Man erzählte sich, wie er in einer großen Stadt des Auslandes in einem Palaste ganz wie ein Fürst lebe, von glänzender Dienerschaft umringt. Kein Armer verlasse seine Schwelle, der nicht reichlich beschenkt würde. Geld achte er wie Spreu, er bedürfe der Gnade keines Königs, denn er habe jüngst einem Staate eine ungeheure Summe geschenkt, um den Fürsten aus einer Verlegenheit zu ziehn. Daß das Auflegen seiner Hand tödtliche Wunden schließe und die hartnäckigsten Krämpfe löse, war nur etwas Unbedeutendes: denn Todte sollte er schon geweckt haben, Abwesende aus fernen Ländern zitiren können, so daß sie den Freunden oder der Familie in sichtbarer Bildung erschienen, so wie er seinem eignen Geiste zuweilen gestatte, aus dem Körper zu wandern, um plötzlich in Asien oder Amerika einem Freunde, der ihn magisch gerufen habe, beizustehn. Daß alle Geister ihm zu Gebote ständen, die guten wie die bösen, bezweifelte Keiner, der mit Vertrauen und Glauben von ihm sprach. — Schmaling, der wenig in Gesellschaft kam, sondern ganz seinen sonderbaren Studien und seinem Meister lebte, war dem merkwürdigen Anderson niemals begegnet, und darum hatte diesem heitern und gefälligen Manne der übermüthige Anton den sonderbaren Vorschlag gemacht, daß er die Rolle des berühmten Feliciano spielen solle, um so Schmaling zu täuschen, und ihn so, indem er einsähe, wie leicht er hintergangen werden könne, in seiner Verehrung Sangerheims irre zu machen. Der muntre Anderson war auf diesen Plan eingegangen, und um so lieber, weil er oft tadelnd von diesem Sangerheim und dessen Arbeiten sprach. Im Hause des Professor Ferner wollte man eine geheimnißvolle Zusammenkunft veranstalten, von der aber der Magus Sangerheim nichts erfahren dürfe.
Ferner war lange diesem Projekt entgegen gewesen. Er sagte auch jetzt: ich bin kein Freund von dergleichen Mystificationen. Sie sind nach meinem Gefühl ganz und gar dem Wesen und dem Anstand einer gebildeten Gesellschaft entgegen. Der Hintergangene hat Ursach, es nachzutragen, und es ist ihm nicht zu verargen, wenn er niemals wieder Vertrauen faßt. Indessen mag eine gute Absicht diesmal die Sache entschuldigen; nur fürchte ich, daß Sie sich mit unserm Schmaling völlig verrechnet haben.
Der Versuch wird immer das Uebel nicht ärger machen, antwortete Anton: auch ist es gerade in der Hinsicht ein glücklicher Zeitpunkt, weil die Freunde Feliciano’s melden, er habe jene Stadt wieder verlassen, um von Neuem eine Reise nach Aegypten zu machen, und aus den Pyramiden viele Mysterien hervor zu suchen.
Man traf noch eine nähere Abrede, und Anton ging, um jenen Anderson, zu welchem er eine große Zärtlichkeit gefaßt hatte, wieder aufzusuchen.
Der Rath Seebach stand oft in seinem Zimmer, vor seinen Papieren, die vor ihm ausgebreitet lagen, und dachte seinem Leben und den wechselnden Empfindungen nach, die ihn in den verschiedenen Perioden seiner Bildung bestürmt hatten. Wohin geht dieser Lauf? sagte er eines Morgens zu sich selbst; dasjenige, was ich als einen festen Besitz errungen zu haben glaubte, droht mir wieder wie Wasser zwischen den Fingern zu entrinnen. Bleibt es doch wahr, daß in jener Nüchternheit, die ich vormals rühmte, die sichre Grundlage des Lebens ruht. Meine Jugend, und alle jene wilden, ungezügelten Bestrebungen überströmen wieder alle Dämme und Ufer, schon beginnt mir der Anblick dessen, was ich so lange als das Schöne und Edle erkannte, Langeweile, Widerwillen und Ekel zu erregen, denn zu unbedeutend, unbestimmt und mittelmäßig dehnt es sich vor mir aus. Hingehalten durch Hoffnungen, eingewiegt mit Versprechungen, aufgeregt durch Winke, und betäubt durch Erscheinungen, die ich sehe, aber nicht begreife, die mich erschrecken, und an die ich doch nicht glauben kann, wird mein Dasein zum Traum. Welch sonderbares Band zieht mich zu diesem fremden Mann, und verknüpft mich ihm: ihm, dem ich mein ganzes Vertrauen schenken möchte, und der in diesen Momenten der Hingebung mich am meisten zurück stößt? Ich sehe, daß er geheime Kenntnisse besitzt, die er mir mitzutheilen verspricht, und mir dennoch vorenthält. Heut ist er ganz Offenheit, morgen lauter zurück haltende Förmlichkeit. In seiner Gegenwart fühle ich das Gelüste, gerade das zu glauben, was meinem Verstande am widersinnigsten erscheint, und wieder überschleicht mich eine Empfindung, daß ich im selben Augenblick ihn und mich verlachen möchte.
Sangerheim traf und störte ihn in diesen Betrachtungen. Sie übersehn, Theurer, sagte er beim Eintreten, indem er die Thür verschloß, wieder Ihre Studien und Erfahrungen. Es ist sonderbar, wie wir Menschen schon so oft in der Jugend das höhere Wort vernehmen, den Ton desselben fassen, und uns späterhin Aussprache und Bedeutung wieder entfliehen können. Doch kehren wir in reifen Jahren mit tieferem Sinn, mit stärkerer Innigkeit zu denselben Wahrheiten zurück, wie es Ihnen geschieht; unbewußt hat die Seele die Geheimnisse ausgearbeitet, und die Glaubensfähigkeit steht gewappnet an derselben Stelle, wo noch gestern Zweifel und Unglaube nackt und wehrlos zitterten.
Gestern, sagte der Rath, haben wir gerechnet und Figuren gezeichnet, die sonderbare Erscheinung, die Sie mir vorführten, überraschte mich; nachdem vernahm ich, indem Sie neben mir saßen, jene Stimme aus dem Zimmer dort, die mir die geheimnißvollen Worte zurief — Alles dieses, Lieber, sehe und erlebe ich; aber ich kann es mir nicht aneignen, es hat keine Bedeutung für mich, es fährt Alles wie leere Phantome, nur erschreckend, mir vorüber. Ich habe genug erfahren, um irre zu werden, aber dieses Räthsel meines Innern, welches sich immer mehr verschlingt, ringt mit allen Kräften meines Herzens zur Lösung hin. Weder in diesen wechselnden Schauern von Licht und Schatten, noch in stiller Resignation kann ich meine Befriedigung finden, und ich fange an, meine Zweifel wieder als die bessere Weisheit aufzusuchen.
Und doch waren wir übereingekommen, sagte Sangerheim mit feierlichem Ton, Sie hatten mit mir die Nothwendigkeit eingesehn, daß es Prüfungen, Grade geben müsse, daß die Geduld die unerläßlichste Tugend sei, um dem Geheimniß näher zu kommen.
Nur eine einzige Frage, und die beantworten Sie mir auf Ihr Gewissen, sagte der geheime Rath eben so feierlich: Können Sie mir bei Gott und allem Heiligen, das Sie glauben, schwören, daß Sie mir irgend einmal, wenn auch später, die Lösung mittheilen wollen, und daß Sie selbst von Ihrem Beruf überzeugt sind?
Ja! rief der Fremde, und erhob die Hand. — Gut denn, sagte der Rath, empfangen Sie dann diese Brieftasche, und in ihr, was Sie wünschten, ich will, ich muß Ihnen vertrauen.
Auch ich, sagte Sangerheim, will mich Ihnen verpfänden, mit dem Theuersten, was ich besitze, mit Allem, was ich Ihnen nur geben kann. Er zog ein Paket hervor, mit seltsamen Zeichen versiegelt und fest in einander geschnürt. Legen Sie, sagte er, hier auch Ihr Siegel an. In diesem kleinen Raum ist Alles, was ich weiß, enthalten; mein ganzes Dasein, Alles, was Sie erfahren wollen, umschließt diese Sammlung. Löse ich sie zu der festgesetzten Zeit nicht aus, sterbe ich vor diesem Zeitpunkt, so fällt Ihnen diese Erbschaft zu und Sie mögen damit schalten nach Ihrer Willkühr.
Der Rath nahm das Paket in die Hand, schlug es ein, überschrieb es mit einer Nachricht, daß dies das Eigenthum Sangerheims sei, versiegelte es und legte es in seinen Schrank. Sich besinnend nahm er es wieder und sagte: doch kommen meine Kinder zuweilen hieher, in jenem Pult ist eine geheime Schieblade. Er trug es hin und indem er es einzwängte, geschah ein Knall, und die Masse selbst erzitterte. Sehn Sie, sagte Sangerheim, Sie sind ohne Noth besorgt, es bewacht sich selbst.
Der Rath hatte sich entfärbt. Sangerheim sah ihn fest an und schien sich an der Verlegenheit des alten Mannes zu weiden, die dieser nicht verbergen konnte, so sehr er sich auch bemühte. Er sammelte seine zerstreuten Skripturen wieder, warf sie in den Schrank und sagte dann: also, Geduld, und bis dahin habe ich mich Ihnen unbedingt ergeben. Es ist wunderbar genug, wir entziehn uns gewissermaßen der Kirche und der Religion des Staates, wir nennen es unsre Weisheit, anders und weniger zu glauben, als der gemeine Mann, — und geben uns im Entfernen vom Hergebrachten und Autorisirten andern viel unglaublichern Dingen hin, und sind zufrieden, nur zu sehn und zu ahnden, ohne daß uns die Lösung gegeben wird, die wir doch in der Religion suchten und forderten.
Richtig bemerkt, erwiederte Sangerheim; ist denn aber dieser Widerspruch nicht vielleicht eine Vorbereitung zu einer ächtern Religiosität, zu einem wahren Glauben? Immerdar, wenn wir uns widersprechen, ist es nur Schein, wir suchen die Bindung, den unsichtbaren Mittelpunkt, der den Widerstreit aufhebt.
Das ist aber gegen die Abrede, erwiederte der Rath, daß ich wieder durch Gedanken und ihren wechselnden Kampf das Richtige und Wahre finden sollte, ich sollte es ja unmittelbar schauen, und es als einen wahren Besitz von dannen tragen.
Wenn Sie denn, fing Sangerheim zögernd an, sich nicht fügen können und wollen, so gäbe es in Ihrem frommen und erweckten Sinn allerdings ein Mittel, das rasch die Hemmung wegnehmen, und Sie ohne Umwege zum Ziele führen könnte.
Und dieses Mittel? fragte der Rath eifrig.
Auch ohne dieses können Sie zu einem glänzenden Ziele gelangen, antwortete Jener, aber langsamer, und niemals erreichten Sie die Würde, so viel Sie auch schauen werden, eines höchsten Obern.
Und dieses Mittel, fragte der Rath wieder, könnte mir diese Würde und die schnellere Einsicht in alle Geheimnisse verschaffen?
Ohne Zweifel. — Sehnen Sie sich heftig?
Unbeschreiblich! fing der Rath wieder an, und, da Sie so weit gegangen sind, so nennen Sie es auch, sonst sind Sie nicht mein Freund.
Was Sie immerdar hemmen wird, antwortete Sangerheim mit einer Thräne im Auge, ist, daß Sie nicht ein Mitglied meiner Kirche sind. —
Der Rath trat einen Schritt zurück und suchte noch mehr wie vorher die Bewegung seines Innern zu verbergen. Sangerheim sah ihn mit einem festen prüfenden Blicke an, als wenn er seine Augen durchbohren wollte, aber der Rath erwiederte diesen festen Blick, und nach einigen Augenblicken entfernte sich der Fremde.
Tief erschüttert ging der Alte im Saale auf und ab. — Das ist es also? sagte er endlich zu sich selber; also dorthin liegt das eigentliche und wahre Geheimniß? — Habe ich doch den Einreden so mancher vernünftigen und kaltblütigen Freunde nicht glauben wollen. Ich hielt es nur für Fabel, weil es einem Mährchen so ähnlich sieht; und ist also nun doch Wahrheit. — Sie bemächtigen sich einer Einrichtung, die im Beginn gut und edel war, die sich dann selbst vergaß, und in deren unbedeutenden Nüchternheit nun leicht die Sehnsucht zu Wundern und Seltsamkeiten Raum finden kann. — Wie verbreitet die Logen sind, so mögen sich diese, oder ähnliche Schwindler leicht jetzt oder in Zukunft der Menge bemeistern, um ihre Pläne, die sich noch nicht an das Licht wagen, durchzusetzen. — Diese Emissäre gehören also einer Propaganda an, und es läßt sich nun wohl begreifen, wer und was diese geheimen Obern sind, — Alles, was man von diesem Nachbarstaate erzählt, wo man auf verschiedene Art den Erbprinzen bearbeitet, hier und anderswo die Störung der Logen, das Eindringen und Vorschieben alter Meinungen. — Die Herren haben also doch ihre Herrschsucht und die alten Plane noch nicht aufgegeben! — Ja, ich bin durch dieses einzige Wort zum Licht hindurch gedrungen, aber sehr gegen deinen Willen, mein guter Magus. — Seine Kunststücke begreife ich freilich nicht; aber was gehen sie mich denn eigentlich an? Vor meinem guten verständigen Sohne muß ich mich jetzt schämen, der doch in seiner Art, wie er jenes Wunder betrachtete, sehr Recht hatte. — Zu schnell, zu plötzlich mag ich aber freilich auch nicht zurücktreten; ich will ihn noch beobachten: ich kann es jetzt wie ein Spiel treiben und genießen. —
Mit Beschämung dachte er nun der Summen, die er dem Magier ausgeliefert, noch der letzten großen, die er ihm heut gegeben hatte. Sangerheim hatte zwar Anfangs jeden Dank und Lohn ausgeschlagen, aber bald hatte er bei dem großmüthigen Freunde Hülfe gesucht, der nun um so lieber und reichlicher mittheilte, da der Wunderthäter sich erst uneigennützig gezeigt hatte. Zu den Beschwörungen und zum Geister-Apparat, so wie zu Einrichtung der Oefen und Herbeischaffung alles Geräthes, um den Stein der Weisen hervorzubringen, war wieder ein Kapital nöthig gewesen. Nachher zu geheimen Plänen, die Sangerheim noch nicht nennen durfte, auf Geheiß jener unbekannten Obern, war wieder eine bedeutende Summe in Anspruch genommen worden. Für die letzteren großen Auslagen hatte der Magier seinem gläubigen Schüler eben jene versiegelten und zauberhaft verschlossenen Schriften verpfändet, die er bald wieder, durch Erstattung jener Summe, auszulösen versprach.
Sangerheim machte einen großen Aufwand und lebte in der Stadt ganz als ein vornehmer Mann. Der feinen und neugierigen Welt war es ein Geheimniß, daß sie nicht ergründen konnte, wovon er seine Ausgaben bestritt. Der geheime Rath Seebach hätte darüber Bescheid ertheilen können, denn beschämt gestand er es sich nicht gern, daß ein großer Theil jener so wunderbar geretteten Summe schon wieder geschwunden sei, wenn der Zauberer nicht seine Schuld bezahle, woran der Gläubiger zu zweifeln anfing. — Mit Schmerz dachte er an den jungen Schmaling, seinen künftigen Schwiegersohn, so wie an seinen Hausfreund, den Arzt, denn er wußte, daß Beide eifrig mit Sangerheim laborirten.
Die Familie war erfreut, als der Vater nach langer Zeit wieder bei Tische heiter war. Clara besonders wollte daraus für ihr Schicksal etwas Glückliches lesen. Als sie mit dem Bruder über die Veränderung des Vaters sprach, sagte Anton: Dergleichen Verblendung, liebes Kind, kann niemals lange dauern. Hätte ich nicht andre Sorgen, so wollte ich mich anheischig machen, diesen Kummer mit etwas Geduld zu überwinden, oder mit Verstand und Zeit die Getäuschten zu heilen. Heut Abend wird nun unser Schmaling gründlich in die Lehre genommen werden, und ich möchte Vieles verwetten, daß ich ihn Dir schon morgen als einen andern Menschen vorführen kann. —
Sangerheim war, jenes Wortes wegen, das er hatte fallen lassen, mit sich selber sehr unzufrieden. Er hatte bemerkt, wie der Rath dadurch war überrascht worden. — Mag seyn, sprach er zu sich, daß es unbesonnen und zu früh ausgesprochen wurde, ich kann mit mir und dem Erfolg zufrieden seyn. Sie müssen meine Bemühungen erkennen, jene großen, jene mächtigen Männer. Und welches Glück, ihnen beigezählt zu werden! Welche Aussicht, daß Natur, Geisterreich und Welt mir dient, daß vor mir jedes Geheimniß die entstellende Hülle abwirft. — Und bin ich denn noch so weit von diesem glänzenden Ziele entfernt? Habe ich denn nicht die Zusage der Edelsten, daß mir bald, in weniger Frist Alles soll gewährt seyn? Wie sie mich durch Wissen, Kunst und Gold unterstützen, so werden sie mir auch die herrlichsten Güter nicht lange mehr verweigern.
So träumte Sangerheim, und verlor sich in sonderbare und weitaussehende Plane.
———
Der Professor Ferner hatte dem jungen Schmaling unter dem Siegel der Verschwiegenheit vertraut, daß, wenn er es wünsche, er am Abend den weltberühmten Grafen Feliciano in seinem Hause sehn könne, welcher incognito angekommen sei, um schnell weiter zu reisen. Er machte es ihm aber zur Pflicht, seiner Schwester, wie seinen Eltern Nichts davon zu sagen, weil sie Beide sonst sich den Zorn des Grafen zuziehen würden. Schmaling war über diese Nachricht entzückt, und versprach, nicht auszubleiben, indem er zugleich versichern mußte, daß sein Herr und Meister, Sangerheim, auch Nichts davon erfahren solle.
Anton stellte sich früher bei Ferner ein, um mit Anderson einige Vorkehrungen zu treffen. Wenn es Effekt machen soll, sagte der heitre Anderson, so muß ich Euer Haus und die Einrichtung desselben etwas genauer kennen lernen. Aber sagt mir doch, von welcher Art ist denn jener Kunstjünger selbst, den wir heut unserm Genius und dessen Launen aufopfern wollen?
Anton nahm das Wort und sagte: Der junge Mann wird jetzt acht und zwanzig Jahre alt seyn und kann im Bau des Körpers, im Angesicht, Blick und Wesen fast für einen vollkommen schönen Jüngling gelten. Sein Wesen ist sanft und einschmeichelnd, sein Charakter ist weich und nachgiebig, und so fügte es sich, daß er meiner Schwester, die er schon seit lange verehrt hatte, gefiel. Er hat außerdem Viel gelernt, ist ein tüchtiger Geschäftsmann, und von seinen Vorgesetzten so geachtet, daß sie ihn, so jung er auch ist, schon zum Rath ernannt haben. Meine Schwester würde einer glücklichen Ehe entgegen sehn, wenn diese Geheimnißkrämerei, diese Sucht, sich die Weisheit der Rosenkreuzer und andrer Schwärmer anzueignen, nicht das schöne Verhältniß jetzt für eine Zeitlang völlig zerstört hätte. Ihr kennt ja, theurer Mann, die Begebenheit, die sich in unserm Hause zugetragen hat. Seitdem ist er diesem Sangerheim, aus dem wir Alle nicht klug werden können, wie mit Leib und Seele verschrieben. Könnt Ihr nun, indem Ihr den Leichtgläubigen in einer Maske täuscht, ihn dahin bringen, daß er von seiner Wundersucht nachläßt, so sind wir Euch den größten Dank schuldig.
Wir werden ja sehn, was wir ausrichten können, erwiederte Anderson. Er ging, um sich die Zimmer zu betrachten, indessen Ferner bemerkte: Wie seltsam ist es doch, daß wir uns zu einer solchen Maskerade vorsätzlich einrichten, indessen jener Sangerheim, der so Viele täuscht, doch auch kein wirklicher Charakter, sondern nur ein angenommener seyn kann. Man kann aber die Bemerkung machen, daß man auf jeder Redoute, sobald man die erste Betäubung überstanden hat, an alle die seltsamen Masken, die man sieht, glaubt, sich diese Wesen in ihren seltsamen Bedeutungen vergegenwärtigt, und selbst den vertrautesten Freund, wenn er sich nicht ganz hölzern beträgt, sich nicht in seinem wahren Charakter deutlich vorstellen kann. Diese sonderbare Eigenschaft unsrer Seele, die so gern freiwillig der Täuschung entgegen geht, erklärt es einigermaßen, warum die Betrüger in der wirklichen Welt in der Regel so leichtes Spiel haben.
Anderson trat wieder zu ihnen und sagte: Um meiner Sache gewisser zu werden, fange ich nun schon an, den Feliciano zu spielen, den Grafen, den Menschenfreund, den Heilkünstler und Geisterseher. Mein Bedienter ist auch draußen, und wird mit bei Tische aufwarten, um der Gesellschaft mehr Ansehn zu geben.
Schmaling trat schon, früher als man vermuthet hatte, vor Freude zitternd herein. Man begrüßte sich und der nachgeahmte Feliciano behandelte ihn, so wie den Professor und Anton kalt, und mit ruhigem, herablassendem Stolz. Man sprach nur wenig und setzte sich bald an den Tisch zu einem leckern Abendessen nieder. Die feinen Weine waren nicht gespart.
Es wollte lange kein lebhaftes Gespräch in den Gang kommen, denn Schmaling war zu sehr von Ehrfurcht durchdrungen, und der Professor so wie Anton wußten nicht recht, wie sie sich nehmen sollten, um nicht zu Viel zu thun, und Anderson selbst schien es darauf angelegt zu haben, diese beiden Freunde etwas zu quälen, denn es war nicht zu verkennen, daß ihre Verlegenheit ihn unterhielt. Endlich, um diese drückende Schwüle aufzulösen, fing er an, von seinen Reisen zu erzählen, und der Professor erstaunte, mit welcher Sicherheit er alle Gegenden bezeichnete, wie richtig er über Werke der Malerei und Baukunst urtheilte. Als Feliciano nun von Aegypten sprach, von den Wüsten Arabiens, von Palästina, Syrien und Persien, und alle Gegenstände mit der ruhigen Kunde eines Augenzeugen beschrieb, dachte Ferner leise erröthend an seine vorige Bemerkung, denn er hatte wirklich während der Rede vergessen, daß dieser Feliciano eigentlich Anderson sei.
Jetzt war auch der glückliche Schmaling dreister geworden, und er wagte es, auf den Gegenstand seiner Forschungen und Wißbegier einzulenken. Er war sehr freudig überrascht, daß der Wunderthäter auch hierüber frei und offen sprach, daß er jene seltsamen Kuren nicht leugnete, und selbst andeutete, wie der Stein der Weisen kein Mährchen sei, wie ihn Viele schon besessen hätten, und Mancher lebe, der Kenntniß von ihm habe.
So halten Sie, fragte Schmaling wieder schüchtern, die wunderbare Erzählung vom Flamel für keine Fabel?
Wie sollte ich es, antwortete Feliciano, da ich den guten Mann selbst noch hundert Jahre früher, als Paul Lucas Kunde von ihm bekam, in Indien gesprochen habe?
Anton fuhr zurück, denn diese Aeußerung schien ihm zu stark und den Fremden bloß zu geben, doch Schmaling war von seinem Glück schon so berauscht, daß dieser gewagte Ausspruch seinen Taumel nur vermehrte.
Es ist sonderbar, fuhr Feliciano fort, wenigstens erscheint es uns Kundigen so, deren Leben nicht wie Spreu verweht, wenn die Menschen Dinge wunderbar, seltsam und unbegreiflich nennen, die eigentlich die einfachsten und natürlichsten sind. Ist denn der Mensch ursprünglich dazu geschaffen, um den Thau aus der Blume, wie der Schmetterling, zu saugen, und wie dieser Augenblicks wieder zu vergehn? Sagt nicht die Schrift das Gegentheil? Wenn nun Weisheit und Kenntniß der Patriarchen und andrer Heiligen, sorgsam aufbewahrt von Geschlecht zu Geschlecht, dem Auserwählten, der sich dessen würdig macht, mitgetheilt wird, — wo ist das Unbegreifliche, oder nur Seltsame? Die Erzväter lebten Jahrhunderte, und wer ihrer nicht unwürdig ist, mag auch noch jetzt ihnen darin ähnlich werden. Wir haben vielleicht noch den Vorzug vor ihnen, daß wir Wissenschaft und Kunst späterer Zeit mit jenen uralten der früheren Tage, die für die meisten Menschen schon längst verloren gegangen sind, vereinigen können.
Anton winkte dem Gelehrten, als freue er sich, daß Anderson so geschickt seine vorige Uebertreibung verbessert habe. Feliciano fuhr fort: Und so mag ich Ihnen sagen, und Sie werden sich hoffentlich nicht mehr darüber verwundern, daß ich noch frühere Personen gesehn und gekannt habe. Es war mir vergönnt, ein Freund des großen und heiligen Dante zu seyn. Viele Verwirrungen der Welt, viele große Entwicklungen der Geschichte habe ich gesehn, und immer wieder, wenn mein Gemüth durch dieses weltliche Treiben zu sehr gestört wurde, zog ich mich in die Wüsten Aegyptens oder Arabiens zurück, oder begab mich in meine Lieblingslandschaften an dem Ganges, wo ich denn wieder mit Flamel und manchem andern Adepten lebte. Ich habe bemerkt, daß seit drei Jahrhunderten die Kunst sehr gesunken ist, denn so lange wird es jetzt seyn, daß ich keinen neuen Ankömmling in unserm Kreise gesehn habe.
Schmaling sagte verlegen: und möglich wäre es, sich diesen hohen Sterblichen, die man fast Unsterbliche nennen möchte, anzuschließen? Ist es zu hoffen, daß diese großen Geister den Schüler, der ihnen gegenüber immerdar unwürdig erscheinen muß, nicht zurückweisen werden?
Alles hängt davon ab, antwortete Feliciano, welche Bahn dieser Lehrling wandelt, ob er sich zu der rechten gesellt, und ob seine Lehrer ihn nicht vielleicht der Weihe unfähig machen.
Und woran soll man das Wahre oder Falsche erkennen? fragte Schmaling.
Auf vielfache Weise, erwiederte der Magus: ich dürfte nur geradezu sagen, ich selbst kann Euch aus meinem Munde den besten und sichersten Bescheid ertheilen. Indessen — ist ein Kind hier im Hause? fragte er, gegen den Professor gewendet.
Ich habe zwei Knaben, antwortete dieser in der höchsten Verlegenheit, denn dies war gegen die Abrede, und Ferner begriff nicht, wohin dies führen sollte.
Wie alt? fragte Feliciano.
Der Eine zwölf, der Jüngere neun Jahr.
So laßt mir den Jüngeren kommen, Freund, war die Antwort, und daß uns dann die Dienerschaft nicht störe.
Ferner ging, verwirrt und in sich selber ungewiß. Er kam mit dem heitern, blondlockigen Knaben zurück, der hell und klar aus seinen großen freundlichen Augen schaute.
Der Zauberer ließ das Kind zu sich kommen, beschaute es ernst, hieß die Hände zeigen, betastete den Kopf des Kindes, und indem er mit feierlichem Anstande die rechte Hand auf dem Haupte des Knaben ruhen ließ, fragte er ihn: Wie ist Dir jetzt? Empfindest Du Etwas?
Ach! rief das Kind: mir wird so wohl, so hell, mir ist, als könnt’ ich singen, so leicht als möcht’ ich fliegen, das Auge so licht, als könnt’ ich durch die Wände sehn.
Bleibe so stehn, mein Sohn, sagte Feliciano sehr ernst, und, da nichts Anders zugegen ist, das uns dienen könnte, so hefte Deine Augen auf den klaren Kristall dieser Wasserflasche, und sage mir, was Du siehst.
Anton wie Ferner waren im höchsten Erstaunen, was sich aus dieser Anstalt, von der sie nicht die kleinste Ahndung gehabt hatten, ergeben solle. Schmaling war in Bewunderung aufgelöst. Die größte Stille herrschte.
Ich sehe, fing das Kind an, einen jungen Herrn, einen schönen jungen Herrn, hübsch in Kleidern, schlank gewachsen: mir ist, ich kenne den Herrn. Ich glaube, es ist der Mann hier in der Stube. Er steht aber in einem fremden Zimmer: ganz fremd. Da kommt ein andrer Herr: auch der ist noch nicht alt; etwas größer. Sie sprechen. Dreiecke, Vierecke sind aufgestellt: Sonnen, Monde. Sie sprechen. Ach! — mit lautem Ruf sagte der Kleine — da schwebt so klar, ganz hell, glänzend, ein schönes Frauenbild zwischen ihnen herab. Es küßt den hübschen Herrn auf die Stirn.
Genug, sagte der Magus, und zog die Hand zurück. — Siehst Du noch Etwas?
Unsre Wasserflasche, sagte der Kleine, und ich bin ganz müde.
Jüngling, sagte der Magus hierauf zu Schmaling, Du bist dermalen auf dem richtigen Wege, verfolge ihn mit Muth und Standhaftigkeit, und das Ziel wird Dir nicht entgehn. Dein Führer, dem Du Dich anvertraut hast, ist der wahre, sonst wäre die göttliche Sophia nicht niedergeschwebt, und hätte, dem Kinde sichtbar, Deine Stirn mit einem Himmelskusse berührt. — Er reichte dem Jüngling die Hand, und dieser küßte sie mit inbrünstiger Ehrfurcht.
Anton war höchst betreten, überrascht, und konnte in leidenschaftlicher Verwirrung nicht seine Begriffe ordnen und sammeln. Dies Alles war so sehr gegen die Abrede, Anderson erschien ihm so fremd, in einer so neuen Gestalt, daß ihm das Wort auf der Zunge versagte, als er ihn anreden wollte, denn der Magus sah ihn mit einem so feurigen, durchdringenden Blicke an, daß er verlegen die Augen niederschlug. Der Gelehrte war eben so verwirrt, denn die Scene hatte sich so völlig umgestaltet, daß er sich im eignen Wohnzimmer als ein Fremder fühlte.
Du glaubtest, mein Anton, fing der Zauberer an, durch einen fremden Mann diesem Jüngling einen Scherz und Trug zu bereiten, und Du, Kurzsichtiger, bist der Getäuschte. Ja, wisse denn, ich bin wirklich und in der That jener weit bekannte Feliciano, den die Welt früher schon mit andern Namen nannte. Du staunst? Du zweifelst noch? Er faßte das Kind, stellte es wieder vor den Tisch, murmelte einige Worte, blickte starr eine geraume Zeit empor, indem er die Lippen bewegte, und legte dann seine rechte Hand wieder auf den Kopf des Kindes. Was siehst Du für ein Schicksal? fragte er dann mit schneidendem Ton.
Ei! ei! rief der Kleine; ach! grüne Bäume, ein Dorf: ein kleines, liebes Haus da, auch eine Wiese, ein klares Wässerchen, und eine Mühle nicht weit davon. Ein junger Herr spaziert da, ich kenne ihn auch, er kommt oft zu uns, ja er ist jetzt bei uns. Schau, da tritt ein hübsches Bauernmädchen zu ihm, und sie gehn in das kleine Haus.
Anton war blaß. Er hatte sich erhoben, konnte sich aber zitternd nicht mehr aufrechthalten und setzte sich nieder.
Der Knabe fuhr fort, in das Glas schauend: sie streiten heftig im Zimmer, sie nimmt ein Bild aus ihrem Busen und tritt es mit Füßen. Er geht und droht. Sie reißt ihre Mütze vom Kopf, die Haare fliegen. Sie rennt nach dem Tische und zieht ein großes Messer hervor. Dann sieht sie nach dem Bach und dem Wasser. Sie schwört, sie macht schreckliche Geberden.
Der Magus ließ die Hand vom Kopf des Kleinen und ein gelber Blitz zuckte blendend durch das Zimmer, ein lauter Donnerschlag erschütterte das Haus. Wie ein Rauch stand plötzlich ein blasses Frauenbild da, drohend die Hand gegen Anton erhoben. Dieser stürzte entsetzt vom Sessel auf den Boden. Alles verschwand und die Lichter brannten wieder hell.
Nun, wendete sich der Zauberer zum Gelehrten, soll ich Dir auch noch beweisen, daß ich der wahre Feliciano und kein Trugbild sei? Soll ich Dir Deine geheimsten Gedanken und Absichten oder Deine Zukunft sagen?
Ferner erwiederte bleich und geängstigt nur Weniges. Du glaubtest, fuhr Feliciano fort, indem er den zerstörten Anton vom Boden erhob, kein Mensch in der Stadt kenne Dein Verhältniß zu jenem unglücklichen Mädchen, die Du Deinem Ehrgeiz aufopferst. Noch ist die letzte Zeit, noch kannst Du sie retten.
Es war schon spät, aber Anton stürzte fort und eilte zu Pferde noch in der Nacht zu seiner Geliebten hinaus. Der Magus hatte sich entfernt, aber Niemand hatte ihn zur Thür hinaus gehn sehn.
———
So hatte diese Zusammenkunft ganz anders geendet, als es die Freunde und Clara erwartet hatten. Diese sah ihren Bruder am Abend nicht und auch nicht am folgenden Morgen. Man war im Hause um ihn besorgt. Der Vater, der einen kurzen, leidenschaftlichen Brief von Anton erhalten hatte, lösete mit kummervollem Antlitz das Räthsel.
Der Sohn war in der Nacht angekommen. Er vernahm, daß um die Zeit, als das unglückliche verführte Mädchen ihm im Zimmer seines Freundes erschienen war, sie in einem Todtenschlafe, so daß sie nicht zu erwecken war, gelegen hatte. Als sie sich wieder besonnen und mit den tief bekümmerten Eltern gesprochen hatte, legten sich diese, nach einem kurzen Abendessen, zur Ruhe. Als im Hause Alles still war, hatte sie noch einen Brief an ihren Ungetreuen geschrieben, der sich ihrer schämte, und ihre Dürftigkeit und ihren Stand verachtete. Als sie mühsam und unter vielen Thränen den Brief geendigt hatte, ging sie noch lange auf und ab, um ihr Elend ganz zu fühlen und ihren schrecklichen Entschluß in sich reif werden zu lassen. Sie hatte nicht den Muth, sich ihren Eltern zu vertrauen, weil sie den Zorn des heftigen Vaters fürchtete. Sie fühlte, wie nahe sie ihrer Niederkunft sei, und hatte keinen Vertrauten, wußte keine Hülfe zu ersinnen. Anton hatte sie in der Stadt als eine Unbekannte unterbringen, und für sie sorgen wollen, sie aber hatte mit Abscheu alle seine Vorschläge abgewiesen, da er nicht mehr für sie zu thun gesonnen war, so dringend sie ihn auch an seine früheren Versprechungen und Eide erinnerte. Er wollte aufschieben und Zeit gewinnen: er fürchtete ebenfalls seinen Vater, seine Vorgesetzten, auch war die frühere Liebe wohl erkaltet. Sie sah keinen Ausweg und ging jetzt in der finstern Nacht den Bach entlang, um in den brausenden Mühlsturz sich und ihr ungebornes Kind und alle ihre Sorgen zu begraben.
Indem sie nach der Mühle zulenkte, hörte sie auf der Landstraße ein brausendes, jagendes Pferd. Es war Anton. Seine Todesangst erkannte schon aus der Ferne ihren Schatten.
Der geheime Rath Seebach meldete seiner Familie, daß sich sein Sohn am frühen Morgen mit einem Bauermädchen verheirathet habe. Was der kurze, heftige Brief nicht sagte, ergänzte seine Ahndung. Die Mutter, aus einer alten adeligen Familie, einem angesehenen Edelmanne vermählt, war außer sich, weil dieser Sohn ihr Stolz und ihre größte Hoffnung gewesen war. Clara war mehr verwundert als betrübt, und zürnte dem Bruder, daß er ihr und den Eltern aus diesem Verhältniß ein Geheimniß gemacht hatte.
Traurig ist es, sagte der Vater, denn er hat sich durch den raschen Schritt, durch diese Unbesonnenheit die Thüre zu allen höheren Stellen verschlossen. Es ist aber so, mag es auch kommen, wie es will, besser, als wenn er ein Verbrechen begangen hätte. Wir werden uns an die Tochter gewöhnen, und wenn mein Sohn Ehrenstellen einbüßt, so hält er doch sein Wort und bleibt ein Mann von Ehre. Wo das Schicksal so ernst in die Verhältnisse des Lebens tritt, da soll man nicht mehr klügeln, sondern in Demuth den hohen Willen anerkennen. Ich weiß, daß die Liebe seiner Eltern nicht dadurch wird vermindert werden.
Die Mutter weinte heftig, so sehr sie auch der Vater und Clara zu beruhigen suchten. Der Vater schrieb dem Sohne mit dem rückgehenden Boten einen herzlichen Brief, in welchem er ihm Alles vergab und ihn ermunterte, sein Leben nun tüchtig und stark anzufassen. Die Stadt war bald von dieser sonderbaren Begebenheit angefüllt, über welche Jeder nach seinem Standpunkt und seinen Vorurtheilen sprach.
———
So war nun in allen Verhältnissen der Familie eine große Veränderung eingetreten. Der Sohn kam vor der Niederkunft seiner Frau nicht zur Stadt. Nachher zeigte er sich den Eltern, getröstet, aber nicht froh, und späterhin führte er Agnes, die Bäuerin, bei ihnen ein, mit der er ein eignes kleines Haus in der Vorstadt bezog. Nichts wollte sich fügen und in einander schicken, und Jeder gestand sich, daß, wenn die Sache unabänderlich war, diese Frau, durch welche die Laufbahn des Sohnes gehemmt war, in den Kreis der Familie doch nicht passe. Es war schon die Rede davon, daß er das Gut des Vaters bewirthschaften solle; indessen schien auch dieses bedenklich, da Anton sich niemals um die Landwirthschaft gekümmert hatte. Was den Vater aber mehr, als diese Stellung seines Sohnes kümmerte, war, daß er ein schwärmerischer Anhänger dieses Feliciano geworden, von dessen Seite er kaum mehr wich, und so erlebte er nun, daß Sohn und Schwiegersohn sich diesem Schwindel ergaben, von dem er selbst wieder geheilt schien. Er erstaunte, daß auch sein ruhiger Freund, der Gelehrte, der ihm immer ein Muster in der ruhigen Haltung erschienen war, ebenfalls nach jener Begebenheit sich als einen fanatischen Anhänger des Feliciano erklärte. Auch der alte Obrist neigte zu dieser Schwärmerei hinüber, und nicht bloß im Hause des geheimen Rathes, sondern in den meisten Häusern der Stadt, wurde Feliciano der erste und wunderbarste aller Menschen genannt.
Ein Taumel bemächtigte sich, als es erst bekannt worden war, daß der berühmte Feliciano zugegen sei, der ganzen Stadt. Jedermann wollte ihn kennen lernen, jede Gesellschaft wollte ihn in ihrer Mitte sehn. Er gewann in kurzer Zeit viele Anhänger und Freunde, und die angesehensten Männer, die höchsten vom Adel bewarben sich um seine Gunst. Er erklärte, daß er nur kurze Zeit verweilen könne, weil er in großen und wichtigen Geschäften nach dem Norden gehn müsse, auch erlaubten ihm seine geheimnißvollen Arbeiten nicht, sich zu sehr in der Welt zu verbreiten. Die wichtigsten Männer versammelte er um sich in seiner Loge. Man sprach von den seltsamsten Wundern, die hier in geheimen Zusammenkünften vorgefallen waren. Der Professor, so schien es, hatte seinen jüngsten Knaben ganz dem Wunderthäter überlassen, denn das Kind weissagte oft aus dem Kristall, den Feliciano künstlicher, als es an jenem Abend geschehen war, in seinen Gesellschaften aufstellte. Der Arzt Huber arbeitete indessen mit Sangerheim und Schmaling, Jeder bestrebte sich, von allen diesen geheimen Künsten Zeuge zu seyn, oder durch Freunde wenigstens Etwas von ihnen zu vernehmen, und selbst die Frauen und Mädchen wünschten an diesen Wunderwerken Theil zu nehmen, oder auch in irgend eine mysteriöse Verbindung zu treten. Feliciano hatte sie eigentlich selbst zuerst auf diesen Wunsch geführt, und er stiftete auch bald darauf eine Loge für Damen, die nun auch mit mystischen Abzeichen prangten, sich gegenseitig an Gruß und Handdruck erkannten, und von Fortschritten in Weisheit und Wissenschaft träumten. Auch die Mutter Clara’s hatte sich in diesen Orden aufnehmen lassen.
So war die arme Clara von Jedermann verlassen, denn beim Vater, der über alle diese Sachen verstimmt war, konnte sie nur wenig Trost finden. Der Graf Feliciano hatte alle Künste der Ueberredung angewendet, das schöne Mädchen auch zu dem Uebertritt in seinen neugestifteten Orden zu überreden, in welchem seine Gemahlin, die seitdem auch aus dem Inkognito hervor getreten war, den Vorsitz führte. Es gelang ihm aber so wenig, daß im Gegentheil der Widerwille Clara’s gegen alle diese Dinge immer mehr gesteigert wurde. Wie kann der Mensch, sagte sie einmal in einer aufgeregten Stimmung zu ihrem Vater, nur so verkehrt seyn, in der Umkehrung des Natürlichen sein Heil zu suchen? Man fühlt sich ja als Mensch nur wohl, wenn Alles in der gewöhnlichen Bahn fortschreitet, wenn das, was sich als nothwendig ankündigt, ganz einfach und schlicht geschieht. Entwickelt sich in diesem Lebensgange eine große That, eine schöne Aufopferung, so freut es uns um so mehr, daß uns das Göttliche aus den Elementen gewebt ist, die uns zunächst umgeben, daß wir fühlen, auch uns könnte in einer geweihten Stunde dasselbe begegnen, oder unsre Seele könnte auch dieselbe Höhe erstreben. Ziehn wir uns doch mit Widerwillen von der Nahrung zurück, die uns zu fremdartig dünkt, deren Zurichtung unserm Gaumen widersteht: aber schlimmer als überreifes Wild, oder der verpestete haut goût der Assa fötida, und der Vogelnester und ähnlicher abscheulicher Dinge ist es, diese Knoblauch-Tinktur von Wunderglauben, tollen Fabeln und aberwitzigen Bestrebungen in seine Seele aufzunehmen.
Der Vater erwiederte: Du bist zu zornig, liebes Kind. Laß die Menschen gewähren, der Krankheitsstoff muß austoben. Alles Sprechen dagegen nutzt nicht, unfruchtbar ist das Moralisiren; der Dämon, der die Menschen besitzt und treibt, wird endlich seines Spieles selbst müde. Deine kühne Vergleichung paßt auch nicht ganz; man könnte eben so gut die entgegengesetzten Bilder brauchen. Wen versucht nicht der reife, köstliche Pfirsich? die duftende Ananas? die lockende, rothe Kirsche, vorzüglich in der Jugend? Und was wäre unser Leben, wenn Alles so plan verständlich wäre? Alle Tage unausgesetzt die nahrhafte Hausmannskost des redlichen Treibens, der guten Gedanken? Aus Natur und Kunst, aus Liebe und Scherz, aus Religion und Gemüth winkt uns ein Geheimniß an, dem wir näher kommen möchten: es zieht uns nach durch Gefild und Wald. Jetzt glauben wir es zu erblicken, dann ist es wieder entschwunden. Von dieser Sehnsucht, die ohne Gegenstand scheint, werden die besten Kräfte unsrer Seele getränkt, und wenn sie erlöschen könnte, würden wir in uns selbst verschmachten. Alle schönen Triebe der Freundschaft, des Wohlwollens, der Menschenliebe, aller Enthusiasmus für das Gute und Schöne quillt ebenfalls aus dieser geheimnißvollen Gegend unsrer Seele.
Mag es seyn, antwortete die Tochter, aber ich sehe und erlebe es doch, daß, wenn diese Sucht, oder der Trieb auch innigst mit dem Schönen eins ist, sie doch auf ihrem fortgesetzten Wege sich in das gespenstig Aberwitzige verwandeln können. Der Mensch muß ja doch mit festem Charakter und unbezwinglichem Willen in der Mitte stehen bleiben, daß Glauben sich nicht in Aberglauben, Sinn in Thorheit, Tugend nicht in Laster verwandle. Ist jene Sehnsucht überirdischer Natur, so ist dieser einfache starke Wille wohl auch göttlicher Abkunft, der wie ein unüberwindlicher Riese den Schatz der Vernunft und des Guten bewachen soll, welcher dem Menschen von Gott ist anvertraut worden. Mir dünkt, gegen tausend wunderliche Dinge, die auf uns eindringen, gegen unzählige Gelüste, die uns überreden möchten, giebt es keine andre Waffe, als daß ich sage und immer wieder sage: es soll nicht seyn! Lasse ich dieses Schwert im Schlummer einmal fallen, so kann ich gar nicht mehr wissen, wohin mich alle jene Sophistereien führen könnten.
Diese starre Vernunft, sagte der Vater, reicht aber auch nicht aus: sie kann Tugend seyn, widersteht aber eben so oft der Liebe als dem Unrecht, läßt auch die Wahrheit, indem sich die Liebe abkämpft, nicht auf sich eindringen.
Wahrheit! das große Wort! rief sie aus, das eben so wohl Alles wie Nichts bedeutet. Wer hat es nicht schon gemißbraucht? Je demüthiger wir uns dem unterwerfen, was das Leben von uns verlangt, je sanfter und stiller wir dem folgen, was uns zu unserm Heil offenbart ist, je weniger wir grübeln und klügeln, und die Anmaßung von uns fern halten, über dem Begreifen zu stehen, es zu meistern und nach Gutdünken zu handhaben, um so mehr wir dem Vorwitz Einhalt thun, da nicht hinschauen zu wollen, wo sich in der Leere unserm irdischen Blick nur Gespenster erschaffen, um so mehr, glaube ich, bleiben wir der Wahrheit getreu.
Wohl mein Kind, sagte der Rath: denn wie ich schon sonst behauptete, wenn das Böse auch ein Nichts ist, so erwecken wir es doch wohl und theilen ihm unsre Kräfte mit, indem wir es glauben und uns dem Nichtigen ergeben. Hat es erst von uns diese Stärke empfangen, so wird es wohl oft so gewaltig, daß es uns und jeden Widerstand besiegt, der nicht die göttliche Wahrheit selbst zu Hülfe ruft. In diesem Bilde kann man sich die Erscheinung der bösen Geister denken, die der Magier aufruft. — Und so möchte man freilich glauben, Wahrheit sei in allen Dingen zu finden, sie liege auch dem Irrthum zum Grunde, nur hüte sich der Mensch, einer Regung, einer Aufwallung, oder einem Gedanken unbedingt und zu dreist zu folgen, denn rechts und links liegt die Unwahrheit und Täuschung, und er wandelt nur recht auf einer schmalen Linie.
Wenn es so ist, erwiederte Clara, so ist es eben das Sicherste, dem Alltäglichen getreu zu bleiben, was vielen beflügelten Geistern als das Gemeine erscheint. Will sich der Mensch erheben, wird er, wie der fliegende Schmetterling, von Schwalben und Sperlingen weggehascht, und bleibt er unten am Boden, so wohnt er beim Gewürm, aber nährt sich auch vom Thau, der in den Rosen und Lilien glänzt. —
Nicht nur die Familie des Rathes war in Verwirrung gerathen, sondern man konnte dies von der ganzen Stadt behaupten. Dem alten Seebach war es aber verdrüßlich, daß von den Vernünftigen, die sich nicht hinreißen ließen, Alles was geschah, mit ihm und seinem Sohn, so wie mit jener Entdeckung Sangerheims in Verbindung gebracht wurde. Es ließ sich nicht leugnen, daß jener Vorfall, der viel Aufsehn erregt hatte, zu allen spätern Wunderlichkeiten gleichsam das Signal gegeben hatte. Die sonderbare Verheirathung des Sohnes, die Schwärmerei Schmalings, die Operationen des Grafen so wie Sangerheims, die weibliche Loge, in die sich seine Gattin sehr gegen seinen Willen hatte aufnehmen lassen, die Seltsamkeiten, die sowohl der Arzt Huber, wie der Professor Ferner, vernehmen ließen, die Ausschweifungen mancher Reichen, die sich ganz der Hoffnung ergaben, die Kunst des Goldmachens zu entdecken, und in dieser Aussicht ihr Vermögen verschwendeten, Geister-Erscheinungen, durch welche man in mächtigen Familien dieses und jenes hatte durchsetzen wollen, alles Dies, vergrößert, mit Erfindungen ausgeschmückt, Alles wurde hauptsächlich auf Rechnung des alten erfahrnen Seebach geschrieben, um so mehr, weil man wußte, daß er auf eine Zeitlang sich diesen seltsamen Künsten ergeben hatte. Es half ihm Nichts, daß er sich wieder zurückgezogen hatte, daß er den Umgang Sangerheims und noch mehr des Grafen vermied, die meisten Menschen, auch seine Collegen und selbst seine Freunde hielten ihn für den Stifter aller dieser Irrungen. So bedrängte ihn, außer den häuslichen Kränkungen, noch das Gefühl, daß er so vielen wackern und einflußreichen Leuten für einen zweideutigen und gefährlichen Mann galt. Vieles von diesem geheimnißvollen Umtreiben kam auch vor das Ohr des Fürsten, der, da die Sache laut und weltkundig wurde, ein großes Mißfallen bezeigte, und dem Rathe, der sich gar nicht mehr mit diesen Dingen befassen mochte, andeuten ließ, sich zu mäßigen. Am schlimmsten aber waren dem gekränkten Seebach die Maurer von der alten Ordnung aufsässig, die in Allem nur die Absicht sahen, daß sie gestürzt werden sollten, — welches die mystischen Logen auch laut genug aussprachen, — und nun empört den Rath als einen abtrünnigen Bruder behandelten, der aus weit ausgreifenden Absichten sich diesen Rebellen verbunden habe, um als das Haupt dieser geheimnißvollen Gesellschaft Verderbliches zu wirken.
Meine Tochter hat Recht, sagte der Rath zu sich selber, wie hart werde ich für meine Neugier oder Wißbegier gestraft, die Anfangs so löblich oder unschuldig aussah. Hielt ich mich doch für so kühl und weise, um allen Versuchungen Widerstand leisten zu können. Aber ein Glied reiht sich an das andre, und unvermerkt ist die Kette fertig.
Es schien aber, als wenn zwei Wunderthäter für Eine Stadt, wenn sie auch groß war, zu viel seien. Der Graf hatte sogleich abreisen wollen, verlängerte aber seinen Aufenthalt von einem Tag zum andern. Sein Wirkungskreis schien sich auszubreiten, so wie der Sangerheims abnahm, da viele von dessen Jüngern zum größern Meister abfielen. Darum führte Sangerheim den Vorsatz aus, zu welchem er schon seit einiger Zeit Alles vorbereitet hatte, sich nach einer andern reichen und angesehenen Stadt zu begeben, wo er, da sein Ruf ihm schon vorangegangen war, gleich mit dem größten Glanze auftrat, die ältern Maurer beschimpfte, ihnen ihre Lehrlinge entzog, und Zeichen und Wunder aller Art verrichtete. Der Geheimrath erlebte die neue Kränkung, daß Schmaling, unter dem Vorwande einer Krankheit, von seinem Minister einen unbestimmten Urlaub nahm, und dem Abentheurer nach jener Stadt hin folgte, um in seiner Nähe und nach seiner Anweisung seine geheimnißvollen Arbeiten fortzusetzen. Schmalings Abschied von Clara war kalt, und sie war so erzürnt, daß nur Wenig fehlte, so hätten Beide ihre Trennung für immer ausgesprochen. Aber da Beide sich noch mäßigten, so blieb es bei unbestimmten Ausdrücken, die Jeder nach Gefallen deuten konnte.
Seinen Sohn sah der Rath nur selten, weil er ganz dem Grafen und dessen Befehlen und Operationen lebte. Die Gattin war in der weiblichen Loge sehr thätig, und jetzt mit der niedrig gebornen Frau ihres Sohnes ganz ausgesöhnt, weil auch diese, die allen Glanz ihrer Jugend wieder erhalten hatte, vom Grafen zur Bundesschwester war geweiht worden. Huber war ebenfalls dem Adepten Sangerheim nachgereiset, um in seiner Kunst vollkommener zu werden.
Clara war im Schmerz außer sich, als der Vater nach einiger Zeit von Schmaling einen sonderbaren Brief erhielt, den er der Tochter mittheilen mußte. Der künftige Schwiegersohn schrieb nehmlich Folgendes:
Im Begriff, einen sehr wichtigen und entscheidenden Schritt in meinem Leben zu thun, halte ich es für meine Pflicht, Sie, Verehrter, und meine geliebte Clara in Kenntniß zu setzen, was ich zu thun gesonnen bin, was ich nicht unterlassen kann und darf. Daß mein Gemüth sich seit lange dem Reiche der Geheimnisse zugewendet hat, wissen Sie schon, daß mein Herz nur Ruhe finden kann, wenn diese Sehnsucht gestillt wird, werden Sie begreifen. Aber wie kann, wie soll es geschehn? Ich habe manche Grade erhalten, ich bin Zeuge von vielen Wundern gewesen, seltne Kenntnisse sind mir geworden, große, heilige Schauungen haben meine Seele erst erschüttert, und sind mir dann einheimisch geblieben. Daß ich niemals zu jenen Verächtern unserer Religion gehört habe, die in unsern Tagen den Ton angeben, wissen Sie ebenfalls. Ich habe geforscht, die heiligen Schriften sind mir vertraut und ehrwürdig, aber was die Kirche und ihre Priester mir gaben, konnte meinem brünstigen Geiste nicht genügen. Auch hier hat mir der begeisterte Sangerheim neue Wege gewiesen. Die Tradition, die Wunder der ältern katholischen Kirche, ihre heilige Messe, die himmlischen Legenden, die Gegenwart, die unmittelbare, Christi in der Hostie, die Liebe der Mutter Gottes, die Bilder und die Musik, — warum sollen wir unser reiches Herz allen diesen Gaben verschließen? Warum nicht nehmen, was uns so liebreich geboten wird? Um ganz der Einweihung in die Mysterien würdig zu werden, um die Grade empfangen zu können, und die Strahlen des Lichtes, nach denen ich mich sehne, ist es nothwendig, wie mir mein Lehrer sagt, daß ich meinen jetzigen Standpunkt in der Kirche aufgebe, die Ueberzeugung, die mir ja niemals eine war, weil sie mein brennendes Herz so leer ließ, daß ich zur ältern, eigentlichen christlichen Kirche zurückkehre, die mütterlich jedem Verirrten die Arme entgegenbreitet. Ist dieser nothwendige Schritt geschehn, so sind mir alle Geheimnisse des Ordens zugänglich und offen, die Vereinigung mit jenen ehrwürdigen Männern, den unbekannten Obern, ist mir dann möglich, mit jenen erhabnen Geistern, denen die Verwahrung aller Geheimnisse anvertraut ist. Diese nahe Weihe, diese Nothwendigkeit der Veränderung hat der Meister mir nur allein, als seinem Lieblinge, entdeckt, die andern Schüler sind dieser Erklärung noch nicht fähig und würdig. — Von Ihnen, verehrter Mann, bin ich nun keiner Einreden und keiner Mißbilligung gewärtig, da ich weiß, wie billig Sie sind, wie aufgeklärt Sie denken. Es kann bei Ihnen unmöglich in Anschlag kommen, daß ich meine jetzige Stelle und jeden künftigen Staatsdienst aufgeben muß, denn den höheren Pflichten müssen die niedrigern weichen. Es ist ja nichts Weltliches, Ehre oder Reichthum, was ich durch diese Rückkehr in die Mutterkirche erstrebe: sondern das Unsterbliche, die Erleuchtung, das Verständniß selbst. Wie aber wird Clara es aufnehmen, wenn sie meinen Entschluß erfährt? Sie klebt, fürchte ich, allzusehr am Irdischen, um sich in die freiere Region des Geistes erheben zu können. Ich hatte immer gehofft, ihr Sinn würde sich in der Liebe poetischer bilden, daß sie es wenigstens fühlte, wenn auch nicht einsähe, wie arm jenes Leben ist, dem sie sich ergeben hat. Suchen Sie sie zu stimmen, verehrter Vater, daß sie mich nicht mißversteht, Sie, der Sie ja auch der Wissenschaft manches Opfer brachten. Und was ist es denn auch mit dem Weltlichen und Irdischen? Besitze ich nicht eignes Vermögen? Auch Clara ist nicht arm, und braucht sich also niemals von mir ganz abhängig zu empfinden. Und soll einmal dergleichen in Anspruch kommen, so darf ich wohl die Aussicht, daß mir in Zukunft, vielleicht bald, Alles zu Gebote steht, was ich nur wünsche, keine Fata Morgana nennen. Welche Kraft und Gewalt mir anvertraut mag werden, um da zu herrschen, wo unsere Ahndung sonst nur hinstrebt, mag ich nicht weiter andeuten und aussprechen. Ist sie aber mit mir einverstanden, so bin ich der Glücklichste der Menschen. —
Nein, wahrlich nicht! rief Clara im höchsten Unwillen aus, nun und nimmermehr! Welchen Gimpel haben sie schon jetzt aus dem allerliebsten Menschen gemacht, und was muß nicht erst aus ihm werden, wenn sie ihm noch mehr Grade und Geheimnisse aufhalsen! O wahrlich, er wird ihnen in den Strängen geduldiger als ein Maulthier ziehn, und allen frommen Gläubigen zum Exempel und Vorbild dienen. Mich mit ihm verbinden? Vielleicht haben sie noch einen andern geheimen Grad irgendwo im Winkel liegen, und um den zu ergattern, muß er wohl auch noch sein Vermögen dran geben, und dann, um die letzte und beste Niete zu ziehn, Capuziner werden. Nein, ehe er seinen Verstand nicht aus dem Monde wieder herunter geholt hat, mag ich Nichts von ihm wissen. Wie er der jüngern Kirche entsagt hat, um die ältere lieben zu können, so giebt es auch vielleicht hinter dem Vorhang eine ältere mütterliche Braut, die zu ehlichen seine unsterbliche Pflicht ist, denn ich merke, diese Wunderthäter können Alles möglich machen. Ich hörte sonst wohl, die katholische Kirche habe die Freimaurerei in schweren Bann gethan, ich sehe aber wohl, es gibt Ausnahmen für Alles. Sonst wurden viele junge Menschen Maurer, um auf Reisen eine gute Aufnahme und gastfreie Brüder zu finden, eine unschuldige Ursache, sich einweihen zu lassen. Jetzt aber, — wie Kunstreiter auf ihre Geschicklichkeit, Taschenspieler auf ihre schnellen Hände, so reiset dieser Sangerheim auf die Kunst herum, allenthalben die bestehenden Logen zu stürzen. Wenn er denn Geister zitiren kann, so mag er dem armen Schmaling den seinigen wiederschaffen. Vielleicht ist der aber schon in der Loge verbaut, oder als Winkelmaß eingerichtet. Also nach Rom hin sieht denn dieser Orient? Schmaling wird gewiß einmal diese Herren segnen, die ihn jetzt so reich und groß machen, wenn er erst sein ganzes Elend kennt, und ihm sein verarmtes Herz zerbricht.
Sie überließ sich der Trostlosigkeit und weinte heftig. Der Vater wußte ihr Nichts zu sagen, er beschwor sie, nur nicht in der ersten Entrüstung den Brief zu beantworten. Er selbst schrieb an Schmaling, um ihn mit allen Gründen, die er aufführen konnte, von dem Schritte abzuhalten, den er zu thun im Begriff war.
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Endlich bestimmte sich auch der Graf Feliciano, seine große Reise fortzusetzen. So sehr der Rath seinem Sohn Anton Alles vorhielt, was Vernunft und Gefühl ihm nur eingeben konnte, so ließ sich Anton dennoch durch Nichts abhalten, mit seiner jungen Frau, deren Kind bald nach der Geburt gestorben war, dem Grafen zu folgen. Auch der Professor gab seinen Knaben, wenigstens für einige Zeit, dem berühmten Feliciano mit auf die Reise, weil der Magier gefunden hatte, daß dieses Kind vorzüglich begabt sei, die Visionen zu sehn. Die Mutter hatte sich indessen von der Loge wieder zurückgezogen, denn es war ihr zu empfindlich gewesen, daß das Bauermädchen eines größeren Ansehns, als sie selber, genoß; man hatte sogar in Vorschlag gebracht, daß die Unerzogene nach der Abreise des Grafen und seiner Gemahlin Vorsteherin derselben werden sollte; da sie aber die Wunderthäter begleitete, um noch höhere Grade zu empfangen, und der höchsten Geheimnisse theilhaftig zu werden, so war der Räthin die Würde angetragen worden, die sie nach diesen Vorfällen mit Verachtung ausgeschlagen hatte.
Wenn also der Rath um seinen Sohn und dessen Schicksal bekümmert seyn mußte, so hatte er wenigstens die Beruhigung, daß seine Gattin mit ihm und der Tochter wieder einverstanden war. Die Frau, die nicht ohne Charakter und Verstand war, bereute jetzt ihre kurze Verblendung um so mehr, als sie jetzt, kühler geworden, einzusehn glaubte, wohin das Gaukelspiel ziele. Durch die Loge hatten sich mehrere Liebschaften und Verbindungen, und zwar nicht von den anständigsten, angeknüpft; auch Scheidungen fielen vor, und man hielt es bald für verdächtig, dieser Gesellschaft anzugehören, so daß die Frauen selbst nach kurzer Zeit dieses Logenspiel wieder aufgaben, und um so leichter, da man nur Wenigen Geheimnisse mitgetheilt hatte. Diese Wenigen waren nachher von Allen vermieden, die ein strengeres Leben führen wollten.
In jener großen Stadt hatte sich Sangerheim indessen eingerichtet und einen viel größern Anhang, als in der Residenz gefunden. Die dortigen Freimaurer waren durch ihn gewissermaßen aufgelöst worden, viele derselben in seine Loge getreten, und man sprach fast nur von dieser neugebildeten Brüderschaft, die sich großer Geheimnisse rühme. Es fehlte nicht an seltsamen Berichten. Man wollte Geister gesehn, die größten Dinge prophezeit haben, man war auf dem Wege, den Stein der Weisen zu entdecken, oder der Meister war vielmehr im Besitz desselben, und die liebsten Jünger durften hoffen, desselben bald auch theilhaftig zu werden.
Auf seinem Zuge berührte der Graf Feliciano auch diese Stadt, und beschloß, mindestens einige Tage hier zu verweilen. In dieser Zeit gewann er den enthusiastischen Schmaling sehr lieb, und hatte ihn fast immer um sich, mit ihm über seine Bestimmung, das Geheimniß und das Licht zu sprechen. Dieser junge Mann und Anton, die sich früher in allen Dingen widersprochen hatten, waren jetzt in allen Ueberzeugungen miteinander einverstanden. Der Arzt Huber, welcher auch schon, um Sangerheims Umgang zu genießen, nach dieser Stadt gekommen war, vereinte sich mit ihnen. Sie erfreuten sich jetzt an Antons Weisheit, der fast der Heftigste von ihnen war, und lernten dankbar und demüthig von dem, der ihnen vor weniger Zeit noch als ein unbedeutender Freigeist erschienen war.
Eine Versammlung der vertrautesten Brüder war zu einer Abendmahlzeit bei Sangerheim vereinigt. Huber und Schmaling fanden sich ein, und der Graf beehrte mit Anton durch seine Gegenwart die Gesellschaft, die zahlreich war, weil noch Manche in der Stadt, die Sangerheims Vertrauen genossen und die begierig waren, den fremden Wunderthäter kennen zu lernen, sich mit Bitten hinzugedrängt hatten.
Der Graf wußte seine Person geltend zu machen und wurde von allen Anwesenden wie ein überirdisches Wesen verehrt. Er war im Anfange zurückhaltend und karg mit seinen Worten, nach und nach aber ward er gesprächig, heiter und mittheilend. Er suchte, so schien es, die Gesinnung und das Wesen Sangerheims ausforschen zu wollen, ohne ihm selbst näher zu treten.
Sangerheim, der sich vor seinen Schülern und Anhängern keine Verlegenheit wollte zu Schulden kommen lassen, erörterte viele Punkte, die er sonst lieber vermieden hätte, zu denen ihn aber der forschende Graf in künstlichen Wendungen hindrängte. Dadurch gewann der Klügere so sehr die Oberhand, daß Sangerheim dem Grafen gegenüber selbst als Schüler und Lehrling erschien. Am meisten fiel dies dem wißbegierigen Schmaling auf, der bis dahin seinen Meister für den ersten Menschen der Welt gehalten hatte. Wie sonderbar, sagte er zu sich selbst, daß mein Meister, die große, edle Gestalt mit dem Feuerauge und der hohen Stirn, mit diesem kräftigen und vollen Ton, diesem untersetzten Manne, mit den hohen Schultern, dem matten Auge und der schwachen krähenden Stimme gegenüber klein erscheinen kann. Erkennt er denn vielleicht in ihm ein höheres Wesen? Ist dieser Fremde wohl einer der unbekannten Obern, von denen ich immer so viel sprechen höre?
Auch Huber und manche der Gegenwärtigen mochten etwas Aehnliches denken. Da bei dem leckern Mahle die feinen Weine nicht gespart waren, so belebte sich das Gespräch immer mehr. Jeder der Anwesenden wollte sich vor dem großen Fremden mit seinen Gedanken und Kenntnissen zeigen, oder Etwas von ihm lernen, und wenn auf viele Fragen die Antworten des Grafen auch nicht klar und glänzend ausfielen, so gab die Dunkelheit oder das Zweideutige derselben doch immer Vieles zu denken.
Schmaling lenkte endlich das Gespräch auf die Religion, und Sangerheim sah sich genöthigt, den Wink, den er Manchen im Geheim gegeben hatte, jetzt als eine Lehre laut auszusprechen, daß nur Derjenige, der zur katholischen Kirche gehöre oder überträte, der höchsten Grade und der wichtigsten Geheimnisse theilhaftig werden könne.
Feliciano sah ihn lange mit einem großen fragenden Blicke an und sagte nach einer Pause, die alle Anwesenden in der größten Spannung erhielt: Ist das Euer Ernst, großer Meister?
Wie anders? fuhr Sangerheim fort, da die übrigen Partheien, die sich ebenfalls Christen nennen, immerdar ein geistiges Geheimniß verletzen und sich der Wundergabe, der Inspiration, der Anschauung der Mysterien entziehn? Sie können Vieles sehn und erforschen, aber der Anblick des Allerheiligsten ist ihnen nicht vergönnt; sie können nur von den sieben höheren Graden fünfe erringen. Ihre Sekte an sich selbst schließt sie nicht aus, wohl aber ihre Glaubensunfähigkeit: überwinden sie aber diese in der Rührung ihres Herzens, so treibt sie der eigne Geist von selbst, sich der älteren Kirche wieder anzuschließen.
Der älteren? nahm Feliciano mit großem Ernste das Wort auf; welche ist diese? Kennt Ihr sie? War vor dieser ältern nicht wohl eine noch ältere und ächtere? Wozu Eure vielen Grade, wenn Euch dieses wichtigste Mysterium mangelt?
Hindert Euch Nichts, großer Mann, fiel Schmaling ein, dieses etwas deutlicher auszusagen?
Wir sind nur von Brüdern umringt, antwortete der Graf, die früher oder später von selbst das finden werden, was ich ihnen andeuten kann, und darum brauche ich in dieser edlen Gesellschaft, die keine weltliche ist, meine Worte nicht ängstlich abzumessen. — Was die Christenheit spaltet, ist neu und zeitlich, Priesterwort und willkührliche Satzung ist schwer vom ächten Fundament desselben zu unterscheiden, und so kommt es, daß in den protestantischen Kirchen vieles ächter und wahrer ist, als was die Katholiken in ihrer Lehre vortragen, die Alles, was Luther predigte, nur Neuerung nennen. Aus beiden Kirchen ist zu lernen, aber nur dem ist es möglich, dem der Sinn frei geblieben ist. Gab es denn nicht, längst vor Entstehung des Christenthums, die ächte, völlig ausgebildete Maurerei? Diese war denn doch wohl noch älter, als die alte Kirche. Und was bedarf sie denn also dieser, um der Wunder, des Wissens, der Geheimnisse theilhaftig zu werden? Sie genügt sich selbst, und sie wäre nicht das Höchste und Beste, was der Mensch erringen kann, wenn sie in irgend einer Religion eine Stütze oder Bestätigung finden könnte.
Sangerheim schien erstaunt, aber Feliciano fuhr fort: gedenkt nur an den großen, weisen Salomo und seinen Tempelbau, an Hiram, und an alle Legenden und Symbole, die auf unsern großen und alten Meister, den weisesten des Orientes, hindeuten. Ihr wißt es Alle, wie den Lehrlingen mit diesen Symbolen und ihren Deutungen der Kopf verwirrt, wie sie zerstreut werden, damit sie nur die Wahrheit nicht finden sollen, die ein Eigenthum der höhern Geister bleibt. Salomo empfing, als ein Würdiger, das Geheimniß der Maurer von großen unsterblichen Obern, er baute den Tempel und stiftete die Loge des Geheimnisses, indessen der gemeine Mann im Prachtgebäude auf herkömmliche Weise den Gott anbetete, den er nur für einen Gott seiner Nation ansehn konnte, der mächtiger sei, als die Götter der andern Völker. Wo steht in unsern Büchern und Sagen, in Allem, was uns von Salomo überliefert ist, daß er von Gott abfiel, daß er ein Götzendiener wurde? Er hätte, wenn dies gegründet war, nicht mehr Meister des heiligsten Stuhles, nicht mehr Oberer und Bewahrer des Geheimnisses bleiben können. Diese falsche Legende ließen die Priester nur in die Schrift hinein schreiben, weil er sich ihnen entzog, und ihrer Zunft nicht die Gabe zu weissagen, Wunder zu thun, Todte zu erwecken, Geister zu rufen und zu bannen, Gold zu machen, mittheilen wollte. Diese Kräfte, diese Herrschaft über die Geister, diese Geheimnisse der Loge, die nur Wenigen mitgetheilt wurden, welche die höchsten Weihen schon empfangen hatten, diese sind die hohen Gewalten, die von der Unwissenheit der Priester Götzen genannt wurden. Freilich waren es ihnen ausländische, fremde Götter, weil ihnen die Kenntniß derselben entzogen wurde.
Diese herrliche, glänzende Zeit der Maurerei verfiel nach dem Abscheiden des großen Königs und Meisters. Die Obern zogen sich zurück, die meisten nach Indien. Späterhin finden wir Elias und Elisa als Eingeweihte wieder, die von der tauben Menge und von den verstockten Königen nicht verstanden wurden. Ganz verbarg sich nachher die hehre Kunst, und wandelte aus dem Tempel und Jerusalem in die Wüste. Da treffen wir sie unter den Essäern oder Essenern wieder an. Das heißt, die Gelehrten, die Geschichtforscher der Welt wissen nun wieder Etwas von ihr, denn für den wahren Maurer giebt es in der Geschichte seiner Kunst keine Lücke. Ich führe nun auf das, was Allen bekannter ist. Diese Männer hatten schon seit lange im Stillen gearbeitet: seit vielen Jahrhunderten war es ein Grundgesetz der Maurerei, welches Salomo und Andre beobachtet oder noch fester gegründet hatten, daß die ächte Erkenntniß ein Geheimniß seyn und bleiben müsse, da die blöde, rohe Welt, die unwissende Menge das Heilige, wenn es sich ihr mittheilen wolle, nur mißverstehn und entweihen könne. Hier stehn wir nun an der großen und merkwürdigen Geschichts-Epoche. Die heilige Gesellschaft der Essäer zertrennte sich um jene Zeit in zwei sich widersprechende Gesellschaften. Ein Theil beharrte auf dem Grundsatz, Alles müsse geheim bleiben, weil nur so die Verbindung aus der Ferne wohlthätig auf die Menschen und ihr vielfaches Unglück wirken könne. Aber viele erleuchtete Männer waren vom Gegentheil überzeugt. Zwei große Geweihte wurden ausgesendet, der zweite noch mächtiger und größer, als der erste, Johannes der Täufer, und der göttliche Stifter der christlichen Religion, der erhabene Menschenfreund, der aus Erbarmen gegen seine unglücklichen, im Elend schmachtenden Brüder ihnen das Wort des Lebens mittheilen wollte. Lange kämpften die beiden Partheien der Erleuchteten gegen einander. Das Mysterium war auf eine Zeit lang offenbar worden, aber, neben der Wohlthat brachte es im Mißverständniß unermeßliches Elend über die Länder und Völker. Der große Eingeweihte selbst und seine Freunde sahen es ein, und er starb den Versöhnungstod. Nach und nach ward das Mysterium dem Volke wieder entzogen, das spätere Christenthum und die Hierarchie bildeten sich aus, und verdeckten mit Satzungen, Gebräuchen, Ceremonien, Putz und Kunst das geistige Geheimniß, das wir nur hie und da im Lauf der Zeiten aufleuchten, und wie einen Blitz vorüber fahren sehn. Dem Kundigen genug, um das Licht zu erkennen; dem Unwissenden nur eine Blendung oder Veranlassung, sich wieder einer leidenschaftlichen Sektirerei zu ergeben. — Wozu also, großer Meister Sangerheim, wenn Ihr diese Wahrheiten erkennt, ist Euch zur Weihe die katholische Kirche noch nöthig, da diese selbst nur eine abgeleitete aus unserm ältern, ächten Orden ist? da sie Nichts darstellt, als das Mißverständniß eines Geheimnisses, das ihr freilich Anfangs lauter übergeben ward? Und darum sagte ich, daß in gewissen Punkten der Protestant eine ältere Kirche besitze, und Ihr werdet nun, mein Freund, wahrscheinlich verstehn, wie dieser kurze Ausspruch gemeint war.
Der Graf mußte es bemerken, welchen sonderbaren Eindruck dieser Vortrag auf die meisten seiner Zuhörer machte. Bei Einigen war das Erstaunen mit Unwillen gemischt, Einige gaben Beifall, den man einen schadenfrohen hätte nennen mögen, denn sie sahen mit bedeutsamem Lächeln nach Sangerheim hinüber, der, so sehr er sich zwang, seine Verlegenheit jetzt nicht mehr verbergen konnte, und sich, Hülfe suchend, an Diejenigen wendete, die mit der Rede des Grafen unzufrieden schienen. Er sagte endlich, nach einigen Erörterungen: So sehr wir verbunden seyn mögen, so sind wir also doch wieder getrennt; es mag seyn, daß sich die Wahrheit unterschiedliche Bahnen sucht. Nach Ihrer Ueberzeugung ist die Maurerei das Einzige und Höchste; ich stütze mich noch auf die Heiligkeit der Kirche und offenbarten Religion.
So gebt die Maurerei auf, rief der Graf, der erhitzt schien: wozu soll sie Euch helfen, wenn Euer Herz und Glaube sich in der Religion befriedigt und sättigt? Und woher kommt denn diese Religion? Ist sie denn nicht, wie ich schon sagte, ein ungeschickter Versuch, einige der verschwiegenen Mysterien zu offenkundigen Wahrheiten zu machen? Und damit diese wenigen Wahrheiten sich erhalten können, meistentheils nur scheinbar, weil sie doch unverstanden sind, muß das Gerüst des Kirchendienstes dazu erbaut, muß der große Teppich gewirkt werden, der bedeckend herumgehangen wird, und diese wenigen Wahrheiten wieder in Geheimnisse verwandelt, die keiner sieht und findet, indessen sich das Volk an den bunten Bildwerken ergötzt, und die Priester sich zanken, und die Verständigsten unter den Layen von der ganzen Sache eigentlich gar keine Notiz nehmen. Seht, Meister, so steht es wahrhaft, wenn ich denn doch einmal reden soll, ohne, wie man sprichtwörtlich sagt, ein Blatt vor den Mund zu nehmen.
Großer Meister, erwiederte Sangerheim, Euer Geist ist gewaltig und groß, Ihr fahrt wie ein Sturmwind daher, und predigt wie die Begeisterung. Was Ihr weissagt, habe ich wohl verstanden, aber die Obern, die ich verehren muß, würden auch Euch, so stark Ihr seid, so viele Zeitalter Ihr gesehn haben mögt, Hochachtung abzwingen, und wohl eine andre Ueberzeugung Euch geben.
Mir? sagte der fremde Meister: wißt Ihr denn, ob ich sie nicht längst kenne? Es ist aber noch die Frage, ob sie mich auch kennen, auch wenn ich vor ihnen stände.
Wie meint Ihr das, Großmeister? fragte Sangerheim.
Ihr fragt, und fragt immer wieder, antwortete der Magus erhitzt und mit funkelnden Augen, und wollt doch auch Großmeister seyn. Obere nennt Ihr sie? Gut. Aber es kann doch auch wohl einen Obersten dieser Obern geben, die diesem dienen und gehorchen müssen, denen er nur so viel Weisheit zukommen läßt, als ihm dienlich scheint, die deshalb verschiedene Systeme ausbreiten, die er alle von seiner Höhe lenkt. So sind diese katholisch, jene protestantisch; einige nennen sich Rosenkreuzer, andre Tempelritter; der will Vernunft und Freiheit des Volks, jener Mystik und die Würde des Königs begründen und verbreiten; diese Ritter des Grabes, des Todes und Lebens, Illuminaten, und wie sie vielfältig sich betiteln, — können sie nicht vielleicht alle von einem unbekannten obersten Obern abhängen? Und ist Euch diese alte Sage, da Ihr doch so Vieles wißt und erfahren, in Euerm Orden noch nicht vorgekommen?
Wer seid Ihr? rief Sangerheim wie entsetzt aus.
Ich bin, der ich bin! antwortete der Fremde. Erkennt Ihr mich daran noch nicht? — Ob ich auch Feliciano, oder einen ältern Namen nenne, gilt dem Nichtwissenden gleichviel. Seid Ihr aber ein Wissender, so will ich in einer Chiffer, einem kleinen Symbol aussprechen, wer ich bin. Reicht mir das Blatt und den Stift.
Er zeichnete und gab dann mit Lächeln das Papier dem Meister hinüber, indem er scharf sagte: Wenn Ihr der seid, für den Ihr Euch ausgebt, so müßt Ihr mich nun erkennen. Doch zeigt es Niemand.
Sangerheim nahm das Blatt, sah und erblaßte. Er wickelte die Zeichnung zusammen und ließ sie schnell am Licht verbrennen. Ich sehe nun, daß Ihr jener wahre Oberste seid, dessen Zeichenschrift man nur denen der höchsten Weihe vorzeigt. Ich beuge meine Knie und meinen Geist vor Euch.
Die letzte, entscheidende Erklärung hatte alle Gegenwärtigen in Verehrung und Demuth zum Grafen hinüber gezogen. Feliciano stand auf, machte ein Zeichen, das alle verstanden, und sagte: Kraft meines Amtes schließe ich hiemit diese Loge. Alle erhoben sich. Der Graf faßte hierauf die Hand Sangerheims und sagte: Junger Mann, Du wandelst einen gefahrvollen Weg, aber Du bist so weit vorgeschritten, daß ich nur warnen, Dich nicht mehr lenken kann und darf. Du kennst die Geister, Du bezwingst sie und sie gehorchen Dir, — aber, sie kennen Dich besser, als Du sie kennst. Dir sind sie geheimnißvolle, wunderbare, unbegreifliche Wesen, und Du bist ihnen so verständlich und klar, daß sie Alles wissen, was in Deinem Gemüthe ist. Das Verhältniß des ächten Magiers muß aber das ganz umgekehrte seyn, Du mußt Deinen Geistern ein ganz wundervoll, geheimnißreiches Wesen bleiben, mit Furcht und Schaudern müssen sie Dir dienen. Kannst Du sie nicht noch zu Sklaven machen, daß sie vor Dir erbeben, wird ihnen Deine Natur immer klarer näher gebracht, wähnst Du gar, Freundschaft mit ihnen stiften zu können, dann — wehe Dir! Furchtbar werden sie Dich einst, vielleicht bald, wegen ihrer aufgezwungenen Dienste zur Rechenschaft ziehn. —
Er ging mit feierlichem Schritte fort, und Schmaling folgte ihm zitternd. Die Zurückgebliebenen sahen sich forschend an, und wußten nicht, was sie aus diesen letzten Worten machen sollten. Nur Sangerheim schien sie zu verstehn und sank bleich und von Anstrengung erschöpft, in einen Sessel zurück. Meine Freunde, sagte er nach einiger Zeit, ihr seid Alle Zeugen der wunderbaren Begebenheit, die sich zugetragen hat. Ihr wißt nun Alle, welche Kämpfe, welche Gefahren ich noch zu bestehn haben werde: welche Angriffe mir aus dem Geisterreiche her drohen. Erliege ich in meinen großen Bemühungen, so war es doch nicht Unkunde, die mich auf diesen gefahrvollen Weg trieb, sondern die Liebe zum Heiligsten der Wissenschaft.
Alle verließen den Meister, dankend, hoffend, ihn ermunternd, und Jeder ging tiefdenkend nach seinem Hause.
———
Schmaling trat mit dem Großmeister, dem unbekannten Obersten, zu welchem ihn eine ungemessene Ehrfurcht, eine Art von Anbetung hinzog, zugleich in sein elegantes Schlafgemach, indem er an allen Gliedern zitterte. Ich wage es, Ihnen zu folgen, Größter aller Sterblichen, — doch, was sage ich? vielleicht einem Unsterblichen.
Feliciano sah ihn mit einem hochrothen Gesicht und glänzenden Augen an. Dem Jüngling erschien der Meister in einem wunderbaren Lichte, denn er sah, daß Dieser wankte, und sich lachend niedersetzte. Ei! mein Kind, fing er darauf an, da bist Du ja auch! Das ist schön, daß Du kommst, so können wir noch in stiller Nacht ein wenig mit einander schwatzen.
Er stand wieder auf, und wankte nach einem Schranke hin. Ich habe mich verleiten lassen, fing er wieder an, heute, meiner Gewohnheit entgegen, viel zu sprechen, und noch mehr von den starken Weinen zu trinken. Unpolitisch. Ich will mich nun an diesem Trank, den ich nur meinen ägyptischen Wein zu nennen pflege, wieder nüchtern zechen, weil dieser noch viel stärker ist, als dort das beste Getränk. — Er leerte einen großen Becher, den er aus einer sonderbaren Flasche gefüllt hatte, die in allen Farben glänzte und mit vielfachen Hieroglyphen bemalt war. — Trink, mein Söhnchen, sagte er dann, und reichte dem jungen Manne den Becher, koste wenigstens diesen Wundertrank.
Schmaling setzte bald ab, denn diese Essenz, aus Gewürzen abgezogen, war ihm zu stark. Feliciano sah ihn freundlich lächelnd an und sagte: Liebes Bürschchen, kein Mensch in der Welt hat mir noch so sehr als Du gefallen, begleite mich, sei mein Freund und wahrer Schüler, und ich will Dir alle meine Weisheit mittheilen. Das andre Menschenvolk ist so plump und unliebenswürdig, Keiner ist mir noch aufgestoßen, dem ich mich ganz ergeben möchte. Du allein hast mein Herz gewonnen, und zu Dir möchte ich wahr und offen seyn können, weil mich das Zusammenschnüren, wie ich es der Uebrigen wegen mit mir treiben muß, genirt und langweilt. — Aber was wolltest Du noch von mir erfahren oder erfragen?
Die Stimme des Mannes lallte, und es schien, als wenn dieser ägyptische Wein eher das Gegentheil, als die beabsichtigte Wirkung hervor gebracht hätte. Schmaling war verlegen und mochte sich selber nicht gestehn, was er zu bemerken glaubte; er sagte: Großer Meister, wenn es mir erlaubt ist, zu fragen, und noch einen Augenblick bei Ihnen zu verweilen, so möchte ich wohl erfahren, wie Sie es gemeint haben, was meinem Freunde die Geister, und auf welche Art sie ihm schaden könnten: was Sie sagten, schien zwar ein gewisses Licht zu geben, war mir aber doch noch unverständlich.
Feliciano schlug in seinem Sessel ein lautes Gelächter auf, an dem er sich nur nach geraumer Zeit ersättigte, dann sagte er: Je, Kind, liebstes Kind, nimm doch Vernunft an. Was ich dort gesagt haben mag, weiß ich nicht mehr, aber ich meine, es wird mit seinen Geistern und allen den Geschichten ein klägliches Ende nehmen, weil der Gimpel selbst an seine Geister glaubt.
Weil er an sie glaubt? fragte Schmaling im höchsten Erstaunen.
Ja, liebes Närrchen, fuhr der Magus fort, sieh, deswegen muß es ja nothwendig und natürlich ein ganz miserables Ende mit ihm nehmen. Er betrügt die Welt und seine Schüler, und das ist recht und billig; mit den unter uns bekannten Kunststücken läßt er Geister und Gespenster erscheinen, aber der erste Dummkopf in der Welt ist, der selbst durch sich selbst getäuscht wird. Ich kam ihm in allen Richtungen entgegen und erwartete sein Bekenntniß, das mir allein am Tisch verständlich gewesen wäre. Aber seine Obern haben den Menschen auf eine mir unbegreifliche Art so dumm gemacht, daß, wie er auch betrügt und Andre täuscht, er doch glaubt, es werde sich ihm mit der Zeit das ächte wahre Wunder mittheilen.
Schmaling wußte nicht, wie ihm geschah. Er betrachtete die Decke und wieder den verehrten Meister, sich selbst, den Fußboden und wieder den trunknen Wahrsager, der jetzt von Wein geschwächt und von seinem Uebermuth begeistert so Vieles aussagte und verrieth, was er nüchtern geworden am Morgen wahrscheinlich bereute.
Laß die Narrenpossen, sagte der Graf, und mache es möglich, daß wir uns Beide verständigen. Du bist zu gut, um unter dem aberwitzigen Jan Hagel so mitzulaufen, Du verdienst es, die höchsten Grade und alle mit einander in einem Augenblicke zu erhalten. Ich höre, Du willst da in Deiner Stadt heirathen. Zieh mit mir, die ganze Welt steht einem so schönen, so feinen und schmiegsamen Mann, wie Du es bist, offen; alle Weiber, die schönsten und vornehmsten, werden Dir entgegen laufen. Du wärst mir dazu ganz anders brauchbar, als der tölpische Anton, Dein Jugendfreund, der aus einem Freigeist und Uebervernünftigen so mit beiden Beinen in die Dummheit hinein gesprungen ist.
Er lachte wieder, daß er vor Schmerzen inne halten mußte. Du weißt vielleicht, fing er wieder an, wie ich schon ein Weilchen in Eurer komischen Stadt als ein Herr Anderson lebte. Ich hatte so die beste Gelegenheit, Alles auszuspioniren, und mein pfiffiger Bedienter noch mehr. Ich kannte schon alle Verhältnisse, auch die Mesalliance des Herrn Anton mit einem hübschen Bauernmädchen, die er nun in seiner kühlen Verständigkeit so schlechthin aufzuopfern dachte. Dieser tugendhafte Anton wollte nun Dich, mein liebes Kind, bessern und korrigiren, daß Du den Aberglauben ließest. Das kam mir ganz erwünscht in den Weg gelaufen, daß ich mich für den großen, berühmten Feliciano ausgeben sollte, der ich zufällig selber war. Die Bäuerin hatte ich kennen lernen und ihre Verzweiflung gesehn: ich hatte von ihr ein Bildchen machen lassen, das ziemlich ähnlich war. Sollte es doch auch nur für einen Augenblick dienen. Der Professor Ferner hat ein allerliebstes Kind, einen überaus klugen Jungen. Man glaubt nicht, wenn man es nicht so oft, wie ich, erfahren hat, wie schon der ganze Spitzbube in den Kindern steckt. Das Lügen, das den meisten angeboren ist, darf nur ein wenig erfrischt und aufgemuntert werden, so geräth es fast besser, als bei den Erwachsenen, die immer darin fehlen, daß sie es zu klug, zu verwickelt machen wollen. So ein Kind wird wahrhaft begeistert, wenn es gebraucht werden soll, die Großen und Vorgesetzten zu betrügen, und es lernt eine solche Lection besser, als jede in der Schule. Mit diesem Jungen, der noch bei mir ist, hatte ich schon unvermerkt mein Spiel verabredet. Mein Diener hatte die Blendlaterne und das Bild bei der Hand, sammt dem nöthigen Rauch, die Domestiken des Hauses waren entfernt worden, und um die Sache noch schauerlicher zu machen, hatte die gute Bauernnymphe unterdessen, daß sie im Zimmer leiblich erscheinen sollte, einen Schlaftrunk erhalten. So wurde denn der Spuk und die Comödie glücklich so gespielt, wie Du sie selber mit angesehn hast.
Immer noch war es dem glaubensfähigen Schmaling, als wenn er in einem ängstlichen Traume läge. Und heute nun, fing er wieder an, als mein Lehrer und Meister sich Eurer höheren Wissenschaft so unbedingt beugen mußte?
Kluges Kind, antwortete Jener, siehst Du denn nicht ein, daß wer die Menschen betrügen will, es ja nicht zu fein anfangen muß? So wie es fein ist, wird ja auch der Scharfsinn Jener geweckt, sie werden aufmerksam, denken, passen auf, und das Kunstwerk steht auf der Nadelspitze. Grob, plump muß der Menschenkenner zu Werke gehn. Die sich dann nicht damit einlassen wollen, wenden sich ganz ab, und auch das ist Gewinn; die Andern denken: Nein, so einfältig ist doch Keiner, die Sache zu erfinden, wenn nicht irgend Etwas daran wäre. Sagst Du ihnen, Du hast Carl den Zwölften gekannt, so lachen sie Dir ins Gesicht, behauptest Du aber dreist, Du habest mit Johann Huß Brüderschaft getrunken, so glauben sie Dir. — Also mein Herz, laß Dich überreden, mit mir, als Deinem bekannten Obersten, durch die Welt zu ziehn, und ihre Schätze und Gunst mit mir zu theilen. — Oberster! Ha ha! Weil ich so viele Logen aller Art durchkrochen bin, so wurde mir denn auch von einigen Rosenkreuzern eine Signatur gezeigt, die den Messias bezeichnen sollte, der einmal erscheinen würde, um ein himmlisches Reich auf Erden zu stiften. — Du siehst, mit welcher angenehmen Dreistigkeit ich Deinen großen Meister mit dem Bagatell verblüfft habe. — Nein, als ein ehrlicher, schlichter Mann könnte ich verhungern, als ein berühmter Charlatan bin ich reich und beherrsche Männer und Weiber und kann wie ein Sultan gebieten und walten. Lockt Dich denn diese Aussicht nicht, liebstes Kind? Du bist so viel schöner, als ich, Du kannst ja Deine Jugend nicht besser genießen. Mir hat so ein Wesen noch immer zu meinen Erscheinungen gefehlt, wer weiß, welchen Engel wir droben im Norden aus Dir machen. Wer weiß, welche Monarchin Dir ins Netz läuft, — wer weiß — kurz, komm mit!
Der ägyptische Wein hatte so stark gewirkt, daß der Großmeister jetzt einschlief. Am Morgen, als er erwachte und sich besann, konnte er sich nur dunkel erinnern, was er gethan und gesprochen hatte. Aber das drückte ihn schwer, daß er sich gegen Schmaling auf irgend eine Weise zu sehr herausgelassen habe. Er sendete sogleich nach diesem, um entweder mit Klugheit ihm Alles wieder auszureden, oder, wenn dies unmöglich sei, ihn im halben Vertrauen stehen zu lassen und durch Drohungen zum Schweigen zu zwingen. — Aber Schmaling war verschwunden und nirgends zu finden, auch Sangerheim konnte keine Nachricht von ihm geben, der mit Schmerz und Aengstlichkeit die unbegreifliche Entfernung des Jünglings beklagte.
Als nicht zu helfen war, schickte Feliciano einen drohenden Befehl an Sangerheim, den jungen Schmaling niemals wieder als Bruder in seine Loge zuzulassen, dieses Verbot auch andern Logen mitzutheilen, die mit ihm in Verbindung ständen, das Gleiche würde er allen Brüdergemeinden zusenden, die von ihm abhängig wären, weil er entdeckt habe, daß dieser Schmaling ein Bösewicht, Verleumder und ganz unwürdiger Bruder sei, der nur damit umgehe, alle Geheimnisse des Ordens auf eine schändliche Weise zu verrathen, und die Meister selbst durch die abscheulichsten Lügen öffentlich zu beschimpfen.
Sangerheim zitterte, und Feliciano eilte, mit seinem Zuge seine Reise nach dem fernen Norden fortzusetzen. —
Schmaling war mit den schnellsten Postpferden zur Residenz zurückgekehrt. Er wußte nicht, wie er sich benehmen sollte, er hatte nicht den Muth, in das Haus seines Schwiegervaters zu gehen, er konnte es sich nicht als möglich denken, nur den Bedienten gegenüber zu treten, um sich melden zu lassen.
In dieser unbehaglichen Lage sagte er zu sich selber: Ist es denn etwas Anderes, wenn ein Freund, der im hitzigen, oder Faulfieber liegt, von allen Aerzten schon aufgegeben, von allen Freunden schon als todt beklagt, wieder geneset? Sonderbar, daß wir immer so großen Unterschied zwischen den Krankheiten unsrer Seele und unsers Körpers machen wollen. Eins ist selten ohne das andre. Dem Elenden, der im Fieber phantasirt, vergiebt man es gern, man tröstet ihn sogar freundlich, wenn er Gott und Menschen, seine Liebsten und Nächsten gelästert hat, man nennt es nur Abwesenheit, Vergessen seiner selbst: und der Arme, dessen Seele zerrissen wurde, der, peinlich hinauf getrieben, zwischen den Extremen schwankte, der sich selbst verlor: ihm vergiebt man nicht, ihm rechnet man die Aeußerungen seiner Krankheit als Verbrechen an, und er muß es mit Dankbarkeit erkennen, wenn man es ihm nur nach Jahren vergißt, daß er diese und jene auffallende Meinung äußerte. Und so bin ich genesen, ich kehre von einer Brunnenkur zurück, da alle meine Freunde mich schon aufgegeben hatten. Wollen sie mich nicht, die mir die Liebsten und Nächsten sind, als einen Wiederhergestellten anerkennen, nun so ist es an ihnen, krank zu seyn, sie mögen dann irgend ein Bad besuchen, und es kömmt nachher auf mich an, ob ich sie als Gesunde begrüßen oder als Unheilbare von mir weisen will.
Mit diesen Gesinnungen und Entschlüssen ging er nach dem Hause des Geheimenrathes Seebach. Die Bedienten, die ihn schon von ehemals kannten, ließen ihn ungehindert eintreten. Er fragte nach Fräulein Clara; man sagte ihm, daß sie ungestört seyn wolle, weil sie sich unwohl fühle, sie habe daher erklärt, keine Besuche annehmen zu wollen. Er sagte dem Kammerdiener, daß er der Familie kein Fremder sei, und daß er alle Verantwortung auf sich nehmen wolle.
Er ging über den wohlbekannten Gang nach dem Gemache seiner Jugendfreundin. Lange stand er vor der Thür. Er lauschte mit hochklopfendem Herzen. Ihm war, als wenn er drinnen Gesang und die Töne einer Laute vernähme. Und so war es auch. Clara, um ihren Gram einigermaßen zu beschwichtigen, hatte alle ihre alten Musikstücke hervor gesucht, um sich an diesen zu trösten. Sie spielte und sang, und wiegte so, als sei er ein ungezogenes, schreiendes Kind, ihren immer wachen Kummer ein. Einige Blätter hatte sie bis jetzt überschlagen. Sie faßte den Muth, sie vor sich hinzulegen, um sie zu singen. Es waren einige Compositionen, die in bessern Zeiten Schmaling selbst zu ihren Lieblingsliedern gesetzt hatte, es waren sogar einige Lieder darunter, die von ihm gedichtet waren, und zu denen er ebenfalls die Melodie gesungen. Lange hatte sie den Trost der Musik entbehrt und darum ergab sie sich heute diesem Genusse wie eine Berauschte. Schmaling horchte entzückt an der Thür; alle Jugenderinnerungen, alle jene süßen Stunden der Unschuld kehrten in sein bewegtes Gemüth zurück. Ihm war, als hätte er den ganzen Zwischenraum, zwischen jenen Tagen und dem heutigen, nur in einem schweren Traum gelegen.
Clara hörte in ihrem lauten Gesange nicht, wie er klopfte. Als er das Zeichen wiederholt gegeben hatte, öffnete er die Thür und trat in das Zimmer. Sie saß mit dem Rücken gegen die Wand und hatte seinen Eintritt nicht vernommen. Sie sang so laut und heftig, als wenn sie an dem Liede sterben wolle. Er hatte es ihr vor drei Jahren zu ihrem Geburtstage komponirt, nicht lange nachher, als sie mit einander bekannt geworden. Er konnte sich nicht zurückhalten, er weinte laut und stürzte zu ihren Füßen nieder. —
Die Laute entfiel ihrer Hand. — Wie? rief sie aus; was sehen meine Augen? Täuscht mich kein Blendwerk? Die alte Zeit kommt wieder, der Calender lügt und mein Ferdinand ist wieder da.
Ja! rief der tiefbewegte Jüngling: da, um nie wieder von Dir zu scheiden. Zurückgekehrt, wie der verlorne Sohn, von den Trebern des Aberwitzes und der Lüge, um bei seinem Vater Schutz und Nahrung zu suchen.
So? sagte Clara, indem sie ihn aufhob; stehe auf, lieber Freund, wenn ich Dich noch so nennen darf. Also, meinst Du, soll ich nun wie das Kalb geschlachtet und verspeiset werden?
Ich bin leider das Kalb gewesen, antwortete der Beschämte, aber nun, meine süße Geliebte, nachdem ich genesen, nachdem ich die Dummheit meiner erhabenen Meister eingesehn habe, werde ich mich niemals wieder verführen lassen. Nein, auf immer bin ich zu Dir, zu jenem schlichten, einfachen Leben zurückgekehrt, das ich vor Kurzem noch mit Verachtung ansah. Fühle ich doch in allen Fasern meines Herzens und in jedem Tropfen meines Blutes, daß das Einfache, scheinbar Arme, das Nächstliegende eben das Reiche, Wohlthätige, Himmlische ist! Vergiebst Du mir meinen Wahnsinn, so bin ich der Glückseligste aller Menschen, und ich erwarte, daß Fürsten von mir Almosen begehren sollen.
Nun, nun, sagte Clara, nicht eben so eifrig, mein Freund, in der Bekehrung und Reue wie erst in der Sünde. Also jetzt willst Du kein Kapuziner, nicht katholisch werden?
Sie lachte so anmuthig, daß Schmaling den Muth faßte, sie in die Arme zu nehmen und herzlich zu küssen. Noch niemals hatte sie ihm den Kuß mit diesem Feuer erwiedert. Hierauf zog sie beide Glocken in ihrem Zimmer mit der größten Heftigkeit, tanzte im Gemach auf und ab, und als mehrere Diener ängstlich erschienen, rief sie diesen mit lauter Stimme zu: meine Eltern sollen kommen! Aber gleich! Mit der größten Schnelligkeit! Es verlohnt sich schon der Mühe, zu eilen.
Man verwunderte sich im ganzen Hause über das ungewöhnliche Geräusch. Der alte Kammerdiener lief in Angst hin und her, weil er meinte, daß irgendwo Feuer ausgebrochen sei. Endlich traten Mutter und Vater zu Clara in das Zimmer. Was giebt es denn? fragten Beide; warum lässest Du uns so gewaltsam rufen?
Sie sagte: wenn es nicht unbillig ist, daß bei der Geburt eines Prinzen alle Glocken geläutet und Kanonen abgeschossen werden, so darf man schon einigen Spektakel in einer honetten Familie machen, wenn ein junger Mann seinen gesunden Menschenverstand wieder gefunden hat. Ja, liebste Eltern, hier steht der bescheidene Jüngling, dessen Edelmuth es nicht wagt, dergleichen Ungeheures von sich auszusagen, weil er seit so vielen Wochen auf den entgegengesetzten Bahnen irrte.
Der Vater schloß entzückt den jungen Mann in seine Arme, die Mutter war verlegen und gerührt. Und Sie entsagen, fragte der Rath, Ihrem Meister Sangerheim?
Mit vollem Ja, kann ich antworten, rief Schmaling, und eben so dem Großmeister Feliciano, der vielleicht Judas Maccabäus seyn mag, oder Ischariot, und dem Teufel und seiner Großmutter, und allen ihren Spuk- und Zauberwerken, die keine Stecknadel werth sind, und für die wir ihnen unsre Seele verkaufen müssen.
Ja wohl, sagte der Vater, müssen wir ihnen, den Unterirdischen, den Reichen des Wahnwitzes, das Theuerste verschreiben, um das Verächtliche dafür zurück zu erhalten.
Ich bin genesen, rief Schmaling aus, und begreife jetzt nicht, wie ich den Himmelsblick meiner Geliebten, ihr Herz, alles Glück einer entzückenden Häuslichkeit und des nächsten Besitzes, gegen jene Kartenkünste aufopfern konnte.
Als man sich mehr beruhigt hatte, erzählte er dem Vater auf dessen stillem Zimmer Alles, was ihm begegnet war. Man erfuhr auch bald, daß der junge Schmaling, wegen schwerer Vergehungen, von vielen Logen ausgeschlossen sei. Dies störte nicht das Glück des Hauses, denn seine Verlobung mit Clara wurde bekannt gemacht, und bald darauf die Hochzeit gefeiert.
Könnte ich doch, klagte der Vater an diesem fröhlichen Abend, meinen Sohn Anton eben so in meine Arme schließen, und mich überzeugen, daß er mir zurückgegeben sei.
———
Die Scene, die sich mit dem größeren Magus ereignet hatte, war für Sangerheim von Folgen gewesen. Seine Schüler hatten es gesehn, daß er verlegen und irre an sich selber wurde; sie hatten Andern diese Bemerkung mitgetheilt, und Viele wendeten sich von ihm ab. Die ältere Loge beobachtete ihn genauer, und faßte mehr Muth, sich ihm öffentlich zu widersetzen. Unter Denen aber, die ihm unwandelbar treu blieben, und auf seine Worte schwuren, stand der Arzt Huber oben an; diese Anhänger beredeten sich, daß die Wirkungen, welche Feliciano hervorbrachte, durch die Hülfe böser Geister geschähen, und er selbst durchaus verwerflich und gottlos, seine Lehre verdammlich zu nennen sei.
Jetzt ward es den Vertrauteren, und späterhin den Uebrigen bekannt, daß Sangerheim verheirathet sei, und seine Frau bei ihm wohne. Da sie krank und leidend war, hatte er ihr Dasein Allen verschwiegen. Die Wenigen, die sie zuweilen auf einen Augenblick sahen, bemitleideten sie, oder entsetzten sich vor ihr, wie vor einer Geistererscheinung. Sie war noch jung, aber todtenbleich, schwach und matt. In dem weißen und abgemagerten Gesicht glänzten die Augen mit einem sonderbaren Feuer. Sie hatte kaum Stärke genug, aus einem Zimmer in das andre zu gehn, und es geschah wohl, daß sie mitten in ihrer Rede abbrach und einschlief. Dann sprach sie sonderbar, oft unzusammenhängend, oft, als wenn sie Erscheinungen sähe. Sie hatte keinen Arzt, sondern der Mann, der sich die größten Kenntnisse zutraute, behandelte sie selbst auf eine geheimnißvolle Weise: er suchte sie durch Gebet, Händeauflegen und Beschwören zu stärken. Wegen dieses sonderbaren Zustandes der Leidenden war es selbst den Vertrautesten nur durch Zufall möglich gewesen, sie auf Augenblicke zu sehn und zu beobachten.
Nach einer schlimmen Nacht, in welcher sie von Schmerzen sehr gequält war, sagte sie am Morgen zu ihrem Gatten: Ach, Alexander! das war nicht die Aussicht, die wir hatten, als Du mich heimlich, fast mit Gewalt aus dem Hause meiner guten Eltern nahmst. Welche Pläne machten wir damals, was hofften wir Alles von unsrer Liebe. Nun ist Alles dem Tode verfallen! Ach! und welch gespenstisch Leben, welch sterbendes Dasein ward mir in Deiner Nähe. Nun, ich fühl’ es, es ist zu Ende.
Nein, geliebte Theodora, tröstete sie der Mann: nein, meine Geliebteste, ohne die das Leben mir selbst nur eine Last seyn würde. Glaube mir, Alles nähert sich einer glücklichen Entwicklung. Ich sehe, Du wirst mit jedem Tage besser, in wenigen Monaten ist Deine Gesundheit und die Blüthe Deines Leibes wiedergekehrt. Du bist wieder heiter und froh, Du hast wieder Muth und Kraft, wie in den ersten Tagen unsrer Liebe.
Liebst Du mich denn noch? fragte die Kranke, mit einem sterbenden Blick.
Theodora, rief Sangerheim, außer sich vor Schmerz; diese Frage und dieser Blick könnten mich tödten. Es wühlt mein Herz um, und zernichtet meine Kräfte, daß diese Zweifel Dir immer wiederkehren.
Ich darf nicht sprechen, antwortete sie matt, denn Deine Heftigkeit geht dann wie ein schneidend Messer durch meinen Leib und meine Seele.
Ich will sanft seyn, milde, Geliebte, antwortete er demüthig, sprich Deinen Kummer aus, nur zweifle an meiner Liebe nicht.
Was nennst Du so? fuhr sie fort; Deine Liebe ist Dir doch nicht heilig, Du opferst sie auf, sie ist Dir nur Mittel zu andern Zwecken. O, mein Engel, wenn Du Dich von jener Verbindung losmachen könntest, o zerbrich sie, mein süßes Herz, entzieh Dich jener Gesellschaft, die mir immer schrecklicher erscheint, die Dich verderben wird.
Nein, meine Liebste, antwortete Sangerheim gerührt, ich erkenne Deine Liebe in jedem Deiner Worte, aber diese Männer, von denen ich Dir einmal in einer schwachen Stunde erzählt habe, kennst und würdigst Du nicht. Denke nur zurück, wie arm, wie dürftig unser Leben war. Als österreichischer Offizier, in einer kleinen Garnison, von rohen, unwissenden Menschen umgeben, mit schmalem, unbedeutendem Gehalt, ohne Hoffnung, es weiter zu bringen, — was war da unser Loos? Wie armselig, dürftig und verächtlich war diese Existenz! Und betrachte jetzt den Ueberfluß, die Ehre, den Schwarm der Freunde und Bewunderer.
O Alexander, seufzte sie, führe mich in jene enge Dürftigkeit zurück, gieb mir unser damaliges Leben wieder, und ich will Dir auf den Knieen danken. Wir waren gesund, wir hatten uns keine Vorwürfe zu machen, denn die Eltern waren mir wieder ausgesöhnt. War unser Einkommen klein, unsre Habe unbedeutend, so genossen wir Alles mit kindlichem dankbaren Sinn und mit einem reinen Gewissen. Als Du in jene Verbindung getreten warst, nahmst Du Deinen Abschied, mußtest ihn nehmen. Seitdem ist Alles so unklar und unheimlich. Und unser Wohlstand: mir ist, Du stehst auf einer dünnen, dünnen Eisrinde, und unter Dir liegt der tiefe Abgrund.
Geliebteste, Freundin, Gattin, erwiederte er liebkosend, beruhige doch endlich Deine Seele über diesen Punkt. Wie wird sich Alles anders, und zu Deiner schönsten Zufriedenheit entwickeln. Jenen edlen Männern darf ich vertrauen, denn ich war ja Zeuge, daß sie Uebermenschliches vermögen und wissen. Wie viel haben sie mir schon anvertraut, wie Vieles vermag ich durch sie. Mit jeder Post kann es ankommen, das Größte, das Beste, was noch zurück ist, in jedem Reisenden kann der Ersehnte vom Wagen steigen, der mir Alles enthüllt, so daß keine Frage und kein Wunsch mehr übrig bleibt. Alle ihre Briefe deuten auch dahin.
Brauche ich Dir zu sagen, antwortete die Kranke, daß Alles, was Du bis jetzt errungen hast, Kunststücke sind, die nur darum den Menschen unbegreiflich und wundervoll erscheinen, weil die Wissenschaft sie noch nicht gefunden hat? Jeder Gelehrte kann sie zufällig entdecken, und diese donnernden Explosionen, die sich durch einen Wurf, ohne Spur entladen, werden dann vielleicht ein Spielwerk, mit dem sich die Kinder erschrecken. Und Deine Operationen, diese Blendwerke der Erscheinungen, diese Bilder, die Du zeigst, Deine künstliche, innerliche Sprache, die, wie aus der Ferne, wie die eines Fremden klingt, und womit Du so Viele entsetzest, und sie zu Deinen Zwecken führst; daß ich selbst auch als Geist auftreten muß, — o Alexander, wohin sind wir gekommen? Wie muß die Welt uns ansehn, wenn Alles einmal bekannt wird.
Liebste Frau, sagte Sangerheim beängstigt, Du hättest Recht, wenn wir nicht mit den Edelsten aller Menschen, mit den Uneigennützigsten, mit den Weisesten in Verbindung ständen. Daß sie das Beste wollen, daß ihre Pläne gut sind und zum Heil aller Menschen hinstreben, davon dürfen wir uns überzeugt halten, so seltsam auch ihre Wege, so krumm sie auch laufen mögen. Ihnen liegt es ob, dies zu verantworten, wenn sie im Unrecht seyn sollten. Ich muß erfüllen, was ich ihnen gelobt habe. Ich kenne die Täuschung, die ich mir erlaube, aber ich bin vom guten Zweck überzeugt. Und jenseit aller Täuschung sind wir ja im Besitz so manches wahren Wunders. Dein Gebet wirkt kräftig, das meinige stimmt Deinen Geist. Du siehst, Du sprichst mit abgeschiedenen Freunden, sie entdecken Dir Geheimnisse; Du siehst in weite Ferne und durch verschlossene Thüren. Dir ist, wenn Du fest willst, Nichts verborgen.
Die blasse, leidende Gestalt seufzte schwer. Ach, Liebster! klagte sie dann mit erlöschenden Tönen, daß ich auf diese Weise in Deinen weltlichen Absichten Dir habe helfen müssen, ist vielleicht die größte Sünde, die Dir der Himmel nicht anrechnen, und mir meine Schwäche und Nachgiebigkeit verzeihen möge. Die Liebe zu Dir hat mich weit geführt. Dieser künstliche Schlaf, dieser unnatürliche, den Du mir Anfangs erregtest, und der sich jetzt immer mehr von selbst einstellt, hat mir Gesundheit und alle Kräfte aufgezehrt. Oft weiß ich nicht mehr, ob ich noch bin, und kann mich auf meinen eignen Namen, oder auf Deine Gestalt nicht besinnen. Ja wohl ist dies eine Zauberei zu nennen, die den Menschen aus seinem eignen Innersten entrückt; aber eine verderbliche. So Vieles habe ich Dir entdecken müssen, hier und in jener Stadt. Mir ist, ich habe nicht allein die Kräfte meines Körpers, sondern auch Theile meiner Seele dabei zugesetzt. Wenn Du mich so auf eine Frage gewaltsam hinheftest, wenn ich im Schlafe sehen und finden muß, was Du verlangst, so dehnt es sich in meiner Brust, in meinem Kopf. Diese fließenden leichten Gewölke werden immer dünner und feiner, und mein Selbst, mein Sein weicht wie in eine schwindelnde Ferne hinweg, daß ich in einer entsetzlichen Angst nach ihm zurückblicke. Jenes fließende, fliehende Wesen, das ich selbst nicht mehr bin, faßt und sieht dann in meinen Körper, in Dich, in alle Wesen mit einem kalten Schauder hinein. Ich frage, ohne den Sinn zu wissen, und höre von Geistern die Antwort, und sage sie Dir im Schlaf, und Alles ist nur ein Echo. Oft, wenn ich dann wieder erwachen soll, greift das blasse, fließende und entflohene Wesen nach dem eigentlichen Ich mit Entsetzen zurück, und kann es nicht wieder finden. Nein, mein Ich ist manchmal fort; ich kann mich auf mich selbst nicht besinnen. Der Geist fürchtet, er könne vergehn, sich selbst vernichten. Nein, Liebster, wenn Du noch einiges Erbarmen mit mir hast, nicht mehr diese Experimente, versprich es mir.
Sangerheim gab ihr geängstigt stumm die Hand. Er wußte wohl, wie viel er ihren künstlich erregten Visionen zu danken hatte. Durch dieses Mittel hatte er damals für den Rath Seebach jenes Dokument gefunden. Er stand jetzt an einem furchtbaren Scheidewege seines Lebens. Denn ohne daß seine Gattin ihn so schmerzlich zu erinnern brauchte, war er selbst schon mehr wie einmal an sich und seinem Beginnen irre geworden. Er fing in manchen Stunden an zu zweifeln, ob denn der Zweck die Mittel heiligen könne. Eine Lehre, die ihm bis dahin als unerschütterlich erschienen war. Mit Angst wartete er auf Briefe und Aufschlüsse, die man ihm verheißen hatte, damit er den Trug könne fallen lassen, seinen Eingeweihten ein eigentliches Geheimniß sagen und erklären, und im Besitz wirklicher Wunderkraft, des Steines der Weisen und der Tinktur glücklich seyn. Er hatte nach seiner Ueberzeugung erfüllt, was er versprochen hatte, ja mehr ausgerichtet, als man erwarten konnte, aber die letzten Briefe, die er erhalten und die er sehnend erwartet, sprachen so zweideutig, erfüllten so wenig, was er forderte, und umgingen die Frage so behutsam, daß er sich mit allen Kräften der Hoffnung und des Vertrauens nur einigermaßen beruhigen und auf die nächsten Nachrichten vertrösten konnte.
In dieser Verstimmung seines Gemüthes faßte er die Hand der Kranken, und machte, ohne daß sie es bemerkte, die Striche, die den Schlaf herbei riefen. Sie entschlummerte mit einer Zuckung Augenblicks, indem sie nur noch wimmernd: nicht Wort gehalten! im halben Wachen ausstieß. —
Er fragte sie jetzt um die Zukunft. Der Busen der Kranken arbeitete schwer. Ach! Nichts! Nichts sehe ich, sagte sie, wie schluchzend in sonderbaren Tönen: da liege ich, weit, weit weg; nicht ich, — die Hülle. — Glanz, Licht, — aber ohne Schein. Es saugt mich hinauf. Meine Mutter nimmt mich, nicht meine Mutter, ihre Liebe, das ist mehr als sie. Wie rein ist ihr Herz. Das reinigt auch meinen Geist, mich. Mir wird so leicht, so wohl. Das, was ist, ist nicht eigentlich. Wir verstehn es unten nicht. Alles nur Schein, Hülse, der Tod. Das Sein ist anders: kann unten nicht gefaßt werden.
Sangerheim richtete durch Fragen ihre Gedanken anders. O weh! rief sie in einem scharfen Ton: — da ist Dunkel, Verwirrung, das Elend. O du Lügner, warum verkehrst du mit der Lüge so holdselig? Dein Herz bricht, dein Kopf zerspringt. — Nach jenem Dunkeln soll ich forschen, sehn? Mein Auge reicht nicht hin, mein Zittern verdämmert mir den Blick. Alles schwarz. Aber näher kommt’s. Grauen, Angst, kein Licht. Sie brüten selbst, sie suchen. Keine Liebe in ihnen. — Ja wohl ist es aus, aus für dieses Leben. Brief geschrieben, gesiegelt. Kann nicht — kann nicht lesen. Wär’ es gut, könnt’ ich’s; die Liebe könnte lesen, so bleibt’s finster. — Ach! — du, — du — auch fort, weggetragen, — willst mich nicht kennen, nicht hier kennen, wo Friede ist? Sehe dich gehen, höre deine Stimme, kann dein Gesicht nicht finden; wo die lieben Augen? — Alles weg!
Ach! so, so ist es gemeint? fing sie nach einer Pause wieder an; ja, ja, es wird ihm schwer gemacht. Er hieß Alexander. Gut war ich ihm, er war so lieb. Wird wieder, aber spät, spät, — ach! kann er glauben? Gott, du bist gnädig. — Laß ihn nicht zu sehr verfinstern. Jesus, vergieb ihm. — Nun ist es weg. Nun ist mir wohl. Nie werde ich mehr in die Tiefe des Irdischen schauen. Alle Tiefe vergeht; es wird Alles Ein Augenblick, Eine Gegenwart, Ein Lichtpunkt, und ich unsichtbar, mir selbst unfühlbar, in der Mitte des himmlischen Punktes. Nichts war, Alles ist und bleibt. Es zieht, es flieht nicht mehr, festes Bild wird es. — Nun reicht der Strahl aus mir nicht mehr zurück, er ist zu kurz, das Leben ist fern, weit und fern: besser so, — denn — nein — besser so — ach! kein Sehnen mehr, kein Schmerz mehr, — die Freude war schon lange todt.
Sie verstummte: er horchte, er wiederholte die Striche und verstärkte seine innere Aufmerksamkeit, aber die Entschlafene sprach nicht. Da sein Bemühen heut, was noch nie gewesen, vergeblich war, so strich er mit den Händen in entgegengesetzter Richtung, um sie wieder zu erwecken, aber eben so fruchtlos, sie erwachte nicht wieder, denn sie war gestorben.
Als er sich nach manchen vergeblichen Bemühungen, sie wieder ins Leben zu rufen, von der Wirklichkeit ihres Todes überzeugen mußte, warf er sich verzweifelnd zu ihren Füßen nieder, und wüthete gegen sich selber. Wie er etwas mehr zur Besinnung gekommen war, rief er aus: ja, du, du Unglückseligster, hast die Aermste ermordet! Was ist mir alles Leben nun ohne sie? Ohne sie, für die ich mir Glanz und Wohlstand wünschte? Wie schaal und abgenutzt liegt jetzt mein ganzes Dasein vor mir, wie arm, was ich etwa noch erstreben kann. Und wie liebte sie, die Aermste, mich Unwürdigen! Als sie damals, wie ihre Krankheit zuerst sich verkündigte, von der langen Ohnmacht erwachte, war ihr erstes Lebenszeichen, daß ihr redlicher Blick mich gleich suchte. Sie hatte alles Andre vergessen, aber nicht, daß ich um sie bekümmert war. Sie hätte mir ja auf unsern Spaziergängen gern jeden rauhen Stein aus dem Wege geräumt. Und mein Dank für alle diese Hingebung? — Daß ich ihre Gesundheit durch diese magnetischen Künste vernichtete, daß ich ihren Geist verwirrte, daß ich muthwillig ihr liebendes Herz zerbrach. Nein es giebt keine größere Sünde, es giebt gar keine andre, als die der Mensch gegen die Liebe begeht. — Ach! Du Süßeste! wo ist jetzt Deine blühende Jugend? Wo sind die Rosenwangen, und das Grübchen des freundlichen Lächelns, mit dem ich Dich neckte, wenn wir im kleinen Garten Deiner Eltern zwischen den Rosenbüschen saßen? Wo sind nun alle die Träume der Liebe? Wo die Pläne, die wir für das Leben entwarfen? Diese blasse Hülle, die hagre Gestalt ist von all der Lust und Freude übrig geblieben, um mir zu sagen, wie armselig und kläglich das menschliche Leben sei, um mir zuzurufen, daß ich ein Bösewicht, ein Verworfner bin, der trotzig durch das Leben geht, und Dich, süße Blume, roh zertreten hat.
Er setzte sich wieder zum Leichnam nieder, faßte die dürre Hand, bedeckte sie mit Küssen, und weinte bitterlich.
Wort müssen, Wort werden sie mir halten, sagte er nach einer Weile zu sich selber; mein Elend wäre zu unermeßlich, wenn sich auch diese Hoffnung in Tod und Leiche verwandelte. Was bliebe mir? Die nackte, kahle Lüge, der verächtliche Betrug. Dem könnte, dem möchte ich nicht ferner leben. Ist denn sterben so schwer? Sie ist erloschen, wie die Kerze, wie der letzte still verborgne Funke in der Asche. Wenn ich verloren bin, so will ich kein Dasein erbetteln, und in Lumpen und dem Auskehricht des Lebens Kleinodien suchen, die ich wirklich besaß und wegschleuderte, als ich noch wie ein König glücklich war. Jenseit will ich sie dann wieder aufsuchen und das keck verachten, was Verachtung verdient. — —
Bei ihrem Begräbniß folgten die vertrautesten der Brüder. Er schien seine Fassung wieder errungen zu haben. In fester Stellung, mit edlem Schmerz stand er am Grabe der Geliebten und sah die theuern Ueberreste versenken. Freilich war es ihm oft, als wenn alles Leben nur ein Traum sei, oder ein Schauspiel, in welchem er mit Anstand seine Rolle zu Ende führen müsse.
Als er nach Hause kam, fand er folgenden Brief, den er hastig erbrach:
Die — — sind mit Euch, mein Freund, nichts weniger, als zufrieden, denn Ihr setzt ihr Geheimniß, ihren Ruf und ihre Ehre auf ein zu leichtsinniges Spiel. Das ist es nicht, was Ihr verheißen habt, und was man von Euch erwartete. Es hat sich erwiesen, daß der Rath — —, dessen Ihr so sicher zu seyn glaubtet, sich kalt zurückgezogen hat, daß Ihr jene Stadt meiden mußtet. Und wie lange werdet Ihr in der jetzigen Euer Spiel noch forttreiben können? Man verwundert sich, man forscht nach, und, was das schlimmste ist, man lacht. Wie schlecht seid Ihr dem Charlatan, dem Feliciano, gegenüber bestanden! Wer solche plumpe Angriffe nicht einmal zurück zu schlagen versteht, der ist zum Missionar verdorben. Auf die Anfragen, auf Eure Forderungen, kann ich nichts Bestimmtes erwiedern. Es heißt, die Loge wird verlegt werden: wenn es geschieht, so ist noch nicht entschieden, wohin. — —
Sangerheim knirschte. Mit Todesschweiß schrieb er schnell einige drängende, fordernde, beschwörende und beredte Briefe, um das Aeußerste und Letzte zu versuchen, denn seine Hoffnung, ein wahrer Magier zu werden, war nun fast schon verschwunden.
Wenn sie mich so um mein Leben betrogen hätten! rief er aus, büßen sollten sie es! — Doch nein, ich zittre vor mir selber: weiß ich ja doch, daß sie jeden Laut in der Ferne vernehmen, und daß sie jeden meiner Gedanken kennen. Drum muß ich, will ich alle meine Gefühle unterdrücken, und nur das Beste, Edelste von ihnen erwarten.
———
Im Hause des Geheimenrathes war Alles so ziemlich wieder zur Ordnung zurückgekehrt. Die Hochzeit der Tochter näherte sich, und Schmaling war im Bewußtsein seines Glückes in solcher Stimmung, daß er selbst die Namen Feliciano oder Sangerheim nur ungern nennen hörte. Er verdammte den Trieb, sich vom Wunderbaren und Geheimnißvollen anlocken zu lassen, so unbedingt, daß selbst Clara ihn tadelte, wenn er auf Geistergeschichten oder Erzählungen schalt, die durch ein gewisses Grauen die Aufmerksamkeit spannen, und die Phantasie in Thätigkeit setzen. Er wollte kein unschuldiges Spiel hierin mehr erkennen, sondern meinte, diese Anlage und Stimmung unseres Geistes sei durchaus verderblicher Natur, und könne nur zum Unheil führen, es sei daher die Pflicht eines jeden Verständigen, diesen Trieb in sich völlig auszurotten.
Der Vater hatte unterdessen an seinen Sohn Anton geschrieben, um ihn zu bewegen, zu seiner Familie zurückzukehren. Nur Einiges hatte er ihm von jenen Geständnissen gemeldet, die der trunkene Magier gegen Schmaling halb unbewußt gethan hatte; er hatte ihn auf die Gefährlichkeit dieser Verbindung, auf seine bedenkliche Stellung zur Welt aufmerksam gemacht, er hatte ganz den Vater und die väterliche Autorität, so milde der Brief war, sprechen lassen, aber vergeblich. Der Sohn antwortete in einem scharfen, höhnenden Tone: wie sonderbar es sei, daß der Vater jetzt gegen Geheimnisse spreche und große Charaktere verfolge, da doch er, der Sohn, von Jugend auf so viel von diesen Geschichten in seiner Familie habe vernehmen müssen. Es sei ja bekannt genug, wie er selbst früher gegen alle leere Schwärmerei, Geistersucht und dergleichen gesprochen habe, er habe sich nie blenden lassen, und wenn er jetzt einer andern Ueberzeugung folge, so könne man ihm wohl zutrauen, daß er geprüft und untersucht habe, und nicht leichtsinnig einem unreifen Gelüste folge. Wenn Verleumder seinen großen Meister lästerten, so geschehe nur, was sich seit den ältesten Zeiten ereignet habe, daß der Pöbel die Wohlthäter der Menschen und die leuchtenden Genien verfolge. Was seinen Schwager Schmaling betreffe, so verachte er einen solchen Elenden zu tief, um irgend noch Worte über ihn zu verlieren. Sein Meister habe ihm diesen Lügner und dessen Verächtlichkeit hinlänglich geschildert. Er hoffe übrigens, in der Lage zu seyn und zu bleiben, daß er weder auf einen Theil des väterlichen Vermögens, noch auf irgend eine Unterstützung Ansprüche zu machen brauche, wünsche aber dagegen, daß man ihn nicht hofmeistere, als ein Kind behandle, das der Zurechtweisung noch bedürfe. Er werde in Zukunft, wenn er der Familie selbst zu Glanz und Ehre verhelfe, übrigens gern vergessen, daß er früher einmal von seinen allernächsten Verwandten so sei verkannt worden.
Der Vater, der Obrist und Alle erstaunten über die ungeheure Verblendung des Sohnes, vorzüglich, wenn sie seiner früheren Art gedachten.
Die Zeit war indessen herangekommen, in welcher Sangerheim versprochen hatte, durch Rückzahlung des letzten Capitals seine geheimnißvollen Papiere auszulösen. Geschah es nicht, so gehörten dem Rathe diese Mysterien, die von der höchsten Wichtigkeit seyn sollten, und von denen selbst das Leben Sangerheims, wie er geäußert hatte, abhinge. Der geheime Rath machte sich also mit jenen wichtigen, fest verschlossenen und vielfach seltsam versiegelten Dokumenten auf den Weg nach jener Stadt, in welcher der Magier seitdem seinen Sitz aufgeschlagen hatte. Der Professor Ferner begleitete ihn. Sie reiseten in der Nacht, und wechselten vielfältige Gespräche, indem sie sich alter Zeiten und vieler Erfahrungen erinnerten. Der Professor sagte endlich: Sei der Mensch auch so ruhig und fest, wie er immer wolle, er hat eine Stimmung, einen Moment der Schwäche, wo ihn doch Dasjenige wiederum ergreifen und beherrschen kann, was er längst abgeschüttelt zu haben glaubt. Und so ist es mit Zeiten und Völkern auch. Wer kann unterscheiden oder bestimmt verneinen, ob es nicht physische Krankheit sey? Ob es oft nicht in der Luft liege, und wie jede Seuche anstecke? Es scheint zu Zeiten unmöglich, sich gegen den Einfluß der Thorheit zu schützen, so wie wenn der Körper erst durch Mangel an Diät oder Zufälligkeiten so gestimmt ist, man der Erkältung durchaus nicht ausweichen kann, verwahre man sich auch, wie man will. Jetzt ist es mir völlig unbegreiflich, wie ich mein geliebtes Kind jenem Wunderthäter hingeben konnte, es erscheint mir jetzt als ein völliger Wahnsinn, als gottlose Sünde; und doch pries ich mein Geschick (und seitdem sind nicht viele Monde verflossen), daß jener große Mann den Knaben würdigen wollte, ihn in die Schule und sich seiner anzunehmen. Ist aber unsre Schwäche so groß, oder ist es zuweilen ein Fatum, das uns ergreift, eine unausweichliche Nothwendigkeit, so sollten wir wohl im Leben gegen unsre Nächsten, oder in der Geschichte gegen merkwürdige Verirrungen billiger und nachsichtiger seyn, als wir uns bewußt sind, diese Nachsicht auszuüben.
Es muß sich austoben, erwiederte der Rath; das ist ein Ausdruck, den ich mir seit einiger Zeit angewöhnt habe. Das ist der einzige trostlose Trost, den ich mir in Ansehung meines Sohnes geben kann, den ich für verloren achten muß. — —
Sangerheim war indessen in einer Stimmung und Gemüthsverfassung, die sich schwerlich darstellen läßt. Auf seine vielen und dringenden Schreiben hatte er noch einmal eine kurze Antwort von einem Manne erhalten, der sich früher seinen Freund nannte, und der ihm jetzt meldete, dies sei der letzte Brief, den er ihm senden könne, indem er eben in den Wagen steige, um nach Italien, und von dort nach Griechenland und Constantinopel zu reisen. Von Geldsendungen war keine Rede, und doch hatte Sangerheim auf diese, und zwar auf sehr bedeutende, gerechnet. Er meinte, er dürfe es, nach allen früheren Betheuerungen und Versprechungen. Er war von Schulden bedrängt; um glänzend aufzutreten, hatte er Alles wieder ausgegeben, was ihm von Freunden und Schülern zugeflossen war. Um sein Ansehn zu vergrößern, und sich mehr Zutrauen zu erwerben, war er in der Wohlthätigkeit ein Verschwender gewesen. Er schrieb noch einmal, und zwar unmittelbar an einen Mann, den er für einen jener Obern halten mußte, aber indem er in Angst die Sekunden auf seiner Uhr zählte, und der Antwort Flügel wünschte, kam sein eigner Brief ihm zurück, mit der Anweisung vom Postamt, kein Mann von dem Namen sei in der Stadt zu finden.
Nun sah er, daß man ihn völlig verlassen, daß man ihn ausgestoßen hatte. Es wurde ihm hell in allen Sinnen, daß er gebraucht sei, eine Büberei auszuführen, und daß man jetzt diese nothgedrungen aufgegeben habe, oder ihn wenigstens für unpassend halte, sie zu vollbringen. Er war bis dahin überzeugt gewesen, wenn er auch die Pläne seiner Obern nicht ganz durchschaute, daß er etwas Gutes und Edles wirke, wenn auch durch Mittel, die sich nicht vor der strengen Moral rechtfertigen ließen. Ihm war ein brennender Haß gegen die sogenannte Aufklärung, gegen jenen Indifferentismus, der seine Zeit charakterisirte, beigebracht worden. Er hielt es für nothwendig, daß jene Freimaurer, die sich der Rosenkreuzerei, dem Goldmachen und Geisterrufen widersetzten, als Schädliche und Verderbliche ausgerottet werden müßten, weil sie hauptsächlich durch ihren Einfluß und ihre Logen jene lebentödtende Aufklärung verbreiteten. Er glaubte wohl, daß ein Werben für die katholische Kirche auch eine Aufgabe seiner Sendung sei, unterzog sich aber auch diesem gern, weil er in dieser Lehre auferzogen war, und sie, ohne sie zu prüfen, oder die protestantische zu kennen, für die bessere hielt. Mit seinem Wunderglauben und seiner Schwärmerei hatte er sich eine eigne Lehre ausgebildet, die der orthodoxe Katholik gewiß nicht gebilligt hätte. So hin und her geworfen von Leidenschaften und chimärischen Hoffnungen, wähnend, ganz nahe an die Erfüllungen seiner höchsten Wünsche zu reichen, durch sophistische Ausreden über sein trügendes Thun beruhigt, sich als Lügner kennend, und sich dennoch für einen wahren Wunderthäter haltend, seine Gattin liebend, und sie doch seinen verdächtigen Zwecken aufopfernd, war er in allen diesen tollen Widersprüchen fast in ein gespenstisches Wesen verwandelt worden, das ohne innern Halt jeden Tag nur so hingaukelte, von Neuem täuschte und getäuscht wurde, und nie zur Besinnung kam. Jetzt fielen alle diese Larven von ihm ab, er lernte sich selbst erst kennen, und entsetzte sich vor dem Auge der Wahrheit und seiner eignen Nacktheit.
So bin ich denn, sagte er zu sich selbst, zugleich der Unglückseligste und Verworfenste aller Menschen. Der Inhalt meines Lebens ist ein Possenspiel, über das man lachen möchte, und zugleich so tragisch und entsetzlich, daß sich mir die Haare aufrichten. Wie können jene Menschen, die sich gut und weise nennen, es irgend mit ihrem Herzen ausgleichen, daß sie mich geschlachtet, und mir Geist und Leib zu Grunde gerichtet haben. So einsam, so ganz zernichtet war noch nie ein Mensch. Die Freunde, Beschützer, Mächtigen, auf die ich mich so sicher mit meinem ganzen Glücke lehnte, sind gar nicht da in aller weiten Welt, nirgend zu erfragen, wie Traumgestalten, wie Wolken verschwunden. Jeder Mensch, dem ich meine Noth klagen wollte, müßte es für wahnwitzige Lüge halten. — Ach Theodora! wie Recht hattest du. Warum vernahm ich denn deine Bitten und Warnungen nicht? Auch sie ist zertreten worden, so wie ich. O wenn sie noch da wäre, wie gern würde ich mit ihr als Tagelöhner, als Bettler leben. Und Nichts bleibt mir; nicht die elendeste Hülfe, nicht der kümmerlichste Trost.
Er sann hin und her, was er beginnen könne, aber jede Aussicht war verschlossen. Sein Trug mußte entdeckt werden, dem Manche schon auf die Spur gekommen waren. Die prophetische Gabe seiner unglücklichen Gattin konnte ihm auch Nichts mehr fruchten, um seine künstlichen Lügen mit halber Wahrheit oder seltsamen Entdeckungen zu unterstützen. Er dachte wohl daran, ob er nicht einige von Denen um Hülfe ansprechen sollte, denen er, als ihm große Summen zu Gebote standen, reichlich geholfen hatte, aber er verwarf diesen Gedanken sogleich als unstatthaft, weil er einsah, daß Dieselben, die ihn in der Noth als ein göttliches Wesen behandelt hatten, ihm jetzt kalt den Rücken kehren würden. Und so, dachte er, habe ich von meinem verlornen Leben nicht einmal den Nutzen, den jeder Dieb genießt, bevor er zum Galgen geführt wird, daß er Geld und Gut besitzt, oder mit seinen Spießgesellen schwelgt, und Wein und Wollust ihn übersättigen.
Er fiel darauf, sich dem geheimen Rath ganz zu entdecken. Dachte er aber an das Auge des ernsten Mannes, und wie viel er von ihm gezogen hatte, so verwarf er auch diesen Gedanken. Nein, rief er, die Ehre verbietet mir diese schmähliche Auskunft, die mich zu sehr erniedrigen würde.
Sonderbar, daß in der Verzweiflung und tiefsten Selbstverachtung die Menschen noch von diesem Phantom regiert werden können, das nur Wesenheit erhält, wenn der Edle, Tugendhafte sich von Rücksichten lenken läßt, um die gute Meinung seiner Zeitgenossen, sei es auch im Vorurtheil, zu erhalten. Der Lügner will aber oft mit den abscheulichsten Lügen die Erde lieber verlassen, als durch eine Handlung der Tugend, seine erste vielleicht, indem er die Wahrheit bekennt, vor der Menge beschämt werden. Diese Ehre hielt ihn von dem edlen, mitleidigen Manne zurück, und stellte sich zwischen ihn und diesen wie eine Mauer.
Denn mit den besten Gesinnungen für den Unglücklichen langte der alte Seebach an. Er kannte zwar Sangerheims Verbindungen nicht, und wußte eben so wenig, wie diese jetzt so ganz von ihm abgefallen waren, aber er war der Ueberzeugung, daß Sangerheim sein Versprechen nicht halten könne, und er war darauf gefaßt, die große Summe schwinden zu lassen, ohne ihm seine Schriften zurückzuhalten, oder ihn öffentlich zu beschimpfen, wozu der Magier ihm ein Recht gegeben hatte, wenn er seinem Worte untreu würde. Wie erstaunte daher der Rath, als ihm Sangerheim mit großem Vertrauen und fester Sicherheit entgegentrat, und auf übermorgen mit leichtem Sinn die Auslösung der Schriften verhieß. Er war selbst heiter, obgleich er mit Schmerz von dem Tode seiner geliebten Gattin sprach. Dies Betragen war so, daß der Rath selbst wieder unsicher wurde, und dem schönen großen Manne gegenüber sich im Stillen Vorwürfe machte, daß er ihm so sehr Unrecht gethan habe.
Der Tag ging hin unter Besuchen und Zerstreuungen. Der Arzt Huber, dieser fanatische Anhänger Sangerheims, erzählte viel von seinen Hoffnungen, deren Erfüllung er in kurzer Zeit zu erleben gedachte.
Am andern Morgen machte der Rath mit dem Arzte, Sangerheim, Ferner und noch einigen Vertrauten einen Spaziergang. Als sie die Stadt im Rücken hatten, entspann sich in der Kühlung des schönen Morgens ein sonderbares Gespräch. Sangerheim sprach von der Flüchtigkeit des Lebens, das, gegen die unerschöpflichen Tiefen der Kunst und Wissenschaft gehalten, viel zu kurz sei.
Sie gingen einem Bach vorüber. Alle diese Wellen, sagte Sangerheim, gelangen in den Ocean, der dadurch nicht voller wird. Ist es nicht eben so mit unsern Seelen? Der Tod entführt sie — wohin? Zu Gott, der keinen Mangel kennt, und durch sie nicht größer wird.
In der Einsamkeit sagte er endlich: Nur zu sehr hatte jener Feliciano Recht, daß ich schwere Kämpfe mit den Geistern, die nur ungern gehorchen, würde zu bestehn haben. Sie wollen es nicht dulden, daß ein Sterblicher so große Gewalt über sie erringe. In jeder Minute muß ich wachsam seyn. Verabsäume ich gewisse Gebete, könnte ich diese oder jene unerläßlichen Vorkehrungen vergessen, so wäre mein Leben Augenblicks in Gefahr. Von wie vielen ausgezeichneten Männern, die das Reich der Geister sich unterwürfig gemacht, wissen wir es nicht, daß sie eines unnatürlichen oder gewaltsamen Todes gestorben sind. Oft war es auch die Veranstaltung dieser rebellischen Geister, daß die weltliche Macht sich eines dieser Männer als eines solchen bemächtigte, der mit der Hölle im Bunde stehe, und ihn nach dieser falschen Beschuldigung auf den Scheiterhaufen setzte.
Hin und her wurde über diese Behauptung gestritten. Plötzlich rief Sangerheim: Still! meine Freunde. — Er blieb stehn, als wenn er auf Etwas horchte, dann nickte er, schüttelte mit dem Kopfe, murmelte einige Worte, und machte wieder die Geberde, als wenn er gespannt einer Rede zuhöre. Nach einer Weile sagte er: Warten Sie hier einen Augenblick. Wovon ich eben sprach, hat leider stattgefunden. Eine Kleinigkeit habe ich heute beim Aufstehn unterlassen, das Zeichen vor meinem Bette und an der Thür meines Schlafzimmers ist nicht in rechter Weise aufgelöset worden, nun jagen mir die Ungestümen nach und wagen es, zu drohen. Warten Sie hier einen Augenblick, dort in der Einsamkeit werde ich sie schon zu zwingen wissen, sie sollen zitternd ihren Meister erkennen, und mir nicht zum zweiten Male drohen.
Er entfernte sich mit triumphirender Miene und in stolzer Zuversicht. Als er hinter den Gebüschen verschwunden war, hörte man Zank und Streit von vielen verschiedenen Stimmen, und Sangerheims donnernden Ton abwechselnd dazwischen, dann einen Knall, wie einen Schuß. Hierauf Stille.
Alle sahen sich erwartend an. Der Rath ging ahndungsvoll zuerst nach dem Platz. Der Unglückliche lag todt am Boden, das Pistol neben ihm.
Die Geister haben ihn ermordet! schrie der Arzt heftig: o die Elenden, Schändlichen! O Liebster, so bist Du denn doch das Opfer Deines Enthusiasmus, Deines brennenden Eifers für die Wissenschaft geworden!
Der Rath sagte kein Wort; jedes schien ihm überflüssig. — Man machte in der Stadt eine Anzeige von diesem Vorfall, und am folgenden Tage ward der Leichnam beerdigt.
Seltsam genug, daß manche der aufgeklärten Freimaurer, die von diesem Sangerheim so schlimm waren verfolgt worden, jetzt auch die Meinung aussprachen, er sei von seinen Geistern, die aber bösartige wären, zur Strafe aller seiner Frevel vernichtet worden. —
Am andern Tage versammelte der geheime Rath die vertrautesten Freunde des Abgeschiedenen in seiner Wohnung. Man lösete langsam und bedächtig die Siegel des geheimnißreichen Paketes, eine Scheide nach der andern, und wickelte einen Umschlag aus dem andern. Jener Knall, der schon einmal den Rath erschreckt hatte, ließ sich wieder hören. Keiner von Allen war in solcher Spannung, als der Arzt Huber. Endlich war Nichts mehr aufzuknüpfen und kein Petschaft mehr aufzubrechen, und offen lag vor Aller Augen der Inhalt. — Eine alte französische Grammatik, drei alte Kalender, viel Makulatur.
Die Erbschaft eines Wunderthäters, sagte der Rath kalt. Erst jetzt verachtete er den Magier völlig. Nein! rief Huber in großem Eifer; die boshaften Geister haben auch seine wichtigen Geheimnisse scheinbar verwandelt, um unser Aller Augen auf eine Zeitlang zu blenden. Wenn wir uns nicht thören lassen, so müssen bald die ächten Skripturen an die Stelle dieser Makulatur zurückkehren. Und so bemächtige ich mich, im Namen der Kunst, dieser unscheinbaren Papiere, um sie vom Untergange zu retten. Kann auch seyn, daß im Bande, zwischen den Blättern, oder in Punkten und unterstrichenen Buchstaben das Mysterium niedergelegt ist. Ich werde wenigstens Tag und Nacht studiren.
Man ließ ihn gewähren und würdigte ihn keiner Antwort. —
———
Das Schicksal Sangerheims war beschlossen, und die meisten seiner ehemaligen Bewunderer gaben ihre Bestrebungen auf, retteten Geld und Zeit und kehrten zu besseren Beschäftigungen zurück. Nur Huber saß unermüdet bei seinen Makulaturen, den alten Kalendern und seiner französischen Grammatik, suchte und rechnete, und glaubte, nachdem er lange studirt hatte, auch viel Wichtiges gefunden zu haben.
Schmaling und Clara waren verheirathet. Ihr Glück ward durch gute und gesunde Kinder erhöht und man konnte die Familie des Rathes eine glückliche nennen, wenn nicht Anton in ihr gefehlt hätte, von dem man seit Jahren gar keine Nachricht hatte. Auch Feliciano, nachdem er lange an verschiedenen Orten in Europa mit mehr oder minder Glück seine Rolle gespielt hatte, war endlich, da Keiner mehr, auch der erst Verblendete nicht, an seinem Betruge zweifelte, nach manchen Abentheuern untergegangen.
Die Gattin des Rathes pflegte ihre Enkel, und Clara, die jetzt Nichts mehr zu bekämpfen hatte, durfte mit Sicherheit ihren Charakter, so wie die Anlagen ihres Geistes ausbilden. Sie fürchtete nun nicht mehr die Bilder der Phantasie, die poetischen Mährchen, oder das Geheimnißvolle in dieser oder jener Dichtung, weil es ihr nicht mehr feindlich gegenüber stand, und sie über den Charakter ihres liebenswürdigen Gatten beruhigt war. Dieser, einmal enttäuscht, fühlte niemals die Versuchung wieder, sich in jenes Labyrinth zu begeben, dessen Irrgänge er hatte kennen lernen, und denen er so glücklich entflohen war.
So waren im ruhigen Glücke mehr als zwölf Jahre verflossen, als sich an einem Morgen früh beim geheimen Rathe ein Fremder anmelden ließ, der darauf bestand, den Herrn selbst zu sprechen, und sich vom Diener nicht wollte abweisen lassen. Die Thüre des Arbeitszimmers ward ihm endlich geöffnet, und es trat ein Mann von mittlerem Alter hinein, verwildert, ohne Haltung und Betragen, der, als ihn der Rath fragte, was er begehre, nur kurz antwortete: Und Sie kennen mich wirklich nicht mehr? Eine Ahndung ergriff den Vater: Sie sind doch nicht — Du bist doch nicht Anton? — Er schwankte und der unkenntlich gewordene Sohn fing ihn in seinen Armen auf. Sie umfingen sich zärtlich und gerührt, dann setzten sich Beide, um sich von ihrer Erschütterung zu erholen.
Bist Du wieder da? fing der Vater nach einer Weile an; aber es ist Dir, wie es scheint, nicht gut ergangen.
Ja, lieber Vater, sagte Anton, Ihr Kind, wenn Sie es noch dafür erkennen wollen, tritt fast wie der verlorne Sohn in sein väterliches Haus wieder ein. Mein Schicksal ist ein elendes, mein Leben ein verlornes. Wenn Sie mich verstoßen, so bin ich aller Schmach wieder dahin gegeben, dem kläglichsten Jammer, dem ich freilich gern entfliehn möchte.
Wenn ich Dich Sohn, Anton nenne, sagte der Vater, so heißt das, daß Du mir eben das seyn wirst, was Du mir ehemals warst. Du hattest Dich verblenden lassen, und ich wenigstens kann Dir kein strenger Richter seyn.
Wohl war ich verblendet, erwiederte Anton, und wie sehr! so, daß ich noch jetzt immer vor diesem Zustande meiner Seele zurück schaudre. Das gemeinste Kunststück, die elendeste Kundschafterei hatte damals den Charlatan in den Besitz meines Geheimnisses gesetzt, das ich vor Ihnen und vor allen meinen Freunden sorgsam verborgen hielt. Ich gestand mir meine eigne Schlechtigkeit nicht, und hoffte, thöricht genug, Alles solle sich wieder zurecht finden und ohne Spur vorüber gehn. Denn der Gedanke war mir fürchterlich, Ihnen oder gar meiner Mutter eine solche Schwiegertochter vorzuführen, in der Stadt alle meine Verbindungen zu zerstören, und durch diese auffallende That mir selbst jeden Vorschritt im bürgerlichen Leben unmöglich zu machen. Wie jener Feliciano nun mein Gemüth so durch eine plötzliche Erschütterung, durch ein scheinbares Wunder in seine Gewalt bekommen hatte, war ich ihm unbedingt und leibeigen angehörig. Er war mir kein Sterblicher mehr, und dieselben Künste und Studien, die ich noch kürzlich verlacht hatte, schienen mir jetzt die einzigen würdigen. Ich wollte mein Leben an ihre Erforschung setzen. Auch bildete ich mir ein, der Lieblingsschüler meines großen Meisters zu seyn, der mich verachtete, weil mein hartes einfaches Wesen für seine Absichten unbrauchbar erschien. — Welche Gaukeleien er hier trieb, wie sich selbst meine verständige Mutter eine Zeitlang von ihm bethören ließ, von allen diesen Dingen sind Sie selbst Zeuge gewesen. Aber wie wundersam vielgestaltig ist die menschliche Natur. So unbegreiflich, und doch wieder so verständlich. Meine Gattin, dieses schlichte Bauernmädchen, dieses ehrliche Wesen, dem früher meine Liebe das Höchste, ja das einzige Gut des Lebens gewesen war, ward bald ein Liebling meines großen Lehrers. Er behauptete, sie sei von der Natur ganz eigen begabt, um der wichtigsten Geheimnisse theilhaftig zu werden, sie würde in den weiblichen Logen bald die höchsten Grade ersteigen, und dann ebenso wie seine eigne Gattin, das Mysterium finden, Jahrhunderte zu überleben, und mit Geistern und Abgeschiedenen Gemeinschaft zu haben. Ich glaubte Alles und erwartete von jeder Woche, dann von jedem Monat, ebenfalls ein Eingeweihter zu werden. Mein Lehrer spielte indessen dort im Norden eine wichtige Rolle und ein großes Spiel. Gold und Juwelen, die größten Summen, schienen ihm, wie er damit umging, nur Tand. Was verhieß er mir, welche Aussichten eröffnete er meinen trunkenen Hoffnungen. Aber auch Opfer begehrte er von mir. Um mich zur Weihe vorzubereiten, mußte ich die Gesellschaft meiner Gattin vermeiden, fasten, jede weltliche Lust und Zerstreuung fliehen. Meine Frau, die mir schon im Wissen vorgeschritten war, drang jetzt darauf, damit sie kein Hinderniß mehr fände, sich mit den Geistern in Verbindung zu setzen und selbst eine Unsterbliche zu werden, ich sollte einwilligen, daß wir durch die Gerichte förmlich wieder getrennt und geschieden würden. Man hatte meine Phantasie so erhitzt, ich erwartete selbst so wundersame Dinge zu erfahren, sie strebte so eifrig nach dem höchsten Grade, daß ich mich endlich überreden ließ, ja daß ich endlich die Nothwendigkeit dieser Scheidung selber einsahe. Bald darauf war sie verschwunden. Der Meister erklärte sich nicht, sondern sprach nur in geheimnißvollen Winken, und gab zu verstehen, daß sie in diesen Augenblicken eines großen Glückes genösse. Meine Einweihung zu den höheren Graden lehrte mich aber nichts Neues, und ohnerachtet meiner blinden Ergebenheit und meines Aberglaubens fing ich doch an, ungeduldig zu werden. Man beschwichtigte mich wieder. Eine Thorheit löste die andere ab und so verging die Zeit.
Wir mußten uns endlich schnell entfernen, und unsere Abreise glich fast einer Flucht. Der Magier sagte mir zwar, daß große Begebenheiten und Operationen, die sich nicht länger aufschieben ließen, ihn nach einem fernen Lande riefen, indessen sah ich doch die Angst des Meisters, ich bemerkte, wie seine wichtigsten Anhänger sich von ihm entfernten, und die Binde fiel allgemach von meinen Augen nieder. Da ich aufmerksam geworden war und ihn nicht mehr so, wie bisher fürchtete, konnte ich ihn auch beobachten. Auf unsrer übereilten Reise gab er mir Bücher und Papiere, auch viele offene Briefe, die, wie er mir sagte, keinen Werth hätten, und die ich gelegentlich verbrennen könne. Für mich waren diese aber sehr bedeutend, denn da ich, indem ich vorangeschickt wurde, um sein Quartier zu machen, nur einen flüchtigen Blick in einige Blätter gethan, sah ich wohl, daß der Weiseste der Menschen in Angst und Uebereilung einen dummen Streich gemacht hatte. Er dachte nicht daran, die Sachen zu vernichten, und Zeit mangelte ihm, sie anzusehn. Viele Briefe enthielten die Geschichte meiner Frau. Sie war einem reichen Fürsten geradezu verkauft worden. Sie hatte um die ganze Verhandlung gewußt und sich mit der größten Feinheit und List betragen, und zwar so sehr, daß sie den bethörten Fürsten vermocht hatte, sie zu seiner Gemahlin zu erheben. Dieser aber, so wie sie, hatten dem Magier dafür, daß er mich zur Scheidung bewogen und daß er den Fürsten ebenfalls verblendet hatte, große Summen zahlen müssen. So war sie denn, was die Welt so nennt, glücklich geworden. Gegen mich hatte sie sich schlecht betragen, indessen verzieh ich ihr, da ich früher gegen sie nicht besser gewesen war, und ich empfand einen tiefen Schmerz und Reue, indem ich die Veranlassung gewesen, daß ein schlichtes einfaches Wesen so die Talente zu List und Betrug zur Verderbniß ihrer Seele entwickelt hatte. Denn aus den Briefen ging hervor, daß sie und der Graf sich völlig verstanden, daß sie mit ihm über die Einfalt der Menschen, vorzüglich über die meinige, lachte.
Als ich mit meinem großen Beschützer an Ort und Stelle gelangt war, blieb ich noch eine Zeitlang in seiner Nähe, um seine Künste zu beobachten, zu denen er mich oft gebrauchte. Ich lebte im Ueberfluß, aber ich kam mir vor, als sei ich der Croupier eines falschen Spielers.
Ich konnte es nicht länger ertragen. Ich schrieb ihm Alles, was ich von ihm wußte und dachte, und verließ ihn. Und gut, daß ich es gethan, denn sonst wäre ich mit in jene Prozesse verwickelt worden, die sich bald gegen ihn erhoben. Ich war nun frei, aber auch Nichts als frei, das heißt, der armseligste Sclave, der Tyrannei eines jeden Augenblicks Preis gegeben, vom Mangel und den Bedürfnissen der Natur gemißhandelt. Mich Ihnen zu nähern, zurückzukehren, verbot mir eine mächtige Scham, wohl eine falsche, denn Nichts wird so sehr mißverstanden, als das Wort und der Begriff Ehre. Bald war ich Schreiber, bald Aufseher in einem Hause, einigemal Comödiant, auch versuchte ich mich als Schriftsteller. Ich konnte mich nie ganz fallen lassen und zu jener naiven Niederträchtigkeit hinunter steigen, die ich an andern meines Gelichters wahrnahm. Endlich nun, an mir und allen Menschen verzweifelnd, thu’ ich den Schritt, den ich vor manchem Jahre hätte wagen sollen.
Der Vater tröstete, beruhigte den Sohn. Er ließ ihm Kleider und Wäsche holen, damit die Mutter nicht zu sehr erschreckt würde, wenn sie ihn in dieser Gestalt wieder sehn sollte. Freude und Trauer war über seine Rückkehr zugleich in der Familie, indessen fand man sich nach und nach wieder zurecht und in einander und Anton zog auf das väterliche Gut hinaus. Hier arbeitete er redlich mit dem Verwalter, lernte die Landwirthschaft kennen und konnte nach einigen Jahren selber die Bewirthschaftung desselben übernehmen. Er gewann die Liebe eines reichen Fräuleins, mit der er als nützlicher Landmann glücklich lebte.
Ferner hatte indessen von seinem verlorenen Sohne nie wieder Etwas erfahren, so sehr er sich auch bemüht und nach allen Gegenden geschrieben hatte. Er war verschollen und der Vater glaubte, er sei gestorben. Der Gelehrte mußte in Familienangelegenheiten eine Reise nach dem südlichen Deutschland unternehmen. In einer mäßigen Stadt zeigte ein Italiener, ein Taschenspieler, seine Künste. Der Professor war sonst kein Freund dieser Gaukeleien, indessen ist auch der strenge Mann in der Fremde leichteren Sinnes, als zu Hause, und da man von dem jungen Mann als einem wahren Wunderthäter sprach, der Dinge zeige, die selbst andre Spieler nicht begreifen könnten, so ging Ferner mit einer Gesellschaft, neugierig gemacht, nach dem Saale. Was der junge Künstler ausführte, war in der That bewunderungswürdig, besonders durch die leichte Sicherheit, mit der er das Schwierigste scherzend zu Stande brachte. Indem der Professor die schönen leichtfertigen Hände des Spielers betrachtete, fiel ihm ein kleines braunes Mal am rechten Zeigefinger auf, er ward aufmerksamer, betrachtete das Gesicht und forschte in den Augen, und glaubte endlich überzeugt seyn zu können, dieser Taschenspieler sei sein verlorener Sohn. Sein Herz war bewegt, und er konnte an den vielen wunderbaren Erscheinungen keinen Antheil mehr nehmen.
Als das Schauspiel vorüber war, und sich die Zuschauer vergnügt und befriedigt entfernten, blieb er, unbeobachtet, allein im Saale zurück. Als dieser ganz leer war, redete er den fremden Künstler italienisch an, um seine Frage vorzubereiten, dieser aber antwortete gleich deutsch, und warf sich dem Vater in die Arme.
Nach einigen Reden, in welchen der Vater die Verlornen Jahre des Sohnes beklagte, sagte dieser: Liebster Vater, ich erkannte Sie sogleich, als Sie in den Saal traten, und alsbald nahm ich mir auch vor, mich Ihnen zu erkennen zu geben, ob ich gleich bis jetzt gezögert habe, an Sie zu schreiben, und mich Ihnen wieder zu nähern. Schelten Sie mein Handwerk nicht, denn es nährt seinen Mann. Sie sehn auch, daß ich mich Professor schreibe. Zwar habe ich Ihren geehrten Namen nicht beibehalten wollen, sondern spiegle dem Volke vor, ich sei ein Italiener. Glauben Sie nur, was ich jetzt treibe, ist ehrsam und achtenswürdig gegen das, was ich bei jenem berühmten Grafen spielen mußte. Es ist Gnade des Himmels, daß ich kein Bösewicht geworden, und noch so mit einem blauen Auge davon gekommen bin. In der Hinsicht habe ich bei meinem Wunderthäter meine Zeit nicht ganz verloren, indem ich ihm sehr scharf auf die Hände gesehn habe. Ich habe Vieles von ihm gelernt, und so zeige ich unschuldig für Geld so Manches, was er zu schlimmen Absichten und Betrug gebrauchte. Ich unterhalte die Menschen, er plünderte sie, indem er sie zugleich wahnsinnig machte. — Ich verspreche Ihnen, nie nach Ihrer Stadt zu kommen, aber besuchen Sie mich, wenn ich einmal in Ihrer Nähe bin. Schreiben wir uns, Liebster, damit wir in Verbindung bleiben.
Diese Abrede wurde genommen und man führte sie aus. Der Vater war über seinen Sohn beruhigt, und dieser gewann durch die Leichtigkeit seiner Hand ein ziemliches Vermögen. —
In Seebachs Hause wäre Alles glücklich und heiter gewesen, wenn der neunzigjährige Obrist nicht Clara, die Mutter und Schmaling neuerdings geängstigt hätte. Gegen ihn, der schwach wurde, ließ sich der Rath am meisten gehn, und so war der Greis der Vertraute von so manchem kleinen Geheimniß, das den Uebrigen verschwiegen wurde. Diesen erzählte der Obrist in vertrauten Stunden, daß sein Schwiegersohn sich wiederum in eine Correspondenz eingelassen habe, die ihm gar nicht gefallen wolle. Der Ton dieser Briefe sei sehr fromm und mysteriös: Anfangs habe der Rath Alles von sich gewiesen, dann habe er nach und nach Interesse gefaßt, sei gläubiger geworden, und hoffe nun doch noch von ehrbaren Männern, die sich ihm in jedem Briefe näherten und bestimmter bezeichneten, etwas Großes zu erfahren. Und so ist es merkwürdig, schloß der Alte seinen Bericht, daß eine bestimmte Leidenschaft zwar schlafen, aber bei den meisten Menschen nie ganz vertilgt werden kann.
Diese Briefe kamen aus dem südlichen Deutschland und sprachen von Geheimnissen, die nicht entweiht werden dürften, die sich aber doch wohl allgemach geprüften Männern mittheilen ließen. Der Rath war unvermerkt in eine gläubige Stimmung gekommen, und war in seinen Antworten auf Manches näher eingegangen, was jene Unbekannten erwähnten. So hatte er sein Abentheuer mit Sangerheim und seine Beobachtungen und Erfahrungen über ihn mitgetheilt, auch alle seine Zweifel und was ihm dunkel geblieben. Auf diese Punkte antwortete der neueste Brief.
Geliebter Bruder in dem Herrn!
Was Sie uns von jenem verlorenen Bruder Sangerheim melden, war uns nicht neu. Allerdings stand der Unglückliche mit uns in Verbindung, ihm wurde, als einem hoffnungsvollen Lehrlinge, Einiges mitgetheilt. Als er von uns schied, bemächtigten sich andre Menschen seiner, die in weltlichen Planen handthieren und das himmlische Kleinod entweihen. Er verrieth uns diesen, so viel er es vermochte, und hat sich so selbst sein tragisches Schicksal bereitet, da er der Lüge und dem Betruge anheim gefallen war. Auch jene Weltlichen sahen seinen Sturz gern und entzogen sich ihm, weil sie fürchten mußten, daß er sie ebenfalls verrathen könne. Kommen wir uns näher, so wird Ihnen, Geehrter, Nichts dunkel bleiben und größere Dinge werden sich Ihnen erschließen. Zwar sind Sie nicht für unsre Kirche, aber doch nicht unbedingt gegen sie, und wir gehn Ihnen mit dem größten Vertrauen entgegen. Kommt Jemand zu Ihnen, der Ihnen das Wort Emanuel sendet, so nehmen Sie ihn auf, als von uns. Er wird das erste Kleinod Ihren treuen Händen übergeben. —
Der Rath war in großer Spannung. Nach zehn Tagen etwa trat der Diener ein und meldete, ein sonderbarer Fremder stehe draußen und sage, er möge nur Emanuel sprechen. Der Rath ließ den alten Mann ein, der feierlich die Thür verschloß und dann ein seltsames Gespräch begann. Der Rath fühlte sich erbaut und gestärkt, in diesen Gesichtspunkt waren ihm manche Gedanken von Wunderfähigkeit, Glauben und einer einzigen herrschenden Kirche noch niemals gerückt worden. Beim Abschied nahm der Fremde ein Paket aus dem Busen, küßte es mit Salbung und überreichte es demüthig und feierlich dem Rathe, indem er sagte: Geliebter Bruder, dieses ist das erste Pfand der hohen, den gewöhnlichen Menschen unsichtbaren Gesellschaft. Achten Sie noch die Siegel und erbrechen Sie sie nur in geweihter Stunde nach Mitternacht. Doch thun Sie gut, sich durch Gebet vorzubereiten. Zwar wird Ihnen das Geheimniß des Kleinodes noch unverständlich seyn, aber schon die bloße Gegenwart desselben schützt Sie. Die Erklärung selbst wird in vier Wochen folgen. Aber: Finger auf den Mund. Wir zeigen mindestens, wie wir Sie ehren, wie groß wir von Ihnen denken.
Eine feierliche Umarmung beschloß das seltsame Gespräch. Geheimnißvoll entfernte sich der Unbekannte, und der Rath mußte sich gestehn, daß noch niemals ein Mensch einen solchen Eindruck auf ihn gemacht habe. Seine Umgebung bemerkte seine wunderbare Stimmung, aber er schwieg gegen Alle, auch gegen den Obristen. Clara fürchtete eine Krankheit, aber der rauhere Soldat, der seither so Manches mit dem Schwiegersohn durchgesprochen hatte, sagte: Dieser Mann ist einer der verständigsten, und Ihr werdet sehn, sie übertölpeln ihn doch, den Einen fangen sie auf die, den Zweiten auf eine andre Weise.
Am Abend schloß sich der Rath ein und entfernte alle Diener. Seine Stimmung war erhoben. Er betete und las in Andachtsbüchern. Er nahm das Evangelium und erschien sich so verjüngt, so jugendlich glaubend, so fromm und lauter, daß er die Thränen der Rührung nicht unterdrücken konnte und wollte. Endlich schlug es Mitternacht, und er eröffnete behutsam und zitternd die Siegel, ohne die geheimnißvollen Zeichen zu zerbrechen. Als er den innern Umschlag geöffnet hatte, fiel ihm in die Augen — — jene abgeschmackte Figur mit dem vielfältigen Abracadabra, die er damals an abergläubische Brüder nach der nahen Residenz gesendet hatte. Er lachte laut auf, und wurde plötzlich ernst, denn er bedachte, wie in jenem Lande dort der als Monarch herrsche, der damals nur nächster Erbe gewesen war, und welche Thorheiten dort in der Nähe des Thrones getrieben wurden.
Er rief seine Familie zusammen, die noch, um ihn besorgt, wachte. Er erzählte Alles, las einige Briefe, auch den letzten, und zeigte dann das magische, von damals dem Schwiegervater noch wohlbekannte Blatt.
Nun endlich, schloß er, habe ich Alles, was mich immer stört, von mir abgeschüttelt. O wie leicht ist mir, ihr Geliebten, daß ich nun noch einmal mit euch den fröhlichen Entschluß fassen, das vielsinnige Wort mit euch ausrufen kann: laßt uns, da es uns vergönnt ist, vernünftig seyn! —
Auf Emanuel durften nun die Bedienten nicht wieder achten, und jetzt erst hatten alle Mitglieder der Familie diese Krankheit der Wundersucht überwunden.
Die untergehende Sonne warf schon ihre rothen Strahlen an die Thürme, und über die Häuser von Padua, als ein junger Fremder, der eben angekommen war, durch ein Volksgewühl, ein Eilen, ein Rennen aufmerksam gemacht, und auf seinem Wege von der Menge mit fortgerissen wurde. Er fragte ein junges Mädchen, welches ihm ebenfalls schnell vorüber ging, was denn alle diese Menschen in so ungewohnte Bewegung setze. Wißt Ihr es denn nicht? antwortete diese, die schöne Crescentia, das junge Kind, wird jetzt beerdigt; alle wollen sie noch einmal sehn, da sie immer für die anmuthigste Jungfrau in der ganzen Stadt gegolten hat. Die Eltern sind trostlos. Die letzten Worte rief sie schon aus der Entfernung zurück.
Der Fremde beugte um den finstern Palast in die große Straße hinein, und ihm tönte schon Leichengesang, ihm wehte der Schein der blaßrothen Fackeln entgegen. Als er näher kam, sah er, nachdem das Gedränge des Volkes ihn vorgeschoben hatte, ein Gerüst, mit schwarzem Tuche verdeckt. Um dieses waren Sitze, ebenfalls schwarz, erhöht, auf welchem die traurenden Eltern und Verwandten saßen, alle im finsteren Ernst, einige Gesichter mit dem Ausdruck der Trostlosigkeit. Jetzt bewegten sich Figuren aus der Thür des Hauses, Priester und schwarze Gestalten trugen einen offenen Sarg, aus welchem Blumenkränze und grüne Gewinde niederhingen. Zwischen den blühenden bunten Pflanzen lag auf Kissen die weibliche Gestalt, blaß, im weißen Kleide, die zarten lieblichen Hände gefaltet, die ein Crucifix hielten, die Augen geschlossen, dunkle schwarze Ringellocken voll und schwer um das Haupt, auf welchem ein Kranz von Rosen, Cypressen und Myrthen prangte. Man stellte den Sarg mit seiner schönen Leiche auf das Gerüst, die Priester warfen sich zum Beten nieder, die Eltern erhuben sich wie verzweifelnd, noch klagender ertönten die Hymnen, und alles umher, die Fremden selbst, schluchzten und weinten. Der Reisende glaubte noch nie ein so schönes weibliches Wesen gesehn zu haben, als diese Leiche, die so wehmüthig an die Vergänglichkeit und den nichtigen Reiz des Lebens erinnerte.
Jetzt ertönte das feierliche Geläute der Glocken, und die Träger wollten eben den Sarg erheben, um die Leiche in das gewölbte Grab der großen Kirche zu tragen, als ein lauter tobender Jubelruf, schallendes Gelächter und das Geschrei einer ausgelassenen Freude, die Eltern, Verwandten, Priester und Leidtragende störte und erschreckte. Alles sah unwillig umher, und aus der andern Gasse schwärmte ein froher Zug junger Leute heran, singend, jauchzend, ihrem ehrwürdigen Lehrer immer wieder von neuem ein Lebehoch zurufend. Es waren die Studirenden der Universität, die auf einem Sessel hoch auf den Schultern einen bejahrten Mann von dem edelsten Ansehn trugen, der wie in einem Throne saß, mit einem Purpurmantel bedeckt, das Haupt mit dem Doktorhute geschmückt, unter welchem weiße Silberlocken hervor quollen, so wie ein weißer langer Bart auf das schwarzsammtne Wamms majestätisch herabfloß. Ein begleitender Narr mit Schellen und in bunter Tracht sprang umher, und wollte schlagend und scherzend dem Zuge durch das Volk und die Trauerleute Platz machen, doch auf einen Wink des ehrwürdigen Alten senkten die Schüler die Trage, er stieg herab und näherte sich gerührt und mit feierlichem Anstande den weinenden Eltern. Vergebt, sagte er ernst und mit einer Thräne im Auge, daß dieses wilde Geschrei so eure Leichenfeier stört, die mich innigst erschüttert und entsetzt. Ich komme von meiner Reise endlich zurück, meine Schüler wollen meinen Einzug durch ihre Freude verherrlichen, ich gebe ihren Bitten und Anstalten nach, und finde nun, — wie? eure Crescentia, das Musterbild aller Holdseligkeit und Tugend, hier vor euch im Sarge? Umher diesen düstern Prunk und jene Trauergestalten, um sie mit Thränen und Herzensweh zu ihrer Ruhestelle zu geleiten? — Er winkte seinen Begleitern und sprach einige Worte. Alles war schon längst still und stumm geworden, und die meisten entfernten sich jetzt, um die Leichenfeier nicht zu stören. Da kam die Mutter zitternd näher und sank an der Gestalt des Alten nieder, indem sie im krampfhaften Schmerze dessen Knie umschlang. Ach! warum seid Ihr nicht zugegen gewesen? rief sie verzweifelnd; Eure Kunst, Euer Wissen hätte sie gerettet. O Pietro! Pietro! Ihr, der Freund unsers Hauses! habt Ihr denn so Euren Liebling, Euren Augapfel können untergehn lassen? Kommt! Erweckt sie noch jetzt! Flößt ihr noch jetzt von den Wunderessenzen ein, die Ihr zu bereiten wißt, und nehmt dafür zum Dank alles, was wir besitzen, wenn sie nur wieder da ist, unter uns wandelt und mit uns spricht!
Laßt eure Verzweiflung nicht das Wort führen, antwortete Pietro: der Herr hatte sie euch geliehen, er hat sie euch wieder abgefordert; der Mensch vermesse sich nie, in den Arm seines weisen Rathschlusses zu greifen. Wer sind wir, daß wir gegen ihn murren sollten? Will der Sohn des Staubes, der im Winde verweht, mit seinem schwachen Athem gegen die ewigen Beschlüsse zürnen? Nein, meine Geliebten, fühlt als Eltern und Freunde ganz euren Schmerz: er soll unserm Herzen so einheimisch wie Lust und Freude seyn, auch er wird von dem Vater zu uns gesendet, der jede unsrer Thränen sieht, der wohl unsre Herzen kennt und prüft, und weiß, was der schwache Mensch ertragen kann. So traget denn dieses große übermächtige Leid um seinetwillen, aus Liebe zu ihm, denn nur Liebe ist es, was er euch auch auferlegen mag. Ist denn der Schmerz, das Herz in seiner Zerknirschung, die Seele, die in Wehmuth zerrinnen will, sind sie nicht ein heiliges göttliches Opfer, welches ihr in euren brennenden Thränen der höchsten, der ewigen Liebe als euer Köstlichstes darbringt? So rechnet es auch jener dort, der alle eure Seufzer und Thränen zählt. Aber der böse Feind, der immer an unsrer Seite lauert, beneidet uns die Heiligkeit dieser himmlischen Schmerzen, er ist es, der sie euch zur Verzweiflung, zum Zorn gegen den Schöpfer der Liebe und des Leides erhöhen will, damit ihr im Jammer nicht jener höchsten Liebe noch inniger verbunden werdet, sondern in den Abgrund des Hasses untergeht. Er, dieser Geist der Lüge, täuscht euch jetzt, und raunt euch boshaft seine Fabeln zu, als wenn ihr sie auf ewig verloren hättet, die doch nur in Geist und Seele und Liebe eins mit euch war, und euch nur als Unsichtbare zugehörte. Er will, daß ihr es vergessen sollt, wie diese schöne Hülle nur ihr Kleid war, dem Staube verwandt, zum Staube jetzt wiederkehrend. Werft ihn zurück, diesen Lügengeist, daß er sich vor der ewigen allmächtigen Wahrheit schämen muß, die ihr ihm entgegen haltet, daß sie noch euer ist, noch neben, nah um euch, ja weit mehr, weit inniger euer, als da euch diese Schranken des sterblichen Fleisches noch trennten, und euch in der Liebe selbst einander entfremdeten. Alle euere Erinnerung, Hoffnung, Schmerz und Lust ist sie von heute an; sie leuchtet euch in jedem erfreulichen Lichte, sie tröstet euch in den Blumen des Frühlings, sie küßt euch im zarten Hauch, der eure Wangen rührt, und jedes Entzücken, das fortan in euren Herzen aufblüht, ist ihr Herz und ihre Liebe zu euch, und dieses Entzücken, und diese ewige, unsterbliche Liebe sind eins mit Gott. So tragt sie denn zu ihrer Ruhestelle, und folgt ihr in stiller, gottergebner Demuth, damit durch euch nicht ihr Geist im Aufenthalt des ewigen Friedens gestört und geängstigt werde.
Alle schienen mehr beruhigt, der Vater reichte ihm stumm die Hand mit dem Ausdruck der Herzlichkeit und des gefühlten Trostes. Man ordnete sich, der Zug setzte sich in Bewegung, die Verlarvten, die Brüderschaften, die es sich zur Pflicht machen, die Leichen zu begleiten, reihten sich in ihren weißen Gewändern, und mit verdecktem Antlitz, von welchem nur die Augen sichtbar waren. Stumm bewegte sich der Zug fort, sie hatten jetzt fast schon die Kirche erreicht, als ihnen ein Reiter auf schäumendem Rosse entgegen sprengte. Was giebt es? schrie der Jüngling. Er warf einen Blick in den Sarg, und mit einem Ausruf der Verzweiflung wandte er das Roß, stürzte fort, und verlor in wilder Hast den Hut, so daß ihm die langen Locken im Abendwinde nachflatterten. Er war der Bräutigam, der zur Hochzeit kam.
Die Finsterniß umgab das Trauergefolge und die stille Feier, indem die schöne Leiche in das Gewölbe ihrer Familie hinabgesenkt wurde.
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Als sich alle zerstreut hatten, wendete sich der junge Fremdling, der in staunendem Schmerze dem Zuge gefolgt war, an einen alten Priester, der allein am Grabe betend verweilte. Er brannte zu erfahren, wer jener majestätische Greis sei, der ihm wie mit göttlichen Kräften und überirdischer Weisheit begabt erschien. Als der Jüngling dem Geistlichen die bescheidene Frage vortrug, stand dieser still, und sah ihm beim Scheine eines Lichtes, das aus einem Fenster auf sie schien, scharf ins Auge. Der Alte war eine kleine magere Gestalt, ein blasses schmales Antlitz erhob das Feuer der Augen um so mehr, und die eingekniffenen Lippen zitterten, als er ihm in heiserem Tone antwortete: Wie? Ihr kennt ihn nicht? Unsern weltberühmten Petrus von Apone, oder Abano, von dem man in Paris, London, dem deutschen Reiche und ganz Italien spricht? Kennt nicht den größten Weltweisen und Arzt, den Astronomen und Astrologen, von dem zu lernen und ihn zu schauen die wilde Jugend aus dem fernen Polenlande hieher schwärmt?
Der junge Spanier, Alfons, war im entzückten Erstaunen einen Schritt zurück getreten, denn der Ruhm dieses großen Lehrers hatte auch ihn von Barcelona über die See getrieben. Also er war es, er war es selbst? rief er begeistert aus: darum war auch mein Herz so tief bewegt. Mein Geist erkannte den seinigen. O edler, frommer Mann, wie lieb’ ich Euch darum, daß Ihr ihn nicht minder verehrt, wie alle Edlen und Guten der christlichen Welt.
Wollt wohl auch unter ihm studiren? fragte der Priester im grimmigen Ton.
Gewiß, antwortete jener, wenn er mich würdiget, sich meiner anzunehmen.
Der Alte stand still, legte seine Hand auf die Schulter des Jünglings und sagte dann milder: Lieber junger Freund, noch ist es Zeit, hört noch meine väterliche Warnung, bevor es zu spät ist. Täuscht Euch nicht selbst, wie es so Viele, Unzählige schon gethan haben, seid auf Eurer Hut und wahret Eurer Seele. Seid Ihr denn Eurer Ruhe und künftigen Seligkeit schon im voraus überdrüssig, wollt Ihr dem Heiland seine Liebe damit vergelten, daß Ihr ihm abtrünnig werdet, ihn leugnet, und als ein Rebell die Waffen gegen ihn schwingt?
Ich verstehe Euch nicht, alter Mann, erwiederte Alfonso: habt Ihr nicht selbst gesehn und gehört, wie fromm, wie christlich, mit welcher eindringlichen Majestät der Herrliche sprach, und den verirrten Schmerz der Liebe durch himmlischen Trost wieder in seine rechte Bahn lenkte?
Was vermag, was kann der nicht alles! dieser Künstler und Zauberer! rief der alte Priester bewegt aus.
Zauberer? fragte Alfonso. Ihr wollt also auch den Wahn des Pöbels theilen, der die Wissenschaft hoher Geister nicht zu würdigen weiß und lieber das Abgeschmackte glauben, als die eigne Seele an der Erhabenheit des Mitbruders stärken will?
Fahrt nur so fort, sagte der Priester erzürnt, so habt Ihr kaum nöthig, in seine weltberühmte Schule zu treten. Es ist augenscheinlich, sein Zauber hat Euch schon umstrickt, so wie er jedes Herz bezwingt, das nur in seiner Nähe schlägt. Ja wohl, der Heide, hat er heut wie ein Priester gesprochen und geweissagt, und seiner Lüge auch einmal diese Farbe angestrichen. So regiert er auch das Haus des Podesta’s. Die arme Crescentia konnte kaum in ihren letzten Stunden den Rückweg zur heiligen Kirche wieder finden, so war ihre Seele in den Irrlehren befangen, die der böse Heuchler wie giftige Netze um den jungen Geist geworfen hatte. Jetzt ist sie ihm entronnen, der Herr hat sie zu sich gerufen, und sandte diese Krankheit, um ihre Seele mit dem Verluste des Leibes zu retten.
Die Sprechenden waren auf den großen Platz gekommen. Der Jüngling war empört und sagte jetzt, um seinem Gefühle Luft zu machen: wozu nur, geistlicher Herr, diesen grimmigen Neid? Seht ihr denn, erkennt ihr es denn nicht, wie die Welt nur um so mehr von euch abfällt, um so mehr ihr mit Bann und Fluch und Verfolgung den neuen Geist ersticken wollt? den Geist der ewigen Wahrheit, der jetzt alle Landschaften erregt? Der nicht wieder, trotz eurer Künste, untertauchen wird, um gläubig euren Legenden zu horchen.
Wohl, sagte der Alte im hohen Zorne; haben wir doch jetzt Averroes statt Christus, und Aristoteles statt des Allmächtigen, und diesen Euren Pietro, diesen Ischarioth, statt des Geistes! Nicht wahr, der Erdgeist hat ihn groß und schlank auferbaut, und ihm ein feuriges Auge, edle Stirn, schönen Mund der Ueberredung, und majestätische Geberden geliehen, um zu gaukeln und zu täuschen: indeß ich, der unwürdige Diener des Herrn, hier krank, schwach und unansehnlich wandle, und nur mein Bekenntniß, meinen Glauben habe, um darzuthun, daß ich ein Christ sei. Ich kann nicht so in die Tiefen glänzender Weisheit hinabsteigen, nicht den Lauf der Sterne berechnen, Glück und Unglück vorhersagen, ich werde von den Ueberklugen geschmäht und verachtet, aber ich trage es demüthig, ihm zu Liebe, der mir alles auferlegt hat. Doch erwartet das Ende, und seht, ob ihn seine sieben Geister, die er im Zauberbanne hält, erretten können, ob ihm sein Famulus, das Höllengebild, dann zur Hülfe seyn wird.
War sein Famulus zugegen? fragte Alfonso neugierig.
Habt Ihr das Gespenst nicht bemerkt, antwortete der Mönch, das sich als Narr ausstaffirt hatte? die Mißgeburt mit dem Höcker, den verdrehten Händen und Armen, den krummen Beinen, den schielenden Augen und der ungeheuren Nase in dem Fratzengesicht?
Ich hielt alles dies für Maske.
Nein, dieser, erwiederte der Alte, braucht sich nicht zu verlarven. So wie er da ist, ist er Larve und Gespenst, ein Geist der Hölle, dieser Beresynth, wie sie ihn nennen. — Wollt Ihr die Nacht in meinem Kloster zubringen, junger Mensch, bis Ihr eine Wohnung gefunden habt?
Nein, antwortete dieser sehr entschlossen, ich mag die Gastfreundschaft dem Manne nicht schuldig seyn, der so den Herrlichen durch Verläumdung schmäht, dessen Name mich schon im Vaterlande entzückt hat, der mir hier als Vorbild wandeln und leuchten soll. Schlimm genug, daß ich dergleichen von Euch habe anhören müssen, von einem Manne, dessen Stand und Alter mir verbeut, ihn dafür zur Rechenschaft zu ziehn. Soll der nur fromm heißen, der die Wissenschaft verachtet, nur der ein Christ, der im wachen Schlummer die Tage seines Lebens und die Kräfte seiner Seele hinwegträumt, so trete ich aus dieser dumpfen Gemeinschaft. Aber dem ist nicht so, und nicht der Mensch, der Christ oder Priester haben aus Euch gesprochen, sondern nur die Zunft. Lebt wohl, wenn Ihr es mit diesen Gesinnungen könnt.
Sie trennten sich, beide verstimmt.
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Der junge Florentiner, welcher in der Stadt dem Leichenzuge begegnet war, sprengte wie rasend durch das Thor und rannte dann in ungemessener Eil durch Feld und Wald. Als er sich im Freien sah, stieß er Verwünschungen gegen Welt und Schicksal aus, raufte sein Haar, fluchte seinen Sternen und seiner Jugend und eilte dann wie bewußtlos weiter. Er spornte dem Winde entgegen, der sich nächtlicherweise aufmachte, als wenn er die Glut seiner Wangen abkühlen wollte. Als es später ward, sank das Roß, das schon oft gestolpert war und das er knirschend immer wieder aufriß, ermattet nieder, und er war gezwungen, seinen Weg zu Fuß fortzusetzen. Er wußte nicht, wo er war, noch weniger, wohin er wollte; nur sein Elend stand mit unauslöschlichen Zügen vor ihm, die Nichtigkeit der Welt, die Unbeständigkeit alles Glücks. Verruchter Wahnsinn des Lebens! rief er verzweifelnd durch die Nacht; so, so grausam erweckst du mich aus meinem Schlummer? Tödtlich muß ich dich hassen um deine Gaukeleien, deinen Aberwitz, um alle jene unsinnigen Hoffnungen, die unsre Jugend anlachen, so freundlich auf unserm Wege mit uns gehn, und wenn sie uns in die Wüste geführt, grinsend und höhnend davon fliegen. Leben! Was ist dieses thörichte Gespinnst, dieser alberne Traum eines Fieberkranken? Ein matter Schauer folgt auf den andern, ein verrücktes Gebild verjagt das andre, unsre Wünsche springen in der kahlen Einöde umher, und erkennen sich selber nicht. O Tod, o Ruhe, o Nichtsein, komm zu mir, laß dich umarmen, und löse dieses stürmende Herz. Könnt’ ich nur gleich meine letzten Minuten in Krämpfen verknirschen, daß die Morgensonne meine Stätte nicht mehr fände, daß kein Gedanke in mir ihrem neuen Strahl entgegen grüßte. Bin ich denn nicht das elendeste Geschöpf, das athmet? Um so ärmer, wie ich nur vor wenigen Stunden mich das glücklichste dünkte. Wehe der Jugend, wehe der Liebe, wehe dem Gefühl des Herzens, die sich so leicht, so gröblich täuschen lassen.
Ein Regen stöberte jetzt durch die kalte Luft, und bald wurden die Tropfen größer und dichter. Der Jüngling wußte nicht, wohin er gerathen war, der Wald lag schon fern hinter ihm, kein Obdach war in der Nähe. Er fing an, seine Erinnerungen wieder zu sammeln, sein Schmerz ward milder, Thränen flossen aus seinen Augen. Er haßte das Leben schon weniger, ihm war, als wenn die Nacht selbst ihn trösten und seinen Kummer lindern wollte. Ungewiß, ob er das gestürzte Roß wieder aufsuchen, ob er sich in einem Graben vor dem Unwetter bergen sollte, sah er noch einmal um sich, und entdeckte endlich, weit, weit hinab, hinter Thal und Busch ein hüpfend Lichtlein, welches ihn wie ein freundliches Auge durch die dicke Finsterniß zu sich winkte. Er eilte dem ungewissen Scheine nach, der bald verschwand, bald wieder erglänzte. Alle seine Kräfte, seine Gefühle waren wie in einem Schlummer gebunden, sein ganzes Dasein war wie in einen Traum zergangen.
Ein Sturm machte sich auf, und schwere, tiefhangende Gewitterwolken wälzten sich langsam herbei. Schon kam er Bäumen näher, wie es ihm dünkte, aber die Finsterniß machte es ihm unmöglich, irgend etwas zu unterscheiden. Er stürzte in eine Grube, als ein Blitz ihn blendete und ein lauter Donnerschlag betäubte; wie er sich wieder aufraffte, war das Licht, welches ihn gelockt hatte, schon nahe. Er klopfte an das kleine Fenster, welches sich hinter einigen Bäumen zeigte, und bat um Einlaß gegen Sturm und Ungewitter. Eine laute heisere Stimme antwortete von innen, doch vernahm der Jüngling kein Wort, denn Sturm und Gewitter und Regen, das Rauschen der Bäume, alles tobte jetzt so heftig durcheinander, daß jeder andre Laut erstarb.
Die Thür des kleinen Hauses ging nach dem Garten, er mußte durch diesen eilen, dann faßte ihn eine weibliche Hand, leitete ihn durch einen finstern Gang, und eröffnete eine kleine Stube, aus welcher ihm der Schein einer Lampe und das Feuer auf dem Heerde entgegen schimmerte. In der Ecke saß bei der Lampe eine häßliche Alte und spann, das junge Mädchen, das ihn hereingeführt hatte, machte sich am Heerde zu thun, und lange konnte er vor dem ungewissen wankenden Schein die Gestalten nicht näher prüfen, lange konnte kein Gespräch gangbar werden, weil das Getöse des Donners alles übertäubte.
Das ist ein grausames Unwetter, sagte in einer Pause die Alte mit krächzender Stimme. Woher seid Ihr denn, junger Mensch?
Ich komme von Padua, seit heut Abend.
Weither, rief die Alte, liegt ja sechs Stunden von hier. Wo wollt Ihr denn hin, da hier keine Landstraße geht?
Weiß es nicht, mag es auch nicht wissen. Der Unglückliche ist nicht fähig, einen Plan zu entwerfen, oder für die Zukunft zu sorgen. Wie wohl würde mir seyn, wenn es für mich gar keine Zukunft gäbe.
Sprecht irre, junger Mensch, und das muß nicht seyn. — Ei! rief sie aus, indem sie die Lampe erhob und ihn näher betrachtete, ja gar ein Florentiner! Das Wamms und den Kragen habe ich lange nicht gesehn. Je nun, das hat mir wohl auch was Gutes zu bedeuten. Hat mir das garstige Gewitter also einen lieben Gast bescheert; denn wißt nur, mein junger Herr, ich bin auch aus dem gesegneten Lande. Ja, Florenz! Ach, wer doch einmal wieder auf deinen Boden treten und die theuren Berge und Gärten wieder sehn könnte! Und Euer Name, lieber, junger Herr?
Antonio Cavalcanti, sagte der Jüngling, der wegen der Landsmannschaft zu der häßlichen Alten mehr Vertrauen faßte.
O welcher Ton, rief sie wie begeistert aus: ja Cavalcanti, so einen habe ich vor Jahren wohl auch gekannt, einen Guido.
Der war mein Vater, rief Antonio.
Und lebt nicht mehr?
Nein, sagte der junge Mann, auch meine Mutter ist mir schon seit lange entrissen.
Weiß es, weiß es, liebes, schönes, junges Kind. Ja, ja, es werden jetzt schon fünfzehn Jahre seyn, daß sie gestorben ist. Ach ja, sie mußte wohl dazumal in der bösen Zeit den Geist aufgeben. Und Euer lieber, guter Vater, dem habe ich es einzig zu verdanken, daß die Richter mich nicht einige Jahre nachher auf den Scheiterhaufen setzten, sie hatten sich’s einmal in den Kopf genommen, ich sei eine Hexe, und da half kein Widersprechen. Aber der Herr Guido kämpfte mich durch, mit Vernunft und Drohung, mit Bitten und Zorn, und sie haben mich denn bloß aus dem lieben Lande verbannt. Und nun bringt mir das Donnerwetter den Sohn meines Wohlthäters in meine kleine, arme Hütte. Gebt mir doch auch die Hand darauf, junges Blut.
Antonio gab sie der Alten schaudernd, die er jetzt erst näher betrachten konnte. Sie grinste ihn freundlich an, und zeigte zwei schwarze, lange Zähne, die einen widerwärtigen Mund noch häßlicher machten, die Augen waren klein und scharf, die Stirn gefurcht, das Kinn lang, sie streckte zwei dürre Arme nach ihm aus, und als er sie wider Willen umfassen mußte, fühlte er den Höcker, der die Häßlichkeit noch abscheulicher machte. Nicht wahr? sagte sie mit erzwungenem Lachen, ich bin nicht sonderlich hübsch, war es auch in meiner Jugend nicht. Es ist mit der Schönheit etwas Besonderes, man kann eigentlich niemals sagen und beschreiben, worin sie besteht, es ist immer nur eine Abwesenheit von gewissen Dingen, die, wenn sie in ihrer Bestimmtheit da sind, das ausmachen, was die Leute die Häßlichkeit nennen. Sagt mir einmal, was findet Ihr denn nun so an mir wohl am widerwärtigsten?
Liebe Alte, sagte der Jüngling verlegen —
Nein, rief sie, rund mit der Wahrheit heraus, ohne alle Schmeichelei! Jeder Mensch hat doch nun einmal die oder jene Gabe, und so bilde ich mir nicht wenig darauf ein, daß mir alles das abgeht, was sie in der Welt schön nennen. Nun, zeigt einmal Euren Geschmack. Sprecht!
Wenn ich muß, stotterte Antonio, dem trotz seiner Trauer ein Lächeln jetzt auf die Lippen trat, die beiden Zähne wollen mir —
Ha, ha! rief die Alte laut lachend, die beiden guten lieben alten schwarzen Zähne wollen Euch am wenigsten gefallen. Ich glaub’ es wohl, sie stehen wie zwei verbrannte Palisaden an einer zerstörten Vestung da in dem weiten leeren Raum. Aber Ihr hättet mich vor zehn Jahren sehn sollen, da war das Ding noch viel schlimmer. Dazumal hatt’ ich den ganzen Mund voll solcher entsetzlichen Hauer, und die mich lieb hatten, wollten mir sagen, es sähe gräßlich aus. So fielen sie denn nach und nach aus, und die beiden Stammhalter sind nur noch übrig geblieben. Wenn sie einmal abgehn, so klappt das Maul völlig zu, die Oberlippe wird dreimal so lang, und man kann wieder nicht wissen, was für ein Bildniß dadurch zu Stande kommt. Die Zeit, mein lieber junger Freund, ist, wie schon vor vielen Jahren einer gesagt hat, eine thörichte Künstlerin, sie macht ein Bild leidlich hübsch, dann künstelt, schnitzelt, reckt und stümpert sie am Menschen herum, zieht Nase und Kinn in die Länge, drückt die Backen ein, pinselt die Stirn voller Falten, bis sie ein Fratzengesicht zu Stande gebracht hat; dann schämt sie sich am Ende, schmeißt den ganzen Bettel hin und deckt ihn mit Erde zu, damit nicht alle Welt ihre Schande sehe. So glatt bleibt Ihr auch nicht, wie Ihr jetzt in Eurer Politur glänzt. Ah! zeigt! freilich, Ihr habt Zähnchen wie die reinsten Perlen. Schade, daß die müssen gebraucht werden, um Brod und Rinderbraten zu kauen. Ei, ei, — zeigt — weiter auf den Mund — die stehn aber so sonderbar, — hm! und der Augenzahn! Nun, das ist zu bedenken.
Antonio wußte nicht, ob er schelten oder lachen sollte; doch zwang er sich heiter zu seyn, und dem Geschwätz der Alten nachzugeben, die gleichsam wegen früher Bekanntschaft mit der Familie eine sonderbare Gewalt an ihm ausübte. Wie fuhr er aber entsetzt zusammen, als sie plötzlich: Crescentia! ausrief.
Ums Himmels willen! sprach er erschüttert, kennt Ihr sie? Saht Ihr sie? wißt Ihr von ihr?
Was ist Euch? heulte die Alte, muß ich sie doch wohl kennen, da sie meine eigne Tochter ist. Seht nur selbst, wie die träge Dirne da eingeschlafen sitzt, das Feuer ausgehn und die Suppe verkühlen läßt.
Sie nahm die Lampe und näherte sich dem Heerde; aber wie ward dem Jünglinge, als er seine Geliebte heute zum zweitenmale wiedersah, fast eben so, wie am Abend. Das blasse Haupt lag gesenkt, die Augen geschlossen, alle Lineamente, auch die dunkeln Locken seiner Braut, eben so hatte sie die kleinen Händchen gefaltet, zwischen welchen sie ebenfalls ein Christusbild hielt. Das weiße Gewand half die Täuschung erhöhen, nur fehlten die Blumen, doch webte die Dämmerung wie Kränze schweren dunkeln Laubes um ihre Locken. Sie ist todt, seufzte Antonio, sie starr betrachtend. — Faul ist sie, die träge Dirne, sagte die Alte, und schüttelte die schöne Schläferin wach; nichts als beten und schlummern kann das unnütze Geschöpf.
Crescentia ermunterte sich, und ihre Verwirrung erhöhte noch ihre Anmuth. Antonio fühlte sich dem Wahnsinne nahe, daß er diejenige wieder vor sich sah, die er doch auf ewig verloren hatte. Alte Zauberin! rief er heftig aus, wo bin ich? Und welche Gebilde führst Du vor die irren Sinne? Sprich, wer ist jenes holdselige Wesen? Crescentia, bist Du wieder da? Erkennst Du mich noch als den Deinen? Wie bist Du hieher gerathen?
Holla! mein junger Prinz, schrie die Alte, Ihr faselt ja, als wenn Ihr Euer bischen Verstand verloren hättet. Rumort Euch das Gewitter im Kopf herum? Hat der Blitz etwa in Euern Witz geschlagen? Es ist meine Tochter, und ist es von je an gewesen.
Ich kenne Euch nicht, sagte die bleiche Crescentia hold erröthend. Ich bin nie in der Stadt gewesen.
Setzt Euch, unterbrach sie die Alte, genießt, was da ist. Die Suppe wurde aufgetragen, einige Früchte, und aus einem kleinen Wandschrank nahm die Alte eine Flasche köstlichen florentinischen Weins. Antonio konnte nur wenig genießen, sein Auge war auf Crescentia hingebannt, und seine verwirrte und erschütterte Phantasie wollte ihn immer wieder von Neuem bereden, diese sei seine gestorbene Braut. Oft glaubte er dann wieder, in einem schweren Traum gefesselt zu liegen, oder von einem Wahnsinn befangen zu seyn, der alle Gegenstände um ihn verwandele, daß er vielleicht in der Stadt, oder in seiner Heimath weile, nur seine Einbildungen sehe, und keinen seiner Freunde erkenne und vernehme, die wohl tröstend oder klagend um ihn stehn möchten.
Das Gewitter hatte ausgetobt, und die Sterne glänzten am beruhigten dunkeln Himmel. Die Alte aß mit Begier und trank noch eifriger von dem süßen Weine. Nun endlich, junger Antonio, fing sie nach einiger Zeit an, erzählet uns doch, was Euch nach Padua, was Euch hieher getrieben hat.
Antonio fuhr wie erwachend auf. Ihr könnt wohl, erwiederte er, einige Nachrichten von Eurem Gaste verlangen, da Ihr obenein meinen Vater, und vielleicht auch meine Mutter gekannt habt.
Wohl habe ich sie gekannt, sagte die Alte schmunzelnd, kein Mensch so gut als ich. Ja, ja, sie starb sechs Monat zuvor, ehe Euer Vater seine zweite Ehe mit der Marchese Manfredi stiftete.
Also das wißt Ihr auch?
Ist mir doch, fuhr jene fort, als sähe ich das schmucke Püppchen noch immer vor mir. Nun, lebt die schöne Stiefmutter denn noch? Als sie mich aus dem Lande jagten, war sie noch in ihrer schönsten Blüthe.
Ich mag es Euch nicht wiederholen, sagte Antonio mit einem Seufzer, was ich durch diese mir fremde Mutter litt; sie hatte meinen Vater wie bezaubert, der lieber allen seinen alten Freunden, lieber seinem Sohne Unrecht thun, als sie irgend beleidigen wollte. Endlich aber änderte sich dieses Verhältniß, doch brach mein Herz fast beim Anblick dieses Hasses, wenn es früher nur über erlittene Kränkungen geblutet hatte.
Also recht bitter böse, fragte die Alte mit widerwärtigem Lächeln, ging es in der Haushaltung zu?
Antonio betrachtete sie mit scharfem Blicke und sagte verwirrt: Ich weiß nicht, wie ich dazu komme, hier von meinem und dem Elend meiner Eltern zu erzählen.
Die Alte leerte ein Glas rothen Wein, der wie Blut im Glase stand. Mit lautem Lachen sagte sie dann: weiß ich mir doch kein herrlicheres Vergnügen, versteht, was man so recht Wonne und Seligkeit nennen kann, als wenn so zwei Ehehälften, die früher einmal zwei Liebesleute waren, sich wie Katze und Hund, oder wie zwei Tigerthiere herumbeißen, schelten, einander verfluchen, und Herz und Seele dem Satan opfern möchten, um eins das andere zu kränken, oder seiner los zu werden. Das, junger Fant, ist die wahre Herrlichkeit des sterblichen Lebens. Besonders aber, wenn die beiden Verbündeten vorher aus Liebe recht geraset haben, alles, auch das Ungewöhnliche für einander gethan, wohl gar manches begangen, was andre fromme Leutchen Verbrechen nennen, um nur zu einander zu kommen, um nur endlich und endlich das nun so verhaßte Band zu schlingen. Glaubt mir, das ist alsdann für den Satan und die ganze Hölle ein hohes Fest, ein Jubeln und Cymbelnklang der Unterirdischen. Und hier nun gar, — doch, ich schweige, ich könnte leicht zu viel sagen.
Crescentia sah den Erstaunten wehmüthig an. Verzeiht ihr, sagte sie lispelnd, Ihr seht, sie ist trunken, die Unglückliche.
In Antonio’s Seele aber erwachte die Vorzeit und alle ihre trüben Scenen mit frischer Kraft. Der trübe Tag kam ihm zurück, als er seine Stiefmutter auf ihrem Sterbebette sah, als sein Vater verzweifelte und sich und die Stunde seiner Geburt verfluchte, als er den Geist seiner ersten Gattin anrief und um Vergebung flehte.
Habt Ihr nichts mehr zu erzählen? fragte die Alte, und weckte ihn dadurch aus seiner staunenden Träumerei.
Was soll’s? sagte Antonio im tiefsten Schmerz, scheint Ihr doch alles zu wissen, oder durch Weissagung erfahren zu haben. Brauche ich es Euch zu sagen, daß ein alter Diener, Roberto, sie vergiftet hatte, von ihrem Haß verfolgt und zur Rache angespornt? Daß dieser boshaft und verrucht meinem Vater das Verbrechen zuwälzen wollte? Er entsprang aus dem Gefängnisse, übersteigt die Gartenmauer und stößt in der Grotte meinem Vater den Dolch in die Brust!
Der alte Roberto? Roberto? rief die Alte, fast wie im frohen Jubel; ei, sieh doch! was man an den Leuten nicht erlebt! Ja, ja, der Schleicher war in jüngern Jahren so ein rechter Tuckmäuser, ein scheinheiliger Hund, ist aber nachher ein resoluter Bursche geworden, wie ich höre. In der Grotte also? Wie sich alles so wunderbar fügen muß. Da saß Euer Vater in frühern Jahren so oft mit der ersten Gattin, dort hat er ihr zuerst, als ihr Bräutigam, ewige Liebe geschworen. Dazumal trug Roberto gewiß schon jenen Dolch, wußte aber nicht, daß er ihn erst nach zwanzig Jahren so sonderbar brauchen sollte. Dort hat auch die zweite Gemahlin oft bei dem kühlen Brunnen geschlummert, da lag der Mann wieder zu ihren Füßen. Nicht wahr, Antonio, Kind, das Leben ist ein recht buntes, recht dummes, recht abgeschmacktes und recht grauliches Fabelgemisch? Kein Mensch kann sagen: dahin will ich nicht! Die Schmerzen und Gefühle, die Stacheln und das Rasen, die die schwarzen Gesellen in der Hölle schmieden, das alles kommt und kommt langsam, wunderlich, näher und immer näher, mit einemmale ist das Entsetzliche im Hause, und der Verzweifelte sitzt dann damit im Winkel und nagt daran, so wie der Hund am Knochen. Trink, trink, mein Söhnchen, durch diesen Saft wird alles besser, wenn seine Geister in die Seele steigen. — Nun, und Du? Erzähle doch weiter.
Ich schwur dem Vater Rache, sagte Antonio.
So ist es recht, erwiederte die Alte; sieh, mein Kind, wann so ein Brand erst in ein Haus geschleudert ist, so muß er niemals, niemals wieder erlöschen. Von Geschlecht zu Geschlecht, zum Enkel und zum Vetter erbt das Gift, die Kinder rasen schon, die Wunde blutet immer wieder, ein neuer Aderlaß muß wieder das Unglück retten und auf die Beine bringen, das sonst vielleicht gar verscheiden könnte. O Rache, Rache ist ein köstliches Wort.
Aber Roberto, sagte Antonio, war entflohen und nirgends zu finden.
Schade, Schade, rief die Alte aus. Nun trieb Dich Deine Rache wohl in die Welt?
Ja wohl, ich erwuchs, ich sah Italien, forschte in allen Städten, konnte aber keine Spur des Mörders entdecken. Der Ruf Pietro’s von Abano hielt mich endlich in Padua fest. Ich wollte von ihm Weisheit lernen, aber als ich in das Haus des Podesta kam —
Nun? sprich heraus, Kind!
Was soll ich sagen? Ich weiß nicht, ob ich rase oder träume. Dort sah ich die Tochter, die holde, die liebreizende Crescentia. Und ich sehe sie jetzt wieder vor mir, ja sie ist es selbst, jener Leichenzug war ein böser, ungeziemender Scherz, und diese Verkleidung, diese Flucht in die Wüste hieher ist wieder eine unziemliche Verlarvung. Gieb Dich endlich, endlich zu erkennen, theure, holdselige Crescentia. Weißt Du es ja doch, daß mein Herz nur in Deinem Busen lebt. Wozu diese grausamen Proben? Sind Deine Eltern vielleicht dort in der Kammer, und hören alles, was wir sprechen? Laß sie nun endlich, endlich herein treten, es sei nun der grausamen Prüfung, die mich wahnsinnig machen kann, genug geschehn.
Die bleiche Crescentia sah ihn mit einem unbeschreiblichen Blicke an, eine solche Wehmuth im Angesicht, daß ihm die Thränen aus den Augen stürzten. Er ist wahrlich schon betrunken! heulte die Alte. Sprecht, sagt, ist denn die Tochter des Podesta todt? Gestorben wäre sie? und wann?
Heut Abend, sagte der Weinende, bin ich ihrer Leiche begegnet.
Also auch die? fuhr die Alte lustig fort, indem sie wieder einschenkte. Nun, da wird sich ja die Familie Markone in Venedig freuen.
Warum?
Weil sie nun die einzigen Erben des reichen Mannes sind. Das haben die Klugen immer gewünscht, es aber niemals hoffen können.
Weib! rief Antonio mit neuem Entsetzen aus, Du weißt ja Alles.
Nicht Alles, erwiederte Jene, aber Etwas. Und manches läßt sich dann auch wohl errathen. Und freilich, etwas Hexerei ist auch im Spiele. Erschreckt nur nicht gar zu sehr. Es war auch nicht so ganz um gar nichts, daß mich die Herren Florentiner auf den Holzstoß setzen wollten, einige kleine unbedeutende Ursächelchen konnten sie immer für diesen Wunsch anführen. — Schau mir ins Gesicht, Knabe, streiche die Locken aus der Stirn: gut! Nun gieb die linke Hand: die rechte; ei! ei! sonderbar und wunderlich! Ja, ja, Dir steht ein nahes Unglück bevor, aber wenn Du es überlebst, wirst Du Deine Geliebte noch wiedersehn.
Jenseit! seufzte Antonio.
Jenseit? was ist Jenseit? rief die Alte im Taumel; nein, diesseit, was wir hier auf Erden nennen. Was die Narren für Worte brauchen. Es giebt kein Jenseit, alberner Kindskopf, wer hier nicht schon das Fett von der Brühe abschöpft, der ist übel betrogen. Aber damit kirren sie die Gelbschnäbel, daß sie hübsch im Geleise bleiben, wohin man sie lenken will, wer aber ihren Fabeln nicht glaubt, der ist auch dafür frei, und kann thun, was ihn gelüstet.
Antonio sah sie zürnend an, und wollte ihr heftig erwiedern, aber die blasse Crescentia legte einen so demüthig flehenden Blick für ihre Mutter ein, daß sein Zorn entwaffnet wurde. Die Alte gähnte und rieb sich die Augen, und es währte nicht lange, so war sie, vom häufigen Genuß des starken Weins betäubt, fest eingeschlafen. Das Feuer auf dem Heerde war erloschen, und die Lampe warf nur noch matte Schimmer. Antonio fiel in ein tiefes Nachsinnen, und Crescentia saß am Fenster auf einem niedrigen Schemel. Kann ich wo schlafen? sagte der erschöpfte Jüngling endlich.
Oben ist noch eine Kammer, sagte Crescentia schluchzend, und er bemerkte nun erst, daß sie die ganze Zeit über heftig geweint hatte. Sie putzte die Lampe, daß sie heller brenne, und ging schweigend voran. Er folgte eine schmale Treppe hinauf, und als sie oben in dem engen finstern Behältnisse waren, setzte das Mädchen die Leuchte auf einen kleinen Tisch und war im Begriff sich zu entfernen. Doch schon an der Thür kehrte sie noch einmal um, betrachtete den jungen Mann wie mit einem Todtenblicke, stand bebend vor ihm, und fiel dann laut schluchzend und in unverständlichen heftigen Klagen wie in Krämpfen zu seinen Füßen nieder. Was ist Dir, mein holdes Kind? rief er aus, und wollte sie aufheben; beruhige Dich: sage mir Dein Leid.
Nein, laßt mich hier liegen, rief die Klagende, ach! wenn ich doch hier zu Euren Füßen, wenn ich doch jetzt sterben könnte! Nein, es ist zu entsetzlich! Und daß ich nichts thun, nichts hindern kann, daß ich den Gräuel nur stumm und ohnmächtig anschauen muß. Aber Ihr müßt es erfahren.
So sammle Dich nur, sagte tröstend Antonio, daß Du nur Deine Stimme, daß Du nur die Worte wieder findest.
Ich sehe, sprach jene vom Weinen unterbrochen heftig fort, Eurer gestorbenen Geliebten ähnlich, und ich bin es, die Euch an der Hand in die Mördergrube führen muß. Meine Mutter kann leicht prophezeien, daß Euch ein nahes Unglück bevorsteht: kennt sie doch die Gesellen, die allnächtlich hier einkehren. Dieser Höhle ist noch Keiner lebendig entronnen. Jede Minute führt ihn näher und näher, den greulichen Ildefons, oder den verruchten Andrea, mit ihren Knechten und Gehülfen. Ach! und ich kann nur der Herold Eures Todes seyn, Euch keine Hülfe, Euch keine Rettung bieten.
Antonio entsetzte sich. Bleich und zitternd faßte er nach seinem Schwert, versuchte seinen Dolch, und sammelte Muth und Entschlossenheit wieder. So sehr er den Tod erst gewünscht hatte, so war es ihm doch zu furchtbar, in einer Räuberhöhle endigen zu müssen. Du aber, fing er an, Du mit diesem Angesichte, mit dieser Gestalt, kannst es über Dich gewinnen, eine Gesellin, eine Gehülfin der Verruchten zu seyn?
Ich kann nicht entfliehen, seufzte die Trostlose, wie gern entwiche ich diesem Hause. Ach! und diese Nacht, morgen soll ich von hier und über das Meer geschleppt werden, die Gattin des Andrea oder Ildefons soll ich seyn. Ist es nicht besser, jetzt zu sterben?
Komm, rief Antonio, die Thür ist offen, entflieh mit mir, die Nacht, der Wald werden uns ihren Schutz verleihen.
Seht Euch nur um, sagte das Mädchen, seht nur, wie hier und im untern Gemache die Fenster mit starken Eisenstäben verwahrt sind, die Thür des Hauses ist mit einem großen Schlüssel versperrt, den die Mutter nicht von sich giebt. Saht Ihr nicht, wie sie die Thür ins Schloß warf, als Ihr hereingetreten wart?
So falle die Alte zuerst, rief Antonio, wir entreißen ihr den Schlüssel —
Meine Mutter sterben! schrie die blasse Mädchengestalt, und klammerte sich mit Heftigkeit an ihn, um ihn fest zu halten.
Antonio beruhigte sie. Er schlug ihr vor, der Alten, da sie berauscht sei, und fest schlafe, den großen Schlüssel der Thüre leise von ihrer Seite zu nehmen, dann zu öffnen und zu entfliehen. Von diesem Plane schien Crescentia einige Hoffnung zu fassen, sie gingen still wieder in das untere Gemach und fanden die Alte noch fest schlafend. Crescentia machte sich zitternd an sie, suchte und fand den Schlüssel, und es gelang ihr nach einiger Zeit, ihn vom Bande des Gürtels abzulösen. Sie winkte dem Jüngling, behutsam näherten sie sich der Thür, mit Vorsicht brachten sie den eisernen Schlüssel in das Schloß, mit fester Hand wollte Antonio jetzt ohne Geräusch den Riegel zurückschieben, als er fühlte, daß draußen eben so geräuschlos ein andrer am Schlosse arbeite. Die Thür öffnete sich sacht und herein trat, Antlitz an Antlitz dem Antonio, ein großer wilder Mann. Ildefonso! schrie das Mädchen auf, und der Jüngling erkannte in ihm auf den ersten Blick den Mörder Roberto.
Was ist das? sagte dieser mit dumpfer Stimme; woher habt Ihr den Schlüssel? Wohin?
Roberto! schrie Antonio und faßte den ungeheuren Mann wüthend an der Kehle. Sie rangen heftig mit einander, doch gelang es der Kraft des Jünglings, den Bösewicht auf den Boden zu werfen, dann kniete er ihm auf die Brust und senkte seinen Dolch ihm in das Herz. Mit lautem Geschrei war indessen die Alte erwacht, sie sprang auf, als sie den Kampf sah und riß unter Geheul und Verwünschungen die Tochter hinweg, sie schleppte sie zur Kammer hinauf, und verriegelte von innen die Thür. Jetzt wollte Antonio hinauf, um sich die Kammer mit Gewalt zu öffnen, als mehrere dunkle Gestalten herein traten, und nicht wenig erstaunten, ihren Anführer todt am Boden zu finden. Jetzt bin ich Euer Hauptmann! rief eine breite, bärtige Figur, indem dieser das Schwert zog. Wenn Crescentia mein ist! antwortete trotzig ein jüngerer Räuber. Beide, auf ihrem Sinne bestehend, fielen sich mörderisch an. Die Lampe ward umgestürzt, und unter Geheul und Fluchen wälzte sich der Kampf in der Finsterniß von einer Ecke zur andern. Seid ihr unsinnig? schrie eine andre Stimme dazwischen; ihr laßt den Fremden entfliehn, schlagt ihn zuerst darnieder und fechtet dann eure Händel aus! Doch jene, vor Wuth blind, vernahmen ihn nicht. Schon dämmerte der erste graue ungewisse Strahl des frühen Morgens. Da fühlte Antonio die Mörderfaust an seiner Brust, aber schnell und rüstig stieß er den Angreifenden nieder. Ich bin erschlagen, rief dieser, auf den Boden fallend: Wahnsinnige, besetzt die Thür, laßt ihn nicht entrinnen. Antonio hatte indessen diese gefunden, er sprang durch den kleinen Garten und über den Zaun, die Räuber, welchen unterdeß die Besinnung gekommen war, eilten ihm nach. Er war nur um wenige Schritte voraus, und sie suchten ihm die Bahn abzugewinnen. Einer warf mit Feldsteinen nach ihm, die aber ihres Ziels verfehlten. Unter Geschrei und Drohworten waren sie in den Wald gekommen. Hier zeigten sich verschiedene Richtungen, und Antonio war ungewiß, welche er wählen sollte. Da sah er zurück und die Räuber getrennt, er stellte sich dem nächsten und verwundete ihn im Kampf, daß jener das Schwert mußte sinken lassen. Doch zugleich vernahm er Geschrei und sah von einem Seitenwege neue Gestalten daher eilen, die ihm den Weg bald verrennen mußten. In dieser höchsten Noth traf er auf einer kleinen Waldwiese sein Roß wieder an. Es schien sich von der gestrigen Uebermüdung erholt zu haben. Er schwang sich hinauf, nachdem er schnell den Zaum ergriffen und geordnet hatte, und mit der größten Schnelle, als wenn das Thier seine Gefahr gefühlt hätte, trug es ihn auf einem gebahnten Pfade aus dem Walde. Nach und nach ertönte das Geschrei seiner Verfolger immer ferner und ferner, der Wald lichtete sich, und als er schon glauben mußte, nichts mehr befürchten zu dürfen, sah er die Stadt im Sonnenglanze vor sich liegen.
Menschen begegneten ihm, Landleute gingen dieselbe Straße zur Stadt, Reisende gesellten sich zu ihm, und so kam er nach Padua zurück, indem er nur weniges auf die vielfachen Fragen und Erkundigungen antwortete, warum sein Anzug so verwildert, warum er ohne Hut sei. Die Bürger sahen ihn mit Verwunderung an, als er vor dem großen Hause des Podesta abstieg.
———
In der Stadt hatte sich in derselben Nacht etwas Wunderbares zugetragen, was bis jetzt noch allen Menschen ein Geheimniß war. Kaum hatte sich die Finsterniß dicht und dichter verbreitet, als Pietro, den man gemeiniglich nur von seiner Geburtsstadt Apone, oder Abano nannte, im innersten Zimmer seines Hauses alle Geräthe, alle seine künstlichen Instrumente zu einer geheimen und seltsamen Operation in Ordnung richtete. Er selbst war in lange Gewänder gekleidet, die mit wunderlichen Hieroglyphen bezeichnet waren, in seinem Saal hatte er die magischen Kreise beschrieben, und alles kunstreich geordnet, um seiner Wirkung gewiß zu seyn. Er hatte den Stand der Gestirne genau erforscht, und erwartete jetzt den günstigsten Augenblick.
Sein Gefährte, der häßliche Beresynth, war auch mit magischen Kleidern angethan. Er holte und stellte auf den Befehl seines Gebieters alles so, wie dieser es nöthig erachtete. Bemalte Decken waren an den Wänden verbreitet, der Boden des Zimmers verkleidet, der große Zauberspiegel aufgerichtet, und näher rückte und näher der Moment, den der Magier für den glücklichsten erachtete.
Hast Du die Kristalle in die Kreise gestellt? rief jetzt Pietro. Ja, antwortete der geschäftige Gesell, dessen Fratze sich zwischen den Phiolen, Spiegeln, menschlichen Gerippen und allen dem seltsamen Hausrath munter und unermüdlich tummelte. Jetzt wurde das Räuchwerk gebracht, eine Flamme entzündete sich auf dem Altar, und der Magier nahm vorsichtig, fast bebend, aus seinem geheimsten Schranke das große Buch. Geht’s los? rief Beresynth. — Schweig, erwiederte der Alte feierlich, und störe die heilige Handlung durch keine frevelnden, durch keine unnützen Worte. Er las, erst leise, dann lauter und eifriger, indem er mit gemessenen Schritten auf und nieder, dann im Kreise wandelte. Nach einer Weile hielt er inne und befahl: schau hinaus, wie sich der Himmel gestaltet.
Dichte Finsterniß, sagte der rückkehrende Diener, hat den Himmel umzogen, Wolken jagen sich, ein Regen fängt an zu träufeln. — Sie sind mir günstig, rief der Alte, es muß gelingen! Jetzt kniete er nieder, und berührte oft, die Beschwörung murmelnd, mit der Stirn den Boden. Sein Gesicht war erhitzt, seine Augen funkelten. Man hörte ihn die heiligen Namen nennen, die verboten sind auszusprechen, und er sandte nach langer Zeit seinen Diener wieder hinaus, um nach dem Firmament zu schauen. Indessen vernahm man den heranbrausenden Sturm, Blitz und Donner jagten sich, und das Haus schien in seinen Grundfesten zu erbeben. Hört das Wetter, rief Beresynth, eilig zurückkehrend. Die Hölle hat sich von unten herauf gemacht, und wüthet mit Feuer und wilden krachenden Donnerschlägen, ein Sturm braust dazwischen, und die Erde zittert. Haltet inne mit Beschwören, daß nicht die Speichen brechen, und die Fugen, die die Welt zusammen halten, zerspringen.
Thörichter! Blödsinniger! rief der Magier; genug der unnützen Worte! Alle Thüren reiß auf, eröffne auch das Thor des Hauses.
Der Zwerg entfernte sich, um die Gebote seines Herrn auszurichten. Dieser entzündete indeß die geweihten Kerzen, mit Schaudern nahte er sich der großen Fackel, die auf dem hohen Leuchter stand, auch sie brannte endlich, dann wand er sich auf dem Boden und beschwor lauter und lauter. Seine Augen funkelten, seine Glieder bebten alle, zuckten wie in Krämpfen, und ein kalter Schweiß der Angst floß von seinem Haupte. Mit wilder Geberde sprang der Zwerg wie entsetzt wieder herein und rettete sich in die Kreise. Die Welt geht unter, schrie er bleich und mit den Zähnen klappernd, die Gewitter ziehn fort, aber alles ist in der stillen Nacht Entsetzen und Graus, jedes Geschöpf hat sich in das innerste Gemach und die Kissen des Bettes geflüchtet, um der Angst zu entweichen.
Der Alte erhob vom Boden ein todtenbleiches Antlitz, und verzerrt und unkenntlich schrie er mit fremdem Laute: Schweig, Unglückseliger, und störe das Werk nicht. Gieb Acht, und behalte Deine Sinne. Das Größte ist noch zurück.
Mit einer Stimme, als wollte er seine Brust zersprengen, las und beschwor er wieder, der Athem schien ihm oft zu fehlen, es war, als müsse die ungeheure Anstrengung ihn tödten. Da hörte man plötzlich Stimmen durcheinander, wie im Streit, dann wie Gespräch, sie flüsterten, sie tobten und lachten, Gesang ertönte, und verworrener Klang von wundersamen Instrumenten. Alle Geräthe wurden lebendig und schritten vor und gingen wieder zurück, und aus den Wänden in allen Gemächern quollen Wesen aller Art, Gethier und Ungeheuer und abentheuerliche Fratzen im buntesten Gewirre.
Herr! schrie Beresynth, das Haus wird zu enge! Wohin mit allen diesen Geistern? Einer muß den andern fressen. O weh! o weh! Immer greulicher, immer toller wickelt sich einer aus dem andern: ich verliere den Verstand! Und diese Musik dazu, dies Gellen und Pfeifen, Gelächter dazwischen, und rührende Klagegesänge. Seht, Herr! seht! die Wände, die Zimmer dehnen sich aus: alles wird zu unermeßlichen Sälen, zu hohen Gewölben, und noch schießen die Creaturen hervor, und vermehren sich mit dem wachsenden Raume. Könnt Ihr nicht rathen, könnt Ihr nicht helfen?
Ganz ermattet erhob sich jetzt Pietro, er war verwandelt und wie sterbend. Schau noch einmal hinaus, sprach er leise, wende Dein Auge nach dem Dom, und berichte mir, was Du siehst.
Ich trete dem Gesindel hier auf den Kopf, schrie der verwirrte Beresynth, sie winden sich spielend wie die Schlangen um mich her, und lachen höhnisch über mich. Sind es Geister? sind es Kobolde oder leere Phantome? Ei was! wenn ihr nicht aus dem Wege gehn wollt, so trete ich euch in die grünlichen und blauen Schnauzen hinein! Jeder ist sich selbst der Nächste. Er polterte murrend hinaus.
Jetzt ward es still, und Pietro stand auf. Er winkte, und alle jene Wundergestalten, die sich am Boden gekrümmt, die sich in der Luft durcheinander gewunden hatten, verschwanden wieder. Er trocknete Schweiß und Thränen ab und holte freier Athem. Sein Diener kam zurück und sagte: Herr! alles ist ruhig und gut, aber lichte Gebilde zogen mir vorüber und verschwanden in den dunklen Himmel hinein: darauf, wie ich unverwandt nach dem Dom hinschaue, ertönt ein gewaltiger Klang, wie wenn alle Saiten einer Harfe zugleich rissen, und ein Schlag geschah, daß die Straße und alle Häuser zitterten. So riß sich dann die große Thür der Kirche auf, Flöten erklangen süß und lieblich, und eine sanfte lichte Klarheit ergoß sich aus dem Innern der Kirche. Gleich darauf trat ein weibliches Gebild in den Schein, blaß, aber glänzend, mit Blumenkronen geschmückt, sie schwebte aus dem Thor und Lichtstrahlen bereiteten ihr eine Straße, auf welcher sie wandeln sollte. Das Haupt gerade, die Hände gefaltet, so schwebt sie heran, auf unsre Wohnung zu. Ist es denn diese, auf welche Ihr gewartet habt?
Nimm den goldnen Schlüssel, antwortete Pietro, und eröffne mit ihm das innerste kostbarste Gemach meines Hauses. Die Purpurdecke ist ausgebreitet, die Wohlgerüche duften. Dann fort und lege Dich nieder. Forsche nicht weiter nach, was geschieht. Sei gehorsam und verschwiegen, wenn Du Dein Leben achtest.
Kenne ich Euch doch, antwortete der Zwerg und entfernte sich mit dem Schlüssel, indem er noch einmal wie einen schadenfrohen Blick zurück warf.
Indem kam ein liebliches Gesäusel näher, Pietro ging nach dem Vorsaal, und herein schwebte die blasse Leichengestalt der Crescentia, in ihrem Todtenschmucke, das Crucifix noch in den gefaltenen Händen haltend. Er stand vor ihr, sie schlug die großen Augen auf und schauderte in lebhafter Bewegung vor ihm zurück, so daß vom schüttelnden Haupte die Blumenkränze niedersanken. Stumm bog er die festgeschlossenen Hände auseinander, in der linken aber behielt sie das Kreuz fest eingeklemmt. An der rechten Hand führte er sie durch seine Gemächer, und sie ging neben ihm, starr und ohne Theilnahme, ohne sich umzusehn.
Das fernste Gemach empfing sie. Purpur und Gold, Seide und Sammet schmückten es kostbar aus. Durch die schweren Vorhänge schimmerte am Tage das Licht nur matt herein. Er deutete hin auf das Lager, und die Bewußtlose, wunderbar Belebte senkte und neigte sich wie eine Lilienblume, die der Wind bewegt, sie fiel auf die rothen Decken und athmete schmerzlich. Aus einem goldnen Fläschchen goß der Alte eine kostbare Essenz in eine kleine Schale von Kristall und legte ihr diese an den Mund. Die blassen Lippen schlürften den wunderbaren Trank, sie schlug noch einmal das Auge auf, betrachtete ihren vormaligen Freund, wandte sich mit dem Ausdruck des Abscheues um, und fiel in einen tiefen Schlaf.
Sorgfältig verschloß der Alte wieder das Gemach. Alles im Hause war ruhig. Er begab sich auf sein Zimmer, um unter seinen Büchern und Zaubergeräthen den Aufgang der Sonne und die Geschäfte des Tages zu erwarten.
———
Als der unglückliche Jüngling Antonio geruht hatte, ritt der Podesta am folgenden Tage mit ihm und einem großen bewaffneten Gefolge aus, um jene Hütte, die häßliche Alte und die Räuber aufzusuchen und zu fangen. Nach der Erzählung Antonio’s war der trostlose Vater sehr begierig geworden, jenes Mädchen zu sehn, welches seiner verstorbenen Tochter so ähnlich seyn sollte. Kann es seyn, sagte der Alte unterwegs, daß ein Traum, dem ich mich nur zu oft überlassen habe, wirklich werden sollte?
Der Vater war so eilig, daß er dem Jüngling nicht weiter Rede stand. Sie kamen in den benachbarten Wald, und hier glaubte sich Antonio noch zu erkennen, und die Spuren wieder zu finden. Aber jene Nacht hatte ihn so verwirrt, und seine Lebensgeister so heftig erschüttert, daß er nachher seinen Weg nicht entdecken konnte, den er während des Sturmes und dem Krachen des Donners, betäubt, zu Fuß, und über Acker und Feld irrend, fortgesetzt hatte. Sie kreuzten das weite Gefilde nach allen Richtungen; wo nur Bäume oder Gebüsche sich entdecken ließen, dahin spornte Antonio, um die Räuberhütte und in ihr jene wundersame Erscheinung wieder anzutreffen, oder wenigstens, wenn die Einwohner auch verschwunden seyn sollten, wie er wohl glauben mußte, irgend eine Nachweisung zu erhalten. Der Podesta glaubte endlich, als man schon einen großen Theil des Tages so umgeirrt war, die erhitzte Einbildung des Jünglings habe nur in der Verwilderung seines Schmerzes diese Erscheinungen gesehn. Das Glück, rief er aus, wäre zu groß, und ich bin nur zum Unglück geboren.
In einem Dorfe mußte man die Pferde und die Diener verschnaufen lassen. Die Bewohner wollten nichts von so verdächtigen Nachbarn wissen, auch hatte man in der Umgegend die Leichname der Erschlagenen nicht gefunden. Nach kurzer Frist machte sich Antonio wieder auf den Weg, obgleich der Podesta ihm mit größerem Mißtrauen folgte. Bei jedem Bauer, der ihnen aufstieß, wurden Erkundigungen eingezogen, doch keiner wußte irgend eine bestimmte Nachricht zu geben. Gegen Abend traf man auf einen scheinbar zerstörten Platz, Asche und Schutt lag umher, einige verkohlte Balken zeigten sich zwischen den Steinen: Bäume, die nahe standen, waren verbrannt. Jetzt schien sich der Jüngling wieder zu erkennen. Hier, so meinte er mit Bestimmtheit, sei der Aufenthalt der Mörder und jener wunderbaren Crescentia gewesen. Man machte Halt. Weit und breit war in der wüsten Gegend kein Haus zu sehn, kein Mensch war zu errufen. Ein Diener ritt zum nächsten Ort und brachte nach einer Stunde einen Alten zu Pferde mit sich. Dieser wollte wissen, daß schon seit einem Jahre eine Hütte hier abgebrannt sei, von Soldaten angezündet, der Eigenthümer des Feldes sei schon seit zehn Jahren in Rom, wo er ein versprochenes geistliches Amt erwarte, der Verwalter desselben aber nach Ravenna gereist, um eine alte Schuld einzukassiren.
Verdrossen und ermüdet begaben sich die Reisenden zur Stadt zurück. Der Podesta Ambrosio ging damit um, seine Stelle aufzugeben, sich von allen Geschäften zurück zu ziehn, und selbst Padua zu verlassen, wo ihn alles nur an sein Unglück erinnerte. Antonio wollte in der Schule des berühmten Apone sein Elend ertragen und vielleicht vergessen lernen. Er zog in das Haus dieses großen Mannes, welcher ihm schon seit lange gewogen war.
———
Also auch Ihr, sagte nach einiger Zeit der kleine Priester zum tiefsinnigen Antonio, habt Euch diesem unglücklichen Studio und jenem verderblichen Manne ergeben, der Eure Seele verführen wird?
Warum zürnt Ihr, antwortete Antonio freundlich, Ihr frommer Mann? Soll Religion und Wissenschaft sich nicht freundlich die Hand bieten dürfen, wie es in diesem trefflichen Lehrer geschieht? Er, den die ganze Welt verehrt, den die Fürsten schätzen und lieben, den der heilige Vater selber bald zu einer geistlichen Würde erheben will? Warum haßt Ihr den, der Euch und jedermann mit Liebe entgegen kommt? Wüßtet Ihr, wie seine Lehre mich tröstet, wie er meinen Geist erhebt und zum Himmel richtet, wie in seinem Munde Frömmigkeit und Religion die begeisterten Worte und Bilder finden, die seine Schüler, wie mit Schwingen des Geistes, in die überirdischen Regionen führen, Ihr würdet nicht so unbillig von ihm denken und sprechen. Lernt ihn näher kennen, sucht seinen Umgang, kommt dem, der keinen zurück weiset, freundlich entgegen, und Ihr werdet mit Reue und in Liebe Euren Haß, Euer voreiliges Urtheil über ihn widerrufen.
Ihm? rief der Priester, nein nimmermehr! Wahrt Euch selbst, Jüngling, vor ihm und seinem höllenbezeichneten Diener, der keinen so arglistig, wie sein Meister, belügen kann.
Es ist wahr, erwiederte Antonio, der kleine Beresynth ist eine lächerliche und auch häßliche Figur, mich wundert selbst, daß ihn der edle Pietro so beständig in allen seinen Zimmern und Geschäften um sich dulden mag: aber sollen Höcker und andre häßliche Abzeichen uns gegen einen Armen, den die Natur vernachlässigt hat, grausam machen?
Schöne Worte, herrliche Redensarten! rief der Priester ungeduldig aus: bei diesen Gesinnungen gedeihen freilich Zauberer und Betrüger. Seht! da kommt das Scheusal, das ich nicht anschauen, viel weniger mit ihm etwas verhandeln mag. Wen der Herr auf diese Weise gezeichnet hat, der ist kenntlich genug, und jedermann, in dem noch nicht alles Gefühl erloschen ist, gehe ihm aus dem Wege.
Beresynth, der die letzten Worte gehört hatte, machte sich in einigen seltsamen Sprüngen herbei. Hochwürdiger Herr, rief er aus, seid Ihr denn etwa selbst von so ausbündiger Schönheit, daß Ihr so unbillig urtheilen dürft? Mein Herr ist von Jugend auf ein majestätischer herrlicher Mann gewesen, und der denkt doch von mir und meines gleichen ganz anders. Was? Ihr kleiner, untersetzter, verstumpfter, kollriger Mann, dem die Nase vor Zorne fast immer roth anläuft? Ihr mit Euren krummen Mundwinkeln, mit den verzwickten Falten in der kleinen Stirn, Ihr wollt von meiner Häßlichkeit rumoren? Kuckt das Zwerglein doch kaum über die Kanzel hinaus, wenn es dorten handthiert, und ist so schmalbeinig und schmächtig, daß er nicht über den großen Platz gehn darf, wenn der Wind einmal stark weht; den die Gemeine kaum erkennt, wenn er vor dem Altar gestikulirt, wobei ihr der christliche Glaube nachhelfen muß, in der Hoffnung, er sei wirklich zugegen: — wie, ein solcher Knirps und geistlicher Nirgendgesehn will hier wie Goliath Rede führen? Laßt Euch dienen, unansehnlich Gottseliger, daß man aus meiner Nase allein einen solchen Glaubenshelden, wie Ihr seid, formiren könnte, wobei ich meinen doppelten Höcker vorn und hinten noch gar nicht einmal in die Rechnung bringe.
Der erzürnte Priester Theodor hatte sich schon vor dem Schluß dieser Rede entfernt, und der melancholische Antonio verwies dem kleinen Gesellen seinen Muthwillen; doch dieser rief aus: fangt Ihr nur nicht auch an zu moralisiren! das leide ich einmal von keinem andern als meinem Herrn, denn der ist dazu in der Welt, die Moral, die Philosophie und dergleichen zu doziren. Aber diese Windfahne von Mönch da, die nur von Neid und Bosheit so knarrend herum gedreht wird, weil er meint, ihm geschieht durch meinen herrlichen Meister ein Abbruch an Autorität, Geld und Gut, der soll nicht den zahnlosen Mund aufthun, wo ich mein ungewaschnes Maul nur irgend brauchen kann; und von einem jungen Studenten leide ich auch keine Widerrede, denn ich habe mir schon den Bart verschneiden lassen, als Euer Vater noch im Westerhemdchen lief; Prügel in der Schule und den Esel bekam ich schon umgehängt, als sie Eurem erlauchten Großvater die ersten Hosen anthaten, darum erzeigt den Respect da, wo er hingehört und vergeßt niemals, wen Ihr vor Euch habt.
Erzürne Dich nicht, kleiner Mann, sagte Antonio, ich meine es gut mit Dir.
Meint’s, wie Ihr wollt, rief jener. Mein Herr wird Prälat, wißt Ihr das schon? Und Rektor der Universität! Und eine neue goldne Gnadenkette hat er von Paris erhalten! Und Ihr sollt zu ihm kommen, weil er verreisen und Euch vorher noch einmal sprechen will. Schleppt Euch nicht mit Pfaffen so herum, wenn Ihr ein Philosoph seyn wollt.
In krummen, wunderlichen Sätzen sprang er wieder die Straße hinüber, und Antonio sagte zu Alfonso, der jetzt hinzutrat, und seit einiger Zeit sich oft freundlich zu ihm gesellte: ich weiß niemals, wenn ich mit der kleinen Mißgeburt rede, ob sie ihre Worte ernsthaft, oder nur im Scherze meint. Scheint er doch über sich selbst und alle Creatur zu spotten.
Das ist ihm, antwortete Alfonso, ein nothwendiger Ersatz, um sich über seine Ungestalt zu trösten, denn durch seinen Hohn macht er in seiner Einbildung alle übrigen Geschöpfe sich gleich. Aber wißt Ihr schon von den neuen Ehren, die unserm herrlichen Lehrer und Meister zugetheilt sind?
Die Welt, erwiederte Antonio, erkennt sein hohes Verdienst, und daß auch der Papst, unser heiliger Vater, ihn jetzt zum Prälaten macht, das wird den neidischen Priestern und Mönchen, die den tugendhaften und frommen Mann immerdar verketzern wollen, endlich Schweigen gebieten.
Sie trennten sich, und Antonio eilte, von seinem Lehrer auf einige Tage Abschied zu nehmen. Der kleine Zwerg Beresynth erwartete ihn schon in der Thür mit grinsender Freundlichkeit.
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In den Zimmern war es schon trübe, und da Beresynth den Jüngling verließ, so ging dieser, der seinen Lehrer im Saale, auch in seiner Bücherstube nicht traf, durch die vielen Gemächer, und gelangte so bis in das innerste, welches er noch niemals betreten hatte. Bei einer dämmernden Lampe saß hier Pietro und verwunderte sich nicht wenig, den Florentiner eintreten zu sehn, der über die Gerippe, seltsamen Instrumente und den wunderlichen Hausrath des Greises erstaunt war. Nicht ohne Verlegenheit näherte sich der Alte. Ich hatte Euch hier nicht erwartet, sagte er, sondern dachte Euch draußen zu treffen, oder Euch oben in Eurem eigenen Zimmer aufzusuchen. Ich soll dem Abgesandten des Papstes, unsers heiligen Vaters, entgegen reisen, um sein Schreiben und die neue Würde, die seine Gnade und väterliche Güte mir mittheilt, demüthig und dankbar vom Prälaten dort anzunehmen.
Antonio war befangen, und schien die Instrumente und den unbekannten Apparat genau zu betrachten. Ihr verwundert Euch, sagte der Alte endlich, über alle diese Dinge, die mir zu meinen Studien nöthig sind; wenn Ihr einmal meine Vorlesungen über die Natur besucht habt, werde ich Euch in Zukunft alles erklären können, was Euch jetzt vielleicht unbegreiflich erscheint.
Doch in diesem Augenblicke ereignete sich etwas, das Antonio’s Aufmerksamkeit von allen diesen Gegenständen abzog. Eine Thür, die verschlossen schien, war nur angelehnt, sie that sich auf, und der Jüngling sah in ein Gemach, das mit purpurrothem Lichte erfüllt war, aber in dieser Rosengluth stand an der Thür ein bleiches Gespenst, welches winkte und lächelte. Mit Blitzesschnelle wendete der Alte sich um, warf donnernd die Thür in das Schloß, und verriegelte sie mit einem goldenen Schlüssel. Zitternd und leichenblaß warf er sich dann in einen Sessel, indem ihm große Schweißtropfen von der Stirne rannen. Als er sich etwas erholt hatte, winkte er, noch immer zitternd, Antonio herbei und sagte mit bebender Stimme: auch dieses Geheimniß, mein junger Freund, wird Euch einmal deutlich werden; denke, mein geliebter Sohn, das Beste von mir. Dich vor allen, Du Leidender, Du Vielgeliebter, will ich in mein tiefstes Wissen dringen lassen, Du sollst mein wahrer Schüler, mein Erbe werden. Aber laß mich jetzt, geh nun hinauf zu Deinem einsamen Zimmer und rufe im brünstigen Gebete den Himmel und seine heiligen Kräfte zu Deinem Beistande auf.
Antonio konnte nicht antworten, so war er von der Erscheinung überrascht und entsetzt, so hatte ihn die Rede seines verehrten Lehrers verwirrt, denn ihm schien, als müsse dieser einen Zorn unterdrücken, als leuchte ein verhaltener Grimm aus seinen feurigen Augen, die nach dem plötzlichen Erlöschen schnell einen stärkern Glanz ausstrahlten.
Er ging und im Vorzimmer fand er Beresynth, der mit grinsendem Gesicht Fliegen haschte, die er dann einem Affen zuwarf. Beide schienen im Wettstreit begriffen, wer die ärgsten Fratzen hervorbringen könnte. Der Meister rief jetzt laut den Diener, und die Mißgestalt hüpfte hinein. Antonio vernahm einen lauten Wortwechsel, und Pietro schien sehr zornig. Weinend und heulend kam Beresynth aus dem Zimmer, ein Blutstrom floß über die ungeheure Nase hinab. Kann er nicht selbst seine Thüren verschließen, krächzte die Mißgeburt, der Allerweltsweise und Allmächtige? Ist der Herr dumm, so muß der Diener die Schuld tragen. Scheert Ihr Euch, Allverehrtester, auf Eure Dachkammer hinauf, und laßt mich mit meinem guten Freund, dem lieben Pavian da, in Ruhe. Der hat noch ein menschliches Herz, der liebe, getreue. Ein lustiger Bruder, wie er ist, und doch in der Zartheit ein recht ausbündiger Kerl. Marsch da! Der Pylades will wieder Fliegen speisen, die ihm sein Orest zusammenfangen muß.
Antonio verließ wie betäubt den Saal.
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Der florentinische Jüngling war in das Haus seines Lehrers gezogen, um ganz ungestört seinen Leiden und Studien leben zu können. Oben im entferntesten und höchsten Gemache des Hauses hatte er sich eingerichtet, um recht einsam und von Menschen unbesucht zu leben. Wenn er von hier die schönen und fruchtbaren Gefilde des Landes übersah und dem Laufe des Stromes mit den Blicken folgte, so dachte er um so inniger seiner entschwundenen Geliebten. Er hatte ihr Bild von den Eltern bekommen, und einiges Geräth, mit welchem sie als Kind gespielt hatte; vorzüglich lieb war ihm eine Nachtigall, die ihm in ihren rührenden Klagegesängen nur sein eigenes Leid auszutönen schien. Dieser Vogel war von Crescentien mit Sorgfalt und Liebe gepflegt worden, und der schwärmende Jüngling bewahrte ihn als ein Heiligthum, als den letzten Ueberrest seines irdischen Glückes.
Andre Jünglinge seines Alters sahe er nicht, außer dem Spanier Alfonso, mit welchem ihn der gleiche Enthusiasmus für die Größe des Pietro Abano vereinigte. Der Podesta Ambrosio hatte seine Stelle niedergelegt und die Stadt verlassen, er wollte in Rom seine letzten Tage verleben, um sich seinen Verwandten in Venedig zu entziehn. Er hatte es aufgegeben, die frühgeraubte Zwillingstochter wieder zu finden, und es schmerzte ihn um so inniger, daß Antonio ihm diese Hoffnung so erschütternd wieder in seine Seele gerufen hatte. Er war überzeugt, der Jüngling habe ihn und sich selbst mit den Fieber-Phantasien jener Nacht getäuscht.
Am Morgen reiste Pietro mit seinem getreuen Diener ab. Antonio war ganz allein im großen Hause, dessen Zimmer alle verschlossen waren. Die Nacht war ihm schlaflos hingegangen. Immer stand ihm das entsetzliche Gebild vor Augen, das ihm, wie es ihn erschüttert hatte, doch die schönsten Empfindungen zurück rief. Ihm war, als wenn jede Kraft zu denken in ihm erstorben sei, Gebilde, die er nicht festhalten konnte, bewegten sich in ewig umschwingenden Kreisen vor seiner Phantasie. Die Empfindung war ihm fürchterlich, daß er an seinem verehrten Lehrer irre wurde, daß er unerlaubte Geheimnisse und ein Entsetzen ahndete, das seit jenem Blick ins Gemach hinein auf ihn zu warten schien, um ihm allen Lebensmuth zu rauben, oder ihn einem verzweifelnden Wahnsinn zu überliefern.
Die Nachtigall sang eben vor seinem Fenster, und er sah, daß es stürmte und regnete. Vorsorglich nahm er sie herein und stellte sie hoch auf einen alten Wandschrank hinauf. Indem er sich überbog, um den Käfig sicher zu stellen, riß die Kette, an welcher er das Bildniß seiner Geliebten trug, und das Gemälde rollte nach der Wand zu, und hinter den eichenen alten Brettern hinab. Der Unglückliche wird auch von Kleinigkeiten erschreckt. Eilig stieg er hinunter, um sein geliebtes Kleinod wieder zu suchen. Er bückte sich, aber so sehr er auch forschte, war es unter dem großen schweren Schranke nicht anzutreffen. Alles, das Große wie das Kleine in seinem Leben, schien ihn wie eine Bezauberung zu verfolgen. Er schüttelte an dem alten Gerüste, und wollte es aus der Stelle schieben, aber es war in der Mauer verfestigt. Sein Ungestüm wurde mit jedem Hinderniß heftiger. Er faßte eine alte Eisenstange, die er im Vorzimmer fand, und arbeitete mit aller Anstrengung seiner Kräfte, den Schrein zu rücken, und endlich, nach vielem Heben, Stemmen und hundert vergeblichen Bemühungen geschah ein Riß mit lautem Krachen, als wenn eine eiserne Klammer oder Kette gesprungen wäre. Jetzt wich allmählig das Gebäude und Antonio vermochte es endlich, sich zwischen dieses und die Wand einzudrängen. Er sah sogleich sein geliebtes Bildniß. Es lag auf dem breiten Knauf einer Thür, die in der Mauer war. Er küßte es, und drehte den Griff, welcher nachgab. Die Thür öffnete sich, und er fiel darauf, den großen Schrank noch etwas mehr zurück zu schieben, um diese Seltsamkeit näher zu untersuchen, denn er glaubte, daß der Besitzer des Hauses diese geheime Oeffnung, die mit so vieler Sorgfalt, und wie es schien, seit so langer Zeit verdeckt war, selber nicht kenne. Als er sich mehr Raum verschafft hatte, sah er, daß hinter der Thür eine enge gewundene Stiege sich hinabsenkte. Er stieg einige Stufen hinunter, die dichteste Finsterniß umgab ihn. Er schritt weiter und immer weiter, die Treppe schien bis in die untern Gemächer hinabzuführen. Schon wollte er umkehren, als er auf eine Hemmung stieß, denn die Wendelstiege war nun zu Ende. Indem er in der Dunkelheit auf und nieder tastete, traf seine Hand auf einen erznen Ring, den er anzog, und sogleich öffnete sich die Mauer und ein rother Glanz quoll ihm entgegen. Noch ehe er in die Oeffnung hineintrat, untersuchte er die Thür und fand, daß eine Feder, die der Ring in Bewegung gesetzt, sie ihm aufgethan hatte. Er lehnte sie an und schritt behutsam in das Gemach. Rothe kostbare Teppiche schmückten es, mit Purpurdecken von schwerer Seide waren die Fenster verhängt, ein Bett, von glänzendem Scharlach mit Gold verziert, stand im Zimmer. Alles war still, man hörte das Getöse der Straße nicht, die Fenster gingen nach dem kleinen Garten. Mit beklemmter Brust stand der Jüngling im Gemach, er horchte aufmerksam und endlich dünkte ihm, er vernähme das Säuseln des Athems, wie von einem Schlafenden. Mit klopfendem Herzen wandte er sich um, und ging vor, um zu spähn, ob auf dem Bette jemand ruhe, er schlug die seidenen Vorhänge zurück — und glaubte nur zu träumen, denn vor ihm lag, leichenblaß, aber süß schlummernd, das Bildniß seiner geliebtesten Crescentia. Der Busen hob sich sichtlich, wie eine leichte Röthe war den blassen Lippen angeflogen, die, zart geschlossen, von einem sanften Lächeln unmerklich bewegt wurden. Das Haar war aufgelöst und lag in seinen schweren dunkeln Locken auf den Schultern. Das Kleid war weiß, der Gürtel eine goldne Spange. Lange stand Antonio im Anschauen versenkt, endlich, wie von einer übernatürlichen Gewalt getrieben, faßte er die weiße, schöne Hand, und wollte die Schläferin gewaltsam emporziehen. Diese stieß einen klagenden Schrei aus, und erschreckt ließ er den Arm wieder fahren, der ermüdet in die Kissen sank. Doch war der Traum, so schien es, entflogen, das Netz des Schlummers, welches das wundersame Bildniß umschlossen hielt, war zerrissen, und wie Wolken und Nebel sich im leisen Morgenwinde in wallenden Gestaltungen an den Bergen hinbewegen und wechselnd auf und nieder sinken, so rührte sich die Schläferin, dehnte sich wie ohnmächtig, und strebte in langsamen anmuthigen Bewegungen dem Erwachen entgegen. Die Arme streckten sich empor, so daß die weiten Aermel zurück fielen und die volle schöne Rundung zeigten, die Hände falteten sich und sanken dann wieder nieder; das Haupt erhob sich und der glänzende Nacken richtete sich frei auf, doch waren die Augen immer noch geschlossen, die Locken fielen schwarz in das Gesicht hinein, doch strichen die feinen langen Finger sie zurück; ganz aufrecht sitzend kreuzte die Schöne nun die Arme über die Brust, stieß einen schweren Seufzer aus und plötzlich standen die großen Augen weit offen und glänzend.
Sie betrachtete den Jüngling, als sähe sie ihn nicht, sie schüttelte das Haupt und ergriff jetzt die goldne Quaste, die über ihr am Bette befestigt war, richtete sich kräftig auf, und auf den Füßen stand jetzt in der purpurnen Umhüllung hoch aufgerichtet die große schlanke Gestalt, sie schritt dann sicher und fest vom Lager herunter, ging auf Antonio, der zurück gewichen war, einige Schritte zu, und mit einem kindischen Ausruf der Ueberraschung, wie wenn Kinder sich plötzlich über ein neues Spielzeug erfreuen, legte sie ihm die Hand auf die Schulter, lächelte ihn holdselig an und rief mit sanfter Stimme: Antonio!
Dieser von Furcht, Entsetzen, Freude, Ueberraschung und dem tiefsten Mitleiden durchdrungen, wußte nicht, ob er fliehen, sie umarmen, zu ihren Füßen stürzen, oder in Thränen aufgelöst sterben sollte. Das war derselbe Ton, den er sonst so oft und so gern vernommen hatte, bei dem sich sein ganzes Herz umwendete. Du lebst? rief er mit einer Stimme, die sein überschwellendes Gefühl erstickte.
Das süße Lächeln, das von den blassen Lippen aus über die Wangen bis in die strahlenden Augen aufgegangen war, zerbrach plötzlich und ging in einen starren Ausdruck des tiefsten, des unsäglichsten Schmerzes unter. Antonio konnte den Blick dieser Augen nicht aushalten, er bedeckte mit den Händen sein Gesicht und schrie: bist Du ein Gespenst?
Die Erscheinung trat noch näher, drückte mit ihren Händen seine Arme nieder, so daß sein Antlitz frei wurde, und sagte mit sanft bebender Stimme: Nein, sieh mich an, ich bin nicht todt, und lebe doch nicht. Reich’ mir die Schaale dort.
Eine duftende Flüssigkeit schwebte in dem kristallenen Gefäß, er reichte es ihr zitternd, sie setzte es an den Mund und schlürfte den Trank in langsamen Zügen. Ach, mein armer Antonio! sagte sie dann, ich will nur diese irdischen Kräfte erborgen, um Dir den ungeheuersten Frevel kund zu thun, um Hülfe von Dir zu erflehen, um Dich zu vermögen, mir zu der Ruhe zu verhelfen, nach welcher sich alle meine Gefühle so inbrünstig sehnen.
Sie war wieder in den Armstuhl gesunken, und Antonio saß zu ihren Füßen. Höllische Künste, fing sie wieder an, haben mich scheinbar vom Tode erweckt. Derselbe Mann, den meine unerfahrene Jugend wie einen Apostel verehrte, ist ein Geist des Abgrunds. Er gab mir den Schatten dieses Lebens. Er liebt mich, wie er sagt. Wie schauderte mein Gefühl vor ihm zurück, als ihn mein erwachendes Auge erkannte. Ich schlummere, ich athme, ich kann ganz, wenn ich will, zum Leben wieder genesen, so hat es mir der Böse verheißen, wenn ich mich ihm mit ganzem Herzen ergebe, wenn er, in geheimer Verborgenheit, mein Gatte werden darf. — O Antonio, wie schwer wird mir jedes Wort, jeder Gedanke. Alle seine Kunst zerbricht an meiner Sehnsucht zum Tode. Das war fürchterlich, als mein Geist, schon in der Ruhe, schon in der Entwickelung neuer Anschauungen, aus dem stillen Frieden so gräßlich zurückgerissen wurde. Mein Leib war mir schon fremd, feindlich und verhaßt worden. Zurück kam ich, wie der befreite Sklave zu Ketten und Gefängniß. Hilf mir, Treuer, rette mich.
Wie? sagte Antonio: Gott im Himmel! was erleb’ ich? Wie muß ich Dich wieder finden? Und Du kannst, Du darfst nicht ganz zum Leben zurückkehren? Du kannst nicht mir und Deinen Eltern wieder angehören?
Unmöglich! rief Crescentia mit einem ängstlichen Ton, und ihre Blässe wurde vor Entsetzen noch bleicher. Ach! das Leben! Wie kann der es wieder suchen, der schon davon gelöst war? Du Armer fassest die tiefe Sehnsucht nicht, die Liebe, das Entzücken, womit ich den Tod denke und wünsche. Noch inniger, wie ich Dich ehemals liebte, noch brünstiger, wie meine Lippen am Osterfeste nach der heiligen Hostie schmachteten, ist mein Wunsch zu ihm. Dann liebe ich Dich freier und inniger in Gott. Dann bin ich meinen Eltern wiedergegeben. Dann leb’ ich, sonst war ich gestorben, jetzt bin ich Nebel und Schatten, mir und Dir ein Räthsel. Ach, wenn Deine Liebe und unsre Jugend in mein jetziges Dasein hinein schien, wenn ich von oben herab die wohlbekannte Nachtigall hier in meiner Einsamkeit schlagen hörte, welch süßes Grauen, welche finstre Freude und Angst rieselte dann durch die Dämmerung meines Wesens. O hilf mir los von der Kette.
Was kann ich für Dich thun? fragte Antonio.
Die Reden hatten wieder die Kraft der Erscheinung gebrochen: sie ruhte eine Weile mit geschlossenen Augenliedern, dann sagte sie matt: Ach! wenn ich eine Kirche betreten könnte, wenn ich zugegen wäre, indem der Herr im Sakrament erhoben wird und der Gemeinde erscheint, dann würde ich in diesem seligen Augenblicke vor Entzücken sterben.
Was hindert mich, sprach Antonio, den Bösewicht anzugeben, ihn den Gerichten und der Inquisition zu überliefern?
Nein! nein! nein! ächzte das Bildniß in der höchsten Angst: Du kennst ihn nicht, er ist zu mächtig, er würde entfliehn und mich wieder mit sich in den Kreis seiner Bosheit reißen. Stille, ruhig nur kann es gelingen, wenn er sicher ist. Ein Zufall hat Dich zu mir geführt. Du mußt ihn ganz sicher machen, alles verschweigen.
Der Jüngling sammelte seine Sinne, er sprach viel mit seiner vormaligen Braut, ihr ward das Reden immer schwerer, die Augen fielen ihr zu, sie trank noch einmal von dem Wundertrank, dann ließ sie sich nach dem Lager führen. Lebe wohl, rief sie schon wie träumend, vergiß mich nicht. — Sie bestieg das Bett, legte sich ruhig nieder, die Hände suchten das Crucifix, das sie mit geschlossenen Augen küßte, dann reichte sie dem Liebenden die Hand, und winkte ihn hinweg, indem sie sich zum Schlummer hinstreckte. Antonio betrachtete sie noch, dann ließ er die Feder die unsichtbare Thür wieder einfugen, schlich die enge Wendeltreppe bis zu seinem Gemache wieder hinan, stellte den Schrank an seine vorige Stelle, und brach in heiße Thränen aus, als ihn der Gesang der Nachtigall mit seinen schwellenden Klagetönen bewillkommte. Auch er sehnte sich nach dem Tode, und wünschte nur vorher diejenige, die noch vor wenigen Wochen seine irdische Braut gewesen war, von ihrem wundersamen schrecklichen Zustande zu erlösen.
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Um seinem Lehrer auszuweichen, wenn er von seiner Reise zurück käme, hatte Antonio die Schritte nach der einsamsten Stelle des Waldes gelenkt. Es war ihm ungelegen, daß ihm hier sein Freund, der Spanier, begegnete, denn er war nicht gestimmt, ein Gespräch zu führen. Doch konnte er dem Gespielen nicht mehr ausweichen, und so ergab er sich in stiller Trauer der Gesellschaft, die ihm sonst erfreulich und tröstend gewesen war. Nur halb hörte er auf dessen Reden, und erwiederte nur sparsam. Wie fast immer war wieder Pietro der Gegenstand von Alfonso’s ungemessener Bewunderung. Warum seid Ihr heut so karglaut? fing er endlich verdrüßlich an: ist Euch meine Gesellschaft zuwider, oder seid Ihr nicht mehr wie sonst fähig, unsern erhabenen Lehrer zu verehren, und ihm den Preis zu geben, den er verdient?
Antonio mußte sich sammeln, um nicht ganz in seinen träumenden Zustand zu versinken. Was ist Euch? fragte Alfonso wieder, es scheint, daß ich Euch beleidigt habe. — Ihr habt es nicht, rief der Florentiner, aber wenn Ihr mich irgend liebt, wenn Ihr nicht meinen Zorn erregen wollt, wenn nicht die bittersten Gefühle mein Herz zerreißen sollen, so unterlaßt heut das Lobpreisen Eures vergötterten Pietro. Sprechen wir von andern Gegenständen.
Ha! bei Gott! rief Alfonso aus, die Pfaffen haben Euch doch noch den schwachen Sinn umgewendet. Geht nur fernerhin Eures Weges, junger Mensch, denn die Weisheit, das seh’ ich nun wohl ein, ist Euch ein zu erhabenes Gut. Euer Kopf ist dieser Kost zu schwach, und Ihr sehnt Euch wieder nach den Kinderspeisen Eurer ehemaligen Seelenwärter. Bleibt nur bei diesen so lange, bis Euch die Milchzähne ausgefallen sind.
Ihr sprecht übermüthig, rief Antonio erzürnt, oder vielmehr wißt Ihr gar nicht, was Ihr sagt, und ich verdiene das nicht um Euch.
Wodurch verdient es unser Lehrer, sagte der Spanier eifrig, der Euch wie ein Vater aufgenommen hat, der Euch vor allen Jünglingen dieser Universität so hoch würdiget, daß Ihr in seinem Hause wohnen dürft, der Euch sein innigstes Vertrauen schenkt, wodurch hat dieser es verschuldet, daß Ihr ihn so kleinmüthig verleugnet?
Wenn ich nun antworte, sprach Antonio zornig, daß Ihr ihn nicht kennt, daß ich Ursache, und die vollständigste habe, anders von ihm zu denken, so würdet Ihr mich wieder nicht verstehn.
Ihr seid wohl schon, sagte Alfonso höhnisch, so hoch in seine geheime Philosophie hinein gestiegen, daß der gewöhnliche, unbegünstigte Erdensohn Euch nicht zu folgen vermag? Wieder zeigt es sich, daß das halbe und Viertel-Verdienst sich am höchsten aufbläht. Pietro Abano ist demüthiger, als Ihr, seine schwächliche Copie.
Ihr seid ungezogen, rief der junge Florentiner in der höchsten Erbitterung aus. Wenn ich Euch nun bei meiner Ehre, bei meinem Glauben, beim Himmel und bei allem, was mir und Euch heilig und ehrenwerth seyn muß, versichere, daß es in ganz Italien, in Europa, keinen so argen Bösewicht, keinen so verruchten Heuchler giebt als diesen —
Wen? schrie Alfonso.
Pietro Abano, sagte Antonio gemäßigt: was würdet Ihr dann sagen?
Nichts, rief jener wüthend, der ihn nicht hatte endigen lassen, als daß Ihr und jedermann, der dergleichen zu sprechen wagt, der nichtswürdigste Schurke sei, der je das Heilige zu lästern sich erfrechte. Zieht, wenn Ihr nicht eine eben so verächtliche Memme, als ein niederträchtiger Verleumder heißen wollt.
Das gezogene Eisen begegnete dem Ausfordernden schon eben so schnell, und es half nichts, daß ihnen eine heisere ängstliche Stimme: Halt! zurief. Alfonso war in der Brust verwundet, und zu gleicher Zeit rann Blut aus dem Arm Antonio’s. Der alte Priester, der die Erbitterten hatte trennen wollen, eilte nun herbei, er verband die Wunden und stillte das Blut, darauf rief er andere Studirende herzu, die er in der Nähe schon gesehen hatte, die den ermatteten Alfonso nach der Stadt führen sollten. Ehe sich dieser entfernte, ging Antonio noch einmal zu ihm, und raunte ihm ins Ohr: wenn Ihr ein Edelmann seid, so kommt von der Ursache unsers Zwistes kein Wort über Eure Lippen. In vier Tagen sprechen wir uns wieder, und wenn Ihr dann nicht meiner Ueberzeugung seid, bin ich zu jeder Genugthuung erbötig.
Alfonso versprach feierlich, auch alle Umstehenden versicherten, daß die Wunde so wie das Gefecht selbst verschwiegen bleiben sollten, um den jungen Florentiner keiner Gefahr auszusetzen. Als sich alle entfernt hatten, ging Antonio mit dem Priester Theodor tiefer in den Wald. Warum, fing dieser an, wollt Ihr Euch, eines Verdammten wegen, selber der Hölle überliefern? Ich sehe, daß Ihr jetzt anderer Meinung seid; aber ist das Schwert wohl der Redner, der andre bekehren darf? — Antonio war ungewiß, in wie weit er sich dem Mönche entdecken sollte, doch verschwieg er ihm noch die wunderbare Begebenheit, welche er erlebt hatte, und bedung sich nur die Erlaubniß aus, bei dem nahe bevorstehenden Osterfeste, während des Hochamtes, durch die Sakristei in der Nähe des Altars zum großen Tempel eingehen zu dürfen. Nach einigen Einwürfen gab Theodor nach, ob er gleich nicht begriff, was der Jüngling mit dieser Erlaubniß bezwecken könne. Ich will einen Gast so in die Kirche einführen, sagte dieser nur noch, dem man am großen Thor den Eingang vielleicht versagen würde.
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Alle Glocken der Stadt läuteten, um das heilige Osterfest in Freuden und Andacht zu begehn. Das Volk strömte nach dem Dom, um das froheste christliche Fest zu feiern, und auch den berühmten Apone in seiner neuen Würde zu erblicken. Die Studirenden begleiteten ihren berühmten Lehrer, der vom Adel, dem Rath und der Bürgerschaft ehrfurchtvoll begrüßt in anscheinender Frömmigkeit und Demuth dahin wandelte, Allen ein Beispiel, der Stolz der Stadt, das begeisternde Vorbild der Jugend. An der Thür des Tempels wich das Gedränge in scheuer Verehrung zurück, um dem Gefeierten Platz zu machen, der in der Tracht des Prälaten, mit der goldenen Kette geschmückt, im weißen Bart und lockigen Haupthaar einem Kaiser oder einem alten Lehrer der Kirche in seinem majestätischen Anstande zu vergleichen war.
In der Nähe des Altars war dem berühmten Manne ein erhobener Sitz zubereitet, daß Schüler und Volk ihn sehn konnten, und als die Menge der Andächtigen in den Tempel hereingeströmt war, begann das Hochamt. Theodor, der kleine Priester, las an diesem Tage die Messe, und Jung und Alt, Vornehm und Geringe war in Freudigkeit, das Fest der Auferstehung des Herrn würdig zu begehn, den wiederkehrenden Glanz zu schauen, und sich nach den Tagen der strengen Fasten, nach den betrübenden Vorstellungen der Leiden und des Schmerzes an dem Gefühl des wieder erwachten Lebens zu trösten.
Schon war der erste Theil des Gottesdienstes geendigt, da sah man mit Erstaunen an der Seite des Altars Antonio Cavalcanti in die Kirche treten, der eine dicht verschleierte Figur an seiner Hand führte. Er stellte diese auf die Erhöhung, dem Pietro dicht gegenüber, und warf sich dann betend am Altare nieder. Die Verschleierte stand starr und hoch da, und man sah unter der Verhüllung die brennend schwarzen Augen. Pietro erhob sich vom Sessel, und sank bleich und zitternd in denselben zurück. Die Musik der Messe strömte und wogte in volleren Accorden, jetzt wickelte sich die Verhüllte langsam aus ihren Schleiern, das Antlitz war frei, und die Nächsten erkannten mit Entsetzen die gestorbene Crescentia. Ein Schauder ging durch die ganze Kirche, auch die Fernsten faßte ein heimliches Grauen, das todtenbleiche Bild so hoch dort stehn zu sehn, das so andächtig betete und die großen feurigen Augen nicht vom Priester am Altar verwendete. Auch der große mächtige Pietro schien in eine Leiche verwandelt, man hätte ihn den entstellten Zügen nach für todt halten können, wenn sich sein Leben nicht im heftigen Zittern verrathen hätte. Nun wendete sich der Priester, und erhob die geweihte Hostie, Trompeten verkündigten die erneute Gegenwart des Herrn, und mit einem Jubelton, mit hochentzücktem Antlitz, die Arme weit ausgebreitet, indem sie laut Hosiannah! rief, daß die Kirche wiedertönte, brach nun die bleiche Erscheinung zusammen, und lag todt, starr und bewegungslos zu Pietro’s Füßen hingestürzt. Das Volk lief hinzu, die Musik verstummte, Fragen, Verwundern, Entsetzen und Schreck sprach und forschte aus jeder Miene, der Adel und die Studirenden wollten den ehrwürdigen Greis, der so tief erschüttert schien, trösten und unterstützen, als Antonio mit gellendem Tone: Zeter! Zeter! schrie, und die furchtbarste Anklage, die schrecklichste Erzählung begann, die höllische Kunst, die verworfene Magie des zagenden Sünders aufdeckte, von sich und Crescentia und ihrem schaudervollen Wiederfinden sprach, so daß Zorn, Wuth, Verwünschung, Abscheu und Fluch, wie ein stürmendes Meer, um den Geängsteten tobte und ihn zu vernichten, im Wahnsinn des Grimmes zu zerreißen drohte. Man sprach von Schergen und Fesseln, die Inquisitoren nahten, als sich Pietro wie rasend erhub, mit geballten Fäusten um sich stieß und schlug, und riesenhaft sich auszudehnen schien. Er trat zu Crescentia’s Leichnam, der lächelnd wie das Bild einer Heiligen dalag, betrachtete sie noch einmal, und ging dann brüllend und mit funkelnden Augen durch die Menge. Ein neues Entsetzen ergriff das Volk, man machte dem Ungeheuren Platz, alles wich zurück. So kam Pietro auf die freie Straße, doch nun besann sich der Pöbel, und mit Geschrei, Verfluchung und Schimpfreden verfolgte er den Fliehenden, der in Eil dahin rannte, indem sein Talar ihm weit nachflog, und die goldne Kette schallend auf Brust und Schultern schlug. Das Gesindel grub die Steine aus dem Boden und warf nach ihm, da es ihn nicht einholen konnte, und verwundet, blutend, triefend von Schweiß, die Zähne klappend vor Angst erreichte Pietro endlich die Schwelle seines Hauses.
Er verbarg sich in den innersten Gemächern, und der neugierige Beresynth trat fragend und forschend dem Pöbel und dem Andrang des Volkes entgegen. Nehmt die Teufelslarve, den Famulus, schrieen alle, zerreißt den Gottvergessenen, der nie eine Kirche besucht hat! Er wurde in die Straße geführt und gestoßen, auf seine Fragen, Bitten, auf sein Heulen und Schreien ward ihm keine Antwort, auch vernahm man in dem stürmenden Getümmel nichts anders als Flüche und Todesdrohung. Bringt mich ins Verhör! schrie endlich der Zwerg, da wird meine Unschuld offenbar werden! Die herbeigerufenen Schergen ergriffen ihn, und führten ihn nach dem Gefängniß. Alles Volk drängte sich nach. Hier hinein! rief der Anführer der Häscher, Ketten und Holzstoß warten Deiner. Er wollte sich losreißen, die Schergen packten ihn und stießen ihn hin und her, der faßte ihn am Kragen, jener am Arm, der hing sich an sein Bein, um ihn fest zu halten, ein anderer packte den Kopf, um seiner gewiß zu werden. Indem sie ihn so unter Geschrei, Fluchen und Lachen hin und wieder zerrten, fuhren alle plötzlich auseinander, denn jeder hatte nur ein Kleidungsstück, Aermel, Mütze oder Schuh des Mißgeschaffenen, er selbst war nirgend zu sehn. Entflohen konnte er nicht seyn, er schien verschwunden, doch keiner begriff wie.
Als man Apone’s Zimmer erbrochen hatte, fanden ihn die Eindringenden todt und verblutet auf seinem Bette liegen. Man plünderte das Haus, die magischen Instrumente, die Bücher, der seltsame Hausrath, alles wurde den Flammen übergeben, und durch die ganze Stadt erscholl nichts als Verfluchung des Mannes, den gestern noch alle wie einen Abgesandten der Gottheit verehrt hatten. Der Abscheu, mit welchem sie sich von dem Trugbild wendeten, war nun um so größer.
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Als sich das Getümmel des aufgeregten Volkes etwas beruhigt hatte, wurde der Leichnam Pietro’s still in der Nacht, außerhalb des geweihten Kirchhofes, beigesetzt. Antonio und Alfonso versöhnten sich wieder, und schlossen sich dem frommen Theodor an, der zum zweitenmal, mit Feierlichkeit und einer andächtigen Rede, den Leichnam der schönen Crescentia in die ihr bestimmte Gruft legen ließ. Antonio konnte nun nicht länger in Padua bleiben, er wollte seine Vaterstadt wieder besuchen, um seine Angelegenheiten zu ordnen, und sich dann vielleicht in einem Kloster aufnehmen zu lassen. Alfonso faßte den Entschluß, nach Rom zu wallfahrten, wohin der heilige Vater ein Jubeljahr und Ablaß von Sünden ausgeschrieben hatte. Nicht nur in Italien regte sich alles, sondern auch aus Frankreich, Deutschland und Spanien kamen viele Züge von Pilgrimmen an, um diese bis dahin unerhörte Feierlichkeit, dieses große Kirchenfest in der heiligen Stadt zu begehn.
Nachdem die Freunde sich getrennt hatten, verfolgte Antonio seine einsame Bahn, denn er vermied die große Straße, theils um seiner Schwermuth desto ungestörter nachhängen zu können, theils um die Schwärme zu vermeiden, die sich auf dem großen Wege drängten, und in den Nachtlagern beschwerlich fielen.
So seiner Laune folgend, streifte er durch die Fluren und die Thäler des Apennins. Einst ging die Sonne unter, und keine Herberge wollte sich zeigen. Indem die Schatten dichter wuchsen, hörte er seitwärts im Walde das Glöcklein eines Einsiedlers schallen. Er ging dem Tone nach und gelangte, als die Dunkelheit der Nacht schon hereingebrochen war, an die kleine Hütte, zu welcher ein schmaler Steg von Brettern über den Bach in das Buschwerk hinein führte. Er fand einen alten gebrechlichen Greis in tiefster Andacht vor einem Crucifixe betend. Der Einsiedler nahm den Jüngling, der ihn freundlich begrüßte, mit Wohlwollen auf, bereitete ihm im Felsen, der durch eine Thür von der Einsiedelei getrennt war, ein Lager auf Moos, und setzte ihm von seinen Früchten, Wasser und etwas Wein vor. Als Antonio erquickt war, erfreute er sich am Gespräche des Mönchs, der früher in der Welt gelebt und als Soldat manchen Feldzug mitgemacht hatte. So war es tiefe Nacht geworden, und der Jüngling begab sich zur Ruhe, indem ein anderer kranker und schwacher Mönch hereintrat, der mit dem Einsiedler in Gebeten die Nacht zubringen wollte.
Als Antonio eine Stunde geruht hatte, fuhr er plötzlich aus dem Schlafe auf. Ihm dünkte, er vernähme laute Stimmen und Streit. Er richtete sich empor, und es blieb ihm über das Gezänk und den Wortwechsel kein Zweifel übrig. Auch die Töne schienen ihm bekannt, und er fragte sich selber, ob er nicht träume. Er näherte sich der Thüre und entdeckte eine Spalte, durch welche er in den vordern Raum schauen konnte. Wie erstaunte er, als er Pietro Abano gewahr wurde, den er für gestorben halten mußte, der mit zornigen Augen und rothem Antlitz laut sprach und sich in heftigen Geberden bewegte. Ihm gegenüber stand die Fratze des kleinen Beresynth. Also Euren Verfolger, rief dieser mit krächzender Stimme, der Euch unglücklich gemacht, den verliebten frommen Narren, habt Ihr hier in Eurem Hause? der ist von selbst, wie ein Kaninchen, zu Euch in die Grube gefallen? Und Ihr zögert noch, ihn abzuschlachten? — Schweig, rief die große Figur, ich habe mich schon mit meinen Geistern berathen, sie wollen nicht einwilligen, ich kann ihm nichts anhaben, denn er ist in keiner Sünde befangen. — So schlagt ihn, sagte der Kleine, ohne Eure Geister, mit Euren eigenen huldreichen Händen todt, so wird ihm seine Tugend und Sündenlosigkeit nicht viel helfen, und ich müßte ein elender Diener seyn, wenn ich Euch in so löblicher That nicht beistehen sollte. — So laß uns, rief Pietro, an das Werk gehn, nimm den Hammer Du, ich führe das Beil, jetzt schläft er fest. — Sie näherten sich der Thür, doch Antonio riß diese auf, um den Bösewichtern muthig entgegen zu treten. Er hatte sein Schwert gezogen, aber er blieb wie eine Bildsäule, mit aufgehobenem Arme stehn, als er zwei kranke, gebrechliche Einsiedler auf den Knieen vor dem Kreuze liegend fand, die ihre Gebete murmelten. Wollt Ihr etwas? fragte ihn sein Wirth, der sich mühsam vom Boden erhob. Antonio konnte verwundert keine Antwort geben. Warum das Schwert? fragte der gebückte, schwache Eremit; wozu diese feindlichen Blicke? Antonio zog sich zurück mit der Entschuldigung, daß ihn ein böser Traum erschreckt und geängstigt habe. Er konnte nicht wieder einschlafen, so verstört waren seine Sinne. Da vernahm er wieder deutlich Beresynths krähende Stimme, und Pietro sagte mit vollem klaren Tone: laß ab, denn Du siehst, er ist bewaffnet und gewarnt, er wird sich dem Schlafe nicht von neuem überlassen. — Wir müssen ihn überwältigen! schrie der Kleine, da er uns nun wieder erkannt hat, sind wir ja auf alle Weise verloren! Der Knecht giebt uns morgen der Inquisition an, und das Volk ist auch dann gleich mit dem Verbrennen bei der Hand.
Durch die zerrissene Thür erkannte er die beiden Zauberer. Er stürzte wieder mit gezogenem Schwerte hinein, und fand wieder zwei kranke Alte, im Gebete flehend, am Boden liegen. Erbittert über die Truggestalten ergriff er sie in seine Arme, und rang kräftig mit ihnen, sie wehrten sich verzweifelnd, bald war es Pietro, bald der Eremit, bald das Gespenst Beresynth, bald ein kranker Greis. Unter Geschrei, Toben, Fluchen und Wehklagen gelang es ihm endlich, sie aus der Zelle zu werfen, die er dann fest verriegelte. Nun hörte er draußen Gewinsel, Bitten und Aechzen, dazwischen ein Flüstern von vielen Stimmen, Gesang und Geheul, nachher schien Regen und Sturm sich aufzumachen und ein fernes Gewitter grollte zwischen das mannigfache Getöse. Betäubt schlief endlich Antonio, auf sein Schwert gelehnt, vor dem Crucifixe ruhend ein, und als ihn der kalte Morgenwind erweckte, fand er sich auf der höchsten Spitze einer schmalen Klippe, mitten im dicken Walde wieder, und glaubte, hinter sich ein Hohngelächter zu vernehmen. Nur mit Lebensgefahr gelang es ihm, von der schroffen Höhe hinab zu klimmen, indem er die Kleider zerriß und Antlitz und Hand und Fuß verwundete. Mühselig mußte er durch die Wälder irren, kein Mensch war zu errufen, keine Hütte, so oft er auch die Anhöhe bestieg, weit umher zu entdecken. Erst in der Nacht traf er, von Müdigkeit, Hunger und Erschöpfung aufgelöst, auf einen alten Köhler, der ihn in seiner kleinen Hütte erquickte. Er erfuhr, daß er von jener Einsiedelei, die er gestern getroffen hatte, wohl zwölf Meilen und mehr entfernt sei. Erst spät am folgenden Tage konnte er, etwas gestärkt und ermuntert, seine Reise nach Florenz wieder fortsetzen.
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Antonio hatte sich nach Florenz begeben, um seine Verwandten und sein väterliches Haus wieder zu besuchen. Er konnte sich nicht entscheiden, welchen Lebenslauf er beginnen sollte, da ihm alles Glück des Daseins so treulos geworden war, da sich die Wirklichkeit ihm nur als ein wilder Traum erwiesen hatte. Er ordnete seine Angelegenheiten und ergab sich in dem großen väterlichen Palaste dem Gram, um in jener Grotte, in den wohlbekannten Zimmern sein Unglück und das seiner Eltern sich recht lebhaft zu vergegenwärtigen. Er gedachte jener scheußlichen Hexe, die in sein Verhängniß verflochten, und jener Crescentia, die ihm eben so wunderbar wie seine Braut erschienen und wieder verschwunden war. Hätte er nur irgend eine Hoffnung fassen können, so wäre es ihm möglich gewesen, sich mit dem Leben wieder auszusöhnen. Endlich ging ihm der Wunsch, wie ein blasser Stern, in seiner Seele auf, nach Rom zu wallfahrten, welches er noch nicht kannte, dort an den Gnaden der Gläubigen Theil zu nehmen, die berühmten Kirchen und Heiligthümer zu besuchen, sich in der wogenden Volksmenge, in dem Gedränge der unzähligen Fremden, die aus allen Theilen der Erde dorthin zogen, zu zerstreuen, und seinen Freund Alfonso auszuforschen. Er vermuthete auch, den alten Ambrosio in der großen Stadt anzutreffen, sich von diesem Leidenden, der ihm Vater hatte werden wollen, trösten zu lassen, und dem Bekümmerten wohl auch Trost gewähren zu können. Mit diesen Gesinnungen und Erwartungen machte er sich auf den Weg und langte nach einiger Zeit in Rom an.
Er erstaunte, als er in die große Stadt eintrat. So hatte er sich ihre Macht, ihre Denkmäler, und das Getümmel der unzähligen Fremden nicht vorgestellt. Hier war es ein Wunder zu nennen, einen Freund oder Bekannten aufzufinden, wenn man seine Wohnung nicht schon genau bezeichnen konnte. Und doch begegnete ihm dieser wunderbare Zufall, daß er den Ambrosio plötzlich antraf, indem er das Kapitol hinaufsteigen wollte, von welchem der Alte niederschritt. Der Podesta nahm ihn sogleich mit in seine Wohnung, in welcher Antonio die trauernde Mutter begrüßte. Der Ruf von dem seltsamen Ende Pietro’s, von der Wiederbelebung Crescentia’s und ihrem Hinscheiden war schon bis Rom erschollen, diese wunderbare Geschichte war im Munde aller Pilger, entstellt, mit verworrenen Zusätzen und Widersprüchen, von der oftmaligen Wiederholung bis zu ihrem eigenen Gegentheil ausgebildet. Die Eltern hörten mit Freude und Schmerz die Begebenheit aus Antonio’s Munde, so furchtbar das Entsetzen auch beide, vorzüglich die Mutter, ergriff, die mit Abscheu den alten scheinheiligen Magier verwünschte, von dem sie in ihrer Erbitterung selbst zu glauben schien, daß er den Tod ihrer Tochter, vielleicht sogar von der Familie Markoni erkauft, herbeigeführt habe, um die Leiche nur wieder zu seinem wahnsinnigen Frevel erwecken zu können.
Ueberlassen wir, sagte der Alte, alles dem Himmel; was geschah und stadt- und landkundig wurde, ist erschrecklich genug, um nicht andere, die doch vielleicht unschuldig sind, in diese ungeheure Bosheit zu verwickeln. Mag es sich mit den Markonis verhalten, wie es wolle, so bin ich wenigstens dahin entschlossen, ihnen das Erbe meines Vermögens zu entziehen. Durch meine Beschützer hier werde ich es möglich machen, meine Besitzungen Klöstern oder frommen Stiftungen zu übertragen, und mein Lebensüberdruß bewegt mich vielleicht, selbst als Mönch oder Klausner mein Leben zu enden.
Wie aber, wandte die Mutter mit Thränen ein, wenn es doch noch möglich wäre, jene zweite Crescentia, von der uns Antonio erzählt hat, wieder aufzufinden? Das Kind wurde mir in Deiner Abwesenheit auf eine unbegreifliche Art geraubt, jene Hexe, die die Markonis in jener Nacht genannt hat, die Aehnlichkeit, alles, alles trifft ja so seltsam überein, daß wir die Hoffnung, das allerhöchste Gut des Lebens, nicht zu früh, nicht übereilt aus Verzweiflung aufgeben sollen.
Gute Eudoxia, sagte der Vater, laß, laß alle jene Träume, Sagen und Einbildungen fahren, für uns ist auf dieser Erde nichts mehr gewiß, als der Tod, und daß dieser fromm und sanft sei, müssen wir wünschen und vom Himmel erflehen.
Und wenn nun nachher, und zu spät, rief die Mutter aus, unser armes verwaistes Kind sich wieder finden sollte, dürfte uns die Unglückselige nicht mit Recht schelten, daß wir der Barmherzigkeit des Himmels nicht vertraut, und ihr Wiederkommen mit etwas mehr Ruhe und Geduld abgewartet haben?
Ambrosio warf einen finstern Blick auf den Jüngling und sagte dann: es gehört noch zur Vergrößerung unsers Elends, daß Ihr die Arme mit Euren kranken Einbildungen angesteckt, und ihr dadurch die letzte Ruhe des Lebens geraubt habt.
Wie meint Ihr das? fragte Antonio.
Junger Mann, antwortete der Vater, schon seit jenem Ritt durch Feld und Wald, wo Ihr mir jenes Mährchen aufgeheftet, das Euch in der vorigen Nacht begegnet seyn sollte —
Herr Ambrosio! rief Antonio, und seine Hand fiel unwillkührlich auf sein Schwert.
Laßt das, fuhr der Alte gelassen fort, fern sei es von mir, Euch einer Lüge bezüchtigen zu wollen, ich kenne ja seit lange Euren Edelmuth, wie Eure Wahrheitsliebe. Aber ist es Euch denn nicht, armer Jüngling, ohne meine Erinnerung beigefallen, daß seit jener Nacht, als Ihr dem Sarge meiner Tochter begegnetet, die Ihr am folgenden Tage als Braut heimzuführen gedachtet, Eure Sinne in Unordnung gerathen sind, Eure Vernunft geschwächt ist? In der einsamen Nacht, im Gewitter, in aufgeregter Leidenschaft, glaubtet Ihr die Gestorbene wieder zu sehen, daran knüpfte sich die Erinnerung an Euren unglücklichen Vater, an Eure früh gestorbene Mutter. So entstanden Euch jene Gebilde, und setzten sich in Eurem Gehirn fest. Fanden wir denn wohl eine Spur jener Hütte? Wußte uns irgend ein Mensch in der Umgegend von jenen getödteten Bewohnern zu sagen? Jenes furchtbare Erscheinen meiner wahren Tochter, an welches ich wohl glauben muß, ist allein hinreichend, auch das kälteste Gefühl bis zum Wahnsinn zu treiben, und soll ich mich nun verwundern, wenn Ihr wieder etwas Unmögliches erlebt haben wollt, daß Ihr im Gebirge den gestorbenen Pietro wiedergefunden, und ihn nicht erkannt habt, daß jenes fast lächerliche Gaukelspiel mit Euch vorgenommen sei, das Ihr uns eben so bestimmt erzählt habt? Nein, junger Freund, Gram und Schmerz haben Euren gesunden Sinn zerrüttet, daß Ihr nun Dinge seht und glaubt, die nicht in der Wirklichkeit sind.
Antonio war verlegen und wußte nicht, was er antworten sollte. Wie sehr ihn der Verlust seiner Geliebten in allen seinen Seelenkräften erschüttert hatte, so war er sich doch der erlebten Begebenheiten zu deutlich bewußt, um sie auf diese Weise in Zweifel ziehen zu können. Er fühlte einen neuen Trieb zur Thätigkeit, er wünschte wenigstens darthun zu können, daß die Geschichte jener Nacht kein Traumbild, daß jene zweite Crescentia ein wirkliches Wesen sei, und darum war es sein lebhaftester Wunsch, sie wiederzufinden, um sie den trauernden Eltern zurück zu geben, oder Ambrosio wenigstens beschämen zu können. In dieser Stimmung verließ er den alten Freund, und streifte durch die Stadt, allenthalben vom Gewühl des Volks gedrängt und vom mannigfaltigen Geschrei, Fragen und Erzählen in allen Sprachen betäubt. So war er von den Massen geschoben und gestoßen bis zum Lateran fortgetrieben worden, als er ganz deutlich, aber fern, so wie sich zu Zeiten das Gewühl etwas öffnete, jene häßliche Alte wahrzunehmen glaubte, die Mutter des schönen Mädchens, die ebenfalls Crescentia genannt wurde. Er strebte nun in ihre Nähe zu kommen, und es schien ihm schon zu gelingen, als ein entgegenströmender Zug von Pilgern ihn wieder völlig von jener Erscheinung abschnitt, und alles weitere Vordringen unmöglich machte. Indem er am heftigsten kämpfte und sich auf die Stufen des Tempels des heiligen Johannes empor arbeitete, um weiter um sich sehn zu können, fühlte er einen freundlichen Schlag einer Hand auf seiner Schulter, und eine bekannte Stimme nannte seinen Namen. Es war der Spanier Alfonso. So finde ich Dich also genau an der Stelle, sagte er freudig, wo ich Dich zu finden hoffte?
Wie meinst Du das? fragte Antonio.
Laß uns nur aus dem Gedränge und dieser Strömung kommen, rief jener, hier vernimmt man vor tausendfältigem Sprechen, und vor dem Gesumme der ungeheuren babylonischen Verwirrung kein Wort.
Sie begaben sich in das Gefilde, und hier eröffnete ihm Alfonso, daß, seitdem er sich in Rom befinde, er sich der Wissenschaft der Astrologie, der Wahrsagekunst und ähnlichen Dingen ergeben habe, die er vormals gehaßt, weil er der Ueberzeugung gewesen, sie könnten nur durch verdammliche Mittel und Hülfe der bösen Geister errungen werden. Seit ich aber, fuhr er fort, die Bekanntschaft des unvergleichlichen Castalio gemacht habe, erscheint mir dies Wissen in einem gar höheren und verklärteren Lichte.
Ist es möglich, rief Antonio aus, daß nach jener furchtbaren Begebenheit in Padua Du Deine Seele doch wieder der Gefahr bloß stellen kannst? Dir leuchtet nicht ein, daß dasjenige, was auf natürlichem Wege und mittelst der Vernunft zu erreichen steht, nicht der Mühe verlohnt, weil es geringfügige Künste sind, die nur Scherz und Gelächter veranlassen können; alles Höhere aber, welches nicht auf leere Täuschung hinausgeht, allerdings nur durch böse und verdammliche Kräfte aufzuregen ist?
Eifern, sagte der Spanier, ist kein Beweisen; wir sind noch zu jung, um unsere Natur ganz zu verstehn, viel weniger die übrige Welt und alle Geheimnisse zu fassen. Siehst Du den Mann, dem ich so viel zu verdanken habe, so werden alle Deine Zweifel verschwinden. Fromm, einfach, ja kindlich, wie er ist, leuchtet uns aus jedem seiner Blicke das schönste Vertrauen entgegen.
Und wie war es mit jenem Apone? warf Antonio ein.
Der, erwiederte der Freund, wollte ja doch wie ein überirdisches Wesen auftreten, er bestrebte sich mit Kunst und Bewußtsein, als ein Abgesandter des Himmels zu erscheinen, und mit erkünsteltem Glanz die gewöhnlichen Söhne der Menschen zu blenden. Er erfreute sich des Pompes, er ließ sich zwar herab, aber nur, um den ungeheuren Abstand zwischen ihm und uns noch fühlbarer zu machen. Schwelgte er nicht in der Bewunderung, die ihm Vornehm und Gering, Jugend und Alter zollen mußten? Aber mein jetziger Freund (denn das ist er, weil er sich mir ganz gleich stellt) will nicht groß und erhaben erscheinen, er belächelt dies Bestreben so vieler Menschen, und meint, schon dies leiste Gewähr, daß etwas Unächtes, Gebrechliches verhüllt werden solle, denn ein klares Bewußtsein wolle nur gelten als das, was es sich fühlt, und der größte der Sterblichen müsse sich ja doch gestehn, daß er eben so, wie der blödsinnige Bettler auch, nur ein Sohn des Staubes sei.
Du machst mich begierig, sagte Antonio: er kennt also Zukunft und Vergangenheit? Die Schicksale der Menschen? Und weiß mir zu sagen, wie glücklich oder unglücklich noch meine Verhängnisse seyn werden? Ob gewisse, geheimnißvolle Wünsche sich erfüllen können? Kann er denn errathen und entziffern, was mir selbst in meiner eigenen Geschichte undeutlich ist?
Das eben ist seine Weisheit, sagte Alfonso begeistert, daß er durch Buchstaben und Zahlen auf die einfachste und unschuldigste Weise alles erfährt, wozu jene Unglückseligen Beschwörungen, Formeln, Heulen, Geschrei und Todesangst anwenden müssen. Darum findest Du auch jenen widerwärtigen Zauberapparat nicht bei ihm: keine Kristalle und eingesperrte Geister, keine Spiegel und Gerippe, kein Rauchwerk und keine fratzenhaften Phantome, sondern er ist sich selbst genug. Ich sagte ihm von Dir, und er fand in seiner Rechnung, daß ich Dich heut, in dieser Stunde auf den Stufen der Lateranskirche ganz gewiß antreffen würde. So ist es nun auch in derselben Minute geschehn.
Antonio wurde begierig, den wunderbegabten Mann kennen zu lernen, und von ihm sein eigenes Schicksal zu erfahren. Sie speisten in einem Garten und gingen gegen Abend zur Stadt zurück. Die Straßen waren etwas mehr beruhigt, sie konnten ungestörter ihren Weg fortsetzen. In der Dämmerung kamen sie in die Gassen, die sich eng hinter dem Grabmal des Augustus zogen. Sie schritten durch ein Gärtchen: ein freundliches Licht schimmerte ihnen aus den Fenstern eines kleinen Hauses entgegen. Sie zogen die Glocke, die Thür öffnete sich, und mit den sonderbarsten und gespanntesten Erwartungen trat Antonio mit seinem Freunde in den Saal.
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Antonio war verwundert, einen schlichten, nicht großen jungen Mann vor sich zu sehen, der noch, dem Anschein nach, nicht viel über dreißig Jahre alt seyn konnte. Mit einfacher Geberde begrüßte er den eintretenden Jüngling wie einen alten Bekannten. Seid mir willkommen, sprach er mit wohllautender Stimme, Euer spanischer Freund hat mir so viel Gutes von Euch gesagt, daß ich mich schon längst auf Euren Umgang gefreut habe. Nur müßt Ihr freilich nicht wähnen, daß Ihr zu einem Weisen, zu einem Adepten gekommen seid, oder gar zu einem Manne, vor welchem die Hölle in ihren Grundfesten zittert, sondern Ihr findet hier einen Sterblichen, wie Ihr seid und werden könnt, so wie jeder, den die ernsten Studien und die Entfernung vom eitlen Weltgetümmel nicht abschrecken.
Antonio fühlte sich wohl und behaglich, so sehr er auch überrascht war, er musterte die Stube, die, außer einigen Büchern und einer Laute, nichts Ungewöhnliches aufwies. Er verglich in Gedanken dieses kleine Haus und seinen schlichten Bewohner mit dem Palaste und Gepränge, den Instrumenten und den Geheimnissen seines ehemaligen Lehrers und sagte: freilich sieht man hier keine Spuren jener hohen und geheimen Weisheit, die mir mein Freund gerühmt und in welcher Ihr untrüglich seyn sollt.
Castalio lachte herzlich und sagte dann: Nein, mein junger Freund, nicht untrüglich, denn so weit kommt kein Sterblicher. Seht Euch nur um, dieses ist mein Wohnzimmer, dort in jener kleinen Kammer steht mein Bett; hier ist weder Raum noch Möglichkeit, trügerische Anstalten zu verbergen, oder künstliche Maschinen in Thätigkeit zu setzen. Alle jene Kreise, Gläser, Himmelsgloben und Sternbilder, die jene Beschwörer zu ihren Künsten nöthig haben, finden hier keinen Platz, und jene Elenden werden auch nur vom Geist der Lüge hintergangen, weil sie die Kräfte ihres eignen Geistes nicht wollen kennen lernen. Wer aber in die Tiefen seiner Seele, von Demuth und frommen Sinn geleitet, steigt, wem es Ernst ist, sich selbst zu erkennen, der findet auch hier alles, was er vergebens durch künstliche und verzweifelte Mittel von Himmel und Hölle erzwingen will. „Werdet wie die Kinder!“ In diesem Aufruf liegt das ganze Geheimniß verborgen. Ist unser Gemüth ungefälscht, können wir, wenn auch nur auf Stunden und Augenblicke, das wieder von uns werfen, welches unsre ersten Eltern mit frevlem Muthwillen an sich zogen, so wandeln wir wieder im Paradiese und die Natur mit allen ihren Kräften tritt wie damals, im bräutlichen Jugendalter der Welt, dem verklärten Menschen entgegen. Ist denn unser Geist nicht eben dadurch Geist, daß körperliche Schranken, verwirrender Raum und Zeit, ihn nicht hemmen sollen? Er schwingt sich ja schon, von Sehnsucht und Andacht beflügelt, über alle Sternenräume hinaus, nichts hemmt seinen Flug, als jene Erdengewalt, die sich in der Sünde erst auf ihn geworfen, und ihn zu ihrem Knechte gemacht hat. Diese können und sollen wir aber wieder bezwingen, durch Gebet, durch Zerknirschung vor dem Herrn, durch Erkennen unsrer großen Schuld und durch ungemessene Dankbarkeit für seine überschwengliche Liebe, und dann sehn und hören wir, was sich uns durch Raum und Zeit entzieht, wir sind dort und hier, die Zukunft tritt heran, und schüttet, so wie die Vergangenheit, ihre Geheimnisse vor uns aus, das ganze Reich des Wissens, Begreifens steht uns offen, die himmlischen Kräfte werden freiwillig unsre Diener; und dennoch ist dem ächten Weisen Ein Blick in die Geheimnisse der Gottheit, Eine Rührung seines Herzens, indem er ihre Liebe fühlt, mehr und wünschenswerther, als alle Schätze, die sich dem forschenden Geiste bieten, als alle Enthüllungen der Geschichte und Gegenwart, als die Kniebeugungen von tausend Engeln, die ihn ihren Meister nennen wollen.
Alfonso sah seinen Freund mit begeisterten Blicken an, und Antonio konnte sich nicht erwehren, sich zu gestehn, daß ihm hier im Gewande einfacher Demuth mehr entgegen komme, als ihn aus Apone’s Munde, zur Zeit seiner größten Verehrung des prunkenden Weltweisen, jemals angesprochen hatte. Faßte er doch jetzt die Ueberzeugung, daß die Weisheit, welche man die übernatürliche nennt, sich wohl mit Frömmigkeit und der völligen Ergebung in den Herrn vereinigen lasse.
Wißt Ihr nun von meinen Schicksalen? fragte der Jüngling bewegt; könnt Ihr mir von meiner Zukunft etwas sagen?
Wenn ich das Jahr, den Tag und die Stunde Eurer Geburt weiß, antwortete Castalio, mit dem Horoskop, das ich dann stelle, die Lineamente Eures Antlitzes und die Züge Eurer Hand vergleiche, nachher mit meinem freien Geiste mich der Anschauung ergebe, so zweifle ich kaum, Euch etwas davon offenbaren zu können.
Antonio übergab ihm ein Taschenbuch, in welchem sein Vater selbst seine Geburtsstunde bemerkt hatte. Castalio schenkte den Jünglingen Wein ein, indem er selber ein wenig von diesem genoß, schlug einige Bücher auf und setzte sich alsdann zum Rechnen nieder, ohne nebenher seine Gespräche mit den Jünglingen völlig abzubrechen. Es schien nur, als wenn der junge heitre Mann ein ganz gewöhnliches Geschäft vornehme, das bei weitem nicht seine ganze Aufmerksamkeit erfordere. So mochte unter Lachen und fröhlichen Gesprächen eine Stunde verflossen seyn, als Castalio aufstand und Antonio zu sich in ein Fenster winkte. Ich weiß nicht, fing er an, wie viel Ihr Eurem Freunde dort vertraut, was Ihr ihm etwa verschweigen wollt. Er betrachtete hierauf Antonio’s Gesicht, so wie seine Hände sehr aufmerksam, und erzählte ihm dann zusammenhängend die Geschichte und das Unglück seiner Eltern, den frühen gewaltsamen Tod der Mutter, die verirrte Leidenschaft des Vaters, dessen Ermordung durch seinen frevelhaften Mitschuldigen: hierauf kam er auf Antonio’s eigne Begebenheiten, wie er den Mörder gesucht und verfolgt, und selbst von einer Leidenschaft in Padua sei festgehalten worden. Ihr seid also, beschloß er, was ich nicht ohne Erstaunen erfahren habe, jener Jüngling, der jüngst die Bosheit des verruchten Apone auf wunderbare Weise entdeckt hat, der den Schändlichen seiner Strafe überlieferte, obgleich er selbst nur um so unglücklicher wurde, weil er seine Geliebte zweimal auf entsetzliche Weise verlieren mußte.
Antonio bestätigte dem freundlichen Manne alles, und hatte ein solches Zutrauen zu ihm gewonnen, daß es ihm war, als wenn er nur mit sich selber spräche. Er erzählte ihm hierauf noch von den Abentheuern jener Nacht, der zweiten Crescentia und jener widerlichen Hexe, die ihm, wie er glauben müsse, heute von neuem erschienen sei. Könnt Ihr mir nun, fragte er eifrig, sagen, ob dieses Wahrheit sei, wer jene Crescentia ist, ob ich sie wiedersehn und ihren Eltern zuführen werde?
Castalio war nachdenklicher als zuvor. Wenn jener abentheuerliche Beresynth, die Fratze, welche den Zauberer begleitete, sich nicht als Weib verstellt hat, um den Nachforschungen zu entgehn, so getraue ich mir dieses Weib aufzufinden. Geduldet Euch nur bis morgen und ich sage Euch Bescheid. Uebrigens sind die Begebenheiten jener Nacht keine Phantasien Eures Innern, sondern Wirklichkeit gewesen, damit mögt Ihr fürs Erste Euch und Euren ältern Freund beruhigen.
Nachdenkend verließen die jungen Leute den wunderbaren Mann, und Antonio dankte dem Spanier herzlich, daß er ihm diese Bekanntschaft verschafft hatte.
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Antonio hatte sich aber nicht getäuscht. Es war wirklich die Alte, die er im Gedränge wahrgenommen hatte. Sie wohnte in einer kleinen Hütte, hinter verfallenen Häusern, unweit des Laterans. Verfolgt, dürftig, von aller Welt verlassen, gehaßt und gefürchtet, war sie hier, im Aufenthalte des Elendes, der Verzweiflung nahe. Sie wagte es nur selten, sich zu zeigen, und war auch nur an diesem Tage gezwungen worden, auszugehn, um ihre Crescentia, die ihr entlaufen war, wieder zu finden. Da jedermann ihr scheu aus dem Wege ging, da es ihr selbst schwer wurde, nur hie und da ein Almosen zu erhalten, und ihre ehemaligen Künste keine Liebhaber fanden, so war sie nicht wenig erstaunt, als sie am Abend an ihre Thür klopfen hörte, indem draußen Geschrei und Lärmen tobte. Sie nahm ihre Lampe und machte auf, und sah draußen ein Rudel Gassenjungen und Pöbel, die eine kleine bucklige Figur, die in rothem Sammet mit Gold phantastisch gekleidet war, verfolgten. Wohnt hier nicht die würdige Frau Pankrazia? schrie der mißgestalte Zwerg. — So ist es, sagte die Alte, indem sie mit Gewalt die Thür zuschlug und das Volk draußen mit Schimpfreden zu vertreiben suchte. — Wer seid Ihr? würdiger Herr, was sucht Ihr bei einer alten verlassenen Frau?
Setzt Euch nieder, sagte der Kleine, und zündet etwas mehr Licht an, damit wir uns schauen und betrachten können, und weil Ihr Euch arm nennt, so nehmt diese Goldstücke, und wir wollen auf bessere Bekanntschaft ein Gläschen Wein mit einander leeren.
Die Alte schmunzelte, zündete einige Wachskerzen an, die sie in einer Schieblade verwahrte und sagte: ich habe noch ein Fläschchen guten Florentiner, ehrwürdiger Herr, der uns schmecken soll. Sie öffnete einen kleinen Schrank und setzte die rothe Labung auf den Tisch, dem Unbekannten zuerst einschenkend.
Warum nennt Ihr mich ehrwürdig? fragte dieser.
Sagen es die Goldstücke nicht aus, antwortete sie, Euer Wamms, die Tressen darauf, die Feder auf dem Hut? Seid Ihr kein Prinz, kein Magnat?
Nein, schrie der Kleine: ei poz tausend, Muhme, kennt Ihr mich denn gar nicht? hat man mir doch schon in der Jugend damit schmeicheln wollen, daß wir uns einigermaßen ähnlich sehen, und wahrlich, wenn ich so Eure Statur, Physiognomie, den Ausdruck, das Lächeln und das Blinzeln der Augen unpartheiisch betrachte und erwäge, so sind die Muhme Pankrazia, aus dem Hause Posaterrena aus Florenz, und der kleine Beresynth, aus der Familie Fuocoterrestro aus Mailand, so in Verwandtschaftszügen, wie Muhme und Vetter, sich ähnlich genug.
Jemine! schrie die Alte erfreut, so seid Ihr der Beresynth aus Mailand, von dem ich in meiner Kindheit wohl habe reden hören? Ei! ei! so muß ich so spät, im hohen Alter, noch einen so liebwerthen Vetter von Angesicht zu Angesicht kennen lernen!
Ja, sagte der Kleine, recht von Nase zu Nase, denn die aufgeworfene hohe Schanze ist doch das größte Knochenstück in unsrem Gesicht. Curiosität halber, liebe Muhme, probiren wir einmal, ob wir uns wohl einen vetterlichen Kuß geben können. — Nein, pur unmöglich, die weit ausgestreckten Vorgebirge rasseln gleich aneinander, und schließen unsre demüthigen Lippen von jeder sanften Begrüßung aus. Man müßte mit beiden Fäusten die edlen Römernasen seitwärts zwängen. So. Laßt nicht abschnappen, Frau Muhme, ich möchte eine Ohrfeige kriegen, daß mir die letzten Zähne ausfielen.
Unter herzlichem Lachen rief die Alte: Ei! so fröhlich bin ich lange nicht gewesen. Was wollte man denn von Euch da draußen, Vetter?
Was? schrie der Kleine: mich ansehn, sich über mich freuen, weiter nichts. Ist der Mensch nicht, werthgeschätzte Frau Muhme, eine ganz dumme Figur? Hier in Rom sind nun seit Monaten Hunderttausende versammelt, ihrem Erlöser zu Ehren, so wie sie vorgeben, und ihre Sünden abzubüßen, und, so wie ich nur aus dem Fenster kucke (ich bin erst seit vorgestern hier), sei es auch nur in der Schlafmütze, oder gar mit ganzer Figur und in meinem besten Anzuge auf den Markt hinaus trete, so müßte man doch schwören, daß das ganze Gezeug bloß meinetwegen von allen Ecken Europa’s ausgezogen sei, so kucken, äugeln, forschen, fragen sie, lachen und freuen sich. Reich, so scheint es, könnte ich werden, wenn ich mich die Zeit hier für Geld wollte sehen lassen, und wenn ich ihnen nun einmal umsonst die Freude mache, so schreit und lärmt das dumme Volk hinter mir drein. Eine Meerkatze, Affen oder Seehunde zu beschauen, müßten sie sich in Unkosten setzen, und statt meine Großmuth ruhig und wie gesetzte Leute zu genießen, tobt und schimpft der Pöbel um mich her, und sucht alle Ekelnamen aus der Naturgeschichte zusammen, um seine krasse Ignoranz an den Tag zu geben.
Ja wohl, ja wohl, seufzte die Alte: es geht mir nicht besser. Sind die Thiere wohl so dumm? Da mag einer Nase, Augen und Kinn nach Gutdünken haben, und es geht ihm ruhig hin.
Seht nur die sonst einfältigen Fische an, fuhr Beresynth fort, welche philosophische Toleranz! Und unter denen sind manche Kerle doch ganz Schnauze, und halten den Forschern der Tiefe eine Physiognomie entgegen, ernst, kalt, ruhig im Bewußtsein ihrer Originalität, und umher krümmelt und wimmelt es von andren seltsamen Angesichtern, Kiefern, Zähnen, vorgequollnen Augen und von frappantem Ausdruck aller Art, aber ruhig und still wandelt jedes Ungeheuer dort seinen Gang, ungeschoren und unmolestirt. Nur der Mensch ist so thöricht, daß er über das Nebengeschöpf lacht und spottet.
Und worauf, sagte die Alte, läuft denn nun der mächtige Unterschied hinaus? Ich habe doch noch keine Nase gesehn, die nur eine einzige Elle lang wäre, ein Zoll, höchstens zwei, kaum drei ist der Unterschied zwischen der sogenannten Mißgeburt und dem, was sie Schönheit nennen. Und auf den Höcker zu kommen. Wenn er im Bett nicht manchmal unbequem wäre, nicht wahr, so ist er eigentlich viel angenehmer, als so ein dummer, gerader Rücken, wo sich bei manchem großgewachsenen Schlingel die langweilige gerade Linie, ohne Verzierung und Schnörkel, bis ins Unermeßliche hinauf erstreckt.
Recht habt Ihr, Frau Muhme, rief der schon trunkne Beresynth der Trunknen entgegen. Was macht denn die Natur, wenn sie solche gerade Katze, solche sogenannte Schönheit von der Töpferscheibe laufen läßt? Das ist ja kaum der Mühe werth, die Arbeit nur anzufangen. Aber solche Kabinetstücke, wie wir, da kann die schaffende Kraft, oder das Naturprinzip, oder Weltgeist, oder wie man das Ding nennen will, doch mit einer gewissen Beruhigung und Befriedigung seine Produktion anschauen. Das rundet sich doch, das bricht in merkwürdige Ecken aus, das zackt sich wie Korallen, springt hervor in Kristallen, formirt sich wie Basalt, und rennt und springt und hüpfelt in allen Linien um unsern Körper. Wir, Base, sind die verzognen, verhätschelten Kinder der Formation, und darum ist der Pöbel der Natur auch so boshaft und neidisch auf uns. Das schlanke miserable Wesen gränzt an den kläglichen Aal, da ist keine Auferbauung. Von der dummen Figur zur Seespinne ist schon sehr weit, und wie fern dann Meerkalb, wie übertreffen wir dieses, so wie den Seestern, Krebs und Hummer, getreuste Cousine, mit unsern Abnormitäten, die sich in keine Rechnung bringen lassen. — Wo habt Ihr nur die herrlichen beiden Zähne her? Diese unvergleichlichen Mordanten figuriren so recht schwarz und düster in der tiefsinnigen Fugirung Eures unergründlichen Mundes.
O Schäker, o Schmeichler, lachte die Alte, aber Euer liebes Kinn, das sich so huldreich und dienstfertig hervordrängt und tischartig umbeugt. Könntet Ihr nicht einen ziemlichen Teller bequem darauf setzen, und von ihm ungestört mit den Lippen herunter naschen, indessen Eure Hände anderswo Arbeit suchten? Das nenne ich ökonomische Einrichtung.
Wir wollen uns nicht durch Lobeserhebungen verderben, sagte der Zwerg, sind wir ja doch schon auf unsre Vorzüge eitel genug, die wir uns nicht selbst gegeben haben.
Ihr habt Recht, sagte sie, aber, was treibt Ihr, Vetter? Wo lebt Ihr?
Kurios genug, antwortete Beresynth, bald hier, bald dort, wie ein Vagabund; jetzt aber will ich mich zur Ruhe setzen, und da ich hörte, daß noch eine nahe Verwandte von mir lebte, so wollte ich die aufsuchen, und sie bitten, mit mir zu ziehn. So komm ich zu Euch. In meiner Jugend war ich Apotheker in Calabrien, da jagten sie mich fort, weil sie meinten, ich fabrizire Liebespulver. Du liebe Zeit! als wenn es deren noch bedürfte. Dann war ich einmal Schneider, es hieß, ich stöhle zu arg; als Pastetenbäcker wieder die Beschuldigung, daß ich Katzen und Hunden nachstellte. Ich wollte Mönch werden, aber kein Kloster wollte mich einlassen. Als Doctor sollt’ ich verbrannt werden, denn sie sprachen gar von Hexerei. Ich wurde gelehrt; schrieb, dichtete, das Volk meinte, ich lästre Gott und die Christenheit. Nach vielen Jahren kam ich zum weltberühmten Pietro Apone, und wurde dessen Famulus, nachher Eremit, und was nicht Alles; am besten, daß ich in jedem Stande Geld gemacht und zurückgelegt habe, so daß ich meine alten Tage ohne Noth und Sorge beschließen kann. — Und Ihr, Muhme, Eure Geschichte?
Wie die Eurige, antwortete die Base: man wird immer unschuldig verfolgt. Ich habe etlichemal am Pranger stehn müssen, aus einigen Ländern bin ich verwiesen, sie wollten mich unter andern auch verbrennen: es hieß, ich hexte, ich stöhle Kinder, ich verzauberte die Leute, ich kochte Gift.
Nicht wahr, sagte Beresynth treuherzig, es war auch etwas an diesem Gerede? Ich muß es wenigstens von mir bekennen, und vielleicht liegt es in der Familie, daß ich manche dem ähnliche Künste getrieben habe. Zarte Freundin, wer einmal vom lieben Hexen ein Bischen weg hat, der kann es nachher Zeitlebens nicht wieder lassen. Das Ding ist wie mit dem Weintrinken. Einmal den Geschmack gewonnen, und Zunge, Kehle, Gaumen, ja Lung und Leber lassen von dem Dinge nicht wieder los.
Ihr seid ein Menschenkenner, lieber Vetter, sagte die Alte mit selbstgefälligem Lächeln. So etwas Mord und Hexerei, Gift und Diebstahl läuft auch beim Unschuldigsten mit unter. Das Kuppeln hat mir nie einschlagen wollen. Und was soll man sagen, wenn man an eignen Kindern Undank und Unheil erlebt? Meine Tochter, die nun gesehn hat, wie ich Hunger und Kummer leiden muß, wie ich mir an meinem alten Munde absparte, um sie nur schön in Kleidung zu setzen, die ungerathne Dirne hat sich nie von mir erweichen lassen, auch nur einen Groschen zu verdienen. Früher konnte sie gute Heirathen treffen: Ildefons, Andrea und noch einige andere tapfere Männer, die unser ganzes Haus und sie mit erhielten; da brauchte sie den armseligen Vorwand, daß die Herren Räuber und Mörder wären, denen sie ihr Herz verschließen müsse. Die Männer waren so großmüthig, daß sie sich wirklich die Dirne wollten antrauen lassen, aber die dumme Jugend hat weder Verstand noch Tugend. Nun ruhen sie im Grabe, die vorzüglichen Männer, und sind auf eine schnöde Art umgekommen. Doch das rührt sie so wenig, wie mein Kummer und Elend, so daß sie nicht drein willigen mochte, mit einem jungen reichen vornehmen Herrn, dem Neffen eines Cardinals, zu leben, der unsre ganze Stube mit Gold überziehen konnte. Weggelaufen ist die einfältige Dirne, und man will sie mir gar nicht wieder ausliefern. So werden heut zu Tage die Eltern verachtet.
Laßt sie laufen, die Verächtliche, sagte Beresynth, wir wollen ohne sie schon glücklich miteinander leben, denn unsre Neigungen und Gemüther sind sich gleich.
Warum aber weglaufen, sagte die Alte, wie eine ungetreue, geprügelte Katze? Wir hätten uns ja wie Liebende, wie vernünftige Wesen trennen können. Es fand sich gewiß Gelegenheit, die bleichsüchtige Dirne vortheilhaft zu verkaufen, an Alt oder an Jung, und das hätte auch wohl gelingen können, wenn sie sich nicht einen einfältigen jungen Burschen ins Herz geschlossen hätte, den sie liebt, wie sie sagt.
O hört auf, schrie Beresynth, taumelnd, und schon halb im Schlaf, wenn Ihr von Liebe sprecht, Base, so verfalle ich in so konvulsivisches Lachen, daß ich mich in drei Tagen nicht wieder erhole. Liebe! das dumme Wort hat meinem berühmten Meister Pietro den Hals gebrochen. Ohne den Taranteltanz säße die große Habichtsnase noch als Professor auf seinem Katheder, und kraute die jungen Gänse mit Philosophie und Tiefsinn an ihren dummen Köpfen, die ihm die Gelbschnäbel entgegen reckten. Ja, ja, Alte, das Affenthum von Liebe und platonischer Seelentrunkenheit hätte uns beiden, Euch und mir, nur noch gefehlt, um die Wunderthat unsrer heroischen Existenz vollständig zu machen. — Nun lebt wohl, Alte, morgen in der Nacht um diese Zeit hole ich Euch ab, und dann trennen wir uns nie wieder.
Vetter, sagte Pankrazia, auf Wiedersehn. Seit Ihr zu mir eingetreten seid, bin ich ein ganz andres Wesen geworden. Wir wollen in Zukunft eine herrliche Haushaltung führen.
Haben wir unser Jubeljahr doch nun auch gefeiert, lallte Beresynth, der schon auf der Straße stand, und in dunkler Nacht nach seiner Wohnung taumelte.
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Antonio hatte indessen den alten Ambrosio und dessen Gattin schon darauf vorbereitet, daß er gewiß jene widerwärtige Alte, und so auch deren Tochter Crescentia wieder auffinden würde. Die Mutter glaubte ihm gern, aber der Vater blieb bei seinen Zweifeln. Noch vor Sonnenuntergang begab sich der Jüngling mit seinem Freunde wieder zum weisen Castalio. Dieser kam ihnen schon lächelnd entgegen und sagte: Hier, Antonio, nehmt dieses Blatt, Ihr findet auf ihm verzeichnet, in welcher Gasse, in welchem Hause Ihr jene Unholdin antreffen werdet. Wenn Ihr sie aufgefunden habt, werdet Ihr an meiner Wissenschaft nicht mehr zweifeln.
Schon jetzt bin ich überzeugt, sagte Antonio, ich war es schon gestern. Ihr seid der weiseste der Sterblichen, und werdet mich durch Eure Kunst zum glücklichsten machen. Ich gehe, die böse Alte aufzusuchen, und wenn Crescentia nicht gestorben, oder verloren ist, so führe ich sie in die Arme ihrer Eltern.
Bewegt und voller Erwartung wollte er sich eilig entfernen, er hatte schon den Drücker der Thür in der Hand, als sich ein leises ängstliches Klopfen draußen ankündigte, von einem heisern Husten und Scharren der Füße begleitet. Wer ist da? rief Castalio, und da die Freunde öffneten, trat Beresynth herein, der sich gleich in die Mitte des Zimmers stellte, und unter vielen fratzenhaften Verbeugungen, so wie Verzerrungen des Gesichtes dem weisen Manne seine Dienste anbot.
Wer seid Ihr? rief Castalio, der sich verfärbt hatte und mit blassem Angesicht einige Schritte zurückgewichen war.
Ein Bösewicht ist der Verruchte! rief Antonio, ein Zauberer, den wir der Inquisition überliefern müssen, der verruchte Beresynth selbst ist es, dessen Namen Ihr, verehrter Mann, schon kennt, und von dem ich Euch erzählt habe.
Meint Ihr, junges Blut? sagte Beresynth mit dem Ausdruck der tiefsten Verachtung. Mit Euch, ihr Kinder, habe ich nichts zu schaffen. Kennt Ihr mich nicht? rief er zu Castalio gewendet, und könnt auch meine Dienste nicht brauchen?
Wie sollt ich? sagte Castalio mit ungewisser Stimme, ich habe Euch nie gesehn. Entfernt Euch, ich muß Eure Dienste ablehnen. In meinem kleinen Hause bedarf ich keines fremden Wesens.
Beresynth ging mit großen Schritten auf und ab. Also, Ihr kennt mich nicht? Kann seyn; man verändert sich manchmal, denn der Mensch bleibt nicht in seiner Blüthe. Doch, mein’ ich, sollte man mich nicht so bald vergessen, oder mit andern verwechseln, wie so manchen glatten, fein gemalten, unbedeutenden Tropfen. — Und ihr, indem er sich zu den jungen Leuten wendete, kennt wohl jenen Weisheitsfinder auch nicht?
O ja, sagte Antonio, er ist unser Freund, der treffliche Castalio.
Da erhub der Kleine ein so ungeheures Lachen, daß Wände und Fenster des Zimmers erklirrten und wiederhallten. Castalio! Castalio! schrie er wie besessen; warum nicht auch Aganippe oder Hippokrene? Also, ihr habt den Brill vor den Augen, mit Kalbsblicken schaut eure Seele aus dem runden Kürbis eurer Köpfe dumm heraus? Reibt euch die Nase, und seht und erkennt doch euren verehrten Pietro von Abano, den großen Tausendkünstler aus Padua!
Derjenige, der sich Castalio nannte, war wie ohnmächtig in einen Sessel gesunken, sein Zittern war so heftig, daß alle Glieder seines Körpers flogen, die Muskeln seines Antlitzes bebten so gewaltsam, daß kein Zug in ihm wahrzunehmen war, und nachdem die jungen Leute dies einige Zeit staunend betrachtet hatten, glaubten sie mit Entsetzen wahrzunehmen, daß aus den sich verwirrenden Lineamenten die alte Bildung des bekannten greisen Apone hervorstiege. Laut schreiend erhub sich der Zauberer vom Sessel, ballte die Fäuste und schäumte mit dem Munde, er schien in seiner Wuth riesengroß. Nun ja, brüllte er im Donnerton, ich bin es, jener Pietro, und Du, Knecht, verdirbst mir jetzt mein Spiel, jene junge Brut dort auf einem neuen Wege zu vernichten. Was willst Du, Wurm, von mir, der ich, Dein Meister, Dich nicht mehr anerkenne? Zitterst Du nicht in allen Gebeinen vor meiner Rache und Strafe?
Beresynth erhub wieder jenes schallende, entsetzliche Gelächter. Strafe? Rache? wiederholte er grinsend; Dummkopf ohne Gleichen! Mußt Du denn jetzt erst merken, daß Dir diese Sprache zu mir nicht geziemt? Daß Du, Gaukler, Dich vor mir im Staube krümmen mußt? daß ein Blick meines Auges, ein Griff meines erznen Armes Dich zerschmettert, Du erdgebornes Larvenspiel elender Künste, die nur ich gelingen ließ?
Ein Scheusal stand im Saal. Seine Augen sprühten Feuer, seine Arme dehnten sich wie zwei Adlerschwingen aus, das Haupt berührte die Decke; Pietro lag winselnd und heulend zu seinen Füßen. Ich war es, fuhr der Dämon fort, der Deine arme Gaukelei beförderte, der die Menschen täuschte, der den Frevel durch meine Macht erschuf. Du tratst mich mit Füßen, ich war Dein Hohn, Deine hochmüthige Weisheit triumphirte ob meinem Blödsinn. Nun bin ich Dein Herr! Jetzt folgst Du mir als mein leibeigner Knecht in mein Gebiet. — Entfernt euch, ihr Elenden! rief er den Jünglingen zu, was wir noch verhandeln, geziemt euch nicht zu schauen! Und ein ungeheurer Donnerschlag erschütterte das Haus in seinen Tiefen, geblendet, entsetzt stürzten Antonio und Alfonso hinaus, ihre Knie wankten, ihre Zähne klappten. Ohne zu wissen wie, befanden sie sich wieder auf der Straße, sie flüchteten in einen nahen Tempel, denn eine heulende Windsbraut erhob sich mit Donner und Blitzen, und die Wohnung, als sie hinter sich sahen, brannte in zerfallenen Trümmern, zwei dunkle Schatten schwebten über dem Brande, kämpfend, so schien es, und sich in Verschlingungen hin und her werfend und ringend, Geheul der Verzweiflung und lautes Lachen des Hohnes erklangen abwechselnd zwischen den Pausen des lautrasenden Sturmwinds.
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Erst nach langer Zeit konnte sich Antonio so viel sammeln, daß er stark genug war, nach der gegebenen Anweisung das Haus der Alten aufzusuchen. Er fand sie geschmückt und sie rief ihm frohlockend entgegen: ei! Florentiner! seid Ihr auch einmal wieder da?
Wo ist Eure Tochter? fragte Antonio, zitternd vor Eil.
Wenn Ihr sie jetzt haben wollt, sagte die Alte, so will ich sie Euch nicht vorenthalten. Aber bezahlen müßt Ihr rechtschaffen für sie, oder der Podesta von Padua, wenn er noch lebt, denn sie ist sein Kind, das ich ihm damals gestohlen habe, weil mir die Herren Markoni ein ansehnliches Stück Geld dafür gönnten.
Wenn Ihr es beweisen könnt, sagte der Jüngling, so fordert.
Beweise, so viel Ihr wollt, rief die Alte, Windeln mit Wappen, Kleider von damals, ein Maal auf der rechten Schulter, was ja die Mutter am besten kennen muß. Aber auch Briefe von den Markonis sollt Ihr haben, Schriften vom Podesta selbst, die ich damals in der Eile mit wegfischte. Alles, nur Geld muß da seyn.
Antonio zahlte ihr alles Gold, was er bei sich trug, und gab ihr noch die Edelsteine, die Hut und Kleidung schmückten, Perlen und eine goldne Kette. Sie strich alles lächelnd ein, indem sie sagte: wundert Euch nicht, daß ich so eilfertig und leicht zu befriedigen bin. Die Dirne ist mir weggelaufen, weil sie keinen Liebhaber wollte, und steckt im Nonnenkloster bei der Trajanssäule, die Aebtissin hat sie mir nicht herausgeben wollen, aber meldet Euch nur dort, das junge Blut wird Euch von selbst in die Arme springen, denn es träumt und denkt nur von Euch, so habt Ihr ihr thörichtes Herz bezaubert, daß sie seit jener Nacht, der Ihr Euch wohl noch erinnern werdet, kein vernünftiges Wort mehr gesprochen hat, daß sie weder Liebhaber noch Mann mehr leiden konnte. Froh bin ich, daß ich sie so los werde, ich gehe mit einem vornehmen Vetter, Herrn Beresynth, der mich eigen dazu aufgesucht hat, noch heut Nacht auf seine Güter. Lebt wohl, junger Narr, und seid mit Eurer Crescentia glücklich.
Antonio nahm alle Briefschaften, die Kleidungen des Kindes, alle Beweise ihrer Geburt. In der Thür begegnete ihm schon jener Furchtbare, der sich Beresynth nannte. Er eilte, und war so leichten Herzens, so beflügelt, daß er den Sturm hinter sich nicht vernahm, der die Gegend zu verwüsten und die Häuser aus ihren Gründungen zu heben drohte.
Bei nächtlicher Weile untersuchten die überglücklichen Eltern die Briefe, und diese, so wie die Kleider überzeugten sie, daß diese zweite Crescentia ihr Kind sei, die Zwillingsschwester jener gestorbenen, die sie in der Taufe damals Cäcilie genannt hatten. Der Vater holte am Morgen das schöne bleiche Mädchen aus dem Kloster, die sich wie im Himmel fühlte, edlen Eltern anzugehören, und einen Jüngling, der sie anbetete, wieder gefunden zu haben, dem sie in jener Nacht auf ewig ihr ganzes Herz hatte schenken müssen.
Rom sprach einige Zeit von den beiden Unglücklichen, welche das Gewitter erschlagen hatte, und Ambrosio lebte nachher mit seiner Gattin, der wieder gefundenen Tochter und seinem Eidam Antonio in der Nähe von Neapel. Der Jüngling verschmerzte im Glück der Liebe die Leiden seiner Jugend, und an Kindern und Enkeln trösteten sich die Eltern über den Verlust der schönen und innig geliebten Crescentia.
Anmerkungen zur Transkription
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