The Project Gutenberg EBook of Sidsel Langröckchen, by Hans Aanrud This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and most other parts of the world at no cost and with almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included with this eBook or online at www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you'll have to check the laws of the country where you are located before using this ebook. Title: Sidsel Langröckchen Author: Hans Aanrud Illustrator: Arthur Michaelis Lisbeth Bergh Translator: Walther R. Schmidt-Kristiania Release Date: May 9, 2015 [EBook #48902] Language: German Character set encoding: ISO-8859-1 *** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK SIDSEL LANGRÖCKCHEN *** Produced by Sandra Eder, Jens Sadowski, and the Online Distributed Proofreading Team at http://www.pgdp.net
Sidsel Langröckchen
Nordische Bücherei
Hans Aanrud
Erzählung
Elftes bis zwölftes Tausend
Leipzig 1914
Verlag von Georg Merseburger
Einzige autorisierte Übersetzung von Walther R. Schmidt-Kristiania. Titelzeichnung von Lisbeth Bergh. Zeichnungen von Arthur Michaelis. Plattendruck der Spamerschen Buchdruckerei in Leipzig.
Bär, der große, alte, struppige Hofhund auf Hoël, saß auf der Türtreppe und schaute ernsthaft über den Hof. Es war ein kalter, klarer Spätwintertag, und der Schnee glitzerte im Sonnenschein. Am liebsten wäre Bär aber doch hineingegangen; denn es ließ sich nicht leugnen: wie er da saß, fror ihn grimmig an den Pfoten, und er hob abwechselnd bald die eine, bald die andre eine Weile von den Steinfliesen empor, um nicht das Kribbeln in die Klauen zu bekommen.
Aber er durfte seinen Posten nicht verlassen. Die Schweine und die Ziegen waren heute im Freien. Noch führten sie sich zwar alle ganz anständig auf; die Schweine gingen dort in der Sonne und rieben sich an der Ecke des Kuhstalls, und weiter weg knabberten die Ziegen eifrig an der Baumrinde, die beim Schweinestall auf einen großen Haufen für sie zusammengekehrt war, und taten so, als hätten sie an nichts andres zu denken. Aber er wußte von früher her: kaum war er hineingegangen, da lagerten sie sich sogleich mitten in den Haustüren und verübten all den Unfug, den sie sich nur ausdenken konnten — die große neue Ziege Krummhorn, die erst im letzten Herbst auf den Hof gekommen war, und die er noch nicht ordentlich abgerichtet, hatte bereits einen Schwuppdich bis an die Hausecke hin gemacht und ihn dabei so gleichgültig und überlegen angesehen.
Die war wirklich eine unerträgliche Person, aber sie sollte sich bloß unterstehen —!
Ein Weilchen wenigstens mußte er noch sitzen bleiben — die Wege durfte er ja auch nicht ganz aus dem Auge verlieren, es hätte doch jemand kommen können.
Zufällig drehte er den Kopf nach dem schmalen Pfad hin, der die Halde schräg vom Oberdorf herabkam.
Alle Wetter! Was war denn das?
Dort kam Etwas — etwas Rundes, Putziges, Winziges — ärgerlich, daß die Augen nicht mehr recht mitwollten! — ja, ja, er mußte auf alle Fälle Meldung machen.
Er fing an zu bellen, ein kurzes, tiefes Gekläff, das weit hinausschallte. Die Ziegen sprangen ängstlich in einen Klumpen zusammen und spitzten die Ohren, die Schweine hörten jählings auf, sich zu jucken und zu kratzen, und lauschten — ja, da konnte man sehen, daß sie vor ihm Furcht hatten.
Dann blieb er wieder ruhig sitzen und sah den Weg hinauf. Nein aber, ob er jemals etwas Ähnliches gesehen hatte — vielleicht war es nicht einmal etwas, das er zu melden brauchte; aber immerhin mußte er sich wohl auf den Weg machen und sich die Sache etwas näher ansehen.
Er krümmte den buschigen Schwanz in einen großen Bogen; man sollte sehen, daß er bester Laune war, und trippelte zum Hofe hinaus.
Es mußte aber doch wohl ein Mensch sein. Es fing an, so leibhaftig der Finn-Kathrine zu gleichen, die dort im Winter zu gehen pflegte, aber die konnte es doch nicht sein; denn dazu war das Wesen dort allzu winzig. Aber ein weiter, langer Weiberrock war es jedenfalls, und unter dem Rock kamen die Spitzen von einem Paar großer Schuhe hervor, über die graue, abgeschnittne Strumpffüße gezogen waren. Über den Rock war ein großer Bausch Gestricktes gewurstelt, aus dem zwei Stummel mit roten, gestrickten Fausthandschuhen hervorguckten. Oben drauf saß ein etwas kleinerer Bausch Gestricktes — das war wohl der Kopf. Hinten auf dem Rücken hing ein großes Bündel in einem dunkelfarbigen Einschlagetuch und vorn ein kleiner, niedlicher, rotgemalter Holzeimer.
Bär mußte unwillkürlich stehen bleiben und sehen. Das rätselhafte Wesen war nun ebenfalls seiner gewahr geworden und wie unschlüssig stehen geblieben. Da ging er auf die äußerste Wegkante hinüber, blieb dort stehen und versuchte, so gleichgültig wie möglich auszusehen, um das Wesen nicht zu erschrecken. Dies ging dann vorsichtig, wie auf Stelzen, langsam wieder vorwärts, indem es sich dicht an der andern Seite des Weges hindrückte und drehte sich allmählich, je näher es herankam, so daß es ganz der Quere ging, als es endlich gerade vor Bär angelangt war.
Da gelang es aber Bär, einen kurzen Blick durch eine kleine Öffnung in dem obersten Strickbausch zu werfen, und was sah er! Erst ein kleines, rotes, aufwärtsstrebendes Stumpfnäschen, dann einen roten Mund, der unsicher zuckte, als wollte er zu weinen anfangen, und ein Paar große blaue Augen, die ihn erschrocken anstarrten.
Bah! Das war ja bloß ein kleines Mädel, das wegen der Kälte tüchtig eingemummelt war. Er kannte sie zwar nicht, aber — wart mal — das Eimerchen kam ihm so bekannt vor. Jedenfalls war es keine Art, sich hier barsch zu stellen und so ein kleines Ding zu erschrecken.
Unwillkürlich wedelte er mit dem Schwanze während er hinüberging, um den Eimer zu beschnüffeln.
Aber das kleine Mädchen verstand ihn nicht sofort, erschrocken trat es vielmehr ein paar Schritte zurück und purzelte rücklings neben dem Wege hin. Da sprang Bär rasch zur Seite und lief ein Stückchen voraus, sah sich wieder um und blinzelte freundlich mit den Augen und wedelte kräftig mit dem Schwanze. Jetzt begriff sie, stand auf, lächelte und trippelte hinter ihm drein. Bär humpelte voran, sich immer wieder umsehend; nun erkannte er, daß sie sicher irgend einen Auftrag auf Hoël auszurichten hatte, und da war es seine einfache Pflicht und Schuldigkeit, ihr zurecht zu helfen.
Das kleine Mädchen war Sidsel Langröckchen von Schloß Guckaus oben auf der Höhe, die dergestalt auf Hoël ihren Einzug hielt.
Schloß Guckaus lag auf einem öden, unfruchtbaren Berghang, weit vorn, gerade unter dem Großhammer, zu alleroberst im Oberdorf, und der Name — es hieß eigentlich Neu-Wüstenland — war ein Spitzname, den ihm ein Spottvogel gegeben, weil man von da oben einen weiten Ausguck hatte, und weil es allem andern eher als einem Schloß glich. Das Krongut, das zum Schloß gehörte, bestand bloß aus etwas Heideland, wo Heidel- und Preiselbeerkraut üppig gedieh, unterbrochen hier und da von einem kleinen Fleckchen Ackerboden oder einem Stückchen Wiese.
Die Stallgebäude bestanden aus einem untermauerten Kuhstall mit zwei Ständen, halb in den Hügel eingegraben, und einem kleinen Schweinekofen im gleichen Stil. Und das Schloß selbst war ein winzig kleines, mit Rasen gedecktes Häuschen, das ganz vorn am Abhang mitten in der Einöde lag. Es hatte bloß ein niedriges Fensterchen mit ganz kleinen Scheiben, das ins Tal hinabschaute.
Fast überall aber, wo man im Umkreis sein mochte — wenn man in der Richtung hinsah und den Blick hoch genug hinaufwandte, überall sah man stets dieses Schloß und dies Guckfensterchen, das wie ein kleines Auge über das Tal hinausblickte.
Wenn nun die Herrlichkeit, von der sie herkam, nicht größer war, so kann man sich wohl leicht denken, daß Sidsel Langröckchen just keine verkleidete Prinzessin war, sondern schlecht und recht ein kleines armes Bettelkind. Und zum ersten Mal auf den Hof von Hoël zu kommen, war für sie dasselbe, als wenn sie wirklich zu Hofe gekommen wäre, obschon sie in einem gar wichtigen, eigentlich nur für Erwachsene passenden Auftrag geschickt war; sie kam nämlich an Stelle ihrer Mutter als Spinnfrau.
Sidsels Mutter, Rönnaug, hatte nun schon vier Jahre lang oben auf Schloß Guckaus allein für den Unterhalt der Familie sorgen müssen. Früher war es ihnen gut gegangen; da war aber der Mann gestorben, und nun saß sie allein da mit dem Schloß, einer Kuh und zwei Kindern, Jakob, der damals ungefähr sechs Jahre zählte, und Sidsel, die zwei Jahre jünger war. Es hielt oft schwer genug, aber sie hatten doch immerhin ein Dach über dem Kopfe, und nach Brennholz brauchten sie auch nicht weit zu laufen, der Wald lag gerade vor der Tür.
Im Sommer konnte sie den harten, steinigen Boden gerade soweit aufkratzen, daß sie auf dem jämmerlich kleinen Fleckchen Ackerland Kartoffeln und etwas Korn bauen konnte, und Heidegras und frisches Laub, das sie sammelte, gab es gerade genug, um die Kuh Bliros jedes Jahr durchfüttern zu können. Und wo eine Kuh ist, da gibt’s auch immer was zu leben.
Im Winter spann sie fleißig Leinwand und Wolle für die Bäuerinnen unten im Dorfe und vor allem für Kjersti Hoël, die Großbäuerin, bei der sie als Magd gedient hatte, ehe sie sich verheiratete.
Auf diese Weise hatte sie sich durchgeschlagen. Unterdessen war der Jakob so groß geworden, daß er selber für sich sorgen konnte. Im letzten Frühling war auf Nordrum Nachfrage nach einem Hirtenbuben gewesen, und da hatte er sofort zugeschlagen. Er und Sidsel hatten so oft oben in der Stube vor dem kleinen Guckfensterchen auf den Knieen gelegen, hinausgeschaut und überlegt, wo sie wohl beide einmal dienen würden, wenn sie erst groß wären. Und da hatte der Knabe immer Nordrum für sich gewählt, hauptsächlich deshalb, weil er den Bauer von Nordrum immer als einen besonders starken Mann hat rühmen hören, — sie dagegen hatte gemeint, besser müsse es auf Hoël sein, wo bloß Frauensleute wären.
Im Herbst hatte dann der Nordrum gesagt, so einen Burschen wie den Jakob könne er auch im Winter brauchen, und da war Jakob dort geblieben.
Er war sogar schon letzte Weihnachten einen ganzen Tag wieder zu Hause gewesen, und da hatte er der Schwester ein Weihnachtsgeschenk mitgebracht von einem kleinen Mädchen auf dem Nordrumhofe, einen gar feinen Unterrock aus grauem Fries.
Und wie lustig und spaßig er geworden war! Als sie den neuen Rock, der ihr vorn wie hinten bis ganz herunter auf die Füße reichte, zum erstenmal angezogen hatte, da hatte er sie Sidsel Langröckchen genannt.
Nach Weihnachten aber war oben auf Schloß Guckaus die Not eingezogen. Die Kuh Bliros, die sonst fast das ganze Jahr hindurch Milch gab, ließ es sich plötzlich einfallen, mehrere Monate trocken zu stehen; sie sollte erst zum Sommer hin kalben. Die letzte Woche hatte es nicht einmal mehr Milch zum Kaffee gegeben.
Bis zum Nachbarhof Svehaugen war es auch nicht bloß ein Katzensprung, und dort war es zudem auch knapp mit der Milch, das wußte Rönnaug, und außerdem hatte sie keine Zeit, sie mußte sich sputen, daß sie mit der Wolle, die sie für Kjersti Hoël spann, endlich fertig wurde und sie bald abliefern konnte, dann wurde wohl auch Rat für Milch und Kaffee und andres mehr. Deshalb arbeitete sie unausgesetzt die ganze Woche hindurch — Sidsel war nun so groß, daß sie beim Karden helfen konnte — und trank den Kaffee schwarz. War es nun aber, weil sie den schwarzen Kaffee nicht vertragen konnte, oder ein andrer Grund, — als sie gestern abend spät fertig geworden war, fühlte sie einen saugenden Schmerz unter der Brust, und als sie heute früh aufstand und sich fertig machte, mit der Wolle nach Hoël zu gehen, wurde ihr mit einem Mal so übel und schwindlig, daß sie sich wieder aufs Bett legen mußte. Sie fühlte sich ganz elend. Nun war es aber Sitte, daß die Spinnfrau, was sie gesponnnen, auch selber brachte, und da bekam sie nicht bloß Vergütung für ihre Arbeit, sondern wurde auch bewirtet und erhielt neue Aufträge und Bescheid, wie das nächste Garn gesponnen werden sollte.
Doch diesmal war wirklich kein andrer Ausweg, sie mußte Sidsel schicken. Sie würde sich schon zurechtfinden, obwohl sie noch nie auf Hoël gewesen war, und soviel würde sie wohl auch mit nach Hause bringen, daß sie wenigstens wieder einmal eine ordentliche Tasse Kaffee trinken könnten, dann konnte sie ja an einem der nächsten Tage immer noch selber gehen.
Wenn sie sich nur darauf verlassen könnte, daß Sidsel sich ordentlich zu benehmen verstände und sich nicht gar zu ungelenk anstellte?
O ja, hatte Sidsel gemeint, wenn sie nur gehen dürfte, dann würde sie sich schon richtig zu benehmen wissen, genau wie eine Spinnfrau; denn sie erinnerte sich sehr gut daran, wie die es machten, von damals, als sie die Mutter nach Nordrum begleiten durfte.
Da hatte denn Sidsel ihren Fries-Unterrock angezogen — sie trug ihn wie einen richtigen Rock und nur bei festlichen Gelegenheiten — war ordentlich in eine Menge Tücher und wollene Schale eingewickelt worden, hatte das große Garnknäuel hinten auf den Rücken gehängt bekommen, den Milcheimer vorn um den Hals und außerdem viele gute Lehren und Ermahnungen mit auf den Weg, und so ging es zu, daß sie heute hinter Bär hertrippelnd in den Hof von Hoël einzog.
Als sie an den Wirtschaftsgebäuden vorüberkam, mußte sie wirklich stehen bleiben und sich umsehen. Ja, hier war freilich alles viel großartiger als daheim! Ein Scheunentor so breit, daß das ganze Guckaus-Schloß hätte hindurchfahren können, und eine einzige Fensterscheibe war mindestens ebenso groß, wie das ganze Fenster oben im Schloß! Und solch eine Ziege! — Sie bekam gerade Krummhorn zu Gesicht, die der Haustür bereits bedenklich nahe war und kaum Miene machte auszureißen, als Bär herankam. Nicht einmal vor dem Hunde war die bange! Sie war freilich auch so groß wie ein ordentliches Kalb! Wenn die Kühe nach demselben Maßstabe waren, da mußten sie ja vom Erdboden aus das Gras auf dem Dache von Schloß Guckaus fressen können! Sie mußte unwillkürlich nach der Tür des Kuhstalls hinschielen. Nein, die war doch nicht größer als Stalltüren gewöhnlich sind — da waren die Kühe doch wohl wie andre auch.
Bär hatte unterdessen die Zeit benutzt, um Krummhorn zurecht zu weisen, nun kam er zurück, wedelte lustig mit dem Schwanze und wandte sich nach der Haustür, als ob er die Kleine hineingeleiten wollte. Ja, der Hund hatte recht, sie mußte sich wirklich beeilen, um ihren Auftrag auszurichten und durfte nicht länger hier stehen und gaffen.
Sie folgte Bär nach, ging in die Hausflur hinein, hob die Türklinke, drehte sich ganz um sich selbst herum, als sie die Tür wieder zumachte, und stand dann in der großen Küche von Hoël.
In der Küche waren bloß eine Magd, die in der Mitte des großen Raumes saß und spann, und Kjersti Hoël selbst, die an dem großen, weißgetünchten Herde saß und Kaffee mahlte.
Beide sahen auf, als die Tür geöffnet wurde.
Sidsel blieb einen Augenblick stehen, machte dann einen so tiefen Knix, daß sie in dem weiten, langen Rock förmlich untertauchte, und sagte wie eine Erwachsene, genau wie sie die Mutter hatte sagen hören: Guten Tag, lieben Leute, Gott segne eure Arbeit!
Kjersti Hoël mußte lächeln, als sie das winzige Ding an der Tür wie eine Erwachsene reden hörte, aber dann sprach sie ebenfalls wie zu einer Erwachsenen. Guten Tag, fremde Jungfer, geht sie Gänge?
Ja, so ist es.
Wie heißt denn die Jungfer, und wo kommst du her? ich sehe, ich kenne dich nicht.
Nein, das ist wohl nicht anders zu erwarten; aber meine Mutter und der Jakob nennen mich Sidsel Langröckchen; und ich bin von Schloß Guckaus, und ich sollte für Mutter mit dem Wollgarn hierher gehen, das sie für dich gesponnen hat, und sollte dir sagen, sie hätte nicht eher damit kommen können, da sie erst gestern spät abends den letzten Wickel anscheren konnte.
Nein, ist es die Spinnfrau, die Gänge geht! Und ich vergesse rein, dich zu bitten, Platz zu nehmen. Nun lege nur ab und setze dich!
Wie leutselig Kjersti Hoël war. Stand sie doch sogar auf und brachte ihr einen Stuhl!
Danke, ich bin so frei.
Sidsel nahm den Eimer und das Garnknäuel herunter und setzte beides bei der Tür nieder. Darauf begann sie über die Diele zu gehen. Ihr war, als wollte der Weg bis zum Stuhl gar kein Ende nehmen — bis hin zum Stuhl war es fast ebenso weit, wie zu Hause von der Haustür bis zum Kuhstall! — Endlich kam sie glücklich ans Ziel und vermochte sich mit Mühe und Not bis auf die äußerste Kante des Stuhles hinaufzuschieben; der Stuhl war auch viel höher, als sie es gewohnt war.
Kjersti Hoël kam nun zu ihr hin: Da will ich doch einmal das Knäuel auflösen und sehen, was eigentlich drin steckt, sagte sie, und dabei begann sie, ihr erst die roten Fausthandschuhe auszuziehen und dann alle die wollenen Schaltücher aufzubinden. Bald saß Sidsel abgetakelt da, aber doch noch immer hübsch rundlich in ihrem kurzen Oberleibchen; denn der weite Rock war nicht nur unten zu lang, auch oben reichte er ihr bis dicht unter die Arme.
Kjersti blieb stehen und sah sie eine Weile an:
Dachte ich mir’s doch, daß ich ein niedliches kleines Mädel in dem Knäuel finden würde. Du ähnelst deiner Mutter.
Sidsel wurde so verschämt, daß sie ganz vergaß, daß sie ja Spinnfrau spielen sollte. Sie schlug die Augen nieder und wußte nicht, was sie antworten sollte.
Was ist denn aber mit der Rönnaug, deiner Mutter, daß sie nicht selber kommt?
Sie fühlte sich heute morgen nicht wohl.
Nein, ist sie krank? Rönnaug war doch sonst immer die Gesundheit selber. Was fehlt ihr denn?
Sie meinte, es müsse wohl der schwarze Kaffee sein, der ihr schlecht bekommen ist.
Seid ihr denn ohne Milch? Ja, nun sehe ich erst, du hast den Eimer mit.
Ja, denk dir nur, die Bliros läßt sich’s auf einmal einfallen, den ganzen Winter trocken zu stehen.
Nein, wirklich? Ja, da ist es freilich nicht so leicht für deine Mutter. Wird denn die Bliros lange trocken stehen?
Freilich, sie soll ja erst zum Sommer hin kalben.
Hm!
Kjersti wurde nachdenklich und sagte wie für sich selber:
Ich habe wirklich schon oft vorgehabt, Rönnaug zu besuchen, aber es ist nie etwas draus geworden; nun will ich aber sehen, ob ich nicht in diesem Frühjahr einmal dazu komme.
* *
*
Sidsel Langröckchen blieb an dem Tage lange auf Hoël. Obwohl sie als Spinnfrau gekommen war, hätte sie es sich doch nie träumen lassen, daß eine Großbäuerin wie Kjersti Hoël so leutselig und freundlich zu ihr sein könnte. Sie bewirtete sie mit allerlei Eßwaren, mit Kaffee, Milch und Kuchen, als wäre sie zu Gaste geladen; und sie unterhielt sich mit ihr so freundlich, daß sie alle Schüchternheit ganz vergaß. Und wie viel Merkwürdiges zeigte sie ihr!
Der Kuhstall war nun aber doch das Allerfeinste. So viele Kühe, daß sie sie kaum zählen konnte, und Schweine, Schafe und Ziegen! Und in einem großen Hühnerstall eine ganze Masse Hühner, ganz sicher so viele, wie es im Herbst oben auf Guckaus Krähen gab!
Und über alles wollte die Großbäuerin genaue Auskunft haben, ob sie lesen und schreiben könne — nun, das konnte sie, das hatte sie ja vom Jakob gelernt —, und ob sie oben auf Schloß Guckaus genug zu essen hätten, und wie die Ernte ausgefallen wäre.
Und Sidsel konnte erzählen, sie hätten im Herbst drei Scheffel Kartoffeln geerntet und einen Scheffel und sechs Liter Mischkorn, und so viel Laub hätten sie gesammelt, daß sie reichlich Futter hätten, um Bliros den Winter durchzufüttern, und sogar noch mehr.
Und nachdem Kjersti ihr die Schafe und die Ziegen gezeigt hatte, da hatte sie wahrhaftig angedeutet, daß sie wahrscheinlich zum Frühling hin eine Hirtin haben müsse, und da hatte Sidsel — sie wußte selbst nicht, wie sie dazu kam — der Kjersti erzählt, wie sie daheim vom Fensterchen aus sich immer Hoël ausgewählt habe, für den Fall, daß sie in Dienst gehen müsse.
Ob sie denn gern von zu Hause fort wolle?
O ja, wenn es nur nicht so schmerzlich wäre, die Mutter verlassen zu müssen.
Nun, darüber wollten sie jetzt nicht weiter reden — sie würde schon im Frühjahr einmal kommen und mit der Mutter sprechen. Jetzt müßten sie aber ins Haus, damit sie etwas zu essen bekäme zur Stärkung für die Reise; denn sie müsse wohl nun daran denken, heimzukehren, es ginge ja bereits auf den Abend.
Darauf gingen sie wieder ins Haus, und Sidsel wurde von neuem bewirtet, und während sie aß, sah sie, wie Kjersti Butter und Käse und andres mehr aus dem Keller heraufholte, und alles in das große Einschlagetuch, in dem das Garn gewesen war, einwickelte. Aber den Milcheimer rührte sie nicht an; dagegen bemerkte Sidsel, daß sie leise etwas zur Magd sagte und daß diese hinausging.
Nachdem Sidsel gegessen und, wie es sich geziemt: Dank und Ehre für Essen und Trinken gesagt hatte, meinte Kjersti:
Ja, nun heb mal das Bündel und versuch, ob du es tragen kannst.
Das war nun freilich tüchtig schwer, doch sie würde es schon erschleppen können. Aber noch immer erwähnte Kjersti den Eimer nicht.
Ja so, nun komm her, Sidsel, ich will dir mit den Schaltüchern helfen!
Sie zog ihr die dicken Handschuhe über die Finger, wickelte sie in alle die vielen Schaltücher ein, und bald stand Sidsel wieder reisefertig da, ebenso wohl verpackt, wie sie gekommen war.
Niedergeschlagen ging sie zur Tür hin, wo der Eimer stand. Aber noch immer sagte die Großbäuerin nichts wegen des Eimers. Unschlüssig blieb sie stehen; sie hatte wirklich so viel Gutes bekommen, daß es nicht gut anging, sie geradezu an die Milch zu erinnern, aber viel lieber hätte sie etwas von der reichen Bewirtung entbehrt, als daß sie ohne Kaffeemilch zur Mutter heimgekommen wäre.
Sie hob das Bündel auf, steckte die Nasenspitze in das Schaltuch hinein, damit Kjersti nicht sehen sollte, daß ihr die Tränen in die Augen traten, als sie sich endlich bückte, um den leeren Eimer zu fassen.
Da sagte Kjersti:
Aber da hätte ich ja wahrhaftig beinahe ganz vergessen, dich zu fragen, ob du nicht mit mir tauschen willst, wenn du für deinen Eimer einen andern bekommst, der der Art ist, daß er überhaupt nie leer wird. Willst du?
Sidsel ließ den Eimer fallen. Wohl hatte sie heute viel Wunderbares gesehen und gehört, wovon sie niemals eine Ahnung gehabt und desgleichen sie noch nie gesehen hatte! Aber daß Kjersti nun gar einen Eimer hatte, der nie leer wurde! — Sie blieb mit offenem Munde stehen.
Jedenfalls mußt du ihn dir ansehen — er steht draußen vor der Tür.
Sidsel war nicht faul, hinauszukommen.
Kjersti folgte ihr. Da stand die Dienstmagd und hielt die große Ziege, Krummhorn, an der Leine.
Kjersti sagte:
Sie ist die Leine gewohnt; ich denke also, sie wird schon mit dir gehen. Und nun grüß mir deine Mutter und frag sie, ob sie mit dem Eimertausch zufrieden ist — und sie wurde nicht einmal böse, daß Sidsel Langröckchen ganz vergaß, danke zu sagen, als sie mit Krummhorn von dannen zog, während Bär sie ein langes Stück Wegs begleitete; denn was hier vor sich ging, das ging über seinen Verstand.
* *
*
Es läßt sich denken, daß Mutter Rönnaug auf Guckaus auch große Augen machte, als sie Sidsel in dem Aufzug kommen sah. Aber es war keine Zeit, alles gleich zu erzählen.
Der Stand neben Bliros mußte geräumt und in Ordnung gebracht werden. Denn nun war es, als hätten sie zwei Kühe, und Krummhorn spazierte so stolz und überlegen in ihren Stand hinein, als ob sie selber eine Kuh wäre, und ihr Lebtag immer im Kuhstall gestanden hätte. Bliros aber war sichtlich beleidigt, daß dieses neue Wundertier da hereinkam und sich in ihrem Stalle breit machte, und sie machte eine Bewegung mit dem Kopfe, um nach ihr zu stoßen. Aber da stieß Krummhorn so gleichgültig wieder, als sei sie’s nur so gewohnt, sich mit Kühen herumzustoßen.
Bliros mußte sie sich wirklich ansehen, so ein albernes Ding war ihr denn doch noch nicht vorgekommen!
Darauf drehte sie sich wieder nach der Wand zu und sah überhaupt nicht mehr nach Krummhorn hin.
An dem Abend hatte Sidsel Langröckchen so viel zu erzählen, daß sie sich selber in den Schlaf schwätzte.
Als Sidsel Langröckchen das nächste Mal nach Hoël kam, da kam sie nicht allein, und da kam sie, um für immer dort zu bleiben.
Alles war ganz, ganz anders gekommen, als sie sich gedacht hatte. Aber sie hatte gewissermaßen keine Zeit gehabt, sich die Sache eher richtig klar zu machen, als gerade in dem Augenblick, da sie jetzt aus dem Gattertor des Guckausschlosses heraustrat — so vielerlei war in der letzten Zeit auf sie eingestürmt, so viel Neues hatte es zu sehen und zu hören gegeben, daß sie nicht einmal Ruhe gefunden, sich richtig auszuweinen, obschon sie immer wie mit einem Tränenkloß im Halse heimgegangen war; als sie jetzt aber Halt machte und sich umsah, da brachte das Bild, das sie sah, auf einmal ihr alles klar und traurig deutlich ins Gedächtnis zurück. Nun war etwas vorbei, etwas, das niemals wiederkommen konnte; nie wieder sollte sie nach Guckaus zurückkehren, höchstens als Fremde, sie hatte niemand — nirgends ein Heim mehr.
Und da begann sie zu weinen so bitterlich, daß alle, die erst gemeint hatten, sie hätte alles so ruhig und vernünftig hingenommen, unwillkürlich stehen blieben und sie ganz verwundert ansahen.
* *
*
Die letzten paar Wintermonate waren für Sidsel oben auf Schloß Guckaus so schnell vergangen, sie wußte gar nicht wo sie geblieben waren. Und das kam nicht zum geringsten Teil daher, daß sie zu all dem übrigen die letzte Zeit unglaublich viel im Kuhstall zu tun bekommen hatte.
Krummhorn war nun gewissermaßen ihre Kuh geworden, und es war selbstverständlich, daß Sidsel sie warten mußte; denn Bliros gab deutlich zu verstehen, daß sie es höchst ungnädig aufgenommen hätte, wenn Rönnaug selber sich mit der Wartung einer ärmlichen Ziege hätte abgeben wollen, gerade als ob diese eine ebenso wichtige Person im Kuhstall wäre wie sie selber — denn der Kuhstall gehörte nun doch ihr allein — dies andre Tier war da bloß geduldet.
Und deshalb wartete Sidsel Krummhorn genau so, wie sie die Mutter Bliros warten sah; ja, sie bekam sogar noch mehr als die Mutter im Stalle zu tun. Denn sie lernte bald die Ziege selber melken, und Bliros, Mutters Kuh, melkte ja überhaupt nicht mehr.
Ob Krummhorn Milch gab? Oh, sie mußte sie oft dreimal am Tage melken! Nun war an Kaffeemilch oder Milchbrei kein Mangel mehr, es blieb sogar mitunter genug übrig, um noch Waffeln zu backen.
Dann kam der Frühling, und der kam oben auf Schloß Guckaus immer zeitig. Das Heideland, das mitten in der Sonne lag, guckte immer zu allererst im ganzen Tal aus dem Schnee hervor.
Und da ging Sidsel hin und untersuchte den Boden — es war ein so wunderliches Gefühl, wieder die bloße Erde unter den Füßen zu fühlen; und Tag für Tag beobachtete sie genau, wie die einzelnen Flecken größer und größer wurden, wie der Schnee allmählich abwärts glitt, ganz langsam, genau wie ihr langer Rock an ihr selber hinabglitt, wenn sie das Gürtelband löste und ihn fallen ließ, so daß er zuletzt wie ein großer, bauschiger Ring um ihre Füße herum liegen blieb. Denn wenn erst der Schnee bis zu dem großen Steine hinabgeglitten war, wo sie und Jakob ihren eigenen Kuhstall zu haben und Tannenzapfen als Futter für ihre Kühe und Schafe aufzubewahren pflegten — dann fingen auch die äußersten Knospen an den Bäumen an, dick zu werden und aufzuschwellen, fertig zum Aufspringen, das wußte sie noch vom vorigen Jahre — und auch danach sah sie nun jeden Tag — und dann, dann kam endlich der große, ereignisvolle Tag heran, wo Krummhorn ins Freie gelassen werden sollte, das hatte die Mutter gesagt.
Das war es, worauf sie wartete. Nicht allein deshalb, weil es so lustig war, nein auch, weil die Ziegen nie so kräftige, fette Milch gaben, als wenn sie im Frühling die ersten Knospen zu fressen bekamen.
Die Mutter war seit dem Tage, da Sidsel zum erstenmal auf Hoël gewesen war, nicht mehr recht wohl und munter gewesen; wenn aber Krummhorn nur erst ihre Knospen zu knabbern bekam, dann würde sie schon wieder gesund werden.
Obwohl sie listig etwas Sand darauf gestreut hatte, damit der Schnee rascher wegschmelzen sollte, lag an dem Tage, da Sidsel Langröckchen in den Stall ging, Krummhorn losband und ins Freie führte, freilich noch immer ein winziger Streifen Schnee oben auf dem Steine.
Krummhorn ging ruhig und würdevoll, bis sie vor die Stalltüre gekommen waren. Da blieb sie stehen, sah sich um und schnupperte gegen die Sonne. Sidsel zog an der Leine, sie wollte zu dem Heideflecken hinunter ziehen, wo sie die Birke stehen hatte, deren Knospen am weitesten vorgeschritten waren.
Krummhorn blieb unbeweglich stehen, als ob gar nichts los wäre; sie war so stark, daß sie nicht einmal den Hals reckte, so krampfhaft Sidsel auch an der Leine ziehen mochte. Sidsel ging da näher heran, um die Leine kürzer zu nehmen, aber da machte Krummhorn eine kurze Bewegung mit dem Kopf, stieß so heftig mit den Hörnern nach Sidsel, daß diese hinterrücks zu Boden fiel, und tänzelte dann gleichgültig davon.
Sidsel kam rasch wieder auf die Beine und setzte der Ziege nach. Als sie ihr aber endlich so nahe gekommen war, daß sie eben nach der Leine am Boden greifen wollte, da begann Krummhorn zu traben; sie galoppierte nicht, wie Ziegen zu tun pflegen, sie trabte wie eine Kuh oder ein Elch, trabte am Hause vorüber und schlug die Richtung nach Svehaugen ein. Sidsel ihr nach; aber so sehr sie auch lief, holte sie sie doch nicht ein. Schließlich stolperte sie über einen Stein, fiel hin, so lang sie war, und hatte gerade noch Zeit, die Augen aufzuschlagen und Krummhorn im Trabe über die Anhöhe verschwinden zu sehen.
Nun blieb ihr nichts andres übrig, als heimzulaufen und die Mutter zu holen, und dann setzten sie beide der Ziege nach. Aber das wurde ein langes Wettlaufen; erst dicht am Gatter von Svehaugen holten sie Krummhorn ein. Dort stand sie und sah gelassen durch die Zaunpfähle; sie dünkte sich offenbar zu gut, um, wie andre Ziegen, über den Zaun hinwegzusetzen, sie, die sich einbildete, sie wäre eine Kuh.
Rönnaug war von dem langen Laufen ganz warm geworden und in Schweiß gebadet, und am Abend, als sie zu Bett gegangen waren, sagte die Mutter, sie friere so erbärmlich. Das schien Sidsel sonderbar; denn als sie ihr Gesicht an den Hals der Mutter legte, war der so heiß wie ein glühender Ofen.
Am nächsten Morgen weckte die Mutter Sidsel und bat sie, zu Kari Svehaugen hinüberzugehen und sie zu bitten, sie möge zu ihr kommen und nach ihr sehen, sie fühle sich ganz elend und werde gewiß nicht aufstehen können.
Das kam Sidsel wieder seltsam vor; denn sie hatte die Mutter noch nie mit so geröteten Wangen und mit so lebhaften Augen gesehen. Aber auf einmal kam ihr alles so verwunderlich vor, daß sie kein Wort hervorbrachte, sondern sofort aufstand, sich eilig ankleidete und davonstürzte.
Nun kamen seltsame Tage oben im Guckausschloß. Wenn Sidsel Langröckchen späterhin an die Zeit zurückdachte, war es ihr, als sei es wie ein einziger schrecklich langer Tag gewesen, an dem so vielerlei geschehen war, was sie sich gar nicht recht klar machen und auseinanderhalten konnte. Alle Erinnerungen an diese Zeit waren wie Schatten, die in einem gelblich flammenden, bösartigen Licht vorüberdrängten und sich jagten, und durch all dies Gewirr hindurch hörte sie wie ein unablässiges Sausen ein schweres, wehes Atemholen.
Ihr war, als könne sie in der Ferne Kari Svehaugen erkennen, die still herumging und im Hause und im Kuhstall alles besorgte, und sie selbst hatte gewiß mehrere Male oben im Geäst einer Birke gesessen und Knospen gepflückt. Auch Lars Svehaugen glitt rasch an ihrem Auge vorüber, als hätte er es furchtbar eilig. Und dann war einer gefahren gekommen, im Pelz und mit großen, schweren Stiefeln, den alle umringten und dessen Worten sie lauschten; und mit ihm kam ein eigentümlicher Geruch, der gleichsam die ganze Stube ausfüllte, auch noch lange, nachdem er schon wieder fort war.
Ihr war auch, als hätte sie Kjersti Hoël auf einem Stuhle sitzen und allerhand gute Sachen aus einem großen Korbe auspacken sehen, und Jakob stand daneben und hatte ein großes Stück Rosinenkuchen in der Hand, an dem er kaute, immerfort kaute, als wäre es ihm unmöglich, den Rosinenkuchen hinunterzuwürgen. Am deutlichsten sah sie seine Augen, sie waren so groß und seltsam glänzend.
Dann war sie eines Morgens in blendend grauem Tageslicht erwacht. Und von da ab sah sie alles und konnte sich auf alles ganz deutlich besinnen. Sie lag in dem kleinen Kinderbette, in dem Jakob zu liegen pflegte, als er noch zu Hause war — sie mochte wohl alle diese Nächte darin gelegen haben — und Kari Svehaugen beugte sich über sie und sah auf sie herab. Es war ganz still; das schwere, wehe Atemholen konnte sie jetzt nicht mehr hören; es knisterte bloß im Feuer auf dem Herd, und ein warmer Luftstrom drang von dort herein.
Kari sagte ganz still:
Nun hat es deine Mutter gut, kleine Sidsel, so gut, wie sie es nie zuvor gehabt hat. Und deshalb sollst du auch nicht weinen.
Und Sidsel weinte auch nicht, sie stand bloß auf und ging ganz still umher den ersten Tag.
Und später gab es so viele Vorbereitungen zu etwas Feierlichem, daß sie kaum Zeit bekam, über die große Veränderung nachzudenken. Lars Svehaugen kam vom Krämer mit so viel feinem weißem, blankem Zeug, wie sie noch nie gesehen, und dann kam eine Frau und half der Kari, das Zeug zurechtzuschneiden und ein Kissen und ein feines, weißes Kleid daraus zu nähen, das die Mutter anhaben sollte, und auf dem weißen Kissen sollte sie liegen.
Lars Svehaugen kam wieder und begann eine neue Bettstelle für die Mutter zurecht zu zimmern; und gerade da kalbte Bliros, und das Kalb sollte geschlachtet werden. Und Lars brachte feine Tannenbüsche und hämmerte ein paar an der Tür draußen fest und andre auf die Gatterpfosten und streute Tannenreisig auf den ganzen Weg bis ans Haus heran. Und allerlei Sendungen kamen, eine solche Menge guter Sachen von Kjersti Hoël und von andern, daß Sidsel noch nie so viel Gutes gekostet hatte.
Und dann kam der Tag, an dem die Mutter zur Kirche gefahren und begraben werden sollte. Es kamen viele Menschen, und Jakob kam in neuen Kleidern aus grauem Fries und strahlte förmlich; und alle wurden bewirtet, und es war so still und feierlich. Sogar der Schulmeister kam in eigener Person und sang so schön, während Lars Svehaugen und drei andre die Mutter zur Tür hinaustrugen und auf einen Schlitten setzten. Darauf zogen sie langsam von dannen, die Anhöhe hinab, der Schlitten fuhr zuerst, und alle die andern schritten still hinterdrein. Unten aber standen zwei Pferde, und sie und Jakob durften wahrhaftig neben Kjersti Hoël selber im Schlitten sitzen und fahren.
Dann kamen sie zu der weißen Kirche; die Glocken läuteten so schön oben im Turm in dem Augenblick, als sie die Mutter durch die große Pforte hineintrugen.
Das weitere sah sie nicht mehr ganz deutlich; aber dessen entsann sie sich noch, wie sie die Mutter in die Erde hinabsenkten und grüne Heidekränze über sie streuten; darauf sang der Schulmeister wieder, und alle Mannsleute nahmen die Hüte ab und hielten sie lange vors Gesicht.
Darauf gingen sie fort und fuhren wieder im Schlitten; aber diesmal fuhren sie viel schneller; es war, als liefen die Zaunpfähle in der verkehrten Richtung mit einander um die Wette, und sie und Jakob versuchten, sie zu zählen, aber es ging nicht.
Und alle kamen wieder mit heim, Kjersti Hoël auch. Daheim hatte Kari Svehaugen, die nicht mit zur Kirche gegangen war, den Tisch mit einem weißen Tischtuch gedeckt und Teller und gutes Essen aufgetragen; und alle aßen und unterhielten sich, aber niemand sprach laut. Nach dem Essen nahm Sidsel Jakob mit in den Kuhstall und zeigte ihm Krummhorn. Oh ja, er mußte schon zugeben, es war eine ganz schöne Ziege; aber eklig war die sicher, das konnte er an ihren Augen sehen. Sie waren auch am Bache, um nach seiner Mühle zu sehen, aber die war verfallen, seitdem er so lange nicht hier gewesen war.
Dann wurden sie ins Haus gerufen und alle tranken Kaffee, und als sie damit fertig waren, begann Kari alles in Körbe einzupacken.
Als das getan war, sagte Kjersti Hoël:
Ja, nun sind wir wohl hier fertig. Du, Sidsel kannst Krummhorn an die Leine nehmen und mit mir gehen. Das war das letzte, was ich deiner Mutter versprochen habe.
So war es zugegangen, daß Sidsel Langröckchen zusammen mit Kjersti Hoël, Bär und Krummhorn bis zu dem Gatter gekommen war, und da geschah es, daß sie zurückblickte und dann zu weinen anfing.
Dort sah sie Kari Svehaugen einen großen Korb am Arme tragend und Bliros an der Leine nach sich ziehend auf dem einen Wege, und weiter weg auf dem andern sah sie den Rücken von Jakob, dem sie eben die Hand gegeben und Lebewohl gesagt hatte — er sah so merkwürdig klein und armselig aus der Jakob — und dort brachte Lars Svehaugen einen Tannenzweig an der Türklinke an zum Zeichen dafür, daß Schloß Guckaus nun leer stand, verschlossen und verriegelt.
Sidsel Langröckchen erwachte in der kleinen Gangkammer, die unter der großen Treppe draußen auf dem Flur in Hoël eingebaut war. Sie schlug die Augen mit einem Mal weit auf und versuchte, sich zurechtzufinden. Sie fühlte ein wohliges, erwartungsvolles Erbeben im ganzen Körper, fühlte, daß sie zu etwas Großem, Wichtigem, etwas Neuem erwacht war, auf das sie sich ganz unvernünftig gefreut hatte; aber sie konnte nicht sofort darauf kommen, was es war.
Es war ganz hell in der kleinen Kammer, in der bloß ein Bett und ein Stuhl standen und sonst nur noch ein kleines Wandbrett hing mit einem Spiegel darüber.
Die Sonne schien quer in die Stube herein durch ein paar Fensterscheiben, die hoch oben in der Wand gerade über ihrem Bett angebracht waren, und zeichnete die Scheiben als zwei leuchtende gelbe Vierecke auf der Diele bei dem kleinen Ofen ab; die eine Ecke reichte weit bis zum Ofen hinauf. Sie folgte den Sonnenstrahlen mit den Augen, da traf die eine Ecke gerade auf etwas Hellgrünes, und gleichzeitig schlug ihr ein wunderlich feiner Duft entgegen. Sie sog den Duft ein — ja richtig — nun besann sie sich, es waren die feinen Birkenzweige, mit denen sie gestern ihr Kämmerchen geputzt hatte; draußen war keimender, sprossender Frühling, und heute sollte das Vieh auf die Weide gelassen werden, und die Kälber sollten Namen kriegen; heute sollte sie erst im Ernst ihren Dienst antreten, etwas für sich selbst werden, Hirtin auf Hoël.
Sie war nun schon einen ganzen Monat auf Hoël.
Aber bisher war sie gewissermaßen bloß zum Staate herumgegangen, hatte im Hause mit Kjersti herumgebastelt, Kleinholz für sie geholt, den Kaffee gemahlen und mit ihr geplaudert.
Die Schafe und Ziegen waren zwar bereits ins Freie gelassen, aber die durften noch überall hin, bloß in den Garten durften sie nicht hinein; aber den bewachte Bär. Im Kuhstall war auch nichts für sie zu tun; dort war außer der Sennerin noch die Stallmagd, und die zwei besorgten alle Arbeit. Eigentlich sollte eine Hirtin ja freilich melken können; aber sie meinten, Sidsel solle damit noch ein Jahr warten; sie habe noch zu kleine Hände, um Kühe zu melken. Und gar oft saß sie und maß ihre Hand und zog an den Fingern und fragte die Sennerin, ob sie nicht ihre Hände schon sehr groß fände; die Sennerin aber hatte gewiß schlechte Augen, denn sie konnte das gar nicht finden.
Krummhorn hätte sie ja eigentlich selber warten sollen, das meinte auch Kjersti, aber daraus wurde auch nichts. Denn die Ziege war so ganz unlenksam geworden, daß sie mitunter meinten, sie wäre geradezu verrückt. Im Ziegenstall ging sie von der einen Wand zur andern, sprang auf die andern Ziegen und die Schafe ein, daß es bloß so in deren Hinterbeinen krachte — zu guterletzt mußten sie Krummhorn an der Wand festbinden und auch dann noch die Leine ganz kurz machen. Und im Stall wollte sie sich überhaupt nicht melken lassen. Als Sidsel es das erste Mal versuchte, machte die Ziege einen mächtigen Satz und schlug so heftig mit den Hinterbeinen aus, daß Sidsel nach der einen und der Melkeimer nach der andern Seite rollten. Daraufhin mußte die Sennerin selber die Ziege melken; aber auch da konnte es bloß mit Anwendung von Gewalt geschehen, und ein Zweites mußte Krummhorn an den Hörnern festhalten.
Und kam sie vollends ins Freie, so war sie nicht zu bewegen, den andern Ziegen auf den Anger hinauf zu folgen, um Futter zu suchen, frech stellte sie sich an der Tür zum Kuhstall auf, und hier stand sie unbeweglich den ganzen, geschlagnen Tag — und brüllen tat sie, wie eine Kuh, sagte der Knecht — so daß sie am Abend, wenn die andern satt und vollgefressen heimkehrten, mager und hungrig wie ein Wolf war.
Sidsel meinte zwar, wenn sie einen Stand im Kuhstall kriegte, so würde sie schon wieder vernünftig werden; aber dazu sagten Kjersti wie die Sennerin nein — eine Ziege dürfe nicht solche schlechte Angewohnheit gelehrt bekommen.
Sidsel hatte deshalb nicht weiter viel zu tun gehabt; das Einzige, wozu Kjersti sie angestellt hatte, war, ihr Kämmerchen hübsch in Ordnung zu halten, und das hatte sie auch immer getan. Jeden Morgen machte sie selbst ihr Bett, und jeden Sonnabend scheuerte sie den Fußboden und das Wandbrett und streute Wachholder. Und letzten Sonnabend war denn auch Kjersti gekommen, hatte zu ihr hereingeguckt und gesagt, sie hielte ihre Schlafkammer ordentlicher und sauberer als die erwachsnen Mägde; und das war nicht gelogen, das hatte sie selber gesehen.
Nun sollte es aber anders werden. Gestern abend war Kjersti zu ihr gekommen und hatte gesagt, heute früh sollte das Vieh auf die Weide gelassen werden, und da müsse sie mit dabei sein; späterhin am Tage sollten die Kälber zum ersten Mal ins Freie kommen, und die müsse sie wenigstens den ersten halben Tag hüten, und weiterhin solle sie ihnen Namen geben, Namen, die sie auch für später behalten sollten, bis sie große, alte Kühe würden. Am nächsten Tage dann sollte sie den Ranzen aufgeschnallt kriegen und mit den Schafen und Ziegen in den Wald ziehen. Denn nun ging es nicht länger an, die Tiere noch auf dem Anger grasen zu lassen.
Jetzt besann sie sich auch; diese Namen waren es gewesen, über die sie gestern abend im Bett nachgedacht hatte; aber noch war sie damit nicht weiter gekommen, als darüber nachzudenken, ob nicht die feine rotbraune, die mit dem großen, weißen Fleck am Kopfe und mit den sanften, gutmütigen Augen, Bliros heißen sollte.
Aber sie hatte den Gedanken bald aufgegeben. Es war doch nur eine einzige Kuh, die Bliros heißen konnte. Ach, sie mochte am liebsten gar nicht daran denken. Und darüber war sie eingeschlummert.
Wenn sie es nur nicht verschliefe! Denn sie hatte Kjersti sagen hören, sie könne es nicht ausstehen, wenn die Mägde am Morgen so lange liegen blieben und die Zeit vertrödelten — und es wäre ja auch keine Art gewesen, wenn sie gerade heute, wo sie im vollen Ernst den Dienst beginnen sollte, nicht ebenso früh zur Stelle gewesen wäre wie die andern.
Sie kam rasch aus den Federn und schlüpfte in ihren langen Rock. Dann machte sie schnell ihr Bett, öffnete die Tür, ging in den Flur und auf die Treppe hinaus.
Die Sonne war eben im Osten über den obersten Tannenwipfeln auf der Halde emporgekommen und brauste nun wie ein schäumender Wasserfall über die Talränder nieder; die Sonnenstrahlen zitterten im Tau auf den Wiesen und Halden; es blinkte im Gelben, es glitzerte im Grünen, es blitzte in den Bächen, die talabwärts rauschten. Aus jedem Gebüsch kam ein lustiges Zwitschern und Piepsen, ein unaufhörliches Schwätzen und Flügelschlagen, von allerorten kam die frohe Kunde keimenden Lebens und Treibens.
Alles vermischte sich zu einem einzigen, mächtigen Morgenbrausen, in dem der einzelne Laut verschwand, nur der Kuckuck rief hoch oben im Birkenwäldchen auf der Halde so laut, daß man ihn über alles hinweg hörte, und in jedem blanken Fenster stand ein großes, ruhiges Sonnenauge.
Und wie es Tausenderlei verschiedene Arten Laute gab, so gab es tausend verschiedene Düfte, von der dampfenden Erde, von sprossendem Gras, von Knospen und Blüten, und durch das Ganze drang — wie der Ruf des Kuckucks in dem großen Gebrause — der feine, scharfe, betäubende Brodem des eben aufgesprungenen Birkenlaubs.
Sidsel Langröckchen blieb eine Weile stehen, holte tief Atem und ließ den Duft und das Brausen auf sich eindringen. Dann sah sie sich auf dem Hofe um. Es war noch ganz still, alle Türen waren noch geschlossen; von lebenden Wesen, die zum Hof gehörten, war nur Bär zu sehen, der sich langsam von den Steinfliesen erhob, wo er sichs in der Sonne bequem gemacht hatte; er kam heran, sah zu ihr auf und wedelte mit dem Schwanze.
Ja wahrhaftig, sie war heute die Erste, die auf dem Hofe auf war!
Nun, da mußte sie eben warten. Sie setzte sich auf die Treppe.
Aber nein, das hätte sie sich doch denken können — natürlich war Kjersti schon auf; sie hörte sie aus ihrer Kammer in die Küche gehen und mit dem Stecken dreimal an die Decke zur Südkammer pochen, in der die andern Mägde schliefen.
Gleich darauf hörte sie plumps, plumps, wie eine nach der andern aus dem Bette sprang, und das Klappern der Holzschuhe, die sie anzogen.
Dann kam Kjersti heraus — sie wollte nach der Knechtekammer hinüber, um die Burschen zu wecken.
Als sie Sidsel sah, sagte sie:
Nein, da ist ja Sidsel schon auf den Beinen. Du bist mir ein flinkes Mädel, ich meine, ich muß dich zur Großmagd machen.
Sidsel wurde auf einmal so verlegen, daß sie sich gar nicht getraute, Kjersti in die Augen zu sehen. Als aber endlich die Sennerin und die andern Mägde die Treppe herabkamen, hob sie unwillkürlich ihr Stumpfnäschen noch ein bißchen höher als sonst.
Bald herrschte überall auf dem Hofe emsiges Leben und Treiben; aber es war doch nicht wie gewöhnlich. Jedes hatte heute Eile, und es war, als ob alles die Richtung auf den Kuhstall hin nähme; die Türen standen weit offen an beiden Seiten des Stalles, und alle nahmen ihren Weg durch den Stall hindurch. Die Frühlingsluft strömte ungehindert hinein, und die Kühe drehten sich in ihren Ständen um, bliesen die Nüstern auf und schauten hinaus.
Als Kjersti selber hineinging, mit den Kühen redete und der Schellenkuh die Backen klopfte, während die Mägde dasaßen und molken, da begriffen auch die Tiere sofort, was für ein Tag heute war. Die Schellenkuh hob den Kopf und brüllte, daß es weit hinausschallte, und das war für alle andern das Zeichen; sie rissen an den Ketten, schlugen mit den Schwänzen und begannen ebenfalls zu brüllen, eine nach der andern, die ganze Reihe abwärts, so daß der Stall förmlich erbebte, ein vielstimmiger, erwartungsvoller Jubelruf, der gar kein Ende nehmen wollte.
Und über das Ganze hinweg hörte man den Bullen, der so tief, gleichmäßig und gutmütig brüllte — er brauchte sich gar nicht anzustrengen, um gehört zu werden.
Obwohl heute alles rascher vor sich ging als sonst, schien es Sidsel Langröckchen doch, als dauerte es lange. Sie konnte nicht begreifen, wo die andern die Ruhe hernahmen, dazusitzen und gelassen ihr Frühstück zu verzehren. Sie war lange vor den andern fertig und fragte, ob sie nicht das Kleinvieh herauslassen dürfe, die Schafe und die Ziegen. Das dürfe sie schon, wurde ihr geantwortet. Im Handumdrehen hatte sie die Tiere ins Freie gebracht, und wie gewöhnlich zerstreuten sie sich rasch mit mutwilligen Sprüngen und langen Sätzen über die Wiesen hin — nur Krummhorn nahm die Gelegenheit wahr und schlüpfte durch die offne Tür in den Kuhstall hinein. Aber Sidsel hatte keine Zeit, das zu beachten.
Auf einmal wurde es einen Augenblick ganz still; man hörte ein paar tiefe, volltönende Schläge einer groben Schelle. Aber es war nur ein Augenblick; dann antwortete vom Kuhstall her ein Jubelgebrüll, Brummen, Schnauben, Schnieben und Kettenklirren, als ginge ein schweres Gewitter über den Hof nieder. Jetzt verstanden die Tiere, daß es wirklich Ernst war, als sie die Schelle hörten, die sie, seitdem sie im Herbst in den Stall gekommen waren, nicht wieder gehört hatten.
Und da kamen sie in feierlichem Zuge, Kjersti selbst an der Spitze, die Schelle mit dem eisenbeschlagenen Kloben in der Hand, hinter ihr die Sennerin, dann die Untersennerin, die Stallmagd und darauf die beiden Knechte, die dicke Knüppel austeilten, — auch Sidsel bekam einen — und zu allerletzt Bär, der heute auch mit dabei war.
Sie gingen in den Stall hinein. Da wurde es mit einem Mal wieder still; alle Kühe drehten die Köpfe nach der Seite, von wo der Zug hereinkam, und sahen mit großen, erwartungsvollen Augen drein.
Dann wurde das Vieh verteilt. Die Sennerin sollte die Ketten lösen. Sidsel, die Untersennerin und die Stallmagd sollten es mit ihrem Stecken durch die Tür hinausleiten; draußen im Viehgatter sollten die Knechte bereitstehen, um die Tiere in Empfang zu nehmen und auf den rechten Weg zu bringen — das Vieh sollte heute auf den Nordanger — und diejenigen, die zusammengerieten, trennen, und draußen wollten Kjersti und Bär stehen und sich das Schauspiel durch das Gatter ansehen.
Der große Augenblick war gekommen.
Kjersti ging zur Schellenkuh in den Stand hinein. Die richtete sich auf, hob stolz den Kopf, so hoch sie vermochte, und stand bumsstille, wie eine Mauer. Sie wußte genau, daß sie die vornehmste hier war, die als erste durch die Stalltür aus- und eingehen durfte; sie mußte aber auch zeigen, daß sie die Ehre wohl zu würdigen verstand, von Kjersti selbst das Ehren- und Machtzeichen, die Schelle, an- und abgeschnallt zu bekommen. Kjersti band ihr die Schelle um den Hals und löste ihr die Kette, die klirrend zu Boden fiel. Da schwenkte die Kuh langsam und bedächtig, wie ein großes, schweres Schiff, aus dem Stande heraus; feierlich und ernst nahm sie die Richtung auf die Tür zu, den Kopf hoch haltend und so ruhig, daß man kaum die Hörner sich bewegen sah, und die Schelle gab bloß einen kurzen, bestimmten Ton bei jedem Schritte.
Der nächste war der Bulle; dem löste die Sennerin die Kette; der ging ebenso ruhig und schwerfällig, und seine Hörner ragten so hoch, daß sie beinahe das Dachgebälk streiften, und waren so breit, daß es aussah, als füllten sie den ganzen Mittelgang aus. Sidsel hatte noch nie bemerkt, daß er so groß war. Und dann kamen der Reihe nach die andern, Brandros und Morlik, Kranslin und Reindrople, Svartsi und Drive, Farskol und Litago, Sommerlöv und Spasergang, Mörkei und Guldros, die ganze, lange Reihe abwärts bis zu den Färsen, deren Namen keines richtig behalten konnte, und die jungen Ochsen, die überhaupt keine Namen hatten. Und je weiter sie den Gang hinunterkamen, um so schneller ging es; sie streckten die Hälse und zerrten an den Ketten, sie stürzten auf die Kniee, wenn die Kloben an den Ketten nachgaben, sprangen wieder auf, daß es in den Gelenken krachte, liefen geradeswegs gegen die Wand oder oben in den Futtergang hinauf, scharten sich dann alle bei der Tür zusammen, kamen zwei und zwei nebeneinander her, liefen sich so fest, daß ihre dicken Bäuche wackelten, und bereits kamen neue von hinten nach und drängten vorwärts, schlugen mit den Hörnern, stießen und brüllten; plötzlich gab dann der Widerstand vorn nach, und der ganze Klumpen stürzte ins Freie.
Das Letzte, was Sidsel sah, war Krummhorn, die hinten ausschlug und mit einem langen Satz durch die Stalltür den andern nachsetzte.
Draußen war Lärm und Leben. Sie hoben die Köpfe, schnauften nach der Halde hinauf, und dann wurden sie wie besessen; alte, steifbeinige Kühe schlugen übermütig wie die Kälber mit den Hinterbeinen aus, machten mutwillige Sätze über den Hof hin, gerieten in ihrer Ausgelassenheit aneinander, daß die Hörner nur so krachten, stießen ein kurzes, wildes Gebrüll aus, wenn sie den kürzeren zogen, und fuhren auf eine zweite und dritte los — das Ganze ward ein einziger großer Wirrwarr von Schnaufen und Brüllen, Krachen der Hörner und Knacken der Gartenzäune, Aufklatschen und Knallen der Stecken, Rufen und Schreien von Menschenstimmen; und durch den Wirrwarr hindurch bahnte sich der Bulle, auf und abschreitend, die Hörner hoch über dem Ganzen, den Weg wie ein gewaltiger Schneepflug.
Nur die Schellenkuh stand ruhig ein Stück abseits und sah zu; ihr wagte keines zu nahe zu kommen.
Endlich war die Sennerin an die Spitze des Zugs gekommen und begann zu locken; da hob die Schellenkuh den Kopf, brüllte, daß es weit über den Hof schallte, und sprang hinterdrein. Ihr nach kam Brandros, die immer noch voller Wut schnaubte; nun hatte sie alle gezüchtigt, die es überhaupt der Mühe wert waren, und hatte sie auch nicht die Schelle bekommen, wollte sie doch wenigstens die nächste nach der Schellenkuh sein. Ihr wieder dicht auf den Fersen kam Krummhorn angesetzt, den Kopf hoch und mit wichtiger Miene; aber Brandros verstand heute keinen Spaß, schlug mit dem einen Hinterbeine aus und traf sie so mitten auf den Kopf, daß es Krummhorn vor den Augen flimmerte. Aber die Ziege schüttelte bloß den harten Schädel — tat, als wenn gar nichts geschehen wäre — das war wohl so Sitte unter Kühen.
Das Locken der Sennerin wurde immer lauter, eine nach der andern wurde aufmerksam, kam nachgesetzt, und bald lief der ganze Haufen unter lautem Schnaufen und Brüllen, Rufen und Schellenklang, Locken und klatschenden Schlägen hastig zum Nordanger hinauf.
Dort oben war das Gelände flach und weit weniger gefährlich; das Jungvieh tänzelte in wildem Spiele herum, und hier fand der letzte Kampf statt zwischen denen, die die Kräfte noch nicht gemessen hatten; denn dieser erste Kampf war für den ganzen Sommer entscheidend. Aber bald beruhigten sie sich, und ein paar Stunden später grasten sie friedlich Seite an Seite.
Die Knechte fingen an, heimzugehen. Bloß die Sennerin und Sidsel sollten noch eine Weile zurückbleiben, um aufzupassen, daß nichts geschah. Und richtig, es geschah etwas.
Brandros war die einzige, die sich nicht beruhigen konnte, schnaufend schritt sie hin und her — eigentlich hätte sie die sein sollen, die die Schelle trug — und mit einem Mal fuhr sie wie toll auf die Schellenkuh los. Es entstand ein Ringkampf, daß die Rasenstücke nur so in der Luft herumflogen; dann hörte man ein Krachen und ein kurzes, wildes Brüllen — Brandrosens eines Horn hing gebrochen herab und schlenkerte hin und her. Sie schüttelte den Kopf, daß das Blut weit herumspritzte, stieß von neuem ein lautes Brüllen aus, kehrte um und setzte in langen Sprüngen geradeswegs nach dem Hof zurück, auf die Stalltür zu, und dort begann sie zu brüllen, als ob sie den ganzen Gutshof niederreißen wollte.
* *
*
Nach dem Mittagessen wurden die Kälber herausgelassen. Sidsel taufte sie Gulddrople, Rödsi und Morskol — der Ochse sollte noch keinen Namen bekommen —; sie sah wohl, daß Kjersti sich darüber wunderte, daß sie kein Tier Bliros genannt hatte, aber sie ließ sich nichts merken.
Sie trieben sie aus dem Verschlage heraus und über den Boden des Stalles hin in der Weise, daß jede von den Mägden ihnen einen Bottich mit etwas Dünnmilch vorhielt; die Kälber fuhren mit den Köpfen in die Eimer bis auf den Boden, die Mägde liefen dann mit den Kübeln voran, und die Kälber, die auch den letzten Tropfen mitnehmen wollten, ihnen nach, den Eimer wie große Hauben über den Köpfen tragend. Draußen vor der Stalltür schnappten die Mägde ihnen die Kübel wieder weg — und da standen sie, die noch niemals zuvor außerhalb des Verschlags gewesen waren, auf einmal inmitten der großen, wunderlichen, neuen Welt.
Sie sahen nieder und stelzten rückwärts, als ständen sie auf einer Treppe. Aber bald wagten sie, vorsichtig den einen Fuß vorzusetzen, dann den andern.
Es ging langsam, Schritt für Schritt, aber dann — dann begriffen sie, daß sie auch hier festen Grund unter den Füßen hatten; dies war bloß ein größerer, aber so herrlich heller Verschlag, wo es gewiß weit bis zur Wand war — schwupp! reckten sie die Schwänze gerade in die Höhe und setzten davon wie die wildesten Waldtiere.
Das war ein Gelaufe von Zaun zu Zaun, der Kreuz und Quer und rund im Kreise über die weiten Felder hin, und jedes Mal, wenn sie über einen Erdhaufen wegliefen, sahen Kjersti und Sidsel die aufgerichteten Schwänze sich wie Steuer gegen den Himmel abzeichnen. Sidsel fand, sie habe noch nie so etwas Lustiges gesehen. Aber lange blieben sie nicht beisammen; bald lief jedes in andrer Richtung, und am Abend mußte Sidsel sie einzeln aus den entlegensten Winkeln auf dem Felde zusammensuchen und eins nach dem andern wieder mit einem Eimer heimlocken; denn begreiflicherweise hatten sie noch nicht genügenden Verstand, um zu wissen, daß sie auch wieder nach Hause müßten, sie, die zum ersten Male im Freien waren.
* *
*
Sidsel lag wieder in ihrer kleinen Gangkammer. Es war am Abend des ersten Tages.
Erst sprach sie das kurze Nachtgebet, wie sie zu tun pflegte, streckte sich und fühlte sich wundervoll wohlig und müde im ganzen Körper.
Was das für ein Tag gewesen war! Sie wußte er war lang gewesen; aber wie schnell war er ihr vergangen. Sie mußte wirklich alles noch einmal überdenken.
Aber der Schlummer überraschte sie und warf die Bilder bunt durcheinander.
Dort sah sie ein paar große Hörner, die wie ein Schneepflug durch ein unentwirrbares Gewimmel hindurchpflügten, und dort wieder sah sie Brandros in ihrem Stande stehen; den Kopf zur Seite geneigt und einen großen Lappen um das eine Horn gewickelt, glich sie genau einem alten Weibe, das sich Kopfschmerzen wegen ein Tuch um die Stirn gebunden hat; und dort — ihr war, als sähe sie deutlich einen Vers geschrieben, den sie einmal gehört hatte:
Kälbchen springen, Schwänzchen schwingen
Hoch in der Luft.
Und dann schlummerte Sidsel Langröckchen ein.
* *
*
Am nächsten Tage bekam Sidsel Langröckchen den Hirtenranzen aufgeschnallt und zog mit dem Kleinvieh in den Wald — Krummhorn bekam sie nicht mit; die trabte spornstreichs nach dem Nordanger hinauf zu den Kühen.
Dieser Tag wurde ihr lang; es war so wunderlich einsam und still im Walde; sie mußte unwillkürlich an so vielerlei denken, an die Mutter, an Jakob und an Schloß Guckaus, und da konnte es wohl geschehen, daß ihr die Tränen kamen.
Die Halde jenseits des Tals hinauf zieht ein langer Zug.
Am Kammerfenster daheim steht Kjersti Hoël und folgt ihm mit den Augen, soweit sie vermag, bis er über dem Bergkamm im Gebirge verschwindet.
An der Spitze reitet die Sennerin auf dem Soldatenpferd,[1] dem ein Frauensattel aufgeschnallt worden ist, ein hohes Gestell wie ein Lehnstuhl; und dort hoch oben thront sie in sonntäglichem Putz, im weißen Kopftuch, rotbäckig, rund und selbstbewußt. Nun ist sie die Hauptperson, diejenige, die das Regiment führt.
Nach ihr kommen zwei Knechte, jeder leitet eins der beiden Saumpferde, die unter dem schweren Packsattel im Rücken förmlich einsinken. Darauf kommt das Vieh in stolzem Zuge. Erst die Schellenkuh, dann Brandros mit ihrem schiefen Horn, dicht hinter ihr Krummhorn, darauf Mörkei und dann die ganze Schar — mit Ausnahme von Farskol und Litago, die heuer Stallkühe sein und die Kälber anlernen sollen, mit auf die Weide zu gehen — bis zum Stier, der zuletzt geht, als hätte er auf die ganze Schar aufzupassen. Dann kommen die Ziegen, die es immer eilig haben und gern an den andern vorbeikommen möchten; darauf die Schafe in einem dichten Klumpen, weiterhin vier große Schweine, und schließlich die Untersennerin und Sidsel Langröckchen mit dem Hirtenranzen auf dem Rücken.
Im Anfang ist es flott wie im Tanze gegangen; alle erinnern sich des Gebirges vom vorigen Sommer her, alle haben sich dorthin zurückgesehnt, es geht keinem rasch genug vorwärts. Aber je weiter sie bergauf steigen, desto steiler wird es, die Sonne steigt höher und brennt ihnen auf den Rücken; die Schweine fangen an, zurückzubleiben, versuchen, bei jedem Seitenpfad einen Abstecher zu machen, lauern nur darauf, etwas Schatten zu erhaschen oder eine Pfütze zu finden, in der sie sich abkühlen können; die Ziegen und Schafe merken, daß sie hungrig werden, schlüpfen zur Seite, wo sie einen Busch sehen und ein paar Blätter abknabbern können, oder sie entdecken ein Gatter, durch das sie neugierig hindurchgucken müssen, oder einen grünen Fleck; und die Färsen, die bisher noch nicht mit auf der Alp gewesen sind, begreifen gar nicht, wozu die unnötige Eile, und tun einfach nicht mehr mit, wenn nicht der Stecken über ihnen ist.
Also muß Sidsel oft vom Wege abbiegen, hinauf auf Seitenpfade, hinter Büsche und Sträucher, hinab ins Waldgestrüpp und in den Moorgrund und sie einzeln wieder auflesen, und kaum hat sie sie auf der einen Seite des Weges zusammengetrieben, so wischen sie ihr auf der andern wieder aus.
Sie hat eins ihrer Strumpfbänder nehmen müssen, um den langen Rock heute damit aufzubinden, damit er ihr nicht im Wege ist; denn sie muß tüchtig laufen und sich abmühen, ununterbrochen locken und rufen.
Es ist wirklich ein schweres Stück Arbeit; das blonde Haar wird ganz feucht, und ihr Gesicht ist so rot wie eine Preiselbeere; aber sie merkt es gar nicht, so ist sie in Anspruch genommen von all dem, was sie zu tun hat. Denn sie ist den ganzen Sommer über für das Kleinvieh verantwortlich, daß keins verloren geht und daß alle fett und blank zum Herbst wieder heimkommen; sie und die Sennerin haben gewissermaßen die Verantwortung, jede für ihren Teil des Viehbestandes, und wenn es auch bloß die Nachhut ist, die sie hat, so will sie doch nicht die Schande auf sich sitzen haben, daß sie nicht alle vorwärtsbringen könne.
Langsam steigen sie höher und höher hinauf, bald liegt das ganze Tal breit und hellgrün tief unter ihnen. Die Tannen werden niedriger und kahler, die kleinen Birken dichter, bald treffen sie die ersten Abgesandten der Krähenbeere und Zwergbirke. Aber nun sind sie auch über den Bergkamm gekommen.
Da ist es allen, als ob eine schwere Bürde von ihnen genommen wäre, alle Müdigkeit ist von Volk und von Vieh wie weggewischt, die ganze wunderbare Ruhe und Frische des Hochgebirgs strömt auf sie ein, sie befinden sich wie in einer neuen Welt; vor ihnen liegt das Gebirge mit seinen unendlichen Höhenzügen und Abhängen, bis es sich weit, weit in der Ferne in den blauenden Bergspitzen mit ihren weißen Schneestreifen verliert; und sehen sie zurück, so ist das Tal weg, versunken; jenseits sehen sie ebenfalls weite Bergrücken mit blitzenden Wassern und grünen Matten.
Alle holen tief Atem und sehen sich um; eine feierliche Ruhe kommt über alles; ganz von selbst ordnet das Vieh sich auf dem steinigen Weg, der sich schier ins Unendliche vorwärts schlängelt; sie versuchen nun nicht mehr zu entwischen, sondern gehen gleichmäßig und langsam. Nun bekommt auch Sidsel Zeit, sich umzuschauen. So weit hat sie noch nie sehen können, und hier oben soll sie den ganzen Sommer über bleiben!
Sie fühlt sich auf einmal so wunderlich klein und nichtig inmitten dieser überwältigenden, großartigen Natur; aber ihr wird gar nicht bange, nur feierlich und still zu Mute.
Unwillkürlich schweiften ihre Gedanken vorwärts, über diesen Tag, diesen Sommer, über viele Sommer hinaus; einmal wird sie groß und erwachsen sein, wie die Sennerin, die sie dort hoch zu Roß sieht, einmal wird vielleicht auch sie so sitzen und an der Spitze reiten.
Die Saumpferde wollen trotz ihrer schweren Last nicht langsam gehen, sie greifen aus, überholen die Sennerin, und bald sind sie über einen Bergkamm verschwunden, allen weit voran. Der Zug kommt langsam nach, Stunde um Stunde geht es vorwärts über Auen und Bäche, an Sennen und Moorgründen und klaren Gebirgswässern vorüber.
Sidsel darf sogar aufsitzen und eine Weile an Stelle der Sennerin reiten, die gern ein Stück gehen will.
Der Abend rückt heran. Jetzt ziehen sie hoch oben durch eine tief eingeschnittene Kluft in der Bergwand, die sie frühmorgens in weiter Ferne sahen, und nun geht es wieder bergabwärts; sie begegnen Birken und einer vereinzelten, verkrüppelten Fichte, und von unten herauf dringt das Rauschen eines großen Flusses. Nun stehen sie am Rande des Hochtals, wo die Hoëlalp liegt, und sehen hinab. Da unten auf einer weiten Matte liegt die Alp friedlich und grün, drei Sennhütten, Högseth, Lunde und Hoël. Aus zweien steigt der Rauch aus dem Schornstein empor in die stille Abendluft.
Sie bleiben stehen und halten Umschau: Dort also sollen sie den Sommer verbringen!
Die Kühe beginnen zu brüllen, und das Kleinvieh drängt sich vor und eilt den Weg hinab. —
Am nächsten Morgen treibt Sidsel schon früh die Schafe und Ziegen über die Matte auf der Hoëlalp. Sie hat keinen Ranzen; denn hier oben auf der Alp soll sie um die Mittagszeit heim zur Sennhütte.
Es ist strahlender Sonnenschein. Die Kühe sind bereits im Freien und traben in einer langen, schnurgeraden Linie von dannen, die Schelle ertönt in gleichmäßigen, tiefen Tönen, ihr Klang vermischt sich mit dem ebenso tiefen andrer Schellen von den Nachbarsennen, und mitten in dies ernste, feierliche Geläute klingt das feine, rasche Tingeln der kleineren Schellen der Ziegen und Schafe.
Nun soll Sidsel hinein in dieses große Unbekannte, wo sie nie zuvor war. Die Sennerin hat ihr deshalb auch gesagt, sie solle sich heute zum erstenmal nicht zu weit weg wagen, damit sie sich wieder nach Hause zurückfinde; sie solle sich nach den anderen Hirten richten und sich nur in deren Nähe halten — sie wüßte übrigens nicht ob es Buben oder Mädel wären, die heuer auf Högseth und Lunde hüteten.
Sidsel sah immerfort zurück, um sich die Richtung des Weges zu merken, und es wurde ihr förmlich schwer, die Sennhütte aus den Augen zu lassen. Aber das Vieh lief schnell von dannen, sie mußte ihm nacheilen, um es nicht ganz zu verlieren, und auf einmal, als sie sich wieder umsah, war die Hütte verschwunden; rings umher war bloß das unendliche Gebirgsland mit Anhöhen und Gründen und hohen Berggipfeln in weiter Ferne, und es war so weit und still, man hörte nur die Schellen, nicht einmal das Rauschen des Flusses drang bis hier herauf.
Sie fühlte sich auf einmal so unendlich einsam, so weit weg, fühlte ein so heftiges Bedürfnis, ein lebendes Wesen zu liebkosen, daß sie in die Herde hineinging und bald das eine, bald das andre der Tiere an sich zog und streichelte und hätschelte, und bald wurde die Schellenziege ganz eifersüchtig, stieß die andern weg und schmiegte sich schmeichelnd an sie. — —
Ho—i—ho, ho—i—ho! ertönte es plötzlich, daß es weit über das Gebirge schallte. Die Ziegen spitzten die Ohren, und Sidsel blieb gleichfalls stehen und horchte mit verhaltenem Atem; der Ruf kam so unerwartet, sie konnte nicht unterscheiden, aus welcher Richtung, wie aus allernächster Nähe und doch wieder wie von allen Seiten auf einmal.
Ho—i—ho, ho—i—ho! klang es noch etwas stärker.
Bald darauf hörte sie Schellen, viele Schellen gleichzeitig, und dann sah sie einen großen Haufen Schafe und Ziegen im Zug über den Bergkamm kommen.
Das mußten wohl die andern Hirten sein. Dort in der Ferne sah sie nun auch zwei Strohhüte über die Anhöhe auftauchen, und nach und nach wuchsen zwei lange Burschen empor, mindestens so groß wie der Jakob.
Sie wurde so verschüchtert, daß sie sich niederkauerte und hinter einem Erdhügel versteckte.
Die Burschen beschatteten die Augen mit der Hand und sahen hinab. Ho—i—ho! Sie lauschten. Ho—i—ho! Keine Antwort.
Ho hei, du Bursch im Hoëlsennerrock,
Bist du ein Mann, so zeig dich doch!
Sie standen eine Weile still. Dann machten sie ein paar Luftsprünge, schlugen einen Purzelbaum und liefen ein Stück weiter, den Abhang hinab, juchheiten und riefen von neuem. Dann machten sie wieder Halt und horchten, als wären sie ihrer Sache nicht sicher.
Ho—i—ho! Sie lauschten von neuem.
Liegst du verborgen hinter Busch und Stein,
Komm vor, laß sehen, ob du hast Mark im Bein!
Darauf kamen sie vollends herab zu Sidsels Herde und sahen sich um. Nein sie sahen niemand. Das mußte wirklich ein Teufelskerl sein, der neue Hirt auf Hoël, daß er sich gleich am ersten Tag von seiner Herde so weit wegwagen durfte. Das war sicherlich einer für sie! Vielleicht hatte er von ihrem Badeteich drunten im Moorgrund gehört; — war vielleicht schon dort!
Ja, ja, dann mußten sie wohl seine Herde mitnehmen und dorthin gehen; aber erst noch einmal juchheien — vielleicht war er gar nicht so weit weg und konnte sie hören, wenn sie ordentlich laut schrieen.
Ho—i—ho! Das Echo ertönte lang wie ein hallender Donner.
Als es wieder still geworden war, kam es aus allernächster Nähe, zitternd und dünn wie das Piepsen eines Vogels:
Ho—i—ho! Es war Sidsel Langröckchen; als sie hörte, daß sie ihre Herde mit forttreiben wollten, da meinte sie sich denn doch zu erkennen geben zu müssen, obschon es ihr furchtbar unangenehm war.
Die Buben blieben aufs äußerste überrascht stehen. Dort hinter dem Erdhaufen wuchs ein kleines, winziges Wesen langsam empor, wie ein richtiger, kleiner Bergkobold mit karriertem Halstuch und einem weiten, viel zu langen Weiberrock, blieb unbeweglich stehen und starrte sie mit großen, verlegenen Augen an.
Auch sie wurden etwas verlegen; da waren sie hergelaufen gekommen, hatten grobe Worte gebraucht gegen so ein armes, kleines Geschöpf! Aber ärgerlich wurden sie auch. Sie hatten sich schon auf einen gleichaltrigen, ebenbürtigen Kameraden gefreut.
Da konnte man sehen, daß ein Frauenzimmer auf Hoël das Regiment führte, nicht einmal einen Hirtenbuben hatten die!
Wäre es wenigstens noch ein ordentliches, großes Frauenzimmer gewesen, ihretwegen größer, als sie selbst waren; die hätten sie wenigstens veralbern und jagen können — aber mit dem Rumpelstilzchen da! Nein, erwachsene Burschen mußten sich ja schämen, mit so einem Ding sich zu befassen; gegen diesen Zwerg konnten sie doch wirklich weder Mundwerk noch Fäuste gebrauchen. Aber immerhin, mit ihr reden und sie aushorchen, ob nicht doch vielleicht späterhin ein andrer Hirt käme, mußten sie gleichwohl, und dann brauchten sie sich nicht weiter um das Mädel zu kümmern; sie mußten sich eben heuer den Sommer die Zeit allein vertreiben.
Nur ein bißchen Angst machen wollten sie ihr, damit sie ihnen vom Leibe blieb.
Sie kamen heran und stellten sich, die Hände in den Hosentaschen, herausfordernd vor Sidsel auf. Der eine sagte:
Du bist’s also, die heuer Hirtin auf Hoël sein soll?
Ja — und sie setzte, wie um sich zu entschuldigen, rasch hinzu, ja, es war Kjersti selber, die es so haben wollte.
Wie heißt du denn?
Sidsel — — und Jakob nennt mich Langröckchen.
Wo bist du denn her?
Aus Guckaus.
Du bist doch nicht gar die Schwester von Jakob Guckaus? Wir sind im Winter zusammen in die Schule gegangen.
Ja, die bin ich.
Warum konnte denn aber der Jakob nicht selber kommen? Denn daß du’s nur weißt, ein kleines Mädel können wir hier oben nicht brauchen.
Er stand eine Weile und wartete auf Antwort. Da aber Sidsel nichts zu antworten wußte, fuhr er fort: Ja, was wir sagen wollten, ich, Jon Högseth, und der da, Peter Lunde — halte dich hübsch von uns fern! Untersteh dich nicht, auch nur ein Haarbreit über den Strich vom Klininggrautfelsen hinunter nach dem Skraamoor und hin zum Pegeflecken beim Högsethsteig zu kommen, und laß dir’s nicht einfallen, auf unsrer Seite zu hüten; sonst kriegt im Winter der Jakob all die Hiebe, die du eigentlich hier im Sommer hättest bekommen sollen!
Sidsel wurde es angst und bange zu Mute, und ihre Mundwinkel begannen, unsicher zu zucken. Da sagte der andere Bursche, der etwas kleiner war:
Aber du, der Jakob ist stark, der kriegt dich unter.
Aber nicht, wenn ich mich geübt habe — hoi!, dabei machte er einen hohen Luftsprung und fuchtelte übermütig mit den Armen in der Luft herum.
Da kannst du sehen, was dem Jakob bevorsteht. Nimm dich also in acht! Und nun ziehen wir zum Skraamoor und baden. Hoi—ho!
Mit lautem Juchhei und Geschrei stiegen sie wieder die Anhöhe hinauf; aber oben sahen sie sich noch einmal um und blickten einander doch etwas unsicher an, als sie Sidsel noch immer unbeweglich auf demselben Fleck stehen sahen, mit großen Tränen in den Augen.
Sidsel fühlte sich ganz elend und erbärmlich, wie sie dortstand. Ganz gewiß wollte sie keinen Anlaß dazu geben, daß ihr Jakob Prügel bekam; wenn sie nur eine Ahnung gehabt hätte, wo sie nicht hingehen durfte; aber weder wußte sie, wo der Pegefels, noch wo das Skraamoor war. Sie konnte nur ihrer Herde folgen und im übrigen sehen, wie es ging.
Als sie eine gute Weile später auf eine Anhöhe hinaufkam, hörte sie die Schellen von neuem. Ihr wurde ganz angst, und sie fing an, ihre Herde nach einer andern Richtung zu jagen; als sie sich aber nach einer Weile umsah, bemerkte sie weit, weit unten im Moorgrund zwei weiße Körper, die herumsprangen und tollten und im Sonnenschein rund um einen kleinen, blitzenden Teich Purzelbäume schlugen.
Also hatten die beiden ihre Herden verloren!
Da mußte sie sich wohl der Tiere annehmen und sie solange hüten. Deswegen konnten sie ihr doch nicht böse werden; denn sie wußte, daß einem Hirten keine größere Schande widerfahren konnte, als seine Herde zu verlieren. Und das wäre denn doch eine zu große Schande, wenn so große Burschen ohne ihre Herden nach der Sennhütte heimkehrten.
Sie nahm sich also der Tiere an, und ab und zu lief sie auf die Anhöhe hinauf, um zu sehen, ob die Burschen nicht bald fertig wären, es sah aber so aus, als hätten sie über dem Baden alles andere vergessen.
Endlich sah sie, wie die beiden plötzlich in ihrem Tollen anhielten, aufhorchten und nach allen Richtungen ausspähten. Darauf bekamen sie auf einmal Eile, fuhren in die Kleider und sprangen von dannen, nach einer ganz andern Richtung hin. Plötzlich blieben sie stehen, lauschten und liefen dann wieder. Es war so weit weg, daß es nichts genützt hätte, zu juchheien und zu rufen. Nun liefen sie auf eine Anhöhe jenseits des Moors hinauf und spähten lange nach allen Richtungen hin aus.
Dann liefen sie wieder, was sie konnten, zurück in der Richtung auf das Moor zu — dasselbe Ergebnis! — nahmen darauf die Richtung unten längs der Anhöhe, wo sie stand; aber das Vieh weidete auf der andern Seite des Hanges, deshalb konnten sie die Schellen auch jetzt noch nicht hören.
Da wagte Sidsel endlich zu juchheien, aber allzu schwach; sie versuchte es noch einmal und lauter.
Da blieben sie stehen und antworteten.
Sie juchheite noch ein drittes Mal, und nun kamen sie zu ihr hinauf. Sie waren merkwürdig still, fanden es doch wohl ärgerlich, das kleine Mädel nach ihren Herden fragen zu müssen, aber es blieb ihnen nichts andres übrig.
Hast du unsre Tiere gesehen?
Sidsel sah sie ängstlich an: Die weiden hier auf der andern Seite der Halde. Ich hab sie gehütet, aber ihr dürft deshalb nicht den Jakob hauen!
Sie wurden etwas kleinlaut, aber irgend etwas mußten sie ja wohl sagen, und deshalb erklärte Jon:
Na ja, für dies eine Mal solls ihm geschenkt sein!
* *
*
Als Sidsel am Abend gerade das Viehgatter zumachen wollte, kam Peter Lunde am Zaun vorüber.
Du hast wohl nicht ein fremdes Schaf zwischen deiner Herde?
Na, es kann ja auch sein, daß ich mich verzählt habe, vielleicht waren doch alle da.
Sie blieben eine Weile stehen und sahen sich an, bis sie verlegen wurden und die Augen wegwenden mußten. Schließlich sagte Peter:
Du, Sidsel, wenn du gerne willst, kannst du schon mit uns zusammen hüten und auch zum Badeteich kommen. Wenn ich den Jon recht verstanden habe, so will der es auch, und sollte er frech werden, so kann ich ihn durchhauen, wenn ich nur will.
Freilich will ich gern.
Dann komme ich morgen und hole dich ab dort hinter der Anhöhe.
Sidsel bekam keine Zeit, etwas zu erwidern; denn im selben Augenblick machte Peter sich aus dem Staube und verschwand eilig um die Ecke. Er hatte Jon bemerkt, der von einer andern Richtung her herankam.
Jon kam herausfordernd, die Hände in den Taschen:
Du hast wohl nicht ein fremdes Schaf?
Nein!
Hm!
Ist dir eins weggekommen?
Ich weiß nicht recht. Hm! — Aber was ich dir noch sagen wollte, du brauchst dirs nicht zu Herzen zu nehmen, was ich heute morgen sagte. Ich meinte es nicht so schlimm; es war mehr der Peter, der mich dazu kriegte, und wenn du’s willst, so kann ich ihn morgen dafür durchhauen.
[1] d. i. das Pferd auf jedem Hofe, das im Kriegsfall an das reitende Jägerkorps abgegeben werden muß.
Es ist früher Morgen, die Hoëlalp liegt in klarem Sonnenschein.
Im Viehgatter geht Sidsel allein und melkt die Ziegen. Es ist still und friedlich, noch ist kein Schellengeläute zu hören; bloß ein schwaches Murmeln dringt vom Flusse herauf, und ein dumpfer Stoß hie und da vom Kuhstall her, so oft eine der Kühe aufsteht und mit den Hörnern gegen die Wand rennt. Im Stalle ist die Sennerin und melkt.
Sidsel hat noch immer zu kleine Fäuste, um Kühe zu melken, deshalb haben sie die Arbeit so unter sich verteilt, daß sie die Ziegen allein zu melken hat.
Da schallt es plötzlich von der Anhöhe über der Senne: Ho—o—i—ho!
Gleich darauf antwortet es ein wenig weiter weg und fast ärgerlich: Ho—o—i—ho!
Sidsel sieht auf, horcht; dann lächelt sie stillvergnügt, geht an den Zaun hin und ruft: Ho—o—i—ho!
Jetzt kann auch sie juchheien, daß es von allen Hängen und Höhen widerhallt; nun zittert ihre Stimme nicht mehr, wenn sie den großen Burschen antwortet.
Jetzt weiß sie, sie kommen nur, sie abzuholen, und daß sie heute mit ihrer Herde bis zur Senne hinunterkommen, hat seinen guten Grund, sie haben etwas besonderes vor; sie haben es mit ihr und der Sennerin verabredet. Und Sidsel kann es am Schellenklang hören, wie sie ihr Vieh mit aller Macht antreiben, und daß der, der zuletzt kommt — es ist doch wohl der Peter — ärgerlich darüber ist, daß er nicht der erste ist.
Doch sie mögen nur warten, bis sie fertig ist; sie kommen ja auch heute furchtbar zeitig.
* *
*
Wie es nun auch zugegangen sein mochte, lange hatte es nicht gedauert, da war Sidsel der vornehmste Hirt auf der Hoëlalp geworden. Schon am nächsten Tag waren sie gleich unten am Abhang zu ihr gestoßen, Peter zuerst und dann Jon, und es war wie selbstverständlich, daß sie mit ihnen ging, dann könnte sie ihre Herden hüten, während sie badeten, meinte Jon. Ja, das meinte Peter auch, und so tat sie es denn.
An diesem Tage blieben sie aber nicht so lange weg, es war, als mache es ihnen nicht mehr das alte Vergnügen, zu baden und zu zweien allein zu sein.
Und bald war es so sicher wie der Tag selbst: kaum kam Sidsel am Morgen mit ihrer Herde über den Abhang gezogen, da kamen sie auch dorthin, zumeist aus verschiedenen Richtungen, und lauerten förmlich darauf, wer von ihnen zuerst juchheien konnte. Und wenn sie sich dann trafen, waren sie eifrig bemüht, sich anzulügen, wie sie ganz zufällig gerade hierher gekommen wären; denn noch am Abend vorher hatten sie groß getan und unter sich über dies Hirtenmädel gespöttelt, das ihnen immer nachliefe und das sie nie los werden könnten, und hatten erklärt, am nächsten Tag würden sie nach einer ganz andern Gegend ziehen und sehen, ob das nicht hülfe.
Und dann machten sie Luftsprünge um die Wette und rangen oft die ganze Frühstückspause über; denn keiner wollte sich für überwunden erklären, und mehr als einmal mußte Sidsel sie zu ihren Herden jagen, weil sie alles vergaßen und Gefahr liefen, ihr Vieh zu verlieren.
Manchmal konnte es sich auch treffen, daß der eine etwas früher kam, und da wollte er durchaus, sie sollten schnell weiter ziehen; denn der andre wäre heute sicherlich nach einer andern Richtung gegangen. Und dann war es fast am lustigsten, fand Sidsel; denn dann hatten sie ihr immer so viel zu zeigen, wovon der andre angeblich nichts wußte, einen kleinen Bergsee, wo die Multbeeren[2] so massenweise blühten, daß der ganze Boden ringsumher wie mit Schnee bedeckt schien, und wo es zum Herbst fabelhaft viel Beeren geben würde — aber das wollten sie lieber für sich behalten, der andre brauchte nichts davon zu erfahren — oder das Nest eines Schneehuhns, in dem dreizehn große Eier lagen, oder einen abseitsliegenden Flecken, wo der Schachtelhalm unglaublich hoch und dicht stand.
Und bei solchen Gelegenheiten plauderten sie auch mehr mit ihr und prahlten und tollten nicht so, wie ihre Gewohnheit war, wenn sie beide mit ihr zusammen waren.
Sie kletterten in die Bäume hinauf und brachten ihr duftendes Harz, und sie pflückte Schachtelhalme für sie — denn um Schachtelhalme zu finden, muß man ein eigenes Geschick haben; und sie hatten nie jemand gesehen, der sich so gut darauf verstand wie sie; stand irgendwo auch nur ein einziger Halm, so konnte man darauf schwören, daß sie ihn fand, meinte Peter. Ja, Jon meinte sogar, sie fände welchen, selbst wo gar keiner wäre, er hatte nie etwas Ähnliches gesehen.
Und all den Spaß, den sie sich ausdachten! Eines Tages, als es regnete, machte ihr Jon einen großen Hut aus Birkenrinde, und am nächsten Tag brachte Peter ihr ein Paar Schuhe aus Birkenrinde — die Sennerin mußte laut auflachen, als Sidsel in dem Anzuge, ihre richtigen Schuhe in der Hand, heimkam. Tags darauf gab ihr Jon ein wirkliches Taschenmesser — sie sollte auch etwas haben, womit sie schnitzen konnte, und er selbst brauchte es nicht, er hatte ja sein großes Schnitzmesser in einer Lederscheide — aber am folgenden Tag kam Peter mit einer schönen Pfeife, die er am Abend zuvor aus einem Ziegenhorn für sie gemacht hatte, und die hatte einen so feinen Ton, daß man ganze Lieder auf ihr blasen konnte.
Jon dachte lange vergeblich darüber nach, was er dagegen aufstellen sollte, aber schließlich fand er es doch.
Sie hatten schon oft Krummhorn gesehen, die immer mit den Kühen weiden ging, gerade als ob sie selber eine Kuh wäre, und Sidsel hatte ihnen erzählt, daß es ihre Ziege wäre, aber so wild, daß es ganz unmöglich sei, sie dazu zu kriegen, mit den andern Ziegen zu weiden, ja, daß es nicht einmal möglich sei, sie im Winter im Schafstall zu haben — Kjersti Hoël hatte gesagt, wenn das so weiter ginge, müßten sie sie wohl zum Herbst schlachten.
Nun erbot sich Jon, Krummhorn zu zähmen; er werde ihr schon Sitten beibringen; es gäbe keine Ziege, die er nicht untergekriegt hätte.
Ja, wenn er das fertig brächte, so wollte Sidsel ihm gerne alles geben, was sie hätte.
Nein, er wolle gar nichts dafür haben. Wollte sie ihm etwas geben, dann höchstens die Hörner der Ziege, wenn sie doch einmal geschlachtet werden sollte. Denn das würde Ziegen-Pfeifen geben, wie man noch keine gesehen hätte.
Dann wollte Peter aber auch mit dabei sein; denn war die Ziege wirklich so störrisch, so wären wohl auch zwei nötig, sie zu bändigen, und dann könnte jeder ein Horn bekommen.
Jon wußte nicht recht, ob er das wollte; denn es war doch sein Einfall gewesen.
Ja, aber wie wollte er es denn eigentlich fertig bringen? Peter glaubte nicht, daß es sich überhaupt machen ließe, ohne daß sie ein stärkeres Tier hätten, an das sie Krummhorn anbänden. Aber das hatte eben Jon nicht. Dagegen hatte er, der Peter, den großen Ziegenbock, und der allein war stark genug.
Ja, das war wohl richtig. Da mochte er also mit dabei sein, vorausgesetzt, daß er seinen Bock hergab.
Sidsel meinte auch, es wäre wohl das beste, wenn sie alle drei dabei wären; sonst könnte überhaupt keine Rede davon sein. Und so geschah es denn auch.
* *
*
Heute sollte nun die Sache vorsichgehen; deshalb waren Jon und Peter so zeitig unterwegs.
Das Vieh kam in schnellem Lauf über die Höhe gezogen, und da die klugen Tiere begriffen, daß sie heute bis zur Senne hinunter sollten, begannen sie in vollem Lauf hinabzueilen — es war immer so fein, nach einem fremden Platz zu kommen, da gab es stets Neues zu sehen und zu beschnuppern; vielleicht war auch etwas übriggebliebener Mehlbrei im Schweinetrog oder ein bißchen Salz zu lecken oder ein Loch im Zaune, wo man unbemerkt hindurchkriechen konnte.
Die Schellen tingelten, die Burschen liefen und schrieen und juchheiten, um Ordnung in der Herde zu halten — wenn auch vielleicht ein bißchen lauter, als gerade notwendig.
Auf der Senne, wo es kurz vorher ganz still gewesen, wurde nun auf einmal Leben und Lärm — die Sennerin mußte wirklich zur Stalltür herausgucken, und Sidsel hätte sicher vergessen, die letzte Ziege zu melken, wenn diese sich nicht von selbst gemeldet und sich ihr mitten in den Weg gestellt hätte, als sie aus dem Gatter heraus wollte.
Als Jon die Sennerin in der Stalltür zu Gesicht bekam, rief er: Wollt ihr denn nicht bald auf die Weide?
Jawohl, nun bin ich fertig. Bist du auch fertig, Sidsel?
Ich bin bei der letzten Ziege.
Bald waren sie fertig, und das Vieh sollte herausgelassen werden.
Jon hatte ein starkes Weidenband mit einer Schlinge an beiden Enden mitgebracht; die eine war für den Bock, die andre für Krummhorn bestimmt. Er meinte, das wär solides Riemenzeug.
Wo ist sie denn?
Im Kuhstall natürlich!
Da ist es das beste, ich gehe selbst hinein und hole sie. Komm mit deinem Bock, Peter, und halt ihn bereit!
Peter lockte den großen Ziegenbock zu sich hin, der auf seinen Namen hörte und sofort kam.
Zeig mir, wie stark du bist.
Er packte ihn bei den Hörnern, um die Kräfte mit ihm zu messen. Der Bock stemmte dagegen, sie begannen zu ringen, wie sie oft zu tun pflegten, und der Bock drückte Peter gegen das Viehgatter.
O ja, ich denke, das ist ein Bock, der eine Ziege mit fortziehen kann, und wäre sie doppelt so groß. Der Stolz strahlte Peter förmlich aus den Augen.
Jon wollte auch einmal probieren.
Ja, das Tier war bärenmäßig stark.
Dann ging er in den Kuhstall und kam bald, Krummhorn am Weidenband führend, wieder heraus. Nun nahmen sie den Bock und hängten ihm die andre Schlinge über den Hals, so daß beide zusammengekoppelt waren; es sah aber so aus, als hätten die Tiere das gar nicht bemerkt.
Alle blieben erwartungsvoll stehen; aber der Bock wollte sich nicht vom Flecke rühren, solange sie dort standen und die Herden dicht dabei hielten; er stand da und wollte bloß gehätschelt werden.
Da sagte Jon: Laß dein Vieh heraus, Sidsel, und du, Peter, laß unsres auf die Höhe ziehen, dann sollt ihr ein feines Doppelgespann sehen!
Sidsel öffnete das Gatter, das Vieh ging im Zuge heraus und schlug den gewohnten Weg die Halde hinauf ein.
Peter trieb die andern nach.
Da dachte der Ziegenbock, es wäre die höchste Zeit nachzukommen, und tat einen Schritt vorwärts. Er mußte sich wirklich umsehen. Was war das für ein Jux, daß er hinten festgehalten wurde? Krummhorn stand, alle Viere fest in den Boden gepflanzt, und streckte bloß den Hals.
Bah! Nichts weiter? Er tat ein paar Schritte; Krummhorn mußte mit, den Kopf zurückgelegt, stemmte sie dagegen. Da zog der Bock an, setzte die Hörner hoch in die Luft und legte sich ordentlich in die Riemen. Er wollte ihr schon zeigen, daß er sich nicht von so einer Närrin aufhalten ließe!
Krummhorn mußte wohl oder übel mit; aber sie sträubte sich und wehrte sich aus Leibeskräften; Schließlich fiel sie auf die Kniee, doch der Bock ging unbeirrt vorwärts, als wenn gar nichts los wäre, und Krummhorn mußte den ganzen flachen Abhang hinauf auf den Knieen nachrutschen.
Sidsel und die Burschen kreischten vor Vergnügen, und selbst die Sennerin mußte mitlachen.
Als das Gespann an den Fuß der Anhöhe kam, wo es mehr und mehr unwegsam wurde, fand Krummhorn es doch ratsamer aufzustehen und auf allen Vieren nachzukleppern, aber sie ließ sich noch immer mitziehen.
Sie zogen ihren gewöhnlichen Weg hinauf ins Gebirge.
Nach und nach schien Krummhorn sich in das Unvermeidliche zu finden. Anfangs ging sie zwar immer noch verdrossen und widerwillig und ließ sich ziehen, mit der Zeit fühlte sie aber wohl ihren leeren Magen, und nun begann sie ruhig mitzulaufen und zu fressen, wie die andern Ziegen, sah bloß ab und zu einmal auf, wenn sie in weiter Ferne die grobe, tiefe Kuhschelle hörte.
Nun war der Spaß nicht mehr so unterhaltend, und da begannen Jon und Peter wie gewöhnlich zu raufen und Rundsprünge zu machen, und damit vertrieben sie sich die Zeit, bis sie zur Mittagspause wieder heim sollten.
Da sagte Jon: Nun wollen wir Krummhorn einmal zur Probe losspannen. Ich denke, sie ist nun kuriert.
Ja, dem stimmten die andern bei.
Sie lockten den Bock heran; er kam, die mächtigen Hörner stolz in der Luft, und Krummhorn klepperte hinterdrein. Jon nahm dem Bock die Schlinge ab, kniete dann vor der Ziege nieder und zupfte sie am Barte.
Krummhorn scharrte mit dem Fuße, wie Ziegen zu tun pflegen, wenn sie gern von dem Zupfen befreit sein wollen, aber Jon ließ sie nicht los — er wollte ihr erst eine Vermahnungsrede halten: Nun hätte sie wohl die Übermacht gefühlt, sie sollte sich nicht einbilden, sie wäre eine Kuh. Von nun an müßte sie sich wie eine vernünftige Ziege aufführen, sonst würde sie es mit ihm zu tun kriegen. Bei jedem Worte zauste er sie am Barte, um der Ermahnung Nachdruck zu geben. Das tat weh, Krummhorn machte einen Satz geradeaus, so daß Jon auf den Rücken fiel, setzte glatt über ihn weg, das Weidenband nach sich schleifend, und trabte über das Moor in der Richtung auf die Kuhschelle zu.
Jon sprang auf, trampelte vor Wut mit den Füßen und lief ihr nach. Sidsel und Peter waren ihr bereits nachgesetzt. Sie riefen und schrieen, versprachen Krummhorn entsetzliche Prügel, wenn sie nicht stehen bliebe; aber Krummhorn tat, als hörte sie nicht. Unbekümmert lief sie davon. Die drei ihr nach. Die Burschen wurden immer wütender; das war ihnen doch noch nicht vorgekommen, daß sie so eine alberne Ziege nicht fangen konnten; und außerdem wollte jeder gern der erste sein. Schneller und schneller ging das Rennen, und obwohl Sidsel leichtfüßig war, besonders, da sie die leichten Rindenschuhe anhatte, blieb sie doch allmählich zurück — sie mußte ja auch in diesem langen Rock herumwaten und hatte obendrein heute morgen in der Eile vergessen, ihn aufzuschürzen.
Bald sah sie den letzten Schimmer von ihnen über den Hügel jenseits des Moors verschwinden — ja, wirklich hatte der Peter Jon überholt; er war doch der schnellste von den beiden — sie selber war nur bis zur Mitte des Moors gekommen.
Sie blieb stehen. Es war wohl das beste, sie ging wieder zurück und sammelte das Vieh, sonst konnte es passieren, daß sie alle drei ohne Herde nach Hause kamen.
Sie schlug die Richtung ein, aus der sie gekommen waren. Als sie sich dem Abhang näherte, hörte sie ein gewaltiges Dröhnen, das immer stärker und stärker wurde, sie fühlte förmlich den Boden unter ihren Fußen erbeben. Und dort die Halde entlang kam ein mächtiger Troß Pferde. Es waren eine ganze Masse, Fohlen, junge und alte Pferde, braune und scheckige, schwarze und weiße, und alle waren sie so glänzend blank, fett und dick und ausgelassen wild.
Sie liefen im Trab durcheinander, warfen die Köpfe zurück, und es dröhnte unter ihren Hufen wie schwacher Donner.
Halb ängstlich blieb Sidsel stehen; einen so großen Haufen Pferde hatte sie noch nie gesehen. Aber sie gaben acht, liefen im Bogen um sie herum, bloß ein paar blieben stehen und spitzten die Ohren und guckten, was das für ein kleines Ding sein mochte.
Dann liefen sie weiter, und einen Augenblick darauf waren sie vorüber — bloß das Dröhnen ihrer Hufe konnte sie noch hören, als sie den Weg nach der Senne hinunter einschlugen.
Aber das Vieh hatten sie freilich erschreckt; denn Sidsel konnte es nirgendswo finden. Sie lief von Hügel zu Hügel, horchte, lockte und lief weiter.
Als alles nichts nutzte, hielt sie es schließlich für das beste, nach Hause zu gehen.
Das war das erste und letzte Mal, daß Sidsel ohne Herde heimkam.
Aber daheim auf der Alp lag das Vieh bereits friedlich im Viehgatter und blökte und meckerte — die klugen Tiere waren von selber heimgelaufen. Der Pferdeschwarm war auch dort, weidete und leckte das Salz, das die Sennerin gestreut hatte.
Am späten Nachmittag kamen auch die Sennerinnen von den Nachbarsennen und fragten nach ihren Hirten; deren Herden waren auch dort schon lange allein nach Hause gekommen.
Endlich kamen denn auch Jon und Peter mit Krummhorn angezogen.
Als die Sennerinnen sie tüchtig auslachten, schämten sie sich auch etwas; daß sie ihre Herden verloren hatten, konnten sie ja nicht leugnen; aber niemand konnte deshalb sagen, sie kämen ohne Vieh nach Hause, selbst wenn es vielleicht etwas komisch aussehen mochte, daß zwei lange Hirtenbuben mit einer einzigen Ziege angezogen kamen, so groß und stark die auch war.
Ja, heute hätten sie wirklich Pech gehabt, meinte Jon, aber sie sollte nicht so leichten Kaufs davon kommen. Morgen wollten sie das Vieh wieder vornehmen — und da sollte sie was erleben!
Daraus wurde jedoch nichts. Krummhorn war klüger als sie. Als sie sie losgelassen hatten, blieb sie mit weit vorgestrecktem Hals stehen und sah nach dem Pferdeschwarm hinüber, der gerade davontrabte. So stand sie eine Weile. Dann schlug sie plötzlich mit den Hinterbeinen aus, wie ein richtiger Gaul, und weg war sie.
Die Sennerinnen und die Hirten blieben mit offenem Munde stehen, als sie sahen, daß Krummhorn sich den Pferden anschloß.
Bildete sich das Tier nun gar noch ein, ein Pferd zu sein!
Lange standen sie sprachlos da und sahen ihr nach.
Da sagte Jon in seiner trockenen komischen Art: Gäb’s hier Elephanten, sie hätte sich wahrhaftig eingebildet, ein Elephant zu sein.
[2] gelbe Berghimbeeren.
Der helle Sommer schreitet rasch vorwärts, im Gebirge ist er kurz, aber starklebig.
Er beginnt mit sprossendem, hellem Grün auf allen Hügeln, an den flachen Halden und Abhängen und in den unendlichen Gründen; die Schneehuhnpaare gehen emsig umher und knurren und schelten, wenn jemand ihren Nestern zu nahe kommt. Mücken und Bremsen surren durch die Luft, und die Kühe strecken die Schwänze in die Höhe und traben davon, um ihren brennenden Stichen zu entgehen, und über dem Ganzen liegt dick und dunkelblau der Sonnenrauch und beschränkt die freie Aussicht.
Aber bald kommen die Heidelbeeren, die Wiesenwolle und die Multbeeren, und eines schönen Tages piept es an allen Ecken und Enden rings um die Schneehuhnmütter, die nun noch schlimmer schelten, wenn viele kleine, hellbraune Federbälle ein paar Ellen hoch auffliegen und fortzuflattern versuchen, um bald wieder kopfüber ins Heidekraut herunter zu fallen.
Die Kühe gehen ruhig und bedächtig über die Höhen und suchen das feinste, würzige Gras, und der Sonnenrauch verschwindet, die Luft wird so wunderbar klar, daß man die meilenweit entfernten Berge ebenso deutlich und in scharfen Umrissen sieht, wie den nächsten Erdhaufen. Dann fallen die Multbeerblüten ab, und bald wird es überall in den Gründen gelb und rot; die zierlichen Blüten des Heidekrauts färben alle Kuppen und Berge, das Grüne verschwindet, das Gebirge leuchtet braun und rot, nur guckt hier und da das helle Renntiermoos wie leuchtende Schneeflecken hervor. Der Herbst naht.
Meist scheint die Sonne, und dann ist es herrlich, Hirte zu sein.
Aber es können auch Tage kommen, wo der Nebel sich wie ein dichter, grauer Teppich niedersenkt, unter dem die Erde mit Hügeln, Büschen und Heidekraut gleichsam dicht zusammenkriecht, so daß alles schon auf wenige Armlängen vor einem verschwindet, und ein feiner Staubregen rieselt aus dem Nebel hernieder, legt sich wie winzige, graue Perlen auf jeden Halm und jede Tannennadel, und überall, wo man hinkommt, trieft es von Feuchtigkeit.
Da ist es oft schlimm, Hirt zu sein; da gilt es, Schutz unter jedem kleinen Busch zu suchen, einen Sack über den Schultern als Schirm gegen die Nässe, oder zu laufen, daß das Wasser in den Schuhen patscht. Denn in solchem Wetter wachsen die Pilze empor, und dann kümmert sich das Vieh um nichts andres mehr, läuft auf und davon, um sie zu finden, und oft ist es schwierig, ihm zu folgen; und dabei kann es gelegentlich auch einen tüchtigen Schlag absetzen, wenn am Rande des Moors dicht vor einem ein paar gewaltige Kraniche auffliegen, die auf der Durchreise sind, — im dicken Nebel erscheinen sie ganz riesenhaft, wie ein paar fette Schafe mit langen Flügeln.
Dann ist es eines Morgens ringsum glänzend weiß; über Nacht ist Schnee gefallen. Freilich bleibt er nicht liegen, er verschwindet im Laufe des Tages wieder. Aber nun will das Vieh um keinen Preis mehr ins Gebirge hinauf, — die Kühe stehen am Sennenwiesengatter und brummen; sie wissen, daß sie zu guterletzt doch hier Einlaß erhalten, um auch die letzten Leckerbissen auf der Alp mitzunehmen, die Ziegen sehen sich fragend um. Der Sommer ist nun doch einmal zu Ende, alles sehnt sich nach Hause zurück.
Dann wird eines Tages das Gatter geöffnet, die Kühe stürzen auf die Wiese; nun wissen sie, daß sie dies Jahr nicht mehr in das kahle Gebirge hinauf brauchen.
Die Knechte sind mit Pferden gekommen, und die andern Pferde, die den ganzen Sommer über im Gebirge herumgestreift sind, werden heimgeholt. Der Klee wird in Bündel zusammengeschnürt, alles wird aufgewaschen, aufgeräumt, für nächsten Sommer in Ordnung gebracht und weggesetzt, und endlich ist der lang erwartete Tag der Heimkehr gekommen.
* *
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Sidsel steht oben auf dem First des grasbewachsnen Stalldachs und schaut umher. Sie ist bereits reisefertig, hat den Hirtenranzen auf dem Rücken, den Birkenhut auf dem Kopfe und die Ziegenhornpfeife an einer Schnur um den Hals hängen. In der Hand hält sie einen Stecken.
Drinnen auf der eingegatterten Wiese gehen Kühe und Kleinvieh und streifen ungeduldig umher von Zaun zu Zaun. Auch sie verstehen, daß der Tag der Heimkehr gekommen ist; denn die Stallwand entlang stehen die zusammengeschnürten Kleebündel in einer Reihe mit den Buttereimern, Käsekübeln und -Kobern, und am Zaun stehen die Packpferde angebunden, den Saumsattel aufgeschnallt, an erster Stelle das Soldatenpferd mit dem Frauensattel auf dem Rücken.
Die Knechte stehen dabei, die Pfeife im Mund; fix und fertig, warten sie bloß auf die Sennerin, die noch in der Hütte den Käse zur Wegzehrung zubereitet, den letzten, von der Milch, die am selben Morgen gemolken ist, und die sie nicht stehen lassen können.
Jon und Peter kommen am Pferch vorbeigeschlendert. Auch sie sind heute stiller als gewöhnlich; sie bleiben stehen und schauen zu Sidsel hinauf, aber es dauert lange, bis eins ein Wort spricht. Endlich sagt Peter:
Solls nun fortgehen, Sidsel?
Ja, heute gehts heim.
Unwillkürlich sehen sie alle drei zu dem Gebirge hinauf.
Ach ja, nun wirds einsam in den Bergen. Ich soll noch acht Tage bleiben.
So lange noch? Und du, Jon?
Ich soll übermorgen heimwärts.
Wieder wird es eine Weile still. Dann sagt Sidsel:
Nun muß ich wohl hinunter. Sie sind gewiß schon fertig.
Sie klettert vom Dach herab und kommt zu ihnen. Wieder stehen sie da und wissen nicht, was sie sagen sollen. Endlich sagt Peter:
Kommst du nächsten Sommer wieder, Sidsel?
Ja, wenn Kjersti Hoël mit mir zufrieden ist. Aber das ist wohl kaum zu erwarten, wenn ich ohne Krummhorn heimkomme.
Ach, so unbillig ist Kjersti Hoël nicht; den Hirten möchte ich sehen, der Krummhorn hüten könnte.
Es müßte denn ein Pferdehirt sein, meinte Jon.
Wieder tritt eine Pause ein. Darauf sagt Jon:
Heuer wurde nun doch nichts aus unserm Ausflug auf die Herspitze, wo damals der König war.
Nein, daraus wurde nichts.
Wir beide kommen nächsten Sommer auch wieder.
Dann könnten wir ja den Ausflug nachholen; es ist freilich schrecklich weit.
Ja, das können wir. Und ich kann euch viel davon erzählen; denn mein Vater war damals mit und kutschierte.
Den König?
Nicht den König; aber den Amtmann.
Mein Vater war auch mit und kutschierte, warf Peter ein, ich kann also auch erzählen.
Deiner kutschierte aber bloß eine alte Schrumpel.
Die Schrumpel kam aber gleich hinter der Königin, sie war’s auch, die auf dem Rückweg mit ihr allein ohne Zwischenraum ging.
In dem Augenblick wurde Sidsel weggerufen. Sie zögerte ein klein wenig, dann streckte sie ihre kleine Hand hin und sagte:
Habt also schönen Dank für alles Gute und laßt’s euch gut gehen.
Danke, gleichfalls, sagte Jon; ja, so ist’s also abgemacht, zum Sommer sehen wir uns wieder.
Jawohl.
Leb wohl, sagte Peter. Er hielt ein Weilchen ihre Hand in der seinen, und dann merkte er, er müßte doch noch etwas sagen:
Ich werde Jakob von dir grüßen, Sidsel.
Und darauf verschwanden die Jungen wieder hinter dem Pferch, ebenso still, wie sie gekommen waren.
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Auf der eingezäunten Wiese waren die Knechte damit beschäftigt, aufzupacken.
Das Soldatenpferd wurde zum Gatter hingeführt. Sidsel lief auf den Weideplatz, trieb das Kleinvieh zusammen und zählte ihre Herde heute wohl schon zum zehnten Mal; bald war alles zum Abmarsch bereit.
Da erschien die Sennerin in der Tür, sie war wieder im Feiertagsputz, wie am Tage, als sie ankamen. Sie schlug die Tür der Sennhütte hart ins Schloß, drehte feierlich langsam den mächtigen Schlüssel herum, zog ihn aus dem Schloß heraus und steckte ihn in die Tasche, sie wollte ihn selber aufbewahren und eigenhändig an Kjersti Hoël abliefern. Darauf schlug sie mit der Faust gegen die Tür, um zu prüfen, ob sie ordentlich verschlossen war, ging ans Fenster und sah hinein, ob auch alles in gehöriger Ordnung und das Feuer auf dem Herde ausgelöscht war. Dann stieg sie zu Pferde, einer der Knechte öffnete das Gatter für sie, wie vor einer Königin — stolz ritt sie hinaus.
Ihr schloß sich der Zug der Packpferde an, und darauf kam in der alten Ordnung die Schellenkuh, Brandros und die ganze stattliche Schar. Den Schluß bildete das Kleinvieh, und zu allerletzt kam Sidsel, den Stecken in der Hand, den Birkenhut auf dem Kopfe und den Ranzen auf dem Rücken.
Sie mußte sich noch einmal umsehen. Die Senne lag öde und verlassen da, das Gebirge merkwürdig einsam; gewiß, auch sie hatte sich die letzten Tage nach Hause zurückgesehnt, aber es war ihr nun doch gar eigen zu Mute, als sie jetzt das alles verlassen sollte. Sie hatte dasselbe Gefühl, wie damals, als sie Schloß Guckaus verließ. Es war wunderlich, daß sie gerade jetzt daran denken mußte — den ganzen Sommer über hatte sie nicht mit einem einzigen Gedanken daran gedacht.
Nein, sie wollte auch jetzt nicht daran denken — sie hatte wahrlich andres zu tun. Gott Lob, daß sie heim sollten und daß alles so gut abgelaufen war; sie hatte alle ihre Ziegen und Schafe — außer Krummhorn. Von der hatte sie seit jenem Tage, wo sie gezähmt werden sollte, keine Spur mehr zu sehen gekriegt, aber gehört hatte sie, daß man weit oben im Gebirge eine fette Ziege gesehen, die einem weidenden Pferdetroß folgte.
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Den ganzen Tag lang geht der große Zug übers Gebirge, ruhig und gleichmäßig.
Alle, Mensch und Tier, sind gleichsam fetter und schwerer geworden als im Frühling, alle treten sicherer, fester auf, nirgends kann man eine Spur von Ermüdung bemerken, oder daß eins oder das andre zurückbliebe. Und ob es die Sennerin ist — „Butterfaß“ wie sie immer im Herbst genannt wird —, die rund und selbstzufrieden und rotbäckig noch einmal zurückschaut, oder ob es die kleine Sidsel ist, die vorwärts schaut, — beide denken sie, daß sie sich vor Kjersti Hoël ihrer Herden und des eingeernteten Winterfutters nicht zu schämen brauchen.
Es geht gegen Abend, und auf einmal führt der Weg steil bergab, und das Tal öffnet sich unten zu ihren Füßen; bereits können sie die Aue drüben auf der andern Seite erblicken.
Alle müssen unwillkürlich dahinüber schauen, aber noch können sie bloß einen grünen Streifen ganz oben am Abhang erkennen. Die einzige, die schon Häuser sieht, ist Sidsel — dort oben gegenüber sieht sie, wie die untergehende Sonne in einem kleinen Fenster einer niedrigen, grauen Hütte glitzert und blinkt — das ist Schloß Guckaus.
Dann mit einmal sind sie bis zum Rande der Aue gekommen, das ganze Tal liegt offen, breit und friedlich vor ihnen ausgebreitet, mit seinen gelben Äckern und dem Getreide auf den Diemen, mit grünen Abhängen und Birkenhainen, die in gelber und roter Färbung flammen.
Dort sehn sie auch Hoël; groß und schwerfällig, frisch aufgeputzt, liegt der Hof mit seinen breiten, blanken Fenstern da. Der Rauch steigt aus dem Schornstein auf wie ein einladender, Kaffee verheißender Willkommengruß; nun hat wohl Kjersti bereits den Kaffeekessel über das Herdfeuer gehängt, um sie zu empfangen, wie es sich gebührt.
Jetzt kommt Leben in die Reihen, alle wissen, nun steht Kjersti am Fenster und sieht, daß der Zug die Halde herabkommt; alle beeilen sich unwillkürlich, die Pferde greifen aus, die Kühe fallen in kurzen Trab, die Schellenkuh brüllt, daß es weit über das Tal schallt, die Schellen der Ziegen und Schafe tingeln, und Sidsel bläst einen schrillen Triller auf ihrer Hornpfeife. Alle im Tal sollen hören, daß jetzt die stolze Viehherde des Hoëlhofs von der Alp heimkommt.
Dann geht es in den Talgrund hinab und auf der andern Seite wieder hinauf; bald sind sie wieder daheim.
Kjersti Hoël steht selbst an der Kuhstalltür und öffnet.
Die Kühe erkennen sie wieder, alle schreiten sie, eine nach der andern, an ihr vorüber, für jedes der Tiere hat sie ein freundliches Wort, jedem streichelt sie den Kopf, und stolz und zufrieden gehen sie in den Stall und in ihre Stände hinein; keines geht fehl. Und es eilt; denn sie wissen, daß etwas besonders Gutes ihrer zum Willkommen in der Krippe wartet, und das tut auch wahrlich not; denn unterwegs ist keine Zeit gewesen, etwas zu fressen.
Die Sennerin steigt ab, Kjersti gibt ihr die Hand und sagt: Willkommen daheim.
Darauf geht sie zum Schafstall, öffnet die Stalltür und zählt die Ziegen und Schafe, und als Sidsel hinzukommt, gibt Kjersti ihr ebenfalls die Hand und sagt: Willkommen daheim.
Ja, aber — ich habe Krummhorn nicht mit.
Nein, das sehe ich, und das ist gut, dann sind wir das leidige Tier doch los, wenigstens vorläufig. Du bist richtig flink gewesen wie ich sehe; ja, und gewachsen bist du auch; dein langer Rock reicht dir ja nun knapp bis auf die Fußspitzen.
Darauf mußte Sidsel der Sennerin helfen, die Kühe anzubinden, während Kjersti dabei war, wie den Saumpferden die Packsattel abgenommen wurden, und sich das Heimgebrachte ansah.
Dann kam Kjersti wieder zu ihnen und lud sie ein, mit ins Haus zu kommen; es war gerade, als wären sie vornehme Gäste. Und drinnen wurden sie in die Stube gebeten, Sidsel wie die Sennerin, und hier war der Tisch für sie gedeckt und Erbsenbrot, Plinsen und warme, neue Kartoffeln aufgetragen; denn das ist die geziemende Kost für Leute, die von der Senne kommen, — und Kjersti saß selbst mit am Tisch, schenkte den Kaffee ein und nötigte und bat, zuzulangen. Und dann mußten sie erzählen, was sie alles oben im Gebirge erlebt hatten, vom Vieh und von der Ernte; welche Kuh die meiste Milch gegeben und welche weniger gut gemolken hatte, und sie ernteten eitel Lob, weil alles so gut gegangen, und sie so geschickt und fleißig gewesen waren.
Als Sidsel Langröckchen am Abend sich wieder in ihrem kleinen Bett in der Gangkammer ausstreckte und alles überdachte, was sie diesen Sommer in den Bergen erlebt hatte, da fand sie, ihr wäre es so gut und herrlich ergangen, und sie habe soviel Spaß gehabt, wie nur überhaupt denkbar, aber freilich war es auch wieder schön, nach Hause zu kommen, wenn man eine so fabelhaft gute Hausmutter hatte wie Kjersti Hoël.
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Der Herbst geht, die Flur entfärbt sich; von den Bäumen fällt das Laub, kahl strecken sie ihre Äste in die kalte Luft, und die Getreidediemen stehen wieder leer und schief auf den Feldern.
Nun gibt es im Freien kein Futter mehr für das Vieh, und die Zeit des Schlachtens kommt. Das ist für den Hirten des Jahres letzter Tag; an dem Tage hört seine Verantwortlichkeit auf; von nun an ist er nicht länger mehr etwas für sich selbst, jetzt muß er überall mit aushelfen, wo es notwendig ist. Und wenn der Winter mit den langen Abenden kommt, an denen das offene Feuer vom Herde über die große Stube leuchtet, während die Wollkämme gehen, die Spinnrocken ununterbrochen schnurren und die Knechte aus Reisern Besen binden und Deichselnägel und Beilschäfte schnitzen, da soll der Hirt beim Holzhaufen sitzen oder auch auf dem Reisighaufen und auf das Feuer aufpassen, damit alle gut sehen können, während er dabei seine Schulaufgaben lernt.
Dort beim Holzhaufen auf Hoël hatte nun auch Sidsel an langen Winterabenden ihren Platz. Sie lernte eifrig und horchte auf das Gespräch der Erwachsenen und vernahm soviel neues, daß die Abende doch noch zu kurz und der Tage zu wenige waren. Und ehe sie sich dessen versah, war es wieder Frühling geworden, und als sie nachschaute, da reichte ihr der lange Rock kaum noch bis über die Waden.
Eines Morgens — es ist wieder Hochsommer, und die Sonne strahlt über allen Bergen — ertönt plötzlich schrilles Rufen dreier Hornpfeifen auf der Halde vor der Hoëlsenne, ein dünner, feiner Pfiff und zwei gröbere.
Das ist das Zeichen zum Abmarsch; heute wollen Sidsel, Jon und Peter auf die Herspitze und sich den Platz ansehen wo seinerzeit der König gewesen ist.
Nun haben auch die Hirtenbuben ihre Ziegenhornpfeifen bekommen, und zwar solche, die auch wirklich etwas taugen; denn Sidsel hat Wort gehalten, sie hat die Hörner Krummhorns mitgebracht und jedem eines gegeben.
Krummhorn hat doch zu guterletzt das Leben lassen müssen; als die Ziege endlich im Spätherbst mit den letzten Pferden aus dem Gebirge heimkam, war sie so eingebildet und hochnäsig geworden, daß es nicht mehr anging, sie im Ziegenstall zu lassen; sie mußte wohl oder übel im Kuhstall stehen; aber nicht einmal dort gefiel es ihr mehr; sobald sich ihr nur irgend eine Gelegenheit bot, schlüpfte sie aus dem Stall und trabte nach dem Pferdestall hinüber — der Pferdeknecht behauptete sogar, er habe sie wiehern hören.
Eines Tages aber, während die Knechte gerade im Stalle waren und Futter schütteten, benutzte sie die Gelegenheit und schlüpfte hinein und versuchte ganz frech, in den Stand des Soldatenpferds hinein zukommen. Aber das hätte sie lieber bleiben lassen sollen; es war finster, und das Pferd sah nicht, was seinen Hinterbeinen zu nahe kam, schlug aus und versetzte Krummhorn einen solchen Schlag mitten auf den Schädel, daß sie an die gegenüberliegende Wand flog. Das wurde Krummhorns Ende. Eigentlich war wohl niemand, der über ihren Tod weiter trauerte, außer Sidsel, die dem Tiere nie vergessen konnte, daß es ihnen in jenem Winter oben auf Schloß Guckaus Kaffeemilch gespendet hatte; aber nun erhielt Krummhorn wenigstens einen ehrenvollen Nachruf. Derartige Hörner hatte Jon noch nie gesehen; nicht allein waren sie ungewöhnlich groß, nein, sie hatten auch einen eigentümlichen Ton; jedermann konnte sofort hören, daß es nicht Hörner irgend einer gewöhnlichen Ziege waren; es war doch etwas Besonderes und Unbegreifliches an ihr gewesen. Ja, das war dem Peter auch aufgefallen, und wenn er sich die Sache überlegte, so glaubte er, genau so einen herrlichen Ton mußten Pferdehörner haben, wenn es Pferde mit Hörnern gegeben hätte.
Die Ziegenhornpfeifen waren nämlich heute ganz neu und zum erstenmal in Gebrauch; der Ausflug war solange aufgeschoben worden, bis die Pfeifen fertig waren.
Und sie waren heute nicht bloß mit Ziegenhornpfeifen ausgerüstet. Sie hatten ihre besten Kleider an, und alle drei hatten den Hirtenranzen auf dem Rücken, angefüllt mit Eßwaren, und neue Stecken in der Hand — der Ausflug nahm aber auch den ganzen Tag in Anspruch.
Sie pfiffen noch einmal, alle drei gleichzeitig, so laut, daß das Vieh verwundert aufblickte und auch die Sennerin zur Stalltür herausguckte.
Dann zogen sie von dannen — sie hatten ihre Tiere heute zu einer einzigen, großen Herde zusammengetrieben. Und so zogen sie mit dem Vieh ohne Aufenthalt ihres Weges, es blieb keine Zeit, unterwegs zu weiden, denn die Herspitze lag weit weg in der blauen Ferne und viel weiter, als alle die Plätze, wo Sidsel bisher gewesen war. Jon und Peter waren auch nur ein einziges Mal dort gewesen.
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Gegen Mittag kamen sie an den sanften Abhang, der zum Gipfel der Herspitze hinaufführt. Hier waren der Wachholder und der Schafthalm so hoch, daß das Vieh ganz darin verschwand; nur an dem Wogen der Oberfläche konnten sie erkennen, wie die Tiere weiterzogen; hie und da ragten auch ein paar Hörner hervor. Hier, meinte Jon, sollten sie die Herde zurücklassen und gleich hinaufgehen, die Tiere wären nun so müde und hungrig, daß sie sich sicher ruhig verhalten würden; sie würden schon nachkommen, wenn sie ausruhen wollten; denn die Ziege ruhe nie, bevor sie nicht auf den höchsten Punkt hinaufgekommen wäre, von dem sie nach allen Richtungen hin Ausschau halten könne.
So machten sie es denn auch.
Jon führte sie ein Stück weiter nordwärts, er wollte ihnen genau zeigen, wo damals der König und die Königin hinaufgekommen waren. So richtig König und Königin waren sie damals eigentlich noch nicht, aber sie standen doch auf dem Sprunge, es zu werden, denn sie waren Prinz und Prinzessin. Ihre Pferde hatten sie unten stehen lassen und waren das letzte Stück zu Fuß gegangen. Oh, das war ein großes Gefolge gewesen; der Amtmann, der Schreiber und eine Menge Offiziere in blitzenden Uniformen, und ungefähr sieben, acht der Angesehensten der Gemeinde waren ebenfalls mit im Gefolge; die vornehmsten waren aber doch der Nordrum und der Mann der Kjersti Hoël, der damals noch lebte, — die hatten putzige, altmodische Röcke mit langen Schößen an. Und ringsum war es schwarz von Menschen, die zusehen wollten.
Der König war wohl besonders fein? fragte Sidsel.
Nein, der Amtmann war viel feiner und die Offiziere auch, ja sogar die Bedienten waren feiner. Aber man konnte doch sofort sehen, daß er der König war, denn er war einen ganzen Kopf größer als alle die andern.
Der muß furchtbar stark sein, meinte Peter.
Stark? Aber der braucht ja auch Kräfte, um alle die andern regieren zu können.
War denn die Königin auch so groß? fragte Sidsel.
Nein, die war nicht viel größer als ein gewöhnliches Frauenzimmer. Aber sie war so gesetzt und ernsthaft und bescheiden erzählte der Vater; sie war nicht so albern und läppisch wie die andern Weibsleute, die mit waren.
Das Weib, das mein Vater fuhr, sagte Peter, das saß die ganze Zeit da und lachte und höhnte sogar den Amtmann, weil er zu große Fäuste hätte.
Da kann man sehen, wie viel Verstand die hatte, sagte Jon, als ob ein ausgewachsener Mann, wie der Amtmann, nicht Fäuste haben muß; und übrigens konnte sie die gar nicht sehen, denn der Amtmann hatte weiße Handschuhe an, trotzdem es Hochsommer war.
Er fuhr fort, ihnen alles zu beschreiben: Den Weg hier kamen sie herauf, das ganze Gefolge, dort an dem Steine vorüber, und dann sprang der König allen voraus; er wollte der erste oben sein, müßt ihr wissen. Und nun werde ich euch genau zeigen, wie er es machte. Kommt hinter mir her, dann bin ich der König, und du, Sidsel, kannst die Königin sein. Kommt nun!
Er ging rasch das letzte Stück der Böschung hinauf, die beiden andern folgten; dann sprangen sie die letzten Schritte, und auf einmal standen sie auf der Spitze. Jon streckte den Arm aus und blieb lange so stehen.
Die andern waren ebenfalls stehen geblieben, unwillkürlich ergriffen von dem wunderbaren Bilde. Vor ihnen lagen, in das unendliche Gebirge eingebettet, blinkende Seen und Bergwässer, weit draußen in der Ferne ragten schneebedeckte Bergspitzen empor, in jeder Einsenkung lagen grüne Sennen, und gegen Süden, soweit das Auge reichte, anmutige Dörfer und dunkelgrüne bewaldete Bergrücken.
Jon machte wieder die Bewegung mit dem Arm: Das ist der schönste Fleck, den ich je gesehen habe. Und nach einer kleinen Pause: Komm, Sophie, und sieh! Er nahm Sidsel Langröckchen bei der Hand und zog sie nach vorn.
Ja, sagte Peter, genau so war es, wie der König es machte, das hab’ ich auch gehört.
Freilich war es so; bildest du dir vielleicht ein, ich wüßte es nicht?
Was machte er dann weiter? fragte Sidsel.
Dann kamen auch alle die andern hinzu, und nun zogen sie lange Fernrohre hervor und sahen nach allen Richtungen und fragten nach den Namen der verschiedenen Bergspitzen. Der Amtmann stand beim Könige und der Königin und zeigte ihnen alles; erst die weißen Spitzen dort in der Ferne, das war Rondane, und dann dort gerade nach Norden sollte die Snehätte sein, aber er war nicht ganz sicher, ob sie die auch sehen konnten; und du, — Jon zeigte mit dem Finger — dort war Galdhöpiggen, der kleine schwarze Punkt dort am weitesten weg, und das war die höchste Spitze in ganz Norwegen. Und dann wendeten sie sich nach Süden; aber da war der König erst recht verwundert, als er den großen See da tief unten sah, den Mjösen, und die Wälder in weiter Ferne; sicher bis ganz nach Schweden hin, meinte er. Und es war gar nicht weiter verwunderlich, daß er meinte, er hätte nie mehr auf einmal gesehen, wenn er auch der König war. Und als sie endlich damit fertig waren, ging der Nordrum hin und hob eine ganze Faust von Renntiermoos auf; gar manche, die dabei waren, wunderten sich, was er wohl damit wolle; er aber ging geradeswegs auf den König zu, zeigte ihm das Moos und sagte:
Hast du Lust, das Moos zu sehen, das wir damals in den Kriegsjahren in das Rindenbrot einbuken?
Der König nahm ein Stück und kaute daran.
Das enthält Vogelleim, sagte er.
Ringsum war es mäuschenstill geworden; denn alle verwunderten sich, und mein Vater hörte sogar, wie einer der Offiziere sagte:
Es ist merkwürdig, wie taktlos diese Bauern sein können.
Was ist denn das, taktlos? fragte Sidsel.
Das weiß ich nicht, aber so viel kannst du wohl begreifen, daß es etwas Extrafeines ist; denn der König klopfte dem Nordrum auf die Schulter und sagte:
Danke, guter Mann; wir können alle Gott danken, daß nun glücklichere Tage in Norwegen sind.
Deshalb habe ich dir ja das Moos gezeigt, sagte der Nordrum.
Darauf zeigten sie ihm diesen Gedenkstein hier, der zur Erinnerung an den Tag aufgestellt worden war, und baten ihn, seinen Namen einzuritzen. Und das tat er; O. S., das soll Oskar und Sophie heißen, denn die Königin, die heißt Sophie oder Sophi, wie er sie nannte, und dann noch die Jahreszahl; hier könnt ihr sehen; das alles wurde später in den Stein eingehauen, genau nach den Ritzen, die er gemacht hatte.
Sie sahen sich die Buchstaben an. Ja, das war schön geschrieben, fast wie gedruckt; der König mußte furchtbar schön auf richtigem Papier schreiben können, wenn er es so gut auf Stein zuwegebrachte.
Die Herde kam die Böschung heraufzogen; die Tiere versammelten sich ebenfalls um den Gedenkstein und den großen steinernen Tisch, der gleich daneben stand; sie begannen sich niederzulegen, nun wollten sie auch ausruhen.
Was machten sie dann weiter? fragte Sidsel.
Weiter geschah nicht viel mehr. Doch, nachdem er geschrieben hatte, meinte er wohl, sie bedürften einer Leibesstärkung, denn er wandte sich an den Amtmann und fragte:
Hast du vielleicht noch einen Tropfen in deiner Flasche?
Und da lachten sie und brachten einen Korb herbei und deckten hier auf dem steinernen Tisch, und da bekamen sie Wein und Kuchen — und darauf brachen sie auf. Und jetzt denke ich, täte uns auch eine Leibesstärkung gut. Setzen wir uns nun an des Königs Tafel und essen wir auch.
Sie nahmen die Ranzen ab und setzten sich auf den großen, dicken, steinernen Tisch — die Tiere hatten sich friedlich ringsum gelagert und käuten wieder. Die Ranzen wurden geöffnet, und eine Menge gute Sachen kam zum Vorschein. Da gab es Butter und Speck und Erbsenbrot, und in Sidsels Ränzel fanden sich sogar Zuckerwaffeln, und weiter hatten sie Flaschen mit Milch — ausgenommen Jon, der seine vergessen hatte. Das machte aber nichts, die andern hatten genug, und sie bewirteten sich gegenseitig und jedesmal, wenn Jon Milch haben wollte, dann fragte er bloß wie der König:
Hast du vielleicht noch einen Tropfen in deiner Flasche? und auf diese Weise bekam er fast das meiste.
Im Anfang sagten sie nicht viel, das Essen schmeckte so herrlich. Nachdem sie aber eine Weile gegessen hatten, und der Mund anfing, langsamer zu gehen, da sagte Peter nachdenklich:
Ich möchte wissen, was eigentlich der König ißt, so wochentags, meine ich.
Der ißt den ganzen Tag Milchreis, sagte Jon, mit Überzeugung.
Wenn er nun aber mal zwischendurch etwas mit dem Messer zu essen haben will? fragte Sidsel.
Peter hatte sich gerade ein tüchtiges Stück Erbsenbrot mit Speck zurechtgemacht. Er sah auf das Brot und genoß es förmlich schon im voraus:
Dann ißt er ganz gewiß Speck und Erbsenbrot, sagte er.
Sidsel nahm die letzte Waffel und biß ein Stück ab. Darauf sagte sie:
Ja, aber die Königin, die ißt sicher nichts andres, als Zuckerwaffeln.
* *
*
Während sie auf dem Stein saßen und aßen, bemerkten sie auf einmal weit draußen im Gebirge eine Gestalt, die ebenfalls auf die Herspitze zukam. Es ist so merkwürdig und so selten dort oben im Gebirge, einen Menschen zu sehen, daß sie bald an nichts andres dachten als an diese Gestalt.
Das ist gewiß einer, der nach seinen Pferden sucht, meinte Jon.
Ganz sicher, sagte Peter; wer mag es aber nur sein, der jetzt Pferde heimholen will?
Laß mich mal sehen, — der muß von Nordrum sein.
Ja, das ist richtig, die haben bloß den alten Schecken zu Hause, und nun wollen sie wohl die Ernte einfahren.
Aber da wird er heute Aprilsnarr. Die Nordrumpferde pflegen ja auf der andern Seite der Alp zu gehen, ich habe sie erst vor vierzehn Tagen dort gesehen.
Wenn wir ihm den Weg weisen, findet er sie wohl morgen.
Ja, das tut er.
Sie blieben sitzen und schauten; es dauerte schrecklich lange. Es ist so merkwürdig, wenn man im Gebirge einen auf sich zukommen sieht; er geht und geht — man kann sehen, er geht sogar rasch — aber er kommt trotzdem wie gar nicht näher, er wächst ganz langsam, die Entfernungen sind ja so groß. Das Vieh stand auf und machte sich auf den Weg bergabwärts in der Richtung auf die Senne zu; sie aber wollten noch sitzen bleiben; bis er herangekommen wäre. Endlich war er oben angelangt.
Ganz richtig — er suchte die Nordrumpferde. Er erfuhr, was sie wußten; fand er sie nun heute nicht, so fand er sie sicher morgen.
Als das erledigt war, fragte er:
Bist du nicht die, die Sidsel Langröckchen heißt?
Da soll ich dich vom Jakob, deinem Bruder, grüßen. Hier habe ich einen Brief von ihm. Ich sollte auch Antwort bringen; aber das hat Zeit bis morgen — ich komme auf die Hoëlsenne und bleibe dort über Nacht, ob ich die Pferde finde oder nicht, aber ich muß mich vorm Abend noch etwas umsehen, damit ich sicher bin, daß die Pferde nicht doch auf dieser Seite der Senne sind. Damit ging er.
Sidsel saß auf dem Königstisch. Es war das erste Mal, daß sie überhaupt einen Brief bekam; — ja, auch Jon und Peter war das noch nie passiert. Ganz überwältigt standen sie da und in geziemender Entfernung.
Salve Titel. An die wohlehrbare Jungfrau Sidsel Jakobs Tochter Langröckchen auf Hoëlsenne, Westgebirge. Bei Gelegenheit. Mit Boten. Franko, stand auf dem Umschlage.
Sie brach feierlich das Siegel und öffnete das Schreiben. Darauf las sie halblaut:
Nordrum Senne, den 15. dieses.
Salve Titel Jungfrau Sidsel Langröckchen.
Gute Schwester!
Anläßlich, daß die Zeit es mir erlaubt, nehme ich nun die Feder in die Hand und schreibe an Dich und erzähle Dir, daß ich Dir nichts zu erzählen habe. Mit Ausnahme, daß es lange her ist, seit ich Dich gesehen habe. Aber ich habe einen Tag vom Hans zu gute. Ich hütete für ihn, als er zu Hause war und seine Mutter in die Grube brachte. Es waren aber eigentlich zwei Tage, ich rechne es aber bloß für einen, da es seine Mutter war. Und nun will ich den Tag von ihm am erstkommenden Sonntag dieses nehmen. Falls Du aber einen Tag beim Peter oder Jon zu gute hast, so will ich an Dich schreiben und Dich fragen, ob Du nicht den nun von ihnen bekommen könntest. Aber falls Du keinen hast, so kannst Du ihn Dir trotzdem nehmen, weil ich stärker bin, aber ich meinte es nicht böse, als ich den Peter im Winter durchhaute. Dann wollte ich Dir aber schreiben und Dich fragen, ob wir uns nicht daheim im Guckausschloß treffen könnten; denn ich bin seitdem nicht wieder dort gewesen. Man wird ersucht, sich rechtzeitig einzufinden. Bring was zu essen mit.
Mit vorzüglicher Hochachtung ergebenst
Jakob, Jakobs Sohn, Nordrum.
U. A. w. g.
P. S. Um Antwort wird gebeten.
An diesem Abend saß Sidsel lange auf und schrieb das Antwortschreiben, und ihre Zungenspitze schrieb mit. Ihr Brief lautete folgendermaßen:
An den
Junggesellen Jakob Jakobs Sohn, Nordrum.
Guter Bruder!
Ich will nun einige Worte an Dich schreiben und Dir für Deinen sehr willkommenen Brief danken, welchen ich richtig empfangen habe. Es freut mich sehr, zu hören, daß Du bei guter Gesundheit bist, und dasselbe kann ich auch von mir berichten, ausgenommen Zahnschmerzen. Aber ich will gerne kommen, und die Sennerin sagt, ich darf die Nacht über fortbleiben, da es so weit ist. Und dann kann Jon und Peter jeder seinen Tag bekommen. Denn ich hatte keinen zu gute. Aber sie hauten sich diesbetreffend, aber Peter ist fast ebenso stark.
Hier muß ich mein Schreiben an Dich schließen mit vielen Grüßen an Dich. Aber vor allem sei herzlich gegrüßt von mir.
Deine Dir ergebene Schwester Sidsel
Jakobs Tochter, Langröckchen.
N. S. Verzeih die Schrift. Lieber, verbrenne diesen Brief!
Spät abends kam Sidsel am Sonnabend über die Berghöhen nach Hoël angewandert — die Sennerin hatte ihr Urlaub nach Hause gegeben und Erlaubnis, bis Montag abend fort zu bleiben.
Sie war heute zeitig aufgestanden; es konnte ja keine Rede davon sein, daß sie die Senne verließ, ehe sie ihre Morgenarbeit verrichtet, die Ziegen gemolken und die Kühe losgebunden hatte. Und das mußte zeitig geschehen, nicht bloß weil es für sie eilte, fortzukommen, sondern auch weil sie wußte, Jon würde es sicher nicht verschlafen, er, der so hartnäckig darauf bestanden, daß er jedenfalls den ersten Tag für sie hüten wollte; und sie war denn auch kaum fertig, als er bereits ankam. Peter hatte er nicht mit, aber sie hatte noch gestern abend spät mit Peter gesprochen, und er war ganz damit zufrieden gewesen, daß er den Sonntag für sich allein haben sollte; dagegen sollten sie am Montag sich darein teilen. Und Jon war heute ganz bescheiden und feierlich gewesen, hatte ihr die Hand gegeben und sie gebeten, Jakob von ihm zu grüßen und ihm zu sagen, er, Jon Högseth, würde diese Tage nicht weiter rechnen, da Jakob gern mit seiner Schwester reden wollte. Er wußte freilich nicht, daß Peter gestern abend genau dasselbe gesagt hatte.
Und dann hatte sie ihm ihr Vieh übergeben und ihre lange Reise über das Gebirge angetreten. Sie ging und ging, Stunde auf Stunde — sie war diesen Sennenweg nun schon oft gegangen, noch niemals aber hatte sie beachtet, daß er so lang war. Sie ruhte an einem Bache aus, zog ihr Frühstück hervor, aß und trank Wasser dazu und setzte darauf ihren Weg fort. Um zu vergessen, daß die Zeit langsam ging, begann sie ihre Schritte zu zählen, erst bis 10 dann bis 100, und jedesmal wenn sie fertig war, sah sie zurück, um zu sehen, wie weit sie gekommen war; aber das half nicht das geringste; nun wollte sie bis 1000 zählen, aber als sie damit beinahe fertig war, wußte sie nicht mehr genau, ob sie bis 800 oder 900 gekommen war, und da zählte sie lieber 400 mehr, um ganz sicher zu sein, daß sie sich nicht verrechnet hatte.
Indessen ging es deswegen nicht schneller, und es war schon Sonnenuntergangszeit im Tale, als sie endlich soweit gekommen war, daß sie über und in das Tal hinunterblicken konnte; der Schatten hatte bereits begonnen, auf der andern Seite hinaufzukriechen, während oberhalb der scharfen Schattenlinie die ganze Seite des Tals noch in rötlicher Abendsonne daneben lag; aber der Schatten fraß sich fest und sicher weiter nach oben.
Da vergaß Sidsel, ihre Schritte zu zählen — es wäre spaßig gewesen zu versuchen, ob sie nicht die Sonne wieder erreichen könnte, bevor diese an Hoël, das drüben auf der andern Seite lag und in der Abendsonne leuchtete, vorbeigegangen war.
Sie begann die Halde hinunter zu laufen, aber es kostete doch Zeit — als sie in den Talgrund hinunter gekommen war und den Aufstieg über die Anhöhen begann, war die Sonne verschwunden; sie sah bloß noch den letzten Schimmer in den obersten Tannenwipfeln und ein kleines kurzes Blinken in dem Augenblick, als die Sonne oben am Fensterchen von Schloß Guckaus vorbeischlüpfte.
Da blieb sie stehen und holte Atem; es war so still und warm, förmlich schwül hier unten im Tal — ganz anders als oben im Gebirge; die Erde atmete gleichsam aus, sobald die Sonne untergegangen war; es herrschte ein so seltsam drückender Duft, daß sie sich auf einmal ganz ängstlich und beklommen fühlte; ihr war, als ob sie irgend ein Unrecht begangen hätte, auf das sie sich nicht besinnen konnte. Da fiel ihr plötzlich ein, sie hätte einen Boten voraussenden sollen; die Leute unten im Tal fürchten immer, wenn eins von der Senne unerwartet herunterkommt, es könnte etwas passiert sein, und das wäre doch zu dumm, wenn jemand käme und Kjersti Hoël erschreckte.
Deshalb kam sie die Anhöhe nach Hoël ganz langsam hinauf. Sie vermutete, daß man sie bemerken oder daß wenigstens Bär bellen würde, und dann sollten sie sehen, daß sie keine Eile hatte und nicht mit schlechten Nachrichten kam.
Aber niemand schien sie zu bemerken; sie konnte auf dem Hofe keinerlei Unruhe und Bewegung wahrnehmen und so mußte sie doch hineingehen.
Kjersti Hoël wurde freilich ganz aufgeregt, als Sidsel hereintrat — sie nahm sich nicht einmal Zeit zu grüßen und rief:
In Jesu Namen. Es ist doch wohl nichts auf der Senne passiert?
Worauf Sidsel sich beeilte zu antworten:
O nein! Ich soll von der Sennerin grüßen und sagen, du sollst nicht ängstlich werden, wenn du mich hier siehst; es geht allen sehr gut, Vieh und Volk. Ich bekam bloß Erlaubnis, nach Hause zu gehen und mich mit meinem Bruder Jakob zu treffen.
Na, Gott sei Dank, sagte Kjersti — ja, dann sei herzlich willkommen.
Da war es, als ob die Beklommenheit auf einmal verschwand, und Sidsel ward es plötzlich so feierlich zu Mute und sie fühlte sich so glücklich darüber, daß sie wieder einmal zu Hause war. Und Kjersti war heute in besonders guter Laune, sie bewirtete sie und behandelte sie so ausgesucht liebenswürdig, als wäre sie die Sennerin selber, und als sie zu Bett gehen wollte, folgte Kjersti ihr sogar in die Gangkammer, die genau so nett und sauber war, wie sie sie verlassen, und sie blieb lange bei ihr auf der Bettkante sitzen und fragte sie über jedes einzelne der Tiere aus — Kjersti hatte keins vergessen. Und Sidsel erzählte — bloß eine Sache war so schrecklich peinlich, aber es konnte nichts helfen, sie mußte doch heraus damit, und es ließ sich auch auf die Länge nicht verheimlichen. Und das war die Geschichte mit dem Kalbe, das sie voriges Jahr Morskol (Mutters Hornlose) getauft hatte. Der Name paßte nicht, „Mutters Hornlose“ fing nämlich an, Hörner zu kriegen, obgleich Sidsel Salz darauf gestreut hatte, damit sie nicht wachsen sollten.
* *
*
Sidsel fand, der Sonntag fing gut an; er begann nämlich damit, daß Kjersti Hoël selber mit einem großen Kaffeebrett und Kuchen in die Kammer hereinkam und sie im Bette damit bewirtete; so großen Staat hatte niemand bisher mit Sidsel gemacht, so weit sie sich erinnern konnte; und sie glaubte kaum, daß so etwas selbst der Sennerin je passiert war; und was noch mehr war, als sie in ihren langen Rock hineinschlüpfte, da sagte Kjersti, sie solle sich beeilen und wachsen, sie solle einen neuen Rock bekommen, wenn der ihre nicht weiter als bis an die Kniee reiche; und obgleich sie gar nicht erzählt hatte, wo sie Jakob treffen wollte, mußte Kjersti das auch erraten haben; denn sie richtete ein Bündel mit ganz unglaublich feiner Wegzehrung für sie her und sagte, sie solle damit den Jakob bewirten, denn der müßte wohl zum Abend wieder auf die Nordrumsenne zurück und hätte keine Zeit, heute nach Hoël herunterzukommen. Aber Kjersti trieb sie nicht weiter zur Eile — sie glaubte wohl, Jakob könne nicht allzu zeitig kommen, da er ja heute den langen Weg von der Senne zu gehen hatte — Sidsel mußte ihr schließlich den Brief zeigen, in dem ausdrücklich stand: „Man wird ersucht, sich rechtzeitig einzufinden“ — da begriff auch sie, daß es Eile hatte.
Bald darauf war Sidsel auf dem Wege — Bär folgte ihr ein langes Stück aufwärts bis dahin, wo die Birkenhalde begann — dort kehrte er um und trottete heimwärts mit dem sanftmütigsten und feinsten Sonntagsringel im Schwanze.
Das Tal lag im stillen Sonntagmorgen friedlich vor ihr, kein Mensch war zu sehen, weder auf den Wegen, noch auf den Feldern, nur hie und da in den Gehöften stand ein Mann, behäbig gegen die Türpfoste gelehnt, barhaupt und in schlohweißen, flatternden Hemdsärmeln, und aus allen Schornsteinen stieg der Rauch langsam in die stille Luft empor. Unwillkürlich mußte sie nach Schloß Guckaus hinaufsehen, dort sah es so einsam und verlassen aus, dort stieg kein Rauch aus der Esse auf, und sein Auge, das über das Tal hinaussah — jetzt, wo die Sonne noch auf der andern Seite stand, und sich also nicht in dem Fensterchen spiegelte, war es gewissermaßen blind; sie mußte wirklich in dem Augenblick an einen Blinden denken, den sie einmal gesehen, und seine sonderbaren, leeren Augen, die sie damals erschreckten; jetzt hatte sie genau denselben Eindruck, deshalb und ging sie nicht mehr so schnell, es lag ihr nicht daran, hinaufzukommen, ehe Jakob angelangt war.
Als sie zum Guckausschloß hinaufkam, war das erste, was sie sah, das Tannenreisig, das damals, als sie das letzte Mal oben war, auf den Gatterpfosten festgenagelt worden war; die Büsche staken dort noch immer da, aber nun waren sie vertrocknet und die Nadeln abgefallen; unwillkürlich mußte sie zur Tür hinsehen, ja richtig, dort waren sie ebenfalls noch genau so. An der Türklinke aber stak ein frischer Tannenzweig, es mußte also doch jemand später im Hause gewesen sein. Der Weg, der vom Gattertor dicht an der Haustür vorüber nach der Kuhstalltür geführt hatte, war verschwunden, das Gras war darüber gewachsen; auch die Stalltür war verschwunden, und an der Türschwelle waren hohe Brennesseln aufgeschossen; es war keine Spur von Menschen- oder Viehtritten zu sehen.
Sidsel hatte sich darauf gefreut, wieder hierher zu kommen, sie hatte es sich nicht anders denken können, als daß Schloß Guckaus der gemütlichste Platz in der ganzen Welt sei. Nun fühlte sie sich im Gegenteil auf einmal hier so schrecklich einsam, einsamer, als irgendwo hoch oben im Gebirge oder im Walde; sie empfand es, wie wenn man im Finstern geht und sich vor dem Dunkel fürchtet, so daß man nur vorsichtig vorwärts schreitet, damit es nicht irgendwo knacken und knarren soll. Unwillkürlich ging sie in weitem Bogen an der Hütte und dem Stall vorüber; sie wollte lieber zu dem großen Stein am Bache gehen, wo sie und Jakob als Kinder zusammen gespielt hatten, vielleicht daß es dort nicht gar so einsam und verlassen war.
Als sie zu dem Heidekrautflecken kam, sah sie Jakob, der bereits dort auf dem Steine saß. Da kam auf einmal Leben in all die Öde, sie wurde so froh, daß sie anfing zu laufen; aber sogleich besann sie sich, daß sich das bei einer so feierlichen Begegnung nicht schickte, und es war ja auch so lange her, seit sie Jakob gesehen hatte, daß er ihr beinahe fremd war. Als er ihrer ansichtig wurde, sprang er auch vom Steine herab und begann, seine grauen Hosen abzubürsten und setzte seine Mütze zurecht — er hatte heute sogar eine Schirmmütze auf und keinen Halmhut wie sie. Beide wurden ganz verlegen, als wären sie wildfremd; sie konnten sich nicht in die Augen sehen, als sie sich die Hand zum Gruße reichten, und er machte eine tiefe Verbeugung mit dem Kopfe, während sie so tief knixte, daß ihr Rock bis auf die Erde kam. Sie ließen rasch die Hände wieder los, und dann blieben sie lange verlegen stehen und schauten in’s Tal hinab — es war nicht so einfach, gleich die rechten Worte zu finden, obwohl sie beide gedacht hatten, sie müßten sich gar vielerlei zu erzählen haben. Endlich fiel Jakob etwas ein — er schaute bedächtig umher, und darauf sagte er, wie nach einer langem gründlichen Überlegung:
Es ist herrliches Wetter heute.
Ja, prachtvoll.
Ja, wenn es sich so noch vierzehn Tage hält, dann hat’s wohl keine Gefahr mit dem Heuwetter.
Nein, das hat’s wohl nicht.
Aber das ist wohl kaum zu erwarten.
Ach nein, wohl kaum.
Wieder wurde es still; denn viel mehr war hierüber nicht zu sagen. Sidsel sah verstohlen nach Jakob hin; sie überlegte, ob sie etwas davon sagen sollte, daß er so groß geworden sei, aber dann dachte sie, das ginge wohl nicht an, denn er war ja der Älteste. Ihr Blick fiel zufällig auf das Bündel mit den Eßwaren — da hatte sie einen Anfang.
Ich sollte dich von Kjersti Hoël grüßen und fragen, ob du heute mit ihrer Wegzehrung vorlieb nehmen wolltest.
Ja gewiß, danke, aber ich habe auch selbst etwas zu essen mitgebracht.
Und du bist vielleicht hungrig nach dem langen Marsche, den du heute gemacht hast?
O ja, ich kann es nicht leugnen.
Dann laß uns hier auf dem Steine auftischen!
Kurz darauf hatte Sidsel all’ die guten Eßwaren, die Kjersti ihr in das Bündel eingepackt hatte, aufgetischt, und nun sagte sie, wie sie gehört hatte, daß allgemeiner Brauch ist, wenn man Gäste hat:
Bitte, Jakob, nimm Platz, wenn dir’s gefällig ist, und Jakob zierte sich, wie es auch gebräuchlich ist, und sagte:
Danke, aber du hättest meinethalben wirklich nicht so viel Umstände machen sollen.
Sie setzten sich. Anfangs ging es immer noch etwas feierlich zu, und Sidsel sagte in einem fort: bitte, bitte! Als aber Jakob eine Plinse gegessen hatte und eben mit der zweiten anfing, vergaß er, daß er eigentlich zu Gaste war, und sagte unwillkürlich ganz natürlich und mit Überzeugung:
Das sind aber wundervolle Plinsen.
Sie sind aber auch von Hoël, sagte Sidsel.
Da war es auf einmal, als ob sie sich wieder kannten, als ob sie erst gestern noch am Fensterchen im Guckausschlosse nebeneinander gekniet und über das Tal hinausgeschaut und überlegt hätten, wo sie am liebsten einmal dienen wollten, und gerade so, als ob sie überhaupt niemals von einander getrennt gewesen wären — einen Augenblick später waren sie im eifrigsten Streit darüber, wo es wohl am besten sei, auf Nordrum oder auf Hoël. Ganz einig konnten sie hierüber zwar nicht werden; als aber Jakob sich ordentlich satt gegessen hatte, gab er schließlich soviel zu, daß beide Höfe in ihrer Weise gut wären und jedenfalls die besten in der ganzen Gemeinde.
Und nun wollte das, was sie zu besprechen und sich zu erzählen hatten, gar kein Ende nehmen. Jakob erzählte von Nordrum und von der Nordrumsenne und den Hirten da oben, und Sidsel mußte von Jon und Peter erzählen und deren Grüße ausrichten; und sie hatte viel von ihnen zu erzählen; Jakob fand es aber sonderbar, daß sie mehr von Jon, als von Peter sprach; Jon wäre ja wohl ein ganz tüchtiger Bursche, aber er könnte doch manchmal recht flapsig sein.
Und dann sprachen sie von ihrer Zukunft. Jakob wollte auf Nordrum bleiben, bis er erwachsen wäre, und vielleicht noch länger. Der Nordrum hatte gesagt, wenn er erwachsen wäre und sich verheiratete, dann könnte er ja Guckaus als Eigengut wieder erwerben; aber das, glaubte er, war doch wohl bloß ein Spaß vom Nordrum gewesen, und außerdem war ja immer noch Zeit genug, sich das zu überlegen; denn der Nordrum fing an zu altern, er mußte wohl doch mit der Zeit einen Großknecht haben. Sidsel wollte auf Hoël bleiben; sie hatte es dort so gut, wie sie es sich überhaupt wünschen konnte; Kjersti war ja so außerordentlich lieb und gut zu ihr. Sidsel sagte kein Wort von ihrem stillen Ehrgeiz, einmal selbst Sennerin zu werden; denn das lag in so weiter Ferne, daß sie sich nicht daran zu denken traute.
Als sie sich so einigermaßen ausgeschwätzt hatten, begannen sie, sich oben umzusehen und an alle ihre Spiele und ihre Lieblingsplätze zu erinnern. Dort gleich neben der Hütte hatten sie ihren Kuhstall gehabt — nein, wirklich, lag da nicht noch der Bulle als einziges Überbleibsel? — und dort jenseits des Heidekrautfleckens war die Senne gewesen, wo sie mit ihrer Herde im Sommer viele Male hinauf und herab gezogen waren. Und dort hatte Jakob seine Sägemühle gehabt, die Sidsel nie anrühren durfte; aber weiter unten hatte sie ihre Meierei gehabt, wohin er kam, um Käse für Planken aus Möhren zu kaufen, die er in seiner Sägemühle geschnitten hatte. Es gab nicht einen einzigen Stein oder Erdhaufen den ganzen Weg entlang bis dicht unter den Großhammer, wo alle die dichten Himbeerbüsche standen, an den sich nicht die eine oder die andre Erinnerung knüpfte; und es war wie ein Fest, hier zusammen zu gehen — Sidsel fand, Jakob war so groß geworden, und dasselbe meinte Jakob in aller Heimlichkeit von Sidsel — und von den Erinnerungen zu plaudern und immer wieder zu sagen: Weißt du noch? Und in der Erinnerung wird ja alles, von dem man so schwätzt, auch so groß und herrlich.
So trieben sie es den ganzen Tag — sie waren bis dicht an den Fuß des Großhammers gegangen, und es war bereits spät am Nachmittag, als sie sich wieder Schloß Guckaus näherten. Es sah nicht aus, als ob sie Eile hätten, zurückzukommen. Beim Bache und dem Felsen machten sie lange Halt und wiederholten immer von neuem: Weißt du noch? oft von ein und derselben Sache; wie als Kinder spielten sie Haschen, es war ihnen gewissermaßen darum zu tun, immer etwas Neues zu erfinden, damit keine Pause einträte, und trotzdem die Zeit möglichst in die Länge zu ziehen. Noch hatte keines von ihnen einer einzigen Erinnerung vom Kuhstall oder vom Häuschen Erwähnung getan, sie waren gar nicht in ihre Nähe gekommen, und geflissentlich hatten sie vermieden, die Mutter zu erwähnen.
Nun fühlten sie beide, daß der Augenblick immer näher kam, wo sie das nicht länger vermeiden konnten. Langsam schlenderten sie das letzte Stück Heideland hinab, sie sprachen nun noch rascher, wie im Fieber, und lachten laut und gezwungen. Auf einmal hörte ihr Lachen, wie jählings abgeschnitten, auf — sie waren zu dem Fleck dicht hinter dem Kuhstall gekommen. Es wurde ganz still, und sie standen eine Weile; dann hoben sie die Köpfe, und ihre Augen begegneten sich; die sahen nicht so aus, als ob sie eben gelacht hätten — sie waren so merkwürdig groß und glänzend. So blieben sie eine Weile stehen. Da kam plötzlich der Klang einer Kuhschelle von Svehaugen her an ihr Ohr. Jakob schüttelte energisch den Kopf, als wollte er etwas von sich abschütteln und sagte ganz gleichgültig:
Ist das nicht die Svehaugenschelle, die wir da hören?
Sidsel antwortete so gleichgültig, wie sie vermochte: Ja, das ist sie, ich erkenne sie wieder.
Was die wohl für eine Stallkuh heuer auf Svehaugen haben?
Wir könnten ja hingehen und sehen, ob es — Bliros ist.
Das war das erste Mal seit dem Tode der Mutter, daß Sidsel laut den Namen der Bliros nannte; aber das war doch immerhin noch leichter, als den Namen der Mutter zu nennen.
Kurz darauf waren Sidsel und Jakob unterwegs nach Svehaugen, sie waren außen um den Kuhstall und das Wohnhaus von Schloß Guckaus gegangen — denn es hatte keinen Sinn, das schöne Gras niederzutreten, hatte Jakob gesagt. Und ganz richtig fanden sie wirklich Bliros am Gatter von Svehaugen stehen. Sie glaubten auch fest, daß die Kuh Sidsel wiedererkannte. Sie liebkosten sie und plauderten mit ihr und über sie und gaben ihr Waffeln und Plinsen; sie hatten das Gefühl, als müßten sie gewissermaßen wieder gut machen, daß sie nicht den Mut gehabt hatten, in das Haus von Schloß Guckaus mit seinen vielen teuern Erinnerungen hineinzugehen, und Jakob verstieg sich zuletzt dazu, daß er versprach, er wolle Bliros für Sidsel zurückkaufen, sobald er erwachsen wäre.
Da konnte Sidsel sich nicht länger halten, sie schlang ihre Arme um Bliros’ Hals, sah sie lange an und sagte:
Glaubst du, Jakob, daß Bliros sich noch unsrer Mutter entsinnen kann? — und nun begann sie zu weinen.
Das kam dem Jakob so unerwartet, daß er nicht gleich wußte, was er sagen sollte. Aber nach einer Weile packte es auch ihn, und mit innerlicher Überzeugung brachte er endlich hervor:
Ja, wenn sie sich überhaupt auf jemand besinnen kann, so muß es wohl die Mutter sein.
Fünf Sommer sind vergangen seit Sidsel das erste Mal ins Gebirge gekommen ist, und niemand, der es nicht weiß, könnte erraten, daß das Sidsel ist, dies lange Mädel, das am heutigen Sonntag ganz allein auf dem Steine sitzt, der, so lange irgend ein Hirte zurückdenken kann, der Klininggrautstein geheißen hat und der so einsam und verborgen weit weg in den Bergen liegt. Sie ist lang aufgeschossen; der lange, weite Rock, den sie nun als Unterrock gebraucht, reicht ihr nicht einmal bis an die Kniee, und sie hat keinen Birkenhut mehr und keine Schuhe aus Birkenrinde, dafür hat sie ihr Sonntagshalstuch umgeschlungen und sitzt mit einem Buche im Schoße da; denn im Winter soll sie in den Vorbereitungsunterricht zum Pfarrer gehen, und im Frühjahr soll sie konfirmiert werden.
Aus dem Lesen wird nichts, das Buch ist ihr in den Schoß gesunken, und ihre ruhigen blauen Augen, die nun so ernsthaft und erwachsen dreinschauen, gleiten über alle diese ihr so lieben und bekannten Plätze hin. Rings um den Stein herum hat sich die Herde gelagert, die Tiere ruhen aus und käuen wieder. Es ist bereits Spätsommer, der Himmel ist so hoch und die Luft klar und kühl; soweit das Auge reicht, zeichnet sich alles mit den schärfsten Umrissen ab, und Höhen und Gründe erstrahlen schon in den bunten Farben des Herbstes, die hier oben bereits ihren Einzug gehalten haben, die Sonne scheint so ruhig und auch gleichsam kühl. Es ist ganz still ringsumher, man hört nicht einmal den Klang der Schellen — das Vieh hält Mittagsruhe — nichts rührt sich, nur weit, weit weg in der Ferne sieht sie einen Falken von der Herspitze aufsteigen.
Sidsel hat all dies genau ebenso schon jeden Sommer gesehen, es ist ihr wohlbekannt und lieb geworden; sie muß unwillkürlich daran denken, wie beständig, wie unveränderlich doch dies alles hier trotz des ewigen Wechsels ist, während sonst so vieles wechselt, um nie wiederzukehren; denn manches hat sich verändert, seit sie hier zum ersten Mal saß und dasselbe Schauspiel genoß. Das Vieh ist verändert, die ältesten Tiere sind weg, neue an ihre Stelle gekommen, die unglückliche „Mutters Hornlose“ ist nun eine erwachsene Kuh geworden mit ganz ungewöhnlich prächtigen Hörnern; die Sennerin hat ihren Platz verlassen, eine andre ist an ihre Stelle gekommen; ihre Hirtenkameraden Jon und Peter sind ebenfalls weg, schon die letzten zwei Sommer sind sie nicht mehr hier gewesen, nachdem sie vor zwei Jahren zusammen mit Jakob konfirmiert worden sind. Jon ist sogar nach Amerika ausgewandert. Sie hat sie sehr vermißt, manchmal hat sie in diesen zwei Sommern sich einsam gefühlt; denn weder nach Högseth noch Lunde sind neue Hirten gekommen. Daheim auf Hoël hat ebenfalls ein Teil der Leute gewechselt. Bär ist blind geworden, und sie selbst hat nun an den Winterabenden nicht länger ihren Platz beim Holzhaufen, sondern am Spinnrocken neben Kjersti, außer wenn sie ihre Sprüche und Gesangbuchslieder lernen muß.
Und nun wird wohl wieder alles anders; nun ist wohl auch sie den letzten Sommer hier oben. Und was soll dann mit ihr werden? Kjersti Hoël hat bisher nichts hierüber geäußert, vielleicht will sie sie nicht einmal länger im Dienst behalten. Aber sie jagt diese Gedanken von sich; sie will jetzt nicht daran denken, jetzt, wo alles um sie herum so herrlich, friedlich und schön ist; wie sich auch alles gestalten, wohin sie auch kommen mag, so viel ist sicher, diese Plätze wird sie nie vergessen können und vor allem niemals diesen Stein, der immer ihr Lieblingsplatz gewesen ist, und vollends nun, nachdem es hier oben in den Bergen so einsam um sie geworden ist. Und von neuem schaut sie umher.
Da erblickt sie weit draußen im Moor die Gestalt eines Mannes, der auf sie zu gewandert kommt; ab und zu beugt er sich nieder, offenbar, um eine Multbeere zu pflücken, die nun bereits zu reifen anfangen. Da nehmen ihre Gedanken eine andre Richtung.
Wer das wohl sein mag? Es kann wohl kaum einer sein, der nach seinen Pferden ausschaut; denn die pflegen nie an Sonntagen zu gehen. Ein Beerensammler kanns aber auch nicht gut sein; denn die Multbeeren sind noch nicht so reif, daß das Sammeln sich lohnte. Es muß einer sein, der zu seinem Vergnügen im Gebirge wandert. Wenn es Jakob wäre! Den hat sie seit letztem Herbst nicht wiedergesehen, und damals sagte er ja, er wolle sie im Sommer aufsuchen; die Gestalt glich aber auch Jakob nicht, außerdem kannte der sich wohl kaum hier im Westgebirge genügend aus, um sich allein zum Klininggrautstein hinauf zu finden, und es sah so aus, als ob der dort gerade hierher wollte, und offenbar kannte er auch das Moor und wußte, wo Multbeeren wuchsen, und wo es gangbar war. Es war doch nicht etwa gar …? Sie wurde rot beim bloßen Gedanken, aber gerade da war er unten am Abhange verschwunden, und sie konnte ihn nicht mehr sehen.
Unwillkürlich band sie ihr Kopftuch fester, strich ihr lichtes Haar unter das Tuch zurück und glättete die Falten ihres Rockes. Darauf setzte sie sich, mit dem Rücken halb nach der Richtung gewandt, von wo er kommen mußte, nahm ihr Buch, beugte den Kopf darüber und tat, als ob sie läse.
Bald darauf kam hinter ihr ein junger Mann die Anhöhe herauf. Er hatte funkelnagelneue Frieskleider an, einen neuen Schal um den Hals gebunden und trug hohe Schaftstiefeln; er war nicht gerade groß, eher untersetzt, und in dem jugendlichen Gesicht mit dem kaum bemerkbaren Schatten eines Flaums unter der Nase saßen ein Paar braune, gutherzige und treue Augen. Er blieb eine Weile stehen und sah auf die Ebene herab, wo Sidsel auf dem Steine saß und die Herde um sie rastete; es war deutlich zu sehen, daß dies Bild in ihm eine Erinnerung wachrief, daß er das Bild schon früher gesehen hatte. Sidsel sah nicht auf, aber sie fühlte, daß der andre dort war, fühlte es förmlich im Rücken, daß er dastand und sie betrachtete. Er lächelte; dann machte er einen Umweg, um von der Seite her zu ihr hinunter zu kommen, damit das Vieh Zeit hätte, seiner rechtzeitig gewahr zu werden, und nicht erschreckt aufführe. Er ging ruhig gerade auf sie zu, so daß sein Schatten über das Buch hinglitt; da blickte sie auf, und ihre Augen begegneten sich; beide erröteten leicht, aber da sagte er rasch:
Guten Tag, Sidsel!
Guten Tag! Nein, du bist’s Peter? Was bringt denn dich hierher?
Sie gaben sich die Hand.
Ja, ich dachte, es müßte nett sein, die alten Plätze wieder zu sehen, und da Jakob dich hier oben besuchen wollte, schloß ich mich ihm an.
Ist Jakob auch mit?
Ja, aber er ist unten auf der Senne geblieben, er war müde; wir sind nämlich heute schon in aller Frühe aufgebrochen, und dann hatten wir auch dem Högseth versprochen, morgen ein paar seiner Gäule mit nach Hause zu bringen. Ich soll dich von ihm grüßen.
Warst du denn so sicher, mich hier zu finden?
O ja, ich konnte es mir ungefähr denken, wo du bei solchem Wetter sein würdest. Und für mich ist es ja auch unterhaltend, hier mich umzusehen, da ich hier bekannt bin.
Er setzte sich neben sie auf den Stein und schaute bedächtig ringsum.
Findest du dich wieder zurecht?
Ja, alles ist ganz unverändert, als ob ich erst gestern hier gehütet hätte. Aber dich hätte ich beinahe nicht wiedererkannt, du bist so groß geworden.
Findest du?
Es ist ja aber auch zwei Jahre her, seit ich dich gesehen habe.
Es entstand eine kleine Pause; dann fuhr Peter fort:
Ich ging über das Skraamoor, an unserm Badeteich vorbei, der ist ausgetreten.
Ja.
Ich habe schon daran gedacht, ob ich ihn nicht wieder für dich aufdämmen sollte.
Ach nein, das brauchst du nicht; ich habe meinen Badeteich an einer andern Stelle, die niemand kennt.
Nein, was du sagst.
Ja, den habe ich schon das letzte Jahr gehabt, als ihr noch hier wart.
Also da stecktest du an den Tagen, wo wir dich nirgends finden konnten?
Bisweilen, ja.
Das Vieh fing an, aufzustehen und davon zu trippeln und da mußte Peter sich die alten Ziegen anschauen und sehen, ob er sie noch kannte, und wirklich kannte er sie alle noch ganz gut, und Sidsel erzählte ihm von den neuen; aber bald war die Herde ihren Blicken entschwunden, und da hatten sie auch nichts mehr mit einander zu reden. Sie saßen immer noch nebeneinander auf dem Steine. Darauf sagte Peter:
Du hast deinen Birkenhut nicht mehr, Sidsel?
Nein, der ist schon lange abgetragen.
Aber was hast du denn da an der Schnur?
Er griff behutsam nach einer Schnur, die sie um den Hals trug, und zog daran. Aus ihrem Busen zog er die Hornpfeife, die er ihr einst geschenkt hatte.
Ich glaube gar, du hast die Hornpfeife noch?
Sidsel wurde über und über rot, sie schämte sich, daß er sah, wie kindlich sie noch war, und beeilte sich zu sagen:
Ja, ich trage sie — bisweilen.
Ich habe meine auch noch, sie ist das einzige Andenken an meine Hirtenzeit, das ich noch habe, und er zog aus der Brusttasche die Pfeife hervor, die aus dem einen Horn Krummhorns angefertigt war.
Wollen wir mal versuchen?
Da lachten sie beide und bliesen zusammen eine lustige Hirtenweise, wie sie das früher so oft getan hatten — keines hatte das Stück vergessen. Als sie damit fertig waren, entstand wieder eine Pause. Endlich sagte Sidsel:
Nun muß ich aber wohl nach meiner Herde sehen, sonst könnte es mir passieren, daß ich ohne Herde nach Hause komme.
Laß sie nur ziehen, die finden sich schon von allein nach Haus, und da können wir zusammen nach der Senne gehen, nicht wahr?
Ja, lassen wir sie laufen.
Wieder wurde es eine Weile still. Dann stand Sidsel auf und sagte:
Nun müssen wir aber wohl gehen.
Peter blieb sitzen und sagte bloß ganz ruhig und bescheiden:
Kannst du nicht noch ein Weilchen sitzen bleiben? Ich möchte dich gern was fragen.
Sidsel senkte den Kopf und setzte sich wieder, ohne etwas zu erwidern.
Ich habe dir Grüße auszurichten — von Jon. Er hat mir vor vierzehn Tagen geschrieben aus Amerika. Er bittet mich ausdrücklich, dich zu grüßen.
Danke. Geht’s ihm gut?
Ja, es geht ihm gut; er hat einen guten Platz bekommen und verdient viel Geld.
Jon verdient’s aber auch; er ist sicher ein flinker Bursch geworden.
Ja, das ist er. — Er fragt, ob ich nicht zum Frühling nachkommen will. Er will mir das Billet schicken.
Da blickte Sidsel auf und sah ihn einen Augenblick an, darauf senkte sie wieder den Kopf und sagte kein Wort. Peter fuhr fort:
Und da wollte ich dich nun fragen, ob du willst, daß ich das tue?
Es wurde ganz still, und er saß da und sah sie fragend an. Sie saß lange mit niedergeschlagenen Augen; dann sah sie plötzlich auf, richtete die blauen Augen auf ihn und sagte rasch und bestimmt:
Nein, das will ich nicht.
* *
*
Es wurde nicht weiter über die Sache gesprochen, und bald darauf waren sie auf dem Weg nach der Senne. Sie gingen an allen den bekannten Plätzen vorüber, die am Wege lagen, dem Badeteich und dem Pegesteig, und überall hatten sie viele gemeinschaftliche Erinnerungen aus der Zeit, als sie hier zusammen ihre Herden gehütet hatten, und mehr als einmal sagten sie, es wäre doch schade, daß Jon vielleicht nie wieder hierher zurückkommen würde. Der Himmel wölbte sich hoch und klar über ihnen, und das Gebirge lag mit seinen unendlichen stillen Höhenzügen vor ihnen, und sie fühlten sich wunderbar leicht und froh. Obwohl sie nichts mit einander ausgemacht hatten, war es doch beiden, als bestände zwischen ihnen eine heimliche Verabredung, ein wunderliches Geheimnis, von dem niemand, nicht einmal Jakob, etwas erfahren durfte.
Es ist der erste Sonntag nach Ostern, am frühen Vormittag. Sidsel sitzt in der Gangkammer auf Hoël an ihrem kleinen Tisch, den einen Ellbogen auf den Tisch gestützt und die Hand unter dem Kinn, und starrt in ein großes schwarzes Buch, das aufgeschlagen vor ihr liegt, das neue Testament; sie bewegt langsam die Lippen und liest. Heute morgen ist sie nicht mit im Kuhstall gewesen — seit vielen Jahren das erste Mal — Kjersti Hoël hat gesagt, sie solle ein paar Stunden für sich allein sein; niemand darf sie stören.
Hier sitzt sie nun im langen, schwarzen Kleide mit einer weißen Halskrause, ein wenig steif und unbeholfen; das neue Kleid zwängt etwas, und sie drückt die Ellbogen dicht an und wagt kaum den Rücken zu beugen; es ist das erste Mal, daß sie ein richtiges langes Kleid anhat, früher trug sie bloß einen Rock und eine Jacke. Das lichte Haar ist glatt zurückgestrichen und im Nacken zu einem Knoten aufgesteckt; sie sieht heute auch etwas blasser aus als gewöhnlich, und die Lippen, die sich fortgesetzt bewegen, sind auffallend rot und feucht, aber ihre Augen blicken ruhig und klar; im ganzen ist sie wirklich hübsch, wie sie hier in ihrem Kämmerchen sitzt und darauf wartet, bis es Zeit zum Kirchgang ist. Heute soll sie konfirmiert werden.
Es klopft, und herein tritt Kjersti Hoël; auch sie ist im vollen Staat, im altmodischen schwarzen Kleid mit faltenreichem Leibchen, frischgeplätteter Faltenhaube auf dem Kopfe, und in der Hand trägt sie das große Gesangbuch — das mit dem großen Druck, das sie bloß an besonderen Feiertagen benutzt — und auf dem Buche das zusammengelegte Taschentuch.
Sie bleibt eine Weile stehen, betrachtet Sidsel mit ernsthafter Miene und sagt:
Fühlst du dich nun vorbereitet, Sidsel?
Sidsel antwortet bescheiden:
Ich glaube, ja.
Dann ist es wohl Zeit, daß wir gehen. Komm, ich will dir das Kopftuch knüpfen, damit du dir die Haare nicht einreißt.
Sie knüpft ihr das Kopftuch, sie gehen langsam hinaus und durch den Flur. Draußen vor der Tür steht der Wagen mit dem Soldatenpferd.
Setz dich neben mich, Sidsel.
Sie steigen ein und fahren von dannen; keines sagt unterwegs ein Wort. Während sie zum Hofe hinaus auf die Landstraße fahren, umgibt sie das Brausen des jungen Frühlings. Bäche und Flüsse rauschen an ihnen vorüber, Vögel singen und zwitschern zu Tausenden, Insekten summen, die sprossenden Bäume und Kräuter duften über das ganze Tal hinweg, und hoch oben am Himmel steht die Sonne und wirft ihr glitzerndes Licht auf die Erde nieder. Aber das alles macht heute nicht solchen Eindruck auf Sidsel wie sonst; es wirkt auf sie wie Geschrei und wüster Lärm, wie etwas Unharmonisches, das sie in Unbehagen erzittern läßt — unwillkürlich schmiegt sie sich im Wagen dichter an Kjersti an — sie hat einzig das Bedürfnis nach Stille. So fahren sie eine Weile.
Da schlägt es ihnen plötzlich wie eine mächtige, breite Woge entgegen und spült allen Lärm hinweg — es sind die Kirchenglocken, die nun so breit, ruhig und sicher einsetzen. Sie übertäuben zwar das Frühlingsbrausen nicht, aber sie nehmen es gewissermaßen in ihr Geläute auf, bringen förmlich Harmonie hinein, nehmen es als Begleitung, das Ganze wirkt wie Orgelbrausen zu Kirchengesang.
Da wird es ringsum auf einmal so friedlich und festlich, wie Sidsel es nie zuvor empfunden hat. Nun ist Feiertag auch in ihr, und alles um sie herum ist wie verwandelt, wird lichter, mächtiger, festlicher; sie fühlt sich unsäglich froh.
Von dem Augenblick an weiß sie nicht mehr recht, was um sie vorgeht.
Als sie zur Kirche kommt, erscheint ihr die Menge, die dort steht und wartet, so groß und so festtäglich, und ihr ist, als hätte sie nie bemerkt, daß die Kirche so hoch und so hell ist.
Wie sie in der Kirche durch den Mittelgang geht, fühlt sie sich so frank und so frei; auch hier ist es so wunderbar licht, und als sie zu ihren Mitkonfirmanden hinsieht, die zu beiden Seiten des Mittelgangs in langer Reihe mit gesenkten Köpfen stehen, kommt es ihr vor, als ob alle Gesichter förmlich strahlten.
Als der Pastor aus der Sakristei kommt, erscheint auch er ihr viel größer als sonst, und sein Gesicht ist mild, und als er anfängt zu sprechen, versteht oder hört sie eigentlich nicht, was er sagt, aber sie fühlt doch, es ist etwas Großes, Gutes, das sie rührt wie Musik.
Beim Gemeindegesang singt sie lauter als sonst; ihre Brust weitet sich unwillkürlich, und als sie abgefragt wird, weiß sie nicht, ob sie recht gehört hat, antwortet aber laut und unverzagt und ist dessen sicher, daß sie richtig antwortet; und als sie niederkniet und dem Pastor die Hand reicht, da ist ihr, als lächelten die steifen Altarbilder.
Ganz zu sich selbst kommt sie erst wieder, als die feierliche Handlung vorüber ist, und sie zu Kjersti Hoël in den Kirchenstuhl kommt.
Diese erfaßt ihre Hand und sagt halblaut:
Glück und Segen, Sidsel!
Sidsel steht ein wenig, sieht dann auf mit großen Augen, als ob sie aus einem Traume erwache, lächelt und flüstert leise: Danke, Kjersti Hoël.
Dann ist die Feier zu Ende, und sie verlassen die Kirche.
Draußen vor der Kirche stehen Jakob und Peter. Sie nehmen ihre Mützen ab und begrüßen erst Kjersti Hoël; dann kommen sie zu Sidsel, einer nach dem andern, nehmen wieder ihre Mützen ab und reichen ihr die Hand und sagen:
Glück und Segen, Sidsel!
Darauf gehen sie langsam über den Kirchanger — so viele müssen die Kjersti Hoël begrüßen und sie fragen, was das für ein Mädel ist, das heute mit ihr zur Konfirmation gekommen ist — endlich sind sie an ihrem Wagen, der Braune ist bereits vorgespannt, sie steigen ein und fahren heimwärts. Sie reden nicht zusammen; erst als sie nach Hause gekommen sind, sagt Kjersti:
Du willst gewiß gern auch heute nachmittag noch eine Weile für dich allein sein, gelt?
Ja, danke.
* *
*
Am Nachmittag sitzt Sidsel wieder allein in ihrer kleinen Gangkammer. Bär, der nun ganz erblindet ist, liegt draußen vor der Tür — die wenigen Male, die er aus der Küche, wo er jetzt meist im Winkel beim Herde liegt, herauskommt, wählte er diesen Platz an Stelle des früheren draußen auf der Steinplatte, dort gingen so viele aus und ein, und die waren so rücksichtslos und traten ihm immer auf die Pfoten; Sidsel dagegen ging immer vorsichtig um ihn herum.
Jetzt liest sie nicht in einem Buch; sie hat ihren alten Unterrock vor sich auf dem Bett ausgebreitet, den sie übrigens den letzten Winter nicht mehr getragen hat, und der nun so merkwürdig klein und geflickt aussieht.
Als sie heute nachmittag in ihr Kämmerchen gekommen war, wo die Abendsonne quer durch das kleine Fenster hereinschien und dieses auf der Bettdecke abzeichnete, da fühlte sie sich wunderbar ruhig und zufrieden; sie verspürte nicht die geringste Lust, sich niederzusetzen und an ernsthafte Dinge zu denken oder zu lesen; es schien ihr ganz natürlich, herumzubasteln und froh zu sein, ohne sich weiter Gedanken zu machen. Sie besaß keine Reichtümer auf dieser Welt, aber immerhin hatte sie ein kleines Kästchen, das sie im zweiten Dienstjahre geschenkt bekommen hatte, und in dem waren nicht bloß kleine Seitenfächer, sondern auch ein Fach im Deckel, und in dem Kästchen hatte sie das Wenige gesammelt, was sie besaß und was ihr des Aufbewahrens wert erschien. Nun holte sie es herbei und öffnete es; es war so unterhaltend, jedes einzelne kleine Ding herauszunehmen und dabei alten Erinnerungen nachzuhängen.
Hier lag ein altes, zerbrechliches Taschenmesser, dasselbe, das sie den ersten Sommer im Gebirge von Jon bekommen hatte, und da war ein Brief von ihm, den sie letzten Herbst erhalten und von dem niemand etwas wußte und in dem er sie fragte, ob er ihr und Jakob Fahrkarten nach Amerika schicken dürfe, wenn sie erst konfirmiert wäre. Sie hatte ihm noch nicht geantwortet, aber nun wollte sie es bald tun und ihm danken; denn sie wußte, sie würde niemals reisen. Und dort hatte sie die Ziegenhornpfeife, die sie von Peter bekommen hatte — sie bekam auf einmal unbändige Lust, sie wieder zu probieren, aber sie wagte es doch nicht, es hätte sich zu sonderbar angehört — und neben der Pfeife lag ein seidenes Halstuch, das ihr Jakob zu Weihnachten von ihm mitgebracht hatte; sie selbst hatte Peter seit jenem Tage oben im Gebirge im vergangenen Jahre weder gesprochen noch gesehen.
Und hier fand sie auch den Brief, den ihr Jakob geschrieben hatte, als sie sich oben auf Guckausschloß treffen wollten, den einzigen Brief, den sie von ihm erhalten; Jakob schrieb höchst ungern, aber dafür hatte sie auch ein paar andre Kleinigkeiten, die sie von ihm bekommen hatte.
Und ganz unten auf dem Boden lag ein Tuch, das sie bisher noch nie herausgenommen hatte; es war noch von der Mutter; heute getraute sie sich eigentlich zum ersten Male, richtig an ihre Mutter zu denken; sie nahm das Tuch heraus und breitete es auf dem Bette aus, und da gleichzeitig ihr Blick auf ihren alten, an der Wand hängenden Rock fiel, nahm sie den herunter und breitete ihn auch aus; darauf setzte sie sich und besah sich diese ärmlichen Sachen; nun konnte sie erst richtig an vergangene Zeiten zurückdenken, ohne von hoffnungslos traurigen Gedanken überwältigt zu werden, zurückdenken an alle die teuern Erinnerungen, die diese unansehnlichen Dinge für sie bargen, besonders an die aus der Zeit von Schloß Guckaus. So blieb sie lange in Gedanken versunken sitzen; sie begann von Anfang an, soweit ihre Erinnerung zurückreichte, und ging vorwärts bis zum heutigen Tage, die Erinnerungen kamen wie von selbst und in bestimmter Reihenfolge, und alle waren gleichsam nur liebe, gute Erinnerungen, alles Schlimme war wie verschwunden oder erschien ihr nun in einem milderen, freundlicheren Lichte.
Plötzlich klopfte es an die Tür, und ehe sie noch Zeit gehabt hatte, alle ihre Siebensachen wegzuräumen oder nur ihre Gedanken soweit zu sammeln, um aufzustehen, kam Kjersti Hoël herein.
Sidsel sah, daß Kjersti gleich die Sachen bemerkt hatte, wurde aber doch nicht verlegen, denn Kjersti sagte lächelnd:
Ich sehe, du sitzt hier und denkst an deine Mutter, Sidsel, und das ist recht von dir. Nun komm aber mit in meine Kammer. Ich möchte etwas mit dir besprechen.
Sidsel wurde auf einmal ganz verwirrt, in so ernstem Ton hatte Kjersti noch nie zu ihr gesprochen. Sie stand still auf und ging mit.
Kjersti ging durch die Küche und geradeswegs auf die Kammertür zu, Sidsel dicht hinter ihr drein, und man kann sich denken, daß die andern von ihrer Arbeit aufsahen und sich fragten, was das wohl zu bedeuten haben könnte.
Als sie in die Kammer gekommen waren, setzte sich Kjersti an den Tisch und lud Sidsel ein, ihr gegenüber Platz zu nehmen.
Dann sagte sie:
Ja, Sidsel Langröckchen, nun bist du also erwachsen, und in Zukunft mußt du dein eigener Berater sein. Nun habe ich das Versprechen, das ich deiner Mutter gab, bis zum letzten Punkt erfüllt; und ich kann dir heute sagen, daß ich nur Freude an dir erlebt habe, du hast dich gut gehalten, wie es sich für ein braves Mädchen ziemt. Und wirst du dich auch in Zukunft so entwickeln, so glaube ich wohl, deine Mutter würde mit dir, wie auch mit mir zufrieden sein. Von heute ab habe ich aber nicht mehr das Recht, über dich zu verfügen, nun mußt du selbst wählen, was du tun willst und für richtig findest. Ich will dich deshalb fragen — versteh mich recht, du sollst vollkommen frei wählen — ob du noch weiter hier bleiben willst, oder ob du nun, wo du für dich selbst sorgen sollst, lieber etwas andres versuchen willst. Ich kann hinzufügen, daß ich es gern sähe, wenn du bliebest.
Es wurde mäuschenstill in der Kammer. Dann sah Sidsel, große Tränen in den Augen, auf und sagte:
Ich will bei dir bleiben, Kjersti Hoël, so lange du mit mir zufrieden bist.
Ich dachte mir schon, daß du das wolltest. Und deshalb habe ich mir auch noch etwas andres ausgedacht. Du bist zwar noch sehr jung, aber es ist nicht immer falsch, zeitig mit etwas zu beginnen. Du hast dich als so zuverlässig und geschickt erwiesen, im Kuhstall wie auf der Senne, daß ich denke, ich kann dir das wohl anvertrauen. Wenn du willst, so dinge ich dich gleich heute als Sennerin auf Hoël.
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1. | Kapitel | : | Sidsel Langröckchen als Spinnfrau | 1 |
2. | „ | : | Abschied von Schloß Guckaus | 21 |
3. | „ | : | Wenn das Vieh auf die Weide gelassen wird | 33 |
4. | „ | : | Die Alpfahrt | 52 |
5. | „ | : | Krummhorn wird gezähmt | 69 |
6. | „ | : | Heim von der Senne | 84 |
7. | „ | : | Auf der Herspitze | 98 |
8. | „ | : | Daheim im Guckaus-Schloß | 113 |
9. | „ | : | Ein Sonntag im Gebirge | 129 |
10. | „ | : | Selbst Sennerin | 140 |
Verlag von Georg Merseburger in Leipzig
Von Hans Aanrud erschienen ferner für Kinder und Erwachsene:
Kroppzeug. Zwölf Geschichten von kleinen Menschen und Tieren. 4.-6. Tausend. Brosch. 2.25 M., kart. 2.50 M., geb. 3 M.
Inhalt: 1. Die Bachstelze. 2. Wie Ola sein Abendgebet verkaufte. 3. Die Kirchfahrt. 4. Reineke Fuchs. 5. Hahnenkampf. 6. Der erste Handel. 7. Wildtauben. 8. Die Zipfelmütze und die Talermütze. 9. Pelle lebt und hat es gut. 10. Wie die Nordlihühner das Eierlegen lernen sollten. 11. Klein-Marthe. 12. Dreizehn-Kari und Vierzehn-Kari.
Jungen. Vierzehn Geschichten von kleinen ganzen Kerlen. Mit elf Kunstbeilagen von Lisbeth Bergh. Brosch. 2.25 M., kart. 2.50 M., geb. 3 M.
Inhalt: 1. Der Gemeindejunge. 2. Amunds neue Ski. 3. Wenn die Graugänse fliegen. 4. In Großvaters Auftrag. 5. Kirchenexamen vor dem Bischof. 6. Die Mütze, die auf der Wolke war, um Gold zu holen. 7. Der erste Arbeitstag. 8. Alexander und Buzephalos. 9. Holzvermesser Ole Pedersen. 10. Ranzenräuber und Zottelbär. 11. Tischler Simen und der Blaufuchs. 12. Die Kvinstöljungen. 13. Erste Liebe. 14. Wie Hans und Marte die Henne hüteten.
Sölve Solfeng. Das Sonntagskind, Erzählung. Mit Zeichnungen von Arthur Michaelis. Brosch. 2.25 M., kart. 2.50 M., geb. 3 M.
Wo der Schnee leuchtet! 16 Geschichten aus Nordland. Brosch. 2.25 M., kart. 2.50 M., geb. 3 M.
Erzählungen. 16 Bauern-Geschichten. Brosch. 3 M., geb. 4 M.
Inhalt: 1. Mari Smehaugen. 2. Die Sünde, die nicht vergeben wird. 3. Stadtreise. 4. Der Freier. 5. Als die Alte auf Braaset sterben sollte. 6. Krankenbesuch des Pfarrers. 7. Glatteis. 8. Brüder im Herrn. 9. Mister Johnson aus Amerika. 10. Martin mit den Stöcken. 11. Wie der liebe Gott das Heu des Asmund Bergemellem bekam. 12. Wie der Ola Guckaus zu einer Frau kam. 13. Eine Winternacht. 14. Und machet seine Steige richtig. 15. Weihnachtsgäste. 16. Aus der Zeit des alten Pfarrers.
Drei Komödien. Inhalt: Der Storch. — [3]Hoch zu Roß. — [3]Der Hahn. Einzeln brosch. je 1.50 M., komplett brosch. 3. M., geb. 4 M.
[3] Sind noch in Vorbereitung und erscheinen demnächst.
Anmerkungen zur Transkription
Fußnoten wurden am Ende des jeweiligen Kapitels gesammelt.
Der Originaltext ist in Fraktur gesetzt. Im Original g e s p e r r t hervorgehobener Text wurde in einem anderen Schriftstil markiert.
Offensichtliche Druckfehler wurden hier aufgeführt korrigiert (vorher/nachher):
End of the Project Gutenberg EBook of Sidsel Langröckchen, by Hans Aanrud *** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK SIDSEL LANGRÖCKCHEN *** ***** This file should be named 48902-h.htm or 48902-h.zip ***** This and all associated files of various formats will be found in: http://www.gutenberg.org/4/8/9/0/48902/ Produced by Sandra Eder, Jens Sadowski, and the Online Distributed Proofreading Team at http://www.pgdp.net Updated editions will replace the previous one--the old editions will be renamed. Creating the works from print editions not protected by U.S. copyright law means that no one owns a United States copyright in these works, so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United States without permission and without paying copyright royalties. Special rules, set forth in the General Terms of Use part of this license, apply to copying and distributing Project Gutenberg-tm electronic works to protect the PROJECT GUTENBERG-tm concept and trademark. 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