The Project Gutenberg EBook of Unter Palmen und Buchen. Dritter Band., by Friedrich Gerstäcker This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and most other parts of the world at no cost and with almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included with this eBook or online at www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you'll have to check the laws of the country where you are located before using this ebook. Title: Unter Palmen und Buchen. Dritter Band. Author: Friedrich Gerstäcker Release Date: January 20, 2015 [EBook #48036] Language: German Character set encoding: UTF-8 *** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK UNTER PALMEN UND BUCHEN. *** Produced by The Online Distributed Proofreading Team at http://www.pgdp.net (This transcription was produced from images generously made available by Bayerische Staatsbibliothek / Bavarian State Library.)
Unter Palmen und Buchen.
Gesammelte Erzählungen
von
Friedrich Gerstäcker.
Leipzig,
Arnoldische Buchhandlung.
1867.
Seite | |
Eine Mesalliance | 1 |
Der Gevatterbrief | 177 |
Ein Ausflug in Java | 186 |
Der Heimathschein | 206 |
Auf der Eisenbahn | 320 |
In Tanunda – einem kleinen, fast nur von Deutschen bewohnten Städtchen in Süd-Australien – war Ball, und die ganze weibliche Bevölkerung des Orts befand sich, wie bei all solchen Gelegenheiten, in einer gelinden Aufregung. Kein Wunder auch; jede Dame wünschte doch so anständig als möglich zu erscheinen; wer aber dazu nicht alles Nöthige eigen besaß, gerieth allerdings hier in Verlegenheit, denn in ganz Tanunda existirte kein einziges Modemagazin.
Schmiede gab es genug, Sattler, Schuhmacher, Schneider, Blechschmiede, Drechsler, Schreiner, und wie die verschiedenen Handwerke alle heißen mögen, aber nirgends in einem der Läden flatterten oder hingen hinter großen eleganten Spiegelscheiben bunte seidene Bänder oder künstlich gearbeitete Kränze; nirgends waren neu patentirte Schnürleiber und kostbar gestickte Unterröcke zur Schau ausgehangen – worüber sich auch die praktischen Landbewohner nur lustig gemacht hätten. Kurz es bestand keine einzige Aushülfe für das schöne Geschlecht, seine Reize zu erhöhen. Nur ein Glück, daß die Natur selber mitleidiger war, als die prosaischen Menschen, und ihren Kindern draußen, auf tausend Blüthenbüschen, ihre schönsten und duftendsten Gaben bot.
Und wenn die Damen in der Stadt nur wüßten, wie viel hübscher ein frischer, natürlicher Blumenkranz einem hübschen frischen Gesicht steht, als all der bunte Flitterkram, den kunstfertige Hände zusammenbauen – aber freilich gehören auch hübsche und frische Gesichter dazu, sonst stechen die lebhaften Farben zu sehr gegen den fahlen Teint der Wangen ab, und die Kunst muß dann aushelfen, wo die Natur nicht mehr zu helfen vermag.
In Tanunda wußte man wenig von Kunst; die meisten dortigen Ansiedler gehörten überhaupt dem Arbeiterstande an, und hatten neben dem Gewerk oder dem kleinen Handel, den sie in der Stadt trieben, noch ihre Section Land außerdem. Auch die Töchter waren in dem fremden Lande, und rings von englischen Sitten umgeben, doch immer nur richtige deutsche Bauermädel geblieben, die weder in ihren Gewohnheiten noch in ihrer Tracht eine Aenderung trafen.
Merkwürdig ist überhaupt die Zähigkeit, mit welcher der deutsche Bauer an dem Alten hängt, und wie schwer er zu Neuerungen zu bringen ist. Selbst die Auswanderer, also doch solche, von denen man vermuthen sollte, daß sie gerade mit dem Alten gebrochen hätten, und jetzt bereit wären, in einer neuen Welt ein neues Leben zu beginnen, verrathen das in der sinnlosen Last, die sie in ein fremdes, weit entferntes Land hinausschleppen und oft, an Ort und Stelle angekommen, von der Hafenstadt aus bis zu ihrer Bestimmung, mehr Fracht dafür bezahlen, als der ganze Plunder werth ist. Aber nichts lassen sie daheim, was niet- und nagellos ist, keine irdene Schüssel, keinen hölzernen Napf, keinen Besen, noch Scheuerlappen, ja ich weiß Beispiele, daß sie, besonders nach Australien, ihre irdenen Oefen mitgenommen haben. Kaum ist dann ein halbes Jahr vergangen, so steht dort drüben unter Eucalypten und Banksien ein Bauernhaus, das sich in Nichts von dem daheim verlassenen unterscheidet, mit denselben niederen Zimmern und Fenstern, denselben Tischen und Bänken, denselben alten verstaubten Bildern an den Wänden, denselben bemalten irdenen Schüsseln über dem Heerde, ja mit dem nämlichen dumpfen und ungesunden Geruch in der Stube – genau so wie daheim im Vaterland.
Und der Bauer selber mit seiner Familie hat sich – wie er sich auch vielleicht in seiner sonstigen Lebensweise ändern mußte – wahrlich nicht in irgend etwas geändert, was ihn selbst betrifft. Er trägt noch, mitten zwischen den Engländern und Amerikanern, ob auch von ihnen hundert Mal ausgelacht und verspottet, den nämlichen langen blauen Rock mit schmalem Kragen und riesigen Leinwandtaschen wie daheim – denselben ausgeschweiften Hut, wie er auf seinem Dorfe seit Menschengedenken Mode war, dieselbe alte kurze Pfeife als Begleiter, Zeitmesser, Sorgenbrecher und was sonst Alles, unentbehrlich bei Arbeit und Müssiggang, und nur in der Zeit am Tage unsichtbar, wo er Sonntags in der Kirche sitzt, und die Pfeife dann, vorher sorgfältig ausgegossen, in eine der Leinwandtaschen spurlos verschwindet.
Auch die Frauen hängen hartnäckig an der heimathlichen Tracht und setzen anfangs die Eingeborenen nicht wenig durch ihre kurzen Röcke, blauen Zwickelstrümpfe und riesigen Bänder an den Hauben in Erstaunen; aber zuletzt gewöhnt man sich auch an das Sonderbarste und findet es nicht mehr auffallend.
Wunderbar gemischte Gesellschaft findet man aber in solch deutschen Colonieen in fremden Welttheilen, und Tanunda besonders leistete darin das Außerordentlichste. Engländer gab es, wie gesagt, nur sehr wenige in der Stadt, und die wenigen waren kein besonderer Umgang für die Deutschen. Man würde auch nie geglaubt haben, daß man sich in einer englischen Colonie befände, wenn man durch die Stadt ging und überall nur deutsche Schilder an den Häusern, nur deutsche Trachten sah, nur deutsch reden hörte – aber lieber Gott, wir wissen es ja schon gar nicht anders, als daß wir Deutschen mit unseren tüchtigen Arbeitskräften und unseren fleißigen und dabei gutmüthigen und geduldigen Staatsangehörigen allen anderen Ländern der Welt ihr Land urbar machen, ihre Colonieen bevölkern und heben müssen. Wir selber besitzen, ob unsere vaterländischen Schiffe auch in allen Meeren der Welt getroffen werden, kein einziges eigenes transatlantisches Eigenthum, und kein Wunder denn, daß wir es uns in jenen fremden Plätzen wenigstens gemüthlich zu machen suchen.
In dem Ort waren denn auch zwei ziemlich gute deutsche Wirthshäuser, das eine aber, das Tanunda-Hotel, das besuchteste, und besonders hielten hier die »Honoratioren« ihre Zusammenkünfte, da der Wirth nicht allein ein trinkbares deutsches Bier ausschenkte, sondern auch einen Stolz darein setzte, ächten Rheinwein zu verhältnißmäßig billigen Preisen in seinem Keller zu haben.
Dort war heute Ball und der große Saal in der ersten Etage schon so festlich geschmückt, wie es die bescheidenen Mittel in Tanunda nur erlaubten, und die noch bescheidneren Ansprüche forderten, und dort begannen schon Nachmittags um vier Uhr – um fünf Uhr sollte die Musik »losgehen« – die wunderlichsten Elemente sich zu sammeln, die je ein solches »Tanzvergnügen« besucht und sich darauf amüsirt hatten.
Das junge »Mannsvolk« der ländlichen Bevölkerung war das erste auf dem Platze. Vorher mußte einmal ordentlich getrunken werden, damit sie »Courage kriegten« und die »Mädels« nachher konnten ankommen sehen, und bis es fünf Uhr schlug, hatte sich einer von diesen schon so vollkommen angetrunken, daß er Streit suchte und von den Uebrigen grade in demselben Augenblick hinausgeworfen wurde, als die ersten »Honoratioren« das Hotel betreten wollten.
Es war der Kaufmann Becher mit seiner jungen Frau, einem allerliebsten kleinen Weibchen, sehr einfach, aber doch sehr elegant gekleidet, denn sie hatte andere Zeiten gesehen, und man behauptete, daß sie früher Kammerjungfer bei einer Gräfin gewesen wäre. Jetzt merkte ihr freilich Niemand – als vielleicht in ihrem gewandten und anständigen Wesen, den früheren Stand an, denn sie galt allgemein in Tanunda für eine ebenso vortreffliche Wirthin wie Hausfrau, und hatte sich besonders gut in den Verkauf der Waaren gefunden.
»Holla,« lachte Becher, ein gemüthlicher Norddeutscher, während seine junge Frau vor dem Tumult zurückschrak und sich fester an seinen Arm hing, »das muß doch wahr sein, in dem Australien ist Alles verkehrt. Bei uns in Deutschland werfen sie einander immer erst zum Schluß hinaus, hier fangen sie aber gleich damit an.«
»Haben Sie keine Furcht, Madame Becher,« rief sie aber einer der jungen Burschen an, »wir halten hier Ordnung, darauf können Sie sich verlassen. Der Tanz soll nicht gestört werden – nur immer anständig.«
»Wir haben auch keine Furcht, Braunhofer,« lachte Becher gutmüthig, indem er dem Eingang mit seiner Frau zuschritt, »denn daß Ihr hier vortreffliche Polizei haltet, habt Ihr eben erst noch bewiesen – der thut keinen Schaden mehr – ah, Herr von Benner,« wandte er sich dann an einen jungen Mann, der ebenfalls in diesem Augenblick von der anderen Seite kam und das Hotel betreten wollte, »das ist Recht, daß Sie kommen, solche flotte Tänzer können wir brauchen.«
»Werde doch keinen Ball in dem langweiligen Nest versäumen,« lachte der junge Mann, indem er die beiden Gatten grüßte, – »Frack und Glacéhandschuh fallen freilich bei Unsereinem weg,« schmunzelte er, als sein Blick auf Herrn Bechers Hände fiel, die allerdings in weißen und tadellosen »Glacées« prangten, wie denn auch die junge Frau nicht ohne solche erschienen war.
»Bei Unsereinem, Herr von Benner?« frug Becher.
»Nun,« sagte der junge Mann mit einem bitterironischen und doch humoristischen Zug um die Lippen, »was für Ansprüche werden denn an einen Handlanger bei dem Maurerhandwerke gemacht? Ich muß ja der Gesellschaft noch dankbar sein, daß sie mich zuläßt.«
»Papperlapapp, mein lieber Freund,« rief aber Becher, dem der Spott in der Bemerkung vollkommen entging, gutmüthig aus, »hier in Australien haben wir die alten faulen Standesunterschiede abgeschüttelt, und kehren uns den Henker daran, was Jemand arbeitet, wenn er sich sein Brod nur auf ehrliche Weise verdient, denn das ist die Hauptsache.«
»Danke Ihnen,« sagte Benner mit demselben Lächeln, das aber diesmal der jungen Frau das Blut in die Wangen trieb, denn sie fühlte, was der junge Adelige damit meinte, wenn es ihr Mann auch mit der alten wohlwollenden Herzlichkeit hinnahm und nicht weiter beachtete.
»Bitte,« rief er abwehrend aus, »gar nichts zu danken. Sie stehen hier in Ihrem vollen Recht. Tanzen Sie nur flott und machen Sie sich besonders um einige ältliche Damen verdient, dann sollen Sie einmal sehen, wie willkommen Sie sind.« Und dem jungen adlichen Handlanger vergnügt zulächelnd, betrat er mit seiner Frau das Haus und stieg die Treppe hinauf.
Eduard von Benner, wie der junge Mann hieß, gehörte einem der ältesten und edelsten Geschlechter Deutschlands an; seine Verwandten bekleideten daheim die höchsten Ehrenstellen und gehörten zu den reichsten und vornehmsten Familien, ja gehören noch dazu, während er hier, als Handarbeiter in dem fremden Lande, mit saurem Schweiß sein Brod verdienen mußte. Wenn er sich aber auch in diese Nothwendigkeit gefügt, war ihm doch der alte trotzige Sinn geblieben, der ihn schon daheim aus dem Vaterland getrieben, und ein spöttisches Lächeln zuckte um seine fest zusammengepreßten Lippen, als der kleine vergnügte Mann an ihm vorüberschritt.
»Krämerseele,« murmelte er vor sich hin, während er ihm mit unterschlagenen Armen nachsah, »weil Du die dicken arbeitsharten Fäuste in Glacéhandschuhen herumträgst, und Dir das rothseidene Schnupftuch hinten aus einer Fracktasche heraussieht, protegirst Du den Baron – es wäre bei Gott zum Todtschießen, wenn man nicht eben darüber lachen müßte. – Aber hol der Teufel die Grillen,« setzte er mit zusammengebissenen Zähnen hinzu – »ich bin nun einmal in dies tolle Leben mitten hineingesprungen und will Euch beweisen, daß ich die Kraft habe es durchzuführen. Eduard von Benner, Sohn des Regierungs-Präsidenten, Neffe des Kammerherrn, Enkel des allmächtigen Ministers Sr. Majestät – bah, so viel für all den Narrenkram, den sie daheim zum Ekel treiben, – haben sie's denn anders haben wollen, haben sie mich nicht mit Gewalt der tausend Thaler wegen zum Aeußersten gezwungen? Jetzt mögen sie auch selber die Folgen tragen.«
»Nun, Benner, so finster?« lachte eine fröhliche Stimme und eine Hand legte sich auf des jungen Mannes Schulter. »Sie schneiden wahrhaftig ein Gesicht, das eher zu einem Trauermarsch, als zu dem eben da beginnenden lustigen Rutscher paßt.«
»Ah, Doctor,« nickte ihm der junge Mann zu, – »Sie noch hier? Ich glaubte, Sie wären nach Adelaide.«
»Morgen früh,« sagte der Doctor vergnügt, der aber auch nicht so aussah, als ob er einen Ball besuchen wolle, denn er trug Wasserstiefeln und einen kurzen braunen Rock – »Sie werden wohl schon davon gehört haben; meine Frau ist mir wieder einmal davon gelaufen, und ich will sehen, ob ich sie einfangen kann; aber den heutigen Abend möchte ich nicht versäumen.«
»Sie nehmen's kaltblütig.«
»Bah, was will man machen? – Verwünschte Noth, die man hier in Australien mit dem Frauenvolk hat. Ich habe in meinem Leben nicht so viel von weggelaufenen Frauen gehört, wie hier; es muß ordentlich in der trocknen Luft liegen. – Aber gehn wir nicht lieber hinauf? – Alles drängt schon der Musik zu –«
Er hatte Recht; während die Musik oben begann, kamen die Gäste in Masse von der Straße herein, und ein ganzer Trupp Bauermädel, die draußen, eine die Hand der anderen gefaßt, straßenbreit gegangen waren, drängten jetzt lachend und kichernd, ohne einander aber loszulassen, in die Hausflur, sich wie in einer Kette die Treppe hinaufziehend.
»Alle Wetter,« rief der junge Baron Benner, »da sind prächtige Mädels drunter. Wie ist's, Doctor, wollen wir's riskiren?«
»Verdammt wenig zu riskiren,« brummte der Doctor zurück, »aber zum Tanzen hab' ich keine Lust; unsere Skatpartie wird bald zusammenkommen, und dann bin ich für den Abend besetzt.«
»Mit Ihren langweiligen Karten,« lachte Benner, »da lob' ich mir den Tanz, denn bei dem kann man sich doch einmal tüchtig austoben – kommen Sie.«
»Sie haben wohl noch nicht genug Bewegung, Herr Baron,« lachte jetzt ein Anderer der vorüber Drängenden, der kleine Apotheker Schrader, – »Donnerwetter, ich sollte doch denken, daß das Backsteintragen den ganzen Tag Einem die Lust zum Springen benähme.«
»Sie setz' ich noch mit auf meine Last oben drauf, Schrader,« lachte aber Benner trotzig zurück, – »und spürt' es nicht einmal.«
»Danke schön,« lachte der Abgefertigte und humpelte die Treppe hinauf, während der junge Adlige ärgerlich ein leises, aber doch noch ziemlich vernehmliches »Pillendreher« hinter ihm drein murmelte.
»Sie, Schrader,« redete diesen da ein anderer dicker behäbiger Herr an, der ebenfalls mit ihm hinaufstieg, – einer der Capitaine eines in Adelaide-Port liegenden Kauffahrteischiffes – »wer zum Henker war denn der junge Mensch, den Sie da eben »»Baron«« anredeten? Das Gesicht kam mir so merkwürdig bekannt vor.«
»Ah, Sie meinen den Herrn Baron von Benner,« lächelte der Apotheker. »Während sich sein Papa daheim mit den Regierungssorgen des ganzen Staates abquält, trägt sein Herr Sohn hier derweile Backsteine für die einzelnen Theile desselben.«
»Alle Wetter,« rief der Capitain erstaunt aus, indem er stehen blieb und Schrader's Arm faßte, »das ist doch nicht der Sohn von unserem Regierungs-Präsidenten?«
»Derselbe,« nickte der Apotheker, – »aber kommen Sie, deshalb brauchen Sie doch nicht stehen zu bleiben: da passiren hier viel wunderlichere Geschichten, als daß ein Sohn von einem Regierungs-Präsidenten oder Minister, oder sonst was, Handlanger wird und Backsteine die Leiter hinaufschleppt. – Sehen Sie da oben den jungen Herrn mit dem prachtvollen ungarischen Schnurrbart und den lockigen Haaren?«
»Er sieht aus wie ein Offizier,« nickte der Capitain.
»Ja wohl, war es auch,« nickte der Apotheker, – »jetzt ist er beim Friedensrichter – einem englischen – Kindermädchen.«
»Unsinn,« lachte der Capitain.
»Unsinn?« sagte der Apotheker, – »hat sich was mit Unsinn. In Australien giebt's gar keinen Unsinn, und die merkwürdigsten Geschichten sind hier schon vorgefallen. Da ist dem Härtel, dem Wundarzt sein Mädel, wissen Sie, was die wurde, als den Vater der Schlag rührte? – Barbier!« Der Capitain lachte laut auf.
»Und was treibt der junge Benner hier?« sagte er, als sie jetzt mitsammen den Saal betraten und dem »Büffet« zuschritten, – »doch nicht wirkliche Handlangerdienste?«
»Wirkliche, ordinaire Handlangerdienste,« bestätigte aber Schrader, »und was soll er sonst treiben? Derartige junge Herren haben im alten Vaterland gewöhnlich nichts weiter gelernt, als das ihnen regelmäßig gelieferte Geld so rasch und unregelmäßig als möglich wieder unter die Leute zu bringen. Wachsen sie dann heran, so giebt man ihnen irgend einen fetten und angenehmen Posten, bei einer Gesandtschaft, oder sonst wo, auf dem sie Nichts zu thun haben, und wenn sie der Staat dann eine Weile ernährt hat, erhalten sie für treue Dienste ein halbes Dutzend Orden und Pension. Hier in Australien aber heißt's: Friß Vogel oder stirb – arbeite oder hungere, denn umsonst wird hier Nichts gereicht. Was soll die Art aber nun arbeiten? Um selbst etwas fertig zu bringen, was ein anderer Mensch brauchen kann, dazu sind sie zu ungeschickt, und da bleibt ihnen dann zuletzt Nichts weiter übrig, als anzunehmen was sich gerade bietet, nur um das Bischen Leben zu fristen.«
»Aber ist das nicht aller Ehren werth,« sagte der Capitain, »wenn sie das wirklich thun?«
»Wenn sie nicht müßten, ja,« lachte der Apotheker, »aber es bleibt ihnen keine andere Wahl. Der Knüppel ist eben an den Hund gebunden.«
Ihr Gespräch wurde hier unterbrochen, denn der Tanz hatte begonnen, und die Paare kamen mit solcher Schnelligkeit, und in so rascher Reihenfolge angeflogen, daß die Zuschauer nur suchen mußten aus dem Weg zu kommen, um nicht überrannt zu werden.
Der junge Benner war übrigens mitten dazwischen, und hatte sich schon unter der Gruppe der Mädchen eine der flinksten Tänzerinnen herausgesucht, mit der er sich lustig im Kreise schwenkte. Der frühere Lieutenant, ein Herr von Krowsky, hielt sich dagegen mehr zu den Honoratiorentöchtern, und allerdings hatte man hier die Wahl, denn der Ball glich wirklich weit eher einer Art von Maskerade, als einem gewöhnlichen Tanzvergnügen.
Alle Stände schienen vertreten, und vom feinsten Ballcostüm an, das besonders ein junger, neu eingetroffener Arzt zur Schau trug und mit seiner weißen Weste und Cravatte, wie Strümpfen und Schuhen, wie vollkommen tadellosen Frack Aufsehen erregte, bis zu dem Bauer mit dem dreieckigen Hut, die kurze qualmende Pfeife im Munde oder Doctor Polzig in Wasserstiefeln, war Alles vertreten.
Ebenso bei den Damen; einige der jungen Mädchen und Frauen, unter ihnen Schrader's Tochter und die Frau Becher, hatten wirklich geschmackvolle Balltoilette gemacht, mit der sie in jedem Casino hätten erscheinen können. Nur die um die Taille gebundenen weißen Taschentücher gaben Zeugniß der gemischten Gesellschaft, da die wenigsten Herren Handschuh trugen. Die Bauermädchen dagegen verschmähten selbst diesen Schutz gegen kleine Unbequemlichkeiten des Lebens, und ihre weißen großen Taschentücher an einem Zipfel in den sonngebrannten arbeitstüchtigen Händen haltend und hin und herschlenkernd, prangten sie in all dem Schmuck ihres heimischen Dorfes, mit silbernen Ketten und Ohrringen, mit großen Bändern auf den Hauben, oder auch bunte Tücher um den bloßen Kopf gebunden – aber Alle trugen Strümpfe, obgleich sie die sonst nur Sonntags in der Kirche an die Füße brachten, und Alle sahen vergnügt und glücklich aus. Dazwischen aber bewegten sich auch die Handwerkerstöchter in schlichten Kattunkleidern, mit natürlichen Blumen im Haar, und manche schmucke, niedliche Gestalt war unter ihnen. Ja selbst die Dienstmädchen hatten vollkommen freien Zutritt zu dem Ball und manche »Honoratiorentochter« »schimmelte« an der Wand, während sich ihre jugendfrischere Magd mit den jungen Herren lustig im Kreise schwenkte.
Aber keine Unordnung fiel vor; wenn auch einmal Einer der jungen wilden Burschen einen hellen Juchzer mit »unse Kirmeß« in der Erinnerung an die heimathlichen Freuden ausstieß; sie Alle wußten, daß sie dabei auf Ordnung halten mußten. Der junge Braunhofer, ein Bauernsohn, hatte der Frau Becher nicht zu viel versprochen, wenn er ihr sagte, sie solle keine Furcht haben, und in harmloser Lustigkeit verbrachte das fröhliche Völkchen seinen Abend.
Der englischen Gerichtsbarkeit war das ebenfalls bekannt. Hatte das eine englische Wirthshaus im Ort einmal Tanzmusik, so mußte die ganze Polizei die Nacht auf den Beinen sein und war selbst dann oft nicht im Stande, einen Tumult zu verhüten. Hielten die Deutschen dagegen Ball, so sah man keinen Policisten auf der Straße oder in der Nachbarschaft, und nur zuweilen kam die Behörde selber mit der Cigarre im Munde und einem ganz vergnügten Gesicht, um ein wenig zuzusehen, oder wohl selber einen Tanz zu wagen.
Der junge Benner war übrigens an dem Tage einer der fleißigsten Tänzer gewesen, und dabei nicht etwa wählerisch in seinen Ansprüchen an Rang oder Stand. Am allermeisten tanzte er sogar mit einem jungen Mädchen, einer reizenden Blondine. Sie war ein bildhübsches Kind, aber nur eine Schusterstochter, die bei dem Apotheker Schrader in Dienst stand, und Madame Schrader selber fühlte sich so entrüstet darüber, daß sie ihm, als er auch sie einmal aufforderte, mit gerümpfter Nase den Rücken drehte und meinte, sie »wolle ihre Jette nicht berauben.«
Jetzt war Pause. Benner hatte seine Tänzerin zum Büffet geführt, wo sie ein Glas Punsch mitsammen tranken, und schlenderte dann Arm in Arm mit dem früheren Lieutenant Krowsky im Saal herum.
»Du scheinst Dich zu amüsiren,« sagte dieser, der sich seinerseits ziemlich zurückgehalten hatte. Er war erst kurze Zeit in der Colonie und an das wunderliche Leben noch nicht gewöhnt.
»Und weshalb nicht?« lachte Benner, »zu was Anderem sind wir hier? Mir kommt Australien immer wie so eine Art unterseeische Stadt, wie eine Traumwelt vor, in die uns das Schicksal geworfen hat, und wir machen jetzt den hiesigen Meerweibchen den Hof, wie wir es früher den Baronessen und Comtessen gemacht haben.«
»Ja,« sagte Krowsky, »so würde ich es mir auch gefallen lassen, wenn ich die Gewißheit hätte, daß ich morgen früh in meinem Bett daheim wieder aufwachte, aber – hol' mich der Teufel, Benner, ich glaube, wir haben einen verflucht dummen Streich gemacht, daß wir uns hierher verloren, und ich wenigstens sehe noch gar kein Ende ab, wie wir wieder mit Ehren wegkommen wollen.«
»Wieder wegkommen?« lachte Benner trotzig, »und wer denkt daran? Das frühere Leben haben wir abgeschüttelt – für Deutschland sind wir doch todt und begraben – die Oberwelt will uns nicht wieder und kann uns nicht gebrauchen, so jetzt denn mit beiden Füßen in dies tolle Treiben hineingesprungen und durchgeschwommen – es kann eben Nichts helfen.«
»Ja, das ist Alles recht schön und gut,« seufzte der Lieutenant, »wenn nur eben die Erinnerung nicht wäre.«
»Bah!« lachte der junge Baron trotzig, – »Erinnerung! Kannst Du selber zurück? – Bist Du im Stande, daheim wieder in die alten, einmal verlassenen Verhältnisse einzutreten?«
»Wenn ich's wäre, Benner, bei Gott, ich bliebe keine Stunde länger in dem verwünschten Lande – aber es geht nicht.«
»Nun also,« rief sein Kamerad, »den Kopf hoch und diese holzköpfigen Bauern nicht merken lassen, daß wir uns nur im Geringsten hier außer unsrer Sphäre fühlen. Was die können, können wir auch, und ich wenigstens will ihnen beweisen, daß ich mich nicht vor dem australischen Leben fürchte – ich heirathe und werde australischer Familienvater.«
»Du bist verrückt,« lachte Krowsky – »wen? eine der reichen Bauerstöchter? Da kannst Du erleben, daß Bauer Hinz oder Kunz dem Herrn Baron von Benner kurz ab den Stuhl vor die Thür setzt, weil er seine Tochter nicht will eine Mesalliance machen lassen, – d. h. weil sie Geld hat und Du nichts.«
»Und glaubst Du, daß ich mich dem aussetzen würde? – Ich will das Geld der lumpigen Bauern nicht; ich brauche es nicht und kann ihnen – und denen daheim beweisen, daß ich selber im Stande bin, meinen eigenen Hausstand zu gründen. – Ich heirathe des Schusters Tochter – meine Tänzerin.«
»Du bist toll,« rief Krowsky, – »des Apothekers Dienstmagd? Und glaubst Du, daß Deine Familie das zugeben würde?«
»Meine Familie?« lachte Benner bitter vor sich hin, »die hochadelige Sippschaft, wie sie die Nasen rümpfen und wüthen und schimpfen werden, und die Tante, die Staatsdame, hahaha! Könnte ich nur dabei sein, wenn sie's erführen – wie sie die Hände zusammenschlagen und in ihrem Kaffeeklatsch die entsetzliche Neuigkeit besprechen, daß der Sohn des Regierungspräsidenten, der Enkel des Ministers, ein Dienstmädchen geheirathet hat.«
»Aus Dir spricht der Punsch heute Abend,« sagte Krowsky ruhig, weil er ihn durch weiteren Widerspruch nur noch mehr in der tollen Idee zu bestärken fürchtete, – »morgen reden wir weiter darüber – da beginnt der Tanz wieder; ich habe die tolle Wirthschaft übrigens satt und werde nach Hause gehen und mich schlafen legen. Kommst Du mit?«
»Ich denke gar nicht d'ran,« lachte Benner, »jetzt geht die Lust erst los, und ich bin bei meiner Braut auch auf den Cotillon engagirt.«
»Benner, mach' keinen Unsinn,« sagte Krowsky, »und setz' dem armen Mädel nicht etwa gar tolle Dinge in den Kopf – Du willst doch nicht ewig in Australien bleiben?«
»Will ich nicht?« rief Benner trotzig, »und glaubst Du, daß ich hier solche Arbeit verrichtete, wenn ich nicht fest entschlossen dazu wäre? Sobald ich Geld genug zusammen habe, um mir nur hundert Schafe zu kaufen, werde ich Stationshalter, und in zehn Jahren bin ich ein reicher Mann – aber da beginnt der Tanz.« – Und während sich Krowsky, wirklich des Gewirres müde, der Thür zuarbeitete, um an die frische Luft zu kommen, suchte Benner seine Tänzerin wieder auf und gab sich mit wahrhaft ausgelassener Fröhlichkeit dem Vergnügen hin.
Wochen waren seit dem letzten Ball vergangen und Krowsky und Benner indessen oft zusammengewesen. Beide bedurften auch einander gegenseitig, denn mit wem Anderen hätten sie sich aussprechen können, wer anders hätte sie verstanden oder ihre verschiedenen Lebensansichten getheilt? Aber nie kam der Lieutenant auf jene Andeutung zurück, die ihm Benner am Ballabend gemacht, und die er natürlich für ein nur im halben Rausch gethanes Prahlen hielt. Benner konnte sich solcher Art doch auch wahrlich nicht den Rückweg in die alte Heimath muthwillig und für immer abschneiden, was durch eine solche Heirath jedenfalls geschehen wäre, und je weniger deshalb darüber gesprochen wurde, desto besser.
Ihre Zusammenkünfte in der Woche waren auch wirklich sehr spärlich, und Beide zu sehr und anhaltend beschäftigt; Abends auch viel zu müde, um noch nach vollbrachter Arbeit lange aufzusitzen.
Und was trieben Beide, die daheim nur in der haute volée gelebt, nur in den ersten Cirkeln der Stadt ihre Gesellschaft gesucht und nie davon geträumt hätten, mit dem »gemeinen Mann« in anderer Art, als wie zwischen Dienern und Herren zu verkehren? Womit beschäftigten sie sich hier, nachdem sie, übersättigt von den mißbrauchten Genüssen des Lebens, die Geduld ihrer Verwandten ermüdet, in tollem Jugendtrotz eine neue Welt aufgesucht, um hier herüber wo möglich ihr altes Leben zu tragen? Waren die Träume erfüllt, mit denen sie sich die transatlantische Erde ausgemalt? waren ihre Ideale zur Wirklichkeit geworden? –
Der Apotheker Schrader hatte nicht Unrecht, wenn er behauptete, Herr von Benner sei Handlanger und Herr von Krowsky Kindermädchen geworden.
Benner war nicht im Stande gewesen, in Adelaide irgend eine ihm nur halbweg zusagende Beschäftigung zu finden, denn man konnte ihn eben zu nichts gebrauchen. Daß er eine leidliche Hand schrieb, genügte nicht – es wurde bei Jedem außerdem vorausgesetzt. Und seine übrigen Fähigkeiten zeigten sich sehr geringer Art. Er ritt allerdings ausgezeichnet und spielte vortrefflich Whist und Billard, aber zu alle dem brauchte ihn Niemand. Als das wenige mitgebrachte Geld endlich verzehrt war, wanderte er in Verzweiflung zu Fuß nach Tanunda und fand hier Arbeit bei einem deutschen Maurer, der gerade Tagelöhner brauchte. Er mußte eben leben und war zu stolz zum Betteln. Im ersten Vierteljahr ging es ihm freilich sehr knapp, aber bald arbeitete er sich hinein, so daß er schon im Stande war, eine einfache Mauer aufzuführen und sonstige kleine Arbeiten zu machen. Sein Lohn stieg damit, und da er Abends manchmal und regelmäßig Sonntags, für die deutsche Zeitung in Adelaide – allerdings um ein sehr mäßiges Honorar correspondirte, begannen sich seine Aussichten zu bessern.
Von Krowsky lebte in ganz ähnlichen Verhältnissen; nur hatte er sich nicht dazu bequemen können, bei deutschen Handwerkern in Arbeit zu gehen. Er wollte arbeiten, ja, so hart wie Einer, aber die deutschen Erinnerungen waren ihm noch zu frisch im Gedächtniß, und da er ziemlich gut englisch sprach, fand er endlich im Haus des Friedensrichters ein Unterkommen. Dort wurde er theilweise mit der Feder beschäftigt, mußte aber auch im Garten mit anfassen, und die junge Frau des Richters, wenn sie mit ihrem Mann spazieren ging, verwandte ihn gar nicht etwa so selten dazu, in der Zeit »ein wenig auf das Kind Acht zu geben.« Krowsky war dabei wirklich sehr gutmüthiger Natur und hatte Kinder gern: daß er dann zu Zeiten das Kleine auf den Arm nahm und damit herum tanzte, war natürlich. Der Volkswitz bemächtigte sich aber auch rasch dieser Thatsache und eintreffenden Fremden besonders wurde mit Vorliebe erzählt, daß sie hier einen österreichischen Offizier hätten, der Kindermädchen geworden wäre.
Es war wieder ein Sonntag Abend und Krowsky ging ungeduldig in seinem kleinen Zimmer auf und ab, da Benner versprochen hatte, dort vorzusprechen, aber er kam heute spät, und der junge Mann hatte eben seinen Strohhut aufgegriffen, um selber fortzugehen, als der Freund in der Thür stand und lachend ausrief:
»Du bist ungeduldig geworden, wie?«
»Du bist in der That länger geblieben, als ich dachte.«
»Und wenn Du wüßtest, wo ich gewesen bin,« sagte Benner, »und was ich in der Zeit Alles gethan habe, würdest Du mir doch eingestehen müssen, daß ich mich wacker geeilt?«
»Und wo warst Du?«
»Beim Schuhmacher Peters.«
»Läßt Du bei dem jetzt arbeiten?«
»Natürlich werde ich bei meinem Schwiegervater arbeiten lassen,« lachte Benner, »ich darf ihm doch die Kundschaft nicht aus dem Haus hinaustragen.«
»Deinem Schwiegervater? Mensch, bist Du toll?« schrie Krowsky wirklich erschreckt.
»Die Sache ist abgemacht,« sagte aber Benner in voller Ruhe, »ich habe bei ihm in aller Form um die Hand seiner Tochter Henriette angehalten, und wenn ihm auch im Anfang die Verwandtschaft zu vornehm war, willigte er zuletzt ein.«
»Er hat eingewilligt?« rief der Lieutenant.
»Wundert Dich das?« lachte Benner. – »Anfangs wollte er allerdings nicht. Er fragte mich, ob es wahr sei, daß mein Großvater Minister gewesen und mein Vater noch bei der Regierung wäre, und als ich das nicht ableugnen konnte und wollte, schlug er mir das Mädel rund ab.«
»Weißt Du, daß der Schuhmacher der Vernünftigere von Euch Beiden war?«
»Ich danke Dir. – Traust Du mir nicht zu, daß ich weiß was ich thue?«
»Wenn Du die Schusterstochter wirklich heirathest, nein,« sagte Krowsky finster, – »und zu einem Spiel ist das arme blutjunge Ding zu gut.«
»Krowsky, Du pochst wirklich auf unsere Freundschaft.«
»Weil ich Dir ehrlich die Wahrheit sage? Wie alt bist Du?«
»Sieben und zwanzig Jahre! – Ich denke, ich bin mündig.«
»Leider!« seufzte der junge Offizier. »Und wie willst Du mit der Frau je nach Deutschland zurückkehren?«
»Aber wer sagt Dir denn, daß ich das will?« rief Benner heftig aus. »Meine Seele denkt nicht daran. Mit meiner Familie bin ich fertig – meine Mutter ist todt, mein Vater, ein starrer Büreaukrat und Geldmensch, hat mich mit kaltem Blut, mit eiserner Ueberlegung von seiner Schwelle verstoßen. Glaubst Du, daß ich ihm je wieder bittend nahen würde?« –
»Aber er selber kann Dich zurückrufen.«
»Wenn Du ihn kenntest, würde Dir nie ein solcher Gedanke möglich scheinen. – Nein – aber selbst wenn er es thäte, wenn ihn reute, wie er an dem einzigen Sohn gehandelt, es wäre jetzt zu spät, und er mag nun büßen, was er an mir verbrochen.«
»Aber Benner,« sagte Krowsky treuherzig, »Du sprichst da wahrhaftig wie ein Kind, das seinen Trotzkopf behauptet. Wen strafst Du denn damit am meisten, Dich selber oder ihn? Komm, überleg' Dir die Sache ordentlich, und Du wirst doch am Ende zu einem anderen Entschlusse kommen.«
»Mein guter Krowsky,« sagte der junge Mann, »Du wirst jetzt sentimental, und von einem anderen Entschluß kann keine Rede sein. Ich will und werde in Australien bleiben, denn ich sehe, daß Tausende von Menschen, denen wir Beide an Intelligenz bei Gott nicht nachstehen, hier ihr Glück machen und reich werden. Ich denke aber auch gar nicht daran, ein elendes Junggesellenleben die ganzen langen Jahre zu führen, – ich brauche Jemanden, der sich um mich bekümmert, weil ich das selber noch nie gethan habe, und meine kleine Henriette scheint mir dazu gerade das richtige Wesen; ich hätte keine bessere Wahl treffen können.«
»Nun Gott gebe,« sagte Krowsky mit einem Seufzer, »daß sie das Nämliche auch einmal später von Dir sagen kann. Wenn Du in Dein Unglück hineinrennen willst, ich kann Dich nicht halten, aber meine Meinung ist, daß Du Dich für Lebenszeit unglücklich machst, und das Mädchen besser thäte, den ärmsten Schuhmachergesellen im ganzen Ort zu nehmen, als den Sohn des Regierungspräsidenten von Benner.«
Benner sah finster vor sich nieder; er hatte von dem sonst so leichtherzigen, ja oft leichtfertigen Lieutenant ein anderes Urtheil erwartet; aber das dauerte nicht lange – um seine Lippen zuckte ein spöttisches Lächeln und er sagte endlich:
»Krowsky, ich werde Dich ersuchen die Trauungsrede zu halten, heißt das, wenn Du Dich je wieder einmal in eine so salbungsvolle Stimmung versetzen kannst. Jetzt komm, wir wollen ein wenig ausgehen, und nachher stell' ich Dich meiner Braut vor –«
»Im Hause des Apothekers Schrader?« spottete Krowsky, »sie wird gerade bei ihrer Arbeit sein.«
»Aergere mich nicht,« rief aber Benner; »es versteht sich von selbst, daß sie den Platz noch heute verläßt oder schon verlassen hat.«
»Und wann soll die Hochzeit sein?«
»Sobald als möglich – ich bin das Leben satt und will ein neues beginnen.«
Krowsky antwortete nicht mehr; er sah, daß alle Gegenvorstellungen doch nichts halfen, und nur aufseufzend und mit dem Kopf schüttelnd, nahm er seinen Hut und folgte dem Freund, der ihm voran auf die Straße hinausschritt.
Sie waren noch nicht weit gegangen, als ihnen der Apotheker Schrader begegnete, den beiden jungen Leuten zunickte und vorüber ging. Kaum hatten sie ihn aber passirt, als er stehen blieb und zurückrief:
»Ach, Herr Benner, ich wollte Ihnen gern etwas sagen.«
»Mir, Herr Schrader?« fragte Benner, sich halb nach ihm wendend, ohne Krowsky's Arm aber loszulassen.
»Ja – Sie entschuldigen – aber – ich wollte Sie bitten, mein Mädchen, die Jette zufrieden zu lassen. Es ist ein braves, ordentliches Kind und ihre Eltern haben sie unter meinen Schutz gestellt.«
»In der That, Herr Schrader,« sagte Benner lächelnd.
»In der That, Herr Baron,« erwiderte der kleine Apotheker, durch den höhnischen Ton ebenfalls gereizt.
»Und kommen Sie jetzt von Hause oder gehen Sie dorthin?«
»Und weshalb, wenn ich fragen darf? Ich gehe nach Hause.«
»Oh, bitte, dann sagen Sie doch Henrietten,« fuhr Benner ebenso fort, »daß sie sich mit Einpacken ein wenig eilen möchte. Es wird nachher Jemand vorkommen, der ihre Sachen abholt.«
»Ihre Sachen abholt?« rief der Apotheker, und blieb in größtem Erstaunen auf der Straße stehen.
»Guten Morgen, mein lieber Herr Schrader,« sagte Benner, ihm vertraulich zunickend, und schritt mit Krowsky die Straße hinab, dem Hause des Schuhmachers Peters zu.
Dort herrschte heute keine sonntägige Ruhe, wie sonst immer an einem solchen Tag, wo Mutter und Tochter in die freichristliche Kirche gingen und der Vater indessen, der, wie er meinte, »vom Kirchengehen nichts hielt,« in schneeweißen Hemdsärmeln behaglich hinten in seinem kleinen Garten saß, aus einem großen, nur Sonntags gebrauchten Meerschaumpfeifenkopf rauchte und dazu die eben eingetroffene Adelaide-Zeitung laß.
Henriette, ein junges, wirklich bildhübsches Mädchen, mit blonden Haaren und großen treublauen Augen, saß in der Ecke und weinte; der Vater ging mit großen Schritten im Zimmer auf und ab und qualmte, daß der Dampf wie aus einer Locomotive hinter ihm drein zog, und nur die Mutter, eine noch rüstige Frau, mit einem klugen, nur etwas scharf markirten Gesicht, saß am Fenster, strickte und schien die allgemeine Aufregung nicht zu theilen.
»Es thut kein Gut – es thut kein Gut,« brummte dabei der Mann zwischen den Zähnen durch, »Du wirst sehen, Alte –«
»Jetzt sei endlich vernünftig,« sagte aber die Frau, »Du hast einmal eingewilligt, also ist die Sache abgemacht, und daß die Kinder ihr Brod finden werden – lieber Gott, hier in Australien hat Jeder sein Brod, der nur arbeiten will, und ein verheiratheter Mann noch viel eher, als ein lediger, denn er ist nicht aufs Wirthshaus angewiesen, wo die ledigen Burschen das gewöhnlich in einem Tag verjubeln, was sie in sechsen mit schwerer Arbeit verdient haben.«
»Aber aus so vornehmer Familie – Du kennst die Leute daheim nicht, Alte, und wenn –«
»Aber was haben wir mit den Leuten daheim zu thun?« sagte die Frau ungeduldig. »Wir sind hier in Australien, am anderen Ende der Welt, und wer da sitzt der braucht sich wahrhaftig nicht mehr um die deutschen Barone und Grafen und Minister zu kümmern – weiter fehlte gar nichts.«
»Und wenn er wieder einmal dorthin zurückkehren will?«
»Dann wird ihm unser Kind auch keine Schande machen,« sagte die Mutter mit Stolz auf das erröthende Mädchen blickend. »Er kennt doch die Verhältnisse daheim besser und genauer als wir, und wenn's ihm recht ist, dürfen wir auch damit zufrieden sein.«
»Und wenn er sie sitzen läßt?« sagte der Vater störrisch.
»Das wird er nicht thun, Vater,« sagte da das junge Mädchen mit fester, vertrauensvoller Stimme, – »er ist gut und brav, und auch guter und braver Leute Kind, – er wird ein armes Mädchen, das ihn lieb hat, nicht unglücklich und elend machen, wenn er ihr erst gesagt hat, daß er nicht ohne sie leben kann.« –
»Na, denn in Gottes Namen und meinetwegen,« rief der Vater in Verzweiflung aus, »gegen Euch Frauensleute ist doch nicht anzukommen, wenn Euch der Dünkel einmal den Kopf verdreht hat – Baron, – Baron und Frau Baronin, nicht wahr? – ich erleb's noch, daß Du Dich so nennst.«
»Lieber Vater!« bat Henriette.
»Und warum soll sie sich nicht Frau Baronin nennen?« rief da Benners lachende Stimme, der an der Thür die letzten Worte gehört hatte, und ins Zimmer sprang, »wie Jettchen? Klänge für Dich etwa der Titel schlechter, als für irgend ein abgelebtes, pergamenthäutiges Schreckbild der vornehmen Gesellschaft im alten Vaterland?«
»Mein lieber, guter Eduard,« sagte das junge Kind, schüchtern auf ihn zugehend, während er sie in seine Arme schloß und herzlich küßte, »sei dem Vater nicht böse.«
»Und weshalb, Schatz?« rief der junge Mann, »etwa weil er Dich Frau Baronin nannte? – Aber hier ist ein Freund, mit dem ich Euch bekannt machen möchte – Krowsky, wie gefällt Dir meine Braut?«
Krowsky hatte bis jetzt in der Thür gestanden und die Gruppe schweigend überschaut. Seine Blicke hafteten dabei vorzugsweise auf dem jungen Mädchen, und er mußte sich gestehen, seit langer Zeit kein so liebliches Wesen gesehen zu haben.
Sie war noch blutjung – fast in der That ein Kind, und die Schüchternheit, mit der sie ihm in diesem Moment gegenüberstand, machte sie vielleicht noch jünger erscheinen, als sie an Jahren zählte. Die Wahl, wie er sie auch mit kälterem Blute sonst mißbilligen mochte, stellte jedenfalls ein gutes Zeugniß für Benners Geschmack aus – aber würde sich dieser, selbst durch ein so liebliches Wesen, für seine ganze Lebenszeit binden lassen?
Lieutenant Krowsky hatte sich seine ganze Lebenszeit durch einen fast übergroßen Leichtsinn ausgezeichnet und daheim eine so tolle Jugend verlebt und so viele Schulden dabei gemacht, wie vielleicht irgend ein Lieutenant seines Alters in der ganzen Welt. Aber das eine Jahr, das er in Australien zugebracht, schien eine merkwürdige Veränderung in ihm bewirkt zu haben. Wie er sich in diesem Lande keine lebenslängliche Existenz denken konnte, ohne zu verzweifeln, und mit heißer Sehnsucht der Zeit dachte, wo er in das Vaterland zurückkehren könne, glaubte er, daß auch alle anderen Menschen, wenigstens Benner, so denken müßten, und es war ihm dann ein recht wehes, schmerzliches Gefühl, wenn ihm das Schicksal dieses armen, unschuldigen und ahnungslosen Wesens vor die Seele trat. – Doch was konnte er bei der Sache thun? Abgeredet hatte er genug, aber nichts damit erreicht; Benner war fest entschlossen, seinem Kopf zu folgen. – Du lieber Gott, wer weiß, ob er vor einem Jahr nicht noch das Nämliche gethan, und halb verlegen, halb gerührt, und jedenfalls mit weit mehr Herzlichkeit, als ihm sonst eigen war, ergriff er Jettchens Hand und sagte leise:
»Mein liebes Kind, ich will zu Gott hoffen, daß Sie sich immer so froh und glücklich fühlen, wie gerade heute, und daß nie ein Kummer oder eine Sorge die Rosen auf diesen Wangen bleichen mögen.«
»Bravo, Krowsky,« rief Benner lachend, »Du hast heut wieder Deinen salbungsreichen Tag und triffst nach beiden Seiten. Es steht Dir vortrefflich.«
»Weißt Du, mein Junge,« sagte Krowsky ernsthaft, »ein Bischen Salbung könnte Dir ebenfalls nicht schaden, denn Du thust einen verdammt wichtigen Schritt; aber daß ich auch fidel sein kann, will ich Dir auf Deiner Hochzeit beweisen, wozu ich mich hiermit feierlichst einlade.«
Anderthalb Jahre waren nach der beschriebenen Scene verflossen, und »Baron Benner« hatte wirklich zum Erstaunen der ganzen Colonie nicht allein »Schrader's Dienstmädchen« geheirathet, sondern auch eine, dem alten Schuhmacher gehörende Section Land bezogen, auf der er sich selber ein kleines Häuschen baute und wacker zu wirthschaften anfing. Er schien in der That nicht zu viel versprochen zu haben, als er damals seinem Freund Krowsky sagte, er wolle ein neues Leben beginnen und mit dem alten vollständig und für immer brechen. Mit eisernem Fleiße hatte er gearbeitet, keine Stunde versäumt, kein Wirthshaus dabei betreten und sich in der kurzen Zeit mit zwei sehr glücklichen Ernten doch schon so viel verdient, daß er es als Grundlage einer künftigen gesicherten Existenz betrachten konnte.
Seine junge Frau hing dabei mit schwärmerischer Liebe an ihm, und Krowsky, der jetzt in Adelaide wohnte, und nach Verlauf eines Jahres noch einmal nach Tanunda hinauskam, um Abschied von Benners zu nehmen, blieb ordentlich überrascht stehen, als ihm das junge blühende Weibchen in all ihrer natürlichen Grazie mit einem prächtigen Jungen auf dem Arm entgegenkam und ihm, wie Purpur erröthend, die Hand reichte.
Krowsky selber verließ Süd-Australien und ging zu Schiff nach Neu-Süd-Wales, er sprach überhaupt davon, Australien vielleicht bald ganz zu verlassen. Er hatte das Leben zum Ueberdruß satt und konnte sich nicht hineingewöhnen – es gab doch nur ein Deutschland.
»Und was hast Du dort drüben?« sagte Benner. »Bist Du im Stande, wieder in die alten Verhältnisse, in die alte Stellung, in die alten Bekanntschaften einzutreten? – Nein, nie. Mittellos, der Spott der früheren Kameraden werden? Bei Gott, das hielte ich nicht aus, und darfst Du denn, mit Deinem Namen – dürfte ich es? – dort arbeiten? Wir wären ausgestoßen aus der Gesellschaft, in die wir dort nun einmal gehören, und würden uns unglücklich und elend fühlen. Nein wahrlich, da bleib' ich lieber hier und gründe mir hier meine eigene Welt, meinen eigenen Kreis. – Geh mir mit Deutschland und seinen schaalen hohlen Begriffen von Stand und Rang, seinen Prätensionen und übertünchten gesellschaftlichen Formen – ich will nichts mehr davon hören.«
Krowsky reiste am nächsten Tag ab, und Benner begleitete ihn bis nach Adelaide auf das Schiff, dann kehrte er nach Hause zurück und nahm das alte Leben wieder auf.
So vergingen noch wieder mehrere Monate; es war in den letzten Tagen des Mai, und Benner mit seiner Flinte in das Maisfeld hinausgegangen, da sich die ersten Kakaduschwärme zeigten und die noch saftigen Maiskolben bedrohten. Die gefräßigen Vögel, ein Schwarm von vielleicht funfzig bis sechszig Stück, die in die benachbarten Gummibäume einfielen, machten auch gleich einen Angriff auf die leckere Beute, flüchteten aber, als sie den Mann aus dem Haus kommen sahen, wieder in die Wipfel der riesigen Bäume hinauf, wo sie ein Schrotschuß gar nicht erreichen, ihnen wenigstens keinen Schaden thun konnte. Dort saßen sie und kreischten und tobten, bis sie richtig den Hauptzug herbeilockten, der gerade von Osten herüberstrich und die Ansiedelungen aufsuchte.
Wie eine weiße mächtige Wolke kam er heran, viele Tausende dieser geselligen Vögel, und mit einem Lärm, der bei stillem Wetter auf Meilen weit hörbar war, fielen sie plötzlich in die benachbarten Bäume ein, daß diese wie beschneit aussahen, so waren sie von ihnen bedeckt.
Benner kannte aber schon die Lebensart der Kakadus und versuchte nicht, an sie anzuschleichen, sondern versteckte sich hinter einen im Feld stehenden alten und abgestorbenen Baum, wo er ruhig und regungslos stehen blieb, bis sich die ziemlich scheuen Vögel endlich überzeugt zu haben glaubten, daß Alles da unten sicher sei. Jetzt löste sich der erste Schwarm aus den Wipfeln ab, vielleicht fünf- bis sechshundert, und strich lautlos in das Feld nieder, gerade über Benner's Kopf weg; da krachte der erste und gleich darauf der zweite Lauf mitten hinein in die Masse, und wie die erschreckten Thiere aufkreischend auseinanderstoben, stürzten zwölf oder vierzehn von ihnen todt oder geflügelt wie ein Regen in das Feld nieder.
Jetzt aber war es, als ob jeder der Vögel sein Bestes thue, den anderen zu überschreien; ein wahrer Höllenlärm entstand, und Hunderte, während die Verwundeten am Boden nicht weniger Spectakel machten, stießen von den Bäumen herab, wie um ihnen beizustehen, oder doch zu sehen, was da vorging.
Der junge Mann hatte indessen in aller Hast seine beiden Läufe wieder geladen, und wie Trupp nach Trupp mit wildem, ängstlichem Geschrei über den Platz wegstrich, suchte er sich wieder den zahlreichsten Schwarm aus und feuerte noch einmal hinein, wieder mit nicht viel schlechterem Erfolg. Das war ihnen zu viel. Daß sie außerdem den Feind nicht sehen konnten, ängstigte sie. Die Gegend kam ihnen zu unsicher vor, von den Bäumen strichen sie ab, kreisten ein paar Mal hoch in der Luft und weit außer Schußweite um den verdächtigen Platz und zogen dann in dichtgedrängtem Schwarm nach Westen hinüber.
Benner war noch damit beschäftigt, die Erlegten zusammenzusuchen und die Verwundeten vollends zu tödten. Die Kakadus haben zwar ein nichtswürdig hartes, dunkelrothes Fleisch und liefern einen nur sehr zweideutigen Braten, geben aber, wie die Ansiedler wenigstens behaupten, eine gute Suppe, und Henriette wußte die auch vortrefflich zuzubereiten. Da hörte er irgend wo im Feld draußen seinen Namen Rufen:
»Herr von Benner! – Herr von Benner!«
»Huhp!« antwortete er, um die Richtung anzugeben, in der er sich befand und richtete sich hoch auf.
»Huhp!« antwortete die Stimme wieder und irgend Jemand arbeitete sich durch den Mais durch nach ihm zu. – »Aber wo stecken Sie denn? Der Teufel kann Sie in dem Gewirr von Stöcken finden.«
»Hier!« antwortete Benner wieder und gleich darauf tauchte das schweißgeröthete Gesicht des kleinen Kaufmanns Becher aus dem Blattdickicht auf und lächelte vergnügt, als er den jungen Mann bei seiner Arbeit entdeckte.
»Hallo!« rief er, »haben Sie aber hier eine Verwüstung im zoologischen Garten angerichtet. Herr der Welt! Was wollen Sie mit all den Kakadus machen?«
»Suppe,« sagte Benner, »und wenn Sie nichts Besseres vorhaben, bleiben Sie bei uns zu Tisch.«
»Danke Ihnen, angenommen!« rief Becher, sich mit einer englischen Flagge dabei die Stirn trocknend. Er hatte nämlich in Deutschland eine bedeutende Quantität baumwollener Taschentücher als solche Flaggen drucken lassen, aber in der deutschen Colonie doch nicht den Absatz dafür gefunden, den er vielleicht erwartete, und nun selber, um damit aufzuräumen, ein Dutzend davon in Gebrauch genommen. »Nach Tanunda käm' ich auch bei der Hitze gar nicht wieder zurück, ohne unterwegs zu schmelzen. Ist das ein Land, dies Australien – Alles verkehrt – rein Alles! Ich habe sogar die Compasse in Verdacht, daß sie heimlicher Weise nach Süden statt nach Norden zeigen, und selbst die Sonne hier im Westen auf und im Osten untergeht – im Stande wär' sie's. – Ha, passen Sie auf, da drüben sitzt noch einer – nehmen Sie sich in Acht, die Racker beißen wie die Teufel – mich hat einmal einer ausgezahlt.«
Benner lachte, zog den bezeichneten Kakadu, der unter einem der dort überall als Unkraut wachsenden Pelargonienbüsche saß, bei einer Flügelspitze vor und schlug ihn vollends todt. Dann raffte er seine, nicht unansehnliche Beute zusammen und machte sich bereit, damit nach Hause zurückzukehren.
»Aber was führt Sie bei der Hitze und Gluth hier in unsere abgelegene Gegend, mein guter Herr Becher?« fragte er, während er neben ihm her dem Haus wieder zuschritt. »Wollen Sie einen neuen Einkauf von Hühnern und Eiern machen, oder werfen Sie sich gar auf die Mehlspeculation, die uns die Preise in die Höhe treibt?«
»Diesmal nicht,« sagte Becher, – »aber bitte, lassen Sie mich doch eine Partie von den Bestien tragen – sie sind doch ordentlich todt?«
»Haben Sie keine Furcht, von denen beißt Keiner mehr. Hier, nehmen Sie die da, wenn Sie sich denn absolut nützlich machen wollen.«
»Danke Ihnen – nein, ich bin nur Ihretwegen heute herausgekommen; ich habe einen Brief für Sie.«
»Einen Brief? Für mich?« rief Benner, erstaunt stehen bleibend, »und woher?«
»Ja, ich weiß es nicht,« sagte der kleine Mann, »er steckt in meiner Satteltasche im Haus – er ist vom ***schen Consulat aus Sydney und nach Adelaide geschickt, von wo er an mich weiter befördert wurde.«
»An Sie?« sagte der junge Mann kopfschüttelnd; »aber was haben Sie denn mit dem ***schen Consulat zu thun?«
»Ja, sehen Sie,« lächelte Becher etwas verschämt, »Sie wissen doch, daß ich aus Anhalt-Köthen bin, und da habe ich schon seit einiger Zeit das Anhalt-Köthensche Consulat für Tanunda bekommen, um die Interessen unserer Staatsangehörigen zu vertreten.«
»Alle Wetter!« rief Benner, »da wird Ihnen verwünscht wenig Zeit für Ihre übrigen Geschäfte bleiben.«
»Ach nein,« meinte der kleine Mann, doch ein wenig verlegen, »eigentlich ist dies die erste Besorgung die ich bekommen, denn unserer Staatsangehörigen haben wir keinen einzigen in der ganzen Colonie. Aber wissen Sie, es hat doch auch manche Annehmlichkeit Consul zu sein und – meine Frau freut sich besonders darüber.«
Sie waren indessen an das Haus gekommen, wo Benner's junge Frau schon, sie erwartend, mit dem Kind auf dem Arm, in der Thür stand und ihnen freundlich zuwinkte. Und wie jubelte der Kleine, als ihm der Vater die erlegten Vögel zeigte und ihm dann einen Flügel zum Spielen abschnitt.
Becher war indessen geschäftig zu seiner Satteltasche gelaufen, um den Brief zu holen, der mit einem großen, aber schon breitgeschmolzenen Consulatssiegel verschlossen war, daß man das Wappen nicht einmal mehr erkennen konnte. Die junge Frau betrachtete dabei mit einem ihr selbst unerklärlichen beängstigenden Gefühl das große, wie amtliche Schreiben, das ihr Gatte noch immer kopfschüttelnd in der Hand hielt.
»Was um Gottes willen kann nur das ***sche Consulat an mich zu schicken haben,« sagte er dabei, als er die Adresse las. »Herrn Freiherrn Eduard von Benner zu Adelaide in Süd-Australien – Freiherrn – ja wahrhaftig, ein Freiherr bin ich im wahren Sinn des Worts, wenn auch wohl nicht in der Art, wie die Adresse meint – und von wem der Brief nur sein kann?«
»Aber warum brechen Sie ihn denn nicht auf?« sagte Becher, »da erfahren Sie ja gleich die ganze Mordgeschichte.«
»Mordgeschichte?« rief die Frau erschreckt.
»Oh Jemine,« lachte Becher abwehrend, »so war es ja nicht gemeint, – ich weiß ja gar nicht was d'rin steht, nicht einmal wo er her ist. Vielleicht ist es ja auch etwas recht Gutes, eine Erbschaftsangelegenheit möglicher Weise, oder ein Lotteriegewinnst – wer kann denn wissen, was in einem solchen Consulatsbrief steht?«
Benner hatte das obere Couvert abgerissen und fand einen anderen, schwarz gesiegelten Brief darin, der sein eigenes Wappen trug.
»Von meiner Schwester,« rief er erschreckt, wie nur sein Auge auf die Adresse fiel.
Er war leichenblaß geworden, und Henrietten's angsterfüllte Blicke hingen an seinen Zügen.
»Hm – sollte mir leid thun, wenn eine unglückliche Nachricht darin stände,« meinte Becher gutmüthig – »aber wer zum Henker kann so was vorher wissen. Vielleicht ist's aber auch nur ein weitläufiger Verwandter, der Sie in seinem Testament bedacht hat, lieber Benner. – Famose Geschichte wenn so ein alter reicher Onkel stirbt, von dem man nur erst durch das Testament erfährt, daß er überhaupt gelebt hat.«
Benner hörte gar nicht mehr was Jener sprach. Er hatte den Brief in ungeduldiger Hast aufgerissen und verschlang die Zeilen der bekannten, lieben Handschrift mit den Blicken.
Endlich ließ er den Brief sinken und starrte still und schweigend vor sich nieder.
»Darf ich wissen, was Dir so weh thut, Eduard?« flüsterte Henriette und legte ihren Arm um seine Schulter.
»Ja, mein Herz,« sagte er leise, und ein paar große helle Thränen perlten ihm in den Bart. »Du darfst und mußt es wissen – bleiben Sie, lieber Becher – es ist überhaupt kein Geheimniß – der Brief enthält die Nachricht von dem Tode meines Vaters.«
»Armer Eduard,« sagte die junge Frau und schmiegte sich fester an ihn – »oh, wie leid mir das Deinetwegen thut!«
»Aber ich denke, Benner,« sagte der kleine Kaufmann, in reiner Verzweiflung, nur irgend einen Trost zu finden, »Sie – Sie haben mit Ihrem Herrn Papa nicht immer ganz harmonirt?«
»Es war mein Vater,« flüsterte der junge Mann, »und ich selber trage auch wohl viel – viel die Schuld jener unseligen Zwistigkeiten.«
Er war auf einen Stuhl niedergesunken und barg das Antlitz eine Weile in der linken Hand. Endlich stand er auf; er sah sehr blaß aus, war aber vollkommen ruhig, und Becher die Hand hinüberreichend, sagte er freundlich:
»Ich danke Ihnen, lieber Becher, daß Sie sich so viel Mühe meinethalben gegeben haben – lassen Sie mich jetzt einen Augenblick allein hinausgehen – es sind viele Dinge, die mir den Kopf kreuzen.«
»Aber, bester Freund, ich komme lieber auf ein ander Mal wieder.«
»Nein – nein – laß ihn nicht fort, Jettchen – nur sammeln möchte ich mich – der Schlag kam zu plötzlich – zu unvorbereitet – mein Vater war noch so rüstig, noch in seinen besten Jahren.«
»So war er nicht lange leidend –«
»Er ist auf der Jagd erschossen worden.«
»Du großer allmächtiger Gott,« sagte sein Weib erschüttert, »das ist ja furchtbar.«
»Ja, die verfluchte Jagd!« rief Becher leidenschaftlich, »was da schon für Unglück geschehen ist! – und das nennen die Leute nun ein Vergnügen, mit geladenen Büchsen im Walde nach allen Richtungen hin herumzuschießen, ob da Menschen stehen, oder nicht, wenn sie nur einen Hasen treffen. Na, ich danke.«
»Willst Du allein gehen, Eduard?«
»Laß mich einen Augenblick, mein Herz – ich muß auch den Brief noch einmal ordentlich überlesen. Es steht so viel, so Verworrenes darin, daß mir der Kopf ordentlich schwindelt – ich bleibe gewiß nicht lange aus.«
Er verließ das Zimmer, und Becher überlegte sich eben im Stillen, ob er nicht besser gethan, wenn er seinen ersten Consulatspflichten weniger treu nachgekommen wäre und den ominösen Brief mit der Post zugeschickt, oder durch einen expressen Boten besorgt hätte! Er hatte auf einen vergnügten Tag gerechnet und kam in ein Trauerhaus; es ließ sich aber jetzt nicht mehr ändern. Seine Gutmüthigkeit trieb ihn auch dazu an, die arme, sehr niedergeschlagene Frau zu trösten, und in seinem Eifer, sie zu zerstreuen, erzählte er ihr jetzt eine Unmasse von anderen, dem ähnlichen, ihm bekannten Unglücksfällen. Da hatte ein guter Freund von ihm einmal einen Schrotschuß in den Unterleib bekommen und nur noch lange genug gelebt, um seiner herbeigeeilten Frau Lebewohl zu sagen. Auf einem Nachbardorfe war dem Pfarrer das eigene Gewehr los und der Schuß durch die Hand gegangen, und ehe sie abgenommen werden konnte, bekam der Mann die Maulsperre und starb. – Und der Herr von Pescow gar, der Gutsbesitzer, wo er zu Hause war, der kommt Abends von der Jagd zu seiner Braut – am nächsten Tage sollte die Hochzeit sein, und er wollte nur noch einen Rehbock dazu schießen, und wie er die Flinte in die Ecke stellt, geht sie los und trifft ihn gerade durch den Kopf, daß er todt in die Stube fällt. – Und dann Schulmeister Lettweilen, ein seelensguter Mensch, wenn auch ein Bischen leichtsinnig –
Henriette ließ ihn nicht weiter erzählen; sie bat ihn, um Gotteswillen mit den Schreckensgeschichten aufzuhören – ihr würde ganz übel und weh dabei zu Muthe, und Becher, dem in diesem Augenblick gar nichts Anderes einfiel, war damit völlig auf's Trockene gesetzt. Aber die Frau hatte auch jetzt viel in der Küche zu thun, um das Essen herzurichten – die Kakadus könnten freilich für heute nicht mehr verwandt werden, denn sie bedurften ihre gehörige Zeit, um gahr zu werden. Becher setzte sich indessen in der Stube auf einen bequemen Rohrstuhl, wo er von der Hitze und dem langen ungewohnten Ritt heut' Morgen in der Sonne bald ermüdet einschlief.
Henriette fand ihn da, störte ihn aber nicht, sondern deckte nur so geräuschlos als möglich den Tisch, damit Eduard, wenn er wieder nach Hause kam, das Essen fertig und Alles bereit fände. Erst als sie ihn kommen sah, weckte sie Herrn Becher und konnte, trotz ihrer trüben Stimmung, kaum ein Lächeln unterdrücken, als sie das verdutzte Gesicht des kleinen, aus dem Schlaf auffahrenden Mannes sah, der mit weit geöffneten Augen ganz bestürzt um sich starrte und um's Leben nicht zu wissen schien, wo er sich eigentlich befand und was mit ihm vorgegangen. Erst nach und nach kam er wieder zu vollem Bewußtsein und versicherte jetzt die junge Frau ganz ernsthaft, er sei so müde gewesen, daß er »beinah' eingeschlafen wäre«.
Benner war still, aber freundlich. Er ging, als er in's Zimmer trat, auf Henrietten zu, nahm sie in den Arm und küßte sie herzlich auf Stirn und Augen; aber er sprach nicht weiter über den Brief oder den Todesfall; ja, als Henriette ihn direct deshalb fragte, sagte er: »Laß das heute, mein Kind; der Schmerz ist für mich noch zu neu, um ihn ruhig zu besprechen. Morgen reden wir darüber; ja, Du sollst selber den Brief lesen und mir Deine Meinung sagen.« Er wurde dann gesprächiger, ja selbst heiter und unterhielt sich lange mit Becher über die jetzigen australischen Zustände, über das Deportationswesen im Norden, über Mehl- und Wollpreise, selbst über die kleinlichen Religionsstreitigkeiten in Tanunda zwischen den Alt-Lutheranern und sogenannten »Weltkindern«, d. h. solchen, die der freien, oder auch wohl gar keiner Gemeinde angehörten.
Es war spät, als Becher endlich den Heimritt aber jetzt in der Kühle des Abends, antrat, und es schien fast, als ob Benner allen weiteren Erörterungen zu Hause noch selber so lange als möglich aus dem Weg gehen wollte, denn er sattelte sein eigenes Pferd und begleitete den kleinen Mann fast bis Tanunda hinein. Erst als sie die Lichter des Städtchens schon von weitem sehen konnten, wandte er sein Thier und kehrte langsam nach Hause zurück.
Am nächsten Morgen wachte Henriette wie gewöhnlich um fünf Uhr auf; aber ihr Gatte hatte sein Lager schon verlassen und als sie angekleidet in die Stube trat, saß er dort – den Brief vor sich, den Kopf in die Hand gestützt, sinnend am Fenster und sah gedankenvoll in den sonnigen Morgen hinaus.
Sie ging leise zu ihm, legte ihren Arm um seine Schulter und sagte herzlich:
»Guten Morgen, Eduard! Grübelst Du noch immer über den bösen Brief? Ach, mir thut's ja auch weh, Schatz, daß Du Deinen Vater verloren hast, wenn ich ihn auch nimmer gekannt habe, und wenn er so weit fort wohnte.«
Benner zog sie nieder zu sich und küßte sie, dann sagte er leise:
»Setz' Dich da her zu mir und lies einmal den Brief.«
»Erst muß ich den Kaffee kochen,« wehrte aber die Frau ab, »denn wenn der kleine Schlingel nachher munter wird, läßt er mir keine Ruh', – komm', lies ihn mir derweil vor.«
Benner seufzte tief auf.
»Willst Du nicht?« fragte sie treuherzig.
»Geh', Kind – thu' Deine Arbeit erst,« sagte der Mann, »wir müssen dann Ruhe haben, um Manches zu bereden.«
Die junge Frau schüttelte mit dem Kopf – sie hatte nie geglaubt, daß ihr Mann so traurig über den Tod eines Vaters sein würde, dem er immer nur Lieblosigkeit und Härte vorgeworfen – aber doch freute sie's. »Er hat ein gutes, braves Herz,« sagte sie bei sich, »und nun der Alte gestorben ist, trauert er um ihn, als ob er den liebsten und besten Verwandten verloren hätte.«
Aber nicht gewohnt, lange über irgend Etwas nachzugrübeln, ging sie rüstig an ihre Arbeit, und während sie den Kaffee kochte, besorgte sie auch das indeß aufgewachte Kind und trat dann mit diesem auf dem Arm, in der rechten das Brett mit dem Frühstück haltend, in's Zimmer zurück.
Er nahm ihr das Kind ab und auf den Schooß, herzte und küßte es und setzte es dann auf den Boden nieder, um erst zu frühstücken. Während dessen wurde auch kein Wort gesprochen, denn die Frau wollte ihn absichtlich in seinen Gedanken nicht stören. Das war ein Schmerz, der eben austoben mußte, und wogegen keine Trostworte halfen. Hatte er seine bestimmte Zeit, so gab er sich von selber, und Sonnenschein kehrte wieder in das Herz des Menschen zurück, so oft auch noch dann und wann flüchtige Wolken vorbeigingen, und ihren Schatten darüber werfen mochten.
»Und nun, Eduard,« sagte sie, als das Frühstück beendet war und Eduard seine Tasse zurückschob, – »laß mich den Brief haben, den ich lesen sollte, denn ich muß nachher gleich wieder an die Arbeit. Heute giebt's viel zu thun – nach dem letzten Regen wächst uns das Unkraut fast über dem Kopf zusammen, und man findet sich nachher gar nicht mehr durch.«
Eduard reichte ihr das Schreiben, ohne ein Wort dabei zu sagen, stand dann auf und ging, während sie las, mit verschränkten Armen und raschen Schritten in dem kleinen Gemach auf und ab.
Henriette studirte ein wenig an dem Brief, denn es dauerte einige Zeit, bis sie sich in die fremde Handschrift hineingefunden hatte, aber es ging doch zuletzt, und nur leise nickte sie manchmal mit dem Kopf oder schüttelte auch wohl, wenn ihr der Inhalt sonderbar erschien.
Eduard unterbrach sie mit keiner Sylbe, aber dann und wann flog sein Blick wie scheu nach ihr herüber, als ob er fürchte, daß sie über irgend etwas erschrecken würde. Der Brief schien jedoch kein solches Gefühl in ihr hervorgerufen zu haben; sie blieb ruhig und unbefangen, und als sie geendet, faltete sie ihn wieder zusammen und sagte herzlich:
»Deine Schwester muß ein recht braves Frauenzimmer sein, Eduard, sie schreibt gar so lieb und gut und meint's auch sicher so. Ich wollt', ich könnt' sie einmal sehen und ihr die Hand drücken. – Das muß ein schwerer Schlag für sie gewesen sein. Ist sie denn verheirathet?«
»Ja.«
»So – und wen hat sie? – Was ist ihr Mann?«
»Ein Graf von Galaz.«
»Ein Graf? Sieh mal an, da ist sie gewiß eine recht vornehme Frau – wer weiß, ob sie da Etwas von mir armem Ding wissen möchte, und es ist vielleicht recht gut, daß wir so weit auseinander wohnen.«
»Und hast Du nicht weiter gelesen, Jettchen?«
»Ei gewiß, Alles bis zum Ende, wo sie schreibt: Deine Dir ewig treue Schwester Alexandrine.«
»Hast Du da nicht gelesen, daß sie mich bittet, der Erbschaft wegen nach Deutschland zu kommen?« sagte Eduard und sah erstaunt zu ihr auf.
»Ei sicher – zweimal schreibt sie's ja sogar, aber was versteht so eine Frau davon; die hat wohl nimmer einen Begriff von der Reise, daß sie da meint, Einer könnte, der paar Thaler wegen, von daheim weg und über's weite Meer hin und zurück. Da kostete ja allein die Reise mehr, wie die ganze Sache vielleicht werth wäre. Laß sie's schicken; der Vater hat ja auch im vorigen Monat eine Erbschaft von 500 baaren Thalern geschickt gekriegt – wenn der deshalb hinüber gegangen wäre, nicht einen Pfennig davon hätt' er wieder mit zurückgebracht.«
»Aber mein liebes Herz,« sagte Benner, »es handelt sich hierbei nicht um ein paar hundert Thaler, sondern um viele Tausende – um ein großes Vermögen, das mein Vater, der bei seinem jähen und unerwarteten Tod ohne Testament gestorben ist, nur seinen beiden Haupterben, mir und meiner Schwester, hinterlassen hat. Mehre Rittergüter sind dabei, viel baares Geld und Silber, liegende Gründe dazu, ein paar Häuser in der Residenz, und Gott weiß, was sonst noch für Dinge, die meine persönliche Gegenwart nicht allein meinet-, sondern auch meiner Schwester wegen dringend nöthig machen.«
»Aber Du denkst doch nicht etwa daran, nach Deutschland zurückzugehen?« sagte Henriette, als ihr plötzlich der erste Gedanke an eine solche Möglichkeit kam, und fast unbewußt und erschreckt setzte sie das Kaffeegeschirr wieder auf den Tisch zurück, das sie eben aufgenommen hatte, um es hinauszutragen.
»Es wird nicht anders zu ordnen sein, mein liebes Kind,« sagte Benner, während er an's Fenster trat und hinaussah. Er mochte in dem Moment seines Weibes Auge nicht begegnen.
»Nicht anders zu ordnen sein, Eduard?« rief aber Henriette, und sie fühlte ordentlich, wie ihr jeder Tropfen Blut zum Herzen zurückströmte, – »und das sagst Du so ruhig und gleichmüthig, als ob es nur eine Trennung von wenigen Tagen wäre?«
»Aber wie kann ich es ändern, Jettchen?« sagte Benner, indem er sich nach ihr umdrehte und selber über das Aussehen der Frau erschrak – »ängstige Dich doch nicht deshalb; all unsere Noth und Sorge und Arbeit hat ja auch jetzt dafür ein Ende, denn wir sind selber damit reich geworden – die Zeit geht ja auch vorüber.«
»Wir waren so glücklich bei der Arbeit, Eduard!«
»Ja, mein liebes Herz, aber wir werden jetzt noch glücklicher werden.«
Die Frau hatte sich auf einen Stuhl gesetzt und faltete die Hände im Schooße – sie konnte nicht länger stehen, so zitterten ihr die Knie und selbst das Kind achtete sie nicht, das zu ihr hingekrochen war und an ihrem Kleid zupfte.
»Noch glücklicher, Eduard?« sagte sie leise. »Oh, Gott weiß wie ich zu ihm gebetet habe, daß er uns so erhalten möge – noch glücklicher! – wir wollen nicht freveln, daß uns der Himmel nicht dafür straft und uns nimmt, was wir haben.«
»Aber was für trüben Gedanken giebst Du Dich hin, mein Herz,« sagte Benner, – »anstatt daß Du Dich des neuen Glückes freuen solltest, klagst Du, als ob uns ein Unglück betroffen hätte. Ist das recht, oder selbst nur vernünftig?«
»Und droht uns nicht ein Unglück, Eduard?« sagte die Frau weich. »Oh Herr Schrader hat es mir wohl oft gesagt: ein Jahr wird er bei Dir bleiben, vielleicht zwei, dann geht er fort, und Du sitzest mit Deinem Kinde allein in Australien.«
»Schrader ist ein Esel,« sagte Benner ärgerlich, »der alberne Tropf sucht ordentlich was darin, den Leuten Unglück zu prophezeihen, und wenn Einer bei ihm ein Loth Brustthee holt, so zuckt er schon die Achseln und räth ihm, sich sehr in Acht zu nehmen, weil er sichtbare Anlagen zur Schwindsucht hätte.«
Die Frau erwiderte nichts weiter, sie saß still und in einander gebrochen auf ihrem Stuhl und starrte vor sich nieder, und erst als der Kleine zu schreien anfing, weil sich die Mutter gar nicht um ihn kümmern wollte, hob sie ihn zu sich empor und drückte ihn leidenschaftlich an die Brust.
»Sei vernünftig, Jettchen,« sagte da endlich Benner bittend, »überleg' Dir Alles genau – ja, besprich es mit Deinem Vater, und er wird mir selber zugestehen müssen, daß ich nicht anders kann. Ich muß nach Deutschland, denn was hier auf dem Spiele steht, ist zu bedeutend, um es aus Furcht vor einer kurzen Trennung zu gefährden. – Denke Dir auch,« fuhr er nach einer Pause fort, in der ihm Henriette noch immer nichts erwiderte, »wie allein und verlassen meine Schwester jetzt solchen verwickelten Geschäften gegenübersteht. Schon ihretwegen müßte ich hinüber.«
»Ich verstehe das Alles nicht,« sagte die arme Frau kopfschüttelnd, – »ich glaubte, Deine Schwester wäre an einen Grafen verheirathet, und dann steht sie doch nicht allein und verlassen.«
»Aber jener Graf hat doch nichts mit unserer Familienangelegenheit zu thun –«
»Und gehört er nicht mit zu Eurer Familie? – sei mir nicht böse, Eduard,« brach sie aber rasch ab, als sie die tiefe Falte bemerkte, die sich über seine Stirn zog, – »mir ist das Herz so voll und schwer, und der Kopf thut mir so weh, ich weiß kaum noch, was ich rede – Also Du willst wirklich nach Deutschland zurückgehen und Weib und Kind in Australien lassen?«
»Und glaubst Du, daß ich mit leichtem Herzen gehe?« fragte Benner zurück. »Wenn es nicht wäre, daß ich für Euch gerade eine sorgenfreie Zukunft bereiten könnte, ich bliebe wahrlich da. Mir wird der Abschied weh genug thun, sei versichert, Kind, und die ganze Nacht hat mich der Gedanke schon gequält.«
Die Frau schwieg und sah still und sinnend vor sich nieder, endlich flüsterte sie leise: »Wie Gott will!« nahm ihr Kind auf und ging hinaus.
Das war ein trüber und schmerzlicher Tag in der kleinen, sonst so glücklichen Familie, und wenn die Frau auch nicht klagte, oder selbst nur mit einem Wort weiter die beabsichtigte Trennung erwähnte, gab es ihr doch immer einen Stich durch's Herz, sobald der Kleine in wilder Kindeslust aufjubelte und die Mutter umklammerte.
Den Nachmittag ritt Benner in die Stadt. – Er wollte selber mit Henriettens Eltern sprechen, ihnen den Brief zeigen und ihren Rath hören – obgleich er über seinen Entschluß mit sich im Reinen war – aber es würde die Frau beruhigen, wenn die Eltern selber sagten, daß er nach Hause müsse, um Alles in Ordnung zu bringen – in zwölf bis vierzehn Monaten konnte er ja auch recht gut wieder zurück sein.
Zwölf bis vierzehn Monate, Du großer Gott, wie leicht spricht der Mund eine solche Zeit aus, wie rasch verfügt das Menschenherz über einen solchen Zukunftsraum, während ihm doch das Schicksal seiner nächsten Lebensstunde verborgen ist. Aber wir hoffen und harren, bauen Pläne und fassen Entschlüsse, und wenn die vorgesteckte Zeit naht – was ist aus unseren Plänen und Entschlüssen geworden – wo sind wir selber?
Es war eine eigene Berathschlagung in der kleinen Stadt zwischen dem Baron Benner, dem Erben einer halben Million, und den beiden alten Leuten, dem Schuster und seiner Frau. Der Alte saß bei seiner Arbeit, auf dem niederen Schemel, den alten Buschschuh irgend eines derben Bauern unter dem Knieriem, und Ahle und Draht herüber- und hinüberziehend, die Frau selber wirthschaftete dabei in der Stube herum, eine unausweichliche Tasse Kaffee für den lieben Gast und Schwiegersohn herzurichten – aber beide hielten mitten in ihrer Arbeit inne, als Benner ihnen mit kurzen Worten den Inhalt des gestern empfangenen Schreibens mittheilte und ihnen zugleich verkündete, daß er jetzt ein bedeutendes Erbe in Deutschland zu erwarten habe.
»Viele tausend Thaler?« – Die Frau schlug die Hände über dem Kopf zusammen, und der Schuster schüttelte den seinen still vor sich hin. Er glaubte nie an große Zahlen, und das Ganze kam ihm zu plötzlich und auch zu unwahrscheinlich vor, als daß er sich gleich hätte vollständig hineindenken können. Das Einzige, was ihm klar war, daß der Baron nach Deutschland zurück und seine Frau hier allein lassen wollte, gefiel ihm nicht. – Wenn er nun dort blieb? – Aber die Frau sah weiter – viele Tausend Thaler als Erbschaft, was hätte sich mit denen nicht hier in Australien anfangen lassen, und was für eine vornehme Frau konnte dann ihre Tochter werden. Benner hatte sie im Augenblick auf seiner Seite, und der Alte gab auch endlich nach. Was konnte er auch dagegen machen, wenn sein Schwiegersohn ihm sagte, daß er hinüber müsse, aber recht war's ihm noch immer nicht, und er vergaß ganz Ahle und Draht, schob sich sein schwarzes, fettiges Käppchen auf's eine Ohr und kratzte sich in tiefen Gedanken den Kopf.
Das Resultat der Berathung gestaltete sich denn auch so, wie es Benner vorhergesehen. Die Eltern erklärten sich einverstanden mit der Reise, und ihr Schwiegersohn mußte ihnen nur versprechen, keine Zeit daheim zu versäumen, sondern so rasch als irgend möglich wieder zurückzukehren, schon der Leute wegen, die sicher genug ihre boshaften Bemerkungen darüber nicht unterließen und die arme junge Frau zu sehr gekränkt hätten.
Noch etwas Anderes blieb für ihn in Tanunda zu ordnen, – er brauchte nämlich Reisegeld und wollte seinen Schwiegervater nicht darum bitten; aber Becher war augenblicklich bereit, ihm dasselbe vorzuschießen. Er betrachtete es gewissermaßen als Consulatssache, denn der Brief, der die Erbschaft anzeigte, war durch ihn gekommen, und er versicherte Benner, er würde es ihm übel genommen haben, wenn er sich in dieser Sache an irgend Jemand Anderen gewandt hätte. In einer halben Stunde war Alles geordnet, und zufällig lag auch gerade ein fast segelfertiges englisches Schiff in Port Adelaide, das nur noch Wasser einnehmen mußte, und spätestens übermorgen früh mit der einsetzenden Ebbe auslief. Wenn er mitgehen wollte, mußte er morgen Nacht schon jedenfalls an Bord sein.
Benner ritt in einer eigenthümlich aufgeregten Stimmung nach Hause zurück und sonderbarer Weise war es in diesem Augenblick weniger der Abschied von Frau und Kind, an den er dachte, sondern mehr noch, weit mehr die Aussicht, bald, in wenigen Monden schon, wieder die alte Stätte seiner Jugend zu betreten, die er nie geglaubt hatte wiederzusehen, – noch einmal den Kreis der Freunde aufzusuchen und in ihrer Mitte zu verkehren. Auch die Sehnsucht nach der Schwester beschäftigte ihn, und so ganz füllten diese Bilder seine Gedanken, daß er plötzlich und unerwartet vor seinem eigenen Hause hielt und gar nicht wußte, wie er diesmal so rasch dorthin gekommen.
Und morgen Abend schon wollte er fort? Die Frau wurde leichenblaß, als er es ihr sagte, aber sie erwiderte kein Wort; nur fester drückte sie das Kind an ihre Brust und ging dann schweigend an ihre Arbeit, um dem Gatten Alles herzurichten, was er zu seiner langen Reise brauchte.
Was aus ihr selber in der Zeit wurde? – sie dachte nicht einmal daran; nur bei ihm waren ihre Gedanken, nur bei ihrem Kinde und dem Schmerz der Trennung, und doch that sie sich Gewalt an, daß sie es Eduard nicht merken ließ – hätt' es ihm selber ja doch den Abschied schwerer gemacht, und er konnte es ja nicht mehr ändern – er mußte fort.
Den Abend verbrachten sie zusammen in ihrem Gärtchen und ihr Gatte theilte ihr jetzt mit, daß er sein kleines Grundstück für die Zeit seiner Abwesenheit und um den halben Ertrag an einen jungen Bauerssohn, den er bei Becher traf, verpachtet habe. Sie selber sollte indessen zu ihren Eltern ziehen, bis er zurückkäme. Mit der ersten Post schon versprach er ihr aber Geld zu senden, daß sie sich ein eigenes kleines Quartier miethen und ihre Wirthschaft führen könne. Mit der zweiten Post folgte er dann vielleicht schon selber nach.
Morgens kam der Vater noch heraus, um Manches zu bereden und der Tochter Sachen auf seinem Wagen mit nach Tanunda zu nehmen – gegen Abend sollte ihn die kleine Familie dorthin begleiten und Abends um neun Uhr fuhr die Post ab, mit der er nach Adelaide gehen konnte und dann zur rechten Zeit im Hafen eintraf.
Das war ein schwerer, recht schwerer Tag für die arme Frau, und sie ging wirklich wie in einem Traum herum. Sie that Alles was nöthig war, aber willenlos, maschinenartig, und wäre am liebsten mit ihrem Kind in einen Winkel gekrochen, um sich nur einmal – nur ein einziges Mal recht herzlich auszuweinen. Aber das ging nicht, sie mußte Stand halten; ihr Eduard wäre ihr ja sonst vielleicht noch am letzten Tag böse geworden. Auch konnte sie sich keine Minute mehr von den wenigen Stunden, die sie noch beisammen bleiben sollten, von ihm trennen.
So fuhren sie zusammen nach Tanunda, und so langsam ihr sonst die Stunden manchmal hingegangen, so rasch, so entsetzlich rasch flog der heutige Tag an ihr vorüber. Es war Abend geworden, sie wußte selbst nicht wie, und der Zeiger auf der alten, im Zimmer ihrer Mutter hängenden Schwarzwälder Uhr lief ordentlich von Zahl zu Zahl.
Um neun Uhr ging die Post. Das Gepäck war schon Alles aufgegeben. Vor acht Uhr schon hatte die Mutter noch einmal den Tisch gedeckt, zum letzten Abendbrod, und Henriette saß neben dem Gatten, das Kind auf dem Schooß, den Kopf an seine Schulter geschmiegt, und zuckte nur immer zusammen, wenn die Uhr wieder zum Schlagen aushob. – Und jetzt sollten sie essen? – Oh, wie hätte sie einen Bissen über die Lippen bringen können.
Die Mutter hatte Rouladen gebraten. Eduard aß sie gern – Du lieber Gott, er wollte sich nicht einmal mit zum Tisch setzen, so weh war ihm zu Muthe, und als er endlich dem dringenden Nöthigen der Frau nachgab, quoll ihm der Bissen im Munde.
Und es schlug halb – es schlug drei Viertel auf Neun – er rückte mit dem Stuhl.
»Du gehst in zwei Minuten zu der Post hinüber,« flüsterte ihm die Frau zu und schmiegte sich ängstlich an ihn an. »Sie fahren ja nicht ohne Dich fort.«
»Mein liebes, liebes Weib!«
»Und willst Du recht viel an uns denken, Eduard, – an mich und Dein Kind?«
»Tag und Nacht – Tag und Nacht, Lieb.«
»Und nicht gar so lange fortbleiben?«
»So rasch ich möglicherweise kann, kehr' ich zurück. – Sorge Dich nur nicht um mich – wie bald ist ja der Weg zurückgelegt.«
»Wie bald? Oh, mein Himmel, und fünf Monat hin und fünf Monat zurück nennst Du bald – mir werden es eben so viele Jahre werden.«
»Meine liebe, liebe Henriette!« – und sie hielten sich fest und lange umschlungen.
»Kinder, es wird Zeit – es ist in zwei Minuten neun Uhr,« sagte da der Alte. »Eduard, mit Gott! Machen Sie, daß Sie fortkommen, wir wollen indessen schon auf die Kinder Achtung geben.«
Fester klammerte sich die Frau an ihn an. Der Augenblick war gekommen, vor dem sie so lange gebebt, und erst jetzt erfaßte sie die Angst, das bittere Weh des Scheidens.
»Leb' wohl, mein Herz – sei stark; ich kehre ja bald zu Dir zurück.«
»Küsse noch einmal unser Kind,« flüsterte sie, – »der kleine Bursch ist eingeschlafen; er ahnt ja nicht, daß er den Vater verlieren soll.«
»Er verliert ihn nicht, Herz,« sagte Eduard, indem er sich über das Kind bog und es küßte, während ein paar heiße Thränen auf seine Locken fielen – »und nun leb' wohl!« rief er, sich rasch und entschlossen aufrichtend, – »bleibt hier – geht nicht mit zur Post – macht mir den Abschied nicht schwerer, als er schon ist – Gott schütze Dich, mein süßes, süßes Lieb – Dich und das Kind – leb' wohl – leb' wohl!«
Noch einmal preßten seine Lippen in glühendem Kuß die ihrigen – noch einmal drückte er Vater und Mutter die Hand – draußen in der anderen Straße blies der Postillon, ein Engländer, aber mit den so oft gehörten Melodien längst vertraut, das alte Volkslied: »Muß i denn, muß i denn, zum Städtle 'naus,« – Henriette warf ihre Arme um seinen Nacken und hielt ihn fest und innig umschlungen. – Die erbarmungslose Uhr schlug neun, es war die Abschiedsstunde, und ihr Antlitz in den Händen bergend, sank sie neben dem Sopha, auf dem ihr Kind schlief, in die Knie. – Sie hörte, wie die Thür geöffnet wurde und sich schloß – sie hörte rasche Schritte draußen – dann war Alles still, und das Einzige, was ihr blieb, das Gefühl ihres Jammers – ihres Verlassenseins.
Im Hause der Gräfin Galaz herrschte heute ein geschäftiges Treiben – Zimmer wurden hergerichtet und mit Blumen geschmückt, Boten nach verschiedenen Seiten ausgesandt, und die Gräfin selber befand sich in lebhafter, aber jedenfalls freudiger Aufregung.
Die Gräfin Alexandrine, die Schwester des jungen Eduard von Benner und etwa vier oder fünf Jahr älter als ihr Bruder, war eine jener Erscheinungen, die man, obgleich man sie keine blendende Schönheit nennen konnte, auf den ersten Blick liebgewinnen mußte, eine so ruhige Sanftmuth, eine so Herzen erobernde Freundlichkeit war über ihre Züge ausgegossen, und auf wem auch immer das blaue Auge ruhte, er fühlte dessen Zauber und konnte ihm nicht widerstehen.
So hatte sie ihrem Gatten das Haus zu einem Paradiese umgeschaffen; so war sie die Wohlthäterin und der Schutzgeist aller benachbarten Armen geworden und selbst die Dienerschaft betete sie an und suchte ihr Alles an den Augen abzulesen.
Die Gräfin Alexandrine hatte zwei Kinder – eine Tochter von elf und einen Knaben von fünf Jahren, und lebte mit diesem und ihrem Gatten still und zurückgezogen auf Schloß Galaz. Sie liebte das wilde Treiben der Residenz nicht, und der Graf selber jagte viel lieber in seinen Wäldern und fischte in seinen Seeen, als daß er sich der steifen Etikette des Hofes fügte. Manchmal freilich konnte er sich ihr nicht ganz entziehen, und auch gerade jetzt war er schon wieder seit mehren Tagen dorthin befohlen worden, um an einigen Hofjagden Theil zu nehmen, und gerade jetzt vermißte ihn die Gräfin so schmerzlich, da sie ihren Bruder zurückerwartete, der schon vor mehren Tagen in der Residenz eingetroffen sein mußte und sie trotzdem noch nicht aufgesucht hatte. Heute Morgen aber war ein Brief von ihm angelangt, heute kam er gewiß und eine eigene Unruhe hatte die sonst so stille und ruhige Frau erfaßt, die sie in keinem Zimmer rasten ließ und immer wieder hinaus auf den Söller trieb, um nach ihm auszuschauen.
Endlich – endlich wirbelte weit auf der Straße draußen der Staub auf, und die Töne eines munteren Hornes schallten herüber – es war eine Extrapost. Alexandrine winkte draußen auf dem Balcon mit ihrem Taschentuch – das Zeichen wurde erwidert, und wenige Minuten später rasselte der Wagen in den Hof, und die lange getrennten Geschwister lagen sich in den Armen.
»Mein lieber, lieber Eduard,« sagte die Schwester, als sie endlich oben mit ihm auf ihrem Zimmer saß, seine Hand in der ihren hielt und ihm in die Augen sah, – »oh, Gott sei Dank, daß wir Dich wieder haben aus der weiten fremden Welt – daß Du früher zurückgekommen wärst,« setzte sie leise und wehmüthig hinzu.
»Und der Vater ist im Zorn gegen mich geschieden?« sagte Eduard scheu.
»Nein – nein,« rief Alexandrine rasch, »gerade in der letzten Zeit sprach er oft von Dir und bereute, daß er vielleicht zu hart gegen Dich gewesen. – Ich würde auch schon früher an Dich geschrieben haben, aber wir hatten keine Ahnung, in welchem Welttheil selbst Du Dich befändest, und erst nach des Vaters Tod erzählte ein in der Residenz weilender Fremder, daß er einen Eduard von Benner in Süd-Australien getroffen habe. Nur auf das unbestimmte Gerücht hin schickte ich Dir den Brief. – Böser, böser Bruder, daß Du nicht einmal mir, Deiner Alexandrine, ein Lebenszeichen geben konntest, und daß fremde Menschen es mir bringen mußten.«
»Meine theure Schwester!«
»Wie wir uns hier nach Dir gesehnt, in jener Schreckenszeit – aber jetzt bist Du ja wieder da – bist wieder bei uns und gehst nie und nimmer wieder fort.«
»Meine gute Alexandrine.«
»Und wie braun und sonnverbrannt Du geworden bist – fast wie ein Indianer und was für harte Hände Du bekommen – oh, Du hast gewiß schwere und böse Arbeit thun müssen, Du störrischer, trotziger Mensch Du!«
»Schwere Arbeit in der That.«
»Und so allein hast Du indessen unter den fremden kalten Menschen leben können, mit Niemandem der Dich liebte und für Dich sorgte – das besonders hat mir das Herz so schwer gemacht, und wie oft sind mir, wenn ich an Dich dachte, die Thränen in die Augen gekommen! Oh, es muß schrecklich da draußen sein – ganz schrecklich – mag die Natur auch in allen ihren Reizen prangen.«
Eduard schwieg und sah scheu und seufzend vor sich nieder, denn er wagte nicht der Schwester zu gestehen, daß er verheirathet sei – mit wem er sich verheirathet habe – wenigstens jetzt noch nicht. Er mußte erst selber ruhiger und gefaßter sein – mußte sie ruhiger finden, um dann mit ihr seinen künftigen Lebensplan zu überlegen.
»Und doch wäre ich kaum so rasch nach Deutschland zurückgekommen,« sagte er endlich, »wenn Du in Deinem Brief nicht gar so dringend darauf bestanden und mir geschrieben hättest, daß meine Gegenwart hier unumgänglich nöthig sei.«
»Verzeih' mir die kleine List,« lächelte da herzlich Alexandrine, »meine Liebe zu Dir dictirte den Brief, und ich mußte Dich wieder hier, wieder bei uns haben. Die Geldangelegenheit, Du lieber Gott, das hätten wir auch ohne Dich arrangiren können, und haben es in der That schon gethan, denn mein Mann hat die ganze Sache, und wie Du Dich fest darauf verlassen kannst, Dein Interesse besonders dabei wahrend, geordnet.«
»So war es nicht nöthig?«
»Und reut es Dich, daß Du gekommen bist, Eduard?« sagte sie mit leisem Vorwurf in dem Ton.
»Nein – nein, Alexandrine!« rief er herzlich, sie an sich pressend – »wie kannst Du das glauben! – Wüßtest Du nur, wie oft ich selber mich nach Euch gesehnt!«
»Oh, wie gern glaub' ich Dir das, Eduard,« erwiderte sie, seine Hand drückend, – »armer, armer Wanderer, der, so weit in die Welt hinausgeschleudert, Alles zurücklassen mußte, was ihm lieb und theuer war, und nichts dafür wiederfand, als fremde, gleichgültige Menschen. – Aber jetzt, Gott sei Dank, ist das anders,« setzte sie rasch und lebhaft hinzu, als sie sah, wie sich ein Ausdruck von Schmerz über seine Züge stahl, dem sie freilich eine ganz andere Deutung gab, »jetzt bleibst Du bei uns! Du bist älter und vernünftiger geworden, Du hast Welt und Menschen kennen, Du hast an einer bestimmten Thätigkeit Freude gewinnen lernen, und hier, in unserer Mitte, wird Dich ein ganz besonderer Eifer treiben, das, was Du draußen erfahren, bei uns zu verwerthen. Unsere Güter liegen nicht so weit von einander entfernt, Bennerberg, unsere Geburtsstätte, wirst Du Dir gewiß zum Wohnsitz wählen, Dein Herz hing ja immer an dem alten Ort; dann nimmst Du Dir ein Weib, und Du wirst sehen, daß auch die Heimath ihre Vorzüge hat, ja, daß sie von keinem anderen Land der Erde übertroffen werden kann.«
»Glaube auch ja nicht,« fuhr sie rasch und gesprächig fort, als sie sah, wie sich ein wehmüthiger Zug um seine Lippen stahl, »daß es uns hier, auf dem Lande, an einem geselligen Leben fehlt – wir halten vorzügliche Nachbarschaft. Da ist Graf Sponneck, – Du mußt Dich ja auf den alten, etwas stolzen Herrn noch besinnen, mit einer ganz liebenswürdigen Familie und zwei reizenden Töchtern – da ist Baron Bromfels, der auf Bromfels lebt, da ist der alte Comthur Benthausen, der jetzt, zu seinen Enkeln gezogen, ordentlich wieder aufzuleben scheint, da sind noch eine Menge prächtige Familien, alle zu den besten des Landes zählend, die Dich mit offenen Armen empfangen werden.«
»Ich bin dieser Gesellschaft so entwöhnt,« sagte Eduard verlegen.
»Du wirst Dich rasch wieder hineingewöhnen,« lächelte seine Schwester, »an Deinem Aeußeren sieht Dir auch wahrlich Niemand an, daß Du die vielen Jahre in der Wildniß gelebt hast – oh, Eduard, wie froh ich bin, daß Du nur wieder da bist, und Du böser, häßlicher Bruder konntest drei volle Tage in der Residenz bleiben, ohne zu mir zu eilen. Nicht eine Stunde hätte ich es dort ausgehalten, wenn ich an Deiner Stelle gewesen wäre.«
»Liebes Kind,« sagte Eduard lächelnd, »ich glaube, Du würdest noch längere Zeit gebraucht haben, wenn Du so ausgesehen hättest, wie ich. Bedenke, daß ich aus Australien, daß ich aus dem Busch kam und der kurzen Zeit nothwendig bedurfte, um mich nur wieder anständig kleiden zu können. Ich war vollkommen abgerissen und muß Dir noch besonders danken, daß Du mir in Deinem letzten Brief den Namen Deines Banquiers aufgegeben.«
»Armer Bruder – so hast Du vielleicht gar Noth gelitten, während wir hier im Ueberfluß geschwelgt.«
»Laß das, mein Herz,« sagte Eduard, »was ich gelitten, war eine nur zu gerechte Strafe für begangenen Leichtsinn. Wollte Gott,« setzte er mit einem Seufzer leise hinzu, »daß ich damit mein vergangenes Leben abschließen könnte.«
»Das ist geschehen,« rief die Schwester herzlich, indem sie ihn umarmte, »kein Wort des Vorwurfs von unserer Seite soll Dich je verletzen, Eduard, – kein Blick, kein Gedanke Dich kränken. Du bist wieder der Unsere, und daß Du es bleiben wirst, dafür bürgt mir Deine Liebe zu uns. Aber da kommen die Kinder, die sich lange schon auf Dich gefreut – jetzt scheuch' die Wolken von Deiner Stirn; das junge Völkchen darf Dich nicht traurig sehen, und heute Abend kehrt auch mein Mann zurück – oh, daß Du endlich, endlich wieder bei uns bist.«
Von diesem Augenblick an wurde dem wieder Heimgekehrten nicht mehr viel Zeit zum Ueberlegen gelassen, denn jede Stunde brachte Neues, brachte eine frische Erinnerung aus der Jugend, und als Graf Galaz endlich zurückkehrte, begrüßte er den wiedergewonnenen Schwager mit solcher Herzlichkeit, daß sich dieser nicht anders als heimisch in seinem Hause fühlen konnte.
Eduard ging in dieser ersten Zeit wie in einem Traum umher, nur immer mit der Furcht, daß er erwachen könne. Und er hatte sein Weib und Kind daheim vergessen? – Nein! Aber dies ganze wunderbare Leben, das ja seine Jugendzeit ausgefüllt, und von dem er schon für immer – Gott weiß es, wie schweren – Abschied genommen, übte einen solchen Zauber auf ihn aus, daß er sich dem Genuß desselben auch mit vollen, dürstenden Zügen hingab, und gewaltsam Alles aus seiner Seele, aus seiner Erinnerung bannte, was ihm diese Stunden hätte trüben oder stören können.
Dazu kam noch, daß er gleich in den ersten Tagen eine Beschäftigung fand, wie sie seiner ganzen Erziehung angemessen war. Er mußte die jetzt ihm gehörenden Güter und Grundstücke revidiren, und wieder im Sattel auf einem Vollbluthengst, mit einem Reitknecht hinter sich und an Graf Galaz' Seite, durchritt er die fruchtbaren Fluren und besuchte die alten lieben Plätze seiner Jugend, die jetzt sein Eigenthum geworden, seine Heimath aufs Neue bilden sollten.
Wieder und wieder tauchte dabei der Gedanke an sein Weib in ihm auf, aber wie war es möglich, sie in diesen Rahmen zu fassen – und wären außerdem die Eltern in Australien geblieben, wenn ihre Tochter nach Deutschland zurückging und ein Schloß bezog?
»Was fehlt Dir, Eduard, Du bist so nachdenkend geworden,« sagte der neben ihm reitende Graf, der ihn schon eine Weile schweigend beobachtet hatte.
»Oh, nichts – nichts, Rudolph,« erwiderte sein Gefährte, indem er aber doch leicht erröthete, »nur der Uebergang von so verschiedenen Lebensbahnen war ein wenig zu rasch, zu jäh; kein Wunder, daß ich mich noch nicht so in Alles finden kann, was mich hier umgiebt, daß es mir ungewohnt, fremd vorkommt.«
»Gewiß, gewiß,« nickte ihm sein Schwager zu, – »aber an das Bessere gewöhnt man sich leicht wieder, und Du sollst einmal sehen, Eduard, wie rasch Du Dich in das Alles hineinleben wirst. In drei, vier Monaten schon wird Dir Deine überseeische Expedition wie ein Traum vorkommen, aus dem Du glücklicher Weise zu einer behaglichen und erfreulichen Wirklichkeit erwacht bist. Schüttle deshalb die trüben Gedanken ab, Kamerad, sie taugen nichts für den sonnigen Tag und besonders nicht für die freundlichen Augen, die uns dort entgegenwinken.«
»Dort? – wo?« sagte Eduard überrascht.
»Der Park hier,« sagte der Graf, »gehört dem alten Comthur Benthausen, der da bei seinen Enkelkindern lebt, und eine liebenswürdigere Familie möchtest Du kaum auf der ganzen weiten Welt finden, als diese hier. Wir dürfen nicht vorbeireiten, denn der alte Herr würde es mir nie vergeben, wenn ich Dich nicht zu ihm gebracht hätte. Wir haben die letzten Monde viel von Dir gesprochen.«
»Aber kommen wir ihnen jetzt gelegen?«
»Denen? Immer, und wenn es Morgens um acht Uhr wäre, denn dann träfen wir die Damen schon auf ihrem Morgenspaziergang im Park – halt, hier rechts – wir reiten hier gleich durch die kleine Pforte.«
Einer der Reitknechte war schon abgesprungen, um das schmale, eiserne Thor zu öffnen, das fast versteckt unter dichten Festons von Epheu und wildem Wein lag, und gleich darauf tauchten sie in den kühlen Schatten eines herrlichen Parkes ein, der mit reizenden Gruppen mächtiger Buchen, Eichen, Tannen, Kiefern und Birken, mit üppigen Grasflächen und von murmelnden Bächen durchschnittenen Gebüschen wechselte.
Auch die schmalen Kieswege waren vortrefflich gehalten und bald, auf einem von diesen hintrabend, erreichten sie das von Blüthenbüschen umgebene Herrenhaus, reich im englischen Styl gebaut, das wie ein kleines Feenschloß hier mitten in dem künstlichen Wald lag und durch seine Staffage noch mehr Feenhaftes erhielt.
Die Familie war gerade bei ihrem Frühstück auf einer Terrasse vor dem Hause; die Damen in leichter Morgentoilette, die Herren in weißen Röcken und Strohhüten; die Terrasse selber wurde von dem Park durch ein offenes gewölbtes, mit rankenden Rosen und Passionsblumen bewachsenes Spalier abgeschlossen, das die kleine dahinter befindliche Gesellschaft wie in dem lebendigen Rahmen eines Bildes zeigte – dazu die aufwartenden Diener in Livree und davor ein paar zahme Stück Wild, die wahrscheinlich gewohnt waren, ihr Frühstück aus den Händen ihrer schönen Pflegerinnen zu erhalten. Eduard zügelte unwillkürlich sein Pferd ein, um den zauberisch lieblichen Anblick noch länger zu genießen, und Graf Galaz hielt an seiner Seite und nickte ihm lächelnd zu.
»Nicht wahr, unser Deutschland ist doch schön?« sagte er freundlich; »ein lieblicheres Bild, als das da vor uns, läßt sich nicht denken, und wenn Du die Menschen erst kennen lernst, wirst Du Dich gar nicht mehr von unserer Gegend trennen wollen.«
Ein Windspiel, das auf der Terrassentreppe lag und bis jetzt mit seinen klugen Augen das dicht zu ihm hinangekommene Wild beobachtet hatte, spitzte plötzlich die Ohren und schlug an. Es hatte die fremden Pferde bemerkt, und der alte Herr am Tisch nahm rasch sein neben ihm liegendes Doppelglas heraus und sah hindurch.
»Galaz!« rief er fröhlich aus, als er den Freund erkannte, – »heran Mann, Ihr kommt gerade zur rechten Zeit – heran mit Euch, heran!«
Die beiden Reiter sprengten, der freundlichen Einladung folgend, etwas weiter vor, saßen dann ab und gaben den aus den Sätteln springenden Reitknechten die Zügel, während die ganze Gesellschaft, um sie zu begrüßen, ihnen entgegenkam. Und wie herzlich wurden sie von den lieben Menschen aufgenommen.
Also das war der Australier, von dem man so viel in der letzten Zeit gesprochen – und wie braun er auch aussah – dem hatte die Sonne den Teint schön verbrannt. »Und wie viel und schön der erzählen könnte, wenn er wollte,« flüsterten sich die jungen Damen zu und errötheten tief, als sie daran dachten, daß er die Worte vielleicht gehört haben könnte.
Die Herren mußten mit Theil am Frühstück nehmen, und Eduard kam neben die älteste Enkelin des alten Comthurs, die Baronesse Hedwig, zu sitzen, ein liebes, herziges Kind von vielleicht neunzehn Jahren, heiter und aufgeweckt dabei, nicht selten mit einem Anflug von neckischem Humor und doch so hold und sittsam und von unbeschreiblichem Liebreiz.
»Und wissen Sie, daß wir uns schon recht um Sie geängstigt haben,« sagte sie mit offener und natürlicher Herzlichkeit, »als uns Gräfin Alexandrine mittheilte, daß sie an Sie geschrieben hätte und immer kein Brief, keine Antwort kommen wollte.«
»Der Weg ist so entsetzlich weit, mein gnädiges Fräulein,« erwiderte der junge Mann, ordentlich verlegen dem holden Wesen gegenüber, »und den ersten Brief, den ich möglicher Weise senden konnte, brachte ich selber mit nach Europa.«
»Das ist allerdings die sicherste Beförderung,« lächelte Hedwig, »wenn auch nicht immer die bequemste. Wie man aber nur so weit von zu Hause weggehen kann, begreif' ich nicht; mir thut das Herz schon weh, wenn ich nur einmal auf drei Tage von daheim fort bin.«
»Aber jetzt bleibt der junge Herr bei uns? nicht wahr?« rief der alte Comthur über den Tisch herüber. »Das weiß der liebe Gott, was jetzt in die Leute gefahren ist,« setzte er dann, zu Galaz gewandt und ohne Eduards Antwort abzuwarten, hinzu, »aber alle Welt läuft nach Amerika, und wen hier irgend der Schuh wo drückt, der packt seinen Koffer einfach und setzt sich in der liebenswürdigen Absicht auf ein Schiff, da drüben in Amerika Bäume auszureißen und ein reicher Mann zu werden. Denken Sie sich, Galaz, heute Morgen bekomme ich einen Brief von meinem Schwager, dem General. Sein Junge ist auch fort, der Fritz, – ein tüchtiger, wackerer Kerl sonst, mit Kopf und Herz auf dem rechten Fleck, – aber was thut er? – vergaffte sich da in ein armes Mädel, eine Schneiderin oder Wäscherin, Gott weiß was, und wie der General natürlich seine Zustimmung nicht geben will, hat er nichts Eiligeres zu thun, als mit ihr auf ein Schiff und nach Amerika zu gehen.«
»Der Fritz?« rief Graf Galaz erstaunt, »es ist doch kaum möglich – ein Aristokrat von ächtem Fleisch und Blut zwischen die Yankees – er kann sich dort nicht wohl und heimisch fühlen.«
Der alte Herr zuckte die Achseln – »er wird müssen,« sagte er, »denn er würde es mit einer solchen Mesalliance hier ebenfalls nicht gekonnt haben.«
»Aber lieber Freund,« sagte Galaz, »Mesalliancen sind jetzt ordentlich Mode geworden, und altadliche Geschlechter ohne Capital verbessern leider nur zu häufig ihre Umstände durch eine reiche Banquiers- oder Kaufmannstochter.«
»Leider, leider,« nickte der Comthur, »aber sie bekommen dann doch meistens Frauen, die schon in der Welt gelebt haben, und mit denen sie sich können sehen lassen. Eine elegante Erscheinung und die nöthige Tournüre übertüncht Manches – aber eine Näherin und ohne einen Heller Vermögen –«
»Es ist die alte Geschichte,« sagte Galaz, »eine Hütte und ihr Herz – das verwünschte Romanlesen steckt dem jungen Volk zu sehr in den Köpfen, und sie bedenken nicht, daß die Romane immer gerade da aufhören, wo ihr Leben anfangen soll –«
»Da haben Sie Recht, Herr Graf,« rief die muntere Hedwig, »das ist auch das Einzige, was ich so oft an den Romanen bedaure, daß der Autor Alles für abgemacht hält, sobald sich die Liebesleute bekommen haben, und da fängt ja doch das Interesse erst an. In einen Brautstand können wir uns Alle hineindenken, in einen Ehestand nicht – besonders wenn er nach solchen entsetzlichen Schwierigkeiten und mit so verschiedenen Elementen geschlossen wird, wie das in Romanen fast immer der Fall ist.«
»Sieh, sieh, meine kleine Hedwig,« lächelte Galaz, »ich hätte gar nicht geglaubt, daß Sie so neugierig wären.«
»Wir sind Alle neugierig, nicht wahr, Großpapa?« rief Hedwig, »und so möchte ich um's Leben gern wissen, was für Abenteuer und Fährnisse mein schweigsamer Nachbar in dem schrecklichen Australien erlebt hat – und was es dort für Damen und Toiletten giebt, aber er erzählt mir gar nichts,« setzte sie mit komischem Bedauern hinzu.
Eduard fühlte wie roth er wurde, – »mein schweigsamer Nachbar,« – Du lieber Gott, wo hatte seine Erinnerung in dem Augenblicke geweilt, und wie schmerzlich ihn selber das Gespräch berührt, wenn auch Keiner der Anwesenden den wahren Grund vermuthen konnte.
»Aber die australischen Damen, mein Herz,« sagte der Großvater, »machen, so viel ich weiß, gar keine Toilette, und Herr von Benner wird sich auch wohl nicht um die bekümmert haben.«
»Sie machen mir meinen jungen Freund ganz verlegen,« lachte Graf Galaz, »übrigens muß ich Ihnen bestätigen, mein gnädiges Fräulein, daß es in der That außerordentlich schwer hält, ihn zum Erzählen zu bringen; indirect hab' ich es wenigstens schon verschiedene Male umsonst versucht.«
»Man glaubt gewöhnlich,« sagte Eduard, der seine Befangenheit gewaltsam abschüttelte, »daß Jemand, der ein fremdes Land besucht, auch immer viel Abenteuerliches müsse zu berichten haben, und wie viel Tausende wandern aus, ohne nach Jahre langem Aufenthalt, selbst in einer fremden Welt, mehr oder Merkwürdigeres erlebt zu haben, als was sie auch erlebt hätten, wenn sie daheim geblieben wären. Ich bin Einer von diesen Unglücklichen, die dazu verurtheilt bleiben, ihren alltäglichen Lebensgang fortzusetzen, wo sie sich auch befinden, und wenn ich ein Abenteuer erzählen wollte, müßte ich eins erfinden.«
»Aber mein bester Herr von Benner,« sagte Hedwig, »glauben Sie nicht, daß wir die Erzählung irgend eines haarsträubenden Abenteuers erwartet haben; im Gegentheil, die schenk' ich einem Jeden, denn es ist das eine Aufreizung der Nerven, die viel mehr angreift, als erquickt, – nein, irgend ein friedliches ethnographisches Bild jenes wilden Landes, die Beschreibung irgend einer dortigen Häuslichkeit, am liebsten Ihrer eigenen, würde für mich von weit größerem Interesse sein.«
»Mein gnädiges Fräulein –«
»Aber Kinder,« kam der alte Comthur hier dem jungen Mann zu Hülfe, »wie könnt Ihr nur erwarten, daß Benner sich hier zu Euch zum ersten Mal zum Frühstück niedersetzen und dann augenblicklich anfangen soll, zu erzählen. Das geht ja doch auf keinen Fall und ist gegen Menschennatur. Wollt Ihr von Jemandem etwas erzählt haben, so erzählt ihm selber erst etwas, nachher thaut er auf und Ihr bringt ihn in Gang. So vom Platz weg geht das nicht, wie bei einer Spieluhr, die man nur aufzuziehen braucht. Benner bleibt jetzt jedenfalls in unserer Nachbarschaft und wird uns, wie ich sicher hoffe, öfter besuchen. Dann benutzt Eure Zeit, und wenn Ihr es geschickt anfangt, zweifle ich keinen Augenblick, Ihr werdet Alles aus ihm herausbekommen.«
»Wenn ich nicht fürchten muß den Damen lästig zu fallen, mach' ich gewiß von dieser freundlichen Einladung Gebrauch,« sagte Eduard.
»Lästig fallen,« rief aber der Comthur – »man sollte wahrhaftig glauben, er hätte Deutschland keinen Augenblick verlassen, so geläufig sind ihm noch die faden, nichts meinenden Höflichkeitsformeln – lästig fallen, junger Freund – ein Australier und lästig fallen – da sehen Sie sich einmal die Gesichter der Damen an.«
Das Gespräch wurde jetzt allgemein, aber Eduard fand überall so viel Herzlichkeit, so viel freundliches und unbefangenes Entgegenkommen, daß er auch selber mehr aus sich herausging. Im Anfang war ihm das Gefühl gekommen, als ob er nicht in diesen Kreis gehöre, als ob er ein Eindringling sei in diese Cirkel, wenn ihn auch seine Geburt zu dem Verkehr mit ihnen berechtigte – aber das verschwand. Die dunkle Wolke, die auf seinem Leben lag, lichtete sich mehr und mehr in dem auf ihn einwirkenden Sonnenschein dieses geselligen Kreises; er plauderte und erzählte, und als er endlich, um seinen Weg mit dem Schwager fortzusetzen, Abschied von dem alten Herrn und den Damen nahm, gelobte er ihnen mit Hand und Mund, seinen Besuch recht bald zu wiederholen.
Eduard von Benner befand sich, so lange er in dem Kreis dieser liebenswürdigen Familie weilte, in einer Art von künstlich hervorgerufener Erregung, die ihn der Vergangenheit wie Zukunft entrückte und seine Augen nur an der erfreulichen Gegenwart schwelgen ließ. Er hatte mit Hedwig und den anderen jungen Mädchen gelacht und ihnen eine Menge Dinge von den australischen Wunderlichkeiten erzählt, von den sonderbaren Eingeborenen, von dem fremdartigen Baum- und Pflanzenwuchs, von den ganzen Eigenthümlichkeiten des Landes, dem die kleine Gesellschaft mit der gespanntesten Aufmerksamkeit lauschte.
Jetzt war der Zauber von ihm genommen. Er ritt wieder mit seinem Schwager den breiten, sonngebrannten Weg hinab, der nach dem nächsten Dorf und Rittergut hinüberführte; aber all die alten peinigenden Gedanken stürmten auf ihn ein und plagten sein Herz mit ihren Zweifeln und Vorwürfen, denn das Geheimniß seiner Ehe lag wie ein Alp auf seiner Seele.
Und weshalb hatte er überhaupt ein Geheimniß daraus gemacht? Weshalb seiner Schwester nicht gleich bei seiner Ankunft die unumwundene, doch nicht mehr zu umgehende Wahrheit gesagt? – Wieder und wieder legte er sich die Frage vor, und immer fehlte ihm die Antwort, weil er sich scheute, sie sich selber zu gestehen – er habe sich seines braven Weibes geschämt. Und mußte es Alexandrine denn nicht erfahren? Mußte er denn nicht einmal das doch thun, gegen das er sich jetzt noch sträubte: ein volles Geständniß seines bisherigen Lebens abzulegen, und verschlimmerte er nicht seine Schuld noch durch Verzögerung? –
Wenn er es nun jetzt gleich that, seinem Schwager Alles mittheilte, was ihn bedrückte, sein Herz frei und leicht machte? Aber er wagte es nicht. So oft ihm das Wort auch schon auf den Lippen lag, er vermochte nicht, es auszusprechen, denn er fürchtete die Vorwürfe des strengen Mannes. – Aber seine Schwester wollte er zur Vertrauten machen, sobald er zurück nach Galaz kam; sie sollte, sie mußte Alles wissen, und ihm dann rathen, was er zu thun habe. Sie war ja auch so gut und lieb und hing an ihm mit ganzer Seele, ihr durfte er sagen was ihn bedrängte, und ihrem Ausspruch wollte er sich dann fügen.
»Bist Du ein wunderlicher Mensch,« sagte da Galaz, der an seiner Seite ritt, »eben noch da drin bei Deinen schönen Zuhörerinnen Feuer und Flamme und gar nicht wegzubringen, daß wir jetzt in der heißen Mittagssonne den Weg reiten müssen, den wir hätten in der Morgenkühle zurücklegen können, und nun auf einmal bleich und in Dich gekehrt, Deinem Pferd die Sporen einsetzend, daß ich kaum Schritt mit Dir halten kann, und auf keine meiner Fragen und Zurufe achtend. Deine Erinnerungen haben Dich wohl so lebhaft in Deine »»Malley- und Salzbusch-Scrubs«« zurückversetzt, daß Du ganz in Gedanken hinter einem eingebildeten Dingoe oder Känguruh hersetzest?«
»Sei mir nicht böse, Rudolph,« sagte Eduard, rasch dabei sein Pferd einzügelnd; »Du hast Recht, ich war wirklich mit meinen Gedanken fern, aber nicht in Australien, wie Du zu glauben scheinst, sondern hier bei Euch. Ich kann Dir gar nicht sagen, wie wunderbar für mich der rasche Uebergang von jenem trostlos wilden Leben zu diesem mit Genüssen gesättigten ist, und es giebt noch Stunden, wo es mir vorkommt, als ob ich von einem Zauber befangen sei, der nicht wahr und wirklich sein könne und – ich fürchte mich dann ordentlich vor dem Erwachen.«
»Ich glaube Dir's,« sagte Graf Galaz gutmüthig, »ich glaube Dir's – Dein langes einsames Leben dort, dann die fünfmonatliche Seereise auf einem Schiff, wo Du, wie Du uns erzählt, der einzige Passagier gewesen, das Alles mußte dazu dienen Dich von der Welt abzuschließen, Dich ihr zu entfremden; aber davon werden wir Dich hier bald kuriren, das sei versichert. Es wird nicht lange dauern, und Du fühlst Dich wieder so heimisch bei uns, wie bis jetzt unter Deinen ewigen Gumbäumen – Aber da sind wir an Ort und Stelle,« – unterbrach er sich selber – »das hier ist das Vorwerk, das ich Dir zeigen wollte, und nun laß uns Schritt reiten, damit sich die Thiere wieder ein wenig abkühlen; wir sind fast ein wenig zu rasch hierher gejagt.«
Von jetzt an nahm die Gegenwart und die aufgesuchte Oertlichkeit ihre ganze Aufmerksamkeit viel zu sehr in Anspruch, als daß Eduard noch länger hätte seinen trüben Gedanken nachhängen können; und wahrlich, er suchte ein solches Grübeln nicht, das ihm, je länger es dauerte, je peinlicher wurde. Er wollte vergessen – wenigstens für jetzt. – Was später kommen mußte, kam ja doch.
Erst gegen Dunkelwerden kehrten sie nach Haus zurück, aber auch hier fand sich keine Gelegenheit ungestört mit der Schwester sprechen zu können, denn es war Besuch angekommen, der einige Tage blieb und ein ruhiges Beisammensein unmöglich machte. Er konnte nicht einmal die Abreise desselben erwarten, denn er mußte jetzt selber wieder auf einige Zeit in die Residenz, um seine Geldangelegenheiten mit dem dortigen Banquier zu ordnen und ihm seine Namensunterschrift zu geben.
Von der Residenz aus aber schrieb er einen langen Brief nach Hause an sein Weib – schrieb ihr, daß er noch aufgehalten werde und nicht so rasch zurückkehren könne, als er geglaubt, und schickte ihr in Wechseln auf Adelaide eine nicht unbedeutende Summe Geld, damit sie sich indessen dort jede Bequemlichkeit verschaffen könne, die ihr bis dahin gefehlt. Auch für Becher wies er das ihm zur Reise geborgte Geld an, und fühlte dadurch sein Herz erleichtert – war er doch vor der Hand, soweit er dies vermochte – seinen Verpflichtungen nachgekommen.
In der Residenz wurde er länger aufgehalten, als er gedacht – so viele alte Freunde fand er ja dort, und mit ein oder dem Anderen erst zufällig zusammengetroffen, konnte und durfte er doch auch die Uebrigen nicht vernachlässigen – man hätte es ihm mit Recht übel genommen. Außerdem mußte er sich auch vollkommen neu equipiren. Mit seiner Toilette war es noch immer ziemlich schlecht bestellt, denn nach seiner Ankunft hatte er sich doch nur eben das Nothwendigste angeschafft. Das Alles nahm Zeit weg, und die Zeit flog hier in Europa so entsetzlich rasch; er wußte oft selber nicht, wo so ein Tag geblieben.
Endlich kehrte er nach Galaz zurück, aber die Gastlichkeit der Insassen schien kein ruhiges Leben, wenigstens in der Sommerzeit, zu gestatten. Er fand den alten Comthur mit Hedwig und zweien ihrer jüngeren Schwestern zum Besuch dort, und wurde mit Jubel von der kleinen Gesellschaft empfangen.
Und wie lieb und gut war Hedwig gegen ihn – wie lernte er hier in diesen wenigen Tagen ihr stilles Wirken kennen und schätzen. – Und wie talentvoll war sie dabei – was für reizende Skizzen hatte sie in der kurzen Zeit gemalt, und welche zum Herzen sprechenden Melodieen entlockte sie den Tasten, wie seelenvoll klang ihre Stimme, wenn sie dazu sang. Eduard saß dann stumm und regungslos in einer Ecke des Zimmers, und lauschte wie fernem Orgelklang den lieben Tönen – so weich – so weh war ihm dabei ums Herz, und ankämpfen mußte er gegen sich, um die aufsteigenden Thränen zu bezwingen.
Was es war, das ihn so bewegte? er mochte sich selber keine Rechenschaft darüber geben – er wußte es nicht, aber während es sein Herz mit süßer Wehmuth füllte, überkam ihn eine Angst dabei – eine Angst vor sich selber, die ihm die kalten Tropfen auf die Stirn preßte. Er mußte endlich aufstehen und das Zimmer verlassen, weil er sich zu verrathen fürchtete, und Alexandrine nur, die ihn schweigend beobachtet hatte, folgte ihm mit ihrem Blick.
Liebte er Hedwig? – Sie wünschte und hoffte es, denn erst dann durfte sie fest darauf rechnen, den ruhelosen Geist für immer in ihre Nähe zu bannen. – Aber weshalb dann diese Unruhe, dieser augenscheinliche Schmerz in seinen Zügen. Sie wußte, daß er nicht verzagt war – nie im Leben! Nagte ein anderer Gram an seinem Herzen?
Hedwig hatte den Kopf gewandt, als er das Zimmer verließ und ihm nachgesehen. Und mitten im Gesang ging er fort. Sie endete ihr Lied und sagte lachend:
»Deinen Bruder, Alexandrine, habe ich hinausgesungen.«
»Aber ich glaube,« sagte die Gräfin, »es kann nur schmeichelhaft für Dich sein, denn er schien mir tief ergriffen.«
»Du brave Schwester Du,« lachte das junge Mädchen, »wie wacker Du seine Parthie nimmst – aber ich werde nachher ein Kreuzverhör anstellen und sehen, ob er die nämlichen Entlastungsgründe – wie Großpapa sagt – vorbringen wird, die seine Vertheidigerin aufgestellt hat.«
Alexandrine bat sie jetzt, ein munteres Lied zu singen, und das junge Mädchen willfahrte gern, neigte ihr ganzes Wesen doch auch viel mehr dem Heiteren, als Ernsten und Schwermüthigen zu. Sie sang einige reizende österreichische Lieder, deren Dialekt sie vollständig mächtig war, und lächelte dabei still vor sich hin, als sich die Thür wieder leise öffnete und Eduard zu seinem verlassenen Sitz zurückglitt. Er hatte sich unbemerkt geglaubt und dabei nicht beachtet, daß ein großer, unfern von dem Instrument stehender Spiegel, jede seiner Bewegungen der nur zu aufmerksamen Sängerin verrieth.
Als sie endlich schloß und von ihrem Sitz aufstand, kam auch Eduard mit den übrigen herbei, um ihr seinen Dank auszusprechen.
»Nun, Herr von Benner,« sagte sie und bemühte sich vergebens dabei ernsthaft zu bleiben, – »was hat Ihnen nun besser gefallen, mein schwermüthiges elegisches Lied vorher oder die heiteren Melodieen jetzt?«
»Mein gnädiges Fräulein,« erwiderte Eduard, dem nicht entgehen konnte, daß Muthwillen hinter der Frage lauerte – »glauben Sie mir auf mein Wort, daß ich noch nicht lange genug wieder im Vaterlande bin, um mich einem solchen Genuß unbefangen hinzugeben. Alte wehmüthige Erinnerungen tauchen mit den lange – o so ewig lange nicht gehörten lieben Klängen zugleich in meinem Herzen auf – Reminiscenzen aus einer vergangenen – verlorenen Zeit und ich weiß dann selber nicht, ob ich aufjubeln – ob ich trauern soll.«
»Und siehst Du, Hedwig, daß ich Recht gehabt?« rief Alexandrine, indem sie mit Herzlichkeit des Bruders Hand ergriff.
»Und haben Sie sich das erst draußen überlegt?« lächelte aber diese, nicht gewillt ihn so leicht durchschlüpfen zu lassen.
»Zürnen Sie mir nicht, mein gnädiges Fräulein,« bat da der junge Mann, »wollte ich Ihnen die Ursache meiner Bewegung sagen, Sie würden mich vielleicht nicht einmal verstehen.«
»Sie können auch grob werden,« neckte das junge Mädchen.
»Danken Sie Gott, daß Sie es nicht verstehen können,« lautete aber die ernste Antwort. »Das Verständniß ist mit schwerem Leid erkauft und theuer – entsetzlich theuer, denn wir zahlen es gewöhnlich mit den besten Jahren unseres Lebens.«
Hedwig erschrak ordentlich vor dem düstern Ausdruck in seinen Zügen und lenkte freundlich ein.
»Aber Herr von Benner, ich habe Sie ja nicht böse machen wollen; zürnen Sie nicht meinem tollen Muthwillen, der Sie vielleicht verletzte, wo – er nur ein wenig necken sollte –«
»Mein liebes gnädiges Fräulein,« erwiederte Benner, »glauben Sie um Gottes Willen nicht, daß Jemand Ihnen zürnen könnte –«
»Also auch zu schmeicheln verstehen Sie? – Sie sind vielseitig.«
»Nein,« sagte Eduard treuherzig, »das habe ich glücklicherweise, mit mancher anderen unnützen Eigenschaft, da draußen in der Welt abgeschliffen – ich kann nicht heucheln und wie ich mich gebe bin ich.«
»Wollte Gott, alle Menschen könnten das von sich sagen,« seufzte Hedwig – »es wäre besser auf der Welt.«
Alexandrine hatte ihren Bruder, während er sprach, still und schweigend beobachtet, jetzt da die Unterhaltung eine zu ernste Wendung zu nehmen schien, trat sie an's Instrument und fiel rasch in eine muntere Weise ein, die bald alle trüben und schwermüthigen Gedanken zerstreuen mußte. Hedwig jubelte auch gleich wieder auf, und in wenigen Minuten hatte sie den bösen Geist beschworen, der die Fröhlichkeit des kleinen Kreises stören wollte. – Aber im eigenen Herzen war es der Schwester trotzdem nicht so leicht zu Muthe, denn Eduards ganzes Benehmen verrieth, daß ihm irgend etwas – was es auch sei, die Seele drücke – und weshalb gestand er ihr das nicht? War es wirklich erwachende Liebe für das junge, reizende Mädchen – aber weshalb da dieser kummervolle, schmerzliche Zug um den Mund? War das eine Quelle der Sorge und hätte es nicht eher das Gegentheil, eine Quelle der Freude und des erwachenden Glückes sein müssen?
Die jungen Damen blieben noch bis spät in die Nacht bei ihnen, und Alexandrine beschloß ihren Bruder an diesem Abend scharf und heimlich zu beobachten, ob sie etwas weiteres an ihm entdecken könne, wo nicht aber, ihn morgen direct zu fragen, was ihm fehle, denn fehlen mußte ihm etwas, und ihm ihre Hülfe anzubieten. Sie war ja so glücklich ihn wieder zu haben, und konnte ihn da nicht traurig sehen, wo gerade Alles zusammentraf, um ihn mit dem früher verlorenen Leben wieder auszusöhnen.
Durch die heiteren Weisen angeregt, schien er auch wirklich seinen trüben Gedanken entzogen zu sein, und als sich nach Tisch die kleine Gesellschaft noch auf der Terrasse versammelte, wurde er sogar heiter und gesprächig.
Es war auch ein lauschiges Plätzchen zum Erzählen, diese Terrasse in der Blüthenzeit des Jahres. Breit und geräumig, mit feinem Kies bestreut, umzog sie eine niedere steinerne Balustrade, auf den Pfeilern mit Vasen bestellt, in denen breitblättrige stachliche Aloepflanzen üppig wucherten. In der Mitte derselben war ein Bassin von weißem Marmor angebracht, aus dem ein kleiner Springbrunnen emporstieg, gerade hoch genug, um durch sein leises melodisches Plätschern die Stille zu unterbrechen, und doch das Gespräch nicht zu stören. Auf den Marmortischen brannten Windlichter in hohen geschliffenen Gläsern und warfen ihren matten Schein auf die umhergepflanzten Blüthenbüsche, während von dem mit eisernen Stäben umzogenen Portal des Gartensalons blühendes Jelängerjelieber niederhing, die Luft mit seinem Wohlgeruch erfüllte und zahlreiche große, prächtig farbige Nachtfalter anzog, die darum her und oft über die Lichter surrten.
Und weit da draußen lag der Park mit seinen duftenden Wiesen und seinem breiten Wasserspiegel des Teichs, in den der Mond sein Licht niederstrahlte, und auf dem noch silberblitzende Schwäne herüber und hinüber zogen, während ein leiser Luftzug über die paradiesisch schöne Gegend strich.
Unten im Park schlug eine Nachtigall und die kleine Gesellschaft war aufgestanden und an die Terrasse getreten, um den lieben Tönen zu lauschen – jetzt schwieg sie, und lautlos schauten sie Alle in die stille herrliche Nacht hinaus.
»Und ist es auch so schön bei Ihnen in Australien, Herr von Benner?« sagte da Hedwig, die an seiner Seite stand – mit leiser Stimme – »haben Sie auch dort solche Nächte, einen solchen Himmel, solche Scenerie?«
»Nein, mein Fräulein,« erwiederte Benner bewegt – »für den Australier vielleicht, aber nicht für uns, deren Seele noch am deutschen Boden hängt. – Es giebt doch nur eine Heimath, und wo die ein solches Paradies umschließt, wer kann es dem Menschenherzen da verdenken, wenn es an ihr mit allen Fasern hängt.«
»So sehnen Sie sich nicht dorthin zurück?«
Eduard schwieg – die Frage traf ihn tief ins Mark, denn Alles was den Menschen an dies Leben bindet: Weib und Kind lag ihm dort, und hätte ihn mit allen Banden der Seele zurückziehen müssen.
»Es ist eine merkwürdige Thatsache mit uns armen Sterblichen,« sagte er endlich, »daß wir einen Platz, auf dem wir lange gelebt – ob es uns dort gut gegangen – ob wir Leid oder Weh erfahren – lieb gewinnen, und mit Wehmuth von ihm scheiden. Ja den Gefangenen sogar soll ein solches Gefühl ergreifen, wenn er aus seiner Zelle scheidet, aus der er sich lange, lange Jahre mit blutendem Herzen herausgesehnt. Wird ihm aber die Freiheit endlich, und darf er den Schauplatz seines Jammers verlassen, so erfüllt ihn ein Gefühl der Wehmuth, von den Mauern jetzt für immer Abschied zu nehmen, die so oft seine Seufzer und Thränen gesehen.«
»So war Ihnen Australien ein Gefängniß?« sagte das junge Mädchen mit tiefem Gefühl – »o bitte, erzählen Sie uns einmal, wie Sie die letzte Zeit dort gelebt, was Sie gethan und getrieben, wer mit Ihnen verkehrt und was Sie ertragen. Für uns, die wir Sie jetzt kennen, ist das ja Alles, selbst die größte Kleinigkeit von Interesse.«
»Auch uns hast Du eigentlich noch Nichts von Deinem dortigen Leben erzählt,« bat jetzt auch Alexandrine – »von den Menschen dort wohl, den wilden und zahmen, von den Pflanzen und Thieren – aber nie von Dir selber. Du bist hier unter lauter Freunden, lege einmal eine offene Beichte ab.«
Alles drang jetzt in ihn, seine Schicksale zu erzählen – aber so heiter und unbefangen Eduard auch vorher wieder geplaudert hatte, jetzt zog er sich scheu in sich selbst zurück. Er gab ausweichende Antworten – er sei dazu nicht in der rechten Stimmung – es wäre auch zu einförmig, um die Gesellschaft zu unterhalten – kurz er wich aus, und da man fühlte, daß er es nicht gern that, hatte man Takt genug, nicht weiter in ihn zu dringen.
Das Gespräch drehte sich jetzt um alltägliche Gegenstände, und erst gegen elf Uhr fuhr der Wagen des alten Herrn vor, der die Familie zurück auf ihr Schloß brachte.
Eduard von Benner hatte eine schlaflose Nacht; er fühlte, daß er so nicht länger fortleben, daß er nicht länger das Geheimniß seiner Ehe gegen seine Schwester, gegen seinen Schwager wahren könne und dürfe. Ihnen wenigstens mußte er gestehen, was ihm auf der Seele lastete, was ihm die Heimath, das Glück, das ihn hier umgab, zu einem täglichen Vorwurf machte, und ihn zuletzt doch noch zwingen würde, nach jenem entsetzlichen Land zurückzukehren. Oder hätte er wagen dürfen seine Frau, seine Schwiegereltern, die Schuhmachersleute in diese Kreise einzuführen? – Es war nicht möglich, das sah er vollkommen ein, und was anders blieb ihm übrig als sein verfehltes Leben nun auch durchzuführen, wie er es selber sich gestaltet hatte – was konnte er thun, um diesem Zwitterdasein entzogen, von ihm befreit zu werden?
Oh, wohl fielen ihm jetzt die Warnungen seines früheren Freundes Krowsky ein, der ihn so oft und dringend abgemahnt, den Schritt zu thun – wohl bereute er jetzt bitter, ihm damals nicht gefolgt zu sein und hartköpfig auf seiner tollköpfigen Idee beharrt zu haben – es war zu spät – der Würfel gefallen und er mußte das Unvermeidliche jetzt tragen und – elend sein.
Elend? er wagte nicht dem Gedanken zu folgen, wenn er an sein liebes, braves Weib da draußen dachte – wie treu sie an ihm hing, wie ihre ganze reine, unschuldige Seele nur ihm gehörte, nur für ihn sorgte und mühte, und er? worüber grübelte – worüber sann er? Er barg das Antlitz in den Händen, so erfaßte ihn ein Gefühl von Scham und Reue und dennoch – dennoch fehlte ihm die Kraft sich aufzuraffen, und das zu thun, was ihm sein Gefühl für Recht gebot – was er thun mußte, wenn er sich nicht selbst verachten sollte.
Ermüdet vom vielen Denken schlief er endlich ein, aber der nächste Morgen brachte ihm keine Linderung, ja vermehrte nur das Qualvolle seines Zustandes, weil es ihn der Entscheidung näher brachte. Er fühlte aber auch – heute Morgen mit kaltem Blute sowohl, wie gestern Abend in der Aufregung, in welche ihn Hedwigs Gegenwart versetzt, – daß er mit seiner Schwester offen sprechen müsse. In welchem Licht wäre er ihr sonst später erschienen, wenn sie – was auf die Länge der Zeit unvermeidlich blieb – das Verhältniß doch erfuhr, in dem er stand.
Es wurde ihm entsetzlich schwer zu dem Entschluß zu gelangen, aber er sah auch keine Möglichkeit, ihm länger auszuweichen, und mit dem fast ebenso unbehaglichen Gefühl des Zwangs, zog er sich endlich an und ging zum Frühstückstisch hinüber.
Sein Schwager und seine Schwester erwarteten ihn schon; die Kinder frühstückten immer mit ihrer Bonne zeitiger im Garten – und Alexandrine sah dem Bruder auf den ersten Blick an, daß ihn etwas bedrücke oder daß er sich vielleicht leidend fühle. Seine Züge hatten einen überwachten Ausdruck – die Augen lagen ihm tief in den Höhlen, auch seine Wangen waren auffallend bleich. Bei dem Frühstück blieb er ziemlich einsilbig; auf die Frage, ob ihm etwas fehle, gab er eine ausweichende Antwort – etwas Kopfschmerzen, Nichts weiter. Die Schwester ließ es dabei bewenden. Graf Galaz erzählte ihm von einem Paar prächtigen Pferden, die ihm heute Morgen zugeschickt worden und die sie nachher probiren wollten. Eduard hatte den Wunsch geäußert, ein Gespann zu kaufen – er ging ziemlich theilnahmlos darauf ein.
Die Diener kamen herein, und trugen das Frühstücksgeschirr hinaus. Die Drei waren allein.
»Nun, hast Du jetzt Lust, Eduard,« sagte der Graf, »so will ich anspannen lassen. Der Himmel ist heute umzogen und ein prächtiger Tag zum Fahren.«
»Eduard,« sagte da Alexandrine herzlich und ergriff seinen Arm – »Dir liegt etwas auf der Seele – was es auch sei – Wende Dich nicht ab, und denke daß Du keine treueren Freunde auf der Welt hast, als uns – Schütte Dein Herz aus; sag uns, was Dich drückt, und sei versichert, daß Du von uns die innigste, aufrichtigste Theilnahme, und wenn nöthig auch Hülfe und Beistand zu gewärtigen hast.«
»Es ist wahr, Eduard,« bestätigte auch der Graf, »etwas muß in Dir nicht richtig sein. Entweder liegt Dir irgend eine Krankheit in den Knochen – Du hast Dich vielleicht noch nicht wieder genug acclimatisirt, und dafür habe ich es bis jetzt gehalten, oder – Alexandrine hat Recht und irgend eine Sorge, ein Kummer nagt Dir am Herzen. Ich brauche Dir nicht zu sagen, wie gern ich Dir helfen möchte – wenn Du überhaupt Hülfe brauchst. Aber drückt Dir wirklich etwas die Seele, dann auch herunter damit, daß Du uns wieder ein freundliches, unbekümmertes Gesicht zeigst. Es thut mir weh, Dich so zu sehen.«
Benner saß, den Arm auf den Tisch gestützt, mit niedergeschlagenen Augen da. Er hatte ja zu ihnen reden, ihnen Alles gestehen wollen was ihn quälte, jetzt aber, da der Augenblick nahte, fehlte ihm wieder der Muth, denn er wußte ja nur zu gut wie der Theil der Gesellschaft, zu welchem die Seinigen gehörten, in dem sie lebten und wirkten, seine Stellung beurtheilen würde. Aber er konnte auch nicht mehr zurück – schon durch sein halbverlegenes Schweigen hatte er eingestanden, daß wirklich nicht Alles mit ihm sei wie es solle, daß ihn irgend etwas peinige –; Schweigen hieß jetzt den ihm liebsten Menschen das Vertrauen weigern, und sich plötzlich gewaltsam emporraffend, sagte er scheu:
»Ja, Alexandrine – ja, Rudolph, Ihr habt Recht – ich hatte in der That bis jetzt vor Euch ein Geheimniß – und daß ich es hielt mag Euch beweisen, wie ich selber das Drückende meiner Lage fühle. Aber es soll nicht länger so zwischen uns sein, und dann rathet mir was ich thun – wie ich handeln soll.«
»Mein guter Eduard!«
»Hört mich. – In Australien, abgeschnitten von Allem an dem bis jetzt mein Herz hing, freundlos, freudlos, allein und verlassen und auf meiner Hände Arbeit angewiesen, mit meinem Vater entzweit, also auch jede Rückkehr nach Europa verlegt und unmöglich gemacht, trieben mich Trotz und Verzweiflung zu einem Schritt, der mich für immer an Australien fesseln sollte – ich heirathete.«
»Du bist vermählt?« rief Alexandrine erstaunt, fast erschreckt aus.
»Vermählt – ja,« sagte Eduard bitter und leise vor sich hin, »mit der Tochter eines Schuhmachers, die, als ich sie kennen lernte, bei einem deutschen Apotheker – in Diensten stand –«
Alexandrine erwiederte kein Wort – sie war todtenbleich geworden, und ihre Gestalt zitterte – sie mußte sich auf den Stuhl niedersetzen, neben dem sie stand.
»Jetzt wißt Ihr Alles,« fuhr er dann leise fort – »mein Weib ist gegenwärtig mit unserem Kind bei ihren Eltern in Tanunda und erwartet mit Sehnsucht meine Rückkehr nach Australien. – Meine dort übernommene Pflicht zwingt mich, dahin zurückzukehren, denn – ich darf Euch hier keine Schande machen.«
»Oh Eduard, Eduard, hast Du denn gar nicht mehr an uns gedacht?« klagte da seine Schwester; »mußtest Du Dich denn mit Gewalt von Allem losreißen, was Dir noch lieb und theuer war auf der Welt – hatten wir das um Dich verdient?«
»Es ist zu spät darüber jetzt zu klagen,« sagte ihr Bruder finster – »was ich mir aufgebürdet, muß ich tragen, und wie es mein Herz auch hier nach Deutschland ziehen und hier halten mag, mein selbstgeschaffenes Schicksal zwingt mich in jenen fernen Welttheil zurück.«
Graf Galaz hatte in der ganzen Zeit kein Wort gesprochen. Er stand mit der Schulter an den Pfeiler der Gartenthür gelehnt, die Arme untergeschlagen, die Augen, so lange Eduard sprach, fest und forschend auf diesen geheftet. Jetzt schaute er still und überlegend vor sich nieder.
»Und ist das Dein fester Wille?« sagte er endlich leise.
»Was Anderes soll ich – kann ich thun?«
»Laß uns Zeit zum Ueberlegen Eduard,« erwiederte da der Graf ruhig, »denn die Sache ist in der That zu wichtig, um über's Knie gebrochen zu werden. – Ich will es mir indessen überdenken – ich will mit Deiner Schwester darüber reden, ich – muß mir selber erst klar darüber werden, denn ich kann Dir gestehen, Du hast uns überrascht – ich war auf etwas Derartiges nicht vorbereitet.«
Eduard wollte etwas erwiedern, aber er vermochte es nicht. Er ging auf Graf Galaz zu und drückte ihm die Hand, küßte seine Schwester und verließ dann rasch das Zimmer. Draußen befahl er sein Pferd zu satteln, und ritt gleich darauf hinaus in den Wald.
Auch Galaz blieb nicht daheim – er ließ sich die neu gebrachten Pferde einschirren, und ging indessen, während Alexandrine auf dem Sopha saß und still weinte, mit raschen Schritten im Saale auf und ab – aber keins von ihnen sprach ein Wort. Erst als der Diener meldete es sei vorgefahren, und dann wieder die Thür schloß, trat er zu seiner Gattin und sagte herzlich:
»Sorge Dich nicht, Alexandrine; es kann noch Alles gut werden – lasse mir nur Zeit zum überlegen – Dein Bruder ist in treuen Händen, sei versichert.«
»Mein guter Rudolph, oh, der arme, arme Eduard!«
»Banne die trüben Gedanken, Schatz, ich bin bis um 12 Uhr wieder zurück; bis dahin wird auch Eduard vielleicht da sein, und wir halten dann Familienrath.«
»Und was denkst Du, daß er möglicher Weise thun kann?«
»Noch weiß ich Nichts, Kind – gar Nichts. Der Kopf wirbelt mir nur von dem Gehörten; das muß erst klar werden und sich sichten; alles Andere findet sich ja dann leicht. Leb wohl indessen, und laß mich wieder ein freundliches Gesicht sehen, wenn ich zurück komme.«
Ein freundliches Gesicht – Du großer Gott, der armen Frau war das Herz recht voll und schwer, als sie ihr Gatte verlassen hatte, denn wohl sorgte sie sich um den Bruder, den sie so – wenigstens für sie in Deutschland – verloren glaubte. – Und was konnte ihr Gatte dabei thun? – Das Band lösen, das ihn dort fesselte? – Scheidung? – aber was hatte das arme Weib verbrochen, die vielleicht mit aller Liebe an ihm hing. – Der Kopf schmerzte sie vom vielen Sinnen, und sie mußte sich gewaltsam aufraffen. Sie wollte sich beschäftigen – sie wollte lesen – es ging Alles nicht – an was konnte sie anders denken, als an das, was jetzt ihr ganzes Herz erfüllte. Erst in der Musik fand sie zuletzt eine Erleichterung, um die langen, langen Stunden hinzuweilen, die noch zwischen jetzt und der Entscheidung lagen.
Um ein Uhr kehrte Graf Galaz zurück, gleich nach ihm, fast mit ihm zugleich, Eduard. Er sah bleich und angegriffen aus und drückte, als er in's Zimmer trat, seiner Schwester bewegt die Hand.
»Eduard,« sagte da der Graf, »es bedarf keiner weiteren Vorrede, denn daß uns Beide Dein künftiges Schicksal, seit dem Augenblick wo Du uns Dein Geheimniß entdecktest, ausschließlich beschäftigt hat, versteht sich von selbst. Es bleiben Dir aber nur zwei Wege, das seh' ich ein, und wenn es Dir irgend möglich wäre, würde ich Dir rathen, den einen einzuschlagen, denn natürlich möchten wir Dich doch gern in unserer Nähe behalten.«
»Und der ist?« fragte Eduard leise und scheu.
»Scheidung,« erwiederte ruhig der Graf, »und zwar nicht allein Scheidung Deiner selbst, sondern auch Deiner Frau wegen.«
»Meiner Frau?«
»Allerdings. Du kannst nicht daran denken nach Australien zurück zu gehen. Wie ich Dich jetzt hier kenne, nach Allem was ich von Dir gesehen, würdest Du Dich dort namenlos elend fühlen. Auch die Verbindung selber läge Dir jetzt wie eine Last auf, und hinderte Dich an all Deinen Bewegungen. Früher ja, in Deinem tollköpfigen Sinn, mit dem Vaterland vollständig zu brechen, hast Du das nicht so gefühlt – ja im Gegentheil erweckte vielleicht gerade die Gründung eines eigenen Heerdes, mit einer Frau, die Deine Arbeit theilen mußte – Dein Selbstgefühl, und Du fandest darin einen Ersatz für das Aufgegebene. Jetzt ist das anders. Kehrtest Du jetzt in jene Verhältnisse zurück, so würdest Du Dich elend fühlen und damit Dein armes Weib auch elend machen – und wolltest Du sie herüber kommen lassen – sage Dir selbst, ob Du mit der Verwandtschaft hier bei all unseren Freunden einen Verkehr halten könntest. Jetzt empfängt Dich Alles mit offenen Armen, aber dann – der Stand, die geringe Bildung Deiner Frau würde sich augenblicklich verrathen, und hat sie nur ein klein wenig Gefühl, so müßte sie sich selber unglücklich fühlen, wenn sie sieht, daß sie Dich durch das Zusammenleben mit Dir unglücklich macht.«
»Und der andere Weg?« frug Eduard mit einem tiefen Seufzer.
»Der andere,« sagte der Graf, »ist der, daß Du Deine Frau herüber kommen läßt und mit ihr auf Dein Gut in Schlesien ziehst, um dort, abgeschlossen von der Welt, zu leben. – Dann freilich bist Du für uns verloren, und, einen gelegentlich kurzen Besuch abgerechnet, würden wir wenig von einander zu sehen bekommen. Aber selbst dort bleibst Du dem ausgesetzt, daß sich die benachbarten Gutsherren von Dir zurückziehen – die Männer weniger als die Frauen, denn jeder Stand, mein Freund – wir ändern nun einmal die Welt nicht – hat seinen Stolz, und hält auf seine Rechte.«
»Und sind solche Vorurtheile nicht thöricht? – schlecht?« rief Eduard bewegt aus.
»Sie haben ihre Berechtigung,« erwiederte ruhig der Graf. »Ich selbst halte die Menschenrechte des gemeinen Arbeiters so hoch, als meine eigenen, aber – ich verkehre trotzdem nicht gesellschaftlich mit ihm, weil sein Bildungsgrad dem meinen nicht behagt, weil seine Angewohnheiten und Sitten mir nicht in meinem gewöhnten Leben zusagen – nicht etwa aus dem Grund, weil ich ihn geringer achtete. Erstlich kann ich mich nicht mit ihm über das unterhalten, was mich interessirt, dann raucht er einen sehr schlechten Tabak und spukt in die Stube – lauter Dinge, die mir fatal sind und mir Ekel verursachen. Er gebraucht auch kein Eau de Cologne – obgleich er es manchmal nöthig hätte; kurz, ich fühle mich nicht in seiner Gesellschaft behaglich und ihm geht es mit mir genau so. Glaube auch um Gottes Willen nicht, daß unser Stand allein dieses Vorurtheil hat; bis zu den untersten Schichten der menschlichen Gesellschaft triffst Du das nämliche – »Gleich und gleich gesellt sich gern« ist ein altes vortreffliches Sprichwort und wir müssen dafür büßen, wenn wir es vernachlässigen. Folgst Du also meinem Rath, so setzt Du Dich in Güte mit der Familie auseinander. Du hast die Mittel, sie vollständig und reichlich zu entschädigen, ja ihnen für Sorgen und Noth, die sie vielleicht bis jetzt gehabt, einen Wohlstand zu schaffen. Das bist Du ihnen auch schuldig und wirst nicht knausern.«
»Und sein Kind?« rief da Alexandrine, die bis jetzt mit ängstlich erregten Zügen den Worten des Gatten gelauscht hatte – »oh, wie hart, wie grausam Ihr Männer seid! Und das arme Wesen, das ihm ihre Liebe gegeben, ihm ihr ganzes Leben geweiht hat, gilt Euch nichts weiter, als daß man ihr Schmerz und Sehnsucht mit Geld – mit einem »Wohlstand« abkaufen könne?«
»Und weißt Du einen anderen Ausweg, Alexandrine?«
»Wäre es denn nicht möglich die Frau zu uns herauf zu ziehen?« rief bittend die Gräfin, »sollte Eduard so tief gegriffen haben, seine Gattin aus dem rohsten, unformbarsten Material zu wählen?«
Eduard schwieg und sah seufzend vor sich nieder.
»Also wirklich,« stöhnte die Schwester, »aber so beschreib' uns Deine Frau,« rief sie plötzlich, von einer neuen Hoffnung belebt – »Du hast uns noch kein Wort über sie gesagt – beschreib' sie, wie sie ist – wie Du sie lieben lerntest – wie sie Dein Herz gewann. Sie mag von niederem Stande sein,« fuhr sie lebendig fort, »und doch hat man Beispiele, daß sich gerade Frauen in selbst ungewohnte Verhältnisse leicht und ungeahnt rasch hinein fanden. – Sie hat doch ein hübsches, freundliches Gesicht?«
»Lieb und gut,« sagte Eduard bewegt, »ihre Züge sind nicht grob oder bäuerisch, eher fein, ja fast edel – ihre Hände, trotz der harten Arbeit, die sie gethan, weiß und zart. Sie hat blondes Haar und treue blaue Augen und ist schlank und hoch von Wuchs.«
»Wo stammt sie her?«
»Ihr Geburtsort ist Landau. Aber täusche Dich nicht, Alexandrine,« setzte er hinzu, »aus einem Kinde läßt sich ein ander Wesen formen, nicht aus einer erwachsenen Frau. Sie kennt Nichts von der Welt, als daß sie zur Arbeit von Jugend auf bestimmt war; sie hat Schreiben und Lesen gelernt, und ein klein wenig Rechnen: dies, mit ihrem Katechismus, bildete ihre einzige Erziehung. Sie singt wie eine Lerche, aber lachte laut auf, als ich ihr die ersten Noten zeigte und ihr erklären wollte, daß das Töne wären. – Auch in anderer Weise hab' ich es versucht – es that mir im Herzen weh, sie so in Unwissenheit hinleben zu sehen; ich verschaffte mir Bücher und wollte sie zum Lesen bringen – aber umsonst. Ja, kleine fade Geschichten und Schnurren las sie wohl einmal und lachte herzlich darüber, aber sie bekam es rasch wieder satt, warf das Buch fort, sagte das sei Faullenzen, und sprang singend an ihre Arbeit.«
Alexandrine hatte ihm schweigend zugehört, und während er sprach, haftete ihr Auge ernst und wehmüthig an seinen Zügen.
»Und nun?« sagte sie, während sich ein tiefer Seufzer ihrer Brust entrang – »was hast Du selbst beschlossen, denn Dir vor Allen gebührt die Entscheidung für Deinen künftigen Lebensweg.«
»Ich weiß es selber nicht,« stöhnte Eduard – »ich fühle, daß Rudolph Recht hat, und doch zieht mich mein Herz dorthin zurück, wo ich nie wieder glücklich werden kann. Wollte Gott, ich wäre todt.«
»Das ist der Ausruf feiger Verzweiflung,« sagte der Graf kalt, »schäme Dich, Eduard, in Deine Seele hinein. Erst im Unglück beweist sich der Mannesmuth, im Sturm der tüchtige Seemann, und wer da zaghaft das Ruder aus den Händen läßt, verdient nichts Besseres, als daß er eben zu Grunde geht.«
»Sei ein Mann.«
»Und mein Kind?«
»Vom achten Jahre an gehört es dem Vater. Sie wird es Dir auch nicht vorenthalten, wenn ihr des Kindes Wohl am Herzen liegt. Ist es Knabe oder Mädchen?«
»Ein lieber, herziger Knabe, der der Mutter sprechend ähnlich sieht.«
»Und von dem soll sie sich trennen?« sagte Alexandrine bewegt.
»Noch lange nicht, mein Herz,« erwiederte ihr Gatte – »noch viele Jahre soll sie es bei sich behalten, bis sie selber anfängt, sich um seine Erziehung zu sorgen. Dann erst übernimmt der Vater dieselbe, und enthebt sie dadurch einer Last und Verantwortlichkeit.«
»Einer Last,« wiederholte die Frau wehmüthig – »oh wie wenig versteht Ihr Männer doch das Herz einer Mutter. – Einer Last – als ob uns ein Kind eine Last sein könnte. Aber Eines bedenke wohl, Eduard – was Du auch thust, handle nie, daß es Dir zu einem Vorwurf für Dein späteres Leben wird.«
»Aber Alexandrine,« rief ihr Gatte.
»Gott ist mein Zeuge,« sagte die Gräfin bewegt, »wie glücklich es mich machen würde, Eduard bei uns zu behalten, aber – ich möchte dieses Glück nicht mit der Ruhe seines Gewissens erkauft haben.«
»Und soll er sein Weib unglücklich machen,« rief ihr Gatte, »indem er sie in Kreise und Verhältnisse führt, in denen sie sich elend fühlen muß? Willst Du die Verantwortung tragen, wenn sie ihn selber anklagt, sie aus ihrer Sphäre gerissen zu haben? –«
»Oh mein Gott!« stöhnte die Frau.
»Ueberlaßt mir das Ganze,« sagte der Graf freundlich, »ein Dritter ist da immer weit besser im Stande ruhig und kaltblütig zu handeln, als die dabei Betheiligten. Was ist ihr Vater für ein Mann, Eduard?«
»Ein ehrlicher braver Handwerker,« erwiderte Benner, »bieder und derb, aber auch natürlich roh und rücksichtslos, doch mit viel praktischem Verstand, soweit es eben sein Geschäft und auch den Ackerbau betrifft. Er hat in seiner Jugend hart gearbeitet, um etwas vor sich zu bringen, und da er das erreicht, scheint sich sein Fleiß, anstatt das Gewonnene zu genießen, verdoppelt zu haben.«
»Er liebt das Geld?«
»Mein Himmel, es ist für alle diese Leute das höchste Ziel – nicht etwa des Geldes selber wegen, sondern weil sie Alles damit erreichen können. Der alte Peters ist nicht schlimmer und nicht besser, als die Uebrigen, aber so herzlich ich Dir für Deine treue Liebe danke, Rudolph, in dieser Sache mußt Du mir selber das Handeln überlassen.«
»Du willst selber schreiben?«
»Lass' mir Zeit – es darf nicht übereilt werden – ich kann mein Weib nicht so bitter kränken, mich nicht so rasch, so plötzlich von ihr trennen.«
»Und was willst Du sonst thun?«
»Ihr schreiben, daß ich noch nicht hier abkommen könne, daß vielleicht noch längere Zeit vergehen würde, ehe ich im Stande wäre, zu ihr zurückzukehren, ja daß es vielleicht die Umstände nöthig machten, noch Jahr und Tag hier auszuharren.«
»Das bleibt eine Galgenfrist, denn die Zeit verfliegt.«
»Lass' sie sich erst an die Trennung gewöhnen,« bat Eduard – »laß mich selber erst klar mit mir werden. Daß es ihnen indessen da drüben an nichts fehlt, soll meine Sorge sein.«
»Du bist noch unentschlossen?«
»Ja – Du weißt nicht, mit welcher Liebe Henriette an mir hängt. Was geschehen muß, mag die Zeit bringen, aber ich bin nicht im Stand ein Band freiwillig und so rasch zu lösen, das ich selber geknüpft und in dem ich mich einst glücklich fühlte.«
»Und hast Du wirklich noch eine Idee, wieder nach Australien zurückzukehren?« fragte Graf Galaz erstaunt.
»Ich weiß es nicht,« erwiderte unentschlossen der junge Mann – »jetzt nicht – nicht in nächster Zeit – ich bleibe bei Euch – ich könnte jetzt nicht einmal fort, wo mir so viel zu ordnen, einzurichten bleibt. Lass' mir Zeit, Rudolph, ich bitte Dich dringend darum.«
»Ich dränge Dich nicht,« sagte der Graf ruhig – »besser für alle Theile wäre es freilich, so rasch als möglich zu einem Verständniß zu kommen, denn Nichts ist peinlicher, als eine solche Ungewißheit, ein solches Schwanken. Aber ich bin auch damit einverstanden, daß Du Dich noch erst ein wenig mehr in unsere Verhältnisse einlebst. Was dann geschehen muß, geschieht doch. Uebrigens versteht es sich von selbst, daß wir der Welt gegenüber Nichts von der Sache erwähnen; wir wollen nicht muthwillig ihre Vorurtheile herausfordern.«
Eduard von Benner hatte sich dadurch sein Loos erleichtert, daß er sich offen gegen seine Verwandten ausgesprochen; er brauchte jetzt kein Geheimniß vor ihnen zu verbergen, aber in der Sache selber war freilich noch immer Nichts damit geändert – gebessert worden. Nur Zeit hatte er gewonnen – Zeit um zu grübeln und zu brüten und unentschlossen zwischen dem zu schwanken, wohin ihn die Pflicht zog, und dem, wozu ihn die Verhältnisse, seine ganze gesellschaftliche Stellung in der Welt trieben.
Er vergaß aber dabei nicht sein Weib und Kind, und hielt wenigstens insofern Wort, daß er für ihr materielles Wohl sorgte. Er schickte Geld hinüber und entschuldigte sein Zögern. Er erhielt auch Antwort, obgleich er noch in keinem Brief seine Adresse hinübergesandt. Der gefällige Becher vermittelte das stets durch seine »Consularverbindungen«. Der Brief kam richtig an – aber er konnte sich nicht darüber freuen. Wohl gab er ihm Kunde, daß sich Frau und Kind gesund befanden und nach ihm mit treuer Liebe sehnten, aber – er war entsetzlich unorthographisch geschrieben und auf grobem Schreibpapier, die Oblate mit einem Six pence zugedrückt – Er verbrannte den Brief, damit er nicht zufällig in andere Hände fiele.
Arme Henriette, und so viele, viele Mühe hattest Du Dir gegeben, diese Zeilen zusammen zu bringen, und so viele heiße Thränen dabei geweint, und Dich doch so sorgfältig dabei gehütet, daß keine von allen auf das Blatt fiel, um Deinem Eduard keinen Kummer zu bereiten.
Und die Zeit verging – Schon waren 18 Monate verflossen, seit er deutschen Boden wieder betreten hatte, und in seinem Verhältniß zu Australien keine andere Veränderungen eingetreten, als daß seine Geldsendungen reichlicher – seine Briefe aber dahin spärlicher und kürzer wurden.
In dieser Zeit, während er sich den geselligen Freuden der Nachbarschaft mit Leib und Seele hingab, ward ein Unterschleif entdeckt, den sein Verwalter auf dem schlesischen Gut gemacht hatte, und es war nöthig geworden, die Sache dort selber an Ort und Stelle zu untersuchen und in Ordnung zu bringen. Da zu dem Gut nicht unbedeutende Jagd gehörte, so entschloß sich Graf Galaz ihn zu begleiten, und ihre Abwesenheit wurde auf vier bis sechs Wochen festgestellt.
Gräfin Alexandrine blieb in dieser Zeit allein auf Schloß Galaz zurück und es war am zweiten Tag, nachdem sie ihr Gatte und Bruder verlassen hatten, als der Haushofmeister in ihr Zimmer trat und meldete, es sei ein Mann und eine Frau draußen, die den Herrn Baron von Benner zu sprechen wünschten.
»Ein Mann und eine Frau?«
»Ja ein alter Mann, ein wunderlicher Kauz, und eine junge nette Frau – Bauersleute jedenfalls –«
»Von Bennersberg vielleicht,« sagte die Gräfin – »es wird irgend eine Klagesache sein. Sie müssen jetzt warten bis mein Bruder zurückkehrt – wollen sie ihm aber schreiben, so werd' ich den Brief befördern.«
»Halten zu Gnaden, Frau Gräfin,« sagte der alte Mann, »sie sind nicht von Bennersberg; ich glaubte es anfangs auch und frug sie darnach; sie sehen aber fremdländisch aus, und der Alte sagte immer statt ja auf englisch yes.«
Die Gräfin erschrack. Ein plötzlicher Gedanke durchzuckte sie, aber wäre es möglich gewesen? Sie mußte sich abwenden, um ihre Bewegung zu verbergen, trat an's Fenster und sah hinaus. Der alte Diener wartete ruhig bis sie wieder mit ihm sprach.
»Ich will sie doch einmal selber sprechen, Cornelius,« sagte sie endlich – »wer weiß denn was sie wollen. Führt sie zu mir herein, und daß wir, so lange sie bei mir sind – nicht gestört werden.«
»Sehr wohl, Frau Gräfin.« Die Thür schloß sich wieder hinter ihm und Alexandrine blieb in heftiger Aufregung zurück. Wenn Eduards Frau – aber war es denkbar, daß sie die weite Reise gewagt haben sollte – wie kam sie nur auf den Gedanken – und doch wieder – ein alter Bauer der englische Wörter gebrauchte – wenn nun der Vater – Draußen wurden Stimmen laut – »Also Frau Gräfin wird sie genannt?« hörte sie Jemanden sagen, dann öffnete sich geräuschlos die weite Thür und die Gemeldeten traten, während der Haushofmeister ehrfurchtsvoll auf die Gräfin zeigte, und die Thür dann wieder hinter ihnen schloß, in das hohe, durch schwerseidene Gardinen halbverhangene Gemach.
Der alte Bauer war auch wohl draußen noch ziemlich unbefangen gewesen, denn er »wollte Nichts betteln,« wie er zu dem Haushofmeister sagte, und hätte mit dem Herrn von Benner »nur ein Wort zu reden«. Anders wurde ihm aber doch zu Muthe, als er in das prachtvolle, halb dunkle Gemach auf den weichen Teppich trat, auf dem er seine eigenen Schritte nicht mehr hörte, und ihm jetzt unwillkürlich das Gefühl kam, er ginge absichtlich so leise, um Niemanden zu stören. Und dann die hohe schöne Frau, die ihm gegenüber stand, und deren großes klares Auge so forschend auf ihm und seiner Begleiterin haftete. Draußen hatte er auch genau gewußt, was er sagen wollte – hier drinnen fiel's ihm nicht gleich wieder ein. Seine Begleiterin schien aber noch viel mehr verlegen, als er selber, denn ängstlich und verstört hielt sie sich hinter ihm, und seinen Rockschooß mit der linken Hand fest, und da er selbst vollkommen still schwieg, flüsterte sie ihm scheu zu:
»Sprecht Ihr, Vater – ich bring kein Wort über die Zunge.«
»Wer seid Ihr, Freund, und was wollt Ihr von mir,« sagte da Alexandrine mit ihrer weichen und doch so volltönenden Stimme. Das gab dem Alten sich selber wieder – es war doch ein menschlicher Laut, und mit einer Art von Kratzfuß, der aber auf dem Teppich hängen blieb, erwiederte er:
»Mit Verlaub, Frau Gräfin, von Ihnen Nichts; nur den Herrn von Benner wollten wir sprechen.«
»Meinen Bruder?«
»Yes« erwiederte der Mann, »der alte Herr da draußen – wahrscheinlich Ihr Mann – sagte uns schon, daß Sie die Frau Schwester wären, er meinte aber, er wäre nicht zu Hause – der Herr von Benner nämlich, und da – da wollten wir nur fragen, wann er wieder kommt, Frau Gräfin.« –
»Und kann ich es nicht an ihn ausrichten,« sagte Alexandrine, die sich Gewalt anthun mußte ruhig zu bleiben – »er ist verreist, und es kann vier bis sechs Wochen dauern, ehe er wieder kommt –«
»Alle Teu– bitte um Entschuldigung,« sagte der Mann erschrocken, »es fuhr mir nur so heraus – das ist aber eine schöne Bescheerung. Nun sind wir den weiten schmählichen Weg hergekommen –«
»Und woher, wenn ich fragen darf,« hauchte die Gräfin, aber so leise, daß er die Worte kaum verstand.
»Woher? – ih, man blos vom anderen Ende der Welt,« sagte der Bauer – »von Australien.«
»Von Australien! – und das – das ist Euere Tochter?«
»Na, Sie wissen's ja wohl schon, Frau Gräfin,« sagte der Alte jetzt treuherzig – »wenn Sie die Schwester vom Eduard sind, so müssen wir ja verschwägert sein – s'ist seine Frau, die Jette, die's vor Jammer und Sehnsucht nicht mehr da draußen aushalten konnte.«
Alexandrinens Blick haftete fest auf den schüchternen aber jetzt todtenblassen Zügen der jungen, bildhübschen Frau.
»Und Du bist den weiten, weiten Weg gekommen, um ihn aufzusuchen?« sagte sie endlich gerührt – »Du armes, armes Kind!«
»Na nu?« rief der Alte erschreckt – »es ist – es ist ihm doch nicht etwa was passirt?«
»Nein, beruhigt Euch – er ist wohl und gesund,« sagte Alexandrine.
»Na und sonst?« frug der alte Schuhmacher mißtrauisch. »Die Jette hat's nicht mehr daheim gelitten – vor Spott und Neid konnt' sie es nicht mehr aushalten, und wenn ich hier,« fuhr er sich in dem Zimmer umschauend fort, »die vornehme Wirthschaft sehe, so, so kommts mir beinah auch so vor, als ob die Nachbarn da draußen doch am Ende –«
Alexandrine hörte gar nicht was er sprach. Ihre Blicke hingen an der lieben, herzigen Gestalt der jungen Frau, und auf sie zugehend und ihr die Hand entgegenstreckend, sagte sie mit tiefem Gefühl:
»Und so lieb hast Du den bösen Menschen, daß Du das weite Meer nach ihm durchschifftest?«
»Den bösen Menschen?« rief Henriette erschreckt, aber doch auch wieder von dem freundlichen Ausdruck in den Zügen der so stattlichen Dame angezogen. »Glaubt es nicht, Frau Gräfin, er ist wirklich gut, und wer weiß denn, was ihn abgehalten hat, daß er nicht heim zu seinem Weib und Kind kommen konnte.«
»Und wo ist Dein Kind? – lebt es?«
»Lebt es? großer Gott!« rief die Frau erschreckt, »wird's nicht leben, der liebe kleine Bursch, der so gewachsen ist, daß ihn sein Vater kaum mehr kennen mag.«
»Und wo ist er jetzt? hast Du ihn daheim gelassen?«
»Meinen kleinen Bursch?« sagte die Frau, indem sie lächelnd den Kopf schüttelte – »glaubt Ihr Frau Gräfin, daß ich von Australien fortgegangen wär' und den zurück gelassen hätt'? Im Leben nicht.«
»Aber wo hast Du ihn jetzt?«
»Im Wirthshaus drunten im Dorf ist er,« sagte die Frau, die bei der Erinnerung an ihr Kind die bisherige Scheu vergaß – »die Wirthin scheint eine gar liebe, gute Frau, und die versprach mir, auf den kleinen Kerl Acht zu geben, bis wir wieder vom Schloß herunter kämen.«
»Yes, Frau Gräfin, so ist's,« bestätigte aber auch der Vater – »wußten's ja nicht, wie uns Ihr Bruder empfangen würde, da er von der Jette doch wohl Nichts mehr wissen will, denn wie ich sehe, ist er jetzt wieder ein vornehmer Herr geworden. Ich wollt' auch nicht her, aber das Kind ließ eben keine Ruh. Tag und Nacht weinte sie und jammerte, und – da that ich ihr endlich den Willen, und jetzt wird sie wohl wieder mit gebrochenem Herzen zurückgehen können – nach Australien.«
»Und glaubst Du das auch, Henriette?« sagte die Gräfin, die bis dahin kein Auge von der Frau verwandt, so daß diese, durch das scharfe Anschauen beschämt und furchtsam den Blick vor ihr zu Boden schlug.
»Gott weiß es,« seufzte aber die junge Frau recht aus tiefster Brust, »seine Briefe sind freilich kürzer geworden mit jedem Mal – gut und lieb wie immer, aber so kurz. Er hatte mir nicht viel mehr zu schreiben und schickte mir nur Geld – viel Geld – viel mehr als ich brauchte und haben wollte. Da litt mich's nicht länger – da quält' ich den Vater bis auf's Blut, bis er mit mir ging, und jetzt –«
»Und jetzt, Henriette?«
»Jetzt will ich den Eduard fragen,« sagte die Frau leise, »ob er noch was von mir und dem Kinde wissen will, oder – ob er sich unser schämt, wie mir's der Apotheker in Tanunda prophezeiht hat, daß es so kommen würde und müsse, und nachher –«
»Dann geh ich mit dem Vater und dem Kind wieder heim,« sagte die junge Frau leise »und – Gott wird weiter helfen.«
»Ist das Dein Ernst, Henriette?«
»Ja Frau Gräfin.«
»Und weshalb nennst Du mich Frau Gräfin?«
»Sind Sie denn das nicht?«
»Aber wenn ein Mädchen einen Mann geheirathet hat,« sagte Alexandrine, ihr ruhig in's Auge sehend, »und der Mann hat eine Schwester, so nennt sie die Schwester doch wohl gewöhnlich nicht bei ihrem Titel, sondern bei ihrem Vornamen – und ich heiße eigentlich Alexandrine.«
»Ja – aber Frau Gräfin,« sagte Henriette bestürzt, denn sie verstand nicht, was die Dame damit meinte, »das – das ist wohl so bei unsern Leuten Gebrauch, aber –«
»Und bin ich nicht Eduards Schwester, Henriette?«
»Ja – ja,« sagte die junge Frau bewegt und ein paar große helle Thränen glänzten in ihren Augen – »Sie sind schon Eduards Schwester, aber ich – ich – ich weiß ja nicht, ob ich Eduards Frau mehr bin.«
Da hielt sich die Gräfin nicht länger.
»Henriette,« rief sie, »mein liebes, liebes Kind,« und die bestürzte Frau umfassend und an sich pressend, drückte sie ihr heiße Küsse auf Stirn, Mund und Augen.
»Ja, was wär denn das?« sagte der alte Schuhmacher, auf's Aeußerste erstaunt – »Sie küssen das Mädel, und der eigene Mann –«
»Ueberlaßt das mir, Alter,« lächelte die Gräfin unter Thränen, indem sie ihm die Hand hinüberreichte – »wollt Ihr Euer Kind glücklich sehen?«
»Das ist eine kuriose Frage für einen Vater,« sagte der alte Schuhmacher, »aber – nehmen Sie mir's nicht übel, Frau Gräfin, bis jetzt sah ich noch Nichts, was darauf hinzeigt. Ist der Herr Eduard wirklich verreist?«
»Seit vorgestern; er hatte keine Ahnung, daß Sie kommen könnten.«
»Das glaub' ich wohl,« lächelte der alte Mann, »denn geschrieben haben wir Nichts davon; aber wie er das viele Geld schickte, meinte die Jette, das könne man nicht besser anwenden, als zu einer Reise hierher. Ob sie recht gehabt hat? – wer kann's wissen. Wenn er aber wirklich noch was von ihr wollte, hätte er ihr da nicht selber geschrieben, sie solle herüber kommen, er hielt's nicht länger ohne sie aus? Gott bewahre; kein Wort davon. Ja, geschickt hat er reichlich, fehlen sollt' es ihr an Nichts – aber daß ihr dadurch gerade Alles fehlte, daran scheint er nicht gedacht zu haben. Jetzt macht er nun auch noch so lange Reisen, und wie soll's da werden? Ich kann nicht so lange von daheim wegbleiben und mich noch Monate lang hier hersetzen – das kost' auch ein schmähliches Geld.«
Alexandrine hielt die junge schüchterne Frau noch immer in ihrem Arm, und ihr in das gute treue Auge sehend, sagte sie herzlich:
»Und wollt Ihr uns Euer Kind hier zurück – wollt Ihr es mir überlassen, wenn Ihr wieder von uns geht?«
»Ihnen, Frau Gräfin?« sagte der alte Mann erstaunt, »und nicht Ihrem Mann? – Aber ich sehe freilich schon wie es ist,« setzte er, langsam mit dem Kopf nickend hinzu – »so vornehm habe ich mir den Eduard nicht gedacht, ich hätte ihm auch sonst im Leben das Mädel nicht gegeben, und in solche Zimmer paßt sie nicht hinein – würde sich auch nie wohl und glücklich darin fühlen. Jetzt bleibt nur noch die Frage, ob der Eduard wieder mit uns hinauswollte auf's Dorf, aber wenn er dazu Lust hätte, wär' er schon lang gekommen. Es gefällt ihm hier besser, und wie's da werden soll, das weiß ich selber nicht.«
»Und glaubst auch Du nicht, Henriette,« sagte die Gräfin jetzt zu der jungen Frau, »daß Du Dich wohl und glücklich in solchen Räumen fühlen könntest?«
»Fremd ist's schon,« sagte die Frau schüchtern – »und Alles viel zu schön und reich – Unsereins ist nicht daran gewöhnt. Ich fürcht', ich paß nicht hinein, und der Eduard wird keine Freud' an mir erleben. – O wär er doch nie so reich geworden und arm geblieben wie er war, wie gern, wie gern hätt' ich hart und schwer arbeiten wollen, mein ganzes Leben lang.«
»Aber der Eduard,« sagte da die Gräfin, während sie das junge Weib zu sich auf das Sopha niederzog, und immer noch ihre Hand in der ihren hielt, »hat doch auch Anfangs nicht in Euer Leben gepaßt. Er war nur gewohnt so zu leben, wie wir es hier thun, und hat sich doch später in die schwere Arbeit hineingefunden, nicht wahr, Henriette?«
»Ei gewiß,« rief die Frau lebendig – »wacker hat er geschafft, wie der beste Knecht, von Morgens bis Nachts –«
»Und weshalb?«
»Weshalb? ei,« meinte die Frau erröthend – »der Vater konnte uns auch grad nicht so viel mitgeben, und da wir doch was vor uns bringen wollten, mußten wir schon zugreifen.«
»Also Dir zu Lieb, Herz, hat er ein ganz ungewohntes Leben angegriffen und wacker durchgeführt, nicht wahr?«
»Gern hat er mich schon gehabt,« sagte die junge Frau verschämt, »und ich ihn auch,« setzte sie herzlich hinzu, »denn er war brav und gut, und rechtschaffen fleißig.«
»Und würdest Du nun nicht –« fuhr Alexandrine fort, »auch aus Liebe zu ihm, dasselbe für ihn thun wollen, was er für Dich gethan?«
»Ich versteh' Euch nicht,« sagte Henriette, die Redende groß ansehend, »aber so viel weiß ich, daß es Nichts auf der Welt giebt, was ich nicht aus Liebe zu ihm thun würde – selbst wieder heimkehren,« setzte sie leise und kaum hörbar hinzu – »wenn das das Einzige ist, was er von mir verlangt.«
»Ich glaube Dir's,« sagte die Gräfin gerührt, »aber so Schweres soll Dir hoffentlich nicht vorbehalten bleiben – doch weshalb setzt Ihr Euch nicht, Freund,« wandte sie sich an den Alten – »wir haben noch viel mitsammen zu reden und bleiben noch länger bei einander.« Damit drückte sie auf die neben ihr stehende Klingel und gleich nachher betrat der Haushofmeister wieder das Zimmer.
»Ist keiner von den Dienern da?«
»Zu Befehl, Frau Gräfin,« sagte der alte Cornelius, »aber da Sie ungestört sein wollten, blieb ich selber im Vorzimmer.«
»Ich danke Euch – schickt mir aber jetzt einmal Einen von ihnen hinunter in das Wirthshaus – die Babette mag mitgehen und das Kind heraufbringen, das unten bei der Wirthin gelassen ist – den Knaben, und sorgt zugleich dafür daß das Gepäck dieser Leute hier ins Schloß heraufkommt – die Rechnung unten soll gleich abgemacht werden.«
»Unser Gepäck hier in's Schloß?« sagte der alte Schuhmacher erstaunt – »ja was wär denn das?«
Die Gräfin winkte dem Haushofmeister zu und dieser verschwand geräuschlos durch die Thür. Der alte Schuhmacher kam aber aus seinem Erstaunen gar nicht heraus, denn bis jetzt hatte er mit der größten Verwunderung den ehrfurchtsvoll an der Thür stehenden alten Herrn betrachtet, den er Anfangs sogar für den Herrn vom Hause gehalten, weil er gar so ehrwürdig und vornehm aussah, und doch konnte das nur ein Diener sein, und dann überraschte ihn der eben gegebene Befehl – bei dem sie nicht einmal gefragt wurden – auf das Vollständigste.
»Es kann Nichts helfen,« lächelte Gräfin Alexandrine aber, sobald der Haushofmeister die Thür wieder in's Schloß gedrückt hatte, »Ihr müßt es Euch schon gefallen lassen, eine kleine Weile bei mir auszuhalten, bis wir Alles gehörig besprochen und verabredet haben, und Henriette geht dann hoffentlich gar nicht wieder nach Australien zurück.«
»Und was soll ich hier?« sagte die junge Frau wehmüthig, »was kann ich hier thun und schaffen?«
»Und was thu ich?« lächelte Alexandrine.
»Ja Sie,« sagte die junge Frau kopfschüttelnd – »Sie sind vornehm und haben viel gelernt, was aber weiß ich, ich armes dummes Ding. Eduard fühlte das auch wohl, und hat sich früher schon oft Mühe mit mir gegeben – aber es ging nicht – ich hatte andere Dinge im Kopf und er mußte es zuletzt aufgeben.«
»Und wenn Eduard Dir zu Liebe nun in dem fremden Lande hart gearbeitet hat,« sagte die Gräfin, ihr voll ins Auge sehend – »wenn er ein Bauer wurde Deinetwegen und Axt und Pflug führen lernte, würdest Du nicht ihm zu Liebe auch das hier in seiner Heimath lernen wollen, was ihn, in den Verhältnissen in denen er sich jetzt befindet, allein glücklich mit Dir machen kann.«
»Ach wie gern – wie gern,« rief Henriette – »aber wer wird sich jetzt noch mit mir armen Wesen die Mühe nehmen, es mir zu zeigen, und hab' ich überhaupt Verstand genug dafür?«
»Das laß meine Sorge sein, Henriette,« sagte Alexandrine mit tiefem Gefühl. »Als ich Dich noch nicht kannte, hat der Gedanke an Dich mir vielen, vielen Kummer bereitet – ich dachte Dich mir anders, als Du bist. Jetzt, da ich Dich vor mir sehe, da ich Dich bei mir habe, zieht auf's Neue die Hoffnung in meine Seele ein.«
»Aber ich verstehe Sie noch immer nicht.«
»Du wirst Alles verstehen lernen,« lächelte die Gräfin, »Alles, denn an Deinen Augen, an Deinem ganzen Wesen sehe ich, daß Du gelehrig bist; was Dir aber dabei schwer fallen sollte, das wird die Liebe trotzdem leicht überwinden – aber da kommt Dein Kind!« rief sie, vom Sopha aufspringend, als sie draußen die Stimmen hörte, und gleich darauf auch das Zimmer geöffnet wurde, in dem Babette mit dem Kind erschien; »oh, was für ein lieber, kleiner, herziger Bursch ist das. Es ist gut, Babette – ich werde klingeln, wenn ich Sie wieder brauche, für jetzt wollen wir den kleinen Herrn schon allein versorgen.«
Alexandrine war glücklich in dem Gedanken an das Glück, das sie andern bereiten wollte, und hatte jetzt so viel zu sorgen und anzuordnen, daß ihr der Tag wie im Flug dahin ging.
Vor allen Dingen wurde dem alten Schuhmacher Schweigen aufgelegt – er war überhaupt nicht gesprächiger Natur, aber er besaß doch, wenn auch keine wirkliche Bildung, den, diesen Leuten sehr oft im hohen Grade eigenen Mutterwitz und gesunden Menschenverstand. Alexandrine hatte ihn auch bald durchschaut, und rasch entschlossen den Weg mit ihm einzuschlagen, der sie am sichersten mit ihm zum Ziel führen konnte: die reine unverfälschte Wahrheit. Sie schilderte ihm mit kurzen Worten die Verhältnisse wie sie wirklich standen – sie theilte ihm ihren Plan mit, der Tochter eine Stellung in der Gesellschaft zu erringen, und dadurch dem Bruder sein Glück zu wahren, und der alte Mann hatte Menschenkenntniß genug, um rasch zu sehen, daß er hier sein Kind wenigstens in treuen und guten Händen wußte.
Er selber wurde jetzt für kurze Zeit in einem kleinen Gartenpavillon – allerdings etwas zum Erstaunen der Dienerschaft – einquartiert, während Henriette mit ihrem Kind ein paar Zimmer in der unmittelbaren Nachbarschaft der Gräfin selber angewiesen bekam.
So vergingen vierzehn Tage, dann bestellte die Gräfin ihren Reisewagen und fuhr mit ihren Gästen nach der Residenz, wo sie acht Tage blieb – aber sie kehrte allein wieder zurück und erwartete jetzt, ihrem gewöhnlichen Leben folgend, ruhig die Rückkunft ihres Gatten und Bruders.
Die Jagd in Schlesien hatte sich so ergiebig gezeigt, und die gesellschaftlichen Verhältnisse dort schienen so angenehm gewesen zu sein, daß die beiden Herren, noch etwas später als erwartet, zurückkehrten, und dann wieder beide – Graf Galaz daheim und Eduard auf Bennersberg (wo er sich häuslich niedergelassen) von ihren indeß aufgehäuften Arbeiten lebhaft in Anspruch genommen wurden.
Alexandrine war indeß in Ungewißheit gewesen, ob sie ihren Gatten in ihr Geheimniß einweihen solle oder nicht. Sie scheute sich zwar ihm irgend etwas zu verschweigen und hatte es in Wirklichkeit noch nie gethan, aber sie wußte auch daß gerade er mit dem, was sie gethan, nicht einverstanden sein würde, weil er von vornherein die Möglichkeit eines günstigen Erfolgs bestritt. »Es war,« wie er sich oft geäußert, wenn sie ihm früher von einem solchen Plan sprach »nur ein Experiment, das zu unangenehmen Conflicten führen mußte, und deshalb lieber unterblieb.«
Außerdem hatte er andere Pläne mit Eduard, denn allein in aristokratischen Kreisen erzogen, wenn auch von weichem und selbst tiefem Gemüth – hielt er es für völlig undenkbar, daß sich eine gewöhnliche Magd je aus der Sphäre erheben könne, in die sie das Schicksal geworfen. Nicht die Mesalliance fürchtete er dabei, die Mischung altadligen und bürgerlichen Blutes – guter Gott, die neuere Zeit brachte nur zu viele derartige Beispiele, wo sich selbst Prinzen nicht scheuten, einer braven Bürgerstochter oder einer gefeierten Künstlerin ihre Hand zu reichen – aber das Plebejische verletzte ihn, das Gemeine im Umgang, und das hielt er sich fern, soviel das immer möglich war.
Um so schwieriger war es jetzt für sie, mit ihrem Plan hervorzutreten, da sie selber noch nicht den geringsten Beweis für einen auch nur möglichen Erfolg hatte. Noch blieb Alles Vermuthung – Hoffnung eines günstigen Gelingens, und Jahre lang hätte sie dann gegen seine Zweifel ankämpfen müssen. – Sie entschloß sich endlich, das allein Begonnene auch auf eigene Hand durchzuführen und ihren Gatten erst in das Geheimniß zu ziehen, wenn sie sich ihres Erfolges sicher fühlte – ja vielleicht selbst dann noch nicht einmal.
Uebrigens wäre dasselbe fast ohne sie verrathen worden, denn der Graf erfuhr bald nach seiner Rückkunft durch seinen Kammerdiener von der Bewirthung des Bauernpaares durch seine Gattin. Mit keiner Ahnung übrigens, wer es gewesen sein könne, frug er sie selbst darum, und Frauen – wenn sie nicht sprechen wollen – sind selten um eine Ausrede verlegen.
»Der Bruder meiner Amme, mit seiner Tochter,« sagte sie ruhig – »er war vor fünf Jahren nach Amerika ausgewandert, hatte es aber draußen nicht aushalten können und kehrte jetzt in die Heimath zurück. Er war sehr niedergeschlagen über seine getäuschten Hoffnungen und das arme Kind dauerte mich besonders.«
»Und wo sind sie jetzt?«
»Wieder in ihrer Heimath.«
Es wurde nicht wieder davon gesprochen; den Grafen interessirten die Leute auch wirklich zu wenig, um sich mit ihnen noch länger zu beschäftigen, und da man nichts weiter von ihnen hörte, waren sie auch bald in Galaz selber vergessen.
So verging ein Jahr und Alexandrine bekam indessen die Nachricht, daß Henriettens Vater wieder in Süd-Australien angelangt sei, um dort sein kleines Gut nicht ganz vernachlässigt zu sehen. Sie hatte aber mit ihm schon die Abrede getroffen, daß er das, für Henriette hinausgesandte Geld nur regelmäßig in Empfang nehmen und darüber quittiren solle. Auch in anderer Weise war dafür gesorgt, Eduard fortwährend in dem Glauben zu erhalten, daß Henriette selber noch in Australien sei, denn sie schickte die Briefe für ihren Gatten zuerst an ihren Vater, wonach sie dann Bechers Gewissenhaftigkeit empfohlen und pünktlich zurück nach Deutschland befördert wurden.
Graf Galaz drang in der Zeit mehrmals in den Schwager, seine Scheidung in Australien zu betreiben und sich mit dem alten Schuhmacher auseinander zu setzen. Es war das um so mehr nöthig geworden, da er seine Besuche in dem Hause des Comthurs häufiger wiederholte, und Galaz behauptete fest, Hedwig sei ihm so zugethan, daß es nur seiner Werbung bedürfe, um ihr freudiges Ja zu erlangen.
Eduard verbrachte eine trübe, sorgenvolle Zeit, aber er weigerte sich dem Verlangen zu willfahren. Er malte sich den Schmerz Henriettens aus, wenn ein solcher Brief dort eintreffen sollte, und überhaupt unentschlossen in seinem ganzen Character, verzögerte er einen so entschiedenen Schritt von Tag zu Tag, von Woche zu Woche. Aber auch das gesellige Leben der Heimath wob immer fester seinen Reiz um ihn. Schon konnte er es nicht mehr entbehren, und den Gedanken nach Australien zurückzukehren, verwarf er immer, so rasch er nur in ihm aufstieg.
Und wie lieb und gut lauteten dabei fortwährend die Briefe seiner Frau, die aber jetzt viel spärlicher als früher kamen und ihn auch ihrem Inhalt nach in Staunen setzten. Sie enthielten allerdings noch ebenso viele orthographische Fehler als früher, ja vielleicht noch mehr, denn er wußte bestimmt, daß sie früher einzelne Worte richtig geschrieben hatte, die jetzt sonderbare Fehler zeigten. Aber die Handschrift war eine ganz andere, festere geworden, obgleich es auch jetzt an Kleksen im Brief nicht fehlte – ein Zeichen, daß die Schreiberin noch immer mit der Feder nicht umzugehen wußte – und manche Buchstaben und Worte bös verschoben waren. Auch die Gedanken, die sie verriethen, zeigten oft von tiefem innigen Gefühl, das er ihr wohl immer zugetraut, aber von dem er doch nie geglaubt hatte, sie würde es so aussprechen können. – Und dann wieder ihre naiven, fast kindlichen Wendungen dazwischen.
Früher hatte ihm außerdem der Schmerz weh gethan, der aus jeder ihrer Zeilen sprach; der Schmerz der Trennung von ihm, die Trauer um seine Abwesenheit. Alle ihre Briefe waren fast nur Klagen gewesen. Das hatte sich ganz geändert; sie bat ihn wohl, doch bald, recht bald zu ihr und dem Kind zurück zu kehren, aber dann wieder schrieb sie ganz heiter, erzählte ihm Anecdoten von Bekannten und beklagte sich nur darüber, daß er ihr fehle, nicht über ihre Einsamkeit. – Und wie viel wußte sie über das Kind zu sagen, über den kleinen prächtigen Kerl, der jetzt anfange, dem Vater so ähnlich zu sehen, und auch schon immer nach ihm verlange und frage, ob denn der »böse Papa« noch nicht zurückkehren und mit ihm spielen wolle.
Nach solchen Briefen wurde es ihm zu eng im Haus – er mochte sich nicht selber gestehen, was ihn quäle, er mochte sich über die Vorwürfe, die ihm sein Gewissen machte, nicht klar werden und ritt dann immer weit hinaus in die Nachbarschaft, um sich zu zerstreuen.
Heute war wieder ein Brief eingetroffen und wie er ihn gelesen und in sein geheimes Fach eingeschlossen, ließ er sich sein Pferd satteln und beschloß, nach Galaz hinüber zu reiten.
Auf dem Wege dahin passirte er des Comthurs Schloß – die »Enkelburg« wie es scherzhafter Weise von den Bekannten und bald auch überhaupt in der Umgegend genannt wurde. Er fühlte das Bedürfniß freundliche Gesichter zu sehen – Musik zu hören – mit einem Wort, eine Zerstreuung zu haben, die ihn von seinen eigenen Gedanken abzog und lauter Jubel hatte ihn bis jetzt immer empfangen, wenn er in den Park des gastlichen Hauses einritt.
Auch heute gab er seinem Pferd die Sporen, als er, den Kiesweg hinabreitend, schon von Weitem die lichten Kleider der Damen auf der Terrasse erkannte. Er glaubte auch den alten Herrn selber gar nicht daheim zu finden, da dieser vor einigen Tagen nach der Residenz gefahren war und erst morgen oder übermorgen zurückerwartet wurde. – Als er aber – auf dem breiteren Weg war er völlig in Sicht des Hauses gewesen und mußte auch von dort aus gesehen sein – um ein dichtes Bosquet herumritt und nun gerade auf die steinerne Treppe zu hielt, sah er, daß die Damen von der Terrasse verschwunden waren, und nur der Comthur stand dort und schien ihn zu erwarten.
Das fiel ihm allerdings schon auf, aber wer wußte denn, was die Gesellschaft plötzlich konnte in den Saal gelockt haben; er überlegte wenigstens nicht lange, sprang aus dem Sattel, warf seinem Reitknecht die Zügel zu, und stieg die breiten niederen Granitstufen hinauf.
»Schon wieder aus der Residenz zurück?« rief er dem alten Herrn freundlich zu, indem er ihm die Hand entgegenstreckte – »das ist brav von Ihnen. Wo finden Sie auch dort ein Plätzchen, so lieb und heimlich wie die Enkelburg.«
Der alte Herr nahm die dargebotene Hand, aber er schien befangen. Es war etwas vorgefallen, von Benner sah das auf den ersten Blick, aber konnte er selber damit in Verbindung stehen? – unmöglich.
»Allerdings,« sagte der Comthur, aber einsylbig – »es ist sehr freundlich hier.«
»Und wo sind die Damen? ich dächte doch, ich hätte sie vorhin auf der Terrasse gesehen. –«
»Die Damen – Sie müssen sie entschuldigen – es war gerade Besuch da – eine Schneiderin – sie haben mit ihrer Toilette zu thun –«
»So hab' ich hier gestört?«
»Nicht im Mindesten –«
Eduard versuchte, ein oder das andere Gespräch anzuknüpfen, der Comthur antwortete sehr höflich, aber einsylbig. Er blieb noch eine Zeitlang neben ihm sitzen, in der Hoffnung, die Damen zurückkommen zu sehn – aber Niemand kam und es war augenscheinlich, daß sich der alte Herr ebenfalls nicht behaglich dabei fühlte. Benner empfahl sich deshalb bald wieder und ritt langsam und ganz in seine Gedanken vertieft, nach Galaz hinüber.
Was in aller Welt konnte da nur vorgefallen sein? Er begriff es nicht, aber der alte sonst so freundliche und joviale Mann zeigte sich so merkwürdig verändert, daß es ihm auffallen mußte. In Galaz angekommen, erzählte er es seinem Schwager, und dieser sah, während er mit ihm sprach, sinnend und ernst vor sich nieder; erwiederte auch kein Wort darauf. Endlich sagte er:
»Kennst Du einen Herrn von Krowsky?«
»Krowsky? – gewiß,« rief Eduard rasch – »wir waren zusammen in Australien.«
»Hm – und er weiß um – Deine Verhältnisse?«
»Allerdings,« nickte Eduard bestürzt, denn ein Verdacht stieg in ihm auf.
»Er ist jetzt zurückgekehrt,« sagte Galaz; »mit seinen Verwandten ausgesöhnt, hält er sich seit etwa vierzehn Tagen in der Residenz auf – der Comthur hat ihn dort kennen gelernt.«
Eduard war aufgesprungen und ging mit verschränkten Armen im Zimmer auf und ab.
»Und deshalb hätten die Damen mich gemieden?« murmelte er endlich bitter vor sich hin – »nur auf das Gerücht einer Mesalliance hin?«
»Mein lieber Eduard,« sagte Galaz, »erinnere Dich, was ich Dir schon früher über diesen Gegenstand gesagt habe. Du kennst unsere Verhältnisse und willst sie ignoriren – wozu? Hedwig hat Dich wirklich gern, und daß ihr diese Nachricht keine Freude machen konnte, ist doch wohl natürlich.«
»Und Du glaubst in der That, daß er durch Krowsky Alles erfahren hat?«
»Nicht allein das, sondern daß es auch schon in der ganzen Nachbarschaft bekannt ist. Kannst Du Dich wirklich nicht zu einem entscheidenden Schritt entschließen, so bleibt Dir nichts übrig, als wieder auf einige Zeit zu verreisen. Andere Interessen nehmen dann die Aufmerksamkeit der Leute in Anspruch und bis Du zurückkehrst, denkt man nicht mehr daran oder urtheilt milder darüber. Jedenfalls hat es den Reiz der Neuheit verloren. Du selber kommst auch vielleicht indessen auf andere Gedanken.«
Eduard sträubte sich gegen den Gedanken, dem Urtheil der Welt so gewissermaßen zu entfliehen, aber Alexandrine selber redete ihm zu, und er entschloß sich endlich, dem Rath zu folgen.
Er reiste ab und zwar zuerst wieder auf sein schlesisches Gut, dann nach Italien und Aegypten – aber er entfloh dem Wurme nicht, der in ihm nagte – seinem Gewissen, und wieder und wieder stand Henriettens Bild vor seinen Augen, sah er sein liebes herziges Kind, wie es am letzten Abend die Aermchen um seinen Nacken schlang. Und sollte er wieder zurück nach Australien? Er besaß jetzt Geld genug, um sich das Leben auch dort angenehm zu machen; seine kühnsten je gehegten Pläne waren noch weit übertroffen und er hätte zahlreiche Stationen anlegen und ein angesehener Mann in jenem Welttheil werden können.
Und sollte er jetzt fort, wo die »hochadlige Sippschaft« dann vielleicht höhnisch gesagt hätte, er sei der öffentlichen Meinung gewichen, sobald er gemerkt, daß sein Geheimniß verrathen worden? Nein, wahrlich nicht, jetzt durfte er Europa nicht verlassen, und erst mußte er ihnen beweisen, daß er ihre Meinung nicht achtete und sein Leben nie darnach regeln würde. Was er dann später that, sollte wenigstens nicht von dem Urtheil der Gesellschaft abhängig sein.
Er fühlte sich ruhiger, als er diesen Entschluß gefaßt, weil er sich einredete, er habe ihn seiner Charakterstärke zu verdanken – und doch war es nur seine Charakterschwäche, die so lange nach einer Ausrede suchte, um ihn nicht seine Pflicht thun zu lassen, bis er endlich eine leidlich glaubbare gefunden hatte. Dann war er zufrieden, er konnte wieder eine Weile in dem alten Gleis fortleben, ohne von seinem Gewissen außergewöhnlich belästigt zu werden – alles Spätere fand sich von selbst.
Aber die Zeit fliegt. Was Du thun willst und mußt, thue bald, denn nur zu rasch verstreicht die erbettelte Frist, und immer schwerer kommt es Dir dann an.
Es war das Nämliche mit Eduard von Benner; über acht Monate hatte er sich wieder in der Welt herumgetrieben – zwecklos – freude- und ruhelos, jetzt kehrte er nach Bennersberg zurück, und weil er die Ursache vergessen oder vielmehr den Sinn dafür betäubt hatte, die ihn hinaus in die Fremde gejagt, glaubte er thörichter Weise, daß das Nämliche mit den Anderen geschehen war.
So lange er fort gewesen, hatte man allerdings wenig mehr von ihm und der bekannt gewordenen »Heirath mit einer Dienstmagd« gesprochen – denn Krowsky schien das Schlimmste erzählt zu haben, kaum aber kehrte er zurück, so suchte die Gesellschaft den noch nicht halb verbrauchten Stoff wieder auf das Eifrigste hervor, und Eduard von Benner fand bald, wie er mit seinen früheren »Freunden« stand.
Die Herren schienen nicht so sehr davon berührt zu sein, und ihn häufiger zu entschuldigen. Lieber Gott, in Australien, wie sie meinten, wen heirathete man denn da nicht, um die Langeweile zu tödten. Entschieden anders aber dachten die Damen darüber, und wo er sich wieder blicken ließ, konnte ihm nicht entgehen, wie kalt höflich und förmlich man gerade da gegen ihn geworden war, wo man ihm früher die meiste Herzlichkeit bewiesen.
Früher überall ausgezeichnet, sah er sich jetzt zurückgesetzt, und auf ihn selber konnte das nicht verfehlen, seinen ertödtenden Einfluß auszuüben. So lebendig und liebenswürdig er sich sonst in der freundlichen Umgebung gezeigt, so kalt und gemessen wurde er jetzt, wo er sich aller Orten zurückgestoßen oder doch vernachlässigt sah. Es konnte ihm nicht entgehen, daß er nirgends mehr ein willkommener Gast war, und die Folge blieb nicht aus – er fühlte sich unglücklich.
Selbst Graf Galaz war nicht mehr so warm und herzlich gegen ihn wie früher, denn er ärgerte sich über die »Unentschlossenheit« seines Schwagers, die das nicht abschütteln wollte, was seiner Meinung nach allein sein ganzes Lebensglück zerstörte – die unwürdige Verbindung in dem fremden Land.
Nur Alexandrine, seine Schwester, blieb sich immer gleich, immer lieb und gut gegen ihn, immer freundlich. Sie tröstete ihn, wenn seine Stirn von Sorge und Mißmuth gefurcht war, sie spielte ihm seine Lieblingslieder von Mendelssohn und Schubert und brachte es bald dahin, daß er sich nur in ihrer Nähe wohl und glücklich fühlte. – Aber auch das währte nicht lange, selbst sie konnte nicht mehr die Wolken von seiner Stirn halten, und eine finstere Schwermuth schien sich seiner bemächtigt zu haben.
Dieser Zustand hatte seinen Gipfelpunkt erreicht, als wieder ein Brief aus Australien von seiner Frau eintraf. Er trug aber diesmal keinen englischen Stempel, sondern kam aus der Residenz und die auf der Adresse befindlichen Worte »Durch Güte« zeigten an, daß er wohl durch Einlage gekommen, vielleicht mit Depeschen des eifrigen Consuls Becher.
Und wie gut, wie herzlich lautete der Brief; keine Klage fand er darin, kein Wort der Trauer – nur Dank für die vielen Beweise von Liebe, die er ihr gesandt, und die Sehnsucht nach dem fernen Gatten, aber durch eine Engels-Geduld gemildert.
Eduard empfing den Brief auf Galaz, und mit dem offenen Schreiben in der Hand, betrat er seiner Schwester Zimmer. Sein Auge strahlte aber dabei von Freude, seine ganze Gestalt schien gehoben, und mit leuchtenden Augen schritt er auf die Schwester zu, reichte ihr den Brief und rief:
»Da lies – und bin ich nicht ein Thor, daß ich hier Freundschaft und Liebe suchen will, wo mich dort offene Arme und treue Herzen erwarten – ersehnen? Die Worte sind unorthographisch geschrieben, ja, aber eine treue Hand hat sie gestellt – der Styl ist schlecht, aber jeder Satz macht die Fibern meines Herzens beben.«
Alexandrine las schweigend den Brief und ihn dann ihrem Bruder zurückgebend, sagte sie leise:
»Wie lieb und gut – die arme, arme Frau. Wie lange ist es jetzt her, Eduard, daß Du von Australien fort bist – Zwei Jahre, nicht wahr?«
»Zwei Jahre?« rief ihr Bruder leidenschaftlich, »vier Jahre sind es, daß ich die Meinen nicht gesehen, und zu einer Ewigkeit ist mir die Zeit geworden.«
»Vier Jahre – es ist eine lange Zeit – und wie wird sich Henriette indeß nach Dir gesehnt haben. Dir freilich mag sie rasch genug verflossen sein, denn das gesellige Leben, das Du dort ganz entbehren mußtest, hat Dich doch sehr in Anspruch genommen. Ich sehe jetzt auch wohl selber ein, daß es zu viel von Dir verlangt gewesen wäre, ihm für immer zu entsagen. Wozu der Mensch einmal von Jugend auf erzogen ist, das verwächst mit seinem inneren Selbst, und er kann es nicht so leicht abschütteln ohne sich unglücklich – wenigstens außer seiner Sphäre zu fühlen.«
»Und glaubst Du wirklich, daß ich an diesem Leben hänge?« rief Eduard erregt aus, »glaubst Du wirklich, daß mich dies schale Treiben, das Ihr die »Gesellschaft« nennt, auf die Länge der Zeit fesseln und halten könnte?«
»Das schale Treiben?« sagte Alexandrine lächelnd, »in dem Du Dich so lange wohl gefühlt?«
»Wohl gefühlt? ja, weil ich taub und blind gegen mein eigenes Herz war,« rief ihr Bruder – »aber weiß Deine Welt den inneren Werth eines Menschen zu schätzen, und urtheilt sie etwa nach einem anderen Maaßstab, als der äußeren Form?«
»Du denkst jetzt anders über die Gesellschaft, als vor kurzer Zeit.«
»Oh, daß ich immer so gedacht hätte,« sagte Eduard leise, »viel, viel Schmerz wäre meinem braven Weib erspart geblieben. Aber es ist noch nicht zu spät,« setzte er rasch hinzu, »noch kann ich gut machen, was ich gefehlt, und beim ewigen Gott, ich werde es.«
»Was willst Du thun, Eduard?«
»Das, was ich schon lange hätte thun sollen,« sagte der Mann entschlossen – »nach Australien zurückkehren und dort von nun an meiner Familie leben. Noch heute fahre ich in die Residenz, um meine Geldangelegenheiten in Ordnung zu bringen, Deinem Bruder übergebe ich den Verkauf meiner Güter, und dann bindet mich Nichts mehr an Deutschland.«
»Nichts mehr?« sagte Alexandrine herzlich.
»Und hast Du selber mir nicht zugeredet, so zu handeln?«
»Du hast Recht, Eduard,« sagte die Schwester freundlich. »Gott sei Dank, daß Du endlich in die Bahn eingelenkt bist. Aber verfalle auch jetzt nicht in das Extreme und übereile in diesem Augenblick nicht, was Du bis dahin – vielleicht zu lang – verzögert hast.«
»Und kann ich da übereilen?«
»Ja,« erwiderte ruhig die Schwester – »Du magst allerdings so rasch Du willst in die Residenz fahren und dort Rücksprache mit Deinem Banquier nehmen; je eher das geschieht, desto besser; dann aber kehre hierher zurück und ordne selber, gemeinschaftlich mit Rudolph, Deine Angelegenheiten. Rudolph ist überhaupt nicht Geschäftsmann genug, um ihm das Alles so vollständig zu überlassen und würde sich auch nur unbehaglich unter einer solchen Verantwortung fühlen. Wann geht das nächste Schiff?«
»Ich weiß es nicht, aber ich werde heute Morgen noch deshalb nach England schreiben und die Antwort – da ich nicht sagen kann wo ich sein werde, wenn sie eintrifft, – hierher adressiren lassen.«
»Thue das nur,« nickte die Schwester befriedigt vor sich hin – »und wann willst Du in die Residenz?«
»Gleich auf der Stelle.«
»Galaz kann Mittag zurück sein.«
»Ich kann ihn nicht mehr erwarten. Ich weiß auch, daß er mit meinem Plan nicht ganz einverstanden sein wird, und möchte seinen Einwürfen ausweichen.«
»Fürchtest Du sie?«
»Nein – ich bin fest entschlossen. Die Gesellschaft hier hat mich wie einen Verfehmten ausgestoßen – überall habe ich Anspielungen und spöttische Bemerkungen hören müssen, und war doch nie im Stande dieser ver – dammten Höflichkeit gegenüber irgend eine wirkliche Beleidigung zu constatiren. Dem will ich ein Ende machen. Ob ich glücklich werde – ob ich mich dort glücklich fühlen kann, Gott weiß es, aber ich will mir wenigstens nicht neben den geheimen und versteckten Vorwürfen der Welt, auch noch selber sagen müssen, sie verdient zu haben. – Leb wohl, Alexandrine.«
»Und auf ein recht baldiges, frohes Wiedersehen.«
Vierzehn Tage waren nach Eduard's Abreise verflossen und in Schloß Galaz blieb es in der Zeit ziemlich einsam, da der Graf selber viel mit der Expropriation einiger Grundstücke zu thun hatte, durch welche ein Schienenweg gelegt werden sollte. Die Bahn hatte hier gerade sein bestes Jagdterrain durchschnitten, und er gab sich die größte Mühe, ihr eine andere Richtung anzuweisen, ja erbot sich sogar, eine andere Strecke weit unter dem Taxationspreis herzugeben – aber vergebens. Die Techniker der Bahn erklärten, daß ihre angegebene Linie beibehalten werden müsse, aus den und den Gründen, und deshalb auf den Wildpark keine Rücksicht genommen werden könne. Der Graf fuhr selber nach der Residenz, um an höchster Stelle seinen Einfluß geltend zu machen; es blieb Alles umsonst. Das practische Leben bohrt sich nach und nach überall in die alten Vorrechte hinein; das Geld gewinnt einen immer höheren Rang über Adelsbriefe und Stammbäume, und Graf Galaz mußte zu seinem nicht geringen Verdruß erleben, daß ein Gutachten von bürgerlichen Leuten über den speciellen Fall ausgestellt, mehr galt und berücksichtigt wurde, als sein ganzer Einfluß werth war.
Eben nicht in bester Laune kehrte er nach Galaz zurück, und das konnte nicht dazu beitragen sie zu verbessern, daß er eine Equipage mit Extrapost fand, die auf seinem Hof vorgefahren war. Also Besuch.
»Wer ist angekommen?« frug er den Diener, der hinaus sprang um seinen Wagenschlag zu öffnen.
»Frau Baronin von Fermont mit einer anderen Dame.«
»Mit wem?«
»Kenne sie nicht, Herr Graf. Sie sprechen nur Französisch.«
Graf Galaz stieg in sein eigenes Zimmer hinauf und schien nicht übel Lust zu haben, sich dort abzuschließen. Frau von Fermont war aber eine so liebenswürdige Frau und so befreundet mit ihnen, daß es sich nicht gut umgehen ließ sie zu sehen. Außerdem erzählte ihm auch sein Kammerdiener, daß die Damen ein paar Koffer mitgebracht hätten, also aller Wahrscheinlichkeit einige Tage hier verweilen würden. Es ließ sich nicht ändern, er mußte ihnen seine Aufwartung machen. Außerdem wurde auch das Diner sehr bald servirt und da noch Besuch aus der Nachbarschaft dazu kam, ein alter Obrist von Berdow mit Frau und Tochter, so blieb die kleine Gesellschaft dort den Abend zusammen und es wurde geplaudert und musicirt bis spät in die Nacht hinein.
»Und wie gefällt Dir Frau von Ostenburg?« sagte Alexandrine zu ihrem Gatten, als die von Berdow's das Gut verlassen und Frau von Fermont mit ihrer Begleiterin sich auf ihre Zimmer zurückgezogen hatten.
»Das ist ein reizendes Frauchen,« sagte der Graf, »eine wunderhübsche Erscheinung und dabei so liebenswürdig, daß man ihr auf den ersten Blick gut sein muß. Stammt sie denn aus Frankreich?«
»Allerdings – weshalb?«
»Sie spricht das Französische so sonderbar.«
»Sie spricht vortrefflich.«
»Ja; doch mit einem so eigenthümlichen Accent, der ihr aber reizend steht.«
»Und singt wie eine Nachtigall.«
»Sie hat eine magnifique Stimme, und würde auf jeder Bühne Furore machen. Ist sie mit Fermonts verwandt?«
»Ich glaube; ihr Gatte stand in der österreichischen Armee und ist bei Solferino geblieben – ein Rittmeister von Ostenburg.«
»Arme Frau – so jung und schön und schon einen solchen Verlust erlitten. Uebrigens wird sie wohl nicht lange Wittwe bleiben, denn an Bewerbern kann es ihr bei den jungen Leuten gewiß nicht fehlen. Der alte Obrist selbst war schon ganz entzückt von ihr – Apropos, ich habe vorhin auch einen Brief von Eduard auf meinem Zimmer gefunden – er wird morgen herüber kommen.«
»Das freut mich.«
»Wenn er nur die unglückselige Idee aufgäbe, nach Australien zurück zu gehen. Er kann sich ja dort nicht glücklich fühlen. Der hat sich auch seine Carrière recht muthwillig selbst verdorben.«
»Und wenn er nun seine Frau zu uns herüber brächte, glaubst Du nicht, daß sie sich in unser Leben, in unsere Verhältnisse finden würde?«
»Nie,« sagte Graf Galaz kopfschüttelnd – »glaube mir, mein Kind, derartige Frauen mögen gut und brav und häuslich sein und das Glück eines Mannes in ihrem eigenen Kreis begründen können, aber sie sind wie Hauslauch, der nur auf Mauerwerk und Dächern wächst; sie verlangen einen ganz bestimmten und engbegrenzten Boden für ihre Existenz. Man soll um Gotteswillen nicht versuchen, sie zu veredeln – es würde nie eine Rose daraus werden.«
Am nächsten Tag traf Eduard ein und suchte den Schwager auf dessen Zimmer auf. Er hatte ebenfalls gehört, daß fremde Damen zum Besuch da wären, und fühlte sich nicht in der Stimmung, ihnen zu begegnen. Der Graf war aber gerade zu den Damen hinüber gegangen, und zwar hatte ihn Alexandrine, als sie den Bruder in den Hof einfahren sah, herüber rufen lassen. Es wurde musicirt und Frau von Ostenburg hatte zugesagt, ihm einige Lieder zu singen.
Eduard schickte einen Diener hinüber, um dem Grafen seine Ankunft wissen zu lassen. Alexandrine ließ ihrem Bruder aber sagen, Graf Galaz könne jetzt nicht fort, und er selber sei den Damen schon angemeldet, er möge also rasch Toilette machen und in den Salon kommen.
Es war ihm nicht recht; eine Weigerung wäre aber unartig gewesen; Frau von Fermont kannte er überdieß selber recht gut und seufzend fügte er sich in das Unvermeidliche.
Als er den Salon betrat, saß Frau von Ostenburg gerade am Instrument und sang eine spanische Romanze, die sie sich selber begleitete – Graf Galaz stand neben ihr und wandte die Notenblätter um, und Frau von Fermont saß mit Alexandrine rechts auf dem Sopha. Alexandrine stand auf, ging dem Bruder leise entgegen und gab ihm die Hand, auch Frau von Fermont reichte ihm die ihrige und nickte ihm freundlich zu; aber es wurde kein Wort gesprochen, um den Gesang nicht zu stören und die Schritte selber blieben auf dem weichen Teppich überhaupt unhörbar.
Die Romanze war die Klage eines andalusischen Mädchens, das um den Geliebten trauerte, der gegen die Mauren zu Felde gezogen und sie allein gelassen hatte, und die Stimme der Sängerin zitterte, als sie leise, nur von gedämpften Accorden begleitet, das Gebet zur Jungfrau Maria um Schutz für den Fernen, sang. So ergreifend waren die Töne dabei, daß der überhaupt leicht empfänglichen Alexandrine die hellen Thränen in die Augen stiegen und selbst Eduard sich von dem wehmüthigen Lied ergriffen fühlte.
»Singt sie nicht reizend?« flüsterte ihm Frau von Fermont zu, neben der er saß.
»In der That,« erwiderte er, »ich weiß mich der Zeit nicht zu erinnern, daß ich eine so klangvolle und so zum Herzen dringende Stimme gehört hätte – und mit so tiefem Gefühl.«
Aber der Sinn des Liedes änderte sich – die Mauren waren geschlagen, der Geliebte kehrte siegreich zurück und laut jubelten jetzt die Töne und quollen aus voller, jauchzender Brust, während in der kunstvollen Begleitung der Siegesmarsch der heimziehenden Krieger immer wieder dazwischen tönte.
Jetzt endete plötzlich das Lied und die Sängerin erhob sich von ihrem Stuhl, indeß Graf Galaz ihr mit wahrhaft begeisterten Worten und voller Entzücken für den Genuß dankte. – Ihr Blick streifte durch den Saal und eine Purpurröthe legte sich über ihre Wangen und ergoß sich bis tief in den schneeigen Nacken hinab. – Ihr Blick streifte Eduard.
»Sie sind zu gütig, Herr Graf,« lächelte sie dabei, »und werden mich noch verwöhnen.«
Alexandrine aber war aufgesprungen, schlang ihre Arme um sie und küßte sie herzlich.
»Ah, Eduard,« rief der Graf, der ihn jetzt erst erblickte, »das ist schön; bist Du noch zur rechten Zeit gekommen?«
»Ich hatte das Glück, dem seelenvollen Vortrag zu lauschen,« sagte der junge Mann, während sein Blick starr an den Zügen der fremden Dame hing.
»Nicht wahr, das ist ein Genuß? – aber ich habe Dich noch nicht einmal vorgestellt. Gnädige Frau, mein Schwager, Eduard von Benner – Frau von Ostenburg, die uns die Freude gemacht hat, unsere Einsamkeit ein paar Tage mit uns zu theilen.«
»Gnädige Frau,« sagte Eduard, aber so verlegen, daß er die Worte kaum über die Lippen brachte – »ich – ich freue mich – freue mich wirklich herzlich der Ehre dieser Bekanntschaft.«
Graf Galaz sah ihn an und lächelte. So befangen und ungeschickt hatte er seinen Schwager noch gar nicht gesehen.
»Und heute quäle ich Sie recht meine liebe, liebe Ostenburg,« rief Alexandrine dazwischen, »doch jetzt singen Sie uns noch einmal das kleine reizende französische Lied.«
»Aber Alexandrine,« sagte der Graf, »Du belästigst wirklich unsern lieben Gast.«
»Gern, gern,« rief aber die junge Frau und wandte sich rasch wieder dem Instrument zu.
Eduard starrte sie noch immer an, und bemerkte gar nicht, daß ihn Frau von Fermont lächelnd beobachtete. Die junge Künstlerin aber ließ sich nicht lange nöthigen, und rasch wieder ihren Platz am Clavier nehmend, begann sie ein reizendes französisches Lied, voll muthwilliger Neckerei und mit einer so silberhell klingenden Stimme, daß es den kleinen Kreis zu lautem und stürmischem Beifall hinriß.
Nur Eduard war still und nachdenkend geworden; den Kopf in die Hand gestützt, saß er in seinem Fauteuil und sein Blick haftete am Boden. Alexandrine hatte sich neben ihn gesetzt und flüsterte ihm zu, wie reizend die kleine Frau die Lieder vortrage. Er nickte still vor sich hin, erwiderte ihr aber kein Wort, bis sie geendet hatte und sich wieder erhob.
»Wunderbar – wunderbar,« murmelte er dabei vor sich hin und schüttelte langsam den Kopf – »fabelhaft wunderbar.«
»Nicht wahr, die Stimme,« sagte Alexandrine, welche den Worten gehorcht hatte – »ich habe nie etwas Aehnliches gehört.«
Eduard erwiderte noch immer Nichts und starrte nur die Sängerin an, so daß es selbst seinem Schwager zuletzt auffallen mußte. Gräfin Alexandrine und Frau von Fermont waren aufgestanden und zu der jungen Frau getreten und plauderten jetzt, durch das französische Lied angeregt, mit ihr in dieser Sprache und Eduard konnte indessen den Blick nicht von der lieblichen Erscheinung wenden.
»Nun, Eduard, Du bist ja ganz wie in einer Verzückung,« lachte Galaz, indem er ihm die Hand auf die Achsel legte, »aber ich muß selber gestehen, daß ich etwas Aehnliches noch nicht gehört.«
»Ich sage Dir, Rudolph,« rief aber Eduard seine Hand ergreifend, »mir schwindelt der Kopf ordentlich – ich werde noch verrückt –«
»Oho,« lachte der Graf – »so hat Dich der Gesang ergriffen.«
»Ich habe gar nicht gehört, was sie sang.«
»Was? – nicht gehört? – aber was hast Du nur, Du bist ja in einer merkwürdigen Aufregung.«
»Diese Aehnlichkeit.«
»Welche Aehnlichkeit?«
»Der Dame mit – mit einer anderen Dame, die ich – die ich vor längerer Zeit gesehen. Wo um Gottes Willen stammt sie her?«
»Meine Frau sagt aus Frankreich, aber ich wüßte nicht, wo Du sie schon gesehen haben könntest, denn wie ich gehört, so ist sie erst vor wenigen Wochen nach Deutschland gekommen, und Du selber warst doch nie in Frankreich, wie?«
»Nein, nie,« sagte Eduard, während seine Blicke noch immer fest auf der Dame hafteten, die ihm aber jetzt, im Gespräch mit Gräfin Alexandrine und Frau von Fermont, den Rücken zudrehte.
»Ich habe eine solche Aehnlichkeit bei zwei verschiedenen Personen nicht für möglich gehalten,« sagte Eduard, noch ganz verstört. –
»Das kommt ja vor,« lachte Galaz, »und vor vierzehn Tagen ist es mir genau so in der Residenz mit einer vollkommen fremden Dame gegangen, die ich geradezu wie eine alte Bekannte ansprach, und die mich dann furchtbar kalt und stolz ablaufen ließ. Ich war nur froh, als ich mich mit einer verlegenen Entschuldigung zurückziehen konnte.«
»Aber hier –« sagte Eduard – »das Gesicht hat etwas Fremdes, ja, aber ich kann nicht sagen, worin es liegt, und diese Augen, dieser Mund, das Haar, der ganze Wuchs – nur etwas voller und eleganter. Ich weiß, es ist nicht möglich und doch glaub' ich, könnt' ich den Verstand verlieren, wenn ich lange in ihrer Nähe sein müßte.«
»Das wird wohl verschiedenen Leuten so gehen,« lachte Graf Galaz, »denn sie hat wirklich etwas Bezauberndes, diese reizende Sirene. Aber komm, wir dürfen uns hier nicht so lange flüsternd unterhalten. Alexandrine hat schon ein paar Mal herüber gesehen.«
Sie schlossen sich jetzt den Damen an und Frau von Ostenburg erröthete tief, als Eduard sie anredete, antwortete ihm aber unbefangen und frug ihn, da sie gehört, daß er schon so weite Reisen gemacht, ob er sich denn jetzt recht wohl und glücklich in der Heimath fühle, oder ob – wie das so oft der Fall sei – die Unruhe ihn wieder hinaus in das wilde Leben dränge.
Und diese Stimme – Eduard war so befangen, daß er nur ganz verworrene, kaum verständliche Antworten gab, und endlich, ärgerlich über sich selber, gerade diesem liebenswürdigen Wesen gegenüber eine so unglückliche Rolle zu spielen, all seine Sinne zusammen nahm, und fest entschlossen war, sich nicht mehr von einem so wirren Wahn befangen zu lassen.
Die Unterhaltung kam dadurch besser in Gang, wurde aber immer noch in französischer Sprache geführt, die auch der jungen Frau von Fermont geläufiger, als die deutsche schien.
Indessen wurden Erfrischungen herumgereicht und Eduard benutzte den Moment. Seiner Schwester Arm ergreifend flüsterte er ihr leise zu:
»Du hast immer gewünscht meine Frau kennen zu lernen. Sieh sie denn, wie sie leibt und lebt.«
»Wen?« frug Alexandrine erstaunt, »Frau von Ostenburg?«
»Denke Dir sie in Bauerkleidern – einfach und schüchtern.«
»Und die Frau hättest Du verlassen?« sagte die Schwester kopfschüttelnd – »Deine Phantasie führt Dich jetzt irre.«
»Ich gebe Dir mein Wort!« rief der Bruder erregt – »jeder Zug ihres lieben Gesichts ist derselbe, und doch auch wieder anders – schöner vielleicht, charaktervoller, aber das Liebe und Gute in ihren Zügen, die Grübchen – die Lippen – die Stimme selbst – ich habe ihr wie ein Schulknabe gegenüber gestanden –«
»Und auch ihre Stimme?«
»Wenn sie spricht, genau; nur der Gesang ist viel klangvoller, und diese französischen und italienischen Romanzen sind meinem Ohr fremd. Wenn sie nur einmal ein deutsches Lied singen wollte.«
»Ich werde sie bitten,« sagte Alexandrine rasch von ihm fort und zu der jungen Dame tretend – »Ach, liebe Frau von Ostenburg,« wandte sie sich an diese – »mein Bruder dort, ein entsetzlich schüchterner Mensch, wie sie sehen, aber leidenschaftlich für Musik eingenommen, hat noch eine große Bitte an Sie!«
»Und womit kann ich ihm dienen?« lächelte die junge Frau.
»Er bittet um ein ganz kleines, kleines – aber deutsches Lied – Sie dürfen ihm aber nicht böse deshalb sein.«
Frau von Ostenburgs Blick haftete fest, fast wehmüthig einen Moment auf Eduards Zügen – »Gern,« flüsterte sie dann, wandte sich ab und trat wieder zum Instrument. Aber eine ganz eigene Bewegung schien sich auch ihrer jetzt bemächtigt zu haben. Ihr Busen hob sich stürmisch – ihre Finger berührten in weichen, klagenden Akkorden die Tasten und zwei Mal war es, als ob sie ansetzen wolle, und immer noch kam kein Ton über ihre Lippen.
Eduard stand am Tisch. Der Blick der Fremden war ihm durch Mark und Seele gedrungen, das Herz schlug ihm fast hörbar in der Brust.
Jetzt hatte sich die schöne Spielende gefaßt. Ihre Finger berührten leicht die Tasten in einem kurzen, schwermüthigen Vorspiel, mit den Anklängen eines bekannten Volksliedes, und jetzt sang sie mit leiser, oh wie zum Herzen sprechender Stimme:
So sang sie den zweiten Vers: »Wie Du weinst, wie Du weinst, daß ich wandern muß« – leise, leise, kaum hörbar und erst anwachsend, als sie zur dritten Strophe kam:
Die Sängerin schwieg plötzlich – kein Laut regte sich im Saal, aber Eduard seiner Sinne kaum mehr mächtig und seiner fast unbewußt, rief flüsternd:
»Henriette!«
Die Sängerin stand auf – sie sah leichenblaß aus.
»Gnädige Frau, Ihnen ist unwohl!« rief Graf Galaz bestürzt.
Sie schüttelte langsam den Kopf und wandte sich der Thüre zu – noch einmal suchte ihr Blick Eduard, der – wild zu ihr hinüberstarrend, mitten in der Stube stand – aber da hielt sie sich nicht länger.
»Eduard! Eduard!« rief sie, flog auf ihn zu, umschlang seinen Nacken mit wilder Leidenschaftlichkeit und preßte heiße, brennende Küsse auf seine Lippen.
»Henriette, mein Weib! mein Weib!« – mehr vermochte er nicht zu rufen. Er wußte nicht ob er wache, oder von einem wilden, fabelhaften Traume befangen sei – und selbst die Möglichkeit konnte er sich nicht denken, daß er jetzt lebe, daß er athme.
Graf Galaz – während die kleine lebendige Frau von Fermont vor lauter Freude und Rührung laut schluchzte – war kaum weniger erstaunt über diese Scene, als Eduard selber; aber Alexandrine löste ihm mit wenigen raschen Worten das Räthsel, und während er jetzt nur, überrascht und doch voller Bewunderung, das reizende junge Weib betrachtete, das sich mit solcher Energie und Ausdauer aus ihrer Sphäre herausgearbeitet, um jetzt eine Zierde der höchsten geworden zu sein, verließ seine Gattin leise das Zimmer.
»Und bist Du es denn wirklich, Henriette? Ist es denn möglich, daß Wunder noch auf dieser Welt geschehen?«
»Mein Eduard, Du böser, lieber Mann, und so lange – so lange hast Du mich verlassen können, bis ich selber kommen mußte, um Dich aufzusuchen!«
»Meine Henriette, und kannst Du mir vergeben? Aber schon sind meine Sachen gepackt, damit ich wieder in Deine Arme eile.«
»Still, still, ich weiß Alles,« sagte die herzige junge Frau, ihre Hand auf des Gatten Lippen legend, – »fürchte keinen Vorwurf von mir – ich weiß ja recht gut, daß ich nicht so zu Dir paßte, wie ich war. Erst jener Engel, Deine Schwester, hat mich Dir werth gemacht.«
»Alexandrine?«
»Nachher Alles –«
»Und wo ist unser Kind?«
»Ou est donc Mama!« rief in diesem Augenblick ein prächtiger kleiner, etwa fünfjähriger Bursch, der vor Alexandrinen in das Zimmer sprang und sich überall umsah.
Aber es ist nicht möglich, die Freude dieses Wiedersehens, den Jubel zu beschreiben, der die Herzen dieser guten Menschen erfüllte. Und was war jetzt Alles zu erzählen, und Eduard, seinen Knaben fest an sich gepreßt auf dem Knie, lauschte mit Thränen der höchsten Seligkeit in den Augen der fast wunderbar klingenden Mähr von Henriettens Reise nach Deutschland, ihrer Aufnahme bei seiner Schwester und dem Plan, den diese mit Frau von Fermont entworfen, die junge Frau heran- und auszubilden.
Und Alexandrine lehnte dabei das Haupt an ihres Gatten Schulter und flüsterte leise und lächelnd:
»Wer redete mir denn neulich einmal von Hauslauch, der auf Dächern und Mauerwerk wächst, und den man nie versuchen sollte zu veredeln – es würde nie eine Rose daraus werden? – Nun, mein Herr Gärtner?«
»Wenn Du Zauberkünste treibst, mein liebes Kind,« sagte der Graf, sie an sich pressend, »dann freilich muß ich mich besiegt erkennen.«
»Keine Zauberkünste,« lächelte aber freundlich die Gräfin, »glaube mir Rudolph, jedes Mädchen, jede Frau hat das Zeug zu einer Dame in sich, wenn ihr Gelegenheit geboten wird sich auszubilden – mit Deinem starken Geschlecht aber geb' ich Dir Recht, aus einem Bauern wird sich nie ein Graf machen lassen.«
Eduard dachte jetzt natürlich nicht mehr daran, Deutschland wieder zu verlassen, ja, Graf Galaz selber war Feuer und Flamme dafür, die junge Frau in die Gesellschaft einzuführen. Anfangs zwar hatte das junge Paar noch hie und da ein durch das frühere Gerücht gewecktes Vorurtheil zu besiegen, aber die junge Frau eroberte sich die Herzen im Sturm. Selbst die Enkelburg konnte nicht lange diesem liebenswürdigen Wesen widerstehen. Der alte Comthur war allerdings leicht und bald gewonnen; Hedwig aber, vielleicht gerade aus dem Grund, weil sie keinen Grund angeben konnte, hielt sich noch am längsten scheu von ihnen zurück. Henriettens natürliche und herzliche Einfachheit, mit dem bescheidensten Auftreten gepaart, trug jedoch zuletzt auch über sie den Sieg davon, und jetzt ist in der kleinen Colonie von Rittergütern kein Fest, kein fröhliches Beisammensein irgendwo denkbar, wenn Henriette nicht dabei erscheinen kann.
Allerdings wollte Eduard, als er nur erst einmal festen Boden gefaßt, auch die Eltern seiner Frau herüber nach Deutschland ziehen, und dem Vater, der ein tüchtiger Landwirth war, eines von seinen Gütern übergeben. Die Mutter wäre auch wahrscheinlich gern gekommen, aber der alte Schuhmacher schlug jede solche Aufforderung hartnäckig ab. Er behauptete zwar immer nur, er hätte sich so an die Kakadusuppe gewöhnt, daß er nicht ohne dieselbe leben könne: er meinte aber mit derselben nur das freie unabhängige australische Leben, das er nicht mehr entbehren konnte und wollte. Er flickt allerdings für die australischen Bauern keine Schuhe mehr, aber er hat sich, von Benner dabei unterstützt, noch ein paar Sectionen Land zu seinem eigenen gekauft und ist jetzt einer der größten Weizenbauern im ganzen Tanundadistrict.
Der geheime Regierungsrath von Fischer in – saß Morgens in seinem Studirzimmer, als der Diener ihm ein kleines zierlich gefaltetes Briefchen hereinbrachte, das keinen Poststempel trug.
»Von wem?« frug der Regierungsrath, zu gleicher Zeit die Papierscheere aufnehmend.
»Ein Bäckergesell hat ihn gebracht und bittet um Antwort.«
»Ein Bäckergesell?« murmelte der würdige Mann vor sich hin, »was habe ich denn eigentlich mit einem Bäckergesellen zu thun?« Nichtsdestoweniger öffnete er das kleine Schreiben das seine richtige Adresse trug, und überflog den Inhalt.
»Hm, hm, hm, hm,« schüttelte er aber dabei den Kopf – es mußte etwas ganz Absonderliches in dem Briefe stehen – »hm, hm, hm, hm, das ist doch merkwürdig – sehr merkwürdig – der Bursche soll warten,« sagte er dann zu dem Diener, der sich mit einer Verbeugung verabschiedete und der geheime Regierungsrath, der sich doch nicht allein zu rathen wußte, stand auf und ging in das Zimmer seiner Frau hinüber, um dieser den etwas absonderlichen Inhalt des Briefes mitzutheilen. Der Inhalt war aber eigentlich gar nicht so absonderlich, sondern lautete nur einfach:
»Der Himmel hat meine liebe Frau, Sophie, vor acht Tagen mit einem gesunden, kräftigen Knäblein beschenkt und meine Bitte geht an Sie, verehrter Herr Regierungsrath, dasselbe am nächsten Sonntag aus der Taufe zu heben. Sie würden dadurch unendlich verbinden
Ihren
Ihnen gehorsamst ergebenen
Jacob Hellmann, Bäckermeister.
Die Taufe ist 11 Uhr Morgens, hohe Gasse Nr. 17, 1 Treppe.«
»Sieh 'mal, Louise,« sagte der Regierungsrath, als er das Zimmer seiner Frau betrat und ihr den Brief entgegen hielt. »Dieses Schreiben habe ich eben bekommen und der Bäckerbursche wartet auf Antwort.«
»Ich habe Nichts bestellt,« sagte die Frau Regierungsräthin.
»Nein, die Sache betrifft auch kein Backwerk,« erwiederte ihr Mann, »lies nur einmal den Brief.«
»Um Gottes Willen, wie kommst Du dazu?« rief aber seine Frau indignirt, als sie die Zeilen erstaunt durchgelesen hatte – »laß' Du das die Leute einmal merken, daß Du Gevatter stehst und Du kannst die Kinder sämmtlicher Innungen aus der Taufe heben.«
»Hm, ja, das ist schon wahr – aber was soll ich thun?« sagte ihr Mann verlegen.
»Was Du thun sollst? – danken; das ist eine einfache Bettelei.«
»Doch wohl nicht,« schüttelte der Regierungsrath bedenklich mit dem Kopfe, »der Bäcker Hellmann ist einer der reichsten und angesehensten Bürger in der Stadt; der Mann hat viel Geld und noch mehr Freunde, ich begreife deshalb auch gar nicht, wie er in dieser unglückseligen Geschichte gerade auf mich fallen konnte; hm, hm, das ist mir doch ungemein fatal.«
»Aber ich sehe nicht ein, weshalb Du so große Umstände machen willst,« sagte seine Frau, »was kann Dir der Bäcker Hellmann nützen?«
»Ja liebes Kind, das ist eine eigene Sache,« meinte der Regierungsrath, »ich – ich möchte ihn doch auch nicht gerade vor den Kopf stoßen. – Dieß leidige Gevatterstehen ist doch eine furchtbare Einrichtung und trotzdem giebt es solche glückselige Menschen, die sich etwas derartiges noch zur Ehre rechnen und dadurch befangen genug werden zu glauben, sie ehrten den Eingeladenen ebenfalls.«
»So werde krank an dem Tage.«
»Das geht auch nicht,« sagte der Regierungsrath kopfschüttelnd, »sieh nur den Datum an, es ist derselbe Abend an dem der Tannhäuser zum ersten Mal gegeben wird und wir müssen die Vorstellung, zu der ich für uns die Plätze schon bestellt habe, dann ebenfalls versäumen.«
»Nein, das geht auf keinen Fall,« sagte die Frau Regierungsräthin.
»Dann wird mir wahrhaftig nichts weiter übrig bleiben, als die Einladung anzunehmen,« seufzte ihr Mann, »aber fünf Thaler gäb' ich darum, wenn ich wüßte, wer den Menschen auf den unglückseligen Gedanken gebracht hat, gerade mich zu wählen – und das kostet dabei wieder ein Heidengeld.«
»Thu' was Du willst,« sagte die Frau Regierungsräthin, »aber soviel weiß ich, wenn ich eingeladen wäre, ich ginge nicht.«
Ihr Mann schüttelte mit dem Kopf, ging noch ein paar Mal mit auf den Rücken gelegten Händen im Zimmer auf und ab und dann wieder zurück in seine eigene Studirstube, wo er einen Briefbogen aus dem Gefach nahm und schrieb:
Verehrter Herr!
Es wird mir zur großen Freude gereichen, Ihrer Einladung zu dem glücklichen Feste – zu dem ich Ihrer werthen Frau Gemahlin meine besten Glückwünsche darzubringen mir erlaube – Folge zu leisten. Ich werde mich pünktlich einfinden und zeichne mich indessen hochachtungsvoll als
Ihren
ergebensten Diener
Johann v. Fischer, geh. Regierungsrath.
Der Tag kam; Herr von Fischer hatte die nöthigen Erkundigungen eingezogen und seiner Mitgevatterin ein Körbchen mit sehr schönen Blumen und Handschuhen gesandt. Die Feier selber fand im Hause des Bäckermeisters statt und nach der Ceremonie, zu der noch eine Anzahl Gäste geladen war, führte Herr Hellmann, der seinen Gevatter auf's Herzlichste empfangen hatte, sämmtliche Eingeladene in das Speisezimmer hinüber. Die Tafel war gedeckt und brach fast unter der Last der Speisen und Getränke; der geheime Regierungsrath hatte den Ehrenplatz am Tische und da der Wein ausgezeichnet und von Fischer ein Kenner war, fing er sich nach der ersten halben Stunde schon an wohler, und nicht lange nachher auch behaglich zu fühlen. Die etwas gemischte Gesellschaft bestand dabei aus höchst liebenswürdigen, jovialen Menschen und es wurde erzählt und gelacht und ein Toast nach dem anderen ausgebracht; ja der Regierungsrath, der den ersten auf das Wohl der Wöchnerin getrunken, thaute ordentlich auf; er lachte und erzählte mit und amüsirte sich vortrefflich.
Gegen das Ende der Mahlzeit stand auch Herr Hellmann auf, hob sein Glas und ließ den Herrn Regierungsrath und seine werthe Familie leben, und wie derselbe jubelnd getrunken war, ging er zu seinem Gast um den Tisch herum, um mit ihm anzustoßen, rückte sich dann einen Stuhl zu ihm und es entspann sich bald ein kleines Gespräch über Mahlzeit und Wein, worin der Regierungsrath sein Entzücken über beides ausdrückte, und überhaupt versicherte, sich nicht der Zeit erinnern zu können, wo er sich so gut unterhalten habe.
»Nun das freut mich wirklich herzlich, daß es Ihnen bei mir gefällt,« sagte der Bäckermeister.
»Nein wahrhaftig, mein guter Herr Hellmann, es ist Alles vorzüglich, außerordentlich – aber – aber eine Frage erlauben Sie mir wohl?«
»Bitte, mit dem größten Vergnügen, Herr Regierungsrath, wenn ich sie irgend beantworten kann.«
»Es ist mir eine Ehre gewesen, Ihren kleinen Burschen von Sohn aus der Taufe gehoben zu haben, wir essen und trinken hier ausgezeichnet, wir amüsiren uns, wie man sich nur amüsiren kann, aber –«
»Aber?«
»Aber sagen Sie mir doch, mein guter Herr Hellmann,« fuhr der Regierungsrath fort, den neben ihm Sitzenden dabei freundlich auf das Knie klopfend, »wie sind Sie gerade auf mich zum Taufpathen gefallen? – ich habe mir schon den ganzen Tag den Kopf darüber zerbrochen und kann es doch unmöglich meinen geringen Verdiensten, dem Staat gegenüber, zuschreiben.«
»Hm, Herr Regierungsrath,« lächelte Hellmann still vor sich hin, »das hat eine eigene Bewandtniß und ich sehe keinen Grund ein, sie Ihnen zu verheimlichen.«
»Wäre mir lieb,« sagte der Regierungsrath.
»Ich weiß nicht einmal, ob Sie sich meiner von früher noch erinnern –«
»Glaube kaum früher das Vergnügen Ihrer persönlichen Bekanntschaft gehabt zu haben.«
»Doch, doch,« sagte Hellmann, »besinnen Sie sich auf den letzten Winter, wo wir einmal zwei Tage hintereinander so entsetzliches Glatteis in der Stadt hatten.«
»Ja allerdings – es kamen auch mehrere Unglücksfälle damals vor.«
»Ganz recht – an einem von diesen Tagen ging ich Vormittags an Ihrem Hause vorüber, dessen Parterre Sie bewohnen; Sie standen am Fenster und sahen auf die Straße hinaus und demselben gerade gegenüber rutschte ich aus – die Füße glitten mir unter dem Leib fort und ich fiel der Länge nach hin.«
»Das waren Sie?« rief der Regierungsrath, noch in der Erinnerung an den Augenblick lächelnd.
»Das war ich, mein bester Herr und wie ich mich nach Ihnen umdrehte – und ich hatte mir weh gethan – wollten Sie sich ausschütten vor Lachen.«
»Hahahaha,« lachte der Regierungsrath, »das sah auch wirklich zu komisch aus, die Beine kamen Ihnen mit einem ordentlichen Ruck in die Höhe.«
»Ja allerdings,« sagte Herr Hellmann, ohne jedoch in das Lachen mit einzustimmen, »an dem Morgen aber schwor ich es mir: dem Regierungsrath spielst Du für das Lachen einmal einen Possen, wo sich die erste Gelegenheit dazu bietet – und die habe ich mir auch nicht entgehen lassen.«
Der Regierungsrath nahm die Sache natürlich als Scherz auf, und lachte daß ihm die Thränen in die Augen kamen; amüsirte sich auf wohl noch eine Stunde vortrefflich, wo er dann nach Hause mußte um das Theater nicht zu versäumen. Er tritt aber von der Zeit an bei Glatteis nie mehr an's Fenster, denkt gar nicht daran zu lachen, wenn er Jemanden hinfallen sieht, und seine Frau weiß heut noch nicht, weshalb er damals zu Gevatter gebeten wurde.
Am 14. Januar Morgens ritt ich mit Herrn Blumenberger, der in Geschäften nach Batavia gekommen war, nach Tjipamingis hinauf. Gerade mit Sonnenaufgang verließen wir die letzten Landhäuser, und einen schmalen Fuß- oder Reitpfad annehmend, der durch eine weitläufige Cocosgartenanpflanzung führte, erreichten wir die freien Reisfelder, durch die ein enger Weg, bald durch, bald an Gräben hin, jetzt über eine Strecke hohen trocknen Landes, jetzt wieder durch niedere sumpfige oder künstlich überschwemmte Gegenden führte.
Es war ein wunderherrlicher Morgen, die Gipfel der schwankenden im Wind rauschenden Cocospalmen, des schönsten, stolzesten Baumes, den die Tropenwelt geschaffen, glühten von den ersten Strahlen der jungen Sonne geküßt; über das niedere Land zogen noch dünne duftige Nebelstreifen, hier sich wie zum Spiel um eine hohe Gruppe dunkellaubiger Manga's sammelnd, dort, von irgend einem Luftstrom erfaßt, wie ein Milchbach rasch ein enges Thal hinabfließend. Hier herrschte auch Leben in der Flur; dann und wann flog zwitschernd und scherzend ein muntrer Schwarm von buntgefiederten Reisvögeln in die niedern, die Felder umwachsenden und den Weg hier und da begränzenden Büsche, wenn ein Ulang-Ulang vielleicht, dicht über ihnen wegstreichend, sie aufgescheucht hatte von ihrem Morgenschmauß. An den feuchten Rainen saßen kleine weiße ernsthafte Kraniche und schauten neugierig in das zu ihren Füßen leise quillende Wasser nieder, und über ein dann und wann trockenes Feld schritt wohl ein langbeiniger Bangun, eine Art Storch mit riesig dickem Schnabel und schwerfälligem Kopf, sich mühsam rechts und links nach den vorbeispringenden Pferden umschauend, ob sie ihn nicht auch etwa in seinem Morgenspaziergang stören und ihm die schöne Frühzeit verderben wollten.
In den Reisfeldern wurde es ebenfalls lebendig, Schaaren von Mädchen kamen aus den einzelnen Baumgruppen, in denen versteckt ihre Hütten lagen, heraus, ihr mühsames Tagewerk mit Pflanzen zu beginnen, und hier und da schlenderte langsam ein junger Bursch mit seinen beiden Karbauen heran und in den Schlamm der noch nicht zugerichteten Felder hinein, zu pflügen oder zu eggen.
Der Reis ist die Hauptnahrung nicht allein des Javanen, sondern fast aller indischen Völker, und der Reisbau deshalb eine ihrer wichtigsten, nothwendigsten Beschäftigungen.
Man baut hier auf Java zwei Arten von Reis, den nassen und trocknen. Das hauptsächlichste Handelsproduct liefert der naßgebaute Reis, die Eingeborenen ziehen dagegen für ihren eigenen Bedarf den trocken gezogenen – und unter diesem wieder den rothen Reis vor, der nahrhafter und wohlschmeckender sein soll, als der andere, aber nicht so verkäuflich ist wie dieser. Einzig und allein dürfen sie sich aber auch nicht auf ihre trockenen Felder, die in der Anlage mit unsern Weizenfeldern Aehnlichkeit haben, verlassen, denn eine sehr trockene Jahreszeit könnte ihnen leicht eine Mißernte bringen, während der andere, durch lebendige Quellen und Ströme bewässert, weniger oder doch nicht so allein, von dem Regen abhängig ist.
Die hauptsächlichste und mühsamste Arbeit beim nassen Reis, d. h. solchem, der nicht allein im Wasser gepflanzt wird, sondern auch fast bis zur Reife mit den Wurzeln unter Wasser gehalten werden muß, ist jedenfalls die Herstellung der Felder selber, die vollkommen eben angelegt, und einzeln mit Rändern oder Rainen umgeben sein müssen, um das Wasser sowohl darin zu halten, als auch gleichmäßig zu verbreiten. Natürlich findet sich in diesen bergigen oder auch nur wellenförmigen Ländern selten eine Strecke Land, selbst nur von einem Acker groß, deren Fläche vollkommen wagrecht wäre, oder mit nur einiger Mühe dahin gebracht werden könnte. Die natürliche Folge davon ist denn, daß die Felder sehr klein angelegt und lieber mehrere tiefer und tiefer laufende Abtheilungen oder Schichten gegraben werden müssen, um das Wasser nach allen Seiten gleichmäßig verbreiten und benutzen zu können.
Um diese Felder zu ebnen und aufzuhacken, gebrauchen die Javanen eine breite, und wenn man sie von weitem ansieht, scheinbar sehr schwere Hacke; der Javane hat aber viel zu viel Liebe für seine eigenen Gliedmaßen, als daß er sich wirklich mit schweren Werkzeugen nur irgendwie einlassen sollte. Die Hacke besteht aus dem leichtesten Holz, mit einem Stiel, den man ohne die geringste Mühe zwischen den Händen – nicht einmal vor dem Knie – durchbrechen könnte, und nur vorn an der Schneide liegt ein dünner, sehr dünner und schmaler langer Stahl, um dadurch dem Werkzeug doch eine Schneide zu geben. Das sämmtliche Eisen an der ganzen Hacke wird nicht über ein Viertelpfund wiegen.
Ist das geschehen und von abgeschlagenem Rasen ein etwa Fuß hoher und ebenso breiter Damm oder Rand um dasselbe gelegt, dann wird das Feld gepflügt. Ich glaube aber, sie lassen schon vor dem Pflügen Wasser hinein, um diese Arbeit leichter in dem sonst wohl etwas schweren Boden verrichten zu können, und gehen erst mit dem Pflug hinein, wenn sie die Erde in eine Art Schlamm verwandelt haben. Sehr oft sah ich sie wenigstens in solchem Schlamm, aber nie in trockenem Grunde, ausgenommen in den zu trockenem Reis bestimmten Feldern pflügen.
Haben sie den Boden gehörig aufgerissen, so kommt die Egge hinein – ein schwerfälliges Instrument, nicht wie unsere Eggen, sondern nach Art der Cultivatoren gebaut, und nur aus zwei Schenkeln bestehend, die vorn zusammenlaufen und ziemlich einen rechten Winkel bilden. In diesen stecken zehn oder zwölf starke hölzerne und etwas zugespitzte Zähne, und um dem Ganzen noch etwas mehr Schwere zu geben, und die Zähne tiefer in den Schlamm hineinzudrücken, setzt sich der junge Bursch, der die Karbauen gewöhnlich treibt, sehr häufig oben auf seine Egge drauf und läßt sich in dem Brei spazieren fahren.
Was die Saat des Reis anbetrifft, so geschieht die erst in besonders dazu hergerichtetem Feld, wie wir z. B. in Deutschland den Kraut- oder Kohlsamen säen. Er schießt dort dicht, Halm an Halm gedrängt empor und wird nur, sobald er die gehörige Reife erreicht hat, herausgenommen und büschelweis, d. h. immer drei, vier oder fünf Halme zusammen, von Menschenhänden in die nassen, unter Wasser stehenden Felder gepflanzt. Diese Arbeit besorgen fast allein Mädchen, ich habe wenigstens nie Knaben damit beschäftigt gesehen; sie nehmen sich eine tüchtige Hand voll der kleinen Pflanzen und drücken sie einzeln, ohne weiter ein Loch dazu bohren zu müssen, wie das bei den Krautpflanzen in trockenen Feldern der Fall ist, in den weichen Schlamm in ziemlich regelmäßigen Entfernungen und Reihen ein.
Von jetzt ab haben sie weiter nichts mit dem Reis zu thun, bis er reif ist, als einmal vielleicht, nach einigen Wochen durchzugehen und das dazwischen wuchernde Gras und Unkraut auszuziehen. Die Arbeit ist aber in sofern, obgleich nicht sehr hart, doch unangenehm und beschwerlich, da die Pflanzenden den ganzen Tag in dem fast fußtiefen Schlamm und in der heißen, durch nichts abgehaltenen Sonnenhitze, gebückt umhersteigen müssen.
Solche frisch angepflanzte Felder mit ihren hellgrünen, fast durchsichtigen Reispflänzchen, haben ein höchst freundliches Ansehen, und wo besonders in den einzelnen Abdachungen ältere und dadurch dunkler gewordene Gefache, wie man fast sagen könnte, mit diesen abwechseln, thun die verschiedenen oft wie in regelmäßigen Zeichnungen ausgestreuten Farben dem Auge unendlich wohl.
Das Schneiden des Reises bewerkstelligen sie auch auf eine ganz eigene Art; die Frauen, welche diese Arbeit wieder meist allein besorgen, haben eine besondere Art von Messern oder Instrumenten dazu, womit sie jeden Halm einzeln abknipsen, es geschieht dies aber mit einer solchen Uebung und Gewandtheit, daß sie doch eine sehr bedeutende Strecke in einem Tag beendigen sollen. Die reifen Halme werden mit dem Stroh etwa fünfviertel Fuß lang abgeschnitten und in kleine starke Büschel gebunden, die sie dann, die Aehren herunterhängend, zu Markte tragen.
Eine Hauptnoth haben die Javanen von der Zeit an, wo der Reis zu reifen anfängt und eine wahrhaft unzählbare Schaar von Reisvögeln, seinem grimmigsten Feind, oder vielmehr liebstem Freund, herbeilockt. Dann muß die ganze junge Bevölkerung auf die Beine, und von früh bis spät mit allerlei entsetzlichen Lärminstrumenten und Scheuchmaschinen thätig sein.
Eine besondere Art dieser letzteren, die ich vorzüglich auf dem Wege von Batavia nach Buitenzorg sah, besteht darin, daß in gewissen Entfernungen in den Reisfeldern kleine, auf hohen Baumstangen ruhende Hütten oder vielmehr Körbe, mit einem Schutzdach gegen Sonne und Regen errichtet sind, in denen Knaben von sechs bis zehn Jahren auf der Lauer sitzen. Von diesen Körben aus, wo sie jeden Theil der in ihrer nächsten Umgebung liegenden Felder leicht übersehen und überwachen können, gehen aus Cocosnußfasern dünn gedrehte Seile nach den verschiedenen Theilen und stehen dort mit einem aufgesteckten Cocosblatt oder sonst einem vorragenden, leicht beweglichen Gegenstand in Verbindung. Lassen sich nun irgendwo in ihrem Bereich Reisvögel oder sonst dem Getreide nachtheilige Thiere blicken, so ziehen sie nur einfach in etwas raschen Zuckungen an der dort hinausführenden Schnur, und die scheuen Thiere fliehen, sobald sie so ganz urplötzlich etwas anscheinend Lebendes in ihrer Nähe sich bewegen sehen, rasch in's Weite.
Wo sie diese Hütten nicht haben, laufen die Jungen mit wahrer Todesverachtung den ganzen Tag mit riesigen Schnurren in den Feldern herum, die sie von nur einem etwas gebogenen Bambusstab anfertigen und die ein schmähliches Geräusch machen. Aehnliche Instrumente befestigen sie auch auf hohen Bambusstangen und überlassen den Lärm dem Winde, der sich auch gewöhnlich ein Vergnügen daraus macht, ihnen zu willfahren. Den größten Spektakel aber und einen wahren Heidenlärm, der genau wie das tolle Brüllen eines wild gewordenen Stieres klingt, macht ein etwas abgeschorenes Cocospalmblatt, das gerade so aufgesteckt wird, daß der Wind schräg in die starren emporragenden und an einanderschlagenden Blattabtheilungen oder Zweigblätter hineinweht. Mag er dabei so stark blasen wie er will, er wird nie aus solchem Blatt ein gleichmäßiges Geräusch herausbringen können. Sobald es nur ein klein wenig aus der nöthigen Richtung tritt, muß der tönende Lärm aufhören, der aber augenblicklich und zwar mit voller Stärke einsetzt, sobald es die frühere Stellung annimmt. Dadurch macht er aber auch den meisten Effect auf die Reisdiebe, weil er nicht in einem fort tönt, sondern nur manchmal in unregelmäßigen Zwischenräumen und wie ihn gerade der Wind faßt, einsetzt, dann aber mit einer Kraft, daß ich selber schon zusammengefahren bin, wenn ich mich gerade unter solch einer Reisklapper befand, ohne sie früher beachtet zu haben.
Die Reisscheuen sind kleine eigenthümlich geflochtene Gebäude, vielleicht zehn bis zwölf Fuß hoch, acht Fuß lang und sechs bis sieben Fuß breit, nach unten etwas spitz zulaufend und mit hölzernen Füßen, wie ein richtiger Tragkorb. Sie können, wenn sie leer sind, leicht von einem Ort zum andern gewechselt werden und stehen wenn aufgestellt, mit diesen Füßen immer auf untergelegten Steinen. Das Dach ist ebenfalls von Bambus geflochten und gewöhnlich mit den schwarzen Fasern der Arenpalme gedeckt.
Bei dem Reis darf ich aber auch nicht vergessen, des nützlichsten und von den Eingeborenen ungemein geschätzten Karbau, oder besser Malayisch, Karbo Erwähnung zu thun.
Diese Karbo's oder Büffel gehören gewissermaßen mit zu einer javanischen Familie, und so sehr der Javane das Schwein, als ein unreines Thier, verabscheut, so zärtlich liebt er den schmierigen, fast stets mit Schlamm bedeckten Karbo, mit dem der Knabe gewissermaßen aufwächst und in die Schule geht. Schon das Aussehen dieser Thiere ist merkwürdig – sie haben fast gar keine Haare und eine Art Elephantenhaut, die nur in der Farbe wechselt, denn manche sind grau, wie jene, andere aber auch wieder, und ein fast ebenso großer Theil vollkommen fleischfarben, weshalb sich einige Deutsche hier neulich ein Vergnügen daraus gemacht haben, einem gerade anwesenden Schiffscapitain weiß zu machen, diesen Karbo's würde jedes Jahr die Haut abgezogen, weshalb sie auch keine Haare hätten und einen Theil im Jahr noch fleischfarben und den andern dann wieder grau aussähen. »Es ist wunderbar,« war Alles, was er sagen konnte.
Ihre Hörner, die oft eine unverhältnißmäßige Größe erreichen, biegen weder zurück noch vorwärts, sondern stehen in gerader Linie mit dem Vorkopf, so daß man, wenn man ein Lineal fest von der Nase über die Stirn des Thieres weglegte, die nach oben wieder zusammenlaufenden Spitzen der Hörner dadurch ebenfalls berühren würde. Da sie die Nase fast immer vorgestreckt halten, so liegen die Hörner dadurch natürlich vollkommen zurück, und es giebt ihnen das mit den kleinen Schweinsaugen und dem halboffenen Maul ein wirklich rechtswidrig dummes Gesicht.
Die Thiere sind aber gar nicht so dumm und wissen sich wohl recht gut, wenn das nur irgend ausführbar ist, von Arbeit und Quälerei wegzudrücken. Ueber dieselben haben nun gewöhnlich die Knaben die Oberaufsicht und es ist merkwürdig, was für eine gegenseitige Zuneigung zwischen den Beiden aufwächst. So wenig sich der Javane aus einem Pferd macht, und so sorglos und ohne Abwartung er dasselbe, selbst nach starkem Ritt laufen läßt, so äußerst ängstlich geht er dagegen mit diesen plumpen Geschöpfen um, und die Jungen sind ewig beschäftigt, sie in die Schwemme zu führen und abzuwaschen; was nebenbei gesagt, eine so nutzlose als undankbare Arbeit ist, da die Thiere sich kaum rein abgestriegelt und gespült fühlen, als sie auch schon wieder mit einem grenzenlosen Wohlbehagen im Schlamm liegen, und sich mit ihren schaufelartigen Schnauzen das kühlende, natürlich dickschmutzige Wasser über den Rücken werfen.
In dem Schlammwasser aber, wie draußen zur Weide gehend oder zu Hause ziehend, liegt der Knabe, der die Aufsicht über die Thiere hat, mit dem Bauch auf seinem Lieblingsbüffel, streckt die dünnen braunen Beine hinten in die Höh', und jauchzt vor Lust und Vergnügen. Jemehr verschiedene Gespanne zusammen sind, desto größer ist die Freude, gehen sie dicht gedrängt, so wälzt sich das fröhliche Völkchen oft von einem zum andern, ohne daß sich die geduldigen Thiere auch nur im mindesten ungeberdig darüber zeigten; selbst beim Grasen bleiben sie oben liegen und manchmal sehr zum Aerger eines kleinen, Staarartigen Vogels, den die Balinesen Tjulik nennen (der malayische Name ist mir entfallen) und der sich ebenfalls, wenn der junge Javane einmal absteigen sollte, am liebsten auf dem Rücken des Karbo's aufhält, und ihm das Ungeziefer absucht, womit Karbo ebenfalls vollkommen einverstanden ist. Die unbepflanzten Reisfelder sind mit ihrem Schlamm eine wahre Erholung für diese Thiere, so lange sie nämlich nicht darin pflügen und eggen müssen, und sie wälzen sich ganze Tage lang aus einem in's andere.
Eine anstrengende Arbeit hat der Karbo oder Büffel übrigens im Karrenziehen, was nach dem Reisbau eine der bedeutendsten Beschäftigungen für ihn ist. Auf oder vielmehr an der Hauptstraße – denn neben den Hauptchausseen läuft noch ein Nebenweg, stets zerfahren und aufgewühlt, der nur für die Ochsenkarren der Javanen bestimmt ist – begegnet man oft ganzen Zügen von zwanzig bis fünfzig zweirädrigen Karren, die sich quietschend und schreiend auf den holprigen, schlammigen Straßen dahinwälzen, während doch daneben ein Weg geht, auf dem sie sich mit Leichtigkeit fortbewegen könnten, den sie aber nicht betreten dürfen. Die Karren selber sind leicht genug, von Bambus stark geflochten und mit einem eben solchen Bambusdach, wie zwei zusammengestellte Kartenblätter der Form nach, gedeckt. Vorn hängt, wahrscheinlich der Melodie wegen, eine Glocke, denn die Javanen halten ungemein viel von solch eintöniger, schreiender Musik. Das Gekreisch dieser Wagen ist dabei entsetzlich; die Räder sind, vielleicht vier bis fünf Zoll dick und etwa vier Fuß im Durchmesser, aus grobem Holz geschlagen, und werden natürlich nie geschmiert, so daß man sie oft Meilen weit hören kann. Ganz in der Nähe hat selbst dies Gequietsche aber, mit seinen theils hoch theils tief gestimmten Rädern eine Art Melodie, für die die Javanen jedenfalls Gehör haben und auch ein gewisses Interesse empfinden müssen. Im Lande wurde eine Anecdote von einem Orang gunung oder Bergmenschen erzählt, der zum ersten Male eine Harmonika spielen hörte, und auf die Frage, ob ihm die Musik gefalle, zur Antwort gab: »Ausgezeichnet – es klingt beinah so wie unsere Wagen.«
Diese Karren fahren sämmtliche, im Lande gezogenen Produkte in die nächsten Städte oder nach den Küsten hinunter, und die Karbo's sind in ein Joch gespannt, das Aehnlichkeit mit dem amerikanischen hat, aber lange nicht so praktisch ist. Es besteht nur aus einem geraden, runden Stück Holz, an das der Hals der Thiere durch ein gebogenes und wieder eingeschobenes Stück Bambus oder biegsamen Holzes festgehalten wird. Weil aber das Holz oder Joch eben gerade ist, so kann der Nacken der Thiere nur gegen einen einzelnen, den mittelsten Punkt drücken, und sie sind deshalb auch gar nicht im Stande, ihre ganze Stärke dabei anzuwenden, während der eine kleine Theil ihres Körpers, gegen den das ganze Gewicht liegt, leicht ermüden und schmerzen muß. Das amerikanische Joch dagegen ist unten, nach dem Nacken des Thieres rund ausgeschnitten, so daß dieser vollkommen darin liegt und von allen Seiten gleich stark dagegen preßt, was ihnen die Arbeit ungemein erleichtert und sie weit mehr leisten läßt.
Die Javanen haben aber außerdem noch eine eigene Manier, ihre Büffel zu leiten; sie befestigen ihnen nämlich ein dünnes Seil durch den Nasenknorpel, mit dem sie das Thier leicht führen und lenken können, besonders, wenn sie oben auf sitzen. Eingespannt, treiben sie es nur mit der Peitsche.
Unterwegs hatten wir mehre kleine Flüsse zu kreuzen, die von dem letzten Regen bedeutend angeschwellt waren. Ueber den einen kamen wir mit dort von Javanen bereit gehaltenen Canoes, und ließen die Pferde hinüberschwimmen, an andern aber waren keine Canoes, und die Ufer so steil und schlammig, daß der Uebergang bei hohem Wasser eben nicht angenehm, und manchmal wohl sogar gefährlich wird. Hierüber war allerdings etwas weiter unten eine Brücke geschlagen, aber nur von Pfosten und mit geflochtenen Bambusmatten gedeckt, ohne die geringste Stütze darunter. Solche Bambusmatten halten auch vortrefflich, so lange der Bambus eben noch jung und frisch ist, wird er aber erst einmal alt, dann bricht er ungemein leicht und ist dann für Pferde eine höchst gefährliche Passage.
Es blieb uns aber nicht gut ein anderer Ausweg, als die Brücke zu nehmen, wir mußten von zwei Uebeln das kleinere wählen, und gebrauchten nur die Vorsicht, vorher abzusteigen und die Pferde zu führen. – Es war ein häßlicher Platz – die Brücke etwa zwanzig Fuß hoch über dem Wasser, und nichts als die dünne bröckliche Matte darüber – brach ein Pferd ein, so war es verloren. – Mein Begleiter, der voran ging, kam aber gut hinüber, sein Pferd trat nur zweimal durch und fand immer wieder eine feste Stelle. Ich folgte aber nicht hinter ihm, denn die eben eingetretenen Plätze machten es dort nur noch schwieriger, hinüber zu kommen – ganz an der Seite schien mir der beste Platz. Das Pferd mochte aber wohl merken, welche fatale Stelle es zu passiren hatte, und wollte im Anfang gar nicht hinüber; erst als es sah, daß es nicht anders ging, machte es plötzlich einen Satz und sprang, den günstigsten Fleck sich dabei aussuchend, nach vorn, während es zu gleicher Zeit mit beiden Hinterbeinen durch die Matte brach. Glücklicher Weise hatte es mit den Vorderhufen festen Halt, gerade hinter einem der Querbalken und sein volles Gewicht auf diese werfend, gelang es ihm, die Hinterbeine wieder mit einem plötzlichen Ruck in die Höhe und zu den Vorderfüßen zu bringen – noch ein Satz und wieder krachte der trockene mürbe Bambus, diesmal aber nur an einer Stelle, das Pferd gewann wieder festen Fuß und war mit dem dritten Sprung auf dem erst später gelegten und sicheren Theil der Matten. – Wir waren glücklich hinüber, ich versprach mir aber, und wenn ich durch sechs Flüsse hindurch schwimmen sollte, nie wieder über eine solche Brücke mit einem Pferde zu ziehen.
Gegen Mittag erreichten wir eine andere Farm, wo ein Holländer Aufseher war. Dies Gut gehörte einem im Land aus gemischter Ehe geborenen sogenannten Liplap, der sich durch sein liederliches, oder vielmehr verschwenderisches Leben einen ordentlichen Namen erworben hatte. Der gute Mann verzehrte, ich weiß nicht wie viel hundert tausend Gulden jährlich, und stak dabei doch fortwährend dermaßen in Schulden, daß ihm jetzt nun schon zum zweiten Mal Curatoren gesetzt waren, um seine Gläubiger sicher zu stellen und zu befriedigen.
Nach Tisch brachen wir wieder auf, Tjipamingis noch vor dem gewöhnlich spät Nachmittags eintretenden Regen zu erreichen, und jetzt kamen wir auch, allerdings noch in circa sechs bis sieben Meilen Entfernung von Klapanunga, an dem Orte vorbei, wo in den kleinen niederen, von dem Hauptrücken des hier jedoch schon abflachenden Gebirges, auszweigenden Hügeln, die indischen Schwalben in tief in die Berge gehenden Höhlen ihre eßbaren und so theuer bezahlten Nester bauen.
Unterwegs kamen wir noch durch einen kleinen Kampong, wo auch allwöchentlich ein pasar oder Markt gehalten wird – und wo wir bei einem behaglichen alten Burschen von Chinesen abstiegen, eine Tasse Thee tranken und einige eingemachte Früchte dazu aßen. Die Art, wie die Chinesen Thee trinken, hat etwas Besonderes – zuerst haben sie enorm kleine Kannen und Tassen, die in einem Theebret stehen, auf dem, durch das fortwährende Einschenken, schon immer eine Quantität herumschwimmt. Die kleinen Tassen werden vollgeschenkt, sowie aber der Gast nur die Hälfte davon getrunken hat, steht auch der Wirth oder die Wirthin schon da, und füllt sie wieder voll. Sie brauchen ebenfalls Zucker dazu, aber keine Milch. Ihre eingemachten Früchte sind vortrefflich und sie benutzen dazu, auf sehr geschickte Weise, Alles was ihnen nur vorkommt. Besonders zu lieben scheinen sie eine kleine Gattung wachsartiger Beeren, die sie vortrefflich zu präserviren wissen.
Von hier ab betraten wir die Hügel, die wir bis jetzt nur zu unserer Rechten gehabt, bald ritten wir durch ein freundliches Thal, bald an weiten Hügelrücken hin, auf deren Flächen grünender Radjang tjina, Bohnen, Ananas und trockene Reisfelder lagen.
Die Radjang tjina oder chinesische Radjang-Bohne wird hier ungemein viel gezogen und hauptsächlich dazu gebraucht, Oel daraus zu pressen, doch schmecken die Bohnen auch geröstet vortrefflich und sind eine Lieblingsspeise besonders der Kinder. Diese Radjang tjina ist übrigens dieselbe Frucht, die in den südlichen Theilen Nord-Amerika's unter dem Namen Erdnuß bekannt, auch manchmal nach Deutschland hinüber verschickt wird, dort aber schon meistens ranzig schmeckt. Sie werden in Reihen gepflanzt und die Nuß oder Bohne, wie sie hier genannt wird, wächst als Knolle in der Erde und hat einen vollkommen nußähnlichen Geschmack. Sie soll das Land sehr bedeutend ausziehen, wenn zwei Jahre auf ein und derselben Stelle gebaut, während sie dagegen dem Boden im ersten Jahre eher Nutzen als Schaden bringt.
Ziemlich spät am Nachmittag, und als eben die ersten Regen einsetzten, erreichten wir endlich Tjipamingis, das eine höchst freundliche Lage am Ufer eines kleinen Bergstroms und am Fuße eines gerade dicht dahinter ziemlich steil und malerisch aufsteigenden und dicht bewaldeten Berges hat. Rings von Hügeln eingeschlossen, liegt es dabei wie in einem Kessel und seine freundlichen, dicht von Fruchtbäumen überschatteten Dächer und wehenden Palmen geben ihm einen höchst lieblichen Anblick.
Der Weg führte steil und schnurgerade durch und hinunter, und die Pferde liefen was sie nur ausgreifen konnten, denn sie wußten es ging nach Hause.
Das Innere der Wohnung war übrigens ächt Indisch – ein europäischer Mann, eine chinesische Frau und ein javanisches Kind – man findet das hier im Lande ungemein häufig und die Chinesinnen sollen gewöhnlich recht gute Frauen werden.
»Meinen Segen habt Ihr, Kinder,« sagte der Traubenwirth in dem thüringischen Dorfe Wetzlau, indem er dem jungen Barthold derb die Hand schüttelte, während Lieschen, seine Tochter, ihren Kopf an der Mutter Schulter legte. »Du bist ein braver Bursch, Dein Vater hat ein hübsches Gut, und ich denke, Ihr werdet schon mit einander auskommen. Arbeiten habt Ihr ja alle Beide gelernt, und das ist und bleibt doch immer die Hauptsache; so macht denn Hochzeit, wann Ihr eben wollt, Hans. Das Uebrige werd' ich schon mit Deinem Vater in Richtigkeit bringen.«
Vorher wird es aber auch nöthig sein, daß wir uns die Leute einmal betrachten, mit denen wir hier bekannt werden, und das ist bald geschehen, denn wir haben es keineswegs mit etwa besonderen oder außergewöhnlichen Menschen zu thun.
Christoph Erlau, oder der Traubenwirth, wie er gewöhnlich genannt wurde, da sein Gasthof »zur goldenen Traube« hieß, war eigentlich ein Metzger, der sich in Wetzlau niedergelassen und durch Fleiß und Aufmerksamkeit gegen seine Gäste ein ganz hübsches Besitzthum erworben hatte. Lieschen, seine einzige Tochter, galt wenigstens im Dorf für eine vortreffliche Partie. Er hielt auch viel auf das Kind und ließ sie, sowie sie aus der Schule war, erst ein paar Jahr in der Stadt, bei einem Schwager, daß sie nicht zwischen den Bauermädchen aufwachsen, sondern auch ein Bischen »Manieren lernen sollte«, wie er's nannte. Mit siebzehn Jahren nahm er sie aber wieder zu sich heraus, denn einestheils hatte sich seine Wirthschaft so vergrößert, daß er ihre Hülfe wirklich nothwendig brauchte, und dann fehlte es ihm auch an allen Ecken und Enden, wenn er das Mädel nicht bei sich hatte.
Lieschen, obgleich sie ihre Eltern von Herzen liebte, war anfangs nicht gern auf das Dorf gezogen, denn es gefiel ihr besser in der Stadt; aber das elterliche Haus übte doch seine Anziehungskraft, und sie fand zuletzt auch Gefallen an der Wirthschaft selber, wo viele fremde Leute einkehrten und ein reges Leben herrschte. Sie nahm sich der Arbeit dabei mit gutem Willen an, und Vater wie Mutter hatten ihre Freude an dem Kind.
Lieschen war eben zwanzig Jahre geworden, als Barthold's Vater in die Nachbarschaft – d.~h. auf das nächste Dorf, nach Dreiberg, zog und sich dort niederließ.
Der alte Barthold hatte sich aber schon – wie man so sagt – »etwas in der Welt versucht« und gehörte nicht zu denen, die mit dem Sprüchwort »bleibe im Lande und nähre Dich redlich« an der Scholle kleben, auf der sie geboren sind – obgleich das wohl auch manchmal sein Gutes haben mag. Er war als junger Bauer nach Schlesien gezogen, wo er sich verheirathete, später aber, durch ein paar schlechte Jahre verdrießlich gemacht und durch glänzende Anpreisungen verlockt, verkaufte er sein dortiges Gut und wanderte nach Ungarn aus, wo er mit deutschem Fleiß und altgewohnter Sparsamkeit auch hier wieder »was Ordentliches vor sich brachte«. In Ungarn blieb er auch viele Jahre, und sein Gut galt bald für eine Musterwirthschaft in der ganzen Nachbarschaft. Allein auf die Länge der Zeit konnte es ihm trotzdem nicht gefallen.
Daß die Eingeborenen des Landes, die Ungarn selber, die eingewanderten Deutschen nicht leiden mochten, darüber hätte er sich vielleicht hinweggesetzt, denn der gutmüthige Deutsche dachte sich in ihre Lage und meinte: »Uns daheim wär's am Ende auch nicht recht, wenn Fremde von der Regierung begünstigt und uns auf die Nase gesetzt würden.« Aber die Ungarn verachten auch die Deutschen und ließen sie das merken, wo sich nur immer eine Gelegenheit dazu bot. Das ärgerte ihn. Im Anfang nahm er sich freilich aus Leibeskräften zusammen und sagte zu sich: »Warte, Du willst den ungarischen Hochnasen einmal zeigen, was ein Deutscher leisten kann,« und er hielt sich redlich Wort, doch es half Nichts. Wo ein Volk ein anderes aus Ueberzeugung verachtet, da kann ein solch Gefühl gehoben werden, wenn man eben im Stande ist ihm zu beweisen, daß es Unrecht hat; wo das aber aus Vorurtheil und Nationalhaß geschieht, da ist eine Aenderung nicht zu erhoffen und wird auch nie stattfinden.
Der alte Barthold sah das endlich ein, und wenn er auch Bescheidenheit genug besaß, nicht stolz darauf zu sein daß er ein Deutscher war, sagte ihm doch sein eigenes Selbstgefühl, daß er sich wenigstens von einem Ungarn noch lange nicht brauche verachten zu lassen. Möglich, daß auch noch ein wenig Heimweh nach dem eigenen Vaterland dazu kam, kurz, er faßte in einer Lebenszeit, wo man doch eigentlich nicht mehr so leicht daran denkt seinen Wohnsitz zu verändern, nochmals den Entschluß, fortzuziehen. Er bot sein trefflich eingerichtetes Gut aus, und es hielt wahrlich nicht schwer, einen Käufer dafür zu finden, machte Alles zu baarem Gelde, was er sonst noch an Eigenthum besaß, und zog diesmal nach dem Lande, aus dem seine Eltern stammten, nach Thüringen, um hier seine Tage zu beschließen.
Er hatte einen einzigen Sohn, den er Hans genannt, und dazu in Schlesien noch ein damals kleines Mädchen, eine Waise, an Kindesstatt angenommen, die aber auch wirklich wie ein Kind im Hause gehalten wurde und so an ihrer Pflegemutter hing, als ob sie diese selber unter dem Herzen getragen. Hans war jetzt fünfundzwanzig Jahr, Katharina, wie die Waise hieß, wurde im nächsten Winter achtzehn, und Beide wuchsen wie Bruder und Schwester auf.
Der alte Barthold fühlte sich übrigens in den letzten Jahren nicht mehr so recht fest auf den Füßen wie in früherer Zeit; es geht das ja so im Leben. Er hatte das »Reißen« in den Gliedern, was die Stadtleute mit einem etwas gelehrteren Namen »Rheumatismus« nennen, wenn die Sache auch dieselbe bleibt, denn »reißen« thun beide, und da er oft tagelang das Zimmer hüten mußte, so fing er an sich nach Ruhe zu sehnen. Sein Hans war ohnedies in den Jahren, wo er schon an's Heirathen denken durfte, denn »jung gefreit hat Niemand gereut« meinte der Alte. Der Hans ließ sich denn das auch nicht zweimal sagen und »ging auf die Freite«.
Die Bauerstöchter in seinem Dorfe behagten ihm aber nicht; er war draußen gewesen und hatte sich schon in der Welt umgesehen, und wenn auch selber ein tüchtiger Bauer, glaubte er doch, er müsse von seiner Frau ein wenig mehr verlangen, als daß sie nur im Feld den Mägden vorneweg arbeiten und daheim die Wirthschaft ordentlich führen konnte. Da stach ihm denn des Traubenwirths Lieschen in die Augen.
Das war ein Mädel zum Anbeißen, flink und gewandt dazu, keine der gewöhnlichen plumpen Bauerdirnen. Mit der konnte er sich auf jedem Tanzboden, ja selbst in der Stadt, wohin er oftmals kam, sehen lassen. Ihr Vater hatte außerdem ein hübsches Besitzthum mit Land, Vieh und Pferden dazu, wie ein richtiger Bauer, und da seine Eltern der Sache ebenfalls nicht im Wege standen und Lieschen an dem schmucken Bauerssohn bald Gefallen fand, so ging Alles eigentlich von selber. Wir kamen ja auch gerade dazu, wie der Traubenwirth, den die Werbung recht innig freute, aus vollem Herzen sein Jawort gab, und Hans, da man alte Gebräuche ehren soll, nahm dann Lieschen beim Kopf und küßte sein hübsches Bräutchen so herzhaft ab, daß sie gleich nachher wieder auf ihr Zimmer gehen mußte, um sich die Haare frisch zu ordnen. Sie schien aber trotzdem nicht böse darüber.
Die Sache war also in Ordnung, und da beide Elternpaare Nichts dagegen hatten, wenn die Hochzeit bald gefeiert würde, so lief Hans, überhaupt ein wenig ungeduldiger Natur, schon an demselben Nachmittag noch zum Herrn Pfarrer hinüber, um das erste Aufgebot gleich auf den nächsten Sonntag zu bestellen. Dreimal mußten sie ja doch, wie es Sitte war, von der Kanzel herab aufgeboten werden. Der Herr Pfarrer, der seinen Vater recht gut kannte, empfing ihn auch auf das Freundlichste, wünschte ihm zu seiner Wahl von Herzen Glück und versprach das Aufgebot am nächsten Sonntag, heute war Mittwoch, recht gern zu erlassen. Der Bräutigam möchte nur so gut sein und ihm bis dahin die nöthigen Papiere verschaffen.
»Papiere?« sagte Hans erstaunt, »was für Papiere?«
»Nun, Geburtsschein, Impfschein, Heimathschein, die Erlaubniß der Eltern kann mündlich erfolgen, dann ein Schein von da, wo Sie sich früher aufgehalten, daß Sie sich dort nicht schon verehelicht haben. Es ist dies natürlich nur Formsache.«
»Ja aber um Gotteswillen, Herr Pfarrer,« rief Hans lachend aus, »ich war in Schlesien und Ungarn, in Schlesien freilich nur als ganz junger Bursch, und bis ich von unserm Comitat in Ungarn einen solchen Schein hierher bekäme, darüber könnten ja Monate vergehen, und so lange soll ich doch wahrhaftig nicht mehr mit meiner Heirath warten?«
»Nun, nun,« meinte der Pfarrer freundlich, »das läßt sich auch vielleicht vereinfachen, denn Ihr Vater ist ja als Ehrenmann hier bekannt. Ungarn liegt freilich ein wenig weit von hier entfernt« – der Herr Pfarrer hielt es noch für viel weiter, als es wirklich war, – »besorgen Sie mir nur bis spätestens Sonnabend Nachmittag das Uebrige, und ich werde dann schon Alles in Ordnung bringen.«
»Also Geburtsschein. Glauben Sie mir denn nicht einmal auf mein Wort, daß ich geboren bin?«
»Wir verstehen darunter das Taufzeugniß. Aber ich werde Ihnen lieber das kleine Verzeichniß der nöthigen Papiere aufschreiben; Sie könnten sonst leicht etwas vergessen und das Aufgebot dadurch verzögern. Die nöthigen Papiere der Braut werde ich mir von deren Vater selber geben lassen.«
Damit ging er an seinen Schreibtisch, notirte die genannten Zeugnisse und Scheine auf ein Blatt, und Hans steckte es indessen in die Tasche; heute verstand es sich doch von selbst, daß er in Wetzlau bei seiner Braut blieb. Nicht zehn Pferde hätten ihn von da weggebracht.
Am nächsten Morgen bekam Hans seinen Vater erst zu sehen, als er zum Frühstück aus dem Felde zurückkehrte. Es gab jetzt außerordentlich viel zu thun draußen, und bei der Arbeit durfte Hans nicht fehlen.
»Also Alles in Ordnung, Hans?« schmunzelte der Alte, der aus dem vergnügten Gesicht des Sohnes schon genau wußte, wie die Sache abgelaufen. »War auch kein Wunder, denn des Heinrich Barthold Sohn kam nicht so leicht in Gefahr, sich bei seines Gleichen einen Korb zu holen und – hätte auch vielleicht noch eine Stufe höher steigen dürfen, oder zwei, wie die Mutter meinte.«
»Alles in Ordnung, Vater, – guten Morgen miteinander,« sagte der Sohn, der seinen Hut an einen Nagel hing und dann ohne Weiteres Platz am Frühstückstisch nahm; »Montag in vierzehn Tagen kann die Hochzeit sein.«
»Hallo!« lachte der Alte, und die Mutter schlug die Hände vor Erstaunen zusammen, »nur stat! das geht ja verwünscht schnell. Und glaubt denn der Mosje, daß, wenn Er auch fix und fertig ist in den Ehestand hinein zu springen, die Anderen auch nur eben so auf dem Sprunge sitzen? Da gehört mehr dazu, als Du wohl denkst.«
»Unter acht Wochen ist gar keine Möglichkeit,« sagte die Mutter, »und dann weiß ich nicht wie ich fertig werden will.«
»Die Frau Mutter?« rief Hans lachend, »ja was hat denn die Frau Mutter dabei zu thun, daß sie nicht fertig werden kann?«
»Und glaubst Du denn,« rief aber die Mutter in Eifer, »daß ich Dich wie eines Häuslers Sohn will heirathen lassen, der Nichts mitbringt in die neue Wirthschaft, als was er auf dem Rücken und vielleicht noch unter dem Arm trägt? Nein Hans, daraus wird nichts; ehe ich nicht mit Deiner Ausstattung fertig bin, bekommst Du meine Einwilligung nicht, und wenn das noch drei Monate dauern sollte, und daß Lieschens Mutter bis dahin mit der ihrigen fertig wird, glaub' ich noch lange nicht.«
»Aber beste Herzensmutter!«
»Laß nur sein,« lachte aber der Vater, »werden schon noch etwas davon herunterhandeln können, Alte. Aber so holter-dipolter geht die Sache auch nicht, wie der Hans glaubt. Bei derlei Dingen hat man immer eine Menge von Umständen, an die man vorher gar nicht denkt, und sechs, acht Wochen sind da eine kurze Zeit. Muß auch vorher noch mit dem Traubenwirth reden, was ich Dir mitgebe und was das Mädel mitbekommt, wenn ich auch grad' nicht glaube, daß uns das besonders lang aufhalten wird. Jedenfalls werden wir früher damit fertig, als die Mutter mit ihrer Wäsche und was sonst noch drum und dran hängt. Was hast Du denn da für einen Zettel? etwas für mich?«
»Ach,« sagte der Hans, indem er den Zettel dem Vater hinüberschob, »der Herr Pfarrer drüben in Wetzlau hat ihn mir gegeben. Es stehen die Papiere d'rauf, die er haben muß, um das Aufgebot zu erlassen. Er meinte, es wäre nur der Form wegen.«
»Also beim Pfarrer ist er auch schon gewesen,« nickte der Alte seiner Frau schmunzelnd zu, indem er seine Brille aus der Tasche nahm, um den Zettel durchzulesen. »Er hat wenigstens das Gras nicht unter den Füßen wachsen lassen. Na, da wollen wir denn einmal sehen, was der Herr Pfarrer Alles verlangt. Hm, das ist ja ein ordentliches Recept, was er da geschrieben hat.«
»Aber so erzähle doch nun auch einmal, wie's gestern drüben war,« sagte die Mutter, indem sie dem Sohn den Butterteller hinschob und den duftenden Handkäse etwas näher rückte. »Sitzt der Mensch da und spricht kein Wort. Ich möchte doch auch wissen, was die Mutter sagte und das Mädel und – was sie für ein Gesicht dazu gemacht haben, alle Beide.«
»Ja, Mutter,« lachte der Hans verlegen, »was soll ich denn da erzählen? Ein vergnügtes Gesicht haben sie gemacht, und eine Flasche vom besten Rheinwein haben wir nachher getrunken. Das Lieschen weinte wohl ein Bischen, aber – das dauerte nicht lange, und die – die Frau Erlau war auch ein wenig gerührt, und fuhr sich ein paar Mal mit der Schürze nach den Augen, doch – das dauerte auch nicht lange, und dann – dann haben sie uns eine Menge guter Lehren gegeben; wenn ich aber ehrlich sein will, so weiß ich wirklich nicht mehr recht über was, denn das Lieschen guckte mich dabei mit den großen dunklen Augen an, und da – da hab' ich an ganz andere Dinge dabei gedacht, als an das, was die zukünftige Frau Schwiegermutter sagte.«
Während der Sohn sprach, saß die Mutter dabei und nickte und schmunzelte vergnügt vor sich hin.
»Also gute Lehren haben sie Euch gegeben – ja lieber Gott, junges Volk, junges Volk; leichtsinnig und obenhinaus, was kümmert sich das um gute Lehren in der Brautzeit! Das weiß Alles besser, und – muß nachher doch Alles aus eigener Erfahrung und oft mit vieler Trübsal kennen lernen. Hören will keins.«
»Papperlapapp, Alte,« brummte der Vater, indem er sein Käppchen rückte und sich in den grauen Haaren kratzte, ohne aber die Augen von dem Papier zu nehmen – »wir haben's eben auch nicht besser gemacht in unserer Jugend; so laß das junge Volk sich nun ebenfalls die Hörner ablaufen. Wer nicht hören will, muß fühlen.«
»Ich dachte, Vater,« sagte der Sohn, als der Alte noch immer in dem Zettel studirte, »wenn ich nun selber vielleicht heut Nachmittag in die Stadt ritte, um das von den Papieren zu besorgen, was vielleicht noch fehlt. Die drei Knechte werden auch ohne mich heute mit Pflügen drüben auf der Rainerspitze fertig, wenn ich ihnen noch bis Mittag helfe, und nachher ist's doch immer besser, das ist abgemacht. Meint Ihr nicht?«
»Hm, hm, hm,« überlegte der Alte aber noch immer, indem er das kleine Papier wieder und wieder überlas – »ich fürchte beinah, daß Du in der Stadt verwünscht wenig ausrichten wirst, und ich muß am Ende noch selber hinein. Wäre mir gar nicht so besonders lieb, denn in der linken Schulter zwickt's mich wieder ganz heidenmäßig, und bei dem linken Beine hat's mich auch. Aber was kann's helfen, man muß doch jedenfalls sehen, was zu machen ist, denn die Papiere müssen geschafft werden.«
»Was muß er denn nur für Papiere haben?« frug die Mutter. »Sie kennen uns doch hier und wissen, daß wir ordentliche und rechtschaffene Leute sind, und unser Auskommen haben wir doch auch.«
»Ja, ja, Mutterchen,« lachte der Vater, »das hilft Nichts bei den Gerichten, die wollen Alles Schwarz auf Weiß haben, und womöglich auch auf einem Stempelbogen, mit einem großen Siegel drunter, und daß Einer ein ehrlicher und rechtschaffener Mensch ist, glauben sie ihm erst recht nicht, wenn er nicht im Stande ist, es ihnen schriftlich zu beweisen. Komm Du denen!«
»Wir brauchen ja aber doch Niemanden, da sollen sie uns wenigstens in Frieden lassen.«
»Aber sie brauchen uns,« lachte der Vater wieder, »und damit sie sicher sind, daß die neuen Staatsbürger auch ihre Steuern und Abgaben richtig bezahlen können und nicht etwa gar einmal dem Staate zur Last fallen, müssen sie sich legitimiren oder ausweisen.«
»Staatsbürger,« brummte die Frau kopfschüttelnd – »wir sind keine Staatsbürger, wir sind Bauern, und es wird doch wahrhaftigen Gott kein Mensch glauben, daß unser Hans einmal Jemandem zur Last fallen könnte? Was wollen sie denn nur?«
»Nun, erstlich einmal seinen Geburts- oder Taufschein.«
»Nun, den hast Du ja – der liegt in der gelben Lade, bei den andern Papieren.«
»Dann seinen Impfschein.«
»Impfschein? Den haben wir nie bekommen.«
»Das macht weiter nichts,« sagte der Vater, »die Narben sind noch deutlich zu sehen, und den kann man sich hier vom ersten besten Arzt ausstellen lassen. Nachher einen Heimathschein.«
»Was ist das?«
»Nun, eine Bescheinigung der Behörde, wo er geboren ist, daß er dort seine Heimath hat,« sagte der Alte.
»Aber wenn wir deshalb einen Brief nach Schlesien schicken sollen,« rief der Sohn, »so kann das vierzehn Tage dauern, bis der Schein hierher kommt. So lange mag ich doch nicht warten.«
»Nun, vierzehn Tage wohl nicht,« sagte der Vater, »aber ich will selber heute nach Schlesien schreiben. Unser Gerichtsverwalter in Kreuzberg wird mir schon die Freundschaft thun und das besorgen; ein Brief geht leicht in zwei Tagen hin, und wenn nichts dazwischen kommt, kann der Wisch in acht Tagen hier sein.«
»Aber noch volle acht Tage, Vater –«
»Mach' mir den Kopf nicht warm,« rief aber der Alte, seine Mütze rückend, »hast Du so lange warten können, wird's auf die acht Tage auch nicht ankommen – also dabei bleibt's.«
»Dabei bleibt's,« wenn der Alte das einmal sagte, so wußte der Hans recht gut, daß dann weiter kein Einwenden half. Die Sache war abgemacht, und ein Widerspruch hätte den wohl herzensguten, aber auch starrköpfigen Mann nur böse machen können, erreicht wäre aber nichts weiter worden.
Der Hans setzte sich wieder zu seinem Frühstück, denn seine Zeit war bald verflossen und er durfte nicht der Letzte draußen bei der Arbeit sein, schon der Knechte wegen. Er war aber auch gleich fertig, denn die Sache ging ihm im Kopf herum, daß er noch eine ganze Woche warten solle, bis das erste Aufgebot erfolgen könne, und nahm ihm den Appetit. Gerade war er aufgestanden und wollte eben wieder hinausgehen, als die Thür sich aufthat und seine Pflegeschwester Kathrine hereintrat. Sie hatte drüben in der Milchkammer die frisch gemolkene Milch eingegossen und nach Butter und Käse gesehen.
»Guten Morgen, Kathrin',« sagte Hans und streckte ihr die Hand entgegen, »haben uns ja seit gestern Morgen nicht einmal gesehen.«
»Guten Morgen, Hans,« sagte das junge Mädchen freundlich, auch ihm die Hand reichend, »ja, wenn man freilich so wichtige Geschäfte hat. Nun, ist Alles gut abgelaufen?«
»Alles, Kathrin', schön Dank für die Nachfrage,« sagte der Hans. »Die Eltern haben eingewilligt, und das Lieschen ist meine Braut. Hoffentlich haben wir in vier Wochen Hochzeit. Da müssen wir auch zusammen tanzen.«
Die Kathrine stand vor dem Pflegebruder, dessen Hand sie noch gefaßt hielt, und sah ihn mit ihren großen blauen Augen recht voll und treuherzig an. Wie er aber endete, drückte sie ihm die Hand herzlich und sprach mit leiser, aber bewegter Stimme: »Da wünsch' ich Dir recht von Herzen Glück dazu, und möge Gottes Segen auf Euch ruhen immerdar – auf Dir und auf Deiner jungen Frau.« Damit zog sie die Hand aus der seinen, wandte sich ab und verließ das Zimmer wieder. Hans sah ihr nach.
»Was hat nur die Kathrin'?« sagte er, »sie war ordentlich gerührt.«
»Sie hat ein weich' Gemüth,« sagte die Mutter, mit dem Kopf nickend, »und hängt an uns Allen mit großer Liebe. Da ist's denn wohl natürlich, daß ihr bei einem so wichtigen Ereigniß etwas weich um's Herz wird. Ja, Ihr Mannsleute nehmt das Alles nur so leicht hin und denkt nicht weiter darüber nach. Laß mir die Kathrin' zufrieden, das ist ein wacker Ding, und ich hab' sie gerade so lieb, als wenn sie meine eigene Tochter wäre.«
Der Hans nahm seinen Hut vom Nagel und ging hinaus an seine Arbeit. Er hatte doch richtig so lange da drinnen gesessen, daß die Knechte im Felde draußen schon wieder an der Arbeit waren, als er hinauskam. Das ärgerte ihn und er hieb jetzt wacker auf die Pferde ein, um das Versäumte nachzuholen. Es war aber auch kein Wunder, denn was gingen ihm nicht für eine Menge von Dingen im Kopf herum!
Der Vater hielt Wort, und das that er immer. Er schrieb noch an dem nämlichen Morgen an seinen Freund in Kreuzberg, schickte außerdem noch eine Abschrift von seines Sohnes Taufschein ein, den er sich von ihrem Pfarrer in Dreiberg und von dem Schulzen beglaubigen ließ, und theilte dem Gerichtshalter dort in aller Kürze mit, um was es sich hier handele. Dann bat er ihn, er möchte doch, wenn irgend möglich, den Heimathschein mit der nächsten Post einschicken und ihm auch dazuschreiben was er ausgelegt hätte, damit er's ihm gleich zurückzahlen könne. Der alte Barthold blieb nicht gern Jemandem etwas schuldig.
Der Brief war ihm ein wenig sauer geworden, denn das Schreiben gehörte gerade nicht zu den Dingen, die er sehr gern that, oder zu denen er sich drängte, aber es hatte eben sein müssen, und jetzt war's, Gott sei Dank, fertig und abgemacht. Wenn die Postkutsche heut' Abend durch Dreiberg kam, nahm der Conducteur den Brief schon mit hinein in die Stadt und gab ihn dort auf. Nachher ging er direct nach Kreuzberg ab.
Aber heute gab's noch mehr zu thun, denn wie die Sachen nun einmal standen, erforderte es auch die Artigkeit nicht allein, sondern der Gebrauch, daß die Eltern des Bräutigams den Eltern der Braut einen Besuch abstatteten, und wenn es auch der alte Barthold lieber auf den nächsten Sonntag verschoben hätte, erstlich der Arbeit und dann auch seines Reißens wegen, ließ sich das doch nicht gut einrichten. Sonntags hatte der Traubenwirth auch immer soviel zu thun und das Haus voller Gäste, daß man ihm und den Seinen erschrecklich unbequem gekommen wäre. Besprechen hätte man außerdem gar nichts können, und da mußte denn schon ein Wochentag dazu genommen werden.
Uebrigens wurde auch daheim indessen nichts versäumt, denn der Hans blieb ja zu Haus und bei den Knechten, und auf die übrige Wirthschaft paßte schon die Kathrine; auf die durften sie sich fest und sicher verlassen. Die Mutter war ebenfalls damit einverstanden, und gleich nach dem Mittagbrod, die Dorfuhr hatte noch nicht Eins geschlagen, ließ der alte Barthold sein kleines steierisches Wägelchen vorrücken und die Braunen einspannen, der Großknecht mußte in seinem Sonntagsrock auf den Bock, und fort ging die Reise den Feldweg nach Wetzlau hinüber.
Eine Vergnügungstour war die Fahrt eigentlich nicht gut zu nennen, denn kein Mensch in der Welt konnte sich ein Vergnügen daraus machen, eine gute Glockenstunde auf einem solchen Weg und einem kleinen Wagen ohne Federn durchgerüttelt und geschüttelt zu werden. Aber die Bauern trugen selber die Schuld daran, daß diese Straße in einen derartigen Verfall gerieth, denn obgleich sich beide Dörfer willig zeigten, daran zu bauen, lag es nur an einer erbärmlichen Kleinigkeit, daß die Arbeit unterblieb und von Jahr zu Jahr aufgeschoben wurde. Zwischen Wetzlau und Dreiberg schnitten nämlich die Fluren nicht in gleicher Hälfte ab. Die Dreiberger hatten vielleicht eine Strecke von zwei Morgen Land über die Hälfte, und obgleich sie sich erboten, die Straße, die von beiden Dörfern gleich stark benutzt ward, zu gleichen Hälften zu übernehmen, gingen die Wetzlauer doch nicht darauf ein, sondern verlangten, daß die Dreiberger soweit bauen müßten, wie ihre Grundstücke reichten. Nachgeben that selbstverständlich kein Theil, und so ruinirten sie lieber Jahr aus Jahr ein ihre Pferde und Geschirre, nur dieser unbedeutenden, kleinen Strecke wegen.
Der alte Barthold, obgleich es ihm sonst wahrlich nicht auf einige zwanzig Thaler mehr oder weniger ankam, war dabei gerade so schlimm, wie die Anderen, und mit dem Bewußtsein, daß er selber mit schuld an dem heillosen Wege sei, murrte er auch unterwegs mit keiner Sylbe und ertrug alle die Stöße und Puffe, die er bekam, mit wahrhaft christlicher Geduld. Sein Trost blieb ja auch dabei, daß die Wetzlauer genau dieselben Puffe bekämen, und denen, wie er sich innerlich sagte, geschah es vollkommen recht. Sie verdienten es gar nicht besser. Nur die arme Frau stöhnte und ächzte, und wenn manchmal ein ganz außergewöhnlich kräftiger Stoß kam, daß sie die Zähne aufeinander beißen mußte, klagte sie wohl mit einem kurzen Stoßgebet: »O du grundgütiger Vater! so gleich nach Tische!«
Es hat aber Alles sein Ende, auch der schlechteste Weg. Es schlug gerade Zwei in Wetzlau, als sie, zur Abwechselung der bisherigen Fahrt, auf das Dorfpflaster kamen, wo sie auch noch, da sie das Chausseehaus passiren mußten, Chausseegeld bezahlen durften.
»Ich muß doch einmal Federn an den Wagen machen lassen,« sagte Barthold, als sie hier endlich etwas bessere Straße erreichten, denn draußen hätte er gar nicht reden dürfen, aus Furcht, einmal die Zunge zwischen die Zähne zu bekommen, »der Weg ist gar nicht so schlecht, aber der Karren stößt so.«
»Mir thut ordentlich der Hals weh,« sagte die Frau, »jetzt freu' ich mich nur auf den Rückweg.«
Alle weiteren Bemerkungen wurden aber hier kurz abgebrochen, denn eben lenkten die Pferde wiehernd in den Thorweg der goldenen Traube ein, und in der inneren Thür stand auch schon der Wirth, Christoph Erlau, der ihnen sein Käppchen entgegenschwenkte, während Lieschen, die in der Küche beschäftigt gewesen war, wie der Blitz in ihr Kämmerchen hinaufhuschte, denn so konnte sie sich den neuen Schwiegereltern doch nicht zeigen, und so wäre sie gerade am allerhübschesten gewesen, denn Frau wie Mädchen sehen, sie mögen selber denken, was sie wollen, doch immer am hübschesten im Hauskleid aus. Aber der Geschmack ist eben verschieden, und man behauptet ja, daß sich nicht darüber streiten lasse.
Jetzt, nachdem Hansens Eltern ausgestiegen und hinein in die »beste Stube« geführt waren, begannen nun vor allen Dingen eine Menge von Förmlichkeiten, die in den höchsten Cirkeln nicht weitschweifiger und unbehülflicher sein konnten, als hier in der sonst so schlichten Familie. Aber es soll nur um Gotteswillen Niemand glauben, daß jenes Ungethüm, die sogenannte »Etiquette«, an irgend einem fürstlichen Hofe steifer und unnachsichtlicher gehandhabt würde, als in irgend einer Bauernfamilie, sobald sich eine passende und außergewöhnliche Gelegenheit dazu findet. Da bestehen ganz genau bestimmte und festgestellte Formen, was gesagt werden muß und wie es gesagt werden muß, wohin man sich setzt und wie man sich setzt, und was endlich vorgesetzt werden soll, und wie die Hausfrau zu dem Vorgesetzten zu nöthigen hat, daß es einen einfach schlichten Menschen zur Verzweiflung bringen könnte. Das einzige Gute hat es, daß es nicht so lange dauert, wie bei Hofe, denn da ist es den Leuten ein natürlicher Zustand, in dem sie sich bewegen, sie würden eine andere Existenz für unmöglich halten; hier dagegen ist es ein unnatürlicher, gewaltsam hervorgerufener, der wohl eine Zeit lang anhält, sich aber zuletzt selber verarbeitet – und plötzlich finden sich die Leute wieder in ihrem gewöhnlichen, natürlichen Fahrwasser, ohne daß sie eigentlich merken, wie sie dahin gekommen sind.
So ging es auch hier. Zuerst wurden die Gäste also in die »beste Stube« geführt, die natürlich, wie alle »besten Stuben«, kalt und ungemüthlich aussah, denn ein Ort, in dem man sich wohl und behaglich fühlen soll, muß bewohnt sein und nicht blos zum Staat gehalten werden. Dann fuhr die Wirthin, nachdem eine Menge steife, nichtssagende Redensarten gewechselt waren, aus und ein, um heranzuschleppen, was Küche und Keller boten. Daß die Gäste gerade eben vom Essen kamen, war gar keine Entschuldigung, und nun ging das Nöthigen los, in dem die Frau Erlau wirklich Außerordentliches leistete. Endlich kam auch Lieschen in ihrem Sonntagsstaat, aber viel schöner geschmückt durch das liebliche Erröthen den neuen Verwandten gegenüber, das ihren Augen einen ganz eigenen Glanz verliehen.
Nun kannten sich die beiden Familien schon seit längerer Zeit und waren sonst wohl manchmal zusammengekommen und hatten miteinander gelacht und geplaudert. Jetzt aber, wo sie sich durch die Verlobung der Kinder um soviel näher traten, schien es ordentlich, als ob sie das weit eher entfremdet hätte, so steif und unbehülflich standen sie sich gegenüber, und Lieschen besonders, sonst voller Leben, ja oft ausgelassen lustig, konnte fast kein Wort über die Lippen bringen. Aber ein Bann lag auf ihnen Allen: das Bewußtsein, daß dies ein »Staatsbesuch«, daß es eine Form sei, der Genüge geleistet werden müßte, und der ließ sich so schnell nicht wieder abschütteln, der mußte erst ordentlich verdampfen.
Der Wirth war aber nicht der Mann, der sich lange einem solchen Zwang beugte, und da sich auch Barthold nicht wohl dabei fühlte – die Frauen wären den ganzen Tag darin sitzen geblieben – so trat bald eine Aenderung zum Besseren ein. Die nöthigen Redensarten von Ehre und Freude und Hoffnung einer solchen Verbindung etc. etc. waren gewechselt, was von Speisen noch vertilgt werden konnte, war vertilgt, und der Wirth brachte jetzt, während Lieschen den Kaffee und Kuchen besorgte, Cigarren. Da war es ordentlich, als ob mit dem aufsteigenden Dampf derselben der böse Zauber bräche, der auf ihnen Allen gelegen.
Die beiden Männer kamen bald auf ein Gespräch über Vieh und Felder, was sie Beide interessirte; dadurch lenkten die Frauen auf ihre Wirthschaftsangelegenheiten ein, und im Handumdrehen war die noch vor Kurzem so steife hölzerne Gesellschaft in ihre natürlichen Bewegungen, ja selbst in den natürlichen Ton ihrer Stimmen zurückgefallen, und die Unterhaltung floß von da an leicht und ungezwungen.
Auch Lieschen thaute auf, und durch das wirklich Matronenhafte der sonst gar noch nicht so alten Mutter ihres Bräutigams angezogen, setzte sie sich zu ihr und plauderte bald mit ihr so frei und herzlich von der Leber weg, als ob sie von Kindheit auf miteinander bekannt und befreundet gewesen wären. Das aber schmeichelte der Frau Barthold auch; Lieschen sah dabei in ihrer städtischen Kleidung so vornehm und »ansehnlich« aus, daß jene ordentlich stolz auf ihre zukünftige Schwiegertochter wurde und nicht satt werden konnte, ihr zu wiederholen, wie sehr sie sich freue, sie zur Tochter zu bekommen und ihrem Sohne eine solche Frau geben zu können. Dabei unterließ sie freilich auch nicht, alle die Tugenden und Vorzüge ihres eigenen Hans aufzuzählen, und Lieschen fand da wohl eben soviel Freude daran, ihr zuzuhören.
Den beiden Männern wurde es aber bald zu eng in der Stube. Bauern halten nie lange in einem Zimmer aus, denn die freie Luft ist ihnen Bedürfniß, und während die Frauen noch beim Kaffee sitzen blieben, gingen die Männer miteinander hinunter auf den Hof und in die Ställe und, da die Pferde gerade nahebei ackerten, auch einmal ein Stück hinaus auf das Feld.
Ihr Weg führte sie dicht hinter dem Pfarrgarten vorbei, und weil es Barthold einfiel, daß er Hansens Taufschein eingesteckt hatte, konnten sie den hier eben so gut gleich abgeben. Hier stand dem alten Barthold auch eine Ueberraschung bevor, denn der Geistliche schien gar nicht gewußt zu haben, daß Hans katholisch sei; zu einer »gemischten Ehe« schüttelte er aber bedenklich den Kopf und bedeutete den alten Barthold, daß er unter keinen Umständen ein Aufgebot erlassen könne, bis er nicht vom General-Superintendenten einen sogenannten Dispens gelöst hätte.
Der Alte wollte schon über die neue Schwierigkeit wild werden, allein der Traubenwirth nahm ihn unter den Arm und sagte, als sie wieder draußen im Feld waren: »Macht Euch keine Sorge Barthold, ein Dispens vom Consistorium ist schon zu erlangen, und geben sie ihn nicht, nun dann fahren wir hinüber nach Gotha und lassen die jungen Leute da trauen. Dort sind sie vernünftiger. Das junge Paar kann dann gleich seine Hochzeitsreise nach der Wartburg machen,« fügte er lächelnd hinzu.
Mit diesem Trost schlug sich der alte Barthold denn auch bald die ärgerlichen Gedanken aus dem Kopf, noch dazu, da sie hier in offenes Land und zu ein Paar neugekauften Pferden des Wirthes kamen, für die er sich ganz besonders interessirte. So verging ihnen die Zeit rasch, bis der Dreiberger Bauer plötzlich merkte, daß die Sonne schon bald am Horizont stand, und erschreckt ausrief: »Aber Wetter noch einmal, wir haben uns bei dem Herrn Pfarrer zu lange aufgehalten, und ich muß machen, daß ich wieder zu meiner Alten komme, die wird sonst böse. Im Dunkeln möcht' ich auch nicht gerade den Weg nach Dreiberg zurückfahren.«
»Es sind ein paar böse Stellen drin,« sagte der Wirth.
»Na, es geht,« meinte Barthold störrisch, »aber mein Wägelchen ist nicht so recht drauf eingerichtet, und die Frau könnte brummen. Wann kommt Ihr denn eigentlich einmal nach Dreiberg hinüber?«
»Ich weiß nicht, ob ich die Woche noch kann,« sagte der Wirth, »denn morgen haben wir hier eine große Kindtaufe im Orte, wo bei mir getanzt wird, und am Sonnabend bringe ich meine Alte doch nicht aus dem Haus. Wenn's aber irgend möglich zu machen ist, so rutschen wir den Freitag doch noch hinüber.«
»Rutschen?« dachte Barthold, mit dem Weg in der Erinnerung, aber er sagte nichts, und die beiden Männer schritten jetzt wieder dem Wirthshaus zu.
Ueber die Aussteuer der Brautleute war heute noch kein Wort gesprochen worden, obgleich der Wirth darauf gewartet hatte. Anfangen davon mochte er aber auch nicht, und Barthold hielt es nicht für schicklich, das gleich bei der ersten Begegnung vorzunehmen. Wenn der Traubenwirth zu ihm nach Dreiberg kam, dann wollten sie das wohl bald in Ordnung bringen. Schneller jedenfalls, als die Geschichte mit dem Consistorium, die ihm doch im Kopf herumging.
Der Großknecht hatte jetzt Auftrag bekommen, einzuspannen, und der Wagen hielt bald darauf vor der Thüre, aber die beiden Frauen, die im Anfang den Mund kaum öffnen wollten, waren jetzt warm geworden und in ein Gespräch über ihre Kinder hineingerathen, aus dem sie sich nicht wieder herausfinden konnten. Barthold stand schon lange, mit Hut und Stock in der Hand, neben der Thür und hielt die Klinke.
»Na, Alte, kommst Du?«
»Gleich, Vater, gleich – das glaub' ich, Ihr Männer seid immer gleich fertig mit Anziehen. Ihr setzt den Hut auf und damit basta. Und nicht wahr, Frau Erlau, Sie machen uns recht bald das Vergnügen, damit Sie auch einmal sehen können, wie wir da draußen eingerichtet sind? O, es soll Ihrem Lieschen schon bei uns gefallen, daran zweifle ich keinen Augenblick.«
»Wenn so ein paar Frauen in's Schwatzen kommen,« lachte Barthold gutmüthig vor sich hin, »da reißt's nachher gar nicht wieder ab. Wir kommen heute nicht mehr weg. Habt Ihr Betten genug im Haus, Erlau?«
»Betten genug,« schmunzelte dieser.
»Die brauchen wir für heute nicht!« rief aber die Alte, sich gewaltsam losreißend. Sie hatte die letzten Worte gehört. Doch das Lieschen kam jetzt noch herbei, dem sie einen Kuß und noch einen und noch einen geben mußte, und endlich war sie mit Allem fertig. Unten knallte der Großknecht mit der Peitsche, daß die Fensterscheiben klirrten. Jetzt saßen sie im Wagen, und nun sollte es noch einmal an ein Abschiednehmen und Handdrücken gehen; dem aber machte der Großknecht ein Ende. Ein kleiner Peitschenschlag traf das Handpferd, und hinaus rasselte der Wagen aus dem Thorweg, ein kurzes Stück auf der Chaussee hin, eben genug, um das Chausseehaus wieder zu passiren, und bog dann in den Feldweg ein, ehe die Frau nur von ihrem Mann Alles erfahren hatte, was er mit dem Herrn Pfarrer vorhin gesprochen. So neugierig sie aber darauf war, eine Unterhaltung wurde zur Unmöglichkeit, sobald sie in den Feldweg einlenkten, und alle weiteren Erklärungen mußten für daheim aufgeschoben werden.
Am Freitag kam der Traubenwirth mit seiner Frau zur Gegenvisite nach Dreiberg. Die beiden Väter saßen dann wohl eine Stunde lang oben zusammen allein in des Alten Stube – aber nicht etwa trocken, denn Barthold hielt darauf, einen ganz vorzüglichen Ungarwein in seinem Keller zu haben – und kamen nachher wieder, Beide seelenvergnügt, und wie es schien vollkommen einig, zu den Frauen hinunter, um dort Kaffee zu trinken und Kuchen zu essen.
Am nächsten Sonntag war Hans natürlich den ganzen Tag drüben in Wetzlau in der Traube, und dort holten sich die beiden jungen Leute eine Landkarte vor und zeichneten sich darauf die Reise nach Gotha zusammen ab. Was kümmerten sie sich um das Consistorium.
Merkwürdige Zeit nahm sich übrigens der Herr Generalsuperintendent, an den die Eingabe zuerst gemacht war; denn die ganze nächste Woche verging, ohne daß er auch nur das Mindeste hätte von sich hören lassen. Das war aber noch das Wenigste, es traf auch keine Antwort von Schlesien ein, und Hans wußte schon vor lauter Ungeduld gar nicht mehr, was er angeben sollte. Endlich, am Sonnabend Mittag, die Familie saß gerade bei Tische, kam ein Brief mit dem preußischen Gerichtssiegel.
»Nun endlich!« rief Hans jubelnd und sprang von seinem Stuhl auf, »das hat lange gedauert.«
»Hm,« meinte der Vater, der den Brief kopfschüttelnd befühlte und dabei nach seiner Brille suchte, denn das Schreiben kam ihm viel zu dünn vor, als daß irgend ein Document darin eingeschlossen sein konnte, »seit ich die Geschichte mit dem Consistorium gehört, habe ich ordentlich Angst bekommen, daß hier ebenfalls etwas der Quere gehen könnte; aber das ist doch nicht gut möglich, denn das Amt geht es doch nichts an, ob wir Katholiken oder Protestanten sind.«
Jetzt hatte er seine Brille gefunden, setzte sie auf, öffnete den Brief und sah hinein.
»Nun, ist der Schein nicht drin?« frug Hans rasch und mißtrauisch.
»Drin ist nichts,« sagte der Vater, »aber wir wollen erst einmal sehen, was der Gerichtshalter schreibt. Vielleicht ist es blos eine Anweisung an die hiesigen Gerichte, ihn hier auszustellen; das wäre auch das Kürzeste.«
»Was brauch' ich überhaupt einen Heimathschein?« sagte Hans, »wenn ich nur eine Heimath habe, denn so ein Wisch giebt mir doch keine. Nun, was schreibt der Gerichtshalter?«
»Da werde der Henker d'raus klug,« rief der alte Barthold, indem er den Brief – er enthielt kaum zehn Zeilen – auf den Tisch warf, seine Brille abwischte und wieder in die Tasche steckte.
»Nun?« rief Hans, das Schreiben aufgreifend.
»Du wärst in Preußen gar nicht heimathberechtigt, wenn auch da geboren, denn ich wäre mit Dir, als Du noch minderjährig gewesen, in das Ausland ausgewandert, und ich und meine Kinder hätten dadurch unser Heimathsrecht in Preußen aufgegeben.«
»Ja, aber Du lieber Gott, wo soll er denn da einen solchen Schein herbekommen?« rief die Mutter, »sie müssen ihm ja den geben, er ist ja doch dort geboren.«
»Es steht auch noch drunter, daß der Junge in Preußen nie seiner Militärpflicht nachgekommen wäre und schon deshalb nicht als preußischer Unterthan betrachtet werden könnte.«
»Und was liegt dran?« rief Hans, den Brief trotzig auf den Tisch zurückwerfend, »irgendwo muß ich zu Haus gehören, das sieht ein Kind ein, und wenn Preußen nichts von mir wissen will – ei, dann müssen sie mir hier einen solchen Wisch geben. Siehst Du wohl, Vater, hättest Du mich nur gleich in die Stadt hineinreiten lassen, so wäre jetzt Alles abgemacht, und nun geht die Geschichte noch einmal von vorn an. Hier haben wir unsern Grund und Boden, und hier gehören wir also auch her. Was kümmert uns Preußen?«
»Na, ich will's wünschen,« sagte der alte Barthold, der auf einmal merkwürdig mißtrauisch gegen alles das geworden war, was Behörden eigentlich thun müssen und was sie wirklich thun. »Da ist's aber doch besser, ich fahre selber in die Stadt; denn wenn Du auch jetzt gingst, so müßte ich später doch selber hinein, und da würde nur noch mehr Zeit damit verloren. Außerdem kann ich dann gleich einmal mit zum General-Superintendenten gehen und sehen, wie die Sache mit dem »Dispens,« glaub' ich, nannt' es der Pfarrer in Wetzlau, steht. Die nehmen sich auch eine bärenmäßige Zeit. Heute käm' ich freilich zu spät hinein, und morgen ist Sonntag, wo alle Gerichte geschlossen sind; aber den Montag Morgen mit Tagesanbruch fahre ich weg. Bis dahin mußt Du Dich schon noch geduldigen, Hans. Es kann eben nichts helfen.«
Der alte Barthold ging hinauf in seine Stube, um sein Mittagsschläfchen zu halten, und die Mutter hatte draußen noch zu thun. Hans war am Tische sitzen geblieben, stützte den Kopf in die Hand und sah finster brütend vor sich nieder. Katharine trat in's Zimmer und ging hindurch in die Kammer, um reine Milchtücher herauszunehmen. Als sie nach einer Weile zurückkam, saß der Hans noch immer in der nämlichen Stellung; er hatte sie gar nicht gehört.
Katharine trat leise auf ihn zu, legte ihre Hand auf seine Schulter und sagte: »Hans!«
»Bist Du's, Kathrin,« sagte Hans und sah zu ihr auf. »Willst' was?«
»Weiter nichts, als daß Du nicht mehr so traurig bist. Habe nur ein klein wenig Geduld, es macht sich ja Alles, und das Lieschen wird bald Deine Frau werden. Ihr seid ja nachher auch für das ganze lange Leben beisammen, und bei so einer langen Zeit kann's ja doch auf die paar Tage nicht ankommen.«
»Ich bin nicht traurig, Kathrin,« sagte Hans, indem er sich die lockigen Haare aus der Stirn warf, »nur ärgerlich, ärgerlich über die Gerichte, über das Consistorium, über die Pfarrer, über die Gerichtshalter, über mich – ei, über die ganze Welt!«
»Ueber mich auch, Hans?« fragte Kathrine, und sah ihn mit ihren hellen Augen so treuherzig an.
»Ueber Dich? – nein, Kathrin',« sagte Hans, ihre Hand nehmend und drückend, »weshalb sollt' ich über Dich böse sein? Du bist immer so lieb und gut, und wenn's an Dir läg', so hätt' ich meine Papiere gewiß schon lange und könnt' morgen Hochzeit machen.«
»Du darfst mir's glauben, Hans, ja,« erwiderte Katharine, und sah ihn dabei recht ernst und wehmüthig an. »Wenn's an mir läg', solltst Du nicht einen Augenblick warten dürfen, um glücklich zu werden. Aber der Vater wird's auch schon allein fertig bringen,« fuhr sie nach einer kleinen Pause fort. »Es geht nun einmal so entsetzlich langsam mit den Gerichten, und Nachbars Margareth hat mir erzählt, daß eine Schwester von ihr, die in die Stadt hinein heirathete, über zwei Jahr hat warten müssen, weil ihr Bräutigam immer und immer die Papiere nicht bekommen konnte.«
»Da würde ich wahnsinnig, wenn das mir passirte,« rief Hans.
»Nun, so schlimm wird's schon nicht werden,« lächelte das junge Mädchen. »Hab' nur guten Muth und mach' wieder ein freundlich Gesicht. Siehst Du, wenn Du traurig bist, dann sieht's gleich im ganzen Hause schwarz aus, und – man ist's auch eigentlich gar nicht an Dir gewöhnt. Aber ich muß fort; Joseph und Marie! da draußen steht schon die Rese und wartet auf mich,« und mit den Worten huschte sie mit den Leintüchern, die sie noch immer unter dem Arm hielt, aus der Thür.
Hans stand auch auf. Es war ebenfalls Zeit geworden, daß er wieder hinaus an seine Arbeit ging, und nur das Böse dabei, daß er sich bei der Arbeit nicht einmal die Gedanken aus dem Kopf schlagen konnte, denn der Aerger wollte ihm gar nicht aus dem Sinn, und beim Pflügen hatte er erst recht Zeit, darüber nachzugrübeln.
Sonderbar; die Liebe zu Lieschen und der Schmerz, daß er ihr noch so lange nicht angehören solle, hatten eigentlich mit seinen Gefühlen weit weniger zu thun, als der Aerger über diese albernen Weitläufigkeiten. Es war aber auch wieder ganz natürlich, denn nichts kann einen Menschen mehr ärgern und verdrießen, als wenn er einem bestimmten Ziel entgegenstrebt, ja schon in Armesbereich nahe gekommen ist und dann durch eine Menge von Hindernissen davon zurückgehalten wird. Sind diese Hindernisse der Art, daß man sie selber mit eigener Kraft und Ausdauer bewältigen kann, ei, dann ist es etwas Anderes; dann wird unser Geist, unsere ganze Thätigkeit dadurch in Anspruch genommen, und wir haben sogar nachher noch einmal so viel Freude an dem Gewonnenen, denn nichts macht uns glücklicher, als was wir uns selbst verdient und errungen haben. Sind solche Hemmnisse dagegen der Art, daß wir nichts, gar nichts auf der Gotteswelt dawider thun können und nur immer warten und warten müssen, dann mögen sie wohl einen nur etwas lebhaften Menschen zur Verzweiflung treiben, und Hans war allerdings lebhafter Natur. Seine Geduld zu erproben, bekam er aber jetzt Gelegenheit, denn er schien dazu gerade auf das rechte Capitel gerathen zu sein: eine Eingabe an ein Consistorium und ein Heimathschein. Selbst für den urgeduldigen Deutschen ist es ein Meisterstück, die beiden Dinge ruhig abzuwarten.
Der nächste Tag war wieder ein Sonntag, und Hans ritt natürlich gleich nach dem Frühstück nach Wetzlau hinüber. Zugleich nahm er aber auch eine Einladung mit dorthin für die Familie Erlau, denn am Dienstag – den Montag wollte der Alte überdies in die Stadt – war seines Vaters Geburtstag und zugleich sein Hochzeitstag, und der wurde immer daheim nicht allein festlich, sondern sogar feierlich begangen. Er ließ auch sein Pferd tüchtig ausgreifen und trabte noch rasch in den Thorweg zur goldenen Traube hinein, ehe er den Braunen einzügelte.
Drinnen im Hausflur, an dem links das Schenkzimmer für die Fuhrleute und Handwerker, rechts die »Gaststube« für vornehmere Gäste lag, führte hinten gegen den Hof zu die offene Treppe in den ersten Stock. Dort stand Lieschen unten an der Treppe und ein junger, sehr elegant gekleideter Herr, mit dem Hut in der Hand, neben ihr und schien sich nach etwas zu erkundigen. Wie sie Hans aber hereintraben sah, ließ sie den jungen Herrn gleich stehen, rief ihm nur noch ein paar Worte zu, daß er ihren Vater da drüben in der Stube träfe, und sprang dann an das Pferd, um ihrem Bräutigam die Hand hinauf zu reichen und guten Morgen zu sagen.
»Wer war denn der Fremde, Schatz?« sagte Hans, als er sein Pferd dem Hausknecht übergeben hatte und mit Lieschen in die obere Stube ging.
»Ich weiß es nicht, Hans,« lautete die Antwort, »ein fremder Herr, der bei uns ein paar Tage wohnen will. Er gehört, glaub' ich, mit zu den Vermessern, die jetzt das Zusammenlegen der Felder beginnen sollen. Der Vater hat auch den Kopf voll damit. Aber das ist brav, daß Du so früh gekommen bist, da haben wir heute den ganzen langen Tag vor uns. Wie ist's, hast Du Deinen Heimathschein?«
»Ach, sprich mir nicht davon,« sagte Hans verdrießlich, »es verdirbt mir den ganzen, schönen Tag. Der Vater muß noch morgen deshalb in die Stadt. Wenn er mich nur hineinließe; ich wollte denen da drinnen schon die Meinung sagen.«
»Ja, und nachher steckten sie Dich ein,« lachte Lieschen, »und Du bekämst ihn gar nicht. Nein, da laß Du doch lieber den Vater gehen, der setzt mit Ruhe und Vernunft mehr durch, als Du mit Hitze und Poltern. Aber jetzt hol' ich Dir erst etwas zum Frühstücken, und nachher gehen wir ein wenig hinunter in den Garten.«
»Aber kein Wort mehr über den Heimathschein,« rief Hans ihr nach.
»Keine Sylbe.«
Der Vertrag wurde gehalten, und spät am Abend, nach einem vergnügt verlebten Tag, ritt Hans nach Dreiberg zurück.
Am nächsten Morgen fuhr der Vater in die Stadt, hatte indeß auch noch Nichts ausgerichtet, als er gegen acht Uhr Abends wieder ziemlich erschöpft zurückkam. Die Herren nahmen seine Angaben allerdings sämmtlich zu Protokoll, versicherten ihn aber auch, die Sache könnte nicht übers Knie gebrochen werden. Trotzdem solle er, wenn irgend möglich, noch in dieser Woche Bescheid erhalten.
Der alte Barthold wäre übrigens beinah noch übel gefahren. Anfangs wollte er daheim mit der Geschichte nicht recht laut werden, nach und nach kam aber doch Alles heraus. Er hatte nämlich dem Einem der Leute auf dem Gericht, den er für einen untergeordneten Beamten gehalten, weil er gar so schäbig ausgesehen, einen harten Thaler in die Hand drücken wollen, um die Sache ein wenig zu beschleunigen, und nachher war das ein Gerichtsassessor gewesen. Der alte Barthold schüttelte jetzt noch mit dem Kopf, wenn er daran dachte was der für ein Gesicht gemacht, und wie er ihn angesehen hatte. Es war aber dennoch gut abgelaufen.
Auf den nächsten Tag fiel die Geburtstagsfeier; Erlau's hatten zugesagt zu kommen – Lieschen auch mit, natürlich – und das Haus in Dreiberg war von unten bis oben mit Blumen und grünen Reisern geschmückt, daß man in lauter Lauben treppauf und treppunter ging. Und wie hatte die Mutter heute aufgetafelt, und als Traubenwirths endlich kamen, ließ sie es sich auch nicht nehmen, die Braut selber herumzuführen in Haus und Wirthschaft, und ihr Alles zu zeigen, wo sie einmal später als Herrin schalten sollte.
Und wie geputzt das Lieschen heute war, und was für ein schönes schwerseidenes Kleid es anhatte, und wie es sich auch darin zu benehmen wußte! Mutter Barthold war eigentlich zuerst ein Bischen verlegen gewesen und hatte sich gar nicht ordentlich getraut sie Du zu nennen, denn sie sah eigentlich wie eine recht vornehme Dame aus. Aber den Hans genirte das gar nicht. Er nahm sie beim Kopf und küßte sie ab, als ob sie ein Kattunfähnchen angehabt hätte, und die Mutter Barthold stand nur immer in Todesangst dabei, daß er ihr vielleicht einmal auf das lange, kostbare Kleid treten möchte. Er konnt's beinah gar nicht verhindern.
Bei Tisch saß Vater Barthold, als Geburtstagskind und Hochzeiter, mit seiner Frau oben an der Tafel, und neben der Mutter saß der Traubenwirth und neben dem Vater dessen Frau, während unten am Tisch Hans zwischen seiner Pflegeschwester und Lieschen seinen Platz hatte, und eine vergnügtere Tischgesellschaft hat es wohl seit langer Zeit nicht gegeben.
Merkwürdig war aber der Unterschied zwischen den beiden jungen Mädchen, und Vater Barthold, der ihnen gerade gegenüber saß, war vielleicht der Einzige, der es bemerkte oder wenigstens so darauf achtete, denn er mußte immer und immer wieder dorthin sehen und die Beiden mit einander vergleichen.
Katharine war das echte Bild eines deutschen Mädchens, mit nicht zu hellblonden Haaren und so tiefblauen Augen, daß man gar nicht satt werden konnte hinein zu schauen, wenn Einem der Blick einmal begegnete. Um die wirklich zart geschnittenen Lippen lag dabei ein unbeschreiblicher Zug von Sanftmuth und Milde, ja auch wohl von stiller Ergebenheit, und wenn sie lächelte, konnte man gar nicht anders, als ihr gut sein. Und doch war sie eigentlich keine Schönheit, denn Lieschen war viel, viel schöner.
Lieschens Gesicht war wirklich mehr als hübsch, es war schön, in seiner Regelmäßigkeit und edlen Form, und die dunkelbraunen Augen funkelten den an, mit welchem sie sprach, als ob es ein paar Brillanten gewesen wären. Wundervolles kastanienbraunes Haar hatte sie auch, und wußte es auf eine gar so geschickte Weise zu tragen. Mutter Barthold hatte sich schon den ganzen Morgen im Stillen den Zopf angesehen, um nur heraus zu bekommen, wie er geflochten und aufgesteckt wäre. Dabei war ihr Benehmen, wenn auch immer mädchenhaft, doch frei und ungezwungen, was sie jedenfalls in der Stadt gelernt hatte, und wenn sie lachte, zeigte sie zwei Reihen Zähne, wie Perlen, so regelmäßig und weiß.
Es war ein »wahres Prachtmädel«, wie der alte Barthold bei sich meinte. Wahrhaftig, er konnte es seinem Sohne nicht verdenken, daß er sich die zur Frau gewählt. Aber zu seinen Beobachtungen wurde ihm auch nicht lange Zeit gelassen, denn der Traubenwirth, der in derlei Dingen außerordentlich gewandt war und einen prächtigen Humor hatte, stand auf und brachte mit so künstlich und komisch gesetzten Worten einen Toast auf den Vater Barthold und auf die Mutter aus, daß sich Alle am Tisch halbtodt darüber lachen wollten. Und dann klangen die Gläser zusammen, und der feurige Ungarwein stieg der kleinen Gesellschaft bald in's Blut und brachte Leben selbst in die Ruhigsten. Sogar Katharine, die sonst nie derlei starke Getränke berührte, hatte ein volles Glas davon geleert, weil sie mit Hans und dem auf ihrer anderen Seite sitzenden Traubenwirth ein paar Mal, erst auf den Vater, dann auf die Mutter und dann auf die Brautleute, anstoßen mußte – und zurückstehen konnte sie doch nicht bei einer solchen Gelegenheit. Wenn sie aber auch still blieb, bekamen doch ihre Wangen einen rötheren Schein und ihre Augen einen höheren Glanz, und der alte Barthold, der das bemerkte, nickte ihr freundlich zu und rief über den Tisch hinüber: »So recht, Kathrine, zeig den Leuten auch einmal, daß Du in Ungarn gewesen bist und seine Weine trinken kannst. Heute ist unser Ehrentag, und da muß Alles fidel und lustig sein.«
Hans besonders war ganz glücklich über seine wunderhübsche Braut. So gut hatte sie ihm noch gar nicht gefallen, wie heute Abend, und er konnte sich nicht satt an ihr sehen. Jedes Stückchen, das sie an sich hatte, musterte er, und dann mußte er ihr immer wieder in die dunkeln Augen schauen. Wie die blitzten und funkelten!
»Wo hast Du denn die schöne Rose her?« frug er sie da einmal, und zeigte auf die Blume, die sie vorn an der Brust trug. »Es ist schon so spät im Jahre; in unserem Garten blühen schon lange keine Rosen mehr.«
»Die hab' ich geschenkt bekommen,« sagte Lieschen neckend. »O, andere Leute können auch galant gegen mich sein.«
»So?« lachte Hans, »wohl von dem jungen Herrn, der da neulich an der Treppe bei Dir stand?«
»Und wenn's von dem wäre?« frug Lieschen und sah ihn dabei gar so schelmisch an, »wärst Du eifersüchtig?«
»Nein,« sagte Hans treuherzig, »wenigstens auf den geschniegelten und gebügelten Burschen noch lange nicht. Aber Du brauchst die Rose gar nicht,« fuhr er leiser fort, »Deine Backen haben ein viel schöneres Roth, Du siehst gar so hübsch aus, Lieschen.«
Lieschen wurde jetzt noch viel röther, als die Blume war, und dann flüsterte sie Hans etwas zu, worüber dieser lachte, und nachher lachten sie Beide mit einander und plauderten den ganzen Abend.
Am schlechtesten kam eigentlich die arme Katharine dabei weg, denn um die kümmerte sich Niemand. Hans, ihr Nachbar zur Rechten, schwatzte natürlich nur mit seiner Braut, und der Wirth an ihrer Linken hatte soviel mit seiner Nachbarin, der Mutter Barthold, und dem alten Barthold zu reden, daß er an das stille Mädchen neben sich auch nicht denken konnte. Freilich durfte sie auch nicht immer sitzen bleiben und mußte viel aufstehen, um bald dies bald Jenes zu besorgen, und da war es denn recht gut, daß sie Niemand vermißte. Unbemerkt stand sie von ihrem Platz auf, unbemerkt nahm sie ihn wieder ein, und so wurde auch Niemand dadurch gestört.
So lange blieben sie aber am Tische sitzen und so spät wurde es an dem Abend, bis sie Alles gesehen und besprochen hatten, daß Barthold unter keiner Bedingung zugab, sie dürften heute noch an den Heimweg denken. Ja, wenn es andere Leute von Wetzlau gewesen wären, denen hätte er den Heimweg im Dunkeln schon gegönnt, aber seine künftige Schwiegertochter und ihre Eltern wollte er nicht daran wagen, und so gern der Traubenwirth heut Abend noch zu Haus gewesen wäre, er durfte eben nicht fort.
Und was für Betten machte die Mutter jetzt, mit Katharinens Hülfe, für die lieben Gäste zurecht, eine wahre Welt von Federn, jedes einzelne, daß einem ordentlich der Athem ausging, wenn man hineinsprang und darin versank! Ein anderer Mensch als ein deutscher Bauer hätte auch gar nicht darin schlafen können. Aber der Ungarwein half, und Punkt zehn Uhr lag Alles in tiefer Ruhe.
Am nächsten Morgen freilich brachen die Wetzlauer früh auf, denn allzu lange konnten und durften sie nicht von daheim wegbleiben. Im Haus selber gab es jetzt auch viel zu thun mit Aufräumen, Ordnen und Reinigen. Ein solches Fest mußte nicht spät in den nächsten Tag hineinreichen, und es war schon eine tüchtige Arbeit, nur das grüne Werk wieder alles hinauszuschaffen und das Haus blank zu kehren. Um acht Uhr Morgens war aber auch das Letzte beseitigt und Katharine unten in der Stube beschäftigt, das zweite Frühstück für den Vater und Hans herzurichten, daß sie es gleich bereit fänden, wenn sie vom Feld herein kämen.
»Nun, Kathrine,« sagte die Mutter, die in der Stube an ihrem Spinnrad saß, denn müßig konnte sie nun einmal nicht sein, »wie hat Dir denn gestern dem Hans seine Braut gefallen? Du hast mir ja noch kein Wort darüber gesagt. Gelt, das ist ein sauber Mädel?«
»Ei gewiß, Mutter,« sagte das junge Mädchen, ohne sich aber dabei in ihrer Arbeit stören zu lassen, »das ist gar eine stattliche Maid und so hübsch und so vornehm. Mit der wird der Hans Ehre einlegen.«
Die Mutter nickte mit dem Kopf, erwiderte aber nicht gleich etwas darauf, denn sie dachte eben über das Wort »vornehm« nach. Sonderbar, es war ihr auch fast so vorgekommen, als ob Lieschen fast ein bischen zu vornehm für eine wirkliche Bäuerin wäre, wenn es ihr auch noch nicht recht klar geworden. Die Wirthstochter ging im Grunde genau wie eine Stadtdame gekleidet und trug auch so ein neumodisch Ding, eine Crinoline nannten sie's ja, daß die Röcke nach allen Seiten hinausstanden. In den Kuhstall konnte sie mit den Kleidern auf keinen Fall gehen. Aber daheim führte sie ja doch auch die Wirthschaft und war so tüchtig und fleißig dabei, und bei der Arbeit würde sie gewiß schon andere Kleider haben. Wie hübsch hatte sie auch ihr Haar geflochten; viel Zeit ging da freilich drauf, wenn sie das hätte jeden Morgen so machen wollen, oder sie mußte eben ein bischen früher aufstehen.
Die Frau saß eine ganze Weile in tiefen Gedanken, und das Rädchen schnurrte dabei, daß es eine Lust war. Katharine sprach ebensowenig; es gab heute Morgen gar so viel zu thun.
»Aber ein gutes Herz hat sie gewiß,« brach die Frau plötzlich wieder das Schweigen, und die Worte fuhren ihr eigentlich nur da so heraus, wo sie gerade in ihren Gedanken stehen geblieben war, »Ihr Beiden werdet gewiß recht gut mitsammen auskommen.«
Katharine erschrak ordentlich, denn genau an dasselbe hatte sie eben auch gedacht und sich in dem Augenblick die nämliche Frage gestellt, der die Mutter jetzt Worte gab: Wie würde es werden, wenn die junge Frau in das Haus zog und die Wirthschaft selber übernahm? Würde diese auch so lieb und gut mit ihr sein wie die Mutter? Oder würde sie selber überhaupt hier noch nöthig bleiben? Ob sie dann gut mitsammen auskämen? O gewiß; aber wenn nicht? Dann mußte die Fremde doch natürlich das Haus verlassen, ihre Heimath, und hinausziehen zu fremden Leuten. Und wäre es nicht besser gewesen, wenn sie das gleich vom Anfang an und freiwillig gethan hätte, ehe die Verhältnisse sie dazu zwangen? O gewiß, in vielen, vielen Stücken wäre es besser gewesen.
»Meinst Du nicht, Kathrine?« frug die Mutter noch einmal, da ihr das Mädchen, mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt, nicht gleich eine Antwort gab.
»Ich? ei, gewiß, Mutter,« sagte Katharine jetzt schnell, »warum denn nicht? Ich will sie gewiß lieb haben, wie eine Schwester – wenn sie mich nur noch im Hause brauchen können,« setzte sie leiser hinzu und erschrak fast, als die Worte heraus waren.
Die Mutter sah rasch zu ihr auf, so rasch, daß ihr der Faden abriß, denn daß die Katharine daran denken könnte, je ihr Haus zu verlassen, daran hatte sie selbst im Leben noch nicht gedacht. War es denn nicht ihre eigene Tochter geworden durch die langen, langen Jahre?
»Unsinn, Kathrine,« sagte sie aber auch gleich darnach kopfschüttelnd und nahm den Faden wieder auf. »Dich sollten sie nicht brauchen können? Und wenn sie Dich nicht brauchten, glaubst Du, daß mein Alter und ich Dich missen möchten? Sprich mir nicht wieder solch Zeug, Mädel, oder Du bekommst es mit mir zu thun. Uebrigens ließ Dich Hans auch gar nicht fort, denn wie lieb Dich der hat, weißt Du, und daß er überall Deine Partie nimmt. Nein, Schatz,« setzte sie gutmüthig hinzu, »mit uns bleibt's beim Alten, ob Du zu der jungen Frau passest oder nicht. Außer –« und sie nickte ihr dabei freundlich zu, »Du müßtest denn einmal von uns fortziehen wollen, wie das Lieschen jetzt bald aus der Eltern Hause zieht, dann freilich mit unserem besten Segen, Kind.«
»Du lieber Gott, Mutter,« sagte Katharine, und ein Seufzer hob dabei unwillkürlich ihre Brust, »damit hat's Zeit. Wenn Ihr mich nicht früher loswerdet, müßt Ihr mich wahrscheinlich bis an meinen Tod bei Euch behalten.«
»Denkst Du eher zu sterben, als wir, Kathrine?« lächelte die Frau wehmüthig.
»Wir wollen nicht vom Sterben reden, Mutter,« sagte Katharine, ging auf die Mutter zu und drückte ihr herzlich die Hand, »wann's kommt, kommt's. Es war nur so eine dumme Redensart von mir. Seid mir nicht böse drum.« Und sich rasch abdrehend, verließ sie das Zimmer.
Die Mutter sah ihr wohl eine Minute kopfschüttelnd nach, dann nahm sie ihren wieder und wieder abgerissenen Faden noch einmal auf und spann emsig weiter; allein das eben Besprochene konnte sie doch nicht aus dem Kopfe bringen; es ging ihr immer darin herum.
»Arme Kathrine,« dachte sie dabei, »das Kind hat Sorge, daß es aus dem Haus muß, wenn die neue Hausfrau einzieht; aber da kennt es mich und meinen Alten schlecht. Du bleibst, das weiß ich, oder ich ging selber mit aus dem Hause,« nickte sie leise vor sich hin, und mit dem Entschluß schnurrte das Rädchen noch viel schärfer als vorher.
War aber Hans schon ungeduldig und bös geworden, wie es ihm die ersten acht und vierzehn Tage mit den nöthigen Papieren nicht fördern wollte, so bekam er nachher noch eine weit vortrefflichere Gelegenheit, seine Langmuth auf die Probe zu stellen, denn Jenes schien nur der Anfang gewesen zu sein von dem Herüber- und Hinüber-Spiel.
Erstlich erklärte der General-Superintendent, nachdem er die Eingabe des alten Barthold einen vollen Monat im Haus gehabt, daß er in der ganzen Sache gar nichts thun könne, die müsse doch noch vor das Consistorium gebracht werden, wo man sie dann in gemeinschaftlicher Sitzung berathen würde. – Und dann war der Heimathschein noch immer nicht eingetroffen.
Wie der alte Barthold, der jetzt schon fünf Mal wegen der einen Eingabe in der Stadt gewesen, diesmal wieder nach Hause kam, mocht' er's dem Hans gar nicht sagen, was für einen Erfolg er gehabt. Hans sah es ihm aber doch am Gesicht an, und wenn in dem Augenblick eine Revolution ausgebrochen wäre, Hans hätte sich mit in den dicksten Haufen geworfen, nur um seine Wuth erst einmal an den »Gerichtsschreibern« und den »Pfaffen«, wie er ein hohes Consistorium sehr unehrerbietig nannte, auszulassen.
Und der Heimathschein erst – was für eine Masse Papier die Leute in der Stadt schon in der Angelegenheit verschrieben hatten, nur um herauszubekommen, welcher Fleck in Deutschland ihm nachher bescheinigte, daß er überhaupt da sei und das Recht habe, hier oder dort einmal Ansprüche an das Gemeindearmenhaus zu machen. Es war ganz erstaunlich, und man hätte nun glauben sollen, sie wären auf dem Gericht selber bös geworden über die entsetzliche Mühe und Arbeit, die es ihnen machte; aber Gott bewahre. Immer gut gelaunt blieben sie dabei, und wenn der alte Barthold auf seinen verschiedenen Streifzügen in der Stadt bei ihnen anfrug, wie denn die Sache mit dem Heimathschein stände, so schlugen sie erst eine Menge von Büchern nach, – und jetzt hätten sie's eigentlich auch schon aus dem Kopf wissen können – und lachten und meinten dann, er möchte einmal in sechs Wochen wieder nachfragen.
Doch wie könnte ich dem Leser einen Begriff von all den Weitläufigkeiten, Laufereien, Schreibereien, Scheerereien und Quälereien geben, die nur das eine Wort »Heimathschein« in sich begreift! Hat er's selber schon einmal durchgemacht, so kennt er's, und nickt nur traurig mit dem Kopf, wenn er daran zurückdenkt. Hat er's aber noch nicht durchgemacht, dann glaubt er's nicht einmal und denkt, man übertreibt, nur um den Gerichten eins anzuhängen.
Unsere Gesetze sind wohl ganz schön und auch gewiß gerecht, es ist nur der Henker, daß eine große Anzahl von Menschen ihre ganze Lebenszeit daran verwenden muß, um einzig und allein herauszuklügeln, wie sie zu verstehen sind. Und wenn sie dann nachher nur noch einerlei Meinung wären, aber Gott bewahre. Die Einen sagen: dies Gesetz bedeutet das, und das ist darunter gemeint, und die Anderen rufen nachher: Aber du mein Himmel, es fällt ihm ja gar nicht ein, gerade das Gegentheil ist darunter verstanden; und bis dann nicht ein Dritter dazu kommt, von dem man auch nicht recht fest überzeugt ist, ob er's genau weiß und sagt: Du hast Recht und Du hast Unrecht, zahlt der ruhige Staatsbürger, für den sie eigentlich gemacht sind, der aber gar nichts davon versteht, ganz einfach vierteljährlich seine Kosten und bekommt nachher ein schriftliches Urtheil zugeschickt, mit dem er indeß wieder zu einem Andern gehen muß, um nur zu verstehen, was da in deutscher Sprache geschrieben ist.
Das nennt man nachher einen Proceß, und wer ihn gewinnt, hat Glück.
Bei einem Heimathschein ist wenigstens das eine Gute, daß man die Schreibereien nicht alle zu bezahlen hat – das Gericht thut das zu seinem eigenen Vergnügen – aber Hans bekam den seinigen wenigstens die ersten drei Monate nicht, und es half nichts, daß sich sein Vater und der Traubenwirth in der Stadt erboten, Bürgschaft zu leisten, soviel sie haben wollten, daß er keiner hiesigen Gemeinde einmal zur Last fiele. »Das ginge nicht,« meinten die Herren vom Gericht, vom Kreisgericht bis zum Ministerium hinauf. Vor allen Dingen müßte jetzt erst einmal ausgeforscht werden, wohin Hans eigentlich gehöre, und wieder wurden Briefe nach Preußen und Ungarn geschickt und Acten hinübergesandt und von dort einverlangt; das war aber auch Alles. In der Sache selber blieb's beim Alten, und die Hochzeit konnte natürlich noch immer nicht stattfinden, denn der Pfarrer durfte vorher nicht einmal das Aufgebot erlassen.
Hans war außer sich, denn nun kam auch noch die Ernte dazwischen, wo sich, des schlechten, unsicheren Wetters wegen, die Arbeit so häufte, daß er oft nicht einmal Sonntags hinüber nach Wetzlau konnte.
Es war an einem solchen Sonntagsabende, sie hatten den ganzen Tag eingefahren und eben das letzte trockene Fuder hereingebracht und abgeladen, als er in die Stube kam, seinen Hut in die Ecke, sich auf einen Stuhl warf und, den Kopf in die Hand stützend, sich und sein Geschick verwünschte.
»Ich wollt' ich wär' todt,« rief er aus, »todt und begraben und weg von der Erde, daß ich nur das Elend nicht mehr länger ansehen müßte; und viel länger halt' ich's überdies nicht aus, denn Gift und Galle bringen mich doch über kurz oder lang in's Grab. Giebt es denn in der ganzen Welt einen Menschen, der mehr Unglück hat als ich?«
»Aber Hans, um Gottes willen, versündige Dich nicht,« bat die Mutter, doch der Vater sagte:
»Du sprichst wie ein Kind, Hans, und solltest Dich schämen. Sind das Reden für einen erwachsenen Menschen? Kannst Du's ändern, kann ich's ändern? Haben wir nicht bis jetzt Alles gethan, was in unseren Kräften stand, um Dir über die Schwierigkeit hinauszuhelfen, und hat es sich machen lassen mit all unserer Mühe? Wer also trägt die Schuld?«
»Seid nicht bös, Vater,« rief Hans, »ich weiß ja wohl, daß Ihr keine Schuld dabei habt, 's ist auch nur allein mein ewiges Unglück, das ich mit Allem habe, was ich nur anfasse.«
»Hans,« sagte der alte Barthold ernst, »wenn ich Deiner Jugend nicht die unbedachten Worte zu gute hielte, würde ich jetzt ernstlich böse auf Dich werden. Was hast Du denn schon für wirkliches Unglück im Leben gehabt, und weißt Du denn überhaupt ob es ein Unglück ist, daß Deine Heirath jetzt hinausgezögert wird?«
»Aber Vater –«
»Ihr junges Volk,« sagte der Vater ernst, ohne sich irre machen zu lassen, »beurtheilt immer Alles nur nach dem Augenblick, ob es Euch paßt oder nicht. Was paßt, wird ruhig hingenommen, als ob es nicht anders sein könnte; was nicht paßt, ist ein Unglück, eine Verfolgung des Schicksals, eine Ungerechtigkeit, und wie die Faseleien alle heißen. Es geschieht nichts umsonst! Wenn Du einmal älter bist, wirst Du mir das aus eigener Erfahrung bestätigen. In dem gewaltigen Weltgebäude fällt kein Sperling vom Dache ohne den Willen des Höchsten, und so wunderbar greift Alles in einander, daß wir nur staunen und anbeten können, wenn wir die Wirkung sehen. Daß uns armen unbedeutenden Menschenkindern aber nicht verstattet ist, den lieben Gott in seiner geheimen Werkstätte zu belauschen und die einzelnen Fäden zu sehen, mit denen er die Geschicke der Menschen leitet, darüber bist Du unzufrieden. Du willst auch gleich wissen, warum das und das so ist, und weshalb Du gerade nicht auf der Stelle Deinen Willen haben kannst.«
»Ach, Vater,« brummte der junge Bursch verdrießlich vor sich hin, »das ist Alles schon recht, aber soll ich nicht die Geduld verlieren, wenn ich sehe wie mir mein ganzes Leben verbittert wird, blos einer albernen Weitläufigkeit wegen, die mit ein paar Federstrichen abgemacht wäre? Ich habe, was ich zum Leben brauche, und kann eine Frau ernähren, Lieschen ist mir gut, Ihr und Lieschens Eltern habt eingewilligt, und Monate lang könnten wir schon unseren neuen Hausstand haben; aber nein, da strecken lauter Leute, die mir nicht ein Stück Brod geben, wenn ich an der Straße verhungere, die Finger dazwischen und schreien: Nein, das geht nicht, die hohe Obrigkeit will's nicht, der liebe Gott nicht! Ist denn das nicht um den Verstand zu verlieren?«
»Wahre das Bischen was Du hast, mein Junge!« sagte der Alte trocken, »Du weißt nicht, wie Du's noch 'mal im Leben brauchen kannst.«
Und damit war das Gespräch über den Gegenstand für heute abgebrochen, aber die Sache wurde darum nicht anders, denn wieder vergingen Wochen, ohne daß weder von der geistlichen noch weltlichen Behörde ein Entscheid gekommen wäre. »Sie müssen warten,« lautete die jedesmalige Antwort, »eine solche Sache läßt sich eben nicht über's Knie brechen,« und dabei blieb's, einmal wie allemal.
Der arme Hans ging wirklich in Verzweiflung umher, und er glaubte oder bildete es sich auch wohl nur ein, daß Lieschen jetzt selber ungehalten über die Verzögerung würde und es ihn entgelten ließe. Es wollte ihm wenigstens so vorkommen, als ob sie lange nicht mehr so freundlich, so herzlich mit ihm sei, wie in früherer Zeit, wenn er sie drüben in Wetzlau aufsuchte, und welchen anderen Grund hätte sie dazu in der Welt haben können, als die verwünschte Heimathsangelegenheit? Er konnte sich nicht mehr helfen, er mußte Jemanden deshalb um Rath, um seine Meinung fragen, und Niemand schien ihm dazu passender als seine Pflegeschwester. Niemand war es auch wohl.
»Sei nicht thöricht, Hans,« sagte ihm diese aber freundlich, »Deine eigene üble Laune macht Dich Alles schwarz sehen; Du wirst drüben in Wetzlau gerade so mürrisch und verdrießlich ausgeschaut haben wie hier, und daß das arme Lieschen sich darüber nicht glücklich fühlen konnte, willst Du sie nun auch noch entgelten lassen. Ist das recht?«
»Und glaubst Du wirklich, Kathrine, daß mich Lieschen recht von Herzen lieb hat und nicht bös auf mich werden würde, wenn's auch noch länger dauert?«
»Ich glaub's gewiß, Hans,« sagte das junge Mädchen, aber mit recht leiser Stimme. »Es kann ja –« sie hielt plötzlich an, sah vor sich nieder und fuhr dann fort: »Bist Du denn schuld an der Verzögerung? Sie wird nur eben auch traurig sein, daß es so lange dauert, ehe sie – ihr Glück an Deiner Seite findet.«
»Was wolltest Du vorher sagen, Kathrine? Du meintest ›es kann ja –‹«
Katharine erröthete leicht, aber sie sagte: »Ich bringe das was ich sagen will, nicht immer so mit den rechten Worten heraus, aber gemeint ist's gut, Hans, das darfst Du mir glauben.«
»Ich glaub Dir's, Kathrine,« sagte Hans, drückte ihre Hand, während er ihr mit der Linken über die blonden Haare strich, und ging dann hinaus in den Stall, um nach seinen Pferden zu sehen.
Katharine setzte sich auf denselben Stuhl, auf dem Hans vorher gesessen hatte, stützte den Kopf in die Hand und schaute nach der untergehenden Sonne hinüber, die da drüben am Berghang die Kieferstämme mit ihrem rothen Gluthenschein übergoß und ihr blitzendes Licht in den Fenstern des Pfarrhauses wiederspiegelte.
Der Herbst rückte heran und die Zeit der Kirmeß, und die erste sollte in Dreiberg abgehalten werden. Am nächsten Sonntag wurde sie »angetrunken«, und Hans durfte deshalb nicht so lange als gewöhnlich in Wetzlau bleiben. Aber er kehrte heute mit fröhlichem Herzen heim, denn Lieschen hatte geweint, als er ihr von seinem Verdacht erzählte, daß sie ihn nicht mehr so lieb habe, und war ihm dann um den Hals gefallen, und ihre Küsse brannten ihm noch auf den Lippen.
Der »Mosje aus der Stadt« wohnte freilich noch immer in der goldenen Traube und hatte mit ihnen an einem Tisch gegessen – was er alle Tage mit Lieschen und ihren Eltern that, da er sich bei ihnen in Kost gegeben. Der Herr war auch sehr aufmerksam gegen seine Braut gewesen, und eigentlich gefiel das Hans nicht recht, aber es ließ sich auch nicht gut etwas dagegen sagen. Das Zusammenlegen der Felder, besonders bei den verwickelten Eigenthumsverhältnissen in Wetzlau, war keine Arbeit, die sich eben in vierzehn Tagen abthun ließ, und das andere Wirthshaus im Dorf dabei so schlecht, daß ein anständiger Mensch dort nicht gut wohnen konnte. Jener Fremde – Herr von Secklaub hieß er – mußte also wohl oder übel in der Traube wohnen und essen, und daß er sich artig gegen die Tochter vom Haus betrug, konnte Hans ebenfalls nicht gut übelnehmen. Weit eher hätte er Grund dafür gehabt, wenn das Gegentheil der Fall gewesen. Lieschen sprach aber auch in der Zeit, da Hans in Wetzlau war, keine zehn Worte mit jenem Herrn, und als sie ihm auch noch zusagte, daß sie seine Platzjungfer auf der Kirmeß zu Dreiberg sein wollte, hatte er alles Andere darüber vergessen – selbst den Heimathschein und das hohe Consistorium – und galoppirte so fröhlich und guter Dinge, wie er lange nicht gewesen war, nach Hause zurück.
Und heute Abend wurde die Kirmeß wirklich in Dreiberg angetrunken, wie man diese Feierlichkeit dort nennt; d. h. die jungen Burschen aus dem Orte kamen im Wirthshaus zusammen und behandelten die sehr wichtige Angelegenheit, wer die Kirmeß eigentlich von ihnen halten, d. h. bezahlen sollte. Zu dem Zweck mußten sich drei von ihnen zu sogenannten Platzburschen erbieten, die es übernahmen die sämmtlichen Kosten zu tragen, oder wenigstens dafür gut zu sagen. Erreichte die Einnahme nachher die Kosten nicht, so hatten sie aus ihrer Casse darauf zu legen, was daran fehlte.
Es versteht sich von selbst, daß sich immer die wohlhabendsten Burschen im Dorfe dazu erboten, und Hans war heute der Erste, der sich zu einem derselben meldete. Nach einigem Herüber- und Hinüberreden, denn die Sache kostete manchmal viel Geld, fanden sich auch noch die beiden Anderen, und jetzt mußte Jeder seine Platzjungfer nennen.
Das ging ebenfalls rasch genug: Hans nahm natürlich seine Braut, ein anderer Bauerssohn aus Dreiberg erklärte, seine Platzjungfer solle Barthold's Katharine sein, und der dritte hatte sich des Schulmeisters Tochter ausgesucht.
Nun kamen noch einige geschäftliche Angelegenheiten, denn die Platzburschen hatten auch für die Musik, die ganze Kirmeß durch, zu sorgen, wie sie ebenfalls während der Zeit Freibier halten mußten. Auf morgen Abend aber wurde, wie das jedes Mal so geschieht, das Ständchen angesetzt, das die Platzburschen ihren gewählten Mädchen geben, und ein Abgesandter der Stadtmusikanten, die gewöhnlich auf den Kirchweihen spielen, war schon zu dem Zweck herausgekommen, um die nöthigen Anordnungen zu hören und die Stärke des Orchesters mit den Platzburschen zu besprechen.
Gewöhnlich hatten diese nun immer zwölf »Musikanten« zu ihrem Tanz und Vergnügen gehalten, Hans aber bestand auf zwanzig, ohne den Kapellmeister, weil er die Sache glänzend durchgeführt haben wollte, und als die Anderen, der Kosten wegen, darauf nicht eingingen, erbot er sich die Ueberzähligen aus seiner eigenen Tasche zu bezahlen. Der »Stadtmusikant« bekam dann gleich Befehl, morgen Abend um sieben Uhr mit seiner »Bande« an Ort und Stelle zu sein, und die beiden anderen Platzburschen – Lieschen wußte ja schon, daß sie gewählt sei, und kannte den dabei beobachteten Gebrauch – brachen jetzt auf, um ihren Platzjungfern die zugedachte Ehre anzuzeigen.
Katharine sträubte sich erst. Sie war bis jetzt nur dann zu Tanz gewesen, wenn Hans mit ihr ging, aber Hans redete ihr selber zu und bat sie, es seinet- und Lieschens wegen anzunehmen, das sich gewiß freuen würde, mit ihr da zusammen zu sein. Außerdem konnte sie es nicht einmal gut ausschlagen, ohne den jungen Burschen gröblich zu beleidigen. Er wäre gewiß nicht wenig von den Cameraden ausgelacht worden. So nahm sie es denn an, und die Mutter, die stolz darauf war, daß sie ihre Katharine zur Platzjungfer gewählt, hatte alle Hände voll zu thun, um den gehörigen Putz für sie herzurichten, denn Katharine sollte dem Barthold'schen Haus wahrhaftig keine Schande machen.
Die eigentliche Kirmeß fing erst in vier Wochen an, am nächsten Abend aber mußte den Platzjungfern, mit dem vollen Musikcorps, das Ständchen gebracht werden, und es ist dann Sitte, daß die Mädchen die Burschen sowohl, als die Musikanten mit Kaffee, Kuchen, Wurst und Brod tractiren. Da sie aber doch nicht gut bei allen dreien essen und trinken konnten, suchten sich die Burschen gewöhnlich zum Halteplatz den Ort aus, wo sie auf ein gutes »Tractament« rechnen konnten, und das war hier im Ort natürlich sicherer bei Barthold, als beim Schulmeister zu finden. Des Schulmeisters Tochter wurde deshalb, sowie die Musik eingetroffen war, zuerst heimgesucht, und das ganze Dorf lief zusammen, als das mächtige Musikcorps mit Pauken und Trompeten in die stille Nacht hineinwirbelte und einen ganz heillosen Lärm machte. Dann nahm der Tänzer Bärbel's, denn so hieß das junge Mädchen, diese an den Arm, und nun zog der Trupp zu Barthold's hinüber, um dort den musikalischen Spectakel von neuem zu beginnen.
Der alte Barthold ließ sich aber nicht »lumpen«. Aufgetragen war in der großen unteren Stube, was Küche und Keller nur liefern konnten, und wie sie sich dort ganz gehörig »gestärkt« ging der Zug – ohne die Mädchen natürlich – in einem Strich nach Wetzlau hinüber, denn der Traubenwirth war auch nicht zu verachten.
Das galt aber, wie gesagt, nur als das Vorspiel des Ganzen, denn vier Wochen später begann am Dienstag die wirkliche Kirmeß, die drei Tage dauerte, Freitag und Sonnabend war Ruhe, und am Sonntag wurde dann die sogenannte Nachkirmeß gehalten.
Am ersten Kirmeßtag aber ist es Sitte, daß die Platzburschen ihre Mädchen mit Musik abholen, und Hans natürlich hatte es sich etwas kosten lassen, um das seiner würdig in's Werk zu setzen. Er selber, mit dem üblichen Strauß im Knopfloch und einem anderen kleineren mit einem wehenden rothen Band daran am Hut, eröffnete an dem Morgen den Reigen, da Wetzlau am weitesten entfernt lag und er also sein Mädchen zuerst herüberbringen mußte. Er ritt seinen Braunen, ein prächtiges munteres Pferd, und dahinter kam ein mit Guirlanden und Büschen geschmückter Leiterwagen, auf den die ganze Musik gepackt war. Hinter dem Leiterwagen aber fuhr der Großknecht den kleinen steierischen Wagen leer hinüber, um darin die Platzjungfer, seine Braut, mit ihren Eltern abzuholen. Früh um sechs Uhr brachen sie auf. Lieschen war auch schon gerüstet und prangte im prachtvollen Schmuck der Platzjungfer, mit Blumen am Mieder und im Haar und einem carmoisinrothen Seidenband in den dunklen Locken, genau dieselbe Farbe wie es ihr Platzbursche, der Hans, trug, was ihr gar so reizend stand.
Die Eltern wollten auch, und zwar nur für heute mitfahren, denn drei Tage, so lange wie die Kirmeß dauerte, konnten sie nicht gut von Hause wegbleiben. Der alte Erlau zog es aber doch vor mit seiner Tochter den eigenen kleinen Wagen zu benutzen und sich nicht dem »Räderwerk« des Dreiberger Bauern anzuvertrauen. Er hatte jetzt Federn an seinem Wagen.
Dem Zug, dem sich noch ein Dutzend junge Burschen von Wetzlau anschlossen, folgte auch Herr von Secklaub, auf einem prachtvollen Rappen, seinem eigenen Pferd. Er schien sich ebenfalls einmal die Dreiberger Kirmeß mit ansehen zu wollen, und eingeladen war ja Jeder, der kommen wollte.
Die Gäste, d. h. der Traubenwirth mit seiner Familie, stiegen natürlich bei Barthold's ab, wo auch schon die anderen Platzburschen warteten, um Katharine abzuholen.
Und wie lieb Katharine heut aussah! Sie war in die Bauerntracht ihres Ortes gekleidet, und unwillkürlich flog Hansens Blick von ihr zu Lieschen, um zum ersten Mal die Beiden mit einander zu vergleichen. Lieschen war städtisch gekleidet, wie sie immer ging, heut aber wär' es Hansen fast lieber gewesen, sie hätte auch die Bauerntracht getragen. Es hätte mehr zu dem Ganzen gepaßt, so aber sah sie aus, als ob sie nicht recht dazu gehöre und nur zum Besuch herausgekommen wäre, und das war sie doch nicht. Er hatte sie auch wirklich darum bitten wollen, es aber wieder vergessen; was kam denn überhaupt auf die Tracht an? Woraus das Kleid nur gewebt war, das sie trug? dachte er dabei; es sah prächtig aus, mit hineingewirkten Blumen und Zierrathen, und die Blumen – künstlich gemachte, ihr Strauß und Kopfputz – die waren wirklich herrlich und so natürlich, daß man hätte daran riechen mögen – Moosrosen und Nelken stellten sie vor, weil sie, zu dem Band passend, roth sein mußten. Wo hatte sie nur so rasch die kostbaren Blumen herbekommen? – Lieschen war unbestritten das schönste Mädchen im Dorfe, und während des ganzen Festes, und obgleich sie mit Allen auf das Herzlichste und Unbefangenste sprach, hatten die beiden anderen Platzburschen doch einen ordentlichen Respect vor ihr, was jedenfalls die städtische kostbare Kleidung bewirkte, und doch war sie ja auch nur eines Bauern Tochter.
Viel heimischer wurde es ihnen dagegen bei Katharine zu Muthe, die mit ihrem kleidsamen kurzen Rock, den bunten Zwickelstrümpfen, dem geputzten Mieder und ihrem einfachen Kornblumenkranz im Haar, der zu dem blauen Band paßte, ganz wie die Kornblume gegen die Moosrose abstach, aber doch auch wieder in ihrer Art gar wunderhübsch und lieblich aussah.
Ob sie sich in Lieschens Nähe gedrückt fühlte? sie schien heute lange nicht so heiter und fröhlich als sonst, während in Lieschens Augen das Vergnügen über das zu erwartende Fest ordentlich funkelte und sie in einem fort lachte und Hans über sein ehrbar steifes Wesen als Platzbursche neckte.
Jetzt war auch des Schulmeisters Tochter abgeholt, ein einfaches, doch auch gar liebes Mädchen, das einen weißen Strauß in den dunklen Haaren und am Mieder, und ein weißes Band in den Locken trug, und der Zug ging nun zur Kirmeßstange vor der Kirche. Hier tanzten erst die drei »Platzpaare« drei Tänze im Freien, welches Recht ihnen allein zustand, dann zog die ganze fröhliche Schaar auf den festlich geschmückten Tanzboden in das Wirthshaus.
Und das ging jetzt lustig da oben zu, denn ein solches Musikcorps war noch nicht im Ort gewesen, so lange Dreiberg stand. Das schmetterte durch den Saal, daß die Tanzlust sich aller Gäste bemächtigte. Die ersten drei »Reihen,« wie man es dort nennt, gehörten aber wiederum den Platzpaaren, die damit gewissermaßen die Kirmeß eröffneten; aber als die erst getanzt waren, hatte Jeder freien Zutritt, d. h. er mußte sich vorher bei den Platzburschen um fünf Groschen ein Band lösen, das er dann, wie eine Eintrittsmarke, im Knopfloch trug. Das berechtigte ihn zu freiem Tanz und freiem Bier bis zum Abendbrod.
Nach den drei ersten »Reihen« oder Tänzen hatten die Platzjungfern, für die ganze Kirmeßzeit, das Recht, sich ihre Tänzer selber auszusuchen, wenn sie eben Extratouren tanzen wollten. Nur der Platzbursche, der sich die Maid gewählt, konnte einspringen wann er wollte und einen Tanz verlangen – und das verstand sich auch von selbst und war ganz in der Ordnung.
Hans tanzte aber vor der Hand nur die ersten Reihen mit Lieschen, denn als erster Platzbursche bekam er zu viel zu thun, um neu Hinzukommende, die sich dem Tanz anschließen wollten, mit Bändern zu versehen, und Lieschen hatte sich nach ihm Herrn von Secklaub, der sich auch ein Band gelöst, ausgesucht, und zwar für zwei Tänze hintereinander. Dann forderte sie die beiden anderen Platzburschen auf, und darauf wieder Herrn von Secklaub. Aber auch aus der Stadt waren ein paar Bekannte herausgekommen, denen sie diese Gunst gewährte, und sie versäumte keinen einzigen Reihen bis zum Abendbrod.
Katharine hielt sich mehr zurück, obgleich sie es auch nicht gut vermeiden konnte, den und jenen aufzufordern. Mit den anderen Platzburschen mußte sie natürlich auch einmal tanzen, und Hans, der heut ganz wild und ausgelassen war, schwang sich mit ihr lustig im Kreise.
»Mach' kein so traurig Gesicht, Kathrin,« sagte er dabei zu seiner Tänzerin, »die Leute glauben Dir's ja sonst gar nicht, daß Du fidel bist, und warum sollten wir heute nicht alle fidel sein; es ist ja Kirmeß!«
»Ich bin ja lustig Hans,« sagte sie leise, ganz glücklich jetzt. »Hab' ich denn wirklich so ernst ausgesehen?«
»Wie der Herr Pfarrer auf der Kanzel,« lachte der junge Bursche, »aber sieh nur, wie der Mosje da drüben, der mit von Wetzlau gekommen ist, die langen Beine herumwirft. Er will uns hier auf dem Dorfe zeigen wie man tanzen muß, aber wir wollen einmal sehen ob er aushält, wenn's erst einmal in die dritte Nacht hineingeht. Da wird er wohl auf dem Rücken liegen und alle Viere strecken. Das weiß der liebe Gott, die Stadtleute haben gar kein Mark in den Knochen.«
»Wie hübsch Lieschen tanzt!« sagte Katharine.
»Ja,« meinte Hans, »aber man sieht's gar nicht vor den langen Kleidern. Ich weiß nicht, die Stadtmoden gefallen mir doch lange nicht so gut wie unsere Tracht. Du siehst viel hübscher aus, Kathrine, mit Deinen kurzen Röcken.«
Katharine war blutroth geworden, doch der Tanz auch gerade aus und Hans wurde zu einer neuen Bändervertheilung abgerufen, da er vor dem Abendbrod dies Geschäft übernommen hatte, und bis um neun Uhr, wo es zum Essen ging, kam er nur noch ein einziges Mal zum Tanzen, dann wurde er ja aber auch von seinem Amte abgelöst und konnte sich ganz seinem Vergnügen überlassen.
Natürlich führte jeder Bursche sein Mädchen zu Tische, und die Platzpaare saßen obenan, Hans mit Lieschen in der Mitte, und die anderen Beiden rechts und links, und wenn auch eben nicht viel gegessen ward, getrunken wurde desto mehr. Der Tisch brach aber trotzdem fast unter den verschiedenen Speisen, und Kalbsbraten, Schweinebraten, Truthahn, Gans, Enten, Hühner und Schinken, deckten mit einer Menge von Zuspeisen und süßen und sauern Sachen die Tafel wirklich von einem Ende bis zum anderen. Der Bauer, so mäßig er sonst lebt, hält etwas darauf, daß bei solchen Gelegenheiten die Speisen gut und hauptsächlich in Masse da sein müssen. Und hier war es noch besondere Ehrensache, daß es auf ihrer Kirmeß an nichts fehle, damit die Burschen, die von anderen Dörfern herüber gekommen waren, sich nicht am Ende später über die Festgeber lustig machten.
Es war überhaupt eine eigene Sache mit dem Besuch von anderen Dörfern, und dieser, wenn auch gestattet, doch immer nur mehr geduldet als gern gesehen. Mit dem größten Vergnügen konnten die Burschen kommen, mit trinken und mit tanzen, aber sie durften kein Mädchen »aus unserem Dorfe« besonders auszeichnen, oder gar Abends heimführen wollen. Nachher gab es böses Blut. Die Burschen wurden dann, zwar nicht gerade von den Platzburschen, aber von den Uebrigen, geneckt und gehänselt. Man spielte ihnen jeden Schabernack, den man nur gelegentlich anbringen konnte, und setzten sie sich zur Wehr oder nahmen sie nicht Alles gutmüthig hin, dann kam es auch wohl zu Thätlichkeiten, und der Tanzboden verwandelte sich plötzlich aus einem Lust- in einen Kampfplatz. Es geschah aber doch verhältnißmäßig selten, denn die fremden Burschen wußten schon, wie sie sich zu benehmen hatten, und die »hiesigen« hielten ebenfalls soviel als möglich mit solchen »letzten Hülfen« zurück, weil sie ja doch auch manchmal die Nachbardörfer besuchten, wo ihnen alsdann hätte Aehnliches widerfahren können.
Vor Tische fiel überhaupt nie eine derartige Scene vor, und der erste Tag verging fast jedes Mal in Ruhe und Frieden.
So auch hier. Heute tanzte das junge Volk bis zwei Uhr des andern Morgens. Jeder im Ort wohnende Tänzer geleitete dann sein Mädchen heim, und am andern Morgen fing die Musik schon wieder um zehn Uhr an zu spielen. Auch an diesem Tage fiel nichts Bemerkenswerthes vor, und Jeder stimmte damit überein, daß eine so prachtvolle und reiche Kirmeß noch gar nicht in Dreiberg gefeiert worden wäre und eine so friedliche ebenfalls nicht.
Am dritten Tage kam, etwa um drei Uhr Nachmittags, Herr von Secklaub wieder nach Dreiberg, der in der That einen Zwischentag gebraucht hatte, um sich ordentlich auszuruhen, und die Burschen zischelten und lachten über ihn, als er den Saal betrat. Er ließ sich aber dadurch wenig stören, und Lieschen entschädigte ihn auch bald dafür, da sie ihn, von ihrem Recht Gebrauch machend, gleich zu dem nächsten Tanz abholte.
Mit Dunkelwerden hatte Katharinens Tänzer, der Soldat gewesen war und in der Stadt eine Menge neue Tänze gelernt zu haben schien, von denen man auf dem Lande eben keinen Gebrauch machte, eine Française oder einen Contre-Tanz vorgeschlagen. Erst wollten die Mädchen nicht darauf eingehen, zuletzt aber, unter Kichern und Lachen, stellten sie sich an, die drei Platzpaare und noch ein anderes. Der arme Teufel, der den Tanz vorgeschlagen, bereute es jedoch bald bitter, denn sie machten ihm das Leben dabei sauer genug. Die Mädchen begriffen trotzdem ziemlich rasch, wie sie sich dabei zu verhalten hätten, und von Lieschen unterstützt ging es schon gar nicht so schlecht. Die Burschen ließen sich aber desto ungeschickter an, und Hans besonders konnte das Ding nicht in den Kopf, oder vielmehr nicht in die Füße kriegen.
Herr von Secklaub, der zum vierten Paar gehörte, war dagegen in diesem Tanz vollkommen zu Hause, und daß er sich so geschickt dabei benahm und Hans so hölzern, ärgerte diesen ganz besonders. Das dauerte aber nicht lange. Hans sowohl, wie die andern Platzburschen, bekamen das »Durcheinanderdrehen« bald satt. Mitten drin ließen sie abbrechen, und wieder wirbelten die Paare in einem rasenden Rutscher dahin und umeinander herum.
Jetzt wurde zum Essen trompetet und Lieschen stand einen Augenblick allein, da Hans nach dem anderen Ende des Saales gerufen wurde, wo ein Streit entstanden war, ob ein Fremder sein Band gelöst habe oder nicht. Secklaub, der den letzten Tanz frei geblieben, trat auf Lieschen zu und bot ihr seinen Arm, um sie zu Tische zu führen.
»Ich weiß nicht ob ich darf,« flüsterte sie, »Hans könnte es übelnehmen.«
»Aber wenn er Sie so vernachlässigt, mein Fräulein,« sagte der junge Mann, »so darf er sich doch darüber nicht beklagen. Kommen Sie, ich will Sie ja nur begleiten und stehe dann gern von näheren Anrechten zurück.« Er ließ auch keinen Widerspruch zu, zog Lieschens Arm in den seinen und führte sie zu Tische.
»Na?« sagte Katharinens Platzbursche, den Fremden erstaunt ansehend, als dieser mit seiner Dame an den oberen Theil des Tisches trat, »blöde sind Sie gerade nicht. Ist das etwa der Stellvertreter für den Bräutigam, Jungfer Braut?«
Lieschen wurde feuerroth, ehe sich aber Secklaub zurückziehen konnte, stand Hans neben ihm und seinen Arm ergreifend, daß die blauen Flecke daran noch acht Tage sichtbar blieben, sagte er eben nicht höflich: »Will der Herr wohl so gut sein und die Hand davon lassen? Das ist meine Platzjungfer, und die hat Niemand anders zu Tisch zu führen, als ich selber!«
»Hans, fang' keinen Streit an,« bat Katharine leise flüsternd, indem sie seinen Arm ergriff. »Er hat es ja auch nicht so bös gemeint. Er weiß ja nicht was hier Sitte ist.«
»Sie entschuldigen,« sagte Secklaub, dem es nicht unangenehm war, daß ihn Hans wieder losließ, »ich wußte nicht, daß ich dabei einen Eingriff in Ihre Rechte beging, aber Fräulein Erlau –«
»Komm, Lieschen,« sagte Hans, vor den Fremden tretend und ihm den Rücken kehrend, während er seine Braut auf ihren Stuhl niederzog, »setz' Dich und mach' Dir's bequem. Und nun wollen wir einmal tüchtig einhauen, denn ich bin nicht schlecht hungrig geworden.« Den Stadtherrn beachtete er gar nicht mehr, und Herr von Secklaub zog sich, eben nicht erfreut von der Behandlung, an das andere Ende der Tafel zurück. Mit den Bauerburschen konnte er doch nicht gut Streit anfangen.
Um halb elf Uhr begann der Tanz von Neuem, und es wurden jetzt blaue Bänder ausgegeben. Vor Tische waren wieder rothe getragen worden. Katharinens Platzbursche hatte die Vertheilung derselben. Das ging auch rasch und ohne Schwierigkeit vor sich, und das junge Volk warf sich der Lust wieder mit solchem Eifer in die Arme, als ob das der erste Abend gewesen wäre und sie nicht schon zwei halbe Nächte durchtanzt hätten.
»Hallo, Freund,« begann Katharinens Tänzer, der mit seiner Sparbüchse in der Hand durch die Reihen schritt und jetzt damit, dicht vor Herrn von Secklaub, klapperte. »Ihr habt noch Euer Band von vor Tisch ein; bitt' um die fünf Groschen, hier ist ein anderes.«
»Bitte um Verzeihung,« sagte Secklaub, indem er in die Westentasche griff und sein blaues Band herausholte und vorzeigte, »ich habe es mir eben von Ihnen selbst eingelöst und trage nur das rothe, weil es mir besser gefällt.«
»So? na, das ist Geschmacksache,« sagte der Bursche, »aber wenn Sie hier mittanzen wollen, müssen Sie das blaue tragen, wie's meine Platzjungfer trägt, nicht dem Hans seine, verstehen Sie mich? oder ich komme wieder mit der Büchse,« und damit wandte er sich lachend ab, und Herr von Secklaub knüpfte das blaue Band zu dem rothen.
»Tanz' nicht mehr mit dem Herrn mit dem Schnurrbart!« flüsterte Katharine leise dem Lieschen zu.
»Und warum nicht?« frug diese rasch und etwas heftig zurück.
»Die anderen Burschen haben schon darüber gesprochen,« warnte sie das junge Mädchen. »Sie haben auch heut Abend 'was im Kopf, und es könnt' sonst Streit geben. Es wär' besser wenn er ganz wegginge.«
»Sie dürfen ihm nichts thun,« sagte aber Lieschen trotzig, »er ist Gast hier in Dreiberg und hat seine Musik bezahlt, so gut wie die Andern, auch noch Niemanden beleidigt, und der Hans ist doch schon vorhin recht grob mit ihm gewesen.«
»Sei dem Hans nicht böse drüber, Lieschen,« bat Kathrine gutmüthig, »Du weißt, daß die Platzburschen ihre Rechte haben und sich nicht gern 'was davon nehmen lassen. Es kostet ihnen ja auch viel Geld. Uebrigens war's gewiß nicht so bös gemeint; Hans ist nun einmal so gradhin.«
»Er hätte mehr Lebensart haben sollen,« zürnte Lieschen noch immer. »Uebrigens hab' ich als Platzjungfer auch meine Rechte und kann tanzen mit wem ich will.«
»Das kannst Du, ja, Lieschen,« beschwichtigte sie das junge Mädchen, »aber thu's mir zu Liebe nicht mehr heut' Abend mit dem fremden Herrn. Es läuft wahrhaftig nicht gut ab.«
»Unsere Kirmeß!« jubelte da mit einem hellen Juchzer Katharinens Tänzer dicht neben ihnen, umschlang das junge Mädchen und wirbelte mit ihm zum Tanze fort; Lieschen aber, durch die Warnung nur noch mehr gereizt, ging geraden Weges auf den etwas abseits stehenden Secklaub zu, bot ihm die Hand und trat in die Reihe ein.
»Du, Hans,« sagte da einer der Dreiberger Burschen, indem er ihn auf die Schulter klopfte, »wer ist denn hier eigentlich Platzbursch', Du oder der da?« und damit zeigte er auf den gerade vorbeitanzenden Secklaub; »einen Strauß trägt er auch schon im Knopfloch.«
»Ach laß ihn,« sagte Hans, indem er dem Paar mit einem finsteren Blick folgte, »was weiß der Laffe von unseren Gebräuchen hier!«
»Ei zum Henker,« rief ein Anderer, der daneben stand, »dann muß man ihn gescheidt machen. Von meinem Mädchen wollte er vorher einen Kuß haben, die hat ihn aber schön ablaufen lassen. Das weiß ich, wenn er mir so in die Quere käme, ich wollt' ihm bald zeigen, wo der Zimmermann das Loch gelassen hat.«
Hans, obgleich er ein bischen viel getrunken, wollte doch nicht gern Streit anfangen. Das Necken der Kameraden war ihm aber doch nicht recht, und als der Erste jetzt sogar wieder spöttisch meinte, das Heimführen würde der ihm wohl auch ersparen, da er die Jungfer gewiß gleich heute Abend nach Wetzlau hinüberbrächte, stieg ihm das Blut in den Kopf. Noch ein paar Minuten blieb er mit verschränkten Armen stehen, dann aber, als er sah, wie der Fremde seinem Mädchen eine Menge Sachen in's Ohr flüsterte, schritt er plötzlich ruhig, aber entschlossen zwischen den Tanzenden durch, gerade auf das Paar zu, und Lieschen an der Hand nehmend, zog er sie mit sich fort und sagte: »Komm, Jungfer, Du hast jetzt genug mit dem Herrn da getanzt.«
»Aber, Hans!« rief Lieschen erschreckt und zugleich beleidigt, denn die Mädchen in der Nachbarschaft lachten.
»Entschuldigen Sie,« rief aber auch Herr von Secklaub, »die Dame hat, so viel ich weiß, das Recht –«
»Hier sind keine Damen,« trat ihm ein anderer Bursche, der schon darauf gewartet hatte, gerade vor das Gesicht, »das da ist dem Hans seine Platzjungfer – verstanden?«
»Mit Ihnen habe ich gar nichts zu schaffen,« sagte der junge Mann und wollte ihn bei Seite schieben. Das war gefehlt.
»Na, das auch noch?« rief der junge kräftige Bursche und warf Secklaub's Arm zurück, daß dieser gegen einen der Kameraden anflog.
»Oho!« schrie dieser, indem er den Städter augenblicklich beim Kragen faßte, denn fast die sämmtlichen Burschen hatten viel weniger auf eine Ursache, als einen Anfang gewartet, »wissen Sie nicht, wie man sich zu benehmen hat? Treppe frei!«
»Treppe frei! Treppe frei!« schrie die jubelnde Schaar. Herr von Secklaub wollte sich zur Wehr setzen, allein, lieber Gott, in den Händen der Burschen war er wie ein kleines Kind, und während die Uebrigen lachend und schreiend beiseite wichen, wurde der arme Teufel ohne Weiteres mehr zur Treppe getragen, als geführt und dort mit einem »Kopf weg, da unten!« hinabgesandt. Er polterte auch die ziemlich steilen Stufen bis unten hin, raffte sich dann auf und schien einen Augenblick nicht übel Lust zu haben, in voller Wuth wieder nach oben zu stürmen. Das aber wäre blanker Wahnsinn gewesen, denn wenn er sich auch kräftig genug fühlte einem Einzelnen Stand zu halten, hätte er dort oben den ganzen Schwarm gegen sich gehabt. So war er denn, mit zerrissenem Rock und ohne Hut, genöthigt, sein Pferd zu bestellen, das ihm der Hausknecht bald brachte. Uebrigens nicht gewillt, im bloßen Kopf heimzureiten, nahm er unten im Haus die erste beste Kopfbedeckung, von denen dort überall genug an den Nägeln hingen, stülpte sie auf und galoppirte kaum eine Viertelstunde später, eben nicht besonders gut gelaunt, in die dunkle Nacht hinein nach Wetzlau hinüber.
Die Kirmeß war vorbei, und am Freitag Morgen geleitete Hans seine Braut wieder, mit der vollen Musik, nach Wetzlau hinüber. Am nächsten Sonntag zur Nachkirmeß war aber Lieschen unwohl geworden und konnte nicht nach Dreiberg kommen. Sie hatte spät am Sonnabend Abend noch einen Boten hinüber gesandt, damit die Musik nicht umsonst käme, um sie abzuholen.
Hans fühlte sich unbehaglich darüber, denn er wußte recht gut, daß ihn die Dreiberger Burschen auslachen würden, wenn ihn seine Platzjungfer im Stich ließ. Und war sie auch so ernstlich krank? – das wäre ja noch viel schlimmer gewesen. Am Ende war sie nur ein wenig böse auf ihn, des letzten Abends im Wirthshause wegen. Trug er denn aber die Schuld? Der Fremde hatte ja mit den anderen Burschen Streit bekommen, und er bei der ganzen Sache keine Hand angelegt, ja, dem Stadtherrn nicht einmal ein böses Wort gesagt. – Und was ging sie auch überhaupt der Laffe an, daß sie ihm seinetwegen böse sein konnte – und doch war sie an jenem Abend gar nicht mehr so freundlich mit ihm gewesen, wie sonst. Die Botschaft von Wetzlau aber konnte er nicht aus dem Kopf bringen und beschloß endlich am nächsten Morgen mit Tagesanbruch selber hinüber zu reiten.
Der Vater war an demselben Tage nochmals in der Stadt gewesen, und es schien fast, als ob er jetzt bald einen Heimathschein, und zwar von hier, erhalten würde. Der alte Barthold hatte nämlich, des ewigen Hin- und Herschreibens müde, drinnen erklärt, daß er seinem Sohn sein Gut in Dreiberg übergeben würde. Dadurch wurde Hans ansässig, und sie konnten ihm dann das Heimathrecht nicht länger versagen. Der Traubenwirth hatte ihn dazu vermocht, ihm dauerte selber die Sache zu lange und er wünschte, daß die Hochzeit recht bald sein könnte, weshalb, sagte er aber dem alten Barthold nicht.
Das war doch wenigstens eine gute Nachricht, die der Hans mit hinüber nach Wetzlau nehmen konnte, und eben schaute am anderen Morgen die Sonne über die östlichen Gebirgshänge herüber, als er auf seinem Braunen in den herrlichen Herbstmorgen hineintrabte. Eigentlich war es noch ein wenig früh für einen Besuch, aber auf dem Lande wird es nicht so genau genommen, und daß Lieschen, wenn nicht ernstlich krank geworden, schon um diese Zeit auf und munter sei, wußte er außerdem.
Zu Pferd brauchte er auch nicht den nichtswürdigen Fahrweg einzuhalten, wenigstens ein kleines Stück vor Wetzlau konnte er abschneiden, wenn es auch verboten war den Pfad zu reiten, weil man damit das Chausseehaus umging. Dadurch kam er gleich hinter dem Wirthshaus in's Dorf, und da er die Gartenpforte offen fand, ritt er hinein, hing den Zügel seines Pferdes über den Ast eines Apfelbaumes – aufhalten durfte er sich doch nicht lange, er mußte ja zurück nach Dreiberg zur Nachkirmeß – und kam durch den Hof in das Haus.
Unten traf er das Hausmädchen, das ihm aber auf seine Frage, wie es Lieschen ginge, antwortete: »Die Jungfer? o, die ist ganz wohl. Sie war vorhin unten und ist eben wieder hinaufgegangen.«
»Also nicht krank, Gott sei Dank!« dachte Hans, als er die Treppe langsam hinanstieg, »und sollte sie mir da wirklich böse sein? ei, das will ich bald sehen, was sie für ein Gesicht macht, wenn sie mich zuerst sieht; ob sie nur so thut, oder ob sie's wirklich ist, und nachher muß der Alte gleich einspannen und sie wieder hinüberfahren lassen. Das wäre eine schöne Nachkirmeß ohne Platzjungfer! Ein Glück nur, daß ich herübergekommen bin!«
Damit hatte er den oberen Theil der Treppe erreicht und betrat eine Art Vorsaal, der in einige Gaststuben führte, dahinter lag eine Vorrathskammer, und links ab durch den Gang kam man in Erlau's Familienwohnung, wo Lieschens Zimmer dicht neben der Schlafkammer der Eltern lag. An der Treppe vorüber führte ein anderer Gang nach dem linken Flügel des Hauses, wo sich die gewöhnlich benutzten Gastzimmer befanden. Die an dieser Seite wurden nur in Ausnahmsfällen benutzt und standen meist leer.
Hier blieb Hans unschlüssig stehen, denn er scheute sich nach Erlau's Wohnzimmer hinüber zu gehen; es war ihm doch noch ein wenig zu früh, und er überlegte sich eben, daß es das Beste sei, wenn er lieber erst von unten das Hausmädchen hinaufschicke und Lieschen sagen lasse, er sei da und müsse sie einen Augenblick sprechen. Als er eben wieder umkehren wollte, hörte er drüben auf dem Gang den festen Schritt eines Mannes. Das war gewiß der Mosje mit dem Schnurrbart, der hinuntergehen wollte, dem mochte er nun gerade hier nicht begegnen, wenn er es vermeiden konnte, und eines der leeren Gastzimmer öffnend, trat er hinein und ließ die Thür angelehnt.
Der Schritt kam aber näher und mußte die Treppe längst passirt haben. Jetzt betrat er den diesseitigen Gang, es war wahrhaftig der alte Bekannte mit dem Schnurrbart; was hatte denn der auf dieser Seite des Hauses zu thun? Er konnte ihn, als er vorüberging, durch die Thürspalte deutlich erkennen, und dann blieb der Mensch auch noch gar dort stehen und ging auf dem kleinen Vorplatz auf und ab. Ob der Laffe nicht überall im Wege war!
Hans ärgerte sich, daß er in das Zimmer getreten war; wenn er es aber jetzt verließ, was mußte der Bursche dann von ihm denken? daß er sich hier versteckt gehalten? Nein, warten mußte er noch eine Weile, bis die Luft rein war. Der Mosje würde doch gewiß keine halbe Stunde da stehen bleiben.
Jetzt wurde die Gangthür geöffnet, er kannte sie am Knarren. Da kam am Ende Lieschen, und der alberne Mensch stand auf dem Vorsaal, und draußen wurde jetzt geflüstert. Hans horchte hoch auf, das konnte doch nicht Lieschen sein? gewiß eines der Dienstmädchen aus dem Hause.
Die Stimmen kamen näher, und dicht vor seiner Thür blieben die Beiden, wer es auch immer war, halten.
»O, geh fort, Otto,« bat jetzt Lieschens Stimme – dem Hans war genau so zu Muthe, als ob ihn Jemand mit einem Messer in's Herz gestochen hätte – »ich habe den Vater schon in seiner Kammer gehört, und wenn er Dich hier mit mir fände, wäre ich unglücklich. Er hat überdies schon Verdacht geschöpft und mir gedroht. Wenn uns nun Jemand hier zusammen sähe!«
»Aber, liebes, herziges Kind,« bat des Fremden Stimme, »ich muß heute in die Stadt, und werde unter vierzehn Tagen nicht zurückkommen. Ich konnte doch nicht fortgehen, ohne Abschied von Dir zu nehmen.«
»Und Du mußt fort?«
»Würde ich gehen, wenn ich nicht müßte? Ach Lieschen, jetzt fühl ich erst wie lieb ich Dich habe, und daß ich nicht ohne Dich leben kann. O mein Gott, wie soll das später werden?«
»Ich weiß es nicht,« seufzte das Mädchen, »aber der Vater gäbe seine Einwilligung nie zu unserer Verbindung, und ich bin jetzt unglücklich für meine ganze Lebenszeit.«
»So bist Du mir wirklich gut?«
»Von ganzer Seele.«
Die Thür, vor der sie standen und sich umfaßt hielten, öffnete sich plötzlich und Hans trat heraus. Er sah leichenblaß aus und schritt, ohne ein Wort zu sagen, langsam und den Blick stier auf Herrn von Secklaub geheftet, auf diesen zu.
»Hans!« stöhnte Lieschen emporschreckend, – er sah sie gar nicht – er wußte wahrscheinlich selber nicht genau was er that, und streckte nur langsam den Arm nach seinem Nebenbuhler aus. Dieser wich scheu einen Schritt zurück, denn der Blick des jungen Mannes kündete nichts Gutes.
»Hans!« rief nochmals Lieschen und warf sich ihm erschreckt entgegen, »was willst Du thun?«
Die Berührung des Mädchens schien ihn sich selber wiederzugeben. Er sah seine Braut starr an, machte sich dann von ihr los, drehte sich ab und stieg, ohne auch nur ein Wort zu sagen, die Treppe wieder hinab. Aber er that das, wie ohne eigenen Willen, als ob er von einer Maschine getrieben würde.
»Haben Sie die Jungfer gefunden?« frug ihn das Hausmädchen unten.
Er nickte nur mit dem Kopfe, schritt durch den Hof und den Garten, machte das Pferd los, stieg wieder auf, und sprengte wenige Minuten später in gestrecktem Galopp in der Richtung nach Dreiberg fort.
Eine Stunde später, und kaum noch einen Büchsenschuß von Dreiberg entfernt, fanden drei junge Bauern, die hinüber zur Nachkirmeß wollten, den Dreiberger Platzburschen besinnungslos auf dem Wege liegen. Er mußte jedenfalls mit dem Pferd gestürzt sein, das noch, etwa hundert Schritt von ihm entfernt, auf einer Kleestoppel weidete, und hatte sich den Kopf an den scharfen Steinen blutig geschlagen.
Die Burschen hatten aber Verstand genug, ihn nicht in solchem Zustande in seiner Eltern Haus zu tragen; die Mutter hätte den Tod vor Schreck davon haben können. Einer von ihnen holte deshalb das Pferd, setzte sich auf und sprengte voraus, um es dem alten Barthold zu melden, und die andern Beiden nahmen den Bewußtlosen in die Arme und trugen ihn dem Dorfe zu.
Eine halbe Stunde darauf lag Hans entkleidet, aber immer noch ohne Besinnung, in seinem Bett, während der Dorfchirurg seine Wunden – er hatte eine an der Stirn und eine über dem linken Schlaf – untersuchte und verband, und um das Bett standen in sprachlosem Jammer Vater und Mutter und die arme Katharine.
Das war eine recht gestörte Nachkirmeß heute in Dreiberg, denn es fehlte dabei ein Platzbursche und zwei Platzjungfern – aber getanzt wurde doch, das Fest mußte ja natürlich abgehalten werden, und wer fehlte, wurde eben durch Andere ersetzt. Was hätte auch eine Kirmeß in ihrem Gange aufhalten können?
Und wie traurig ging es indessen im Hause des alten Barthold zu, denn mit Hans wurde es nicht besser, und als er am zweiten, dritten, ja selbst am vierten Tag noch immer nicht zur Besinnung kam, da war es der Mutter, als ob sie sich selber mit in's Grab legen müsse, wenn sie sehen sollte, wie sie den einzigen Sohn hinaustrügen auf Nimmerwiederkehr.
Auch der Vater ging wie gebrochen umher; der alte Mann schien in den wenigen Tagen um doppelt die Anzahl von Jahren älter geworden zu sein. Er sprach fast mit Niemandem, und die Knechte hatten noch nie mit solchem Eifer ihre Arbeit gethan und nach ihrer Pflicht gesehen, wie in diesen Tagen, denn es war ihnen gar so unheimlich, daß der alte Mann nicht manchmal mit einem, aber immer gut gemeinten Donnerwetter dazwischen fuhr und ihnen auf die Finger sah. Die Einzige, die noch die Arbeit im Hause besorgte, war Katharine; aber wo sie sich eine Minute an ihrer Zeit abmüßigen konnte, saß sie oben am Bett des Kranken und strickte, und wenn sie Niemand sah – denn sie wollte die Eltern nicht noch trauriger machen – fielen ihr die großen schweren Thränen auf ihre Arbeit nieder.
So war der vierte Nachmittag gekommen. Der Vater hatte die ganze Nacht bei dem kranken Sohn gewacht, die Mutter war dann den ganzen Morgen bei ihm gewesen, und jetzt hatte Katharine bei ihm die Wacht. Die Arme hatte wieder eine Weile gestrickt, dann ließ sie die Arbeit in den Schooß sinken, und ihr Blick haftete an den todtbleichen Zügen des Kranken, bis sich ihr endlich von den vielen herausstürzenden Thränen die Augen verdunkelten. Da aber hielt sie sich nicht länger; am Bett fiel sie nieder auf die Kniee, drückte ihre heiße Stirn gegen das Unterbett und rief mit halblauter, von Schmerz und Jammer fast erdrückter Stimme: »O, laß ihn leben, lieber Gott, laß ihn leben! sei barmherzig und nimm ihn nicht seinen armen Eltern, die den Jammer ja nicht ertragen könnten. Wenn aber eines sterben muß, o Du barmherziger Gott, so laß mich es sein. Wie gern, wie gern sterb ich für ihn, und besser, viel besser wäre es ja auch, Du nähmst mich fort, ich werde ja doch mein ganzes Leben elend und verlassen sein.« Und halb an dem Bett niedersinkend, daß sie sich nur noch mit den Händen hielt, schluchzte sie, als ob ihr das Herz brechen müsse.
Während sie betete, hatte der Kranke auf dem Lager langsam die Augen geöffnet und erstaunt aufgesehen. Jetzt schloß er sie wieder; die Betende lag aber noch lange neben dem Bett zusammengebrochen und erhob sich erst, als sie draußen Schritte hörte. Es war der Vater, der in's Zimmer kam, um nach seinem Sohn zu sehen.
Nur einen Blick warf er nach dem Kranken, seufzte tief auf und wandte sich dann gegen das Mädchen, dem noch die hellen Thränen über die Wangen liefen.
»Arme Katharine,« sagte er herzlich, umfaßte sie und küßte ihre Stirn, »thut Dir's denn auch so weh, daß wir den Jungen verlieren sollen? Aber härme Dich nicht so ab, Kind, Du wirst uns ja sonst selber krank. Wir stehen Alle in Gottes Hand, Herz. Er hat ihn uns gegeben; will er ihn wieder nehmen – sein Name sei gelobt.«
Katharine legte sich jetzt an die Brust des Alten, und ihr Schmerz löste sich allmählich in lindernde Thränen auf.
»Geh' jetzt, Schatz,« sagte der Vater leise und richtete sie auf, »die Mutter hat nach Dir verlangt. Ich bleibe bei dem Jungen. Der Chirurg muß auch bald wieder kommen. Sowie er da ist, schick' ihn mir augenblicklich herauf, hörst Du?«
»Ja, Vater,« sagte Katharine, die sich gewaltsam zusammennahm, »ich geh' schon, nur frische Umschläge möcht' ich ihm noch geben, daß es ihm die Wunden wieder ein Bischen kühlt.«
Der Vater nickte still und langsam vor sich hin, und setzte sich dann auf den Stuhl, zu Füßen des Bettes, während Katharine mit vorsichtiger Hand die kalten Umschläge erneuerte und dann leise, als ob sie einen Schlafenden zu stören fürchte, das Zimmer verließ.
Der Vater saß, nachdem die Katharine schon lange hinausgegangen, noch immer so, den Blick auf das bleiche, kalte Antlitz des Sohnes geheftet. Endlich stützte er auf dem Lehnstuhl den Kopf in die rechte Hand und schaute stier und lautlos viele, viele Minuten lang vor sich nieder.
»Vater,« sagte da eine leise Stimme, und wie von einem Schuß getroffen, sprang der alte Mann empor.
»Vater!« Hans sah ihn aus den eingefallenen Augenhöhlen groß an, er lebte. Der Verwundete war zum Bewußtsein zurückgekehrt.
»Junge, Junge!« rief der Alte, und was der Schmerz und Jammer um den Todtgeglaubten nicht vermocht, das erzwang die Freude. Am Bette stürzte er nieder und des Sohnes Hand mit Küssen bedeckend, weinte er wie ein Kind.
Aber nicht lange konnte der starke Mann von solchem Gefühl bewältigt werden, und mit dem Bewußtsein – der Arzt hatte ihn besonders davor gewarnt – den Erwachten nicht zu sehr aufregen zu dürfen, sagte er, mit vor innerer Bewegung fast erstickter Stimme, indem er die Hand des Kranken drückte und streichelte: »Hans, lebst Du wieder, o, das ist brav! das ist brav! Aber lieg' still, mein Junge, rühre und rege Dich nicht. Der Doctor wird gleich da sein, und ich muß jetzt hinunter und es der Mutter sagen – und der Katharine – ich bin gleich wieder da, lieg' nur noch einen Augenblick still, mein Hans, nur einen Augenblick.«
Der alte Mann wußte selber kaum was er that. Die Glieder flogen ihm wie in Fieberfrost, und vor Freude bebend – er fand kaum die Thürklinke, eilte hinaus, um der Mutter die Botschaft zu bringen – »Dein Sohn lebt!«
Wie wär' es möglich den Jubel zu beschreiben, der jetzt das Haus erfüllte, denn der Chirurg hatte ihnen schon gesagt, wenn Hans wieder zum Bewußtsein käme, dann brauchten sie für sein Leben nicht mehr zu fürchten; nur ruhig müßten sie ihn halten. Das wollten sie auch, aber sehen mußten sie ihn erst einmal, nur einen einzigen kleinen Augenblick, und leise, selbst auf den Zehen, schlichen die Mutter und Katharine in die Kammer hinein. Als sie aber dem Blick des Sohnes und Bruders begegneten, der ihnen freundlich zulächelte, da konnten sie sich nicht mehr halten und thaten wie der Vater. Sie stürzten an sein Bett, und bedeckten seine Hand mit Küssen und Thränen. Aber der Alte stand jetzt Wacht.
»Hinaus mit Euch!« rief er in gutmüthigem Zorn, »wollt Ihr den Jungen rebellisch machen, daß er mir wieder ohnmächtig wird? Fort und hinunter, bis der Doctor kommt, ich bleibe so lange bei ihm auf Posten.« Und Mutter und Katharine die wohl wußten, daß der Vater Recht hatte, rissen sich von dem Wiedergeschenkten los, nickten ihm noch in seliger Freude zu und verließen jetzt das Zimmer, um sich unten in ihrer Stube recht von Herzen auszuweinen – doch es waren Freudenthränen.
»Aber Vater,« sagte Hans mit wohl noch sehr matter, indeß vollkommen deutlicher Stimme, »weshalb treibst Du die Mutter und die – die Kathrine hinaus? es fehlt mir ja Nichts mehr, und – ist denn die Kathrine heute nicht zur Kirmeß gegangen?«
»Fehlt Dir Nichts mehr? – so?« sagte der Vater, indem er ihn kopfschüttelnd betrachtete, »und heute zur Kirmeß? Weißt Du denn, welchen Tag wir heute schreiben, und wie lange Du dagelegen hast?«
»Nun? ist's nicht Sonntag? aber wie bin ich denn eigentlich hier in's Bett gekommen? was ist denn vorgefallen?«
»Heute Sonntag? Mittwoch ist heute und noch dazu Mittwoch Abend und der vierte Tag, daß Du hier liegst und keinen Bissen Essen, keinen Tropfen Wasser über die Lippen gebracht hast!«
»Mittwoch? aber wie ist das möglich?«
»Bist Du am Sonntag nicht mit dem Pferde gestürzt? Der Braune hatte ja doch die Spuren am Körper.«
»Mit dem Pferd gestürzt? – ja!« sagte Hans da plötzlich, und sein Antlitz, das sich beim Reden etwas gefärbt hatte, wurde wieder leichenblaß, »als ich von Wetzlau herüberkam. Der Braune stolperte auf dem schlechten Weg – ich glaube, er stürzte auch – aber weiter weiß ich mich auf Nichts zu besinnen.«
»Ja, weil sie Dich nachher für todt hier in's Haus trugen. Und was für Sorge haben wir um Dich gehabt, die Mutter und die Kathrine und Deine Braut!«
»Meine Braut?« sagte der Hans leise.
»Nun gewiß,« sagte der Alte. »Wir mußten ihr doch natürlich gleich die Botschaft hinüberschicken, und als sie am Montag selber mit dem Traubenwirth oben war und Dich hier auf dem Bett wie todt liegen sah, hat sie geweint, als ob ihr das Herz brechen müßte. Jetzt ist sie selber krank und liegt im Bett, aber alle Tage hat sie herübergeschickt, um fragen zu lassen, wie es Dir geht; manchmal zwei Mal an einem Tag. Es soll mir auch gleich ein Bote nach Wetzlau, daß sie sich mit uns freuen können.«
Hans sank wieder auf sein Kopfkissen zurück und schloß die Augen. Der Kopf that ihm noch weh und das Besinnen that ihm auch weh, und doch hätte er in dem Augenblick Gott weiß was darum gegeben, wenn er gewußt hätte, was jetzt wirklich geschehen sei und was er nur geträumt habe. Wie ihm das Alles so wild und toll in seiner Erinnerung durcheinander schwamm – er konnte die einzelnen, verworrenen Bilder gar nicht von einander trennen.
»Hans,« rief der Vater ängstlich, »bist Du wieder krank?«
»Nein, Vater,« sagte der junge Bursche leise, ohne aber die Augen noch zu öffnen, »der Kopf schwindelt mir nur. Laßt mich einmal einen Augenblick ausruhen; es wird gleich wieder besser werden.«
Hans hatte auch nicht zu viel versprochen. Eine solche Natur, wie er, kann wohl einmal geworfen werden, aber sie arbeitet sich auch wieder kräftig nach oben, und Träume und Phantasien können nie lange Gewalt über sie haben. Doch die Augen durfte er nicht dazu geschlossen halten; er mußte sehen, was um ihn her vorging, und wie er wieder in das ängstlich besorgte Gesicht des Vaters schaute, kam ihm die Erinnerung an das Vergangene, an – das wirklich Geschehene, klar und deutlich zurück.
»Wo ist die Kathrine, Vater?« sagte er leise.
»Die Kathrine? unten bei der Mutter. Laß die Frauen nur noch eine Weile gehen, denn die machen Dich sonst nur noch unruhiger, als Du schon bist. Aber ich hab' Dir auch eine gute Kunde zu melden, Hans – eine recht gute Kunde.«
»Eine gute Kunde?«
»Dein Heimathschein ist angekommen. Jetzt ist's auf einmal schnell gegangen. Aber nun mach' auch daß Du wieder auf die Füße kommst. Ich hab Dir das ganze Gut verschrieben, und da mußten sie ihn Dir wohl geben, denn Du bist ja jetzt Landeigenthümer geworden und kannst nun heirathen, wann Du willst. Aber nach Gotha werden wir doch noch müssen, denn die Herren Geistlichen sind zäh und wollen nicht nachgeben.«
»Wo ist denn die Kathrine, Vater?«
»Aber was hast Du nur mit der Kathrine? unten, ich hab' Dir's ja schon vorher gesagt; bei der Mutter.«
Wieder schloß Hans die Augen und schien jetzt wirklich müde geworden zu sein, denn als ihn der Vater wieder anredete, bewegte er nur leise die Hand und öffnete die Augen nicht. Da er aber ruhig und regelmäßig athmete, war der Alte vernünftig genug, ihn nicht weiter zu stören, und zwei volle Stunden blieb er so liegen, während die Frauen ein paar Mal leise das Zimmer betraten, aber immer wieder auf den Zehen hinausschlichen, sobald sie den Schlaf des Kranken bemerkten.
Gegen Abend kam der Chirurg, und als Hans die fremde Stimme hörte, öffnete er die Augen. Er hatte wirklich geschlafen und fühlte sich dadurch merklich gestärkt.
Der Chirurg war außerordentlich zufrieden; der Puls ging ruhig, die Kopfwunden waren nur noch wenig entzündet. Wundfieber hatte er gar nicht gehabt, und mit einiger Ruhe hoffte jener ihn in ein paar Tagen wieder auf den Füßen zu haben.
»In ein paar Tagen?« lächelte Hans, »ich stehe morgen auf, Doctor, die Schrammen am Kopf heilen auch so.«
»Und fallen mir nachher wieder um,« sagte der Chirurg.
»Denke nicht daran,« meinte Hans.
»Nur nicht zu früh,« warnte der Doctor, als er das Haus verließ, »daß wir keinen Rückfall kriegen.«
Mutter und Katharine durften jetzt bei ihm bleiben, und als das junge Mädchen wieder zu seinem Bett trat, nahm er ihre Hand, drückte sie leise und sah ihr so lange in die guten blauen Augen, bis sie den Blick vor ihm zu Boden schlug. Aber eine große Veränderung zum Besseren war mit ihm vorgegangen. Er schien die anfängliche Schwäche schon fast abgeschüttelt zu haben, und die Mutter war ganz glücklich, daß er ihr so aufmerksam zuhörte, als sie ihm Alles erzählte, was indessen in Dreiberg vorgegangen, seit er dagelegen, wenn er auch Katharine immer dabei anschaute.
»Vater,« fragte Hans, nachdem die Frauen zur Bereitung des Abendbrods hinuntergegangen waren und er eine Weile schweigend in seinem Bett gelegen, »habt Ihr nach Wetzlau hinübergeschickt?«
»Ei gewiß,« lautete die Antwort, »der Bote ist auch schon zurück. Er hat aber die Liese nicht selber gesprochen, doch ist sie wieder auf und gesund. Sie lassen Dich Alle herzlich grüßen und Dir Glück wünschen.«
»Vater, ich möchte jetzt nicht gern mehr viel Zeit verlieren, bis ich meinen eigenen Heerd gründe.«
»Aber wohl und gesund mußt Du doch erst wieder sein.«
»In vierzehn Tagen werden kaum noch die Narben zu sehen sein, und so lange braucht's ja doch zu dem Aufgebot,« meinte Hans.
»Hm,« sagte der Vater, »aber da kommt uns wieder die verwünschte Geschichte mit dem Consistorium dazwischen. So rasch geht die Sache nun auf keinen Fall.«
»Ich hab' mir das Alles anders überlegt, Vater,« sagte der Hans ruhig, »wir brauchen das Consistorium gar nicht – ich heirathe die Kathrine.«
»Hans!« rief der Vater und fuhr erschreckt von seinem Stuhl in die Höhe, denn er glaubte im ersten Augenblick, sein Hans sei durch den Sturz im Kopf verwirrt geworden, »um Gottes willen, Junge, was hast Du? was ist mit Dir? Du solltest noch nicht so viel nachdenken, Du solltest hübsch still liegen und Dich ruhig halten.«
Hans, der wohl ahnen mochte was sein Vater fürchtete, lächelte still vor sich hin; endlich sagte er: »Die Kathrine hat mich lieb, ich weiß es. Vorhin hab' ich's gehört, als sie noch glaubte, ich könnte sie nicht hören, und ich bin ihr auch von Herzen gut, und sie paßt besser für mich, für uns Alle, als das Lieschen.«
»Aber der Traubenwirth hat mein Wort, das Lieschen hat Deins. Das geht im Leben nicht und brächte Schand' auf uns Alle,« rief jetzt der Alte, denn der Hans sprach zu vernünftig, als daß er nun nicht hätte merken können, es sei ihm Ernst.
»Wär' Euch die Kathrine zur Schwiegertochter recht, Vater?«
»Was hilft das Fragen, Hans? zerquäl' Dir den Kopf nicht mit derlei Dingen,« mahnte der Vater ab, doch noch immer nicht so ganz beruhigt. Wie kam der Junge jetzt nur auf die Kathrine?
»Bitte, beantwortet mir nur die eine Frage,« bat Hans, »wär' Euch die Kathrine zur Schwiegertochter recht?«
»Wenn Du sie früher gewählt hättest, ich wollt nichts dagegen sagen,« setzte er zögernd hinzu, »aber so –«
»Vater, wollt Ihr mich einen Augenblick ruhig anhören?«
»Du darfst nicht so viel sprechen.«
»Nur ein paar Worte, ich muß es vom Herzen haben, und Ihr müßt morgen ganz früh nach Wetzlau reiten und mit dem Traubenwirth sprechen.«
»Und was ist's?«
Hans lag noch eine Weile still, dann erzählte er dem Vater mit kurzen, einfachen Worten die ganzen Erlebnisse, erst von dem letzten Kirmeßabend, dann von jenem Sonntag-Morgen, was er gehört und was er selber gesehen und der Vater saß dabei und schüttelte nur unablässig mit dem Kopfe. Und dann erzählte Hans weiter, wie er wieder zur Besinnung gekommen sei und wie Katharine an seinem Bett gelegen und gebetet und was sie dabei gesagt habe. Und jetzt nickte der Alte und sagte leise: »Ob ich's mir nicht gedacht – ob ich's mir nicht gedacht!«
»Und soll ich das Lieschen jetzt noch heirathen, Vater? könnt' ich's nach dem, was vorgefallen ist, je wieder recht von Herzen lieb haben? und hat's mir nicht damit selbst mein Wort zurückgegeben?«
Der Alte antwortete nichts, er war aufgestanden, kraute sich den Kopf und ging eine ganze Weile im Zimmer auf und ab. Endlich rief er: »Morgen früh reit' ich zum Traubenwirth hinüber. Gern thu' ich's nicht, aber Recht hast Du. Wenn die Sache denn einmal so steht, mag sich das Lieschen den Stadtmenschen nehmen. In die Stadt paßt es auch besser mit den weiten Röcken, als zu uns in die engen Stuben – und die Kathrine?«
»Sagt ihr noch nichts, Vater,« bat Hans, »ich möchte sie selber darum fragen; auch der Mutter nicht; heute Abend bin ich doch zu schwach. Das viele Reden hat mich angestrengt, vielleicht auch der Hunger; aber da kommt die Mutter mit der Suppe, die wird mir gut thun. Mir ist ordentlich zu Muthe, als ob ich in einem ganzen Jahre nichts gegessen hätte.«
Hans hatte Recht gehabt. Die vier Tage Fasten paßten nicht zu seinem Körper, und als er einen großen Teller kräftige Fleischbrühe aufgegessen, fühlte er sich besser, legte sich auf die andere Seite und schlief sanft und ruhig bis zum andern Morgen.
Nach Sonnenaufgang lugte der Vater in's Zimmer herein und fand den Sohn schon munter und wohl in seinem Bett aufsitzen.
»Bleibt's beim Alten?« frug er nur; Hans nickte, und der alte Barthold ging hinunter, setzte sich auf den Braunen und ritt hinüber nach Wetzlau. Hans aber, durch den herrlichen Schlaf neu gestärkt, ließ sich von der Mutter seine Kleider geben, die Sonntagskleider, mit denen er zuletzt drüben in der Traube gewesen war, dann setzte er sich in den Lehnstuhl. Das Ankleiden hatte ihn doch ein Bischen mitgenommen, und er sah wieder etwas blaß aus und sagte, als die Mutter bald darauf in's Zimmer schaute und frug, ob er noch 'was brauche:
»Mutter, ich möcht' gern einmal die Kathrine sprechen.«
»Kann ich's nicht auch besorgen, Hans?«
»Nein, Mutter, Ihr nicht. Die Kathrine kann wohl einmal heraufkommen; die hat noch junge Beine – sie hat mir so noch nicht guten Morgen gesagt – und kann mir auch gleich den Kaffee mit heraufbringen.«
Die Mutter schüttelte mit dem Kopf, that aber des Sohnes Willen, und eine kleine Weile später kam Katharine mit dem Verlangten, setzte das kleine Kaffeebret auf den Tisch, ging dann zu Hans, reichte ihm die Hand und sagte: »Guten Morgen, Hans; Gott sei ewig gedankt, daß Du wieder aufsitzen kannst und so gut und wohl dabei aussiehst.«
»Guten Morgen, Kathrin',« erwiderte Hans, ließ aber die Hand noch nicht sogleich wieder los, die sie ihm geboten, »freut's Dich wirklich, daß ich wieder gesund bin?«
»Aber Hans, wie kannst Du nur so was fragen? Glaubst Du's nicht?«
»Doch, Kathrine,« sagte Hans, »gewiß glaub' ich's und gern noch obendrein.«
»Und das Lieschen wird erst eine Freud' haben. Der Vater ist heute Morgen hinüber und bringt's vielleicht gleich mit. Die ist gar krank geworden vor lauter Sorge, die arme Maid.«
»Meinst, Kathrine, daß sie wegen meiner krank geworden ist?«
»Aber was Du nur heut für sonderbare Fragen thust, Hans! Wegen wessen denn sonst?«
»Ja, ich weiß nicht,« sagte Hans und schaute still und sinnend vor sich hin, er wußte aber doch, wegen wessen. Kathrine hatte indessen ihre Hand wieder frei gemacht, schenkte ihm den Kaffee ein und rückte ihm dann den kleinen Tisch zu dem Lehnstuhl, damit er die Tasse leicht erreichen konnte. Sie hätte es ihm gern noch bequemer gemacht, wenn es nur möglich gewesen wäre.
»Der Kaffee wird kalt, Hans, wenn Du nicht trinkst,« sagte sie, »er ist ohnehin ein Bischen dünn, aber die Mutter wollte nicht, daß ich ihn Dir stark kochen sollte, weil er Dir sonst schaden könnte, wie sie meinte. Trink ihn nur wenigstens, so lang er noch heiß ist.«
Hans hörte gar nicht, was sie ihm von dem Kaffee erzählte, denn ihm gingen andere Dinge im Kopf herum.
»Heut' in drei Wochen soll die Hochzeit sein, Kathrine,« meinte er endlich, und sah das Mädchen fest und forschend dabei an.
»Ja, ich weiß schon,« sagte Katharine, aber viel leiser, als sie vorher gesprochen, »das Papier ist endlich gekommen.«
»Hast Du nichts dagegen, Kathrine?«
»Ich? Aber Hans, wie Du nur heut' bist? Was kann denn ich dagegen haben? und weshalb?« setzte sie noch viel leiser hinzu.
»Ja, Du wärst aber doch eigentlich die Hauptperson,« meinte Hans; »die Braut hat doch das Meiste dabei zu sagen.«
»Hans, das ist schlecht von Dir, daß Du einen solchen Scherz mit mir machst,« sagte Katharine. Sie war leichenblaß dabei geworden und es war, als ob die blauen Augen ein paar Glasdeckel bekommen hätten, so lagen ihr zwei große schwere Thränen darin und füllten sie bis zum Rande aus.
»Und wenn's nun kein Scherz wäre, Kathrine?« sagte Hans und streckte die Hand nach ihr aus, »wenn nun das Lieschen falsch gegen mich gewesen und der Vater heute hinübergeritten wäre, um dem Traubenwirth die Heirath aufzusagen? Wenn ich Dir nun von Herzen gut wäre, Kathrine, und gestern auch gehört hätte, was Du an meinem Bett gebetet, und keine Andere weiter auf der Welt möcht', als Dich, und Dich von Herzen bäte, daß Du das Kind im Hause bleiben und nur dazu noch mein Weib, mein liebes Weib werden wolltest, Kathrine?«
»Hans!«
»'s ist mein Ernst, Kathrine,« sagte Hans treuherzig, indem er ihr nochmals die Hand entgegenstreckte. »Das Lieschen hält's mit dem Stadtherrn. Ich hab's selber gehört, wenn sie auch nicht wußte daß ich dabei stand, daß sie ihn von Herzen lieb hat. Sie hat's ihm selber gesagt und ist ihm dabei auch um den Hals gefallen. Da war's aus mit uns Beiden, und blind und taub bin ich gewesen, daß ich nicht schon lange eingesehen habe, daß wir Zwei hier doch am besten zusammen passen. Wenn Du mich haben willst, schlag ein, Kathrine, und ich will Dir gut sein mein ganzes Leben lang.«
Und Katharine sagte gar nichts dazu, aber neben dem kranken Hans kniete sie nieder und lachte und weinte und war so glücklich, daß ihr das Herz hätte zerspringen mögen in der Brust.
Und wie der Kaffee dabei eisig kalt wurde, kam die Mutter herein und blieb vor Erstaunen auf der Schwelle stehen und schlug die Hände zusammen. Als sie aber hörte, was hier vorgefallen und wie es des Traubenwirths Tochter drüben getrieben und wie falsch sie gewesen und wie gut Hans der Katharine sei und Katharine dem Hans, da setzte sie sich mit hin und weinte und lachte, gerade wie Katharine. Und jetzt kam's auch heraus, daß das ihr heißester Seelenwunsch gewesen und sie sich vor der Zeit eigentlich gefürchtet hätte, wo Lieschen als Schwiegertochter in das Haus gezogen wäre, eben weil sie immer so vornehm und gar nicht wie ein Bauermädchen war. Aber sie hatte trotzdem nichts sagen mögen, weil man bei solchen Dingen – worüber aber die Meinungen verschieden sind – eigentlich keinem andern Menschen zureden müsse.
Gegen Mittag kam der Vater zurück. Drüben in Wetzlau war's heiß hergegangen. Der Traubenwirth hatte noch von nichts gewußt, und Lieschen war vor ihm auf die Kniee gefallen und hatte ihm gestanden, daß sie den fremden Herrn liebe und daß er sie heirathen wolle. Und der Traubenwirth war außer sich gewesen und hatte seine Tochter von sich gestoßen und sie allerhand schreckliche Namen genannt, und das hatte der alte Barthold endlich nicht länger mehr mit anhören können und war wieder fortgeritten nach Dreiberg.
Und an dem Mittwoch über drei Wochen war wirklich Hochzeit und der katholische Pfarrer dazu aus der Stadt herausgekommen. Wie aber die beiden jungen Leute eingesegnet waren und Hans sein glückliches freudeglühendes Weibchen im Arme hielt, da meinte der alte Barthold: »Hans, erinnerst Du Dich wohl noch dran, was Du damals sagtest, als uns der Heimathschein ausblieb und Du Dich für den unglücklichsten Menschen in der Welt hieltest, weil Du das Lieschen nicht gleich Knall und Fall heirathen konntest? Ich glaube, es war: ›ich wollte, ich wär' todt und begraben‹ und ›kein Mensch in der ganzen Welt hat mehr Unglück, als ich.‹ War's nicht so?«
Hans ließ beschämt den Kopf hängen.
»Siehst Du nun,« fuhr der Vater fort, »wie wohl und weise es der allgütige Gott da oben einrichtet, wenn wir armen Sterblichen hier unten auch manchmal nicht gleich einsehen können, wozu das oder das wohl gut sein könnte? Am Ende führt er doch immer Alles zum Besten hinaus, und wir Alle arbeiten nur in seinem Dienst und dienen nur zu seinen Werkzeugen – selbst die langsamen Behörden da drinnen in der Stadt,« setzte er lächelnd hinzu. »Aber jetzt mag das Vergangene vergessen sein, und nun segne Euch Beide Gott und seid glücklich miteinander.«
Und Hans und Katharine waren glücklich, und die Eltern sollten nie im Leben bereuen, daß sie die kleine Waise damals an Kindesstatt angenommen und sich ein wirklich Kind daraus erzogen hatten.
An dem nämlichen Abend aber, an dem Hans und Katharine mitsammen Hochzeit machten, lief des Traubenwirths Tochter mit ihrem Schatz heimlich davon, und man hat nie wieder von ihnen gehört, denn sie gingen miteinander nach Amerika. Der Traubenwirth aber überlebte die Schande nicht lange, die ihm sein Kind angethan. Er kränkelte von da an, und wie das Jahr um war, trugen sie ihn still hinaus in sein letztes Kämmerlein.
Wie ganz anders reisen wir jetzt, als früher; was für ein Drängen und Treiben ist das, in dieser vollkommen neuen Welt des Dampfes und der Elektrographen. Wie schnell fliegen wir, wie schnell fliegt die Zeit – und wie langsam gehen doch noch so viele Menschen in ihrem alten, ausgetretenen Gleis neben der Eisenbahn her, ja hielten uns wohl gern noch auf, um mit ihnen in Einem Tempo zu bleiben, denn jeder rasche Fortschritt ist ihnen zuwider. Aber eben so machtlos griffen sie in die Speichen der Zeit, wie in die Dampfräder des Fortschritts, und wir fliegen keck und freudig an ihnen vorbei, und lassen sie nachkeuchen.
Die Fahrt mit dem Dampfwagen ist freilich nicht mehr so gemüthlich, wie die frühere alte Postfahrt. In unserer praktischen Zeit hat die Gemüthlichkeit überhaupt erstaunlich abgenommen. Jetzt regiert der Eigennutz in der Welt, und wer einen Eckplatz im Coupé bekommen kann, lehnt sich behaglich hinein, streckt die Beine vor sich hin, und kümmert sich nicht um den Nachbar.
Das ganze Reisen ist auch ein anderes geworden. Früher gehörte ein Entschluß dazu, den alten Wohnsitz zu verlassen, um irgend einen entfernten Ort zu erreichen. Vor allen Dingen mußte man sich einen Paß mit genauer Personalbeschreibung verschaffen – Tagelang vorher eingeschrieben sein, um nicht in einem lästerlichen Beiwagen befördert zu werden – und dann die Abschiedsvisiten. – Jetzt dagegen trägt man die Paßkarte fix und fertig in der Tasche – oder braucht sie auch nicht einmal, und ist aus irgend einem entfernten Theil Deutschlands zurückgekehrt, ehe nur irgend ein Mensch eine Ahnung hatte, daß man überhaupt fortgewesen.
Die Reisenden selber verband früher auch schon der gemeinsame Entschluß – die lange Fahrt mit einander. Wo zum ersten Mal Mittag gemacht wurde, saßen die »Passagiere« von den »Gästen« des Orts getrennt, im »Passagierzimmer« allein und abgeschieden, oder im Gastzimmer an einem besonderen Theil des Tisches. Abends kehrten sie zusammen ein; Morgens tranken sie gemeinschaftlich Kaffee, und hatten im Postwagen wieder ein gemeinsames Leiden zu besprechen, das sie enger verband: die Klage über das letzte Nachtquartier.
Wie hat sich das in unserer Zeit geändert. Jetzt werden wir mit einer Anzahl von Personen zusammengeworfen, die uns nicht interessiren können, da sie vielleicht schon auf der nächsten Station aussteigen – selbst das wohin bleibt sich gleich, da sie uns wahrscheinlich nie im Leben mehr begegnen. »Reisegefährten« – das Wort existirt gar nicht mehr; man grüßt sich höchstens, wechselt vielleicht ein paar Worte mitsammen, und kennt sich nicht mehr, sobald man aussteigt, trotzdem man vielleicht eine Strecke gemeinschaftlich zurückgelegt hat, die unter frühern Verhältnissen eine feste und dauernde Freundschaft begründet hätte.
Das macht der Dampf: die Concentration der Zeit, wie man es nennen könnte, mit der wir in ein Coupé erst zusammengepreßt, und dann wieder gewaltsam auseinander geschnellt werden. Wer kann sich dabei gemüthlich fühlen? Wo ist die beschauliche Ruhe beim Reisen geblieben, mit welcher der »Schwager« vor der Abfahrt ein paar Stücke auf seinem Horn blies und das durch Verspätung eingetretene Zurücklassen eines Passagiers ein Ereigniß gewesen wäre, von dem man auf der Strecke noch Monate lang gesprochen hätte. – Jetzt dagegen ein rasches Läuten, ein Pfiff, und fort geht der Zug, ein unglückseliges Menschenkind aber, das in diesem Augenblick noch vielleicht verzweifelnd aus dem Wartesaal stürzte, kann nur mit bestürztem Gesicht hinter dem Davonbrausenden drein sehen, wird noch dazu ausgelacht, und ist von seinen früheren Mitpassagieren im nächsten Augenblick vergessen.
Und wie oft geschieht das. Der alte faule Schlendrian steckt da noch in einer Menge von Menschen, und kommen sie einmal hinaus in's Leben, treten sie aus ihrer Studirstube oder Werkstatt in's Freie, so hält es ungemein schwer ihnen begreiflich zu machen, daß die übrige Welt nicht auf sie wartet oder ihretwegen da ist – aber der Dampfwagen bringt's fertig.
Und was für wunderliche Leute führt er zusammen.
Es war im August vorigen Jahres, daß ich mit dem Schnellzug von Leipzig nach Coburg über Eisenach fuhr, und zwar die ersten Stationen mit einem Fremden allein im Coupé, der sich trotz der warmen Witterung in einen ziemlich dicken Mantel gehüllt, und seine Reisemütze fast bis über die Ohren gezogen hatte. Vom Gesicht war dabei nur sehr wenig frei, und das Wenige selbst ununterbrochen in eine dichte Wolke von Cigarrendampf gehüllt.
Da ich selber unterwegs nur höchst ungern spreche und nie selber eine Unterhaltung anknüpfe, mein zeitweiliger Reisegefährte aber die nämliche Neigung zu stiller Selbstbeschauung zu haben schien, so nahmen wir in verschiedenen, und zwar gerade den entgegengesetzten Ecken des Coupés Platz und qualmten um die Wette.
In Naumburg bekamen wir einen Mitgenossen, der aber, während er sich dem Dicken gegenübersetzte, ganz das Gegentheil von diesem zu sein schien.
Es war ein dünnes, kleines Männchen, nicht älter vielleicht als dreißig Jahr, aber seinem Gegenüber ordentlich wie zum Trotz ganz in Nanking gekleidet, ja er hatte noch dazu seine Weste aufgeknöpft, und ging dadurch auch sogleich zu Feindseligkeiten über, daß er das bis jetzt fest verschlossene Fenster, ehe es der Dicke verhindern konnte, herunter ließ.
»Bitte, es zieht,« sagte dieser – es war das erste Wort, was er bis jetzt gesprochen hatte – und beiläufig gesagt auch das letzte, das ich von ihm hörte, aber selbst das nutzlos.
»Nichts geht über frische Luft« – sagte der Kleine in Nanking – »Sie haben ja hier einen Qualm, daß man ersticken möchte.«
Er suchte jetzt auch, wie sich der Zug kaum wieder in Bewegung setzte, ein Gespräch mit Einem von uns Beiden anzuknüpfen, aber es mißlang ihm gänzlich. Eine nicht wegzuleugnende meteorologische Beobachtung über »schönes Wetter« wurde todt geschwiegen – eine Frage wohin die Reise gehe, an den Dicken, fand keine Antwort; ich selber that als ob ich schliefe, und so rasselten wir selbander an Kösen, Sulza und Apolda vorüber nach Weimar.
Der kleine Mann war dabei völlig rastlos; unaufhörlich sah er bald nach seiner Uhr, bald nach dem Fahrplan, den er schon ganz zerknittert hatte; bald holte er ein Buch heraus zum Lesen, steckte es aber augenblicklich wieder ein. Jetzt nahm er eine Prise – die er auch dem Dicken anbot, der aber nur mit dem Kopf schüttelte, jetzt zog er sich den Schuh aus und ließ einen kleinen Stein heraus; kurz er saß keinen Augenblick still. Wo auch der Zug hielt, ließ er sich öffnen, und schoß eine Weile auf dem Perron herum.
Er suchte Jemand, aber nicht etwa einen Bekannten, sondern nur ein menschliches Wesen, mit dem er sich unterhalten konnte, ja in letzter Verzweiflung griff er sich sogar den Schaffner auf, der aber nur so lange bei ihm aushielt, als er Zeit gebrauchte seine Dose zu öffnen und ihm eine Prise anzubieten.
Endlich in Weimar fand er das Gesuchte. Dort stieg ein etwas sehr ausgetrockneter Herr mit einer Brille auf, in jeder Hand einen Reisesack tragend und von seiner Frau, einer kleinen lebendigen Brünette gefolgt, in das Coupé. Ein Dienstmädchen das sie begleitet hatte, reichte noch einen großen Tragkorb voll Hutschachteln, Sitzkissen, Vorrathskörben und Regenschirmen, wobei sie die Dame Frau Professorin nannte, in den Wagen, wünschte glückliche Reise und zog sich dann in die Arme eines mittelstaatlichen Infanteristen zurück, der diesen Moment mit großem Takt in der Entfernung abgewartet hatte.
Der Professor suchte indessen, wie der Zug abpfiff – der Kleine in Nanking hatte eben noch Zeit gehabt, wieder in das Coupé zu springen – seine Brille, und als er diese gefunden hatte, seine Cigarrentasche, die sich endlich in dem Arbeitsbeutel seiner Gemahlin fand. Hiernach vermißte er aber plötzlich seinen Secretairschlüssel – der mußte daheim auf dem Tisch liegen geblieben sein, und er schien einen Moment nicht übel Lust zu haben, dem Zug ein Halt zuzurufen. – Seine Cigarrenspitze hatte er ebenfalls »in der Eile« zu Haus liegen lassen, kurz, im Laufe der Unterhaltung, an welcher der Kleine in Nanking jetzt den lebendigsten Antheil nahm, stellte sich heraus, daß noch eine ganze Menge von Dingen vergessen zu besorgen oder zurückgelassen waren und es bedurfte einiger Zeit, bis sich die beiden Ehegatten soweit beruhigten, das Unvermeidliche eben zu ertragen. Es war einmal geschehen und nicht mehr zu ändern.
Wir erfuhren jetzt auch in unglaublicher Geschwindigkeit, daß der kleine Mann in Nanking bis nach Fröttstedt wollte, wo ihn seine Braut mit ihren Eltern, die aus Eisenach gekommen waren, schon erwarteten, um von da an die Pferdebahn nach Waltershausen zu benutzen und dann zu Fuß nach Reinhardsbrunn und dem Inselberg zu gehen. Er war ein Angestellter aus Naumburg, hatte aber auf zwei Tage Urlaub bekommen und gedachte diese kurze Zeit mit einer Parforcetour durch den Thüringer Wald an der Seite der Geliebten auszufüllen.
Der Professor mit seiner Frau dagegen – denn auch das wurde uns nicht vorenthalten – gedachten nur diesen einen Tag von zu Haus wegzubleiben, da die Kinder und dringende Arbeiten und Geschäfte eine längere Erholungsreise nicht gestatteten. Das Ehepaar wollte nur nach Eisenach, dort die Wartburg besuchen, in irgend einer romantischen Schlucht ihr Mittagsmahl verzehren, und dann mit dem Abendzug wieder nach Weimar zurückkehren.
Der Mensch denkt und Gott lenkt.
In der Unterhaltung hatte uns die Frau Professorin ebenfalls damit bekannt gemacht, daß sie eine Schwester in Erfurt habe, die sich ihnen möglicher Weise auf ihrem Vergnügungsausflug anschließen wolle – jedenfalls würde sie am Bahnhof sein, um sie zu begrüßen. In diesem Augenblick hielt der Zug in Erfurt. Der Schaffner öffnete die Thür.
Erfurt – vier Minuten Aufenthalt!
Der Kleine schoß wie der Blitz zur Thür hinaus; es war eine ordentlich peinliche Unruhe in dem Menschen – und die Frau Professorin sah sich indessen nach ihrer Schwester um; in dem Gedränge am Zug konnte sie dieselbe aber nirgend erkennen, und da sie entfernter – wie sie ihrem Gatten zurief – einen blauen Hut zu entdecken glaubte, trat sie hinaus, um die Ersehnte zu finden.
Der Professor zeigte dabei nur geringe Theilnahme an dem Familienglied, sondern suchte wieder seine Brille, die er sich, wie er uns mittheilte, genau erinnerte beim Einsteigen gehabt zu haben, und die jetzt wie in den Boden hinein verschwunden schien. Er kniete nieder und suchte – in der verzweiflungsvollen Möglichkeit, daß sie unter die Füße gekommen sei – unter den Sitzen, griff hinter in die Polster, öffnete die Arbeitstasche seiner Frau und schien untröstlich über den Verlust. Er hörte dabei gar nicht wie es läutete, und kam erst wieder mit der Außenwelt in Berührung, als er die vermißte endlich in der Cigarrentasche entdeckte, in die er sie in Gedanken, wie in ein Futteral, hineingeschoben hatte. Zu gleicher Zeit fuhr aber auch der Kleine in Nanking in das Coupé, das unmittelbar hinter ihm geschlossen wurde und draußen pfiff es.
»Wo ist denn Ihre Frau Gemahlin?« sagte der Naumburger erstaunt.
»Herr Gott, meine Frau!« rief der Professor, und stürzte an diesem vorbei nach dem Fenster, das der Dicke schon hartnäckig wieder aufgezogen hatte. – Der Zug setzte sich langsam in Bewegung, in zitternder Hast ließ der unglückliche Gatte das Fenster nieder und fuhr mit dem Kopfe hinaus.
Draußen war noch eine Thür geöffnet, der Schaffner stand dort und neben ihm die Frau Professorin in athemloser Hast.
»Das ist nicht mein Coupé!« rief sie.
»Steigen Sie nur hier ein,« drängte der Schaffner.
»Elise!« rief in dem Augenblick der Gatte, und »dahinein gehör' ich!« antwortete jubelnd die Frau und flog auf dem Perron herunter, uns entgegen. – Aber hier war keine Thür mehr geöffnet und der Zug im Gang. Der Schaffner konnte nichts weiter thun, und »machen Sie auf! machen Sie auf!« schrie die Frau draußen und griff krampfhaft nach dem Schloß. Die Thür öffnete sich aber natürlich nicht, da sie nach unten von dem eisernen Vorleger gehalten wurde, und dortstehende Bahnbeamte sprangen außerdem gleich dazwischen, denn die geängstigte Frau hätte sonst verunglücken können. An Einsteigen war gar kein Gedanke mehr.
»Da drinnen sitzt mein Mann! Ich muß mit!« Das war das letzte, was wir von der Frau Professorin hörten, und der Professor, der den Kopf aus dem Wagen steckte und seine Frau mit den Augen suchte, bis der Zug unter den Festungstunnel schoß und er erschreckt zurückprallte, sank jetzt auf den Sitz am Fenster zurück und jammerte –
»Ja Du mein Gott, was soll jetzt werden!«
Der Kleine in Nanking tröstete ihn. Von der nächsten Station aus konnte er zurücktelegraphiren, daß ihm seine Frau mit dem bald nachkommenden Güterzug folge. Um fünf oder halb sechs waren sie dann immer wieder in Eisenach beisammen und es blieb ihnen an dem langen Sommerabend noch übrig Zeit zu einer recht hübschen Partie nach der Wartburg.
Der Professor griff dabei wie unwillkürlich an seine Westentasche und sagte:
»Wenn sie nur nachkommt – sie hat die Kasse.«
Es ließ sich aber vor der Hand wirklich nichts Anderes thun, und in Dietendorf hielt der Zug kaum, als der Professor schon nach dem Schaffner schrie, um die Thür geöffnet zu bekommen.
»Machen Sie rasch, es geht gleich wieder fort!« rief ihm dieser nach, aber der Professor hörte schon nicht mehr und sprang in flüchtigen Sätzen in das Telegraphenbüreau.
Hier stieg, während der Kleine in Nanking auf dem Perron lustwandelte, ein anderer Passagier ein, der sich dem Dicken gegenübersetzte und den Bahnzug nur als Droschke zu benutzen schien. Er war nicht allein sehr anständig, sondern auch sehr sorgfältig gekleidet, in schwarzem Frack und eben solchen Beinkleidern, seidener Weste und tadellos geknotetem weißen Halstuch. Ueberhaupt hatte er in seinem ganzen Wesen etwas Aengstliches und peinlich Ordentliches, das nirgends weniger hinpaßt, als in ein Eisenbahncoupé.
Als er einstieg und schüchtern grüßte, nahm er seinen zu einem Spiegel geglätteten Hut ab und setzte ihn vorsichtig neben sich hin, nahm ihn aber augenblicklich wieder in die Höhe, strich mit einer kleinen Taschenbürste die etwa verschobenen Haare sauber glatt, und setzte ihn wieder auf. Er schien sogar die entschiedene Absicht zu haben, ein paar fleckenlos neue weiße Glacéhandschuh anzuziehen, besann sich aber doch noch bei Zeiten eines Besseren, wickelte sie wieder zusammen und schob sie in die Tasche zurück.
Einen blauseidenen Regenschirm, obgleich keine Wolke am Himmel stand, hatte er neben sich auf den Sitz gelegt. Da schlug die Glocke wieder scharf dreimal an, und mit dem letzten Schlag saß der in Nanking im Coupé und auf dem blauen Regenschirm, von dem er aber, sich entschuldigend, wieder in die Höhe schnellte. Die Thür war geschlossen.
»Herr Jesus! ist denn der Professor noch nicht da?« rief er. »Heh Schaffner! es fehlt noch eine Person.«
Ein Pfiff antwortete ihm und fort rollte der Zug. Wir hörten noch etwas rufen, sahen wie die weiter vorwärts am Perron stehenden Leute lachten – und nichts mehr. Der Professor hatte sich subtrahirt.
»Na das ist göttlich!« rief der Kleine in Nanking – »jetzt will der gute Herr eine Vergnügungstour mit seiner Frau machen, und hat in der ersten Stunde sich, seine Gattin und sein Gepäck auf drei verschiedenen Stationen. Na wie die sich wieder zusammen finden wollen, ist mir auch ein Räthsel.«
»Hat Jemand den Zug versäumt?« frug der Herr im schwarzen Frack, indem er seinen etwas zerdrückten Regenschirm vornahm, wieder halb öffnete, schloß, glättete und dann hinter sich legte.
»Nun natürlich,« lautete die Antwort – »ein Professor aus Weimar – was fangen wir jetzt mit den Sachen an?«
»Wir kommen um halb drei Uhr nach Gotha,« sagte der Ordentliche im schwarzen Frack – »und um drei Viertel auf drei Uhr trifft der Schnellzug von Eisenach in Gotha ein. Wenn Sie die Sachen nach Dietendorf zurückschickten, hätte sie der Herr in einer Stunde wieder.«
»Hm, ja – das ginge – aber er will ja eigentlich nach Eisenach, und wenn sie sich nachher wieder versäumen – oder gar nicht wissen, das daß Gepäck zurückkommt.«
»Man könnte ja von Gotha aus telegraphiren,« meinte der Ordentliche.
»Hm – ja wohin gehen Sie?«
»Nach Gotha –«
»Wollten Sie dann die Güte haben und das Gepäck da irgend einem Bahnbeamten übergeben?«
»Ich werde sehr bedauern müssen keine Zeit zu haben,« sagte der Ordentliche verlegen – »ich bin zu einer – ich muß sehr pünktlich sein, denn ich bin bis halb drei Uhr hinbestellt, und wir haben uns schon von Dietendorf aus um« – er sah nach seiner Uhr – »um sieben Minuten verspätet –«
»Gut, dann thu' ich's,« sagte der kleine gutmüthige Mann entschieden. »So viel Zeit bleibt in Gotha, und ich versäume den Zug nicht.«
Dabei zog er seine Brieftasche heraus und formulirte – so gut es das Schaukeln des Eisenbahnwagens erlaubte – das Telegramm, um in Gotha nicht zu viel Zeit zu brauchen.
Das Gespräch war damit abgebrochen, und mich interessirte dabei besonders der Dicke, der bei den bisherigen Zwischenfällen auch noch durch keinen Blick die geringste Theilnahme verrathen, sondern immer nur still aber heftig vor sich hingequalmt hatte.
Jetzt stierte er durch den Rauch sein Gegenüber, den Ordentlichen an, der sich aber nicht wohl unter dem Blick zu fühlen schien und wie verlegen allerlei kleine Beschäftigungen vornahm.
Er holte eine kleine, mit einem Miniaturspiegel versehene Haarbürste heraus, suchte vorher mit Hülfe des Spiegels einen Blick auf seinen Cravattenknoten zu gewinnen – was aber vollständig erfolglos blieb, und ging dann zu den etwas widerspenstigen Haaren über, die sich aber, trotz allem Bürsten, auf dem Wirbel wie zu einer Art von Scalp-Locke emporsträuben wollten, mochte er sich noch so viel Mühe damit geben. Danach ging er wieder daran sich abzustäuben – vom Rockkragen nieder bis zu den glanzledernen Stiefeln. Sonderbarer Weise hatte gerade ihm, vor allen Anderen, ein tückisches Schicksal – oder vielleicht eine Schwalbe – den Rockkragen verunreinigt, aber trotz allem Bürsten berührte er nie den Fleck, während der ihm gegenübersitzende Dicke seinen Blick – ohne jedoch eine Sylbe zu äußern – immer hartnäckig auf den Punkt gerichtet hielt.
Der im Pelz rauchte dabei ununterbrochen fort, und da er seine Cigarre nie abstrich, fiel die Asche ein paar Mal ab, rollte an seinem Mantel nieder und auf die Knie des Ordentlichen, den er dadurch, ohne sich je zu entschuldigen, in steter Beschäftigung und Aufregung hielt. Es hatte dem unglücklichen Menschen nämlich nicht entgehen können, daß ihm der so unheimlich Eingehüllte stets auf den Rockkragen stierte, und mit der Ahnung, daß dort etwas nicht in Ordnung sei, besaß er doch zu viel Schüchternheit, um sich danach zu erkundigen.
Der Mann war offenbar zu einer Audienz befohlen oder machte eine Visite, um irgend eine Anstellung zu bekommen – jedenfalls hatte er Angst vor der nächsten Stunde.
Jetzt pfiff die Locomotive wieder.
»Gotha,« sagte der Ordentliche, als er aus dem rechten Fenster sah und dabei in einem halben Seufzer stecken blieb. Der schreckliche Mensch ihm gegenüber sah ihm noch immer unverwandt auf den Rockkragen, und er hätte gern noch einen letzten Versuch mit dem Spiegel gemacht, aber – es war zu spät. Eben rollte der Zug vor das Stationsgebäude – hilf Himmel! die Uhr zeigte auf acht Minuten über halb drei – und mit einem raschen »Empfehle mich Ihnen ergebenst!« flog der Unglückliche zum Wagen hinaus und seinem Schicksal entgegen.
Der in Nanking verrichtete indessen sein Liebeswerk. Einen der Beamten, von denen mehrere auf dem Perron standen, übergab er rasch die zahlreichen, dem unglücklichen Professorpaare zugehörenden Gegenstände, und glitt dann wie eine Eidechse in das Telegraphenbureau hinein, um die Depesche nach Dietendorf aufzugeben. –
Und wenig genug Zeit wurde ihm dazu gelassen, denn gleich darauf läutete es schon wieder zur Abfahrt. Der Zug hatte acht Minuten versäumt und die mußten wohl oder übel wieder eingebracht werden.
Sollte sich auch der Mann in Nanking auf diesem verhängnißvollen Zug – nein – da kam er herausgeschossen und setzte sich rasch auf den von dem Ordentlichen geräumten Platz, dem Dicken gegenüber. Kaum saß er, als der Schaffner die Thür, an der das Fenster wieder heruntergelassen, zuschlug, dann auf den eisernen Gangweg stieg und, während sich der Zug in Bewegung setzte, sagte:
»Billets nach Fröttstedt, meine Herren.«
Es war noch ein junger Mensch mit einem kleinen Tornister eingestiegen, der eben dorthin und wahrscheinlich auch eine Vergnügungstour in den Thüringer Wald machen wollte. Die Beiden lieferten ihre Billete ab, der Schaffner verschwand draußen, um sich in sein eigenes Coupé an den Eisenstangen hinzufühlen, und der kleine Mann in Nanking sagte:
»Alle Wetter, das ging geschwind – die konnten mir da drin nicht so schnell herausgeben, und beinah hätt' ich auch einen dummen Streich gemacht und den Zug versäumt. Na, das wär' eine schöne Geschichte gewesen – Jemine, und die Schwiegereltern in Fröttstedt.«
Die einzige Antwort, die er von dem Dicken bekam, war eine ausgestoßene Dampfwolke, die einem jungen Schornstein Ehre gemacht hätte. Der kleine lebendige Mann aber mußte sich, mit dem ersehnten Ziel dicht voraus, irgend Jemanden mittheilen, und da er keine andere fühlende Brust im Coupé fand, so wandte er sich an den Gymnasiasten, dem er, ebenso wie vorher der Frau Professorin, erzählte, wer ihn in Fröttstedt erwartete, und was für eine fidele Partie sie nachher machen wollten. In Reinhardsbrunn im Gasthof war auch schon das Essen genau auf die Stunde bestellt, ebenso ein Führer und Gepäckträger, kurz Alles auf das Genaueste und Pünktlichste geordnet. Es gereichte ihm dabei zu großer Befriedigung, als er von dem Gymnasiasten erfuhr, daß die Pferdebahn auch direkt abgehen würde, denn der von Eisenach kommende Schnellzug treffe unmittelbar nach ihnen in Fröttstedt ein.
In dem Augenblick pfiff es wieder. Der Kleine horchte auf und sah aus seinem Fenster an der rechten Seite, konnte aber dahinaus Nichts erkennen.
Jetzt bremste der Zug ein.
»Halten wir denn noch einmal zwischen Gotha und Fröttstedt?«
»O bewahre,« sagte der Gymnasiast – »das ist Fröttstedt.«
»Station Fröttstedt!« rief in dem Moment der Schaffner und riß die Thür auf – »rasch, wer hier aussteigt, es geht gleich weiter.«
»Herr Gott, mein Rock ist eingeklemmt!« stöhnte der kleine Mann, während der leichtfüßige Gymnasiast aus der Thür sprang und riß dabei an seinem Nanking-Röckchen, das allerdings ganz fest und sicher von der Thür neben der er bis jetzt gesessen, gefaßt war, so daß er vergebens suchte den gehaltenen Zipfel mit Gewalt herauszuziehen.
»Ab!« commandirte draußen der Oberschaffner.
»Schaffner! Herr Schaffner!« schrie der Kleine in Todesangst, »machen Sie einmal hier die Thür auf.«
»Aber Donnerwetter, hier steigen Sie ja aus! Machen Sie doch, daß Sie herauskommen.«
»Ich kann ja nicht! ich sitze ja fest – machen Sie doch diese Thür auf.«
»Ja das kann ich nicht!« rief der Unerbittliche und schlug die Thür zu – wieder der ominöse Pfiff und die Wagen thaten einen Ruck.
»Ich muß hinaus!« schrie aber der Kleine und suchte in der Tasche nach seinem Messer – in drei Taschen fand er es nicht – in der vierten stak es – der Zug kam in Bewegung – mit zitternder Hand hatte er es geöffnet – ritsch – ratsch schnitt er erbarmungslos den Nanking durch, um lieber mit dem verunstalteten Kleidungsstück als gar nicht vor seiner Braut zu erscheinen – und stürzte nach der Thür.
Zu spät! Unglückseliges Wort.
»Julie – Herr Oberbaurath!« schrie er verzweiflungsvoll aus dem Wagen hinaus.
»Aber Herr Assessor, wo wollen Sie denn hin?« Unten auf dem Perron stand die ganze Gesellschaft im Festanzug und sah dem unglücklichen Bräutigam nach, den ihnen ein höhnisches Geschick kaum gezeigt, wieder entführte.
»Halt! ich muß hinaus!« schrie in einem letzten Akt der Verzweiflung der unglückselige Assessor in Nanking. – Armer Mann, weshalb machtest Du eine Vergnügungstour in einem Schnellzug, der weder Zögern noch Erbarmen, sondern nur Stunden und Minuten kennt. – – Acht Minuten versäumt – wie könnte die ein brechendes Assessorenherz aufwiegen. Vorwärts brauste der Zug – ein starker schriller Pfiff – draußen vorbei fliegt mit betäubendem Rasseln der andere Schnellzug, der, von Eisenach kommend, in wenigen Minuten fast in Fröttstedt hält – was hilft es ihm – er kann nicht hinüber – vorbei – und weiter, wie auf Sturmesfittigen getragen, und hier von der bedeutenden Senkung noch begünstigt, donnerte der schnaubende Koloß thalab.
Der kleine Mann sank wie vernichtet auf den Sitz mir gegenüber, und ich suchte ihn jetzt damit zu trösten, daß auch er ja mit dem nächsten Güterzug nach Fröttstedt zurück könne.
»Ach du lieber Gott,« klagte er aber – »der kommt ja erst 5 Uhr 45 Minuten und erst Abends spät geht die Pferdebahn wieder nach Waltershausen.«
Es war nichts dabei zu machen, und bis Eisenach wurde kein Wort weiter zwischen uns gewechselt. Wenn es aber einen Superlativ im Schweigen geben könnte, so leistete den der Dicke, der während der ganzen vorbeschriebenen Scene nicht einmal den Kopf dahingedreht, ja mit keiner Wimper gezuckt hatte. Wie aus Stein gehauen saß er da, und nur der Dampf verrieth, daß noch innere Wärme in ihm lebte.
In Eisenach, wo ich ebenfalls ausstieg um die Werrabahn zu benutzen, hatte der Kleine noch einige Schwierigkeiten, bis er sein eingeklemmtes Stück Nanking aus der gegenüber befindlichen Thür bekommen konnte, und er mußte einem der Wagenschmierer ein gut Wort geben, daß er die Thüre von der andern Seite öffnete. Als ich ihn zuletzt sah, stand er wehmüthig auf dem Perron, hielt das heimtückische Stück Zeug in der Hand und sah nach der Uhr hinauf, die funfzehn Minuten nach drei zeigte.
Leipzig,
Druck von Giesecke & Devrient.
Das Originalbuch ist in Frakturschrift gedruckt. In dieser Transkription wird gesperrt gesetzte Schrift "gesperrt" wiedergegeben, und Textanteile in Antiqua-Schrift sind "hervorgehoben".
Der Text des Originalbuches wurde grundsätzlich beibehalten, einschließlich uneinheitlicher Schreibweisen wie beispielsweise "Accorde" – "Akkorde", "Capitel" – "Kapitel", "einsilbig" – "einsylbig", "erschrack" – "erschrak", "erwiderte" – "erwiederte", "Telegraphenbureau" – "Telegraphenbüreau", "um Gottes willen" – "um Gottes Willen" – "um Gotteswillen",
mit folgenden Ausnahmen,
Seite 13:
"sie" geändert in "Sie"
(deshalb brauchen Sie doch nicht stehen zu bleiben)
Seite 15:
"«" eingefügt
(nur um das Bischen Leben zu fristen.«)
Seite 16:
"tatellosen" geändert in "tadellosen"
(wie vollkommen tadellosen Frack Aufsehen erregte)
Seite 19:
"«" eingefügt
(wie wir es früher den Baronessen und Comtessen gemacht haben.«)
Seite 31:
"«" hinter "zu." entfernt
(die Straße hinab, dem Hause des Schuhmachers Peters zu.)
Seite 43:
"–" eingefügt
(eine Partie von den Bestien tragen – sie sind doch ordentlich todt)
Seite 44:
"hm" geändert in "ihm"
(wie jubelte der Kleine, als ihm der Vater)
Seite 47:
"»" eingefügt
(»Ja, mein Herz,« sagte er leise)
Seite 71:
"Aexandrine" geändert in "Alexandrine"
(Alexandrine winkte draußen auf dem Balcon)
Seite 73:
"Daß" geändert in "daß"
(Und reut es Dich, daß Du gekommen bist)
Seite 75:
"," eingefügt
(wie froh ich bin, daß Du nur wieder da bist)
Seite 79:
"«" hinter "überrascht." entfernt
(»Dort? – wo?« sagte Eduard überrascht.)
Seite 97:
"«" eingefügt
(zahlen es gewöhnlich mit den besten Jahren unseres Lebens.«)
Seite 106:
"«," geändert in ",«"
(»Eduard,« sagte da Alexandrine herzlich)
Seite 124:
"«" eingefügt
(der Alte sagte immer statt ja auf englisch yes.«)
Seite 125:
".«" geändert in "«."
(mit dem Herrn von Benner »nur ein Wort zu reden«.)
Seite 129:
"«" hinter "Yes" entfernt
(»Yes, Frau Gräfin, so ist's,«)
Seite 131:
"." geändert in "?"
(»Und weshalb nennst Du mich Frau Gräfin?«)
Seite 133:
"»" eingefügt
(»so vornehm habe ich mir den Eduard nicht gedacht)
Seite 137:
"«" eingefügt
(»was kann ich hier thun und schaffen?«)
Seite 154:
"»" eingefügt
(»vier Jahre sind es, daß ich die Meinen)
Seite 165:
"«" eingefügt
(unsere Einsamkeit ein paar Tage mit uns zu theilen.«)
Seite 167:
"." geändert in "?"
(»Welche Aehnlichkeit?«)
Seite 179:
"eimal" geändert in "einmal"
(erwiederte ihr Mann, »lies nur einmal den Brief.«)
Seite 188:
"eines" geändert in "eine"
(deshalb eine ihrer wichtigsten, nothwendigsten Beschäftigungen)
Seite 193:
"Reisögel" geändert in "Reisvögel"
(Reisvögel oder sonst dem Getreide nachtheilige Thiere)
Seite 195:
"verababscheut" geändert in "verabscheut"
(das Schwein, als ein unreines Thier, verabscheut)
Seite 203:
"–" eingefügt
(hat etwas Besonderes – zuerst haben sie enorm kleine Kannen)
Seite 205:
"Haase" geändert in "Hause"
(denn sie wußten es ging nach Hause)
Seite 215:
"«," geändert in ",«"
(miteinander,« sagte der Sohn, der seinen Hut)
Seite 226:
"heilosen" geändert in "heillosen"
(er selber mit schuld an dem heillosen Wege sei)
Seite 246:
"«" hinter "nach." entfernt
(»Aber kein Wort mehr über den Heimathschein,« rief Hans ihr nach.)
Seite 268:
"Wirthhaus" geändert in "Wirthshaus"
(und das andere Wirthshaus im Dorf)
Seite 276:
"," geändert in "."
(verstand sich auch von selbst und war ganz in der Ordnung.)
Seite 282:
"Platzbursche" geändert in "Platzburschen"
(Hans sowohl, wie die andern Platzburschen)
Seite 282:
"»" eingefügt
(sagte der junge Mann, »so darf er sich doch)
Seite 283:
"das" geändert in "daß"
(ich wußte nicht, daß ich dabei einen Eingriff)
Seite 284:
"»" eingefügt
(sein blaues Band herausholte und vorzeigte, »ich habe es mir)
Seite 285:
"»" eingefügt
(warnte sie das junge Mädchen. »Sie haben auch heut Abend)
Seite 291:
"nichtswürdiden" geändert in "nichtswürdigen"
(brauchte er auch nicht den nichtswürdigen Fahrweg einzuhalten)
Seite 305:
"," eingefügt
(die Erinnerung an das Vergangene, an – das wirklich Geschehene)
Seite 306:
"weiterzu" geändert in "weiter zu"
(vernünftig genug, ihn nicht weiter zu stören)
Seite 307:
"daß" geändert in "das"
(warnte der Doctor, als er das Haus verließ)
Seite 309:
"Stnhl" geändert in "Stuhl"
(fuhr erschreckt von seinem Stuhl in die Höhe)
Seite 314:
"»" vor "Hans" entfernt
(Hans hörte gar nicht, was sie ihm)
Seite 326:
"abpiff" geändert in "abpfiff"
(Der Professor suchte indessen, wie der Zug abpfiff)
Seite 332:
"»" eingefügt
(rief der Kleine in Nanking – »jetzt will der gute Herr)
Seite 333:
"»" eingefügt
(lautete die Antwort – »ein Professor aus Weimar)
Seite 333:
"«" eingefügt
(hätte sie der Herr in einer Stunde wieder.«)
Seite 334:
"»" eingefügt
(sagte der kleine gutmüthige Mann entschieden. »So viel Zeit bleibt)
Seite 338:
"«" und "»" eingefügt
(»O bewahre,« sagte der Gymnasiast – »das ist Fröttstedt.«)
Seite 339:
"»" eingefügt
(»machen Sie einmal hier die Thür auf.«)
End of the Project Gutenberg EBook of Unter Palmen und Buchen. Dritter Band., by Friedrich Gerstäcker *** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK UNTER PALMEN UND BUCHEN. *** ***** This file should be named 48036-h.htm or 48036-h.zip ***** This and all associated files of various formats will be found in: http://www.gutenberg.org/4/8/0/3/48036/ Produced by The Online Distributed Proofreading Team at http://www.pgdp.net (This transcription was produced from images generously made available by Bayerische Staatsbibliothek / Bavarian State Library.) Updated editions will replace the previous one--the old editions will be renamed. Creating the works from print editions not protected by U.S. copyright law means that no one owns a United States copyright in these works, so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United States without permission and without paying copyright royalties. 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START: FULL LICENSE THE FULL PROJECT GUTENBERG LICENSE PLEASE READ THIS BEFORE YOU DISTRIBUTE OR USE THIS WORK To protect the Project Gutenberg-tm mission of promoting the free distribution of electronic works, by using or distributing this work (or any other work associated in any way with the phrase "Project Gutenberg"), you agree to comply with all the terms of the Full Project Gutenberg-tm License available with this file or online at www.gutenberg.org/license. Section 1. General Terms of Use and Redistributing Project Gutenberg-tm electronic works 1.A. By reading or using any part of this Project Gutenberg-tm electronic work, you indicate that you have read, understand, agree to and accept all the terms of this license and intellectual property (trademark/copyright) agreement. If you do not agree to abide by all the terms of this agreement, you must cease using and return or destroy all copies of Project Gutenberg-tm electronic works in your possession. 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