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Title: Robert Blum
Ein Zeit- und Charakterbild für das deutsche Volk
Author: Hans Blum
Release Date: December 13, 2014 [eBook #47659]
Language: German
Character set encoding: ISO-8859-1
***START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK ROBERT BLUM***
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Druck von F A Brockhaus in Leipzig
von
Mit einem Portrait in Stahlstich und dem Facsimile des letzten Briefes Robert Blum’s.
Leipzig,
Verlag von Ernst Keil.
1878.
Seinem lieben Vetter
Christian Wahl
in Chicago (Illinois, Nordamerika)
in freundschaftlicher Gesinnung
zugeeignet
vom
Verfasser.
Mein lieber Vetter und Freund!
Der Sohn hat es unternommen, des Vaters Leben zu schreiben. —
Unter allen Umständen ein großes Wagniß, doppelt schwierig im vorliegenden Falle, wo es sich handelt um die Darstellung von Ereignissen, die der Verfasser selbst gar nicht oder nur als Kind erlebte, und um die Zeichnung einer politischen Richtung und Bewegung, welcher der Verfasser keineswegs vollkommen sympathisch gegenübersteht. So war denn das einfache Verhältniß, in welchem der Biograph zu seinem Helden stehen soll, das Verhältniß reiner Uebereinstimmung oder Gegnerschaft, von Anfang an nicht vorhanden. Die Gefahr lag nahe, daß entweder die Pietät des Sohnes auf Kosten historischer Wahrheit und Treue oder die Parteimeinung unserer Tage auf Kosten der vollen Pietät und Gerechtigkeit gegen den edeln Todten in dem Widerstreit dieser beiden Anschauungen siegen werde.
Daß ich das offen ausspreche, mag ein Beweis dafür sein, daß ich nicht blos die Gefahr erkannt habe, die dem[vi] Gelingen eines seit achtzehn Jahren beharrlich und freudig verfolgten Planes entgegenstand, sondern daß ich auch Alles aufgeboten habe, um diese Gefahr zu überwinden.
Das erste Erforderniß zur Erreichung meines Ziels schien mir zu sein die volle Herrschaft über den Stoff. Nur dadurch war ein unbefangenes Urtheil zu gewinnen. So wie ich daran ging, den Stoff zu sammeln, zeigte sich, daß diese Sammlung wohl kaum jemals abgeschlossen werden könne. Jedes Jahr — um nicht kürzere Zeiträume zu nennen — hat uns seit 1848 werthvollere Bereicherungen unseres Wissens und Urtheils über die vierzig Jahre geboten, in denen Robert Blum lebte, namentlich über das Jahr der deutschen Revolution selbst. Damit war mein Unternehmen von Anfang an auf die bescheidenen Grenzen des Versuchs einer Lösung angewiesen. Mehr will es auch nicht bieten, da es nun hinaustritt in die Welt. Mögen Andere, Bessere, sich dazu angeregt fühlen, diesen Versuch weiter zu führen. Ich selbst werde fortfahren zu sammeln und zu sichten und werde die Resultate dieser fortgesetzten Arbeit, wenn die deutsche Nation diesem Versuche ihre Gunst leiht, in einer anderen Auflage niederlegen.
Ihrer Art nach zerfallen meine Quellen in drei Klassen: in Jedem zugängliche gedruckte Schriften und Blätter, in schriftliche und mündliche Mittheilungen von Zeitgenossen Robert Blum’s über denselben an mich und Andere; endlich in handschriftliche Aufzeichnungen Robert Blum’s selbst, die sich theils in seinem Nachlasse vorfanden, theils von den Besitzern[vii] mir überlassen wurden. Allen, die mir bei der Sammlung irgend einer dieser Quellengattungen behülflich waren, sage ich hierdurch öffentlich meinen herzlichsten Dank. Leider ist Mancher darunter, der längst die Augen für immer geschlossen hat und meinen Dank nicht mehr vernehmen kann. Das gilt z. B. von Johann Jacoby, Ludwig Simon, Prof. Wuttke und vor Allem von jenem Manne, der sich wenige Wochen vor seinem Ende noch dazu entschloß, dieses Buch zu verlegen, von Ernst Keil.
Am 9. November 1878 ist ein Menschenalter erfüllt, seitdem Robert Blum auf der Brigittenau verblutete. Dieser Zeitabschnitt schien den vorläufigen Abschluß und die Veröffentlichung dieser Arbeit zu rechtfertigen. Aber auch innere Gründe drängten dazu, nicht länger mit der Ausgabe dieser Blätter zu zögern. Es schien hohe Zeit, jenes falsche und unsaubere Bild Robert Blum’s, zu welchem Herr Alexander Frhr. v. Helfert die Grundlinien scheinbar aus dem ehrwürdigen Schrein österreichischer Privat- und Staatsarchive zusammengetragen hatte, und das seit etwa acht Jahren fast unberichtigt geblieben war, geschichtlich treu zu zeichnen. Außerdem erschien der Versuch, das Leben und Wirken jenes Mannes, welcher die treueste Fürsorge für den „vierten“ Stand mit einer gut-deutschen Gesinnung vereinigte — das Leben und Wirken Robert Blum’s darzustellen besonders geboten in einer Zeit, in welcher ein vaterlandsloses Demagogenthum den rohen Klassenhaß predigte und die Verhöhnung und Zerstörung der deutschen Vaterlandsliebe als die Grundbedingung[viii] der wahren Freiheit pries. Die Wahrheit über Robert Blum mußte bald gesagt werden, da dieselbe Partei mit der ihr eigenen Virtuosität der Lüge diesen Mann seit Jahren in ihren unsauberen Blättern als einen ihrer socialistischen Parteiheiligen pries. Noch ehe dieses Buch vor die Welt tritt, ist allerdings auch die Fortsetzung dieser Lästerung Robert Blum’s unterbrochen worden durch das Sozialistengesetz, welches dem frechsten Mißbrauch der Preßfreiheit das verdiente Ziel setzt; und damit ist scheinbar einer der Gründe weggefallen, die mich zur Vollendung meiner Arbeit antrieben. Aber gerade zu der Aufgabe, welche das Sozialistengesetz verfolgt: eine Wandlung der ethischen und nationalen Gesinnung jener Kreise anzubahnen, die von dem zersetzenden Gifte der Socialdemokratie angefressen sind, kann dieses Lebens- und Charakterbild wohl ein Scherflein beitragen. Denn es zeigt einen Mann, der sich aus dem tiefsten socialen Elend aus eigener Kraft emporgearbeitet zu dem höchsten Ehrensitz seines Volkes und der sein Leben einsetzte um die höchsten Güter der Nation. Vor solcher Größe tritt die ganze Erbärmlichkeit der socialistischen Heilslehre und die Kleinheit ihrer Apostel besonders grell zu Tage.
Ob es mir gelungen ist, dem theuren Manne und seiner Zeit gerecht zu werden, darüber steht mir kein Urtheil zu. Aber auch wenn man mir das rundweg bestreiten sollte, so wird mein Buch ein Verdienst immer behalten, das freilich mein Verdienst nicht ist: zum ersten Male ist hier der Werdegang dieses merkwürdigen Mannes fast ausschließlich[ix] an seinen eigenen Worten dargestellt, seine Weltanschauung und Parteimeinung an der Hand aller eigenhändigen Aufzeichnungen Robert Blum’s, die nur irgend in seinem Nachlasse, im Gewahrsam seiner Gattin, seiner Schwester, vieler seiner Freunde und in Folge öffentlicher Aufforderung zu benützen waren, dargelegt worden.
Wenn ich Dir, lieber Vetter Christian, dieses Lebensbild widme, so wählte ich Dich als einen Typus der besten Deutschen des fernen Westens der Vereinigten Staaten; jener Deutschen, welche nicht mit vorgefaßten unabänderlichen Meinungen und nicht mit ärgerlichem Besserwissen die Zustände und die geschichtliche Entwickelung ihrer alten Heimath betrachten, sondern mit demselben nüchternen, kritischen, aber auch ideal-patriotischen Blick, mit dem sie inmitten des großen Lebens der Union selbstthätig stehen. Das treue Andenken dieser Deutsch-Amerikaner an Robert Blum ist mir von größtem Werthe und ihnen wollte ich durch meine Widmung an Dich einen Dankesgruß über den Ocean rufen.
In treuer Freundschaft
Leipzig, | Dein |
am Reformationsfeste 1878. | Hans Blum. |
Seite | |
Vorrede | V |
Inhaltsverzeichniß | XI |
1. Kindheit (1807–1817) | 1 |
Die bisherige Literatur über Robert Blum’s Leben. 1. Seine Charakteristik. 3. Herkunft. 5. Der Vater. 5. Die Mutter. 7. Erste Kindheit. 8. Des Vaters Tod. 9. Der Stiefvater. 11. Tiefstes Elend. 13. Frühe Gemüths- und Charakterbildung. 14. Die Hungerjahre 1816/17. 16. | |
2. Schule und Kirche (1813–1820) | 17 |
Die Rheinprovinz in den ersten Jahren ihrer Zugehörigkeit zu Preußen. 17. Erster Schulunterricht. 20. Tante Agnes. 20. Communion. 25. Robert, Meßdiener. 26. Seine Beobachtungen. 26. Zweifel. 28. Ketzergericht. 29. Absolution. 30. Im Gymnasium. 31. Plötzliches Ende der Schulzeit. 32. | |
3. Lehr- und Wanderjahre (1820–1827) | 33 |
Roberts Lehrjahre. 33. Beim Goldarbeiter Asthöver. 35. Beim Gelbgießer Räder. 37. Gesellenfahrten und Wandertagebuch. 39. Arbeitslos. 41. Von Schmitz angestellt. 42. | |
4. Bei J. W. Schmitz (1827–1830) | 43 |
J. W. Schmitz. 43. Blum’s Stellung bei demselben. 47. Süddeutsche Reise mit Schmitz. 48. In München. 49. (Arbeiten und Studien. 50.) Zurück nach Köln. 52. Reise nach Berlin. 53. In Berlin. 54. Einberufung zur [xii]Fahne. 56. Wieder in Berlin, mittellos. 57. Correspondenz und Conflikt mit Schmitz. 58. Entlassung Blum’s. 60. | |
5. Theaterdiener und Dichter (1830–1832) | 61 |
Stellung bei Ringelhardt. 62. Erstes poetisches Schaffen. 65. Politische Gedichte. 66. Nationaler Standpunkt. 68. Idealismus. 69. Erneute schwere Sorgen. 70. Die Theaterbibliothek. 70. Humor und Satire. 71. Sentenzen. 72. Dramen. 73. („Die Befreiung von Candia“. 74.) Nach Leipzig! 75. | |
6. Die ersten Jahre in Leipzig (1832–1836) | 76 |
Leipzig Anfang der dreißiger Jahre. 76. Die Literatengesellschaft. 80. Blum über die Leipziger Messe (1834). 81. Ueber die Leipzig-Dresdner Bahn (1834). 83. Ueber die literarische Production (1834). 84. Eigenes Schaffen. 85. Stellung beim Theater. 86. Reise in die Sächs. Schweiz. 86. Auguste Forster. 87. Eintritt in den Freimaurerbund. 89. Späteres Urtheil darüber. 91. | |
7. Erstes politisches Wirken. Eigene Häuslichkeit (1837. 1838) | 92 |
Das politische Leben in Sachsen von 1831 bis 1836. 92. Der Leipziger Freundeskreis. 94. Erste Schritte in die Oeffentlichkeit. 96. Das Fest zu Lützen. 96. Die sieben Göttinger. 101. Die erste Rede Blum’s. 103. Prolog. 104. Verkehr mit der Provinz. 105. Adelheid Mey. 105. Heirath. 107. Theaterlexicon. 107. Reise nach Berlin. 109. Erkrankung Adelheid’s. 110. Ihr Tod. 112. Begräbniß. 113. Visionen. 114. Allmählicher Trost in Arbeit. 115. | |
8. Neue Hoffnungen. Eugenie Günther (1839. 1840) | 117 |
Neue Hoffnungen. 118. Eugenie Günther. 119. Briefwechsel mit Eugenie Günther. 121. „Wühlerei“. 131. Die Mainzer Besprechung. 135. Die Reise nach Frankfurt. 137. Hochzeit und junge Häuslichkeit. 139. | |
9. Wachsendes öffentliches Wirken (1840–1844) | 140 |
Sachsen seit 1840. 140. Jubiläum der Erfindung der Buchdruckerkunst. 143. Der Schriftstellerverein. 145. [xiii]Schillerverein und Reden zum Schillerfest. 147. Agitation in der Presse. 149. Die Vaterlandsblätter. 150. Der Verfassungsfreund. 152. Das Taschenbuch Vorwärts. 155. Sächsischer Landtag 1842/43. 157. (Gährungsstoffe. 157. Adresse. 158. Preßgesetz. 159. Strafproceßordnung. 160.) Nachwirkung der Kammerverhandlungen. 161. | |
10. Die Reaction unter Könneritz. Die deutsch-katholische Bewegung (1843–1845) | 163 |
Die Reaction unter Könneritz. 163. Maßregelung von Schriftstellern. 164. Anklage und Prozeß gegen Blum. 164. Verurtheilung. 166. Ein fideles Gefängniß. 167. Persönliche Verhältnisse dieser Zeit. 168. Ueber den Beruf des Mannes. 171. Die deutsch-katholische Bewegung. 172. (Rede bei Gründung der Leipziger Gemeinde. 175. Das Leipziger Concil. 179. Weltliche Zwecke. 180.) | |
11. Wachsende Gährung in Sachsen. Die Leipziger Augustereignisse (1845) | 181 |
Die kirchliche Haltung und Politik der Regierung. 181. Die Juli-Verordnung. Wachsende Gährung. 184. Prinz Johann. 186. Der 12. August in Leipzig. 187. Aufregung. 194. Der 13. August. Gerüchte. Rathlosigkeit der Behörden. 196. Schützenhausversammlung. 197. Robert Blum’s Auftreten und Rede. 198. Auf dem Rathhaus. 200. Lähmung der Behörden. 201. Adressen der Gemeindebehörden. 203. Bescheid des Königs. 204. Das Begräbniß. 204. Standpunkt der Regierung (Herr v. Langenn und Militärmassen in Leipzig). 205. Des Königs Antwort. 207. Die Leipziger Untersuchungscommission. 208. Erörterungen gegen Blum. 209. Verbote. 210. Klägliche Haltung der Gemeindevertretung. 211. Entrüstung in Deutschland. 212. Dankadressen an Blum. 212. Wahl desselben zum Stadtverordneten. 213. Sein Brief über die Augustereignisse an Joh. Jacoby. 213. | |
12. Die letzten Jahre vor der Revolution (1846. 1847) | 215 |
Der Sächsische Landtag 1845/46. 215. (Die Opposition. 216. Blum’s Petition. 216. Thronrede und Adresse. 217. [xiv]Adreßdebatte. Strafprozeßordnung. 218. Die kirchlichen Fragen. 219. Die Preßzustände. 220. Der Feudalismus. 221. Die Leipziger Augustereignisse vor dem Landtag. 221.) Ovationen für die Getreuen und Vaterlandslieder. 225. Persönliches (Stellung Blum’s im Stadtv.-Collegium) 227. Die Constit. Staatsb. Zeitung. 229. Ernst Keil’s Leuchtthurm. 230. Häusliche Sorge. 231. Heldenthaten der Reaction. 231. Nichtbestätigung Blum’s als Stadtrath. 233. Blum’s polnische Schwächen. 234. Die Theuerung 1846/47. 235. (Broschüre Blum’s. 236.) Außerordentlicher Landtag 1847. 237. Carlowitz, Ministerpräsident. 238. Volksbuchhandlung Blum’s auf Actien. 238. Kündigung an den Theaterdirector Schmidt. 239. Verlag von R. Blum & Comp. und das Volksthüml. Staatslexicon. 241. Urtheil Robert v. Mohl’s darüber. 241. Blum über Socialismus und Communismus. 243. „Den Frauen!“ 246. | |
13. Die Jubelwochen der Revolution (Februar und März 1848) | 247 |
Das Jahr 1848. 247. Leipzig nach der Februarrevolution. 250. Einmüthigkeit der Parteien, Adresse. 251. Blum’s Rede am 3. März. 253. Stadtv.-Sitzung, v. 4. März. 254. Die zweite Deputation und Beginn einer Nachgiebigkeit in Dresden. 255. Falkensteins Rücktritt. 256. Proclamation des Königs. 257. Stadtv.-Sitzung vom 7. März. 257. Die Vorstellung der Universität. 258. Schwankende Haltung der Regierung. 259. (Strenge Maßregeln. 260. Carlowitz in Leipzig. 261. Bedenkliche Gährung. 261. Die Landesversammlung im Schützenhause. 262. Carlowitz’ Abreise. 263.) Das Märzministerium. 264. Programm desselben. 265. Das Sächs. Parteiwesen. 267. Die Vaterlandsvereine. 268. Abreise Blum’s zum Vorparlament. 269. | |
14. Im Vorparlament und Fünfzigerausschuß (Ende März bis 18. Mai 1848) | 269 |
Allgemeines über Blum’s Stellung. 269. Das Vorparlament. [xv]286. Blum, Vicepräsident, seine vermittelnde Stellung. 287. Herrn Laube’s Zerrbilder von Blum. 289. Erster Tag im Vorparlament. 291. Erste Rede im Vorparlament. 292. Das Wahlgesetz. 294. Die Permanenzfrage. 295. Der Antrag Zitz. 297. Das Amendement Bassermann und Blum’s Erklärung. 298. Die Wahlen zum Fünfzigerausschuß. 299. v. Soiron’s „Einzig und Allein“. 300. Der Fünfzigerausschuß. 302. Sendungen Blum’s (nach Aachen, Köln u. s. w.). 303. Der Badische Aufstand. 305. Beschuldigung der Begünstigung gegen Blum. 306. Das Triumvirat und v. Lepel’s Promemoria. 307. Schluß des Fünfzigerausschusses. 309. | |
15. Im Parlament (Bis zur Einsetzung der provisor. Centralgewalt. Mai bis Juli 1848.) | 309 |
Wahlsorgen Blum’s. 309. Parlamentseröffnung. 315. Gagern’s Präsidialantritt. 316. Der Verfassungsentwurf der Siebzehner und die Regierungen. 317. Die Linke und Blum’s Führerschaft. 318. Arbeitslast. 319. Die Parlamente der Einzelstaaten. 320. Die Mainzer Angelegenheit. 321. (Blum’s Rede. 322. Die Entscheidung. 323. Folgen für Blum. 324.) Verhandlungen über den Antrag Raveaux. 325. (Blum’s Rede. 327. Die Versöhnung. 328.) Der Conflikt Blum-Auerswald. 329. Die Pfingstreise der Linken in die Pfalz. 333. Die deutsche Flotte. 339. Die Verhandlungen über die provisorische Centralgewalt. 340. (Blum’s Rede am 20. Juni. 342. am 24. Juni. 348. Die Entscheidung, Gagern’s kühner Griff. 357.) Der Reichsverweser. 357. Dessen Wahl und Einsetzung. 359. Briefe Blum’s aus diesen Tagen. 361. | |
16. Im Parlament und Daheim (Juli und August 1848 bis zum Conflikt über den Malmöer Waffenstillstand.) | 366 |
Auseinandersetzungen mit dem Bundestag. 366. Conflikt mit Hannover. 369. Reichsminister. 370. Preußens Vorschlag vom 17. Juli. 370. Die Huldigung der Bundestruppen an den Reichsverweser. 371. Vermehrung des deutschen Heeres. 372. Die Polenfrage. 374. (Blum’s [xvi]Rede. 375. Entscheidung und Folgen. 381.) Die Amnestiefrage und Hecker’s Wahl. 382. Die Grundrechte. 382. Die Zustände in Sachsen. 384. (Der Landtag und das Wahlgesetz. 385. Stellung zum Deutschen Verfassungswerk. 386. Die Versammlung der Vaterlandsvereine in Dresden, am 9. Juli. 388. Zwiespalt in den Vaterlandsvereinen. 392.) Blum’s Reise nach Leipzig. 393. (Daheim, S. 394. Die Rede im Schützenhause am 16. August. 396.) Spaltung der Vaterlandsvereine. 409. Jäkel, der Sieger. 411. | |
17. Der Waffenstillstand von Malmö. Die Frankfurter Septembertage | 414 |
Der Waffenstillstand von Malmö. 414. Der Conflikt mit dem Parlament. 417. Die Redeschlacht. 418. Ministerkrisis. 419. Das Ende der Krisis. 420. Die zweite Verhandlung im Parlament. 421. (Blum’s Rede am 16. Sept. 422. Die Entscheidung. 436.) Sturm. 437. Das Gewitter zieht herauf. 438. (der Artikel der Reichstagszeitung vom 19. September. 439.) Die Versammlung der Pfingstweide. 440. Die Clubs der Linken am Abend. 422. Der 18. September. 443. Der Sieg und seine Folgen. 446. Briefe Blum’s aus diesen Tagen. 447. Die Verhältnisse in Sachsen. 450. (Jäkel gegen die Frankfurter Linke. 451. Absage Blum’s an die Vaterlandsblätter. 454. Rüder’s Brief. 455. Bruch mit Jäkel. 456.) Motive der Reise nach Wien. 456. | |
18. Nach Wien und in Wien. (Wiener Octoberrevolution 1848) | 457 |
Die Verhältnisse Oesterreichs. 458. Die Verhältnisse in Wien. 463. (Der 6. October in Wien 464. und die Frankfurter Linke 466.) Blum’s Reise nach Wien. 467. Die Lage in Wien bei seiner Ankunft. 467. Jelačić. 468. Blum’s erste Tage in Wien. 470. Entschluß zur Rückreise. 472. Die Wiener Behörden. 473. Wenzel Messenhauser. [xvii]474. Anarchische Elemente. 478. Gezwungenes Ausharren in Wien. 479. Fürst Windischgrätz. 482. (Seine geheime Verschwörung mit dem Hofe. 482. Seine Auflehnung gegen Latour. 483. Intriguen mit dem Hofe in Olmütz. 484. Windischgrätz. Dictator. 485. Sein historischer Charakter. 486.) Aufmarsch gegen Wien. 488. Die Proclamation vom 20. October. 488. Die Reichscommissare. 489. Stimmung in Wien. 489. Blum’s Rede in der Aula den 23. Oktober. 490. Sein Artikel im „Radikalen“ vom 24. Oktober. 493. Windischgrätz’ Proclamation und Bedingungen vom 23. October. 495. Beginn des Kampfes. 497. Fortschreitender Angriff auf die Stadt. 498. Blum, Hauptmann im Elite-Corps. 499. (Sein Antheil am Kampfe. 500. Im Feuer. 501.) Siegreiches Vordringen der Truppen. 504. Die Gräuel der Soldaten. 506. Die Kapitulation. 508. Blum für Uebergabe. 510. Verhängnißvolle Zögerung des Fürsten. 511. Die Ungarn kommen! 512. Kapitulationsbruch und Pöbelherrschaft. 513. Herrn v. Helfert’s Verleumdung gegen Blum. 514. Unterwerfung Wiens. 516. | |
19. Robert Blum’s Gefangennehmung, Proceß und Tod | 517 |
Militairdespotie in Wien. 517. Schreiben Blum’s an Csorich vom 2. November. 520. Csorich an Cordon am 2. November. 521. Blum und Genossen an Cordon den 3. November. 522. Verhaftung Blum’s und Fröbel’s. 523. Das Verhalten des sächsischen Gesandten v. Könneritz. 525. Das Unverletzlichkeitsgesetz vom 29/30. Sept. und seine Gültigkeit für Oesterreich. 531. Schreiben Blum’s vom 5. Nov. an den Präsidenten der Nationalversammlung. 533. Geheime Verhandlungen Windischgrätz’ mit Olmütz. 534. Stimmung Blum’s. 537. Der räthselhafte Padovani. 539. Beschwerde Blum’s vom 7. November. 543. Verfügung Cordon’s. 544. Beweiserhebungen am 8. November. 544. Protest Blum’s am 8. November. 545. Der Befehl aus Schönbrunn. 548. Verhör Blum’s. 549. Rechtliche Beurtheilung des Processes wider Blum. 554. Politische Beurtheilung [xviii]des Processes. 559. Das Urtheil. 561. Blum’s letzte Nacht. 561. Blum’s letzte Stunden. 564. (Gespräch mit P. Raimund. 564. Bekehrung?! 565. Letzte Briefe. 568.) Die Fahrt nach der Brigittenau. 569. Blum’s Ende. 570. | |
20. Deutschlands Todtenklage | 572 |
Offizielle Schritte. 574. Todtenklage des Volkes. 577. Schluß. 579. | |
Alphabetisches Namensverzeichniß | 581 |
Einer langen Einleitung bedarf das Unternehmen, das Leben Robert Blum’s zu schreiben, nicht.[1] Obwohl beinahe dreißig Jahre seit seinem Tode verflossen sind und Deutschland seither in allen seinen öffentlichen Verhältnissen sich von Grund aus verwandelt hat, ist Robert Blum dennoch bei der großen Mehrzahl des deutschen Volkes unvergessen. Viele seiner Mitstreiter und Gegner aus der ersten deutschen Nationalversammlung[2] haben ihn überlebt und seither hervorragenden und rühmlichen Antheil an der politischen Arbeit des deutschen Volkes genommen: Präsident Simson, Biedermann, Grumbrecht, Löwe, Schaffrath, Ruge &c. Aber dennoch kann sich kaum Einer von ihnen mit der Popularität des todten Robert Blum messen. Mit rührendster Beharrlichkeit und Zähigkeit hängt das deutsche Volk an dem Andenken dieses Todten. Zeugniß dafür bietet die Thatsache, daß noch heute das Bildniß dieses Mannes nicht nur in Sachsen, dem Hauptschauplatz seines Manneswirkens, in so vielen Häusern und Hütten getroffen wird; auch hoch oben im baierischen und badischen Gebirge, wo Robert Blum nie gewesen, hat Verfasser dieses noch Jahrzehnte nach Blum’s Tode dessen Bildniß in[3] Wirtschaften und Privathäusern getroffen. Von dem Stuhl Robert Blum’s in der Paulskirche zu Frankfurt war zuletzt kaum ein Spahn mehr übrig. Jeder Besucher des einstigen Sitzungssaales des ersten deutschen Parlaments nahm sich, soweit der Vorrath reichte, einen Splitter dieses Sessels zum Andenken mit.
Der Grund der unverwelklichen Liebe und Verehrung, die das Volk an diesen Namen heftet, ist einfach genug. Robert Blum hat in seiner Kindheit und Jugend die Leiden der Armuth gekostet, wie selten ein Anderer. Er hat schon als ganz junger Mensch lange schmerzliche Blicke gethan in die tiefsten Tiefen leiblichen und geistigen menschlichen Elends. Ihm ist der herbste Schmerz nicht erspart geblieben, der eine reichbegabte, wissensdurstige Natur erfüllen kann: der Schmerz aus Armuth dem Lernen, jeder höheren Bildung entsagen, mit einfacher Handarbeit sein Brod verdienen zu müssen. Robert Blum ist mit eigener Kraft aus diesem ihm von einem harten Schicksal vorgezeichneten, scheinbar unübersteiglichen Lebenskreise immer freier und größer herausgewachsen. Er hat begonnen, mit unvergleichlicher Ausdauer an seiner eigenen geistigen Fortbildung, seiner Befreiung aus den Banden der Armuth und Unbildung zu arbeiten. Er hat mit jedem Schritte, der ihn unabhängiger stellte und seine Gesichtspunkte erweiterte, auch weitere Ziele in’s Auge gefaßt. Von den Interessen seiner Person, seiner freien Seele, seiner Familie, seines Standes, seiner Stadt, seiner Religionsgenossen, ist er vorgeschritten zu dem Streben, die heiligsten und wichtigsten Angelegenheiten seines ganzen Volkes zu vertreten. Die Leiden und Kümmernisse wie die berechtigten Forderungen des Arbeiters haben niemals einen beredteren und uneigennützigeren Anwalt gefunden, als Robert Blum.
In wunderbarem Maße war ihm die Macht der Rede[4] gegeben: niemals hat ein Mann so wie er verstanden, aufgeregte Massen zu beschwichtigen, als wären Tausende seines Sinnes, als geböte ein milder Vater dem ungeberdigen Kinde. Und dieses reiche, kraftvolle Leben, dessen letzter Theil, mit Aufopferung und großherziger Verleugnung aller eigenen Interessen, nur seinem Volke gewidmet war, hat Robert Blum gekrönt durch seinen in der Blüthe der Jahre muthig erlittenen Tod. Dieser Tod vor Allem macht ihn noch der Gegenwart theuer. Denn Robert Blum ist nicht erschossen worden wegen irgend einer persönlichen Handlung, welche auch nur den Vorwand eines Todesurtheils gegen ihn gerechtfertigt hätte. Vielmehr geben die heute bekannten Acten seines sehr kurzen Processes volle Gewißheit darüber, daß jener Schrei der Entrüstung vollkommen berechtigt war, der bei der Nachricht von seiner Hinrichtung Deutschland durchzitterte von den Gestaden der Nordsee bis zum schwäbischen Meere, und der vom grünen Tische des Gesammtministeriums in Dresden mit derselben Naturgewalt ertönte, wie von den Tribünen des deutschen Parlaments zu Frankfurt und in zahllosen Volksversammlungen: daß in Robert Blum nicht die Person, sondern der Vertreter des deutschen Volkes, die Unverletzlichkeit des deutschen Reichstagsabgeordneten habe gemordet werden sollen; daß mit einem Worte die siegreiche österreichische Reaction in dieser Tödtung symbolisch zeigen wollte, daß sie Alles was seit dem März des großen Jahres 1848 geschehen, nicht anerkenne und nun die Stunde gekommen erachte, um Deutschland wieder das Joch des alten österreichischen Bundestages auf den Nacken zu legen. So gilt denn Robert Blum noch heute mit Recht als eines der edelsten Opfer, welche Deutschland jemals seiner nationalen Freiheit und Einheit gebracht hat.
Auch die Geschichte der Familie, aus der dieser bedeutende[5] Mann hervorging, ist schnell erzählt. Auf eine lange Ahnenreihe konnte Robert Blum nicht zurückblicken. Das Wenige, was hierüber bekannt ist, muß berichtet werden, da es für die Kindheit und Jugend Robert Blum’s von Wichtigkeit wurde.
Aus dem Dorfe Frechen, zwei Stunden von Köln, siedelte der Faßbindermeister Johann Blum und dessen Frau um die Mitte des 18. Jahrhunderts nach Köln über. Von sieben Söhnen übernahm der älteste, Robert Blum, das Geschäft des Vaters und wohnte als fleißiger Meister auf dem Fischmarkte in Köln. Er hatte drei Kinder: Engelbert, Heinrich und Agnes. Der im Jahre 1780 geborene älteste Sohn Engelbert war zu schwächlich, um sich dem Geschäfte des Vaters widmen zu können; namentlich hatte er eine schwache Brust und taugte daher für schwere Arbeit nicht. Auch hätten die ziemlich wohlhabenden und streng katholischen Eltern gern gesehen, wenn ihr ältester Sohn Theologie studirt hätte und „geistlich“ geworden wäre. Er besuchte daher das Kölner Gymnasium und hatte fünf Classen desselben absolvirt, als Untersuchungen und Verfolgungen gegen die Schüler stattfanden, die verdächtig waren, sich den verruchten Lehren ketzerischer Freigeister zugewendet zu haben[2]. Engelbert Blum war in dieser Hinsicht bei den frommen Vätern sehr schlecht angeschrieben. Er hatte für die Verbreitung der ketzerischen Irrlehren Propaganda gemacht und[6] wurde von nun an streng bedroht und scharf beobachtet, sodaß ihm die Studien ernstlich verleidet wurden. Er schwankte, ob er freiwillig abgehen, sich wegschicken lassen oder heucheln solle und war — wohl hauptsächlich mit Rücksicht auf die kirchliche Treue und die für ihn getroffene Berufswahl der Eltern — über seinen Entschluß noch nicht im Reinen, als die Franzosen in Köln einzogen, der Staatsherrlichkeit des Krummstabes daselbst ein Ende bereiteten und das Gymnasium schlossen.
Engelbert verzichtete nun definitiv auf seine Ausbildung zum Theologen und versuchte abermals sich zum Faßbinder auszubilden, um das väterliche Geschäft zu übernehmen. Aber auch diesmal zeigte sich, daß ihm hierzu die nöthige Körperkraft mangle. Das nährende Gewerbe des Vaters ergriff der jüngere Sohn Heinrich, ein stämmiger Bursche, mit Kraft und Umsicht. Er ist in hohem Alter wohlhabend gestorben. Die Tochter, Agnes Blum, hat ein Zufall, wie wir sehen werden, zur Lehrerin gemacht; sie stand als solche viele Jahre der Elementar-Pfarr-Mädchenschule der Maria-Himmelfahrt-Pfarre vor. Ihr werden wir später noch begegnen. Der halbstudirte, zu dem Gewerbe seines Vaters zu schwächliche Engelbert Blum aber hatte seine liebe Noth, sich sein tägliches Brod zu verdienen. Er suchte nach Beschäftigungen, die seinen Kenntnissen entsprachen, doch ohne Erfolg, und mußte endlich für kargen Lohn eine Schreiberstelle an einem Kölner Lagerhause annehmen, die er nach einiger Zeit mit der Aufseherstelle in einer Stecknadelfabrik vertauschte. Das tagelange Sitzen am Schreibtisch war jedoch seiner schwachen Brust kaum nachtheiliger gewesen, als die verdorbene Luft, die er in seinem neuen Beruf den ganzen Tag athmen mußte. Denn in engem Raume mußte er hier mit einer großen Anzahl arbeitender Kinder aus den niedrigsten Ständen sich aufhalten. Für Ventilation war so wenig gesorgt, wie für Reinlichkeit[7] der armen Kinder. Schulzwang und Verbot der Kinderarbeit in den Fabriken waren noch unbekannte Dinge. Kinder im zartesten Alter wurden von ihren Eltern schon als Erwerbsquelle ausgebeutet.
Als Engelbert nach dem Schiffbruche seiner theologischen Hoffnungen zum zweiten Male den Versuch gemacht hatte, Küfer zu werden, hatte er ein junges Mädchen kennen gelernt, das mit sechszehn Jahren nach Köln gekommen war, bei verschiedenen Herrschaften gedient hatte und in den Jahren 1804 und 1805 bei einer wohlhabenden Faßbinderfamilie Wolff, die mit Blums verwandt war und in deren Nachbarschaft wohnte, in Diensten stand. Dieses Mädchen hieß Maria Katharina Brabender. Sie war über ihren Stand gebildet, etwas romantisch veranlagt, aber voll tüchtigen Selbstgefühls. Die jungen Leute liebten sich, und trotz des heftigsten Sträubens, der Eltern Engelbert’s wie der Familie Wolff — weshalb die letztere sich sträubte, ist etwas räthselhaft — heiratheten sich die jungen Leute am 25. November 1806. Sie wohnten in den ersten Jahren im Hause der Eltern Engelbert’s in der zweiten Etage des sehr schmalen Hauses Fischmarkt Nr. 1490 und erfreuten sich trotz ihrer Armuth des freundlichsten Familienlebens. Der junge Ehemann verdiente freilich nur achtzig Pfennige (einen Franken) den Tag. Die junge Frau aber nähte für die Leute, und da sie geschickt und fleißig, gut und gefällig war, so war sie überall gern gelitten, und es fehlte ihr nie an Arbeit.
Hier im Hause seiner Großeltern, wurde am 10. November 1807 dem jungen Paare der erste Sohn, Robert Blum, geboren. Nichts charakterisirt wohl so sehr die damalige Lage des Vaterlandes, dessen kraftvoller Streiter der Neugeborene später werden sollte, als die Thatsache, daß der Geburtsschein[8] dieses deutschen Kindes in der französischen Stadt Köln französisch ausgestellt wurde. Er lautet (Nr. 1421 vom Jahre 1807): „Acte de naissance de Robert Blum, né le dix novembre entre huit et neuf heures du matin, fils d’Engelbert Blum, tonnelier, et de Catharine Brabender, époux, demeurant rue Fischmarkt No. 1490.“
Das Kind war der Abgott der ganzen Familie. Vergessen war der Groll über die Heirath Engelbert’s. Der Großvater und Taufpathe Robert’s, der damals schon kränkelte, fühlte sich in dem Enkelchen wieder verjüngt und glücklich und wünschte sich nun noch ein langes Leben, das ihm indessen nicht beschieden sein sollte, denn im Jahre 1810 starb er. Der kleine Robert wuchs indeß herrlich heran; ungemein früh lernte er sprechen. In zartester Jugend entwickelte er außergewöhnliche Anlagen. Mit drei Jahren bekam er die Masern, an denen er so heftig erkrankte, daß man ihn bereits verloren gab. Von dieser Krankheit behielt er schlimme Augen und wurde schließlich blind, neun Monate lang: Alles versuchten die Eltern, um ihm das Augenlicht wiederzugeben. Zuletzt riefen sie die Hülfe eines Dr. Bracht an, der ihnen als Augenarzt gerühmt worden war und der den Kleinen mit der größten Sorgfalt behandelte. Immer sprach er den Eltern Muth und Hoffnung ein und bestellte endlich eines Tages die ganze Familie auf den kommenden Morgen zusammen. Der Arzt erschien pünktlich, nahm den kleinen Robert auf den Schooß, spielte mit ihm, erzählte ihm und schwenkte dazwischen, wie spielend ein weißes Tuch hin und her. Zur unaussprechlichen Freude der Seinen griff Robert nach dem Tuche und gab so den ersten Beweis wiedererlangter Sehkraft. Doch blieben seine Augen immer schwach, eine Schwäche, die ihm auf seiner Lebensbahn recht hinderlich ward; um so höher steht jener eiserne Fleiß und Muth, mit[9] welchem später der Mann, ohne Schonung seiner schwachen Augen, in durchwachten Nächten den Lücken seiner Bildung abzuhelfen bemüht war.
Das gute Gedächtniß, welches Robert sehr frühzeitig bekundete, veranlaßte seinen Vater, ihm das Meßdienen, das Knaben in lateinischer Sprache verrichten, zu lehren. Bald konnte Robert, kaum vier Jahre alt, die ganze lateinische Messe auswendig. Sein Vater zeigte ihm nun auch in der Nähe eines Altars, an dem gerade Messe gelesen wurde, was die Knaben dabei zu beobachten hätten. Und als Robert sich auch das eingeprägt, ließ der Vater ihn, unter Beihülfe eines größeren Knaben, am Altar mit dienen, und Robert sagte sein auswendig gelerntes Latein so schön und deutlich her, daß der Geistliche, ein gutmüthiger alter Herr, den Vater bat, ihm doch das liebe Kind täglich zum Meßdienen zu senden; den kleinen Robert aber beschenkte der freundliche alte Herr häufig mit Bildern, Büchern, Bonbons &c. Von dieser Zeit an ging der Kleine täglich in die Messe, bis er später wirklicher Meßdiener wurde.
Aber auch irdischere Künste brachte der Vater seinem Kinde bei: er lehrte ihm Lesen, Schreiben und Rechnen in sehr frühen Jahren. Sicher ist, daß Robert zu der Zeit, als sein Vater im letzten Viertel des Jahres 1814 am Ende seiner Kräfte in seiner aufreibenden Thätigkeit angelangt war und für immer auf’s Krankenlager geworfen wurde, also mit sieben Jahren, bereits in allen diesen Künsten ganz tüchtig Bescheid wußte. Nach neunmonatlicher Krankheit am 24. Juni 1815, starb Engelbert Blum. Er hinterließ eine Wittwe mit drei Kindern, Robert, Johannes und Gretchen, von denen Robert beim Tode des Vaters noch nicht acht Jahre zählte.
Die schlichten Aufzeichnungen, die mir vorliegen, über das Elend der Armuth, das die lange Krankheit und der Tod des[10] Ernährers über die Familie brachte, und das Verhalten dieses jungen Knaben seiner Mutter und seinen Geschwistern gegenüber, als er in so zartem Alter Waise geworden war, gehören zu dem Rührendsten und Ergreifendsten, was man lesen kann, und lassen namentlich die ganze Verlogenheit der socialistischen Declamationen erkennen, wenn diese heutzutage danach trachten, die vergleichsweise beneidenswerthe Ueppigkeit einer heutigen Arbeiterfamilie, bei den jetzigen Löhnen, Lebensbedürfnissen und Lebensgewohnheiten auch der ärmsten Classen, als den Gipfel des Elends und der Würdelosigkeit zu bezeichnen.
Robert erkannte mit seinem klaren Verstande, seiner herzlichen Liebe für Mutter und Geschwister viel schärfer als sonst Kinder in seinen Jahren, wieviel mit dem Vater für die arme Familie verloren war. Aber statt seiner Mutter Schmerz durch die Offenbarung seiner frühreifen Erkenntniß zu vergrößern, suchte er seine Mutter zu trösten durch die treuherzige Versicherung, er sei schon groß und stark und werde deshalb fleißig mit ihr arbeiten; nur solle sie nicht mehr weinen, sonst werde sie auch noch krank. Er that aber mehr. Er ließ die scheinbar prahlerischen Worte zur That werden. Die Mutter gewann mit ihrer Nadel den ganzen Unterhalt der Familie — kümmerlich genug. Damit sie keine Minute versäume, holte Robert die Arbeit von den Kunden und trug das Fertige wieder fort. Er rathschlagte ernstlich mit der Mutter darüber, was jeweilig zuerst beschafft werden müsse, ganz wie ein ordentlicher Finanzminister, und holte das Nöthige herbei. Er unterhielt und ermahnte die jüngeren Geschwister, damit die Mutter ja beim Nähen bleiben konnte. Er blieb auf, wenn die Jüngeren im Bette waren, und strickte für die Geschwister und für sich selbst, weil die Mutter darauf keine Zeit verwenden konnte. Er verrichtete freudig und geschickt aus freien Stücken die meisten[11] Hausarbeiten. Und als sein Bruder Johannes zu kränkeln anfing, pflegte ihn Robert mit rührender Geduld und Ausdauer.
Aber so traurig es der armen Familie ergangen war seit der Erkrankung und dem Tode des Familienhauptes, so sollte doch nun eine noch viel traurigere Zeit über sie kommen. Bisher hatte es wenigstens am Besten nicht gefehlt: an dem Frieden des Hauses. Die Ehegatten hatten sich aus Liebe geheirathet und sich herzlich geliebt, bis der Tod Engelbert’s sie trennte. Das Verhältniß zwischen Eltern und Kindern war das beste gewesen. In der Liebe, dem Gedeihen und dem Gehorsam ihrer Kinder sah auch die arme Wittwe einen unermeßlichen Schatz. Aber dieser Schatz wurde ihr mehr und mehr auch zu großer Sorge, namentlich als Johannes’ Krankheit sich verlängerte und als böses väterliches Erbtheil sich ankündigte. Da glaubte die arme Frau, sie werde doch auf die Dauer ihren Kindern das Brod nicht allein mit ihrer eigenen Kraft verdienen können, und nahm den Antrag an, den der Schiffer Kaspar Georg Schilder ihr machte, seine Frau zu werden.
Schilder hatte einen etwas stürmischen Lebenslauf hinter sich. Er war zuerst Schmuggler gewesen, ein Beruf, der die Betheiligten nicht immer mit den Spitzen der Gesellschaft zusammenführen soll. Dann, vor acht Jahren, war er als Soldat mit Napoleon nach Spanien gezogen und dort bis jetzt verblieben, ohne auch hier unablässig an der Spitze der Civilisation zu marschiren. Nun war er eben aus dem Kriege zurückgekehrt und hatte zwar ein hübsches Stück Geld, aber auch eine kleine Schwäche mitgebracht, welche geeignet war, einer zu großen Ansammlung von Ersparnissen mit der größten Aussicht auf Erfolg energisch entgegenzutreten, nämlich eine liebevolle Anhänglichkeit an alkoholhaltige Flüssigkeiten. Es ist begreiflich, daß diese mit dem Charakter eines alten Troupiers sonst keineswegs unvereinbare[12] Leidenschaft nicht an Liebenswürdigkeit gewann, als der spanische Krieger, der dort gewöhnt gewesen war, die ältesten, feurigsten Klosterweine im Namen des einen und untheilbaren französischen Kaiserreiches à discrétion durch die rächende Gurgel zu gießen, sich, nach seinem geliebten Heimathlande zurückgekehrt, gezwungen sah, für weit saurere oder gemeinere Getränke sein gutes Geld Zug um Zug hinzugeben. Sehr bald konnten sich die besten Freunde Schilder’s der Erkenntniß nicht länger verschließen, daß der einstige Bändiger Hesperiens nicht blos dem Trunke, sondern sogar einem bösen Trunke ergeben sei.
Ob nun die arme Frau, die diesem Manne ihr Jawort gab, seine Schwäche weniger bemerkt hat, ob sie hoffte, ihn in dieser Hinsicht zu bessern, oder sich angezogen fühlte durch die wirklich guten Eigenschaften Schilder’s — denn er war kerngesund, gutmüthig, grundehrlich, treu und fleißig — sicher ist, daß sie vor Allem einen Ernährer ihrer Kinder in ihm zu heirathen meinte. Aber sie sah sich schwer getäuscht. Auch in nüchternen Stunden zeigte sich der neue Gatte argwöhnisch, eifersüchtig, jähzornig und nur zu geneigt, bösen Einflüsterungen ein williges Ohr zu leihen, mit denen seine Mutter und Schwestern ihn reichlich versorgten. Bedauert und aufgehetzt von seiner Familie, trug er dieser das verdiente Geld zu und gab murrend von dem Reste Weniges in den Haushalt seiner Frau. Während diese also schon wenige Monate nach Eingehung der neuen Ehe erkannte, daß sie nur den lieben Frieden ihres Heims geopfert habe, ohne irgend eine Erleichterung in ihrer vielen und schweren Arbeit zu gewinnen, im Gegentheile nach wie vor für ihre Kinder allein sorgen müsse, und ihre Verbindung mit Schilder tief bereute, brachte dieser eines Tages ganz plötzlich und unerwartet, zum größten Schrecken und Staunen seiner Frau, seine[13] Mutter und drei Schwestern dauernd in’s Haus. Das häusliche Elend, welches dadurch für Robert, dessen Geschwister und vor Allem für dessen Mutter geschaffen wurde, war grenzenlos. Die neuen Ankömmlinge waren völlig ungebildete, rohe und zanksüchtige Menschen, die unter einander und mit Schilder’s Frau und Stiefkindern unaufhörlich haderten und stritten. Den Mann gegen die Frau aufzuhetzen, schien ihnen Lebensbedürfniß. Robert stand mit blutendem Herzen in dieser heillosen Wirthschaft. Das Leiden der Mutter erdrückte ihn fast. Inniger als je schloß sich Robert’s Herz an Mutter und Schwester. Stolz und ohne jede Heuchelei von Liebe, die er nicht empfand, trat er den neuen Tanten gegenüber. Mit Stichelreden und rohen Mißhandlungen wurde ihm von der Sippschaft vergolten. Unwirsch und gereizt durch das stete häusliche Gezänk, ward Schilder immer verdrießlicher und liebloser; zuletzt mißhandelte er im Trunke sein treues Weib, zum Lohne für ihre unendliche Anstrengung und Arbeit. Mehrere Monate dauerte dieses unselige Verhältniß — bis endlich Robert’s Mutter mit dem Muthe der Verzweiflung ihrem Manne die Wahl stellte: mit ihr ohne die Seinen, oder mit den Seinen ohne sie und ihre Kinder zu leben. Dieser Energie der Frau beugte sich der im Grunde gutmüthige Mann, indem er sie dauernd von seinen Angehörigen befreite.
Elend blieb auch so genug noch übrig. Johannes starb im ersten Jahre der neuen Ehe an der Schwindsucht, bis an’s Ende von Robert treu gepflegt und nach Kräften erheitert. Der lange Zwist, Verdruß und Kummer hatten tief am Herzen der Mutter genagt. Viermal nach einander hat sie nach Eingehung der neuen Ehe zu früh geboren. Fortdauernde Kränklichkeit und Entkräftung waren die Folgen. Gicht und Lähmung traten schon jetzt bei ihr ein, um sie niemals mehr zu verlassen.
Mit besonderer Liebe wandte sich Robert nach dem Tode seines Bruders dem Schwesterchen zu. Er war der Schutzgeist ihrer Kindheit und Jugend; er unterrichtete sie, spielte mit ihr, darbte sich oft einen guten Bissen ab, um ihr eine Freude zu machen, und hatte er Kleinigkeiten an Geld, so wurden sie zu einem Spielzeug, einer Leckerei &c. für die Kleine. War Gretchen einmal unartig, so brauchte er nur zu sagen: „Lieb’ Gretchen, thue das nicht mehr!“ und das Verbotene wurde keinesfalls wieder gethan. Bei schönem Wetter führte er, so oft er Zeit fand, sein Schwesterchen nach dem fast dreiviertel Stunden entfernten Friedhof, an das Grab ihres Vaters, das durch ein einfaches schwarzes Holzkreuz bezeichnet war, in dem sich hinter Glas ein Todtenzettel des Vaters befand. Hier hielt er Gretchen an zu beten und erzählte ihr jedesmal, wie gut der Vater und wie glücklich sie alle bei seinen Lebzeiten gewesen. Bei einem solchen Besuche auf dem Friedhofe bemerkte Robert Nachbarn, die sich zugleich mit den beiden Kindern von dort entfernten und in einen Wagen stiegen, um nach Hause zu fahren. Er trat an die gutmüthigen Leute heran und sagte, daß Gretchen so müde und außerdem noch nie in einem Wagen gefahren sei. Sie würden ihr wohl ein Plätzchen einräumen und ihr einmal diese Freude machen. Die Leute — eine Faßbinder-Familie Namens Merzenig — meinten, es sei auch für ihn noch ein Plätzchen übrig. Er aber war durchaus nicht zum Einsteigen zu bewegen, sondern eilte, so schnell er konnte, voraus, um das Schwesterchen in Empfang zu nehmen, brachte sie eilig nach Hause und erzählte der Mutter glückselig, wie es ihm gelungen sei, Gretchen in einem Wagen fahren zu lassen.
Ein anderes Mal sahen die Kinder, gleichfalls auf einem ihrer Gänge nach dem Friedhofe, am Wege einen Judenknaben, der ein Murmelthierchen zeigte und dafür Pfennige einsammelte.[15] Um ihn hatte sich eine Schaar Buben zusammengerottet, die den Knaben verhöhnten, schimpften und mit Stöcken nach ihm und selbst nach dem Thierchen schlugen. Robert trat, voller Entrüstung über dieses Gebahren, auf die theilweise viel größeren Knaben zu und redete sie mit seiner lauten Stimme also an: „Schämt Ihr Euch denn gar nicht, den armen Jungen und selbst das unschuldige Viehchen zu mißhandeln? Das Kind ist arm und hat gewiß zu Hause noch kleinere Geschwister, die auf seine Pfennige mit Hunger warten. Braucht Eure Stöcke zu was Anderem und gebt dem Knaben was!“ und damit gab er dem Kinde einen halben Stüber (etwa zwei Pfennig), den ihm die Mutter zum Ankauf einiger Brezeln mitgegeben hatte. Unterdessen hatten sich auch mehrere Erwachsene um den Judenknaben und Robert versammelt und riefen: „Der Knabe hat Recht. Gebt dem armen Kinde was und mißhandelt es nicht!“ und der arme kleine Jude wurde reichlich beschenkt. Ein Herr aber sagte zu Robert: „Das hast Du gut gemacht, mein Junge. Sage Deinen Eltern, sie sollen Dich Pastor werden lassen! Predigen kannst Du schon jetzt.“
Mißhandlungen Seiten seines Stiefvaters hat Robert, obwohl das vielfach behauptet und auch in einigen biographischen Arbeiten über Robert Blum zu lesen ist, nie erfahren. Die Mutter hielt ihre Kinder so streng und folgsam, auch ihr selbst gegenüber, daß der Vater, auch in seinen reizbarsten Augenblicken, nie Veranlassung fand, gegen die Kinder auszufallen.
Die größte Hingebung und Aufopferung für die Seinen bewies Robert aber in den schweren Hungerjahren 1816 und 1817. Schilder verdiente damals täglich vierzig Stüber, anderthalb Mark. Die Familie brauchte aber jeden Tag sieben Pfund Brod, und diese kosteten achtundvierzig Stüber. Also nicht einmal zum täglichen Brode reichte der Verdienst des Vaters. Der tägliche[16] Brodverbrauch der Familie mußte um die Hälfte reducirt werden. Und dieses theure Brod war zudem noch so selten, daß Robert im Winter schon um fünf Uhr Morgens, bei grimmiger Kälte und schlecht bekleidet, an den Bäckerladen gehen mußte, um nach langem Warten und Kämpfen das kloßähnliche, heiße, kaum genießbare Gebäck zu erhalten. Nicht selten wurde es ihm von Stärkeren entrissen. Denn Noth kennt kein Gebot. Bald aber war auch dieses Brod nicht mehr zu erschwingen, und die Familie mußte sich durch ein Gebäck aus Hafer und allen möglichen anderen halb oder ganz ungenießbaren Dingen vor dem Hungertode zu schützen suchen. Es gab Leute genug, die Robert deutlich zu verstehen gaben, er solle sich auf’s Betteln legen. Aber dagegen bäumte sich der ganze Stolz seiner edlen Natur. Er hungerte, aber er bettelte nicht. Als dagegen die Noth zu Weihnachten 1816 auf’s Höchste gestiegen war und das frohe Fest herannahte, freudlos und gramvoll wie die anderen Tage, da leuchtete ein anderer Gedanke in dem Haupte des gesunden Buben auf. Er eilte zu einem alten, wohlhabenden, geizigen Großonkel, einem der sieben Söhne des Johann Blum, mit dem wir die Genealogie des Hauses eröffneten, erschien hier mit rothgefrorenen Backen und blitzenden Augen und begann ungefragt dem biedern Onkel mit der ganzen überzeugenden Kraft, der echten Gottesgabe der Rede, die er in sich trug, die Drangsal und Noth der Seinen ergreifend zu schildern. Der alte Geizhals that, was er seit Langem nicht gethan: er vergoß einige Zähren des Mitleids. Er that aber noch ein Uebriges, was Robert sehr viel werthvoller war: er beschenkte Robert mit einem Sack Erbsen und Kartoffeln, einem Stück geräucherten Fleisches und sechs Stübern. Außer sich vor Freude, keuchend unter der schweren Bürde, flog der Knabe athemlos die Straßen entlang, seiner Wohnung zu. Da stolperte er, stürzte hin, Erbsen und[17] Kartoffeln rollten über das Pflaster; doch Robert las sie bis auf die letzte zusammen und trat mit den völlig unerwarteten reichen Gaben unter die Seinen, mit Jubel und hoher Festfreude aller Herzen erfüllend.
Keinen Stachel und keinen Schatten von Verbitterung hat diese überaus trübe Kindheit, welcher ebenso peinvolle Lehrjahre folgten, in Robert’s Herzen zurückgelassen. Er hat daraus nur eine eiserne Charakterstärke und Willenskraft gewonnen, eine Aufopferungsfähigkeit, die keine Grenzen kannte, wenn das Gebot der Liebe sie ihm zur Pflicht machte.
Vieles von dem, was erzählt wurde und noch zu berichten sein wird, ist nur dann für möglich zu halten, wenn man versucht, in die damaligen öffentlichen und wirthschaftlichen Zustände sich einzuleben. Hier können selbstverständlich nur Andeutungen gegeben werden.
Jenes großartige Gesetz, welches die gesammte preußische Monarchie, einschließlich der neuerworbenen Rheinprovinz in ein einziges Zollgebiet verwandelte, die zahlreichen Binnenzölle aufhob, welche bis dahin innerhalb der einzelnen Landestheile bestanden, und damit die Grundlage zum künftigen deutschen Zollverein legte, ist erst 1818 erlassen worden. Seine Segnungen kamen mithin den Armen Köln’s in den Hungerjahren 1816 und 1817 noch nicht zu Gute. Während der Hungerjahre stand der Preis eines Scheffels Weizen am Rhein um sechs Mark fünfundneunzig Pfennig, also beinahe sieben Mark höher als[18] gleichzeitig in Posen[3], so kolossal waren damals die Verkehrshindernisse. In den fünfziger Jahren war der höchste Preisunterschied innerhalb Preußens eine Mark sieben Pfennig. Kein Wunder, wenn man bedenkt, daß Preußen, der Staat, der in den Befreiungskriegen gegen Napoleon das Größte gethan für ganz Europa, um sechshundert Geviertmeilen kleiner aus dem siegreichen Kampfe hervorging, als er vordem gewesen, und obendrein in der denkbar ungünstigsten Gestaltung seines Gebietes, zerrissen in zwei weit entlegene Massen. Der Bevölkerungszuwachs von 5½ Millionen, den die Monarchie 1815 gewann, vertheilte sich auf ein Gewirr von Ländertrümmern, vor Kurzem zu mehr als hundert deutschen Kleinstaaten gehörig, zerstreut von der Prosna bis zur Maas. In den altpreußischen Landestheilen allein galten nach dem Frieden siebenundsechszig verschiedene Zolltarife, nahezu 3000 Waarenklassen umfassend. Dazu kamen die besonderen Zollsysteme der neuerworbenen Sächsischen und Schwedischen (Neuvorpommern) Landestheile, die Zollanarchie am Rhein, wo man die verhaßten Douanen und droits réunis der Franzosen einfach gestürzt hatte, ohne einstweilen Neues an ihre Stelle zu setzen. Wer billig denkt, und namentlich Sinn besitzt für jenes Zartgefühl, mit welchem die Preußische Staatskunst von jeher das historisch Gewordene und Gegebene pietätvoll würdigte, wird begreiflich finden, daß nicht vor dem Jahre 1818 die Schöpfung eines einheitlichen Zollgebietes in Preußen verwirklicht werden konnte.
Die neue preußische Rheinprovinz besonders litt außerdem hart unter der schlechten Verkehrsverbindung mit den östlichen Provinzen der Monarchie und vor Allem unter der Concurrenz[19] mit England. Denn mit Aufhebung der von Napoleon drakonisch gegen England durchgeführten Continentalsperre wurden die seit Jahren aufgespeicherten englischen Waaren massenhaft auf den Continent geworfen. In dem einzigen Jahre 1818 hat England für 129 Millionen Gulden Waaren nach Deutschland ausgeführt. England bedurfte damals kolossaler Baarmittel, weil es in den Jahren 1816–19 die Englische Bank zur Wiederaufnahme der Baarzahlungen durch Parlamentsbeschlüsse nöthigte und das Gold demgemäß wieder zum allgemeinen Tauschmittel machte. Dieser Bedarf wurde durch vermehrte Waarenausfuhr gedeckt. Der einzige Vortheil der deutschen Industrie gegenüber der englischen, der billige Arbeitslohn, ging während der späteren Hungerjahre 1816 und 17 vollständig verloren. Am schwersten litt das Rheinland unter allen preußischen Provinzen; denn kaum waren hier unter dem napoleonischen Mercantilsystem Fabriken aufgeblüht, so verloren sie nun mit der veränderten Gebietsabgrenzung des Friedens plötzlich ihre Absatzquellen nach Frankreich, Holland, Italien, den Niederlanden; sie waren durch die Provinzialzölle der altpreußischen Landestheile vom Osten Deutschlands abgeschlossen und schutzlos der übermächtigen Concurrenz Englands preisgegeben. Die schwere Krisis, die wir jetzt durchleben, erscheint als eine Kleinigkeit gegenüber diesem wirthschaftlichen Elend.
Unter allen Städten des Rheins war nun aber wieder Köln vielleicht am härtesten durch die Franzosenzeit und die veränderte Staatsangehörigkeit heimgesucht worden. Schon mit dem Eindringen der als Retter aus aller Noth begrüßten Jacobiner war das städtische Eigenthum Nationalgut geworden, der beste und wohlhabendste Theil der Bürger geflohen, die Aufhebung der Klöster und mancher milden Stiftung beschlossen. Nach Beendigung der Fremdherrschaft konnten nur noch wenige[20] alte Convente und klösterliche Institute Zeugniß ablegen von der Art, wie im alten Köln die Noth gelindert, die Krankenpflege betrieben worden war. Auch wurde Köln unter der neuen Regierung wichtiger Institute und Behörden beraubt, die ihm wohl gebührt hätten. Die Universität ward nach Bonn, das Oberpräsidium nach Coblenz, die Malerakademie nach Düsseldorf, das Polytechnikum nach Aachen verlegt. Erst später verstand die betriebsame Stadt, sich trotz der Ungunst der Verhältnisse zum Mittelpunkt des rheinischen Großhandels zu machen.
Damit dürfte zur Genüge erklärt sein, wie das Elend der Hungerjahre sich zwei Jahre lang in der großen Stadt behaupten, wie Robert Blum auf seinem ferneren Lebenswege so gut wie gar keine unterstützende Aufmerksamkeit von Seiten der Vaterstadt finden konnte.
Wir sahen, daß der junge Robert schon mit dem siebenten Jahr lesen, schreiben und rechnen konnte. Er hatte sich bis zum zehnten Jahr in diesen und allen sonstigen Künsten, die in seiner Pfarrschule gelehrt wurden, so weit vervollkommnet, daß er anfing, manchem Lehrer als unbequemer „Ueberflieger“ zu gelten, das heißt als ein Bursche, dem Alles zu leicht wird, dem nichts mehr gelehrt werden kann.
In diesem Stadium seiner Bildung bethätigte seine Tante Agnes Blum (wie wir sahen, die einzige Tochter seines Großvaters Robert) die volle Staatskunst der Frauen, indem sie nach dem alten machiavellistischen Grundsatz den gefährlich-oppositionellen Denker in das Ministerium ihres Lehramtes berief und ihm zunächst das Portefeuille der Mathematik verlieh — mit zehn Jahren!
Das ging so zu. Die gute Tante Agnes hatte sich niemals träumen lassen, Lehrerin zu werden. Sie war vielmehr Jahre lang blos Pflegerin einer alten Dame gewesen, welche in dem Gebäude[21] der Elementarschule der St. Maria-Himmelfahrts- oder Jesuiten-Pfarre wohnte. Als diese Dame das Zeitliche gesegnet hatte, wurde Agnes die Universalerbin der Verstorbenen und als solche sehr wohlhabend. Sie übernahm nun gleiche Samariterdienste bei der Lehrerin der genannten Schule, wohnte ihrem Unterrichte vielfach bei, vertrat sie in der Schule, als die Lehrerin kränker und kränker wurde, und erhielt — wahrscheinlich zu ihrem eigenen nicht geringen Schrecken — die Lehrerinstelle der hochehrwürdigen Jesuiten-Pfarr-Elementarschule angetragen, als die Lehrerin die Augen für immer geschlossen hatte. Freilich tobte damals noch nicht der Culturkampf. Auch der Schulzwang und die Schulordnung hatten die Pforten der Hölle noch nicht überschritten. Jeder konnte nach seiner Façon Lesen, Schreiben und Rechnen lehren. Jeder, der zahlen konnte, schickte seine Kinder wohin ihm beliebte. Wer nicht zahlen konnte, schickte sie — in die Stecknadelfabrik zum Verdienen. So war’s unter dem menschenfreundlichen Krummstab gewesen. So war’s auch noch Anno 1817. Das Geld, welches für die Schulstunden zu entrichten war, gehörte der „Lehrperson“. Dieser letztere Gesichtspunkt scheint für Tante Agnes entscheidend gewesen zu sein, als sie sich entschloß, ohne jegliche ausreichende Vorbildung zum Amte einer Elementarlehrerin, dem an sie ergangenen Rufe Folge zu leisten. Immerhin blieb ja doch der große Trost, daß in der Hauptsache, in der Religion, die armen Kinder von der Pfarrgeistlichkeit direct unterrichtet wurden. Nur in einem Punkte konnte sich ihr zartes Gewissen mit dem übernommenen Amte nicht abfinden: im Einmaleins, in den vier Species, vollends im Bruchrechnen, der Regeldetrie &c. Diesen Geheimnissen gegenüber war sie völlig rathlos. Um so besser, daß der kleine Neffe Robert so ausgezeichnet darin bewandert war. Er wurde also als Rechenlehrer bei Tante Agnes angestellt.
Die Einkünfte, die er für diese Thätigkeit genoß, waren verhältnißmäßig bedeutend. Denn Tante Blum überzeugte ihre Schülerinnen natürlich mit Leichtigkeit, daß die wunderbare Kunst des Rechnens nicht für den gewöhnlichen Unterrichtspreis mit verabreicht werden könne, daß vielmehr zur Aneignung dieser ungewöhnlichen Kenntnisse Privatstunden nothwendig seien. Selbstverständlich konnten auch nur die reiferen Schülerinnen an dieser Sahne des Unterrichts der Pfarrschule naschen. Der Preis von einem Stüber (vier bis fünf Pfennig) für zwei Rechenstunden in der Woche erschien als eine Kleinigkeit gegenüber der Errungenschaft dieses Wissens, welches — die Lehrerin selbst nicht besaß. Für Robert aber, der an vier Tagen der Woche Nachmittags von vier bis fünf Uhr zwei Classen der Tante unterrichtete, waren diese Kupfermünzen gerade ausreichend, um seiner guten Mutter die Ausgabe für einen Communionanzug zu ersparen. Denn Tante Agnes sammelte ihm die Einnahmen seines Rechenunterrichtes auf das Genaueste. Sie gab ihm aber außerdem durch eine bei ihrer Genauigkeit wahrhaft splendide Naturalleistung schamhaft zu verstehen, aus welcher Verlegenheit er sie durch seinen Rechenunterricht erlöste: sie verabreichte ihm nämlich, wenn er um vier Uhr aus seiner Schule zum Unterricht in die ihrige kam, eine ganze Tasse Kaffee und ein Brödchen. Die Tasse Kaffee mußte er nun schon als unübertragbare persönliche Rechtswohlthat für sich selbst hinnehmen. Aber das Brödchen allein zu genießen, ging über seine brüderlichen Begriffe. Sein Schwesterchen besuchte ja dieselbe Schule als Schülerin, in der er lehrte. So oft es ging, suchte er ihr das kleine Gebäck zuzustecken. War sie im Garten, auf dem Spielplatz, im Schulzimmer, so scheute er keinen Vorwurf, um seinem Liebling den hohen Genuß frischen Weißbrods zuzuwenden.
Der schmutzige Geiz dieser Tante und die Kränkungen, die sie Robert und seinem Schwesterchen durch Zurücksetzung der Kinder hinter die reichere Verwandtschaft zufügte, haben in Robert’s Herz früh die schmerzlichsten Eindrücke hinterlassen. Höchst charakteristisch für ihn ist ein in diese Zeit fallender kleiner Vorfall, der in der Familie noch heute als die „Geschichte von den Hobelspänen“ streng wahrheitsgetreu erzählt wird. Schwester Gretchen hatte mit etwa sechs Jahren — man staune nicht über die fanatische Menschenquälerei, welche die fromme Geistlichkeit zu Wege brachte! — aus Christoph Schmidt’s biblischer Geschichte ein unendlich langes, in kleinen lateinischen Lettern gedrucktes Stück „Jesu letzte leidensvolle Nacht“ auswendig lernen müssen, und was noch wunderbarer ist — das „Stück“ auch fehlerlos ihrem armen Gedächtniß eingeprägt und am Sonntag in der Kirche heruntergesagt. Diese Quälerei zur größeren Ehre Gottes war speciell in dem jungfräulichen Haupte der Schultante Agnes Blum ausgeheckt worden und sie war keineswegs gewillt, blos in der Kirche mit ihrer Wundernichte Staat zu machen. Sie gab unmittelbar danach auch eine Kaffeevisite, zu welcher selbstverständlich der Herr Pfarrer, ihr Bruder Heinrich Blum, der kräftige Böttcher mit Frau, und einem Gretchen Blum beinahe gleichalterigen Töchterchen u. A. eingeladen waren. Als das Gespräch zufällig auf die Wundernichte gelenkt war, wurde diese aus ihrer Schule heruntergeholt und mußte Jesu leidensvollste Nacht noch einmal ohne Murren zum Kaffee hersagen — den Andere tranken. Den Blick hoffnungsvoll auf den Teller mit „Hobelspänen“ — einem geringelten Butterteiggebäck — gerichtet, sagte das Kind „sein Sprüchel und forcht sich nit“ und so ging denn auch diese „leidensvollste Nacht“ rasch und anstandslos vorüber. „Ach wie schön!“ „Das ist viel für ein so kleines Kind!“[24] „Brav Gretchen, das hast Du gut gemacht!“ rief es in der Runde. Das Auge des geplagten Kindes haftete gespannter als je auf den Hobelspänen. Da greift denn auch einer der Herren nach dem Teller mit dem Gebäck — und schüttet fast dessen ganzen Inhalt der Cousine des kleinen Gretchen zu. Die brave Tante Agnes aber sagt zu dem Staatskind: „Gretchen, Du kannst nun wieder in die Schule gehen.“ Sie mußte die Aufforderung mehrmals, dringlicher wiederholen.
Darüber waren mehrere Jahre vergangen. Die Mutter nähte nach wie vor für die Leute und sandte eines Tages ihre kleine Tochter ein fertiges Kleid auszutragen und sechzehn Stüber Arbeitslohn dafür zu verlangen. (Dreizehn Stüber machten fünfzig Pfennig). Das Kind verlangte und erhielt siebzehn Stüber, und lief spornstreichs zum Hofconditor Maus — ich vermuthe beinahe, daß er zeitlebens wenig für den Hof conditort hat — und verlangte hier in der höchsten Aufregung für einen Stüber Hobelspäne. Der „Herr“ am Ladentisch fragte ängstlich, ob das Kind die Hobelspäne essen wolle — sie sah offenbar so aus, als ob sie damit zu jedem anderen Verbrechen fähig gewesen wäre — und als das Kind diese Absicht entschieden bejahte und als glaubhaften Beweggrund hinzufügte, daß sie ein andermal habe zusehen müssen, ohne welche zu kriegen, machte er ihr für den einen Stüber eine ganze Düte voll.
Aber das Verhängniß schreitet schnell. Die Empfängerin des Kleides beschwert sich bei Robert’s Mutter, daß sie soviel habe bezahlen müssen, und die Mutter stellt die Tochter zur Rede. Sprachlos vor Angst blickt Gretchen die Mutter an und vermag kein Wort herauszubringen. Robert ist zugegen und sagt: „Aber liebe Mutter, wie soll Gretchen nach so langer Zeit noch wissen, was Du ihr damals bestellt und was sie erhalten hat?“ Die Mutter stand von weiterem Forschen ab.[25] Sowie aber Robert ausgehen mußte, sagte er: „Ich möchte Gretchen gerne mitnehmen.“ Er schlug einen ungewöhnlichen Weg mit ihr ein. In einer stillen Straße bleibt er stehen, sieht sie eindringlich an und fragt: „Gretchen, warum hast Du der Frau einen Stüber mehr abverlangt, als die Mutter gesagt?“ Sie erzählte ihm nun die ganze Geschichte. Da ballte er die Hände und knirschte mit den Zähnen. Die Schwester bat ihn, es der Mutter zu sagen, damit sie ihre Strafe bekomme. „Sei ruhig,“ erwiderte er stirnrunzelnd, „ich werde es der Mutter nicht sagen. Aber warum hast Du mir damals nichts gesagt, als man Dich zusehen ließ?“ „Dann hättest Du geweint,“ sagte Gretchen schluchzend. „Jetzt bin ich groß und weine nicht mehr,“ entgegnete Robert. „Du aber sollst mir versprechen und es nie vergessen, daß Du Dich stets an mich wenden willst, wenn Dir etwas fehlt, wenn Du Dir etwas wünschest, wenn Dir bange ist.“ Er hat redlich Wort gehalten.
Jener Fall mit den Hobelspänen war natürlich nicht der einzige, bei welchem die Tante die armen Kinder zurücksetzte. Als Robert eines Tages trübselig zu Hause saß, äußerte er seiner Mutter den Wunsch, ein wenig zur Tante zu gehen. Er ging, kam aber bald zurück mit der Nachricht, daß er nicht vorgelassen worden sei, weil die Tante Besuch habe. Neugierig, den Besuch zu sehen, hatte er durch das Glasfenster der Besuchsstube geschaut und den Onkel Heinrich nebst Frau bei der Tante sitzen sehen. Tief gekränkt, faßte er seinen Schmerz in die für einen so jungen Knaben höchst überraschende Wendung zusammen: „Die Schwester meines Vaters konnte mich nicht empfangen, weil sie den Bruder meines Vaters zum Besuch da hatte.“
So war das elfte Jahr seines Lebens herangekommen, in welchem Robert zum ersten Male das heilige Abendmahl empfing. Wohl der Einzige unter den gleichalterigen Genossen,[26] hatte Robert die Festkleidung, die er am Altar des Herrn trug, sich selbst redlich verdient. Aber auch der kindlich tiefe Glaube an das Wunder des Gnadenmahls des Heilandes mochte vielleicht keinem seiner Gefährten so rein und kräftig innewohnen, wie ihm. Diesen schon seit seinem vierten Jahr durch täglichen Messebesuch und Messedienst bethätigten Glauben bezeugte Robert nun auf’s Neue, indem er seine Eltern nach der Communion bat, ihm zu gestatten, daß er in der St. Martinskirche (seiner Pfarrkirche) in die Reihe der Meßdiener eintreten dürfe. Da mit diesem Amte kleine Einnahmen verbunden waren, die Robert seiner Mutter zuzuwenden hoffte, und außerdem das Recht, die Pfarrschule der Kirche zu besuchen, so gaben die Eltern mit Freuden ihre Zustimmung.
Robert wurde also Meßdiener. Da dieser Dienst die Knaben nur in frühen Morgenstunden und an Sonn- und Feiertagen beschäftigte, so hinderte er nicht am Schulbesuch. Aber aus diesem Dienst, der Alles in sich zu vereinigen schien, was Robert glücklich machte, erwuchsen dem Knaben zum ersten Male in seinem jungen Leben seelische Leiden, die ihn mit tiefem Schmerz erfüllten und in ihrem Verlaufe den festen, treuen Kinderglauben Robert’s zerstörend ergriffen und vernichteten. Den ersten Anlaß hierzu bot folgender Vorgang. Die jungen Meßdiener verweilten in der Kirche schon ehe sie den Gläubigen geöffnet wurde und noch nachdem sie von den Kirchenbesuchern verlassen war. Die Jungen — mindestens aber Robert — beobachteten genau das Benehmen der Geistlichkeit in diesen Momenten, wenn diese unter sich zu sein glaubte. Klagend und weinend berichtete Robert der Mutter: „Er habe die traurige Bemerkung gemacht, daß die stets mit dem Heiligen beschäftigten Leute nicht frömmer als die Anderen seien, ja noch viel weniger fromm. Es falle Keinem derselben ein, vor dem Hochaltar das[27] Knie zu beugen, wenn die Kirche von Menschen leer sei. Sie gingen vielmehr lachend und schwatzend vorbei. Er wolle aber versuchen, durch sein besseres Beispiel auf die Andern zu wirken.“ Bald klagte er der Mutter von Neuem: „Nein, nein, sie Alle sind nicht fromm. Sie haben keine Achtung und Ehrfurcht vor dem im Altar verborgenen Heiland. Es ist nur Scheinheiligkeit, wenn sie in der von Menschen gefüllten Kirche Ehrenbezeugungen an den Tag legen.“ Armes, reines Kinderherz! Du wußtest nicht, daß Jahrhunderte vor dir ein anderes Kind, aus so armem Hause wie du, am zehnten November geboren wie du, denselben Weg zur Erkenntniß gewandelt war, dessen rauhe Bahn du nun betratest. Auch Martin Luther war nicht zuerst irre geworden an der Lehre der römischen Kirche, sondern an ihren geistlichen Dienern. Und als er diese voller Lug und Trug fand, erstreckte sich sein Zweifel auch auf den von solchen Priestern verkündeten Glauben. Denselben Weg der Erkenntniß wandelte Robert Blum.
Jeder wahrhaftigen treuen Natur ist die erste Berührung mit Lüge und Heuchelei eine überaus peinliche Erfahrung. Hier wurde sie um so peinvoller, als die bisher untrügliche letzte Instanz in allen wichtigen Fragen, die Mutter, in ihrem blinden Glauben an die Heiligkeit und Frömmigkeit der Diener der Kirche, die Zweifel Robert’s nicht lösen konnte oder wollte. Er wurde daher nun auch der Mutter gegenüber einsilbig und verschlossen. Seine letzten Gedanken behielt er für sich. Finster und argwöhnisch ging er seinen kirchlichen Functionen nach. Immer weiter griff sein grübelnder Zweifel um sich. Das Nächste, was ihn aufregte, war zum Glück noch eine rein weltliche Betrachtung. Bei Trauungen, Kindtaufen, Begräbnissen &c. legten die Betheiligten Trinkgelder in eine für die Meßdiener bestimmte Büchse. Robert glaubte bemerkt zu haben, daß der[28] Inhalt der Büchse, wenn er zur Vertheilung kam, mit den Einlagen nicht stimme, und seit der letzten Theilung begann er förmlich Buch zu führen über jeden Stüber, der eingelegt wurde. Bei der nächsten Vertheilung des Büchseninhaltes fand sich nicht einmal die Hälfte der von Robert berechneten Einlagen vor. Er nahm seinen geschmälerten Theil, brachte ihn weinend der Mutter, legte ihr sein Verzeichniß vor und berechnete ihr danach, wie viel jeder der jungen Meßdiener eigentlich hätte erhalten müssen.
Die Mutter nahm Geld und Verzeichniß ging zum Hülfsküster, der die Büchse in Verwahrung hatte, und beschwerte sich über solchen „Betrug“. Dieser hörte die Klage staunend an; dann lachte er laut auf und rief einmal über das andere: „Also jetzt rechnen die Jungens nach, was in die Büchse kommt!“ Die gute Mutter mochte in diesem Gebahren des Küsters auf die schwere Anklage nur die Bestätigung Alles dessen finden, was Robert ihr bisher aus seinem vollen Herzen geklagt hatte, und war deshalb wenig geneigt, die Sache von der heiteren Seite aufzufassen. Sie nannte daher dem Küster die Namen aller Personen, die Geld in die Büchse eingelegt hatten, und gab genau die Summe an, die ein Jeder gegeben. Da legte sich der Küster auf’s Beruhigen. Er versprach, die Büchse solle in Zukunft besser aufgehoben, Veruntreuung dadurch unmöglich gemacht werden. Und er hielt Wort.
Für Robert war jedoch dieser Sieg, den sein Scharfsinn für sich selbst und die Kameraden erfochten hatte, mit nichten erfreulich. Bot er ihm doch die traurige Bestätigung, daß er mit seinem Argwohn auf richtiger Fährte gewesen. Da die Mutter nur einen Theil seiner Zweifel zu lösen vermochte und sein Glaube ihm gebot, alles Herzeleid und alle seelische Bedrängniß in der[29] Beichte dem verschwiegenen Priester anzuvertrauen, so flüchtete er mit seinem stillen Weh in den Beichtstuhl. Alles, was er der Mutter geklagt, und mehr noch, so namentlich auch den Zweifel an dem Glauben, daß der mächtige Herrgott in Person sich tagtäglich leiblich von den Gläubigen werde verzehren lassen wollen, schüttete er vor dem lauschenden Ohre des Beichtigers aus. Rauhe Worte und Drohungen mit ewiger Verdammniß waren die Antwort. Er ging nun von einem Beichtvater zum andern. Manche gaben ihm freundlichen Zuspruch, liebevolle Ermahnungen. Aber harte Zurechtweisung war vorherrschend. Der letzte Beichtvater namentlich, an den er sich gewandt, nannte ihn einen verstockten Sünder und verweigerte ihm die Absolution.
Kurze Zeit darauf wurde er zum Pfarrer beschieden. Er ging natürlich hin und fand eine ganze Anzahl Geistlicher beisammen, unter ihnen auch Denjenigen, bei dem er, von Zweifeln gefoltert, Trost, Beruhigung, Glauben suchend, gebeichtet hatte. Vor Allen nimmt dieser Beichtvater das Wort und schildert Robert als einen frechen, anmaßenden Buben, der sich unterstehe, den Lauscher und Aufpasser abzugeben, sich erdreiste zu beurtheilen, ob das Betragen eines geweihten Priesters passend oder unpassend sei, der Rebellion unter den Meßdienern gestiftet und sie gelehrt, ihren Vorgesetzten zu mißtrauen, ihnen aufzupassen, sie wohl gar zur Rechenschaft zu ziehen. Der Knabe, aufgefordert sich zu rechtfertigen, stottert, verwirrt durch den ungeheuren Vertrauensbruch, die Worte heraus: daß er im Beichtstuhl sein Herz offenbart und nun unverbrüchliche Geheimnisse verrathen sehe. „Ach, wir wissen doch Alles“, wird ihm höhnisch entgegengerufen, mit zeitlicher und ewiger Strafe, mit Hölle und Verdammniß ihm gedroht und, um sein Elend vollzumachen, die Mutter gerufen, um auch sie von der[30] Ruchlosigkeit ihres Sohnes in Kenntniß zu setzen. So endete Robert’s Rolle als Meßdiener.
Seine gute Mutter trug vor Allem Fürsorge für das Seelenheil ihres Kindes, dessen Herz sie so ganz anders geartet kannte, wie das grausame Ketzergericht, das nun gesprochen hatte. Sie brachte ihren Robert zu dem alten, würdigen, gutmüthigen Geistlichen, der sie und Robert schon so lange kannte, klagte diesem, wie Alles gekommen, und bat ihn, sich ihres armen Kindes anzunehmen und ihn auf den Weg des Glaubens zurückzuführen. Robert folgte lammfromm den Worten des Einzigen, dem er vertraute, erhielt die früher verweigerte Absolution, ging nach wie vor zur Beichte und Communion — aber trotzdem war für ihm immer dahin die selige Glaubenswelt seiner Kindertage. Als er mehr als ein Vierteljahrhundert später sich öffentlich lossagte von der römischen Kirche und das praktischste und energischste Haupt der neuen Deutsch-katholischen Kirche wurde, hat, wie später an seinen eigenen Bekenntnissen gezeigt werden wird, gewiß der Gedanke, politische Ziele durch die religiöse Bewegung zu fördern, vollen Antheil an seinen Entschließungen gehabt. Dennoch aber war dieser Schritt nur die letzte Consequenz jener Seelenkämpfe, die in ihm erregt wurden in Jahren, wo wir kaum über uns und Andere zu denken beginnen.
Den Besuch der Pfarrschule wegen dieser Ketzereien Robert zu verbieten, wagte man doch nicht. Er lernte hier mit gleichem Eifer fort. Da ließ eines Tages Robert’s Lehrer, der verwachsene, fleißige und hochgeachtete Herr Burg, die Mutter zu sich bitten und sagte ihr: „er sei jetzt fünfunddreißig Jahre lang Lehrer an einer und derselben Schule — aber ein Talent und solchen Fleiß, wie er bei Robert gefunden, sei ihm in dieser langen Zeit noch nicht vorgekommen. Er rathe der Mutter,[31] Alles aufzubieten, um ihn studiren zu lassen.“ Die Mutter wendete ein, sie sei nur eine arme Frau, der Knabe habe einen Stiefvater, es werde ihr unmöglich sein, Robert studiren zu lassen. Da meinte Herr Burg: „gerade für strebsame und arme Kinder und Waisen habe ja die Stadt ihre reichen Stiftungen. Er rathe, ihren Sohn nach dem Gymnasium zu bringen und dann sich um Erlangung einer ‚Stiftung‘ zu bemühen.“
Robert war selig, als er von diesem Plane hörte, und ließ es natürlich an Bitten nicht fehlen, um das hohe Ziel zu erreichen. So brachte ihn denn die Mutter nach dem Kölner Jesuitengymnasium. Seine Freude, sein Fleiß waren grenzenlos. Immer hatte er zu wenig Arbeit. Als er die Sexta durchlaufen hatte und am Schlusse des Schuljahrs öffentliche Prüfung stattfand, wurde ihm, dem Fleißigsten und Aermsten, der erste Preis, das „goldene Buch“, zuerkannt. Vor mir liegt unter all den ähnlichen Zeugnissen, welche Robert aus seiner Schulzeit davongetragen, auch das Zeugniß über dieses letzte Vierteljahr seines Schulbesuchs. Es lautet: „Vierteljährige Censur. Vorbereit. Classe des Jes.-Gym. Nro. Ein. Schuljahr 1819–20, viertes Vierteljahr. Namen Robert Blum. Betragen gegen Mitschüler gut, gegen Vorgesetzte lobenswerth. Fleiß lobenswerth in allen Fächern; der häusliche Fleiß sehr groß, und mit dem besten Erfolge. Fortschritte vorzüglich in allen Fächern. Abwesend und zu spät gekommen vacat. Also ausgestellt von den Lehrern Weiß, Breuer, Religionslehrer. Unterzeichnet von dem Director Heuser. Köln, 27. August 1820.“ An den Fuß dieses Zeugnisses hat die ungelenke Hand des Stiefvaters geschrieben: „Mit Freuden gesehen von Caspar Georg Schilder.“
Mit noch erhöhter Freude ging Robert natürlich zu Anfang des folgenden Jahres nach Quinta. Die Mutter hatte[32] sich nun ein volles Jahr übermäßig angestrengt, um Schulgeld, Bücher, Kleidungsstücke &c. zu beschaffen. Aber trotz aller unablässigen Bemühungen wollte es ihr nie gelingen, eine Stiftung für ihren Sohn zu erlangen. Immer hieß es: es seien keine Gelder vorhanden. Jetzt wurde ihr eröffnet, es könne noch anderthalb Jahr währen, ehe er in den Genuß einer solchen Freistelle treten könne. Das war ein furchtbarer Schlag. Es fehlte an Allem, an Büchern, Geld, vor Allem an dem so nöthigen Anzuge. Aber es gab ja noch eine Hoffnungsaussicht, welche die Mutter um ihretwillen nie angerufen hatte, aber um des reichbegabten Sohnes willen nicht unversucht lassen wollte: die wohlhabende Verwandtschaft. Trostsuchend wandte sich die Mutter zuerst an den früheren Lehrer Robert’s, Herrn Burg, und auch von diesem wurde sie vertrauensvoll gewiesen an Alles, was sich Robert gegenüber mit dem Namen „Onkel“ schmückte. Verheißungsvoll wiesen sämmtliche Onkels ihrerseits auf die reiche Tante Agnes, zumal da Robert sie ja in ihrer bekannten mathematischen schweren Noth über Wasser gehalten hatte. Diese treffliche Dame aber sagte: „Ich habe keine Kinder. Wer Kinder hat, mag dafür sorgen!“ Damit war die Entscheidung gesprochen. Robert mußte der Hoffnung, weiter zu lernen, entsagen und zu Hause bleiben.
Schweigsam und traurig, alle bisherigen Genossen seiner Studien sorgsam meidend, schlich der sonst so muntere, frohe Knabe einher. Ernstlich fürchteten seine Eltern und Alle, die ihn damals sahen, er möchte in Gemüthskrankheit verfallen. Dann aber, als er, finster vor sich hinbrütend, Tag und Nacht sein Mütterlein an der Arbeit sah, um ihm und seinem Schwesterchen Brod zu schaffen, ohne ein Wort des Vorwurfs für seine Unthätigkeit, da warf er den letzten schmerzlichen Blick rückwärts nach den für immer verlorenen Gefilden der ewigen[33] Jugend des Alterthums und beugte seinen kräftigen Nacken unter das Joch gewöhnlicher Handarbeit. Als er etwa fünfzehn Jahre später um Aufnahme in den Freimaurerbund nachsuchte, faßte er selbst den Schmerz seiner Seele, der ihn damals bewegte, und die heroische Entscheidung, die er am Ausgange seiner Knabenjahre traf, in die schönen Worte zusammen: „So mächtig mich auch damals die Sehnsucht festhielt am Wissen, ich war gezwungen, ein Handwerk zu erlernen, und trat nach vollendetem siebenzehnten Jahre eine traurige Selbstständigkeit an, indem die Kindespflicht mich hinaustrieb in das Leben, um meinen Eltern die Sorgen für meinen Unterhalt abzunehmen.“
Wenn das lebhafte Rechtsgefühl, das Robert Blum Zeit seines Lebens beseelte, überhaupt auf eine bestimmte Erfahrung zurückgeführt werden kann, so hat er es sicherlich in der Hauptsache den Leiden und der Rechtlosigkeit seiner Lehrjahre zu danken. Denn geradezu das Gegenbild des heutigen Rechtsverhältnisses zwischen Lehrherrn und Lehrling boten jene Tage, da er Lehrjunge wurde. Hinweggefegt mit allen anderen historischen Einrichtungen früherer Jahrhunderte wurden auch die ehrsamen Zünfte, als die Jacobiner Frankreichs über Köln sich ergossen hatten. Keine Thräne soll etwa hier dem alten Zunftwesen nachgeweint werden. Unleugbar wurde der Lehrling im Zunftstaate der guten alten Zeit mehr als billig vom Meister ausgebeutet: das Lehrgeld kam sehr theuer zu stehen, und viel zu lange währte die Lehrzeit. Dagegen hatte die[34] alte Zunftzeit auch jede herzlose Ausbeutung und Behandlung des Lehrlings von Seiten des Meisters, die über die Grenzen des nach damaligen Begriffen Erlaubten hinausging, streng geahndet. Kein Meister durfte wagen, dem Ehrenrathe der Zunftgenossen zu trotzen: wenn er es that, stellte er seine ganze Existenz auf’s Spiel.
Von diesen heilsamen Schranken gegen die Willkür des Meisters hat Robert Blum in seinen Lehrjahren nichts mehr vorgefunden. Wir Deutschen von heute können uns kaum eine Vorstellung von den Verhältnissen eines Lehrjungen jener Tage machen. Wir sind eben im Begriffe, die Zuchtlosigkeit und die Geneigtheit zu Vertragsbruch, die in erschreckendem Maße unter den heutigen Lehrlingen — in Folge bekannter Hetzereien — sich ausbreitet, durch gesetzliche Bestimmungen einzuschränken. Wir würden es einfach für unmöglich halten, daß heute ein Meister wagen sollte, seinen Lehrling nur als den Sclaven der Launen aller Hausgenossen und außerdem als „Mädchen für Alles“ zu benutzen ohne auch nur den Versuch zu machen, den Lehrling in dem Gewerbe zu unterrichten, das er lernen soll. Der starke Arm des Gesetzes schützt auch den Aermsten und Schüchternsten vor solcher Ausbeutung. Robert Blum dagegen hat mehr als einmal Lehrherren von diesem Schlage kennen gelernt.
Lange hatte der dreizehnjährige Knabe nachgesonnen, welchem Handwerke er sich zuwenden solle, als die Pforten des Gymnasiums sich ihm für immer geschlossen hatten. Seine Eltern ließen ihm freie Wahl. Robert entschloß sich, Goldschmied zu werden. Das edelste der Metalle, den Rohstoff, auf dessen Besitz das einzige Streben vieler Millionen unablässig gerichtet ist, wollte er bearbeiten und zu schmückendem Zierrathe künstlerisch gestalten lernen. Tiefer Sinn lag in[35] dieser Berufswahl, die der denkende Knabe gewiß mit vollem Bewußtsein traf. Da nun einmal das reine Gold der Wissenschaft, das er ohne jeden unedeln Beisatz auszumünzen hoffte, seinen Händen für immer entrückt war, so wollte er wenigstens täglich jenes wichtigste Element unter den Händen haben, das so Viele noch höher schätzen, als das reine Gold der Wissenschaft. Seine Eltern billigten die Wahl. Robert wurde zum Goldarbeiter Asthöver in der Mauthgasse in die Lehre gebracht.
Es ist nun eine von allen bisherigen Biographen Robert Blum’s mit rührender Einstimmigkeit berichtete Fabel, deren „Moral“ nicht erst erläutert zu werden braucht: Robert habe bei Asthöver — den Namen des Meisters nennt übrigens keiner der bisherigen Biographen — ein halbes Jahr lang Draht gezogen, ausgeglüht und als erste selbstständige Arbeit endlich Ketten machen sollen, dazu aber habe er sich vollständig unfähig erwiesen. „Allerdings war sein späteres Streben nur darauf gerichtet, alle Ketten zu sprengen, welche die Menschheit noch ihrer Freiheit berauben“, bemerkt einer dieser gemeinplatz-wandelnden Biographen. Aus diesem Grunde soll Robert von dem Meister, den man sich nach der Nutzanwendung der Fabel eigentlich als ränkeschmiedenden Reactionär vorstellen müßte, fortgejagt worden sein. Allein diese allerliebste Geschichte hat nur den einen Fehler, daß sie nicht wahr ist. Nach den Familienaufzeichnungen, die wir eben wegen ihrer Schmucklosigkeit und Tendenzlosigkeit und ihrer Fülle von Detail und Localfarbe für völlig glaubhaft halten dürfen, hat sich die Sache so zugetragen:
Meister Asthöver war ungefähr das, was man im gewöhnlichen Leben einen guten Menschen, aber schlechten Musikanten nennt. Er scheint seinerseits einen ansehnlichen Beitrag[36] zu der den Franzosen und anderen lateinischen Völkern völlig unbegreiflichen deutschen Volksvermehrung geliefert zu haben. Wenigstens hat Robert während der neun Monate seiner Lehrzeit bei Asthöver außer den Functionen der Magd auch diejenigen des Kinderwiegens, -Tragens und -Laufenlehrens, kurz alle Aufgaben eines ersten Erziehers überkommen und vollzogen. Und wahrscheinlich wäre bei längerer Fortdauer seiner Lehrzeit in dieser Art von Werkstatt derselbe Kreislauf der Pflichten ihm noch mehr als einmal beschieden gewesen. Jedenfalls war es nicht der Fehler Asthöver’s, daß dies nicht der Fall war. Vielmehr klagte Robert Blum selbst seiner Mutter nach dreivierteljähriger Lehrzeit, daß er die Werkstatt des Meisters kaum zu sehen bekomme, und meist nur als Kinderwärter, höchstens als Küchenjunge verwendet werde. Die Mutter, welche die Wahrheitsliebe ihres Robert schon so oft erprobt hatte, ging zu Asthöver und beschwerte sich über den Mißbrauch. Da fand auch der biedere Meister eine flotte Ausrede. Er erklärte, daß er den kurzsichtigen Knaben mit den schwachen Augen zur Berufsarbeit nicht brauchen könne. Wann und wie lange er diese betrübende Entdeckung gemacht, verrieth er der Mutter nicht. Zum Kettenschmieden ist Robert jedenfalls nicht gekommen.
Es scheint, als habe Robert nun zunächst den Zufall über seine Berufswahl bestimmen lassen. Bei einem Gürtler war eine Lehrstelle offen. Er nahm sie an. Aber nach einem halben Jahre schon war auch dieser Berufszweig verdorrt; denn der Meister mußte wegen verschiedener schlechter Streiche, welche die Nachfrage der Behörden nach seiner werthen Person in bedenklichem Maße steigerten, Köln verlassen und das Weite suchen.
Zum dritten Mal stand also Robert in dem ärmlichen Hause der Eltern vor der dringenden Frage: „was nun?“ Da wurde durch die Zeitung bekannt gemacht, daß ein Gelbgießer[37] in Köln einen Lehrling suche. Robert bot sich sofort an. Der ehrsame Meister, der den Lehrling suchte, war Peter Räder, Gelbgießer aus Düsseldorf, seit Kurzem erst nach Köln gezogen. Robert gefiel dem Meister sehr, und der Contract wurde daher sofort geschlossen. Ob das Gefallen auf Gegenseitigkeit beruhte, wissen wir nicht. Jedenfalls verbreiteten sich bald die schlimmsten Gerüchte über die Vergangenheit des Meisters. Er sollte in Düsseldorf seine Frau so lange gequält und geärgert haben, bis sie habe in’s Grab steigen müssen. Nach Köln sei er nur gezogen, um seinen Schwägern aus den Augen zu kommen, die ihm Rache geschworen. Vor Robert hatte er einen Lehrling gehabt, der aus Aerger über des Meisters stetes Zanken und seine Unzufriedenheit mit jeglicher Leistung erst die Gelbsucht bekommen hatte, dann an der Auszehrung gestorben war.
Das Verhalten Räder’s Robert gegenüber rechtfertigte vollkommen diesen bösen Leumund. Dieser Meister der Gelbgießerei zeigte sich geizig, zänkisch, kleinlich und von Herzen bösartig. Gleichwohl suchte Robert durch vier lange Jahre es ihm recht zu machen, um nur von sich selbst den drückenden Verdacht abzuwehren, als sei er unstet und ungeschickt, unwillig zum Lernen eines ordentlichen Handwerkes. Niemals gewann er in dieser langen Zeit von seinem Meister die geringste Aufmunterung, das bescheidenste Zeichen der Zufriedenheit. Daß der Meister mit Robert nicht fortwährend zankte, war schon ein Beweis der treuesten Pflichterfüllung des Lehrlings.
Ein Vorkommniß ist besonders bezeichnend für den Charakter dieses Lehrherrn. Räder erhielt eines Tages eine große Bestellung von Seiten des Militärfiscus, wie wir heute sagen würden. Eine sehr erhebliche Anzahl der mit einzelnen Messingplättchen belegten, spitz zulaufenden Riemen an den Czakos der (preußischen) Soldaten sollte in größter Eile geliefert werden.[38] Räder konnte nur durch ungewöhnliche Anstrengung aller seiner Leute hoffen, die lohnende Arbeit in der vorgeschriebenen Zeit zu bewältigen. Er sicherte daher Allen, die vier bis fünf Stunden des Nachts während sechs Wochen an dieser Arbeit mit helfen würden, einen bestimmten Lohnsatz pro Stunde für diese Extraarbeit zu. Robert speciell versprach er für jede dieser Arbeit geopferte Nacht fünf Groschen. Freudig ging das junge Blut auf dieses Angebot ein. Fortan kam Robert Abends acht Uhr, wie sonst, zum Essen nach Hause und ging vor zehn Uhr wieder an die Nachtarbeit. Bis drei Uhr Nachts war er thätig. Dann gönnte er sich im Hause des Lehrherrn einige Stunden Ruhe, kam zum Frühstück nach Hause und ging, wie gewöhnlich, um sieben Uhr an sein Tagewerk. Voller Freude sprach er mit den Seinen von der schönen Summe Geldes, die er sich durch das Opfer seines Schlafes erkauft habe. Mit der reichen Hoffnung der Armuth malte er sich schon eine königliche Bescheerung aus, die er sich selbst leisten werde. Nun waren die schweren sechs Wochen um. Die Gesellen, die jede Woche, auch für die Nachtarbeit, abgelohnt worden waren, hatten längst ihr Geld in der Tasche. Räder hatte ein vortreffliches Geschäft gemacht. Aber Robert erhielt nichts; kein Wort des Lehrherrn verrieth dessen Absicht, sich dem armen Lehrling gegenüber an das gegebene Versprechen zu erinnern. Endlich geht die Mutter entschlossen zu Räder und bittet um das Geld für ihren Sohn. Da meint der Meister: „es sei doch spaßhaft, wenn selbst der Lehrling komme und seine Mühe bezahlt haben wolle. Wenn Arbeit da sei, müsse eben der Lehrling arbeiten — dafür sei er Lehrling; auf ein bischen mehr oder weniger komme es nicht an.“ Dabei blieb es. Kein Pfennig war aus dem hartherzigen Knauser herauszupressen. Von diesem Tage an fehlte es nun für Robert[39] auch an stetem Zanken und Schelten nicht. So meinte Räder am bequemsten die Stimme des Gewissens zu übertäuben.
Endlich waren auch diese vier bösen Jahre um. Robert zählte neunzehn Jahre, als er zum Gesellen gesprochen wurde (November 1826). Aber der Geselle und der Prophet gelten nichts in ihrem Vaterlande. Beide müssen wandern. Auch Robert wanderte, natürlich nicht als Prophet, sondern als Gelbgießergeselle. Diese Tage der Wanderschaft kann ich nun auf Tag und Stunde, an der Hand der eigenen Aufzeichnungen des Wanderers verfolgen. Robert Blum hat nämlich durch seine Wanderjahre ein „Reise-Journal“ geführt. Das ist der früheste eigenhändig von ihm geschriebene und, was die Glaubwürdigkeit erhöht, auf der Wanderschaft selbst tagebuchartig fortgeführte Bericht aus seinem Leben, den ich besitze. Er wurde unter seinen nachgelassenen Papieren vorgefunden. Leider sind alle seine Briefe an die Seinen aus jener Zeit, deren er trotz des theuren Portos viele schrieb, verloren gegangen. Aber das Reise-Journal läßt, obwohl es nur die Reiseroute in Meilen, die Zeit des Aufenthaltes an den einzelnen Orten angiebt und diese Orte nebst Umgegend schildert, alles das zwischen den Zeilen lesen, was aus den mir vorliegenden Zeugnissen seiner Meister und sonstigen Quellen über seine Wanderschaft berichtet wird: daß Robert nämlich, in Folge seiner schwachen Augen, überall zu feinerer Arbeit sich wenig tauglich zeigte, und daher überall nur kurze Zeit kaum lohnende Arbeit fand, obwohl er sich überall „honett betrug“, wie es in den Zeugnissen heißt.
Am 25. November 1826, genau zwanzig Jahre nach dem Hochzeitstage seines Vaters, trat Robert, nach seinem Reisejournal, die Wanderung an. Er erreichte an diesem Tage Bonn. Es war der erste Schritt in die Welt, den er that.[40] Man sieht den ersten Seiten des Journals deutlich an, mit welcher Begeisterung der arme, zeitlebens bisher an die Scholle gefesselte junge Mann oder „Jüngling“, wie er sich selbst noch drei Jahre später nannte, die Wunder des Rheinlandes begrüßte. Die für die „Bemerkungen über die Gegend“ eingerichtete Spalte des Journals reicht überall nicht zu, um das volle Herz ausströmen zu lassen. Dabei spricht Robert natürlich wie ein Buch. Er will vor sich selbst zeigen, daß er doch schon Einiges gelernt und nichts vergessen hat. So versichert er, kaum in Bonn angekommen, und ohne jede eigene Kenntniß von anderen Städten als Köln und Bonn: „Die Reste von Bonns ehemaliger Herrlichkeit als kurfürstliche Residenz, verbunden (!) mit der Universität und ihren gelehrten Instituten, machen die sonst unbedeutende Stadt zu einer der merkwürdigsten am Rheine.“ Schon am 27. November wanderte er über Remagen, Andernach, Neuwied nach Weißenthurm, am 28. bis nach Coblenz. „Ihm gegenüber liegt auf der fast unersteigbaren Zinne eines schroffen Felsens die Bergveste Ehrenbreitstein, das deutsche Gibraltar, ein vollendetes Meisterwerk deutscher Befestigungskunst“, schreibt er in sein Journal. Und dann schildert er die Gegend auf seinem Weitermarsch nach Caub, Bacharach &c. also: „Von hier aus wird die Gegend immer wilder und romantischer. Gigantische, jeder Vegetation (?) unfähige Felsenmassen, deren Gipfel mit den Denkmälern grauer Vorzeit und deutschen Heldenmuthes gekrönt sind, wechseln mit lieblich grünenden Weinbergen; der stolze Fluß, in enge Schlünde zusammengedrängt, bahnt sich in mäandrischen Krümmungen den Weg durch das Felsenlabyrinth und scheint oft mit dem Donnern und Brausen seiner Wogen das ganze Bett sprengen zu wollen.“ Gewiß haben wenige wandernde Gelbgießergesellen damaliger Zeit so gut geschrieben und so wenig Arbeit gefunden, wie[41] Robert. Denn schon am 10. December traf er, auf demselben Weg rückwärts wandernd, wieder in Köln ein.
Der Schrecken der Seinen über die rasche Heimkehr scheint kein geringer gewesen zu sein. Schon nach zwei Tagen ergreift er abermals den Wanderstab und zieht über Opladen und Solingen nach Elberfeld. Die Landschaft, die er durchwandert, schildert er in seinem Reisejournal also: „Die Gegend, welche an den Ufern des Rheins flach bleibt, beginnt östlich von Opladen sich zu erheben; Hügel von Sand und Mergel sind die Vorboten größerer Berge, die in romantischen Gruppen die Gegend bedecken und ihr ein wahrhaft schweizerisches (?) Ansehen geben. Ackerbau findet man meistens nur in den Thälern und am Fuße der Berge und auch hier nur unbedeutend. Die Einwohner ernähren sich größtentheils von Fabrikarbeit, und ihr Fleiß und ihre Arbeitsamkeit sind bewundernswerth und fast beispiellos. In den verborgensten Tiefen klappern unaufhörlich die Hämmer der zahlreichen Eisenwerke, und nicht selten tönt uns von der unwirthbarsten Spitze der Berge aus einer einzelnen Hütte das Knarren der Webstühle entgegen oder wir hören die einförmigen Schläge einer Schmiede, die auch in der schaurigsten Einöde an das Dasein uns ähnlicher Wesen erinnern.“
In Elberfeld und Barmen blieb Robert vom 12. December 1826 bis zum 6. Juni 1827 in Arbeit bei verschiedenen Meistern. Der zweite, der ihn beschäftigte, sagte ihm beim Abschied — gewiß nicht mit Unrecht —: „er passe nicht zu einem Handwerksmann; er solle lieber ein Federfuchser werden.“ So viel Wahrheit und Menschenkenntniß in diesem Worte lag, für Robert enthielt es das Schmerzlichste, was ihm ein Mensch damals offenbaren konnte: die rückhaltlose Aussprache der furchtbaren Erkenntniß, die er selbst im tiefsten[42] Schrein seines Herzens bewahrte — daß er seinen Beruf verfehlt habe, daß ihm aber zur Durchführung seiner Lebensaufgabe, der productiven Geistesarbeit mit der Feder, das Nöthigste abgehe, Wissen und die Mittel zur Fortbildung.
Unter der ganzen Wucht dieser erdrückenden Erkenntniß, völlig überzeugt, daß ihn sein Handwerk, bei dem so viele Andere ihr reichliches Auskommen fanden, nicht nähren könne, trat Robert am 6. Juni 1827 wieder den Heimweg nach Köln an[4], wo er verzweifelt den Seinen das ganze Herz ausschüttete.
Da begünstigte ihn zum ersten Male in seinem Leben ein fast wunderbarer Glücksfall. Als er hoffnungs- und aussichtslos die Zeitung durchblätterte, um nach irgend einer Stellung zu suchen, welche ihm wenigstens ermöglichte, seiner guten Mutter die Sorge für seine Ernährung abzunehmen, fand er die Anzeige eines Herrn J. W. Schmitz, eines Lieferanten der vor Kurzem neu eingeführten Straßenlaternen mit einem Licht. Dieser Vertreter der öffentlichen Aufklärung suchte „einen jungen Mann mit hinlänglichen Schulkenntnissen, der in Arbeiten in Metallen erfahren und geneigt sei, Arbeiten zu beaufsichtigen und selbst mit zu arbeiten“. Robert bot sich sofort bei Schmitz an. Er gefiel dem Manne und Schmitz nahm ihn gleich an. Als die Mutter, die wohl kaum an das gute Glück ihres unglücklichen Kindes glauben mochte, nun auch zu Schmitz eilte, um einen „Accord“ mit ihm zu machen, sagte der Straßenbeleuchter: „Liebe Frau, es bedarf keines Accordes. Ich habe in Ihrem Sohne einen Schatz gefunden. Ich kenne ihn erst sehr kurze Zeit, aber ich habe seine herrlichen Eigenschaften erkannt und weiß sie zu[43] würdigen. Für die Beschäftigung, zu der ich ihn anfangs anzunehmen gedachte, ist er zu gut. Seine Ausbildung und seine Zukunft nehme ich auf mich. Ich habe ihn lieb gewonnen.“
So glücklich und verheißungsvoll eröffnete sich Robert’s Stellung bei einem Manne, der trotz der widersprechendsten Anlagen seines Charakters und trotz der schroffsten Wandlungen in seinem Verhalten Robert gegenüber doch eine der bedeutsamsten Rollen im Leben desselben gespielt hat. Denn Schmitz hat dem jungen Manne zum ersten Male Gelegenheit gegeben, sein Vaterland kennen zu lernen, es sorgenlos und behaglich beobachtend zu durchmessen. Er hat Robert zum ersten Mal Muße, Anregung und — wenn auch dürftige — Mittel geboten, um an seiner wissenschaftlichen Fortbildung zu arbeiten. Er hat ihn die reichen Bildungsmittel, welche schon der bloße Anschauungsunterricht des damaligen München und Berlin bot, monatelang benützen und genießen lassen. Und derselbe Mann hat dann andererseits seinen treuesten, begeistertsten und dankbarsten Mitarbeiter tiefer gedemüthigt und härter behandelt, als irgend ein Anderer, von dem Robert mit seiner Existenz abhing. Schon vom psychologischen Standpunkte aus verdient daher dieser merkwürdige Mensch besondere Beachtung, hier aber insbesondere auch darum, weil der Dienst bei ihm für Robert’s Lebensziel und Ausrüstung nach dem Obigen von größter Bedeutung war. Daher scheint es gerechtfertigt, daß der Dienstzeit Blum’s bei J. W. Schmitz ein besonderer Abschnitt gewidmet wird.
J. W. Schmitz war, als Robert Blum am 8. Juni 1827 bei ihm engagirt wurde, ein Mann in der Vollkraft seiner[44] Jahre; höchst unternehmungslustig, den Gewinn, wie alle Sanguiniker, im Voraus nach den denkbar höchsten Sätzen discontirend, auf Verluste und andere böse Chancen gänzlich unvorbereitet, und darum durch jedes Mißgeschick, das ihn traf, in die übelste Stimmung versetzt, nur allzu bereit, in mißlicher Lage Andern sein Wort so wenig zu halten, wie das Glück ihm Wort gehalten. Dabei war er in gewisser Hinsicht, nämlich in der Mechanik und Astronomie und in einigen anderen Zweigen der Naturwissenschaft gut unterrichtet. Sein ganzes Leben hindurch betrachtete er die Beseitigung des allgemeinen Vorurtheils, welches seit Kepler und Newton an die Schwerkraft der Erde glaubte, als die wichtigste Unterbeschäftigung neben seinem eigentlichen Lebensziele, der Straßenbeleuchtung. Seine Opposition gegen die Anziehungskraft der Erde bildete gewissermaßen die noble Passion seines ganzen Daseins. Er bediente sich zur Beseitigung dieses Vorurtheils der im Kampfe gegen Naturgesetze auch heute noch etwas zweifelhaften Angriffswaffe der Broschüre im Selbstverlage. Ungeheure Stöße Maculatur hat er in seinem langen Leben für diese Ueberzeugung auf eigene Kosten drucken lassen. Glücklicher Weise folgten auch diese Stöße dem von ihm gehaßten Gesetz und blieben liegen, wo sie lagen. Schmitz war in den Niederlanden aufgewachsen und erzogen und hat immer in seinem Stil, seinem Charakter und seinem Geschäftsgebahren einen stark mynheerlichen Accent bewahrt.
Als Robert Blum bei Schmitz eintrat, glitt dessen Glücksschiff eben mit voller Fracht und vollen Segeln auf hoher Fluth vor dem Winde dahin. Schmitz’ Erfindung, die Straßenbeleuchtung durch Laternen mit einem Lichte zu besorgen, schien für ein Jahrhundert die Concurrenz auf diesem Felde auszuschließen. Eine große Anzahl speculativer Männer heftete sich an seine glückverheißenden Schritte. Nicht lange nach Blum’s[45] Eintritt bei Schmitz wurde dessen Geschäft in eine Actiengesellschaft umgewandelt. Auch mit Robert schloß der Principal eine seltsame Art von Gesellschaftsvertrag. Mir liegt ein Originalvertrag vor vom 1. September 1828, unterzeichnet von J. W. Schmitz und dessen Ehefrau Antoinette Schmitz, neé Astrupp, in welchem Schmitz bekundet, daß Robert ein Viertel der Versicherungssumme von zwölftausend Franken, die laut Versicherungsvertrages vom 9. August 1828 bei Schmitz’ Ableben von der Pariser Compagnie d’assurances générales zahlbar seien, zu fordern habe, „weil ein Viertel dieser Versicherung für Blum und aus seinen Mitteln bestritten worden sind, und ein Viertel von der jährlichen Prämie selbst bezahlt.“ Das Letztere wird aus den von dieser Zeit an bis 1848 beinahe vollständig mir vorliegenden Buchungen Blum’s über seine Einnahmen und Ausgaben[5] bestätigt.
Indessen sehr bald stellte sich für die Unternehmungen Schmitz’, die auf Rüböl als Beleuchtungsstoff basirten, ein sehr böser Concurrent ein, der nach kurzem theoretischem Zweikampfe einen wahrhaft glänzenden Sieg davontrug: das Gas. Schmitz und seine Actiengesellschaft blieben bankerott auf dem Platze — Schmitz natürlich nur, um im Bunde mit dem siegreichen Gegner, dem Gase, neue Siege zu erfechten. Aber die Erzählung dieser Schicksale seines Lebens liegt jenseits der Aufgabe dieser Blätter. Robert Blum ist bei Schmitz nur zur Propaganda[46] für die Laterne mit einem Licht und Rübölflamme verpflichtet gewesen und ist mit diesem Panier gestiegen und gefallen. Das Gas hat er in einer ganz anderen Berufsstellung, beim Stadttheater zu Leipzig, schätzen gelernt — aber erst viel später.
Bei diesen kurzen Mittheilungen über Schmitz’ Charakter und Lebensschicksale ist sein Hauptverdienst um Robert Blum, die Förderung der geistigen Ausbildung des jungen Mannes, bisher nicht berührt worden, um dieses Verdienst dem Leser nun um so eindringlicher vorzuführen. Daß Schmitz selbst in seinem Greisenalter für dieses hohe Verdienst keine Erinnerung mehr gehabt, kann bei seinem bewegten Leben kaum Wunder nehmen. Er sandte mir am 3. Februar 1865 auf meine Anfragen zwar eine vollständige Sammlung der Schriften seiner Opposition gegen Ihre Majestät die Schwerkraft, antwortete mir aber auf meine Fragen über den Einfluß, den er auf die geistige Entwickelung Robert Blum’s geübt, wörtlich nur Folgendes: „Er war Gelbgießer und klagte über schlechte Behandlung in diesem Stande. Gelesen hatte er von Allem nichts. Es mag wohl eine erste Veranlassung (zu seiner Fortbildung) gewesen sein, daß ich ihn häufig aus der Werkstatt zu meinen Bureaugeschäften rief. Er so wenig wie ich dachte an andere Kenntnisse, als die Straßenbeleuchtung. Wir dachten nicht an Bücher zu lesen. Es gab keine Zeit zum Reisen. Im Jahre 1827“ — soll heißen 1828 (und zwar erst am 23. December) — „begleitete er und ein Kutscher (!) mich nach Berlin, das damals nur hundertsiebenzigtausend Einwohner hatte. Er verwünschte alle Täuschungen, wie ich auch. Es hat gewiß manche Veranlassung gegeben, zu Correspondiren, ich finde aber keine Spur davon wieder.“
Für Schmitz freilich hatte die Correspondenz mit Robert Blum, wie wir sehen werden, durchaus nichts Reizvolles, da[47] Blum in seinen Briefen an Schmitz rein geschäftlich blieb, andere Fragen gar nicht berührte, und die Wendung dieser Geschäfte, wie die Entschlossenheit, mit welcher Blum schließlich auf seinen von dem Herrn Principal todtgeschwiegenen Ansprüchen bestand, zu den unangenehmsten Erinnerungen gehöre, die Schmitz in seinem langen Leben angesammelt haben mochte. Die interessante Correspondenz dieser späteren Conflictszeit hat Robert Blum, mit einem Papierstreifen umschlossen, auf welchem nur der Name „J. W. Schmitz“ steht, hinterlassen. Sie offenbart besser als bogenlange Abhandlungen den Charakter der beiden Männer, die sich dabei gegenüberstanden. Da sie zugleich das Dienstverhältniß Blum’s zu Schmitz abschloß, so steht sie am Ende dieses Capitels.
Als Robert Blum seinen Dienst bei Schmitz antrat, störte kein Wölkchen den beiderseitigen Frieden. Täglich mehr überzeugte sich der Principal, daß er in dem neuen Gehülfen einen wahren Schatz gefunden habe. Die complicirtesten Aufträge und Arbeiten erledigte Robert geschickt, umsichtig, rasch, zu Schmitz’ vollster Zufriedenheit. Eine Treue, einen Fleiß und Eifer entwickelte Robert im Dienste, eine so glückliche Auffassungsgabe und ein solches Talent zu eigener Initiative, daß Schmitz ganz erstaunt war. Gern gab er seiner Zufriedenheit durch freiwillige Gehaltszulagen Ausdruck. Zuletzt, 1830, war der Gehalt Roberts, bei freier Station, auf — fünf Thaler pro Monat gestiegen. Mit dieser Summe hat Robert seine Wäsche und Garderobe beschafft, das Hoftheater in München und später Vorlesungen an der Berliner Hochschule besucht, seine Eltern und Geschwister unterstützt und alle seine unschuldigen Vergnügungen bestritten. Mit diesem Einkommen hielt sich Robert für einen Krösus; demjenigen, der es ihm gewährte, hat er sein ganzes Leben, trotz der schmählichen Behandlung, die derselbe[48] Mann ihm später angedeihen ließ, die aufrichtigste Dankbarkeit bewahrt.
Das Leben bot ja Robert auch in dem neuen Dienste ein so heiteres, glückliches Antlitz, wie der Arme es bisher noch nie geschaut hatte. Jetzt durchflog er das blühende Rheinland, das er früher mühsam und sorgenvoll am Wanderstabe durchmessen, dazu den ganzen sonnigen Süden Deutschlands in einem bequemen Reisewagen, an der Seite eines leidlich gebildeten, ihm zugleich aus Eigennutz und natürlicher Regung gewogenen Mannes, der viele Menschen und Länder gesehen, der in den Naturwissenschaften zu Hause war, der dem erstaunten jungen Manne sogar offenbarte, daß Erde, Sonne, Planeten und Fixsterne eigentlich auf ganz falschen Bahnen wandelten und reuig umkehren würden, wenn er, Schmitz, ihnen das schriftlich bewiesen haben würde. Dazu nun das Robert bis dahin unbekannte herrliche Gefühl völliger Freiheit von drückender Erdensorge, das Bewußtsein, daß er und seine Arbeit geschätzt werde von Demjenigen, von dem sein Wohlergehen abhing, bald nachher auch zum ersten Male die stolze Befriedigung, daß ihm wichtige fremde Interessen allein, zu selbstständiger verantwortlicher Erledigung übertragen wurden. Man kann sich denken, welches Maß von Glückseligkeit und Dankbarkeit in dieses reine arme Herz einzog.
Schon am 9. Juni 1827 verließ Robert mit Schmitz Köln und fuhr nun wochenlang durch das frühlingsgrüne reiche Land; das ganze Entzücken über die herrliche Reise mit wenig Worten in sein „Reisejournal“ eintragend[6]. Am 10. Juni ist Mainz, am 12. Juni Frankfurt erreicht. Hier wird einige[49] Tage gerastet, die alte Kaiserstadt — in der später der „Gelbgießer“ Blum seinen Sitz im deutschen Parlament finden sollte — mit Andacht durchwandert. „Hier wurden ehemals die römisch-deutschen Kaiser gewählt und jetzt ist sie der Sitz des deutschen Bundestages. —“ Der Gedankenstrich steht wirklich im Reisejournal. „Zu den vielen Merkwürdigkeiten der Stadt gehören besonders das Rathhaus, der Dom &c., die herrlichen ‚Neuen Anlagen‘ und die schöne Brücke, wodurch sie mit der Vorstadt Sachsenhausen zusammenhängt; auch wurden Goethe und Klinger hier geboren.“ Charakteristisch für den späteren Begründer des Leipziger Schillervereins ist es, wie viel wärmer als hier Goethe’s er wenige Seiten später in seinem Reisetagebuch Schiller’s gedenkt. Er schreibt da neben „Ludwigsburg“ bei Stuttgart: „vom Hohenasperg Aussicht auf Marbach, Geburtsort unseres unsterblichen Schiller’s.“ Am 16. Juni ging es weiter nach Darmstadt, den folgenden Tag bis Heidelberg. „Von hier,“ schreibt er bei Darmstadt, „beginnt die schon von den Römern angelegte Bergstraße, welche sich bis nach Heidelberg hinzieht. Das alte Rheinthal zwischen Darmstadt und Heidelberg ist einer der reizendsten und fruchtbarsten Landstriche Deutschlands; die Berge im Osten sind mit Wein und stolzen Waldungen bedeckt, und das Thal prangt bis an das Ufer des Rheines allenthalben in der üppigsten Fülle.“ Bis zum 21. Juni wird Württemberg (Stuttgart, Eßlingen, Göppingen bis Ulm) durchfahren, dann zwei Tage später, über Günzburg, Augsburg und Dachau, München gewonnen.
In München ist Robert vom 23. Juni bis 29. November 1827, also über fünf Monate geblieben. Er hat den größeren Theil dieser Zeit allein den Schmitz’schen Geschäften vorzustehen gehabt, die in der Hauptsache darin bestanden, die Laterneneinrichtung im königlichen Schlosse zu leiten. Bei dieser Gelegenheit[50] hatte Blum eines Tages eine flüchtige, aber bedeutsame Unterredung mit König Ludwig dem Ersten von Baiern.
Viel Zeit blieb Robert übrig, um seinem Wissensdrange zu genügen und welche Fülle von Anregung gewährte hierfür München! Ein Gang durch München schon bietet, wie Moritz Carrière mit Recht einmal bemerkt, dem Nachdenkenden ein Bild der Bau- und Kunstgeschichte von zwei Jahrtausenden; ein Gang um München zeigt die unendliche Gestaltungskraft der Natur in aller Fülle und Mannigfaltigkeit. Im Jahre 1814 erst hatte König Maximilian der Erste begonnen, das enge und traurige Nest, das in seinem Aeußeren seit 1791 noch immer aussah wie eine geschleifte Festung und sich seit 1806 noch nicht ordentlich als Residenz hatte fühlen lernen, in eine stattliche, heitere Königsstadt umzuschaffen. Und dieses Werk hatte König Ludwig der Erste mit augusteischer Freigebigkeit und kunstsinniger Prachtliebe fortgesetzt. Eben als Robert in München eintraf, war unter Klenze’s Leitung das neue Hoftheater nach dem Brande von 1823 in vollendeter Schönheit aus dem Schutte erstanden, die herrliche Glyptothek ihrer Vollendung nahe, dem öffentlichen Besuch bereits geöffnet, der Königsbau des Alten Schlosses am Max-Joseph-Platz, die Alte Pinakothek und andere Prachtbauten im Entstehen begriffen. Durch den Reichthum und die Bedeutung seiner Kunstschätze, vor Allem durch die Sculpturensammlung der Glyptothek, überragte München damals unstreitig alle anderen deutschen Städte bei weitem, obwohl die Stadt kaum mehr als fünfzig- bis sechszigtausend Einwohner gezählt haben mag. Dazu nun das ganz eigenthümliche, von den Gewohnheiten des Rheinländers so weit abliegende und doch jeden Fremden so gemüthlich anheimelnde Volksleben des altmünchener Bürgers, mit seinem trockenen Humor, seiner biederen Schwerfälligkeit und genußfreudigen Behaglichkeit. Alles[51] das hat Robert lebhaft angezogen und gefesselt. Die Architektur- und Kunstschätze der schönen Kirchen Münchens, die Hoftheater, die Gemäldegallerie und Glyptothek, das polytechnische, anatomische und naturhistorische Museum, vor Allem aber die königliche Bibliothek hat er, nach seinem Reisejournal, fleißig besucht.
Alle Freistunden des Tages widmete er dieser Bereicherung seines Wissens, seiner Geschmacks- und Kunstbildung; der Abend wurde so oft als möglich im Theater, ein guter Theil der Nacht in ernsten Studien in allen möglichen Fächern des Wissens, in denen Robert bei sich Bildungslücken entdeckt hatte, hingebracht. In dieser Hinsicht war die Reise mit Schmitz von Köln nach München von großer Wichtigkeit für Robert gewesen. Sie hatte ihm bei sich selbst überall eine, wie er meinte, fast bodenlose Unwissenheit enthüllt, an deren Ausfüllung er nun mit eisernem Fleiße arbeitete. Leider sind auch aus diesen Tagen Briefe Robert’s an die Seinen nicht erhalten. Dagegen finde ich in seinem „Stammbuche“ Blätter von den wenigen jungen Männern, mit denen er in München Anknüpfung suchte, welche beweisen, daß er damals mit größtem Eifer insbesondere philosophischen Studien nachgegangen sein muß und das Bedürfniß empfand, das in der Stille der Nacht beim Lampenschein aus weltweisen Büchern in sich Aufgenommene mit den Freunden zu durchsprechen. Einige der Genossen scheint der metaphysische Gelbgießer, nach ihren Stammbuchblättern zu schließen, beinahe bis über die Grenzen vernünftiger Erkenntniß hinaus gefördert zu haben. Sicher ist, daß Robert sich sowohl in München, wie später in Berlin, seiner sorgenlosen Freiheit vollkommen würdig gezeigt, von jeder Verirrung, welche die fröhliche Großstadt nahelegen und leicht verzeihen mochte, ferngehalten hat.
Auf demselben Wege, den er auf der Hinreise genommen,[52] kehrte Robert Ende November nach Heidelberg, von dort über Mannheim und Worms nach Hause zurück, wo er am 12. December eintraf; jedoch nur, um bereits am 15. Elberfeld aufzusuchen, wo er bis zum 20. September 1828 in der Gesellschaft Schmitz’ verweilte, da dieser sein Geschäft dahin verlegt hatte. Hier wußte er sich seinem Principal immer unentbehrlicher zu machen. In jeder Freistunde aber, namentlich in der Nacht, wurde an der Erweiterung des Wissens und der Bildung gearbeitet, auch die erste sehr bescheidene Grundlage einer eigenen Bibliothek gelegt. Nur ganz vorübergehend ist er im September und October 1828 auf einer Geschäftsreise nach Coblenz und Kreuznach bei den Seinen in Köln gewesen. Auch dort hatte sich inzwischen Manches besser gestaltet. Die garstige Mutter des Stiefvaters Schilder war schon seit zehn Jahren todt, die eine der beiden zänkischen Stieftanten war ihr bald in’s Grab nachgefolgt, die andere hatte Köln verlassen. Dadurch war das Verhältniß seines Stiefvaters zu seiner Mutter ein wesentlich besseres geworden. Im November 1819 hatte diese das erste lebende Kind zweiter Ehe, Elise, und nach zwei weiteren bösen Wochenbetten am 20. März 1827 das letzte Kind, Agnes, geboren. Dadurch war freilich auch neue Sorge in das Elternhaus eingekehrt. Am 12. October theilte Robert den Eltern mit, daß Schmitz beabsichtige, einen Theil seines Geschäfts nach Berlin zu verlegen, und ihn dorthin mitnehmen wolle. Auf unbestimmte Zeit nahm er Abschied von den Seinen.
In der That wurde dieser Aufenthalt in Berlin zu dem längsten, freudigsten und bedeutsamsten, den Blum seiner Verbindung mit Schmitz verdankte. Am 24. November 1828 wurde die Reise von Elberfeld aus angetreten. Sie führte über Iserlohn, Paderborn, Warburg nach Kassel — dessen herrliche Umgebungen tiefen Eindruck auf Robert machten —[53] dann nach Münden, Göttingen, Mühlhausen, Langensalza, Gotha, „Erfurth“ und Weimar — mit Behagen verzeichnet er in seinem Reisejournale jede landschaftliche Schönheit, welche ihm die Winterreise durch Norddeutschland bietet. Nirgends sucht er seinen Genuß zu verkümmern durch Vergleiche mit dem so viel verschwenderischer ausgestatteten, im Sommer besuchten Süden. Vom Weine Naumburgs sagt er höflich, er sei „dem Moselwein an Geschmack ähnlich“. Mit Andacht erblickt er bei Merseburg in der Ferne das Schlachtfeld von Lützen, tritt er in Wittenberg an Luther’s und Melanchthon’s Gruft. Dann aber schreibt er in sein Reisejournal am 21. December: „Jenseits der Elbe nimmt die Fruchtbarkeit allmählich ab und nicht weit von ihren Ufern beginnen die einförmigen, traurigen und unabsehbar-flachen Sandwüsten, die sich bis zur Ost- und Nordsee fortziehen und nur selten von einzelnen Hügeln desselben Stoffes unterbrochen werden. Auf den reizenden Fluren dieser deutschen Sahara erblickt man nichts als elende Dörfchen, magere Tannenwälder und nur zuweilen pflanzen sich auf kleinen, sehr mühsam bearbeiteten Sandflächen verkrüppelte Haber- und Kornähren und etwas Kartoffeln fort, die den genügsamen Bewohnern ihre kärgliche Nahrung geben; nicht selten aber giebt es auch unabsehbare Strecken, auf welchen weder ein Strauch noch ein Gräschen fortkommen kann. Daß es Ausnahmen und einzelne fruchtbare Stellen giebt, ist bekannt; allein sie sind selten!“ Von dem heldenmüthigen Kampfe, den in dieser „deutschen Sahara“ das preußische Volk mit der Ungunst der Elemente durch Jahrhunderte geführt, um den Boden überhaupt culturfähig zu machen, und wie durch diesen Kampf nicht am wenigsten die Entwickelung des Charakters jenes deutschen Volksstammes möglich wurde, der vereint mit seinem hochsinnigen Fürstenhause die ebenso feindseligen Naturgewalten bändigte,[54] welche der Gründung eines deutschen Nationalstaates entgegenstanden, davon konnte der heißblütige junge Rheinländer freilich damals noch keine Ahnung haben. Er urtheilte vorläufig so herb und verächtlich über Preußen, wie die meisten seiner Heimathsgenossen damals thaten. Und noch nachdem er Berlin kennen gelernt, und dieser Stadt die wichtigste Förderung seiner Kenntnisse verdankte, schrieb er, allerdings in tiefster gemüthlicher Depression, in Oranienburg in sein Reisejournal: „Die Gegend ist sandig, traurig und einförmig, kurz preußisch.“
Noch in ganz anderem Maße als in München wurde ihm in Berlin Gelegenheit geboten, seine Kenntnisse zu vervollkommnen, alle Lücken seiner Bildung zu ergänzen. Mancherlei Ursachen wirkten hierfür zusammen. Trotz seiner noch nicht 200,000 Einwohner und der gegen die „Präsidialmacht“ Oesterreich in deutschen Angelegenheiten — mit Ausnahme der Zoll- und Handelspolitik — äußerst vorsichtigen Politik der Regierung Friedrich Wilhelm’s des Dritten, war Berlin doch schon damals unzweifelhaft die geistige Hauptstadt Deutschlands. Solche Vielseitigkeit von Interessen vertrat keine Stadt in so vorzüglicher Weise wie Berlin. Es ist ein schönes Zeugniß sowohl für die Klarheit der Beobachtung, wie für die Gerechtigkeit Robert Blum’s, daß er sehr bald nach seiner Ankunft in Berlin in sein Reisejournal schrieb: „Prächtige Haupt- und Residenzstadt, ohnstreitig die schönste in Deutschland.“ So schrieb der junge Mann, der noch begeistert war von den Kunstschätzen und Kunstbauten Münchens und sehr gering dachte vom „traurigen preußischen Wesen“. In der That hatte aber auch Berlin damals eben durch Schinkel’s und Rauch’s geniale Schöpfungen auch in künstlerischer Hinsicht ein ganz neues Gepräge gewonnen. Alle die monumentalen Bauten und Bildwerke,[55] die sie bis zu Robert’s Ankunft in Berlin geschaffen, feiert dieser begeistert in seinem Journal. Ebenso entzückt ist er von den älteren Meisterwerken Schlüter’s und Anderer, dem Brandenburger Thor, den Kunstsammlungen Berlins, für deren Schätzung sein Verständniß in München geschärft war. Freudig ergeht er sich in den einzig-schönen Anlagen des Thiergartens, die Lenné kurz zuvor in einen der herrlichsten Parks der Welt umgeschaffen hatte. Hier überkommt ihn auch ein Begriff von der gewaltigen, fast heroischen Arbeit, die dazu gehörte, auf solchem Boden diese Stadt und Umgebung zu schaffen. „Man wähnt sich in diesen Pflanzungen wirklich auf einen ganz anderen Boden versetzt,“ schreibt er, „es macht daher einen ganz eigenen Eindruck, wenn man aus dieser künstlichen Ueppigkeit heraustritt und auf einmal die mageren, einförmigen Sandflächen vor sich sieht.“ Bei einem Besuche in Charlottenburg spricht er gerührt von dem Grabmal „der verewigten Königin Louise“.
Zu dieser Freude an den Kunstschöpfungen, die seinen in München gebildeten Schönheitssinn vollauf befriedigten, trat nun hinzu die Wahrnehmung, daß der Volkscharakter der Berliner weit entgegenkommender, redelustiger, in Vielem mit seinem eigenen Naturell weit übereinstimmender sich erwies, als der Münchener. Den energischen Fleiß, den durch keine Widerwärtigkeit zu störenden fröhlichen, immer zu einem Scherz bereiten Gleichmuth, die durchaus realistische, immer kritische und vorsichtige Beobachtungsgabe des Berliners gewahrte er mit Vergnügen an dem Völkchen der Hauptstadt. Er fühlte sich wohl da, wie zu Hause, denn er fand hervorragende Eigenthümlichkeiten seines Wesens hier allgemein verbreitet. Daß er alle Bildungselemente, die Berlin bot, so vollständig und segensreich in sich aufnahm, verdankt er außerdem der Länge seines dortigen Aufenthaltes. In München hatte er nicht ein halbes Jahr zugebracht.[56] In Berlin blieb er mit kurzen Unterbrechungen fast zwanzig Monate, bis zum 9. August 1830.
Den allerbedeutendsten Einfluß aber dankte er der Berliner Hochschule. Sie war in den schlimmsten Jahrzehnten, welche die Reaction über Deutschland gebracht hat, immer der Freistuhl der deutschen Wissenschaft und Forschung geblieben. Kein Censor und kein Demagogenriecher durfte es wagen, das freie Wort des Katheders in Fesseln zu schlagen. Die Redefreiheit, die heute für die deutschen parlamentarischen Versammlungen gewährleistet ist, bestand damals eigentlich nur für die Lehrstühle der Hochschulen, gewiß für die Berliner. In allen Facultäten lehrten die gefeiertsten Namen deutscher Wissenschaft. Im Jahre 1829 hatte man in Berlin auch formell gebrochen mit dem System argwöhnischer Ueberwachung, welches die unseligen Karlsbader Beschlüsse seit einem Jahrzehnt auch Preußen scheinbar zur Pflicht gemacht hatten. Von da ab übten Rector und Universitätsrichter die Ueberwachung, die bis dahin einem Regierungsbeamten übertragen war. Von 1830 an wurde auch Nichtstudenten der Besuch der Vorlesungen gestattet: vierhundertsechsundfünfzig machten sofort davon Gebrauch, unter ihnen Robert Blum. Die systematische und rein wissenschaftliche Behandlung der Lehrfächer, zu denen Robert sich besonders hingezogen fühlte, machten seine fleißigen nächtlichen Studien erst wahrhaft fruchtbar.
In dieses über alle Erwartung glückliche Leben schlug plötzlich wie ein Wetterstrahl aus heiterem Himmel die Ordre, Robert solle sich unverzüglich zur Ableistung seiner Militärpflicht in Prenzlau beim vierundzwanzigsten Infanterieregiment stellen. Selbstverständlich mußte er Ordre pariren, obwohl dieser Gehorsam voraussichtlich gleichbedeutend war mit dem Verluste seiner Stellung und dadurch auch mit der plötzlichen Vernichtung[57] seiner schönsten Fortbildungshoffnungen. Damals, auf der Fußwanderung von Berlin nach Prenzlau (30. März 1830) schrieb er das „traurig und einförmig, kurz preußisch“ in sein Reisejournal. In Prenzlau erging es ihm weit besser, als er erwartet hatte — denn er sehnte sich niemals darnach, zu untersuchen, ob er einen Marschallsstab im Tornister trage — nach sechs Wochen schon (15. Mai 1830) hatte man sich überzeugt, daß der Rekrut Blum zu schwache Augen habe, um einen ordentlichen Vierundzwanziger abzugeben, und entließ ihn daher zur Reserve. Er hat des Königs Rock nie wieder angezogen.
Am 17. Mai schon traf er wieder in Berlin ein. Er hoffte Schmitz so vernünftig zu finden, ihn nicht für die allgemeine Wehrpflicht — die einem holländischen Gemüth allerdings ein Gräuel war und heute noch ist — verantwortlich zu machen. Aber Schmitz war in Geschäften eben in Holland und Frankreich abwesend. Seine Geschäfte gingen schlechter und schlechter. So beging er die Ruchlosigkeit, seinen treuesten Mitarbeiter gänzlich mittellos in Berlin zu lassen, ohne auf seine Briefe zu antworten. Robert wußte freilich von der mißlichen Lage des Principals nichts. Alles, was der treue Mensch eingenommen, hatte er, selbstlos denkend, und Anderen vertrauend wie immer, dem Principal vorher eingesendet. Endlich, nachdem in zwei Briefen Schmitz’ die dringende Bitte Robert’s um Geld ganz unberücksichtigt gelassen, schrieb Robert am 1. Juli 1830 unter Anderem: „Es wird überflüssig sein, Ihnen eine Schilderung von meinen jetzigen Umständen zu entwerfen, da Sie sich selbst leicht vorstellen können, wie dem zu Muthe ist, der bei einem, wie Sie selbst wissen, impertinenten Wirthe eine Zeit lang seine Bedürfnisse borgte, und nun am Ende des Monats nicht im Stande ist zu zahlen. Außerdem daß ich schlechtes Essen für einen zu theueren Preis“ — er zahlte für Kost und Logis elf[58] Groschen pro Tag — „nehmen muß, wird mir nun jede Mahlzeit mit verächtlichen und mißtrauischen Blicken vorgesetzt und Spottreden und Sticheleien als Gewürze aufgetragen. Denn ohne Geld ist es unmöglich auszuziehen. — Hätten Sie die Güte gehabt, mir nach Prenzlau zu melden, daß Sie hier mit Niemandem wegen meines Unterhaltes ausdrücklich gesprochen hatten, so hätte ich mir die mich hier erwartenden Unannehmlichkeiten eher vorstellen können und würde auf militärische Kosten meine Reise nach Köln gemacht haben; ich hatte alsdann pro Meile einen Groschen, und wenn auch Dürftigkeit mich auf der Reise drückte, so war ich doch jetzt der Gefahr nicht ausgesetzt, die mich nun bedroht, nämlich: daß mein Wirth mir den ferneren Unterhalt verweigert und mir die Thür weist. Wenn ich durch Ausschweifungen in Vorschuß gerathen wäre oder durch Nachlässigkeit der Gesellschaft einen Schaden von einigen tausend Thalern verursacht hätte, so würde ich das jetzige Verfahren als eine Vorsichtsmaßregel von Ihrer Seite und als Strafe für meine Fehler betrachten; da ich mir aber nichts dergleichen vorzuwerfen habe, &c.“
Darauf antwortete Schmitz von Köln am 18. Juli: „Lieber Blum. Ihre Klagen vom 1. dieses thun mir sehr leid und sind gegründet. Ihr früheres Schreiben schien mir Vorwürfe oder einen der Sache nicht angemessenen Ton zu enthalten, und da ich Sie übrigens gern habe und Sie selten zurecht zu weisen habe, zerriß ich es lieber, als es zu beantworten. Verlieren Sie den Muth nicht, ich habe manche Schwierigkeit überstiegen.... Ich konnte bis jetzt weder Kleinigkeiten noch große Summen berichtigen. Jetzt werden Sie nicht lange mehr warten und alle Bedürfnisse erhalten.... Ich hoffe nur, Ihr jetziger Müßiggang wird auf Ihr ferneres Betragen keine nachtheilige Wirkung haben und daß ich Sie wie zuvor zurückfinden werde.“
Noch ehe Blum diese Antwort besitzen konnte, schrieb er am 20. Juli 1830, daß er sich wundere und erstaunt sei, daß Schmitz auf einen Brief von Blum’s Eltern „ganz kaltblütig einige Bemerkungen niedergeschrieben habe, ohne es der Mühe werth zu halten, über meine Erhaltung nur ein Wort zu erwähnen, und man braucht doch gewiß keine großen logischen Kenntnisse zu haben, um zu wissen, daß der Lebensunterhalt, den Sie als eine nicht bemerkenswerthe Nebensache zu betrachten scheinen, zum Fortbestehen durchaus nothwendig ist.... Es scheint mir die Pflicht eines jeden Mannes zu sein, für die in seinen Diensten stehenden Leute zu sorgen ... und ich glaube, daß es gewiß gegen die Billigkeit ist, einen Menschen mit in der Welt herumzuführen und ihn dann plötzlich an einem fremden Ort brod- und hoffnungslos sitzen zu lassen, wenn er sich keines Fehlers schuldig machte, der solches Verfahren rechtfertigen könnte.“
Um diese Rechtsdeductionen zu würdigen, muß auf Grund der mir vorliegenden Abrechnung Blum’s für die Jahre 1828 bis 1830, die Schmitz später anerkannte, constatirt werden, daß Blum schon am 30. März 1830 ein Guthaben von acht Thaler elf Silbergroschen zwei Pfennig an Schmitz hatte, welches neuerdings auf fast siebenundzwanzig Thaler gestiegen war, wie Schmitz später gleichfalls anerkannte. Der Gehalt, den Blum bescheiden immer „Lohn“ nennt, war am 30. März 1830 seit sechszehn ein viertel Monaten nicht mehr baar gezahlt worden! Daher war das weitere Verlangen Blum’s in diesem Briefe, in Zukunft möge pünktlicher gezahlt werden, gewiß gerechtfertigt; „sonst müsse er seine Stelle aufgeben, da er gar nichts besitze, um zuzusetzen.“ Er verlangte deshalb schriftlichen Vertrag und betonte, daß er Arbeitsüberstunden bisher nie berechnet habe.
Die Antwort (etwa vom 28. Juli) auf diesen Brief war überschrieben: „N. für R. Blum“ und lautete: „Wenn man[60] Leute zu ernähren hat, die nichts verdienen, und von denen, die man für schönen Vortheil betheiligt, hinterrücks verlassen wird, bis man ihnen mit eignem Fond wieder Courage macht, so bieten sich leicht viele Schwierigkeiten.... Sie sind eben aus dem Dienst entlassen worden. Ich erneuere Ihnen Solches hierbei.... Ich finde es auch nicht für gut, für die Dienste, die Sie mir bis heran zu leisten fähig waren, mehr als das nothwendige Unterhalt zu geben. Auch bin ich weit entfernt, Ihnen einen schriftlichen Vertrag als Sinecure zu geben.“ Wenn Blum für Ueberstunden keine besondere Vergütung gefordert habe, „so mögen Sie dies gegen Monate müßig sitzen compensiren, während welchen mancher Sie entlassen hätte. Geht es Ihnen bei anderen gut, so werde ich diesen Verlust, sowie den eines anderen Jungen Mannes, den ich früher erzogen hatte, gern ersehen.... Später können Sie einmal bei mir anfragen, nachdem Sie eine bessere Schule der Erfahrung durchgegangen seyn werden, als die, deren Sie sich jetzt rühmen. Hr. Grebin wird Ihnen zustellen, was Ihnen gebürt. Schmitz.“
Robert war zu arm, das schnöde hingeworfene Almosen auszuschlagen. Am 5. August quittirte er Herrn A. L. Grebin in Berlin über sechsunddreißig Thaler, mit welchen der „Lohn“ vom 18. Mai bis „ultimo July d. J.“ und die „Reisekosten von hier nach Cölln“ beglichen waren, und machte sich am 9. August über Potsdam, Brandenburg, Genthin, Magdeburg, Helmstedt, Braunschweig, Hildesheim, Hameln, Paderborn, Soest, Lennep zu Fuß auf den Heimweg nach Köln. Am 22. August langte er hier an, nachdem er neunundsiebenzig ein halb Postmeilen in dreizehn Tagen zurückgelegt.
Das Verhältniß zu Schmitz war für immer gelöst, der Riß unheilbar geworden. Es nützte nichts, daß Robert auf die Rückseite einer leeren Schulheftseite seiner ältesten Stiefschwester,[61] die sich auf der Vorderseite abmühte, den Worten: „Mit dem Maß, womit ihr messet, wird auch euch gemessen werden“ einen bedenklich unkalligraphischen Ausdruck zu geben, das Concept eines rührend-versöhnlichen Briefes schrieb.
Die Geschäfte des Beleuchtungsmannes gingen noch zu schlecht. Das Rüböl war soeben auf’s Haupt geschlagen. Das Gas triumphirte. Das war der Grund von Roberts Entlassung, alles Andere Vorwand.
Nichts charakterisirt aber wohl den Egoismus und die unedle Empfindung des Herrn Schmitz besser als die Thatsache, daß er nach einer solchen Behandlung Blum’s es wagte, schon nach einem halben Jahr, als Blum literarische Verbindungen in Köln gewonnen hatte, sich unverfroren an den mißhandelten jungen Mann zu wenden, um von diesem eine Reclame für eine von Schmitz neu herausgegebene Zeitschrift zu erlangen. Blum war großmüthig genug, die Unterstützung des Unternehmens zuzusagen.
Vorläufig aber, d. h. im August 1830, verdankte Blum dem nämlichen Herrn Schmitz den Blum leider nicht mehr ganz unbekannten Zustand der Brodlosigkeit.
In tiefster Kümmerniß sahen wir Robert Blum jene Julitage des Jahres 1830 verleben, welche für die geistige Bewegung von ganz Europa im Laufe der folgenden achtzehn Jahre tonangebend werden sollten. Während der Thron der Bourbonen zusammenstürzte und das Triumphlied des siegreichen Bürgerthums in allen Landen ein frohes Echo weckte, weil hier zum ersten Male seit fünfzehn Jahren die geistlose Metternich’sche[62] Politik des absoluten Stillstandes, die den Continent beherrschte, eine furchtbare Niederlage erlitt, sahen wir Robert Blum mit seinem harten Brodherrn um die nothwendigsten Bedürfnisse des Lebens kämpfen; die Jubelwochen des Bürgerkönigthums fanden Robert auf einer mühsamen Fußreise von Berlin nach Köln begriffen, hier brodlos. Aus purer Barmherzigkeit warf J. W. Schmitz dem jungen Manne, dem er in seinem Dienstzeugnisse nachrühmte, daß er „fleißig und willig zu jeder Arbeit sei, und daß seine erprobte Treue, Gehorsam, bescheidenes und gesittetes Betragen das ausgezeichnetste Lob und Empfehlung verdienen“, in Köln noch vier Thaler zu. Das war aber auch Alles, was Robert vom 22. August bis 1. October 1830 einnahm. Und an diesem Tage trat er mit einem Monatsgehalt von acht Thalern (vom December ab von zehn Thalern) und fünf Thalern Neujahrsgeschenk in die Dienste des Schauspieldirectors Ringelhardt als Theaterdiener.
Man sollte kaum für möglich halten, daß ein Mann in solcher Lage, so schwer gefesselt an die niedersten Erdensorgen, so tief gestellt in der menschlichen Gesellschaft, den sittlichen Muth und die kühne Schwungkraft besessen hätte, in den wenigen Stunden seiner Muße rein geistig, ja dichterisch zu schaffen, und allen Wandlungen der großen Zeitgeschichte mit gespanntestem Interesse zu folgen. Und doch hat Robert Blum dies gethan. Um die Charakterstärke völlig zu würdigen, die dazu gehörte, einen so tiefen Gegensatz zwischen der Wirklichkeit und der Welt des Dichters zu überwinden, muß man die traurige Lage, in der Robert Blum damals lebte, doch etwas näher in’s Auge fassen. Nach seinen eigenhändigen Buchungen[7] hatte er in Berlin an Kostgeld durchschnittlich acht Thaler pro Monat bezahlt,[63] einschließlich des Logisgeldes elf Thaler. Daß er für diesen Preis nichts Vorzügliches erhielt, haben wir früher in einem seiner Briefe an Schmitz von ihm selbst erfahren. Hier in Köln aber hatte er seinen Eltern für Kost und Logis bis October 1830 nicht mehr als — einen Thaler pro Monat zu bieten. Von der Zeit seines Engagements bei Ringelhardt an konnte er anfangs vier, 1831 bis 1832 (bis 20. Juli) fünf Thaler und schließlich sechs Thaler an seine Eltern pro Monat zahlen. Wir sind aber wohl berechtigt anzunehmen, daß in diesem Betrage mehr gegeben wurde, als er dagegen empfing[8]. Denn zu allen Zeiten hat er Eltern und Geschwister nach Kräften unterstützt, und gerade damals war seine Familie der Unterstützung bedürftiger als je: der Stiefvater und die Mutter kränklich, die Stiefschwesterchen noch nicht erwerbsfähig; sogar zu gerichtlichen Klagen scheint es gekommen zu sein, denn im Monat Mai 1829 bucht Robert drei Thaler „an meine Eltern für Gerichtskosten“. Man kann sich also denken, wie kümmerlich Robert in jenen Jahren für seine materiellen Bedürfnisse sorgen konnte — ohne deren reichliche Fülle nach Ansicht unserer heutigen Materialisten nicht einmal die gemeine Gehirnsubstanz normal functioniren, geschweige denn einen solchen Ueberschuß an Durchschnittsleistung zu Tage fördern kann, wie ihn die Beschäftigung mit dem allgemeinen Wohl und poetisches Schaffen unter allen Umständen darstellt.
Man vergegenwärtige sich aber weiter auch die Niedrigkeit und Widerwärtigkeit der Dienste, aus denen Robert Blum seinen[64] Lebensunterhalt gewann. Mit jenem unverwüstlichen Humor, der dem Manne in allen Lagen des Lebens treu geblieben ist, hat er selbst später seine damaligen Leistungen für die Kölner Schaubühne also geschildert: er mußte als Theaterdiener alle Bestellungen des Directors und der Schauspieler besorgen — sie enthielten nicht immer Liebenswürdigkeiten — Rollen, Geld austragen, Vorstellungen und Proben ansagen und dabei alle Anmaßungen und Plackereien der „Künstler“ ruhig und lammfromm hinnehmen. Er mußte „dem überstolzen Schauspieler die Grobheiten des Directors“ — möglicherweise, schalten wir ein, auch der Frau Directorin, denn Madame Ringelhardt war eine sehr energische und geschäftseifrige Dame — „dem zweiten Liebhaber die Ungezogenheiten des dritten Bösewichts hinterbringen, bald der Primadonna den Hund bewachen, bald einer anderen Dame einen andern Dienst besorgen.“ Zudem behandelte und benutzte ihn Ringelhardt zwar ohne jede herrische und verletzende Form, doch nur als Theaterdiener, das heißt als einen der untersten Angestellten seiner Bühne.
Dem stolzen Gefühl, Berather und Mitarbeiter des Chefs zu sein, das Blum in den letzten Jahren seiner Stellung bei Schmitz hegen durfte, war hier schlechthin zu entsagen. Der üble Geschäftsgang in Köln hat zudem den Director jedenfalls nicht mit der rosigsten Laune erfüllt. Gleichwohl hat Blum auch diesem Brodherrn mit größter Treue und Dankbarkeit gelohnt. Ohne ein Wort vorher zu verrathen, schrieb Blum anonym gegen Ende des Jahres 1830 in einem der gelesensten Kölner Blätter mehrere Zeitungsartikel unter der Ueberschrift „Ein Wort zu seiner Zeit“, in welchen er den schweren Druck, der auf dem Theaterunternehmer durch die enorme Armenabgabe von einem Zehntel jeder Brutto-Einnahme, die fast unerschwingliche Miethe von zwanzig Thalern pro Abend, die vielen Freibillets[65] &c. lastete, mit warmen Worten und großer Sachkenntniß darlegte. Als Ringelhardt erfuhr, aus welcher Feder die tapfere Vertheidigung seiner Interessen geflossen war, hat er seinem Theaterdiener alles Liebe und Gute gethan, was er konnte, vor Allem ihm die Theaterbibliothek zu freiester Benutzung angeboten und ihn für außergewöhnliche Arbeiten durch Geld besonders entschädigt, auch später bei seiner Uebersiedelung nach Leipzig dafür gesorgt, daß Robert ihm dahin nachfolgte.
In dieser Stellung und Lage fand nun Robert Blum die Freude und den Muth zu dem eifrigsten poetischen Schaffen.
Schon in Berlin, vom Jahre 1829 an, hatte er sich schriftstellerisch versucht. Sein erstes Werk war freilich der reinsten Geschäftsprosa gewidmet, der Straßenbeleuchtung[9]. Aber hauptsächlich war seine schriftstellerische Thätigkeit doch auf „poetische Versuche“ gerichtet. Die Gedichte, die er unter diesem Titel selbst zusammengestellt, umfassen im Manuscript 308 Ouartseiten und vertheilen sich auf die Jahre 1829 bis mit 1834. Einige derselben sind schon 1829 und 1830 in der von Saphir herausgegebenen „Schnellpost“ erschienen, andere von 1831 an in Kölnischen Zeitungen, das Meiste erst später in der „Abendzeitung“, der „Eleganten Welt“ von G. Kühne, in „Unser Planet“ und anderen belletristischen Blättern.
Das einzige unübersteigliche Hinderniß der Herausgabe dieser Gedichte war jene fluchwürdige Einrichtung, welche in Deutschland damals noch auf fast jeglichem literarischen Schaffen,[66] mindestens aber auf der Presse lastete: die Censur. Denn der bei weitem größte Theil dieser Gedichte ist politischen Inhalts. Und so maßvoll uns Deutschen von heute die Freiheitsbegeisterung, so natürlich uns die Vaterlandsliebe des dreiundzwanzigjährigen Dichters erscheinen muß, so war doch der Censor, der über diese Blüthen der Dichtkunst sein maßgebendes Urtheil abzugeben hatte, ganz anderer Meinung. Er strich Blum’s politisch-poetische Offenbarungen unbarmherzig zusammen und gerieth über die Unermüdlichkeit, mit welcher der junge Dichter immer neue Kinder seiner patriotischen Muse überreichte, schließlich in solche Wuth, daß er Allem, was nur Blum’s verhaßte Handschrift trug, schlechthin die Druckerlaubniß versagte. Um sich volle Gewißheit über das parteiische Vorurtheil und die leidenschaftliche Pflichtwidrigkeit dieses Wächters des Staatswohls zu verschaffen, beging Blum die Bosheit, ihm, von seiner Hand geschrieben, unter einem recht verdächtigen Titel einige Gesangbuchsverse zur Censur zuzuschicken — und richtig, der Censor strich auch diese Verse als staatsgefährlich und wiederholte dasselbe noch zweimal, als Blum ihm die nämlichen Verse, die in jeder Kirche zur Erbauung der Gemeinde gesungen wurden, noch zweimal unter anderer Ueberschrift zusendete. Von solchen Menschen hing damals die Entscheidung darüber ab, was das deutsche Volk gedruckt sollte lesen dürfen.
Von den politischen Ereignissen der damaligen Zeit stehen dem Dichter die französische Revolution, dann die große Erhebung Polens und natürlich die Verhältnisse des eigenen Vaterlandes im Vordergrunde des Interesses. Doch verfolgt er auch ferner liegende Dinge mit größter Aufmerksamkeit. Eine der schwungvollsten Dichtungen der Sammlung ist z. B. die ergreifende Klage um den Tod Bolivar’s, des Befreiers Südamerikas vom spanischen Joche († 10. December 1830):
So übertrieben, wie alle liberalen Zeitgenossen, pries auch Blum die Helden der Pariser Julitage. Vom gesündesten politischen Urtheil zeugt dagegen das Scherzgedicht über Griechenland, das er unter dem Titel „Literarische Anzeige“ schrieb, und von dem so Vieles noch heute auf den Staat der Hellenen paßt:
Ganz überraschend klar und kräftig tritt aber bei Blum der deutsch-nationale Gedanke hervor. In einer Zeit, in der fast Alle, gelegentlich auch er selbst, berauscht waren von einem unbestimmten[68] Freiheitsdrang und kosmopolitischer Schwärmerei und die Erkenntniß, daß erst auf dem Boden eines festen, einigen, deutschen Staatslebens alle höheren Güter der Nation, vor allem die Freiheit, errungen werden könnten, höchst vereinzelt, von Männern wie Pfizer und Dahlmann ausgesprochen wurde, während Männer wie Börne und Heine nur Hohn und Spott für ihr Vaterland hatten, in dieser Zeit erscheint ein Gedicht wie dasjenige, das Blum 1831 „an Germania“ schrieb, als ein hervorragendes Zeugniß politischer Einsicht und nationaler Klarheit. Es heißt darin unter Anderem:
Ueberhaupt ist der gesunde Realismus, der bei aller Begeisterung des jungen Herzens aus diesen Gedichten spricht, doppelt wohlthuend in einer Zeit, die sich anschickte, mit Heine einem krankhaften sentimentalen Weltschmerz sich zu ergeben. Nirgends fingirt Blum Liebesleiden, die er nicht kannte, nirgends zeigt er sich mit der Welt zerfallen, lebensmüde, obwohl er hierzu mehr Grund haben mochte, als mancher Andere. Dagegen dringt wiederholt die bittere Klage über das harte Geschick, das ihm gerade die Erreichung der höchsten Lebensziele so unendlich schwer machte, mit der vollen Kraft eines gewaltigen Naturlautes aus seiner gepreßten Brust. Aber immer richtet ihn auf der felsenfeste Glaube an den Sieg der idealen Mächte, denen er sein Streben geweiht, und damit auch an die eigene Sendung, die er zu erfüllen bestimmt ist.
Besonders merkwürdig für seine Weltanschauung ist dabei, zumal bei dem rein rationalistischen Glauben, den er z. B. in seinem „Glaubensbekenntniß“ ausspricht, die feste Ueberzeugung an die Unsterblichkeit der Seele, die er in diesen Gedichten wiederholt ebenso deutlich bekennt, wie — in dem letzten Briefe an seine Gattin, den er Angesichts des Todes schrieb. In einem seiner frühesten Gedichte „An die Zeit“ (1829) heißt es am Schlusse:
In der That bedurfte es eines so festen Glaubens an das Walten der sittlichen Mächte und solcher Bedürfnißlosigkeit, wie Robert Blum sie gewöhnt war, um auch in jenen bösen Tagen[70] den Kopf oben zu behalten, als Ringelhardt Anfang Juni 1831 gezwungen war, plötzlich „aus Geschäftsrücksichten“, das heißt mit Rücksicht auf die Geschäftslosigkeit, die Bretter, die die Welt bedeuten, in Köln abzubrechen und Robert Blum zu entlassen. In dieser traurigen Lage griff dieser nach dem ersten Erwerb, der sich ihm bot — er wurde Schreiber beim Gerichtsvollzieher Kümpeler und bezog in dieser Stellung einen Monatsgehalt von — sechs Thalern! Davon war Alles zu bestreiten. Glücklicher Weise dauerte diese harte Prüfung nur bis 15. September. Da engagirte ihn Ringelhardt von Neuem für den früheren Gehalt.
Eine erhebliche Förderung verdankte Robert Blum diesem Dienstverhältnisse durch die bereits erwähnte freie Verfügung über die Theaterbibliothek des Directors. Bereits im Winter 1830 auf 1831 wurde der größte Theil der hier vorräthigen dramatischen Werke geradezu verschlungen, später mit Muße das Beste — vor Allem Schiller, Goethe, Lessing, Shakespeare und was an antiken Dramen da war, wieder und wieder gelesen, halb auswendig gelernt. Mit Schiller vor Allen gewann Blum die größte Vertrautheit. Aber auch Goethe lernte er mehr und mehr schätzen. Als der deutsche Dichterfürst starb, schrieb Blum ein tiefempfundenes „Sonett auf Goethe’s Tod“ in seine Gedichtsammlung. Daneben regten die dramatischen Novitäten des Tages den kritischen Theaterdiener an, sein Urtheil über dieselben in kurzen scharfen Distichen auszusprechen. Viele dieser Urtheile über Stücke, die heute noch auf dem Repertoire stehen, sind noch jetzt recht interessant.
„Dummheiten, Malicen und Xenien“ hat Robert Blum selbst die kleine Sammlung überschrieben, aus der hier einige Beispiele folgen.
Sonst und jetzt.
Raupach.
Moderne Kritik.
Das Orchester.
Die Stumme von Portici.
Mozart.
Gleichniß.
Schwere Wahl.
Der Reformator.
Lehre.
Glück und Unglück.
Stolz und Hochmuth.
Liebe und Treue.
Tugend und Scham.
Bald aber drängte die Begeisterung zu dramatischem Schaffen, die er dem Studium der Ringelhardt’schen Theaterbibliothek dankte, jede andere Dichtung zurück; glaubte er sich doch zum Theaterdichter ganz besonders vorbereitet durch die tiefen Blicke, die er als Theaterdiener hinter die Coulissen, in die Mache der Bühnentechnik gethan zu haben meinte. Pilzartig schossen die Lust-, Schau- und Trauerspiele unter seiner Feder in’s Kraut. Die wenigen „Literaten“, die ihn ihrer Freundschaft würdigten, Dr. Rave, Köhler, der Schauspieler Porth, der mit ihm viele Jahre später noch von Dresden aus treu correspondirte, natürlich auch Ringelhardt selbst, wurden von ihm unablässig mit der unheilverkündenden Bitte heimgesucht, wieder ein neues Drama von ihm zu lesen. Diejenigen, welche diese Freundschaftsprobe bestanden, sind ihm für’s Leben treu geblieben. Sie haben ihm auch als gute Freunde offen und stets von Neuem erklärt, daß seine Dramen nichts taugten. Er soll eine ungemessene Zahl seiner dramatischen Schöpfungen in’s Feuer geworfen haben, nachdem ihnen so das Todesurtheil gesprochen worden. Wären doch alle unberufenen dramatischen Dichter so reich an Selbsterkenntniß!
Trotzdem habe ich noch eine sehr große Anzahl dramatischer Dichtungen aller Art, die Robert Blum selbst verfaßt hat, in seinem handschriftlichen Nachlaß vorgefunden. Schon ihre Titel[74] verrathen zum Theil ihren Inhalt: „Der Vaterfluch oder die Schrecken des Fanatismus. Trauerspiel in fünf Aufzügen.“ „Das Opfer der Bruderliebe. Ein Bild seltener Seelengröße aus unsrer Zeit“ u. s. w. Auch eine große Zahl „Einlagen“ von seiner Hand, Prosa und Verse, die in beliebten Operetten, Possen u. s. w. als Neuheit eingeschaltet wurden (wie heute neue Couplets), habe ich vorgefunden, namentlich aus der Leipziger Zeit — noch aus den Tagen, da er schon deutschkatholischer Kirchenvater geworden war. Den größten Schrecken muß Robert Blum den Freunden, die er zu Kunstrichtern über seine dramatischen Werke berief, schon durch den Umfang seines „dramatischen Gedichtes“ Kosciuzko eingeflößt haben. Denn der erste Theil dieser Riesentragödie oder in Scene gesetzten Biographie würde schon mindestens zwei Theaterabende füllen und das ganze Stück hat drei solcher Theile aufzuweisen. Von allen Bühnenschöpfungen Blum’s ist nur eine einzige gedruckt worden, aber auch diese ist Buchdrama geblieben und niemals aufgeführt worden — „Die Befreiung von Candia“ (Leipzig, C. H. F. Hartmann, 1836). Das Stück behandelt eine Episode des griechischen Befreiungskampfes der zwanziger Jahre (1822) und ist geschrieben in der pathetischen Rhetorik der großen französischen Revolution und voll von beziehungsreichen Anspielungen auf das damalige Deutschland; im Munde freiheitsdürstender Neugriechen konnte diese der Censor nicht gut streichen, selbst nicht die bezeichnenden Schlußworte des Helden:
Um dieses stille Schaffen im Zusammenhang darzustellen, sind wir dem Gange der Lebensschicksale Blum’s um Jahre[75] vorangeeilt. Denn die letzten dieser Dichtungen sind schon auf Leipziger Boden erwachsen.
Nach Leipzig war Ringelhardt mit dem Ende der Kölner Wintersaison von 1831 auf 1832 gezogen und hatte hier das Stadttheater übernommene: Blum sollte Mitte Juli als Theaterdiener folgen. Da wurden dem jungen Manne gleichzeitig zwei lohnendere Stellen angeboten: die eine in der Redaction einer Kölnischen Zeitung, die andere als Theater-Secretär bei einer wandernden Truppe der Rheinprovinz. Beide Angebote meldete er Ringelhardt nach Leipzig, und dieser antwortete am 24. Mai von Ostrau: „In Bezug einer Anstellung für Sie in Leipzig kann ich Ihnen vorläufig Folgendes berichten: ... ich will Ihnen einen monatlichen Gehalt von fünfzehn Thaler zahlen, mit der Zusicherung, daß, wenn Sie sich in die Geschäfte eingearbeitet haben, ich die 200 Thaler“ (pro Jahr) „voll machen will. Sie arbeiten dafür alle Schreibereien im Bureau, die ich Ihnen übertrage, sei es das Schreiben von Briefen, seien es Copialien oder Rechnungen oder das Ausschreiben von Rollen (!). Sie übernehmen ferner (!) die Geschäfte bei der Casse und Controlle, die Ihnen übertragen werden, sowie andere Arbeiten des Theaters, die in das Fach einschlagen.“ Blum sagte zu. Darauf lief, nach einer längeren Abwesenheit Ringelhardt’s in Wien, von diesem ein zweiter Brief vom 25. Juni ein, in dem es hieß: „Ihr Engagement können Sie am 15. July hier antreten, weil ich mit Ihnen alle Casseneinrichtungen vorbereiten will und die Billets einrichten, sowie Bibliothek und Musikalien, die ich unter Ihre Aufsicht stelle. Demnach werden Sie Theatersecretair, Bibliothekar und Cassenassistent (!), das ist die Stellung, die ich Ihnen gebe .... Sagen Sie dem Friseur Deveney, den ich bestens grüße, er solle Ihnen das Recept von dem Spiritus zur Stärkung der Haare geben, und bringen Sie mir es mit!“[76] Die weiteren Anordnungen des Briefes, welcher unter Anderem versicherte: „Sie können mit Vertrauen zu mir kommen, auch finden Sie hier ein anderes Treiben und Leben als in Köln“, waren der mit Rücksicht auf die Cholera zu wählenden Reiseroute gewidmet, damit Blum unterwegs nicht etwa „Contumaz“ halten müsse.
Ob das heißbegehrte Recept zur Stärkung der Haare mitgenommen worden ist, weiß ich nicht. Jedenfalls konnte Blum erst am 20. Juli nach Leipzig reisen.
Er eilte der Stadt entgegen, die ihm mehr als die eigene Vaterstadt zur Heimath werden sollte, zur Stätte seines Glückes, seines vielseitigsten Wirkens, zur Wiege seines Ruhmes, der weit über die Grenzen seines Vaterlandes und seiner Zeit hinausdringen sollte.
Leipzig war, als Robert Blum hierher übersiedelte, eine Stadt von wenig über vierzigtausend Einwohnern, die sich hauptsächlich in der inneren Stadt zusammendrängten[10]. Große Privatgärten bedeckten noch dicht vor den Thoren der inneren Stadt weite Flächen Landes. Heute ziehen dort zahlreiche Straßenzeilen nach allen Richtungen hin. Zu Vorstädten waren damals überall erst Ansätze vorhanden. Pünktlich um zehn Uhr Nachts wurden alle Thore geschlossen, an denen strumpfstrickende Stadtsoldaten für die Ruhe der Bürger gewacht hatten, bis die glorreiche Errungenschaft der Communalgarde diese Sorge übernahm. In der städtischen Verwaltung herrschte noch unleidlicher Zopf; erst[77] allmählich lernte die Bürgerschaft die Freiheiten üben, welche die neue Städteordnung vom 2. Februar 1832 gewährleistete. Eng war im Allgemeinen der Horizont des Eingeborenen. Von einem Feuer, das in der Stadt ausbrach, konnte man sich eine Woche lang ausschließlich unterhalten. Das Leibblatt des Leipzigers, das „Tageblatt“, hatte damals ein Format von 22:29 Centimeter und bot höchstens — aber sehr selten — zwei Druckseiten eigene Artikel, einschließlich der amtlichen Bekanntmachungen; die übrigen zwei Druckseiten wurden von der berühmten „Eselswiese“ und Anzeigen ausgefüllt. Die große Leipziger Revolution vom 2. September 1830 war in der Hauptsache das Werk von Handwerkern und Studiosen und hatte die Kraft ihrer Sturmeswogen an einigen Fenstern und Mobilien offenbart. Selbst die Kaufmannschaft, das hervorragendste Element der Bürgerschaft, widerstrebte unklar und pessimistisch der wirthschaftlichen Hauptaufgabe der Zeit: dem Anschluß Sachsens an den Zollverein. Von ihr ging der Angstruf aus, der sich zum Glaubenssatze des Leipzigers jener Tage ausgebildet hatte: daß Leipzigs Blüthe dahin sei, und mit dem Anschluß an den Zollverein der ganze Leipziger Handel einpacken müsse! Die neue Verfassung des Landes war noch kein Jahr alt. Als die Weissagung einer neuen besseren Zeit war sie auch in Leipzig begrüßt worden.
Die Feier des Verfassungsfestes (4. Sept.) bietet von 1832 an den fortschreitenden Elementen der Bürgerschaft den legitimen Anlaß, sich feierlich zu versammeln und in Trinksprüchen und Reden Umschau zu halten über die öffentlichen Zustände, die noch unerfüllten Wünsche des Landes. Mit großer allgemeiner Illumination wurde 1832 das Verfassungsfest gefeiert. Der reiche geadelte Wollhändler und Schafzüchter Speck von Sternburg ließ an seinem Hause in der Reichsstraße ein Transparent erscheinen, das die Worte trug:
Den nächsten Abend erschien gegenüber ein Transparent, das diese beiden Verse wiederholte und hinzufügte:
Ueberhaupt liebte es der gesunde Bürgersinn des Leipzigers, an Denjenigen seinen Witz zu üben, die nach Standeserhöhung trachteten. Als ungefähr um dieselbe Zeit ein Mitinhaber der alten Firma Limburger und Frosch geadelt wurde, war am Tage nach der Bekanntmachung des Ereignisses an dem Geschäftslokal der Firma folgende Schrift zu lesen:
Wie eigenartig, vielseitig und vielversprechend für die Zukunft pulsirte überhaupt das geistige Leben in dieser deutschen Mittelstadt! Wohl kaum ein Schriftsteller der damaligen Zeit hatte nicht Verlagsbeziehungen zu Leipzig; fast Jeder von ihnen ist irgend einmal vorübergehend oder für längere Zeit nach Leipzig geführt worden. Nicht die unbedeutendsten hatten in Leipzig dauernd ihre Heimath gewählt. Sie alle lernte Blum allmählich kennen. Weithin glänzte schon damals der klare Stern der Leipziger Hochschule. Mit dem Verfassungsbruche in Hannover (12. Nov. 1837) ward auch der bedeutende Germanist Albrecht der Universität dauernd gewonnen. In der Musik braucht man nur an Namen wie Mendelssohn, Robert Schumann, Rietz, zu erinnern[11]. Das Theater, von jeher ein Liebling des Leipziger Publicums in Freud und Leid, in Fried[79] und Streit, war von 1817 bis 1828 unter Küstner’s Leitung gestanden, 1829 sollte es unter königlicher Aegide neu organisirt werden. Unter Ringelhardt (1832) und noch mehr unter Schmidt (1844 flg.) wurde es zu einer Pflanzstätte der reinsten künstlerischen Bestrebungen und Darstellungskunst. Kaum ein berühmter Schauspieler, der hier nicht längere Zeit wirkte! Rasch und freudig hat endlich die rege, gesunde Stadt von den Freiheiten, welche Verfassung, Städteordnung, Zollverein boten, kräftig Besitz ergriffen. Am Ausgange der dreißiger Jahre schon regt sich Handel und Industrie der Stadt nicht minder hoffnungsvoll wie politischer und communaler Freisinn. Die stillen Freundschaftsgemeinden, die hier zahlreicher und intensiver wirken, als anderswo, thaten das Beste zu dieser Wandlung.
Von selbst bot das Theater und Robert Blum’s Stellung als Secretair an demselben, mit einem so großen Wirkungs- und Pflichtenkreis wie die contractliche Vereinbarung mit Ringelhardt ihn Blum auferlegte, zahlreiche Gelegenheiten zur Anknüpfung interessanter Bekanntschaften. Das Theater führte ihn mit allen Kreisen der Gesellschaft in Berührung, zumeist mit Schriftstellern, Musikern, Künstlern, aber auch mit dem Rathe, Redacteuren, Buchhändlern, Gelehrten. — Mit Herloßsohn, Marggraff, Gustav Kühne, Julius Mosen, Burkhardt, Dr. Apel, Sporschil, Georg Günther, Carl Cramer, Lortzing, Hofrath Winkler (Th. Hell), sehen wir ihn bald in eifrigem, persönlichem oder schriftlichem Verkehre. Mit dem Geographen Dr. Carl Andree wurde er auf eigenthümliche Weise bekannt. Blum pflegte, um das Angenehme mit dem Nützlichen zu verbinden, am frühen Morgen mit irgend einem Buche im Rosenthal sich zu ergehen. Hier fand ihn Dr. Andree, wie er im Grase lag und sein Buch studirte. Andree redete ihn an. Die Männer wurden bald innig befreundet.
Selbstverständlich hielt sich der junge Theatersecretair in den ersten Jahren seines Leipziger Aufenthaltes fern von politischer Parteinahme und fern von dem regen Parteitreiben Leipzigs in communalen Angelegenheiten. Unklar und formlos sprudelte ein grenzenloser Freiheitsdrang in den Köpfen der „Literaten“, die Robert Blum’s hauptsächlichen Umgang ausmachten. Einer dieser trutzigen Denker, die Oesterreich ausgespieen hatte und die nun an der Pleiße ihre tiefen Offenbarungen der Welt kundthaten, schrieb in jenen Tagen die denkwürdigen Verse:
Unendlich roh und materiell führten Manche dieser Schriftsteller ihr Leben. Einer der fruchtbarsten unter ihnen, Sporschil, arbeitete wochenlang unablässig und trank dann zur Abwechslung tagelang unablässig. Er verbarg sich dann auf irgend einem Bierdorfe bei Leipzig, bestellte hier 24 oder 36 Glas Bier auf einmal und rastete nicht, bis sie vertilgt waren.
Einer der begabtesten und maßvollsten dieses Kreises, Dr. Georg Günther, später Blum’s Schwager, reckte sich bei einer Kegelei, zu der befreundete Meßfremde der Provinz eingeladen waren, plötzlich in die Höhe und verkündete mit heiliger Begeisterung die harte Nothwendigkeit, „daß alle deutschen Fürsten sofort zum Teufel gejagt werden müßten“. Blum wandte sich mit würdevoller Ruhe, als ob er die blutige Rede Günthers durchaus ernst nehme, an einen der entsetzten Provinzler mit der Frage: was er dazu meine? Und als der Biedermann schaudernd versicherte, daß sich bei ihm zu Hause nicht fünf Leute zu einem so ungeheuren Frevel finden würden, klopfte ihm Blum[81] lachend auf die Schulter und sagte: „Brav so. — Siehst Du, Günther, das habe ich Dir immer gesagt.“ Vielleicht hat Robert Blum gerade durch den Umgang mit so excentrischen, unklaren Menschen den Werth der maßvollen Ruhe und der realistischen Betrachtung der Dinge, zu welcher seine Natur hinneigte, um so besser erkannt.
Bald versuchte er das Leipziger Leben, wie es ihm sich darstellte, zu schildern. Der erste Versuch dieser Art ist eine Satire, betitelt „Die Poetenfacultät der Universität Leipzig und Kronos“, gedruckt im „Verkündiger am Rhein“, Köln 4. Aug. 1833. Der breite und wenig witzige Artikel gipfelt in der Versicherung des Kronos, daß er „drei Sächsische Dinge wahrhaft unsterblich machen wolle: einen Leipziger Doctorhut, eine Inauguraldissertation und ein Titelblatt vom Brockhausischen Lexicon.“ Sehr viel interessanter und werthvoller ist eine Abhandlung Blum’s über die Leipziger Messen, welche im „Kölner Correspondenten und Staatsboten“ Nr. 147–155 im Jahre 1834 erschien. In diesem Essay wird zunächst sehr hübsch der segensreiche Einfluß des Zollvereins auf den Leipziger Meßverkehr dargelegt, dann eine in der Hauptsache noch heute richtige Aufzählung der Waarengattungen geboten, welche hauptsächlich auf der Leipziger Messe gehandelt werden und Ziffern für ihren Umsatz gegeben. Besonders lebendig und interessant aber sind die Schilderungen des Leipziger Meßlebens. Trefflich ist das Hasten der Meßvermiether, die Verscheuchung der Studenten durch die Meßfremden, das Gewühl unter den Buden mit seinem gräulichen Chaos von Tönen, Gestalten und Genußanerbietungen aller Art, die Eigenthümlichkeit der Budenstädte auf den Hauptplätzen der Stadt und endlich das charakteristische Gepräge jeder einzelnen Meßwoche, beschrieben. „Das Tageblatt selbst, diese literarische Fundgrube, die schwerlich in Deutschland[82] ihres Gleichen finden möchte[12], wird täglich voluminöser. Ganze Schaaren langbärtiger Israeliten mischen sich in frohem Zuge, als ob es zum gelobten Lande ginge, in das bunte Gewühl. Männer aller Länder und aller Meinungen leben in der ungetrübtesten Eintracht nebeneinander. Die leider nur zu sehr Mode gewordene politische Kannegießerei ist verschwunden; Alles spricht, denkt und empfindet nur den Handel und entwirft Speculationen und Hoffnungen für die beginnende Messe.“ Auch längst verschwundene Eigenthümlichkeiten der Leipziger Messe, der Pferdemarkt und der Judenmarkt, sind hier geschildert. Ueber letzteren heißt es: „Vor dem Hallischen Thore, an einer Stelle, wo die sich rings um die Stadt ziehende Promenade am breitesten ist, wird den Söhnen Isaaks und Jakobs ein Breter-Eldorado aufgeschlagen, in welchem sie vierzehn Tage ihr Wesen treiben. Achtzig bis hundert eng zusammengedrängte kleine Buden vereinigen hier die bärtigen und unbärtigen Hebräer aller Zonen zu einer dichtgeschlossenen Handelskolonie; und in ewig entzweiter Einigkeit — da einer dem andern beständig den Käufer abzulocken sucht — feiern sie im Kleinen das Fest der Wiedererhebung ihrer großen Nation. Band aller Art, englische und deutsche Manufacturwaaren und Bijouterien sind ihre vorzüglichsten und fast einzigen Handelsartikel und es ist interessant zu beobachten, welche unzähligen kleinen Künste in Bewegung gesetzt werden, um die Waare anzupreisen und den Durchwanderer zum Kaufe zu veranlassen. Findet auch der Unkundige den beim Einkaufe gemachten Profit, bei Lichte besehen, zuweilen weit unter Erwartung, so steht der Judenmarkt doch im Allgemeinen im Rufe der möglichsten Billigkeit und wird sehr zahlreich, selbst[83] von den höheren Ständen besucht.“ Dann heißt es weiter: „Auch die deutschen Buchhändler tragen wesentlich zur Belebung dieser Woche bei; denn schaarenweise kommen sie im Anfange derselben aus allen deutschen Gauen hierher und beginnen gegen Mittwoch oder Donnerstag, nach Durchsicht der ihnen vorangegangenen Krebse, ihre sonderbare Berechnung, bei der gewöhnlich große Summen, aber wenig Baarschaft zum Vorschein kommen!“
So irrig Blum hier über das Abrechnungssystem des deutschen Buchhandels urtheilt, so falsch urtheilt er wenige Zeilen nachher über die „in der letzten Zeit stattgefundene Anregung einer Eisenbahn nach Dresden.“ Er sagt, „man habe mit Recht gegen dieses Project eingeworfen, daß man eine Bahn in der Richtung anlegen müsse, wo sie Handelsvortheile gewährt, nicht aber in einer Richtung, wo sie, wie nach Dresden, als eine bloße Promenadenbahn zu betrachten sei, die nach klaren (?) Berechnungen nicht einmal das Anlagekapital decken, viel weniger einen soliden Gewinn geben könne[13]. Die Urheber des Planes scheinen jedoch darauf beharren zu wollen und streben durch einen unrichtigen Patriotismus ihre Landsleute zur Theilnahme zu bewegen, welche Mühe jedoch bis jetzt fruchtlos blieb, da noch kein Groschen zum Anlagekapital unterzeichnet ist. Ueberhaupt dürfte, wenn man auf dem bisher verfolgten Wege beharrt, die Bahn in den nächsten 25 Jahren nicht zu Stande kommen.“ Die Bahn wurde bekanntlich wenige Jahre später eröffnet, und erfreute sich unter dem wackeren Gustav Harkort, dem jüngst in Leipzig ein Denkmal gesetzt wurde, Jahrzehnte[84] lang einer trefflichen Leitung. Seltsamerweise finden wir Robert Blum, der in dem obigen Urtheil die allgemeine öffentliche Meinung jener Tage sowohl, als die Ansicht kluger Volkswirthe aussprach, fast auf allen Generalversammlungen der Actionäre der Leipzig-Dresdner Bahn als Oppositionsredner gegen die Verwaltung[14].
Endlich enthält dieser Essay Blum’s über die Leipziger Messe am Schlusse noch folgendes bemerkenswerthe Urtheil über den Buchhändler-Meßkatalog von 1834: „er ist sehr arm, so voluminös er sein mag, und fast keine einzige ausgezeichnete literarische Erscheinung ist darin zu bemerken. Die Pfennig-Gelehrsamkeit scheint sich immer mehr auszudehnen, und das Pfennig-Magazin von Bossenge père, die erste Erscheinung in diesem Genre, welches jetzt 50,000 Abonnenten zählt, hat nach Ablauf seines ersten Jahrganges ein neues Reizmittel für die Leser erfunden, indem es ein historisches „Gratis-Magazin“ als Zugabe giebt, die jedoch auch allein für den Preis von 12 Gr. jährlich zu haben ist. Im Gebiete der Musik hat sich ebenfalls die Pfennigmanie — über die die Aerzte so wenig wie über die Cholera einig sind, ob sie contagiös oder epidemisch ist — verbreitet und wir zählen jetzt bereits drei musikalische Pfennig-Magazine, die manches Gute, aber auch manches höchst Mittelmäßige bringen, was nicht einmal einen Pfennig werth ist.“
Eifrige Selbstfortbildung, namentlich in Geschichte und Staatswissenschaften, und ebenso eifrige schriftstellerische und poetische Production füllen in diesen ersten Jahren seines Leipziger Aufenthaltes Robert Blum’s Mußestunden. An der Hochschule hörte er bei Drobisch Logik, bei dem Privatdocenten Dr. Burkhardt,[85] seinem intimen Freunde, Geschichte der neuesten Zeit. Fast sämmtliche belletristische Zeitschriften jener Tage bringen lyrische Gedichte, Recensionen, auch größere Essays über literarische Tageserscheinungen von Robert Blum. Die Honorareinnahmen, die er von der „Aurora“, der „Abendzeitung“, den „Rheinblüthen“, „Unser Planet“, der „Zeitung für die elegante Welt“ u. s. w. von 1832 bis 1837 bucht, sind theilweise bedeutend, namentlich für damalige Honorarverhältnisse und den damaligen Geldwerth. Vortrefflich versteht er in diesen Artikeln seine politischen Ansichten und Tendenzen vorzutragen unter der Maske wissenschaftlicher oder harmlos plaudernder Recensionen epochemachender geschichtlicher und socialer Werke der Zeit, namentlich der Revolutionsgeschichte von Mignet und Adolf Thiers und der interessanten Schrift Bulwer’s „über Frankreich in socialer literarischer und politischer Beziehung“, so daß der Censor ihm nichts anhaben kann. Für seine Arbeit über die Geschichte der französischen Revolution allein erhielt er (1837) zehn Friedrichsd’ors bezahlt. Auch ist er einer der gesuchtesten Prologdichter der Zeit. „Vom Prinzen-Mitregent[15] 10 Thaler,“ bucht er am 31. Mai 1833. Aehnliche Honorare trugen ihm die wiederholten Prologe zum Sächsischen Constitutionsfest (1834, 35 u. s. w.), ein Festspiel für Meiningen und ein Prolog bei der Wiedereröffnung der Magdeburger Bühne (1834) ein. Seine finanziellen Verhältnisse waren sehr befriedigend geworden. Die Seinen daheim erhielten reichliche Unterstützungen und Geschenke von ihm.
Am Theater ist er schon um die Mitte der dreißiger Jahre die Seele des Unternehmens geworden. Bei den häufigen Reisen Ringelhardt’s und des Regisseurs Düringer dirigirt Blum den Musentempel mit weiser Oeconomie, großem Geschick und zur[86] vollen Zufriedenheit der Künstler wie der Bürgerschaft. Ihn selbst führen Dienstreisen häufig von Leipzig fort, nach Frankfurt, Stettin, Danzig, Berlin u. s. w. Auch literarisch-polemisch stand er seinem Director treu zur Seite. Mit einem Herrn von Alvensleben, einem Theaterrecensenten Leipzigs, führte er unter dem Namen seines Directors schlagfertig und überzeugend eine kritische Fehde vor dem Publikum[16]. Sogar „Ein Hochlöbliches Ober-Censur-Collegium hierselbst“ rief Ringelhardt um Beistand an in einer von Blum verfaßten, mir im Concept vorliegenden Eingabe, die mit der Bitte schließt: „daß es E. H. O. C. C. gefallen möge, unbeschadet jeder wahren Kritik, die in den hiesigen Blättern häufig enthaltenen Schmähungen, persönlichen Beleidigungen und boshaften Pasquille gegen das hiesige Theater und die einzelnen Mitglieder desselben zu unterdrücken und dem Institute den zu seinem Bestehen nöthigen Schutz gütigst zu gewähren.“
Die ersten Ferientage in seiner anstrengenden Arbeit, die erste Erholungsreise auf eigene Kosten gönnte er sich am 21. Juni 1835. Er reiste in die Sächsische Schweiz. Er hat die Erlebnisse niedergeschrieben und veröffentlicht. Das volle Gefühl glücklicher Freiheit, das ihm hier zu Theil ward, faßt er gleich zu Anfang seiner Reiseerinnerungen in die Worte: „Um nicht gar zu früh nach Pillnitz zu gelangen, nahm ich in Dresden einen Einspänner, der mich nach der Pillnitzer Fähre brachte. O, wie mir wohl war auf diesem knarrenden, stoßenden Throne, den ich mir für das Opfer von 20 Gr. errungen hatte, und wo mich, statt des Weihrauchs, die gleich angenehmen Wolken von dem Kneller meines redlichen Schwagers[17] und dem in dichten Massen aufwehenden Staube umwallten. Es[87] muß doch etwas Herrliches sein um die Erhabenheit, um die Herrschaft. Ich fühlte mich so groß auf meinem erhabenen Droschkensitze, so reich und so glücklich! Hinter mir lag ein anstrengendes, mich stets belastendes Geschäftsleben, das drei Jahre wie ein ehernes Joch auf meinen Schultern geruht hatte, ohne mir nur einen einzigen Tag der Erholung zu gönnen; in mir wallte das selige Bewußtsein, daß ich diesem Joche auf volle acht Tage entronnen sei und mich frei ergehen könne in der freien Natur; vor mir der Kreis der ersehnten Berge, eingehüllt in einen grauen Schlafrock und den Dampf ihrer riesigen Morgenpfeife in dichten Nebelwolken gegen Himmel sendend, über mir der halb heitre, halb bewölkte Himmel“ u. s. w. „So kam ich nach der Fähre, im Fluge tanzte der leichte Kahn über den gekräuselten Spiegel des lachenden Stromes und den Wanderstab in der Hand, die grüne Reisetasche wie ein Botaniker umhängend, stand ich bald am jenseitigen Ufer. Aber es ist nicht gut, daß der Mensch allein sei.“
Das ist der Grundgedanke, der ihn inmitten der höchsten Reize der Natur erfaßt, welche diese Wanderung verschwenderisch vor ihm ausbreitet. Zum vollsten Genusse der frohen Tage fehlte ihm die Gegenwart des Mädchens, bei dem sein Herz weilte auch inmitten der reinen Freuden, welche die Natur ihm bot. Er konnte sich nicht versagen, diese Stimmung in seinen Reiseerinnerungen wiederholt anklingen zu lassen. Denn er las diese Erinnerungen, wie Alles, was er dichtete und schaffte, daheim der Auserwählten seines Herzens vor. Die junge Dame hieß Auguste Forster und muß mit dem Theater in irgend einer Verbindung gestanden haben. Bald war Robert Blum so glücklich, Gegenliebe zu finden. Sein ernster Sinn war nur darauf gerichtet, das geliebte Weib zur Genossin des bescheidenen Glückes zu machen, das er nach langem harten Ringen um[88] eine gesicherte Existenz nun sein nannte. Doch sollte ihm der Schmerz nicht erspart bleiben, in seiner ersten Liebe getäuscht zu werden. Den Seinen in Köln wurde die Braut, wie die Briefe der Schwester Blum’s aus den Jahren 1835 und 1836 ergeben, schon 1835 als „theure Freundin“, dann immer deutlicher als künftige Lebensgenossin bezeichnet. Im Juli oder August 1836 muß er den Seinen den Besuch Augustens in Köln bestimmt angezeigt und beabsichtigt haben, dorthin zu folgen, um das Jawort der Eltern zu seiner Verbindung mit ihr zu erbitten. Schwester Gretchen berichtet ihm am 28. August 1836 ausführlich, wie freundlich sie Alles hergerichtet hatten, um die Braut des Haussohnes zu empfangen. Aber Auguste ist nie nach Köln gekommen. Ein reizender Mädchenkopf (Aquarelle) in Etui unter convexer Glasdecke, eine bräunliche Locke, die das Oval des Bildes umschließt, einige leidenschaftliche unglückliche Gedichte an Auguste sind die einzigen Erinnerungen, die Robert Blum an seine erste tiefe Herzensliebe bewahrt hat. Im August 1836 ist dieser Traum dahingegangen zwischen dem Morgenroth zweier Tage. Der Inhalt seiner Gedichte und der Briefe seiner Schwester läßt keinen Zweifel darüber zu, daß das schwere Wort „Untreue der Geliebten“ den Hoffnungen seines Herzens ein Ziel setzte.
Der Stimmung seines Herzens in jenen Tagen gibt am besten Ausdruck das Gedicht, das er „Abschied“ überschrieben.
Freunde, die Seinigen in Köln, Arbeit in Menge, erfüllten ihn bald mit tröstlicherer Stimmung und brachten ihm das schwere Leiden des Herzens in Vergessenheit. Den wesentlichsten Antheil aber an seiner Aufrichtung und Tröstung hatte die Loge. Ihr war er seit Anfang des Jahres 1836 beigetreten. Schon früher (S. 33) ist eine Stelle aus der interessanten „biographischen Skizze“ mitgetheilt worden, die er den Ordnungen des Bundes gemäß vor seiner Aufnahme in denselben einreichen mußte. Es heißt hier u. A.: „Mein Bildungsgang ist der eines Menschen, den ein widriges Schicksal in seiner Entwicklung hemmt und zurückstößt. Der Durst nach Wissen, vom zwölften bis achtzehnten Jahre unterdrückt durch Mühen und Arbeit, erwachte erst dann wieder, als es zu spät war, die mangelnden Grundelemente in die Seele zu legen und nur mit großer Mühe und anhaltendem Fleiße ist es mir gelungen, das Versäumte einigermaßen nachzuholen. Noch jetzt füllen Studien alle meine Mußestunden aus und meine größte Freude besteht darin, meine geringen Kenntnisse allmählich zu erweitern, und wenn mir das Glück zu Theil wird, als Mitglied eines Bundes[90] aufgenommen zu werden, der die schönsten geistigen Kräfte in sich vereint, so hoffe ich davon vertrauensvoll einen wesentlichen Einfluß auf meine geistige und sittliche Vervollkommnung, nach der ich stets aus allen Kräften ringen werde. Heil dem Bunde“, heißt es später höchst charakteristisch, „wenn die nothwendige, aber dem Herzen drückende Sonderung der Stände im conventionellen Leben jenseits seines Kreises liegt, wenn der Mensch im Menschen nur den Bruder sieht und sich nur freiwillig neigt vor der höheren Tugend desselben. Lieblich vereinen sich dann die Wohlthaten und Vorzüge unserer gesteigerten Bildung und Intelligenz mit den süßen kindlich-reinen Freuden der patriarchalisch-brüderlichen Vereinigung, die nur in der Kindheit der Gesellschaft dem Menschengeschlecht gelächelt haben. Es wohnt dann im Bunde die wahre reine Freiheit und Gleichheit, an welcher der Lichtblick des Denkers hängt, als an dem Ideale menschlicher Glückseligkeit; nicht jene Freiheit, die auf den Trümmern der vernichteten socialen Zustände ein blutiges Banner schwingt und der unglücklichen Menschheit Gleichheit gibt, indem sie Allen gleiches Elend bereitet; sondern jene Freiheit, die ein Kind ist des Lichtes und des Rechts, der Ruhe und des Friedens, und die nur dann allen Menschen gleiche Glückseligkeit geben kann und wird, wenn Alle aus allen Kräften an ihrer sittlichen Vervollkommnung arbeiten und festhalten an der Tugend, ohne welche keine Freiheit möglich ist.“ Am Schlusse heißt es: „Mit frohem Herzen darf ich mir sagen, daß ich bis jetzt keinem Menschen Veranlassung gegeben habe, mich zu hassen und kann die Versicherung hinzufügen, daß ich frei von jedem Hasse bin. Religion und Moral machen uns die Duldung zur Pflicht und das Leben — besonders in der jetzigen vielbewegten Zeit — macht sie zur unbedingten Nothwendigkeit eines friedlichen Daseins.[91] Ich habe nach Kräften gestrebt mir diese Tugend, wenn ich sie so nennen darf, anzueignen, und traue mir den Muth zu, sie in allen Verhältnissen auszuüben.... So fest ich überzeugt bin, daß die Religion — im weiteren Sinne — das höchste Gut des edlen Menschen ist, so klar liegt es vor mir, daß dieselbe rein und vollkommen gefunden werden muß in einem Bunde, der die Tugend als Cultus übt und nur für die höheren Interessen des menschlichen Daseins wirksam ist.“
So hoch Robert Blum die Erwartungen spannte, welche die Aufnahme in den Freimaurerbund ihm befriedigen sollten und so sehr ihn in den ersten Jahren der geheimnißvolle Kreis der Brüder anzog, so gering hat er später über den Orden geurtheilt. Der überaus harte Artikel „Freimaurer“ in seinem „Volksthümlichen Handbuch der Staatswissenschaften und Politik“[18] ist aus seiner Feder, wenn auch dabei aus naheliegenden Gründen sein Signum fehlt.
Wenn am Schlusse dieses Artikels gesagt ist: „die Freimaurervereine sind jetzt nichts weiter als Wohlthätigkeitsanstalten“ und dann weiter „die Formen, Gebräuche und Symbole des Ordens eines denkenden Menschen geradezu für unwürdig“ erklärt werden, so liegt das Ungerechte des Urtheils auf der Hand. Aber deutlich und treffend ist in dem Artikel ausgesprochen, was Blum allmählich den Bund entfremdete: „Die Aufhebung jedes Unterschiedes in den Logen ist nicht wahr. Man nennt sich zwar Bruder, aber Stand, Rang und Geld haben in den Logen dieselbe Bedeutung wie außerhalb derselben. Auch die Bekenntnißverschiedenheit macht sich in den Logen geltend und steigt bei vielen bis zur völligen Unduldsamkeit; so sind z. B.[92] in vielen Logen die Juden ausgeschlossen.“ Der eigentliche Grund aber, der Blum mehr und mehr die Loge gleichgültig, ja widerwärtig machen mußte, ist in diesem Artikel nicht ausgesprochen: je mehr die politische Agitation in den Vordergrund seiner Strebungen trat, um so ferner rückte ihm der Wirkungskreis der Loge, in der jede politische Discussion grundsätzlich verpönt ist.
Selten hat ein Land in den ersten Jahren seiner constitutionellen Aera so wenig politische Regsamkeit gezeigt, als das Königreich Sachsen. Im Jahre 1831 war die Verfassung gegeben worden. In den andern deutschen Staaten, namentlich in Süddeutschland, waren die ersten Jahre des constitutionellen Lebens für die Betheiligung der Bürger an öffentlichen Dingen die lebendigsten und fruchtbringendsten gewesen. In Sachsen dagegen verhielt sich der Unterthan im ersten halben Jahrzehnt des Verfassungsstaates fast so ruhig und langweilig, wie in den vergangenen Tagen des absoluten Königthums. Mannigfache Gründe wirkten hierfür zusammen. Schon der erste Landtag des neuen Verfassungsstaates hatte eine lebhafte Reaction am Werk gefunden: die Bundesbeschlüsse von 1832 standen in frischer Wirksamkeit, die Presse war noch mehr gefesselt als zuvor, weit wurden die Rechte der Krone, eng diejenigen der Landtage überall ausgelegt. Zudem war den Mißständen, welche in Sachsen die Bewegungen von 1830 hervorgerufen hatten, schon durch die Verfassung im Wesentlichen abgeholfen und das[93] erleuchtete humane Ministerium Lindenau arbeitete eifrigst daran, alle noch unerledigten gerechten Wünsche des Landes auf dem Wege der Gesetzgebung zu befriedigen. Dem Ackerbau wurden die drückenden Lasten abgenommen, eine neue Städte- und Landgemeindeordnung gab den städtischen und ländlichen Gemeinden die Anfänge der Selbstverwaltung. Die ungeheuren Vorrechte des Adels wurden überall zum gemeinen Nutzen beschnitten. Außerordentlich bedeutend und epochemachend sind die Reformen des Rechtslebens, die Sachsen dieser Zeit verdankt. Die Finanzen des Staates erfreuten sich einer blühenden Lage; durchaus loyal gestaltete die Regierung den Ständen die verfassungsmäßige Feststellung und Controle des Staatshaushaltes. Ueberall ergreift die Regierung in diesem Zeitraum die Führung zu Reformen, gestützt durch das bürgerliche, oft auch durch das bäuerliche Element der Kammern, häufig gehindert und fast immer befehdet durch den Adel der ersten und zweiten Kammer. Die Regierung selbst erkennt schon in den ersten Jahren die schweren Fehler des Wahlgesetzes. Streng nach Standes- und Klasseninteressen sind beide Kammern zusammengesetzt. In ungeheurer Mehrheit befindet sich das Element des ländlichen Grundbesitzes. Der schwere Fehler, an dem noch heute die Sächsische Gesetzgebung in allen Zweigen krankt, daß sie von Bauern für Bauern gemacht wird, trat damals besonders grell hervor. Die Intelligenz, der selbstlose patriotische Idealismus fanden kaum Zutritt zur Kammer nach diesem Wahlgesetz, nach dem der Stand den Standesgenossen, und zwar immer aus dem eigenen Wahlkreise (!), wählen mußte. Die Kammerverhandlungen der ersten Jahre nach 1831 zeigen daher fast überall nur Standeshader, höchst selten die Erörterung wichtiger politischer Princip- oder Freiheitsfragen.
Das wurde schon in etwas anders, als das rührige[94] Voigtland, das schon 1831 einen Preßverein nach dem Muster der süddeutschen gegründet hatte, im Jahre 1836 die Abgeordneten Carl Todt (Bürgermeister von Adorf) und von Dieskau (Advocat und Patrimonialrichter aus Plauen) in den Landtag sandte. Sie durchbrachen zum ersten Male die landesübliche Nüchternheit und Genügsamkeit und ließen zum ersten Male im „Landhaussaale“ zu Dresden jenen Ton des schwungvollen, kühnen und rücksichtslosen Liberalismus vernehmen, der bisher nur aus weiter südlicher Ferne nach Sachsen herübergedrungen war. Und wenn auch die beschränkte Bureaukratie und Aristokratie, welcher hauptsächlich die Gegnerschaft dieser jungen Opposition galt, sich über die Kleinheit dieser Fraction vorläufig nur lustig machte, so erweckte doch die Unverzagtheit und Ueberzeugungstreue, das unleugbare Geschick dieser Redner überall im Lande den freudigsten Wiederhall und regte an zur Bildung thätiger, die Opposition im Lande verstärkender politischer Kreise.
Aus dem großen, mehr zufällig zusammengewürfelten Kreise der Leipziger Bekanntschaften hatte Robert Blum allmählich einen kleineren Ring wirklicher Freunde ausgesondert, mit denen er und die mit ihm immer inniger zusammenwuchsen. Harmlose gesellige Heiterkeit hatte die jungen Männer anfangs zusammengeführt. Bald aber wurden die allgemeinen Angelegenheiten der Stadt, des Landes, des großen deutschen Vaterlandes in den Bereich der Verhandlungen gezogen und ernsthaft durchgesprochen; gemeinsam wurde zu wichtigen Tagesfragen Stellung genommen und in bestimmtem Sinne Einwirkung auf die öffentliche Meinung beschlossen, durch die Presse, durch persönliche Agitation in der Bürgerschaft, durch Betheiligung der Freunde an öffentlichen Festen mit patriotischer Tendenz. In diesem engeren Kreise verkehrten die Schriftsteller Hermann Marggraff, Carl[95] Herloßsohn, Th. Hell, der feurige Julius Mosen, so oft er Leipzig berührte, der kenntnißreiche, ruhig erwägende Karl Andree, der joviale gottbegnadete Componist Lortzing und Kapellmeister Stegmeyer, der blinde Dichter Dr. Theodor Apel, der eifrig zur Localgeschichte der großen Völkerschlacht sammelte; sie Alle patriotisch bewegt, wenn auch der practischen Politik ihrer Natur oder ihrer Berufsthätigkeit nach nicht unmittelbar zugewandt. Auf ein unmittelbares politisches Wirken dagegen drängten andere Genossen dieses Freundeskreises: der feurige Dr. Georg Günther, Mitredacteur der Leipziger Allgemeinen Zeitung, nicht minder der von allen Revolutionen hoch begeisterte junge Historiker Burkhardt, der eben an seiner Geschichte der neuesten Zeit arbeitete, lange Jahre das beste Buch dieser Art, bis es durch die archivalischen Forschungen späterer Geschichtsschreiber in Schatten gestellt wurde; außerdem der bescheidene, fleißige und opferfreudige Journalist Carl Cramer; der gelehrte und in allen öffentlichen Dingen eifrig und scharfsinnig thätige junge Privatdocent der Rechte Dr. Schaffrath; die patriotischen jungen Advocaten Dr. Hermann Joseph und Dr. Rudolf Rüder, der formgewandte feine Buchhändler Robert Friese, der bald nachher es wagte, in den „Sächsischen Vaterlandsblättern“ das erste Sächsische Blatt herauszugeben, das, ganz unabhängig von der Regierung[19], die radicalen Wünsche des jungen Deutschlands und des vorgeschrittenen Sächsischen Liberalismus laut werden ließ. Bald, zu Anfang der 40er Jahre, war dieses Blatt die gelesenste politische Zeitung Sachsens, Blum einer der fleißigsten Mitarbeiter desselben.
Es darf nicht wunder nehmen, daß die ersten Schritte in das politische Gebiet, welche dieser Freundeskreis that, der Ermunterung und theilnehmenden Förderung patriotischer Feste galten. Haben wir Deutschen doch noch mehr als zwanzig Jahre später, vom Ausgange der Reaktionszeit 1859 an bis zum Kriege des Jahres 1866 in solchen patriotischen Festen die geeignetste Form gesehen, um vaterländische Gesinnungen und Wünsche auszusprechen und nationalen Sinn in den Massen zu fördern. In dieser Absicht wurde von Blum und seinen Freunden alljährlich das Constitutionsfest gefeiert, zu Schützenfesten angeregt und vor Allem die für den 6. November 1837 projectirte Einweihung des Gustav-Adolph-Denkmals bei Lützen zu einem großartigen vaterländischen Volksfeste gemacht. Selbst ein so rein sächsisches Gemüth wie das Große’s hat in seiner Geschichte Leipzigs mit Rührung bekannt, wie mächtig der Hauch deutschen Geistes an jenem Festtage zu spüren gewesen und daß diese Richtung der Feststimmung vor Allem Leipzig zu danken gewesen sei[20]. Schon wochenlang vorher hatten Blum und seine Freunde in diesem Sinne gewirkt. Wir besitzen eine höchst weihevolle Schilderung des Festes aus Blum’s Feder[21], aus der hier einige der characteristischsten Stellen folgen mögen:
„So ist er denn glücklich vorüber der feierliche Tag, der die Völker zweier Nachbarländer in eine ungewöhnliche Bewegung setzte und im ganzen norddeutschen Vaterlande einen freudigen Anklang fand, oder doch finden sollte. Himmel und Erde schienen sich verschworen zu haben, das Fest zu stören; in Leipzig stürzte am Abend vorher die Brücke zusammen, über welche die ganze Karawane der Theilnehmer ziehen mußte, und am Morgen regnete der Himmel unbarmherzig herab auf den langen Zug der Fahrenden und Gehenden und machte ein so[97] unfreundliches Gesicht, daß man glauben mußte, er wolle allein trauern an diesem Tage. Aber es war nur Verstellung; der Himmel hatte uns eine Ueberraschung vorbehalten und gab ohne Subscription und königliche Beisteuer eine Darstellung des 6. Nov. 1832 aus eigenen Mitteln, denn die Geschichte erzählt uns ja, daß an diesem Tage der Himmel in einen grauen Nebelmantel gehüllt war bis gegen Mittag, und dann erst Licht herabsandte auf die kampfdürstenden Schaaren, daß sie sich erkennen und erfassen konnten.... Viele mochten den Sinn der Feier fühlen, für den Gedanken der Religionsfreiheit, der sich an den Schwedenkönig knüpft, begeistert sein; allein an den Ausspruch einer Begeisterung ist die deutsche Menge noch nicht gewöhnt. Hier und da blickte aus dem Gewühl ein Auge gen Himmel oder ins nebelhafte Weite und suchte nach einem Gustav Adolph, wie er der Gegenwart Noth thut.
Ziel- und zwecklos schlenderten wir durch die Straßen, der Dinge harrend, die da kommen sollten. Aber auf dem Markte war plötzlich ein graues Denkmal zu erblicken, ein wanderndes, ein verwittertes Monument vergangener Zeit: der alte, biedere, viel verketzerte, vielgekränkte, aber gewiß ehrwürdige Jahn. Seine Erscheinung erregte Aufsehen und sammelte einen Kreis von Menschen um sich, die ihn mit neugierigen Blicken, wie einen Fremden aus ferner unbekannter Welt anstaunten. Und er ist ein Fremder in unserer Zeit; seine historische Bedeutung, seine öffentliche Existenz knüpft sich an einen Himmelsstrich der Weltgeschichte, der dem unsrigen sehr fern liegt, und dessen Dasein unsere Enkel gar nicht mehr begreifen werden. Jahn ist das Monument des Deutschthums von 1812 und 1813. Mochte dieses Deutschthum abstoßend sein in einigen Formen, unfreundlich in seiner äußern Schroffheit, es war eine Zeiterscheinung voll Kraft und Hoffnung, voll Mark und volksthümlichen Lebens, voll schöner Keime und mächtig schwellender Fruchtknospen; es war begreiflich, daß ein Mann sich dieser Richtung ganz hingab und den geistigen Kern der Sache zur Anschauung brachte durch seine Bestrebungen. Jahn hat das gethan, mit Liebe und Eifer gethan, und seine ganze Individualität daran gesetzt. Das eben ist sein Unglück, daß sein geistiges Sein aufging in diesen Bestrebungen; denn als die Gestalt der Dinge sehr bald sich änderte, als man ihn von sich stieß, er aber auf der eingeschlagenen Bahn beharrte, da verstand ihn bald die Welt nicht mehr und er ward[98] zur Carricatur seiner selber. Das alte Lied vom Franzosenhaß klang inmitten neuer Lebensfluthen wie ein altes Zauberlied in Ossianischer Sprache, das ein grauer Barde vom einsamen Felsen singt, um die Fluth zu beschwören; aber die Fluth will sich nicht mehr bannen lassen, und die Schiffer, die mit neuen Wimpeln segeln, lachen über die alte seltsame Weise. So stand Jahn vereinsamt da im wechselvollen Leben und tappte blindlings umher, um die neuen Zustände zu erfassen, die ihm entschlüpften, weil die Spekulation an die Stelle der That getreten war. Da wurde er Greis aus Verzweiflung, und als eine Ruine vergangenen Lebens wandelte er gespenstisch durch die Gegenwart. So steht er noch da; seine Gestalt, seine männliche Haltung und der kräftige Ausdruck seines Gesichtes repräsentiren die Kraft der That und den eisernen Muth der Hoffnung, indessen sein schneeweißes Haar an den Verfall seiner Epoche gemahnt. Sein silberweißes Bart- und Haupthaar flattert verstreut im Winde, wie die Hoffnungen und Entwürfe von 1813 spielend verweht wurden von dem Zugwinde wankender Menschentreue. Lacht nicht über diese Ruine, Zeitgenossen! Ehrt sie und denkt an unser eigenes Schicksal! Unsere Zeit ist ganz geeignet, das männlich schlagende Herz zu beruhigen in harmlosem Wahnsinn. Wer weiß, ob nicht auch wir stereotyp werden mit unsern Träumen künftiger Weltgestaltungen, ob wir nicht fortphantasiren und an der Speculation hangen bleiben, wenn das Leben erwacht ist zur That. Man soll uns dann nicht verlachen! Es war ja das heiße Herzblut, die schöne Kraft der Jugend und die goldene Hoffnung der Zukunft, womit wir diese Träume gepflegt und genährt.“
Nachdem dann der Festzug und die begeisterte Ovation geschildert ist, welche die Leipziger Studentenschaft dem alten Jahn darbrachte, heißt es weiter: „Der Bischof Dräsecke aus Magdeburg hatte jetzt die geschmückte Kanzel bestiegen und die Seminaristen von Weißenfels sangen eine Motette, worauf der Bischof das Gebet sprach. Dann ward ein von Würkert gedichtetes Festlied gesungen. Der Bischof hielt nun die Weihrede, die, wenn auch nicht das beste Product dieses genialen Kanzelredners, ganz der Feier angemessen, voll erhabener schöner Gedanken, geistreicher Wendungen und tiefer Empfindung war. Historische Erinnerungen und eine treffliche Anwendung der Bibelstellen auf das Denkmal bildeten den Inhalt. Mit wahrhaft begeisternden Worten bereitete der Redner die Enthüllung des Denkmals vor, die auf seinen[99] Wink erfolgte; die Hülle wollte nicht herab, das Monument des edlen königlichen Helden und einer thatkräftigen, lebensrüstigen Zeit hielt sein graues Gewand fest, um nicht enthüllt zu erscheinen vor einer blos denkenden, thatunlustigen Gegenwart. Und der Bischof war der einzige, der es feierlich und freudig begrüßte; die fernen Instrumente schmetterten ex officio einen obligaten Jubel, und die Kanonen riefen ein dumpfes „Willkommen!“ Man hatte das Pulver gespart, oder beim Laden Rücksicht genommen auf das zarte Geschlecht; sie knallten wie eine Windklapper, die ein Knabe sich von Papier faltet. Nicht ein Ruf der Freude, nicht ein Zeichen des Beifalls, der Theilnahme und Erhebung gab sich kund bei der versammelten Menge. Begeisterung und Enthusiasmus standen nicht in der Festordnung, und der Deutsche hält fest am Vorgeschriebenen. Nur eine Lerche flog trillernd über das Monument hin und schmetterte die Jubelhymne der Freiheit durch den weiten Himmelsraum; sie verschwand im unendlichen Dome, wie der Lichtgedanke der That, den Himmel suchend, verschwindet. — Auch die Sonne trat heraus aus ihrem grauen Morgenanzuge und grüßte hellstrahlend das Denkmal eines leuchtenden Menschengestirns; aber sie zog den Schleier bald wieder zu, als sie die kalten Menschenherzen erblickte, die es umstanden.
Eine bunte Menge trieb sich nach der Feierlichkeit um das Monument herum, dasselbe bewundernd, erklärend und kritisirend. Die weite Ebene war bunt bewegt und glich in ihrer wirren Lebendigkeit einem aufgescheuchten Bienenschwarme. Ich hatte mich an den alten Invaliden gedrängt, der freudestrahlenden Blickes dastand in der Volksmenge und mühsam sich aufrecht zu erhalten suchte im wilden Gedränge. Er war sehr glücklich der gute Alte, über seine Versorgung, die ihm monatlich 8 Thlr., freie Wohnung und freies Holz bringt. Hier kann er träumen von Schlachten und Siegen, kann die Gespenster ziehen sehen, Nachts über die Todesebene, bis der Tod ihn zur Ruhe ruft mit dem letzten Zapfenstreiche. Der Alte war besonders sehr glücklich, daß der hochwürdige Bischof auch ihn erwähnt habe in seiner Rede und gesagt: „er solle in der Bewachung des Monuments seine letzte Erdenwache verrichten;“ es war noch Ehrgeiz in seiner Brust, denn er that sich viel darauf zu Gute, daß er der Einzige sei von allen Wächtern, der dieses Fest erlebte. Ich fragte ihn, wo er sein Bein verloren habe? er zeigte nach Leipzig und sagte mit selbstgenügsamem Witz: „dort habe[100] ich’s gesäet, damit es keime und wachse und ich mir neue Beine holen kann, wenn dies eine alt und schwach wird. Ist’s nicht aufgegangen, lieber Herr?“ Armer Mann! begrabe deine Hoffnung, scharre deinen zerrissenen Kranz ein zu deinem Beine; du hast in ein unfruchtbares Feld gesäet. Leipzigs Auen geben die Saaten nicht vervielfältigt zurück, die man ihnen vertraute, sie liegen wie ein Lebendigbegrabener in der stillen Erde und ringen ununterbrochen den furchtbaren Kampf zwischen Tod und Leben. Wenn man einsam dahinwandert über die blutgedüngten Felder, so hört man ihr verzweifeltes Aechzen und das Blut stockt im warmen Herzen, die Nerven durchzuckt es fieberisch, und man möchte die Erstickenden befreien mit Aufopferung des eigenen Lebens. Aber ein böser Zauber hält sie gefangen, und noch ist der Glückliche nicht erschienen, der ihn zu lösen vermag. Gustav Adolf der neuen Zeit, wo weilst Du?“
Im Gegensatz zu der Gleichgültigkeit der Spießbürger Lützens wird dann die schöne Begeisterung der Studenten und Bürger Leipzigs, ihre in Lied und Wort mächtig durchdringende patriotische Feststimmung geschildert. Daß Robert Blum selbst einen der begeistertsten Trinksprüche ausbrachte, verschweigt er bescheiden. Zum Schlusse schreibt er: „Um die Lohe der rings um das Denkmal aufgehäuften Pechfackeln schallte brausend das frohe „Gaudeamus“ als Schlußgesang zu dem lichten Nachthimmel empor. Während desselben stiegen in der Ferne zwei Raketen auf, wahrscheinlich eine Ueberraschung, die die Stadt Lützen ihren Gästen bereitet hatte!“
Die Menge verlief sich, nur der Invalide blieb einsam an dem stillen Denkmal, welches zu wachsen schien in der dunklen Nacht, als ob es emporsteigen wolle zu den Sternen. „Wir bedürfen großer Mahlzeichen, sagte der Bischof Dräsecke, an denen wir ausruhen von großen Thaten und uns ihrer erinnern.“ Dort standen zwei Mahlzeichen vergangener kräftiger Epochen nebeneinander; das eine erhob sich siegend in der Gegenwart, obschon es zwei Jahrhunderte trug; das andere stand nur gespenstig noch aufrecht und wankte, mit nur 24 Jahren belastet, der Vergessenheit zu. Wie verschieden die Ergebnisse der Weltgeschichte sind. Der Himmel lag licht und sternenklar ausgebreitet über der Ebene und der Mond erhellte sie mit freundlichem Lichte; Sternschnuppen flogen durch die stille Nacht und berührten wie tröstende Gottesgedanken das schmerzlich zuckende Herz, tief im Innern neue[101] Hoffnung und Zuversicht erweckend, und in die Seele tönte es wie Engelchöre, welche sangen:
Eine feste Burg ist unser Gott,
Ein gute Wehr und Waffen;
Er hilft uns frei aus aller Noth,
Die uns itzt hat betroffen.
Wir wollen ihm vertrauen, dem Gotte der im Himmel thront und in der reinen Brust des Menschen, die nach Licht und Freiheit dürstet.
Ehre sei Leipzigs Bürgerschaft und Universität! sie waren es, die dem Feste den Glanz verliehen, worin es prangte.
Robert Blum.
P. S. Ich habe das Wichtigste vergessen: es fand durchaus keine Ruhestörung Statt.“
Bald ward der Bürgerschaft Leipzigs Gelegenheit geboten, die patriotischen Gelübde, die an dieser geweihten Stätte dargebracht worden waren, zur That werden zu lassen. Am 17. November 1837 hatten die mannhaften sieben Göttinger Professoren Dahlmann, Albrecht, Gervinus, die Gebrüder Grimm, Weber und Ewald dem Curatorium der Universität einen Protest überreicht gegen die eidbrüchige Verfassungsverletzung des Königs Ernst August von Hannover. Der Protest wurde veröffentlicht und jubelnd in ganz Deutschland begrüßt von Allen, welche Recht und Gesetz und geschworene Eide hoch hielten. Das waren unter dem allgemeinen Molluskenthum, das seit den Bundestagsbeschlüssen von 1832 an der Oberfläche unseres öffentlichen Lebens schwamm, doch einmal sieben ganze Männer! Sie wagten dem eidbrüchigen Verbrecher auf dem Throne zuzurufen: „das ganze Gelingen ihrer Wirksamkeit beruht nicht sicherer auf dem wissenschaftlichen Werthe ihrer Lehren als auf ihrer persönlichen Unbescholtenheit. Sobald sie vor der studirenden Jugend als Männer erscheinen, die mit ihren Eiden ein leichtfertiges Spiel treiben, ebensobald ist der Segen ihrer Wirksamkeit dahin.[102] Und was würde Sr. Majestät dem Könige der Eid unserer Treue und Huldigung bedeuten, wenn er von Solchen ausginge, die eben erst ihre eidliche Versicherung freventlich verletzt haben.“
In Leipzig namentlich fand der kühne Schritt der Göttinger Sieben wohl den begeistertsten Widerhall. Nur Hamburg und Kiel konnten sich mit Leipzig in thatkräftigem Handeln messen. So rein und naturgewaltig drang von Leipzig die Zustimmung zurück zu Dahlmann und seinen Genossen, daß, als das Schicksal des treuen „Siebengestirns“ sich erfüllt hatte, Dahlmann und Albrecht nach Leipzig ihre Augen und Schritte lenkten, als nach einer neuen Heimath. Doch schon lange ehe es soweit kam, hatte Leipzig gehandelt so kräftig und opferbereit wie keine andere Stadt. Am 7. December gaben die Liberalen Leipzigs den aus der Ständeversammlung heimgekehrten Abgeordneten ein Festmahl, das hauptsächlich Blum angeregt und zu Stande gebracht hatte. Ein kräftiges Tafellied aus seiner Feder wurde gesungen. Hier regte er mit Andern an, eine Adresse an die Sieben Göttinger zu senden. In wenigen kräftigen Worten hob sie das große Verdienst der eidestreuen Männer hervor und erregte bei Dahlmann, an dessen Adresse sie gesandt wurde, besondere Freude. Dabei begnügte sich aber Leipzig nicht. Schon am 9. December erließen hervorragende Kaufleute, Gelehrte, Buchhändler der Stadt einen Aufruf zur Zeichnung von Beiträgen für den Fall, daß „jene biedern Männer ihres Amtes verlustig gehen sollten“ und in den ersten zwölf Stunden schon hatten Reich und Arm, Jung und Alt, Männer und Frauen der Leipziger Bürgerschaft fast tausend Thaler für die Göttinger Sieben gezeichnet. Wenn Robert Blum’s Name unter diesem schönsten Zeugniß fehlt, das der Patriotismus der Leipziger Bürgerschaft in den dreißiger Jahren sich ausstellte, so sprechen doch zahlreiche Beweise dafür,[103] daß er mit der ganzen ihm eigenen Thatkraft für die Sache der sieben Göttinger wirkte. Er hat noch manches Jahr später, als er schon der anerkannte Führer des vorgeschrittenen Liberalismus in Leipzig war, immer, wo es irgend anging, vermieden, seinen Namen an die Spitze zu stellen oder hervorzudrängen, vor Allem deßhalb, weil er sich seiner abhängigen Stellung als Theatersecretair bewußt war und mit Recht annahm, daß in den Augen des Publikums höhere Titel, die Namen gelehrter, reicher oder berühmter Männer mehr wirken würden, als der seine. Aber man braucht nur die Leipziger Allgemeine Zeitung, die Elegante Welt, das vom Abgeordneten Todt herausgegebene Adorfer Wochenblatt, und alle sonstigen Zeitungen jener Tage, auf welche Robert Blum direct oder indirect Einfluß hatte, aufzuschlagen, um zu erkennen, wie begeistert und nachhaltig er die Sache der Göttinger Sieben förderte. Hat doch auch Johann Jacoby, sein getreuer Gesinnungsgenosse, in Königsberg sich an die Spitze der Agitation und Sammlungen für die sieben tapfern Gelehrten gestellt.
Und als dann das Erwartete geschah, und der König seinem Eidbruch den schnöden Rechtsbruch hinzufügte, die sieben Professoren am 11. December ihres Amtes enthob und sie als Verbannte in die weite Welt trieb und dann Dahlmann und nach ihm Albrecht in Leipzig ein Asyl suchten, da hat Robert Blum die armen Vertriebenen öffentlich angeredet und ihnen, umgeben von Hunderten gleichgesinnter schlichter Bürger, die trostreiche Versicherung zugerufen, daß sie nicht zu verzagen brauchten, da das Herz des ganzen deutschen Volkes mit ihnen schlage, das ganze deutsche Volk sie stütze und trage. Das war die erste öffentliche Rede Blum’s: sie galt der Anerkennung opfermuthiger Pflichterfüllung, unbeugsamer Manneswürde, der Brandmarkung rechtloser und eidbrüchiger fürstlicher Willkür.
Wie tief Robert Blum die lebendige Erinnerung an die Frevelthat des Königs von Hannover und den Heroismus der Göttinger Sieben bewahrte, erhellt aus seinen Reden, Briefen und Schriften der folgenden Jahre. Als längst die öffentliche Theilnahme für das Ereigniß und seine Opfer erkaltet war, wies er immer von Neuem darauf hin. Auch das nächste Geburtstagsfest des Königs von Sachsen gedachte er zu diesem Zwecke zu benützen. Er hatte, wie gewöhnlich, den Theater-Festprolog verfaßt. „Es ist des Königs Fest“ heißt es da:
„Bezieht sich auf die Aufnahme der Göttinger Professoren,“ hat Blum in einer Anmerkung zum besseren Verständniß Eines Hohen Theater-Ober-Censur-Collegiums dieser Strophe hinzugefügt. Aber gerade diese Deutlichkeit der Anspielung brachte die Strophe zu Fall. Man war in Dresden in banger Sorge über Dahlmann’s Anwesenheit in Leipzig. Selbst der wackere freisinnige Minister Lindenau berief sich ihm gegenüber auf die 1832er Bundestagsbeschlüsse[22]. Nur Albrecht duldete man und stellte man an, da gegen ihn der welfische Rachezorn bei weitem geringer tobte, als gegen den Führer der Sieben. Unter solchen Umständen durfte natürlich die Regierung zu Königs Geburtstag nicht erinnert werden an ihre großen Worte, da die Armseligkeit ihrer Thaten bald aller Welt kund werden sollte.
Oben ist schon angedeutet worden, daß die Leipziger Messen Robert Blum auch in rege persönliche Verbindung mit hervorragenden, an öffentlichen Angelegenheiten lebhaft theilnehmenden Männern der Provinz brachten. Die zwanglose gesellige Form des Blum’schen Kreises, persönliche Beziehungen zu dem einen oder andern Mitgliede dieses Kreises führte nach und nach fast alle bedeutenderen Männer der Provinz, die in den Messen oder außerhalb derselben Leipzig berührten, in diesen Kreis: den wackeren Weber Franz Rewitzer aus Chemnitz, die rührigen Fabrikanten Böhler und Mammen aus Plauen im Voigtland, zahlreiche Buchhändler und Verleger aus ganz Deutschland, die Abgeordneten der Sächsischen Kammer Dieskau, Todt, später Braun und zahlreiche Andere, die in den kommenden Jahren eine nicht unbedeutende Rolle in der Geschichte ihres engeren und weiteren Vaterlandes gespielt haben. Mit ihnen allen fast hat Blum die persönlich in Leipzig geknüpften Beziehungen in regem Briefwechsel unterhalten und auf diese Weise stets ein treues, durch die Erweiterung seines Freundeskreises immer umfassenderes Bild von dem politischen Leben der Provinz erhalten.
Das Jahr 1837 sollte nicht scheiden, ohne die Wunde, welche die Untreue der Auguste Forster in Blum’s Herzen zurückgelassen, vollständig zu heilen und ihm das schönste Glück für die Zukunft zu verheißen. Schon im Sommer 1837 meldete er den Seinen nach Köln, daß er ein junges Mädchen kennen gelernt habe, das ihn mächtig anziehe. Im Frühjahr desselben Jahres war er durch einen Freund, Ferd. Mey, in dessen elterliches Haus in Leipzig eingeführt worden. Dieses Haus lag an der Dresdener Straße, unweit des äußeren Grimmaischen Thores, das vierundzwanzig Jahre zuvor die Königsberger Landwehr unter Friccius gestürmt hatte. Noch hafteten überall die Kanonenkugeln der Völkerschlacht in den Mauern der Häuser.[106] Jenseits des Thores, wo das Mey’sche Haus zur Rechten lag, war damals fast Alles noch Garten. Mit der Rückseite stieß das Besitzthum an das üppig-grünende Heiligthum des Johanniskirchhofes. Wer konnte ahnen, daß auch der jungen Liebe, die dort emporkeimte, die Trauerweide des Friedhofes in so furchtbarer Nähe erwachsen sollte!
Ein achtzehnjähriges Mädchen (geboren 1. Mai 1819) war Adelheide Mey, als Robert Blum sie zuerst kennen lernte; in kleinbürgerlichem, leidlich wohlhabendem Hause, unter den Blumen und Bäumen des Vaters war sie aufgewachsen, ein Naturkind, schlicht, offen in allen Empfindungen und Gedanken, gleichgültig fast gegen alle tiefsten Zweifel des Menschenherzens, da keiner dieser Zweifel noch den Frieden ihrer Seele getrübt hatte, bis der geistvolle neue Freund leise tastend ihrem Glauben, ihrer Erkenntniß nachspürte. So zog ihr Wesen, ihre Erscheinung den Vielgeprüften mächtig an, gerade wegen des Gegensatzes ihrer Art und Entwickelung zu der seinen. „Jeder Schritt in das Leben war ihr neu, reizend,“ schreibt Blum später an seine Eltern, „es war mir vorbehalten, sie jeden dieser Schritte zu führen, und ihr freudiges Erwachen zu einer höheren Erkenntniß, zu einem geistigeren Lebensgenusse, war mein süßester Lohn. Auch erhob sie sich in geistiger Beziehung mit jedem Tage; ich sah sie gedeihen unter meiner Leitung wie eine sorgsam gepflegte Blume und freute mich so innig an ihrer immer reicheren Entfaltung.“
Sehr bald schloß sich der Bund der jungen Herzen. Die Eltern und Brüder der Braut waren der Werbung gewogen; der Vater liebte Blum wie seinen besten Sohn, und bis an Blum’s Ende hat der kreuzbrave schlichte Mann große Stücke auf den Schwiegersohn gehalten. Das Bild Adelheids steht vor mir in Lebensgröße; sie ist vom Maler Storck in Oel gemalt, in[107] ihrem blaßblauen Brautkleide, das dunkle Haar kunstlos und kurz in Locken um die Stirn ausgehend, das braune Auge lebhaft, die Lippen üppig, Gesicht und Gestalt lieblich, aber in Nichts ungewöhnlich; doch Maler Storck war kein Schmeichler.
In der Nummer des Tageblattes und der Leipziger Zeitung vom 3. Februar 1838 war die Verlobung des Paares öffentlich angezeigt worden. Am 1. Mai 1839, dem neunzehnten Geburtstage Adelheids, widmete ihr Robert ein Gedicht, das beginnt: „Ein schöner Maitag gab Dir einst das Leben,“ und das endet mit der Frühlingshoffnung des Bräutigams, der in wenig Wochen Gatte werden sollte: „Und unser Leben wird ein Maitag sein.“ Ja — ein Maitag, ein kurzer Frühlingstag, in der That! Um in Leipzig heirathen zu können, mußte der Kölner Robert Blum zuerst in Sachsen staatsangehörig werden. Die einfachste Form hierzu war die Erwerbung eines Grundstückes. Am 20. April bucht er „Kaufgeld für das Haus und Kosten 126 Thlr. 6 Gr.“ Es war eine Breterbude in der Nähe Leipzigs. Am 21. Mai fand die Hochzeit statt. Da gab das ganze Theater dem beliebten Secretär Beweise seiner freundlichen Zuneigung in Versen, Gratulationen, Geschenken. Regisseur Düringer hatte sich in Dichtkunst gewaltig angestrengt. In der ersten Etage des Mey’schen Hauses wohnte das junge Paar seit der Hochzeit.
Die Mußestunden jener glücklichen Wochen füllte die Arbeit am Theaterlexicon, mit dessen Plan und Vorarbeiten sich Blum schon lange getragen hatte und das nun bald erscheinen sollte. Am 29. Juni 1838 hatten Blum, Herloßsohn und Marggraff mit dem Major Pierer in Altenburg und Carl Heymann „aus Berlin“ als Verleger, einen schriftlichen Verlagsvertrag über das Unternehmen abgeschlossen, das unter dem Titel „Allgemeines Theaterlexicon“ in drei Bänden von höchstens 75 Bogen in Duodez[108] erscheinen sollte. Für den Druckbogen zahlten die Verleger drei Friedrichsd’ors; bei einem Absatz von zwei Dritteln der Auflage, die auf 3500 Exemplare bemessen wurde, sollte noch eine Nachzahlung von 14 Gr. pro Bogen stattfinden. Ursprünglich war statt Marggraff’s Dr. Carl Andree als Mitredacteur in Aussicht genommen. Andree hatte den Plan und die Vorarbeiten wesentlich fördern helfen. Aber seine Berufung nach Mainz hinderte ihn, an der Ausführung des ihm selbst lieben Planes mitzuwirken. Leider führte dieser Vorfall zu einem völligen Bruche mit Düringer, der sich eingebildet hatte, er werde an Andree’s Stelle in die Redaction berufen werden. Den gekränkten Biedermann trieb die Leidenschaft soweit, daß er zusammen mit dem Inspicienten des Leipziger Stadttheaters, Barthels, der nicht einmal orthographisch schreiben konnte, an einem Gegenwerke arbeitete, welches das Theaterlexicon Blum’s und seiner Freunde todt machen sollte. Dieser Plan ist freilich mißlungen. Blum’s Theaterlexicon darf noch heute als ein fleißiges, gründliches, seinen Stoff vollkommen beherrschendes, durchaus ehrenwerthes Werk bezeichnet werden, das zu der Zeit, wo es erschien, zweifellos eine wesentliche Lücke der Literatur ergänzte und auch heute noch für die Geschichte der Theater, namentlich die Theaterzustände vor vierzig Jahren, mit Nutzen gebraucht werden kann. Unter allen schriftstellerischen Arbeiten, die Blum hinterlassen, steht es in unsern Augen am höchsten, weil der Verfasser bei diesem Werke seinen Stoff am vollständigsten beherrschte — während das z. B. in seinem Staatslexicon durchaus nicht der Fall war — und am wenigsten Tendenz hineintrug, vielmehr rein sachlich und mit weiser Objectivität arbeitete. Auch kam dem Werke zu Gute die Mitarbeiterschaft einer großen Anzahl praktischer Kenner der Sache, in deren Herbeiziehung Blum unermüdlich war. Schon bei Abschluß des Verlagsvertrages mit Pierer[109] und Heymann, der seit der Ostermesse 1838 allerdings in den Grundzügen schon verabredet war, hatte die Zahl der Briefe, die Blum in Sachen des Theaterlexicons an die Mitarbeiter geschrieben, bereits vierhundert überschritten.
Die Beziehungen zu Pierer und Heymann und eine lohnende Arbeit, welche Blum unerwartet im August übertragen wurde (die Durchsicht und Correctur eines Lexicons) machten es ihm möglich, nachträglich, gegen Ende August noch eine Hochzeitsreise anzutreten. Diese Reise, mit ihrer langen, achtzehnstündigen Postfahrt und den vielen Gastereien, welche die Freunde in Berlin boten, war bei dem Körperzustand der jungen Gattin ein starkes Wagniß, das leider in der verhängnißvollsten Weise enden sollte. Am 9. September 1838 schrieb Robert Blum darüber an seine „lieben Eltern.“
„Im Juli ersuchten mich unsere Verleger im Interesse unseres Unternehmens und auf ihre Kosten eine Reise nach Berlin zu machen, was ich auch zusagte. Meine Frau war theils ganz verstört, daß ich sie vier bis sechs Tage verlassen solle, anderntheils sprach sie den lebhaften Wunsch aus, mich zu begleiten; doch war sie so vernünftig einzusehen, daß dies bei unsern Verhältnissen nicht anging. Da führte mir der Zufall eine Arbeit zu, die sehr schwierig aussah, aber schnell vollendet sein mußte; ich nahm sie für vierzig Thaler an und vollendete sie in einer Woche Nachts. Dieser Verdienst, an den ich nicht dachte, den ich als gefunden betrachten mußte, veranlaßte mich, meiner Frau die große Freude zu machen, sie mitzunehmen. Mußte die Arme doch den ganzen Tag allein sitzen und ich konnte ihr, bei meinen vielen Arbeiten, so wenig Vergnügen machen. Heute würde ich untröstlich sein, wenn ich ihr diesen Wunsch versagt hätte. —
Am 20. August reisten wir froh und munter ab und[110] Adelheid hatte eine unendliche Freude, als sie die pompöse, riesige Stadt sah. Dienstag und Mittwoch war sie ganz wohl und heiter, Donnerstag bekam sie ein leichtes Erbrechen, was wir jedoch ihren Verhältnissen und dem Umstande zuschrieben, daß sie Vormittags ein Glas Eis gegessen hatte; auch war sie zu Mittag ganz wohl und ließ sich sogar den Champagner trefflich schmecken. Freitags war sie unwohl, hatte Kopfschmerz, Erbrechen, keinen Appetit, und da wir Abends reisen wollten, so fragten wir einen Arzt, ob es nicht besser sei, die Reise um einen Tag zu verschieben. Dieser aber, als er hörte, daß wir von einem Gastmahl zum andern geschleppt worden waren, erklärte ihre Unpäßlichkeit für eine Magenüberladung, die sich von selbst verlieren würde, ehe wir den halben Weg zurückgelegt hätten, und hieß uns muthig reisen. So reisten wir denn Abends ab“ (25. August).
Die Krankheit der Frau wird nach der Ankunft in Leipzig, die am Sonnabend Mittag (26. August) erfolgte, immer schlimmer. Ein Arzt und außerdem Professor Braune werden gerufen. Durch energische Mittel wird das Fieber so weit gemildert, daß die Kranke sich bis Mittwoch (29. August) leidlich wohl fühlt. Gegen halb elf Uhr Nachts tritt eine Frühgeburt ein. Obwohl die Hebamme Alles für ungefährlich erklärt, schickt Blum „zum Hofrath Jörg, dem ersten Geburtshelfer Sachsens und hinsichtlich seines Ruhmes von ganz Deutschland, mit dem ich durch seinen Sohn, der mein innigster Freund ist, bekannt bin. Er erklärte, meine Frau wenigstens sehen zu wollen. Beim ersten Anblick nahm er mich bei Seite, erklärte mir, daß die Frau sehr krank sei, und ließ sich ihre Krankheitsgeschichte ganz genau erzählen, prüfte dann alle Recepte, billigte das Verfahren des Professor Braune und verschrieb vier verschiedene Arzneien. Der Hofrath blieb bis ein Uhr“ (Nachts den 30. August) „bei[111] mir, gab selbst die erste Arznei, entließ die Hebamme, gab mir die genauesten Anweisungen und hieß mich jeden Athemzug bewachen. Als ich ihn begleitete und meine Frage wiederholte: ob die Sache lebensgefährlich werden können sagte er: ‚Es thut mir von Herzen leid, es Ihnen sagen zu müssen, aber es ist schon lebensgefährlich. Wenn sie ruhig bleibt, so haben wir Hoffnung; wird sie unruhig, so hat unsere Kunst ein Ende.‘ Mit welchem Gefühle ich mich nun an’s Bett setzte, könnt Ihr leicht ermessen, nie habe ich ängstlich Secunden und Athemzüge gezählt wie die folgende Stunde. Adelheid war ganz ruhig, nahm ihre Arznei und klagte nur zuweilen mit tiefer Schmerzensstimme: ‚Ach, Robert, mir ist’s sehr schlecht.‘ Gegen halb zwei Uhr schlief sie ein, das Herz schlug weniger stark und ein Hoffnungsblitz zuckte durch meine Seele. So dauerte es fort, die alte Mutter legte sich auf’s Sopha, ich, der ich drei Nächte nicht geschlafen hatte, fühlte mich sehr müde und legte mich um drei Uhr auf’s Bett auf Zureden der Wartefrau, der ich den Befehl gab, mich bei der geringsten Anwandlung von Unruhe, bei jedem stärkeren Athemzuge, zu wecken. Ich war wohl kaum eingeschlummert, als sie mich aufrief. Adelheid war erwacht, die Herzschläge wurden wieder heftig, der Puls zeigte Fieber, sie hatte heftigen Durst und wollte nicht ruhig liegen. Jetzt kannte ich mein fürchterliches Loos, und während mir das Herz brechen wollte, mußte ich mit der scheinbar größten Ruhe für sie sorgen. Gegen vier Uhr wurde das Fieber heftiger, die Unruhe krampfhaft, der Verstand entwich und nur ich war der leitende Faden in ihren Phantasien. Ich ließ Eltern und Brüder wecken, schickte eiligst zu allen drei Aerzten und hielt mit allen Leibeskräften mein leidendes Weib. Den Jammer der Mutter erkannte sie, ohne ihn zu verstehen. Vater und Brüder erkannte sie nicht mehr; mich umklammerte sie fest und bat um Schutz[112] und Hülfe gegen wer weiß welche äußere Dinge; der Todeskampf schien die Gestalt äußerer Anfeindungen für sie angenommen zu haben. Um fünf Uhr kamen die Aerzte zusammen, deliberirten lange, verschrieben noch eine Arznei, legten Senfpflaster hin und wieder; leere Versuche, sie war hin! Um sechs Uhr kam der letzte Krampf, sie hatte Streit mit Jemand in der Theaterloge und drohte, ihren Mann zu rufen. Auf meine Frage, ob sie mich noch erkenne, schlang sie einen Arm heftig um meinen Nacken und sagte: ‚Ich heiße Karoline Blum und mein Mann heißt Robert!‘ Das waren ihre letzten Worte; die Pulse stockten plötzlich, sie hatte ausgelebt und ausgelitten! Das Herz schlug noch heftig bis gegen sieben Uhr, die Lippen zuckten convulsivisch, aber die Seele war entflohen; ein Nervenschlag hatte ihrem Dasein ein Ende gemacht.“
„Ich unternehme es nicht, Euch unsern Jammer zu schildern; wozu soll ich Worte machen über Dinge, die sich nicht beschreiben lassen. Meinen Verlust könnt Ihr selbst abschätzen in seinem ganzen ungeheuren Umfange. Von allen Aussichten, von allen Glücksträumen, die ich mir mit so vielen Mühen, Sorgen und Kosten erworben hatte, ist mir nichts geblieben: das ist die ganze Ernte von dem üppig prangenden Felde meiner Hoffnungen. Was ich im vorigen Jahre so sehnsüchtig zu verlassen wünschte, das öde, einsame, herzlose Junggesellenleben, ich werfe mich jetzt in dasselbe zurück, um den marternden Erinnerungen zu entfliehen, die in meiner zertrümmerten Häuslichkeit mich verfolgen. Ich muß mein schönes freundliches Logis verlassen, denn ich kann keine Ruhe und keinen Arbeitsmuth darin finden und doch muß ich arbeiten, viel, viel arbeiten, wenn ich die drückenden Nachwehen der entsetzlichen Woche verlöschen will.... Ach, das Schicksal hat uns fürchterlich betrogen; nur den kürzesten Frühling hat es uns gegeben und dann ungerechter[113] Weise den herbsten Winter folgen lassen. Doch ich will ja nicht klagen.“
„Sonntags den 2. September wurde Adelheid beerdigt; der traurige Fall hatte die Stumpfheit der Menschen ungewöhnlich aufgeregt und Theilnahme erweckt; Sarg und Träger vermochten kaum die Kränze zu fassen, die von allen Seiten geschickt wurden. Schaarenweise waren die Menschen gekommen, sie zu sehen. Ach, sie sah so friedlich still und lieb aus; ihre schönen Brautkleider hatte sie seit der Trauung nicht wieder angezogen, jetzt liegt sie darin im Sarge. Fürchterlicher Wechsel, einmal zur Trauung, einmal im Sarge! und in so kurzer Zeit. — Wir hatten nur drei Wagen angenommen, die der Leiche folgten; aber alle meine Bekannten kamen uneingeladen in eigenen Wagen und es wurde ein langer feierlicher Zug. Auf dem Gottesacker waren Hunderte von Menschen zusammen, das ganze Theaterpersonal stand um das Grab und empfing den Sarg mit feierlichem Gesange; Düringer[23] hielt eine vortreffliche Rede, ein erhebender Chor, von Stegmayer componirt zu diesem Zwecke, folgte darauf und der Geistliche, der uns getraut hatte, sprach den letzten Segen. Dann sank mein armes junges Weib in die Tiefe, aus der sie ewig nie wiederkehrt! Ich habe von alle dem fast nichts bemerkt, denn alle meine Sinne hafteten auf dem schwarzen Sarge und dem tiefen Grabe; aber ganz Leipzig sprach drei Tage lang von dieser Leichenfeier, wie selten eine gesehen wurde. Der oft verketzerte Schauspielerstand hat sich darin ein schönes Monument gesetzt.... Es ist dies der bitterste Brief, den ich in meinem Leben geschrieben habe.“
Arbeit die Fülle fand Robert Blum in seinem tiefen Schmerze. Aber Trost gewährte auch sie ihm nicht. Vergeblich[114] suchten die Freunde ihn zu zerstreuen. Bis zu Visionen steigerte sich sein aufgeregter Seelenzustand. Am 24. September und 1. October erschien ihm die Verstorbene und führte lange Gespräche mit ihm, die er niederschrieb[24].
Etwa acht Wochen nach dem Tode der Frau sandte er den Eltern und Schwestern kleine Andenken an die Geschiedene aus deren Nachlaß und schrieb dazu u. A.: „Damit sende ich Euch denn die letzten Zeichen meiner guten Frau und bitte Euch, sie nun nicht mehr erwähnen zu wollen, wie ich es auch nicht mehr thun werde. Ach, es ist sehr schmerzlich, daß man sich das einzige Ueberbleibsel eines grausam zerstörten Glückes, die Erinnerung, auch noch verkümmern muß; aber es ist nothwendig und heilsam. — Ich bin nun ausgezogen[25], wohne in der Nähe des Theaters mit freundlicher Aussicht auf die Promenade und habe freundliche Wirthsleute gefunden. Die Arbeit, deren ich in den letzten sechs Wochen sehr viel hatte, hat mich zerstreut und ich bin ziemlich ruhig. Nur wenn ich das Bild meines armen Weibes — doch ich will ja nicht[116] mehr von ihr reden. — Meine Freunde bemühen sich, mich zu zerstreuen und führen mich häufig fast gewaltsam in Privatgesellschaften; dort bin ich allerdings ein trüber Genosse und wenn der weinfrohe Muth oft das Wohl von Weib und Kindern ausbringt, verkündet sich mein Unglück in unwillkührlichen Thränen; aber häufig fühle ich auch, daß mir die erheiternde Unterhaltung recht wohl thut und mir zu neuer Geschäftigkeit Lust und Muth gibt. Zu den Eltern gehe ich sehr oft, bringe einen Theil meiner freien Abende dort zu und damit wir uns nicht gegenseitig mit trüben Erinnerungen quälen, gebe ich (Schwager) Carl Unterricht im Französischen. So sind meine Tage ein reizloses Einerlei und fließen unersehnt und ungenossen dahin, wie ein seichter Bach. Mein Lexicon ist indessen soweit gediehen, daß in künftiger Woche der Druck des ersten Heftes[26] beginnt.“ In einer Nachschrift heißt es: „Ich lege Euch eine kleine Erzählung von mir[27] zur Unterhaltung bei. Frau R. hat mir einen ganzen Brief voll Glückwünsche geschrieben. Glück und ich!! Ach Gott!“
Wiederum einige Monate später schrieb er der Schwester Gretchen nach Köln, auf deren Vorschlag zu ihm zu ziehen und ihm die Wirthschaft zu führen: „Für den Fall, daß ich wieder heirathen sollte — und dieser Fall ist nicht unwahrscheinlich, da die Häuslichkeit so ganz mit meinen Neigungen übereinstimmt — wer bürgt Dir dafür, daß Du Dich mit meiner Frau verträgst?“ Und bei Aufzählung der Gründe, die ihn veranlaßt hätten, die Wohnung im Hause der Schwiegereltern zu verlassen, sagt er u. A.: „Es hätte mir den Anschein gegeben,[117] als wollte ich mir bei den alten Leuten einen Theil der Erbschaft erschleichen, auf die ich durch den Tod meiner Frau keinen Anspruch mehr habe. Bei einer möglichen Heirath wäre es unendlich schwerer gewesen, mich von ihnen zu trennen, als jetzt. Auch hätten sie für Wohnung und Kost nichts genommen und ich kann mich nicht umsonst ernähren lassen u. s. w. Es ist somit besser, ich bin selbstständig und unabhängig und stehe doch mit den Eltern auf dem besten Fuß.“
Die „mögliche Heirath,“ welche Robert Blum in dem letzten Briefe an seine Schwester erwähnte, war im Frühjahr 1839 wenigstens soweit aus dem Gebiete eines bloßen hypothetischen Wunsches herausgetreten, als er bereits das Mädchen gefunden zu haben glaubte, das ihn seinem Ermessen nach allein trösten konnte über das so plötzlich vernichtete Liebesglück: das ihm voll ersetzen konnte die Liebe, die er verloren. Dieses Mädchen war die Schwester seines Freundes Dr. Georg Günther, Eugenie Günther.
Sie war geboren in Penig in Sachsen am 13. Februar 1810. Ihr Vater war dort Kattunfabrikant. Er war mit seiner zahlreichen Familie 1820 nach Prag übersiedelt, als technischer Leiter (Factor) einer dortigen Kattunfabrik, hatte sich mit Fleiß und Geschick auch dort zum selbstständigen Fabrikanten gemacht und hatte, als er 1834 starb, ein blühendes Geschäft hinterlassen. Der einzige Sohn Georg, der in allen Facultäten[118] herumstudirt hatte, ohne bis zum Tode des Vaters es zu einer festen Existenz zu bringen, übernahm leider nach dem Willen des Vaters dessen Geschäft und führte es durch Geschäftsunkunde und gutgläubiges Menschenvertrauen binnen kurzer Zeit zum Bankerott. Er und die Schwestern opferten ihr ganzes ererbtes Vermögen, um den Bruch des Hauses den Gläubigern so schmerzlos wie möglich zu machen. Die Mutter folgte dem Vater schon nach zwei Jahren im Tode. Drei der Schwestern heiratheten. Mit seiner älteren Schwester Emilie und der jüngeren Jenny übersiedelte Georg Günther nach Leipzig, wo er, wie bereits erwähnt, in die Redaction der Leipziger Allgemeinen Zeitung bei Brockhaus eintrat.
Eugenie war gut erzogen und belesen, sehr lebhaften Geistes, voller Interesse für alle bewegenden Ideen der Zeit, eine schwärmerische Freundin von Naturschönheiten, von dem innigsten Gemüthsleben erfüllt. Sie war nicht groß, leidlich gebaut, lebhaft und anmuthig in ihren Bewegungen. Das dunkelbraune Haar war auf der Stirn gescheitelt und fiel in langen dichten Locken beinahe bis auf die Schultern; die Stirne schmal, die Nase charactervoll, etwas lang, doch nicht unschön. Der liebliche Mund zeigte, wenn er lächelte, zwei Reihen schöner Zähne. Das ganze tiefe Gemüths- und Seelenleben des Mädchens blickte aber aus den freundlichen braunen Augen. Sie sah weit jünger aus als neunundzwanzig Jahre[28].
Mit ihrem Bruder hatte Eugenie dem Hochzeitsfeste Robert Blum’s mit Adelheid Mey beigewohnt. Schon damals erschien ihr der bedeutende Mann nicht gleichgültig, und ein[119] unbeschreibliches Gefühl, als ob sie ein theures Gut für immer verliere, drückte ihr Gemüth an seinem Hochzeitstage. Als Blum als Wittwer häufig das Haus ihres Bruders aufsuchte, mit dem Eugenie zusammen wohnte, und fast täglich mehrere Stunden in gemeinsamem Gespräch verstrichen, fühlte sie den Bann, den die Vollkraft des Characters, der Reden und Gedanken dieses Mannes auf sie ausübte, immer enger und fester die Freiheit ihrer Neigung und Empfindung umstricken, und um sich mit Gewalt aus diesen drückenden Fesseln zu befreien, trat sie vor ihren Bruder und beschwor diesen, Blum nicht zu trauen, er meine es nicht ehrlich mit ihm, könne es nicht ehrlich meinen[29]. „Der Bruder tobte und schimpfte auf mich,“ schreibt Eugenie später, und — Blum kam tagtäglich wie zuvor. Er kam anfangs nur um Zerstreuung zu finden im Freundesgeplauder — er fand mehr als das. Er ahnte in Eugenie mehr und mehr die Einzige, an deren Seite er wieder glücklich werden könne. Aber er barg diese leise Hoffnung, die ihm der Frühling 1839 brachte, still und verschwiegen in seinem Busen; weder Georg noch Eugenie erfuhren ein Wort. Nur der Klang der Stimme, nur die Augen hatten bis dahin gesprochen.
Aber andere Leute hatten auch Augen und dachten und wußten viel genauer, was den Wittwer Blum zu Günther’s führe, als die jungen Leute selbst es wußten. Hervorragend in dieser Erkenntniß war vor allen die „betrogene“ Mutter der todten Adelheid und sie beeilte sich, in sehr klaren Briefen an ihren Schwiegersohn diesem die Früchte ihrer vernichtenden Menschenbeobachtung angedeihen zu lassen. „Sie schwindeliger[120] Mensch!“ beginnt der zweite dieser Briefe. „Eine zu bedauernde Mutter legt noch einmal die zitternde Hand an die Feder um Ihnen wissen thun zu lassen, daß ich alle Kleidungsstücke, welche Sie noch von meinem verstorbenen Kinde haben, zurückverlange, desgleichen auch die ganze Wäsche und andere (!) Kleinigkeiten, u. s. w. und sämmtliche Hochzeitsgeschenke aus unserer Familie[30]. Denn da Sie nun eine große mariage mit der Tochter eines Factor’s eingehen, so glaube ich kaum, daß diese die Sachen meiner Tochter brauchen wird. O hätten Sie diese Person doch gleich anfangs gewählt, so lebte mein Kind noch und ich hätte noch meine Ruhe und Zufriedenheit! Die betrogene Mutter. I. Rosine Mey.“ Der Brief ist von fremder Hand geschrieben und stilisirt. Dagegen erhielt Robert Blum bald nachher ein unverfälschtes Autograph seiner Schwiegermutter folgenden Wortlauts: „Sie lügenhafter Mensch und Mörder meines Kindes. Das Maaß der Schändlichkeit ist voll gewesen, darum kommt immer noch mehr vor meine Ohren. Sie wollen aufrichtig sein, und gehen mit lauter Lügen um, denn Concert und Theater ist Zeige ihrer Schändlichkeit, denn rechtschaffene Leute, wo Sie die Ursache sein, sie in schlechten Ruf zu bringen und unsres ganzes häusliches Glück zerstören. So sollen sie es auch in Köln erfahren Ihre Aufführung.“
Nach Empfang dieser Briefe faßte Blum einen raschen Entschluß. Er theilte Freund Günther deren Inhalt mit, und beschwor ihn, die Schwester aus Leipzig zu entfernen, um zu verhindern, daß die wüsten Laute solcher Dissonanzen etwa auch an ihr keusches Ohr drängen. Der Bruder beeilte sich, dem Rathe zu folgen. Jenny erhielt eine Einladung nach Kappel bei[121] Chemnitz von ihrem Schwager Jost; im Hause des Fabrikanten Schnäbeli sollte sie wohnen. Am 5. Mai 1839 wurde die Reise angetreten. Dieser Reise danken wir eine Correspondenz, die ein wahrer Schatz genannt werden kann. Niemals vorher und nachher hat Robert Blum soviel Muße und Neigung gefunden, sein Innerstes so rückhaltlos zu offenbaren, über alle möglichen Fragen der Zeit, wie über die ewigen großen Räthsel des Menschenherzens und Menschendaseins so eingehend sich zu verbreiten wie in diesem Briefwechsel. Darum zeichnet er besser als jeder Versuch eines Dritten Robert Blum’s Charakter, seine Welt- und Lebensanschauung. Doch ist der Stoff ein so überreicher — der Abdruck dieses Briefwechsels allein würde ein dickes Buch füllen — daß der Raum gebieterisch vorschreibt, nur Weniges auszulesen, was für Blum’s Denkweise und Charakter von besonderer Wichtigkeit ist[31].
Bei der Abfahrt der Freundin war der Freund aus naheliegenden Rücksichten nicht zugegen.
Er sandte ihr dagegen an die Post ein Briefchen, in dem es heißt: „Meine Freundin! Sie haben mir ein Recht gegeben auf diese Anrede, als Sie eine ähnliche an mich richteten, und es würde mir sehr weh thun, mich dieses — wenn auch nur geschenkten — Rechtes entäußern zu müssen. So komme ich denn, Ihnen als Freund ein herzliches Lebewohl und eine glückliche Reise zu wünschen. Mögen Sie die frohen und glücklichen[122] Tage rein und ungetrübt genießen, möge der mächtig hervorquellende Lenz in Ihrer Seele ein treues, grünend’ und blühendes Abbild finden und so der Doppelreiz jugendlicher Schöpfung und Empfindung Sie durchglühen und Ihnen die prangende Natur doppelt schön machen — mögen Sie aber auch nach diesem Genusse gesund und heiter zurückkehren und beim Wiedersehen eben so mild und freundlich sein Ihrem Sie herzlich grüßenden R. Blum.“
Dieser Brief mußte natürlich beantwortet werden. Man fuhr damals dreizehn und eine halbe Stunde von Leipzig nach Chemnitz. Es ist daher jedenfalls eine achtbare Leistung, daß Eugenie ihre Antwort noch am Abend ihrer Ankunft zur Hälfte vollendete.
Blum antwortete erst am 14. Mai. „Soll ich mich entschuldigen? Der Civilisationsmensch hat immer eine große Schublade von Entschuldigungen bereit liegen, von denen er bei jeder Pflichtversäumniß dem ersten Besten eine Hand voll ohne Wahl in’s Gesicht wirft. So kann und will ich Sie nicht behandeln, daher kurz: es ging halt nicht! — Daß Sie glücklich angelangt, hat mich herzlich gefreut, mehr noch, daß Sie auch meiner noch gedachten, als eine schöne Natur Sie mit ihren Reizen umgab und Ihrem Geiste eine schöne Feierstimmung mittheilte.... Aber ungerecht ist es, daß Sie uns das Trennungsweh vergrößern. Nicht genug, daß Sie uns verlassen haben; nicht genug, daß Sie in den Bergen umhereilen und den ganzen Frühling allein verzehren, Sie beschreiben uns Ihre Genüsse noch so reizend, daß uns Armen, die wir auf der ödesten Fläche des mercantilen Materialismus in dem traurig-dumpfen Gefängnisse einer Stadt eingesperrt sind, der Aufenthalt noch unerträglicher wird. Aber fahren Sie doch fort, Sie erinnern uns wenigstens, daß es draußen noch ein Stückchen Natur giebt; wir wollen sie genießen in Ihrer Schilderung,[123] wie man das Glück genießt in Romanen, wenn man’s im Leben nicht finden kann.... Wohnt denn die Freiheit auf den Chemnitzer Bergen? wie der Phantast Schiller geträumt hat; dann bitte ich Sie, senden Sie mir nur eine kleine Quantität derselben. Ich will damit auf den Jahrmärkten umherziehen und sie als die größte Seltenheit der Welt zur Schau stellen. — Wie es mir geht? Nun, ich könnte sagen schlecht und recht! Ich habe sehr viel zu thun. Die Messe über muß man pro patria schwärmen, muß bald mit diesem, bald mit jenem verzweifelnden Provinzialen sich zusammen setzen, Hoffnungen affectiren, wenn auch complete Trostlosigkeit im Herzen wohnt und so die Leute davor bewahren, daß sie nicht ganz versauern. Nach der Messe erschrickt man vor der Arbeit, die sich anhäufte. So war’s nun die letzte Zeit und ich athme jetzt froh auf, daß ich bald etwas Luft sehe und fühle. Er will nun, um „nebenbei auch einmal Luft zu schlucken,“ in den nächsten Tagen in Geschäften nach Dresden reisen, um „zwei Hofräthe und einen sonstigen Esel zu besuchen; indessen hoffe ich auch einige liebe Freunde zu finden“ “ (Porth, Mosen, Th. Hell). Endlich sagt er: „Sie haben Anlage zur Dichterin. Es würde nur auf einen Versuch ankommen, auch der Form zu genügen. Wollen Sie denselben nicht machen? Doch wozu? Die Poesie ist ein weiter Wiesenplan, auf dem tausend Blumen form- und regellos emporschießen, aber sie sind reich an Duft und Farbe und erfreuen und erheben Geist und Auge. Ordnet man sie nach Gattung und Farbe, bindet sie an den Stab der Form und schneidet jeden frisch hinaustreibenden Schößling ab, um der Pflanze die schmächtige Gestalt modernen Geschmackes zu geben, so vernichtet man den schönsten Reiz. Senden Sie also zuweilen ein rein der Natur entkeimtes Blümchen mit einem grünen Hoffnungsblättchen Ihrem dankbaren Freunde Blum.“
Auf die rasche herzliche Antwort der Freundin erwidert er nach seiner Dresdner Reise, wie schwer es ihm werde, seine Empfindung in Worte zu fassen: „Mögen Sie den Vergleich arrogant finden, ich kann nicht anders, als mich mit einer Blume vergleichen, die dasteht auf dem ausgedörrten rauhen Boden der Zeit und des Lebens, versengt ist von brennenden Strahlen schwerer Schicksalsschläge und welk geweht von den Stürmen unserer Verhältnisse. Geben Sie ihr den lebenden Thau, das erquickende Wasser, sie wird die Wollust des neuen Lebens fühlen bis in die äußersten Fasern ihrer Form. Aber sie bedarf Zeit, um die welken Blätter wieder aufzurichten und Ihnen ihren Dank zu bringen in der freudigen Entfaltung ihres neuerweckten Organismus.... Ob das Werk es verdient, ob es Ihnen lohnen wird? — wer weiß das vorher bei unserm Thun; wenn die Handlung an und für sich keinen Reiz hätte, so würde wenig Gutes geschehen auf dieser elenden Welt.“ Der Rest des Briefes gilt der Dresdener Reise.
„Von meinen Hofräthen traf ich keinen und kam mit dem bloßen Schreck und einer Visitenkarte davon.“ Dagegen fuhr er mit den Freunden vierspännig nach Tharand. — Wie genügsam war jene Zeit! Man braucht nur seine Worte über die vollendete Leipzig-Dresdener Eisenbahn nachzulesen: „ein großartiges Werk, das Bewunderung verdient, besonders der Tunnel macht einen großartigen Eindruck. In dem Felsengewölbe selbst herrscht die tiefste Nacht, und das Brausen der Maschine und der dahinsausenden Wagen bricht sich schauerlich an der düstern Wölbung. Die Damen, die im Wagen saßen, wurden ordentlich ängstlich! Ich habe auf dem Wege gedacht, daß in der Menschennatur ein gewisses Etwas liegt, was zur Knechtschaft hindrängt, was ihn ebenso sehr fähig und geneigt macht zu tyrannisiren, als tyrannisirt zu werden. Sehen Sie sein ganzes Treiben an, es ist[125] eine fortgesetzte Knechtung der vorhandenen Wesen und Kräfte; er knechtet die Thiere, die Elemente, den Boden und zieht jetzt gar einige schwere eiserne Ringe um die arme Erde. Ueberall ein Ringen nach Vermehrung harter Bande, nirgend, nirgend nach Sprengung derselben, nach Befreiung. Wie sollte der Mensch, der so großartige Dinge vollbringt, nicht augenblicklich das Joch zersprengen können, welches ihn drückt seit Jahrhunderten, wenn er ernstlich wollte. Aber das ist das Schlimme, daß nur so Wenige wollen.“ —
Es ist unschwer zu errathen, was nun folgt, nachdem schon der Anfang dieses Briefes einer unterdrückten Liebeserklärung so ähnlich gesehen. Eugenie schlug dem Freunde vor, nach Amerika zu ziehen, wenn ihm Europa unerträglich geworden. Darauf antwortete er am 14. Juni: „Nein, liebe Jenny, nach Amerika gehen wir nicht, wenigstens nicht, so lange noch ein Fünkchen Hoffnung vorhanden ist, für die Freiheit und einen besseren Zustand des Vaterlandes wirken zu können. Ja, wenn hinten weit in der Türkei die Völker nicht aneinander schlagen, wenn Louis Philipp seine ganze Nichtswürdigkeit durchsetzt; wenn Ernst August[32] triumphirt und, wie sich von selbst versteht, einige Dutzend Nachahmer findet — dann wollen wir wieder davon reden, das heißt, wenn wir dann noch können und nicht füsilirt sind. Das Wirken für die Freiheit, nur die Aussicht, die entfernte Hoffnung dazu, ist äußerst reizend und wohl eines trübseligen Harrens werth. Aber ich glaube nicht, daß das Streben nach dieser einen, allerdings heiligsten Pflicht es ausschließt, daß wir uns das einmal unvermeidliche Harren so angenehm wie möglich machen; ja insofern eine das Herz und den Geist gleichmäßig befriedigende Existenz dazu dient,[126] uns zu veredeln und unsere Kräfte zu stärken und zu entwickeln, so dürfte es nicht bloßer Egoismus sein, wenn wir trachten, uns eine solche Existenz zu begründen. Eine solche fehlt mir, und mein Herz sehnt sich darnach mit aller Inbrunst, sehnt sich hinaus aus dem öden farb- und reizlosen Allein. — Können und wollen Sie’s versuchen, mir einen stillen, freundlichen Tempel der glücklichen, anspruchslosen Häuslichkeit zu bauen und das traulichste Plätzchen darin nach eigener Wahl für sich zu behalten? ihn ganz und gar mit mir theilen, bis uns eine höhere Pflicht hinausruft in das rauhe Leben, oder in das unerforschte Jenseits? — Sehen Sie, wie ich anfing, stand ein langer Brief vor meiner Seele, mit dieser einen gewichtigen Frage aber bin ich erschöpft; ich lege sie Ihnen trocken vor, ohne Schmuck, ohne Commentar. Sie kennen die Verhältnisse, Sie glauben den Menschen zu kennen.... Nun harre ich Ihrer Entscheidung entgegen; sagen Sie nein, so thun Sie das kurz, ohne Gründe, ohne Bedenken. Sie wissen, ich habe eine derbe Schule durchgemacht und kann etwas vertragen. Denken Sie dann, ich habe Ihnen einen neckischen Traum erzählt, Sie haben darüber gelächelt und ihn vergessen. Aber darum bitte ich dringendst, stehen Sie mir deßhalb in der Folge nicht ferner als bisher! Lassen Sie, liebe Jenny, nicht zu lange zwischen Hoffnung und Furcht schweben Ihren Robert.“
„Und ich sollte nein sagen?“ beginnt Eugenie am 15. Juni ihre Antwort und schließt mit „Ewig Deine Eugenie“.
„So ist denn mein Loos gefallen, und ich habe den glücklichsten Wurf gethan,“ schreibt Blum am 16. zurück. „Mein Leben hat wieder ein Ziel, mein Streben einen erkannten Zweck, und die Mühen, die täglichen Begleiterinnen meines Lebens, werden süß und leicht in dem Hinblicke auf den Genuß ihrer Frucht....
Ach, und so froh ich bin über Deinen Entschluß, so möchte ich ihn doch auch fast bedauern; nicht allein, daß ich Dir nur die Existenz einer kargen, vielleicht dürftigen Mittelmäßigkeit bieten kann, so verlierst Du bei meinem ernsten (oder soll ich sagen stumpfen?) Sinne, auch die lieblichste, wenn auch flüchtigste Blüthe der Liebe, jenen süßen Champagnerrausch, aus Gefühl und Sinnlichkeit gemischt, der uns kurze Zeit wenigstens in den schönsten Taumel versetzt. Kann Dich die auf wahrhafte Achtung begründete ruhige Liebe, die treueste Sorgfalt für Dein Wohl und die durch die That mehr als durch das Wort sich verkündende Zuneigung des Herzens dafür entschädigen? Diese, liebe Jenny, soll Dir in möglichst reichem Maße zu Theil werden.“
Nachdem er Eugenie dann erzählt hat, wie schmerzlich ihn Frau Mey gequält habe, und daß „ich nur um meinem armen, alten und wirklich biedern Schwiegervater Ruhe zu schaffen, mich gänzlich“ (von Mey’s) „zurückgezogen und bei George Deine Abreise betrieben habe“, fährt er fort: „deßhalb bitte ich Dich auch — nachdem die Vernunft im Kampfe mit dem Herzen den Sieg, wenn auch schwer, errungen — den Sommer über dort zu bleiben. Wahrlich, Du glaubst nicht, welches Opfer ich mir auferlege, indem ich auf Deine Nähe verzichte und mich des Vergnügens beraube, die wenigen freien Stunden, die mir bleiben, mit Dir durch die Felder zu streifen!
So haben wir denn, liebe Jenny, den Grundstein unserer Zukunft gelegt; laß uns vereint daran fortbauen und uns bestreben, unter den tausend unglücklichen Ehen eine glückliche zu bilden! Es scheint mir dies so leicht, da der innige Anschluß an ein anderes Herz dem Menschen unerläßliches Bedürfniß ist, und es nur in seinem Willen liegt, das Band, das die Natur gegeben, so fest wie möglich zu schlingen. Wir wollen mit unbegrenztem[128] Vertrauen, begründet auf Wahrheit und Offenheit, uns entgegenkommen. Sage mir ohne Rückhalt, was Dir an mir mißfällt. Gestatte mir dasselbe und sei dabei der zartesten Schonung gewiß! Du wirst allerdings bei diesem Contracte sehr im Vortheil stehen. Wir wollen unsere Charaktere studiren, unsere Schwächen gegenseitig zu stärken, uns um die schroffen Seiten zu schmiegen suchen und so im eigentlichsten Sinne des Wortes für und in einander leben. Denk’ ich an dieses süße lohnende Geschäft, so möchte ich allerdings den Schluß der vorigen Seite streichen und Dir zurufen: Komm, komm! Indessen ertragen wir’s! Ist es möglich, so sehen wir uns wenigstens einen Tag.
Und nun noch Eins: Dein Geist hat Dich längst darüber erhoben, den Abschluß der Ehe in irgend einer gesetzlichen oder kirchlichen Formel zu suchen; wenn man sich auch diesen, der Convenienz wegen, unterwerfen muß. Das Erkennen und Anschließen der Herzen, das gegebene und empfangene Wort, das ist die Ehe und so ist die unsere geschlossen. So laß mir denn wenigstens die süße Pflicht, für Dich zu sorgen! Betrachte Dich als mein und nimm von mir Deine Bedürfnisse! Du erleichterst dadurch zugleich Deinem — nein unserem Bruder seine Lasten, deren er viele zu tragen hat, wie Du selbst am besten weißt. Also keinen Widerspruch, Weib, ich bin der Herr der Schöpfung und ‚soll Dein Herr sein‘ (die alte Ausgabe mit ‚Narr‘ wird confiszirt). Gehorche!“
In einem Briefe vom 30. Juni hatte Eugenie dem Gedanken Ausdruck gegeben, der jeden Ueberglücklichen beschleicht: „Wie, wenn Du diesem Glücke jetzt entsagen müßtest? Es ist ein Wetterstrahl aus heit’rem Himmel, begleitet von einem dumpfen unheilverkündenden Schlag.“ Robert antwortete am 6. Juli: „Unsre Zeit, die mit furchtbarem Drucke nicht allein[129] auf dem öffentlichen Leben lastet, sondern auch mit den Krallen der Tyrannei hineingreift in das Heiligthum der Familie und mit roher Gewalt die zartesten Bande sprengt, ist wohl geeignet, uns mit derartigen Betrachtungen vertraut zu machen. Eugenie, wärst Du ein Weib wie tausend andere, selbst von der besten Sorte, ich würde Dir bei dieser Betrachtung sagen, tritt zurück! Oder ich würde gewaltsam mit Dir brechen oder mich bestreben, Dir unerträglich zu werden. Da mir aber ein gütiges Geschick in Dir nicht blos ein gutes und liebendes, sondern auch ein edles, denkendes und des höchsten Aufschwunges fähiges Weib so unverdient zuführte, so schließe ich Dich mit um so größerer Inbrunst an das Herz und rufe Dir zu: „Laß uns genießen das süße Glück der Stunde; aber laß uns vorbereitet sein, daß die nächste Stunde Alles zertrümmern kann! Laß uns gestählt sein für die Leiden, die da kommen; ja, ich sage fast mit Zuversicht, kommen werden und nie vergessen, daß die neidischen Götter Opfer verlangen, ehe sie der Menschheit ersehnte Güter gewähren. Die Liebe sei uns dann der leuchtende Sterne in dunkler Wetternacht, er schimmert ja durch Gitter und Mauern und verscheucht die Finsterniß. Liebe und Freiheit sei uns ein unzertrennliches Zwillingsgestirn, dem wir folgen, auf welche Bahnen es uns auch führen mag! Du kannst nicht glauben, wie glücklich es mich macht, zu wissen, daß diese Worte in Deinem Herzen wiederklingen, daß Du das starke Mädchen bist, welches sie nicht allein mitzufühlen, sondern auch darnach zu handeln vermag. Der Himmel weiß, warum ich unter allen Männern so bevorzugt bin, Dich gefunden, mir Deine Liebe errungen zu haben. Aber ich bin’s und daß ich’s bin, ist meine Seligkeit.“ “
Diesem Briefe waren einige Geschenke beigefügt. Jenny dankte dafür und schrieb im schmerzlichen Bewußtsein ihrer[130] Armuth: „Du beschenkst mich so reich und ich habe nichts, gar nichts, was ich Dir dagegen bringen kann, nicht einmal das, was man auch nur die bescheidenste Ausstattung eines Mädchens nennen kann.“ Darauf antwortete Robert am 13. Juli in einem langen Briefe, dem das nachstehende Gedicht beilag:
Am 19. Juli besuchte er einen Tag die Braut in Kappel. Da die Verlobung noch geheim bleiben sollte, so hatte das junge Paar vor Zeugen strenge gesellschaftliche Förmlichkeit zu beobachten. Diesen Besuch mußte Blum mit siebenundzwanzig Stunden Postfahrt erkaufen. „Jetzt geht’s an die Wühlerei!“ meldete er am 20. Juli nach seiner Rückkehr der Braut. „Gott sei Dank, nun ist doch die ärgste Wühlerei vorüber und man kann wieder athmen,“ schreibt er am 27. Es handelte sich um die Agitation für die Landtagswahlen, welche die Opposition wesentlich verstärkten. v. Dieskau schied zwar aus der Kammer aus. Aber außer Todt trat nun Braun ein (Advocat und Patrimonialrichter), in juristischen und staatswissenschaftlichen Fragen bald der Führer der Opposition, ja sogar bald der stehende Referent der zweiten Sächs. Kammer, 1848 März-Justizminister; außer ihnen ein dritter Voigtländer, Otto von Watzdorf, Vertreter der Ritterschaft, der schon auf dem letzten alten Ständetage von 1830 den überlebten Schrullen seiner Standesgenossen im Sinne moderner Staatsauffassung und Freiheit lebhaft opponirt hatte, ein Mann von eben so großer[132] Unabhängigkeit, als Wohlhabenheit; dann Georgi von Mylau, ein angesehener Kaufherr, 1848 Minister, Vater des heutigen Oberbürgermeisters von Leipzig. Dippoldiswalde sandte den Advokaten Klinger (1848 Bürgermeister von Leipzig), die Oberlausitz den ersten liberalen Staatsbeamten, den Sachsen in der Kammer sah, Hensel.
Mit welchem Maße von „Wühlerei“ Robert Blum an diesem Resultate betheiligt gewesen, erhellt, abgesehen von einer starken Correspondenz mit fast allen den Abgeordneten, die eben genannt wurden, auch aus der Aufnahme, die ihm kurz nachher in Plauen beschieden war. Er war dort, wie er Eugenie vom 27. Juli bis Ende August wiederholt meldet, schon seit Wochen erwartet worden, um Reden in Versammlungen zu halten. Endlich gegen Ende August konnte er sein Eintreffen in Plauen an den jungen Fabrikanten Böhler melden. Ueber den Verlauf dieser Reise berichtet er der Braut am 2. September: „Montag Nachmittag brachte ich in Altenburg damit zu, den dortigen höchst pomadig und schlaraffenartig gewordenen Gesellen derb den Text zu lesen und ihnen das Versprechen größerer Thätigkeit abzunehmen.“ In Plauen kommt er Dienstag früh nach durchfahrener Nacht an. Als er nach Böhler fragt, ist dieser in Frankfurt zur Messe, Blum’s Brief demselben sorgfältig couvertirt nachgesendet worden; v. Dieskau dagegen, der Blum Logis angeboten hatte und von dessen Ankunft nicht unterrichtet war, ist schon halb fünf Uhr früh aufs Land gefahren und kehrt erst Abends zurück. Bis sieben Uhr Morgens werden daher in der „Post“ fünf Tassen schlechten Kaffee’s getrunken und die Wochenblätter der letzten drei Monate, einschließlich der Annoncen gelesen, dann wird Mammen in seiner jungen Häuslichkeit besucht. In Mammens Gesellschaft wird der Tag bis zum späten Nachmittag verbracht. „Ich[133] fand dabei sehr oft Gelegenheit, aus Mammens traulich schöner Häuslichkeit einen Blick hinüber zu werfen in eine Zukunft, die auch mir ein ähnliches Asyl verheißt. Als gegen Abend v. Dieskau zurückkehrte, machten wir, eingedenk unseres schönsten und rührendsten National-Characterzuges zuerst aus, daß wir den Abend zusammen — essen wollten; dabei sollten dann auch die brauchbarsten Leute zusammengerafft, die Angelegenheiten vorläufig besprochen und eine gemeinschaftliche Fahrt etc. nach Adorf etc. auf den nächsten Morgen verabredet werden.“ Da sich indessen noch am nämlichen Abend Blum beim Kegeln den Fuß verdrehte, mußte man nach Adorf und Mühldruff schicken, um Todt, Braun und Watzdorf nach Plauen zu bescheiden; da erfährt man, daß die drei Herren zusammen eine Parthie gemacht haben, von der sie erst Freitag zurückkehren wollen! Dennoch wurde noch am dritten Tage in Plauen großer Kriegsrath über die Taktik des Fortschritts in Sachsen gehalten und dann stieg Blum mit geschientem Bein wieder in die Post nach Leipzig. „Ist es möglich, von allen diesen Dingen abzusehen, schreibt er der Braut, so kann ich sagen, ich habe die Tage höchst angenehm verbracht: ich fand eine Aufnahme, die mich fast stolz machen könnte, wurde von Gastmahl zu Gastmahl im eigentlichsten Sinne des Wortes geschleppt und fand, was mich mehr als Alles freute, einen gesunden reinen Sinn und Bereitwilligkeit zu handeln und zu opfern für das Wahre und Gute.“
Eine noch bedeutsamere „Wühlerei“ hat Blum damals mit Süddeutschland geplant. Es handelte sich anscheinend um die Begründung eines großen liberalen Blattes, an dem alle namhaften liberalen Männer, namentlich die fortschrittlichen Abgeordneten aller deutschen Länder sich durch Beiträge und Rath betheiligen, und das unter Oberaufsicht eines Ausschusses liberaler[134] Vertrauensmänner stehen sollte. Sitz des Unternehmens sollte wie es scheint Mainz sein, die Leitung der vorbereitenden Schritte ruhte in der Hand des altehrwürdigen „Vater Winter“, badischem Abgeordneten zu Heidelberg. Jedenfalls hat auch Adam von Itzstein und der ganze süddeutsche Liberalismus darum gewußt. Indessen geben doch alle Andeutungen, welche die Briefe Blums an seine Braut darüber bieten, noch kein vollständig klares Bild von dem Plan und Umfang des ganzen Unternehmens, das mindestens nebenbei jedenfalls auch auf Gründung eines liberalen Vereins über ganz Deutschland und periodische Wanderversammlungen der Führer abzielte. Offenbar hatte Blum der Braut mündlich am 19. Juli darüber alles Mittheilbare anvertraut und begnügte sich in seinen Briefen nun mit Andeutungen. Wie hoch die Erwartungen gespannt waren, die Blum auf dieses Unternehmen setzte, erhellt am besten aus einem Briefe an Eugenie vom 13. August 1839: „Von Heidelberg habe ich noch immer keine Antwort, was uns sämmtlich sehr verstimmt macht. Ein Project, welches mit unendlicher Mühe eingeleitet wurde, an welches Geld und Zeit und Geist gewendet wurde, wie nicht leicht ein anderes, dessen Folgen unberechenbar schienen und welches wichtiger und bedeutender war, als irgend ein Ereigniß der letzten 6 Jahre (!) — das scheitert an der Unentschlossenheit, Nachlässigkeit oder Zaghaftigkeit der Süddeutschen, die sonst so rüstig und gesund waren. Es ist wirklich entsetzlich und man möchte es verschwören, jemals nur die geringste Anstrengung wieder zu machen. Und als gescheitert betrachte ich es bereits, denn käme auch heute oder morgen die Bestimmung“ (daß die Vertrauensmänner zusammenkommen sollten), „so würde die Ausführung vor Anfang September doch nicht mehr möglich sein. Und dann haben die Leute, die nothwendig waren, keine Zeit mehr. Das Schlimmste ist[135] unzweifelhaft, daß die Leute sich und ihre Sache dabei compromittirt sehen. Denn wer soll in Zukunft noch Vertrauen zu irgend einem Vorschlage haben, wenn dieser mit Pomp und Energie gemachte und eingeleitete zerplatzt wie eine Seifenblase, ohne daß man nur zu sagen weiß, weshalb? Wahrlich, das bischen Vaterlandsliebe wird einem sauer gemacht; lieber Kampf, Verfolgung und Gefängniß, als diese gräßliche Apathie und Gleichgültigkeit! Jene stärken, ermuthigen und erfrischen den Sinn, diese entnerven und erschlaffen die Seele und tödten vollends die letzte Spur von Thatenfreudigkeit und Hoffnung.“
So schlimm stand es indessen nicht. Der Heerruf erging freilich erst gegen Ende October an die Getreuen und Blum folgte ihm sofort nach Frankfurt und Mainz. Er konnte dafür der Braut am 3. November von Leipzig nach seiner Rückkehr melden: „Was das Resultat meiner Reise betrifft, so hat dasselbe zwar nicht allen Wünschen entsprochen, aber doch die Erwartungen übertroffen. Es ist zu hoffen, daß bei der Einigkeit zwischen Verlegern und Redacteurs ein tüchtiges Werk zu Tage gefördert werde, wozu einstweilen rüstige Vorbereitungen getroffen werden. Gott gebe seinen Segen.“
Da später die literarisch-politische Unternehmung, die hier beschlossen und rüstig vorbereitet worden sein soll, auch nicht einmal dem Namen nach erwähnt wird, so ist es wahrscheinlich, daß alle die Stellen, die in der Correspondenz Blum’s mit seiner Braut auf ein journalistisches Unternehmen mit Süddeutschland deuten, einfach fingirt sind, und daß es sich bei diesem Unternehmen überhaupt nur darum handelte, eine werkthätige Vereinigung aller entschlossenen Liberalen Deutschlands zu Stande zu bringen. Da dieses Vorhaben nach damaligem Bundesrecht einfach hochverrätherisch war oder wenigstens mühelos als hochverrätherische Verschwörung angesehen werden konnte, so war bei[136] jeder brieflichen Aeußerung über diesen Plan die größte Vorsicht geboten. Dieselbe Vorsicht und ähnliche Fictionen[33] wie hier Eugenie gegenüber, finden sich in allen Briefen Blum’s, welche diese geheime Verbindung betreffen. Was mich aber vor Allem veranlaßt anzunehmen, daß die Frucht dieser Reise nicht der Beschluß und die Vorarbeit für eine liberale Zeitung gewesen sei, sondern die Gründung einer festen Verbindung freisinniger deutscher Männer, vor allem der Abgeordneten, über ganz Deutschland, ist die Thatsache, daß von dieser Zeit an diese Verbindung besteht. Alljährlich treffen sich fortan Winter, Itzstein, Hecker, Johann Jacoby, Heinrich Simon (von Breslau), Robert Blum, Watzdorf, Todt u. A., bald auf Itzstein’s Gut Hallgarten im Rheingau, bald bei Blum in Leipzig, bald in Cassel &c., um gemeinsam die Pläne und Taktik der Genossen und aller liberaler Kammermitglieder in Deutschland für das nächste Jahr zu berathen[34].
Von da ab tritt Blum in ununterbrochene Correspondenz mit den Führern des Liberalismus in Deutschland. Für die Größe und Bedeutung der Aufgaben, die er schon damals in politischer und nationaler Hinsicht sich setzte, giebt daher dieser Briefwechsel mit seiner Braut überraschende Aufklärung.
Speciell der Brief Blum’s vom 3. November ist aber auch interessant wegen der Kulturbilder, die er bietet, sowohl über die damalige Reiseart wie über die Methode und Form, in welcher damals Politik gemacht wurde. „Meine Reise war wirklich mühsam. Nur von hier (Leipzig) bis Naumburg saß ich im Hauptwagen und in einer Ecke, dann ging es um Mitternacht von dort nach Jena in einem Kasten, der wahrscheinlich zu den Zeiten der Folter dazu benutzt wurde, den armen Opfern alle Rippen zu zerbrechen. In Jena war auch kein Rasttag. Von 6 Uhr Morgens an, wo ich ankam, war ich in Beschlag genommen; wir zogen von einem Orte zum andern, betrachteten die Umgegend, die Merkwürdigkeiten (die sieben Wunder Jena’s genannt) und besuchten die wissenschaftlichen und Wohlthätigkeitsanstalten, vulgo Wirthshäuser. Und als wir aus den letztern um Mitternacht von der heiligen Polizei verjagt wurden, öffnete uns eine freundliche Privatwohnung ihre glühweindurchwürzten Räume und hier weilten wir, bis der bestellte Postbeamte um 2 Uhr sagte: Marsch! Dann nahm mich ein eben so schöner und bequemer Wagen auf, in welchem ich nach Weimar gerädert wurde. Von dort aus genoß ich die Wonne der Beiwagen bis Frankfurt, ein treffliches Institut, welches die verpönten Turnanstalten ersetzen könnte; denn wer 8 Tage darin fährt, hat die stärkste Gliederprobe bestanden, die es in der Welt giebt. Und nun werden diese herrlichen Dinger blos stationsweise gegeben, und man wird alle 2–3 Stunden aus- und in einen andern Kasten eingepackt, was besonders in der Nacht höchst angenehm[138] ist. So sah ich denn Frankfurt mit wirklich ungetrübter Freude und machte mir nachher bittere Vorwürfe darüber, daß ich im ersten Augenblicke nicht einmal die Erinnerung an den göttlichen Bundestag in meine frohen Empfindungen gemischt hatte. In Frankfurt ging nun das Jubelleben los. Zwei bekannte Voigtländer[35] grüßten mich gleich bei der Ankunft, Böhler’s Bruder hatte mich schon lange gesucht; mit einigen andern guten Literaten[36] gings nun zu Tische, wobei es wie am Rheine darauf abgesehen ist, zu versuchen, was ein Menschenmagen im äußersten Falle zu ertragen vermag. Dann ging’s fort auf die Promenade, Vergnügungsorte u. s. w., Abends zu Böhler, der uns ein förmliches Festmahl gab, zu dem er die Literaten, die Frankfurt aufzuweisen hat, eingeladen. Kurz, ich sage Dir, ein Leben wie im Himmel. — Freitags früh reisten wir nach Mainz ab, fanden aber in Hattersheim, einem kleinen Neste an der Straße, wo wir nur frühstücken wollten, eine so angenehme Gesellschaft, daß wir uns gefesselt fühlten und — es ist fast unglaublich — bis zum folgenden Tage gegen Mittag weilten und uns höchst angenehm unterhielten. Dann fuhren wir in großer Gesellschaft nach Mainz, begrüßten mit wahrer Seelenfreude den schönen, schönen Rhein und trennten uns von den neuen Freunden nach frohem — und im Gefühle des Scheidens auch trübem — Mahle und betrachteten dann Mainz. Nie im Leben habe ich Theil an einer Gesellschaft genommen, bei der eine solche Herzlichkeit, Innigkeit und Heiterkeit herrschte, wie bei dieser.“
„Bekennen muß ich, daß ich bei dieser Gelegenheit auch zuerst einen Anflug von Heimweh empfunden. Als ich den herrlichen Strom sah, noch mehr, als ich am andern Tage (Sonntags) mit dem Dampfschiffe bis Bieberich fuhr, dort die lieben Freunde weiter reisen lassen mußte und bedachte, daß ich binnen 10 Stunden in ihrer Gesellschaft bei meiner alten kranken Mutter, bei meinen Geschwistern und tausend der Erinnerung theuren Gegenständen sein könnte und nun doch den Rückweg antreten mußte — da erfaßte mich ein eigenes Weh, und nie hat mir das Müssen so tief in die Seele geschnitten, als in diesem Augenblicke. Ich mußte mich mit aller Kraft an Dich anklammern, um die wehmüthige Empfindung zu besiegen und nur allmählich, als Dein Wesen und Lieben mir klar und klarer hervortrat, sah ich wieder heiteren Blickes auf den geöffneten Rückweg.“
Genug an diesen Proben.
Eugenie kehrte am 21. December 1839 nach Leipzig zurück. Von da an bis April hört naturgemäß der Briefwechsel fast ganz auf. Weit häufiger und consequenter als dies aus den mitgetheilten Proben gefolgert werden könnte, dringt immer von neuem durch alle Glückseligkeit des neugewonnenen Liebesglückes Blum’s ruhige überzeugte Mahnung, daß er sein Heim nur gründe mit dem Vorbehalte, seine Schuld an das Vaterland abzutragen, sobald dieses rufe.
Er dachte wohl selbst kaum an diesen Vorbehalt, als am 29. April 1840 der Pastor von St. Thekla bei Leipzig seine und seiner Eugenie Hände, und die Hand ihres Bruders Georg mit der Hand der geistvollen Lina Böhme, zusammenfügte. Auch über dem kleinen Häuschen, in dem Blum mit seiner jungen Frau allein wohnte, dem letzten einstöckigen Hause, das zur „kleinen Funkenburg“ an der Frankfurter Straße in Leipzig gehört,[140] und über dem großen Garten, der sich daran schloß, stand nicht eine einzige trübe Wolke ein ganzes Jahr lang und länger. Hier erlebte Robert Blum im Juni 1841 und im September 1842 die ersten Vaterfreuden. Hier sah er seine Herren Jungens mit dem Schäfer bis zum Thore ziehen, und hinter dem Hause auf der großen Wiese die Seiltänzer während der Messen anstaunen und zu den Aprikosenbäumen, die zu stark waren, um geschüttelt zu werden, sprechen: „Bitte bitte!“ Hier wohnte er noch, als sein Name weit über das Weichbild der Stadt hinausgedrungen war.
Das Jahr 1840 bezeichnet auch für das Königreich Sachsen, wie für Preußen durch die Thronbesteigung Friedrich Wilhelm IV., eine neue Epoche der politischen Entwickelung. In Sachsen bestieg in jenem Jahre kein neuer Fürst den Thron des Landes, aber ein neuer Geist erfüllte das Leben des Staates. Zum ersten Male trat hier vor Allem das Gefühl der Solidarität gesammtdeutscher Volksinteressen in der Bürgerschaft wie im Landtag lebendig hervor. Was 1837 bei der Vertreibung der sieben Göttinger nur von einigen Hunderten unverantwortlicher Bürger gewagt worden war: dem verletzten deutschen Verfassungsrecht gegenüber den unbeugsamen Rechtssinn des deutschen Bürgerthums zur Geltung zu bringen, dasselbe vertrat schon in dem am 10. November 1839 eröffneten Landtag der alte ehrenwerthe und maßvolle Veteran des Sächsischen Verfassungsrechtes, Eisenstuck, der in seiner Person eigentlich weit mehr den genügsamen Dresdner Localpatriotismus, als die schwungvolle Opposition[141] des Voigtlandes und gar Leipzigs vertrat; Leipzig war und blieb für Eisenstuck vielmehr immer eine Quelle der Abneigung. Und dennoch befürwortete dieser vorsichtige maßvolle Mann bei Zusammentritt des Landtages den Antrag v. Dieskau’s „die Uebereinstimmung der Kammer mit dem Beschluß der badenschen Volkskammer über diesen empörenden Vorgang, gegen die Regierung aber die zuversichtliche Erwartung zu erklären, dieselbe werde die constitutionellen Rechte der Bundesstaaten beim Bundestage zu wahren wissen.“ Diesem Antrag, über den v. Watzdorf Bericht erstattete, trat die zweite Kammer einstimmig bei und richtete außerdem zwei andere Anträge von nationaler Bedeutung an die Regierung: auf Errichtung eines Bundesstaatsgerichtshofes und auf Veröffentlichung der Bundesprotocolle. Seltsamerweise erlangten diese beiden Anträge sogar die Zustimmung der ersten Kammer, während das Haus der Sächsischen Lords selbstverständlich die Einmischung des Volkshauses in den hannöverschen Verfassungsbruch als bundesverfassungswidrig[37] zurückwies. Die Regierung lehnte aber selbst die von beiden Kammern beschlossenen Anträge im Landtagsabschied ab: die Veröffentlichung der Bundesbeschlüsse, da diese „lediglich zur inneren Geschäftsordnung des Bundestags gehöre“ (!), die Befürwortung eines Bundesstaatsgerichtshofes, weil hierzu „im Hinblick auf die Verhältnisse Sachsens (!) ohnedies keine Veranlassung vorliege.“ Damit war rund heraus erklärt, daß die Regierung gemeindeutsche Angelegenheiten überhaupt nicht kenne, mindestens den Kammern nur gestatte, den engsten sächsischen Standpunkt an Deutsche Fragen zu legen.
Aber auch in innern Fragen zeigte sich die Regierung von[142] einer bemerkenswerthen Beschränktheit des Gesichtspunktes, voll der größten Aengstlichkeit gegen die freiheitlichen Forderungen der Zeit. Die Verfassung von 1831 enthielt alle Keime zu gesunder freiheitlicher Entwickelung. Bis zum Jahre 1840 war es, wie gezeigt wurde, die Regierung, welche aus freiem Antrieb diese Keime förderte und pflegte. Nun auf einmal verrieth sie die entschlossene Absicht, jeden neuen Trieb und jede Entwickelung über das Gegebene und Vollendete hinaus zu unterdrücken. Dies offenbarte sich zuerst, als dem Landtag von 1839 das dem letzten Landtage versprochene Preßgesetz von der Regierung vorgelegt wurde. Die Kammer ernannte — so sehr war der Einfluß der Opposition schon gewachsen — den Wortführer der Liberalen, Carl Todt, zum Referenten über das Gesetz. Und Todt und die Preßgesetz-Deputation (Commission) schlugen so umfassende Aenderungen an dem zopfig-reactionairen Regierungsentwurfe vor, daß die Regierung vorzog, das ganze Gesetz zurückzuziehen. Mochte man das nun auch als ein Zeichen ihrer Schwäche ansehen, da sie den parlamentarischen Principienkampf scheute und mindestens in der zweiten Kammer einer Niederlage entgegensah, so beharrte sie doch ruhig auf ihrem Verbietungs-Standpunkt der freien Presse gegenüber und schien einen gleich überlebten Standpunkt einzunehmen auf einem anderen Gebiet, an welches sich mit einer uns heute kaum begreiflichen Erregung die Interessen aller Staatsbürger damals hefteten: auf dem Gebiete der Strafrechtspflege und des Strafprocesses. Sachsen hatte 1838 ein neues Strafgesetzbuch erhalten, welches, wahrhaft human und wissenschaftlich gearbeitet, leider das letzte große Denkmal der Regierungskunst Bernhard’s von Lindenau sein sollte. Weimar und Altenburg hatten dieses Gesetz ohne Weiteres bei sich eingeführt. Neben diesem wahrhaft modernen Gesetze aber stand in Sachsen im Strafverfahren der alte Inquisitionsproceß[143] in widerlicher Blüthe, in allen seinen Schattenseiten nur verstärkt durch die unselige Zerrissenheit der Sächsischen Gerichtshoheit. Neben dem Staat schaltete in der Hand eines ungebildeten, verarmten Landadels die Patrimonialgerichtsbarkeit über Ehre und Freiheit der Gerichtseingesessenen. Längst hatte der Sächsische Liberalismus die Forderung erhoben, daß die ganze Strafrechtspflege nur vom Staat geübt werden dürfe, daß als Grundlage des Strafprocesses das Anklageverfahren, Oeffentlichkeit und Mündlichkeit des Processes anerkannt werden müsse. Die Fortgeschrittensten machten der Regierung sogar graulich durch das Verlangen nach Schwurgerichten. Allen diesen Verlangen setzte die Regierung bisher ein absolutes non possumus entgegen.
Ursachen und bewegende Fragen genug, um in weiten Kreisen des Volkes Interesse an politischen Dingen, ja Aufregung und Gährung zu erzeugen! Bis 1840 hatte das Sächsische Volk in politischen Dingen, namentlich in inneren Verfassungsfragen, fast überall im Stande paradiesischer Unschuld gelebt und die Fürsorge für sein Wohl der erleuchteten und wohlmeinenden Regierung überlassen, aus deren Händen es 1831 die Verfassung empfangen hatte. Nun aber hatte es vom Baume der Erkenntniß gegessen und sah bestürzt ein, daß sehr viel faul und verbesserungsbedürftig sei in dem geträumten Paradiese. Keiner hat diese Erkenntniß geschickter und rühriger gefördert, als Robert Blum.
Als nächster und willkommenster Anlaß zu einer großartigen Demonstration für die Freiheit der Presse und die gewaltige, unüberwindliche Macht des gedruckten Wortes bot zu Beginn des Jahres 1840 die Feier sich dar, welche Leipzig, der Centralsitz des deutschen Buchhandels, das Hauptquartier der deutschen Schriftstellerwelt jener Tage, für den 24. Juni[144] 1840 vorbereitete, d. h. der vierhundertjährige Jahrestag der Erfindung der Buchdruckerkunst. Schon in seiner Stellung beim Theater — Blum war zu Anfang des Jahres erster Cassirer geworden und führte daneben das Secretariat fort — war Blum bei der Zusammensetzung des großen Vorbereitungscomité nicht zu umgehen; noch weniger vermöge seiner Stellung als Schriftsteller und Agitator. Die Protocolle über die Comitésitzungen, die Blum geführt hat, weisen nach, wie er hauptsächlich den politisch-nationalen und fortschrittlich-demonstrativen Charakter des Festes gegenüber dem ursprünglichen Project eines bloßen Zunftjubiläums nachdrücklich betont und endlich damit durchdringt. Die Austrittserklärungen der „Angstmichel“ des Comité, nachdem die Sache diese Wendung genommen, sind von erschütternder Komik. Blum und einem andern, später vielgenannten Mitgliede des Comité, dem späteren Oberbürgermeister Leipzigs, Koch, war es hauptsächlich zu danken, daß das Fest gefeiert wurde Leipzigs und Deutschlands würdig, als ein Fest der Gedankenfreiheit, mächtig zündend in den Gemüthern der Theilnehmer[38], so daß selbst der lederne Historiograph Leipzigs, Große, sich bei einem Rückblick auf das Fest zu der Erkenntniß aufschwingt[39], es sei in Ordnung gewesen, daß man es weder als Zunft- noch als Literatur- oder Kunstfest gefeiert habe, „denn die Erfindung der Buchdruckerkunst ist zum Auferstehungsmorgen der Literatur, zum Erlöser des Geistes geworden; ohne sie wäre die Reformation ohnstreitig in dem engen Augustinerkloster erstickt; Gutenberg ist ein Mann des deutschen Volkes und nicht blos der Krämer und Händler, die sich von seiner Erfindung nähren. So nahm das Volk das große Fest auf; es[145] freute sich der Entfesselung des Geistes und nicht der Kunst, die Tausenden Brot bringt.“ Selbst Gottfried Hermann’s Festrede in der Aula verließ die bis dahin unausrottbare Gewohnheit aller akademischen Festreden Leipzigs, olympisch-langweilig zu sein, und schwang sich in klassischem Latein auf zu einem zürnenden Protest gegen jede Knebelung der Denkfreiheit. Das sinnige Festspiel im Theater war von Blum arrangirt.
Das nächste war, daß die zahlreichen Schriftsteller, die in Leipzig ihren Sitz hatten und die sich und ihre Arbeit durch das große Fest besonders gehoben fühlten, zu einem „Literatenverein“ zusammentraten. Der Verein begann bald nach dem Fest (Winter 1840/41) seine zunächst gesellige Wirksamkeit[40]. Blum gehörte zu seinen Gründern, von 1841 an zu dessen Vorstand. Vom Januar 1842 an nahm der Verein die Form an, in welcher er später viel Rühmliches wirkte für die Würde und Interessengemeinschaft des Schriftstellerstandes sowohl, als für die Freiheit der Presse und des geschriebenen und gedruckten Wortes und endlich für das Autorrecht. „Sein Zweck ist nicht ästhetischer Art“ sagt § 2 des Statuts vom Februar 1842, „sein Zweck ist nicht politischer Art — er wird über allgemeine staatliche Verhältnisse keine Gesammtmeinung aufstellen wollen. Sein Zweck ist ein moralischer“ (sagt § 4). „Gemeinsame Beachtung, Prüfung, Berathung und Entschließung hinsichtlich aller der Verhältnisse, welche die Ehre und die Interessen des Literatenstandes, der Literatur und der Presse angehen: das ist sein Zweck.“ § 5 machte den Mitgliedern zur Pflicht: „alle dahin einschlagenden Angelegenheiten, die den Vortheil und die Ehre der Literatur und der Presse betreffen, im Vereine zur Kenntniß[146] und zur Sprache zu bringen, damit ein allseitiges Einverständniß hierüber möglich werde und nöthigenfalls die öffentliche Darlegung des Gesammtwillens erfolgen könne“. „Nachdruck, gesetzlicher und ungesetzlicher Zustand der Presse, Handhabung der Censur, diese drei Punkte wird seinerseits der Leipziger Literatenverein zu Gegenständen unausgesetzter Berathung und Entschließung machen.“
Die erste Mitgliederliste des Vereins führt schon 44 Schriftsteller, Professoren und Buchhändler auf, z. B. Prof. Biedermann, Robert Blum, Prof. Braune, Friedr. und Heinr. Brockhaus, A. Buddeus, Diezmann, Prof. Flathe, Georg Günther, Jul. Hammer, M. Held, Rob. Heller, Herloßsohn, Salomon Hirzel, J. P. Jordan, J. Kaufmann (den geistvollen Mitarbeiter der von Kuranda begründeten Grenzboten), Prof. Klotz, Adv. Koch (den späteren Bürgermeister), Gust. Kühne, Heinrich Laube, Albert Lortzing, Marggraff, Dr. Jul. Michaelis, E. M. Oettinger, Karl Reimer, Dr. Schletter, Fr. Steger, Prof. Theile, Dr. R. Treitschke, Dr. Weinlig (den späteren Minister), Prof. Weiske, Otto und Georg Wigand, Prof. Wuttke — und selbst den Censor Prof. Bülau! Im Herbst 1842 war die Mitgliederzahl schon auf das Doppelte gestiegen. Die Jahresberichte und Mitgliederverzeichnisse der kommenden Jahre zeigen, in welchem Maße sich dieser Verein aus ganz Deutschland Gelehrte, Buchhändler, Schriftsteller angliedert. So zu sagen über Nacht war er eine Macht geworden, die erste kraftvolle Organisation und Association des Schriftstellerstandes in Deutschland.
Noch wirkungsvoller für die unmittelbare Gegenwart war jedoch die vornehmlich von Robert Blum 1840 bewirkte Gründung des Leipziger Schillervereins. An den Jahresfesten des Vereins konnte die eigenthümlichste Begabung seines Gründers, die gewaltige Rednergabe Blum’s, ihre größten Triumphe[147] feiern, da er es vorzüglich verstand, „diesen Schillerfesten durch eine künstliche Mischung des politischen mit dem poetischen Elemente einen immer frischen Reiz und eine nicht unwichtige Einwirkung, besonders auf den niederen Bürgerstand zu verleihen.“[41] Man braucht nur Blum’s zu den Schillerfesten gehaltene Reden[42] nachzulesen, um diesem Urtheil des Sächsischen Geschichtsschreibers durchaus beizutreten, der übrigens durchaus nicht allzu nachsichtig und liebevoll über Blum urtheilt[43]. Das erste Schillerfest fand am 9. November 1840 statt. Blum hielt die Festrede; schon in dieser ersten Rede erklärte er:
„Aber wie unendlich bedeutend auch die sittliche und poetische Größe Schiller’s sein mag: es giebt noch eine andere, in der neuesten Zeit vorzugsweise erkannte Seite seines Wesens, die ihn mit tausend Liebesbanden festkettet an die Herzen seiner Nation und ihn zum Muster und Vorbilde macht für die edelsten Bestrebungen der Vergangenheit, der Gegenwart und Zukunft: es ist dies seine historisch-prophetische Bedeutung, sein Kampf für Wahrheit, Völkerwohl und Freiheit. Werfen wir einen Blick auf den innigen Zusammenhang seiner Schöpfungen mit den Ereignissen seiner Zeit.“ Diese Betrachtung bildet den Kern der ersten Rede. Sofort wird natürlich der Schiller-Verein zu Leipzig in den reactionären Organen des Bundestages, Hannovers &c. verdächtigt, ein politischer Verein zu sein, Götzendienst zu treiben durch einen Tanz um eine alte Weste Schiller’s, die der Verein besitzt &c. Darauf antwortet Blum sehr scharf in seiner Rede zum Schillerfest 1842: „Im Aerger darüber, daß die Völker nicht mehr tanzen wollen nach den elenden Melodien[148] dieser schlechten Musikanten, erfanden sie jenen Tanz. Die Verblendeten, die keuchend arbeiten um Sündenlohn an einem schmachvollen Werke, glaubten mit jenem Märchen den gewaltigen Ausbruch unserer Empfindungen übertäuben zu können, der sich kundgab, als wir uns der Heiligkeit geschworener Eide erinnerten[44] und des frevelhaften Spiels, das hin und wieder damit getrieben wird.“
Er wirft nun die Frage auf: „Was feiern wir am Schillerfeste?“ und beantwortet sie dahin: „Seit dem halben Jahrhundert, wo Schiller gelebt und gewirkt, haben wir einen weiten Raum durchlaufen: das Vaterland war zerrissen und zerstückelt durch den Eigennutz derer, die es zunächst hätten hüten sollen, und wir trugen das schmachvolle Joch der Fremdherrschaft; wir rüttelten wieder an unseren Ketten, zersprengten sie und setzten Gut und Blut an unsere Befreiung, an unsere Freiheit; wir empfanden schnöden Undank und grobe Täuschung, die schon entkeimende Frucht unseres Blutes wurde abgestreift vom Sturm der Willkür, der Gedanke und das Wort gefesselt und die begeisterte Vaterlandsliebe geächtet; wir suchten und fanden andere Bahnen zu neuem Wirken und ringen noch immer nach dem Verlorenen. Schiller hat uns begleitet auf dem ganzen weiten Wege, hat Jubel und Freude, Schmerz und Entrüstung, Muth und Ausdauer, Duldung und Ergebung, Kraft und Begeisterung, Mäßigung und Klugheit in unsere Seelen gehaucht.... Der schwierige Weg ist zurückgelegt, vor uns liegt eine offene, eine ebene Bahn. Nicht weil unsere gerechten Forderungen befriedigt, die Güter uns gewährt sind, die wir prompt vorausbezahlten, sondern weil die Gesinnung, die sie erstrebt, so stark geworden im Vaterlande, daß sie unwiderstehlich ist; weil die Forderung so tausendstimmig laut geworden, daß man ihr nicht mehr[149] Schweigen gebieten kann, weil man endlich erkannt hat, was uns Noth thut, um stark und frei zu werden. Was vor einem Jahrzehnt noch leiser Wunsch und tiefe Sehnsucht einzelner Herzen war, was ausgesprochen als Hochverrath galt, um deßwillen Hunderte in den Kerkern schmachteten, Hunderte dem Vaterlande den Rücken kehren mußten — es ist heute der ausgesprochene Wunsch, die laute Forderung jedes Ehrenmannes; es erschallt aus allen Gauen, aus jedem Herzen, aus jedem Munde; es erschallt selbst von den Festtafeln der Fürsten; ‚Ein einiges, großes, starkes Vaterland! Fest wie seine Berge‘[45]. Die Idee hat gesiegt; sie ist Fleisch und Blut, ist allmächtig geworden trotz aller Verfolgung und Unterdrückung, sie wird verwirklicht werden trotz aller Schranken und Widerstrebungen.“
Um die volle Wirkung solcher Reden auf die Zeitgenossen zu würdigen, muß man sich versetzen in die Tage, da sie gehalten wurden. Diejenigen, die damals jung gewesen und dem Redner zu Füßen saßen und heute in Ehren ergraut sind, haben dem Verfasser wiederholt erklärt, daß Worte von solcher Kühnheit, Kraft und patriotischer Klarheit bis dahin in Leipzig noch nicht vernommen worden seien. Durch diese Reden allein schon gewann Blum seit Beginn der vierziger Jahre den Ruf, der erste Redner Leipzigs zu sein. Aber nicht minder kühn, schneidig und klar führte Robert Blum den Kampf um die höchsten Güter der Nation in der Presse. Zunächst bediente er sich dazu der seiner Richtung verwandten Tagesblätter, vor Allem der schon genannten „Sächsischen Vaterlandsblätter“, die vornehmlich durch Blum’s Mitarbeiterschaft, unter der Redaction seines Schwagers Georg Günther, weit über Leipzig und Sachsen hinaus das Organ des nationalen Liberalismus jener Tage geworden[150] sind. In diesem Blatte hat er unermüdlich die Forderungen, die Schwächen und Fehler der Zeit, namentlich die furchtbaren Mißgriffe und Sünden des damaligen geheimen und schriftlichen Strafverfahrens, den Fluch der Censur, die Rechte der Landtage gegenüber den Regierungen &c. zur Sprache gebracht. Denn noch dauerten die segensreichen Tage des Ministeriums Lindenau für Sachsen fort, noch hoffte Blum, manches Wort, das er freimüthig in den „Vaterlandsblättern“ niedergelegt, werde in Dresden an hoher Stelle gute Statt finden.
Er wurde freilich in dieser Erwartung schon erheblich getäuscht, als die Vaterlandsblätter von Dresden im Jahre 1841 nach Leipzig übersiedelten. Da wollte er selbst das wichtige Parteiorgan käuflich an sich bringen und bewarb sich um die Concession zur Herausgabe des Blattes. Doch wurde ihm diese rundweg versagt, weil man ihn für einen gemeingefährlichen Menschen hielt. Man besaß damals eine schöne Offenheit, den Leuten, denen man wohlwollte, so etwas rund heraus zu sagen. Blum blieb also einfacher Mitarbeiter der Vaterlandsblätter. Doch schlugen seine Artikel täglich in weiteren Kreisen ein. Wir Heutigen können uns von der Wirkung, welche die den Zeitgenossen mundgerechtesten Artikel Blum’s ausübten, kaum mehr eine Vorstellung machen. Einige derselben, wie seine Abhandlung darüber, ob der Pfarrer Weidig in seiner Untersuchungshaft in Darmstadt sich selbst entleibt habe oder ermordet worden sei, wurde in mehr als zehntausend Abdrücken verbreitet — obwohl oder vielleicht gerade weil Blum darin die heute als völlig irrig erkannte Meinung begründete, daß Weidig das Opfer eines politischen Meuchelmordes (verübt durch seinen eigenen Untersuchungsrichter) geworden sei[46]. Deutlich erkennbar für Jeden[151] war der intime Zusammenhang der journalistischen Arbeit Blum’s mit dem Auftreten der liberalen Opposition im sächsischen Landtage. Die „Vaterlandsblätter“ warfen in die Massen dieselben Schlagworte der Partei, welche später im „Landhause“ zu Dresden von der Linken aus erhoben wurden. Aus den Briefen Blum’s an Johann Jacoby, die mir vorliegen, ist zweifellos, daß das journalistische Zusammenwirken Blum’s mit der parlamentarischen Opposition Sachsens ein durchaus planmäßiges war. Vor jeder Landtagscampagne wurde in Leipzig das gemeinsame Zusammenwirken zwischen Blum und den Abgeordneten in den Zielen und Mitteln festgestellt[47].
Ein ehrendes Zeugniß für Blum’s Gerechtigkeitssinn und Wahrheitsliebe bei seinen journalistischen Arbeiten, zugleich einen schönen Beweis für das Ansehen der Vaterlandsblätter in den höchsten Kreisen deutscher Bildung bietet nachstehender Brief Blum’s vom 9. September 1842 an Prof. Nees von Esenbeck in Breslau[48]. Prof. v. Esenbeck hatte eine Notiz der Vaterlandsblätter über die Breslauer philosophische Facultät berichtigt und diese Berichtigung sendet nun Blum ein mit den Worten: (Ich habe) „den angenehmen Auftrag zu erfüllen, der mir von der Redaction der Sächsischen Vaterlandsblätter zu Theil wurde, Ihnen für Ihr überaus freundliches Briefchen zu danken und Ihnen in der Einlage den Beweis zu liefern, daß wir Ihrem gefl. und gerechten Wunsche mit Vergnügen und aus Pflichtgefühl entsprochen haben. Daß die Mittheilung, aus einer unverfänglichen[152] und durchaus unbetheiligten Quelle fließend, Aufnahme fand, bedarf keiner Entschuldigung; daß aber die Facultät auf ungerechte Weise gekränkt wurde, ist uns sehr schmerzlich, wenn auch dieses unangenehme Gefühl nicht von einer sehr wohlthuenden Beischmeckung frei ist. Wir haben nämlich dadurch die — wenn auch nur briefliche — Bekanntschaft eines Ehrenmannes gemacht, der mit einer leider immer seltener werdenden Offenheit und Zutraulichkeit die Wahrheit vertritt und nicht an der Redlichkeit einer offen angesprochenen Gesinnung zweifelt: ich meine Ihre uns höchst ehrenvolle Bekanntschaft. Genehmigen Sie demnach mit dem verbindlichsten Danke für Ihre freundliche und wohlwollende Meinung, für Ihr ehrendes Vertrauen die Versicherung innigster Verehrung von Ihrem ganz ergebensten Robert Blum.“
In gleich energischer Weise, wie durch die Tagespresse, suchte Blum aber auch durch billige politische Schriften zu wirken. Von 1840 gab er mit Steger den „Verfassungsfreund“ heraus, ein Lieferungswerk, durch welches das Volk über wichtige Zeitfragen des Staatslebens aufgeklärt werden sollte. Die Vorrede zum ersten Bändchen, welches eine Abhandlung Stegers über Absolutismus und constitutionelle Monarchie enthielt, war folgendes „Vorwort“ Blum’s vorausgeschickt, das wir vollständig mittheilen, da es eines der schönsten Zeugnisse der nationalen und maßvollen Gesinnung des Mannes darstellt.
Die Zeit, in der wir leben, ist eine der schönsten und größten, die es je gegeben. Eine gewaltige Bewegung hat sich der ganzen Welt bemächtigt, Alles will mit Kraft vorwärts, und auch unser herrliches Vaterland hat sich dem neuen Streben der Völker angeschlossen. Jeder Bürger ist bei diesem Ringen zwischen Altem und Neuem betheiligt, die Kräfte jedes Einzelnen werden in Anspruch genommen, jeder Staatsangehörige hat die Pflicht, den großen Ereignissen des Tages, die auch sein Wohl oder Wehe entscheiden, seine Aufmerksamkeit zu schenken und sich für oder wider auszusprechen.
Eine ruhige Prüfung der gewichtigen Fragen, die auf die Gestaltung unseres öffentlichen Lebens von entscheidendem Einflusse sind, thut daher vor allem Noth. Keine Leidenschaft, kein Irrthum, am wenigsten absichtliche Lüge, dürfen sich in die Erörterung der Formen und Einrichtungen, die für das Staatsleben die passendsten sind, mischen, sollen wir anders unsere Entscheidung richtig abgeben. Zu dieser Entscheidung sind aber Alle berufen und berechtigt, Arme wie Reiche, Mächtige wie Schwache, Hohe wie Niedere, denn das Vaterland umschlingt alle Staatsbürger mit gleichem Bande, und was ihm widerfährt, Gutes oder Böses, das hat auch jeder Einzelne mitzuempfinden.
Die jetzige Zeit ist zu einer ruhigen Prüfung wohl vorzugsweise geeignet. Ein tiefer Friede umfängt das ganze Vaterland von der Eider bis zur Donau, vom Rhein bis zur Weichsel, und es hat nicht den Anschein, als ob der Bürger und der Landmann durch Kriegsruf sobald wieder aus ihrer Ruhe aufgescheucht werden sollten. Im Innern herrscht dieselbe gedeihliche Ruhe, mit einer glücklichen Betriebsamkeit gepaart. Alle Hände sind rüstig am Werk, die Künste des Friedens zu pflegen, und Recht und Gesetze finden die Wartung, welche diese wichtigsten Stützen des Staats in Anspruch nehmen dürfen. Vorzüglich ist es aber das Verfassungswesen, dem die meiste Theilnahme, der Regierungen wie des Volkes, sich zuwendet, und das zugleich im entschiedensten Sinne, bald mit theilnehmender Liebe, bald mit erbitterter Abneigung, besprochen wird.
Dieses Verfassungswesen und Alles, was daran sich knüpft, näher zu beleuchten, ist der Zweck unseres „Verfassungsfreundes.“ In den Kreis unserer Besprechung gehören daher sämmtliche wichtige Zeitfragen, z. B. über constitutionelles Princip überhaupt, über Preßfreiheit, Oeffentlichkeit und Mündlichkeit, deutsche Einheit, Gemeindeverfassung u. s. w. u. s. w. Wir werden alle diese Gegenstände nach der Reihe besprechen und uns dabei bemühen, mit Ausscheidung alles Ungehörigen und namentlich alles gelehrten Krames, das einfache Verhältniß jeder Sache so darzulegen, wie es dem gesunden Verstande des schlichten Bürgers sich darstellen muß. Denn nicht etwa eine besonders hoch-, vielleicht auch verbildete Classe von Staatsangehörigen haben wir bei unserm Werke im Auge, sondern wünschen vielmehr die Gesammtheit aller denkenden Bürger zu Lesern zu haben, um uns mit ihnen über die wichtigsten Zeitinteressen zu verständigen.
Das Gefühl unserer Einheit als großes Volk der Deutschen ist lebendiger erwacht, denn je. Gott sei gelobt, daß dem so ist, denn unsere Einheit ist unsere Kraft und unser Glück. Es genügt aber nicht, daß wir uns als Deutsche zusammenstellen, wenn der Franzose über den Rhein schreit oder der Russe von seinen Steppen aus den Kantschu zeigt; wollen wir wahrhaft ein eines Volk sein, so müssen wir auch einig sein. Diese Einigkeit wird bedeutend vorbereitet werden, wenn wir uns selbst kennen lernen, wenn wir uns genau Rechenschaft darüber ablegen, was uns in unsern Verhältnissen Noth thut, und welche Staatseinrichtungen und Gesetze unsern Bedürfnissen am anpassendsten sind.
Nach unserer besten, innersten Ueberzeugung können wir nur Eines finden, das uns in Deutschland zur Einheit und zur Einigkeit zu führen vermag — die Durchbildung eines freien deutschen Verfassungslebens. Nur das allen freien Männern inwohnende Gefühl der Selbstachtung kann dem Deutschen die Würde geben, die er in den schweren Kämpfen mit dem Auslande, welche vielleicht bald bevorstehen, so nöthig hat, und nur die unter constitutionellen Regierungsformen so innige Verschmelzung von Staat und Volk, wie die hier stattfindende fortwährende Betheiligung der Bürger an allen Staatsangelegenheiten, vermögen uns das Selbstbewußtsein zu verleihen, das uns lehrt, für jede, selbst die entfernteste Provinz wie ein Mann einzustehen, und für die Ehre des deutschen Namens, für die Wohlfahrt des Gesammtvaterlandes jeden Augenblick Blut und Leben zu opfern.
Es ist daher der constitutionelle Standpunkt, von dem wir in diesen Blättern ausgehen. Nur für Bürger constitutioneller Staaten und Freunde freier deutscher Verfassungen überhaupt schreiben wir, nicht für Leute, die dem Staatsbürger blos Pflichten zuerkennen und von keinen Rechten desselben wissen wollen. Leidenschaftliches Parteinehmen ist jedoch unsere Sache nicht. Wir sind zu sehr Freunde des deutschen Volkscharakters, um nicht zwei seiner schönsten Eigenschaften — Mäßigung und unparteiische Gerechtigkeit — ihrem vollen Werthe nach anzuerkennen.
Der Leipziger Censor scheint kein Freund der „zwei schönsten Eigenschaften des deutschen Volkscharakters, Mäßigung und unparteiischer[155] Gerechtigkeit,“ gewesen zu sein oder aber diese Eigenschaften in dem Verfassungsfreund nicht gefunden zu haben, denn nur zwei von Steger bearbeitete Hefte ließ er passiren. Als 1843 das dritte Heft, das erste aus Blum’s Feder, über das Wesen der Presse, erscheinen sollte, wurde das Unternehmen durch die Censur unterdrückt.
Rasch wurde derselbe Plan unter anderem Namen und in anderer noch glücklicherer Form von Blum verfolgt. Von 1843 an ließ er mit Steger das Taschenbuch „Vorwärts“ erscheinen, das von großem Einfluß auf die Zeitgenossen gewesen ist. Alle bedeutenderen politischen Schriftsteller und Dichter der Zeit haben dafür Beiträge geliefert; von den Politikern C. Th. Welcker, Hecker, Johann Jacoby, Heinrich Simon, L. Walesrode, Arnold Ruge und Andere, von den Dichtern Mosen, Herwegh, Fallersleben, Freiligrath, Robert Prutz und eine große Zahl Anderer, selbst Ludwig Uhland, von dem die schönen „Gedichte vom Verfasser des armen Gauls“ herrühren. Doch nannte sich Uhland nicht[49]. Fast rührend lesen sich die Bettelbriefe, die Blum an die Gesinnungsgenossen in ganz Deutschland ergehen läßt um Beiträge für das liebste Kind seines Schaffens, das Taschenbuch. So schreibt er am 28. Octbr. an Johann Jacoby:
„Mein sehr geehrter Herr und Freund! Habgierige Eltern wissen die Pathen ihrer Kinder schon darauf aufmerksam zu[156] machen, wenn der Geburtstag der Kleinen herankommt, damit ihnen das übliche Geschenk nicht entgeht. Von allem armen Volk aber sind die Schriftsteller das unverschämteste, und so werden Sie’s begreiflich finden, daß ich geradezu komme und Sie höflichst an das Pathengeschenk mahne, welches Sie meinem literarischen Kindchen „Vorwärts“ gewissermaßen schuldig sind. Sie kennen nebenbei die Lästerzunge der Welt und können unmöglich wollen, daß ein armes Kind, dem Sie Ihren Namen gütigst geliehen, so ohne alle Unterstützung von Ihnen sich durchschlage, da man Ihre glänzenden Vermögensumstände in dieser Beziehung kennt und weiß, daß Sie ohne Opfer die reichsten Gaben spenden können.“
Vor das Volk aber trat das Taschenbuch, als es 1843 zum ersten Male erschien, mit der vollen Siegeszuversicht und dem vollen Vertrauen in die gute Sache, die Blum bis an sein Ende in sich getragen. „Wir bringen unser Tagebuch im Frühling, in der Zeit der am reichsten prangenden Natur.... Wohl behaupten manche kleinmüthige Seelen, es sei Herbst im Vaterlande und der Winter nahe, weil die Stürme brausen und es finster wird am Horizont. Laßt es stürmen.... Was in schweren und drangvollen Zeiten gesäet wurde in die Herzen des Volkes, was gedüngt wurde mit dem Blute von Tausenden, was entkeimte in dem milden Thaue eines langen Friedens und an der Sonne der allmächtig fortschreitenden Bildung eines kräftigen sittlichen Volkes — das vernichtet kein Sturm, dagegen ist das finstere Unwetter einer augenblicklich mächtigen Reaction wirkungslos. — Beschränkt, dämmt, unterdrückt, verbietet, confiscirt, bevormundet die Schrift und das Wort, verfolgt und verdammt die Vorkämpfer der Zeit, wirkt auf die öffentliche Meinung durch die Heucheleien und Lügen der ‚guten‘ Presse, laßt die Männer des Fortschrittes schmähen und verleumden[157] nach Herzenslust, beschränkt und beaufsichtigt den Lehrstuhl und die Kanzel, gewährt keine von allen Forderungen der Gegenwart und müht Euch ab Tag und Nacht, das Rad der Geschichte zurück zu drehen, den Geist der Zeit zwingt Ihr nicht“[50].
Inzwischen war allerdings, wie dieses Vorwort sagt, auch in Sachsen „das finstere Unwetter einer mächtigen Reaction“ hereingebrochen. Aber mit nichten schien es so, als solle diese Macht nur eine „augenblickliche“ sein.
Unter größerer Erregung der Gemüther, als sie je zuvor in Sachsen erlebt worden, war der Landtag Ende 1842 zusammengetreten. Selbst nach Dresden hatte sich der Gährungsstoff übertragen, der in Leipzig nun schon seit Jahren heimisch war. In Dresden hatten Gutzkow, Mosen, Berthold Auerbach ihren Wohnsitz genommen; 1841 war auch der gewaltigste und philosophisch-dialektisch geschulteste politische Schriftsteller der Zeit, Arnold Ruge, nach Dresden gezogen und hatte seine „Jahrbücher für Wissenschaft und Kunst“ die aus Halle durch die preußische Censur vertrieben waren, nach Dresden geflüchtet, wo das liberale Entgegenkommen Lindenau’s ihnen Schutz bot. Um den mächtigen fesselnden Geist dieses Mannes sammelte sich bald eine Schaar kühn aufstrebender jüngerer Männer; auch mit Blum stand Ruge im regsten Verkehr. Den Verlag der Ruge’schen Jahrbücher hatte der tapfere Otto Wigand in Leipzig übernommen. Da geschah das Unerhörte, mindestens seit Unterdrückung der „Biene“ in Sachsen nicht mehr Erlebte: Anfang 1843 wurden die Jahrbücher unterdrückt. Dieselbe Behörde, welche Anfangs eine Concession für die Jahrbücher, als für eine[158] rein wissenschaftliche Zeitschrift für unnöthig erklärt hatte, ertheilte später aus eigenem Antrieb dem Verleger eine solche auf Widerruf, um nachher durch Entziehung der Concession das Blatt unterdrücken zu können. Das geschah, als Anfang 1843 Preußen dazu drängte. Die Beschwerde Ruge’s und Wigand’s über diesen flagranten Fall war für die Opposition sehr schätzbares Material, als sie an die Berathung des neuen Preßgesetzes schritt. Die große Dürre des Jahres 1842, die namentlich in den ärmeren Landestheilen eine völlige Mißernte geschaffen, das gleichzeitige Auftreten der Kartoffelkrankheit, zahlreiche große Brände, welche u. A. die Städte Oschatz, Sayda und Adorf fast ganz verzehrten, erfüllten große Kreise des Volkes mit schmerzlichem Leid und trugen zur allgemeinen Erregung der Gemüther bei.
Abermals hatte die Opposition sich verstärkt, als der Landtag eröffnet wurde. Die entschiedenste Richtung hatte in Oberländer aus Zwickau (späterem Märzminister), Tzschukke aus Meißen, Schumann aus Stollberg Zuwachs gewonnen. Ihnen schlossen sich in den meisten Fragen an Heinr. Brockhaus aus Leipzig und Schröder aus Rochlitz. Auch in ihren Erfolgen war die Opposition weit glücklicher, als bisher. Diesmal blieb es nicht bei der 1839 von Lindenau gerühmten „schönen Eigenthümlichkeit der Sächsischen Kammer, keine Adresse zu erlassen.“ Als vielmehr Todt auch diesmal seinen Antrag auf Erlaß einer Adresse einbrachte, traten ihm Viele bei, da dies die einzige Gelegenheit sei, wo die Kammer ohne das Hemmniß der ersten Kammer ihre Wünsche und Beschwerden vortragen könne. Und als selbst Lindenau der Kammer das Recht zur einseitigen Berathung einer Adresse bestritt, stimmten viele Abgeordnete, die auf den beiden früheren Landtagen den Adreßantrag Todt’s bekämpft hatten, demselben nun zu, so daß er zum ersten Male[159] in der zweiten Kammer eine Majorität erlangte. Minister Könneritz erklärte nun rund heraus, daß die Adresse ohne vorherige Austragung der Principfrage nicht angenommen werden könne, worauf die zweite Kammer, tief verstimmt durch ein so schroffes Auftreten, zur Wahrung ihres Rechtes beschloß, die Adresse dem Protocoll einzuverleiben.
Das beim letzten Landtag gescheiterte Preßgesetz legte die Regierung dem Landtag abermals zur Berathung vor[51]. Der Zustand der Presse in Sachsen war ein schlechthin unleidlicher, eines constitutionellen Staates einfach unwürdiger. Sie unterlag der reinen Willkür der Polizei und der Censur, der Confiscation ohne Urtheil, der Unterdrückung auf bloßen Befehl des Ministers, selbst der Nachcensur. Der Richter hatte bei alledem gar nicht mitzureden. Nach 1842 hatte der Minister des Innern den Localblättern einfach verboten, Artikel über auswärtige Politik zu bringen, wenn sie nicht zuvor in der offiziösen Leipziger Zeitung gestanden hatten! Die Censoren mußten anstößige Artikel nicht nur streichen, sondern auch denunciren. Statt der Beseitigung dieser schreienden Mißstände wollte der Regierungsentwurf lediglich Schriften über zwanzig Druckbogen von der Censur befreien und auch das nur unter Beschränkungen und Erschwerungen, welche die gewährte Freiheit so gut wie aufhoben. Die Regierung war naiv oder boshaft genug, dieses magere Zugeständniß als die Gewährung der im § 35 der Verfassung verheißenen Preßfreiheit zu bezeichnen. Dagegen erhob sich mannhaft die zweite Kammer und gab den Gesetzentwurf mit den wesentlichsten Abänderungen an die erste[160] Kammer. Das Haus der Sächsischen Lords wies selbstverständlich fast alle diese Abänderungen zurück und so mußte die zweite Kammer mit schwerem Herzen ihre Anträge wieder fallen lassen, um wenigstens die Abschlagszahlung, welche das Gesetz bot, zu sichern — „wie wenn man auf eine Schuld von hundert Thalern fünf Thaler erhielte,“ sagt der Referent Todt wörtlich. Nur die Beseitigung der Nachcensur und eine Beschränkung der Verpflichtung zur Namhaftmachung der Verfasser hatte die zweite Kammer erreicht[52]. Aber wenigstens war Alles, was über das Recht und den Werth der freien Presse zu sagen war, zum ersten Mal ungestraft und mannhaft in Sachsen ausgesprochen worden und überall im Lande erweckten die tapfern Worte der liberalen Abgeordneten freudigsten Nachhall.
Noch weit bedeutsamer und erfolgreicher aber war die Haltung der Opposition der zweiten Kammer gegenüber dem neuen Strafproceßordnungs-Entwurf der Regierung. Dieser Entwurf basirte, trotz aller Beschlüsse der bisherigen Landtage, durchaus auf dem Boden des alten schriftlichen und heimlichen Inquisitionsprocesses. Die erste Kammer berieth zuerst über den Entwurf und selbst hier gewann die Regierung für denselben nur die knappe Mehrheit von drei Stimmen. Ganz anders erging es demselben aber in der zweiten Kammer. Das treffliche Referat, das Braun darüber erstattete, begründete den Ruf dieses Abgeordneten als eines tüchtigen, freisinnigen Juristen. Zehn Tage lang tobte die Schlacht für und gegen die Oeffentlichkeit und Mündlichkeit, Anklage und Inquisitionsverfahren im Saale der zweiten Kammer zu Dresden. Vierzig Reden wurden gehalten, darunter nur eine von einem Abgeordneten für den Regierungsentwurf. Wieviel Blum’s Vaterlandsblätter zur Vorbereitung des Kampfes[161] gewirkt, wieviel tüchtiges Material sie den Genossen geliefert, erkennt, wer die „Landtagsmittheilungen“ mit den Jahrgängen 1842 und 43 des Leipziger Blattes vergleicht. Und ob auch der Justizminister v. Könneritz sich zu der Erklärung hinreißen ließ: er werde in dieser Frage selbst dem vereinten Willen der Kammer nicht weichen, sondern nur seiner eigenen Überzeugung, so beschloß die Kammer doch mit 71 gegen 4 Stimmen die Ablehnung des Regierungsentwurfs und verlangte mit 68 gegen 8 Stimmen die Vorlegung eines neuen Entwurfs, der auf dem Anklageverfahren mit Staatsanwaltschaft, auf Oeffentlichkeit und Mündlichkeit beruhe. Und als hierauf die Regierung ihren Entwurf zurückzog mit einer Erklärung, welche von neuem die Nichtbeachtung des Kammerbeschlusses in Aussicht stellte, beschloß die Kammer, ihre Beschlüsse zur Strafproceßordnung über den Kopf der Regierung hinweg als ständische Anträge an den König zu bringen. Auch dieses letzte constitutionelle Hülfsmittel scheiterte an dem Widerspruch einer kleinen Mehrheit der ersten Kammer.
Ungeheuer war die Nachwirkung dieser Verhandlungen, dieses Ausganges im Lande. Kein Freisinniger konnte sich mehr der Überzeugung verschließen, daß so nicht fortregiert werden könne, ohne daß das Ansehen der Regierung oder das der Kammern und Verfassung schwer leiden, die bestehende Erregung und Unzufriedenheit einen gefahrdrohenden Umfang annehmen müsse. Alle liberalen Elemente standen in dieser Überzeugung zusammen, wie sie im Landtag zusammengestanden in den letzten Kämpfen. Zu thatkräftigem Handeln raffte nun selbst der Trägste sich auf. Als die Regierung nach der Landtagscampagne einen Gegner des von der Kammer beschlossenen Strafverfahrens in die Länder, in denen Schwurgerichte bestanden, aus Landesmitteln entsendete, sammelten die Liberalen Mittel, um Braun dieselben[162] Länder zu gleichem Zwecke bereisen zu lassen[53]. Blum war persönlich, brieflich, in der Presse, auch bei dieser Agitation ungemein thätig.
Aller Hoffnungen richteten sich nun noch auf den freisinnigen wohlmeinenden Minister Lindenau. Man hielt für unmöglich, daß er, der Vater des neuen Verfassungslebens in Sachsen, zugeben werde, daß Land, Volk und Krone berathen und beherrscht würden von einem ebenso geist- als vermögenslosen feudalen Junkerthum, das kaum noch den Buchstaben der Verfassung achtete und jedem, auch dem berechtigtsten Reformbedürfnisse der Zeit eine Politik des absoluten eigenwilligsten Widerstandes entgegensetzte. Man täuschte sich nicht in dem trefflichen Manne. Er stemmte sich mit aller Kraft gegen die Bestrebungen seiner Collegen im Ministerium, von neuem eine bevorrechtete Herrschaft der Aristokratie über das Land zuzulassen, die Lindenau durch die Verfassung für immer beseitigt glaubte — aber andrerseits gingen auch die Strebungen der neuen Zeit über dasjenige hinaus, was er vertreten und befürworten mochte. So that er denn den Schritt, der ihm als charaktertreuen Mann geboten schien, der aber für das Land der unheilvollste war: am 1. September 1843 trat er, der tüchtigste, verdienstvollste und freisinnigste Minister, den Sachsen je besessen, von seinem Amte in das Privatleben zurück.
An seiner Stelle trat der bisherige Justizminister v. Könneritz an die Spitze des Ministeriums: sein Name an dieser Stelle bedeutete den Triumph der Reaction.
Die ersten Schläge der neuen Sächsischen Regierung suchten die verhaßte Oppositionspresse zu zermalmen, an ihren Leitern Rache zu nehmen. Eine Reihe der kühnsten Blätter und Zeitschriften wurde einfach unterdrückt. Den Vaterlandsblättern wurde mit sofortiger Unterdrückung gedroht, falls sie in der bisherigen Richtung fortführen. Da sie sich nicht irre machen ließen, bescheerte ihnen der Minister später, gerade zu Weihnachten 1845, die angedrohte Vollziehung der Unterdrückung. Hatte man nicht das Recht und noch weniger die Moral auf seiner Seite, so hatte man doch die Macht, und der alte Spruch: „Es gibt Richter in Berlin“, vor dem schon die absolute Laune eines Friedrichs des Großen sich ehrfurchtsvoll beugte, hatte für einen Herrn von Könneritz nichts zu bedeuten, da der Sächsische Richterstand mit allem Herzeleid und aller Unbill, die der Presse angethan wurde, eben einfach nichts zu thun hatte.
In gleich grausamer und und schonungsloser Weise wurde gegen die der Regierung mißliebigen Schriftsteller verfahren, die das Unglück hatten, nicht innerhalb der grün-weißen Grenzpfähle geboren zu sein. Sie wurden einfach ausgewiesen oder, unter der Abforderung eines bündigen Versprechens für künftiges Wohlverhalten, mit sofortiger Ausweisung bedroht. Die letztere unwürdige Zwangsmaßregel wurde z. B. gegen Blum’s treuen Mitkämpfer Ludwig Steger angewendet. Offen erklärte der Minister des Innern vor der Kammer: Der deutsche „Ausländer“[164] habe kein Recht in Sachsen zu weilen, seine Duldung hänge von der Gnade der Polizei ab.
Sofort wurde auch Robert Blum vom reichverdienten Zorn der Reaction betroffen. Ein zu Anfang Januar 1843 in den „Vaterlandsblättern“ erschienener Leitartikel Blums hatte eine in mancher Beziehung eigenthümliche Strafuntersuchung gegen ein armes Dienstmädchen behandelt, und daran die entschiedene Forderung nach Oeffentlichkeit und Mündlichkeit des Strafverfahrens geknüpft. Die in jenem Artikel gegebene Sachdarstellung des Processes war — wie Blum freilich nicht wußte und nicht wissen konnte — in der Hauptsache unrichtig. Das stellte sich später heraus. Sowie Könneritz das Staatsruder ergriffen hatte, wurde wegen dieses Artikels den Vaterlandsblättern eine jener famosen Berichtigungen zugesandt, durch welche sich Herr von Könneritz, wenn auch durch sonst nichts, Anspruch auf Unsterblichkeit in der Geschichte der deutschen Stilistik und Grammatik erworben hat, und weiter wurde derselbe Artikel noch im September 1843 zum Gegenstand einer Strafuntersuchung gegen „den Theatersecretär Robert Blum und Consorten“ gemacht. Der Inhalt dieser Acten[54] ist so charakteristisch für jene Zeit und nebenbei auch so unterhaltend, daß es sich wirklich verlohnt, dabei eingehender zu verweilen. Der neue sächsische Premier hatte persönlich als Chef des Justizministeriums den Strafantrag „wegen öffentlicher Beleidigung des sächsischen Richterstandes“ gegen den verhaßten Leipziger Theatersecretär gestellt und die Einleitung der Untersuchung veranlaßt.
Blum leugnete seine Urheberschaft keinen Augenblick, berief sich aber in seinen eigenen Auslassungen und den „Schutzschriften“[165] seines Advocaten Paul Römisch sowohl auf seinen guten Glauben bei Veröffentlichung jenes Rechtsfalles, als auf das berechtigte politische Interesse, das er in jenem Artikel wahrgenommen habe. Darauf erfloß am 22. Febr. 1844 von dem hohen Appellationsgericht Leipzig ein Erkenntniß erster Instanz, in welchem Blum zu zwei Monaten Gefängniß verurtheilt wurde, und zwar hauptsächlich aus folgenden Erwägungen: „Hat Blum demnach diesen Fall als Beleg dafür angeführt, daß man ‚der guten alten Zeit‘ — dem im Königreich Sachsen bestehenden Strafverfahren (!) — ‚für schlechte Juristen ein Ende machen, und die traurige Heimlichkeit — für Unfähigkeit und Härte — begraben solle‘, so liegt darin offenbar eine Verunglimpfung der königlich sächsischen Justizbehörden (?) ... Erwägt man nun, daß diese Beleidigung dem Richterstande im Königreich Sachsen überhaupt (?) und in Bezug auf seine amtliche Thätlichkeit (!) in einem öffentlichen Blatte, überdies unter Anführen unwahrer Thatsachen zugefügt worden und dabei die Absicht Blumens (!), dadurch Mißtranen in deren gehörige Wirksamkeit hervorzurufen, nicht zu verkennen“, so &c.
Auch das königliche Oberappellationsgericht bestätigte, indem dasselbe sich unter Anderem auf die Decision neunundachzig vom Jahre — 1661! und auf Leyser’s Meditationen berief, die Strafe von zwei Monaten Gefängniß, überließ aber dem Untersuchungsgericht die Bestimmung, ob und in wieweit diese Strafe in Geld verwandelt werden könne. Nach den Rationen des höchsten Gerichtshofes hatte freilich das Vereinigte Criminalamt thatsächlich keine Wahl. Es mußte einfach die Gefängnißstrafe vollstrecken. In den Gründen der höchsten Instanz findet sich eine sehr bemerkenswerthe Stelle, welche besser als lange Abhandlungen beweist, welches Maß von Denkfreiheit dem beschränkten Unterthanenverstande damals zugebilligt wurde, wenn[166] der Inhaber dieses Verstandes nicht Gefahr laufen wollte, in’s Gefängniß zu kommen. „An sich,“ heißt es da, „können Angriffe gegen das schriftliche und geheime Strafverfahren nicht nur als ein erlaubtes und keineswegs strafbares Unternehmen, sondern auch, nach Beschaffenheit der Umstände (!) und unter den erforderlichen (!) Voraussetzungen [einer gewissenhaften und unparteiischen (!) Darstellung und Erwägung der dafür (!) und dagegen streitenden Gründe, unter Beziehung auf wahre Thatsachen und von einer dazu gehörig qualificirten Person (!)], selbst als ein nützliches (!) und preiswürdiges Unternehmen angesehen werden. Eine solche, Beifall verdienende Tendenz aber kann dem in Frage stehenden Aufsatze und dem Verfasser desselben nicht beigelegt werden“!
Uns Heutigen will freilich scheinen, daß es hiernach überhaupt beinahe so schwierig gewesen sei, die „erforderlichen Voraussetzungen“ für eine „unparteiische“ Kritik jener Gesetzesschäden in einer Menschenseele zu vereinigen, als die Bedingungen zur Wählbarkeit in den hochpreislichen Landtag des Fürstenthums Liechtenstein, nach der damals bestehenden Verfassung. Denn dazu gehörte, außer einem nicht unbeträchtlichen Vermögen und der Absolvirung des Schwabenalters, auch eine nachweisbar „verträgliche Gemüthsart“.
Nicht ohne Galgenhumor sind die schriftlichen Eingaben Blum’s zu den Acten, durch die wenigstens im Gnadenwege eine Verwandlung der Freiheitsstrafe in Geld angerufen werden sollte. Die Vollstreckung der langen Gefängnißstrafe wäre in der That für ihn leicht zur Vernichtung seiner ganzen bürgerlichen Existenz geworden. Denn am 15. Mai 1844 war Ringelhardt’s Pachtzeit in Leipzig abgelaufen, und Dr. med. Schmidt, ein geistvoller edler Mann, der das Höchste auf der Schaubühne anstrebte, zugleich in seinem Fache durch Begründung einer noch heute bestehenden[167] gelehrten medicinischen Zeitschrift berühmt, hatte das Theater in Leipzig übernommen und war eben Blum’s Principal geworden, als dieser seine Strafe antreten sollte. Blum malte nun die Geschäftsunkunde des Dr. Schmidt dem Vereinigten Criminalamt in den leuchtendsten Farben. Auf ihm, Blum, ruhe die ganze Ordnung aller Staatsangelegenheiten — des Leipziger Theaters. Er und Schmidt müßten fortwährend circa fünfzehn Schneider und Schneiderinnen bewachen und beobachten, zudem dieselbe Anzahl von Tischlern und Zimmerleuten, welche „die höchst unvollkommene und defecte Maschinerie“ mit den Anforderungen des Jahrhunderts zu versöhnen suchten. Endlich falle Blum allein zur Last „die Herstellung, Uebernahme und Ordnung aller Waffen, Rüstungen, Federn, Stiefeln, Sandalen, Perrücken, Bärte (!) und aller sonstigen Bestandtheile des Inventars.“
Auf das Vereinigte Criminalamt machte diese Unmasse von Schneidern, Bärten, Arbeitern &c. sichtlich einen tiefen Eindruck, denn es befürwortete die Strafverwandlung. Das Gesammtministerium, unter Könneritz’ Vorsitz, entschied über das Gnadengesuch, da der König verreist war. Es verwandelte die Strafe zur Hälfte in eine Geldstrafe von 20 Thalern. Die übrigen vier Wochen mußte Blum absitzen. Er fing am 26. October damit an, kam aber erst am 8. December damit zu Ende, weil er alle Augenblicke, unter allen möglichen Vorwänden, herausgelassen zu werden verlangte. Zuletzt enthalten die Acten gar keine Gründe mehr, wenn er seine Haft unterbricht. Kein Groschen für „Atzung“ findet sich in der Rechnung des „Stockmeisters“ gebucht. Warum, werden wir gleich sehen. Blum selbst schreibt nämlich aus diesem fidelen Gefängniß am 23. November 1844 an seine Schwester Margaretha Selbach: „Arbeit habe ich genug, an Unterhaltung fehlt mir’s nicht und meine Freunde[168] besuchen mich schaarenweise. Da kommt tagtäglich ein Theil derselben, bringt mir ein anständiges Frühstück mit Weinen aller Art und wir essen, trinken, lachen und singen ein paar Stunden zusammen. Abends kommt meine Frau von fünf bis acht Uhr, oft die Kinder oder Agnes“ (seine Stiefschwester, deren Vater Schilder kurz zuvor gestorben war), „und so geht ein Tag nach dem andern hin. Die Sache ist kindlich dumm und nützt mir viel mehr, als sie mir schadet. Ich habe am Schillerfeste an der Tafel von etwa vierhundert Theilnehmern den Vorsitz geführt und man hat mir zugejubelt, wie’s selten Jemand geschehen ist. Es hat Niemand nur die Wimper gezuckt oder sich ein Wort erlaubt. Und sonst waren die Worte ‚Gefängniß‘ und besonders ‚Criminal‘ entsetzliche Dinge. Die Bürgerschaft aber hat mich eben zum Wahlmann gewählt und binnen acht Tagen bin ich — höchst wahrscheinlich[55] — Stadtverordneter.“ — Am 8. December wurde er „nach vorgängiger Verwarnung vor Rückfall aus dem Arrest entlassen.“
Die persönlichen Verhältnisse Blum’s hatten sich in der hier in Rede stehenden Zeit (bis 1844) immer günstiger gestaltet, so daß er sich schon 1843 in Leipzig ein eigenes Hausgrundstück (Nr. 8 der Eisenbahnstraße, unmittelbar an der Leipzig-Dresdner Bahn gelegen) erwerben konnte. Der große Garten bot Blum reiche Gelegenheit selbst zu graben und zu pflanzen, was er so gern that. Auch seiner Liebhaberei für die Züchtung edler Tauben konnte er hier behaglich obliegen. Hier wurde ihm sein drittes Söhnchen geboren, das jedoch kaum ein Jahr alt der tückischen Bräune erlag. Als ihm ein Jahr nach diesem schmerzlichen Verluste seine Gattin das einzige Töchterchen schenkte, freute er sich des Glückes nicht in dem[169] Grade wie früher. Er hatte auf Ersatz für den todten Knaben gehofft. „Das Vaterland braucht Männer,“ sprach er zu den Freunden. Man stand damals in der Aufregung, welche die Leipziger Augusttage hinterlassen hatten. Unser nächstes Capitel wird davon handeln.
Sein neues Heim in der Eisenbahnstraße bildete bald den gastlichen Herd, an dem wohl jeder Gesinnungsgenosse Leipzigs und ganz Deutschlands, der Leipzig berührte, einmal gesessen und sich des gesunden bürgerlichen Familienlebens erfreut hat, das Blum das seine nannte. Mancher schwerverfolgte Pole hat hier sein geächtetes Haupt geborgen. Selbst der verwöhnte Schlemmer Herwegh fühlte sich wohl da. Hoffmann von Fallersleben war schon in der Funkenburg heimisch gewesen und kam hier so oft er konnte. Schon am 10. April 1842 hatte er Blum beim Scheiden mit prophetischem Blick die schönen Verse hinterlassen:
An Robert Blum.
Auch größere Gesellschaften tagten und nachteten hier, wegen deren Frau Eugenie in Küche und Keller sich gewaltig anstrengen mußte, so einmal auch der Geheimbund, der 1839 in Mainz gestiftet worden war; Itzstein, Hecker, Jacoby, die beiden schlesischen Grafen Reichenbach, Heinrich Simon u. A. und viele namhafte Sachsen nahmen daran Theil.
Den Seinen in Köln ließ Blum bei jeder Gelegenheit erfreuliche Beweise seines ökonomischen Wachsthums in Gestalt kleiner Geschenke und Geldspenden zukommen. Seiner Briefe an die Eltern (vornehmlich an die kranke Mutter) und Geschwister sind gleichwohl wenige. Theils fehlte es ihm an Zeit, theils drückte ihn das Gefühl, daß er über die Angelegenheiten, welche im Vordergrund seines Interesses standen, über die politischen und kirchlichen Fragen der Zeit sich nicht ergehen konnte, ohne zu verletzen oder Theilnahmlosigkeit zu begegnen. Für die kindliche und brüderliche Liebe des Briefstellers sind gleichwohl auch diese Briefe rühmlich und interessant wegen manchen Schlaglichtes, das sie auf seinen Charakter, auf seine Weltanschauung werfen. So schreibt er z. B. seiner älteren Stiefschwester Elise (geb. 1819, S. 52), als ihm diese glückselig anvertraut hatte, sie sei mit einem Abiturienten verlobt, folgenden köstlichen Brief (13. Juli 1842):
„Daß Du von Deiner Liebe nie läßt, daß sie ewig dauert — nun, das versteht sich ja von selbst; wer einem Mädchen, die zum Erstenmale sich vergafft hat, Vernunft predigen will, der muß mit seiner Zeit schlecht hauszuhalten wissen. Zum Glück dauern diese Ewigkeiten nur bis sie — aus sind, worüber selten Jemand graue Haare erhält. Ich will Dir prophetisch vorhersagen, daß Deine Ewigkeit nicht über das erste Studiensemester Deines Geliebten hinauswährt; wenn sie an nichts Anderem verbleicht, so stirbt sie an der Langweiligkeit Eurer Liebesbriefe, die stets dasselbe enthalten. Wir alten Leute sind ein fatales Volk, daß wir so schonungslos in Euren Blüthen wühlen. Ihr glaubt uns nicht und habt Recht, aber unser trockner Ernst hat das Gute, daß er Euch wenigstens davor bewahrt, vor Schmerz zu sterben wenn die reizenden Farben verblassen ... Ich halte die ernste Liebe eines Schülers für eine Pflichtwidrigkeit, denn mit der ernsten Liebe übernimmt der Mann heilige und schwere Pflichten, bei deren Uebernahme er seine Kräfte und Mittel wohl wägen muß; wer demnach noch nicht in die Möglichkeit versetzt ist, diese Pflichten zu erfüllen, der nimmt — um bei dem rein materiellen Vergleiche zu[171] bleiben — etwas an, was er nicht bezahlen kann, und diese Handlung nenne ich nicht redlich. Aber es ist noch eine andere Seite der Sache vorhanden: Die Liebe ist für einen jungen Mann, der noch nicht feststeht im Leben, mit seinem Wollen und Streben, seiner Ueberzeugung und seinem Charakter noch nicht ganz im Klaren ist, nur ein Ballast, ein hemmendes Bleigewicht, das er nachschleppt. Das Vaterland, sein Volk, die Ehre, die Freiheit, die Wahrheit, das Recht, sie alle haben gerechtere Ansprüche an den jungen Mann, als ein Mädchen; für alle diese Güter muß er sein Leben ungescheut in die Schanze schlagen können, wenn er ein wahrer Mann werden will; das kann er aber nicht, wenn er sein Leben thörichterweise verpfändet hat, ehe er seinen Werth und seine Bestimmung kannte. Daß wir solche Männer leider sehr wenige haben, ist unser Unglück, aber es stimmt meine Forderung nicht herab. Wenn die Schüler sich „für ewig“ vergeben, so müssen wir Dreißiger von Staatswegen angehalten werden, uns Krücken anzuschaffen. Ich bin sehr glücklich und zufrieden in meiner Häuslichkeit, aber ich habe sie erst dann begonnen, als ich meiner Frau auf das Bestimmteste erklärt, daß ich sie und meine Kinder verlasse, sobald eine höhere Pflicht mich ruft und dies steht so fest bei mir — allerdings auch bei meiner Frau — daß selbst die Gewißheit, daß die Meinen betteln müssen, mich nicht einen Augenblick abhalten würde, mein Leben einer großen Sache, meinem Vaterlande zu weihen. Glaubst Du, daß diese Auffassung des Lebens mich nicht berechtigt, von dem, der mir als ein „würdiger Bruder“ präsentirt wird, etwas mehr Ernst zu verlangen, als hier vorliegt; daß er sich erst für’s Leben rüstet, ehe er seine Blüthen naschen will?“
Ebenso characteristisch sind folgende Aeußerungen am Schlusse eines überaus herzlichen Glückwunschschreibens an seine Schwester Gretchen (2. Jan. 1844), vor deren Hochzeit mit Selbach. Es heißt da:
„Mit Rathschlägen und Ermahnungen will ich diesen Brief nicht füllen. Nur das Eine muß ich Dir sagen: wie alles Glück der Welt, in der geistigen, wie in der körperlichen, so wurzelt das Glück der Liebe auch in der Freiheit. Je selbstständiger der eine Gatte neben dem andern steht, um so inniger sind Beide verbunden; je weniger Opfer der angeborenen Eigenthümlichkeiten und Neigungen verlangt[172] werden, um so freudiger werden sie gegeben. Trage die Gewohnheiten Deines bisherigen Lebenskreises, in welchem Dein Wort und Deine Ansicht oft unbedingt und allein galt[56] nicht in Deine Ehe über und vergiß nie, daß des wahren Mannes Herz von der Häuslichkeit und der Kinderstube nicht ausgefüllt werden kann und darf. Er hat an das Leben und das Leben an ihn andere Ansprüche als das Weib und ihn diesen entziehen zu wollen, heißt die Natur seines Wesens, also auch sein Glück und Wohl zerstören.“
Eine so kühne und entschlossene Mannesseele gehörte dazu, um mit der unscheinbaren Kraft eines schlichten deutschen Bürgers den Kampf aufzunehmen, den in unseren Tagen das ganze deutsche Reich mit seiner gewaltigen Staatsmacht seit seinem Bestehen kämpft: den Kampf mit Rom.
Nicht aus lebhaftem Interesse für die inneren Angelegenheiten der katholischen Kirche ist Robert Blum in diesen Kampf eingetreten. Er selbst erinnerte sich kaum noch, daß er katholisch sei; seine Kinder hatte er protestantisch taufen lassen; über den starren katholischen Kirchenglauben der Mutter hatte er in den Briefen an seine Braut schon 1839 hart und bitter geurtheilt. Aber die herausfordernde Anmaßung, welche seit dem für Preußen so schmählichen Ende der Kölner Bischofswirren und seit der sichtbarlichen Begünstigung der katholischen Hierarchie unter Friedrich Wilhelm dem Vierten und selbstverständlich auch in Dresden die katholische Kirche überall in Deutschland gegenüber dem Fortschritte und der Aufklärung zur Schau trug, rüttelte auch die kirchlich Gleichgültigsten auf. Die sächsische Regierung begünstigte sichtlich das „Volksblatt“ und den „Bayard,“ von denen das erstere ein hierarchisches orthodoxes Lutherthum, das letztere die rohesten ultramontanen Bestrebungen vertrat, beide mit einer Niedrigkeit der Gesinnung, einer Gemeinheit des Ausdrucks[173] und einem zelotischen Fanatismus, wie sie bis dahin in Sachsen niemals erlebt waren. Das war aber nur die passive Seite der Regierungsthätigkeit; die active machte sich bald in derselben Richtung geltend. Als nun gar im Jahre 1844 Bischof Arnoldi von Trier es wagte, ein altes Stück Tuch unter dem Namen des heiligen Rockes auszuhängen, und eine große Wallfahrt dahin zu arrangiren, um einen großen Ablaß als Gegenleistung zu bieten — da ging ein Schrei der Entrüstung durch die ganze gebildete Welt, denn die Nerven für derlei Wunderdinge waren damals noch nicht so abgestumpft wie heute nach all den Wunderblutungen, Kirschbaum- und Höhlenmadonnen &c. Am 15. August 1844 erschien in den „Sächsischen Vaterlandsblättern“ ein „Offenes Sendschreiben an den Bischof Arnoldi von Trier“, unterzeichnet von einem unbekannten katholischen Priester Johannes Ronge, in welchem die Ausstellung des heiligen Rockes ein den Aberglauben und Fanatismus beförderndes Götzenfest genannt wurde.
Zu gleicher Zeit erfuhr man, daß schon am 22. August der Caplan Czerski in Schneidemühl in Posen mit einem Theile seiner Gemeinde aus der katholischen Kirche ausgeschieden war. Schon am 19. October vereinigten sich die Ausgetretenen zu einer christlich-apostolisch-katholischen Gemeinde. Am 15. December folgte in Breslau unter Führung des ordentlichen Professors des canonischen Rechtes, Regenbrecht, ein Massenaustritt und am 4. Februar 1845 daselbst die Constituirung einer deutsch-katholischen Gemeinde, die schon im März 1845 zwölfhundert Mitglieder zählte. Sie berief Ronge, der natürlich inzwischen mit allen Kirchenstrafen belegt worden war und bei dem edeln schlesischen Grafen Reichenbach eine Freistätte gefunden hatte, als Seelsorger.
Robert Blum, in dessen Organ zuerst dem Bischofe von[174] Trier der Krieg verkündet worden war, sorgte dafür, daß der Herd dieser gährenden Bewegung nicht auf Schlesien beschränkt bleibe. In Wort und Schrift, durch öffentliche Reden im ganzen Lande, durch Flugblätter, Broschüren und Zeitungsartikel ist er unablässig thätig gewesen, um überall eine Massenlossagung von Rom, die Bildung deutsch-katholischer Gemeinden zu erzielen. Sehr Vieles von dem, was er damals gesprochen und geschrieben, ist nicht blos interessant als eine für den Mann charakteristische Aeußerung — sondern heute nach dreiunddreißig Jahren noch so treffend, als sei es heute geschrieben — so wenig hat Rom, die alte Erbfeindin unseres Volkes, sich seitdem geändert. Mit köstlicher Ironie z. B. schildert ein Artikel Blum’s in den „Vaterlandsblättern“ „die Wunder des heiligen Rockes“ — nicht etwa in jenem frivol-lustigen Tone des bekannten Studentenliedes:
sondern im Tone der heiligsten, den Feind niederschmetternden, siegesfreudigsten Ueberzeugung: „Das wahre Wunder, welches der heilige Rock zu Trier gewirkt, ist, daß er endlich auch die verblendetsten Geister aufgescheucht aus der Ruhe des Nichtsthuns, daß er auch dem Befangensten den Schleier gerissen vom getrübten Auge und dem schlichten Worte der Wahrheit einen jubelnden Einzug bereitet in Millionen Herzen. Es giebt nur ein Mittel, das Joch abzuwerfen, welches jetzt nur noch locker auf unserem Nacken liegt; es heißt: Trennung von Rom, Aufhebung der Ohrenbeichte und des Cölibats. Eine deutsch-katholische Kirche!... Wollen wir länger die Knechtschaft tragen? Unsere Väter haben den äußeren Feind bekämpft, der unser Vaterland unterjochte. — Rom hat im Frieden seine Fremdherrschaft um so fester begründet. Der äußere Feind nährte und stärkte unsere Vaterlandsliebe und unser Nationalgefühl —[175] Rom verdammt Beides, wenn es seinen Interessen entgegen. Der äußere Feind hätte unsere staatliche Entwickelung befördern müssen — Rom duldet die gegenwärtige staatliche Gestaltung nur gezwungen und hat die ganze Grundlage unseres Staatslebens nicht anerkannt, ja zum Theil ausdrücklich verdammt. Der äußere Feind knüpfte das Band zwischen Fürsten und Völker fester, indem er dieselben zu Einem Interesse vereinte — Rom muß diese Einigkeit lockern und trennen, weil sie seinem Interesse feindlich ist.“ Am Schlusse heißt es: „Was bisher geschah, waren nur Trennungen in unserer Kirche selbst, es waren Theile, die sich ablösten von dem alten Körper. Erheben wir einstimmig, ein Beispiel dem ganzen Vaterlande, den Ruf: Trennung von Rom! Aufhebung der Ohrenbeichte und des Cölibats! Eine deutsch-katholische Kirche! O, daß es — das größte Wunder des heiligen Rockes — bald geschehe! Amen!“
Dieses Ziel wurde in Leipzig erreicht durch die Bildung einer deutsch-katholischen Gemeinde, 12. Februar 1845. Blum hielt die Eröffnungsrede. Anonyme Drohbriefe von ultramontanen Handlangern höher stehender Gesellen hatte er schon vorher in Fülle erhalten. Jetzt suchte man die erste Feier der jungen Gemeinde durch brutalen Skandal zu entweihen. Als Blum reden wollte, stürzte eine Rotte angestifteter erwachsener Buben auf ihn los, um ihn niederzuschlagen und zerriß ihm Kleidung und Wäsche. Er hatte indeß den Fall vorhergesehen und für starke Polizeibedeckung gesorgt. Mit um so größerer Begeisterung hing die Gemeinde dann an den Lippen ihres Vorstandes. Er begann seine Rede[57] mit den Worten:
„Meine verehrten Anwesenden! Ich habe mich entfernt, als ein pöbelhafter Angriff, wie er in einer gebildeten Gesellschaft niemals zu[176] erwarten war, gegen mich gerichtet wurde; nicht weil es mir an Muth fehlte, denselben abzuwehren (denn was wäre eine Ueberzeugung, die nicht Unbilden erdulden, ja selbst Leben und Blut dafür zu opfern lehrte), sondern weil ich es für Pflicht hielt, die Einleitung zu dessen Bestrafung zu treffen. Wir stehen in einem freien hochgebildeten Staate hier mit Erlaubniß unserer städtischen Behörde; deshalb habe ich den Schutz der Gesetze angerufen gegen rohe Unsitte, und er ist mir sofort zu Theil geworden. Jetzt stehe ich hier, kühn zu thun und zu sagen, was ich muß. Meine verehrten Glaubensgenossen! Sie haben nicht gebetet, als sie dazu aufgefordert wurden. Aber unser Glaube lehrt uns, unsern Gott zu ehren, nicht durch das Wort, sondern durch die That. Ehren wir also ihn, den Gott der Wahrheit, durch die Wahrheit; sprechen wir dieselbe offen und ehrlich, ungeschminkt und leidenschaftlos aus und belehren wir uns gegenseitig. Aber dulden und achten wir auch jede Ueberzeugung, werden wir jeder Meinung gleich gerecht, indem wir sie zum ungeschmälerten Ausspruche kommen lassen. Vergessen wir nie, daß unser Heiland gesagt hat: „Liebet einander!“ und entsagen wir also jedem Hasse und Zwiespalt. Wir werden uns vielleicht trennen, aber trennen wir uns wie Männer, die sich achten und sich am Scheidewege die Hand reichen, um jeder eine andere Bahn zu wandern.“
Den Kern der Rede bildete eine geschichtliche Darlegung über den Abfall der römischen Kirche von den Heilswahrheiten des Erlösers und über die Entartung dieser Kirche durch die Hierarchie, das Cölibat, die Laster der Päpste, die Inquisition, die Jesuiten u. s. w. Alles das lasse sich geschichtlich beweisen.
„Aber wozu brauchen Sie auch weitere Beweise?“ rief er am Schlusse, „Sehen Sie um sich im Vaterlande, und überall werden Ihrem Blicke die Beweise begegnen, daß Rom fort und fort seinen Frieden untergräbt, Haß und Zwietracht säet und die Einigkeit und Brüderlichkeit zerstört, in welcher die Menschen verschiedener Bekenntnisse so gern mit einander leben. Jedes Blatt der Tagesgeschichte bezeugt uns, wie das Unkraut aufgegangen ist, welches Rom ausgestreut, und wie Unduldsamkeit und Glaubenshaß von demselben eben so sehr gepflegt als ausgeübt werden. Und strecken nicht seine Jesuiten ihre Polypenarme beutegierig wieder um die ganze Erde? Haben sie nicht[177] in der unmittelbaren Nachbarschaft unseres Vaterlandes bereits ganze Länder verschlungen und in die Nacht der Finsterniß und des rohesten Fanatismus gestürzt? Ja, sind wir im Herzen unseres Vaterlandes trotz aller Verbote wohl sicher vor ihren Schlingen? Endlich, hat denn Rom wohl irgend dem Einflusse einer allmächtigen Bildung nachgegeben? Hat es nicht im vorigen Sommer den gotteslästerlichen Ablaßkram unverschämter getrieben als zu den Zeiten Tetzel’s und nach langjährigen Verdummungsversuchen ein großes schnödes Triumphfest gefeiert über den scheinbar bezwungenen Menschenverstand?
Und was die Ohrenbeichte betrifft, so fühle nur Jeder an seine eigene Brust und lasse sich sagen, wie diese unheilvolle Zwangseinrichtung ihn empört; wie seine Entrüstung mächtig ist, wenn er sich beugen soll vor seines Gleichen wie vor Gott; wie jede wahre Reue und Bußfertigkeit vernichtet, die Aufrichtigkeit des Bekenntnisses zerstört, der Verstellung, Heuchelei und Unwahrheit aber die Bahn gebrochen wird im Herzen! Wer vermag aufzutreten und zu sagen, daß er eine aufrichtige Beichte ablegt? Niemand. Er fügt sich dem Zwange widerstrebend und ungenügend, bis das Ganze für ihn eine inhaltleere, unmoralische Förmlichkeit wird, oder er sich empört abwendet und auf den Trost des Abendmahls verzichtet.
Die Schädlichkeit des Cölibats endlich bedarf keiner beredten Darlegung, jeder Priester ist ein lebender Beweis dafür. Sein frevelhaft halb zertretenes Dasein spricht aus seinem ganzen Wesen, und das römische Joch beugt seinen Nacken. Leset die ergreifenden Schilderungen, wie der Priester vom ersten Vorbereitungsschritte zu seinem Berufe an systematisch geknechtet, durch leeres Gebetgeplärre und beschäftigten Müßiggang zur Werkheiligkeit erzogen und allmählich bis zum willenlosen Werkzeuge erniedrigt wird. Ja, blicket Euch um im Leben, und bald wird es in Eurem tiefsten Innern selbst rufen: Trennung von Rom, Aufhebung des Cölibats und der Ohrenbeichte!
Glaubt nicht, daß es etwas Neues ist, meine verehrten Glaubensgenossen, was wir hier erstreben; die edelsten Geister unseres Volkes haben bereits das Gleiche erstrebt. Abgesehen, daß alle Kirchenversammlungen, von der ersten bis zur letzten, gegen die Anmaßungen Roms gekämpft haben; daß auf dem Concil zu Trident dasselbe reif zum Falle war und sich nur dadurch retten konnte, daß es durch zwei Jesuiten die Versammlung gegen einander hetzen, aufwiegeln und äußerlich[178] mit den elegantesten Kleinlichkeiten beschäftigen ließ; daß schon im 9. Jahrhundert der Patriarch Photius, im 11. der Patriarch Cerularius das römische Joch als unerträglich abwarfen und die griechisch-katholische Kirche gründeten — so haben auch die edelsten Geister der neuesten Zeit zu gleichem Zweck gearbeitet. 1785 traten die Erzbischöfe von Cöln, Mainz, Salzburg und Trier in Ems zusammen und verlangten fast dasselbe, wie wir heute. Wessenberg, Hontheim, Reichlin-Meldegg, und Theiner schrieben entschieden gegen die römische Tyrannei und gegen das Cölibat; in den letzten 15 Jahren aber richteten viele Geistliche in Belgien, Luxemburg, Würtemberg, Nassau, Baiern und Baden ihre Bestrebungen gegen das Cölibat. Sie arbeiteten alle vergebens, weil die Zeit ihnen nicht günstig war.
Auch uns möchten die Römlinge einlullen bis zu dem Augenblicke, wo es wieder möglich ist, unsere Bestrebungen zu verkümmern. Die Einen bitten heuchlerisch, „den Frieden nicht zu stören“, während es doch keinen Frieden giebt und geben kann zwischen Vernunft und Unvernunft, Licht und Finsterniß, Tag und Nacht. Andere weisen mit verstellter Besorgniß auf „die aufgeregte Zeit“ und wollen die Zeit der Ruhe erwarten. Aber die Zeit der Ruhe ist wohl geeignet zum Aufbauen und Vollenden, schaffen aber und einen weltumgestaltenden Gedanken ins Leben führen, kann nur die Begeisterung, und die Begeisterung erheischt Leben, Bewegung, Aufregung. Andere in unserer nächsten Nähe endlich weisen mit spießbürgerlicher Sorgfalt auf ihren „Kirchenbau“ und fürchten, daß er einstürzt, ehe er aufstieg. O, über diese kleinliche Marthasorge! Vielleicht haben wir keine Kirche — aber erheben wir unser Herz zu Gott in der freien Natur oder auf unserm Boden — es ist besser und Gott wohlgefälliger als das fremde Geplärre der Römlinge in den prunkvollsten Marmorhallen.
Ja, meine verehrten Glaubensgenossen, jetzt werft das Joch ab, jetzt brecht die schmachvollen Ketten Roms, jetzt macht Euch frei. Fühlt an Euer Herz und erkennet den Schlag der Weltgeschichte, der Euch mahnt zu einer That! Unser Vaterland, die ganze gebildete Welt sieht auf uns und erwartet unseren Entschluß. Wir können, wir müssen ein großes Beispiel geben. Einst war unser Sachsen die Wiege einer Kirchenverbesserung, an welche sich durch Roms Umtriebe Krieg, Verwüstung, Blutvergießen und Entsetzen aller Art knüpften, laßt es die[179] Wiege einer zweiten Verbesserung sein, die Frieden und Einigkeit wieder herstellt, für die Ewigkeit. Unter einer freien Verfassung, unter einer erleuchteten freisinnigen, jedem Fortschritte freundlichen Regierung können wir uns befreien. O, zögern wir nicht, denn unser Entschluß wirkt auf die ganze gebildete Welt. Machen wir die Bruderliebe, welche der Bildung der Zeit und unsern Gefühlen entspricht, endlich zur Wahrheit; Rom hat sie auf der Zunge, aber Fluch im Herzen.
Ich habe gesprochen nach meiner Ueberzeugung, wer es anders weiß, der rede!“
Auch die Einberufung der ersten Gesammtvertretung der neuen Glaubensgemeinden zu dem deutsch-katholischen Concil nach Leipzig (23. bis 26. März 1845), die Einladung, Herbeiziehung und Vereinigung der über das Glaubensbekenntniß der neuen Gemeinden untereinander zerfallenen Führer der Bewegung Czerski und Ronge bei diesem Concil, und das größte Resultat, das überhaupt die deutsch-katholische Bewegung zu verzeichnen hat, das allgemeine Glaubensbekenntniß, das hier in Leipzig festgestellt wurde — während die ersten Sitzungen die dringende Befürchtung erregten, man werde resultatlos und hadernd auseinandergehen — das Alles ist hauptsächlich Robert Blum’s Verdienst.
Wochen und Monate angestrengter Arbeit erforderte dann die Redaction der Reden und Beschlüsse dieses Concil’s, ihre Vorbereitung zum Druck. Der Vorsitzende des Concil’s, Prof. Franz Wigard von Dresden, ging Blum dabei zur Hand. Die officielle Ausgabe der Verhandlungen des Concil’s trägt Beider Namen. Auch für alle möglichen sonstigen Bedürfnisse hatte Blum als Gemeindevorsteher zu sorgen. Er gab „auf Beschluß der Leipziger Kirchenversammlung“ ein „von den Gemeindevorständen zu Dresden und Leipzig geprüftes Gebet- und Gesangbuch für Deutsch-katholische Christen“ heraus. (Leipzig bei C. W. B. Naumburg, 1845) und hatte sogar, so lange die[180] Leipziger deutsch-katholische Gemeinde keinen Pfarrer besaß, die Leichenreden zu halten![58]
Die Beschlüsse des Leipziger Concil’s, namentlich des dort beschlossenen Glaubensbekenntnisses eingehender darzulegen, und sodann die Gründe zu untersuchen, warum trotz dieser Resultate die deutsch-katholische Bewegung so rasch im Sande verlief, liegt außerhalb der Grenzen dieser Darstellung. Robert Blum hat sehr bald erkannt, daß er sich über die Kraft und Tiefe der Bewegung getäuscht. Aber über die Gründe dieser Täuschung ist er sich nie klar geworden. Noch im Jahre 1848 in seinem „Staatslexicon“ sprach er sich in dem von ihm selbst unterzeichneten Artikel „Deutsch-Katholiken“ dahin aus, daß der Fehler der Deutsch-Katholiken, den er „selbst anklagend bekenne mitverschuldet zu haben“, darin bestanden habe, überhaupt ein Glaubensbekenntniß abgestellt, überhaupt eine Kirche begründet zu haben! Klarer konnte Robert Blum, wenigstens für seine Person, die reine Weltlichkeit seiner Strebungen bei dieser Gründung, das Bekenntniß rein politischer Agitationszwecke, die Freiheit von jeder religiösen Begeisterung, die ihn geleitet hätte, der Führer des Deutsch-Katholicismus zu werden, nicht aussprechen.
Aber es war characteristisch für die trotz alledem völlig weltliche, völlig politische Zeitrichtung, daß Niemand ihm diesen inneren Widerspruch verargte, daß seine Betheiligung an der deutsch-katholischen Bewegung ihn bekannt und populär machte in ganz Deutschland und verhaßt in allen Zwingburgen Roms bis in die heiligen Säle des Vaticans.
Selbst hinter seine arme alte Mutter und ihren kindlichen[181] Glauben steckten sich die Schwarzen, daß sie den Sohn von dem breiten Pfad der großen Sünde ableite. Aber das alte treue Mutterherz fand nur folgende Worte an den Sohn: „Hier redet man viel über Dich, ich aber bethe für Dich, ist Deine sache gerecht so bitte ich gott um seinen beistand für Dich, ist es aber unrecht so möge gott Dir Deinen verstand erleuchten und Dich zurückführen ich kann nicht darüber urteilen ich kann nur wünschen und bethen.“
Wenn Robert Blum beim Eintritt in die deutsch-katholische Bewegung darauf gerechnet hatte, die religiöse Strömung der Zeit für politische Zwecke zu benutzen, so hatte sich diese Voraussicht für Sachsen wenigstens im reichsten Maße erfüllt.
Durch nichts war das ohnehin verhaßte Ministerium von Könneritz unpopulärer geworden, als durch seine Haltung gegenüber den Ultramontanen, den Deutschkatholiken und den Reformbestrebungen im protestantischen Lager.
Zunächst war die Klage über ultramontane und jesuitische Umtriebe im Lande schon seit dem Jahre 1831 auf jedem Landtage erhoben worden. Die Anträge, eine besondere katholische Facultät zu begründen, und nur diejenigen Erlasse katholischer Behörden mit gesetzlicher Gültigkeit zu versehen, welche sich ausdrücklich auf das Placet des Staates berufen könnten, wurden schon unter Lindenau abgelehnt. Und auch stete Klagen[182] des Landes und der Landtage über zunehmende Uebergriffe der katholischen Hierarchie waren schon unter Lindenau vernommen worden. Entrüstet beschloß die zweite Kammer, daß protestantische Soldaten nicht mehr zur Kniebeugung in der katholischen Hofkirche commandirt werden sollten. In scharfer Rede geißelte der ehrwürdige Superintendent Großmann von Leipzig denselben Mißbrauch, die Härte der Regierung gegen seinen Amtsbruder in Penig, als dieser ultramontane Umtriebe ans Licht gezogen, das „auf Socken Einhergehen der hohen Behörden,“ wo es sich um Uebergriffe der katholischen Hierarchie handle „als wenn sie glaubte, einen Kranken oder Empfindlichen oder Reizbaren nicht im mindesten stören zu dürfen.“ Diese Klagen veranlaßten selbst den Prinzen Johann, für den Wegfall der Kniebeugung protestantischer Soldaten zu stimmen, „da die ersten protestantischen Geistlichen eine Beeinträchtigung ihrer Kirche darin fänden.“
Kaum war indessen die Aufregung über diese Vorgänge im Schwinden begriffen, so erscholl plötzlich der Alarmruf: „Jesuiten im Lande!“ Hinter dem Altar einer neuen Kirche in Annaberg fand man das bekannte jesuitische Wahrzeichen, die Kirche selbst wurde dem vornehmsten, jesuitischen Schutzpatron geweiht. In Brauna bei Camenz wurde ohne Wissen der Regierung eine Filiale der Pariser Erzbrüderschaft „vom unbefleckten Herzen Mariä“ zur Bekehrung der Sünder errichtet. Eine Anzahl anderer gleichartiger Ueberhebungen der ultramontanen Geistlichkeit,[59] verstärkte die ungeheure Gährung, welche diese Enthüllungen in der ganzen, namentlich in der protestantischen Bevölkerung hervorrief.
Zum ersten Male verhielt sich die Regierung gegen alle[183] Beschwerden, die aus diesem Anlaß an sie gerichtet wurden, rein ablehnend. Selbst als die Kreisdirection zu Zwickau die Befürwortung der Vorstellungen übernahm, welche Rath und Stadtverordnete zu Annaberg wegen der dortigen Jesuitengeschichte an die Regierung richteten, erklärte die Regierung, daß dieser Vorfall keinen Anlaß zum Einschreiten gegen die betr. katholische Behörde biete!
In schroffem Gegensatze zu dieser Gunst gegen den Ultramontanismus stand die rauhe Behandlung, die das Ministerium Könneritz nun den Deutschkatholiken angedeihen ließ. Die Anerkennung einer besonderen Religionsgemeinde hatte die Regierung den Deutschkatholiken zwar auch bisher schon versagt. Sie hatte verboten, daß Kirchen und Gemeindehäuser den Deutschkatholiken zu deren Gottesdienste eingeräumt würden und hatte den Predigern der Deutschkatholiken jede kirchliche Handlung verboten. Dagegen hatte die Regierung bisher klug durch die Finger gesehen, wenn diese dem Rechtsstandpunkt der Regierung entsprechenden Gebote übertreten wurden. Sie hatte geschehen lassen, daß kirchliche und bürgerliche Gemeinden ihre Räume den Deutschkatholiken zur Verfügung stellten; daß die Prediger deutsch-katholisch tauften, daß die protestantischen Pfarrer derartige Acte in die Kirchenbücher eintrugen, daß die deutsch-katholischen Wanderprediger überall, vor Glaubensgenossen wie vor Andersgläubigen, Reden und Andachten hielten. Nun auf einmal wurde das Alles anders, in Allem das Gebot der Regierung auf’s strengste durchgeführt. Die allgemeine Mißstimmung stieg daher um so bedenklicher, als der Rechtsstandpunkt der Regierung keineswegs unbestritten war und die aufgeklärten Protestanten des Landes überall dem Deutschkatholicismus begeistert zugejubelt, ihn nach Kräften unterstützt hatten.
Der letzte Zweifel über die kirchlichen Anschauungen der Regierung mußte aber fallen und der Trägste und Gleichgültigste auch im protestantischen Lager aus seiner Ruhe aufgerüttelt werden, als die Regierung durch ihre berufene Bekanntmachung vom 17. Juli 1845 erklärte „die Minister hielten sich durch ihren Eid verpflichtet, für Aufrechthaltung der auf die Augsburgische Confession gegründeten Kirche zu sorgen, die Einheit derselben zu wahren und dem Entstehen von Sekten in solcher vorzubeugen.“ Damit war nicht blos, wie die Regierung zunächst beabsichtigte, jenen dissidentischen und zugleich halb politischen glaubenslosen Sekten-Bestrebungen der „protestantischen Lichtfreunde“, die zu Pfingsten in Köthen eine Versammlung vieler Tausende abgehalten, und dann in Schaaren Uhlig, Wislicenus u. A. in Leipzig, Dresden und Zwickau und wo diese sonst in Sachsen sich zeigten, zu Füßen gesessen hatten, der Boden zu jeder weiteren agitatorischen Thätigkeit entzogen. Nicht nur jede Versammlung und Rede, jeder Zweigverein und jedes Preßorgan dieser Richtung konnte fortan einfach verboten werden, und wurde verboten, sondern die Juliordonnanz des Ministeriums Könneritz erklärte geradezu der damals auch in Sachsen herrschenden Richtung der protestantischen Kirche, der rationalistischen, den Krieg. Als ein Jahrzehnt vorher der Wunsch geäußert wurde, es möchte auch in Sachsen, wie in Preußen, die Union der lutherischen und reformirten Kirche vollzogen werden, durfte Großmann versichern, „dogmatisch und im Herzen sei die Schranke längst gefallen, und das Weitere möge man ruhig der Zeit überlassen.“[60] Als derselbe Großmann im Jahre 1844 versuchte, die Rosenmüller’sche Bekenntnißformel bei der Confirmation durch das apostolische Glaubensbekenntniß zu ersetzen,[185] stieß er bei einem Theil der Leipziger Geistlichkeit und in der Presse auf den heftigsten Widerstand. Namentlich machte Blum in den Vaterlandsblättern auf das Gefährliche der Neuerung aufmerksam und die Bürgerschaft wurde lebhaft erregt. Gerade dieser Vorfall brachte Allen zum Bewußtsein, was eigentlich der lutherischen Kirche fehle, eine Umgestaltung ihres seit der Reformation unentwickelt gebliebenen Verfassungslebens, die Mitwirkung der Gemeindeglieder an der innern und äußern Entwickelung der Kirche. Eben infolge dieser aufsteigenden Klarheit hatte man den Reformgedanken der Lichtfreunde sein Ohr geschenkt, und nun erklärte plötzlich das Ministerium, daß es den im Protestantismus erwachten freien Geist gewaltsam zurückdrängen wolle in die engen Fesseln eines starren Symbolglaubens, den Großmann schon vor einem Jahrzehnt für gefallen erachtete, den die große Mehrzahl der Bevölkerung und Geistlichkeit nicht mehr bekannte!
Die Gährung, welche diese Regierungsmaßregel hervorrief, war ungeheuer. An vielen Orten wurden öffentliche Versammlungen abgehalten, Proteste an das Ministerium gerichtet, offen die Anklage erhoben, die Bekanntmachung vom 17. Juli sei verfassungswidrig, da sie die in der Verfassung allen Staatsbürgern gewährleistete Gewissensfreiheit verletze. Auch dieser Agitation hat Robert Blum seine Zeit und Kraft geliehen. Namentlich gaben die Vaterlandsblätter die kluge Losung aus, die Regierung auf ihrem eigenen Gebiete zu bekämpfen, für sämmtliche Dissidenten die gesetzliche Anerkennung zu fordern und dadurch von selbst eine Aufhebung der Verordnungswillkühr der Regierung zu erzielen. Infolge dessen reichten sämmtliche Dissidenten Sachsens am 20. August 1845 ein weit umfassenderes Glaubensbekenntniß und Verfassungsstatut ein, als dasjenige der Deutschkatholiken gewesen war und baten um[186] staatliche Prüfung desselben und um Anerkennung und Ertheilung kirchlicher Corporationsrechte.
Ehe jedoch dieser letzte Schritt der Dissidenten geschah, hatte schon das bisherige Verhalten der Regierung, welche auch die allgemeine Entrüstung der Bevölkerung über die Juli-Bekanntmachung einfach ignorirte, zu einem furchtbaren Ausbruch des Volksunwillens geführt.
Seitdem das sächsische Regentenhaus, das solange der rühmlichste Vorkämpfer der Deutschen Reformation gewesen, um der unseligen Krone Polens willen, zum katholischen Glauben übergetreten war, machte das rege Mißtrauen des protestantischen Volkes stets den katholischen Hof in erster Linie verantwortlich für solche Mißgriffe der Regierung, hier namentlich für die Begünstigung der Jesuiten, die Unterdrückung der Deutsch-Katholiken. Unbegreiflicher Weise bezeichnete damals die öffentliche Stimme in erster Linie den Bruder des regierenden Königs Friedrich August, den Prinzen (und späteren König) Johann von Sachsen als Förderer der jesuitischen Umtriebe und geheimes Mitglied des Ordens. Dieser Prinz hatte die reichste humanste Bildung genossen. Als ganz jungen Mann hatte Jean Paul ihn kennen gelernt und ihm begeistertes Lob gespendet. Seine literarischen Neigungen und Studien waren weltbekannt. Er führte sein Leben am liebsten zurückgezogen, seiner Familie, seinen Studien hingegeben. Bei dem geringen Altersunterschied, der zwischen ihm und dem regierenden älteren Bruder bestand, dachte er kaum daran diesem jemals in der Regierung zu folgen. Von seinem ersten öffentlichen Auftreten an in der Sächsischen Ersten Kammer hatte er sich als scharfsinniger Jurist, als wohlwollender und aufgeklärter Menschenfreund gezeigt, der jeder schroffen Parteiung abhold war. Seine Aeußerung bei Gelegenheit des Kniebeugungsstreites zu[187] Gunsten der von den protestantischen Superintendenten verfochtenen Meinung ist schon oben erwähnt worden. Seine ganze spätere Thätigkeit als Prinz und als König hat niemals den Schatten eines Verdachtes dafür aufkommen lassen, als sei er ein religiöser Fanatiker, zugeneigt kirchlichem Hader, thätig für eine streitbare, von Grund aus unsittliche Ordensgewalt. Aber wann wird jemals die Vernunft erfolgreich rechten mit vorgefaßten Meinungen des Volksglaubens? Genug, daß der Prinz im Jahre 1845 allgemein als Träger der ultramontanen Bestrebungen in Sachsen, als die festeste Stütze der reactionären kirchlichen Politik der Regierung überhaupt galt. Es fehlte nur der äußere Anlaß, um dieser Mißstimmung in grellen Dissonanzen Ausdruck zu verschaffen. Dieser Anlaß sollte sich leider finden.[61]
Prinz Johann war General-Commandant der Communalgarden des Königreichs Sachsen. In dieser Eigenschaft kam der Prinz am 12. August Nachmittags nach Leipzig, stieg im Hôtel de Prusse ab und begab sich sofort nach dem Exercierplatz bei Gohlis zur Abnahme der Revüe über die Communalgarden. Sein Gruß wurde von den Mannschaften nur lau erwiedert. Die Uebungen der Bürgerwehr selbst dagegen wurden zur Zufriedenheit des Prinzen ausgeführt; das Verhalten der Truppen bis zur Beendigung der Revüe war tadelfrei. In das am Schlusse derselben vom Commandanten Dr. Haase ausgebrachte Hoch auf den Prinzen wurde abermals nur matt und lau eingestimmt und die Musik fiel in den Tusch nicht ein, weil sie über dem Schreien und Pfeifen der Menge, welche sich um die Truppe drängte, das Hoch der Garde nicht hörte und den Commandanten nicht sah. Diesen ärgerlichen Zufall legte die skandalsüchtige Menge als absichtliche Demonstration gegen den Prinzen aus und steigerte ihr lärmendes und feindselig-höhnendes Pfeifen und Schreien, bis der Prinz mit seiner Suite in die Stadt nach der Kaserne der Pleißenburg ritt. Auf dem Wege dahin umdrängten Straßenbuben den Prinzen; viele Neugierige folgten ihm, als er kurze Zeit nachher mit seiner Suite zu Fuß von der Kaserne nach seinem Hôtel sich begab. Irgend ein Exceß fand dabei nicht statt.[62]
Während der Prinz in dem Hauptgebäude des Hôtel’s, das nach dem Roßplatz und den Promenaden Ausblick gewährt, in der ersten Etage die Spitzen der Behörden um sich versammelte und sich wiederholt lobend über Leistung und Haltung der Communalgarde[189] aussprach, hatten sich, wie gewöhnlich, Neugierige vor dem Hôtel versammelt. Heimkehrende Arbeiter kamen hinzu. Doch war die Zahl der Menge nicht bedeutend. Vereinzeltes Pfeifen und Schreien hörte man aus der Menge, die sich unruhig und bewegt zeigte. Vor dem Hôtel stand ein Doppelposten der Schützen.
Kurz vor neun Uhr Abends setzte sich der Prinz mit den Spitzen der Behörden im Hofsaal (Gartensalon) des Hôtels zur Tafel. Dieser Saal läuft parallel mit dem Hauptgebäude und ist von diesem durch einen Hof von etwa dreißig Meter Tiefe getrennt. Man hörte hier anfänglich nichts mehr von dem Geräusch auf dem Platze. Vor viertel zehn Uhr Nachts erschien der große Zapfenstreich der Communalgarde vor dem Hôtel mit einem Theil der Wachmannschaft und mit diesem eine große, heftig bewegte Volksmenge, welche so laut schrie, pfiff und tobte, daß man die Musik fast nicht hören konnte. Nach wenigen Minuten schon zog die Musik, auf Anweisung des Commandanten Dr. Haase, ab. Man glaubte, die unruhige Menge werde sich mit der Musik verziehen. Aber man irrte. Die Menge blieb auf dem Roßplatz und ihre Aufregung wuchs immer mehr. Rufe: „Es lebe Rouge, Czerski! Nieder mit den Jesuiten!“ wurden laut. Plötzlich stimmte die gesammte Menge, die Kopf an Kopf vom Hôtel bis in die Promenaden, die sog. Lerchenallee hineinstand, das ernste Trost- und Schlachtlied der Reformation an: „Ein’ feste Burg ist unser Gott“. Alle Strophen des Liedes wurden gesungen. Dann folgten andre Lieder: „Ein freies Leben führen wir“, „Gute Nacht, gute Nacht“ u. s. w., gewöhnliche Gassenhauer. Gelächter, Toben, Schreien, Pfeifen, gemeine Schimpfworte, die offenbar dem Prinzen galten, füllten die Kunstpausen aus.
Es war halb zehn Uhr geworden; der Prinz hatte die[190] Tafel aufgehoben und unterhielt sich im Gartensalon mit seinen Gästen. Das Geschrei vom Platze war nun auch im Gartensalon hörbar. Der Prinz fragte einen der Anwesenden: „Was ist das?“ worauf dieser mit traurigem Byzantinismus erwiederte: „Es wird ein Vivat sein, das man Ew. Kgl. Hoheit bringt, ein Hurrah.“[63]
Schon bei Tafel hatten einige Bataillonscommandanten der Communalgarde, Dr. Osterloh und v. Canig, den Commandanten Dr. Haase durch Zeichen darauf aufmerksam gemacht, daß es wohl nöthig sei, Generalmarsch schlagen zu lassen, um den Platz durch die Communalgarde zu säubern. Diese Herren wiederholten dieselbe Vorstellung nach Aufhebung der Tafel nachdrücklich, da unterdessen der Tumult vor dem Hôtel einen wesentlich ruchloseren Charakter angenommen hatte. Der Pöbel nämlich, des Singens und Brüllens müde, und keineswegs gewillt, in der milden Augustnacht schon nach Hause zu gehen, hatte Massen von Steinen nach der vorderen Fensterfront des Hôtels geschleudert. Durch einen dieser Steine ward sogar aus dem Gitter des Balkons der ersten Etage ein Stück Eisen von drei Viertel Ellen Länge herausgeschlagen. Mehrere Steine flogen in die Hausflur des Hauptgebäudes und selbst bis in den hinter demselben gelegenen Hof. Doch fand weder gegen den Doppelposten vor dem Hôtel, noch gegen die Chaine der Polizeimannschaften, die vor dem Hôtel noch einen kleinen Platz frei hielt, irgend ein persönlicher Angriff statt. Wenn irgend einer der bei dem Prinzen versammelten Würdenträger eine Ansprache an die erregte Menge gehalten hätte, so wäre gewiß weiteres Unheil vermieden, der bei weitem größte, blos aus neugierigen Zuschauern bestehende Theil der versammelten Menge[191] zum Nachhausegehen bewogen worden. Dazu fehlte es aber allen Anwesenden, und nicht am wenigsten den königlichen Beamten, an persönlichem Muth. Der Commandant der Communalgarde, Dr. Haase, hatte nicht einmal den Muth, Generalmarsch schlagen zu lassen. Auf die Vorstellungen seiner Offiziere sowie des Regierungsrathes Ackermann von der Kreisdirection und der Offiziere der Garnison entschloß er sich vielmehr nach langem Zaudern endlich nur dazu, den Hauptmann Dr. med. Heyner nach der Hauptwache auf den Naschmarkt zu entsenden, um diese herbeizuholen. Es war dies kurz nach halb zehn Uhr. Dr. Heyner seinerseits getraute sich Anfangs nicht durch die Menge über den Roßplatz und verlor kostbare Minuten, um den Schlüssel zur Gartenthüre zu suchen. Als dies nicht gelang, eilte er zum Hauptthor des Hôtels hinaus, verkündete mit seiner überaus kräftigen Stimme, daß er die Hauptwache hole und schritt in voller Uniform unbehelligt durch die Menge. Beweis genug, daß von wirklich gefährlichen Absichten und vollends von einem planmäßigen Vorhaben der Massen gegen die Sicherheit und das Leben des Prinzen gar keine Rede sein konnte.
Gleichwohl wartete man im Hôtel keineswegs die Rückkehr des Dr. Heyner ab. Der Weg nach dem Naschmarkt und zurück konnte frühestens in fünfzehn Minuten zurückgelegt werden. Aber schon zehn Minuten, nachdem der Befehl zur Herbeiholung der Wachmannschaft an Dr. Heyner ertheilt worden war, erhielt der Oberstlieutenant von Süßmilch auf Andringen des Regierungsraths Ackermann, und ohne daß die anwesenden Vertreter der Gemeinde, denen zunächst die Bestimmung über die zur Aufrechterhaltung der Ruhe und Ordnung anzuwendenden Mittel obgelegen hätte, auch nur befragt worden wären, durch den Obersten von Buttlar den Befehl, ein Bataillon Schützen[192] aus der Kaserne herbeizuholen. Dieser Schritt ist nur dann vollkommen erklärlich, wenn man die Communalgarde überhaupt nicht zur Wiederherstellung der Ordnung verwenden wollte, wie auch später der Kriegsminister v. Nostiz-Wallwitz offen vor der zweiten Kammer eingestand![64] Diese Absicht wurde auch sofort klar durch die Behandlung, welche die Communalgarde nun erfuhr. Fünf Minuten nach zehn Uhr treffen die Schützen unter Führung Süßmilch’s — den die Menge gleichfalls in voller Uniform unbehelligt nach der Kaserne zu hatte passiren lassen — im Sturmschritt ein und stellen sich hakenförmig vor dem Hôtel auf. Zwei Minuten später trifft die Hauptwache der Communalgarde unter Dr. Heyner ein, über vierzig Mann stark, und wird von den Offizieren der Schützen verächtlich bei Seite geschoben und Gewehr bei Fuß außer Dienst unter den Akazien des benachbarten „Kurprinzen“ aufgestellt, die Front in der Verlängerung des Schrötergäßchens, fast im rechten Winkel zur Stellung der Schützen. Oberstlieutenant v. Süßmilch ruft dem Hauptmann Dr. Heyner gebietend zu: „Sie sind nicht mehr nöthig, gehen Sie zurück. Stellen Sie sich aus der Schußlinie, stellen Sie sich hierher.“ Mehrere Gardisten haben später zu Protokoll erklärt, daß auch Oberst v. Buttlar geäußert habe: „Es wird geschossen werden, hier können Sie nicht stehen bleiben“[65]; v. Buttlar hat diese Aeußerung in Abrede gestellt. Jedenfalls ist die Communalgarde absichtlich zur Zerstreuung der Menge nicht verwendet und in der ungebührlichsten Weise zur Rolle eines müßigen Zuschauers der nun folgenden schweren Katastrophe verurtheilt worden. Die Verwendung von Militair, bevor[193] die Communalgarde zur Herstellung der Ruhe wirklich verwendet worden, war geradezu ungesetzlich.
In wenig Minuten hatten die Schützen, Gewehr in Arm, ohne Anwendung des Bayonettes, den ganzen Platz gesäubert. Die ganze große Masse war in die enge Lerchenallee und den dahinter laufenden Fahrweg zurückgewichen und hier zusammengedrängt und strömte ab, so schnell das im dichten Gewühl bei dem engen Raum anging. Die Schützen wichen nun wieder in ihre vorige Stellung zurück. Der Platz blieb frei. Nur einige verwegene Buben, nach allen Berichten blutjunge Menschen, übersprangen die Barrièren der Allee, liefen auf das Militair zu, schimpften und warfen mit Steinen. Deßhalb wurde, unter dem Vorantritt der Polizeimannschaft, der Lieutenant Vollborn mit einem Peloton Schützen beordert bei Thaer’s Denkmal in die Lerchenallee einzurücken und die Menge aus dieser zu vertreiben. Er drang da in der linken Flanke der Masse ein, und auch hier wich diese, von einzelnen Steinwürfen Nichtswürdiger abgesehen, widerstandslos zurück, wie sämmtliche abgehörte Polizeimannschaften bekunden. Wegen des dichten Gedränges konnten die Menschen nicht schneller weichen. Jedenfalls war nun längst jeder Schatten von Besorgniß für die Sicherheit des Prinzen und seiner Leute, namentlich auch der Truppe, zerstreut.
Da krachen mit einem Mal zahlreiche Schüsse durch die stille Nacht; v. Süßmilch und Lieutenant v. Abendroth lassen vom Hôtel her über den Platz in die Front der abströmenden Menge feuern, Lieutenant Vollborn läßt seine Leute in Flanke und Rücken der Massen Rottenfeuer geben. Nach Versicherung dieser drei Offiziere und einiger ihnen nahe Stehender war dem Schießen eine Aufforderung an die Menge zum Auseinandergehen vorangegangen. Sehr viele Andere aber, die[194] dicht bei den genannten Offizieren standen, haben von dieser Aufforderung nichts vernommen. Von der Menge, an die sie gerichtet gewesen sein soll, hat jedenfalls nicht ein Einziger diese Aufforderung hören können.
Die Wirkung des Feuers war furchtbar. Auf dem Roßplatz, zu dessen Säuberung das Militair lediglich herbeigeeilt war, lag nur ein einziger Erschossener — der Polizeidiener Arland. In Erfüllung seiner Pflicht hatte ihn die im Namen der Ordnung entsendete Kugel hingerafft. Alle übrigen Todten und Verwundeten waren in den Promenaden und sogar am Eingang der Universitätsstraße — etwa drei Minuten vom Roßplatz entfernt — von dem mörderischen Blei getroffen worden. Die Meisten hatten die Todeswunde im Rücken, zum Beweise dafür, daß sie auf dem Nachhausewege, unschuldig, getödtet worden waren. Am Arm seiner Braut fiel der Postsecretair Priem, nahe bei ihm der Postsecretair Jehn; wenige Schritte von seiner Wohnung der bejahrte Privatgelehrte Nordmann; zwei gesetzte Männer, der Markthelfer Kleeberg und der Schriftsetzer Müller, und ein vielversprechender Jüngling aus gutem Bürgerhause, der Handlungscommis Freygang, lagen todt in ihrem Blute. Die Verwundeten füllten die Krankenhäuser der Stadt.[66] Es war halb elf Uhr Nachts; seit dem Erscheinen des Militairs waren kaum zehn Minuten verflossen![67]
Die Aufregung, welche die Kunde dieses grauenvollen Vorfalles in der Stadt erzeugte, war ungeheuer. Das Entsetzen und die gerechteste Entrüstung Tausender begleitete die Bahren der Erschossenen und Verwundeten.
Am bezeichnendsten für das Urtheil der Zeitgenossen über die That, ist die Darstellung der gelesensten und maßvollsten politischen Zeitschrift jener Tage. „Die Grenzboten“ schrieben: „Ein plötzliches Commando befahl „Feuer!“ Die Schützen schossen unter die promenirende Menge! Keine Aufforderung, keine directe Drohung hatte die zum allergrößten Theile aus Neugierigen, darunter Weiber und Kinder, bestehende Masse ahnen lassen, daß zu diesem fürchterlichen, alleräußersten, nur in Momenten eines Bürgerkrieges oder einer Revolution zu entschuldigenden Mittel gegriffen werden könnte. Dieses bezeugen Hunderte von Zuschauern mit dem heiligsten Eide. Kein Anstürmen, keine Beleidigung eines Soldaten hatte dieses unheilvolle Commando nöthig gemacht. Ja selbst im Falle eines Vordringens war das in Reih und Glied stehende, mit Bajonetten und Munition versehene Militair dem gänzlich unbewaffneten, ungeordneten, führerlosen Haufen unendlich überlegen“.
Die Studenten erbrachen den Fechtboden und rotteten sich zusammen, um die Schützen und deren Kaserne anzugreifen. Ihnen und Hunderten Gleichgesinnter tritt die Communalgarde entgegen, die endlich um Mitternacht durch Generalmarsch unter die Waffen gerufen wird, und ruhig und mühelos, ohne Waffengewalt, die von neuem und in weit gefährlicherer Stimmung auf dem Roßplatz sich sammelnde Menge zerstreut. Auch dahin war sie mit Hohn entsendet worden. Als die Garde verlangte, selbst die Wache vor dem Hôtel des Prinzen zu übernehmen, erwiderte Oberst von Buttlar: „daß er unter keinen Verhältnissen seinen Platz verändere, und so lange Se. Kgl. Hoheit im Orte wären, das Militair von seinem Stande nicht abgehen lassen werde, auch daß er von Niemandem, selbst nicht von Se. Kgl. Hoheit, Befehle annehmen könne, übrigens für die Communalgarde, wenn sie, wie ihr zustehe, Excedenten[196] arretiren wolle, Gelegenheit genug zum Einschreiten sich darbiete.“[68]
Von Verwünschungen und Steinwürfen verfolgt, enteilte am Morgen des 13. August auf Seitenwegen der an dem Gemetzel völlig schuldlose Prinz, von reitender Communalgarde geleitet, aus der Stadt. Er hatte keine Ahnung davon gehabt, welche Katastrophe der Uebereifer seiner Getreuen vorbereite, bis das Entsetzliche geschehen war. Und dennoch glaubte am Morgen des 13. August ganz Leipzig, der Prinz sei der Urheber des Feuerns gewesen. Ja, nicht ein Einziger von allen Denen, die diesem traurigen Gerücht hätten entgegentreten können, die mit dem Prinzen zu Tische gesessen, die mit ihm gesprochen bis zur Katastrophe und bezeugen konnten, daß er durch das Feuern auf’s Höchste überrascht und bestürzt gewesen, nicht Einer von ihnen, außer dem mannhaften Rector der Universität, dem Domherrn Dr. Günther, hatte den Muth, der Wahrheit die Ehre zu geben.
Völlig gelähmt durch den Schrecken über das ungeheure Ereigniß waren der Rath, die königlichen Behörden, selbst das Militärcommando. Der Rath, an dessen Spitze der unfähige Bürgermeister Groß stand, erließ eine der wunderbarsten Offenbarungen seiner Weisheit. „Gewiß hat jeder wohlgesinnte Bürger und Einwohner unserer Stadt den größten Unwillen und tiefsten Schmerz über die beklagenswerthen Ereignisse empfunden, welche in der vergangenen Nacht stattgefunden haben.“ Und „zur Aufrechterhaltung der auf so traurige Weise gestörten Ordnung“ verordnete der Rath „zu diesem Entzweck (!): 1) Alle Lehrherren und Meister, sowie alle Eltern unerwachsener (!) Kinder werden dringend aufgefordert, ihre Lehrlinge[197] und Kinder von acht Uhr Abends an zu Hause zu behalten und bei eigener Verantwortung ihnen das Ausgehen nicht weiter zu gestatten. 2) Alle Hausthüren sind von 9 Uhr an geschlossen zu halten. 3) Alle Personen, welche nach dieser Zeit in größeren Truppen (!) auf der Straße sich treffen lassen, haben auf erfolgte Bedeutung der Patrouillen der Communalgarde sofort auseinanderzugehen. 4) Der Aufenthalt in öffentlichen Schankstätten ist Gästen nur bis 9 Uhr zu gestatten“ u. s. w. Gleichzeitig eröffnete der Rath, der durch diesen Ukas nur noch mehr verstimmten Bürgerschaft: „Der zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe und Sicherheit allhier erforderliche Dienst der bewaffneten Macht ist ausschließend (!) der hiesigen Communalgarde, der sich zu diesem Zwecke die Herren Studirenden auf das Bereitwilligste angeschlossen haben, übergeben worden.“
Nichts bezeichnet wohl so sehr die Rathlosigkeit des Rathes und der königl. Behörden, als daß man — und zwar mit Vorwissen der Königl. Kreisdirection — „die Herren Studirenden,“ die noch vor wenigen Stunden die bewaffnete Macht attakiren wollten, zu Hütern der Ordnung einsetzte; und es war daher den Musensöhnen durchaus nicht zu verargen, daß sie, einmal zu einer Art Leipziger Vorsehung erhoben, sich sofort anschickten ihre Rolle würdevoll zu spielen. Sie ließen an allen Straßenecken eine Einladung zu einer Versammlung der Studirenden, die im Schützenhause Nachmittags zwei Uhr stattfinden sollte, anschlagen. Hier fanden sich etwa siebenhundert Studirende und etwa dreimal so viel Bürger ein.[69] Wild wogten die Leidenschaften in der großen Versammlung. Den lebhaftesten Beifall ernteten die extremsten Vorschläge.[198] Immer höher stieg die Hitze des Zorns, immer verwirrter wurden die Vorschläge, die Anträge, immer unheimlicher ward der Ruf nach Sühne und Vergeltung; endlich ward das Verlangen nach Rache um jeden Preis der herrschende Grundton der Stimmung dieser Versammlung. Wenn die wildeste Meinung siegte und dann die entfesselten Tausende, die studirenden Hüter der Ordnung an der Spitze, fraternisirend mit der durch Militair und königl. Behörden tief gekränkten Communalgarde, sich durch die Stadt ergossen, Rache heischend und suchend — was dann? Seit dem Tage, da der fliehende Napoleon am Ende der Völkerschlacht seinen Myrmidonen in Leipzig den Befehl hinterlassen, die Stadt nur als rauchenden Trümmerhaufen dem einziehenden Sieger zu überliefern, hatte die Stadt nicht mehr in so ernster Gefahr geschwebt, als heute.
Da trat, „von seinen Freunden auf die Tribüne gedrängt, und von der Versammlung mit dem lautesten Beifall begrüßt,“[70] Robert Blum als Redner auf. Er war in Geschäften die vorhergehenden Tage verreist gewesen und hatte eben erst am Bahnhof die Schreckenskunde des Geschehenen vernommen. Sofort war er in die Volksversammlung des Schützenhauses geeilt. Sein Wort zündete wie kein anderes zuvor; begeistert hingen die erregten Tausende an seinem Munde, obwohl er, der erste unter allen Rednern, die Nothwendigkeit betonte, nur auf gesetzlichem Boden das Verlangen nach Sühne geltend zu machen. Hier feierte die mächtige Redegabe, der klare Blick und die maßvolle Persönlichkeit des Mannes unstreitig den größten Triumph seines Lebens. Er hat später noch stolzere, größere Tage gesehen, an denen die erwählten Vertreter ganz Deutschlands mit derselben Spannung seinen Worten lauschten,[199] wie hier die mandatlosen Bürger einer erregten Stadt. Aber einen schöneren, größeren Erfolg hat er seinem Talent und Character kaum jemals verdankt, als an diesem Tage. Ich will nicht leugnen, daß jenes Urtheil viel Wahres enthält, das die Geschichtsschreiber dieser Zeit über ihn fällen und über sein Auftreten in dieser Stunde, „da jener merkwürdige Mann, der von da an eine so bedeutsame Rolle in der Geschichte Sachsens, ja Deutschlands spielen sollte, in den Vordergrund der politischen Schaubühne trat, schon hier die ihm eigene Virtuosität bekundend, die Unruhe wollend, die Ruhe zu predigen.“[71] Hat er doch selbst am 3. November 1845 an Johann Jacoby geschrieben: „Wohl kann ich mit Schillers Jungfrau sagen: „ach, es war nicht meine Wahl,“ daß ich ein miserables Piano anstimmte, wo Zeit und Umstände, Hoffnungen und Aussichten, Gegenwart und Zukunft ein Fortissimo gebieterisch forderten.“ Aber ist es nicht gerade diese richtige Erkenntniß der Sachlage, die Unterordnung individueller Anschauungen unter die Umstände, Kräfte und Menschen, mit denen im Augenblick zu rechnen ist, um nur einen Durchschnittserfolg anzustreben und zu erzielen, sind das nicht die Eigenschaften, welche den Staatsmann zum Staatsmann machen? Und war es nicht eine wirklich staatsmännische Leistung, daß Robert Blum, vielleicht der radicalste und unerschrockenste Geist der ganzen großen Versammlung, das große Wort gelassen aussprach, das Alle um ihn vereinte: daß auf dem Boden des Gesetzes die Sühne für das vergossene Blut gefordert und gewährt werden müsse? Wer endlich gab ihm das Recht und die Macht, in dieser Stunde und dann noch beinahe eine volle Woche hindurch als leitender Führer der ganzen Bürgerschaft aufzutreten? Abermals doch nur sein gesunder, maßvoller Sinn und die völlige[200] Rathlosigkeit aller Behörden. In diesem Urtheil treffen alle zeitgenössischen Quellen überein, auch solche, wie die D. Allg. Z.,[72] welche keineswegs denselben politischen Standpunkt mit Blum theilten. Sie sagt, er habe „in längerer Rede auseinandergesetzt, daß nur in dem Boden des Gesetzes und der Ordnung die Stärke der Versammlung und die Nothwendigkeit einer Genugthuung ruhe; aber nur durch die ebenso entschiedene als gesetzliche Haltung des Volkes könne diese erreicht werden. Er schlug einen Zug — feierlich, ernst und still wie ein Leichenzug, denn es gelte ja eben die Sühne geliebter Todter, nach dem Markte vor, und dort solle die ganze Versammlung die Antwort des Stadtraths erwarten. Dieser Vorschlag wurde sofort angenommen, Herr Blum durch Acclamation dem Ausschuß einverleibt und man setzte sich in Bewegung. Der Zug war würdevoll und imposant, die Masse so gewachsen, daß der Anfang sich mitten auf dem Markte befand, als das Ende erst die Post erreicht hatte, kein Laut störte denselben, und es ist unmöglich, Menschen in ruhigerer Haltung zu einer so ernsten und aufregenden Mission wandern zu sehen. Auf dem Wege sendete der Commandant (!) der Communalgarde einige Gardisten an die Führer (!), die Mitwirkung (!) der Versammlung für die Erhaltung der Ruhe in Anspruch zu nehmen und erhielt beruhigende Versicherungen. Als die Versammlung auf dem Markte angelangt war, ermahnte Herr Blum nochmals zur Ruhe und Ordnung und Aufrechterhaltung der wahrhaften Majestät dieser Volksversammlung[73], worauf sich der Ausschuß auf das Rathhaus[201] begab.“ Ruhig wartet drunten die auf etwa zehntausend Köpfe angewachsene Versammlung.
Endlich erscheint Blum wieder an der Spitze der Deputation, umgeben von den anwesenden Mitgliedern des Stadtrathes — der Rath war in solcher Stunde nicht einmal vollzählig beisammen! — und verkündet den harrenden Tausenden von dem Balcon des Rathhauses herab, daß der Rath die Beschlüsse der Schützenhausversammlung genehmigt habe. Im Grunde hatte Blum diese Beschlüsse den anwesenden Rathsmitgliedern einfach dictirt und die Versicherung dieser Rathsherren, daß der Stadtrath „diese Anträge theilweise schon in den Vormittagsstunden beschlossen habe“ und daß der andere noch nicht beschlossene Theil derselben „ohne Zweifel die Zustimmung des Rathscollegiums erhalten werde,“[74] war ebenso bezeichnend für das Würdegefühl dieser Herren, als die Thatsache, daß der Rath nun nicht einmal selbst diese erfreuliche Uebereinstimmung mit den Wünschen des „Volkes“ verkündete, sondern in seinem Namen Blum dies thun ließ! Eine Lithographie hat uns ein Bild der merkwürdigen Scene erhalten. Blum steht inmitten der Deputation und des Rathes auf dem Balcon und redet. Unten jubelt die Menge. Die Rathhausuhr zeigt auf vier Uhr Nachmittags. —
Die Bedingungen welche der Rath der erregten Bürgerschaft zugestanden hatte, waren: „1. Daß die Aufrechterhaltung der Ruhe und Ordnung in der Stadt ausschließlich der Communalgarde überlassen werde. 2. Daß das Militair aus der Stadt entfernt werde und ein Garnisonwechsel stattfinde. 3. Daß eine strenge Untersuchung über die Vorfälle am 12. August eingeleitet und zwar nicht nur gegen die Tumultuanten, sondern[202] gegen Alle, welche bei jenem beklagenswerthen Ereigniß ihre Pflicht nicht gethan oder überschritten haben.“ u. s. w. Die letzte Bedingung war die feierliche Beerdigung der Erschossenen.[75] Das Organ des besonnenen Fortschritts in Leipzig, die D. Allg. Ztg., schließt ihren Bericht über diese unglaubliche Erniedrigung des Rathes mit den Worten: „Wahrlich, diese imposante Volksversammlung, ihre Haltung und Würde, ihr Sinn für Ordnung und Gesetzlichkeit unter so aufregenden Umständen, gibt den Bewohnern Leipzigs das ehrenvollste Zeugniß.“
Am nächsten Tage legte dann, beiläufig bemerkt, noch der Commandant der Garnison, Herr Oberst von Buttlar, das glänzendste Zeugniß ab für die Rathlosigkeit, in der er selbst sich den Ereignissen gegenüber befand. Auch er empfing eine Deputation der Schützenhausversammlung, welche ihm „die Bitte und den Wunsch aussprach, er möge die geeigneten Maßregeln treffen, daß an dem Tage der Beerdigung sich kein Schütze in den Straßen sehen lasse (!), damit bei der zu erwartenden größeren Aufregung der Gemüther die traurige Feierlichkeit in keiner Weise gestört (!) werde. Oberst v. Buttlar erklärte, daß er bereit sei, den Wunsch der Versammlung zu erfüllen, auch dazu bereits die nöthigen Einleitungen getroffen habe“ — gerade wie der Rath Tags zuvor! Noch fügte er hinzu: „die versammelten Bürger möchten aber auch bedenken, daß die Schützen ihre Pflicht hätten erfüllen und gehorchen müssen; die Bürger möchten ihre Vorwürfe auf den werfen, der den Befehl gegeben habe.“[76]
Auf den 13. August Nachmittags 5 Uhr hatte der Vorsteher der Stadtverordneten, App. R. Dr. Haase das Collegium zu einer Sitzung berufen. Hier wurde eine Adresse an den König beschlossen, in der folgende Stelle vorkam: „Unser Schmerz wird noch dadurch vermehrt, daß, um die gestörte Ruhe wieder herzustellen, nicht die eigene Kraft unserer Stadt, unsere Communalgarde, in Anspruch genommen worden ist, welche, folgen wir der allgemeinen Stimme, nach der Revue nicht entlassen oder doch nach dieser zeitiger herbeigerufen, treu ihrer Pflicht, nichts verabsäumt haben würde, das blutige Unglück abzuwenden, das uns Alle mit gerechter Trauer erfüllt. Wir bitten Ew. Königl. Majestät ehrfurchtsvoll um eine strenge Untersuchung gegen Alle, welche bei diesen Ereignissen, von welcher Seite es sei, betheiligt sind.“ In der Sitzung selbst fielen Anklagen, die direct auf den Prinzen zielten. In der vom Stadtrath gleichzeitig beschlossenen Adresse heißt es: „Mit uns beklagen alle loyalen Bürger Leipzigs die verhängnißvollen Ursachen dieses Unglücks, deren weitere Ermittelung auf dem Wege des Rechts gewiß erfolgen wird.“ Die Adreßdeputation des Rathes und der Stadtverordneten reiste am vierzehnten August nach Dresden und kehrte bereits am Abend des nämlichen Tages nach Leipzig zurück. Am Ausgang des Bahnhofes wurde sie erwartet von einer Deputation der Schützenhausversammlung, die bereits Tags zuvor sich neben den legitimen Behörden der Stadt gleichsam als Sicherheitsausschuß etablirt hatte. Die städtische Deputation fand keine Demüthigung, keine Incorrectheit darin, daß sie, unmittelbar von den Stufen des Thrones zurückgekehrt, der Aufforderung dieser Schützenhausdelegirten folgte und der mandatlosen Volksmenge im Schützenhause den Bescheid des Landesvaters verkündete. Dieser Bescheid war wenig trostreich. Wohl war der König, wie die Deputation[204] versicherte „bis zu Thränen gerührt und tief ergriffen.“ Aber er erklärte auch: „Er fühle sich um so schmerzlicher berührt, als mit den in den Adressen enthaltenen Aeußerungen, sofort Anträge verbunden worden wären, aus welchen ein Mißtrauen (?) hervorzugehen scheine.“ „Weiteren Resolutionen haben wir entgegen zu sehen,“ schloß die städtische Deputation ihren Bericht.
Die große Schützenhausversammlung war zu sehr mit den Vorbereitungen zum feierlichen Leichenbegängniß der Erschossenen beschäftigt, das am 15. August früh stattfinden sollte, um die zweideutige Antwort des Königs eingehend zu erwägen. Daß der Stadt alle Gerechtigkeit versagt werden könne, mochte ohnehin damals noch Niemand glauben. Das Begräbniß der Erschossenen wurde begangen von der ganzen Stadt als der denkbar imposanteste Volkstraueract. Selbst Dr. Großmann, der die Weiherede hielt, sprach an den offenen Gräbern die bedeutungsvollen Worte: „Wer wagt’s, den Empfindungen der Bewohner einer Stadt Sprache zu leihen, die sich mitten im tiefsten Frieden in eine Wahlstatt verwandelt sieht? Wer ist im Stande, den Abgrund der Gefahren zu beschreiben, die über das ganze Vaterland aus den Ereignissen dieser Tage heraufziehen? Denn die Feinde unserer Kirche, unserer Verfassung, unserer bürgerlichen Freiheit, unserer Wohlfahrt, gewiß sie werden die traurige Veranlassung dieses traurigen Leichenzuges auf alle Weise auszubeuten bemüht sein und Alles aufbieten, um das Vertrauen zwischen König und Volk zu erschüttern, um Samen der Zwietracht auszustreuen, um wo möglich peinliche und schreckliche Maßregeln hervorzurufen.“ Und später in der Ersten Kammer sagte er: „Ich habe die schauervolle Stunde erlebt, am 15. August vor den sechs Särgen[77] zu stehen, aber[205] ich habe nicht verhehlt, daß der Fluch der Sünde auch Unschuldige oft in den Strom des Verderbens hinabzieht.“ In schweren Worten sprachen Dulk, Dr. Zille, Dr. W. Jordan am Grabe, am eindringlichsten und mächtigsten Robert Blum. Daß volle Sühne für die grauenhafte That sicher werde geboten werden, geboten werden müsse, vermöge allein über das Entsetzliche in etwas zu trösten.
Die nächsten Tage enthüllten schon den Standpunkt der Regierung. Am 14. August war Minister v. Falkenstein mit einem Extrazug nach Leipzig gekommen und als er die Ueberzeugung gewonnen, daß die Ruhe der Stadt keineswegs gefährdet sei, man also auch schroff auftreten könne, reiste er getrost auf demselben Wege sofort wieder nach Dresden zurück. Sonderbarerweise brachte noch an demselben 14. August die ministerielle „Leipziger Zeitung“ eine „Privatmittheilung“ über die blutige Nacht, in welcher auf das Perfideste nicht geradezu behauptet, aber doch angedeutet wurde, das Militair sei erst aufgeboten worden und eingeschritten, nachdem die Communalgarde die Unruhe nicht zu stillen vermocht habe. Biedermann wies in seinem „Herold“ diese wissentlich falsche Beschuldigung des Königl. Blattes mit der gebührenden Energie zurück. Am dritten Tage nach der blutigen Nacht, am 15. Aug. hatte der Kriegsminister, wie er später vor der zweiten Kammer bekannte, bereits die Berichte seiner unfehlbaren Officiere in Händen, welche ihm „die Mittel an die Hand gaben, die Sache beurtheilen zu können“, d. h. ihn getrost den Versuch wagen ließen, dem Verlangen der treuen Stadt nach Untersuchung und Sühne die eiserne Stirn zu bieten. Demgemäß wurde in Dresden gehandelt.
In einer der nächsten Nächte weckte Robert Blum die Gattin mit geheimnißvoller Miene und führte sie an das[206] Fenster seines hochgelegenen Arbeitszimmers. Der Mond bestrahlte fast tageshell das Gleis der Dresdner Bahn, die am Garten des Hauses vorüberführte. Leise, ohne ein Wort zu sagen, deutete er auf die Züge, die hier einer hinter dem andern herankeuchten, ohne Pfiff, ohne Signal; die dicht vor dem Garten Halt machten, ohne in den Bahnhof einzufahren. In den Wagen flimmerte und klirrte es von Waffen; Pferde hörte man stampfen und wiehern; dann kurze Commando’s, schwarze Massen mit funkelnden Waffen in Reihen aufmarschirt, Infanterie, Cavallerie, Artillerie; dann immer entfernter klingender Taktschritt der Truppen. Am Morgen war Leipzig von einer erdrückenden Militairmacht besetzt, behandelt wie eine eroberte Stadt. Im Schloßhof standen Kanonen aufgefahren.
Unter dieser kriegerischen Machtentfaltung hielt der Königliche außerordentliche Commissar Geheimrath v. Langenn am 16. August seinen Einzug in die Stadt; der Mann, der Sühne und Gerechtigkeit bringen sollte und von dem die Stadt sie vertrauensvoll erwartete, da er damals noch nicht für immer gerichtet war durch die Todtengräberarbeit, die er später an dem Mecklenburgischen Verfassungsrecht durch den Freienwalder Schiedsspruch vollzog. Sein erstes Auftreten in Leipzig zeigte freilich sofort, wessen man von diesem Herrn sich zu versehen hatte. Noch konnte die Regierung nur die Berichte ihrer Creaturen über die unglückseligen Ereignisse besitzen. Kein Zeuge der That, kein Mitglied einer städtischen Behörde, einschließlich der Communalgarde, war noch vernommen. Und gleichwohl trat dieser Mann vor die von ihm versammelten Gemeindevertreter und erklärte in der hochfahrendsten, schroffsten Weise: „Die Regierung wird die von ihren Organen ergriffenen Maßregeln vertreten; zu irgend einer Discussion hierüber bin ich nicht beauftragt.“ Der Schluß seiner Worte aber lautete:[207] „Die bewaffnete Macht hat also den bestehenden Gesetzen nach gehandelt!“ Und gleichzeitig verlas der Königliche Commissar den erstaunten Gemeindevertretern die schriftliche Antwort des Königs auf die Leipziger Adressen. Falkenstein hatte sie contrasignirt.
Sie war herb und streng gehalten. Nachdem von dem „unwürdigen Frevel“ eingehend die Rede gewesen, dessen „Schauplatz das vielfach gesegnete und blühende Leipzig“ gewesen, lauteten die einzigen Sühne — aber welche Sühne! — verheißenden Zeilen wörtlich also: „Strenge Untersuchung der stattgefundenen Unordnungen und eine unbefangene Betrachtung des Verfahrens der Behörden wird Licht über das Ganze verbreiten[78] ... so daß es hoffentlich nicht ernsterer Maßregeln bedürfen wird, um dem Gesetze seine Geltung zu verschaffen. Aber mit tiefem Schmerze muß ich es aussprechen: Wankend geworden ist mein Vertrauen zu einer Stadt, in deren Mitte (?!) auch nur der Gedanke einer solchen Handlung entstehen, unter deren Augen (?) er ausgeführt werden konnte.“
Mit diesen Eröffnungen war die Richtung der Erörterungen klar bezeichnet, welche die Regierung über die furchtbaren Ereignisse vorzunehmen willens war. „Strenge Untersuchung der stattgefundenen Unordnungen“ und „eine unbefangene Betrachtung des Verfahrens der Behörden“! Um keinen Zweifel über seine und der Regierung Tendenz bei der Sache aufkommen zu lassen, ließ v. Langenn noch am nämlichen 16. August den Wortlaut seiner Anrede an die Gemeindevertretung und[208] die Antwort des Königs in die Leipziger Zeitung einrücken.[79] Und wer es nur immer hören wollte, konnte von dem Kgl. Commissar unverholen äußern hören, daß Leipzig eine Genugthuung nur zu geben, nicht zu erwarten habe. Ueberall sprach er nur von dem gar nicht zu sühnenden Frevel gegen den Prinzen, von dem Schießen aber als einer ganz gerechtfertigten Maßregel.[80]
Durch solche Erklärungen mußte das Vertrauen in die Unparteilichkeit der außerordentlichen Untersuchungs-Commission, die gleichzeitig mit v. Langenn in Leipzig eintraf, von vornherein untergraben werden. Dazu kamen mannigfache andere Bedenken gegen ihre Arbeit. Diese Commission empfing ihre Instructionen direct vom Ministerium des Innern.[81] Nicht sie, sondern das Ministerium hat die Ergebnisse ihrer Erörterungen, und auch diese nur theilweise, veröffentlicht. Die Commission durfte, da es sich nicht um eine förmliche richterliche Untersuchung, sondern nur um polizeiliche Vorerörterungen handelte, die vernommenen Zeugen nicht vereiden. Statt des Eides wurde die bedenkliche „Versicherung auf Ehrenwort“ bei Civilisten, der „pflichtgemäße Rapport“ bei Soldaten, die als Zeugen abgehört wurden, substituirt.[82] Auf die außerordentlich bedeutenden Widersprüche zwischen den Aussagen der Zeugen, namentlich der völlig neutralen Zeugen, welche weder eine thätliche Provocation des Militairs Seitens der Menge wahrgenommen haben wollten, ehe geschossen wurde (zu diesen Zeugen gehörten sämmtliche Leipziger Polizeidiener, welche an[209] der Tête des Pelotons Vollborn die Promenade säuberten), noch auch gehört hatten, daß vor dem Schießen die gesetzlich nothwendige Aufforderung zum Auseinandergehen vernehmbar verkündigt worden sei, hatte man fast gar kein Gewicht gelegt. Man hielt eben für bewiesen, was man bewiesen wünschte. Das Verfahren der Militairbehörde wurde als gerechtfertigt anerkannt und nur gegen die Civilbehörde wegen zu späten Einschreitens gegen den Tumult eine Disciplinaruntersuchung vorbehalten.[83] Dieser Vorbehalt war um so unbegreiflicher, als später in den Kammerverhandlungen über die Augustereignisse der Minister v. Nostiz-Wallwitz gleich zu Anfang der Debatte unaufgefordert erklärte, „daß an jenem Abend in Leipzig die Communalgarde nicht aus Mißtrauen nicht berufen worden sei, sondern aus unzeitiger Schonung, aus Rücksicht auf die von derselben während des Tages ausgehaltenen Strapazen!“[84]
Um so härter wurde gegen die Schuldigen dritten und vierten Ranges, d. h. die paar Excedenten eingeschritten, die man am 12. August beim Kragen gefaßt hatte. Gleichzeitig wurden „Erörterungen“ angestellt gegen besonders verhaßte Persönlichkeiten, denen man gern beigekommen wäre, aber nicht beikommen konnte, u. A. gegen Robert Blum. Diese Erörterungen wurden sehr bald eingestellt. Man konnte ihm ja doch nichts vorwerfen, als daß er die Stadt vor den wildesten Ausbrüchen der Anarchie gerettet habe. Um so bequemer war die Stellung der Regierung den verhaßten „Schriftstellern“ gegenüber. Selbst Dr. W. Jordan, obgleich in Sachsen[210] naturalisirt, wurde ausgewiesen. Die Schützenhausversammlungen, denen sich Bürgermeister Groß in den Tagen der höchsten Gefahr blindlings untergeordnet hatte, wurden bereits am 16. August von demselben Würdenträger verboten. Am 26. August folgte Seitens der Landesregierung auf Grund der Bundesbeschlüsse von 1832 das Verbot aller Volksversammlungen. Damit glaubte man den Herd der Beunruhigung des Volkes mit einem Male verschüttet zu haben. Die Bürgervereine, die vom Voigtland aus sich über einen großen Theil des mittleren Erzgebirges und der Schönburg’schen Lande verbreitet hatten, waren damit in der That in ihrer Wurzel bedroht.
Dagegen fand Robert Blum für Leipzig schnell einen neuen Namen und eine neue Form für die verbotenen öffentlichen Versammlungen. Er gründete zuerst in Leipzig, später in vielen Filialen im Lande, einen Redeübungsverein, d. h. einen Verein, der scheinbar nur eine rhetorisch-linguistische Ausbildung seiner Mitglieder bezweckte, in der That aber durch Vorträge über die wichtigsten Zeitfragen, durch die daran geknüpften Discussionen, und durch die äußerst liberale Zulassung von Nichtmitgliedern zu den Versammlungen des Vereins jene durch eine außerordentliche Folge von Ereignissen vorübergehend zusammentretenden Versammlungen des Schützenhauses, welche die Regierung durch ihr Verbot für immer gesprengt zu haben meinte, stets von neuem vereinte und obendrein mit dem Corpsgeist einer festen Verbindung erfüllte.
Die Regierung würde übrigens sicher mehr Maß gehalten haben in ihrem Verfahren wider Leipzig, wenn die Leipziger Gemeindevertretung sich auch nur einigermaßen mannhaft gezeigt hätte. Statt jedoch das Verlangen einer gerechten Beurtheilung und Sühne für das vergossene Blut nachdrücklich festzuhalten, legten sich die Stadtverordneten in einer zweiten[211] Adresse vom 2. September 1845 dem König demüthig zu Füßen mit der Versicherung, sie „könnten sich in ihrer Unschuld sagen, daß sie den Verlust der Gnade und des Vertrauens ihres geliebten Landesherrn nicht verdient haben und glauben sich deßhalb nur um so mehr der Hoffnung hingeben zu dürfen, daß die Gerechtigkeit Ew. Majestät die Frevelthat von einigen Wenigen einer ganzen Stadt nicht zur Last legen werde.“ Eine dritte gleichwerthige Adresse wurde am nämlichen Tage an den Prinzen Johann abgelassen. Der hochconservative, aber freilich mannhaft-unbeugsame Stadtverordnete Kramermeister Poppe, versagte beiden Adressen seine Zustimmung. Selbstverständlich folgte der klägliche Rath sofort am 5. September dem guten Beispiel der Stadtverordneten mit einer Adresse von ähnlichem Inhalt an den Prinzen Johann. Der Rath sprach sogar von einem gegen den Prinzen „verübten frevelhaften Attentat“! Die Antwort auf diese Kriecherei erhielten die städtischen Collegien durch den leipziger Mund der Regierung, Herrn v. Langenn. Allem bisher von der Regierung Vernommenen setzte diese Antwort die Krone auf, indem sie direct gegen die erhobenen Thatsachen, und recht eigentlich zum Hohne der überfließenden Loyalitätsversicherungen der Leipziger Gemeindevertreter „die Hoffnung Sr. Maj.“ aussprach, „es werde sich diese Gesinnung durch die That und namentlich durch die Bemühungen, dem Geiste der Gesetzlichkeit und der Anhänglichkeit an Fürst und Vaterland allenthalben wieder Eingang zu verschaffen, bewähren!“ Die Sitzung, in der diese Antwort verlesen wurde, war sehr bewegt und das Collegium beschloß die Erklärung in sein Protocoll aufzunehmen: „nur durch das beruhigende Bewußtsein, daß die Bürgerschaft Leipzigs an jenen unheilvollen Ereignissen keinen Theil genommen, sich vielmehr zu allen Zeiten und unter weit[212] schwierigeren Umständen durch unerschütterliche Treue und Anhänglichkeit an Fürst und Vaterland bewährt habe, habe den höchst schmerzlichen Eindruck zu mildern vermocht, den diese Antwort des Königs in den Herzen Aller hervorrief.“[85]
Ungeheuer war die Entrüstung über die Leipziger Ereignisse, über das Verhalten der Regierung in ganz Deutschland. Wenn die Regierung zweifellos unschuldig war an dem excessiven Waffengebrauch ihrer Soldaten, so machte sie sich nun zu deren Mitschuldigen, indem sie vor aller Welt deren Handlungen vertrat. So ging denn das zürnende Gedicht von Hand zu Hand, von Mund zu Munde, das Ferd. Freiligrath am 24. August in Meyenberg am Zürcher See „Leipzigs Todten“ widmete, mit dem düstern Refrain:
Es brauste grollend über Deutschland wie ein heraufziehendes schweres Gewitter und unvergessen blieb überall die Leipziger Augustnacht.
Unvergessen blieb aber auch beim Volke das Verhalten Robert Blum’s während dieser schweren Tage. An seinem Geburtstage überreichte ihm ein sehr großer Theil der leipziger Bürgerschaft eine künstlerisch ausgestattete Dankadresse mit Tausenden von Unterschriften bedeckt, welche lautete:
„Verehrter Mitbürger!
Die unterzeichneten Bewohner Leipzig’s sprechen ihren Dank aus für Ihre unermüdlichen Bestrebungen zur Wahrung der verfassungsmäßigen Ordnung und zur Heilighaltung des Gesetzes, welche in den Tagen des 13., 14. und 15. August d. J. durch die Ereignisse des 12. desselben Monats bedroht wurden. Sie haben, treu Ihrer Bürgerpflicht, die aufgeregten Tausende ermahnt: nicht zu verlassen den Boden des Gesetzes und mit Vertrauen auf die Behörden zu blicken, die unseren gerechten Beschwerden Abhülfe herbeiführen würden. Sie haben durch Ihre Worte den stürmischen Ausbrüchen der Gemüther gesteuert. Wir danken Ihnen dafür.“
Zahlreiche ähnliche Adressen trafen aus Sachsen und aus dem übrigen Deutschland bei Blum ein. Besonders merkwürdig unter ihnen ist diejenige aus Mannheim und Schwetzingen, weil sie einträchtiglich die Unterschriften aller badischen Liberalen vereinigt, die wenige Jahre später so hart sich befehden sollten. Da steht an der Spitze Carl Mathy, neben und unter ihm Adam v. Itzstein, Th. Welcker, Hecker, v. Soiron, Bassermann, Struve, Hergenhahn, Dr. Paulus, Thilo u. A.
Die ganze Bürgerschaft Leipzigs aber stattete Robert Blum ihren Dank ab, indem sie ihn am Ausgang des Jahres 1845 zum Stadtverordneten wählte.
Er selbst faßt am 3. November 1845 die Folgen des schmerzlichen Ereignisses in einem — auch sonst interessanten — Briefe an Johann Jacoby treffend also zusammen:
„Wie bei uns die Augustereignisse gewirkt haben? Gut und schlecht — wie man will. Die Reaction ist allerdings furchtbar in diesem Augenblicke und es gibt kein Land, in welchem man so viele Knechtungsversuche aller Art macht; aber gerade dadurch ist auch der Spießbürger zum Theil wenigstens zur Besinnung gelangt und hat die schwere Täuschung erkannt, die solange ihn benebelt hat. Unsere Kammer ist gut, aber sie erzielt natürlich nichts. Solange der deutsche Minister einer ganzen Kammer auf alle ihre Mehrheitsbeschlüsse mit Unverschämtheit[214] sagen kann: „Es bleibt beim Alten, car tel est notre plaisir,“ solange bleibt das ganze Kammerwesen eine heillose Spiegelfechterei. Aber wenn die Kammer wirklich fruchtlos auseinandergeht, so steigert sich die Stimmung im Lande bis zur Unglaublichkeit — wie denn überhaupt die Stimmung in unsern kleinen Städten und auf dem Lande vielfach entschieden gut ist — und das System ist es endlich, gegen welches sich der Haß kehrt, nicht mehr gegen die Menschen und die Umstände. — Etwas Ungeheures ist es bei uns, daß der Leipziger Mord die einfältige Pietät gänzlich vernichtet hat, die sich bei jeder unangenehmen Gelegenheit sagte: „Ja, der König und die Minister würden dieses und jenes gerne thun, sie haben den besten Willen, aber sie können nicht.“ Uebrigens wäre das Leipziger Ereigniß auch nicht so ganz zum Siege der Reaction ausgeschlagen, wenn sich unsere Stadtverordneten nicht unter allem Luder schmachvoll benommen hätten. Diese Adresse aber war für die Minister nicht mit Geld zu bezahlen und als sie sahen, daß das in Leipzig möglich war, traten sie sofort mit einer unglaublichen Frechheit auf, während bis dahin die Furcht weit überwog. In einigen Wochen werde ich wahrscheinlich zu den Stadtverordneten gehören, bin aber noch schwankend, ob ich’s annehme. Da es indeß fast der einzige Weg ist, den Spießbürger in geeigneten Momenten zu dominiren, und ihm zu imponiren, so wird’s wohl nicht gut anders gehen, um so mehr als es der einzige Weg für mich ist, auf den Landtag zu kommen, den ich, wenn die Zeiten so trostlos bleiben, nicht ausschlagen möchte. — Werden Sie mich denn in diesem Jahre mit einem Beitrage für mein Taschenbuch „Vorwärts“ erfreuen? Wenn Sie können, so thun Sie’s, denn eben jetzt im letzten Augenblicke haben sie mir Steger geraubt, der seine Theilnahme am Buche seiner Existenz in Sachsen zum Opfer bringen mußte.[86] Uebelnehmen kann ich’s ihm nicht, denn er ist eben im Begriff sich einen Herd zu gründen und wäre, wenn man auf der Ausweisung bestünde, gänzlich heimathlos; aber es bereitet mir manche Verlegenheit.“[87]
Besonders bemerkenswerth in diesem Briefe ist das Urtheil, das Blum über die wahrscheinliche Erfolglosigkeit der Anstrengungen der liberalen Partei im Landtage fällte. Während Aller Augen gespannt auf dem Landtag hafteten und hoffnungsreich von ihm Sühne für die Leipziger That und Abstellung aller übrigen Beschwerden erwarteten, erklärte der Führer des Fortschritts in Sachsen ganz offen: „Unsere Kammer ist gut, aber sie erzielt natürlich nichts.“
Diese Voraussicht sollte im vollsten Maße sich bewahrheiten.
Jeder unbefangene Beobachter der Sächsischen Zustände und namentlich jeder aufrichtige Freund der Regierung mußte sich überzeugt halten, daß das Ministerium Könneritz das Königreich entweder einem Staatsstreich oder einer Revolution entgegentreibe. Mit gleich verblendetem Eigensinn hat nur noch Herr v. Beust zwanzig Jahre später das Land regiert und der Katastrophe von 1866 entgegengetrieben. Von Jahr zu Jahr war die Bewegung der Geister, welche die Regierung einfach unterdrücken zu können meinte, gewachsen, mit jedem Jahre auch die Zahl der Opposition im Landtag. Auch in dem neuen Landtag, welcher am 14. September 1845 eröffnet wurde, hatte die Opposition neue Sitze errungen. Zum ersten Mal[216] trat hier jener „entschiedenere“ Nachwuchs im Landhaussaal auf, der sich zwar Todt’s Führung noch unterordnete, aber den alten Führer der Sächsischen Opposition doch häufig auch weiter nach Links führte, als ihm lieb war; dagegen sonderte sich dieser junge Fortschritt vollständig ab von dem maßvollen Liberalismus der Braun, Georgi, Brockhaus u. s. w. Diese äußerste Linke war hauptsächlich vertreten durch die nächsten Freunde Blum’s: Schaffrath, Joseph, Hensel, Rewitzer. Ueberhaupt schied sich seit den Leipziger Augustereignissen mehr und mehr der radicale Fortschritt unter Blum’s Führung ab von dem gemäßigteren Liberalismus, der in der Presse hauptsächlich durch Prof. Biedermann, im Landtag durch Braun u. s. w. vertreten war.
Doch vorläufig verband die reactionäre Haltung des Ministeriums noch sämmtliche oppositionelle Elemente der Kammer zu gemeinsamer Schlachtreihe. Männer aller Parteifarben hatten die treffliche Petition Biedermann’s an den Landtag unterzeichnet, welche Sühne für das in Leipzig vergossene Blut forderte. Und wiederum Männer aller Parteien hatten ihre Unterschriften unter die von Blum verfaßte, und von ihm an erster Stelle unterzeichnete Petition gesetzt, welche — bezeichnend genug! — alle Beschwerden zusammenfaßte, die sich gegen sächsische und allgemein deutsche Verhältnisse richten ließen. Die Erläuterung des § 89 der Verfassung, die Bundesbeschlüsse betreffend; die Wiener Beschlüsse von 1834; die Erfüllung des Art. 13 der Bundesacte; die Aufrechterhaltung der deutschen Volksthümlichkeit in Schleswig-Holstein; die Aufhebung der Censur; die Verbesserung der Stellung der Volksschullehrer; die Herabsetzung des Sächs. Contingents und dessen Vereidigung auf die Verfassung: das war der Hauptinhalt der in dieser Petition enthaltenen Wünsche.
Schon die Thronrede der Regierung war weniger herzlich, als sonst. Mit mahnendem Ernst forderte der König die Stände[217] auf, ihn bei der Erhaltung eines verfassungs- und ordnungsmäßigen Ganges im innern Staatsleben zu unterstützen.[88] Dagegen waren mehrere der brennendsten Fragen in der Thronrede mit Stillschweigen übergangen. Deßhalb, und um dem allgemeinen Bedürfniß zu entsprechen, welches eine offene Aussprache über die reichlich vorhandenen Beschwerden erheischte, wurde selbst von der ersten Kammer diesmal zum Erlaß einer Adresse die Hand geboten. Der Adreßentwurf Todt’s war ein Meisterwerk staatsmännischer Mäßigung, bei aller Kühnheit seiner sachlichen Kritik gegen die Regierung. Man merkte ihm deutlich das Streben an, die erste Kammer für den Entwurf zu gewinnen.
Selbst die Regierung fühlte bei Beginn der Adreßdebatten das Bedürfniß ihrer Rechtfertigung. Könneritz verlas eine ausführliche Vertheidigungsschrift seines Regimentes, welche um so weniger befriedigte, da er mit der Behauptung, daß die Verfassung eine dem Zeitbewußtsein nachgebende Entwickelung überhaupt nicht gestatte, den lautesten Forderungen des Volkes eine schroffe Kriegserklärung entgegenwarf. Noch unglücklicher in seinem Debüt vor der Kammer war wo möglich derjenige Minister, auf welchen der Liberalismus früher die größten Hoffnungen gesetzt, Herr v. Falckenstein, welcher sich dazu berufen fühlte, der Stadt Leipzig den Rath zu ertheilen, „den Weg der Selbsterkenntniß zu betreten und sich wiederzufinden,“ ja der sich sogar zum Vertheidiger der Censur aufwarf. Mit wuchtigen Worten traten Brockhaus und der conservative Poppe diesem anmaßlichen Urtheil entgegen, und selbst in der ersten Kammer erklärte später am 19. Nov. Dr. Crusius: „Leipzig braucht nicht erst zum Selbstbewußtsein zu kommen, es braucht[218] sich nicht erst wiederzufinden, denn es hat sich nie verloren.“ Zum ersten Male lernte man hier auch die rücksichtslose, häufig leider auch maßlose und allzu persönliche Sprache der „jungen Linken“ kennen. Bei der Abstimmung über die Adresse traten für die Regierung nur zwölf Abgeordnete ein. Selbstverständlich scheiterte auch diese Adresse an den Amendements der ersten Kammer, in welcher zum ersten Mal v. Carlowitz die Führung der Conservativen oder richtiger Feudalen übernommen hatte. Die kräftigere Fassung, welche er dem Entwurfe Todt’s an der den Bundestag betreffenden Stelle gab, verrieth aber zugleich auch, daß in diesem Manne ein lauteres deutsches Herz schlug, daß er einer der wenigen deutschen Patrioten war, welche die erste Sächs. Kammer aufzuweisen hatte. Doch kam es über die Adresse zu keiner Einigung der Kammern.
Auch über die Frage, welche auf den früheren Landtagen im Vordergrund des Interesses gestanden, die Reform des Strafverfahrens, hinterließ dieser Landtag keine vollendete gesetzgeberische Arbeit. In einer der ersten Sitzungen interpellirte Klinger die Regierung über den Stand dieser Frage. Da erklärte zum allgemeinen Erstaunen Könneritz: Das Ministerium habe sich überzeugt, daß mit einer bloßen Verbesserung des bisherigen Verfahrens nicht durchzukommen, vielmehr eine größere Reform nöthig sei. Mündlichkeit und Anklageprozeß wolle die Regierung zugestehen, die Oeffentlichkeit dagegen halte sie nachtheilig für die Rechtspflege und den Character des Volkes. Entschieden blieb die Kammer nach dem trefflichen Referate Braun’s bei ihrer früheren Forderung auf Mündlichkeit und Oeffentlichkeit stehen, verzichtete dagegen vorläufig aus Zweckmäßigkeitsgründen auf die Einführung von Schwurgerichten und hielt ihren Standpunkt auch aufrecht, als die Regierung eine beschränkte Oeffentlichkeit für Gemeindevertreter u. s. w. einräumen wollte.[219] Nur dadurch, daß in der ersten Kammer eine Stimme Majorität sich für den Standpunkt der Regierung fand, entging diese dem Geschick in dieser wichtigen Frage ein von ihr unannehmbar erklärtes Gesetz von beiden Kammern vor die Krone gebracht zu sehen. Auch hier kam also nichts zu Stande.
Etwas erfolgreicher waren die Verhandlungen über die kirchlichen Fragen. Die berufene Verordnung vom 17. Juli, die das Ministerium zu vertheidigen suchte, deckte man nach einigen leidenschaftlichen Angriffen mit dem Mantel der Liebe und einigte sich allerseits bald über das Verhältniß des Staates zur lutherischen Kirche: Die Regierung sollte eine Presbyterial- und Synodalverfassung ausarbeiten und den Grundsatz der Trennung des Staates von der Kirche dadurch anerkennen, daß die eigentliche Kirchengewalt einer obersten collegialen Behörde übertragen werde. Auch das Verhältniß der Deutschkatholiken wurde nach langwierigem Widerstreit zwischen den Kammern endlich in allseitigem Einverständniß dahin geordnet, daß ihnen Duldung und gewisse kirchliche Rechte — Gewährung evangelischer Kirchen an sie in Städten, die Einsegnung der Ehe nach vorausgegangener protestantischer Trauung u. s. w. — zugestanden werden sollten. In einer Verordnung vom 17. Juni 1846 stellte die Regierung das Rechtsverhältniß der deutsch-katholischen Gemeinden fest. Diese kirchliche Species war indessen damals schon durch Spaltungen u. s. w. im öffentlichen Interesse tief gesunken. Sie hat es in Sachsen überhaupt nur auf achtzehn Gemeinden gebracht.
Die anzuerkennende Toleranz der Regierung gegen die Deutschkatholiken, die selbst über das Toleranzniveau der ersten Kammer sich erhob, war aber auch die einzige liberale Regung, die diesem Ministerium nachgesagt werden konnte. Ihren absolut reactionären Standpunkt trug sie insbesondere zur Schau[220] allen Anträgen, Petitionen und Verhandlungen gegenüber, die eine Abstellung der wahrhaft unerträglichen Censurplackereien und Concessionsentziehungen, überhaupt eine Entfesselung des freien gedruckten Gedankens aus jenen Banden bezweckten, mit welchen diese Regierung unaufhörlich und schonungslos die ganze inländische Presse und alle unliebsamen Preßerzeugnisse umstrickte. In dieser Beziehung halfen alle Vorstellungen der Sachverständigen, alle Verhandlungen der zweiten Kammer nicht das geringste. Die Leipziger Buchhändler verlangten lediglich die Beseitigung der Concessionen auf Widerruf und die Feststellung gesetzlicher Gründe für Unterdrückung von Zeitschriften. Der Verein deutscher Buchhändler setzte 1845 in Nürnberg in einer lehrreichen Denkschrift der Regierung die Gefahren auseinander, welche dem Leipziger Commissions- und Speditionsbuchhandel durch das Verhalten der Regierung drohten. Held faßte unter dem Titel „Censuriana“ die Ungeheuerlichkeiten der Sächs. Censur in einem dicken Buche zusammen. Todt berichtete actengemäß in der Kammer über die unerhörten Censurplackereien, welche beispielsweise das Organ Blum’s, die Vaterlandsblätter, zu erleiden hätten. Die Antwort des Ministers war die sofortige gänzliche Unterdrückung des verhaßten Blattes. Brockhaus schilderte sachverständig und eindringlich das Widersinnige der Censur, des Concessionswesens auf Widerruf, das allein in Sachsen bestehe und nicht einmal durch die Bundesbeschlüsse geboten sei. Die Minister blieben einfach dabei, daß sie dieser Waffe gegen den Radicalismus nicht entrathen könnten. Und mit der ihm eigenen Logik erklärte Könneritz: „Wenn die Concession auf Widerruf gegeben ist, so kann sie auch zurückgenommen werden, ohne daß Jemand darüber zu klagen hat, ob Gründe dazu vorhanden sind oder nicht.“ Das war das würdige Seitenstück zu der andern Erklärung seines Collegen[221] vom Innern, daß der deutsche Ausländer ja gar kein Recht habe, in Sachsen zu wohnen und daher ohne Angabe von Gründen ausgewiesen werden könne.
Die schroffe Unbeugsamkeit der Regierung in der Frage der Reform der sächsischen Preßzustände erklärte sich, abgesehen von ihrem hervorragend bornirten Standpunkte, welcher Geistströmungen und selbst Meinungen mit Polizeimaßregeln unterdrücken zu können glaubte, hauptsächlich dadurch, daß in dieser Frage fast die ganze erste Kammer hinter der Regierung stand. Mit offener Schadenfreude über die Verfolgungen der verhaßten Presse, stimmte dieses erlauchte Haus der Regierung in der Hauptsache durchaus bei, verwarf namentlich den Antrag der zweiten Kammer, daß auch nur eine baldige gesetzliche Ordnung des Concessionswesens der Presse stattfinden möge! Ihren rein junkerlichen Standpunkt wahrte dieselbe Kammer auch durch Verwerfung aller Petitionen, welche die Ablösung der Jagdbefugnisse bezweckten und durch die Aeußerung eines würdigen Mitgliedes, „daß ein Dorfschullehrer mit zwei Neugroschen pro Tag ganz gut leben könne“. Man erfuhr da, was es heiße, wenn ein anderes fast ebenso humanes Mitglied dieser hohen Kammer äußerte: „das Volk verdiene eine Art von Berücksichtigung“.
Welches Schicksal bei diesem Bestande der ersten Kammer jene Petition Biedermann’s und seiner 1800 Genossen beim Landtag haben werde, welche Gerechtigkeit für Leipzig verlangte, war hiernach mit ziemlicher Bestimmtheit vorauszusehen. Aber unerwartet war das traurige Schicksal, das sie schon in der zweiten Kammer ereilte und begrub. Mannigfache Gründe wirkten hierfür zusammen. Das Referat lag in den Händen des rein ministeriell gewordenen alten Feindes von Leipzig, Eisenstuck. Nicht unabsichtlich hatte er und die Commission die[222] Sache über ein halbes Jahr hingeschleppt, ohne Bericht zu erstatten. Inzwischen hatte die Regierung alles nur mögliche Material herbeigezogen, um das Verhalten der Schießoffiziere als gerechtfertigt und Leipzig als eine höchst ungezogene Stadt hinzustellen. Sogar das alberne Kunstmärchen von einem für den 12. August 1845 langgeplanten Aufruhr spukte durch die Regierungsberichte und Staatsminister v. Könneritz erzählte dasselbe sogar später noch vor der Kammer in neuem Aufputz[89]. Auch hoffte Herr Eisenstuck und seine Freunde, daß in fast sieben Monaten Gras über den Gräbern der Erschossenen wachsen und das Sühneverlangen Leipzigs sich wesentlich abkühlen werde. Diesem dilatorischen Verfahren kam eine rührige Agitation der feudalen Junkerpartei der ersten und zweiten Kammer zu Hülfe. Die edeln Herren hatten allmählig gelernt, wie die Opposition Stimmen gewinne und hatten es ihr geschickt nachgemacht. Die theilweise maßlose Sprache der jungen Linken, welche in diesen feierlichen Räumen unerhört war, die häufigen persönlichen Invectiven, die sie sich zu schulden kommen ließ, Anklagen, die nicht immer bewiesen werden konnten, alles das schreckte einen großen Theil maßvoller, bedächtiger unentschiedener Abgeordneten zurück. Und als nun die adligen Bauernwerber dem biedern Landmann vollends klar machten, daß der Umsturz alles Bestehenden das geheime letzte Ziel der Opposition sei, zogen sie alle diese Elemente auf ihre Seite.
Unter solchen Auspicien begann die Kammer am 14. Mai 1846 die Debatte über die Leipziger Augustereignisse. Der Bericht der Deputationsmehrheit verwarf die Leipziger Petition und erklärte das Verfahren der Schießoffiziere für gerechtfertigt.[223] Der Bericht der Minderheit (Klinger, Todt, Hensel) forderte die Regierung auf, Anordnung zu treffen, daß wegen dieser Ereignisse „vom competenten Untersuchungsgericht das diesfallsige Sach- und Rechtsverhältniß legal erörtert und der Gebühr Rechtens allenthalben nachgegangen würde“. Dieser Bericht erklärte also, daß das Verfahren der Offiziere vorläufig noch nicht als ein berechtigtes angesehen werden könne, eine förmliche Untersuchung gegen sie stattfinden müsse. Der Antrag war so maßvoll gefaßt und motivirt, daß auch Brockhaus, Braun, Harkort u. A. dafür stimmten. Auch stehen die Reden der Abgeordneten, welche Gerechtigkeit und Sühne verlangten, hoch über denen ihrer Gegner. Mit Hülfe der kläglichsten formellen Competenzeinreden und der bedenklichsten Auslegungen einer militairischen Instruction, die, wenn sie richtig waren, mit klaren, gesetzlichen Bestimmungen in Widerspruch traten, suchten die Vertreter der Regierung und die wenigen Redner, die aus der Kammer für den Majoritätsantrag das Wort ergriffen, eine Untersuchung von den betheiligten Offizieren abzuwenden. Dabei erlaubten sich namentlich die Minister einen Ton gegen die Redner der Opposition anzuschlagen, der uns Heutigen geradezu unwürdig erscheint[90]. Das Resultat der mehrtägigen Verhandlung war aber nur in Sachsen möglich. Bei der Abstimmung[224] ergab sich Stimmengleichheit für beide Anträge (36 Stimmen). Am 18. Mai mußte nach der Landtagsordnung die Abstimmung wiederholt werden. Da stimmten 37 Stimmen gegen das Majoritätsgutachten, das also verworfen wurde. Gleichzeitig aber wurde auch das Votum der Minorität mit 41 gegen 32 Stimmen verworfen. Zu Deutsch hieß das Resultat dieser Abstimmung: die Kammer erklärt das Leipziger Schießen für ungerechtfertigt, lehnt aber gleichwohl die Einleitung einer Untersuchung gegen die Urheber ab. Man bedurfte hiernach der ersten Kammer gar nicht mehr, um die Gerechtigkeitshoffnungen Leipzigs zu Grabe zu tragen.
So hatte denn auch in der wichtigsten Frage der Landtag die auf ihn gesetzten Erwartungen getäuscht, und damit Blum’s pessimistischen Ansichten mehr als Recht gegeben. Das Traurigste war, daß gerade in dieser Angelegenheit, die „für die große Mehrheit aller Unabhängigen im Volke eine wahre Herzensangelegenheit war, weil es sich dabei um die Befriedigung des tiefempfundenen Bedürfnisses nach Gerechtigkeit, um die Beseitigung der Besorgniß handelte, daß Gewalt von oben nicht denselben Schranken der Gesetze unterworfen sei, wie Willkühr von unten“[91], nicht die Regierung und nicht das Haus des Adels, sondern die Volkskammer die berechtigten Erwartungen getäuscht hatte. „Ein schroffer Stachel des Unmuthes blieb in den Gemüthern zurück“.[92] Die paar Gesetze, die man dankbar diesem Landtag gut zu schreiben hatte, wogen keineswegs seine Fehlarbeiten und Unterlassungssünden auf.
Kein Wunder, daß sich die thatkräftige Opposition dieser Sachlage bemächtigte, daß sie auch nur den Mitgliedern der[225] zweiten Kammer ihre volle Sympathie zuwandte, welche sich treu erwiesen hatten.
Blum war unermüdlich darin, den Getreuen den Dank des Volkes bei festlichen Zweckessen darzubringen, da dies die einzige erlaubte Form größerer politischer Versammlungen war. Am 24. Mai 1846 wurde den heimkehrenden liberalen Abgeordneten ein Fest gegeben, an dem er die Rede hielt und zu dem er folgende Verse spendete:
Und zu des Abgeordneten Joseph Ehrenfest in Lindenau (6. Decbr. 1846) dichtete er jenes schönste seiner Vaterlandslieder, das in einem weitverbreiteten Commersbuch deutscher Studenten mit Recht noch heute seine Stätte hat:
Dem Vaterlande.
Jedenfalls war es nur schlichte Wahrheit, wenn Blum am 8. Juli 1846 an seine Mutter schrieb: „Diesen Sommer bin ich jeden Augenblick gereist, bald hier, bald dorthin, bald in Geschäften, bald zum Vergnügen, d. h. zum Vergnügen Anderer, denn für mich war es meist nur Plage. Es kann nämlich kein politisches Fest in Sachsen mehr gefeiert werden, ohne mich; so meinen wenigstens die Leute, und wo etwas los ist, da schickt man mir Einladungen, Deputationen, stellt mir Eisenbahn, Extrapost, alles Mögliche zur Verfügung, wenn ich nur komme. Auf die Dauer kann das allerdings nicht währen, denn theils kann ich meinem Director nicht zumuthen, daß er mich jeden Augenblick fortläßt, theils paßt meine Theaterstellung nicht zu meiner öffentlichen. Es muß anders werden, aber freilich weiß ich nicht wie“.
Schon seit Jahren war ihm dieser Widerstreit der Pflichten peinlich gewesen. Zu Beginn des Jahres 1843 schon hatte er in gleichem Sinn an seinen Stiefvater geschrieben. Nun mit Beginn des Jahres 1846 nahmen ihn auch die zeitraubenden Geschäfte des Stadtverordneten in Anspruch und zogen ihn[228] daher noch mehr von seinem Berufe ab, als bisher. Darüber schreibt er am 11. März 1846 an seine Mutter: „Leider bin ich mit Arbeiten mehr überladen, als je zuvor. Das Amt eines Stadtverordneten ist ein ziemlich mühevolles; außer den Sitzungen alle Wochen kommen noch eine Masse Deputationen und andere Arbeiten, die mich um so mehr stören, als ich übergenug beschäftigt war. Und leider sind die Mühen auch insofern noch unerfreulicher Art, als sie vorerst nichts nützen; denn die alten Zöpfe im Collegium schaaren sich zusammen wie die Kletten und stimmen gegen alle Vernunft, wenn die Vorschläge von uns ausgehen. Indessen das wird anders, im nächsten Jahre treiben wir wieder ein Drittel hinaus und dann muß es besser werden.“ In der That bezeichnet der Beginn des Jahres 1846 einen Umschwung in dem Gemeindeleben und der Stellung der Gemeindevertretung Leipzig’s. Mit Blum waren Biedermann, Koch, Joseph, Klinger, Bertling, u. A. in das Stadtverordnetencollegium gelangt, und traten hier, in den kommenden Jahren immer mehr verstärkt durch Gleichgesinnte, als energische Opposition auf gegen die hergebrachte Leisetreterei in allen Dingen, welche bei Rath und Regierung verstimmen konnten. In zwei Jahren, bis zum Februar des Jahres 1848 hatten diese liberalen Elemente schon solchen Einfluß erlangt, daß das leipziger Stadtverordnetencollegium, wie unten gezeigt werden wird, als die erste vorwärtsdrängende Macht im Staate angesehen werden konnte. Auch hier aber, wie im Landtag, schied sich später in den meisten Fragen der entschiedene Radikalismus unter Blum’s Führung, von dem gemäßigteren Liberalismus, den auch im Collegium Biedermann leitete.
So peinlich nun Blum bei dieser Fülle öffentlicher Pflichten eine abhängige geschäftliche Stellung empfand, so war doch für’s Erste an ein Aufgeben der letzteren nicht zu denken. Denn sie[229] bildete für ihn und die Seinen mehr als je die Grundlage der Existenz. Mit der Unterdrückung der Vaterlandsblätter durch die Regierung hatten seine finanziellen Einnahmen eine schwere Einbuße erlitten. Blum hatte zwar auch diesmal der Partei ihr Organ zu retten gesucht, indem er seine und der Freunde Theilnahme, Abonnements und Mitarbeiterschaft der Constitutionellen Staatsbürgerzeitung, die unter Dr. R. Rüder’s Redaction erschien, zuwandte. Aber dieses junge Unternehmen hatte zunächst hart mit seiner Existenz zu kämpfen, erforderte Opfer, statt seine Mitarbeiter mit Einkünften versorgen zu können. Und am härtesten hatte es zu kämpfen mit der schrecklichen Lauheit und Erschlaffung, in welche die Sächs. Bevölkerung, nachdem die mit Anspannung aller Kräfte geführten parlamentarischen und politischen Kämpfe resultatlos geblieben waren, damals und auch später so oft nach ähnlicher Aufregung, rasch und plötzlich verfallen war. Noch am 1. September erließ Blum ein Circular an die nächsten Freunde der Provinz, in dem es heißt: „Heute sind es vier Monate, daß Dr. Rüder die Redaction der Constit. Staatsb.-Ztg. übernommen hat und fast fünf Monate, daß ich zur Theilnahme an derselben aufzufordern mich veranlaßt fand. Was ist seitdem geschehen? Weder für die Vorbereitung noch für den Inhalt des Blattes irgend etwas Wesentliches, die Steigerung des Absatzes ist eine sehr unbedeutende, den Inhalt hat Dr. Rüder und einige seiner Freunde fast allein liefern müssen. Steht es denn wirklich so traurig um die Partei des Fortschritts in Sachsen, daß sie nicht ein Blatt halten, ausbreiten und mit Stoff versorgen kann? Dann wollen, dann müssen wir aufhören, und uns schämen, daß wir so groß uns wähnten und so kinderleicht überwunden wurden.“ Und am Schlusse heißt es: „Wer bei dem augenblicklichen Zustande unseres Vaterlandes nicht erkennt, daß gemeinsame[230] Anstrengungen uns nöthiger sind, als je zuvor, wer nicht Alles thut, was in seinen Kräften steht — der begeht eine Todsünde an der heiligen Sache des Fortschrittes, die er vor seinem Gewissen nie und nimmer verantworten kann.“ Aber auch trotz dieses Weckrufes hat die Const. Staatsb.-Ztg. niemals eine annähernd gleich große Verbreitung gefunden als die Vaterlandsblätter, so daß die letzteren mit dem ersten Frühlingsbrausen des Jahres 1848 von Blum sofort wieder ins Leben gerufen wurden.
Auch die Betheiligung Blum’s an dem rühmlichen Unternehmen des jungen Buchhändlers Ernst Keil, in einer illustrirten billigen und populären Zeitschrift, „Der Leuchtthurm“, dem Volke die Biographien der verdientesten Volksmänner der Zeit, gediegene Unterhaltung und Belehrung zu bieten, konnte mit nichten Ersatz bringen für die Einbuße, die Blum mit Unterdrückung der Vaterlandsblätter erlitten. Im „Leuchtthurm“ versuchte Ernst Keil schon denselben Gedanken zu verwirklichen, den er später in der „Gartenlaube“ mit so großartigem Erfolg durchführte. Der Versuch scheiterte indessen an der Grundanlage: es war zuviel Politik darin für das große Publicum, die Darstellung der Hauptbilder in Stahlstich erforderte zuviel Zeit, und — die Reaction war zu übermächtig; von Leipzig an über Gera, Magdeburg, Braunschweig &c. wurde das verhaßte Blatt sammt seinem muthigen Verleger verfolgt wie ein gehetztes Wild und zuletzt einfach todtgeschlagen. Im Leuchtthurm von 1846 hat Blum die Biographien von Zittel und Itzstein, in dem von 1847 die Biographie Ernst Moritz Arndt’s außer zahlreichen kleineren Beiträgen geschrieben. — Daß Blum’s Taschenbuch „Vorwärts“ in dieser Zeit infolge der Regierungsplackereien gleichfalls nicht mehr rentirte, ist schon oben bemerkt worden.
Unter solchen Umständen mußte er denn in seiner abhängigen[231] geschäftlichen Stellung aushalten, zumal er daheim das härteste Leid fürchtete, den Verlust der Gattin — glücklicherweise grundlos! Am 8. Juli schrieb er darüber an die Mutter: „Ich und die Kinder, wir sind ganz gesund, aber meine Frau kränkelt sehr und ich fürchte, es wird Auszehrung werden, was Ihr aber ja in Euren Briefen nicht berühren wollt. Wenn unser Besuch (die Schwester seiner Frau, Frau Jost) fort ist, soll sie auf’s Land, um vollständige Ruhe zu haben und die Milchkur zu gebrauchen. Gebe Gott, daß es hilft!“ Auch die Lasten, die Blum mit dem Hauskauf übernommen, waren nicht unerheblich. Indeß schoß Freund Joseph die Summen vor, die auf das Kaufgeld abgetragen werden mußten.
In diesen trübseligen Tagen blickte Blum mit verdoppelter Zuversicht auf den Freundeskreis, der sich im August wieder auf Hallgarten bei Itzstein versammeln sollte. In seiner bereits S. 136 erwähnten Einladung an Johann Jacoby v. 17. Juni 1846 schreibt er u. A.: „Von unsern Zuständen kein Wort, gewiß hat es Sie längst angewidert, wenn Sachsen Ihnen in der Zeitung begegnete, und die etwaige geheime Geschichte dieser Niederträchtigkeitsepoche ist wo möglich noch schlimmer, als die öffentliche. Indessen ist die jetzige Periode, so entsetzlich sie sein mag, nicht verloren; sie entzieht dem politischen Mäßigkeitsverein, welcher in Sachsen vorzugsweise heimisch ist, viele Anhänger und die Zahl derjenigen wächst täglich, welche einsehen, daß es einer kräftigeren, einer markerschütternden Azung bedarf, aus dieser Flauigkeit herauszukommen. Aber wie klar auch diese Keime vorhanden sind und treiben, es bedarf leider in Deutschland Alles gar zu langer Zeit zum Reifen.“
Vorläufig dachte die Regierung nicht daran, ihre Handlungen zu verheimlichen, sondern ließ sich höchst ungenirt in der[232] reactionären Strömung treiben. Hatte man bisher hauptsächlich den Radicalismus bekämpft, so ging man nun auch dem gründlicheren und maßvolleren und darum doppelt verhaßten Liberalismus in der Presse und sonst zu Leibe. Die Veröffentlichung einer von Biedermann beim Constitutionsfest 1845 gehaltenen Rede zog diesem eine Anklage zu und obwohl derselbe in dritter Instanz „im Mangel mehreren Verdachts“ freigesprochen wurde, untersagte man ihm nach wie vor das Halten staatsrechtlicher Vorlesungen. Das Heft von Biedermann’s Gegenwart und Zukunft, welches den wiederholt citirten Aufsatz „Sächsische Zustände“ brachte, wurde von der Kreisdirection mit Beschlag belegt, obwohl kein Wort darin stand, das nicht durch öffentliche Actenstücke belegt war. Wenige Tage darauf aber wurde diese Beschlagnahme vom Minister des Innern aufgehoben mit der von sämmtlichen Ministern unterzeichneten Motivirung: „Daß die in jenem Aufsatze enthaltenen Aeußerungen über die Wirksamkeit und Gesinnung mehrerer Minister zu unwürdig seien, um von ihnen auf irgend eine Weise (?) beachtet zu werden, und daß sie sich durch dergleichen Angriffe in treuer Erfüllung ihrer Pflicht gegen König und Vaterland nicht irre machen lassen würden.“ Natürlich erlebte die Schrift nun rasch drei Auflagen. Dem Buchhändler Brockhaus wurde der Druck magyarischer Schriften einfach verboten, weil kein sächsischer Censor diese Sprache verstehe. Ja, eine Generalverordnung vom 22. April 1847 setzte den Denuncianten aufrührerischer Schriften Prämien von zwanzig bis hundert Thalern aus.
Den Wahlen von Oppositionsmännern zu Stadträthen wurde grundsätzlich die Bestätigung versagt. Dieses Loos traf Ende 1847 auch Blum. Sowie die Kreisdirection Nachricht von seiner Wahl erhalten, erließ sie am 10. November 1847 folgendes sinn- und stilvolle Schreiben an das Vereinigte[233] Criminalamt zu Leipzig[93]: „Die Königl. Kreisdirection wünscht von Demjenigen (!) unterrichtet zu sein, was gegen den vormaligen Theatersecretair, jetzigen Buchhändler Robert Blum allhier, theils in Bezug auf die (!) Ereignisse im August 1845, theils sonst etwa (!) bei dem Vereinigten Criminalamte allhier vorgekommen ist und es erhält daher Letzteres andurch Veranlassung die darüber (?!) ergangenen Acten baldmöglichst anher einzureichen.“ Wie neugierig die Königliche Kreisdirection war, den Inhalt dieser Acten kennen zu lernen, erhellte schon daraus, daß dieser vom 10. Nov. 1847 datirte Erlaß am nämlichen Tage noch mundirt und abgesendet wurde. Das verrieth eine ganz ungewöhnliche Eile. Das Vereinigte Criminalamt konnte nun freilich mit „Demjenigen, was gegen Blum theils in Bezug auf die Ereignisse im August vorgekommen“ gar nicht aufwarten, sondern nur mit dem früher besprochenen kleinen Beamtenbeleidigungsproceß. Aber auch dieses Material, in Verbindung mit der Erinnerung, welche die Königliche Kreisdirection von Blum’s Verhalten in den Augusttagen 1845 in ihrem Haupte trug, genügte vollkommen, um Blum die Bestätigung als Stadtrath zu versagen. Blum ließ sich natürlich die Gelegenheit nicht entgehen, in einem Recurse gegen diese Nichtbestätigung seinem Herzen gegen die Regierung ungestraft Luft zu machen. Als eine ernstliche Begründung dieser Beschwerde konnte man es jedenfalls nicht ansehen, wenn er sagte: „er erkenne offen die Nothwendigkeit der Nichtbestätigung freisinniger Männer an bei einem Ministersysteme, welches mit Gewalt an seiner Selbstvernichtung arbeite. Dieses System, welches im entschiedensten Widerspruch mit den Staatseinrichtungen stehe, habe er auf jedem Schritte bekämpft und werde es mit allen[234] ihm zu Gebote stehenden Mitteln fernerhin bekämpfen.“ Selbstverständlich blieb es auf diesen Recurs bei der Nichtbestätigung.
Eine letzte Heldenthat der Reaction endlich, welche Aller Gemüther damals (1846) lebhaft bewegte, wurde von Blum besonders tief empfunden: die Ausweisung sämmtlicher Polen aus Sachsen. Von dem ersten Augenblicke an, wo Robert Blum sich um öffentliche Dinge kümmerte, trug er eine schwärmerische Sympathie für Polen, dessen tragisches Geschick und dessen exilirte Bewohner im Busen. Kein Wunder, da die wirklich heldenmüthige Erhebung Polens um 1830 mit dem ersten Erwachen der politischen Naturtriebe Blum’s zusammenfiel. Er hat die Niederlage dieser Revolution poetisch gefeiert und betrauert wie einen Weltuntergang. Auch zu der traurigsten und undramatischsten seiner Tragödien hatte ein polnischer Stoff, Kosciuszko, herhalten müssen. Seit dieser Zeit war Blum den Polen so kritiklos treu geblieben, wie einer ersten Liebe. Von der heillosen polnischen Wirthschaft der letzten Jahrzehnte des Polenreiches, welche uns Heutigen die Theilung des Landes nicht blos als eine reich verdiente Strafe des Weltgerichtes, sondern als einfache politische Nothwendigkeit für den Frieden Europa’s erscheinen läßt, hatte Blum, wie die Meisten seiner Zeitgenossen, kaum eine Ahnung; ebensowenig dachte er daran, was die Forderung einer Wiederherstellung des Polenreiches für unsere deutschen Ostmarken bedeute! Daß Prof. Wuttke, ein trefflicher Polenfeind, Blum über diese Dinge nachdrücklich und immer wieder zu belehren suchte, war der Hauptgrund, weshalb Blum diesen Professor immer mit tiefstem Mißtrauen betrachtete, so lang und so oft auch ihre politische Bahn zusammenging. Längst hatte Blum’s polnische Liebe übrigens aufgehört, sich mit der platonischen Form lyrischer und dramatischer Maculaturpoesie zu begnügen. Schon in der Mitte der dreißiger[235] Jahre wußten die flüchtigen Polen, die durch Leipzig kamen, wohl, daß sie nirgends ihr gesuchtes und steckbrieflich prämiirtes Haupt sicherer bargen, als in dem schmalen Bett, unter dem einfachen Dach des leipziger Theatersecretairs. Wiederholt schreibt Blum im Jahre 1839 triumphirend an die Braut, daß er wieder einem edeln, arggehetzten polnischen Wild durchgeholfen habe, auf dessen Kopf ein Blutlohn gesetzt sei, der einen Verräther reich machen könne. Dasselbe sichere Asyl stand allen Polen unter Blum’s eigenem Dache in den vierziger Jahren offen. Seit 1845 hatte er sich aber in noch tiefere Geheimnisse eingelassen. Er wußte darum, daß in Posen und Galizien 1846 polnische Aufstände ausbrechen sollten. Durch seine Hand gingen in Gestalt von Clavieren u. s. w. nicht unerhebliche Waffensendungen an die Centren der künftigen Erhebung ab. Er selbst schmiedete und feilte in stillen Nächten den Schlüssel, mit dem die Citadelle von Krakau in polnische Hände gespielt werden sollte. Deshalb war er vor allen Andern betroffen und tief gebeugt, als diese Aufstände mißlangen, Sachsen alle Polen auswies und im Februar 1846 den flüchtigen Dictator von Krakau, Tyssowski, in Dresden verhaftete und an Oesterreich auslieferte. Hier ist dieser polnischen Schwächen Blum’s nur deshalb eingehend Erwähnung geschehen, weil sie ihm später noch im Frankfurter Parlament besonders verhängnißvoll werden sollten.
Die öffentliche Mißstimmung, welche sich an alle diese Maßregeln der Regierung knüpfte, wurde indessen weit in den Hintergrund gedrängt durch die entsetzliche Mißernte und Theuerung, welche das Jahr 1846/47 über Sachsen und einen großen Theil des nordöstlichen Deutschlands brachte. Schon 1842 hatte Blum versucht und verstanden, die damalige Mißernte agitatorisch auszubeuten. Er machte sich auch diesmal an die[236] Arbeit. Eine besondere Broschüre „Ein Blick in das Leben des Erzgebirges“, die er im Frühjahr 1847 schrieb, enthält eine ergreifende und gewiß durchaus wahrheitsgetreue Schilderung des Elends, welches damals im sächsischen Gebirge herrschte. Sein Auge war für solche Leiden des Volkes besonders geschärft, sein Herz besonders theilnehmend gestimmt durch seine eigene harte Kindheit und Jugend. Neben den Zwecken des Agitators verfolgte hier unzweifelhaft der Menschenfreund, der Berather der Armen und Hülflosen im weitesten Maße seine edeln Ziele. Dafür spricht in dieser lesenswerthen Flugschrift nicht blos die höchst lebendige objective Schilderung des Leidens der Bevölkerung, sondern namentlich auch die treffende gründliche Untersuchung der Ursachen der schweren Krankheit und der Mittel, mit welchen ihr abgeholfen werden könne, besonders der beredte Weckruf an die Privatwohlthätigkeit, den Blum am Schluß erhob. Aber weit gründlicher und verständiger als der menschenfreundlichste Oppositionsmann half diesmal die Regierung selbst dem Nothstande ab. Blum schlug als Heilmittel vor: „Gewährung von Rechten im Staate und Arbeit.“ „Die ersteren kann, muß der Staat geben, die letztere schafft gewiß die Gesellschaft selbst besser. Solche Versuche mißlingen in den Händen des Staates.[94] Viel wirksamer ist in dieser Beziehung das Bestreben des Kaufmanns Karl Heicke in Leipzig, der einen Verein zu Stande brachte, welcher bereits die Mittel aufbot, mehrere hundert Arbeiter zu beschäftigen.“ Das Unreife dieses Heilvorschlages liegt auf der Hand: nicht auf Gewährung von Arbeit, sondern auf productive Arbeit kam es an und diese[237] konnte unmöglich durch „Vereine“ und mühsam herbeigeschaffte Geldmittel geboten werden, sondern es waren produktive Arbeitsziele zu ermitteln, welche der feiernden Arbeit Beschäftigung und Lohn gaben.
Weit umfassender und weiser waren die Maßregeln zur Abhülfe des Nothstandes, welche die Regierung selbst traf und bezw. dem im Januar 1847 zusammenberufenen außerordentlichen Landtag vorschlug. Ihre Kornpolitik zur allmählichen Linderung der schweren Theuerung war geradezu meisterhaft zu nennen; selbst die erste Autorität auf diesem Gebiete, Wilhelm Roscher, hatte nur Lob für sie. Sie gewährte Getreide, Mehl, Hülsenfrüchte, ermäßigte Bahnfracht, ließ die Dorfbäcker zu städtischen Märkten zu, hob die Brodtaxe auf, suchte Hülsenfrüchten und trockenen Gemüsen an Stelle der mißrathenen Kartoffeln bei der Bevölkerung Eingang zu verschaffen, übte Steuernachsicht, bot reichliche Arbeit an Straßen- und Eisenbahnbauten, weckte und leitete die Privatwohlthätigkeit, und suchte in trefflicher Weise die durch das Phantom des Kornwuchers aufgeregte Phantasie der Massen über die wahren Ursachen der Theuerung aufzuklären. Große Mittel ließ sie sich von dem außerordentlichen Landtag bewilligen, um etwaigen plötzlich gesteigerten Bedürfnissen genügen und ihre Maßregeln zur Linderung des Nothstandes durchführen zu können. Doch wurden nur 187,000 Thaler wirklich verausgabt. Schon im Frühjahr 1847 sank der Roggenpreis wieder auf sieben Thaler (von 9½) und kehrte infolge der reichen Ernteaussichten bald auf seinen gewöhnlichen Stand zurück. Damit war die Noth überwunden. Die „entschiedene“ Opposition hatte sich in diesen volkswirthschaftlichen Fragen auch in der Kammer nicht mit Ruhm bedeckt. Sogar durch Erhebung von Competenzzweifeln hemmte sie die so nothwendige Beschleunigung der Hülfeleistung an das[238] Land. Und ihre Preßerzeugnisse wimmeln von den dicksten und verderblichsten volkswirthschaftlichen Irrthümern.
Einen Trost hatte die Opposition bei ihrer Niederlage: ihr alter Hauptgegner v. Könneritz hatte diesen Sieg über sie nicht mehr erfochten. Er hatte schon Ende 1846 sein Amt in die Hände des bisherigen Präsidenten der ersten Kammer, des Herrn v. Carlowitz niedergelegt und sich nur den Vorsitz im Ministerium und die Leitung der Gesetzgebungsarbeiten vorbehalten. Während nun v. Carlowitz in der Nothstandsfrage zeigte, daß er der Mann von Geist und Charakter sei, für den das Land ihn hielt, sorgte Herr v. Könneritz seinerseits durch Fortsetzung seiner reactionären Regierungskunst dafür, daß das Land seinen Rücktritt nicht etwa als Systemwechsel betrachten dürfe, und stärkte dadurch bald wieder den Einfluß der entschiedenen Opposition. Als Robert Blum z. B. dem Redeübungsverein in Leipzig 1847 den Jahresbericht erstattete, durfte er ein Anwachsen der Mitgliederzahl um hundert Procent verkünden.
Inzwischen hatten sich aber für Blum auch die Bedenken gemindert, welche noch 1846 der Lösung seines abhängigen Verhältnisses beim Theater entgegenstanden. Die Versammlung der freisinnigen deutschen Patrioten hatte in Hallgarten schon im August 1846 beschlossen, eine „Volksbuchhandlung“ auf Actien (zu fünf Thalern) zu gründen und Blum mit den Vorarbeiten und Cassengeschäften betraut. Mit gewohnter Energie betrieb Blum diesen Auftrag. An alle Welt versandte er Antheilscheine. Dr. Jucho allein setzte in Frankfurt achtzehn Stück ab (Brief vom 4. März 1847), Wippermann arbeitete dafür in Kurhessen, Winter und Itzstein in Baden, die sächsischen Freunde männiglich in Sachsen, Jacoby, Simon u. A. in Preußen. „Recht sehr bitte ich Sie, sich um den Stand der Actien bekümmern zu wollen“, schreibt Blum am 15. Juli an[239] Jacoby, „aut Caesar aut Michel!“ Diese Bemühungen waren von recht günstigem Erfolg gekrönt. Größere Summen zum Beginn des Geschäftes stellten Joseph und Andere zur Verfügung. Doch zog man klugerweise vor, diese „Volksbuchhandlung“ nicht in den Formen einer Actiengesellschaft zu gründen, sondern als einfache Handelsgesellschaft, unter der Firma Robert Blum u. Comp. Zum Beitritt als Associé erklärte sich der alte treue Kampfgenosse Blum’s, der Verleger der Vaterlandsblätter und später der Constitutionellen Staatsbürgerzeitung, Robert Friese, bereit.
Als die Vorbereitungen soweit gediehen waren, schrieb Blum am 1. Mai 1847 folgenden Kündigungsbrief an den Theaterdirector Schmidt, den ich vollständig mittheile, da er eine Fülle interessanter Einblicke gewährt.
Sehr geehrter Herr Director.
Mit aufrichtigstem Bedauern, welches hier keine Redensart ist, wie gewöhnlich in solchen Fällen, muß ich Ihnen den zwischen uns bestehenden Contract hiermit kündigen, so daß derselbe mit Ende Juli sich auflöst. Ist es im Allgemeinen schon eine schwere Aufgabe, ein Geschäft zu verlassen, in welchem man volle 15 Jahre gearbeitet hat, so ist es bei mir doppelt schwer, weil mir das Geschäft als das Mittel lieb und werth ist, an welches sich eine sociale Erhebung für mich geknüpft hat, die ich früher kaum zu hoffen wagte. Indessen es muß denn doch sein.
Fragen Sie nach den Gründen, so sind dieselben verschiedener Art:
1) politische; die Stellung und die öffentliche Wirksamkeit vertragen sich schlecht mit einander, und entweder muß das eine oder die andere mitunter leiden, was mir in beiden Fällen empfindlich ist. Kommt es gar zu einer Wahl, wo ich nach Partheistellung und Ueberzeugung concurriren muß, wenn ich auch durchfallen sollte, so würde die Stellung allein die Wahl unmöglich machen. Deshalb haben Freunde von nah und fern mich schon längst angetrieben, das Geschäft zu verlassen; freilich sind solche Rathschläge in Deutschland billiger, als Ersatz für das Aufzugebende.
Dann ist es 2) die Rücksicht auf meine und der Meinigen Zukunft. 15 Jahre bin ich am Theater, bleibe ich noch 10 Jahre, so bin ich vielleicht zu stumpf und abgenutzt, um eine andere Laufbahn zu beginnen; und doch ist weder für die Dauer der Stellung die geringste Bürgschaft vorhanden, noch für die Arbeitsunfähigkeit irgend ein Rückhalt, seit die Verwaltung des Pensionsfonds völlig willkührlich und gesetz- wie statutenwidrig den Cassirer ausgeschlossen hat. Die Gerechtigkeit und Billigkeit dieses Verfahrens, welches den Mann ausschließt, der vielleicht sein Leben dem Leipziger Theater widmet, während es den Fremden begünstigt, der flüchtig für schweres Geld hier weilte; so wie die völlige Principlosigkeit des ganzen Instituts, seine nothwendige Unhaltbarkeit, wenn das bon plaisir der wechselnden Verwaltung Gesetze giebt oder ändert, werde ich zu einer öffentlichen Besprechung bringen, sobald ich in keiner Weise mehr betheiligt bin. — Ich muß also trachten, mir ein Geschäft zu schaffen, welches mich aus dieser precären Stellung herauszieht und glaube und hoffe, dazu jetzt Gelegenheit zu haben.
Weiter ist es 3) die Ueberzeugung, daß ich Ihnen nütze, wenn ich abgehe; ich glaube, oder ich weiß vielmehr, daß unser edler Stadtrath großen Anstoß daran nimmt, daß der ihm verhaßteste Mensch an einem städtischen Institut angestellt ist, und bei der unglaublichen Kleinlichkeit, die diesen Staatsweisen anklebt, ist es nicht unmöglich, daß dies auf Ihre Stellung zum Stadtrathe Einfluß hat. Bin ich nun auch eitel genug zu glauben, daß ich nicht gerade Ihrem Wunsche entgegen komme, so überhebe ich Sie doch der Calamität, heut’ oder morgen einer unangenehmen Nothwendigkeit folgen, oder deren Nachtheile tragen zu müssen.
Endlich sind es 4) auch finanzielle Gründe, die mich bestimmen. Bei den schweren Lasten, die ich bei einem Hauskaufe ohne eigenes Vermögen mir aufbürden lassen mußte, ist es nothwendig, daß ich fast eben so viel durch literarische und andere Arbeiten verdiene, als am Theater. Dazu aber brauch’ ich einen großen Theil meiner Nächte, da der freien Tage und Abende immer weniger werden, und eine solche Anstrengung reibt mich auf. Aber die Thatsache, daß ich mir das Nothwendige seit drei Jahren verdient habe, zeigt mir auch, daß ich mit literarischen Arbeiten allein, wenn ich mich denselben ruhig und ungestört hingeben kann, mehr zu erwerben vermag, als jetzt bei der Stelle; wenn ich[241] auch das Precäre einer literarischen Existenz in Deutschland keineswegs verkenne und meine Zukunft nicht darauf gründen möchte. In der Erwähnung dieses Umstandes soll nicht ein Schatten von Vorwurf für Sie liegen und ich würde denselben um keinen Preis erwähnt haben, wenn eine Aenderung darin auf meinen Entschluß Einfluß haben könnte. Sie haben mir die Lasten nicht aufgebürdet, Sie sind mit Gehalten überlastet genug und müssen so oft spielen, als Sie thun; ich aber vermag es nicht, Ihre zu große Gutmüthigkeit zu mißbrauchen, um heute eine Zulage und morgen eine Gratification u. s. w. von Ihnen zu verlangen. Nur die Thatsache erwähne ich, die Sie anerkennen werden, da Sie ja selbst wissen, was das Leben selbst bei der größten Einschränkung kostet.
Das sind die Motive meines Entschlusses, die ich Ihnen offen mitzutheilen für Pflicht hielt; ich füge die Bitte hinzu: bleiben Sie mir auch in veränderten Beziehungen gewogen und seien Sie versichert, daß ich Ihnen stets die vollste Achtung und Verehrung zollen werde.
Ihr
ergebenster
Robert Blum.
Am 1. Juli 1847 wurde die neue Firma und Verlagshandlung Robert Blum u. Comp. eröffnet. Die ersten Verlagswerke schon zeigten die Tendenz und Spezialität der Unternehmer. Wohl die erste Schrift, die unter der neuen Firma das Licht der Welt erblickte, war die interessante Broschüre des Vertheidigers Heinrich Simon’s (Justizrath Gräff), welche die Vertheidigungsschriften aus dem Majestätsbeleidigungsprocesse enthielt, der gegen Simon wegen seiner berühmten Flugschrift „Annehmen oder Ablehnen“ angestrengt worden war. Gleichzeitig wurde vorbereitet Blum’s „Weihnachtsbaum“, eine populäre Schrift, welche die Biographien der liberalen Zeitgenossen u. dgl. bieten sollte; und sofort mit Eröffnung des Geschäftes wurde angezeigt das Hauptwerk, das die junge Firma zu verlegen gedachte: „Das Volksthümliche Handbuch der Staatswissenschaften[242] und Politik. Ein Staatslexicon für das Volk, herausgegeben von Robert Blum“. Doch sollte dieser Plan, wie alle anderen Lebenspläne des Unternehmers, jäh zerrissen werden. Denn kaum hatte Blum seines Glückes Schiff auf diese neue Bahn getrieben, als der große Völkersturm hereinbrach, der in der Rechnung der Zeiten das Jahr 1848 heißt.
Bei Lebzeiten Blum’s ist nur der erste Band des Werkes vollständig erschienen; zum zweiten hat er nur noch wenig selbst beitragen können, da die Pflichten des Abgeordneten ihn daran hinderten. Gewiß wird man vom persönlichen Standpunkt aus bedauern müssen, daß Blum sich an eine jenseits seiner Kenntnisse liegende Aufgabe wagte, wird man vom wissenschaftlichen Standpunkt aus das Buch in hohem Grade ungenügend finden, und im Allgemeinen dem treffenden Urtheil Robert v. Mohl’s[95] beipflichten, der das Werk nach dem „Populären Staatslexicon“ von Hermann vom Busche (Prof. Baumstark) rangirt und darüber bemerkt: „Noch kürzer und somit stoffärmer, ferner auf eine noch tiefere Bildungsstufe berechnet, ist ein von Robert Blum begonnenes, nach seinem Tode von Gleichgesinnten zu Ende geführtes Handbuch“. Folgt der Titel. Bei „und (?) Politik“ macht Mohl ein Fragezeichen. „Dem Umfang nach geht dasselbe nicht selten über den richtig gezogenen Kreis des staatlichen Lebens hinaus; inhaltlich aber gibt es in der Regel kaum etwas mehr, als eine Worterklärung oder eine auf das Aeußerste beschränkte geschichtliche Nachweisung. Nur da, wo eine Gelegenheit ist, Ansichten der demokratischen Partei auszusprechen, wird in die Sache eingegangen, aber allerdings mehr mit Behauptungen, als mit umsichtigen oder gar unparteiischen[243] Gründen. Zu den staatswissenschaftlichen Arbeiten ist das Buch somit nicht wohl zu rechnen; dagegen kann ihm das Zeugniß, für den practischen Zweck der Bestärkung und Vorbereitung der demokratischen Partei gut berechnet zu sein, nicht versagt werden.“ Aber dem Biographen Robert Blum’s, und allen Denen, welche sich mit der Geschichte jener Zeit und insbesondere mit den radicalen Parteibestrebungen jener Tage beschäftigen, bietet das Buch die interessantesten Aufschlüsse. Es enthält das Glaubensbekenntniß der Männer, die längstens ein halbes Jahr nach Abschluß der Vorarbeiten für den ersten Band des Blum’schen Staatslexicons als Linke des Frankfurter Parlaments große Politik trieben. Manches, was in Frankfurt nicht zur Sprache kam, oder nicht bekannt wurde, ward hier ausgesprochen. Blum’s Urtheil über den Freimaurerbund, über die Deutschkatholiken, haben wir schon an früheren Stellen diesem Werke entnommen.
Hier interessirt uns vor Allem das Urtheil, das Robert Blum in seinem Staatslexicon in den von ihm selbst verfaßten und unterzeichneten Artikeln über die socialistischen Bestrebungen seiner Zeit, über jene Parteien und deren Ziele fällte, die sich heutzutage erdreisten, ihn als einen ihrer Parteiangehörigen zu beanspruchen. Dieses Urtheil Blum’s war weit ausführlicher niedergelegt in Vorträgen, die er im Winter 1847–48 im Saale der Leipziger Buchhändlerbörse gehalten, offenbar in Nachahmung der Dresdner Vorträge Biedermann’s über dasselbe Thema. Diese Vorträge hat er später, wesentlich gekürzt, in seinem „Staatslexicon für das Volk“ in den Artikeln „Gesellschaft“, „Gesellschaftswissenschaft“ u. s. w. abgedruckt. Das Manuscript zu diesen Artikeln ist theilweise auf die weiße Rückseite von Flugschriften oder Briefcouverts aus dem Februar 1848 geschrieben, gehört also unzweifelhaft der letzten Periode seines[244] Lebens an, so daß die Einrede schlechthin abgeschnitten wird, Blum habe etwa später seine Ansicht über den heutigen Socialismus u. s. w. noch geändert. — Ueber den Communismus gelangt Blum, nachdem er alle einzelnen Theorien und Apostel desselben vorgeführt und bekämpft hat, zu folgendem Schlußurtheil: „Die Communisten bauen mehr Systeme auf, als daß sie sich an die Zustände und ihre Bedürfnisse anschließen. Jedes System weicht vom andern ab und doch behauptet jedes das alleinrichtige zu sein, wie die römische Kirche von dem ihrigen. Wir haben bereits unter „Eigenthum“ ausgesprochen, daß wir den Communismus für naturwidrig und unmöglich halten.“
Hierbei ist indessen noch zu berücksichtigen, daß Robert Blum unter Communismus nach Ausweis seines Artikels in seinem Staatslexicon, (Seite 421–425) eine Reihe von Bestrebungen mit verstanden und mit verurtheilt hat, welche die Socialisten heut zu Tage als integrirende Bestandtheile in ihr Programm aufgenommen haben — da sie ja überhaupt die reinsten vaterlandslosen Communisten sind. Diese Bestrebungen suchte die Vorsehung der Socialdemokraten nur so lange im Programm des sog. Socialismus unterzubringen, als sie das Publikum gegen die Ideen und Zweigideen des Communismus verschlossen und mißtrauisch fand. Bis vor Kurzem dagegen hielt dieselbe Partei-Vorsehung die Zeit gekommen, mit ihren communistischen vaterlandslosen Endzielen offen herauszutreten. Wer daran zweifelt, mag die Offenbarungen der Führer und die Parteibeschlüsse von Eisenach, Gotha und Gent nachlesen.[96] Der Ausspruch Blum’s über den[245] Communismus wird für die Socialisten auch nicht günstiger durch seinen scheinbar wohlwollenderen Ausspruch über den Socialismus. Denn wie sich sogleich zeigen wird, versteht Blum unter Socialismus etwas ganz Anderes als die Socialisten von heute. Vielmehr erblickt er vorahnend die beste Lösung der socialen Schäden seiner Tage in solchen Bestrebungen, wie sie Schulze-Delitzsch nach der Revolution mit so großem Erfolge durchgeführt hat, und in solchen gesellschaftlich befreienden Gesetzen, wie sie Deutschland seit derselben Zeit, namentlich aber seit dem Jahre 1867 errungen hat. Er sagt nämlich Seite 427: „dagegen müssen Vereinigungen (Genossenschaften) nach Fourier’s Andeutungen zu glänzenden Ergebnissen führen. Es ist auffallend, daß unter den mächtigen Fortschritten des menschlichen Wissens in jeder denkbaren Sphäre die Gesellschaft in ihrem fast ursprünglichen Zustand geblieben ist, indem sie sich in den engen Kreis der Familie drängt und dort mit verhältnißmäßig ungeheuren Kosten Alles besorgt und anschafft, was in der Vergesellschaftung unendlich billiger und besser zu haben wäre. Auf diesem Gebiete kann man also dem Socialismus eine bedeutende Zukunft vorhersagen.“ Seite 424 aber faßt er die „Lehren“ des Socialismus dahin zusammen: „Gerechtere Vertheilung der Güter der Erde, nicht durch Gewalt, sondern durch friedliche Ausgleichung; Beschränkung der unheilvollen Uebermacht des Geldes; genügender und entsprechender Lohn der Arbeit und des Verdienstes; Erhebung der sogenannten unteren Classen zu gleichem Menschenrecht und gleichem staatlichen Rechte.“ Indem Robert Blum dieses als „Lehre“ des Socialismus bezeichnet, und also fortfährt: „Es ist eine Lehre, die, nicht nach den vorliegenden Formen, sondern nach dem Inhalte, jeder Menschen- und Freiheitsfreund bekennen muß, deren Verwirklichung die Gestaltung der[246] Gesellschaft fordert, täglich gebieterischer und nothwendig macht, in der das einzige Heil der Zukunft, die einzig wahre Gerechtigkeit liegt,“ steht er der werkthätigen Menschenliebe eines Schulze-Delitzsch und selbst den maßvollen Gedanken eines Heinrich v. Sybel über den Socialismus sicherlich bei weitem näher, als Jene, welche den Samen der Zwietracht gewerbsmäßig ausstreuen, und die verderblichen Keime der rothen Revolution mit Jubel hervorbrechen sehen, weil sie in dem ersehnten allgemeinen Vernichtungskampf nichts verlieren, nur gewinnen können. Der Leser erkennt daher sofort, mit wie wenig Berechtigung diese Partei nun schon seit Jahren den guten Namen Robert Blum’s als den eines Gesinnungsgenossen und Mitverschworenen, das heißt als den eines vaterlandslosen Theilbruders in ihrem ungewaschenen Munde führt.
Das kleine Bild der reichen Thätigkeit Robert Blum’s in den letzten Jahren vor der Revolution mag beschlossen werden durch folgende „den Frauen“ gewidmeten Verse, die er im November 1847 zum Jahresfeste des Redeübungsvereins darbrachte. Sie prägen schön die edle Männlichkeit aus, die sich beim ersten Anzeichen des großen Auferstehungssturmes anschickte, die ganze Pflicht zu erfüllen, die das Vaterland forderte!
Mehr als dreißig Jahre sind hingegangen über die Tage, die man den großen „Völkerfrühling“ des Jahres 1848 nennt. Gestorben oder verdorben sind die Meisten, die damals in Deutschland Geschichte machten. Die Ueberlebenden haben eine so gewaltige Erhebung unseres Volkes gesehen, wie kein früherer Abschnitt unserer Geschichte sie kennt. Weit mehr als ein Jahrhundert scheint uns in dem einen Menschenalter verflossen, das uns vom Jahr 1848 trennt. Man sollte daher vor Allem erwarten dürfen, daß Gerechtigkeit geübt werde von den glücklicheren Genossen unserer Tage gegen die tapferen aber sieglosen Kämpfer des „tollen Jahres“. Doch wie selten ist diese Gerechtigkeit zu finden, wie selten wird auch nur der Versuch[248] gemacht, die völlig veränderten Verhältnisse jener Zeit zu würdigen, wenn man heute sich anschickt, über sie zu urtheilen!
Wohl dürfen Diejenigen sich glücklich preisen, welche jung waren und doch schon zur Erkenntniß gereift, als die große Erhebung des Jahres 1870 über unser Volk kam und als dann das Deutsche Reich erstand aus blutiger Saat! Wenn sie hundert Jahr alt werden, immer werden die kommenden Geschlechter ihren Erinnerungen an das große Jahr mit Begeisterung lauschen. Niemals wieder — so Großes wir noch erleben werden — steht uns bevor, ein zweites Jahr 1870 zu durchleben. In künstlicher Trennung fand der Feind den Norden und Süden unseres Vaterlandes vor, doch der freche gleißnerische Plan des Erbfeindes ward zu Schanden. Die gemeinsame Noth überbrückte die Mainlinie. Schulter an Schulter verbluteten Pommern und Baiern, Sachsen und Schwaben im Feindeslande.
Glücklich allein kann man die Menschen nicht nennen, welche das große Jahr 1848 mit Bewußtsein durchlebten! Schwere Drangsal und Kümmerniß folgte dem glückseligen Sonnentag, der unserm Volke damals aufging. Ewig lang schien die Nacht, die ihm folgte. Härter hat nie eine Fremdherrschaft auf unserm Volke gelastet, als die k. k. Reaction der fünfziger Jahre, besiegelt durch die schmähliche Preisgebung der nationalen Traditionen Preußens an dem Tage von Olmütz. Wohl ist es Zeit, an diesen Charfreitag unserer Geschichte zu erinnern in einem Augenblicke, wo die abgestorbene junkerliche Anmaßung wieder das Haupt erhebt unter der Firma der Deutsch-Conservativen und wettbewerbend eintrat um die Wahlgunst der Nation. Wir Alle mögen uns erinnern, daß dem tapfern Hohenzoller, der in Erz gegossen steht auf dem Leipziger Platz in Berlin, das Herz brach, als er, seiner Pflicht gehorchend, den Vertrag von Olmütz unterzeichnete. Denselben[249] Schimpf, nichts Besseres, haben wir auch heute von dieser Richtung zu erwarten.
Und dennoch wird Jedem, der das Jahr 1848 mit Bewußtsein durchlebt und Jedem, der versucht hat, seine Spuren und Folgen an den Quellen nachzulesen, die Erinnerung an diese Zeit so heilig sein und so theuer, wie an irgend eine spätere, glücklichere Zeit unserer Geschichte. Das Jahr 1870 führte uns die Ernte in die Scheunen und kelterte den in heißer Sonne langsam gereiften Wein. Das Jahr 1848 berauschte mit allen Reizen des Frühlings: zauberhaft brechen überall unter der kaum geborstenen Decke des Winters die Knospen und Blüten hervor und versprechen reiche Ernte, einen gesegneten Herbst. Aber die Ernte erlag dem Hagel, der Herbst dem Frost. Im Jahre 1870 feierte die deutsche Nation das Jubelfest ihrer ewigen und unlöslichen Verbindung. Im Jahre 1848 strebte sie darnach, ihre heiße Jugendliebe heimzuführen, sie scheiterte; aber unverloren war die Erfahrung des Glückes und Schmerzes für ihre Zukunft!
Vielleicht Keinem unter allen Denen, die das „tolle Jahr“ seit langer Zeit schon heraufkommen sahen, verhieß es eine reichere Ernte mühsam ausgestreuter Saat, als Robert Blum. Und wohl Keiner unter Allen hat seine Hoffnungen schmerzlicher vernichtet gesehen, als er: denn er mußte ihr Scheitern mit dem Leben bezahlen. In seiner Natur, seinem Charakter schienen sich alle Vorbedingungen zu vereinigen, um das Ringen der Nation, wie es damals zum Ausdrucke kam, zum Siege zu führen. Es galt, zunächst in den Einzelstaaten durch den Sturz des alten Systems die Bahn zu brechen für den Zusammentritt eines deutschen Parlaments, dann in der Nationalversammlung selbst eine gemeinsame Verfassung für Deutschland auf möglichst freisinniger Grundlage zu schaffen. Robert Blum[250] hatte sich seit seinem ersten öffentlichen Auftreten immer gleich gut deutsch und gleich maßvoll erwiesen. Von ihm durfte daher in erster Linie eine richtige, befriedigende Lösung der großen Aufgabe erwartet werden. Den ersten Theil dieser Aufgabe: den Sturz des alten Systems in Sachsen, die Vorarbeit für freie Wahlen der Nation, wie für die Anerkennung der verfassunggebenden Befugnisse des deutschen Parlaments hat er vollkommen erfüllt. Dagegen hat auch er seinen Antheil an der Schuld, die auf jeder Partei des Frankfurter Parlamentes ruht, die aber verhängnißvoll und verderblich wurde für unsere Nation nur durch die mindestens gleich wiegende Schuld der damaligen deutschen Regierungen.
Zu Anfang des nächsten Abschnittes wird diese Ansicht eingehender zu begründen sein. —
Auf einem Ball im Hôtel de Pologne in Leipzig ereilte die Nachricht vom Ausbruch und Erfolg der Pariser Februarrevolution die Elite der Leipziger Bürgerschaft, auch Robert Blum.[97] Auf dem Balle selbst trat Blum sofort mit einigen Freunden zu einer Berathung über die nächsten Schritte zusammen, die nun in Leipzig geschehen müßten. Aller Ansichten[251] stimmten darin überein, daß die Gemeindevertretung, die Stadtverordneten, womöglich auch der Rath, die Wünsche der Leipziger Bürgerschaft vor den Thron bringen müßten. Am nächsten Morgen schon ergab sich, daß auch die gemäßigt Liberalen unter Biedermann’s Führung genau dasselbe Ziel verfolgten. Schon hatte Biedermann in engerem Freundeskreise eine Adresse entworfen, welche von den Stadtverordneten an den König gerichtet werden sollte. Blum und seine Freunde nahmen zwar Anstoß an dem ihrer Meinung nach zu gemäßigten Ton der Adresse. Aber sie ordneten ihre Parteiwünsche unter dem Gelingen dieses edeln und schönen Versuches: durch eine Kundgebung des Kerns der Leipziger Bürgerschaft auf friedlichem und gesetzlichem Wege eine Abhülfe der drückendsten Beschwerden und eine Bürgschaft besserer öffentlicher Zustände herbeizuführen. Zudem stellte sich diese Adresse auf einen so hohen, deutsch-nationalen Standpunkt, daß ihr jeder gute Deutsche, er mochte sonst einer Parteirichtung angehören, welcher er wollte, beistimmen konnte. Sie verlangte „eine Reorganisation der deutschen Bundesverfassung im Geist und nach den Bedürfnissen der Zeit, angebahnt durch die Entfesselung der Presse und die Berufung von Vertretern sämmtlicher deutscher Völker an den Sitz des Bundestags.“ Von dem Verfasser des ofterwähnten Aufsatzes „Das Königreich Sachsen“ in dem 5. Bande der Gegenwart wird S. 596 mit Recht hervorgehoben, daß die Hauptkraft der Bewegung, welche unmittelbar nach der Februarrevolution von der Bürgerschaft Leipzigs gegen das in Dresden herrschende System gerichtet wurde, eben in jener „merkwürdigen Einmüthigkeit aller Parteien und aller Classen der Bevölkerung“ beruhte, welche von da ab wochenlang Liberale und Radicale, Biedermann und Blum, zu treuester Bundesgenossenschaft einte, bis der gemeinsame Feind geschlagen, Alles was man erstrebte, erreicht war. Es war[252] zweifellos eine bedeutsame ebenso patriotische als staatsmännische That, daß Blum, der populärste und einflußreichste Mann des damaligen Leipzig, in den Tagen, die auch seinen letzten Hoffnungen noch Erfüllung verhießen, als Parteiführer und mit seinem persönlichen Ehrgeiz völlig sich unterordnete unter Bestrebungen und Männer, die nicht ganz seinen Neigungen entsprachen — nur um die vereinte Kraft der Stadt für das gemeinsam erreichbare Ziel zu gewinnen. Der Verfasser der schönen, ofterwähnten Arbeit in der „Gegenwart“ (Biedermann?) erkannte das an, vielleicht gerade weil er neben Blum damals gekämpft und den tüchtigen und braven Patriotismus Blum’s in täglichem persönlichen Verkehr erkannt hat[98]. Der Verfasser der Sächs. „Geschichte“ dagegen[99], obwohl er jenen Aufsatz der Gegenwart kannte, da er ihn auf Schritt und Tritt benützt, konnte mit seinem „schärferen Blick schon damals erkennen,“ daß „der Mann (Blum), kein Politiker, noch weniger ein Staatsmann, am wenigsten, trotz aller Phrasen, ein Patriot, sondern, gleich den Meisten seiner Partei, nur der Verfechter abstracter und politisch werthloser Ideen war.“ Die Schärfe dieses Blickes hat nur den einen Fehler, daß sie alle Thatsachen übersieht, welche geeignet gewesen wären, ein solches Urtheil zu berichtigen. Die nachstehenden Blätter verfolgen u. A. die Aufgabe, einem derartigen Urtheil über Blum hinfort den Vorwand des guten Glaubens zu entziehen und jener Auffassung Schranken aufzuerlegen, welche behauptet, daß ein solches Urtheil aus dem Streben hervorgehe, „durchweg nur die historische Wahrheit zu ermitteln.“
Als am ersten März 1848 die Leipziger Stadtverordneten zur Berathung des Biedermann’schen Adreßentwurfes zusammentraten, fand sich volle Einstimmigkeit dafür. Auch die Conservativen schlossen sich derselben an. Noch mehr überraschte, daß der Stadtrath, an dessen Spitze noch immer der traurige Bürgermeister Groß stand, der Adresse einstimmig beitrat. Am zweiten März ging die Deputation der städtischen Behörden zur Ueberreichung der Adresse nach Dresden ab. Der König empfing die Leipziger keineswegs gnädig. Er zeigte sich verletzt durch den Hinweis auf den zwischen dem Geiste des Volkes und dem Geiste der Verwaltung bestehenden Zwiespalt, und lehnte jedes Eingehen auf den Inhalt der Adresse ab, zu welcher die Gemeindevertretung Leipzigs sich nur in Ueberschreitung ihrer Befugnisse habe hinreißen lassen.
Durch anonyme Maueranschläge ward die Bevölkerung Leipzigs am dritten März zu Abends acht Uhr nach dem Dresdner Bahnhof zusammenberufen, um hier die von Dresden zurückkehrende Deputation zu erwarten. Da hier der Raum zu eng war, zog die zahllose Masse nach dem Markt, den sie sammt den angrenzenden Straßen vollständig anfüllte. In lautloser Stille harrten die Tausende hier auf das Eintreffen der Deputation, die endlich gegen neun Uhr eintraf und mit unendlichem Jubel begrüßt wurde. Zuerst sprach Stadtrath Seeburg von der tiefen Rührung des Königs, dann Biedermann. Doch ungestüm verlangte das Volk nach Robert Blum. Endlich erschien Blum auf dem Rathhausbalkon. Seine Stimme allein beherrschte den ganzen Markt, wurde in den angrenzenden Straßen noch gehört. Auch er suchte beschwichtigend von der Adresse und der Antwort des Königs abzulenken. Doch ungestüm fiel auch ihm das Volk in die Rede mit dem Verlangen: „die Antwort, die Antwort!“ Es war nicht mehr zu verheimlichen,[254] daß die Bitten der Stadt harte Abweisung erfahren hatten. Zuerst allgemeines befremdliches Erstaunen. Dann lautes, leidenschaftliches Murren. Die Masse hatte bestimmt gehofft, die Deputation werde die Entlassung der verhaßten Minister von Dresden mitbringen. Doch Blum fuhr fort und wurde weiter angehört. In constitutionellen Ländern, sagte er, sei nicht der König, sondern seien die Minister verantwortlich. Sie trügen auch die Verantwortlichkeit für die Abweisung der Leipziger Anträge. Auf ihre Beseitigung müsse man dringen. Er werde in der nächsten Stadtverordnetenversammlung den Antrag stellen, daß der König das Ministerium, welches das Vertrauen des Volkes nicht besitze, entlassen möge. Unter ungeheuren Jubel- und Hochrufen trennte sich die befriedigte Versammlung.
Schon am nächsten Tage, in der Stadtverordnetensitzung vom vierten März, hielt Blum sein Versprechen. Das Collegium trat seinem Antrage in Form einer „Erklärung“ bei, in welcher es seine vom König bezweifelte Competenz entschieden wahrte und betonte, man müsse dem über die Tragweite der geschehenen Manifestationen getäuschten König erklären, daß die Minister das Vertrauen des Landes nicht besäßen. Weiter trat man einstimmig dem Antrag von Brockhaus auf sofortige Berufung des Landtages bei. Auch diesen Beschlüssen der Stadtverordneten schloß sich der verschüchterte Rath an. Inzwischen hatte sich noch in der Nacht fast unmittelbar nach der Rückkehr der ersten Deputation aus Dresden eine zweite dahin begeben, um dem König eindringlich mündlich die drohende Lage und die Nothwendigkeit beruhigender Schritte vorzustellen. Der König zeigte sich jedoch noch immer so wenig zur Nachgiebigkeit geneigt wie seine Minister. Koch, der in der Deputation war, versuchte durch persönliche Ansprache den verhaßtesten der Minister, Falkenstein, zum Rücktritt zu bewegen; doch anscheinend war auch dieser[255] kühne Versuch erfolglos. Wenigstens brachte die Deputation nichts nach Leipzig mit als die Antwort des Königs: „Aber nichts wird mich bewegen, von dem klaren Wege abzugehen, den mir meine Verbindlichkeit als Mitglied des Deutschen Bundes und meine durch die Verfassung übernommene Pflicht vorschreiben.... Das muß ich offen erklären, daß ich mich in dieser wichtigen Angelegenheit (der Preßgesetzgebung) nicht von Zeitereignissen, sondern nur von der gewissenhaften Rücksicht auf das Wohl des mir anvertrauten Volkes und von meiner, durch die Bundes- und Landesverfassung übernommenen Pflicht leiten lassen werde. Im Uebrigen vertraue ich, daß es dem Ansehen der Behörden, der Kraft und dem guten Geiste der Communalgarde, dem ernsten Willen aller guten Bürger gelingen werde, denjenigen gegenüber, welche auf ungesetzlichem Wege Ungesetzliches wollen, Gesetz und Ordnung zu bewahren; und mache ich dafür, daß dies geschehe, die Stadt Leipzig verantwortlich.“ Die einzige Vertröstung, welche diese Antwort enthielt, waren Schritte beim Bunde betreffs der Befreiung der Presse.
Aber auch diese geringe Zusage wirkte nur verstimmend, da der im Entschlafen begriffene Bundestag schon am 1. März, nachdem er durch dreißig Jahre das öffentliche Vertrauen mit Füßen getreten, sich „vertrauensvoll an die deutschen Regierungen und an das deutsche Volk“ gewendet hatte mit der Versicherung: „er werde von seinem Standpunkt aus Alles aufbieten, um gleich eifrig für die Sicherheit Deutschlands nach außen, wie für die Forderung der nationalen Interessen und des nationalen Lebens im Innern zu sorgen,“ ja, nachdem derselbe Bundestag am dritten März sogar die Proclamation hatte folgen lassen: daß es jedem Bundesstaate frei gestellt werde, die Censur aufzuheben und die Preßfreiheit einzuführen. Kannte man diesen Bundesbeschluß in Dresden noch nicht? Oder wollte man, wie nun seit anderthalb[256] Jahrzehnten, hinter dem Rücken des Bundestags Versteckens spielen gegen die ungestüm rufende Zeit? Schon ehe die Antwort des Königs eintraf und der Bundesbeschluß vom 3. März bekannt wurde, hatte Blum übrigens die Regierung mit ihrem Beharren bei der Censur in eine böse Lage versetzt. Er war mit Wuttke, Oettinger und Arnold Ruge zu dem Censor Prof. Dr. Marbach gegangen und hatte von diesem die Niederlegung seines Amtes gefordert. Dr. Marbach hatte hierauf erklärt, daß er sich dazu nicht berechtigt halte, daß dagegen die Censoren eine Eingabe an das Ministerium gerichtet hätten, in welcher sie gegen die Censur und ihre verderblichen Wirkungen sich ausgesprochen und das Bedenkliche des Fortbestehens der Censur ernstlich vorgestellt hätten. Diese Erklärung veröffentlichte Blum. Man sah den Augenblick herannahen, wo die Räder der verbrauchten Staatsmaschine von selbst den Dienst versagen würden. Niemals hatte der große Fehler dieses Regiments sich klarer und kläglicher gezeigt: aus Furcht, schwach zu erscheinen, bewilligte man auch das Nothwendigste immer erst, wenn es zu spät war.
Fast gleichzeitig mit der Antwort des Königs drang die Kunde nach Leipzig, daß Falkenstein, der gestern noch so zäh an seinem Portefeuille gehangen, freiwillig sein Amt niedergelegt habe, „um nicht den Vorwand zu ferneren Demonstrationen und Unordnungen abzugeben.“ Eben hatten die Stadtverordneten am 5. März beschlossen, ihre gestrige Erklärung nunmehr in Form einer Adresse an den König zu erlassen und offen die Ersetzung der Minister durch Männer des öffentlichen Vertrauens zu fordern. An diesem Verlangen hielt die Leipziger Gemeindevertretung auch fest, als am 6. März eine Ansprache des Königs „An meine Sachsen“ erschien, welche die Berufung des Landtages spätestens zu Anfang Mai verhieß, die Vorlage eines[257] Preßgesetzes ankündigte und an das Volk die Mahnung richtete: „Harret ruhig und im Vertrauen auf das, was ich schon gethan und noch thun werde. Greift nicht den Befugnissen der von Euch selbst gewählten Landesvertreter vor.“ Auch daß die offiziöse Leipziger Zeitung nun auf einmal die Einführung des öffentlichen und mündlichen Verfahrens in Aussicht stellte, und „die Unterstützung aller Maßregeln verhieß, welche die Einigkeit, das Wohl und die Kräftigung Deutschlands fördern könnten,“ verfing bei den Leipzigern nicht. Hatte dasselbe Organ doch nicht lange zuvor noch geschrieben: „es sei eine Ausschreitung, wenn in der Kammer der Satz aufgestellt worden sei, daß das System der Regierung sich irgendwie nach den Ergebnissen der parlamentarischen Debatten und Abstimmungen richten müsse.“ Wie viel weniger war an eine ernstliche Nachgiebigkeit gegen Wünsche einzelner städtischer Corporationen und Volkskreise zu denken. Robert Blum sprach daher nur die Ueberzeugung aller liberalen Bürger Leipzigs aus, als er in der nächsten Stadtverordnetensitzung (7. März) ausrief: „Man hat uns einen Menschen“ (Falkenstein) „zum Opfer gebracht, aber das System ist nicht damit gefallen. Dieses vertreten die Minister v. Könneritz und v. Wietersheim; wir dürfen die Ungesetzlichkeit der Censur nicht länger dulden.“ In derselben Sitzung erwiderten die Stadtverordneten auf die königliche Ansprache des vorhergehenden Tages: „Nach § 85 der Verfassung und dem Bundesbeschluß vom 3. März sei die Presse gesetzlich frei, stehe daher der sofortigen Einführung der Preßfreiheit nichts im Wege; durch die Entlassung Falkenstein’s sei das Hinderniß nicht beseitigt, welches der Wiederherstellung des friedlichen und harmonischen Verhältnisses zwischen Regierung und Volk entgegenstehe; dieses Hinderniß bestehe vielmehr so lange fort, als nicht auch die übrigen Träger des bisherigen ministeriellen Systems zurückgetreten wären,[258] indem man gerade in der neuesten Proclamation den Beweis finde, wie der König nach wie vor über die dringlichen Bedürfnisse des Landes und die Pflichten und Rechte, welche die Verfassung auferlege und verbürge, getäuscht sei; daß aber auch eine Garantie für eine wahrhafte Systemänderung nur dann vorhanden, wenn Männer, die durch ihr öffentliches und ständisches Wirken sich das Vertrauen des Landes erworben, in den Rath des Königs berufen würden.“
Alle diese Beschlüsse faßten die Stadtverordneten einstimmig, unter Blum’s kräftiger Mitwirkung. Immer trat der Stadtrath ihnen einstimmig bei. Nie war aus dem Kreise der Bürger eine abweichende Meinung laut geworden. Eine höchst zahlreiche Menge wohnte allen Sitzungen der Stadtverordneten bei. Die engen Tribünen reichten bei weitem nicht zu, sie zu fassen. Sie füllte die Gänge, die Treppen, selbst den Saal um die Sitze der Gemeindevertreter, beobachteten aber stets die würdigste Zurückhaltung und Ordnung. Einen Antrag, seine Sitzungen in ein größeres Local zu verlegen, um einem zahlreicheren Publikum Zutritt zu verschaffen, lehnte das Collegium ab, um auch nicht den Schein der Unfreiheit, der Beeinflussung seiner Entschließungen zu erregen. Täglich große Versammlungen des Redeübungsvereins im Schützenhause, meist unter Blum’s Vorsitz oder doch seiner Betheiligung, unterstützten die Stadtverordneten durch Beitrittserklärungen, friedliche, von jedem Terrorismus freie Ovationen ihres Beifalls. Zahlreiche freiwillige Hülfscorps (17 Compagnien zu 50 Mann) verstärkten die Communalgarde in ihrem Ordnungsdienst für jeden Fall. Daß ganz Leipzig einer Gesinnung, von unausrottbarem Mißtrauen gegen das herrschende System erfüllt sei, ließ sich in Dresden kaum bezweifeln. Nun trat aber noch eine entscheidende Kundgebung in gleichem Sinne von ganz anderer Seite hinzu: die Universität durch den akademischen[259] Senat richtete eine kräftige, vom Professor (späteren sächsischen, dann baierischen Minister) v. d. Pfordten verfaßte Adresse an den König, in der Reformen in der Verwaltung, der Presse, der Rechtspflege, und eine Regeneration jenes Bundes gefordert wurde, „der das Vertrauen der Völker verloren, um nicht zu sagen niemals besessen habe.“
Immer noch schwankte jedoch die Regierung zwischen Nachgiebigkeit und trotzigem Eigensinn. Als Nachgiebigkeit konnte man die Bekanntmachung der Minister vom 9. März ansehen, in der sie kundthaten, sie hätten dem König ihre Entlassung angeboten, doch sei sie nicht angenommen worden; vielmehr habe der König beschlossen, den Landtag schon zum 30. März einzuberufen, damit dieser darüber entscheide, „ob das gesammte Land die Meinung Derer theile, welche sich gegen die bisherige Wirksamkeit der Minister erhoben hätten.“ Aber dieser Erlaß goß nur Oel ins Feuer. Wie? — rief und schrieb man in Leipzig mit vollem Rechte — die unter dem Drucke der vormärzlichen Bevormundung gewählten abgenutzten Kammern sollten über ein Preßgesetz entscheiden, während die Regierung seit dem 3. März die volle Preßfreiheit unbedenklich gewähren kann? Und nun appellirten auf einmal an die Stände dieselben Minister, die so oft erklärt, sie würden nur ihrer eigenen Ueberzeugung folgen? Und wenn es unzulässig war, die Censur ohne die Stände aufzuheben, warum erklärte die Regierung — wie sie gleichzeitig that — die Censur bis zum 15. April versuchsweise aufgehoben?
Schließlich überwog aber doch die Meinung in Dresden, man könne es noch einmal mit Strenge probiren. Zu diesem Entschlusse bestimmte vor allem die kläglich-servile Haltung der Hauptstadt. Der Dresdner Stadtverordnete (berühmte Philologe, später im Exil jahrelang Professor in Zürich, nach 1870[260] in Heidelberg und Reichstagsabgeordneter) Dr. Köchly suchte den Leipziger Patrioten durch ähnliche Anträge, wie sie von da ausgingen, die Hand zu reichen. Aber schroff lehnte man in Dresden das ab. Der Dresdner Stadtrath suchte sogar eine Adresse der Bürgerschaft, die ähnliche Wünsche aussprach, zu escamotiren. Als die Kunde nach Dresden drang, Leipzig werde durch Massen- oder Sturmdeputationen nach Dresden seine Anträge beim König durchzudrücken versuchen, rottete sich die Dresdner Communalgarde zusammen, besetzte den Leipziger Bahnhof und lauerte hier auf die Leipziger, sie zu fangen oder zurückzutreiben, je nach Umständen. Aber die Leipziger erschienen nicht. Blum hatte seinen ganzen Einfluß aufgeboten, um den Massenzugs-Unsinn zu hintertreiben. Damit doch Etwas geschehe, defilirte die Dresdner Communalgarde vor dem König am Schlosse vorbei, und der „Dresdner Anzeiger“ sprach gerührt von der „großartigen Kundgebung der Stimmung der Dresdner Communalgarde.“ Arm in Arm mit ihr glaubte das Ministerium schon sein Jahrhundert in die Schranken fordern zu können. Daß aus Zwickau und vielen anderen Städten Adressen, Beschlüsse und Deputationen kamen, die mit Leipzig harmonirten, wurde in Dresden weggespottet. Den Sprecher einer Deputation aus der Provinz, den Bürgermeister Schwedler, fuhr der König an: „Nein, nein, nein, nein! Unbillige Wünsche werde ich nicht berücksichtigen! Ich kann mich mit Ihnen nicht in Discussionen einlassen, ich habe Ihnen nichts zu sagen, als: leben Sie wohl!“ Man glaubte eben überall nur Strohmänner einiger Leipziger „Schreier“ vor sich zu haben. Und dieser Ueberzeugung gemäß ward gehandelt — genau so wie im Jahr 1845. Plötzlich wurden große Militairmassen um Leipzig zusammengezogen. Gleichzeitig rückten — gewiß nicht ohne bundesfreundliches Ersuchen von Dresden — preußische Truppen in nächster Nähe[261] von Leipzig an die Grenze. Und wie Herr von Langenn 1845, hielt jetzt der Minister v. Carlowitz unter dieser vollen Machtentfaltung, gleichsam umringt von Bajonetten, am 11. März seinen Einzug in die bedrohte Stadt.
Aber freilich, Herr v. Carlowitz war kein Herr v. Langenn. Wohl war er gekommen, um den Auftrag seines Königs zu vollziehen, des Königs Gebot der erregten Stadt zu verkündigen. Aber gleichzeitig war er gekommen, um mit eigenen Augen zu sehen, und seinem König wahrheitsgetreu über das Gesehene zu berichten. Er fand die treue Stadt in einer Bedrängniß ohne Gleichen. Seit Wochen waren nun Liberale, Radicale, alle irgend nennenswerthen Kreise der Stadt zusammengegangen in dem Streben, auf gesetzlichem Wege die Forderungen der Stadt, des Landes, die heiligsten Interessen ganz Deutschlands gewahrt zu sehen. Nur durch das immer erneute Versprechen, daß auf friedlichem und gesetzlichem Wege Alles sicher erreicht werde, hatte namentlich Robert Blum die meisterlosen, wüsten Elementarkräfte, die jede Revolution entfesselt, niedergehalten. Nun aber, da Woche auf Woche verstrich, ohne den ersehnten unblutigen Sieg zu bringen, begann der Neid und die Mißgunst unverantwortlicher, weit „entschiedenerer“ Gesellen gegen den verdienten Führer in den Massen zu wühlen und zu hetzen — und als vollends das Militair rings um Leipzig zusammengezogen wurde, gährte und grollte es überall in der Stadt wie in einem Vulkan, der sich zum Ausbruch rüstet. Das allgemein verbreitete Gerücht, daß das Militair beabsichtige, Blum und Andere der Gehaßtesten zu greifen und vor ein Kriegsgericht zu stellen, trug nicht wenig zu dieser Erregung bei. —
Dem Minister Carlowitz entging diese Stimmung nicht. Dennoch that er seine Pflicht bis zuletzt. Er richtete die Forderungen aus, die der König ihm für Leipzig mitgegeben. Er[262] verlangte von den Stadtverordneten, sie sollten sich aufregender politischer Reden enthalten. Der Redeübungsverein und die Schützenhausversammlungen sollten jeder politischen Agitation fern bleiben, das lärmende Umherziehen größerer Volksmassen aufhören, der Zug nach Dresden schlechterdings unterbleiben. — Die Stadtverordneten antworteten auf diese Forderungen, die allgemein schmerzliche Enttäuschung erregten, noch am nämlichen Abend ruhig, fest, ablehnend. „Man erwäge nur die Umzingelung Leipzigs,“ hatte Blum schon in der vorangehenden Sitzung (10. März) gerufen. „Weßhalb diese Kosten? Warum wird der Landbewohner so ausgesogen? Weil fünf Menschen, die eine Armee zur Verfügung haben, nicht begreifen, daß sie mit ihren Kugeln zwar Menschen tödten, aber nicht ein einziges Loch in die Idee bohren können, welche die Welt beherrscht.“ Die Stadtverordneten erklärten Herrn v. Carlowitz einstimmig: strafbare politische Reden seien in ihren Versammlungen nicht vorgekommen. Das Recht und die Pflicht freier Meinungsäußerung habe jedermann, namentlich in so bedrängter Zeit. Jeder werde das, was er sage, vor dem Gesetz vertreten. Die Schützenhausversammlungen lägen außerhalb des Geschäftskreises der Stadtverordneten. Umzüge seien seit der Abmahnung des Stadtrathes nicht wieder vorgekommen. Garantien gegen den Zug nach Dresden könnten vom Collegium weder verlangt noch gegeben werden. Die Spannung war auf’s Aeußerste gestiegen.
Da versammelten sich am 12. März im Schützenhause zu Leipzig auf Joseph’s Einladung vierzig namhafte freisinnige Männer, Mitglieder des letzten Landtages und sonstige Vertrauensmänner: Todt, Oberländer, Schaffrath, Joseph, Blum, Biedermann, Koch, Klinger u. s. w. Schaffrath legte ein Programm vor, welches die wichtigsten politischen, religiösen und sozialen Anliegen des Volkes zusammenfaßte.[263] Die radicalen Elemente herrschten in dieser Versammlung vor, aber leicht wurde auch hier ein Durchschnittsausdruck der Meinungen gefunden. Auf Anregung der süddeutschen Liberalen wählte die Versammlung zwei Vertrauensmänner für Frankfurt, wo sich nach den Beschlüssen der Patrioten von Heppenheim und Heidelberg demnächst die Delegirten ganz Deutschlands zusammenfinden sollten. Gewählt wurden die Führer der beiden Richtungen, die in der Versammlung vertreten waren: Blum und Biedermann. Da Blum ablehnte, trat Todt an seine Stelle.
Minister Carlowitz reiste ab. Niemand wußte, ob sein Scheiden von Leipzig Krieg oder Frieden bedeute. Nur daß er selbst keinesfalls länger als bis zum Landtag im Amt bleiben werde, hatte er überall offen erklärt. Aber Carlowitz war ein ganzer Mann[100], wer ihn kannte, durfte nicht zweifelhaft sein, wie er in Dresden auftreten werde. Er öffnete dem König die Augen über den wahren Charakter der Leipziger Bewegung. Der König erkannte, daß er von Könneritz getäuscht worden und entließ diesen sofort in Ungnaden. Am 13. März trat das ganze alte Ministerium zurück. Kaum wagte man in Leipzig der frohen Kunde zu trauen.
Aber schon am 16. März wurden die Namen der neuen Sächsischen Minister bekannt gemacht. Bernhard v. Lindenau, an den die treue Anhänglichkeit des Volkes zunächst dachte, hatte von seinem abgeschiedenen Landsitz aus der Krone den Rath ertheilt, an die Spitze des neuen Ministeriums Braun zu berufen. Neben diesem übernahm Georgi die Finanzen, v. d. Pfordten das Aeußere und Innere, v. Holtzendorff den Krieg. Am[264] 20. März wurde das Ministerium vervollständigt durch den Eintritt eines der nächsten politischen Freunde Blum’s, Martin Oberländer aus Zwickau. Weite Kreise Sachsens dachten vor Oberländer’s Berufung daran und sprachen aus, daß Blum selbst zum Minister ernannt werden müsse. Beim König wäre seine Ernennung wohl kaum schwieriger durchzusetzen gewesen, als die Oberländers[101]. Aber auf das Bestimmteste erklärte Blum, daß nunmehr, nachdem das alte System in Sachsen gestürzt sei, seine Thätigkeit nur den Vorarbeiten für das Deutsche Parlament, Deutschland, nicht Sachsen gewidmet sein könne.
In der That war durch die Einsetzung des Märzministeriums und die Durchführung des Regierungsprogramms, welches das Ministerium verkündigte, Alles erreicht, was die vereinigte Opposition des Landes in Sächsischen und Deutschen Dingen seit Jahren vergebens verlangt hatte. Denn das Programm der neuen Regierung enthielt folgende Verheißungen:[265] Vereidigung des Militairs auf die Verfassung, Aufhebung der Censur für immer, ein Preßgesetz ohne das System der Concessionen und Cautionen, Reform der Rechtspflege auf Grundlage der Oeffentlichkeit und Mündlichkeit, Geschworenengerichte in Strafsachen, Reform des Wahlgesetzes, Vereinsrecht mit Repressivbestimmungen gegen Mißbrauch, gesetzliche Ordnung der kirchlichen Verhältnisse im Geiste der Duldung und Parität, Antrag auf Revision des Vereinszolltarifs, kräftige Mitwirkung zu zeitgemäßer Gestaltung des Deutschen Bundes mit Vertretung des Volkes bei demselben. In diesem Sinne handelte das neue Ministerium auch sofort. Am 22. ward das Militair auf die Verfassung vereidet, am 23. die Presse freigegeben, am 30. sagte sich das Ministerium von den sog. „Ausnahmebeschlüssen“ des Bundes los. Am 11. April wurde eine Art von Volksbewaffnung eingeführt, am 17. April eine allgemeine Amnestie für politische Vergehen erlassen u. s. w. Namentlich ließ das Ministerium ein vollständiges Eingehen auf die nationalen Forderungen der Zeit hoffen. Als am 20. März die Deputation der süddeutschen Regierungen in Dresden eintraf, um Sachsen zum Anschluß an die Grundzüge der von Hessen, Nassau, Baden, Württemberg beschlossenen künftigen deutschen Verfassung (Bundesstaat unter preußischer Spitze) einzuladen, sandte Braun den Professor Biedermann in außerordentlicher Mission nach Berlin, um den Anschluß der Sächsischen Regierung an diese Bestrebungen zu erklären[102]. Während diese Action geheim blieb, ließ sich der Standpunkt des Sächsischen Ministeriums in der Deutschen Frage für Alle erkennen in der Instruction, welche[266] es jenem „Vertrauensmann“ nach Frankfurt mitgab, den es nach dem Beschlusse des Bundestags dorthin zu entsenden hatte. Schon die Wahl Todt’s, des Schöpfers und Leiters der ehemaligen Landtagsopposition, zu dieser wichtigen Stellung, erregte überall freudige Zustimmung. Die ihm mitgegebene Instruction aber enthielt folgende Grundzüge: „Deutschland wird Bundesstaat auf volksthümlicher Grundlage, dessen Organe ein Oberhaupt mit einem verantwortlichen Ministerium, ein Parlament mit zwei Häusern, ein Reichsgericht sind. Die Aufgabe der Centralgewalt umfaßt die völkerrechtliche Vertretung Deutschlands, die Gesetzgebung in den wichtigsten Gegenständen, die Grundlagen des Verkehrs, Heer und Flotte; sie garantirt überdies die Grundrechte des deutschen Volkes. Die innere Verfassung der Einzelstaaten ist die constitutionelle mit ihren Consequenzen. Beschränkung der Selbständigkeit der Einzelstaaten, soweit die völkerrechtliche und bundesstaatsrechtliche Einheit Deutschlands es fordert.“ Wie weit damals das Ministerium auf dieser deutschen Bahn zu gehen entschlossen war, erhellt am besten aus jenem Wort, das der particularistischste der Märzminister, v. d. Pfordten, zu Biedermann sprach, als dieser zum Vorparlament reiste: „Bringen Sie uns eine Verfassung, welche Sie wollen, nur halten Sie uns die Republik vom Leibe“[103].
Die öffentlich bekannt gemachte Instruction der Regierung an Todt stimmte durchaus überein mit den Ansichten aller Parteien in der Deutschen Frage. Die conservativ-reactionären Elemente, die allein anderer Meinung waren, wagten sich damals noch nicht hervor. Namentlich war der radicale Fortschritt unter Blum’s Führung damals durchaus einverstanden damit, daß die Regierung sich bereit erklärte, die Opfer zu bringen, welche die[267] Nation durch ihre Vertreter in Frankfurt fordern würde. Die radicale Partei glaubte in dem Programm den vollen Spielraum zu finden für ihre damals noch unfertigen und weit auseinandergehenden Ansichten über die Art dieser Opfer und die Natur des künftigen deutschen Oberhauptes. Keineswegs nur republikanische Elemente einigten sich um Blum unter dessen Führung. Im Gegentheil: seine nächsten und intimsten Freunde, Rüder, Cramer, Bertling u. s. w. waren monarchisch gesinnt. Sein eigenes Ideal war unstreitig die Republik. Daß eine solche in Deutschland, mindestens vorläufig, nicht durchführbar sei, hat auch er damals in classischen Aussprüchen kund gegeben. Als vor seiner Abreise zum Vorparlament eine zahlreiche Deputation aus dem sächsischen Gebirge ihm zur Pflicht machte, binnen längstens vierzehn Tagen von Frankfurt die deutsche Republik mitzubringen, richtete er die verblüffende Frage an die Versammlung: ob die Herren an allen Orten, von denen sie herkamen, schon Feuerspritzen hätten? Als die Frage von einem großen Theile der Deputirten verneint wurde, erwiderte Blum lakonisch: „Sagen Sie Ihren Auftraggebern, ehe jedes Dorf in Deutschland seine Feuerspritze habe, könne ich ihnen die deutsche Republik nicht besorgen“[104]. — Eine ähnliche Aeußerung that er bei seiner Ankunft in Frankfurt vor der Eröffnung des Vorparlaments. Er und die anderen sächsischen Delegirten zum Vorparlamente, darunter Professor Wuttke, der mir den Vorfall erzählt hat, wurden bei ihrer Ankunft in eine große Frankfurter Volksversammlung geladen. Wild wogten hier die Anträge und Reden durch einander. Daß Deutschland Republik werden müsse, schien Allen ausgemacht. Da trat Robert Blum, den Meisten unbekannt, auf und sprach das Wort: „Eine Republik könnte[268] Deutschland schon werden — aber es fehlen uns die Republikaner!“ Vorläufig entsprach das Programm, die Leitung und Organisation des Vereins, der Blum als seinen Führer anerkannte, der Ansicht des Letzteren. Dieser Verein bildete sich am 28. März aus den Versammlungen des Schützenhauses und nahm den Namen „Vaterlandsverein“ an. An der Spitze desselben standen neben den Monarchisten Cramer, Bertling, Wuttke, Rüder, auch in der Wolle gefärbte Republikaner wie Ruge, Jäkel, Binder, Skrobek, Althaus. Nur die reinen Socialisten fanden keinen Boden hier und traten unter der Losung: „Sociale Reform, aber keinen Communismus!“ unter Weller’s und Semmig’s Leitung zu einem „Demokratischen Verein“ zusammen. Weitaus die Mehrheit aller politisch regen Männer des Landes aber umfaßten die „Vaterlandsvereine,“ die sich rasch über ganz Sachsen verbreiteten und Blum zum ersten Obmann und gleichsam Protector aller Zweigvereine wählten. Sie umfaßten schon auf der Generalversammlung Ende April vierzig Vereine mit 12,000 Mitgliedern. Zu Anfang September waren sie auf hundert Vereine mit etwa 30,000 Mitgliedern gestiegen. Auch das platte Land bedeckte sich mit Vaterlandsvereinen. Sie waren unter sich in Bezirke getheilt, der „leitende Ausschuß“ aber saß in Leipzig und regierte von hier aus. Von Zeit zu Zeit fanden Generalversammlungen statt. Ueber die Hauptfrage, ob Monarchie, ob Republik? sprach sich das Programm der Vereine, wie gesagt, Anfangs schon um deßwillen nicht aus, weil die Ansicht der Führer selbst getheilt, ja ungeklärt war. Anfangs sagte das Programm darüber nur: „man dürfe dem Volkswillen nicht vorgreifen; dessen Sache sei es, sich diejenige Regierungsform zu geben, welche ihm am meisten entspreche“. Später nahm man, um sich gegen mannigfache Angriffe zu decken, die Erklärung auf: „daß die demokratisch-constitutionelle Monarchie[269] für Sachsen als die Vollzieherin des Volkswillens zu betrachten sei.“ Dabei beruhigten sich vorläufig alle Elemente, welche die Vaterlandsvereine zusammenfaßten — obwohl die Unklarheit in der Hauptfrage nothwendig künftige Conflicte in sich barg — und wandten ihre vereinte Kraft zunächst der Vorbereitung der Parlamentswahlen zu. Von dem Einfluß, den diese Vereine damals übten, giebt am besten die Thatsache Zeugniß, daß von den 24 Abgeordneten, die aus Sachsen nach Frankfurt entsandt wurden, zwanzig der Linken, die Blum führte, angehörten. Nicht minder fielen die Ergänzungswahlen zum Landtage fast durchgängig im Sinne der Vaterlandsvereine aus.
Die Bildung streng monarchisch-constitutioneller „Deutscher Vereine“ begann erst am 6. April. Von ihnen wird später die Rede sein.
Unter so günstigen Auspicien konnte Blum getrost sein Vorhaben ausführen: Sachsen zu verlassen, um in Frankfurt im Vorparlament einen neuen Schauplatz seines Wirkens zu eröffnen. Er reiste von Leipzig ab in den letzten Tagen des Monat März. Der Stadt Zwickau, vor Allen dem rührigen braven Hermann Breithaupt daselbst, dankte er sein Mandat für das Vorparlament. Dieselbe Stadt hatte ihn zuvor zum Ehrenbürger ernannt.
Unzweifelhaft, wurde oben gesagt, war das Ideal Robert Blum’s die Republik. Ebenso sicher aber ist, daß er dieses Ideal seines Herzens vorläufig nicht erreichbar hielt, als er nach Frankfurt zum Vorparlament zog. Aeußerungen, welche diese[270] Ueberzeugung bekunden, wurden oben angeführt. Auch die verschämt monarchische Färbung des Programms der Vaterlandsvereine würde er nicht geduldet haben, wenn er schon im März in Leipzig die Republik für Deutschland erreichbar gehalten, seine politische Arbeit auf die Verwirklichung dieses seines Ideals gerichtet hätte.
Unglücklicherweise änderte sich bei ihm diese Ansicht schon in den ersten Tagen seines Frankfurter Aufenthaltes. Den Schreiern zwar, die dort in den Bierhäusern das große Wort führten, den Struve, Hecker, Ronge, Zitz u. s. w.[105] mißtraute er gründlich und sprach dieses Mißtrauen offen und in Privatbriefen (die unten mitgetheilt werden) rückhaltlos aus. Aber ganz anders als in dem nüchternen, faßt spießbürgerlichen Sachsen machte sich hier die Leidenschaft und Begeisterung der Bürger geltend: revolutionstrunken, freiheitglühend erschien Blum der ganze deutsche Süden. Und wenn so kühle abstracte Denker wie Johann Jacoby und Heinrich Simon, so geschäftskundige Politiker wie Itzstein und Abegg, so reichbegabte patriotische Männer[271] wie Raveaux von Köln, und so rein materialistische Naturen wie Carl Vogt ihren Glauben an die unmittelbare Verwirklichung der deutschen Republik gleich entschieden und zuversichtlich offenbarten, so war es dem Führer des radicalen sächsischen Fortschritts kaum zu verargen, daß er sich fortan mit Begeisterung und Energie dem Streben hingab, dieses vermeintlich höchste Ideal seines Lebens und Denkens zu verwirklichen. Selbst von dem gegnerischen und um weitere dreißig Jahre gereiften Standpunkt aus[106] wird zugegeben: „Wenn damals die Linke des Vorparlaments siegte, wenn ihr gelang, was sie wollte, die sofortige Verkündigung einer republikanischen Verfassung für Deutschland, oder auch nur, was im Effect nahezu das Gleiche gewesen wäre, die Permanenzerklärung des Vorparlaments — die Regierungen und der Bundestag hätten dies schwerlich zu hindern vermocht, vielleicht kaum einen Versuch dazu gewagt, und eine Periode unabsehbarer Verwirrung wäre auf unbestimmte Zeit über Deutschland hereingebrochen.“
Heute wird mit verschwindend kleinen Ausnahmen jeder Deutsche dieses Urtheil unterschreiben. Ausgangs März 1848 aber stand für die Anhänger der Deutschen Republik nur das Eine fest, was wir heute auch einräumen müssen, daß die Proclamirung einer republikanischen Staatsverfassung für Deutschland alle Formen rechtsgültiger Beschlüsse für sich gehabt hätte, und weder das ernstliche Widerstreben einer Regierung, noch des Bundestages herausgefordert haben würde. Sehr zweifelhaft dagegen konnte den Republikanern des Jahres 1848 das Andere erscheinen, worüber wir heute Alle einig sind: daß mit Proclamirung der Republik „eine Periode unabsehbarer Verwirrung auf unbestimmte Zeit über Deutschland hereinbrechen“ würde.[272] Wir haben gewiß Recht in dieser Annahme. Eine seit Jahrhunderten, um nicht zu sagen seit Jahrtausenden stetig und ohne Unterbrechung fortgesetzte monarchische Staatsentwickelung läßt sich von heut auf morgen nicht in republikanische Bahnen lenken. Und diejenigen, welche etwa aus der Geschichte Frankreichs seit 1789 das Gegentheil folgern wollen, mögen sich von dem besten deutschen Kenner französischer Geschichte und französischer Gesellschaft, Carl Hillebrand[107], belehren lassen, daß sie irren, daß auch seit der großen Revolution jeder Herrscher Frankreichs vom ersten Consul bis zum Marschall Mac Mahon ein persönlicher Herrscher gewesen ist und daß jeder Minister oder Volksmann, der sie dazu zwingen wollte, die constitutionelle Fiction des unverantwortlichen Staatsoberhauptes beizubehalten, ohne jeden Aufwand von Zeit beseitigt worden ist.
Aber keine Zeit war weniger geeignet, solchen Erwägungen Raum und Recht zu geben, als der März des Jahres 1848. Beinahe widerstandslos hatte überall das alte Regiment, die ganze bis dahin herrschende Partei und Gesellschaft sich selbst, den Thron, den „Staat“, den sie zu vertheidigen hatte, den Wogen der Revolution preisgegeben. Daß die „Revolution vor den Thronen stehen geblieben war,“ erschien als ein unerklärlicher, vom Standpunkt des Republikaners aus ganz unbegründeter Act der Gutmüthigkeit. Denn wenn man die Widerstandsfähigkeit der Monarchie im damaligen Deutschland schätzte nach den Erfahrungen der jüngsten Wochen, so erschien sie außerordentlich gering. Gerade in dem größten deutschen Staate, in Preußen, hatte sich der regierende König so tief erniedrigt, daß der gesundeste Gedanke der Anhänger einer monarchischen Staatsverfassung für Deutschland: dem König von Preußen die[273] deutsche Kaiserkrone zu übertragen und ihn an die Spitze des deutschen Bundesstaates zu stellen, vorläufig einfach unausführbar war. „Die Person des preußischen Königs ist nicht wieder zu heben,“ schrieb am 26. März die „Deutsche Zeitung“, das Organ jener Partei in Deutschland, die auf Preußen alle ihre Hoffnungen setzte. Am 28. März fügte sie hinzu: „Das Odium gegen Preußen ist unglaublich groß und kann nur durch die Zeit gemindert werden“. Und als dieser Antrag zum ersten Mal im Parlament auftauchte, wurde er begraben unter dem Hohngelächter des Hauses und fand bei der Unterstützungsfrage nur die einzige Stimme des Antragstellers. Auch muß man sich erinnern, wie unbeliebt die Person des Preußischen Thronfolgers (des heutigen Kaisers Wilhelm) damals war. Der Prinz war so verhaßt, daß er als Verbannter im Auslande leben mußte[108]. In Baiern und andern deutschen Staaten hatte die Krone sich beinahe nicht weniger compromittirt als in Preußen. Wenn damals selbst die „Deutsche Zeitung“ für Deutschland eher an eine Verfassung „ähnlich der nordamerikanischen“, als an einen monarchischen Bundesstaat dachte, so wird man den Männern, welche damals die Republik in Deutschland für erreichbar hielten, weder die politische Einsicht noch namentlich den Patriotismus absprechen dürfen. Sehr viele dieser republikanisch-gesinnten Abgeordneten, und zwar selbst von denen, die damals die Republik auch um den Preis eines Bürgerkrieges anstrebten — denn das war doch eigentlich das Programm jener äußersten Linken des Frankfurter (Vorparlaments und) Parlaments, die auch Robert Blum[274] einen Reactionär schalt — haben später die schönsten Beweise ihrer gut nationalen Gesinnung gegeben. Ich erinnere nur an Arnold Ruge, Friedrich Kapp, Johann Jacoby (bis 1860), selbst Hecker; von den Jüngeren, wie Ludw. Bamberger und Miquèl ganz zu geschweigen, die Beide sich damals bereit hielten, jeden Augenblick das reactionäre Parlament, einschließlich Robert Blum’s und seiner Freunde, von Heidelberg und Mainz aus mit Krieg zu überziehen[109].
Diese Sättigung der damaligen politischen Luft mit republikanischem Lebensstoff ließe sich noch aus tausend andern unverwerflichen Zeugnissen jener Tage darthun. Erzählt doch selbst Biedermann, der in seinem Wahlkreise gegen Robert Blum gewählt wurde, daß ihm seine nach damaligen Begriffen conservativen Wähler, als er sich Anfang Mai von ihnen verabschiedete, als letztes Wort noch in den Eisenbahnwagen nachriefen: „Bringen Sie uns nur um Gottes Willen keinen Kaiser mit!“[110] Und derselbe maßvolle Politiker schreibt wenige Seiten vorher[111]: „Zunächst vergesse man nicht, daß in der Zeit, wo das Vorparlament[275] und der Fünfziger-Ausschuß tagten, ja auch noch als das Parlament zusammentrat, beinahe alle gewohnte Autorität in Deutschland, selbst in den größeren Staaten gänzlich geschwunden war. Die einzige noch existirende Autorität war damals bei den frei aus dem Volke hervorgegangenen Gewalten.“
Daß Robert Blum, als er nach Frankfurt gekommen, die Republik in Deutschland für erreichbar hielt und darauf hinarbeitete, kann ihm daher an sich weder den Vorwurf mangelnder politischer Einsicht noch den Tadel undeutscher Gesinnung zuziehen. Er theilte mit Hunderttausenden seiner Mitbürger einen Irrthum, den er schwerer als Alle gebüßt hat. Aber er unterschied sich zu seinem Vortheil von Tausenden dieser Mitbürger und einer großen Anzahl seiner Meinungsgenossen im Vorparlament und Parlament dadurch, daß er die Verwirklichung seines Ideals, der deutschen Republik, nur auf gesetzlichem Boden, d. h. dem einzigen gesetzlichen Boden, der damals noch vorhanden war, durch den Beschluß der Nationalversammlung selbst erstrebte, dagegen jede bewaffnete Erhebung mißbilligte, welche versuchte, außerhalb des Parlaments auf dem Wege der Gewalt die republikanische Staatsform zu erzwingen. Diese eine Thatsache sollte man ihm vor Allem nicht vergessen. Von jenen Apriltagen an, da Struve und Hecker das Banner der Revolution im Badischen Seekreis und im oberrheinischen Schwarzwald erhoben, bis zu jenem letzten fluchwürdigen Angriff auf die Freiheit und Selbständigkeit der Deutschen Nationalversammlung in den Frankfurter Septembertagen hat Robert Blum seine Stimme und seinen Einfluß jedesmal gegen die Friedensstörer erhoben, die unter dem Namen der Freiheit ihren souverainen Willen durchzusetzen suchten. Jedermann kann ermessen, wieviel gefährlicher und[276] ausgedehnter jene revolutionären Schilderhebungen geworden wären, wie weite Kreise des Volkes sie ergriffen hätten, wenn Robert Blum seinen Einfluß bei den Massen und im Parlament für die Revolution verwandt hätte, statt gegen sie. Diesem seinem maßvollen und loyalen Verhalten dankte er zumeist den Verlust des Gutes, das er in größter Fülle sein eigen nannte, der Gunst und Liebe der Massen.
Schwerer als der Tadel, daß Robert Blum und seine Freunde von Anbeginn ihres parlamentarischen Wirkens an republikanischen Plänen nachhingen, wiegt gewiß der andere Vorwurf: daß es die Pflicht der Frankfurter Linken gewesen sei, von ihrer republikanischen Herzensneigung abzulassen und den Boden einer Vereinigung auf monarchischer Verfassungsgrundlage zu suchen, sobald die Linke erkennen mußte, daß die große Mehrheit des Vorparlamentes, des Fünfziger-Ausschusses und des Frankfurter Parlamentes niemals eine republikanische Staatsverfassung für Deutschland beschließen würde, vielmehr durchaus monarchisch gesinnt sei. Indessen auch dieser Vorwurf wird doctrinär vom Standpunkt unsrer völlig veränderten heutigen Staatsverhältnisse aus erhoben, er vermischt mindestens Wahres mit Falschem.
Gegründet ist an diesem Vorwurf, daß die Linke fast während ihrer ganzen politischen Wirksamkeit sich nicht in die Rolle einer parlamentarischen Minderheit zu schicken vermochte, immer wieder die Prätension erhob, daß ihre Meinung die des wahren Volkes, des Volkes schlechtweg sei, während die Mehrheit nur die Meinung der durch die Revolution ausrangirten Regierungsunfähigkeit vertrete. Dieser Anspruch war ebenso anmaßend als lächerlich. Niemals ist der Radicalismus wohlfeiler und müheloser zu parlamentarischem Wirken gekommen, als im Vorparlament. Wer nur irgendwie sich jemals mit[277] Politik in Deutschland befaßt hatte und sich nur des geringsten öffentlichen Vertrauens erfreute, konnte sich von irgendwem ein Mandat zum Vorparlament geben lassen und war sicher, daß man seine Legitimation gelten ließ. Es kann auch durchaus nicht behauptet werden, daß der Radicalismus sich dieser glücklichen Lage allzu verschämt bedient hätte. Es genügt hier zum Beweise, auf die offiziellen Abstimmungslisten des Vorparlaments zu verweisen[112]. Daraus ersieht man zugleich, wie viele Sitze des Vorparlaments einige der Länder und Ländchen für sich in Anspruch nahmen, die dem Radicalismus besonders zugänglich waren. Auch die Wahlen zum Deutschen Parlament brachten die Meinung des „Volkes“ zum denkbar freiesten Ausdruck. Auf 50,000 Seelen wurde ein Abgeordneter gewählt; jeder volljährige selbständige Staatsangehörige war wahlfähig und wählbar[113]. Selbst die „politischen Flüchtlinge, die nach Deutschland zurückkehrten und ihr Staatsbürgerrecht wieder antraten,“ sollten wahlberechtigt und wählbar sein[114]. Zudem fanden die Wahlen so bald nach den Revolutionswochen statt, daß die monarchischen Parteien in vielen Ländern Deutschlands eben so wenig, als wie das oben für das Königreich Sachsen nachgewiesen wurde, sich bereits fest und thatkräftig aneinandergeschlossen hatten. Am wenigsten konnte etwa bei den Parlamentswahlen irgendwo von Entfaltung eines übermächtigen Regierungseinflusses die Rede sein. Die Mehrheit[278] des Parlaments wie des Vorparlaments war daher mit ihrer monarchischen Tendenz gewiß der wahre Ausdruck der großen Mehrheit des Deutschen Volkes. Auch hat Robert Blum für seine Person im Vorparlament sowohl, als später im August vor seinen Wählern in Leipzig in seiner Schützenhausrede die Unterwerfung unter den Willen der Mehrheit für die oberste Pflicht jeder parlamentarischen Partei und für die Vorbedingung jeder parlamentarischen Thätigkeit erklärt. Gleichwohl hat er geschehen lassen, daß in seiner Presse (in den Vaterlandsblättern und der von ihm in Frankfurt gegründeten und herausgegebenen Reichstagszeitung) die „Mehrheit“ fort und fort als im Widerspruch mit der Volksmeinung stehend angegriffen und verleumdet wurde, und auch durch seine ganze Privatcorrespondenz zieht sich derselbe völlig unbegründete Vorwurf, die beinahe kindliche Hoffnung, das „Volk“ würde sich demnächst mit Entrüstung in einer feierlichen Form von der Mehrheit des Parlaments lossagen und insgesammt der Linken zukehren. Der Zeitpunkt, wann dieses Pronunciamento eintreten müsse, wird von Blum Anfangs auf den Sommer, dann auf den Herbst oder Winter, dann auf das kommende Frühjahr (1849) angesagt — deutlich verräth dieses haltlose Prophezeihen die Schwäche der Stellung des sonst so klaren Mannes.
Dagegen erscheint das Verlangen, die Linke hätte sich im Wege des Compromisses oder sonstwie dem Standpunkt der monarchischen Rechten schon im Vorparlament oder doch in den ersten Monaten der Thätigkeit der Deutschen Nationalversammlung annähern und unterwerfen sollen, absolut ungerecht, weil damals unausführbar. Die siegreiche Mehrheit war in sich selbst über die wichtigsten Fragen noch keineswegs einig; am wenigsten über die allerwichtigste, die Grundzüge der künftigen Staatsverfassung Deutschlands, so daß selbst noch 1849 bei der entscheidenden[279] Abstimmung über das erbliche preußische Kaiserthum nur eine Majorität von vier Stimmen, und zwar von vier österreichischen Stimmen, sich für das preußische Kaiserthum erklärte[115]. Aber neben dieser sehr schwer wiegenden sachlichen Unmöglichkeit einer Verschmelzung der beiden großen Hälften des Frankfurter Parlamentes, waren auch persönliche Hindernisse vorhanden, die wohl zu würdigen sind. Wie in Sachsen seit den Augustereignissen des Jahres 1845 die gemäßigt liberalen Elemente sich von den radicalen unter Blum’s Führung mehr und mehr geschieden hatten, wie sie nur in den ersten Wochen nach der Revolution durch den Drang der Noth wieder vereinigt waren und Schulter an Schulter den Sturz des alten Systems gemeinsam erzwungen hatten, dann aber sofort der alte Zwiespalt unter ihnen wieder hervortrat, so hatten die Märzwochen auch in Süddeutschland überall eine tiefe Spaltung zwischen denselben Parteistandpunkten vollzogen. Für Blum war der Anblick überaus befremdend, daß er Männer wie Welcker, Mathy, v. Soiron, Bassermann &c., mit denen er bis dahin theilweise in vertrautem Briefwechsel gestanden[116], Männer, die Blum insgesammt noch 1845 in begeisterten Ausdrücken für sein Verhalten während der Augusttage belobt hatten, mit einem Male im Lager und als Wortführer seiner Gegner fand. Zudem hat der alte verschlagene Itzstein gewiß nicht ermangelt, die Abneigung Blum’s gegen diese früheren Freunde dadurch künstlich zu steigern, daß er Blum diese Männer in den schwärzesten Farben als Verräther an der Sache des Volkes brandmarkte. Bald äußert sich der Schmerz über diese Wahrnehmung bei Blum[280] in der Form tiefster Verachtung der einstigen Kampfgenossen: „diese Lumpen, die jahrelang als freisinnig und entschieden galten, die man verehrte, sie sind jetzt Stillstands- und Rückschrittsmenschen“, schreibt er am 3. Mai seiner Frau. „Die Tyrannei ist überwunden, aber dieses feige Geschlecht stellt sich in den Weg auf der Bahn zur Freiheit. Wir könnten Deutschland regieren“ (im Fünfzigerausschuß) „und dieses Volk ist zu erbärmlich, die losen Zügel zu ergreifen, ja hält die Andern noch davon ab“. Es war rein unmöglich, daß Männer zusammengehen sollten, die so übereinander dachten, schrieben[117]. Es gehörte ein längeres gemeinsames Arbeiten im Dienste des Vaterlandes dazu — ein längeres, als es Blum zu erleben beschieden war — um zunächst eine gerechtere gegenseitige Würdigung zu erzeugen und dadurch den Boden für ein compromissarisches Zusammengehen zu schaffen.
Endlich kam aber zu diesen persönlichen Verstimmungen auch eine Verschiedenheit der Stellung beider Parteien den Regierungen gegenüber, welche vorläufig eine Annäherung ihrer Ansichten unmöglich machte. Die Linke hatte einen unleugbaren Vorzug vor der Mehrheit des Parlaments: sie stand den Regierungen ganz frei, kritisch und sogar mißtrauisch gegenüber. Jede Handlung des reactionären Particularismus, welche die Souverainetät der deutschen Nationalversammlung verkümmern könnte, fand in den ersten Monaten an der Linken zu Frankfurt die unerbittlichste Richterin. Jede Regung des monarchischen Bewußtseins überwachte sie mit Argusaugen. Die Erstarkung reactionärer, der nationalen Entwickelung feindseliger Pläne wies sie schon bei deren erstem Auftauchen klar und bestimmt[281] nach und verlangte deren Vereitelung, woher sie immer kamen. In der Mehrheit des Frankfurter Parlamentes waren dagegen gerade den weitest Denkenden, den mit den maßgebenden Regierungskreisen Preußens u. s. w. am engsten Vertrauten, die Hände in dieser Hinsicht gebunden. Sie konnten nicht die Krone brüskiren, die sie im Stillen zur Deutschen Kaiserkrone zu erhöhen gedachten. Ein ähnlicher Unstern waltete damals über Deutschland, wie in der Conflictszeit von 1863 an. Niemand wird das Verhalten des damaligen preuß. Abgeordnetenhauses gerecht beurtheilen allein nach dem Standpunkte von heute, da wir wissen, welche Pläne Bismarck mit der Militairreorganisation verfolgte. Noch viel weniger aber darf das Verhalten der Linken des Frankfurter Parlaments beurtheilt werden nach den Kenntnissen, die wir heute von der geheimen Correspondenz zwischen den Führern der Frankfurter Mehrheit mit Bunsen, Stockmar, Radowitz, König Friedrich Wilhelm IV., Prinz Wilhelm, Prinz Albert, und zwischen Bunsen und Friedrich Wilhelm IV., Stockmar und Prinz Albert, König Leopold u. s. w. — besitzen. Und wenn die Linke selbst diese Kenntniß damals besessen hätte — wäre ihr Verhalten nicht wenigstens zum Theil gerechtfertigt, wenn sie z. B. den Brief gekannt hätte, den König Friedrich Wilhelm IV., der projectirte Deutsche Kaiser, am 13. December 1848 an Bunsen schrieb? „Die Krone ist erstlich keine Krone. Die Krone, die ein Hohenzoller nehmen dürfte, wenn die Umstände es möglich machen könnten, ist keine, die eine, wenn auch mit fürstlichen Zustimmungen eingesetzte, aber in die revolutionäre Saat geschossene Versammlung macht (dans le genre de la couronne des pavés de Louis Philippe), sondern eine, die den Stempel Gottes trägt, die den, dem sie aufgesetzt wird, nach der heiligen Oelung von „Gottes Gnaden“ macht, weil und wie sie mehr denn 34 Fürsten zu[282] Königen der Deutschen von Gottes Gnaden gemacht hat. Die Krone, die die Ottonen, die Hohenstaufen, die Habsburger getragen, kann natürlich ein Hohenzoller tragen; sie ehrt ihn überschwänglich mit tausendjährigem Glanze. Die aber, die Sie meinen, verunehrt überschwänglich mit ihrem Ludergeruch der Revolution von 1848, der albernsten, dümmsten, schlechtesten, wenn auch Gottlob nicht bösesten dieses Jahrhunderts. Einen solchen imaginären Reif, aus Dreck und Letten gebacken, soll ein legitimer König von Gottes Gnaden und nun gar der König von Preußen sich geben lassen, der den Segen hat, wenn auch nicht die älteste, doch die edelste Krone, die Niemand gestohlen worden ist, zu tragen?“
Gewiß haben die edeln Patrioten, die im Frühjahr 1849 den Muth besaßen, trotz aller Schwächen und Fehler dieses Königs, ihm die deutsche Kaiserkrone anzubieten, um die Arbeit eines ganzen Jahres, die Hoffnungen der großen deutschen Erhebung zu retten, das volle Recht gerade auf die Schwäche und Fehler dieses Königs zu verweisen, wenn man ihnen allein das Scheitern des ganzen Verfassungswerkes beizumessen versucht. Aber auch Derjenige, der über die Gegner der Erbkaiserpartei, die Frankfurter Linke, namentlich in ihrem Verhalten vom April bis October gerecht urtheilen will, muß nachdrücklich hinweisen auf die Schwächen und Fehler dieses Königs, der eine so spröde Auffassung seines Königsberufs hatte, der im März das Haupt entblößte vor den Särgen der Märzgefallenen und bereit war, „Preußen in Deutschland aufgehen zu lassen“, der Anfang Mai in seinen Briefen an Dahlmann elegisch von dem „alten Erzhaus Oesterreich“ sprach, das „wieder an die Spitze Deutschlands gestellt werden müsse“, während er sich mit dem Amt eines „Erzfeldherrn“ begnügen wolle, der gleichzeitig schrieb: „sollte das Volk sich unterstehen, ihm die Krone anzubieten, so[283] müsse man mit Kanonenschüssen darauf antworten“, der bei dem Kölner Dombaufest im August die Deputation des Frankfurter Parlaments daran mahnte, daß es „noch Fürsten in Deutschland gebe, und daß er einer der ersten sei“, und dann wieder im September Frankfurt „als Herd der Revolution“ bezeichnete. Kurz, wer gerecht über alle Parteien des Frankfurter Parlaments urtheilen will, muß berücksichtigen, daß der Kroncandidat der Kaiserpartei der schwankendste, romantischste, eigenwilligste und am wenigsten pflichtbewußte König war, der jemals auf dem preußischen Throne gesessen hat.
Alle diese Erwägungen werden indessen nicht hinreichen, das tiefe Bedauern darüber zu beseitigen, daß Robert Blum den politischen Standpunkt in Frankfurt einnahm, auf den er, besonders in der Nationalversammlung, sich stellte. Denn gewiß ist die Frage gerechtfertigt, ob nicht der Ausgang der deutschen Bewegung von 1848 ein für die ganze Nation günstigerer gewesen wäre, wenn Robert Blum mit seinem Talent, seinem Einfluß und seinem Anhang im deutschen Parlament jene vermittelnde Rolle weiter gespielt hätte, die er im Vorparlament mit Glück und Erfolg übernahm, und die erst lange nach seinem Tode sein treuer Freund Heinrich Simon im Parlament wieder aufnahm. Doch abgesehen von dieser Frage der Conjecturalpolitik muß selbst Derjenige, der Robert Blum am pietätvollsten und mildesten beurtheilt, auch aus persönlichen Gründen jenes Bedauern äußern. Denn durch die Festhaltung jenes politischen Standpunktes geräth der Charakter des Führers der Frankfurter Linken in jenes schillernde und schwankende Licht, in dem seine Gegner ihn bisher am liebsten vorgeführt haben. Der Mann, der es mit Deutschlands Größe und Einheit gewiß so tief ernst meinte, wie irgendwer in Frankfurt, greift zur Verwirklichung seines republikanisch-demokratischen Ideals schließlich zu dem verwerflichen[284] Versuche, den Particularismus radical-demokratischer Einzellandtage zu entfesseln gegen das Verfassungswerk der monarchischen Mehrheit des Frankfurter Parlaments. Er, dessen Wort und Wille daheim wie in weiten Kreisen des deutschen Volkes im März und April 1848 am meisten galt, muß schon im September 1848 erkennen, daß die Grundvesten seines politischen Wirkens daheim wie in Frankfurt durch seine eigene Haltung vollständig unterwühlt sind und die Erkenntniß dieser Unhaltbarkeit seiner Stellung reift den Entschluß zu jener unseligen Reise nach Wien, in dessen verworrener Bewegung der klare Mann unverdient plötzlich seinen Tod findet.
Wenn man daher auch tief beklagen muß, daß Robert Blum seine Thätigkeit im Deutschen Parlamente nach einem von Haus aus unerreichbaren Ziele richtete, so erscheint andererseits sein Charakterbild auf diesem Höhepunkt seines politischen Wirkens in edelster Reinheit und Größe. Voll entfaltete sich hier sein hohes natürliches Talent. Er war der anerkannte Führer der Linken. Auch die Gegner waren bezaubert von der gewaltigen Macht seiner Reden. Sie sind getragen von tiefster, innerlichster Ueberzeugung. Sein monatelanges Wirken in Frankfurt war aber auch ein Beispiel von Pflichterfüllung im Dienste des Vaterlandes, eine so hingebende Aufopferung aller persönlichen Interessen, wie sie wenige unter den sechshundert Abgeordneten der Paulskirche dargebracht haben mögen. Denn Blum zog nach Frankfurt ohne irgend nennenswerthe Mittel, fort von einem kaum gegründeten jungen Geschäft, das ihn und die Seinen unmöglich schon nähren konnte. Die Abgeordnetendiäten reichten nicht einmal für ihn allein, geschweige denn für die Seinen. Unter drückenden Sorgen um’s Dasein hat er seine Pflicht für das Vaterland gethan. Aber er hat sie erfüllt ohne Murren: denn nun waren die Tage gekommen, die er schon kommen sah,[285] ehe er seinen Herd begründete, die ihn zu höherem Wirken beriefen, als zur Sorge für Weib und Kind und Haus. Nur in den vertrauten Briefen an die Gattin kommen Klagen zum Ausdruck über die schwere Sorge des Daseins, die ihm beschieden ist zu all den Sorgen und Mühen seiner parlamentarischen Stellung.
An der Hand dieser allgemeinen Bemerkungen dürfte es leichter sein, einen Ueberblick und ein Gesammturtheil über Robert Blum’s Haltung im Frankfurter Parlament zu gewinnen.
Auch der gerechte Gegner wird ihm Anerkennung und Lob nicht versagen können für das, was er im Vorparlament und Fünfzigerausschuß geleistet hat.
Niemand wird erwarten, daß hier die Geschichte dieser merkwürdigen Versammlungen, in der Folge auch des ersten Deutschen Parlamentes geboten werde. Schon der große Umfang des Stoffes mußte einen solchen Versuch aus Anlaß der Lebensbeschreibung eines einzelnen Mitkämpfers verbieten. Auch die Biographen Dahlmann’s und Mathy’s, Springer und Freytag, haben sich mit Recht streng an die parlamentarische Thätigkeit ihrer Helden gehalten. Und selbst Biedermann in seinen „Erinnerungen aus der Paulskirche“ lehnt bescheiden ab, eine Geschichte der Deutschen Nationalversammlung bieten zu wollen. Herr Laube übt diese Entsagung nicht; es war aber auch nicht nöthig, da kein Einsichtiger von ihm ein geschichtliches Werk erwarten konnte. An Robert Blum’s Lebensgeschichte eine eingehende Darstellung der Arbeit des ersten Deutschen Parlaments zu knüpfen, wäre um so zweckwidriger, als das Leben des Mannes da abbricht, wo die Hauptarbeit der Nationalversammlung erst ihren Anfang nimmt. Es kann sich also in der Folge überall nur darum handeln, Robert Blum’s Antheil und Stellung zu den Aufgaben darzulegen, welche zur[286] Zeit seines Lebens die Abgeordneten der Deutschen Nation beschäftigten.
Als eine Versammlung, welche trotz der Formlosigkeit ihrer Zusammensetzung und trotz der Unbestimmtheit ihrer Aufgabe das ganze und volle Vertrauen des deutschen Volkes besaß, ist gewiß das Frankfurter Vorparlament zu bezeichnen. Von einer Vereinigung von 51 Männern von localer und deutscher Berühmtheit, die am 5. März in Heidelberg sich versammelt hatten, war das Vorparlament berufen worden. Den Kern dieser Versammlung hatten die alten Freunde und Mitverschworenen Blum’s von Hattersheim und Mainz gebildet. Ihre stille, beinahe ein Jahrzehnt im Verborgenen gebliebene Arbeit sollte nun im hellen Lichte des Tages gethan werden und Früchte bringen. Als Hauptaufgabe des hier beschlossenen Vorparlaments ward die Berufung eines Deutschen Parlaments für Anfang Mai, die Vorbereitung der Wahlen für dasselbe durch einen permanenten Ausschuß des Vorparlaments bezeichnet. Auch eine neue Verfassung für Deutschland war von dem Siebener-Ausschuß der Heidelberger Versammlung am 5. März entworfen worden[118]. Dieser Entwurf sollte die Grundlage der Berathungen des Vorparlamentes bilden.
Am 31. März trat das Vorparlament in der Paulskirche zu Frankfurt zusammen. Unter einem wogenden Meer Deutscher Fahnen, durch einen Wald grünender Freiheitsbäume, überschüttet von Blumen und Kränzen, schritten die Mitglieder des Vorparlaments, umgeben und geleitet von Tausenden begeisterter Männer und Frauen, gehobenen Herzens vom Kaisersaale des[287] Römers aus an ihre Arbeit, in jene Paulskirche, die fortan fast ein Jahr lang die besten Männer Deutschlands und die heiligsten Hoffnungen der Nation umschließen sollte.
Schon die Präsidentenwahl sollte Blum’s natürliche Fähigkeiten in das glänzendste Licht stellen. Der ehrwürdige Präsident Mittermaier besaß nicht einmal die physische Kraft, eine so stürmische und dichtgedrängte Versammlung — in der Anfangs nicht einmal an Sitzen zu denken war — zu leiten, noch weniger die Ruhe, das Herrscherauge und die Geistesgegenwart des geborenen Präsidenten. Unter allen Vicepräsidenten (Dahlmann, Itzstein, S. Jordan, Blum) besaß nur Robert Blum diese Eigenschaften. Wiederholt hat er durch sein machtvolles Organ und seine unerschütterliche Ruhe die entfesselten Leidenschaften des „wilden Parlamentes“ besänftigt und dadurch die Würde der Versammlung gerettet, als der Präsident das Steuer längst aus den kraftlosen Händen hatte gleiten lassen.
Vier Sitzungen nur (vom 31. März bis 3. April) hat das Vorparlament gehalten. Schon in der ersten dieser Sitzungen hat Robert Blum wiederholt in bedeutsamer Weise in die Verhandlungen eingegriffen. Er stellte, als er das erste Mal das Wort erbat[119], den Antrag, den Verfassungsentwurf der Siebener-Commission sowohl als Struve’s Abschaffungs-Antrag, der sofort nach Eröffnung der ersten Sitzung in die Versammlung geschleudert wurde, als republikanische Gegenverfassung gegen das monarchische Verfassungsproject der Siebener, an eine vom Vorparlament zu wählende Commission zu verweisen. Nach der Stellung, die Blum im ganzen Verlauf des Vorparlaments zu diesem wahnwitzigen Antrag und seinen Vertheidigern einnahm, kann sein Vorschlag, die beiden Verfassungsentwürfe, den der[288] Siebener und den Tabula-rasa-Antrag Struve’s an eine Commission zu verweisen, keinen andern Zweck verfolgt haben, als den, die traurige Secession der äußersten Linken, welche in den folgenden Tagen die Geschichte des Vorparlaments entstellen sollte, zu vermeiden, und womöglich die Basis eines Compromisses für alle Vaterlandsfreunde zu finden. Damit wäre das Größte gewonnen gewesen. Vor Allem war dann das unselige Streben im Keime erstickt, zu dem Struve und Hecker sich gedrängt fühlten, als sie im Vorparlament und noch mehr im Fünfzigerausschuß sich die parlamentarische Arena erschlossen glaubten: der bewaffnete Aufstand. Auch der Verfasser der Geschichte des Vorparlaments in der „Gegenwart“[120] (Biedermann?) ist der Ansicht, daß dieser Aufstand selbst noch am Ende des Vorparlaments durch die Wahl Hecker’s und Struve’s in den Fünfzigerausschuß hätte vermieden werden können, sicher also durch ein Compromiß über ihre Anträge, wenn das Vorparlamen auch — wie das später thatsächlich der Fall war[121] — der künftigen Deutschen Nationalversammlung die eigentliche Entscheidung über die verfassungsmäßigen Grundlagen und Grundrechte des Deutschen Staates überlassen hätte.
Es gehört wirklich die ganze eitle Voreingenommenheit Heinrich Laube’s gegen Robert Blum dazu, um so schiefe Urtheile über Blum und seine Rolle in dieser Stunde des Vorparlaments zu fällen, wie Laube gethan[122]. Nicht einmal das Portrait des Mannes, den er verhöhnen will, ist dabei richtig gezeichnet[123]. Denn Blum war damals, wie das treue treffliche[289] Oelbild in Lebensgröße, das vor mir hängt, darthut, der von Laube entworfenen Karikatur so unähnlich wie möglich. Sein reiches lockiges Haupt- und Barthaar war von bräunlichem Blond, schön durchgearbeitet die breite Stirn, glänzend und groß das braune Auge, feingeschnitten der beredte Mund, der über den Lippen keinen Bart zeigt, die Gesichtsfarbe allerdings von einer von Herrn Laube begreiflicherweise beneideten Frische der Gesundheit. Schulter und Brust von einer gewaltigen Kraft zeugend. So sah das Bild des Mannes aus, das Herr Laube mit seinem feuilletonistischen Stift zu verzerren suchte[124]. Aber an dieser Karikatur des Aeußern ließ sich dieser boshafte Stift nicht genügen. So oft Blum im Parlament auftritt, wird dieser Stift in eine gallige Substanz getaucht und in leidenschaftliche Bewegung gesetzt, um den Herrn Laube so verhaßten Redner niederzustrecken, ihm wenigstens einige giftige Stiche zu versetzen. Unglaublich komisch geberdet sich diese Feder bei ihren Angriffen auf Blum, ihren Zurechtweisungen. Das Erste, was Herr Laube an Blum zu tadeln hat, ist seine[290] Gesundheit[125]. Warum wohl? „Wer nicht fasten, wer nicht warten, wer nicht entsagen kann,“ schreibt Herr Laube asketisch, „der ist nicht für hohe Ziele geschaffen“. Anfangs ist man geneigt zu glauben, Herr Laube halte hier ein Selbstgespräch; etwa vom Standpunkte eines Mannes aus, dem es ärgerlich ist, in ein paar Jahren als Director des Leipziger Stadttheaters beiläufig eine Million Mark verdient zu haben und sonst nichts. Aber nichts von Selbsterkenntniß steckt in diesen Zeilen. Sie sind auf Robert Blum gemünzt; und geschrieben nicht etwa in der Erregung darüber, daß man Herrn Laube zum Vorparlament nicht zulassen wollte, sondern „im Winter 1848/49“[126], nach Blum’s Tode. Also nachdem Blum auf der Brigittenau verblutet hatte, setzt sich Herr Laube hin und schreibt, dieser Mann „habe nicht fasten, nicht warten, nicht entsagen können.“ Es genügt, auf den Lebenslauf beider Männer zu verweisen, um zu erkennen, wie gerecht dieses Urtheil ist; um zu wissen, welcher von Beiden gefastet, gewartet und entsagt hat, welcher von Beiden mehr Anlage und Aufopferung zur Erreichung höherer Ziele besessen. Eines ist dabei noch von besonders heiterer Wirkung für uns Heutige. Herr Laube, welcher die Schaubühne heute zur reinen Kunstanstalt erklärt, wenn er sie leitet und dabei Geld verdient, spricht mit besonderer Verachtung[127] von Blum’s Berührung mit dem Theater: „wie er (Blum), das gründliche Widerspiel schöner Kunst, dem Theatergeschäfte, dem frivolen! sich hingeben und die Vergeudung von Zeit und von edeln menschlichen Kräften[128] trocken berechnen und ordnen muß als Theater-Kassirer“.
Das Zweite, was Herr Laube Blum vorwirft, ist, daß[291] Blum ohne spezielle Erlaubniß des Herrn Laube sich herausgenommen hat, in dem großen Drama der Zeit eine andere Rolle zu spielen, als der geniale Dirigent dieses Schauspiels, Herr Heinrich Laube, ihm zugedacht hatte. Herr Laube hatte Blum die liebliche Rolle des Kleon, des maßlosen Schreiers, des Apostels eines bornirten und albernen Klassenhasses zugedacht. „Er (Blum) wäre ganz (!) und hätte alsdann mit seinen Mitteln eine gewaltige Wirksamkeit, wenn er, seiner Herkunft gemäß, das Evangelium für die Dürftigen rücksichtslos ergriffen (!) hätte, ganz als moderner Bettelmönch“[129]. Statt dessen steht nun auf einmal Robert Blum als ein maßvoller Patriot, dessen Arbeit dem Wohle des Ganzen gilt, vor den Augen Herrn Laube’s, an der Spitze des Vorparlaments. Eine solche Vermessenheit ohne Gleichen bedarf der Züchtigung. Sie ist der Anlaß aller „bösen Zungen“, aller untergeschobenen Motive, welche Herr Laube gegen Blum aufbietet. Niemand, der sich ernstlich mit der Geschichte jener Tage beschäftigt, wird von einer andern Schrift über die Zeit geringer denken, als von derjenigen Herrn Laube’s. Deßhalb wird auch in der Folge von diesem Buche nur die Rede sein, wenn sich darin besonders treffende Belege finden für die Untauglichkeit des Verfassers zu geschichtlicher Beurtheilung.
Schon der erste Tag des Parlaments bot Blum, wie oben gesagt wurde, wiederholt Gelegenheit zur Entfaltung seiner Talente. Vor allem der Nachmittag. Am Vormittag hatte Carl Vogt durch einen in der Form untadeligen, dem versteckten Sinne nach aber unerträglichen Angriff auf den alten Welcker den Präsidenten gezwungen, die Sitzung aufzuheben. Blum wies beim Wiederzusammentritt der Versammlung Freund und Feind[292] zurecht wegen solcher Scenen. Und bald darauf noch einmal. Am Nachmittag verbreitete sich nämlich unter den Abgeordneten plötzlich die Schreckenskunde, bewaffnete Schaaren seien auf die Kirche in Anmarsch, in der nächsten Straße habe schon ein Kampf stattgefunden. Alles rennt in der Kirche durcheinander, jede Ordnung ist aufgelöst. Wenige Minuten noch, so schreiten die Abgeordneten von bittersten gegenseitigen Vorwürfen vielleicht zu Tätlichkeiten und — die Würde der Versammlung ist für immer dahin! Da tritt Robert Blum auf, seine Stimme bricht sich Gehör in der meisterlosen, wilderregten Menge. „Er benutzte die gedoppelte Gelegenheit, um der Versammlung ganz ordentlich den Text zu lesen. Man nahm es ruhig hin, denn der Mann hatte Recht“[130]. Er sagte:[131]
„Lassen Sie uns, verehrte Versammlung, einen Blick zurückwerfen auf die drei ersten Stunden unseres Lebens. Wir sind unter Umständen auseinander gegangen, welche die gespannte Aufmerksamkeit Europa’s, die auf diese Versammlung gerichtet ist, wenigstens zu einem Kopfschütteln veranlassen wird. Mißverständnisse haben Statt gefunden, die beklagenswerth sind. Meine Herren, woher sollen wir die Freiheit bekommen, wenn wir sie nicht in unserem engsten Kreise uns gegenseitig erhalten. Woher sollen wir die Ruhe bekommen, wenn wir in unserem Kreise uns spalten bei dem ersten Zusammensein und diese Spaltung soweit treiben, daß es nicht mehr möglich ist, zu verhandeln. Wir haben noch keine von den Prinzipienfragen erörtert, für die die Menschen in allen Jahrhunderten Gut und Blut und Leben hingegeben haben. Es hat sich bisher bei uns nur um Formen gehandelt, und diese Formen haben uns in eine Leidenschaft gebracht, daß es thatsächlich unmöglich war, zu verhandeln. O, meine Herren, mögen wir doch daran denken, daß die Augen des gesammten Europa auf uns gerichtet sind, daß wir die erste Versammlung sind, die durch ihre That wie durch ihre Haltung aussprechen muß: Sehet, das deutsche Volk, das ihr so lange zurückgesetzt habet gegen andere Völker, beweist auch in[293] seinen ersten Vertretern, daß es so entschlossen, so würdig, so ernst, so ruhig ist, wie irgend Jemand, der seit Jahrhunderten sich des kostbaren Gutes der freien Erörterung erfreut hat. Fragen Sie sich selbst, meine Herren, wenn die Zeitungen berichten über die Nothwendigkeit, die heutige Verhandlung aufzuheben, was das für einen Eindruck machen wird? Glauben Sie, daß dies geeignet wäre, das Vertrauen des Volkes auf uns zu stärken? Und fragen Sie sich selbst, wenn wir in dieser schroffen Gegenüberstellung zu einander stehen, was soll dann daraus werden? Der Wille des Volkes, seine Wünsche, sein Verlangen ist das einzige Mandat, das wir haben. Die da draußen stehen, stehen hinter uns Allen, wenn wir einig sind und die Discussion so leiten, daß wir ein Ganzes sind. Es stehen hinter uns Parteien, sobald wir uns selbst spalten in unserem Innern, und wohin es führt, wenn die Parteien sich in der gegenwärtigen Zeit so schroff gegenüber stehen, das brauche ich Ihnen nicht zu sagen. Was wir hier tumultuarisch ausmachen oder nicht ausmachen, es wird draußen nicht mit Geschrei, es wird mit der Faust, und wenn es sein muß, mit den Waffen ausgemacht. Meine Herren, unser heiligster Beruf ist es, unserem Volk einen Begriff zu geben von der Würde und Größe der Volksvertreter, und in diesem Bewußtsein können wir uns so stolz erheben, wie nie eine andere Versammlung; denn es wird kein Unfriede kommen, wo sich die Liebe und Verehrung und das Vertrauen des Volkes so überzeugend, so hinreißend ausgesprochen hat, wie bei uns. Lassen Sie uns dem ganzen Volke vorangehen in dieser ernsten und großen Zeit in einer würdigen Haltung. Wir können es, sobald wir uns Alle zur Pflicht machen, unseren Willen nie durch einen Ausruf, sondern stets auf dem parlamentarischen Wege geltend zu machen. Wir wollen das Gesetz zuerst achten, das wir selbst geschaffen haben, dem wir uns freiwillig unterwerfen. Thun wir das, meine Herren, dann werden nicht allein die Herzen unseres Volkes uns entgegenschlagen, sondern auch die anderen Völker werden ihre Arme mit Bruderliebe ausstrecken nach den bisher verschmähten und verachteten Deutschen und werden in der ersten Vertretung, die hier zu Stande gekommen ist, die mündigen, die wahrhaften Männer begrüßen, die der Freiheit ebenso fähig sind, als sie sich ihrer werth zeigen.“ (Allgemeiner Beifall.)
Und aus Anlaß der allgemeinen Erregung über die Straßenscene sagte er:
„Darf ich, weil ich gerade im Besitze des Wortes bin, noch etwas Allgemeines sagen, so bitte ich, lassen Sie, meine Herren, das Beispiel, das vor wenigen Augenblicken Statt gefunden hat, das letzte sein. Wäre die Kunde, die vor wenigen Augenblicken hierher gelangt ist, wahr gewesen, dann durften wir uns nicht in unserer Berathung stören lassen. Es ist nicht unsere Aufgabe, einen Straßenauflauf zu dämpfen. Gleichwie der römische Senat fest gesessen hat, als der Feind vor dem Thore Roms erschien, müssen auch wir unserer Aufgabe genügen, selbst wenn der Tumult bis zu unserer Thüre gelangt wäre. Er hätte zerschellen müssen an unserer Festigkeit. Meine Herren! Wenn die Kunde wahr gewesen wäre, ich frage Sie, wäre auch nur die Möglichkeit gewesen, Etwas zur Besänftigung zu thun? Wenn je dieser Fall wiederkehren sollte, lassen Sie deßhalb keinen Laut über Ihre Lippen gehen, sondern bleiben Sie sitzen und beschließen Sie, was Sie für nöthig halten. Sodann habe ich noch eine Bitte zu thun in Beziehung auf unseren Präsidenten, es ist die freundliche Bitte an die Zuhörer. Es ist nicht möglich bei dieser Art und Weise der Berathung, die Funktionen des Präsidiums auszuüben. Der Präsident mag sein, wer er will. Wir morden den Präsidenten, wenn wir so fortfahren. Zudem erheischt die Feierlichkeit der Versammlung eine gute Stimmung. Sie ist eine gute, aber sie kann auch eine böse werden. Wir ehren die Frankfurter Einwohnerschaft, die uns auf eine so ergreifende Weise begrüßt hat. Allein die Meinung der Frankfurter Einwohnerschaft kann unsere Beschlüsse nicht bestimmen, sie kann nicht mitberathen, nicht mitstimmen, sei es auch nur durch Beifallsbezeigungen. Ich bin überzeugt, daß es an die Frankfurter Bewohner nur der eindringlichen Bitte bedarf, sich der Beifallsbezeigung zu enthalten. Wir wollen den Beifall nicht. Wir sind nicht im Stande zu discutiren, wenn keine Redefreiheit vorhanden ist[132].“
Verhältnismäßig ruhig verliefen die weiteren Debatten des Vorparlaments über den Wahlmodus des künftigen Parlaments an den ersten beiden Tagen. Blum trat für directe Wahlen ein, blieb aber mit 194 gegen 317 Stimmen in der Minderheit.[295] Dagegen ward der andere von ihm unterstützte Vorschlag, schon auf 50,000 statt auf 70,000 Seelen einen Abgeordneten zu wählen, mit großer Mehrheit angenommen.
Sofort gerieth aber das Vorparlament wieder in wilde Gährung, als am Nachmittag des zweiten Tages (1. April) die Frage zur Debatte gelangte, ob das Vorparlament sich bis zum Zusammentritt der Deutschen Nationalversammlung permanent erklären solle oder nicht. Für eine Art von Permanenz, d. h. für die Wahl eines starken Ausschusses (von fünfzig Mitgliedern) der Versammlung, der bis zum Zusammentritt des Parlaments die Beschlüsse der Versammlung ausführe und deren Vollziehung durch die Regierung überwache, mit dem Bundestag und den siebenzehn Vertrauensmännern, welche der Bundestag sich zugelegt, verhandle u. s. w. — für diese Art von Permanenz waren Alle. Dagegen trat die Linke der Versammlung von Struve bis Blum für die Permanenz des vollen Vorparlaments ein. Ihre Gründe waren freilich sehr verschieden. „Wir müssen in diesem Augenblicke der Machtlosigkeit und Auflösung des Deutschen Bundes und der Deutschen Regierungen, der Nation als Gesammtbürgen gegenüber stehen“, rief Hecker und führte dann aus, das alle deutsche Staatsmacht, einschließlich derjenigen Preußens, ohnmächtig sei. „Geschäftsführer der deutschen Nation, seid permanent, wir erwarten es von Euch und nichts Anderes als Permanenz“, schloß er. „Die alte Autorität ist eine Leiche“, rief Struve später in Gagern’s Rede hinein. Damit war deutlich gesagt, wohin die äußerste Linke, die schon am Schlusse des Struve’schen „Abschaffungs“-Antrages „die Aufhebung der erblichen Monarchie und Ersetzung derselben durch freigewählte Parlamente“ als ihr Ziel hingestellt, mit der Permanenzerklärung strebte: die alte Autorität war eine Leiche, das Vorparlament das einzige lebendige Rechtswesen der Gegenwart[296] — es sollte die Macht allein erfassen und festhalten. Damit war „die Aufhebung der erblichen Monarchie“ von selbst gegeben.
Von anderen Gesichtspunkten gingen Blum und seine Freunde bei Unterstützung des Permanenzverlangens aus. Sie wollten nicht den deutschen Zukunftsstaat durch das permanente Vorparlament fertig machen lassen. Aber sie mißtrauten den bestehenden Gewalten und deren gutem Willen, die Beschlüsse des Vorparlaments auszuführen. Sie hielten die Autorität eines Ausschusses nicht kräftig genug. Sie glaubten, der Nachdruck der ganzen geschlossenen Versammlung müsse hinter den Beschlüssen des Vorparlaments stehen bleiben, bis sie durchgeführt seien. Sie meinten aber auch, jeder Tag könne im Innern oder von Außen Ereignisse über Deutschland bringen, denen gegenüber ein Ausschuß der Versammlung gewissermaßen ohne Instruction und Vollmacht sei. Diese Gedanken sprach Raveaux am deutlichsten aus: „Sie sind eine revolutionäre Versammlung. Wir wissen nicht, was der nächste Tag bringt; so müssen wir hier stets bereit sein; wir stehen an der Spitze des Volkes, wir selbst haben uns nicht dahin gestellt“ u. s. w.
Den Gegnern war nicht zu verargen, daß sie in dieser Frage alle Anhänger der Permanenz nach den Absichten beurtheilten, welche Hecker und Struve verfolgten und deßhalb sich schlechthin unnachgiebig zeigten. Heckscher sprach das offen aus: „Die Permanenzerklärung dieser Versammlung wäre eine Permanenzerklärung der Anarchie und der Besorgniß in ganz Deutschland. Stoßen Sie nicht die letzte Autorität (des Bundestags) vollends um, thun Sie vielmehr Alles, um sie aufrecht zu erhalten.“ Heckscher hätte wohl besser gesagt: „des Bundes“ statt „des Bundestags“. Gagern betonte mit Nachdruck diesen Gegensatz: „Sie müssen wünschen, daß der Bund eine Wahrheit werde,[297] das kann er nur durch die Wahl der Personen, die ihm wieder Vertrauen verschaffen. Man muß nicht vernichten, sondern aufbauen“. Doch auch Gagern sprach nicht von einer endgültigen Beseitigung des Bundestags, glaubte durch das öffentliche Vertrauen ihn wieder beleben zu können. Als dann unmittelbar nach Gagern’s Rede, trotz Blum’s Widerspruch, abgestimmt und die Permanenz mit 368 gegen 143 Stimmen abgelehnt wurde, da hafteten die Worte, welche über die Wiederbelebung des Bundestags vernommen worden waren, weit schmerzlicher im Gedächtniß der Unterlegenen, als der Eindruck, daß sie in der Permanenzfrage besiegt seien.
Und sehr geschickt wurde dieser große Fehler der Redner der Mehrheit von den verzweifelten Gesellen der Minderheit benutzt, um auch die klügsten und bedächtigsten Genossen, wie Robert Blum, zu einem Ultimatum gegen die Majorität fortzureißen. Die siegreiche Mehrheit hatte am Bundestag festgehalten. Gelang es, sie in den Augen des Volkes mit dem Bundestag zu identifiziren, so war die Mehrheit trotz aller Siege in der Paulskirche doch politisch fortan unmöglich. Deßhalb ließ die Minderheit am nächsten Tag (2. April) durch Zitz von Mainz einen Antrag einbringen: „Die Bundesversammlung möge, bevor sie die Gründung einer Deutschen Nationalversammlung in die Hand nimmt, sich von den verfassungswidrigen Ausnahmebeschlüssen lossagen und die Männer aus ihrem Schooß entfernen, welche zur Hervorrufung und Ausführung derselben mitgewirkt haben“. Durch öffentlichen Mauerschlag ließen Hecker und Struve bekannt machen, daß die Unterzeichner des Antrags aus dem Vorparlament austreten würden, wenn dieser nicht durchgehe. Zu diesen Unterzeichnern gehörte auch Robert Blum. Doch ihm selbst überraschend kam dieser Maueranschlag. Treffend enthüllte Bassermann die tiefsten Gedanken der eigentlichen Urheber[298] des Antrags Zitz: Der Antrag, nicht eher zu wählen, bis der ganze Bundestag regenerirt sei, komme nur auf eine andere Art von Permanenz hinaus. Deßhalb setzte Bassermann mit glücklichem Instinct „indem“ statt „bevor“, eine sittliche und logische Voraussetzung statt einer Zeitbestimmung. Wer mochte an der Redlichkeit dieses Patriotismus zweifeln, da Welcker, Uhland, Venedey sich auf Bassermann’s Seite schlugen? Blum stimmte mit Zitz, da er einmal seinen Namen unter den Antrag gesetzt. Aber im Voraus erklärte er seine Unterordnung unter den Willen der Mehrheit. Er sagte: „Ich werde für die schärfere Fassung stimmen, aber wenn ich sie fallen sehe, ehre ich die Mehrheit“[133]. Die große Mehrheit stimmte für Bassermann. In der Hauptsache wollten ja doch beide Anträge dasselbe: der radicale Bruch mit der bundestäglichen Vergangenheit war auch durch Annahme des Antrags Bassermann vollzogen.
Gleichwohl erhob sich plötzlich Hecker mit etwa vierzig seiner Getreuen und verließ den Saal. Eine tiefe Bewegung und Entrüstung bemächtigte sich der Versammlung. Wieder war es Raveaux, der die schöne Losung an den besonnenen Theil der Minderheit ausgab: „Ich halte gerade Denjenigen für den freisinnigsten Mann, der seine individuelle Ansicht der Mehrheit unterwirft.“ Blum, Jacoby, Wesendonck, die Sachsen u. s. w., im Ganzen 63 Abgeordnete, gaben ihre Zustimmung zu dieser Erklärung zu Protokoll. Robert Blum erklärte noch besonders: daß der Protest der Minderheit, der im Voraus für den Fall der Ablehnung des Antrags Zitz vorbereitet worden, sich erledigt habe, weil dieser Antrag mit einer Aenderung angenommen worden sei, „die das noch enthält, was wir wollten“[134].
Das war die That eines wahren Demokraten im besten Sinne des Wortes, die tüchtigste Leistung Blum’s im Vorparlament. Rasch und klar hatte er bei dem Austritt der Vierzig die Stellung genommen, die er schon im Voraus angekündigt hatte, „die Mehrheit zu ehren“, wenn er in der Minderheit bleiben sollte. Herr Laube natürlich kennt diese offiziell beglaubigten Worte nicht. Er baut ungestört seinen Feuilleton-Kohl, indem er Blum schwankende Unentschiedenheit während des Austritts der Intransigenten und unmittelbar darauf die diplomatische Gewandtheit eines Talleyrand in seiner Erklärung beimißt.
Alles bot Blum auf, um die Ausgetretenen zum Wiedererscheinen im Saal zu bewegen. Schon vor ihrer Entfernung hatte er Namens des Bureau die Erklärung abgegeben, daß die Mehrheit des Bureaus der Ansicht sei, bei den Wahlen zum Fünfzigerausschusses werde „Jeder darauf Rücksicht nehmen, daß die verschiedenen Provinzen und mit ihnen die verschiedenen Interessen des Vaterlandes vertreten sind“. Daß darunter auch zu verstehen sei: die verschiedenen Parteien des Hauses, daß keine Richtung im Fünfzigerausschuß unvertreten sein sollte, lag auf der Hand. Es wurde aber auch in der letzten Sitzung (vom dritten April) ausdrücklich ausgesprochen. Man wollte, falls die Ausgetretenen zurückkehrten, ihnen noch jetzt Sitze im Fünfzigerausschuß offen halten. Deßhalb sollte es jedem Abgeordneten freistehen, bis 1 Uhr Nachmittags seinen Stimmzettel zurückzunehmen und anders zu beschreiben. Brockhaus gab die ehrenhafte Erklärung ab, daß er „Mehre jener Herren, welche den Saal gestern verließen, bereits gewählt habe, weil alle Parteien im Ausschuß vertreten sein müssen“[135]. Da inzwischen auch der Bundestag mit würdeloser Eile „die gedachten beanstandeten[300] Ausnahmegesetze und Beschlüsse für sämmtliche Bundesstaaten aufgehoben“ und dem Präsidenten erklärt hatte, „daß diejenigen Gesandten, welche fühlen, der gestern vom Vorparlament gefaßte Beschluß könnte auf sie bezogen werden, ihre Entlassung bereits eingereicht haben oder jetzt unverzüglich einreichen werden“, kehrte die ausgetretene Minderheit in den Saal zurück und berieth hier wieder mit bis zu Ende. Doch konnte sich die Mehrheit nicht dazu aufraffen, irgend Einen von ihnen in den Fünfzigerausschuß zu wählen — ein schwerer Fehler, wie schon oben bemerkt wurde. Durch ihre Ausschließung vom Fünfzigerausschuß wurden Hecker und Struve zum bewaffneten Aufstand gedrängt.
Blum wurde nächst Wiesner und Itzstein mit den meisten Stimmen (435) in den Fünfzigerausschuß gewählt.
In völliger Eintracht der Gesinnung berieth die Linke und die liberale Mehrheit die letzte, die wichtigste Frage, welche das Vorparlament beschäftigte: die Befugnisse der künftigen constituirenden Nationalversammlung Deutschlands. In dieser Frage war das Vorparlament am Ende seiner Berathungen fast einstimmig zu der entgegengesetzten Auffassung gelangt, von welcher seine Berathungen ausgegangen waren. Ursprünglich wollte der Entwurf der Siebener die Grundzüge der Verfassung für Deutschland feststellen im monarchischen Sinn. Dagegen hatte Struve seine republikanisch-anarchischen Gegenvorschläge gerichtet. Beide Entwürfe sollte das Vorparlament sogleich berathen, einen annehmen. Nun, am Schlusse der Verhandlungen, brachte v. Soiron seinen klugen Antrag ein, das Vorparlament solle jede Verfassungsberathung unterlassen und sich auf die Erklärung beschränken, „daß die Beschlußnahme über die künftige Verfassung Deutschlands einzig und allein der vom Volke zu wählenden Nationalversammlung zu überlassen sei.“ Den Kern seines Antrags[301] drückte v. Soiron in den Worten aus: „wir werden dadurch beweisen, daß wir in der einzigen Prinzipienfrage, die in unserer Versammlung zur Sprache gekommen ist — denn die anderen Fragen waren keine Prinzipienfragen —, daß wir in der Prinzipienfrage der Volkssouveränität einstimmig sind, und daß es keine Parteien unter uns gegeben hat, wenn wir auch glauben, es habe solche gegeben“[136].
Die Linke mußte diese Erklärung mit heller Freude begrüßen. Mit gleicher Freude die liberale Mehrheit, welcher das Zustandekommen der Verfassung dann am sichersten verbürgt erscheinen mußte, wenn der Vertretung der Nation die freieste Befugniß eingeräumt wurde. Gegen den Soiron’schen Antrag erhoben sich also nur die Verfechter der fürstlichen Legitimität. Sie argwöhnten, daß man die deutschen Fürsten als „Heloten“ behandeln, ihnen bei dem Zustandekommen der künftigen Verfassung kein Recht der Vereinbarung, der Zustimmung gönnen wolle. Mit vollendeter Sicherheit vertheidigte Soiron seinen Antrag auch gegen diese Einwendungen, indem er sagte, daß der Nationalversammlung auch überlassen werden müsse, ob sie, „nachdem sie mit ihrem Geschäfte fertig geworden ist, darüber Verträge mit den Fürsten abschließen wolle oder nicht“[137]. Darin war die damalige öffentliche Rechtslage aufs schärfste ausgeprägt; durch Annahme des Antrags Soiron war die größte That des Vorparlaments gethan. Niemand widersetzte sich diesem Beschluß, nicht der Bundestag, keine Einzelregierung, nicht einmal Preußen. Alle ließen zur „constituirenden“ Nationalversammlung wählen ohne jeden Vorbehalt gegen die Auffassung, daß dem Parlament zustehe, die künftige Verfassung Deutschlands endgültig zu beschließen,[302] ohne Vereinbarung mit den Fürsten, „wenn das Parlament wolle“.
Am Ende dieser bewegten Tage schrieb Blum an seine Gattin: „Heut scheint der letzte Tag zu sein, dann muß ich mich einen Tag ausruhen, ganz ausruhen, denn ich bin wie ein Mensch, der durch fortwährendes Trinken sich vor dem Katzenjammer schützt, diese Aufregung Tag und Nacht reibt auf. Aber sie ist süß, bezaubernd, schwelgerisch wie ein Champagnerrausch. Struve und Hecker sind wahre Viehkerls, rennen durch die Wand wie geschlagene Ochsen und haben uns den Sieg furchtbar schwer gemacht. Aber wir haben gesiegt in Allem. Unter den stürmischsten Verhandlungen geschrieben. Gruß und Kuß. B.“
Auch der Fünfzigerausschuß, der nach Auflösung des Vorparlaments dessen Beschlüsse ausführte, wählte Blum zum Vicepräsidenten; Präsident wurde von Soiron. Die ihm gestellte Aufgabe hat der Fünfzigerausschuß ebenso glänzend gelöst wie das Vorparlament. Ueberall, auch gegen Preußen, hat er den Beschlüssen des Vorparlaments Nachachtung und Gehorsam verschafft, von dem jämmerlichen Bundestage gar nicht zu reden. Wie die Strahlen der untergegangenen Sonne noch lange die Erdrinde erwärmen, nachdem das Tagesgestirn unseren Blicken entschwunden ist, so richtete sich die nationale Hoffnung noch auf an den Beschlüssen des Vorparlaments und Fünfzigerausschusses, so faßte sie noch Fuß auf dem von diesen Versammlungen geschaffenen Rechtsboden, als längst diese Körperschaften in das Meer der Vergangenheit gesunken, und ihre Nachfolgerin, die mit aller Hoheit souveräner Constituanten ausgerüstete Nationalversammlung längst ohnmächtig geworden war. Verloren war also keineswegs die Arbeit, welche die fünfzig Männer in Frankfurt thaten vom 4. April bis zum 18. Mai, dem Tage des Zusammentritts des Deutschen Parlaments.
Einen großen Theil dieser Zeit[138] hat Blum auf offiziellen Sendungen nach Köln und Aachen verbracht, zu denen der Ausschuß ihn verwendete. In Aachen galt es Frieden zu stiften nach Unruhen, die dort ausgebrochen waren. In Köln war eine böse Mißstimmung erzeugt worden über das Vorgehen der Dampfschleppschifffahrtsgesellschaft gegen die Segelschifffahrt. Die letztere fühlte sich in ihrer Existenz bedroht. Die beiden Sendungen hat Blum zur Zufriedenheit seiner Auftraggeber und aller Betheiligten vollzogen. Ihm selbst bot namentlich die Sendung nach Köln, seiner Geburts- und Vaterstadt, dem Schauplatz seiner trüben Kindheit, seiner harten Jugendjahre, unendliche Freude. Seit sechszehn Jahren hatte er die Mutter, die leibliche Schwester nicht mehr gesehen. Als Secretär des Director Ringelhardt war er von der Heimath ausgezogen. Nun zog er dort wieder ein, auf reichgeschmücktem Dampfer, an der Seite des treuen Raveaux, als Bevollmächtigter der höchsten und gefeiertsten Behörde, die Deutschland damals kannte, unter Böllerschüssen und dem Jubel Tausender, die um die Landungsbrücke sich drängten. Seine erste Ansprache an die Menge begann er mit den trauten Worten: „Hier hat meine Wiege gestanden.“ Von Fest zu Fest zogen ihn die Heimathgenossen. Aus diesen Stimmungen heraus schrieb er der Gattin von Köln:
„Liebe Jenny. Du mußt den guten Willen für das Werk und diese zwei Zeilen, die ich im Sturme schreibe, für einen Brief nehmen. Wir kommen aus den Conferenzen nicht heraus und es ist wahrlich mit uns wie mit den ehemaligen Fürsten, zu denen sich von nah und fern Alles drängt. Dazu muß ich mir persönlich noch täglich von einer Menge Polen, die massenweise hier durchziehen, Complimente schneiden und mich von Fürstinnen — küssen lassen. Aber es war leider nur die alte, die dies that, die junge hat mir blos eine Hand gegeben. Laß Dir also von Georg sagen, wie’s mir geht. Meine Schwestern habe[304] ich gestern nur eine Viertelstunde, heut nebst der Mutter eine Stunde gesehen. Sie sind alle wohl und lassen Euch herzlichst grüßen. Sobald ich kann, erhältst Du auch wieder einen Brief von Deinem treuergebenen
Robert.
Gruß und Kuß Dir und den Kindern.“
Und Anfang Mai, nach seiner Rückkehr nach Frankfurt, berührte er noch einmal die Kölner Reise in einem Briefe an seine Frau:
„— — — Ronge ist längst von hier fort und zwar nach Rendsburg; es wäre gescheidt, wenn er sich irgendwo todtschießen ließe, denn seine Zeit ist aus. Wenn auch Bertha darüber jammert, es wäre doch besser, denn er arbeitet jetzt nur an seinem Untergange. — Daß die Meinen gesund sind, habe ich Dir von Köln geschrieben; meine alte Mutter ist fast wahnsinnig geworden vor Freude, daß ihrem Sohne ein Fackelzug gebracht wurde; wie würde die sich freuen, wenn Du mit den Kindern nach Köln kämst. Indessen es kann nicht sein. Beruhigen wir uns, wir müssen der Zeit Opfer bringen. Würde die Messe gut, so könntet Ihr Euch in eine rückgehende Kiste stecken lassen, aber es werden nur volle Kisten zurückgehen. Hier wird nichts, rein nichts verkauft. Lebe wohl, liebe Jenny, grüße und küsse mir die armen Kinder, die jetzt auch niemals in die Kneipe kommen; sie sollen nur gut und brav sein, dann komme ich auch zurück und bringe ihnen etwas sehr Schönes mit. Wenn ich nur die Ostertage dort sein könnte! Es geht aber nicht, also fort mit Wünschen. Bleibe gesund und munter. Von Herzen Gruß und Kuß von Deinem
Robert.“
Zum letzten Mal hatte er in der Heimath, bei Mutter und Schwestern verweilt.[139] Sieben Monate später waren die Kirchen der Stadt schwarz verhangen, und Ferdinand Freiligrath sang über den Tod des „Kölner Kindes“ Blum:
Zwei Tage bevor Blum auf diese amtlichen Reisen sich begab, hatte Hecker im Badischen Oberlande losgeschlagen. Der Fünfzigerausschuß hatte schon am 10. April einen Aufruf an die Deutschen in der Schweiz und Frankreich erlassen, in dem er sie beschwor, nicht mit bewaffneter Hand nach Deutschland zurückzukehren, da das Parlament „einzig und allein“ zu berathen habe. Schon damals ging nämlich das Gerücht, daß Handwerksburschen aus der Schweiz und Frankreich mit Kanonen (!) an die deutsche Grenze zögen. Dieser Aufruf war ebenso erfolglos geblieben, wie die zweimalige Sendung von Bevollmächtigten des Fünfzigerausschusses — Venedey und Spatz am 14. April nach Straßburg und zu Hecker, Soiron und Buhl ins badische Oberland am 15. April. Nun, da der Aufstand losgebrochen war, erließ der Ausschuß am 28. April, immer noch in Blum’s Abwesenheit[140] einen „Aufruf an das badische Volk“, der mit prophetischem Blick den Sieg der Reaction als die Folge solcher Bestrebungen verkündete, aber ebensowenig fruchtete, wie jene Delegationen. Diese Verhandlungen würden Blum also gar nicht berühren, wenn nicht Biedermann an zwei Stellen seiner „Erinnerungen aus der Paulskirche“[141] behauptete, Blum habe „sich darauf betreffen lassen, daß er die Schilderhebung Hecker’s im Stillen begünstige und ihr den Sieg wünsche. Damals war es, wo er sich nur ungenügend und mit einer an ihm nicht gewohnten Heftigkeit vertheidigte.“ Die „heftig auffahrende Entgegnung Blum’s, welche der tödtlichen Kälte des Angriffs von Mathy gelungen, zeigte nur um so deutlicher, wie gut der[306] sicher geführte Streit getroffen habe.“ Das soll „in einer Verhandlung im Fünfzigerausschuß[142]“ vorgekommen sein. Da Hecker erst am 12. April losgeschlagen hat, Blum aber nun vom 14. bis 26. April abwesend war, und an der hier einschlagenden Sitzung vom 28. April nicht theilgenommen hat, so könnte diese Begegnung zwischen Mathy und Blum nur in die Zeit nach dem 28. April bis 18. Mai fallen[143]. Gleichwohl enthalten die offiziellen Berichte, die gerade von da ab fast vollständig stenographisch vorliegen, kein Wort der Bestätigung dieses angeblichen Vorkommnisses. Auch Freytag in seiner Biographie Mathy’s erwähnt gar nichts von dieser Begegnung[144]. Vor Allem aber müßte gewiß die vertraulichste Aussprache Blum’s aus jener Zeit, müßten die Briefe an seine Frau ein Wort enthalten, welches bestätigte, daß er „die Schilderhebung Hecker’s im Stillen begünstigt, ihr den Steg gewünscht“ habe. Und was finden wir statt dessen? Am 3. Mai schreibt er an die Gattin: „Hecker und Struve haben das Land verrathen nach dem Gesetz — das wäre Kleinigkeit; aber sie haben das Volk verrathen durch ihre wahnsinnige Erhebung; es ist mitten im Siegeslauf aufgehalten; das ist ein entsetzliches Verbrechen“. Entschiedener konnte gewiß Blum oder irgend ein Anderer nicht Partei nehmen gegen den Hecker’schen Aufstand.
Auch eine andere noch wichtigere Verhandlung des Fünfzigerausschusses hatte sich in der Hauptsache wenigstens abgespielt während Blum’s amtlicher Abwesenheit in Köln und Aachen: jener Versuch des Bundestags, durch Einsetzung eines Triumvirates wieder Einfluß auf das deutsche Verfassungswerk zu[307] gewinnen. In einem Briefe Blum’s an Jacoby aus Köln (ohne Datum) hatte selbst Blum sich diesem Projecte günstig ausgesprochen. Dasselbe that die große Mehrheit des Ausschusses, da sie so wenig wie Blum die geheimen Absichten des Bundestages kannte. Eben als Blum wieder zu den Arbeiten des Ausschusses zurückkehrte, hatte der Ausschuß mit 26 gegen 13 Stimmen der Einsetzung des Triumvirates — einer Art von provisorischer Bundesexecution zur Vertretung der äußeren Sicherheit Deutschlands und Vollziehung der Parlamentsbeschlüsse im Innern — beschlossen. Der Bundestag aber hatte diesen Beschluß des Fünfzigerausschusses, wie Heckscher am 4. Mai wiederholt sagte, „verfälscht“, indem er — unter dem Anschein, die Beschlüsse des Ausschusses zu vollziehen — gerade das Gegentheil dieses Beschlusses auszuführen, „die Vollziehungsgewalt in der innigsten Vereinigung der Regierungen unter sich wie mit der Bundesversammlung auszuüben“ versuchte und beschloß: daß das Triumvirat bis nach Beendigung der Nationalversammlung, bis zur Neugestaltung des Bundes bestehen solle, ohne daß die Volksvertretung bei der Wahl der drei Männer mitzureden habe. Diese „Fälschung“ brachte die größte Entrüstung bei den Fünfzigern hervor und warf das ganze Triumvirat noch vor seiner Einsetzung über den Haufen. Noch größere Erbitterung entstand aber im Ausschuß, als nun vollends am 10. Mai Abegg das geheime Promemoria des hessen-darmstädtischen Bundestagsgesandten von Lepel an’s Licht zog, welches empfahl, durch Corruption der Wahlen oder durch Bestechung von Parlamentsmitgliedern den Regierungen einen Einfluß auf das künftige Verfassungswerk zu sichern, welcher ihnen nach dem damaligen Stand der Dinge entzogen sei; und als festgestellt wurde, daß der Bundestag am 4. Mai über dieses Promemoria verhandelt und sogar beschlossen hatte, es den Regierungen „zur gutfindenden[308] Kenntnißnahme einzusenden, da es, theilweise wenigstens, Bemerkungen enthalte, deren Berücksichtigung sich empfehlen dürfte,“ — da brach die lauteste Entrüstung aus.
In den entschiedensten Worten verlangten Heckscher, Lehne, Blum, daß man Aufklärung vom Bundestag über die Echtheit dieser Schriftstücke fordere, ehe man weiter berathe. Blum sprach von einem „unwürdigen Verfahren“. „Ist das vorgelegte Actenstück echt, so ist es Thatsache, daß man eine constituirende Nationalversammlung nicht will, daß man dem Volke das Recht abzuschneiden meint, sich selbst seine Grundverfassung zu geben ... wenn man diesen Beschluß in Nacht und Dunkel gefaßt und gehüllt hat, dann steht uns ein Protest gegen diese Schöpfung des Triumvirates bevor, die man unter einer falschen Larve hat aufdringen wollen, dann steht das Vaterland in Gefahr, und wir müssen thun, was das Vorparlament für einen solchen Fall bestimmt hat. Die Prüfung dieses Documents also und die darüber zu fordernde Erklärung ist auf den Beschluß, der heute gefaßt werden soll, von dem unermeßlichsten Einfluß“[145]. Dieser Antrag wurde zum Beschluß erhoben. Der Bundestag gab die Erklärung ab, daß die Documente echt seien. Er hatte einen Ausdruck des Bedauerns nur dafür, daß ihre Mittheilung durch einen „Mißbrauch des Vertrauens“ möglich geworden sei.
Am 12. Mai verhandelte der Ausschuß über diese Antwort. Die bittersten Worte fielen über den Bundestag und dessen Vertheidiger im Ausschuß. „Wen Gott verderben will, den verblendet er“, rief Heinrich Simon. „Die Regierungen werden mit der constituirenden Nationalversammlung sich vertragen müssen“, sagte Blum, „aber nicht in dem Metternich’schen Sinne, sondern in einem offenen ehrlichen Sinne. Wenn aber[309] die Verwandtschaft dieses Promemoria mit dem Metternich’schen Systeme hervorgehoben worden ist, so ist dies um so weniger abzusprechen, als ausdrücklich Phrasen von den geheimen Wiener Conferenz-Beschlüssen darin vorkommen. Das sind also die Anhänger der constitutionellen Monarchie![146]“ Auch die schriftliche Erklärung des hessischen Ministers Heinrich von Gagern, daß er Herrn von Lepel desavouire und dessen Promemoria keineswegs die Ansichten der hessischen Regierung ausdrücke, rettete den Bundestag nicht vor dem vernichtenden Urtheil, das der Fünfzigerausschuß am 12. Mai über ihn und sein Verhalten aussprach. Die Zustimmung des Ausschusses zur Einsetzung eines Triumvirates wurde ausdrücklich zurückgenommen.
Es war die letzte große That des Fünfzigerausschusses: der Bundestag war nun vollends moralisch vernichtet; Niemand in Deutschland glaubte damals, daß er je wieder aus der Grube sich erheben würde, in die er mit Schanden gefahren.
Für Robert Blum waren die letzten Wochen des Fünfzigerausschusses Wochen schmerzlicher persönlicher Sorge gewesen. Lange Zeit nämlich war es höchst zweifelhaft, ob der Führer des radicalen Fortschritts in Sachsen, der Vicepräsident des Vorparlaments und Fünfzigerausschusses, der Mann, nach dessen Bestimmung zwanzig der sechsundzwanzig Sächsischen Parlamentssitze besetzt wurden, überhaupt ein Mandat für die Nationalversammlung erhalten werde! Dieser kaum glaubliche Fall war lediglich verschuldet durch die Saumseligkeit und Unfähigkeit der Parteileitung[310] in Leipzig. Denn die „entschiedenen“ Republikaner des „Republikanischen Klubs“ in Leipzig unter dem Schriftsteller Oelckers, der „Demokratische Verein“ unter Semmig, der „Volksverein“ unter dem Improvisator Langenschwarz, welcher das Prinzip des rohesten Demagogenthums vertrat, und alle die übrigen kleinen Abbröckelungen von Blum’s Vaterlandsvereinen waren bis jetzt ohne alle Bedeutung. Die Broschüre Semmig’s „Was thut Noth und was thut Blum?“, die der Bekenner des großen Grundsatzes „Sociale Reform, aber keinen Communismus“ schon im März 1848 Blum mit der Absicht der Vernichtung entgegengeschleudert hatte, war spurlos an der Weltgeschichte vorübergegangen; nicht minder die neuesten Improvisationen des Herrn Langenschwarz. Selbst der „Deutsche Verein“, der mit seinem scharf ausgeprägten Programm der „constitutionellen Monarchie auf breitester demokratischer Grundlage“ und mit seiner Forderung eines „Bundesstaates mit volksthümlichem Parlament, das ganze Deutsche Vaterland umfassend“, und durch das Gewicht der Namen seiner Begründer[147] an die besten Kreise der Leipziger Bürgerschaft und des ganzen Landes sich wendete, stand damals erst in den Anfängen seiner Wirksamkeit und Ausbreitung. Aber mit bitterer Sorge mußte Blum in die Zukunft seiner Partei in Sachsen blicken, wenn jetzt schon, da er kaum einen Monat die Leitung aus der Hand gegeben, die Führer selbst seine Wahl zum Parlament so erschwerten, wie dies aus den nachstehenden Briefen erhellt. Der Typus jener Märzfreisinnigen, welche sich vorläufig unter den Fittichen eines möglichst populären Volksmannes am sichersten fühlten, und die Deutsche Einheit auf dem trockenen Wege von Resolutionen, Programmen und Vereinsgründungen zu verdienen bestrebt waren,[311] der Advocat Dr. Gustav Haubold in Leipzig, später Vormund von Blum’s Kindern, erhob sogar die Zumuthung gegen Blum, dieser möge ein „politisches Glaubensbekenntniß“ aufstellen. Aus diesen Stimmungen schrieb Blum am 3. Mai an die Gattin: „Noch immer habe ich von unsern Leuten keine Silbe und weiß nichts über die Wahl; das ist auch schönes Pack. Aber ich werde mir’s merken, komme ich wieder nach Haus, so werde ich thun, was ich muß, aber mich um keine Versammlung, keine Veranstaltung und keinen Menschen bekümmern; ihr Verfahren gegen mich ist zu schmachvoll.“ Am nämlichen Tage antwortete er Haubold:
„Mein lieber und geehrter Freund! Dein Brief vom 26. v. M. hat mich sehr erfreut, weil er mir den Beweis bringt, daß Du mir auch in der Ferne die Theilnahme erhalten hast, die Du mir dort geschenkt. Bewahre sie mir auch ferner, selbst dann, wenn ich Deinen jedenfalls wohlgemeinten Rath nicht befolge. Dies ist aber der Fall hinsichtlich eines Glaubensbekenntnisses. Es ist jetzt zu spät dazu, aber ich konnte und mochte es auch nicht geben, als es noch Zeit war. Ich werde mich allezeit zu allen Wahlen anbieten und geschieht dies irgend, wo man mich nicht kennt, stets den Leuten sagen, was ich will, damit sie wissen, was sie an mir haben. Aber jetzt, in Leipzig, durfte ich das nicht thun. Ich will nicht von 16 Jahren meines bürgerlichen, nicht von 8 Jahren meines öffentlichen und publicistischen Lebens reden, obgleich auch das genügt; aber nach unsern Wirren im März, nach der ungehemmten Aussprache in unzähligen Volksversammlungen, nach dem Vorparlament und der ungeheuer schwierigen Stellung, welche die nicht revolutionäre Linke dort hatte, und nach dreiwöchentlichem Wirken im Fünfzigerausschuß, müßte ich mich selbst herabsetzen, wenn ich den Leipzigern ein Glaubensbekenntniß gäbe. Wenn mein Leben und Thun keine Gewährleistung giebt, wie soll denn mein Wort eine geben? Wenn ich im Leben geheuchelt hätte, würde mir das zweideutige Wort oder der Bruch des geraden Wortes schwer werden? Gewiß nicht! Wer ein Glaubensbekenntniß von mir braucht, um sich durch dasselbe zur Wahl bestimmen zu lassen, der soll mir die Ehre anthun, mich nicht zu wählen; ich würde es für[312] mein größtes Unglück halten, der Vertreter solcher Leute zu sein. Nun, ich werde in Leipzig in die Verlegenheit nicht kommen, wie die Sachen zu stehen scheinen. Wegen der Republik sollen die Leute ruhig sein, die bekommen sie nicht; aber die ganze alte Sauwirthschaft bekommen sie wieder in neuer Auflage, weil sie das Michelthum wieder bewährt haben und sich von dem Popanz der Republik ins Bockshorn und der Reaction in die Arme jagen lassen. Die constituirende Versammlung wird entsetzlich werden, und der Spießbürger zu spät einsehen, wie er genasführt wurde. — Nimm mir, lieber Freund, die Weigerung nicht übel, ich achte und ehre Deine Absicht, ich danke Dir für Deine Aussprache, aber Du wirst selbst einsehen: es geht nicht, es war nicht möglich....
Ueber unsre Sitzungen nichts, die Zeitungen bringen das; sie bringen zuviel darüber im Vergleiche zum Werthe, daher nur noch die besten Wünsche u. s. w.
Frankfurt, 3. Mai 1848.
Robert Blum.“
Am 6. Mai schrieb Blum an seinen Freund, den Advocaten Dr. Bertling, der mit an der Spitze des Vaterlandsvereins in Leipzig stand:
„Lieber Freund. Mit tiefer Beschämung muß ich Dir antworten: ich weiß nicht, ob ich in Reußen angenommen habe. Vom ersten Augenblick an habe ich durch meinen Schwager[148] an Euch geschrieben und erklärt: ich nehme an nach Eurem Bedürfnisse, nach Eurem Willen. Ich habe keinen Brief nach Reußen gehen lassen, der nicht vorher durch Eure Hände gehen sollte und gehen mußte. Ich habe unbedingte Vollmacht gegeben in meinem Namen jede Erklärung zu geben, welche Eure Verhältnisse erheischen und habe dagegen nichts verlangt: als sorgsame gemeinschaftliche Berathung und Beschlußfassung über diese Angelegenheit und Mittheilung dieses Beschlusses. Ich weiß aber in diesem Augenblicke nichts, gar nichts; nicht ob berathen, nicht was beschlossen worden ist, nicht ob meine (eventuell zusagenden Briefe) nach Reußen abgegangen, noch welche Antwort gekommen ist, denn auch diese hatte ich nach Leipzig gewiesen. Ich stehe hier als der Spott meiner[313] wenigen Freunde, die mich um so mehr verhöhnen, als ich auf die Organisation der Partei in Leipzig gepocht habe. Du willst dennoch Antwort von mir und ich versichere Dir, Du wirst mir einen großen Gefallen thun, wenn Du mir eine Antwort verschaffst, die mich aus meiner peinlichen Lage reißt und mir selbst sagt, was ich den Leuten geschrieben habe. Was im Frankfurter Journal steht, beruht auf der Zeitungsnachricht: ich sei gewählt; darauf haben mich die Abgeordneten als legitimirt betrachtet. — Wenn die Biedermänner wirklich niederträchtig handeln, so brecht doch offen mit ihnen und brandmarkt sie; zu was denn die Halbheit, wenn Vereinigung einmal nicht möglich ist? Oder löst Euch auf und geht alle in den „Deutschen Verein“, dann hebt Ihr sie in ihrem eigenen Neste aus. Wie um Gotteswillen kommt denn Langenschwarz zu einer Partei und zu einer Bedeutung? Sei herzlich gegrüßt von Deinem
Blum.“
Am bittersten aber schreibt Blum über diese heillose Verwirrung, welche einige der besten Freunde angerichtet hatten, am 9. Mai an die Gattin:
„Liebe Jenny. Du meinst, meine Freunde hätten gethan, was sie können. Ja, das haben sie, d. h. um mich vom Reichstag auszuschließen und mich dazu zu blamiren. Als man mir aus Reußen die Wahl antrug, schrieb ich nach Leipzig und sagte: sie möchten über mich verfügen, Leipzig oder dort, nach ihrem Ermessen und Bedürfniß, sie könnten in meinem Namen Antwort und Erklärungen abgeben, wie sie wollten. Nach Reußen schrieb ich zusagende Briefe, legte sie nach Leipzig ein und sagte, man möge sie absenden oder zurückhalten nach Ermessen. Diese Briefe sind ohne Berathung, ohne Plan, ohne daß man nur sich darüber ausgesprochen hat, abgeschickt worden. Das einzige aber, was ich mir am 23., 24. und 25. April nach einander erbat, eine umgehende Antwort über ihre Absichten und ihre Pläne, hatte ich am 1. Mai noch nicht, habe ich heute noch nicht. So brachten mir die Zeitungen erst die Kunde, ich sei in Reußen gewählt und Knoch und A. schrieben mir dasselbe. Darauf ging ich am 1. Mai in die Versammlung hier und das verdarb nun Alles. Denn jetzt erst hörte ich, daß man mich auch durch die Leipziger Wahl schleppe. Unsinniger Weise aber hatte man mich in Reußen dreimal zusagen lassen. Wäre die Sache günstig in Leipzig, so müßte ich durch die unbegreifliche[314] Absendung der zusagenden Briefe dort den Freunden wortbrüchig werden. Aber es ist in Reußen ebenfalls nichts, denn es muß dort wegen falscher Anordnungen auf’s Neue gewählt werden, und bin ich in Leipzig durchgefallen, so falle ich dort nun auch durch, da die Abstimmung sich ändert und das böse Beispiel Leipzigs wirkt. Aber das ist nicht genug. Während man in Leipzig noch zu siegen meint, schreibt man auch einen Bettelbrief an’s Voigtland und giebt sich dadurch selbst das Zeugniß, daß man an den Sieg nicht glaubt. Jetzt wird man mich wahrscheinlich noch mit Uebereilung in einigen Wahlbezirken vorschlagen und ebenfalls durchfallen lassen, und dann kehre ich mit 3–4 Niederlagen geschändet zurück und man lacht mich aus. Man läßt Biedermann wählen und erst dann denkt man daran, daß es gut gewesen wäre, mich zu rufen. Der Vaterländische Verein ist zu Grunde gerichtet, ist eine Beute Semmig’s[149] geworden, weil man sich mit leerem Formenkram herumschlägt, selten sich bespricht, dann um halb 10 Uhr anfängt und sich bis nach Mitternacht um Nichts streitet. Die fähigsten Menschen „haben keine Zeit“ und gehen gar nicht hin, andere gehen hin, sind aber laß und pomadig. Und hätte man nun noch den Verein aufgelöst oder gesprengt, so war’s doch ein ehrenvoller Tod; aber nein, man läßt ihn elendiglich an Auswüchsen und an der Schwindsucht sterben zum Hohn und Spott der Gegner. Kurz, Alles was seit langen Jahren so sehr mühsam gepflanzt wurde und nun mächtig aufgeblüht war, das ist in wenig Wochen völlig zu Grunde gerichtet, und man hat sich die Frucht vor der Nase wegpflücken lassen. —
Was ich in diesen Tagen an Aerger und Wuth verschlungen habe, das ist unermeßlich. Friese hat mir mit großer Treue alle Tage geschrieben, was ich sehr dankbar anerkenne; aber er hat mir seine Ansicht geschrieben, vielleicht hat er meine Aufforderung, einen festen Plan zu entwerfen, gar nicht gekannt, sondern in liebenswürdigem Diensteifer gerade die Briefe fortgeschickt, die nicht fortgeschickt werden[315] durften. — Nun, die Welt geht auch ohne mich fort und ich will mich freuen, wenn ich erst die Rückkehr überwunden habe und dann friedlich im Garten sitze. Die armen Kinder! wahrscheinlich kommen sie nirgend hin; geh nur einmal mit ihnen auf die Messe, laß sie auf dem Caroussel fahren und kaufe jedem eine Apfelsine. Ich war allerdings trüb gestimmt und bin es noch, nicht wegen dem schweren Stande hier, sondern weil durch das sündliche Verfahren in Leipzig der Rückhalt weggezogen wird, weil man aus dem schlechten Feldzuge nicht auf ein sicheres Lager blicken kann. Fallen im Kampfe, das ist nichts, es ist sogar schön, aber ohne alle Schuld zu Grunde gerichtet werden, das ist abscheulich. Wenn ich nicht gewählt werde, wie das sehr wahrscheinlich ist, so schickst Du mir natürlich nichts, ich reise dann sofort ab, um nicht trauriger Zeuge der Eröffnung sein zu müssen. — Lebe recht wohl, bleibe gesund, lasse den Kindern den Zügel nicht zu sehr schießen, bald werde ich ja wiederkommen und helfen erziehen. Nochmals lebe wohl, empfiehl mich allen Bekannten als bald Ankommenden und nimm bis dahin herzlich Gruß und Kuß von
Deinem
9. Mai 1848.
Robert.“
Auf der Rückseite:
„Eben erhalte ich die Kunde der Wahl. Lege der Sendung etwas Visitenkarten bei.
B.“
Diese Wahl war in Leipzig trotz aller Fehler der Freunde fast einstimmig gelungen. Die Gegner vom Deutschen Verein hatten nur einen Zählcandidaten aufgestellt; die radicalen Vereinchen wagten sich mit keinem Candidaten an’s Tageslicht.
So war denn Robert Blum, als Abgeordneter der Stadt seines Manneswirkens, unter jenen 330 Männern, welche am 18. Mai im Römer zu Frankfurt zusammentraten und nun in feierlichem Zuge, entblößten Hauptes, über den Römerberg und die Neuekräme nach dem nördlichen Hauptthore der Paulskirche zogen. Der reiche Schmuck und der patriotische Jubel Frankfurts, welcher das Vorparlament schon auf seinem Wege nach St. Paul begleitete, erreichte nun seinen Höhepunkt, da die Deutsche Nationalversammlung[316] zusammentrat. Von ihr hoffte man in wenigen Monaten die Deutsche Staatsverfassung bescheert zu erhalten. Auch die meisten Abgeordneten hatten sich auf keinen längeren Aufenthalt in Frankfurt eingerichtet[150].
Am folgenden Tag (19. Mai) fand die Wahl des Präsidiums statt. Von 397 Abstimmenden wählten 305 Heinrich v. Gagern. Die Linke gab ihre 85 Stimmen für v. Soiron ab, da er im Vorparlament die Volkssouveränität proclamirt, den Fünfzigerausschuß geleitet hatte. Geschickt wußte Gagern den Gefühlen seiner Gegner Rechnung zu tragen, indem er auch seinerseits die Souveränität des Volkes, die alleinige Befugniß der Nationalversammlung zur Schaffung einer Deutschen Verfassung verkündigte, als er das Präsidium übernahm. „Der Beruf und die Vollmacht, eine Verfassung für das ganze Reich zu schaffen, hat die Schwierigkeit, um nicht zu sagen Unmöglichkeit in unsere Hände gelegt, daß es auf anderem Wege zu Stande kommen könne. Die Schwierigkeit, eine Verständigung mit den Regierungen zu Stande zu bringen, hat das Vorparlament richtig vorgefühlt und uns den Charakter einer constit. Versammlung vindicirt. Deutschland will Eins sein, regiert vom Willen des Volkes, unter Mitwirkung aller seiner Gliederungen. Diese[317] Mitwirkung auch den Staatsregierungen zu erwirken, liegt im Berufe dieser Versammlung.“ Durch diese klugen Worte beseitigte Gagern einen Sturm, der schon in der Eröffnungssitzung am 18. Mai ausgebrochen wäre, wenn das Parlament damals schon — eine Geschäftsordnung besessen hätte. Die Bundesversammlung hatte nämlich das Parlament am 18. Mai durch einen schriftlichen Glückwunsch begrüßt, der wohl nach Ansicht des Herrn v. Schmerling, des damaligen Bundespräsidialgesandten, die Stelle einer Thronrede vertreten sollte. Einige wollten diese Höflichkeit vom Parlament erwidert sehen. Die Linke erklärte sich durch Zitz entschieden dagegen, mit dem Bundestag Complimente zu tauschen. Da wurde der Glückwunsch des Bundestags ironisch zu den Acten gelegt von der „neuen Größe“, welcher der alte Bundestag grießgrämig gratulirte. Aber die Worte Gagerns waren auch echt staatsmännisch, weil sie den Rechtsboden und die Aufgabe des Deutschen Parlaments klar bezeichneten. Bis zuletzt hatten die Regierungen versäumt, eine Verständigung mit dem Parlament vorzubereiten. Seit dem 26. April schon war der Verfassungsentwurf der siebenzehn Vertrauensmänner, mit denen sich der Bundestag umgeben hatte, dem Bundestag, fast ebenso lang den Regierungen bekannt. Dahlmann, Albrecht und Droysen hatten ihn verfaßt; er enthielt die Grundgedanken der Reichsverfassung von 1849, namentlich die erbliche monarchische Spitze. Eine Vereinbarung der Regierungen über diesen Entwurf bis zum Zusammentritt des Parlaments wäre daher leicht gewesen. Wie rasch und freudig hätte dann die monarchische Mehrheit des Parlaments die Verfassungsarbeit fördern, wie leicht selbst den Boden der Verständigung mit der Linken finden können in den Fragen, über welche überhaupt eine Verständigung möglich war, und über welche sie in der That auch später unter so viel schwierigeren Verhältnissen stattgefunden[318] hat. Aber nicht eine einzige Deutsche Regierung hat sich bis zum 18. Mai über den Siebzehner-Entwurf geäußert. Die vertraulichen Briefe, die vom Prinzen und vom König von Preußen in der Zwischenzeit an Dahlmann und A. über den Entwurf einliefen, entzogen sich naturgemäß öffentlicher Mittheilung und durften nur als die Ansicht höchstgestellter Privatleute gelten. Mit Recht äußerte sich Dahlmann später einmal: „Die Bundesversammlung sprach sich selbst das Todesurtheil, indem sie über die Verfassung der Siebzehn, die ihr seit Wochen vorlag, kein Urtheil wagte, ihr eigenes Verhältniß zur Nationalversammlung mit keiner Silbe bezeichnete, sich begnügte, dem Parlament einen völlig inhaltsleeren Glückwunsch zuzuschicken. Das hieß die Versammlung herausfordern, ihre Machtvollkommenheit unbedingt festzustellen.“ Und Bunsen schrieb: „Die Fürsten versäumten, sich zu verständigen, ehe das Parlament zusammentrat, um ihm als Regierung gegenüberzutreten. War dies Kurzsichtigkeit oder Hinterlist?“
Die Linke war sehr geneigt, dieses Verhalten der Regierungen von der schlimmsten Seite aufzufassen. Bedenkliche Symptome anderer Art schienen hierfür zu sprechen, die sie aufmerksam verfolgte. Die Linke war (neben der rein landsmannschaftlichen Vereinigung der Oesterreicher unter Schmerling) bei Beginn des Parlaments die einzige organisirte Partei, unbestritten war in ihr Blum’s Führerschaft. Sie versammelte sich im „Deutschen Hofe“. Die Kosten für die Beschäftigung des Parlaments hat in den ersten Wochen die Linke fast ausschließlich getragen. Man kann daher ermessen, welche Arbeitslast ihrem Führer in diesen Wochen zufiel, in denen er gleichzeitig in dem wichtigsten Ausschusse des Parlaments, dem Verfassungsausschuß, eine hervorragende Rolle spielte und der Commission angehörte, welche das Parlament zur Untersuchung der Mainzer Wirren entsendete;[319] nebenbei war dann noch das Organ der Partei, die „Deutsche Reichstagszeitung“ zu gründen, zu redigiren und mit Stoff und ständigen Mitarbeitern zu versorgen. Nur eine so unverwüstliche Natur, wie die Robert Blum’s, konnte diese Arbeitslast bewältigen. Schon am 10. Mai hatte er an die Frau geschrieben: „Diese Zeilen seien Dir nur ein Zeichen liebender Erinnerung, denn ich muß von heute an eine Zeitung schreiben, die ich der Partei gegründet habe. Bis unsere Leute, hoffentlich recht bald, kommen, muß ich dies allein und das ist eine furchtbare Aufgabe.“ Am 19. schrieb er:
„Liebe Jenny. Der Sturm hat seit vorgestern wieder begonnen und Nacht und Tag vermengen sich bei uns in der sonderbarsten Weise. Erwarte daher jetzt keine Briefe, ab und zu ein Zettelchen sollst Du haben. Georg (Günther), Schaffrath und ich — wir wohnen jetzt zusammen in einer prächtigen Wohnung mit schönem Garten und bezaubernder Aussicht. Georg ist der unerbittliche Wecker, wenn wir morgens oft nur zwei, höchstens drei Stunden geschlafen haben. Denn frühestens kommen wir 1 Uhr nach Hause und stehen um 4 Uhr wieder auf. Geld (Diäten vom Fünfzigerausschuß) haben wir noch nicht bekommen, sonst würde ich Dir senden; indessen hoffe ich in den nächsten Tagen darauf. Bis dahin wirst Du wohl reichen. Sieh in den Steuerbüchern nach, wenn Steuern zu bezahlen sind, damit das nicht versäumt wird; nur etwaige Kirchensteuer, d. h. für die römische Kirche, bezahle nicht. Bleibe recht gesund und munter, wenn Ihr könnt, so schlaft etwas für mich, denn ich erhalte jetzt meinen Bedarf nicht. Herzlichen Gruß und Kuß Dir und den Kindern.
B.“
Am 27. Mai fügt er hinzu:
„Das Treiben ist hier jetzt betäubend, keinen Tag, keine Stunde Ruhe und doch keine Frucht. Oeffentliche Sitzungen, Abtheilungssitzungen, Sitzungen in 3 Commissionen und zwar den wichtigsten, Parteiberathungen, Clubberathungen, Commissionsarbeiten und dazu eine Zeitung — wer sagt, daß ich nicht arbeite, der lügt schauderhaft. Wahrlich, man lebt und arbeitet in einem Monat für Jahre, aber man merkt’s nicht. Als Mensch geht’s mir leidlich, der Aerger setzt das Blut in Bewegung, und man entbehrt dadurch die Bewegung weniger; so[320] bin ich also gesund. Ebenso Georg, Joseph und Schaffrath, die mit mir wohnen. Das Haus liegt an der Promenade, hat einen schönen Garten, Aussicht auf den Taunus, und es wohnt Niemand darin als wir und Todt’s. Die Frau Wirkliche Geheime Legations-Räthin kocht uns mit den Kaffee und wir trinken denselben im Garten. Die Geschichte kostet monatlich 83 Gulden, aber billiger bekommt man’s einmal nicht.... Daß die Kinder gesund sind und gedeihen, freut mich; Gott weiß, wie lange es noch dauert, ehe ich sie wieder sehe, am Ende kennen sie mich nicht mehr, wenn ich komme; es sind nun schon bald zwei Monate! Indessen es muß sein und wenn nur die Opfer etwas nützen, so wollen wir sie in Gottesnamen bringen!“
Und am 30. Mai schreibt er an dieselbe:
„— — Also unsre Leute bekümmern sich gar nicht um Dich? Es geht damit wie im Politischen, da bekümmern sie sich auch erst um die Dinge, wenn’s zu spät ist. Nun, Du kannst ja mitunter mit Cramers oder Frieses ausgehen, damit Du und die Kinder doch wohin kommen.... — Diese Tage sind keine Verhandlungen von Bedeutung: Geschäftsordnung, Wahlen u. s. w., langweilig und doch nothwendig. Lebe wohl, die Pflicht ruft! Grüße und küsse die Kinder und empfiehl mich allen Bekannten, die Du siehst. — Bleibe nur gesund und spare nicht etwa zu sehr, so daß Hans sagt: wir essen nichts! Nochmals lebe wohl und nimm Gruß und Kuß von Deinem
Robert.“
Schon am 19. Mai, aus Anlaß der Wahlprüfungen, hatte Raveaux darauf hingewiesen, daß Preußen, trotz der Abmahnung des Fünfzigerausschusses, die preußische Nationalversammlung gleichzeitig mit dem Deutschen Parlament einberufen und die Abgeordneten, die beiden Versammlungen angehörten, aufgefordert habe, nur eines der beiden Mandate anzunehmen. Die Frage wurde, ihrer großen Wichtigkeit halber, auf den 22. Mai vertagt. Indessen auch an diesen Tagen gelangte nur Raveaux zur eingehenden Begründung seines Antrags, den er dahin erläuterte, daß neben dem Deutschen Parlament kein Einzelstaat seine Landesvertretung die Verfassung Deutschlands berathen lassen dürfe. Siebenzehn Abänderungsanträge waren eingegangen,[321] die auf Blum’s Antrag verlesen wurden. Deßhalb beschloß die Mehrheit, die Sache an einen Ausschuß zu verweisen. Von der Minderheit, welche die rasche Erledigung der Frage für nothwendig hielt, gab ein großer Theil seinen Namen zu Protocoll, damit, wie Eisenstuck von Chemnitz sagte, „das Deutsche Volk die Männer kennen lerne, die schnelle Hülfe, Einheit und Kraft bringen.“ Leider steht auch Blum’s Name unter den Namen dieser Tendenzprotestler[151].
Die Zwischenzeit bis zur Berichterstattung über den Raveaux’schen Antrag füllte die Linke mit der Besprechung der Mainzer Angelegenheit. Seit Jahren waren hier Reibereien zwischen den Bürgern und der preußischen Besatzung an der Tagesordnung. Nun hatte sogar die Mainzer Bürgerwehr auf die Preußen Feuer gegeben. Da drohte der Vicegouverneur von Mainz, General von Hüser, die Stadt zu beschießen, wenn nicht binnen wenigen Stunden die Bürgerwehr entwaffnet sei. Das Mittel wirkte; am Mittag des 22. war die Entwaffnung vollzogen. Aber Zitz, dreifach gekränkt als Mainzer, als Democrat und als Bürgerwehrcommandant, donnerte schon am 23. im Parlament gegen die preußischen „Ausnahmemaßregeln“ und formulirte Anträge, welche die preußischen Truppen einfach durch das caudinische Joch geschickt hätten, wenn sie angenommen worden wären. Die Nationalversammlung, ja selbst die Linke, goß jedoch Wasser in seinen Feuertrank. Carl Vogt stellte den Antrag, eine Commission nach Mainz zu senden zur Untersuchung der dortigen Verhältnisse. Hergenhahn, Blum und Vogt gehörten zu den Mitgliedern dieser Commission. Am 26. Mai erstattete Hergenhahn dem Parlament Bericht Namens des Ausschusses.[322] Danach schien die schwere Schuld der Unruhen auf Seite der Bürger zu liegen. Denn von den Bürgern waren nur fünf (und zwei von diesen nur leicht) verletzt, während vier preußische Soldaten getödtet, 25 verwundet waren, darunter drei durch Stiche im Rücken! Deßhalb ging der Antrag des Ausschusses nur dahin: einen Theil der preußischen Garnison zu verlegen, ein hessisches Bataillon nach Mainz zu ziehen und die Neubildung der Mainzer Bürgerwehr, in Formen, welche dem Festungsreglement entsprächen, durch ein hessisches Landesgesetz zu vollziehen. Blum und Vogt schwiegen bei diesem Referat. Man konnte glauben, sie stimmten ihm zu. Eine Minderheit des Ausschusses war sogar für einfache Tagesordnung.
Diesen Ausgang hatte Zitz nicht erwartet. Abermals suchte er die Mainzer Wirren ausschließlich dem Uebermuth und der Zuchtlosigkeit der Preußen zuzuschreiben und erging sich dagegen im Lobe der dortigen österreichischen Garnison. Kein Geringerer als Schmerling antwortete ihm. Er wies das Lob der Oesterreicher auf Kosten der Preußen zurück und erklärte mit kühner Offenheit, seine Landsleute würden sich in gleicher Lage gerade so benommen haben, wie die Preußen, das hoffe er „zu ihrer Ehre“. Und mit weitsehendem Blick fügte er hinzu: „Mainz muß in Vertheidigungsfähigkeit erhalten werden, da es demnächst bestimmt ist, auch uns in Frankfurt gegen feindliche Ueberfälle zu schützen.“
Nach Schmerling bestieg zum ersten Male Robert Blum die Tribüne des Deutschen Parlaments. Er führte aus[152], daß der Ausschuß 234 Eingaben von Einwohnern der Stadt Mainz absichtlich ungeprüft gelassen habe, um an Ort und Stelle selbst sich ein Urtheil zu bilden. Auch Zitz dürfe sich daher auf dieses[323] Material nicht beziehen. Aber der Augenschein habe in ihm persönlich die Ueberzeugung begründet, daß die Erregung der Mainzer Bevölkerung sich hauptsächlich an zwei Ereignisse geknüpft habe: den Berliner Straßenkampf und die Nachricht, der Prinz von Preußen solle zurückgerufen werden. Da seien Excesse der Bürger gegen das preußische Militair vorgekommen, aber der preußische Commandant habe die Excedenten nicht vor die Gerichte gezogen, sondern zugelassen, daß seine Soldaten sich selbst Recht genommen durch Gewalt. Die Maßregel, die der Commandant jetzt getroffen, die Drohung der Beschießung der Stadt, sei vielleicht weniger geboten gewesen durch die „militairische Stellung, als durch die Nothwendigkeit einer wilden und zügellosen Gewalt entgegenzutreten und sie in den wankenden Schranken zu halten, die noch da sein mögen.“ „Wie die Sache sein mag, darüber ist kein Zweifel, daß die Stimmung in Mainz derart ist, daß die Menschen, die einander entgegenstehen, miteinander nicht mehr leben können. Die erste Pflicht bei einem ausgebrochenen Streite ist die, die Streitenden zu trennen und dann das Rechtsverhältniß wieder zwischen ihnen herzustellen... Sie müssen dafür sorgen, daß die im höchsten Grade gespannte Erbitterung nicht zu neuen, zu schrecklicheren Blutscenen Veranlassung gebe, als bisher. Und dies können Sie nur, wenn Sie die Bürgerschaft zum Auswandern, oder das Militair zum Auszuge bringen.“ (Lebhaftes Bravo).
Mit einem Standpunkt, der seinen heißblütigen Freunden so offen die Meinung sagte und sich so gänzlich frei hielt von jenen Schmähungen preußischer Waffenehre und Mannszucht, die sich Zitz erlaubt hatte, hätte die conservative Mehrheit wohl sich vertragen können[153]. Aber schon war durch Zitz’ Auftreten[324] Alles verdorben. Trotz des Tobens der Linken und der Gallerien fanden doch die Worte jenes schneidigen, schönen Aristokraten, der nach Robert Blum die Tribüne betrat, die Worte des Fürsten Lichnowsky, brausenden Wiederhall in der Versammlung, als er die innigen Beziehungen zwischen den in Mainz ersehnten „rothen Hosen“ und den landesverrätherischen „rothen Mützen“ hervorhob, die 1793 die Festung Mainz dem Feinde überlieferten, und als er rief: „Ist denn kein Deputirter aus Schleswig hier, um dafür einzustehen, wie sich preußische Truppen benahmen?“ Weder Welcker’s noch Heckscher’s Vorschlag, daß das Parlament die fernere Schlichtung der Sache in die Hand nehmen möge, fand Zustimmung. Denn alle Besonnenen erblickten in diesem Verhalten die Gefahr, das Parlament in einen Convent hinüberzuspielen und wohl auch die andere Gefahr, einen Conflict mit Preußen heraufzubeschwören. So wurde der Antrag auf einfache Tagesordnung mit großer Mehrheit angenommen.
Blum hatte in seiner Rede ungefähr denselben Gedanken ausgesprochen, der in Heckscher’s und Welcker’s Antrag hervortrat; er hatte daher wie diese mit der Minderheit gestimmt. Aber trotzdem beginnt schon von diesem Tage an das Mißtrauen der „äußersten Linken“ gegen den Führer. Hatte er doch Zitz’ Beweismaterial gering geschätzt, die Mainzer Excesse getadelt. Das wollte ein Volksmann sein?
Die tiefe Erregung des Hauses über die Mainzer Angelegenheit hatte sich noch nicht gelegt, als am folgenden Tage (27. Mai) die Verhandlungen über den Raveaux’schen Antrag von Neuem alle Leidenschaften entzündeten. Der Ausschuß brachte aus seinen viertägigen Berathungen nicht einmal[325] einen Mehrheitsantrag vor das Haus. Während die mehr rechts Stehenden (Vincke, Simson u. A.) eine motivirte Tagesordnung vorschlugen, „in dem begründeten Vertrauen“, daß alle Staaten Deutschlands ihre mit dem deutschen Verfassungswerk in Widerspruch stehenden Verfassungsbestimmungen „abändern werden“, und während Andere den Einzelstaaten die Aufhebung solcher Widersprüche zur Pflicht machen wollten, traten die der Linken angehörigen Ausschußmitglieder (Schaffrath, Kolb, Moritz Hartmann) entschieden mit dem Antrag hervor, daß das bedeutsame „einzig und allein“, welches das Vorparlament der Nationalversammlung gewonnen, ausdrücklich wiederholt werde und daher alle Gesetze, Verfassungen und Verträge nur soweit gültig seien, als sie mit der von der Nationalversammlung zu errichtenden Deutschen Verfassung übereinstimmten. Nachdem Oesterreich bereits am 9. April erklärt hatte, daß es sich an die künftigen Beschlüsse der Nationalversammlung nur insoweit gebunden erachte, als diese mit seinem Landesinteresse im Einklang stehen würden, nachdem Preußen für den 22. Mai eine „constit. Nationalversammlung“ nach Berlin berufen hatte, und Hannover den denkbar schlechtesten Willen kundgab, die verfassunggebende Befugniß des Frankfurter Parlaments anzuerkennen, zog der Antrag der Linken unleugbar am klarsten und entschiedensten die natürlichen Folgerungen aus den Beschlüssen des Vorparlaments und der von diesem geschaffenen, allseitig anerkannten Rechtslage. Keiner der Anträge prägte die große nationale Aufgabe des Parlaments schärfer aus, keiner zeigte sich unnachgiebiger gegen alle Hintergedanken und Querabsichten des dynastisch-antinationalen Particularismus. Rücksichtslos und hart gegen die Einzelregierungen mochte man diese Haltung der Linken schelten: dem nationalen Politiker zeigt sie sich in diesen Tagen noch in schönster Reinheit und Kraft.
Die Gegensätze zu vermitteln, hatte Werner von Coblenz den Antrag eingebracht: „Die Deutsche Nationalversammlung, als das aus dem Willen und den Wahlen der deutschen Nation hervorgegangene Organ zur Begründung der Einheit und politischen Freiheit Deutschlands, erklärt, daß alle Bestimmungen einzelner deutscher Verfassungen, welche mit dem von ihr zu gründenden allgemeinen Verfassungswerke nicht übereinstimmen, nur nach Maßgabe des letzteren als gültig zu betrachten sind, ihrer bis dahin bestandenen Wirksamkeit unbeschadet.“ Der Antrag vereinigte in sich die beiden Hauptansichten und sprach dennoch correct die Souveränität des Parlaments aus. Es erging jedoch diesem Vermittlungsantrag wie jedem Versuch einer Versöhnung, bevor große Gegensätze sich ausgesprochen, bevor sie erkannt haben, daß bei gleicher Kraft gegnerischer Meinungen nur beiderseitige Nachgiebigkeit den Frieden ermöglicht: er wurde Anfangs kaum beachtet. Ungestüm brachen die besten Redner den ganzen Vormittag ihre Lanzen für ihre extremen Ansichten. Nach der Mittagspause noch trat Graf Arnim für die Meinung der Rechten, Robert Blum für den Antrag Schaffrath in die Schranken. Arnim meinte, es sei unmöglich, daß man die Unterwerfung unter eine Verfassung fordere, deren Berathung noch gar nicht begonnen habe.
Mit Recht entgegnete ihm Blum[154], daß der Inhalt der Verfassung für die Frage gleichgültig sei, die dem Parlament „die feierlichste, gewichtigste und gewaltigste“ sei, ob sie nur Vorschläge zu machen oder eine Verfassung zu gründen habe. Dann wies er auf die Einberufung so vieler constitutioneller Versammlungen in den Einzelstaaten hin „und fand in ihnen eine Absicht und Bedeutung, welche die Geschichte bestätigt hat“[155].
Er sagte:
„Unsere Arbeit ohne diese Erklärung ist ein Haus ohne Fundament, ein Baum ohne Wurzel. Was nützt es uns, wenn wir hier Monate lang Verfassungen bauen und am Ende es sich fragt, welchen Werth und welche Geltung sie haben? Wenn wir ein Deutschland hier bauen, so versteht es sich von selbst, daß wir allein bauen müssen; denn wenn man an zwei Orten baut, so baut man eben zwei Deutschländer und nicht eins (Gelächter), abgesehen davon, daß am Ende jede der heute entdeckten 38 Nationen dasselbe Recht hat, für sich zu bauen.“ Sehr glücklich entgegnete er auf den Einwurf, die Nationalversammlung sei nur ein Geschworenengericht, das Volk aber ein Appellhof, das in letzter Instanz entscheidet: „Ich gehöre zwar der Linken an, aber bekennen muß ich, wir haben uns vor diesen ultra-revolutionären Ansichten entsetzt. Nur einmal in der Geschichte ist es dagewesen, daß man das Volk entscheiden ließ über die Verfassung. Das war 1793, und diese Verfassung war wegen ihres ultra-revolutionären Charakters nicht lebensfähig. Wenn daher die Linke ihr Mißfallen gegen den Sprecher äußern sollte, so thut sie es darum, weil sie so revolutionär nicht sein will (Bravo und Händeklatschen)“. Und am Schlusse gab er eine Schilderung der deutschen Zustände beim etwaigen Mißlingen des Verfassungswerkes, die man als Motto vor die Geschichte der Jahre 1849 und 50 setzen könnte: „Wenn die einzelnen Volksstämme aufhören müssen zu hoffen, daß hier die Möglichkeit gegeben sei zu einer Einheit Deutschlands, dann wird im allgemeinen Bankbruch jeder Einzelstaat genöthigt sein für sich zu sorgen, dann heißt es, um die Zeit nicht ungenutzt dahingehen zu lassen, für jeden derselben: Sauve qui peut! (Bravo! Unruhe auf der Rechten. Eine Stimme: Zur Ordnung!) Zur Ordnung? Weßhalb denn?“ — Präsident: „Es ist kein Grund vorhanden, den Redner zur Ordnung zu rufen, ich muß aber bedauern, daß er eine Befürchtung ausgesprochen hat, die ich nicht theile.“ Rob. Blum: „Das sind eben verschiedene Ansichten.“ Wigard: „Eine subjective Ansicht.“ (Allgemeine Unruhe. Einzelne Stimmen: „Die Galerie räumen!)“ Präsident: „Ich bitte, dem Redner das Wort zu lassen.“ Blum: „Ich bin am Schlusse, und der Schluß lautet nicht anders, als: Entscheiden Sie! (Bravo!)“
Schließlich aber wandten sich doch alle Redner dem versöhnlich-entschiedenen[328] Antrag Werner’s zu, auch Raveaux, auch Beckenrath, Heckscher und Schaffrath erklärten unter allseitigem Beifall im Namen der Linken, auch diese werde für den Werner’schen Antrag stimmen. Fast einstimmig wurde dieser Antrag angenommen. Da ging ein gewaltiges Hoch-, Bravo- und Hurrahrufen durch das ganze Haus, ein anhaltendes Händeklatschen erhob sich in der Versammlung und auf den überfüllten Galerien[156]. Jeder fühlte sich gehoben durch diesen Beschluß, der noch einmal die Nationalversammlung zur souveränen Schöpferin der Verfassung erklärte.
Dieser schöne Tag des Parlaments, der an seinem Schlusse eine seltene Einmüthigkeit der Parteien herbeiführte, sollte für Blum noch ein recht unangenehmes Nachspiel herbeiführen. Blum hatte die Gefahr, welche die Einberufung einzelstaatlicher Constituanten in sich berge u. A. durch folgende Mittheilung anschaulich zu machen gesucht[157]:
„Ein deutscher Minister hat mir gestern Folgendes mitgetheilt: Die Sachsen-Meiningische Regierung hat vor Kurzem an andere Regierungen ein Rundschreiben erlassen mit der Aufforderung, man solle das Plenum des Bundestags vollständig besetzen und für jede einzelne Stimme einen Gesandten hersenden. Darauf hat man von Seiten der preußischen Regierung geantwortet, die Bestimmung, die man dem also zusammengesetzten Plenum geben wolle: die vollendete Verfassung der Nationalversammlung zu berathen, darüber zu verhandeln und endlich zu beschließen, sei nicht zu erfüllen. Selbst dieses Plenum werde der Nationalversammlung gegenüber ohne Macht sein; das einzige Gegengewicht gegen die const. Nationalversammlung sei das, daß man möglichst viele constit. Ständeversammlungen in Deutschland berufe. — Meine Herren! Ich habe Ihnen für die Genauigkeit dieser Mittheilung nichts einzusetzen, als das Ehrenwort, welches ich Ihnen hier gebe, daß sie mir so gemacht worden ist; ich kann in die diplomatischen Archive nicht hineinsehen; aber es wird nicht gar schwer halten, anzufragen, ob[329] ein derartiges Ansinnen gestellt und eine derartige Antwort gegeben worden ist.“
Schon in der nächsten Sitzung (29. Mai) behielt sich bei Verlesung des Protocolls der tapfere, gerade preußische General v. Auerswald vor, auf diese Aeußerung Blum’s zurückzukommen, da sie „Folgen“ hervorgerufen habe[158]. Am 1. Juni verlas der Präsident ein Schreiben Auerswald’s, in welchem es u. A. hieß[159]:
„Der Unterzeichnete, wenn schon dieser Mittheilung keinen Glauben schenkend, welche offenbar den guten Willen der preußischen Regierung gegen die Nationalversammlung, gegen das von ihr vertretene Deutsche Volk verdächtigte, ja welche der preußischen Regierung Mangel an Treu und Glauben, dem deutschen Volke gegenüber vorwarf: war dennoch bemüht, sich jede mögliche Aufklärung über das von dem Abg. Blum behauptete Factum zu verschaffen. Das Resultat dieser Bemühungen ist eine, unter dem 1. d. Mts. von dem K. Preuß. Minister der ausw. Angelegenheiten, Herrn v. Arnim, zu Berlin gegebene Erklärung folgenden Inhalts: „Die preußische Regierung hat weder bei der ersten von Frankfurt abgegangenen Einleitung zur Berufung der Deutschen Nationalversammlung, noch bei irgend einer anderen Gelegenheit einer deutschen Regierung in Beziehung auf das Verfassungswerk jemals irgend einen Rath, geschweige denn den Rath ertheilt, die Frankfurter Nationalversammlung durch Landtage in den einzelnen Staaten zu schwächen oder zu paralysiren. Wenn dessen ungeachtet in Frankfurt behauptet wird, Preußen habe sich durch derartigen Rath eines Verraths an der Deutschen Sache schuldig gemacht, so muß eine solche Behauptung als verleumderisch bezeichnet werden; Diejenigen, die sich nicht scheuen, dergleichen Behauptungen vorzubringen, werden zur Führung des Beweises durch Vorlagen der angeblich zu Grunde liegenden Actenstücke aufzufordern sein.“ “ —
Robert Blum bestritt[160] mit Grund, daß die Schreiben des Herrn v. Auerswald und v. Arnim seine Aeußerungen richtig[330] wiedergeben und bat, wenn eine Verhandlung der Sache gewünscht werde, auf das Eintreffen der stenographischen Berichte zu warten. Er erklärte unter dem Widerspruch Vincke’s und Bally’s, daß im Uebrigen eine Privatmittheilung des einen Ministers der Privatmittheilung eines andern Ministers gegenüberstehe; denn auch „wenn einzelnen Mitgliedern von einzelnen Ministern etwas mitgetheilt wird, so bleibt dieses nach meiner Ansicht immer Privatmittheilung, die constitutionelle Nationalversammlung verhandelt durch ihren Präsidenten, nicht durch einzelne Mitglieder (Bravo!).“ Und er schloß unter „stürmischem“ Beifall: „Wenn erklärt wird, es sollten für die Sache Beweisstücke vorgelegt werden, so will ich Ihnen ganz einfach den Weg andeuten, wie diese zu erhalten sind: die Nationalversammlung möge nur beschließen, von beiden Ministerien die Acten einzufordern, dann werden Sie die Beweise haben!“ Präsident Gagern erklärte es als einen „billigen Wunsch Blum’s, daß vor Weiterverhandlung der Sache die stenographischen Berichte über die Sitzung vom 27. Mai abgewartet werden möchten.“ Als diese wenigstens in einigen Exemplaren eingetroffen waren, ergriff Blum in der Sitzung vom 8. Juni, nachdem die Versammlung gegen die Abmahnung Eisenmanns eine Verhandlung der Frage beschlossen, zuerst das Wort[161], um nunmehr zu constatiren, daß er die ihm in Arnim’s Schreiben an Auerswald beigemessenen Ausdrücke über Preußen nicht gebraucht, nicht einmal behauptet habe, Preußen habe Meiningen einen „Rath“ ertheilt. Er habe auch nur behauptet, daß er wortgetreu referire, was ihm ein glaubhafter deutscher Minister erzählt, und zwar vor zwei Zeugen erzählt habe, die Mitglieder des Parlaments seien[162]. Den Minister[331] könne er nicht nennen. „Ist die Sache unrichtig mitgetheilt worden, so bedaure ich dieses. Ich bedauerte es um so mehr, weil ich es gewesen wäre, der eine unrichtige Mittheilung in Ihre Mitte gebracht hätte.“ Sehr geschickt war die Schlußwendung Blum’s: „es wäre gut gewesen, wenn der preußische Minister an die Zurückweisung einer unrichtigen Beschuldigung irgend einen Ausspruch für Beseitigung der vielfach aufgetauchten Besorgnisse über die Stellung der constitutionellen Versammlung zu der allgemeinen deutschen beigefügt hätte. Ich aber bitte Sie, meine Herren, beschließen Sie die Einforderung der Acten. (Bravo!)“
Unter „vielfachen Zeichen des Unwillens“ beantragte nun Auerswald, daß die Versammlung Blum ihre förmliche Mißbilligung ausspreche, „in gerechter Würdigung der von ihm erhobenen ungegründeten Anklage.“ Der Präsident ließ ihn ruhig diesen Antrag begründen, ihn auch den angeblichen Wortlaut der preußischen Note nach Meiningen auf Beschluß der Versammlung vorlesen. Dann aber erhob sich Gagern mit um so größerem Nachdruck unter allseitigem Beifall zu der Erklärung: „den Antrag, den Herr v. Auerswald heute gestellt hat, kann ich nicht zur Abstimmung bringen, weil, wenn in der Aeußerung des Herrn Blum etwas gelegen hätte, was ich für ungeeignet oder beleidigend hätte halten müssen, ich unmittelbar den Ruf zur Ordnung ausgesprochen haben würde. Das ist nicht geschehen, und ich kann es jetzt nicht nachholen. Der Beschluß kann kein anderer sein, als zur Tagesordnung überzuschreiten.“ Die Versammlung hätte am besten gethan, dieser Mahnung des Präsidenten zu folgen. Sie hätte dann zwei Reden in ihren Berichten weniger, welche weder den Rednern noch der Versammlung zu großer Ehre gereichen: erstens die Rede des Fürsten Lichnowsky, die von persönlicher Gehässigkeit[332] gegen Blum überströmt und nicht gerade ritterlich gegen Blum’s Schweigen über seinen Gewährsmann ankämpfte, da doch Blum lieber sich allen Angriffen der Rechten aussetzte, als daß er jenen Minister compromittirte[163]. Und zweitens die berufene Rede des Abgeordneten Schaffrath, in der er ausrief: „Ich hätte ruhig an das Volk appellirt und hätte erwartet, ob es, ob das Volk dem Robert Blum mehr glaubt, oder dem Herrn von Auerswald. Blum hat nichts zu beweisen, er ist ein Volksmann, das ist genug.“ Ein tiefer Stachel persönlicher Erbitterung blieb auf beiden Seiten aus dieser nutzlosen Verhandlung zurück. Am gegründetsten war der Unmuth der Linken über den Versuch der Rechten, die Redefreiheit des Parlaments zu verkümmern, den schon Gagern mit Energie zurückgewiesen hatte.
Auch von zu Hause hatte Blum Nachrichten, welche ihm nicht zur Freude gereichten: „Friese hat mir die traurigsten Geschäftsberichte gegeben, die weit unter den allerschlechtesten Erwartungen bleiben und mir große Sorgen machen“, schreibt er am 6. Juni der Frau. „Unter diesen Umständen ist allerdings jetzt an eine Reise nicht zu denken, und wie schmerzlich es mir ist, so muß es nun verschoben, wo nicht aufgehoben werden. Nach Leipzig kann ich unbedingt nicht gehen zu Johanni; wie die Sachen hier stehen, so kann Niemand nur einen[333] Tag fort, ich am wenigsten, namentlich jetzt, wo wir endlich an die wichtigen Fragen kommen.“
Nach all dieser monatelangen Arbeit, Mühsal und Sorge that sich endlich plötzlich eine unvergleichliche Pfingstfreude vor Blum und seinen Parteigenossen auf: die ganze Rheinpfalz hatte die Linke eingeladen, das fröhliche Fest dort zu verleben. So schrieb denn Blum am 9. Juni an die Gattin:
„Liebe Jenny, keine Antwort sollst Du haben, sondern nur in zwei Zeilen ein Zeichen der Erinnerung. Ich habe heute furchtbar zu thun und muß morgen früh verreisen, um in unserem Rücken eine Sicherheit zu Stande zu bringen. Das soll die Pfalz sein, wohin morgen früh hundert Mann von uns ziehen. Daher heute nur die besten Wünsche für Dein und der Kinder beständiges Wohl. Mögen Eure Feiertage so fröhlich wie möglich sein. Wäre doch eine Eisenbahn bis Leipzig!“ u. s. w. Am Sonnabend den 10. Juni früh 9 Uhr fuhr Blum mit dem Gros der Linken nach Mannheim[164]. Viele Genossen waren schon vorausgeeilt, manche folgten. In Mannheim begrüßte Itzstein die Partei und ward von dieser als „Vater“ gefeiert.
Im „Europäischen Hof“ wurde zu Mittag gegessen, wurden „beim goldenen Becher herzliche Empfindungen getauscht.“ Hier begrüßte eine Deputation aus Neustadt die „Männer der Linken“, hierher erging „von den schönsten Frauen und Jungfrauen Frankenthals“ eine Einladung, auch diese Stadt zu besuchen. Blum kam dem Verlangen schriftlicher Zusage — die „schönsten Frauen und Jungfrauen Frankenthals“ liebten es, sicher zu gehen — in der für solche Fälle ziemlich ungewöhnlichen Form eines Wechsels nach. Dieser lautete: „Am Dienstag den 13. Juni Nachmittags 4 Uhr liefere ich gegen diesen Solawechsel an die liebenswürdigsten Damen von Frankenthal dreißig Männer der Linken. Mannheim, 10. Juni 1848, Robert Blum“[165].
In Ludwigshafen begann der eigentliche Festzug. Der Bahnhof und[334] viele Häuser waren mit Fahnen geschmückt. Im „Deutschen Hause fand ein erhebender Austausch der Gesinnungen statt“. Mit dem letzten Zuge ging der Weg weiter nach Neustadt. Auf jeder Station ertönte den Reisenden ein Lebehoch von der zahlreich versammelten Bevölkerung der Umgegend. In Neustadt war der Empfang wahrhaft großartig: die gesammte Bürgerwehr vor dem Bahnhof aufgestellt, auf dem weiten Platze, der durch Pechkränze erhellt war; der Stadtrath an der Spitze einer unübersehbaren Volksmenge; Hunderte von Böllerschüssen mischten sich in die Klänge der Musik, des Gesanges. Blum beantwortete die Begrüßung des Bürgermeisters, Jordan die des Bürgerwehrcommandanten; die letztere defilirte vor den Gästen und ein großer Zug setzte sich in Bewegung nach dem hochgelegenen Schießhause. Feenhaft war die Scene, als bei der Ankunft der Abgeordneten bengalische Flammen das Haus und die Bergkette erleuchteten und aus dem Grün der Bäume der kräftigste Männergesang erschallte. Im Schießhause fand ein Abendessen statt, an welchem so viel Einwohner Neustadt’s Theil nahmen, als der Raum zu fassen vermochte. Hunderte aber umdrängten die Eingänge und weilten im Garten, um mindestens so weit an dem kräftigen Austausch der Gesinnungen Theil zu nehmen, als es möglich war. Erst spät führten Neustadt’s Einwohner die Gäste in die Wohnungen, welche man auf’s Zuvorkommendste ihnen bereitet hatte, um auszuruhen zu neuem Tagewerke.
Mit dem frühen Morgen war Neustadt wieder auf den Beinen, denn die Gäste sammelten sich um 6 Uhr im Garten des Schießhauses, von wo sie in Begleitung vieler Freunde die weitere Reise antraten. Es war ein imposanter langer, reich mit Blumen und Grün bekränzter Wagenzug, auf welchem die Reisenden dahin rollten, geleitet von den besten Wünschen und dem jubelnden Lebehoch der zurückbleibenden Menge. Schon in Edesheim begann die ehrende Begrüßung; eine Ehrenpforte war errichtet mit der sinnreichen Inschrift: „Der Rückblick führt zum Fortschritt!“ andererseits: „Für uns Euer Wirken! Für Euch unsere Kraft!“ und in der Nähe derselben empfing die Bürgerwehr und die Ortsobrigkeit die Reisenden mit festlichem Gruß, welcher dankbare Erwiderung fand. — So ging der Zug nach der Bundesfestung Landau, wo zwar zahlreiche Volksmassen denselben begrüßten, aber jede festliche Veranstaltung unterblieben war, da man irrthümlich annahm, der Zug werde Landau nicht berühren.
So ging es denn über Eschbach nach der Ruine Madenburg, auf welcher die halbe Einwohnerschaft von Landau und eine große Volksmasse aus naher und ferner Umgebung versammelt waren. Diese Tausende von Menschen, der Schmuck zahlreicher Fahnen, der Donner der Freudenschüsse und die Klänge der Musik und des Gesanges nahmen auf diesem wunderbar herrlichen Punkte und unter den weiten Trümmern eines Baues der Vergangenheit einen besonderen Festcharakter an. Blum eröffnete den Reigen der Sprecher mit einer tiefen Eindruck machenden Rede; eine große Anzahl der Abgeordneten folgte ihm und drei bis vier Stunden mögen wohl dahingegangen sein, während welcher die Massen trotz der glühenden Mittagssonne voll Andacht dem Worte der Freiheit lauschten. Ein Frühstück war den Reisenden in der Ruine auf einem herrlichen Punkte bereitet und manches zarte Frauenantlitz setzte sich während desselben dem sengenden Sonnenstrahle aus, um die Gäste mit dem Schirme zu schützen, damit nicht wahr werde, was Vogt scherzweise verkündete, daß die Linke hier „zusammenschmelzen“ müsse. Doch erlitt sie einen Verlust: Der Vertreter eines der kleinsten Staaten hatte ein schattiges Plätzchen gefunden und war daselbst eingeschlafen; er erwachte erst, als die Burg verödet und der Mond am Himmel stand, so daß er erst am folgenden Tage wieder zu den Freunden gelangte.
Von Eschbach ging nun der Zug nach dem Bade Gleisweiler, dessen schöner Garten mit Menschen überfüllt war und wo dem jubelnden Gruße mehrfache Ansprache vom Balkon des Gasthofes herab folgte; dann wurde die Reise bis nach Edenkoben fortgesetzt. Hier war der Empfang auf der königlichen Villa, gewiß einem der herrlichsten Punkte der schönen Haardt, und die Gäste wurden hier von der aufgestellten Bürgerwehr u. s. w. herzlich begrüßt. Bis zum kühlen Abend tagte man oben auf dem Berge, dann geleitete die Bürgerwehr von Rodt und Edenkoben die Gäste in feierlichem Zuge nach der Stadt. Ein Abendessen machte hier den Beschluß des anstrengenden Tages; man hatte die Frauen davon ausgeschlossen, aber sie füllten in schönem Kranze die weite Gallerie und warfen einen Regen von frischen Rosen auf Blum, welcher die Stellung und Aufgabe der Frauen in der Neuzeit in einem Trinkspruche schilderte, welchen er den Schönen widmete.
Montags früh weckte eine glänzende Reveille der Bürgerwehr die Reisenden, welche sich im Garten des Gasthofes zum Lamme sammelten[336] und von hier aus um acht Uhr zu Fuß den Weg fortsetzten, geleitet von der gesammten Bürgerwehr von Edenkoben. Der Zug schwoll von nun an von Stunde zu Stunde, indem sich die Bewohner der Ortschaften ihm anschlossen, durch welche er kam, um an der Volksversammlung in Neustadt Theil zu nehmen[166]. In Maikammer reichte man den Reisenden den Ehrentrunk in kostbarem Wein und nach wechselseitigen Begrüßungsreden wechselte die Bürgerwehr von Maikammer mit der von Edenkoben ab und gab ihnen das Geleit bis Hambach. Auf dem berühmten Schlosse waren abermals Tausende versammelt; allein man besuchte dasselbe nicht, indem die Zeit drängte, zog vielmehr durch Mittel- und Oberhambach, wo abermals die herzlichste Begrüßung Seitens der Ortsbehörden und der Bürgerwehr stattfand, nach Neustadt.
An der Gemarkungsgrenze Neustadt’s war abermals die Bürgerwehr, die Turnerschaft Neustadt’s und mehrerer Nachbarorte u. s. w. aufgestellt. Die 16 Jahre tief verborgene Hambacher Fahne wurde vom kräftigsten Manne getragen, und zahlreiche Fahnen von Liederkränzen und Turnern reihten sich um dieselbe. Nachdem der Bürgermeister hier nochmals die Gäste begrüßt hatte, setzte sich der lange Zug nach der Stadt in Bewegung, umgeben von Tausenden, die zur Volksversammlung gekommen waren. Diese Volksversammlung fand auf dem weiten Platze vor dem Bahnhofe statt, wo eine sehr geräumige Tribüne für die Gäste, eine noch weit größere für die Frauen errichtet war, die denn auch in dicht geschaarten schönen Reihen der Versammlung beiwohnten, während eine ungeheure Volksmasse den weiten Raum füllte. Dr. Hepp, der ringsgeehrte und gefeierte Kämpfer für die[337] Freiheit, eröffnete hier die Reihe der Sprecher mit einer Hinweisung auf die Gäste, ihr Thun, ihre Aufgabe u. s. w. Nach ihm sprachen Blum, Zimmermann, Dietzsch, Vogt, Eisenstuck, Wesendonk, Günther, v. Trützschler, Dr. Schilling und mehrere andere. Die Lage Deutschlands, die Ermahnung, fest zu halten an der noch lange nicht vollendeten Revolution, die Darlegung der Nothwendigkeit eines Schutz- und Trutzbündnisses mit Frankreich, die Vorzüge der republikanischen Staatsform und dergleichen bildeten den Inhalt der Reden, die fast alle mit jubelnder Zustimmung unterbrochen und abgenommen wurden. — Obgleich die Sonne wahrhaft versengend herabbrannte, so verminderten sich die Massen in dem Zeitraume von 10 bis 2 Uhr nicht nur nicht, sondern es zogen vielmehr fortwährend neue zu und besonders der Zug von Mannheim brachte Hunderte neuer Theilnehmer.
Nach der Volksversammlung vereinigte ein Mittagessen die Gäste mit so viel Pfälzern, als der Raum zu fassen vermochte, bei welchem abermals das ernste Wort mit Scherz und Heiterkeit wechselte. Bei Tafel war besonders Professor Vogt aus Gießen der Unwiderstehliche. Wie Heinrich der 72. seit 30 Jahren auf dem Princip, so ritt Vogt auf den deutschen und besonders Heidelberger Hofräthen herum, und zwar mit einer solchen Fülle von Humor und so meisterhaften Variationen, daß er sich das größte Verdienst um eine die Verdauung befördernde Zwerchfellerschütterung erwarb. —
Um 4 Uhr endlich ging die Reise fort; die Pflicht gebot es, wie gerne die Reisenden auch noch in dem lieben Neustadt geweilt hätten. Die Straßen waren jetzt überfüllt mit Menschen und nur mühsam konnte sich der Zug hindurch winden, Alles drängte sich um die Volksvertreter, und suchte ein Wort, einen Druck der Hand zu erhaschen; auch wurde ihnen im Vorbeiziehen noch eine mit zahlreichen Unterschriften versehene Adresse überreicht, welche ihre Zustimmung zu den Grundsätzen der Linken ausspricht, gegen jede Schmälerung der Volksrechte protestirt und sich für die Republik erklärt.
Eine zahlreiche, berittene, mit Schärpen geschmückte Ehrenwache geleitete die Reisenden auf dem Zuge nach Dürkheim. Zweimal wurde derselbe unterbrochen, in Moßbach, wo Ortsbehörden und Bürgerwehr sich aufgestellt hatten und die Reisenden mit einem Ehrentrunke begrüßten, und in Deidesheim, wo ein Gleiches geschah. An beiden Orten waren wieder wahrhafte Massen Volkes versammelt, es wurden[338] mehrere Reden gewechselt und besonders rief man Blum stürmisch auf den Tisch, welcher als Tribüne diente. Der Menschen Herzlichkeit und Freundlichkeit und der unvergleichlich kostbare Wein fesselten die Reisenden ziemlich lange und so geschah es, daß sie erst spät, aber in der heitersten Stimmung nach Dürkheim kamen, wo sie der Bürgermeister und der Obrist der Bürgerwehr eben so herzlich, als das dichtgeschaarte Volk jubelnd begrüßte. Ein Abendessen in den „Vier Jahreszeiten“ machte dem Tage ein Ende; Hunderte von Zuhörern drängten sich im Saale selbst und auf den Gallerien, denen der Raum die Theilnahme nicht mehr gestattete. Auch hier wehte dieselbe freie, schwunghafte, kräftige Gesinnung, welche die Pfälzer so ehrenvoll auszeichnet, und die sich auf der ganzen Reise so vielfach ausgesprochen hatte. Hier erstattete Vogt einen prophetischen Bericht über die Reise, wie ihn die „deutsche Zeitung“ wahrscheinlich erstatten wird, der eine wirklich erschütternde Wirkung hervorbrachte.
Der Vormittag des Dienstags war einem Besuche der Limburg, der herrlichen Ruinen einer Kirche und eines Klosters gewidmet. Dort hatte sich eine große Volksmenge aus Dürkheim und der Umgegend gesammelt, Freudenschüsse und eine Parade der Bürgerwehr empfing die Gäste und das weite Schiff der Kirche, am Boden jetzt mit grünem Rasenteppich geschmückt, gedeckt nur von der azurblauen Himmelswölbung, diente zum Sammelplatze für das Volk; von einer gefallenen Säule der alten Kirche und der alten Satzung wurde das neue Evangelium des Lichtes und der Freiheit verkündet. Hier, wie schon früher, hörte man mit besonderer Theilnahme den jugendlichen Giskra, welcher mit lebendiger Einbildungskraft die Berge, den Himmel, schöne Mädchen, Wein und Freiheit zu einem glänzenden Bilde zu verweben weiß. Geleitet von der Bürgerwehr und dem versammelten Volke zogen die Gäste nach mehrstündigem Aufenthalt wieder bergabwärts und fuhren nach eingenommenem Mittagsessen in den „Vier Jahreszeiten“ unter herzlichem, tausendstimmigen Lebewohl von den schönen Bergen ab und dem Rheine zu.
Noch als ich 1864 zum ersten Male in der schönen Pfalz war, traf ich überall die lebendigste Erinnerung an diese Pfingstreise der Linken und besonders an Robert Blum. „Hier hat er gestanden, gesprochen“ — erzählen noch heute die Alten,[339] die damals jung waren. Und auf dem Eschbacher Schloß — von wo der Blick umspannt die Vogesen von Straßburg an und die Höhen des Schwarzwaldes von Baden-Baden bis zu dem fernen Kaiserstuhl von Heidelberg und dem ferneren Melibocus der Bergstraße, stand einst auf steinerner Platte eingegraben, daß hier auf den Trümmern des gebrochenen Bischofsitzes, Robert Blum gesprochen habe zum Volke über seine heiligsten Rechte und Ziele. Der Stein ist zerschlagen von der Wuth einer baierischen Soldatenschaar. Neue Trümmer haben sich zu den Trümmern gesellt, die einst Melac’s Wüthriche gebrochen. Die Gebeine des gefeierten Redners und Volksmannes modern an den Ufern der Donau. Das erzählt das Eschbacher Schloß von der Pfingstfahrt der Linken.
Schon am 14. Juni war wieder die volle parlamentarische Arbeit zu thun. Es galt, sechs Millionen für die Deutsche Flotte zu verwilligen. Niemand in der Versammlung hätte die Summe geradezu versagen mögen. Wiesner allein meinte, bei „dem nahen Frieden mit Dänemark“ möge man die neue Steuer bis nach Einführung einer neuen deutschen Heerverfassung verschieben. Die Linke dagegen war zwar für die Bewilligung, doch wahrte sie auch hier die höchsten Rechte der Versammlung: nach Eisenstucks Antrag sollte die Summe nur mit Vorbehalt ihrer Verwendung durch die künftige Centralgewalt bewilligt werden. Unter dem „allgemeinen Bravo“, welches diesen fast mit Stimmeinheit gefaßten Beschluß begleitete[167], erwog man freilich nicht, daß es leichter sei, „die Bundesversammlung zu veranlassen, die Summe von sechs Millionen Thalern auf bisher verfassungsmäßigem Wege verfügbar zu machen,“ als diese Summe wirklich zu beschaffen.
Die Verhandlungen über die „Errichtung einer provisorischen Centralgewalt“ begannen am 19. Juni. Den Beginn dieser größten Arbeit, welche das Parlament bis dahin beschäftigt hatte, zeigte Blum am 18. der Gattin mit den Worten an: „Liebe Jenny, Du mußt glauben, ich sei sehr nachlässig geworden, aber wir schlagen dieser Tage die Entscheidungsschlacht und schlafen jetzt höchstens 3 Stunden täglich.“ Blum war Mitglied des „Prioritätsausschusses“, welcher die Anträge betreffs der provisorischen Centralgewalt vorbereitet hatte. Elf von den dreizehn Mitgliedern des Ausschusses schlugen eine neue Auflage des vom Fünfzigerausschuß abgelehnten Triumvirates oder des „Directoriums der drei Onkel“ unter dem Namen „Bundesdirectorium“ vor. Diese drei Männer sollten von den Regierungen gewählt, von der Nationalversammlung (ohne Berathung über die Persönlichkeiten) bestätigt werden. Die Heeresleitung, die völkerrechtliche Vertretung Deutschlands sollte ihnen zustehen, die Entscheidung über Krieg und Frieden im Einverständniß mit der Nationalversammlung. Seine Gewalt sollte das Directorium durch der Nationalversammlung verantwortliche Minister üben. Die Minderheit des Ausschusses, Blum und Trützschler, hatten dagegen den Antrag[168] gestellt: „Die Nationalversammlung wählt mit absoluter Mehrheit eines ihrer Mitglieder zum Vorsitzenden eines Vollziehungsausschusses. Dieser Vorsitzende wählt nach freier Wahl vier Genossen, die gemeinschaftlich mit ihm den Vollziehungs-Ausschuß bilden. Der Ausschuß hat die Beschlüsse der Nationalversammlung auszuführen und die Vertretung Deutschlands nach Außen zu übernehmen. Derselbe ist der Nationalversammlung verantwortlich und muß sich zurückziehen, wenn die Mehrheit der Versammlung gegen[341] ihn ist.“ Dann erfolgt die Neuwahl auf dieselbe Weise. „Der Vollziehungs-Ausschuß besteht so lange, bis die deutsche Bundesgewalt durch die Nationalversammlung bestimmt (!) eingesetzt ist[169].“ „Man hatte hier ein vollständiges Spiegelbild der französischen Commission exécutive, nur mit dem Unterschiede, daß in Frankreich kein Thron mehr stand, in Deutschland aber alle die alten Herrscher aufrecht geblieben waren[170].“ Bassermann war es, der die Undurchführbarkeit dieses Vorschlages treffend nachwies. In den allgemeinen Bemerkungen über Blum’s politische Stellung[171] ist dieser Ansicht in der Hauptsache beigetreten worden. Nichtsdestoweniger erscheint die Begründung des Minoritätsantrags durch Blum vom höchsten Interesse. Denn diese „glänzende Vertheidigung, die auf das Gefühl der Massen trefflich berechnet war“[172] und auch den Gegnern ein achtungsvolles Schweigen abnöthigte, gehört zu den besten Reden Blum’s und gewährt den tiefsten Einblick in seine und seiner Partei politische Denkweise, in die eigenthümliche Kraft und Ueberzeugung seiner Sprache. Und wenn er für eine unausführbare Idee kämpfte, so war der Vorschlag der Majorität, wie sich schon während der Verhandlungen selbst herausstellte, nicht minder unausführbar. Gerade gegen die Schwächen dieses Gegenantrages richtete sich Blum’s stärkste Beredsamkeit. Er sagte am zweiten Tage der Verhandlungen, am 20. Juni, Folgendes[173]:
„Diese Versammlung, meine Herren, erscheint mir oft wie der Prometheus: seine Riesenkraft war angeschlossen an einen Felsen und er konnte sie nicht brauchen, — die Riesenkraft der Versammlung scheint mir zuweilen angeschlossen zu sein an den Felsen des Zweifels, den sie sich selbst aufbaut. Zu verschiedenen Zeiten ist sie sich dieser ungeheuren Kraft bewußt geworden, und der Ausdruck derselben genügte, in den Augen der Nation sie wieder auf den Standpunkt zu stellen, den sie einnimmt, den aber der Zweifel auf der andern Seite ihr streitig zu machen suchte; so bei dem Beschlusse über den Raveaux’schen Antrag, dem der Zweifel voranging; so bei dem Zweifel, ob man einen Friedensschluß genehmigen könne und dürfe[174], während es doch sonst Niemanden gibt, der ihn genehmigen kann; so bei der Bewilligung der sechs Millionen für die Marine, und so heute wieder, als Sie mit dem großartigsten Schwunge einen Krieg erklärt haben[175], ohne sich zu fragen, ob Sie ein Heer haben, und ob Sie eine Flotte haben, und ob Sie Mittel dazu haben; aber Sie haben mit der kühnen Erklärung zu gleicher Zeit den Sieg beschlossen, denn der Sieg lebt in uns, nicht da draußen und nicht in materiellen Dingen! Eine neue große Entscheidung schlägt an Ihr Herz, und Sie sollen noch einmal den Zweifel lösen, ob Sie Ihre Gewalt fühlen und die unumstößliche Majestät, die in Ihren Händen liegt, und ob Sie sie gebrauchen wollen. — Sie sind hierher gekommen, um dieses zerstückelte Deutschland in ein Ganzes zu verwandeln; Sie sind hierher gekommen, um den durchlöcherten Rechtsboden in einen wirklichen, in einen starken zu verwandeln; Sie sind hierher gekommen, bekleidet mit der Allmacht des Vertrauens der Nation, um das „einzig und allein“ zu thun. Genügt es dazu, daß Sie Beschlüsse fassen und sagen: die Nationalversammlung beschließt, daß das oder das geschehe? Durchaus nicht. Sie müssen sich das Organ schaffen, durch welches diese Beschlüsse hinausgetragen werden in das Leben, durch welches sie gesetzliche Geltung erlangen; dieses Organ zu schaffen, ist der Gegenstand unserer Verhandlung. Was wird dieses Organ sein? Bei dem ersten Anblick Dessen,[343] was wir bedürfen, eben nur das Organ, welches Ihren Willen verkündet. Man sagt uns, der Vollziehungs-Ausschuß, der von einer sehr kleinen Minderheit vorgeschlagen worden ist, sei eine republikanische Einrichtung, und wir geben das sehr gern zu; wir verhehlen gar nicht, wir wollen die Republik für den Gesammtstaat, wir wollen diese Einrichtung, und nicht deßhalb, weil wir die Verhältnisse in Deutschland auflösen wollen, sondern weil wir sie schützen wollen, weil wir glauben, daß zwei gleichartige Richtungen nicht mit einander bestehen können, weil wir in der republikanischen Form an der Spitze des Gesammtstaates Sicherheit sehen für die Freiheit jedes einzelnen Staates, seinen eigenen Willen auszuführen und zu erhalten, und weil wir zu gleicher Zeit diese Spitze nicht den Zielpunkt niederen Ehrgeizes sein lassen wollen. Allein es ist ein arger Irrthum, wenn man dieses Streben nach einer republikanischen Einheit verwechselt mit dem, was in den einzelnen Staaten geschieht oder geschehen soll. Wir bauen den Gesammtstaat aus den einzelnen Theilen, die vorhanden sind, wir erkennen die Thatsache dieses Vorhandenseins ebenso wie die Formen an, und unser Bestreben ist dahin gerichtet, in der großen Gesammtheit einer jeden Einzelnheit ihre Freiheit, den Spielraum zu ihrer eigenthümlichen Entwickelung zu gönnen und zu belassen. Schaffen Sie den Vollziehungs-Ausschuß, so sind es die bestehenden Gewalten, die bestehenden Regierungen, welche vom Vollziehungs-Ausschuß die Beschlüsse der Nationalversammlung empfangen und diese Beschlüsse ausführen; sie werden in ihrem Wesen und in ihrer Kraft nicht im Mindesten angetastet, sie bleiben vielmehr im Vaterlande völlig auf dem Standpunkte, den sie sich zu erhalten vermocht haben. Wenn die Regierungen das sind, was man so vielfach behauptet, gutwillig in Bezug auf die Ausführung und bereit, Opfer zu bringen zum Gedeihen des Ganzen, so ist diese Einrichtung so einfach, daß es keine einfachere gibt; wenn sie aber nicht gutwillig sind, was von anderer Seite auch vielfach behauptet wird, und wofür man sich auf einzelne Erscheinungen stützt, die man vielleicht überschätzt, dann — wir haben keinen Hehl in unsern Gedanken — dann soll er die Bedürfnisse der Zeit stellen über die Regierungen, dann soll er ihnen entgegentreten, dann soll er die Nation nicht den Sonderinteressen aufopfern, sondern vielmehr die Widerstrebenden — geradezu herausgesagt! — zermalmen. — Wäre ein solcher Fall denkbar, ich hoffe, er ist es nicht, dann wäre es[344] eine sonderbare Einrichtung, daß wir Denen die Vollziehungs-Gewalt oder die provisorische Regierung, die es dann allerdings werden müßte, in die Hand geben, gegen die sie handeln soll und muß. Man hat den Vollziehungs-Ausschuß auch in anderer Beziehung angegriffen und hat ihn ungenügend genannt, da er nur die Vertretung Deutschlands nach Außen, nicht die Vertheidigung desselben enthält. Nun, es muß in dieser Beziehung ein arges Mißverständniß herrschen, denn die Vertretung eines Landes nach Außen besteht nicht blos im diplomatischen Verkehr, sie besteht auch in der Entwickelung der ganzen Kraft und Gewalt, die eine Nation hat, da wo sie nothwendig wird. Der Vollziehungs-Ausschuß hat ferner einen großen Vortheil: Er gewährt den Regierungen, was sie bedürfen, den Mittelpunkt, in dem das Staatsleben für den Gesammtstaat in diesem Augenblick zusammenläuft. Er ist ihnen, wenn sie wirklich das Beste der Nation wollen, ihr Aufstreben fördern, nicht im Geringsten gefährlich. Er sichert die Versammlung vor jedem Mißbrauch; denn die Versammlung hat es in der Hand ihn zurückzuziehen, sobald er die Begrenzung überschreitet, die sie ihm zu stecken für gut findet. Er sichert die Regierungen auch durch die Wahl; denn wie die Versammlung zusammengesetzt ist, haben Sie nicht zu besorgen, daß eine Meinung aufkomme und an die Spitze gestellt werde, die den Regierungen Besorgnisse erregt. Hat doch ein Mann, der in jenen Kreisen lange Jahre gelebt und gewirkt hat, Ihnen ausdrücklich gesagt, daß er ohne alle Besorgniß das Wohl des Gesammt- wie der einzelnen Staaten in den Händen dieser Versammlung sehe. Der Vollziehungs-Ausschuß sichert aber auch das Volk vor möglichen Uebergriffen, indem er als ein Ausfluß der von ihm erwählten Versammlung, als ein Ausfluß der Gewalt, der Träger seiner Majestät und Souveränetät dasteht, und das Vertrauen des Volkes aus seinem Ursprunge schon für sich in Anspruch nimmt. — Das Directorium, welches man Ihnen vorgeschlagen hat, sichert in dieser Beziehung Niemanden. Wird es stark, dann sind die einzelnen Regierungen ihm preisgegeben; die Fürsten der kleineren Staaten können sich als halb mediatisirt betrachten, sobald dieses Directorium ins Leben tritt. Es sichert die Versammlung nicht; denn die Versammlung, die ihre stillschweigende, wenigstens ihre prüfungslose Zustimmung dazu geben soll, sie hat nicht mehr die Macht, dasselbe zu entfernen. Die angebliche Verantwortlichkeit, sie ist eine leere Phrase. Es gibt keine[345] Verantwortlichkeit ohne Gesetz; es gibt keine Verantwortlichkeit ohne einen Gerichtshof, wo ich den Verantwortlichen belangen kann; und nicht einmal das letzte kümmerliche Mittel, sich zwar nicht eine Verantwortlichkeit, doch einen Rückzug zu erzwingen, die Steuerverweigerung, sie ist nicht in Ihrer Hand. Und weil Sie keine Verfassung haben, und weil Sie keine Grundlage haben, auf welcher diese Gewalt steht, und weil Sie keine Schranken gezogen haben, innerhalb deren sie sich bewegen muß, und weil Sie kein Mittel haben, sie in den Schranken zu halten, deßhalb ist es die Despotie; deßhalb ist es die Dictatur, die schrankenloseste Dictatur, die die Freiheit gefährdet, wie nie etwas Anderes. Sie wollen ein solches Directorium schaffen, und ich frage Sie: Dürfen Sie dasselbe schaffen? Haben Sie ein Mandat dazu, mit irgend Jemand in der Welt zu verhandeln? Hat eine einzige Wahlhandlung auch nur einen derartigen Vorbehalt nicht aufkommen, sondern nur gewissermaßen als eine Ansicht aufdämmern lassen? — Nirgends in der Welt. Berufen sind Sie durch die Allmacht des Volkes, und Sie sind nur jenem Mandate treu, so lange Sie diese Allmacht wahren. Sie dürfen nicht verhandeln; Sie müssen eher Ihr Mandat niederlegen, als sich von der Aufgabe entfernen, die uns geworden ist. Sie dürfen am wenigsten in dem Augenblick, wo das Volk seine lang verkümmerten Rechte und seine lang verkümmerte Macht errungen hat, mit Denen unterhandeln, die seit 30 Jahren niemals mit uns unterhandelt haben, die selbst unsern Rath niemals hörten, wenn es sich darum handelte, Deutschland als ein Ganzes zu vertreten. Allein es wird auch der Unterhandlungen nicht bedürfen; wahrlich, Diejenigen leisten den Regierungen einen sehr schlimmen Dienst, die sie darstellen als etwas, was außerhalb uns, d. h. außerhalb des Volkes steht; man sagt uns ja immer: „Die Regierungen sind jetzt volksthümlich, sie sind aus dem Volke hervorgegangen, sie gehören dem Volke an.“ — Nun wohlan! Wenn das wahr ist, so vertreten wir sie mit, wir vertreten nicht den Einzelnen, nicht den Stand, keine Kaste; wir vertreten das Volk und die Regierungen, sie gehören zum Volke; mindestens sollen sie zum Volke gehören. Wo das nicht der Fall wäre, daß die Regierungen im Volke aufgingen, nun, dann würde nichts vorliegen, als die Wahrung der alten Fürsten- und Dynastien-Interessen, und wahrlich ein Volk von 40 Millionen, es würde nicht unterhandeln können mit 34 Menschen, die ihr Sonder-Interesse fördern wollen. So[346] ist in unserm Vorschlage nach meiner Ueberzeugung gewahrt, was Sie wahren wollen; das allseitige Recht, die allseitige thatsächliche Stellung ist anerkannt, wenn Sie sich darauf beschränken, zu erklären, was Sie bedürfen, und wenn Sie warten in Beziehung auf die Ausdehnung der Gewalt, bis Sie sie bedürfen.
Man hat vielfach in diesen Tagen darauf hingewiesen, es herrsche die Anarchie, und sie trete hervor an diesem und jenem Orte in Deutschland, und das ist wahr, leider ist es wahr; aber fragen Sie, was ist denn diese Anarchie? Ist sie etwas Anderes als die Zuckung der Ungeduld, die in dem gehemmten Leben sich kundgibt, die Zuckung der Kraft, die nach Außen oder nach Innen sich geltend machen will? In einer Weise, wie es die Weltgeschichte noch nie gesehen hat, hat das Volk in Deutschland seine Revolution gemacht; es hat mit wenigen Ausnahmen die Gewaltäußerungen gescheut, weil eine revolutionäre Volksversammlung, eine revolutionäre Nationalvertretung im Vorparlament zusammentrat und dem Gesammtausdruck seine Geltung zu verschaffen suchte; es hat sich gemäßigt, weil aus jener revolutionären Volksvertretung eine zweite, gleichartige, wenn auch in anderer Beziehung auf einem Gesetze beruhende Volksvertretung sich gestaltete; verhehlen wir es nicht, eine auf einem Gesetze der Revolution beruhende Versammlung, die ihm versprach, seine Wünsche zur Geltung zu bringen, seine Bedürfnisse zur Wirklichkeit zu machen. Wollen Sie der Anarchie entgegentreten, Sie können es nur durch den innigen Anschluß an die Revolution und ihren bisherigen Gang. Das Directorium, das Sie schaffen wollen, ist aber kein Anschluß daran; es ist Reaction, es ist Contrerevolution, — und die Kraft erregt die Gegenkraft. Man wirft mitunter schielende Blicke auf einzelne Parteien und Personen, und sagt, daß sie die Anarchie, die Wühlerei, und wer weiß was, wollen. Diese Partei läßt sich den Vorwurf der Wühlerei gern gefallen; sie hat gewühlt ein Menschenalter lang, mit Hintansetzung von Gut und Blut, mindestens von allen den Gütern, die die Erde gewährt; sie hat den Boden ausgehöhlt, auf dem die Tyrannei stand, bis sie fallen mußte, und Sie säßen nicht hier, wenn nicht gewühlt worden wäre. (Stürmischer, anhaltender Beifall in der Versammlung und auf den Gallerien.) Allein die Leute, die man in dieser Beziehung ansieht, sie sagen Ihnen mindestens geradezu und ungeschminkt, was sie wollen. Ich muß bekennen, ich habe das in dem Commissions-Berichte nicht gefunden. Ja ich fürchte, daß die Dinge,[347] die hinter demselben versteckt sind, schlimmer sind als die Dinge, die ausgesprochen wurden. Sie haben eine Abstimmung gehört in Ihrem Kreise heute, als man Ihnen vorschlug, die Gewalt einer Krone zu übertragen[176], — man hat dieselbe verhöhnt, ausgelacht; was thun Sie anders, als die Gewalt drei Kronen oder 34 Kronen zu übertragen? Glauben Sie, daß die Abstimmung über Ihren Vorschlag anders werde? Ein Nachtrag, dessen Urheber sich nicht einmal genannt hat, schlägt Ihnen auch vor, den vor zehn Wochen auf dieser Stelle zur Leiche erklärten Bundestag beizubehalten, und der Commissions-Bericht hat es nicht gewagt, sich darüber auszusprechen, was mit demselben werden solle. Oh! beschenken Sie doch das deutsche Volk mit Ihrem Direktorium und lassen Sie den nach den Gesetzen der Natur, wenn er Leiche geworden war, in Fäulniß übergegangenen Bundestag dazu! — Sie werden sehen, was Sie aussäen damit, indem Sie behaupten die Einheit zu säen. — Man hat hingewiesen auf andere Länder und ein Vorgänger vor mir hat Ihnen bereits insofern widersprochen, als er Ihnen gesagt hat, daß Belgien, bevor es unterhandelte, seine Verfassung, seine Grundlagen, seine Sicherheit sich geschaffen hat. Thun Sie dasselbe, und Sie werden auch hoffentlich das Glück Belgiens genießen. Man hat Sie hingewiesen auf einen andern Staat, auf einen Staat, der großartig sich erhoben hat für die Freiheit in der letzten Zeit. Man hat ein Gespenst heraufbeschworen, hat Ihnen gesagt, dieser starke Staat erzittere vor einem unbedeutenden jungen Menschen. Meine Herren! Es gab einen Staat in Deutschland, der auch stark war, der auf dem historischen Rechtsboden stand, auf Ihrem historischen Rechtsboden, der uns hier so oft vorgeführt wird. Dieser Staat ward in seinen Grundfesten erschüttert durch den Fuß einer Tänzerin[177]. (Bravo!) Es mag Manches fest scheinen im deutschen Vaterlande, was, beim Lichte gesehen, nicht fester ist, als der Zustand, den eine Phryne stürzte. Es ist nach meiner Ansicht eine Gotteslästerung der Freiheit, wenn man ihr aufbürdet, daß sie kranke an dem Erbe, welches sie von der Despotie[348] unfreiwillig hat übernehmen müssen. Es ist eine Gotteslästerung an der Menschlichkeit, wenn man darauf hinweist, daß dieser Staat achtzigtausend seiner hungernden Brüder hat ernähren müssen. Diese achtzigtausend Hungernde kosten nicht so viel, als ihnen der gestürzte Thron gekostet hat, und man kann noch eine Null hinzufügen und sie kosten immer noch nicht so viel. Abgesehen davon, daß in dem Sumpfe, der sich um diesen corrumpirten und corrumpirenden Thron ausgebreitet, neben aller Sittlichkeit, Ehre und Tugend auch alle Mittel verschlungen wurden, die nöthig waren, um die Hungernden zu ernähren. Auf dem historischen Rechtsboden, auf welchem wir angeblich stehen, hat man in einem ganz ähnlichen Falle die Hungernden lieber der Hungerpest preisgegeben. (Bravo!) Dorthin, wo man das Gespenst hervorruft, wird die Freiheit den Kranz des unverwelklichen Dankes niederlegen, wenn sie siegt; und wenn sie unterliegt, wird auch der letzte sehnsüchtige Blick ihres brechenden Auges sich dorthin wenden. Wollen Sie das Himmelsauge brechen sehen, und die alte Nacht über unser Volk auf’s Neue heraufführen, so schaffen Sie Ihre Dictatur. (Stürmisches Bravo!)“
Wesentlich verändert war schon die Stellung der Parteien, als Blum als erster Redner am 24. Juni zum zweiten Male über die provisorische Centralgewalt das Wort nahm. Wohl hatte man nun fünf Tage lang über dieselbe Frage nur Reden gehört, Reden von allen möglichen Standpunkten aus, und noch keinen Beschluß gefaßt; aber soviel war doch Allen klar geworden: Der Antrag der Ausschußmajorität, das Bundesdirectorium, stieß auf unübersteigliche Schwierigkeiten. Soweit hatten die Debatten und die Clubverhandlungen die Ueberzeugung der großen Mehrheit geklärt. Nur was an die Stelle dieses Triumvirates zu setzen sei, war der Mehrheit zur Stunde noch zweifelhaft. Die Linke ihrerseits hatte inzwischen gleichfalls eine bedeutsame, ihrer ganzen bisherigen Haltung direct zuwiderlaufende und darum verhängnißvolle Schwenkung vollzogen. Sie sah bestimmt voraus daß, wie immer die Entscheidung der[349] Mehrheit falle, keinesfalls der Antrag Blum-Trützschler Annahme finden werde, keinesfalls die provisorische Centralgewalt in die Hand eines Abgeordneten und eines von diesem erwählten verantwortlichen Vollziehungsausschusses, welcher der jeweiligen Parlamentsmehrheit zu gehorchen habe, werde gelegt werden, sondern in Hände, die dem Einflusse der Regierungen zugänglich, über und außer dem Parlament stehen würden. Und da die Linke in einer solchen Entscheidung den Bruch mit dem revolutionären Ursprung des Parlaments und die Gefährdung und Verkümmerung seiner Befugnisse durch die fürstliche Regierungsgewalt erblickte, so hatte sie sich schlüssig gemacht, alle ihr zu Gebote stehenden Mittel aufzubieten, um die Mehrheit von außen her zu bekriegen, da im Parlament selbst Hoffnung auf Erfolg nicht war. Dieselbe Partei, welche bis dahin die Souveränität des Parlaments über alle Gewalten Deutschlands gestellt, die etwa abweichenden Meinungen der Einzellandtage schon in deren Entstehung, bei Berufung dieser Landtage, zu vernichten beantragt hatte, ließ nun schon am 21. Juni durch Schaffrath erklären: „Wenn Sie den Regierungen ein Widerspruchsrecht und eine Mitwirkung zugestehen, so haben die ständischen Kammern auch mit darein zu reden, und dann frage ich Sie, ob Ihr Beschluß ausführbar ist? Dann werde ich vielleicht die Versammlung hier verlassen und an einem andern Orte[178] gegen diesen Beschluß sprechen, und ich hoffe, selbst wenn ich nicht dorthin komme, daß meine Meinung dort die Majorität hat und dort siegen wird, wenn wir hier unterliegen[179].“ Auch in der Rede Robert Blum’s vom 24. Juni, so meisterhaft und staatsmännisch sie sonst angelegt ist, klingt[350] diese unheilvolle Wendung in der Politik der Linken durch. Aber dem Directorialproject der Mehrheit gab sie den Todesstoß. „Die Klarheit des Gedankengangs, die seltene Reinheit der Sprache und Aussprache, die echte Kenntniß aller der Töne, die in den Herzen des Volkes wiederklangen, das waren die glücklichen Gaben, die er diesmal im vollsten Maße bewährte,“ so schreibt ein Gegner seines Standpunktes über diese Rede[180]. Auch sie theile ich daher im Wortlaut mit.
„In der ernsten Entscheidungsstunde, wo über die wichtigste Angelegenheit, die uns bis jetzt vorlag, Entschluß gefaßt werden soll, glaube ich darauf verzichten zu können, auf Persönliches, was gegen mich vorgebracht worden ist, einzugehen; ich glaube es um so mehr zu können als ich mich auf ein Gebiet verlieren müßte, welches zu betreten ich ewig verschmähen werde. Im Laufe einer fünftägigen Verhandlung ist es klarer geworden vor unserm Blick über Das, was wir wollen und was wir wollen müssen. Wie die Wolken sich theilen und mehr den reinen Himmel zeigen, so sind die Gedanken mehr und mehr herausgehülst worden aus dem, was sie umgab. Die Consequenzen und Nothwendigkeiten haben sich herausgestellt in einer Entschiedenheit, die keinen Zweifel mehr läßt, um was es sich handelt. Es ist von dieser Seite[351] der Reichsstatthalter verlangt worden, d. h. eine Entscheidung über die Monarchie für den Gesammtstaat; es ist von der andern Seite diese Entscheidung zwar nicht verlangt worden, man hat sie aber hineingelegt, und wir sind weit entfernt, das Prinzip abzuweisen, wenn wir auch bestreiten müssen, daß durch die Ernennung eines Vollziehungsausschusses präjudicirt wird, wie hier in Bezug auf die Monarchie. Indessen, ich ehre und anerkenne diese gerade, entschiedene Forderung; ich mag die Halbheiten nicht, sie mögen kommen, woher sie wollen, und der offene Gegner ist mir lieber und ehrenwerther als Derjenige, mit dem ich nie und nimmermehr weiß, woran ich bin. Ich sehe Ihre Monarchie viel lieber erstehen, als Ihr Directorium oder ein ähnliches Ding, das in seiner undurchsichtigen Hülle und in unverständlichen Wendungen nicht heraussagt, was es sein soll und was es sein muß. Nur Eines habe ich allerdings dagegen, es ist mir gefährlich und scheint mir auf einem großen Irrthum zu beruhen: die Behauptung, Sie könnten eine constitutionelle Monarchie schaffen; dies muß ich verneinen. Ich habe dafür nichts Anderes entgegenzuhalten, als daß die Bedingung der constitutionellen Monarchie, d. i. die Constitution, fehlt. Sie haben keine Constitution, und Sie können folglich nur die absolute Monarchie schaffen. Es hat Sie ein Redner mit eindringlichen Worten an die Gelüste des Menschenherzens gemahnt, und behauptet, daß die Gewalt gemißbraucht werde, wenn sie in schrankenlosem Maße dem Herzen übergeben werde, Sie haben keine Schranke für die Gewalt, die Sie schaffen wollen. Was man heraufbeschworen hat, um uns zur Beruhigung darauf hinzuweisen — die englische Verfassung und die englischen Formen, sie sind für uns nicht vorhanden; Sie können eine Staatenkammer schaffen, Sie können ein verantwortliches Ministerium schaffen, Sie können schaffen was Sie für das Bedürfniß der Zeit geeignet halten, wenn Sie eine Verfassung haben, wenn Sie Schranken haben für ihre Gewalt. Sie können nichts schaffen als Worte und todte Formen, so lange Sie diese Schranken nicht haben. Ob Sie es wagen wollen in dem gegenwärtigen Augenblick, wo man mit aller Versicherung der Liebe und Treue zu den Fürsten doch nun und nimmermehr die Thatsachen hinwegleugnen kann, die uns auf jedem Schritt, auf jedem Blick begegnen, und zeigen, daß die Dinge schwanken, daß das Mißtrauen wuchert, nicht das Vertrauen, welches keine Regierung, d. h. kein Ministerium besitzt, daß ein ewiges[352] Werden vorhanden ist und kein Sein; ob Sie es wagen wollen, in dem Augenblick eine Gewalt zu schaffen, auf welche Sie dieses Mißtrauen des ganzen Volkes concentriren, — ob Sie nicht fürchten, daß dieselbe unter diesem Mißtrauen erliegen werde, das muß ich Ihnen überlassen. Ich bin der Ueberzeugung, daß bei der Gestaltung der künftigen Verfassung ein Staatenhaus uns nothwendig ist; aber Sie werden sich sehr täuschen, wenn Sie in dem alten Bundestag dieses Staatenhaus zu finden meinen. Es ist darüber geklagt worden, daß man sich mit ungerechten Beschuldigungen gegen die „andern“ Menschen wendet, die in den Bundestag gekommen sind, und diese Klage mag gerechtfertigt sein; aber, meine Herren, vergessen wir doch nicht, daß die Menschen den Bundestag nicht anders machen können. Wenn Sie ein Kloster, ein Jesuitenkloster haben, und die alten Mönche hinausschicken und neue, junge, andersdenkende hineinsetzen, haben Sie dann etwas Anderes, als ein Jesuitenkloster? Sie haben dasselbe, bis Sie die Satzung des heiligen Lojola vernichtet haben, und Sie haben den alten Bundestag mit seinen Ausnahmegesetzen und mit seinen Lepelschen Promemorias, bis Sie die alte Bundesacte und die Stellung einer bloßen Fürstenvertretung vernichtet haben. Verlangen Sie von dem Volke nicht das Unmögliche, verlangen Sie nicht, daß es in einer Anstalt, die 30 Jahre lang gleichbedeutend war mit seinem Unglück, mit seiner Knechtung und mit seiner tiefen Schmach, binnen drei Monaten eine Anstalt seines Heils erblicken solle. Es wird eine spätere Zeit geben, wo über das Prinzip der Monarchie und der Republik an der Spitze des Gesammtstaats die Meinungen hier ausgetauscht werden. Ich verzichte jetzt darauf, aber bemerken muß ich wenigstens, daß die Stellung eines auf Zeitdauer ernannten wechselnden Präsidenten wahrlich für den niedern Ehrgeiz weniger lockend ist, als die Stellung eines Monarchen. Es ist wohl überflüssig, Sie auf die blutigen und entsetzlichen Belege hinzuweisen, die unsere Geschichte uns dafür giebt. Die Mehrheit der Commission sowohl, als die verschiedenen Unter-Anträge, welche gekommen sind, wollen eine Vereinbarung. Sie wollen die Regierungen als etwas Besonderes außer dem Volke, und folglich außer uns Stehendes betrachtet wissen, und mit ihnen unterhandeln. Man hat uns zugerufen, wir sollen den Gebeugten nicht ganz niederdrücken; man hat uns gesagt, wir sollen doch dieses „armselige Zugeständniß“ machen, wir sollen anerkennen, daß wir allmächtig sind, aber[353] freiwillig darauf verzichten. Meine Herren! Es wird uns vielfach vorgeworfen, daß wir mit den Regierungen auf einem weit schlechtern Fuße ständen, als Andere in dieser Versammlung. Aber ich sage Ihnen offen, als die thatsächlichen Träger der Gewalt in den einzelnen Staaten achte ich die Regierungen zu hoch, als daß ich in solcher Weise mit ihnen unterhandeln möchte. Die widerstrebende Kraft ehrt man durch Kampf, die überwundene ehrt man durch Schonung. Eine Hingabe, eine Verständigung, die keine ist, kommt mir vor wie der freie Wille Desjenigen, dem man ein Pistol auf die Brust setzt und sagt: la bourse ou la vie! Ich will die Regierungen anerkannt wissen in der Gewalt, die sie noch haben, und deshalb ihnen keine entehrenden Anerbieten machen. Entehrend aber scheint es mir, wenn man hier von ihrer Gewalt und ihrer Kraft spricht, und sie dann so behandelt, daß man ihnen zumuthet, binnen 14 Tagen sollen sie selbst sagen, wer die Gewalt tragen solle, die man ihnen abnimmt. Ich will auf die Volkssouveränität nicht zurückkommen, aber hinweisen muß ich darauf, daß der Antrag auf ein Directorium nichts Anderes ist, als eine vollständige Aufwärmung der alten Wirthschaft. In dem Directorium liegt nicht Das, was wir bedürfen, nämlich der Bundesstaat, sondern der alte Staatenbund mit seinen Sonderinteressen und seiner Zersplitterung. Dieses Directorium ist meines Erachtens bereits verurtheilt. Ich komme nun auf den Punkt der Verantwortlichkeit, und damit auf dasjenige Prinzip, worauf meine Gesinnungsgenossen bestehen zu müssen überzeugt sind, auf das eine Prinzip, hinsichtlich dessen sie den gesetzlichen Antrag stellen werden, daß man mit seinem Namen dafür oder dagegen auftrete. Wir haben die Verantwortlichkeit verlangt, und man hat uns gesagt, sie sei nicht nothwendig, hat aber keine Gründe dafür vorgebracht, sondern nur Worte und Redensarten, die völlig vormärzlich sind. Die Regierungen, hat man behauptet, können und werden nicht ernennen, was dem Volke nicht genehm ist, müssen Dasjenige thun, was man verlangt. O, meine Herren, schwimmen Sie nicht auf diesem Meere des Vertrauens! Es hat von jeher nur Wasser genug gehabt für die flachen Fahrzeuge der Staatszeitungen und ihrer Genossenschaften. Dieses bischen Fahrwasser war eingedämmt durch die Schleußen der Censur und der Ausnahmegesetze, und mit der Sprengung derselben ist ein Sumpf geworden. Es ist nicht wahr, es ist kein Vertrauen in Deutschland, und Derjenige wahrlich muß blind sein, der[354] es behauptet. Ich frage Sie auch ferner, wann denn die Gewalt zu Stande kommen solle, die Sie durch eine Vereinbarung schaffen wollen? Ich will Sie nicht auf die Schwierigkeiten der Einigung über eine solche Wahl, nicht auf den nothwendigen Aufenthalt hinweisen, den die Vorverhandlungen der deutschen Fürsten selbst unerläßlich machen. Nur daran will ich erinnern, daß die Fürsten einen Theil der innern Regierungsgewalt nicht abtreten dürfen, und die Männer des historischen Rechtsbodens, die uns trotzdem versichern, daß ihre Schöpfung binnen wenigen Tagen fertig sein könne, mögen doch nicht vergessen, daß in den Einzelstaaten die Zustimmung der Stände nothwendig ist. Ich kann und will nicht behaupten, daß dies nach allen Verfassungen der Fall sei; allein nach dem §. 2 der sächsischen Verfassung ist dem so, und was Ihnen Schaffrath verkündigt hat, muß ich bestätigen. Unterliegt er hier, als Mitglied der sächsischen Ständeversammlung, siegt er wo anders; denn die sächsische Stände-Versammlung — wie schlimm es auch ist, zu prophezeien, ich prophezeie es doch — gibt, wie ich glaube, die Erlaubniß zur Gründung einer solchen Gewalt jetzt noch nicht. (Mehrere Stimmen rechts: Oh! Oh!) Alle diese Schwierigkeiten, die Sie bis jetzt vor Ihren Blicken gesehen haben, fallen nach unserer Ueberzeugung weg, wenn wir einen Vollziehungs-Ausschuß ernennen. Es bedarf nichts weiter, als der Wahl, und diese geht hier von uns aus. Die Regierungen sollen nichts abtreten von ihren Regierungsrechten im Innern, jener Ausschuß soll nichts haben, als die Vertretung und Vertheidigung des Vaterlandes nach Außen; er ist durch die Nationalversammlung gewählt, und deßhalb im Nothfall von ihr zu entfernen; er ist der Nationalversammlung verantwortlich, und diese Verantwortlichkeit sehe ich eben nur in der Entfernung. Man hat uns zwar gestern darauf hingewiesen, es sei das Directorium oder der Reichsstatthalter der Nachwelt verantwortlich. Das ist sehr wahr. Aber Nero und Caligula, Philipp II. und sein Henker Alba waren der Nachwelt auch verantwortlich. Hat sie dies aber gehindert, Thaten zu vollführen, vor denen sich noch heute das Haar des Menschenfreundes emporsträubt? Wir haben endlich die Competenz dieses Ausschusses beschränkt, und zwar aus den Gründen beschränkt, die ich gegen die Monarchie geltend gemacht habe, weil wir nämlich eifersüchtig und in heiliger Liebe zur Freiheit über ihrer ärgsten Feindin, nämlich der Gewalt, wachen und dieselbe so viel als möglich einschränken wollen, bis[355] die Freiheit diejenige Grundlage gewonnen hat, auf der sie bestehen kann. Auch nur in dieser Beziehung weichen wir von unsern Freunden, mit denen wir sonst innig verbunden sind, ab. Wir wollen etwas weniger Gewalt geben, wo es möglich ist, sie zurückzuhalten; wir wollen wenigstens die Noth an uns herantreten lassen, ehe wir mehr geben. Schließlich ist dann auch unser Vorschlag wohlfeiler, und wenn wir auch zugeben, daß bei dem, was nothwendig ist, es sich nicht darum handelt, einen verhältnismäßig geringen Betrag an Kosten zu sparen, so müssen wir doch, indem wir die Nothwendigkeit bestreiten, auch diese Seite ins Auge fassen, besonders in dem Augenblicke, wo das ganze Volk unter dem gewaltigen Eindruck der letzten Zeit seufzt, und wo die Noth herrscht von einer Grenze des Vaterlandes bis zur andern. Die Freiheit der Wahl durch diese Versammlung ist das zweite Princip, für das wir die namentliche Abstimmung beantragen werden. — Meine Herren! Man hat uns im Laufe der Zeit vielfach auf die Revolution hingewiesen; man hat uns ermahnt, ihren Schlund zu schließen, und uns gesagt, wir eilten der Schreckensherrschaft entgegen. Aber vergessen Sie doch nicht, daß wir in der Revolution stehen, und lassen Sie den Mann, der von verschiedenen Seiten hier citirt wurde, ich meine Mirabeau, Ihnen sagen: „Es ist die kindischste Thorheit, sich dem einmal rollenden Wagen der Revolution entgegenstemmen zu wollen; man kann nur muthig auf ihn springen und ihn zu lenken suchen oder man muß sich von ihm zermalmen lassen.“ Gewiegte Diplomaten, gewissermaßen grau geworden in der Sphäre ihres Berufs, haben wenige Wochen vor dem Februar verkündigt, der Thron Louis Philipp’s stehe fest wie Eisen, und wenige Wochen später war er zersplittert. Glauben Sie nicht, daß, wenn Sie einen Deckel legen da oben auf den Krater oder auf den Abgrund, den Sie schließen zu können behaupten, er damit auch wirklich geschlossen sei. Man sagt: die Weltgeschichte wiederholt sich nicht, und doch wiederholt sie sich so sehr. Unsere Zustände werden von Tag zu Tag denen von 1789 ähnlicher. Sehen Sie die Meinung in den einzelnen Truppencorps bei uns, sehen Sie dieses — Drängen möchte ich sagen nach äußerem Krieg, sehen Sie das Bestreben, die thatsächlich zerfallene Gewalt wieder herzustellen, sehen Sie die furchtbare Besetzung der Grenze, wohin sich die Liebe und die Sympathie des Volks wendet, weil dort die Freiheit wohnt; dagegen die — Vernachlässigung möchte ich fast sagen, wenigstens die unbegreifliche[356] Schutzloslassung der anderen Seite, wo die Tyrannei wohnt, und wo sich des Volkes Haß und Furcht hinwendet. Sehen Sie ferner die beständigen Mahnungen daran, diese „junge“ Versammlung solle sich nicht übereilen, und denken Sie dabei an den Abbé Maury, der seiner Zeit ganz Dasselbe sprach. Alsdann werden Sie in diesen wenigen Zügen schon die außerordentliche Aehnlichkeit unserer Zustände mit jenen erblicken. Unsere Aufgabe ist es, aus der Geschichte zu lernen, nicht ihre Lehren zu mißachten, und dann können wir es nicht verhehlen, daß die Schreckensherrschaft, die man uns aufgestellt hat, nicht zu Paris, sondern zu Pillnitz und Coblenz geboren worden ist, wo man den eitlen Versuch machte, eine zu Grunde gegangene Gewalt wieder herzustellen. (Zuruf von der Linken: Sehr wahr!) Wir können uns nicht verhehlen, daß das Veto den 10. August und den 21. Januar heraufbeschworen hat; Ludwig XVI. ist am Veto zu Grunde gegangen und die Nation hat es im ersten Augenblicke gefühlt, daß dort der wunde Fleck lag, denn von dem Ausspruche an hieß er nur Veto. (Links: Bravo!) Lassen Sie diese Lehre der Geschichte nicht vorübergehen. Wahrscheinlich vermögen wir noch der Revolution, die thatsächlich da ist, eine andere Bahn zuzuweisen, wenn wir ihr gerecht werden. Man hat gestern die Freiheit verglichen mit der Liebe zum Weibe, und eine Zeitung unseres Nachbarstaates, eine französische, hat es jüngst behauptet, das deutsche Volk sei zu alt geworden, um in kühnem Griffe, in männlicher Umarmung sich die holdeste Braut: die Freiheit, zu erobern und sie unzertrennlich an sein Herz zu drücken. Man hat gesehen, daß die Schrecken einer einzigen Nacht die Haare bleichen, und den Menschen zum Greise machen können. Wie sollte das Herz eines Volkes nicht abstumpfen können unter einer dreißigjährigen Tyrannei, wie sollte es nicht alt werden unter der Knechtschaft eines Menschenalters! Aber auch das alte Herz kann lieben, und es liebt inniger, wenn auch ruhiger als das junge, weil es das Bewußtsein in sich trägt, daß der Liebesfrühling ihm nur noch einmal kommt. Es wird für die Erkorene in die Schranken treten, nicht mit der Aufwallung des Jünglings, aber mit der vollen Kraft des reifen Mannes. Ueberliefern Sie die Braut des besonnenen deutschen Volkes nicht ihrem ärgsten Todfeind: der Gewalt! (Von allen Seiten: Bravo! Klatschen auf den Gallerien.)“
Noch am nämlichen Tage fiel die Entscheidung: nicht im ursprünglichen Sinne der Mehrheit, nicht in dem der Minderheit. Gagern that seinen berühmten „kühnen Griff“, indem er sagte: „wir müssen die Centralgewalt selbst schaffen“ — damit sprach er eigentlich nur dasselbe aus, was der Antrag Blum-Trützschler auch an die Spitze stellte. Der „langanhaltende stürmische Jubelruf“[181], welcher das entscheidende Wort Gagern’s begleitete, daß die Centralgewalt vom Parlament selbst geschaffen werden müsse, ward auch von der Linken erhoben. Sie bedurfte gar nicht erst der Erläuterung, die Gagern diesen seinen Worten gab: „Man wird mir nun nicht mehr den Vorwurf machen können, als habe ich das Princip der Souveränität der Nation aufgegeben.“ Aber darüber war nicht blos die Linke betroffen, darüber waren selbst Gagern’s nächste Freunde bestürzt gewesen, als er ihnen von seinem Plan Kunde gegeben: daß er sich als den einen Reichsverweser, den er statt des Directoriums vorschlug, den Erzherzog Johann von Oesterreich denke. Die Linke und das linke Centrum hatten gehofft, Gagern selbst, der Träger der Souveränität des Parlaments, werde die Stelle des Reichsverwesers annehmen. Der Name des Erzherzogs wurde freilich von Gagern nicht genannt. Aber alle Welt wußte, wer unter dem „Fürsten“ zu verstehen sei, dem er die Würde des Reichsverwesers übertragen wollte. Galt doch dieser „Fürst“ dem damaligen Geschlecht als der Einzige unter den Dreien, die früher zu dem Triumvirat der „drei Onkel“ ausersehen waren, als der Einzige, der für sich allein regierungsfähig sei.
Die Hauptlegitimation zu dem schweren Beruf, den man dem Erzherzog zudachte, bildete ein Toast, den er nie gehalten hat. Seine Leistungen als österreichischer Vicekaiser waren bei[358] Lichte besehen von höchst zweifelhaftem Werthe. Er übte schon damals kunstvoll die Tugenden, die ihn in Frankfurt auszeichneten: die unvergleichliche Fähigkeit, Jeden bürgerlich-treuherzig anzubiedern; nichts zu sagen in Worten, denen Jeder die gewünschte Deutung unterlegen konnte; hinzuhalten, bis seine Getreuen die Zeit des Handelns gekommen erachteten. Wer vom Standpunkt des heutigen Geschlechts aus den Gang der Geschichte jener Jahre überblickt, der muß mit Nachdruck aussprechen: der kühne Griff Gagern’s war ein ungeheurer Mißgriff, insofern er die Deutschen Geschicke in die Hand eines habsburgischen Prinzen legte. Das Scheitern der deutschen Bewegung und ihres Verfassungswerkes ist diesem Mißgriff in erster Linie zuzuschreiben. Aber freilich, Biedermann hat Recht: „das Tadeln ist hier leichter, als das Bessermachen“.[182] Niemand, am wenigsten die Linke, konnte damals den Charakter des Mannes übersehen, sein Verhalten der Nationalversammlung gegenüber im Voraus ermessen. Von Blum insbesondere sollen höchst irrige Urtheile über den Reichsverweser noch mitgetheilt werden. Er nannte ihn nur den „Reichsvermoderer.“ Er würde vielleicht jeden andern Fürsten an dieser Stelle auch so genannt haben. Dahlmann, der das Ziel der ganzen Parlamentsarbeit, das preußische Erbkaiserthum, schon seit April klar und fest in seinem Verfassungsentwurf vorgezeichnet hatte, war verdrossener als je über Gagern’s kühnen Griff. Unentwegt durch das stürmische Hochrufen am Schlusse von Gagern’s Rede, hatte er nach ihm die Tribüne bestiegen und sich trotz aller Unterbrechungen Achtung und Gehör erzwungen. Freilich stimmte auch er später für den Erzherzog.
Schließlich war es doch auch nicht zum geringsten Theile[359] die allgemeine tiefe Ermüdung nach einer Woche aufregender Debatten über die Centralgewalt, welche Gagern’s Vorschlag so rasch zum Siege führte. Schreibt doch selbst Blum, der nervenlose, unermüdliche Kämpfer, schon am 22. Juni an die Frau: „das heißt leben, aber auch sich aufleben.“ Und am 25. Juni: „Liebe Jenny. Das waren schwere, schwere vierzehn Tage; die schwersten, die ich je erlebt habe. Von Sonnabend den 10. bis Mittwoch 14. in unermeßlicher Fest- und Reiseanstrengung, von Mittwoch an bis heute in Arbeit. Berge von Stößen haben sich aufgehäuft, aber bei einer halbtägigen Pause am Donnerstage, wo hier Frohnleichnamsfest war, vermochte Niemand etwas zu thun, wir mußten ruhen und flegelten uns im Garten herum.“ Die Wahl des Reichsverwesers erfolgte indessen doch erst am 29. Juni. Jeder Paragraph des Gesetzes über die provisorische Centralgewalt bot Anlaß zu heftigem Parteistreit, namentlich die Unverantwortlichkeit des Reichsverwesers. Die Weigerung Dahlmann’s, des Berichterstatters, auf Biedermann’s Frage zu antworten: „ob hier eine ganz allgemeine oder nur eine politische Unverantwortlichkeit gemeint sei?“ führte bei der Abstimmung sogar zu einer Spaltung des linken Centrums. Einmal, als Heckscher die Linke durch eine Bemerkung beleidigte, die wenigstens dahin gedeutet werden konnte, daß die Linke ihre Anträge von der Gallerie beklatschen lasse, ehe das Parlament sie kenne, drohte das ganze Parlament in wildem Spektakel auseinanderzufahren. Die Sitzung (26. Juni) mußte aufgehoben werden, da der Vicepräsident v. Soiron nicht die zur Bändigung dieses Sturmes erforderliche Kraft besaß. Gerade in diesem Augenblicke wäre das Ansehen des Parlamentes und seiner Beschlüsse durch eine Terrorisirung der Minderheit und einen etwaigen erzwungenen Austritt derselben schlimmer als je geschädigt worden. Deßhalb begannen gleich nach der Sitzung am 26. Juni Vergleichsverhandlungen[360] zwischen den Parteien, die in der Nacht zu einem Abschluß führten. Heckscher gab eine versöhnliche Erklärung, dann folgte Robert Blum, der Namens seiner Partei erklärte:
„Wir ziehen zurück, was wir zurückziehen können; wir unterwerfen uns der Entscheidung dieser Versammlung, sofern sie innerhalb der Schranken des selbstgegebenen Gesetzes erfolgt. Wir erkennen die thatsächlich bestehenden Regierungen an, und soweit sie der Neuzeit treu sind und auf dieser Grundlage sich ihr Selbstbestehen erhalten, mögen sie bestehen. Wir reichen die Hand zur Versöhnung, nicht für jetzt nur; für immer Versöhnung auf dem Boden des Gesetzes und Versöhnung auch auf dem Boden der Vereinbarung. Denn das ist das einzige Mittel, wodurch man sich mit einander vereinbaren kann, wenn die Vereinbarung heilig und unverletzlich ist. (Großer Beifall von allen Seiten[183].“
Bei der Abstimmung über die Person des Reichsverwesers stimmte Blum mit 81 seiner Freunde für Itzstein, 52 andere für Heinrich von Gagern. 27 Abgeordnete der äußersten Linken enthielten sich der Abstimmung. Erzherzog Johann wurde gewählt mit 436 Stimmen. Unmittelbar nach der Wahl erklärte Gagern: „Ich proclamire hiermit Johann, Erzherzog von Oesterreich, zum Reichsverweser über Deutschland.“ Dreimaliges Hoch der Versammlung und der Gallerie erhob sich, alle Glocken läuteten und Kanonensalven erdröhnten. Und in dieses feierliche Getöse sprach Gagern die Worte, die so wenig zur Wahrheit werden sollten: „Er bewahre seine allezeit bewiesene Liebe zu unserem großen Vaterlande, er sei der Gründer unserer Einheit, der Bewahrer unserer Volksfreiheit, der Wiederhersteller von Ordnung und Vertrauen.“
Die Deputation, welche den Reichsverweser in die Paulskirche am 12. Juli einzuführen hatte, wurde durch das Loos[361] bestimmt: durch die Ironie des Zufalls wurde auch Blum ausgeloost. Aus diesen Tagen der Kämpfe und der Einsetzung des Reichsverwesers schrieb Blum die folgenden Briefe nach Hause, die gewiß noch heute nicht ohne allgemeines Interesse sind, besonders wichtig aber für seine Charakterzeichnung, seine Beurtheilung:
Der Schluß des schon oben angeführten Briefes vom 25. Juni an seine Frau lautete: „Ueber die Reise der Linken schreibe ich nichts mehr, Du hast sie ja gelesen; nur war das Bild schwach, weil sich meine Feder sträubte, niederzuschreiben was mir selbst widerfuhr und doch sich alle Huldigungen eben auf mich — den Führer — wendeten. Wenn Du besorgst, diese und besonders die der Frauen möchten mich schwindlich machen, so kannst Du deshalb ruhig sein. Zwar sind die Frauen allerdings fanatisch hier im Süden und ihre Theilnahmsbezeugungen steigen bis zu Unglaublichem. Bei einer lebendigen Verhandlung, einem entschiedenen Auftreten nimmt das Klatschen, das Wehen mit Tüchern, das Zuwerfen von Blumen und Kußhändchen, oder die Uebersendung von Bouquets oft gar kein Ende. Und das geschieht offen, ohne Prüderie, Allen sichtbar, oft unter rasendem Beifall der Gallerie und die ganze Nationalversammlung platzt vor Aerger, denn es hat es noch keine andre Seite, noch Niemand zu einem derartigen Zeichen gebracht als wir. Als ich jüngst über die Centralgewalt sprach und am Schlusse sehr ernst und feierlich wurde, schwamm das Frauenauditorium in Thränen und schluchzend streckte man mir hundert Hände entgegen, als ich herab kam. Das ist ein schönes Zeichen, aber vor Eitelkeit, d. h. persönlicher bewahrt mich 1) jeder Blick in den Spiegel, der mir sagt, daß ich nicht schön und 40 Jahre alt bin, 2) das klare Bewußtsein, daß es nicht dem Manne, sondern dem Parteiführer gilt und ich also stets mit meinen Getreuen theilen muß, wobei mir sehr wenig bleibt. Kommt der Mangel an Zeit dazu, der mir jede Bekanntschaft in Familien unmöglich macht und mich gegen die wenigen, die ich gemacht habe, zwingt unartig zu sein, so bleibt die Sache rein politisch und da ist sie allerdings ein gewaltiger Hebel, gegen den Du nichts haben wirst. Ging es doch dem alten, häßlichen Mirabeau gerade so; hoffentlich werde ich demselben in andrer Beziehung nicht ähnlich“ u. s. w.
Am 19. Mai, am Tage nach der Eröffnung des Parlaments, hatte Blum ein Schreiben von Haubold in Leipzig erhalten, das eine Anweisung auf 350 Thaler enthielt — das Resultat einer verschwiegenen Sammlung wohlhabender Leipziger Bürger, um den Abgeordneten Leipzigs für seine finanziellen Opfer zu entschädigen. Blum antwortete darauf am 5. Juli an Haubold:
Mein theurer und verehrter Freund!
„Dem Schreiben vom 17. vorigen Monats, welches ich wie Du weißt erst jetzt erhalten habe, hat mich zu gleicher Zeit hoch erhoben und tief beschämt: hoch erhoben, denn in dem Sturm der Revolution, in dem wirren Treiben der Parteikämpfe, welche sie nothwendig mit sich führt, ist die Anerkennung edler Menschen doppelt wohlthuend, ermunternd und anspornend; — tief beschämt, weil Du mir im Namen so vieler edeln Männer eine so große und werthvolle Gabe bietest (groß und werthvoll besonders durch den Sinn der Geber!) die nicht verdient zu haben ich nur zu sehr fühle. Ich habe nur meine Pflicht gethan, das mir vom Schöpfer verliehene Pfand verwendet zum Besten meiner Mitmenschen, wie es meine Schuldigkeit war und die mir verliehene Kraft gebraucht, wohin sie gehörte. Haben meine Mitbürger in der Nähe und Ferne mich dafür weit über Gebühr ausgezeichnet, so wurde mir diese Auszeichnung weniger durch eigenes Verdienst als durch das fluchwürdige Bestreben des gestürzten Systems zu Theil, die Pflichterfüllung für das Vaterland zu hintertreiben und zu ächten, und diese in einem durch Bevormundung entarteten Geschlecht zur Seltenheit zu machen. Die Neuzeit wird edlere Kräfte lösen und auf den Schauplatz rufen; und dessen wird sich Niemand inniger und herzlicher freuen, als ich.
Nehme ich nun die mir gebotene Gabe mit Beschämung und innigster Dankbarkeit an, so betrachte ich dieselbe doch nur als ein Darlehen, als eine heilige Schuld, die ich dem Vaterlande abzutragen habe. Und ich kann sie nicht besser abtragen, als wenn ich dem Vaterlande, der Freiheit, der Verbesserung der politischen und socialen Zustände meine Kraft, mein Wirken, mein Leben, mein Gut und Blut widme, wo und wie es nöthig ist. Das zu thun aber gelobe ich Dir und allen edeln Männern und Mitbürgern hiermit auf’s Feierlichste, und versichere, daß es der schönste Augenblick meines Lebens sein wird, wo Du mir[363] die Hand reichen und sagen kannst: Blum, Du hast einen Theil Deiner Schuldigkeit getilgt[184].
Wenn ich Dich nun bitte, der Dolmetscher meiner Gefühle zu sein, wie Du der Vermittler warst bei der mir bereiteten Freude, so mache ich noch eine hohe Forderung an Dein Herz. Bewahre mir, soweit Du kannst, das Vertrauen und die Achtung meiner Mitbürger, welche zu untergraben man leider! sehr bemüht ist. In Zeiten, wie die unsrigen, wo die Woge der Bewegung steigt und fällt, mit derselben aber die Parteien und ihre Führer und Glieder bald im Lichte, bald im Schatten stehen, ist es nicht möglich jeden einzelnen Schritt als Maßstab der Beurtheilung für einen Abgeordneten anzunehmen; es ist ungerecht, unedel und unbillig auf Einzelheiten hin Verdächtigungen und Schmähungen auszustreuen. Obgleich ich nun nie einen Schritt gethan, dessen strengste Beurtheilung ich von unbefangenen Beurtheilern zu scheuen hätte, so ist es doch keine unbillige Forderung, daß man mein Wirken als ein Ganzes, in seiner Gesammtheit beurtheile, daß man meine eigenen Worte und meine eigenen Handlungen zu Grunde lege, nicht die Entstellungen und Verdrehungen, die man in Sachsen gegen und über mich verbreitet.
So empfiehl mich denn herzlichst allen Betheiligten und bringe ihnen meinen Gruß und Handschlag bis ich selbst Gelegenheit haben werde, ihnen Rechenschaft über mein Thun abzulegen. Du aber erhalte mir ferner Deine Liebe und Freundschaft und empfange den herzlichsten Gruß von Deinem treu ergebenen Robert Blum.“
Um dieselbe Zeit (einige Tage früher, ohne Datum) schrieb er an die Frau:
„Daß ich in Leipzig fehle, sehe ich allerdings sehr gut ein; aber es geht nicht anders und es wird auch jetzt nicht viel verloren dort.[364] Sollte es nöthig sein, dort wieder Boden zu gewinnen, so kann das bald geschehen. Leipzig ist doch sehr erbärmlich; diese kleinlichen, gemeinen Häkeleien auf den Abgeordneten, sind in der ganzen Welt, in keinem Blatte Deutschlands so, wie in Leipzig. Und diese theewässerigen, fischblutigen, juchtenledernen Vaterlandsblätter, die wir noch zur Hälfte von hier aus füttern, haben nicht soviel Muth und Gefühl, daß sie diese Gemeinheit nur einmal geißeln. Wir hier schämen uns unseres Blattes und unserer Freunde, daß sie dieser Unverschämtheit der Biedermänner[185] gegenüber nichts, nichts thun, und Günther und ich werden uns nächstens von den Vaterlandsblättern lossagen. — Friese’s Krankheit hat sich, wie ich höre, wieder gebessert; aber er wird nicht wieder zu fester Gesundheit kommen[186], wie ich höre. Was meine Geschäftsverhältnisse betrifft, so ist unser Buchhandel todt und es wird lange Zeit brauchen ehe er wieder auflebt. Ich weiß nicht, was ich anfangen soll, wenn ich zurückkehre; doch daran ist jetzt nicht zu denken“ u. s. w.
Am 5. Juli schrieb er der Gattin wieder:
„Liebe Jenny. Also Du bist immer noch krank[187]. Das dauert ja sehr lange diesmal. Nun, Dein Bleistiftbriefchen beruhigt mich wenigstens, daß es besser geht. Mache nur, daß Du gesund, und völlig wieder dem Haushalt und den verwaisten Kindern zurückgegeben wirst. Uns geht es ziemlich schlecht, die Mehrheit wird alle Tage frecher und unverschämter, steckt mit den Regierungen unter einer Decke, spielt in und mit der Versammlung Comödie und treibt ihren Verrath ziemlich offen; es ist ganz 1789. Ob die Menschen niemals an 1793 denken? Wie unangenehm die Stellung nur sein mag, so muß sie doch ertragen werden und wir sind auch guten Muthes und donnern nur um so mehr los. Die gemeinen, kleinlichen, erbärmlichen Umtriebe in Leipzig nur ärgern mich, ärgern mich deßhalb, weil in keiner Stadt, in keinem Orte (wir haben hier alle Zeitungen) eine solche Jämmerlichkeit zur[365] Schau getragen wird, wie dort. Wäre ich dort und es geschähe einem Andern, ich würde dieses Gesindel geißeln nach Herzenslust; unsere Leute aber regen sich nicht einmal gegen .... Lügen, die sie durch die stenographischen Berichte klar beweisen können. Mögen sie! —“
In der Nacht vom 15. zum 16. Juli schreibt er an dieselbe:
„— — Leider bemerke auch ich, wie die Vierteljahre enteilen. Bereits ist der längste Tag vorüber und ich habe vom Sommer nichts, gar nichts gemerkt, als daß die Hitze in der Paulskirche und in den Commissionslocalen unerträglich ist und mir oft nur alle 8 Tage Zeit bleibt, einmal zu baden. Wir müssen wirklich große Opfer bringen an Kräften und Wohlsein; und wenn sie nur nutzten! Aber gegenwärtig geht es sehr schlecht, der Wahnsinn glaubt jetzt, der Reichsverweser bringe die goldene Zeit und denkt nur an ihn. Aber der Rückschlag wird und muß auch kommen und dann wollen wir thätig sein. Wenn der Herbst kommt, wendet sich die Sache. — Also werde gesund und bewahre mir die armen Kinder! Aber die entbehren mich wohl gar nicht mehr? Warum muß man so arm sein, daß man dieselben gar nicht sehen kann! Doch ich komme jedenfalls in einiger Zeit einmal nach Hause und wenn es auch nur auf einige Tage ist. Lebt alle recht wohl und nehmt Gruß und Kuß von Eurem Robert.“
Am 19. Juli endlich schreibt er an dieselbe:
„Liebe Jenny! Eben komme ich vom Hofe und benütze die Minuten, die mir bleiben, dazu, Dir wenigstens dieses Zettelchen zu schreiben. Den Halloh, Spectakel und officiellen Jubel kannst Du aus den Zeitungen lesen; aber wahrscheinlich hast Du trotz allem Jubel den Reichsverweser und Vermoderer nicht gesehen und ich muß Dir also melden, daß er ein so erdiges, abgelebtes, todtes, regungsloses Gesicht hat, daß es den übelsten Eindruck macht und jedes Fünkchen Hoffnung, welches sich an ihn knüpfte, vernichtet hat. Im Privatverkehr ist er ein achtungswerther, liebenswürdiger Mensch, der aber in jedem Worte zeigt, daß er eben nur in’s Haus taugt, nicht in’s politische Leben. Es ist entsetzlich, daß man diesem Menschen Deutschland vertrauen will; allein Bestand kann die Sache nicht haben, oder vielmehr, er kann nur eine unbedeutende Puppe sein, die aber hemmt auf Schritt und Tritt. Daß mich das Unglück getroffen hat, ihn heute Morgen becomplimentiren zu[366] müssen, wirst Du schon wissen; es war ein schweres Opfer, welches der Partei gebracht werden mußte, aber es hat mir auch wieder den Vortheil gebracht, den armseligen Menschen in der Nähe zu sehen und mich zu überzeugen, daß er ein wirklicher Vermoderer ist. Das Ministerium, welches wahrscheinlich morgen an den Tag kommt, wird rein reactionär, aber die Ministerien dauern jetzt nur vier Wochen. — Wie werden unsre armen Kinder verlassen sein jetzt! es wird mir doch manchmal recht sauer hier zu bleiben, so ununterbrochen hier zu bleiben und ich muß mich förmlich von dem Gedanken losreißen. Geht es so fort, so gehe ich jedenfalls einmal auf 8 Tage nach Haus. — Lebe wohl, liebe Frau, grüße die Kinder und sei auch Du herzlichst gegrüßt von Deinem Robert.“
Auch die Einsetzung des Reichsverwesers hatte von neuem jenen Conflict entzündet, der bei jedem entscheidenden Schritt der deutschen Volksvertretung bei Ausübung ihrer verfassunggebenden Befugnisse und der in ihrer Hand ruhenden Centralgewalt bisher entbrannt war. Schon am 30. Juni hatte der Bundestag auf die Kunde der Wahl des Reichsverwesers durch das Parlament ein Glückwunschschreiben an den Erwählten erlassen, in welchem ausgesprochen wurde, „daß die Bundesversammlung bereits vor Schluß der Verhandlung über die Centralgewalt von den Regierungen ermächtigt gewesen sei, für diese Wahl sich zu erklären.“ Blum brachte die wichtige Sache am 1. Juli im Parlament zur Sprache.[188] „Wenn die Bundesversammlung keine[367] Prophetengabe hat, die ich bis jetzt an ihr noch nicht bemerkt habe,“ sagte er, „so konnte sie über diese Wahl im Voraus mit den Regierungen gar nicht reden. Wenn aber, was ich annehmen muß, die Bundesversammlung ihre Nachrichten nicht schöpft aus Privatcirkeln und Clubbs, so muß man glauben, es habe ein offizieller Verkehr stattgefunden.“ Er bat deßhalb einen „möglichst naheliegenden Tag“ zu bestimmen, um in dieser Angelegenheit eine Interpellation einbringen zu können. „Zugleich aber stelle ich den Antrag, es möge von der Versammlung ausgesprochen werden, daß jene Erklärung — für deren Bezeichnung kein Ausdruck stark genug sein dürfte — eine unangemessene und den Beschlüssen der Nationalversammlung widersprechende sei.“ Unter „vielstimmigem Bravo“ erklärte Gagern sofort: „Ich habe auf die Frage des Herrn Blum nur zu erklären, daß zwischen der Bundesversammlung und mir nicht die geringste Communication über die Sache stattgefunden hat.“
Am 4. Juli brachte Blum von Neuem die Angelegenheit zur Sprache[189] und stellte den Antrag: „von der Bundesversammlung eine amtliche nähere Erklärung über den Sinn und die Bedeutung ihres Glückwunschschreibens an den Reichsverweser und besonders über die darin enthaltene Erklärung für diese Wahl zu erfordern.“ Er sagte zur Begründung dieses Antrags u. A.:
„Wenn die Bundesversammlung im Auftrage der Regierungen für unsre Wahl sich erklärt, so thut sie nichts Anderes, als was Dahlmann gesagt hat, sie bringt durch das Fenster wieder herein, was wir durch die Thüre durch zwei Abstimmungen hinausgeworfen haben, nämlich die Mitwirkung und Zustimmung der Regierungen; wenn sie sich für diese Wahl erklärt, so kann sie sich auch gegen die Wahl erklären, und wir sind nicht sicher davor, daß wir nicht zum zweiten[368] Male wählen müssen, und sie widerspricht damit entschieden allen unseren Beschlüssen, ja sie stellt unser ganzes Dasein in Frage.“ Mit Recht forderte er eine Erklärung der Bundesversammlung, nicht blos des „Bundestags-Präsidenten“, denn „wir haben hier nur den Abgeordneten v. Schmerling bei uns, nicht den Bundestags-Präsidenten.“
Gleichwohl wich die Mehrheit, nach einer jener nichtssagenden und so klugzurückhaltenden Erklärungen Schmerling’s, der wichtigen Principienfrage aus und ging über Blum’s Antrag zur Tagesordnung über. Aber von selbst drängte sich immer von Neuem diese Frage in den Vordergrund. Als am 12. Juli der Reichsverweser im Parlament die Annahme seiner Würde erklärt und feierlich versprochen hatte, das Gesetz über die Einführung der provisorischen Centralgewalt zu halten und halten zu lassen, begab er sich an den Sitz des Bundestages, um die Auflösung dieser Versammlung zu vollziehen. Da erklärte ihm Schmerling als Bundespräsidialgesandter, daß „die Bundesversammlung die Ausübung ihrer verfassungsmäßigen Befugnisse und Verpflichtungen in die Hände der provisorischen Centralgewalt lege, daß die Mitwirkung aller deutschen Regierungen dem Reichsverweser zur Seite stehe und sie ihre bisherige Thätigkeit als beendigt ansehe.“ Diese Erklärung rüttelte weite Kreise des Parlaments aus der vertrauensseligen Stimmung auf, welche man bisher den Alarmrufen der Linken gegenüber zur Schau getragen hatte. Das linke Centrum brachte am 14. Juli den Antrag ein, „daß der Seitens der Bundesversammlung am 12. Juli vollzogene Act der Uebertragung ihrer Befugnisse auf die provisorische Centralgewalt für nicht geschehen zu erklären“. Allein die Versammlung erklärte auch diesen Antrag nicht für dringlich.[190] Um so energischer wurde am 14. Juli der Trotz[369] der Krone Hannover gebrochen. Der allen Parteien des Parlaments, mit Ausnahme der äußersten Rechten, verhaßte Monarch hatte es gewagt, in einem von seinem Gesammtministerium unterzeichneten Schreiben vom 7. Juli „Bedenken über die Form und den Inhalt“ des Gesetzes über die provisorische Centralgewalt zu äußern. Darauf forderte das Parlament mit großer Mehrheit „die unumwundene Anerkennung der Centralgewalt und des Gesetzes darüber von der Staatsregierung des Königreichs Hannover.“ Und die Krone Hannover beugte sich diesem Beschlusse. Sie beauftragte ihren Bevollmächtigten bei der Centralgewalt, v. Bothmer, alle Erklärungen in ihrem Namen vollgültig abzugeben, und diese stellte nun die schriftliche Zusicherung aus, die das Parlament erfordert hatte.[191]
Unmittelbar nach seinem Amtsantritt besetzte der Reichsverweser[370] einige der unentbehrlichsten Departements mit Ministern: dem preuß. General Peucker gab er das Kriegswesen, Heckscher die Justiz, Schmerling das Innere und Aeußere. In diesen Händen ruhten die Geschäfte der deutschen Centralgewalt, als der Reichsverweser vom 15. Juli bis 3. August nach Oesterreich reiste, um dort den Staat wieder nothdürftig zusammenzuleimen. Am 9. August war die Bildung des deutschen Reichsministeriums abgeschlossen. Schmerling hatte den Löwenantheil, das Innere, erhalten, dem polternden Heckscher war die Gelegenheit geboten, sich durch Leitung der Auswärtigen Angelegenheiten zu compromittiren, Duckwitz übernahm den Handel, Beckerath die Finanzen, R. v. Mohl die Justiz, Peucker wie bisher den Krieg. Als Unterstaatssecretaire waren u. A. im Innern Bassermann, im Finanzamt Mathy thätig. Im Uebrigen zeigte sich bald, daß der Reichsverweser für seine Regierungsgewalt dieselbe Unabhängigkeit forderte, wie das Parlament für seine Beschlüsse über Verfassung und Gesetze. Preußen machte nämlich am 17. Juli den Versuch, die Bevollmächtigten der Einzelstaaten bei der Centralgewalt zu einem Rathe, mit einer der Größe der einzelnen Staaten entsprechenden Stimmenzahl zu vereinigen, in der Absicht, daß dieser Rath mit dem Reichsverweser sich über alle in Folge des Beschlusses vom 28. Juni zu treffenden Maßregeln verständige und deren Ausführung mit den Einzelstaaten vermittle. Da erklärte jedoch die Centralgewalt am 30. August ausdrücklich, daß die bei ihr bevollmächtigten Vertreter der einzelnen Staaten „die Befugniß, auf die Beschlußnahmen der Centralgewalt entscheidend einzuwirken oder irgend eine collective Geschäftsführung auszuüben“, in keiner Weise besäßen. Es war also gewiß auch dem Parlament nicht zu verdenken, daß es ängstlich über seinen Befugnissen wachte; und wenn man diesem zur Last legte, „es habe vergessen, daß es noch Fürsten in Deutschland gebe“, so[371] war in dieser Hinsicht das Gedächtniß der Centralgewalt nicht viel günstiger veranlagt.
Zum Zeichen seiner Oberherrlichkeit über alle deutsche Regierungsgewalt hatte der Reichsverweser gleich bei Uebernahme seines Amtes durch den Kriegsminister v. Peucker von den Bundesregierungen gefordert, daß diese am 6. August die Bundestruppen die deutschen Farben anlegen ließen und ihm, dem Reichsverweser, als Huldigung ein dreifaches Hoch der Truppen und eine dreimalige Geschützsalve darbringen lassen sollten. Die kleineren Staaten, auch Württemberg und Sachsen folgten der Weisung. Baiern gehorchte in seiner Weise: das erste Hoch wurde dem König, das zweite dem Reichsverweser, das dritte dem deutschen Vaterlande dargebracht. Oesterreich schwieg wie gewöhnlich vollständig und ließ einzig in Wien die dortige Besatzung dem „Erzherzog Johann von Oesterreich“ das vorgeschriebene Lebehoch darbringen. Das Ganze war offenbar eine raffinirte List Schmerling’s, um Preußen zu demüthigen oder in eine schiefe Stellung zur Nationalversammlung zu bringen. Das letztere war vorherzusehen, da der preußische Stolz nimmermehr zu einer solchen Komödie sein Heer hergeben, noch die Mannszucht der Truppen verwirren konnte durch die Einsetzung eines neuen Kriegsherrn neben dem König. So geschah es auch. Der König erließ am 29. Juli einen Armeebefehl, in dem er seine Zustimmung zur Wahl des Reichsverwesers aussprach, aber der Ernennung desselben durch das Parlament mit keinem Worte gedachte. Dieser Befehl schloß mit den Worten: „Soldaten! Ueberall wo preuß. Truppen für die deutsche Sache einzutreten und nach meinem Befehl Sr. k. k. Hoheit dem Reichsverweser sich unterzuordnen haben, werdet Ihr den Ruhm preuß. Tapferkeit und Disciplin treu bewahren, siegreich bewähren.“ Nur die preußischen Garnisonen der Bundesfestungen durften[372] die Huldigungskomödie aufführen, die übrigens, wenn es „zum Klappen“ kam, dem Reichsverweser auch nicht einen Mann sicherte. Dafür aber schien Schmerling’s ganzes Spiel zu glücken: General Peucker war durch sein Huldigungsverlangen in Preußen unmöglich geworden; Preußen hatte sich durch seine Weigerung bei einem großen Theile des Parlaments unpopulärer als je gemacht. Von der Linken erhoben sich Carl Vogt, Schlöffel und L. Simon zu einem Tadelsvotum gegen die preuß. Regierung.[192] Sie hatten offenbar keine Ahnung, an wessen geheimen Fäden sie tanzten. Ihre Anträge wurden jedoch von der Mehrheit nicht für dringlich anerkannt und damit war Schmerling das Spiel schließlich doch theilweise verdorben.
Die Debatten des Parlaments verlieren mit Einsetzung der Centralgewalt viel von ihrer bisherigen Lebendigkeit. Natürlich, da nun vorläufig das Hauptwerk gethan war, und es nicht mehr anging, wie früher oftmals, Alles und noch einiges Andere bei Gelegenheit der Tagesordnung für dringlich zu erklären. Dennoch haben auch die zweite Hälfte des Juli und der August aus bestimmten Anlässen sehr aufregende politische Debatten von großer grundsätzlicher Tragweite in der Paulskirche gesehen. Den ersten Gegenstand dieser lebhaften Erörterungen bildete der Antrag des Wehrausschusses, die Regierungen möchten den Bestand ihrer Truppen bis auf ein Procent der Bevölkerung vermehren und außerdem für Kriegsfälle noch 340,000 M. bereit halten, damit die gesammte Streitmacht Deutschlands auf 910,000 M. anwachse. Die Linke erklärte sich am 7. Juli, als der Antrag zur Verhandlung kam, gegen denselben. Robert Blum berührte unzweifelhaft den Kernpunkt der Frage, als er aussprach:[193]
„Wenn es sich darum handelte, einen Krieg zu führen, und für diesen Krieg die nöthigen Mittel zu besprechen, ich würde nicht wagen, auf diese Tribüne zu treten. Aber droht uns denn wirklich ein Krieg?“ Das sei nicht der Fall, meinte er, denn das Streben der Völker gehe nicht mehr auf Eroberung, sondern auf Gründung und Sicherung der Freiheit im Innern. Von Frankreich habe ja Deutschland eben erst die Versicherung der Brüderlichkeit empfangen. Die 300 Bataillone Nationalgarde, die man dort aufgestellt, seien nach den gegebenen Zusicherungen nicht zu feindseligen Zwecken bestimmt. „Gehen Sie hinüber,“ fuhr er fort, „fragen Sie, unter welchen Bedingungen man die Bruderhand bieten wolle, und bieten Sie Ihre Hand, so werden Sie die 300 Bataillone auflösen und das Nachbarvolk befreien von der schweren Last, sie zu unterhalten.“
Diese vertrauensvolle Stimmung zur jungen französ. Republik, an deren Spitze schon Louis Napoleon Bonaparte zu treten sich anschickte, jener Republik, der schon Wochen zuvor der alte Arndt in der Paulskirche geweissagt hatte, daß sie bald wieder ihren Herrn finden werde, war in Blum erzeugt hauptsächlich durch die herzgewinnenden Phrasen des französ. Gesandten in Frankfurt Savoye, „des ehemaligen Flüchtlings“, dessen treue Ehrlichkeit Blum der Gattin in einem Briefe dieser Tage preist. Wir Heutigen lächeln über dieses naive Vertrauen auf die französ. Bruderhand. Und auch die Zeitgenossen lächelten. Der berühmte Zeichner der Paulskirche Boddien eröffnete bei dieser Rede seinen Caricaturenkampf, indem er Blum einem französ. General, der sehr unhöflich lacht, die Bruderhand bieten läßt, während im Hintergrund das ganze französ. Heer in ungeheurer Eile auseinanderläuft. Und in gleichem Sinne entschied sich die Nationalversammlung: die Antwort auf Blum’s Rede war der Beschluß (am 15. Juli mit 303 gegen 149 Stimmen), daß der Bestand des Heeres auf zwei Procent der Bevölkerung gebracht werden solle, bei allgemeiner Wehrpflicht und möglichster Einfachheit der Ausrüstung, als ein Uebergang zur künftigen[374] Bürgerwehr. An kräftiger Betonung seines nationalen Standpunktes hatte es Blum indessen auch bei dieser Gelegenheit nicht fehlen lassen. Bei dem Angriffe eines äußeren Feindes hatte er sich zu den größten Opfern bereit erklärt. „Es koste das Letzte, was wir aufzubieten hätten“, hatte er gerufen, so dürfe man sich doch dem äußern Feind gegenüber nicht wehrlos machen, „wir dürfen das nicht wollen, ohne uns selbst auszustreichen aus der Reihe der Nationen“.[194] Es war daher jedenfalls ein völlig ungerechter Vorwurf, wenn Mitte August der „deutsche Verein“ in Leipzig dieser Rede und Abstimmung Blum’s undeutsche Gesinnung unterlegte.
Die zweite der rein politischen Fragen betraf die polnische Angelegenheit und wurde am 24. Juli verhandelt. Schon das Vorparlament und der Fünfzigerausschuß hatte sich mit dieser Frage zu beschäftigen gehabt. Dort war das „schmachvolle Unrecht“, das gegen Polen begangen worden, von der deutschen Versammlung feierlich anerkannt worden, ja man hatte beschlossen, den nach der (deutschen?) Heimath zurückkehrenden Polen auch in Haufen den Durchzug durch Deutschland zu gewähren. Der Fünfzigerausschuß hatte vorsichtiger das national-deutsche Interesse gewahrt. In beiden Versammlungen hatte Blum seine polnischen Sympathien offen und beredt bekannt, aber auch kein Wort gesprochen, das die deutschen Interessen verletzen konnte. Nun schlug der Ausschuß einen Antrag vor, welcher in den gemischten Landestheilen vor Allem das deutsche Interesse auf das Sorgfältigste wahrte, den Polen dagegen auf Grund eines Beschlusses des Parlaments vom 31. Mai die „ungehinderte volksthümliche Entwickelung und Gleichberechtigung ihrer Sprache gewährleistete“. Diesen Antrag konnte kein deutscher Abgeordneter[375] bekämpfen. Aber er enthielt durch die vorläufige Genehmigung der Demarcationslinie des General Pfuel vom 4. Juni u. A. doch schon eine bestimmte Entscheidung über die Nationalitätengrenze und deßhalb beantragte Blum, die Frage erst noch durch die Centralgewalt untersuchen zu lassen. Die Rede, die Blum bei dieser Gelegenheit hielt, stieg aber weit hinaus über diese rein praktischen und nüchternen Gesichtspunkte. Sie zog das ganze Verhängniß der unglücklichen Nation in ihren Bereich. Und so weit wir vom Standpunkt des Redners entfernt sein mögen, so werden wir doch die Tiefe seiner Ueberzeugung und die Kraft seiner Worte ebenso schätzen, wie die Zeitgenossen sie schätzten, die sie hörten und anderer Meinung waren als er Blum sagte:
„Es giebt wohl kaum eine eigenthümlichere Stellung, als diejenige ist, wo ein freigewordenes oder freiwerdendes Volk entscheiden soll über das Schicksal eines dem Untergang scheinbar gewidmeten Volks. Wir haben wahrscheinlich wichtigere Beschlüsse gefaßt, als der heutige ist, wir werden vielleicht wichtigere fassen, aber wir werden schwerlich irgend einen fassen, bei dem die Gerechtigkeit so laut und so gewaltig an unser Herz schlägt mit ihren Aufforderungen, und bei der möglicherweise ein Zwiespalt entsteht zwischen den Forderungen der Gerechtigkeit und denjenigen, die das Nationalgefühl macht. Erregt schon das Unglück an und für sich eine lebendige Theilnahme, giebt es nach dem Ausspruche eines von allen Parteien und allen Richtungen verehrten Polenhelden keinen größeren Schmerz, als den eines untergehenden Volkes, weil der Gesammtschmerz der ganzen Nation sich vererbt auf die noch lebenden Glieder bis zum Letzten hinab und der Letzte ihn in seiner Gesammtheit tragen muß, wie Kosziusko in der Schweiz ausgesprochen hat; so wird diese Theilnahme noch erhöht dadurch, wenn man auf das Volk selbst einen Blick wendet und nicht blind für seine Mängel und Fehler — denn wer hätte die nicht? — dennoch genöthigt ist, ihm in der Geschichte einen der ehrenvollsten Plätze anzuweisen. Meine Herren! vergessen wir es doch ja nicht, wie lange Polen einen Wall gebildet zwischen der nordischen Barbarei und der westlichen Bildung, vergessen wir es doch ja nicht[376] in dem gegenwärtigen Augenblick, wie viel wir ihnen zu danken haben in den früheren Jahrhunderten; und wenn wir jetzt nur zu leicht geneigt sind, die Schattenseite dieses Volkes zu betrachten, vergessen wir doch ja nicht, daß dasselbe seit undenklicher Zeit in seinem Schooße den Einwanderern gewährt hat, wonach wir in Deutschland in diesem Augenblick noch ringen: daß die Gewissensfreiheit nirgends so geschützt war, als in Polen, und daß selbst die verachteten und von der ganzen Welt zurückgestoßenen Juden eine Heimath dort fanden. (Mehrere Stimmen: Bravo!) Ich würde Ihnen noch manche geschichtliche Erinnerung darbieten können aus vergangenen Zeiten Polens, ich will aber darauf verzichten: Denen aber, die so sehr bereit sind, heute das polnische Volk in den möglichst tiefen Schatten zu stellen, ihm alle Tugend abzusprechen, und alle Laster ihm anzuhängen (Unruhe auf der Rechten), muß ich zurufen, sie sollen nicht vergessen, daß wir einen großen Theil der Schuld davon tragen. Das Volk ist seit achtzig Jahren zerrissen, geknebelt und unterdrückt, und wir haben es beraubt seiner inneren Kraft und seines Landes und seiner Selbstständigkeit und seiner Freiheit. Und wenn nach achtzig Jahren Derjenige, den wir zu unsern Füßen niedergetreten haben in den Schmutz, schmutzig erscheint, dann wälzen Sie die Schuld nicht auf ihn. Es mag sehr richtig sein, daß in den Jahren so langer Unterdrückung, so langer systematisch gepflegter Demoralisation, d. h. geistiger Zerstörung, so wie äußerlicher, Manches sich an dieses Volk angehängt hat, von dem es früher nichts gekannt hat; es mag sein, daß es gesunken ist von Stufe zu Stufe; dann aber ist es um so mehr unsere Aufgabe, dazu beizutragen, daß es sich wieder erhebe, weil wir Theil haben an seinem Versinken. So paart sich mit der Theilnahme an dem Volke das Bewußtsein der Schuld unserer Väter, die wir tilgen müssen. Denn ein Volk geht nicht dahin, wie ein Mensch, ein Volk bleibt immer dasselbe, und sühnen muß das Volk, was das Volk, wenn auch ohne seine Zustimmung, in seinen damaligen einzigen Vertretern gesündigt hat. Ein Mann, den Sie wahrscheinlich nicht zu den Wühlern und Anarchisten zählen werden, ein Mann, der kaum jemals auf der linken Seite irgend eines Hauses gesessen hat, dessen staatsmännischen Verstand und dessen tiefe Gedankenfülle bei Auffassung der europäische Ereignisse aber alle Parteien anerkannt haben, hat es gesagt, „daß das der Alp sei, der unsere Geschichte, unsere Politik des achtzehnten Jahrhunderts, den Begriff der Nationalität, der Sittlichkeit, den Friedenszustand, die[377] Zukunft und das ganze Völkerrecht drücke, das Unrecht, das an Polen begangen worden sei.“ Dieser Mann — es ist der alte Gagern, dessen Namen sie mit Ehrfurcht begrüßen werden — er hat „keinen andern Schmerz über sein Dasein gekannt, keine andere Ursache es zu bereuen, als daß er in dieser Zeit der durch und durch falschen Handlungsweise — Seitens der Diplomatie und alten Herrschaft — gelebt hat.“ Er sagt es Ihnen sehr deutlich, daß „die Schuld, die begangen worden ist, nicht bloß auf Diejenigen kommt, die sie unmittelbar begangen haben, sondern auch auf Diejenigen, die sie fortsetzen dadurch, daß sie ihre Kraft nicht anwenden, um sie zu sühnen.“ Und er sagt Ihnen endlich, „daß es in Europa keinen Frieden, kein Völkerglück, keine Sicherheit der Zustände, keine auf der Gerechtigkeit fußende Zukunft und keine Freiheit geben könne, bis die Schuld gesühnt sei, die man an Polen begangen habe.“ (Vielseitiger Beifall.) Was ist bis jetzt zu dieser Sühne geschehen? Die Polen haben in einem langen Zeitraume der Unterdrückung zu verschiedenen Zeiten den Versuch gemacht, sich frei zu machen, und das Joch wieder zu brechen, welches man auf ihren Nacken gelegt hatte. Je nachdem die Zeitumstände waren, hat man das Heldenmuth und Revolution genannt; je nachdem die Zeitumstände waren, hat man sie bewundert und hat sie geschmäht. Ich will kein Urtheil darüber fällen, auf welchem Punkt wir gegenwärtig angelangt sind, aber sagen muß ich, daß es nach den Resultaten der letzten Monate auf jeden Fall Veranlassung giebt einzugestehen, daß das seit 80 Jahren unterdrückte Volk vielen andern in Europa mit dem Beispiel der Vaterlandsliebe und des nie zu vernichtenden Muthes vorangegangen ist, welches, wenn es nachgeahmt worden wäre, in unserm Vaterland uns höchst wahrscheinlich nicht auf die tiefe Stufe des Elends hätte sinken lassen können, auf welcher wir am Schlusse des vorigen und am Anfange dieses Jahrhunderts uns befunden haben. Auch jetzt, wo aufs Neue der Frühling dahinzog über die Völker, haben die Polen Theil nehmen wollen an dem werdenden Tage. Sie haben geglaubt, daß auch für sie die Stunde der Wiedergeburt geschlagen habe, und in diesem Glauben haben sie die Hand gelegt an diese Wiedergeburt, wo und wie sie konnten, und wenn Sie ihnen sagen wollen, oder sagen müssen: daß sie hin und wieder übereilt oder unbesonnen gehandelt haben, dann erkennen Sie wenigstens an, daß der Trieb, der sie geführt hat, ein edler war, und daß es um so edler ist, die letzte Kraft dem Vaterlande zu[378] weihen, jemehr dieses Vaterland unterdrückt ist, und je geschwächter die Kraft selbst ist, die man in die Wagschale legen kann. Ich will hier nicht anklagen! denn klagte ich an, ich würde in den Fehler verfallen, den ich dem Ausschuß-Berichte demnächst vorwerfen will; wie sehr auch das Herz geneigt ist, für Polen Partei zu nehmen — und es ist eine schöne Seite des menschlichen Herzens, daß es Partei nimmt für das Unglück, selbst dann Partei nimmt, wenn es möglicherweise das Unglück zu hoch, seine Gegner zu tief stellen sollte — ich will doch nicht anklagen, ich will der Mahnung des Vorsitzenden gedenken, die so hochwichtige europäische Frage mit schonender Milde zu behandeln. Ich will nicht hinweisen auf die Gefahren, die uns von Rußland drohen, und nicht ausführen, wie wir denselben einen Damm entgegenstellen können, indem wir zugleich unsre Schuld und unser Gewissen sühnen. Ich will nur fragen, wenn wir hier die Angelegenheiten der europäischen Politik, Angelegenheiten von dem gewaltigsten Gewichte nicht bloß für unser Vaterland, sondern für das gesammte Europa, entscheiden, nach welchem Principe handeln Sie denn da? Ist es die territoriale Auffassung der Dinge, die Sie bestimmt, wie das z. B. hinsichtlich Schleswig-Holsteins, der Slaven und Triests der Fall gewesen zu sein scheint? Warum sind Sie dann nicht von demselben Principe ausgegangen, wenn es sich darum handelt, ein anderes Volk zu beurtheilen, dem eine Anzahl Deutscher einverleibt ist, wie uns eine Anzahl Dänen und Slaven und Italiener, und wie sie heißen mögen? Oder ist es der Nationalgesichtspunkt, der Sie leitet? — Nun, dann seien Sie auf der andern Seite so gerecht, und wenn Sie Posen durchschneiden, um die Deutschen zu reclamiren, so schneiden Sie auch Schleswig durch, geben Sie die Slaven los, die zu Oesterreich gehören, und trennen Sie auch Südtyrol von Deutschland. — Ja, ich sage mehr: Wenn Sie ein so lebhaftes Nationalgefühl haben, und durch dasselbe allein sich leiten lassen wollen, so befreien Sie die deutschen Ostseeprovinzen von der Herrschaft Rußlands, und befreien Sie die 600,000 unglückseligen Deutschen im Elsaß, die sogar unter der Herrschaft einer Republik schmachten. (Anhaltender Beifall.) Entweder das Eine, oder das Andere ist richtig, denn sich die Politik zurechtmachen in der Art und Weise, wie sie Einem eben für den Augenblick paßt, das ist nach meiner Ansicht gar keine Politik. — Ich will aber auch hier mild sein, und sagen: es ist möglich, daß nach einer 80jährigen Unterdrückung für die Polen auch die Nothwendigkeit eingetreten ist, einen[379] Theil ihres Bodens abzugeben; es ist möglich, daß es eine Nothwendigkeit ist, eine Linie zu ziehen; es ist möglich, daß die Freiheit wie die Gerechtigkeit Dieses gebieten können — dann können Sie diese Frage nur entscheiden, wenn Sie mit all der Gründlichkeit, die eine schöne Eigenthümlichkeit unsers Volks ist, diese Nothwendigkeit nachweisen. Ich suche vergebens in diesem Berichte auch nur im Allerkleinsten einen Nachweis, und muß bekennen, ich begreife es nicht, wie ein solcher Bericht in einer deutschen Volksvertretung nur hat gemacht und vorgelegt werden können. Nichts ist darin, als Angaben auf Zeitungsgeschwätz hin, nicht eine einzige Nachweisung ist darin, wo eine vernünftige Grenze in Polen ist, nirgends ist eine Nachweisung über das wahre Bevölkerungs-Verhältniß, oder über die topographische Lage der Dinge, nicht eine Tabelle oder Karte, die belehrte, gar nichts. In Bausch und Bogen sollen Sie entscheiden, ohne Kenntniß der Dinge, über eine Frage, die uns in größere Verwickelungen stürzen kann, als es in dem europäischen Leben noch gegeben hat! Muß man einen Schnitt machen in das Land, so kann man diesen Schnitt nur machen in Uebereinstimmung mit Denen, die diese Territorial-Verhältnisse festgestellt haben; wenn man das Beispiel von Krakau wiederholt, so wundere man sich wenigstens nicht, wenn die europäischen Verträge, die für uns keine Geltung haben, wo sie uns oder der übertriebenen Eroberungslust unserer jungen und zweifelhaften Freiheit unbequem sind, auch von Andern nicht mehr geachtet und nicht mehr als bestehend anerkannt werden; wundern wir uns nicht, wenn in dem Augenblicke, wo wir Alle auf das Innigste betheiligt sind, daß das Gewordene sich befestige, bei uns und bei unsern Nachbarn die Partei kommt und Volksleidenschaft auf ihrer Seite, die als erste Verkündigung ihres Sieges von der Tribüne herab erklärt: „Polen soll befreit werden, wenn nicht durch unsere Vermittelung, durch unsere Waffen.“ Dann geben Sie die Zukunft der Welt preis dem ungewissen Schicksale eines langen und blutigen Krieges, dann vernichten Sie vollständig den Wohlstand des Volkes, der jetzt so tief erschüttert ist, und so nothwendig hat, sich wieder zu erholen. Ich will nichts von Ihnen als den Ernst und die Prüfung, die uns nothwendig ist, eine Prüfung, die man selbst als nothwendig erkannt hat, wo man tiefer betheiligt ist bei diesen Angelegenheiten, als wir es für den gegenwärtigen Augenblick sind. Die preußische Regierung, welche die Theilung Polens ausgeführt hat, hat die Nothwendigkeit anerkannt, die Akten wieder aufzunehmen und näher[380] anzusehen, was damals geschehen ist; sie hat im Vereine mit ihren Vertretern eine neue Untersuchung angeordnet und einer Commission der dortigen Volksvertreter übertragen, oder mindestens übertragen lassen; sie wird die Berichte dieser Commission erwarten und sie wird, ich zweifle nicht, darnach handeln. Mehr verlange ich auch nicht. Man kann die Völkerschicksale nicht anhalten: haben die Polen uns ein Stück Boden, und haben sie uns so und so viel deutsche Bewohner abzugeben, wohlan, so mögen sie dieses Schicksal tragen, wie manches andere harte Schicksal, das sie haben tragen müssen; aber man zeige ihnen nicht mit Shrapnells, sondern mit Gründen der Vernunft und der Nothwendigkeit, daß sie es müssen; man zeige es ihnen im Angesichte von Europa, und erst dann, wenn sie mindestens wieder angefangen haben, ein Volk zu sein, nicht jetzt, wo sie gebunden sind an Händen und Füßen, und wo wir nicht mit ihnen unterhandeln, sondern ihnen nur abnehmen können, was wir haben wollen. Man thue ihnen, den Schwachen und Unglücklichen, gegenüber, was man gegenüber von Rußland und Frankreich that, weil sie stark und gewaffnet sind; man wende ihnen zu, was ihnen gebührt: die Schonung, die das Unglück in so hohem Grade in Anspruch nimmt, und man behandle sie eher milder, als härter denn andere Völker; das ist das Einzige, was ich beantrage. Beauftragen Sie die Gewalt, die Sie geschaffen haben, mit eigenen Augen zu sehen, nicht mit den trüben Augen, die die gegenseitigen Parteischriften hervorgerufen haben; gedenken Sie an die Worte des Dichters, „daß von der Parteiengunst und Haß entstellt das Charakterbild der Zustände in der Geschichte schwankt.“
Lassen Sie Ihren verantwortlichen Minister Ihnen gegenübertreten, von dieser Tribüne herab Ihnen sagen: „Das ist nothwendig,“ und wenn er das sagt und mit Gründen belegt, dann werden Sie ruhig der Nothwendigkeit gehorchen können. Indem ich also nichts von Ihrer Gerechtigkeit verlange, als eine Untersuchung der Sache, schließe ich mit den Worten einer Herrscherin, die betheiligt war bei der Theilung Polens. Sie sagte: „In dieser Sache, wo nicht allein das offenbare Recht himmelschreiend gegen uns ist, sondern auch alle Billigkeit und die gesunde Vernunft wider uns ist, muß ich bekennen, daß zeitlebens ich nicht so geängstigt mich befunden und mich sehen zu lassen schäme. Bedenke der Fürst, was wir aller Welt für ein Exempel geben, wenn wir um ein elendes Stück von Polen unsere Ehre und Reputation[381] in die Schanze schlagen.“ Das schrieb Maria Theresia an Kaunitz. (Stürmisches Bravo von der Linken.)“
Es bedarf kaum der Erwähnung, daß Blum’s Antrag verworfen, derjenige des Ausschusses angenommen wurde. Bemerkenswerth war die dreitägige Debatte (die am 27. Juli endigte) weniger durch die meisterhafte Rede Janisczewski’s — obwohl sie die maßvollste und hinreißendste Rede für die Sache der Polen war, die je in deutschen Parlamenten gehalten worden ist — als durch den Verfall an Disciplin, der sich schon da auf Seiten der Linken offenbarte. Wilhelm Jordan, der noch bei der namentlichen Abstimmung über die Person des Reichsverwesers als der Erste seine Stimme für Itzstein abgegeben, sagte sich entschieden los von dem Standpunkt der Linken. Wer die deutschen Bewohner von Posen den Polen hingeben wolle, sagte er u. A., der sei mindestens ein unbewußter Volksverräther. Blum verlangte infolge dieser Rede noch am nämlichen Abend im Club des „deutschen Hofes“ die Ausstoßung des bisherigen Genossen. Doch drang er mit diesem Antrag nicht durch. Und als Blum’s Amendement im Parlament mit 333 gegen 139 Stimmen verworfen wurde, entfernten sich die meisten Abgeordneten der Linken, weil sie, nach Blum’s Erklärung, über den Stand der Dinge nicht ausreichend belehrt seien. Diese Secession war nicht so bösartig, wie die Hecker’s und seiner Freunde im Vorparlament, da die Ausscheidenden sich schon an der Schlußabstimmung wieder betheiligten. Aber von dem schönen Pflichtgefühl „die Mehrheit zu ehren“, das Blum damals verkündigt hatte, war die Linke doch schon ein ganzes Stück abgekommen.
Noch weit stürmischer waren die Verhandlungen über die Amnestie der Männer, die sich an den bisherigen Aufständen,[382] namentlich dem Badischen betheiligt hatten, und über die Gültigkeit der Wahl Hecker’s zum Parlament, welche der badische Wahlkreis Thiengen vollzogen hatte. Beide Fragen wurden von der Nationalversammlung mit großer Mehrheit verneint: die Amnestie wurde verworfen und Hecker’s Wahl für „ungültig und unwirksam“ erklärt. Aber die dreitägigen Debatten darüber (7. bis 10. August) waren die ordnungslosesten und widerwärtigsten, welche die Paulskirche je gesehen, hauptsächlich infolge des Ungeschicks der Leitung durch v. Soiron am 7. und 8. August. Die Linke wurde wirklich ungerecht von ihm behandelt, das Wort ihr abgeschnitten, so daß diesmal ihre zeitweilige Entfernung gerechtfertigt war. Selbst der milde Löwe-Calbe konnte erst am dritten Tage zur Versöhnung sprechen. Von da an war v. Soiron von allen Parteien als Vicepräsident aufgegeben. Blum hat sich an beiden Debatten nicht betheiligt. Nur aus einer der Abstimmungslisten ersehen wir, daß er zu den „Abwesenden“ der Linken gehörte[195] und aus der andern, daß er gegen die Ungültigkeit der Wahl Hecker’s stimmte; mit ihm stimmten übrigens auch Biedermann, Uhland, v. Wydenbrugk, Riesser u. A.[196] Denn sehr zweifelhaft lag hier die Rechtslage.
Die Hauptarbeit des Parlaments bildete vom 3. Juli an bis zum December die Berathung der sog. Grundrechte, jenes Abschnittes der künftigen Verfassung, welchen der Verfassungsausschuß zuerst der allgemeinen Discussion unterbreitete, da über die Freiheiten, die Grundrechte des Volkes, leichter und schneller allgemeines Einverständniß erhofft wurde, als über die Grundformen der künftigen Verfassung: die Spitze des Reiches und[383] dessen Verhältniß zu den einzelnen Gliedern (Regierungen). Doch selbst die Hoffnung einer raschen Durchberathung der Grundrechte erwies sich bekanntlich als eine durchaus trügerische. Bis zum 12. September waren erst 16 Paragraphen berathen, erst am 13. October war die erste Lesung zu Ende gediehen. Gleich Anfangs häuften sich die angeblichen Verbesserungsanträge in solcher Weise, zeigten die Schleußen der Beredsamkeit sich so wohlversorgt, daß ein kühler Statistiker der Versammlung prophezeihte, man werde nach dem Maßstab der ersten vier Tage im Ganzen 4380 Reden über die Grundrechte hören müssen, und im April 1850 damit zu Ende kommen! Robert Blum hat äußerst wenig zur Verlängerung dieser Discussion beigetragen. Bei den namentlichen Abstimmungen, welche diese Berathungen bis zu seiner Abreise nach Wien (Mitte October) herbeiführten, stimmte er für Aufhebung des Adels und der Todesstrafe; gegen die unbedingte Unabhängigkeit der Kirche vom Staat; gegen das Verbot von Volksversammlungen unter freiem Himmel bei dringender Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung; für unentgeltliche Aufhebung der aus dem grund- und schutzherrlichen Verbande herstammenden Leistungen und Abgaben, soweit sie nicht erweislichermaßen als ein Theil des Kaufpreises bedungen worden sind; für unentgeltliche Aufhebung der Jagdgerechtigkeit; für Aufhebung der Fideicommisse aller Art. Es kann hier nicht die Aufgabe sein, den Werth dieser Grundrechte zu prüfen, die, wie das ganze Verfassungswerk der 1848er Nationalversammlung, fast überall leider nur auf dem Papier Geltung erlangten. Doch gegenüber der oft gehörten Behauptung, daß die heutige deutsche Reichsverfassung und -Gesetzgebung in den Freiheiten, die sie dem Volke gewähre, noch weit hinter den Grundrechten von 1848/49 zurückstehe, zeigt eine einfache Prüfung der heutigen Gesetzgebung, daß die[384] wirklich werthvollen und inhaltreichen Freiheiten der „Grundrechte“ heute in Deutschland alle errungen sind.[197]
Immer mehr wurde Robert Blum’s Interesse übrigens von diesen langathmigen Berathungen abgelenkt, immer dringlicher erheischten die Sächsischen Zustände seine aufmerksame Beobachtung, sein persönliches Eingreifen.
Schon oben ist an der Hand der eigenen Briefe Blum’s geschildert worden, in welcher Verwirrung sich seine Partei bereits zur Zeit der Parlamentswahl in Leipzig befand. Nun mag man immerhin annehmen, daß ein Theil dieser Wahlverwirrung auf Mißverständnisse und Versäumnisse Einzelner zurückzuführen ist. Indessen sehr bald traten tiefere Spaltungen in dem großen Verbande der Sächsischen Vaterlandsvereine zu Tage, die sich bei Blum’s Wahl nur nothdürftig ausgeglichen hatten. Die Meinungsverschiedenheit der Gemäßigteren (unter Wuttke, Bertling, Rüder, Cramer in Leipzig, den Dresdnern Bromme, Blöde, Minckwitz, Herz u. s. w.) im Gegensatz zu den „Entschiedeneren“ (unter Jäkel und Ruge, so lange dieser vor seiner Wahl ins Parlament in Leipzig blieb, Binder, Ludwig u. A.) erwies sich auf die Dauer als unheilbar. Die „Entschiedenen“ wollten die Herstellung der Republik baldigst in Angriff nehmen. Jede Regierungshandlung, jeder Gesetzesvorschlag des freisinnigen Märzministeriums fand an ihnen unerbittliche Tadler. Oft vergebens warnten die Maßvolleren vor allzu extremen Beschlüssen. Gleich wohl beanspruchten und etablirten die unaufhörlichen Beschlüsse, Mißtrauensvoten, Ermunterungs- und Entrüstungsadressen der Vaterlandsvereine, die bis zum September wenigstens der Regierung[385] und andern Parteien gegenüber leidlich geschlossen auftraten, geradezu eine Art Vice- oder Contreregierung. Sie übten einen Druck auf die legitime Regierungsgewalt, welchem kein Minister sich ganz zu entziehen vermochte. Bei jedem Schritt, den man in den Regierungskreisen that, warf man ängstlich die Frage auf: was werden die Vereine dazu sagen? Und die letzteren zauderten nie lange, den bangen Zweifel der Regierung zu lösen, freilich selten in ganz erwünschter Weise. So kräftig als möglich suchten die „Deutschen Vereine“ die Regierung zu stützen, gegen ungerechte Angriffe zu vertheidigen, ihre Anschauungen zur Kenntniß der Regierung zu bringen.
Bei den Ergänzungswahlen zum Landtage hatte die Partei der Vaterlandsvereine einen ebenso vollständigen Sieg erfochten, als bei den Parlamentswahlen. Einer der Ihrigen, der schlichte brave Weber Rewitzer aus Chemnitz wurde zum Präsidenten der zweiten Kammer erwählt. Der Sächsische Landtag wurde am nämlichen Tage eröffnet, wie das Frankfurter Parlament. Am 21. Mai trat er in die Berathung seiner Geschäfte, deren Hauptgegenstand das neue Wahlgesetz bilden sollte. Schon am 22. Mai gaben die Vertreter der Ritterschaft in beiden Kammern die hochherzige Erklärung ab, daß sie bereit seien bei Feststellung des neuen Wahlgesetzes und auch sonst die Privilegien ihres Standes zu opfern. Damit war die größte Schwierigkeit, die einer zeitgemäßen Umwandlung des Sächsischen Wahlgesetzes und einer veränderten Stellung der beiden Kammern zu einander im Wege gestanden wäre, von Anfang an beseitigt. Aber unbegreiflicher Weise nutzte die Regierung die Gunst der Lage nicht aus, sondern schlug in ihrem Wahlgesetzentwurf nur eine Reform des Wahlgesetzes für die zweite Kammer vor, ließ die erste Kammer völlig unverändert und wollte die entscheidendste Principfrage: ob Ein- oder Zweikammersystem? dem nächsten Landtag[386] überlassen. Diese Halbheit fand Tadel bei allen Parteien. Nachdem die Linke in ihrem Verlangen auf Einführung des Einkammersystems mit 31 Stimmen unterlegen war, beschloß die Kammer, daß das Wahlgesetz der Regierung ohne eine gleichzeitige Reform der ersten Kammer nicht annehmbar sei, und demgemäß zog Oberländer am 7. Juli den Entwurf mit der Erklärung zurück: die Regierung werde unter Benutzung der dargelegten Ansichten sofort an die Ausarbeitung eines neuen Wahlgesetzes gehen, dessen Berathung die letzte Arbeit der Stände, in ihrer gegenwärtigen Zusammensetzung bilden solle.
Durch diese Vorgänge in Dresden war der Agitation der Parteiführer in den Vereinen, den Versammlungen und in der Presse von neuem der reichste, dankbarste Stoff zugeführt. Läßt sich doch am Wahlgesetz, an den Befugnissen der Abgeordneten und der Zusammensetzung parlamentarischer Körperschaften mit am besten die Natur eines Staates erkennen. So pries denn jede Partei schleunigst ihr Ideal von Wahlgesetz und Kammerwesen dem Lande. Ungestüm verlangte die Presse und Agitation der Vaterlandsvereine das Einkammersystem. Die Frage war um so wichtiger, als schon am 3. Juli die Regierung — die erste in Deutschland — die Centralgewalt anerkannt, zugleich aber auch ausgesprochen hatte, daß das künftige deutsche Verfassungswerk mit ihr vereinbart werden müsse, die Annahme der Frankfurter Beschlüsse von der Zustimmung der Sächsischen Kammern abhängig sei. In diesen ruhte also vielleicht einmal die wichtigste Entscheidung der Deutschen Frage. Mit Nachdruck hatte sich Tzschirner, der Führer der äußersten Linken in Dresden, gegen diese Erklärung der Regierung erhoben und von der Regierung verlangt, daß sie alle Beschlüsse der Nationalversammlung ohne Weiteres für rechtsverbindlich erachte. Das war seit dem Ausgange der Bewegung im März die Ansicht aller Liberalen[387] im Lande gewesen, von den Vaterlandsvereinen an bis zu den deutschen Vereinen. Zur Zeit, als die Regierung zum ersten Male ihren Vereinbarungsstandpunkt bekannte, und unter Hinweis auf den § 2 der Verfassungsurkunde begründete,[198] wäre es noch leicht gewesen, die Zustimmung einer großen Mehrheit in beiden Kammern und des Königs selbst — da dieser sich damals noch zu jedem Opfer für die Deutsche Sache bereit zeigte — für die entgegengesetzte Meinung (die Tzschirner’s) zu erlangen und dadurch dem Lande später die schwersten und blutigsten Kämpfe, dem Ministerium die größten Schwierigkeiten zu ersparen. Aber schon bei Vorlegung des Decrets der Regierung über Anerkennung der Centralgewalt folgte ein Theil der Linken des Landtags dem Leitmotiv Schaffrath’s in seiner Frankfurter Rede über die Centralgewalt, dem ja auch Blum sich in seiner Rede vom 24. Juni angeschlossen hatte[199] und verlangte geradezu, daß die deutsche Verfassung, wenn sie in Frankfurt beendet sei, den einzelnen Ständeversammlungen zur Berathung und Beschlußfassung im Einzelnen vorgelegt werden müsse. Damals erhob selbst v. d. Pfordten noch Widerspruch gegen diese ungeheuerliche Forderung des souveränen Particularismus. Aber noch rascher als bei ihm vollzog sich ein völliger Umschwung der Meinungen bei dem Theil der Linken und der äußersten Linken, die bisher an der Souveränität der verfassunggebenden Nationalversammlung festgehalten hatte. Je weniger Aussicht sich zeigte, daß ihre extremen Ansichten in Frankfurt verfassungsmäßige Anerkennung finden würden, um so mehr verleugneten sie die Souveränität des Parlamentes, verlegten[388] sie die ganze Machtvollkommenheit des Volkes in die Landtage der Einzelstaaten, da sie hier noch die Mehrheit hatten. Bald ging auch Tzschirner und seine Fraction ins Lager der Particularisten über. Unleugbar hat die Linke in Frankfurt hierzu Anregung und Leitung gegeben. Daß Blum sich zu dieser Entfesselung der unreinen Leidenschaften des Particularismus mit hergab, ist, wie schon früher bemerkt wurde, zweifellos und wird sogleich urkundlich belegt werden. Darin besteht seine größte Verschuldung.
Zur Verhandlung über all diese wichtigen Fragen hatten die Vaterlandsvereine Sachsens eine Generalversammlung zum 9. Juli nach Dresden einberufen. An sie richtete Blum die nachstehende Zuschrift,[200] die deutlich zeigt, wie wirksam inzwischen auch die deutschen Vereine gearbeitet hatten, mit welch ernster Besorgniß das Anwachsen der Gegner von Blum betrachtet wurde, mit welchen Mitteln er sie zu bekämpfen sich anschickte:
Adresse: „An den Vorstand des deutschen Vaterlandvereins zu Dresden.“ Text des Briefes: „An die Generalversammlung des sächs. Vaterlandsvereins.
Lieben Freunde und Mitbürger!
Vor Allem Gruß und Handschlag aus weiter Ferne und dabei das aufrichtige Bedauern, nicht in Eurer Mitte sein zu können an dem Tage, wo Ihr gemeinsam berathet über das Wohl, das politische Leben und den Fortschritt unseres schönen engeren Vaterlandes Sachsen. Möge der Geist der Freiheit walten über Euch, damit Ihr Beschlüsse faßt, welche ihre Freunde vermehren und stärken, ihre heuchlerischen Feinde aber, welche so frech wieder das Haupt erheben, entlarven und vernichten. — An diesen Gruß und Wunsch knüpft sich eine directe Frage, welche zu beantworten ich dringend bitte. Zwar soll der Abgeordnete keine Instruction annehmen, sondern stimmen nach seinem Gewissen; ich will auch eine solche nicht und könnte nicht um ein Haarbreit weichen von meiner[389] Ueberzeugung durch eine solche. Aber wir sind nicht Abgeordnete von Gottes Gnaden, sondern durch des Volkes freie Wahl, im Volke beruht unsere Stütze, unsere Kraft, unser Lebensnerv, und deshalb ist es eben so sehr unsere Pflicht als unser Bedürfniß, zu fragen: was das Volk will und denkt?
Dies geschieht denn nun hiermit: Als der Verfassungsentwurf der Siebenzehn Vertrauensmänner mit der Mißgeburt eines deutschen Kaisers in Sachsen bekannt wurde, erhoben sich von dort — wie fast aus ganz Deutschland — sofort zahlreiche Stimmen gegen diesen verschrobenen Gedanken; von Vereinen und Volksversammlungen kamen Eingaben an den Fünfziger-Ausschuß wie an die Nationalversammlung gegen diesen Kaiser und es ist sehr mäßig, wenn ich die abgegebenen Stimmen in dieser Beziehung auf 20,000 schätze. — Das stimmte mit den Ansichten der sächsischen Abgeordneten (mit Ausnahme der Herren Biedermann, Herrmann, Koch und Zöllner, deren politische Genossenschaft wir entschieden ablehnen) vollkommen überein. Sie wollen keinen deutschen Kaiser, keine neue Civilliste, keine neue schwere Belastung des Volkes; sie wollen noch weniger ihr Vaterland aufs Neue den Stürmen und Gefahren Preis geben, die ihm drohen wenn der fürstliche Ehrgeiz nach dieser Gewalt ringt, oder wenn der Inhaber dieselbe für dynastische oder Privatinteressen mißbraucht. Aber wie sie kämpfen werden gegen jene unzeitgemäße Schöpfung, so würden sie kämpfen mit aller Kraft gegen jeden Eingriff in die Verfassung des Einzelstaates; dort soll und muß neben der gesetzlichen Freiheit die volle Unabhängigkeit bestehen, die neben der Einheit möglich ist; die Staatsform, für welche das Volk sich in seiner Mehrheit ausspricht, auf gesetzlichem Wege ausspricht, darf nicht angetastet werden und sollte — was gar nicht denkbar ist — die National-Versammlung jemals sich mischen wollen in diese Verhältnisse, wir würden es nimmermehr dulden, würden für Sachsens Selbstständigkeit in dieser Beziehung mit aller Entschiedenheit in die Schranken treten.
Diese glückliche Uebereinstimmung der sächsischen Abgeordneten mit ihren Vertretern war um so erfreulicher, als ein Zeichen entgegengesetzter Meinung gar nicht zu Tage kam. Das ist seit einigen Tagen anders: Eine Adresse aus Leipzig mit 9,600 Unterschriften aus dem ganzen Lande bedeckt, ist bei der Nationalversammlung eingegangen und spricht sich gegen die Republik aus. Dagegen wäre gar nichts zu haben, wenn nicht diese Adresse in absichtlicher Zweideutigkeit es unentschieden[390] ließ, gegen welche Republik, ob gegen eine sächsische, oder gegen eine deutsche man sich ausspricht. Sind republikanische Bestrebungen in Sachsen entstanden, (was ich nicht weiß) und ist die Adresse gegen diese gerichtet, so gehört sie nicht in die Nationalversammlung, das haben die sächsischen Kammern zu entscheiden; vorbereitet und bekämpft muß diese Frage werden in der Presse, in Vereinen, Volksversammlungen u. s. w., die Nationalversammlungen geht das nichts an. Bezieht sie sich aber auf den Gesammtstaat, will sie also den deutschen Kaiser, so hätte sie dies aussprechen sollen und müssen; es wäre dann gewiß nicht die Unbegreiflichkeit vorgekommen, daß Namen, welche sich gegen den deutschen Kaiser aussprechen, auch unter dieser Adresse stehen, wie dies thatsächlich der Fall ist. — Deshalb wende ich mich an Euch, lieben Freunde und Mitbürger, und bitte Euch, bringt Klarheit in diese dunkle Sache; fordert durch die Mittel der Oeffentlichkeit eine offene Erklärung von den Urhebern und Unterzeichnern über ihre Absichten; duldet eine Täuschung des Volkes nicht, welche hier zu Grunde zu liegen scheint; laßt die Lüge, die große Krankheit — nicht unserer, sondern der vergangenen Tage — nicht aufs Neue ihr Haupt erheben. Polizei und Censur haben die Lüge geboren, laßt die häßlichen Eltern nicht überlebt werden von der häßlicheren Tochter; laßt uns klar sehen über die Ansicht des sächsischen Volkes in dieser Sache. Ihr seid die Vertreter von mindestens 25,000 Mitbürgern, deren politisches Wollen und Streben uns innig verwandt ist; laßt uns und die Welt nicht in Zweifel über den Sinn und die Bedeutung dieser räthselhaften Erscheinung aus Sachsen.
Daß diese Adresse zu einer Demonstration gegen den Unterzeichneten benutzt worden ist; daß man zugleich mit ihrer Ankunft in allen hiesigen Zeitungen (d. h. in allen süddeutschen) die Nachricht verbreitet hat, es sei das Vorkommen dieser Adresse eine moralische Nöthigung für mich, mein Mandat niederzulegen, daß man die Adresse mit dieser Meinung mittelst Placat an den Straßenecken Frankfurts angeschlagen hat — das bestimme Euch durchaus nicht. Diese Benutzung der Adresse ist — ich weiß das genau — nicht aus Leipzig, nicht aus Sachsen hervorgegangen. Es erfüllt mich mit hohem Selbstgefühl, ja mit Stolz, daß man solche Mittel gegen mich, das Mitglied einer nicht zahlreichen Minderheit in Bewegung setzt. Wie gefährlich muß ich den Menschen sein, die mich mit den Waffen schwächen und stürzen wollen. Es liegt[391] vor Euch, lieben Freunde und Mitbürger, wie und durch welche Mittel ich wirke: es ist die Aussprache meiner Ueberzeugung durch das einfache gerade Wort. Wer dagegen mit solchen Waffen streitet, der schadet nicht mir, sondern sich selbst. Wenn meine Aufgabe vollendet ist, werde ich Freund und Feind entgegentreten mit klarer Darlegung meines Thuns. Die Zustimmung der Gegner kann ich mir nicht erwerben; aber die Achtung, welche ein überzeugungstreuer, offener, ehrlicher Kampf fordern kann, die wird mir kein ehrlicher Mann versagen können.
Zieht, lieben Freunde und Mitbürger meine Bitte in Betracht und thut, was Eures Berufes ist. Von Herzen begrüße ich Euch Alle und jeden Einzelnen in eigenem und der Genossen Namen! Der Himmel segne Euer Bestreben und erhalte Eure Theilnahme Eurem treuergebenen
Frankfurt, am 6. Juli 1848.
Robert Blum.“
Indessen nur wenige grundsätzliche Entscheidungen fällte die Generalversammlung der Vaterlandsvereine zu Dresden. Sie forderte ein Wahlgesetz mit dem Einkammersystem, directe Wahlen, ohne Censur und ohne Standesunterschiede. Im übrigen aber folgte sie dem so heftig getadelten Beispiel der Regierung in der Wahlgesetzfrage, indem sie alle Fragen, die zu einer Trennung der Partei hätten führen können, hübsch vertagte. Vertagt wurden vor Allem sämmtliche Anträge der „Entschiedenen“ unter Jäkel’s Führung: der Antrag auf sofortige Berufung einer constitutionellen Versammlung; der Antrag, sich für die demokratische Republik zu erklären und nach ihrer Herbeiführung mit allen humanen Mitteln zu streben. Zum Trost für die ungeduldigen Republikaner wurde erklärt, diese Frage solle öfters zur Besprechung gebracht werden, um aufklärend und bildend für diese beste Staatsform zu wirken. Heftiger wollte man vorläufig nicht drängen, da der Lieblingsminister der Vaterlandsvereine, Oberländer, am 7. Juli erklärt hatte: „Die Reform der öffentlichen Zustände dem Volke zu verschaffen, ist die Regierung fest entschlossen. Sollte das Ministerium hierbei auf[392] der einen oder anderen Seite unüberwindliche Schwierigkeiten finden, so würde es seine Mission als beendigt betrachten müssen.“
Diese Haltung der Vaterlandsvereine machte ihrer politischen Klugheit Ehre und gewann ihnen von neuem die Sympathien weiter Kreise im Lande. Um so schonungsloser aber donnerte nun Jäkel und sein Generalstab gegen die „Halben“ und „Lauen“. Immer unhaltbarer erschien die Verbindung aller der Elemente, die bisher der gemeinsame Name „Vaterlandsverein“ gedeckt hatte. An Blum wandten sich beide hadernde Theile wiederholt um Schiedsspruch, gewissermassen um eine Offenbarung e cathedra. Beide sprachen ihre gegenseitige Verachtung in ihren vertraglichen Briefen an Blum mit größter Entschlossenheit aus. Doch Blum hielt sich keineswegs für unfehlbar und schwieg daher vorläufig. Mehrmals reisten Joseph und Schaffrath nach Leipzig und Dresden, um sich über die Sachlage zu unterrichten, aber auch sie kehrten ohne feste Meinung zurück. Im Allgemeinen waren ihre Sympathien mehr bei den Gemäßigten. Daß Blum in Sachsen nothwendiger sei als je, daß die Einheit des Vereins, wenn irgend möglich, erhalten werden müsse, erklärten sie bestimmt. Daran ließ sich nun vollends nicht mehr zweifeln, als mit Blum’s Rede in der Polenfrage auch Prof. Wuttke, bisher der Führer der gemäßigten Richtung des Vaterlandsvereins, sich verdrossen von Blum und dem Verein abwandte. So schreibt denn Blum schon am 22. Juli an die Gattin: „Nach Sachsen komme ich jedenfalls in den nächsten vier Wochen, denn man schreibt mir von allen Seiten, daß es nothwendig sei und ich sehe das selbst ein“. Aber er verspricht sich nicht einmal viel von seiner persönlichen Einwirkung auf die Partei, wie er am 2. August der Frau mittheilt:
„Ich habe bei meinen Freunden angefragt wegen meiner Reise, ob sie möglich ist. Ob sie zweckmäßig ist, das weiß ich freilich nicht,[393] denn nach allen Nachrichten ist in Sachsen Alles, Alles geändert; man weiß nicht mehr, was man will, und nicht was man soll; an den besten, ehernsten, geprüftesten Menschen wird man irre. Es ist wirklich furchtbar: wir stehen jetzt nicht einmal mehr auf dem Standpunkte vom Januar d. J., sondern auf dem von 1837. Wie man jetzt noch halb, unentschieden, zweideutig sein kann, das ist mir unerklärlich. Es gilt nur siegen oder sterben, und wer das erstere will, muß zeigen, daß er zum letzteren bereit ist. Wahrlich, aber ich finde in Leipzig keinen Menschen mehr, der dazu entschlossen scheint. Man scheint mir es leicht machen zu wollen, Leipzig zu entbehren; denn wenn es ist, wie ich’s von hier aus ansehe, dann werde ich freudig den Staub von meinen Füßen schütteln. Indessen wir wollen sehen[201].“
Am 7. August schon ist die Reise nach Leipzig fest beschlossen. „Ich denke, daß ich vier Tage, vielleicht sogar bis Montag den 21. dort bleiben kann“, schreibt er der Frau. „Das ist allerdings der äußerste Zeitpunkt. Sollte man irgend einen Empfang veranstalten wollen, so wirke dagegen wo und wie Du kannst, ersuche auch meine Freunde darum, daß sie in gleichem Sinne wirken“. In der Nacht vom 11. bis 12. August schreibt er nochmals an die Gattin, daß er Montag den 14. komme und: „Empfangen will ich nicht sein, weil ein allgemeiner Empfang nicht denkbar ist, ein Parteiempfang aber besser unterbleibt, bis ich sehe, wie Alles steht“.
Seine Ankunft in Leipzig verzögerte sich indessen noch bis Dienstag den 15. August. An diesem Tag endlich sah er die[394] langentbehrten Seinigen wieder, die Gattin, die Kinder, denen er Kuchen und Geschenke von der Frau hatte besorgen lassen, da er in Frankfurt keine Zeit zum Einkauf hatte. Was er in Frankfurt monatelang entbehrt um des Vaterlandes willen, ermaß er hier erst, da er sich wieder umringt sah von seinen fröhlichen Kindern, im Frieden des eigenen Hauses. Und die Größe der Opfer, die er gebracht, würdigen wir erst in ihrem vollem Maße, wenn wir von ihm hören, wie leidend er die Gattin wieder sah nach ihrem langen Krankenlager. Ihr mochte er nur mit tiefem verhaltenen Schmerz ins Auge blicken. Am 29. August, nach seiner Rückkehr nach Frankfurt, schrieb er darüber an Mutter und Schwestern: „Jenny hatte sich mühsam und eben wieder etwas erholt, war aber noch keineswegs wieder gekräftigt. Meine Vermuthung, daß sie die Auszehrung habe, bestätigt sich, und ich weiß wahrlich nicht, ob ich es preisen oder beklagen soll, daß ich hier bin. Zeuge einer Krankheit zu sein, die mit furchtbarer Langsamkeit den Menschen aufreibt, ist entsetzlich; fern zu sein, ist um so entsetzlicher, als bei der Zunahme der Kraftlosigkeit die Kinder natürlich verwildern und den Vater doppelt bedürfen“. Glücklicherweise war diese Befürchtung irrig. Aber für die Schätzung der Pflichterfüllung, die Blum dem Vaterland leistete, ist dieser Umstand von entscheidender Bedeutung.[202]
Natürlich durfte Blum auch in Leipzig nicht hoffen auf ein idyllisches Stillleben im Familienkreise. Tag und Nacht nahmen die politischen Freunde den Volksmann in Beschlag mit Versammlungen, Volksfesten, Ehrenbezeugungen aller Art. Was[396] immer das Herz des Mannes mit Stolz und Freude erfüllen kann, hat damals Leipzig seinem Abgeordneten geboten. Noch heute leben jene Festestage, die Robert Blum von der ganzen Bevölkerung der Stadt dargebracht wurden, in der Erinnerung des Volkes, namentlich der gewaltige Fackelzug, der an seinem bescheidenen Hause in der Eisenbahnstraße vorüberwallte, über eine Stunde lang, mit zehntausend Fackeln. Noch unvergessener ist die Rede, die Blum am 16. August 1848 im Garten des Schützenhauses vor zehn- bis zwölftausend Hörern hielt. Er gab hier einen Rechenschaftsbericht über sein Verhalten im Vorparlament, im Fünfzigerausschuß und der Paulskirche. Kaum konnte ein Redner besser und klüger sprechen, der den Zweck verfolgte, die in sich verfeindeten Freunde wieder zu einigen und alle Kreise der Bürgerschaft Leipzigs, welche während der langen Abwesenheit des Abgeordneten seinen Gegnern ihr Ohr geliehen, wieder zu sich heranzuziehen in dem alten Vertrauen. Auch seine Gegner mußten zugestehen, daß diese Rede durch ihre maßvolle Ruhe und ihre loyale Erklärung, sich den Beschlüssen der Mehrheit des Parlamentes unterzuordnen, alle ihre Erwartungen übertroffen habe. Blum sagte:
„Ich beginne damit, daß ich nach langer Abwesenheit einen herzlichen Gruß an Sie richte, den Gruß, den man den Seinen bringt (Stimmen: es lebe Blum!) bei endlichem Wiedersehen. Denn was wäre unser Sein und unser Wirken, wenn wir uns nicht als eine Familie mit den Bürgern betrachten wollten, die wir zu vertreten die Ehre haben? Eine gewaltige Zeit ist in unserm Vaterlande dahingegangen, seit wir uns nicht gesehen. Ein Theil des sächsischen Volkes hat mich gesendet zu dem Vorparlamente in einer Zeit, die einzig in ihrer Art dasteht und noch unermeßlich ist in ihren Folgen. Vom ersten Augenblicke an habe ich mir die Richtschnur für mein Thun gezogen, die, wie ich meine, der Wichtigkeit der Aufgabe entsprach, und ich kann mir das Zeugniß geben, derselben treu geblieben zu sein. Diese Richtschnur war Nichts anderes, als eine Feststellung und Sicherung der[397] Rechte, die das deutsche Volk zwar im Sturme erobert, aber doch nicht so, wie in andern Ländern mit dem Umsturze alles Bestehenden. Groß stand es da in der Art und Weise, wie es die Revolution auf dem Wege des Gesetzes geltend zu machen strebte; auf dem Wege nicht des alten, sondern des neuen Gesetzes, welches seine Vertreter, die es direct und ohne ängstliche Formen gewählt, schaffen und feststellen sollten.
In diesem Gesetze sehen meine Genossen und ich die Bürgschaft der Einheit unsers Vaterlandes, basirt auf die einzig dauernde Grundlage der Freiheit, durch welche die Größe und Kraft eines Volkes allein wachsen und gedeihen kann. Nur durch die Freiheit glaubten wir die Einheit und mit ihr das Vertrauen, die Wiederkehr des Geschäftsverkehres, der Arbeit und des Wohlstandes herstellen und so eine neue Ordnung an die Stelle des alten Zustandes gründen zu können. Dies zu erzielen, erachteten für den Staat und das Wohl des Staates wir vor allem die Feststellung der Grundrechte des deutschen Volkes im Vorparlamente für nothwendig, wie alle Völker sie festgestellt haben bei ihrer Erhebung. Es war daher der erste Beruf derer, die man die Linke nennt, dem deutschen Volke vor allem diese Rechte zu sichern vor jedem Wechselfalle und auf sofortige Berathung dieses Gegenstandes zu dringen. Allerdings kann man nicht läugnen, daß die Gründe gewaltig und gewichtig waren, welche eine Verhandlung zu verschieben riethen, die nicht nur Tage, sondern Wochen bedurfte, wenn die Materialien mit Umsicht und Sorgfalt geordnet werden sollten und man konnte nicht verkennen, daß das Vorparlament sich für permanent erklärte, bis eine gewählte Volksversammlung es ablöse. Der Vorschlag fiel durch, und ich bekenne, daß es mich mit Freude und Stolz erfüllt, zu den 193 gehört zu haben, die für die Permanenz stimmten; es ist jetzt nicht mehr blos mein Urtheil, sondern das Urtheil Deutschlands geworden, daß Vieles nicht so gekommen wäre, wenn die Versammlung zusammenblieb; daß die Sonderinteressen der Dynastien und der Partikularismus nicht ihr Haupt erhoben haben würden, wie jetzt; daß man früher binnen 6 Wochen erzielt haben würde, wozu man jetzt so viele Monate gebraucht und doch am Erfolge zweifeln muß. Dieser Sinn lag in dem Antrage auf — Permanenz; man beschäftigte sich indessen nur mit der Berufung der constituirenden Versammlung.
Es handelte sich nun darum, daß die Wahlen zu dieser Versammlung so allgemein als möglich wurden, damit eine wahre Volksvertretung[398] nach Frankfurt komme; in diesem Sinne habe ich für das Wahlgesetz gewirkt, welches zwar für unsere Verhältnisse so freisinnig wie möglich war, welches uns aber doch gelehrt hat, daß man in solchen Dingen auch an das Einzelnste denken muß. Die engherzige Auslegung der Bestimmungen dieses Wahlgesetzes in einzelnen Staaten, die Verkürzung des Wahlrechtes für einen großen Theil unserer Mitbürger hat uns reiche Erfahrungen machen lassen; sie werden nicht verloren sein für das Wahlgesetz für die Reichsvertretung und man wird hoffentlich in demselben dem ganzen Volke gerecht werden. — Vom Vorparlament wurde mir die Ehre zu Theil, in den Ausschuß gewählt zu werden, welcher über die Ausführung der Beschlüsse desselben wachen, die allgemeinen Wahlen befördern und die baldigste Berufung der constituirenden Versammlung vermitteln sollte. Dieser Ausschuß stellte sich zur Aufgabe, mit gleicher Entschiedenheit gegen die Reaction wie gegen die Anarchie einzuschreiten und ist dieser Devise getreu geblieben bis an sein Ende. Er hat mit Unerschrockenheit der Reaction sich entgegengestellt, wo sie sich blicken ließ und hat den drohenden Bürgerkrieg verfolgt, bis in sein Waffenlager. Ich habe, wie die Verhandlungen zeigen, beiden Richtungen die Unterstützung angedeihen lassen, die in meiner Kraft stand. Wir haben allerdings vergebens versucht, der engherzigen Auslegung des Wortes „selbstständig“ entgegen zu treten, vergebens versucht, andere Wahlen zu erzielen, wo man dieselben gegen das Wahlgesetz beengt und beschränkt hatte; der Drang des Augenblicks war so groß, daß man hin und wieder durch die Finger sehen mußte, um nur das Ganze zu Stande zu bringen. Der Fünfziger-Ausschuß hat mir, wie Ihnen bekannt sein wird, die Ehre zu Theil werden lassen, mich als Commissär nach Köln, Koblenz, Aachen u. s. w. mit andern Mitgliedern zu senden, wo schwere Gewaltthaten, die niemals zu rechtfertigen oder zu billigen sind, die Ruhe und den Verkehr störten; ich habe mich bestrebt, nach Kräften die Einheit, das Recht, den Frieden zu befördern und diejenigen, welche mich gesandt hatten, waren mit mir zufrieden. — Wir haben, allerdings eine kleine Minderheit, bis zu dem letzen Mittel dagegen gekämpft, daß die Eröffnung der National-Versammlung vom 1. zum 18. Mai verschoben wurde, da jeder Tag ein verlorener war und Gefahren für das Vaterland herbeiführen konnte; es war vergebens.
In der National-Versammlung war es ebenfalls die früher angedeutete[399] Richtschnur, die meine Freunde und mein Wirken bestimmte: daß dieses Jahrhunderte lang zerrissene, zersplitterte und dadurch tief gesunkene Deutschland Eins werde; Eins auf der Grundlage der Freiheit, und daß des schwer gedrückten Volkes Last, so weit es die großen Bedürfnisse einer Revolution zulassen, gemindert und gelindert würde. Und ich wiederhole, ich glaube nicht, daß wir in irgend einem Schritte von diesem Pfade gewichen sind. Was die Einheit unseres Vaterlandes zu stören drohte, das haben wir bekämpft. Als man in mehren Staaten constituirende Versammlungen berief, namentlich in den zwei größten Staaten unseres Vaterlandes, haben wir darin Gefahr für die Einheit gesehen, wir haben gefürchtet, daß, wenn man in Berlin und Wien etwas Anderes beschließe als in Frankfurt, mindestens in langen Verhandlungen die Zeit verloren, oder gar ein Zerwürfniß herbeigerufen werden könne, was ewig beklagenswert sein würde. Aus dieser Ansicht entspann sich die Verhandlung über den Raveauxschen Antrag, in Folge dessen die Nationalversammlung die Bestimmungen der Einzelverfassungen, welche mit der allgemeinen Verfassung in Widerspruch stehen, für ungültig erklärte. Gefährlich für die Einheit erachteten wir es, wenn es einzelnen Staaten gestattet sei, Friedensschlüsse nach eigner Willkür abzuschließen, weil dann leicht das Interesse dieser einzelnen Staaten dem der Gesammtheit vorgezogen werde, oder der Friede geschlossen werden könne, bevor es Zeit sei. Daran knüpfte sich die Verhandlung über die schleswig-holsteinische Angelegenheit und der Antrag,
daß kein Friedensschluß und kein Waffenstillstand ohne die Genehmigung der National-Versammlung geschlossen werden dürfe;
ein Antrag, der leider damals durchgefallen ist, obgleich man fast mit Nothwendigkeit darauf eingehen mußte, da es keine andere Vertretung Deutschlands gab. Für nicht weniger gefährlich hielten wir die Centralgewalt, so wie sie geschaffen worden ist, mit einem unverantwortlichen Reichsverweser an der Spitze. Wir fürchteten, daß ein solcher fürstlicher Reichsverweser in souveräner Stellung den alten Streit zwischen Hohenzollern und Habsburg wieder erneuern könne; daß das Institut, welches den Mittelpunkt der Einheit bilden sollte, den Anlaß zum Zwiespalte zu geben geeignet sei. — In diesem Augenblicke ist es nicht mehr nöthig zu sagen, daß die Furcht wohl begründet war. Sie haben in den letzten Wochen gesehen, wie stark diese Eifersucht ist, und Erscheinungen[400] sind zu Tage gekommen, die man vier Monate nach der Revolution für unmöglich hätte halten müssen.
Wir wollen hoffen, daß der Gedanke der Einheit stark genug ist, diese Sondergelüste zu bewältigen; aber das muß ich aussprechen daß ich glaube, eine Centralgewalt, wie ich sie gewollt, war nicht im Stande, die Eifersucht in dieser Weise rege zu machen. Wir wollten nicht mit Kartätschen schießen, wo uns die Handwaffe zu genügen schien; in dem Vertrauen, daß es den Regierungen ernst sei um die Freiheit und Einheit, wollten wir die Centralgewalt beauftragt sehen mit der Vollziehung der Beschlüsse der National-Versammlung, wir wollten keine Regierung mit Ministern und Unterministern, sondern nur einen Vollziehungsausschuß, der die Regierungen völlig unangetastet ließ, sofern sie ihren Versprechungen treu blieben. Erst dann, wenn die Verfassung fertig geworden war, wenn die Regierungen einsehen konnten, was die Einheit von ihnen forderte, und was ihnen bleiben sollte; wenn sie Ruhe und Sicherheit hatten, hinsichtlich der Gewährleistung des Bleibenden, dann wollten wir eine wirkliche Staatsgewalt für das Ganze schaffen. Wir sind unterlegen und haben jetzt im Interesse unseres Vaterlandes einen Wunsch nur: daß die Mehrheit diesen Schritt niemals bereuen möge! dann werden wir gern gestehen, daß wir uns geirrt haben.
Allein leider können wir uns nicht verhehlen, daß die Sondergelüste gewaltig sich regen; nicht blos in einem großen deutschen Staate, auch rückwirkend auf Frankfurt, in der National-Versammlung.
Ich habe die Ehre, dem Verfassungsausschusse anzugehören und mit Schmerz muß ich es sagen, auch dort thut sich bereits die gewaltige Wirkung der Sonderbestrebungen kund. Sie werden sich Alle erinnern, daß in den Tagen des März schon die süddeutschen Staaten zusammentraten, um an die Neugestaltung Deutschlands Hand zu legen; daß man damals als das Mindeste der Einheit die Vertretung Deutschlands nach Außen, das Militärwesen, die Zölle, die Posten, Münze, Maß und Gewicht u. s. w. in die Hand des Reichs gelegt wissen wollte. — Die sächsische Regierung, die sich zuvorkommend und bereitwillig, wie so oft bei den Forderungen der Neuzeit, diesen Vorschlägen anschloß, gab denselben die Verstärkung ihrer Zustimmung und mit derselben wurden sie in den Märztagen nach Berlin gebracht und von dort haben wir bald die Nachricht zurückerhalten, daß man diese Grundlage als nothwendig anerkenne. Das ist ganz anders geworden. Man will das Militärwesen[401] Sache des Einzelstaates sein lassen. Ja, man will so weit gehen, die Abtretung der Vertheidigungsmittel, der Festungen, abhängig zu machen davon, daß man sie erst bezahlt, ehe man sie zum Schutze Deutschlands verwenden kann. Dies sind Erscheinungen, die ihren Wiederhall in der National-Versammlung finden werden, wie sehr auch die Minderheit dagegen kämpfen mag. Daß es aber nur eine Minderheit ist, ist um so trauriger, als 3 Staaten ihre Heere behalten sollen, Oesterreich, Preußen und Bayern, während man die kleineren entwaffnen will. Wenn ich es auch niemals für ein Glück gehalten habe, daß die kleineren Staaten große Heere halten, so kann ich doch, wenn die Einheit wirklich nur ein schöner Traum gewesen sein sollte, es nimmermehr zugeben, daß die kleineren Staaten den Abrundungs- und Vergrößerungsgelüsten der größeren, oder dem fast nothwendigen Bestreben einer den großen Staaten gegenüber ohnmächtigen Centralgewalt nach eigener Macht wehrlos preisgegeben werden. Sie haben so viel Recht wie die großen und sollen nur sie Opfer bringen, dann werde ich ihr Recht vertreten, wie die großen das ihrige vertreten lassen. (Lauter Beifall.)
So viel also über das Bestreben nach Einheit.
Was die Freiheit des Volkes betrifft, so haben wir die Vermehrung der Militärmacht für gefährlich gehalten. Nicht daß wir im Soldaten etwas Anderes sehen als im Bürger, im Gegentheil, keinen innigeren Wunsch kenne ich, als den, welchen ich schon im März in diesen Räumen ausgesprochen, daß recht bald die Scheidewand falle, die zwischen dem Soldaten und uns noch gezogen ist. Aber ich habe nicht vergessen, daß gleich von Anbeginn der Bewegung an der laute Ruf erschallte, daß die stehenden Heere vertauscht werden sollten mit einer Volksbewaffnung, und daß diese Volksbewaffnung so schnell wie möglich in’s Leben treten möge. Allerdings, so lange Deutschland von irgend einer Seite bedroht ist, schrecken wir nicht zurück vor dem Gedanken, daß die stehenden Heere im Nothfalle vermehrt werden müssen bis zu dem Punkte, wo der letzte waffenfähige Mann eintritt; allein wir schaffen nicht für den Augenblick und die stehenden Heere müssen gesetzlich, wenn nicht abgeschafft, doch vermindert werden bis auf den Punkt, wo es gewissermaßen die Rahmen sind, in welchen die Volksbewaffnung eintritt, wie in der Schweiz und in Nordamerika, und in diesem Sinne habe ich gegen die Vermehrung der stehenden Heere gestimmt. Daß stehende Heere häufig ein Werkzeug der rohen Gewalt und der Tyrannei sind, darüber zu sprechen ist überflüssig:[402] auch wäre es ungerecht, dem Soldaten die Schuld beizumessen, wenn er am Bürger Schweres verübt hat; wir müssen nur trachten, daß der Unterschied zwischen Soldaten und Bürger wegfällt, und daß dem Soldaten sein heiliges Recht gewährt werde wie uns; jetzt entzieht man ihm dasselbe, behandelt ihn gar noch wie eine Maschine, verkümmert ihm das Petitions- und Versammlungsrecht und zeigt damit, daß man den Soldaten im alten Zustande lassen und zu den alten Gewaltzwecken mißbrauchen will. Und dies ist ein neuer mächtiger Grund, gegen die Vermehrung des alten Soldatenthums zu stimmen. Endlich werden auch die Kosten des Heeres weit geringer, wenn jeder Waffenfähige geübt wird in den Waffen, aber nicht mehr mißbraucht wird zum Soldatenspiel, zu Parademärschen und Manövern, die dem Müssiggänger zum Vergnügen dienen: sondern zu Uebungen, welche Ausbildung und Wehrtüchtigkeit zum Zwecke haben.
Ich hielt ferner dafür, daß die Centralgewalt auch der Freiheit gefährlich sei — weil man die Spitze derselben mit einem unverantwortlichen Herrscher besetzte. Eine ganz neue Staatsweisheit hat uns zwar gesagt, wir hätten verschwiegen oder übersehen, daß dessen Räthe verantwortliche Minister seien; allein auf dieser Stufe politischer Kindlichkeit stehen wir nicht, daß wir dieses übersehen hätten. Die Verantwortlichkeit der Minister versteht sich von selbst und nicht die Unverantwortlichkeit selbst war es, gegen die wir kämpften, sondern der Kaiserembryo, welcher darin lag; die Schöpfung einer neuen Fürstengewalt, die wir nicht an der Spitze des Staates haben wollten (Beifall). Wenn dieser Gegenstand nützliche Folgen gehabt, so ist es die, daß nach Ernennung des Reichsverwesers die Kaiser-Idee gestorben ist. Selbst in den Köpfen derer, die sie geschaffen haben, ist sie als beseitigt zu betrachten.
Gestatten Sie mir hier eine Abschweifung. Durch den Vorschlag des Vollziehungs-Ausschusses hat man uns republikanischer Tendenzen beschuldigt; wir hatten dieselben zwar für den vorliegenden Fall nicht, aber ich hege die Ansicht, daß nur die republikanische Regierungsform für den Gesammtstaat gut und heilsam ist. Wir wollen das Vaterland nicht auf’s Neue den Stürmen preisgeben, welche seine Kaiser Jahrhunderte lang über dasselbe heraufgeführt haben; wir wollen nicht, daß das Kaiserthum mißbraucht werde zur Erwerbung und Verstärkung einer sogenannten Hausmacht, oder daß die Hausmacht dazu diene, die[403] Einzelstaaten zu knechten; wir wollen nicht, daß die höchste Stelle im Staate der Zielpunkt sei für den Ehrgeiz, und trachten deshalb diese Spitze so schlicht als es irgend möglich ist, hinzustellen; so hinzustellen, daß sie nur das Nöthige thut, in dem Wechsel der Versammlungen gar keine Veranlassung findet, in das einzugreifen, was außer ihrem Bereich bleiben muß. — Wir wollen also die Republik an der Spitze des Gesammt-Staates (Bravoruf). Aber indem wir dieselbe wollen, weisen wir es entschieden zurück, daß wir jemals die Hände an die Umgestaltung der Verhältnisse in den Einzelstaaten legen wollen, das hielten wir für ein Unglück und für eine Thorheit. Unser Vaterland ist der Art construirt, daß seine Stämme selbstständig bleiben müssen; darin beruht sein schönstes Leben. Und es giebt keinen Menschen in Deutschland, der, wenn er es könnte, die Thorheit begehen würde, in die Verhältnisse der einzelnen Staaten zu Gunsten republikanischer Formen einzugreifen. Wer möchte verkennen, daß die Verschiedenheiten so ungeheuer sind, daß es schwer fällt, die einzelnen Grundpfeiler für einen gemeinsamen Bundesstaat aufzustellen. Wie sollte man dem Ganzen eine Form aufzwingen wollen, die nur aus der freien Entwickelung der Theile hervorgehen kann? Nein, meine Mitbürger! Es ist eine Lüge, die uns an die Schöpfung einzelner Republiken hat denken lassen; wir würden die Ersten sein, die sich dem Bestreben einer ganz republikanischen Nationalversammlung, in die einzelnen Staaten einzugreifen, widersetzten. (Vollster Applaus.)
Was das von mir bezeichnete Streben betrifft, die Lasten des Volkes zu erleichtern, so ist besonders unsere Abstimmung vielfach im Vaterlande angefochten worden, nach welcher wir nicht sofort 6 Millionen zum Baue einer Flotte bewilligen wollten. Daß Niemand die Vertheidigung Deutschlands gegen einen übermüthigen Feind weniger hemmen möchte, als wir, das bedarf keiner Versicherung; aber wir glaubten den Antrag stellen zu müssen, daß man von Seiten der Bundesversammlung erst Rechnung ablegen solle über die ungeheuern Summen, welche zum Festungsbau geliefert wurden und die nach Versicherung Sachkundiger noch sehr bedeutende Baarschaften übrig gelassen haben mußten. Diese Baarschaften schienen uns zuerst zur Vertheidigung Deutschlands angewendet werden zu müssen und eine Besteuerung des Volkes erst gerechtfertigt, wenn sie erschöpft waren. Das war der Grund, warum wir für den Augenblick gegen die Bewilligung gestimmt haben, und[404] wir werden auch ferner darauf dringen, daß der Schleier gehoben werde, welcher auf dem Haushalt des Bundestages ruht. Die Volkswohlfahrt war auch ein Grund, besonders im Hinblick auf die kleinen Staaten, daß wir gegen die Vermehrung des stehenden Heeres stimmten.
Zwar hat man gesagt, die einzelnen Staaten trifft es nicht so schwer, sie haben nur im Verhältniß ihrer Bevölkerung das Heer zu vermehren. Allein das ist falsche Darlegung: die kleinen Staaten trifft es außerordentlich, es trifft sie fast allein. Die großen, z. B. Preußen, haben viel mehr Truppen als Prozent ihrer Bevölkerung, Bayern besitzt gegenwärtig 72,000 Mann und hat also nur 18,000 zu stellen, wenn es sie auf 2 Prozent der Bevölkerung bringen soll, d. h. nur um ein Fünftel hat es sein Militär zu vermehren, während unser Sachsen dasselbe verdreifachen muß. Meine Genossen und ich, wir wollen nicht, daß die kleinen Staaten ebenfalls an den Rand des finanziellen Verderbens geführt werden, an dem Oesterreich und Preußen stehen. Und die Militärvermehrung führt dazu. Wir haben ferner erst in der vorigen Woche dagegen gestimmt, daß dem Präsidenten der National-Versammlung eine jährliche Besoldung oder vielmehr Entschädigung für Repräsentations-Aufwand von 24,000 Gulden bewilligt werde; nicht weil wir knickern um diese höchste Stelle, welche das Volk zu vergeben hat, oder weil wir die Verdienste des Präsidenten gering achten, sondern weil wir meinen, daß die neue Zeit den unsinnigen Repräsentations-Aufwand nicht mehr braucht, daß gerade der Präsident an Einfachheit und Sparsamkeit vorangehen sollte, daß jedenfalls die Hälfte, 12,000 Gulden genügte, und daß die hohe Bewilligung jetzt doppelt gefährlich sei, wo 6 neue Minister, 12 überflüssige Unterminister und eine Anzahl anderer Reichsbeamte zu besolden sind, die ihre Ansprüche alle nach dieser Bewilligung richten werden.
Daß ich im Verfassungs-Ausschusse für die Freiheit, wie für die Erleichterung des Volkes gewirkt, geht aus den zahlreichen Minderheits-Gutachten hervor, die ich mit wenigen Freunden unterschrieben und wofür wir im Ausschuß wie in der Versammlung gekämpft haben. Ebenso ist von uns der Antrag ausgegangen, die Hindernisse zu entfernen, die dem Handel und Verkehr entgegenstehen, die Flußzölle und alle Hemmungen im Innern. Dieser Antrag ist noch nicht zur Berathung gekommen, er liegt dem volkswirthschaftlichen Ausschusse vor[405] und es wird hoffentlich nicht lange Zeit vergehen, bis er zur Verhandlung kommt. Das sind in weiten und einfachen Linien die Gegenstände, mit denen wir uns bis jetzt beschäftigt, ich werde dankbar sein, wenn man mich an Vergessenes erinnert und einzelne Punkte aushebt, worüber ich Aufschluß geben soll.
Werfen wir nun noch einen Blick auf die auswärtige Politik, wie sie von meinen Gesinnungsgenossen und mir aufgefaßt wird. Was diese Angelegenheit betritt, so haben wir in unserm Vaterlande eine unglücklichere Stellung als irgend ein anderes Volk nach Osten und Westen einnimmt. Wir haben fremde Völkerstämme, die seit langer Zeit mit uns verbunden sind und es im Interesse der Grenzen, der Sicherheit und der Vertheidigung Deutschlands bleiben müssen. Andere sind durch das Loos des Kriegs, der Eroberung oder einer gewissen- und herzlosen diplomatischen Landeszerbröcklung mit uns vereint, die es nicht nothwendig bleiben müssen. Was die Ersten betrifft, so haben diese fremden Volksstämme lange unter der Unterdrückung der Deutschen geseufzt, so daß der Name deutsch und tyrannisch bei ihnen gleichlautend geworden ist. Es ist kein Wunder, wenn sie uns hassen, denn wir haben diesen Haß nicht verschuldet aber verdient; es ist ein fluchwürdiges Erbtheil der Freiheitsfeinde. Wir müssen diese fremden Stämme zu versöhnen suchen und wir haben dahin getrachtet dies zu thun. Gerade von unserer Seite ist der Antrag ausgegangen, daß die Nationalversammlung die Erklärung gebe, daß außer dem Genusse aller Rechte, die wir uns selbst sichern, den fremden Stämmen auch ihre Sprache und Nationalität gesichert sei. Die Nationalversammlung hat diese Erklärung fast mit Stimmeneinheit gegeben und das wird zur Beruhigung dienen und besser wirken als die Waffen. Wenn jene Stämme sich aussöhnen mit ihrem Loose, dann würden sie die Verbindung segnen und preisen, und wahrlich, sie werden nicht dem schlechtesten Theile von Deutschlands Bewohnern angehören. Für diese Stämme nehmen wir also die Rechte der Freiheit in Anspruch, wir erkennen ihnen das Recht zu, sich selbstständig zu entwickeln und mit uns Eins und frei zu werden. Den Völkern aber, welche nicht mit uns verbunden sein müssen, die eine Unterdrückungspolitik uns zugeführt, erkennen wir das Recht der Befreiung, der Trennung zu. Das heißt aber nicht, daß wir nur mit vollen Händen zum Fenster hinauswerfen, was wir besitzen, oder die Interessen des eigenen Landes verkennen, um andern zu dienen.[406] Wir wollen nur auf dem Wege des Friedens und Vertrauens die Geschicke unseres Vaterlandes sich entwickeln sehen und die große, so selten von Nationen geübte Tugend: Gerechtigkeit üben, ohne welche keine dauernde, keine Freiheitsschöpfung gedeihen kann.
Wir halten diese Politik jetzt für um so nothwendiger, als wir unser Vaterland nicht in einen Krieg stürzen mögen, der das Elend, welches da und dort herrscht, vergrößert und mit der Freiheit den Wohlstand vernichten kann auf sehr lange Zeit. Wir halten es für leichtfertig und verbrecherisch, wenn man in dem Augenblick, wo die innere Grundlage des Staates völlig erschüttert ist und umgestaltet werden muß, auch die Verträge übermüthig zerreißt, auf welchen die Beziehungen der Nationen zu einander beruhen wir halten es für schmachvoll, wenn ein Volk in seinem ersten Aufstreben zur Freiheit in die Fußtapfen der alten Tyrannei tritt und mit bloßer Gewalt Länderscheidungen ohne Prüfung und Kenntniß der Dinge vornimmt. Die letztere haben wir verlangt und werden sie ewig verlangen zur Ehre des deutschen Stamms. Wir sind ferner überzeugt, daß der Volkswohlstand nicht gedeiht, so lange der sogenannte bewaffnete Friede dauert und die Länder von unermeßlichen Heeren ausgesogen werden, und deshalb wollen wir eine Verbrüderung angebahnt sehen zwischen den freien Völkern des Westens, zwischen Deutschland, England und Frankreich, gegen den Osten, der jetzt noch freiheitsfeindlich ist. Nicht daß man ein Bündniß um jeden Preis schließen soll, dies wäre Thorheit! Nein, nur die Bedingungen soll man herbeiführen, den gestörten diplomatischen Verkehr herstellen und so die Möglichkeit anbahnen. Die Länder können und werden nicht aufblühen, so lange der Friede nur auf den Spitzen der Bajonette und der gegenseitigen Beobachtung, dem allgemeinen Mißtrauen ruht. Die Freiheit erobert nicht und will nicht erobern, die Herrschgier und Tyrannei nur will erobern und immer mehr Macht erwerben nach Innen und nach Außen. Die Freien brauchen sich gegenseitig nicht zu bewaffnen, sie nehmen nur die freie innere Entwickelung in Anspruch für sich, und in dem Augenblicke, wo sie sich verbunden, ist wirklich der ewige Friede gesichert, wie man sich jetzt auch anstrengt, es zu verhindern, von diesem Augenblicke an datirt uns eine bessere Zeit in der Wahrheit und Wirklichkeit.
Soll ich schließlich noch darüber sprechen, daß ich auf der Linken sitze? (Zuruf: Nein, nein!) Ihretwegen thue ich’s nicht, es hieße Sie[407] beleidigen; aber ich thue es, weil wir jetzt überall zum ganzen Volke sprechen. Müßte ich doch meinem ganzen Leben und den Genossen meiner politischen Laufbahn treulos geworden sein, wenn ich nicht auf der Linken säße. Auch ist es kein Geheimniß, unter welchen Einflüssen die Wahlen zur Nationalversammlung zu Stande gekommen sind und aus welchen Elementen ihre Mehrheit besteht. Ja, ich sitze auf der Linken, wo, das sage ich kühn, wo das Herz des Volkes und wo das Herz für das Volk schlägt. (Applaus.) Es ist Einem wahrlich nicht leicht gemacht, auf der Linken zu sitzen, es gehört Stärke und Ueberzeugungstreue dazu, sitzen zu bleiben. (Applaus.) Es blühen daselbst keine Reichsministerien und keine Staats- und Unterstaatssecretariate (Applaus), auch keine Lorbeern, sondern eher Niederlagen, und diese selbst dürfen nicht einmal den natürlichen Eindruck machen, daß sie ermatten, sondern sie müssen zu immer neuen Kämpfen anspornen. Nicht einmal Lob und Anerkennung gebührt uns, denn die Presse, obgleich sie frei geworden ist, ist zum größten Theil noch in den Händen, in welchen sie sich unter dem alten Systeme allein befinden konnte, und diese sind uns nicht hold. Vergessen Sie nicht, daß außerdem drei Viertheile der Artikel schon der Zahl nach gegen uns geschrieben werden und nur ein Viertheil für uns ist. Aber man muß auch die Auswüchse der Preßfreiheit ertragen, und wir ertragen sie freudig, im Bewußtsein, daß wir unsere Pflicht thun, und indem wir zum gesunden Menschenverstande das Vertrauen hegen, daß die Gemeinheiten feiger und niedriger Gesinnung spurlos an ihm vorüber gehen. (Beifall.) Selbst dem Hohne vieler Krautjunker bieten wir Trotz und verlachen ihre Forderungen (großer Beifall); besteht doch oft ihre einzige erbärmliche Fähigkeit darin, daß sie eine Kugel abschießen können. Ja, ich sitze auf der Linken, mit hohem Stolz sage ich das, denn noch nie hat die Rechte, die Mehrheit, die Geschichte fortgeschoben, stets die Linke oder die Minderheit: Für die Aufhebung der Sclaverei hat sie 22 Jahre lang gerungen, ehe sie zur Mehrheit wurde; ein Gleiches war es mit der Emancipation der Katholiken, der Reformbill, den Korngesetzen u. s. w. Die Linke hat eine reiche Entschädigung für Alles, was sie duldet, in dem neidenswerthen Loose, daß der Gedanke der Zukunft wie ein Kind geboren wird in ihrem Schooße, und sie sich groß fühlt in ihm, ehe die Welt ihn erkennt; sie weiß, daß der Mensch nicht lebt für diese Welt; daß dem Gedanken eine Zukunft werden muß, und daß ihr[408] Thun nicht verloren ist, wie sich auch die Erfolge des Augenblicks gestalten.
So, meine Mitbürger! habe ich Ihnen gesagt, was ich bisher gethan und ich werde so fortfahren (Applaus), die nächste Zeit wird mir in Frankfurt auch Gelegenheit geben, für das Wohl unserer Vaterstadt zu wirken, indem ich die beantragte Veränderung der Schutzzölle bekämpfe, die nach meiner Ueberzeugung den Handel und die Blüthe Leipzigs fast vernichten und zu Grunde richten würde. Ich will der Freiheit, die das Lebenselement für jede Regung des politischen wie des socialen und mercantilen Lebens ist, auch auf diesem Gebiete das Wort reden und auch hier das Monopol bekämpfen, nicht weil es für Leipzig, sondern weil es für die Freiheit geschieht. (Beifall.)
So also werde ich fortfahren, fest hinblickend auf das Ziel, wie der Weise nach dem Sterne geblickt hat, der ihm das Heil der Welt zeigen sollte. Ich werde festhalten an der Einheit, die ruht auf der Freiheit, an der einzig haltbaren Grundlage und an der Beförderung des Volkswohls nach meinen Kräften.
Kein Mensch ist fehlerfrei und auch ich kann irren. Freudig und dankbar nehme ich jede Belehrung an. Aber die Grundzüge meines Handelns stehen fest und ich werde nicht von ihnen wanken. Handelt die Mehrheit der National-Versammlung nach meiner Ansicht dagegen, so werde ich dem mich widersetzen bis zum letzten Augenblicke und bis zum letzten parlamentarischen Mittel. Das ist ein schlechter Soldat, der nicht die letzte Kugel forttreibt in Feindes Brust, ehe er sich zurückzieht. Aber das ist auch ein schlechter Soldat, der sich zurückzieht vom Schlachtfelde, weil er eine Niederlage erhalten hat. (Allgemeiner Applaus.)
Es ist in Frankfurt kein Geheimniß, daß man die Linke dahin treiben will, die Paulskirche zu verlassen. Die Linke wird sie nicht verlassen, sie wird bleiben und aushalten, wie auch der Würfel fallen möge, mag sie auch unterliegen, sie wird immer auf’s Neue kämpfen für ihre Ansicht. Aber sie wird und muß sich auch fügen der Mehrheit und ihren Beschlüssen. Was einmal die Mehrheit gewollt hat das ist Gesetz, und die Linke wird dasselbe anerkennen als heiligen Willen der Nation, deren Vertreter es gegeben. So ist die Stellung der Linken, und wenn auch verschiedene Fractionen darin vorkommen, so sind dieselben doch in Wollen und Streben, in Grundsätzen und in[409] Zielpunkten eins. Daß ich von der einen dieser Fractionen zur andern übergegangen, ist ein Irrthum; ich habe noch dieselbe Parteistellung, die ich von Anfang an hatte: die Linke hat mir die Ehre erwiesen, mich mit zu dem Vorstand zu wählen, der ihre taktischen Bewegungen, wie ihre Clubverhandlungen leitet, und ich bin das heute noch. (Großer Beifall.) Und so scheide ich von Ihnen, geehrte Mitbürger, mit der offenen Darlegung meines Bekenntnisses und mit der heiligsten Versicherung, das Wohl des Volkes, die Freiheit und Einheit des Vaterlandes zu vertreten nach Kräften und, wenn es die Zeit erfordert, freudig Gut und Blut dafür aufzuopfern.“
So tief die Wirkung dieser Rede, dieser Feste war, so hat doch Robert Blum’s Reise nach Leipzig ihren wahren eigentlichen Zweck, den nämlich: die mehr und mehr aus einander fallenden demokratischen und fortschrittlichen Elemente Leipzigs und des Landes sämmtlich, wie ehedem, unter Blum’s Führung zu vereinigen und an seinen guten Namen zu fesseln, nicht erreicht. Am wenigsten durfte Blum die Hoffnung nähren, die Gegner überzeugt, die in Leipzigs höheren Bürgerkreisen so erfolgreiche Agitation des „Deutschen Vereins“ durch seine Rede lahm gelegt zu haben. Denn die Führer des „Deutschen Vereins“ in Leipzig sprachen in einer im Tageblatte veröffentlichten „Erklärung“ vom 18. August offen aus, warum sie mit dem Vertreter Leipzigs im Parlament unzufrieden seien und die Versammlung im Schützenhause nicht besucht hätten. Der Vorwurf „undeutscher Gesinnung“, der hier gegen Blum erhoben wurde, war gewiß unberechtigt, aber im Uebrigen traf die kurze Erklärung scharf und schneidend die Fehler seiner Parteipolitik. Blum’s sehr umfangreiche Entgegnung („Offener Brief“) aus Frankfurt vom 25. August 1848 widerlegt mit Glück, was zu widerlegen war, den ungerechten Vorwurf undeutscher Gesinnung. Aber dem Unparteiischen wird kaum entgehen, daß Blum in diesem Federkriege eine Niederlage erlitten hat. Daß ihm selbst nicht[410] ganz wohl dabei war, verrieth seine leidenschaftliche persönliche Sprache im „Offenen Briefe“, die ihm sonst, auch in der Rede im Schützenhause, so fern lag.[203]
Aber noch weit peinlicher als dieses Anwachsen gegnerischer Kräfte mußte ihn berühren der sichtliche Zerfall der Disciplin und Einigkeit im eigenen Lager. Noch einmal hatten sich in den Augusttagen alle politischen und socialen Schattirungen, welche die „Vaterlandsvereine“ in sich zusammenfaßten, um den beliebten Führer geschaart und aus seinen Mahnungen die Erkenntniß zu einträchtigem Zusammenhalten gewonnen. Aber unheilbar klaffte schon auf der Generalversammlung der „Vaterlandsvereine“ zu Dresden, am 3. und 4. September, der Riß aus einander. Das liberale Ministerium hatte auf fortwährendes Drängen der Vereinspresse Anfang September endlich den neuen Wahlgesetzentwurf fertig gestellt. Derselbe gelangte am 4. September vor die Kammer, sein Inhalt war aber den Führern der Vaterlandsvereine durch Oberländer vorher mitgetheilt worden. Der Entwurf behielt beide Kammern bei. Die Wahlfähigkeit zur zweiten war schon mit dem 21. Jahr und der „Selbstständigkeit“ des Wählers vorhanden. Die erste sollte nach einem Census gewählt und aus „Capacitäten“ gebildet werden, zu welchen u. A. auch die Volksschullehrer gerechnet wurden. Trotz dieser weitgehenden Concessionen an den Zeitgeist beharren die Vaterlandsvereine bei ihren Beschlüssen vom 9. Juli und griffen den Entwurf und das Ministerium heftig an. Damit war aber Jäkel noch nicht zufrieden. Er hielt jetzt den Moment gekommen, die Republik auszuspielen. Der radicale Unverstand, der jede Regierung als solche haßt, jede ihrer Absichten,[411] auch ohne sie zu kennen, mißbilligt, und der deshalb auch das liberale sächsische Märzministerium mit seinem souveränen Mißvergnügen verfolgte, erfocht unter Jäkel’s Führung am 3. September über die gemäßigteren Elemente mit nur einer Stimme Mehrheit einen verhängnißvollen Sieg: die Generalversammlung strich die „Aufrechterhaltung der constitutionellen Monarchie“ aus dem Programm der sächsischen „Vaterlandsvereine“. Die Folge war natürlich das Ausscheiden der mit einer Stimme besiegten, um nicht zu sagen vergewaltigten Minderheit. Auf Seite dieser Minderheit standen die langjährigen persönlichen Freunde Blum’s: Bertling, Minckwitz, Bromme, vor Allem Cramer und Rüder, deren Namen täglich neben dem Blum’s als „Herausgeber“ der „Vaterlandsblätter“ auf deren Titelblatt standen, und die „Vaterlandsblätter“ selbst. Sofort bestürmten ihn diese Freunde, energische Einsprache gegen die Dresdener Beschlüsse zu erheben, die Jäkel mit dem ihm eigenen bornirten und rohen Fanatismus terroristisch durchführte.[204]
Der bittere Mangel an politischer Einsicht und der verschwenderische Ueberfluß an unfreiwilliger Komik, der diesen Strudelkopf auszeichnete, mußte Blum aus jedem Briefe Jäkel’s, aus jedem seiner Worte, aus jeder seiner Thaten erkennbar werden. So schrieb dieser große Sieger des 3. September am 5. von Leipzig aus an Blum: „Die Freiheit hat gesiegt,[412] glänzend gesiegt“ — mit einer Stimme! „Diese Generalversammlung wird maßgebend für die Zukunft Sachsens sein! Der in Leipzig zwischen der Bewegungspartei und der Stillstandspartei ausgebrochene Zwiespalt hatte endlich den Leuten die Augen geöffnet, in welchem Zustande der Fäulniß sich der sächsische Vaterlandsverein befinde — wie es schien“ (wie bescheiden!) „war man durch meine Denkschrift belehrt. Die beantragte Permanenz der Versammlung“ (die so lange dauern sollte, bis das Volk ein vernünftiges Wahlgesetz erlangt habe)[205] „setzten wir mit 139 gegen 114 Stimmen durch. Wir hatten diese Frage in die Versammlung geschleudert, um eine Muthprobe zu machen und die Stärke und Ausdauer unserer Partei kennen zu lernen. Da die Probe gelungen war, so konnten wir getrosten Muthes die Abänderung des Grundgesetzes beantragen. Unser Antrag war sehr gemäßigt (!); er verlangte nur die Weglassung des ebenso überflüssigen, als einfältigen Passus: „In Sachsen will der Verein mit dem Volke (!)“ — das Ausrufungszeichen ist von Jäkel selbst — „die Beibehaltung und zeitgemäße Fortbildung der constitutionellen Monarchie.“ Da geberdete sich die Rechte, die von dem Dresdener Ausschuß und den Leipzigern aus dem Bertling’schen (früher Wuttke’schen) Verein commandirt wurde, als stände die Republik vor den Thoren. Aber es half ihnen Alles nichts. Wir schnitten den alten dummen Zopf weg, mit 120 gegen 119 Stimmen um Nachts ein Uhr, nachdem wir zehn Stunden ununterbrochen verhandelt hatten.“
So geht es noch bogenlang weiter. Man sieht den Herrn[413] ordentlich vor sich in dem historischen blauen Frack mit gelben Knöpfen, carrirten Hosen, einem ungeheueren Hecker-Hut mit rother Feder auf der Siegerstirn. Dann erzählt der blutrünstige Marat von Leipzig von dem grauenvollen Autodafé, das er über die „vormaligen Abgötter des Volkes“ gehalten, und mit der Barmherzigkeit eines Großinquisitors versichert er: „Einige, die ich als gute Kerle kannte, dauerten mich. Aber es kann nichts helfen. Wir sind entschlossen, Niemanden mehr zu schonen, der nicht ganz entschieden für die Bewegung ist.“ Und nun kommt die Nutzanwendung für den „lieben Blum“: „Ob Ihr in Frankfurt eine Erklärung in Bezug auf das in Dresden Vorgefallene erlassen wollt, muß ich Euch überlassen. Keinesfalls könnt Ihr Euch für die Ausgetretenen erklären; Eure ganze Popularität stände auf dem Spiele, denn unter unserer Partei gab sich der entschlossenste Geist kund, nach allen Seiten auszuschlagen (!). Nur so können wir die Reaction besiegen!“
Blum antwortete nicht. Vielleicht hoffte er nebenbei, daß der Mann an seiner eigenen vis comica zu Grunde gehen werde. Jedenfalls aber nahmen nun wieder die Angelegenheiten des Parlaments Blum’s Thätigkeit und sein Interesse so vollständig in Anspruch, daß der häusliche Familienzwist der Vaterlandsvereine wirklich recht klein erschien gegenüber der großen nationalen Ehrenfrage, die aus dem Waffenstillstand von Malmö sich aufdrängte.
Der schwere und in mannigfacher Hinsicht so folgenreiche Zwiespalt, der aus Anlaß der schleswig-holsteinischen Sache zwischen der Krone Preußen und dem Frankfurter Parlament ausbrach, gehört bei Allen zu den bekanntesten Ereignissen des Jahres 1848, so daß hier eine kurze Aufzählung der wesentlichsten Thatsachen genügt.[206]
Schon zu Anfang April war es zwischen den Dänen, welche die Einverleibung Schleswigs in Dänemark, die Vergewaltigung des Verfassungsrechts beider Herzogthümer durchsetzen wollten und den schleswig-holsteinischen Truppen, die den Befehlen der provisorischen Regierung der Herzogthümer dienten, und verstärkt waren durch Freiwillige aus ganz Deutschland, zu heftigen Kämpfen gekommen. Die Deutschen mußten sich hinter die Eider zurückziehen. Am 11. April flatterte der Danebrog wieder in der Stadt Schleswig.
Da rückte am 10. April, nachdem alle gütlichen Aufforderungen an die Dänen vergeblich gewesen, General Wrangel mit seinen Preußen über die Eider. Schon am Ende des Monats stand er an der Grenze Jütlands; Schleswig war von[415] Dänen gesäubert. Am 2. Mai drang er in Jütland ein, um für den Raub deutscher Schiffe Kriegsvergeltung zu üben und besetzte die Festung Friedericia. Da erfolgte die Einmischung der neidischen Großmächte England und Rußland, der prahlerischen Schweden; Rückzugsbefehle trafen Ende Mai von Berlin ein. Die Dänen drangen sofort nach; am 5. Juni kämpfte General Bonin bei Düppel, von der Tann bei Hoptrup mit seinen Freiwilligen, Ende Juni stand das deutsche Heer abermals auf der Königsau, an der Grenze Jütlands.
Nun mischte noch erfolgreicher als zuvor die auswärtige Diplomatie sich ein. Sie fand leider in Berlin günstigen Boden für ihre anmaßlichen Drohungen. Denn dem König erschien die ganze Wirthschaft in Schleswig-Holstein zu revolutionär. Er glaubte auch seiner Garden nothwendiger in der Hauptstadt zu bedürfen, und die Aussicht, daß die deutsche Demokratie mit Freuden zu einem Kriege gegen Rußland treiben könne, erfüllte ihn mit peinlichster Sorge. So begannen denn Ende Juni Waffenstillstandsverhandlungen zu Malmö, die am 19. Juli in Bellevue bei Kolding zu einem vorläufigen Einverständniß führten. Drei Monate lang sollten die Waffen ruhen, die Herzogthümer von beiden Truppen geräumt, die schleswig-holsteinische Armee in eine schleswigsche und holsteinische Hälfte getheilt, die provisorische Regierung durch eine von Preußen und Dänemark gemeinsam zu ernennende Behörde ersetzt werden.
Preußen hatte den Krieg Namens des Deutschen Bundes begonnen. Da der Band am 11. Juli sein Dasein beschlossen hatte, bedurfte es nun der Zustimmung des Reichsverwesers und Parlaments für die Rechtswirksamkeit der Verabredungen von Bellevue. Schon am 9. Juni hatte das Parlament diesen Anspruch erhoben und beschlossen, es werde keinen Frieden genehmigen, der die Rechte der Herzogthümer und die Ehre[416] Deutschlands schädige. Das Reichsministerium, Schmerling voran, ermunterte lebhaft diese Haltung. Stand dem verschlagenen österreichischen Staatsmann doch der so beliebte Conflict mit Preußen nun näher vor Augen als jemals. Dennoch ertheilte der Reichsverweser den Verabredungen von Bellevue am 7. August mit einigen Aenderungen seine Zustimmung, und entsendete seinen Unterstaatssecretair Max von Gagern, den Bruder des Präsidenten, zum Theilnehmer an den ferneren Verhandlungen. Dänemark weigerte sich einfach, mit Gagern zu verhandeln, auch Preußen ließ diesen Anspruch fallen, und am 26. August kam in Malmö der eigentliche Waffenstillstand zu Stande, der für die deutschen Waffen erheblich ungünstiger war, als das Abkommen vom 19. Juli. Dänemark erhielt für sieben Monate Waffenruhe, d. h. für den ganzen Winter, wo die feindliche Flotte uns nichts hätte anhaben können und das ganze feindliche Land uns offen lag; „Deutschland sei geradezu in den April geschickt“, erklärte Dahlmann bitter; alle seit dem März erlassenen Gesetze und Verordnungen wurden außer Kraft gesetzt; zum Präsidenten der gemeinschaftlich ernannten Regierung wurde der verhaßteste Dänenfreund, Graf Carl Moltke, berufen.
Am 4. September ward der Wortlaut des Vertrags dem Parlament von Heckscher mitgetheilt. Der Abschluß war schon seit dem 30. August bekannt geworden. Aber hier erfuhr man zum ersten Mal den offiziellen Wortlaut mit allen Zusätzen. Die tiefste Entrüstung ergriff die weitesten Kreise des Parlaments. Selbst Fürst Lichnowsky trat mit Takt und Wärme für den Antrag von Waitz ein, daß ein besonderer Ausschuß schon am folgenden Tage Bericht erstatten solle, ob man nicht die Maßregeln zur Vollziehung des Waffenstillstandes hemmen solle, bis das Parlament endgültig Beschluß gefaßt habe.
Dahlmann erstattete den Bericht am 5. September. Schon[417] am Tage vor der amtlichen Mittheilung des Vertrags an die Versammlung hatte er seine berühmten fünf Fragen vorgelegt und geschlossen: „Vor noch nicht drei Monaten wurde hier beschlossen, daß in der schleswig-holsteinischen Sache die Ehre Deutschlands gewahrt werden sollte — die Ehre Deutschlands!“ Nun begründete er im Namen des Ausschusses den Antrag, die zur Ausführung des Waffenstillstandes ergriffenen militairischen und sonstigen Maßregeln einzustellen, und schloß mit den unvergeßlichen Worten: „Unterwerfen wir uns bei der ersten Prüfung, welche uns naht, den Mächten des Auslandes gegenüber, kleinmüthig bei dem Anfange, dem ersten Anblick der Gefahr, dann, meine Herren, werden Sie Ihr ehemals stolzes Haupt nie wieder erheben! Denken Sie an diese meine Worte: Nie!“[207]
So stand in der That die Frage. Das Redeturnier, das nun folgte, war das ernsteste und glänzendste, das St. Paul je gesehen. Aber durchaus ungleich waren Licht und Schatten vertheilt für die beiden Lager. Schmerling mochte innerlich aufjubeln, als der Kriegsminister von Peucker, der Preuße, zu dem früher schon geernteten Zorn seiner Regierung nun auch den Zorn des ganzen deutschen Volkes erntete, da er mahnte, geduldig zu tragen den Schlag, der zu Malmö der deutschen Einheit versetzt worden, und über all die Verachtung zu quittiren, welche der deutschen Centralgewalt dort bekundet worden war. Und selbst die Vertheidiger Preußens und der Reichsgewalt, wie Bassermann, hatten kein Wort der Rechtfertigung für den schimpflichen Vertrag; sie begnügten sich, bei der vorhandenen Nothlage vor dessen Verwerfung zu warnen. Radowitz, der mit diplomatischen Winkelzügen diplomatische Niederlagen zu verdecken[418] suchte, war niemals so geistesarm und unbedeutend wie an diesem Tage. Nur Lichnowsky trat auch heute ganz und voll für seine preußische Regierung ein. Aber auch er, der kühnste Degen Preußens im Parlament, erging sich heute nur in Rechtsmeinungen: Preußen habe unleugbar von der Centralgewalt die freieste Vollmacht erhalten, habe demgemäß gehandelt; den Waffenstillstand verwerfen, heiße die Brandfackel der Revolution in Deutschland umhertragen; das Parlament könne wohl über Krieg und Frieden, nicht aber über einen Waffenstillstand entscheiden, welcher dem künftigen Frieden nicht eine Zeile vorschreibe. Wie viel günstiger stand das Terrain der Redeschlacht für die Gegner des Vertrags von Malmö! Das Tiefste und Wahrste hatte schon Dahlmann gesagt. Aber auch Heinrich Simon, Zimmermann von Stuttgart, Wesendonck verliehen beredte Worte der tiefernsten Klage der Volksseele, daß die glorreichste Erhebung der Nation so traurig enden solle. Und nächst Dahlmann sprach Robert Blum auch heute das Beste.[208]
Er verglich in treffendster Weise die günstigeren Bedingungen des Vertrags von Bellevue mit den schweren Nachtheilen des Abkommens von Malmö. Zur Rechtfertigung dieser Wandlung habe man nur die Furcht vor dem Kriege anzuführen. Und doch habe man vor wenig Wochen noch gesagt, durch Vermehrung des deutschen Heeres um 340,000 Mann könne man der ganzen Welt trotzen! Preußen habe im Namen eines „Gespenstes“, des Bundestags, verhandelt, nicht Namens der Centralgewalt. Das sei bedenklich. „Es muß sich entscheiden“, schloß er, „ob Preußen in Deutschland aufgehe, oder ob Deutschland preußisch werde. Ich möchte nicht so begeisterungslos sein im Anblicke der Gefahr, die möglicherweise oder wirklich droht,[419] hier vorzuschlagen, die kleine Schande zu tragen, um die große zu vermeiden. Im Gegentheil, eine Nation wird nimmer mit Schande und Schmach bedeckt werden, wenn sie Muth hat, den Gefahren zu trotzen, die sich ihr entgegenthürmen. (Stürmisches Bravo.) Es ist ein Erfahrungssatz, so alt wie die Welt, daß der Mensch und der Staat soviel gilt, als er Muth hat, und wäre über die deutsche Nation, durch die Verhältnisse, wie sie vorliegen, in der ersten Zeit ihres Emporstrebens das Verhängniß der Vernichtung ausgesprochen — es wäre unendlich schmerzlich — aber ertragen möchte ich es noch lieber, als mit Schmach und durch schmachvolle Nachgiebigkeit fortzuleben. Sie mag am Völkergrabe das Bewußtsein sich eintauschen, daß die Nachwelt sage: sie sei zu Grunde gegangen, aber mit Ehre.“
Die Entscheidung ließ sich vorhersehen. Mit vierzehn Stimmen Mehrheit ward die Genehmigung des Waffenstillstandes verworfen, mit einer Mehrheit von siebzehn Stimmen beschlossen, daß die Maßregeln zur Ausführung des Waffenstillstandes einzustellen seien. Obwohl die Sitzung des Parlaments erst um sieben Uhr Abends schloß, stellten noch am nämlichen Abend sämmtliche Reichsminister ihre Aemter dem Reichsverweser zur Verfügung. Dahlmann wurde mit der Leitung und Bildung des neuen Ministeriums beauftragt. Er hat es bekanntlich nicht zu Stande gebracht. Seiner ganzen Natur und Staatsanschauung widerstrebte es, zu Genossen seines Ministeriums die Führer der Linken zu berufen, an deren Seite er den Sieg vom 5. September erfochten, namentlich Robert Blum. Und auf der Rechten und dem rechten Centrum fand er Keinen, der mit ihm hätte ankämpfen wollen gegen Preußen, das den Malmöer Waffenstillstand schon am 2. September ratifizirt hatte. So gab er denn nach mehrfachen gegründeten Anfragen und Mahnungen der Linken und selbst des Präsidenten von Gagern am Abend[420] des 8. September seinen Auftrag als unausführbar an den Reichsverweser zurück. Viel kostbare Zeit war in diesen Tagen verloren worden und Vogt hatte Recht, als er aussprach, daß Dahlmann, wenn er einmal die Bildung eines Ministeriums zur Vollziehung des Parlamentsbeschlusses übernommen, auch die Verpflichtung gehabt hätte, diesen Beschluß wirklich durchzuführen wenn auch nur mit einem Ministerium von zwölf Stunden.
Es frommt nicht, der Frage nachzugehen, was geschehen wäre, oder was hätte geschehen können, wenn Dahlmann anders gehandelt, wenn er die Sachlage genommen hätte wie sie lag, wenn er von den Siegern des 5. September die Führer: etwa Biedermann, Heinrich Simon, Robert Blum u. A. in das neue Ministerium berief? Anton Springer sagt uns zwar bestimmt, was geschehen wäre: ein solcher Versuch hätte „schon nach acht Tagen mit Spott und Schande geendet“. Heinrich von Treitschke war dagegen noch im Frühjahr 1863 in seinen Leipziger Vorlesungen über das Jahr 1848 ganz anderer Meinung. Er tadelte Dahlmann lebhaft, daß er jenen Versuch nicht unternommen; er sprach namentlich aus, daß Robert Blum in seiner Person und seinem Charakter wohl die Gewähr geboten hätte, die Gegensätze zu versöhnen, daß ein entschlossenes Reichsministerium die kleine Majorität des 5. September zu einem fast einmüthigen parlamentarischen Rückhalt hätte umbilden können, daß der drohende Conflict mit Preußen schließlich doch nicht gegen das Volk und die Krone Preußen sich richtete, sondern möglicherweise durch eine einfache Aenderung im preußischen Ministerium zu beseitigen gewesen wäre. Erst im Winter 1863/64 schrieb mir Treitschke, daß er zu der Ueberzeugung gekommen sei, die Mehrheit vom 5. September habe doch den falschen Standpunkt eingenommen. Denn die entscheidende Frage sei schon damals nicht mehr eine nationale Herzensfrage, sondern[421] eine reine Machtfrage gewesen zwischen Preußen und dem Parlament. So tief und schwankend konnte die peinliche Frage, die in jenen Septembertagen das Deutsche Parlament bewegte, noch fünfzehn Jahre später in der Brust eines der besten Deutschen sich regen. Wieviel weniger sind wir also berechtigt, Diejenigen zu verurtheilen, welche inmitten der schweren Krisis bis zuletzt gegen Preußen, gegen die Waffenruhe stimmten und gegen die Bedingungen, die sie für eine Entwürdigung Deutschlands hielten! War doch auch Dahlmann bis zuletzt unter den Verneinenden, ebenso Biedermann, Eisenstuck, Mittermaier, Riehl, Riesser, Uhland, Wippermann, selbst Vincke. Man kann doch im Ernste nicht behaupten wollen, daß diese Männer bei ihrer Abstimmung daran hätten denken können, Preußens Volk und Königthum zu beleidigen, und daß die Männer der Linken, Blum voran, entfernten Vorwand zu dem Klatsch gegeben hätten für die „bösen Zungen“, zu deren Vermittler ein so angesehener Geschichtsforscher wie Anton Springer sich macht, wenn er sagt[209]: „Robert Blum habe bereits Frack und Handschuhe hervorgeholt, um als Minister an Dahlmann’s Seite würdig aufzutreten“. Als ob die Würde Dahlmann’s in Frack und Handschuhen bestanden, oder als ob Blum dieser Zierrathe bedurft hätte, um an Dahlmann’s Seite „würdig aufzutreten“.
Doch, wie gesagt, es frommt nicht, die Folgerungen einer Wendung zu ziehen, zu welcher diese Krisis nicht gediehen ist. Es ward anders gehandelt und unser Volk hat die Folgen zu tragen gehabt. Sehr bald kehrte der Kreislauf des Sturmes wieder zu dem Anfangspunkt zurück, von dem er ausgegangen. Schon am 14. September begann das Parlament von Neuem die Verhandlung über Verwerfung und Genehmigung des Malmöer[422] Waffenstillstandes. Auch diesmal ging der Antrag der Ausschußmehrheit auf Verwerfung. Drei Tage währte die Redeschlacht. Sie trug trotz aller Heißblütigkeit Ludwig Simon’s, Giskra’s u. A. doch das Gepräge dumpfer Resignation. Selbst die streitbarsten Kämpen entschiedener Parteimeinung, Robert Blum und Fürst Lichnowsky, sprachen zum Frieden, zur Versöhnung, Carl Vogt selbst trug den tiefsten sittlichen Ernst zur Schau. Alles sah aus wie der letzte Act einer großen Tragödie, die betitelt war: „Die Ehre Deutschlands“. Am letzten Tag der Debatten bestieg Blum die Tribüne und hielt seine letzte große Rede im Parlament, die reifste und schönste, die von ihm in St. Paul vernommen wurde. „Er sprach vortrefflicher als je“, sagt eine gegnerische Darstellung der Verhandlungen der deutschen Nationalversammlung.[210] „Sittliche Würde gesellte sich zur Schärfe der zergliedernden Prüfung; zermalmende Kraft paarte sich mit Mäßigung. So warf er Schritt für Schritt die Vertheidiger des Waffenstillstandes zu Boden“.[211] So sprach der Mann, der nach Anton Springer Handschuhe und Frack hervorholen mußte, um neben Dahlmann würdig auftreten zu können. Er sagte:
„Man hat uns im Laufe der jetzigen Verhandlungen vielfach zur Ruhe und zur Besonnenheit gemahnt, und allerdings ist dieselbe nothwendig bei einer Verhandlung dieser Art; allein ausschließen kann dieselbe doch wohl nicht jene lebendige Empfindung für Das, was wir verhandeln, und die man gestern richtig mit Leidenschaft bezeichnet hat. Denn soweit die Geschichte reicht, hat die Leidenschaft stets die Ereignisse geboren, die Ruhe und Besonnenheit hat sie erzogen; wir sind aber[423] wirklich in dem Falle, die auf dem Papier stehende deutsche Einheit zur Wirklichkeit zu machen, sie in das Leben zu rufen; und dazu gehört Leidenschaft, dazu gehört eine lebendige Empfindung. So selten es der Fall sein mag, so vollkommen bin ich mit Herrn Jordan einverstanden, daß die Haltung unseres Reichsministeriums keinesfalls in dieser Frage von der Art gewesen ist, daß ich in die Lobsprüche einstimmen könnte, die man ihm ertheilt hat. Ich will nicht von der heiteren Laune des Herrn v. Schmerling reden; sie hat mich erfreut, denn nach den Erfahrungen, die wir an einem der letzten Tage seiner Bundespräsidentschaft gemacht haben, scheint das sein Schwanengesang sein. Ich meine nicht den der Person als Minister, sondern den des alten Bundestagssystems, welches mit ihm an der Herrschaft gewesen ist. Inwiefern des Reichsministers des Auswärtigen, Herrn Heckscher’s Vertheidigung, die hier mit Anrufung aller Zeugen, aller processualischen Formen stattgefunden hat, geeignet war, der Sache, die er vertrat, Anhänger zu verschaffen, wird der Erfolg zeigen. Ich muß mit dem Redner vor mir übereinstimmen, daß ich lieber die Sache, als die Person des Reichsministers vertreten gesehen hätte. Es ist gestern darauf hingewiesen worden, daß diese (linke) Seite des Hauses die Centralgewalt nicht in der Weise gewollt habe, wie sie geschaffen worden ist, und das ist richtig; allein man ist auch so gerecht gewesen, zu sagen, daß man, wenn es sich darum handle, die Centralgewalt stark und zur Wirklichkeit zu machen, zu uns vertraue, wir werden die Hand dazu bieten, und ich versichere, wir werden es. (Bravo in der Versammlung.) Wir werden alle Ministerien, die halb und zweideutig und feig sind, und nicht wissen, was sie sollen und wollen, mit allen Kräften, die uns zu Gebot stehen, bekämpfen, bis zu dem Augenblick, wo wir ein starkes haben, einerlei ob von dieser oder jener Seite (Bravo!) und deshalb greifen wir das Ministerium an, das noch in einem halben Leben vor uns tritt. Deshalb weisen wir für seine traurige Haltung auf die Art und Weise hin, wie die Limburger Frage verhandelt worden ist, wie man officielle Actenstücke durch halbofficielle Briefe verleugnet und zu nichte macht, wie man die Centralgewalt oder vielmehr ihren Träger bei öffentlichen Gelegenheiten auftreten läßt, und wie man in dieser Sache verfahren ist. Als das Ministerium sein Amt antrat, hatte es jenen Krieg vor sich: allein nachdem Ihnen hier im August gesagt worden ist, daß es eben noch beschäftigt sei, sich die Schreibmaterialien anzuschaffen, ist es begreiflich,[424] daß es sich um diesen Krieg nicht bekümmern konnte. Es ist der ganze Monat Juli vergangen, und man kann nicht das Kleinste aufweisen, daß sich das Ministerium darum bekümmert hat. Am Ende Juli brachte man ihm die Kunde von den Waffenstillstands-Präliminarien zu Malmö und Bellevue, die ihm die englischen Zeitungen vier Wochen vorher gebracht hatten, und dann erst begann es — — nichts zu thun. (Gelächter.) Die preußische Regierung verlangte von ihm eine unbedingte Vollmacht zum Abschluß des Waffenstillstandes; überraschen kann es uns allerdings nicht, nachdem Heckscher bei Gelegenheit der Verhandlung des Raveaux’schen Antrags uns die Theorie entwickelt hat, daß man Das, was man besitzt, nicht auszusprechen brauche, daß das Ministerium bei dem Ansinnen, welches ihm gestellt wurde, auch nicht für nothwendig hielt, die Genehmigung vorzubehalten. Wenn der Reichsminister Heckscher in seinem Privatverkehr derartige Ansichten hat, dann ist es allerdings seine Sache, inwiefern er darnach leben will, oder nicht; wenn ihm aber von uns etwas anvertraut ist, — und das war das Gesetz über die Centralgewalt, — und es zweifelt Jemand daran, daß dieses anvertraute Gut unser ist, dann verlange ich vom Reichsminister Heckscher, daß er das ihm anvertraute Pfand hüte, und das hat er nicht gethan. (Bravo!) Man hat uns gesagt, die Verhandlungen, wie sie nun einmal seien, und namentlich der zweideutige Passus, „die gewünschte Vollmacht“ habe Preußen berechtigt, zu handeln, wie es gethan hat. Das muß ich freilich bestreiten, und namentlich gegen Den bestreiten, der die Fortexistenz des deutschen Bundes mit soviel Bestimmtheit behauptet hat; denn in der deutschen Bundesacte und in der Wiener Schlußacte ist ausdrücklich festgesetzt, daß bei einem Bundeskrieg kein einzelnes Glied des Bundes im eigenen Namen verhandeln kann und darf. Auf diesen Grund hin hat auch der Bundestag den damaligen Vollmachtträger, die preußische Regierung, darauf aufmerksam gemacht, daß bei „jedem wichtigen und präjudizirlichen Abschluß, ja bei jeder Verhandlung dieser Art“ die Genehmigung des Bundestags eingeholt werden müsse. Wollen Sie demnach sich auf die Bundesacte stellen, so war Preußen zum Abschlusse in keiner Weise befugt; wollen Sie sich auf das neue Gesetz über die Centralgewalt stellen, so war es dazu ebensowenig befugt. Was aber das Reichsministerium betrifft, mit dem wir es in dieser Frage allein zu thun haben, so glaube ich, lag ihm nicht blos ob, die Gesetze zu bewahren und die Centralgewalt auf eine würdigere Weise, als es gethan[425] hat, zu vertreten; sondern man sollte bei so scharfsichtigen Männern, wie die Reichsminister, glauben, sie hätten die Verhältnisse auch ins Auge gefaßt. Dann würde ihnen nicht entgangen sein, daß gerade merkwürdigerweise seit Schaffung der Centralgewalt von Seiten Preußens mit einer Hast auf diesen Waffenstillstand zugesteuert wurde, die in der That überraschen muß. Unmittelbar nach Schaffung der Centralgewalt kamen die vorläufigen Bedingungen von Malmö, wurde die Vermittlung Englands bei Seite gelassen und die Schwedens angenommen, kamen die Unterhandlungen von Bellevue, und in einer ununterbrochenen Reihenfolge kam man zum Abschluß des Waffenstillstandes. Nichts ist natürlicher, als daß Dänemark, nachdem es sah, mit welcher Hast man den Abschluß des Waffenstillstandes betrieb, sich in seinen Anforderungen steigerte, daß es mehr verlangte als anfangs. Ich will indessen nicht wiederholen, was bereits oft hier gesagt worden ist, inwiefern die letzten Bedingungen von den ersten abweichen; ich will auch nicht darauf hinweisen, daß es sehr gleichgiltig ist, ob der Graf v. Moltke an der Spitze der Regierung stand, oder nicht; denn um die Person handelt es sich nicht, es handelt sich darum, daß man den Mann, in dem das dänische Princip am schärfsten ausgeprägt war, an die Spitze der Regierung stellte. Man sagt nun als eine Concession: Graf v. Moltke ist zurückgetreten; nein, meine Herren, er ist zurückgetreten worden, und wenn man jetzt angeblich eine gute Miene zum bösen Spiele macht, so ist Das nichts Anderes, als die Anwendung des Sprichworts von dem Fuchs, dem die Tauben zu sauer sind. Was wird kommen? Nichts Anderes, als ein anderer Moltke, wenn er auch nicht so heißt. So hat man denn einen Waffenstillstand in dem Augenblick abgeschlossen, wo die vereinten Kräfte von Deutschland sich auf dem Schauplatze des Krieges gesammelt hatten, als die Söhne unseres Vaterlandes von allen Seiten zusammengeströmt waren, als Deutschland zum ersten Male seit dem Erwachen der neuen Zeit seine gemeinsamen Kräfte üben sollte, also die sichersten Bürgen in denselben gegeben waren, daß wir einen ehrenvollen Frieden schließen konnten. Wie der Waffenstillstand beschaffen ist, darüber lesen Sie die Blätter unserer Feinde, lesen Sie namentlich Fädrelandet, welches hier citirt wurde. Warum aber dies Alles? Warum wurde nicht direct verhandelt, warum nicht wenigstens die Verhandlung, ich will nicht sagen, beaufsichtigt, aber von Seiten der Reichsgewalt daran Theil genommen? Ich kann mir darüber keine Rechenschaft geben, denn[426] da, von wo uns Auskunft darüber kommen sollte: beim Ministerium, finden wir dieselbe Einheit und Einigkeit, wie wir sie in der Limburger Frage fanden, wo die Minister hier nicht wußten, was diese dort vorbrachten. Herr Heckscher hat uns etwa gesagt: „Wenn Dänemark behauptet, es könne mit der Centralgewalt nicht unterhandeln, so ist das eine Lächerlichkeit; man hat hier eine historische weltbekannte Thatsache verleugnet, und darüber braucht man gar nicht zu reden.“ Der diplomatischere Herr v. Schmerling sagt uns dagegen: „Gott bewahre, die Centralgewalt war für Dänemark gar nicht da, sie war ihm ja nicht angezeigt, wie konnte es also mit der Centralgewalt verhandeln?“ Die Sonderbarkeit, die darin liegt, daß der Herzog von Holstein nichts davon wußte, will ich nicht wiederholen, aber auf einen andern Umstand aufmerksam machen, daß nämlich dieses Ding, welches den Dänen gar nicht bekannt, und für sie nicht in der Welt war, dessen ungeachtet einen Bevollmächtigten ernennen, demselben eine Vollmacht geben, und von ihm verlangen konnte, auf Grund dieser Vollmacht mit den Dänen einen Waffenstillstand abzuschließen. Das geht über meinen, freilich nicht diplomatischen Verstand hinaus. Etwas aber ist mir klar: entweder war die Centralgewalt wirklich nicht vorhanden, und dann handelte das Ministerium uns gegenüber pflichtwidrig, denn es mußte Preußen allein bevollmächtigen, und das Gesetz vom 28. Juni umgehen; oder es war die Centralgewalt eine historische Thatsache, die man nicht leugnen konnte und dann begreife ich nicht, wie man solche Entschuldigungen vorbringen mochte, wie wir sie vorgestern hier gehört haben. Freilich, von einem Ministerium, das die neugeschaffene Centralgewalt, die so sehr der Entschiedenheit bedarf, entschieden vertrat, hätte man erwartet, daß es eine Antwort gab, wie sie Bonaparte zu Campoformio gegeben hat. „Streichen Sie“, sagte er, „die Anerkennung der Republik aus; wir brauchen sie nicht, denn sie ist klar wie die Sonne am Himmel.“ (Bravo!) Dies war indessen nicht genug. Man schickte auch einen Gesandten hin, und bot auf andere Weise seine Dienste an. Treu dem bekannten Briefe des Herrn v. Peucker spielte man so eine Art von Vermittelungspolizei in Schleswig-Holstein. Die preußische Regierung sah ein, daß ihr die Landesversammlung gefährlich sei, und fürchtete die durch dieselbe aufgeregten Leidenschaften. Sie fand aber, wie ihr sehr gewandter Agent sagte, die „passende Form“ hierzu, indem sie das Ministerium der Centralgewalt die Kastanien aus dem Feuer holen ließ, und es beauftragte,[427] es möchte dies doch den Schleswig-Holsteinern auf eine passende Weise beibringen; das Ministerium war dazu bereit, und berief sich nicht blos auf die Unthunlichkeit, sondern auch auf einen Beschluß der National-Versammlung, wonach keine constituirende Versammlung mit der hiesigen zugleich stattfinden solle, ein Beschluß, der niemals gefaßt worden ist. Man ging noch etwas weiter, und schickte einen Gesandten. Ehre dem Manne, der dorthin gegangen ist, aber tiefes Mitleiden seiner Stellung. Seit dem Bürgermeister von Saardam komischen Andenkens hat kaum ein Diplomat eine ähnliche Rolle gespielt, wie dieser Gesandte der deutschen Centralgewalt. Er ging nach Berlin, wo man ihn kaum anhörte; er ging nach Schleswig-Holstein, und stand dort gänzlich hinter den Coulissen, wie ein junger Mensch, der in das Theater sich geschmuggelt hat und nicht gesehen sein will. Er schickte Personallisten nach Malmö, als es sich darum handelte, Personen zu wählen. Wir kennen leider in diesem Augenblick noch nicht, welche Listen es waren; aber factisch liegt uns vor, daß man sie in den Papierkorb warf. Er ging nicht nach Malmö, wohin er eingeladen wurde, und es war gewiß das Beste, was er thun konnte; denn er würde eine noch traurigere Rolle dort gespielt haben, als im Hintergrunde. Der Inhalt des Waffenstillstandes wurde ihm vor der Ratification nicht mitgetheilt, denn was ging das die Centralgewalt Deutschlands an? Er reiste ab ohne Protest und ohne Verwahrung, und die ganze Reise gab nicht einmal Veranlassung zu einem gastronomischen Bericht, worin doch das Ministerium des Auswärtigen so groß ist. (Heiterkeit.) Das preußische Ministerium fügte zu der ihm angethanen — lassen Sie mich das Wort nicht aussprechen — noch den Hohn, indem es erklärte, es würde nach geschehenem Abschlusse sich vertraulich mit ihm unterhalten haben, wenn er hingekommen wäre, und die Weigerung des Generals von Below, ihm die Bedingungen mitzutheilen, verstand es dahin, daß er wahrscheinlich habe sagen wollen, er wolle sich auch vertraulich mit ihm unterhalten. Das sind, soweit sie uns vorliegen, die offenen Actenstücke; über die geheimen, die man allerdings in der Tasche haben soll, haben wir keinen Aufschluß; allein wir sehen wenigstens, daß das Ministerium des Auswärtigen, um der alten Diplomatie in Nichts nachzustehen, vertrauliche Briefe nicht zu drucken für gut befunden hat. Was die geheimen Actenstücke in dieser Sache betrifft, so berufe ich mich auf ein Mitglied dieser Seite des Hauses (der Rechten), auf Schubert, der uns[428] im Ausschuß gesagt hat, er habe derartige geheime Noten gesehen; ich berufe mich ferner auf die Briefe des Herrn Camphausen, in denen immerwährend von den Einflüsterungen Rußlands die Rede ist, während doch durchaus nicht eine Zeile in den Acten enthalten ist, und ich berufe mich endlich auf die Depesche des Ministeriums an den schwedischen Gesandten in Berlin, worin dasselbe sagt, wenn man sich den Anforderungen Schwedens nicht füge, werde dasselbe Dinge veröffentlichen, die den Leuten, welche unterhandelt haben, nicht sonderlich angenehm sein werden. (Hört! Hört!) Was nach dieser Haltung mit unserem Ministerium zu thun ist, das bleibe hier unentschieden. Unsere Seite wird allerdings nicht unterlassen, geeignete Anträge einzubringen, und sollten dieselben wegen mangelnden Gesetzes keinen Erfolg haben, so fürchte ich dennoch nicht, daß die Indemnitätsbill, die sich der Minister des Auswärtigen in seiner Verzweiflung von Lord Cowley geben ließ, von dem deutschen Volke bestätigt wird. So liegt also die Sache in diesem Augenblick, und man sagt, wir sollen ratificiren; ratificiren einen Waffenstillstand, der gegen die Bundesacte, gegen die Wiener Schlußacte, gegen das Gesetz vom 28. Juni, gegen die Beschlüsse dieser Versammlung, und gegen die ausdrückliche Vollmacht geschlossen ist; ratificiren einen Waffenstillstand, der thatsächlich unmöglich und unausführbar ist. Wir können ihn ratificiren, aber dann sehen Sie sich auch die nothwendigen Folgen an, verlieren Sie sich nicht auf den sophistischen Irrweg des Mannes, der Ihnen vom historischen Rechtsboden vorgesagt hat, daß Sie den Waffenstillstand, wenn sich die Schleswig-Holsteiner ihm widersetzen, nicht mit Gewalt der Waffen auszuführen hätten. Wenn Sie ehrlich sein wollen gegen Dänemark in vollem Umfange, wenn Sie die deutsche Ehre einsetzen für diesen Waffenstillstand, dann müssen Sie mit deutschen Truppen das rebellische deutsche Land Schleswig-Holstein zwingen, den Grafen Moltke oder irgend einen Anderen anzunehmen. Das ist nothwendig, eine ganz unvermeidliche Consequenz. Allein wenn wir aus den Actenstücken selbst gesehen haben, namentlich aus der merkwürdigen Aeußerung, die sich auf den Fürsten von Augustenburg bezieht, gesehen haben, daß es geheime Artikel gibt, wie können wir etwas ratificiren, was wir nicht kennen? Wie können wir den Kopf in eine Schlinge stecken, deren Weite wir nicht ermessen können? Ich wenigstens habe nicht Lust, wie die an ihrer eigenen Unfähigkeit bankerott gewordene Diplomatie, mich darauf zu berufen, daß uns vielleicht eine Vorsehung[429] aus dieser Schwierigkeit erretten werde. Es ist darauf aufmerksam gemacht worden, welche schweren Verluste die Küstenländer erleiden durch eine Fortsetzung des Kriegs, und gewiß ist das mit vollem Recht geschehen. Ich brauche Ihnen nicht zu wiederholen, was in dieser Beziehung mein Vorredner gesagt; aber aufmerksam machen muß ich Sie darauf, daß der Ruin dieser Küstenländer nicht von dem dänischen Kriege datirt, sondern von der Liebäugelei mit Rußland; von unserer Grenzsperre, von unsern Cartelverträgen; daß er dieselbe Ursache hat, wie die Hungerpest in Schlesien. Es wird längere Zeit noch einer sehr festen Haltung bedürfen, bevor Sie diesen Provinzen den Wohlstand wieder geben können, der fast systematisch untergraben worden ist. Man ruft uns ferner zu, wir sollen ratificiren im Interesse des Handels und der Gewerbe, und wer ein Herz für’s Volk hat, wahrlich, der wird jedes Mittel ergreifen, das dazu führen kann; aber glauben Sie, daß Handel und Gewerbe emporblühen können, so lange anstatt der alten verwitterten Grundlage des gestürzten Staatensystems nicht eine neue und dauerhafte gefunden ist? Glauben Sie, daß dieses Schaukeln und Schwanken des Systems, das nicht hier- und nicht dorthin sich wendet, geeignet ist, das Vertrauen zurückzuführen? Glauben Sie, daß, so lange man in Deutschland nicht weiß, wer nach dem vulgären Sprüchworte Koch oder Kellner ist, es möglich sei, daß irgendwie Unternehmungen begonnen werden, die geeignet sind, dem großen Theil unserer hungernden Bevölkerung Lebensmittel zu geben? Ich glaube es nicht. Wir sollen ferner ratificiren, weil wir möglicherweise einen Bruch mit Preußen herbeiführen. Nun, in der alten Zeit, da hieß es allerdings, wenn man vom Staate sprach: Das Auge nur hinaufrichten auf die äußerste Spitze, wo uns der Flammenspruch entgegenstrahlte: „L’état c’est moi!“ Diese Zeit ist nicht mehr vorhanden, und das preußische Volk ist wohl zu trennen von der wechselnden Neigung der Regierung. Preußens Volk ist, und es freut mich, das von dieser Seite (rechts) gehört zu haben, ein deutsches Volk, und Preußens Volk wird mit uns fühlen, wie es in diesem Waffenstillstand der gesammten gesitteten Welt gegenüber steht. Ich will nicht davon sprechen, welche Rolle wir dem Auslande gegenüber spielen, wenn wir gegen Hannover allerdings Courage und sehr hochklingende Redensarten haben, gegen Preußen aber nichts als gehorsame Diener. (Bravo auf der Linken.) Ich will auch nicht davon reden, daß wir keine neue Bilderstürmer-Secte organisiren wollen, um die[430] Bildnisse Friedrichs des Großen zu vernichten, oder daß wir dem Manne seinen Kienspahn nicht auslöschen wollen, der von dem großen Kurfürsten erzählt. Wir ehren die geschichtlichen Erinnerungen eines Volkes; sie sind das Heiligste, was es hat; wenn man aber eine neue Staatengestaltung nicht gründen dürfte, weil man neben diesen Erinnerungen den Gedanken einer neuen Zeit aufbringt, so müßte Deutschland noch in die 371 Territorien, die es am Anfange des vorigen Jahrhunderts hatte, getheilt sein. (Zuruf: Sehr gut!) Man hat uns, und es war ein Sprecher aus Oesterreich, vordeducirt, die Regierung sei einerlei mit dem Volke, und wenn die eine angetastet werde, würde auch das andere angetastet. Dieser Sprecher mag es bei seinen Landsleuten verantworten, wenn man consequenter Weise diesen zumuthet, sie sollten sich identisch betrachten mit dem Metternich’schen System und mit Metternich selbst, der so lange Europa geknechtet hat. (Beifall.) Allerdings hat Herr Jordan bereits prophetisch verkündet, was die preußische Nationalversammlung in dieser Angelegenheit beschließen werde. Ich habe diesen prophetischen Blick nicht, aber einige Wahrscheinlichkeit habe ich dafür, daß die linke Seite der Versammlung zu Berlin diese Angelegenheit gerade so betrachten wird, wie die linke Seite zu Frankfurt, und ich bitte, gefälligst zu bedenken, daß nach der letzen Abstimmung vom 7. September die linke Seite die Mehrheit hat. (Hört! Hört!) Auch hat Herr Jordan bereits Diejenigen gezählt, die sich für den Waffenstillstand erklären werden; es waren 10 Millionen. Wie ist es aber mit den übrigen 6 Millionen, die also wahrscheinlich dagegen sind? Wir wollen den Bruch mit Preußen vermeiden, und bringen den Bruch in Preußen zur Erscheinung. Aber nicht allein, daß wir den Bruch des Nordens mit dem Süden bringen, den Bruch Preußens, wenn denn wirklich in Preußen die Sache so sein sollte, wie Sie uns dargestellt haben, dann bringen wir auch den Bruch Preußens mit Süddeutschland zu Wege. Worauf gründen Sie die Behauptung, daß es in Preußen so sein müsse? Zeigen Sie uns die Erzeugnisse der Presse und der Versammlungen, oder was es sonst sein soll, wo man sich mit so großer Begeisterung für die Genehmigung des Waffenstillstandes aussprach. Wir haben eine Reihe von Eingaben gesehen, die sich dagegen ausgesprochen haben; wir haben mit Fleiß und Sorgsamkeit die preußischen Zeitungen gelesen, und außer der „neuen preußischen Zeitung“ keine gefunden, die sich in diesem Sinne ausgesprochen hat. (Zuruf. Hört! Hört!) Man weist[431] hin auf die öffentliche Meinung; ihr Ausspruch liegt nahe genug, wenn von 67 Eingaben 66 sich in einem und demselben Sinne aussprechen. Es ist die schönste Erscheinung, die wir in Deutschland seit den Märztagen gehabt haben, daß das Volk in dieser hohen sittlichen Kraft sich erhebt, wo es gilt nicht nur seine Interessen, sondern seine Ehre zu vertreten; daß es nicht wägt und nicht prüft, sondern nur das eine allgemeine Gefühl ausspricht: Wir stehen ein mit Gut und Blut dafür, daß diese Ehre eingelöst werde. (Anhaltendes Bravo auf der Linken und dem linken Centrum.) Allerdings hat man gesagt, diese Tausende zählen nicht. Es ist ein sehr verbrauchter Kniff des gestürzten Regiments, welches Tausende von Unterschriften nicht achtete, wenn sie von der Seite kamen, aber zehn Unterschriften für sehr hoch hielt, wenn sie von der andern Seite kamen (Zuruf von der Linken: Sehr gut!); allein wenn diese Tausende nicht zählen, und wenn man andere Tausende nicht dagegen aufstellen kann, so sollte man seine Augen doch nicht verschließen vor der Geschichte und vor den Thatsachen; man sollte nicht vergessen, daß unter weit größeren Hindernissen diese Tausende mächtig genug waren (Unruhe auf der Rechten) Kerkermauern zu sprengen, und Diejenigen zu befreien, die dahinter schmachteten. (Stürmischer Beifall des Hauses und der Gallerie.) Man sollte nicht vergessen, daß diese Tausende gerade es waren, die uns bis zu diesem Punkte geführt haben, wo wir jetzt stehen, und die uns hoffentlich weiter führen werden. Die Kammern sollen es sein, in denen sich die Meinung des Volkes ausspricht. Nun, die Kammern haben am Schlusse des vergangenen Jahres in allen Ländern Deutschlands kein Vertrauen mehr gehabt, und sind bis diesen Augenblick, trotz der neuen Zeit, noch nicht regenerirt, noch nicht eine einzige. Man hat uns sogar damit gedroht, wir würden verhungern in der Paulskirche, man würde die Mittel nicht mehr aufbringen können, die Nationalversammlung zu unterhalten; ich antworte Ihnen darauf ebenfalls mit der Geschichte, und sage Ihnen, das deutsche Volk hat zur Zeit, wo derartige Gaben ein ganzes oder halbes Verbrechen waren, Tausende durch Kreuzer- und Groschenbeiträge zusammengebracht zu den edelsten Zwecken, die ich hier nicht nennen will (Hört! Hört! von der Linken), und dieses deutsche Volk wird, wenn es sich um sein Leben und sein Dasein handelt, größere Aufopferungen bringen, als selbst für den edelsten Mann, den es jemals in Deutschland gegeben hat. (Bravo und Beifall von vielen Seiten der Versammlung und der Gallerie). Die[432] sittliche Empörung, von der ich gesprochen habe, gründet sich darauf, daß die Errungenschaften der Neuzeit, die Beschlüsse des Vorparlaments, die Bestrebungen des Fünfziger-Ausschusses, die Beschlüsse der Versammlung, die Gesetze, die bis jetzt das Einzige sind, was für den Gesammtstaat feststeht, nicht geachtet worden sind bei diesem Waffenstillstand; sie gründet sich darauf, daß die alte Diplomatie gerade in demselben Verhältniß, als ob wir keinen Märzmonat dieses Jahres gehabt hätten, schaltet und waltet mit dem Schicksale der Völker nach ihrem Ermessen; sie gründet sich darauf, daß man den Söhnen, die sich von dem Herzen des Vaters losgerissen haben, um sich dem ungewissen Schicksale des Kriegs hinzugeben, sagt: Kehrt nach Hause zurück, wir brauchen euch nicht mehr. Und diese sittliche Entrüstung lebt nicht nur im Volke, sie lebt auch, und das ist unsere Freude, im Heere. Die süddeutschen Truppen, welche den Herrn Peucker schon vor langer Zeit so bedenklich gemacht haben hinsichtlich ihrer Stimmung, glauben Sie, daß sie besser werden in Herrn Peucker’s Sinne, wenn man sie im vollen Bewußtsein ihrer Kraft und ihres Willens den Feinden entgegenführt, um dann zu commandiren: Kehrt um und geht nach Hause!? Glauben Sie, daß das deutsche Heer, welches man namentlich von dieser Seite (zur Rechten gewendet) und bei verschiedenen Gelegenheiten als nicht willenlos dargestellt hat, nicht als eine Masse, die wie eine Herde dem Befehle folgt, unempfindlich sei dafür, was in Schleswig-Holstein mit ihm geschieht und geschehen soll? Ich glaube es nicht; ich hoffe, daß der Soldat auch denkt, und wenn er denkt, dann wird er kennen lernen, daß die Demokratie in Deutschland es wirklich nicht schlecht mit ihm meint, daß sie im Soldaten den Bürger ehrt und anerkennt, wie in jedem Anderen, und daß sie nicht die Letzte ist, die dem Heere Beifall und Lob zujauchzt für die brave Haltung, die es in dieser ernsten Angelegenheit Deutschlands eingenommen hat. (Bravo von vielen Seiten.) — Wir kommen auf den Punkt der Furcht vor dem auswärtigen Krieg, und es bietet sich auch hier eine merkwürdige Erscheinung dar. Die Furcht vor dem Krieg ist immer unbedeutend, ungerechtfertigt und unbegründet, wenn es gilt, die Gewalt anzuwenden gegen das Prinzip der Freiheit; sie ist gefährlich im höchsten Grade, wenn es gilt, dieselbe Gewalt anzuwenden für das Prinzip der Freiheit. (Hört! Hört!) Als es sich um Posen handelte, um die Vernichtung völkerrechtlicher Verträge, um Italien und Anerkennung des Rechts der Freiheit und Unabhängigkeit seiner Bewohner,[433] da wiesen wir auf unser Heer von 900,000 Mann hin, und trotzten der ganzen Welt. Jetzt, wo es sich handelt, den thatsächlichen Zustand der Revolution in Schleswig-Holstein anzuerkennen und zu erhalten, da fürchten wir uns vor der ganzen Welt. (Mehrere Stimmen: Sehr wahr!) Allerdings, die Gefahr eines auswärtigen Krieges ist keine kleine; man darf sie nicht leichtfertig betrachten; aber die Gefahr, die uns bis jetzt vorliegt, scheint mir freilich so groß nicht zu sein. Wir haben uns gesträubt gegen die Vermehrung der Armee bis zu 900,000 Mann, und wir haben Ihnen das Bündniß mit der französischen Republik dringend empfohlen. (Heiterkeit in der Versammlung.) Droht uns Krieg von Westen oder Osten, wir bewilligen den letzten waffenfähigen Mann auch gegen die französische Republik, wenn sich dieselbe anmaßt, in unsere Angelegenheiten unbefugter Weise sich einmischen zu wollen. (Bravo von der Linken.) Aber die Einmischung scheint mir bis jetzt noch nicht gefährlich, die auf völliger Sachunkenntniß beruhende Aufforderung des Ministers des Auswärtigen der damaligen republikanischen Polizeiregierung in Frankreich scheint mir noch in keiner Weise einer Kriegserklärung ähnlich zu sein. Von dieser Auseinandersetzung bis zum Kriege ist noch ein so weiter Schritt, daß ich fürchte, der Terrorismus der Bourgeoisie erlebt den Tag nicht, wo dieser Schritt zurückgelegt ist. Komisch ist es übrigens, daß eine Regierung und ein Staatszustand, der seine Existenz noch nicht über vier Monate hinaus schreibt, und seinen ersten Geburtstag noch nicht gefeiert hat, sich zum Ritter für die verrosteten Dynastie-Verträge aufwirft, die aus vergangenen Jahrhunderten herstammen. (Bravo von vielen Seiten.) England, darauf hat man uns auch hingewiesen, droht uns, und das ist mir auch nicht wunderbar. Nichts ist natürlicher, als daß die „Erbweisheit ohne Gleichen,“ die dort das Volk ausbeutet, sich nach besten Kräften bestrebt, ähnliche Gelüste und Bestrebungen auf dem Continent zu unterstützen. Wunderbar ist es mir nicht, daß ein Volk, in dessen Tasche nach ungefährer Berechnung aus unserem Vaterlande jährlich 17 Millionen Thaler flossen, mit einigem Bedenken daran denkt, daß ein einiges und starkes Deutschland ihm möglicherweise nicht mehr in diesem Sinne contribuiren würde. (Bravo auf der linken Seite.) Und übrigens kann ich nicht umhin, daran zu erinnern, daß es das ganz alte Spiel von 1790 und 1791 ist; dieselben Organe, dieselben Parteien eiferten damals ebenso sehr gegen das kräftig aufstrebende Frankreich, wie sie jetzt gegen das aufstrebende[434] Deutschland eifern. Daß das Ausland unsere Kraft und unsere Einheit nicht will, darüber dürfen wir doch wohl nicht zweifelhaft sein, und wenn das Ausland den geschlossenen Waffenstillstand preist, und wenn es unsere Nichtgenehmigung fürchtet, wahrlich, dann liegt darin nur ein Grund mehr, daß wir uns ernstlich besinnen sollen über Das, was wir thun. (Beifall auf der linken Seite.) Die Entscheidung liegt indeß in Ihrer Hand, thun Sie, was Sie müssen; allein an Eines lassen Sie mich anschließen, was ein Redner auf dieser Seite gesagt hat, thun Sie nichts Halbes, — offen wie ein Mann für oder wider, nicht Achselzucken, nicht zweideutig, nicht zwar und aber, ich möchte gern, aber ich mag nicht, — schieben Sie nichts auf die Centralgewalt, denn das sind Sie selbst; sie ist stark oder schwach in dem Verhältnisse, wie Sie es sind, sie thut, was wir beschließen, und wenn wir Halbheiten beschließen, und wenn wir nicht den Muth haben, geradezu herauszusagen, was wir wollen, so wird die Centralgewalt in der Wirklichkeit der Centralschatten bleiben, als welchen sie die englische Presse begrüßt. Die Centralgewalt kann nicht einmal ein Ministerium zusammenbringen ohne Ihren entscheidenden geraden Ausspruch, denn ich halte den Minister für sehr gewissenlos, der auf einen zweideutigen Ausspruch hin und auf einen Auftrag, die Centralgewalt möge nach ihrem Ermessen handeln, irgend etwas in dieser Angelegenheit unternimmt. Man hat von den verschiedensten Seiten von dieser Tribüne her auf die Revolution hingewiesen, und es wird gestattet sein, denselben Gegenstand ins Auge zu fassen, denn er gehört ja eben zu den möglichen, vielleicht zu den nothwendigen Folgerungen Dessen, was wir beschließen. Leugnen läßt sich nicht, und Niemand, der in Deutschland ein offenes Auge hat, wird verkennen, daß die Bewegung in den letzten Wochen und Tagen merklich gestiegen ist; die alte Diplomatie hatte etwas zu schnell das Schicksal der Völker in die Hand genommen und bestimmen wollen, sie hatte etwas zu bald in die alten Bahnen eingelenkt, und die Reactionsversuche, die jetzt von fast Niemandem bezweifelt werden, waren zu gewaltig, als daß das noch nicht eingeschlummerte Volk nicht auf seiner Hut sein sollte. Offen und ehrlich, wie sich die äußersten Seiten des Hauses vom Anfang an gegenüber gestellt haben, denn wir haben uns ohne Hehl gesagt, was wir wollen: Man sagt, ein Theil dieses Hauses — oder wenn nicht direct Diejenigen, die in diesem Hause sitzen, so doch indirect dieselben durch ihre politischen Freunde, die sie draußen haben, — strebe darnach,[435] die Ruhe nicht wiederkehren zu lassen; er trachte nach nichts Anderem als die Bewegung zu erhalten, und zu steigern ... Meine Herren! Wenn das der Fall wäre, so würde ich Ihnen mit aller Kraft, die mir zu Gebote steht, rathen: „Ratificiren Sie den Waffenstillstand;“ es ist aber nicht wahr, und ich will Ihnen ehrlich sagen, weshalb, — weil wir die ernste Besorgniß hegen, daß die Bewegung, wenn wir sie nicht behalten, in Hände übergeht, die weit von uns nach dieser oder jener Seite liegen, und die vielleicht ohne Schuld die gesammten Errungenschaften unseres geistigen Daseins bis diesen Augenblick in Frage stellen. (Bravo auf der Linken und dem linken Centrum.) Deßhalb wollen wir es nicht, und deßhalb bitten wir Sie: Wagen Sie es nicht darauf, daß es dahin komme, daß die Bewegung sich steigere! Es giebt Mitglieder in unserer Nationalversammlung, die ihre Aufgabe nicht darin sehen, das Volk zu vertreten und blos Verfassungen zu machen, sondern die behaupten, sie seien von ihren legitimen Regierungen hergeschickt, um gegen die Revolution zu kämpfen. (Beifall auf der Linken.) Das ist eine eigenthümliche Auffassung ihrer Aufgabe, über die ich nicht streiten will, aber meine Meinung ist die, daß auch diese ein Interesse daran hätten, auf die Zeichen der Zeit zu merken. Herr Heckscher hat uns an das Schicksal der Julidynastie erinnert, und ich nehme diese Erinnerung an, nur in einer anderen Folgerung: weil die Vertretung des Volkes schlecht war, weil sie corrumpirt war, weil sie Ja sagte zu Allem, und weil sie nicht den Muth hatte; da entschieden für das Volk aufzutreten, wo es sich darum handelte; deßhalb fiel die Julidynastie, nicht deßhalb, weil die Kammern ihr opponirten. (Lebhafter Beifall auf der Linken und dem linken Centrum.) Wir haben es oft gehört, namentlich von der rechten Seite des Hauses, daß Sie Ihre Fürsten lieben, und ich erkenne dieses Gefühl an; denn die Liebe ist etwas Heiliges, mag sie sich wenden, wohin sie will. (Große Heiterkeit.) Aber wenn Sie Ihre Fürsten lieben, so treten Sie dem immer wuchernden Glauben entgegen, daß die Fürsten mit ihren dynastischen Interessen ein Hinderniß bieten für die Entwickelung unserer neuen Zustände, — geben Sie dem Volke das Vertrauen daß Sie ebenso sehr die Uebergriffe von der einen wie von der anderen Seite in die Schranken zu weisen entschlossen sind! Die Krone ist mit in diese Verhandlung gezogen worden; das gehört sich nicht, es ist nicht die Art parlamentarischer Verhandlung; allein sie ist eben hineingezogen worden, und[436] da darf man wohl auch daran erinnern, daß, wenn Sie uns gesagt haben: „Die Revolution ist ehrfurchtsvoll vor den Thronen stehen geblieben,“ es Ihre gewichtigste Sorge sein muß, daß die zweite Bewegung nicht darüber hinwegschwemmt. Erlauben Sie mir zum Schluß eine historische Thatsache: So lange Ludwig XVI. im Innern regierte gegen die Freiheit und das neue Leben seines Volkes, hatte er nur einen parlamentarischen Kampf, den er durch einen ehrlichen Vertrag hätte enden können; als er die Nationalität und die Ehre seines Volks auf das Spiel setzte für seine dynastischen Interessen, als er mit dem Auslande liebäugelte und sich sogar mit ihm verschwor, da war er verloren. (Stürmischer, lang anhaltender Beifall auf der Linken und dem linken Centrum.)“
Wie schon oft zuvor sprach Lichnowsky nach Blum. Auch er schwang die Palme des Friedens. „Lichnowsky hatte die letzte und schönste Blüthe seiner Rede in St. Paul entfaltet, wie Robert Blum, und die beiden schroffen Gegensätze wurden fast zu gleicher Zeit im Buche des Schicksals gestrichen.“[212]
Nach unaufhörlichem Widerstreit der Meinungen wurde endlich die Sistirung des Waffenstillstandes, der Ausschußantrag mit 21 Stimmen Mehrheit verworfen[213], mit derselben Mehrheit die Genehmigung des Waffenstillstandes ausgesprochen. Es war gegen neun Uhr Abends geworden. Fast zwölf Stunden waren verflossen seit dem Beginn der Debatten am letzten Tage. „Die Paulskirche rauschte auf in herz- und ohrzerreißendem Toben, in der Versammlung, in den unteren Räumen, auf der Galerie. Unter dem Lärm forderten unheimliche Gestalten nach der Stadtallee zu einer Volksberathung auf; die das Haus verlassenden Abgeordneten der Mehrheit, in der Verwirrung auch die der Minderheit, wurden verhöhnt, beschimpft, in die Flucht[437] getrieben.“ So schildert ein Augenzeuge das Ende dieses Tages.[214] Der Abgeordnete Zell aus Trier, einer der Linken, wurde verkannt und mißhandelt. Der Turnvater Jahn mußte sich vor der entfesselten Volkswuth in einen Winkel der Westendhall bergen. Barbarisch wurde dieses Berathungslocal der gemäßigten Linken verwüstet. Der Minister Heckscher, der in unglaublich taktloser Weise, vom Präsidenten wiederholt zur Ordnung gerufen, an diesem Tage die Linke verhöhnt und verleumdet hatte, war vor der Volksrache nach dem Bade Soden entwichen. Da hier, wie in allen Ortschaften des Taunus, der Zuzug nach Frankfurt gepredigt wurde, floh er weiter gegen Mainz. In Höchst wurde er erkannt und mißhandelt, und er wäre unzweifelhaft ermordet worden, wenn nicht die Ortsbehörde mit seltener Geistesgegenwart seine Verhaftung verfügt und ihn dadurch gerettet hätte.
Daß die im Parlament unterlegene Linke in ihren drei Fractionen, der Westendhall, dem Deutschen Hof und dem Donnersberg mit all diesen Bübereien nichts zu thun hatte, zeigte sich noch am Abend des 16. September. Die drei Zweige der Linken waren zu gemeinsamer Berathung der nun im Parlament zu ergreifenden Schritte im Deutschen Hofe zusammengetreten. Da verlangten Deputationen des „Montagskränzchens“, des „demokratischen“ und des „Arbeitervereins“ in die Versammlung eintreten zu dürfen, um den Abgeordneten persönlich „die Ansichten der Vereine über das Verhalten der Linken mitzutheilen“. Die Abgeordneten der Vereine wurden zugelassen. Sie erklärten und verlangten, die Linke soll sich als selbstständiges Parlament constituiren, da ihr allein das Vertrauen des[438] Volks gehöre. Tausende kräftiger Arme stellten sie zu diesem Zwecke zur Verfügung.
Aber die Linke lehnte diese Rolle entschieden ab. Man werde selbst nach eigenem Gutfinden beschließen. Die erwählten Vertreter des Volks könnten sich keinesfalls von irgend welcher Seite her Vorschriften und Bedingungen machen lassen. Vor Gewaltschritten irgend welcher Art wurden die Mitglieder der Deputation eindringlich verwarnt. Man ließ sie nicht abziehen, ohne von ihnen das bündige Versprechen zu erlangen, daß sie in diesem Sinne zur Beruhigung der Gemüther in ihren Kreisen wirken wollten, nicht ohne daß sie betheuert hatten, an den schmählichen Tumulten und persönlichen Angriffen des Abends sei kein Mitglied der vertretenen Vereine betheiligt. „Mit solchen Bübereien haben wir nichts zu schaffen!“ rief empört der Vertreter des Arbeitervereins[215]. Unter den einflußreichsten Mahnern zur Ordnung war Robert Blum.
Das Schlimmste war: die Männer, mit denen die Linke so offen und energisch sprechen konnte, hatten selbst nicht mehr die Zügel der Bewegung in den Händen, am wenigsten die Männer der Linken selbst. Und einzelne der leidenschaftlichsten Radicalen von der Linken, Zitz und Schlöffel (die berüchtigte „Reichshyäne“), standen mit den meisterlosen, blutdürstigen empörten Massen selbst in innigster Verbindung. Längst war das Band der Zucht und Parteiordnung zerschnitten, das im Frühjahr 1848 Blum um alle diese disparaten Elemente geschlungen hatte. Schon am 24. August hatte der Abgeordnete Kolaczek an Trützschler einen Brief geschrieben, den ich besitze, in welchem er Ruge feiert, daß dieser den Frankfurter Berathungen[439] überhaupt den Rücken gekehrt und sich nach Berlin gewandt habe, und in welchem er Blum verhöhnt: „so daß nur er als[216] conditio sine qua non erscheine, um welche Alles mit mehr oder weniger Bewußtsein kreist“. Anfangs, als die Unversöhnlichen, die reinen Republikaner, von Blum und Vogt sich trennten, erdröhnten die Hallen des „Deutschen Hofes“, in denen die Getreuen Blum’s sich sammelten, von der ungeheuren Heiterkeit, die Vogt’s geistvolle Kneipzeitungen auf Kosten der „linkser“ Stehenden hervorrief[217]. Da wurden z. B. die „Grundrechte der äußersten Linken“ herausgegeben: „die Todesstrafe ist abgeschafft. Die Guillotine wird als Vertheidigungsmittel beibehalten. — Das Betteln ist nur mit bewaffneter Hand erlaubt“ u. s. w. — Aber jetzt hatte man längst aufgehört zu lachen. Die rothe Revolution klopfte an die Thüren der Linken, an die Kirchenpforten von St. Paul!
Diejenigen, welche später die Beschuldigung erhoben haben, Blum und seine nächsten Freunde seien Mitschuldige an den schweren Verbrechen der nächsten Tage, haben sich immer nur auf jenen Artikel der „Reichstagszeitung“ beziehen können, welchen Stavenhagen in der Sitzung des Parlaments vom 20. September zur Verlesung brachte[218]. Man kann dem Abg. Simson (dem späteren ehrwürdigen Präsidenten des deutschen Reichstags) durchaus beipflichten, wenn dieser in einer späteren Stunde derselben Sitzung die volle Verantwortlichkeit für diesen Artikel, auch wenn ihn Robert Blum nicht selbst geschrieben — was nach Stil und Ausdrucksweise wohl zweifellos ist — Blum treffe, da sein Name als Herausgeber auf dem Blatte stehe[219].[440] Aber freilich in diesen Tagen, wo dem Abgeordneten über sechszehn (Blum meist zwanzig) Stunden Tagesdienst zugemessen waren, mußte an sich schon der Redacteur milder beurtheilt werden. Und vor Allem: was steht in diesem Artikel? Unleugbar eine nicht zu rechtfertigende Schmähung der Mehrheit vom 16. September. „Verräther an der Sache des Volks“ wurden sie genannt; von dem „blutigsten Schimpf“, den sie dem „Volkswillen“ angethan, wurde gesprochen. Aber völlig ungerecht ist die Anklage, daß die Mitglieder der Majorität in diesem Artikel „der Volksrache bezeichnet“ worden seien[220]. Der Hauptzweck desselben ist vielmehr, auf die angeblich ungerechte Leitung des Präsidiums von Gagern, auf die zweifellos parteiische Handhabung der Präsidialgeschäfte von Soiron hinzuweisen. Und wenn man nicht einmal die ungeheure Aufregung, in welcher sich alle Parteien damals befanden, als mildernden Umstand für solche Preßexcesse gelten lassen wollte, so stand doch die Rechte durch die Flugblätter des Abg. Jürgens in Bezug auf persönliche Schmähung und Denunciation ihrer Gegner um keinen Schritt hinter der Reichstagszeitung der Linken zurück. Nur war die Instanz eine andere, an welche die Denunciationen gerichtet wurden — und auch der Erfolg. Herr Jürgens ist unversehrt geblieben. Die Verleumdungen des christlichen Pastors Herrn Jürgens haben Blum mit erschießen helfen.
Diese Anklage gegen Blum erweist sich aber vor Allem ungerecht, wenn man seine Handlungsweise in Betracht zieht in den schweren Stunden, die nun über Frankfurt hereinbrachen. Am Nachmittag des 17. September (einem Sonntag) sammelten sich von 4 Uhr an zehn- bis zwölftausend Menschen auf der[441] Pfingstweide, einem Anger im Nordosten der Stadt. Nur fünf Abgeordnete der Linken waren überhaupt zugegen: Zitz, Schlöffel, Wesendonck, Ludwig Simon und Hentges aus Heilbronn. Von diesen fünf Abgeordneten, die doch Alle der äußersten Linken angehörten, erklärte Hentges mit schönem Mannesmuth: „Wir weisen solche Bundesgenossen zurück, welche die Freiheit der Berathung beschränken und mit Gewalt uns vorschreiben wollen, wie wir zu stimmen haben“.[221] Und Ludwig Simon, der heißblütige Fanatiker der Freiheit, erklärte keineswegs, wie man seine Rede vielfach aufgefaßt, die Versammlung der Pfingstweide solle den Abgeordneten „vor die Häuser und Leiber rücken“, sondern er sagte im Gegentheil: „die Wähler der süddeutschen Abgeordneten können sich doch nicht das Recht beilegen, auch Wähler der norddeutschen zu sein. Warum fordern die norddeutschen Wähler sie nicht auf, ihre Plätze als Abgeordnete zu verlassen? Warum machten sie nicht Demonstrationen in deren Heimath? Warum rücken sie nicht denselben vor die Häuser und Leiber und erklären feierlich: Ihr habt unser Vertrauen verscherzt?“ Gewiß haben Schlöffel und Zitz mit ihrem Verlangen, das Volk müsse jetzt „Fractur schreiben“ u. s. w. auf der Pfingstweide sich sehr unbesonnen und taktlos benommen. Aber aus diesem Verhalten Weniger ist durchaus kein Schluß auf Blum und die Maßvollen der Partei zu ziehen.
Vielmehr zeigte sich schon an diesem Sonntag Abend (17. Sept.), daß Blum und seine Freunde an den Excessen der Pfingstweide völlig unschuldig und dem süßen Pöbel ebenso verhaßt seien, wie irgend eine andere „reactionäre“ Partei. Wiederum war an diesem Abend die ganze Linke (in ihren drei Fractionen) im Deutschen Hofe versammelt. Vogt präsidirte. Die äußerste[442] Linke, der Donnersberg, verlangte, daß die ganze Linke aus dem Parlament ausscheiden, sich als Convent constituiren solle. Der „Deutsche Hof“ unter Blum’s Leitung und die Fraction „Westendhall“ widersprachen. Sie machten geltend, die Linke sei eine parlamentarische Partei und habe ihre Kämpfe nur im Schooße des Parlaments, auf gesetzlichem Boden auszukämpfen, nicht an der Spitze der Revolution. Der Antrag des „Donnersbergs“ wurde von den beiden anderen Fractionen fast einmüthig abgelehnt, gegen 19 Stimmen. Diesem Beschluß ordnete sich auch die extreme Minderheit unter, indem sie ruhig weiter verhandelte — da wurde die Deputation der Versammlung der Pfingstweide angemeldet. „Mit Gut und Blut wollen wir die Linke schützen“, rief der Sprecher der Deputation, „wenn sie aus jener servilen Versammlung austritt und sich selbstständig constituirt, aber das verlangen wir auch von ihr. Thut sie es nicht, dann freilich wird das Volk die Linke als ebenso ehrlos betrachten, wie die Mitglieder der Majorität, dann freilich wird die neue Revolution auch über die Linke hinweggehen und diese vernichten wie das Centrum und die Rechte!“[222]
Der so sprach, hieß Germain Metternich und war der Führer der Massen, die sich zum bewaffneten Aufruhr anschickten, der Gracchus der Pfingstweide. Vogt entgegnete ihm Namens der drei versammelten Fractionen der Linken trocken, daß man im entgegengesetzten Sinne bereits entschieden habe. Venedey stellte ihnen das Verbrecherische ihres Beginnens vor. Da wurden Beide verhöhnt, besonders Venedey. Die Helden der Gasse sagten sich feierlich los von der „ehrlosen“ Linken.
Als am 18. September früh 9 Uhr die Parlamentssitzung[443] begann, glänzten Bajonette rings um die Paulskirche. Früh 3 Uhr waren auf Schmerling’s und des Frankfurter Senats telegraphische Weisung 2400 Oesterreicher und Preußen von der Mainzer Garnison in Frankfurt eingetroffen. Schmerling und die anderen „in Frankfurt anwesenden Reichsminister“ hatten in der kritischen Lage die einstweilige Leitung der Geschäfte wieder aufgenommen. Unglücklicherweise hatten die Truppen den Nordeingang zur Paulskirche nicht besetzt, auf welchen zwei enge Gassen mündeten, und durch welchen die Abgeordneten einzutreten pflegten. Hier hatten sich die erregten Massen zusammengerottet. Und eben als das Parlament, nach heftiger aber vergeblicher Einsprache der äußersten Linken[223] gegen die militairische Machtentfaltung vor der Kirche, in seine Tagesordnung eintrat und den Artikel der Grundrechte berieth: „Die Wissenschaft und ihre Lehre ist frei“ — da dröhnte die Nordpforte der Kirche von Schlägen und Stößen. Zuvor war schon ein verspäteter Abgeordneter (Riesser) von dem Pöbel mißhandelt, ein in die Kirche bereits eingedrungener Haufe mit Gewalt von Abgeordneten hinausgedrängt worden. Nun klaffte von dem wuchtigen Anprall die Pforte, von oben bis unten gespalten, auseinander. Eine ungeheuere Erregung bemächtigte sich der Versammlung. Würdevoll und erfolgreich mahnte Gagern zur Ruhe und Besonnenheit. Dann hörte man draußen kurzen Kampf, gellende wüste Rufe der Angst und Verwünschung, dann ward es still. Die Preußen hatten die Banden mit dem Bajonett von der Thüre getrieben.[224] Die Versammlung setzte die Berathung in Ruhe fort bis Nachmittags 2 Uhr.
Ein merkwürdiger Anblick bot sich den Abgeordneten, als sie heraustraten. Ueberall waren in der Zwischenzeit Barrikaden entstanden. Die Aussagen Aller stimmten darin überein, daß sie erbaut worden waren vor den Augen der Soldaten, die Gewehr in Arm zuschauten, ohne daß auch nur der Versuch gemacht worden wäre, ihre Entstehung zu hindern; sogar Kinder hatten das Material zum Bau mit herbeigeschleppt! Wenn es später nicht schwer war, auch die stärksten dieser Bollwerke der Empörung zu stürmen, wieviel leichter wäre es gewesen, ihren Aufbau unmöglich zu machen. Diese Thatsache mußte mit tiefem Mißtrauen erfüllen gegen die Absichten des Mannes, der die nothwendige Dictatur in seine Hand genommen, gegen Schmerling. Dazu kam, was man später erfuhr, daß die heftigsten Aufwiegler zum Kampfe Menschen waren, die Keiner kannte, und die alsbald nach dem Ausbruch verschwanden, die man also nicht mit Unrecht für angestiftete Sendlinge hielt.[225] Auch Germain Metternich, der mit einer Karte Frankfurts in der Hand, überall die Punkte bestimmt hatte, wo Barrikaden anzulegen seien, ist an diesem Tage im Palais des Herrn Reichsministers v. Schmerling mehrfach ein- und ausgegangen.[226]
Nach Beendigung der Sitzung griffen die Truppen an.[445] Zwei Barrikaden stürmten die Preußen, zwei die Oesterreicher. Auf beiden Seiten fielen in dem ganzen heißen Kampfe kaum zehn Opfer. Doch wäre auch dieses Blut zu sparen gewesen, wenn man früher eingeschritten wäre. Gegen 5 Uhr waren die drei Hauptbarrikaden noch nicht genommen. Es trat eine kurze Waffenruhe ein. Man erwartete per Bahn die reitenden Batterien von Darmstadt.
Noch einmal bot Blum Alles auf, um weiteres Blutvergießen zu hindern. Er und seine Freunde begaben sich zum Reichsverweser und Schmerling, und beschworen diese, eine friedliche Lösung herbeizuführen. Der Reichsverweser zeigte sich bereit, Schmerling deutete an, die Lieblinge des Volks möchten selbst den Versuch einer Versöhnung machen. Da schritt Robert Blum mit Ludwig Simon und Anderen unbewehrt den Barrikaden entgegen und redete zum Frieden, mahnte dringend, von weiterem Widerstand abzulassen. Aber Dutzende von Flintenläufen erhoben sich gegen seine Brust. Tobende Verwünschungen erfüllten die Luft. Die Freunde rissen Blum zurück. Er wäre gemordet worden, wenn er ihnen nicht folgte.[227] Die teuflische Rohheit und Mordlust der Massen hatte sich ja um dieselbe Stunde in entsetzlicher Weise offenbart. Vor dem Bockenheimer Thor waren die Abgeordneten Auerswald und Lichnowsky barbarisch hingeschlachtet worden! Die furchtbare Kunde durcheilte die Stadt, während das dumpfe Grollen der schweren Geschütze ansagte, daß der Angriff gegen die Barrikaden wieder begonnen habe. Als der schöne fürstliche Kämpfer der Rechten in der Nacht im Armenspital seinen Geist aufgab,[446] war jener unselige Aufstand im Blut erstickt, der ihm sein junges vielversprechendes Leben gekostet.
Wohl mochte das Parlament wieder aufathmen, als es am Morgen des 19. September zur gewohnten Arbeit schritt, befreit von der Sorge, vom empörten Pöbel erdrückt zu werden. Aber das richtigste Wort für die Bezeichnung der Lage sprach an jenem Morgen doch Venedey in die behagliche Stimmung der Rechten hinein: „Ein Sieg, wie der gestrige, hat eine hohe Gefahr; hüten Sie um so bedächtiger die Freiheit, weil der Rückschritt sich dieses Sieges bemächtigen kann“. Dieselbe peinliche Sorge quälte Robert Blum. Er schwieg vornehm still auf die Anklage Stavenhagen’s, der an diesem Morgen durch Verlesung des früher erwähnten Artikels der Reichstagszeitung vom 19. die Mitschuld Blum’s an der niedergeworfenen Bewegung zu begründen versuchte. Denn jede persönliche unverdiente Verdächtigung erschien Blum klein gegen die Gefahr, welche der deutschen Nationalversammlung nun drohte: niemals wieder durfte sie hoffen, ihre Macht nach oben zu wenden, seitdem zum Schutze des Parlaments die Waffen nach unten gekehrt worden waren! Er hat mit keinem Worte im Parlament dieser ihn niederbeugenden Ueberzeugung Ausdruck gegeben. Aber seine vertraulichen Briefe aus jenen Tagen sind davon erfüllt. Darüber schrieb er am 23. und 28. an die Frau, und am eingehendsten an Haubold am 3. October:
„Lieber Freund! Wie es hier geht? Es ist fast überflüssig zu sagen: schlecht. Man fühlt diese Stellung um so mehr, als wir die beste hatten und gewissermaßen die Hand nur ausstrecken durften, um die Frucht viermonatlicher schwerer Arbeit zu brechen. Dieser unsinnigste und fluchwürdigste aller Straßenkämpfe hat uns fast ebensoviel geschadet, als die Februar- und Märzrevolution genützt und man fragt sich oft ernstlich, ob es wirklich ein revolutionäres Frühjahr gegeben habe. Und wie stehen wir persönlich? Von der einen Seite gibt man uns „intellectuelle[447] Urheberschaft“ eines Kampfes schuld, bei welchem nur wir verloren haben und nur wir verlieren konnten. Auf der andern Seite wirft man uns Verrath des Volkes, Feigheit und Unentschiedenheit vor, weil wir die Versammlung auf der Pfingstweide nicht für das deutsche Volk ansehen und uns den Dictaten ihrer exaltirten Abgeordneten nicht fügen wollten. Wahrlich, man möchte oft lieber in den Urwäldern von Californien sitzen, als in der deutschen Volksvertretung. Nie hat eine Partei so unmittelbar am Siege gestanden, als die unsere und nie hatte sie bei nur einem Fünkchen von Vernunft mehr Interesse davon, daß keine gewaltsame Verschiebung dieser Stellung eintrete; dennoch aber soll gerade sie die Gewalt provocirt haben! Es ist entsetzlich, wie weit die Parteileidenschaft die allereinfachsten Verstandssätze verkommen lassen kann.
Gott sei Dank, die Dummheit, welche uns in den Straßen zu Frankfurt, im Badischen Oberlande, in Würtemberg, Köln u. s. w. zu Grunde gerichtet hat — sie erhebt uns wohl auch wieder. Denn die Reaction ist zu übermüthig, sie errichtet Barrikaden in der Paulskirche und fällt so in Struvescher Manier in das Gebiet des Rechtes und der Billigkeit ein, daß sie sich selbst zu Grunde richten muß. Hoffentlich wird sie die Hand an einige Abgeordnete legen, und deren 4–6 zum Opfer bringen, was diese Sache nur fördern kann. Lust hat man viel dazu, aber man zagt doch immer noch etwas, seiner Herzensneigung zu fröhnen.
Soll ich Dir versichern daß wir keinen Antheil an dem Aufstande haben, daß wir vielmehr als Partei wie als Privatpersonen Alles aufgeboten haben, denselben zu hindern? Dummheiten sind auf der Pfingstweide gemacht worden, das ist wahr, namentlich von Schlöffel und Zitz. Aber es waren nur Dummheiten und ich versichere Dir, an einen Aufstand hat kein Mensch gedacht, es hat ihn kein Mensch geahnt. Man hat diesen Aufstand gepflegt wie eine Treibhauspflanze; man hat das Blut unnütz und frevelhaft vergossen; mit einer Compagnie Soldaten war die ganze Kinderei — es war Anfangs nichts anderes — zu beseitigen. Das unter uns und ich hoffe Dir die Angelegenheit gelegentlich mündlich auseinandersetzen zu können; der Oeffentlichkeit gegenüber läßt sich jetzt nichts thun, wir haben einmal Barrikaden gebaut, Lichnowsky erschlagen und den Struve ins Oberland gelockt oder gerufen — das müssen wir tragen, bis aus dem Duster der Untersuchung[448] die Thatsachen mit einfacher Klarheit hervortreten. Dann werden wir gerechtfertigt sein, aber das verblendete Volk wird zu spät die Augen öffnen. Während es seine entrüsteten Blicke auf die angeblichen „intellectuellen Urheber“ lenken läßt, wird man ihm Hände und Füße knebeln und es mißhandeln wie früher. Ach, das Schicksal unsres Vaterlandes und unseres Volkes ist doch ein sehr trauriges; es scheint mir oft, als ob es zum Tode verurtheilt sei, und nicht die Kraft zu einer Auferstehung habe.“
Am 4. October schrieb Blum in gleicher Stimmung an seine Gattin:
„Liebe Jenny! Wie es uns hier ergeht, das hast Du theils aus den Zeitungen theils aus dem Briefe an Jäckel ersehen. In der Nationalversammlung verfolgt aus Bosheit, vom Volke in die traurigste Stellung gebracht aus Dummheit, von den Demokraten angefeindet und geächtet aus Unverstand, stehen wir isolirter als jemals und haben vor wie rückwärts keine Hoffnung. Die Zersplitterung Deutschlands hat nicht blos Staaten und Stämme auseinander gerissen, sie frißt sogar wie ein böses Geschwür an einzelnen Menschen und trennt sie von ihren Genossen, von aller nothwendigen Gemeinsamkeit. Die letzten Wochen sind Kräfte vergeudet und thörichterweise vernichtet worden, die bei weiser Zusammenfassung und sorgsamer Verwendung hingereicht hätten, das Schicksal Deutschlands vollständig umzugestalten. Nie bin ich so lebens- und wirkensmüde gewesen, wie jetzt; wäre es nicht eine Schande, sich im Unglück von den Kampfgenossen zu trennen, ich würde zusammenraffen, was ich allenfalls habe und entweder auswandern, oder mir in irgend einem stillen friedlichen Thale des südlichen Deutschlands eine Mühle oder dergleichen kaufen und nie wieder in die Welt zurückkehren, sondern theilnahmlos aus der Ferne ihr Treiben betrachten. Nicht weil ich muthlos bin und am endlichen Siege der Vernunft verzweifle, sondern weil ich wirklich müde bin, völlig abgerungen in dieser Sisiphusarbeit, die ewig sich erneuert und kaum einen Erfolg zeigt. Indessen, es muß ausgehalten sein und da einmal nach dem Naturgesetz die Revolutionen ihre Kinder fressen, so mag es ruhig diesem Hungermomente entgegen gehend; die Erschlaffung, welche so natürlich sich an die traurigen Erfahrungen der letzten Zeit knüpft, wird wohl auch wieder weichen.
Gehen wir zu Deinen unbeantwortet gebliebenen Briefen zurück und verfolgen sie nach ihrer Reihenfolge: Die Vaterlandsvereine in Leipzig überbieten sich gegenseitig in Dummheiten, der eine zieht thörichterweise der Bourgeoisie die Zollkastanien aus dem Feuer, der andere gestaltet auf seine Weise die Welt um und hebt sie aus den Angeln, ohne nur die Kraft oder den Standpunkt des Archimedes zu haben. Wenn ich denke, ich müßte jetzt nach Leipzig zurück, um dort zu bleiben, ich könnte schwermüthig werden. — Ueber das Ministerium — Blum bist Du nun wohl beruhigt; es ist bis Ostern verschoben, wenn es auch dann nicht so heißt, so wird es doch wahrscheinlich so sein. Auf Namen und Menschen kommt’s nicht an. Die Sorgen um den Haushalt bist Du los und zu sterben aus Patriotismus brauchst Du auch nicht. — Träume! Träume! und doch war ihre Verwirklichung nahe und wäre eingetreten, wenn man vernünftig war. — Wegen dem Schillerfest hat mir Haubold geschrieben; es findet statt, und ich werde also wahrscheinlich dazu kommen, wenn auch nur auf kurze Zeit. Dann wird es mir wenigstens leichter werden, Weihnachten hier zu bleiben, was wohl unvermeidlich sein wird. — Nächstes Frühjahr muß sich die Sache jedenfalls wenden und ob nach dieser, ob nach jener Seite, man wird im Stande sein, einen festen Lebensplan zu fassen. Wenn man dann nur nicht ein rein verlorenes Jahr zu beklagen hat. — Es ist jetzt Messe in Leipzig und ich denke mit Kummer und Sorge daran, daß ich Dir arme Frau, stets etwas gab zur Ergänzung kleiner Haushaltungsbedürfnisse; wie viele mögen deren sein, da Du auch die Ostermesse nichts bekamst! Und doch kann ich leider nicht, ich habe nichts. Die letzen 14 Tage haben solch riesenhafte Opfer gefordert, daß die ganze Linke auch finanziell ruinirt ist; dem Unglücklichen muß man helfen, wie sehr man auch Ursache hat, mit ihm zu zürnen. Und ich hatte wahrlich gerade jetzt Sorge genug. — Neues ist hier nichts, Stadt und Umgegend ist vollgespickt mit Soldaten und der Schrecken führt das Regiment; wenn derselbe noch von der Kraft gehandhabt würde, so ließe ich mir’s gefallen: aber dieser Schmerling ist das Sinnbild der Feigheit und der niederträchtigsten diplomatischen Schurkerei — und der ist Dictator! Lebe recht wohl mit den Kindern. Ich habe noch viel zu schreiben diesen Morgen und muß daher aufhören.
Hoffentlich sehen wir uns in 5 Wochen.[228] Du wirst das ja aus den Veranstaltungen erfahren, es wäre mir sehr lieb. Aber wenn davon die Rede ist in der Stadt, so erkläre nur rund heraus, daß ich keine Theilnahme an politischen Dingen, welcher Art sie auch sind, will, sondern die 3 Tage, die mir höchstens vergönnt sein werden, lediglich zu Hause bleibe (abgesehen vom Schillerfeste.) Also nochmals Lebewohl! Es gehe Euch so gut als möglich. Gruß und Kuß von Herzen von Deinem
Robert.“
In diesen Briefen ist schon ausgesprochen, wie verworren unterdessen die Verhältnisse in Sachsen geworden waren.
Die Dictatur, welche Jäkel seit dem 3. September in den Vaterlandsvereinen übte, war um so unerträglicher für jeden Freund der Erhaltung des Staates, als auch Minister Oberländer schon am 4. September der Deputation, welche ihm die Beschlüsse des souveränen Volkes überbrachte, mannhaft erklärt hatte, daß er sich in der Frage des Wahlgesetzes von seinen Collegen nicht trennen werde, auch wenn er in einzelnen Fragen anderer Ansicht sei als sie. Die Demagogen von Jäkel’s Schlag mußten daher erkennen, daß ihre bisher gehegte und öffentlich ausgesprochene Hoffnung, sie würden an Oberländer ein Ministerium ihrer Mache angliedern können, durchaus hinfällig sei. Sie mußten Anfang October aber auch die weitere Erfahrung machen, daß ihre Partei selbst im Landtag nur eine unbedeutende Minderheit darstellte.
Am 27. September hatte im Landhaus zu Dresden die Berathung des neuen, von Jäkel und seinen Freunden als unannehmbar bezeichneten Wahlgesetzes begonnen. Am 3. October war es bereits, gegen zehn Stimmen der äußersten Linken, angenommen. Noch ehe diese Landtagsverhandlung die volle Schwäche der Fraction Tzschirner dargethan, hatte der Leipziger Dictator auch an Blum und Günther „Fractur geschrieben“,[451] um unter allen Umständen endlich Blum zu seinen demagogischen Umtrieben herüberzuziehen. Bot doch das Verhalten der Linken während der Septembertage dem revolutionären Unverstande eine reiche Quelle der Unzufriedenheit. Am 23. September schrieb er darüber an Blum:
„Lieber Blum! Nur wenige Worte. Daß Du nebst Günther mit Ablauf dieses Quartals von der Redaction der „Vaterlandsblätter“ zurücktrittst, wird hier allgemein (!) erwartet. Das Blatt ist zu scheußlich, zu charakterlos. Unzählige (!) Schreiben, die bei dem Centralausschusse aus der Provinz eingegangen, sprechen ihre Verwunderung darüber aus, wie Eure Namen noch auf diesem reactionären Blatte stehen können.“ Um Blum zu zeigen, welche Schreckmittel der rothe Dictator noch im Hintergrunde verwahre, fuhr er also fort: „Sodann mache ich Dich darauf aufmerksam, daß doch endlich die Actiengeschichte mit der vor zwei Jahren projectirten Buchhandlung abgewickelt werden möge. Ich habe darüber neuerdings manche Klage hören müssen. Die Leute können sich nicht erklären, warum sie gar keine Nachricht erhalten, was mit ihrem Gelde angefangen worden ist.“ — Also neben seiner zwölfstündigen parlamentarischen Arbeit sollte Blum sich in Frankfurt auch sofort an die Rechnungslegung über den zweijährigen Geschäftsbetrieb der Actienbuchhandlung machen, um dem für den Fall des Ungehorsams gegen Jäkel deutlich vorbehaltenen Vorwurf der Veruntreuung anvertrauter Gelder zu entgehen. Nach einem Gedankenstrich fährt Jäkel fort: „Auch hat es hier im Allgemeinen einen übeln Eindruck gemacht, daß die Linke in Frankfurt nach dem ehrlosen Beschluß der Nationalversammlung in der Waffenstillstandsfrage nicht ausgetreten ist. Man (!) wird nachgerade diese Parlamentsspielerei, wobei nur Schande herauskommt, müde, daß die Linke den Zeitpunkt versäumt hat, durch einen entschiedenen Schritt die deutsche Bewegung in eine neue Phase zu führen, dürfte ihr in ganz Deutschland ungeheuer geschadet haben. Es fällt mir nicht ein, Euch gute Lehren geben zu wollen“ — Gott bewahre! — „aber relata refero“ — der reine Tacitus, sine studio et ira! — „Das allgemeine Urtheil der Entschiedenen stimmt so ziemlich dahin überein: Diesmal hat’s die Linke verdorben! — Ich wünschte darüber Deine Ansicht zu hören und bitte Dich daher, mir, wenn Du einmal ein Viertelstündchen Zeit hast, einige Zeilen zu schreiben. Dein treuer Jäkel.“ — Das[452] Wichtigste war in einer unverfänglichen Nachschrift untergebracht: „Schreibe mir auch ein Wort darüber, ob Du die Wahl in den Ausschuß des Vaterlandsvereins annimmst, sage dies auch Günther.“
Blum antwortete dem „treuen“ Jäkel nicht. Er hatte seine Gründe zum Schweigen. Infolge dessen schrieb der entrüstete Monopolist der „entschiedenen“ Gesinnung im Königreich Sachsen am 27. September von Leipzig an Blum’s Schwager:
„Lieber Günther! Ich bin Dir noch auf Deinen letzten Brief die Antwort schuldig. Was Du mir dort ans Herz legtest, die moralische Unterstützung der Linken durch Agitation im Großen, (!) es ist geschehen, und namentlich habe ich meine Stellung im Centralausschuß dazu benutzt.
Aber was hilft uns hier alle Rührigkeit und Tapferkeit, wenn ihr in Frankfurt im gegebenen Augenblick nicht zu handeln versteht? Ihr gebt uns immer guten Rath, wir sollten feststehen, die Courage nicht verlieren und dergleichen. Es wäre vortrefflich, wenn ihr selbst zur rechten Zeit Muth hättet. Warum tratet ihr nach dem schmachvollen Waffenstillstandsbeschluß nicht aus dem Parlamente aus und constituirtet ein eigenes? O ihr klugen Staatsmänner, daß ihr die centnerschwere Wichtigkeit dieses Augenblicks verkanntet! Ihr härtet Deutschland eine neue Seele gegeben und, gehoben und getragen von der Kraft der ganzen Nation, eine ungeheure Macht in euren Händen vereinigt. Jetzt habt ihr Ohnmacht und Schande, und das Vertrauen des Volkes zu euch ist, wenn noch nicht ganz vernichtet, so doch mächtig, unheilbar erschüttert. Als gestern Abend in einer Gesellschaft radikaler Männer ein Artikel aus der Deutschen Allgemeinen vorgelesen wurde, welcher berichtete, welche Beleidigungen sich die Linke bei einem Versuch zur Leichenfeier für die Gefallenen habe gefallen lassen müssen, brachen alle Anwesende in Beifallklatschen und Bravorufen aus. „Mit Füßen müssen sie getreten werden,“ meinten Einige, „dann werden sie wohl merken, wie viel Uhr es geschlagen hat.“ Und es wird kommen, ihr werdet mit Füßen getreten werden, wenn ihr’s in diesem Augenblicke nicht schon seid. O ihr habt viel, sehr viel versäumt. Ich bin kein Sanguiniker. Aber ich habe die feste Ueberzeugung, daß, wenn ihr damals den entscheidenden Schritt gethan hättet, derselbe gelungen, herrlich gelungen wäre. Ihr schlagt Deutschland, namentlich Nord- und Mitteldeutschland, viel zu gering an. Ueber Sachsen seid ihr offenbar ganz falsch unterrichtet. Und warum? Wenn[453] ein Joseph, ein Schaffrath hierher kommen, verkehren sie mit den alten abgedankten Liberalen, diesen Weibern in Männerkleidung, diesen mitleidswürdigen Schwachmaticis. Da bekommen sie freilich ein trauriges Bild von Sachsen. Ich sage Dir aber: Baden kann nicht besser, nicht glühender republikanisch sein, als Sachsen. Bei der elenden Vermittlungspolitik, die früher von dem leitenden Ausschusse der Vaterlandsvereine beobachtet wurde, konnte dies freilich nicht zum Vorschein kommen. Jetzt aber, wo wir offen die Fahne der entschiedensten Gesinnung aufgepflanzt haben, bricht die langverhaltene Gluth mit doppelter Macht hervor. Alles fällt uns zu: Alles unterwirft sich dem Centralausschuß; allenthalben stürzt man die alten, aus abgelebten Liberalen zusammengesetzten Ausschüsse und zieht uns dann mit fliegenden Fahnen zu. Die Minoritätsvaterlandsvereine sind von 26 auf etwa 15 zusammengeschrumpft, und täglich erfolgen neue Abfälle. Wir zählen 50–60 Vereine, zu denen wir immer noch neue hinzugründen. Die Leute gehorchen uns mit Freuden; denn sie fühlen das Bedürfniß, unter einem bestimmten Befehl zu stehen. Wie regieren wir aber auch! Du kennst mich und kannst Dir daher denken, welche Energie unsere Erlasse durch die Provinz (die übrigens Dresden und Leipzig weit voraus ist) strömen. Die Entschiedenheit, die von uns ausgeht und die uns von allen Seiten entgegenkommt, kann nicht größer sein. Daß bei solchen Leuten die Linke durch ihr neuliches Benehmen nichts gewonnen hat, brauche ich kaum zu bemerken. Im Gegentheil, sie muß sich ganz energisch aufraffen, wenn sie nicht binnen Kurzem allen Boden in Sachsen verlieren will. Wer stützte die Linke hier? Wir, die Partei des Vaterlandsvereins, und wir lassen sie fallen, wenn sie fortfährt, sich schwach zu zeigen. Wir wollen nicht unsere alten schwatzenden Kammern in Frankfurt aufleben sehen, wir wollen, daß man auch handelt, wenn es Zeit ist, und im Nothfall für die gute Sache sein Leben einsetzt. Die Ereignisse, wenn sie geschehen sind, auszubeuten, ist keine Kunst. Aber Ihr sollt sie mit herbeiführen helfen, Ihr sollt Geschichte machen, und Ihr hättet allerdings welche gemacht, wenn Ihr Euch als eigenes Parlament constituirt und damit die Zügel der Revolution in die Hände genommen hättet. Ich habe Blum schon vor einem Monat geschrieben: wir seien entschlossen, Niemanden mehr zu schonen, der nicht ganz entschieden auftrete. Ich weiß nicht, ob er das richtig verstanden hat; aber auf gut deutsch heißt es: Wir lassen uns für Euch todtschlagen,[454] so lange Ihr die Freiheit mit Kraft anstrebt; wir schlagen Euch aber selbst zuerst todt, sobald Ihr schwankt und durch Aengstlichkeit große Dinge verpfuschen wollt. Gestern habe ich’s im Vaterlandsvereine offen ausgesprochen, daß Volksführern, die erst zur Revolution reizen und dann das Volk in der ernsten Stunde des Kampfes verlassen, die Kugel vor den Kopf gehört, und der brausende Beifall der Versammlung gab mir Recht. So steht es hier, lieber Freund! Glaubt nicht, daß das Volk sich beliebig gängeln läßt; es stellt auch Anforderungen an seine Führer und wenn diese nicht erfüllt werden, so zerfleischt es sie. Wäre ich in Frankfurt gewesen und hätte an der Spitze des Volkes gestanden, es hätte wahrlich der Linken und ihren Stimmführern nicht so hingehen sollen. Ich würde ein Wort mit ihnen gesprochen haben, das sie vielleicht gefügig gemacht hätte. Entweder, oder! Gestorben muß es sein. Also entweder für uns, oder durch uns! — Nimm Dir aus diesen abgerissenen Gedanken das Beste heraus. In den nächsten Tagen rücken Preußen hier ein, die berüchtigten Schweidnitzer. Das Uebrige kannst Du Dir denken.
Dein J.“
Nicht diese pöbelhaften Briefe bewogen Blum und Günther, endlich doch ihrem alten Organ in der Heimath, den Vaterlandsblättern, die Freundschaft aufzusagen. Aber in Manchem hatte Blum mit den Leitern des Blattes (Rüder und Cramer) die Fühlung verloren. Sie waren ihm zu „ministeriell“ geworden. Er hielt Jäkel, abgesehen von seinen radicalen Verschrobenheiten, für einen weit energischeren Agitator als seine bequemer gewordenen alten Freunde. Jäkel schien vor Allem brauchbarer als — Popanz; mit ihm meinte Blum dem Frankfurter Parlament weit besser graulich machen zu können, als mit seinen maßvolleren Leipziger Freunden, die mindestens nichts Schreckliches an sich hatten. So sollte denn zunächst eine öffentliche Absage von den Vaterlandsblättern erscheinen. Sie lautete:
„Erklärung. Seit unserer Entfernung von Leipzig (März resp. Mai d. J.) haben unsere Namen auf dem Titel dieser Blätter keinen anderen Sinn, als daß wir materiell bei der Herausgabe derselben[455] betheiligt waren und sind. Da unsere Abwesenheit von Leipzig allem Anscheine nach noch lange dauern kann, da uns von verschiedenen Seiten aus Mißverständniß eine Mitverantwortlichkeit für den Inhalt dieser Blätter zugeschrieben wird; da wir diese um so weniger übernehmen können, als wir mit der Haltung derselben in der Angelegenheit der Vaterlandsvereine und gegen das sächsische Ministerium nicht allein durchaus nicht einverstanden sind, sondern im entschiedensten Widerspruche stehen, so ziehen wir unsere Namen als Mitherausgeber der „Vaterländischen Blätter“ hiermit zurück.“
Energisch warnten da Cramer und vor allem Rüder[229] den Freund vor diesem Schritte. Rüder schrieb von Leipzig am 9. October:
„Lieber Freund! Du wirst eine gestern von Cramer im Einverständniß mit mir abgesendete Warnung erhalten haben, die Namenstreichung auf den Vaterlandsblättern betreffend. Unsere Remonstration ist nur gegen die Form der Erklärung gerichtet und wir wünschen die Aenderung nur in Deinem Interesse. Ich gebe Dir namentlich Eins zu bedenken. Während Jäkel’s Verein jetzt erkennt, daß es auf der früher betretenen Bahn nicht fortgehen kann, daß die Agitation gegen die Minister nicht fortgesetzt werden kann, während eine Vereinigung der Vereine jetzt angebahnt ist, werft Ihr durch Eure Erklärung wieder Zwietracht in die Vereine und stellt Euch gegenüber dem sächsischen Ministerium auf eine Stelle, auf welcher nur noch Weller und Genossen stehen. Dies würde Euch sehr verdacht werden. Lies die Verhandlungen der ersten Kammer vom 6. October und erwäge, ob man nach der Haltung, welche Pfordten und Oberländer dabei eingenommen, es verantworten kann, sie wegzujagen. Du tadelst es, daß wir das Ministerium zu stützen suchen, und ich halte die Art, wie Oberländer in der „Reichstagszeitung“ angegriffen worden, für eine unwürdige. Objectiv mag man die Angriffe ausdehnen so weit man will, aber es muß ohne hämische persönliche Ausfälle geschehen. Wir haben eben[456] noch keine Veranlassung gehabt, aus diesem Grunde irgend einen Artikel zurückzuweisen. Mit freundschaftlichem Gruße Dein Rüder.“
Schon infolge der Warnung Cramers hatte Blum, nach nochmaliger Rücksprache mit den Freunden (Günther, Joseph Schaffrath u. A.), die Absage an die Vaterlandsblätter zurückgehalten und dagegen die Annäherung an Jäkel aufgegeben und diesem geschrieben, daß dessen Stellung gegenüber der Haltung der Linken in den Septembertagen jede Ausgleichung ihrer Standpunkte unmöglich mache. Dieser Brief war eingelegt in einen an Blum’s Gattin vom 10. October:
„Liebe Jenny! Deine Mittheilungen über Jäkel, verbunden mit einem Briefe ähnlichen Inhalts, welchen derselbe direct an Georg geschrieben hat, veranlassen mich zu der anliegenden Antwort. Laß ihn rufen und gieb sie ihm selbst. Es scheint allerdings, daß wir durch Dummheit zu Grunde gehen sollen und zwar durch die unserer „Freunde“. Machten unsere Gegner nicht noch größere, so müßten wir schon zu Ende sein. Morgen (Sonntag) will ich mit einigen Freunden in den Taunus gehn, in das wildeste, tiefste Gebirge, um Kriegszustand und Belagerung und Soldaten auf einen Tag zu vergessen; es wird einem übel dabei.
Wie steht’s mit dem Schillerfeste? Es wird wohl nichts? Dann muß ich leider bleiben und selbst zu Weihnachten bleiben, denn es wird mir wahrlich sauer[230].“
Damit hatte Blum den unheilbaren Bruch mit dem revolutionären Radicalismus der Heimath vollzogen. Er wußte, daß nun von dorther aller Schimpf und aller Haß auf seinen Namen geschleudert werden würde und doch hatte er sich noch niemals so todtmüde, so kampfessatt gefühlt wie jetzt.
Dieses tiefe Bedürfniß nach einer Ruhepause in jenem unablässigen Kampfe, der dem rüstigen Kämpfer nur völlige Ermattung und Niedergeschlagenheit, beinahe Hoffnungslosigkeit[457] eingetragen hatte, sollte mit einem Male in eigenthümlicher Weise befriedigt werden: durch seine Reise nach Wien. Die untrüglichen Zeugnisse von der Stimmung Blum’s vor Antritt der Wiener Reise, welche in seinen Briefen vom 3., 4. und 10. October niedergelegt sind, bewahrheiten aber zugleich nachdrücklich die Ansicht, daß der Führer der Frankfurter Linken „vor- wie rückwärts keine Hoffnung“ sah, mit der bisherigen Parteitaktik weiter zu kommen, daß ihm namentlich auch ein Anschluß an die „Demokraten, die ihn angefeindet und geächtet aus Unverstand“, in tiefster Seele zuwider war, und daß er daher diese Reise wohl antrat mit dem stillen Vorsatze, mit einem neuen realpolitischen Plane und mit neuer Kraft zu seiner Partei zurückzukehren. Sein Tod aber breitet über die Antwort auf diese Frage das Schweigen des Grabes.
Die Antwort, die der Tod nicht geben kann, giebt indessen ziemlich deutlich sein Verhalten vor seiner Abreise nach Wien.
Noch weniger als eine umfassende Geschichte der deutschen Bewegung des Jahres 1848 kann und soll hier geboten werden eine eingehende Darstellung jener Vorgänge im Kaiserstaat Oesterreich, welche im October 1848 zu der Krisis in Wien führten. Hier können nur die wichtigsten Ereignisse in andeutenden Strichen in Erinnerung gebracht werden.[231]
Vor Allem kommt es hier darauf an nachzuweisen, wie die staatsrechtlichen Verhältnisse Oesterreichs zur Zeit der Octoberrevolution lagen. Dadurch allein tritt die Wiener Octoberrevolution in das richtige geschichtliche Licht, wird sie vom sittlichen und staatsrechtlichen Standpunkt gerecht beurtheilt, während andererseits das Unternehmen des Fürsten Windischgrätz gegen Wien die gebührende Beleuchtung empfängt. Namentlich für das Urtheil über Robert Blum’s Betheiligung an der Wiener[459] Octoberrevolution und über den gegen ihn verhandelten kriegsgerichtlichen Proceß ist eine Prüfung der öffentlich-rechtlichen Verhältnisse des damaligen Oesterreich von entscheidender Bedeutung.
Im März 1848 war in Oesterreich der Rechtsboden, auf welchem der Kaiserstaat bis dahin fußte, vollständig zusammengebrochen. Kein Land des damaligen deutschen Bundes war unvermittelter in völlig neue Verhältnisse geschleudert worden, als Oesterreich. „Ueber die Lebensfähigkeit des neuen Oesterreich, welches auf den Trümmern des alten zu errichten versucht wurde, kann man verschiedener Ansicht sein, daß aber in den Märztagen das alte Oesterreich vollständig, mit Recht und für immer zu Grunde ging, alle Machthaber seit 1848 ohne Unterschied auf die Revolution als ihre Basis fußen, darüber herrscht kein Zwiespalt der Meinungen“. So bezeichnet Anton Springer[232] die Rechtslage der österreichischen Staatsgewalt am Ausgange der Märzrevolution, am Eingang in Oesterreichs neueste Entwickelung. Keineswegs war dieses staatsrechtliche Chaos bis zum Herbst wesentlich geordneteren Verhältnissen gewichen. Sicher war nur das Eine: seit der Verkündigung des neuen österreichischen Staatsgrundgesetzes vom 25. April war das alte absolute Kaiserthum feierlich begraben, war der Kaiser nur der unverantwortliche Herrscher, die Regierung dagegen ausschließlich in den Händen seiner verantwortlichen Minister, der Staat überhaupt eine constitutionelle Monarchie nach belgischem Muster. Jede kaiserliche Entschließung, welche der Gegenzeichnung der Minister entbehrte, war verfassungswidrig und rechtsungültig. Sicher war ferner das[460] Andere: daß diese Verfassung nicht galt für die Länder der Stephanskrone und die italienischen Provinzen des Kaiserstaates; sicher auch soviel: daß von all den Provinzen, für welche die Verfassung gegeben war, keine einzige durch dieselbe sich befriedigt erklärte. Aus diesem Grunde war am 22. Juli vom Erzherzog Johann (dem deutschen Reichsverweser), dem Stellvertreter des Kaisers, der verfassunggebende Reichstag in Wien eröffnet worden; seine Aufgabe sollte sein, für die deutsch-slavischen Länder eine neue gemeinsame Verfassung zu Stande zu bringen. Bis zum 7. September hatte diese Versammlung indessen nur das eine Gesetz über die Aufhebung der Feudallasten geschaffen. Am 7. October hatte der Kaiser mit dem Hof, wie noch näher berichtet werden wird, allerdings wieder einmal Wien verlassen. Aber Niemand achtete dessen vorläufig. Denn dem kaiserlichen Hof war die Domicillosigkeit seit dem Frühjahr fast zur Gewohnheit geworden. Mit Ausnahme der Minister Wessenberg und Bach blieben Ministerium und Regierung in Wien, blieben sämmtliche Behörden des Kaisers, die gesammte Diplomatie, die am kaiserlichen Hofe beglaubigt war, blieb endlich der constituirende Reichstag. Am wenigsten konnte durch die zeitweilige Verlegung der Residenz das Staatsgrundgesetz irgend welche Abänderung erleiden. Unmittelbar nach der Flucht des Hofes desertirten allerdings fast sämmtliche slavischen Abgeordneten aus dem Reichstag auf Nimmerwiedersehen. Durch ihren Austritt sank vom 16. October an die Zahl der zurückgebliebenen Abgeordneten unter die gesetzliche Beschlußfähigkeitsziffer. Erst vom 16. October an könnte man daher die Gesetzmäßigkeit der Reichstagsbeschlüsse anzweifeln. Indessen auch dieser Zweifel erscheint von sehr fragwürdiger Berechtigung. Denn auch nach dem 16. October erschien der k. k. Minister Kraus, der seit dem 7. alle Portefeuilles bis auf dasjenige Hornbostl’s und[461] Wessenberg’s in seiner Hand vereinigte, Tag für Tag im Reichstagsrumpf, ohne gegen dessen Beschlußfähigkeit irgend einen Einwand zu erheben. Selbst die Diplomatie, alle Vertreter auswärtiger Mächte blieben auch nach dem 6. October in Wien, folgten keineswegs dem Hofe nach Olmütz, zum besten Beweise dafür, daß sie in Wien, in den dort verbliebenen Ministern und kaiserlichen Behörden, in dem constitutionellen Reichstag die legitimen Regierungsgewalten des österreichischen Kaiserstaates erblickten, nicht in Olmütz. Jener Zweifel in der Beschlußfähigkeit des Reichstags erscheint übrigens um so unbegründeter, als die Beschlußfähigkeitsziffer aller parlamentarischen Versammlungen nur berechnet werden kann nach der Zahl der jeweilig in Kraft stehenden Mandate. Mit dem Austritt der slavischen Abgeordneten aber, mit deren Erklärung, daß sie nie wieder an den Berathungen des Reichstags Theil nehmen würden, vollends mit ihrem Versuche, in Prag einen parlamentarischen Sonderbund zu stiften, waren die Mandate dieser Abgeordneten schlechthin erloschen und der Wiener Reichstag stand mindestens im guten Glauben, wenn er sich nach wie vor beschlußfähig erklärte. Selbst dann ließ sich noch dieser gute Glaube nicht vollständig absprechen, als am 24. October das kaiserliche Schreiben vom 22. in Wien bekannt wurde, durch welches der Wiener Reichstag geschlossen und für den 15. November nach Kremsier ausgeschrieben wurde. Denn auch dieses kaiserliche Patent ermangelte der verfassungsmäßigen Gegenzeichnung aller Minister. Die Unterschrift Wessenberg’s genügte keineswegs. Doch kommt es auf diese Streitfrage hier nicht an. Die Frage ist vielmehr nur: ob die kaiserliche Regierung in Wien, vertreten durch den Minister Kraus und alle sonstigen kaiserlichen Behörden in Wien, ob das Wirken des Reichstags in den Tagen vom 6. bis 24. October zu Recht bestand oder nicht? Diese[462] Frage ist entschieden zu bejahen. Daraus folgt ohne Weiteres die unumstößliche Rechtsgültigkeit ihrer amtlichen Handlungen.
Neben diesen nach wie vor in Wien verbliebenen Gewalten des Gesammtstaates bestanden hier noch locale Behörden, die trotz ihres revolutionären Ursprungs oder Namens auf keinem schlechteren Rechtsboden standen, wie Alles Uebrige, was sich seit dem März in Oesterreich mit dem Namen kaiserlicher Amtsgewalt schmückte. Dazu gehörte nicht blos die „Studentenlegion“, die in den sog. „glorreichen Revolutionen“ vom 15. und 26. Mai ihre feierliche Anerkennung gegenüber der erstarkenden Reaction ertrotzt hatte, sondern sogar der sog. „Sicherheitsausschuß“, ein aus 200 Menschen aller Gattungen zusammengewürfeltes Collegium unter der Aegide des Dr. Fischhof, welches die eigentliche Dictatur in Wien mit gesetzlichem Ansehen übte. Ihm waren auch die Minister unterthan. Zu diesen rechtlich unanfechtbar bestehenden Behörden gehörte ferner der Wiener Gemeinderath, der ja nach Umständen die kleinsten Angelegenheiten einer simpeln Stadtverwaltung neben den höchsten Interessen des Staates souverän zu entscheiden hatte, je nachdem die Ereignisse ihm die patriarchalische Rolle der Stadtväter oder der Spitzen der Haupt- und Residenzstadt des Kaisers zutheilten. Endlich bestand in Wien zu Recht die Nationalgarde, eine Bürgerwehr, die seit dem 15. Mai laut einer kaiserlichen Proclamation das unveräußerliche Menschenrecht erworben hatte, daß das Militair nur auf Verlangen der Nationalgarde aufgeboten werden sollte.[233] Sie hatte das Recht der Wahl ihrer Offiziere und des Vorschlags ihres Obercommandanten. Der unglückselige Mensch, der Wien vom 13. October an commandirte, Wenzel Messenhauser, konnte mit vollem Recht[463] behaupten, daß seine Wahl nicht blos von allen localen Gewalten Wiens, sondern auch vom Reichstagsausschuß und vom Ministerium des Innern ausdrücklich genehmigt worden sei.[234]
Gewiß konnte kein Großstaat auf die Dauer bei so verworrenen Rechtsverhältnissen bestehen; aber das ändert nichts an der Thatsache, daß beim Ausbruche und im Verlaufe der Wiener Octoberrevolution alle die genannten Behörden und Gewalten der Residenzstadt sich eines unbestreitbaren Rechtsbodens erfreuten, daß dagegen das Unternehmen des Fürsten Windischgrätz gegen Wien d. h. gegen die gesetzliche Wirksamkeit dieser Behörden ein rein rechtswidriger Gewaltact war. Es wäre nicht schwer gewesen, mit Hülfe der großen Mehrheit der Wiener Bürgerschaft, die nach wie vor in unverbrüchlicher Treue an ihrem Kaiserhause hing, die Forderungen der Neuzeit in maßvoller Weise mit den unentbehrlichen Grundlagen eines kräftigen monarchischen Staatswesens zu versöhnen. Aber es fehlte gerade auf Seiten der Krone ebensosehr an klarem Verständniß für die berechtigten Forderungen der Zeit, wie an gutem Willen. Schon zu Beginn des Sommers, als der Hof noch überströmte an herzgewinnenden Versicherungen loyaler Verfassungsmäßigkeit und Freiheitsliebe, wurde, wie wir sehen werden, dem Fürsten Windischgrätz im tiefsten Geheimniß, selbst verschwiegen vor allen Ministern, die kaiserliche Vollmacht ertheilt, alle kaiserlichen Truppen, mit Ausnahme der italienischen Armee, gegen die Hauptstadt oder wohin ihm sonst beliebte, zu führen, um die ganze Bewegung und alle verfassungsmäßigen Errungenschaften seit dem März in Blut und Eisen zu ersticken.
Diese unbelehrbare Treulosigkeit der habsburgischen Hauspolitik führte in erster Linie die Katastrophe des 6. October in[464] Wien herbei. Schon seit Monaten waren in den Regierungshandlungen des Ministeriums Wessenberg untrügliche Kennzeichen dafür hervorgetreten, daß man in der Hofburg in Wien den Umsturz der Aprilverfassung und der Märzerrungenschaften, die Wiederherstellung des alten absoluten Kaiserthums, mit Hülfe des Heeres plane. Am 3. October enthüllte sich der andere Theil dieser reactionären Politik. Schon vorher waren Briefe aufgefangen worden, welche verriethen, daß die Regierung den in Ungarn eingefallenen Banus von Kroatien Jelačić heimlich mit Geld und Kriegsmaterial unterstützte. Durch die kaiserliche Verordnung vom 3. October wurde der Banus, der Todfeind Ungarns, zum Oberbefehlshaber aller kaiserlichen Truppen und zum kaiserlichen Statthalter in Ungarn ernannt. Das war die offene Kriegserklärung an Ungarn. Und der Volksinstinkt in Wien hatte Recht, wenn er darin nur das Vorspiel des Umsturzes der Märzverfassung erblickte.
Eine bewaffnete Empörung bemächtigte sich innerhalb vierundzwanzig Stunden — dank der feigen Unthätigkeit und der rathlosen Führung der Truppen — am 6. October der Stadt, und ermordete in gräßlicher Weise den Kriegsminister Latour, während seine Grenadiere Gewehr in Arm dem furchtbaren Schauspiele zusahen. So empörend diese scheußliche That des Pöbels auf der einen, die Muthlosigkeit der bewaffneten Macht auf der andern Seite ist, so war das Empörendste an der ganzen Tragödie doch die doppelzüngige Verlogenheit der Regierung. Der Deputation des Reichstages, die nach der Revolution treuvertrauend zum Kaiser kam, um ihm zu versichern, daß Wien dem Kaiser nach wie vor gehorsam sei und nur verlange, daß der Kaiser die reactionären Minister entlasse und die Verordnung vom 3. October gegen Ungarn zurücknehme, versicherte der schlaue Biedermann, das werde geschehen. Und die Nacht darauf[465] entwich er mit dem Hofe nach Olmütz und hinterließ der Stadt seine Kriegserklärung, die jedoch ohne Gegenzeichnung irgend eines Ministers ein schlechthin rechtsungültiger Act war.
Aus den Adressen, welche der Reichstag und der Gemeinderath von Wien in der ganzen Zeit vom 6. October an bis zur Bezwingung der Stadt durch Windischgrätz am 30. October an den Kaiser gerichtet haben, aus allen ihren Handlungen erhellt klar, daß die Wiener Revolution keinen Augenblick auf die Beseitigung der Krone, auf die Verwandlung des österreichischen Kaiserstaates in eine Republik zielte. Diese Bewegung bezweckte nichts Anderes, als was die zwei Revolutionen im Mai bezweckt hatten: die Sicherung der constitutionellen Verfassungsform und der vom Kaiser gewährleisteten Freiheiten gegen die Staatsstreichgelüste der Reaction, die uns gerade Herr v. Helfert, der keineswegs verschämte Vertheidiger aller dieser geheimen Junker- und Hofintriguen, so hübsch klargelegt hat. Erst nachdem Wien bereits capitulirt hatte und die kaiserlichen Truppen durch die unbegreifliche Verzögerung ihres Einmarsches in die bezwungene Stadt, Scenen hervorriefen, welche an den Anfang des Pariser Communeaufstandes erinnern, erst da geberdeten sich einige anarchische Banden als Republikaner. Dafür sind jedoch die sog. revolutionären, in der That jedoch völlig legitimen Behörden Wiens um so weniger verantwortlich zu machen, als auch Herr v. Helfert nicht bestreiten kann, daß die bedrohliche Unbotmäßigkeit der Anarchisten in erster Linie gerade gegen die Beschlüsse und Anordnungen der in Wien damals bestehenden Behörden gerichtet war.
Daß die Frankfurter Linke versuchte, zu Gunsten Wiens einen Ausspruch des deutschen Parlamentes herbeizuführen, war nur natürlich. Am 12. October brachte der Abgeordnete für[466] Wien in Frankfurt, Joh. Berger, den dringlichen Antrag ein, das Parlament wolle erklären, daß die deutsche Stadt Wien sich durch ihren Kampf gegen die „freiheitsmörderische Camarilla um das Vaterland wohl verdient gemacht habe“.
Es war gleichfalls sehr natürlich, daß das Parlament diesen excentrischen Antrag ablehnte, die Dringlichkeit desselben verneinte. Nun zog Berger den Antrag selbst zurück. Schon vorher hatte jedoch die „vereinigte Linke“ beschlossen, für diesen Fall von sich aus eine Deputation nach Wien zu senden, um die verfassungstreue Majorität des Reichstages und das Wiener Volk zu beglückwünschen. Noch in der Sitzung des Parlaments schrieb Blum auf einen Zettel: „Wenn wir überhaupt eine Deputation nach Wien senden wollen, müssen wir jetzt Beschluß fassen und heute Abend wählen. Die Gewählten müssen morgen früh abreisen.“ Sämmtliche Abgeordnete der Linken setzten ihren Namen darunter, nur der Blum’s fehlte. Da trat Roßmäßler zu Blum und sagte: „Ich möchte mir dieses merkwürdige Document aufheben, Du fehlst darauf“. Lächelnd setzte Blum seinen Namen in die letzte freie Ecke. Er ahnte nicht, daß er sein Todesurtheil unterzeichnete. Ich habe das „merkwürdige Document“ oft bei Roßmäßler gesehen.
Am Abend war die Wahl der Deputation. Bald waren die Clubs des „Donnersbergs“ und des „Deutschen Hofes“ einig über die Entsendung von Julius Fröbel, Moritz Hartmann, Albert Trampusch. Aber sollte man Robert Blum in Frankfurt entbehren können? Stimmengleichheit ergab sich für ihn und Karl Vogt. Da zog Blum den Freund hinaus und beschwor ihn, bei der Stichwahl zurückzutreten, damit Blum aus der dumpfen Frankfurter Atmosphäre hinauskomme, um Zeit zu fruchtbarer Sammlung und Erholung zu gewinnen, die der[467] ganzen Partei zu Gute kommen werde. Vogt trat zurück und Blum wurde gewählt.[235]
In der Nacht des folgenden Tages kam er in Leipzig an. Noch einmal schlief er — die letzte Nacht — im eigenen Hause, noch einmal — zum letzten Mal — herzte er die Kinder, umarmte er die Gattin — dann ging es am Frühmorgen des 14. October über Breslau nach Wien in einem wahren Triumphzuge. Am 17. erreichte er mit den Genossen Wien.
Von den Behörden, dem Volke wurden die vier Abgeordneten feierlich empfangen. Sie nahmen Wohnung in „Stadt London“.
Die Ereignisse hatten für Wien seit dem 11. October, ja selbst seit Blum’s Abreise von Frankfurt eine ungeahnte Wendung genommen. Seit den blutigen Kämpfen des 6. October hatte der Oberbefehlshaber der Wiener Garnison, General Graf Auersperg, sämmtliche Truppen aus ihren Kasernen und aus der Stadt überhaupt herausgezogen und mit ihnen in der Vorstadt Wieden und im Schwarzenberg’schen Garten ein Lager bezogen. Am Morgen des 12. October hatte er auch diese Stellung geräumt und Wien sich selbst überlassen. Die Freude der Wiener über diesen unblutigen Sieg war indessen von kurzer Dauer. Denn alsbald erfuhr man, daß General Auersperg seine Truppen mit denen des Banus von Kroatien, Jelačić, vereinigt habe, der seit dem 8. October auf österreichischem Boden stand, seit dem 10. sein Hauptquartier bei Rothneusiedel[468] aufgeschlagen hatte. Diesem Kroaten weiß Herr v. Helfert nachzurühmen: „Es gibt in der ganzen neueren Geschichte Oesterreichs keine liebenswürdig fesselndere Erscheinung, als die des ritterlichen Banus Jelačić von Kroatien“. Wer die seltene Anspruchslosigkeit des Herrn v. Helfert kennt, wenn es gilt, Männer für groß zu erklären, die er groß zu sehen wünscht, der wird diesem Urtheile vielleicht beipflichten. Andere, die einen anderen Maßstab für historische Größe haben, sind geneigt in dem „liebenswürdig-fesselnden“ und „ritterlichen“ Banus einige der hervorragendsten Charakterzüge Sir John Fallstaff’s wiederzufinden. Auch Jelačić betrachtete die Vorsicht als den besten Theil der Tapferkeit. Auch er war unter Umständen eine Memme aus Instinkt und renommirte wie ein Herkules. Auch er liebte den Sekt und betrachtete die Bezahlung von Schulden als „doppelte Arbeit“. Aber in der Hauptsache stand er weit zurück hinter dem fröhlichen altenglischen Zechbruder: kaum ein Abglanz moderner Kultur war in diese wilde Seele gefallen. Wüste Sinnenlust gehörte zu seinem täglichen Brode. Sein Kulturwerth ist erschöpft mit der Charge, in der ihn der Frühmorgen des Jahres 1848 traf: er war damals „Oberst im ersten Banal-Gränz-Regiment“.[236] Nun, im Herbst, da jeder ehrgeizige General des verlotterten Kaiserstaates mindestens ein kleiner Wallenstein zu sein glaubte, schickte sich auch der „ritterliche“ Banus an, „gegen den Willen und das ausgesprochene Verbot des irregeleiteten (!) Hofes“[237] seine „geschichtliche Bedeutung“ zu gewinnen und „ein Retter der Monarchie zu werden“. Er war von dem magyarischen General Moga gründlich geschlagen worden, und befand sich auf einer rathlosen Flucht, deren wahren Charakter auch Helfert nicht zu verdunkeln vermag,[469] wenn er zugesteht, daß Jelačić bei der Kunde von der Wiener Revolution seine Generale zurückgelassen und nur mit etwa tausend Mann ohne Gepäck nach achtzehnstündigem Gewaltmarsch niederösterreichischen Boden gewonnen habe.[238] Es war eitle Renommage, wenn der Banus der Deputation aus Wien, die, mit einem Befehl des Ministers Kraus versehen, ihn zur Rückkehr auf den ihm vorgeschriebenen Wirkungskreis (Ungarn) zu veranlassen suchte, stolz erwiederte: „Als Soldat zeigt mir der Donner der Geschütze meine Marschroute“ — denn in Wien donnerte nichts dergleichen — und der Banus erlaubte sich eine große poetische Freiheit, wenn er hinzusetzte, „strategische Grundsätze“ hätten ihn über die ungarische Grenze hinausgeführt.[239] Diese „strategischen Grundsätze“ hatten nur die grundsätzliche Rettung seiner werthen Person zum Zwecke. Er half sich nur aus persönlicher peinlicher Verlegenheit, indem er sich als Retter der Monarchie aufspielte, und erst die Vereinigung der Truppen Auersperg’s mit ihm machte sein Erscheinen vor den Thoren Wiens zu einem bedrohlichen Ereigniß für die Stadt.
Doch mit ihm durfte die Stadt hoffen, rasch fertig zu werden, zumal Moga’s Heer kräftig auf den geschlagenen Gegner drückte. Nur ein einziges Wort der Wiener Behörden, namentlich des Reichstags, an die Ungarn wäre nöthig gewesen, um diese über die ungarische Grenze zum Entsatze der Stadt heranzuziehen. Aber dieses Wort wurde jetzt so wenig als später gesprochen. Das waren die ersten Scenen des heraufziehenden Verhängnisses, die Robert Blum in Wien mit erlebte. Am 17. schreibt er an seine Frau, Anfangs fast im Tone des Touristen:
„Unter dem ersten Eindrucke dieser ungeheuren Stadt kann ich Dir nur anzeigen, daß wir ohne, oder doch mit sehr geringer Gefahr hier angelangt sind. Wien ist prächtig, herrlich, die liebenswürdigste Stadt, die ich je gesehen; dabei revolutionär in Fleisch und Blut. Die Leute treiben die Revolution gemüthlich, aber gründlich. (?) Die Vertheidigungsanstalten sind furchtbar, die Kampfbegier grenzenlos, Alles wetteifert an Aufopferung, Anstrengung und Heldenmuth. Wenn Wien nicht siegt, so bleibt nach der Stimmung nur ein Schutt- und Leichenhaufen übrig. Morgen erfolgt wahrscheinlich die Schlacht, d. h. nicht in Wien, sondern außerhalb derselben zwischen Ungarn und Croaten; sie wird durch etwa 10,000 Wiener unterstützt werden und wir werden sie mitmachen, denn wir sind heut Ehrenmitglieder der academischen Legion und sofort bewaffnet worden. Wir müssen also mit unsern Kameraden, es wäre eine Schande, es nicht zu thun. Wir werden hier überall mit Jubel empfangen, soweit dies die ernste Stimmung zuläßt. Der Reichstag, der Gemeinderath, das Obercommando, die Aula — Alles nahm uns wahrhaft begeistert, als Boten der Theilnahme Deutschlands auf. Alles ist hier bewaffnet, Alles drängt sich der Erste zu sein, welcher dem Feinde entgegengeht.“ Doch wenige Zeilen später heißt es: „Nur Eins fehlt: wahrhaft revolutionärer Muth in den Behörden; man zerrt sich dort gar zu sehr mit Halbheiten herum, und lawirt immer, um auf dem gesetzlichen Boden zu bleiben. Energie dort im ersten Augenblicke, und die Sache wäre schon entschieden. Hoffentlich bekommt man unter dem Kanonendonner auch dieses Fehlende noch ... Wann ich zurückkomme, kann ich allerdings jetzt nicht bestimmen, aber jedenfalls reise ich diese Woche noch ab, denn eine Entscheidung erfolgt in den nächsten Tagen.“
Dieser Brief ist so widerspruchsvoll, wie die Eindrücke, die am ersten Tage seines Wiener Aufenthaltes auf Blum einstürmten. Doch ist der bezaubernde Eindruck, eine große Revolution in Waffen unmittelbar mitzuerleben, entschieden vorherrschend; auch noch am folgenden Tage. Auch am 18. Oct. glaubt Blum noch, die Entscheidungsschlacht stehe unmittelbar bevor. Auch da ist er mit den Freunden entschlossen, sie mitzukämpfen. In dieser Stimmung setzt er seinen Namen unter die phrasenhafte Straßenproclamation des Dichters Moritz Hartmann, in der die[471] Frankfurter Deputation den Wienern „den Bruderkuß von vielen Tausenden“ überbrachte und ihnen versprach, „wenn das Schicksal will, die Gefahren mit ihnen zu theilen, mit der Wiener Bevölkerung zu stehen und zu fallen“.
Aber schon am „19. October Morgens“ schreibt Blum der Gattin[240] lakonisch: „In aller Eile, liebe Jenny, die Nachricht, daß ich wahrscheinlich Sonntags (22. Oct.) mit dem ersten Zuge von Dresden komme, doch kann es auch Montag werden, aber wahrscheinlich Sonntag. Die Sachen gehen hier wieder langsamer, ja sind gewissermaßen umgeschlagen. Gruß und Kuß Bl.“ „Dieser Entschluß stand“ also nicht, wie Anton Springer meint, „im Widerspruch mit dem tapferen Wunsche, für Wiens Freiheit zu sterben“, sondern er war, wie auch Springer zugibt, „begreiflich“, eine nothwendige Folge des „Umschlags“ der Dinge in Wien. Die Deputirten hatten sich eben in der Zwischenzeit überzeugt, daß die Behörden der Stadt den Ungarn nicht die Hand reichen würden, daß man dem Banus mit papiernen Redensarten und Gesetzesworten zu Leibe rücken wolle, statt mit denselben Waffen, die er gegen die Stadt trug, daß man also einen innerösterreichischen Rechtsstreit auszufechten gedenke, statt einer geschichtlichen Feldschlacht, und damit hielten sie ihre Sendung für erledigt. Der Behauptung Helfert’s (S. 129) „Blum hat in Wien vom ersten Tage an bös gewirkt; er war die ganze Zeit in einer Aufregung; er bethörte auf der Universität die jungen Leute, deren Uniform er trug und in deren Kreisen er, der gereifte Mann, die leidenschaftlichsten Reden führte“, steht dieser Brief vom 19. schlagend entgegen. Es steht ihr ferner entgegen das völlige Schweigen der damaligen Wiener Presse über „bethörende“ (man würde damals gesagt haben gesinnungstüchtige)[472] Reden Blum’s in der Aula in den Tagen vom 17. bis 19. October. Auch führt Helfert, außer dem wenig zuverlässigen Urtheil des typischen Angstmichels jener Tage, Schuselka’s, über Blum’s angeblich permanente Aufregung, gar keinen Gewährsmann für diese Behauptung an. Für die alberne Phrase, Blum habe gesagt, er werde „nicht eher ruhen, bis noch zweihundert wie Latour gefallen wären“,[241] hat Herr v. Helfert nur einen und obendrein sehr traurigen Gewährsmann, „einen Studiosus juris, Franz Köcher“, einen Menschen, der sich durch solche Lügen über einen Todten die Gunst der Sieger zu erkaufen suchte; denn er wagte sich erst am 21. Novbr. in der Wiener Zeitung (!) damit heraus, als in Wien nur diejenigen Zeitungen erscheinen durften, die sagten, was Windischgrätz wünschte und zuließ. Und von diesen Zeitungen wählte Köcher sich zu seinen Denunciationen, die er in einem „offenen Schreiben einrückte“, noch das offizielle Leiborgan des Fürsten![242]
Im Uebrigen bezeichnet Helfert allerdings einen der Gründe richtig, die Blum zur Abreise entschlossen machten. „Er war mit dem unentschiedenen Vorgehen des Reichstags und seines Ausschusses höchst unzufrieden und sprach dies bei jedem Anlasse[473] offen aus.“ Herr v. Helfert scheint über diese Unzufriedenheit Blum’s entrüstet zu sein. Wir müssen sie durchaus begreiflich finden. Es giebt kaum etwas Kläglicheres, als die unentschlossene und schwankende Haltung der Wiener Behörden jener Tage. Wenn sie von ihrem Recht überzeugt waren — und das waren sie — so hatten sie den rechtlosen Einbruch des Kroaten mit den Waffen Moga’s und ihren eigenen Streitkräften abzuweisen. Statt dessen erschöpfte sich Alles, was sich in Wien Behörde nannte, in den windigsten Phrasen, deren ungeheure Lächerlichkeit sonderbarerweise damals von Niemandem empfunden wurde.
Der Gemeinderath war am 7. October neu gewählt worden. Der Studentenausschuß, der bis dahin neben ihm die Stadt regiert hatte, löste sich auf, nachdem er sein Dasein mit jenem Antrag an den Reichsrath gekrönt hatte, die Armee solle in eine Volkswehr verwandelt und den Soldaten das Recht zur Desertion verliehen werden. Diese Eingabe begann mit den wundervollen Worten: „In jedem Augenblicke der Säumniß spült die nagende Woge der Ereignisse einen Grundstein der gesetzlichen Ordnung hinweg; wehe uns, wenn das ganze Gebäude erschüttert zusammenbricht und Scilla und Charibdis (!) seine Trümmer verschlingt.“ Der Gemeinderath seinerseits hatte seine Thätigkeit damit begonnen, den obdachlosen Deserteuren, den eidbrüchigen Grenadieren Geldprämien und den Wittwen und Waisen der „gefallenen Freiheitskämpfer“ Pensionen auszuzahlen. Wenige Tage später befahl er eine allgemeine Bewaffnung und nahm das Proletariat unter dem Namen der Mobilgarde in seinen Sold. Er verbot aber ausdrücklich jeden Angriff auf das Militair, überließ diesen Theil der Verantwortung, wie überhaupt jede Verantwortung für die Ereignisse dem Reichstag. Der Reichstag seinerseits wies die Sorge und[474] die Vertretung für alle Vertheidigungsmaßregeln vertrauensvoll ausschließlich dem Gemeinderath zu und hütete sich mit peinlicher Aengstlichkeit vor jedem Schritt, der ihm als eine Ueberschreitung seiner parlamentarischen Befugnisse hätte ausgelegt werden können. Einzig und allein der Minister Kraus zeigte sich als ganzer Mann. Er bewies zugleich durch sein Verhalten, wie streng legitim er die Wiener Behörden und ihr Wirken betrachte. Er erhöhte den Sold der mobilen Nationalgarde aus Staatsmitteln und hob einstweilen die Verzehrungssteuer auf Lebensmittel auf, um die Einfuhr größerer Proviantvorräthe nach Wien zu ermuntern. Er hatte, wie schon erwähnt, am 12. Oct., im Einverständnisse mit dem Reichstagsausschusse den von den demokratischen Vereinen vorgeschlagenen provisorischen Obercommandanten der Stadt, Wenzel Messenhauser, in dieser Würde bestätigt. Er hatte endlich dem ohnmächtigen Protest der übrigen Behörden beim Banus den förmlichen Befehl der von ihm selbst verwalteten kaiserlichen Regierung hinzugefügt, sofort den österreichischen Boden zu verlassen.[243]
Am wenigsten war der Mann seiner Aufgabe gewachsen, der bei kühner Entschlossenheit und einiger Anlage zum Feldherrn alle Fehler der Behörden leicht überwunden und mit Hülfe der Ungarn der bedrängten Stadt sicherlich den Sieg verschafft hätte: der Obercommandant Wenzel Cäsar Messenhauser.[244]
Seine Wahl zum Obercommandanten dankte er vornehmlich seiner grenzenlosen Gutmüthigkeit und Naivetät, welche den eigentlichen Führern der demokratischen Vereine versprach, daß er ein willenloses Werkzeug ihrer Oberleitung sein werde, und dann dem Aberglauben, daß ein k. k. Offizier a. D. etwas von militairischer Führung oder gar von Feldherrnschaft verstehen müsse. Außerdem brachte Messenhauser die unleugbare Ehrbarkeit seines Wesens, unendlichen Enthusiasmus, die größte Selbstlosigkeit, den redlichsten Willen und das unausrottbare Bedürfniß mit, die verhaßte Kürze der „corporalsmäßigen Tagesbefehle“ durch gewaltige Proclamationen in dem blühenden Bombast seines noch ungezähmten Deutsch zu ersetzen. Die Ausarbeitung dieser Stilübungen nahm den Obercommandanten[476] während der größten Zeit des Tages in Anspruch. Er ist darin unglaublich fruchtbar gewesen. Sein Generalstabschef Fenneberg meint, es seien damals in Wien an Proclamationen mehr Rieß Papier verdruckt, als Kanonenkugeln abgefeuert worden, obwohl letztere sich in die Tausende beliefen. Von seinem Amte hatte Messenhauser (13. October) mit der ersten dieser Proclamationen Besitz ergriffen, welche lautete: „In diesen Stunden, wo jeder Tag ein Blatt der Weltgeschichte füllt, versenken wir trübe Erinnerungen auf ewig in den Strom des Vergessens und wollen theure Errungenschaften durch begeisterte Hingebung und kalte Besonnenheit gegen mächtige Gefahren behaupten.“ Jede Gelegenheit hatte inzwischen der neue Obercommandant zu gleich geschmackvollen Aeußerungen ergriffen.[477] Den General Auersperg belehrte er über die Natur der Bewegung vom 6. October, „welche sonnenklar eine Volkssache sei,“ und theilte ihm mit, daß „er, Messenhauser, in seinem diplomatischen Verkehre die Richtschnur angenommen, offen vor dem ganzen Volke zu verhandeln“. Er offenbarte der Nationalgarde, daß „auf den Fittigen der Minuten im Felde Erfolg und Sieg ruhe“ und daß er, „der Mensch, das Individuum, der Bürger Messenhauser gar keine Ansicht habe, sondern nur die Ueberzeugungen der tagenden Völker vollstreckte“. An den Banus richtete er „Noten in dem düsteren Charakter eines Ultimatums,“ und schließlich schwang er sich in einem Tagesbefehle zu der selbstmörderischen Erkenntniß auf: „Mit Redensarten schlägt man keinen Gegner.“ Es ist traurig, wenn in so ernsten Tagen die komischen Personen die Hauptrolle spielen. Zum Soldaten und Commandanten fehlte Messenhauser Alles: Ruhe, Kenntnisse, Umsicht, Energie, Begabung. Nicht einmal „die Verhältnisse der Oertlichkeit“ waren ihm bekannt (Helfert und Auerbach). Während der wichtigsten Entscheidungsstunden des Kampfes wies er alle Meldungen ab, um eine politische Kannegießerei ungestört fortzuführen. Seine größte Schuld aber bestand darin, daß er von heldenmüthiger Vertheidigung und von künftigen Siegen sprach, während er von Anfang an die Sache Wiens für eine hoffnungslose gehalten haben will[245], und daß er „wo möglich einen andern Ausweg, als den gewaltsamen Zusammenstoßes“ auch dann noch anstrebte, als die Entscheidung längst auf die Schneide der Waffen gestellt war. Seine Pflicht wäre gewesen, von Anfang an zu capituliren oder zu resigniren. Zu Beidem fehlte ihm die Kraft, ja er war es hauptsächlich,[478] der durch seine zweideutigen Botschaften vom Stephansthurm beim Herannahen der Ungarn an die Schwechat den Wiederausbruch der Feindseligkeiten verschuldete, als die Capitulation schon abgeschlossen war.
Diese traurige Beschaffenheit der Behörden, in deren Hand Gut und Leben Hunderttausender ruhte, und deren Schwäche Blum schon am ersten Tage durchschaute, wurde aber besonders verhängnißvoll durch die Zudringlichkeit illegitimer Gewalten, die von Anfang an, ehrgeizig und unzufrieden, sich zur Herrschaft, mindestens zur schonungslosen Kritik über die Herrschenden, herandrängten. Schon am 19. October waren Blum und seine Genossen Zeugen, wie Chaizes in der Sitzung des demokratischen Centralvereins über den Reichstag schimpfte und ihm rundweg das Vertrauen des Volkes kündigte, und Zeugen der schimpflichen Ausweisung des Prof. Wuttke aus Leipzig. Schon da „erkannten sie die ganze Hilflosigkeit der angeblichen Volksführer“.[246] Trotz der ungeheuren Dürftigkeit der Prozeßacten des Kriegsgerichts wider Blum — seine Acten sind die kürzesten, die das „permanente Standrecht“ überhaupt geführt hat — findet man doch auch aus dem Verhörsprotokoll bestätigt, daß und warum Blum am 19. October zu seiner Abreise von Wien sich fest entschlossen hatte: „Wir fanden die Verhältnisse anders als wir geglaubt hatten.“ Wie herrlich hatte die Wiener Revolution aus der Ferne ausgesehen — wie kläglich und verworren erschien sie Blum in der Nähe!
Am 20. October früh erhob Blum seinen Paß bei dem Sächs. Gesandten von Könneritz. Er hatte gehofft, auch Fröbel werde dort einen Paß erhalten. Aber da das Reich Schwarzburg-Rudolstadt nicht durch Sachsen in Wien vertreten war,[479] und Fröbel der diplomatischen Vertretung Schwarzburgs nicht traute, so erwies sich diese Hoffnung als trügerisch und Blum mußte warten, bis die Genossen einen Paß „auf drei Tage“ von Messenhausers Generalstabschef Fenneberg erhielten. Diese Zögerung wurde für ihn verhängnißvoll. Denn als sie nun die Stadt verlassen wollten, stellte man ihnen vor, daß Wien bereits von allen Seiten durch Militär umschlossen sei, und die Passirscheine Fennebergs ihre Inhaber und deren Begleiter (Blum) ebenso wie die Abgeordneten-Legitimationen, welche sie bei sich führten, den kaiserlichen Offizieren eher zur Gefangennehmung und Mißhandlung als zum Durchlaß empfehlen dürften. Ja man spiegelte den Abgeordneten geradezu vor, österreichische Abgeordnete seien bereits angehalten worden.[247] Leider glaubten die Frankfurter Deputirten diesen Angaben, die sicherlich falsch waren — mindestens hatte der Cernirungsring der Kaiserlichen damals noch erhebliche Lücken und kein österreichischer Abgeordneter ist vor dem 24. October angehalten worden. Diese Vorspiegelungen wurden gemacht, weil die Führer der Wiener Bewegung ungern „das moralische Gewicht“ entbehrten, „welches das Erscheinen und Verweilen dieser vier deutschen Männer in Wien für die leicht erregbare Menge hatte, der man jetzt vorsagen konnte, halb Deutschland stehe hinter ihnen.[248]“ Daß Blum nur höchst ungern blieb, und auch am 20. nur auf Abreise sann, nicht mehr an Betheiligung an der verworrenen Bewegung, daß er nicht blieb aus revolutionärem Instinct und Behagen, wie Helfert insinuirt, das erhellt zunächst daraus, daß er vom 20. bis 26. Oct. sich von jedem persönlichen Antheil am Kampfe und Waffendienst fern hielt, und am 20., wie wir sehen[480] werden, eine Stelle nur in demjenigen Corps annahm, welches die Ruhe und Ordnung der Stadt wahren sollte. Dasselbe erhellt aber auch aus einem Briefe Blums an seine Frau vom 20. October Nachmittags, den Helfert kannte.[249] Er lautet:
„Meine liebe Jenny! Ob Du diese Zeilen erhältst, weiß ich nicht; da aber mein Weg gut ist, versuche ich’s wenigstens. Du erwartest mich Sonntag oder Montag, und ich bin indessen hier fest eingeschlossen, so daß Niemand mehr heraus kann. Gestern ist dies vollendet worden und heute sieht man eifriger und sehnsüchtiger als je der Entscheidungsschlacht entgegen. Wir sind also völlig in die Hand des Kriegsglückes gegeben, und ob wir herauskommen, wann wir fortkommen, wohin wir den Weg nehmen — davon haben wir in diesem Augenblicke noch keinen Begriff. Ob über Kärnten nach Triest, oder über Salzburg nach Baiern, läßt sich nichts, nichts bestimmen. Sei indessen unbesorgt, wir werden schon irgendwo durchkommen, und geht’s nicht, nun so kosten die nächsten Tage so edle Opfer, daß es sich wohl lohnt, unter ihnen zu sein. Sobald die Entscheidung gefallen und dann irgend ein Weg offen ist, gehen wir. Wiens Begeisterung und Kampfesmuth ist unermeßlich, und man lebt jede Stunde ein ansehnliches Stück Menschenleben, wenn man diese Züge geistiger Größe sieht. Man achtet das Leben nicht im geringsten, geht auf den Vorposten hin und her und wechselt Kugeln, wie man sich mit Brotküchelchen wirft nach heiterm Mahle ... In Wien entscheidet sich das Schicksal Deutschlands.... Siegt die Revolution hier, dann beginnt sie von neuem ihren Kreislauf; erliegt sie, dann ist, wenigstens für eine zeitlang, Kirchhofsruhe in Deutschland ... Sei so unbesorgt als möglich, ich bin in sehr heiterer Stimmung und werde es bleiben bei jeder Wandlung, denn die Sache ist groß. Hoffentlich sehen wir uns wieder und bald. Die Kinder brauch’ ich Dir nicht zu empfehlen, sie sind ja Dein. Grüße und küsse sie recht herzlich“ u. s. w.
Der verhängnißvolle Irrthum des Briefstellers besteht darin, daß er annahm, in Wien entscheide sich das Schicksal Deutschlands. Das war nicht der Fall und konnte nicht der Fall sein. Er kannte die verschlungenen Verhältnisse des damaligen Oesterreich nicht, wenn er das annahm. Dieser Irrthum aber ist es, der den energischen, tapfern Mann endlich doch zu dem Entschlusse drängte, sich wenigstens am Waffendienste für die Ruhe der Stadt zu betheiligen. „Wir glaubten als Fremde, die in einer schwer bedrängten Stadt sich als Gäste aufhielten, die Pflicht zu haben, und es unserer Ehre schuldig zu sein, an den allgemeinen Lasten theilzunehmen, namentlich da man uns gesagt hatte, daß man zur Aufrechterhaltung der inneren Ruhe und Sicherheit auf unsere Namen Werth legt“, sagte Fröbel am 18. November in der Paulskirche.
Die Heersäulen, welche vom 20. October an die Umschließung der Stadt vollendeten, standen unter dem Oberbefehl des Fürsten Alfred zu Windischgrätz. Das war nun schon der zweite General, der ohne jede constitutionelle Berechtigung sich zum Bändiger der Hauptstadt, zum Retter des Thrones aufwarf „und den Willen des Monarchen kurzweg voraussetzte“. (Springer, S. 563). Schon am 11. October hatte der Fürst in Prag eine Proclamation erlassen, in welcher er seinen Abmarsch nach Wien ankündigte: „die Anarchie in Wien legt mir die Pflicht auf, mich mit einem Theile der mir unterstehenden Truppen zum Schutze des Monarchen und zur Wahrung der Einheit der constitutionellen (?) Monarchie von hier zu entfernen.“ Kein Wort von einem Auftrag des Kaisers war in dieser Ankündigung zu entdecken; Böswilligkeit konnte man denen nicht vorwerfen, welche diese Worte so auslegten, als handle Windischgrätz auf eigne Faust. Um dieses Urtheil von seinem Helden abzuwenden, enthüllt uns der Haushistoriker der Familie Windischgrätz,[482] Herr v. Helfert, die ganze Geheimgeschichte der Unterhandlungen, die zwischen dem Fürsten und dem Hofe seit dem Beginn der Bewegung des Jahres 1848 gespielt haben. Diese Intriguen, welche zur großen Ehre des Fürsten dienen sollen, enthüllen einen so tiefen Abgrund von Treulosigkeit und doppelzüngiger Verlogenheit, wie er selbst in der österreichischen Geschichte selten angetroffen wird. Herr v. Helfert hat dabei nur zu rühmen. „Ein großer, eines Helden der classischen Zeit würdiger Gedanke!“ ruft er aus, als die hochverrätherischen — weil verfassungswidrigen und ungehorsamen Umtriebe des Fürsten die erste feste Gestalt gewinnen. „Windischgrätz war fest entschlossen, die der Revolution gegenüber gewonnene Stellung nicht wieder aufzugeben, vielmehr die Kräfte bereit zu halten, um im geeigneten Zeitpunkte das Werk ihrer vollständigen Niederwerfung zu Ende zu führen. Unmittelbar nach den (Prager) „Junitagen“ (wo er die Revolution blutig niederwarf), sandte er den Obristlieutenant Baron von Langenau in geheimer Sendung nach Innsbruck“ (an den kaiserlichen Hof), „um sich für unvorhergesehene (!) Ereignisse die nöthige Vollmacht zu erbitten; sie kam in einem kaiserlichen Handschreiben, worin ihm für den eintretenden Fall (!) „der unbeschränkte Befehl über alle kaiserlichen Truppen der Monarchie, die italienische Armee allein ausgenommen, eingeräumt wurde. Von da an blieb Windischgrätz mit dem kaiserlichen Hoflager in unausgesetztem Verkehr, den die regierende (?) Kaiserin unmittelbar führte“.[250] Windischgrätz setzt sich nun in Verbindung mit Generälen von der Verfassungstreue seines Schlages und erhält die Zusage auf eine Unterstützung von 15–20,000 Mann „für den Fall des Bedarfs“. „Bei allen diesen Verhandlungen[483] blieben das kaiserliche Handschreiben und überhaupt die näheren Beziehungen Windischgrätz’s zum Hofe strenges Geheimniß; auch Latour“ — der Kriegsminister, der seine Treue zu dem falschen Kaiserhofe mit dem Tode besiegelte! — „erfuhr davon nichts“. Im Gegentheil beginnt nun vom 7. Juli an zwischen dem Kriegsminister und dem Hochverrath spinnenden Fürsten ein Briefwechsel, der auf Seite des Ministers zu begreiflicher Erbitterung, auf Seite des Fürsten zu steigender Frechheit des Ungehorsams führt, zu einem Trotz und einer Nichtachtung der von Wien erhaltenen Befehle, die einem preußischen General sofortige schimpfliche Cassation, wenn nicht die Kugel auf dem Sandhaufen eingetragen hätten. Was sagt uns Herr v. Helfert darüber? „Doch Windischgrätz, der von der Höhe des Hradschin über die Grenzen Böhmens und von den Verhältnissen des Augenblicks auf das, was eine nahe Zukunft bringen konnte, hinausblickte, sträubte sich dagegen mit aller Macht.“ Als Windischgrätz dem Minister, der die böhmischen Truppen in Italien und für den Einfall des Banus in Ungarn nothwendig brauchte, schließlich rund heraus erklärte: „er werde sich unter keiner Bedingung zur Fortsendung der verlangten Truppenkörper hergeben; er (Windischgrätz) bitte, ihn nicht in die Lage offener Weigerung zu bringen, da er fest entschlossen sei, in jener Richtung ihm zukommenden Befehlen nicht zu entsprechen“ — da riß doch selbst dem greisen Latour die Geduld. Er sprach nun von der Abberufung des Fürsten, und bezeichnete dessen Verhalten als „ein seit dem dreißigjährigen Kriege in der kaiserlichen Armee nicht vorgekommenes Beispiel offenen Ungehorsams eines commandirenden Generals“.[251] Leider störte die Ermordung Latours die einzige Lösung des Conflicts, die mit der[484] Ehre der Regierung verträglich, die einzige, die denkbar war, wenn Oesterreich auf den Begriff eines Staates ferner Anspruch machen wollte: die Cassation und Bestrafung des Rebellen in Generalsuniform.
Mit dem Ausbruch der Wiener Revolution ließ er die Maske fallen. Hatte er doch, wie uns Herr v. Helfert versichert, (offenbar ohne zu ahnen, welches Verbrechens er damit den Fürsten beschuldigt) „im stillen längst seine Anstalten für den äußersten Fall getroffen“. Am 11. erschien sein bereits erwähnter Aufruf „An die Bewohner Böhmens“, in welchem zum großen Erstaunen der Tschechen deren loyale Gesinnung von demselben Fürsten belobt war, der das Juni-Blutbad in der böhmischen Hauptstadt angerichtet hatte. Am 15. brach Windischgrätz von Prag auf, zog aber vorläufig in dem dunkeln Drange der Erkenntniß, daß seine Innsbrucker Vollmacht doch wohl einigen staatsrechtlichen Zweifeln begegnen könne, nicht nach Wien, sondern nach Olmütz, wo er am nämlichen Tage bei Hofe eintraf, „von der kaiserlichen Familie sehnlichst erwartet“. Auch die reinlichen Verhandlungen, die hier gepflogen wurden, enthüllt uns Herr v. Helfert.[252] Kübeck war für einen glatten Staatsstreich: Auflösung des Reichstags, Belagerungszustand in der ganzen Monarchie, Bekleidung des Fürsten Windischgrätz mit schrankenloser Dictatur. Fürst Felix Schwarzenberg dagegen, der im Grunde ja dasselbe Ziel anstrebte, rieth auch jetzt noch die constitutionelle Maske beizubehalten, nur den Reichstag in eine „unbefangene Landstadt“ zu verlegen, und Windischgrätz stellte seinerseits nur (!) die Bedingung, daß von dem neu zu bildenden Ministerium kein wichtiger Schritt unternommen, namentlich keine organisatorische Verfügung getroffen[485] werde, zu deren zustimmenden Mitwisser er zuvor nicht gemacht worden. Vor der Welt wurde nur die Erhebung des Fürsten Windischgrätz zum Feldmarschall — mit Ueberspringung des Feldzeugmeisterranges — und dessen unbeschränkte Vollmacht zur Herstellung der Ordnung und Gesetzlichkeit im außeritalienischen Oesterreich bekannt“. Natürlich, denn es wäre eine zu eigenthümliche Beleuchtung der Wahrheitsliebe des Fürsten gewesen, wenn man hätte bekennen wollen, „die Wahrung der Einheit der constitutionellen Monarchie“, für die der Fürst angeblich nach seiner Proclamation vom 11. von Prag aufgebrochen, bestehe in dem absoluten Veto des Fürsten gegen jede wichtigere Handlung der Regierung und in seiner schrankenlosen Dictatur! Vom Rechtsstandpunkte aus war übrigens das kaiserliche Manifest, welches diese Vollmacht „vor der Welt“ dem Fürsten übertrug, in nichts gesetzlicher, als der von Kübeck angerathene Staatsstreich. Auch das Manifest entbehrte jeder ausreichenden Gegenzeichnung. Und im Grunde etablirte es dieselbe schrankenlose Dictatur, die Kübeck offen beim Namen genannt wissen wollte.
Schon am 15. October war eine Deputation des Reichstags und Gemeinderaths aus Wien in Olmütz erschienen, um den Kaiser um Abwendung des Aeußersten, des Sturmes auf seine Hauptstadt, zu bitten. So zweideutig wie immer wurde sie vom Monarchen beschieden. Viel klarer sprach der gefürstete Dictator, der monatelang gegen die Befehle der kaiserlichen Minister rebellirt hatte, am 18. zu Pillersdorff, als dieser ihm auf dem Wege nach Wien in geheimer Mission entgegenkam: „Mit Rebellen werde ich nicht unterhandeln“.[253] Es kann nicht Wunder nehmen, wenn der Freiherr v. Helfert, nachdem ihm[486] die handschriftlichen Schätze des Windischgrätzer Hausarchivs überlassen worden, dem Grundsatze noblesse oblige folgt, und versucht, unsern durch die Weltgeschichte verdorbenen Geschmack dadurch zu verbessern, daß er den Fürsten Windischgrätz als den heldenhaftesten, edelsten, leutseligsten, gutmüthigsten und mildesten Menschen hinstellt, den etwa im letzten Jahrtausend die österreichische Erde hervorgebracht. Freilich ist Herr v. Helfert, wie schon bemerkt, ungemein genügsam in seinen Ansprüchen an große Männer. Und es kann ja sein, daß Fürst Windischgrätz, wie Helfert in zorniger Erregung versichert, das Wort nicht gesprochen hat, das ihm bis zum Erscheinen von Helferts Werk zugeschrieben wurde: „Der Mensch fängt erst beim Baron an“. Es kann sein, daß Fürst Windischgrätz den österreichischen Baron nicht so hoch taxirte; wenn vielleicht auch damals diese Standeserhöhung noch nicht so tief im Werthe stand wie vor einigen Jahren, wo jeder höhere österreichische Beamte, Militair und Gründer der taxfreien Verleihung des k. k. österreichischen „von“ fast nur durch Selbstmord entgehen konnte. Aber all diese Rettungsversuche vermögen die Gestalt des Fürsten in kein günstigeres Licht zu stellen, als ihm die Geschichte nach seinen Handlungen angewiesen hat. Einige dieser Handlungen sind ja leider in der Folge noch zu berichten.[254]
Am 20. October war Fürst Windischgrätz bis Lundenburg vorgerückt und sein Aufmarsch gegen Wien nahezu[488] vollendet[255]. Er erließ am nämlichen Tage von Lundenburg aus eine Proclamation gegen die Hauptstadt, in welcher es hieß: „Ihr werdet in mir den Willen und die Kraft finden, Euch aus der Gewalt einer Handvoll Verbrecher zu befreien.“ Im Uebrigen wurde Belagerungszustand, Standrecht, die Suspension aller Civilbehörden verkündigt. Eine Deputation des Gemeinderathes, welche am 22. Morgens in das fürstliche Lager kam, ließ sich die Proclamation nebst dem kaiserlichen Manifest vom 16. versiegelt in der ganzen Auflage nach Wien aufpacken und mitgeben, ohne den Inhalt zu kennen; so erschreckt war sie über des Fürsten polternde Drohungen. Am nämlichen Tage trafen die Frankfurter Abgeordneten Welcker und Mosle, die der Reichsverweser als Friedensstifter entsendet, in Lundenburg ein und wurden schließlich, nachdem sie sich an der Tafel der Offiziere[489] „ganz behaglich gefühlt“, auch von Windischgrätz empfangen. Die Generale hatten erst große Mühe gehabt, dem Gewaltigen begreiflich zu machen, daß die Reichsboten nicht zu den verächtlichen Demokraten gehörten. Er behandelte also die Herren, wie Welcker versichert, „mit größter gesellschaftlicher Auszeichnung.“[256] Aber als Welcker beredt zu Ausgleich und Versöhnung mahnte, erwachte im Fürsten doch wieder das Mißtrauen, daß man ihm am Ende doch verkappte Demokraten von Frankfurt zugesendet habe und er unterbrach den Sprecher brüsk mit den Worten: „Es scheint fast, als wenn Sie für die Wiener Volks-Souveränetät Partei nähmen! Mein Monarch selbst kann augenblicklich in Wien nichts thun, da (!) derselbe mir unbedingte Vollmacht gegeben hat. Haben Sie etwa ein besseres Recht sich einzumischen, als der Kaiser von Oesterreich?“ Endlich, als sich Welcker auf seinen Auftrag vom Reichsverweser berief, schnarrte der Fürst grob: „Ihre Vollmachten brauche ich nicht einzusehen. Oesterreich bedarf der Paulskirche nicht; es wird den Kampf um sein Bestehen allein ausfechten.“[257] So verfuhr der liebe menschenfreundliche Herr (nach Herrn v. Helfert) mit den Boten seines Erzherzogs!
In Wien war die Proclamation des Fürsten am 21. Nachmittags am Gebäude des Kriegsministeriums und einigen Straßenecken angeklebt und herabgerissen worden. Diese Botschaft des Fürsten erzeugte bei einigen Schwächlingen Furcht, vorwiegend aber ungeheure Erbitterung. Der Reichstag beschloß, diese Proclamation für ungesetzlich zu erklären. Jubelnd stimmte der Gemeinderath bei. In der Bevölkerung tobte der Zorn in wilden Scenen aus. Zum ersten Mal waren werthvolle Sammlungen der Stadt, geistliche Grabstätten gefährdet.
Am 23. berief Blum eine Volksversammlung in die Aula. Der Saal war keineswegs blos von Studenten gefüllt. Auch einige gediegene Spitzel, „die sich um das, was Blum zu sagen hatte, nicht viel zu kümmern schienen“[258], aber doch später vor der Standrechts-Commission mit den Früchten ihrer Erinnerung gegen Blum aufwarten konnten, scheinen sich hier eingefunden zu haben. Noch heute ist das Urtheil über diese Rede getheilt, weil ihr Wortlaut nicht feststeht. Am richtigsten dürfte der Text der Rede in der „Wiener Zeitung“ sein; denn diese war das offizielle Organ der damaligen Behörden und hatte daher unter allen das größte Interesse, die vielbesprochene Kundgebung eines hervorragenden Mannes so richtig und treu als möglich zu geben. In der „Wiener Zeitung“ findet sich keine Stelle, aus welcher man Blum ein Verbrechen oder die Anstiftung zu einem solchen zur Last legen könnte. Aus dieser Quelle schöpfen aber die Herren nicht, die gern Alles, was Blum betrifft, ins Schwarze malen, um den Justizmord, der an ihm verübt wurde, zu beschönigen; namentlich Herr v. Helfert. Sie citiren lieber die notorisch schwarzgelbe „Presse“ und die Blum feindselige „Ostdeutsche Post“, weil hier Blum die monströsesten Dinge in den Mund gelegt werden; Dinge, die er jedenfalls berichtigt haben würde, wenn die beiden Blätter nicht am 25. October schon eines sanften Todes verblichen wären.[259] In der „Presse“ erschien der Angriff auf Blum „Robert Blum auf der Aula“ erst am 25., in der letzten Nummer des Blattes, in der „Ostdeutschen Post“ am 24. Abends. Ferner aber übersehen die leidenschaftlichen Ankläger Blum’s auch, daß sie viel zu viel beweisen, wenn sie behaupten, Blum habe damals in den wildesten Ausdrücken zum „Mord aller Fürsten“ u. s. w.[491] aufgefordert. Die entscheidende Frage ist doch einzig und allein die: welche Worte der Rede hat das Kriegsgericht später zur Anklage gezogen? Die Antwort hierauf liefert das Vernehmungsprotocoll bei Blum’s Verhör vor dem Kriegsgericht. In diesem ist ein einziger Satz aus Blum’s Aula-Rede, und zwar nach der Version der „Ostdeutschen Post“, als aufrührerisch bezeichnet. Er lautet: „Man möge an die Stelle des früheren Bandes der Gewalt, welches die verschiedenen Nationalitäten des österreichischen Kaiserstaates zusammengehalten, das Band gemeinsamer Freiheit setzen“. Das Kriegsgericht verstand darunter die Republik! — während die ganze Wiener Bewegung von Haus aus streng monarchisch — aber allerdings constitutionell-monarchisch war! Wenn daher Herr v. Helfert am Schlusse seiner Darstellung dieser Volksversammlung in der Aula behaglich berichtet: „Der gefeierte Demagog (Blum) war von diesem Zeitpunkte seinem Verhängniß verfallen“[260], so hat er offenbar abermals keine Empfindung für die klägliche Rolle, die er dem Kriegsgericht zuweist. Dasselbe hat nur eine einzige, unleugbar mißverstandene und sinnwidrige ausgelegte Stelle der Rede Blum’s, und diese eine Stelle, obendrein in der Fassung einer Blum feindseligen Zeitung zur Anklage gezogen, und alles Uebrige, was Blum damals sagte, unberücksichtigt gelassen.[261] Wenn also Herr v. Helfert behauptet, Blum sei durch diese Rede seinem „Verhängniß verfallen“, so heißt das nichts Anderes, als: der schmähliche Vorwand für den Justizmord war hier gefunden! Wie wenig diese Rede gerade einen aufrührerischen,[492] die Hörer zu aufgeregtem Handeln anspornenden Inhalt gehabt haben kann, geht wiederum am besten aus dem Bericht der offiziellen „Wiener Zeitung“ über die Rede hervor, der sie „zu matt“ (!) war: „es waren nur allgemeine Redensarten, wie wir sie auch hier von Eingeborenen (!) öfters und vielleicht drastischer ausgesprochen hören“. Auch diese Stelle war Herrn v. Helfert bekannt[262] und gleichwohl entstellt er die Sache in so tendenziöser Weise. Wer die Rede (in der Fassung der „Wiener Zeitung“) liest und sie mit andern authentischen Reden Blum’s vergleicht, wird sie allerdings in Inhalt und Form zu seinen schwächsten Leistungen zählen. Blum fühlte sich eben, wie der mitanwesende Berthold Auerbach treffend bemerkt, in der ihm fremdartigen Umgebung nicht wohl; er beherrschte die Volksseele nicht, an die er sich wendete; er hatte keine Fühlung mit den eigenthümlichen Verhältnissen des Kaiserstaates, die scharf zu berühren waren, wenn die Zuhörer besonders bewegt werden sollten. Schon diese eine Thatsache hätte Blum’s Richter, hätte noch mehr Herrn v. Helfert, der zwanzig Jahre später schrieb, vor so gezwungenen Auslegungskünsten bewahren sollen, zumal Zeugen jener Tage, wie der spätere Kampfgenosse Blum’s, L. Wittig[263], versichern: „Blum’s Rede sei eine der ruhigsten und besonnensten gewesen, die in Wien gehalten worden sei.“
„Noch an demselben Abend schrieb Blum im Club einen giftgetränkten Aufsatz für den demokratischen Central-Ausschuß, der am nächsten Morgen unter dieser Firma an den Straßenecken zu lesen war,“ berichtet v. Helfert weiter. „Giftgetränkt“ muß Hrn. v. Helfert hauptsächlich der Satz vorgekommen sein[264]: „Wir kämpfen nicht mehr für politische Ansichten, wir kämpfen wie[493] jenes schlichte Hirtenvolk in der Schweiz gegen den Uebermuth der kaiserlichen Vögte, für unsere Freiheit, für unsere Ehre, für unsern Herd, für unser Weib und unsere Kinder. Wer ist der Feigling, der an diesem heiligen Kampfe nicht Theil nimmt?“ — denn es ist der einzige, den Helfert anführt. Die Argusaugen der Richter Blum’s haben in diesem Aufruf nichts Giftiges oder auch nur Verfängliches gefunden. Wie schade, daß Herr v. Helfert nicht damals schon sie eines Besseren belehren konnte. Sie hätten eine noch einfachere Anleitung bekommen, um das Wort Lessings wahr zu machen: Thut nichts, der Jude wird verbrannt.
Zu gleicher Zeit erschien am 24. October im „Radikalen“ von Becher und Jellineck unter der Ueberschrift „Belagerungszustand und Standrecht“ ein Artikel aus Blum’s Feder, mit seinem Namen unterzeichnet, in welchem er, allerdings in höhnischer und verletzender Form, aber durchaus richtig und treffend das rechtswidrige Auftreten des Fürsten Windischgrätz und die Verdrehungen seiner Proclamation geißelte. In ruhigen Tagen würde Blum in dieser Form nicht geschrieben haben. Aber es waren eben keine ruhigen Tage. Und die „Denkschrift“, welche der sonst so zaghafte Gemeinderath Wien’s am 24. an den Fürsten zu senden beschloß, stimmt großentheils wörtlich, überall im Gedankengang überein mit Blum’s Artikel.[265] Wie Blum, wies der Gemeinderath nach, „daß von Anarchie in Wien keine Spur, die Aufregung nur durch die feindlichen Truppenbewegungen hervorgerufen sei, daß nicht eine kleine Fraction in Wien herrsche, die Stadt vielmehr einig sei in dem Bestreben, Freiheit und Ordnung zu erhalten.“ Die Denkschrift ging sogar weit hinaus über das, was Blum zu[494] sagen wagte. „Die Anwendung von Gewalt“, erklärte der Gemeinderath, „könnte leicht der Beginn von Kämpfen werden, die in der Folge nicht mehr den Parteien, sondern dem Throne Verderben zu bringen im Stande wären!“ Und doch ist kein Mitglied des Gemeinderathes aus diesem Grunde zur Verantwortung gezogen worden. Auch in Blum’s kurzen Proceßacten ist sein Artikel im „Radikalen“ vom 24. October gar nicht erwähnt. Vielleicht deckt aber dennoch Herr v. Helfert geheime Karten der damaligen Vorsehung von Lundenburg-Hetzendorf auf, wenn er sagt[266]: „Wenn Blum lachte, da er seinen aberwitzigen (?) Artikel zu Papier brachte, und wenn Becher und Jellineck vor boshafter Freude grinsten, als sie den Artikel in die Druckerei ihres Blattes sandten, so hatten die drei wohl keine Ahnung, daß es ihr eigenes Todesurtheil war, das sie sich geschrieben hatten.“ Vermuthlich will Herr v. Helfert an dieser Stelle nur seine Befähigung als fürstlich windischgrätzischer Haushistoriker nachweisen?
Inzwischen hatte Fürst Windischgrätz selbst erkannt, daß er mit seiner Proclamation vom 20. einen kühnen Mißgriff gethan habe. Auf die Beschlüsse und Vorstellungen des Reichstags und einzelner Deputationen erließ er daher am 23. October eine neue Proclamation vom Hauptquartier Hetzendorf aus, die ihn zwar nicht, wie Herr v. Helfert von Adalbert Stifter sagt, als „Beherrscher einer wundervollen Prosa“ erkennen ließ, aber doch als einen General, der das Blut seiner Leute auch um den Preis einiger Nachgiebigkeit noch schonen wollte. Er stellte von selbst weit glimpflichere Bedingungen als am 20. „Im Verlaufe des Belagerungzustandes habe ich befunden“, versicherte der Fürst in seinem eigenthümlichen Deutsch, „folgende fernere Bedingungen[495] zu stellen“: Auflösung aller bewaffneten Corps, „Sperrung“ der Aula; Auslieferung der academischen Legion, und von zwölf Studenten als Geißeln, desgleichen „mehrerer, vom Fürsten noch zu bestimmenden Individuen“; Suspension aller Zeitungen, bis auf die Wiener Zeitung, die „auf die Wiedergabe amtlicher Nachrichten eingeschränkt bleibt.“ Binnen 48 Stunden gebot er Annahme der Bedingungen oder Eröffnung der Feindseligkeiten. Durch neue Deputationen ließ er sich schließlich zu einer theilweisen Milderung auch dieser Bedingungen bewegen. Er verlangte nun blos noch die Auslieferung folgender Personen: „des angeblichen polnischen Emissärs Bem, der sich unberufen in die Wiener Angelegenheiten mischt[267], Pulszky’s, eines demokratischen Schreiers Namens Schütte, und der Mörder Latour’s.“ Diese Liste ist bezeichnend für das ganze, auch Blum gegenüber später beobachtete Verhalten und die Sachkenntniß der diplomatischen Kanzlei des Fürsten. Die Grundlage für diese Zusammenstellung und für die Beurtheilung der Gefährlichkeit der Gegner bildeten eben nur Zeitungsgerüchte und dunkle Erinnerungen der fürstlichen Kanzleibeamten. Sonst hätten sie wissen müssen, daß mehrere der hier genannten Personen Wien längst verlassen hatten oder an den Octoberereignissen[496] ganz unbetheiligt waren. Besonders wichtig erscheint aber auch, daß in dieser Proscriptionsliste der Name Blum’s nicht vorkommt. Sein Verhalten in Wien kann also den Augen des Fürsten nicht als das todeswürdige Verbrechen erschienen sein, wie Herrn v. Helfert.
Der Gemeinderath wagte gegen diese Bedingungen keine Einwendungen mehr. Auch Minister Kraus nicht, den der Fürst zum Erscheinen in Hetzendorf aufgefordert hatte, und der am 25. mit Brestel vom Gemeinderath vor den Gewaltigen trat. „Wissen Sie“, schrie Windischgrätz den Minister an, indem er ihn am Arme faßte, „daß ich Sie als Gefangenen erklären und nicht in die Stadt zurücklassen sollte!“ Darauf Kraus in seiner unerschütterlichen Ruhe: „Behalten Sie mich da! Einen größern Gefallen, wenn ich nur mein persönliches Interesse befragte, könnte man mir nicht erweisen. Oder meinen Euer Durchlaucht, ich sei zu meinem Vergnügen in Wien?“ Schlagfertigkeit war des Fürsten Sache nicht. Er schaute, statt eine Antwort zu geben, den unglücklichen Brestel an, den er offenbar auch wie den Geh. Rath Welcker für einen verkappten Demokraten hielt und sagte dann barsch zu Kraus: „Der Herr da ist Ihnen wahrscheinlich zur Controle beigegeben“?[268] So leutselig behandelte der menschenfreundliche Feldherr den Minister seines Kaisers. Herr v. Helfert selbst dient als classischer Zeuge für diese Verhandlung, „die in solchem Tone begonnen, keinen günstigen Erfolg haben konnte“. Die Herren stellten dem Fürsten vor, es werde wohl nicht möglich sein, die Führer des Proletariats ihm auszuliefern, so lange dasselbe unter Waffen stehe. Sie erinnerten ihn also an dieselbe „goldene Regel der Nürnberger“, deren Erwähnung in Blum’s Artikel im „Radikalen“ Herr v. Helfert[497] als todeswürdiges Verbrechen betrachtet. Sie ermunterten den Fürsten, unverweilt in die schlecht vertheidigte Stadt zu ziehen, und die gewünschten Geißeln sammt den Rädelsführern, nach Entwaffnung der Mobilgarde, selbst zu greifen. Das wies Windischgrätz aber weit von sich. „Der Mann hatte von dem Werthe auch des niedrigsten Soldaten übertriebene Vorstellungen. Schonung der Truppen erschien ihm als die höchste Feldherrnpflicht, nicht weil er sich als Vater derselben fühlte — solche gemüthliche Beziehungen blieben ihm fremd —, sondern weil er es nicht verantworten zu können glaubte, im Interesse bloßer Bürger die Soldaten zu opfern. Er wollte sie nicht der Noth und den Gefahren eines Straßenkampfes preisgeben. Dafür gab er Wien den Gefahren eines Bombardements preis“.[269]
Es kann nicht die Aufgabe sein, an dieser Stelle die Geschichte der nun beginnenden ernstlichen Kämpfe um die österreichische Hauptstadt zu schreiben, obwohl dem Verfasser hierfür Material zu Gebote stand, das selbst Helfert entbehrt zu haben scheint.[270] Diese Darstellung würde über den Rahmen dieser Arbeit weit hinausgehen. Zudem ist die Aufgabe wenig lockend, bei dem grellen Abstand der Kraft und Leistungsfähigkeit der kämpfenden Gegner. Im Ganzen sind die Ziffern richtig, die Blum am 20. seiner Frau meldete: 100,000 Bewaffnete in der Stadt, 72,000 draußen. „Aber freilich auf jener Seite geübte Soldaten, hier Bürger“, hatte auch er schon hinzugefügt. Und nun noch die unvergleichlichen Gegensätze der Bewaffnung, der Führung, des Kriegsmaterials, des Kriegsplans und -Ziels auf den beiden Seiten! Der energischste Führer der Wiener, General Bem, der „die Vertheidigung nach außen im Großen zu dirigiren“[498] hatte und Jedem, welcher der sofortigen Ausführung seiner Befehle Zögerung oder gar Widerstand entgegensetzte, in seinem gebrochenen Deutsch das verständliche Wort: „Enken!“ entgegendonnerte, war eben doch nicht Obercommandant, fühlte sich bei jedem Schritte gehemmt, und ohne die Mithülfe der Ungarn verzweifelte auch er am Siege. Der Obercommandant dagegen eröffnete die Feindseligkeiten abermals mit einer Proclamation. Am 25. schrieb er in Folge der Kundmachung des Fürsten vom 23.: „Nie hat ein übermüthiger Brennus sich in so schauerlicher Hoffart als Feind des ganzen Menschengeschlechts erklärt. Mitbürger! laßt Euch durch die vermeintliche Stärke des Feindes nicht in Bangen versetzen: in den Mauern unserer Hauptstadt ersteht auf das erste Alarmzeichen ein Heer doppelt so stark als das seine. Ich blicke heiteren Auges auf die Entscheidung der nächsten Tage. Wir werden siegen, unser Belagerungszustand[271] wird ein kurzer sein.“ In demselben Sinne schrieb Blum am 23. an die Gattin. So wenig übersah er die wirklichen Machtverhältnisse.
Die Truppen des Fürsten hatten inzwischen die Stadt überall eng umschlossen, die Zufuhr von Lebensmitteln gründlich abgeschnitten. Empfindlicher Mangel begann sich bald fühlbar zu machen. Die Vertheidiger sahen sich schon auf die Bollwerke der Barrikaden in den Vorstädten zurückgedrängt. Wenige der natürlichen Vertheidigungslinien, wie die Brigittenau und den Prater hielten sie noch besetzt, als am 26. Morgens der umfassende allgemeine Angriff begann. Bei der geringen Ausdauer der ungeschulten Vertheidigungstruppen und der wachsenden Gährung unter den meisterlosen Elementen der großen Stadt, hatte[499] der k. k. Major a. D. Ernst Haug mit Recht schon am 24. zur Bildung eines „Elite-Corps“ aufgefordert[272], zum Schutze der Ruhe und Ordnung der Stadt. Blum hatte bisher unmuthig sich zur Unthätigkeit verurtheilt gesehen. Als dieser Aufruf erschien, der ihm die willkommene Gelegenheit bot, sich der gastlichen Stadt nützlich zu erweisen, ohne doch kämpfend in die verworrenen Verhältnisse einzugreifen, beeilte er sich mit Fröbel, unter Haug’s Commando im Corps d’élite eine Volontairstelle anzunehmen. Auch Moritz Hartmann ließ sich einreihen[273] — und dennoch wurde ihm später nicht ein Haar gekrümmt! Das Corps bestand aus Nationalgarden, Mitgliedern der academischen Legion und Arbeitern. Die Mannschaften wählten die beiden Deputirten zu Hauptleuten, Blum zum Hauptmann der ersten, Fröbel der zweiten Compagnie. In dieser Eigenschaft traten sie ihren Dienst an. Bei Blum meldete sich alsbald ein achtzehnjähriger schmächtiger Student der Mathematik aus Breslau als Freiwilliger, der hierher geeilt war, um eine leibhaftige Revolution mitzumachen. Er hieß Eduard Lasker[274]. Blum glaubte, ihm wenig active Betheiligung am Kampfe versprechen zu können. Aber schon am nämlichen Tage (26. Oct) verfügte Messenhauser vertragswidrig über das Corps d’élite. Er ließ Blum’s Compagnie in die Gefechtslinie an der Sophienbrücke einrücken. Blum hätte sich mit Grund weigern können, dem Befehle Gehorsam zu leisten. Aber diejenigen, die in solcher Weise über ihn verfügten, hatten ihn richtig beurtheilt,[500] wenn sie annahmen, daß er sich lieber dem Vorwurf aussetzen werde, in der Noth der Verhältnisse seine neutrale Stellung als Fremder verkannt zu haben, als dem Verdachte der Feigheit. Seine Betheiligung am Kampfe als Compagnieführer konnte der Sache Wiens in den entscheidenden Stunden von großem moralischem Nutzen sein, konnte die feige Kampfscheu jener verweichlichten Großstädter mindern, die man schon seit vielen Tagen aus ihren Häusern und Verstecken „herauskitzeln“ mußte, um sie an die Barrikaden zu bringen. Das waren jedenfalls die bestimmenden Gesichtspunkte für Blum, als er ebenso wie Fröbel sich dahin entschied, dem Befehle Messenhausers Folge zu leisten, und mit seiner Compagnie in die Feuerlinie einzurücken. So sehr wir es menschlich erklärlich finden, daß Blum sich nicht unthätig verhalten wollte in Tagen, wo sich seiner Ansicht nach „das Schicksal Deutschlands entschied“, und daß er seine Compagnie nicht verließ, als sie in’s Feuer commandirt wurde, und so sicher diese seine Betheiligung am offenen Kampfe, wie wir unten sehen werden, durch die Capitulation mit Windischgrätz vom 30. October als verziehen zu gelten hatte — so bleibt sie doch, in Anbetracht seiner Stellung in Wien als Fremder und Abgeordneter, ein schwerer politischer Fehler. Hier verläßt ihn jene größte Seite seines Charakters, die olympische Ruhe inmitten des Aufruhrs aller Elemente, die kühle, objective Abwägung der wirklichen Dinge.
Höchst muthig hat sich Blum im Kampfe gehalten. Wir haben dafür eine Reihe bekannter Aeußerungen. Zunächst seiner Feinde. Selbst Herr v. Helfert kann das nicht in Abrede stellen[275]. Auch der schwarzgelbe Lyser nicht, welcher schreibt: „Von den Redacteuren, mit Scham und Aerger muß ich es[501] sagen, besaß nicht einer so viel Ambition als Robert Blum traurigen Andenkens.“[276] Während nun aber Lyser Blum’s Tapferkeit, da sie für eine so schlechte Sache vergeudet wurde, als „wahren Muth“ nicht gelten lassen will, sind die gleichzeitigen Blätter voll von Lob über Blum’s Kaltblütigkeit und Todesmuth im feindlichen Feuer. Aber auch noch Jahrzehnte später urtheilten die Augenzeugen nicht anders, erinnerten sie sich seiner tapferen Haltung im Gefecht. So Eduard Lasker. So ein Offizier des Elite-Corps, der einen ganz Deutschland theuren Namen trägt, der Bruder eines auch in diesen Blättern oftgenannten Abgeordneten der Paulskirche; ohne daß ich nur von seinem Leben Kenntniß hatte, bestätigte er mir brieflich aus freien Stücken noch im September 1878 Blum’s Tapferkeit. Eine Kanonenkugel riß aus einer Barrikade einen Sandstein weg, auf den Blum eben seinen Arm gestützt hatte und schleuderte ihn weit hinweg auf das Pflaster. „Wenn der nicht so schwer wäre,“ sagte darauf Blum zu dem eben genannten Hauptmann, „so könnte man ihn nach Hause schaffen und ein Andenken daraus machen lassen.“ Als die Leute Blum’s im heißen Feuer Zeichen der Unruhe gaben, rief er: „Kinder, die Kugeln, die Ihr pfeifen hört, thun Euch nichts.“ Und diese Ruhe bewies er in einer Lage, die den erprobtesten Krieger hätte außer sich bringen können: „Robert Blum stand den Kroaten gegenüber,“ berichtete Fröbel am 18. November dem Parlament[277]. „Er hatte fünf Kanonen, aber den strengsten Befehl in der Tasche, sie nicht zu gebrauchen.“ An seine Frau schrieb Blum am 30. October[278]: „Ich habe am Samstag (28. October) noch einen sehr heißen Tag erlebt, eine Streifkugel[502] hat mich unmittelbar am Herzen getroffen, aber nur den Rock verletzt.“ Das ehrenvollste Denkmal hat der Commandant des Elite-Corps selbst Blum’s Kampfesmuth gesetzt, freilich in einem so grauenhaften Deutsch, daß es Messenhauser selbst geschrieben haben könnte. Leipziger Blätter nämlich veröffentlichten am Tage der Todtenfeier Blum’s folgendes Schreiben von „Ernst Haug, Major und Chef des Generalstabs der Wiener Nationalgarde“ aus Leipzig vom 27. November 1848:
„Von den Freiheitskämpfern Wiens, welche ein höher waltendes Schicksal dem Blutbeile des Würgers von Hetzendorf entführt hat, weilen mehrere in dem gastlichen Leipzig. Sie alle erkennen die heilige Pflicht, dem Todtenopfer beiwohnen zu müssen, welches heute dem Märtyrer Robert Blum von dem pietosen Sinne der Bewohner dieser Stadt veranstaltet ist. Indem ich im Namen meiner Verbannungsgenossen die Ehre habe diese Mittheilung zu machen, sehe ich mich besonders berufen, die heldenmüthige Vertheidigung der Rosomowski’schen Brücke während 36 Stunden, vom Hauptmann R. Blum commandirt, als eine glänzende Kriegsthat zu erklären, welche nur einem Verbande (!) von Muth und Kaltblüthigkeit wie ihn der edle Gefallene bewies, gelingen konnte. Ich lege diesen Nachruf als eine Immortelle auf den Sarkophag meines tapferen Kameraden R. Blum. Genehmigen Sie &c.“
Es ist daher gewiß unrichtig, wenn Springer[279] schreibt: „Sobald die Frankfurter Deputirten merkten, daß das Corps d’élite zum Barrikadenkampf verwendet werde, gaben sie ihre Entlassung ein.“ Beide, auch Fröbel, hatten zwei volle Tage im heißesten Feuer gestanden, ehe sie aus den Reihen der Kämpfer für immer austraten.
Diese Thatsachen sind nicht blos wichtig für die Charakteristik Blum’s, insofern sie beweisen, daß er die Versicherung:[503] Gut und Blut für seine Ueberzeugung einzusetzen, nicht blos im Munde führte; noch wichtiger sind sie für zwei in der Folge noch zu berührende Fragen. Die Feinde Blum’s werfen ihm nämlich vor, er sei nicht gestorben als Held, sondern fassungslos; selbst von „zitternden Knieen“ wird geredet. Wir werden diese niedrige Verdächtigung noch näher prüfen. Aber schon jetzt leuchtet ein, wie wenig eine solche Behauptung Glauben verdient, da derselbe Mann, der vor drei Flintenläufen gezittert haben soll, hunderten von Feuerschlünden kaltblütig zwei Tage sich aussetzte! Das Andere betrifft die verlogene Ausrede der k. k. Tendenzschriftsteller: Fröbel sei begnadigt worden, weil er, im Gegensatz zu Blum, am bewaffneten Widerstand nicht Theil genommen habe. Fröbel hat in seiner Rede vor dem Frankfurter Parlament ausdrücklich bekannt, mitgekämpft zu haben. Er sagt[280]: „Wir kamen an die äußersten Punkte der Stadt, wo Barrikaden gebaut waren, an die gefährlichsten Orte, die überhaupt möglich waren.“ Er spricht von „einer einige Tage andauernden militairischen Laufbahn“ und fügt hinzu: „An der Barrikade, wo ich stand, hatte man meinen Leuten Patronen ohne Kugeln ausgetheilt. Ich selbst habe Kanonenpatronen abgeliefert, die mit Sägspänen gefüllt waren.“ Niemand, am wenigsten ein Militair, wird bestreiten können, daß diese Betheiligung Fröbels an den Ereignissen vom 26.-28. October als eine Betheiligung am Kampfe anzusehen ist, selbst wenn seine Mannschaft nicht einen Schuß abgegeben hätte. Denn auch die Reserve wirkt mit zur Schlacht. Und Fröbel stand an der Barrikade, an den „gefährlichsten Orten“. Aber er spricht noch deutlicher aus, daß er mitgekämpft hat: „Nach solchen Thatsachen,“ berichtet er, „können Sie wohl denken, daß wir von[504] dem Kampfe abstehen wollten. Unsere Activität hatte am 26. begonnen; am 28. Abends beschlossen wir, unsere Demission einzureichen. Am 29. früh 6 Uhr ist dies von uns schriftlich geschehen, und die Demission ist von dem Commandirenden des Corps angenommen worden. Nachdem dieses vorüber war, haben wir an dem, was weiter geschah, keinen Antheil genommen.“ Wenn Fröbel für gut fand, vor dem Kriegsgericht auszusagen, daß er nicht am Kampfe Theil genommen habe[281], so stand dieser Behauptung schon der Eingang seiner Vernehmung entgegen, wo Fröbel zugestand, daß er nach seiner Verwendung in der Jägerzeile (27. October) den General Bem aufgefordert habe, ihm einen anderen Posten zu geben, da ihm diese Position unhaltbar schien.[282] Mit einem Worte: man wollte eben Fröbel begnadigen, Blum erschießen. Der sogenannte Prozeß gegen Beide ist die widerlichste Komödie, welche jemals unter der Maske der Justiz aufgeführt worden ist.
Schon am ersten Tag ihrer Betheiligung am Kampfe hatten die Abgeordneten übrigens erkannt, daß die Stadt nicht zu halten sei; sie glaubten Beide an Verrath. Aber auch ohne Verrath war den übermächtigen Angriffsmitteln der Truppen nicht zu widerstehen. Vom Frühmorgen des 26. October an erdröhnte unaufhörliches Kanonen- und Musketenfeuer von der Nußdorfer bis zur St. Marxerlinie. Beim Abbruch des Gefechts hielten die Angreifer die Brigittenau und den Prater besetzt, bestrichen vom Eisenbahndamm die Hauptbarrikade am Praterstern und hatten die Vertheidiger bis in die inneren Vorstädte zurückgeworfen. Die Truppen hätten wohl kaum ernstlichen Widerstand erfahren, wenn sie an diesem Abend durch[505] die von Fröbel als unhaltbar bezeichnete Jägerzeile in die innere Stadt vorgedrungen wären. Aber das widersprach der fürstlichen Kriegskunst. Windischgrätz hatte am 26. blos „recognosciren“ wollen und weiteres Vordringen mußte einer förmlichen „Schlacht“ vorbehalten werden. Dazwischen mußte nach dem Kriegscomment des Fürsten eine 24stündige Waffenruhe liegen. Diese Pause benützte er, die Stadt noch einmal zur Unterwerfung aufzufordern. Als ob die bisherigen Kämpfe nur mit Worten geführt worden seien, verkündigte er: „daß ihm nichts übrig bleibe, als nunmehr die Gewalt der Waffen eintreten zu lassen; es habe von jetzt an niemand Schonung zu erwarten, der mit den Waffen in der Hand angetroffen werde“. Das Obercommando, das im Besitz dieser Proclamation war, ließ sie nicht veröffentlichen, sondern Messenhauser fuhr in der Fabrikation seiner eigenen stilvollen Proclamationen fort: „Wir können den abgerissenen Faden der Unterhandlungen nicht mehr aufnehmen,“ schrieb er am 26. Fürst Windischgrätz beharre bei seinen Bedingungen, „ohne das Gottesurtheil eines gerechten und heiligen Kampfes versucht zu haben. So möge denn das Verhängniß eines Bruderkampfes walten! Die Würfel sind gefallen, das heilige Recht wird siegen.“ So ging das auch am 27. mit ungeschwächten Kräften fort.
Am 28. früh wurde die „Schlacht“ überall aufgenommen. Der planmäßige Hauptangriff auf die Vorstädte begann. Schauerlich dröhnten die Sturmglocken des Stephansthurmes über die bedrängte Stadt. Die Mobilgarden eilten an die gefährdetsten Punkte, Jägerzeile und Landstraße. Wo Bem persönlich befehligte, war die Vertheidigung zäh. Aber unhaltbar war in dem mörderischen Geschützfeuer der Angreifer auch die festeste Barrikade. Triumphirend konnte der Feldmarschall des Abends nach Olmütz telegraphiren: „Die Truppen sind nach neunstündigem[506] Barrikadenkampfe der Disposition gemäß in die Vorstädte Landstraße, Leopoldstadt und Jägerzeile eingedrungen und haben dieselben bis an die Wälle der (innern) Stadt besetzt.“ Daß ein furchtbarer Flammengürtel rings um die innere Stadt zum Himmel lohte und die Bahn der Sieger bezeichnete, telegraphirte der Fürst nicht nach Olmütz. Auch von den furchtbaren Gräueln seiner braven Soldaten hatte er nichts zu melden, noch weniger suchte er dem barbarischen Morden, Schänden und Plündern dieser Horden Einhalt zu thun. Er war ja gekommen, um der Stadt Ruhe und Ordnung zu bringen. Und in der That konnte es nichts Ruhigeres geben, als die Grabstätten der von der Soldateska des Herrn Fürsten hingeschlachteten wehrlosen Bürger, Weiber und Kinder; nichts Ordentlicheres als die von den zuchtvollen Siegern bis auf’s Letzte ausgeplünderten Wohnstätten, namentlich wenn der für solche Fälle bereit gehaltene rothe Hahn die etwa noch vorhandenen Spuren der Unordnung getilgt hatte. Herr v. Helfert und neben ihm sein „glaubwürdiger“ Herr Dunder[283] sind gewiß die Letzten, welche Fürstlich Windischgrätzischen Truppen Böses nachsagen werden. Und doch muß Herr v. Helfert[284] zugestehen, daß „es in den eroberten Vorstädten von Seiten der siegestrunkenen Soldaten gräulich zuging. Es läßt sich für Acte solchen Charakters keine Entschuldigung vorbringen, nur eine Erklärung.“ Und diese Erklärung ist die schwerste Anklage, die der geschworenste Feind des Fürsten hätte ersinnen können. Sie lautet: „Von mehr als einem Offizier hatten die Soldaten den Aufruf (?) vernommen: „wenn sie nach Wien kämen, dürften sie das Kind[507] im Mutterleibe nicht schonen“ “[285]. Muß sich da nicht die Frage regen, ob solche frevelhafte Reden der Offiziere, die nicht blos der Anstiftung, sondern dem Befehl zu ruchlosesten Mordthaten gleichkamen, ohne Wissen und Billigung des Fürsten zugelassen worden seien? Die fürchterlichen Gräuel, welche Helfert nun Seiten lang aufs Einzelnste erzählt, mit so eisiger Gelassenheit wie Machiavelli den Mord von Sinigaglia, kann man sonst nur noch in Indianergeschichten wiederfinden. Eine weitere Mißbilligung hat Herr v. Helfert nicht für dieselben, noch weniger für den Feldherrn, der sie zuließ. Im Gegentheil wird der letztere am Ende dieser haarsträubenden Frevel von Herrn v. Helfert zum „menschenfreundlichen Feldherrn“ befördert. Uebereinstimmend mit Dunder[286] bestätigt v. Helfert auch, daß das Plündern und Würgen erst am Morgen des 29. aufhörte, erst da die Soldaten zusammengezogen wurden. Am 29. Nachmittags waren in der Matzleinsdorfer Kirche 19 Leichen Ermordeter ausgestellt, „damit jede Familie die ihrigen (!) herausfinden möge, und am 30. führte man aus der Johannagasse und vom Hundsthurmer Walle 57 Todte“ (Ermordete) fort. „Die das Militair vor die Linie hinausgeführt und dort erschossen und begraben hatte, waren nicht dabei“ (Helfert und Dunder). „Man hält sie alle für schuldlose Opfer. So viel ist gewiß, daß von allen 57 Todten nicht einer in der Gegenwehr gefallen ist und ebenso sicher ist es, daß keines der Häuser in der Johannagasse durch das Bombardement angezündet wurde, sondern einzig und allein durch die Rache und den Muthwillen der Soldaten, mitunter auf das Geheiß ihrer Offiziere.“ (Dunder). Die Soldaten, die so wütheten, waren nicht Kroaten, sondern böhmische und galizische Kerntruppen (von den Regimentern[508] Paumgarten, Latour, Parma, Nassau) und Jäger (Helfert).
Daß die Stadt nicht mehr zu halten sei, war nun (am Abend des 28.) die allgemeine Ueberzeugung. Einige der unbezwungenen Vorstädte, Rossau und Wieden, ließen Messenhauser erklären, daß sie keinen Befehl zur Wiedereröffung der Feindseligkeiten mehr annähmen und lieferten die Waffen ab. Am Spätabend versammelte Messenhauser seinen Kriegsrath in der Stallburg. Die große Mehrzahl sprach und stimmte für Unterwerfung, da es besonders an Munition fehlte. Messenhauser schlug eine neue Deputation an den Fürsten vor, „um ihn zu halbwegs menschlichen Bedingungen zu vermögen.“ Das wurde angenommen, die Deputation ward gewählt. Der Gemeinderath, bei dem Messenhauser unmittelbar nachher erschien, fügte der Deputation einige seiner Mitglieder hinzu. Der Reichstagsausschuß lehnte seine Betheiligung ab. Er überließ wie gewöhnlich „alles Weitere dem gewissenhaften Ermessen der Vertreter und Vertheidiger der Stadt“. Bem sah seine Wiener Laufbahn für beendigt an und verschwand ebenso geheimnißvoll aus Wien, als er gekommen war. Blum und Fröbel nahmen am Frühmorgen des 29. von ihrem Hotel aus ihre Entlassung. „Leider endete damit nicht auch Blum’s revolutionäre Thätigkeit“, insinuirt Herr v. Helfert. Wir werden sehen, mit welchem Rechte!
Die Deputation der städtischen Behörden verfügte sich in der sonntäglichen Stille des 29. October zum Fürsten auf den Laaer Berg, von wo aus der Fürst die Kämpfe der letzten Tage geleitet hatte. Tiefer Friede lag über der Stadt, der Landschaft, die Tags zuvor alle Gräuel des Bürgerkrieges gekostet. Von den Thürmen wehten weiße Fahnen. Glockengeläute klang wehmüthig über der bezwungenen Stadt. Nicht[509] mehr zum Kampfe rief es, zum Gebet. Schaarenweise strömten die Frauen zur Kirche, den Höchsten anzuflehen um Erlösung von tausendfältigem Uebel. Auch Fürst Windischgrätz hatte eine Art von Sonntagsfrieden im Herzen. Unbeugsam hielt er zwar seine Bedingungen fest. Aber als ihn die Vertreter der Stadt anflehten um Milde und Gnade, auch für die Deserteure, die in Wien gegen seine Truppen gefochten, gab er sein fürstliches Wort zum Unterpfande: er werde sich an Großmuth nicht überbieten lassen.[287] So ward ihm denn die unbedingte Unterwerfung der Stadt zugesagt. Messenhauser suchte im Innern der Stadt in seiner Weise, auf dem gewohnten Wege der Proclamation auf diese Wendung vorzubereiten. „Wir stritten nicht mit der vollen Aussicht, mit der sichern Ueberzeugung auf den factischen Sieg“, offenbarte er nun plötzlich, „wir stritten einfach als constitutionelle Männer, um für unsere Ehre das äußerste gethan zu haben. Daher ergeht jetzt an Euch, Mitbürger, die dringende Aufforderung, Gewissen und Vernunft zu erforschen“. Er fügte hinzu, daß jede bewaffnete Compagnie nach der Rückkehr der Deputation die Erklärung abzugeben habe, ob sie für die Fortsetzung des Kampfes oder für die Unterwerfung stimmen wolle. „Die Mehrheit ist das Gottesurtheil für Entschlüsse und Handlungen, insolange nicht die Minorität auf natürlichem Wege zur Majorität geworden.“
Um vier Uhr Nachmittags fand diese Abstimmung in der Stallburg statt. Sie führte zu den leidenschaftlichsten Scenen. Aber dennoch siegte auch hier, vornehmlich durch Messenhauser’s überzeugende Reden zu Anfang und am Schlusse der stürmischen[510] Verhandlungen, die Stimme der Vernunft. Messenhauser feierte den glücklichsten Tag seines Lebens. Auch im Studentenausschuß, der in geheimer Sitzung über die Frage der Capitulation berieth, waren die Ansichten getheilt. Da traten Blum und Fröbel herein, begrüßt von dem Jubel der Studenten. Blum verlangte sofort das Wort und sagte: „Er sei zur Ueberzeugung gekommen, daß man ohne Plan und Ziel seine Kräfte, sein Leben einer Bewegung geweiht habe, die keine Aussicht auf einen wahrscheinlichen Sieg habe; es sei auf Kräfte gerechnet worden, die man nicht besitze; man habe eine durch fünfzehn Kreuzer[288] hervorgerufene Kampflust für wahre Begeisterung des Volkes genommen. Jeder Versuch, den Kampf länger fortzusetzen, sei Wahnsinn, sei Verbrechen, weil man, wie die Sachen ständen, nicht siegen könne.“[289] Auch Fröbel mahnte zur Uebergabe. Das Studentencomité beschloß in diesem Sinne.
Hätte Fürst Windischgrätz einen Funken wahrer militairischer und namentlich staatsmännischer Begabung besessen, so hätte er bei dieser tiefen Niedergeschlagenheit der Vertheidiger sich sofort mühelos und widerstandslos zum Herrn der Stadt gemacht. „Dem steifen, förmlichen Wesen des Feldherrn waren aber rasche Entschließungen in hohem Grade zuwider, es mußte zuerst eine „gemischte Commission“ von Offizieren und Gemeinderäthen zur Berathung über die Modalitäten der Entwaffnung bestellt, dann eine neue Punctation der Deputation entworfen werden. Darüber ging eine kostbare Zeit verloren.“[290] Die[511] anarchistischen Elemente der Stadt, die Deserteure, die sich nach der Capitulation den Kugeln des Standrechts preisgegeben sahen, gewannen in diesen nutzlos vergeudeten Stunden den Muth der Verzweiflung, die nichts mehr zu verlieren hat, und verlangten die Fortsetzung des Kampfes. Daß Verrath Schuld an der trostlosen Lage der Stadt sei, war allgemeiner Glaubensartikel. Fröbel hat ihn, wie wir sahen, später vor der Paulskirche bekannt, und Blum schrieb aus dieser Stimmung am 30.[291] an die Gattin:
„Liebe Jenny! Die Schlacht ist verloren, das boshafte Glück hat uns geäfft. Nein, das Glück nicht; der schmachvollste Verrath, den jemals die Weltgeschichte gesehen hat, war derart gesponnen, daß er im Entscheidungsaugenblicke und allein in diesem ausbrach. Wien capitulirt eben und wahrscheinlich wird die innere Stadt heute Abend oder morgen übergeben; dadurch sind einige noch unbesiegte Vorstädte dann ebenfalls bezwungen oder werden es wenigstens leicht. Ein Theil des Heeres, d. h. des städtischen Heeres — will die Waffen nicht ablegen, besonders sind die übergetretenen Soldaten in wahrer Raserei; es kann demnach sehr schlimme Scenen im Innern geben. Sobald der Verkehr wieder beginnt, reise ich ab und komme nach Leipzig. Leb’ wohl, ich kann nicht mehr schreiben, mein Herz ist zerrissen von Zorn und Wuth und Schmerz. Lebe wohl! Auf baldiges Wiedersehen! Gruß und Kuß. Robert. — Es fällt mir eben ein, daß Du nichts mehr zu leben hast; es geht Dir wie uns. Wir haben nur Brot, Eier, Käse und ein wenig gesalzenes Fleisch, auch etwas Fische, alles enorm theuer. Laß Dir, wenn Du auf Georg nicht warten kannst, von Freund Heyner 30 Thaler geben, ich schicke sie ihm dann gleich zurück, wenn ich wieder dort bin.“
Ein unseliges Geschick machte die Zögerung des Fürsten bei der Besitznahme der Stadt besonders verhängnißvoll. Am Nachmittag des 30. October rückten nämlich plötzlich die so lang ersehnten ungarischen Heersäulen zum Entsatze der bedrängten[512] Hauptstadt heran und stellten sich bei Schwechat den Heerhaufen Jelačić’s gegenüber. Zweimal schon hatten sie im October die Leitha überschritten, waren aber aus politischen Bedenken immer wieder auf ungarisches Gebiet zurückgekehrt. Da eilte Kossuth selbst in das Lager bei Parendorf und drängte zum Angriff. Er sandte am 25. dem Fürsten ein Ultimatum. Windischgrätz antwortete mit seinem Sprüchel: „Mit Rebellen unterhandle ich nicht“, und behielt den ungarischen Sendboten, den Oberst Ivánka als Kriegsgefangenen im Lager. Dieser Bruch des Völkerrechts heischte Rache. Am 26. brachen die Ungarn auf. Am 30. standen sie bei Schwechat. Das Treffen war ein kurzes. Die Ungarn wichen rasch zurück, ohne eine entscheidende Niederlage erlitten zu haben, aber auch ohne die Absicht, je wieder den Wienern zu Hülfe zu kommen. Am 31. stand Moga schon wieder auf vaterländischem Boden. Für Wien aber war diese kurze Episode von furchtbaren Folgen!
Seit dem Frühmorgen des 30. October hatte man in Wien vom Anmarsch der Ungarn geredet. Messenhauser, der sein Commando bereits niedergelegt, übernahm es wieder, stieg auf den Stephansthurm und meldete von hier gegen Mittag, daß man deutlich ein Gefecht bei Kaiserebersdorf gewahre. Bald folgten zwei weitere Bulletins, welche die offenbare Annäherung der Schlacht, also das siegreiche Vordringen der Ungarn meldeten und den Nationalgarden befahlen: „im Falle ein geschlagenes Heer sich unter den Mauern Wiens zeigen sollte, auch ohne Commando unter das Gewehr zu treten“. Diese Aufforderung konnte nur bedeuten, daß die Nationalgarde sich über die Truppen des Fürsten hermachen solle, um diese vollends zu vernichten. Auf eine solche Losung hatte das anarchische Proletariat nur gewartet. Umsonst war der Widerruf Messenhauser’s, der bald seinen schweren Irrthum erkannte. Umsonst[513] versicherte der Gemeinderath, daß die Capitulation bereits abgeschlossen sei; umsonst versprach er, den Sold an die Arbeiter und Unbemittelten „bis zur hergestellte Ordnung der gestörten Gewerbsverhältnisse“ fortzuzahlen. Umsonst endlich warf Messenhauser die schönsten Blüten seiner Proclamationskunst unter die Menge: „An Wien, dem einstigen heitern Zusammenflusse der Fremden und Wißbegierigen, soll sich nicht eine Erinnerung, gräßlich und erschütternd, wie jene von Troja, Jerusalem, Magdeburg knüpfen; jede belagerte Stadt muß sich ergeben, wenn es zum Sturm gekommen ist.“ Die zuchtlosen Mobilen dachten nicht an Ergebung, aber auch nicht mehr an Gehorsam gegen irgend einen Befehl. Messenhauser wurde der Vorwurf des Verraths offen ins Gesicht geschleudert, stürmisch seine Absetzung verlangt. Schließlich ließ der unselige Mann sich bewegen, mit Fenneberg sich in das Commando zu theilen und auch die wildesten Maßregeln des Pöbels, den Aufstand gegen jede gesetzliche Autorität, einen Kampf, dessen Nutzlosigkeit und Nichtswürdigkeit er einsah, mit seinem Namen zu decken. Als die souveränen Gewalthaber Wien’s durchzogen die Proletarier seit dem Abend des 30. die Straßen, preßten Alles zum Kampfe, übten jede Gewalt gegen Diejenigen, welche sich ihrem verbrecherischen Ansinnen aller Art widersetzten; kurz, die Pöbelherrschaft in schlimmster Form herrschte seit dem 30. October in Wien.
Es ist traurig, daß man heute, nach dreißig Jahren noch, gezwungen ist, Robert Blum gegen den Verdacht zu rechtfertigen, daß er sich an diesem schuldvollen Capitulationsbruch betheiligt habe, daß er unter Denen gewesen sei, welche Messenhauser’s Absetzung verlangt, ja ihn mit dem Leben bedroht hatten, daß er zur Weiterführung des Kampfes aufgereizt haben soll. Allerdings ist der Gewährsmann für diese Behauptung nur Herr v. Helfert. Selbst seine „zuverlässigen“ Quellen,[514] Dunder, Köcher und wie die Söldlinge des Wiener k. k. Militärcommando’s aus den Jahren 1848/49 Alle heißen mögen, geben sich nicht her zu Genossen dieser Verdächtigung. Herr v. Helfert nimmt diese Behauptungen ganz allein auf sich selbst und er hat es daher auch allein zu tragen, wenn hiermit erklärt wird: daß Derjenige wissentlich und in der Absicht, einen Todten zu verleumden, die Unwahrheit sagte, der diese Behauptungen niederschrieb. Wissentlich und in der Absicht zu verleumden, denn er kannte den Bericht Fröbel’s vor der Paulskirche und wußte daher, daß Fröbel hier erklärt hatte[292]: „Nachdem dieses (unsere Demission und deren Annahme) vorüber war, haben wir an Dem, was weiter geschah, keinen Antheil genommen. Ich muß Sie hierauf aufmerksam machen, weil ich gehört habe, daß in Zeitungsberichten gesagt wurde[293], Blum hätte noch nach der Capitulation und während der Einnahme der Stadt unter Waffen gestanden und gefochten, das ist eine Unwahrheit. Wir haben die ganze Zeit, vom 29. October bis zum 4. November in unserem Gasthause zugebracht, mit wenigen Ausgängen in die Stadt. An dem ersten Tage nämlich haben wir es noch mehrmals gewagt, auf die Straße zu gehen. Da aber in der Stadt Greuel verübt wurden und man Gefahr laufen konnte, massacrirt zu werden, weil man eine Physiognomie hatte, die den Soldaten nicht gefiel, entschlossen wir uns, nicht mehr auszugehen und haben[515] uns ruhig zu Hause gehalten.“ Dasselbe bestätigt zum Theil L. Wittig in seinem bereits citirten Artikel in der „Dresdner Zeitung“ vom 15. November. Er besuchte Blum tagelang in dessen Hôtel. Dasselbe bestätigt Blum’s Brief an seine Frau vom 30. October, den Herr v. Helfert gleichfalls kannte, da er in Frey, „Robert Blum“ abgedruckt ist. Vor Allem aber hätte Blum vor dieser Verleumdung schützen sollen: zunächst jede genauere Kenntniß seines Lebens und Charakters — diese konnte man bei Herrn v. Helfert allerdings nicht voraussetzen — sodann Blum’s Auftreten vor dem Studentencomité am 28. Oct.; — endlich schon die eine Thatsache, daß er mit Fröbel seine Stellung als Hauptmann niederlegte bereits am 29. Morgens, sobald er von der Unhaltbarkeit der Stadt überzeugt war, und von der Einleitung von Capitulationsverhandlungen gehört hatte. Nichts hatte sich seither zu Gunsten der Stadt geändert. Im Gegentheil, die Capitulation war fest abgeschlossen und die Niederlage der Ungarn hatte Blum selbst mit angesehen[294], da er nach Auerbach’s Darstellung zu einer Zeit Messenhauser auf dem Stephansthurm besuchte und durch das Glas schaute, als die Ungarn schon auf eiligem Rückzuge begriffen sein mußten. Welches Motiv Blum da hätte veranlassen können, mit jenen Helden zu fünfzehn Kreuzern zu fraternisiren, die er am 28. im Studentenausschuß so verächtlich bezeichnet hatte, dafür bleibt Herr v. Helfert jede Erklärung schuldig. Er wagte sich freilich, als der erste Band seines Werkes erschien, nicht einmal mit seinem Namen heraus.[295] Seine Verleumdung trug also damals den Charakter des muthvollen namenlosen Pasquills.
Nach diesen Ausführungen liegt es ganz außerhalb der Aufgabe einer Lebensgeschichte Robert Blum’s, die letzten Scenen der Wiener Erhebung vorzuführen. Es genügt, zu erwähnen, daß der frevelhafte Capitulationsbruch im Blute erstickt wurde. Sowie am Nachmittag des 31. in das Burgthor, hinter dem die Pöbelmassen als letzter Brustwehr sich verschanzten, Bresche geschossen war, löste sich Alles in wilder Flucht auf. Am Abend zog das ganze „kaiserliche“ Heer in das bezwungene Wien ein. Am 1. November wehte vom Stephansthurm eine riesige schwarzgelbe Fahne.
Am 2. November schrieb Windischgrätz vertraulich an den Minister Wessenberg: „Nach solchen treulosen Vorgängen kann Milde unmöglich Platz greifen. Der Belagerungszustand wird und muß mit aller Strenge durchgeführt werden und ich erwarte, daß meine darauf Bezug habenden Maßregeln in keiner Weise gestört werden. Auch jeder Wohldenkende muß sein Heil und seine fernere Ruhe davon erwarten.“ Da man in Olmütz hiernach erwarten mußte, daß der Fürst zunächst mit den Friedensbrechern abzurechnen gedenke, welche den letzten Kampf verschuldet hatten, erhob man keinen Einwand. Aber der Fürst faßte seine Aufgabe und Vollmacht ganz anders auf.
Auch Fürst Windischgrätz führte sich als nunmehriger Gewalthaber der österreichischen Hauptstadt bei der Bevölkerung durch eine Proclamation ein. Sie war immer noch von Hetzendorf, den 1. November datirt und enthielt weit weniger angenehme Verheißungen in weit weniger schwungvoller Sprache, als die Proclamationen des verflossenen Stadtcommandanten Messenhauser. Windischgrätz erklärte nämlich: Der Umkreis, für welchen der Belagerungszustand bezw. das Standrecht in der Umgebung Wien’s gelten solle, werde auf zwei Meilen festgesetzt. Unter dem Vorsitz des Generals Cordon wurde eine „gemischte Centralcommission“ eingesetzt, „welche die oberste Leitung der durch den Belagerungszustand bedingten Geschäfte führen sollte.“ Im Uebrigen erklärte der Machthaber, daß er seine „Anordnungen“ ohne Rücksicht auf die am 30. zustandegekommene Uebereinkunft treffe. Allgemeine Entwaffnung wurde angeordnet.[296] Die Presse wurde unter die Censur der Militairbehörden gestellt. Was man auswärts unter dem Schein einer unabhängigen Meinung veröffentlichen wollte, sandte man an die bis in die sechziger Jahre von Oesterreich — abhängige „Augsb. Allg. Zeitung“[297] oder in die gelben Hefte der Familie Görres[518] („histor. polit. Blätter“) nach München an Jörg. Alle Clubs, Vereine und Versammlungen wurden aufgelöst und verboten. Um zehn Uhr mußten alle Wirthshäuser geschlossen werden. „Alle ohne standhältige Nachweisung der Ursache ihres Aufenthaltes in Wien weilenden Ausländer oder nicht nach Wien zuständigen Inländer“ mußten die Stadt verlassen. Das „Standrecht“ wurde über Jeden verhängt, der sich in die politischen Angelegenheiten mischte, d. h. eine selbständige Meinung laut werden ließ. Der Militaircommandant der Stadt war FML. Csorich, ein Kroat, dessen Name eine reiche Fundgrube unarticulirter Laute bot und daher von keinem der zeitgenössischen Schriftsteller richtig geschrieben, noch viel weniger richtig ausgesprochen werden konnte.
Die Verhaftung verdächtiger Individuen erreichte nach Helfert schon bis zum 5. November die Zahl von „1000 bis 1500“![298] Abgeurtheilt wurden bis zum 6. Mai 1849 nur 144, darunter 24 zum Tode! Darin bestand in der Hauptsache „das beste Geschenk, das Windischgrätz unter solchen Umständen Wien machen konnte“[299], und das sich äußerlich in der Ernennung Cordon’s zum Vorsitzenden der Central-Untersuchungs-Commission erkennbar machte. Durch diese Massenverhaftungen offenbarte Cordon den Besitz „aller Eigenschaften, welche die Bekleidung eines so heiklen Postens erforderte und die er mit Mäßigung und Milde in einer Weise zu verwerthen wußte, daß er schnell das allgemeine Vertrauen gewann.“ (Helfert). Auch er erließ am 3. die, wie es scheint, damals unvermeidliche Proclamation; er forderte auf, ihm die Hand zu bieten, „den Uebergang von der Anarchie zu dem geregelten constitutionellen Rechtszustande zu beschleunigen“. „Der Mangel[519] an stilistischer Correctheit“, meint Herr v. Helfert, „bei österreichischen Militairs noch heutzutage nicht Ausnahme, sondern Regel[300], konnte dem unverkennbaren Wohlwollen (!), das sich in jenen Kundgebungen aussprach, keinen Abbruch thun.“ Schuld an dem schreckenerregenden Mißbrauch der Gewalt, wie Andere dieses „Wohlwollen“ betiteln, das sich in der Verhaftung Tausender von Unschuldigen offenbarte, war übrigens nicht blos das Mißtrauen und der Rachedurst der siegreichen Truppen und ihrer Führer, sondern vor Allem die schmachvolle Denunciationssucht des Wiener Bürgerthums. „Die Bürgerschaft Wiens“, sagt Anton Springer treffend[301], „hatte sich während der Herrschaft der radicalen Partei mit Schmach bedeckt, ihre Feigheit in den Mantel begeisterter Zustimmung zu dem unsinnigen Treiben der Aula und der demokratische Clubs gehüllt. Sie belastete sich jetzt mit gleicher Schande. Jetzt kroch der Wiener Philister vor jeder Soldatenmütze und blickte zu jedem Sereschaner wie zu einem höheren Wesen empor. Widerlich war die kriechende Demuth, das Prunken mit sclavischem Sinne, welches die ehrsamen Bürger, durch den Belagerungszustand sicher gemacht, zur Schau trugen, empörend ihr ununterbrochener Aufruf zur Rache.“ Die Denuncianten und Sykophanten, die seit den Tagen der dreißig Tyrannen von Athen bis heute noch jeden Sieg einer Militairdespotie begleiteten, wie die Raben und Aasgeier die Wahlstatt, auf der Heldenleichen ruhen, haben auch das beste gethan, um Robert Blum zu verderben!
Blum hatte keine Ahnung von dem über seinem Haupte heraufziehenden Verhängniß. Am 2. November schrieb er an[520] die Gattin: „Dem Vernehmen nach gehen heute die Posten wieder ab, hoffentlich folgt diesem Schritte bald auch die Möglichkeit, reisen zu können und ich komme dann nach Haus. Natürlich kann ich nun zum Schillerfeste nicht bleiben; ich bleibe höchstens einen Tag, da ich nur zu lange hier verweilen mußte.“
Am nämlichen Tage richtete Blum mit seinen drei Frankfurter Genossen an den unaussprechlichen Csorich, den Blum Schowitz nannte — als sei es ein sächsischer Landsmann aus Probsthaida oder Unterstützengrün — das folgende schriftliche Gesuch:
„Die unterzeichneten Abgeordneten der deutschen constituirenden Nationalversammlung zu Frankfurt sind im Laufe der letzten Wochen nach Wien gekommen und durch die Ereignisse zurückgehalten worden. Nach der jetzt eingetretenen Wendung der Dinge hoffen und wünschen dieselben, zu ihrem Berufe zurückkehren zu können und bitten Ew. Exc. zu diesem Zwecke höflichst und ergebenst um den nöthigen Passirschein. — Um Ew. Exc. nicht mit einer Antwort belästigen zu müssen, werden die Unterzeichneten sich erlauben, heute Nachmittag persönlich sich bei Ew. Exc. einzustellen und den Nachweis über Person und Eigenschaft gehorsamst zu überreichen. — In der Erwartung einer gnädigen Gewährung ihrer gehorsamsten Bitte, zeichnen mit vollkommenster Verehrung Ew. Exc. gehorsamste
Wien, d. 2. Nov. 1848.
Abgeordnete der deutschen constituirenden
National-Versammlung.“
(Folgen die vier Unterschriften, mit Beisetzung der Wahlkreise der Abgeordneten.)
Der gebildete Kroat, der dieses Schreiben empfing, war in der Lage eines Naturforschers, der plötzlich die Spezies einer Gattung entdeckt, bei der bisher Gattung und Spezies sich deckten. Er hatte wohl oft über den Wiener Reichstag schimpfen hören und nun erfuhr er zu seinem Schrecken, daß es auch eine deutsche Nationalversammlung in Wien gebe, eine „constituirende“ obendrein. Er meinte, constituirend und constitutionell müsse[521] dasselbe sein, zumal er ja an der großen Aufgabe des Generals Cordon mitbetheiligt war, „den Uebergang von der Anarchie zu dem geregelten constitutionellen Rechtszustande zu beschleunigen.“ Er nahm an, die ganze deutsche Nationalversammlung wolle ihm ihre Aufwartung machen. Und da er gehört haben mochte, daß so ein Reichstag im Grunde nur aus einer Sammlung gefährlicher Aufrührer bestehe, so wollte er lieber dem General Cordon, mit dem Ausdrucke vorsichtiger Menschenkenntniß, diese Ehre zuweisen. Er richtete deshalb noch am nämlichen Tage an den General Cordon ein Schreiben, dessen überwältigende Komik Herr v. Helfert leider nicht begriffen zu haben scheint, denn er begleitet es nicht mit einer einzigen Bemerkung:
„Anliegend übersende ich Ihnen das Schreiben der deutschen constitutionellen (!) Nationalversammlung, woraus (!) Sie ersehen werden, daß selbe eine persönliche Vorstellung (!) bei mir beabsichtigen. Da der Herr General mit der Geschäftsleitung der Stadthauptmannschaft beauftragt sind, so habe ich diese Versammlung (!) an Sie angewiesen, und bemerke schlüßlich, daß auf einige der unterzeichneten (!) Versammlung ein besonders Augenmerk zu richten nicht unangemessen sein dürfte.“[302]
In der That hatte FML. Csorich dem Zwiespalt seines Herzens dadurch weiter abzuhelfen versucht, daß er der „Deutschen constitutionellen Nationalversammlung“ in „Stadt London“ eröffnete, sie möge sich mit ihren Wünschen an Herrn General von Cordon wenden. Dieser Weisung kamen die vier Abgeordneten am 3. November nach, in einem Schreiben, in dem sie zunächst die Correspondenz mit Csorich erwähnen und dann fortfahren:
„Nachdem nun der Versuch, uns Ew. Exc. persönlich zu nahen, durch den übergroßen Andrang von Bittstellenden zweimal gescheitert ist, erlauben sich die Unterzeichneten die gehorsamste Bitte um gütige Ertheilung von Passirscheinen zum Antritt der Rückreise auszusprechen, eventuell aber von Euer Excellenz die Gnade einer Audienz zu erbitten... In der Erwartung, daß Euer Excellenz Gnade uns die Möglichkeit, unsern wichtigen Beruf wieder anzutreten, gütigst gewähren wird, zeichnen wir &c.“
Unterschrieben waren, wie in der Eingabe an Csorich: Robert Blum aus Leipzig; Julius Fröbel „für den Wahlbezirk der Fürstenthümer Reuß jüngerer Linie“; Trampusch für Weidenau „in k. k. Schlesien“ und Moritz Hartmann „aus Leitmeritz“.
Auf die Rückseite dieser Eingabe schrieb Generalmajor von Cordon „von der Central-Commission der k. k. Stadt-Commandantur“ noch am nämlichen Tage:
„Die Stadthauptmannschaft wird beauftragt, die angeblich (!) im „Hotel zur Stadt London“ wohnhaften Herren Robert Blum und Jul. Fröbel in militairgerichtlichen Verhaft zu nehmen, unter Beschlagnahme ihrer Papiere und Effecten.“
Dieser Verhaftsbefehl ist höchst charakteristisch. Also der Herr Generalmajor wußten, bis sich die Abgeordneten selbst meldeten, noch gar nicht, daß sie „angeblich“ in Stadt London wohnten. Er wurde auch nicht deshalb auf sie aufmerksam, weil sie sich als Mitglieder des höchst gefährlichen Frankfurter Parlaments bezeichneten, namentlich war das nicht der Grund des Haftbefehls. Am allerwenigsten wurde dieser erlassen, weil der Herr Generalmajor etwa eine Ahnung davon zu besitzen sich rühmen konnte, wer Robert Blum sei und was er in Wien gethan habe. Wären das die Ursachen des Haftbefehls gewesen, so hätten die Herren Trampusch und Moritz Hartmann unbedingt auch mit in „militairgerichtlichen Verhaft“ genommen werden[523] müssen. Denn auch sie waren Abgeordnete. Auch Hartmann hatte mitgekämpft. Nein, so tief geruhten der Herr Generalmajor nicht in das Wesen der Dinge einzudringen. Die Freiheit Robert Blum’s und Fröbel’s war durch eine weit simplere kaiserlich königliche Erwägung bedroht. Trampusch und Hartmann waren Oesterreicher, Blum und Fröbel aber „Ausländer“, und von diesen hatten Seine Durchlaucht der Fürst-Feldmarschall zu Windischgrätz in Ihrem „Nachhange zur Proclamation vom 20. October“ am 23. October, Ziffer 5, zu bestimmen befunden: „Alle Ausländer in der Residenz (!) sind mit legalen Nachweisungen der Ursache ihres Aufenthalts namhaft zu machen, die Paßlosen zur sofortigen Ausweisung anzuzeigen.“ Weil Robert Blum und Fröbel Ausländer und, wie sie selbst gestanden, ohne Passirscheine waren, sollten sie in militairgerichtlichen Verhaft genommen werden, aus keinem andern Grunde.
Der Befehl wurde am 4. November früh gegen sechs Uhr ausgeführt. Zu dieser Stunde erschienen unter militairischer Bedeckung der Polizei-Ober-Commissar von Felsenthal und der Hauptmann Graf Caboga in „Stadt London“ und fragten den Wirth nach den beiden Gesuchten. Der brave Mann trotzte der Gefahr des Standrechts und warnte die beiden Abgeordneten. Noch wäre es Zeit gewesen. Hartmann und Trampusch sind damals entflohen. Aber Blum war in dem unerschütterlichen verhängnißvollen Glauben befangen, daß die siegreiche österreichische Kriegsgewalt vor seiner papiernen Unverletzlichkeit als deutscher Reichstagsabgeordneter ehrfurchtsvoll sich beugen werde, und wies die von dem braven Wirthe gebotene Rettung mit würdevollem Lächeln ab. Wenige Minuten später waren Blum und Fröbel Gefangene. Blum’s Frage an den Offizier: „ob ihn seine Eigenschaft als Abgeordneter des Parlamentes nicht vor Verhaftung schütze?“ beantwortete dieser kurz dahin:[524] „Richten Sie diese Frage an meinen General!“ Dann wurde jeder der Gefangenen in einem geschlossenen Wagen nach dem Stabsstockhause gebracht, wo wieder ein gemeinsames Zimmer ihnen angewiesen wurde; „das beste Gelaß im Hause“, wie Herr Helfert freudig versichert. In der That war das Gefängniß wohnlich, beinahe behaglich.
Der Abg. Schuselka, der gleichfalls in Stadt London wohnte, ohne bis dahin auch nur Kenntniß zu haben, daß Blum und Fröbel mit ihm dasselbe Hotel bewohnten — so zurückgezogen hielten sich die Abgeordneten —, begab sich sofort zum Minister Kraus. Der Abg. Goldmark schloß sich ihm unterwegs an. Kraus beruhigte sie: „man werde die beiden Frankfurter Deputirten wohl nur über die Grenze bringen wollen“. In der Stadt gewann das Gerücht von dieser Verhaftung im Laufe des 5. sicheren Halt. Auch da meinte man allgemein, es sei nur geschehen, um sie über die Grenze zu „spediren“.[303]
Der sächsische Gesandte R. v. Könneritz hatte bereits am 4. November von der Verhaftung Blum’s gehört.[304] Sie wurde ihm am 5. November von der Preußischen Gesandtschaft zu[525] Wien bestätigt. Der Gesandte hatte am 22. October infolge der Lundenburger Proclamation des Fürsten Windischgrätz und infolge der gleichzeitigen Veröffentlichung des kaiserlichen Manifestes vom 16. October Wien verlassen und sich nach Hietzing begeben. Er hatte damit deutlich genug dargethan, daß er die kaiserliche Regierung nicht mehr in Wien bei Kraus, sondern im Feldlager des Fürsten Windischgrätz erblickte. Nachdem nun der Fürst am 23. den Belagerungszustand verkündet und alle Behörden in Wien für aufgelöst erklärt, nachdem er in seiner Proclamation vom 1. November die gesammte Regierung und Verwaltung der Stadt in die Hände Cordon’s gelegt und die permanente Standrechtscommission als einziges Gericht in Wien eingesetzt hatte, konnte der sächsische Gesandte darüber sich nicht in Zweifel befinden, bei wem er anzufragen hatte, um über die Wahrheit des Gerüchtes von Blum’s Verhaftung und über den Grund dieser Verhaftung sofort volle Gewißheit zu erhalten. Statt dessen horchte dieser Gesandte, nachdem er am 5. November zunächst seine Uebersiedelung nach Wien bewerkstelligt hatte, auf dem k. k. Ministerium des Auswärtigen herum, während er doch selbst in seiner späteren Verantwortungsschrift vom 21. November 1848[305] zugestehen mußte: „Ich fand kein Ministerium in der Stadt, die meisten Behörden noch in völliger Desorganisation; die eben erst einzeln zurückkehrenden Beamten waren mit dem besten Willen außer Stand, meine Anfragen genügend zu beantworten. Die wenigen Räthe, welche ich im k. k. Ministerium des Aeußern antraf, konnten mir nur sagen, daß die Nachricht von Blum’s und Fröbel’s Verhaftung allgemein verbreitet sei!“ Diese Erkundigungen bezeichnet der Gesandte als „die sorgfältigsten Nachforschungen“[526] — doch nein, er that noch ein Uebriges. Er nahm einen Fiaker und fuhr nach Stadt London auf dem Fleischmarkt und hörte auch hier von vielen Augenzeugen, Blum sei am 4. früh bei Tagesgrauen abgeführt worden. Man hätte denken sollen, nun hätte der Herr Gesandte Blum’s Verhaftung beinahe als Thatsache anerkennen, wenigstens einmal in der Umgebung Cordon’s darüber anfragen können. Doch das hielt Herr v. Könneritz unter seiner Würde. Er hatte ja noch keine „amtliche“ Bestätigung der Verhaftung! Er that demnach seiner Ansicht nach mehr als genug[306], wenn er sich schon am 6. November Blum’s halber wieder an seinen Schreibtisch setzte und an seinen Minister Alles berichtete, was er über Blum hatte erfahren können. Bei den vorzüglichen Quellen, welche der Herr Gesandte hierbei benutzte — die consternirten „wenigen Räthe“ im k. k. Ministerium und die Polizeiorgane, die bis an den Hals in Denunciationen saßen — konnte er nicht viel Günstiges über Blum melden. Er offenbarte zunächst dem Minister, Blum habe „die Sympathien der äußersten Linken in Frankfurt für die hiesige Revolution zu hinterbringen gehabt“, dann heißt es weiter[307]:
„Daß dieser Reichstagsabgeordnete von Frankfurt hier seine Zeit nicht verloren, werden Ew. Excellenz aus öffentlichen Blättern ersehen haben. Er hat sich hier durch Proclamationen und Reden zu dem äußersten Terrorismus bekannt und ganz offen den Aufwiegler in[527] einer Weise gemacht, daß seine bluttriefenden Worte selbst inmitten der hiesigen Anarchie Entsetzen verbreitet haben; so erzählen mir wenigstens Personen, die ihn gehört haben wollen (!). Doch hat er sich, wie andere versichern, nicht auf Reden beschränkt, sondern an dem Kampfe in der Leopoldstadt an der Franzensbrücke selbst Theil genommen, ja sogar eine Abtheilung commandirt, wobei ihm das Zeugniß großer Ruhe, aber keineswegs des militärischen Talentes ertheilt wird. Bei so erschwerenden Umständen kann es mir nur erwünscht sein (!), wenn Robert Blum sich nicht an die königliche Gesandtschaft als diesseitiger Staatsangehöriger wendet, sondern Schutz und Hülfe als Frankfurter Abgeordneter sucht, was übrigens voraussichtlich auch ohne Erfolg bleiben würde (!!). Jedenfalls bitte ich Ew. Excellenz um Instructionen (!) für den Fall, daß etwaige Aufforderungen von Robert Blum (!) (wegen gesandtschaftlichen Einschreitens) noch an mich gelangen sollten.“
Diese Instructionen hatte das Sächs. Ministerium durch eine Depesche v. d. Pfordten’s vom 3. November bereits erlassen[308], ehe Herr v. Könneritz darum nachsuchte. Man mochte in Dresden den Wiener Gesandten doch genau so beurtheilen, wie er war, daß man es für nöthig hielt, ihm einzuschärfen: „den sächsischen Unterthanen, welche unter den gegenwärtigen betrübenden Ereignissen in Wien anwesend sein könnten, soviel nur immer thunlich, seinen Schutz angedeihen zu lassen“, und ihm außerdem: „den angelegentlichen Wunsch auszudrücken, daß Sie dabei ohne Unterschied und mit größter Thätigkeit verfahren mögen.“ Diese Depesche erhielt Herr v. Könneritz am 8. November früh. Sie hätte jedem andern Diplomaten die Frage nahe gelegt, ob er denn bisher genug gethan, „ohne Unterschied verfahren“ sei u. s. w.? Namentlich hätte sie den unseligen Standpunkt doch einigermaßen erschüttern müssen, den Herr v. Könneritz bisher Blum gegenüber eingenommen[528] hatte und sogar in seiner Rechtfertigungsschrift vom 21. November noch festzuhalten wagte; daß der gefangene Robert Blum ihn, den Gesandten, mit dem Antrag auf Hülfeleistung hätte aufsuchen sollen, nicht etwa der freie Gesandte den Gefangenen und seine Schergen. Aber soweit dachte Herr v. Könneritz nicht einmal. Er hatte ja eine noch bei weitem einfachere Einrede zur Hand, um sein „gesandtschaftliches Einschreiten“ zu Gunsten Blum’s zur Zeit noch abzulehnen. Er hatte nämlich auch am 8. noch immer keine „amtliche“ Mittheilung über Blum’s Verhaftung! Er besaß gar nichts zum Beweise dieser Thatsache, als die Versicherung aller Räthe im k. k. Auswärtigen Amt, ferner nur die übereinstimmende Mittheilung aller Augenzeugen in Stadt London, die Blum hatten abführen sehen und dann noch das allgemeine Stadtgespräch und eine anonyme Zuschrift, die er am 7. erhalten. Sie war der an den Preußischen Gesandten gelangten gleichlautend. Das Alles war aber doch noch lange keine „amtliche“ Mittheilung und woher Herr v. Könneritz diese erlangen sollte, wußte er auch am 8. November noch nicht! Am 7. November hatte er eine Note — nicht etwa an Cordon, der eine Antwort hätte geben können, Gott bewahre! — sondern an das k. k. österreichische Ministerium des Aeußern gerichtet, welches sich der Verhaftung Blum’s gegenüber im Stande paradiesischer Unschuld befand. In dieser Note sagte er: „sicherem Vernehmen nach“ sei Blum verhaftet, und, „für den Fall, daß diese Nachricht sich bestätigen sollte, erbitte er sich eine baldgefällige Mittheilung über die Gründe und nähern Umstände jener Verhaftung.“ Als nun die Depesche des Ministers v. d. Pfordten vom 3. November eintraf, setzte er seiner aufopfernden Thätigkeit für den gefangenen Staatsangehörigen die Krone auf, indem er sich höchstselbst noch einmal — nicht etwa zu Cordon, sondern — in das k. k. Ministerium des Aeußern begab und[529] den Inhalt seines gestrigen Schreibens hier mündlich wiederholte. Dann setzte er sich im Bewußtsein erfüllter Pflicht abermals an seinen Schreibtisch und berichtete über diese seine Großthaten am 8. November an seinen Minister, in der sichern Erwartung auf „Billigung“ seines Verhaltens[309] und nicht ohne behaglich Alles mitzutheilen, was ihm inzwischen wieder „nach den glaubwürdigsten Versicherungen“ — die Polizei ist ja immer glaubwürdigst — Nachtheiliges von Blum zu Ohren gekommen war. Es waren sehr schlimme Dinge:
„Ueber das hiesige Auftreten des Herrn Blum kann ich noch beifügen, daß er, sehr täuschend in Proletariertracht verkleidet, in dem Gemeinderath erschienen, dann wieder anderweit (!) als Ehrenmitglied der academischen Legion mit dem betreffenden (!) Costüme, mit Säbel und Cabrerahut gesehen worden ist. Auch wird von sehr guter Autorität behauptet, daß er nächst dem ... Füster am meisten zu dem Wiederbeginne der Feindseligkeiten nach der abgeschlossenen Capitulation beigetragen habe! Sogar von einer Correspondenz in sehr vertraulicher Form wird gesprochen, zwischen ihm und Herrn Messenhauser eine Correspondenz, welche sich in den Händen der Untersuchungscommission befinden soll.“
Mit Weitererzählung dieser stattlichen Enten schloß der sächsische Gesandte seine Thätigkeit für Blum. Die Humoristen der Wiener Polizei mochten in dem sächsischen Gesandten erfahrungsmäßig das dankbarste Absatzgebiet für solche Räubergeschichten besitzen. Aber daß er sie seinem Minister weiter berichten werde, hatten sie wohl selbst kaum erwartet.
Als man später von Dresden aus dem Gesandten vorhielt, daß es doch seine Pflicht gewesen wäre, an die militairischen Machthaber in Wien, und namentlich an den Fürsten Windischgrätz selbst, zu Gunsten Blum’s sich zu wenden, hatte er die[530] naive Ausrede: „Ich hatte zu bedenken, daß mit einem drängendern directen Schritt bei demselben das äußerste Mittel erschöpft wurde. Dies auf die erste (?) Nachricht von einer Verhaftung hin und in einem Augenblicke zu thun, wo ich mir über den Grad der Schuld und der Gefahr, in welcher Robert Blum schwebte, natürlich keine Rechenschaft ablegen konnte, erschien mir durchaus nicht rathsam.“ Um das äußerste Mittel nicht zu erschöpfen, wandte der treffliche Gesandte lieber gar keins an, und hatte infolge dessen am 9. November Nachmittags die Erschießung Blum’s nach Dresden zu berichten mit den klassischen Worten: „Ich verhehle mir nicht den schweren Ernst dieses Ereignisses“.[310]
Dieses traurige Benehmen bedarf keiner Kritik. Es war geradezu verhängnißvoll für Blum. Hätte der Gesandte in den ersten Tagen nach Blum’s Verhaftung nur im Geringsten seine Pflicht gethan, so war Blum’s Freilassung zweifellos. Es fehlte damals noch an dem Schatten eines Vorwandes zu einem standrechtlichen Vorgehen gegen ihn. Die Einsprache des Gesandten, die Zuwendung seines Schutzes an den königlich sächsischen Unterthan Blum hätte nicht nöthig gemacht jene nachdrückliche und immer erneute Berufung Blum’s auf seine Unverletzlichkeit als Mitglied des Frankfurter Parlaments, an welcher Blum zu Grunde ging.[311][531] Blum war, auch als er sich mit Fröbel hinter den Eisenthüren und Eisengittern des Stabsstockhauses verwahrt sah, der festen Ueberzeugung, daß die Berufung auf das von der Deutschen Centralgewalt erlassene Gesetz vom 29./30. September 1848[312] ihm alsbald die Freiheit wieder geben müsse. Dieses Gesetz bestimmte:
„Ein Abgeordneter zur verfassunggebenden Nationalversammlung darf von dem Augenblick der auf ihn gefallenen Wahl während der Dauer der Sitzungen ohne Zustimmung der Reichsversammlung weder verhaftet, noch in strafrechtliche Untersuchung gezogen werden, mit alleiniger Ausnahme der Ergreifung auf frischer That. In diesem letzteren Fall ist der Reichsversammlung von der getroffenen Maßregel sofort Kenntniß zu geben und es steht ihr zu, die Aufhebung der Haft oder Untersuchung bis zum Schluß der Sitzungen zu verfügen. Vorstehende Bestimmungen treten in Kraft mit dem Tage ihrer Verkündigung im Reichsgesetzblatt.
Die Gültigkeit dieses Gesetzes für Oesterreich ließ sich nicht bestreiten. Oesterreich, einschließlich des Kaisers, hatte die Einsetzung des Erzherzogs Johann als Reichsverwesers von Deutschland ausdrücklich genehmigt. Seine Einsetzung bildete nur einen untrennbaren Theil des ganzen Gesetzes über die provisorische Centralgewalt. Die von der Centralgewalt verkündigten Gesetze erlangten Gesetzeskraft für ganz Deutschland[313] — zu welchem die deutsch-österreichischen Provinzen damals noch gehörten — durch[532] ihre Verkündigung im Reichsgesetzblatt. Aber nicht einmal der letzte Einwand erlogener Rechtsverdrehung konnte sich hier hervorwagen, der Einwand nämlich, daß in Oesterreich „die Kundmachung, durch welche die Wirksamkeit eines österreichischen Gesetzes bedingt ist, durch spezielle Mittheilung desselben an die besondern Gerichte u. s. w. geschehe, und daß zur Zeit des Eintreffens des gedachten Reichsgesetzes (in Wien) ein vollständiges Ministerium nicht bestanden habe, namentlich zu jener Zeit ein Justizminister nicht dagewesen sei.“[314] Denn das Justizministerium war mittels kaiserlichen Erlasses vom 7. October Kraus, Hornbostl und Doblhoff mit übertragen. Der österreichische Ministerrath hatte auch am 8. October ein Wechselmoratorium — also zweifellos einen Act des Justizministeriums — erlassen. Vor Allem aber hatte der „k. k. österreichische Bevollmächtigte bei der Reichscentralgewalt in Frankfurt“, v. Bruck dem Reichsministerium der Justiz am 11. October angezeigt:[315]
„Der Unterzeichnete beehrt sich in Erwiderung der geehrten Note von gestern den Empfang des Reichsgesetzblattes Nr. 1 bis 3 in den gewünschten 100 Abdrücken zu bestätigen, welche sogleich nach der jedesmaligen Ausgabe an die Provinzialregierungen der österreichischen Bundesländer zur schleunigen Vertheilung an die betreffenden Behörden versandt werden sollen. Die örtliche Veröffentlichung der darin enthaltenen Gesetze und Verordnungen wird stets durch die Provinzialregierungen unverzüglich erfolgen, und der Unterzeichnete erlaubt sich in Erwidrung[533] der geehrten Note v. 6. d. auf die Wiener Zeitung vom 5. d. zu verweisen, in welcher das erste Stück des Reichsgesetzblattes unter der Bezeichnung „Amtliches“ abgedruckt ist.“
Damit war klar anerkannt, daß auch für Oesterreich die Rechtsverbindlichkeit zur Verkündigung der Reichsgesetze mit deren Erscheinen im Reichsgesetzblatt begründet war. Und da dem Reichsgesetzblatt die Verkündigung für das ganze Reichsgebiet gesetzlich zustand und dieses Gesetz wie die rechtsverbindliche Kraft aller Reichsgesetze für die Einzelstaaten bereits in Stück 1. stand und dieses in Oesterreich verkündigt war, so bedurfte es der „örtlichen Veröffentlichung“ des Immunitätsgesetzes vom 30. in Oesterreich überhaupt nicht. Dasselbe war Gesetz für Oesterreich seit dem 30. September.
Blum war daher im vollen Rechte, wenn er am 5. November gemeinsam mit Fröbel ein Schreiben an den Präsidenten der Deutschen Nationalversammlung aufsetzte, in welchem er diesem Kunde von ihrer Verhaftung gab und um Schutz und Freiheit auf Grund des Reichsgesetzes vom 30. September bat. Dieses Schreiben ist indessen nie nach Frankfurt gelangt, wohl aber in die Hände des Fürsten Windischgrätz. Bei den Blum’schen Acten befindet es sich nicht. Es bildete für den Fürsten offenbar den ersten Anlaß des Nachdenkens über die Frage, ob man dem verhaßten Frankfurter Parlament durch die Vernichtung der beiden gefangenen Abgeordneten nicht offenbaren könne, wie wenig man sich in Oesterreich um des Parlamentes Rechte und Gesetze kümmere. Daß in Schönbrunn — wo Windischgrätz nun schaltete — nach Empfang oder richtiger nach Unterschlagung dieses Schreibens sofort der Entschluß feststand, das Reichsgesetz vom 30. September geflissentlich zu mißachten, hat der damalige Alter-Ego des Fürsten, der Vollstrecker der Bluturtheile des k. k.[534] permanenten Standrechts, G. M. Hipssich, offen eingestanden.[316] Nun verräth uns aber Herr v. Helfert auch die geheimen Verhandlungen, welche in diesen Tagen zwischen dem Fürsten und Olmütz, d. h. zwischen Windischgrätz und den Ministern Wessenberg und Schwarzenberg spielten. Dieselben beweisen für Jeden, der lesen kann, gerade das, was Herr v. Helfert so gern bestreiten möchte, daß bei Windischgrätz die Hinrichtung Blum’s eine festbeschlossene Sache war, und die Beschaffung der „juridischen Beweise“ seiner Schuld getrost der in solchen Dingen höchst probaten k. k. permanenten Standrechtscommission überlassen werden sollte. Schon am 24. October nämlich hatte Windischgrätz an Wessenberg geschrieben „daß gegen die in Wien befindlichen Mitglieder des Reichstags als Theilnehmer am Aufstande vorgegangen werden müsse.“ Er hatte diese Ansicht am 30. October weiter begründet. Wessenberg hatte am 31. October entschieden widersprochen, und verlangt, daß Windischgrätz die Deputirten den ordentlichen Gerichten überliefern müsse. „Das Verfahren gegen allenfalls schuldig befundene Reichstagsgesandte verdiene eine nähere Erwähnung und müsse seines Erachtens diesfalls Baron Kraus als der einzige in Wien anwesende verantwortliche Minister und allenfalls ein höherer Justizbeamter zu Rathe gezogen werden, da die besondere privilegirte Stellung der Reichstagsabgeordneten eine eigene Beachtung nöthig mache und die Regierung sonst in Conflicte mit dem Reichstag kommen könnte.“ Windischgrätz gerieth darüber in nicht geringe Aufregung. Am 2. November schrieb er an Wessenberg, es stelle sich die Nothwendigkeit heraus, die Häupter jener Fraction des Reichstages, die mit der subversiven Partei eng verbündet war, zur Verantwortung zu ziehen. „Die moralischen Beweise ihrer Schuld liegen klar am Tage[535] und es sollte, denke ich, nicht schwer werden, auch die juridischen zu finden.“ Bis dahin bezog sich der Briefwechsel nur auf die Mitglieder des österreichischen Reichstages.
Von nun an führte aber nicht Wessenberg, sondern Fürst Felix Schwarzenberg, ein Dutzbruder Windischgrätz, die Correspondenz mit diesem weiter. Er zeigte sich weit gefügiger gegen die Ansichten des Feldherrn. Das Immunitätsgesetz genirte ihn gar nicht. Er schreibt am 3. November an Windischgrätz: „Wenn wir juridische Beweise hätten, wäre es ein Leichtes, die Betretenden der gewöhnlichen gerichtlichen Behandlung zu überliefern.“ Am 5. schreibt er, von der „Mitschuld mancher Reichstagsdeputirten an den Schändlichkeiten der letzten Revolution“ sei er moralisch überzeugt, allein an die „geheiligten Leiber“ der Volksvertreter könne man „nur durch juridische Beweise gelangen“; lägen in dieser Beziehung „constatirte Daten“ vor, so könnte „viel ersprießliches“ erreicht werden. Herr v. Helfert hat offenbar seine Gründe dafür, warum er diesen Briefwechsel nicht vollständig mittheilt, sondern nur einzelne Sätze oder gar nur Worte daraus citirt. Aber sicher ist, daß Windischgrätz am 6. November (vielleicht schon am 4.) Schwarzenberg von der Verhaftung Blum’s Kenntniß gegeben und am 6. November — nachdem er Blum’s Eingabe für Frankfurt gelesen! — verlangt hat, daß er diesen Mann hinrichten lassen dürfe, und zwar auch — denn das bildete ja bisher den Kernpunkt des Streites zwischen Schönbrunn und Olmütz — ohne „juridische Beweise“ nur nach dem „moralischen“ Verdammungsurtheil des Fürsten, und nicht von den gewöhnlichen Gerichten, sondern von der k. k. Standrechtscommission. Dieses Schreiben verschweigt Herr v. Helfert vollständig. Es muß aber existiren und zwar dem angegebenen Sinne nach existiren, denn Schwarzenberg antwortet am 7. Nov.: er bitte „um Schonung[536] für die schlechtesten (!) unserer Reichstagsdeputirten; mit Blum möge der Feldmarschall nach Ermessen“ (also nicht nach Richterspruch!) „vorgehen, er verdiene Alles.“ Es scheint nach dieser Antwort sogar, als habe Windischgrätz in seinem Briefe an Schwarzenberg auf die Wichtigkeit des Unterschiedes zwischen „unseren“ und den Frankfurter Abgeordneten hingewiesen, d. h. mit anderen Worten auf die politische Wichtigkeit, welche der Hinrichtung eines Frankfurter Deputirten für Oesterreichs Machtstellung gegenüber der Paulskirche haben müsse. Der Fürst beeilte sich außerordentlich, von dieser Indieachterklärung Blum’s Gebrauch zu machen. Denn schon der folgende Tag konnte einen Widerruf bringen — und brachte ihn auch! Am 8. ließ nämlich Schwarzenberg die Erläuterung folgen: „Die Reichstagsdeputirten seien nicht standrechtlich zu behandeln, wenn sie nicht in flagranti[317] verhaftet werden könnten“ — dazu war natürlich im Stabsstockhause keine Aussicht — „sie sind auf freien Fuß zu lassen, wohl aber alle rechtlichen Anzeigen zu sammeln, damit sie den ordentlichen Gerichten überliefert werden können. Ein anderes Verfahren würde uns die größten Schwierigkeiten bereiten.“ Hier ist der Unterschied zwischen „unsern“ Reichstagsabgeordneten und Blum nicht mehr gemacht. Diese Note hätte also Blum frei gemacht. Aber als sie am Morgen des 9. in Wien eintraf, hatte Blum schon aufgehört zu leben. „Die Zuschrift Schwarzenberg’s vom 7.“, schreibt v. Helfert mit empörender Offenheit, „die jedenfalls im Laufe des 8. November in Schönbrunn eintraf, entschied über das Schicksal der beiden Frankfurter Deputirten.“ Und dann will uns derselbe Herr später einreden, dieses „Schicksal“ sei durch einen ordentlichen Richterspruch „entschieden“ worden!
Robert Blum saß ohne Ahnung aller dieser Dinge im Stabsstockhause und harrte seiner Befreiung entgegen. Er versprach sich dieselbe bestimmt von seinem Schreiben vom 5. an den Präsidenten der Nationalversammlung zu Frankfurt a./M. In zwei Tagen konnte das Schreiben in Frankfurt sein, am nämlichen Tage mußte der Erzherzog den Befehl erlassen, ihn und Fröbel freizugeben. In dieser Hoffnung schrieb er am 6. an die Frau:
„Meine liebe Jenny! als ich Dir meine letzten Zeilen schrieb, deren Kürze die Umstände geboten, glaubte ich denselben auf dem Fuße zu folgen und wenigstens kurze Zeit in meinem Hause zu verleben. Das ist anders geworden und ich werde unfreiwillig hier zurückgehalten, bin verhaftet. Deute Dir indessen nichts Schreckliches, ich bin in Gesellschaft Fröbel’s und wir werden sehr gut behandelt; allein die große Menge der Verhafteten kann die Entscheidung wohl etwas hinausschieben. Sei also ruhig und wenn Du das bist, wirst Du zu meiner Ruhe wesentlich beitragen; ich denke Dich stark und gefaßt und bins deshalb selbst. Bitte Heyner in meinem Namen, daß er Dir die Haushaltungsbedürfnisse vorschießt; ich werde ihm das entnommene sofort ersetzen, wenn ich wiederkomme. Leb’ recht wohl, bleibe gesund und heiter, grüße alle Freunde und empfange für Dich und unsere lieben Kinder von Herzen Gruß und Kuß von Deinem Robert.“ — „Denkt am 10. und 11.[318] freundlich an mich.“
Die feste, heitere Stimmung Blum’s begann vom 6. November an sich zu trüben. Wenigstens behauptet das Fröbel in seinen „Briefen“.[319] Dasselbe schreibt Fröbel in einem Briefe an Blum’s Schwester, Frau Selbach in Köln, am 22. December 1848. Der Brief enthält auch über die früheren Ereignisse interessante Daten. Fröbel berichtet, nachdem die Ereignisse bis zum 28. erzählt sind:
„Von da (vom 26.) bis zum 28. sah ich Ihren Bruder nicht wieder. Ich hörte aber von Andern, daß er unterdessen mit einem Muthe, der über jedes Lob erhaben war, ja sogar mit Lust und Freude sich im Kugelregen und in anderen Gefahren befunden. Mehrere seiner Mannschaften fielen in seiner Nähe und andere wurden verwundet. Eine Kugel fuhr ihm auf der linken Seite, am Herzen, durch das Rockfutter. Die Nacht vom 28. auf den 29. brachte er in seinem Zimmer in Stadt London zu, während ich mit dem Rest meiner Compagnie[320] einen Saal des Universitätsgebäudes inne hatte. Am 29. früh um 5 Uhr besuchte ich ihn und wir schrieben unser Entlassungsgesuch, welches wir gegen 6 Uhr abschickten. Dann lebten wir wieder bis zum 4. früh, wo wir verhaftet wurden, im Gasthaus zusammen. Ihr Bruder war in der ganzen Zeit äußerlich abwechselnd bald ernst und ruhig, bald humoristisch, bald ziemlich leidenschaftlich activ gestimmt, innerlich aber bemerkte ich an ihm immer eine sehr große Erregung. Wir kannten die Menschen nicht genug, die uns umgaben, und so war er ungewiß, ob für ihn die Zeit eines entscheidenden Augenblicks gekommen sei. Hätte er gewollt, so wäre die Leitung der Dinge sehr bald in seinen Händen gewesen. Weil er sich in dieser Beziehung über seine Aufgabe nicht klar sein konnte, schwankte er auch von Anfang an zwischen dem Wunsche, abzureisen und dem, zu bleiben. — Im Gefängniß hatten wir miteinander ein leidliches Zimmer. Ihr Bruder sprach, als hoffe er höchstens acht Tage gefangen zu sein und dann freigelassen zu werden, innerlich aber scheinen ihn düstre Ahnungen beunruhigt zu haben. Er dachte viel an seine Familie und als er einmal, am Fenster sitzend, vor dem Kinder spielten[321], zu mir sagte: „sieh’, da geht mein kleiner —“ (ich weiß den Namen nicht mehr), sah ich, daß seine Hand zitterte und seine Augen feucht waren. Er sagte mir am dritten und vierten Tage unserer gemeinsamen Haft oftmals: „Du wirst am Ende allein zurückreisen,“ was ich ihm auszureden suchte. Er mochte (!) an seine Rede in der Aula und an einen sehr beleidigenden Artikel denken, den er im „Radikalen“ mit seiner Namensunterschrift gegen den Fürsten Windischgrätz geschrieben.“
Diese Mittheilungen entsprechen gewiß vollständig den Beobachtungen, die Fröbel gemacht hat. Nur die Genauigkeit dieser Beobachtungen ist in Frage. Denn Fröbel war, wie er selbst zugesteht, bei weitem der Aufgeregtere von Beiden. Er durchmaß das Zimmer in großen Schritten in steter Erregung, während Blum meist lesend dasaß, wenn die Freunde nicht zusammen sprachen. Daß kürzere und längere Stunden kamen, Stunden der bangen Sorge auch für Blum, kann bei seinem tiefen Gemüth, bei seiner innigen Anhänglichkeit an Weib und Kind kaum bezweifelt werden. Das ist aber eine Wahrnehmung, die jeder Richter und jeder Vertheidiger, der mit Untersuchungsgefangenen zu thun hat, die nicht verkommen sind, in den ersten drei Tagen ihrer Haft machen wird. Und sicher ist nach allen Fröbel’schen Versionen, daß Blum selbst nie seine Rede auf der Aula und seinen Artikel im „Radicalen“ als den Grund seiner nachdenklichen Stimmung bezeichnet hat, sondern daß Fröbel das nur vermuthet hat. („Er mochte an seine Rede“ u. s. w. „denken“). — Uebrigens bildeten, wie Fröbel gleichfalls zugesteht, diese trüben Stimmungen nur die Ausnahme. Sehr häufig blickte die Schildwache draußen mit Verwunderung durch die „verglaste Oeffnung in der Thür“ — wie Helfert schön sagt — wenn die Gefangenen laut und anhaltend lachten und scherzten.
Am 6. Abends wurde beiden Gefangenen eine sehr unangenehme Ueberraschung zu Theil: ein Italiener Matteo Padovani wurde zu ihnen in dasselbe Zimmer als Mitgefangener gelassen. Fröbel hat diesen Mann später vor dem Parlament offen der Spionage beschuldigt. Die Verdachtsgründe, die Fröbel anführt: die auffallend behäbige Garderobe und Ausstattung, die Padovani mit sich in das Gefängniß brachte, die Zuvorkommenheit der Bedienung gegen ihn, das widerwärtig zudringliche, auffallende und unruhige Wesen des Fremden, seine tendenziöse[540] Einmischung in die Gespräche und gemeinsamen Schritte der Abgeordneten, seine fortwährende Aufforderung an dieselben, ihre Unverletzlichkeit als Abgeordnete den Behörden gegenüber recht scharf zu betonen, seine auffallenden Versuche, von den Gefangenen Einzelheiten über ihre Betheiligung am Kampfe zu erfahren, sind keineswegs „sicher ohne allen Grund“ wie Herr v. Helfert kurz meint.[322] Im Gegentheil waren die bisherigen „juridischen Beweise“, welche die Central-Untersuchungscommission trotz des ganzen Heers ihrer Denuncianten und Polizeispione für die Schuld der beiden Abgeordneten zusammengebracht hatte, so überaus dürftig, daß die Einstellung und Mitwirkung eines Spions zur Ergänzung des Schuldbeweises, namentlich in der Geschäftsgebahrung des nachmetternich’schen Oesterreich und bei dem in Schönbrunn bereits am 6. nach Olmütz gemeldete Entschlusse, Blum mit oder ohne „juridische Beweise“ nicht lebend nach Frankfurt kommen zu lassen, durchaus nicht zu jenen Dingen gehört, welche damals in Wien undenkbar gewesen wären; am wenigsten zu denen, welche die Entrüstung des Herrn v. Helfert vorzugsweise verdient hätten. Denn die Briefe seines Helden Windischgrätz an Wessenberg und Schwarzenberg stehen moralisch betrachtet tief unter der Judasrolle, die Padovani von Fröbel beigemessen wird. Padovani wäre doch nur das Werkzeug einer feilen Scheinjustiz gewesen, ein Werkzeug, das sich vielleicht durch diese Handlungsweise die eigene Straflosigkeit erkaufte (Nordstein S. 361), der Fürst Windischgrätz aber erscheint nach jenen Briefen als der eigentliche Anstifter eines Justizmordes.
Was mich veranlassen könnte, den schweren Verdacht, der dreißig Jahre lang auf dem unglücklichen Italiener gelastet hat, für grundlos zu erklären, ist sein Verhalten, als ich vor fünf Jahren[541] (1873) einige Actenstücke über Blum’s Tod in der „Deutschen Zeitung“ in Wien veröffentlichte.[323] Damals entspann sich eine lange Fehde zwischen Padovani und Fröbel in der Zeitung, und Padovani schrieb mir in Ausdrücken, die schwerlich erheuchelt waren, wie schwer er die fünfundzwanzig Jahre über unter dieser falschen Anklage gelitten habe. Diese günstige Meinung wird aber getrübt durch Actenstücke, auf welche ich seither aufmerksam geworden bin. Helfert theilt nämlich in seiner Darstellung des Processes wider Fröbel mit, daß die Broschüre Fröbel’s „Wien, Deutschland und Europa“, welche Fröbel’s Begnadigung bekanntlich vorzugsweise erwirkte, von Padovani den Richtern zugesandt worden sei.[324] Padovani war damals noch Untersuchungsgefangener, und es macht einen mindestens eigenthümlichen Eindruck, wenn er in dieser Lage wissen konnte und wußte, was „die Richter“ gerade als Begnadigungsmoment zu Gunsten Fröbel’s gebrauchen konnten — namentlich wenn man sich daran erinnert, daß Schwarzenberg nur Blum dem „Ermessen“ des Fürsten preisgegeben und auch diese Zusage in seinem Schreiben vom 8. November wieder eingeschränkt hatte. Da das Urtheil gegen Fröbel erst den 11. November Vormittags geschöpft wurde[325], so lag hier nunmehr der Vorwand einer Begnadigung ebenso sehr im Interesse des Fürsten, als bei Blum der Vorwand einer Verurtheilung. Dazu kommt noch ein zweites auffallendes Actenstück. In dem bereits auf Seite 534 (Note) erwähnten Bericht des GM. Hipssich vom 30. November an die Centralcommission kommt die Stelle vor: „daß Padovani jede Zumuthung mit Entrüstung zurückweise, als ob[542] ihm bei jener Translocation[326] irgend ein Auftrag zur Ausspähung der genannten Mitgefangenen ertheilt worden sei.“ Diese Worte stehen nur auf Schrauben. Und was ging es den GM. Hipssich an, wie Fröbel vor dem Parlament über Padovani urtheilte? Welchen Werth hatte es, wenn der Generalmajor erklärte, daß sein Opfer — möglicherweise sein Spion! — diese Beschuldigung „mit Entrüstung“ zurückweise?
Dazu kommt nun, wie bemerkt, die große Dürftigkeit des Schuldbeweises, den die Standrechts-Commission bis zum 6. gegen Blum und Fröbel angebracht hatte. Die einzige Aussage, die bis zum 6. Abends gegen die Gefangenen vorlag, war eine Bemerkung von Messenhauser. Messenhauser hatte in seinem ersten Verhör am 6. November Abends ausgesagt, Blum und Fröbel hätten sich am 30. auf dem Stephansthurm, „wie ihm berichtet worden“, „in den heftigsten Worten über seine Capitulation ausgesprochen“. Diese Anschuldigung war so unhaltbar, daß sie selbst von der Standrechtscommission weiter gar nicht beachtet wurde. Außerdem besaß die Untersuchungscommission bis zum 5. November Abends noch die Artikel der „Presse“ vom 25. und der „Ostdeutschen Post“ vom 24. October über Blum’s Rede in der Aula. Aus ihnen hat das Standgericht später nur einen einzigen Satz für die Anklage brauchbar erachtet, der schon früher erwähnt wurde. Das war Alles! Ein agent provocateur konnte also noch recht ersprießliche Dienste leisten. Trotz alledem könnte man gegen die Annahme, daß Padovani in dieser Rolle thätig gewesen sei, anführen jenes wiederholt vom Fürsten ausgesprochene Princip, daß es auf Schuldbeweis gar nicht ankomme, sondern nur auf das bereits[543] fertige moralische Urtheil über den Angeschuldigten. Denn um ein moralisches Urtheil über Blum zu fällen, dazu bedurfte es keines Padovani. Dazu genügten vollkommen die „Gemeinen“ Tiefenthaller und Compéis, die „Gefreiten“ Mahn und Wöhner (die in der Geschichte nur mit einem Fragezeichen aufgeführt werden, da ihre Autographen in den Acten jeder Entzifferung spotten) und alle die andern intelligenten und für moralische Urtheile insbesondere vorzüglich qualificirten „Richter“ des Wiener Blutgerichts. Allein dagegen ist wieder zu bedenken, daß bis zum sechsten November Fürst Windischgrätz von Olmütz noch keine Erlaubniß hatte, Blum gegenüber auf „juridische Beweise“ zu verzichten und sich mit einer „moralischen“ Beurtheilung desselben zu begnügen. Diese Erlaubniß traf erst am 8. in Schönbrunn ein. Am 6. war also die Beibringung „juridischer Beweise“ für Blum’s Schuld die unerläßliche Bedingung für Blum’s in Schönbrunn so aufrichtig gewünschte Verurtheilung. Und zu diesem Zwecke war ein agent provocateur ein ganz brauchbares Subjekt.
Am 7. November richteten Blum und Fröbel an General Cordon eine Beschwerde wegen ihrer Gefangenhaltung seit dem 4. November und weil ihnen im Laufe dieser Tage „nicht mindestens ein Verhör, und damit Gelegenheit, ihr Recht geltend zu machen“, gewährt worden sei. Diese Beschwerde hatte einen „Auftrag“ des GM. Cordon vom 7. November zur Folge, dessen Inhalt Herr v. Helfert, obwohl er ihn kennen mußte, da er bei den Blum’schen Acten sich befindet[327], nicht mittheilt. Aller Wahrscheinlichkeit stand in diesem „Auftrag“ nur das[544] Gebot zu rascherer Beweisaufnahme. Die Gefangenen erhielten auch auf ihre Beschwerde keine Antwort.
Die Beweiserhebungen fanden am 8. November statt. Man hatte schließlich nämlich noch einige „Zeugen“ aufgetrieben, welche man für verwendbar erachtete. Um mit den ernsthaften anzufangen: Ignaz Kuranda, Eigenthümer, und Dr. Ed. Wössel, Mitarbeiter der „Ostdeutschen Post“, waren als „Augen- und Ohrenzeugen von Blum’s Auftreten am 23. in der Aula“ berufen.[328] Es scheint aber mit diesem „Augen- und Ohrenzeugniß“ nicht viel anzufangen gewesen zu sein; denn im Verhör ist Blum hiervon gar nichts eingehalten worden. Zu diesen für die Anklage blos mißlungenen Zeugenerhebungen kam noch eine Anzahl anderer, von deren Hereinziehung in eine so ernste Sache von Haus aus hätte abgesehen werden sollen: es war das die Vernehmung des Spezereihändlers Pietro Giacomuzzi und des Wirthes, des Zahlkellners und des Kellners „Zum rothen Igel“. Man glaubte von ihnen wahrscheinlich eine Bestätigung des schon von Messenhauser am Tage zuvor der Standrechtscommission gebeichteten Blödsinns[329] zu erfahren, daß Robert Blum am 27. October Messenhauser die „Präsidentur“ (der Republik? und welcher?!) angeboten habe. Vielleicht dachte sich die Standrechtscommission, diese Republik sei im „Rothen Igel“ am 27. October geboren worden und der Zahlkellner Franz Maireder — letzterer natürlich gegen Trinkgeld — und der Kellner Leopold Uebel hätten dabei als Feierlichkeitszeugen gedient. Doch diese Hypothesen können wir bei Seite lassen, da Herr v. Helfert uns leider selbst vom Inhalte der Aussagen der Zeugen vom „Rothen Igel“ keine Mittheilung[545] macht; jedenfalls nur aus dem guten Grunde, weil sie höchstens mittheilen konnten, was Robert Blum im „Rothen Igel“ gegessen und getrunken hatte, so daß sich auch betreffs dieser classischen Zeugen die Standrechtscommission in ihren berechtigtsten Erwartungen getäuscht sah. Bei der Vernehmung Blum’s konnte ihm nicht einmal eine einzige blutdürstige Verschwörung aus dem „Rothen Igel“ vorgehalten werden. So besaß denn die Standrechtscommission am Nachmittag des 8. November immer noch kein weiteres Belastungsmaterial, als eine Nummer der „Ostdeutschen Post“ und der „Presse“ und die stadtbekannte, auch von Messenhauser bestätigte Thatsache, daß Blum als Hauptmann im Elite-Corps mitgefochten habe. Aber wenn das unter das Standrecht gehörte, wo waren denn alle die andern Hauptleute und Offiziere der Stadtkämpfer? Hatte man denn die auch verhaftet? Mit nichten!
Ehe diese Erhebungen am 8. November abgeschlossen waren, hatte Blum mit Fröbel auf das „eifrige Zureden“ und des „im höchsten Grade zudringliche“ Einmischen Padovani’s noch einen andern Schritt zur Erlangung der Freiheit gethan. Padovani „legte es Blum dringend an’s Herz“, sagt Fröbel[330], „daß wir einen Fehler begangen, indem wir nicht energisch genug protestirt und unsere Eigenschaft als Deputirte nicht genug in den Vordergrund gestellt hätten. Sie kennen,“ sagte er, „die österreichischen Behörden nicht. Wenn Sie energisch auftreten, werden Sie sehen, daß Sie morgen frei sind.“ Das bestimmte Blum und endlich auch Fröbel, nun einen förmlichen Protest einzureichen. „Ich war mit Blum verschiedener Meinung“, sagt Fröbel, „und der Protest, welchen Blum aufsetzte, war mir nicht recht. Bei der Copie wurde am Schlusse eine Stelle[546] weggelassen, welche eine Drohung enthielt.“ Nachstehend wird dieser Protest, welcher gerichtet wurde „an die Hohe Centralcommission zur Untersuchung der Vorfälle in Wien“ mitgetheilt nach dem Concept von Blum’s Hand, das nach seinem Tode mit seinen übrigen Papieren an die Familie zurückgelangte. Er lautet:
„Protest.“
„Nach dem Reichsgesetze vom 30. September dieses Jahres, welches von der Deutschen Nationalversammlung (in der auch Oesterreich vertreten ist) beschlossen, von der in Oesterreich anerkannten Deutschen Centralgewalt promulgirt, von Sr. Kaiserlichen Hoheit dem Erzherzog Johann, Reichsverweser, unterzeichnet, und im Reichsgesetzblatt Nr. 2 ordnungsmäßig bekannt gemacht ist — darf kein Abgeordneter der Deutschen Nationalversammlung verhaftet oder in Untersuchung gezogen werden, ohne Zustimmung der Versammlung selbst. Die Unterzeichneten sind nun gegen das angezogene Reichsgesetz seit fünf Tagen verhaftet.“ Folgt die Aufzählung der Schritte, die sie bis dahin zur Erlangung ihrer Freiheit gethan. „Unter diesen Umständen, auf Grund des Reichgesetzes vom 30. September, auf Grund der von Seiner Majestät dem Kaiser von Oesterreich seinen Staaten vielfach garantirten constitutionellen Einrichtungen, und auf Grund des fürstlichen Wortes des Herrn Feldmarschalls Fürsten zu Windischgrätz Durchlaucht, die constitutionellen Einrichtungen nicht schmälern zu wollen, erfüllen die Unterzeichneten hiermit gegen das Deutsche Volk, gegen das Gesetz und gegen die Nationalversammlung eine heilige Pflicht, indem sie einen
feierlichen Protest
erheben gegen ihre Verhaftung sowohl, wie gegen das Verfahren seit dieser Verhaftung, und die Verantwortlichkeit für die Nichtachtung des Gesetzes auf die Urheber desselben wälzend[331], sehen wir uns genöthigt, den anliegenden Protest gehorsamst zu überreichen. Es ist unsere Pflicht, diesen Protest auch an die hohe deutsche constituirende Nationalversammlung und an unsere Wähler gelangen zu lassen, damit dieselben[547] erkennen, daß wir das Gesetz, zu dessen Erlassung und Erhaltung man uns erwählt hat, nach unsern Kräften selbst im Kerker wahren! Da nach der dermaligen factischen Gestalt der Dinge dazu die Erlaubniß der hohen Central-Commission nöthig ist, so bitten wir, diese Erlaubniß uns baldmöglichst ertheilen zu wollen.
Mit vollkommenster Hochachtung zeichnen:
Einer hohen Central-Commission gehorsamste
Abgeordneten der deutschen constituirenden Nationalversammlung,
Robert Blum, Julius Fröbel.
Wien, im Stabsstockhause, am 8. November 1848.“
Dieser Protest wurde Nachmittags 4 Uhr in einer Reinschrift von Fröbel’s Hand — nachdem Padovani’s Anerbieten, diese zu besorgen abgelehnt worden war — abgegeben. „Dieser Protest bildete eine entscheidende Wendung in unserer Sache! Dieser Protest ist allerdings berücksichtigt worden“, sagte Fröbel in der Paulskirche — „Sie sehen es in dem Tode Blum’s, auf welche Weise. Um 4 Uhr Nachmittags hatten wir den Protest übergeben, um 6 Uhr wurde Blum zum Verhör gerufen. Die Zeit von zwei Stunden ist etwa das, was nothwendig war, um den Protest nach Hetzendorf[332] zu bringen und einen Befehl als Antwort zu erhalten.“
In der Hauptsache hat Fröbel ganz recht. Der Protest bildete eine entscheidende Wendung im Schicksal Blum’s, wenn auch nicht die entscheidende. Diese war herbeigeführt durch den Brief Schwarzenberg’s aus Olmütz, der am 8. in Schönbrunn eingetroffen war, und die „schlechtesten“ österreichischen Abgeordneten verschont wissen wollte, Blum dagegen — mit dem naiven Eingeständniß, daß er der „Schlechteste“ nicht sei — dem „Ermessen“ des Fürsten preisgab, zu — „Allem“! Aber gewiß ist, daß dieser Protest unmittelbar nach Schönbrunn versendet worden ist. Denn er war schon bei Beginn des Verhörs[548] gegen Blum um halb 6 Uhr nicht mehr bei den Acten, und ist auch später nie zu den Acten zurückgegeben worden. Schon die Reichscommissare Paur und Pözl vermißten ihn hier und mußten ihn bittweise in Abschrift herbeiziehen.[333] Und selbst Helfert citirt ihn nach Fröbel’s „Briefen“, nicht nach den Acten.[334] Welchen Eindruck er auf den Fürsten machte, kann man sich denken, da dieser sich schon tagelang zuvor an dem Gedanken erlabt hatte, in Blum die verhaßte Paulskirche zu treffen.
Wir besitzen aber hierüber, Dank der arglosen Güte Helfert’s, mehr als bloße Vermuthungen. Es erfloß nämlich am achten November vom „Hauptquartier Schönbrunn“ „an die löbliche Centralcommission der k. k. Stadtcommandantur zu Wien“ ein Schreiben (gez. Mengewein, GM.), in welchem befohlen wird, einen „Aufseher der Gasbeleuchtungsanstalt in Erdberg sammt einigen Arbeitern zu vernehmen“, welche höchst gravirliche Mittheilungen über Blum’s bewaffnete und führende Betheiligung am Kampfe auf der St. Marxerlinie machen könnten.[335] Da diesem Befehle von der Standrechtscommission nicht mehr gehorsamt wurde, muß er erst spät am 8. November, d. h. zu einer Zeit in Wien eingetroffen sein, wo das Verhör Blum’s eben beginnen sollte, oder vielleicht schon begonnen hatte (es begann um halb 6 Uhr). Er muß also erst erlassen worden sein, als der Protest Blum’s in Schönbrunn bereits bekannt war. Nun könnte man sagen: dieser Befehl ist zwar nach Bekanntwerden des Protestes in Schönbrunn erlassen, er ist aber keine Folge des Protestes und des vorgefaßten Entschlusses des Fürsten. In diesem Befehl findet sich nun aber eine absichtliche Unwahrheit[549] ausgesprochen, welche ihre Gründe haben muß. Es heißt da nämlich im Eingang: „Nachdem man so eben (!) in Erfahrung brachte, daß Robert Blum sich unter den in Arrest gesetzten Aufwieglern befindet“. Diese Behauptung war eine wissentlich unwahre, da oben (S. 535) gezeigt wurde, daß das Hauptquartier bereits am 4., längstens am 6. über Blum’s Verhaftung unterrichtet war, und sogar am 6. schon über das Blum zugedachte Schicksal nach Olmütz berichtet haben muß! Die geflissentliche Lüge, daß „man“ erst am 8. November „soeben“ Kenntniß von Blum’s Verhaftung erhalten, sollte und konnte also nur maskiren, daß man die in dem Befehl vom 8. angeführten — nie festgestellten — Thatsachen nur als Vorwand zu dringlichem, vom Hauptquartier befohlenen Einschreiten des Standgerichts wider Blum anführte, um nicht Unberufene, die einmal diese Acten läsen, auf den Verdacht zu leiten, daß ganz andere Gründe — das Schreiben Schwarzenberg’s und zuletzt der Protest Blum’s — diesen Befehl veranlaßt hätten.[336]
Am achten November nach halb 6 Uhr Abends wurde Blum zum Verhör abgeholt. Es fand im Stabsstockhause selbst statt, wo die permanente Standrechtscommission tagte. Dieses Verhör erschöpft zugleich das ganze gegen Blum stattgefundene standrechtliche „Verfahren“. Die niedliche Kürze dieses „Verfahrens“ — des kürzesten, das sich überhaupt vor der Standrechtscommission abspielte — gestattet uns, dasselbe hier vollständig mitzutheilen.[337]
„Actum bei der Standrechts- und Kriegsrechtscommission im Stabsstockhause, angefangen um 5½ Uhr Abends am 8. November 1848.
Protokoll,
welches auf Anordnung des k. k. Militär-Stadtcommandos Act. 7. November, Nr. 251, in Betreff des in Haft gebrachten Robert Blum aufgenommen wurde.
Zur Grundlage[338] dient:
Nr. 1. Auftrag des Herrn G-M. Cordon, ddo. 7. November, Nr. 251, mit
a) ein Zeitungsabdruck der „Presse“, ddo. 25. October, b) " " " „Ostdeutschen Post“, ddo. 24. October. c) Auszug aus dem Sitzungs-Protokolle des Gemeinderathes der Stadt Wien, ddo. 18. October 1848.
Nr. 2. Bericht über die Arretirung Robert Blum’s, ddo. 4. November mit
a) Schreiben des Robert Blum, Julius Fröbel, Moriz Hartmann und Albert Trampusch, b) Schlüssel zu dem Koffer.“ — (Auch eine Grundlage!) — „Nach Allegirung dieser Acten wurde Robert Blum vorgerufen, zur Angabe der Wahrheit erinnert und vernommen, wie folgt:
„Ich heiße Robert Blum, zu Köln in Rheinpreußen gebürtig, katholisch, Vater von vier Kindern, bin Buchhändler zu Leipzig, 40 Jahre alt.
Ich kam am 14. October[339] mit den Herren Fröbel, Trampusch und Hartmann als Abgeordneter in Frankfurt am Main von dort nach Wien, um zunächst den Wiener Behörden eine Adresse zu überreichen. Wir fanden die Verhältnisse anders, als wir geglaubt hatten, und ich habe, wahrscheinlich am 23. October, auf der Aula eine Rede gehalten, deren Sinn dahin ging, daß man an die Stelle des frühern Bandes der Gewalt, welches die verschiedenen Nationalitäten des österreichischen Kaiserstaates zusammengehalten, das Band der gemeinsamen Freiheit und der Anerkennung der gleichen Berechtigung aller Nationalitäten setzen müsse, damit die gemeinsame Freiheit sie inniger binde, als es die Gewalt bisher vermochte. Sollte es im Innern des Staates noch Elemente geben, welche die nichtdeutschen Nationalitäten nur durch das Band der Gewalt fesseln wollen, so müssen dieselben überwunden und vernichtet werden.
Am 26. ließ ich und Fröbel, auf Zureden des Commandanten Hauk, in das Elite-Corps mich einreihen, und wir wurden zu Hauptleuten gewählt, bezogen mit meiner Compagnie einen Posten an der Sophienbrücke beim Rasumoffsky’schen Palais, wo Kanonen in den Garten gegenüber dem Fluß gerichtet waren. Der Ober-Commandant Messenhauser kam dahin, und ich sprach mit ihm, sowie mit Andern. Daß ich dort zu ihm geäußert hätte, daß er die Präsidentur der Republik annehmen solle, darauf kann ich mich nicht erinnern, und wenn dieses überhaupt gesprochen worden ist, so ist es nur im Scherze ausgesprochen worden.
Ich habe in den Zeitungen allerdings die Anordnungen des Fürsten Windischgrätz bezüglich des Belagerungszustandes gelesen.
Wo Herr Fröbel an diesem Tage mit seiner Compagnie stand, weiß ich nicht anzugeben.
Hier muß ich bemerken, daß das Gespräch bezüglich der Präsidentur nicht an der Sophienbrücke, sondern in einem Kaffeehause, wie ich glaube, auf der Landstraße, stattfand, wohin Messenhauser kam, wo ich eben nebst andern Garden und Mitgliedern des Elite-Corps an jenem Tage mich befand, um Kaffee zu trinken. Was Messenhauser damals auf der Landstraße zu thun hatte, weiß ich nicht; wahrscheinlich inspicirte er die aufgestellten Posten der unter seinem Commando stehenden Garden.
Ich muß noch bemerken, daß ich und Fröbel am 29. October Früh die Waffen abgelegt haben, weil das Elite-Corps nicht zu dem Zwecke verwendet wurde, zu welchem es ursprünglich bestimmt war, nämlich die innere Stadt in Ruhe und Ordnung zu halten.
Ich muß hier auf jenes in Deutschland giltige Gesetz aufmerksam machen, wonach ein Deputirter nicht verhaftet und in Untersuchung gezogen werden kann, ohne vorher die Genehmigung der National-Versammlung einzuholen.
Praelecta confirmat.
Robert Blum m. p.“
Nach eigenhändiger Fertigung wurde das Protokoll geschlossen und unterzeichnet[340]:
Franz Tiefenthaller, Gemeiner. Adolf Compéis, Gemeiner. Joseph Mahn (Maan?), Gefreiter. Josef Wöhner (?), Gefreiter. Johann Mohr, Corporal. Adalbert Simmer, Corporal. Johann v. Ehrenfeld, Feldwebel. Franz Hirschecker, Feldwebel. Pokorny, Lieutenant. Szeth, Lieutenant. Zamagna, Hauptmann. J. F. v. Bach (?), Rittmeister.
Wolferom, Cordier, Major, Johann Sailler, Hauptmann-Auditor. Präses. Qua Actuar.“
Selbst die geflissentliche Kürze und Farblosigkeit dieser Niederschrift und das grauenhafte Deutsch derselben, das Blum so, wie es ihm in den Mund gelegt wird, keinesfalls gesprochen hat, läßt seine muthige Haltung und den unerschütterlichen Glauben an seine Unverletzlichkeit erkennen. Zugleich aber freilich läßt es uns mit Schaudern blicken in die ganze Tiefe des Abgrundes von Rechtlosigkeit und Willkür, in welchen im Namen und unter dem Schein des Rechtes das edle Opfer gestürzt werden sollte!
Für Beides gibt es aber auch noch andere Beweise. Selbst Herr v. Helfert muß bekennen, daß Blum nichts wider die Wahrheit geleugnet habe. Zunächst hat kein Geringerer als Fürst Windischgrätz ein günstiges Urtheil gefällt über das mannhafte, furchtlose Verhalten Robert Blum’s, seine rückhaltlose Wahrheitsliebe vor seinen Richtern und seinen tapfern Todesmuth am folgenden Morgen. Zwei Briefe liegen mir vor, welche dieses Zeugniß des Fürsten über Blum enthalten und beurkunden. Der eine dieser Briefe ist von dem oben oftgenannten Abgeordneten und sächsischen Märzminister Braun (gestorben 1868), der andere von dem noch lebenden hochconservativen Mitgliede der ersten sächsischen Kammer, dem Klostervoigt von Posern. Beide Briefe sind aus dem Jahre 1867 und an mich gerichtet. Beide bestätigen, daß Herrn von Posern gegenüber Fürst Windischgrätz (1859 oder 1860) sich rühmend über Robert Blum’s Haltung vor dem Kriegsgerichte und bei seiner Hinrichtung ausgesprochen haben soll. Nach einer glaubhaften Version soll der Fürst sogar eine Art von Reue darüber ausgesprochen haben, daß er Blum habe erschießen lassen, natürlich nur in so weit, als bei dem Fürsten überhaupt von Reue die Rede sein konnte.
Die Rechtlosigkeit des Verfahrens aber, das gegen Blum eingeschlagen[554] wurde, erhellt aus dem mitgetheilten Protocoll sonnenklar. Die wichtigsten Einwendungen, ohne deren genaue Untersuchung ein Urtheil gar nicht gefällt werden konnte, waren von dem Angeklagten erhoben worden. Dem einzigen Satze seiner Aula-Rede vom 23. October, der ihm als „Anfachung des bewaffneten Aufruhrs“ ausgelegt wurde, hatte er eine ganz unverfängliche, sinn- und wortgetreue Deutung gegeben. Von einem ausdrücklichen Zugeständniß der Theilnahme am Kampfe war in dem Protocoll nichts zu entdecken. Jedenfalls aber hatte der Angeklagte weiter auch darauf hingewiesen, „daß das Elitecorps nicht zu dem Zwecke verwendet wurde, zu welchem es ursprünglich bestimmt war, nämlich die innere Stadt in Ruhe und Ordnung zu halten“, und daß er eben deshalb am 29. früh „die Waffen abgelegt“ hatte. Das Standgericht war hiernach unmittelbar vor die Frage gestellt, ob denn der Antheil des Angeklagten am Kampfe nach den Bestimmungen der Capitulation vom 30. October — die doch gewiß allen denen zu gute kommen mußte, welche bis dahin die Waffen abgelegt hatten — überhaupt zur Anklage und Bestrafung gezogen werden könne. Bei Fröbel handelte das Standgericht in diesem Sinne. Der Auditeur Hauptmann Wolferom fuhr selbst nach Schönbrunn hinaus, um auf Berücksichtigung der „hervorgekommenen Milderungsgründe im Wege der Gnade“ anzutragen. Als ein wesentliches Moment zur Begnadigung erschien Fröbel’s Richtern — beiläufig bemerkt genau denselben Personen, die über Blum urtheilten — „daß Fröbel mit der Elite-Compagnie, zu der er am 26. October eintrat und zu deren Hauptmann ernannt wurde, nur zum innern Stadtdienste behufs der Erhaltung der Ruhe und Ordnung bestimmt gewesen zu sein behauptet, und, nachdem er dessen ungeachtet zur Vertheidigung der Barricaden commandirt worden, sich am zweiten[555] Tage schon zurückgezogen habe, worauf er noch am 28. Abends das Commando und die Waffen ablegte“. Das paßte wortgetreu auf Blum. Auch der andere zu Gunsten Fröbel’s von dem Standgericht hervorgehobene Umstand: „Daß er vor dem Beginn der Feindseligkeiten gegen das k. k. Militair von hier nach Frankfurt zurückkehren wollte, hieran aber durch die Hemmung der Passage gehindert wurde“, kam Blum Wort für Wort zu Gute; denn auch das hatte Blum ausdrücklich betont. Und selbst den hauptsächlichsten Milderungsgrund, den das Standgericht für Fröbel geltend machte, „daß er in seiner politischen Ansicht nach dem Inhalte seiner im Drucke erschienenen Schriften und gehaltenen öffentlichen Reden als gemäßigt sich darstellt“[341], hätte Blum, wenn man ihm hierfür nur ein einziges Wort und Beweismittel vergönnt hätte, leicht auch für sich darthun können. Stand doch Fröbel in Frankfurt weiter links als Blum. Keine von allen diesen Erhebungen erachtete das Standgericht bei Blum für nothwendig.
Vor Allem war das Standgericht aber verpflichtet, die Frage seiner Zuständigkeit Blum gegenüber zu prüfen, nachdem dieser — übrigens gleich beim Beginn, nicht erst am Ende des Verhörs — das Unverletzlichkeitsgesetz vom 30. September für sich angerufen hatte. Es liegt auf der Hand, daß das Standgericht, selbst einschließlich seines Auditeurs — den wir uns[556] höflicherweise (und ohne daß die unter seiner Hand entstandenen Acten irgend eine Vermuthung hierfür erzeugten!) mit juristischer Bildung ausgestattet denken wollen — nicht im entferntesten in der Lage war, diese Frage zu entscheiden, ohne Herbeiziehung des ganzen einschlagenden Materials, das oben S. 531 bis 533 vorgetragen wurde. Dieses Material konnte das Kriegsgericht gar nicht zur Hand haben. Dagegen würde schon eine Anfrage beim Minister Kraus „und allenfalls einem höheren Justizbeamten“, wie Wessenberg dem Fürsten schon am 31. October anempfohlen hatte, dem Standgericht dargethan haben, daß Blum mit vollem Rechte sich auf das Gesetz vom 30. September berufen habe, daß dieses für Oesterreich rechtsverbindlich sei. An dieser Rechtslage vermochte selbstverständlich der Umstand nichts zu ändern, daß das Haupt der Centraluntersuchungscommission, Hipssich, vor den Protesten Blum’s vom 5. und 8. sein Haupt in den Sand gesteckt hatte und sich später zur Rechtfertigung des Urtheils des Standgerichts darauf berief: weder ihm noch durch ihn dem Standgericht sei eine Weisung zugegangen, aus Anlaß dieser Proteste „inne zu halten.“[342] Denn durch den Mangel des Befehls „inne zu halten“ wurde das Standgericht doch noch lange nicht zuständig. Was aber ein unzuständiger Richter urtheilt, ist in aller Welt nichtig: Ein Todesurtheil, das er fällt und vollstreckt, ohne seiner Zuständigkeit gewiß zu sein, ist ein Justizmord.
Ueber allen diesen Erwägungen stand aber endlich noch jenes Bedenken, das in den Augen jedes Rechtsfreundes, nach Recht und Billigkeit, größte Beachtung heischte, und das bei Messenhauser auch volle Würdigung gefunden hat, „als mildernd, wenn gleich nicht im Wege Rechtens, doch im Wege der Gnade“:[557] „die Verwirrung der Begriffe und Grundsätze im Strome der Revolution.“[343] Wer vermochte mit Zuversicht zu sagen: wessen Gebot seit dem 20. October 1848 nach dem strengen Buchstaben des Gesetzes in Wien die größte rechtliche Geltung hatte? War denn jene „Proclamation“ des Fürsten Windischgrätz vom 20. und 23. October, welche jetzt das Grundgesetz für das Standgericht bildete, um danach Gute und Böse zu scheiden, so zweifellos rechtsgültig? Hatte Robert Blum, der Fremde, der Nichtkenner der chaotischen Rechtsverhältnisse Oesterreichs, weniger Anspruch auf Schonung, weil er den Behörden der Stadt und nicht der Proclamation des Fürsten gehorsamte, als Messenhauser, der doch Oesterreicher und sogar Offizier a. D. war und daher weit besser als Robert Blum hätte sollen ermessen können, ob der Feldherr von Lundenburg im Rechte war, oder der Reichstag und Gemeinderath, welche ihrerseits die feldherrliche Proclamation für ungesetzlich erklärt hatten?
Diesen einfachen und überzeugenden Thatsachen gegenüber hat noch jeder Versuch, das Verfahren und Urtheil des k. k. Standgerichts gegen Robert Blum zu rechtfertigen, den Stempel des bösen Gewissens an der Stirn getragen: angefangen von jenem Schreiben des G-M. Hipssich vom 30. November 1848, in welchem er sich selbst bescheinigt, daß der „Vorgang mit Blum und Fröbel während ihrer hierortigen Verhaftung gesetzlich und durchaus loial (!) gewesen“, und von jenen kläglichen auf Bestellung und Besoldung gefertigten Rechtsgutachten an, welche im November 1848 in der offiziellen, offiziösen, halboffiziösen und in der blos erkauften Presse der österreichischen Regierung[558] erschienen[344] — bis schließlich auf Herrn v. Helfert hinunter. Sein Plaidoyer zu Gunsten des Standgerichts besteht aus einer Reihe grober Unwahrheiten, die höchstens beweisen, welcher Mittel die Vertheidiger dieses Gerichtes bedürfen, um Gläubige zu gewinnen. Dieses Plaidoyer beginnt mit der Herrn v. Helfert als unwahr bekannten Behauptung: „Blum wurde einfach darum hingerichtet, weil er nach den bestehenden Gesetzen überhaupt und nach dem Kriegsrecht insbesondere des Todes schuldig befunden worden war.“ Es wird nämlich sogleich gezeigt werden, daß in dem Urtheil nur ein einziges „Gesetz“ und „Recht“, nämlich ein Strafproceßgesetz nahmhaft gemacht worden ist. In dem ganzen „Verfahren“ dagegen ist nicht ein einziges Gesetz erwähnt. Dem „Kriegsrecht“ aber konnte Blum nicht unterstellt werden, weil er nicht mit den Waffen in der Hand ergriffen worden war.[345] Vom „Kriegsrecht“ sprechen auch zudem Verfahren und Urtheil nicht. — Herr v. Helfert schließt dann sein Plaidoyer mit der wissentlich unwahren Behauptung, „die Linke“ habe in Frankfurt am 30. September das Unverletzlichkeitsgesetz „durchzubringen gewußt“, während er an anderen Stellen einräumen muß, daß[559] im Gegentheil die Linke dieses Gesetz zum Theil bekämpft habe![346] Mit einem Anwalt, der solche Kampfmittel wählt, ist nicht zu rechten. —
Schon das mehrerwähnte Schreiben des G-M. Hipssich vom 30. November drückt in der diesem General eigenthümlichen naiven Weise den eigentlichen Kernpunkt der Sache aus: er hatte keine Ordre, bei Blum „inne zu halten“, deßhalb hielt er nicht inne und gab auch dem Standgericht keine Ordre „inne zu halten.“ Wir haben also mit andern Worten kein Gericht vor uns, sondern ein Erschießungs-Peloton in Richteruniform, mit juristischer Munition, das auf Commando das sogenannte Recht lädt, anlegt, abfeuert oder bei Fuß stellt — zu Tode verurtheilt — oder freispricht. Eine solche Erscheinung liegt durchaus jenseits der Rechtssphäre und gehört lediglich dem Gebiete der Gewalt an, wie jede durch die Waffen siegreiche Revolution, mag sie von oben oder von unten kommen. Die Frage, wie sie die erzwungene Gewalt gebrauchen will, ist also keine Rechtsfrage mehr, sondern lediglich eine Frage der Macht, höchstens der politischen Klugheit. Auch unter diesem Gesichtspunkt ist das Verfahren wider Blum oft geprüft worden, zuletzt auch von Helfert. Es bedarf kaum der Versicherung, daß er die That des 9. November auch vom politischen Standpunkt aus untadelhaft findet. Oesterreich habe „damit den großen gewaltigen Eindruck erzielt, daß es kräftig genug sei, nicht mit sich spielen zu lassen, selbständig genug seine eigenen Wege zu gehen.“ Das gerade Gegentheil ist die Wahrheit. Die unseligen Männer, die Oesterreichs Geschicke nach der Wiener Katastrophe in die Hand nahmen, haben durch ihre Mitschuld an Blum’s Tödtung Tausende von Schwankenden in Deutschland[560] glücklicherweise für immer in das preußische Lager getrieben. Einen Staat, der sich mit solcher Barbarei befleckte, konnte man sich seit 1848 unmöglich an der Spitze des reichen deutschen Kulturlebens denken. Bei jeder folgenden Krisis, bei welcher Oesterreich mit Preußen um die Vormacht in Deutschland rang, bis 1866, ist die schmerzliche Erinnerung an das Schicksal Blum’s in dem zähen Gedächtniß des deutschen Volkes aufgetaucht und hat zu Gunsten Preußens mit entscheiden helfen. Und selbst als in einem andern Erdtheil ein edler Sproß des österreichischen Kaiserhauses einem gleich ungerechten Urtheil erlag, als am 19. Juni 1867 Kaiser Maximilian in Queretaro verblutete, mahnte die Stimme des Volkes nicht mit Unrecht daran, daß das schändliche Beispiel zu so unmenschlicher Handhabung des „Kriegsrechts“ zuerst auf der Brigittenau in Wien gegeben worden sei!
Das ganze leichtfertige Proceßverfahren gegen Blum wurde gekrönt durch das wider ihn gesprochene Urtheil, das unmittelbar nach Abführung des Angeklagten vom Standgericht gefällt und noch denselben Abend vom G-M. Hipssich mit den klassischen Worten bestätigt wurde: „Ist kundzumachen und in augenblicklicher Ermangelung eines Freimannes mit Pulver und Blei durch’s Erschießen zu vollziehen.“ Dieselbe rastlose und würdelose Eile, welche bei dem Verfahren hervortritt, entstellt die Hast der Bestätigung. Herr v. Helfert sucht diese ganze Ueberstürzung zu beschönigen durch die Versicherung, daß dieselbe eine Folge des Martialgesetzes gewesen sei. Das ist aber, wie er selbst an Fröbel’s und Messenhauser’s Proceß zeigt, durchaus unrichtig. Nur zwischen Urtheil und Vollstreckung sollten nicht mehr als 24 Stunden liegen. Aber für die erschöpfende Vorbereitung und Prüfung des Belastungsmaterials und für die Fällung des Urtheils war keine Frist vorgeschrieben. Und das Urtheil selbst kennzeichnet sich als ein Machwerk fahrlässiger Hast.[561] Denn es führt selbst die wenigen im Verhör erörterten Thatsachen actenwidrig auf. Es lautet:
„Urtheil,
welches in dem auf Befehl des k. k. hohen Militär-Stadtcommandos in Wien zusammengesetzten permanenten Standrechte mit Einheit der Stimmen geschöpft wurde:
Herr Robert Blum, zu Köln in Rheinpreußen gebürtig, 40 Jahre alt, katholisch, verheuratet, Vater von vier Kindern, Buchhändler zu Leipzig, welcher bei erhobenem Thatbestande[347] durch sein Geständniß[348] und durch Zeugen[349] überwiesen ist, am 23. October l. J. in der Aula zu Wien durch Reden (?) in einer Versammlung zum Aufruhre aufgeregt und am 26. October l. J. an dem bewaffneten Aufruhre in Wien als Commandant einer Compagnie des Elite-Corps thätigen Antheil genommen zu haben — soll nach Bestimmung der Proclamation Sr. Durchlaucht des Feldmarschalls Fürsten zu Windischgrätz vom 20. und 23. October[350], dann nach §. 4 im 62. Artikel der Th. Gerichtsordnung mit dem Tode durch den Strang bestraft werden.
So gesprochen in dem Standrechte, angefangen um halb 6 Uhr Abends, am 8. November 1848.
Cordier, Major, Wolferom, Präses. Hauptmann-Auditor.“
Blum hatte keine Ahnung von dieser Wendung, als er nach halb acht Uhr Abends in seine Zelle zu Fröbel zurückgeführt wurde:
„Ich sah ihn noch einen Augenblick,“ schreibt Fröbel im Briefe an Blum’s Schwester am 22. December 1848. „Er war im Gesicht sehr erregt und ich las aus seinen Zügen, daß ihm der Gang des Verhörs ernste Besorgnisse erregt habe. Er wurde sogleich wieder abgeholt und in ein anderes Gefängnißzimmer gebracht. Als ich ihm die Hand reichte mit den Worten: „auf Wiedersehn!“ antwortete er mir mit langsamen Worten und zweifelndem Tone, denselben Satz wiederholend: „Auf Wiedersehn!“ — Von einem Mitgefangenen, der Gelegenheit fand, mir einige Worte zu sagen, hörte ich, daß Ihr Bruder die Nacht vom 8. auf den 9., nach heiteren Gesprächen ruhig und in festem Schlafe zugebracht. Er war zu einem Polen, dessen Namen ich nicht kenne und zu einem Herrn v. Terzki (auch Tertschanski genannt und unter dem Namen Vilney als Novellenschreiber bekannt) und einem Herrn v. Schlechta gethan worden. Alle vier schliefen im gleichen Zimmer[351].“
Dasselbe erzählt Fröbel in seinen „Briefen“ (S. 51, 56 fg.). —
Wie Herr v. Helfert bereits aus den Tagen der Octoberrevolution eifrig Alles zusammengetragen hat, was Bosheit und Unverstand Blum nach jenen Tagen mit Unrecht schuld gegeben, und wie wir ihn hierbei sogar auf eigenen Verdächtigungen ertappten, so läßt er sich von nun an angelegen sein, das Bild des Sterbenden durch all den Unglimpf zu entstellen, den eine feile und tendenziöse Presse und die Schriften der frohlockenden Feinde Blum’s in einem Menschenalter auf seinen Namen gehäuft haben. So versteht der Edle von Helfert das de mortuis nil nisi bene.[352]
Am 9. November fünf Uhr früh wurde Blum aus gesundem, tiefem Schlafe geweckt und zur Anhörung des Urtheils in eine dritte Zelle abgeführt, in der er allein war. Tief bewegt, doch standhaft und gefaßt vernahm er hier den blutigen Spruch. Nur das Eine konnte er nicht fassen: daß man auf Grund solcher Thatsachen ihn zum Tode verurtheile, und gegen das Unverletzlichkeitsgesetz das Urtheil zu vollstrecken wage. Er äußerte diese Zweifel gegen den Offizier, doch wurde ihm erwidert, daß es voller Ernst sei mit dem Urtheil wie mit der Vollstreckung. Von da an hat Blum, so schwer es ihn ankam, an die Möglichkeit dieses Justizmordes zu glauben, sich in sein Schicksal ergeben. Der Auditeur verließ Blum. An seiner[564] Stelle trat ein Geistlicher ein, Pater Raimund vom Schottenstift. Er war in tiefer Nacht geweckt worden, als eine Ordonnanz am Stift klingelte. Er habe Einen zum Tode vorzubereiten, hieß es. Erst im Stabsstockhause nannte man dem Pater den Namen Robert Blum’s. Er wußte aber, wie wir sehen werden, schon vorher, wem es gelte. Er fand Blum bereits ruhig und gefaßt. „Sie wissen vielleicht“, sagte ihm Blum, „daß ich Deutschkatholik bin; ich glaube daher, daß Sie mir die Ohrenbeichte erlassen werden.“ „Der Geistliche, glücklicherweise ein Mann von Bildung und Einsicht, stimmt vollkommen bei; Blum bittet ihn noch um einige Zeit, da er noch an seine Frau und Kinder und seine Mutter schreiben wolle. Nachdem dies geschehen, sprachen Beide noch viel mit einander, Blum, sehr gefaßt und ruhig, ist erfreut, in dem Geistlichen einen Achtungswerthen zu finden und sagt ihm zuletzt ungefähr: „Es hat mich sehr gefreut in Ihnen zum Unterschiede von leider so vielen Pfaffen, die man in Deutschland findet, einen ehrenwerthen, wahrhaft christlichen Mann kennen gelernt zu haben. Ich möchte Ihnen gern ein Andenken hinterlassen, allein ich habe jetzt nichts hier als meine Haarbürste. Wollen Sie diese von mir annehmen, so machen Sie mir noch eine Freude.“ “[353]
Indessen nicht blos von geistlichen Dingen war in jener[565] ernsten Stunde zwischen beiden Männern die Rede. Der Pater war der Träger der letzten Möglichkeit einer Rettung Blum’s, die menschlichem Ermessen denkbar war.
Als nämlich die politischen Freunde Blum’s in Frankfurt von seiner Verhaftung hörten, was etwa den 6. der Fall war,[567] erklärte Karl Vogt mit seinem richtigen realistischen Instincte den vertrautesten Parteigenossen rund heraus, daß er Blum für verloren halte, wenn derselbe nicht in den Besitz einer Summe Geldes gesetzt werde, die den muthmaßlichen Durchschnittspreis der Ehrlichkeit seiner Wächter erreiche. Wenige Stunden darauf stand Karl Vogt an der Spitze einer kleinen Deputation vor Rothschild und bat ihn, gegen gute Procente die Summe von etwa 3000 Gulden in Robert Blum’s Hände nach Wien gelangen zu lassen. Der alte Amschel schüttelte den Kopf und fand das Geschäft bedenklich. War er doch österreichischer Freiherr. Der jüngere aber fand die Procente des Wagnisses werth und sagte zu. Während die Quittung ausgeschrieben wurde, blieb Vogt allein zurück und bat um Auskunft, auf welchem Wege denn das Geld an den gefangenen Blum besorgt werden solle. Der Börsenkönig wollte lange nicht heraus mit der Sprache. Endlich sagte er flüsternd: „Durch den Prior des Schottenklosters in Wien.“[354] Allein auch diese Hülfe kam nun zu spät. Wer hätte es gewagt, für den zehnfachen Preis dem Fürsten Windischgrätz eine Beute zu entreißen, die man sich in Schönbrunn nun keinesfalls mehr hätte entgehen lassen! In diese Erkenntniß fand Blum sich rasch. Das Geld ist bald nach seinem Tode auf demselben Wege nach Frankfurt zurückgelangt und zu den Sammlungen für die Wittwe und Waisen Blum’s gezogen worden.
Der erste bestimmte Wunsch, den Blum an den Geistlichen richtete, war der nach Schreibmaterial, um seine letzten Scheidegrüße an seine Lieben aufzusetzen.
Der Wunsch wurde sofort erfüllt und Blum schrieb zuerst jenen unvergeßlichen Brief an seine Gattin, in welchem die ganze Gemüths- und Gefühlstiefe, die ganze Seelengröße des Mannes sich ausprägt. So oft dieser Brief auch gedruckt oder in anderer Weise vervielfältigt worden ist, er kann wohl nie zu oft mitgetheilt und gelesen werden. Er lautet:
„Mein theures, gutes, liebes Weib, lebe wohl! wohl für die Zeit, die man ewig nennt, die es aber nicht sein wird. Erziehe unsere — jetzt nur Deine Kinder zu edeln Menschen, dann werden sie ihrem Vater nimmer Schande machen. Unser kleines Vermögen verkaufe mit Hilfe unserer Freunde. Gott und gute Menschen werden Euch ja helfen. Alles, was ich empfinde, rinnt in Thränen dahin, daher nur nochmals leb’ wohl, theures Weib! Betrachte unsere Kinder als theures Vermächtniß, mit dem Du wuchern mußt, und ehre so Deinen treuen Gatten. Leb’ wohl, leb’ wohl! Tausend, tausend, die letzten Küsse von Deinem
Robert.
Wien, den 9. November 1848.
Morgens 5 Uhr, um 6 Uhr habe ich vollendet.
Die Ringe hatte ich vergessen; ich drücke Dir den letzten Kuß auf den Trauring. Mein Siegelring ist für Hans, die Uhr für Richard, der Diamantknopf für Ida, die Kette für Alfred, als Andenken. Alle sonstigen Andenken vertheile Du nach Deinem Ermessen. Man kommt! Lebe wohl! wohl!“
An Carl Vogt schrieb er:
„Ein Sterbender empfiehlt sich Dir und allen deutschen Freunden meiner armen Familie. Sie hatten nur mich als Ernährer. Tragt Eure Liebe für mich auf sie über, dann sterbe ich ruhig. Allen ein tausendfaches Lebewohl!
Blum.
Wien, den 9. November früh ½ 6 Uhr.“
An C. Cramer in Leipzig schrieb er:
Lieber Freund!
„Es ist 5 Uhr und um 6 werde ich erschossen. Also nur zwei Worte: Lebe wohl, Du und alle Freunde. Bereite meine Frau langsam[569] vor[355] auf das Geschick des — Kriegs. Schreibe Günther meinen letzten Gruß. Ich sterbe als Mann — es muß sein. Lebt wohl! Lebt wohl!
Wien, den 9. November 1848.
Blum.“
Endlich fand sich bei Blum’s Sachen, die einige Wochen später in Leipzig anlangten, folgender Zettel von seiner Hand:
„Meine Frau heißt Eugenie Blum, Eisenbahnstraße Nr. 8. Es versteht sich von selbst, daß sie meinen Nachlaß erhält, sie hat nichts. Sachen liegen noch in der Stadt London. Ein herzliches Lebewohl mit diesen Zeilen an Fröbel, er soll bei der Rückkehr in Frankfurt a. M. grüßen, auch meine Frau und Kinder besuchen.
Blum.“
Die Stunde war gekommen, wo Blum seine letzte Fahrt antreten sollte. Es war nach sechs Uhr. Er stieg in den Wagen, Pater Raimund und Lieutenant Anton Pokorny mit ihm. Drei Jäger auf dem Kutschbock, drei hinten auf dem Wagen. Eine Abtheilung Cavallerie zu beiden Seiten des Wagens. Es war ein langer Weg bis zur Brigittenau. Die grausame Verlängerung der Todesstunde preßte Blum mehrmals die Frage aus, ob dies wirklich der Weg zur Brigittenau sei? Dann aber sprach er wieder ruhig zum Geistlichen, zum Offizier. Als eine Frühglocke ertönte, fühlte er sich in seine erste Kindheit versetzt, da er Meßknabendienste verrichtete und seiner armen Mutter hatte verdienen helfen und er sprach das gegen Pater Raimund aus. Dann dachte er immer schmerzlicher bewegt seiner eigenen bald verwaisten Kinder, die er so sehr liebte. Wiederholt hielt er seine Hände vor die Augen und schluchzte: „Meine Frau, meine Kinder“ — das Gedenken[570] an sie machte ihm das Sterben am schwersten. Dann aber schüttelte er wieder den Schmerz und die Wehmuth ab und sprach fest: „Nicht der Abgeordnete Blum weint, nur der Gatte und Vater!“
Bis zur Reiterkaserne der Leopoldstadt war man jetzt gekommen. Hier wollte man Blum, wie üblich[356], Ketten anlegen. Er sträubte sich dagegen und sprach: „Ich will als freier deutscher Mann sterben. Sie werden mir auf mein Wort glauben, daß ich nicht den lächerlichen Versuch machen werde, zu entkommen. Verschonen Sie mich mit Ihren Ketten!“
Von hier an begleitete eine sehr starke Militaireskorte — gleichzeitige Berichte sprechen von 2000 Mann — den Todeswagen. Neugier und furchtsames Erstaunen führten manchen Bürger hinter den Spuren des düsteren Zuges drein.
Gegen halb acht Uhr Morgens hielt der Zug an dem zur Richtstätte erlesenen Platze in der Brigittenau, damals einem Militairschießplatz mit Kugelfängen und einigen Bretterhütten. Im Hintergrunde in weitem Bogen Erlen und Weiden und im Frühnebel dämmerndes Gebirge.
Blum stieg aus dem Wagen. In der Militairmasse angelangt, fragt er den Offizier, wer ihn erschießen werde. „Jäger“, lautet die Antwort. „Nun, das ist mir lieb“, sagt Blum, „die Jäger sollen gut schießen. Ich habe von ihnen ein Merkmal.“ Dabei hob er den linken Arm, um zu[571] zeigen, wo ihn die Streifkugel am 26. October berührt hatte.[357] Die Jäger und Blum mit dem Geistlichen bekamen ihren Platz angewiesen. Die wenigen Zuschauer standen in einiger Entfernung. Das Urtheil wurde noch einmal verlesen. Der Profoß bat in üblicher Weise mechanisch dreimal um das Leben des Verurtheilten. Ein starres Nein war dreimal die Antwort. Blum erhielt den Befehl, sich bereit zu machen. Man wollte ihm die Augen verbinden. „Ich möchte dem Tode frei in’s Auge sehen“, sagt er. Der commandirende Offizier aber ersucht ihn, das Verbinden der Sicherheit der Schützen wegen geschehen zu lassen.
Da schlingt Blum die Binde selbst um das Auge, stellt sich vor das Peloton und ruft laut: „Ich sterbe für die Freiheit, möge das Vaterland meiner eingedenk sein!“ Der Offizier gibt das stumme Zeichen. Drei Schüsse krachen zugleich. Sie haben Haupt und Herz des deutschen Mannes durchbohrt, er sinkt rücklings und verblutet — eine Leiche, einen Tag vor seinem einundvierzigsten Geburtstage.[358]
Unbarmherzig hatten die wilden Novemberstürme die letzten Blätter herabgerissen und dahingewirbelt, die einst in hoffnungsreichem Grün der Frühlingssonne des Jahres 1848 entgegenrauschten.[573] Entblättert und stöhnend im Wintersturm stand der stolze Stamm der deutschen Eiche.
Wie nächtliche Windsbraut grollte die Kunde über Deutschland: Am 9. November sei der Staatsstreich in Berlin vollzogen worden, General Wrangel eingerückt, die preußische Nationalversammlung gesprengt.
Aber weit aufregendere Kunde folgte nach. Am 13. November wußte man in Sachsen und Preußen, am 14. in Frankfurt: Robert Blum sei am 9. in der Brigittenau standrechtlich erschossen worden.
Nie werde ich die Nacht vergessen, die dem Tage folgte, an dem ich mit sieben Jahren erkannte, was es heißt, den Vater plötzlich durch gewaltsamen Tod zu verlieren. Schlaflos hörte ich, wie vor dem Hause, vor dem ein Vierteljahr zuvor Tausende im Fackelglanz, Blum zujubelnd, vorübergezogen waren, in der tiefen dunkeln Nacht viele, viele Männer nun abermals vorüberzogen, am Heim ihres Todten, und den Namen des Mannes riefen, der ihnen bei Lebzeiten der liebe, untrügliche Führer gewesen. „Blum ist todt! Blum ist todt!“ riefen sie in allen Tönen des Schmerzes und der Rache. Und der Novembersturm setzte die Klage wehmüthig fort, als ihre Schritte verhallt waren.
Durch ganz Deutschland zitterte die schmerzliche Klage. Nie hatte das deutsche Land die Ohnmacht seiner Lage, den jähen Niedergang seiner schönsten Hoffnungen so hart empfunden, wie in diesen Tagen! Jede der deutschen Versammlungen fast hat sich damals mit der Frage beschäftigt, wie Blum’s Tod an den Schuldigen zu rächen sei; was man thun[575] müsse, um dem verletzten Ansehen des Reichsgesetzes Genugthuung zu bieten wie man den Schimpf, den die ganze Nation durch die Tödtung ihres unverletzlichen Vertreters erfahren, ahnden könne? Aber ein Narr wartete auf Antwort. Nicht eine einzige dieser Versammlungen hat ihre Absicht durch eine That zu krönen vermocht.
Voran ging die Paulskirche. Alle Parteien traten hier einmüthig zusammen, um die Rechte und Freiheiten des Parlaments gegen die Willkür der Wiener Landsknechte zu schützen! Fast einstimmig wurde am 16. November der Beschluß gefaßt: „gegen die Tödtung des Abg. Robert Blum feierliche Verwahrung einzulegen und das Reichsministerium zur Bestrafung der mittelbaren und unmittelbaren Schuldtragenden aufzufordern“. Aber irgend einen nennenswerthen Erfolg hatte dieser Beschluß nicht. Selbst die vom Parlament Anfangs beschlossene Todtenfeier für Blum scheiterte an dem nach der ersten Bestürzung und der ersten pietätvollen Regung wieder übermächtig hervortretenden Parteihader. Und schadenfroh durfte der höhnische Schmerling in die Versammlung rufen: „Wer sich in Gefahr begibt, kommt darin um!“
In Preußen verlangte der ehrwürdige Waldeck Sühne für den Mord der Brigittenau. In jedem Einzellandtag regte sich das Gefühl der Solidarität der in Blum vergewaltigten Gerechtsame der Abgeordneten.
Am tiefsten und schmerzlichsten war die Aufregung in Sachsen, dem Lande, in dem der Todte die größte Wirksamkeit seines Lebens entfaltet hatte. Auch hier einigten sich alle Parteien, alle Stände, von der Regierung bis zum schlichten Arbeiter, zu einstimmiger Verurtheilung der That. In Leipzig traten schon am Nachmittag des 13. November die Stadtverordneten zu einer außerordentlichen Sitzung zusammen und beschlossen[576] gemeinsam mit dem Rath drei Adressen, an die Reichscentralgewalt, an die Nationalversammlung in Frankfurt und an das Gesammtministerium in Dresden zu richten,[359] auch die Adresse in Frankfurt durch eine besondere Deputation übergeben zu lassen. Am nämlichen Tag fand eine stürmische Trauerversammlung statt in der Thomaskirche, die der Rath eingeräumt hatte und die mit umflorten Vereinsfahnen angefüllt war. In der Nacht wurden durch eine empörte Volksmenge das österreichische Consulatswappen herabgerissen und zertreten. Am 14. November folgte eine ungeheure Volksversammlung im Leipziger Odeon. Die Rede hielt Professor Flathe, auch Joseph und Schaffrath sprachen. — In Dresden fanden ähnliche Vorgänge statt. Am 13. faßten die sächsischen Kammern den Beschluß: „die Königliche Regierung anzugehen, den sächsischen Gesandten in Wien zur strengen Rechenschaft zu ziehen.“ Am 16. folgte die Stadtverordnetenversammlung mit dem Beschlusse: „die Staatsregierung wolle den sächsischen Gesandten am österreichischen Hofe sofort zurückberufen und über sein Verhalten bei Robert Blum’s Verhaftung zur Verantwortung ziehen, schleunigst die Actenstücke einfordern und bekannt machen, und bei der Centralgewalt entschiedene Schritte für die nothwendige Genugthuung beantragen.“ Am 18. November erschien im offiziellen Dresdner Journal eine Bekanntmachung des Gesammtministeriums vom 17., in welcher die Regierung erklärte: „sie erkenne die inhaltsschwere Bedeutung dieses traurigen Ereignisses, sowie die Pflichten, welche es ihr auferlege, und sie werde sie erfüllen.“ Am 19. fand eine außerordentliche kirchliche Todtenfeier in der Frauenkirche statt. Minister Oberländer ging mit im Zuge, der 8–9000 Personen zählte, Minister v. d. Pfordten wohnte der Feier in der[577] Kirche bei. Diakonus Pfeilschmidt sprach von der Kanzel über die Worte Jesu: „Ich bin nicht allein bereit, mich binden zu lassen, sondern auch zu sterben.“
Doch wer könnte sie erschöpfend aufzählen alle jene unzähligen Anträge, Schritte und Aussprachen von Behörden aller Art, welche Sühne für Blum’s Tödtung heischten? Was der Todte dem ganzen Volke gewesen, erkannte schmerzlich bewegt Freund und Feind.
Noch gewaltiger und ergreifender aber äußerte sich die Todtenklage der schlichten Volksseele. Treffend schreibt Gustav Kühne:[360] „Keinem Helden, der auf dem Felde der Ehre, keinem Dichter, keinem Genius irgend welcher Art, der für Deutschlands Ruhm verblutet, keinem Könige und Fürsten hat noch je deutsches Volk so im Tode gehuldigt.“ In Hunderten von Volksversammlungen forderten Millionen deutscher Männer Sühne für das begangene Verbrechen: Alle umsonst; denn wir waren ein ohnmächtiges Volk. Wie ohnmächtig wir waren, ergibt am besten folgender Vorgang. Als die deutschen Reichscommissare Paur und Pözl, welche zur Ausführung des über Blum’s Hinrichtung am 16. November in der Paulskirche gefaßten Beschlusses nach Wien gesendet worden, den bösen Willen und das böse Gewissen Oesterreichs endlich in einer Denkschrift brandmarkten, schrieb dagegen der österreichische Bevollmächtigte in Frankfurt an das Reichsministerium: daß man zu Wien sich der Hoffnung hingebe, „es werde das Reichsministerium sich mit dieser erschöpfenden (!) und jedenfalls letzten Entgegnung der k. k. Regierung in Betreff der in Rede stehenden Hinrichtung definitiv beruhigen!“ —
In rührendster Weise zeigte sich, wie herzlich das Volk an dem Erschossenen gehangen. In Mannheim und Mainz flaggten[578] alle Schiffe schwarz, Todtenfeiern fanden überall statt. Reich waren im Vergleich zu der damaligen Armuth unseres Volkes die Sammlungen für Blum’s Hinterlassene zu nennen. Manches schöne Gedicht hat die Erregung der schmerzlichen Kunde geboren, keines schöner als Freiligrath’s „Blum“:
Wir haben heute erreicht, was Robert Blum erstrebte, und bei seinem Tode unerfüllt sah; wir haben es erreicht, in anderer Weise, als er dachte; anders, als auch unter uns viele erwarteten. Einem Manne danken wir vornehmlich die Verwirklichung unserer nationalen Einheit. So mag denn dieses Mannes Urtheil über Robert Blum diese Lebensgeschichte beschließen.
Am 23. Mai 1870, nach einer Sitzung des Reichstags, in der mich die Herren Socialisten beschimpft hatten, weil[580] durch meine Stimme das Strafgesetzbuch mit zu Stande gekommen war, ersuchte mich der Bundeskanzler, Graf Bismarck, in sein Cabinet zu kommen.
Er reichte mir seine Rechte und sagte: „Lassen Sie uns in dieser Stunde, von der ich hoffe, daß sie für ganz Deutschland segensreich sein wird, ein Bündniß schließen“ — ich stutzte — „ein Bündniß,“ sagte er mit feinem Lächeln — „nicht zu Gunsten eines von uns oder eines Lebenden — sondern zu Gunsten eines Todten. Sie werden erkennen, was ich meine. Wenn es den Herren Socialisten wieder einfallen sollte, Ihren Vater herabzuwürdigen dadurch, daß sie ihn für einen der ihrigen ausgeben, so verfügen Sie über die Macht, die ich besitze, namentlich etwa in der Presse, um dies Bild rein zu halten. Ihr Vater war sehr liberal — er würde auch heute, wenn er noch lebte, sehr liberal sein. Aber er war auch gut national.“
W. Schuwardt & Co. Leipzig.
[1] Namentlich ist das Ungenügende der bisherigen Biographieen handgreiflich. Ich übergehe die Aufzählung der kleineren biographischen Arbeiten über Blum, die sich in Zeitschriften, Lexicons &c. zerstreut finden. Aber auch die größeren Versuche dieser Art leiden an zwei Hauptfehlern. Sie sind sämmtlich unmittelbar nach der Revolution und insgesammt vom radicalsten, parteiischsten Standpunkt aus geschrieben. Und sie sind geschrieben, ohne daß den Verfassern — mit Ausnahme der Wiener Briefe Blum’s an seine Frau, einiger seiner Gedichte, Zeitungsartikel, Broschüren und Reden, — eine einzige Mittheilung oder Aeußerung Blum’s über sich selbst oder Mittheilungen seiner Angehörigen über ihn zur Verfügung gestanden hätten. Der reiche Schatz handschriftlicher Aufzeichnungen, den Blum hinterlassen, und der zwar keine Selbstbiographie, wohl aber überall die wichtigsten Fingerzeige für die Geschichte seines Lebens enthält, der überaus interessante Briefwechsel Blum’s mit den Seinen, den Freunden u. s. w. wurde von jenen früheren Biographen völlig unbenützt gelassen. Selbst die historischen Quellen, welche uns heute über die wichtigsten Jahre in Blum’s Leben, namentlich über das Jahr 1848 zu Gebote stehen, waren damals zum großen Theil unerschlossen. Die Titel jener früheren biographischen Versuche sind:
„Das Buch von Robert Blum. Ein Denkmal seines Lebens und Wirkens von Eduard Sparfeld, eingeführt durch Franz Rauch, Pfarrer der christ-kathol. Gemeinde zu Leipzig. Leipzig, 1849. Im Selbstverlag des Verfassers und in Commission bei H. Matthes,“ 96 Seiten. Völlig werthlos. — „Robert Blum als Mensch, Schriftsteller und Politiker von Arthur Frey. Mit einem Portrait Robert Blum’s. Mannheim, J. P. Grohe. 1849. 216 Seiten.“ Der Verfasser steht auf dem Standpunkt der äußersten Linken. Das Büchlein gibt eine Anzahl Zeitungsartikel, Briefe und Reden Blum’s im Wortlaut. — „Robert Blum. Sein Leben, sein Wirken. Ein Buch für das Volk, nach den besten Quellen bearbeitet von Adolph Streckfuß.“ Enthält interessante, nur leider durchaus beweislos gelassene und nach der parteiischen Schreibweise des Verfassers wenig glaubhafte Details aus den Leipziger Augusttagen, den Jubelwochen der Revolution und den Frankfurter Septembertagen. Im Uebrigen breiter, gedankenarmer Schwatz. Alle diese Biographen berichten über die Jugend Blums fast wortgetreu dasselbe und beschränken sich betreffs der parlamentarischen Wirksamkeit ihres Helden auf einige gesinnungstüchtige Phrasen.
[2] In den Familienaufzeichnungen, denen ich hier folge, und welche in der Hauptsache von der Schwester Robert Blum’s, Frau Margaretha Selbach geb. Blum in Köln herrühren, werden sogar ausdrücklich die „Lehren des Professor Hermes“, wird E. Blum ein „Hermesianer“ genannt. Da jedoch die erste epochemachende Schrift dieses Gelehrten erst 1805 erschienen ist und Hermes nur fünf Jahre älter war (geboren 1795) als Engelbert Blum, so ist das jedenfalls ein Irrthum, zumal da Hermes niemals persönlich als Lehrer oder sonstwie auf die Schüler jenes Kölner Gymnasiums eingewirkt hat.
[3] Treitschke, die Anfänge des Zollvereins, Preuß. Jahrb. 30. Band. S. 897 fg.
[4] Das „Reisejournal“ verzeichnet hier, charakteristisch genug, nur Orte und Meilendistanzen ohne jede Bemerkung.
[5] Das älteste Heftchen dieser Art trägt den stolzen Titel: Mémorial analytique de mes recettes et dépenses pour les ans 1828, 29 et 30. Von da an bis 1848 liegen von Blum eigenhändig geschriebene Jahreshefte über seine Einnahmen und Ausgaben vor, von der Leipziger Zeit (1832) an auch fast sämmtliche Belege über die Ausgaben. Hierauf beruhen, wo nicht andere Quellen angegeben sind, meine Angaben über die finanziellen Verhältnisse Blums.
[6] Dem Reisejournal wird im Nachstehenden in allen Zeitangaben u. s. w. gefolgt, während das „Mémorial“ die finanziellen Verhältnisse Blum’s klar legt.
[7] In dem schon erwähnten Mémorial analytique.
[8] Die bei weitem billigeren Preise jener Jahre sind dabei schon berücksichtigt. Die Sächsische Gesindeordnung von 1835 setzt den Unterhalt für einen rechtswidrig entlassenen Dienstboten auf 1 meißn. Gülden (zwei Mark dreiundsechszig Pfennig) pro Woche fest. Viel mehr dürfte Robert Blum damals (1830) auch nicht zu verzehren gehabt haben.
[9] Der Titel lautet: „Kurze Abhandlung über die Straßenbeleuchtung zum Gebrauche (!) der städtischen Polizei- und Verwaltungsbehörden, nebst einigen Erläuterungen über das allgemeine Unternehmen der Straßenbeleuchtung“ von R. Blum (Preis 10 Sgr.), Berlin bei Leopold Wilhelm Krause, Adlerstraße Nr. 6. 1829.
[10] Große, Gesch. Leipzigs, 2. Band S. 704, berechnet 32 Einwohner auf ein Haus (1840).
[11] Auch R. Wagner lebte bis 1824 hier.
[12] Heutzutage freilich ist in diesem Blatte von einer literarischen Fundgrube nichts mehr zu entdecken.
[13] Bekanntlich hat die Sächsische Regierung vor zwei Jahren die trefflich rentirende Bahn angekauft und dabei jede Actie von hundert Thaler Nominalwerth mit eintausend Mark 3%iger Sächsischer Rente entschädigt.
[14] Z. vergl. die gedruckten Protocolle dieser Generalversammlungen 1842 bis 1846.
[15] Dem späteren König Friedrich August von Sachsen.
[16] Extra-Beilage zum Leipziger Tageblatt 30. Nov. 1835.
[17] Er selbst rauchte damals Zigarren zu 40 Pfennigen 25 Stück.
[18] Leipzig, Verlag von Robert Blum & Comp. 1848. I. Band. S. 369, 370.
[19] Selbst die Brockhausische Leipziger Allgemeine bezog in den ersten Jahren ihres Bestehens eine große Anzahl offiziöser Mittheilungen. Vgl. Wigand’s Vierteljahrsschrift 1845.
[20] Große, Geschichte Leipzigs S. 686.
[21] Zeitung für die elegante Welt, 13., 14., 16. November 1837.
[22] A. Springer, Dahlmann, 2 Thl. S. 22 fg.
[23] Damals war der Bruch zwischen den Freunden noch nicht erfolgt.
[24] Für Spiritisten und andere Menschen, die ungewöhnliche, krankhafte Seelenfunctionen gern zum Gegenstand ihres Nachdenkens machen, lasse ich die wesentlichsten Stellen dieser Niederschrift im Wortlaut folgen. (Die Worte „Er“, „Sie“, sind von mir hinzugefügt.)
Er. „Adelheid, endlich sehe ich Dich wieder!“
Sie. „Endlich? scheint Dir das so lange! Du weißt und ich habe Dir’s gesagt, daß wir uns nur selten, und immer seltener sehen können. Du mußt mich vergessen.“
Er. „Das kann ich nicht. Warum kommst Du nicht öfter? Mußt Du auf ein Glück, auf die Seeligkeit verzichten, wenn Du kommst?“
Sie. „Lieber Robert, die Begriffe von Glück und Unglück sind mit unserer Existenz und ihrer Gestaltung verwachsen. Ich habe keinen Maßstab für Dein Gefühl, Du keinen für das meinige.“
Er. „Kannst Du Dir die Möglichkeit der Vertauschung Deines jetzigen Zustandes mit einem früheren denken?“
Sie. „Ich würde gern noch mit Dir leben und wäre glücklich.“
Er. „Es giebt also eine Fortdauer? Eine Fortdauer mit Bewußtsein?“
Sie. „Robert, Dein Wissen geht nicht über die Grenzen Deiner jetzigen Existenz. Forsche nicht nach Dingen, die jenseits liegen.“
Er. „Um meiner Ruhe willen, gib mir eine bestimmte Antwort! Meine Zweifel können ja Frevel sein.“
Sie. „Dein Zweifel, der in Deiner mangelhaften Natur begründet ist, stört den ewigen Gang der Wesen nicht. Die Skepsis ist eine Frucht der menschlichen Schwäche und der Eitelkeit; sie leugnet die Dinge, die sie nicht begreift, deren Ahnung sie indessen nicht verbannen kann. Laß diese Fragen und wenn es Dich freut mich zu sehen, so grüble nicht die kurze Zeit, die uns vergönnt ist.“
„(Hier ist eine Lücke, nicht unbedeutend in der Zeit, von der ich gar keine Erinnerung habe, als daß wir zusammen verkehrten, traulich und herzlich, doch ohne irgend einen Anflug von Heiterkeit.)“
Er. „Seh’ ich Dich wieder? und wann? —“
Sie. „Du wirst mich wiedersehen.“
Er. „Aber wann? wann?“
Sie. „Das kann ich Dir nicht sagen. Du wirst mich ganz von Dir stoßen, Robert. Du willst wissen, wo Du nur ahnen kannst. Der Versuch zu wissen, zerstört die Ahnung für immer. Ich muß nun fort ... Robert, weine nicht! Du weißt ja, daß ich scheiden muß! Wende Dich ab von einer Lebensphase, die nun einmal ganz vollendet ist, und richte Dich auf das Leben, das noch viele Ansprüche an Dich hat.“
„(Hier ist wahrscheinlich eine kleine Lücke; wenigstens ist der Moment wie die Art der Entfernung gänzlich verschwommen. Auf meiner Uhr schlug es Eins, als ich mich sitzend mit nassen Augen im Bett fand. Ein Lichtschimmer war mir aus dem Traume geblieben; als ich ihn verfolgte, war es ein einzelner Stern, der vor dem Fenster stand, woraus hervorgeht, daß meine Augen geöffnet waren.)“
„Niedergeschrieben in der Nacht vom 11. bis 12. November 1838.“
„Erste Erscheinung am 24. September; zweite am 1. October.“
[25] Von den Schwiegereltern fort.
[26] Nach § 1 b des Verlagsvertrags 7½ Druckbogen.
[27] „Die Eroberung von Mantua.“ Zeitung für die Eleg. Welt. Nr. 172–187. (3. bis 15. Sept. 1838).
[28] Auch von ihr hat Maler Storck Mitte 1840 ein lebensgroßes Brustbild gemalt, welches gleichfalls bekundet, wie wenig diesem Meister die Kunst des Schmeichelns eigen war.
[29] Noch im Jahre 1848 schrieb Fanny Lewald über Blum, er habe etwas dämonisch Anziehendes in seiner Natur.
[30] Auch vom Rechtsstandpunkte aus waren diese Verlangen durchaus unbegründet.
[31] Hier, wie überall, wo nicht das ganze urkundliche Material mitgetheilt werden konnte, bin ich bestrebt gewesen, ohne alle Tendenz und vorgefaßte Meinung dasjenige herauszuheben, was den Mann am besten zeichnet. Namentlich ist nirgendwo etwa eine Aeußerung unterdrückt worden, die ihn und insbesondere seine politischen Ansichten, in einem anderen Lichte erscheinen lassen könnte, als die von mir ausgewählten Aeußerungen Blum’s.
[32] Der verfassungsbrüchige König von Hannover.
[33] So schreibt er am 17. Juni 1846 an Johann Jacoby: „Meine Pflicht legt mir auf, Sie zu benachrichtigen, daß die im Mai v. I. beschlossene Familienconferenz im August und zwar auf dem Gute meines alten Onkels Hallgarten bei Oestrich am Rhein“ (bei Adam v. Itzstein), „stattfindet, und Sie einladen, derselben beizuwohnen, oder irgend einen Verwandten zur Theilnahme zu veranlassen. Die Erscheinungen gerade der letzten Zeit haben die Nothwendigkeit eines innigeren und festeren Zusammenhaltes, eines gemeinsamen und gleichmäßigen Handelns dargethan; sofern man — woran ich kaum zweifle — einig darüber ist, daß der bisherige Weg keine Früchte bringt oder verspricht, wird man gemeinsam einen anderen suchen oder den bisherigen fruchtbar machen, vor allen Dingen aber an die Herbeischaffung von Mitteln zur Hebung und Förderung des Geschäfts denken müssen.... Die Einrichtung ist so, daß der 8. August als Versammlungstag, der 9. und 10. aber als Berathungstermin bestimmt sind.“
[34] Auch Th. Flathe, Gesch. v. Sachsen, 3. Band S. 525 gibt dieser Zusammenkunft diese Auslegung.
[35] Mithin nahmen auch Voigtländer Parteigenossen an der Versammlung Theil.
[36] Da Böhler’s keine Literaten, sondern Fabrikanten waren, so wird auch hier die S. 136 ausgesprochene Vermuthung bestätigt, daß Alles, was in den Briefen an Eugenie auf literarische Zwecke bei diesem Unternehmen und seiner Theilnehmer hindeutet, fingirt ist.
[37] „In der Ueberzeugung, daß jene Rechtsfrage schon in der Bundesversammlung ihren Richter finden werde.“ Flathe a. a. O. S. 522.
[38] Flathe, a. a. O. S. 526.
[39] a. a. O. S. 689.
[40] Zu vergleichen „Bericht über das Entstehen, die Zwecke und die bisherige Wirksamkeit des Leipziger Literatenvereins. Vorgetragen in der 18. Versammlung des Vereins den 30. April 1842.“
[41] Flathe a. a. O. S. 526.
[42] Gesammelt in dem Gedenkbuch an Friedr. Schiller, das 1855 der Schillerverein bei Th. Thomas in Leipzig herausgegeben.
[43] Vergleiche z. B. Flathe a. a. O. S. 545 flg. 578.
[44] Anspielung auf den Verfassungsbruch in Hannover 1837.
[45] Anspielung auf den bekannten Toast des Erzherzogs Johann von Oesterreich.
[46] Es ist das Verdienst der Erstlingsschrift von Karl Braun, diesen Irrthum nachgewiesen zu haben.
[47] So schreibt Blum am 5. Januar 1845 an Jacoby: „Morgen haben wir hier eine Versammlung der Gesinnungstüchtigen“ (Abgeordneten) „um unsere Operationen für die einzelnen Wahlen sowohl, als für die Haltung in und außer der Kammer im Allgemeinen zu besprechen und feststellen, soweit sichs thun läßt.“
[48] Den ich der Güte des Herrn Dr. Wittig in Leipzig verdanke.
[49] Die Redaktion sagt zum Taschenbuch von 1844: „Für den vorigen Jahrgang gab uns ein süddeutscher bekannter Dichter ein Gedicht „Der arme Gaul“, welches wir leider nicht mittheilen konnten. Da dasselbe jedoch später vielfach bekannt geworden ist, glauben wir uns hier wohl darauf beziehen zu können, da den Dichter zu nennen uns nicht vergönnt ist.“ Die Gedichte dieses Mitarbeiters stellt die Redaktion immer oben an.
[50] Das Taschenbuch wurde 1843, 1845, 1846, 1847, ausgegeben. 1844 erlag es der frischen, fröhlichen Reaction.
[51] Zu vergleichen über das Folgende Flathe a. a. O. S. 528 flg. Die Gegenwart, 5. Band, das Königreich Sachsen (v. 1831 bis März 1849.) S. 574 flg. Ein sehr lehrreicher Aufsatz, wahrscheinlich von Biedermann. (Brockhaus 1850.)
[52] Ges. vom 5. Februar 1844.
[53] Braun bestimmte 1851 die Erträgnisse dieser Sammlungen zu einer Stiftung für arme Leidende in Bad Elster und bestritt alle diese Reisen aus eigenen Mitteln. (Flathe, a. a. O. S. 534).
[54] Ergangen bei dem Vereinigten Criminalamt der Stadt Leipzig. Rep. I. Nr. 6664, 1843.
[55] Das gelang erst ein Jahr später.
[56] Gretchen war Lehrerin.
[57] Beilage zu Nr. 26. der Sächs. Vaterl.-Bl. 1845.
[58] Rede am Grabe des Herrn Joseph Della Porta von Robert Blum. Leipzig, Robert Friese, 1845.
[59] Zu vergl. Biedermann, Sächs. Zustände, S. 309 flg. in der von ihm herausgegebenen „Unsere Gegenwart und Zukunft,“ 1846 Leipzig. Gustav Mayer.
[60] Flathe, a. a. O. S. 539.
[61] Die von mir über die Leipziger Augustereignisse benutzten Quellen sind: die Sächs. Landtagsmittheilungen v. 1845/46. — Das Leipziger Tageblatt vom 14. August 1845 an (Leipziger Rathsbibliothek). — Eduard Hermsdorf, Mittheilungen aus den Plenarverhandlungen der Stadtverordneten zu Leipzig, 2. Band, 2. Heft, Jahr 1845. Leipzig, Fest’sche Buchhandlung, 1846, S. 38 flg. — Biedermann, Sächs. Zustände a. a. O. S. 338–351. — Deutsche Allgemeine Zeitung, 1845 v. 14. August an. — Dr. Carl Krause, der 12. 13. 14. und 15. August 1845 in Leipzig, Leipzig, Hoßfeld, 1845. — Die Opfer des zwölften August, Leipzig, Pönicke, 1845. — Die Leipziger Augustnacht (12. August 1845) und die Verhandlungen der gegenwärtigen sächsischen Ständeversammlung über dieselbe, nebst dem Deputationsberichte der Kammer, allen Actenstücken und einem Situationsplan. Leipzig, Pönicke, 1846. — Bekanntmachung des Köngl. Sächs. Ministeriums des Innern, das Ergebniß der commissarischen Erörterungen über die am 12. August 1845 in Leipzig stattgefundenen Ereignisse betreffend. Nebst Beilagen. Mit höherer Erlaubniß. Nebst Situationsplan. Leipzig, B. G. Teubner 1845. — Die letzten vier Schriften sind auf der Leipziger Stadtbibliothek sehr verständig in einem Bändchen (H. Sax. 226 p. 6) vereinigt worden. Weitere Quellen finden sich im Text nachgewiesen.
[62] Bei Darstellung der Ereignisse vom 12. August folge ich nur den officiellen Berichten.
[63] Officielle Bekanntmachung des Ministeriums (letzte der S. 187 namhaft gemachten Schriften) S. 16.
[64] Landtagsmittheilungen über die Sitzung der 2. Kammer am 14. Mai 1846.
[65] Offizieller Bericht S. 29.
[66] Diese Details sind dem Leipziger Tageblatt vom 14. August 1845 an entnommen.
[67] Offizieller Bericht, Anlage ⊙ (Zeitberechnung der Ereignisse des 12. August).
[68] Offizieller Bericht, S. 43.
[69] D. Allg. Ztg. v. 15. August 1845.
[70] Ebenda.
[71] Flathe, a. a. O. S. 545.
[72] a. a. O.
[73] In dem Aufsatz „das Königreich Sachsen“ 1830–49. Gegenwart, Band 5 S. 585 heißt der Ausdruck: Blum habe erklärt, dem Stadtrath „die Majestät des Volkes zeigen zu wollen.“
[74] „Die Opfer des 12. August“ S. 8. D. Allg. Ztg. a. a. O.
[75] D. Allg. Ztg. a. a. O.
[76] „Generalanzeiger für Deutschland,“ Leipzig, den 15. Aug. 1845. — Unsere Gegenwart und Zukunft, Sächs. Zustände. Biedermann, S. 340. — „Die Opfer des 12. August“ S. 14
[77] Das siebente Opfer wurde erst Nachmittags beerdigt.
[78] Der König gab also in seiner vom 15. August datirten Antwort selbst zu, daß noch Dunkel über den Vorgängen vom 12. August liege. Herr v. Langenn dagegen erklärte gleichzeitig, die Regierung werde „ihre Organe vertreten“, sie hätten „nach dem Gesetz gehandelt!“
[79] Nr. 196, 1845.
[80] Biedermann, Sächs. Zustände a. a. O. S. 348.
[81] Biedermann, ebenda S. 349.
[82] Erklärung des Kriegsministers v. Nostiz-Wallwitz in der letzten Sitzung der zweiten Kammer über die Augustereignisse. (s. u.)
[83] Bekanntmachung der Regierung über die Untersuchungsergebnisse vom 29. August 1845.
[84] Landtagsmittheilungen der 2. Kammer über die Sitzung vom 14. Mai 1846.
[85] Wahrhaft erfreulich im Gegensatze zu diesem von einer junkerlichen Reaction dem milden König in die Feder dictirten Bescheid lautete die echt königliche Antwort des Prinzen Johann: „Ich war stets von der Anhänglichkeit aller guten und loyalen Bürger Leipzigs überzeugt und bin weit entfernt davon, die Frevel eines aufgeregten Haufens einer ganzen Bevölkerung auferlegen zu wollen.“
[86] Daraus folgt, von welch’ willkürlichen Alternativen die Reaction die Duldung verhaßter Schriftsteller abhängig machte.
[87] Durch alle diese Chicanen und Confiscationen wurde schließlich selbst die Rentabilität des Taschenbuchs aufgehoben (Brief Friese’s und Blum’s an Heinrich Grahl in Schwarzenberg v. 19. August 1846).
[88] Ueber das Folgende zu vergl. Landtagsmittheilungen 1845/46; Flathe a. a. O. S. 549 flg.; Gegenwart, 5. Band S. 588. flg.
[89] In Erwiderung auf die Rede Schumann’s. Landtagsmittheilungen. Sitzung der 2. Kammer vom 14. Mai flg.
[90] So sagte der Kriegsminister v. Nostitz zum Abgeordneten Hensel: „Ich kann dem Abgeordneten nur wünschen, daß, wenn er jemals in die Lage kommen sollte, als Commandant der Communalgarde längere Zeit geschimpft und mit Steinen geworfen zu werden, ihm auch gelingen möge, bei nächtlichem Tumult Diejenigen herauszufinden, welche ihm diese Ehre erwiesen haben“. Und als der Abgeordnete Joseph sich auf Zeugenaussagen in Acten berief, erlaubte sich der Minister Könneritz die Antwort: „Sind sie vor einer Behörde oder vielleicht infolge einer Aufforderung der Versammlung auf dem Schützenhause aufgenommen worden?“
[91] Gegenwart, V. Band, S. 591.
[92] Ebenda S. 592.
[93] Acten d. Ver. Crim. A. Rep. I. Nr. 6664. 1843 fg. Bl. 122.
[94] Diese Aeußerung, die geschrieben wurde, ein Jahr bevor Frankreich ihre Richtigkeit so bitter an den „Nationalwerkstätten“ erprobte, beweist deutlich, wie fern Robert Blum den socialistisch-communistischen Utopien stand.
[95] Geschichte und Literatur der Staatswissenschaften. I. S. 163. (Erlangen, Enke, 1855.)
[96] Sehr interessant und faßlich zusammengestellt in: Franz Mehring, Die deutsche Sozialdemokratie. Bremen, Schünemann. 2. Aufl. 1878.
[97] Als Quellen für diesen Abschnitt sind benützt: Sparfeld, Chronik von Leipzig, Leipzig 1848. S. 210 fg. — Leipziger Tageblatt 1848, I. u. II. Quartal (Rathsbibliothek). — Vaterlandsblätter I. u. II. Quartal 1848. — D. Allg. Zeitung I. u. II. Quartal 1848. — Die Gegenwart, V. Band. S. 594 bis 602. — Flathe, a. a. O. S. 563–571. — Biedermann, Erinnerungen aus der Paulskirche, Leipzig, G. Mayer 1849. — H. Laube, das erste deutsche Parlament, I. Band. Leipzig, Widmann 1849. — Biedermann, Beiträge zur Geschichte des Frankfurter Parlaments im Histor. Taschenb. von Riehl, V. Folge, 7. Jahrg., S. 107 fg. — Protokolle der Stadtverordneten zu Leipzig vom 1. März an. (Archiv der Leipziger Stadtverordneten.) — Außerdem die im Text nachgewiesenen.
[98] Auch an anderen Orten urtheilt Biedermann unter Allen am gerechtesten über Blum, s. unten.
[99] Flathe, S. 578, dessen tapfere Wahrhaftigkeit im Uebrigen aufs freudigste anerkannt wird.
[100] Später ist er nach Preußen übergesiedelt und ein langjähriges Mitglied des Abgeordnetenhauses unter den Altliberalen geworden. Auch im Norddeutschen Reichstag bin ich noch mit ihm gesessen. (1867 flg.). Starb 9. August 1874.
[101] Sehr charakteristisch für die mesquine Art, wie Herr Heinrich Laube, in seinem zweibändigen Opus „Das deutsche Parlament“ „Geschichte“ schreibt, oder vielmehr das, was Herr Laube für Geschichte hält, ist z. B. die Episode S. 139–141, in der er Frau Oberländer nach Leipzig in Blum’s Buchhandlung reisen läßt, um sich da „von dem feisten Mann in Hemdsärmeln, welcher an einem unangestrichenen Schreibpult stand und ein Papier faltete“ Raths zu erholen, „ob ihr Mann Minister werden solle und was das Leben in Dresden ungefähr kosten werde.“ Diesem traurigen Klatsch widmet Herr Laube den ihm zur Verfügung stehenden Witz und Raum — heute würde sich die kleinste Winkelzeitung bedenken, so etwas unter dem Strich zu drucken. Und die Pointe von alledem ist: „Herr Oberländer wurde Minister des Innern und ist es noch; der weiter sehende Rathgeber“ (Blum) „aber ist in den Tod gerathen (!).“ Um keinen Zweifel darüber zu lassen, wann dieses tiefe Urtheil zur Welt gekommen, bemerkt Herr Laube in einer Note: „Im Winter 1848/49 geschrieben —“ also nach dem Tode Blum’s! Wir werden dem Herrn noch öfter begegnen.
[102] Biedermann, Beiträge zur Geschichte des Frankfurter Parlaments in Riehl’s Histor. Taschenbuch 5. Folge, 7. Jahrgang S. 115. (Brockhaus, 1877.)
[103] Biedermann a. a. O. S. 137.
[104] Mittheilungen eines noch lebenden Ohrenzeugen an mich.
[105] Laube a. a. O. I. Bd. S. 10–35. Die Zeit des Vorparlaments bis S. 120. — An anderen Quellen sind für diesen Abschnitt benützt: Biedermann, Erinnerungen aus der Paulskirche. — Jürgens, „Das deutsche Verfassungswerk,“ 3 Bände, ein leidenschaftlich-großdeutsches, für objective Würdigung der Gegner fast unbrauchbares Buch. — Freytag, Karl Mathy. 4. Abschnitt. — A. Springer, Dahlmann II. Band. S. 203–251. — Flathe a. a. O. 571–578. — Gegenwart, das Königreich Sachsen. V. Band S. 602–609. — Ggwart, Bd. II. S. 682–707. (Vorparlament). Bd. IV. S. 419 bis 442. (Fünfzigerausschuß). — Biedermann, Beiträge zur Gesch. des Frankf. Parl. a. a. O. S. 116 fg. — Und vor Allem: Verhandlungen des Deutschen Parlaments, Offizielle Ausgabe, 1. und 2. Lieferung (Vorparlament und Fünfzigerausschuß), Sauerländer, Frankfurt 1848. Andere Quellen sind im Text nachgewiesen. —
[106] Biedermann, Beiträge, S. 117 (geschrieben 1877).
[107] Profile, Berlin, Oppenheim 1878. Essay über Thiers S. 171 fg.
[108] Es ist einer der schönsten Züge in diesem Leben voll Pflichterfüllung, daß der Prinz während seiner Verbannung sich auf’s Eingehendste mit der deutschen Verfassung beschäftigte und deßhalb mit einigen der besten Männer der damaligen Zeit, die innerhalb und außerhalb des Parlaments standen, regen Briefwechsel unterhielt.
[109] Miquèl war mit andern republikanischen Commilitonen aus Heidelberg, bis an die Zähne bewaffnet, auf der Eisenbahn einmal sogar schon bis Frankfurt vorgedrungen, wurde aber, da man dem Landfrieden seiner Gesinnung nicht traute, auf ein todtes Gleis geschoben und dann sammt seinem Anhang wieder nach Heidelberg zurückgefahren! (Persönliche Mittheilungen an mich). Ueber Bamberger’s damalige Gesinnung und Heldenthaten hat dieser selbst einen reizenden Artikel im Salon (Leipzig, Payne, unter Lindau’s Redaction) „Aus grünen Tagen“ veröffentlicht. Namentlich ist die geradezu märchenhafte Pracht, mit welcher „die gütige Fee Revolution“ damals vor den Augen aller Zeitgenossen, auch der nüchternsten auftauchte und einherzog, höchst anschaulich und liebenswürdig geschildert.
[110] Biedermann, Beiträge S. 142.
[111] Ebenda S. 136.
[112] Verhandlungen des Deutschen Parlaments 1. Lieferung S. 162. f. Von Preußen waren nur 141 Abgeordnete, von Baiern 44, von Würtemberg 52 (!), von Sachsen 26, von Baden 72 (!), von Hessen-Darmstadt 84 (!) Mitglieder erschienen. Von den Preußen stimmten 30 (darunter Geheimrath v. Sybel und Schwetschke), von den Baiern 19, von den Würtembergern 6, von den Sachsen alle bis auf 2, von den Badensern 22, von den Hessen 25 für die Permanenz des Vorparlaments.
[113] Ebenda, Zusammenstellung der Beschlüsse des Vorparlaments. S. 172.
[114] Ebenda, S. 173.
[115] Verhandlungen des Deutschen Parlaments 8. Bd. S. 6064. — Biedermann, Beiträge S. 143.
[116] Welcker dutzt Blum in den Briefen, die ich von Welcker’s Hand besitze.
[117] Auch einige der Federn, welche der Mehrheit zur Verfügung standen und einige ihrer Redner waren, wie wir sehen werden, keineswegs müssig, Blum in ungerechter Weise zu verdächtigen.
[118] Gegenwart, 2. Band, S. 685–691. — Verhandlungen des Deutschen Parlaments 1. Lieferung, Vorrede von Jucho nebst Anlagen und S. 1 u. 2 der Verhandlungen.
[119] Offizielle Ausgabe der Verhandl. des D. Parl. S. 10.
[120] Band 2, S. 703.
[121] Ebenda, S. 704. — Off. Ber. S. 173, 174.
[122] Das erste Deutsche Parlament S. 45–52.
[123] „Der charakteristische Mönch unserer Zeit stand vor dem Volke, mit vierschrötigem knochigem Körper, mit dem kurzen, fleischigen Halse, mit dem rothbartigen (?) kantigen Haupte und der strotzenden Gesichtsfarbe. Wenn die Widersacher jetzt seine schmalgeschlitzten, fetten Aeuglein, die Stumpfnase und den großen Mund zu dem Kopfe eines Fauns machen, so geschieht es darum, weil die schlagende Aehnlichkeit mit einem Franziskaner verdorben ist durch einen mißlichen Frack und lichtfarbige (!) Beinkleider.... Aber zu solcher Ganzheit war eben nöthig, daß er auch etwas Ganzes wollte.“
[124] Wie unsolid Herr Laube in seinem Buche übrigens gearbeitet hat, geht am besten aus seiner Bemerkung über Ludwig Simon S. 292 hervor. Hier nimmt er den ironischen Zuruf der Gegner Simon’s „Lauter, lauter!“, der sich immer erhob, wenn Simon anfing brüllend zu reden, ernsthaft — weil Herr Laube eben Dinge schildert, die er selbst nicht gesehen.
[125] Seite 48.
[126] S. 141.
[127] S. 49.
[128] Man gab freilich damals manchmal „Die Karlsschüler“.
[129] S. 49.
[130] Gegenwart 2. Band, S. 693.
[131] Offiz. B. S. 24, 25, 41.
[132] Herr Laube sagt über die Rede: „Blum salbte die Wunde!“ Wie zutreffend! Wie verständlich!
[133] Off. Ber. S. 109.
[134] Off. Ber. S. 116.
[135] Off. Ber. S. 128.
[136] Off. Ber. S. 133.
[137] Off. Ber. S. 138, 140.
[138] Vom 16. bis 28. April.
[139] Im August, auf der Reise nach Leipzig, fuhr er durch Köln blos durch.
[140] Off. Ber. 2. Lieferung, S. 262.
[141] S. 244 u. 397.
[142] Biedermann, S. 244.
[143] Denn in den Sitzungen vom 12. bis 14. April findet sich nichts, die Sache Betreffendes.
[144] S. 243–285.
[145] Off. Ber. S. 444–445.
[146] Off. Ber. S. 493.
[147] Zu ihnen gehörten Otto Jahn, Prof. Haupt, Stephani, Cichorius, Koch, Laube, Wigand, Reimer, Göschen, G. Mayer, S. Hirzel u. A. —
[148] Günther u. Friese (s. S. 314 a. E.) scheinen hauptsächlich die Confusion verschuldet zu haben. Bertling hat die betreffenden Briefe Blum’s nie zu Gesicht bekommen!
[149] Die Gerechtigkeit erfordert, zu sagen, daß Prof. Semmig (wie Tausende Andere, die im Jahre 1848 sociale Republikaner waren) heute auf streng nationalem Boden steht. Er hat seit den 50er Jahren bis 1870 in Orleans als Professor der deutschen Sprache und Literatur gewirkt, wurde als Deutscher ausgetrieben und wirkt seither wieder in Leipzig. Auch für die Familie Blum’s that er nach Blum’s Tod, was er konnte.
[150] Gegenwart, V. Band S. 169 („Die Deutsche Nationalversammlung“. Erster Abschnitt bis zur Erwählung des Reichsverwesers. S. 168–207). — Andere benützte Quellen sind: Stenogr. Ber. über die Verhandlungen der Deutschen constit. Nationalversammlung zu Frankfurt a. M. Herausgegeben auf Beschl. der Nat.-Vers. durch die Redact.-Comm. und in deren Auftrag von Prof. Franz Wigard. 1. u. 2. Bd. (bis S. 845). — Biedermann, „Erinnerungen“ und „Beiträge“ (in Riehl’s Taschenbuch) a. a. O. — Laube a. a. O. I. Bd. S. 121–328, II. Bd. bis S. 26. — Springer, Dahlmann II. Bd. S. 251 flg. — Freytag, Mathy S. 286–296. — Andere Quellen im Text nachgewiesen.
[151] Sten. Ber. S. 48, Sp. 2. Auch Raveaux, Pfizer, Stedmann, Jucho, Raumer, Wesendonck standen darunter.
[152] Sten. Ber. S. 101 u. 102
[153] Herr Laube freilich nicht. Er sagt über Blum’s Rede: „Gefahren, unermeßliche Gefahren schildern, in’s Dunkle malen, den Vorhang der schweren Zukunft geheimnißvoll lüften, es war ganz sein Thema“. „Soviel gab dieser merkwürdige Redner auf das Tönen großer Worte, daß er sie auch für die vertrackteste (!) Wendung verkaufte.“ S. 202–203.
[154] Sten. Ber. S. 149–151.
[155] Gegenwart, 5. Bd. S. 180.
[156] Sten. Ber. S. 155.
[157] Sten. Ber. S. 150.
[158] Sten. Ber. S. 158.
[159] Sten. Ber. S. 235.
[160] Sten. Ber. S. 236.
[161] St. B. S. 260–61.
[162] Diese Mitglieder waren Joseph und Günther (St. B. S. 265), der Minister wahrscheinlich Römer aus Würtemberg.
[163] Herr Laube trifft natürlich auch hier den Nagel auf den Kopf, wenn er sagt: „Herr Blum hatte von der Rednerbühne herab eine jener Klatschereien eingerührt, welche man im Privatleben Verleumdung, im öffentlichen Leben Denunciation zu nennen pflegt. Auch für die gewöhnliche Republik braucht es doch Gesetz und Ehre, Treu und Glauben, und gleiches Maß für Sünde oder Tugend.“ (S. 242. 246). Und auch für den gewöhnlichen Schriftsteller setzen wir hinzu, wenigstens einige Kenntniß von dem, über was er urtheilt.
[164] Vaterlandsblätter: „Die Reise der Linken in die Pfalz“ (von Günther und Blum) in den Nr. 83, 84, 85, (24. 26. 27. Juni) 1848. Dieser Bericht wird nachstehend fast vollständig mitgetheilt.
[165] Freundliche Mittheilung der Besitzerin Frau Eschmann in Speier an Ernst Keil.
[166] Ein Augenzeuge, Adolf Bloch in Edenkoben, schreibt mir am 4. März 1878 hierüber: „doch ging dieser Marsch etwas langsam von Statten, da zur Entgegennahme verschiedener Stehschoppen, welche von Bürgern der dazwischen liegenden Orte den Abgeordneten credenzt wurden, manche Viertelstunde verwendet werden mußte. Zwischen Edenkoben und Maikammer stolperte Prof. Vogt über einen Stein und verlor beinahe das Gleichgewicht. Robert Blum, welcher vor ihm herging, drehte sich um und sagte lachend: „Die Linke nehme sich in Acht, daß sie sich nicht überstürze.“ Allgemeines Gelächter, in das selbst Trützschler, der einen furchtbaren Katzenjammer hatte, einstimmte.“
[167] St. B. S. 319.
[168] St. B. S. 359 Sp. 1.
[169] Auch dieser Antrag war übrigens noch keineswegs der extremste. Dieskau beantragte, das Parlament sollte ohne Weiteres die Regierung ganz Deutschlands in die Hand nehmen.
[170] Gegenwart, V. Bd. S. 190.
[172] Gegenwart, S. 191.
[173] St. B. S. 402–404.
[174] Hiervon später bei der Frage des Malmöer Waffenstillstandes.
[175] Das Parlament hatte einstimmig erklärt, daß der vom Königreich Sardinien beabsichtigte Angriff auf Triest als ein Angriff auf Deutschland werde geahndet werden.
[176] Braun von Cöslin hatte beantragt, die provisorische Centralgewalt der Krone Preußen zu übertragen, fand aber nicht einmal 20 Stimmen zur Unterstützung seines Antrags. (St. B. S. 397/98.)
[177] Baiern. Dort war die Bewegung durch Lola Montez, die Favoritin des Königs Ludwig I., veranlaßt.
[178] In der Sächsischen Kammer.
[179] St. B. S. 434/35.
[180] Gegenwart, 5. Bd. S. 196. — Herr Laube dagegen erwähnt sie ebensowenig wie Blum’s Rede vom 27. Mai über den Raveaux’schen Antrag. Und über die Rede Blum’s vom 20. Juni sagt er nur: „Es war die Zeit der Gleichnisse; die Rhetorik blühte noch und Blum begann immer mit einem gewaltigen Bilde und schloß mit einem. Dies gehörte zu seiner inneren Schwäche vor der Paulskirche. Denn stolze Bilder vom Prometheus gehörten nicht zu seiner Bildung und wirkten, eben weil sie außer ächtem Zusammenhange mit dem übrigen Gedankenkreise des Redners lagen, auf ein so gebildetes Publikum ganz anders als auf ein Publikum der Mittelklasse.“ Zu letzterem müßte also der Verfasser des Artikels der „Gegenwart“ gezählt werden! In diesem spöttischen Ton geht es weiter. Bei solcher Ueberlegenheit des Herrn Laube über die besten Redner der Paulskirche ist nur das Eine zu verwundern: daß er sie nicht Alle überstrahlte.
[181] St. B. S. 521.
[182] Beiträge (Histor. Taschenbuch) a. a. O. S. 144.
[183] St. Ber. S. 566.
[184] Daß übrigens Blum diese Geldsendung im eigentlichsten Sinne des Wortes nur als Darlehn betrachtete, geht aus der folgenden Stelle eines Briefes an seine Frau vom 28. September 1848 hervor: „Die Diäten vom 50er Ausschuß nutzen mir leider nichts, denn ich muß sie, sobald sie bezahlt sind, dem Leipziger Ausschuß erstatten, welcher damals für uns gesammelt hat.“ —
[185] Des Deutschen Vereins. Vgl. den flg. Abschnitt.
[186] Er starb merkwürdigerweise am nämlichen Tage wie Blum, 9. Nov. 1848, an der Auszehrung.
[187] Die erste Kunde ihrer Erkrankung, einer Unterleibsentzündung, hatte Blum am 9. Juni erhalten.
[188] St. B. S. 677.
[189] St. B. S. 721/22.
[190] St. B. S. 896. — Die Reactivirung des Bundestags wurde später wirklich rechtlich angeknüpft an den perfiden Doppelsinn der Erklärung Schmerling’s vom 12. Juli. Die k. k. Staatsjuristen sagten: die Befugnisse des Bundestags seien der Centralgewalt übertragen und bis zum Erlöschen derselben von dieser geübt worden; nun hindere nichts, daß der Bundestag seine schlummernden Befugnisse selbst wieder ausübe. Dieser verlogenen Rechtsverdrehung hat Zachariä zwar mitten in der wildesten Reactionszeit die ganze Verachtung entgegengeschleudert, die sie verdiente (in seiner Schrift „Die Reactivirung des Bundestages“), und Albrecht hat in Leipzig den vielen Tausenden, die nacheinander zu seinen Füßen gesessen, mit dem königlichen Freimuth seiner Kritik die ganze Tiefe der Rechtlosigkeit und Ruchlosigkeit der Wiedereinsetzung des Bundestags offenbart. Dennoch aber wäre das Bewußtsein dieser Rechtlosigkeit im Volke wesentlich gefördert und jener Staatsumwälzung auch der letzte Vorwand des guten Glaubens entzogen worden, wenn das Parlament damals den Antrag seines linken Centrums angenommen hätte.
[191] Sitzung vom 21. Aug. St. B. S. 1624. — An anderen Quellen die beim vorigen Abschnitt genannten und Gegenwart, 7. Bd. S. 239–295, Flathe S. 575–592.
[192] St. B. S. 1717/19 (25. August).
[193] St. B. S. 804.
[194] St. B. S. 805.
[195] St. B. S. 1461.
[196] St. B. S. 1499 fg.
[197] Sehr lesenswerth ist hierüber die Abhandlung von Carl Baumbach: „Die Verwirklichung der Deutschen Grundrechte in der Gegenwart“, Grenzboten, 1876, III. S. 361 fg., 453 fg.
[198] „Kein Bestandtheil des Königreichs oder Recht der Krone kann ohne Zustimmung der Kammer auf irgend eine Weise veräußert werden.“
[200] Aus den Acten des Deutschen Vaterlandsvereins zu Dresden.
[201] Am nämlichen Tage schrieb er an dieselbe: „— Vorgestern war ich mit meinen Leuten in Heidelberg, wo wir uns wieder einmal Erfrischung geholt haben, die wir bei dem trostlosen Zustande und der entsetzlichen Richtung der Nationalversammlung so sehr bedürfen. Es war ein Seitenstück zu der Pfälzer Reise, nur mußten wir den Jubel mehr mit Hecker theilen; denn auf jedes Lebehoch auf uns oder irgend etwas folgte gewiß eins auf Hecker.
Paulskirche den 2. August 1848. Mein Gott, schon August!!“
[202] Namentlich erkennen wir auch hieraus, wie selbst Biedermann, dessen Gerechtigkeit des Urtheils über Blum wiederholt anerkennend hervorgehoben wurde, in seinen „Erinnerungen aus der Paulskirche“, S. 393–97, doch zum Theil den Gegner falsch und ungerecht beurtheilte, wenn er sagt: „Diese Fähigkeit (der Parteiherrschaft) beruhte nächst ihren (Blum’s und Vogt’s) hervorragenden parlamentarischen Talenten, hauptsächlich in dem Schein aufrichtiger, uneigennütziger Hingabe an die Sache, durch welchen sie nicht blos das Publikum, sondern auch ihre eigene Partei täuschten. Ich muß jedoch unterscheiden.“ (Folgen Bemerkungen über Vogt.) „Blum besaß in noch höherem Grade als Vogt den Ausdruck treuherziger Ehrlichkeit und rückhaltloser Hingebung an das Allgemeine. Auch möchte ich fast annehmen, daß es ihm wirklich mehr, als Jenem, zugleich um die Sache, nicht blos um die Befriedigung der eigenen Eitelkeit oder des eigenen Ehrgeizes zu thun war, daß er, wie nach Mirabeau’s Ausspruch Robespierre, „das glaubte, was er sagte“. Sonst hätte er kaum einen so weitverbreiteten und so lange andauernden Einfluß üben können. Allein das eigene Selbst hatte auch bei Blum einen entscheidenden Antheil an allen seinen politischen Handlungen. Was hätte dieser Mann mit seiner unverwüstlichen Körper- und Geisteskraft, mit seinem nimmermüden Eifer, mit der gewaltigen Macht seiner volksthümlichen Beredsamkeit leisten können, wäre es ihm aufrichtig und allein um die Freiheit und den Fortschritt, nicht zugleich um die Zwecke seines Ehrgeizes zu thun gewesen, hätte er das Volk wahrhaft durch Bildung frei machen, nicht blos aus einer Abhängigkeit in die andere versetzen wollen!“ Diesem Urtheil ist insoweit beizutreten daß Blum gewiß, wie jeder bedeutende Mann, Ehrgeiz besessen; zu widersprechen aber darin, daß er diesen Ehrgeiz, „das eigene Selbst“ irgendwo und wann zum Maßstab seiner öffentlichen Dienste gemacht hat. Seinem Eigennutz hätte er bei weitem besser daheim dienen können, als in Frankfurt. Nimmer hätte solcher Ehrgeiz die Opfer gebracht, die Sorgen getragen, die er durch seinen Aufenthalt in Frankfurt trug. Daß er in seinem Parteistandpunkt schließlich auf falsche Bahnen gedrängt wurde, war zum Theil doch auch die Schuld seiner Gegner und der verworrenen aufgeregten Zeit. Und er selbst hat das harte Geschick, unter dem er erlag, in den letzten Monaten seines Lebens in einem Briefe an einen Freund wohl am richtigsten bezeichnet in den Worten: „Mein Lieber, wir sind um fünfzehn Jahre zu früh auf die Welt gekommen.“
[203] Nur die „Gemeinheiten“ im Tageblatte hörten seitdem auf, wie er am 9. September befriedigt der Frau meldet.
[204] Höchst charakteristisch für den Ton, der im Vaterlandsverein herrschte nach dem Ausscheiden der Minderheit waren die dort gefaßten Beschlüsse. Unter Anderm hieß es: da von dem jetzigen Ministerium ein volksthümliches Wahlgesetz nicht zu erwarten, so ist die Entlassung dieses Ministeriums auszusprechen und Staatsminister Oberländer mit der Bildung eines neuen zu beauftragen, die Ständeversammlung einzuberufen, sofort eine aus der freien und unmittelbaren Wahl des Volkes hervorgegangene constituirende Versammlung einzuberufen.
[205] Schon die überwältigende Komik dieses einen Gedankens sichert Jäkel einen Ehrenplatz unter den unfreiwilligen Humoristen aller Zeiten.
[206] Zu vergl. Offizieller Bericht der Verhandlungen des Vorparlaments, Sitzung vom 31. März, der Bundesversammlung vom 4. April (2. Lieferung). — Sten. Ber. der Deutschen National-Versammlung v. 8., 9. u. 17. Juni, 10. Juli, 11., 22. u. 31. Aug.; 4., 5., 7., 8., 12., 14–16. September. — Gegenwart (von Brockhaus), Band 5 u. 6, in besonderen Artikeln über Schleswig-Holstein. Band 7, S. 295 bis 326. — Springer, Dahlmann, S. 268–299.
[207] St. B. S. 1882.
[208] St. B. S. 1896/98. Die ganze Debatte (einschließlich der Abstimmungen) s. S. 1880–1917.
[209] a. a. O. S. 290.
[210] Gegenwart, Bd. 7, S. 323.
[211] Selbst Laube hat hier zum ersten Mal ein schüchternes Lob für Blum: „Auch Blum hatte wirklich kräftige Partien. Seine Ruhe und Nachdrücklichkeit in Anordnung und Betonung des Stoffs hatte lange nicht einen so günstigen Stoff gehabt.“
[212] Gegenwart S. 324.
[213] 258 gegen 237.
[214] Gegenwart, Bd. 5, S. 392. (Staat und Stadt Frankfurt 1848.)
[215] Zu vergl. die Reichstagszeitung vom 17., 19. u. 20. September. Gegenwart, 7. Bd. S. 328.
[216] Durchstrichen „Jupiter“.
[217] Einige dieser interessanten Documente besitze ich handschriftlich.
[218] Reichstagszeitung vom 19. Septbr. — St. B. S. 2198 fg.
[219] St. B. S. 2207.
[220] Diese Anklage ist schon darum haltlos, weil am 19. Septbr. und beziehentlich am 18. Septbr. Abends, wo das Blatt erschien, der Aufstand schon gedämpft war.
[221] St. B. S. 2189.
[222] „Reichstagszeitung“ aus denselben Tagen. — Gegenwart, Bd. 5, S. 393.
[223] Weder Blum noch Vogt hatten diese Anträge mit unterschrieben.
[224] St. B. S. 2166, 2207–2210. — Gegenwart, Band 5, S. 393. Bd. 7, S. 329/30.
[225] Gegenwart, Bd. 7, S. 331.
[226] Das hat mir Julius Faucher, der jüngst verstorbene bekannte Abgeordnete, der damals als unparteiischer Zuschauer den Frankfurter Ereignissen zusah, wiederholt (1868 bis 1870) in Berlin bestimmt und nachdrücklich versichert. Neu wäre diese Taktik ja auch nicht. Schon zur Zeit des Frankfurter Attentates hatte die k. k. Bundestagsweisheit die Revolution absichtlich zum Ausbruch kommen lassen, um nachher eine frische fröhliche Reaction heraufzuführen. Auch damals schon und nachher oftmals ist diese Beschuldigung gegen Schmerling erhoben worden. Gegenwart, Bd. 7, S. 331. Vgl. auch den unten mitgetheilten Brief Blum’s vom 3. October an Haubold S. 447.
[227] Mündlicher Bericht von Ludwig Simon an mich (1862, Wallensee), Faucher u. A. Theilweise ist die Scene auch bestätigt von der Gegenwart a. a. O.
[228] Zum Schillerfest.
[229] Der heutige Polizeidirector von Leipzig, den die Sozialisten, da er ihnen unbequem ist, so gern als rothen Revolutionär von Anno 1848 hinstellen. Man sieht, wie leichtfertig diese Anklage ist!
[230] d. h. das Geld zur Reise aus eigenen Mitteln aufzubringen.
[231] Das Beste über die österreichischen Verhältnisse jener Tage bietet auch heute noch zweifellos Anton Springer’s Geschichte Oesterreichs, 2. Band (Leipzig, Hirzel, 1865), so ungerecht Springer auch über Robert Blum urtheilt. — Die dreibändige „Geschichte Oesterreichs“ von Joseph Alexander Frhrn. v. Helfert „vom Ausgang des Wiener October-Aufstandes“, die zum ersten Mal theilweise die Schätze des Wiener Archivs und das handschriftliche Quellenmaterial der Familie Windischgrätz u. a. Fürstlichkeiten veröffentlichte, zeigt im Gegensatze zu Springer’s großer historischer Auffassung in widerlicher Weise das Gepräge einer junkerlich-schwarzgelben Tendenzschrift. — Nordstein’s Geschichte der Wiener Revolution ist eine armselige Vertheidigung des in Wien besiegten Radicalismus, interessant nur durch die naiv-kritiklose Mittheilung aller Actenstücke, welche das Regiment Messenhauser’s u. A. der Weltgeschichte hinterließ. Ihr am nächsten stehen Lyser, Grüner, Fenneberg u. A. — Für die folgenden Abschnitte sind außer diesen Werken alle Quellen benützt, welche zur Zeit aus jener Zeit vorhanden sind: die Augenblicksbilder, welche Gustav Kühne, Berthold Auerbach, Heinrich Laube, Julius Fröbel in seinen „Briefen“ und seinem Bericht vor dem Parlament (St. Ber. der Paulskirche), Füster, Schütte, Rosenfeld u. A. geliefert haben, insbesondere die schwarzgelben Soldschriften von Dunder, Köcher u. A.; über den diplomatischen Verkehr zwischen Dresden und dem sächsischen Gesandten in Wien betreffs Blum’s geben die sächsischen Landtagsmittheilungen (II. Kammer 1849, S. 246 fg.) Aufschluß; über die militairischen Operationen gegen Wien wurden mir von einem verehrten Freunde die reichen authentischen Berichte amtlicher Berliner Bibliotheken zur Verfügung gestellt; an Zeitungen und Zeitschriften über jene Ereignisse habe ich das seit Jahren Gesammelte im Text nachgewiesen, ebenso das handschriftliche Material, das mir zur Verfügung stand. Die Zurechtweisung der Verleumdungen Blum’s durch v. Helfert ist nebenbei besorgt worden. —
[232] a. a. O. S. 196, wo auch die offiziellen Quellennachweise für diese Anschauung erbracht sind.
[233] Springer, S. 312.
[234] Springer, S. 569.
[235] Persönliche Mittheilung von Karl Vogt an den Verfasser. — Schon Anfang September war in der Fraction des Deutschen Hofes die Rede davon gewesen, eine Deputation nach Wien zu senden. Auch damals schon hatte Blum zu der Sendung sich angeboten. Am 9. September hatte er aber der Gattin geschrieben: „Die Reise nach Wien ist in die Brüche gegangen. Die Partei ließ mich nicht fort.“
[236] Helfert, 1. Bd. S. 45.
[237] Ebenda.
[238] Helfert, 1. Bd. S. 48.
[239] Springer, S. 562.
[240] Poststempel Wien, 19. October.
[241] Springer sagt S. 583: „B. soll in einer Volksversammlung vom 23. October den Wienern zugerufen haben: „Ihr müßt noch 200 Aristokraten latourisiren.“ “ Keiner der gleichzeitigen Berichte über diese Versammlung in den Wiener (auch nicht in den radicalsten) Blättern erwähnt jedoch diese Aeußerung. Eine Quelle giebt Springer überhaupt nicht an. Und selbst Herr v. Helfert vermag nicht zu behaupten, wann die angebliche Aeußerung gefallen sei; in seiner Version der Rede Blum’s vom 23. October führt er diese Worte ausdrücklich nicht auf.
[242] Dieser Lüge hat übrigens auch schon Fenner v. Fenneberg, der Generalstabschef Messenhausers in einem Schreiben an die Augsb. Allg. Ztg., datirt „von der rauhen Alp“, vor dem 27. November widersprochen. Dresdner Journal vom 27. November, S. 1934, Sp. 2.
[243] Diese Thatsachen werden von Springer, Helfert, Nordstein übereinstimmend mitgetheilt. Ihr Urtheil darüber geht natürlich weit auseinander.
[244] Er war als „Tornisterkind“ (Helfert) 4. Januar 1813 geboren, 1829 Gemeiner, 1832 Fähndrich, 1839 Lieutenant, 1845 Oberlieutenant geworden und blickte sehnsüchtig hinüber in die reiche Culturwelt Deutschlands, die den österreichischen Unterthan und vollends dem österreichischen Offizier damals gänzlich verschlossen war. Er begann zu schriftstellern und da nur die Lumpen bescheiden sind, so verlangte er für eines seiner dickleibigen ungedruckten Erstlingswerke, die „modernen Argonauten“, von der Firma Max in Breslau nicht weniger als 18 Friedrichsd’or Honorar pro Druckbogen. Natürlich erhielt er das Manuscript mit einer „abschlägigen und die Honorarsforderung fast belächelnden Antwort“ zurück. Glücklicher war er mit seinen novellistischen Versuchen: 1847 erschienen sie in Wien gesammelt unter dem Titel „Wildniß und Parquet.“ Die Kritik stellte sie theilweise „über den Beherrscher einer wundervollen Prosa Adalbert Stifter“ (Helfert). Er machte im Herbst 1847 eine größere Reise über Leipzig, Frankfurt a. M., München und Wien. Thomas in Leipzig nahm seine „Ernsten Geschichten“ in Verlag. Die Vorrede zu diesem Werke war „bei der ersten Nachricht vom Sturz der Juliusdynastie“ geschrieben; in dem Buche selbst sollte „die schauerliche Erhabenheit des starren Absolutismus“ den Leser „mit heilsamem Entsetzen erfüllen und Entschlüsse von Besonnenheit, Rechtsgefühl und Hochherzigkeit in ihnen wachrufen.“ Dieser unklaren, erhitzten Phantasie mußten die Märztage des Jahres 1848 besonders gefährlich werden. „Mein Wissen für den Tag ist Louis Blanc, den, ich, wie ich glaube, auswendig weiß,“ schrieb er damals an einen Freund. In dem Comité zur Organisirung der Lemberger Nationalgarde nahm er mit Bewilligung seiner Vorgesetzten eine Stelle an, neben ihm wirkte Bem. Messenhauser ließ sich hier bald in politische Dinge ein. Sein Vorgesetzter Baron Hammerstein lud ihn vor und befahl ihm, augenblicklich nach Wien zum dritten Bataillon abzureisen. Hier angekommen, gab Messenhauser seine Entlassung ein und weigerte sich vor dem Platzcommando in Uniform zu erscheinen, weil er nicht länger die äußeren Abzeichen einer Körperschaft tragen könne, deren Dienst „seine tiefsten Ueberzeugungen stündlich in die größte Gefahr zu setzen die Lage hat!“ und mußte für diesen Frevel drei Tage Profosenarrest im Stabsstockhause absitzen. Am 31. März wurde er dann „gegen Ausstellung des üblichen Reverses, weder gegen das allerhöchste Erzhaus, noch gegen dessen Alliirte zu fechten“ aus dem Militairdienst entlassen. Er wurde nun Journalist und Schriftsteller, gründete in zwanglosen Heften „die Volkstribüne“ und schrieb zwei ungelesene platte Sammlungen der Schlagwörter des Tages unter dem Titel: „der staatsbürgerliche Rechtsschatz“ und „der politische Rechtsschatz des deutschen Volkes“ während seine Schrift „Wie muß die Nationalgarde exerzirt werden?“ rasch sechs Auflagen erlebte und seinen Namen bekannt und volksthümlich machte. Er lebte bis zum Oktober „in der fast siedlerischen Einsamkeit eines Schriftstellerthums.“ —
[245] Zu vergleichen seine Eingabe an das Kriegsgericht. Helfert, Bd. 3, Anhang S. 46 fg.
[246] Springer, S. 572
[247] Fröbel’s Briefe, S. 11 fg., und dessen Rede in der Paulskirche vom 18. November. St. B. S. 3419.
[248] Helfert, 1. Bd. S. 129.
[249] Da dieser Brief schon von Frey, Robert Blum, abgedruckt worden ist und Helfert Frey citirt (Bd. 3, S. 107 des Anh. und a. a. O.). Der Brief trägt den Poststempel Dresden, 27. October. Das beweist, daß am 20. keine Post mehr von Wien passirte.
[250] Helfert, 1. Bd. S. 75.
[251] Helfert, S. 76 bis 78.
[252] S. 81 fg.
[253] Handschriftlicher Nachlaß des Frhrn. v. Pillersdorff S. 163.
[254] Wie man übrigens in Oesterreich selbst über diese Rettungsversuche urtheilt, erhellt treffend aus einem Abschnitt im 2. Bande der „Wiener Spaziergänge“ des geistvollen Satirikers D. Spitzer in Wien (Verlag von L. Rosner, Wien), der nun seit dreizehn Jahren seine makellos vaterländische Gesinnung so mannhaft nach allen Seiten bekundet hat, daß ihn eine bekannte deutsche Zeitschrift nicht mit Unrecht „das Gewissen Oesterreichs“ nannte. Spitzer sagt a. a. O. 2. Bd. S. 175:
„Die „Rettungen“ bisher verkannter geschichtlicher Persönlichkeiten sind in unserer Zeit, welcher, ungeachtet der fortwährenden Tax-Ueberschreitungen von Seite der Comfortable-Kutscher, ein hoher Sinn für Gerechtigkeit nicht abgesprochen werden kann, in auffallender Weise beliebt geworden. Kritische Forscher haben es bekanntlich sogar unternommen, nachzuweisen, daß Kaiser Tiberius eigentlich ein seelenguter Herr war und der Präsident des Obersten Gerichtshofs, Herr Ritter v. Schmerling, hat in der letzten Herrenhaussitzung dem verkannten Fürsten Windischgrätz denselben Liebesdienst erwiesen ... Der Scipio, der sein edles Herz in Wallung bringt, hat nicht Afrika erobert, sondern Gaudenzdorf und ist an der Spitze seiner Heersäulen als Triumphator über ein Dutzend erbitterter Gegner in Wien eingezogen. Muß da nicht ein Wiener, wie Herr v. Schmerling, empört sein, wenn man den Eroberer seiner Vaterstadt zu verunglimpfen sucht? Dennoch ist in einem Auszuge aus dem Helfert’schen Buche, den das Feuilleton der „Neuen Presse“ brachte, diese Schandthat verübt worden. „Was geschah denn,“ rief Herr v. Schmerling aus, „daß man Windischgrätz als Tyrannen, als Egoisten hinstellt? Nichts weiter, als daß zwei bis drei hervorragende Männer und wenige unbedeutende andere Männer hingerichtet worden sind.“ Und wegen eines so unansehnlichen Blutbades, in welchem ein proportionirt gebauter Tyrann kaum bis an die Brust waten könnte, schmäht man einen einheimischen General gleich einen Egoisten! Da pocht man immer darauf, Wien sei eine Großstadt, und wenn man dann den Maßstab einer solchen anlegt und zwei bis drei hervorragende und eine lächerlich kleine Anzahl unbedeutender Menschen abschießt, ist das gleich ein Stadtgespräch und noch nach Jahren wissen die Journalisten ihre Leser mit nichts Besserem als diesem Tratsch zu amusiren. — „Was hätte Fürst Windischgrätz Anderes thun können?“ fuhr der Lobredner des tapferen Feldherrn hierauf fort. Die Antwort, die wir auf diese schwierige Frage wüßten, ist so schlicht, daß wir sie nur mit der größten Schüchternheit niederzuschreiben wagen. Wir sind nämlich der Meinung, daß der Fürst die unglücklichen Opfer, welche er erschießen ließ, unter Anderem auch hätte nicht erschießen lassen können. Dieser einfache Ausweg ist aber wahrscheinlich dem mit Geschäften überhäuften Fürsten damals nicht eingefallen, was um so weniger überrascht, da auch sein Vertheidiger, der doch mehr Zeit zum Nachdenken hatte, nicht auf denselben verfallen ist. Es hat uns schmerzlich berührt, daß der Retter des Fürsten Windischgrätz nur der Feldherrntalente seines Schützlings gedacht hat, obwohl dieser doch als Staatsmann noch weit bedeutender gewesen zu sein scheint, denn als Feldherr. Hat man ihn doch in dem einzigen ernsthaften Kriege, in welchem er den Oberbefehl führte, im Kriege gegen die ungarische Revolutions-Armee, plötzlich abberufen, um, wie es damals hieß, „seinen Rath über wichtige innere Angelegenheiten zu vernehmen,“ und man übertrug lieber dem Baron Welden den Oberbefehl, ehe man auf die staatsmännischen Rathschläge des tapferen Feldherrn verzichtet hätte. Ob man die Rathschläge, welche er in Olmütz ertheilte, befolgte, ist nicht bekannt geworden, doch scheint es, daß er den guten Rath, den man ihm dort gab, ausgeführt hat, indem er sich auf seine böhmischen Güter zurückzog.“
[255] Einschließlich der Truppen des Banus (I. Armee-Corps) und des Grafen Auersperg (II. Armee-Corps) hatte Windischgrätz zur Verfügung 59–5/6 Bataillone, 66 Escadrons, 219 Geschütze. Die „selbstständige“ Brigade Wiß und die Armee-Haupt-Reserve ist dabei eingerechnet.
[256] St. B. S. 3660 fg. (Sitzung vom 29. November).
[257] Helfert, S. 161.
[258] Helfert, S. 175.
[259] Ebenda, S. 204.
[260] S. 176 (1. Bd.).
[261] In dem Todesurtheil gegen Blum ist sogar die geradezu actenwidrige Behauptung aufgestellt, er habe „am 23. October l. J. in der Aula zu Wien durch Reden (!) in einer Versammlung zum Aufruhre aufgeregt.“
[262] 2. Bd., S. 483, Note 112.
[263] Im Dresdner Journal vom 15. Nov., S. 134, Sp. 1.
[264] Helfert, S. 483. Note 113 (1. Bd.).
[265] Helfert, S. 186.
[266] Helfert, S. 176.
[267] Bem war die Seele der Stadtvertheidigung, der Commandant der Mobilgarde; bei seinen nahen Beziehungen zu Messenhauser von Lemberg her, ist es wahrscheinlich, daß er von diesem nach Wien gerufen wurde. Er übernahm sein Commando mit den Worten: „Als Mitglied der Lemberger Nationalgarde (!), habe ich den festen Willen die Constitution des Reiches und die Arbeiten des hohen Reichstages nach Kräften zu vertheidigen.“ Er war der einzige erprobte Kriegsmann in Wien; schon unter Napoleon, dann im Polenaufstand als Vertheidiger Warschaus gegen die Russen hatte er sich mit Ruhm bedeckt. Aber auch er hielt die Sache Wiens ohne Mitwirkung der Ungarn von Anfang an verloren.
[268] Band 1, S. 207.
[269] Springer, S. 574. Pillersdorff, Nachgel. Schriften S. 165.
[270] Zu vgl. dessen Note 310, S. 528, 1. Bd.
[271] Auch Messenhauser hatte am 20. October den Belagerungszustand erklärt. —
[272] Nordstein, S. 318 theilt Haug’s Aufruf wörtlich mit. Helfert schreibt den Major bald Haug, bald Hauk und Hauck. Haug schrieb er sich selbst, s. S. 502.
[273] Helfert, S. 196, 1. Bd.
[274] Mittheilung Ludwig Bamberger’s an mich, nach Lasker’s persönlicher Erzählung.
[275] Bd. 1, S. 262/63 und bei Note 182 und Note 180 S. 499.
[276] Lyser, Wiener Ereignisse S. 88.
[277] St. B. S. 3420, Sp. 1.
[278] Poststempel Dresden, 5. November.
[279] S. 572.
[280] St. B. S. 3420.
[281] Erster Nachtrag zum Vernehmungsprotocoll vom 10. November. — Helfert, 3. Bd., Anhang S. 44.
[282] Ebenda S. 43.
[283] „Denkschrift über die Octoberrevolution,“ eine Arbeit, die im Solde der Militairbehörden geschrieben und von diesen offiziell belobt wurde. (Zu vergl. auch Springer, S. 576.)
[284] Bd. 1, S. 271 bis 276.
[285] S. 272.
[286] S. 754–77.
[287] Davon, daß etwa Blum dem Fürsten abgeliefert werden müsse, war natürlich auch hier nicht im entferntesten die Rede. Später ließ Cordon das Verlangen der Auslieferung von Personen überhaupt fallen. Helfert, 1. Bd., S. 294 fg., S. 371 fg.
[288] Die Tageslöhnung.
[289] Helfert, 1. Bd., S. 286. — Grüner, Gesch. d. October-Revolution (Leipzig 1849), S. 280 fg., als Augen- und Ohrenzeuge. — Rosenfeld, Studentencomité, S. 338 fg. — Fenneberg, October-Revolution II. S. 399.
[290] Springer, S. 577.
[291] Poststempel Dresden, 5. November.
[292] St. B. S. 3420, Sp. 1. — Zu vgl. auch Fröbel’s Brief an Blum’s Schwester vom 22. Dec. 1848 im folg. Abschnitt (19) u. S. 524.
[293] v. Helfert führt nicht ein einziges Citat für seine Verdächtigungen an. Da übrigens vom 1. November an nur die offizielle Wiener Zeitung unter Redaction des Fürsten Windischgrätz erschien, und die Ereignisse vom 31. October frühestens am 1. Nov. besprochen sein konnten, so würde die Inspiration und Absicht der von Fröbel erwähnten Zeitungsnachrichten leicht zu errathen sein.
[294] Fröbel bei seiner Vernehmung vor dem Kriegsgericht. Helfert, Bd. 3, S. 45 (Anhang).
[295] Er schrieb unter der Chiffre G. v. S...u und erklärte erst im Vorwort zum zweiten Bande: „Verschiedene Erwägungen bestimmten den Verfasser bei Veröffentlichung eines Werkes, dessen Inhalt mit dem drängenden Parteieifer des Tages (?) in so mannigfache Berührung tritt“ (der erste Band erschien 1869! 21 Jahre nach der Wiener Revolution)„ für’s Erste seinen Namen nicht in den Vordergrund zu stellen.“ Eine traurige Ausrede!
[296] Blum lieferte infolge dessen am 2. November die einzige Waffe, die er besaß, ab, „ein altdeutsches Schwert mit neusilbernem Griff, Lederscheide und Koppel und erwartete dessen Sendung in seine Heimath.“ (Schreiben Blum’s vom 2. November.)
[297] C. Vogt, „Mein Prozeß gegen die Augsb. Allg. Ztg.,“ Genf 1859, enthält unwiderlegliche Beweise für dieses Verhältniß.
[298] 1. Band, S. 422.
[299] Helfert, Bd. 3. S. 424.
[300] Beiläufig bemerkt, auch bei Herrn v. Helfert selbst. Er schreibt nur gebrochen deutsch: „Pöbel-Unfüge“, „mahlen“ statt malen, „ämtliche“ u. s. w.
[301] 2. Band, S. 581.
[302] Wörtlich nach Helfert, 3. Bd., Anhang S. 31. Uebrigens auch schon in den Sächs. Landt.-Mitth. (L.-M.) 1849, 2. Kammer, S. 254, Sp. 2, mitgetheilt.
[303] Helfert, 3. Bd., S. 192.
[304] Bericht des Gesandten an den sächsischen Minister der auswärtigen Angelegenheiten in Dresden (v. d. Pfordten), d. d. Hietzing, den 5. November 1848: „Nach einem hier gestern verbreiteten Gerücht wäre R. Blum in Wien verhaftet worden. Ich hoffe (!) heute noch darüber Gewißheit zu erhalten. Das Gerücht steht übrigens mit allen anderen Nachrichten, die ihn jetzt in Berlin thätig sein lassen (?!), in Widerspruch“ — „Nachschrift.“ „Ein soeben (2 Uhr) bei der Kgl. Preuß. Gesandtschaft allhier eingegangenes anonymes Schreiben von gestern 10 Uhr aus der Stadt datirt, zeigt an, daß R. Blum und J. Fröbel gestern früh 6 Uhr arretirt und unter starker militairischer Bedeckung abgeführt worden sind.“ [Landtagsmittheilungen (L.-M.), 2. Kammer 1849, S. 248, Sp. 2.]
[305] Ebenda, S. 251–53. (Die hier citirten Stellen des Berichts s. S. 252, Sp. 2, S. 251, Sp. 2.)
[306] „Was mich betrifft, so habe ich das Bewußtsein, in dieser verhängnißvollen Angelegenheit meine Pflicht erfüllt zu haben. Ich helfe Jedem ohne Ausnahme mit der größten Bereitwilligkeit. Wo es aber ganz außer meiner Macht liegt, zu helfen, da kann mich kein Vorwurf treffen.“ Schluß seiner Rechtfertigung vom 21. November. A. a. O. S. 253 — und damit zu vergleichen die im Text gedruckte Depesche vom 6. November an der gesperrt gesetzten Stelle!!
[307] A. a. O. S. 248/49.
[308] Landtagsmittheilungen S. 248.
[309] A. a. O. S. 249.
[310] a. a. O. S. 250.
[311] Im wohlthuendsten Gegensatze zu dem Verhalten des sächsischen Gesandten stand die Energie des sächsischen Ministeriums und insbesondere v. d. Pfordtens. Die Note vom 3. November war schon ein schönes Zeugniß für den Eifer der sächsischen Regierung, ihre Landsleute in Wien zu schützen. Sofort nach dem Empfang des Berichtes des Gesandten vom 5. schrieb aber das Ministerium am 8. an Könneritz, er müsse „Alles aufbieten, um Robert Blum zu schützen.“ Es betonte nachdrücklich „das Recht“, welches Blum als Abgeordneter wie als sächsischer Staatsangehöriger auf den Schutz des Gesandten habe und schloß: „Die sächsische Regierung kann in so eigenthümlich gestalteten Zuständen, wie sie jetzt im Kaiserstaate bestehen, ihre Staatsangehörigen nicht sofort einer militairischen Procedur überlassen, wenn nicht alle Vorbedingungen für Anwendung des Kriegszustandes gegeben sind.“ Leider kam die Note zu spät in Wien an.
[312] Deutsches Reichsgesetzblatt Nr. 2.
[313] D. R. G. B. St. 1. Ges. v. 29. Sept. §. 4. S. 1.
[314] Diese Ausflüchte wurden den von der Centralgewalt zur Einsicht der Acten Blum’s &c. nach Wien gesandten Reichscommissären Paur und Pözl eingehalten und finden sich in einer Note Bach’s vom 6. December 1848 an das Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten ausgesprochen. (St. B., Bd. 6, S. 4478), Sächsische L.-M. a. a. S. 259 fg.
[315] Ebenda. L.-M. S. 261, Sp. 2.
[316] Bericht desselben an die k. k. Centralcommission vom 30. Nov. 1848. L.-M. S. 256/57.
[317] „Auf frischer That!“ — Wortlaut des Reichsgesetzes vom 30. November.
[318] Schillerfest.
[319] S. 48 fg.
[320] Also abermals der deutlichste Beweis, daß auch Fröbel im Feuer gewesen.
[321] Der Blick vom Stabsstockhause ging auf die stets sehr belebte Elendsbastei.
[322] Bd. 3, S. 194.
[323] Nummern vom 9. und 11. November 1873.
[324] Bd. 3, S. 199. P. habe sie „den Richtern zukommen lassen.“
[325] Helfert, 3. Bd., Anhang S. 45.
[326] Soll heißen seiner Einquartirung in Blum’ und Fröbel’s Zimmer.
[327] Und da H. v. Helfert die Acten eingesehen hat, weil er Sachen daraus mittheilt, die er nicht abdruckt und weil er manchmal sogar die Handschriften bestimmten Personen zuweist.
[328] Helfert, 3. Bd., Anhang S. 105 u. 106.
[329] Helfert, ebenda S. 39.
[330] In seinem oft citirten Bericht vor der Paulskirche.
[331] Hier folgte die von Fröbel beseitigte Drohung: „und behalten sich vor, gegen dieselben alle gesetzlichen Mittel in Anwendung zu bringen, sobald sie dazu im Stande sein werden“.
[332] Soll heißen: Schönbrunn.
[333] Sächsische L.-M. 1849. II. K. S. 258/59.
[334] 3. Bd. N. 193. Anh. S. 106.
[335] Das Schreiben ist vollständig mitgetheilt von Helfert, 3. Bd., Anh. S. 40, 41, sub 9.
[336] Damit war natürlich durchaus nicht unvereinbar, daß nicht nebenher noch geheime Instructionen über Blum nach Wien ergingen. Denn so gut Actenstücke aus den Acten verschwinden konnten, welche dorthin gehörten und nicht nach Schönbrunn (Blum’s Proteste vom 5., 7. und 8. z. B.), ebenso gut konnten auch Befehle auf dem Wege von Schönbrunn zu den Acten — secretirt werden. So gut wie der Fürst den ganzen Sommer über hinter dem Rücken seines Kriegsministers conspiriren konnte, so gut konnte er auch hinter dem Rücken der lieben Einfalt, die in Wien Standrechtscommission spielte, der „Gemeinen“ Tiefenthaller und Consorten seine Wünsche über Blum’s Schicksal verschämt andeuten. Die wunderliche Kürze des „Verfahrens“ gegen Blum, bei der alle wichtigen, für den Angeklagten entscheidenden Fragen durch einfaches Abstimmungscommando ausgetragen wurden, ist — namentlich wenn man damit die eingehenden Verhöre mit Messenhauser und die liebevolle Weitläufigkeit zur Ermittelung mildernder Umstände für Fröbel vergleicht — eine schwere Bestätigung dieser Vermuthung.
[337] Helfert, 3. Bd. Anh. S. 41. L.-M. a. a. O. S. 255 fg.
[338] Wir haben also an „Grundlagen“ für das Kriegsgericht oder, um es gerade heraus zu sagen, für die Tödtung Robert Blum’s: einen „Auftrag“ des G. M. Cordon, zwei Zeitungartikel nicht von Blum, möglicher Weise über Blum — das Nähere verräth das Protokoll nicht — den Auszug aus dem Sitzungsprotokoll des Gemeinderathes, welches absolut nichts Belastendes für Blum enthalten haben kann, das völlig harmlose Protokoll über die Verhaftung, das ebenso harmlose Schreiben der Abgeordneten vom 3. November (das oben mitgetheilt wurde) und — last not least — den Kofferschlüssel Blum’s! Das war der Apparat, mit welchem die Anklage auf Tod und Leben erhoben wurde.
[339] Muß heißen am 17.
[340] Die Unterschriften dieses Protokolls, vom Gefreiten bis zum Rittmeister aufwärts hat selbst Helfert kaum entziffern können. Die slavischen Namen vieler der Herren Richter vervollständigen das Bild ihres muthmaßlichen Bildungsstandpunktes.
[341] Damit sind die vom Standgericht zu Gunsten Fröbels angeführten Milderungsgründe erschöpft. (Helfert, Anh. S. 44/45.) Denn, daß seine Abtheilung „mit den k. k. Truppen noch in keinen Kampf gekommen war“, war ein Irrthum oder eine Zweideutigkeit. Zum Handgemenge war Blum auch nicht gekommen. — Uebrigens muß es ein erhebender Augenblick gewesen sein, wie die „Gemeinen“ Tiefenthaller und Compéis ihr Urtheil über die gemäßigten Schriften, Reden und Thaten des Professors Fröbel abgaben.
[342] Schreiben Hipssich’s vom 30. Nov. L.-M. S. 256/57.
[343] Votum informativum (Actenvortrag und Anklagebegründung) des Auditor’s von Wolferom vor Schöpfung des Urtheils wider Messenhauser. (Helfert, Bd. 3, Anh. S. 49.)
[344] Stilübungen dieser Art sind zu finden in der Wiener Zeitung, Morgenblatt vom 28. November und in den Nummern vom 29. November bis 1. December; im „Lloydjournal“ vom 21. Nov. ab; in Ebersberg’s Zuschauer vom 25. u. 28. Nov.; im „Oesterr. Courier“ vom 23. November; in der Prager Zeitung vom 14. November 1848 u. s. w. — Keine einzige dieser Ausführungen bietet den Versuch einer objectiven rechtlichen Beurtheilung an der Hand der Gesetze und der Acten. Alle ergehen sich nur in politischen Ausführungen und in leidenschaftlichen persönlichen Schmähungen R. Blum’s.
[345] Bluntschli, „Das moderne Völkerrecht,“ S. 30 fg. u. S. 547, 548, 549. „So weit die Nothwendigkeit reicht, so weit reicht die Kriegsgewalt. Darüber hinaus wird sie rohe Willkür.“ S. 561 u. 568.
[346] Helfert, 3. Bd., S. 206 u. 207, Anh. S. 112, N. 209.
[347] Das Protokoll „erhebt“ durchaus keinen „Thatbestand“.
[348] Selbst die Geständnisse Blum’s decken in keiner Weise das ihm zur Last Gelegte.
[349] Im Protokoll steht nichts von Zeugen. Keinesfalls ist die Aussage solcher Blum vorgehalten, keinesfalls ist ihm ein Zeuge nur genannt worden.
[350] Das ist das „einzige Gesetz“, welches das Urtheil anführt, und nach welchem der Tod verwirkt sein soll — die Willkürverordnung eines nicht einmal mit legalem Auftrag versehenen Heerführers; denn die Th. Gerichtsordnung ist ein Prozeß-, kein Strafgesetz.
[351] Die Namen der Mitgefangenen waren Camillo Hell, Terzky, v. Schlechta.
[352] Ursprünglich war für die gebührende Abweisung dieses Verhaltens ein besonderes Plätzchen hinter dem Texte aufgehoben. Auch die liebe Jugend, die auf Grabhügeln mit Füßen herumtrampelt, während Andere einen theuern Todten begraben, erhält ihren Denkzettel nicht während der Leichenrede, nicht auf dem Friedhofe. Aber bei näherem Betracht waren die Helfert’schen Herabsetzungen so kurz und schlagend abzufertigen, daß dazu einige Noten genügten, und man ihm die besondere Ehre eines Anhanges ersparen konnte. Zunächst behauptet Herr v. Helfert: „Wir können nach dieser Scene“ (zwischen Fröbel und Blum beim Abschied) „und nach Blum’s vorwaltender (?) Gemüthsstimmung in den Tagen zuvor nicht glauben, daß Blum den Abend heiter gewesen sei und die Nacht ruhig geschlafen habe“. Wir haben dafür aber außer dem von Fröbel bekundeten Zeugniß eines Mitgefangenen die Thatsache, daß Blum am andern Morgen aus tiefem Schlaf geweckt wurde. Und überdem ist die Heiterkeit Blum’s und sein gesunder Schlaf sehr wahrscheinlich und erklärlich. Denn bei ihm „waltete vor“ das Gegentheil jener Gemüthsstimmung, welche Herr v. H. für die Blum beherrschende hält. Und je länger Blum über den Verlauf seines Verhör’s nachdachte, um so ruhiger mußte er werden. Fröbel sah ihn in der ersten Erregung nach dem Verhör — Fröbel selbst aufs höchste erregt — zum letzten Mal. Dazu kam nun für Blum die neue, leichtblütige Gesellschaft seiner Mitgefangenen. Wer mit Herrn v. Helfert an der Wahrheit des Fröbel’schen Berichts von Blum’s letzter Nacht zweifeln will, muß Blum eine tiefere Kenntniß der Niedertracht des gegen ihn beobachteten Verfahrens und der Absichten seines Richter-Pelotons zutrauen, als Blum sie besaß.
[353] Diese Darstellung ist der „Illustrirten Zeitung“ von J. J. Weber entnommen, einem Blatte, das immer gute Beziehungen zu Oesterreich hatte und dem die ganze damalige deutsche Presse diese Darstellung der letzten Stunden Blum’s unwidersprochen nachdruckte, und zwar die Organe aller Parteien. (Ich besitze etwa ein Dutzend Blätter aller Farben, die das beweisen.) Diese Erzählung fußt offenbar auf der Mittheilung des Geistlichen selbst, denn Vieles, was darin steht, wiederholt sich in der spätern Erzählung Pater Raimund’s in den „Histor. polit. Blättern“, von welcher sogleich die Rede sein wird. Die Erzählung der Illustr. Zeitung ist durchaus glaubhaft, denn sie zeigt uns Blum wie er wirklich war, dogmenfrei, harmonisch mit seinem ganzen Leben und Charakter. Sie steht ferner in vollem Einklang mit dem, was Andre in Wien selbst in den nächsten Tagen über Blum’s letzte Stunden erfahren konnten und aufzeichneten (Auerbach, Nordstein u. A.) und mit dem Verhalten Blum’s Fröbel gegenüber, wenn Beide in einsamen Stunden vom Tode sprachen. „Niemals sei da,“ versichert Fröbel (Briefe, S. 56), „ein religiöses Gespräch zwischen ihnen geführt worden. Nur „um einen Zeugen zu haben, daß er ruhig sterbe,“ habe Blum einmal geäußert, „möchte er um die Begleitung eines Geistlichen bitten.“ Auch am Abend des 8. sei kein Wort von einem religiösen Gespräch zwischen Blum und seinen (neuen) Gesellschaftern vorgekommen.“ Diesen einfachen und glaubhaften Erzählungen gegenüber trat am 28. November 1848 das offizielle (aus Mangel an Theilnahme seither eingegangene) Organ des österr. Ultramontanismus, die „Wiener Kirchenzeitung“ auf, mit der Behauptung: „Robert Blum hat gut katholisch die heiligen Sacramente empfangen. So sagt der Priester, der zu ihm gerufen wurde.“ Natürlich ließ diese Ankündigung des offiziellen Blattes das offiziöse Leiborgan des deutschen Ultramontanismus, die gelben Blätter der Familie Görres, nicht lange ruhen. Im ersten Quartal 1849, S. 113–118, veröffentlichten die berufenen „histor.-polit. Blätter“ (die sich so nennen, weil sie niemals weder historischen noch politischen Sinn besaßen) ein „Sendschreiben an die Redaction“, welches angeblich von dem Geistlichen herrührte, „der Blum zum Tod vorbereitete“ und in welchem es heißt: „Der Katholik habe Ursache, die Gnade Gottes zu preisen,“ weil Blum „zuletzt auf die Knie vor Pater Raimund gefallen sei und um das Sacrament gebeten habe.“ Blum habe „mit geläutertem Gemüth die Absolution und die heilige Hostie empfangen, nachdem der Profoß das Zimmer verlassen und Blum seine Beichte abgelegt habe.“ Zu diesem erfreulichen Ergebnisse sei der brave Pater Raimund gelangt, nachdem er Blum „auf das Beispiel von — Sokrates (!) hingelenkt, mit Blum über Unsterblichkeit gestritten und von den Dingen gesprochen habe, die des Menschen Geist zu dem Höchsten erheben, die sein Gemüth aufs Tiefste bewegen.“ Diesem Bericht gegenüber haben wir uns vor Allem mit dem tiefen Mißtrauen zu waffnen, das bei jeder „Enthüllung“ und namentlich jeder Bekehrungsgeschichte aus ultramontaner Quelle am Platze ist. Dann mit dem Unglauben, welchen Blum’s ganzer Werdegang aufnöthigt gegen die Annahme, daß ein so freier Geist sich von den geistlosen Fesseln des kathol. Dogma’s in der Stunde des Todes habe bestricken lassen. Daß ein Protestant, der aus freiem Forscher- und Wahrheitsdrang den Formen seiner Kirche den Rücken gewendet, in seinen letzten Stunden andächtig wieder dem Worte Gottes lauscht, wie in seinen Kindertagen, das ist denkbar. Denn auch in der Glaubenslehre der Protestanten ist Freiheit und Geist die Fülle, und in der protestantischen Auffassung von Einkehr und Buße liegt der größte Triumph des freien Willens, den Menschengeschichte kennt. Aber daß ein Katholik, der von seinen Kindestagen an das hohle werkheilige Wesen der Formen, welche seine Kirche statt des Geistes bietet, in der Stunde seines Todes für genügend erachten solle, um sich mit Gott und der Welt zu versöhnen, das ist schlechthin undenkbar — mindestens bei Robert Blum. Das kann uns auch ein geweihter Priester nicht glauben machen. Sicherlich wahr ist und von allen zeitgenössischen Gewährsmännern berichtet, daß Blum sich wahrhaft fromm und gottergeben, weich und mild dem Pater Raimund gezeigt, daß er mit ihm davon gesprochen hat, wie schwer ihm das Scheiden von der Welt werde, heraus aus vollster Manneskraft, mit Hinterlassung einer Gattin, die Blum für schwindsüchtig hielt, und vier kleiner Kinder, von denen das älteste noch nicht acht, das jüngste noch nicht ein Jahr alt war, noch dazu in ärmlicher Vermögenslage! Auch über Unsterblichkeit mögen sie gesprochen haben; doch nicht streitend — denn Blum selbst glaubte daran — sondern ihre Beweisgründe ergänzend, vertiefend. Zu einem ernsten „Bekehrungsversuche“ aber wie er hier in Scene gesetzt gedacht wird, fehlte dem Pater vor Allem die Zeit. Denn den größten Theil der Zeit, die Blum zur Verfügung zu haben glaubte, verwendete er zur Niederschrift seiner letzten Briefe. Blum schrieb nach fünf Uhr früh: um 6 Uhr werde er „vollendet haben“ — man vergl. das Facsimile des letzten Briefes Blum’s an seine Gattin. Herr v. Helfert, der so gerne glauben machen möchte, daß Blum als Pfaffenknecht gestorben sei, bestreitet daher völlig grundlos, daß Blum die Worte „um sechs Uhr habe ich vollendet,“ geschrieben habe — um eine größere Spanne Zeit für das Bekehrungswerk des Paters zu gewinnen.
[354] Persönliche Mittheilung Carl Vogt’s an mich.
[355] Das geschah am Frühmorgen des 13. November. Die furchtbare Scene wird mir stets unvergeßlich sein. Ich begriff eher wie meine arme Mutter, was Cramer sagen wollte, als er auf ihren Vorschlag: sie wolle selbst nach Wien reisen, zögernd erwiederte: „ich fürchte — Sie kommen zu spät.“
[356] Herr v. Helfert scheint das (in der Note 198 Bd. 3) bestreiten zu wollen, spricht aber selbst bei Messenhausers Execution von Ketten wie von einer berechtigten österreichischen Eigenthümlichkeit. Die Scene wird von allen Zeitgenossen gleichlautend erzählt (Illustr. Ztg., Frey, Auerbach, Nordstein). Ebenso von dem S. 501 genannten Gewährsmann, der von hier an dem traurigen Zuge folgte und der Execution beiwohnte.
[357] Helfert verlegt diesen Vorgang auf die Zeit der Fahrt zur Brigittenau, die meisten der zeitgenössischen Berichterstatter (Illustr. Ztg. &c.) auf den Richtplatz. Jedenfalls zeigte Blum nicht „an seinem Rock die Spur der Kugel“, denn er trug am 9. November einen anderen Rock, als denjenigen mit der Kugelspur. Den letzteren erhielten wir von Wien zurück. —
[358] Es kann nicht wunder nehmen, daß Herr v. Helfert Blum’s Haltung auch während der letzten Stunden und Minuten seines Lebens als unmännlich und feig darzustellen versucht. Er hat ja für dieses löbliche Unternehmen einen Bundesgenossen gefunden, dessen unparteiische Gerechtigkeit für Blum nach den zahlreichen Proben, die wir früher gaben, unsern Lesern über jedem Zweifel erhaben sein wird, nämlich Herrn — Heinrich Laube! („Das deutsche Parlament“ 3. Bd. S. 158–161.) Herr Heinrich Laube nennt seinen Gewährsmann freilich nicht. Er will sich an denselben „bald nach der Katastrophe“ gewendet haben und hüllt ihn sorgfältig in ein geheimnißvolles Dunkel. Bald ist es ein „Mann“ „der in der Lage war, den Hergang wenigstens so genau erforschen zu können, als dies einem unbefangenen, mit Hoch und Niedrig bekannten Privatmanne überhaupt möglich ist“; bald wieder soll dessen Erzählung als „Zeugniß der damaligen Stimmung in den höheren Kreisen Wiens dienen.“ Seiner Gesinnung nach ist dieser unbefangene Herr ein Schwarzgelber von reinster Farbe. Er schimpft des Längeren über Blum und sagt dann: „ihn habe das ganz verdiente Schicksal auf gesetzlichem Wege ereilt.“ Dieser „unbefangene Privatmann“ berichtet aber auch nicht einmal aus eigenem Augenschein, sondern er hat nur — gerade wie Herr v. Könneritz — „an der besten Quelle Erkundigungen eingezogen.“ Diese „beste Quelle“ ist „der Offizier, welcher Blum begleitete“, also Anton Pokorny. Dieser Offizier „will“ nun — nach Laube — der mehrmaligen Frage Blum’s nach der Richtung des Wegs, den der Wagen nahm, zuerst den wunderlichen Sinn entnehmen: „Blum habe zuerst geglaubt, in einen andern Verwahrungsort oder an die Grenze gebracht zu werden. Das dreimalige Fragen will der Offizier als eine Fortsetzung jener Hoffnung gelten lassen (!) und bemerkt hierzu, daß die Haltung Blum’s bei jeder Antwort merklich ungewisser geworden.“ Was man von diesem Wahrheitsdestillat zu halten hat, das zuerst über den Hauptkolben des „unbefangenen Privatmannes“ und dann durch die reine Wahrheitsröhre der Laube’schen Feder geleitet worden ist, wird sogleich der Lieutenant Anton Pokorny selbst erzählen. Aber das beschämende Gefühl, daß es damals in Wien „unbefangene Privatleute“ gab, welche einen deutschen Schriftsteller fanden, der sich dazu hergab, einen im Opfertod gefallenen deutschen Helden noch im Tode als einen Feigling zu verleumden: dieses beschämende Gefühl verschafft uns Herr Heinrich Laube ganz selbständig, ohne daß wir des Zeugnisses des Lieutenants Pokorny bedürfen. Denn wenn Herr Laube seinen „unbefangenen Privatmann“ weiter sagen läßt: „der Offizier sprach gegen mich subjectiv die Meinung aus, daß er Blum in jenem Augenblicke“ vor der Hinrichtung „nicht hinlängliche Fassung zu einer Anrede zugetraut hätte“ — so ist dieses „subjective“ Gerede schon widerlegt durch die unumstößliche Thatsache, daß Blum verlangt hat, mit unverbundenem Auge sterben zu dürfen. Dazu gehörte gewiss mehr „hinlängliche Fassung“, als zu den kurzen letzten Worten, die Blum sprach. Und wenn Herr Laube — den wir selbst Angesichts der stenographischen Berichte und Tausender von Zeugen auf Unwahrheiten gegen Blum ertappten — natürlich nicht subjectiv, sondern wortgetreu seinem „unbefangenen Privatmann“ folgend, hinzusetzt: „Mit einem Worte: Blum ist nicht feige, er ist aber auch nicht als Held gestorben“, und Herr v. Helfert hieran vergnügt sein Ja und Amen giebt, so mag aus dem Briefe Fröbel’s an Fr. Selbach vom 22. December 1848 noch folgende Stelle wortgetreu hier stehen: „Was ich weiter von Ihrem Bruder hören konnte, war eine kurze Mittheilung, die mir ein Lieutenant Bockorny (Pokorny) machte, der zum Standgericht gehörte (s. o. S. 552). Er hatte Ihren Bruder im Wagen nach der Brigittenau begleitet, und war im Besitz der Briefe an Frau Blum und an Vogt, sowie der für mich bestimmten Notizen, welche seitdem alle publicirt worden sind. Er erzählte mir, daß Ihr Bruder mit der Festigkeit eines ganzen Mannes gestorben sei, daß er augenblicklich nach Empfang der drei Kugeln vollendet habe, und daß Offiziere und Soldaten tief erschüttert gewesen seien. Das, verehrte Frau, ist Alles, was ich Ihnen im Raum eines Briefes mittheilen kann. Eines Trostes, den ich zu geben vermöchte, bedürfen Sie nicht. Ihr Bruder hat ein ruhmwürdiges Leben durch einen ruhmwürdigen Tod besiegelt. Sein Leben und sein Tod werden fortwirken und die Zwecke erreichen helfen, die sein Bewußtsein erfüllt und seine Kraft bewegt haben. Leben Sie wohl!“ Blum’s muthigen Tod, und daß er vor seinem Ende gesprochen, bezeugen Alle, die als Augenzeugen oder aus erster Quelle urtheilen konnten: auch mein S. 501 genannter Gewährsmann, dann L. Wittig, Auerbach, die Illustr. Ztg., Nordstein &c. ja Fürst Windischgrätz selbst (s. S. 553). — Blum’s Leiche ist nicht, wie Helfert annimmt, in einem Massengrab des Währinger Kirchhofs bestattet worden. Ein treuer Freund, der hierzu im Stande war, sorgte für ein kenntliches Grab. Doch mahnt Herrn v. Helfert’s Buch daran, ein seit dreißig Jahren bewahrtes Geheimniß auch ferner zu wahren!
[359] Tageblatt vom 14. November, erste Seite.
[360] Tagebuch S. 543, 544.
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